Beiträge zur evangelischen Theologie Theolo~:;sche
Abhandlungen, herausgegeben von E. Wolf Band 49
ULRICH LUZ
DAS GESCHICHTSVERSTi\NDNIS DES PAULUS
CHR. KAISER VERLAG MüNCHEN 1968
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Alle llochte, auch die des ou_pweilen Nocbdrucb, 'on'd"' Wledetpbe uad der Ubenetzung, bei Cbr. ~ Verlag Muncbea. Umocblog: Ingeborg Geitb. - Prlnted in Gennoay ~tbero~ng: Prledrlcb Puo~, Regenoburg
INHALT Vorw01.1: Einleitung
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Prolegomena I. üBERBLICK 'OBER R. 9-11
19 19
1. Der Ausgangspunkt 2. Das Thema von R. 9-11 . . 3. Zum Gedankengang von R. 9-11
22 25
Erster Teil: Vergangenheit und Gegenwart 11. DIE GEGENWÄRTIGE VERGANGENHEIT: DAS GOTTESWORT DES ALTEN TESTAMENTS . ..• • . ..••••
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I
1. Vorbemerkungen • • •• .••••• 2. Hermeneutische Bewegungen und Geschichtsver....••. .•.••• ständnis A. Wörtlich verstandene Texte • • . • • • a) Rein haggadische Interpretation geschichtlicher Texte b) Beispielauffuhrangen • • • . • B. Zukunftsgerichtete Texte • . • • • a) Verheißung, Weissagung und Erßillung b) Typologie. • • • • . • • • C. Nicht wörtlich verstandene Texte: Die Allegorie •
3. Die Aufnahme alttestamentlicher Erzählungen in R. 9-11 . . . . . • • . . A. Vätertraditionen (R. 9,6-13) • . • • • Exkurs: Der Begriff bcGtyyaA(a. . • • • B. Mose- und Pharaoüberlleferungen (R. 9,14-18) Exkurs: Ein Paralleltext in Sap. 11-12 C. Eliatraditionen (R. 11,2-6). • . . • • D. Zusammenfassung • • . • . • • •
4. Die Aufnahme der übrigen alttestamentlichen Texte A. Hermeneutische Bewegung und zeitliche Distanz • • B. Die Gegenwart als Intetpretatiooshori2lont der SchriEt •
•
41 44 45 45 46 47 47 52 61 64 64 66 72 79 80 83 85 85 89
Inhalt
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5. Traditionsgeschichtliche Erwägungen zur Schriftauslegung des Paulus . . . . . . . . . . . .
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A. Paulus und die Schriftauslegung der vorpaulinischen Gemeinde . . . . a) Testimonien . . . . . . . . . b) die übrigen Zitate . . . . . . B. Paulus und die Schriftauslegung von Qumran C. Zusammenfassung . . . . . . . Exkurs: Paulus und das prophetische Geschichtsverständnis
94 95 99 102 107 108
6. Die eige.nen Aussagen des Paulus über seinen Schriftgebrauch • . . . 109 A. Die Schrift gUt für uns 110 a) R. IS,4f. . 110 113 116 117
b) R. 4,23tf. . c) 1. K. 9,9f. . d) 1 K. 10,11 .
B. Buchstabe und Geist (2. K. 3) C. Zusammenfassung . . •
123 134
III. DIE ABGETANE VERGANGENHEIT: GESETZ UND GESCHICHTE . . 136 1. Vorbemerkungen 2. Christus, des Gesetzes Ende A. R. 10,4: Problem und Fragestellung B. Parallelen. . . • . . . . a) 2. K. 3,4ff. . . . . . . b) Individual- und Universalgeschichte in GI. 3,1-4,7 C. Nochmals: R. 10,4 . . • . . . . . . .
3. Heilsgeschichte und Ich in R. 7.7.ff. . . . . 4. Gesetz. Verheißung und Geschichte (R. 4; GI. 3) . A. B. C. D.
R. 3,21-31 Aufbau und Thema von R. 4 . . . . . Abraham im Judentum und bei Paulus Verheißung und Gesetz in R. 4 und GI. 3,ISff.
5. Der Sinn des Gesetzes. . . . . . . 6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5, 12ff.?
136 139 139 145 145
146 156 158 168 168 173 177 182 186 193
1. Exkurs: Zum Problem der paulinischen Ontologie. . . 211 2. Exkurs: Zur Genesis der paulinischen Gesetzeslehre. Eine Skizze 216
7. Zusammenfassung.
. • . • . • . . . • 222
Inhalt
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IV. EINE GESAMTSCHAU DER GESCHICHTE? GOTTES PLAN UND PRÄDESTINATION. 1. Einleitung. • . . . . . . . . • 2.. Der Prädestinationsgedanke in Qumran . ,3'. Der Pridestinationsgedanke in R. 9,19-24 A. R. 9,19-21 . . . . . . . . . . B. R. 9,22f. . . . . . . . . . . . 4. Andere prädestinatianische Aussagen bei Paulus A. R. 8,28-30 . . . . . . . . . . . . B. Die Geretteten und die Verlorenen (1. K. 1,18; 2. K.2,25f.) C. Die Vorherbestimmung der Weisheit (1. K. 2,7). . . Exkurs: Zur Herkunft der paulinischen Prlidestioationsvorstellung . 5. Zusammenfassung • • . • . • . • • • • •
'227 '227 129 2.35 237
241 250 250 255 258 260 262
Zweit,er Teil: Zukunft und Gegenwart V. DIE ZUKUNFT ISRAELS (R. 11,25ff.) • 1. Vorbemerkungen 2. Israel als Gottesvolk A. Die Privilegien Israels (R. 9,4). . B. Israel als Gottes Baum (R. 11, 16tI.) 3. Das Fehlen Israels im Galaterbrief • 4. Die Zukunft Israds in R. 11,25lf. 5. Zusammenfassung . . • VI. üBERBLICK üBER DIE ZUKUNFTSAUSSAGEN BEI PAULUS 1. Kerygmatisch begründete Zukunftsaussagen 2. Parusie- und Gerichtsaussagen . . . VII. DIE ZUKUNFT DES GLAUBENS 1. 1.Th. 4,13-18. . . • . . • . • A. Die Situation der Gemeinde . . . . B. Das Ziel des Paulus: Hoffnung aufgrund des GlAubens. C. Das Herrenwort und seine Interpretation durch Paulus . 2. 1. K. 15,2.3-28 • • . . . . • A. Der Kontext von 2. K. 25,23ff. B. 1. K. 15,23-28: Aufbau und Aussage
268 268 • 269 269 274 279
286 300
301 303 310 318 318 318 3'22 326 332 332 339
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Inhalt C. Traditionsgeschichdiches zu 1. K. 15,24-28. . • • . D.1. K. 15,23-28 im Vergleich mit anderen eschatologischen Aussagen bei Paulus • . . • • • • • • • •
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352
VIII. DAS VERHÄLTNIS VON GEGENWART UND ZUKUNFT . . . . . . . . . . . 359 359 1. Die Zukunftsvorstellungen von 2. K. 5,1ff. 369 2. Heil- und Heillosigkeit in R. 8,18-39 . A. Denk- und Zeitstrukturen von R. 8,18-39 369 B. R. 8,18-27 . . . . . . . . . 377 C. Fazit .• . • • • . . . . . • 383 Exkurs: Nochmals: Paulus und der Enthusiasmus 384 IX. DIE ZWISCHENZEIT BIS ZUR PARUSIE. 1. Zum paulinischen Apostolatsverständnis 2. Die Gegenwart als Zeit der Heiderunission 3. R. 11,11ff. . . . 4. Zusammenfassung 5. Schluß: R.9-11
387 387 390 392 395 400
X. REGISTER. . a) Autorenregister b) Bibelstellenregister c) Register von griechischen und deutschen Sachwörtem
403 403 421 424
VORWORT Das vOl:liegende Buch enthält meine Dissertation, die im Herbst 1967 von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich genehmigt: wurde, sowie meine Habilitationsschrift, die im Februar dieses Jahres der Fakultät vorlag. Beide wurden für den Druck leicht überarbeitet und gekürzt. Wenn ein AnHinger sich an ein so gewichtiges Thema wie das hier behanddte heranmacht, so gibt es dafür nur eine Rechtfertigung: die Faszination, die Paulus in all seiner Aktualität und Fremdheit auf uns ausübt. Das Thema hat mich schon in meiner Studienzeit beschäftigt und seither nicht mehr losgelassen. Daß ich mich trotz aller Hindernisse nicht einem anspruchsloseren, weniger zeitraubenden und wohl auch meinem Können angemesseneren Gegenstand zuwandte, liegt einfach daran, daß ich Paulus nicht lassen konnte. Was nun am Schluß herausgekommen ist, ist beileibe nicht ein Stein des Weisen oder gar ein Neuentwurf einer pauünischen Theologie, sondern ganz einfach ein Diskussionsbeitrag. Er kann vielleicht zum Widerspruch hemusfordern oder auch andere zu neuem Denken anregen. Aus beidem hoffe ich, wieder lernen zu können, denn ich selbst bin mit dem Thema. noch längst nicht fertig, obschon jetzt die Arbeit gedruckt vorliegt. Vor allem aber möchte ich all denen danken, die mir in den vergangenen Jahren geholfen haben. Zunächst gilt mein Dank Herrn Prof. Eduard Schweizer in Zürich, dessen Assistent ich in den vergangenen fünf Juhren war, der meine Arbeit und mich persönlich mit liebevoller Sorgfalt und manchmal auch mit kräftigem, hilfreichem Widerspruch begleitete. Er war es auch, der mich zur Habilitation ermunterte und mir inuner wieder die zur eigenen Arbeit nötige Zeit zur Verl'ügung stellte. Sodann gilt der Dank denjenigen Lehrern, die mein Studium zur Zeit ihres gemeinsamen Wirkens in Zürich entscheidend prägten und mir auch die ersten Anregungen zu dieser Arbeit gaben: Herrn Prof. Hans Conzelmann, Göttingen und Herrn Prof. Gerhard EbeÜDg, Tübingen. Mein Dank gilt aber auch der ganzen Zürcher Theo-: logischen Fakultät, die für mich von meinem ersten Semester an bis hin zur venia legendi ein Ort war, wo man sich glücklich und zuhause fühlt(:. Für manche hilfreiche Gespräche danke ich besonders Prof. E. E. Ellis, New Brunswick, Prof. Ferdinand Hahn, Kiel und meinen Freunden Prof. Peter Stuhlmacher, Erlangen und Peter Siber, Zürich. Ohn(: kräftige finanzielle UnterstütZung durch den Erziehungsrat des
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Vorwort
Kantons Zürich, den Kirchenrat des Kantons Zürich und die Adele Koller-Knüsli Stiftung wäre der Druck nicht möglich geworden. Herzlich danken möchte ich auch den Beamten der Zentralbibliothek Zürich, des Baptist Theological Seminary Rüschlikon, der Universitätsbibliothek Tübingen und der Deutschen Bücherei Leipzig für alle Hilfe bei der Literaturbeschaffung. Bei den Kontrollen halfen die Herren cand. theol. James Davis und Andres Enderli mit. Herrn Prof. Ernst Wolf, Göttingen, gilt mein herzlicher Dank für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der Beiträge, dem Verlag und der Druckerei für den prompten und zuverlässigen Satz. Und schließlich möchte ich denjenigen Menschen danken, ohne deren Anwesenheit die Arbeit wohl kaum so hätte wachsen können: meiner Mutter und meiner Braut. Männedorf, den 15. Juni 1968
Ulrich Luz
EINLEITUNG Mit dem Wort "Geschichte" wird in unserer deutschen Spmche ein kompl'~xes Phänomen bezeichnet. Ein bloßes Ereignis der Vergangenheit ist noch nicht Geschichte, ebensowenig eine Reihe bestimmter Ereignisse, die an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Zeitabschnitt geschehen sind. Aber auch eine Erweiterung des geographischen oder zeitlichen Horizontes, die zu einer vollständigen Aufzählung aller vergangenen Ereignisse führen würde, stellte uns noch nicht'V·or das Problem der Geschichte. Die Aufzählung von Ereignissen istvielmehrGegenstandderChronistik,nichtderGeschichtsschreibung, und auch eine Universalchronik ist noch keine Geschichtsdatstellung1 • Geschichte setzt vielmehr einen sinnvollen Zusammenhang der berichteten Ereignisse voraus. Die Darstdlung dieses Zusammenhangs ist Aufgabe des die Ereignisse interpretierenden Geschichtsschreibers·. Im Entwurf dieses Interpretationszusammenhangs wird ihn sein V orve:rständnis und sein Vorhaben begleiten. Ist er damuf aus, in objektiv-distanzierender Betrachtungsweise verschiedene Ereignisse miteinander zu verknüpfen und als historisch wahrscheinlichen Ereignis:ilblauf darzustellen, so wird seine "Geschichte" anders aussehen, als Wf:nn er etwa danach fragt, welche Ereignisse der Vergangenheit für die eigene Zeit durch ihre daraus zu ziehende Bdehmng, ihre Merkwürdigkeit etc. aufzeichnungswürdig sind. Jedenfalls zeigt sich, daß die distanzierende Geschichtsbetmchtung der historisch-kritischen Wissenschaft nur eine Möglichkeit der Geschichtsbetrachtung überhaupt ist. Objektivität kann nicht als absoluter Maßstab an alle Geschichtswissenschaft früherer Zeiten gelegt werde:n, sondern ist sdbst eine geschichtlich gewordene Größe, die als solche wiederum kritisch hinterfragt werden muß. In der griechischen Geschichtsschreibung wird unabhängig von seinem Sinn ein Ereignis um seiner selbst willen aufgezeichnet und seine Bedeutung an Vgl. A. W,iser, GlBube und Geschichte im Alten Testament. BWANT IV/4, Stuttgart: Kohlhammer 1931, 20. I Das formuliert schon Polyb. (ed. F. Hultsch) XII, 25b: Der Geschichtsschreiber soll nicht nur die Wirklichkeit erkennen, sondern auch nach den Gründen des Erfolgs oder Mißerfolgs einer Handlung fragen. Vgl. auch L. •. M,...II, über das geschichtliche Verstehen, in: Der Historiker und die Geschichte, Zürich: Berichthaus 1.960, 3-10, dort.4ff. Weiser, Glaube und Geschichte 20, spricht davon, daß erst dc:r "überindividuelle GeisteszusammenhfUlg" dem Eiozelgeschehen SinD und ZUSBnlmenhang gibt, d. h. Geschichte als "geistgewordenes Geschehen" konstituiere.. 1
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Eill/ei/tmg
objektiven Kategorien gemessens. Da geschichtliche Ereignisse grundsätzlich als wiederholbar galten, spielte in der griechisch-römischen Geschichtsschreibung das Erziehungsmoment eine immer größere Rolle: Geschichte gibt Beispiele und Vorbilder und lehrt, Fehler zu vermeiden'. Doch kommt ·es im griechischen Raum kaum zu einer Geschichtsphilosophie oder gar -theologie. Anders steht es im alttestamentlich-jüdischen Bereich6• Hier wird Geschichte als Geschehen der Taten Gottes an seinem Volk verstanden. Daraus ergibt sich ein Vierfaches : Erstens beschränkt sich inhaltlich die Geschichtsbetrachtung auf denjenigen Raum, in dem Gott handelt. Geschichte ist also im Alten Testament zunächst Geschichte des Volkes Israel, bzw. Geschichte Gottes mit ihm. Erst allmählich wird die Welt zum Raum der Geschichte Gottes. Zweitens ist die Zukunft ganz anders in die Geschichtsbetrachtung einbezogen. Während im Griechentum aus der Vergangenheit allenfalls Schlüsse und Lehren für die Zukunft gezogen werden können, ist die Zukunft für den Israeliten Raum der Hoffnung, der Erfüllung der Zusagen Gottes. Diese Ausrichtung auf die Zukunft ist der alttestamentlichen Geschichtsschreibung von allem Anfang an, nicht erst in der Apokalyptik, eigen. Damit hängt drittens zusammen, daß der alttestamentliche Mensch immer schon nach dem Sinn eines Geschehens fragt ..Geschichtliche Ereignisse sind Teil eines Plans Gottes'. Sie sind Einlösung von Gottes Zusage, Antwort auf menschliche Sünde. Die Geschichte kann auf ihr Warum und auf ihr Wozu hin befragt werden. Und schließlich ergibt sich viertens daraus, daß für den alttestamentlichen Menschen Geschichte nicht nur Raum ist, in dem er lebt, sondern mehr: Gottes Taten in der Geschichte sind ihm Grund seines Lebens, seines Glaubens, seiner Hoffnung. Das Volk Israel lebt in ganz anderer Weise von seiner Geschichte her, als dies bei den Griechen je der Fall war. Diese Geschichte ist für den Israeliten immer Gegenstand der Verkündigung. Dem Gri~chen wird seine Geschichte • Beschrieben werden etwa große und wunderbare Vorfälle (Hdt. I, 1), Ereignisse, die durch die Menge der daran beteiligten Völker und Rüstungen (Thuc. I, tf.) oder die kurze Zeit, in der eine weltbewegende Umwälzung stattfand (Polyb. I, 1,5), bedeutsam sind. • Das spidt für die römische Geschichtsschreibung, die sich sdbst als patriotische Erbauung versteht, eine große Rolle, vgl. Polyb. I, 35,9; Liv. Vorwort; Plut. Aem. 1 (= 255 c-f); Tac. Ann. III, 65. • Zum Geschichtsverständnis des A. T. Lit. bei }.{.BurrO/llr, Ancient Israel, in: The Idea of History in the Ancient Near East, New Haven: Yale University Press 1955, 99-131, dort 131; G. Fohrer, Prophetie und Geschichte, ThLZ 89 (1964) 481-500, dort 48tf. A.1. Vgl. auch u. A. 11 232. • Vgl. H. WilJberger, Jesaias Verständnis der Geschichte, in: Congress Volume Bonn 1962, Suppl. V T 9, Leiden: Brill 1963, 83-117, dort 85ff.; O.Ktnr, Der Römerbrief, Regensburg: Pustet 1957ff., 288.
Eillieitrmg
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erzählt, damit er aus ihr lerne und sie weiterführe; dem Israellten wird sie verkündet, so daß er an ihr Anteil gewinnt. So enthält unser Begriff "Geschichte" zwei Momente, die im folgenden bedacht werden müssen: a) das Geschehene selbst und seine kausale Ve:rknüpfung, also gewissermaßen das Material der Geschichte und b) das Moment der Interpretation, das zu jeder Geschichtsanschauung, der griechischen wie der alttestamentlichen Geschichte gehört, denn Geschichte ist nicht nur Geschehen, sondern interpretiertes, verstandenes Geschehen. Das heißt: Die Geschichtsbetrachtung eines Autors ist nicht nur auf ihr Material, die verarbeiteten geschichtlichen Stoffe, und ihre Abfolge, sondern auch auf den Ort dieser Stoffe im Denken des Autors, auf ihre Funktion, ihren Gebrauch und ihl:e Bezogenheit auf die Denksituation des Autors hin zu befragen. Geschichte ereignet sich im Denken und Sprechen eines Interpreten in gewissem Sinne wieder neu. So entsteht aus der Begegnung mit velcgangener Sprache neues Sprachereignis. Auch unser deutsches Wort "Geschichte" weist ja in seiner Doppelbedeutung von "Geschehen" und "Erzählung" darauf hin: Geschichte ist immer schon erzählte, aufgezeichnete, interpretierte und verkündete Geschichte'. Der Umgang eines Autors mit der Geschichte ist wiederum Sprachgesche:henB und muß als solches interpretiert werden, wenn es nicht um Aufzählung bloßtr vergangener Fakten einerseits und deren Applikation in der Gegenwart andererseits gehen soll. Diese beiden • Vgl. zum Thema "Geschichte als Sprachgeschehen" auch u. 11 3 A Exkurs Nr. 4; 113 D Nr. 2. 3; 11 4 A;1I 6; IV 3 A; S. 14. 69f. 72. 78. 83. 183; A. 25 und die Verweise A. 192; zur pln. Eschatologie vgl. u. V 5 Nr. 1; IX 4 Nr. 3. 4. 8. B Damit ist nicht ganz dasselbe gemeint wie das, was R. &nJllW'ff als "überlieferungs@;eschichte" bezeichnet, vgl. Hermeneutik des Alten Testaments als Frage nach der Geschichte, ZThK 57 (1960) 27-40, dort bes. 37ff. Der Begriff ist im Kreis um Psnnenberg im Zuge einer Präzisierung des zunächst sehr stark am bloßen Faktum orientierten Geschichtsbegriffs in den Vordergrund getreten. Er hat verklammernde Funktion und meint die Einheit von "Geschichte" (hier im Sinne von ".Geschehenem" verstanden) und Zeugnis (aaO 39). Der BegriH "überlieferungsgeschichte" wird aber von uns vermieden, weil er doppelsinnig ist: Währc:nd Rendtorffunter überlieferungsgeschichte versteht: Geschichte tllr Uberliefen:lng und überlieferung tl/r Geschichte, könnte auch verstanden werden: Geschichte Jer überlieferung, also Traditionsgeschichte. Außerdem scheint uns der Begriff "überlieferung" zu eng: Umgang mit Vergangenheit bat nicht nur den Zweck des überlieferns (als einer dem Vergangenen zugewandten Tätigkeit), sondern auch etwa den des Aufmunterns, Ermahnens (vgl. o. A. 4), des VerkÜlldigens, des Illustrierens (also einer der Gegenwart zugewandten Tätigkeit). "Geschichte als überlieferung" läßt den Blick des Betrachters vorwiegend auf der Vergangenheit ruhen, wobei auch die Sprache u.U. ein Stück betrachteter Vergangc:nheit geworden ist. "Sprachgeschehen" dagegen soll stärker andeuten, daß Sprache gewordene Vergangenheit immer wieder Ereignis, also wiederum Gegenwart werden kann, um dann hemach wiederum in die Vergangenheit einzugehen. Zur Frage nach dem Wesen des Sprachereignisses vgl. E. Fl«hr, Was ist ein Sprachereignis? Ein Brief, in: Zur Frage nach dem historischen Jesus (= Aufs. 11), Tübingen: Mohr 1960,424-430.
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Einleilung
Aspekte sind nun in Bezug auf unser Thema noch etwas zu bedenken'. Zunächst einige Vorbemerkungen: 1. Weder das A. T. noch das N. T. kennen einen Ausdruck für "Geschichte". Zwar eignet dem hebräischen tlabar die Doppelstruktur von Geschehen und Bericht, doch bleibt tlabar ein einzelnes Ereignis, und auch der Plural tlebarim meint lediglich "eine Reihe von Geschehnissen. annalistisch aufgereiht, bestenfalls mit einem ,darnach' miteinander verbunden"l". Im N. T. fehlt das griechische Wort !a-rop(QI und das Verb Ia-ropi", findet sich nur einmal GI. 1, 18 in der Bedeutung von "erstmals besuchen zum Kennenle~en"ll. Wir werden uns also bewußt sein müssen. daß unser Interesse einem Phänomen gilt, das vermudich weder im A. T. noch im N. T. als solches in den Blick gekommen ist. Das ist an sich kein Tatbestand, der unsere Fragestellung verunmöglicht, zwingt uns aber, ständig die Dilferenz zwischen Intention der Texte und eigener Befragungshinsicht im Auge zu behalten. 2. Der Terminus "Heilsgeschichte" wird hier im allgemeinen vermiedenlI. Das soll nicht von vorneherein auf eine Antithese etwa zu O.Cullmanns Position hin• Vgl. auch H.G.Gatlamer, Art. Geschichtsphilosophie, RGGa 11, 1488-1496, dort 1489. 1493. 10 Wildberger, Geschichte, Supp!. VT 9, 83; vg!. auch }. Barr, Bibelexegese und modeme Semantik, München: Kaiser 1965, 135f. 11 V gl. Pr.-Bauer s. v. Andere neutestamentliche Wörter, hinter denen man zu Unrecht die Bedeutung "Geschichte" gesucht hat, sind "oikonomia", "kairoi" und "aiönes". Gegen}. Reumann, OIKONOMIA = ,Covenant'; Terms for ,Heilsgeschichte' in Early Christian Usage, Nov Test 3 (1959) 282-292, dort 283, vg!. aber 292,und O.Ctd/mann, Christus und die Zeit, Zollikon: EVZ 1946,27. 29ff., darf bei "oikonomia" (z. B. Eph. 1, 10) nicht ohne weiteres die später in der alten Kirche sich findende Bedeutung "universaler Heilsplan" (= Heilsgeschichte) eingelesen werden, vgl. auch ders., Heil als Geschichte, Tübingen: Mohr 1965, 58. Zu "ka.iroi" (bes. Eph. 1, 10 und 1. Tm. 2, 6) vgI. H.Sth/ier, Der Brief an die Epheser, 2. Aufl. Düsseldorf: Patmos 1958, 64. "Aiönes" führt uns am ehesten in die genannte Richtung, doch enthält "aiön" meist eine negative Wertung. Vgl. duu Cullmann, Christus u. d. Zeit 38ff. und Schlier aaO 112f. Zu 1. K. 10, 11 vgl. u.1I 6 A d und zu R. 10,4 u. A. 111 29. 11 Dazu vgl. allgemein H. Oll, Art. Heilsgeschichte, RGG' 111, 187-189. Zur Problematik des Begriffs positiv z. B. Cullmann, Heil als Geschichte 56ff.; Kuss, Röm. 286; H. D. Wentl/antl, Geschichtsanschauung und Geschichtsbewußtsein im Neuen Testament, Göuingen: Vandenhoeck 1938; 81ff.; kritisch R.Btdlmann, Heilsgeschichte und Geschichte, in: Exegetica, Tübingen: Mohr 1967, 356-368, dort 366f.; G.Sthr",k, Die Geschichtsanschauung des Paulus, in: Studien zu Paulus, AThANT 26, Zürich: Zwingli 1954,49-80, dort 58 und A. 23; bedingt kritisch K. G.Sletk, Die Idee der Heilsgeschichte, Th St (B) 56, Zollikon: EVZ 1959, 58ff.; C. K. BarrelI, From First Adam to Last, London: A.C. Black 1962, 4f.; L. Goppt/I, Paulus und die Heilsgeschichte, NTS 13 (1966/67) 31-42, dort bes. 31f.4H. T.Hoppe, Die Idee der Heilsgeschichte bei Paulus mit besonderer Berücksichtigung des Römerbriefes, BFTh 30/2, Gütersloh : Bertelsmann 1926, versteht Heilsgeschichte vom apokalyptischen Zwei-Aeonen-Schema her, so daß erst mit Christus Geschichte zur Heilsgeschichte wird, vorher war sie Unheilsgeschichte, bes. aaO 142. Da sich für Hoppe das Heil aber im Innem des Menschen abspielt (vgI. aaO 148-150), ist sie eigendich "Herzensgeschichte" (aaO 164). Einen Uberblick gibt auch K.Kerle/ge, ,Rechtfertigung' bei Paulus, NTA NF 3, Münster: Aschendorff 1967, 138ff. Nach ihm gibt es Heilsgeschichte bei Pis. "im Sinne von ,Endzeit', d.h. der gegenwärtigen Zeit, die zur Vergangenheit hin durch ChristuS
Ei"ltiftlllg
IS
weisen. a,lI",ann hat ja bekanntlich "die göttliche Erei.gnisfolge"(I}, die er "in Ermangelung eines besseren Ausdrucks Heilsgeschichte" nennt, hinlänglich weit gefaßt und klargestellt, daß er damit weder den Anredecharakter der Gescbichte, noch ihre mögliche Verfaßtheit als Unheilsgeschichte ausschließen, noch einen ",lückenlosen' Kausalzusammenhang" von historischen Heilstatsachen postulieren will". Doch bleibt m.E. der Terminus gerade in seiner Weite unklar. Wenn zwischen Heilsgeschichte und Geschichte nur noch eine Analogie bestehen 8011", 80 ist nicht einsichtig, wieso für beide Phänomene der Ausdruck "Geschichte" verwendet VI'erden kann. Ist "Heilsgeschichte" gerade durch das Ineinander von Gottes Tnt und Menschentat etwa bei Paulus immer auch Geschichte zum Unheil, so droht JD. E. eine Fonnalisierung des Begriffs. Außerdem suggeriert der Begriff "Heilsgeschichte" doch so etwas wie einen in sich einheitlichen Geschicbtsentwurf, von dem aus gedacht wird", was gerade bei Paulus zu Schwierigkeiten führt. So scheint mir der Begriff wenig hilfreich. Unbestritten bleibt auf jeden Fall sachlich der "heilsgeschichtliche Grundcharakter der christlichen Botschaft" im Gegensat:z zu gnostischer Spiritualisierung".
Versuchen wir nun, die beiden oben herausgestellten Momente des Geschi(:htsbegriffs, nämlich a) das Geschehen sdbst, also das "Geschichtl;material", und b) seine Interpretation noch etwas zu vertiefen. aJ a) : Zunächst stdlt sich uns die Frage nach dem Umfang und dem Zusammenhang des paulinischen "Geschichtsmaterials"• Gibt uns Paulus in seinen einzelnen Erörterungen Stücke aus seiner Gesamtkonzeption der Geschichte, so daß sich eine solche aus den einzelnen Texten mosaikartig zusammensetzen läßt? Das ist faktisch das Verfahren O.CuI/",anns: Die "Offenbarung eines heilsgeschichdichen göttlichen Planes" ist die systematische Einheit der Gedanken der Apostels". Hinter seinen einzelnen Hinweisen und Darlegungen steht nach Cullmann die Heilsgeschichte als ganze. Ein Gesamtvemändnis der Geschichte, allerdings nicht als heimlichen Inhalt der ganzen Theologie des Apostels, sondern eher als die!ier zugrundeliegende und sie erst verständlich machende Gruoovorau.setzun@;nehmen auch H.J.Schoeps und U. Wilckens an. Für beide ist es aber ein als das ,Ende der Aorien' und zur Zukunft hin durch die Parusie Christi begreD%t ist und so ,in höchstem Maße als einmalige Erfüllung offenbar' wird" (141). Auf die plI].. Sicht der Ver~ngenheit wendet er also den Ausdruck nicht an. Weitere Lit. bei Cullmann, Hell als Geschichte 45f. 11 Heil als Geschichte 3. 37. 11 Heil als Geschichte 59. 11 Cull.mann setzt voraus, daß überall im N. T., vielleicht nur implizit, 10 etwas wie ein Gesamtentwurf der Heilsgeschichte vorhanden ist. Für Jesus, von dem es heißt, daß sdn Blick "Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart" umfasse (Heil als Geschichte 214), beschränkt sich indessen der Nachweis im wesentlichen auf die These, daß Jesus eine Zukunftserwartung gehabt habe (aaO 173ff.). überhaupt setzt Cullmann, wo immer Vergangenheit oder Zukunft auftaucht, voraus, daß damit (s)eine Gesamtkonzeption von Heilsgeschichte anklinge. Weil iiberaIl im N .. T. geschichtliche Andeutungen als Rudimente des dann im ganzen N. T. ungefähr gleichen heilsgeschichtlichen Grundenrwutfs gelten, kommt es zu einer gewissen Harmonistik, die bereits Bultmann gegenüber "Christus und die Zeit" zu Re:eht gerügt hat (Heilsgeschichte, Exegetica 364f.). " He:il als Geschichte 5. . 17 He:il als Geschichte 240.
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Einleitung
jüdischer Geschichtsentwurf, der die paulinische Theologie prägt. Nach H.]. SchOtps weiß Paulus Christus als Messias und sich selber in der postmessianischen Epoche, jener Epoche also, die dem Kommen des Messias folgt und dem Ende vorausgeht". Nach U. Wikleens dagegen ist für Paulus Christus an die Stelle des Gesetzes getreten, das in der Apokalyptik ermöglicht, im alten Aeon Gottes Willen zu entsprechenlI. Beidemale bleibt der apokalyptische Geschichtsentwurf im Prinzip erhalten. O.Kuss sieht zwar, daß Paulus "an der theoretischen Darstellung einer Geschichtstheologie •.• kein unmittelbares Interesse" habel ', gestaltet aber dennoch seinen Exkurs über die Heilsgeschichte bei Paulus so, daß er anhand der Zeidinie die verschiedenen Aussagen über die Vergangenheit und die Zukunft chronologisch aufreiht".
Oder wäre es so, daß Paulus nicht eine Gesamtkon2eption der Geschichte kennt, sondern jeweils an verschiedenen Punkten in seinem Denken aufVergangenes oder Zukünftiges zu sprechen kommt? Der Zusammenhang der ein2elnen Aussagen über die Geschichte wäre dann nicht unmittelbar in einem paulinischen Geschichtsbild, sondern mittelbar im Ganzen des paulinischen Denkens gegeben. G. SchrenIe unterscheidet im Licht der Erf'ullung drei verschiedene Linien, die aus der Geschichte auf das Christusgeschehen zulaufen: Adam, Abraham und Mose t l• Auch Chr. Dieluelbingerunterscheidet drei verschiedene Denkformen des Apostels: die Linie Adam-Christus, die Gegenüberstellung Verheißung-Gesetz und das heilsgeschichdiche Denken von R. 9'·. Alle drei Denkformen hat Paulus aus der Tradition übernommen. Gerade dann aber stellt sich besonders dringend die Frage nach dem Ort und der Funktion der einzelnen Schemata. Wozu hat Paulus sie verwendet? Was sagen sie aus? Wo haben sie ihren sachlichen Bezugspunkt aufeinander?
ad b) : Wir werden versuchen, in zwei großen Hauptteilen den paulinischen Rückbezügen auf die Vergangenheit und den paulinischen Zukunftserwartungen nachzugehen. Hingegen soll dem paulinischen Gegenwartsverständnis keine eigene Untersuchung gewidmet sein. Denn die Gegenwart ist ja die eigene Situation des Paulus, in der er selbst steht und die ihm deshalb nicht in derselben Weise gegenüberPaulus, Tübingen: Mohr 1959, 95ff., vgl. auch 244. Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem, ZThK 56 (1959) 273-293, dort 276ff., bes. 285. "' Röm. 275. Der Exkurs über die Heilsgeschichte Röm. 275-291 ist fast identisch mit seinem Aufsau. : Zur Geschichtstheologie der paulinischen Hauptbriefe, ThGI 46 (1956) 241-260. 11 Die Heilsgeschichte wird dann sogar tabellarisch darstellbar, ein bezeichnendes Symptom für ihre Objektivierung, vgl. C. H. Dodd, The Episde of Paul to the Romans, Moffatt NTC, 12. Aufi. London: Hodder and Stoughton 1949, 187; Kuss, RÖm. 290• .. Geschichtsanschauung 70ff. Ähnlich formuliert auch C.Maurer, Die Gesetzeslehre des Paulus, Diss. Zürich 1941, 99ff., umspannt aber alle bei Pis. feststcllbaren Linien mit dem Begriff "Offenbarungsgeschichte" , der - weder religionsgeschichtlich noch phänomenologisch geklärt - ein hölzernes Eisen bleibt• • 1 Heilsgeschichte bei Paulus?, ThExh NF 126, München: Kaiser 1965, 5ff. 11 11
Ei"leiltmg
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tritt, wie vergangene Ereignisse und Zukunftserwartungenli. "Der Begriff der Situation ist ja dadurch charakterisiert, daß man sich nicht ihr gegt~nüber befindet und daher kein gegenständliches Wissen von ihr habc~n kann. "25 Vielmehr ist zu erwarten, daß gerade in der Weise, wie dei: in seiner eigenen Situation stehende Paulus Vergangenheit vergeg(:nwärtigt und Zukunft erwartet, sein "Situationsverständnis" indirekt: zur Sprache kommt. Die Frage nach dem Gegenwartsverständni:s des Paulus soll also sowohl in der Untersuchung über die Vergangenheit als auch in derjenigen über die Zukunft durchgehalten werden. Denn die Gegenwart ist ja nicht einfach eine zwischen der Vergangenheit und der Zukunft stehende Zeitspanne, sonde~ sie wird durch den Blick auf die Vergangenheit und das Warten auf die Zukunft je in bestimmter Weise qualifiziert. Wir müssen also fragen: Was 'Wollen Vergangenheits- und Zukunftsaussagen? Sie wollen vielleicht die Gegenwart anreden, beleuchten oder belehren. BeimRückgriff auf geschichtliche Stoffe wird der Verstehensvorgang in irgendeiner Weise ein doppelter sein: Geschichte kommt von der Gegenwart ht~r und Gegenwart von der Geschichte her ins Licht des Verstehens. In beiden Richtungen haben wir zu fragen. Nach R. BU/imallll wird bei Paulus das apokalyptische Geschichtsbild von der Anthropologie her interpretiert. Die Vergangenheit ist für Paulus Vergangenheit des Menschen, die ZukuOft Zukunft des Menschen. In der Begegnung mit der Geschichte erflihrt der Mensch seine eigene Geschichtlichkeit, d.h. sein Wesen, das er t:rgreifen oder verfehlen kann. Bultrnann ist also an einer existentialen Interprc:tation der Geschichte interessiert, wobei er "existential" im Blick auf das Individllum, das Heil erfahren kann, versteht". In der Tat finden wir bei Paulus so etwas wie existentiale Interpretation der Geschichtet', und auch Zukunftsaussagen sind bei Paulus immer mindestens auch solche über die Zukunft des Menschen. Jedenfalls hat Bultmann erkannt, daß die Frage nach dem Geschichtsverständnin bei Paulus nicht ohne weiteres die nach einem objektivierten Vorstellungsgefüge sein kann··. •• Nach der Bedeutung der Gegenwart im Sinne einer Epoche wird u. Kap. IX gefragt. so H. G:. GaJamer, Wahrheit und Methode, Tübingen: Mohr 1960, 285. VgL auch 0.A.7. •• R.Bu/lmallll, Geschichte und Eschatologie, Tübingen: Mohr 1958, 46-53; ders., Geschichte und E..~chatologie im Neuen Testament, in: Glauben und Verstehen III, Tübingen: Mohr 1960, 91-106, dort 99ff., vgl. E.Dillk/er, Art. Geschichtsverständnis, das christliche HA, RGGslI, 1476-1482, dort 1478. 1481. .7 Vgl. u. H 3 D Nr. 5; III 6 Exkurs 1; III 7 Nr. 1. 2. 3, u. S. 68. 70.82.84. 125ft'. 130. 137. 147f. 167. 215. 302f., ferner u. A. 11 162; A. IIl277; A. III 363 (Verweise I) und A. VIII 48. B. Die Gefahr einer Objektivierung des Geschichtsverständnisses besteht bei einer heilsgeschichtlichen Konzeption, weshalb Cullmann dann auch darum kämpfen muß, Heilsgeschichte als Anrede verstanden zu wissen (Heil als Geschichte 47ft". 297ff.). Dabei ist mir allerdings unverständlich, wieso sich Cu1lmann dem Begriff der Sp:rache so völlig verschließt und gegen Ebeling meint, "die Unterscheidung von ,Wortgeschehen' und ,objektivierender' Aussage (lasse) keinen Raum für eine
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Ein/eitll1lg
Doch gerät Bultmann an einem Punkt in ernsthafte Schwierigkeiten. Er selber formuliert: "Daß Paulus durch seine Geschichtsanschauung in eine Schwierigkeit gerät gegenüber der Frage nach der Erfüllung der Verheißungen, die ja dem Volk Israel gegeben sind, und daß er mit dieser Schwierigkeit Röm. 9-11 ringt, brauche ich hier nur anzudeuten. "a9 In der Tat scheinen sich die drei Kapitel dem von Bultmann bei Paulus eruierten Geschichtsverständnis schlecht einzuordnen. Es soll deshalb in dieser Arbeit der Versuch gemacht werden, das Geschichtsverständnis des Paulus von R.9-11 her zu erarbeiten3D• Dabei wird sich herausstellen, wie weit diese drei Kapitel des Römerbriefs sich sachlich in das sonstige Denkendes Paulus einordnen oder wieweit sie eine Sonderstellung einnehmen.
positive Bewertung einer kontinuierlichen Heilsgeschichtc" (aaO 30). Wieso denn eigendich nicht? Gerade Cullmann untcrscheidet doch zwischen "Ereignis" und "Deutung" (aaO 701f.). Das Anliegen, daß im biblischen Glauben ein unumkehrbares Prae des vergangenen Heilsgeschehcna gegenüber dem glaubenden Erfahren besteht (vgl. bes. aaO 511f. 79), ist gewiß berechtigt, doch erfahre ich dieses Prae ja erst im glaubendem Vernehmen von zu mir gesprochener Geschichte. Bedenklich stimmen muß hingegen Cullmanns weithin ungcklärter Hinweis auf eine "kontinuierliche" Heilsgeschichte (in welchem Sinn kontinuierlich ?), sowie seine Forderung einer positiven "Bewertung" (durch den hörenden, betroffenen Mensehen?) der Heilsgeschichte. Die Literatur über das pln. Geschichtsverständnis hat sich bisher oft auf die Darstellung der pln. Vorstellungen über Vergangenheit und Zukunft beschränkt, vgl. o.A. 20-22. Auch Dietzfelbingers Studie (o.A. 23) macht hier keine Ausnahme, vgl. u.A. III 275. Anders ist natürlich die Sachlage, wenn der Ausgangspunkt bei der Frage nach dem Zeitempfinden oder der Zeitvorstellung in der Bibel oder bei Pis. genommen wird, womit sich diese Arbeit nicht beschäftigt. Vgl. dazu G. Del/ing, Das Zeitverständnis des Neuen Testaments, Gütersloh : Bertelsmann 1940, 641f.; G.QHispel, Zeit und Geschichte im antiken Christentum, ErJb 20 (1951) 115-140, bes. 115-118; T.Bo1ll,.n, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen: Vandenhoeck 1952, bes. 1181f. (dazu Barr, Semantik, 521f.); J.M,.r~·h, The Fulness of Time, Ncw York: Harper 1952, pss. (dazu W.Eiehrotlt, Heilserfahrung und Zeitverständnis im Alten Testament, ThZ 12 (1956) 103-125, bes. 1081f., 1131f.); E. Fuehs, Christus das Ende der Geschichte, in: Zur Frage nach dem historischen Jesus (= Aufs. II), Tübingen: Mohr 1960, 79-99, dort 83f.; M.Ril1i, Was ist und was geschehen soll danach, AThANT 46, Zürich: Zwingli 1965, 271f. •• Geschichte und Eschatologie 48 • •• Deshalb soll im folgenden jeweils zunächst von R. 9-11 ausgegangen werden (vgl. u. II 3, III 2, IV 3, V) und die Konfrontation mit dem übrigen Stolf aus den Paulusbriefen folgen. Vorangestellt wird eine Vorerwägung zu R. 9-11 (I).
PROLEGOMENA I. ÜBERBLICK ÜBER R.9-11
1. Der Ausgangspunkt Der Ne'leinsatz von Kap. 9 folgt völlig unvermittelt auf den hymnischtriumphierenden Abschluß von R. 8. Eine Verbindung oder ein Übergang ist nicht zu erkennenl • Auch im Thema besteht zunächst keine Verbindung mit Kap. 8. Ein neuer Hauptteil des Römerbriefs scheint einzusetzen!. Warum hat Paulus ein neues Thema gerade hier aufgegriffen? Aufgrund von gegnerischen Einwänden8 ? Damit wäre der gru.ndsätzliche Verzicht auf eine innere Notwendigkeit der Verbindung von Kap. 1-8 und 9-11 von der Sache her ausgesprochen. Oder a'LlS stärkstem persönlichen Betroffensein und Engagement heraus? Darauf könnten die beschwörenden Töne von R. 9, 1-5 weisen'. Doch «::s bliebe die Frage offen, wieso sich Paulus gerade hier derart betroffc:n weiß, und datnit die Frage nach einem sachlichen Grund seines Engagements. Oder man könnte fragen, ob Kap. 9-11 ein nachträglicher Einschub in den Römerbrief sei, der nur den glatten Zusammenhang von Kap. 8,31-39 und 12,lff. störei. Aber auch so bleibt die Frage, warum dieser Einschub gerade hier seinen Platz gefunden hat. 1 Vgl. F. W.Mai,r, Israel in der Heilsgeschichte nach Röm. 9-11, Bibi. Zeitfragen XII/llf., Münster: Aschendorft" 1929,6: "Es ist, als ob der Apostel auf einmal aus seligen Himmelshöhen in den finstersten Abgrund stürzte." I Gegen S.Lyonnet, Les ~itres de saint Paul aux Galates, aux Romains, La Sainte Bible, 2.. Auß. Paris: Du Cerf 1959, 54; ders., Note sur le plan de l'~itre aux Romains, in: M~langes J. Lebreton, RechSR 39 (1951) 301-316, dort 313ft". Lyonnet faßt R. 5-11 als zweiten, R.I-4 parallelen Hauptteil, wobei R.9-11 R.4 entsprächen. • j. DUj>ont, Le probleme de la structure litt~raire de l'~itre aux Romains, RB 62 (1955) :165-397, dort 388, sieht diesen Einwand in 9,14, doch liegt V.14 den Versen 1-13 nicht zugrunde, sondern ergibt sich aus ihnen. /.J"""';4I, Zur Gedankenführung in den Paulinischen Hauptbriefen, in: Abba, C:;öttingen: Vandenhoeck 1966, 269-276, dort 271 vermutet in R. 9, 1 einen unausgesprochenen Vorwul:f, Pis. sei Renegat; doch beschäftigen sich R. 9-11 gerade mit dieser Frage nicht. • A.jü!;cher, Der Brief an die Römer, SNT II, 2. Auß. Göttingen: Vandenhoeck 1908,217-327, dort 284; P.Althaul, Der Brief an die Römer, NTD 6, 9. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1959, 88f.; B.PeterlOn, Die Kirche aus Juden und Heiden, Salzburg : Pustet 1933, 13. • Dodd, Röm.148ft". vertritt die These, R.9-11 sei eine Pauluspredigt, die Pis. hier in den R. einschob. Er beruft sich dabei auf den hier herrschenden Diatribeo-
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I. Oberh/ick üher R. 9-11
Vielleicht ist es am sichersten, vom Äußerlichen auszugehen und zunächst einmal nach den Verbindungen zu fragen, die im Vokabular zwischen R 1-8 und R.9-11, bzw. vor allem zwischen den beiden einander benachbarten Kapiteln 8 und 9 bestehen. Wir notieren den Befund: 'AlltK!cz: Vgl. 3,5; 9, 14; IItKcztoaUV'Ij &eoG: 1,17; 3,5. 21f. 25f.; 10, 3; 86~cz (von Christen bzw. Menschen): 2,7.10; vgl. 3,23; 8,18.21; 9,4.23; bt).oy{): vgl. 8,33; 9,11; 11,5.7.28; btczyye).!cz: 4, 13f.16. 20; 9, 4. 8f; ~n:!yv",(n~: 1, 28; 3,20; 10,2; fpyo,,: 2,6f. 15; 3,20. 27f.; 4,2. 6; 9,11. 32; 11,6; KOtAt",: 4, 17; 8,30, vgl. 28; 9,7.11. 24ff.; A6'Yo~ (-&E:Oü): vgl. 3,4; 9,6.9, vgl. 28; (J4Xpo&u(J.!cz: 2, 4; 9, 22; 6p~ (.&eoü): 1, 18; vgl. 3, 5; 9, 22; n:cz~p (im Sinne von Patriarch): vgl. 4, 1; 4,l1f. 16ff.; 9, 5.10; 11,28; n:POYL"WOK"': 8,29; 11,2; n:p6.&eOt~: 8,28; 9, 11; <mtp(J.cz: 4,13. 16. 18; 9, 7f. 29; 11, 1; 't'tKvov .&toü: 8, 16f. 21; 9, 7f.; u(o&E:o!cz: 8, 15. 23; 9, 4'.
Es bestehen enge Beziehungen zwischen dem Vokabular von R 1-8 und R.9-11, aber nicht mit allen Teilen des Römerbriefes gleichmäßig. Besonders zahlreich sind die Berührungen mit R. 3, 1-9a, einem kurzen Exkurs, dessen ausführliche Behandlung Paulus auf später verschiebt'. Interessant sind die zahlreichen Rückverweise auf Kap. 8, nicht unerwartet dagegen die Beziehungen zu Kap. 4. Die zahlreichen Berührungen zwischen R. 8, besonders V. 28ff., und stil, der abc:r auch so~st in ~. vorh~nden is.t, v.gl. R. Bu/tmann, Der ~til. der paulinischen Predigt und die kYnlsch-stOlsche Diatribe, FRLANT 13, G6ttmgen: Vandenhoeck 1910, 6,~ff. Ferner weist Dodd auf die thematische Geschlossenheit der drei Karitel, die sich leicht aus dem Zusammenhang lösen lassen. R. 12, H. beziehe sich au R.8 zurück, vgl. auch A. Feuillet, Lc plan salvifique de Dieu, RB 57 (1950) 336-387. 489-529, dort 507; F.Prat, La theologie de saint PaulI, Paris: Beauchesne 1961 (Nachdruck), 300. Doch kann sich m.E. 12, H. ebensogut auf 11,25-36 zurückbeziehen; Dodds These ist überdies infolge der engen Berührungen zwischen R. 8 und 9 (s. u.) kaum haltbar. • In der vorstehenden Aufzählung sind nur tragende Begriffe unseres Abschnittes berücksichtigt. Vgl. zu den Berührungen zwischen R. 8 und 9 auch die Bemerkungen von B.NoaeJe, Current and Backwater in the Episde to the Romans, StTh 19 (1965) 155-166, dort 158. 1 Er ist aufgrund der These R. 2, 29 nötig, wo sich die Frage ergibt: Was ist denn nun der Vorzug des Juden? Die Gedankenführung von R. 3, Iff. ist kurz und abgerissen; schon das aUeinstehende n:pw't'o" (J.tv (V. 2) fäUt auf. Viele Fragen werden einfach niedergeschlagen. Die Antwort in V. 9: ou n:ci"T"'~ (= eher: in keiner Weise, überhaupt nicht, als: nicht in jeder Hinsicht, vgl. Pr.-Bauer' 1208) bleibt in einer ungelösten Spannung zu V. 2a, eine Spannung, die wohl überhaupt erst von R. 9-11 her verstanden werden kann. Der Eindruck legt sich nahe, daß Pis. selbst R. 3,1-9 als einen Exkurs empfindet, zu dem er aus sachlichen Gründen gedrängt wurde, den er aber so rasch wie möglich erledigen wollte, um später nochmals auf die hier auftauchenden Fragen zurückzukommen. Interessant ist auch der Hinweis von Noack, StTh 19 (1965) 163, daß sich die GegenübersteUung von Juden und Griechen zwar öfter bei Pis., die Formel 'Iou8czro~ ~" lfPW't'OV K!Zt ~E>.AlJ" nur im R. (1, 16, vgl. 2, 9f.) findet. Wird hier schon ein Thema angegeben? Vgl. hierzu ausführlicher U.Lu~, Zum Aufbau von Röm. 1-8, ThZ 25 (1969) A Ib und u.A 51.
,. Der Ausgollgspullkt
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R.9 sollen uns zunächst beschäftigen. Weil wir sie gerade auch an relativ unwichtigen Stellen finden können, ist anzunehmen, daß Paulus bei der Niederschrift von Kapitel 9 das achte Kapitel vorlag, ja noch mehr, daß er sich bewußt darauf zurückziehen wollte. Eine weitere Beobachtung: Nichts kann uns von der Liebe Christi scheiden, so schloß R.8. Kann R. 9, 3 "ich wünschte nämlich, selber als ein Verfluchter fern von Christus zu sein" anders als ein deutlicher Rückbezug auf diesen Schluß verstanden werden8 ? Dann würde V. 3 den Ernst der Paulus beschäftigenden Frage zeigen und wäre mehr als eine bloße Beteuerungsformel. Vielmehr wäre der Unglaube Israels ein Sa,chverhalt von eschatologischer Bedeutung, der das Bekenntnis von R. 8, 38f. zunichte machen könnte. Um diese Frage geht es offenbar, und das ist auch der Sinn der zahlreichen Rückbezüge von R. 9 auf R. 8: Soll sich die Gewißheit der Kinder Gottes, bekräftigt durch den Beistand des heiligen Geistes (8, 141f. 26f.), begründet durch Gottes Erwählung (8,28ff.), sich äußernd im Triumph über alle Gewalt (8,35. 38f.), soll sich diese Gewißheit als Ausgeburt der frommen Einbildung erweisen'? Wenn nicht, so muß sie sich der geschichtlichen Wirklichkeit stellen können. Wir stoßen hier auf eine Denkstruktur, der wir im Römerbrief oft begegnen: die Konfrontation von Glaube und Wirklichkeitlo• In der bewußten Aufnahme von Kap. 8 in Kap. 9 geht es um die Frage nach der wahren Wirklichkeit. Ganz konkret lautet sie: Was ist wirklicher, die gc!schichtliche Realität oder der Glaube? Und in Bezug auf den Glauben: Was ist Glaube, Wirklichkeit oder Phantasiel l ? Unsel:e These wird sich noch zu bewähren haben. Soll nämlich der Ausgangspunkt der Kapitel R.9-11 tatsächlich die Frage nach der WirkUchkeit des Glaubens sein, und hat die Beschäftigung mit dem UngL'luben Israels ihre Dringlichkeit darin, daß sie die Wahrheitsfrage an den Glauben stellt, dann müßte sich dies darin zeigen, daß es in R. 9-11 letztlich nicht um das Geschick des Judenvolkes, sondern um die Wahrheit des Glaubens und damit die Wahrheit Gottes • Vgl. auch O.M;chel, Der Brief an die Römer, Meyer K 4,12. Auß. Göttingen: Vandc:nhoeck 1963, 221 A. 1; ferner J. Mllllck, Christus und Israel, Acta Jutbndica Teol. Sero 7, Aarhus: Universitetsforlaget 1956, 26, dazu die bei K.H.Schelkle, Paulu!I, Lehrer der Väter, Düsseldorf: Patmos 1956,327, genannten altkirchlichen Exegf:ten. • Vgl. auch G.Schrenk, D~r Röm~rbr!ef als Missionsdokument, in: Studien zu Paulus, AThANT 26, ZürIch: ZWlngli 1954, 81-106, dort 99. 10 Vgl. A.Schlotler, Gottes Gerechtigkeit, 3. Auß. Stuttgart: Calwer 1959, 291. Weiteres bei Luz, Zum Aufbau von R. 1~, ThZ 25 (1969) A 2n b •. 11 Dic:se Kategorie hat m. W. zuerst E. Fuds, Existentiale Interpretation 'VOll Römer 7, 7-12 und 21-23, in: Glaube und Erfahrung (= Aufs. lli), Tübingen: Mohr 1965, 364-401, dort 385ff. benutzt. Sie dürfte sich auch rur die Interpretation von R. 8, 12-39 als fruchtbar erweisen. V gl. dazu u. VIß 2.
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1. (Jberblick über R. 9-11
geht12•
Dies muß vorläufig offen bleiben. Einen kleinen Vorgriff auf eine Antwort wird uns der nächste Abschnitt geben. Daß R.9-11 eine Verteidigung der römischen Judenchristen gegen einen in der römischen Gemeinde herrschenden "Antisemitismus" sei lZ &, kann lediglich von R. 11, 16ff. her begründet werden. Selbstverständlich enthält R.9-11 aUGh eine Spiue gegen unberechtigte überheblichkeit der römischen Heidenchristen. Von diesem Motiv her läßt sich aber ebensowenig der komplizierte und dialektische Gedankengang von R. 9-11 wie des ganzen Römerbriefs erklären. H.- W. BariIGh, der dieses Motiv zum Angelpunkt seiner Römerbriefinterpretation macht, kann so u.a. die Funktion von R. 2, Iff.; 5-8 und 12f. nicht erklären.
2. Das Thema von R. 9-11 Überblickt man die bisherige Auslegung13, so scheinen sich drei mögliche Wege für das Verständnis von R. 9-11 zu öffnen14 • a) Eine erste Gruppe von Auslegern stellt die Frage nach dem Schüksal Israels in den Vordergrund: Lietzmann nennt als Thema von R. 9-11: die "Stellung des Volkes Israel in der Heilsgeschichte"15, Michel den "bleibt.'1lden und unaufhehbaren ... Vorzug der Erwählung Israels"18, H. W.Schmidt "das religiöse Schicksal des Volkes 11 C.Miiller, Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk, FRLANT 86, Göttingen: Vandenhoeck 1964, 54f. 57, formuliert zu Recht: Es geht um das Recht Gottes. R. 9, 14ff.; 10,3ff. erweisen in der Tat als heimliches Thema von R.9-11 die Gerechtigkeit Gottes, vgl. u. S. 28ff. 36f. 1Is H.-W.BarIIGh, Die antisemitischen Gegner des Paulus im Römerbrief, in: Antijudaismus im Neuen Testament?, München: Kaiser 1967, dort 27-43, bes. 40 in Aufnahme einer bereits von Lütgert geäußerten These. n Zur Auslegungsgeschichte (auch des 19. Jahrhunderts) vgl. E. Weber, Das Problem der Heilsgeschichte nach Röm. 9-1 f, Leipzig: Deichert 1911, 10-41; C.Müller, Gottes Gerechtigkeit 5-27, bes. 17ff. Zu einzelnen Abschnitten: 9, 6-29: V. Weber, Kritische Geschichte der Exegese des 9. Kapitels, resp. der Verse 14-23 des Römerbriefs bis auf Chrysostomus und Augustinus einschließlich, Würzburg: Becker 1889; W. Lülgerl, Der Römerbrief als historisches Problem, BFChTh 17(2, Gütersloh: Bertelsmann 1913, 79ff.; W. Sanday - A. Headlam, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Romans, 5. Aufl. Edinburgh: Clark 1964 (Nachdruck), 269-275; Michel, Röm. 237f. Zu R. 11, 25ff. vgl. u. A V 114. 1& E. Weber, Heilsgeschichte 10ff., teilt ein in prädestinatianisehe, indeterministische, heilsgeschichtliche, praktisch-aktuelle Auslegung und die Theorie von der doppelten Betrachtungsweise, vgl. auch R.KraftisGhen, Die Prädestinationslehre des Apostles Paulus, Diss. Jena 1873, 3f. Wir folgen dieser Einteilung nicht, teils weil sie der exegetischen Situation von heute nicht mehr entspricht (die indeterministische und die streng prädestinatianische Auslegung haben im 20. Jhdt. m. W. keine Fortsetzung mehr gefunden), teils weil die genannten Einteilungsprinzipien sich gegenseitig nicht unbedingt ausschließen. So findet sich das praktisch-aktuelle Moment und das Moment der doppelten Betrachtungsweise in fast allen Auslegungen. 11 An die Römer, HNT 8, 4. Aufl. Tübingen: Mohr 1933, 89. 11 Röm., 221, vgl. Altbaus, Röm. 88.
2. Das Thell/a VOll R. 9-11
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Israel"l1. Andere Exegeten denken - bewegt durch das Schicksal der Juden im dritten Reich - von der Gleichsetzung von Israel und heutigem Judientum aus und machen das Mysterium von R. 11, 25ff. zum Zentrum ihrer meist polemischen oder paränetischen Darlegungen über die Judenfrage18• Eine scheinbar völlig entgegengesetzte Interpretation, die trotzdem von einet sehr ähnlichen Prämisse aus denkt, lieferte E. Peterson. Er geht aus '70n der Gleichsetzung der Kirche und des von Gott eigentlich gemf:inten Israel und kann dann vom historischen Israel sagen: Seine Erwählung ist auf die Kirche übergegangen; "als die Apostel zu den Heiden gingen, nahmen sie ... auch die Erwählung Israels mit". Bei ihm ist also das Mysterium von R. 11, 25f. zum Geheimnis des Handielns Gottes an der Kirche geworden. Die Kirchengeschichte droht die Eschatologie zu verschlingen; es hilft nichts, wenn die Zeit der Kirche als "eschatologische Zeit" bzw. als "Offenbarungszeit"l' bezeichn,~t wird 20• b) Eine zweite Gruppe von Interpreten, in sich sehr verschieden und vielfältig, sieht in der Frage nach der Heilsgeschichte das zentrale Problem von R. 9-11. Im einzelnen sind die Ansätze sehr verschieden, lassen sich aber voneinander nicht immer streng scheiden. H.}.Schoeps interpretiert R. 17
Der Bt'ief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Berlin: EVA 1962,155.
K.L.Schlllitlf, Die Judenfrage im Lichte der Kapitel 9-11 des Römerbriefes, ThSt(B) :13, Zollikon: EVZ 1942; W. Vir,her, Das Geheimnis Israels. Eine Erklärung der Kapitel 9-11 des Römerbriefs, Judaica 6 (1950) 81-132; C.MuJ/erDllvernqy, L'apotre Paul et le probl~me juif, Judaica 15 (1959) 65-91; C. Briifr,h,
11
La question Juive a la lumi~re de l'Epitte aux Romains, eh. 9-11, Les Cahiers Protestants 1943; weitere Lit. bei E. Gatlg/er, Der Brief an die Römer II, Zürich: Zwingli 1952, 424f. Man wird sich allerdings gerade hier um der Sache willen vor einem vernichtenden exegetischen Urteil hüten müssen. Wenn z. B. K. L. Schmidt aaO 37f. meint: "Daß wir ..• mit dem verstockten Judentum ••• nicht umspringen dürfen, wie es uns beliebt, liegt letztlich allein daran, daß Gott mit diesem verstockten Judentum in derschließlich allein entscheidenden Endzeit reilllll Plan durchführen wird", dann mag dies als Fazit einer Exegese von R. 11, 25/f. schief sein, weil keinesfalls unser geschichdiches Handeln Gottes eschatologisches Mysterium zunichte machen kann, ffi'aß aber als Versuch einer Antwort auf die ja auch eschatologisch sein wollende Endlösung der Judenfrage im dritten Reich interpretiert werden. Fataler wird es :schon, wenn etwa die Gründung des Staates Israel als Etappe auf dem Wege Gottes zur Erfüllung des Mysteriums von R. 11, 25f. deklariert wird, z. B. bei Muller-Duvernoy aaO 91. U Kirche aus Juden und Heiden 18; 71 A. 30; 51f. 10 Vgl. dagegen G.Eühho/~, Prolegomena zu einer Theologie des Paulus im Umriß, in: Tradition und Interpretation, ThB 29, München: Kaiser 1965, 161-189, dort 179: "Die Vorstellung eines religionsgeschichtlichen Nacheinanders (sc. zwischen Israel und der Kirche) geht an der Wirklichkeit Israels und der Kin:he vorbei. Verkennt die Kirche Israel, so verkennt sie den Grund ihrer eigenen ExistelUl •••• überlegen ist allein Gottes Gnade, überlegen über Kirche und Synagoge".
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I. Oberbliek über R. 9-11
9-11 als Heilsgeschichte der postmessianischen Zeit81, dem Ansatz Albert Schweitzers folgend 22. J. Munek versteht den Heidenapostel Paulus als den "katech<}n" (2. Th. 2, 6f.), der vor der Parusie wirken muß, seine Predigt als ein der messianischen Endzeit vorausgehendes Zeichen. R. 9-11 entwirft Paulus angesichts des Unglaubens Israels ein neues Konzept für die der Parusie vorlaufende Mission: das Programm des Eifersüchtigmachens, und zugleich einen neuen Entw"urf der Heilsgeschichte vor der Parusie 23 • Schon durch diese beiden Beispiele heilsgeschichtlicher Interpretation von R.9-11 dürfte etwas von der Fragwürdigkeit dieses Ansatzes deutlich geworden sein. Wir beschränken uns auf zwei oberflächliche Beobachtungen: Sowohl Schoeps als auch Munck interpretieren die drei Kapitel von R. 11 her, den vorangehenden Kapiteln kommt bestenfalls eine propädeutische Funktion zu. Ferner: Weder Schoeps noch Munck vermögen den Zusammenhang zwischen R.1-8 und R. 9-11 deutlich zu machen. Besonders bei Munck fragt man vergeblich, wieso vor R. 9-11 überhaupt R. 1-8 steht: das Reden von Gerechtigkeit Gottes hat im Munckschen Aufriß, in dem Theologie bei Paulus nur "Akkompagnement seiner Tätigkeit" istZ4 , keinen Platz. Da helfen uns drei andere heilsgeschichtliche Entwürfe weiter, die zwar schon älteren Datums sind, aber an einen sehr bedeutungsvollen Punkt von R. 9-11 rühren. W. Beyseh/ag, E. Kühl und E. Weber fragen nach dem heilsgeschichtlichen Entwurf unserer Kapitel unter dem Gesichtspunkt der Theodizee. Beyschlag gewinnt diesen Gesichtspunkt wohl auf dem Hintergrund des Hegelschen Geschichtsverständnisses, dessen Dialektik ihn in Kap. 11 zu einer Theodizee führt, "über die hinaus ein Vollkommeneres nicht gedacht werden kann"25. Weber versteht von R. 11 her die Geschichte als "ein großes Denkmal des Evangeliums", wobei R.9-11 als Intuition, die Spannungen in den drei Kapiteln als Ausdruck einer "unaufhebbaren Lebensspannung" v'erstanden werden müssenZ8• Kühl weist auf die zentrale Bedeutung von R. 9,6 und vereinigt Gegenwart und Zukunft Israels unter dem Gedanken der göttlichen Prädestination27 • c) Wir werden damit bereits zu einer dritten Gruppe von Auslegun11 Paulus 248fT. "' Die Mystik des Ap,0stels Paulus, Tübingen: Mohr 1930, bes. 64fT. 94fT. • 1 Paulus und die Heilsgeschichte, Acta JutIandica Teol. Sero 6, Aarhus: Universi· tetsforlaget 1954, 28fT. 295fT. und die Tabelle 271, vgl. ders., Christus und Israel 17. 92fT. Vgl. ferner U. A. IX 13• • 1 Paulus und die Heilsgeschichte 59. 11 W. Beysrhlag, Die paulinische Theodizee, Römer IX-XI, Berlin : Rauh 1868, 78 • .. Heilsgeschichte 73.84, vgl. ferner etwa 99. 101. 17 E. Kilhl, Zur paulinischen Theodizee, in: Theologische Studien, Festschr. B. Weiss, Göttingen: Vandenhoeck 1897, 52-94, dort 60. 64fT. 70f.
J. ZtmI Gedanlungang von R. 9-11
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gen von R. 9-11 geführt, die sich darin einig sind, daß es in R. 9-11 primär UJ1J die Frage nach Gott, seiner Treue Zu dem in die Geschichte gegebenen Wort gehe. In diese Richtung scheint Dink/er zu gehen, der die Unterscheidung von historischem und eschatologischem Israel in R. 9-11 von der Frage ru~ch der Prädestination "Gottes (R. 8,28--12,2) umgrenzt sein läßt28 • Aber schon früher gab es Auslegungen, die in dieser Richtung einen W,eg suchten: Zunächst ist hier aus dem Ende des letzten Jahrhunderts der interessante Versuch von A.B.Brtlce zu erwähnen: Nach ihm operiert Paulus in zwei Gedankengängen. 9,6--10,21 zeigt er, daß Israels Unglaube Gott und damit den christlichen Glauben an ihn durchaus nicht widerlege; denn Gott ist souverän und Israel selbst nicht ohne Schuld. Kap.ll zeigt, daß die Verwerfung Israels dennoch keine endgültige ist, d.h. hier geht es um Gottes Gnade 29• Th.Haring sieht da:; Thema in 9,6: Das Wort Gottes ist nicht hinfällig gewordenso. Schlatter formuliert: "Die Offenbarung Gottes im Stutz Israels"s1, Käsemann in sachlicher Übereinstimmung mit ihm: "Gottes Gerechtigkeit gegenüber Israel"s2. Am schärfsten ziehen wohl Gaug/er und Oesterreicher diese Linie aus. Gaug/er formuliert: "Seine (sc. des Paulus) Frage ist die Gottesfrage selbst, die Frage, wie denn Gott noch zu verstehen sei, wenn Israel falle ... Wie ist Gott Gott, wenn er seine Wahl ... wieder rückgängig macht?"88 Oesterreither sagt kurz und bündig: "The oo1y triumph he seeks is God's."8'
3. Zum Gedankengang von R.9-11 Wir lassen die Frage nach dem Thema der drei Kapitel vorläufig offen und vel:5uchen, sie durch einen Überblick über ihren Gedankengang zu beantworten. •• Prädestination bei Paulus. Exegetische Bemerkungen zum Römerbrief, in: Festschr.. G.Dehn, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1957, 81-102, dort 81. •• St. Paul's Conception ofChristianity, Edinburgh 1896,310-326. 10 Th.Häri/lg, Der Römerbrief des Apostels Paulus, Stuttgart: Calwer 1926, 88f., vgI. auch C. K.Barrell, A Commentary on the Episde to the Romans, Blacks NTC, London: A.C. Black 1957, 180. 11 Gere(:htigkeit 291. Gottesgerechtigkeit bei Paulus, in: Exegetische Versuche und Besinnungen 11 (= Aufs. 11), Göttingen: Vandenhoeck 1964, 181-193, dort 191. Vgl. auch K. Bar/h, Kurze Erklärung des Römerbriefs (= Kurzer Röm.), 3. AuS. München: Kaiser 1964,139. "' Röm. H, VI. 11 lsmel's Misstep and Her Fall, Rom. 9-11, in: Studiorum Pau1inorumCoogteS8UI Intemationalis Catholicus 1961 Bd. I, Analecta Biblica 17, Roma: Poot. Imt. BibI. 1963,317-328, dort 318.
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I. Oberb/kk über R. 9-11
Zwei Abschnitte lassen sich zunächst sehr gut ausgrenzen. Die letzten Verse, R. 11, 33-36, unterscheiden sich in Stil und Inhalt vom V orangehenden: Es liegt hier eine Schlußdoxologie vor, die die drei Kapitel abschließt und als zusammengehörig kennzeichnet3 5• Ebenso kommt dem Anfang R. 9, 1-5 eine Sonderstellung zu: Er ist persönlich formuliert 38 und in V. 5 durch eine Doxologie abgeschlossen. Sein Stil erinnert an die Eucharistien, mit denen Paulus meistens seine Briefe beginnt37 • Der Abschnitt konfrontiert uns mit der Wirklichkeit des Unglaubens Israels, der Paulus zu schaffen macht38 • Aber wie? Sicher spricht aus R. 9, H. der persönliche Schmerz des Apostels. Doch bleibt zu beachten, daß die Klage über die Verstockung Israels ein traditionelles Motiv ist, das uns in der alttestamentlichen und apokalyptischen Literatur häufig begegnet39 • Durch die bewußte Aufnahme dieses traditionellen Motivs erscheint der persönliche Schmerz des Paulus reflektiert, theologisch überhöht, zielgerichtet. Dafür spricht auch der äußerst durchkomponierte und stilisierte Aufbau des Abschnittes. Man beachte die Steigerungen: die Wahrheit sage ichich lüge nicht - mein Gewissen bezeugt es mir im heiligen Geist 01.1) I große Trauer - unablässiger Schmerz (V. 2) I mir - meinem Herzen (V. 2), ferner den sorgsamen Aufbau der Attribute Israels«o. Paulus versteht seinen Schmerz als Ausdruck und Hinweis auf eine Sache von höchster Bedeutung. Dazu kommt eine zweite Beobachtung: Bisher hat der Apostel immer von den "Juden" gesprochen41 , 3& Vgl. E.Norden, Agnostos Theos, 4. Auf!. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1956,240-250, ferner Schweitzer, Mystik 11/f.; F.Ogara, Ex ipso et per ipsum et in ipso sunt omnia, VD 15 (1935) 164/f.; G.Bornkal1ll1l, Der Lobpreis Gottes, in: Das Ende des Geset'
J.
ZU11I
Gedonleengang von R. 9-11
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von Kap. 9 an wird ebenso konsequent "Israel" bzw. "Israeliten" gebraucht42 • Es geht also um Israel, das Volk Gottes, nicht um die Judel' als völkische oder religiöse Sondergruppe. Aus dem Unterschied zwischen 'Iou8otLO<; und 'Iapot-f}). werden wir wichtige Hinweise fÜI: das Verständnis von R. 9-11 entnehmen können43 • Einen dritten Hinweis erhalten wir durch die Doxologie in V. 5c. Die Interpretation ist schwierig und bleibt unsicher. Die Argumente sowohl für die Deutung auf Christus als auch für diejenige auf Gott sind bekannt und in den Kommentaren zusammengestellt". Trotz der fast einhelligen Deutung auf Christus durch die vOt'arianischen Kirchenväter" dürfte die Deutung auf Gott vorzuziehen sein. EÖ).0"("Il't'6~, das ja kaum attributiv gefaßt werden kann, ist auf jeden Fall hart, 'wenn nachher weder ein Hilfsverb noch ein Subjekt folgt, doch sei hier auf die bc:i den Tannaiten geläufige Gottesbezeichnung "der Heilige, gepriesen sei er", die als sprachliche Analogie für nachgestelltes &Ö).OY"ll't'6~ dienen könnte, hingewiesen". In der Tat scheint eine formelhaft-liturgische Wendung vorzuliegen, ähnlich wie 2. K. 11,31, vgl. auch R. 1,25. In diese traditionelle doxologische Wendung hätte dann Paulus das ebenfalls liturgisch vorgeprägte bd 7tav't'Colv ~E6~ (vgl. Eph. 4, 6) eingesetzt, um den Bezug auf Gott. der hier nicht unbedingt gegeben war, sicherzustellen. So lassen sich Wortstellung und sprachliche Härten erklären, und wir venneiden die Schwierigkeit einer für Paulus doch sehr ungewöhnlichen Christusbezeichnungn .
Nicht einsichtig ist die Stellung der Doxologie. Will man sie nicht als bedeutungslose liturgische Floskel fassen, so muß sie als Hinweis auf die Dimension, in der Paulus jetzt denkt, verstanden werden: Der allmächtige Gott wird durch die Frage nach dem Unglauben Israels herausgefordert, ebenso wie er sich in den Privilegien Israels 01.4) selbst kundgetan hatte. Paulus hat bisher über sein eigentliches Anliegen (Loch nichts gesagt. Aber alle Hinweise, die wir bis jetzt erhalten haben, weisen in die gleiche Richtung: Es geht nicht einfach um patriotisches Mitgefühl 48, sondern um eine Trauer, in der Letztes auf •• R. 9, IS. 27 (bisl). 31; 10,19. 21; 11,2. 7. 25f.; "Israelit" 9,4; 11,1; sonst kommt bei PIs. "Israel" nur noch 5 X vor: 1. K. 10, 18; 2. K. 3, 7. 13 in typologischem Zusammenhang; Gl. 6, 16 von der Kirche; zu Phil. 3, 5 vgl. R. 11, 1. " Vgl. u. V2A . .. V gl. nur etwa R. Cornily, Epistola ad Romanos, Paris: Lethielleux 1896, z. St. ; Sanday-Headlam, Lietzmann, Michel, Röm. z. St.; J. Murray, The Epistle to the Romans, New London Commentary, II, London: Marshall, Morgan & Scott 1965, Exkurs 245-248. Vgl. weiter die bei B.M.Meluer, Index to Periodical Literature on the Apostle Paul, NT Tools and Studies 1, Leiden: BriU 1960, 54 reichlich angegebene Spezielliteratur, dazu neuerdings W. Tbiinng, Per Christum in Deuro, NTA NF 1, Münster: Aschendorlf 1965, 147ff. .. Vgl. aber Orig. bei WettStein II 65 und Sanday-Headlam, RÖm.234. a. Vgl. dazu S.Esh, Der Heilige (er sei gepriesen), Diss. Zürich 1957, 8ff. .. Vgl. Weiteres bei W.G.Kü",mel, Jesus und Paulus (I), in: Heilsgeschehen und Geschichte, Marburg: Elwert 1965, 81-106, dort 86 A. 15. &8 Gegen Jülicher, RÖm. 284: "Glauben soll man ihm, daß es für ihn ein Hetteleid furchtbarer Art gibt.•••• er meint die jüdiSChe Nation, die hat er so lieb ...... ,
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I. OberbJick über R. 9-11
dem Spiel steht; es geht nicht einfach um Mißerfolg in der Judenmission, sondern es geht um Gott in Israel. Nach der Exposition in R. 9, 1-5 beginnen mit 9,6 die eigentlichen Darlegungen des Paulus, die bis 11, 32 reichen. Sie zerfallen in drei Teile: 9,6--29; 9,30-10,21; 11,1-32. Wie verhalten sich die drei Abschnitte zueinander? Es scheint, als ob Kap. 9 und Kap. 10 dasselbe Thema von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus behandeln, nämlich von Gott und von Israel her«', während Kap. 11 die Synthese ziehen würde. Man könnte auch von dreimaligem Wechsel des Gesichtspunktes reden: 9,6--29 und 11, 1-10 reden von Gott, 9,30 bis 10,21 und 11, l1ff. vom Volk Israel her. Dieser Wechsel ist wohl zu beachten, und es ist zu fragen, wie weit er um der Sache willen notwendig ist. Zugleich soll noch ein anderer Gesichtspunkt erwähnt werden: R.9 und 10 sprechen von der Gegenwart, wie sie von der Vergangenheit her, R. 11, l1ff. dagegen von der Gegenwart, wie sie von der Zukunft her erscheint. Es ist also zu fragen, wie von Gott und Israel angesichts von Vergangenheit und Zukunft die Rede ist. R. 9,6 entfaltet Paulus die entscheidende Frage&O, die ihm der Unglaube Israels stellt: Vermag dieser Unglaube Gottes Wort zu Fall zu bringen? Diese Frage hat Paulus schon R. 3, 3 umgetrieben, sie wurde aber dort zurückgestellt&l. Der Unglaube Israels stellt Gottes Glaubwürdigkeit selbst in Frage. An zwei Beispielen aus der Schrift V.6b-9 und 10--13 wird die Freiheit des Wortes Gottes dargestellt. Gottes Wort darf sich nicht an menschlich-V orfindliches oder menschliche Leistungen binden, sondern erweist sich in Freiheit als mächtig. V. 14 bringt einen Einwand: Es ist doch nicht etwa Ungerechtigkeit bei Gott?&11 Diese Frage wird in den folgenden Versen völlig unabhängig vom Problem "Israels Unglauben" erörtert. Es handelt sich also um einen Exkurs, einen Exkurs allerdings von grundsätzlicher Sachnotwendigkeit. Denn die Frage nach der Gerechtigkeit, bzw. Unähnlich Peterson, Kirche IIUS Juden und Heiden 13; Lietzmann, RÖm. 89; P. Feine, Der Apostel Paulus, BFChTh 11 12, Gütersloh: Bertelsmann 1927, 216; Maier, Israel in der Heilsgeschichte 9f. . " Vgl. Weber, Heilsgeschichte 23ff. I. SO auch Feuillet, RB 57 (1950) 491, anders Jeremias, Gedankenführung, Abba 271, der in 9, 6 einen Unterbruch sieht. Hoppe, Heilsgeschichte 128ff. sieht in 9, 6ff. und 9, 14ff. notwendige Vorfragen, denen er allerdings von Kap. 11 her entscheidende Bedeutung zumißt (asO 129). Dupont, RB 62 (1955) 388 sieht in 9,14 das entscheidende Problem; 9,1-13 sind "explications prcliminaires" (asO 389), wobei er allerdings übersieht, daß die Frage von 9, 14 sich nur aufgrund von V. 6-13 ergeben kann. Vgl. zu 9,6-13 u. 11 3 A • .. Die Parallelität der beiden Abschnitte zeigt sich auch am zunächst gleichlaufenden Gedankengang von 3, 1ff. und 9, Iff.; vgl. 3,1/1 9,4: 3,3/1 9,6; 3, 5/1 9, 14. Vgl. auch o.A. 7. "' Zu 9, 14ft". vgl. u. II 3 B; IV 3 A.
3. Zum GetItJnleengang von R. 9-11
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gerechtigkeit Gottes ist ja zugleich die Frage nach der Wahrheit des Christusgf:schehens, das Paulus als Gerechtigkeit Gottes interpretiert&8. Zu.gleich bricht hier die Frage nach dem Verhältnis von Erwählung und Rechtfertigung auf: Läßt die Erwählung (9, 6-13) Ungerechtigkeit bei Gott, so hebt sie die Gewißheit der Rechtfertigung auf. Wird aber durch die Gerechtigkeit Gottes die Freiheit Gottes begrenzt, die in der Erwählung zur Sprache kommt, so entsteht die Gefahr, sowohl die Gottheit des souveränen Gottes als auch die Freiheit seines Handelns in der Geschichte nicht mehr zu umspannen 6'. Unser Exkurs ist also nicht zufällig, sondern er entwirft den notwendigen Hinterg[\md der Fragen, die Paulus in R. 9-11 bewegen. Dieser Hintergrund ist die Gerechtigkeit Gottes, das Thema des Römerbriefs, die angesichts des Unglaubens Israels durchgehalten werden muß 66• Das Ziel des Exkurses ist mit V. 24 erreicht58• Das leuchtet zunächst nicht ein,. weil V. 24 ja nur ein lose an das Anakoluth V. 22f. angehängter Relativsatz ist. Dennoch liegt hier das eigentliche Ziel des Exkurses: a) V.24 wird in den Schriftzitaten von V.25-29 ausgeführt, ist also nicht bloß Anhängsel an das Anakoluth, sondern hat eigenes thematisches Gewicht. b) Mit dem betonten Verbum xcV..t6) stellt Pa\J.lus den Anschluß an V. 12 (vgl. 8, 28ff.l) wieder her. c) Erst V. 24 stellt nach dem vom Thema "Israel" losgelösten Exkurs den Anschluß an die konkrete Gegenwartssituation wieder her, von der Paulus V. l-5 ausging. Schließlich zeigt d) gerade der unvermittelte Übergang, der Paulus nach dem Anakoluth wieder auf festen Boden führt, wohin Paubis eigentlich tendierte 67 • Die Ano,rdnung der Zitate in V. 25-29 ist durch V. 24 chiastisch bestimmt: V.25f. handeln von der Erwählung der Heiden, V.27-29 von der Erwählung der Juden. Der Skopus der letzteren Zitate entspricht nicht genau dem von V. 24 her zu Erwartenden; möglicher•• Prinzipiell richtig, wenn auch interpretationsbedürftig ist der Satz von C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 57: ..Spaltet man das Israclproblem von der 81XDtlocroY'l) &EOU ab ..• , wird die 81xIXIOcroY'l) &EOU zum pLitonischcn Prädikat des geschichtslosen Einzelnen" • •• In anderer Tenninologie: Der Glaube überläßt die absconditas Dei nicht einfach dem Nicht-Verstehen, sondern trachtet ständig nach ihrer überwindung, wobei allerdings dem Verstehen an der Gottheit Gottes seine notwendige Grenze gesetzt wird, vgl. u, S. 248. Der Ort der absconditas Dei aber ist die Geschichte, die zugleich Ort /IOn Gottes Offenbarung ist. Daß sich GOII in der Gescbichteletmdtut,ftlhrt Zu einem J·tändigen Fragen des Glaubens nach der Geschichte, in der Goll zugleich offenbar und - als Golf - IJerborgen bleibt. Vgl. auch u. A. IV 76. •• G.Schl"enle, Der göttliche Sinn in Israels Geschick, Zollikon: EVZ 1943, 11, sieht hiel: zu Recht ein Kernstück, das zeigt, daß R. 9-11 von der Botschaft der Gottesgerechtigkeit h~r zu verstehen ist. •• Maier" Israel in der Heilsgeschichte 43, vgl. aber 52; Gaugier, RÖm.lI 68ft'.; Munck, Christus und Isracl25 u.a. möchten die Zäsur zwischen V. 21 und V. 22 setzen, noch anders FeuiUet, RB 57 (1950) 493ft'. 17 V gl. 2:um Anakoluth u. IV 3 B.
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1. Oberblick über R. 9-11
weise entstammen die Zitate ganz oder teilweise einer Paulus vorliegenden Zitatensammlung68 • Beide Zitate beschreiben das Handeln Gottes, der das Nichtvolk zu seinem Volk macht und aus der riesigen Zahl der Israeliten nur einen Rest erwählt, als unerwartetes, nicht im voraus berechenbares und darum nur durch Gott selbst (die Schrift I) zu deutendes Ereignis. Dafür hat der vorangehende Exkurs V. 1+-23 das Verständnis geöffnet. 9,30 ist durch die Wendung "was sollen wir nun sagen" als Neueinsatz formal gekennzeichnet59• Tatsächlich bilden die folgenden Verse und das Kap. 10 eine thematische Einheits°. Diese kündigt sich im Auftreten neuer Begriffe an: Die Verwerfung Israels wird nun durch "Gesetz", "Glaube", "Gesetz der Gerechtigkeit", "Gerechtigkeit aus Glauben", "Gerechtigkeit Gottes" etc. interpretiert. Gegenüber Kap. 9 liegt also eine gewisse Verschiebung des Blickpunktes vor, nicht aber ein neues Thema. Denn in Kap. 10 geht es nicht um die Schuld Israels als Hauptthema81, nicht um die "tragische Irrationalität der Lage" Israels, nicht um das "Verhängnis"82, das über es kam. Nicht einmal eine apologetisch gegen das Judentum zu verwendende Theodizee ist Thema von Kap. 10, also der Nachweis, daß Gott nun wirklich alles Zumutbare getan habe, um Israel zur Buße zu rufen83 • Vielmehr geht es in R. 10 um die Gerechtigkeit Gottes, also um nichts anderes als R. 9. Stand aber in R. 9 gewissermaßen der theologische Aspekt der Gerechtigkeit Gottes im Vordergrund, nämlich die Freiheit und Macht Gottes, so ist es hier ihr christologischer Aspekt: ihre Gnadenhaftigkeit, angesichts derer das Nichthören Israels zur Schuld wird. Von dieser Schuld Israels ist nur indirekt und in Andeutungen die Rede. Ein kurzer Vorblick auf den Aufbau des Kapitels zeigt das noch deutlicher: Es zerfällt in drei Teile: in die Darlegung des Tatbestandes •• Vgl. u. S. 96f• •• Vgl. u. A. III 146• •• So auch die meisten Komm., anders F.].Leenhardl, L'q,itte de saint Paul aux Romains, Comm. NT 6, Neuchatel: Delachaux & Niesdt! 1957, z.St.; Michel, Röm. 249, der V. 30-33 als übergang versteht; A. Viard, Le probl~me du salut dans l't!pitre aux Romains, RSPhTh 47 (1963) 2-34. 373-397, dort 389f. 11 Vgl. schon B. Weiu, Der Brief an die Römer, Meyer K. 4, 8. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1891, 437/f.; Häring, Röm. 94; A. Nygren, Der Römerbrief, 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1959, 268 und viele andere . •• Weber, Heilsgeschichte 63. 44. Weber geht davon aus, daß die Schuld Israels in R. 10 nur am Rande erscheint (V. 3. 16.21) und gewinnt folgende Disposition von R. 9-11: Kap. 9 "erhebt sich Paulus auf die Warte des Glaubens" (aaO 53), Kap. 11 gibt die Lösung, und Kap. 10 hat "den das Problem in sich bergenden Tatbestand darzulegen ••. und zwar so, daß er der Lösung des Problems die nötige geschichdiche Basis gibt" (aaO 53f.). Jedoch stand, wie Weber selbst sieht, "die Erklärung, die Kap. 10 dem Unglück Israels zuteil lassen würde .••, auch den Lesern zu Gebote" (aaO 52), ist also eigentlich unnötig • •• V gl. Maier, Israel in der Heilsgeschichte 99 und pss.
3. Zlim Gedankengang von R. 9-11
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(9,30-10,3), dann folgt eine Art Exkurs über die heilsame Gottesgerechtigke.it im Anschluß an die These 10,4 (10, 5-13), schließlich das Fazit aus dem Exkurs für die gegenwärtige Situation (10, 1~21). Die Parallelität dieses Aufbaus zu demjenigen von R. 9 ist auffällig und kann in !tewisser Weise unsere These bestätigen, daß in heiden Kapiteln dasselbe Thema, aber unter verschiedenem Gesichtspunkt behandelt wird. Beidemale folgt auf einen ersten Tei~ der das Handeln Gottes an seinem Volk in der Vergangenheit bzw. das Handeln des Volkes an Gott in der Gegenwart84 zeigt, ein grundsätzlicher Exkurs über Gottes Gerechtigkeit ohne Bezug auf die konkrete Situation (9, 14ff.; 10,Sff.). Beidemale zieht ein Schlußteil - vorwiegend in Schriftzitaten - das Fazit. Der erstf: Abschnitt R. 9, 30-10, 3 zerfällt wiederum in zwei einander parallele Abschnitte86 : 9,30-33 und 10, 1-3. Israel hat die Gerechtigkeit in Christus nicht als Gerechtigkeit aus Glauben erkannt, sondern fuhr fort, seine eigene Gesetzesgerechtigkeit aus Werken anzustreben (9, 30ff.). Die Israeliten verkannten das Heilsangebot der Gerechtigkeit Gottes und suchten in falschem Eifer88 eine eigene Gerechtigkeit. Zielpunkt beider Abschnitte ist die Ansage, daß an Christus sich entscheidet, ob dem Menschen die Gerechtigkeit Gottes zukommt. Den Versen 9, 32b-33 8? entspricht im zweiten Abschnitt die überleitende These 10,488 • . Die Gliederung des sich exkurs artig einschiebenden Abschnittes 10,5-13119 ist zunächst von der These 10, 4 her bestimmt. Als Explikation der These "Christus das Ende des Gesetzes" stellt Paulus die zwei Arten des Heils, die Gerechtigkeit aus dem Gesetz, deren Wesen es ist, daß man sie tut, und die Gerechtigkeit aus G1auben einander gegenüber (V. 5 und 6ff.)1°. Von der Gerechtigkeit aus Glauben heißt es, .. Munck, Christus und Israel 62ff. versteht 9, 30ff. als Darstellung der Reaktion der Judell auf das Erdenleben Jesu. Doch denkt Pis. m.E. nicht nur an das Verhalten der Juden von damals. R. 10, ISff. spricht dafür, primär an die Reaktion der Juden auf die apostolische Verkündigung zu denken. el Vgl. M.].I..agrange, Saint Paul, Epitre aux Romains, Etudes Bibliques, Paris; Gabalda 1950 (Nachdruck), z.St.; Feuillet, RB 57 (1950) 497 . •• R. 10, 2. "Eifer" ist an sich neutral und kann positiv oder negativ gefaßt werden. Das Wort ist durch sein Objekt bestimmt, vgl. R.Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 5. Aufl. Tübingen: Mohr 1965, 225f. .. C.MüUer, Gottes Gerechtigkeit 37 sieht in R. 9, 33 die dann in Kap. 10 interpretierte thetische Grundlage des Folgenden. V gl. auch u. A. II 292. .. Zu R. 10,4 vgl. u. S. 139ff. 156ff. 81 Das Zitat aus Dt. 30, 12-14 hat bis zu V. 13 seine disponierende Kraft, so daß mit v. 14 ein neuer Abschnitt beginnt. •• K.Bal"th, Die kirchliche Dogmatik I1/2, 2. Aufl. Zollikon: EVZ 1946, 270, findet in 10, 5 (von 10, 6f. her) eine Aufforderung zur tätigen ErfüllWlg des Gesetzes, wohl aufgrund seiner falschen Exegese von R. 10, 4. Dazu vgl. u.A. III 19.
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I. Oberb/ic/e über R. 9-11
sie sei durch Christus nahe. Als worthafte 71 ist sie nahe im Bekenntnis des Mundes und im Glauben des Herzens. V.9-13 umschreiben Bekenntnis und Glauben durch Gemeindehomologie und -kerygma. Sie bringen Rettung und Gerechtigkeit. Für den Glauben führt Paulus den Schriftbeweis in V. 11, für das Bekenntnis in V. 13. In V. 9 wirkt noch die durch das Zitat V. 8 gegebene Reihenfolge: "Bekenntnis - Glaube" nach, V.10ff. stellt Paulus nach sachlichen Gesichtspunkten um 72 • Skopus des ganzen Abschnittes ist die Ansage, daß das Angebot von Glaube und Bekenntnis das Heil bringt. Auf das Problem "Israel" wird kein Bezug genommen. Der dritte Abschnitt 10, 14-21 lenkt die Erörterung wieder auf die Frage "Israel" zurück. Sein Aufbau ist nicht ganz durchsichtig 73• Der Kettenschluß in V. 14, der noch nicht explizit von Israel redet", zeigt mit Hilfe des Schriftzitates V. 15, daß die beschriebene Heilszeit da ist und das zum Glauben Notwendige wirklich geschah. Wie kommt es denn, daß trotz all dieser Veranstaltungen nicht alle 76 glauben (V. 16)? Haben die Israeliten nicht gehört78 ? Doch, denn die Heilspredigt ist weltweites Geschehen (V. 18). Hat denn Israel nicht erkannt? .. Pis. drückt dies V. 8 durch "rema" aus, einen bei ihm ungewöhnlichen LXXTerminus, der aus dem Zitat stammt. ,. Oder wäre "homologeö" vorangestellt, weil es sich hier um das Taufbekenntnis handelte und "pisteuö" erst das Festhalten daran wäre? Aber dann ließe sich die Umstellung durch Pis. nicht erklären. TI Sanday-Hea
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ZU1II
Gedankengang von R. 9-11
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Durch die folgenden drei Schriftzitate V. 19-21 soll wohl diese Frage beantwortet werden. Worin die Antwort besteht, ist schwierig zu entscheiden 77 • Jedenfalls wollen die Zitate sagen, daß vonseiten Gottes alles getan worden ist, damit Israel zur Erkenntnis käme. Das Gewicht liegt auf dieser positiven Feststellung, die natürlich Israels Schuld impliziert, denn, daß Israel trotz Gottes Liebe nicht erkennt, kann nUI: Schuld sein. Dennoch bleibt zu beachten, daß Paulus hier nicht zum Ankläger wird, auch durch das Zitat V. 21 nur indirekt. Über die Schuld der Juden hat er schon R. 2, 2ff. das Nötige gesagt; hier beschäftigt ihn die Frage "Israel". Was ist nun das Thema von R. 10? Der Erweis, daß Gott gegenüber Israel nic:hts versäumt hat? Ja, insofern nur so Israels Unglauben als Ungehorsam erscheinen kann. Der Ungehorsam Israels? Ja, insofern nur so Kap. 11 als Giladenansage desjenigen Gottes verstanden werden kann, de:r alle in Ungehorsam verschlossen hat, um sich aller zu erbarmen (11, 32). Beides gehört zusammen. Diese Zusammengehörigkeit ist aber nUlr verständlich von Gottes Gerechtigkeit her, die sich im Eva~gelium allein als mächtig erweist, nicht im Gesetz 01.4-13). Der übergang von Kap. 10 zu Kap. 11 ist wiederum abrupt. Gott hat doch seitn Volk nicht etwa78 verstoßen? Hat Gott aus dem fortWährenden Nichthören Israels nun etwa die Konsequenz gezogen und Israel endgültig 79 verstoßen? Israels eigenes Nichterkennen des Heils schließt zwar Gottes bestimmendes Handeln nicht aus, aber es könnte ebenso gut ein Hinweis darauf sein, daß Gott sein erwähltes Volk nunmehr verworfen hat. Der Blickpunkt ändert also wieder. Paulus kehrt zum Ansatz von 9, 6ff. zurück und denkt wiederum von Gott, seiner Erwähhmg und Verwerfung her. Der Tatbestand von Kap. 10 wird also gleichsam vom Blickpunkt von Kap. 9 aus erfaßt. Paulus weist die Frage energisch zurück. Eine Reihe verschiedener Gründf: wird angeführt, die ihn so kategorisch reden lassen. Sie sind von verschiedener Bedeutung und führen den Gedankengang des Apostels schließlich auf eine neue Ebene. .. Ist V. 19 an die 1ta;pa;!;:f)..6l(JI~ durch die Heidenrnission gedacht, vgl. 11,11? Dann wären aber gerade die Heiden das l&vo~ ciaOvETOV. Oder ist allein das Stichwo.rt l&vo~ cia6VtTOV (dann = die Juden) ohne Rücksicht auf den Zusammenhani?; entscheidend? Auch aus V. 20 kann eine Antwort nur indirekt erschlossen werden: Offenbar ist jetzt Gnadenzeit fur die Heiden, nicht für Israel. Oder will der Vers sagen: Wenn schon die Heiden das Heil fanden, wieviel mehr hätten die Israeliten Gott finden können (so etwa Maier, Israel in der Heilsgeschichte 97)? Dil! Verwendung der Zitate bleibt im einzelnen dunkel, so klar die Gesamtlinie ist. Oder stammen sie aus einem Testimonium über Götzendienst? Vgl. hierzu o.A. 73. .. Die Frage erwartet ein Nein als Antwort, vgl. Bl.-Debr. 427, 2. ,. 'A1t61.&t6l bedeutet endgültige Verwerfung, vgl. K.L.Srb1llitll, Art. cin;6l.Nm, ThW 1,448, dort Zl. 31. Daß PIs. in der Sprache des A. T., nämlich mit Ps. 94, 14 formuli,:rt, ist bedeutsam.
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I. tJberb/ick über R. 9-11
1. Auch er, Paulus selbst ist ja Israelit aus Benjamin 80 und wird so zum Beispiel für ,die Gnade Gottes an seinem Volk auch in der Gegenwart 01. 1b). Der Hinweis des Paulus auf sich selbst ist nur ein kurzer, leidenschaftlicher Einwurf, den er besonders seinen heidenchristlichen Lesern entgegenhalten wird 81 . 2. Gott kann ja sein Volk, das er zuvor erwählt hat, gar nicht verstoßen, wie auch die Schrift am Beispiel der Zeit Elias zeigt, wo er durch die Verstockung hindurch einen Rest erwählte 01. 2-10)82, um so die Gnade in Freiheit (gemäß der Auswahl, V. 5) und damit wirklich als Gnade zu erweisen. Daß die übrigen verhärtet wurden, ist die von Gott gewollte Kehrseite seines Handeins, wie die Schrift zeigtBs. 3. V. 11 bringt einen Neueinsatz : Wiederum unternimmt Paulus einen Versuch, die Gegenwart zu deuten, doch diesmal von der Zukunft her: Die Verwerfung Israels bedeutet Heil für die Heiden, und dies wiederum macht Israel zu seinem Heil eifersüchtig. Ja noch mehr: Paulus spannt den Bogen weiter, indem er bereits hier den Blick auf die "Fülle" und die "Annahme" Israels richtet: dies allerdings wird letztes Heil sein, unmögliche Möglichkeit, Leben aus den Toten8'. Seine bisherigen Erörterungen charakterisiert Paulus dadurch als etwas Vorläufiges und weist damit bereits deutlich dorthin, wo für ihn das eigentliche Zentrum seiner Argumentation liegt: auf das eschatologische Mysterium in V. 25ff. 81i. 4. Zuvor unterbricht er sich, um zu einem paränetischen Exkurs an die Adresse seiner heidenchrisdichen Leser auszuholen 01.16-24)88. Darin
•• über die Erwähnung Benjamins wurde viel gerätselt. Pis will wohl einfach sagen: Ich bin ein echter Jude, der teilhat an den heilsgeschichtlichen Prärogativen seines Volkes, vgL Schlatter, Gerechtigkeit 319. Daß Benjamin als besonders vornehmer jüdischer Stamm erwähnt ist, läßt sich nicht nachweisen (gegen MullerDuvernoy, Judaica 15 (1959) 79). 81 Jülicher, Röm.295 und E,Kühl, Der Brief des Paulus an die Römer, Leipzig: Quelle & Meyer 1913, 368f., meinen zu Recht, daß eine Erwähnung des Pis. allein judenchristlichen Lesern gegenüber taktlos gewesen wäre, vg1. V.13; anders G.O.Griffilh, St. Pauls Gospel to the Romans, Oxford: Blackwell 1942, 132. Lütgert, Römerbrief 84, weist darauf, daß R. 9, 3 von meinen (nicht: unsernl) Brüdern bzw. Verwandten die Rede ist. Vgl. auch u.A. II 11; A.lII 147. "' K. H. Rengslorf, Paulus und die älteste römische Christenheit, in: Studia Evangelica 11, TU 87, Berlin: Akademie Verlag 1964, 447-464, dort 459ff. meint, daß Pis. sich selbst und Elia als die zwei Zeugen versteht, die nach Dt. 17,6; 19,15 für die Wahrheit eines Zeugnisses nötig sind. Das ist nicht beweisbar. Vg1. auch u. Il3 C. IS V g1. u. A. 11 302. "' Vg1. u. IX 3. .. Vgl. u. V 4. '" Nach W.L.Knox, St. Paul and the Church of the Gentiles, Nachdruck Cambridge: University Press 1961, 95f. beginnt V. 13 ein ..postscript" an die Heiden. Sogar H. Ulonska, Paulus und das Alte Testament, Diss. Münster 1964, 197 A.
J. ZlIm Getllmhngtmg f/tJn R. 9-11
3S
merkt er nochmals sein zentrales Anliegen an: Die Heidenchristen haben nicht das Recht, sich auf der ihnen zuteil gewordenen Gnade auszuruhen. Neu erwiesene Gnade kann früher geschehenes Wort Gottes nicht überholen: Das Gottesvolk bleibt - aus Gnade - Gottesvolk. Der Exkurs hat zentrale hermeneutische Funktionen, nimmt er doch jeden Gnadenerweis in die Unverfügbarkeit, die zu Gottes Wesen gehört, zurück. Insofern erfüllt er eine ähnliche Funktion wie die beiden "theologischen" Exkurse 9, 14-23 und 10,4-13, wenn sich auch die strenge Dreiteilung jener Kapitel hier nicht mehr durchhalten läßtlI". 5. Der Exkurs bereitet von V. 23 an das Mysterium der Begnadigung Israels vor. Während aber V. 23f. noch hypothetisch reden, spricht V. 25 thetisch. An den Schriftbeweis V. 26 schließt sich die Interpretation des Mysteriums an; V.32 bildet den zusammenfassenden Abschluß88• An den Überblick über den Gedankengang von R. 9-11 schließen sich einige Fragen: 1. Worin besteht nun eigentlich die Lösung der Frage nach Israel? Darin, daß Gott gemäß seiner freien Auswahl einen Rest erwählt? Darin, daß die Erwählung der Heiden zur Heilspredigt für Ismel wird? Oder darin, daß ganz Israel gerettet werden wird88-? Oder sind diese drd. Antworten einfach als Etappen des göttlichen Heilsplanes hintereinanderzustellen? Jedellfalls bleibt die Frage, ";eso Paulm Nber die 11, 1-10 gegebelle AllhPort hillatllgeht. Die dort gegebene Lösung ist eine in sich ,geschlossene, die überdies 9,6-13 zu entsprechen und über sich hinaus nichts zu fordern scheint. 2. Was ist nun eigentlich Israel? Von R. 9, 6 her, wo es ausdrücklich hieß, daß nicht alle aus Israel Israel sind, sondern daß sich Ismel immer erst VOll der Verheißung her konkretisiert, stellt sich die Frage an 133, muß dies zugeben, obwohl er R. 9-11 ohne genügende exegetische Gründe als eine Predigt an Judenchristen zur Gewinnung ihrer jüdischen Brüder ansieht (aaO 196f.). Vgl. auch o.A. 81 und zu Ulonska u. 11 1. aT Anders Feui11et, RB 57 (1950) 501fr. •• Feuill(~t, RB 57 (1950) 504 macht vor V.30 eine Zilsur, doch wirkt das m.E. gekünstelt. ... P. S1",~/mafhe,., Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie, ZThK 64 (1967) 423-450, dort 439 A. 38, weist im Anschluß an Dietzfelbinger, Heilsgesc:hichte 20 A. 45, darauf hin, daß sich auch 4. Esr. 13, 39ff. 48f. die heiden sich für unser logisches Denken ausschließenden Vorstellungen von der Rettung eines Relltes und der Rettung von Gesamtisrael verbunden fänden. Für jüdisches Denken seien heide Aussagen keine unvereinbaren Gegensätze. Wie es auch immer damit stehen mag, jedenfalls erfolgt der Verweis auf 4. Esr. 13 zu Unrecht: Die (liternrkritisch uneinheidiche) Stelle ist formal völlig logisch. Es ist die Rede a) von d:r Rückführung der (vollständigen) zehn Stämme aus dem Lande Amlret (V. 39ff.) und b) von den übriggebliebenen "auf meinem heiligen Gebiete", d.b. den in Palästina übriggebliebenen Juden (V.48f.).
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I. Oberb/icle über R. 9-11
Kap. 10, ob denn dasjenige Israel, das nicht erkennt (10,19) und nicht zum Gesetz kommt (9, 31), überhaupt noch als Israel bezeichnet werden kann. Es stellt sich aber von 9, 6ff. her vor allem die Frage an Kap. ", ob Jas Mysterium von ", 25ff. nicht für irgend eine Zukunft ganz Israel Jas verspricht, was ihm in der Vergangenheit tim der Freiheit Gottes willen verweigert wurde89 • 3. Auffällig war der häufige Wechsel der Gesichtsprmkte, das dialektische Denken, die Häufung der Betrachtungsweisen in R. 9-11. Auch hier läßt sich nicht ohne weiteres von Widersprüchen reden, denn eine Sache kann ja von verschiedenen Seiten aus betrachtet werden, z. B. von Gott und vom Menschen aus. Aber mit dieser Feststellung ist das Problem noch nicht erledigt. Es bleibt zu fragen: Worin besteht das Motiv und die Notwendigkeit zu dieser Dialektik? 4. Stellen wir endlich die Frage nach dem Geschichtsverständnis in unserem Abschnitt, so ergibt sich uns eine ähnliche Fülle verschiedener Gesichtspunkte. Unzweifelhaft spielen Geschehnisse der Vergangenheit (vgl. 9,6ff. 17f.; 11,2ff.) und der Zukunft (11, 25ff.) eine Rolle. Sicher ist es die Situation der Gegenwart, die den Apostel beschäftigt und ihn zu Aussagen und Deutungen führt (vgl. 9, 22f.; 10,4ff.; 11, 1ff. l1ff.). Ergibt sich aus den bisher gewonnenen Hinweisen ein Geschichtsbild? Weshalb greift Paulus in R. 9-11 immer wieder auf die Vergangenheit zurück? Liegt das einfach am Thema Israel? Aber warum bedrängt ihn die Israel-Frage so sehr? Oder liegt es an der Gerechtigkeit GoI/es selbst, die sich R. 9, 14ff. rmd R. 10,4ff. als hinter den Erörterungen des Paulus stehendes Zentrum erTllies, Jaß PaultlS immer wieder auf die Geschichte zusprechen kommt? Und weshalb macht er seine Zukunftsaussage in R. 11, 25ff.? Liegt hier eine vom übrigen Denken des Paulus zu isolierende Vorstellung vor oder ist auch hier die Zukunftsweissagung um der Sache willen notwendig? Zugleich ergeben sich aus dem vorläufigen Überblick über R. 9-11 auch einige Hinweise und Anhaltspunkte: 1. Das Alte Testament war entscheidend wichtig und zwar für die Deutung sowohl der Vergangenheit wie auch der Gegenwart. Das Verfahren des Paulus mit dem Alten Testament dürfte also wichtige Aufschlüsse über seine Sicht des Phänomens Geschichte ergeben". 2. Die eingestreuten theologischen Exkurse R.9, 14-23; 10,4-13, vgl. 9,5; 11,22f.; 11,33-36 zeigen den Horizont des paulinischen Nachdenkens über Israel und vielleicht auch seines Geschichtsverständnisses überhaupt. Das heißt: Wir haben also zu fragen, wie weit .. Vgl. Bultmann, Geschichte und Eschatologie im N. T., GI. u. V. IIl, 101; ders., Theol. 484; Dinkler, Prädestination, Festschr. G.Dehn 87ft'. und u. V 1. 2 A. I' VgL u. IL
J. Zum Gedankengang von R. 9-11
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Paulus von geschichtlichen Ereignimn spricht, weil dies für das ReJen von Gott, bzw. von seiner Gerechtigkeit und Gnade nötig ist'l. 3. Dialogische Elemente (vgl. 9,14.19.30; 10, 18f.; 11,1. 7.11. 19), Anreden (9, 20; 10, 1, vgl. 9; 11, 1. 13) und persönliches Engagement (9, Hf.; 10, 1; 11, 1. 13) führen zur Frage, wieweit sachlich tkr Anretkcharakter des Textes für leine AUIIagen bedeutsam ist. Wie weit ist das Denken des Paulus über Israel und sein Geschick, seine Vergangenheit und !;eine Zukunft nicht nur formal, sondern auch sachlich Anrede, die nicht ohne weiteres zur "Aussage" objektiviert werden darf? Kurz: Wie verhalten sich hermeneutisch Aussage und Ansage bei PauluI? Wir gewinnen einen Hinweis, daß der paulinische Gebrauch geschichtlicher Stoffe vielleicht weithin Anredecharakter trägt und somit gaJ: nicht so ohne weiteres zu einem ,.,Geschichtsverständnis" objektiviert werden darfl'. 4. Schließlich sei noch ein negativer Befund aufgeführt: Unsere bisherige summarische Beschäftigung mit R. 9-11 hat uns keine direkte Anleitung für ein weiteres Fragen nach dem Geschichtsverständnis des Paulus gegeben. Wir entnehmen dem den vorläufigen Hinweis, daß es R. 9-11 nicht um das Geschichtsverständnis als Thema geht.. Das heißt nicht, daß ein Fragen in dieser Richtung notwendigerweise unfruchtba:r bleiben muß, wohl aber, daß es ständig beachten muß, daß
"GeIchicbte" im Sinne dei uns heute beschäftigenden theologischen und philosophische", ProblemI für PaulUI als Thema und als Frage vielleicht so gar nicht existierte. Wir werden also die Texte daraufhin hinterfragen 9lüssen, allerdin~;s so, daß wir uns sorgfältig vom eigenen Aussagewillen der paulinis(:hen Texte her jeweils unsere eigene Fragestellung korrigieren lassen.
11 Vgl. 1J.A. II 461. I. Vgl. duu o. Einleitung. Zu den dialogischen Elementen bei Pis. vgl. o.A. 59, u. A. II ., ; A VII 130, ferner u. IV 3 A und S. 72f. 173f. Zum ArIredechuakter der pm. AUilsagen vgl. o. Einl. o. A. 7 und die dort gegebenen Verweise.
ERSTER TEIL
Vergangenheit und Gegenwart
11. DIE GEGENWÄRTIGE VERGANGENHEIT: DAS GOTTESWORT DES ALTEN TESTAMENTS 1. Vorbemerkungen
Schon dem oberflächlichen Beobachter von R. 9-11 fallt die große Menge d'::r alttestamentlichen Zitate auf. Ungefähr ein Drittel aller alttestaml:ntlichen Zitate in den echten Paulinen1 finden sich in unsern drei Kapiteln 2• Dieser Befund ist bemerkenswert, und da die für Paulus bedeutsame vergangene Geschichte immer diejenige Israels ist, mag es si.nnvoll sein, zunächst anhand des Gebrauchs des Alten Testaments zu fragen, wie Vergangenheit bei Paulus zur Sprache kommt. Nicht nur die Frage nach dem Wie der Verwendung dieser alttestamentlichen Vergangenheit, sondern auch die Frage nach dem Warum ist dabei zu stellen: Es muß gefragt werden, ob der Rückgriff auf das Alte Testament zufällig, d.h. aus pädagogischen oder literarischen Gründen erfolgt, oder ob er notwendig ist, d. h. der dargelegten Sache entsprechend oder gar mit ihr identisch. Für die el:Bte .Annahme sprechen wichtige Argumente. A. f1. HflrII4tk hat sie in seinem berühmt gewordenen Akademievortrag" zusammengestellt. In 1. 2. Th., Kol., Eph., Phil. und Phm. fehlen alttestamentliche Zitate fast völlig. In den vier Hauptbriefen linden sie sich nach Harnack in unterschiedlicher Häufigkeit und Verteilunl~ aus verschiedenen, äußeren Gründen: im Galaterbrief im Rahmen der Polemik, in den beiden Korintherbriefen teils Wolge der besonderen Thematik, Als unecht gelten in dieser Arbeit: Eph., Kol., 2. Tb., die Pastoralbriefe, sowie R. 16,25-·27 und 2. K. 6, 14-7, 1. • Zusammenstellungen bei O.Mithel, Paulus und seine Bibel, Gütersloh: Bertelsmann 1929, 12f.; ].Bonsi"",n, Ex~g~se rabbinique et ex~gese Paulinienne, Paris: Beauchesne 1938, 277f., und E. Ellis, Paul's Use of the OlcfTestament, Edinbutgh: Oliver 1957, 150/1". Auf die vor 1910 erschienene Literatur wird in dieser Arbeit nur ausna.hmsweise Bezug genommen. vgl. vor allem: A.F.K~Sth, De Veteris Testamen.ti locis a Paulo Apostolo allegatis, Leipzig: Kessler 1869; A.CI,,,,,,,, Der Geb:ra.uch des Alten Testamentes in den neutestamentlichen Schriften, Gütersloh: Bertelsmann 1895; E. Hühn, Die alttestamentlichen Citate und Reminiscenzen im Neuen Testament, Freibutg: Mohr 1900; W. Dm",tJr, Vetus Testamentum in Novo, Göttingen: Vandenhoeck 1903. Klassisch ist die Arbeit von H. VolI",er, Die alttestamentlichen Citate bei Paulus, Freiburg: Mohr 1895. Nicht zugänglich waren mit M. L. Bon" Paul's Use of the Old Testament, Diss. New Y ork 1956; A. SlIIlfJberg, Tbe Old Testament in the Early Church, Harvard Theol. Studies 20, 1964, sowie die holländische Monographie von C.S",its, Oudtestamentische Ciraten in het Nieuwe Testament I-IV, Collectanea Franciscana Neerlandica, s'Hertogenbosh: Malmberg 1952-1963. • Das Alte Testament in den Paulinischen Briefen und in den Paulinischen Gemeinden, SAB 1928 (BerUn: Akademie), 124-141. 1
42
Il. Die gegemv. Vergangenheit: Da! GolleJ1vort des AT
teils, weil Paulus während seines anderthalbjährigen Aufenthaltes in Korinth Gelegenheit hatte, die Korinther in die geistliche Schriftauslegung einzuführen, und so in Korinth "mehr voraussetzen darf'" als in andern Gemeinden. Im Römerbrief endlich sah sich Paulus gegenüber einer argwöhnischen und noch im Judentum ganz eingebetteten Gemeinde aus rein äusseren Gründen auf das Alte Testament verwiesens. Harnack verhilft zu scharfer Fragestellung. Dennoch sind seine Argumentationen nicht unanfechtbar. Schon äußerliche Bedenken wiegen schwer: Es geht nicht an, die kleineren, in ihrer Echtheit auch zur Zeit Hamacks nicht unbestrittenen Briefe des Paulus zum Ausgangspunkt so weittragender Thesen zu machen. Harnacks These, daß für die paulinische Missionspredigt das Alte Testament nicht konstitutiv gewesen seie, basiert weitgehend auf unserer Unkenntnis dieser Missionspredigt und wird durch die Typen hellenistisch-jüdischer Missionspredigt, wie sie etwa Thyen erarbeitet hat, eher in Frage gestellt'. Gerade auch aus R. 9-11 gewinnt man keineswegs den Eindruck, als sei der Bezug auf die Schrift ein gleichsam zufälliges Anhängsel an eine ohne dies auch zu führende Argumentation; vielmehr ist die Schrift konstitutiv für die Entwicklung der paulinischen Gedanken", • Hamack, SAB 1928, 134. Mir ist allerdings nicht einsichtig, wieso. Offensichtlich denkt H., daß Pis. die Korinther in irgend einer Form ins A. T. eingeführt habe, aber war das denn - von Hamacks Voraussetzungen aus gedacht - überhaupt nötig? Dann schiene mir die Lösung von W.Marxsen konsequenter, der (Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh: G.Mohn 1963, 31) behauptet, in Korinth sei eben das A. T. "sonstwie" bekannt geworden. Nach Marxsen hat denn auch Pis. das A. T. kaum in rein heidenchrisdichen Gemeinden eingeführt, sondern es ist durch andere (GI. I) oder eben sonstwie bekannt geworden. Dennoch hält er (aaO 31) die pln. Exegese des A. T. nicht für überprüfbare Methode, sondern für ein "Bekenntnis". Ich muß gestehen, daß mir bei Marxsens These unklar bleibt, was denn da eigendich durch den doch offenbar nicht unabdingbar nötigen Rückgriff auf das A. T. "bekannt" wird. H. Windisch, Paulus und das Judentum, Stuttgart: Kohlhammer 1935, 71, spricht von zwei Linien bei Pis., einer "schriftgelehrt-judenchrisdichen" und einer marcionitischen. Auch hier wird wohl aus dem Schweigen der kürzeren pln. Gelegenheitsbriefe zu viel geschlossen. V gl. auch G. WieneRe, Paulus über Jesu Tod, BFTh 11/42, Gütersloh: Bertelsmann 1939,78. • Vgl. Marxsen, Einleitung 31. • Hamack, SAB 1928, 137. , H. Thym, Der Stil der jüdisch-hellenistischen Homilie, FRLANT 65 (= NF 47), Göttingen: Vandenhoeck 1955, 64ff. G.De//iflg, Der Gottesdienst im Neuen Testament, Göttingen: Vandenhoeck 1952, 89f., weist auch daraufhin, daßinheidenchrisdichen Gemeinden alttestamentliche Schriftlesungen im Gottesdienst nicht üblich gewesen zu sein scheinen. Nach N. A. Dah/, Das Volk Gottes, 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1963, 211, hat Pis. heidenchristliehe Gemeinden "zunächst" nicht mit dem A. T. bekannt gemacht. Thyen aaO 111ff. weist aber auf die auch ins Christentum übernommene hellenistisch-jüdische Form der Geschichtsüberblicke, die auch Pis. nicht ganz unbekannt gewesen sein dürfte, vgl. u.A. 171. Weiter müßte nun doch gefragt werden, ob sich - wenn überhaupt - nicht aus dem Römerbrief, der sich an eine Pis. unbekannte Gemeinde richtet, am ehesten Rückschlüsse auf die pln. Missionspredigt ziehen lassen. Die Anklänge an den Diatribenstil sind denn auch hier besonders stark, vgl. das Material bei Bultmann, Stil der pln. Predigt 64ff. • Zahlreiche für das Ganze der drei Kapitel bestimmende Gedanken sind überhaupt nur in Schriftzitaten ausgesprochen: die absolute Freiheit von Gottes Gnadenwahl (9,15); die These: ein Rest wird gerettet (9,27.29; 11,3f., in eigener Formulierung erst 11,5), Aussagen über die Verwerfung oder Verstockung Is-
1. Vorbemerlumgell
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In gewisser Weise werden die Thesen Hamacks neuerdings von H. UIOIISM wieder aufgenommen. Nach ihm ist der Rückgriff auf das Alte Testament jeweils aus der Situation des Gegenübers des Apostels zu erklären, in dessen Sprache er redete und argumentierte. Ein "planmäßiges, nach einer geschichtsphilosophischen Konzeption diktiertes Zitieren'" läßt sich nach Ulonska bei Paulus nicht feststellen. Weil aber Paulus in der Situation akuter Naherwartung lebt, hat er eine solche Konzeption gar nicht nötig. Insofern ist uns in einer aodern Situation aber auch die übernahme seiner Konzeption nicht ohne weiteres möglich. Die These Ulonskas kann unabhängig von seiner Bewertung der paulinischen Naherwartung behanddt werden. Da Phil. und 1. Th. kurze Gdegenheitsschreiben sind. wird sie sich vor allem an R., GI. und 1. 2. K. zu bewähren haben. Ulonska muß ein<: sehr konkrete Absicht des Römerbriefs annehmen: Paulus richtet sich vielleicht vom heidenchrisdichen Teil der Gemeinde darum gebeten - vor allem an die Jt:ldenchristen in Rom, um sie zur Ökumene aufzurufen'·. Doch kann m.B. nicht eiJlleuchtend gemacht werden, warum für diesen konkreten Zweck die umfangreichen Erörterungen von R. 1, 16-11, 36 nötig sind. R. 9-11 richtet sich ja gerade an Heidenchristen". Leider hat Ulonska neben seiner eingehenden Frage nllch den jeweiligen Adressaten des Paulus kaum gefragt, inwiefern von einer bestimmten theologischen Thematik her ein Bezug auf das A. T. nötig, möglich oder unnötig gewesen sein könnte. Im 1. Korintherbrief, wo Annahme judenchlrisdicher Leser auch für Ulonska nicht möglich ist, bleibt lediglich die Feststellung, daß die alttestamendichen Zitate keinen beweisenden, sondern hinweisenden Charakter hättenU. Das trifft gdegendich, aber nicht immer zu (nicht z. B. 1, "19: 14,21; 15,23ff. 44ff.). Es ist aber nicht recht einsichtig, wieso das Fehlen 'von A. T. Zitaten in den an Heidenchristen gerichteten 1. Th. und PhiL von prinzipieller Bedeutung sein soll, nicht aber das Vorkommen von solchen in 1. K. Daß das Fehlen von Qudlenangaben darauf hinweise, daß Paulus "nicht daran gdegen (war), die Autorität seiner Quelle ins Spid zu bringen"'·, ist unrichtig: das paulinische Verfahren entspricht in etwa rabbinischer Zitationsweise'· und in 'ytyPOt1t'rOtL etc. ist unzweifdhaft ein Hinweis auf die Schrift enthalten.
rads finden sich vorzugsweise in Schriftzitaten (9, 33; 11, 8ff.). Die Schuld Israds wird nur indirekt in einem Schriftzitat ausgesprochen (10, 21). Ganze Partien von R. 9-1'1 sind durch Schriftziute disponiert, vgl. o. S. 31f. Vgl. auch schon C. Clemm, Die Auffassung des Alten Testaments bei Paulus, ThStKr 75 (1902) 173-187, dort 176ff. • Pis. \1. a. A. T. 212. ,. Pis. u. d. A. T. 152-156. Dagegen spricht aber schon die große Zahl der übrigen Versuche, eine konkrete Absicht des Römerbriefs zu finden. vgl. Nllheres bei Luz, ThZ 25 (1969) Einleitung. 11 Vgl. R. 11, 13; 15, 15ff. und o. A. 1/81 und die dort gegebenen Verweise. W.G. Kilmmd, in: P. Feine-J. Behm-W. G. Kümmd, Einleitung in das Neue Testament, 12. Aufl. Heidelberg: Qudle & Meyer 1963 (zitiert: Kümmd, Einl.), 221f., zeigt in sorgfältigen Darlegungen, daß die römische Gemeinde, an die Sich Pis. wendet, vermudich gemischt, aber in ihrer großen Mehrheit heidenchristlich war• .. Ulonska, PIs. u. d. A. T. 99. Ulonska, Pis. u. d. A. T. 128. U V gl. das Material bei Bonsirven, El[~~ 28fI.
,I
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JI. Die gegentv. Vergangenheit: Das Gottes11Iort des AT
2. Hermeneutische Bewegungen und Geschichtsverständnis Zur Zeit des Paulus waren in seiner palästinischen und jüdisch-hellenistischen Umgebung verschiedene Weisen des Schriftgebrauches üblich. Obwohl diese den damaligen Auslegern des Alten Testaments nur zum Teil als solche bewußt gewesen sind, ist es dennoch Aufgabe des modernen Exegeten, diese verschiedenen Weisen, das Alte Testament und seine Geschichte an die Gegenwart heranzubringen, durch religionsgeschichtliche und phänomenologische Erwägungen zu beschreiben und voneinander zu unterscheiden. Wir werden im Rahmen unserer Fragestellung besonders nach den Beziehungen zwischen einer bestimmten hermeneutischen Bewegung und einem ihr eventuell entsprechenden Geschichtsverständnis zu fragen haben. Denn es kann etwa eine Weise des Verstehens historischer Texte erst aufgrund eines bestimmten Verständnisses der Geschichte entstanden sein, oder auch umgekehrt eine bestimmte Weise, geschichtliche Texte zu vergegenwärtigen, ein Geschichtsverständnis immer wieder neu beleben. Anhaltspunkte zur Beantwortung solcher Fragen liefert uns die Geschichte der hermeneutischen Bewegungen. Es soll deshalb im folgenden nicht einfach der paulinische Schriftgebrauch mit dem seiner Umwelt verglichen werdenl6. Auch die Frage nach der formalen Struktur des paulinischen Schriftbezugs gehört nicht zu unserer Aufgabele. Unser Hauptinteresse gilt dabei denjenigen Texten, die alttestamentliche Geschichte zur Sprache bringen, also der Haggada, nicht der Halaka17 • 11 Für den Vergleich der pln. Texte mit den verschiedenen Varianten des H. T. und der LXX vgl. das Material bei Dittmar, Vetus Testamentum, pss. Zum Vergleich des pln. Schriftgebrauchs mit dem jüdischen vgl. Michel, Paulus und seine Bibel 91ff.; Bonsirven, Ex~gese pss.; EIlis, Paul's Use 39ff.; H.Müller, Die Auslegung alttestamentlichen Geschichtsstoffs bei Paulus, Diss. masch. Halle 1960, vgl. ThLZ 86 (1961) 788f.; E.Starfelt, Studier i rabbinsk och nytestamentlig Skrlfttolkning, Stud. Theol. Lunden.~ia 17, Lund: Gleerup 1959, llff.; Jeremias, Gedankenführung, Abba pss.; zum Vergleich mit der hellenistisch-jüdischen Schriftauslegung besonders Michel, Paulus und seine Bibel 103ff.; Thyen, Stil 64ff.; D.Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, WMANT 11, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1964, 168ff. 11 Außer der Lit. in A. 15, vgl. S.Ams/er, La typologie de l'ancien Testament seIon saint Paul, These lic. masch. Lausanne 1949, 28ff.; H. Conte/mann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, Einfuhrung in die evangelische Theologie 2, München: Kaiser 1967, 187ff.; Literaturberichte bei Vollmer, Citate 6ff. und bei A.F.Puukko, Paulus und das Judentum, StOr 2, Helsinki 1928, 1-87, dort 52ff. U Zur Verwendung des A. T. für kirchliche Rechtsentscheidungen vgl. H. v. Campenhausen, Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus, in: Aus der Frühzeit des Christentums, Tübingen: Mohr 1963, 30-80, dort 72ff.
2. Hermeneutische Bewegungen und Geschichtsverständnis
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A. Wörtlich verstandene Texte
Werden !:eschichtliche Texte wörtlich ausgelegt, so liegt die Meinung vor, daß das Vergangene in irgend einem Sinn für die Gegenwart bedeutsam 1st. Wir können hier zahllose Spielarten unterscheiden. a) Rein haggadische Interpretation geschichtlicher Texte Ihr geht es um bessere Schilderung, richtigere Darstellung, genauere Motivierung vergangener Ereignisse. Der Wille zur haggadischen Interpretation beruht im jüdischen Bereich zumeist auf der von vornherein gegebenen Bedeutsamkeit der alttestamentlichen Geschichte. Im weitesten Sinne aber gehört Geschichtsschreibung überhaupt in diese Gruppe. Haggadische Interpretation der Geschichte ist erst relativ spät, d. h. vollends erst mit der Kanonisierung der geschichtlichen Texte des A. T., zur Schriftinterpretation geworden. Ihre Wurzel liegt in der immerwährenden Neuerzählung und Neuaktualisierung der Geschichte Israels, wie wir sie von den Anlangen bis %11m JubiJäenbuch feststellen können. Erst mit der Kanonisierung der Texte vollzieht sich die Scheidung in selbständige Geschichtsschreibung einerseits Oosephus J) und rabbinische Erforschung der heiligen Geschichte durch Schriftinterpretation andererseits. Dabei werden in tannaitischer Zeit häufig an sich geschichtslose Texte wie z. B. Psalmen etc. auf historische Situationen der Vergangenheit bezogen1l,.ein im N. T. kaum bekannter Vorgang. Zugleich tritt das Bedürfnis, die Geschichte als ganze oder teilweise in einem selbstAndigen Entwurf neu zu erzählen, wie wir das in verschiedener Weise bei Josephus und im palistinensischen Judentum Qub., Vit. Ad., visionäre Geschichtsdarstellungen in den Apokalypsen) finden, zugunsten der "Erforschung" der historischen Einzelheit durch Schriftauslegung zurück". Das Motiv dieser Interpretation kann das Bedürfnis, widersprechende Traditionen zu harmonisieren, Unklarheiten zu ergänzen und Persönlichkeiten der Vergangenheit zu verklären, gewesen sein'·; doch auch abgesehen davon ist die Tendenz, die heilige Tradition %11 erforschen, bereichern, vervollständigen und zu verdeutlichen, in sich Motiv für die Textinterpretationl l• Belege bei N.N. Glatter, Untersuchungen zur Geschichtslehre der Tannaiten, Berlin: Jüd. Verlag 1933, SOff. Vgl. auch u.A. 125 und A. 234 und die dort gegebenen Verweise. 11 In der Betrachtung der Geschichte zeigt sich also eine gewisse Parallele %11 der von D.Rössler, Gesetz und Geschichte, WMANT 3, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1960, 15ff. 45ff. beschriebenen Akzentuierung des Gesetzesverständnisses in Apokalyptik und Rabbinat (vgl. dazu u. A. III 36): Beschäftigung mit dem Gesamtphiinomen einerseits, detaillierte Auslegung des Einzelnen andererseits • •• Vgl. W.Bacher, Die Agada der Tannaiten I, Straßburg: Trübner 1884, 217, und G.Aicher, Das Alte Testament in der Mischna, BSt XI/4, Freiburg: Herder 1906, 63. Die Haggada kann dabei einen bestimmten Zweck verfolgen, so etwa die religiöse oder moralische Fruchtbarmachung durch Ausschmückung, wie dies etwa Glatzer, Untersuchungen 63-73, für den Exodus zeigt, oder die Motivierung eines Ereignisses durch geschichtsbestimmende Guttat eines Menschen bzw. durch seine Schuld, oder durch Gottes Antwort darauf (Glatter uD 92-98.101-103. 106-109). 11 V gl. Bonsirven, Ex~~se 66. 11
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II. Die gegen/ll. Vergangenheit: Das Gottenvort des AT
Dann tritt ein direktes Bedürfnis, die Geschichte für die Gegenwart fruchtbar zu machen, nicht zutage, abgesehen davon, daß eben die Bedeutsamkeit der heiligen Geschichte im Ganzen bereits Anlaß zur haggadischen Beschäftigung mit ihr ist.
b) Beispielaufführungen Ebenfalls wörtliches Verständnis eines geschichtlichen Textes liegt bei der Beispielaufführung vor, auch wenn hier ein Text jeweils unter einen ganz bestimmten Gesichtspunkt gestellt wird. Meist werden hier historische Personen als Beispiele für einen Sachverhalt gebraucht, der auch in der Gegenwart noch gilt, also etwa eine Tugend oder ein Laster. Mehr als eine gewisse Kontinuität der Werte im Wandel der Geschichte kann aus dieser hermeneutischen Bewegung nicht erschlossen werden 22 • Diese Art der Schriftbenützung ist vor allem im hellenistischen Judentum verbreitet. Doch finden sich schon im A. T. (z. B. Ez. 14, 14), in den Apokryphen" und Pseudepigraphen (z. B. 4. Esr. 7, 106-110) Beispiele. Bei Philo" und in anderen Schriften des hellenistischen Judentums bis hin zum Frühkatholizismus" finden wir zahlreiche Beispiele. Sie kann auch zur Form von Beispiel- oder Zeugenreihen auswachsen. Eines der schönsten Beispiele der letzteren Form überliefert uns das N. T. in Hb. 11". In etwas anderem Sinn von "Beispiel" zu reden wäre, wenn etwa Taten Gottes aufgezählt werden. Auch hier können gleichartige Taten Gottes beispielhaft zusammengestellt werden. An Stelle der "Kontinuität der Werte" tritt dann die Kontinuität des göttlichen Handelns. Sitz im Leben dieses Typs von Beispielreihen ist entsprechelld weniger die Paränese oder Ethik ganz allgemein, sondern Verkündigung, Prädikation und Gebet. Solche Beispielaufführungen finden wir im A. T. und im Judentum". Die Schwierigkeit ihrer Einordnung in die Kategorie ,Beispiel' besteht darin, daß der dargestellte Sachverhalt eben nicht außerhalb der gewählten Beispiele zu haben ist, sodaß diese also gar nicht beliebig wählbar sind. Erbarmen Gottes z.B. wird nur durch Gottes Taten in der Geschichte erfahrbar. I. V gl. 1. Cl. 7, 5: "Laßt uns durch alle Geschlechter wandeln und erkennen, daß von Geschlecht zu Geschlecht der Herr denen, die sich ihm zuwenden wollen, Gelegenheit zur Buße gegeben hat" (übers. R. Knopf). Vgl. auch 1. Makk. 2, 61. 11 Vgl. z.B. 1. Makk. 2, 51-61; zum Vorkommen in der weisheidichen Literatur, besonders bei Sir. und Sap. J. Fichlner, Zum Problem Glaube und Geschichte in der israelitisch-jüdischen Weisheitsliteratur, ThLZ 76 (1951) 145-150, dort 146f. • < Z. B. Rer. Div. Her. 2601f.; Sacr. A. C. 5f.; Conf. Ling. 61; Cher. 12. • 1 Belege bei Thyen, Stil 76: O. Michel, Der Brief an die Hebräer, Meyer K. 13, 12. Auß. Göttingen: Vandenhoeck 1966, 370f. • 1 Hb.11 dürfte eine schrifdiche Quelle zugrundeliegen. vgl. Michel Hebr.372: U.Lut, Der alte und der neue Bund bei Paulus und im Hebräerbrief, Ev Th 27 (1967) 318-336, dort 334 A. 60. .. Vgl. z.B. Neh. 9,6-32: Weiteres bei Thyen, Stil 18 A. 73,112-115undA.184f., tannaitische Belege bei Glatzer, Untersuchungen 741f. Die Quintessenz wird dabei hä~fig in Form eines allgemeingültigen Lehrsatzes gegeben, vgl. zu dieser Form bel Pis. u. S. 77. 187. 199 und A. 196f.; III 181.
2. Hernteneuti!che Bewegungen und Gefch;chtJlJerftändn;f
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Das Beispiel wird als interpretatorische Kategorie in der Schriftauslegung der Tannaiten sehr wichtig, wo das Gotteszeugnis aus der Geschichte immer mehr die Gotteserfahtung in der Gegenwart ersetzte'·. Formal sind sowohl Beispiele für den einzelnen Fall übergreifende Tatbestände, wie das Walten Gottes, Eigenschaften des Menschen, das Gottesverhllltnis oder weisheitliche Sätze, wie auch umgekehrt nachträgliche Verallgemeinerungen aus historischen Einzelfällen möglich".
B. Zukunftsgerichtete Texte Auch die beiden hier darzustellenden hermeneutischen Bewegungen, Weissagung und Typologie, legen den Text zunächst einmal wörtlich ausSO. Doch bleibt es in beiden Fällen nicht dabei. Wird eine Weissagung nem interpretiert, so wirkt jedenfalls die Situation des Interpreten bei der Interpretation mit, sei es als Anstoß zu ihrer Neuaktualisierung, sei es, weil sie als ihre Erfüllung verstanden wird. So wird die wörtliche Auslegung in gewisser Weise überlagert. Anders ist es mit der typologischen Deutung. Ein Text, der später zum Typus wird, ist dies nicht von Anfang an. Die Ausrichtung auf die Zukunft wird vielmehr später aufgrund eines bestimmten Geschichtsverständnisses und unter dem Anstoß einer neuen Gegenwart dem zunächst wörtlich verstandenen Text entnommen. a) Verheißung, Weissagung und Erfüllung
Da.r Denken in der Relation Weissagung-Erfüllung setzt die Oberzeugpng voraus, dq.f! Gott die Geschichte lenkt nach seinem Plan und d4ß er sich dNrch Menschen oder durch die Schrift kundgibt• • 1 Vgl. Gl.atzer, Untersuchungen 34: .. Das historische Zeugnis ••• trat an Stelle einer solchen Erfahrung aus der Gegenwart". Beim Hören der Geschichte weiß der Hörer sich selbst dabei, vgl. Pes. 10, 5 (= 116b, Mischna). Darum statuiert El'asar ben Jakob die Gleichartigkeit der Menschen: In jeder Generation gibt es Menschen wie Abraham, David und Jakob (Gen.r. 56, 7 = Freedman-Simon I, 496f.) . .. Belege bei Glatzer, Untersuchungen 58f. 74-80. 83. 116. 118, ferner 74. 10 Vgl. dazu F. Torm, Hermeneutik des Neuen Testaments, Göttingen: Vandenhoeck 1930,223. P.Blärer, Schriftverwertung und Schrifterklärung im Rabbinentum und bei Paulus, ThQ 132 (1952) 152-169, dort 167, möchte darin den Unterschied zwischen Typologie und Allegorie sehen, daß bei der typolo~ischen Exegese der Literalsinn neben dem ..schon mitgemeinten tieferen .•• Sinn" weiter gelte. Doch trifft dies auch für die Allegorie unter Umständen zu, vgl. u.A. 102. Zum Unterschied zwischen Typologie und Allegorie vgl. weiter u.A. 55. Den wörtlichen Sinn (..caractere authentiquement historique") der Typologie betont auch S.Amrler, La typologie de l'ancien Testament che.z saint Paul, RThPh 37 (1949) 11.3-128, dort 119f. (Zitat 119), vgl. 127f.; ähnlich G./I.Rtzd, Typologische Auslegung des Alten Testaments, EvTh 12 (1952/53) 17-33, dort 20, und Ellis. Paul's Use 127. W. Wiebe, Die Wüstenzeit als Typus der messianischen Heilszeit. Diss. malIch. Göttingen 1939, 4 schlägt vor, anstelle des Begriffes ..typologische Exegese" von typologischer Betrachtungsweise zu reden, weil diese Bermchtungsweise aufgrund einer wörtlich-historischen Exegese des Textes erfolge..
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ll. Die gegenlII. Vergangenheit: Das Golteswo/·t des AT
Eine terminologische Klärung muß vorausgeschickt werden. In der Literatur spielt gelegentlich die begriffliche Unterscheidung zwischen Weissagung und Verheißung eine Rolle 31 • Die Schwierigkeit besteht darin, daß das A.T. den Begriff "Verheißung" nicht kennt, wohl aber die Sache. So wird die begriffliche Unterscheidung gleichsam von hinten an das A. T. herangetragen werden müssen. Etwas vereinfacht und schematisiert ließe sich sagen: Subjekt der Weissagung ist ein Wahrsager, Prophet, Apokalyptiker, Priester. Subjekt der Verheißung ist Gott. Weissagung hat die Struktur des Hinweises, der Information über Kommendes, Verheißung die des Versprechens. Weissagung ist somit im Unterschied zur Verheißung mit ihrem Eintreffen uninteressant geworden. Weissagung findet zahlreiche Parallelen im alten Orient und in der Antike, Verheißung ist eine typisch alttestamentliche Sprachweise. Weissagung nimmt dem Menschen die Freiheit und unterwirft ihn dem auch ohne ihn sich vollziehenden Geschick, indem sie ihm nur die Möglichkeit läßt, dieses Geschick vorauszuwissen und sich entsprechend zu verhalten. Verheißung dagegen erheischt ein Gottesverhältnis, Zutrauen, Hoffnung auf Gott. Weissagung rechnet mit der Unabänderlichkeit von Gottes (?) Ratschluß, Verheißung mit Gottes Treue31 • Entsprechend dieser Charakterisierung wäre zu sagen: Im A. T. hat die Zukunftsankündigung überwiegend die Struktur der Verheißung, bzw. der Drohung, auch wenn selbstverständlich die Unterschiede nicht überall eindeutig Zu machen sind. Reine Weissagungen finden sich auch bei den Propheten relativ selten, und dann meistens als Zeichen, vgl. etwa Gn. 41, 25ff.; Js. 38, 1ff. 33• 11 Vgl. z.B. F.Bollmgärlel, Verheißung, Berlin: EVA 1954; W.Zimmerli, Verheißung und Erfüllung, in: Probleme alttestamentlicher Hermeneutik, herausg. von C. Westermann, ThB 11, München: Kaiser 1960, 69-101, dort 96 A. 2 und pss. zu R.B"llmonn, Weissagung und Erfüllung, in: Glauben und Verstehen 11, 2. Aufl. Tübingen: Mohr 1958,162-186. • 1 Vgl. auch die vorzüglichen Unterscheidungen Zimmerlis, Verheißung, Probleme 77ff• •• Mit diesen Bemerkungen haben wir uns trotz vieler übereinstimmender Ansätze gegen die Abgrenzung BaumgärteIs, Verheißung 26ff., gewandt, der zwischen Verheißung, Weissagung und Wahrsagung unterscheidet, letzteren Begriff etwa in der von uns unter dem Stichwort "Weissagung" umrissenen Bedeutung gebrauchend. Mit Baumgärtel darin einig, daß im A. T. kaum Wahrsagungen vorkommen, vermag ich seinen prinzipiellen Unterschied zwischen Verheißung und Weissagung nicht zu sehen. Verheißung ist für Baumgärtel die Grundzusage Gottes, Weissagung die prophetische Form der Zukunftsansage, "deren Realwerden verknüpft ist mit dem Realwerden zukünftigen geschichtlichen Geschehens" (aaO 18). Doch ist das auch bei der Verheißung in Baumgärtels Sinn der Fall, etwa wenn dem Erzvater Land, dem König Hilfe "verheißen" wird, vgl. die Aufzählung bei Baumgärtel aaO 13f. Baumgärte1s Unterscheidung ist denn auch wohl gar nicht vom A. T. her, sondern vom N. T., vor allem von Paulus her, zu verstehen: Verheißung ist für Baumgärtel diejenige Weissagung, die - faktisch - in Christus aufgenommen wurde, vgl. aaO 30.
2. Hermenelltisthe Belllegtmgen tmd Geschichtsverständnis
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Betrachten 'wir nun kurz die Geschichte von Weissagung und Verheißung. Zunächst werden wir ans A. T., vor allem die prophetischen Verheissungco gewiesen. Aber schon diese sind in erstaunlich weitem Maße Aufnahme, Aktualisierung und Erneuerung alter VerheissungenM • In der ApokalypJik setzt sich dies zunächst fort: Altere Zukunftsankündigungen werden aufgegriffen, neu formuliert und wiederum weitergegeben". Die Apokalyptiker können sich dabei auf Zukunftsankündigungen d.:r Schriftpropheten oder auch anderer Apokalyptiker beziehen, ohne ihren Wortlaut genau zu zitieren·'. Nur gelten jetzt zahlreiche Weissagungen der Zeit der A.:onenwende und dem neuen Aeon und helfen so, in der heillosen Gegenwart auszuharren. Zahlreiche Zeugnisse hiefür haben wir in der Eschatologisierung alter Zukunftsankündigungen schon in der LXX und in den Targumim. Vor allem aber wollen ja die Apokalypsen selbst Weissagungen sein, Weissagungen, die ihren Standort irgendwo weit vorn in der Geschichte nehmen und von da her ihren Verlauf mitsamt ihrem Ende überblicken. Damit steht das apokalyptische Denken im Ganzen wohl näher bei dem, was wir oben als Weissagung bezeichneten, als das A. T., auch wenn die übergänge fließend bleiben. Denn die Apokalyptik interessiert sich für den Geschichtsverlauf als solchen, unabhängi~: davon, ob das geschichtliche Ereignis dem Hörer wideriahrt"'. In der Apokalyptik tritt der göttliche Plan, aufgrund dessen der Seher Enthüllungen machen kann, in den Vordergrund. Natürlich ist der Unterschied zur vorangehenden Prophetie nicht diametral, weil auch apokalyptische Geschichts- und. Endgeschichtsi:nformation den hinter der Welt verborgenen Gott zusprechen, mithin die Hörer ansprechen, predigen, trösten, zur Hoffnung aufrufen, stärken will. Doch ist eine gewisse Akzentverlagerung unbestreitbar··. Die Neuinterpretation alter Zukunftsansagen auf den künftigen Aeon setzt sich auch im r
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11. Die gegelllll. Vergangenheit: Das Gottmllort des AT
sagungen auch im rabbinischen Schrifttum". Nur muß auch hier betont werden, daß es sich immer um innergeschichtliche, d.h. innerhalb des alten Aeons geschehende Erfüllung einer Weissagung handeltU. Ein Spezialfall dieser Auslegungsart sind die Pesarim des Propheten Habakuk aus Qumranu . Hier wird die Weissagung des Propheten so einheitlich auf einen bestimmten Zeitabschnitt der Gegenwart bezogen, daß der Zusammenhang des Gegenwartsgeschehens den Zusammenhang des Textes vernichtet und der Interpret den Text besser versteht als der Verfasser"". Um der Geschlossenheit der Auslegung willen kann es in einzelnen Fällen sogar zu Allegorese kommen, doch im Ganzen darf das hermeneutische Verfahren des Kommentators nicht als Allegorese bezeichnet werden"; diese taucht erst in der späteren Damaskusschrift häufiger auf. Vielmehr liegt echte Weissagung vor, denn das vom Text Gemeinte ist eine Zeitepoche der Endzeit, in der die Gemeinde lebt, keine allgemeine Wahrheit. Eine metabasis eis allo genos liegt nicht vor.
Für das Neue Testament müssen einige wenige Hinweise genügen4 ? Von vomeherein ist anzunehmen, daß die eschatologische Bedeutsamkeit des Christusgeschehens zu einer gegenüber dem Judentum neuen Bestimmung des Weissagungs- und Erfüllungsgedankens führt.
Verheißung, Probleme 92) in der Luft, wobei u. U. sogar Korrekturen früherer Systeme (vgl. z.B. Da. 7, 7f. mit 4. Esr. 12, 11f.) nötig werden. ,. Belege bei Bonsirven, Ex~g~se 69ff., und bei Glatzer, Untersuchungen 85ff. ,. Darin unterscheidet sich eine erfüllte Weissagung im Judentum und im N. T. Christi Kommen ist eschatologisches Ereignis. Die Weissagungen gewinnen im N. T. eine einheitliche Ausrichtung auf ihn und sein Heil hin. Zugleich wird die Erfüllung ganz neu qualifiziert. Wenn z. B. Zimmerli, Verheißung, Probleme 95 davon spricht, daß Christus "des Alten Testamentes Erfüllung" sei, so ist das au,h mißverständlich, indem klarzustellen ist, daß diese Erfüllung mit dem Vorgang von Verheißung und Erfüllung, wie er uns im A. T. und im Judentum weithin begegnet, nicht direkt vergleichbar ist. Zimmerli ist sich des Unterschiedes und des Ungenügens des Begriffs "Erfüllung" bewußt, wenn er vom Zerbrechen des A.-T. redet (aaO 99); ebenso weiß umgekehrt Bultmann, mit dem sich Zimmerli auseinandersetzt (aaO 96ff.), um diese Dialektik, indem das "Scheitern" alttestamentlicher Hoffnungen für ihn gerade zur "in Christus erfüllten Verheißung" (Weissagung, GI. u. V. 11, 184) wird. " K.Ellill!,"" Studien zum Habakuk-Kommentar vom Toten Meer, BHTh 15, Tübingen: Mohr 1953, 156f., und O.Bet~, Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte, WUNT 6, Tübingen: Mohr 1960, 78, betonen zu Recht die Beziehungen zwischen 1 QpHab. und Da.; doch müßte dies auf die übrigen apokalyptischen Schriften auch ausgedehnt werden, vgl. etwa 4. Esr. 12, 10 . .. Vgl. 1 QpHab. 7, H. und u. n 5 B. .. VgI. u. S. 62. 106 und W. H. BrolJmlee, Biblical Interpretation among the Sectaries of the Dead Sea Serolls, BA 14/3 (1951) 54-76, bes. 60-62; Betz, Offenbarung 78ff. " Beiseitegelassen, weil für unsere Fragestellung unwichtig, werden die eigenen Zukunftsansagen des N. T., also Jesu, der neutestamenthchen Propheten und Apokalyptiker, die auch wie4er Weissagungs-, Verheißungs- oder Drohungscharakter haben. Einen guten Überblick gibt W. G. Kümmel, Art. Weissagung und Erfüllung im N. T., RGG3 VI, 1587f. Auch K. unterscheidet Weissagung als "Anschauung, daß die at. Schriften, vor allem die Propheten, bestimmte Ereignisse der urchristlichen Geschichte vorausgesagt haben" (aaO 1587) von Verheißung als Heilsgut, "an dem die Christen als Teilhaber des Beginns der eschatologischen Vollendung Anteil erhalten haben" (aaO).
2. Hermeneutische Bewegungen und GeschichtJtJerständn;s
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Umso auffälliger ist aber der Befund im Neuen Testament: In den ältesten nc:utestamentlichen Schriften - insbesondere etWa in der Passionsgeschichte48 - entdecken wir immer wieder, daß die Geschichte Jesu zwar in den Farben des A. T. geschildert und erweitert wird, ja, daß Partic:n des Alten Testaments geradezu zur "Schrift" wurden, in der die Gemeinde die Passionsgeschichte las. Direkte Zitate fehlen aber zunächst fast völlig, und wenn sie auftauchen, wird das Schema Weissagul1g-Erfüllung nicht explizit auf sie angewendet. Andererseits aber finden wir Hinweise auf "die Schrift", ohne daß einzelne Stellen angegeben würden, schon sehr früh u . Wir werden sehen, daß an den zahlreichen SchriftstelIen bei Paulus der explizite Hinweis auf erfüllte alttestamentliche Zukunftsaussagen verhältnismäßig selten ist60 • Die Rede von der Erfüllung der Schrift findet sich überhaupt nur in spiitem Schriften des N. T., nämlich bei Matthäus, Lukas und Johannes, sowie einmal im Jakobusbrief51• Den spätem Schriften gehören allein auch die Reflexionen über den Bezug prophetischer Schriftaussagen auf die Gegenwart an (vgl. 1. Pt. 1, 10-12). Ganz grob ergibt sich folgendes Bild: Von der friihesten Zeit an ftntkn wir in der Gemeinde den Gebrauch des A. T. zur Interpretation des Christusgeschehens sowie grundsätzliche Hifl71leise auf "die SchriJt". Erst einer spätem Zeit fIber gehören die Reflexionen über die Art dieses SchriJtgebrauchs und seine Interpretation in theolOgischen Kategorien, etwa im Schema Weil1agrmgErjülltmg an. Bei Paulus tritt an die Stelle der erfüllten Weissagungen der Hinweis auf die Verheißung. Ihm werden wir im weitem noch nachzugehen haben'-.
•• Vgl. E.sGhllleiter, Das Evangelium nach Markus, NTD 1, Göttingen: Vandenhoeck 1967, 164. •• 1. K. 15, 3f.; Mk. 14,49, vgl. 9, 12• •• Vgl. u. S.85f. U Auch wenn bei Mt. die Reflexionszitate auf Tradition zurückgehen, so dürfte doch die den Erftillungsgedanken enthaltende Einleitungsfonnel redaktionell sein, vgl. G.Stredeer, Der Weg der Gerechtigkeit, FRLANT 82, Göttingen: Vandenhoeck 1962, 50. Zum lk. Sprachgebrauch, wo die an sich nicht sehr häufige Redewendung von der Erfüllung der Schrift mindestens teilweise redaktionell ist (4,21; 24,44; Ag. 1, 16), vgl. H.COlltellllllllll, Die Mitte der Zeit, BHTh 17, 3. Aufl. Tiibingen: Mohr 1960, 146ff. Bei J. scheint die gelegendich auftauchende Redewendung vom 1tA"lpoüv der Schrift etwa dem 'n:AE:to\iv von 19, 28 zu entsprechen. Jk. 2, 23 zeigt bereits einen abgeschliffenen und unpräzisen Gebrauch von 1tA"lPOÜV, weil hier gar nicht von der Erfüllung einer Weissagung, sondern lediglich von der "Richtigkeit" einer Schriftstelle die Rede ist, vgl. F.MtlSlIIU, Der Jakobusbrief, HThK 13/1, Freiburg: Herder 1964, 143. Vgl. Auch u.A. 156. 51 V gl. u. II 3 A Exkurs.
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II. Die l!l!nlll. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
b) Typologie Die Definition der Typologie ist strittig, noch mehr die Ausgrenzung der typologischen Deutung des Alten im Neuen Testament. Wir gehen aus von der Definition Goppclts: "Gegenstand typologischer Deutung können nur geschichtliche Fakten, d. h. Personen, Handlungen und Ereignisse sein, Worte und Darstellungen nur insofern, als sie von solchen handeln. Eine typologische Deutung dieser Objekte liegt vor, wenn sie als von Gott gesetzte, vorbildliche Darstellungen, d. h. ,Typen' /kommender, und zwar vollkommenerer und größerer Fakta aufgefaßt werden. "53 Wir halten die wesentlichen Momente dieser Definition fest: 1. Typologische Deutung stellt zwei geschichtliche Fakten einander gegenüber 54• Schwierig ist die Frage, woher die Fakten stammen, die zu Typen werden. Sie läßt sich nur so beantworten: Aus einer Geschichtsepoche, die in hervorragendem Maße als Gottes Handeln verstanden wird. So liefert die "kerygmatische" Zeit Israels, die Zeit des Exodus und der Landnahme, besonders zahlreiche Typen. Aber ebenso wichtig ist der Kreis der ErZählungen um die Schöpfungsgeschichte, und auch die Königszeit ist für Typen nicht ganz ausgeschlossen.
," L. Goppelt, Typos, 2. Aufl. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1966, 18f., vgl. auch v. Rad, Theol. II, 350. Natürlich ist das Aufstellen einer Definition des Typologischen problematisch, denn die Unklarheit in der Bestimmung und Ausgrenzung des Typologischen im N. T. beruht weitgehend auf einer verschiedenen Definition dessen, was "typologisch" ist. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, daß nirgends im N. T. eine Definition gegeben oder vorausgesetzt wird. Daflir ist auch der Begriff "typos" nicht verwendbar, da er einen andern Ursprung hat als die typologische Auslegung alttestamentlicher Geschichte (vgl. u. S. 53ff.) und sich sein Vorkommen im N. T. auf keinen Fall mit dem der Typologie deckt, wie auch immer diese verstanden wird. Der moderne Exeget ist daher gezwungen, eine eigene Definition zur Klitrung eines Sachverhaltes zu benützen, der im N. T. als besonderer Sachverhalt vielleicht gar nicht empfunden wurde. Insofern besteht der von L. GOppell, Apokalyptik und Typologie, in ders.: Typos, 2. Auß. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1966, 259-299, dort 271f. festgestellte Zirkel tatsächlich. Man kann also nicht einfach nach einer "richtigen" Definition der Typologie fragen, sondern zunächst einmal ganz einfach nach einer brauchbaren. Eine solche sollte zeigen a) eine gewisse Kontinuität des neutestamentlichen Sachverhaltes gegenüber seiner Vorgeschichte, b) eine gewisse Kontinuität ZU dem, was die alte Kirche dann als Typologie bezeichnet und c) die Möglichkeit der Abgrenzung von Typologie gegenüber andern im N. T. erkennbaren hermeneutischen Bewegungen. Selbstverständlich kann jede Definition erst aufgrund der Beschreibung der im N. T. faktisch unterscheid- und beschreibbaren hermeneutischen Bewegungen erfolgen; auch die unsere setzt also die nachfolgenden exegetischen Ergebnisse voraus . •• Natürlich genügt Punkt 1 als Definition der Typologie noch nicht. Vgl. z. B. Amsler, Typologie 47: Typologie ist "la mise en relation des realites de l'ancienne alliance rapportees dans l'Ecriture avec celles de la nouvelle alliance". Eine solche Bestimmung ist nicht falsch, aber noch unzureichend, weil sie faktisch jede auf die Gegenwart bezogene Auslegung des A. T. im N. T. umfaßt. Amsler vermag denn aucl} Typologie und Allegorie nicht voneinander zu unterscheiden; für ihn wird Allegorie eine Unte'rform der Typologie: GI. 4, 21ff. ist "typologie ••. expliquee
2. Hermeneutische Bewegungen und Ges&hi&hlsversländnis
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2. Nur Geschehnisse, nicht aber Worte, Weissagungen etc. können zu Typen werden". 3. Das Moment der überhöhung des Typus durch den Antitypus ist wesentlich. Die überhöhung kann dabei auch durch die Form der Antithese ausgedrückt werden. 4. Zur Typologie gehört wesentlich eine Zeitdifferenz; der Typus geht dem Antitypus voraus. 5. Im allgemeinen werden nur Fakten, die von Gott wenigstens mittelbar geßtiftet, bzw. geschaffen sind, Gegenstand typologischer Betrachtung 68• Wie steht es aber mit dem Zusammenhang zwischen typologischer Exegese und einem ihr allenfalls zugehörigen Geschichtsverständnis? Ein Blick auf die Vorgeschichte der neutestamentlichen Typologie mag uns helfen. Zwischen der Vorgeschichte des Begriffes mOl; und der Vorgeschichte der Typologie als hermeneutischer Methode muß unterschieden werden". dans les formes de I'all~gorese" (aaO 76). Vgl. auch seinen Titel aaO 163: "Les formes de la typologie: typologie et allegorie". P.LnJgsfeltJ, Adam und Christus, Essen: Ludgerus 1965, 28f., definiert Typologie als Wiederkehr einer vergangenen Größe und beruft sich dabei auf Bultmann (vgl. u.A. 56), der allerdings Typologie vom Wiederkunftsmotiv herleilei. Versteht man aber einen Antitypus als Wiederkehr (desselben) Typus, so kann man im N. T. fast nirgends von Typologie sprechen (gegen Lengsfeld aaO 28ff.). Vgl. auch u.A. 67. II Typologie inlerer.rierllich airo - anders als etwa Allegorie - "icht primär ftlr tim altlerlamentlü·hen Texl, 10",Jern Frir dal i" ihm berichtete Gerchebe", vgl. Goppelt, Apokalyptik und Typologie 271(. Zwei Gelchehnille werden einander gegenübergestellt, der Text ist dabei als Ubermitdungsweise des Vergangenen mit dabei, wird aber nicht als solcher ausgelegt. Im N. T. gibt es zahlreiche Typologien ohne alttestamentliche Texte, vgl. nur etwa R. 5, 12ff.; 1. Pt. 3,21 etc. Allegorese hingegen ist wesentlich Textauslegung. Dieser Unterschied dürfte bei ].Barr, Old and New in Interpretation, London: SCM 1966, HOff. zu wenig bedacht worden sein. Ban betont im übrigen zu Recht, daß sich Typologie, Allegorie, Schriftbeweise etc. nicht säuberlich trennen lassen. •• Dies wird betont von P. Fairbairn, The Typology of Scripture I, Nachdruck Grand Rapids: Zondervan 1963, 46; H. Müller, Auslegung 183, vgl. ferner Amsler, RThPh 37 (1949) 118; v. Rad, EvTh.12 (1952/53) 31f. Weitere Definitionen bei E.Allerbach, Figura, Archivum Romanum 17 (1938) 436-489, dort 468; R.Bllitma"n, Ursprung und Sinn der Typologie als hermeneutischer Methode, in: Exegetica, Tübingen: Mohr 1967, 369-380, dort 369f.; W.EidmJlJI, Ist typologische Exegese !lachgemäße Exegese?, in: Probleme alttestamentlicher Hermeneutik, herausg. von C. Westermann, ThB 11, München: Kaiser 1960, 205-226, dort 208ff.; K.J. Woolkombe, The Biblical Origins of Patristic Developments of Typology, in: G. W.H. Lampe-K.J. Woollcombe, Essays on Typology, Studiesin BibI. Theol.22, London: SCM 1957,39-75, dort 39; S. SOD-ers, The Hermeneutics of Philo and Hebrews, Diss. Basel 1965, 89. 57 Darin hat Amsler, Typologie 43-47 recht: Paulus "n'a pas de tennes exdusivement techniques" (aaO 46). H. Müller, Auslegung, der bei der Wesensbestimmung von Typologie von der Begriffsbestimmung von "typos" ausgeht, kann deshalb nicht zu einer klaren Bestimmung von Typologie kommen, umso mehr, als er die Typologie mit rabbinischer Analogiebildung parallelisiert (asO 67ff.), vgl. auch I.Heine11Jann, Alt jüdische Allegoristik, Bericht des jüdisch-theol. Seminars 1935,
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II. Die gegen/ll. Vergangenheit: Das Go/leswort des AT
Das Wort "typos" ist im griechischen Denken beheimatet·· und entwickelt sich dort von der Bedeutung "Schlag"" über "Abdruck", "Form", "Modell", "Relief", "Buchstabe", "Abbild", "Urbild", "ungeformte Gestalt" zu fortgesetzter Abstraktion: "Typus", "Gestalt". In der LXX findet sich das Wort als übersetzung verschiedener hebräischer Vokabeln nur zweimal, dazu in griechischen Schriften der LXX zweimal in verschiedenen Bedeutungen8 •• Häufig ist es bei Philo 8 ' : Der Wortgebrauch erweist sich als völlig griechisch: "Urbild", "Vorbild", "Abbild" weisen auf die Denkstrukruren der platonischen Ideenlehre; daneben finden sich die Bedeurungen "Eindruck", "Gepräge", "Charakter", "l\[uster", "Typ". Stellen wie etwa Op. Mund. 157 zeigen, daß bei Philo "typos" nicht in "typologischem" Sinn gebraucht wird. Vielmehr meint das Wort an jener Stelle das Allgemeingültige, das im Text unter einem "symbolon" verborgen liegt und mittels Allegorie in seinem verborgenen Sinn ("hyponoia") gedeutet werden muß. Philo kennt hauptsächlich zwei Auslegungsarten, die wörtliche und die allegorische. In Verbindung mit typologischer Auslegung erscheint das Wort "typos" erst bei Paulus R. 5, 14; dagegen ist nicht sicher, ob 1. K. 10,6. 11 nicht die Bedeutung "Vorbild" ausreicht". Endlich findet sich der hermeneutische Gebrauch des Wortes im Sinne von "alttestamentlichem Typus" im Bamabasbrief83 • Gehen wir aber dem Ursprung der typologischen Exegese nach, so werden wir an die prophetische Aufnahme alter Heilsverkündigung gewiesen·'. Schon die frühen Schriftpropheten hatten neue Heilssetzungen als Aufnahme von schon Geschehenem angekündigt. Etwa seit Hosea wird aber der Bruch zwischen dem vergangenen Heilsgeschehen und dem Neuen, das Gott setzt, durch die Untreue des Volkes so tief, daß Gott nicht mehr an das Alte anknüpfen kann, sondern ein völlig Neues setzt'·. Dies beschreiben dann die Propheten in deudicher Gegenüberstellung zum Alten. So redet Hosea von einem neuen Wüstenaufenthalt (2,16; vgl. 8,13; 9,3; 11,5; Ez. 20, 33-38)·', Jeremia von einer neuen Land26f., bes. A.8. Ob auch hinter der Feststellung von E. Fuchs, Hermeneutik, 2. Aufl. Bad Cannstatt: Müllerschön 1958, 192, daß hinter der Typologie der griechische Gegensatz zwischen Sein und Schein stehe, die Wortgeschichte von "typos" steht? Auch Goppelt, Apokalyptik und Typologie 271ff. denkt von den Stellen aus, wo "typos" bei Pis. vorkommt. Zum Problem vgl. auch K. Galley, Altes und neues Heilsgeschehen bei Paulus, Aufs. und Vortr. z. Theol. u. Religionswissenschaft 31, Berlin : EVA 1965, 52f. und A. 10; 56f. 18 Zur Wortgeschichte : A. v. BIUlllenthal, T01to~ und 1tCXp&8E:1YI./.CX, Hermes 63 (1928) 391-414; H.Müller, Auslegung 79-84; W. P.ae Boer, The Imitation of Paul, Diss. Amsterdam 1962, 17-21; L. Goppelt, Art . .ru1tO~ Kor)... ThW VIII, 246-260, dort 246,l1ff.; Galley, Heilsgeschehen 54ff• .. Liddell-Scott s.v.I; v.Blumenthal, Hermes 63 (1928) 391-393 bestreitet dies . •• Ex.25,40 (Urbild), Am.5,26 (Götterbild), hebr. "zäläm" bzw. "thabnith'" entsprechend, femer 3.Makk.3,30 (Ausdruck), 4. Makk.6,19 (Vorbild). 11 Belege bei H. Müller, Auslegung 82ff. und de Boer, Imitation 20 . .. S.u.S.120f• .. 7,3.10f.; 12,2.5f.; 8,2ff. wird aber der "typos" von 8,1 allegorisch ausgelegt; 13,5 bezeichnet "typos" den Antityp. Vg!. ferner 1. Pt. 3,21. Der Hirt des I-Iermas darf hier nicht eingeordnet werden, weil er nur Visionen als "typos" bezeichnet. Auch Justin beschränkt "typos" nicht auf Typologien, vgl. Dia!. 90,2.5; 91,2ff.; 134,2ff., wo typologische und allegorische Elemente durcheinandergehen. Zum Wortgebrauch in der alten Kirche vgl. ferner A. Taleamori, Typologische Auslegung des Alten Testaments?, Diss. masch. Zürich 1966,40ff. •• Vgl. hierzu Goppelt, Apokalyptik und Typologie 282ff.; ders., ThW VIII, 254,18ff• •• V.Rad, Theol.II,127 • .. Lit. zur Geschichte der Wüstenzeittypologie bei Wiebe, Wüstenzeit 7.
2. Herllleneuti!che Be.'egungen und GeschichtSllerstänJnis
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nahme unter einem neuen Davididen (23, 5-8) und von einem neuen Bund (31, 31-34). Ezechiel spricht von (einem neuen) David17 (34,23; 37,24, vgl. auch die Zusätze Hos. 3, 5; Jer. 30, 9); Deuterojesaia sieht das Heil in einem neuen Einzug ins Land, dessen Farben deudich eine überhöhung des ersten anzeigen (z. B. 43, 19ff.; 48,21; 52, 12); Tritojesaia endlich spricht von einer neuen Schöpfung (65, 17ff.; 66,22). Deudich ist jedes Mal das Moment der impliziten oder ausdrücklichen Gegenüberstellung der beiden HeiIsereignisse und die überhöhung des ersten durch das zweite··. Das neue Heil ist sachlich nicht mehr überbie:tbar und könnte vielleicht als "eschatologisch" bezeichnet werden", auch wenn die Zeit. in der dieses Heil erwartet wird, durchaus nicht Endzeit oder gar neuer Aeon ist. Im Schrifttum der Apokalyptik verändert sich der Befund nicht grundsätzlich. Eine neue Schöpfung, ein neuer Himmel werden angekündigt (äth. Hen. 72, 1; 91,16, vgl. s. Bar. 32, 6; 57,2, vertieft 4. Esr. 7, 30f.; Sib. 5, 480ff.)70, hingegen läßt sich die Vorstellung eines zweiten Adam wohl nicht nachweisenTl. HeiIsereignisse IIUS der Wüstenzeit werden sich wiederholen: das Manna (s. Bar. 29, 8), die Plagen Ägyptens (6. Esr. 1, 10f. = 4. Esr. 15, 10f.)" etc. Verbreitet ist die Typologie bei der Gerichtsschilderung : die Sintflut wird zum Typus des Endgerichts (vgl. äth. Hen. 91, 6; 93,4; Vit. Ad. 49), wobei dem Wasser der Sintflut das Feuer des Endgerichts entsprechen kann. Das Dunkel beim Auszug aus Ägypten ist ein Abbild der künftigen Finsternis (Sap. 17, 20). Die Gestalt des Mose ist erst relati,,· spät typologisch verwendet". Hingegen ist eine typologische Deutung des Sabbats als "Zeichen der Auferstehung im künftigen Zeitalter" belegt"• •• Davon zu unterscheiden ist die Vorstellung vom Herrscher aus Davids Stamm (etwa Js.H,lff., vgl. 8,23ff.; Jer.23,S, vgl. 33,15; Sach. 3,8; 6,12; 2.S.7,12-16 und verwandte Stellen). Wie W.Zimmerli, EzechieI. BK 13, Neukirchen: Ne:ukirchener Verlag, 843, zeigt, ist die Identität des verheißenen Herrschers mit dem vergangellen auch, wo nur vom (künftigen) David die Rede ist, bloß eine eingeschränkte ("Gleichartigkeit des verheißenen gerechten Herrschers mit dem David der Vorzeit"). Der Befund zeigt, daß die typologische Gegenüberstellung im A.T. auch nicht leicht als besonderes Phänomen zu isolieren ist und die übergänge fließend sind. zumJ'üdischen Material vgl. Str.-B.II,337f. oe Wenn dagegen as zukünftige Handeln Jahwes nur in den Farben und der Sprache eies vergangenen Heils beschrieben wird, kann kaum von Typologie geredet wel'den, also z. B. bei der mit den Farben des Paradieses beschriebenen Endzeit (Js.ll,6-8; 51,3; Ez.34,25ff.; 36,35; Am.9,13) oder bei dem in den Farben der Mosczeit beschriebenen zukünftigen Handeln Gottes (Js.4,S; 30,27-33). Vgl. auch u.A.83. Au/srhlußreirhist,daßgeradedie alß dem (UkJisrhen?) mythisrhen Denken eingeströmten Bilder nirht typologi«b lIm11entkt 'I/Iera.n (gegen Bultmann, Typologie, Exegetica 369ff.), '1/106/ aber die Heilsse~Nllgen Jah'l/les• .. Vg!. den Versuch v.Rads, den Begriff ..eschatologisch" angesichts der Zeitimmanenz des alttestamentlichen Denke:ns neu zu fassen, Theo!. 11,218. •• Sap.19,1-12 deuten den Durchzug durchs Schilfmeer und die Wüste:nzcit als neue, zweite Schöpfung. Tl Die von Goppelt, Typos 36f., hiefür genannten Belege sind m.E. für Typologie nicht stichhaltig, vgl. auch u. S.195f. .. Anders dagegen sind die Schalen vort Apk.16 nur in den Farben der alttestamendichen Schilderung der Plagen Ägyptens geschildert; eine explizite typologische Gegenüberstellung fehlt (gegen Sowers, Hermeneutics 90). .. Belege bei J.Jeremias, Art. MCI)uaij~, ThW IV, 852-878, dort 864,15ff., und bei Str.-B. 1, 69. Alter sind die Gegenüberstellungen der ersten und zweiten Wüstenzeit, vgl. Jeremias aaO 865,3ff. Gegen Wiebe, Wüste:nzcit 33ff., ist die Wiede:rkunftserwattung des Mose nicht als eigentlich typologisch zu bezeichnen, solangc es sich um die Wiederkunft desselben Mose handelt• •• Vit. Ad. 51, vgl. auch Kol.2, 17. Wieder sind die zahlreichen Fille, wo das neue Heilsgc.schehen in der Sprache oder den Farben des alten geschildert wird, aber eine
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II. Die gegemv. Vergangenheit: Das GotteJI/iort des AT
Während sich so materialiter gegenüber dem A. T. wenig verändert hat, hat der weltanschauliche Kontext der Apokalyptik Entscheidendes zur Umgestaltung der Typologie beigetragen: Was ehedem wohl unüberbietbares und in diesem Sinn eschatologisches Gericht oder Heil war, wird jetzt zum Endgericht, bzw. Endheil, dessen Kommen zwar in Gewißheit bei Gott liegt, aber im alten Aeon ausgeschlossen ist, so daß die Gegenwart nur als radikale Antithese zur Zukunft verstanden werden kann'". Hier scheint mir ein wichtiger Unterschied zum prophetischen Geschichtsverständnis zu liegen. Auch die prophetischen Worte verkünden radikales Gericht und "eschatologisches" Heil. Heil und Gericht ist aber bei ihnen in doppeltem Sinne "inständig": Insofern nämlich, als die prophetische Ankündigung stets auf die Geschichte ausgerichtet bleibt, in der Gott sein Werk, auch sein Heilswerk (]es. II I) immer schon tut. Sodann darin, daß der Prophet als lebendige Verkörperung des Gotteswortes nahe und gegenwärtig ist und somit durch seine Person jederzeit auf die Gegenwart Gottes weist. Anders in der Apokalyptik, die sich als etwas von der Prophetie Verschiedenes weiß'·: Hier wird Gott zum Femen, sein Heil und Gericht zu etwas "ausständig" Transzendentem, das zn seiner Verwirklichung der Ablösung des alten Aeons durch einen neuen bedarf. Gottes WiUe wird zum umfassenden Plan. Und auch der "Prophet" spricht aus der Feme, pseudonym. Entsprechend wird auch Typologie zum Bezug auf etwas sachlich und zeitlich - Fernes: Sie bezieht sich auf die Endzeit. Bezeichnenderweise tritt die Schöpfungsrypologie eher in den Vordergrund, der Bezug auf Ereignisse der Geschichte Israels eher zurück". Auch in den rabbinilcht." Schriflen fehlt futurisch-eschatologische Typologie nicht. Hier wird das apokalyptische Erbe weiter tradiert. Was sich ändert, ist nicht die materiale Gestalt der Eschatologie, sondern ihre Stellung und Bedeutung für das Weltverständnis als Ganzes". Für unser Thema wichtig ist die Erkenntni! der engen Verbindung ~ilchen Typologie ,md Zwei-Aeonen-Lehre, die - auf Jenreiben prophetischen Wurzeln gründend - /lor allem im apokalyptischen Schrifttum ~utagetrill. Gegenüberstellung fehlt, nicht als Typologie zu bezeichnen, vgl. o. A. 68. Dies gilt für die zahlreichen Ausmalungen der paradiesischen Endzeit (vgl. P. Vo/~, Die Eschatologie der J'üdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter, 2. Aufl. Tübingen: Mohr 934, 413ff.), die besonders bei den Rabbinen häufigen Schilderungen der Endzeit in den Farben der Mosezeit (vgl. Goppelt, Typos 38f.) sowie auch für viele der von Wiebe, Wüstenzeit 21-35 genannten Belege. n In Qumran gibt es m. E. keine explizite Typologie, die Gegenwart und Vergangenheit einander gegenüberstellt. Auch der "neue Bund" ist ja nur der wiederaufgenommene alte. Vgl. ähnlich auch Goppelt, ThW VIII, 256 A.51. Bei der übernahme der alten Lagereinteilung Israels (1 QS.2,21f.; 1QSa.1, 14f.29f.; 1QM. 4, 1ff. etc.) liegt wohl eher der Gedanke der Erfüllung der gottgesetzten Ordnung, als der einer typologischen Gegenüberstellung vor. . ,. Vgl. s. Bar.85,3. 17 Eine gewisse Objektivation liegt in der Apokalyptik zweifellos vor, doch ist mit Stichworten wie "extrem deterministisch", "genau errechnen", "Esoterik und Gnosis", "begrifflich ... vergegenständlichen" etc. (v. Rad, Theol. II, 1.Aufl. 1960, 315ff., später geändert I) wenig interpretiert, solange man nicht fragt, wodurch solches überhaupt möglich wurde. Erst dann kann man "hinter dieser gnostisierenden Auffassung von den Abläufen, die man wissen, ja die man errechnen k~" (v. Rad aaO 319), die durc;:haus nic~t g<;schichtslose Spra~he der Apokalyptik verstehen.' Vgl. zum Geschlchtsverständms der Apokalyptik auch u. IV 1. .. Belege bei Wiebe, Wüstenzeit 64ff.; R. P. C. Hanron, Allegory and Event, London: SeM 1959, 13ff.; vgl. Str.-B. 1,85-88.
2. Hermeneutische BClvegungen und GuchichfllJerItändnis
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Im Neuen Testament wird die auf den kommenden Aeon bezogene Typologie der Apokalyptik da und dort weiter tradiert: Mt. 24, 37-39; Lk. 17,26--30; Apk. 21, lf. sind solche auf die Endzeit bezogene Typologien79 • Weit zahlreicher sind aber die auf die Gegenwart bezogenen Typologien. Die paläsrinensische Gemeinde läßt Jesus sich alttestamentlichen Größen gegenüberstellen, um seine das Alte Testament schlechthin übersteigende Autorität und Bedeutung zu bezeugen (Mt. 12,6. 41f.; vg1. 11,9)80. In der Abendmahlsformel, die Paulus den Korinthern in Erinnerung ruft, liegt in der Bezeichnung KIXWlJ 8'IX-IHjK"/l ein Ansatz zu typologischem Denken. Auch 2. K. 3 und GI. 4, 21ff. liegt eine typologische Gegenüberstellung der beiden Bünde vor81 • Paulus stellt - unter Verwendung der Vokabel MOC; Adam und Christus typologisch einander gegenüber (R. 5, 12ff.; 1. K. 15, 21f. 45ff.). Grenzfälle sind die unausgesprochenen Gegenüberstellungen 2. K. 5, 17; GI. 6, 15 ("kaine ktisis"82), 1. K. 5, 7 (Christus-Passa) und R. 2, 28f. (Beschneidung des Herzens) sowie R. 12, 1, vg1. Phi1. 3, 3 (Opfer). Zwischen eigentlicher Typologie und Beschreibung des Heils unter Aufnahme alttestamentlicher Heilstermini muß auch bei Paulus unterschieden werden. Zur zweiten Gruppe gehören z. B. eher GI. 6, 16 (Israel), R. 9, 25, vgl. 15, 10; 1. K. 10, 7; .. V gl. Goppelt, Typos 23~239. w. G. KUmm,I, Art. Schriftauslegung im Urchristentum, RGG" V,1517-1520, dort 1519, scheint dagegen Typologie für eine spezifisch christliche Betrachtungsweise anzusehen. 10 Goppelt, Apokalyptik und Typologie 286f., vgl. den., ThW VllI,256, 6ff., meint, daß Jesus sich selbst typologisch auf die alttestamentliche Gottesgeschichte bezogen habe, und führt dafür Mt.12,41f., Mk.2,25f., Mt.12,6 und Mk.14,24 an. Mk.14,24 fällt jedoch weg, da hier von der "diatheke" und nur indirekt von Jesus die Rede ist; überdies dürfte 1. K. 11,25, wo Wein und Blut nicht direkt identifiziert werden, an dieser Stelle älter sein. Mk.2,25f. fehlt die Gegenüberstellung; wie Mt. 12,6 liegt wohl Gemeindebildung vor, vgl. R.Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29 (= NF 12), 3.Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1957, 14. Schwierig zu beurteilen ist Mt. 12,41f., für dessen Echtheit Goppelt leider auch keine Argumente beibringt. So bleiben immer noch die Argumente, aie A. FrMrichsen, Le probleme du miracle dans le christianisme primitif, Diss. Strasbourg 1925, 49, und Bultmann aaO 118 gegen die Echtheit anführen: die Parallelität zur Gemeindebildung Mt.11,21-24, die wohl auf ein "schema de I.a polemique du christianisme primitif" (Fridrichsen aaO) weist. Dazu kommt das stereotype !Bou 7tAeiov + (Genitiv) + i:>Be (vgl. die sicher aus der Gemeinde stammenden Verse Mt. 12,6, vgl. 11,9; die Formulierung des Komparativ ist stets neutrisch 1), die auch wieder auf ein bestimmtes Argumentationsschema der Gemeinde schließen lassen. Schließlich läßt sich das eschatologische Verdammungsurteil über "dieses Geschlecht" aus der Situation der erfolglos missionierenden Gemeinde gut begreifen. Fazit: Ich bin gegenüber der Echtheit von Mt.I2,41f. skeptisch. 81 Typologie und Allegorie überlagern sich in G1.4,21-31, vgl. Luz, EvTh 27 (1967) 320 A. 10; dort Weiteres zu G1.4,21ff. S.319ff. ," Der Begriff dürfte aus dem Kontext der apokalyptischen Gegenüberstellung d~ beiden Aeonen stammen, vgl. das Material bei P.Stuhlmacber, Erwigungen zum ontologischen Charakter der xCtLvi! xT(al~ bei Paulus, EvTh 27 (1967)' 1-35, dort 12ff.
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II. Die gegenIv. Vergangenheit: Das Gottenvort Jes AT
14,21 ("ekklesia", "laos"),.t. K. 3, 16; 6,19 (Tempel), R. 3, 25; 12, 1; 15, 16; Phil. 2, 17 (Opfer). An allen diesen Stellen fehlt m. E. auch eine implizite Gegenüberstellung von alt- und neutestamentlicher Heilswirklichkeit. Doch bleibt der Übergang fließend 8s• Vielleicht denkt der Verfasser von KoI. 2, 17 typologisch, um das Neue als Realität ("söma") vom Alten als Unwirklichem ("skia") abzusetzen81 • 1. Pt. 3, 21 scheint die Sintflut von der Gemeinde typologisch auf die Taufe bezogen B5• Ag. 7,35.37 wird die Stephanusrede von einem spätem Bearbeiter (Lk.?) mit Hinweisen auf eine typologische Entsprechung zwischen Mose und Christus durchsetztB8 • Anspielungen auf Mose liegen wohl auch Mt. 2, 15; 4, Hf.; 17, 1-8; Ag. 3, 22f.; R. 10, 4ff.; 1. KlO, Iff.; Hb. 3, Iff.; Apk.ll, 3ff. in verschiedener Weise vor, ohne daß immer von Typologie gesprochen werden könnte. Im 4. Evangelium finden wir typologische Entsprechungen (z. B. J. 3, 14), Antithesen (z. B. 6,30ff.) und indirekte Gegenüberstellungen ()(X.w~ ~v-rOf..+, 13, 34). Durch die Aufnahme hellenistischer Urbild-Abbild-Kategorien hat sich im Hebräerbrief eine Erweiterung der - meist im Dienste der Antithese stehenden - typologischen Ausdrucksmöglichkeiten ergeben87 • Überblicken wir den Gesamtbefund im Neuen Testament, so stehen wir vor einem ziemlich vielschichtigen Phänomen. Vielfältig ist die geographische Streuung: Wir finden Typologie in der aramäisch sprechenden Urgemeinde8B, in der vorpaulinischen hellenistischen GemeindeB9, bei Paulus, Johannes, Lukas, im Jakobusbrief90, in der ApoBa Vgl. Galley, Heilsgeschehen 10f. mit der übersicht über die ungedruckten Teile seiner Dissertation. Vgl. auch o.A. 68, A. 74 und u.S. 138. Die genaue Abgrenzung der Typologien bei Pis. ist natürlich schwierig und sachlich von unterschiedlichem Gewicht, da die Schwierigkeiten durch unterschiedliche Definitionen von Typologie noch erhöht werden. Die genannten Beispiele wollen denn auch keineswegs erschöpfend sein. Zu R. 4, wo Abraham m. E. nicht als Typus bezeichnet werden sollte, vgl. u. S. 180, zu GI.3 u. III 2 B b. Auch R. l1,31T. und 1. K.I0,llT. können nur mit Einschränkungen als typologisch gelten, vgl. u. 11 3 C und 11 6Ad. BI Vgl. S.A11Isl,r, L'ancien Testament dans l'Eglise, Diss. Neuchätel 1960, 56; E. Sch7Pej~", Art. aid!-,« x~).., Th W VII,1024-1091, dort 1064, I1f., und die Allegorie Philo Migr.Abr.12. '" Zur Weiterentwicklung der Tauftypologie in der alten Kirche vgl. K. H. Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief, HThK 13/2, Freiburg: Herder 1961 108 A. 3 (Lit.). .. Vgl. H. Co"~eI11la",,, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen: Mohr 1963,50f. .. Vgl. dazu Luz, EvTh 27 (1967) 331; zu Melchisedek (keine Typologiel) ebd. 3321T. .. Z. B. Mt.12,41. Vgl. o. A. 80 und M.Black, An Aramaic Approach to the Gosr,els and Acts, 2. Auß. Oxford: Clarendon Press 1954, 97. • Z.B. 1.K.l1,25 (Antiochien?), vgl. 2.K.3; die Gemeinde des Hb. und die hinter Bam. stehende Schule gehören wohl ebenfalls in jüdisch-hellenistisches Milieu. 10 Implizit Jk.1, 1; vgl. Goppelt, Typos 1491T.
2. Hermenetlfis(he Bewegungen tmtl Ges(hi(htsverstäntlnis
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kalypse und den Petrusbriefen, sowie in der Schule des Barnabasbriefes 91• Vielfältig ist ihr Sitz im Leben'2. Vielfältig ist auch das theologische Interesse, das hinter der Typologie steht: Es kann an der antithetischen Gegenüberstellung des in Christus Geschehenen und des alten Aeons liegen und so vom Neuen her zu einer Abwertung oder Außerkraftsetzung des Alten führen; aber mittels der Typologie kann gerade auch das Alte Testament für die Christenheit in Anspruch genommen werden (Barn. )93. In dieser Vielfalt zeichnen sich aber einige Linien deutlich ab: 1. Von Anfang an finden wir zwei Richtungen der Typologie: Antithetische Typologie wird dazu verwendet, das neue Heil darzustellen, indem es vom alten abgesetzt wird". "Synthetische" Typologie stellt alt- und neutestamentliche Vorgänge in ihrer Gleichartigkeit zusammen. Der Unterschied ist allerdings nicht absolut, indem auch antithetische Typologie altes Heilsgeschehen nur deshalb beanspruchen kann, wdl es irgendwo, und sei es auch nur rein negativ, mit dem neuen v(:rgleichbar ist. Auch wenn sich im Gegenüber zum neuen Heil altes Heil als gänzlich nichtig und abgetan erweist, so ist es doch als Abgetanes und Unterlegenes nötig, eben zu nichts anderem, als um die Überlegenheit des Neuen zu zeigen'5. Umgekehrt: Typologie kann das A. T. ja nur deshalb als Quelle von Vorabschattungen in Anspruch nehmen, weil seine Beanspruchung durch das Judentum als sachlich illegitim immer schon vorausgesetzt ist". Dennoch bleibt P. Prigenl, Les testimonia dans le Christianisme primitif. L'epitre de Bamabe I-XVI et ses sources, Etudes BibI., Paris: Gabalda 1961, 841f• •• Polemi.k (Mt. 12, 41f.; Ko12, 17; Bam., vgl. Prigent, Testimonia 291f.), Liturgie (1. K.ll,25; 1. Pt. 3,21), Theologie (Pis. meistens, Hb.), Katechese (Tradition von 2. K. 3, Bam.?, vgl. Prigent aaO 841f.) . • 3 Im Barnabasbrief findet sich Weis~agung so gut wie Typologie, v~1. z. B. 4,4f.: 5,6f.12f.: 6,1-4 etc.: auch Allegorie (z.B. 5,4: 6,8-10) finden "m. Doch erscheinen hier Typologie und Allegorese kaum mehr unterschieden, vgl. auch Goppelt, ThW VIII,257,131f. Alle Auslegungsarten stehen im Dienste des hermeneutischen Prinzips des Bam., daß sich alles auf die "Herrlichkeit Jesu" beziehe (12,7) . •• V gl. d:lmit etwa Jeremias, Th W IV, 874,131f., der .. Typus" nur im positiven Sinne kennt. IS V gl. etwa zu 2. K. 3 u. S. 132ff. : zu R. 5, 121f. u. S. 204f. : zur Typologie im Hb. Luz, EvTh 27 (1967) 3291f. Auch bei den impliziten Typologien ist meist stillschweigend vorausgesetzt, daß das Alte (die Beschneidung, das Passa, die Schöpfung etc.) überholt ist. •• So ist f:twa J.3,14 mit 6,301f., 1. Pt.3,21 mit2,5.9 (implizite Gegenüberstellung) zu vergleichen; Ag.7,35.37 enthält eine positive Entsprechung zwischen Mose und Jesus in einer polemisch gegen die Juden gerichteten Stelle. Im Bamabasbrief ist eine so radikale typologische und allegorische Beanspruchung des A. T. überhaupt erst möglich aufgrund der Voraussetzung, daß es von den Juden zu Unrecht beansprucht wird. Hier aber droht mit der Preisgabe des Glaubens, daß Gottes Erwllhlung wirklich Israel gegolten hat, zugleich eine Entgcscbichtlichul1g der Typen. 11
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II. Die gegen",. Vergangenheit: Das GotteS1llort des AT
auffällig: Inder ältesten christlichen Typologie ist auffallend oft nicht das Interesse an der positiven Aufnahme und Deutung der alttestamentlichen Geschichte treibend, sondern vielmehr das Interesse an ihrer Oberho/ung,ja Abstoßungn . Erst später, ;'11 2. Jahrhundert, nachdem der Kampf mit der Synagoge durchgefochten ist, dominiert die zweite Spielart der Typologie 98• 2. Gegenüber der apokalyptischen Typologie besteht ein wichtiger Unterschied im N. T. darin, daß der Antityp meistens nicht erst für die Zukunft erwartet wird. Konkreter: Es ist iiberaus auffällig, wie viele neutestamentliche Typologien sich alif Christus beziehen. Hier hat denn auch das N. T. seine größte OriginaIität99 • 3. Häuftg hat das N. T. auch alttestamentliche oder apokalYptische Typologien übernommen, aber - entsprechend dem in Christus angebrochenen neuen Aeon - ganz oder teilweise vergegenwärtigt. Zu nennen wären hier etwa die Gegenüberstellung der beiden Bünde, der beiden Jerusalem oder das Motiv der neuen Schöpfung. So wird häuftg das hinter der apokalYptischen Typologie stehende Z7IIei-Aeonen-Denken in der neutestamentlichen Typologie, vor allem in der antithetischen, spiirbar. Im Hebräerbrief wird dann die zeitliche Gegenüberstellung von hellenistisch-ontologischen Kategorien her vertieft. .. Vgl. auch W.T.Hahn, Das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus bei Paulus, Gütersloh : Bertelsmann 1937, 86: Der Typosgedanke will die Nivellierung der Heilsgeschichte verhindern. Vgl. ferner Auerbach, Archivum Romanum 17 (1938) 466. •• Zu Bam. vgl. o. A. 93. Just. Dial. 42,4; Ir. Haer. IV, 32,2, rücken Typologie und Weissagung eng zusammen. Damit ist sicher ein entscheidender Unterschied zwischen urchristlicher Typologie und früh kirchlicher Figuraldeutung ausgesprochen. Dem Verlust der antithetischen Dimension in der Typologie (die nicht mehr nötig war, denn das A.T. war ja nunmehr christliches Buch!) parallel geht die Entwicklung, daß die Figuren keine Wirklichkeit mehr, sondern nur noch Bedeutung haben (E.Auerbaeo, Mimesis, Bern: Francke 1946, 117). Wird dieser Entwicklung durch die paulinische Unterscheidung zwischen Gotte.,wort und Menschengeschichte (vgl. u. 11 6 C Nr. 5; III 7 Nr. 8.) in gewissem Sinn Vorschub geleistet, so ist sie doch gerade von R.9-11 her unmöglich, \Vo das Gotteswort streng an die Geschichte gebunden bleibt. Während umgekehrt elie antithetische Typologie des N. T. in einer gewissen sachlichen Kontinuität zum prophetischen und apokalyptischen Verständnis der Typologie steht, ist diese in der frühchristlichen Figuraldeutung weitgehend verschwunden. Es wäre von hier aus zu fragen, ob z. B. v.Rad, Evl'h 12 (1952/53) 31-33 und ders., Theol. 11, 388ff. nicht der Typologie des 2. Jahrhunderts näher steht als derjenigen, die im N.T. vorherrscht. Genau wie bei Irenäus geht es bei v.Rad um die positive Ausrichtung des A.T. auf Christus, so daß Typologie in einer gewissen Nähe zur Verheißung steht, vgl. Theol. 1I,395f. .. Es ist auffällig, wie lange sich diese christologische Konzentration der Typologie durchgehalten hat. Abgesehen von den aus der Apokalyptik übernommenen Motiven und den spärlichen futurischen Typologien im N.T. gibt es im N.T. nur ganz wenige Ausnahmen. Noch im Bam. können wir dasselbe beobachten, nicht aber in der Weiterentwicklung der Typologie in der alten Kirche, vgl. J. Daniilou, Sacramentum Futuri, Etudes de Theol. Hist., Paris: Beauchesne 1950, 13ff. 69/f. 112ff. 144/f. 217ff.
2. Hermeneutische Belllegll1lgen II1IJ Geschichtsverständnis
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C. Nicht wörtlich verstandene Texte: Die Allegorie Hier müssen die symbolische und die allegorische Deutung geschichtlicher Texte zur Besprechung kommen. Definitionen der Allegorie sind schon bei antiken Autoren häufig; am bekanntesten ist die QuintiIians: ,,'AAA:1JYOPUlll facit continua IK't'IX!pOp«."100 Als Symbol wird dabei der einzelne allegorisch auszulegende Sachverhalt bezeichnet!OI. Neben der allegorischen Deutung ist die wörtliche oft nicht ausgeschlossen, oft aber unmöglich102• Allegorie impliziert kein bestimmtes Verhältnis zur Geschichte, hebt aber vielfach die historische Bedingtheit eines Textes auPos. Daraus ergibt sich, daß der durch die Allegorie eröffnete 'verborgene Sinn sehr oft101 den Charakter einer allgemeinen, jederzeit gültigen Wahrheit hat. Bei den Griechen"· unterscheiden wir zwischen physikalischer und ethischer ••• lost. O:r. 9,2,46; weitere Definitionen bei Hemel. Probl. (ed. F. Buffi~re, Paris 1962) 5,2; Cic. De Omt. 3,166. ••• So bei Philo pss., z. B. Spec. Leg. 3,178; Migr. Abr. 89; die Griechen sagen statt dessen oft ..organon", z. B. Heucl. Probl. 70,2. "" Die Frage, ob wörtliches Verständnis neben dem allegorischen noch möglich sei, wird verschieden beantwortet. Bei Pseudoplutarch scheint es möglich (z. B. Vit. Poes. Horn. (ed. T. W.Allen, Homeric Hymns 1936) 5; 6; 92,vgl. F. Wehr/i, Zur Geschichte der allegorischen Deutung Homers im Altertum, Diss. Basel 1928, 4). Bei Philo wird die Frage verschieden beantwortet. In gewissen Fällen ist der Wortsinn ausgeschlossen,_ besonders, wenn etwas Gottes Unwürdiges oder etWas Widersprüchliches ausgesagt wird, vgl. C.Siegfried, Philo von Alenndria als Ausleger des Alten Testaments, Jena: Dufft 1875, 165-168, oft aber ist er neben der Allegorie möglich. Ein schönes Beispiel hiefür ist Conf. Ling. 190, wo dem Wortsinn ausdl'ücklich seine Wahrheit belassen, er aber als Schatten im Vergleich zur Wirklichkeit bestimmt wird; noch weiter geht Migr. Abr. 89f., wo der Wortsinn für das Verstehen so notwendig ist wie der Körper für die Seele. V gl. Auch Vit. Cont. 78 und Siegfried uO 163f. Philo kann auch sagen, daß sich der Wortsinn an viele, der allegorische Sinn nur an wenige richte (Abr. 147), die er dann mit .. Mysten" anreden kann. Im Bam. setzt die allegorische Deutung vomus, daß die wörtliche nie zu Recht bestanden hat, vgl. H. WindiSth, Der Bamabasbrief, HNT Erg. Bd. 299-413, Tübingen: Mohr 1920, dort 393. Ahnliches gilt auch für die rabbinische Auslegung des Hohen Lieds, vgL Heinemann, Allegoristik 64. Für die Homc:rauslegung gilt Ahnliches wie für Philo: Enthält die wörtliche Auslegung eint: Blasphemie, so fällt sie weg: ..Er (sc. Homer) hätte nllmlich durchwegs unfromm gehandelt, wenn er nicht in _Allegorien gesprochen hätte" (Hemel. Probl. I, :1). _ , •• V gl. Glatzer, Untersuchungen 45. Besonders gilt dies bei der Apologetisch ausgerichteten Allegoristik. Zur Verbindung von Allegorese und Apologetik vg1. I.Heinemann, Die wissenschaftliche Allegoristik der Griechen, Mnemosyne 4/2 (1949), 5--18. ••• Anders nur im hebräischen Sprachbereich. Dort aber ist die ..allgemeine Wahrheit", die den Interpretationshorizont des .tIegorisch zu deutenden Textes AUSmacht, wiederum geschichtlich, vgl. u. Dies beweist aber noch nicht die grundsätzliche Unmöglichkeit einer Abgrenzung der Allegorese gegenüber der (geschichtlichen) Typologie, gegen Barr, Old and New l06ff• ••• Literatur: Siegfried, Philo 7-16; P.HeiniSth, Der Einfluß Philos Aur die älteste christliche Exegese, ATA 1/2, Münster: Aschendorff 1908, 5ff.; K.Mm/"., Art. Allegorische Dichtererklärung, in: Pauly-W. Suppl. IV. 1924, 16-22; F. Wehdi,
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/I. Die gegenllI. Vergangenheit: Das GottesllIort des AT
Allegorie"'. Erstere findet sich aufgrund von Vorbildern bei Metrodor von Lampsakos.... Theagenes von Rhegium loo • Diogenes von Apollonia lol und DemokritllO vor allem bei den Stoikemlll • Ihr Feld ist vorzugsweise die allegorische Götterdeutung l l l• ihr Stoff die Ilias. Sie ist in der ganzen Spätantike beliebt. Von ihr ist die ethische Allegorie zu unterscheiden. die die Götter nicht als Substanz der Natur und Ordnung der Elemente"'. sondem aL~ Symbole der Tugenden versteht. Dieser Deutung begegnen wir bei den Sophisten.... den KynikemlU• vor allem bei den spätem Stoikern"I und in großer Zahl in den Homerkommentaren der Spätantike. Von der ethischen Allegorie wiederum zu unterscheiden ist die Etymologie. vor allem bei Göttemamen. Ihr begegnen wir u.a. in der StoalU. Im hebräischen Sprachbereich finden wir Allegorien verhältnismäßig seltenUI. Träume können allegorisch gedeutet werden; in der prophetischen Literatur ist die Allegorie bei Ezechiel als Darstellungsform anzutreffen llO• Das Bild von Israel als Weinstock ist Ps. 80. 9ff.• nicht aber Js. 5. Iff. allegorisch durchgeführt ..•. In der Apokalyptik begegnen wir wohl allegorischer Deutung von Visionen .... selten aber allegorischer Deutung von alttestamentlichem Geschichtsstoff.... In QIU1Iran ist die allegorische Auslegung alttestamentlicher Schriftstellen häufiger. Ermöglicht wird sie dadurch. daß einzelne Aussagen der Schrift in den inhaltlichen Zusammenhang. der durch die Auslegung gegeben ist. nicht hineinpassen. Immerhin ist bemerkenswert. daß allegorische Auslegung in der Sektenschrift und in den Pesarim noch relativ selten. erst in der Damaskusschrift ziemlich häufig ist..•• Diss. pss.; E.stein. Die allegorische Exegese des Philo aus Alexandreia. BZA W 51. Gießen: Töpelmann 1929. 2-6; Heinemann. Mnemosyne 4/2 (1949) 5-18; F. Maass. Von den Ursprüngen rabbinischer Schriftauslegung. ZThK 52 (1955) 129-161. dort 144ff.; Lampe. in: Lampe-Woollcombe (0. A. 56).50-52; R.M.Grant. The Letter and the Spirit, London: SCPK 1957. 3ff.; F.Bllffi~re. Heraclite. allegories d·Homere. Coll. Univers. de Francc. Paris: Belles Lettres 1962. XXIX-XXXIX; weitere Ut. bei N. Walter. Der Thoraausleger Aristobulos. TU 86. Berlin: Akademie-Verlag 1%4. 124f. A. 2. I.' K. Müller. Pauly-W. Suppl. IV. 17; vgl. Heracl. Probl. 60. H . ••• Diels 11.49. Nr. 61.3.4.5. 100 Diels I. 51f.• Nr. 8.2 . ••• Diels 11. 53. Nr. 64.8. 11. Diels 11. 132. Nr.68.2. 111 Zeno: v.Arnim I. 43. Nr. 167-170; Cleanthes: v.Amim I. 123 Nr. 540f.543; Chrysipp: v.Arnim 11. 312ff. Nr. 1062-1100. bes. 1076f. 1lI Vgl. Plat. Resp. II 378d; Aristot. Eth. Nic. IV. 8.6 (= p. 1124b). Die Ilias gibt vorzugsweise Stoff für die physikalische. die Odyssee für die ethische Allegorie. 118 Metrodor von Lampsakos bei Diels 11 49 Nr. 61.3. m Vgl. Xenoph. Mem. 11. 1.21-34 (Herakles am Scheidewege). 111 Vor allem Antisthenes. vgl. F. Wehrli. Diss. 67-72. 111 Besonders Comutus ist wichtig. vgl. Stein. Allegorische Exegese 4f. 117 Z. B. bei Cleanthes (v.A~nim I. 121. Nr. 535). 118 Es fehlt ein hebräisches Aquivalent für ..allegoria". Sie wird unter die Gattung ..rnaschal" subsumiert. vgl. Bonsirven. Exegese 208; Heinemann. Allegoristik 14-22. 111 Vgl. z.B. Ez.16.17.19.23.31.34. ... O. Kaiser. Der Prophet Jesaia. ATD 17. Göttingen: Vandenhoeck 1960, 44. Vgl. auch Hos. 10.1; Jer. 2.21. 111 Da. 2.4.7.8; äth. Hen. 85-90; 4. Esr. 9, 38-10, 49; 11,1-12.34. ... 4. Esr. 6.8-10. Vgl. femer das vermutlich allegorische Reden des 4. Esr. von Babel = Rom (3.2.28ff., dazu vgl. Apk. 14,8; 18,2ff.; Sib. 5.143; 1. Pt. 5.13). 1I11QpHab. 12.3f.; 4qpNah. 3,9; CDC. 6,4.7f.; 7,14ff.; vgl. 14.14ff. und 1QS. 8.14f. CDC. ist vermutlich ein relativ junges Dokument. vgl. Betz, Offenbarung 35; Hanson, Allegory 19ff.
2. Hermeneutis,he Bewegungen und Ges,hi&htJlJerständnis
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Auch bei den Rabbi"e" findet sich allegorische Auslegung"'. Sie unterscheidet sich aber von dC1:jenigen des hellenistischen Judentums (s. u.), indem sie sich 1. oftmals auf ge.,chichtliche Sachverhalte, wie die Tora, den Exodus bezieht'" oder auch zur Verschlüsselung der Weltgeschichte dient""; 2. indem sie sich ungleich stärker als die hellenistisch-jüdische Allegorese von den sich im A. T. findenden Allegorien leiten läßt'" und 3. indem im allgemeinen nicht ein geschlossenes allegorisches System aufgerichtet wird, sondern die einzelnen Regeln der Auslegung isoliert angewendet werden"'. Verbreitet ist die Allegorese im hellmislisthen Judenlfllll. Natürlich steht hier Philo im Vordergrund des Interesses llt , doch stoßen wir auch in andem Schriften vor ihm auf Allegorien (4. Makk...·, Sap .... , Ep. Ar ...., Aristobul'" sowie bei den Therapeuten"'). Wieviel von der phiionischen Allegorie auf den Autor selbst und wieviel auf ältere Traditionen zurückgeht, ist umstritten'" und kann hier unerörtert bleiben. Die hellenistisch-jüdische Allegorese steht der stoischen jedenfalls
1.. Heinemann, Allegoristik 25ff.; Bonsirven, Exegese 210ff.; Starfelt, Studier 65-68; Hanson, Allegory bes. 23ff. (Lit. 23f.); vgl. auch Str.-B. III, 388ff. . .5 Bonsirven, Exegese 219ff. Zahlreich sind gerade auch die Belege, wo eine an sich geschkhtslose Schriftstelle allegorisch auf eine bestimmte historische Situation gedeutet \1O"'1lrde, vgl. Glatzer, Untersuchungen 46.50--55; auch die Auslegung des Hohen Liedes zeigt dies, vgl. u. A. 128. V gl. auch die o. A. 18 gegebenen Verweise . . .8 Belege bei Bonsirven, Exegese 239f., vgl. die apokalyptischen Belege o. A. 121. m Heinemann, Allegoristik 25ff. ..8 Eine Ausnahme bildet die Auslegung des Hohen Liedes, vgl. Heinemann, Allegoristik 6Off.; Bonsirve~, Exegese 215ff.; Glatzer, Untersuchungen 55ff. 110 Literatur: Siegfried, Philo pss.; Heinisch, Einfluß Philos 14ff.; 42ff.; W. Botunl, Jüdisch-christlicher Schulbetrieb in Alexandria und Rom, FRLANT 23 (= NF 6), Göttingen.: Vandenhoeck 1915, 8-154; Stein, Allegorische Exegese pss.; Grant, Letter and Spirit 33ff.; Hanson, Allegory 39ff. 45ff.; Georgi, Gegner 17411'.; Sowers, Hermeneutics 19ff.; Walter, Aristobulos 141ff., dort weitere Lit. zu Philo 141 A.1. ISO Vgl. Heinisch, Einfluß Philos 26f.; dagegen aber wohl zu Recht Goppelt, Typos 65. 131 Intere~sant sind 18,24 (Gewand des Hohenpriesters): 16,6f. (Schlange als Symbol der Rettung). Diese Stellen zeigen deutlich das Entstehen der Allegorie, auch wenn sie noch nicht eigentlich allegorisch sind, gegen Heinisch, Einfluß Philos 24f. 1•• 128-171, vgl. Heinisch, Einfluß Philos 23; Stein, Allegorische Exegese 11f.; Goppelt, Typos 64f.; Ranson, Allegory 43ff. ... Pss., ·vgl. Stein, Allegorische Exegese 7-11; Georgi, Gegner 172ff.; Waltet, Aristobulos, bes. 124ff.; H.Hegerma"", Das hellenistische Judentum, in: Umwelt des Urchristentums I, herausg. v. J. Leipoldt und W.Grundmann, Ber1in: EVA 1965, 292-345, dort 325f• ... Philo. Vit. Cont. 28f.78f., vgl. Georgi, Gegner 175ff. Zu Josephus: Vgl. Ant. 1, 18ff.; Heinisch, Einfluß Philos 28; Georgi, Gegner 173. m Die Frage ist im wesentlichen auch heute noch durch Boussetl These (Schulbetrieb 153), das bei Philo vorliegende traditionelle Material sei das "Werk des jüdisch-exegetischen Schulbetriebes von Alexandria", bestimmt. Doch scheinen sich die Boussetschen Kriterien für die Quellenscheidung bei Philo nicht zu bewähren, vgl. Stein, Allegorische Exegese 19f.; C.Colpe, Art. Philo, RGG" V, 341-346, dort 342. Wenn auch die Tatsache der Benutzung von Traditionen unbestritten ist, so läßt sich Genaueres bis jetzt nur bei den philonischen Etymologien feststellen, die z. T. auf der hebräischen Sprache beruhen, deren Philo wohl nicht mächtig war, vgl. Stein aaO 20ff. Zum Verhältnis Philos ZQ Aristobul vgl. Waltet, Aristobulos 148f.
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Il. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
näher als der rabbinischen''': Hier wie dort wird ein Dokument der Vergangenheit für das Leben der Gegenwart fruchtbar gemacht, hier wie dort liegt eine apologetische und pädagogische Grundtendenz vor, hier wie dort verhüllen die alten Erzählungen allgemeingültige, ethische Wahrheiten.
Im Neuen Testament finden wir Beispiele für allegorische Schriftauslegung fast nur bei Paulus, und auch dort selten. Sie haben mit der rabbinischen Allegorie gemeinsam, daß sie auf eine geschichtliche Situation und nicht auf eine allgemeingültige Wahrheit bezogen sind. Im Untemhied zur rabbinischen Allegorie bezieht sich aber die paulinische Allegorie meist auf Chrisful oder die durch ihn eröffnete Gegenwart137• Man darf also sagen, daß zwar der Allegorie als hermeneutischer Bewegung an sich eher eine ungeschichtliche Denkweise zugrundeliegt, ja, daß die Allegorie oft sogar selbst die Entgeschichtlichung des Textes vollzieht, daß aber die paulinische Allegorie wie die jüdische auch von der Theologie her in ganz ungriechischer Weise umgeformt worden ist. 3. Die Aufnahme alttestamentlicher Erzählungen in R. 9-11
A. Vätertraditionen (R. 9, 6-13) Wir gehen aus vom Zitat R. 9, 7: "In Isaak wird dir Same berufen werden". Zunächst einige äußerliche Beobachtungen. Das Zitat ist von Paulus ausdrücklich als solches gefaßt: Es paßt nur schlecht in die Satzkonstruktion. Dem Leser muß durch das Zitat sogleich die ganze Szene von Gn. 18f. vor Augen treten, sonst ist ihm der Gedankengang nicht verständlich. Paulus knüpft wohl an ein bereits traditionelles Beispiel an. Seine nächste jüdische Parallele findet sein Gedankengang in der erwählungsgeschichtlichen Aufzählung 4. Esr. 3, 13-16138 ; Hier finden wir unter einer ähnlichen Fragestellung: Ist Gott seiner Schöpfung nicht untreu geworden? und in einer durch den Fall Adams geprägten Schau der Vergangenheit139 1. die Erwählung AbraZur Abgrenzung vgI. Stein, Allegorische Exegese 49f. A. 1. u. 1. K. 10,4 (gerade an der christologischen StelleI); 2. K. 3,14ff. (~\)Il!UtI); GI. 4,21ff. (vgI. o. A. 81); 1. K. 9,9 (vgI. u. II 6 A c) ist halakisch. 1. K. 5,6-8 könnte auch als implizite Typologie verstanden werden, vgl. o. S. 57. 118 Hb. 11,17.19 finden wir in einem traditionellen Stück (vgl. o. A. 26) ähnliche Aussagen, vgt R. 4,17 und Michel, Hebr. 402f. Die Verbindung von Abrahamsopfer und Glauben an die Totenauferweckung (vgI. Pirqe R. EI. 31 bei Str.-B. IlI, 746) ist vielleicht, diejenige von Abraham und Verheißung (vgI. u. A. 151.153) sicher schon traditionell-jüdisch. Pis. knüpft wohl an ein bereits traditionelles Beispiel an; von ihm selbst dürfte V. 7a (vgl. u. A. 143), die Antithese, "sarx" "epaggelia" (vgl. GI. 4,23) nnd die Verbindung der beiden Zitate in V. 7 und 9 durch V. 9a (zu "logos" vgl. R. 9,6: 13.9; GI. 5,14) stammen. VgI. auch u. A. 171. , .. Vgl. dazu u. S. 194ff. ISI
3. Die AIIJnahme alttestamentlicher Erzählrmgen in R. 9-11
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harns, 2. die Etwählung Jakobs vor Esau und 3. das Stichwort "Same". In diesen Traditionen apokalyptischer Erwählungsgeschichte wird Paul\ls hier stehen140, und sie arbeitet er in V. 8 durch die ihm eigene Antithese "Fleisch-Verheißung" (statt apokalyptisch: Gottlosigkeit - Etwählung) von einem Urteil über vergangene Geschichte zu einem prinzipiellen Sachverhalt um. Das Schriftzitat ist völlig in den Gedankengang hineingenommen. Es allein bildet die Antithese zur Feststellung von V. 7a: Nicht infolge ihrer leiblichen Abstammung sind die Israeliten schon "Kinder" Abrahams. Im Zitat ist wohl das Wort xocMro von Paulus pointiert verstanden, wie schon 8, 30 und wiederum 9, 24ff.; dort wird sogar das Zitat Hos. 2, 25 durch dieses göttliche )(ClAEro verdeutllchtUl• Man wird also kaum interpretieren dürfen: In Isaak wird dir Same (genannt) sein, sondern: in Isaak wird dir (von Gott) Sarne berufen werden142• Nur so ist auch die Antithese zu V. 7a verständlich, denn hinsichtlich seiner Abstammung unterscheidet sich Isaak ja nicht von seinem B1"Uder. Das Zitat wirkt im folgenden Text nach: Während V.7a "sperma" sich auf die physische Abstammung bezieht und "teknon" die Stellung vor dem Vater ausdruckt, bezeichnet V. 8 unter dem Einfluß des Zitates "sperma" den Rang der Sohnschaft, der "zugerechnet" wird, während "teknon" neutralisiert wird143, so daß Paulus sogar von "Kindern des Fleisches" sprechen kann. In GI. 3, 16 ist der Begriff "sperma" von Paulus auf Christus gedeutet. Paulus kann also eine Schriftstelle ie nach Kontext verschieden deuten. 140 Vgl. u. A. 171, A. 193 und A. III 171. Die erwählungsgeschichtliche Aufzählung in 4. Esr. 3 ist wohl Tradition, die vom Verfasser aufgenommen und akzentuiert (V. 1!.20-22.28ff.) wurde. Die Verbindung zur Adamtradition mag schon älter sein IIIs 4. Esra. Die Aufzählung erinnert an das deuteronomistische Geschichtsschema etwa des Richterbuches, das dann universalgeschichtlich ausgeweitet wurde, vgl. u. IV 1. Dieses Stück erwählungsgeschichtlicher Tradition, das seinen Skopus im Gegensatz zwischen menschlicher Sünde und göttlichem Handeln (vgl. bei Pis. u. III 7, Nr. 8) hat, wurde dann vom Vf. des 4. Esr. zur Darstellung seines Problems ("das böse Herz, Verhängnis der Sünde") benutzt, dem er dann in den Reden des Engels seine eigene Theologie entgegenzustellen versucht. 141 Kcx>lc:r(j) V. 25a dürfte absichtliche Veränderung des Zitates durch Pis. unter dem Einfluß von V. 24 sein (so A.Clemen, Gebrauch 170), nicht Zitat aus einer Volksbibel (gegen E.Böhl, Die alttestamentlichen Zitate im Neuen Testament, Wien: Braumüller 1878, 173f.). 141 VgL K.L.Sfh",idt, Art. xo:M6) Kor).., ThW Ill, 488-539, dort 489,24f.; F. W. Maier, Ist'ael in der Heilsgeschichte 21. C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 28 versteht "kaleö" als Schöpferwort Gottes. 111 Der Sprachgebrauch von V. 7a ist paulinisch. "Sperma" in übertragener Bedeutung bezeichnet die volksmäßige Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft eines Heilsempfängers und damit zum Heilsvolk, vgl. die rabbinischen Parr. bei S. Sandmel, Philo's Place in Judaism; a Study ofConceptions of Abraham in Jewish Litteraturc:, Cincinnati: Hebrew Union College Press 1956. 93f. Einzige Ausnahme ist Gl. 3,29, wo aber das "sperma" = Christus vermittelt (3,16). Auch V. 8b bleibt Pis. durch die Bezeichnung der Kinder der Verheißung formal innerhalb des Gottesvolksgedankens, der aber sachlich gesprengt wird, vgL dazu u. A. W 176.
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II. Die gegen/li. Vergangenheit: Das Golleswort des AT
Für die Auslegung unseres Schriftwortes durch Paulus sind zwei Beobachtungen maßgebend: 1. Das Schriftwort bildet die Antithese zu dem Satz: Nicht schon darum, weil sie physisch von ihm abstammen, sind bereits alle (Abrahams) Kinder. fI«v-r€e; bezieht sich nun keineswegs allein auf die leiblichen Abrahamsöhne ; es geht vielmehr um die Frage nach Israel. Entsprechend ist auch die Erwähnung Isaaks keineswegs ein nur zufällig herausgegriffenes historisches Beispiel, sondern besagt in Antithese zu V.7a mehr. Worin besteht nun die Bedeutung des Rufes an Isaak? 2. Toü-r'll1-rw ist gebräuchliche Formel zur Einleitung einer Exegese144• V. 8 gibt also die Exegese von V. 7. :&tepILot ' A~\~ot<X.IL wird durch -rtxvot 'tije; aotpx6e; aufgenommen, während Isaak als -rtxvov 'tije; ~7totYY€A(ote; verstanden wird14li• Den Beweis hiefür liefert Paulus in V. 9. Erst mit diesem Vers wird der Schriftbeweis schlüssig. Wir werden also nach der Bedeutung des Wortes ~7totn€A(ot zu fragen haben. Exkurs: Zum Begriff ~7totYY€A(otU6 Der Verheißungsbegriff des Rabbinats und des apokalyptischen Spät judentums unterscheiden sich dadurch, daß die Rabbinen auch innergeschichtliche Erfüllungen einzelner Verheißungen bedenken und statuieren"', während die Verheißungen in der Apokalyptik meist erst in der Endzeit zur Erfüllung kommen"". Selbstverständlich ist immer das jüdische Volk, bzw. die Gläubigen Empfänger der Verheißungenut• Oder es kann auch betont werden: Die Verheißungen gelten denen, die da,~ Gesetz haltenuo• So kann im Spät judentum gerade derselbe Abraham, der der Inbegriff der Gesetzesfrommen ist, zum Verheißungsträger par excellence werden. Zur Zeit Abrahams wurde die Verheißung des künftigen Lebens gepAanztlll • über ihn hat der Todesengel keine MachtUl• Abraham ist der Erbe der Welt, ihm ist Nachkommenschaft und der Bund verheißen"·• .., Vgl. dazu D. WinJfuhr, Der Apostel Paulus als Haggadist, ZAW 44 (1926) 327-330, bes. 328; Bonsirven, Exegese 42; Thyen, Stil 81 ; Michel, Röm. 257 A. 2 • ... Zu diesem Gegensatz vgl. E.Srh",ei!(.er, Art. alipl; E., ThW VII, 123-145, dort 126,16ff• .., V gl. auch o. II 2 Ba. Zur Literatur:]. Srhnie",inJ-G. FrieJrirh,Art. ~7t'~ne).).c,)x't").., ThW II, 573-583, bes. 578-580; Baumgärtel, Verheißung 5-13; C. Diet!(.felbinger, Paulus und das Alte Testament, ThEx 95, München: Kaiser 1961, 7-12; Zimmerli, Verheißung, Probleme 69ff.; K.Prümm, Diakonia Pneumatos 11/1, Rom: Herder 1960,204-208 (ziemlich unbrauchbar); G. Sallter, Zukunft und Verheißung, Zürich: Zwingli 1965,42-50. Eine Behandlung des Begriffs in Bultmanns Theologie fehlt. 117 Belege bei Str.-B. III, 207f.; 212ff. ..I Natürlich kann es auch im Rabbinismus Verheißungen für das Eschaton geben, vgl. Schniewind-Friedrich, ThW 11, 577,2ff., aber in den apokalyptischen Schriften ist das fast durchwegs der Fall, vgl. dies., aaO 576,35ff., außer den dort genannten Belegen noch 4. Esr. 8,59; s. Bar. 78,7; 83, 4ff.; Ps. Sal. 11,8; 12,6, anders m. E. nur (historisierend I) Test. Jos. 20,1. "" Vgl.z.B.Sap.12,21 ;Ps.Sal. 7, 10; 12,6;17,5 und die u.A. 150 gegebenen Be1ege. 110 S. Bar. 46,6; 51,2f.; 57,2; 59,2, vgl. 2. Makk.2,17f. und Str.-B. III, 204ff. 111 Zu Abrahams Gesetzesgehorsam vgl. u. S. 178 Nr. 1.2, ferner s. Bar. 57,2. 111 Str.-B. I, 755. 111 Str.-B. III, 209.
J. Die All/nahm, allleJlament!i,her Erzählll1lgen in R. 9-11
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Diesen spät jüdischen Sprachgebrauch treffen wir auch im Urchristentum noch an. Der Begriff "epaggelia" findet sich sporadisch; zu größerer Verbreitung ist er außer bei Paulus nur im Hebräerbrief, im lukanischen und im deuteropaulinischen Schrifttum gelangt. Gelegentlich - wie im Judentum - ist er mit Abraham verbunden"'. Nirgends ist er mit solcher theologischer Prägnanz gebraucht wie bei Paulus, auch wenn sich gelegentlich Ansätze zu einem für einzelne Schriftsteller typischen Gebrauch finden us . . In den paulinischen Briefen kommt der Begriff zunächst in den Abrahamtraditi0nen gehäuft vor (R. 4 und GI. 3). Dem Abraham wurde die Verheissung gegeben (R. 4, 13; GI. 3, 16). Ihr Inhalt ist die Erbschaft der Welt (R. 4, 13), die Geburt Isaaks (R. 4, 20; 9, 8). Die Verheißungen sind das Privileg der Israeliten (R. 9, 4, vgl. 15, 8). Jedenfalls denkt das Wort an den göttlichen Gnadenzuspruch, der den Vätern im alten Bund widerfahren ist. So wird auch R. 9, 9 ein bestimmter, geschichtlicher Logos als "Wort der Verheissung" bestimmt. Der Begriff steht also auch bei Paulus durchaus innerhalb des spät jüdischen Sprachgebrauchs.
Dennoch zeigt sich bei Paulus gegenüber dem Spätjudentum eine Fortbildung und Präzisierung des Begriffs, die eine bewußte theologische Arbeit verrät. 1. Wie die Apokalyptik, so ist auch Paulus an der innergeschichtlichen Erfüllung der Verheißung in der Geschichte des alten Gottesvolkes nicht interessiert. Paulus denkt vielmehr allein an ihre Wahrheit in Christus. Überhaupt ist der Gedanke der Erjülltl1lg der Verheißungen bei Paulu.s nie ausgesprochen n8, obwohl natürlich nicht grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr kann Paulus sagen: In Christus!lI? ist das Ja gegenüber und zu allen Verheißungen (2. K. 1,20), und das heißt: Christus ist ihre Gewißheit, ihre Wahrheit, ihre Aufnahme, ihre Einheit168 • So entspricht "Verheißung" dem "Glauben" (R. 4, 20; GI. 3, ... Vgl. Ag. 7,17; Hb. 6,15; 7,6; 11,9.13.17. tU Bei Lk. wird oft der heilige Geist als Inhalt der Verheißung bezeichnet (vgl. Lk.24,49; Ag.l,4; 2,33.39). Der Eph. wahrt den Bezug auf die alttestamentlichen Verheißungen (2,12; 3,6), dagegen scheint in den Pastoralbriefen das Wort nur noch die in Jesus Christus bzw. der EÖa~~ELII. gegebenen Heilszusagen zu meinen (1. Tm.4,8; 2. Tm.l,t). Im 2. Pt. meint "epaggelia" die Parusieankündigung Jesu. Zum Hb., wo sich am ehesten ein theologisch prägnanter Sprachgebrauch aufzeigen läßt, vgl. Luz, EvTh 27 (1967),334 A. 60. lO. Nicht nur R. 15,8, sondern auch 2. K.l,21 taucht das Stichwort (:IEßII.L6c,) auf, vgl. R. 4,16. Das Gegenteil wäre XII.'TOCP'Y~: R. 4,14; GL 3,17. ZU ~E~II.L6(1) vgl. H.Schiier, Art. f3ef3ocL~ X'TA., ThW I, 600-603, dort 602,22ff.; Thüsing, Per Christum 44 A. 130. Der Gesichtspunkt der "Wahrheit Gottes" findetsieh R.15,8. Natürlich zeigt sich gerade R. 15,7ff. die Wahrheit der Verheißung an ihrer Erf'lillung, doch bleibt auffällig, daß sich bei Pis. ein Hinweis auf die Erfüllung der Verheißungen ebenso wenig findet wie einer auf die Erfüllung der Schrift, vgl. o. A. 51. Nur vOn der Erfüllung des Gesetzes (durch Tunl) ist die Rede. Dadurch wird die Verheißung nie zur erledigten, auf die man zurückblicken könnte, sondern sie bleibt wirksam, gültig, "fest". 117 Gemeint ist: im verkündigten Christus (2.K.l,19), d.h. in der Predigt von seinem Tod und Auferstehen, vgl. F.Neugebauer, In Christus, Berlin: EVA 1961,82f. ... V. 20a stellt Plural und Singular betont gegeneinander.
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11. Die gegefllll. Vergaflgeflheit: Das GotteSllIort des AT
14), schließt das "Gesetz" aus (R.4, 13; GI. 3, 18. 21). Ja, sie wird "aus dem Glauben an Jesus Christus" gegeben (GI. 3, 22). 2. Auch am jeweiligen Inhalt der alttestamentlichen Verheißungen ist Paulus wenig interessiert. Er muß nicht wie das rabbinische Judentum den einzelnen Verheißungen Gottes nachgehen und ihre Erfüllung bedenken, sondern es genügt ihm, an einem, konkreten Modell jenes Prae zu zeigen, das in der Verheißung Gott gegenüber der Geschichte, paulinisch gesprochen: die Gerechtigkeit Gottes gegenüber allen Gesetzeswerken immer schon hat und das im Glauben sichtbar wird. Das zeigt sich an der Tendenz zur Beschränkung auf das Modell Abraham und an der gegenüber dem Judentum neuen Neigung zum Gebrauch des Singularsl69 • 3. Im Zusammenhang mit der "epaggelia" denkt Paulus theozentrischl80 • Das Ja und das Amen der Gemeinde geschieht zur Verherrlichung Gottes (2. K. 1, 20, vgl. R. 15,7.9). Auch R. 9, 4 mündet in eine Verherrlichung Gottes aus. Die Treue Gottes gerade in seiner unerwartbaren Gnade ist die heimliche Mitte von R.4. "Epaggelia" wird von Paulus immer streng als Tatwort Gottes verstanden, das vom Menschen nur geglaubt, nicht aber verfügbar gemacht werden kann. Deshalb ist Verheißung auch dem vom Menschen usurpierbaren Gesetz sachlich (und auch chronologisch) vorgeordnetl6l • 4. Charakteristisch ist für "epaggelia" im paulinischen Sprachgebrauch ein eigentümliches Schwanken in verschiedenen Dimensionen. Einerseits ist sie "existenzgrundend und -tragend" für ihre "Kinder", die aus ihr lebenl82 • Andererseits aber bleibt sie freie Tat Gottes und Von der "Vorstellung einer einheidichen Gottesgeschichte, die ... unter dem Begriff eines ••• ~It'Otyy~llEa&Otl steht" (Schniewind-Friedrich, ThW 1I,575,24f.), wird man kaum sprechen können. An "epaggelia" ist für Paulus in der Tat wichtig, daß sie Gottesgc:schichte und nicht Menschengeschichte bezeichnet, vgl. die Antithese GI. 4,23 (dazu E.SchJlJeiZer, Die ,Mystik' des Sterbens und Auferstehens mit Christus bei Paulus, EvTh 26 (1966) 239-257, dort 253 und A. 59). Wichtig ist Paulus das "Daß" des der menschlichen Sünde vorlaufenden Gnadenhandelns Gottes, nicht eine daraus resultierende "einheidiche" Geschichts"vorstellung". Daß "epaggelia" gerade nicht eine Geschichtsepoche konstituiert, es sei denn die Zeit Christi und der Seinen, wird u. S. 184ff. gezeigt. 10. Vgl. u. A. 11 461 und die dort gegebenen Verweise. U1 Zu R. 4 und zu GI. 3 vgl. u. III 4 D; zum Verhältnis der chronologischen zu den sachlichen Aussagen u. A. III 154. 111 BaumgärteI, Verheißung 7. Man könnte fast versucht sein, "epaggelia" formal als "Existential" zu bezeichnen. Vgl. M. Heielegger, Sein und Zeit, 8. Aufl. Tübingen: Niemeyer 1957, 12: "Die Frage nach dieser (sc. der Durchsichtigkeit der ontologischen Strukturen der Existenz) zielt auf die Auseinanderlegung dessen, was Existenz kORrtiluierl (Kursiv von mir). Den Zusammenhang dieser Strukturen nennen wir die Existentialität". Es ist zu beachten, daß in dieser Fassung des Begriffs Existential die von vielen Gegnern der nachmaligen existentialen Interpretation beklagte Individualisierung und Reduktion auf bloße Anthropologie nicht gegeben ist. V gl. auch o. Ein!. A. 27 und die dort gegebenen Verweise, sowie u. S. 215f. Zur sprachlichen Struktur des pln. Geschichtsdenkens vgl. auch o. Ein!. A.7. U'
3. Die Auf"ahme alttestamentlicher Erzählllllge" i" R. 9-11
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hat als solche ihre bestimmte Zeit in der Geschichte. Zugleich aber ist "Verheißung" Sprachgeschehen, d.h. den Empfängern immer wieder als Wort zugesagte Tat Gottes. Versuchc::n wir nun, den Begriff "epagge1ia" für die Frage nach der Auslegung von Gn. 21, 12 durch Paulus in R. 9, 8f. fruchtbar zu machen. Welche Auslegungsart liegt in unserm Zitat vor? Allegorische Auslegung kann es nicht sein, denn die geschichtliche Wirklichkeit des Wortsinnes bleibt nicht nur erhalten, sondern ist geradezu konstitutiv. Eine Beispielaufführung im eigentlichen Sinn liegt auch nicht vor, obschon es formal zunächst so zu sein scheint: V.7 wäre ein historisches Beispiel und V. 8 die daraus zu erschließende allgemeine Wahrheit16s• Aber diese Wahrheit erweist sich erst am Beispiel und bleibt - wie die Verheißung an ihr Ergehen in der Geschichte - daran gebunden. Der Annahme von Typologie scheint zu widerraten, daß eine Gegenüberstellung fehlt 18'. Am ehesten könnte der Gottesvolkgedanke hinter unserer Stelle stehen, aber der Volksgedanke wird dadurch, daß Gottes Handeln in der Verheißung die einzige Kontinuität ist, auf die man sich gerade nicht "kata sarka" berufen kann, gerade destruiert18&. Denn V. 9b zeigt, daß Paulus bei l.v 'Iaoulx 01. 7) primär an das Individuum'Isaak gedacht hat. Damit scheinen allerdings die Privilegien Israels V. 4 aufgehoben. Israel, das in V. 4 eine sichtbare, völkische Größe war, wird der Vorfindlichkeit enthoben. Aber umgekehrt werden die "Kinder der Verheißung" 01.8) nun auch nicht einfach mit den Christen identifiziert, sondern die soziologische Konkretion des Ausdrucks bleibt unverfügbar. Wir werden sehen, daß so kein Widerspruch zu V. 4 entsteht, sondern eine in diesem Vers bereits implizit enthaltene Aussage klargestellt wird188• Was nun? Charakteristisch ist jedenfalls die direkte Bedeutung der alttestamentlichen Geschichte für die Gegenwart. Die herkömmlichen ... Vgl. aber die schon im Judentum feststellbare Sprengung der Kategorie "Beispiel" o. 11 2 A b. Zu unserer Stelle r.eifen etwa Huby, Röm. 332, vgl. 334.338, früher schon Kühl, Theodizee, Theo. Stud. B. Weiss 64 auf diese Kategorie zurück. Nach Kühl geht es um ein Beibringen von Analogien, um ein falsches Verständnis der Verheißung abzuwehren. 18& Gegen Michel. Paulus und seine Bibel 147.155; Peterson, Kirche aus Juden und Heiden 19f., etwas anders H.J.Sehoepf, Paulus als rabbinischer Exeget, in: Aus frühchristlicher Zeit, Tübingen: Mohr 1950, 221-233, dort 230f. Zur Typologie neigen außerdem alle Exegeten, die, wie Peterson, unsem Abschnitt von vorneherein von Gl. 6,16 her verstehen. 11& Auch in Qumran wird natürlich der Gottesvolkgedanke durch die Separation der Sekte vom Tempel aufgehoben, aber so, daß anstelle des bisherigen Gottesvolkes ein wiederum soziologisch aufweisbarer Rest tritt, der sich auf seine Gesetzeserfüllung beruft. 118 V gl. dazu u. V 2 A.
70
11. Die gegen7ll. Vergll1tgenheit: Das Gottenvort des AT
hermeneutischen Vergegenwärtigungskategorien von Geschichte scheinen nicht zu passen. Das Schriftwort steht direkt im paulinischen Text und wird nicht erst gleichsam hinterher als "Beweis" für eine These beigezogen. Die vergangene Geschichte bZlll. das alttestamentliche Wort ist hier das Interpretierende, mir mittelbar und indirekt at/ch Interpretiertes. Die Geschichte TPird gleichsam in das in Christ1ls geschehene Heil mit hineingenommen und läßt so die Gemeinde die Gegenwart verstehen, in der Gott nicht anders handelt als damals. Zur Interpretation bedient sich Paulus der am Christusgeschehen erst eigentlich gewonnenen Kategorien "sarx" und "epaggelia", so daß man vielleicht sagen könnte, Paulus habe einen geschichtlichen Sachverhalt existential interpretiert. Dabei geht es Paulus hier weder primär um den Einzelmenschen, noch um das Kollektiv, sondern um das Heilshandeln Gottes. Betrachten wir nun die Verse 10-13: Paulus greift wiederum auf die alttestamentliche Geschichte zurück, um an einem weitern Beispiel die Freiheit der göttlichen Erwählung zu zeigen. Rebekka eignet sich besonders gut für das, was Paulus sagen will, hatte sie doch nur von einem Manne Samen und ihre Kinder waren durch keinerlei familiäre Unterschiede verschieden, was man allenfalls bei Isaak und Ismael noch hätte geltend machen können. Die Satzkonstruktion ist verschiedentlich gestört. In die mit V. 10 begonnene Konstruktion ließ sich der Paulus vielleicht erst nachträglich in den Sinn gekommene, das in V. 10 Gesagte noch verstärkende Gedanke von V. lla nicht einbauen, so daß Paulus mit einem Genetivus absolutus neu einsetzte. Dieser ist aber nicht vollständig187, da Paulus sich unterbricht und in V. 11 b den eigentlichen Sinn des Geschehens angibt - ein Hinweis, wie wichtig die Parenthese von 11 b für ihn ist. Mit V. 12b geht die Konstruktion glatt weiter. Formal weist der Aufbau des Abschnittes eine gewisse Parallelität zu V. 6b--9 auf188• V. 6a wäre dann der Titel zum ganzen Abschnitt 6-13181 • Wiederum setzt Paulus bei seinen Lesern Kenntnis der alttestamentlichen Geschichte voraus. Er fügt nur die Einzelheiten an, die ihm um der Pointe willen wichtig sind: den gleichen Gatten, daß keines der beiden Kinder irgend etwas Gutes oder Böses getan habe. Offensichtlich hat er zunächst einfach an die alttestamentliche Erzählung gedacht, nicht an Esau oder Jakob als Repräsentanten zweier Völker170• Indem Paulus die Bibelstelle den Juden entreißt, die sie bisher 1" Es fehlt das Subjekt des Genetivs. 110 Man könnte gliedern in: a) Darstellung der geschichdichen Tatsache (V. 6b-7. 10011a), b) Bedeutsamkeit dieser Tatsache (V. 8. 11-12a) und c) Begründung durch das in die Geschichte hineingesprochene Gotteswort (V. 9. 12b-13). 110 Vgl. o. A. ISO. 170 Gegen Munck, Christus in Israel 34 A. 52, vgl. auch Lagrange, Röm. 231f.; S.Lyo""", De doctrina praedestinationis et reprobationis in Rom. 9, VD 34 (1956)
J. Die ANfnahme alttestamentlicher Erzählllllgen in R. 9-11
71
für sich selbst gebmuchten destruiert er den Gedanken eines sichtbaren und aufweis baren Gottesvolkes. Der Rahmen eines bloßen Beispiels aus der Geschichte scheint aber durch die pointierte Erwähnung: "Isaak unser Vater" gesprengt 01. lOb), das in einer Beispielaufführung kaum mehr als stereotype Floskel wäre. Einer typologischen Auslegung widerrät das Fehlen einer Gegenüberstellung 172• Wir sagten bereits, aus dem Bruch der Satzkonstruktion könne darauf geschlossen werden, daß Paulus dem Einschub V. 11b-12a besondere Wichtigkeit zumesse. Dort liegt offenbar die Interpretation der alttestamentlichen Geschichte, und damuf bezieht sich auch das in 12b und 13 zitierte Gotteswort, das zeigen will, daß der Auswahlvorsatz Gottes bleibe173• Damit stehen wir vor einem ähnlichen Phänomen wie V. 8: der ~ltOtyye:A(Ot dort entspricht ~ XOt~' ~XAO'PIV ltp68-e:atc; in unserm Abschnitt. "Ekloge" ist dasjenige Heilshandeln Gottes, das dem menschlichen Handeln keinen Raum mehr läßt. Auch die christliche Gemeinde der Gegenwart weiß sich in diesem Handeln gegründet (R. 11, 5; 1. Th. 1,4). So trifft im interpretierenden Zwischensatz V. llb-12a die Geschichtserzählung die Gegenwart, weil Gott in seinem Handeln derselbe bleibt, und so vermag die Gemeinde zu erkennen, daß ihre eigene Gegenwart ein Zuvor hat, nämlich das Zuvor des Handehls Gottes, der gemde in seiner freien Auswahl bei seiner Treue bleibt 174• Die Gegenwa-rt vermag von dem in ihr Geschehenen her die Sprache der Vergangenheit zu verstehen; umgekehrt wird die Verl7l ,
193-201. 257-271, dort 195; F.E.Hamillon, The Epistle to the Romans, Philadelphia: Baker 1958, 153f. Dabei verpaßt allerdings Paulus den Sinn der alttestamentlichen Stellen Gn. 25,23 und Mal. 1,2f., die beide kollektiv zu deuten sind. 111 Zur rabbinischen Auslegung vgl. Sn.-B. 111,266 und Gn. r. 63,7. Wenn die Verheißungen Gn.2S,23 an die Bedingung des Gesettesgehorsams geknüpft sind (z. n. Tg. J. I z. St.), so wird dadurch die Selbstsicherung nicht aufgehoben, sondern nur von einer Voraussetzung zur Aufgabe. In charakteristischer Abwandlung treffen wir die Stelle bei Philo: die Weisheit, deren Symbol Jakob ist, und die Tugend hat Gott erwählt (Sobr. 26). Völlig anders werden Esau und Jakob 4. Esr. 6,7·-10 .allegorisch (vgl. o. A. 122) auf die beiden Aeonen gedeutet. Pis. braucht also ein im Judentum wohlbekanntes Beispiel, wobei kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß er es wie 9,7ff. aus der christlichen Gemeindetradition übernommen hat (vgl. o. A. 140). Die Wahl des lakob-Esau-Beispiels lag aber nach R. 9,7ff. vom Geschichtsbild von 4. Bsr. 3,13fT. her verhältnismäßig nahe. Eine formale Analogie zur pln. Gestaltung von R. 9.6-13 sind die in der hellenistischen Synagoge verbreiteten heilsgeschichtlichen überblicke, vgl. Thyen, Stil l11ff., und o. H 2 A b, ein Schema, das Pls. allerdings unter völlig anderm, leichter von 4. Esr. 3,13ff. her zu verstehenden Gesichtspunkt abwandelt. Im N.T. wäre die - wie 4. Esr. 3 (vgl. o. A. 140) und R. 9,6ff. - ebenfalls redaktionell interpretierte Stcphanusrede die nächste Analogie. n. Typologisch deuten u.a. Vollmer, Citate 64; Michel, Paulus und seine Bibel 147; Amsler, Typologie 77. 178 Mblbl offenbar in antithetischer Aufnahme von bm(1n'6) (V. 6), vgl. Lagrange, Röm.230• .. < In Anwendung der Kategorien E./iiIIgels (Das Gesetz zwischen Adam und Christus, ZThK 60 (1963) 4z.::74, dort 4Sff. zu R. 5,12ff.) ließe sich sagen: Gottes
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II. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
gangenheit zur Verstehen schenkenden Anrede an die Gegenwart.
Kurz: die Vergangenheit ist Dimension der Verkündigung an die Gege1lTJlart. Daß an unserer Stelle-wie auch 9,7.15.17; 11, 4-ein Gottesspruch die Mitte der Episode aus der Vergangenheit ausmacht, ist bedeutsam. Mit unserm Text stehen wir vor der Frage nach der Prädestination. Die Parallelität der Abschnitte R. 9, 7-9 und 9, 10-13 weist auf die sachliche Nähe zwischen ~7tOC'YYe:A(OC und Yj XOC"C' ~xAOyYjV 7tp6&e:atc;. Der plötzliche Einbruch von Rechtfertigungsterminologie (oöx ~~ Ipywv, ~AA' ~x "COÜ XOCAOÜV"COC;) in das prädestinatianische Sprachmaterial gibt uns einen Hinweis auf die Nähe zwischen Rechtfertigungsund Prädestinationslehre176• Die Frage nach dem in den prädestinatianischen Aussagen des Paulus zutage tretenden Geschichtsverständnis wird uns im Zusammenhang der paulinischen Prädestinationslehre noch zu beschäftigen haben. Hier sei im Rückblick auf R. 9, 7-9 und· 10-13 nochmals auf einige aus beiden Texten gewonnene Beobachtungen hingewiesen: In beiden Texten ließ sich der Rückgriff auf die Geschichte nicht einer bestimmten hermeneutischen Bewegung zuordnen. Unverkennbar war hingegen eine Tendenz, die Gottesgeschichte der Vergangenheit direkt - also nicht durch explizit gekennzeichnete Typen, Beispiele oder Weissagungen - auf die Gegenwart zu beziehen. An dieser Geschichte ist vor allem das in die Vergangenheit gesprochene Wort Gottes bedeutsam. Von diesem Worte her schlägt die Beleuchtung der Vergangenheit durch es um in eine Beleuchtung der Gegenwart. Von da her kann die Vergangenheit nicht als dunkler, alter Aeon gesehen werden, ist sie doch durch das Handeln Gottes erhellt, so daß sie ihrerseits zur Leuchte für die Gegenwart werden kann178 • Einen Hinweis auf ein die ganze Vergangenheit umgreifendes und ihre Verwendung bestimmendes Geschichtsverständnis haben wir bisher nicht gefunden. Vielmehr erfolgte der Rückgriff auf die Vergangenheit bisher als Riickgriff a~f Einzelepisoden, die nur dtlrch das sich selbst treue Handeln Gottes miteinander in Beziehung stehen.
B. Mose- und Pharaoüberlieferrmgen (R. 9, 14-18) In den folgenden Versen hat Paulus Stilelemente aus der Diatribe aufgenommen177 • Möglicherweise kann daraus geschlossen werden, daß Handeln an Esau und Jakob stellt ein "Zuvor", nicht einfach ein beliebiges und wahlloses "Vorher" zur Gegenwart dar. Das Geheimnis, das Gottes Handeln in der Vergangenheit von einem bloßen "Vorher" zum "Zuvor" werden läßt, wäre dann seine geschenkte Treue, auf die sich der Mensch verlassen kann. ... Vgl. Kühl, Röm. 322, u. 82 und u. A. IV 123. no Vgl. dazu u. 11 3 D Nr. 6; 11 5 C Exkurs Nr. 5. I" Vgl. dazu Bultmann, Stil der paulinischen Predigt 6411". pss. und o. A.192.
J. Die Aufnahme alttestamentlicher Erzähltmgen in R. 9-11
73
er solche Themen auch im Gespräch und in der Missionspredigt behandeltel78 • Tl o?iv lpoüILEV; weist auf einen beginnenden Exkurs oder einen neuen Gedankeneinsatz hinl7O • Es folgt der Einwand des Gegners180 : Es ist doch nicht etwa Unrecht bei Gott? Paulus scheint auf eine echte Diskussion gar nicht einzugehen: Darüber kann man gar nicht diskutieren, das kommt nicht in Frage. Warum wird diese Frage von Paulus so scharf abgeschnitten? Ist es nicht so, daß sie ein tiefes und echtes Problem in sich birgt? Was bedeutet «8LXlot für Paulus? Zunächst ht auffilIlig, daß ..adikia" bei Paulus - wie auch sonst im N. T., aber im Gegensatz zum Griechentum, zur LXX und zum JudentumlII - stets im Singular vorkommt. Dieser Befund ist sachlich wie religionsgeschichtlich zu interpretieren• ..Adikia" ist ein Verhalten, das schlechthin dem Menschen im Gegensatz zu Gott eigen istlI'. Genau wie die Gerechtigkeit Gottes unteilbar ist, so läßt sich auch die Ungerechtigkeit des Menschen, die ihr gegenübersteht1", nicht einfach als eine Summe von unrechtmäßigen Einzelhandlungen verstehen und damit auf sie begrenzen. Vielmehr ist die Ungerechtigkeit des Menschen eine totalelU, die immer nur Gottes Zorn erwarten kann eR. 1, 18). So kann ..adikia" sogar zur Macht werden, die über den Menschen, dessen Tat sie ist, herrscht und über sein Gottesverhältnis bestimmt (R. 2, 8; 6, 13)181. Daß Unrecht immer ein solches gegenüber Gott ist, weist zurück auf das Alte Testament, wo jedes Recht von Gott gesetztes Recht ist. In der Apokalyptik nimmt ..adikia" einen neuen Sinn an: .. Die ganze der messianischen Letztoffenbarung v"rangehende Zeit wird angesehen als Zeit der Ungerechtigkeit""t. Die Aeonenwende aber beseitigt die Ungerechtigkeit (äth. Hen. 91, 8; 93, 10; Ps. Sal. ". Bultmann, Stil der paulinischen Predigt 72. Da in den von H. C"nt.l",attn, Paulus und die Weisheit, NTS 12 (1965/66) 231-244, dort 235ff., einer Schule zugewiesenen Texten dialogische Elemente weitgehend fehlen, legt sich dies umso mehr nahe. 110 Vgl. U. A. IIl146. 110 Vgl. Bultmann, Stil der paulinischen Predigt 67. Pis. formuliert den Einwand wohl mit eigenen Worten. Daß ein solcher Einwand von jüdischer Seite an sich denkbar ist, zeigt Tg. J. I zu Ex. 33,19: Gott handelt nach dem Verdienst des Menschen. Eine Tg. J. I entgegengesetzte Interpretation dieser Stelle gibt Ex. r. 45 (10ta) = Str.-B. 111,268 und Tanch. 3b = Str.-B.I V, 489. Vermutlich ist aber der Einwand nicht ein solcher, den Pis. von seinen Adressaten wirklich erwartete, sondern ein fiktiver, einem abwesenden jüdischen Gesprächspartner zugedachter, vgl. u. A. 111147. 181 Vgl. die von G.S,h,.enk, Art. 43LKO,. KT).., TbW 1,150-163, dort 153,12/1'. pss, gegebenen Belege. Für die LXX genügt ein Blick auf die bei Hatch-Redpath s.v. zusammengestellten Stellen. Im hellenistischen Judentum werden sehr oft einzelne ·Laster als ..adikia" bezeichnet, vgl. die Stellen bei Schrenk, uO 153,23tr. Für dieApokalyptikvgl. 4. Esr. 12,32; s. Bar. 3,8; Da. 9,139.169.24 LXX. 181 R. 1;18.29; 2,8; 3,5. 11. R. 3,5. Die Gegenüberstellung ist schon traditionell: Test. D. 6,10. tU Beachte die Verbindung mit Tr1i~ KT)..: R. 1,18.29; vgl. auch 2. Th. 2,10. 181 Vgl. zum Machtcharakter von ..adikia" in den Test. XII P.SltlhhnMher, Gerechtigkdt Gottes bei Paulus, FRLANT 87, Göttingen: Vandenhoeck 1965, 170f. 188 Schrenk, TbW I, 155,1Of. Vgl. äth. Hen. 48,7tr.; 91,5tr.; 4. Esr. 5,2; 2. Tb. 2,10.
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II. Die g,egenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
17,27.32). Paulus zeigt kaum mehr Anzeichen der Zuordnung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit auf zwei chronologisch voneinander isolierbare Zeitenm . Unrecht und Gottesgerechtigkeit sind vielmehr zwei - ungleiche - Möglichkeiten, unter denen dem Menschen seine Existenz gegeben werden kann. Das Geschenk der Gerechtigkeit Gottes schließt die Ungerechtigkeit als Herrschaftsmacht über den Menschen aus. Eine Ungerechtigkeit bei Gott würde das Zentrum der paulinischen Christusinterpretation, die Rechtfertigung, erschüttern l88 •
Daß kein Unrecht bei Gott ist. begründet Paulus mit einem Schriftzitat aus Ex. 33, 19. In welchem Sinne kann dieses Zitat sein abwehrendes !A-~ Y~YOL't'O begründen? Drei Möglichkeiten stehen offen: 1. Paulus schlägt den Einwand mit dem Schriftzitat einfach nieder. Seine Aussage würde dann sachlich gar nicht zur Diskussion gestellt, sondern als schriftgemäß erwiesen18D • Ein solches autoritatives Verfahren schlüge aber dem paulinischen Schriftgebrauch, wie er uns sonst bekannt ist, ins Gesicht. Paulus ist kein legalistischer Biblizist. 2. Das Zitat beweist das Handeln Gottes zum Heil und besagt positiv: Gottes Handeln ist Erbarmen. Der vermeintlichen Ungerechtigkeit wird sein schriftbezeugtes Erbarmen gegenübergestellt190• Allein die folgenden Verse zeigen, daß dies keineswegs die alleinige Absicht des Paulus gewesen sein kann. Überdies hätte angesichts von Gottes Haß gegenüber Esau und Gottes Liebe gegenüber Jakob allein die bloße Behauptung: "Gottes Handeln ist Erbarmen" keineswegs überzeugt und vom Leser ein sacrificium intellectus gefordert. 3. Darum wurde von andern Exegeten vorgeschlagen: Gottes Gerechtigkeit besteht in seiner Ungebundenheit, der Freiheit seines HandeIns. "Gott wäre ungerecht, wenn er sich binden ließe"191. Dann läge im Zitat das Gewicht auf dem generellen Relativsatz, der die absolute Freiheit der Wahl Gottes betont. "Indem Gott sein wird, der er ist, ist er auf keinen Fall ungerecht"l92. So richtig aber dieser Satz sein mag, als bloßer 18' Die beiden Zeiten haben sachliche Bedeutung: Nachdem R. 1,18.29; 2,8 Heiden und Juden durch "adikia" gekennzeichnet wurden, setzt R.3,21 mit "nyni de" ein. Vgl. u. A. 248 und u. III 4 A. 18. Ungerechtigkeit bei Gott ist deshalb mehr als Parteilichkeit (vgl. Michel, Röm. 238 und C.Müller, Gottes Gerechtigkeit 85, gegen Schrenk, ThW I, 155, 381f; Gaugier, Röm. II,44). Jedenfalls steht R. 9.141f. die Gerechtigkeit Gottes in Frage, was C.Müller aaO 831f.• bes. 88 klar sieht. Leider fehlt bei P. Stuhlmacher eine Behandlung unseres Abschnittes, obwohl sich gerade von hier aus die Grundthese seines Buches hätte stützen lassen. Stuhlmacher beschränkt sich auf die Stellen, wo IILxcxLoaU"'I &e:oü als (nach Stuhlmacher) fester Ausdruck vorkommt, vgl. auch u. A. III 128. . 181 So Jülicher, Röm. 288; Lagrange, Röm. 232. 110 Vgf. Leenhardt. Röm. 144. 111 Peterson, Kirche aus Juden und Heiden 29. Faktisch aber hat Peterson seinen Ansatz infolge seiner falschen Israelinterpretation (vgl. o. I 2a) nicht durchhalten können, weil er - trotz gegenteiliger Beteuerungen - Gott an die Kirche gebunden hat. 111 Barth, KD 11/2, 241. Vgl. zur selben Stelle M.Lufher, Römerbriefvorlesung, WA 56, 1938, Schol. zu 9,14: "Si enim vellent, quod vult Deus, etiamsi damnaost et reprobatos vellet, non haberent malum" (WA 56,397).
3. Die Au/nahme alttestamentlieher Erzählllflgen in R. 9-11
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Hinweis a\1f das Wesen Gottes vermöchte er auch nicht zu befreien von der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Und für diesen Satz brauchte Paulus den Rückverweis auf das Alte Testament nicht. Wieso greift er atlf das Alte Testament zurück? Zugleich stellt sich uns noch eine weitere Frage: Es geht ja in unserm Zitat nicht nur darum, daß sich Gott des Mose erbarmt, so daß gewissermaßen Mose als heilsgeschichtliches Beispiel für das Erbarmen Gottes genommen werden könnte, wobei dann Pharao das entsprechende Gegenbeispiel wäre. Vielmehr teilt Gott dem Mose einen gleichsam allgemeingültigen Spruch mit. Der Spruch wendet sich im paulinischen Text direkt an die Gegenwart, indem er das Handeln Gottes heute aufzeigt. Dies zeigt V. 16. Bleibt es dann noch belangvoll, daß der Spruch Mose gesagt wurde 19S ? Die Antwort auf heide Fragen kann zusammengefaßt werden. Denn in Ex. 33, 19 ge~t es um die Proklamation von Jahwes Namen: "Ich will den Namen Jahwes vor dir ausrufen: Ich bin goldig, wem ich gnädig sein will und ich erbarme mich, wessen ich mich erbarmen will" (übers. nach Beer-Gallirtg).
Auch die jüdische Exegese hat hier eine Darstellung des Namens Jahwes gesehen184, wahrscheinlich auch Paulus186• Das heißt also: Der Frager wird von Paulus' nicht an irgend einen Gott, sondern an den Gott des Mose, nicht an einen begrifflich umschriebenen, sondern an den Gott der Geschichte des Alten Testaments gewiesen, weg von aller Spekulation an die Öffentlichkeit der biblischen Texte. Nicht abstrakt geht es um die Gottheit Gottes, sondern gerade dadurch, daß es konkret um den Gott der Geschichte des Alten Bundes geht, wird er unserlO Urteil entzogen. Wohl geht es um die Gottheit Gottes, doch diese Gottheit erweist sich in der Geschichte. Nur so bleibt sein Erbarmen unverfügbar und dennoch glaubwürdig. Nicht darum ist also hier der Hinweis auf das Alte Testament erfolgt, um die paulinische These durch fremde Autorität zu verstärken, sondern dieser 111 Leenhardt, Röm. 144, versucht, die Erwähnung des Mose in eine Darstellung der Heilsgeschichte Israels einzubauen, so daß nach den Patriarchen (V. 6-13) nun Mose an die Reihe kirne. Setzt sich diese Reihe evt. sogar mit dem Prophetenzitat (V. 20, eher V. 251f.) fort? Doch hat ja mit V. 14 der Exkurs (s. o. S. 28) mit einem völlig neuen Thema eingesetzt. Zwischen den einzelnen alttestamentlichen Epi.~oden ist keine Verbindung hergestellt. Eine Interpretation der Zitatfolge durch Pis. fehlt. Möglich ist aber, daß Pis. durch jüdische Traditionen der Erwählungsgeschichte (vgL 4. Esr. 3,131f. mit 171f. u. o. A. 138, A. 140 und A. 171) dazu veranlaßt wurde, in seinem prinzipiellen Exkurs nach Abraham und Jakob nun Mose als Beispiel zu wählen. llC Vgl. C.Müller, Gottes Gerechtigkeit 31 A. 25; Michel, Röm. 239 A. 2. 111 So a~~h Gaugier, Röm. 11,46. Vgl. Barth, KD III2, 240ff., und Luther, SchoL
z. R. 9,1.t (= WA 56,397).
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76
ll. Die gegen1ll. Vergangenheit: Das Golles1llort des AT
Hinweis gehört zur Antwort selbst und ist theologisch entscheidend wichtig. Wie schon an andem Stellen1' 8 wird in V. 16 das Ergebnis des Rückgriffs auf biblische Geschichte in einem wie ein Lehrsatz klingenden Satzl '? zusammengefaßt. Formal können wir von einer Verallgemeinerung und demzufolge in V. 15 von einem Beispiel sprechen, obwohl V. 15 im Verhältnis zu V. 14 am ehesten als Beweis zu kennzeichnen wäre. Jedoch ist schon durch die Futura des Zitats die Dimension der Vergangenheit gesprengt, so daß die Schrift unmittelbar zur Gegenwart spricht. V. 16 bringt die Anwendung des Zitates. @~MW und TPExIE:W heißt: seine Geschichte und seine Zeit selbst in die Hand nehmen'''. Durch das Verb ~AIE:ErV wird das Zitat aus Ex. 33,19 direkt aufgenommen. Gemeint ist das vom Christusgeschehen her ermöglichte, endgültige Heilshandeln Gottes.... Es fällt auf, wie häufig Paulus den Stamm 1:'Mo~/~M~CIl in "heilsgeschichtlichem" Kontext verwendet: Das Verb findet sich sieben von insgesamt elf, das Substantiv zwei von insgesamt vier Mal bei Paulus in R. 9-11. Dazu kommt GI. 6, 16 (Israeli), R. 15,9 (Verhältnis Juden-Heiden). Bei Paulus scheint sich eine Verbindung zwischen dem eschatologischen Gebrauch von "eleos" im Zusammenhang mit dem Endgericht vor allem in der Apokalyptik"·· und dem alttestamentlichen Verständnis als Bundesgnade"OI abzuzeichnen. Der spätere kirchliche Sprachgebrauch hat dies nivelliert, woran nicht zuletzt der liturgische Gebrauch des Wortes (vgl. schon 1. Tm. 1,2; 2. Tm. 1, 2; 2. J. 3; J d. 2) schuld ist"·I. Im Gegensatz zum häufigen Gebrauch von "eleos" für menschliches Mitleid im A."."o, und z. T. auch im N. T. (vgl. Mt. 5, 7; 9,13; 12,7; 23, 23; Jk. 2, 13; 3, 17) findet sich dieser Gebrauch bei Paulus nur R. 12, 8. Durch den Gebrauch des Wortes an unserer Stelle will Paulus einerseits die Souveränität
Vgl. auch die o. A. 27 gegebenen Verweise. Michel, Röm. 239, ferner vgl. auch GI. 3,7. 9f. und zum Judentum o. A. 29. ... Vgl. R. 7,18, anders wird &~A(j) Phil. 2,13 bewertet. Das Bild vom Laufen stammt aus der Diatribe und ist bei Pis. häufig, vgl. O. Ballern/eind, Art. TP~y'1I) XTA., Th W VIII, 225-235, dort 232, 4ft ... R.11,3Off.; 15,9; 1. K. 7,25?;2. K.4,l; GI. 6,1, vgl. Tt. 3,5 und die Pan. u. A. 200. Die auffallend häufigen Beteuerungen der Kommentare (z. B. Zahn, Lagrange (S. 235), Barrett, Gaugier, H. W. Schmidt z. St.), es gehe hier ja nicht um ewige Seligkeit oder Verdammnis (z. B. des Pharao), befremden. Entspringt dieses Interesse am Pharao der Sache oder einem, an der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gemessen, unsachlichen Humanismus? Vgl. auch u. S. IV 3 B. I •• Dort wird "eleos" ebenso wie das ihm entgegengesetzte Wort "orge" eschatologisch gefaßt: Gottes Erbarmen wird über die Auserwählten im Gericht wirksam werden, vgl. 4. Esr. 8,31; Ps. Sal. 11,9; 2. Makk. 7,29; Mt. 5,7; 2. Tm. 1,18; Jk. 2, 13. Von diesem Hintergrund her ist der pln. Sprachgebrauch leichter verständlich als vom rabbinischen, wo weder die Beschränkung auf Gott noch auf das eschatologische Heil vorliegt, vgl. Str.-B. III, 268. 1.1 Im A.T. ist "chäsäd" Gottes gnädiges, bundesgemäßes Handeln, vgl. W.Eifhrot/I, Theologie des Alten Testaments I, 5. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1957, 1501f. 101 Vgl. zum Ganzen R. Bul/1IIann, Art. n.EO~ )(TA., ThW II,474-483, dort bes. 480,161f. 101 Vgl. Bultmann, ThW II, 476 A. 34. 37-41; zum Judentum ebd. 478 A. 58-«); bei Philo ebd. 478,211f. 1. .
Je?
3. Die AII/nahme allleJtamentlicher Erzähltmgen in R. 9-11
77
Gottes, dem Erbannen allein zukommt, betonen, andererseits auf die Geschichte Gottes mit seinem Volk weisen, wo Gott seinen Namen immer wieder wahr gemacht hat.
Es schließt wieder ein Doppelvers an, der analog aufgebaut ist: Rekurs auf die Geschichte, allgemeiner, daraus zu ziehender "Lehrsatz". Auch der Einführungssatz zum Schriftzitat ist analog demjenigen zu V. 15 gebaut!". Durch die Veränderungen, die Paulus gegenüber dem LXX-Text vornimmt, wird das aktive, freie Geschichtshandeln Gottes betont!06. Wie hat Paulus das Zitat aufgenommen? Es ist vorgeschlagen worden, typologisch zu deuten. Jedoch stößt eine scharfe Durchführung einer typologischen Bewegung auf Schwierigkeiten, denn es fehlt der Antityp zu Pharao!08. Vielmehr dürfte es am einfachsten sein, den Rückgriff auf die Pharaogeschichte zunächst formal als Beispiel zu fassen!O? Damit ist natürlich noch nichts erklärt, und es gilt jetzt, dieses Beispiel auf das dahinter zutage tretende Geschichtsverständnis abzuhorchen: 1. Wiederum zeigt sich die Nähe und der direkte Bezug des Zitates zur Gegenwart. V. 18 mündet es wieder in einen allgemeingültigen Satz über Gottes Handeln auslOI . Beide Sätze interpretieren sich gegensei-
.0' Die Exegeten haben sich' wohl darüber mehr Gedanken gemacht als Pls. selbst, vgl. z. B. Zahn, Röm. 449. Rabbinische Parallelen bei Bonsirven, Exeg~se 31, hellenistisch-jüdische bei Thyen, Stil 70 A. 54. '0. Das aktive 1:;i)YELPot hat vielleicht Pls. selbst anstelle des passiven IIlft1ltrll&rJ.. (LXX) gesetzt: Ich habe dich in Erscheinung, bzw. auf den Plan der Geschichte treten lassen. Die Anderung erfolgte kaum aufgrund des H. T. (so Zahn, Lagrange z. St.) oder aufgrund des Tg.O. (Böhl, Citate 172), sondern in Anlehnung an allgemein biblischen Sprachgebrauch (vgl. Ri.2, 16; 3,9.15; Hab. 1, 6; Sach. 11, 16; Jer. 27,41 LXX) durch Pis. selbst, vgl. Munck, Christus und Israel 39 A. 69 • •0. Typologisch deuten Michel, Paulus und seine Bibel 147 ; Munck, Christus und Israel 4Of. Letzterer erwägt zwei Möglichkeiten zur Bestimmung des Antitypus: 1. der Antichrist. Doch sieht M. selbst, daß diese Deutung vom Text her nicht möglich ist, denn im paulinischen Text liegt der Gedanke an den Antichristen überhaupt nicht vor, und es fehlen jüdische Belege dafür, daß die Gestalt des Pharao auf den Antichristen gedeutet worden wäre. So bleibt 2. die Deutung auf das Volk Israel, das in seiner Verhärtung die Gemeinde verfolgt und so dem Pharao als Antityp zur Seite gestellt wäre. Von dieser, für Munck bedeutungsvollen (vgl. nur aaO 42-46) Idee von Israel als Verfolger ist aber in R. 9-11 m.E. nichts festzustellen. Pls. geht es nicht um eine Parallele zwischen dem Pharao und Israel einerseits, den Juden und der Kirche andererseits, sondern um das Verhältnis des Pharao zu Gott: Schließlich geht es ja im Zitat gar nicht um Pharao, sondern um Gottes Namen und Macht. Auch das widerrät einer typologischen Ausdeutung der Gestalt des Pharao. '0' Der Streit, ob es an unserer Stelle um die Erwählung von Völkern (so Munck. Christus und Israel 421f. ) oder um den Pharao als Individuum (so z. B. M. Dib,liurW.KiJmmel, Paulus, 2. Aufl. Berlin: de Gruyter 1960, 31) geht, dürfte in letzterem Sinne zu entscheiden sein. '0. I:xA1)p6v(o) in V. 18 wird wohl als Gegensatz zu l).dC» ebenfalls eschatologisch gefaßt vTerden müssen, also nicht als vorübergehende Verhärtung, vgl. K.L.
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II. Die ,gegen",. Vergangenheit: Das Gottes/vort des AT
tig: Von V. 18 aus gesehen erscheint die Pharaogeschichte nicht mehr als bloße historische Reminiszenz, sondern gewinnt Relevanz für die Gegenwart, umgekehrt verhindert V. 17, daß V. 18 zu einer "objektiven" Aussage über das zeitlose Wesen Gottes wird, hält also Gott in seiner Geschichte und damit an seinem Wort fest. 2. Die von Paulus zitierte Stelle Ex. 9, 16 entstammt im Alten Testament dem Raume der sog. Erkenntnisformeln2o,. Dort lenkt Gott die Geschichte, die ihrerseits wiederum zum Erkenntnisgrund Gottes wird. Geschichte in Verbindung mit der Erkenntnisformel ist deshalb immer schon Sprache gewordene Geschichte Zlo• Paulus hat diese alttestamentliche Linie aufgenommen und durch V. 18, vgl. auch V. 22f., verstärkt. Er läßt die Geschichte, wie im Alten Testament, zur direkten Gottespredigt werden. Denn um die Souveränität Gottes als Herrn der Geschichte, der vom Menschen her nicht gebunden werden kann, geht es Paulus hier21l • 3. Auch hier ist wieder das vergangene Gotteswort, das Geschichte machte, für die Gegenwart bedeutsam 212• Vom damals geschehenen Wort Gottes her kann die Geschichte - in sich und ohne Vergegenwärtigung durch ein hermeneutisches Schema - transparent für die Gegenwart werden. Das zeigt sich in unserm Fall daran, daß das Zitat selbst beidemale in seinem Mittelpunkt ein Wort Gottes enthält, das die Geschichte in Bewegung bringt und deutet.
S,hmiJI, Die Verstockung des Menschen durch Gott, ThZ 1 (1945), 1-17, dort bes. 10f. Jedenfalls ist das Schicksal des Pharao hier -nicht weiter bedacht, vgl. o. A. 199. Anders betont et\va S.Lyonnet, Quaestiones in epistulam ad Romanos 11. Rom. 9-11,1956, 200f.: "De darnnatione vel salute Pharaonis non est quaestio", sondern nur von innergeschichtlichen Ereignissen. Auch Beyschlag, Theodizee 431f. reduziert den pln. Gedankengang daraufhin, daß Gott in der Geschichte weltregimentlieh handelt. Mit mehr Recht weist B.II. Dobuhütt, Prädestination, ThStKr 106 (= NF 1) (1934/35) 9-19, dort 12f. daraufhin, daß wegen "apöleia" und "orge" V. 22f. die Verhärtung des Pharao eher eschatologisch zu denken sei. Interessant ist. daß im Judentum Pharao durchaus zu den Geretteten gerechnet werden kann, und zwar aufgrund von "hä'ämadthika" 9, 16 = ich habe dich bestehen lassen. Vgl. etwa R.Nechonja ben Hagana (um 70) bei Str.-B. I,647f., auch Mek. Ex. 14,28 (39b) und Ex. r. 12 (75a) . ••• W.Zimmer/i, Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel, AThANT 27, Zürich: Zwingli 1954,25. 1,. Vgl. die Bemerkungen Zimmerlis, Erkenntnis 441f., zur Verkündigung der Erkenntnisformel, dazu die Verweise o. Einleitung A. 7. 111 Eine Exegese, die nach Gründen für die Verstockung im Leben des Pharao sucht, verfehlt gerade den Skopus der paulinischen Aussage. Die altkirchliche Exegese seit 1. CI. 51,S liefert hiefür eindrückliche Beispiele, vgl. die Belege bei Schelkle, Paulus Lehrer der Väter 34tf. Von der Schuld des Pharao spricht schon der hebr. Text von Sir. 16,15, während die griechische übersetzung eine interessante Parallele zu Pis. darstellt. 111 V gl. u. A. 232. Zum Ganzen vgl. auch die Zusammenfassung u. S. 235f.
3. Die AII/nahme alttestamentlieher Ertählllltgen in R. 9-11
79
Exkurs: Ein Paralleltext in Sap. 11-12 Um die paulinischen Gedanken noch schärfer fassen zu können, gehen wir hier anhangsweise kurz auf den Text ein, der viele bemerkenswerte Parallelen zu R. 9, 14ff. lLufweist: Sap. 11,2-12,22111• Zahlreich sind die gemeinsamen Züge. Der Verfasser von Sap. vergleicht die ägyptischen Plagen mit Gottes Wohltaten an Israel (11,2-19,22). Dabei stößt er auf das Phänomen der Milde Gottes, die die Ägypter (li, 15-12, 2) und die Kanaaniter (12,3-l1a) über Gebühr geschont habe. Die Mildtaten Gottes in der Geschichte aber haben ihren Grund in der göttlichen Kraft (li, 21). Wie bei Paulus steht die Frage nach der göttlichen Gerechtigkeit im Hintergrund. Vg1. etwa Sap. 12, 12: "Denn wer darf sagen: Was hast du getan? Oder wer darf deinem Richterspruch entgegentreten? Wer darf dich verklagen hinsichdich dessen, was du an den verlorenen Völkern getan hast"U? Oder wer darf wider dich auftreten als Verteidiger für ungerechte Menschen?" (übers. K. Siegfried) Wie·bei Paulus stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Gottes Gerechtigkeit und Gottes freier Macht, doch ist Gottes Macht Kriterium seiner Gerechtigkeit, d.h. Gott in seiner Macht ist nicht an formale Gerechtigkeit gebunden und frei zur Milde: "Denn (gerade) deine Stärke (taxU\:) ist Grundlage deiner Gerechtigkeit, und dc:r Umstand, daß du alles beherrschest, bewirkt, daß du alles verschonst" (12,16). Dennoch sind die Unterschiede zu Paulus groß. Schon zu Beginn zeigen sie sicb: Nicht die ungerechte Härte Gottes, sondern die ungerechte Milde ist es, die den Verfasser beschäftigt (11, 15ff.). Das Entsprechungsverhältnis von Schuld und Strafe wird nicht außer Kraft gesetzt, nur gemildert, wie es sich für die göttliche Macht ziemt, vgl. 12, 15. Die Geschichte zeigt, daß die Frevler dann eben doch bestraft wurden (12, 2. 2Of.). Und so kann der Ansatz, Gort dem Maßstab menschlicher Gerechtigkeit zu entziehen, letztlich doch nicht durchgehalten werden: Gottes Gerechtigkeit wird - modifiziert - dem frommen Juden wieder verfügbar. Er kann unter Berufung auf Gott aufgefordert werden, CPV4v&P6)~ zu sein (12,19), in der Gewißheit, daß Gott ihm gegenüber seine Milde gegen die Todschuldigen (12, 20) noch überbieten muß (12, 21). Und das Fazit stößt den Ansatz des Verfassers wieder um: die Milde Gottes erweist sich als nicht letztlich wirksam, die Feinde werden zehntausendfach bestraft (12, 22), es triumphiert - der Mensch, der in der Erziehung durch Gott (12, 22, vgl. 2. Makk. 6, 12ff.) der göttlichen Gerechtigkeit gewiss sein kann• ..8 Zum Verhältnis zwischen Pis. und der Sap. vgl. auch die Verweise u. A. IV 37 ; zu den Beziehungen zwischen Sap. und R. 9, 22f. u. S. 246f. Das Verhältnis von Pis. zur Sap. behandelt E. Graf" Das Verhältnis der paulinischen Schriften zur Sapientia Salomonis, Theo1. Abh. C. v. Weizsäcker, Freiburg : Mohr 1892, 251-286, dort 253ff., bes. 264ff. überblicke über die neuere Literatur bei Puukko, Paulus und das Judentum 41ff.; EUis, Paul's Use 77ff. Auffällig ist, das gerade Sap. weisheitliehe und apokalyptische ZÜ$e trägt, wie dies offenbar in den vorpln.-hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden auch der Fall war, vg1. die Verweise u. A. IV 119. Zu Sap. als weisheidich-apokalyptisches Dokument vgl. auchJ.Fi&hmer, Die Stellun~ der Sapientia in der Literatur- und GeistesgeschiChte ihrer Zeit, ZNW 36 (1937) 113-132, dort 124ff., und ders., Weisheit Salomos, HAT 11(6, Tübingen: Mohr 1938, 8. 21& Vgl. u. A. IV 77 und R. 9, 19f.
80
II. Die gegemv. Vergangenheit: Das Gottenvort des AT
C. Eliatraditionen (R. 11,2-6) Zum dritten Mal greift Paulus zu Beginn des Kapitels 11 auf eine Episode aus der Vergangenheit zurück. Zu Anfang seiner Ausführungen steht eine These: Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat. Diese These ist nach dem vorangegangenen Kapitel überraschend, ja eigentlich kaum glaublich. Vielleicht hat sie darum die Form einer Schriftanspielung mit der Autorität eines Gotteswortes. Der Anspielung auf Ps. 94, 14 fügt Paulus eine Begründung zu: Gott hat sein Volk zuvorerkannt, d.h. erwählt, prädestiniertl16• Um seine in V. 2a behauptete These weiter zu begründen, weist Paulus seine Leser auf die ihnen bekannte Eliageschichte218 als zweiten Anhaltspunkt hin. Formale Beobachtungen weisen darauf hin, daß für Paulus das eigentlich Wichtige im Gottesspruch V.5 liegt217 : 7000 Männer hat sich Gott ausgesondert, die sich nicht der Baalsabgötterei218 gebeugt haben. Die Zahl 7000 darf nicht gepreßt werden, sie weist auf ein in sich geschlossenes Ganzes. Bedeutsam ist für Paulus die erste Person im Zitat: In der Geschichte Israels ist Gott allein aktiver Herr21'. Welche hermeneutische Bewegung hat Paulus mit der Aufnahme dieser Eliatradition vollzogen? Die Frage konkretisiert sich dahin, ob Paulus die Situation des Elia typologisch verstanden habe. Bejaht wird diese Frage von Michel"·, der in den 7000 Übriggebliebenen das Vorbild des gläubigen Restes sieht. In ganz anderem Sinn bejaht wird sie auch von Munckll1 : Die Analogie der Gestalten des Paulus und des Elia ist frappierend. So R.Bllllmann, Art. YLV6unclillCTl ,ThW 1,688-719, dort 716, 9ff.; falsch, d.h. als bloßes Vorauswissen, wird der Begriff von Sanday-Headlam, Röm. 310, und Zahn, Röm. 495f. goefaßt. VgL auch u. A. IV 91. 111 "Oder wißt ihr nicht •.• " weist darauf hin, daß Pis. die Geschichte bei seinen Lesern als bekannt voraussetzt, vgl. R. 6, 3. Auch bei R. 9, 6ff. und 9, tOff. (vgl. dort) haben wir dies festgestellt. 'Eil 'Hl(q; heißt: im Eliaabschnitt und entspricht jüdischem Sprachgebrauch, vgl. Sanday-Headlam, Röm.3tOf. Jüdische Belege bei Str.-B. 1lI, 288 und Thyen, Stil 69f. 117 Vgl. die ausführliche, die Aufmerksamkeit der Leser erregende Einleitung zu V. 4: 1i),111 Tl l&YSL etc. Ferner knüpft V. 5 nur an V. 4 an, während 2b-3 nur die Aufgabe haben, die Situation so weit zu umreißen, daß V. 5 verständlich wird. 118 Der weibliche Artikel erklärt sich nach Di/lmann, über Baal mit weiblichem Artikel ('I) BcXcxA), Monatsber. d. königl. preuß. Akad. d. Wiss., Berlin 1881 (1882), 601-620, aus der Lesart "boschäth" statt des Götzennamens. Pis. fand den Femininartikel wahrscheinlich in seiner Bibel, da ein Grund für eine Anderung durch ihn selbst nicht ersichtlich \väre. Dessen Sinn war ihm vielleicht gar nicht bewußt, sondern die Wendung war ihm einfach vertraut, vgl. Hos.2,10 LXX; Zeph. 1,4 LXX; für die Targumim Dillmann aaO 618f. 111 Ob Pis. in seiner Bibel die erste Person las (mit HT) oder die zweite (mit LXX AB) und diese dann veränderte, ist nicht so wichtig, weil er ja durch das eingefügte i"I1U"L"(ji sowieso bezeugt, daß ihm diese 1. Person theologisch wichtig war. Vgl. Gaugier, Röm. 11, 165. 11. Paulus und seine Bibel 147, vgl. Röm. 267; ähnlich auch Bonsirven, Ex~gese 304. 111 Christus und Israel 42. 82f., vgL Paulus und die Heilsgeschichte 33f. 302. 111
J. Die Allfnahme alttestamentlicher Erzählungen in R. 9-11
81
Paulus sieht seinen Apostolat im A. T. vorgebildet. Er hat ihn eschatologisch verstanden und sieht sich als Vorläufer des wiederkommenden Herrn. Durch sein Wirken bereitet er die Parusie vor. Wie Elia auf den Karmel zog, um eine Entscheidung herbeizuführen, so zieht Paulus nach Jerusalem mit den Gaben der Heidenchristen, um so das Volk Israel eifersüchtig zu machen und unter äußerster Lebensgefahr das Schicksal des Volkes Israel zu wenden. Im Unterschied zu Munck denkt C.Müller ausschließlich an den Elia redivivus, der als Vorläufer des Messias amtet und wie Paulus in der Endzeit als Bußprediger und Märtyrer auftreten soll···. Aber Paulus will die Leser doch wohl auf den ihnen aus der biblischen Geschichte bekannten historischen Elia hinweisen. Dazu kommt, daß überhaupt eine auf den Vergleichspunkt Elia-Paulus ausgerichtete Typologie schwierig ist: Skopus von R. 11, 2-6 :ist ja nicht die Stellung des Paulus bzw. Elias im Heilsplan, sondern der Rest, an dem Gott damals wie heute sein Heilshandeln erweist. Dies spricht sowohl gegen die von C. Müller als auch gegen die von Munck statuierte Eliatypologie···. Darum muß jedenfalls Michel soweit Recht gegeben werden: Wenn eine Typologie in unserm Abschnitt vorliegt, dann muß diese im Restgedanken gesucht werden..•. Es ist aber fraglich, ob überhaupt Typologie vorliegt. Dagegen spricht nicht so sehr die von Paulus gewählte Form des Vergleichs, denn Typologie kann.sich auch dieser Form bedienen, vgl. etwa R. 5, 12ff. Wichtiger ist, daß die für die Typologie charakteristische Überhöhung oder Antithetik hier nicht ausgesprochen ist, wenn auch vielleicht implizit mitgesetzt. Andererseits ließe sich unsere Stelle auch als Beispiel für einen Sachverhalt, nämlich das Mill-II-IZ XlXT' bAo~v l(ciPLTO'; fassen···. Es liegt hier offensichtlich ein Grenzfall vor. Faßt man Ae:ill-II-IZ ••• C.Müller, Gottes GerecHtigkeit 38ff. sieht hinter R. 11 drei Traditionen: a) die Tradition von der zeitweiligen Preisgabe Israels an die Heiden (Da. 9,24-27: Sach.12,3 LXX: Lk.21,24; Test. Seb.9; Test. B. 10; Ass. Mos. 12; 4. Esr. 9,26ff.; Apk. 11, tf.13), b) die Tradition von EHa redivivus (Mal. 3,22ff.; Sir. 48,10; Apk. 11,3-12 und c) den Restgedanken (vgl. u. A. 224 und Apk. 11,1). Diese drei Traditionen seien in Apk. 11 vereint und wiederum in R. 11 wirksam, nämlich d.ie Preisgabe Israels an die Heiden und seine endliche Erlösung R. 11, 25ff. (Müller aaO 42ff.), die Wiederkehr des Elia R. 11, 2ff. (aaO 44f.) und der Restgedanke R. 11, 5ff. (aaO 45ff.). Daß hinter R. 11, 25ff. die Tradition von der zeitweiligen Preisgabe Israels an die Heiden und seiner endgültigen Wiederherstellung steht, ist aber höchstens in sehr weitem Sinn möglich, und die Tradition wäre schon stark abgeschliffen. Denn R. 11, 25ff. wird Israel wohl verworfen, aber nicht an die Heiden preisgegeben, wohl wiederhergestellt, aber nicht unter Vernichtung der I-leiden. Daß Paulus sich - wie der Elia redivivus - als eschatologischer Bußprediger und Märtyrer versteht, ist in R. 9-11 sonst nirgends angedeutet. Vgl. noch u. IX 2. R. 11, 3/f. meint sicher den historischen EHa; die Beziehungen zu Apk. 11 sind nicht so eng, daß sich daraus eine Deutung auf den Elia redivivus rechtfertigen ließe. Vgl. auch Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 26 A. 58• ••• Auch gegen Rengstorf, Stud. Ev. 11, 460f., der im Eifern Elias und des Paulus (V. 1b!) den Vergleichspunkt findet . ••• Vgl. dazu G.Schrenk, Art. Aeill-II-IZ XTA. AC, ThW IV, 199f. 215-221, dort 217, 36ff. Zum Restgedanken im Judentum vgl. ferner V. Herntrith, Art. Ae:ilL/lllt XTA. B, ThW IV, 200-215: N. A. Dahl, Volk Gottes 84f.; J.Brcleer, Das Heil Gottes, StUNT 3, Göttingen: Vandenhoeck 1964, 62ff. ;J.Jeremiol, Der Gedanke des ,heiligen Restes' im Spät judentum und in der Verkündigung Jesu, in: Abba, Göttingen: Vand~nhoeck 1966, 121-132. 111 So z. D. Vollmer, Citate 64; Sanday-Headlam, Röm. 311 (,,analogy"); Lagrange, Röm.268 ("exemple"); Barrett, Röm.208 ("historical illustration"), vgl. ferner P.HolIsser, Autori~ de l'Ecriture et autorit~ de la tradition ~vangelique pour l'apotre Paul, These lic. masch., Lausanne 1943, 66f.
82
II. Dil· gegenllI. Vergangenheit: Das Gotteslport des AT
XClt"t' b>.oyij.., xcip~"t~ eher als Geschehen, so könnte man von typologischer
Gegenüberstellung reden, faßt man es eher als Sachverhalt, so ist die Eliaperikope ein Beispiel dafür.
Die Interpretation des Eliaabschnittes wird direkt auf die Gegenwart angewendet: So wie zur Zeit Elias gibt es auch in der Gegenwart einen Rest, durch Gottes Gnadenauswahl. 'ExAori! sagt, daß das Evangelium mit Vollmacht, in freier Verfügungsgewalt Gottes geschieht, vgl. 1. 111. 1,4. "Ekloge" ist eine qualitative, nicht eine quantitative Bestimmung der Gnade. Im Unterschied zum gegenwärtig verkündeten Evangelium weist das Wort besonders auf die in der Geschichte Gottes bezeugte Unwandelbarkeit des göttlichen Heilsangebotes, vgl. R. 11, 28. Der paulinische Sprachgebrauch entspricht dem alttestamentlichen und apokalyptischen 228 • Die Wendung Ae:i:ILILIX XIX'" iXAOyfJv kennzeichnet den Rest als Geschenk der Gnade Gottes. Was die menschlichen Werke nie erreichen können, das erreicht das auswählende Gnadenhandeln Gottes 227 • Beides ist für "ekloge" konstitutiv: die Freiheit der Gnade Gottes (11,5; vgl. 9, 11) und die Treue Gottes zu seinem Handeln (11,28). Wiederum eignet dem Begriff zugleich hei1sgeschichtliche und heilsbeschreibende Dimension228 • Auch hier tritt die sachliche Identität von Rechtfertigungs- und Erwählungslehre zutage!29. "Ekloge" wird von Paulus durch den Genetivus epexegeticus X.~PL"OC; interpretiert. V. 6 nimmt die Terminologie der Rechtfertigungslehre auf. Die Auswahl ist sachlich identisch mit der nicht nach Werken rechnenden Gnade. Umgekehrt heißt dies für die Gnade, daß Paulus sie in gewissem Sinn je und je in der Gottesgeschichte wirksam sah (vgl. 11, 28). Im Lichte der eschatologischen Gnade Gottes wird für Paulus die Einheit des HeiIshandelns Gottes durch die Geschichte hindurch sichtbar. III Vgl. dazu H. Wi/Jberger, Jahwes Eigentumsvolk, AThANT 37, Zürich: Zwingli 1960, bes. 107ft". Für das Spitjudentum vgl. etwa Jub. 22, 9; äth. Hen. pss., bes. 5, 7ft".; Sap. 4, 15; Ps. Sal. 9, 9; Bar. 3,27 . • 17 "Ekloge" in V.7 wird gewöhnlich (z.B. bei Nygren, Röm.281) passiv gedeutet: electio = electi (Luther, Glosse zu 11,7, WA 56, 107). Damit wird aber der einheitliche Sprachgebrauch bei Pis. m. E. ohne zwingende Notwendigkeit preisgegeben. Es muß daher der aktive Sinn ernsthaft erwogen werden: Was Israel erstrebt, hat es nicht erreicht, das göttliche Gnadenhandeln (d. h. das göttliche Auswählen) aber hat es erreicht. Gegen diesen Sprachgebrauch spricht allerdings, daß ~xAoy{j den A0L11:0( gegenübergestellt wird, dafür aber der sonstige Sprachgebrauch des Pis. und des übrigen N.T. Auch in der Profangräzitit kommt "ekloge" m. W. nur im Sinne von "Auszug aus einem Buch" und "Einzelgedicht" (VergilI) passiv vor, vgl. Liddell-Scott s.v. Im hellenistischen Judentum wird "ekloge" nur aktiv gebraucht, in der LXX fehlt es und kommt nur bei 'A, 1:, EI in Spezialbedcutungen vor, vgl. G.Srhrenk, Art. Aeyc.> X"tA., ~oy{j ThW IV,181-186, dort 182,28ff. Vgl. ferner 1. CI. 29, 1 (status constructus, SemitismusI); Orig. Comm. in Joh. 11324 (Einfluß des Pis., vgl. Schrenk aaO 186,lff.). 118 Vgl. o. Ein!. A. 27 und u. 1116 Exkurs 1. 1.1 Vgl. o. A. 175 und u. A. IV 123.
3. Die An/nahme alltutamentlicher Erz4hltmgen in R. 9-11
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So vermag die Eliaepisode vom Alten Testament her die Gegenwart zu beleuchten. Sie tut das, weil in ihr Gott schon gesprochen hat. Sie beleuchtet die Gegenwart aber in völlig neuer Weise, indem sie aus der Kontinuität des Volksdenkens herausgebrochen und vom eschatologischen Auswahlhandeln Gottes in Christus her relevant wird. Als geschichtliches Ereignis bleibt sie Episode, aber sprechende Episode, weil hier Gottes Wort Geschichte gestaltet hat. In eine lineare, kontinuierlich verlaufende Heilsgeschichte braucht sie nicht gestellt zu werden, sie bleibt Episode. Aber als solche wird dieses Stück Gottesgeschichte wiederum zum lebendigen, die Gegenwart erhellenden, verkündenden, Glauben schaffenden Wort.
D. Zusamme;,jassrmg Unsere Leitfrage ging nach dem Geschichtsverständnis, das bei der Vergegenwärtigung geschichtlicher Ereignisse aus dem Alten Testament sich zeigt. Dabei ergab sich: 1. Paulus vergegenwärtigt einzelne Episoden aus der Geschichte des Gottesvolks Israel. Ein Interesse an der Einordnung der einzelnen Episoden in die Gesamtgeschichte des Volks wurde nicht sichtbarlaG. 2. Mitte der einzelnen Episode war jedes Mal das GotteS7llOrt, das die damalige Situation bestilnmte. Auf die für das Verständnis dieses Gotteswortes notwendige Situation wurde nur angespielt. Paulus greift also auf die alttestamentliche Geschichte zurück, insofern Gott dort eingeg:tiffen hatl l l• 3. Ein dominierendes hermeneutisches Schema für die Vergegenwärtigung geschichtlicher Tatbestände ließ sich nicht aufweisen. Die Gegenwart des Pauills wird vielmehr durch den alttestamentlichen Text, d. h. durch das daraus sprechende Wort Gottes unmittelbar angeredet und beleuchtt.'t 2sl• Voraussetzung dafür ist die Entsprechung von Gottes Handeln in Vergangenheit und Gegenwart. •1. Darin steht Pis. nllher beim frührabbinischen, tannaitischen als beim apokalyptischen Geschichtsdenken, vgl. aber u. A. 234. Auch bei den Tannaiten sind es einzelne Geschichtsabschnitte, die erhellt werden. Glatzer, Untersuchungen 35, vgl. 113, spricht von "planhellencc Zeiten. Andererseits aber konnten wir Berührungen zwischen Pis., dem erwählungsgeschichtlichen Denken der Apokalyptik (vgI. o. A. 140) und den Beispie1reihen des hellenistischen Judentums (vgl. o. A. 172) feststellen. Pis. läßt sich wohl kaum einfach schematisch "der" Apokalyptik, "dem" Rabbinat oder "dem" hellenistischen Judentum zuordnen, vgl. auch u. A.1II36. In Vgl. auch die Verweise u. A. 461. ••1 Die direkte Vergegenwärtigung, die bei Pis. so stark dominiert, ist aber durchaus nichts dem Judentum Fremdes, vgl. Dietzfe1binger, Paulus u.d.A.T.33ff.,und unsere Erwägungen u. S. 11Of'lüdisches Material bei Glatzer, Untersuchungen SOff. Dies entspricht bereits em a1rtestamentlichen Sprachverstindnis, wo ..dabar" vereinigt, was in unserm Denken auseinandertritt: Faktum und Wort.
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Il. Die gegenw. Vergangenheit: Das GotteSIvort du AT
4. Paulus beschäftigt sich mit alttestamentlichen Geschichtsepisoden nicht um ihrer selbst willen, sondern um des in Christus geschehenen Heils willen. Insofern ist die durch das Christusgeschehen geschaffene Wirklichkeit der Ausgangspunkt der paulinischen Interpretation des Alten Testaments233 • Es kann aber noch präzisiert werden: Weil Gott in Chriltul gehandelt hat, belchäftigt .rich PaulUl mit der Gottelgelchichte deI alten BundeI um Gottel willen, der der gleiche in der Gelchichte mit I.rrael und in der Gegenwart ilt. So erhellt die alttestamentliche Geschichte für Paulus Gottes Handeln und damit auch die eigene Gegenwart23' . 5. Dabei werden zur Interpretation Begriffe verwendet, die eine für unser Empfinden "mehrdimen.rionaleC< Struktur haben, nämlich zugleich eine Wirklichkeit in Gottes vergangener Geschichte sind wie auch in der Gegenwart Heil eröffnen. Solche Begriffe bezeichnen zugleich vergangene Taten Gottes und haben eine "existentiale" Bedeutung t .&. 6. Vergangenheit ilt für Paulul jedenfalk nicht einfach der dunkle, alte, gottfremde Aeon, londern der Ort, an dem Gott Ipricht und handelt. Gottes Wort im Alten Testament ist für ihn Wort Gottes im Vollsinn, das damals wie in der Gegenwart präsent und wirksam ist. Der Gegensatz zwischen dem alten Aeon und dem neuen Heilsaeon wird überlagert durch einen andern Gegensatz, den zwischen menschlichem Ungehorsam und Gotteswort, der Vergangenheit und Gegenwart durchzieht (R. 11,2ff., vgL 9, 16). 7. Gottes Handeln in der Vergangenheit bleibt dabei für Paulus unverfügbar. Gott läßt sich für Paulus nicht außerhalb der von ihm selbst gesetzten Geschichte hören, in der er seinen Namen kundgegeben hat. Deutlich ilt aber, daß gerade delhalb auf altteltamentliche Gelchichtl.rtücke zurückgegriffen wird, weil dort Gott in leiner Treue, in .reiner Gnade und vor allem in leiner Gerechtigkeit erfahrbar wird.
Sprachcharakter der Geschichte und Geschehenst:harakter des Wortes, vgl. auch oben Einleitung und dort A. 7. W.Zimmerli spricht deshalb vom "Anredecharakter der Geschichte Israels" (Art. Wort Gottes, RGG3 VI, 1809-1812, dort 1811). Im Rabbinismus wird dagegen Schriftwort und Auslegung konsequenter geschieden, vgl. auch o. II 2 A a. 188 Vgl. Dietzfelbinger, Paulus u.d. A.T. 361f. ••• Vgl. o. A. 232. Schon bei den Tannaiten ist dies völlig anders. Dort werden auch an sich "zeitlose" alttestamentliche Worte einer bestimmten historischen Situation künstlich zugeordnet, vgl. o. A. 18 und Glatzer, UntersuchungenSOff. 186 Zu "epaggelia" vgl. o. S. 68f.; zu "eleos" o. S. 76; zu "ekloge" o. S. 82. Vgl. ferner die Verweise o. Einleitung A. 27 und den 1. Exkurs zu 111 6.
4. Die ANjnahme der übrigen ailleflamenilithen Texle
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4. Die Aufnahme der übrigen alttestamentlichen Worte Während wir in den bisher besprochenen alttestamentlichen Zitaten immer schon eine geschichtliche Situation mit dem Zitat verbunden fanden, muß bei den übrigen Zitaten von R. 9-11 2 " erst noch gefragt werden, ob sie Paulus überhaupt mit Vergangenheit in Berührung bringen.
A. Hermeneutische Bewegung und zeitliche Distanz Wir fragen zunächst nach den in den Zitaten erscheinenden henneneutischen Bewegungen. Sicher vorhanden ist das Denkschema Weissagung-Erfüllung. Es kann sich bereits aus der Einführungsfonnel ergeben: So hat Jesaia "voraus"gesagt (R. 9, 29, vgl. Hb. 4, 7; 2. Pt. 3, 2). In prophetischen Aussagen ist es dort mit einiger Sicherheit nachweisbar, wo der Text der alttestamentlichen Aussagen im Futur steht, also R. 9, 25-28 237 ; 10,19; 11, 9f. B88 • 26, vgl. ferner R. 15,9-12. 21; 1. K. 14, 21. 25. Die von der Weissagung ursprünglich intendierte Situation kommt nicht mehr in den Blick, bzw. eine Differenz der Situationen wird von Paulus nicht empfunden!a•. Nun scheint aber die~e Eingrenzung der Weissagungen unsachgemäß: Nichts weist darauf hin, daß Paulus die Vergegenwärtigung etwa von R. 11, 8 anders vollzogen hätte als die von R. 11, 9f. Ebenso scheint, wie sich aus dem einfachen Nebeneinander ergibt, Paulus die Vergegenwärtigung der Verse 10,18. 2Of. und des Verses 19, der Verse 9, 25-28 und 29 nicht als verschieden zu empfinden. Es ergibt sich daraus, daß es unsachgemäß ist, das Schema Weissagung-Erfüllung auf diejenigen Stellen zu begrenzen, wo es sich sprachlich einwandfrei nachweisen läßt. Andererseits fällt auf, daß bei Paulus das sonst im N. T. weit verbreitete Reden von der Erfüllung der Schrift fehlt Uo• Das scheint darauf ••• Dabei werden Beispiele aus andem Stücken des pln. Schrifttums mitberücksichtigt. • a. Typologie nehmen in R. 9, 25-28 m. E. zu Unrecht an: J. Ca/p;n, Commentarius in epistolam ad Romanos, CR LXXVII, 1892, 191: "Iam restitutio illa carnalis veram ecclesiae Dei- instaurationem figuravit"; von neueren Exegeten Michel, Paulus und seine Bibel 147. Aber eine Gegenüberstellung fehlt, die Weissagung bezieht sich direkt auf den V. 24 genannten Sachverhalt• •a. Vgl. Calvin, Röm., CR LXXVII, 217: David ist Typ des Messias. •a. Das entspricht der Auslegung prophetischer Texte in Qumran, vgl. u. I1 5 B Nr.2, und im rabbinischen Judentum (Belege bei Glatter, UntersUchungen 85ff.), Vgl. auch den Grundsatz, daß sich die fünf Bücher Moae auf die Endzeit beziehen, Ass. Mos. 1,5. 16 und u. A. 357. ••• Vgl. o. A. 51. Sicher ist ein gewisses Zurücktreten des Erfüllungsgedaokeos im hellenistischen Bereich zu bemerken, doch behilt er, wie gerade Lk. und J.
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1I. Die gegenlII. Vergangenheit: Das GotteS/vort Jes AT
hinzuweisen, daß das Schema Weissagung-Erfüllung bei Paulus überhaupt nicht auf seine theologische Bedeutung hin interpretiert wird, sondern nur als übernommene Denkbewegung unbetont anklingt2U • Und das heißt wiederum: Die Zeitdifferenz, die zwischen der Vergangenheit, der das Gotteswort entstammt, und der Gegenwart, die es hört, liegt, spielt für die Auslegung prophetischer Schriftworte durch Paulus keine Rolle tt•• Damit scheinen sich diejenigen alttestamentlichen Worte, die nicht direkt Geschichtsstoff zum Inhalt haben, der Frage nach dem paulinischen Geschichtsverständnis zunächst zu entziehen. Im übrigen scheint bei Paulus überhaupt kein bestimmtes hermeneutisches Schema vorzuherrschen. Oft sind seine Schriftzitate nicht einmal einem der gängigen hermeneutischen Schemata zuzuordnen. Wie auch die wenigen Typologien, Beispiele, Allegorien und eigentlichen Schriftbeweise2t3 zeigen, finden wir bei Paulus wenig Reflexionen über Probleme der Schriftauslegung. Die Schrift redet eben einfach zur Gemeinde. Auch dort, wo eine bestimmte hermeneutische Bewegung feststellbar ist, wird diese nie zum die Auslegung leitenden Prinzip. Das Reden der Schrift wird für Paulus - von den eigentlichen hermeneutischen Randbemerkungen sei noch abgesehen:!" - nicht zum Problem. Vielmehr spricht sie - gegenwärtig - zur Gegenwart. Direkt und indirekt redet sie Israel an: Sie zeigt, daß das Evangelium in aller Welt ertönte (R. 10, 15. 18) und zu den Heiden gegangen' ist (R. 9, 25ff.; 10, 19f.); sie läßt den allezeit gnädigen Gott das Volk auf seine Widerspenstigkeit hin anreden (R. 10,21). Solche direkte Anrede richtet sie auch an die Gläubigen, vor allem in der Paränese (R. 12, 17ff.; 13,9; GI. 5, 14; 1. K.1, 31; 2. K.10, 17, vgl. 8,15; 9,9). Die Schrift bringt die Gegenwart zum Verständnis als Zeit, wo der zeigen, in der Gemeindetradition seine Bedeutung. Umso auffalliger ist das Fehlen bei Pis. und in del' von ihm beeinßußten Literatur (Kol., Eph., Pastoralbriefe, 1./2. Pt., vgl. Kol. 1, 25). In Anders Hausser, Autorit~ de l'Ecriture, bes. 59f. 62.67.75, der im Gedanken der Erfüllung der Schrift das eigentlich Paulinische sieht. Ifl Auch Ulonska, Paulus u. d. A. T. 214 stellt mit Recht das Fehlen von Reßexionen des PIs. über den zeitlichen Abstand fest. Daraus und aus der konkreten Ausrichtung der Schriftzitate schließt er aber zu Unrecht, Pis. verwende "das Schriftwort noch nicht als erfüllte Weissagung, sondern nur als paränetisches Beispielmaterial" (aaO 214f.). Das läßt sich schon von den o. 11 3 besprochenen Stellen aus R. 9-11 her leicht widerlegen. Als ob es nur die Alternative zwischen "paränetischem Beispielmaterial" und "Reßexionen über Heilspläne" (aaO 215) gäbe I I.' Z. B. R. 4, 7f., vgl. Jeremias, Gedankenführung, Abba 271ft". Was als Schrift"beweis" zu be2eichnen ist, ist übrigens unklar. Fuchs, Hermeneutik 201ft". bezeichnet die von uns als Weissagungs- und Erfullungsbewegung ~ekennzeichnete Sache als Schriftbeweis. Am ehesten wird man vom "Beweis' charakter eines Schriftzitates dort sprechen können, wo ein explizites Schlußverfahren nach rabbinischem Muster vorliegt. ICI S. u. 11 6 A. .
4. Die Allfnahme der übrigen alttestament/ühen Texte
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Sünde des Menschen (R. 2, 24; 3, 12ff.) und ihrer Gottlosigkeit (1. K. 2,16) Gottes Gerechtigkeit (R. 1, 17; 3,4; 10, 6ff. 11. 13) gegenübertritt, als Zeit der Verstockung (R. 11,8-10) und der Begnadigung (R. 9, 25ff.; 15, 9ff. 21), des Glaubens (2. K. 4, 13) und des Leidens (R. 8,36; 15,3). Auch wenn sie von Gott redet, so spricht sie die Gegenwart auf Gott hin an (R. 3, 4; 9,15; 11, 34f.; 1. K. 3, 19f.; 10, 26). Sie meint kaum je die Zukunft (nur R. 11, 26f.; 14,11; 1. K. 15, 26. 54f.), sondern die Gegenwart, die sie selbst als ausgezeichnete Zeit anspricht (2. K. 6, 2). Oft wird sie für die paulinische Argumentation so sehr konstitutiv, daß sie - aber gerade als Schrift8l5 - ganz in die paulinische Gedankenentwicklung hineingenommen wird (z. B. R. 2, 24; 4, 3; 9, 6ff. 14ff.; 10, 5ff. 15ff.; 11, 1ff. 33ff.; 12, 16ff. etc). Dann ist die Schriftstelle aus dem heutigen Text nicht mehr herauszulösen. Wie lebendig das Reden der Schrift empfunden wird, zeigen auch gewisse auffällige Einleitungswendungen, wie: ,,]esaia schreit über Israel"'" (R. 9,27), ,,]esaia wagt es und sagt (R. 10,20)"241. Kurz, die Schrift ist bei Paulus lebendiges Wort. Dieses Wort meint meistens die Gegenwart und setzt in der Regel keine zeitliche Differenz zwischen sich und seinen Hörern, vielmehr hat es seine Wirklichkeit im Sprechen und Hören jetzt. Die alttestamentliche Geschichte, die es ursprünglich anredete, kommt meistens gar nicht in den Blick. Wie ist das möglich? 'Für Paulus ist die Gegenwart ganz selbstverständlich auggezeichnete Zeit. Sie ist Zeit der Verkündigung, Zeit des Wortes, der 8LotKOvlot XPLa'roü, auch Zeit des Sprechens des Alten Testaments (vgl. 2. K. 6,2). Gerade auch mittels des Alten Testamentes wird das immer wieder gesagt. Diese ausgezeichnete Gegenwart bezeichnet Paulus mit vüv. Gemeint ist damit keine Zeitepoche, auch nicht die Zeitepoche ] esu Christi, sondern zunächst das] etzt der Verkündigung von Gottes Weltenwende in ]esus Christus·". Nüv ist vorpaulinisches Motivwort aus dem sog. ReveIatioosschema'" und der Gegenüberstellung von altem und neuem Wandel in der Gemeindepredigt"H. Bei Die genannten Stellen sind oft durch Einführungswendungen als wirkliche Zitate, nicht bloße Anspielungen, gekennzeichnet. Vgl. o. A. 8. U. Gemeint ist: das "heutige" Israel! "" Zum Vergleich der pln. Einführungswendungen mit den rabbinischen vgl. Bonsirven, Exeg~se 27ff. 3391f., vgl. auch F.Zehrer, Die Psalmenzitate in den Briefen des hl. Paulus, Habil. sehr. masch. Graz 1951, 87f. V gl. auch u. 115 B Nr. 1. U. Vgl. E.Dinleler, Earliest Christianity, in: The Idea of History in the Ancient Near East, New Haven: Yale University Press 1955, 169-214, dort 182; Kertelge, Rechtfertigung 135f. Zu vüv als individualgeschichtlicher und äonengeschichtlicher Chiffre vgl. auch o. A. 187 und u. S. 125. 168ft'. 297f• ... Vgl. N.A.Dahl, Formgeschichtliche Beobachtungen zur Christusverkündigung, in: N. T. Studien für R. Bultmsnn, BZNW 21, 2. Autl. Berlin: T~ 1957, ~9, dort 4f.; D.LilhrmaM, Das Olfenbanmgsverstindnis bei PaulUs und in paulinischen Gemeinden, WMANT 16, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1965, IU
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II. Die gegenw. Vergtlllgenheil: Das Gottes/vort des AT
Paulus ist damit die durch Christus eröffnete Heilszeit ohne nähere chronologische Bestimmung gemeint, oft in Anlehnung an den Sprachgebrauch der beiden traditionellen Predigttypen (R. 3, 26; 5,9; 6, 19ff.; 8,1; 2. K. 5, 16; GI. 4, 9. 29). Nüv steht also bei Paulus, wenn es überhaupt theologisch prägnant gebraucht wird, überwiegend im Dienste der Antithese zum Alten, Vergangenen und damit des die Gegenwart positiv qualifizierenden "Jetzt schon" (anders z. B. R. 8, 18. 22; 13, 11; GI. 4, 25).
Hier konvergieren verschiedene Linien der paulinischen Interpretation der Vergangenheit. Vom Alten Testament her ist die Gegenwart ausgezeichnete Zeit, denn .sie wird durch das Wort Gottes angesprochen. Dasselbe gilt aber, wie wir noch sehen werden 261 , von den die Vergangenheit abwertenden typologischen Gegenüberstellungen wie "alter Bund - neuer Bund", "Adam - Christus", schließlich auch von der Gegenüberstellung "damals - jetzt". Alle diese, in sich sehr verschiedenen Bezüge des Paulus auf die Vergangenheit dienen dazu, die Gegenwart als eschatologische HeiIszeit deutlich zu machenz6z • Interessant ist dabei, daß der Vorgriff des Paulus auf die Zukunft dann gelegentlich den genau umgekehrten Sinn haben kann, nämlich ein Uberspringen der Gegenwart, die auch Zeit des "Noch-nicht" ist, zugunsten eines bloßen "Schon-jetzt" zu verhüten. Es sei an diesem Punkt erlaubt, einige Fragen einzuschieben, die den Theologen bewegen, wenn er mit dem lebendigen Geschehen des alttestamentlichen Wortes bei Paulus konfrontiert wird: 1. Es scheint, daß alttestamentliches Wort für Paulus unbeschränkt Gotteswort, in Geltung stehende Autorität ist. Gibt es denn bei Paulus noch eine Differenz zwischen alttestamentlichem Wort und EvangeliumZ&3? 2. Ist aber das Alte Testament für Paulus einfach Gotteswort, das inhaltlich durchaus auf der Ebene der Christusbotschaft liegt, so wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen Altem Testament und Ge124ff. Nüv ist nicht historisierend auf das "Damals" Christi bezogen, vgl. Lührmann aaO 125• ••• Vgl. das 80g. soteriologische Kontrastschema bei N.A.Dahl, Beobachtungen, N.T. Studien R.Bultmann 5f. 151 V gl. u. III 7 Nr. 1. ... Hierin hat Goppelt, Apokalyptik und Typologie 296f. in seiner Beurteilung der Typologie recht. ••• Die Frage wird deutlicher, '\venn man sich vor Augen hält, daß es für Paulus eine das Alte Testament ergänzende evangelische Tradition in erheblichem Ausmaße ja gar nicht gab. Eine Einschränkung der Autorität des A.T. ist bei Pis. nicht festzustellen. Es ist z. B. keineswegs so, daß bestimmte Teile des A.T. grundsätzlich von dieser Qualifizierung als Gotteswort im Vollsinn auszuschließen wären. Paulus zitiert vielmehr im wesentlichen, was ihm aus der Gemeindetradition bekannt ist, vgl. u. S. 101 ; daneben entwickelt er sie weiter, ohne bestimmte Teile des A.T. dogmatisch auszuschließen, vgl. aber u. S. 100. Auch eine systematische Beschtänkung der A.T. Zitate auf bestimmte theologische Themenkreise ist nicht festzustellen.
4. Die Aufnahme der übrigen alttestamentlichen Texte
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schichte des alten Bundes brennend. Wird hier alttestamentliche Geschichte der neutestamentlichen angenähert? Oder treten Geschichte des alten Bundes und Altes Testament auseinander? 3. Wird das Alte Testament zur bloßen Sprachweise des Evangeliums, ja, ist es in Christus selbst schon Evangelium, worin besteht dann seine Unentbehrlichkeit? Hat das Alte Testament noch irgend eine Sonderfunktion? Kann es, als Sprachform des Evangeliums, nicht auch fallen gelassen werden, dann nämlich, wenn diese Sprachform in irgend einer Zeit nicht mehr als Evangelium verstanden werden kann254 ? Wir werden diese Fragen für die Weiterarbeit im Blick behalten. Zunächst geht es uns darum, die Beziehung zwischen der Gegenwart, die durch das alttestamentliche Wort angesprochen ist, und diesem Wort näher zu erläutern.
B. GegellWart als Interpretationshorizont der Schrift Die enge Beziehung zwischen Altem Testament und Gegenwart besteht nicht nur darin, daß das Alte Testament die Gegenwart meint und sie anredet, sie zeigt sich vielmehr auch umgekehrt darin, daß die Gegenwart ihrerseits sich des Alten Testamentes bemächtigt, indem sie es ihre Sprache sprechen läßt. Dies wird zunächst an einem ganz einfachen, beinahe selbstverständlichen Phänomen sichtbar. Wir sind gewohnt, zwischen dem Alten und dem Neuen Testament eine SprachdiJferenz zu sehen, die wir mit dem Stichwort "Sprachgeschichte" ins Auge fassen. Für Paulus besteht eine solche Sprachdifferenz nicht, das Alte Testament redet vielmehr seine, des Paulus Sprache. Spricht es von "pistis" (R. 1, 17; 4,3; 9,33), so meint es den rechtfertigenden Glauben2&l, das Geschenk Gottes durch Christus. Begriffe wie "sözö" (R. 10, 13), "euaggelizomai" (R. 10, 15), "agapaö" (R. 9, 13. 25) werden von ihrer Bedeutung in der christlichen Gemeinde her gehört. "kaleö" (R. 9, 7) weist zurück auf 8, 30, wo es Paulus pointiert im Sinne eschatologischer Berufung verstanden hat258• Die Beispiele könnten beliebig vermehrt werden. Wichtig ist das Grundsätzliche: Paulus hört das Alte Testament in seiner eigenen Sprache, die zunächst die seiner eigenen Theologie, sodann die der christlichen Gemeinde, schließlich die sei-
I.' Die Frage Harnacks (vgl. 0.11 1) wird dadurch sogar noch verschärft. Vgl.
dazu auch u. 11 6 C Nr. 3, zu Ulonskas These o. II 1. R. 4, 3 ist nur schlüssig aufgrund der Voraussetzung, daß Rechtfertigung aus Glauben eine solche aus Werken ausschließt. Auch das Judentum unterschiebt der Stelle Gn. 15,6 sein Verständnis von Glauben, vgl. auch u. S. 178 • ••• Vgl. o. S. 65 und u. S.253. 111
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1I. Die gege"",. Vergangenheit: Das GotteStIIort des AT
ner Zeit überhaupt ist. Das bedeutet: Für Paulus ist der alttestamentliche Text nicht fremd; er tritt ihm nicht als etwas seinem eigenen Denken gegenüber Andersartiges entgegen. Ebenso wenig wie die Zeitdifferenz zwischen Text und Hörer kommt also eine entsprechende Sprachdifferenz in den Blick. Das Phänomen der Uminterpretation, das wir Heutigen allenthalben bei der Auslegung des Alten :restaments durch Paulus feststellen, gibt es für damalige Exegese kaum. Es ist wichtig, sich diesen einfachen, fast selbstverständlichen, aber grundlegenden Sachverhalt einmal klar zu machen, gerade im Hinblick auf unsere eigene, grundsätzlich andere Situation dem Alten Testament gegenüber: Wenn wir das A. T. - wie Paulus - "christlich" interpretieren, so interpretieren wir es um, Paulus aber interpretiertes. So läßt sich ein Doppeltes verstehen: Einmal das Auftauchen des Schriftbeweises gerade in Apologetik und Polemikz57 , denn die Auslegung der Schrift ist eben wirklich Interpretation, die überzeugen will, nicht Uminterpretation, die Außenstehende gar nicht überzeugen kann. Zugleich verstehen wir aber auch den Fehlschlag des Schriftbeweises, der aufgrund seiner geistesgeschichtlichen und auch theologischen Voraussetzungen gerade in der Apologetik und Polemik gar nicht gelingen kann. Paulus geht noch einen Schritt weiter, wenn er - vom selben Grundempfinden getragen - bewußt oder unbewußt Begriffe im alttestamentlichen Text durch eigene, ihm geläufige ersetzt. So hat er R. 9, 17 laxö.; durch das ihm geläufigere 80'1«1'1.;"8 ersetzt und nimmt diesen Begriff V. 22 wieder auf. Den ihm wichtigen Begriff l«ItAeCII (R. 8,30; 9,7. 24) hat Paulus selbst an die Spitze des Doppelzitates R. 9, 25f. gestellt, damit zugleich eine Verklammerung innerhalb des Zitates schaffend. Das der Wiederholung des Zitates aus Js. 28, 16 zugefügte 1t«c; (R. 10, 11) ist aus dem Kontext der paulinischen Theologie zu verstehen···. Bewußte Abänderung dürfte auch der Ersatz von 31E'nlp-ljthjc; durch ~!;-I]YI!:IPCX in R. 9, 16 sein···. Endlich geht das Fehlen der "Hände" aus Dt. 30, 14 in R. 10,8 wohl auf das Konto des Paulus.
1.,
Vgl. B.Li"Jars, New Testament Apologetics, London: SeM 1961, pss. Sowohl Philo als auch die allegorischen Homererklärer wollen den eigentlichen Sinn des Textes wiedergeben. Der Lehrer der Gerechtigkeit versteht den Text nicht anders, sondern besser als der Prophet (1 QpHab 7, 1ff.). 0&8 Vgl. R. 1, 20; 4, 21; 9, 22; 11, 23; 1. K. 1, 18. 24; 2, 5; 4, 20; 6, 14; 2. K. 4, 7; 6,7; 10, 4; 13,4. "Ischys" fehlt bei Pis. völlig, obschon es wohl in der liturgischhymnischen Sprache des Urchristentums verbreitet war und auffallend häufig in plerophorischen Ausdrücken steht, vgl. Eph. 1, 19; 6, 10; 2. Th. 1,9; 2. Pt. 2, 11; Apk. 5, 12; 7, 12. In Möglicherweise hat auch die Parallelität zu R. 10, 13 (vgl. Apg. 2, 21; 3, 23) eine Rolle gespielt, vgl. aber R. 1, 16; 3, 22 und Ellis, Paul's Use 140. ... Vgl. o. A. 205. Abänderung durch Paulus ist auch möglich R. 11,4, vgl. o. A. 219. Mit bewußten Abänderungen durch Paulus rechnet C. Clemen, ThStKr75 (1902) 183ff., bei R.1, 17 (Fehlen des I'0U Absicht des Pis.?); 3,20 (~ EpyCllv v61'0u zugesetzt); 4, 6 (doch gehört XCllpl.; lpyCIIV wohl nicht ins Zitat I); 1. K. 15,45; GI. 2, 16. Weitere Beispiele vgl. u. A. 323.
4. Die AII/nahme der ilbr;gen alttestamentlichen Texte
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Liegt an diesen Stellen eine Uminterpretation der Schrift vor? Nichts deutet darauf hin, daß Paulus die Schrift verändern wollte. Vielmehr scheint es im Sinne des Paulus sachgemäßer, von Verdeutlichung dessen, was die Schrift wollte, zu sprechen 2G1 . Außerdem kann die Gegenwart auch direkt den Sinn des alttestamentlichen Wortes erschließen. Sie zeigt, was an der Rede von Verstockung und vom Rest ist (R. 9, 27ff.; 11, 8ff.). Das Christusgeschehen erst ist es, das die Schuld Israels in ihrer ganzen Tiefe als Schuld verständlich macht (R. 10, 21)282. Dabei erscheint die Gegenwart durch das Schriftwort in aller Selbstverständlichkeit als von Gott bewirkte, ohne daß hierauf ein besonderer Akzent läge: Gott hat Israel den Geist der Verstockung gegeben (R. 11, 8ff.), sein ist der Plan des Eifersüchtigrnachens (R. 10,19, vgl. 11, 13), er hat die Apostel ausgeschickt (R.l0, 15.18). So wird eine große Freiheit des Paulus in seinem Verfahren mit der Schrift deutlich. Diese ist aber nicht methodisches Prinzip, eher selbstverständliche geistesgeschichtliche und - vom Heil in Christus her theologische Voraussetzung. Bisher fanden wir auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß Paulus aus den Bahnen herkömmlicher Exegese ausbrechen will. Es seien hier noch zwei Beis{liele für die Freiheit des Paulus im Verfahren mit seinem Text angeführt, die die Konsequenzen, die sie unter Umständen haben kann, deudich zeigen. a) R. 10,20f. zitiert Paulus ]s. 65, H. Die heiden Verse, die Paulus wohl zusammenhängend vorlagen, werden von ihm als zwei Einzelworte verstanden. Darin liegt nichts Auffiilliges, auch darin nicht, daß er diese Einzelworte vom Kontext seiner Sprache her verstanden hat: Die. die .. nicht suchen" bzw. die, die "nicht nach mir fragen", sind ihm natürlich die Heiden, während das "Volk,dasungehorsam und widersprechend ist", für ihn das Volk Israel ist. Was sich aber aus diesen Voraussetzungen ergibt, ist einzigartig: Die beiden zusammengehörigen Jesaiaverse werden - entgegen ihrer ursprünglichen Intention - auf völlig verschiedene Sachverhalte bezogen. Dieses Resultat ist auffällig; es i1Iustriert die Freiheit. mit der Paulus der Schrift gegenübersteht. b) R. 10,6-8..•. Die schwierigen Probleme, die dieser Text stellt, müssen ausführlicher behandelt werden. Liegt überhaupt ein Zitat vor? Zahlreiche Auslegungen suchen die Schwierigkeiten zu umgehen, indem sie nur eine Anspielung oder eine nach Dt. 31, 121f. gebildete rhetorische Figur sehen·... Dagegen spricht aber
." Auch bei bewußten Abänderungen versuchte wohl PIs. gerade das, was für ihn die Schrift eigentlich sagen wollte, durch seine Umprilgungen zu verdeutlichen, vgl. etwa R. 9, 16. 25; 10,8. ••• D. h.: Die Schrift erst statuiert die Schuld Israels als theologischen Sachverhalt und als Schuld gegen Gott, vgl. Barth, KD 11/2, 284f. ••• Spezialliteratur: Windfuhr, ZAW 44 (1926) 328; S.Lyomret, Saint Paul er l'ex~ese juive de son temps. Apropos de R. 10, 6--8, M~langes Bibllques A. Robert, Paris 1956, 4941f.; vgl. auch E.Kamlah, Buchstabe und Geist, EvTh 14 (1954) 276-282, dort 276; A. Plllil/lt, Le Christ, Sagesse de Dieu, Etudes BibI.. Paris: Gabalda 1966, 321-327. . ••• Z.B. B.Weiss, Röm.447f.; Barrett, Röm.199.
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/I. Die gegen/v. Vergangenheit: Das GotteS/vort Jes AT
die V(;'endung WÜT' ~o-rLV, die bei Paulus exegetische Bedeutung hat"OS, die bewußte Gegenüberstellung zu dem andern, mit "Moses schreibt nämlich....• eingeleiteten Zitat 10,5, endlich die Einführung durch )1y&L.... Hat aber Paulus die Verse 6-8 als Zitat verstanden, liegt dann eine Exegese vor, die man nur noch als "very wild assumption" und "fanciful"2'. bezeichnen kann? Solche Urteile moderner Exegeten pflegen ihr eigenes Verständnis von Exegese als Maßstab zur Verurteilung des Paulus zu benützen. Wir haben gesehen, daß sich für Paulus das Problem der Distanz von Text und Exegese, von ursprünglicher Bedeutung und christlicher Neuinterpretation kaum stellte. Aber kann man auch von unserm Text angesichts der ja wirklich auffälligen Neufassung des alten Wortes durch Paulus dasselbe sagen? Zunächst sei auf einige jüdische Parallelen hingewiesen, die den Schritt zur paulinischen Fassung wenigstens etwas verkleinern könnteni": a) Ahnliche Wendungen wie Dt. 3D, 12ff. waren als Sprichwort verbreitet. So erklärt sich wenigstens ein Teil der Abweichungen vom Text, vor allem der Ersatz von .&&acra: durch !ßucrcro~···. b) Bar. 3, 28ff. wird Dt. 3D, 12f. auf die Weisheit gedeutet. Ob diese Stelle nun Paulus bekannt war oder nicht, jedenfalls zeigt sie, daß solche Umdeutungen möglich waren··1• Paulus hat dann ~1j!La: von vorneherein als evangelisches Wort verstanden, was ihn zur christologischen Deutung von Dt. 3D, 12ff. führte. c) Das Fragmententargum interpretiert: Könnten wir jemanden haben, wie den Propheten Mose. der in den Himmel steigt ... Könnten wir jemanden haben, wie
.1.
Vgl. o. A. 144. ... Ob 'Yp.xCP&L bewußte Antithese zu )1y&L ist? So Schlatter, Gerechtigkeit 312; Michel, Röm.256; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 93. Von 2. K. 3, 6 her könnte allerdings gefragt werden, wieso nicht der Geist der Schrift als Antithese gegenübergestellt sei; das dürfte eher für neu tralen Gebrauch von 'Yp.xCP&L sprechen. I .. Vgl. Bonsirven, Exegese 340ff., rabbinische Parallelen aaO 29ff., hellenistischjüdische bei Thyen, Stil69ff. In Qumran sind Bildungen mit ,,'amar" und "kathab" " am häufigsten, vgl. u. 11 5 B Nr. 1. "8 A.Pallis, To the Romans, Liverpool1920, 120, bzw. Dodd, Röm.166. Vgl. R. V.G. Tasker, The Old Testament in the N.T., 2. Aufl. London: SCM 1954, 85, und Hausser, Autorite de l'Ecriture 55. ... Der Versuch Michels, Röm. 256 A. 4, unsere Stelle in Antithese zu einer gegen die Kirche polemisierenden Auslegung derselben A.T.-Stelle in der Synagoge zu sehen, ist m. E. nicht gelungen. Das reiche rabbinische Material, das unsere Stelle auf das Gesetz deutet (Str.-B. HI, 279ff.), zeigt Spuren innerjüdischer Polemik, aber nicht solcher @,-egen die Kirche. R. 10,4ff. seinerseits ist nicht polemisch gefarbt, sondern grundSätzlich gehalten. 17. Ps. 107,26; 139,8;Am. 9,2;4. Esr. 4, 8; Philo, Virt. 183; Praem. Poen. 80; Spec. Leg. I, 301, vgl. auch Omn. Prob. Lib. 68. Rabbinisches: Git. 84a Bar. bei Str.-B. III, 281 und die Belege ebd. sub 3. Durch Einfluß der sprichwörtlichen Wendung erklärt sich der Wortlaut besser als durch Annahme eines Mischzitates, gegen J.Srhmid, Die alttestamentlichen Zitate bei Paulus und die Theorie vom sensus plenior, BZ NF 3 (1959) 161-173, dort 169. In V gl. auch Sir. 24, 5. Wie H. Windisrh, Die göttliche Weisheit der Juden und die paulinische Christologie, in: Neutestamentliche Studien für G.Heinrici, Leipzig: Hinrich 1914, 22G-234, dort 224 zu Recht zeigt, muß auch diese Stelle im Zusammenhang der übertragung von Sophia-Aussagen auf Christus gesehen werden, vgL u. A. 111 343 una S. 22Of. Zur Interpretation vgl. auch E.SchJlleizer, Zur Herkunft der Präexistenzvorstellung bei Paulus, in: Neotestamentica, Zürich: Zwingli 1963, 10>-109, dort 107. Vermutlich steckt der Gedanke an Abstieg und Höllenfahrt des Erlösers (vgl. Phi!. 2, 6-8; 1. Pt. 3, 19) dahinter.
4. Die Allfnahme der iJbrigen aJtteltamentJi&hen Texte
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den Propheten Jonas, der in die Tiefen des Meeres hinabsteigt·... Lyonnet setzt voraus, daß Paulus diese Interpretation, die der paulinischen durch das Motiv der "Tiefe" und durch den Einschub von Personen nahesteht, bekannt war ..•• Was ist bei Paulus geschehen? Er hat den Mosespruch vom nahen Wort auf das durch Christus herbeigebrachte nahe Kerygma (V. 9) bezogen, wozu in der Tradition gewisse Anhaltspunkte gegeben waren. Das Wort des Kerygmas aber ist Evangeliumswort, und darum muß es Paulus als Sprache der Gerechtigkeit aus Glauben, nicht des Gesetzes, interpretieren. Diese Gegenüberstellung hat er wohl bewußt vollzogen, und so wird bei ihm das eine alttestamendiche Wort Dt. 30, 12ff. zum Wort des Glaubens, das andere Lv. 18, 5 zum Wort des dem Glauben entgegengesetzten Gesetzes"<. Die entscheidende Sachfrage lautet nicht, ob es legitim sei, das nahe Wort als "Wort des Glaubens" (V. 8), als "Wort von Christus" (V. 17) zu verstehen - das lag durchaus im Rahmen der Exegese seiner Zeit, die eben ~lj\L1X von der Gegenwart her versteht; und welches andere WOrt könnte denn nahe sein, wenn nicht das Wort des Glaubens? Sie lautet auch nicht, ob es legitim sei, das Wort, das nicht mehr herbeigeholt werden muß, auf Christus zu deuten. Das war von den jüdischen Vorbildern her leicht möglich, denn das Wort des Glaubens ist eben das Kerygma vom Auferstandenen (V. 9), und das ist nichts anderes als Christus (V. 7, vgl. 17)275. Sondern das Entscheidende ist, daß sich vom ~lj\L1X Xpr.cnoü her ein alttestamendiches Wort als Evangelium, paulinisch: als Wort der Gerechtigkeit aus Glauben, erweist und ein anderes als Wort des Gesetzes, das vom Evangelium gerade unterschieden werden muß. Das Ktryg",a erweist ein alttestamendiches Wort als Gesetz oder als Evangelium. Was alttestamentliches lI9'ort vor aem Christuslcerygma "'ar, interessiert PaulNs nicht.
Somit hebt in der Tat die Gegenwart des Evangeliums die qualitative Differenz zwischen alttestamentlichem Wort und evangelischer Botschaft auf2". Die Gerechtigkeit aus Glauben ist das, was das alttestamentliche Wort meint. Somit ist sie - vom alttestamentlichen Gotteswort aus geurteilt - nichts Neues in dem Sinne, daß Gott sich selbst geändert hätte. Dennoch aber weisen uns andere Äußerungen des Paulus darauf, daß die Gerechtigkeit Gottes für Paulus das schlechthin alles neuordnende, eschatologische Ereignis ist 277 • Es taucht von der Gerechtigkeit Gotte! her 10 el1llaJ wie ein doppeltel VerJländnis der Vergangenhe;t af!f. Im altteltamentlichen Wort ef7lle;JI sich die Gerechligknt allJ ... Polyglotte von B. Waltonus, IV, London 1653-1657, 376 (dort in Tg. J. I eingeschoben = Codex Neofiti 1). Anders Dt. r. 8, 6, vgl. Ljungman, Pistis 103• •,. R. 10, 6-8, M~1. BibI. A.Robert 502-504. Zur Datierung von Tg. J. II vgl. P. Kahle, Das palästinische Pentateuchtargum (Masoreten des Westens 11), Stuttgart: Kohlhammer 1930, 9"'. 11"'• ... Das ist sonst bei Pis. nicht die Regel, auch nicht R. 13,9, wo in einer andem Weise vom Gesetz die Rede ist; vgl. aber GI. 3, 10-12 und u. S. 149ff. 176 Es liegt unserm Text implizit eine Wort-Christologie zugrunde, ohne die der Gedankengang nicht schlüssig ist: Das 6lj\L1X -rij~ 7t!~6>~, das {lii\LIX XptaTOü (Gen. obj.I), d.h. das Kerygma (V. 9), d.h. wiederum "Christus" (V. 7) ist die Nähe Christi heute. Unsere Stelle ist für die Interpretation von 2 K. 5, 16 bedeutsam• • 78 V gl. o. S. 88f. und GI. 3, 8 (npoEUlXyyU.(!;O\LlXtI) • •n Das bezieht sich nicht nur auf das Offenbarwerden einer immer schon vorhandenen, aber verborgenen Gottesgerechtigkeit bei Pis., vgl. zu R. 3, 21 u. 111 4 und bes. A III 133.
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11. Die gegen/v. Vergangenheit: Das Gottenvort Jes AT
Glauben als das immer schon von Gott Gemeinte278 • Andererseits ist die in Christus gesetzte Gerechtigkeit Gottes etwas Neues, ein Wunder, das der bisher die Geschiehte beherrschenden Macht des Gesetzes ein Ende setzt (R. 10, 4). Unter dem Stichwort "Gesetz" scheint sich eine neue Betrachtungsweise der Vergangenheit aufzutun, der wir noch nachgehen müssen. Daneben steht die Vergangenheit, die im Gebrauch der Schrift durch Paulus zur Gegenwart spricht 279• Die Schrift aber hat sich uns bisher im paulinischen Verständnis als Evangelium und Wort Gottes im Vollsinn, rJcht als abgetanes Gesetz erwiesen. Bei der Betrachtung des Alten Testaments sind wir bisher im allgemeinen280 gerade nicht auf die Differenz zwischen Altem und Neuem, altem Bund und neuem Bund, Gesetz und Evangelium gestoßen. 5. Traditionsgeschichtliche Erwägungen zur Schriftauslegung des Paulus
A. Paultu und die Schriftauslegung der vorpaulinischen Gemeinde Zunächst besteht unsere Aufgabe darin, traditionsgeschichtlich aus den paulinischen Schriftbeweisen Rückschlüsse auf den vorpaulinischen christlichen Schriftgebrauch zu ziehen281 • Heute ist an diesem Punkt die Diskussionslage durch die Frage Co~elmannl bestimmt, wie weit die Interpretation des A. T. und der Geschichte Israels bei Paulus auf chrisdiche Schultradition zurückgehe···. Die sich aus Conzelmanns Hypothese ergebenden Folgerungen zeigen deren Fruchtbarkeit. Vor allem weisen sie auf ein bisher stark vernachlässigtes Gebiet der Paulusforschung: die Traditions-
"" Sachlich drückt Pis. das durch "epaggelia" aus, vgl. o. II 3 A Exkurs. "" Es genügt also gerade von R. 10,4ff. her nicht, zur Erklirung der vielen A. T. Zitate in R.9-11 auf die Gesprächssituation mit Israel oder die apologetische Grundtendenz des Pls. hinzuweisen, gegen Harnack, SAß 1928, 136. Trotz R. 9, lff. bedarf nach Pls. die Synagoge und nicht er der Apologetik (R. 10, 14ff.). Zu denken gibt, daß gerade in den prinzipiellen Exkursen über die Gerechtigkeit Gottes (R. 9, 14ff.; 10,4ff.) sich A. T. Zitate in großer Zahl finden. Vgl. auch o.1l3 D Nr.4.7. IS. R. 10, 5ff., vgl. Gl. 3, lOff., wo - vordergründig - Schrift gegen Schrift steht, das A.T. also teils auf der Seite des Evangeliums, teils auf der Seite des Gesetzes steht, erweist sich von daher als Ausnahme, vgl. auch o. A. 274. •s, Die uns hier beschäftigende Frage wurde von Eilis, Paul's Use 85-113, energisch aufgerollt. Interessant ist seine These, daß die AtyEL-xupLoc;-Zitate auf gemeinsame urchrisdiche Prophetentraditionen zurückgehen (aaO 107-112). Sie scheint mir aber mit groBen Schwierigkeiten belastet zu sein. Im Unterschied zum alttestamendichen Prophetenspruch fehlen diesen Sprüchen (A.T.Zitatel) sie eindeutig bestimmende Formmerkmale. Von den uns bisher bekannten Formen des Prophetismus her ist es unwahrscheinlich, daß gerade Propheten sich mit der Tradierung von A.T.Zitaten beschäftigten. 181 NTS 12 (1965/66) 244.
5. Traditionsgeschieht/. Enlliigungen Zur SchrijttJlls/eg. des PtJlllm
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geschichte'··. Abgesehen von der Erforschung vorpaulinischer Hymnen und Formeln stecke.n wir hier noch in den Anfängen, da die Forschung bisher meist religionsgeschichtlich - nach der heidnischen oder jüdischen Herkunft von Vorstellungen bei Paulus, aber nicht - traditionsgeschichdich - nach der unmittelbaren christlichen Vorgeschichte des paulinischen Stoffes gefragt hat. Zu diesem Thema möchte die vorliegende Arbeit nebenher einige Hinweise geben···. Wir sind uns dabei bewußt, daß die literarische Gattung des paulinischen opus - Gelegenheitsbriefe eines selbständigen Theologen und Schriftstellers - sowie unsere geringe Kenntnis der vorpaulinischen Gemeinden die Arbeit erschweren. So versuchen wir, streng analytisch vorzugehen, um Fehlresultate zu vermeiden. Wir untersuchen also die paulinischen A. T. Zitate nur an zwei Stellen, wo unter Umständen Resultate zu erwarten sind, nämlich dort, wo die Möglichkeit von Testimonien besteht, und dort, wo Parallelüberlieferungen im N. T. vorhanden sind"l l• Aber auch so wird sich zeigen, daß Paulus weit stirker als oft angenommen als Denker innerhalb der christlichen Gemeinde verstanden werden muß.
a) TestimonientBII Die Frage, woher dem Apostel Paulus seine Schriftzitate zugekommen sind, ist in der Geschichte der Erforschung des paulinischen Schriftgebrauches mit der sog. Testimonienhypothese, d. h. der These, daß dem Apostel und andem frühchristlichen Schriftstellern Sammlungen von Schriftstellen, Florilegien oder Testimcr nien..., vorlagen, verbunden. Da wir anband der Frage nach der Benützung sol-
"'S
V gl. auch U. Wilcleens, über die Bedeutung der jüdischen Überlieferung in der Geschichte des hellenistischen Urchristentums, ThViat 8 (1961/62) 285-298, dort 285f. "" Vgl. o. I13A, u. I15 A a. b; u. S.117ff. 128f. 136f. 196f. 282f. 314f. 328f. 343ff. 354f., ferner u. A. III 299; A. IV 37; A. IV 111; A. IV 119 (Verweise I); A. VI 38. Bahnbreellend ist das 1940 erstmals erschienene Buch von A. M. Html"', Paul and his Predec;essors, 2. AuS. London: SCM 1961; für die Vorgeschichte der christi>logischen Titel grundlegend ist W. Kramer, Christos K yrios Gottessohn, A ThANT 44, Zürich: Zwingli 1963. 181 Vgl. BIlis, Paul's Use 98ff. 93ff. . ",. Nur eine Skizze des Problems soll hier gegeben werden, soweit dies für das Ziel unserer Untersuchung nötig ist. Literatur: E. Haleb, Essays in Biblical Greek, Oxford: C1arendon Press 1889; Vollmer, Citate 38-43; R.Harris, Testimonies I, Cambridge 1916, II 1920; Puukko, Paulus und das Judentum 53ff.; Michel, Paulus und seine Bibel 37ff. (ablehnend, positiver ders. Röm. 236 A. 1); L. CerftZllX, La thoologie de l'Eglise suivant St. Paul, 2. AuS. Paris: Du Cerf1948, 35ff.; Zehrer, Psalmenzitate 192-198; P. W.Slalh". Hili/I, Primitive Gospel Sourees, New York: Philosophical Library 1951, bes. 123ff. (positiv) und pss.; C. H. DoJJ, According to the Scriptures. The Substructure of N. T. Theology, London: Nisbet 1952, 23-60 (dazu A.StmJberg, On Testimonies, Nov. Test. 3 (1959) 268-281); K.SlenJah/, The School of St. Matthew, ASNU 20, Lund: Gleerup 1954; Thyen, Stil 65f.; Ellis, Paul's Use 98ff.; ].A.Fi~myer, .,,4 Q Testimonia" and the New Testament, ThSt 18 (1957), 51~537; Lindars, N.T. Apologetics 13ff.; Hunter, Paul and his Predecessors 58ff. (kritisch 131ff.); ].P.Audel, L'hypotMse des Testimonia, RB 70 (1963) 381-405; H.BrtZtlll, Qumran und das Neue Testament, II, TUbingen: Mohr 1966, 304f. 323ff.; ].H.E//;ott, The Elect and the Holy, Suppl. Nov. Test. 12, Leiden: Brin. pss., bes. 130ff., dort weitere Lit. 111 In Qumran sind beide Formen belegt: die unkommentierte Sammlung von SchriftstelIen: 4 Q Test. (dazu: Fittmyer ThSt 18 (1957) 529ff.) und das kommentierte Florileg: 4 Q Flor.
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Il. Die gegenlll. Vergangenheit: Das Golfe/JVort des AT
cher Testimonien durch Paulus vielleicht einen Einstieg in den Schriftgebrauch der vorpaulinischen Gemeinde finden können. werden wir hier einsetzen. Wir beschränken uns aus methodischen Gründen auf die vorpln. Gemeinden. ohne auf ihren Zusammenhang mit den übrigen urchristlichen Gemeinden emzutreten·ss. Am leichtesten läßt sich die Frage bei R. 9. JJ beantworten28t • Zu diesem Text haben wir in 1. Pt. 2. 6-8 eine Parallelüberliefenmg. die z. T. dieselben Textverschiedenheiten von der LXX zeigt wie Paulus· 80• Eine literarische Abhängigkeit des 1. Pt. von Paulus 201 erklärt den eigenartigen Tatbestand nicht. daß Paulus zwar an einigen Stellen weiter entfernt ist von der LXX als 1. Pt.• aber eben nur an einigen Stellen. Nähme man an. daß Angleichungen an die LXX für den Verfasser des 1. Pt. das Motiv fUr die Anderungen gewesen wären. so erklärt man den merkwürdigen Tatbestand nicht. daß der 1. Pt. doch wieder nicht konsequent verbessert. Außerdem werden im ersten Petrusbrief die Zitate in völlig anderem Zusammenhang als im Römerbrief gebraucht. nämlich in der Paränese an die Christen als "lebendige Steine"..•• so daß wohl die Zitate. nicht aber ihr Kontext im Römerbrief dem Verfasser des ersten Petrusbriefs vorgelegen haben dürften. 1. Pt. 2. 10 findet sich außerdem noch eine Anspielung auf Hos. 2. 25 (= R. 9, 25), so daß mit der Möglichkeit. daß ein Testimonium außer Js. 8. 14; 28.16 noch mehr Zitate enthalten hätte 2" , gerechnet werden muß. Eine weitere Parallel10. Mit einer weitgehenden Sonderexistenz der vorpaulinischen Gemeinden muß in der Tat gerechnet werden, vgl etwa W.SGhmithalJ, Paulus und der historische Jesus, ZNW 53 (1962) 151ff. ... Auch Harris. Testimonies I, 26ff.• geht von dieser Stelle aus. Beiden Stellen ist gegen LXX gemeinsam: 'd&1)ILI, 1ttTPGt <JXGtv8ciAou, lv l:u!lv, evt. l1t' GtÖTij) (gegen LXX B). Mit LXX gegen R. hat 1. Pt.: die Trennung der beiden Zitate Js. 8,14 und 28,16, oö lLiJ XGtTGtIGXuv&1i und einige Adjektive. Vgl die Textzusammenstellungen bei E. G.SebJ'yn, The First Epistle of St. Peter, 2. Aufl. London: Macmillan 1947, 27Of. ... Abhängigkeit des R. von 1. Pt. nimmt unter den modemen protestantischen Forschern m.E. nur.Kühl, RÖm. 346 an. Literarische Abhängigkeit des 1. Pt. von R. nehmen unter den kritischen Forschern, die nicht mit Silvanushypothese operitten, u.a. an: R.Knopf, Die Briefe Petri und Judä, Meyer K. 12, 7. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1912, 17. 92; A.]üliGher-E. FaJGher, Einleitung in das Neue Testament, 7. Aufl. Tübingen: Mohr 1931, 194; Michel, Paulus und seine Bibel 41f. Mit Recht wird sie heute von den meisten Forschern abgelehnt. Selwyn, 1. Petr. 268ff. nimmt für 2,6-8 nicht ein Testimonium, sondern einen Hymnus an, ohne dies freilich wirklich beweisen zu können, vgl uO 276f. ].de Waard. A Comperative Study of the Old Testament Text in the Dead Sea Scrolls and in the New Testament, Studies on the Texts of the Desert of Jud. 4, Leiden: Brill1965, 59f., vermutet einen Midrasch, der auch 1QS 8, 7f. zugrundeläge, aber auch hier fehlen beweiskräftige Gründe. Vgl ähnlich auch D. Fluuer, Tbe Dead Ses Sect and Pre-Pauline Christianity, in: Scripta Hierosolymitana 4 (1958) 215-266, dort 233f. Elliott, Elect and Holy 145 nimmt nur mündliche überlieferung an . ••• Der Skopus von 1. Pt. 2, 1-10 liegt nicht bei der Polemik gegen Israel (gegen C.Müller, Gottes Gerechtigkeit 34), sondern bei der Paränese an die Gemeinde. Die Frage nach Israel, wie sie R. 9-11 ste,llt, ist von 1. Pt. 2 her unmöglich. IU Könnten wir annehmen, daß mindestens auch R. 9, 25-28 zu dem angenommenen Testimonium gehört hätten, SO wären die Mischzitate und Abweichungen von der LXX dort zu erklären. Dafür spräche die Ausrichtung von V. 27ff. auf den Restgedanken, der nachher nicht ausgewertet wird, die unmotivierte Verkürzung von Js. 10,23 (es fehlt ausgerechnet ..dikaiosyne"I), dagegen abgesehen von der Gegenüberstellung von V. 25f. und 27ff. das konsequente Anführen der Verfassernamen der A.T. Schriftsteller. Hat das Stichwort "kataleipö" formbildend gewirkt, vgl auch Js. 10, 19. 21? 4QTest. und 4QFlor. zeigen außerdem, daß Testimoniensammlungen nicht unbedingt sehr geschlossen zu sein brauchen.
I..
5.
Trad;t;onsges~hieht/.
Erwägungen
~lIr S~hriftallsleg.
des PalIINs
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überlieferung findet sich in Barn. 6. 2-4. die auch auf ein Testimonium zurückgehen dürfte. das allerdings stark dem LXX-Text angeglichen ist.... Außer den genannten gibt es noch eine Reihe weiterer Gründe. die dafür sprechen. daß R. 9. 33 bzw. 1. Pt. 2. 6-8 ein Testimonium zugrundeliegt. Paulus setzt in seinem Brief voraus. daß die ihm unbekannten römischen Christen wissen. wer der "Stein des Anstoßes" ist (R. 9. 32). Es scheint sich also hier um eine in der ganzen Kirche verbreitete Auslegung gehandelt zu haben·... Für eine Benutzung einer Zitatensammlung in irgend einer Form spricht auch die Gepflogenheit des Paulus. die Zitate blockweise einzuschieben. die wir bei ihm oft finden. Oft schießen die eingeschobenen Zitate über den ihnen im Kontext des Briefes zukommenden Zweck hinaus. d. h. sind ursprünglich wohl zu einem andern Zweck zusammengestellt worden. So sind 1. Pt. 2. 7f. die !i7tlawüntc; eigendich überflüssig. während im Römerbrief etwa der Restgedanke von 9. 271f. nicht fruchtbar gemacht wird. 1. Pt. 2. 4f. ist vermudich eine den Zitaten vorausgestellte paraphrasierende Auslegung. Sie umfaßt alle drei Zitate: ein Indiz dafür. daß diese Zitlltengruppe vom Verfasser des ersten Petrusbriefes als ein Ganzes empfunden wurde. Ebenso findet sich zu allen drei Zitaten nur eine einzige Einführungsformel..•• Während das Vorliegen einer Zitatensammlung hinter R. 9. 33 und 1. Pt. 2.61f. ziemlich sicher nachzuweisen ist. tappen wir im Dunkeln. wenn wir diese nun näher zu beschreiben suchen. Soviel können wir sagen. daß es sich um ein christliches Dokument gehandelt haben muß. Obwohl Ps. 118 und Js.28 im Judentum messianisch gedeutet wurden"'. ist die Verbindung mit Js. 8. 14 doch erst im Christenl1Jm zu erklären. Da der Zitatensammlung das Motiv der Polemik femzuliegen scheint, liegt es am nächsten. als ihren Sitz im Leben eine Schule anzunehmen. die von der Schrift her Christus und die Kirche theologisch zu deuten versuchte!". , Ebenso tastend bewegen wir uns. wenn wir die .Änderungen, die Paulus und der Verfasser des ersten Petrusbriefes an der "Sammlung" vornahmen. festzustellen versuchen. Dem Vf. des 1. Pt. dürften die zwischen die Zitate gesetzten Zwischentexte zuzuschreiben sein t " . ebenso wohl die Trennung des Mischzitates Js.28. ,1( Den Nachweis. daß dort auch Testimonien vorliegen. führt Prigent. Testimonia 1711f. wohl überzeugend; zur Nachgeschichte des Testimoniums in der frühen Kirche vgl. ders .• 176f. Weitere. z.T. abwegige Belege zum Lithos-Motiv bei Hunt. Gospel Sources 126f; zur Entwicklung in der· frühen Kirche vgl.J.J".,,,,ia.t•. Art. A(.f}O~ XTA •• ThW IV. 272-283. dort 282. 221f. ••• Vgl. u.a. Mk. 12.10 Parr.; Ag. 4.11; Ev. Thom.log. 66; Lindars, N.T. Apologetics 177; Jeremias. ThWIV. 275-282. ••• Das eigenartige Fehlen des Artikels vor 'YP(lt~~ kann dabei nicht sicher gedeutet werden. Eine Entscheidung ist schwierig. Entweder heißt "graph!!" hier "Schriftstelle" (vgl. G.S&hrenk. Art. 'Ypliql6) XTA •• ThW 1.742-773. dort 752. 231f.). so daß unbt.'Stimmt von "einer" Schriftstelle die Rede wäre. Oder "graph!!" heißt trotz des Fehlens des Artikels "die Schrift". was nach 2. Pt. 1. 20 immerhin möglich ist. vgl. auch Pr.-Bauer s.v. Oder ist von einer andern als "der" Schrift die Rede (vgl. Selwyn, 1. Petr. 163). etwa einem Testimonienbuch? ... Vgl. die: Tg. bei Str.-B.III. 276 und 593. und Jeremias. ThW IV. 276. 18ff. Das spricht gegen Lindars. N.T.Apologetics 178. und dafür. daß der Stein von Anfang an auf Christus gedeutet wurde. also nicht bloß "a vivid poetic image" ist (Lindars aaO) . ... B. GärhIer. The Habakuk Commentary (DSH) and the Gospel of Matthew, StTh 8 (1955) 1-24, dort 24 denkt an die Missionspredigt an die Juden. tot V.4f. ist wohl Deutung des Vf•• die übrigens an die Deutung der Gemeinde als eines Baus in Qumran (vgl. zu Js. 28. 16: 1 QS 8. 7f.; 1 QH 6, 26, dam Eph. 2.2Of.) anschließt. In V. 7-10 ist !lnc..&t6) Tij) A6yq> (vgl. 3,1), XOt>.W und TLI'-lJ Vokabular des 1. Pt.
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11. Die gegenw. Vergangenheit: Das GotleStJlort des AT
16 und 8, 14, wahrscheinlich auch die Angleichungen an die LXX. Paulus dürfte die Zitllte durch die Vokabeln -/jY<X1n)IJ.&V~ (9, 25, vgl. 9, 13) und X<XA&C/) an seinen theologischen Kontext angeglichen haben. Möglicherweise geht auch die chiastische Reihenfolge Israel-Heiden (vgl. R. 9, 24 mit 25f. 27ff.) auf ihn zurlick. Jedenfalls hat er axciVSO:AOV (vgl. 1. K. 1,23; GI. 5, 11), n~a-reOc/) etc. von seiner Theologie her vertieft verstanden. Aufs Ganze gesehen scheint sich aber Paulus durchaus an den Schriftgebrauch des vor ihm liegenden Testimoniums gehalten zu haben. An andem Stellen können Testimonien nur vermutet werden. Möglich ist, daß der Zitatengruppe R. 1f, 8-10 ein Testimonium zugrunde liegt. Dafür sprächeder blockartige Einschub in den Text, der merkwürdige Zusatz in V. 9 (_t Et~ M,P<Xv), der als Veränderung durch Paulus unmotiviert ist 8•• und demzufolge in dem Paulus vorliegenden Text gestanden haben dürfte. V. 9 ist überflüssig; Paulus hitte, wenn er selbständig ein Schriftwort gesucht hätte, wohl nur Ps. 69,24 (= R. 11, 10) zitiert. Vielleicht spricht auch die Stichwortverbindung zwischen den beiden Zitllten (bq>&otAIJ.0t, 1J.i) ßAEnC/)), die häufige Bearbeitung von Ps. 69 im Urchristentum (vgl. R. 15,3) und das Vorliegen eines Mischzitates 301 für ein Testimonium"ol• Ein solches wäre christlichen Ursprungs und hätte seinen Sitz wohl in der Polemik gegen Israel gehabt. Ein Testimonium dürfte m. E. auch R. J, 10-18 vorliegen. Darauf weist abgesehen vom Blockcharakter des Einschubs die enge Verbindung zwischen den einzelnen Zitlltfragmenten, das Fehlen von Einführungswendungen zu den einzelnen Zitllten, die Zusammenstellung von ganz wörtlichen und stark veränderten Zitllten"o" sowie die Stichwortverbindungen zwischen ihnen·". Ob es sich bei dem Stück um ein aus der jüdischen Polemik (gegen die Heiden? gegen das ungehorsame Volk?) erwachsenes Testimonium oder um ein Stück urchristlicher Polemik oder Liturgie handelt"°', !ißt sich nicht mehr ausmachen. Ähnlich liegt die VgI. aber LXX Ps. 34, 8. Zehrer, PsaImenzitate 59 A. 136 und 170ff., meint, daß Pis. in 11, 9 einen Parallelismus membrorum herstellen wollte, doch bliebe dieser Parallelismus rein formal. 101 Aus Dt. 29, 3f. und Is. 29, 10, nicht aber aus dem sonst häufig (Mk. 4, 12 Parr.; J. 12, 40; Asz.. 28, 26f.) zitierten Abschnitt Js. 6, 9f. besteht das Mischzitat in V. 8. VgI. u. a. E. P. DDblehüJ~ Zum paulinischen Schriftbeweis, ZNW 24 (1925) 306f., gegen Nestle z. St. 101 Der Hinweis von Michel, Röm. 269, daß in R. 11,8-10 alle drei Gattungen der Schrift gemäß rabbinischer Praxis verarbeitet seien, ist richtig, trägt aber Air unsere Frage nichts ab. Sowohl ein Testimonium als auch Pis. können so konzipieren. 101 Falls kein Testimonium vorläge, hieße das wohl, daß Pis. die verschiedenen Psalmzitllte verschiedenen Quellen entnommen hätte, was doch schwer denkbar ist. Völlig verändert ist Ps. 14, Iff. besonders am Anfang, starke Veränderungen zeigen auch 1j/9, 28 und Js. 59,7f., während Ps. 5, 10; 140,4 wörtlich, Ps. 36, 2 fast wörtlich der LXX entsprechen. 104 Hier ist nicht nur oöx ~IJ't~v zu erwähnen, das das ganze Stück formal stark prigt, sondern auch zahlreiche Stichworte, die in z. T. nicht mitzitierten Nebenversen vorkommen: YAWIJIJ<X: Ps. 5, 10; 14O,4a (zitiert 4b); Js. 59,3 (zitiert 7f.); n~xp(<x: cIo 9, 28, vgI. Ps. 5, 11 (zitiert 10); XEtAll: Ps. 140,4; Js. 59, 3; cllJnt~: Ps. 140,4; Is. 59, 5; a-r61J.<X: cIo 9,28; Ps. 5,10a (zitiert lOb); Ps. 36,4 (zitiert 2). Die Häufigkeit dieses Befundes ist auffällig und wohl mehr als Zufall. Können daraus Schlüsse auf die Entstehung des Testimoniums gezogen werden? Oder sind trotzdem größen: Texteinheiten anzunehmen, die die Basis für die Testimonien sind? Vgl. zu Dodd u. A. 312. 101 Michel, Röm. 98 spricht von einer "feierlichen Klageliturgie" bzw. einem "urchristlichen Psalm" (uO 100). Dessen Sitz im Leben wäre allerdings nicht ganz 100
5. Tradi#onsgeschichtJ. Envigungen tRr SehrijttJIIsleg. des PtJIIlfiS
99
Wahrscheinlichkeit bei R. 15,9-12, wo wörtliche und nichtwörtliche Zitate hier allerdings durch Einführungswendungen voneinander getrennt - unter dem Stichwort ~&Vl) zusammengestellt sind. Das Vorhandensein einer testimonienartigen Tradition ist möglich, aber nicht beweisbar. An den übrigen Stellen im Corpus Paulinum, wo testimonienartige Traditionen vermutet worden sind, scheinen mir die Grunde, die ein Testimonium wahrscheinlich machen könnten, nicht auszureichen: Was für Traditionen hinter dem eigenartigen Zitat R. 11, 34f. stehen, dürfte nlcht mehr auszumachen sein. Für R. 10, 13ff. ist ein Testimonium nicht beweisbar"". In 1. K. I, 18-3, 23 vermutet L. CerjQUX ein Florileg, indem er. die dortigen Zitate nach der LXX vervollständigt, wobei sie sich als unter den Stichworten <JOql(cx, <J0'P6~, - ßOUA - und AOYI<JII-6c; verbunden erweisen'·'. Die Achillesferse der Hypothese besteht darin, daß Cerfaux nicht ganz alle Zitate des Abschnittes verwenden kann S•••
Was können aus diesem Befund für Schlüsse gezogen werden? Vieles bleibt hypothetisch. Vermutlich hat Paulus jedoch christliche Testimonien benützt und damit den Schriftgebrauch der Gemeinde vor ihm aufgenommen. Eine bewußte Veränderung der ihm vorliegenden Traditionen ließ sich nirgends feststellen. Vielmehr wird der Schriftgebrauch der Gemeinde aufgenommen, vertieft, verdeutlicht, weitergeführt, aber revolutionär Neues scheint Paulus hier nicht geschaffen zu haben80'. b) Die übrigen Zitate Hier wird die Arbeit der Traditionsgeschichte erst recht schwierig, weil wir kein sicheres Kriterium besitzen, um ein bei Paulus sich findendes Schriftzitat, das vom Apostel selbst entdeckt wurde, von einem solchen aus der Gemeindetradition zu unterscheiden. Die christliche "Entdeckung" des Alten Testaments begann ja mit den ältesten Schichten der Tradition und war in ständiger Entwicklung. Aus der Zitationsweise des Apostels lassen sich jedenfalls keine Rückschlüsse ziehen, da von ihm selbst entdeckte Zitate sowohl der Lektüre des einfach zu bestimmen, weil es wahrscheinlich die andern sind, deren Sünde beklagt wird. Ohne daß das Testimonium verbal verändert wird, sind es bei Pis. aufgrund des Kontextes alle, die sündigen, d. h. die Klagenden sind mit eingeschlossen. , •• Vgl. dazu auch o.A. I 73. 77 • ••• Vestiges d'un ßorilege dans 1. Cor. I, 18-3, 23?, in: Recueil L. Cerfaux n, Gembloux: Duculot 1954, 319-332, dort bes. 323. ••• überzeugend weist dagegen T. A. F;/~fJIyer, Qumran and the Interpolated Paragraph in 2. Cor 6,14-7, I, CBQ 23 (1961) 271-280, dort 278f. in dem m.E. unpln. Stück 2. K. 6, 14ff. ein Testimonium mit dem Thema "Gottes erwihltes Volk" nach. Wesentlich mehr Testimonien findet Harris, Testimonies 11, 12-37, indem er antijüdischen Charakter der Zitate zum Kriterium macht• ••• "St. Paul was a traditionalist, operating with conventionaI and approved material to a degree far beyond what we should apriori have expected" (Huris, Testimonies 11, 29).
100
II. Die gegenlII. Vergllngenheit: Dill Gotteswort des AT
A. T. (dann wörtliche Zitation), als auch der Lesung des A. T. im Gemeinde- oder Synagogengottesdienste (dann freiere, evt. targumartige Zitation oder Gedächtniswiedergabe) oder einfach der Erinnerung entstammen können. Ähnliches gilt auch für die Gemeindetradition. Paulus kann auch freie und ungenaue Zitate der Gemeindetradition korrigiert haben, so daß wir hier völlig im Dunkeln tappen. Auch eine Vorliebe des Apostels für bestimmte alttestamentliche Schriftsteller läßt sich nur sehr beschränkt nachweisen. Paulus zitiert zwar Jesaia (21 x), Psalmen (17 x), Deuteronomium (12 x) etwa im Vergleich zu Jeremia (3 x), Numeri (nie) oder Hiob (1 x) besonderS häufig (berücksichtigt wurden dabei nur die eigentlichen Zitate). Man vergleiche damit aber andere Schriften: Schriften:
..._-_.-.... Zitate aus: Js. Ps. Dt. Nu. Jer. Hi.
Pis. 21 17 12
-- ... - ._---.-.- - ----._...._- ----_ ...._- ...._-"---- -_ ..------_.. J. 5 7
Lk.Ag.
Hb.
Barn.
1.CI.
8 6 8
2 15 4
1
2
31 20 13 1 8
15 37 7 5 2 10
t
3 1
Ign.
2 2
Die Tendenzen laufen also ähnlich und berechtigen zu keinen Schlüssen, ausgenommen solchen über exegetische Traditionen des Urchristentums überhaupt310 • Ein sicherer Hinweis auf Gemeindetradition dürfte dort gegeben sein, wo in einem Zitat semitischer Spracheinfluß direkt nachweisbar ist, d. h. bei Paulus fast nie3l1 • Einen Hinweis geben uns auch Zitate, die in den neutestamentlichen Schriften mehrfach vorkommen, was auf eine gewisse Verbreitung in verschiedenen Gemeinden schließen läßt312 • Auch in Qumran genießen Jesaia und die Psalmen große Beliebtheit, '"81. Braun, Qumran u.d.N. T. 11, 303. Zur Bedeutung der Psalmen bei Pis. auch Thyen, Stil 67 A. 18, bei den Juden G.F.Moore, Judaism in the first Centurics of the Christian Era I, Cambridge: Harvard University Press 1927, 241f.; zur Bedeutung von Js.1I vgI. T.HoIIZ, Zum Selbstverständnis des A[lostels Paulua, ThLZ 91 (1966) 321-330, dort 327/f. F.C.Porter, The Place of Apoealyptical Conceptioos in the Thought of Paul, JSL 41 (1922) 183-204, dort 188, weist ehr· auf hin, daß Pis. die apokalyptischen Teile des A.T. kaum benütze. Zum Fehlen von Jer. vgI. T.Holtz, aaO 326f. Oll A.nders ist natürlich die Problemlage, wenn wir mit z. B. W. C. v. Unnlk, Reisepläne und Amen-Sagen, Studia Paulina (Festsehr. J.deZwaan), Haadem: Ernn f. Bohn 1953,215-234, dort 233f., annehmen, Pis. habe als Muttersprache aramlisch gesproehen. Ilt VgI. die übersicht bei Dodd, Scriptures 31-57. Dodd glaubt, daß gewisse.tt. testamen diche Abschnitte als "text-plots" in den urchristlichen katechetischen 310
5. TraditionsgefChichtl. Erwägungen i,ur Scbriftalii/eg. der Pali/li!
101
Die Ausbeute bleibt aber spärlich. R. 9, 7 und Hb. 11, 18 zitieren beide Gn. 11, 12. Hier liegt wohl Gemeindetradition voral". Von den übrigen alttestamendichen Zitaten in R.9-11 hat Js. 53, 1 (= R. 10, 17) in J. 12,38 eine Parallele, die ihren Sitz wohl auch in der Polemik gegen die Juden hat. Js. 52, 7 hat durch das Verb cUat'Y'YE).(t:Oll-atl im Urchristentum eine gewisse Verbreitung erfahren, vgl. Ag. 10 36; Eph. 6, 15, ohne daß die Besonderheit von R. 10, 15 durch eine exegetische Tradition eine nähere Erklärung fände. JI. 3, 5 (= R. 10, 13) hat in Ag. 2,21 eine Parallele, doch ist dort die ganze Weissagung der Geistausgießung (JI. 3, 1-5) zitiert, ohne daß ein Zusammenhang zwischen den beiden Stellen wahrscheinlich wäre. Auch die übrigen Zitate bei Paulus weisen nicht auf eine starke Verbundenheit des Apostels mit dem in der übrigen urchrisdich-katechetischen Tradition behandelten Textmaterial: Hab. 2, 4 (= R. I, 17; GI. 3, 11) ist zwar Hb. 10, 37f. wieder zitiert, doch ist eine gemeinsame Tradition nicht nachzuweisen3IC • Von den übrigen Zitaten, die Paulus mit der von ihm unabhängigen urchristlichen Tradition gemeinsam hat, sind Ps. 62, 13 (R. 2, 6), Gn. 2, 24 (1. K. 6,16), Dt. 19, 15 (2. K. 13, 1), Lv. 19, 18 (GI. 5, 14) so weit verbreitet, daß besondere Schlüsse daraus nicht gezogen werden können. Es bleibt noch R. 14, 11, wo Phi!. 2, 10 eine stark verschiedene Parallele vorliegt, so daß kaum eine gemeinsame exegetische Tradition über Js. 45, 23 bewiesen werden kann, auch wenn Pis. natürlich die Anspielung auf das Zitat im Philipperhymnus kannte. Hingegen dürfte die Verbindung von Ps. 8 und Ps. 110 in 1. K. 15, 25ff. auf christliche Tradition zurückgehen"·.
Mit aller Vorsicht dürfte folgendes Ergebnis formuliert werden: Soweit sich dies nachweisen läßt, hat Paulus die exegetischen Traditionen der Gemeinde, in der er lebte, durchaus positiv aufgenommen, auch wenn seine eigene exegetische Arbeit nicht unterschätzt werden darfS1'. Im Gebrauch der alttestamentlichen Worte als Weissagungen, Beispiele, Typen etc. zur Erbauung, Belehrung oder Polemik scheint sich Paulus kaum von der hermeneutischen Tradition der Gemeinde wesentlich unterschieden zu haben. Jedenfal11weilt lein Umgang mit der S~hriftalil/egtmg der Gemeinde nicht darallf hin, daß er Ji~h 10 ehlla! flJie einer lUllen Hermenelltik bewIIßt geweJen wäre. Wenn wir überhaupt etwas als typisch paulinisch bezeichnen können. dann ist es die enge Verbindung. die die Schriftauslegung mit dem Vollzug seiner eigenen Theologie eingeht. Traditionen besonders häufig behandelt wurden. Jedoch sind sie dann sehr oft so verschieden angewendet, daß die Annahme einer gemeinsamen exegetischen Tradition schwierig ist. Außerdem bleiben die Zitate immer einzelne Worte, ohne daß ihr Kontext (Dodd, aaO 126: total context) in den Blick käme. Zum Weiteren vgl. Sundberg, Nov. Test. 3 (1959), bcs. 271ff. 111 Vgl. o.A. 138. 11' Gegen Dodd, Scriptures 51, vgl. A.Slrobel, Untersuchungen zum eschatologischen Verzägerungsproblem, Suppl. Nov. Test. 2, Leiden: Brill1961, 175; Lindan, N. T. Apologetics 230ff. Hb. to, 37f. steht viel näher bei Qumran, wo der Vers ebenf811s zitiert ist, vgl. Braun, Qurnran u. d. N. T. 11, 321f. I11 Vgl. dazu u. VII 2 C. I11 Ich freue mich hier der Übereinstimmung mit dem von Lindars, N. T. Apologetics 247, auf andere Weise gewonnenen Resultat seiner Untersuchungen.
102
Il. Die gege"lII. Vergllllgenheit: Das Gottenvort des AT
Die Frage. wieweit hellenistisch-enthusiastisch geprägte Gemeinden das A. T. faktisch aufgegeben haben.... ist komplex und kann wohl kaum mit einer einfachen Formel beantwortet werden. Der oben notierte Befund spricht aber eher dagegen. ebenso Conzelmanns bedenkenswerte Hypothese von weisheitlich geprägten Schulen in den Gemeinden"". Die enge Verbindung. die zwischen \Veisheitstheologie. Apokalyptik und Enthusiasmus in den Gemeinden geherrscht haben muß. läßt ein prinzipielles Urteil als unangebracht erscheinen. Natürlich mag faktisch in mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden die Bedeutung des A. T. zurückgetreten sein"". doch waren es ja ehemalige Juden, Proselyten, Gottesfilrchtige und Heiden. die in den hellenistischen Gemeinden zusammenlebten; da eine grundsätzliche und totale Trennung dieser Gruppen in den Gemeinden kaum nachzuweisen ist, wird nirgends das A. T. völlig aus dem Blickfeld der Gemeinden geueten sein. Dafür sprechen auch der erste Petrusbrief und der erste Klemensbrief.
B. Paulus und die Schriftauslegung von Qumran Blicken wir auf das außerchristliche Schrifttum, so scheint sich ein Vergleich zwischen der paulinischen Schriftauslegung und derjenigen der Sekte von Qumran besonders nahezulegen, weil wir es auch in Qumran mit einer zeitlich und soziologisch bestimmbaren Gruppe zu tun haben und nicht, wie bei den Rabbinen und weithin in der Apokalyptik, mit einer weitschichtigen und schwer abgrenzbaren Tradition. Qumran steht in verschiedener Hinsicht zeitlich und sachlich zwischen Apokalyptik und Rabbinat. Teilt die Sekte mit den Apokalyptikern deren intensive Enderwartung, ihr Interesse an der Geschichte als der Durchführung des Planes Gottes, ihr sich-AngewiesenWissen auf die Offenbarung des Planes Gottes und damit einen gewissen esoterischen Charakter, so erinnert das große Interesse der Qumranleute an der Schrift und die Bedeutung der einzelnen Gesetzesvorschrift an das rabbinische Judentum. Daneben weist Qumran eigentümliche Züge auf, die wir nur hier antreffen, etwa das Interesse an der Gegenwart als ausgezeichneter Zeit und ihre ausschließliche Verwendung als Schlüssel zur Interpretation der Schrift. Ein Vergleich der Schriftauslegung in Qumran und bei Paulus mag gerade deshalb besonders interessant werden. Religionsgeschichtlich soll damit nicht eine besonders enge Verwandtschaft zwischen Paulus und Qumranbehauptet werdens20 • 1. Beginnen wir mit dem Äußerlichsten, der Wörtlichkeit und den Einführungswendungen der Zitate. In der Damaskusschrift stehen In I ..
Vgl. Hamack, SAB 1928. 130. 137ff. V gl. o. A. 178. 282.
"" Vgl. o.A. 7. Zu den hellenistisch-enthusiastischen Gemeinden vgl. auch die u. A.IV 119 gegebenen Verweise. . 110 Zum Thema: Schriftauslegung in Qumran und im N. T. vollstilndige Literaturangaben bei Braun, Qumran u. d. N. T. 1I. 301.
J. TraJinoflSgesthithtJ. Ef'1IIägungen ZIIf' SthriJtausleg. Jes PauJus
103
sich wörtliche und nichtwörtliche Zitate etwa zu gleichen Teilen gegenübet 381• Bei Paulus finden wir zwar im ganzen eine etwas freiere Zitationsweise322, doch wird man daraus keine großen Schlüsse ziehen dürfen, da äußere Gründe, wie die Art der verfügbaren Quellen, die Reisetätigkeit des Apostels etc. eine Rolle spielen. Immerhin ist auffällig, daß bei Paulus der biblische Text etwas häufiger als in Qumran von der Interpretation im Kontext her, also durch den Autor selbst verändert worden ist S28• Ähnliches stellen wir bei der Betrachtung der Einführungswendungen fest. Wie bei Paulus verteilen sich in der Damaskusschrift die Einführungswendungen etwa zu gleichen Teilen auf mit "sagen" und mit "schreiben" gebildete Formeln. Auffallig ist aber bei Paulus im Unterschied zur Damaskusschrift die Häufigkeit völlig freier, formloser Einführungswendungen8lc• Beide Eigentümlichkeiten zeigen, daß Paulus der Schrift mit großer Freiheit gegenübersteht. 2. Gemeinsam scheint Paulus und dem Urchristentum einerseits, der Gruppe von Qumran andererseits das starke Interesse an der Gegenwart zu sein32&. Dieser Zug unterscheidet die Gruppe von Qumran so111 Die Kommentare von Qumran weisen von ihrer Form her andere Verhiltnisse auf und eignen sich zum Vergleich nicht, da dort ein fortlaufender biblischer Text vorliegt. Andererseits weist CDC. von den übrigen Schriften der Sekte verhiltnismäßig am meisten A. T. Zitate auf. Zu der in der peSer-Auslegung von Qumran bestehenden Möglichkeit, einen Text von der Auslegung her abzuändern vgI. EIliger, Studien 144. 158ff.; Stendahl, SchooI185-190• ••• R.: 28 Zitate nicht wörtlich, 16 Zitate wörtlich: 1. K.: 8 n.w., 4 w.; 2. K.: 3 n. w., 3 w.: GI.: 6 n. w., 2 w. (nur explizite Zitate gezählt). a.. Dazu wären etwa zu rechnen: R. 1, 17?: 2,24; 9,17. 25ff.; 10, 6ff•• 11. 15? 19?; 11,4; 1. K.l,31?; 3,20?; 14,21; 15,45?; GI.3,8?13?, vgl. o. 11 4 B. E. EI/;s, A Note on Pauline Hermeneutics, NTS 2 (1955/56) 127-133, dort l3Off., vgl. ders., Paul's Use 139-147, bes. 145; Lindars, N. T. Apologetics 24-28, woUen aufgrund der bei Pis. vorliegenden absichtlichen Textänderungen seine exegetische Methode als eine peSer-Deutung bezeichnen. Doch wird man differenzieren müssen. Die in Qumran gebräuchliche Art fortlaufender Kommentierung findet sich bei Paulus gelegentlich, z. B. R. 10, 5ff., aber nicht oft. Daß PIs. zwischen verschiedenen Lesarten auswählt, ist m. E. kaum nachzuweisen; etwas anderes ist, daß er von seinem theologischen Kontext her den Text umgestaltete. Das hinter der Auslegung des A. T. in Qumran stehende Verständnis von Gegenwart und Geschichte, von Autorität des Auslegers etc. gilt für Pls. nur partiell. VgI. zum Ganzen die differenzierten Bemerkungen von Braun, Qumran u. d. N. T.ll, 306f. 323• ••• Vgl. R. 9, 9.15.27.29; 10,20; 11,4; 13,9: GI. 3, 8 und o.S. 87. In Qumran finden sich - abgesehen von den Kommentaren - nicht mit ,,'amar" oder "kathab" eingeleitete Zitate nur CDC. 3, 21; 4,13.21. Ahnliches steUt a~ch B.M,tuer, The Formulas introducing Quotations of Scripture in the N. T. and the Misht18h, JBL 70 (1951) 297-307, dort 306, beim Vergleich mit der Mischna fest, auch wenn die Differenzen zwischen den Einführungswendungen bei Pis. und der Mischna eher größer sind aIs bei Qumran, vgl. J.A. Fit,"myer, The Use of Explicit O. T. Quotations in Qumran Litterature and in the New Testament, NTS 7 (1960/61) 297-333, dort 305 • ... Fitzmyer, NTS 7 (1960/61) 309/f. bezeichnet diesen Bezug der Auslegung auf die Gegenwart mit dem Stichwort .,modernizing". Er hat damit etwa Richtiges
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II. Die gegen/v. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
wohl von der vorwiegend an der Zukunft orientierten Apokalyptik wie von den Rabbinen, die zwar die Gegenwart selbstverständlich in ihre Schriftauslegungen miteinbeziehen, aber eben nur neben andern Zeiten mit-einbeziehen. Die Gegenwart ist für die Gruppe von Qumran ausgezeichnete Zeit. Sie, die mit dem Wirken des Lehrers der Gerechtigkeit ihren endgültigen Anfang nahm, ist die letzte Zeit, Zeit vor dem Ende, Zeit der wieder erscheinenden Gnade Gottes S28, Zeit der Erfüllung der Schrift. Damit scheinen wir unmittelbar in der Nähe des jungen Christentums zu stehen. Dennoch sind die Unterschiede zu beachten. Zunächst fällt auf, daß der Habakukkommentar den Text durchaus nicht einheitlich auf die unmittelbare Gegenwart deutet. Vielmehr gehen Deutungen auf die jüngste Vergangenheit, die Zeit des Lehrers und des Frevelpriesters sowie des Lügenmanns327, auf die aktuelle Gegenwart, also die Zeit der Gemeinde unter der Herrschaft der Kittim 328 und auf die nahe Zukunft, die Zeit des endgültigen GerichtsS29, nebeneinander her. Wenn die vorläufige Anzeige, der Kommentar deute den Text auf die Gegenwart, dennoch richtig sein soll, dann muß "Gegenwart" näher bestimmt werden: Gegenwart ist dann die durch das Auftreten des Lehrers der Gerechtigkeit inaugurierte, vom Jiingsten Gericht begrenzte "letzte" Zeitepoche, oder kurzum: Gegenwart ist die Zeit der Geschichte der Qumransekte. Qumran kennt also so etwas wie einen ausgezeichneten Zeitabschnitt, innerhalb dessen sich die Schrift erfüllt. Daraus ergibt sich - etwas pointiert - folgende Bestimmung: Ein Ereignis erweist sich für den Ausleger der Sekte von Qumran dann als schriftbezeugt, wenn gesehen, aber m. E. noch unzureichend beschrieben. Auch für die Tannaiten würde dieses Urteil gelten; der Unterschied besteht aber darin, daß dort alttestamentliche Prophetenworte zwar auf die Gegenwart bezogen werden M"M", aber nicht fliRrst", vgl. Glatzer, Untersuchungen 841f. ••• Vgl. 1 QpHab. 2, 5; 7, 7. 12; 1 QS.4, 16f. Die Ausdehnung dieser letzten Zeit bleibt allerdings unbestimmt, vgl. dazu F. Nötrcher, Zur theologischen Terminologie der Qumrantexte, BBB 10, Bonn: Hanstein 1956, 1651f. Seine Unterscheidung einer bereits angebrochenen ,,messianischen" und einer fernen "eschatologischen" Zeit (aaO 166) scheint mir von den Texten her nicht begründet. VgL auch G.Jer,miar, Der Lehrer der Gerechtigkeit, StUNT 2, Göttingen: Vandenhoeck 1963, 159• ••• Vgl. G.Jeremias, Lehrer 361f. 791f. Der Lügenmann dürfte mit dem Lehrer der Gerechtigkeit gleichzeitig sein, also eine Gestalt der nahen Vergangenheit. Der Frevelpriester ist wohl Jonathan Makkabaios, vgl. G. Ve,.",is, Les manuscrits du d~sert de Jude, 2. AuS. Paris: Descl~e de Brouwer 1954,94; G.Jeremias, aaO 711f• ••• Gemeint sind vermudich die Römer, vgl. G.Jeremias, Lehrer lOf. A 3. Interessant ist, daß 4 QpNah. vermudich die politischen Ereignisse der Epoche Alexander Jannais und nicht die Griindungszeit der Gemeinde anvisiert, vgl. G.Jeremias, aaO 138f.; J.Maier, Die Texte von Toten Meer Il, Basel: E.Reinhardt 1960,162• ••• Vgl. 1 QpHab. 9, 41f.; 10,31f.; 12,14; 13,2ff.; 4QFlor. plIS.; 4 QpNah.3, 3f.; 4, 3f. etc.
5. Traditionsgeschkht/. Erwägungen
zur Sthrifft1l1sleg. des Pall/IIS
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es in dieser Epoche stattfindet oder erwartet wird. Dies wird durch eine andere Beobachtung bestätigt: In Qumran können irgendwelche Ereignisse, auch solche, die die soziologische oder theologische Existenz der Sekte in keiner Weise betreffen, Gegenstand einer Schriftweissagung seinsso. Die Einheit der Auslegung braucht dabei durchaus nicht gewahrt zu sein, sofern nur diejenige der Gegenwart als Zeitepoche gewahrt bleibtSSI. Ja, es sind innerhalb des durch die Gegenwart gegebenen zeitlichen Rahmens sogar verschiedene Auslegungen derselben Schriftstelle möglich 33l• Dies zeigt, daß die Gegenwart an sich im Brennpunkt des Interesses der Sekte steht. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Paulus lassen sich nun schön aufzeigen. Auch bei Paulus richtet sich die Schrift an die Gegenwart, wird erst von ihr aus verstehbar und zielt auf siess8. Es ist aber nicht einfach das, was in der Gegenwart als Erfüllung des Planes Gottes geschieht, was das Interesse des Auslegers auf sich zieht. Vielmehr ist es die Gegenwart als eine Zeit, in der Glaube durch Christus geschenkt wird oder durch die dieser Glaube in Frage gestellt wird. Es ist die Gegenwart als Zeit des Evangeliums, als Zeit der Gerechtigkeit Gottes. Daran liegt es, daß die Schrift bei Paulus den Glauben verkündet oder vertieft, also die Hörer immer in irgendeiner Weise direkt in ihre Botschaft mit eingeschlossen sein läßt, während für den Ausleger der Sekte die Schrift es oft einfach mit Geschehnissen der Zeit zu tun hat, in die der Hörer nur insofern eingeschlossen ist, als er eben in dieser Zeit lebt, und von Gott durch die Schrift dazu ermutigt wird, sie zu verstehen und auf ihr Ende zu hoffen. llIIOfern betrachtet der Atnleger der Sek.te seine
Zeit stärker von außen als eine Zeit, deren Ablaufen Gottes Plan entspricht, während bei Paulus die Schrift dem Hörer stärker seine Zeit erschließt als Zeit der Nähe Gottes, als Glaubenszeit, als Zeit der VerkiinJigpng des Evangeliums3sl• ••• Vgl. z. B. o. A. 328 und 1 QpHab. 2. 12ff.; 3, 4ff. 9ff. etc• So brauchen z. B. der Lehrer der Gerechtigkeit und die Kittim nicht gleichzeitig ZU sein, vgl. G.Jeremias, Lehrer 32ff• ••• Vgl. 1 QpHab. 2, f-l0 . ••• Vgl. o. IJ 4A und B• ••, Der Ausdruck "Glaubcnszeit" soll als Chiffre verstanden werden und nicht einer kurzschlüssigen Subjektivierung der Zeit Vorschub leisten. Gemeint ist: Für den Sektierer von Qumran ist sein Ort in der Zeit bestimmt, weil er Gottes Plan und seine Stellung in demselben kennt. Das lehrt ihn die Schrift verstehen, und insofern schenkt ihm die gedeutete Schrift Hoffnung, weil Einsicht in Gottes Plan. Dem Christen aber ist die Gegenwart angefochten, weil seine eigene Wirklichkeit immer wieder der durch das ..Jetzt" des Glaubens gesetzten Wortwirklichkcit zu widersprechen scheint. Darum wird ihm das die Gegenwart ansprechende und erhellende Wort des A. T. entweder direkte Anrede, die ihn selbst neu machen will, indem sie ihm seine eigene, bisherige Zeit bestreitet und ihm .,Glaubenszeit" zuspricht, oder die Schrift wird indirekt zur Anrede. indem sie Ereignisse der Gegenwart, etwa die Annahme der Heiden (R. 9, 2Sff.), die VerstDckang • 81
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11. Die gegenlII. Vergangenheit: Das GottesllIort des AT
3. Auch beim Vergleich der hermeneutischen Bewegungen, die Paulus und der Ausleger von Qumran aufweisen, stoßen wir auf weitgehende Gemeinsamkeiten. An beiden Orten wird das Schriftwort als einzelnes interpretiert. Der Kontext zählt kaum. Bei Paulus und in Qumran finden wir "atomisierende" Auslegung 336 von Einzelworten. Diese werden dann auf sehr vielfaltige Weise vergegenwärtigt. Wir finden - von eigentlicher Halaka und den peser-Deutungen abgesehenWeissagungen (z. B. CDC. 6, 13; 7, 10ff.), Allegorlen836, allerdings kaum Typologie337 • Im Vergleich zu Paulus fällt zweierlei auf. Erstens einmal die Bedeutung der eigentlichen Halaka: Die Gemeinde von Qumran gibt sich ihre Ordnung entsprechend den Satzungen des alten Bundes. Sie beansprucht - im Gegensatz zum Lügenpriester und zum Haus Absalo:tn -, das ganze Gesetz zu halten388• Natürlich gibt es auch bei Paulus alttestamentlich motivierte Ethik. Doch ist das A. T. nicht die einzige Quelle für das christliche Handeln339, und die paulinische Paränese hat einen völlig neuen theologischen Ort. Das Zweite aber ist noch wichtiger: Dem konsequenten Bezug des prophetischen Wortes auf die Gegenwart entspricht in Qumran eine exegetische Methode, die hier zum ersten Mal konsequent angewandt die Schrift auf die Gegenwal"t hin zum Sprechen bringt340 • Vorgegeben ist dabei nicht der Zusammenhang der Schrift - er wird durch die atomisierende Auslegung ja gerade zerstört -, auch nicht der Zusammenhang der Deutung - eine zusammenhängende Deutung liegt ja, wie wir gesehen haben, nicht vor, weil die Schrift auf unter sich nicht zusammenhängende Ereignisse hinweisen kann -, sondern der Zusammenhang der Zeit, in der die Schrift zu ihrer Erfüllung kommt. Unter der Voraussetzung, daß die ganze Schrift in der Entscheidungsepoche zur Erfüllung kommt, werden nun ihre Aussagen in den Griff genommen und gedeutet. Daß die Sekte von Qumran die Form des Kommentars hat entwickeln können und zur Deutung ganzer Bücher des A. T. kam, ist nicht zufällig. Paulus hingegen entwickelt keine neue Methode, Israels (R. 10, 18ff.; 11, 8ff.) als unter Gottes Willen stehend deutet. Aber dann handelt es sich gerade nicht um irgendwelche weltgeschichtliche Ereignisse wie in Qumran, sondern um Ereignisse, die um des Glaubens willen als Taten der Gerech~keit Gottes verstanden werden müssen. SS6 EIliger, Studien 139-142 in Bezug auf 1 QpHab., vgl. G.Jeremias, Lehrer 57. 0" S. o. S. 62. In Qumran ist allerdings die Allegorese weit häufiger als im N. T., vgl. Braun, Qumran u. d. N. T. 11, 323 . .., Vgl. o.A. 229. 11' V gl. Betz, Offenbarung 15ff. 01. Dazu v.Campenhausen, Begründung, Aus der Frühzeit 61ff.; W.S,hrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, Gütersloh: G.Mohn 1961, 187ff. Zum Vergleich von pln. und Qumranischer Halaka Braun, Qumran u. d. N. T. 11, 286ff. lOG Zur Peier-Methode vgl. Brownlee, BA 14/3 (1951), bes. 6Off.; Eiliger, Studien 118ff.; Stendahl, School 183ff.; Betz, Offenbarung 73ff.
J. Tratlitionsgesehicht/. E""iigtmgen t"" SchriftatlSkg. dBs Patdtts
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um die Schrift zum Sprechen zu bringen. Seine Auslegung entspricht weitgehend derjenigen der christlichen Gemeinde vor ihm. Er wendet die zu seiner Zeit geläufigen hermeneutischen Schemata in freier Weise an, ohne sich irgendwo festzulegen. Man hat nirgends den Eindruck, daß es ihm wesentlich sei, die ganze Schrift zu entschlüsseln. Vielmehr sind es einzelne Gottesworte, die sprechen, wie es auch einzelne geschichtliche Episoden sind, die die Gegenwart anreden. PatllNs verzichtet daratlj, eine eigene, vielleicht evangelische Methode der Schriftatlslegtlng Zu entwickeln; von Christus her kommt die Schrift ohne besondere Methode zu Gehör. 4. Damit hängt noch eine weitere Bestimmung zusammen, die das Gesagte bestätigt und vertieft. In Qumran ist die Deutung der Schrift an die Autorität des Lehrers der Gerechtigkeit gebunden. Ihm hat Gott die Geheimnisse der Propheten geoffenbart, er ist maßgebender Ausleger der Tora841, er ist es, der das Prophetenwort besser versteht als der Prophet sdbst (1 QpHab. 7, 2ff.). Diese Autorität des Lehrers hat in der spätern Ordnung der Gemeinde ihre Analogie: Dort sind die Priester die beauftragten Toraforscher und -lehrer, die gegenüber der Gemeinde die Autorität des Lehrers der Gerechtigkeit wahrnehmenMI. Die Schrift ist an sich verborgen, ihre Geheimnisse werden durch den Lehrer, bzw. seine Bevollmächtigten, die Priester, der Sekte offenbart. Die Gemeinde von Qumran ist - von ihrer Theologie her sachlich zu Recht - hierarchisch strukturiert. Bei PaublS gibt es keine InstimtionalisierlHJg der Schriftauslegtmg. Vidmehr bleibt der Zugang zur Schrift frei, ihre Auslegung öffentlich. Auch die Stellung Jesu zur Schrift oder seine exegetischen Entscheidungen werden von Pauh.ls nicht zu seiner eigenen Autorisieruog in Anspruch genommen, so sehr er gerade damit sachlich in Jesu Nähe steht. C. Zmammen!asslHJg
1. Paulus hat sich keine eigene hermeneutische Methode geschaffen. Er greift vielmehr in freier Weise die in der Gemeinde und in der jüdischen Umwdt vorhandenen Auslegungsmethoden auf. Dabei erscheint keine besonders betont. 2. Im allgemeinen wird die Gegenwart durch das alttestamentliche Wort direkt angesprochens,s. Die Zeitdifferenz zwischen ursprünglicher und gegenwärtiger Situation ist beim Sprechen des Schriftwortes im allgemeinen nicht betont. Das Schriftwort bezieht sich auf die Gegenwart. Vom Christusgeschehen her erweist es sich als volles an G.Jeremias, Lehrer 141, vgl. 322f• ... Vgl. Hetz, Offenbarung 1911'., vgl. 1 QpHab. 2, 7ff.; t QS. 5,9(. • u Vgl. 0.11 3 D Nr. 3.
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II. Die gegen",. Vergangenheit: Das GotleS7llort des AT
Gotteswort und spricht dem Hörer Heil zu, entlarvt ihn als gottlos und läßt ihn die Gegenwart als Zeit des Handelns des gerechten Gottes verstehen. 3. Paulus ist sich keiner Differenz zwischen ursprünglicher Bedeutung und Interpretation der Schrift bewußt3". Vielmehr spricht das Schriftwort die Sprache der Gegenwart. Schrift und von Christus bestimmte Gegenwart interpretieren sich gegenseitig. Paulus kann durchaus auch von der Gegenwart her den Schrifttext verdeutlichen. Eine große Freiheit im Umgang mit der Schrift ist unverkennbar. 4. So kommt es bei Paulus zu keiner christlichen Bewältigung des Alten Testaments, weder durch eine besondere Methode, noch durch ein kirchliches Amt. Eine Nötigung zu einer Gesamtinterpretation des Alten Testamentes besteht nicht34 &. Primär ist vielmehr das eigene Reden des einzelnen biblischen Wortes, das sich ohne Voraus-Setzungen als Wort Gottes erweist. Exkurs: Paulus und das prophetische Geschichtsverständnis Blicken wir zurück auf das Ganze der bisher besprochenen Bezüge des Paulus auf das Alte Testament, so stellen wir auffällige Analogien zwischen dem Umgang des Paulus mit dem Alten Testament und der Verkündigung der Propheten und ihrem Umgang mit Tradition fest. Beiden ist gemeinsam"": 1. eine große Freiheit im Umgang mit Tradition, die nicht davor zurückschreckt, Herkömmliches völlig umzuwerten. 2. Wie bei Paulus, so besitzen auch in der Prophetie "die Hinweise auf vergangene Ereignisse keinen selbständigen Zweck, sondern sind Mittel der gegenwansbezogenen Verkündigung"·... 3. Bei Paulus wie bei den Propheten bezweckt der Hinweis auf Gottes Handeln in der Geschichte "Erkenntnis Jahwes"..•. ... Vgl. o. II 4 B. Von 2. K. 3 (vgl. u. S. 133f.) her ließe sich im Sinne des Pis. sagen: Das A. T. wird erst jetzt, in Christus, überhaupt richtig verstanden. Zu einem herabsetzenden Uneil über die alttestamentlichen Verfasser und Ausleger kommt es bei Pis. sonst allerdings nicht, wie denn Pis. überhaupt kaum über die Auslegung des A. T. 110" Christus reflektiert . ... S. o. S. 107; dabei kann immerhin der Kanon in seinen gesetzlichen und prophetischen Teilen als abgeschlossen vorausgesetzt werden. Galley, Heilsgeschehen 56, bezeichnet in Anlehnung an v.Rad die Aufnahme des A. T. bei PIs. mit Recht als "charismatisch-eklektischen Vorgang". Vgl. auch o. II 3 D Nr. 1. ae. Punkt 1-4 entsprechen den von Fohrer, ThLZ 89 (1964) 495-497 genannten, für den prophetischen Geschichtsgebrauch typischen Punkten. In Fohrer. ThLZ 89 (1964) 496. IB. Vgl. etwa o. 11 3 D Nr. 7 und die Verbreitung der Erkenntnisformel (vgl. o. A. 209) im prophetisc.ben Schrifttum (Zimmerli. Erkenntnis 9ff. 17ff. 300. 34ff.). Vgl. ferner Wendland. Geschichtsanschauung 13.
6. Die eigenen ARssagen des Pall/lls über seinen Sehriftgebrtllleb
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4. Auch die Propheten denken nicht aus einer Gesamtkonzeption von Heilsgeschichte, die eine kontinuierliche Kette von Offenbarungsakten bildet, sondern sie greifen auf einzelne Heilsereignisse zurück, mittels derer sie Gottes künftiges Handeln ansagen. 5. Auch in seiner Bewertung der Vergangenheit trifft sich Paulus mit der Prophetie: Der alte Aeon ist nicht einfach dunkle Zeit, sondern Zeit des GottesworteS und des Handdns Gottes an einem ungehorsamen Volk..•.
Bei diesen Parallelen handelt es sich um Analogien, nicht um direkte Einflüsse. Sicher stehen ihnen viele tiefgreifende Unterschiede entgegen, die sich vor allem aus der Christologie als Zentrum des paulinischen Denkens ergeben. Vor allem faßt Paulus von dort her Sünde, alten Heilsweg und unerlöste Vergangenheit in weit radikalerer Weise, als dies die Prophetie getan hat. Dennoch bleiben die genannten Analogien auffällig und blieben einer näheren Untersuchung wert, umso mehr, als Paulus offenbar auch in seinem Apostolatsverständnis vom prophetischen Selbstverständnis her bestimmt istS&o. Daß sich auf der andem Seite im rabbinischen Judentum eine immer deutlichere Kritik an der Prophetie und ihrer Anklage gegen Gottes auserwähltes Volk Israel Raum verschaffte, soll in diesem Zusammenhang nur angemerkt werdenS&1.
6. Die eigenen Aussagen des Paulus über seinen Schriftgebrauch Wir haben bisher den paulinischen Schriftgebrauch auf die in ihm vorliegenden Sprachbewegungen hin zu befragen versucht. Stellen, wo Paulus diese Sprachbewegung selbst interpretiert, haben wir bisher ausgeklammert. Sie sollen jetzt besprochen werden. Wir haben so die Möglichkeit, unsere bisherigen Ausführungen gewissermaßen von Paulus selbst überprüfen zu lassen3&2. Paulus äußert sich über seinen Schriftgebrauch nie grundsätzlich und ausführlich, spndem nur an in einzelnen Stellen in gleichsam beiläufigen Bemerkungen. 2. K. 3, +-18 scheint eine Ausnahme vorzuliegen, doch wird zu zeigen sein, daß in dieser grundsätzlichen, für die Frage nach dem Schriftgebrauch höchst bedeutsamen Erörterung gerade nicht der Schriftgebrauch das eigentliche Thema ist. Dieses Fehlen.grundsätzlicher her-
Nm
••• s. o. S. 84 Nr. 6. S'O
Auf Deuterojesaia weist T.Holtz, ThLZ 91 (1966) 324ff.; auf Jeretnia K.H.
Rengstorf, Art. clxolJ-rtll(a) x'r>'., ThW 1,397-448, dort 440,24. Vgl. auch u. IX t.
Vgl. N.N. Glat~tr, Anfange des Judentums, Gütersloh: G.Mohn 1966,46ff. Natürlich stellt diese Gegenüberstellung auch an den faktischen Schriftgebrauch des Pis. die Frage, wie weit er darin seinen Intentionen tteU geblieben ist bzw. wie weit er seinen Schriftgebrauch zutreffend gedeutet hat. 111
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1I. Die gegenlII. Vergangenheit: Das GotteSllIort Jes AT
meneutischer Erörterungen ist theologisch bedeutsam. Offenbar ist auch dies wieder ein Hinweis, daß Paulus nicht in der Entwicklung einer theologischen Hermeneutik seine Aufgabe gesehen hat. Natürlich besagt das nicht, daß ihm die Frage nach dem Schriftgebrauch nicht wichtig gewesen wäre, sondern, daß diese Frage für Paulus nicht strittig, nicht primär der Explikation bedürftig erschien. Der Schriftgebrauch gehört für Paulus offenbar mit zum Vorgegebenen, das er zwar entfaltet, aber nicht rechtfertigen muß.
A. Die Schrift gilt für uns a) R.1S, 4f. Die erste dieser hermeneutischen Zwischenbemerkungen des Paulus,
R. 1S, 4f., steht in paränetischem Zusammenhang gegen Ende der Diskussion über die Starken und Schwachen in Rom. Das Handeln der Gemeinde soll dem Christusgeschehen konform sein368 : Wie Menschwerdung, Leiden und Tod Christi8" nicht Christus selbst zu Gefallen geschahen, so soll es auch für das Handeln der Gemeinde gelten. Dabei wird das Christusgeschehen in einem Wort aus dem Passionspsalm 69 dargestellt, offenbar, weil es sich hier um gottgewolltes, eschatologisches Geschehen handelt. An dieses Zitat schließt nun unsere grundsätzliche Bemerkung an: Alles, was zuvor geschrieben wurde, wurde zu unserer Belehrung3&l geschrieben. Diese Bemerkung versteht Paulus als eine grundsätzliche, die die ganze Schrift einbezieht: 00« läßt keine Differenzierung innerhalb der Schrift ZU868 • Die... Es handelt sich hier um einen verbreiteten Topos zur Aktualisierung christologischer Aussagen, vgl. N. A. Dahl, Beobachtungen, N. T. Studien R. Bultmann 6f. ; Kramer, Christos § 34a. ... Gewöhnlich wird gefragt, ob sich R. 15, 3 auf die Inkarnation oder auf die Passion des Irdischen beziehe, z.B. bei Lietzmann, Röm.119. Für den Bezug auf die Inkarnation spricht 2. K. 8, 9 und Phil. 2, 5ff.; für den Bezug auf die Passion der Rückgriff aof Ps. 69 und die an der Stelle erwähnte Einzelheiten. M.E. zeigt gerade Phil. 2, 8 (nach 2, 5ff.I), daß bei Paulus beide Aspekte nicht ~gen einander isoliert werden können, vgl. auch GI. 3, 13 vor 4, 4f. Vielmehr Wird für ihn gerade in der Passion die Inkarnation in hervorragendem Maße deutlich. Vgl. auen U. Ltr.{, Entmythologisierung als Aufgabe der Christologie, EvTh 26 (1966) 349-368, dort 364. , .. 11,&taxat).!ot ist nicht nur "moral instruction", so daß die Bemerkung "the permanent value of the great moral and spiritual truths of the O. T." erweisen würde (Sanday-Headlam, Röm. 396), so sehr das auch gemeint sein kann, vgl. Mk. 7, 7; Kol. 2,22; 2. Tm. 3, 16. Vgl. K.H.&ngslorj, Art.lh3ciaxe.» XT).., ThW 11,138168, dort 164, 10ff. 111 Die Frage U1onskas, Paulus u. d. A. T. 19, ob Pis. "schon die Schrift in gültige und nicht mehr gültige Teile aufgegliedert" habe, ist prinzipiell mit Nein zu beantworten. Nur an den wenigen Stellen, wo Schriftworte direkt das zu Ende gebrachte Gesetz charakterisieren, ergeben sich Ansätze zu einer solchen These. Etwas anderes ist es, daß das A. T. in der Gemeinde sehr unterschiedlich bekannt war, vgl. o. S. 100.
6. Die eigenen Amsagen des Paflms über seinen S(hrijtgebrfJll&h
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ser hermeneutische Grundsatz entspricht in seiner allgemeinen Formulierung nicht nur der Überzeugung der christlichen Gemeinde, sondern muß auch als gut jüdisch geltenSi7 • Eine christliche Modifikation besteht zunächst nur darin, daß für Paulus die 8t8otO'XotAt« auch eine Gnadengabe war, die der Geist bewirkte (R. 12,7, vgl. 1. K. 12,29). Im übrigc.'O ist sich Paulus mit seinen christlichen und jüdischen Zeitgenossen darin einig, daß die Schrift die Gegenwart anredet und ihr gilt. Das Phänomen der Zeitdifferenz zwischen Abfassung und ZumVerstehen-Kommen der Schrift kommt hier ganz unbetont in den Blick, denn Paulus bezeichnet die Schrift als zuvor-geschriebene. Umso deutlicher und betonter wirkt denn auch nachher der Bezug auf die Gegenwart, denn durch 1tpo-e:yp«cpYJ erhält auch iJ!Wt'~pll.V eine gewisse Betonung. Zu einer eingehenderen Reflexion über dieses 1tPOder Schrift kommt es nicht; das Gewicht der Aussage liegt auf dem zweiten Satzteil, während das "schon-damals" der Schrift nicht ausgelegt wird. Auch an den andern Stellen bei Paulus, wo vom Vorher tkr Schrift die Rede ist, erscheint diese Aussage nicht betont. R. 1, 2 formuliert Paulus wohl nicht selbst, sondern benützt eine liturgische Tradition. EÖcryytA~O\/ ohne Artikel, die Verbindung von Weissagung und Propheten sowie der Ausdruck ..heilige Schriften" sind unpaulinisch·... Es dürfte eine Anlehnung an liturgische Formulierung vorliegen, die gut in das liturgisch angereicherte Präskript des R. paßt. Die nächsten Parallelen finden sich Hb. I, 1f. (vgl. .. hyios"); 2 Pt. 3, 2; R. 16, 25f...•• Warum Paulus hier so ausflihrlich liturgisch formuliert, läßt sich nur im Zusammenhang mit der Erweiterung des Präskripts in V. 3f. ermitteln: Von der ganzen Präskripterweiterung ist einzig V. 5 von Paulus frei formuliert. Es geht ihm alSo - nach seinen Erfahrungen in Korinth - um die Begründung seines Apostolates, den cr vom Herrn selbst empfangen hat zur Verkündigung des Evangeliums. Ebenso wie durch den Hinweis auf das Gemeindebekenntnis in V. 3f. zeigt Paulus durch den Hinweis auf die Würde des Evangeliums in V.2, daß sein Apostolat, d.h. seine Sendung zu den Heiden, sachlich ein kirchlicher, auf dem unumstößlichen Willen Gottes beruhender, nicht ein privater, usurpierter Auftrag ist"ID. - GI. 3, 8 Ih3otcncotA~v erinnert formal an das rabbinische 1~lammädka (Sanh. 4, 5; Gn.r. 1, 1 bei Michel, Röm.356 A. 2). Zur Formell~lammed Belege bei W. Bacher, Die älteste Terminologie der jüdischen Schriftauslegung, Leipzig: Hinrich 1899, 95, und bei Str.-B. 111, 12f. Vgl. auch o. A. 239 und zu Qumran o. 11 5 B Nr. 2. Vgl. noch C.Clemen, ThStKr75 (1902) 18Of., und Dietzfelbinger, Paulus u. d. A. T. 34, zur Gegenwartsbezogenheit der Schriftaussagen bei Pis• I •• npoB1l"ot'YYtUo!l-ot~ kommt 2. K. 9, 5 in anderer Bedeutung bei Pis. nochmals vor. Hingegen ist ciq)(J)P~(J(.L&vOC; (vgl. V. 5) wohl von Pis. selbst formuliert, vgl. auch GI. I, 15 und Ulonska, Paulus u. d. A. T. 153 A. 13. Nach Harris Testim0nies 11, 13 denkt Pis. bei den heiligen Schriften an die Testimonien• ••• In das Revelationsschema, das R. 16,25ft". vorliegt, paßt natürlich -n:po- gut, vgl. 1. K. 2, 7; Tt. 1, 2f.; 1. Pt. 1,20, auch 2. Tm. I, CI, vgl. auch u. IV 4 C und o. lI.. 249. Vielleicht hat es auch hier seinen ursprünglichen Sitz. R. 16, 25f. dürfte bereits eine Umformung des Motivs vorliegen. "0 Diese Erklärung scheint mir immer noch wahrscheinlicher als die stark systematisierende Exegese von P.SluhJmacher, Theologische Probleme des Römerbricfpräskripts, EvTh 27 (1967) 374-390, dort bes. 385f., der den Rückgriff auf den
I" Eil; ••.
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1I. Die gegenw. Vergangenheit: Das GotleSlJlort des AT
erklärt sich zwangslos aus dem Zusammenhang. Selbstverständlich ist Abraham GI. 3, 6ff. als historische Gestalt gedacht881 • Die ihm gegebene Verheißung kann aber erst durch Christus zum Zuge kommen. So kommt Paulus ganz selbstverständlich zur Aussage, daß die Schrift die Rechtfertigung aus Glauben vorausgesehen habe. Gott ist in seinem Wort sich selbst treu. Sein Wort wird R. 4, 13ff. in verwandtem Kontext als "Verheißung", hier als "Evangelium", d. h. als eschatologisch heilsames, "evangelisches" Gotteswort bezeichnet. Das zeitliche Prae der Verheißung ist in GI. 3 wie in R. 4 wichtig, weil es ein sachliches Prae vor dem Gesetz einschließt8" . Zu einem Entwurf einer "christlichen" Geschichtstheologie des alten Bundes lädt es nicht ein, denn es bleibt dabei, daß es allein Goffer Wort ist, das das Kommen des Evangeliums vorwegnimmt, und daß allein der Glaube dies erfährt. So ordnen sich die beiden npo-Stellen dem paulinischen Denken über die "epaggelia" ein.
Nun werden aber zwei Fragen dringend, die kaum voneinander getrennt werden können: Wenn es sich bei R. 15,4 um eine selbstverständliche, von niemandem, auch im Judentum nicht, bestrittene Aussage handelt, was hat dann den Apostd zu dieser scheinbar überflüssigen Bemerkung bewogen? Und: Läßt sich hier doch irgend etwas als spezifisch christlich erweisen? Setzen wir zur Beantwortung dieser Fragen so ein, daß wir zunächst fragen, wie und wozu Paulus in V. 3 die Schrift hat sprechen lassen. Da müssen wir sagen: als 1tctp,xx):~(nc;;, d.h. TrostS63, um ~A1t(C;; zu Anfang des Evangeliums im Alten Testament mit der von Pis. in V. 3 aufgenommenen "verheißungsgeschichtlich strukturierte(n) Christologie" (aaO 385) zusammensehen möchte und von einer Reduplikation der Yerheißungsgeschichte im Geschick Jesu Christi spricht. Damit scheint mir der Text nun doch - in systematisch vielleicht fruchtbarer Weise - überinterpretiert. Pis. will m.E. primär weder eine Aussage über das Evangelium, noch eine solche über eine verheißungsgesehichtlich strukturierte Christologie machen, sondern er verwendet bei des zur Charakterisierung seines Apostolats, der im Dienste der Verkündigung des Evangeliums steht und im Einklang mit dem schon durch das prophetische Wort proklamierten Heilswillen Gottes steht. In diesem Rahmen gilt dann allerdings: 1. Pis versteht das prophetische Wort vom Evangelium her (vgl. Stuhlmacher aaO 378) und 2. das prophetische Wort findet einzig im Evangelium Aufnahme und Wirklichkeit. Vgl. zu diesem, von Pis. meistens mit dem Stichwort "Verheißung" bezeichneten Sachverhalt o. II 3 A Exkurs. 111 Vgl. U. V 3 A . ••• Vgl. u. A. 111 354. Ulonska, Paulus u. d. A. T. 52f. hält die "graphc" für eine "im Augenblick absolut gültige Größe", die "nicht erst als Weissagungsbuch qua1ifiziert zu werden" braucht (aaO 52). Ein Vorliegen des Weissagungsgedankens in GI. 3, 8 lehnt er ab. Warum eigentlich? Er kämpft m. E. gegen Gespenster. Der Hinweis auf die rabbinische Formel "Was hat die Tora gesehen?" nützt nichts, da hier gerade das npo- fehlt. Das Schema Weissagung-Erfüllung impliziert doch noch lange nicht, daß wie bei Lk. systematisiert und "die alttestamentliche Zeit ..• eine vergangene Epoche darstellt und ... zur Zeit der Verheißung" wird (aaO 52) • ... In Frage kommt die Bedeutung "Ermahnung" (so Pallis, Röm. 153; Barrett, Röm. 270), wie es sich nach 1. K. 14,3; 2. K. 8, 4 vor allem durch den paränetisehen Kontext nahelegt. Wahrscheinlicher ist aber die Bedeutung "Trost" (so z.B. Lietzmann, Röm. 118), wie dies nach 2. K. 7, 4ff. naheliegt. Die häufig anzutreffende übersetzung "Zuspruch" (Michel, Gaugier 11 z. St.) versucht beide Aspekte zu verbinden.
6. Die eigenen Aflssagen des Pafllfls Ober seinen Sthrijlgebrat«b
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schenken, d. h. Gewißheit, daß die Zukunft Gottes Herrschaft nicht verstellen kann. Wo Hoffnung besteht, ist aber für Paulus immer schon Christus am Werkse,. In vielfältiger Weise zeigt unser Text dies enge Beieinander von Christus und Hoffnung: Christi "Geduld" bewirkt wie der "Zuspruch" der Schrift Hoffnungsei. Die Hoffnung führt zu einem Handeln, wie es durch Christus an der Zeit, d. h. christusgemäß ist 01.5). Dieses "Christushandeln", das sich vo[ZUgsweise in der Eintracht ausdrückt, gehört zur Hoffnung, wie eben Liebe und Hoffnung zusammengehören. Und in diesem Geschehen hat der "Zuspruch" der Schrift semen Ort: Weil er von Christus her kommt und die Hoffnung will, führt er auch in em bestimmtes Handeln. Vielleicht liegt hier der Grund, warum Paulus auf V. 3 die grundsätzliche Bemerkung von V. 4 folgen ließ: Also nicht nur zur Vorankündigung von Christi Geschick ist die Schrift zuvorgeschrieben worden, wie es gerade bei Ps. 69 wohl damals jedem Christen selbstverständlich war, sondern zu flnserer - ganz praktischen - Belehrung. Die Schrift ist also zwar Wort aus der Vergangenheit, das in die Gegenwart spricht. Nicht die Weise, wie sie zum Sprechen gebracht wird, ist typisch christlich, denn es fehlt auch bier jeder Hinweis auf eine besondere christliche Hermeneutik. Wohl aber ist christlich das, was sie sagt: Si~ sagt nämlich Christi Niedrigkeit an und das, wohin sie den Leser führt: in die Hoffnung, nämlich in Christus und das Verhalten gemäß Christus. b) R. 4,23ff. see Gehen wir von hier aus zur nächsten für uns wichtigen Stelle, R. 4, 23ff., so fallen zunächst die Gemeinsamkeiten mit R. 15, 4f. ins Auge: Wiederum liegt der Hauptakzent darauf, daß die Schrift uns, Gegenwärtige, denen der Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet wird,e7, anredet. Wiederum klingt die Zeitdifferenz zwischen dem ursprünglichen und dem jetzigen Ergehen des Wortes in der Wendung "nicht nur um seinetwillen ... , sondern auch um unsretwillen" an, wie es ja nach der Erörterung des Glaubens am Beispid Abrahams auch zu er11& V gl. u. VII 1 B • ... Das zunächst unverbundene Nebeneinander der beiden Hoffnungsspender erweist sich darin als Einheit, daß gerade die Schrift von der Geduld Christi spricht• ••• Zu R. 4 im Zusammenhang, vgl. u. III 4 . •n M~EL ).oytl;~&«L, macht Schwierigkeiten. Am einfachsten scheint mir immer noch die Erklärung, daß, wie GI. 3, 23, vom A. T. aus futurisch gedacht, aber natürlich die Gegenwart des Pis. gemeint ist (so z. B. Schmidt, Röm. 88), jedenfalls einfacher als Erklärungen wie die, daß der Missionar Pis. hier an die noch zu Bekehrenden gedacht hätte (Zahn, Röm. 239 A. 8) oder die, daß Pis. hier an den eschatologischen Gerichtstag denke (Schlatter, Gerechtigkeit 172; Barrett. Michel z. St.). Dagegen spricht schon 8~_&Wrat; 5.1.
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/1. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
warten ist. Entscheidend ist aber nicht die Aussage, daß die Schrift auch Abraham gegolten habe, sondern die andere, daß sie auch uns gUtS88 • Der damit vertretene Grundsatz war dem Judentum selbstverständlich; Paulus unterscheidet sich von ihm lediglich dadurch, daß für ihn der Satz "um unsretwillen ist es geschrieben" nicht zu jeder beliebigen Gegenwart gesagt werden kann, sondern nur zu der durch die Rechtfertigung aus Glauben bestimmten. Aber auch das wird von Paulus nicht explizit ausgesprochen; die Frage, ob in der Zeit zwischen Abraham und "uns" die Gerechtigkeit aus Glauben angerechnet wurde, interessiert ihn nicht. Auch an unserer Stelle ist der Inhalt der Schriftstelle durchaus "Evangelium", nämlich die Gerechtigkeit, die den Glaubenden zugerechnet wird. Auch hierin besteht kein Unterschied zu R. 15, 4f. Wir versuchen nun, die theologischen Linien, die dem Gedankengang von 4, 23-25 zugrundeliegen, noch etwas auszuziehen und zu profilieren. Er verläuft folgendermaßen: Vorausgesetzt ist, daß der Glaube Abrahams und der Glaube der Christen derselbe ist389 • Daraus ergibt sich die Gleichheit der Anrechnung, daraus wiederum die Gültigkeit des Schriftwortes auch für uns. Wieso aber ist der Glaube Abrahams und der Christen derselbe? Unser Glaube gilt dem, der den Herrn Jesus Christus von den Toten erweckte und der unsern Glauben ermöglichte, indem er Jesus um unserer Verfehlungen willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt hat (R.4, 25)370. Auch Abraham glaubte dem Gott, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende zum Sein ruft (11. 17). Eben dies ist an JesusChristus geschehen, und dadurch hat Gott uns den Glauben und damit auch das Hören der Schrift ermöglicht. Insofern besteht natürlich schon ein Unterschied zwischen dem Glauben Abrahams und der Christen: Glauben an den Toten erweckenden Gott ist vor und nach Christus nicht dasselbe. Aber darüber reflektiert Paulus nicht weiter. 10. Die Antithese, daß die Schrift nur um Abrahams willen geschrieben sei, wäre unklar und theologisch nirgends nachzuweisen. V g1. Kuss, Röm. 193: "Es kommt dem Apostel •.• von vornherein nur auf den Gegensatz, bzw. die Ergänzung an". ... Die Argumentation des PIs. ist nicht schlüssig, wenn man annimmt, daß unser Glaube nur "etwas Ähnliches" wie der Glaube Abrahams sei (Nygren, Röm. 138). Goppelt, NTS 13 (1966/67) 4Of. formuliert: "Der Glaube Abrahams hat dieselbe Struktur, aber einen andern Inhalt als der christliche". läßt sich Struktur und Inhalt so einfach trennen? PIs. redet klar nur "vom" Glauben; die Unterscheidung von christlichem Glauben und Glauben Abrahams bei Nygren und Goppelt ist die Folge ihrer Deutung von R. 4 als Typologie, die einen Unterschied zwischen Typos und Antitypos erfordert. V g1. dazu o. S. 52f. und u. A. III 174. • '0 Mit den von Kramer, Christos § Se A .. 48, Genannten und gegen diesen selbst (asO § Se; 26d) würde ich in R. 4, 25 vorpln. Bildung annehmen. Die Argumente hat neuerdings W. Popier, Christus Traditus, A ThANT 49, Zürich; Zwingli 1967, 193ff. zusammengestellt.
6. Die eigenen Allssagen des PalIIRs iiber seinen Sehriftgebrt1ll&h
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Es läßt sich also, in Weiterführung paulinischer Gedanken, formulieren: Daß die Sehrift alleh "jür IIns" gilt, ist - Sa&hlieh - nitht einfath eine Se/bstverständlithkeit, sondern eine Folge der durth Christlls ,,uns" Jlliderjahrenen Gnade Gottes, der allth Abraham begnadigt hat. Die abschließende christologische Formel in V. 24f. ist also nicht bloß liturgische Floskel, sondern gehört sachlich in die Erörterung hinein. Denn hier erst erweist sich die Wahrheit von Abrahams Glauben von V. 17, hier erst kommen die Heiden zu ihrem Vater Abrahams7!, hier erst erweist sich Gott, der in der Schöpfung Nichtseiendes zum Sein ruft 372, der Abraham die Verheißung ins Nichts hinein gibt, als sich selbst treu. So wären also Tod lind Alljerstehll1lg Christi das heim/ithe Zen3.. Es ist also unmöglich, daß sich "der Glaubende ••. des Gegenstandes seines Glaubens in Ansehung des Abrahamszeugnisses der Schrift ebenso (!) vergewissern kann wie in Ansehung des Zeugnisses der Christusverkündigung" (U. Wilckenr, Zu Römer 3, 21-4, 25, EvTh 24 (1964) 586-610, dort 600). Diese Feststellung dürfte die Folge eines unklaren (linearen) Begriffes der "Erwählungsgeschichte" sein, in der Ereignisse austauschbar werden. Zwar hat der Glaube "allemal wesenhaft seinen Ort in der Geschichte GOttes" (U. Wilckenr, Die Rechtfertigung Abrahams nach Römer 4, in: Studien zur Theologie der alttestamentlichen Uberlieferungen, Festschr. v. Rad, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1961, 111 bis 127, dort 123) und Wilckens hat sich bemüht, diese Geschichte nicht einfach zur vorfindlichen zu machen, indem er die "göttliche Erwählungsgeschichte" von der ",vorfindlichen' Geschichte des Judentums" unterschied (EvTh 24 (1964) 606). Aber es führt m. E. zu Verwirrung und Unklarheit, wenn W. für zwei von ihm "gewiß" (aaO 606) unterschiedene Sachverhalte denselben Terminus "Geschichte" braucht. Auch er Ubernimmt ja mit dem Wirklichkeitsanspruch unserer heutigen "konsequent historischen" (aaO 609) Weitsicht - und "konsequent historisch" heißt doch: vodindlich, wie es methodisch von E. TroIl/seh, über historische und dogmatische Methode in der Theologie, in: Gesammelte Schriften 11, Tübingen: Mohr 1913,729-753, dort 729ff., formuliert und von W. Pamtmbtrg, Heilsgeschehen und Geschichte, KuD 5 (1959) 218-237. 259-288, dort 259ff. aufgenommen wurde - gerade nicht einfach ihr Wirklichkeitsverständnis als dasjenige der Erwählungsgeschichte, sondern fordert, den "gängigen Begriff von Geschichte ••• zu vertiefen" (aaO 609). V gl. hierzu G. Kleinr ähnliche Feststellungen, Exegetische Probleme in Römer 3,21-4,25, EvTh 24 (1964) 676-683, dort 683. Zur Kontroverse Wilckens-Klein vgl. ferner u. A 373; A. 111 132f.; zum Terminus "Erwählungsgeschichte" die Verweise u. A. 111 171. K. Barth unterscheidet bei der Erörterung unserer Stelle (Der Römerbrief, Nachdruck der 2. Auf!. Zollikon: EVZ 1947, 121f.) die stumme Historie vom "Unhistorische(n), Unanschauliche(n), Unbegreifliche(n), das aller Geschichte Ende und Anfang ist" (aaO 121). Die Historie ist für Barth "impotent", nur zusammen mit dem "Oberlicht des Unhistorischen" (aaO 122) ist sie "redende, verstandene, erkannte Vergangenheit" (ebd.), also Sprache, vgl. o. Eint. A. 7. Diese Unterscheidung ist fruchtbar, wenn sie das Geschehen Gottes in der Geschichte beläßt und daraus keine I,Wahrheit von übergeschichtlicher Geltung" (Schmidt, Röm. 87), die dann wieaer ungeschichtlich wäre, macht. Vgl. auch u. A. 111 370• ... Der Stil von R. 4, 17 ist feierlich und traditionell, vgl. s. Bar. 48,8; Sap. 16, 13; 2. Makk. 7, 28; Tob. 13,2; vor allem aber Philo Migr. Abr. 44 vom Glauben Abrahams: 1rIXP&LVIXL Tel l'iJ 1rIXp6VTIX; vgl. auch Spec. Leg. 4, 187. Weiteres bei Michel, Röm. 124, vgl. auch Lietzmann, Röm. 55. Das Schöpfungsmotiv ist hier ganz hineingenommen in die Interpretation des Verheißungshandelns Gottes, vgl. Schwantes, Schöpfung der Endzeit 16f. Die Formulierung im Einzelnen, insbesondere der Hinweis auf die Totenauferweckung ist vom christlichen Auferste-hungsglauben her zu verstehen, vgl. Jülicher, Röm. 248; Sauter, Zukunft 47.
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ll. Diegegm/ll. Vergangenheit: Das GotteSlllortdes AT
/rUm, dtu die Geschichte IIon Gottes Handeln zusammenhält und dem alttestamentlichen Gnademllort seine Kraft gibt. Die Treue Gottes zu sich selbst, die im Wunder der Auferstehung Jesu sichtbar wird, ist aber gerade nicht ein von vomeherein anzunehmendes, etwa aus dem Gottesbegriff ableitbares Kontinuum, das Christus, Altes Testament und Kirche miteinander verbindet. Sie ist nicht der selbstverständliche Rahmen, innerhalb dessen über Heilsgeschichte nachgedacht werden kann, auch nicht die Grundvoraussetzung, die israelitisch-jüdischer, urchristlicher und paulinischer Theologie gemeinsam wäre373, sondern das, was Gott "wider alle Hoffnung" (vgl. V. 18) durch die eschatologische Tat der Auferweckung Jesu erst eröffnet, somit nicht Voraussetzung des Evangeliums, sondern dessen Inhalt selbst. So ist die Selbigkeit Gottes auch Voraussetzung dafür, daß das Alte Testament die christliche Gemeinde anredet. Aber gerade dies wäre dann keine von vomeherein gegebene Selbstverständlichkeit. Das Sprechen der Schrift als Wort Gottes zur Gemeinde wäre dann letztlich nicht ein Teil der selbstverständlichen Grundlage, die Paulus mit dem Judentum verbindet, sondern schlechthin Wunder, das Gott durch das Sterben und Auferstehen Christi schenkt. Aber damit sind die Linien, die sich aus der Exegese von R. 4, 23ff. ergeben, bereits gebündelt und ausgezogen. Paulus selbst hat die bewußte Reflexion nicht so weit vorgetrieben. c) 1. K. 9, 9f. Diese Stelle enthält im Unterschied zu den beiden bisher besprochenen Stellen eine halakische Erörterung ohne grundsätzlich-theologische Bedeutung. Dennoch zeigen sich auch hier einige mit R. 15, 4f. und 4,23ff. gemeinsame Züge. Paulus deutet Dt. 25, 4 allegorisch"'. Die von ihm vorgetragene Deutung ist durchaus traditionell. ... Vgl. dazu Wilckens, EvTh 24 (1964) 606. S. 608 meint Wilckens, die "Identität des christlichen Gottes mit Jahwe" und der "Zusammenhang aller Taten Jahwes" sei bei Paulus .. ,naiv' vorausgesetzt". Gerade nichtl Seinem Gegner Klein unterschiebt W. (m. E. einseitig) die "Voraussetzung, daß Paulus •.• diese Identität (sc. Gottes mit Jahwe) nur als im Glaubensakt je und je als solche gewahrbar ••• verstehe, bei Abraham ebenso wie bei jedem einzelnen Christen" (aaO 607). M. E. wird die Identität dem Glauben erst von Christi Tod und Auferstehung her offenbar. Sdbstverständlich ist sie nicht Ergebnis des jeweiligen Glaubensaktes, sondern in der jeweiligen Erfahrung des Christusgeschehens erfährt sie der Mensch als bereits bestehend. Auch der Protest H. Brauns, Das Alte Testament im Neuen Testament, ZThK 59 (1962) 16-31, dort 30, gegen die gängige Formulierung: "Es ist doch aber dersdbe Gott, der hüben und drüben redet", sieht etwas Richtiges, auch wenn die ..wirkliche Klammer :z:wischen den beiden Testamenten" m. E. keineswegs ..in der Art, wie Gott und Mensch verstanden sind" (aaO 30), liegt. Denn dann würde auch wieder ein Vorfindliches, in diesem Fall eine geistesgeschichdich beschreibbare und festhaltbare Kontinuität :zum Kontinuum, und nicht das ..Unhistorische", vgl. Barth aaO. o. A. 371. .,. Nur P.Baehmann, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, KNT 7, Leip:z:ig: Deichert 1905, 323, bestreitet dies •.
6. Die eigenen Allssagen Jes PIIII/fIS über Sli"", Stbriftgebr~b
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Zwar ist die bei den Rabbinen häufige Erweiterung der Bedeutung der Stelle Dt. 25,4 auf Emtearbeitw1l noch keine echte Parallele, wohl aber Philo Spec. Leg. I, 260: ,,Denn der Nomos ist nicht für die V ernunfdosen,sondem für die, dieNOus und Logos haben"; es geht ihm um die .. Besserung der Sitten", vgl. Soma. 1, 93; Virt. 145; Jos. Ant. 4, 8. 21; Harn. 10, tff. Eine gute Para1lele liefert auch ep. M. 144, wo der Zweck des allegorisch gedeuteten Gesetzes mit der Erlangung der Gerechtigkeit angegeben ist. Paulus steht hier insofern zwischen dem hellenistischen und dem palästinensischen Judentum, als er mit der hellenistischen allegorischen Auslegung das rabbinische Interesse an der Gewinnung einer Halaka verbindet·". Auch das Fazit aus den beiden Schriftzitaten'" wird mittels eines rabbinischen Schlusses a maiore ad minus gezogen.
Die grundsätzliche Bemerkung "oder redet er ganz und gar um unsretwillen?" (V. 10a) flicht Paulus zwischen die heiden Zitate ein. Sie hat den Sinn, an Selbstverständliches zu erinnern, denn daß Gott sich um Ochsen kümmerte, wäre ein geradezu lächerlicher Gedanke. Auch das zweite Zitat ist offenbar symbolisch zu verstehen. V. 10a ist lediglich aus rhetorischen Gründen notwendig, um die allegorische Deutung zu sichern, die für Paulus hier den Wortsinn ausschließt8'lB. Immerhin zeigt sie, warum für Paulus hier die allegorische Deutung ganz selbstverständlich die natürliche war: weil die Schrift die Menschen anredet und Gott sich um die Menschen kümmert. d) 1. K. 10, 11 Wenden wir uns dieser letzten Stelle zu, so häufen sich die Schwierigkeiten. Aus der Fülle der Probleme, die die Exegese von 1. K. 10, 1-13 bietet, greifen wir die für unsere Fragestellung wichtigsten heraus. 1. Welcherart ist die hinter 1. K. 10, 1ft". stehende Tradition? Die Para1lelen zur paulinischen Auslegung des Motivs des Volkes in der Wüste sind bekannt, schon oft zusammengestellt8'·, und brauchen hier nur noch kurz wiederholt zu werden: Das Motiv, daß ein wasserspendender Fels Israel auf sci-
... Str.-B. III, 385, vgl. auch Bonsirven, Ex~gCsc 228 . ... Die Beziehung zur rabbinischen Allegorie betont hier einseitig Hansoa, AlIegory 78f. 177 Daß V. 10 nicht eine explizierende Bemerkung, sondern ein zweites Zitat aus unbekannter Quelle oder ein Sprichwort ist, hat!. Weitt, Der erste Korintherbrief, Meyer K. 5, 9. Auß. Göttingen: Vandenhocck 1910, 237, m. E. einleuchtend gezeigt. ... Gegen E. B. Allo, Saint Paul. Premi~re Epttre aus Corinthiens. Etudes Bibliques, 2. Auß. Paris: Gabalda 1956, 217: ..11 ne veut pas nier quc Dicu s'occupc des bocufs". - Nach K.H.S,brllcle, Hermeneutische Zeugnisse im Neuen Testament, BZ NF 6 (1962) 161-177, dort 164 A. 4 ist 1. Tm. 5,18 von 1. K. 9, 9 abbiagig• ... Z. B. bei Vollmer, Citate 85-88; Hunt, Gospel Sources 1%711'. (TestimonienbuchI); G.Marl,III, Sacrements, figures ctahortauon CD 1. Cor. X. 1-11. RechSR
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11. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
nem Zug durch die Wüste nachfolgte, entstammt der Schwierigkeit, mit dem zweimaligen Vorkommen desselben Felsens Nu. 20. 7ff. und 21, 16ff. fertig zu werden. Seit Pseudo-Philo, Antiquitates Biblicae··o 10,7; 11, 15 und Tg.O. zu Nu. 21, 19f. ist der Topos in der rabbinischen Literatur zu finden 3l1 • Bei Philo wird der Fels allegorisch auf die Sophia Gottes·1I oder den Logos Gottes'·' gedeutet, in einer späten rabbinischen Stelle auf Gott selbst"·<. Soviel ist an traditionellem Material beizubringen. Die Frage ist nun, ob Paulus über das Motiv vom wandernden Felsen hinaus an unserer Stelle einen christlichen oder jüdischen Midrasch übernommen hat. Das mediale ßIX~T(I:E:a.f}lXt, das als Hinweis auf die jüdische Proselytentaufe verstanden wurde, da mediales "sich taufen" im christlichen Sprachbereich sonst nicht belegt sei"', vermag den Beweis für das Vorliegen eines jüdischen Midrasch m. E. nicht zu leisten: Im Gegenteil: Mediales ßetn-r!I:e:a.&ut. ist als Formulierung des Paulus durchaus möglich···, und die entsprechenden jüdischen Vorstellungen von der Proselytentaufe sind in so früher Zeit gar noch nicht belegbar.... Ist aber diese Vorstellung einer allgemeinen Taufe jüdisch zur Zeit Jesu noch nicht zu belegen, so könnte es sich nur um einen christlichen Midrasch gehandelt haben, der die christliche Taufe ins A. T. zurückprojiziertes.,. Für das Vorhandensein eines solchen christlichen Midrasch spricht nun allerdings einiges: Vor allem scheint die Bezeichnung der Abendmahlselemente als ßp&.(.UX bzw. als ,rolLet mlEUlLatTtx6" verbreiteter hellenistisch-christlicher Gemeindeterminologie zu entsprechen"··; die nachhinkende Erklärung zu ~~ in V. 4bc könnte paulinische Glosse sein. Am wichtigsten scheint mir die relative 44 (1956) 3~359. 515-559, dort 330ff. 348f.; E.E//is, A Note on First Corinthians 10,4, JBL 76 (1957) 53-56; Knox, Gentiles l11ff.; Schweizer, Präexistenzvorstellung, Neotestamentica 106f. Zu 2. 'Ea8p.19, 9ff. vgl. G.BrtZlimann, Vorpaulinische christliche Taufverkündigung bei Paulus, BWANT 5/2, Stuttgart: Kohlhammer 1962, 18ff. sa. Ed. G.Kisth, 1949. ... Belege bei Str.-B. III, 406ff• • 1. Leg. All. 2, 86; Det. Pot. Ins. 115-118; vgl. Sap. 10, 17f.; 11,4 und Windisch, Weisheit, N. T. Studien G.Heinrici 223 und u. A. 111343. , •• Det. Pot. Ins. 118; Leg. All. 3, 162• ••• Mek. Ex. 17, 6 (60b), abgedruckt bei Str.-B. 111, 408. '" Im N. T. nur noch Mk. 7, 4 v. I. von jüdischen Reinigungsriten. Die These, daß 1. K. 10, lff. die jüdische Proselytentaufe voraussetze, wird vor allem von J.)eremias, Der Ursprung der Johannestaufe, ZNW 28 (1929) 312-320, vertreten, vgl. auch A. O,pke, Art. ß«~T6> XT).., ThW 1,527-544, dort 533, 12ff. , •• Vgl. 1. K. 6,11: clmlouaata&e, und G.De//ing, Die Taufe im N.T., Berlin: EVA 1963, 101 A. 360, ferner A.Oepfee, Der Brief des Paulus an die Galater, ThHK 9, 2. AuS. Berlin: EVA 1960, 90. , .. So Delling, Taufe 3~38, vgl. schon W.MithtZe/is, Zum jüdischen Hintergrund der Johannestaufe, Judaica 7 (1951) 81-120, dort 100-115. ,.. Dafür spricht auch die wohl der Christustaufe nachgebildete Formulierung E~ Tb" M6>ucrij". Es handelt sich um eine Analogiebildung. überlegungen, die nachzuweisen versuchen, daß Mose nicht in derselben Weise mit der Taufe verbunden werden dürfe wie Christus, sind müßig (gegen Amsler, Typologie 106). Zur Auseinandersetzung mit Jeremias vgl. noch P.Lllndberg, La typologie baptismale dans l'ancienne Eglise, ASNU 10, Leipzig: Lorentz 1942, 138ff.; Kümmel bei H.Lielr.mann-W.Kümme/, An die Korinther I. 11, HNT 9, 4. Auf{. Tübingen: Mohr 1949, 18Of.; Michaelis, Judaica 7 (1951)·94ff.; Schweizer, Präexistenzvorstellung, Neotestamentica 107 A. 12. Feuillet, Sagesse 90ff. nimmt an, daß das Motiv der Mosetaufe von PIs. nach weisheitlichen Anklingen selbst gebildet worden sei. '" Vgl. Did. 10,3. E.Kisemann, Anliegen und Eigenart der paulinischcn Abendmahlslehre, in: Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen : Vanden-
6. Die eigenen Arusagen des Pau/us IIber seinen Sehriftgebrtllleh
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Selbständigkeit des Abschnittes: Erst in V.7 wird sein konkreter Zweck klar. Da Paulus die Tradition ohne sachliche Korrekturen, nur in konkreter Abzwekkung aufnimmt, ist anzunehmen, daß sie aus der Gemeindetheologie, eventuell aus einer Schule stammt. Die Sprache ist aber aufs ganze gesehen paulinisch"". So liegt m. E. am nächsten, anzunehmen, daß Paulus einen hellenistisch-judenchrisdichen Midrasch selber formuliert hat"tl. Das schwierige "der Fels aber war Christus" (V.4c) dürfte von ihm selbst nach traditionellen Vorbildern zur Verschärfung des Skopus in der vorliegenden Tradition formuliert worden sein.
2. Welche hermeneutische Bewegung geschieht in der Aktualisierung der geschichtlichen Tradition? Der Gottesvolkgedanke klingt in der Erwähnung "unserer Väter" selbstverständlich an, doch ist er für die Vergegenwärtigung des Textes ohne direkte Bedeutung. Die Frage spitzt sich vielmehr auf zwei andere Alternativen zu, die beide Anhalt am Text haben. Liegt Allegorie vor - dafur spräche die Bemerkung "der Fels aber war Christus" - oder Typologie, wie der Gebrauch des Wortes -rU7tOC; vermuten lassen könnte? Liegt Allegorie vor? In gewisser Hinsicht sogar mehr als Allegorie. Denn Paulus hat ein geschichtliches Geschehen vor sich. Die Art, wie dieses Geschehen, abgesehen von Vers 4c, vergegenwärtigt wird, setzt sein wirkliches Geschehensein voraus. Das heißt also: Die Identität des Christus mit dem "Felsen" ist mehr als eine nur exegetische. Vielmehr zieht der Fels aus der vergaogenen Geschichte Christus mit sich in die Vergangenheit. Daß eine wirkliche Identität Christi mit dem Felsen in der Vergangenheit vorliegt, zeigen auch noch andere Beobachtungen: Nur wenn Christus wirklich in der Vergangenheit da war, kann das den Vätern Widerfahrene als 1t'IEU!-Ulnx6v bezeichnet werden und als ihre Taufe und Abendmahl. Nur so kann auch die Kopula ~v erklärt werden, wo doch exegetisches m(v viel näher läge 392• hoeck 1960, 11-34, dort 16, spricht von "urchristliche(r), von Paulus hier aufgegriffene(r) eucharistische(r) Terminologie". VgI. ferner L. Goppelt, Art. mW4 XT).. ThW VI, 135-150, dort 146, 24ff., und E.StlJJ"ei~,r, Art. 1nIeUv-G: XT).. E., ThW VI, 394-449, dort 435 A. 6; als paulinisch deutet die Begriffe Martelet, RechSR 44 (1956) 354-459• ••• nVEUILG:TIXO' kommt 19x in den echten Paulinen vor, davon 15x im 1. K., die übrigen 7 Belege stammen aus den Deuteropaulinen und dem 1. Pt. Bpiiiv-G: kommt 9 x (von 17 x im N. T.) in den echten Paulinen vor. Die liturgische Wendung w86x1)a&V 6 &eo~ ist bei Pis. beliebt: 1. K. 1, 21; 10, 5; GI. 1, 15. Für paulinische Abfassung dürfte auch die Zahl 23000 (V. 8) sprechen: Richtig wäre: 24000, vgI. Str.-B. 111, 410.23000 ist als Gedächtnisfehler des Paulus (vgl. Lietz.. mann, Kor. 47), der dann durch seine Autorität eine nachträgliche Verbesserung des Textes verhinderte, leichter zu erklären, als wenn Gemeindebildung vorläge, die weder sich selbst korrigiert hätte noch von Pis. korrigiert worden wäre• ••1 Vgl. Mutelet, RechSR 44 (1956) 346• •,. Vgl. Allo, 1. Kor. 231. Von der symbolischen AbendmabIslehre des Calvinismus her argumentiert Amsler, Typologie 112f., der meint, daß ,,1e rocher ••• est le sign, du Christ pdexistant"
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11. Die gegenw. Vergilflgenheit: Dils Gotlenvort des AT
Wie steht es aber mit Typologie? Die Frage konzentriert sich darauf, ob "typos" 01. 6, vgl. V. 11) an unserer Stelle die übliche Bedeutung "Vorbild"s.s oder die technische Bedeutung "Typus" habes.,. In R. 5, 14, der einzigen Stelle bei Paulus, wo "typos" sicher im Sinne der Typologie für "Typus" gebraucht wird, ist die Dimension des "Vorbildes" durch den weltanschaulichen Rahmen der Zwei-Aeonenlehre, in den das Wort hineingestellt wird, gesprengt. Wir können dort schön beobachten, wie der Begriff durch seinen Kontext über~ höht und ausgeweitet wird. Doch ist sich dort Paulus kaum einer Neuprägung bewußt, vielmehr führt er den Begriff "typos" gleichsam selbstverständlich einS95• Wir werden also auch an unserer Stelle auf jeden Fall zunächst von der geläufigen Bedeutung "Vorbild" aus zu denken haben, vgl. R. 6, 17; Phil. 3,17; 1. Th. 1,7. In welcher Weise hier von "Vorbild" die Rede ist, kann uns nicht der Begriff "typos", sondern erst der Kontext 1. K. 10, Hf. lehren. Auszuschließen ist die Nuance "Beispiel". Meinte Paulus Vorbild im Sinne eines nachzuahmenden Beispiels, so hätte er sicher mit Dativ kon~ struiert (vgl. 1. Tb. 1, 7; 2. Tb. 3, 9). Auszuschließen ist ferner jede Interpretation, die dem "typos" in irgend einem Sinn nur verminderte Realität zukommen läßt, sei es im platonisch~symbolischen Sinn, sei es im Sinne einer nur schattenhaften Vorausdarstellung. Dagegen streitet die Identifikation von "Fels" und Christus. Auch weist die Tatsache, daß in V. 6 das Prädikativ "typoi" trotz des Subjektes Ta.ÜTa. zu einer Plumlform des Verbs führte, darauf hin, daß "typoi" als echter Plural, also nicht als Abstractum empfunden wurden898, was doch eher gegen "Beispiel" oder "Vorbild" im abstrakten Sinn spricht. Deshalb dürfte sich eine möglichst konkrete Bedeutung des Wortes nahelegen. Am besten wird man mit "Modelle" übersetzen. Liegt nun typologische Deutung vor? Diese Frage kann nur vom welt~ Typologie reden kann. FeuiIIet, Sagesse 105 erinnert an die alttestamentliche Bezeichnung Jahwes als Felsen, z. B. Dt. 32, 4ff. pss• ••• Z. B. J. Weiß, 1. Kor. 252; J. MofJal', The First Episde of Paul to the Corinthians, Moffatt NTC, London: Hodder and Stoughton 1938, 131; A.sch/aller, Paulus der Bote Jesu, Stuttgart: CaIwer 1934, 291 spricht von "Regel". Weitere Lit. bei de Boer, Imitation 22 A. 33. VgI. auch o. S. 53f. zur Vorgeschichte des Begriffs• • 1' Bachmann, Lietzmann, Allo z. St. H.Sahlin, The New Exodus of Salvation according to St. Paul, in: The Root ofthe Vine, London: A.C. Black 1953,81-95, dort 84 spricht von examples, aber im Sinn von Typen. VgI. ferner H. Müller, Auslegung 88ff.; Goppelt, ThW VIII, 252, 19ff. Weitere Lit. bei de Boer, Imitation 22 A. 33. Allerdings verstehen die genannten Autoren je nach ihrem Verständnis von Typologie unter"Typen" sehr verschiedene Dinge• ... Galley, Heilsgeschehen 56 vermutet, daß PIs. den Begriff hier zitiere, doch ohne Belege. VgL auch Goppclt, ThW VII, 253 A. 33. aM Obwohl im N. T. die alte Regel: "Subjekt neutr. Plur führt zu einem Verb im Sing." nicht mehr konsequent CIurchgeführt ist, ist Sing. gerade bei UÜTet als Subjekt die Regel, vgl. BI.~Debr. § 133,3 und die v. I. in V. 111
6. Die eigenen AUflagen des PiltIlus fiber seinen Schriftgebriltlch
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anschaulichen Kontext unserer Stelle her entschieden werden. Typologische Deutung taucht im Neuen Testament vor allem dort auf, wo das Christusgeschehen im Umkreis des Zwei-Aeonen-Denkens dem Alten gegenübergestellt wirdS97 • Typologie trägt immer etwas vom Wissen um eine neue Zeit mit sich. Von daher konzentriert sich unser Interesse auf das kurze Sätzlein etc; oßc; Ta -ttAlJ T6JV «twvwv xat'"rtnJxr;v 01. 11c). Was besagt es? Etwa, daß wir im neuen Aeon leben, weil uns das Ende des alten Aeons schon widerfahren ists•8 ? Dagegen spricht aber die pluralische Formulierung TtAlJ T6JV «l<Üvwv, im weitem die sonstige Verwendung des Begriffes "aiOn" bei Paulus, die voraussetzt, daß wir noch im alten Aeon leben, und der Kontext. Denn wie ist diese Zeit, in der wir leben, charakterisiert? Es ist eine Zeit der Versuchungen. Die Gemeinde lebt in der Versuchung, die Gott ihr schickt und aus der er ihr auch einen Ausweg schaffen wird. Die Zeit der Versuchung (vgl. V. 12f.) ist aber die Zeit vor dem Endea••• So scheint es mir am ehesten erwägenswert, TkAlJ im Sinn von Endzeit, das Perfekt x«~vTlJXE:V präsentischtOO zu fassen und den Gedankengang so zu verstehen: Gott hat, was jenen "typisch" geschah, uns zur "Warnung" aufgeschrieben, denn wir sind umso mehr gefährdet, weil wir in der Zeit der Versuchung leben, d. h. in der Endzeit. Dann kann in 1. K. 10, 1ff. nur in eingeschrinktem Sinn von Typologie gesprochen werden. Der wdtanschauliche Hintergrund entspricht nicht genau dem der typologischen Gegenüberstellung zweier Heilssetzungen(ol. Zudem bleibt Paulus nicht bei der Gegenüberstd•., V gl. o. S. 56• ••• Bachmann, 1. Kor. 341f.; Lietzmann, Kor. 47; Wiebe, Wüstenzeit 147, sowie zahlreiche andere Komm. Unmöglich ist J. Weiß, 1. Kor. 254: Wir leben im Kulminationspunkt der beiden Aeonen, dort, wo ihre beiden Enden ~sammensto ßen; noch anders F. W.Grosheitk, Commentary on the First Epistle to the Corinthians, New London Comm., London: Marshall, Morgan & Sectt 1953, 226, der an den Aeon des Judentums und den Aeon des Griechentums denkt. Weitere Auslegungen bei G.De/Jing, Art. 'tb-oe; XT).., ThW VIII, 50-aS, dort 55, 16/1". und A. 36. "1 Galler, Heilsgeschehen 16 u. A. 20, vgl Pr.-Bauer s. v. u).oe; 1b; s. v. adc:w 2b; Schlatter, Paulus der Bote 292; Allo, 1. Kor. 234f. Dieses Verständnis von u).." T6)" «[6,\16>" würde der häufigen apokalyptischen Wendung "acharith hajj.mim" u.ll. entsprechen, die die Zeit unmittelbar vor dem Ende meint, vgl. die :Belege bei Delling, ThW VIII, 54,1-4. 11-30, also die Zeit, deren Abschluß das Kommen des neuen Aeons bildet. Dazu kommt, daß Pis., wo er die Stichworte der Aeonenlehre aufnimmt (vgl. d~ u. A. III 1), ganz eindeutig damit rechnet, daß die Christen noch im alten Aeon leben, vgl1. K. 7, 31; Gi. 1,4; hingegen greift die Betonung der Jetztteit als Heilszeit (2. K. 6, 2, vgl. ~ VÜ\l O. A. 248f.) nie explizit auf die Zwei-Aeonen-Lehre ~rück. Zur Versuchung als Ch.mkteristikum der Endzeit vgl. H.seesemflml, Art. m:1pcx xT).., ThW VI, 23-37, dort 30,16/1". ••• Vgl. BI.-Debr. § 342. &01 Vgl O. S. 119.
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Il. Die g6"genlll. Vergflngenheit: DflI GotteIl/lort deI AT
lung von Typus und Antitypus stehen, sondern springt sofort in die Paränese über402• Nur die eine Hälfte des Typus findet ja seine Entsprechung in der Gegenwart, nämlich die sakramentale Geborgenheit, die andere, der Abfall der Väter, bleibt lediglich erschreckende, drohende Möglichkeit. Die Schilderung der geistlichen Speisung der Väter in der Wüste soll die· Situation der Väter und der Christen einander zuordnen, damit die Gemeinde die Möglichkeit des Abfalls umso deutlicher erkennt. Darum springt der Typus sofort in direkte Anrede über, ohne daß die Entsprechung als solche ausgedeutet wird; darum ist er "zu unserer Warnung" (11.11) geschrieben, damit wir ihn in unserer Existenz beherzigen403. Dazu kommt, daß die Typologie durch die Identität zwischen dem Felsen und Christus sowieso durchbrochen ist4M. Und nun wird auch die Funktion dieser Allegorie deutlich: Sie dient zur Verschärfung der Paränese. Denn wenn der Fels schon Christus war, dann hat die Gemeinde den Vätern nichts, aber auch gar nichts voraus, das ihr eine größere securitas gewährleistete, sondern steht genau so wie die Väter vor der Möglichkeit des Abfalls. Der Christusfelsen zerstört also gerade das exklusiv-sakramentalistische Mißverständnis. Die Allegorie darf also nicht weltanschaulich oder hermeneutisch vergrundsätzlicht werden, sie hat ihre Funktion hier zur Verschärfung der paränetischen Anrede. Aus dem allem wiederum ergibt sich, daß 1. K. 10, 1ff. nicht zum Ausgangspunkt für eine Frage nach der paulinischen Hermeneutik gemacht werden darf. Vielmehr liegt hier, durch traditionelle Elemente vorgebaut und durch den besonderen Skopus der paulinischen Aussage motiviert, ein Grenzfall seiner Exegese vor. Es bleibt dabei, daß "diese Deutung des Alten Testaments, die sein Wort als Wort des Christus hört und in seinen Geschichten Taten des Christus sieht, vereinzelt bleibt ... Soweit .... die Briefe ein Urteil erlauben, hat Pau,lus diese Deutung des Alten Testaments, weil sie die ausdrückliche Aussage des Textes überstieg, nicht gepflegt"405. Erstmals stießen wir also hier auf eine eigene, spezifisch christliche Auslegung eines alttestamentlichen Textes, die zwar durch jüdische Auslegung schon stark vorgeformt und vor allem im wesentlichen durch die vorpaulinische hellenistische Gemeinde geprägt sein wird, Vgl. Martelet, RechSR 44 (1956) 5561f. Im Vergleich zu "didaskalia" ist "nouthesia" stärker paränetisch-seelsorgerlich geflirbt, vgl. !.B,hm, Art. vou.&s-ta" x'tA., ThW IV, 1013-1016, dort 1015, 121f.; Martelet, RechSR 44 (1956) 537f.. ••• Also gerade nicht, wie L. CerfQIIX, ,Kyrios' dans les dtations Pauliniennes de l'Ancien Testament, in: Recueil L.Cerfaux I, Gembloux: Duculot 1954, 173-188, dort 183 meint: "C'est en vertue d'une exegese typologique que saint Paul ••• introduitle Seigneur Christ Ia OU l'Anden Testament avait en vue le Seigneur Dieu". ... Schlatter, Paulus der Bote 290. ••1
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6. Die eigenen ANuflgen du PI1II/gI über reinen S,hrijlgebrfllKh
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die aber dennoch darin neu ist, daß sie Christus selbst ins Alte Testament einführt. Gerade dadurch, daß Christus ins A. T. eingeruhrt wird, gewinnt der Text seine Unausweichlichkeit. Denn dadurch, daß Christus selbst vom A. T. vereinnahmt wird, wird verhindert, daß man sich gegen den Text auf die in Christus vermeintlich bestehende Sicherheit berufen kann. Christus gibt also hier der alttestamentlichen Geschichtsepisode ihre zupackende Schärfe. Die hier auftauchende Art der Auslegung und der Versuch, Christus bereits ins Alte Testament zurückzuverlegen, bleiben aber vereinzelt und sind rur den Umgang des Paulus mit dem Alten Testament nicht konstitutiv. Das ist deshalb besonders wichtig, weil Paulus zwar in verschiedener Weise eine Präexistenzchristologie aufnimmt (vgl. z. B. 1. K. 8, 6; Phil2, 6ff.), diese aber gerade nicht zum Ausgangspunkt einer "christlichen" Deutung des Alten Testamentes machtlOS.
B. Buchstabe und Geist (2. K. J) Der lapidare Vers 2. K. 3, 6b: "Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig", scheint der Auswertung für unser Thema zu widerstehen. Die Schwierigkeiten, die sich auftürmen, sind zweifacher Natur: Zunächst einmal ist es nicht einfach, die genaue Bedeutung von yp«iLlLot festzulegen, sodann aber bleibt, unabhängig davon, die Bedeutung des Verses im Kontext und für die paulinische Hermeneutik umstritten407 • Wir gehen zuerst der ersten Frage nach. Was heißt ypciILILot? Es ist das Verhältnis zu a) "Buchstabe", sodano b) zum mosaischen Gesetz und c) zu "Schrift" abzuklären(O'. fl) Sicher bezieht sich 2. K. 3, 6 auf 3,3 zurück. Beidemale geht es um die "diakonia" des Paulus, die ..diakonia" des neuen Bundes, der unvergleichlich über dem alten steht, weil er nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf Tafeln, die fleischerne Herzen sind, geschrieben ist. V.7 beweist klar, daß der Gegensatz "gramma" - ..pneuma" von diesen zwei verschiedenen "Diensten" her verstanden werden muß. Schon dieser deutliche Rückbezug widerrät, die Bedeutung von "gramma" allzusehr von der verbalen Bedeutung des ..Geschriebenen" zu entfernen. b) Nun wurde aber darauf hingewiesen, daß mit "auf Stein" bzw...ins Herz schreiben" immer schon der Gedanke an das Gesetz verbunden sei. Daran ist sicher richtig, daß mit "gramma" die Vorstellung des den alten Bund auszeich-
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Gegen Stuhlmacher, ZThK 64 (1967) 435ff. Vgl. G.Eb,/;ng, Art. Geist und Buchstabe, RGGa I1, 129(}-1296, dort 1291. Es braucht nur an die im einzelnen so verschiedene Anknüpfung der Hermeneutik des Origenes, Augustins und Luthers an die paulinische Unterscheidung erinnert zu werden. Zur altkirchlichen Auslegung der Stelle vgl. B.Sthnntler, The Meaning of St. Paul's Antithesis ,Tbe Letter and tbe Spirit', CBQ 15 (1953) 163-207, dort 164ff. '0' Alle Bedeutungen sind schon im Griechentum vorbereitet, vgt die VOll Schrenk, ThW I, 762, 13ff.; 763, 24/f., 35/f., gegebenen Belege.
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Il. Die gegenlII. Vergangenheit: Das GolleSlllort au AT
nenden GesetzeS verbunden ist, wenn wenigstens die Antithese "gumma" "pneuma" von 2. K. 3, 3, wo Jer. 31, 33 anklingt, bestimmt ist..•• Der in R. 7, 5f. mit "gumma" und "pneuma" titeIartig charakterisierte Gegensatz wird in R. 7, 7ff. am Verhältnis zum Gesetz durchgeführt. Insofern ist allerdings R. 7, 7ff. "unerläßlicher Kommentar ....• zu 2. K. 3, 6b. Nur darf "gramma" nun wieder keinesfalls einfach mit "Gesetz" gleichgesetzt werdenUl• Denn die Wendung IM. YPt4tIl4TOc; ••• n
1.0
6. Die eigenen Amsagen aes PatI!fII iber seinen Schriftgebratl&b
125
Um weiterzukommen, mag uns die Beobachtung leiten, daß an allen drei pauJinischen "gramma"-Stellen das Wort im Gegensatz zu "pneuma" gebraucht wird. So ist zu vermuten, daß seine Bedeutung stark von. seinem Gegensatzwort her geprägt ist, denn Paulus suchte einen lautlich gleichen Gegenpart zu "pneuma". Wir untersuchen deshalb einmal das sprachliche "Umfeld" des Wortes, d.h. jene Vokabeln, die zu "gramma" entweder parallel laufen oder ihm entgegenstehen. Wichtig sind außer unserer Stelle noch R. 2, 27ff. und 7, Sf. Die Gegenüberstellung möge in einer Tabelle veranschaulicht werden:
Sichtbarkeit, Aufweisbarkeit'lt
Verborgenheit
l.v T~ 'FIEP~ (R. 2, 28) Beschneidung im Fleisch (R. 2, 28) im Fleisch (R. 7, 5) auflhöJzemen\Tafeln (2. K. 3, 3)
l.v T~ XPUK'f~ (R. 2, 29) Beschneidung des Herzens (R. 2, 29) in der Neuheit des Geistes (R. 7, 6) auf Tafeln, die fleischerne Henen sind (2. K. 3,3)
coram hominibus:
coramDeo:
Lob vonseiten der Menschen (R. 2, 29)
(Lob) vonseiten Gottes (R. 2, 29)
Wirkung: Sünde, Tod
Wirkung: Freiheit, Leben.
die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz (entfacht wurden), waren wirksam ••. , um dem Tod Frucht zu bringen (R. 7, 5) tötet (2. K. 3, 6) Dienst des Todes (2. K. 3, 7) Dienst der Verurteilung (2. K. 3, 9)
(clmhv6~
l.v ~ xCl'mx6p.eh) (R. 7, 6) macht lebendig (2. K. 3, 6) Dienst des Geistes (2. K. 3, 8) Dienst der Gerechtigkeit (2. K. 3, 9)
Zeitstruktur: Vergangenheit
Zeitstruktur: Gegenwart, Zukunft
Me Ylip ~!ß'I 7tWI6-o)C; YP«v-IL«TOC; (R. 7, 6) aller Bund (2. K. 3, 14)
_1I/6-o)C; 1WEÖ!J.«TOC; (R. 7, 6)
------------------------------------(R. 7, 5) wvl (R. 7, 6)
~8-1)
(2. K. 3, 7)
8~
Bund (2. K. 3, 6) Icn«1 (2. K. 3, 8)
nllltr
Wir versuchen eine Auswertung: . a) Von "gramma" und "pneuma" spricht Paulus nur in der Einuhl'lO. Hierin stehen die Vokabeln durchaus in einer Linie mit andern, bei Paulus ebenfalls vorwiegend singularisch gebrauchten Sachverhalten, wie etwa Sünde, Gerechtigkeit Gottes, Verheißung. Regelmäßig allegorischer Auslegung, die wir bei Paulus finden, sind aber nie mit den Begriffen "gramma" und "pneuma" verbunden, übrigens auch nicht die Allegorese bei Philo, vgl. u. A. 421. &10 V g1. auch Bultmann, Theol. 235 . ... Vg1. aber o. A. 416. Sonst kommt "gramma" im N. T. nur Doch im Plunl vor.
126
II. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
werden damit Sachverhalte beschrieben, die eine den Menschen beherrschende Macht bezeichnen. Sie sind von Paulus hinsichtlich ihres Ursprungs und hinsichtlich ihrer Wirkung beschrieben. "Pneuma" kommt von Gott, wirkt im Verborgenen und ist nicht menschlich aufweisbar und verfügbar. "Gramma" ist menschlich-vorweisbare Realität, das Gesetz, soweit es der Mensch behändigen und es erfüllend erledigen kann, ohne durch seine radikale Beanspruchung getroffen zu sein. "Gramma" wäre das Gottesgesetz, wenn es als menschliches, und damit erfüllbares mißverstanden ist. Weil es aber dennoch Gottes Gesetz ist, wirkt sein Mißbrauch IM. ypoc(.L!L«"o~ Tod und Verurteilung, "pneuma" dagegen Freiheit und Leben. ßVe:Ü(.L1X trägt al.ro in ganz anderer Weise Machtcharakter als YP~(.L(.LIX: Es ist die Macht Gottes, die der flunschlichen Ohnmacht aufhilft. rpOC(.L(.L1X dagegen erhält seine Macht durch den MenJchen, der Gottes Gesetz nach Menschenweise erfüllt und so atIJ dem echten Gegenüber Zu Gott heratlJfällt. Für die Übersetzung legt sich kein handlicher Begriff nahe. Vielleicht kommt "Gesetzesprinzip" der Sache am nächsten, wobei mit "Prinzip" gerade betont sein soll, daß das Gesetz seine verderbende Macht erst durch den menschlichen Mißbrauch erhältm . b) Zugleich fällt uns noch etwas anderes auf. Am Gegensatz zwischen "gramma" und "pneuma" bricht der Gegensatz zweier Zeiten auf. "Buchstabe" entspricht dem Alten, Vergangenen, "Geist" dem Neuen, der eschatologischen Jetztzeit. Das Gegenüber dieser Zeiten kann von Paulus sowohl existenzgeschichtlich (R. 7, 5ff.) als auch weltgeschichtlich (2. K. 3) akzentuiert werden. "Geist" wäre dann die Macht der Zukunft Gottes, "Buchstabe" die der menschlichen Vergangenheit. Dem entspricht der Unterschied zwischen altem und neuem Bundm . Zwischen beidem gibt es keine Verbindung, ebenso wenig wie zwischen "gramma" und "pneuma". Ul Unsere Analyse des "Umfeldes" von "gramma" hat uns weder positiv noch negativ in die Nähe jenes von Georgi, Gegner 169ff., erarbeiteten "Buchstaben"Verständnisses geführt, das er für die hellenistisch-jüdisch-apologetische Schriftauslegung für typisch hält. Doch scheint mir sein Verständnis von "gramma" überhaupt auf schwachen Füßen zu stehen. Wenn er meint, daß .,der Buchstabe wegen ·seiner •.. Unveränderlichkeit auch als Ebenbild der Natur und Gottes selbst und so auch als Wegweiser zur Unveränderlichkeit und Unsterblichkeit" angesehen wurde (aaO 169f.), so fällt auf, daß gerade an den von ihm aufgeführten Belegstellen von "nomos" und Derivaten, nicht aber von "gramma" die Rede ist. Der philorusche Gebrauch von "gramma" (meist Plural) ist übrigens durchaus traditionell und steht nirgends in besonderer Beziehung zur philonischen Allegorese. Daß "gramma" 2. K. 3, 6 im Gegenzug gegen die von den Gegnern des Pls. vertretene .Allegorese zu verstehen sei (aaO 251), ist auch deshalb schwierig, weil im folgenden diese .Allegorese an einem wichtigen Punkt (xcX).ul'(LOt I) von Pis. selbst benötigt wird . • 11 Das Gegenüber der beiden Bünde wird in dieser Arbeit nur am Rande behandelt. Dazu vgl. ausführlicher Luz, EvTh 27 (1967) 318-336.
6. Die eigenen Aussagen des Pall/lls über seinen Schrijtgebramh
127
Paulus spricht hier in einer Weise von Vergangenheit, der wir bisher kaum begegnet sind'23. Während wir dort, wo Paulus die Vergangenheit durch das Alte Testament an die Gegenwart heranträgt, eine merkwürdige Gleichgültigkeit gegenüber der vorliegenden Zeitdifferenz immer wieder feststellten'2', der umgekehrt eine starke Direktheit in der Anrede des alttestamentlichen Wortes entsprachU5, während wir dort durchwegs den Willen, die Vergangenheit direkt Wort werden zu lassen, so daß nur im gegenwärtig geschehenden und wirkenden Wort überhaupt Vergangenheit zur Sprache kommt, beobachteten, stoßen wir hier auf eine völlig neue Dimension der Vergangenheit. Ihre Eigenart hat sie in der scharfen Entgegensetzung von Vergangenheit und Gegenwart, wobei der Vergangenheitscharakter des Alten gerade wesentlich ist: Denn darin besteht gerade das Heil, daß die Vergangenheit wirklich vergangen ist'28. Es bleiben uns zwei Fragen: Wie wird dieser antithetische Rückgriff auf die Vergangenheit durch die weitern Ausführungen von 2. K. 3 verdeutlicht, und wie verhält er sich zu dem bisher über das Verhältnis des Paulus zur Vergangenheit Ausgeführten? Und: Was trägt 2. K. 3 für die pauIinische Hermeneutik aus? Wir wenden uns zunächst der ersten Frage zu. Wir betrachten uns zunächst 2. K. 3, 1-3. Auf der einen Seite ist hier von Empfehlungsbriefen, die die Gegner des Paulus aufgrund ihrer pneumatischen Taten von ihren Gemeinden bekommen und mit denen sie sich ausweisen, und dem eigenen Empfehlungsbrief des Apostds, der die korinthische Gemeinde sdbst ist und der in sein Herz geschrieben ist, die Rede. Nach 2. K. 5, 12 ist ein ins Herz geschriebener Brief nicht des Paulus Bewußtsein, daß sein an den Korinthem vollbrachtes Werk gottwohlgefällig sei, sondern ein nicht am Sichtbaren orientierter, nicht vorweis barer Brief. Es geht also hier um den seIhen Gegensatz von menschlichem Vorweisen lv ..ij) !pIXVEpij) (= ev npo(6)7tCf) und dem Unaufweisbar-Sein 1-'1 ..ij) XPU7t'Tij) (= lv Xlltp3Eqt), der schon in der Gegenüberstellung von Buchstabe und Geist anklang. V. 3c aber geht dieser Gegensatz plö'tzlich in einen andem über, nämlich den zwischen altem und neuem Bund, der von V. 7 an dominiert. Wie kommt es zu dem unvermittdten Umschlag phänomenologisch-deskriptiver in geschichtliche Kategorien? Können wir annehmen, daß Paulus durch die Argumentation seiner Gegner zu seinen Formulierungen geführt wurde? ••• Vgl. aber o. S. 93f• ••• Vgl. o. II SC Nr. 2. ••• Vgl. o. II 3 D Nr. 3; II SC Nr. 2. ••• Vgl. Hausser, Autori~ de l'Ecriture 76: "Christ est 1a iin du yplil/o\LOt", ähnlich Kamlah, EvTh 14 (1954) 278. Vgl. auch 2. K. 5,17.
128
1I. Die gege1l1/1. Vergangenheit: Das GottesllIort des AT
Das Thema der Empfehlungsbriefe wird Paulus sicher von seinen Gegnern gestellt. Darauf weist schon die Terminologie: I:uvtan)!L~ in der Bedeutung "empfehlen" kommt abgesehen von R. 16, 1 nur im 2. K. vor. Statt dessen sagt Paulus sonst x(tuX«olJ4~. Haben aber die Gegner auch die Autorität des Mose für sich in Anspruch genommen, was den übergang von V. 3b zu V. 3c erklären würdc'''? Die Entscheidung über diese Frage hängt in erster Linie davon ab, wieviel über die gegnerische Theologie dem traditionellen Material, das Paulus in V. 7-18 Vel'wendet, direkt zu entnehmen ist. Wir wenden uns deshalb zunächst dieser Frtge zu. Die Verse 7-18 sind eine "midraschartige" Einlage in den 2. KorintherbrieP-. Dafür sprechen in der Tat zahlreiche Gründe: 1. Während 2. K. 3, Uf. und 4, 1ff. vom "Dienst" des Parllur handeln, ist in V. 7-18 von der Herrlichkeit aller Christen die Rede. Während 3, 1ff. und 4, 1ff. Paulus von seinem besonderen apostolischen Amt spricht, wird 3, 7ff. der "Dienst"'" des neuen Bundes überhaupt betrachtet, und zwar in überbietung und Antithese zum alten Bund, also "geschichdich". Der Skopus von 3,7-18 trifft also nicht gcmu das, was Paulus zeigen will. 2. Der Abschnitt scheint als ganzer an Ex. 34, 29ff. orientiert und wird ähnlich wie der Midrasch GI. 4, 21ff. in den Kontext eingelegt. 3. Einzelne exegetische Aussagen scheinen durchaus in der jüdischen exegetischen Tradition vorgebildet" o und von Paulus - direkt oder indirekt - übernommen zu sein. 4. Auch stilistische Argumente sprechen für da und dort übernommenes trldi~ nelles Material: Die drei Antithesen V.7-11 sind an einzelnen Punkten durch Einschübe und Zwischenbemerkungen überladen (V.7b; 10). V.14b und 15 laufen parallel, ohne daß ein Motiv hiefür angegeben werden könnte"'. V.13 stört ein anakoluthisch eingefügtes A. T.-Zitat. 5. Die typologische Gegenüberstellung des alten und des neuen Bundes ist ein traditionelles Motiv·... Dennoch will es nicht gelingen, einen in sich geschlossenen vorpaulinischen Test ... VgI. dazu Georgi, Gegner 250f. 258f.; S.SGhrllz, Die Decke des Moses, ZNW 49 (1958) 1-30, dort 21f. ••• So Windisch, 2. Kor. 112• ••• Der Wortstamm 3~(txov- findet sich im 2. K. ausgesprochen häufig, während PIs. sonst eher 30ü).o~ sagt. Hier liegt wohl Einfluß des Sprachgebrauchs der Gegner vor, vgI. G. FriedriGb, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, in: Abraham unser Vater, Arbeiten zur Geschichte des Spätjudt. und Urchristentums S, Leiden: Brill 1963, 181-215, dort 185ff. Im traditionellen Sprach material des Midrasch (vgI. unten) scheint aber das Wort zu fehlen, bezeichnenderweise auch in der ganzen zweiten Hälfte des Kapitels. uo Das gilt vor allem für 3, 7b: VgI. Str.-B. III, 515f.; Philo Vit.Mos. 2, 70, dazu Schulz, ZNW 49 (1958) 4 A. 18, und Georgi, Gegner 259f. Zu V. 16 vermutet R. le Diaut, Traditions targoumiques dans le Corpus Paulinien?, Bibi 42 (1961) 28-48, dort 45, Targumtraditionen. "1 Vokabelstatistisch erweist sich keiner der bei den Verse als vorpln. Der Gedankengang wird dann verständlicher, wenn die Parallelität der beiden durch I)v'eingeleiteten Temporalsätze erkannt wird, so daß der erste der beiden Säl2e nur als vorbereitende Antithese zum zweiten, mit ijv(x(t 3e Uv eingeleiteten Sal2 zu gelten hätte, auf dem dann alles Gewicht läge. Doch bleibt die Formulierung, vor allem durch das einleitende ID' ~CJ)~ al]!Le:pov schwerfällig. ••• Auch der hier erstmals auftauchende Ausdruck ij 7t(t).(t~ 3~(t&ljx1) wird - mit Artikel! - als etwas durchaus Bekanntes und Geläufiges angeführt. Vgl. Prilmm, Diakonia Pneumatos 1I11, 188; 202f., und Luz, EvTh 27 (1967) 307f. undA. 7; 324 A. 25. Zur "Typologie" der beiden Bünde in Qumran vgI. o. A. 75.
6. Die eigenen Allssagen des Pallills über seinen Schriftgebrall&h
129
zu erarbeiten. Was im einzelnen über die Anspielungen auf Ex. 34, 29ff. hinaus Paulus vorlag, ist m. E. nicht mehr sicher festzustellen. V. 7b erweist sich vokabelstatistisch mit Wahrscheinlichkeit als vorpaulinisch. 'ATevl!;(J) ist bei Pis. in unserm Kapitel Hapaxlegomenon, auch ulol 'Iapatlj>. ist unpaulinisch. Auch die Steigerung der 86~at des alten Bundes gegenüber dem Text in Ex. 34 dürfte Pis. in irgend einer Weise vorgelegen haben·... Die alttestamentlichen Zitate fallen für eine Vokabelstatistik weg. V. 13b ist kaum als vorpln. zu beweisen; es kann auch paulinisch als Aufnahme von V. 7b gedeutet werden. Die seltene Wendung 4Xp' -rijc;alj(Upo" ijl'~PatC; (V. 14b)-paulinisch wäre 4xp' TOÜ "üv- könnte aus Dt. 29, 3 in der paulinischen Aufnahme R. 11,8 stammen. 'A"aYV(J)"tC; bzw. avatxaV..u=(J) besagen als Hapaxlegomena wenig, da sie auch sonst im N. T. selten bzw. nie vorkommen. Sicher ist die Tendenz der paulinischen Interpretation: Wie immer die Tradition im einzelnen ausgegrenzt werden mag, ihm liegt daran, die alte und die neue ..Diakonie" als qualitativ unendlich verschieden nebeneinander zu stellen. So bleibt als weiterführend einzig die Frage, warum Paulus sich nicht mit den ihm bequemeren Versen Ex. 34, 33ff. begnügt habe. Und da wird die Antwort wahrscheinlich doch lauten müssen: Weil ihm eine Auslegung der Verse 29ft". als Einheit überliefert war. Mehr aber läßt sich m.E. kaum sagen. So sicher wir also sagen können, daß Paulus 2. K. 3, 4ff. traditionelles Material, vermutlich eine Auslegung von Ex. 34, benutzt hat, so wenig ist es möglich, diese im einzelnen zu rekonstruieren· ... So ist es auch nicht möglich, eine theologisch sicher fixierbare Aussage der vorpaulinischen Tradition auszumachen, die dann vielleicht der Theologie der Gegner des Paulus zugeschrieben werden könnte·... Die Tendenz, dem alten Bunde noch eine gewisse, relative Herrlichkeit zu belassen, darf nicht ohne weiteres als Werk einer Paulus entgegenstehenden exegetischen Tradition gesehen werden; sie ist ja auch für die 7ro>J.ii) I'IDo" - Aussagen nötig; mehr als der Glanz auf dem Haupte des Mose ist wohl gar nicht gemein!"'. überdies lißt sich m.E. auch nicht nachweisen, daß Paulus seine Tradition polemisch aufgenommen hätte. Im Gegenteil: Nach 2. K. 2, 14-3, 3 und vor 2. K. 4, 1ft". wirken 3, 4-18 viel mehr thetisch und lehrhaft&a7. Das Verfahren des Paulus, den Gegner durch Glossierung eines eigenen Textes zu bekämpfen, wäre analogielos und unüberzeugend. Entscheidende Differenzpunkte würden von Paulus gar nicht behandelt, sondern als widerlegt vorausgesetzt. Paulus will die Herrlichkeit des Mosebundes auch keineswegs bestreiten, sondern anhand der unbestrittenen Herrlichkeit des alten Bundes die unvergleichlich viel größere Herrlichkeit des neuen Bundes zeigen: Denn das Verherrlichte hat keine Herrlichkeit in aimr Hin»tbl, nämlich wegen der überströmenden Herrlichkeit (des neuen Bundes) .11 Das hängt wohl mit der nicht nur im hellenistischen (Georgi, Gegner 259ft".), sondern auch im palästinischen Judentum (Barrett, First Adam 59f.) verbreiteten Tendenz zur Deifizierung des Mose zusammen. Im übrigen läßt sich nichts Sicheres sagen. ••• Auch die im einzelnen verschiedenen Rekonstruktionen von Schulz, ZNW 49 (1958) 3ff., und Georgi, Gegner 282, lassen an der Möglichkeit einer genauen Rekonstruktion zweifeln. UI So in je etwas versChiedener Weise Schutz. ZNW 49 (1958) 27ff. und Georgi, Gegner 258ff. UI Reflexionen, wie diejenige C.Maurerl, Der Schluß ..a minore ad maiusee als Element paulinischer Theologie, ThLZ 85 (1960) 149-152, dort 150, darüber, daß Gott ..hier und dort der gleiche in seinem Tun" bleibt, fehlen bei Paulus. u, So auch Windisch, 2. Kor. 112; W. Sthmilhall, Die Gnosis in Korinth, FRLANT 66, 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1965, 273, und Conzelmann, NTS 12 (1965(66) 235.
130
II. Die gegenw. Vergangenheit: Das Gotteswort des AT
(V.l0a). Wahrscheinlicher als die übernahme eines gegnerischesTextcs scheint mir, daß Paulus an eine bereits in einer (eigenen?) Gemeinde (in einer Schule?) geläufige alttestamentliche exegetische Tradition anknüpft. Diese überbietet ~, indem er den in ihr bereits angelegten Skopus verstärkt438 •
Es ist also kaum möglich, den übergang von V. 3b zu V. 3c so zu erklären, daß Paulus durch die Argumentationsweise seiner auf Mose sich berufenden Gegner dazu gezwungen wurde, auf den geschichtlichen Gegensatz zwischen altem und neuem Bund einzugehen. Vielmehr wird nach einer innern, sachlichen Notwendigkeit für diesen Übergang gefragt werden müssen. Nun steht aber ein solches Umschlagen von phänomenologischen und existentialen Kategorien in geschichtliche bei Paulus nicht vereinzelt da. In der Antithese "gramma" - "pneuma", die die Verse 1-3 aufnehmend interpretiert, klangen beide Kategorien an. Oft finden wir bei Paulus theologische Zentralbegriffe, wie etwa "Gesetz", "Sünde", "Verheißung", "Erbarmen" (eleos), die zugleich existentiale und universalgeschichtliche Dimension haben43P • Auch in GI. 4, 21-31 wird die antithetische Gegenüberstellung der beiden Bünde zugleich durch Begriffspaare wie "Knechtschaft" - "Freiheit", "Fleisch" - "Verheißung" interpretiert und durch die Gegenüberstellung von vüv- und &.vw 'Ie:poIJO"d.~1' in die Dimension des Gegensatzes zwischen den beiden Aeonen gehoben"o. Wie auch das Nebeneinander von R. 5, 12ff. neben 7, 7ff. zeigtC'l, ist ein solches Zugleich von existentialem und geschichtlichem Denken bei Paulus durchaus möglich und weit eher ein Miteinander sich ergänzender Aspekte als ein Gegensatz~ Wir werden diesem Denken, das bereits ontologisch die Möglichkeit einer existentialen Interpretation geschichtlicher Kategorien enthält, noch nachzugehen haben"l. Auch die Fortsetzung in 2. K. 3, 7ff. ist von der Antithese der beiden Bünde bestimmt. Vergangenheit und Gegenwart ·treten hier einander schroff gegenüber. Aber von der Antithese "gramma" &88 Auf jeden Fall liegt der Skopus des vorpaulinischen Midrasch nicht in der Hervorhebung der Größe des Mose (Schulz, ZNW 49 (1958) 21; Georgi, Gegner 258f.), der nach Pis. als wahrer Gnostiker von der Verhüllung Gebrauch machte. um die unberufenen Israeliten an der rechten Einsicht zu hindern (vgl. Schulz aaO 22), der also ,,noch eine Stufe tiefer als die Israeliten" stünde (ebd.); eher p0lemisiert die Tradition gegen die Juden, die noch nicht zum Herrn umgekehrt sind (V. 16). Den Skopus der Tradition nimmt Pis. auf und baut ihn in die Gegenüberstellung der beiden so völlig verschiedenen "Diakonien" ein. Eine eigentliche Polemik gegen Mose aber kann ich nicht finden. Vgl. auch Luz, EvTh 'ZT (1967) 324 A. 24. 27• ••• V gl. die Verweise o. Einl. A. 27• ••• Zur Analyse dieses Textes vgl. Luz, EvTh 27 (1967) 319ff. cu Vgl. u. A. III 267 • ••• V gl. u. III 6 Exkurs 1.
6. Die eigenen Amsagen des PIJIIIIIS über seinen SchriftgebrallCh
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"pneuma" her wird man formulieren müssen: Eine spezifische Vergangenheit und eine spezifische Gegenwart sind es, die Paulus so konfrontiert, nämlich die vom Menschen bestimmte, jetzt abgetane Vergangenheit und die von Gott eröffnete Gegenwart, die jetzt an der Zeit ist. Daß aber der alte Bund abgetan und vergangen ist, ergibt sich aus der Gegenwart des neuen, der den alten erst zum vergangenen macht. Wenn also vom alten Bund gesagt wird: oö 8E86~ot<M'otL (11.10), xot'rlx'pyou!1Evl) (11.7; 11; 13), 8Loty.ovEot '&otv«'rou (11. 7) oder 8LIXxovEIX XIX'rIXy.pEaEwc;; (11. 9), so liegen hier nicht Urteile über eine für sich zu betrachtende Epoche des alten Bundes vor, sondern Urteile über den alten Heilsweg angesichts des neuen4t3 • Desgleichen verbieten sich von unserm Text her alle Reflexionen über das Wesen der alttestamentlichen "doxa" an sich: Sie wird von Paulus weder bestritten noch reflektierend ausgelegt, vielmehr besteht ihr einziger Zweck darin, sich von der unvergleichlich viel größeren "doxa" des neuen Bundes überbieten zu lassen und vor ihr zu verschwinden. Die einzige Konkretion, die Paulus gibt, ist der traditionelle Hinweis auf den Glanz auf dem Haupte des Mose. Aber auch über den Grund der Unwirksamkeit der alten "doxa" ist wenig gesagt: Wenn es V. 13 heißt, daß Mose die Decke auf sein Antlitz legte, so daß'" die Israeliten das Ende des Vergehenden nicht sehen konnten, so wird diese Aussage durch V. 14a und V. 15, wonach die Israeliten verhärtet waren bzw. die Decke auf ihrem Herzen lag, korrigiert. Jedenfalls wird hier nicht Israel zuungunsten von Mose von der Verantwortung entlastet. Paulus wollte wohl nur das faktische Nicht-zur-Erkenntnis-Kommen im alten Bund zeigen. Auffällige Anklänge an R. 11'"lassen vermuten, daß er eher an die gegenwärtige Verstockung Israels angesichts des Evangeliums als an ein Urteil über die vergangene Geschichte Israels gedacht hat. Das entspricht auch dem Ausgangspunkt des Paulus, wo das Verhalten der mit Empfehlungsbriefen umherziehenden Gegner je/~/, angesichts des offen daliegenden Evangeliums, als "grammatisch", d.h. als sachlich der abgetanen Vergangenheit zugehörig qualifiziert wird. Der Auswertung unseres Kapitels im Blick auf eine Theologie der Geschichte Israels sind also enge Grenzen gesetzt, und zwar erstens dadurch, daß Paulus mit im einzelnen nicht mehr genau bestimmbarem, traditionellem Material arbeitet, zweitens dadurch, daß die konkreten Aussagen merkwürdig in der Schwebe bleiben, und drittens vor allem dadurch, daß Paulus in unserm Abschnitt gar nicht thematisch vom "Alten" handeln will, sondern es lediglich als Material benutzt, um das Neue kontrastierend und überbietend zu beschreiben..••
•" Vgl. Luz, EvTh 27 (1967) 32M. ... llp6c; kann final oder konsekutiv verstanden sein, vgl. Pr.-Bauer, s. v. Se; aus dem Zusammenhang und von V. 7 her legt sich eher konsekutive Bedeutung nahe. . ... ll61p661, vgl. R. 11,7.25; !XPL -rijc; crl]!'EPOV 'iJ(dpClC;, vgL R. 11, 8. . ... Völlig unmöglich ist P.E.Hughes, Paul's Secood Epistle to the Corinthians, New London Comm., London: Marshall & Morgan Scott 1962, 90 und pss.: Es geht PIs. um dasselbe Gesetz, das schon im alten Bund in Herrlichkeit bestand, und nun im neuen erst recht zur Herrlichkeit kommt.
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ll. Die 8'8'n",. Vergangenheit: Das Gottes",ort des AT
So läßt sich sagen: VOIII EvangeliulII her unterscheiden sich die Zeiten; VOIII Evangelilllll her wird das wahre Wesen des alten Bundes "enthüllt" 01.16) und gewinnt der alte Bund - theologicel- seinen Vergangenheitscharakter. V. 17a schließt sich als Erklärung"7 an den vorangehenden Vers 16 an, wo es im Anschluß an Ex. 34,34 hieß: Wenn es (d. h. Israel'") dagegen zum Herrn (d. h. Cbristus"O) umkehrt, wird die Hülle weggenommen. Indem Paulus aber Christus mit dem Geist gleichsetzt, weist er auf V.6 zurück und macht nochmals deutlich, daß die Antithese "gumma" "pneuma" und die Gegenüberstellung der heiden Bünde sich gegenseitig interpretierenl&o. Er erweist also das Sein der Israeliten des alten Bundes unter der Hülle des Mose, fern von der eigentlichen "doxa", fern vom "kyrlos" als Sein gemäß dem "gramma", d.h. als gottlos, vergangen, selbstmächtig. Nein: Nicht Paulus erweist dies, sondern das Alte Testament, wie es spricht, wenn die Hülle von ihm entfernt ist. Dann erweist es selbst die Geschichte des Volkes Israel als "grammatisch", d.h. als wahrhaft vergangen im theologischen Sinn. Wir halten inne. In unserm Abschnitt scheint Vergangenheit auf zwei verschiedene Arten zur Sprache zu kommen. Auf der einen Seite begegnen wir der Vergangenheit bei der Antithese der beiden Bünde. Die Vergangenheit, von der hier die Rede ist, ist das Alte, Abgetane, durch den Menschen ins "gramma" Verkehrte, nun von der "don" an So Kümmel bei Lietzmann, Kor. 200; auch Schweizer, ThW VI, 416,111'.; Hermann, Kyrios und Pneuma SO. Diese Feststellung bleibt zunl!chst richtig, unabhängig davon, wie nun im weitem die Identifikation von "kytios" und "pneuma" interpretiert wird. Diese schwierige Frage kann von uns als für diesen Zusammenhang unwichtig beiseite gelassen werden. Zu den Auslegungsmöglichkeiten vgl. Hermann, Kyrios und Pneuma 43ff.; N.Q. Hami/lotl, The Holy Spirit and Eschatology in Paul, SJTh Occasional Papers 6, Edinburgh: Olivier and Boyd 1957,4ff. Möglicherweise hat Pis. hier ein Theologumenon einer hellenistischen Gemeinde (vgl. o. A. 284 und u. A. IV 119 und die dort gegebenen Verweise) aufgenommen (vgl. auch 2. K. 3, 18) und für seinen Gedankengang verwendet• ... Ob Israel (so noch selbstverständlich Windisch, 2. Kor. 123; die bei Schulz, ZNW 49 (1958) 15 A. 73, Genannten; Hermann, Kyrios und Pneuma 39) oder Moses (so Schulz, aaO 151'.; Georgi, Gegner 280. 282, für die Tradition) als Subjekt zu denken ist, ist umstritten, vgl. weitere Vorschläge bei E.B.A//o, Saint Paul. Seconde Epltre aux Corinthiens. Etudes Bibliques, Paris: Gabalda 1956, 92. Mir scheint für den heutigen Text Israel als Subjekt näher zu liegen, obwohl damit ein Motiv anklingt, das in unserm Zusammenhang nicht nlher ausgeführt wird, nämlich die Bekehrung Israels. Aber nachdem V. 15 vom xli>.uiLfLIX lnl T"lJv xcxp3(tJ:v tJ:UT(;)V bei der Verlesung von "Mose" die Rede war, kann in V. 16 schlecht wieder vom historischen Mose die Rede sein. V. 16 würde denn auch in der Luft hängen und hätte keine typologische Entsprechung. Der störende Singular lnLcrrpl:<\In ist durch das Nachwirken des Zitates am leichtesten zu erklären• ... "Kyrios" ist Christus; zur Begründung vgl. Hermann, Kyrios und Pneuma 39-43. "0 Vgl. Schweizer, ThW VI, 416,11. Daß V. 17a vorpaulinische Tradition (so Georgi, Gegner 280; 282) oder nachpaulinisehe Glosse (so Schmithals, Gnosis 299ff.) wlre, leuchtet mir aufgrund eben des zusammenfassenden Charakters des Verses, der wieder auf 3,6 zurücklenkt, nicht ein.
6. Die eige"e" Amsoge" des POllltlJ /Ibn- seifInI SchriftgebratKh
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des Neuen Verschlungene. Von dieser Vergangenheit kann Paulus angesichts des Neuen nur in strenger Antithese sprechen. Aber von dieser Vergangenheit ist auch gar nicht um ihrer selbst willen die Rede; sie dient in ihrer Andersartigkeit nur dazu, die Eumgartigkeit und den überragenden Glanz des Neuen ermessen zu lassen. Die geschichtlichen Kategorien haben hier die Funktion, durch die wirkliche Überholtheit des Alten die wirkliche Herrlichkeit des Neuen zu zeigen. Daneben aber steht das Alte Testament'51. Auch es ist ein Buch der Vergangenheit und Paulus ist sich dessen selbstverständlich bewußt. Aber es ist nicht in dem Sinne vergangen, wie "gramma", der alte Bund, Sünde oder Gesetz vergangen sindu1, nämlich wirkungslos geworden, beendigt, gestorben. Das Alte Testament bleibt gerade nicht in der Vergangenheit, sondern es dringt an als Sprache, wird Wort, schafft Verstehen. Es gehörte, wenn man es auf die Antithese "gramma" - "pneuma" zu beziehen hätte, auf die Seite des "pneuma", nicht des "gramma"UB, auf die Seite des neuen Bundes, nicht des alten. Denn in Christus ist es enthüllt, und es hilft mit, die Herrlichkeit des neuen Bundes zu bezeugen. Die Vergangenheit, die im Alten Testament anwest, ist gerade nicht die des alten Bundes oder des Gesetzes, es sei denn als in Christus abgetane. Vielmehr erschließt sich im Sprechen des Alten Testaments Vergangenheit als Woher des Wortes Gottes, als Land seiner Tat, ja als Dimension seiner Wirklichkeit'". Mit dem Alten Testament ist für Paulus nicht das Problem verbunden, eine feme, vielleicht zweideutige und schwierige Vorgeschichte der Heilsgegenwart heimzuholen - auch nicht mittels speziell hiefür anwendbarer hermeneutischer Methoden''', sondern es selber bringt durch sein Sprechen Verstehen Gottes und der Welt, der &11 Auch hierin finden wir in unsenn Text genau dasselbe Nebeneinander wie in Gl. 4, 21-31, vgl. Luz, EvTh Tl (1967) 321f• ... Das A. T. ist also gerade nicht ,,zur Vernichtung durch Christus bestimmt" (Lietzmann, Kor. 113, vgl. ähnlich auch Pr.-Bauer, s. v. XIXTIXPY~ 2). ... Dagegen kann nicht das Fehlen von Geistaussagen im Zusammenhang mit dem A. T. geltend gemacht werden, da unsere These nicht einen exegetischen Befund referiert, sondern eine in der Verlängerung eines solchen liegende sachliche Konsequenz sein will. Vgl. aber immerhin R. 7,14; 1. K. 2. 9f. und 10,3f. (dazu o. A. 389-391). Auffii.llig bleibt natürlich, daß bei Paulus nie der Geist Subjekt des Redens der Schrift ist, anders als etwa Hb. 3,7; Mk.l2, 36; 2. Tm. 3, 16. Im Ganzen des urchristlichen Sprachgebrauchs ist das zwar nicht sehr aufF"alIig, aber immerhin bemerkenswert• ... Vgl. o. S. 75ff. und die Verweise u. A. 461. ... Es gibt also gerade keine spezielle "pneumatische" Exegese der Schrift, vgl. o. A. 418. Auch die in katholischen Schriften gelegentlich auftauchende These vom "sensus plenior" der Schrift kann sich nicht auf 2. K.3 berufen, gegen Coppens, Arguments scripturaires, Analecta Biblica 18, 25Of. Paulus ist "mit seiner jüdischrabbinischen Auslegungsmethode der Schrift grundsätzlich tteu geblieben" (Campenhausen, Begründung, Aus der Frühzeit 79, vgl. I. W. D_, Jewish Hermeneutics in the Synoptic Gospels and ActS, Dias. Leiden 1953, 99; H.MüIler, Auslegung 164).
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11. Die gegen",. Vergangenheit: Das Gottesl/lort du AT
Gerechtigkeit und der Sünde. Etwas überscharf und pointiert gesagt: Für Paulus ist das Alte Testament nicht in erster Linie ein zu Verstehendes, sondern es selbst schafft Verstehen'66. Wenn man es auf eine Formel bringen will, so könnte man sagen: Di, Vergangenhtit bei Pt,ulus ist offenbar eine dialektische Größe. Auf der einen Seite taucht sie auf als Vergangenheit des Menschen, als beendigte, sündige Vergangenhtit. Andererseits aber begegnet sie als Vergangenheit Gottes, d.h. als Verstehtn schaffende, lebendige, "gegemvärtige" Vergangenheit. Einerseits ist sie tote Zeit. nämlich insofern wir ihr abgestorben sind, anderseits aber lebendige Zeit. nämlich insofern Gott von ihr her Zu uns redet. Diesem zweiten Aspekt sind wir bisher in unserer Betrachtung des Alten Testamentes bei Paulus nachgegangen. Damit ist uns das weitere Vorgehen vorgezeichnet: Zunächst soll, unter dem Aspekt des Gesetzes. jener andem Seite. der "abgetanen" Vergangenheit, nachgegangen werden. Erst dann kann abschließend gefragt werden, ob sich bei Paulus so etwas wie ein umfassendes Verständnis der vergangenen Geschichte findet.
C. Zusammenfammg 1. Paulus scheint das Entscheidende darin zu sehen, daß die Schrift die Menschen der Gegenwart ("uns") anredet und zu "unserer" Belehrung geschrieben ist467 • Sodann bestätigen uns die eigenen Äußerungen des Apostels, daß sein Beitrag zur Hermeneutik des Alten Testaments offenbar nicht in einer neuen Auslegungsart des A. T. bestand: Paulus hat sich weitgehend an die traditionelle AusiegungS7lleise gehalten, und auch aus dem "pneuma" darf keine Methode zur Auslegung alttestamentlicher Texte abgeleitet werden468 • 2. Christus ist normalerweise nicht Inhalt des Alten Testaments, auch wenn dies gelegentlich auch der Fall sein kannu ,. Auf verschiedene Weise gehört er aber mit zur Auslegung: Er ist die Wahrheit der Verheißungen (2. K. 1.20); durch ihn ergeht die Verheißung an die Heiden (GI. 3, 16); er entfemt die Decke von der Verlesung des Alten Testaments (2. K. 3. 16). Christlls ist der Grund, daß die Schrift und damit Gott zur heidenchristlichen Gemeinde spricht. 3. Die Frage Harnacks, ob das Alte Testament nicht ein infolge äußerer Umstände, wie Situation der Gemeinde, seelsorgerlicher Motive etc.• gelegentlich nützliches Ausdrucksmittel für das Evangelium sei, Vgl.o.1I3DNr.3. .., Vgl. auch o. 11 3 D Nr. 3; 11 5 C Nr. 2. ... VgL o. A 418 und A. 455 • ... Ausnahmen: 1. K. 10,4 als einziges Beispiel für einen geschichtlichen Text. In Weissagungen vgl. etwa noch R. 9, 33; 10, 6fT.; 11, 26f.; 15,3. eil
6. Die eigenen Amsagen des Pau/us über seinen Schriftgebrauch
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das aber u. U. auch weggelassen werden kann, ist zu verneinen. Das Reden des Alten Testaments ist für Paulus Wort Gottes, das durch Christus und den Geist erschlossen ist. Für Paulus ist es Jas Erste, daß das Alte Testament sprichj480,. sein Sprechen ent-spricht der Souveränität Gottes, der sich in seiner Geschichte schenkt, indem er sich durch seine Verheißung und sein Handeln kundgibt. Von Gott kann nicht anders als aufgrund dieser Kundgabe gesprochen werdent81 • 4. Eine bestimmte Hermeneutik, die das Alte Testament als Ganzes theologischer Bewältigung erschließt, gibt es für Paulus nicht. Die Freiheit, mit der das Alte Testament in Christus Verstehen setzt, wäre dann eingeschränkt, wenn eine bestimmte Hermeneutik zur Bedingung des Verstehens würde. Dem entspricht, daß die bei Paulus auftauchenden alttestamentlichen Geschichtsepisoden uns keinerlei Anhaltsptmkt gaben, sie in so etwas wie eine lineare Gesamtschau der alttestamentlichen Geschichte einzubauen. Vielmehr blieb das Sprechen der Vergangenheit "exemplarisch""!. 5. Die Vergangenheit wurde bei Paulus in doppelter Weise bedeutsam: Als Herkunft des Wortes Gottes und damit als Dimension seines Handelns. So spricht sie direkt zur Gegenwart483 • Aber auch als durch Christus überwundene und darum im theologischen Sinn Unzeitgemäße, Vergangene. So ist sie Herkunft des Menschen und Kontrast des Heils"'. Einen beide Sprech-Weisen der Vergangenheit oder die vergangene Geschichte in ihrem ganzen Umfang umspannenden Geschichtsentwurf haben wir bisher nicht festgestellt'65. "D S. o. II 5 C Nr. 5.
Vgl. o. S. 78f.; Goppelt, NTS 13 (1966/67) 33 und Stuhlmacher. ZThK 64 (1967) 440. Zum theozentrischen Grundzug des pln. Denkens vld. ferner o. 11 3 A Exkurs Nr. 3; 11 3 D Nr. 4. 7; ferner o. S. 26f. 28f. 75. 114ff. 133f.; u. S.177 und u.lll 7 Nr. 8, ferner die Verweise u. A. IV 124; A. IX 37. 38. ... Fuchs, Hermeneutik 200. Vgl. das Urteil eines Profanhistorikers: "Die Kontinuität von Gottes Handeln in der Geschichte ist nicht objektiviert wahnunehmen, alle Kontinuitäten sind Teilansichten der historischen Vernunft. Wenn man dessen gewiß ist, daß Gott die Geschichte macht, wird uns ein Sinnvertrauen geschenkt, das sowohl eine chrisdiche als eine säkularisierte als auch eine genuin welthafte Totaldeutung entbehrlich macht" (R. WittrIJ11I, Möglichkeiten und Grenzen der Geschichtswissenschaft in der Gegenwart, ZThK 62 (1965) 430-457, dort 455). "s Vgl. Kap. 11. Auch Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 45, vgl. 30, findet bei Paulus keinen linearen Geschichtsentwurf und unterscheidet zu Recht zwischen Schriftwort und Geschichte. Dagegen kann Cullmann, Heil als Geschichte 106f., der diese Dialektik im Denken der Vergangenheit auch erkennt, sie von seinem Entwurf aus nicht zureichend interpretieren• Vgl. u. Kap.III . ... Vgl. u. Kap. IV. • 11
•1.
III. DIE ABGETANE VERGANGENHEIT: GESETZ UND GESCHICHTE 1. Vorbemerkungen Die Gegenüberstellung des Alten und des Neuen, der Heillosigkeit und des Heils, die uns bei der Betrachtung von 2. K. 3 zum ersten Mal als zweiter, grundlegender Ort des paulinischen Redens von der Vergangenheit begegnete, ließ uns sogleich an das apokalyptische Gegenüber der beiden Äonen als Hintergrund denken. Umso überraschender ist, daß diese Gegenüberstellung bei Paulus fast völlig fehlt. Vom neuen Äon ist bei Paulus überhaupt nie die Rede l • Aber auch von "diesem" oder vom alten Äon spricht er relativ selten. Von den unbetonten Wendungen R. 12, 2 und GI. 1, 4 abgesehen, finden wir den Ausdruck nur in den Korintherbriefen, dort wiederum in eigentümlicher Konzentration auf die Anfangskapitel des ersten Briefes (1, 20; 2, 6. 8; 2. K. 4, 4)1. Interessant ist, daß der bei Paulus sonst nicht übliche abwertende Gebrauch des Wortes x6aILoC; diesem Befund parallel gehtI: K6aILoC; synonym zu oc.l6>v oihoc; finden wir 1. K. 1, 20; 2, 12; 3, 19; 5,10; 7, 31. 33f., vgI. auch GI. 4, 34, also wieder vorwiegend zu Beginn des 1. Korintherbriefs. Dieser Sprachgebrauch weist auf ein hellenistisches Judentum mit apokalyptischem und frühgnostischem Einschlag. 1 V gl. H. Con~,lmann, Art. Eschatologie IV, RGG" H, 665-672, dort 669; H. MIlIler, Der rabbinische Qal-Wachomer-Schluß in paulinischer Theologie, ZNW 58 (1967) 73-92, dort 76; Galley, Heilsgeschehen 62; Kertelge, Rechtfertigung 136. Zur Verwendung der Zwei-Aonenlehre bei Pis. vgl. ferner o. S. 121; u. S. 154. 166f. 168ff. 193f.; III 7 Nr. 1 und VIII 2 B, ferner o. A. 11 399; A. III 220. Zum Verhältnis von Typologie und Zwei Äonen1ehre vgl. o. S. 60 Nr. 3. I VgI.o.A.II399. • "Kosmos" wird häufig synonym zum Wort .. ktisis" gebraucht (R. 1, 20, weiteres vgl. bei Bultmann, Theol. 354f.; A. J. Bamü/ra, The Law and the Elements of the World, Diss. Amsterdam 1964, 48ff.). Auch wo "Kosmos" Gott gegenübergestellt wird, ist damit im allgemeinen nicht eine Abwertung der Welt verbunden, vgl. R. 3, 6.19; 2. K. 5, 19. Hingegen meint 1. K. 1, 27f. mit .. Kosmos" eine der göttlichen entgegengesetzte Beurteilungsart. Wird vom göttlichen Richten über die Welt /liesprochen, so impliziert das auch nicht eine negative Nuance im Wort "Kosmos' (vgl. R. 3, 6); erst 1. K. 6,2; 11,32 taucht eine solche auf. Zwischen dem Gott entgegengesetzten )(6a!Lo~ O~TO~, der vergeht (1. K. 7,31), und der von Gott versöhnten eigenen Welt Gottes muß m. E. strenger geschieden werden, als dies z. B. Bultmann, Theol. 256 tut, sonst läuft man Gefahr, pln. Aussagen ober die Welt vorschnell von einem Dualismus her zu interpretieren. • Einen ähnlichen Sprachgebrauch finden wir im Eph., vgl. 1, 21; 2,2; zu den Beziehungen zwischen den Deuteropaulinen und 1. K. vgl. auch u. A. IV 111.
1. Vorbemerklmgen
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Jedenfalls aber führt uns die Unterscheidung der beiden Äonen nicht ins Zentrum des pauIinischen Denkens. Umso auffälliger ist, daß wir an einer andern Stelle häufiger auf eine der Gegenüberstellung der beiden Äonen entsprechende Antithese stoßen, nämlich die Gegenüberstellung von Einst und Jetzt. Diese Gegenüberstellung - ein vermutlich vor allem in hellenistischen Gemeinden weit verbreitetes Denk- und Predigtschema christlicher Ausprägung - finden wir in zwei Haupttypen: in christologischer Zuspitzung im sogenannten Revelationsschema und in anthropologischer Zuspitzung in der Gegenüberstellung von alter und neuer Existenz5 • Dem alten Äon kann eben nicht eine neue Geschichtsepoche, sondern nur die geoffenbarte Gerechtigkeit Gottes gegenübergestellt werden (R. 3, 21). So steht dem Alten eine Macht gegenüber, die der Welt Hoffnung gibt und das Leben des Einzelnen befreit und beansprucht. Der neuen Existenz entgegen steht die Herrschaft der Sünde (R. 6, 17ff., vgI. 7, 5ff.), dieEinzelsünden (1. K. 6, 9f.), der Ungehorsam (R. 11,30) oder der Götzendienst (GI. 4, 8f.), ja die a&.p;l. An die Stelle des alten Äons und seiner Mächte tritt bei Paulus oft die den Menschen versklavende Macht der Sünde. Nun ist aber beachtenswert, daß Sünde für Paulus nicht eine sich auf das Individuum beschränkende Größe ist. Sünde ist vielmehr eine Macht, deren Herrschaft ohne Christus allgemein ist'. Dies drückt Paulus nicht nur so aus, daß er unermüdlich betont, daß alle gesündigt haben (R. 3, 23, vgI. 3,9.19), sondern auch so, daß er der Sünde eine "weltgeschichtliche" Dimension gibt. Sünde ist in die Geschichte eingebrochene Macht, die dem alten Äon ihren Stempel aufdrückt (R. 5, 12ff.; 7, 7ff., vgl. GI. 3, 22). Sie gewinnt - ursprünglich Bezeichnung der aufweisbaren gottwidrigen Tat des Einzelnen - bei Paulus eine zugleich existentiale und weltgeschichtliche DimensionS. • N. A. Dahl, Beobachtungen, N. T. Studien R. Bultrnann 4ft". bezeichnet sie als Revelationsschema und soteriologisches Kontrastschema, vgl. auch o. S. 87. Seide sind laut den von Dahl gegebenen Belegen überwiegend im hellenistischen Christentum verbreitet. Das letztere Schema könnte aus der christlichen Taufparänese stammen, vgl. R.6; Eph. 2, 1ft".; 1. Pt. 2, 10, ferner E. Kallllah, Die Form der katalogischen Paränese im Neuen Testament, WUNT 7, Tübingen: Mohr 1964,177ft". • Vgl. o. S. 125, Tabelle erster Vergleichspunkt. Der "san:" kann bei PIs. die Vergangenheit zugeordnet werden, doch ist das nur ausnahmsweise- explizit der Fall. Vgl. das Urteil von E. GiillgllllannI,Der leidende Apostel und sein Herr, FRIANT 90, Göttingen: Vandenhoeck 1966, 266: ,,Die San: (ist) diejenige Macht •.. , die den Menschen bei der selbstgeschaft"enen Vergangenheit behaftet", vgl. auch aaO '1:12. Kertelge, Rechtfertigung 214 bestimmt "Fleisch" als "irdische Daseinsgestalt des Menschen, insofern sie dem alten Äon angehört". , Vgl. Bultrnann, Theol. 249ft". • Vgl. u. S. 195, den Exkurs 1 zu III 6 und bes. A. 296. Interessant ist, daß Hoppe in seinem Werk über die Heilsgeschichte vor allem von hier aus denkt: Vor Christus war die Geschichte Unheilsgeschichte, "mit Christus tritt ein neues
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IlI. Die abgeltJlle Vergangenheit: Gesetz find Ges(hkhle
Aber nicht nur bei der Betrachtung der menschlichen Existenz zeigt sich die antithetische Gegenüberstellung von Gegenwart und Vergangenheit. Alte und neue Heilswirklichkeit werden einander gegenübergestellt. Hierhin gehören die meisten typologischen Gegenüberstellungen bei Paulus. Dabei dominiert die Antithese'. Deutlich zeigt sich dies bei der Gegenüberstellung des alten und des neuen Bundes 2. K. 3, 4ff. und GI. 4, 21ff. 10• Alte Heilswirklichkeit dient hier dazu, die Kraft und Wirksamkeit ,der neuen zu beschreiben. Die Gnadentat Gottes in Christus schließt ihrerseits andere Gnadenmöglichkeiten sachlich aus. Aber wie bei der Gegenüberstellung der alten und neuen Existenz wird nicht das Alte zum Thema: Von der alten Existenz ist nur zu reden, weil sie in Christus zu Ende ist, vom alten Bund nur als von durch Christus überbotenem. Aber auch bei der Gegenüberstellung der beiden Bünde stoßen wir kaum ins Zentrum des paulinischen Denkens. Die Gegenüberstellung selbst ist traditionell; an beiden Orten, wo Paulus sie ausführt, liegt traditionelles Material vorll. Wir wählen für die Darstellung dieses zweiten Hauptaspektes der paulinischen Schau der Vergangenheit einen andem Einstiegspunkt, nämlich die Frage nach dem Gesetz. Hier stehen wir gleichsam im Schnittpunkt aller Linien. Das Gesetz als göttliche Heilsetzung ist für Paulus das Zentrum des alten Bundes. Andererseits aber begegnet das Gesetz jedem ein2:elnen Menschen und führt ihn ins Handeln, praktisch: verleitet ihn zur Sünde (R. 7, 7ff.). So werden wir bei der Betrachtung des paulinischen Gesetzesverständnisses sorgfältig die Frage nach dem Verhältnis von Welt- und Individualgeschichte zu bedenken haben. Zugleich aber stellt die Frage nach dem Gesetz in äußerster Schärfe die Frage nach der Grenze der antithetischen Aussagen. Denn auch wenn das Gesetz zum Inbegriff für die durch Christus beendete Vergangenheit wird, so bleibt doch Gott Geber auch des Gesetzes. Und dies wiederum erlaubt nicht, die "abgetane" Vergangenheit einfach der Gottfeindlichkeit preiszugeben. Gerade dann, wenn das Gesetz als in der Geschichte von Gott gegebene Größe ernst genommen wird, ist auch die Frage nach seinem - positiven - Sinn gestellt. Prinzip" in sie hinein (aaO 142, vgI. 141/f.). In diesem Sinn erklärt H. Heilsgeschichte zum leitenden Thema des Römerbriefs (aaO 138f., vgI. 196/f.). Dies entspricht der von F. C. BilltT inaugurierten, an Hegel orientierten Geschichtsschau, wonach "der Apostel die ganze Welt- und Menschengeschichte als den Antagonismus zweier Prinzipien betrachtet ... Das erste ... ist der Tod, mit ihm beginnt die W·eltgeschichte, und ihr Ende hat sie, wenn der Tod und mit ihm der ganze Gegensatz, dessen Entwicklung der Verlauf der Weltgeschichte ist, aus ihr wieder verschwunden ist" (F. C. Baur, Paulus der Apostel Jesu Christi II, 2. Auft. Leipzig: Fues 1867,246f.). • V gI. o. 11 B b, bes. S. 59f. Das heißt dann, daß die alte Heilswirklichkeit angesichts der neuen zur Unheilswirklichkeit wird. 10 VgI. dazu o. Il6 B; zu GI. 4, 21/f. Luz, EvTh 27 (1967) 319/f. 11 VgI. Luz, EvTh 27 (1967) 319 A. 7 und o. S. 128.
2. Chrisl'lls des Gesetzes Entk
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Eine umfassende Darstellung der paulinischen Gesetzcslehre soll hier nicht gegeben werden, sondern nur das Verhältnis Gesetz-Geschichte untersucht werden. Insbesondere werden hier alle die positive Bedeutung des Gesetzes als Willen Gottes im Leben des Christen betreffenden Fragen ausgeklammert. Nicht thematisch eingehen können wir hier auch auf das Wesen des Gesetzes als Sprache, d. h. als Text, mit dessen Hilfe Paulus den Menschen auslegt. Da und dort wird dieser Aspekt auftauchen, insbesondere dann, wenn gefragt wird, ob und wie der "geschichtliche" Aspekt des Gesetzes zu dieser Auslegung notwendig ist und was er dazu beiträgtlI. Doch ist eine zusammenfassende Behandlung des Gesetzes als hcnneneutisches Phänomen hier nicht unsere Aufgabelt.
2. Christus des Gesetzes Ende A. R. 10,4: Problem und Fragestellung
Wir gehen aus von der Interpretation von R. 10, 4. Das Verständnis dieses kurzen Satzes greift entscheidend nicht nur in die Debatte um das Verständnis der paulinischen Theologie, sondern um die heutige systematische Fassung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium überhaupt einte. Strittig ist bereits die Interpretation des Begriffes UAOt;. Die Frage nach seinem Sinn kann auf vierfache Weise beantwortetwerden : 1. Christus ist "Ende" des Gesetzes, so daß dem Gesetz von außen in irgend einer Form ein Ende gesetzt, es also aufgehoben ist16• V$I. bes u. S. 158. 192f.,1II 7 Nr. 2-5. Hier sei auf die vorzügliche Arbeit von G. SthllHotk, Das hermeneutische Problem des Todes. Im Horizont von Römer 5 untersucht, HUT 7, Tübingen: Mohr, 1967, hingewiesen, der diesem Phänomen seine Aufmerksamkeit widmet. Schunack analysiert das pln. Gesetzesverständnis vor allem anhand von R. 1, 18-3,20; 5,12-21 und 7,7ff. und formuliert: "die hermeneutische Funktion des evangelisch verstandenen Gesetzes (ist), ... den Sünder im Blick auf seine Werke vor sein Selbstverständnis als Sünder" zu bringen (218). Das Evangelium kommt dem Gesetz so zuvor, daß es, das im Gegensatz zum Gesetz Leben schaffen kann, das Gesetz auf seinen .. hermeneutischen Gebrauch" einschränkt (198). Die Arbeit Schunacks kann als Ergänzung zur vorliegenden nur dankbar begrüßt werden. Gewisse Aspekte sind allerdings bei Schunack und in der vorliegenden Arbeit sehr unterschiedlich akzentuiert: Auf die hermeneutische Bedeutung des Gesetzes als Phänomen der Geschichte, wofür wir uns interessieren, geht Schunack kaum ein. Das ist zum Teil auf verschiedene Textauswahl, zum Teil aber auf unterschiedliche Interpretation der einzelnen Texte, vor allem von R. 7, 7ff. zurückzuführen. 11 Vgl. Barths Exegese, KD 11/2, 268ff., und die systematischen Konsequenzen. die er erstmals in: Evangelium und Gesetz, Th Ex NF 50 (= 32), 1956 (= 1935) vorlegte. Die Monographie von C. Mounr, Die Gcsctzeslehre des Paulus, Diss. Zürich 1941, ist dogmatisch von Barths Position bestimmt und sucht diese - oft mit unpaulinischen Fragestellungen - zu verifizieren • .. Vgl. Jülicher, Röm. 292. So fassen den Begriff die meisten neucrcn und viele älteren Exegeten. Von den altkirchlichen Lehrern sind vor allem die Lateiner, von den Neucren etwa die Kommentare von Zahn, Kühl. Pallis, Häring, Lietzmann, Lagrange, Gaugler, Dodd, Huby, Schlatter, Michel z. St. und z8hlreiche andere zu nennen. 11
11
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Ges&hi&hte
2. Christus ist "Ziel" des Gesetzes, so daß das Gesetz als solches auf Christus abzielt, den Skopus des Gesetzes 18. 3. Nicht weit entfernt von dieser Deutung steht die dritte Auslegungsmöglichkeit: Weil das Gesetz auf Christus abzielt, findet es in ihm seine Erfüllung17 • "Christ est la fin de la loi, parceque la loi temoigne de la foi comme voie de 1a veritable justice"18. 4. Eine neue Möglichkeit ist durch Barth zur Diskussion gestellt worden. Er sucht -riAoc; in Entsprechung zum aramäischen "kc;Wa'" als "Hauptpunkt", "Summe", "Zusammenfassung", "Generalnenner" des Gesetzes zu verstehen19. Zur Entscheidung zwischen diesen vier Möglichkeiten ist zu berücksichtigen: a) die Bedeutung des Wortes -rk>..oc; und b) der Kontext unserer Stelle. aa a) überblicken wir den Gebrauch des Wortes 't'~AOC; bei Paulus, so stellen wir
fest, daß - von speziellen Bedeutungen und präpositionalen Ausdrucken'· abgesehen - das Wort :nur in der Bedeutung "Ende", und zwar im Sinne von "Aufhören" sicher festzUstellen ist, vgl. z. B. 1. K. 10, 11; 15,24; Phil. 3, 19. Oft bedeutet es das eschatologische Ende dieser Weltzeit. Die Bedeutung "Ziel" im Sinne eines einem Gegenstand in gewisser Weise inhärierenden, ihn in Bewegung haltenden Movens, ist in der klassischen Graezität, wenn auch relativ spärlich, belegt". .. So etwa Barrett, Röm. 197; R. Bring, Das Gesetz und die Gerechtigkeit Gottes. StTh 20 (1966) 1-36, dort Hf. Calvin formuliert: "Habemus autem insignem locum, quod lex omnibus suis partibus in Christum respidat: itaque rectam eius intelligentiam habere nemo potent, qui non ad hunc sc:opum perpetuo collimet" (Röm., CR LXXVII, 196). Ah:nlich verstehen auch P. Bläler, Das Gesetz bei Paulus, NTA 19/1-2, Münster: Aschendorff 1941,177; Feuillet, RB 57 (1950) 498 ("point cuhninant"); Bandstra, Law 105. H. HeIlbarat, Christus das Telos des Gesetzes, EvTh 3 (1936) 331-346, dort 334ff. differenziert: Christus ist Ende des Todesgesetzes und Scopus des Alten Testamentes. V gl. auch Bandstra u. A. 214. 17 Schon Cl. Al. deutet 't'~AOC; als n;A-/Jp6)fUX (Quis Div. Salv. 9, 2). Aug. sagt theologisch wohl richtig, aber nicht im Gefälle unseres Textes liegend: "finis perfi~ dens, non interficiens" (Contra Advers. Leg. 2,7,26 = MPL 42, 653). Luther, Glosse zu 10,4 (= WA 56,99) umschreibt mit "plenitudo", "consummatio", "impletio". Vgl. auch (inhaltlich von R. 10,4 ganz verschieden) Plut. Mor. 780E: 3[x7J ~v 00'1 v6ftou -t~OC; tG-tEv. Von neueren Auslegern ist hier etwa noch Ljungman, Pistis 103; Lyonnet, Quaestiones II, 75 zu erwähnen. Die enge Verbindung zwischen Auslegung 2 und 3 sehen deutlich Cullmann, Christus und die Zeit 123 (Christus ist die Erfüllung der Heilsgeschichte), und E. Loh11leyer, Grundlagen paulinischer Theologie, BHTh 1, Tübingen: Mohr 1929, 63. 18 Leenhardt, Röm. 151. Barth, KD 11/2, 269ff. Zum Rückgriff auf einen aramäischen Ausdruck besteht aber keine Notwendigkeit beim Diasporajuden Pis. Sachlich in der Nähe Barths will R. Bring, Die ErfüllUllg des Gesetzes durch Christus, KuD 5 (1959), 1-23, dort 1Of. "telos" als Höhepunkt verstehen, ohne auf einen aramäischen Begriff zurückzugehen. 10 1. K. 1, 8; 2. K. 3, 13; 1. Th. 2, 16. 11 Vor allem im philosophischen Schrifttum der platonisch-aristotelischen Zeit, wo "telos" im Sinne von "Entelechie" (= causa finalis) gebraucht wird (Belege bei Liddell-Scott s. v, III und Delling, ThW VIII, 50, 33ff.). Doch ist im klassischen Griechisch eine exakte Scheidung zwischen den verschiedenen Bedeutungen von "telos" fast unmöglich, vgl. Delling aaO 51, 3M.
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2. Chrisllls des Gesetzes Ende
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Die Vorgeschichte der paulinischen Stellen führt uns in die Apokalyptik, die sich mit dem Weltende thematisch beschäftigt. Dort erscheint der Begriff sachlich vor allem in Aufnahme der hebräischen Begriffe "qez" und ,:acharith hajjamim", denen die Bedeutung "Ziel" fernliegt. Durchwegs wird das Ende eschatologisch verstanden"·. tMl b) Nicht nur die Bedeutung und Vorgeschichte des Begriffs, sondern auch der Kontext spricht tür die erste der vorgeschlagenen Deutungen. Der vorangehende Abschnitt R. 9, 3Off. spricht antithetisch von der Gerechtigkeit aus dem Gesetz und der Gerechtigkeit aus Glauben: das Gesetz wird der Sphäre der Werke und der eigenen Gerechtigkeit zugeordnet. In V. 5ff. wiederum wird die Gerechtigkeit aus dem Gesetz derjenigen aus dem Glauben antithetisch gegenübergestellt".
Wir übersetzen also: Christus ist das Ende des Gesetzes, in dem Sinne, daß er von außen, als dem Gesetz Fremder an es herantrat und ihm ein Ende setzte. Was aber bedeutet das Wort ,.Gesetz"? Der Begriff v6ft~" erscheint bei Paulus in zahlreichen Bedeutungsnuaocen. Er kann das Wort in Anlehnung an jüdischen Sprachgebrauch verwenden als Bezeichnung der Schrift des Alten Testaments, insbesondere der Tora (R. 3, 19. 21: n Zur Wortbedeutung von "telos" vgl. auch u. S. 339• Barth, KD 11/2270 sucht dem zu entgehen, indem er V. 5 auf Christus, der das Gesetz erfüllt hat, deuten will. Ähnlich deutet R. Bring, Commentary on Galatians, Philadelphia: Muhlenberg Press 1961, 138-142 (Exkurs), vgl. ders., StTh 20 (1966) 14ff. Doch weist vor allem Delling, ThW VIII, 57, 15ff., auf die Bedeutung des Kontexts. U Literatur zum pln. Gesetzesverständnis, in Auswahl und ohne Kommentare, Theologien und ähnliche Werke: A. Zahn, Das Gesetz Gottes nach der Lehre und der Erfahrung des Apostels Paulus, Halle: Mühlmann 1876: R. Tiling, DieJ.aulinische Lehre vom v6ftoc; nach den vier Hauptbriefen, Diss. Dorpat 1878; • P. G/Dde, Die Gesetzesfrage im Leben Jesu und in der Lehre des Paulus, Karlsruhe: H. Reuther 1885; S. Cler, La notion de la loi dans saint Paul, Diss. Paris 1886; E. Grafe, Die paulinische Lehre vom Gesetz nach den vier Hauptbriefen, 2. AuS. Freiburg/Leipzig: Mohr 1893: E. Küh/, Stellung und Bedeutung des alttestamentlichen Gesetzes im Zusammenhang der paulinischen Lehre, ThStKr 67 (1894) 120-146: F. Sie!ferl, Die Entwicklungslienie der paulinischen Gesctzeslehre, in: Theologische Studien tür B. Weiß, Göttingen: Vandeohoeck 1897, 332-357: P. Feine, Das gesetzesfreie Evangelium des Paulus nach seinem Werdegang dargestellt, Leipzig: Hinrichs 1899: M. LiJ"rP'I, Die paulinische Lehre vom Gesetz, MGWJ 47 (= NF 11),1903, 322-339.417-433.534-544: MGWJ 48 (= NF 12), 1904,267-276.321-327.400-416: C. A. Bugge, Das Gesetz undChriStus, ZNW 4 (1903) 89-110: Lohmeyer, Grundlagen 51I.; W. Grund11lann, Gesetz, Rechtfertigung und Mystik bei Paulus, ZNW 32 (1933) 52-65: W. BranJl, Das Gesetz Israels und die ·Gesetze der Heiden bei Paulus und im Hebräerbrief, 2. AuS. München: Lemp 1936; Bläser, Gesetz; Maurer, Gesetzeslehre: W. GulbroJ, Art. v6ftO<; X-rA. B. ff., ThW IV, 1029-1084: H. D. Wend/and, Gesetz und Geist, Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses, 1952, Nr. 6, 38-64 (mir nicht zugänglich); W. D. Davies, Paul and Rabbinic Judaism, 2. AuS. Lonclon: SPCK 1955, 69ft'.: Oepke, Gal. 98f., dort weitere Lit. 99: C. Haufe, Die sittliche Rechtfertigungslehre des Paulus, Halle: Niemeyer 1957: E. FlKhs, Die Theologie des Neuen Testaments und der historische Jesus, in: Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen: Mohr 1960 (= Aufs. II), 377-404, dort 385ff.: P. G. VerJlleijl, Evangelium und neues Gesetz in der ältesten Christenheit bis auf Marcion, Uttecht: Kemink en Zoon 1960, bes. 49ff.: Neugebauer, In Christus 721I.: P. DI11Iann, Moses und das Gesetz bei Paulus, in: Moses in Schrifrund überlieferung, herausg. von F. Stier, Düsseldorf: Patmos 1963,205-263: I. Berle, Altes •1
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz IIIld Gerchichte
1. K. 9, 8f.; 14,21. 34; GI. 3, 10; 4,21), in - vielleicht nur scheinbarer - Anlehnung an griechischen Sprachgebrauch als Bezeichnung des jedem Menschen bekannten Sittengesetzesi., ferner als Bezeichnung für die Weisung des Christus (GI. 6, 2), schließlich ausnahmsweise in übertragenem Sinn für "allgemeine Regel" (R. 7, 21, vgl. 23.25; 8,2). Meistens meint Paulus mit ,,6IJ.o~ aber das alttestamendiche, mosaische Gesetz··. Nun sind aber die paulinischen Aussagen über das alttestamendiche, mosaische Gesetz keineswegs einlinig. Vielmehr können wir hinsichdich des Verhältnisses zwischen Gesetz und Geschichte grundsätzlich zwei Aspekte des Gesetzesbegri8's unterscheiden, die sich gegenseitig natürlich nie ausschließen und meistens auch zusammen anklingen, aber je nach dem in den Vorder- oder Hintergrund treten können. So kann das Gesetz primär als in der Geschichte gegebene Größe betrachtet werden: Durch Mose gegeben, bestimmte es die Geschichte Israels nach ihm. Paulus kann aber ebenso dll!! Gesetz hinsichdich seiner Wirkungsweise betrachten. Dann ist es die Kraft der Sünde, obwohl es an sich gerecht, heilig und gut ist. In falscher Beanspruchung durch den Menschen führt es zum Versuch, das Gottesverhältnis durch eigene Leistung zu ordnen. Dabei kann die Bezogenheit auf das spezifisch alttestamendiche Gesetz zurücktreten: Auch die Heiden haben "ihr" Gesetz; die religiöse Existenz des Juden unter dem Gesetz zeigt in hervorragender Weise, wie die Sünde mächtig wird, wenn irgend ein Mensch selbst nach dem und neues Gesetz, MThZ 15 (1964) 127-142; Bandstra, Law, bes. 758'.; C. E. B. Cranfteld, St. Paul and the Law, SJTh 17 (1964) 43-68; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 948'.; C. Hall/e, Die Stellung des Paulus zum Gesetz, ThLZ 91 (1966) 171-178; O. Kurr, Nomos bei Paulus, MThZ 17 (1966) 173-227, dort Forschungsgeschichte 177-210; Kertclge, Rechtfertigung 202-219; Schunack, Das hermeneutische Problem, bes. 142-233. I. R. 2, 14, vgl. 27. Pis. meint aber mit dem bei den Heiden wirksamen Gesetz das alttestamendiche. I. Aus dem Gebrauch des bestimmten Artikels bei "nomos" lassen sich kaum terminologische Schlüsse ziehen, vgl. den erschöpfenden Nachweis bei Bläser, Gesetz 1-30; G. Fn·edrielJ, Das Gesetz des Glaubens, Röm. 3, 27, ThZ 10 (1954) 401-417, dort 403f. Schon die LXX zeigt keinen einheidichen Gebrauch des bestimmten Artikels, vgl. Bläser aaO 14. Einen ersten Hinweis darauf, daß primär das Mosegesetz gemeint ist, erhalten wir aus dem durchgehenden Gebrauch des Sing., vgl. Brandt, Gesetz 8. Kein Arizeichen ist auch dafür festzustellen, daß Pis. zwischen Kultgesetr(. und Sittmgesetr(. irgend einen grundsätzlichen Unterschied andeutet. Auch im Judentum ist dies nicht der Fall, vgl. Moore, Judaism H, 1927, 6. Kritisch gegen einen Versuch, Kultgesetz und Sittengesetz zu unterscheiden, wenden sich bereits Grafe, Gesetz 118'., und o. Pfteiderer, Der Paulinismus, Leipzig: Fues's Verlag 1873, 70. Neuerdings wird dieser Versuch von C. Haufe, Sitdiche Rechtfertigungslehre 208'., vgl. ders., ThLZ 91 (1966) aufgegriffen. Pis. scheidet jedoch terminologisch nirgends, auch wenn selbstverständlich für die chrisdiche Praxis in den Augen des Pis. das im Liebesgebot zentrierte Sittengesetz ungleich wichtiger ist als kultische Vorschriften. Ferner kann Haufe nicht erklären, wieso auch die Existenz des Heiden vor Christus unter dem Fluch des (für H. Kult-)Gesetzes steht, vgl. GI. 3,13 und u. S. 152f. Das Entleheidenae jlJr Pis. ist offenbar nieht der Inhalt des Geselr(.es,lOMem sein Gebrat«h enhVeaer r(.1tr eigenen Gerechtigkeit (R. 9, 30ff.) oder als Ausdrt«fc des Willens Gottes und damit die Macht, die es über den sündigen Menschen gewinnt, bzw. die Anleitung zum Gebrauch der Freiheit, die es dem Gläubigen gibt. Die Fragestellung C. Haufes wäre an sich interessant, aber nicht in Bezug auf Pis., sondern in Bezug auf die vorpln. hellenistische Gemeinde; vgl. zu Stephanus u. A. 322. 325; zu Mt. Strecker, Weg der Gerechtigkeit 137. 142. Vgl. Weiteres zu C. Haufe bei Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 65f.; L. Mattern, Das Verständnis des Gerichtes bei Paulus, AThANT 47, Zürich: Zwingli, 1966, 54f. A. 12.
2. ChriIftlI de! GmtzeI Ende
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Gesen der Gerechtigkeit trachtet. Wie gesagt: Beide Aspekte lassen sich nicht säuberlich voneinander trennen, aber sie sind beide da und treten bald mehr, bald weniger in den Vordergrund. Man könnte sie als den ..geschichtlichen" und den ..existentialen" bezeichnen". Ihrem Verhältnis zueinander werden wir anhand der einzelnen Texte nachzugehen haben.
Entsprechend stehen für die Interpretation von R. 10, 4 zwei Möglichkeiten zur Debatte: 1. N6(Lot; ist das mosaische Gesetz, zu einem bestimmten Zeitpunkt am Sinai gegeben. n).ot; 'rot) v6(Lou bedeutet dann, daß die Zeit des Gesetzes vorüber ist28, etwa dadurch, daß in Christus ein neuer Äon angebrochen ist. Unabhängig davon, in welchem Sinne die Geschichte nach dem Ende des Gesetzes noch weiter geht29 , bleibt entscheidend, daß "nomos" als eine durch ihn konstituierte Zeit und "telos" als Ende einer Epoche verstanden wird. 2. "Nomos" ist das mosaische Gesetz, insofern es zum ausgeprägtesten Stachel des menschlichen Versuchs, durch eigene Leistung das Gottesverhältnis zu ordnen, wird. T~ot; 'rot) v6(Lou wäre dann das Ende dieses Versuchs im Geschenk eines neuen Gottesverhältnisses, des Glaubens, der je die Knechtschaft unter den Fluch der Eigenleistung aufhebt. Das Ende des Gesetzes fände hier primär im Leben des Einzelnen statt, dem der verkündigte Christus begegnet und der dadurch vom ihn bisher beherrschenden Gesetz befreit wird 30• Beiden Interpretationen "' V gl. u. In 6 Exkurs 1 und o. Einl. A. 27. A. Zahn, Geaetz 15ff. und 33ff. unterscheidet zwischen dem fordernden und dem heilbringenden alttestamentlichen Gesen, behandelt aber in letzterem Abschnitt im wesentlichen die Verheißung, die alttestamentlichen Explikationsmodelle (Opfervorstellungen etc.) des neuen Heils und die A. T. Zitate. Hier taucht aber der Begriff ..nomos" bei Pls. entweder nicht oder nur traditionell und theologisch wenig betont auf. I1 Nygren, Röm. 272. Die Vertreter dieser Interpretation gehen meist von der apokalyptischen Zwei-Aonenlehre aus, vgl. z. B. Gaugier, Röm. 11, 97ff. Gutbrod, ThW IV, 1068, 7ff., modifiziert, indem er "heilsgeschichtlich" von "zeitgeschichtlich" abgrenzt: Die Wende findet nur für den Glauben Statt. Wilckens, ZThK 56 (1959) 277 will ein Korrespondenzverhältnis zwischen der heilsgeschichtlichen Wende von R. 10,4 und der Bekehrung des Pis. finden, bezieht also in anderer Wei3C wieder den Glauben und damit ein subjektives Moment in die Auslegung von R. 10, 4 ein. "' Hierum dreht sich die Kontroverae zwischen Cullmann, Christus und die Zeit, bes. 123, und Fuchs, Christus das Ende der Geschichte, Aufs. 11, 79-99. Die Formulierung ist übrigens durchaus nicht neu, vgl. schon Lohmeyer, Grundlagen 64; Bultmann, Heilsgeschichte, Exegetica 366. Die Aufregung über die Theae von Fuchs hätte wohl vermindert werden können, wenn seine Definition von Geschichte genügend beachtet worden wäre: " ... wenn anders die Geschichte als das Produkt der Anstrengungen zu verstehen ist, die der Sünder macht, um leben zu können" (aaO 91). Aufhebung der Geschichte bedeutet also nach Fuchs nicht: Auflösung des Zeitablaufs in eine Kette von Situationen, sondern: Ende der MtZrht der Geschichte. Damit entspricht Fuchs dem apokalyptischen Geschichtsverständllis, vgl. Rössler, Gesetz und Geschichte 74. Um das Weitergehen der Geschichte des götdichen Handelns weiß Fuchs auch, vgl. z. B. ders., Christus und der Geist bei Paulus, UNT 23, Leipzig: Hinrich 1932, 116f. 10 Vgl. z. B. die Komm. von Jülicher, Sanday-Headlam, Zahn, Althaus z. St., daneben vor allem R. Bultmann, Christus des Gesetzes Ende, in: Glauben und Ver-
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III. Die abgetane Vergangenheil : Gesetz und Ges~hi~hte
gemeinsam ist, daß das Gesetz als Macht verstanden wird, deren Herrschaft in der Geschichte oder im einzelnen Menschen durch Christus gebrochen ist. Wir versuchen, die Frage weiter zu treiben, indem wir zunächst das jüdische Parallelenmaterial betrachten. Hier werden wir zwar kaum Parallelen für die zweite vorgeschlagene Deutung, wohl aber unter Umständen solche für die erste finden können. Doch auch hier ist die 1\usbeutespärlich: Genaue rabbinisrhe Parallt/ttl zu R. 10, 4 gibt es keine. Die R. 10, 4 formal sehr ähnlichen Sätze: ..Rabbi ... ist das Ende der Mischna"Sl besagen nur, daß mit dem betreffenden Rabbi die Mischna abgeschlossen ist, so daß kein Material mehr zugefügt werden darf, setzen also gerade die unumstößliche und feststehende Fixierung des Gesetzes voraus. Im Rabbinismus wird denn auch durchwegs ewige Geltung der Tora vorausgesetzt. Nur einzelne Gesetze, wie Vorschriften für Feste, über rein und unrein, Opfervorschriften etc. werden in der messianischen Zeit wegfallen". So kann auch die Meinung des Rab joseph (4. jhdt.), daß in der Zukunft Teile der Tora aufgehoben sein werden"", nicht als Parallele herangezogen werden, da Rab joseph ja davon auszugehen scheint, daß in der Zukunft das Gesetz im ganzen in Geltung bleibt: überflüssig wird es nur dann, wenn es entweder ganz selbstverständlich erfüllt wird oder sich auf Verhältnisse bezieht, die allein fur die vormessianische Zeit charakteristisch sind. Die Meinung des Rab joseph unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der allgemeinen Meinung, die die ewige Geltung der Tora als selbstverständlich voraussetzt. Eine systematische Unterscheidung zwischen der messianischen Zeit und dem kommenden Äon liegt im allgemeinen nicht vor"'. In der Apole4lyptile ist die Lage insofern anders, als wenig über einzelne Vorschriften des Gesetzes und ihre etwaige Aufhebung in der Zukunft nachgedacht wird. Das Gesetz wird vielmehr als ganzes betrachtet; es hat "eine spezifisch heilsgeschichtliche Funktion" und "bezeichnet den, der es bewahrt ... als Glied der gegenwärtigen Heilsgemeinde inmitten dieses bösen Äon und darin/wiederum ..• als künftigen Heilsempfanger im kommenden Äon"'·. Am Gesetz entscheidet sich also die Zugehörigkeit zum Gottesvolk, es wird zum konkreten und einzigen Dokument der Erwählung der Gemeinde inmitten der heillosen Zeit. Wenn Paulus stehen 11, 2. AuS. Tübingen: Mohr 1958, 32-58, dort 48, und W. Kam/ab, Christentum und Geschichtlichkeit, 2. AuS. Stuttgart: Kohlhammer 1950, 44. 11 Str.-B. 111, 277. BI W. D. DtlJIies, Torah in the Messianie Age and/or the Age to Come, JBL Monographie Series 8, Philadelphia: Society of Biblical Literature 1952,546. s, Str.-B. I, 246f., bes. Nidda 61b = Str.-B. I, 247. Doch handelt es sich auch hier um ein einzelnes Gesetz, vgl. weitere ähnliche Belege, auch aus früherer Zeit bei Löwy MGWJ 48 (1904) 323ff. Sanh. 97b = Aboda Zara 9b stehen sich die Zeit des Gesetzes und die nachfolgende Zeit des Messias als je 2000 jährige Epochen gegenüber. Doch schließt das eine Geltung des Gesetzes in der Messiaszeit nicht aus. 1& W. D. Davies, Torah in the Messianie Age 81, vgl. ders., Paul and Rabbinic Judaism 72. Pes. 50a spricht davon, daß die Tora in der künftigen Welt ,,schwebend". d. h. aber leicht faßlich und jedem verständlich sein werde. Anders L. Btztrlc, Der Glaube des Paulus, in: Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, Wege der Forschung 24, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1964. 565-590. dort 584. Weitere Belege bei Moore, Judaism III, 1930,85 (= n. 43). "' Wilckens, ZThK 56 (1959) 283f.
2. Christus des Gesetzes Ende
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einfach global vom Ende "des" Gesetzes sprechen kann, so weist ihn das eher in die Umgebung des apokalyptischen Gesetzesverstiindnisses". Doch muß dieses Urteil in verschiedener Hinsicht eingeschränkt werden17 und gerade in der Apokalyptik fehlt m. W. die Aussage, daß das Gesetz einmal ein Ende finden könnte".
Ob wir nun R. 10,4 eher "geschichtlich" oder eher existential deuten, Parallelen zu diesem Satz finden wir im Spätjudentum nicht. Dies entspricht ja auch durchaus der eigenen Aussage des Paulus, der betont, daß die Juden die Gerechtigkeit Gottes, die dem Gesetz ein Ende setzte, nicht erkannten (R. 10, 3). Die Aussage "Christus ist das Ende des Gesetzes" dürfte also eine rein christliche These sein. B. Parallelen
a) 2. K. 3, 4ff. Um unsere Leitfrage nach dem geschichtlichen oder dem individuellen Verständnis von R. 10, 4 beantworten zu können, werden wir andere paulinische Texte zum Vergleich heranziehen müssen. Für unsere Stelle ist charakteristisch, daß Gesetz und Christus einander gegenüberstehen, d. h., wenn die geschichtliche Interpretation richtig ist, alte und neue Zeit. Das Gesetz wäre dabei als die die alte Zeit bestimmende Macht gedacht, ohne daß auf weitere Charakteristika dieser Zeit reflektiert würde. An Parallelen zu diesem Denken drängt sich vor allem 2. K. 3 auf, ein Text, dem wir früher schon unsere Aufmerksamkeit zuwandten. Hier sei nur das für unsern Zusammenhang Wesentliche wiederholt88 • .. Doch sei damit noch kein endgültiges Urteil gefällt, vgl. nur o. 11 6 A c. Im Ganzen wird man Paulus weder einem apokalyptischen, noch einem rabbinischen Typus des Judentums so einfach zuordnen können, vgl. o. A. II 140; 11 230; 11 232; 11234; u. S. 180. 183 und A. 171. Das stellt wiederum einige Fragen an eine allzu schematische Unterscheidung zwischen "Apokalyptik" und "Rabbinat", vgl. zu Qumran o. S. 102, zur Sap. o. A. 11 213, zu den vorpln. Gemeinden u. A. IV 119. Die vor allem von Rössler, Gesetz und Geschichte pss. begründete Unterscheidung des apokalyptischen und des rabbinischen Gesetzes- bzw. Geschichtsverständnisses ist wohl, durch die restriktive Textauswahl begünstigt, sehr schematisch ausgefallen• .. Vgl. u. S. 218f• .. Gegen Schweitzer, Mystik 188, der selbst sagt, daß die apokalyptischen Schriften den Satz, daß die Tora in der Messiaszeit nichts mehr bedeute, nicht aussprechen, vgl. auch Schoeps, Paulus 179. Daß davon nicht gesprochen wird, heißt aber gerade nicht, daß die Tora in der messianischen Zeit selbstverständlich nicht mehr in Kraft sei; sie bleibt dies vielmehr und ist Maßstab des Gerichtes, vgl. Volz, Eschatologie 289. Aus dem Grundsatz, daß die Tora von einem Toten nicht befolgt wird, können keine Schlüsse auf die messianische Zeit gezogen werden (gegen Schoeps aaO 178, Belege bei Str.-B. III, 232. 234). Schoeps scheint die Ergebnisse der Arbeit von Davies (0. A. 32) nicht zur Kenntnis genommen zu haben, obwohl er sie aaO 177 A. 4 zitiert• • 1 Vgl. 0.11 6 B.
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111. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz tIfId Geschichte
Paulus stellt 2. K. 3 nicht Gesetz und Glauben, sondern alten und neuen Bund einander gegenüber. Die alte "diakonia" ist dabei durch "gramma", die neue durch "pneuma" gekennzeichnet. "Gramma" und "pneuma" sind zwei Machtprinzipien, ein menschliches, versklavendes und ein götdiches, befreiendes, zugleich entsprechen ihnen zwei Zeiten, die vergangene des alten und die gegenwärtige der Herrlichkeit des neuen Bundes. Der Gesetzesbegriff fehlt hier". Die Zeit des alten Bundes ist nicht in einem absoluten. chronologischen Sinne vergangen: Vielmehr behält der alte Bund im ungläubigen Israel seine Macht, und "bis heute" (V. I!) liegt eine Hülle auf den Herzen der ungläubigen Israeliten. Daß der alte Bund vergangen ist, läßt sich von 2. K. 3 her in einem doppelten Sinne sagen: Er ist vergangen, wo an Christus geglaubt wird, d. h. in der Gemeinde, d. h. aber, soziologisch gesehen, partikular. Insofern der neue Bund in Christus den alten als eigeni: Möglichkeit völlig überholt und außer Kraft gesetzt hat, ist der alte Bund ganz vergangen. Dies aber ist Inhalt der Predigt.
Übertragen auf das Gesetz müßten wir sagen: So sehr das Gesetz also hervorragendes Kennzeichen einer Epoche ist, so wenig darf diese einfach chronologisch abgegrenzt werden, denn sie hat in Mose wohl einen bestimmbaren Anfang, ihr Ende in Christus aber geschieht immer dort, wo Christus verkündet und geglaubt wird, genauer: ihr Ende geschieht dort, wo verkündet wird, daß die Epoche des Gesetzes als eigene Möglichkeit in Christus wirklich zu Ende gegangen ist. Um eine Charakterisierung einer vergangenen Epoche als ganzer geht es Paulus in unsenn Text nicht, vielmehr um die Herrlichkeit des neuen Bundes im Gegenüber zum alten. Darum kann Paulus auch andere die Vergangenheit prägende Ereignisse, etwa die Verheißung, hier völlig zurücktreten lassen. b) Individual- und Universalgeschichte in GI. 3, 1-4,7 Ein weiterer, interessanter Vergleichstext ist GI. 3. Paulus setzt hier zu einer ausführlichen Erörterung an, die die Unvereinbarkeit von Glaube und Gesetz als Heilsprinzipien zeigen soll. Nach der mehr biographischen Einleitung 41 und vor dem paränetischen Schluß liegt auf diesem Mittelteil das Hauptgewicht des Briefes. In seinem Zentrum steht die an der Geschichte orientierte Betrachtung 3, 6--4, 7, mit einem
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Wie überhauptin 2. K., vgl. o. A.1I 411. Liegt Einfluß der Gegner vor? Jedenfalls zeigt Pis. durch den Gebrauch von "gramma", daß er auch andere Denkmodelle brauchen kann. Zum Verhältnis "gramma" - "nomos" vgl. o. S. 123f. Cl GI. 1-2. Sie wird abgeschlossen durch die Worte des Pis. an Petrus in Antiochien, von denen kaum zu sagen ist, wo sie eigentlich enden. Schon mit V. 14 (T. Zah", Der Btief des Paulus an die Galater, KNT 9, Leipzig: Deichert 190!), 119; Bring, Gal. 85; H. S,hlier, Der Brief an die Galater, Meyer K. 7, 12. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 19.62, 86)? Oder erst mit V. 21 (Oepke, Gal. 56)? Auch wenn man eher die Rede des Pis. nur in V. 14 angedeutet findet, so ist doch klar, daß des Apostels damalige Worte an Petrus ohne Absatz in seine grundsätzlichen Ausführungen für die Gegenwart übergehen.
2. Chrisills tks Gesetzes Ende
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Nachtrag in 4,21-31"; GI. 4, 3--20 wendet sich Paulus direkt an seine Adressaten und zieht das Fazit aus dem Gesagten. Ebenfalls wendet sich J, 1-5 direkt an die Gemeinde. Hier wird dem Erweis aus der Schrift ein Hinweis auf die Erfahrung der Galater vorausgestellt, der die Unvereinbarkeit von Gesetz und Glaube klar machen soll Haben denn die Galater aufgrund ihrer Leistungen im Rahmen des Gesetzes 4! den Geist, d. h. die durch den Geist gewirkten sichtbaren Gaben, wie Wundertaten, Zungenreden etc." erhalten? Es ist doch ganz klar, meint Paulus, daß dies aufgrund der Predigt des Glaubensu geschehen ist. Denn Glaube und Gesetz sind unvereinbare Gegensätze, ohne daß dies hier von Paulus begründet würde. Er führt diesen Gegensatz als offenbar sdbstverständliche, grundlegende Argumentationsbasis ein 4•• Wir können ihn hier nicht begründen, nur etwa beschreiben: Ebenso, wie der Glaube mit der gehörten Predigt, so ist das Gesetz mit den gewirkten Leistungen untrennbar verbunden. Zu den Gesetzeswerken gehört, daß sie vorzeigbar sind'?, z. B. beim Gericht, und somit auch ihre Pluralität". Wenn Paulus dies der Sichtbarkeit der "sarx" zuordnet 01. 3), so will er damit nicht das Gesetz an sich als fleischlich bezeichnen, sondern das durch es verleitete Tun. Wie ist nun der Gegensatz "nomos" - "pistis" zu verstehen? Offensichtlich denkt Paulus zunächst an zwei Existenzweisen: Man kann "aus" den Gesetzesw~ken oder "aus" dem Glauben sein. Dennoch bleiben hier noch Probleme offen: "Nomos" ist ja von Hause aus keine Existenzweise, "aus" der man leben könnte. Wie "pistis" ist zwar auch "nomos" eine die menschliche Existenz bestimmende Macht, jedoch ist er auch außerhalb ihrer vorhanden, und zwar als faktisch vorliegen•• Dazu vgl. o. A. II 440 und u. V 3 d •• Die Bestimmung des Genetivs fpyllt V61'OU ist schwierig, wie E. Loh",,,,,,., Gesetzeswerke, in: Probleme paulinischer- Theologie, Stuttgart: Kohlhammer 1955,33-74, dort 73 zu Recht festhält. Der Ausdruck findet sich bei Pis. häufig und wird fast formelhaft ~ebraucht, vgl. R. 2, 15; 3,20.28; GI. 2, 16; 3, 2.5. 10. Daneben gibt es auch die Formulierung v6l'o~ 'fiiiv fpyCllv R. 3, 27. Hingegen scheint mir die von Lohmeyer vorgeschlagene übersetzung "Dienst des Gesetzes" (asO 6711".) ungeschickt zu sein, denn sie vermag nicht klar zu machen, daß die "aga" jeweils aufweisbares Resultat einer geschichtlichen Tat sind, daher der fast durchgehende Plural in der Verbindung mit "nomos". Das "ergon" kann eben, auch rein sprachlich, vom "nomos" gelöst werden und wird zur für sich bewertbaren Größe. 1& V. 5 zei~ woran gedacht ist. "Pneuma" muß hier etwas Erfahrbares, Konttollierbares sein, wenn die Argumentation des Pis. schlüssig sein soll, vgl. Schweizer, ThW VI, 420, 26f.; 425, 301f. •• 'AxO'lJ kann an sich den Akt des Hörens und den Inhalt des Gehörten, also "Kunde" oder gar "Predigt" meinen. R. 10, 17 und 1. Th. 2,13 legen eher die zweite Bedeutung nahe. .. Vgl. auch GI. 2,16; 3,11. 18 (dazu u. S. 184ff.); R.4, 13f. (dazu u. S. 183f.), sowie u. A. 152. 315. " Vgl. 1. K. 3, 13; GI. 5, 19 (qllltvEp6vI) • .. Vgl. o. A. 43 und Mattem, Gericht 144.
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III. Die abgetane VergangCllheit: Gesetz und Geschicbte
des, alttestamentliches Gesetz, das jeweils erst noch interpretiert werden muß", während "pistis" ihre Wirklichkeit nur an der menschlichen Existenz hat 50• Anders formuliert: Der Glaube hat existenzbestimmenden, "existentialen" Charakter, das Gesetz kann solchen Charakter bekommen, etwa dann, wenn es den Menschen in ein Leben aus aufweisbaren Leistungen führt. Das entspricht aber nicht seinem eigenen Willen und seinem eigenen Sinn. Wieder anders: Ist der Mensch durch die "pistis" bestimmt, so ist er durch Gott bestimmt, ist er aber im Gegensatz zur "pistis" dlUch den "nomos" bestimmt, so ist er durch sich selbst bestimmt. Schon dies weist uns darauf, daß "nomos" nicht einfach in den Kategorien einer existenzbestimmenden Macht ausreichend zu fassen ist. "Nomos" wird zwar meist im Sein aus den Werken existenzbestimmend, doch ist das sachliche Verhältnis zwischen "nomos" und "pistis" komplex und nur dialektisch auszudrücken. Man könnte auch sagen: In der Antithese tpycx v6~ou und &KOYJ 1t(O'T&W~ liegt beim ersten Glied das sachliche Gewicht auf fpycx, beim zweiten auf 1t(a-r&w~. Faßt man "nomos" in rein existentialen Kategorien, so bleibt ein großer Bereich des Begriffsumfangs ungedeckt, nämlich, um es etwas abgekürzt und vereinfacht zu sagen, seine f!,cschicbtliche Seite. Damit ist zweierlei klar: Einmal, daß die Antithese Gesetz - Glaube in gewissem Sinn von selbst auf ihre Explikation in geschichtlichen Kategorien hindrängt, weil eben das Wesen des Gesetzes in seiner Perversion im Sein aus den Werken nur unzureichend zur Sprache kommt. Sodann auch dies: Der dem Geschichtsentwurf vorangehende Appell an die eigene Erfahrung der Galater (3, 1--5) gehört sachlich hinein ins Ganze von Gl. 3, weil weder "nomos" noch "pistis" einfach Größen sind, die bloß "für sich" betrachtet werden können, sondern beide auf ihre Weise immer schon auch existenzbezogen sind, d. h. im Menschen zur Herrschaft kommen. So macht der Appell an die eigene Erfahrung der Galater den nachfolgenden Geschichtsentwurf existentiell verifizierbar51 • •• Einige sprachliche Beobachtungen: 'EK 'It!
2. ChristfIs des Gesetzes Ende
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An diesen Appell des Paulus an die eigene Erfahrung der Galater schließt sich nun ein zweiter Reßexionsgang an, in dem Paulus von der alttestamentlichen Geschichte her argumentiert. In einem ersten ReAexionsgang V. 6-14 folgen sich die Argumente dicht gedrängt; ein zweiter Gang, V. 15-25 umfassend, wendet sich ausführlicher vor allem der Frage nach dem positiven Sinn des Gcsetzes zu, die vorher noch offen blieb. Die Verse 6-14 lassen sich leicht in drei Abschnitte gliedcrn: V. 6-9" argumentieren vom Glaubcn Abrahams her (V. 6); da Gott dem gloubtNie" Abraham die Verheißung schenkte, ist klar, daß die aus dem Gloubt" mit Abraham gesegnet sein werden (V. 9). V. 10-12 argumentiercn e contrario, während V. 13f. vor der durch ChristuS eröffneten Gegenwart her denken und die Argumentationen von V. 1-5 (in V. 14b), V. 6-9 (in V. 14a) und von V. 10-12 (in V. 13) in umgekehrter Reihenfolge aufnehmen und zusammenfassen. Für die Verse 6-14 crgibt sich auch eine ·gewisse "historischc" Reihenfolge, indem der Gedankengang von Abraham (V.6ff.) über das Mosegesetz (V. 10ff.) zu Christus (V. 13f.) fortschreitet, ohne daß daraus allerdings eine kontinuierliche heilsge~chichtliche Linie entnommen werden könnte. Dieser Gedankcnfortschritt scheint sich im folgenden in den Verscn 15ff. (Abraham), 19ff. (Mosegesetz), 25ff. (Christus) zu wiederholen.
Für die Frage nach dem Verständnis von v61~Ot; ist vor allem der Abschnitt V. 10-12 von Bedeutung. Er ist schwierig und scheint zwei sich widersprechende Argumente zu enthalten. Nach V. 10 ist jeder, der aus den Werken lebt, unter dem Fluch, sofern er nicht alles 5s, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist 54, tut. Dabei scheint Paulus, anders als der Pharisäismus, faktisch vorauszusetzen, daß niemand alles· tut, was das Gesetz vorschreibt 55 , Nicht das Tun des Gesetzes an sich steht hier unter dem Fluch, sondern erst das Nicht-in-ihm-Bleiben5t1• Der Zu GI. 3, 6-9 vgl. u. V 3 a. Jüdisches Material dazu bei Löwy, MGWJ 47 (1903) 417ff. Der Satz ist nach ihm im Rahmen des Judentums nicht außergewöhnlich. Vgl. allerdings den Protest von Moore, Judaism 1Il, 150f. (= n. 209). Auf Jesu Gesetzesverständnis beruft sich Pis. hier nicht, gegen Grundmann, ZNW 32 (1933) 57; P. AlthoUJ, Der Brief an die Galater, in: Die kleineren Briefe des Apostels Paulus, NTD 8, 9. AuA. Göttingen: Vandenhoeck 1962, 25f. Vgl. auch Schoeps, Paulus 184f. s. üb -M yeyPOt(J.(.lEv/X im Sinne der Antithese "gramma"l"pneuma" pointiert gedeutet werdcn darf, wie dies Schlier, Ga!. 132, möchte, ist mir sehr fraglich. An der Stelle 2. K. 3, 6 ist "gramma" Prinzip, nicht einfach Gesetzesbuchstabe, vgl. o. S. 126. Hier liegt derselbe Gedanke vor wie R. 10, 5, vg!. o. A. II 266. •s Was ist gemeint? Etwa, daß niemand bei allem guten Willen sicher sein könne, nicht doch gegen einzelne Vorschriften des Kult- oder Sittengesetzes zu verstoßen? V g!. Beyer bei Schlier, Ga!. 133 A. 1. Dem widerspricht aber Phil. 3, 6. M. G'ogllll, Le Paulinisme. Th~ologie de la Iibert~, RThPh IlIfI (1951) 93-104, dort 104, denkt, für Pis. sei das Gesetz nur theoretisch, nicht aber praktisch erfüllbar gewesen. Doch was heißt das schon? Bring, Ga!. 134, meint, das Gesetz sei für Pis. unerfüllbar, weil nur Christus es erfüllt habe und die übrigen Menschen es nur nach Christus durch den Glauben erfüllen könnten. Damit ist aber ein bestimmtes Verständnis von R. 10, 4f. (vgl. o. A. 16) an unserer Stelle eingelesen. SI Gegen Schlier, GaL 132f., vg!. 134f., und P. IJo"IIIITJ, L'~pitre de saint Paul aux Galates, in: Bonnard-Masson, Comm. N. T. 9, Neuchitel: Delachaux & Niesd~ 1953,67. Für diese Exegeten liegt der Fluch des GesetzeS bereits auf dem mneiv, nicht erst auf der quantitativen Nichterfüllung. Schlier muß den Gedankengang 11
s,
t 50
111. Di, abgetan, Vergangenheit: Gesetz IIfId Geschichte
Ausspruch, im Halten des Gesetzes untadelig zu sein, ist aber nur "kata sarka" möglich&7, "kata pneuma" erweist sich gerade ein solches KOtUX"lILOt als Ausdruck der Sünde. So fährt nun V. t t weiter: "Daß im Gesetz niemand gerechtfertigt wird bei Gott&8, ist ja klar"5ß. Aber nicht nur als statistisches Ergebnis, das am faktischen Nichteinhalten des ganzen Gesetzes abgelesen werden kann, will Paulus dies verstanden haben, sondern er fährt fort: "weil der Gerechte aus Glauben leben wird". Nachdem e.r vorher also vom faktischen Nichthalten des Gesetzes gesprochen hat, tritt nun gleichsam ein neues Argument neben das erste, obschon es jenes faktisch aufhebt: Weil nämlich ein anderes Rechtfertigungsprinzip, das der Rechtfertigung aus Glauben, in der Gegenwart wirksam ist, ist Rechtfertigung aus dem Gesetz ausgeschlossen. Und es handelt sich tatsächlich auch - das will V. 12 zeigen - beim Gesetz um ein ganz anderes Rechtfertigungsprinzip als beim Glauben, nämlich um eines, das auf dem Tun 80 beruht und das in keiner Weise unter den Glauben subsumiert werden darf. V. 11f. markiert wohl gleichsam den Standort, von dem aus das empirische Urteil V. 10 gefällt werden kannei. Denn gerade ein sich Rühmen, das ganze Gesetz zu halten, wäre nach Paulus ein sich-Rühmen "kata sarka" und somit Sünde (vgl. Phil. 3, 3ff.). Der Gedankengang bleibt allerdings verkürzt und deshalb unklar. Daß das Zitat aus Lv. 18, 5, das im Sinne des Paulus jetzt nur die Anvon R. 7, 7ff. an unserer Stelle eintragen und übersieht, daß V. 10 für sich gelesen - und die paulinischen Briefe waren doch dazu bestimmt, fortlaufend gelesen, bzw. gehört zu werden - völlig klar ist und überhaupt erst von V. 12 her jemand auf die Idee kommen könnte, so zu verstehen wie er. Als Parallelen bieten sich R. 2, Iff., wo Pis. auch vom faktischen übertreten des Gesetzes spricht, vgl. R. 10, 5,an• .. Das zeigt Phil. 3, 3ff. Ulonska, Paulus u. d. A. T. 55, verweist in gegenteiligem Sinn aufPhil. 3, 6. Doch markiert Pis. Phil. 3, 3f. deutlich den Standort, von dem aus er das Folgende spricht: "en sarki", d. h. vom Standpunkt des Pharisäers, vgl. M. Dibel;us, An die Thessalonicher I. 11. An die Philipper, HNT 11, 3. Auf!. Tübingen: Mohr 1937, 88. Hier formuliert Pis. nicht von diesem Standpunkt aus. Sehr schön formuliert M. GDg",I, Remarques sur un aspect de la conversion de Paul, JBL 53 (1934) 257-267, dort 259"La conversion de Paul n'a pasctc prccedee par une crise morale, mais elle en a provoque une". 18 IIDtpll. "I'ij) .&Eij) gehört nicht zu 8lj>"Oll, sondern zu oö8d.; 8LKDtLOÜ'fDtL, vgl. R. 2, 11. 13; 9, 14; 1. K. 3, 19; 7,24 die Nachstellung von Tl:Dtpli: 'fij) -I}eij> • •• "'lj>"Oll ist Hauptsatz. Das erste IhL heißt "daß," das zweite "weil". Das ergibt sich aus dem Schriftzitat, das keiner Begründung bedarf, sondern als solches schon begründend ist. Sprachlich ist das ohne weiteres möglich, vgl. die griechischen Belege bei H. Hanse, "'HAON (Zu Gal. 3, 11), ZNW 34 (1935) 299-303. •• Das Gewich t liegt auf l> Tl:OL-IJaot<;;. 11 Die künstlichen Versuche, V. 10--12 als Syllogismus (lW'. Bousset, Der Brief an die Galater, in: SNT 11, 2. Auf). Göttingen: Vandenhoeck 1908,28-72, dort 51; M. J. Lagra1lge, Saint Paul. Epltre aux Galates, Etudes Bibliques, Paris: Gabalda 1950, 70) zu verstehen oder V. Ilb-12a als Parenthese in Klammern zu setzen (Zahn, Gal. 153), vermögen die Schwierigkeiten nicht zu lösen. Oepke, Gal. 72, der meint, daß Pis. V. Hf. einen neuen, zweiten Beweis einführe, verkennt, daß der erste Beweis den zweiten sachlich voraussetzt.
2. Christus des Gesetzes Ende
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dersartigkeit des Gesetzes als Heilsprinzip gegenüber dem Glauben herausstellt, ebenso gültig, wie das Zitat Hab. 2, 4 es vom Glauben tut, nun vom Gesetz hätte sagen können, daß es wirklich Leben schaffe, entgeht Paulus vermutlich. Die Schwierigkeit ist dadurch mitbedingt, daß das Nichthalten des Gesetzes zugleich schuldhaftes (vgl. R. 2, 1ff.) wie von der Rechtfertigungsgerechtigkeit her notwendiges Versagen ist"l. Auffällig ist, daß beide Argumente ineinander übergehen. V. tU. tritt ja nicht als neues Argument neben V. 10. Vielmehr begründet V.11f. den empirischen Standpunkt von V. 10 erst und will klar machen, daß auch dort Paulus im Grunde von Christus her argumentiert 8S• V. 10 ist also letztlich nicht bloß empirisches Urteil, auch wenn die paulinische Aussage zunächst so aussieht, sondern erst verstehbar als Ausdruck einer Tatsache, die von der Rechtfertigung her gar nicht anders möglich ist. Aus dem Gesagten wird deutlich, wie sehr Paulus von dem jetzt rechtfertigenden Glauben aus denkt. Es geht ihm also nicht in erster Linie darum, in V.10-12 eine Aussage über die verzweifelte Lage der Menschheit in einer bestimmten Zeitepoche vor Christus zu machen. "Nomos" ist hier nicht in erster Linie die eine bestimmte Epoche der Vergangenheit bestimmende Macht, sondern das von Christus her ausgeschlossene Rechtfertigungsprinzip. Der Skopus von V. 11 ist also nicht, daß !v v6!L
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TTl. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
Die Frage nach der Geschichte taucht aber sogleich auf, wenn Paulus in V. 1Jj. die Argumentation weiterführt. Er muß nun nämlich klar machen, wieso Rechtfertigung durch das Gesetz jetzt ausgeschlossen ist, d. h. auf das Christusgeschehen, das ihm schon in den Versen 10-12 seine Aussagen ermöglichte, explizit eintreten. Er formuliert in Anlehnung an traditionelle Aussagen 66 einen kerygmatischen Satz: Christus hat uns losgekauft aus dem Fluch des Gesetzes. Zweierlei scheint daran wichtig: Die aoristische Formulierung ~~1jy6pOlO'ev weist darauf hin, daß Paulus hier an das einmalige geschichtliche Ereignis des Kreuzestodes denktß7 • Dies wird durch den Schriftbeweis V. 13c bestätigt. Von da her erhält "nomos" ganz automatisch die Nuance des Vergangenen G8, und zwar, da es sich bei Jesu Kreuzigung um ein objektives geschichtliches Ereignis handelt, nicht nur diejenige des individuell Vergangenen, sondern auch diejenige der durch Christus wirklich beendigten Geschichtsmacht. Andererseits ist aber wohl sicher, daß ~[~ die heidenchristlichen Galater, an die sich Paulus wendet, mindestens auch einschließt, denn auch sie haben den verheißenen Geist 69 empfangen7o • Dann meint aber Paulus, daß auch die Heidenchristen von Christus her gesehen unter einem Gesetzesfluch 6: R. 4, 3; GI. 3, 6; Hab. 2,4: R. 1, 17; GI. 3, 11; Lv. 18,5: R. 10,5; GI. 3, 12. Zum Teil dürfte es sich schon um in vorpln. Gemeinden traditionelle Zitate handeln, vgl. o. S. 101. A\lClerdem dürften die paulinischen Argumente der Gemeinde nicht unbekannt gewesen sein, vgl. u. A. V 53. 56 . •• Der Satz GI. 3, 13f. entspricht dem sog. "teleologischen Schema" in der Klassifikation Dahls, Beobachtungen, N. T. Studien R. Bultmann 7f. Dieser Typus ist von Pis. besonders häufig in eigener Formulierung aufgenommen worden, schließt sich aber, wie 1. Pt. 2,21. 24 und die sog. Sendungsformel, z. B. GI. 4, 4f. (vgl. u. V 3 c Nr. 2) zeigen, an ein vorpln. Denkschema an. Die Aussage vom Loskauf (vgl. 1. K. 6, 20; 7,23, vgl. GI. 5, 1) ist als solche sicher traditionell; sie ist von Pis. immer als bekannt vorausgesetzt, kann aber im Einzelfall ebenso gut von ihm selbst formuliert worden sein. Kcx:TCipcx wird V. 10-12 voraussetzen. rev61LEVO; findet sich häufig in Formeln, vgl. u. A. V 66. Zu udp im teleologischen Schema vgl. Dahl aaO 7. Die beiden [yor.-Sätze sind sprachlich paulini~ch und passen gut in den Duktus der Argumentation von V. 1-9, vgl. o. S. 149. Pis. dlirfte die beiden Verse selbständig in Anlehnung an ein traditionelles Denkschema formuliert haben . ., Vgl. E. d. W. Burion, .A Critical ancl Exegetical Commentary on the Epistle to the Galatians, fee, Edinburgh: Clark 1921, 169f. •• Vgl. Schlier, Ga1.136. Auch V. 14 zeigt, daß Pis. jetzt in geschichtlicher Dimension denkt . •• Genetivus epexegeticus: die Verheißung, die im Geist besteht, vgl. Ag. 2, 33 . •• Viele Ausleger denken bei V. 14b nur oder vorwiegend an Judenchristen (z. B. H. LielZ?IIanll, An die Galater, HNT 10, 3. Aufl. Tübingen: Mohr 1932, 19; G. S. Dtlncall, The Epistle of Paul to thc Galatians, Moffatt NTC, London: Hodder and Stoughton 1947, 99; Ulonska, Paulus und das A. T. 58 A. 59) im Unterschied zu Ta ~ in V. 14a. Nachdem aber Pis. in V. 1-5 die Galater (auch die Heidenchristen!, vgl. 5, 2f.; 6, 12f.) auf ihren Geistbesitz hin angesprochen hat, wäre V. 14b unverständlich, wenn er sie jetzt nicht in der Verheißung des Geistes eingeschlossen sein ließe. Ja, gerade den Heiden gilt nach V. 8 die Verheißung. Vgl. ähnlich Schlier, Gal. 136f.; Oepke, Gal. 74 und Klein, Individualgeschichte, EvTh 24 (1964) 151f.
2. Christus des Gesetzes E"de
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standen, der sich vielleicht paradigmatisch in dem durch die mosaische Tora geschichtlich wirksam gewordenen Fluch zeigt. Jedenfalls aber zeigt diese sich aufdrängende Ausweitung des Begriffes "nomos", daß "Gesetz" unmöglich auf eine chronologisch und geographisch nur begrenzt wirksame Größe eingeschränkt werden kann. Man könnte vielleicht: sagen, daß das Gesetz als geschichtlich feststellbare Wirklichkeit auf den jüdischen Raum und die Zeit nach Mose beschränkt ist, als theologische Qualifikation dagegen jene Zeit ebenso wie die Zeit der Heiden treffe. Doch wird man mit dieser Scheidung Paulus insofern nicht gel:echt, als er eben beides mit demselben Begriff beschreibt?l. So wird man zunächst nur ei" merkwürdiges JclJ7Pdnken des GuetzesbetriffI bei PalllflS festItelien können: NomoI ;st zugleieI} ind;vidual-rmd weltgeschichtliche Macht, zugleich geschichtliche Gegebenhe# rmd Rechtfert~f!,ung allI Glauben aUIIchließendes HeilsprillZip. Ebenso ist die Aussage, daß Christus uns aus dem Fluch des Gesetzes losgekauft hat, zugleich objektiv, nämlich insofern damals der geschichtlich wirksame Fluch des Gesetzes gebrochen wurde, als auch subjektiv, nämlich insofern der einzelne Mensch als Losgekaufter seine eigene Existenz als unter dem Fluch des Gesetzes stehend und nun befreit erfährt. Bei diesem Schillern des Gesetzesbegriffs wird es vorläufig bleiben müssen. Auch GI. 3, 23f. stehen sich Christus und das Gesetz als zwei Zeiten gegenüber, die einander ablösen. Das Kommen des Glaubeps (V. 25) wird durch XpL~6c; (V. 24)72, durch den Loskauf aus dem Fluch des Gesetzes, der am Kreuze geschehen ist (V. 13) und durch die Sendung des Sohnes in der Fülle der Zeit (4,4) interpretiert. Gedacht ist eindeutig an ein geschichtliches Ereignis, nämlich die durch das Christusgeschehen gesetzte Wende, die hier durch das Kommen der "pistis" chiffriert wird?!. Vor der "pistis" war die Zeit des "nomos", eine Zeit .. Fraglich ist, ob es von hier aus sinnvoU ist, von einer "Profanisierung" der jüdischen Heilssetzungen zu sprechen, vgl. Klein, Individualgeschichte, EvTh 24 (1964) 152; ders., Römer 4 und die Idee der Heilsgeschichte, EvTh 23 (1963) 424--447, dort 436 ("Paganisierung"). Das die religiöse Existenz des Juden wie des Heiden qualifizierende Sprechen vom "nomos" hebt ja die durch das Gesetz dem Volk der Juden widerfahrene geschichtliche Auszeichmtng nicht auf, und die eine Bedeutung von ,,\lomos" löst die andere nicht ab. Man muß sich GI. 3 fragen, ob vom undialektischen FeststeIlen einer Profanität (übrigens: ein durchaus moderner Begriffl) der Geschichte Israels her die Frage "was soll nun das Gesetz?" (V. 19) und die anschlieflenden Erörterungen überhaupt nötig gewesen wären. Kleins Begriff beschreibt m. E. nur die eine Seite dessen, was mit der alttestamentlichen Heilsgeschichte bei Pis. im Gespräch mit dem Judentum geschieht, nämlich die Zerstörung einer beanspruch baren heiligen Geschichte; daß gerade so die "Heiligkeit" dieser Geschichte und ihr Anspruch in einem tieferen Sinn hergestellt und aufgerichtet wird, bekommt Kleins Begrifflichkeit nicht in den Blick. .. E!~ XplaT6v ist sicher zunächst rein zeitlich zu verstehen und nur in einem paradoxen theologischen Sinn final, vgJ. Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 29 • .. E!~ Tljv !L~lloua«v nlaTIY cinoxlXAucp&ijveu weist, ähnlich R. 8, 18, auf ein geschichtliches Ereignis und erinnert an das Revelationsschema; vgL o. S. 87f.
154
III. Die abgetane Vergangenheit: Geletz und GeIchichte
der Gefangenschaft, der Unfreiheit unter einem "Aufseher" (V. 23f.); durch das Christusgeschehen wird die Äonenwende heraufgeführt, die Zeit der Freiheit der Kinder Gottes (V. 26-29). Doch scheint dieser Geschichtsentwurf an der Wirklichkeit sich nicht so leicht verifizieren zu lassen. Was ist denn eigentlich die Zeit des Gesetzes? Zunächst wird man hier natürlich an die Zeit des alten Bundes, die Geschichte des jüdischen Volkes denken. Doch ergeben sich Schwierigkeiten. Nämlich: Wäre die Zeit des alten Bundes einfach als Zeit der Gefangenschaft unter dem Gesetz charakterisiert, so hieße das, daß für die in jener Periode lebenden Menschen keine Möglichkeit des Heils bestanden hätte'4. Paulus sagt aber das nicht; er würde sicher Ausnahmen von diesem Grundsatz zugestehen und scheint überhaupt diese Frage gar nirgends als Problem zu empfinden. Ferner: Das Gesetz ist jedenfalls für Paulus eine geschichtlich gegebene Größe, nämlich durch Mose am Sinai. Wäre also die Zeit der vollkommenen Heillosigkeit nur eine Episode in der Geschichte Israels, die nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorn ihre Grenze hätte? Dann würde die Heillosigkeit nur den "weitaus größten Teil der alttestamentlichen Geschichte" auszeichnen'6 und vor der Zeit des Gesetzes etwa die Zeit der Verheißung, vor der Verheißung vielleicht wieder eine andere Zeit liegen. Paulus stellt sich wohl der Frage nach dem zeitlichen Prae der Verheißung, aber er beschränkt ihre Wirksamkeit gerade nicht in dieser Weise. Wir werden das Verhältnis von Verheißung und Gesetz noch zu bedenken haben, möchten aber jetzt schon darauf hinweisen, daß Gesetz und Verheißung nicht in dieser Weise objektiv auf zwei Epochen der alttestamentlichen Geschichte verteilt werden können. Wenn Paulus von der Zeit "vor" dem Glauben als Zeit des Gesetzes spricht, Daß hier mit "pistis" ein ..überindividuclles Gesamtphiinomen" (Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 81, vgl. auch Neugebaucr, In Christus 164) gemeint ist, zeigt auch die Formulierung V. 26: ,,(aTt.; ~v XptaTij) 'I'I)aoü = dic durch Chri.~ti Tod und Auferstehen objektiv ermöglichte "pistis". 1t7. Mtmd/c, Der Glaubensbegriff des Paulus, Leipzig: Heinsius 1932, 93, übersetzt geradezu mit "das Christenrom". ,. Pis. macht gerade diese Aussage - als objektive Aussagc über die für in jener Epoche lebende Individuen bestehendc Heilsmägliehkeit - nicht, sondern spricht nur davon, daß die Rechtfertigung nicht aus dem Gcsetz stammt. So darf die pln. Aussage in beiden Richtungen nicht objektiviert werden. Wenn Dietzfe1binger, Heilsgeschichte 27, etwa sagt: "In der Gesetzesepoehe lebt man als einer ... , der auf keine Rechtfertigung hoffen darf", ~o droht hier ebenso die Gefahr eines Mißverständnisses der Aussagen des Apostels, wie wenn K. SlalJer, Das Werk des Geistes in der Heiligung o.ei Paulus, Zürich: EVZ 1961, 332, vgl. aber 334. 34Of., darüber reflektiert, ob nicht doch der alttest.'lmentliche Mensch "etwas von dieser Funktion des Gesetzes" habe erkennen kiinnen. Pis. denkl nichl über die Hei/s11lög/ühkeil "on Einze/persollen der Vergangenheil 1tadJ lind "erslebl seitt Urleil nühl alJ ein objektiv feslslel/bares S,IJickra/ eiller Epo,he. Dann allcrdings, wenn dem so wäre,
müßte Pis. anders von David oder den Propheten sprechen, wie Stalder aaO 333 selbst feststellt . .. Dietzfe1binger, Heilsgeschichte 28.
2. Christus des Gesetze! Ende
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deutet nichts darauf hin, daß er nur eine zeitlich und auch räumlich begrenzte geschichtliche Epoche im Auge hätte. Und wie steht es mit der Zeit des Glaubens? Wann beginnt sie? Mit Christus? Aber gerade durch die Chiffre "pistis" wird diese Aussage merkwürdig in der Schwebe gehalten. Für die Galater und Paulus, von denen hier die Rede ist, beginnt der neue Äon mit der Bekehrung. Überhaupt ist auffällig, daß Paulus die ganze Zeit von "uns" spricht. Schon bei V. 13f. haben wir gesehen, daß dieses" wir" keineswegs auf die Judenchristen eingeschränkt werden kann. Auch hier sagt Paulus nicht etwa, daß vor dem Kommen des Glaubens die damals lebenden Menschen unter der Knute des Aufsehers bewacht worden wären, sondern er spricht von "uns", d. h. also wohl von sich und den Juden- und Heidenchristen in Galatien. Sind aber die Heidenchristen mitgemeint, so läßt sich der "nomos" ohnehin nicht einfach als geschichtlich begrenztes Phänomen verstehen. Vielmehr ist "nomos" ein Qualifikationsbegriff; Ö7tO \/6ILo\/ I:cppouPOUILt.&ot bezeichnet das Urteil, das vom Kommen Christi her über die vorchristliche Existenz von Juden und auch Heiden fällt. Ein rein geschichtliches Verständnis von GI. 3, 23ff. wird von hier aus ausgeschlossen. Ahnlich verhält es sich in GI. 4, 1-7. V. 3 denkt wohl eher von der individuellen Vergangenheit der Galater her und spricht von der Versklavung unter die I1'rOtxti:ot TOÜ x6CJILoU anstelle des Gesetzes. Auch hier hat die Interpretation nicht in erster Linie nach den bei diesem Wort anklingenden Vorstellungen zu fragen, sondern den wertenden Charakter des Ausdrucks herauszuhören 78 • AufV. 3 folgt in V. 4 eine .. Vgl. hienu ausführlich Bandstra, Law pss., bes. 5ff. 31ff. Die Diskussion kreist meistens um die Bedeutung des Ausdrucks und die hinter ihm stehenden Vorstellungen. Zur älteren Auslegungsgeschichte vgl. F. Pfister, Die OTOLXELClt TOÜ K6oILoU in den Briefen des Apostels Paulus, Philologus 69 (1910) 411-427, dort 411ff. Die oft diskutierte Frage, ob es sich bei den" Weltelementen" um persönliche Mächte, 7.. B. Elementargeister (Pfister aaO 425; M. Dib,lillS, Die Geisterwelt im Glauben des Paulus, Göttingen: Vandenhoeck 1909, 78ft), die Engel von GI. 3, 19 (B. Reidee, The Law and this World according to Paul, JBL 70 (1951) 259-276, dort 261ff., vgl. auch schon Bläser, Gesetz 58ff.), oder um unpersönliche Dinge, etwa die "Stoffe und stofflichen Einzeldinge, aus welchen die Welt besteht" (Zahn, Gal. 196) oder die Gestirne (Lietzmann, Ga!. 25f.) handelt, oder ob man gar übertragen an das bruchstückhafte religiöse Wissen des einzelnen Volkes (Burton, Ga!. 510ff., bes. 518) zu denken habe, dürfte m. E. am ehesten im Sinne der von Pfister, Dibelius u. a. vorgeschlagenen Lösung zu entscheiden sein, ähnlich auch Althaus, Bonnard, Oepke, Schlier u. a. z. St. Für personale Fassung spricht auch die Verbindung mit lTttTPOTtOL und otKov6ILOL GI. 4, 2. Der Widerspruch G. De/lings, Art. OTOLXW. KT).., ThW VII, 666-687, dort 684, l1ff., sieht wohl richtig, daß der Ausdruck nicht in erster Linie die vorchrisdiche Existenz der Galater beschreiben, sondern sie qualifizieren, d. h. "aUe vorchrisdiche Religion zusammenfassend abgeurteilt" haben wiU (aaO 685, 12). Gerade von dieser Erkenntnis her wäre es m. E. nicht nötig gewesen, aus dem konkreten Ausdruck ein Abstraktum ("das, worauf die Existenz dieser Welt beruht", aaO 685,16, vgl. ihnlich Bandstra, Law 173. 177) zu machen.
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Ill. Die abgetane Vergan..genheit: Gesetz und Geschichte
universalgeschichtliche Aussage: die Sendung des Sohnes in der Fülle der Zeit. Daß GI. 4, 3 nicht einfach formal von ~1Le:~c; redet, sondern wirklich die persönliche Vergangenheit der Galater meint, zeigt GI. 4, 9, wo die Rückkehr zu dieser Vergangenheit für jeden einzelnen Gläubigen unmögliche Möglichkeit ist. Auch GI. 4, 3f. zeigt das Ineinander von geschichtlichem und individuellem Denken 77 • Die geschichtlichen Aussagen von GI. 3 lassen sich nicht einfach als Feststellungen am Gesehichtsverlauf nachprüfen, sondern sind Deutungen des Glaubens. Der neue Christusäon ist verkündigtes wirkliches Ende des alten Äons, der auch die Vergangenheit des Einzelnen ist, die sich von da her als Versklavung unter das Gesetz entpuppt. Ja, noch mehr: Was sich von der Verkündigung her als vergangen und überwunden erweist, ist immer noch eine bestehende Möglichkeit für die Galater 78• So dürfen Universal- lind btd;vidua{~eschichte nicht voneinander isolie.rt werde", sondern müssen Q'tifeinander bezogen bleiben, und zwar so, daß Universalgeschichte ständig in der Geschichte des Einzelnen erfahrbar rvirJ78. Zugleich aber wird der Einzelne in seiner Erfahrung auf ein Geschehen verwiesen, das diese weit übersteigt, ja, das überhaupt mir durch die Dimension der Aonenwende ;n seiner Bede1lttmg (J1(sgedriick/ werden kann. Immer aber bleibt solches Geschichtsdenken der Erfahrung des Eillzelnen zu,geordnet, die es erschließt und seine Objektivation verhindert.
C. Nochmals: R. 10, 4 Kehren wir nun zu R. 10, 4 zurück und versuchen, das Erarbeitete für die Interpretation dieses Textes fruchtbar zu machen. Der Paralleltext GI. 3 zeigte, daß geschichtliche und individualistische Betrachtungsweise nicht voneinander getrennt werden können. Auch der Kontext von R. 10,4 zeigt die Schwierigkeiten einer rein geschichtlichen Interpretation: 1. Der unserm Vers vorangehende Abschnitt R. 9, 30ff. legt das Gewicht auf die Gegenüberstellung der gegenwärtigen zwei Weisen des Seins des Menschen vor Gott. Die Gesetzesgerechtigkeit, hier exem•• Vgl. zum Verhältnis von Individualgeschichte und Weltgeschichte den hilfreichen Aufsatz von Klein, Ev Th 24 (1964) 126ff. • a Nicht zufällig sind auch die Aussagen von R. 2, 1ff. über die sündige Existenz des Juden unter dem Gesetz fast durchwegs in der Gegenwartsform gehalten, die sich aber von R. 3, 21 her (vuv18l:1) - theologisch - als überwunden und als Vergangenheit herausstellt. . TI Vgl. auch Stalc:ler, Werk 334: "Was Paulus verkündigt, ist nicht eine Theorie über eine abgelaufene Periode, sondern eben Verkündigung, Verkündigung an seine Hörer: Wi,' waren vor dem Kommen des Glaubens ... unter das Gesetz verschlossen" •
2. Christus des Gesetzes E"de
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plarisch durch Israel vertreten80, zeichnet sich aus durch Werke, eigene Anstrengung und Leistung in religiöser Hinsicht (~-YjAOt; .&oü 10,2; 8L6>XELV 8tXelLOaUvYJV 9,30ff.), durch Aufrichtung einer eigenen Gerechtigkeit (10,3), der des Gesetzes (9, 31). Zur Glaubensgerechtigkeit gehört demütige Unterwerfung unter Gott, d. h. Verzicht auf Leistung «(lY) 8L6>XELV 9, 30; ÖTtO"OCGGEG'&elL 10, 3), durch Erkenntnis Gottes und Glaube~. Exemplarisch ist sie vertreten durch die Heiden. Dadurch ist die rein geschichtliche Deutung von R. 10, 4 schon im Ansatz durchbrochen. Denn Israel und die Heiden stehen sich ja gleichzeitig gegenüber; man müßte sagen: Theologisch ist die Gegenwart wohl Zeit des beendigten Gesetzes, faktisch ist sie aber Zeit des Nebeneinanders von Gesetzes- und Glaubensgerechtigkeit in Juden und I-leiden. 2. Zu einer ähnlichen Feststellung kommen wir, wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Versen 10, 5ff. zuwenden. Auch hier werden die Gesetzesgerechtigkeit und die Glaubensgerechtigkeit einander gegenübergestellt81• Der Gesetzesgerechtigkeit eignet das TtOLEi'V, die Leistung (R. 10, 5, vgI. GI. 3, 12). Die Glaubensgerechtigkeit ermöglicht den Verzicht darauf, weil das heilsame Wort nicht beschafft werden muß, sondern nahe ist (R. 10, 6ff.). Durch das Gegenüber von Glaubensverkündigung und Unglauben ist der Abschnitt 10, 14-21 bestimmt, der das am Phänomen des gegenwärtigen Unglaubens Israels darstellt82• Also: Wenn wir V. 5ff. als Enfaltung der These V. 4 fassen, so ist zu sagen, daß V. 4 nicht als Darstellung eines objektiven, d. h. chronologischen, feststellbaren Endes des alten Äons des Gesetzes zu verstehen ist, sondern als Darlegung des Gegenübers von altem und neuem Äon, genauer: als Ansage des wirklichen Endes des Gesetzes an eine Welt, in der das Gesetz noch keineS7Pegs am Ende ist83 • 3. Auch die Betrachtung von V. 4 selbst führt uns auf ein ähnliches Gegen diejenigen Exegeten, die hier den Gegensatz zwischen Kirche und Synagoge als Thema sehen, z. B. Schlatter, Gerechtigkeit 309: "In seinem Verhalten gegen Jesus zeigte der Jude, daß er zum Glauben nicht fähig (I) war". Jiilicher, Röm. 291 spricht in diesem Zusammenhang gar von "National-Eitelkeit" der Judenl 11 V. 5 und 6ff. handelt es sich wohl um eine einfache Gegenüberstellung, und nicht um einen Schriftbeweis, wie dies Maier, Heilsgeschichte 73ff. haben will. Das Entscheidende, nämlich das "telos", wird gerade nicht bewiesen. Vgl. auch o. S. 31f. .. Vielleicht gewinnt von hier aus gesehen der Umstand, daß in R. 10, 14ff. so lange nicht sicher ist, ob eigendich von Israel oder den Menschen im allgemeinen die Rede ist, exegetische Bedeutung: Der Israelit von R. 10 wäre für Pis. auch der Mensch par excellence. Jedenfal1s geht es nicht darum, daß Christus das Ende nur einer jüdischen Sonderexistenz oder gar nur einer besondem Etappe der jüdischen Geschichte ist, gegen Amsler, L'ancien Testament 50f., der vom Ende einet ..~tape temporaire et provisoire" spricht. .. Zutreffend ist von hier aus gesehen die überschrift, die Barth, Röm.· 358 dem. Ab3chnitt gibt: ..Das Licht in der Finsternis". I.
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
Ergebnis: Es gilt hier, die Bewegung zu beachten, in die uns die Feststellung führt, daß Christus, d. h. das als an einem bestimmten Punkt der Geschichte historisch fixierbar verkündete Heilsereignis, wirkliches Ende der Geschichte menschlichen Strebens ist, und die andere Feststellung, daß dies dt; 8~xlX~ot1UVljv 1tlXv·d 't"(j) 1tLO''t"Euov'n geschieht. Das wirklich geschehene Ende dieser Geschichte geschieht jeweils neu immer dort, wo Glaube wird. Der Satz R. 10,4 enthält also in sich selbst bereits die Verbindung einer geschichtlichen mit einer auf den Einzelnen bezogenen Betrachtungsweise. Damit bestätigt R. 10,4 das bereits zu 2. K. 3 und GI. 3 Festgestellte: Geschichtliche Gegenüberstellung von vergangener Zeit des Gesetzes und Gegenwart des Evangeliums dient der Verkündigung des Glaubens (GI. 3; R. 10) und der Herrlichkeit des neuen Bundes (2. K. 3). Geschichtliche Kategorien werden damit hillein,genoll1men in das lVortgeschehen, das dem Menschen eill neues Gottes- ,md Weltverbältnis eröffnet. Sie betonen im besondern das wir,fdiche,jedcr ;,tdiIJid"ellm Erfahrrmg IJorauslicgende Ende du Alten und damit den nicht riickgängjg Zu machenden, eschatologischen Charakter des Heils. Das wahre Wesen des Alten wird von seinem Ende her verstehbar: Im Lichte der G·erechtigkeit Gottes versteht der Mench sich selber und das Gesetz: Sich selber als Unverständigen, der gerade in seinem religiösen Eifer der Gerechtigkeit Gottes sich nicht unterwarf (R. 10, 2f.), das Gesetz als vom menschlichen Gerechtigkeitsstreben mißbrauchtes, das den Menschen gerade nicht zum ... Gesetzl kommen läßt (R. 9, 31). Dieser zweite Gedanke ist allerdings nur angedeutet: Wir werden weiterhin nach dem Unterschied zwischen dem mißbrauchten Gesetz und seiner eigenen Absicht, nach dem zur Sünde führenden und dem "geistlichen" Gesetz (R. 7, 14) fragen müssen. Jedenfalls hat die Gerechtigk.eit Gottes eine doppelte hermeneutische Funktion: Sie läßt erkennen, daß die Herrschaft des von der menschHchen Gerechtigkeit mißbrauchten Gesetzes ein für allemal Zu ihrem Ende gekommen ist,. find zugleich läßt sie die hermeneutische Funktion des Gesetzes selber erkennen: nämlich den Sünder mit sich als Sünder Zu konfrontieren. 3. Heilsgeschichte und Ich in R. 7, 7ff. A. Hauptproblem des Abschnittes ist die Frage nach dem "Ich". Normalerweise wird gefragt: Ist "egö" auf Paulus persönlich zu beziehen 84 oder ist es Stilform, die mehr als nur das Individuum Paulus Vgl. die bei W. G. KÜ1IImel, Römer 7 und die Bekehrung des Paulus, UNT 17, Leipzig: Hinrich 1929, 901f., Genannten. Wird "egö" von der Vergangenheit des Apostels verstanden, sC) können aufgrund von V.71f. ergreifende Schilderungen des "Sündenfalls" des Pis. in der LiteratUr auftauchen, besonders nett etwa
U
J. Heilsges(hichte und üh in R. 7,7ff.
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umfaßt ? Und: Bezeichnet "egö" eine vergangene oder eine gegenwärtige Wirklichkeit? Die erste Frage kann verhältnismäßig einfach beantwortet werden: Wie auch immer man das Thema von R. 7, 7ff. bestimmt8 8, die Ausführung des Apostels wären nicht beweiskräftig, wenn von Erfahrungen die Rede wäre, die nur dem in Rom ja unbekannten Individuum Paulus, nicht aber in irgendeiner Form auch andern Menschen widerfahren würden. "Egö" muß also in irgendeinem Sinn "typisch", d. h. als Stil form verstanden werden 87• Anderer8fi
A. Deissmann, Paulus, Tübingen: Mohr 1911, 64f., oder H. Weinet, Biblische Theologie des Neuen Testaments, 4. AuA. Tübingen: Mohr 1928, 327f., ferner Kühl, Röm.23t. •• So die meisten. Belege bei Kümmel, Röm. 7, 119ff., bes. 126-132, für Pis. bei E. Gaugler, Der Brief an die Römer I, Prophezei, Zürich: Zwingli 1945, 241; Kuss, Röm. 442. •• Häufig wird formuliert: R. 7, 7ff. ist eine Apologie des Gesetzes (z. B. R. Buttmann, Römer 7 und die Anthropologie des Paulus, in: Exegetica, Tübingen: Mohr 1967, 198-209, dort 204; E. Brandenbllrger, Adam und Christus, WMANT 7, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1962,206, vgl. auch schon Kümmel, Röm. 7, 9). Diese Auskunft scheint mir jedoch nur bedingt richtig, d. h. nur für die Verse 7-12, nicht jedoch für V. 13-25. Dort wird die Zerspaltenheit des Ich entfaltet; daß das Gesetz heilig, gerecht und gut ist, ist nach V. 12 klar und in V. 13ff. Voraussetzung, nicht Thema. Es ist denn auch kaum richtig, mit E. Fuchs, Römer7, 7-12 und 21-23, Aufs. III, 374 zu sagen, die Verse 13ff. brächten "nichts Neues", sondern seien lediglich "Kommentar" zu 7-12. Vielmehr entspricht der Gedankengang V. 13-25 genau der Themaangabe in V. 5, vgl. Michel, Röm. 167; Gaugier, Röm. I, 192; E. Stauffer, Art. ~y~, ThW H, 341-360, dort 356, 21ff. Thema von R. 7, 7ff. wäre also die Zerspaltenheit der menschlichen Existenz angesichts der Wirksamkeit der Sünde in ihr. Dieses Thema wird vor allem V. 13-25 entfaltet, V. 7-12 klären eine für das Folgende allerdings zentrale Vorfrage, vgl. u. A. 105. •, Zur Vorgeschichte dieser Stilform scheinen mir die hellenistischen Parallelen, die Kümmel, RÖm. 7,126-132, beibringt, weniger aufschlußreich zu sein als gewisse alttestamentliche Parallelen. Da diese in den Kommentaren meist stiefmütterlich behandelt werden, sei es mir erlaubt, auf einiges hinzuweisen: Obschon seit E. ßalla, Das Ich in den Psalmen, FRLANT 16, Göttingen: Vandenhoeck 1912, mit Recht das Ich in den meisten Psalmen individuell gedeutet wird (vgl. aber O. Eillfeldt, Einleitung in das Alte Testament, 3. Auf!. Tübingen: Mohr 1964, 154), bleibt doch eine Fülle von Belegen für kollektive Größen, die als Ich handeln oder sprechen: Ps. 129, 1-3, vgl. auch Ps. 44,5; Js. 12, H.; 40,27; 49, 14.21; weitere Belege bei Balla aaO 116. Häufig sind Identifikationen des Ich mit einer kollektiven Größe (meist mit Jerusalem oder Israel) bei Klageliedern: Jer. 10,19-22; Mi. 7, 7-10; Bar. 4, 10ff.; Thr. 1, 9ff.; 2,2f., vgl. auch Js. 61, 10. Ps. Sal. 1 zeigt, daß noch in später Zeit Israel mit Ich bezeichnet werden konnte. Wie weit die Gemeinde des zweiten Bundes, die in ihrem Gottesdienst die individuellen vorexilischen Psalmen betete, sich sekundär mit ihrem Ich identifizierte, läßt sich umso weniger sagen, je weniger wir über das liturgische Psalmbeten jener Zeit wissen. Zu den hier auftauchenden Problemen vgl. die instruktiven Erörterungen von H.-J. Kraut, Klagelieder, BK 20, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1960, 58f. Zahlreiche andere Stellen müssen noch erwähnt werden, wo das Kollektiv nicht die erste Person Sing. als Sprachform übernimmt, sondern etwa die erste Person Plur. (vgl. etwa Ps. 44,5 mit 61; R. 7, 5f. mit 7, 7ff.I), die 2. Person Sing. (Dt. pss.), oder auch die dritte Person Sing. (vgl. nur etwa die Identifikation der Stämme mit ihrem Stammvater, Ri. 1,3 sogar 1. Person Sing.l, oder die Bezeichnung Israels als Braut oder Jungfrau). Vom alttestamentlichen Denken her dürfte auch die Identifikation eines Individuums mit seiner Geschichte verständlich
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JII. Die abgetane Vergant,cnhcit: Gesetz und Geschichte
seits aber muß interpretiert werden, wieso von den Erfahrungen von R. 7, 7ff. nicht allgemein, d. h. etwa als Erfahrungen "der Menschheit" die Rede sein kann. Schwieriger ist die zweite Frage: Meint "egö" den alten Menschen der Vergangenheit oder den gegenwärtigen Christen? Die Frage ist von 11'7. Kümmel in seiner umfassenden Untersuchung zU R. 7 im ersteren Sinne entschieden worden und seine Darlegungen haben weitgehend Zustimmung gefunden88 • \Vir können also von Kümmels Untersuchung ausgehen und fragen: Worin wurde seine These durch die seitherige Diskussion korrigiert oder weitergeführt? a) Unfruchtbar ist m. E. der Versuch, aufgrund von O:'~Tb~ eyw in V. 25b das Ich von R. 7 als "Ich in einer bestimmten Hinsicht", nämlich als Selbst-Ich, "Mensch für seine eigene Person", J\lensch "on his own" zu verstehen··. So sehr es sachlich richtig sein mag, daß Paulus in R. 7 vom leh in einer bestimmten Hinsicht spricht, so wenig kann dies sprachlich an O:UTO~ ty(~ demonstriert werden. Denn Paulus spricht ja nur und erst V. 25b von o:uTb~ tY6', einem Vers, der überdies doch wahrscheinlich Glosse ist'·. Er müßte somit in den vorangehenden Versen terminologischer Unklarheit bezichtigt werden. Außerdem ist das auch sonst noch gelegentlich vorkommende O:UTO~ tyw nie technisch gebrauchtOl, vielmehr dient es einfach der Verstärkung. In diesem Sinn ist es auch in V. 25b durchaus motiviert: Angesichts eies Zerfalls in IIOÖ~ und G&p~ muß die Einheit des Ich gewahrt bleiben. b) Der Versuch, Kümmels Ergebnisse auf der ganzen Front umzustoßen und zu zeigen, daß R. 7, 7ff. das Bild des Christen sei und bleibe", hat keine Argumente werden, vgl. u. A. 114. Gnostische Parr. bei Schunack, Das hermeneutische Problem des Todes 116ff. aa Z. B. bei Bultmann, Römer 7, Exegetica 198f.; G. Bornkam1lt,Sünde, Gesetz und Tod, in: Das Ende des Gesetzes, 2. Auf). München: Kaiser 1958 (~ Aufs. I), 51~9, dort 53, und die meisten Kommentare . •• Schlatter, Gerechtigkeit 248: "AOTO~ tyw ist dadurch veranlaßt, daß bereits der Retter sichtbar ist"; Bläser, Gesetz 123: "der Mensch für seine eigene Person"; C. L. MiJJon, Romans VII Reconsidered, ET 65 (1953/54) 78-81. 99-103. 132-135, dort 133f.: "on his own"; E. Giese, Römer 7 neu gesehen im Zusammenhang des gesamten Briefes, Diss. Marburg 1959, 53f. 71. 76. 79. 83 (als Gegensatz zum Menschen in Christus, vgl. u. A. 97);]. KiJrzitl/?er, Der Schlüssel zum Verständnis von Röm. 7, BZ NF 7 (1963) 270-274; dort 272: "auf mich selbst angewiesen". Dagegen weist allerdings]. Packer, The ,Wretched Man' in Romans 7, in: Studia Evangelica lI/I, TU 87, BerIin: Akademie 1964, 621-627, dort 625, mit Recht darauf hin, daß .Mk. 6, 31 und R. 9, 3 eine solche Bedeutung in keiner Weise nahelegen. Ganz anders dagegen H. Möller, Röm. 7 ist und bleibt das Bild des Christen, DTh 6 (1939) 5-27. 68-79, dort 11: da~ eigentliche leh, das mit dem IIOÖ~ Gott dient . •• Bultmann, Glossen, Exegetica 278f. Über Dultmann hinaus wäre noch die Titulatur 8td: 'Il)GOÖ XPtGTOÖ TOÖ xup(ou iJlJ.wlI V. 25a zu nennen, die normalerweise am Schluß eines Abschnittes steht, vgl. Kramer, Christos, § 19c und A. 33. 01 Vgl. bes. Lk. 24, 39; R. 9, 3; 2. K. 12,13, wo (l(oT6~ eindeutig verstärkenden Sinn hat . •• Vgl. den Titel der Arbeit H. Möl1ers o. A. 89; ähnlich Nygren, Röm. 208-217, vgl. auch Maurer, Gesetzeslehre 45f.; J. Murrtzy, The Epistle to the Romans 1, New London Comm., London: Marshal1, Morgan & Scott 1960, 257lf.; Bandstra, Law 140.
J. Heilsgeschichte Imd Ich in R. 7,7JJ.
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beigebracht, die von Kümmel nicht bereits widerlegt worden wären. Geht man vom Postulat aus, daß die Praesentia in V. 14ff. fitr die Deutung auf ein gegenwärtiges Ich sprechen··, so werden die vorangehenden Praeterita zum unlösbaren Problem. Daß eine Reflexion über den alten Menschen im zweiten Teil des Römerbriefes eine unzeitgemäße Betrachtung wäre, kann nur aufgrund einer simplifizierenden Betrachtung des Gedankengangs von R. 5-8 gesagt werden". Außerdem gibt ja Paulus in R. 7, 5f. ganz klar das Thema für den folgenden Abschnitt und zwar in V. 5 für 7, 7-25 und in V. 6 für 8, 1If. Bei den meisten Gegnern der These Kümmels lassen sich übrigens systematische Prämissen nachweisen". c) Alle Versuche einer Zwischenposition, etwa, daß es sich um den Christen in der Entwicklung'· oder um abgefallene Christen" oder um den Christen, der den heiligen Geist nicht besitzt'·, handle, scheitern daran, daß die entscheidende These der Auslegung von außen in den Text hineingelesen wurde. d) K. G. Kuh/! und W. Nat/cle haben die Aufmerksamkeit auf das Selbstverständnis des Frommen von Qumran gelenkt, wo ebenfalls ein starkes Erwählungsbewußtsein verbunden mit einem Erkennen der eigenen Nichtigkeit und Sünde auftritt". Das würde dafür sprechen, R.7 auf den Christen zu deuten. Doch hat schon H. Braun auf die Verschiedenheiten in Terminologie und Gesetzesverständnis hingewiesen, die eine einfache Parallelisierung zwischen Paulus und Qumran nicht erlauben l ••• e) Wirklich weiterführend scheint mir allein ein Ansatz, der gar nicht als Kritik, sondern als Ergänzung der These Kümmels gedacht war. Blilimann betont in seinem Aufsatz zu R. 7 unermüdlich, R. 7, 7ff. komme das Ich der Vergangenheit zur Sprache, wie es von Christus her, also von der Gegenwart her erfahren werde. Insofern wolle R. 7, 71f. gar nicht eine vergangene Erfahrung wiedergeben, sondern eine gegenwärtige, nämlich das Licht, in das die Vergangenheit von der Gegenwart her jetzt zu stehen kommelOl~ •• Nygren, Röm. 209; Mitton, ET 65 (1953154) 99f. Zur Auseinandersetzung mit ihnen vgl. bereits Kümmel, Röm. 7, 110; Bornkamm, Sünde, Aufs. I 6I. '4 Gegen Nygren, Röm. 210f. .. Nygren, Röm. beruft sich auf das Leben des Christen zugleich im alten und neuen Aon, vgl. bes. aaO 2141f. Häulig findet sich auch der Hinweis auf die christliche Erfahrung, die die Wahrheit von R. 7 bestätige, z. B. bei Mitton, ET 65 (1953/54) lOH. Auch Kuss, MThZ 17 (1~66) 221 betont, daß "auch für den Glaubenden ... , insofern er noch im alten Aon lebt ... , die Röm. 7 beschriebene Situation existent bleibt". Kuss deutet aber R. 7 grundsätzlich auf den Menschen vor Christus. ,. E. EIIJvein, Das Rätsel von Römer 7, KuD 1 (1955) 247-268, bes. 266ff• .. Erwogen bei Mitton, ET 65 (1953/54) 134, vgl. auch Giese, Römer 7, 52, 82• .. So O. Modalsli, Ga\. 2, 19-21; 5,16-18 und Röm. 7, 7-25, ThZ 21 (1965) 22-37, dor~ 35: ,pie Gegen~ät~e sin~ also hie~ nicht. Nicht-Christ und ~hrist, sondern Chnst an sIch und Chnst In ChrIstus bzw.lm GeIste". Aber wodurch 1st man für Pis. überhaupt Christ, wenn nicht durch das Sein in Christus bzw. durch den Geist? .. K. G. Ktthn, 1te,pCI(a!L6~ - a.ILCI(p·dCl( - atXp~ im Neuen Testament und die damit zusammenhängenden Vorstellungen, ZThK 49 (1952) 200-222, dort 210 A. 3; W. Nat/ele, Die Tradition und der literarische Charakter des ersten Johannesbriefes, WUNT 3, Tübingen: Mohr 1957, 107 A. 2. Vgl. bes. 1 QS 11, 7-10; 1 QH 3, 24f.; 4, 29f.; 12, 241f. 1•• H. Braun, Qumran und das N.T. I, Tübingen: Mohr 1966, 177f., ausführlicher ders., Römer 7,7-25 und das Selbstverständnis des Qumranfrommen, in: Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt, 2. Aufl. Tübingen: Mohr 1967, 100-119, dort 1151f. IGl Bultmann, Röm. 7, Exegetica pss. geht allerdings so weit, das Trachten und Begehren des "egö" von R. 7 als "transsubjektive Tendenz der menschlichen
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IlI. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
Damit scheint nun allerdings die Diskussion um Vergangenheit oder Gegenwart des Ich in R. 7 auf eine sachlich präzisere Ebene gehoben. Es ist klar, daß die Aussage "Ich aber starb; und das Gebot, das zum Leben bestimmt war, eben das (Gesetz), wurde für mich (als Mittel) zum Tode erfunden" vom toten Ich gar nicht gemacht werden kann, denn das tote Ich vermag nicht, seinen Tod zu erkennen und Leben von Tod zu unterscheiden. So spricht das vom "Gesetz des Geistes" (R. 8, 2) befreite Ich, dem eben die Erkenntnis seines Todes zur Befreiung geworden ist. Es ist aber auch klar, daß die Vergangenheit des Ichs in R. 7 nicht einfach überholt, unwirklich geworden, erledigt und damit objektiv betrachtbar und deutbar ist. Das Ich von R. 7 ist nicht Resultat einer Betrachtung aus gesichertem Heilsstand. Andererseits aber unterscheidet sich Paulus von Qumran gerade dadurch, daß er nicht einfach dialektisch die menschliche Existenz betrachtend im Sinne eines "simul iustus et peccator" bedenkt, sondern mit Zeitstrukturen arbeitet, also statt "simul iustus et peccator" etwa sagen würde: Durch das Geschenk von Gottes Gerechtigkeit ist die Sünde überwundene, alte Zeit l02 • Das heißt: Die Zeits/rukturen von R. 7 erlauben Paulus, die eindeutige und undisklftalJle Priivtt!ellZ der IJon Christus eröffneten Gerechtigkeit GoI/es über die mmmehr überwundene Jiinde, der vom Geist bestimmte/1 über die alll Fleisch sich orientierende Wirklichkeit ausZ"drücken. Der Mensch erfährt angesichts der Gegenwart des in Christus geschenkten Lebens, daß sein bisheriges Leben auf den Tod hin ausgerichtet, sein Ich gestorben war. R. 7, 7ff. ist also wohl Beschreibung der Vergangenheit, aber einer Vergangenheit, die sich theologisch, von der Heilstat Gottes in Christus her als vergangen, unzeitgemäß und vernichtet herausstellt, die aber der Mensch gerade deshalb empirisch nicht einfach als erledigt abschreiben kann, wenn Existenz" (aaO 32, vgl. 40), also nicht als bewußtes Wollen Zl1 verstehen, vgl. auch Schunack, Das hermeneutische Problem des Todes 137. Dagegen hat sich Kritik erhoben, vgl. etwa ~". Gllibrod, Die paulinische Anthropologie, Stuttgart: Kohlhammer 1934, 45ft".; Kuss, Röm. 469ff. Bultmanns These entspringt der Absicht, R. 7, 7ft". als Urteil über eine objektive Situation des Menschen, das dieser durch Erfahrung nicht erreichen kann und das auch durch keine Erfahrung rückgängig gemacht werden kann, zu verstehen. Dennoch wird man sagen müssen, daß dieses Urteil QII&b an Erfahrung anknüpfen können muß, wenn anders der Christ das Urteil von R. 7 wirklich als Urteil über seine vorchristliche Existenz anerkennen soll, was ja gerade der Sinn des paulinischen "egö" ist. Daß das Urteil von R. 7, 7ft". "öl/i,. an jeder Erfahrbarkeit vorbeigeht, wird man auch angesichts der zahlreichen jüdischen und griechischen Parallelen (Griechisches bei H. Hommel, Das 7. Kapitel des Röm~r~~ic:fes im Licft antiker Überlieferung, 'J"h"Yiat 8 (1?61/62) 90-116, dort 106ff., Judlsches 4. Lsr. 7, 62ff., vgl. 9, 36f., weIteres bel Kuss, Röm. 479; Schoeps, Paulus 195 hält die Sündenlehre von R.7 sogar für "zcittypisch") kaum behaupten können. So wird man am ehesten mit Bläser, Geset7.116 R. 7 als "theologische Radikalisierung einer in gewissem Grade ... schon vorhandenen Selbsterkenntnis "verstehen. 101 Insofern stünde also wohl Luther sogar näher bei Qumran als bei Pis.
3. Heiltguchichte II1Id Ich in R. 7,7ff.
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anders er die Christusverkündigung wirklich als Geschenk Gottes und als ihm in seiner Zerspaltenheit widerfahrende Gnade erfährt108• B. Damit sind aber die Schwierigkeiten von R. 7, 7ff. noch keineswegs aus der Welt geschafft. Insbesondere V.9f. sperrt sich gegen jede Deutung. Die Aoriste, die von V. 8 an überwiegen, sind in der Tat auffällig. Während es in V. 14ff. um eine bestimmte Verfaßtheit des in sich zerspaltenen Ichs geht, scheinen die Verse 8ff. eine Geschichte zu erzählen, die mit diesem Ich passierte und deren Resultat dann der in V. 14ff. geschilderte Zustand ist. Zunächst einige exegetische Beobachtungen: T( oov ~poij!UV; leitet einen neuen Gedankengang einlOt. Sein Thema ist durch die anschließend gestellte fiktive Frage eines Gegners: Ist das Gesetz Sünde? gestellt. Diese für Paulus unmögliche Zumutung, deren Widerlegung nicht nur aufgrund von 7, 5 nötig wird lo6, ist mit V. 12 erledigt. Die Widerlegung selbst erfolgt in den Versen 7f. und 9-11 in zwei auffallend parallelen Gedankengängen. Der Ausleger wird sich deshalb fragen müssen, was die Verse 9ff. nach V. 7f. überhaupt noch Neues beisteue:rn lo8. V. 7b und V. 9 unterscheiden sich darin, daß zunächst im Irrealis107, in V.9 dagegen in realer Vergangenheit gesprochen wird. V. 7 macht also keine Aussage über eine Zeit vor dem Gesetz, wohl aber V. 9. Außerdem muß der scheinbar unmotivierte Wechsel von v6!L0'; in I.vTO'A-Ij erklärt werden. V. 7b scheint in der Tat noch nichts Anderes zu besagen als der in der Antike vertraute SatzlO8, daß ••, Vg!. Bomkamm, Sünde, Aufs. I 68f~, der "egö" auf den alten Menschen belcieht: "Man kann offenbar die Erfahrungen von Röm. 7 nicht hinter sich lassen wie eine überwundene und überholte Entwicklungsstufe. Vielmehr bleibt die Vergangenheit und Verlorenheit des Unerlösten in einem sehr bestimmten Sinne Gegenwart auch für den Christen, nämlich als vergebene und überwundene. Die Vergangenheit bMbl darum der abgründige Grun3 des neuen Seins in Christus" (Spercg. v. Bornkamm) . ••• Vgl. \1. A. 146. ••• Vg!. 3,20; 4,13ff.; 5,13.20; 6,15. Zur Gewohnheit des Pis., früher nur Angedeutetes später ausführlich zu behandeln vg!. meinen Aufsatz ThZ 25 (1969) Alb . ••• Das Problem wäre zu lösen, wenn man mit E. FuchJ, Die Freiheit des Glaubens, BEvTh 14, München: Kaiser 1949, 60ff., eine gnostische Quelle rekonstruieren könnte, wobei man dann dieser V. 9ff. ,Pis. selbst V. 7f. zuweisen könnte. Doch sind die literarkritischen Manipulationen von Fuchs m. E. zu kühn, um durch die verhältnismäßig geringen sprachlichen Schwierigkeiten des Textes gerechtfertigt zu werden; außerdem fehlen wirkliche Parallelen aus der Gnosis. Auch wenn die Annahme einer gnostischen QueUe die Interpretation vor allem von 7,9 beträchtlich erleichtert (vg!. u. A. 110), muß angesichts der geringen sprachlichen Anhaltspunkte auf sie verzichtet werden. Schunack, Das hermeneutische Problem 130f., nimmt die These seines Lehrers Fuchs auf, bringt aber keinerlei neuen Argumente . ••, B!.-Debr. 360, 1. 1 ,., Vg!. Jk. 1, 14f.; Eur. Steno fr. 66,: TOtcxÜT' oiÄUEt, IIOu.&noU!'cvOO; "EP6lo; !'«>.Aoll m~CtL (Tragieorum Graecorum fragmenta, ed. A. Nauck, 1856, 449); Plut. Mor. 71A; Galenus bei Nauck aaO. Offenbar war die Euripidessentenz ein
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IlI. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz tIfId Geschichte
die Begegnung mit dem Verbot die Begierde weckt. Der Vers gibt eine allgemeine Wahrheit, die denn auch V. 8b zur Begründung von V. 8a nochmals lehrsatzartig zusammengefaßt wird109• Vom Einbruch der Sünde aber spricht V. 8a im Aorist als von einem Geschehen. Der Sinn dieses Aoristes kann wohl nur von V.9f. her verstanden werden. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die auffällige Formulierung lyw Be E~wv x.wp~c; v6!-tou 7tOT& in V. 9a gerade nicht als mythologischunanschauliche Redeweise abgetan werden darf, die einer geschichtlichen Konkretion gar nicht bedarf llo • So wäre der auffällige Wechsel der Sprachform gerade nicht erklärt, von dem von Paulus zugefügten, meist unerklärt bleibenden 7tOT& gar nicht zu reden. Wir haben also zu fragen: Wann lebte das Ich außerhalb des Gesetzes? In dieser zeitlichen Aussage liegt ja gerade das, was in V. 9 gegenüber V. 7 neu ist. Erst von hier aus kann dann auch die Frage nach der Art des in V.9a gemeinten Lebens beantwortet werdenl l l • Es scheinen sich drei mögliche Antworten anzubieten. geflügeltes Wort und ~urde oft ziti~rt. V g!. ferner Ovid. Amor. 2, 19,3; 3, 4, 17; Aug. Conf. 11,4-6; Vlt. Ad. 19; Phtlo Spec. Leg. 4, 84f. Der Protest I. D~manns, Moses 224f. gegen die "ein wenig kurzsichtige Psychologie", die dieser Exegese zugrunde liege, verkennt die feinen Unterschiede zwischen V. 7f. und V. 9ff. Im weitern sind noch zu vergleichen 4. Makk. 2, 1ff. und die bei Mussner, Jak. 88f. genannten Belege. Ganz anders ist im rabbinischen Judentum die Begierde (= der böse Trieb) von Anfang an im Menschen und das Gesetz ist eine Hilfe, ihn zu bekämpfen (Str.-ß. 111,95; IV, 470ff.); die Begierde ist für die Heiden typisch (Schab. 145b-146a). 101 Oft wird V. 8b direkt V. 9a gegenübergestellt und beide Vershälften werden dann als Gegensätze interpretiert, z. B. bei Kümmel, Röm. 7, 51, anders B. Weiss, Röm.306. Das ist jedoch m. E. nicht möglich. V. Sb ist ein Lehrsatz, dessen Kopula fehlt (zu ergänzen wäre präsentisch ~!J'rlv), V.9a jedoch eine Aussage über eine bestimmte Zeit der Vergangenheit (7to'te). V. 8b ist durch y&p deutlich als Begründung von V. Sa gekennzeichnet, dagegen ist V. 9a als Begründung von V. 8a nicht verständlich. ö-s in V.9a ist also weiterführend und will nicht V. 9a dem V. Sb gegenüberstellen. Gegensatz zu eyw 31: ~~(o)v ist vielmehr tyw 31: ci7tt&cxvov (V. 10). 110 So z. B. bei Barth, Röm.· 231; Bornkamm, Sünde, Aufs. 1 55ff.; Brandenburger, Adam und Christus 214. Bei allen diesen Auslegungen ist die konkrete Zeitangabe des Textes (1t:6lv 7to'tt) außer Acht gelassen. Fuchs, Freiheit 62f., nimmt an, daß die konkrete Zeitangabe des gnostischen Liedes (V.9a) nun durch die Einarbeitung dieses Liedes in den paulinischen Kontext seinen fixierbaren Ort verloren habe. Doch vg!. o. A. 106. 1ll Gefragt wird im wesentlichen: Meint ~&(o) Leben im Vollsinn (z. B. Lagrange, Röm. 167; P. Belloil, La loi ct la croix d'aprcs saint Pau!. Röm. Vll, 7-VIIl, 4, in: Exegese et Theologie H, Paris: Du Cerf 1961, 9-40, dort 16 A. 2) oder Leben als positiven Wert, aber im Vergleich zum eschatologischen Leben nur relativ positiven Wert (z. ß. Kuss, Röm. 447; H. W. Schmidt, Röm. 124), oder lediglich "dasein", "die Zeit zubringen" (so etwa Sanday-I-Ieadlam, Röm. 180; die von S. Lyonnel, L'histoire du salut selon le eh. 7 de I'cpitre aux Romains, BibI. 43 (1962) 117-151, dort 129 A. 3 Genannten) oder gar ironisch "vermeintlich leben" (Leenhardt, Röm. 107; Calvin, Röm. z. St., CR LXXVII, 125).
J. HeilJgeJChichle und Ich in R. 7,7ff.
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a) Häufig wurde auf die jüdische Meinung verwiesen, daß ein Kind im Jugendalter noch nicht sündig sei und erst später mit der Sünde in Berührung komme. Doch ist itn Judentum noch öfter die umgekehrte Meinung anzutreffen, daß der böse Trieb von allem Anfang an im Menschen wirksam sei, der gute hingegen ent durch die Tora entfacht werde ll2 • Diese These dürfte jedoch, abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich bei einer rein individuellen Deutung des "egö" auch nur in V. 9f. ergeben, schon deshalb unmöglich sein, weil man kaum von einem kleinen Kind hätte sagen können, es lebe Xpl~ 116ILou. b) 'EÄ&oöl17)<; II~ '"I<; ~IITOÄ'ii<; läßt vielmehr sogleich an das Kommen des Gesetzes zur Zeit des Mose denken. Dieses Verständnis würde durch R. 5, 13. 2Of. vorbereitet und durch GI. 3, 19. 23. 25 gestützt. "EpxoILOtt meint an den genannten Stellen also das "Kommen in die Geschichte"; mit ~ro lIe f~v xpl<; v6ILoU 1tOT' wäre die Zeit bis zum Sinai gemeint"". Daß das sprechende Ich damit die ganze Heilsgeschichte personifizierte, wäre zwar in dieser Form analogielos, doch nicht unmöglich11<. Das überall schwierige f~1I würde wohl am leichtesten unprägnant mit "existieren", "die Zeit zubringen", nicht prägnant mit "das Leben haben" übersetzt. Unerklärt bliebe der Wechsel von 116ILo~ in bTOÄ-fJlU. Schwierig wäre a.uch das aoristische &,.ffiOtVolI; kann die Gabe des Gesetzes am Sinai auch unter Berücksichtigung von GI. 3, 19f. so einfach als Tod bezeichnet werden? Völlig unverständlich wäre endlich das Motiv des Betrugs in V. 11.
Vgl. Moore, Judaism I, 481f. und u. A. 243. m Diese in der alten Kirche z. B. von Chrys. Hom. in Rom. 13, 5 z. St. vertretene und von Wettstein z. St. aufgenommene Deutung wird heute für das ganze Kapitel von E. Stauffer, Th WH, 355ff. vertreten, für V. 9f. außerdem von Benoit, La loi, Ex~gcse et TMologie 11, 12. 16; vgl. auch PalJis, Röm. 94 (der allerdings V. 8-10 für eine variierende Glosse von V. 11 hält); G. Schrenle., Art. bmlloILOtt KTÄ., ThW 11, 541-553, dort 547, 14ff.; C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 56. Nun ist allerdings der zur Stützung dieser These häufige Rückgriff auf R. 5, 12ff. nicht ohne Schwierigkeiten möglich: Während es dort heißt, daß Sünde und Tod von Anfang an in der Welt waren, die Sünde aber nicht angerechnet wurde, ist in R. 7, 9 davon die Rede, daß das Ich lebte, während die Sünde tot war. NEXp6~ in V. 8b besagt, wie sich aus dem Kontext klar ergibt, weder, daß die Sünde zwar da war, aber nicht angerechnet wurde (Kümmel, Röm. 7, 50; Schlatter, Gerechtigkeit, 236), noch, daß sie bloß latent, gleichsam schlafend, vorhanden, aber unwirksam JIIie 101 dagewesen sei (so in verschiedenen Varianten z. B. Zahn, Röm. 341; Lohmeyer, Probleme 90; Bornkamm, Sünde, Aufs. I, 59), noch endlich, daß sie nur im Bewußtsein tot war (Pfleiderer, Paulinismus 81); über das "Leben" und Vorhandensein der Sünde abge.~ehen von lI&xp6<; reflektiert Pis. nicht. Vielmehr bezieht sich lI&Xp6~ auf die fehlende Wirksamkeit und Aktivität der Sünde, ohne irgendweIche Aussagen über eine mögliche Existenz der Sünde abgesehen von ihrer fehlenden Aktivität zu machen. Brandenburger, Adam und Christus 212ff. ist also zuzustimmen, wenn er sagt, daß R. 7, 7ff. und R. 5, 12ff. nicht ohne weiteres miteinander harmonisiert werden können, weshalb es auch nicht angeht, von 5, 12f. her R. 7, 7ff. zu exegesieren. 11< Vgl. die o. A. 87 angeführten Belege. Kollektives Ich fehlt allerdings gerade in ausgesprochen heiJsgeschichtlichen Zusammenhängen. Verhältnismäßig nahe Parallelen sind Dt. 5, 2ff. 15; 6, 20ff.; 26, 5ff. und überhaupt die Identifikation des Israeliten mit seiner Geschichte durch die Teilnahme an den Festen. Bei Pis. wird man am ehesten an die Personifikation des alten Aons in Adam als nächste Parallele denken, vgl. R. 5, 12ff. 111 Sachlich besagt in der apokalyptischen Tradition v6ILo~ und bTnÄ-IJ etwa dasselbe, vgl. Rössler, Gesetz und Geschichte 46. Dennoch stellt sich die Frage nach dem Sinn des Wechsels der Begriffe, besonden im Zusammenhang mit dem auffälligen ~Ä&OO
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Ilf. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
c) Dieses letztere Motiv - wieder läßt der Aorist zunächst an ein einmaliges Geschehen denken - läßt sich weder bei der Begegnung des jUdischen Knaben mit dem Gesetz noch von der Gesetzgebung am Sinai her befriedigend erklären, sondern allein als Anspielung auf die Sündenfallgeschiehte Gn. 3, 13"°. Auch 2. K. 11,3, vgl. 1. Tm. 2,14, taucht das Verb ~1;IX1tIX-r.xW in diesem Zusammenhang auf. 'E"TQ>'7j wird von Gn. 3, 11 her verständlich. Wie S. Lyonnet gezeigt hat, dürfte sich der sieh an Dt. 5,21// Ex. 20, 17 anlehnenden Formulierung des Gebotes oux btl~fL7j(JE:~ kein ent.~cheidender Gegengrund gegen die Annahme einer Anspielung auf die Sündenfallgeschichte entnehmen lassen; vielmehr könnte sogar eine Anspielung auf Gn. 3,6 vorliegen tl1 • Daß Adam in diesem Sinne als Typus für den Menschen überhaupt verstanden wurde und sogar als ,1ch' sprechen kann, ist religionsgeschichtlieh durchaus möglich, vgl. bes. s. Bar. 54,19; Apk. Abr. 23, 8. Schwierigkeiten bereitet wohl allein V. 9a: 'Läßt sich von Adam sagen: Ich lebte einst außerhalb des Gesetzes? Im Judentum wurde die Zeit Adams im Paradies vor dem Sündenfall kaum je als besondere Zeit bedacht, wenn auch selbstverständlich war, daß sich elie Geschehnisse von Gn. 2, 7. 16 und 3, 1R·. in dieser Reihenfolge abspielten llB • Zu R. 5, 13ff. bleibt auf jeden Fall ein gewisser Widersprueh llO •
Wir halten inne. Eine Anspielung auf den Sündenfall Adams ist in R. 7, 9ff. wohl auf jeden Fall enthalten; daß darüber hinaus noch eine Anspielung auf die Gesetzgebung am Sinai vorliegt, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Fest steht jedenfalls dies: Einc für unser Empfinden geschlossene Deutung des "cgö" ist nicht möglich. Vielm Eine solche Anspielung wird in irgend einer Form wohl von den meisten Exegeten angenommen, vgl. die besonders eingehende Begriindung etwa durch Lyonnet, BibI. 43 (1962) 130-151. Bestritten wird sie, m. E. ohne durchschlagende Gründe von Kümmel, Röm. 7, 54. 85ff. Aueh Schunaek, Das hermeneutische Problem des Todes, z. B. 130 und A. 159; 136, weist eine Deutung von Adam her ab, obwohl gerade die von ihm als gewichtig herangezogenen gnostischen Belege (vgl. nur aaO 118.120) dies nicht nahclegen. Ausgezeichnet formuliert Bornkamm, Sünde, Aufs. I, 59: "In dem ty6> von Röm. 7, 7ff. bekommt Adam von Röm. 5, 12ff. seinen Mund". 117 S. Lyo,,,,,', ,Tu ne eonvoiteras pas' (Rom. VII 7), in: Neotestamentiea et Patristica, Festschrift O. Cullmann, Suppl. Nov. Test. 6, Leiden: Brill 1962, 157-165, bes. 160-162. Im Judentum wird auch das Gebot an Adam als mosaische Tora in nuce verstanden, vgl. J.Jervell, Imago Dei, FRLANT 76, Göttingen: Vandenhoeck 1960, 43. 118 über die Zeit, die Adam im Paradiese verlebte, orientieren W. Jlaerk, Die Erlösererwartung in den östlichen Religionen, Soter 11, Stuttgart: Kohlhammer 1938,30; Str.-B.IV, 1125f.; R.Scroggl, The Last Adam, Philadelphia: Fortres, Press 1966, pss.; vgl. auch Codex Neofiti bei Lyonnet, BibI. 43 (1962) 137f. Aber auch die jüdischen Aussagen Uber die ursprüngliche Herrlichkeit Adams gehören in diesen Zusammenhang. Da.~ entscheidende Datum ist dabei allerdings immer die Vertreibung aus dem Paradies, nicht das Kommen des Gebotes. Dennoch nehmen z. B. Pr.-Bauer 665; Jülicher, Röm. 264; Lagrange, RÖm. 169; Lyonnet, aaO 130ff. etc ausdrücklich Gn. 2, 7-16 als Zeit des "Lebens" an. UI Ober den Widerspruch bei der heiisgeschichtlichC'O Deutung vgl. o. A. 113. \Wird auf Adam gedeutet, so besteht der Hauptunterschied darin, daß R. 5, 12f. die an Adam ergangene l:v-ro>.7j vernachlässigt und die Zeit von Adam bis M.ose als gesetzesfreie Zeit betrachtet, während R. 7, 7ff. geradezu die t,,-ro>'7j an Adam zum Paradigma für das Wirken des Gesetzes am alten Menschen wird. Entsprechend ist R. 5, 12/I. der Tod, R. 7, 7ff. das Gesetz da.~ eigentliche Unheilsereignis. über die Zeit vor Adams Fall schweigt R. 5, 12ff. Vgl. aueh u. A. 256.
J. Heilsgeschichte IIIId Ich in R. 7,7ff.
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mehr umgreift dieses "egö" eigenartig schillernd jeden einzelnen Menschen, Paulus selbst, Adam und in ihm die ganze Menschheit. Wir haben bereits bei 2. K. 3, 4ff., GI. 3, 6ff. und R. 10, 4 dieses eigenartige Schillern zwischen Universal- und Individualgeschichte beobachtet, das Paulus wie dem A. T. eigentümlich zu sein scheint. R. 7, 7ff. ist ein weiteres Beispiel dafür, vielleicht durch die hier auftretende Ichform das interessanteste. Zugleich ist unser Text noch in anderer Hinsicht lehrreich: Ist unsere Interpretation richtig, so lieg,! atl tmserer Stelle die radikalste Aufforderttng zur existentialen Interpretation der aillestamentlichen Unheilsgeschichte vor, die in den paulinischen Texten Zu finden ist. Es ginge dann Paulus darum, zu zeigen, daß in dieser Unheilsgeschichte gerade nicht "von dem Menschen, der Menschheit o. ä. geredet werden kann, daß hier eine mythologische oder auch ,heilsgeschichtliche' Redeweise nicht mehr am Platze ist, weil von der Wirklichkeit des unter Gesetz, Sünde und Tod Verlorenen nur als von ,meiner' Wirklichkeit geredet werden kann"t2I). Andererseits aber wäre dieser selbe Text R. 7, 7ff. die radikalste Verweigerung des Sufljektivis11lfls, die wir bei PduiliS finden können, weil sich das Ich niemals tlur aus sich selbst lind seiner subjektiven Erfahrung, sondern immer schon aus .reiner Geschichte versteht .. Durch den Hinweis auf Adams Fall macht Paulus klar, daß die Sünde des alten Menschen notwendige Erfahrung und nicht eine allenfalls auch vermeidbare Eventualität ist, aber dennoch Tat des Menschen bleibtl21 • Und schließlich würde das Ich, da.<; formal in R. 7, 7-25 durchgehalten ist, ein Hinweis dafür, daß Objektives und Subjektives, Universalgeschichte und Individualgeschichte, Heilsgeschichte und Anthropologie für Paulus offenbar nicht in derselben Weise auseinandertreten wie für uns. Zugleich dient bei Paulus unser Abschnitt 7, 7-12 dazu, die Sünde vom Gesetz zu trennen. Denn nicht das Gesetz ist es eigentlich, dessen Macht Paulus durch Christus beendigt weiß, sondern die Sünde, die das Gesetz mißbraucht. Die Sünde ist es, die dem alten Äon den Stempel aufdrückt, nicht das Gesetz. Und wenn Paulus R. 10,4 abgekürzt von Christus als dem Ende des Gesetzes spricht, so meint er jenes Gesetz, dem der menschliche Mißbrauch seine unheilvolle Kraft gegeben hat. Das Gesetz spricht an sich den Willen Gottes aus, aber es spielt im alten Äon für die Sünde eine auslösende (R. 7, 8ff.) oder verstärkende (R. 5,20; GI. 3, 19) Rolle. Es ist also selbst nicht diejenige Macht, die von 11. Bomkamm, Sünde, Aufs. I, 59. Für Bornkamm schließt offenbar "heilsgeschichtliche Redeweise" ebenso wie mythologische eo ipso jeden Bezug auf "meine" Wirklichkeit aus. Vgl. auch C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 57. 111 Vgl. die ähnliche Schlußfolgerung Brandenburgers, Adam und Christus 217. Zum Verhältnis von Universal- und Individualgescbichte vgl. auch die Verweise o. Ein!. A. 27, u. A. 363.
168
Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz 'md Geschichte
ChristIls iiberTllunden wil'd, vielmehr die Ohnmacht, deren sicb die Sünde bemächtigt. Dadurch, daß der Schilderung des in "sarx" und "nous" zerspaltenen Ichs die Verse 7--12 vorangestellt werden, erreicht Paulus zweierlei: Das Gesetz bleibt Gesetz Gottes, also heilig, gerecht und gut. Dies ist sein Hauptziel in V. 7-12. Daß die Güte des Gesetzes nur durch Anspielung auf die Geschichte des Alten Testamentes, wo Gott sein Gesetz gab und die Sünde auf den Plan trat, durchgehalten werden kann 01.9·-11), bleibt bezeichnend. Zudem wird durch den Einschub von V. 7-12 verhindert, daß die Erfahrung des Ichs in den Versen 14-25 als eine gleichsam private, auf ein zufälliges Subjekt beschränkte mißdeutet werden könnte; vielmehr spricht sich im Ich die - seit "Adam" - gültige Grundsituation vorchristlicher Geschichte aus. 4. Gesetz, Verheißung und Geschichte (R. 4; GI. 3).
A. R. 3, 21-31 Wenden wir uns nun dem wichtigen und umstrittenen lZZ Text R. 4 zu, so ist es nötig, ein bißehen weiter auszuholen. Oft ist bemerkt worden, der Neueinsatz mit 'luvt Se in R. 3, 21 markiere den Wechsel zweier Zeiten, die Aonenwende 123• In der Tat weisen sowohl der Ausdruck 8~KOt~OO'UVYJ .t}e:oü als auch die damit verbundene Offenbarungsaussage auf apokalyptischen Hintergrund l24 • Die These 3,21 steht derjenigen von 1, 18ff. und der Zusammenfassung 3,20 gegenüber; dort ist von der jetzt - unter dem Evangelium - erfolgten Offenbarung des Zornes Gottes die Rede 125. Es werden also nicht einfach zwei Zeiten einander gegenübergestellt, sondern auch zwei gegenwärtige Wirklichkeiten, die unter der Predigt des Evangeliums als solche manifest werden: die alte Wirklichkeit der Sünde, die vom Glauben mit Hilfe des Gesetzes durchschaut wird, und die neue Wirklichkeit der Gerechtigkeit Gottes, die jene grundsätzlich überwunden hat. Entsprechend markiert 'luvt Se nicht einfach einen zeit... Vgl. Wilckens, Rechtfertigung, Festschr. G. v. Racllt1-127; Klein, Evl'h 23 (1963), 424-447; Wilckens, EvTh 24 (1964) 586-610; Klein, EvTh 24 (1964) 676-683 . ... Vgl. z. B. Michel, Röm. 104. m Zu lluc(ltcoaUV1j -Oeoü vgI. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes. pss., bes. 145-175; zur Offenbarungsaussage Lührmann, Offenbarungsverstänclnis 104. 107, das Material aaO 98ff.; vgl. auch Wilckens, EvTh 24 (1964) 592 A. 9. tu Vgl. auch COI17.elmann, NTS 12 (1965/66) 243: Obwohl .. jetzt" die Zeit der Gerechtigkeit Gottes ist, sind vom Evangelium her ursprüngliche Möglichkeit der Gotteserkenntnis (R. 1, 18ff.), ihr Verlust und Gottes Zorn, sowie Gottes Gerechtigkeit gleicherweise präsent.
4. Gesetz, Verheißllnlf,lI1Id Geschichte (R. 4; GI. J)
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lichen Fixpunkt, sondern zugleich eine individuelle und eine äonengeschichtliche Wende128 • Den Ansatz zu einer Gegenüberstellung zweier Zeiten, der in der von Paulus V. 25f. aufgenommenen liturgischen Tradition vorzuliegen scheint U7 , hat Paulus aufgenommen und seine Bedeutsamkeit für den härenden und glaubenden Menschen herausgestellt. So ist Gerechtigkeit Gottes wohl die die neue Zeit bestimmende Macht128, die ein für alle Male offenbart worden ist und die 118 Zur traditionsgeschichtlichen Herkunft aus dem Revelationsschema und dem soteriologischen Kontrastschema vgl. o. S. 87f. Klein, EvTh 23 (1963) 426, betont mit Recht, daß vüv weder "einen chronologisch fixierbaren Punkt auf der Linie erstreckter Zeit meint, der ja als historisches Datum alsbald Zu einem "Damals" degenerieren müßte", noch "ausschließlich logisch" gemeint sei. Die geschichtliche Seite von "nyn" vernachlässigt Lührm,!-nn, Offenbarungsverständnis 149, vgl. 152; "Der Bruch zwischen den beiden Aonen liegt für Paulus also primär nicht im Christusgeschehen, sondern in Gottes jeweiligem Handeln am einzelnen Menschen" (aaO 112); diese Konzeption Lührmanns hängt wiederum mit seinem stark individualisierenden Verständnis von "Gerechtigkeit Gottes" zusammen. I " V gl. zu 'rWV npoyeyov6'rwv «!LOtP'T:l)[L.x'rwv lv '
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
vom Alten Testament 129 als rechtsgültig bezeugt wird. Sie wird aber sogleich als Verhältriisbegriff näher bestimmt, denn sie ist durch den Glauben an Jesus Christus für alle Gläubigen wirksam 130. Vollends in 3, 23f. kommt diese Linie zum Durchbruch: Die von der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes überwundene Wirklichkeit ist die der Sünde, die je eigene Vergangenheit, denn alle haben gesündigt. Und gerade im Sündigen jedes einzelnen Menschen äußert sich das völlige Fehlen der Herrlichkeit Gottes beim Menschen (V. 23)131, ein Mangel, dem nun eben durch das Geschenk der Gerechtigkeit Gottes abgeholfen wird. Gerechtigkeit Gottes ist also niemals Macht Gottes im Sinne einer Eigenschaft, sondern so, daß sie sich in jedem einzelnen Menschen verwirklicht. In jedem einzelnen Menschen verwirklicht sie sich aber wiederum so, daß sie sich an jedem Menschen als ein für allemal geschehene Äonenwende erweist. Diese Verklammerung von Wende der Zeiten und Wende des Lebens des Einzelnen macht es unmöglich, die Ansage von R. 3, 21 in irgendwelche objektivierbare Aussagen über den Geschichtsverlauf umzumünzen. Es ist also in 3, 21 weder gesagt, daß in der Epoche vor Christus die Macht der Gerechtigkeit Gottes nicht auf dem Plan gewesen seiisa, noch, daß die Gerechtigkeit Gottes zwar vorhanden, aber verborgen geblieben sei133• Vielmehr verbietet die Art und Weise, wie gabe vorgezeichnet, die vielleicht den Horizont auch des paulinischen Verständnisses der Gottesgerechtigkeit Iclären helfen könnte. VgJ. hierzu auch die guten Bemerkungen bei G. Klein, Gottes Gerechtigkeit als Thema der neu esten Paulus-Forschung, VF 12 (1967) 1-11, dort 10. Zum Thema "Gerechtigkeit Gottes vgl. ferner o. S. 28-32, 73ff. 93f. und u. S. 235f. 111 N61L0 t; _t 7tPOlPijTOtL ist eine feste, zwar kaum im Judentum (Str.-B. 1, 240), aber im Urchristentum (G. Fritdrich, Art. 7tp0'P1l'"lt; XTA., D, ThW VI, 829-858, dort 833, 39f., vgJ. Gutbrod, ThW IV, 1062 A. 218) verbreitete Wendung, die nicht im Rahmen der Dialektik eies pln. "nomos"-Begriffes interpretiert werden darf, gegen Friedrich, ThZ 10 (1954) 412. 110 AI4 7t(aTEWt; ist nicht zu 7tElPOtvtPWTOtL zu ziehen, sondern Attribut zu 8LXOtLOaUV"I) ~EOÜ. Dafür spricht das einen Zustand angebende Perfekt (in Christus iJl die Gerechtigkeit Gottes offenbar) und das wiederholte 8LXOtLoaUV"I) .&EOÜ.
Vit Ad. 20f. (vgJ. Stuhl macher, Gerechtigkeit Gottes 87 A. 4) zeigt, daß die Herrlichkeit, die der erste Mensch besitzt, zugleich auch Gottes eigene Herrlichkeit ist. 181 Gegen Klein, EvTh 23 (1963) 427. Als Aussage über die vergangene Geschichte verstanden, läßt sich dieser Satz mit dem .Hinweis auf Abraham leicht widerlegen. 110 Gegen Wilckens, EvTh 24 (1964) 592fT., vgJ. dazu Klein, Exe~etische Probleme, EvTh 24 (1964) 678. Wilckens' These läßt sich nicht mit dem Hlmveis auf die Verborgenheit apokalyptischer Heilsgüter stützen, da diese Aussage gerade fehlt. Außerdem spricht Paulus gerade von der Sichtbarkeit der Gerechtigkeit Gottes auf Erden, am irdischen Abraham, und daran müßte sich Wilcken.~' These bewähren. Bleibt klar, daß das vorangehende "Zeugnis" von Gesetz und Propheten erst von Christus her im Sinne des Paulus gedeutet werden kann, so ließe sich wohl von einem Prae der Gerechtigkeit Gottes sprechen, keinesfalls aber von einer die Kontingenz dieses Geschehens in Frage stellenden Vorgeschichte, vgJ. auch u. A.215. 1Bl
4. Gesetz, VerheißlIIIg u"d Geschichte (R. 4; GI. J)
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Paulus vom Offenbartsein der Gerechtigkeit Gottes spricht, nämlich als einer durch Christus eröffneten äonenwendenden Macht Gottes, die aber nur in der jeweiligen Betroffenheit davon, d. h. in der "pistis" erfahrbar wird, gerade derartige Spekulationen. Die Äonenwende ist für Paulus eben nicht ein Geschehen, das in einen aus Distanz betrachtenden Geschichtsentwurf so oder so eingesetzt werden könnte. So tritt denn auch in R. 3, 27ff. der anthropologische Aspekt nicht als etwas Neues zur bisherigen These hinzu. Vielmehr sind geschichtliches und anthropologisches Denken schon von V. 21 an beisammen. Und zu der den Menschen betreffenden Folgerung aus der paulinischen Grundthese (V. 27f.)184 gesellt sich denn auch sogleich deren geschichtliche Außenseite: Daß der Mensch aus Glauben und ohne Gesetzeswerke gerechtfertigt wird, heißt, daß Juden und Heiden vor Gott gleichgestellt sind 18&. Schwierigkeiten bereitet aber V. 31. In welchem Sinne richtet Paulus hier den "nomos" auf? Folgende Interpretationsmöglichkeiten stehen offen: 1. "Nomos" ist die Schrift, das Alte Testament181• V.31 wäre dann durch ILIXP-ruPOUI~!Vl) un:o 't"oß v6ILou XIXt 't"Clv n:po(jll)'t"Clv (V. 21) präludiert. Zugleich wäre V. 31 Themaangabe für Kapitel 4. Dort würde gezeigt, in welcher Weise die Schrift von Paulus aufgerichtet und in Geltung gesetzt wird. Diese Auslegung hätte den Vorzug, daß ein ungebrochener Übergang von R. 3, 31 zu R.4 möglich ist. Jedoch ist sie aus verschiedenen Erwägungen heraus abzulehnen: a) Es ist doch anzunehmen, daß Paulus 3, 27-30 vom "nomos" im selhen Sinne spricht wie 3,31. 3, 27f. kann aber "nomos" unmöglich das Alte Testament meinen. b) Auch 3, 31a kann "nomos" nicht gut das Alte Testament meinen. Wieso nach 3, 27ff. die Frage aufkäme, ob denn das Alte Testament beseitigt werde, wäre unverständlich, vollends, nachdem Paulus R. 3, 10-18 ausführlich mit dem A. T. argumentiert und seine fortdauernde Geltung unter Beweis gestellt hat. Daß aber Daß der Aorist &~t)(Adath] auf ein geschichtliches Ereignis zurückweist, durch das der Ruhm ein für allemal ausgeschlossen ist (Zahn, Röm. 199, vgl. Wilckens, EvTh 24 (1964) 588), ist möglich. Daß aber "pistis" 3, 27 in einem "objektiven", "heilsgeschichdichen" Sinn wie GI. 3, 23 gebraucht ist (Wilckens aaO), bleibt unbewiesen und unwahrscheinlich. 11& Doch kann man nicht sagen, daß dies durch die Kategorie "anthräpos" zu theologischer Klarheit gebracht wird, gegen Klein, EvTh 23 (1963) 427f., vgl. aber ders., Exegetische Probleme, EvTh 24 (1964) 677. Ein solcher prägnanter Sprachgebrauch ist bei Pis. nirgends nachzuweisen. "Anthräpos" ist vielmehr schon durch seine Stellung unbetont und findet sich häufig in lehrsatzähnlichen Aussagen, vgl. 1. K. 4, 1 ("Iogizomai"I) und Michel, Röm. 111f.; Schlier, Gal. 89 A. 5; Wilckens, EvTh 24 (1964) 588 A. 5. "I SO nach Erasmus, Semler und de Wette (bei Lütgert, Römerbrief 63f.) z. B. Sanday-Headlam, Jülicher, Dodd (für griechische Leser nach Dodd allerdings schwer verständlich), Lietzmann, Nygren, H. W. Schmidt z. St.; Bläser, Gesetz 193; Wilckens, Festschrift v. Rad 120f. 110
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gmtz und Geschichte
"nomos" innerhalb des einen Verses 31 seine Bedeutung wechselte, wäre kaum einem Leser verständlich. c) In V. 21 ist das A. T. gar nicht durch "nomos", vielmehr gerade in Abhebung von bloßem "nomos" durch den festen Ausdruck '116fLO~ X(l(t 7tpoq>ij't'(l(t bezeichnet. Von diesem Ausdruck ist bloßes '116fLo~ (X(o)pt~ '1161.Lou!) zu unterscheidenm. d) Endlich legt sich von R. 4 her diese Deutung nicht nahe. Der Aufbau von R. 4 wird zeigen, daß dort nicht die Aufrichtung des "nomos" Thema ist. Auch markiert der Anfang des Kapitels mit "was sollen wir nun sagen" einen Neueinsatz.
2. "Nomos" meint gar kein bestimmtes Gesetz, also weder das Alte Testament, noch die mosaische Tora. Es ist vielmehr in einem ganz allgemeinen Sinn an eine "Ordnung" gedacht, ohne daß diese näher bezeichnet wäre138 • Die Vertreter dieser Auslegung stützen sich oft auf das Argument, daß "nomos" hier artikellos stehe. Doch läßt sich aus dem Vorhandensein oder Fehlen des Artikels vor "nomos" nichts für die Bedeutung des Wortes entnehmentao. Gegen diese Interpretation spricht weiter nicht nur das Fehlen von l)arallelen, sondern auch die Unmöglichkeit, sich unter der Frage '116fLO'll OU'II X(l('t'(l(PyoüfLE'I/; irgend etwas vorzustellen. Nachdem V. 27 von der "Ordnung" des Glaubens die Rede war, kann V. 31 kaum das Beseitigen jeder Ordnung befürchtet werden.
3. Hingegen ist zu fragen, ob nicht Paulus gerade an den v6(J.o<; 'tij<; als eigentliche Erfüllung des Gesetzes gedacht haben könnte. Im Gesetz des Glaubens als eigentlichem Ziel des Gesetzes wäre der "nomos" ja gerade nicht beseitigt, sondern aufgerichtet140. n(aTE:w<;
Diese Auslegung schlösse wie die vorangehende und die folgende die Konsequenz in sich, daß R. 4 nicht unmittelbare Entfaltung des in R. 3,31 gestellten Themas wäre. V. 31 stünde dann als zunächst nicht aufgenommenes Motiv für sich. Dies braucht aber nicht zu stören, denn daß Gedanken bei Paulus nur anklingen und erst später ausgeführt wer.den, ist häufigl41 • In diesem Fall wäre das 3,31 angeschnittene Thema R. 12, 1If., vor allem R. 13, 8ff. wieder aufgenonlmen. Doch erheben sich andere Bedenken gegen diese Auslegung. R. 10, 4 spricht gegen die Möglichkeit, daß bloßes "nomos" das Glaubensgesetz meint. Vor allem aber findet sich die Bezeichnung "nomos tes pisteäs" in dieser Abbreviatur sonst nie mehr; R. 8,2; GI. 6, 2; 1. K. 9, 21 oder gar R. 13,8 meinen so verschiedene Dinge, daß sie kaum einfach unter einer solchen Chiffre Zllsammengefaßt werden m Wilckens, EvTh 24 (1964) 591 sucht dieses Argument mit dem Hinweis zu entkräften, daß eben das bloße "nomos" von V. 27f. noch nachwirke. 18. Zahn, Röm. 211f. spricht von einem sittlichen Grundgesetz; Barth, Röm.' 92 von "Gesetz ... , Bibel ... , Religion in ihrer Wir.klichkeit". Für F. C. Baur, Paulus H, 209 sind "nomos ergän" und "nomos pisteäs" nur Spezifikationen des allgemeinen, als "nomos" bezeichneten Gottesverhältnisses. 130 V gl. o. A. 26. uo Z. ß. Kühl, Röm. 124. 1291'1'. (dRs Gesetz des Glaubens als "göttliche Ordnung", aaO 131); Gaugier, Röm. 1,92 (das vom Glaubensgehorsam erfüllte Ge· setz); Barth, Kurzer Röm. 57 (Jesus Christus als "Summe und ... Inbegriff des Gesetzes [Kap. 10,4]"); Kuss, Röm. 178 (das Evangelium als Ziel des alttestamentlichen Gesetzes); ähnlich auch schon Luther, vgl. die Auslegungsgeschichte bei Lütgert, Römerbrief 62f. 1&1 Vgl. o. A. 105.
4. Gesetz, Verheißung und Geschichte (R. 4 .. GI. 3)
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könnten. Entsprechend stellen sich denn auch die Ausleger unter dem Glaubensgesetz je etwas Verschiedenes vor. Richtig ist aber jedenfalls der Hinweis, daß "nomos" in V. 27-31 möglichst einheitlich verstanden werden muß. Da "nomos tes pisteös" weder ein spezifisch christliches Gesetz meint'" noch einfach die mosaische ToraUl, bleibt nur die Möglichkeit, "nomos tes piste5s" als bewußt paradoxen Ausdruck, mithin, "nomos" in Anführungszeichen zu verstehenll4 • Dann aber ist der Weg frei, "nomos" im übrigen einheitlich, nämlich auf die mosaische Tora zu deuten.
4. Meint "nomos" die mosaische Tora, so ist doch die Interpretation des Satzes 3,31 noch keineswegs klar. Klar ist lediglich die Frage: Wenn die Gesetzeswerke nichts zur Rechtfertigung beitragen, was soll denn das Gesetz? Wenn Gott unterschiedslos gesetzesfromme Juden und gesetzlose Heiden rechtfertigt, ist dann nicht das Gesetz abgetan? Das bestreitet Paulus. Da in R. 3, 31fin. vorläufig nicht weiter ausgeführt wird, woran Paulus bei der Aufrichtung des Gesetzes dachte, können wir dies nur aus der Fortsetzung des Römerbriefs versuchsweise erschließen. Etwa an das dazwischen hineingekommene Gesetz, das die Sünde zum Überfließen bringt (R. 5, 20)? Diese Deutung ist allerdings nur dann möglich, wenn Paulus R. 5, 20f. dem Gesetz einen· positiven Sinn geben, es also nicht einfach als eine unwichtige Nebensache erweisen will. Oder an R. 7, 7ff.? Das ist aber nach R. 7, 6 kaum denkbar. So wird man wohl am ehesten an R. 8, 3f., die Erfüllung des Gesetzes durch die Sendung Christi zu denken haben146• Doch bleibt dies hypothetisch. Für uns ist jedenfalls wichtig, daß sich Themastellung und Aufriß von R.4 nicht aus R. 3, 31 ergeben. Dieser Vers ist vielmehr Zwischengedanke. Doch haben wir uns nun dem vierten Kapitel selbst zuzuwenden. Zunächst versuchen wir, aus dem Aufriß des ganzen Kapitels sein Thema zu erarbeiten. Sodann fragen wir, wieso dieses Thema anhand der Gestalt Abrahams dargestellt wird.
B. Aufbau und Thema von R. 4 R. 4 gliedert sich in drei, allerdings eng zusammenhängende und ineinander übergehende Teile: V. 1-8, V. 9-16 und V. 17-25. Das Kapitel ist mit ~( oov ~POÜfJ.tv eingeleitet. Diese Wendung markiert bei 111 Vgl. dazu die Ausführungen von Ftiedrich. ThZ 10 (1954) 406f. ... Nach R. 2,23 ist das wohl ausgeschlossen. Friedrich, ThZ 10 (1954) 415 denkt an das mosaische Gesetz, insofern es den Glauben vorhe"erkündigt (3, 21). Das würde heißen, daß Pis. ohne weitere Erklärung den R. 3, 21 mit v6(Lo,; bezeichneten Sachverhalt hier mit ~PYII v6(Lou, den dort mit v6(LO'; xlll npo'l'ijTIIL wiedergegebenen Sachverhalt hier mit v6(Lo,; Tij.; n[<1TE
174
Ilf. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
Paulus deutlich einen Neueinsatz148 • Mit ihr beginnt jeweils die Widerlegung einer unmöglichen Schlußfolgerung eines - meist nicht wirklichen, sondern angenommenen l47 - Gesprächspartners. Dessen Position wird in Form einer Frage geboten. Hier lautet sie: Hat es unser V orvater Abraham nach dem Fleische gefunden148 ? Im folgenden Satz wird diese These nochmals aufgenommen: Wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, dann hat er Ruhm 149 • Aus diesen beiden zu widerlegenden Sätzen läßt sich das Thema von R. 4 ablesen: Es geht darum, zu zeigen, daß es Abraham nach dem Geiste "gefunden" hat, d. h. daß er aus Glauben gerechtfertigt wurde. Damit ist das Thema von R.3, 21ff., insbesondere von R. 3, 27f. aufgenommen,
UI Vgl. R. 6, 1; 7,7; 8,31; 9,14.30. l\Iit Ausnahme der Stelle 8,31 steht die Wendung immer am Anfang und für sich, ohne weitere Objekte. Gegen Nestle ist wohl auch an unserer Stelle Wp'I)XevllL 'Aj3pllaIL 'tov npomx...opll -I)ILwv xll'ta CJ
4. Gesetz, Verheißung IIftd Geschichte (R. 4; GI. J)
175
nicht das von R. 3, 31160 • Den Beweis führt Paulus mit Hilfe des rabbinischen Schlußverfahrens der Gezera Sawal51 • Voraussetzung des Beweises ist eine doppelte: Daß die paulinische Antithese von Glauben und Werken162 auch auf Abraham anwendbar und daß der Glaube Abrahams von demjenigen der Christen nicht verschieden ist153• Paulus läßt also die Schrift und die Abrahamgeschichte von den V oraussetzungen und Fragen seiner eigenen Gegenwart aus sprechen. Hatten V. 1-8 die Aufgabe, zu zeigen, daß Abraham aus Glauben gerechtfertigt wurde, so geht es 9-16 darum, daß er allein aus Glauben gerechtfertigt wurde, mithin, daß Rechtfertigung aus Glauben jedes andere Rechtfertigungsprinzip ausschließt. In zwei Gedankengängen legt Paulus dies dar. Die Verse 9-12 schließen an 3,29f. an. Wenn Abraham nicht nur Vater der Beschnittenen, sondern auch der Unbeschnittenen ist - das zeigt Paulus, indem er darlegt, daß der Makarismus Ps. 32, H. dem unbeschnittenen, nicht dem beschnittenen Abraham gilt16t -, dann kann er allerdings nur so ihr Vater sein, daß sie glauben. Es geht also darum, daß Abraham zwar Vater beider Menschengruppen ist, aber nicht Vater der Heiden aufgrund seines Glaubens und Vater der Juden aufgrund seiner Beschneidung, sondern Vater beider aufgrund seines Glaubens. Dabei ist allerdings vorausgesetzt, daß V. Uf. zu übersetzen ist: " ... damit er Vater der Glaubenden sei durch die Vorhaut, damit ihnen die Gerechtigkeit zugerechnet werde, und Vater der Beschneidung, denen, die nicht nur aus der Beschneidung allein (sind), sondern (denen), die in den Spuren des Glaubens ••. Abrahams wandeln" Dieser übersetzung gelingt es allerdings nicht, das zweite TOr~ (V. 12) befriedigend zu erklären, das entweder gestrichenlU oder als stilistische Nachlässigkeit des Paulus in Kauf genommen werden muß. Inhaltlich läßt sich die Stelle von R. 2, 28f.; 9, 6ft'.; 11, 2ft'. her gut verstehen'''. Gemeinsame Stichworte: )(cxöX"lJ.cx/)(cxöx"a~ (3,27; 4,2); fpyov (3, 27f.; 4,2); (3, 27ft'.; 4, 5, vgl. 3); 8txcxtoüV (3, 28; 4, 2). 11' Vgl. ]eremias, Gedankenführung, Abba 27111'. ... Sie wird in V. 4f. einfach vorausgesetzt, vgl. o. S. 147 und A. 46. , .. Vgl. o. A. 11 369, zu R. 4, 23-25 auch 11 6 Ab. 15& Die Argumentation entspricht der jüdischen, die aufgrund der erst im hohen Alter vollzogenen Beschneidung Abrahams diesen Vater der Proselyten sein läßt, vgl. Str.-B.· III, 197 (Mek. Ex. zu 22,20). Der Beleg ist allerdings vermutlich relativ spät. Vgl. zur Möglichkeit, sachliche Priorität durch zeitliche auszudrukken, auch den jüdischen Grundsatz Mek. Ex. 12, 1: .. Jeder, der in der Schrift voral}geht, geht auch in Wirklichkeit voran". Weitere Parallelen zum Grundsatz: Das Altere ist das Wahrere beil. Weiss, Das Urchristentum, Göttingen: Vandenhoeck 1914,333. Vgl. ferner u. S. 182. 184f. und A. 186, S.203. UI Kühl, Röm. 141; Kuss, Röm. 186. Michel, Röm. 120 A. 2, versucht eine Verbesserung. ... Eine andere Übersetzung wird von L. Cerfoux, Abraham, ,P~re en circoncision' des Gentils, in: Recueil L. Cerfaux 11, Gembloux: Duculot 1954, 333-338, dort 33511'. vertreten: 110
7t!aTt~
176
I II. Die abgetane Vergollgenheit: Gesetz und Geschichte
Dasselbe sagen - nunmehr in der theologischen Terminologie des Paulus167 - die Verse 13-16: Rechtfertigung aus Glauben schließt Rechtfertigung aus dem Gesetz aus, damit aus Gnade jedermann, der "aus dem Gesetz" stammende Jude und der mit Abraham durch den Glauben verbundene Heide, gerechtfertigt würde. Damit ist der Skopus von V. 13-16 (17a) angegeben. Im übrigen bestehen mannigfache Schwierigkeiten. Sie kommen° davon her, daß Paulus zunächst vom Beispiel "Abraham" her mit den Juden sich auseinandersetzt, dann aber V. 13-16 abschließend und den Ertrag nochmals zusammenfassend in eigenerTerminologie das Fazit zieht und entsprechend sehr kurz und knapp argumentierttU. In V. 13-15 und V. 16 liegt ein verschiedenes Nomos-Verständnis vor: Ist zunächst an ihn als in die Sünde führende, vom Menschen pervertierte Macht gedacht - Pis. führt diese Gedanken anderswo aus (2, Iff.; 5,13. 20f.; 7, 7!f.; GI. 3, 17ff.) -, so denkt V. 16 an den "nomos" als Kennzeichen für die volksmäßige Existenz des Juden. "Epaggelia" ist in V. 13 zunächst Abraham zugesprochenes Heilsgut, in V. 14 aber durch den "nomos" in Frage gestelltes Heilsprinzip, dessen Gewißheit (V. 16) erhärtet wird. Damit aber steht in V.16 kein Ausdruck mehr für das Heilsgut (vgl. V. 131) zur Verfügung, das "ek pisteäs" jedem Menschen zukommt, was zu den bekannten Formulierungsschwierigkeiten führte. In gleicher Weise ist "pistis" V. 16 nicht nur GegensatzoZu "nomos" (16a), sondern bezeichnet auch im Gegensatz zur volkshaften Existenz des Juden diejenige des Heiden (V. 16b), entspricht also auch der "akrobystia".
In V. 17-25 wird der Glaube Abrahams näher beschrieben. Abraham glaubte Gott, indem er gegen allen Anschein auf die Verheißung, wider alle Hoffnung auf Hoffnung baute. Darin steht er in keiner andern Situation als die Christusgläubigen nach ihm, um derentwillen von Abrahams Glauben die Rede war. " ... damit er Vater aller Gläubigen sei durch die Vorhaut, damit ihnen die Gerechtigkeit zugerechnet werde, und Vater der Beschneidung, nicht nur denen aus der Beschneidung, sondern auch denen, die in den Spuren des Glaubens ... Abrahams wandeln". Die Schwierigkeit dieser übersetzung besteht zunächst in der Stellunt von oö 1L6vov, vgl. V.16; die von Cerfaux aaO 337 angegebenen Parallelen . 17,20; 2. Tm. 2, 20 sind in Wirklichkeit keine solchen. V. 12 ist dann wohl G ube nur der spezifische Heilsweg der Heidenchristen; dann aber ist es unnötig, daß Pis. die Beschneidung als Siegel der Glaubensgerechtigkeit bezeichnet (V. 11a). Außerdem würde der Anschluß an V. 13ff. schwierig. Pis. kann hier aber einfach mit ylip anschließen. So ist wohl trotz der erwähnten Schwierigkeiten die oben gegebene übersetzung vorzuziehen. Außerdem entspricht so die Pointe von V. 9-12 genau dem 3, 30 geäußerten Gedanken. m Während das Motiv eier Beschneidung Pis. aus der Gesprnchssituation mit dem Judentum zugekommen zu sein scheint (vgl. ll. A. 173), argumentiert er in V. 13ff. in eigener Sprache. Die beiden - sachlich parallelen - Argumentationen sind mit ycip locker zusammengefügt. 108 Mit Recht wird der parenthetische (Sanday-Headlam, Röm. 111), sentenzen· artige (Michel, Röm. 122, bes. A. 3 und 5) Stil von V. 14f. hervorgehoben.
4. Gesetz, VerheißlI1lg II1ld Geschichte (R. 4,. GI. J)
177
Thema von R. 4 ist die Rechtfertigung aus Glauben, die 8~xtX~oaUVYJ ~x 7t(C;, also eine Sache, die Paulus auch sonst mit Hilfe der Schrift erörtern kann (vgl. R. 1, 17; 10, 4ff.; 1. K. 1, 30f.; GI. 3, 6ff.). Thema von R. 4 ist nicht die Geltung des Alten Testamentes, das dadurch legitimiert wäre, daß es auch schon von der Gerechtigkeit Gottes· spricht. Auch in unserm Kapitel muß die Autorität des Alten Testamentes nicht erst erwiesen werden. Diesem negativen Befund entspricht unsere Auslegung von R. 3, 31. Thema von R. 4 ist aber auch nicht Abraham selbst, der von Paulus dann gleichsam zu einem Christen und dessen Geschichte zu einem Stück christlicher Geschichte im voraus gemacht würde. Thema von R. 4 ist auch nicht der Nachweis, daß die Gerechtigkeit aus Glauben keine neue Gerechtigkeit sei169• Die Blickrichtung von R.4 ist vielmehr gerade umgekehrt: PalllllS bliGkt nicht allf Abraha'H, sondern 11,it Hilfe Abraha'Hs blickt er allf "lmS", denen d,,' Glallbe z"r Gerechtigkeit angerechnet wird. Thema r'on R. 4 ist die Rechtfertigllng als einziger Heil.rweg, mithin nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. C. Abraham im Jlldentum lind bei PaIIllIS
Diese grundsätzlichen feststellungen aber rufen Fragen: Ist denn Abraham gleichsam zufälliges Demonstrationsobjekt der Gerechtigkeit aus Glauben? Was hat es denn zu bedeuten, daß an ihn die Verheißung erging und daß an ihm dieser Glaube aufleuchtete? Kommt denn nicht Abraham immer schon als Glied der Geschichte Israels und damit als ein von Israel Beanspruchter in Betracht? Wenn nicht die Geschichte selbst in R. 4 zum Thema wird, könnte es dann nicht sein, daß die Geschichte eben dadurch, daß an Abraham die gegenwärtig eröffnete Gerechtigkeit aus Glauben erörtert wird, gleichsam sekundär thematisch wird? Oder noch genauer: Wäre es vielleicht so, daß eben darum, weil von der gegenwärtigen Gerechtigkeit Gottes die Rede ist, die Geschichte, als deren Herr sich Gott offenbart, mit zum Thema werden muß? Wir fragen deshalb, wieso und in welcher Weise die Glaubensgerechtigkeit von Paulus am Beispiel Abrahams erörtert wird. Zunächst liegt auf diese Frage eine Antwort auf der Hand. Paulus befindet sich im Gespräch mit dem Judentum. Wir haben also zuerst nach dem jüdischen Abrahambild zu fragen, das Paulus vor Augen stand l80 • 111 V gl. Klein, EvTh 23 (1963) 429 A. 20 • ... Dazu vgl. P. Bil/erbet/e, Abrahams Leben und Bedeutung nach Auffassung der iIlteren Haggada, Nathanael15 (1899) 43-57.118-128.137-157.161-179; 16 (1900) 33-57.65-80; Str.-B. I, 116-121; III, 186-201. 203-209; O. Se"lIIit~, Abraham im
178
IIf. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
1. Abraham galt als hervorragender Gerechter. Die Tora war damals ungeschrieben, aber bekannt, und Abraham kannte und hielt mehr Teilc dcr Tora als den Späteren bekannt waren lll • übcr ihn hat der bösc Trieb keine Macht 162• Er hielt die Gebote und blieb treu in Versuchungen, darum wurde ihm die Verheißung gegcbcn lOl • Das Verdienst, das er sich durch seine Gcrechtigkeit, besondcrs durch seinen Gehorsam bei dcr Opferung lsaaks erwarb, kommt seincn Nachkommen zugute ll4 • Als Vertreter mancherlci Tugenden, dcr Gercchtigkeit und der Gelchrsamkeit, schildert ihn vorab das hcllenistische Judentum'·'. 2. Auch von Abrahams G/ollbm war· viel die Rede. Schon in seiner Jugend fiel Abraham durch seinc Gotteserkenntnis auf und wurde zum Künder des wahrcn Gottes untcr scincn hcidnischcn jI.-lithürgcrn'ßß. Vor allcm aber werden unermüdlich Taten und Situationen aufgeznhlt, in denen Abraham als mO",,6~ crfundcn wurde, wobei die Opferung Jsaaks die Kronc der Treuc und des Glaubens Abrahams bildet..•. Jedenfalls ist Abraham gerade als Gerechter gläubig und sein Glaube gehört mit zu scinen Tugcndcn'''. Auch Philos Betrachtungen über dcn Glauben Abrahams ordnen sich trotz mancher J-Jellcoisierungcn dem Verständnis des Glaubens als Tugend ein"". 3. GII. t 5, 6 kommt in der altjüdischcn Literatur zwar nicht schr häufig, aber doch gelegentlich vorlTO. Auffällig ist abcr, daß auch hier der Glaube Abrahams als Gott wohlgefällige Tat und damit in den Kategorien eines Verdienstcs interpretiertwird. 4. Hier soll noch auf eincn viel zu wenig bcachteten Unterschied zwischen dcm Spät judentum und Urchristentum, in: Aus Schrift und Geschichte, Festsehr. A. Schlatter, Stuttgart: Calwer 1922,99-123; M. /)ibelius-H. Gree/lel" Der Brief des Jakobus, Meyer K. 15, 10. AuA. Göttingen : Vandenhoeck 1959, 157-163; Sandmel, Philo's Place 35ff., zu Abraham bei Philo 96ff.; Dietzfelbinger, Paulus und das A. T., bes. 8ff. ... Sir. 44,19; Jub. 23, 10; Sib. 3, 218ff.; s. Bar. 57, 2; 1'hilo Abr. 271; CDC. 3, 2f., spätere Belege bei Str.-B. IJJ, 186f. 204ff. Zu Abrahams Torakenntnis vgl. Jub. 11, 16ff.; 12,27, weitere Belcge bei Schmitz, Abraham, Festschr. Schlatter 104.106; Dibelius Jak. 161 und u. A. 166. m BB. 17a, vgl. Str.-B. 1.815; IB, 187. m 1. Makk 2, 52; Jub. 17, 17f.; 19, 3f. 8; Sir. 44,20; Jdt. 8,26; Pirq. Ab. 5, 3f.; Pseud. Philo Ant. BibI. (vgl. o. A. 1I 380) 32, zr.; Dibelius, Jak. 158ff.; SandmeI, Philo's Place 87. Die Vcrsuchung bestand dabei meistens aus dcr Opfcrung Isaaks; später wurde das Motiv ausgebaut. Zu den Vcrheißungen vgl. o. A. 11 151-153. m Jos. Ant. 13, 1ff.; Str.-B. I, 117ff.; Sandmcl, Philo's Place 90ff. , .. Zu seiner Gelchrsamkeit vgl. Jub. 11, 16ff.; Schmitz, Abraham. Festschr. Schlatter 109; zu sciner Gastfreundschaft: Schmitz aaO 108 A. 2; 1. CI. 10,7; zu seiner Gerechtigkeit: Sap. 10, 5ff. und o. A. 161; zu seiner übcrredungs- und Urteilskraft: Schmitz aaO 110. Zum Rabbinismus vgl. Sandmel, Philo's Place 81ff. 100 Jub. 11, 16ff.; Apk. Abr. 1-8, vgl. Schmitz, Abraham, Festschr. Schlatter 105f.; Str.-B. IlI, 193f. m VgJ. Hb. 11, 8f. 11. 17; 4. Makk. 16,20; Jub. 17, 15-18; Sir. 44, 20; vgl. auch o. A. 164. "" Vgl. Dibeli~ls, Jak. 160f.; Dietzfelbinger, Paulus und das A. T. 15; Löwy, MGWJ 48 (1904) 271f.; Sandmcl, 1'hilo's Place 82; Str.-B. IlI, 197f.; 1. CI. 10, 1If., bes. 71 Bei 1'hilo vgl. auch etwa Prrem. Peen. 27; Virt. 216. m Außer den o. A. 168 gcnannten Belcgcn vgl. noch Str.-B. IU, 193; Schmitz, Abraham, Festschr. Schlatter I11ff.; Dibe1ius, Jak. 160f. _ ... 1. Makk. 2, 52; 1. CI. 10,6, vgl. Barn. 13,7; weitere Belege bei H. W. Heit/land, Die Anrechnung des Glaubcns zur Gcrechtigkeit, Diss. Zürich 1936,99-102; Str.-B. lIl, 19ff.; bei Philo vgl. Abr. 262; Rer. Div. Her. 90; Deus. Imm. 4; Leg. All. 3, 228.
4. Gesetz, VerheißfIng und GmhiclJle (R. 4; GI. 3)
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Abrahambild des frühen Rabbinates, das seine Parallelen im Abrahambild der weisheitlichen Schriften des Spät judentums hat, und dem Abrahambild der apokalyptischen Schriften hingewiesen werden. Im Rabbinat kann Abraham Beispiel oder Vertreter einer bestimmten Tugend sein oder in der Hag~ada kann auch ganz einfach das Bild der Abrahamgeschichte weiter ausgemalt werden. Merkwürdig ist aber, daß der Gesichtspunkt der Erwählung Abrahams im Rabbinat stark zurücktritt. Ausschließlich in der Apokalyptik jedoch finden wir m. E. Abraham als Bestandteil einer Heils- oder vielleicht noch besser: einer Erwählungsgeschichtel".
Blicken wir von hier aus auf R. 4, so wird uns klar, wie grundlegend die Auseinandersetzung mit dem Judentum und seinem Anspruch ~LUf Abraham für unser Kapitel war172 • Schon R. 3, 27ff. war stark als Gespräch stilisiert, und R. 4, 1ff. läßt vollends deutlich werden, daß Paulus jetzt in ein solches eintritt. Partner dieses Gesprächs ist das Judentum. Die Nötigung, von Abraham zu sprechen, kam VOll dort her, denn im Judentum war Abraham in hervorragender Weise Vertreter des Glaubens. Sogar Gn. 15,6 als Basis der Argumentation ist vielleicht aus dem Judentum übernommen. Andererseits aber war Abraham im Judentum ein so exemplarischer Vertreter der Werkgerechtigkeit, ja gerade der Glaube wurde so sehr als verdienstliches Werk verstanden, daß nicht nur Anknüpfung, sondern auch Widerspruch des Paulus sich so verstehen lassen. Auch das Thema der Beschneidung war Paulus vom Judentum her gestellt l '3. 171 Äth. Hen 89, 10ff., vgI. 93,5; s. Bar. 4,4; 57, H.; vgI. 4. Esr. 3, 13f. und Rüssler, Gesetz und Geschichte 63f. Zur Erwählungsgeschichte in der Apokalyptik vgl. auch o. A. II 140; A. 11193; A. 11371; A. 11 373; A. III 71; :rum Geschichtsverständnis der Apokalyptik im ganzen u. IV 1. Der Begriff "Erwählungsgeschichte", den Wilckens, Rechtfertigung, Festschrift v. Rad 123; ders., Ev Th 24 (1964) 601, im Zusammenhang mit R. 4 einführt, scheint mir jedenfaUs viel besser auf diese apokalyptische Konzeption als auf R. 4 zu passen. Die Abrahamepisode erscheint ja in R. 4 nicht als "Geschehen am Anfang der Erwählungsgeschichte" (Wilckens, Rechtfertigung, Festsehr. v. Rad 123), sondern, wie noch zu zeigen sein wird, als kontingentes Geschehen der Vergangenheit ohne direkte Vor- oder Nachgeschichte. Allenfalls könnte R. 9, 6ff. von Erwählungsgeschichte gesprochen werden, vgI. o. S. 64f.; bei R. 4 ist der Ausdruck m. E. mißverständlich, da hier Abraham nicht als "Anfang" einer Reihe von freien Gottestaten gesehen ist. Natürlich denkt sich die apokalyptische Erwählungsgeschichte Gottes Handeln gerade nicht als kontinuierliches und in diesem Sinn aufweisbares Weitergehen in der Geschichte, sondern als Gegenüber von jeweiligem Handeln Gottes und kontinuierlichem menschlichem Ungehorsam in der Erstreckung der Zeit. Wilckens, Rechtfertigung, Festschr. v. Rad 122f., argumentiert denn auch in der Tat von R. 9, 6ff. her. UI VgI. auch Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 4H.; Barrett, Fint Adam 31 und o. A.147. ". Zur Beschneidung im Judentum vgl. R. Meyer, Art. mp~T~V-_ XTA., ThW VI, 72-83, dort 77ff.; auch acpp<xy(~ wird die Beschneidung im Judentum häufig genannt, vgl. die Belege bei E. Dink/er, Jesu Wort vom Kreuztragen, in: Neutestamentliche Studien für R. Bultmann, BZNW 21, 2. Auß. Berlin: TöpeImann 1957, 110-129, dort 121 A. 51; G. Fi/~er, Art. acpp<xy(~ XTA., ThW VII, 939-954, dort 947, 16ff. Der älteste Beleg scheint allerdings erst auf R. Akiba :rurückzugehen
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1I1. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz lind Geschichte
Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Pau/us befindet sieh hier im Gespräch mit einem Judentum von frührabbinischem Typus. Dort wurden die Themata von R. 4 besonders intensiv behandelt. Wie im rabbinischen Judentum kommt der Vater Abraham in R. 4 nicht als Glied einer vor ihm und nach ihm sich erstreckenden Geschichte in den Blick, sondern als Individuum ist er für die Gegenwart bedeutsam. Im rabbinischen Judentum ist Abraham in erster Linie Vertreter einer Sache, Beispiel für sie. Auch in R. 4 wird Abraham zunächst formal als Beispiel verstanden werden müssen, als Beispiel für die Rechtfertigung allein aus Glauben, wobei sich Abrahams Glaube und der Glaube der Christen nicht unterscheiden 17l• Dem entspricht die Art der Argumentation: Wie die Rabbinen so arbeitet auch Paulus mit dem Schriftbeweis und bedient sich rabbinischer Auslegungsmethoden. Der Apokalyptik ist dagegen der eigentliche Schriftbeweis mit Zitat und Auslegung fremd. Die Bestimmung Abrahams als Beispiel bleibt aber formal und wird von der Sache her sogleich durchbrochen. Dies gilt schon im Blick auf die Verse 9-12, die ja in der Tat Abraham nicht einfach als zeitloses Beispiel, sondern als "unverwechselbares Individuum einer kontingenten Vergangenheit" betrachten176• Doch hier ist lediglich (Str.-B. III, 120), doch ist der Sprachgebrauch später verbreitet und dürfte traditionell sein. Möglicherweise argumentiert hier PIs. überdies parallel der jüdische:n Argumentation für die Rechtfertigung der gerade damals blühenden Proselytenmission von Abraham her, vgl. o. A. 154. m Vgl. o. A. 11369. Als Beispiel für die Rechtfertigung aus Glauben bezeichnen Abraham z. B. Bultmann, Typologie, Exegetica 377; Fuchs, Theologie und Jesus, Aufs. 11, 388f.; Klein, EvTh 13 (1963) 435. 441f.; Conzelmann, Theol. 190. Häufig wird Abraham in R. 4 als Typos im Sinne der Typologie bezeichnet, z. B. bei ~ygren, Röm. 127; Michel, Riim. 115; Dinkler, Präde.~tination, Fcstschr. G. Dehn 84f.; Goppelt, Typos 16411".; ders., Apokalyptik und Typologie 279f.; Wilckens, Rechtfertigung, Festschr. v. Rad 122 ("paradigmatisch-typologisch"); Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 10. Natürlich ist die Frage, ob man Abraham hier als Typos Dezeichnen solle, auch eine Sache der Sprach regelung, dazu vgl. o. S. 52f. Gegenüber den dort beschriebenen Eigenschaften der typologischen Gegenüberstellung fehlt hier einiges: Abraham wird kein klar bestimmbarer Antityp gegenübergestellt (die Christen?, Gott? [so Fuchs, Hermeneutik 196f.]); es fehlt mindestens explizit das Moment der überhöhung (vgl. aber o. S. 114); vor allem aber fehlt der für die Typologie charakteristische (vgl. o. S. 56. 60) Hintergrund der Zwei-Aonenlehre. Dazu werden die beiden "Typen", Abraham und wohl die Christen, gar nicht direkt Thema, und es dient nicht der Typos der Darstellung und Qualifizierung des Antitypos, sondern Thema ist ein beiden .. Typen" Gemeinsames: die Gerechtigkeit aus Glauben. All das läßt es doch wohl als untunlich erscheinen, in R. 4 von Abraham als Typos zu sprechen. Allerdings steht R. 4 in verschiedener Hinsicht nahe bei 1. K. 10, 1ff. (vgl. Goppelt, Apokalyptik und Typologie 279), wo es ja auch bei den Vätern und den Christen um die gleiche Weise der durch Christus gewährten Heilssicherheit geht. Aber auch 1. K. 10,111". meinten wir, nur in eingeschränktem Sinn von Typologie sprechen zu können, vgl. o. II 6 A d. 1'6 Klein, EvTh 23 (1963) 435. Kleins Unterscheidung zwischen Abraham als "zeitlosem Symbolträger" in V. 3-8 und 17b-22 (aaO 431, vgl. 441) und seine:r
4. Gesetz, Verheißung und Geschichte (R. 4; GI. J)
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die Geschichte Abrahams selbst, also die Geschichte innerhalb des Abraharnbeispiels im Blick. Dazu kommt aber die BcoLeichnung Abrahams als Vater, die schon R. 4, 1 anklingt, dann aber V. 11f. und V. 16ff. thematisch wird. Und noch von einer andern Seite her wird die Bestimmung Abrahams als Beispiel durchbrochen: Die Gerechtigkeit aus Glauben ist ja an sich völlig analogielos und kann sachlich gar nicht im üblichen Sinn durch ein "Beispiel" illustriert werden, ohne daß dieses Beispiel selbst wieder Geschehen der freien Gnade Gottes würde. Damit ist aber das Beispiel nicht einfach neutraler Sachverhalt, der zur Illustration herangezogen und nachher wieder beiseitegelegt werden könnte, sondern es öffnet den Blick auf die Geschichte, in der Gott in seiner Gnade Beispiele gesetzt hat. Und so ist es sachgemäß, daß Paulus von der Glaubensgerechtigkeit Abrahams nicht als von einem nur Abraham betreffenden, von uns losgelösten Vorgang sprechen kann, sondern dieses Geschehen an Abraham geschah auch um unsretwillen (R. 4, 23f.). Denn wo in der Geschichte Gott zur Sprache kommt, ist dies immer schon ein die Gegenwart betreffendes Geschehen. Weil es Abraham wirklich mit dem gnädigen Gott zu tun hatte, geht uns seine Geschichte von vorneherein lln. Hinweis auf dieses "es geht uns an" ist für Paulus die Vaterschaft Abrahams, d. h. der Gottesvolkgedanke, der hier in einer völlig neuen Weise von dem her, was Abraham widerfuhr, d. h. von der Gerechtigkeit aus Glauben her, gefüllt wird. Daß eine solche Argumentation nur von der Erfahrung der in Christus eröffneten Glaubensgerechtigkeit her möglich ist, braucht nicht besonders betont zu werden178• Bei alledem bleibt aber Abraham "Beispiel" der Glaubensgerechtigkeit. Diese Kategorie ist nun nicht etwa überholt und durch unsere überlegungen beiseitegeschoben. Auf dem Felde der Geschichtsbetrachtung zeigt sich der Beispielcharakter in der völligen Isolierlheil Abrahams gegettiiber seiner sichtbaren Vor- und Nachgeschichle. Es wird nicht darüber reflektiert, ob es vor Abraham schon eine Geschichte des Glaubens gegeben habe 177• Es ist hier - im Unterschied zu Relevanz unter geschichtlichem Aspekt in den Versen 9-12 und 13-17a scheint theoretisch. Klein berücksichtigt m. E. zu wenig, daß bereits in V. Iff. Abraham als "Vorvater" zum Zuge kommt und daß andererseits der geschichtliche Aspekt in V. 9ff. nicht um seiner selbst willen, sondern um der Exklusivität der dargestellten Glaubensgerechtigkeit willen auftaucht. So dürfte sich das Abrahambild von R. 4 doch als einheitlich erweisen und die von Klein festgestellten Unausgeglichenheiten sich von seinen eigenen (sc. Kleins) Denkvoraussetzungen her notwendigerweise ergeben. Zur Sprengung der Kategorie "Beispiel" vgl. auch o. S. 46. 69. 71. 76. 81f. und u. V 3 a. 171 Vgl. auch o. S. 115f. Zur völligen Neukonzeption des Gottesvolkgedankens von der Verheißung her vgl. auch o. A. I1143; u. V 2; V 3 e• ... Anders als etwa Sir. 44, 1611'. und die o. A. 171 gegebenen Belege. Dietzfelbinger, Paulus und das A. T. 16 A. 13, weist besonders auf das Fehlen Henochs hin.
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I/l. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
R. 9, 6ff. - völlig belanglos, ob und über wen die Geschichte der Gerechtigkeit aus Glauben nach Abraham weitergegangen ist. Die zeitliche Differenz zwischen der Verheißung an Abraham (Gn. 15,6; Ps. 32, H.) und der Beschneidung ist nicht als Bestandteil eines Geschichtsablaufs, sondern lediglich um der Ausarbeitung der sachlichen Priorität des Glaubens und um der rechten Interpretation der Beschneidung als "semeion" willen aufgenommen178 • Paulus argumentiert nicht von einem Geschichtsentwurf her; das zeigt sich auch daran, daß "peritorne" und "akrobystfa" in V. 13ff. ohne weiteres durch "nomos" und "pistis" aufgenommen werden, ohne daß eine historische Beziehung zwischen ihnen hergestellt würde. Weder die Zeit von Abraham bis zum Gesetz noch die Zeit vom Gesetz bis zu Christus tritt als solche in den Blick. Kurz, die Beispielhaftigkeit Abrahams in R. 4 zeigt sich in seiner absoluten historischen Isoliertheit. Diese hat positiven Sinn: Sie ist der Ausdruck der Kontingenz des Geschehens der Glaubensgerechtigkeit, das in keiner Weise in der Geschichte verfügbar gemacht werden darf, sondern Gottes freie Tat bleibt. Beispielhaftigkeit Abraha1!Js und paulinisch verstandener GottesI,olkgedanke stehen in R.4 durchaus nicht in Spanntmg ztteinander, sondern bedingen sich gegenseitig, als Ausdruck der Kontingenz und des Anspruchs der Tat des in der Geschichte sich offenbarende1l freielt Gottes. Diese Weise, wie Gott dem Menschen durch sein Handeln in der Geschichte zuvor ist, versucht nun Paulus begrifflich zu fassen. Er wählt dafür den ihm aus dem Judentum vorgegebenen Ausdruck t7tCx:yye:)..(cx.. D. Verbeißlmg lmd Gesetz;1t R. 4 tmd GI. 3, 15fJ. a) Schon früher haben wir uns mit der Verheißung be~chäftigt. Zweierlei fiel uns auP": "Epaggelia" ist eine in der Geschichte geschehene Größe, zugleich aber eine in der Gegenwart wirksame Macht. Beides gehört zusammen; Als vergangenes Ereignis ist "epaggelia" die Heilsgegenwart bestimmende Macht, und zugleich wird von der Erfahrung dieser gegenwärtigen Heilswirklichkeit her erst der echte Anspruch des vergangenen Wortes erfahren. "Epaggelia" bestimmt das Verhältnis von Gerechtigkeit Gottes und Geschichte dahin, daß Gott in der Geschichte sich selbst treu ist. Zweitens stellten \Vir fest, wie wenig Paulus am konkreten Inhalt der Verheißung interessiert war, wie sehr aber an ihrer Wahrheit. Nicht die Erfüllung der Verheißungen, sondern ihre Gewißheit in Christus ist ihm das entscheidende Anliegen. Auch eine Geschichte der Gerechtigkeit aus Glauben nach Abraham liegt in R. außerhalb des Blickfeldes paulinischer Reflexion. "Die Reihe derer, die nach Abraham als <11ttPJLct 'A(ßpct,xJL) in der 1t(J't'LC; leben" ist nach R. 4 nicht nur "merkwürdig dünn und völlig unanschaulich" (Dietzfelbinger aaO 23), nein, sie fehlt sogar völlig, denn es geht kaum an, mit Dietzfelbinger aaO den Makarismus Ps. 32, H, als Hinweis auf die Begnadigung Davids zu verstehen; nach Pis. ist ja dieser Makarismus gerade zu Abraham gesagt. ... Vgl.o.A.154. UI Vgl. 0.11 3 A Exkurs.
4. Gesetz, VerheißtIfIg tIfId Geschichte (R. 4,. GI. J)
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Versuchen wir, zusammenzufassen, was sich aus unserm bisherigen Verständnis von R. 4 für das Verständnis von "epaggelia" ergibt, so wäre zu sagen: "Epaggelia" zeigt, daß die Geschichte durch das Tatwort Gottes theologisch relevant wird. Dieses Tatwort Gottes geht nicht gleichsam in die sichtbare Geschichte ein, so daß es in ihr vorfindlich wird, sondern es bleibt als Wort ihr gegenüber180, so sehr es geschichtswirksam wird. "Epaggelia" markiert Freiheit und Kontingenz von Gottes Handeln in der Geschichte. "Epaggelia" zeigt, daß vergangenc Geschichte Gottes niemals in bloßer Sukzession zu übernehmen, sondern immer nur als gnädiger Zuspruch, mithin als Wortgeschichte hörbar werden kann. In seiner eschatologischen Ausrichtung weist der paulinische Verheißungsbegriff auf die Apokalyptik als religionsgeschichtlichen Hintergrund. Das ist angesichts des sonst in R. 4 vorliegenden eher rabbinisch geprägten Denkens des Paulus auffällig und zeigt, wie wenig ein Denker wie Paulus einfach einem schematisiert als apokalyptisch oder rabbinisch bezeichneten Hintergrund zugeordnet werden kann. Diesem spät jüdischen Hintergrund gegenüber sind nun die entscheidenden Änderungen festzuhalten, die bei Paulus zutage treten: Die Sprengung des Volksgedankens, die sich für Paulus daraus,' daß Gott das Heil aus Gnade und nur durch den Glauben schenkt, d. h. letztlich aus dem Wesen der Verheißung selbst, ergibt, und als Zweites das nunmehr antithetisch gefaßte Verhältnis zwischen Verheißung und Gesetz. Das Gesetz, das in V. 13-16 der Verheißung gegenübergestellt wird, ist in diesen Versen nicht primär als geschichtliche, d. h. als an einem bestimmten Punkt der Geschichte gegebene Größe gesehen, sondern primär als lebensbestimmendes Prinzip. ßLeX. v6tJ.ou (V. 13) heißt: durch die Werke des Gesetzes (vgl. 3, 27). V. 14f. spricht thetisch und lehrsatzartig einen allgemeinen Grundsatz aus, ohne sich speziell auf Abraham zu beziehen. Das zeigt schon der Wechsel des Tempus und die Gegenwartsform in V. 14f. Es ist also in diesen Versen nicht wie GI. 3 von der zeitlichen Differenz zwischen "epaggelia" und "nomos" die Rede1B1 • Entsprechend stehen die einander gegenübergestellten Größen auch nicht ganz auf der gleichen Ebene: Während "nomos" Vgl. o. II 3 D Nr. 2, ferner die o. Einl. A. 7 gegebenen Verweise. Das ergibt sich abgesehen von dem präsentisch-thetisehen Stil von V. 14f. auch aus V. 15b: Wäre hier primär an den Nomos als eine Größe, die eine bestimmte Geschichtsepisode beherrscht, gedacht, so meinte der Vers, daß in der Epoche vor dem Gesetz oder in der Epoche nach dem Ende des Gesetzes keine übertretung vorhanden ist, was im Zusammenhang offensichtlich nicht.paßt, vgl. Michel, Röm. 122f., und Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 37. Natürlich handelt es sich hier um Aspekte: Nomos bleibt das mosaische Gesetz, wird aber hier nicht primär geschichtlich betrachtet. Vgl. auch o. S. 176. IB.
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz 1IIId Geschichte
in V. 14f. primär sachliches Prinzip ist, bleibt die Verheißung vergangenes, in die Geschichte gesprochenes Wort Gottes. Gesetz und Verheißung als ungleichartig akzentuierte Größen lassen sich aber hier nicht einfach in einen Geschichtsentwurf nebeneinander einordnen. Weil "nomos" hier primär sachliches Prinzip ist, ist auch eine chronologische Verbindung beider Größen an unserer Stelle - anders als GI. 3 - nicht nötig. Der Einschub von V. 13--17a in das Abrahamkapitel erfolgte denn auch, weil Paulus die Ausschließlichkeit des Glaubens als Heilsprinzip für Beschnittene und Unbeschnittene, die er in V.9-12 mit aus dem jüdischen Abrahambild übernommenen Motiven klarstellte, nochmals in eigener theologischer Sprache grundsätzlich festhalten wollte. b) Anders scheint es sich in GI. 3, 15fJ. zu verhalten. Die sachlichen Unterschiede zwischen R. 4 und GI. 3 sind nicht zu leugnen: Während R. 4, 13ff. primär phänomenologisch orientiert ist, enthält der Begriff "nomos" in GI. 3, 17f. schon von GI. 3, 13f., aber auch von 3, 15f. eine stärkere geschichtliche Nuance182• Denn das von Paulus in V. 15ff. verwendete Bild aus dem menschlichen Leben183 macht dies vollends deutlich: An einem Vermächtnis, das einem andern einen Besitz zuspricht184, darf nichts geändert werden und kein Kodizill angefügt werden. In gleicher Weise vermag das Gesetz, das 430 Jahre nach der Verheißung erlassen wurde18 r., nicht, die rechtsgültige Verheißung außer Kraft zu setzen. Es besteht also hier eine chronologische Verbindung zwischen Verheißung und Gesetz. Nun muß aber eines sofort festgehalten werden: Diese chronologi-
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Vgl. o. S. 152f.
KIXTIX &v1}P(o)7tOV ),ey(o) ist hier wohl nicht wie etwa R. 3. 5; 1. K. 9,8 abwertend, sondern wie R. 6,19 neutral gebraucht, vgl. Schlier, Gal. 143; H. Ridderbos, The Epistle of Paul to the Churches of Galatia, Ncw London Comm., London: lviarshall, Morgan & Scott 1953, 130. "Ofl(o)~ dürfte wohl Ofl(7l~ = "gleichfalls" entsprechen, vg!. J. Jeremiaf, OMO}:;, ZNW 52 (1961) 127f.; vermutlich liegt eine falsche Akzentuierung eines Abschreibers vor. , •• E. Bammel, Gottcs ll~lXfHJKIJ (Ga!. IIT, 15ff.) und das jüdischc Rechtsdenken, NTS 6 (1959/60) 313-319 vermutet, daß das jüdische Rechtsinstitut der Mattanah dem Gedankengang des Pis. vorschwebt. Dann wiire an eine Schenkung gedacht, bei der der Besitz sogleiCh in die Hand des Begabten übergeht und der Donator lediglich ein NutznieBungsrecht bis zu seinem Tode besitzt. Bei dieser Rechtsform ist Rückgängigmachung ausgcschlossen, anders als bei den meisten Formen hellenistischen Rechts. Der für PIs. schwierige Gedanke, daß der Erblasser vor der Inkrafttretung des Testamentes gestorben sein muß, fällt dahin. Dieses Rechtsinstitut hat aber auch anderswo im Orient seinen Platz gehabt, vgl. die Belege bei Bammel aaO 315 A. 1f., und wäre hier mit hellenistischen Rechtsterminisehr allgemeiner Art (vgl. z. B. Oepke, Ga!. 77) formuliert. 185 Die Zeitangabe des Pis. stimmt nicht ganz mit der sonst üblichen Zeitrechnung zusammen, vgl. Str.-B. 11, 668fT., wird aber von ihm wohl einfach aus der Tradition übernommen und nicht gedeutet. Wichtig ist nur, daß das Gesetz "ach der Verheißung erlassen wurde, vgl. R. 4, 9fT. 188
4. Gesetz, Verheißung und Geschichte (R. 4; GI. J)
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sehe Verbindung erfolgt beiläufig und hat einen sachlichen Sinnl8e • Die Zeit vor dem Gesetz ist nicht anders qualifiziert als die Zeit nach dem Gesetz: Schon vom Bild V.15ff. her ist ausgeschlossen, daß Paulus damit gerechnet hätte, daß vor dem Sinai die Verheißung in anderer Weise am Werk gewesen wäre als nach dem Kommen des Gesetzes 187 • Es ist nicht so, daß eine bereits in Kraft gestandene Verheißung durch das Kommen des Gesetzes vorübergehend außer Kraft gesetzt worden und nachher durch Christus wieder in Geltung gesetzt worden wäre. Denn Christus war Abrahams "sperma" und nur er188• Vom Bild des Testaments her wäre zu sagen: Die Verheißung war immer in Kraft, aber offenbar - wie der Beschenkte zu Lebzeiten des Testators die Nutznießung über den ihm schon gehörenden Besitz noch nicht erhält - nicht wirksam. Es gibt also keine besondere Zeit der Verheißung vor dem Gesetz, so daß sich die 430 Jahre von der folgenden Zeit des Gesetzes nicht unterscheiden. Ganz entsprechend ist auch die Gesetzgebung in V. 19f. nicht als Katastrophe in die Heilsgeschichte eingeführt, die der Verheißungszeit ein Ende setzte. Verheißung ist auch hier ein zwar chronologisch bestimmbares, vergangenes, aber kontingentes, hinsichtlich seiner Wirksamkeit unaufweisbares Geschehen. Hier steht unsere Stelle auch nicht im Widerspruch zu R. 9, 6ff. und GI. 4, 21ff. GI. 4,21ff. werden die' beiden Frauen ja allegorisch auf die heiden Bünde gedeutet, d. h. es werden keinerlei Aussagen über sie als historische Personen gemacht. R. 9, 6-13 ist zunächst von GI. 3 zu unterscheidertl89 • Dort wird in erwählungsgeschichtlichen Kategorien die jeweilige Unverfügbarkeit von Gottes Handeln an seinen einzelnen Erwählungstaten gezeigt. GI. 3 hingegen ist die Geschichte nach Abraham der sichtbaren Wirksamkeit der zuvorgegebenen Verheißung direkt und R. 4 wenigstens indirekt entzogen. lsaak hat in GI. 3 keinen Platz, auch nicht Jakob und Gottes Handeln in Ägypten. Beide Denkschemata benutzt aber Paulus dazu, den Gottesvolkgedanken der sichtbaren Kontinuität zu entziehen. Überall braucht er zur Charakterisierung des vom Evangelium her nur als je kontingentes, gnadenhaftes Handeln Gottes hörbaren Geschehens das Wort "epaggelia". Es ließe sich also sagen: Obwohl die in den verschiedenen Texten verwendeten Vorstellungs kategorien zunächst nicht dieselben sind und sich in ihrer Beziehung zum Gottesvolkgedanken nur be••• Vgl. 7.Um Verhältnis chronologischer und sachlicher Kategorien auch H. Müller, Auslegung 124f., sowie o. A. 154. • 17 VgJ. Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 12 A. 22 . • 11 Vgl. U. V 3 b. ,.. Vgl. zum Verhältnis von R. 4, GI. 3, GI. 4, 21ft'. und R. 9, 6ft'. auch u. V3aund die A. V 57 gegebenen Verweise. Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 9ft'. 16ft'. 33ft'., spricht zu Recht von einem Nebeneinander verschiedener Denkformen.
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz
Nlld
Geschichte
rühren: Was durch die Begegnung mit allen vier Texten im Hörer t,eschieht, ist dasselbe: die Geschichte Gottes ist als Geschichte GoI/es der menschlichen Verfiigbarkeit entzogen.
Gerade deshalb aber, weil sich das Nachdenken des Paulus über Gottes gnädiges Handeln in der Vergangenheit um das Stichwort "Verheißung" konzentriert, stellt sich immer dringender die Frage nach dem - positiven - Sinn des Gesetzes. Diese Frage wird vor allem dort dringend, wo sich Verheißung und Gesetz als zwei auf derselben Ebene der Geschichte geschehene Ereignisse berühren, nämlich in Gl. 3. 5. Der Sinn des Gesetzes Es ist auffällig, daß die Frage nach dem positiven Sinn des Gesetzes bei Paulus nur in geschichtlichen Kontexten auftaucht und beantwortet wird. Dies ist von der Sache des Gesetzes her gegeben: Wäre "nomos" nur ein negatives, dem Glauben entgegenstehendes Prinzip, so wäre diese Frage mit der Entmachtung des Gesetzes erledigt und brauchte gar nicht behandelt zu werden. Da aber "nomos" immer das in der alttestamentlichen Geschichte von Gott durch Mose gegebene Gesetz ist, andererseits aber ohne Christus nie als wirklich heilsame Gottesgabe, sondern immer schon als vom Menschen verkehrt erscheint, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Gabe. Ist nicht das Gesetz im besten Fall überflüssig, vielleicht aber auch geradezu böse? Wollte Gott mit dem Gesetz wirklich das Böse wirken, das es faktisch schuf? GI. J, 19 wird diese Fr~ge von Paulus explizit gestellt. Seine vorläufige Antwort lautet: Der Ubertretungen wegen wurde es dazugegeben. Dieser Satz ist interpretationsbedürftig. Ist gemeint: Um den Übertretungen Einhalt zu gebieten? Damit wäre aber das Eingeständnis gemacht, daß das Gesetz unfähig war, sein Ziel zu erreichen. Auch wäre die an V. 19 anschließende Frage: "Istdenn das Gesetz gegen die Verheißungen?" unverständlich, wenn es sich bei ihm ebenfalls um ein - zwar wirkungsloses - positives Prinzip handelte. So bleibt eine neutrale Deutung möglich: Um die (schon vorhandenen) Übertretungen erkennbar zu machen190• Doch auch bei diesem Versuch bleibt der Anschluß von V.21 schwierig. Eine positive Deutung würde 1•• Z. B. O. SchI/tz, '1'l OÖIl b 116!Lo~; ThStKr 75 (1902) 5-56, dort 2111'.; Button, Ga!. 188. Brandt, Gesetz 23 harmonisiert die zum Vergleich in Frage kommenden Stellen R. 3, 19f.; 4, 15; 5, 20f.; 7, 7ff. unter ..Erkenntnis der Sünde durch das Gesetz". Etwas anders versteht Stalder, Werk 322: Das Gesetz hat die Aufgabe, die vorhandene Sünde zu verfluchen.
5. Der Sinn des Gesetzes
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lauten: Um die Übertretungen zu schaffen. Hier sind wieder verschiedene Nuancen möglich. Man könnte radikal sagen: Das Gesetz hat die Aufgabe, die ohne es nicht vorhandene Möglichkeit der Übertretung zu schaffen191 • Oder: die vorhandene Sünde zu vervielfältigen, indem die Zahl der Übertretungsmöglichkeiten durch das Gesetz vergrößert wird182• Auch wurde vorgeschlagen: Die Aufgabe des Gesetzes besteht darin, die Übertretung zu verwirklichen, indem es die Sünde aus einem latenten Zustand in einen aktuellen überführt198• Die Frage muß vorläufig offen bleiben, denn sie kann nicht ohne Betrachtung anderer paulinischer Stellen beantwortet werden. Die nächste Parallele ist R. 5, 20, wo ebenfalls in geschichtlichem Kontext die Frage nach dem Sinn des Gesetzes zwar nicht gestellt, aber doch beantwortet wird. Ebenfalls nahe verwandt scheint R. 7, 7ff. zu sein. Im weitern sind R. 3, 20; 4, 15 und 9, 30ff. herbeizuziehen. a) R. 3, 20 meint weder, daß das Gesetz theoretisch den Menschen zur Erkenntnis dessen, was Sünde ist, führt, noch, daß es ihn zum Sünder macht, vielmehr, daß es ihn seiner Sünde überführt und ihn bei seiner Sünde behaftet, d. h. unentschuldbar macht194 • R. 3, 20 setzt - mindestens theoretisch - voraus, daß das Gesetz erfüllbar ist; diese Annahme ist darum nötig, weil das Nichthalten eines unerfüllbaren Gesetzes gerade nicht "jeden Mund verschließen" würde, sondern erst recht Anlaß zur Rebellion gegen ein unabänderliches Schicksal gäbe196• b) R. 4, 15 enthält wohl einen allgemeinen Grundsatz: "Parabasis" ist qua definitione nur als "parabasis" von etwas möglich1.'. Ein zweiter Grundsatz ist von Paulus in seiner sehr abbreviaturhaften Formulierung selbstverständlich voraus.gesetzt: "Parabasis" des Gesetzes wirkt 181 Zahn, Gal. 172; Maurer, Gesetzeslehre 26; Schlier, Gal. 153. 102 Z. B. eier, Loi 28; Lagrange, Gal. 82. 11. Grundmann, ZNW 32 (1933) 58, vgl. Oepke, Gal. 81. m Es ist m. E. unwahrscheinlich, daß ~1tlyv(o)al~ R. 3, 20, das sicher ein praktisches Erkennen Ineint, in dem Sinn "Erfahrung" der Sünde meint, daß der Mensch durch das Gesetz in die Sünde erst hineingeführt wird und so sie erfährt. Von V. 19 her liegt der Gedanke der überführung des Menschen näher, der dann durch das Gesetz unentschuldbar wird. Dies ist vorher auch durch die von Pis. 3, 10ff. angeführten Schriftzitate geschehen. Anders z. B. Bultmann, Theol. 265. Vgl. auch die präzise FormulienlOg von E.]iingel, Paulus und Jesus, HUT 2, Tübingen: Mohr 1962, 51: Das Gesetz "behaftet den ]\·lenschen bei seiner Vergangenheit, zu der es hinzutritt". Bandstra, Law 126 betont zu Recht, daß das Moment des Bewußtseins der Sünde aus R. 3, 19f. nicht völlig ausgeklammert werden könne. 11& R. 1, 18ff. argumentiert ja nicht damit, daß von den Heiden und Juden mit oder ohne Gesetz eine eigene Gerechtigkeit aufgerichtet worden sei, sondern daß sie faktisch das Gesetz nicht gehalten hätten. Zur Frage der Erfiillbarkeit des Gesetzes bei Pis. vgL o. S. 14911• ... Vgl. die Parallelen bei ]. Sebmider, Art. 1totpotßotlV(o) xT).. , ThW V, 733-741, dort 735, 42; 736, 411.
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III. Die Ilbgetllne Vergllngenheit: Gesetz rmtl Geschichte
göttlichen Zorn. So dürfte der Sinn des Satzes etwa sein: Der "nomos" qualifiziert eine Sündentat als "parabasis" des Gesetzes und bewirkt so göttlichen Zorn. Wohl nicht zufällig ist die naheliegende Konsequenz : Wo kein Gesetz ist, ist demzufolge auch kein Zorn, nicht ausgesprochen197 • Es geht hier nicht um exklusive Begrenzung des göttlichen Zorns 198• Im Unterschied zu R. 3, 20 ist an unserer Stelle auch nicht vom Bewußtsein der Sünde, sondern lediglich von den objektiven Tatbeständen der Übertretung und des Zorns die Rede. Doch stehen die beiden Stellen nahe beieinander. c) R. 7, 7ff. läßt sich mit cien beiden genannten Stellen nicht ohne weiteres harmonisieren. Hier spricht Paulus von der Entstehung der Sündenerfahrung. Inwieweit die Sünde vor der konkreten Sündenerfahrung da war, wird von Paulus überhaupt nicht reflektiert199• Das Gesetz ist allerdings am Aufkommen der Sünde - von Überführung (R. 3,20) und Qualifikation (R. 4, 15) ist hier nicht die Rede - beteiligt, aber nur passiv. Daß dieser Mißbrauch des Gesetzes durch die Sünde gerade dem Willen Gottes und damit in einem tieferen Sinne der eigentlichen Absicht des Gesetzes entspricht, ist nicht ausdrücklich gesagt. Daß das Gesetz heilig, gerecht und gut ist, zeigt Paulus lediglich so, daß er es strikte von der Sünde unterscheidet. Von R. 7, 7ff. her dürfte auch 1. K. 15,56 am ehesten zu verstehen sein. d) R. 9, 30ff. hat insofern eine Sonderstellung, als hier vom Verhalten der Juden und Heiden angesichts Christi die Rede ist. Im Gefolge dieser Aussagen scheint allerdings die Konsequenz unumgänglich, daß die Erfüllung des Gesetzes und damit die ErIangung der Gerechtigkeit Gottes unmöglich ist, wenn sie nicht aus Glauben geschieht (vgl. R. 9, 32; 10,3). Doch bleibt zu beachten, daß Paulus diese Aussagen nur im Gegenüber zu der in Christus aufgerichteten Gerechtigkeit Gottes macht. Erst das Ausschlagen der Gerechtigkeit Gottes stempelt alle übrige Gerechtigkeit zur "eigenen" Gerechtigkeit. R. 1, 18-3, 20 kann Paulus - vor R. 3, 21ff.! - noch nicht so argumentieren. GI. 3, 19ff. scheint nun sachlich am ehesten zu R. 4, 15 zu gehören 20o• Dann wäre gesagt, daß das Gesetz hinzugefügt wurde, um die geVon R. 1, 18ft". her wäre diese Konsequenz unmöglich. Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 37 meint dagegen, daß etwa R. 4, 15 "negativ" besage, "daß vor Mose die Sünde nicht existent war" und somit im Widerspruch zu R. 5, 13 stehe. Dabei verkennt er m. E. sowohl, daß R. 4, 15 eine grundsätzliche Feststellung, nicht eine geschichtliche Beurteilung einer bestimmten Epoche ist, als auch, daß R. 4, 15 nicht von "hamartia" die Rede ist, sondern von der sreziellen Gestalt der "para basis" als übertretung des Gesetzes. V gJ. auch o. A. 18 . tol VgJ. auch o. S. 165f., bes. A. 113. tOO Die 'Wohl nächste Parallele R. 5, 20 wird u. S. 201ft". im Zusammenhang mit R. 5, 12ft". behandelt. Im übrigen scheidet 'Wohl R. 9, 30ft". als direkte Parallele aus, 117
tol
5. Der Sinn de! Gesetzes
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schehenden Sünden als 1totp~ßotO'LC; zu qualifizieren, d. h. um ihre Unentschuldbarkeit festzuhalten. Doch gilt es auch Wer, die Eigentümlichkeiten des Textes zu beachten: Paulus will eine geschlchtliche und nicht eine psychologische Aussage machen. ßPOO'ETi:-37j wird durch V. 17 eindeutig in temporalem Sinn interpretiert (vgl. R. 5, 20), ebenso durch den mit clXPLC; &v eingeleiteten Temporalsatz und durch V. 19c. Entscheidend ist aber, daß Paulus in GI. 3, 19ff. etwas Positives über das Gesetz sagen will. Inwiefern kann nun die Aussage, daß das Gesetz Wnzugetan wurde, um die Sünden als übertretungen zu qualifizieren und sie somit unter den göttlichen Zorn zu stellen, in diesem Sinne verstanden werden? Der einzige positive Hinweis, den wir dem V. 19 zunächst entnehmen können, liegt in der zeitlichen Begrenzung der negativen Funktion des Gesetzes, das eben seinen Auftrag nur zu erfüllen hat, bis der Verheißungsträger kommtlO1• Dieser in V. 19 nur angetönte Gedanke wird in V.21f. wieder aufgenommen: Der Sinn des Gesetzes besteht darin, der Verheißung zu ihrer Wirksamkeit zu verhelfen. Denn wenn das Gesetz wirklich Leben verschaffen könnte, wäre die Verheißung der Gerechtigkeit aus Glauben unwahr und umgehbar. V.22 legt denn auch das sachliche Gewicht auf den Finalsatz: Um der Verheißung willen hat die SchriftlOI da es dort um zwei Verhaltensweisen angesichts des Evangeliums geht. R. 7,7ff. liegt schon darum nicht nahe, weil hier auf das adamitische Gebot angespielt ist. Mit R. 4, 15 hat GI. 3, 19 das Wort "parabasis", mit R. 5,20 den geschichtlichen Zusammenhang gemeinsam. 1.1 Der Temporalsatz muß von R. 10,4 her interpretiert werden. Wie wenig PIs. an eine objektive Periodisierung der Geschichte durch das Gesetz denkt, zeigt sich auch daran, daß auch jetzt nicht zwischen Juden- und Heidenchristen differenziert wird; genau genommen gilt der Satz ja weder für die Judenchristen, die auch nach Christus aas Gesetz halten konnten (vgl. Gutbrod, ThW IV, 1058, 36f.), noch für die Heidenchristen, die vor Christus gar nie unter dem mosaischen Gesetze standen. Vielmehr geht es Pis. darum, daß der objektive Zweck des Gesetzes, die übertretlmgen als solche zu qualifizieren, durch Christus prinzipiell zum Ende gekommen ist. 1.1 Unklar ist, weswegen hier Pis. die Schrift Subjekt sein läßt, nachdem vom Kontext her eigentlich weit eber y6(.Loc; zu erwarten gewesen wäre. Dabei kann nicht nur gemeint sein, daß die Schrift beweise, daß alle Menschen Sünder seien, etwa durch Schriftstellen wie R. 3, 10ff. Es kann sich hier nicht nur um ein deklaratorisches, sondern muß sich um ein "schaffendes" Urteil der Schrift handeln, vgl. Schlier, Gal. 164. Darauf weist auch die Parallele R. 11,32, ferner die Wortbedeutung VOll cruyxÄe!w (Belege bei Pr.-Bauer s. v. und Oepke, Gal. 85: Das Wort ist terminus technicus für ..in Haft halten", vgl. die Aussage über das Gesetz V. 231). Bei PIs. kann die Schrift wohl gelegentlich als Gesetz sprechen (vgl. o. bei A. II 274 und A. II 280, ferner etwa R. 3, 10-18), aber niemals wird dieser Aspekt direkt als -Ij YPIXCPij bezeichnet. Oder meint "Schrift" nur eine besondere SchriftsteIle, etwa Dt. 27, 26, vgl. auch o. A. II 417? Dagegen spricht aber der grundsätzliche Ton in V. 22; überdies hätte Pis. dann wohl xlX't'ciplXY (vgl. Gl 3, 10) anstelle von «(.LlXp't'[IXY gesagt, gegen Burton, Gal. 196; Ridderbos, Gal. 141 A. 28. Es gibt wohl keine andere Möglichkeit als die, "graphe" hier sachlich in die Nähe von "nomos" zu rücken (ebenso u. a. Althaus ; Lagrange; C. Maurer, Der Galaterbrief, Prophezei, Zürich: Zwingli 1943: Oepke z. St.), ohne daß klar wäre,wieso hier "nomos" durch "graphe" ersetzt worden ist. Anders Schlier, Ga!. 164 A. 3.
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz lind Geschichte
alles unter die Sünde verschlossen. Ohne das Gesetz als Voraussetzung der Übertretungen und ohne die Schrift als Anklägerin der Sünde könnte die aus Glauben geschehende Gnade nicht als einzig möglicher Weg zum Heil, d. h. nicht als Gnade erfahren werden (V. 21). Deutlich ist auch die Identität von Verheißung und aus Glauben geschenktem Heil: Was in Christus geschieht, ist für Paulus nicht etwas von der Verheißung aus gesehen Fremdes oder Neues, sonst müßte ja auch Christus als Kodizill, das einer von früher her bestehenden Verheißung zugefügt wird (vgl. V. 15), verstanden werden. Vielmehr geht es für Paulus im Christusgeschehen gerade um das Zur-Wirksamkeit-Kommen jener Verheißung, die Gott schon dem Abraham zugesprochen und nun - sich selber treu - als altes und doch nie beanspruchbares Geschenk dem Glaubenden gibt. In diesem Gedankengang bilden V. 19b-20 einen Exkurs. V.21a weist deutlich auf V. 19a zurück. Das Gesetz ist von Engeln gegeben, durch die I·land eines Vermittlers'·". Dies weist im Sinn des Paulus auf die Minderwertigkeit des Gesetzes; die Aussage, daß das Gesetz zwar unmittelbar von den Engeln, mittelbar aber von Gott gegeben sei, finden wir gerade nicht'·o. Diese Bestimmung der Herkunft des Gesetzes hat sachlich den gleichen Sinn wie seine chronologische Fixierung als nach der Verheißung gegebenes: Sie kommt einer Abwertung des Gesetzes gleich···.
Was will Paulus mit diesen Aussagen? Laufen sie nicht seinem in V. 19a angedeuteten Ziel, die positive Funktion des Gesetzes zu bestimmen, zuwider und stempeln das Gesetz erst recht zu einer minderwertigen und beinahe widergöttlichen Größe? Sowohl V. 17 als auch V. 19b-20 sollen festhalten, daß im Gegenüber zur von Gott zuvor gesprochenen Verheißung das Gesetz nicht denselben Anspruch erheben kann. Paulus spricht dies in V. 19b-20 mit harten, an der Grenze des Dualismus stehenden Aussagen aus. Seine Bedeutung erhält aber
'0. Wichtig ist, daß Mose und die Engel nicht einander als zwei Vermittler gleichgeordnet sind, sondern Mose Il.ls 1l.1Ieiniger Vermittler fungiert. Falls ~YOt; OOX fCTrLY V. 20 sich auf die Vielheit der Engel bezöge, wie dies zwar nicht sprachlich vom Wort ILcO'!njt;, wohl aber von der logischen Gedankenentwicklung her am wahrscheinlichsten ist, so daß Mose eben die Vielheit der Engel und gerade nicht den einen Gott verträte, der eines "Vermittlers" in diesem Sinne nicht bedarf, so kämen die Engel ohnehin nur Il.ls Geber des Gesetzes in Frage. Vg!. zur Deutung von 31ei u. A. 204, zum Ganzen etwa die Ausführungen von Oepke, Ga!. 84. 1.0 ~1(X't"eiO'O'W heißt: "anordnen", "verfügen", "befehlen", nicht nur "vermittein", vgl. G. Dellin!!., Art. 't"tXO'O'w X't"A., ThW VIII, 27-49, dort 34, 13ff.; 35, 16ff. ~L' in 3L' a.rrI:AWY ist eher kausal (Schlier, Ga!. "(1951), 109; Oepke, Gal. 82; Bonnard, Ga!. 73; Stalder, Werk 328 etc.) als instrumental (A. Stegmann, '0 3e ILcO'!njt; bot; QUX fO''t"!Y (Gal. 3, 20), BZ 22 (1934) 30-42, dort 41; Bläser, Gesetz 48ff.; Schlier, Ga!. 155) zu interpretieren. Das Material findet sich am vollständigsten bei Schlier, Gal.", 109-112; in der 12. Auflage fehlt das gnostische Material weitgehend. 1.1 Vgl. Dietzfelbinger. Paulus und das A. T.28.
5. Der Sinn des Gesetzes
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das Gesetz gerade dadurch, daß es Gegenüber des Evangeliums wird, das ihm ein Ende setzt, wie es ihm schon zuvorgekommen ist 208 • Eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Gesetzes gibt Paulus mit dem Bild des Pädagogen in V. 23ff. Allgemein anerkannt ist, daß der Pädagoge im Altertum nicht in erster Linie erzieherische, bildende Aufgaben hatte, sondern auf seinen Schützling aufpassen und ihn notfalls mit ruppigen Mitteln im Zügel halten mußtel07 • Was ist demnach die Funktion des Gesetzes? Hat es die unter ihm Gefangenen einfach vor der völligen Anarchie bewahrt208 ? Oder ist es so, daß es wie ein Jagdhund dem Menschen jedes Loch verstopfen, jede Entschuldigung unmöglich machen und ihn so in die Verzweiflung führen sollte Z09 ? Dann würde das Gesetz das Bewußtsein der Sünde weckenBlo• Zur Beantwortung dieser Frage ist zweierlei zu bedenken: Neben dem Bild des Pädagogen gebraucht Paulus auch das Bild der Haft (V. 23). Gi. 4, 2 spricht er von "Aufsehern" und "Haushaltern". Die Bilder gehen also ineinander über und interpretieren sich gegenseitig. Es ist also nicht in erster Linie an die Wirkungen der Tätigkeit des Pädagogen, also an die Verzweiflung oder an die Erkenntnis der Sünde, an seine "elenchtische" Funktion zu denken, sondern an die Tätigkeit selbst, d. h. das Bewachen. Sodann: Leitfrage des Paulus, die ihn seit V. 19 und V. 21 beschäftigt, ist: Was ist denn (positiv) das Gesetz? Ist es den Verheißungen Gottes entgegengesetzt? Das entrüstete "das sei ferne" in V. 21 wird jetzt von Paulus entfaltet, d. h. die Verse 22ff. sollen eine positive, nicht eine negative Aussage über das Gesetz machen. Worin aber besteht sie? Zunächst wohl ganz einfach darin, daß die Zeit des Gesetzes als Zeit vor dem Glauben bestimmt istZll • Ihre Bestimmung erhält die Zeit des Gesetzes von ihrer Zukunft her, oder, etwas abgekürzt gesagt: Das Positive an der Zeit des Gesetzes ist nur, daß nach ihr der Glaube kommt. Von einer diesen Glauben vorbereitenden Aufgabe des ••• Die Formulierung: Der "nomos" ist nicht Epoche, nur Episode (vgl. z. B. Bläser, Gesetz 152; AlthIlus, Ga!. 41: "Das Gesetz ist für den Christen eine vorübergehende, datierbare geschichtliche Erscheinung") erfaßt den Sachverhalt für GI. 3 nur unzureichend. PlI. 11/;1/ da! Geretz nirht Z" relativer Betkutungslosig/eeit tkgradieren, sontkrn will, narMem er er als Heil!DJtg a,mrhloß, nun gerade seine bleibende Bedeut,mg Zeigen. über die positive Bedeutung des Gesetzes, worüber Pis. gerade reden will, sagt der genannte Satz nichts. "7 Zu 1I:OtL8OtyroYOt; vgl. vor allem den ausführlichen Exkurs bei Oepke, Gal. 86/f. "1 Bousset, Gal. 56. 101 Maurer, Gal. 112f. Nach R. Zehnpjund, Das Gesetz in den paulinischen Briefen, NKZ 8 (1897) 384-419, dort 412/f., will das Gesetz in den Menschen das seit Adams Fall vorhandene Gefuhl der Verschuldung steigern. Pfleiderer, Paulinismus 84f.; ähnlich O. Schulz, ThStKr 75 (1902), bes. 55. In Ähnlich Oepke, Gal. 88: Das Bild vom Pädagogen sagt nur das Doppelte, "daß der Stand unter dem Gesetz bis auf Christus währt und daß es auf diese zeitliche Abgrenzung von vornherein abgesehen war".
I,.
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IIl. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
Gesetzes spricht Paulus nirgends, wohl aber davon, daß es auf das hin ausgerichtet ist, was nach ihm kommt. Damit ist aber in keiner Weise eine wie auch immer geartete Vorbereitung des Glaubens durch das Gesetz gemeint, sondern allein dies, daß es aus der Verhaftung unter das Gesetz nur das Kommen des Glaubens als Befreiung gibt. Auf diesem t"ot bzw. d<; liegt in V. 22-24 der Akzent212• Der Zweck des Gesetzes ist ihm nicht gleichsam inhärent und kann so wenig von ihm bewirkt werden, wie der alte Äon Ursache des neuen ist. Versuchen wir, eine Relation zwischen Herrschaft des Nomos und der göttlichen Antwort durch die Sendung Jesu Christi zu beschreiben, so kann es wohl nur die Aussage von R. 11,32 geben: Die Sünde, in die das Gesetz alle führt, hat allein den Sinn, daß ihr die Gnade gegenübergestellt werde. Oder anders: Die Gltade, die dem Menschen bege!JIet, läßt die Verstricleung itl die eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz als das Woraus erfahren, aus dem es keine andere Rettung gibt als eben die Gnade llS • Zugleich lehrt diese Erkenntnis des Woraus unserer Rettung die Größe der Gnade ermessen, mithin, die Gnade als Gnade erfahren. Und das ist paradoxerweise gerade der unaufgebhare positive Silm des Gesetzes, daß es den Widerpart zur Gnade bi/det. Als Ergebnis ergab sich uns, daß die Frage nach dem positiven Sinn des Gesetzes bei Paulus nicht einfach geradelinig beantwortet werden kann l14 • Es ist bedeutsam, daß jeder Hinweis auf eine allfällig durch das Gesetz herbeigeführte psychologische Vorbereitung des Menschen auf die Gnade fehlt. Beachtenswert ist auch, daß die Frage nach dem Sinn des Gesetzes von Paulus nicht mit dem Hinweis auf seine Bedeutung für die christliche Ethik erledigt wird. Auch ein Hinweis auf die Bedeutung des alttestamentlichen Kanons für die Gemeinde fehlt. Seine positive Bedeutung findet das Gesetz allein darin, daß es den Abgrund der menschlichen Situation ermessen läßt. Dieser Abgrund selbst ist nicht das Gesetz, sondern die Sünde als objektive Situation des Menschen angesichts der göttlichen Gerechtigkeit. Durch das Gesetz wird aber die Sünde zu dem unsere Vergangenheit Kühl, ThStKr 67 (1894), 135: "Das Gesetz macht nicht in positiver Weise Bahn frei für die TI'((JTL~, indem es die Heilsempfänglichkeit hervorruft und steigert, sondern in rein negativer Weise, indem es einen Zustand ... wirkt, aus dem Errettung unmöglich ist." 111 Das meint Bultmann, TheoI. 267, wenn er von der "objektiv verzweifelten Situation" spricht, in die das Gesetz den Menschen führt, die er aber erst erkennt, wenn ihn das Wort der Gnade trifft. Weder Sünde noch die Pädagogie des Gesetzes sind vor dem Glauben versteh bare Tatbestände. ... Bandstra, Law. 123 spricht von einer positiven und einer negativen Beendigung des Gesetzes in Christus (vgI.. au~h o. A. 1?), währe~d ~ie V.erh~ißung ?ur_po~itiv aufgenommen werde. Das Ist 10 dem Sinne natilrhch richtig, als 10 Christus das Gesetz - befreit von der sich seiner bemächtigenden Macht oer Sünde - auch als gute Gabe Gottes in Aktion treten kann. Doch bezeichnenderweise beantwortet PIs. GI. 3, 19ff. die Frage nach dem Sinn des Gesetzes nicht so. tu
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5,12ff.?
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schlechthin beherrschenden Faktor gestempelt und die menschliche Situation als unwiederbringlich unter dem göttlichen Zorn stehend qualifiziert. Erfährt der Mensch durch das Evangelium diese seine verzweifelte Lage, so lehrt ihn das Gesetz die Größe des Evangeliums ermessen. Paulus denkt also Gl. 3 nicht aus einem chronologisch fixierbaren Geschichtsentwurf hetaus, sondern er benützt chronologische Elemente zusammen mit andern Kategorien für Sachaussagen. Das Gesetz ist Vergangenheit des Evangeliums in dem Sinne, daß es durch das Evangelium in seiner Funktion als Macht der Sünde ein für allemal abgetan ist. Die Verheißung ist das Prae des Gesetzes in dem Sinn, daß dadurch auch die Vormacht der Verheißung vor dem Gesetz angedeutet ist216• Für die Galater ist so gesagt, daß nicht das Gesetz, sondern die Verheißung, d. h. der Glaube für sie an der Zeit ist. Die Frage nach dem Sinn des Gesetzes ist Paulus vom Gesetzesverständnis jüdischer Heilsgeschichte her gestellt, aber die Antwort des Apostels macht deutlich, daß es eine menschliche Heilsgeschichte abgesehen davon, daß über der menschlichen Unheilsgeschichte die göttliche Verheißung mächtig ist auf das Kommen Christi hin, nicht gibt. 6. Eine Konzeption 'der Universalgeschichte in R. 5, 12ff.? Nach dem bisher Erarbeiteten bietet R. 5, 12-21 Schwierigkeiten: Der Abschnitt scheint wie ein erratischer Block im Gefüge des Römerbriefs zu stehen, nach vorn und hinten unverbunden, je nach Interpret als "eyn lustigen auss/bruch und spaciergang"218 oder als "Höhepunkt des Briefes"217 taxiert. Während Paulus bisher immer nur einzelne Episoden, Worte oder prägende Kräfte der Vergangenheit aufgriff, die nur in seltenen Fällen miteinander verbunden waten, wird hier Geschichte als ganze ins Auge gefaßt: Dem Christusäon stehen im Zu Recht verlangt Jüngel, ZThK 60 (1963) 45: "Man wird also das Phänomen der Vergangenheit differenzieren müssen." J. sieht, daß die Vergangenheit bei PIs. unter dialektischem Aspekt erscheint und versucht, dem auch sprachlich gerecht zu werden, indem er vom Gesetz als dem "Vorher" des Evangeliums, der Verheißung als dem "Zuvor" des Evangeliums spricht. Das "Vorher" des Gesetzes wäre die Verheißung, sein "Zuvor" die Sünde. Doch gerade hier lassen sich die pln. Aussagen nicht so einfach unter ein einziges Denkmodell stellen, wie etwa das Verhältnis von R. 5, 13 (wo Jüngels letztere Aussage richtig wäre) zu R. 7, 7ff. (wo sie wohl falsch wäre) zeigt. Bezeichnenderweise muß auch Jüogel GI. 3, 19 interpretieren: Das Gesetz wurde "um der :(.uoo,. geschehenen U'bertretungen willen" (aaO 47; Sperrung von mir; vgI. aber R. 4, 151) hinzugefügt. 118 M. Lulher, Vorrede zum Römerbrief, WA DB 7,18. m Nygren, Röm. 22. IU
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JIf. Die abgetane Vergangenheit,' Gesetz und Geschichte
durch Adam bestimmten Äon zwei Perioden gegenüber: die Zeit vor und die Zeit nach dem Gesetz. In den Römerbriefkommentaren schließen sich gelegentlich an die Besprechung unserer Stelle Exkurse über das Thema "Paulus und die Geschichte" an Zl8. Ist es also richtig, mit Jülicher von einer "großartigen Geschichtsphilosophie" zu sprechen, die der Apostel in unserm Abschnitt darstellt, oder vielleicht etwas bescheidener von den "entscheidenden Linien" einer "christlichen Geschichtstheologie", die er begründet hätte 21D ? Dann wäre es allerdin~s so, daß das Denken des Paulus zentral vom Gegenüber der beiden Aonen getragen wäre, in das alIes Andere eingeordnet werden könnte Zzo • Aus diesen Bemerkungen ergeben sich die unsere Untersuchungen leitenden Fragen: Zunächst fragen wir danach, wie das durch Mose gegebene Gesetz in dem durch Adams Übertretung gekennzeichneten Aon steht, d. h. nach der Funktion der Verse 13f. und 20f. im Ganzen. Wieso kam Paulus dazu, das Gesetz als scheinbar nebensächliches geschichtliches Datum in die Gegenüberstellung Adam-Christus einzubauen? Zur Beantwortung dieser Frage werden vorgängig einige religionsgeschkhtliche und interpretatorische Bemerkungen zum ganzen Abschnitt, insbesondere aber zu R. 5, 12f. nötig sein. Sodann haben wir zu fragen, was für ein Bild der Gesamtgeschichte in R. 5, 12ff. entsteht und inwiefern dieses Bild für Paulus repräsentativ ist, d. h. auch seinen übrigen Bezügen auf die Vergangenheit implizit zugrundeliegtl11 • Endlich müssen wir fragen, wieso Paulus im Gesamtduktus des Römerbriefs an unserer Stelle zum "Einschub" dieses Geschichtsentwurfs geführt wurde. Unsere Aufgabe ist also nicht die einer Exegese von R. 5, 1211'. im ganzen. Insbesondere kann die komplexe Frage nach dem religions geschichtlichen Hintergrund des Abschnittes kurz abgetan werden. Hier liegt ja die ausführliche Untersuchung Vgl. Althaus, Röm. 49ff.; Kuss, Röm. 275ff. Jiilicher, Röm. 256; das zweite Zitat bei Althaus, Röm. 51. I •• In der Tat steht unser Text vermutl.i.ch von allen Paulustexten der apokalyptischen .Gegenüberstellung der beiden Aonen am nächsten. Denkstrukturen der Zwei-Äonen-Lehre braucht Pis. öfters, zumal bei typologischen Gegenüberstellungen von Altem und Neuem, aber als "Mittel der Darstellung", nicht als Verkündigungsinhalt (Galley, Heilsgeschehen 64). Vgl. die o. A. II 248, A. III 1 und u. A. 359 gegebenen Belege und Verweise. Jedoch vermeidet Pis. gerade die Bezeichnung "neuer Äon" für die durch Christus eröffnete Gegenwart und hält diese sogar für die Schlußzeit des alten Äons (vgl. o. A. II 399). Auch die Aussage, daß in der Gegenwart bzw. im Glauben beide Äonen zugleich gegenwärtig seien (vgl. z. B. Lührmann, Offenbarungsverständnis 161f.; Goppelt, NTS 13 (1966/67) 39, ist eine von außen an Pis. herangetragene systematische Konzeption, die zwar viel Richtiges sieht, aber an den eigenen Aussagen des Pis. wenig Anhalt hat. Vgl. dazu auch u. S. 302f. 111 Dann gäbe R. 5, 12ff. gewissermaßen das Schema ab, in das sich die übrigen Rückgriffe des Pis. auf Vergangenes einzeichnen ließen. 118
11I
6. Eine Konzeption der Universalges(hkhte;" R. 5,12/1.7
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von Brandenburger vor·... Deshalb s~ien nur einige mir wesentlich scheinende Aspekte zusammengefaßt. Zur Klärung des rdigionsgeschichtlichen Hintergrundes unseres Textes stehen zwei Methoden zur Verfligung, die religionsgeschichtliche und die traditionsgeschichtliche. Der religionsgeschichtliche Vergleich mit jüdischem und gnostischem Material ist von Brandenburger gründlich durchgeführt worden. Aus seiner Untersuchung scheint-siCh mir folgendes zu ergeben: Von jüdischen Texten stehen 4. Esr. und s. Bar. den paulinisehen Gedanken am nächsten. Dabei muß traditionsgeschichtlich beachtet werden, daß Paulus in R. 5, 12ff. vermutlich selbst konzipiert, während er in 1. K. 15, 21f. 45ff. wohl stark vom Denken der korinthischen Gemeinde beeinAußt ist. Nun ist die Verwandtschaft zwischen den beiden genannten apokalyptischen Schriften und R. 5, 12ff., wo Paulus selber entwirft, größer als mit 1. K. 15. Insbesondere entspricht das Nebeneinander von Sünde als Macht und Tat, als in der Geschichte wirksames Verhängnis und als jeweilige unvertretbare Tat das Menschen, das die Interpretation von R. 5,12 so dornenreich macht, spät jüdischem Denken..•. Wichtig ist, daß Paulus sich nicht in Schildentngen des Urstandes Adams vor dem Fall ergeht, sondern bei der Sünde sdbst einsetzt, aber nicht bei der Sünde als apriori vorhandener menschlicher Eigenschaft, also einem natürlich vorhandenen Defekt, sondern bei der Sünde als geschichtlicher, gottwidriger, sich des Menschen bemächtigender Tat eben dieses Menschen. In spät jüdischen Schriften fehlt weitgehend die Gegenüberstellung des ersten und 11. Christus und Adam pss., das Material 15-151. Vgl. ferner W. BOlUrrl, Kyrios Christos, FRLANT 21, 2. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1921, 140ff.; B. Mur""III,;n, Adam, ein Beitrag zur Messiaslehre, WZKM 35 (1928) 242-275, dort 253ff.; Moore, Judaism I, 474ff.; Volz, Eschatologie 189f.; Staerk, Soter 11, vor allem 7ff. 14ff. 22ff. 4Off. 65/f. 98ff. 112ff. 125ff.; Davies, Paul and Rabbinic J udaism 45ff. Samaritanisches Material aus dem Memar Marqah bespricht]. C. H. Ltbram, Nachbiblische Weisheitstraditionen, VT 15 (1965) 167-237, bes. 192ff. 111 Mit den meisten Auslegern setze ich voraus, daß l:tp'(ji kausal zu übersetzen ist und das aoristische fJlLotPTOV sich nicht auf die Sünde in Adam, sondern auf die jeweilige Aktualsünde bezieht, vgl. u. S. 200. Die Betonung der eigenen Verantwortlichkeit jedes Menschen ist gut jüdisch, vgl. Str.-B. III, 228f.; A. Marmor11,;n, Paulus und die Rabbinen, ZNW 30 (1931) 271-285, dort 272ff.; P. F,;n,. Theologie des Neuen Testaments, 8. Auf!. Berlin: EVA 1951, 192; Schoeps, Paulus 198f. Die Rabbinen kennen aber auch die Erbsünde, vgl. Schoeps aaO 198 und A. 235 unten; J. Frel/naorfer, Erbsünde und Erbtod beim Apostel Paulus, NTA 13/1-2, Münster: Aschendorff 1927, 93ff. "Ontisch betrachtet ist die Sünde eine Sphäre, die sich in einzelnen Taten konkretisiert". Dieser Satz Beckers (Heil Gottes 66, zu Qumran) gilt wohl für das ganze Spät judentum. Dieselbe Verbindung von Schuld Adams und Schuld des Einzdnen wie R. 5, 12 zeigt sich z. B. 4. Esr. 7, 116-126, in anderer Akzentuierung s. Bar. 54, 15. 19, vgl. auch 48, 42-47. Die hier und anderswo zwischen Pis. und dem 4. Esrabuch, weniger ausgeprägt auch dem s. Bar., bestehende Verwandtschaft (vgl. z. B. auch o. A. 11 140) wird von Brandenburger, Adam und Christus 29ff. 35f. 38f., mit dem Hinweis bagatellisiert, daß die deutlichsten Parallelen durchwegs in den von Esra bzw. Baruch vorgebrachten Aussagen zu finden seien, die dann vom Engel unter Zuhilfenahme des spät jüdischen Gesetzesverständnisses korrigiert werden. Das ist richtig, mindert aber den Wert der Parallelen keineswegs. Der Vf. besonders von 4. Esra versucht offenbar, mit Hilfe der Gesetzesreligion geradeJ'ener Denkweise zu begegnen, die in besonderer Nähe zu Pis. steht. Man darf ann allerdings nicht global von engster Verwandtschaft zwischen Pis. und 4. Esr. sprechen, sondern müßte präzisieren: zwischen Pis. und dem Milieu, mit dem sich der Esraapokalyptiker auseinandersetzt.
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
zweiten MenschenU4 • Die von Brandenburger hierzu aufgeführten gnostischen Belege llS zeigen aber wiederum eine beachtliche Distanz zu den paulinischen Aussagen: Der himmlische Mensch in der frühen Gnosis hat einen "merkwürdig inaktiven Charakter ... und (bleibt) auf den Bereich der himmlischen Welt beschränkt"··'. Der für die Gnosis typische Gedanke der substantialen Identität, der 1. K. 15, 45ff. vorliegt, erscheint R. 5, 12ff. durch den Gedanken des AnteilHabens am Geschick des jeweiligen Menschen ersetzt, ein Gedanke, der überdies auf der Adamseite durch die je eigene Sünde, auf der Christusseite durch ;'Ot,,~ci_ (V. 17) und den eschatologischen Vorbehalt gebrochen ist. Weder in R. 5, 12ff. noch in 1. K. 15 wird auf die Präexistenz des zweiten "Anthröpos" - Christus zurückgegriffen, was von der Gnosis her ja naheläge. Das Gegenüber der beiden Menschen in R. 5, 12ff. erweist sich - ganz ungnostisch - zugleich als Gegenüber zweier Zeiten und wird von Paulus typologisch gefaßt. Das hinter der Typologie stehende Geschichtsverständnis ist aber das Zwei-Äonen-Denken der Apokalyptik. Die Antithese der beiden Menschen bei Paulus ist also m. E. nicht einfach aus dem gnostischen Mythos abzuleiten. Vielmehr zeigt sich, daß R. 5, 12ff., wo Paulus selbständig entwirft, die Distanz zur Gnosis weit größer i$t als 1. K. 15, 45ff. Dazu kommen noch einige weitere, längst bekannte Beobachtungen: Ebenso wie die Vorstellung vom Leib Christi tritt das Gegenüber von Adam urpd Christus nur im 1. Korintherbrief und in dem wohl in Korinth geschriebenen Römerbrief aufS·'. Es wird von Paulus im 1. Korintherbrief als in der Gemeinde bekannt vorausgesetzt..•. Das betonte: "Nicht das Pneumatische, sondern das Psychische ist das Erste" (1. K. 15,46) ist nur sinnvoll, wenn dieser Punkt zwischen Paulus und seinen Adressaten strittig war..•. Es ist deshalb anzunehmen, daß das Gegenüber der beiden Menschen in der korinthischen Gemeinde in einer von Paulus charakteristisch verschiedenen Weise bekannt war"'. Ob in diesem prägnostischen
••• Vgl. immerhin die von E. Schweizer, Die Kirche als Leib Christi in den paulinischen Homologumena, in: Neotestamentica, Zürich: Zwingli 1963, 272-292, dort 279ff. zusammengestellten Parallelen und die von Lietzmann, Kor. 85, zu 1. K. 15, 45ff. notierten Belege aus Philo. Am nächsten steht wohl Pis. die Gegenüberstellung des ersten Adam und Noahs als eines prindpium secundae ... facturae hominum (Quaest. in Ex. 56; Praem. Poen. 23; Vit. Mos. 2, 60, vgl. M. Black, The Pauline Doctrine of the Seeond Adam, SJTh 7 (1954) 170-179, dort 172. Ähnliche Traditionen finden sich auch im samaritanischen Memar Marqah, wo Adam im Zusammenhang mit weltgeschichtlicher Periodisierung als "Anfang einer Kette der Ungerechtigkeit" gesehen wird (Lebram, VT 15 (1965]199) und Mose oder Noah gegenübersteht, vgl. Lebram aaO 199-201. Die Adamspekulationen des l\lemar Marqah sind allerdings durchaus nicht einheitlich und infolge ihrer traditionsgeschichtlich und chronologisch nur schwer zu bestimmenden Herkunft nicht mit Sicherheit auszuwerten. ••• Adam und Christus 77ff. ... Adam und Christus 154. m Vgl. G. Friedrich, Christus, Einheit und Norm der Christen, KuD 9 (1963) 235-258, dort 241; Schweizer, ThW VII, 1061, H.; 1070, Iff. Vgl. ferner u. A. 299. m Vgl. Brandenburger, Adam und Christus 72, ferner u. A. VII 70 . ... Vgl. Brandenburger, Adam und Christus 74, sowie die dort A. 5 Genannten• ••• Brandenburger vermutet, daß vielleicht die Adam-Christus-Typologie auf eine "prägnante Formulierung der korinthischen Schwärmer selbst" zurückgehe (Adam und Christus 72, vgl. 73ff.). Dem ist zuzustimmen. Die korinthische These, die sich am deutlichsten wohl noch 1. K. 15, 45ff. greifen läßt, steht sachlich in der größten Nähe zur Vorstellung vom ersten und zweiten Adam bei Philo. Für die Entstehung der pall/imschen Fassung der Antithese durch Umbildung der korinthi-
6. Eine Konzeption der Universa!ges(hi(hte in R. 5,12ff.?
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Judenchristentum eine überlieferte Christologie eines präexistenten Menschensohns m durch Kategorien, wie sie auch in der philonischen und fruhgnostischen Anthroposlehre zu finden sind, weitergebildet wurde, muß dabei offen bleiben.
Für unsere Fragestellung lassen sich diesen einleitenden Bemerkungen zwei Hinweise entnehmen: Erstens: Wenn die Adam-Christus-Antithese durch das Gespräch des Paulus mit der korinthischen Gemeinde mindestens mitgeprägt ist, so laßt skh das eigme theologjs(he Anliegen des Apostels gerade am Unters(hied zwis(hen 1. K. 15,45.11. und R.5, 12.11. ablesen. Gerade die strenge Verges(hkhtlkhung, die <:;egeniiberstellung Adams und Christi als Gegenüber zweier Zeiten würde dem Denken des Paulus entsprechen. Religionsgeschicht-. lich gesehen würde Paulus die korinthische, starke Affinitäten zur Gnosis zeigende Gegenüberstellung von der Apokalyptik her korrigjeren. Zweitens: Wenn das Gespräch zwischen Paulus und den Korinthern die paulinische Antithese zwischen Adam und Christus zustimmend und polemisch mitgeprägt hat, so ist nicht anzunehmen, daß in dieser Antithese die geheime Mitte, der zentrale Nerv des ganzen paulinischen Denkens liegt. Vielmehr dürfte es n(h eher 11m einen von Paulus im Laufe seiner theologis(hen Enl7llkklung ausgebildeten Gedanken handeln, der natürlich für sein Denken charakteristisch und als solcher auch bedeutsam ist, aber keineswegs das immer schon hinter dem ganzen Denken des Apostels stehende heimliche Zentrum seiner Theologie. Dafür sprechen auch die Schwierigkeiten in der Formulierung, die sich R. 5, 12ft". zeigen, besonders das Anakoluthl81 • Wie sehr Paulus Adam als Gestalt der Urgeschichte, nicht primär schen wären dann die von Schweizer (vgl. o. A. 224) genannten Vorstellungen von Bedeutung. Feuillet, Sagesse 334 vermutet mit wenig einleuchtenden Gründen, R. 5, 12-21 sei ein Stück antijüdischer Polemik des Pis. und deshalb älter als 1. K. 15, 45ff. 111 Vgl. zu Pis. Black, SJTh 7 (1954) 173; skeptisch R. H. FuJler, The Foundations of N. T. Christology, New York: Scribners 1965, 293f. Vgl. ferner u. A. VII 98. ••• Gegen Nygren, Röm., bes. 22ff. Nygren bringt für seine These, wonach R. 5, 12ff. die Mitte des Römerbriefs und der pln. Theologie sei, wenig exegetische Grunde, dafür viel systematische Prämissen bei. Daraus, daß Pis. eine These nicht beweist (aaO 22), darf keineswegs geschlossen werden, daß "hier etwas ... Entscheidendes und Axiomatisches ... , das viel zu wesentlich ist, um zum Gegenstand eines formellen Beweises gemacht zu werden", vorliege. Wenn Pis. auf einen formellen Beweis verzichtet, so könnte daraus höchstens geschlossen werden, daß er an diesem Punkt bei seinen Lesern ohne weiteres auf Zustimmung rechnet. Wieso das "Eruptive" und die tatsächlich keineswegs "abgeschliffene sprachliche Form" ein Symptom dafür sein soll, daß wir es hier mit etwas Zentralem Zll tun haben, ist mir rätselhaft. Die sprarhlirhen Sdwierigluiten, mit denen PlI. R. 5, f 2/f. tu kämpfen hat, Uleisen jedenfalls kaum d4rauf hin, d4ß er hier einen tentrale" III/d d4nn wohl srhon oft formulierten theologiuhen Ged4nlu" äußert. Formulierungsschwierigkeiten pflegen doch eher bei neuen, noch unbegangenen GedAnkengängen aufzutreten. Weitergehende exegelis&he Begründungen läßt Nygrens KOIDlDentar an diesem Punkt leider verIDissen.
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I/f. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
existential, versteht, wird uns sogleich deutlich werden, wenn wir uns nun der Frage nach dem Zusammenhang von V. 12 und V. 13f. zuwenden. Da das Problem umstritten ist233 , orientieren wir uns an einigen vorliegenden Auslegungsversuchen. 1. Ein erster Typus von Auslegung sieht in V 13f. eine präzisierende Bekräftigung von 1t.AoydTOtt formal eine allgemeine Regel, nicht aber ein Urteil über eine vergangene Zeitepoche sein will. 2. Eine weitere Auslegungsmöglichkeit ist häufiger anzutreffen"': Zwischen Adam und Mose war zwar die Sünde in der Welt, wurde m aber nicht angerechnet; weil aber dennoch der Tod damals über die Menschen herrschte, so muß daraus geschlossen werden, daß allein um der Sünde Adams willen der Tod über die Menschen nach ihm kam. So ist Adam wirklich Typus des kommenden Erlösers und der Tod nach ihm ist Erbtod. Doch auch diese Auslegung gerät in Schwierigkeiten: Das entscheidende Fazit: ••• Bultmann, Theol. 252 hält V. 13 für "vollends unverständlich". Er sieht richtig, daß für Pis. der kosmologische Aufriß des Mythos zu einem geschichtlichen wird, vgl. ders., Adam und Christus nach Römer 5, in: Exegetica, Tübingen: Mohr 1967, 424-444, dort 439. Er versucht dann, von da her die sprachlichen und sachlichen Schwierigkeiten der Gegenüberstellung zu erklären. Im einzelnen wird das allerdings nicht so recht einsichtig, da B. nie genau ausführt, wie denn eigentlich der von Paulus korrigierte Mythos genau ausgesehen hat. Das Nebeneinander von persönlicher Sünde und schicksalshaftem Verhängnis findet in der Apokalyptik ein Analogon (vgl. o. A. 223 und u. S. 212) und wurde von Pis. wohl gar nicht als Schwierigkeit empfunden. ••• Barrett, Röm. 111f., vgl. auch G. Bornkal1l11l, Paulinische Anakoluthe im Römerbrief, in: Das Ende des Gesetzes, 2. Auf!. München: Kaiser 1958 (= Aufs. 1),76-92, dort 84. ... V. 13a war ja für jeden des A. T. Kundigen eine Selbstverständlichkeit, vgl. Brandenburger, Adam und Christus 188. Ein Problem bestand lediglich bei wenigen, auserwählten Gerechten, wie den Erzvätern, l\Iose, Elia, Hiskia etc., deren Gerechtigkeit darin bestand, daß sie die ganze Tora hielten, vgl. Str.-B. I, 815f. Dabei wird aber zwischen einzelnen Gerechten vor Mose \lOd nach Mose nicht unterschieden. Bei solchen einzelnen Gerechten wurde es natürlich dem rabbinischen Judentum, das den Tod als Strafe für persönliche Sünde ansah (Str.-B. I, 495) zum Problem, wieso der Tod trotzdem über sie kam. Verschiedene Antworten sind möglich: Sie, aber nur sie, erlitten den Tod infolge des Rates der Schlange (Str.-B. I, 815f.; Murmelstein, WZKM 35 (1928) 253); die Frommen haben den Tod ausdrücklich gewünscht (Marmorstein, ZNW 30 (1931) 274) . ••• Z. B. bei Zahn, Gaugier I, Nygren, Kuss z. St.; ferner Bläser, Gesetz 127; weitere bei Brandenburger, Adam und Christus 189 A. 4. In Auch bei dieser zweiten Auslegungsart wird l>.AoysrTOtt (V. 13) meistens als Urteil über eine vergangene Zeitepoche aufgefaßt, vgl. Brandenburger, Adam und Christus 190. K. H. Stbelkle, Meditationen über den Römerbrief, Einsiedeln: Benziger 1962, formuliert: .. Nirgendwo war in dieser Zeit Gesetzesübertretung unter Todesstrafe gestellt" (aaO 79).
6. Eine Konzeption tier Universalgeschichte in R. 5,12ff.7
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"Also hat Adams Sünde allen den Erbtod gebracht" ist von Paulus gerade nirgends ausgesprochen; der Leser muß es erraten···. Daß diese auf solche Weise bewiesene Schlußfolgerung dann für die Zeit des Gesetzes gerade nicht mehr gilt, daß dort dann die "Haupt- und Erstursache von der ,Zweitursache' individueller Sünde ... verdeckt" wäre"', daß also die Entsprechung: wie durch ,inen Menschen die Sünde und der Tod, so durch einen Menschen die Gnade und das Leben, für die Zeit nach Mose gerade nicht gälte, störte diese Ausleger offensichtlich wenig. Schwierig wird aber die Erklärung von V. 19, daß durch den Ungehorsam des Einen die vielen zu Siintlern, nicht bloß (passiv) Bestraften, wurden. Endlich ist ein Grund für die ganze umständliche Parenthese von V. 13f. überhaupt nicht einzusehen: Wenn V. 13f. lediglich die Aufgabe haben, V. 12d zu korrigieren, so hätte sich Paulus die ganzen Schwierigkeiten ersparen können, indem er V. 12d gar nicht geschrieben hätte. 3. So bleibt eine dritte Auslegungsmöglichkeit··o: Sie geht davon aus, daß die Schwierigkeiten, die Paulus zu einer Präzisierung zwingen"', im Denken des Paulus selbst liegen. R. 4, 15 hieß es: "Wo kein Gesetz ist, ist auch keine übertretung". Dort formulierte Paulus nicht speziell geschichtlich, sondern im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes: Eine übertretung muß immer eine übertretung von etwas sein. Auch R. 5, 13b will ein allgemein einleuchtender Grundsatz sein"·: Ohne Gesetz wird die Beziehung zwischen Sünde und Strafe nicht aufweisbar..•. Die Menschen zwischen Adam und Mose sündigten also nicht in
••• So ausdrücklich Kühl, Röm. 178. •1. Ku~s, Röm. 232. •'0 Ausführlich und gründlich wird diese Auslegungsmöglichkeit von Brandenburger, Adam und Christus 180ff., bes. 194, vertreten; ähnlich etwa auch schon Jülicher, Schlauer, Leenhardt, Michel, H. W. Schmidt z. St. ... Ob es sinnvoll ist, von einem "Einwand" zu sprechen, den dann Paulus gewissermaßen gegen sich selbst erheben würde, wie dies u. a. Brandenburger, Adam und Christus 182 will, scheint fragliCh. Auch formal liegt kein Einwand vor, vgl. JüngeI, ZThK 60 (1963) 54. Eher ist von einer Präzisicrung zu sprechen. ... So zu Recht Brandenburger, Adam und Christus 196. 1&1 Damit soll in etwa der Sinn von V. 13b wiedergegeben werden. Das Sitzlein bleibt aber schwierig. Klar ist der Wortsinn von ~}j.oY~6) = "anrechnen", "aufs Konto setzen", vgl. A. Deissmanll, Licht vom Osten, 4. Auß. Tübingen: Mohr 1923, 66; H. Preilker, Art. !)..)..oY~(o), ThW 11, 514f. Unklar dagegen bleibt der Vorstellungshintergrund und der genaue Sinn. G. Frittlric", 'AILDtPTtot OUK ~)..)..oye!TDtL, ThLZ 77 (1952) 523-528, dort 525f., weist auf die Vorstellung der himmlischen Bücher, aufgrund derer Gott richten wird. Doch dann wird man sagen müssen, daß sich der Satz lediglich auf die Weise, nicht aber auf die Tatsache der Strafanrechnung bezieht, denn auch zwischen Adam und Mose herrscht ja der Tod in der Welt. Dieser Tod kann ja in V. 14 nicht anders als in V. 12 und V. 17 verstanden werden, d. h. als auch das endgültige KDtTClKPLILDt in sich schließend, vgl. V. 16f. Im Judentum gibt es wenige Parallelen. Kaum wird man mit Friedrich aaO 527, und L. Ligitr, Peche d'Adam et peche du monde 11, Aubier 1961, 282f. darauf verweisen, dAß das jüdische Kind "in gewisser Weise" (I, Friedrich aa.0) noch ohne Gesetz lebe. Ein Leben außerhalb des Gesetzes ist für den Juden kaum denkbAr, vgl. auch R. 2, 14f. Nach jüdischer Auffassung werden auch die Heiden nach dem Gesetz gerichtet, vgl. s. Bar. 48,40; 4. Esr. 3, 33ff.; Rabbinisches bei Str.-B. III, 89; IV, 1203ff. Selbstverständlich wird angenommen, daß die Väter vor Mose das Gesetz gekannt und gehalten haben, vgl. o. S. 178; zur Präexistenz der Tora im Judentum vgl. Gutbrod, ThW IV, 1041, 3Of.; 1043, IIf. Mindestens in dieser Anwendung ist also V. 13b gegenüber dem Judentum neu. Da der Satz aber ein "allgemeingültiger Grundsatz" ist (Fricddch aaO 526), können noch weitere Parallelen herangezogen werden: Rabbinisch verbreitet ist
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
derselben Weise wie Adam, d. h. nicht in der Form der Übertretung eines konkreten Gesetzes, aber Sünde und Tod waren dennoch in der Welt. Es fehlte also lediglich ein Gesetz, das den Tod als Strafe für die Sünde hätte entlarven können ..•. Gegen diese Auslegung hat sich neuerdings E. JÜlIgel gewandt·... Er zieht R. 4, 15 ebenfalls zur Auslegung bei, indem er die Aufgabe des Gesetzes darin sieht, Zorn hervorzurufen. "Die Funktion des Nomos ist es, die a.IJ.O
Von den genannten Auslegungen scheint die dritte die geringsten Schwierigkeiten zu enthalten. Dennoch braucht die zweite nicht völlig verworfen zu werden. Sie hat nämlich den Vorzug, daß sie allein den Schlußsatz von V. 14: g~ ~cr't"tv 't"07tO~ 't"oü !L~AAOV't"OC; ausreichend motivieren kann. Nur ging sie von der Voraussetzung aus, daß Schuld Adams und Schuld jedes einzelnen Menschen sich ausschließende Alternativen seien, daß also in V. 12a und cl zwei verschiedene Grunde für die Herrschaft des Todes im Adamäon genannt seien. Dies ist für uns allerdings nicht anders denkbar; aber schon die Paulus nahestehenden jüdischen Aussagen zeigten, daß Schuld jedes einzelnen Menschen und durch die Schuld Adams geschaffenes schicksalhaftes Verhängnis durchaus keine Alternativen, sondern der Satz, daß bei unbewußter übertretung eines Gebotes dem Schuldigen seine Schuld nicht angerechnet wird, vgl. schon Nu. 15, 22ff. und Str.-B. 11, 192 zu Lk. 12, 47f.; vgl. auch J, 865f. zu Mt. 21, 28.31 und Ligier aaO 280 A. 105. Nach Philo, Deus Imm. 134 ist ein Mensch schuldlos, wenn die Vernunft nicht in seiner Seele wohnt, und denen, die aus Unkenntnis sündigen, wird Vergebung zuteil, vgl. auch Leg. All. 1, 35. Vereinzelt scheint die (nicht datierbare) Stelle Pesikt. r. 21 = 107a (bei Str.-B. III, 160): Die Heiden, die das Gesetz nicht haben, empfangen weder Lohn noch Strafe. Solches Denken mag die Entstehung des pln. Grundsatzes leichter verständlich machen. Daß Pis. keineswegs der Meinung ist, Menschen außerhalb des Gesetzes würden nicht gerichtet, zeigt R. 2, 12, wo ebenfalls zwischen verschiedenen Weisen des Richtens unterschieden wird, vgl. auch Lengsfeld, Adam und Christus 79f. t .. Vgl. Maurer, Gesetzeslehre 42 . ••• ZThK 60 (1963), bes. SOff., ähnlich auch H. Müller, ZNW 58 (1967) 87f. A. 67. Vgl. auch u. A. 250. ... Jüngei, ZThK 60 (1963) 54. 55.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5,12ff.?
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zwei Seiten derselben Sache sind 247 • Auch R. 7, 7ff. konnte ja von der "jemeinigen" Verschuldung wie vom Sündenfall Adams gesprochen werden. Solches Denken ist innerhalb der Denkstruktur der corporative personality möglich. Auch in V. 12 gibt Paulus einen Hinweis, wie wenig für ihn auseinanderbricht, was wir nicht zusammendenken können: XIXt oih·wc; - es heißt ja nicht: ulld nachher, oder: und außerdem verbindet ja beide Hälften von V. 12 aufs engste. So braucht Paulus in V. 13f. nicht einen ihm aus Versehen unterlaufenen, den ganzen Gedankengang störenden Zwischensatz (V. 12d) zu neutralisieren, sondern, indem er klar zeigte, wie auch in der Epoche vor dem Gesetz die Sünde am Werk war, nämlich eben in den Sünden der einzelnen Menschen, die damals lebten, sprach er ja von nichts anderem als der Macht der Sünde Adams, der gerade so zum Typus des Zukünftigen wird. Unsere beiden Verse geben uns wichtige Einblicke in das paulinische Verständnis der Geschichte in unserm Abschnitt. Wenn Paulus die auf Adam folgende Epoche besonders betrachtet, wird hier klar, daß Adam für ihn nicht einfach mythologische Personifikation jedes Menschen, sondern geschichtliche Gestalt am Anfang der Weltgeschichte ist. Auch das Gesetz ist hier, wie GI. 3 und anderswo, das in der Geschichte gegebene Mosegesetz, nicht etwa die jeder Existenz oder der ganzen Welt 'inhärierende Gesetzlichkeit248 , aber auch nicht präexistenter, dem jüdischen Volk im Geheimen von Anfang an vorgegebener Gotteswille. Gegenüber dem jüdischen Gesetzesverständnis scheint damit allerdings eine gewisse Entthronung des Gesetzes eingetreten zu sein, indem das Gesetz für Paulus zu einer vorübergehenden geschichtlichen Größe wird. Jedoch erfolgt diese Entthronung vorerst nur indirekt, da in V. 13f. nicht das Gesetz selbst zum Thema wird. Dies geschieht erst in V. 20. Die den Adamäon eigentlich bestimmenden Mächte sind Sünde und Tod, nicht das Gesetz. Unzweifelhaft ist es aber, daß Paulus in R. 5, 12ff. wirklich von der Geschichte, und· zwar der Geschichte als ganzer sprechen WillZ49 •
V. 20 greift Paulus noch einmal auf das Gesetz zurück. Nachdem in V. 12ff. gleichsam vom Standpunkt vor dem Gesetz aus festgehalten wurde, daß die Situation der Menschen vor und nach dem Ergehen ••• Gutbrod, Anthropologie 135 formuliert: "Weil der Mensch sündigt, ist er Sünder, und weil er Sünder ist, sündigt er". Vgl. auch o. A. 223. ••• Gegen G. Kublmann, Theologia naturalis bei Philon und bei Paulus, Gütersloh : Bertelsmann 1930, 77: "Paulus versteht unter Gesetz ein Grundphänomen der menschlichen Existenz als solcher" • ••• Die Heiden sind im Entwurf von R. 5. 12ff. nicht mitberücksichtigt, was mit dem von Pis. aus der Gemeinde übernommenen Denkschema zusammenhängen mag.
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IIf. Die abgetane Vetgangenheit: Gesetz IUId Geschichte
des Gesetzes nicht entscheidend verschieden war, wird dasselbe nun in V. 20 nochmals vom Standpunkt nach dem Kommen des Gesetzes aus wiederholt: Das Gesetz kam dazwischen hinein l60, damit sich der Fehltritt mehre. Auch hier ist der genaue Sinn schwer feststellbar. Woran ist gedacht? Man könnte sagen: Durch das Gesetz wird zwar nicht die Aktual~ünde, sondern die Schuld vermehrt, indem das Gesetz die übertretung als gottwidrig vor Augen stelltlOl • Oder: Das Gesetz vermehrt die aktualen Sünden, indem es die übertretungsmöglichkeiten vermehrt, oder indem es die Begierde nach dem Tun des Verbotenen weckt·... Oder: Das Gesetz vermehrt die Sünde, indem es den Menschen zum Jagen nach der "eigenen Gerechtigkeit" verleitet, dazu, das durch das Tun des Gesetzes verheißene Leben selbst zu erwerben···. Zu beachten ist a) der genaue Sinn des Wortes TtCXPIlTt"t"(J)!LCX und b) die paulinischen Parallelen. ad a) Der Sinn des Wortes "paraptöma" ist aus dem näheren Kontext R. 5, 15ff. zu bestimmen. "Paraptöma" ist die geschichtsbestimmende und sich in den Sünden und übertretungen der Späteren als mächtig erweisende Verfehlung Adams. Paulus wählte wohl das Wort, weil es anders als "hamartia" stärker den Tatcharakter der Sünde betonte. Auch in R. 5, 20 ist also von der Sünde Adams die Rede, die in den Sünden der spätern Menschen wirksam ist. Auf jeden Fall geht es um die Sündentat als Geschiehtsmacht, nicht um die individuellen Sündentaten·... ad b) Wichtig sind die Parallelen R. 3, 19f.; 4,15; 7, 7ff.; 9, 30ff.; GI. 3, 19ff. l8I • R. 9, 30ff. wird als Vergleichstext ausfallen, da dort weder von der geschichtlichen Setzung der Mosetora, noch von der vor der Christusbotschaft wirksamen Gesetzesübertretung die Rede ist, sondern von der "eigenen Gerechtigkeit", die ••• Der Versuch von Schunack, Das hermeneutische Problem des Todes 259f., nachzuweisen, daß TtCXPE'crij).~E'I nicht vorschnell "in einem heilsgeschiehtlichchronologischen Sinne" gedeutet werden dürfe, scheint mir mißglückt. Von V. 13 und 14a her ist das chronologische Moment auf jeden Fall vorgegeben. Die nächste SachparalIele, GI. 3, 17-19, enthält es ebenfalls. Nach Schunack, der sich an Jüngels Deutung (vgI. o. A. 245f.) anschließt, will das Gesetz die Sünde eschatologisch qualifizieren: "Die Sünde wird (nicht: wurde!) nicht als Sprach geschick offenbar, wenn das Gesetz nicht da ist - nun aber ist das Gesetz da'" (259f.). Unerklärt aber bleibt so die aoristische Formulierung na!1Btoij)..\}ev, in der S. einen Restbestand des gnostischen Mythos sehen muß, der dann allerdings vom heimlichen Kommen der Sophia oder einer ähnlichen Gestalt hätte sprechen müssen. Solche literarkritische und traditionsgeschichtliche Konstruktionsfreudigkeit können wir uns nicht zu eigen machen. 111 Z. B. Dodd, Röm. 83, vgI. ähnlich Sanday-Headlam, Röm. 143. 151 Z. B. Gaugier, Röm. I, 136, vgI. auch schon O. Kuss, Die Adam-Christus Parallele exegetisch und biblisch-theologisch untersucht, Diss. Breslau 1930 (Teildruck 1931),7. Lietzmann, Röm. z. St. kombiniert diese Auslegung mit der o. A. 251 genannten. ... Bultmann, TheoI. 266, vgl. auch Leenhardt, Röm. 87 . ... Brandenburger, Aclam und Christus 250f. legt eine sehr geschlossene Interpretation der Stelle vor: "Paraptäma" = "parabasill". Bisher gab es nur eine "par:'-ba~is.", näm.lich diejenige Adams, die nun .durch. da~ Gesetz "gewisserma~en vervlelfilltlgt" Wird (aaO 251). Dennoch schelOt mir diese Auslegung so mcht haltbar. Es kann nicht erwiesen werden, daß "paraptöma" = "parabasis" ist. "Parabasis" müßte mach R. 4,15, vgI. 5, 13f. streng als "übertretung des mosaischen Gesetzes" verstanden werden, was aber R. 11, 11f.; 2. K. 5, 19; GI. 6, 1 für "paraptöma" ausgeschlossen ist. ••• VgI.o.III5.
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Israel angesichts der Gerechtigkeit Gottes durch das Verharren beim Gesetz aufgerichtet hat. Auch R. 7, 7ff. können wir trotz mancherlei Beziehungen zu R. 5, 12ff. zur Interpretation von R. 5,20 nicht heranziehen"': R. 5,20 spricht von der Vermehrung des jedenfalls schon vor dem Gesetz vorhandenen "Paraptöma", R. 7 vom Entstehen der';orher nicht bekannten Sünde: R. 5, 12ff. handelt von der Geschichte, dem alten Äon, R. 7, 7ff. vom Ich. So werden wir am ehesten GI. 3, 19, im weitem R. 3, 19f.; 4,15 als nächste Parallelen heranziehen. Das hieße für R. 5, 20: Eher als in einer Vermehrung der Aktualsünden besteht das 7tAeOy.x~EtY des "paraptöma" darin, daß das Gesetz die Unentschuldbarkeit und Ausweglosigkeit der Sünde erweist. Diese Interpretation stimmt auch am ehesten mit dem Singular "paraptöma" und mit 5, 13 überein. Doch ist zuzugeben, daß sich Paulus sehr abbreviaturhaft ausdrückt und eine Interpretation unserer Stelle so oder so Gedanken anderer Stellen zu Hilfe nehmen muß.
Nun muß aber sogleich etwas beigefügt werden: Unsere bisherigen Ausführungen zu R. 5, 20 gingen noch am Skopus des Verses vorbei. Der Vers behandelt ja gar nicht - vielleicht als Anhang oder als Sonderthemas57 - die Frage nach dem Gesetz, sondern er spricht von der Gnade. Nur deshalb, damit Paulus nachher umSQ deutlicher von der Gnade sprechen kann, spricht er hier überhaupt vom Gesetz. Er will in 5, 20a "nicht das Gesetz interpretieren ... , sondern mit Hilfe des Gesetzes interpretieren"I&8. So geht es ihm auch nicht primär darum, einem jüdischen Einwand oder einer jüdischen Anfrage zuvorzukommenZ&8, auch nicht primär darum, das Gesetz in seiner Bedeutung herabzusetzen, sondern darum, die Gnade heraufzusetzen bzw. ihre überragende Höhe zu ermessen. Daß de facto Paulus dann allerdings at/eh dem Gesetz seinen bisher im Judentum innegehabten Anspruch strittig macht, ist richtig; aber das geschieht gleichsam nur nebenher und ist nicht die Hauptabsicht des Apostels. Und damit kommen wir nun auf die für unsere Fragestellung entscheidenden Strukturen des Kapitels. Immer wieder konnten wir feststellen, daß Paulus in unserm Abschnitt geschichtlich denkt. Adam ist Gestalt der Geschichte, das Gesetz ist das zu bestimmter Zeit gegebene Gesetz Mose, die Zeit vor und nach der Gesetzgebung kommt in den Blick. Zwar beschränkt sich Paulus darauf, die Geschichte hinsichtlich der in ihr vorliegenden Machtverhältnisse zu bedenken, d. h. er ••, Ausführlich und gründlich handelt über das Verhältnis von R. 5, 12ff. und R. 7, 7ff. Brandenburger, Adam und Christus 205-219. Vgl. auch o. A. 119. "7 Lietzmann, Röm. 65; Lagrange, Röm. 112; schon Calvin, Röm., eR LXXVII, 102, vermutet einen Nachtrag, den Pis. hier einfügte, weil er bei V. 13 den Zusammenhang nicht unterbrechen wollte. Allerdings ist durch V. 13f. der Zusammenhang des Vergleichs ohnehin unterbrochen. Kühl, Röm. 191, will V. 2Of. als "übergang zum folgenden Teil" mit dem Thema "Stellung und Aufgabe des Gesetzes innerhalb der Menschheitsgeschichte" behandeln. 111 J üngel, ZThK 60 (1963) 67. So etwa Pallis, Röm. 82; Jeremias, Gedankenf"ührung, Abba 270; BultlllaDD, Adam und Christus, Exegetica 439; Brandenburger, Adam und Christus 248f.
I.'
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I/I. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
geht wertend von der Gegenwart aus. Er geht nicht auf das Schicksal einzelner Menschen der Vergangenheit ein und vernachlässigt in diesem Abschnitt die Heiden völlig. Er interessiert sich für die Vergangenheit nicht um ihrer selbst willen. Dennoch kann nicht bestritten werden: R. 5, 12JJ. kommt die Geschichte als ganze in den Blick280• Nun muß aber sogleich ein Zweites beigefügt werden. R. 5, 12ff. ist die einzige Paulusstelle, wo die vergangene Geschichte als ganze in den Blick kommt. Entscheidend ist nun, daß dieser einzige Gesamttlthvurj der Geschichte bei Paulus nicht ein Entwurf der Heilsgeschichte, sondern gerade ein Entwurf der Unheilsgeschichte ist. Überall, wenn Paulus von der Vergangenheit heilsgeschichtlich, d. h. von Gottes Heilshandeln in der Vergangenheit sprach, fiel uns auf, wie sorgsam er die Kontingenz dieses Gotteshande1ns, seine Worthaftigkeit, seine Distanz zur Menschengeschichte wahrte281 • So scheint es nicht zufällig, daß es nur eine kontinuierliche, betrachtbare Geschichte des Unheils, nicht aber eine solche des Heils gibt. Von der an den alten Äon anschließenden Gegenwart, der durch Christus eröffneten neuen Zeit, spricht Paulus aber in anderer Weise. Hier hat er alle objektivierenden Aussagen sorgfältig vermieden. Er kann nicht mehr einfach von "den" Menschen oder dem Kosmos sprechen, sondern eine Präzisierung ist nötig, um die Freiheit der Gnade nicht zu gefährden: Dem alten Aon gegenübergestellt werden nur die Empfänger der Gnade 01. 17b). Auffälligerweise fehlen auf der Christusseite auch Praesentia fast völlig: Spricht Paulus von der Gnadenwirklichkeit, so gebraucht er den Aorist 01. 15); sobald er aber Aussagen über die Menschen als Heilsempfänger macht, wählt er das Futurum 01. 17. 19. 21). Der Glaube erfährt die Gegenwart als Heilszeit, gerade indem er das ihm gegenwärtig zugesprochene Heil als auch die Zukunft umfassend erfährt 282 • R. 5, 1 und R. 5, 19 gehören ••• Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 7f. meint, für die Gegenüberstellung AdamChristus cha~kteristisch sei "das Fehlen aller Bezüge auf das Alte Testament" und "daß Adam bei Paulus '" vom Namen abgesehen, mit dem Adam von Gen. 1-3 so gut wie nichts zu tun hat". Paulus kümmcre sich hier "um Israel und seine Geschichte so gut wie nicht". Entsprechend ist für Dietzfelbinger die Eintragung des Gesetzes in die Adam-Christus Typologie" ein Gedanke ... , der ihr nicht zugehört" (aaO 8). Doch ist Adam in R. 5 ganz eindeutig Gestalt dcr Urgeschichte. Dietzfelbinger verfallt m. E. dem Fehler, Paulus an einem ihm fremden, aus der Religionsgeschichte konstruierten Schema zu messen. Eine Analyse des pln. Geschichtsverständnisses wird sich nicht damit begnügen können, ein von Pis. benutztes Schema zu rekonstruieren, um dann, dcn pln. Versuch am Maßstab des Schemas gemessen als "nicht gelungen" (aaO 36 A. 69) zu bezeichnen. Für die Herausarbeitung des pOlllinirchen Denkens ist R. 5, 12ff., wo das Gesetz, und damit die Geschichte Israels, allerdings nicht ein Wort des Alten Testaments, präsent ist, nicht 1. K. 15, entscheidend. R. 5, 12ff. zeigt, daß bei Pis. das "Schema" von vorneherein streng auf die Geschichte bezogen ist, und zwar gerade auf die (Unheils-)Geschichte Israels. •n Vg!. dazu die Verweise o. Ein!. A. 7; zur Kontingenz der Gottesgeschichte ferner o. II 3 A Exkurs Nr. 3; 11 3 D Nr. 1. 2. 7; S. 182. 185f. . ••• V g!. Kertelge, Rechtfertigung 146f.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5, 12JJ.?
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zusammen. Ein Indiz ist auch, daß hier wie überall bei Paulus die zusammenfassende Chiffre a.twv !L~))..CJ)v fehlt!6S. Die neue Zeit kann also nicht als fixierbare Zeitepoche objektiv betrachtet werden, wohl aber die alte, insofern sie sich nämlich von der neuen her als "objektiv" abgeschlossen erweist. Dann muß noch ein Drittes gesagt werden: Obwohl bei Paulus die Unheilsgeschichte als Ganze in den Blick kommt, wird sie nun doch nicht zum Thema seiner Ausführungen. Gerade an der einzigen Stelle, wo die Vergangenheit als Weltgeschichte des Unheils in den Blick kommt, will Paulus ja gar nicht davon reden: Sein Thema ist vielmehr das durch Christus eröffnete neue Leben, die Gnade und ihre überragende und alles vereinnahmende Macht, ihre Unvergleichlichkeit allem andern gegenüber 28'. Die Unheilsgeschichte der Vergangenheit ist der Ort der gijttlichen Gnade. Die unüberbietbare, zum Tode führende, durch das Gesetz in ihrer ganzen Ausweglosigkeit festgehaltene Herrschaft der Sünde wird durch die Gnade Gottes überboten. Schon das Verbum 01tEp1tEPL<7<7EOCJ) deutet das überschwengliche Wunder Gottes an, das hier geschah. Die Unheilsgeschichte dient also letztlich nur dazu, die Gewißheit des Heils und seine alles überwindende Kraft ermemn Zu lamn. Sie dient nur daZZt, als Oberwundene die Größe des Vberwinders Zu bezeugen. Als Oberwtmdene286 kommt sie als ganze in den Blick, aber sie wird nicht zum Thema, mit dem man sich eigens beschäftigen müßte. Schon von da her legt es sich also nicht nahe, den universalgeschichtlichen Entwurf von R. 5, 12ff. gleichsam als Rahmen zu betrachten, in den nun die übrigen Bezüge des Paulus auf die Vergangenheit je an ihrem Ort gleichsam einzufügen wären. Außerdem ist ja, wie wir gesehen haben 288, die Gegenüberstellung Adam-Christus für Paulus ••• Vgl. o. A. 1. ••• K. Barth, Christus und Adam nach Römer 5, ThSt (B) 35, Zollikon: EVZ 1952, pss. bes. 15, betont zu Recht unermüdlich die Ungleichheit Christi gegenüber Adam. Nur wird seine Analyse theologisch falsch, weil er ständig R. 5, 12ff. zur Grundlegung der Anthropologie heranzieht, wo doch Pis. streng und ausschließlich von der Unvergleichlichkeit Chrirti und seiner Tat spricht. Vgl. dazu Bultmann, Adam und Christus, Exegetica 443f; Brandenburger, Adam und Christus 267ff. Barths Ansatz wird in vielem wiederholt bei Scroggs, Last Adam, bes. lOOff. Lengsfeld, Adam und Christus lOOff., nennt als Skopoi von R. 5, 12ff. 1. die Universalität des Heilsgeschehens; 2. das "relative Vorgegebensein von Heil und Unheil" in der Welt (aaO 104), aufgrund dessen sich der Mensch in det: Welt immer schon als Sünder vorfindet; 3. die Totalität der Verstrickung in Heil und Unheil und 4. den eschatologischen Charakter des Heils. Bei Punkt 2 und 3 ist übersehen, daß Pis. von Unheil und Heil nicht gleichgeordnet, sondern vom ersteren um des letzteren willen spricht. Die dogmatische Verwendung von R. 5, 12ff. kann deshalb vom Skopus des Abschnittes her nicht in der Neuauflage einer Erbsündenlehre bestehen, wie dies Lengsfeld aaO 242ff. möchte, sondern müßte allein in der Gnadenlehre erfolgen. ... Man beachte die durchgehenden Vergangenheitstempora auf der Adamseite I ••• V gl. o. A. 232.
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III. Di" abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
eher ein theologischer Neuentwurf in der speziellen korinthischen Situation als ein für ihn allezeit grundlegendes Schema. Neben R. 5, 12ff. beruft sich Paulus ja noch an vielen Stellen seines Denkens auf Vergangenes. Versuchen wir aber, die verschiedenen Bezüge des Paulus auf vergangene Geschichte zu einem Gesamtbild der Vergangenheit zu addieren, so stoßen wir auf Schwierigkeiten. a) Daß die Geschichte des alten Äons in R. 5, 12ff. und die Urgeschichte des Ichs in R. 7, 7ff. nicht einfach zusammenpassen, haben wir bereits gesehen887. b) Im Aufriß von R. 5, 12ff. fehlt Abraham als Träger der Verheißung. Auch die übrigf!n erwählenden Taten Gottes in der Geschichte Israels (vgl. R. 9, 6ff.) werden im Aufriß von R. 5, 12ff. vernachlässigt. Es wäre allerdings schon im Hinblick auf die Verbindung von Erwählungsgeschichte und Zwei-Äonen-Denken in der Apokalyptik falsch, hier einfach von gegenseitig sich ausschließenden Denkformen zu sprechenz8B • Würde Paulus eine Verbindung zwischen dem Geschichtsbild von R. 5, 12ff. und seiner Schau Abrahams ziehen, so würde Abraham etwa als isolierte Insel im Meer der UnheiIsgeschichte oder als letztlich gegenüber der menschlichen Sünde ergebnislose Tat Gottes (vgI. 4. Esr. 31) einzuzeichnen sein. Aber Paulus zieht überhaupt keine Verbindungslinie289 • Ähnliches läßt sich wiederum am Gesetzesverständnis der verschiedenen Abschnitte zeigen: Obwohl das Gesetz grundsätzlich immer als zeitlich begrenzte, die Epoche zwischen Mose und Christus vor allem bestimmende Geschichtsmacht gesehen wird, wird es doch sehr verschieden ausgewertet. GI. 3, 1ff. geht es darum, das Gesetz als Heilsweg auszuschließen. Daß es später gegeben wurde als die Verheißung ist ein Hinweis darauf, daß es als Heilsweg mit der Verheißung, die in Christus zur Wirksamkeit kam, nicht in Konkurrenz treten kann. R. 5, 12ff. steht das Gesetz als Heilsweg neben Christus nicht zur Diskussion; es taucht auf, weil es ein wesentlicher Bestandteil der Unheilsgeschichte ist, die durch Christus überholt und beendigt wurde. Es tritt also gewissermaßen nur im Gefolge Adams auf, der seinerseits eine ähnliche Stelle einnimmt, wie sie GI. 3, bes. V. 13f. das Gesetz hat: die Stelle der Unheilsmacht, aus deren Fluch (GI. 3, 13) uns Christus befreit hat. So ist auch über die Sünde vor dem Gesetz in GI. 3 und R. 4 bezeichnenderweise nicht reflektiert. ... Vgl. o. A. 119 und A. 256 . ... Vgl. die Verbindung beider Elemente in 4. Esr. 3 und o. A. n 140. Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 33f., ist h!er zu präzisieren. Zum Verhältnis von GI. 3; R. 4; R. 9, 61r. und GI. 4, 211r. zueinander vgl. außerdem o. S. 185 . ... Vgl. ähnlich auch Goppelt, NTS 13 (1966167) 40. Zur geschichtlichen Isolierung Abrahams vgl. o. S. 181f.
6. Eine
Kon~eption
der Universalgeschichte in R. 5, 12ff.?
207
So ließe sich sagen: Beide, Adam und das vom Menschen mißbtauchte Gesetz können für Paulus Chiffren der Macht werden, aus der Christus den Menschen befreit, bzw. des Ortes, an dem Christus die Menschen erlöst hat. "Adam" dient dazu, die Dimension der menschlichen Sünde, atIS der Christus erlöst, und damit die Dimension des Heils Zu zeigen: Es geht bei "Sünde" nicht nur um eine gleichsam private, freiwillige Mliglichkeit, sondern um ein die ganze Welt umspannendes Tatschicksal. Mithin ist Erlösung nicht nur da und dort notwendige Korrektur, sondern Umkehrung der ganzen Geschichte der Menschheit. GI. 3, 13. 21ff.; R. 4, 15; 6, 15; 10,4 haben dies gemeinsam, daß "nomos" die ganze Wirklichkeit der menschlichen Selbstmächtigkeit eröffnet, aus der Christus befreit hat, nicht nur einen Teilaspekt 270• "Nomos" führt dabei in die Tiefe der Sünde und entlarvt sie als Verkehrung"on Gottes I!!'ter Gabe, d. h. als wesenhaft gegen Gott gerichtet. Das Verhältnis der beiden Denkformen zueinander ist am ehesten als unausgeglichenes Gegenüber und kontaktloses Nebeneinander 271 Zu kennzeichnen, das einer Harmonisierung gar nicht
bedarf· c) Ganz ähnlich ist das Verhältnis von R. 5, 12ff. zu 2. K. 3, 4ff. zu beurteilen. Dort ist zwar nicht vom Gesetz, wohl aber vom "gramma" und vom alten Bund die Rede. Auch hier wird der alte Bund nie für sich, sondern immer schon in Relation zu dem ihn außer Kraft setzenden und überhöhenden neuen Bund thematisch. Da der Midrasch nicht anthropologisch denkt, wird über die Sünde in 2. K. 3 nicht explizit reflektiert. Ebensowenig wird die Frage nach der Zeit vor dem Mosebund, nach Vorhandensein oder Fehlen von Sünde und Tod damals, gestellt272 • Die Betrachtung des alten Bundes in 2. K. 3 bedarf zu ihrem Verständnis einer Einordnung in die durch Adams Tat bestimmte Geschichte des ganzen alten Äons nicht. Vielmehr zeigt schon die Parallelität in Skopus und Argumentationsforml78 , daß beide Entwürfe gleichsam patallel nebeneinander herlaufen, ohne daß ein Versuch ihrer chronologischen Verbindung gemacht wird. Umgekehrt bezeichnet "nomos" etwa R. 2,12; 4,16; 5,13 in verschiedener Weise einen Teilaspekt der vorchristlichen Existenz, sei es in geographischethnischer, sei es in zeitlicher Hinsicht. Heiden, bzw. die Menschheit vor Mose wird an den genannten Stellen nicht unter den Nomos subsumiert. Vgl. auch o. S. 153. und A. 82. m Ähnlich bereits A. Zabn, Gesetz 24f. Vgl. auch den ganz ähnlichen Befund in der pln. Eschatologie u. A. IX 47. "" Wiederum scheint mir Dietzfelbinger, Heilsgeschichte 13, den Text zu pressen, wenn er meint, 2. K. 3, 6ft". sei in "dem einzigen Abschnitt, in dem Paulus näher auf Moses Person eingeht, deutlich die Meinung" vertreten, "daß Sünde und Tod durch den Nomos zur Herrschaft kamen". Vom Nomos ist 2. K. 3 gar nicht die Rede, auch nicht von der Elllftehung der Herrschaft von Sünde und Tod • ... Durch den Vergleich mit cl - 7toUij) !1iiUov liegt in heiden Texten der Skopus auf der Charakterisierung des Neuen mittels des überholten Alten, der Herrlichkeit des neuen Bundes bzw. des durch Christus geschaffenen Heils mittels des alten Bundes, bzw. des Adamäons. 170
208
III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
d) Schließlich ist noch das Verhiiltnis zwischen R. 5, 12ff. und der Schau Israels, wie sie uns vor allem in R. 10 begegnete, zu prüfen. Auch hier gilt Ähnliches: Auch R. 10 sieht Israel in ständigem Ungehorsam gegenüber einem Gott, "der den ganzen Tag seine Hände ausbreitet gegen ein ungehorsames und widerspenstiges Volk" (R. 10, 21). R. 10, 13ff., vgl. R. 9, 6ff; 11,2ff., zeigt Gott als in der Geschichte Engagierten und in seinem Wort Gegenwärtigen. R. 5, 12ff. zeigt dagegen gleichsam nur die menschliche Seite dessen, was in R.10 höchstens als Folie von Gottes Handeln erschienen warm. Umgekehrt wird Israels Ungehorsam in R. 10 nie weiter begründet, etwa von der Schuld Adams her. Aber gerade so wird ein Anliegen gewahrt, das auch R. 5, 12f. sichtbar wurde: Die Sünde soll nicht durch metaphysische Begründung ihres Tatcharakters beraubt und zum schicksalhaften Verhängnis werden. Darüber hinaus sind die Unterschiede zwischen R. 5, 12ff. und R. 10 natürlich auch darin begründet, daß R. 5, 12ff. die Weltgeschichte, R. 10 eine konkrete Situation der Gegenwart vor Augen hat. Auch hier stehen verschiedenartige AuSsagen ohne Berührung, aber sachlich sich nicht ausschließend, sondern ergänzend, nebeneinander276 • Es ist also auch von hier aus nicht anzunehmen, daß sich R. 5, 12ff. die entscheidende und grundlegende Konzeption des paulinischen "" Zu R. 10 vgl. o. S. 30ff. Aber auch R. 5, 12ff. ist der "Ursprung des Todes" nur "Folie flir das eigentliche Thema des Abschnitts: den Ursprung des (neuen) Lebens" (Bultmann, Adam und Christus, Exegetica 432). In Es mag hier am Platz sein, zusammenfassend nochmals unsere schon an verschiedenen Stellen angetönte Stellung zu der an sich ausgezeichneten Studie Dietzjelbingm, Heilsgeschichte, festzuhalten, vgl. o. Ein!. A. 28; A.lI 463; A. 111 189. 260. 268. 272. 1. Das Nebeneinander von verschiedenen Denkformen bei Paulus is~ v?n D. ~ohl richtig gese~en, aber ve~sch.iedentlich in ~igentliche Gegensätze hlOelO gesteigert worden. Fur das VerhaltOls der verschiedenen Aussagen und Denkweisen zueinander ist das Stichwort der äußerlichen "Kontaktlosigkeit" und gegenseitigen Unabhängigkeit m. E. am ehesten zutreffend, vgl. auch o. A. 271. 2. D. reduziert die pln. Denkweisen auf drei: Adam-Christus (aaO 6ff.), Verheißung-Gesetz (aaO 9fT.) und die traditionelle Sicht der Heilsgeschichte (R. 9-11, aaO 16ff.). In Wirklichkeit ist die Sache wohl komplexer. R. 7, 7ff. läßt sich nicht einfach der ersten Gruppe, 2. K. 3, 6ff. schon gar nicht der zweiten zuordnen. Umgekehrt sind traditionelle Heilsgeschichte und Adamäon schon in der apokalyptischen Tradition miteinander verbunden, vgl. o. A. 268. 3. Für D. sind alle drei Denkweisen bei Pis. traditionell. Flir die Antithese Gesetz-Verheißung ist der Beweis nicht geliefert, lediglich in Aussicht gestellt (aaO 34 A. 67). Aber auch an den andern Stellen, wo Pis. Denkformen und Material aus der Gemeindetradition benützt (vgl. o. A . .II 284 und die dort gegebenen Verweise), übersieht D., daß diese Traditionen von Pis. selbst regelmäßig in einer bestimmten Richtung gestaltet und überarbeitet sind. Dabei ist zuzugeben, daß nicht Tendenz zur äußerlichen Harmonisierung Motiv der pln. Bearbeitung war. Na&h dem Motiv dieJer Bearbeitung "IÜßte aber gefragt Imd damit zur /a&hliGhen Bezug/mille der ver!&hiedenen Afluagen über die Gu&hiGlJJe vorgestoßen lIIerden. Kurz, Dietzfelbinger hat vielleicht im ganzen zu sehr schematisiert und vereinfacht. Er hat sich zu sehr darauf beschränkt, Denkformen zu konstatieren, statt sie zu interpretieren, wenn auch seine Arbeit als Korrektiv zu andern Konzeptionen, etwa der Cullmanns, überaus hilfreich ist.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5,12ff.?
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Geschichtsverständnisses zeigte. Zuviele verschiedene Ansätze stehen bei Paulus nebeneinander, die alle ihren bestimmten Ort in seinem Denken haben und von dort her verständlich werden, sich aber gegenseitig zu ihrem Verständnis nicht voraussetzen. Dem entspricht auch der traditionsgeschichtliche Befund, der verschiedene Anknüpfungspunkte des paulinischen Denkens feststellte. Kehren wir nach diesem Überblick wieder zU R. 5, 12ff. zurück. Eine letzte Frage blieb noch offen: Was führte Paulus in seiner Gedankenentwicklung dazu, nach R. 5, 1-11 scheinbar unvermutet und überraschend seinen Vergleich zwischen Adam und Christus einzuschieben? Die Antwort auf diese Frage ist durch zwei Dinge erschwert, ja fast unmöglich. Einmal ist es schwierig, in R. 5-8 eine straffe Disposition, innerhalb der die Einzelabschnitte eine genau bestimmbare Funktion hätten, zu entdecken. Während der Aufbau des Römerbriefs im Ganzen klar ist, während sich auch der Aufbau des ersten Hauptteils R. 1, 18-5, 11 im Einzelnen gut ermitteln läßt, ist der Aufbau von R. 5, 12-8, 39 immer noch umstritten: Hier scheint sich in loser Assoziation eines aus dem andern zu ergeben, und ein strenger Plan ist nicht nachzuweisen 276 • So hat sich bisher noch keine eindeutige Funktion von R. 5, 12ff. im Ganzen von R.5-8 gezeigt177, und wir sind auf den unmittelbaren Kontext des Abschnittes verwiesen. Hier taucht aber gleich die zweite Schwierigkeit auf. Sie besteht in dem 5,12 einleitenden 8LIX TOÜ-rO. Worauf bezieht es sich? Auf 5, 1-12178 ? Oder auf den ganzen Abschnitt von R. 3, 21 an Z79 ? Oder gar auf den ganzen bisherigen Teil des Römerbriefs 280 ? Oder sogar erst auf den folgenden Vers R. 5, 12281 ? Alle diese Versuche lassen sich nicht eindeutig begründen. Oder muß man auf einen prägnanten Sinn von Vgl. Luz, ThZ 25 (1969) Einleitung 3. Die Schwierigkeiten werden von Brandenburgers Erwägungen (Adam und Christus 255ff.) schön beleuchtet. B. versucht, R. 5, 121f. als "grundlegende Einleitung" (aaO 262) zu den folgenden Kapiteln zu verstehen. R. 5, 12ff.lieferte dann die Basis der folgenden existentialen Interpretationen. Aber das läßt sich exegetisch kaum nachweisen. Das Hauptargument Brandenburgers ist ein negatives: Er kann R. 5, 12ff. nicht als "Zusammenfassung oder Epilog zum Vorhergehenden verstehen" (aaO) und muß deshalb eine andere Lösung suchen. Nur wird aber R. 6, 1ff. gerade nicht auf l{. 5, 12ff. als "Basis" zurückgegriffen und R. 7, 7ff. steht in nicht unbeträchtlichem Widerspruch zu ihr, ja, enthält in sich selbst einen geschichtlichen Aspekt (V. 9ff.). •,. Z. B. B. Weiss, Röm. 232; Althaus, Röm. 47; Michel, Röm. 138 A. 1. ... Kühl, Röm.174. 110 F. Godel, Kommentar zu dem Brief an die Römer I, 2. Auß. Hannover: C. Meyer 1892, 246; Leenhardt, Röm. 81 A. 2. '.1 Vgl. Pallis, Röm. z. St. ("The reason is this": Wie durch einen Menschen ... aaO 78). Sehr schwierig ist die Konstruktion von Ligier, Adam 11, 265, der dem Anakoluth zu entgehen sucht, indem er R. 5, 11f. paraphrasiert: .. Nous nous glorifions par ... Jesus Christ, puisque c'est par Lui que des maintenant nous avons obtenu la rckonciliation. (12) Oui, pour cctte raison ll, comme c'cst par UD seul homme •.. " 171
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
8ttX -roü-ro verzichten und es als bloße Übergangswendung bezeichnen· 81? "Dia touto" kann natürlich bloße Obergangswendung sein, auch wenn es von Paulus im allgemeinen nicht so gebraucht wird .... Daß dem hier nicht so ist, läßt sich allerdings nicht beweisen. Nur wäre dann für das Verständnis nichts gewonnen, indem der einzig mögliche Anhaltspunkt, der Auskunft darüber geben könnte, warum Paulus hier auf Adam zu reden kommt, wegfällt. So soll wenigstens der Vem«h einer Interpretation gemacht werden, mit dem Bewußtsein, daß diese mit großer Unsicherheit belastet bleibt. Eindeutig ist, daß Paulus beim Ansetzen in V. 12 bereits die ganze, dann unterbrochene Antithese Adam-Christus vorschwebte, so daß nicht bloß eine ihrer Seiten, Adam oder Christus, durch "dia touto" zur Konsequenz des Vorhergehenden würde. Die Frage, worauf sich "dia touto" nach rückwärts bezieht, ist m. E. nicht vordringlich. Natürlich bezieht es sich zunächst auf die unmittelbar vorangehenden Verse 5,9-11, wofür auch die dort wie V.17IT. auftauchende futurische Dimension spricht. R. 5,9-11 aber hängt wiederum eng mit dem ganzen Abschnitt R. 5, 1If., dieser mit R. 3, 2Ur. zusammen, so daß sich in einem weiteren Sinne "dia touto" auch auf diese Abschnitte bezieht.
So ließe sich der Gedankengang kurz so umschreiben: Weil wir - durch Christi Tod versöhnt - umso gewisser in seinem Leben gerettet sein werden (V. 10) und uns deshalb durch ihn in Gott rühmen (V. 11), deshalb gilt die folgende Gegenüberstellung: Wie durch einen Menschen Sünde und Tod in die Welt kamen und herrschten, so werden umso mehr die durch einen Menschen Begnadigten im Leben herrschen. Etwa das wollte Paulus wohl sagen; dann ist ihm der Gedankengang zerbrochen, weil zahlreiche Einschränkungen und Präzisierungen nötig wurden, die den ursprünglich beabsichtigtenVergleich zu einem "geschichtstheologischen ,Exkurs' "284 ausweiteten. Interessant ist folgendes: Hier wird eine "geschichtstheologische" und damit "objektive" - beide Begriffe seien möglichst unbelastet verstanden - durch eine soteriologische und in der ersten Person Plural formulierte, also "subjektive" Aussage begründet und nicht umgekehrt. Das heißt: Die Tatsache der an uns geschehenen Rechtfertigung und Versöhnung, also eine Erfahrung, führt hier Paulus dazu, deren Bedeutsamkeit in die Geschichte hinein Zu eI1tnJerjen·86• Es ist hier also nicht so, daß ein an einem bestimmten Wendepunkt der Geschichte geschehenes,
.8'
Z. B. Lietzmann, Röm. 51; Lagrange, Röm. 105 . Pis. braucht 8~« TOÜTO sonst prägnant und zwar zurückweisend R. 1,26; 13,6; 1. K. 4,17; 11,10.30; 2. K. 7, 13; 1. Th. 3, 5. 7; nach vorne weisend 2. K. 13, 10; 1. Th. 2, 13 (an der erstgenannten Stelle mit folgendem tl/at, an der zweiten mit 6T~); unsicher R. 4,16; 15,9. Eine gute Parallele gibt 2. K. 4, 1, wo es eindeutig sich auf den ganzen vorangehenden Abschnitt bezieht, der mit "indem wir nun diese ,Diakonie' haben" nochmals zusammengefaßt wird . • 8. Bornkamm, Anakoluthe, Aufs. I, 81. 111 Vgl. Bomkamm, Anakoluthe, Aufs. I, 81: "Die XatTcx}.Aatyfj ermöglicht und schafft die Aufgliederung der Geschichte". • 11
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5, 12ff.?
211
fixierbares Ereignis hinterher auf seine Bedeutsamkeit bedacht würde, sondern - wenn diese Unterscheidung überhaupt sinnvoll ist - genau umgekehrt. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß Paulus das Andere nicht auch tun könnte286 • Jedenfalls wird deutlich, wie sehr auch R. 5, 12ff. von der durch Christus eröffneten Erfahrung herkommt und nicht den Ablauf der Universalgeschichte in abstracto, sondern eben das, was durch Christus geschehen ist, interpretieren will. Doch müssen dies angesichts der Schwierigkeiten, 8tIX 't'oü't'o zu interpretieren, ungesicherte Erwägungen bleiben. 1. Exkurs: Zum Problem der paulinischen Ontologie Verschiedentlich sind wir bei der Besprechung pauIinischer Begriffe auf Strukturen gestoßen, die sich für uns nur als eigenartiges Schwanken zwischen geschichtlichen und existentialen Kategorien beschreiben ließen. a) Dem Begriff 11611-0t; eigen ist das Schwanken zwischen einem positiven geschichtlichen Ereignis, nämlil:h dem am Sinai durch Mose gegebenen Gottesgesetz, und einer den Menschen in bestimmter Weise beanspruchenden Macht"'. Allerdings entspricht die faktisch geschehende Inanspruchnahme des Gesetzes durch den Menschen ohne den Glauben und dann wiederum die Art und Weise der Machtausübung des Gesetzes über eben diesen Menschen nicht dem, was das Gesetz eigentlich will. Auch bei andern Begriffen ist uns ein ähnliches Schwanken in verschiedenen Dimensionen begegnet: 'E7ttlrYe).(tl ist zugleich kontingentes göttliches Wort in der Vergangenheit und existenzgründendes Wort in der Gegenwart·... 'EXAOril weist zugleich auf das souveräne Handeln Gottes in der Geschichte wie auf eine bestimmte Struktur des Gnadenheils·... Auch fMot; ist ganz besonders das in der Geschichte widerfahrende Heil···. 'AlJ.tlp-r(tl ist eine die ganze vergangene Geschichte bestimmende Macht und unvertretbare Tat des EinzeinenS91 • IHMtt; ist nicht nur geschenktes Gottesverhältnis des Einzelnen, sondern kann auch durch Christus gekommenes, den Einzelnen umgreifendes Signum des neuen Äons sein 2u ; gerade dadurch wird aber verhindert, daß Glaube in der Tat des einzelnen IVIenschen sich erschöpft, mithin gegen das Mißverständnis eines neuen Werkes nicht mehr geschützt ist···. Schließlich kennzeichnet eine ähnliche Struktur das paulinische Geschichtsdenken überhaupt: Die Geschichte des alten Äons (R. 5, 12ff.) ist zugleich Geschichte des Ich (R. 7, 7ff.), die wiederum nicht bloß Geschichte des Individuums oder Geschichte aller einzelnen Individuen, sondern auch Geschichte der in Adam personifizierten Menschheit ••• R. 6, Iff. zieht Pis. wiederum praktische Konsequenzen aus seinem geschichtstheologischen Exkurs . •., Vgl. o. S. 142f; 111 2 B bund C; 111 4 D; S. 206f.; u. III 7 Nr. 3; vgl. auch zu "gramma" o. II 6 B. ••• Vgl. o.lI 3 A Exkurs und III 4D . ... Vgl. o. S. 82. ••• Vgl. o. S. 76f. 101 Vgl. o. S. 137. 166f. 207; vgl. u. A. 296. 111 Vgl. o. S. 147f. und A. 73. ••• Man kann fragen, ob die Darstellung der "pistis" in der Theologie des Pis. durch R. BuJlfIlann (Art. 7ttauu", X-rA., D, ThW VI, 203-230, dort bes. 218-224; ders. Theol. 315-331) gegen dieses Mißverständnis genügend gesichert ist. BultMann betont: Der Glaube ist Tat, nicht Werk (ThW VI, 221, IOff.; Theol. 316f.)
212
[ll. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz and Geschichte
ist'''. Vergangene Geschichte ist bei Paulus immer auch unvertretbar eigene Geschichte. Individual- und Weltgeschichte erscheinen bei ihm in engem Konnex"'. Wohlverstanden: Bei diesen Beobachtungen zur Struktur paulinischen Denkens handelt es sich nicht um für Paulus spezifische Dinge. Schon im Judentum ist ein ähnlich strukturiertes Sünden- und Geschichtsverständnis nachzuweisen··' oder mindestens in seiner ontologischen Möglichkeit grundgelegt. Die corporative personality als im Alten Testament verbreitete Denkmöglichkeit zeigt die Linien, die von dort her zu Paulus führen. Die theologische Leistung des Paulus besteht dann weit eher in Umwertungen, Neuakzentuierungen, da und dort auch Neukonzeptionen aufgrund des innerhalb der ontologischen Voraussetzungen des Spätjudentums Denkmöglichen. b) Noch an einem andern Punkt des paulinischen Denkens können wir dieses eigentümliche Schwanken paulinischer Begrifflichkeit zwischen geschichtlicher Größe und Existenzgrund beobachten: in der Christologie. Nur auf einiges Wesentliche sei hier hingewiesen. Beginnen wir mit der Wendung awl'CIt XpLaToü. R. 7, 4 meint "Leib Christi" sicher den am Kreuz getöteten Leib···. 1. K. 10, 16 und 11, 27 meinen den getöteten Leib Christi in seiner gegenwärtigen Wirkung im Sakrament..•• 1. K. 10, 17 führt dann ohne Bruch des Gedankens die ekklesiologische Nuance ein, die wir auch 1. K. 12, 12ff. wiederfinden, vgl. 1. K. 1,13; 6,15; R. 12,4..•. Ew!'Clt XpLaTOü schwankt also eigenartig hin und her zwischen
und beschreibt den Glauben als Gehorsam, Bekenntnis, Hoffnung, Furcht und Vertrauen. Bultmann spricht kaum von einem überindividuellen Gesamtphänomen .. pistis" (vgl. GI. 3, 23ff.), das den Einzelnen umgreift (vgl. aber doch Theol. 330f.), wie der Einzelne denn auch il( 1t(aTEro<; (20xl) gerechtfertigt wird. In gewissem Sinn ist also der "Glaube" eine Wirklichkeit, die auch vor dem Glauben des Einzelnen liegt, obwohl er andererseits auch wieder nur im Glauben des Einzelnen seine Wirklichkeit hat. , •• Vgl. o. S. 167f. und o. A. 277. m V gl. die Verweise u. A. 363. , •• Vgl. zum Judentum o. A. 87. 114.223; zu Pis. o. S. 137. 167f. 200f. Vgl. ferner o. A. 11235• ... GI. 2, 19f.; 4, 4f. und das vorangegangene Kap. 6 sprechen gegen eine ekklesiologische Deutung; ebenso muß berücksichtigt werden, daß .. Leib Christi" in seiner ekklesiologischen Verwendung nicht in soteriologischen Zusammenhängen vorkommt, vgl.Schweizer, Homologumena, Neotestamentica 291; Weiteres bei dems., ThW VII, 1064 A. 414. Eine Doppelbedeutung an unserer Stelle nehmen E. !Amon, Christus als Vorbild, ASNU 23, Uppsala/Lund: Gleerup 1962, 104, und früher schon I. A. T. RobinJOn, The Body, Studies in Biblical Theology 5, London: SCM 1952, 47, an. Zur ontologischen Grundstruktur von "söma" überhaupt vgl. die aufschlußreichen Bemerkungen bei Güttgemanns, Apostel 224f. ••• Die Parallelität zwischen ..söma" und .. hainla" verbietet eine ekklesiologische Deutung von ..s6ma" in V. 16; vgl. H. rJ. Sodell, Sakrament und Ethik bei Paulus, in: Urchristentum und Geschichte I, Tübingen: Mohr 1951, 239-275, dort 263. ... Zur Entstehung der ekklesiologischen Bedeutung von awl'CIt XpLaTOü: Sowohl 1. K. 12, 12f. 27 und 1. K. I, 13; 10, 17, als auch besonders 1. K. 6, 15 (OUI( ot&CltTEI) ist ·die "sömaChristou"-Vorstellung in der korinthischen Gemeinde als bekannt vorausgesetzt. In dem ebenfalls in Korinth geschriebenen Römerbrief drückt sich Pis. 12,4f. weit vorsichtiger aus, vgl. Schweizer, ThW VII, 1067, 11-23. In dem früher geschriebenen GI. wird dieselbe Sache ohne den Ausdruck ..söma Christou" gesagt 3, 26-29. Die Häufung von ..söma" überhaupt in R. und den beiden K. ist auffällig, vgl. Schweizer aaO 1060, 34ff. Wie bei der Antithese Adam-Christus (vgl. o. S. 196f.) dürfte die Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth für die Ausbildung dieses Theologumenons entscheidend gewesen sein.
6. Eine Konzeption der UniversDlgeschi,hte;n R. 5,12ff.?
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dem vergangenheitlichen, christologischen und dem kosmisch-ekklesiologischen, prlisentischen Aspekt, wobei dann der Leib Christi immer schon vor der ihn aUBfüllenden Summe der Gläubigen da ist. Die Abendmahlsstellen 1. K. 10, 16; 11,27 stehen etwa in der Mitte, indem sie prlisentisch, aber nicht ekklesiologisch denken. Eine ähnliche Doppelstruktur läßt sich m. E. bei der viel behandelten Wendung Lv XP~(J't'ii> aufzeigen. Schon früher, als sie oft für die sog. paulinische Christusmystik in Anspruch genommen wurde, stellte man neben dem mystischen Sinn einen "heilsgeschichdichen" Gebrauch fest· ... Durch F. Neugelnuer wurde sie mit "bestimmt ... von dem Umstand, daß Jesus Christus gestorben und auferstanden ist" paraphrasiert··l. Daneben hat sie allerdings sicher auch eine ekklesiologische Nuance: Lv Xp~(J't'ii> heißt: im Leib Christi·... Wiederum dürfte es sich dabei nicht um zwei sich für Paulus ausschließende Momente, sondern um sich ergänzende Aspekte handeln. Ähnliches läßt sich auch am paulinischen Reden vom Kreuz Chrüti zeigen. Natürlich denkt hier Paulus zunächst an das historische Ereignis des Kreuzestodes Jesu, doch bleibt auffallig, wie oft bei ihm das Kreuz mit einem Sprach begriff verbunden erscheint, so daß man mit einigem Recht das Kreuz bei Paulus als Sprachereignis bezeichnen könnte···. GI. 6, 14 beschreibt die Wirksamkeit des Kreuzes Jesu Christi in Bezug auf das Weltverhältnis des Paulus: Durch das Kreuz Christi wird der Existenz des Paulus ein neuer Ort geschaffen: Die Welt ist ihm und er der Welt gekreuzigt. Hier ist das Kreuz eine gegenwärtige
Dafür spricht auch, daß "söma Christou" als ekklesiologischer Terminus streng genommen eine Unterscheidung zwischen dem auferstandenen Christus und den Gläubigen, mithin den eschatologischen Vorbehalt ausschließt: Wenn die Gläubigen im "söma" Christi sind, haben sie auch an dessen Auferstehung teil; vgl. auch Güttgemanns, Aposte1253f. und A. 38; 255 Abschn. 2. Das sieht auch O. Cu/Imann, Die Vorwegnahme der Erlösung des Leibes nach dem Neuen Testament, in: Vortrlige und Aufsätze, Zürich: Zwingli 1966, 403-413, dort 407ff., der Geist, Taufe und Abendmahl als "Auswirkungen des Leibes der Herrlichkeit" (sc. des Auferstandenen) auf die Kirche versteht (aaO 409). Demgegenüber ist zu betonen, daß Pis. - offenbar bewußt - nur in der Paränese vom Ausdruck "söma Christou" Gebrauch macht und schon von da her den Enthusiasmus der korinthischen Gemeindetheologie abbiegt. Vgl. auch Schweizer, ThW VI, 415, 18ff. und E. Käsemann, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, in: Exegetische Versuche und Besinnungen 11, Göttingen: Vandenhoeck 1964, 105-131, dort 123. R.'erIIelt, The Pauline Anthropological Terms. Their Use in the Struggle against Earfy Chtistian Heresy, Diss. masch. Tübingen 1964, 382f., vennutet sogar, daß Pis. den "eigentlichen" Sprachgebrauch von "Leib Christi" erst beim Diktat von 1. K. 12, 12f. spontan entwickelt habe, denn der Abschnitt beginne noch mit der typischen Einleitung einer Metapher (K~tinep). Doch ist der "eigendiche" Sprachgebrauch 1. K. 1, 13; 6, 15; 10, 17 bereits vorausgesetzt. ••• H. E. Weber, Die Fonnel ,In Christo Jesu' und die paulinische Christusmystik, NKZ 31 (1920) 213-260, dort 220. $.1 Das paulinische ,In Christo', NTS 4 (1957/58) 124-138, dort 131, vgl. den., In Chrisrus 147ff. Die zeitliche Bestimmtheit von "in Christus" tritt in der Tat etwa R. 3, Uf.; 8,39; 2. K. 3, 14; 5,19; Phil. 2, 5 deudich hervor, vgl. auch die auf das Kreuz zurückweisenden Begriffe "apolytrösis" (R. 3, 24), "agape" (R. 8,39) und "katallage" (2. K. 5, 19). ••• Das zeigen besonders die Stellen, wo l:v XP~'t' weder mit einem Substantiv, noch mit einem Verb sich verbindet, sondern etV«L steht bzw. ergänzt werden muß, 2:. B. R. 8, 1; 2. K. 5, 17; 12, 2; Phil. I, H.; 4, 21, vgl. Bultmann, Theol. 312, und W. G. Kümmel, Besprechung F. Neugebauer: In Christus, ZRGG 14 (1962) 379-381, dort 380. ••• 1. K. I, 18 (>.6yo(ö); I, 23, vgl. auch GI. 5, 11 (JC'r)PÖ(J(J6); GI. 3. 1 (X«'t" 6~Ct).fLOö(ö npoypti,w); 6,14 (KcxUXetofLCXL).
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I/f. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz nnd Geschichte
Wirklichkeit·... Auch die cly&1t"I) Christi ist zugleich vergangene Liebestat am Kreuz und gegenwärtige Liebesmacht8 . ' . Seine Verdichtung findet solches Denken im paulinischen Taufverständnis, wo Christi Tod vom Täufling existentiell nach-erfahren wird ..•. Ob auch die Repräsentation Christi im Apostel in diesen Zusammenhang gehört'·'? Schließlich zeigt sich ähnliches Denken in dem Nebeneinander des eher am vergangenen Heilsereignis orientierten Christustitels und des eher an der gegenwärtigen Heilserfahrung orientierten Kyriostitels bei Paulus. Dabei erweist sich der Kyriostitel gegenüber dem Vergangenheitsaspekt als verhältnismäßig spröde'·', während viele ZUge des flir den Kyriostitel bestimmenden Gegenwartsaspektes auch in den Christus titel eindringen'··. Der letztere ist also der umfassendere und die Spannweite des paulinischen Denkens stärker umgreifende.
Wir sind uns bewußt, mit der vorangehenden Aufzählung auf Phänomene hingewiesen zu haben, die eine sehr differenzierte phänomenologische und religionsgeschichtliche Betrachtung erforderten, und es liegt uns ferne, hier einfach zu schematisieren. Im einzelnen liegen Nuancen und Probleme sehr verschieden und zahlreiche Einzeluntersuchungen wären nötig. Es soll hier lediglich auf ein großes, weitgehend unbegangenes Untersuchungsfeld hingewiesen werden: das Problem der dem Denken des Paulus zugrundeliegenden Ontologie. Entscheidende theologische Begriffe und Aussagen bei Paulus haben Strukturen, die wir leicht als diastatisch empfinden und nur als Nebeneinander verschiedener Komponenten im selben Begriff beschreiben können. Von dieser Schwierigkeit, paulinische Ontologie, die in einem hier nicht näher zu bestimmenden Ausmaß von der uns leitenden unterschieden ist, nachzuvollziehen, können leicht falsche Alternativen in der exegetischen und systematischen Debatte entstehen, die durch unser eigenes Denken und unsere eigene Sprache geprägt ist. Im Verlaufe unserer Untersuchung haben wir immer wieder festgestellt, daß vieles von dem, was wir nur als Nebeneinander verschiede1.4 Man beachte auch die Perfekte, denn es geht nicht um bloß psychologische Erfahrungen des Pis. Das Kreuz ist also bei Pis. in einem gewissen Sinn Vergangenheit, in einem gewissen Sinn Gegenwart. Beide Aspekte dürfen nicht voneinander getrennt werden, und die Frage von E. Jrhwei:(.er (an Bultmann), Zur Interpretation des Kreuzes bei R. Bultmann, in: Aux Sources de la tradition chretienne, Me\. M. Goguel, Neuchätcl: Delachaux & Niestle 1950, 228-238, dort 230, ob "für ihn (sc. Bultmann) die Rettung des Glaubenden nicht in jenem Ereignis des Jahres ca 30 n. Chr. stattgefunden hat. sondern in dem Wechsel seines Selbstverständnisses", dürfte von PIs. her gerade nicht alternativ beantwortet werden. Vg\. auch G. Wimtke, Paulus über Jesu Tod. BFchTh 2/42. Gütersloh : Bertelsmann 1939, 106: Das Kreuz ist zugleich "unwiederholbares Einzelgeschehen und "übergeschichtliche, gegenwärtige Macht". 1.1 Vgl. u. A. VITl48. 3.8 Allerdings sind nicht alle Stellen eindeutig. Sicher zur Taufe gehören R. 6, 6, wahrscheinlich auch GI. 2, 19f. I •• Dazu vgl. Güttgemanns, Apostel, bes. 94ft". ••• Kramer, Christos § 47bc. 52 Nr. 4, vg\. 18e. ... Vgl. Kramer, Christos § 3211. 34. 41 Nr. 5.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5, 12ff.?
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ner Dimensionen und Bedeutungen beschreiben konnten, für Paulus übergangs- und nahtlos zusammenlag und von ihm wohl weit mehr als ein Sich-Ergänzen verschiedener Aspekte empfunden worden sein muß. Es ergäbe sich von hier aus das Postulat einer "ontologischen lnterpretation"310, das heißt: einer Interpretation unter Erhebung der den paulinischen Texten implizit zugrundliegenden Ontologie und unter Berücksichtigung des Unterschieds zwischen jener und der unserm eigenen Denken zugrundeliegenden. Doch sei damit nur eine Aufgabe angedeutet. Zwei Konsequenzen seien noch gestreift: 1. Es ist problematisch, das Aus-Sein etwa des paulinischen Denkens auf die Existenz direkt zur Rechtfertigung des im Gefolge Heideggers aufgestellten Programms der "existentialen Interpretation" zu verwenden. In der Tat gibt es bei Paulus auch so etwas wie existentiale Interpretation3l1 • Während aber für Heidegger bereits das ontologische Problem der Geschichte ein existentiales ist311, scheinen bei PaHIHs gerade viele der am stärksteIl /·cflektierten Begriffe die menschliche Existentialität als ontisch von der Geschichte konstitHiert Z" sehen. Damit ist ein grundlegender Unterschied sehr vorsichtig und auch vorläufig angedeutet. Wie weit die hier sich bemerkbar machende Differenz eine rein ontologische ist, oder wie weit hier die Ontologie ihren theologischen Grund hat, kann hier nicht weiter erörtert werden. Immerhin bleibt zu bedenken, daß bei Paulus die Konstituiertheit der menschlichen Existenz durch etwas Außerhalb-ihrer weitgehend eine solche durch die Geschichte (Gottes) ist. Dann würde die ontologische Struktur der paulinischen "Existentialien" mit darauf hinweisen, daß Paulus die Bestimmtheit der menschlichen Existenz sowohl durch die (für uns: immanente) Macht der Selbstverwirklichung als auch durch die (für uns: transzendente) Macht der Gerechtigkeit Gottes als Bestimmtheit durch Geschichte versteht. Doch muß es hier bei diesen sehr vorläufigen Andeutungen bleiben. 2. Die zweite, der ersten gewissermaßen komplementäre Konsequenz bestünde in der Erkenntnis, daß in die paulinische Christologie, aber auch in das ganze paulinische Nachdenken über vergangene Geschichte die menschliche Erfahrung 313 zentral hineingehört. Unheils... Ich freue mich, hier in die selbe Richtung vorzustoßen wie Stuhlmacher, EvTh 27 (1967), vgl. bes. H. 35. Eine mir im Einzelnen noch unbekannte programmatische Schrift von H. Oll und K. Olle zu diesem Thema soll demnächst erscheinen. In Vg!. o. Ein!. A. 28 und die dort gegebenen Verweise. nl Vg!. Heidegger, Sein und Zeit 382• • 18 Mit diesem Begriff sollen keine prinzipiellen Aussagen über das Verhältnis von "Glaube" und "Erfahrung" gemacht werden, so !lehr dieses vernachlässigte Problem einer erneuten dogmatischen Durchdringung bedürfte. Es ist lediglich an das
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz lind Geschichte
geschichte wird als Geschichte des Ich, Geschichte Israels als Geschichte der menschlichen Versklavung unter das Gesetz, Geschichte der Verheißung und des Sprechens Gottes im alten Bund als jetzt den Hörer treffendes und befreiendes Wort verstanden. Christus ist mit seinem Kreuz, seinem Leib und seiner Armut gegenwärtig präsent. Entscheidend bleibt aber, daß Erfahrung keinesfalls etwas ist, das gleichsam sekundär zu den geschichtlichen Tatbeständen dazukommt, sondern bereits von der Struktur der Begriffe her mit zu ihnen gehört. Gerade auch das jeder Erfahrung unaufgebbar vorausliegende Prae des Wortes, das die alle mögliche Erfahrung übersteigende Wirklichkeit des Heils ausmacht, gerade jener Grundzug des Evangeliums, der Paulus immer wieder zum Gebrauch der Dimension der Vergangenheit führt, wird immer erst als die menschliche Existenz umstürzende Erfahrung wirksam. Darin zeigt sich, daß die Christus"erfahrung", also das Kommen eines "Damals" ins "Heute", ontisch und das eine neue Auslegung der Wirklichkeit begründende Christusgeschehen ontologisch Ausgangspunkt und Mitte des paulinischen Nachdenkens über Geschichte sind. So wird eine mögliche Objektivierung von Vergangenheit, Unheilsgeschichte und Gotteswort, sowie der Christologie zu einem Geschichtsbild von vorneherein verhindert. 2. Exkurs: Zur Genesis der paulinischen Gesetzeslehre. Eine Skizze Die Entstehung der paulinischen Gesetzeslehre liegt im Dunkeln. Ein Vergleich mit dem Judentum fällt schwer, weil gerade an diesem Punkt Paulus sich total von ihm unterscheidet314 • Seine Gesetzeslehre ist in sich so vielschichtig, so Verschiedenes klingt darin an, daß es schwer ist, ihren Ursprung aufzuzeigen. Immer wieder ist uns axiomatisch-grundsätzlich eine These begegnet: Glaube oder Gesetzeswerke, Gesetz oder Verheißung, Gesetz oder Christus315• "Oder" trennt dabei im Sinne des Paulus sich radikal ausschließende Heilswege.
Phänomen der existentiellen Veri6zierung geschichdicher Aussagen, wie es uns beispielsweise bei der Betrachtung des Verhältnisses von GI. 3, 1-5 zu 3,6ff. (vgI. o. S. 146ff.) oder bei der Interpretation von R. 7, 7ff. (vgI. o. S. 167f.) begegnet ist, gedacht. "" VgI. etwa typisch H. J. Hollzmallll, Lehrbuch der neutestamendichen Theologie H, 2. Auf!. Tübingen: Mohr 1911, 31: "WeIch eine furchtbare, das jüdischOhr, in das sie dringt, zerreißende, das jüdische Herz verletzende und empörende Lehrel" (zu R. 5, 20). In der Literatur hat m. W. nur Löwy, MGWJ 47 (t903)e 48 (1904), pss., den Versuch gemacht, die paulinische Gesetzeslehre für das Juden; tum in .Anspruch zu nehmen. I" VgI. Lohmeyer, Grundlagen 8 und o. bei A. 46.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte ;n R. 5, 12ff.?
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Oft ist versucht worden, einen Ursprung der pauIinischen Gesetzeslehre zu rekonstruieren. a) Man hat dabei ansJIIJ,nt"m gedacht. Der bekannteste Versuch ist wohl derjenige von Schoeps, der von der jüdischen Erwartung, daß das Gesetz in der messianischen Zeit aufgehoben und durch die messianische Tora ersetzt würde, ausging"'. Nachdem Paulus in Damaskus die Messianität Christi offenbart wurde, sei für ihn die Zeit des Gesetzes abgelaufen. Doch läßt sich eine verbreitete Erwartung, daß das (oft im Judentum präexistente !) Gesetz mit der messianischen Zeit oder im kommenden Äon sein Ende finden würde, nicht nachweisen.... Auch eine Herleitung des paulinischen Gesetzesverständnisses aus dem philonischen Symbolismus ist wenig wahrscheinlich"". Vom Gesetzesverständnis von Qumran ist das paulinische radikal unterschiedenl l l• b) Oder ist Paulus als konsequenter SclJü/,r Jeru zu verstehen, der dessen gesetzeskritisches Denken weiterführt und systematisiert hat·'·? Man wird diese Frage angesichts dessen, was uns sonst über das Verhältnis Paulus-Jesus bekannt ist, nicht bejahen dürfen. Fest steht, daß jedenfalls Paulus sich auf die Lehre Jesu kaum berufen hat, auch wenn er sie vielleicht in größerem Umfang, als oft angenommen wird, gekannt hat·". Die Antithese Gesetz-Glaube ist für ihn axiomatisch und wird gerade nicht von der Verkündigung Jesu her begründet. c) So werden wir unsem Blick eher auf das hell,nistische JtlJ'ltchrislrntum zu richten haben. Hat Paulus hier Vorbilder für sein Gesetzesverstlindnis gefunden? Die Antwort auf diese Frage wird dadurch erschwert, daß wir über die Stellung der vorpaulinisch-hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden zum Gesetz kaum etwas Sicheres wissen. Hat sich Stephanus nur gegen das Kult- und Zeremonialgesetz, nicht aber prinzipiell gegen die mosaische Tora überhaupt gewandt"·? Ein solches hellenistisches Judenchristentum hat es sicher gegeben, wie das Beispiel des Matthäus zu zeigen scheint···. Auch in der von Paulus unabhängigen Gemeinde von Rom scheint sich der Streit zwischen Starken und Schwachen in erster Linie um die Auslegung des Zeremonialgesetzes gedreht zu haben.... Oder herrschte im Stephanuskreis ein prinzipieller Antinomismus? Dafür haben sich neuerdings mit guten Gründen Schrage, Schmithals und Stuhlmacher ausgesprochen· ... So ließe sich auch die Verfolgung der Hellenisten in Jerusalern am leichtesten erklären. "8 Schoeps, Paulus 1771f., vgl. auch schon Schweitzer, Mystik 184ff., und o. A. 38. m S. o. S. 144f. Zur Auseinandersetzung mit Schoeps auch Demann, Moses 229; Goppelt, Apokalyptik und Typologie 2641f. 118 So vl.:rsucht es .Löwy, MGWJ 47 (1903) 326f. • 10 Braun, Qumran und das N. T. II, 17Off. ••• Exemplarisch wird diese These etwa durchgeführt von E. Stal11fer, Die Theologie des Neuen Testaments, 4. AuR. Gütersloh : Bertelsmann 1948, 721f. Vgl. auch 0.A.53. ••, Vgl. u. A. VII 38. ••• Vgl. z. B. J. Weiss, Urchristentum 119ff.; M. S;lIIOn, St. Stephen and the Hellenists, London: Longmans, Green 1956,47; Friedrich, Gegner, Festschr. Michel 202• ••• Vgl. o. A. 26 . ••• Vgl. Michel, Röm. 334. ••• W. Schrag" "Ekklesia" und "Synagoge", ZThK 60 (1963) 178-202, dort 196-200; W. Schmitba/s, Paulus und Jakobus, FRLANT 85, Göttingen: Vandenhoeck 1963, 121f.; P. Stllh/macher, Untersuchungen zur Traditionsgeschichte des paulinischen Evangeliums, Habil. schr. masch. Tübingen 1966, 63, vorsichtiger E. Ha,nchelt, Die Apostelgeschichte, Meyer K. 3, 12. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1959, 221, vgl. aber 241. .
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Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz lind Geschichte
Ag. 6, l1ff. würde dann etwa dem historischen Tatbestand entsprechen. Oder gehörte Stephanus auch dem unten beschriebenen Typus eines von der SophiaChristologie geprägten Christentums an·"? Daß Paulus aus der hellenistischen Gemeinde stammt und von ihrem Denken mitgeprägt ist, ist klar. Doch können wir diese Gemeinden in ihrer Vielfalt im Moment noch viel zu wenig fassen, um über ihre Stellungsnahme(n) zur Frage des Gesetzes ausreichend Bescheid zu wissen. d) U. WiltllletlJ versuchte, die Genesis der paulinischen Gesetzeslehre von der Bekehrung des Apostels her zu verstehen.... Der Versuch ist an sich nicht neu. Häufig wurde früher R. 7 zur Erklärung des Entstehens der paulinischen Theologie herangezogen. Paulus wäre dann ein" Pharisäer aus Furcht""·, der an den strengen Anforderungen des Gesetzes gescheitert wäre und aus seinem inneren Zwiespalt heraus den leichtern Weg der Gnade gwählt hätte. Doch ist die biographische Deutung von R. 7 gescheitert..•. Aber auch, wo nicht auf R. 7 zur Erklärung zurückgegriffen wird, dient in der älteren Literatur vielfach die Bekehrung des Paulus zur Erklärung seines Antinomismus: In seiner Bekehrung hat der Apo..~tel den gekreuzigten Christus als Heilsweg erfahren, was negativ in sich schließt, daß der bisherige Heilsweg, da.~ Gesetz, überholt und abgetan ist··'. Nach Wilckens war der vorchristliche 1)aulus apokalyptischer Theologe 311 • Die Apokalyptik betrachtet das Gesetz ganzheitlich als göttlichen Erweis der Zugehörigkeit zur Schar der Erwählten mitten im gottlosen Äon .... Für Wilckens bleibt die "Grundstruktur der paulinischen Theologie entscheidend durch den heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf der jüdischen Apokalyptik bestimmt", wobei nun allerdings durch das Damaskuserlebnis Christus an Stelle des Gesetzes getreten ist. Diese biographische Wende schlägt sich nieder in dem Satz: "ChristuS ist des Gesetzes Ende" (R. 10,4)8.'. Diese These, so bestechend sie ist, läßt dennoch verschiedene Fragen offen. Ein· mal wird sich das paulinische Gesetzesverständnis nicht so ohne weiteres dem, was Wikkens - im Gefolge Rösslers - als apokalyptisches Gesetzesverständnis bezeichnet, zuordnen lassen. Unapokalyptisch ist, daß Paulus explizit einzelne Sätze aus dem Nomos zitiert (1. K. 9, 8f.; 14,34) und zwar, um eine Halaka zu gewin. nen'''. Hellenistisch-jüdische Einflüsse sind etwa in der Schau des Verhältnisses der Heiden zum Gesetz (R. 2) nicht zu bestreiten. Außerdem ist der übergang ... Vgl. u. S. 220ff. Die Vermutung wurde bereits von O. Georgi, Der vorpaulinisehe Hymnus Phil. 2,6-11, in: Zeit und Geschichte, Festsehr. R. Bultmann, Tübingen: Mohr 1964, 263-293, dort 292f., ausgesprochen. Allerdings muß es bei der bloßen Vermutung bleiben. "" ZThK 56 (1959) 273-293. "" Sota 22b; vgl. J. Klal/SIIer, Von Jesus zu Paulus, Jerusalem: Jewish Pub!. House 1950, 461ff. 01. Vgl. o. bes. A. 84 . ••• Z. B. Grafe, Gesetz 14: "Und dann (sc. nach der Bekehrung) konnte ... der Kreuzestod gar keinen alldem Zweck haben als die Eröffnung eines ganz neuen Heilsweges. War aber dies der Fall, so konnte nicht zugleich das Gesetz einen Heilsweg darstellen", ähnlich etwa Pfleiclerer, Paulinismus 75. Holtzmann, Theol. 11, 29, spricht von einem "Rückschluß von der Christologie her" als methodisches Prinzip der paulinischen Gesetzeslehre. 111 ZThK 56 (1959) 285. Auch naeh D. B. BrollSOfl, Paul and Rabbinie Judaism, JBL 83 (1964) 287-292, war der vorchristliche Paulus apokalyptischer Theologe; nach seiner Bekehrung "he invented salvation history" (aaO 287) . ••• Rössler, Gesetz und Geschichte, bes. 45ff. 70ff. a.. ZThK 56 (1959), 285. 277. ... Zu 1. K. 9, 8ff. vgl. o. II 6 Ac; vgl. ferner R. 12, 19; 1. K. 6, 16; 2. K. 8, 15; 9,9.
6. Eine Konzeption der Universalgeschichte in R. 5,12ff.?
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zwischen Apokalyptik und Rabbinat fließend···. und die apokalyptische Weise, das Gesetz als Ganzes zu betrachten. ist wohl weitgehend für das nachexilische Gesetzesverständnis. insbesondere für das Gesetzesverständnis der Weisheit typisch···. Das, was Wilckens den "heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf der jüdischen Apokalyptik" nennt. finden wir bei Paulus nur in sehr reduzierter und vielfältig umstrukturierter Weise. Seine Schau der Vergangenheit wird vom Christusgeschehen her dialektisch; bei seiner Zukunftsschau werden wir Ahnliches feststellen. Der Gesamtentwurf der Geschichte, der apokalyptisches Denken bestimmt. ist für Paulus nicht mehr in der seihen Weise konstitutiv. "Daß der vorchristliche Paulus ... ein apokalyptischer Theologe gewesen ist" .... ist m. E. eine simplifizierende Formel..•. e) Quid nunc? Haben wir uns mit der doch reichlich formalen "Erklärung" zu begnügen. die Quelle des paulinischen Gesetzesverständnisses sei "ganz offensichtlich Christus: die Erfahrung Christi. der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Christus"··'? Oder läßt sich aus den paulinischen Briefen selbst eine Entwicklung seiner Gesetzeslehre rekonstruieren···? AumIlig ist jedenfalls. daß der 1. Thessalonicherbrief und der 2. Korintherbrief vom "nomos" schweigen. der 1. Korintherbrief (15. 56) und der spätere Philipperbrief (3, 5ff.) nur auf die Gesetzeslehre anspielen. während sie in dem vermutlich zwischen dem ersten und zweiten Korintherbrief geschriebenen Galaterbrief um der Auseinandersetzung mit den judaistischen Gegnern willenlU. sowie im Römerbrief ausführlich dargestellt wird. Das zeigt jedenfalls, daß sie in der Auseinandersetzung mit dem Judaismus ••• Vgl. etwa W. G. Kümmel, Jesus und Paulus (II). in: Heilsgeschehen und Geschichte, Marburg: Elwert 1965, 439-456, dort 450. Zu Rösslers Grundthese vgl. ferner o. A. 37. . ••• Vgl. etwa Ps. 119, 127ff.; Sir. 2, 15ff.; Bar. 4. 12f. mit s. Bar. 48, 24 und äth. Hen.92ff. m ZThK 56 (1959) 285 . ••• Damit soll natürlich nicht geleugnet sein, daß apokalyptisches Denken rur Pis. eine wichtige Rolle gespielt hat, vgl. z. B. o. A. 11 82. 140; A. III 1. 128; S. 66f. 166. 195f. •1. Demann. Moses 227. Natürlich ist der Satz völlig richtig. bedarf aber der Explikl!tion. Eine solche gibt z. B. Kuss, MThZ 17 (1966) 211-213. ••• Ältere Versuche bei C. Cltmen, Die Reihenfolge der paulinischen Hauptbriefe, ThStKr 70 (1897) 219-270, dort 234ff.; Sieffert, Entwicklungslienie, Theol. Studien B. Weiss, bes. 339ff. Clemen nimmt eine langsame Entwicklung des Nomisten Pis. zum Antinomismus an, der in den späten Briefen GI., 2. K. und Phi!. seinen Höhepunkt gefunden habe. Eine umgekehrte Entwicklung nimmt Sieffert (aaO. vgl. bes. 334f.) an. der den Römerbrief wie üblich nach dem Galaterbrief und den Korintherbriefen ansetzt und dort eine Milderung des Paulus durch den Kampf gegen den galatischen Judaismus abgenötigten radikalen Antinomismus feststellt. Neuerdings nimmt in ähnlicher Weise C. H. Dodd eine fortwährende Milderung der Position des Pis. von GI. über R. bis zum 2. K. an., wo 3. 4-18 das Gesetz eine verhüllte .Form der Wahrheit sei (The Mind of Paul II. in: New Testament Studies. Manchester: University Press 1953, 83-128, dort 122f.). Zur Frage der Entwicklung der pln. Theologie vgl. ferner o. S. 196f; o. A. 299 und u. S. 356f. Oll Den GI. würde ich mit Kümmel. Ein!. 197, etwa in die Zeit des 2. K. ansetzen. Gegen W. S,hmithalr. Die Häretiker in Galatien. in: Paulus und die Gnostiker, ThF 35, Hamburg: Reich 1965,9-46. würde ich immer noch mit Kümmel, Ein!. 193ff., die Gegner des Pis. in Galatien für Judaisten. die nicht mit den "Säulen" in Jerusalern (GI. 2. 9) identisch sind, halten. Nur so lassen sich die eindeutig polemisch ausgerichteten Kapitel 3 und 4 befriedigend interpretieren. Wie weit dieser Judaismus schon gnostisierende Züge aufweist. mag dabei offen bleiben und steht zur Diskussion. Jedenfalls ist bezeichnend. daß Schmithals seine Argumente praktisch nur aus Kapitel 1-2 und Kapitel 5-6 bezieht.
220
Ill. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Ges,hkhte
in Galatien zum ersten Mal schriftlich entfaltet wurde, besagt aber durchaus nicht, daß sie an sich ein Spätling der paulinisehen Theologie wäre. Im Gegenteil, soviel scheinen mir die im vorangehenden Abschnitt genannten Autoren gezeigt zu haben: Das Damaskuserlebnis muß für den Juden Paulus auf jeden Fall eine Auseinandersetzung mi.t seiner bisherigen Gesetzeslehre gebracht haben. Dies gilt in noch verstärktem Maße, wenn die Berufung des Paulus von Anfang an eine solche zur Heidenmission gewesen sein sollte (GI. 1, 16). Außerdem verstand ja Paulus nach Phi!. 3,6 seine vorchristliche Verfolgung der Gemeinden mindestens in der Rückschau als Ausübung seines Gesetzesgehorsams. Auch von da her sind Modifikationen seiner Gesetzeslehre durch seine Bekehrung zu erwarten. Schließlich hätte Paulus m. E. weder GI. 1, Hif. (vgl. 2,31f. 141f. 19. 21; 3, 21f.)"· noch Phil. 3, 51f. so formulieren können, wenn seine Antithese gegen das Gesetz erst ein Ergebnis einer spätern, nachträglichen Entwicklung des Christen Paulus gewesen wäre.
Die Frage nach einer Entwicklung der Theologie des Paulus ist also noch offen, ebenso die Frage nach der Bedeutung der vorpaulinischen hellenistischen Gemeindetheologie für die Gesetzeslehre des Apostels. Das ganze Problem ist m. E. auch deshalb noch nicht befriedigend gelöst, weil man noch kaum versucht hat, ihm durch eine traditionsgeschichtliche Rückfrage beizukommen. Setzen wir beim "nomos" direkt ein, so kommen wir allerdings wohl kaum sehr weit. Entscheidend aber ist die Beobachtung, daß die paulinische Christologie an verschiedenen Stellen, und zwar jeweils gerade dort, wo auch andere Indizien das Vorliegen eines traditionellen Schemas oder einer Formulierung aus der Gemeindetradition nahelegten, vom spät jüdischen Mythos der präexistenten Weisheit geprägt ist 343 • Es seien hier nur R. 10, 6ff. I44 ; 1. K. 1, 18ff.; 2, 6ff. 345 ; 8, 6348 ; 10, 1ff. 347 ; Phil. 2, 6-1 ta48 und die sog. Sendungsformeln (GI. 4, 4f.; R. 8, 3f.)349 genannt. Im ... Vgl. auch Feine, Evangelium 521f. ••• Vgl. schon Windisch, Weisheit, N. T.-Studien G. Heinrici, pss.; W. Davies, Paul and Rabbinie Judaism 1471f.; Knox, Gentiles 551f.; Schweizer, PräexistenzvorsteIlung, Neotestamentica 105-109; ders., Aufnahme und Korrektur jüdischer Sophiatheologie im Neuen Testament, Neotestamentica, Zürich: Zwingli 1963, 110-121; Wilckens, Weisheit und Torheit 1971f.; ders., Art. aocp(1X KTÄ. A. C-F, ThW VII, 465-475. 497-529, dort bes. 498-510; 514-525, dort weitere Lit. 467 sub E; Conzelmann, NTS 12 (1965/66) 231-244. Eine gute übersicht über das jüdische Material gibt G. Pfeifer, Ursprung und Wesen der Hypostasenvorstellungen im Judentum, Berlin: EVA 1967, 108f. Vgl. ferner u. A. IV 37 . ... S. o. II 4 B b., bes. A. 11271 . ••• S. u. IV 4 C; Wilckens, ThW VII, 519, 201f.; Conzelmann, NTS 12 (1965/66), 2361f.; vgl. auch schon Davies, Paul and Rabbinic Judaism 1541f. I" J. Weiss, 1. Kor. 226f.; Schweizer, Präexistenzvorstellung, Neotestamentica 106. I" Vgl. o. II 6 A d und bes. A. U 382. Bugge, ZNW 4 (1903) 97 vermutet nach 1. K. 10 eine vorchristliche Gruppe von Messianisten, die die Identität des Messias und der Tora vertraten• ... Auf die Beziehungen zwischen Phi!. 2, 6-11 und der Weisheitstheologie weist besonders Georgi, Phil. 2, 6-11, Zeit und Geschichte, bes. 2661f. I" Vgl. zum Zusammenhang von Sendungsformel und Weisheitstheologie E. S,/np,;~", Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der "Sendungsformei"
6. Eine Konzeption der Universalgest:hichte in R. 5, 12ff. ?
221
Spätjudentum etwa seit Jesus Sirach wurde aber die präexistente Weisheit mit der ebenfalls präexistenten Tora identifiziert, und zwar im weisheitlichen360, apokalyptischen351 und rabbinischen Schrifttum 362• Wurde nun Christus von einer vorpaulinischen hellenistischjudenchristlichen Gemeinde mit der präexistenten Weisheit identifiziert, so hatte das eo ipso eine Entthronung der Tora zur Folge363 • Eine Bestätigung dafür finden wir in verschiedenen Schriften des Neuen Testamentes, hinter denen eine Weisheit-Christologie zu vermuten ist: Im Kolosserbrief, dessen Eingangshymnus 1,15ff. uns ins Milieu der Sophia-Theologie führt S64, finden wir den "nomos" kein einziges Mal erwähnt; im Epheserbrief ist die einzige Äußerung zum Thema Gesetz (2, 15) undialektisch antinomistisch. Ein ähnlicher Sachverhalt läßt sich wohl auch im Johannesevangelium zeigen, das wohl aus einem ähnlichen geistigen Milieu stammt wie die heiden genannten deuteropaulinischen Briefe (und Paulus selbst!) und dessen Logoshymnus wohl eng mit der Weisheitschristologie zusammengehört365• Hier werden einerseits zahlreiche Prädikate von Jesus ausgesagt, die das Judentum der Tora zuwies, andererseits finden wir eine Gesetzeslehre, die bei aller Differenzierung doch stark antinomistische Züge trägt, etwa wenn auffällig häufig die "Juden" sich auf das Gesetz berufen und wenn Jesus den Juden gegenüber sogar von "eurem Gesetz" (8, 17;·10,34, vgl. 7, 19; 15,25) sprechen kann. Wenn die These richtig ist, daß Paulus von einem ähnlichen theoloGI. 4,4f. Rm. 8, 3f. Joh. 3, 16f. 1. Joh. 4, 9, ZNW 57 (1966) 199-210, dort 203. 205f. 207. Wilckens, ThW VII, 518,26/1". sieht in R. 11,33-36 einen weiteren, von Weisheitstheologie geprägten Text. 11. Moore, Judaism 1,263/1".; Davies, Paul and Rabbinic Judaism 168/1".; Wilckens, ThW VlI, 504 A. 258. m Wilckens, ThW VII, 504 A. 258. Besonders interessant ist äth. Hen. 49, Uf., eine Stelle, die einer Identifizierung zwischen der Weisheit und dem Menschensohn-Weltrichter recht nahe kommt . ... Wilckens, ThW VII, 50S, 30/1". ••s Vgl. auch das oux &Y O'orptl!t Myou 1. K. 1,17, das mit Recht von H. Bra,." Exegetische Randglossen zum 1. Korintherbrief, in: Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt, 2. AuA. Tübingen: Mohr 1967, 178-204, dort 178/1"., und P. Stuhlmafher, Glauben und Verstehen bei Paulus, EvTh 26 (1966) 337-348, dort 342f., und andern in Parallele zur mosaischen Tora gestellt wird• ••• H.}. Gabathuler, Der Christushymnus Colosser 1, 15-20 in der theologischen Forschung der letzten 130 Jahre, AThANT 45, Zürich: Zwingli 1965,138, in Anlehnung an E. Schweizer (Belege bei Gabathuler aaO 113) und H. Hegmnann, Die Vorstellung vom Schöpfungsmittler im hellenistischen Judentum und Urchristentum, TU 82, Berlin: Akademie 1961, vgl. bes. 108. 113/1". ... Vgl. neuerdings E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen: Mohr 1966, 32f. 49. 60. 134. Wie auch immer das Verhältnis zwischen J. 1 und der Sophia-Theologie bestimmt werden muss, ob als das zweier paralleler Erscheinungen aufgrund der selben Wurzel (R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, Meyer K. 2, 15. AuS. Göttingen: Vandenhoeck 1957, 8 A. 9) oder als das einer direkten Deszendenz (Schweizer, Sophiatheologie, Neotestamentica 114f.) kann hier o/l"en gelassen werden.
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III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
gischen Hintergrund her verstanden werden muß, dann läßt sich seine eigene theolo.gische Leistung besser ermessen: Sie besteht dann gerade nicht im Antinomismus. Sondern sie besteht darin, daß das Gesetz als Gesetz Gottes behauptet wird, ohne daß der Glaube als schlechterdings einziger Hei/S1lIeg in Frage gestellt wird. Sie besteht darin, daß der ehemalige Jude Paulus die antinomistische Theologie des hellenistischen Christentums vom jüdischen Verständnis der Gottesgeschichte her in Frage stellen ließ, ohne ihr berechtigtes Anliegen, nämlich die Ausschließlichkeit des Heils in Christus, preiszugeben3s6 • Die Frage nach dem Sinn des Gesetzes war theologisch notwendig, und dennoch durfte sie nicht in einer Weise beantwortet werden, die die radikale Neuheit des Christusgeschehens und die radikale Schuld der Menschheit angesichts des Heils einschränkte. Daß Paulus das Gesetz - im Gegenüber zum Evangelium und nur dialektisch und in paradoxen Aussagen von äußerster Härte - als Gesetz Gottes interpretierte, ist die eigentliche theolo!ische Leistung seiner Gesetzeslehre. Paulus nahm das Anliegen der hellenistischen Gemeinde vor ihm ernst, daß von der Verkündigung Christi als Weisheit her das Gesetz nur als das GanzAndere, das schlechterdings Unevangelische verstanden werden konnte. Aber dennoch machte er das Gesetz nicht zum widergo"ttlichen Prinzip oder Zu einer vorläufigen Offenbarungsstufe, sondern interpretierte es als Gesetz Gottes, das gerade in seiner Andersartigkeit, in seinem Gegenüber zum EvangeliuTlI, in seiner Funktion, die Sünde zum Oberfließen Zu bringen; zur Erfahrung des Gnadencharakters des das Gesetz iibel'windenden E"angeliums unabdingbar nötig war. So wird für Paultls paradoxerweise gerade das Negativum des Gesetzes, sein Platz auf der Seite der Siinde, angesichts des die Sünde überwindenden Evangeliums zum Positivum. Das erkannt zu haben, bleibt m. E. die entscheidende theologische Tat der Gesetzeslehre des Paulus367 • Mithin: Paulus ist Antimarcionit, ohne Marcions Anliegen zu verraten und ohne sich zu einer linearen und nur scheinbar theozentrischen Theologie der Heilsgeschichte zu bekennen. 7. Zusammenfassung
1. Neben der Vergangenheit des Wortes Gottes, das bei Paulus mit großer Direktheit in die Gegenwart spricht, sie beleuchtet oder ihr verkündet, begegnete uns noch eine andere Weise, von Vergangen••• Von hier aus erweist sich eine These wie diejenige von Davies, Paul and Rabbinic Judaism 74, wonach für Pis. persönlicher Gesetzesgehorsam ein "passport with Judaism" war, als noch nicht das eigendiche theologische Anliegen des Apostels berührend. m Vgl. o. III 5. Die Notwendigkeit, das Gesetz als Gesetz Golles zu verstehen, kommt dabei von der Geschichte her.
7. ZusammenfaSSlmg
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heit zu sprechen: die Vergangenheit als durch Christus abgetane, beendigte, um die Herrschaft gebrachte. Paulus kann diese Vergangenheit mit verschiedenen Ausdrücken zur Sprache bringen: Er kann von der Sünde als zugleich den Einzelnen und die Vergangenheit beherrschende Macht358 sprechen; er kann traditionelle Redeweise aufnehmen und vom alten Bund als Widerpart des neuen, seit den Auseinandersetzungen in Korinth von Adam im Gegensatz zu Christus sprechen. Die typologische Gegenüberstellung hat in diesem Fall den Sinn, den überragenden und eschatologischen Charakter des neuen Heils zu betonens69 • Für ihn die wichtigste und zugleich die in die größten theologischen Tiefen führende Kennzeichnung ist die des Gesetzes, dessen Ende Christus ist. 2. Spricht Paulus vom Gesetz, so meint er fast ausnahmslos das durch Mose am Sinai gegebene alttestamentliche Gesetz. Spricht er aber vom abgetanen Gesetz, so meint er dennoch nicht einfach eine klar begrenzbare und chronologisch eindeutig fixierbare Zeitepoche, die dann zeitlich und geographisch nur einen Teil der Vergangenheit umfaßte 380• Vielmehr ist auch die Zeit vor dem Gesetz oder die Geschichte der Heiden außerhalb des Gesetzes grundsätzlich nicht anders qualifiziert als die eigentliche Zeit des Gesetzes. Auch das Ende des Gesetzes ist chronologisch nicht einfach fixierbar; obwohl ein für allemal in Christus geschehen, ereignet es sich immer neu in der Verkündigung, in der das damals geschehene Ende zugesprochen wird381 • Darum kann von der abgetanen Vergangenheit auch in der Gegenwartsform die Rede sein (vgl. R. 1, 18ff.), während die Vergangenheitsform nicht nur Vergangenheit im chronologischen Sinn, sondern von der Verkündigung der Gegenwart Christi her auch im theologischen Sinn meintS8z• 3. Häufig beobachteten wir ein eigentümliches Schillern der paulinischen Aussagen zwischen Individualgeschichte und UniversalgeschichteS8s• Das ist bereits dem Judentum eigentümlichSeI und auch im Vg1. o. A. 291. Vgl. o. S. 56. 59. 132ft". 193ft". 11. Natürlich kann "nomos" auch das Kennzeichen einer ethnischen oder religiösen Sonderexistenz der Juden sein. vgl. o. A. 270 und R. 2, 12ft".; 4,16; 1. K. 9, 20; Gl. 5, 3f.; 6, 13; Phil. 3, 5ft". Die zeitliche Begrenzung des "nomos" in GI. 3, 19f. und R. 5,20 hat sachlichen Sinn, vgl. o. A. 154 und u. Nr. 6• • 11 Vgl. o. S. 146. 156. 157f. und u. S. 28H. ••• Etwas überspitzt, aber richtig, sofern nicht als obt'ektives Urteil über die Vergangenheit mißdeutet, fonnuliert Eichrodt, ThZ 12 ( 956) 111: "An jedem Punkt der chronologischen Zeitlinie kann ein Mensch vor oder nach Christus leben" . ••• Vgl. o. S. 147f. 153. 156. 158. 167ft". 210f. 211ft". und die dort gegebenen Verweise, vgl. ferner die Verweise o. Einl. A.27 und u. S. 283. 348ft" und A. IX 45. Zum Thema der Nichtobjektivierbarkeit von Geschichtsaussagen vgl. auch o. S. 215f. und u. IV 3 A. B; zu vü" als weltgeschichtlicher und individualgeschichtlicher Wende o. A. 11 248. Noch unzureichend ist dieses Nebeneinander m. E. von 111
1II
224
III. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz II1Id Geschichte
vorpaulinischen christlichen Sprachgebrauch vorbereitet 366 • Die Herrschaft des Mosegesetzes in der Zeit vor Christus ist zugleich der über dem Leben des vorchristlichen Menschen stehende Zwang zur Sündentat, wie ihn der Christ erkennt. Die GeschichteAdams ist zugleich Erfahrung des Ich. Umgekehrt wird die Sünde, die immer konkrete Tat bleibt, zur nicht nur über dem Einzelnen, sondern über dem ganzen alten .Äon stehenden Geschichtsmacht. Einerseits wird so die Objektivierung von Sünde, Gesetz und Adam zu einem bloßen Geschichtsbild verhindert, indem das Geschichtsdenken an Erfahrung gebunden bleibt366• Andererseits ist die Erfahrung des Gesetzes nicht im Belieben des Einzelnen stehende Erfahrung, sondern stellt diesen hinein in eine ganze, von Christus her qualifizierte, weltgeschichtliche Vergangenheit. 4. Paulus kann und will auf die geschichtliche Dimension in diesem Zusammenhang nicht verzichten, weil er anband der weltgeschichtlichen Dimension von Sünde, Adam, Gesetz und altem Bund von der Größe der Gnade sprechen kann. Denn nie ist von der abgetanen Vergangenheit um ihrer selbst willen die Rede; immer soll die Größe und Macht des Abgetanen die Größe des in Christus Gekommenen ermessen lehren, das auch nicht einfach ins Belieben des Einzelnen gestellte bloße religiöse oder pneumatische Erfahrung ist. So läßt sich sagen: Letztlich hat abgetane Vergangenheit weltgeschichtliche Dimension, damit vom Christusgeschehen als einem den Eillzelnen u1llgreifenden, ihm Zuvorgekommenen Heilsgeschehen gesprochen werden kann. 5. Da der Nomos Gesetz Gottes ist, ist Paulus zur Frage nach seinem positiven Sinn herausgefordert. Diese Frage stellt sich ihm von der traditionellen Heilsgeschichte her und wird von ihm in geschichtlichen Zusammenhängen gestellt und beantwortet. Doch dabei ist entscheidend, daß Pallius überhaupt nicht den VersIIch macht, die unheilvolle Wirkung von Gottes Gesetz ztl entschärfen, etwa, indem er sie von einem Gesamtplan Gottes mit der Welt her be,~reift lind sie so dttrch den GesichtsDinkler, Earliest Christianity, Idea of History 183-191 interpretiert. D. unterscheidet zwei Linien der pln. Geschichtsbetrachtung, eine individualistische, nach der jeder einzelne Christ jetzt das zugesprochene Heil hört (2. K. 5, 17; R. 10,4 etc.) und die weltgeschichtliche, heilsökonomische, zu welcher D. die Betrachtung des Heilsplanes Gottes für die Zukunft, aber auch die typologische Interpretation der Vergangenheit rechnet. Die eine Schau ist am präsentischen Kairos, die andere in apokalyptischer Art an der Weltgeschichte interessiert. Zum Verhältnis beider Linien zueinander heißt es bloß: "The anthropological theme finally emerges" (aaO 190). Das Vorhandensein dieser zweiten, universalgeschichtlichen Linie, zu der immerhin ein großer Teil des pln. Stoffes gehört, ist aber nicht zureichend erklärbar, wenn "history means(l) die perpetually new decision of the individual". ... V gl. o. A. 296. ... Vgl. o. S. 137• ••• Vgl. W. Grll1ltlmann, Der Geist der Sohnschaft, in: In Disciplina Domini, Thüringer kirchliche Studien Bd.l, Berlin: EVA 1963, 172-192, dort 174.
7. Zlisammen!asJII71g
225
punkt göttlicher Pädagogik mildert387• Die Aussage, daß das Gesetz nur dazwischenhineingekommenes Gesetz, d. h. Episode ist, will nicht seiner von Gott trennenden Wirkung ihren Ernst nehmen, sondern ist nur indirekt gegen einen auf dem Halten des Gesetzes basierenden Heilsanspruch 388 gerichtet. Die positive Wirkung des Gesetzes kann Paulus nur absolut paradox beschreiben: Sie besteht darin, die Folie, den Hintergrund abzugeben, auf dem die Herrlichkeit des EVllngeliums erfahrbar wird. Das Gesetz läßt den Menschen den Ort erkennen, aus dem er gerettet worden ist, nämlich die Sünde. 6. Wo das Gesetz chronologisch mit andern Größen der alttestamentlichen Geschichte verbunden wird, hat dies sachlichen Sinn: Einer zeitlichen Hintansetzung des Gesetzes entspricht seine sachliche Entwertung als einer eigenen, neben dem Evangelium bestehenden Heilsmöglichkeit369 • Einzig in R. 5, 12ff. scheint Paulus weiter zu gehen. Dort wird das Gesetz in eine Gesamtschau des alten .Äons eingeordnet. R. 5, 12ff. ist aber nicht Zentrum und Ausgangspunkt des paulinischen Geschichtsdenkens und bezeichnenderweise wird dort das Gesetz nicht in eine Heils-, sondern in eine Unheilsgeschichte eingeordnet, die von dem in ihr geschehenen Heil (z. B. AbrahamI Verheißung!) völlig absieht870 und auch ihrerseits nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Kontrast zu dem umso überragenderen Heil zur Sprache kommt. 7. Allerdings benützt nun Paulus gerade auch das Alte Testament, um zu zeigen, daß das Gesetz abgetan ist371• Spricht das A. T. von Christus ... Galley, Heilsgeschehen 48 deduziert aus dem Wesen des Vergleichs: "Voraussetzung dieser Vergleiche (sc. z. D. R. 5, 12ff.; 2. K. 3) war die übergreifende Einheit Gottes". Zu R. 5, 12ff. kann er etwa sagen: "Paulus kann so verfahren (sc. den Gegensatz betonen), weil der Gegensatz nicht das Erste ist, sondern scbon vorher eingefaßt ist von dem einen, zielgerichteten Willen Gottes" (aaO 36, vgl. zu 2. K. 3 ähnlich aaO 21). Diese Sätze mögen theologisch noch so richtig sein, beachtenswert bleibt, daß Paulus die Diastase von R. 5, 12ff. und 2. K. 3 gerade nicht durch einen solchen Hinweis auf die übergreifende Einheit des Planes Gottes überbrückt. Mit dem Hinweis auf den göttlichen Plan tröstet sich der Apokalyptiker, vgl. u. IV 1. Paulus aber, der von der Sünde um der Gnade willen redet und sich selbst von der Gnade betroffen weiß, kann darauf verzichten. Ein Seitenblick auf das - im einzelnen anders strukturierte, aber doch merkwürdige Parallelen zu Pis. aufweisende - dialektische Nebeneinander von Deus absconditus und Deus revelatus bei Luther drängt sich auf, vgl. auch u. A. IV 76. ••• V gl. o. S. 203 . ••• V gl. die o. A. 154 gegebenen Verweise . •,. Vgl. o. S. 206. Dem entspricht die völlige historische Isoliertheit Abrahams und der Verheißung gegenüber ihrer sichtbaren Vor- und Nacbgeschicbte, vgl. o. S. 181f., vgl. auch die Verweise o. A. 261 und o. Il3 D Nr. H. on Man wird allerdings nicht so weit gehen dürfen wie Campenhausen, Begründung, Aus der Frühzeit 75, der meint, ;,im Grunde" habe "das Alte Testament bei Paulus nur eine einzjge Aufgabe, zu deren Bewältigung es schlechterdings unentbehrlich bleibt, das ist, die überholtheit und Entbehrlichkeit des Gesetzes und insofern auch seine eigene überholtheit für die Christen zu erweisen". Dllmit ist nur die eine Seite der pln. Dialektik und gerade nicht die eigentliche Aufgabe des A. T. (vgl. dazu o. II 3 D. Nr. 4. 7;II 6 C Ne. 3. 5) bezeichnet.
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/1/. Die abgetane Vergangenheit: Gesetz und Geschichte
her, so wird es zum befreienden, gegenwärtigen Gotteswort87I, das Paulus gelegentlich nach jüdischem Sprachgebrauch auch mit "nomos" bezeichOf!n kanns7s• Paulus greift zur Schrift, um das Gesetz mit dem Alten Testament selbst zu durchleuchten (R. 3,21, vgI. GI. 4, 21; 2. K. 3, 7ff.). 8. Wir werden also bei Paulus zwei verschiedene Weisen des Redens von Vergangenheit grundsätzlich zu unterscheiden haben, die im allgemeinen ziemlich deutlich voneinander geschieden sind, auch wenn sie auf mannigfache Weise miteinander in Berührung kommens7'. Ging es beim Sprechen des Alten Testamentes um Gott, sein Wort, seine Treue, sein Gott-Sein, envies sich gerade das Reden von der Gerechtigkeit Gottes immer wieder als Grund des Rückgriffs auf Gottes Geschichte mit Israe/ s7', so geht es bei der abgetanen Ver:gangenheit um den Menschen, seine Geschichte als Summe seiner Werke, seine Sünde 378 • Gerade darum spielte auch hier das Moment der existentiellen Erfahrbarkeit vergangener Geschichte eine so wichtige Rolle. Um Gott ging es hier nur indirekt, nämlich insofern es Gott immer schon mit dem Menschen Zu tun hat und an der siindigen Wirklichkeit des Menschen die Größe der Gnade Gottes erfahrbar wird. Dennoch bestehen zwischen beiden Arten, von Vergangenheit zu sprechen, gemeinsame Züge: Beidemale wird Vergangenheit nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Gegenwart willen zur Sprache gebracht. Beide Weisen des Bezugs auf die Vergangenheit machen, einmal direkt, einmal indirekt, das Gnadenhandeln Gottes in der Gegenwart verständlich. Beide sprechen die Gegenwart als Zeit des Heils und des Handelns Gottes an.
"" V gl. o. Kap. 11. Vgl. o. S. 141f.j zu diesem Aspekt ausführlicher Kuss, MThZ 17 (1966) 221ff. "" "Der paulinischen Theologie wird nicht Genüge getan, wenn man Geschichte einfach in ihrem Verlauf als Heilsgeschichte" formalisiert. "Man muß die Geschichte ... mit Paulus auf ihren Ursprung hin ... zu begreifen suchen" (Fuchs, Christus das Ende der Geschichte, Aufs. II, 94). ," Vgl. die Verweise o. A. 128, ferner o. II 3 D Nr. 4. 6j 116 C Nr. 3. "" Vgl.o.A.29. I"
IV. EINE GESAMTSCHAU DER GESCHICHTE? GOTTES PLAN UND PRÄDESTINATION 1. Einleitung
Unsere bisherigen Ausführungen wiesen darauf hin, daß Paulus nicht von einem Gesamtentwurf der Geschichte her denkt. Das einzige MaI. wo ein solcher vorzuliegen schien, wurde er gar nicht selbst zum Thema, sondern lediglich zur Dimension, an der sich die überragende Kraft Christi ermessen ließ. Wir versuchen nun, dieses Resultat von einer andern Seite her zu überprüfen. In der Apokalyptik finden wir immer wieder Ansätze, die Geschichte als Ganzes zu betrachtenl . Meistens erscheint sie in Visionen oder als mythologisches BildS. Dadurch "wird sichtbar, was sonst nicht in den Blick kommen könnte: die Einheit der Geschichte, der Zusammenhang der Geschehnissse, ihr sinnvoller Ablauf und ihr Ziel"8. Geheimes Thema der Geschichtsbetrachtung ist für den apokalyptischen Visionär die Enthüllung des Planes Gottes'. Die Apokalyptik sieht die Geschichte theozentrisch, als Ort der Erfüllung des gättlicl;len Planes. Ziel des göttlichen Planes ist das Heil, d. h. in gewissem Sinne die Beendigung der Geschichte, soweit sie im alten Äon von der Gottlosigkeit beherrscht ist6. Geheimer Akteur der Geschichte ist Gott. So ist es natürlich, daß sich das apokalyptische Denken mehr und mehr dem Gedanken der Prädestination nähert. Volz notiert in der Apokalyptik folgende der Pridestilllltionslehre verwandten Motive': 1. den Erwihlungsgedanken', 2. die Bestimmung einzelner Menschen 1 V~\. R. Bflllfllflnn, Das Verständnis der Geschichte im Griechentum und im Christentum, in: Glauben und Verstehen IV, Tübingen: Mohr 1965, 91-103, dort 97: "Die ganze Weltgeschichte ist als Einheit gesehen", vgl. auch zusammenfassend v. Rad, Theol. 11, 317ß'., bes. 321f. Vgl. ferner o. S. 56., vor allem A. 11 77, dazu o. A. III 171. • Vgl. z. B. Da. 2, lß'.; 7, lß'.; 11, 2ß'.; äth. Hen. 85-90; 93+91, 12-17; 4. Esr. 3, 4ß'.; 11,1-12,39; s. Bar. 53; 56-74; vgl auch 35-40; Ass. MOB. pss.; Jub•• bes. 1, 4f.; zum Ganzen M. NOlh, Das Geschichtsverständnis der alttestamentlichen Apokalyptik, in: Gesammelte Studien zum Alten Testament, ThB 6, München: Kaiser 1957, 248-273, dort 272f.; K. Koch, Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Daniel, HZ 193 (1961) 1-32, dort 31f.; v. Rad, Theol. 11, 318. 320. 3281f. • Rössler, Gesetz und Geschichte 57. C Vg\. bes. Glatzer, Untersuchungen 20ß'.; Rössler, Gesetz und Geschichte 55ff. und u. S. 232ß'. • Vgl. o. A. II129. • Vg\. Eschatologie 109. , Belege o. A. II 226.
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IV. GesallltuhaM d. Geschichte? Golfes Plan M. Prädestination
zu einer bestimmten Aufgabe in der Geschichte, z. B. des Mose (Ass. Mos. 12, 5-7),3. die Festsetzung einer bestimmten Zahl von Gerechten, die voll werden muß, wobei über die zu ihr gehörenden Individuen nicht reflektiert sein muß, 4. das Bild vom Aufgeschriebenwerden in Büchern, das aber noch nicht den Prädestinationsgedanken in sich einschließen muß, da die Menschen aufgrund ihrer Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit in den Büchern aufgeschrieben sind, nicht umgekehrt. Darüber hinaus wäre noch zu erwähnen: die Bestimmung der Zeiten, vgl. etwa 4. Esr. 4, 35tf.; 8, 63tf., sowie der Präs&ienzgeJanke. Letzterer taucht im Judentum in verschiedener Form auf: Sir. 23, io ist klar nur von einem alle zeitlichen Schranken sprengenden Sehen Gottes die Rede, ebenso wie Gottes Sehen auch keine räumlichen Grenzen kennt (23,19). Dagegen ist etwa Ass. Mos. 12, 4f. das Vorhersehen Gottes als Ausfluß seiner Schöpfertätigkeit ein schöpferisches, bestimmendes Voraussehen. Auch äth. Hen. 81, 1-4 muß wohl in diesem zweiten Sinn verstanden werden, vgl. V. 31 Einzelne Grenzaussagen im apokalyptischen Schrifttum bewegen sich auf eine ausgebildete Präc1estinationsvorstellung zu, ohne diese jedoch zu erreichen: Wenn Ass. Mos. 12, 4 davon die Rede ist, daß Gott "bis zum Kleinsten herab" alles vorhergesehen und -bestimmt habe, so dürfte dabei an Völker und geschichtliche Ereignisse, nicht jedoch an Individuen gedacht sein. 4. Esr. 3, 8. 27f. deutet sich zaghaft der Gedanke an, daß Gott auch für das Böse verantwortlich sei, da er es nicht gehindert habe; doch Täter des Bösen ist das "böse Herz" (3,26). S. Bar. 75, 1If., vgl. bes. 6, erinnert in einer in vielem den Psalmen von Ql1mran verwandten Einrede des Apokalyptikers, daß die Gnade und das Gute dem Menschen ganz unerreichbar sind, wenn Gott nicht das Tun schenkt. Hier ist es der Gedanke der sola gratia, der einen Moment lang die Relevanz des menschlichen Handelns aufzuheben scheint. Auch in der Abrahamapokalypse liegt der Gedanke der doppelten Prädestination nicht fern, vgl. etwa 22,5-7. Der Gedanke der menschlichen Freiheit wird allerdings dadurch nicht ausgeschlossen (z. B. 26, 4-6). Doch sind das alles Randerscheinungen. Als Gesamturteil gilt immer noch dasjenige von Volz: Der jüdischen Apokalyptik ist der ausgebildete Prädestinationsgedanke fremd".
Erst im Schrifttum von Qumran wird der Gedanke der doppelten Prädestination erreicht. Er geht parallel zu einer starken Betonung des Planes Gottes und einem Bild der Geschichte mit stark deterministischen Zügen. Damit haben wir ein Paulus in vielem verwandtes Denkmodell, das nun zunächst vorgeführt werden soll. Bei der dann folgenden Behandlung der paulinischen Stellen ermöglicht es einen ständigen Vergleich. Schließlich kann dann nach dem Verhältnis von Prädestination, Plan Gottes und Geschichtsbild in Qumran und bei Paulus gefragt werden.
Eschatologie 109. Zum Gedanken der Vorherbestimmung im Rabbinat vgl. vor allem J. Wocbe"",ark, Die Schicksalsidee im Judentum, Diss. Tübingen 1933; B. W. Helfgoll, The Doctrine of Election in Tannaitic Literature, New York: Kings Crown Press 1954; zum Prädestinationsgedanken in Qumran Literatur bei Larsson, Vorbild 296 A. 5. Glatzer, Untersuchungen 110tf. betont, daß es im Rabbinat im wesentlichen einzelne Ereignisse sind, deren Vorausbestimmung bedachtwird.
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2. Der Prädestinationsgedanh in QUI1Iran
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2. Der Prädestinations gedanke in Qumran Daß die Qumransekte gerade in der Prll.destinationslehre über die übrige Apokalyptik hinausführt, hat verschiedene Gründe. Es hängt zusammen mit der Absonderung der "Erwählten'" vom übrigen, nicht erwll.hlten Israel, also mit der Konstituierung der Sekte, was zu besonderem Nachdenken über Erwählung und Verwerfung zwang. Es mag auch zusammenhängen mit fremden, dualistischen Einflüssen, die in der abgesonderten Sekte am Toten Meer sich stlirker als anderswo entfalten konnten. Doch eine Erörterung der Entstehung der Prll.destinationslehre in der Sekte ist hier nicht unsere Aufgabe. Ebenfalls muß hier die theologische und literarische Vielschichtigkeit der Sekte unberücksichtigt bleiben. Vermutlich ist es gerade angesichts der Prädestinationsaussagen falsch, einfach pauschal von ..der" Theologie der Sekte zu sprechen, wie dies bis heute in der Literatur meist geschieht. Es fällt auf, daß Prädestinationsaussagen auf gewisse Hodajot und die Sektenregel beschränkt sind, sich in der Damaskusschrift und der Kriegsrolle seltener. in den Kommentaren nie finden. Auf diesen Tatbestand sei hier nur aufmerksam gemacht; da wir nur zur schärferen Herausarbeitung des Befundes bei Paulus Vergleichsmaterial beibringen wollen, kann auf seine Auswertung im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden'". ]osephus hat offenbar im Glauben der Essener an die Macht des Schicksals· ihr eigendiches Charakteristikum gesehen (Ant. 13, 172). Natürlich drückt er dabei in griechischer Terminologie für hellenistische Leser aus, was vom jüdischen Denken her als Ergebung in den allwirksamen Willen Gottes bezeichnet werden müßte l1 • Wieweit ist nun seine Charaktcrisierung von den Texten her gerechtfertigt? Sie bieten uns auf den ersten Blick ein vielfliltiges Bild.
Klar lassen sich in den Anschauungen der Sekte alttestamentliche Elemente erkennen: Wie im Alten Testament sind die Glieder des Gottesvolks von Gott ErwähltelI. Erwählt sind die Priester als Prüfer und Lehrer des Bundes (1 QSb. 3, 22f.), aber auch die Rechtschaffenen überhaupt, die vollkommen im Wandel sind (1 QSb. 1,2, vgl. 1. QS. • 1 QH. 2, 13; 14, 15; 1 QM. 12,1. 5; 1 QS. 8,6; 11. 16 und öfters. • 0 Vgl. im weitern die aufschlußreichen Untersuchungen von Becker. Heil Gottes, pss., bes. 74. . 11 Ant. 18,18. Vgl. das Referat bei F. Nö"tsc,,", Schicksal und Freiheit, BibI 40 (1959) 446-462, dort 451ff. Die Ausdrucksweise bei )osephus weist darauf hin, daß das Problem von Determination und Freiheit im griechischen Bereich aufgetaucht ist, vgl. dazu M. P. Ni/m", Geschichte der griechischen Religion 11, München: Beck 1950, 573. Vor allem für das stoische System war dies eine Kardina1frage. In Qumran wird uns auffallen, daß für das theologische Denken der Sekte zwischen Allwirksamkeit Gottes und menschlicher Freiheit offenbar keine Kollision entstand, die zum Nachdenken herausforderte. Das Problem stellte sich erst im Rabbinat zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt und wurde dann so gelöst: Alles ist von Gott bestimmt, d. h. Schicksal eines Menschen, Reichtum, Lebenszeit, Heirat, "nur nicht, ob er gut oder böse werden soll" (Midr. Tanh., zitiert nach Wochenmark, Schicksalsidee 29; dort weitere Belege). 11 Belege o. A. 9 und bei H. Braun, Spät jüdisch - häretischer und frühchrisdicher Radikalismus, BHTh 24, I, Tübingen: Mohr 1957,43 A. 13; F. Nöl/&her, Schicksalsglaube in Qumrän und Umwelt, BZ NF 3 (1959) 205-234; NF 4 (1960) 98-121, dort 221f.; Larsson, Vorbild 297. Der in den Qumranschriften verwendete Terminus ist wie im A. T. seit Dt. "bachar". Zur Vorgeschichte des Begriffes im A. T. vgl. Wildberger, )ahwes Eigentumsvolk 1091.
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IV. Gesallltschall d. Geumchte? Gottes Pion 11. Prädestination
4, 22). Rechtschaffenheit und Erwählung stehen dabei in unauflösbarer Korrespondenz, und es ist kaum zu sagen, was wodurch bewirkt ist. Natürlich ist es der heilige Geist (1 QS. 4, 21), der die Rechtschaffenen reinigt von ihrem Frevel, und natürlich ist die Erwählung Gottes Tat ganz allein; aber sowohl die Aussage, daß die Rechtschaffenheit der Erwählten einfach Folge ihrer Erwählung durch Gott wäre, als auch die andere Aussage, daß sich Gott Menschen erst aufgrund ihrer Rechtschaffenheit erwählt habe, ist vermieden. Es bleibt bei der Aussage: Gott erwählt die Gerechten. Allerdings ist dabei Gottes Tat ganz zentral hervorgehoben: Vom Mutterleibe an, bevor er den Menschen erschaffen hat, hat Gott über sein Geschöpf bestimmt18• Gegenüber Gott erfährt der Mensch immer wieder, daß er nur ein Lehmgebilde und Gemächte aus Staub ist. Solche Aussagen, die alttestamentliche Gedanken fortführen, finden sich bezeichnenderweise vor allem in hymnischen Texten. Andererseits ist aber der Gedanke der Freiwilligkeit, der Aufruf zur Entscheidung, zum Ergreifen des gottgefälligen Werkes in Qumran ebenso verbreitet und ein Angelpunkt der Gerechtigkeitslehre der Sekte14 • Eine Lösung der Schwierigkeit wird weder so zu finden sein, daß die Prädestinationslehre von Qumran zu einer "relativen Prädestinationslehre", in der zwar Gott den Geist des Guten, aber auch den Geist der Finsternis, seine Zeit und seine Macht bestimmt und seinen Plan in Umrissen festlegt, nicht aber über den einzelnen Menschen verfügt, abgeschwächt wird15, noch so, daß alle die Freiheit des Menschen selbstverständlich voraussetzenden Aussagen zugunsten einer deterministischen Prädestinationslehre ein11 Z. B. 1 QH. 1,7. 19f. 28; 9, 29/f.; 13, 10; 15,15 . .. Belege bei Nötscher, BZ NF 3 (1959) 218-221. N. referiert den mir nicht zugänglichen neuhebräischen Aufsatz von ,. Licht, The Concept of Nedabah in the Dead Sea Scrolls, in: Studies in the Dearl Sea Scrolls in memoriam E. L. Sukenik, Jerusalem 1957, 77-84. Vgl. auch Braun, Radikalismus I, 25 A. 2; 26 A. 4. 11 Nötscher, Terminologie 175; ders., BZ NF 4 (1960) 98/f. Nötscher wehrt sich dagegen, daß "das moralische Verhalten des Menschen" für Gottes Entscheidung irrelevant sei, und versucht, gegenüber der göttlichen Prädestination einen Raum für die menschliche Freiheit auszusparen. Doch verzichtet er darauf, das Verhältnis von menschlicher Freiheit und göttlicher Bestimmung in Qumran auf eine glatte Formel zu bringen (aaO 108). Er übersieht, daß das Problem, mit dem er ringt, in Qumran gar nicht auf~etaucht ist, und hätte wohl besser gefragt, wieso nicht, statt es auf irgendeine Welse lösen zu wollen. Vgl. zu Recht Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 101 A. 50; Braun, Qumran und das N. T. II, 244. Nötscher versteht die qumranische Prädestination als bloße Präscienz und wendet sich BZ NF 3 (1959) 231f. m. E. zu Unrecht gegen eine Identifikation von Präscienz und Prädestination, wie dies z. B.]. Licht, An Analysis ofthe Treatise ofthe Two Spirits in DSD, Scripta Hierosolymitana 4 (1958), 88-100, dort 99 A. 41 postuliert. Eine solche Identifikation liegt aber m. E. bereits im Gefälle des alttestamentlichen Erkenntnisbegriffs (vgl. Bultmann, ThW I, 698, l1/f.), und eine strikte Scheidung der Bedeutungen "vorherbestimmen" und "vorauserkennen" kann in Qumran nicht vorgenommen werden: 1QS. 11, 11 ist Gottes Wissen eindeutig kreativ, vgl. auch lQH.1,28.
2. Der PrtItkstillotiollsgedolllu ill QlllllrOll
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fach übergangen werden 1'. Vielmehr dürfte das Geistverständnis der Sekte ins Zentrum der Schwierigkeiten führen 17 : Die beiden Geister des Lichtes und der Finsternis sind sowohl Fürst, der den Menschen beherrscht, als auch Bereich, an dem er Anteil hat, sowohl individuelles als auch überindividuelles Prinzip. Die Geistlehre von Qumran ist Ausdruck der Bestimmtheit des Menschen durch ein ihn beherrschendes Prinzip, durch Gott oder den Fürsten der Finsternis. Dieses Prinzip ist ein dem Menschen fremdes, steht aber nicht im Widerspruch zu ihm selbst, sondern ist Ausdruck der Bestimmtheit des Menschen in seiner eigenen Freiheit. In den Texten wird m. W. nur an einer Stelle explizit über dieses VerhJImis nachgedacht: "Der Wandel des Menschen ist nicht bestimmt (,,10' thikkon"), es sei denn durch den Geist, den Gott ihm schuf, um den Wandel der Menschenkinder vollkommen zu machen, damit sie alle seine Werke erkennen in der Knaft seiner Stärke" (1 QH. 4, 31f.)1&. Das könnte etwa heißen: Der Mensch in seinem Handeln ist frei, aber seine (gerechten) Werke sind Gottes Tat durch deo dem Menschen verliehenen Geist. Insofern sind tatsächlich alle Werke der Gerechtigkeit bei Gott (1 QH. 4, 31a). Dem würde wieder entsprechen, daß wir in Qumran kaum objektiv-konstatierende deterministische Aussagen haben; solche Aussagen geschehen vornehmlich als Preis Gottes, der alle Werke der Gerechtigkeit tut, im Hymnus.
Ober das Alte Testament hinaus führen nur zwei Aussagekomplexe, denen wir uns zuwenden müssen. Daß die Sekte nicht nur Aussagen über die Erwählung, sondern auch, wenn zwar spärlicher, solche über die VeT7Perfmtg machen kann, dürfte von dem Gesagten aus verständ11 Die Tendenz zum Determinismus ist stark betont bei G. Ba_bach, Qumran und das Johannesevangelium, Berlln: EVA 1958, 24, vgl. 32f. Dazu verleitet natürlich der kosmologische Traktat von 1QS. 3f. ZU 1QH. vgl.J. Licht, The Doctrine of the Thanksgivin~ Scroll, IE] 6 (1956) 1-13. 89-101, dort bes. 89f., der sich sorgBiltig vor objektivierenden Aussagen hütet. Objektive Aussage der Sekte ist: Es gibt zwei Klassen von Menschen, die Gerechten und die Verworfenen. Die Aussagen der Hodajot über die Erwählung und die Verwerfung sind jedoch subjektiv-lyrisch (aaO 90). Objektivierende Aussagen sind nur in 1 QS. 3, 13/f. und 1 QM. 13 zu finden. An letzterer Stelle ist aber nur von der Prädestination des Bösen, d. h. Belials oder des Geistes der Finsternis (vgl. 1 QM. 13, 11), nicht aber von der Prädestination einzelner Menschen zum Verderben die Rede. Zum Thema vgl. auch K. G. Kuhn, Die Sektenschrift und die iranische Religion, ZThK 49 (1952) 296-316, dort 311ff.; Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 98/f.; S. Schu/~, Zur Rechtfertigung aus Gnaden in Qumran und bei Paulus, ZThK 56 (1959) 155-185, dort 157; Larsson, Vorbild 296/f. 11 Auf das Problem macht E. Sch7llei~er, Gegenwart des Geistes und eschatologische Hoffnung bei Zarathustra, spät jüdischen Gruppen, Gnostikern und den Zeugen des Neuen Testamentes, Neotestamentica, Zürich: Zwingli 1963, 153-179, dort 162f., vgl. ders., ThW VI, 388, 9/f. aufmerksam. Vgl. neuerdin.ßs die ausführlichen Untersuchungen von H. W. Kuhn zum Geistbegriff von Qumran: Zwischen Gottes heiligem Geist und dem Geist als "prädestiniertem Sein des Menschen" (Enderwartung und gegenwärtiges Heil, StUNT 4,1966,136) muß unterschieden werden. 18 J. Maier, Texte I z. St. übersetzt m. E. falsch, weil er die technische Bedeutung von "kun" (= "festsetzen", vgl. 1 QH. 15, 14f. 19; 1 QS. 3, 15 etc.) nicht erkennt. Richtig übersetzt z. B. Schutz, ZThK 56 (1959) 164.
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IV. Gesamlschau d. Gelchichle? Goffel Plan u. Prädestination
lieh und noch nicht notwendig Ausdruck eines fatalistischen Determinismus sein. Die Aufforderung, zu hassen, was Gott verworfen hat (1 QS. 1,4), kann hier zwar noch nicht in Betracht kommen; dagegen führt die betonte Aussage, daß Gott die Gottlosen "nicht erwählt" habe und, "bevor sie erschaffen wurden, ihre Werke kannte" (CDe. 2, 7f.), bereits in die Nähe der Verwerfungsaussage. Diese ist in einem hymnischen Text klar ausgesprochen: "Die Gottlosen hast du geschaffen für die Zeit deines Zorns, und von Mutterleib an hast du sie geweiht für den Schlachttag" (1 QH. 15, 17)19. Die Aussage der vorzeitlichen Verwerfung der Gottlosen und damit die gemina praedestinatio findet sich also in Qumran, wenn auch nur im Gebet und selten20 • Der andere Gedankenkreis, der die Theologie der Sekte - in gut apokalyptischer Weise - über das Alte Testament hinausführt, ist die Aussage über die göttliche Bestimmung der ganzen Geschichte. Der Grund, von dem aus gedacht wird, ist alttestamentlich: Gottes Schöpferhandeln ist es, das seine Werke unabänderlich, seinen Plan bestimmt und sein Wort unumstößlich sein läßt21 • In besonderer Weise ist die Sekte an der Bestimmung des Laufs der Gestirne durch Gott als Grundlage für ihren Festkalender interessiert (1 QH. 12,4ff.). Aber auch in der Geschichte als ganzer waltet ein Plan. Gott hat in ihr Mächte, Zeiten, Himmel, Winde und den Kosmos (1 QH. 1, 9ff.) festgesetzt. Die Geschichte steht ganz unter Gottes Plan (1 QS. 3, 15f.; 11,11.19, vgl. 1, 13--15 etc.). Es seien nun noch einige wesentliche theologische Anliegen der Prädestinationsaussagen in den Qumranschriften festgehalten : Die Prädestinationslehre Qumrans ist theozentrisch angelegt: Strafgericht Zur Auslegung vgl. besonders H. W. Kuhn, Enderwartung 38f.104ff. Der Text ist ein Gebet, worin die Erwähnung der Gerechten und die Verwerfung der Gottlosen einander gegenübergestellt sind, Die beiden Aussagen sind umrahmt von BekenntniS&'en zu Gott dem Schöpfer (15, 13ff. 22ff.), die Anleitung geben :Zum Verständnis der Priidestinationsaussagen. Zur Abgrenzung des Liedes vgl. H. W. Kuhn aaO 103f. A. 6. Es ist überhaupt auffällig, wie oft Aussagen über Gottes Schöpfertätigkeit und solche über Erwählung und Prädestination miteinander verbunden e.rsche!ne~: 1 QH. 1, 7ff.; 10, 2ff.; 12, 24ff.; 15, 13ff. etc. Von solchen Stellen her Ist mIr dIe Bemerkung C. .Müllers, Gottes Gerechtigkeit 78 A. 22, vgl. auch 88f., in der Prädestinationslehre der Sekte spiele ·im Unterschied :Zu Pis. der Schöpfungsgedanke keine Rolle, völlig unverständlich. Wenn wir in Betracht ziehen, daß in Persien der Dllalismus strenger Entscheidungsdualismus war (K. G. Kuhn, ZThK 49 (1952) 311), so hilft uns das, die Prädestinationslehre von Qllmran als eine tlllr(h die Begegnung dieses Ents(heidrmgsdllalismus mit Jem altJesJamenJli(hen J (höpferglauben nOID'entiig gel1lordene Weiterbildullg des lettteren tu versfehen. Doch können hier genauere Aussagen angesichts der der:zeitigen Forschungslage kaum gewagt werden. Vgl. auch Braun, Qumran und das N.T.II, 243f. .. V gl. auch Becker, Heil Gottes 85-90. 11 Vgl. o. Einl. A. 6, ferner 1 QS. 3, 15f.; 1 QH. 13, 18; 15, 13f. 10
2. Der PrädeIfinationlgedanlee in QUl1Iran
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über die Sünder und Erwählung der Gerechten dienen der Ehre Gottestl. Die Sündenvergebung, die Gott in seiner Gerechtigkeit schenkt, geschieht um seiner Ehre willen (1 QH. 4, 38). Wir stoßen damit i11 den Qumranschriften auf einen Gesichtspunkt, der auch im ganzen paulinischen Denken enorme Bedeutung hatl3 • Ja, von hier aus gewinnt der Beter von 1 QH. 15 sogar einen Ansatz zu einer Art Theodizee: Die Gottlosen, die Gott für die Zeit seines Zorns geschaffen hat, erwählen sich, was Gott haßt, denn sie sind dazu bestimmt, daß an ihnen Gott vor den Augen seiner ganzen Schöpfung sein Gericht vollzieht, damit sie so zum Zeichen würden, daß alle Gottes Herrlichkeit und Kraft erkennen (1 QH. 15, 18-20). Die Nähe solcher Aussagen zum paulinischen Denken, besonders zu R. 9, 17-24, ist auffällig. Dieser Betonung der Ehre Gottes als letztem für den Menschen sichtbaren Motiv des Handelns Gottes· in der Geschichte entspricht die Betonung seiner SchöpfertätigkeitU , die ihn immer wieder als Herrn der Welt erweist: Durch Gottes Willen und zu seiner Ehre ist die Welt erschaffen worden; durch seinen Willen ist der Lauf der Meere bestimmt und durch ihn sind die Zeiten eingeteilt. Ohne seinen Willen geschieht nichts. Durch Gottes Einsicht wird all dies dem Menschen, dem Gebilde aus Lehm, kundgetan, auf daß alle Welt Gottes Herrlichkeit erkenne und preise. Gottes Schöpfermacht läßt uns sein prädestinierendes Handeln, seine Erwählung, seine Gerechtigkeit und die menschliche Ohnmacht verstehen. Hier öffnet sich wohl das Zentrum des theologischen Denkens der Hymnen von Qumran. Stellen wir nochmals die Frage nach dem Verhältnis von Prädestinationsdenken und Geschichtsverständnis in den Qumranschriften, so werden wir vor allem auf den berühmten Traktat von den zwei Geistern 1 QS. 3, 13-4,26 gewiesen. Die - mehrfach verhandeltenU religionsgeschichtlichen Fragen sollen jetzt nicht erörtert werden. Der Abschnitt ist ein - vielleicht für katechetische Zwecke zusammengestellter28 - systematischer Abriß der Kosmologie und des Geschichts•• Belege bei Nötscher, BZ NF 3 (1959) 229f.; Licht, lE] 6 (1956) 9f• •• Vgl. R. 3, 7; 6, 4; 9, 23 (vgl. dazu u. IV 3 B); 11,36; 15,7; 2. K. 1,20; 3, 7ff.; 4,15; Phil. 1, 11; 4,20. Vgl. ferner o. A. 11461 und die Verweise dort, u. A. 124 und die Verweise dort; u. A.IX 37f. .. Vgl. auch o. A. 19. Die folgenden Ausführungen des Textes gehen dem Schöpfungspsalm 1 QH. 1 entlang. •• Zum religionsgeschichtlichen Problem Lit. bei Maier, Texte 11, 18f.; zur Interpretation vgl. Licht, Two Spirits, Scripta Hierosolymitana 4, 88-99. Baumbach, Qumran und das ]ohannesevg. 9ff. interpretiert den Qumranischen Dualismus ganz von diesem Traktat her, was wohl zu einem systematisch verfestigten und einseitigen Gesamtbild führt, vgl. o. A. 16. •• Der .. maskil" (3, 13), für den die Abhandlung verfaßt ist, dürfte in der Gemeinde .ein Amt innegehabt haben, vgl. 1 QS. 9, 12,21; CDC. 12.21; 1 QSb. 1. 1. Gattungsmäßig ist der Traktat eine - wohl literarkritisch zu isolierende - katechetische Lehrunterweisung (Becker. Heil Gottes 84).
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IV. Gesamtschau d. Geschichte? Gottes Plan u. Prädestination
bildes der Sekte. Haben wir vorher betont, wie sehr die Qumranischen Prädestinationsaussagen unspekulativen Charakter tragen und wie wenig sich die Aussagen über Gottes Schöpfermacht zu deterministischen Lehrsätzen verfestigen, so gilt es nun, das andere auch zu sehen: Es ist offenbar auch möglich, die Aussagen der Sekte über Schöpfung, Prädestination, Entscheidung etc. in ein Gesamtbild der Welt und der Geschichte einzuordnen. Gerade wenn wir unsern Abschnitt mit dem viel stärker anthropologisch orientierten Paralleltext Test. Jud. 20 vergleichen, so sehen wir, was Qumran vor den Testamenten auszeichnet: der 7IIeitanschallliche Ge/amtrahmen, der dort jedenfalls nicht ausgesprochen ist. In unserm Abschnitt tritt" ,die Geschichte' als Eines und als Ganzes"·' in den Blick. Sie wird verstanden als Wirken der beiden Geister, deren Plan Gott festgesetzt hat (1 QS. 3, 15) bis zur bestimmten Zeit der neuen Schöpfung (1 QS. 4, 25). Ihre Werke geschehen ohne Änderung nach Gottes Plan (1 QS. 3, 16). Der Gesamtrahmen der Geschichte ist also hier abgesteckt. Innerhalb dieses Rahmens kann die Sekte die Einzelheiten des göttlichen Planes bedenken (vgl. 1 QS. 1,13--151), durch Schriftauslegung tiefer in die Geheimnisse der göttlichen Geschichtslenkung eindringen und ihren eigenen Standort im göttlichen Geschichtsplan fixieren. Mit einem Gesamturteil wird man sehr vorsichtig sein müssen. Sicher können wir sagen, daß 1 QS. 3, 13--4, 26 ein Zentralstück der Katechese der Sekte war. Unsicher bleibt aber, ob schon der Lehrer der Gerechtigkeit, d. h. der Verfasser mindestens von Teilen. der Hodajot" so gedacht hat oder ob der Traktat erst Ausdruck einer spätem Verfestigung ist. Wie weit innerhalb des durch 1 QS. 3, 13ff. gesteckten Rahmens tatsächlich heilsgeschichtlich spekuliert wurde, ist trotz dem geschichtlichen Abriß von CDC. 1, 1-4,4 schwer zu sagen. Auffällig ist jedenfalls, daß in den gegenwartsbezogenen Schriftauslegungen der Kommentare der in 1 QS. 3, 13ff. ausgeführte weltanschauliche Rahmen keine Rolle zu spielen scheint. Wohl steht die Sekte als Hüterin des Bundes eindeutig im Bereich des Geistes Gottes, doch der einzelne Gläubige hat Anteil an beiden Bereichen, am einen viel, am andem wenig (1 QS. 4, 16), und entsprechend muß er sein Handeln immer wieder auf die göttliche Erwählung und den göttlichen Willen ausrichten. Die Vorstellung der gemina praedestinatio wird auch in Qumran nicht zur verfügbaren Vorstellung, und der Gläubige versteht seine Einsicht in Gottes Plan immer als von Gott selbst geschenkte!9. .. Rössler, Gesetz und Geschichte 69. Zum Geschichtsverständnis von Qumran vgl. auch Baumbach, Qumran und das Johannesevg. 391f. • 8 Vgl. z. B. Becker, Heil Gottes 50f. und A. 4. •, Die Prldestinationslehre von Qumran darf also nicht bloß aus 1 QS. 3, 13«. enmommen werden. So entstehen Urteile, wie z. B. dasjenige von C. MtJ_:
J. Der Prädestinationsgedank.e in R. 9,19-24
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3. Der Prädestinations gedanke in R.9, 19-24 Die entscheidenden Aussagen des Paulus über die Prädestination30 stehen im Abschnitt R. 9, 14-24. Wir hatten früher diesen Abschnitt als Exkurs bezeichnet31 • Bei der Frage nach dem Schicksal des Volkes Israel ging es um die Treue Gottes zu seinem Wort, und damit stand Gott selbst in Frage (R. 9, 6ff.). So stellt Paulus im Exkurs R. 9, 14fT. die Frage nach Gottes Gerechtigkeit, die durch Gottes Freiheit in Frage gestellt scheint. Anhand eines Gotteswortes an Mose (V. 15) und des Beispiels des Pharao, der von Gott als Objekt zum Erweise seiner Macht gebraucht wird, zeigt Paulus, daß die Gerechtigkeit Gottes in seinem freien Handeln in der Geschichte besteht. Wo es um die Freiheit Gottes geht, da stellt sich die Frage nach der Prädestination. Unsere Betrachtung sollte eigentlich mit V. 14 einsetzen. Da aber die einleitenden Verse 14-18 unter anderm Gesichtspunkt bereits behandelt wurden"", begnügen wir uns damit, hier die Ergebnisse jener Analyse im Blick auf unsere neue Fragestellung kurz festzuhalten : Vier Gesichtspunkte scheinen wichtig. Zunichst: Paulus redet nicht abstrakt, gleichsam im luftleeren Raum von Prädestination. Durch die Verwerfung Israels ist ihm vielmehr eine konkrete Frage gestellt, mit der er fertig werden muß. Und obwohl der Exkurs R. 9, 14ff. weitgehend von der speziellen Frage nach Israel
"An der inhaltlichen Füllung (sc. durch die Treue Gottes) und personalen Bindung an Gott" erweist sich "der entscheidende Unterschied" zwischen der paulinischen und der qumranischen Prädestinationslehre (Art. '\'(&-rj"" x,\,).., ThW VI11, 152-170, dort 167 A. 14). Die Belege aus 1 QH. zeigen, daß dieser Satz nicht stimmt. I. Lit. (außer in Gesamtdarstellungen und Kommentaren etc.): K. MIlIIer, Die göttliche Zuvorersehung und Erwählung, Diss. lic. Halle 1891; /. Dal",,,., Die Erwählung nach der Heilsverkündung des Apostels Paulus, 1894 (mir nicht zu· gänglich); ders., Zur yaulinischen Erwählungslehre, in: Greifswalder Studien, Festschr. H. Cremer, Gütersloh: Bertelsmann 1895, 183-206; R. Lierhte"han, Die göttliche Vorherbestimmung bei Paulus und in der Posidonianischen Philosophie, FRLAN T NF 18, Göuingen: Vandenhoeck 1922; E. 11. Dobsrhütz, Prädestination, Th St Kr 106 = NF 1 (1934/35) 9-19; F. DalliJson, Pauline Predestination, London: Tyndale Press 1946;/. Dupont, Gnosis, Paris: Gabalda 1949, 88ff.; Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 81-102; C. Spirq, Art. Vorherbestimmung in: Bibeltheologisches Wörterbuch, herausg. von J. B. Bauer, 11, 2. AuA. 1962, 1176-1187, dort weitere Lit.; C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 75ff.; H. M. DiOfl, La prMestination chez saint Paul, Rech SR 53 (1965) 5-43; Braun, Qumran und das N.T.lI, 247ff. Nicht erwähnt ist hier sämtliche Literatur, die sich mit R.9-11 im besondern beschäftigt. 11 Vgl. o. S. 28. Der Exkurs ist inhaltlich von grundsätzlicher Bedeutung und bestimmt das eigentliche Thema des Abschnittes: die Gerechtigkeit Gottes. Es ist also nicht richtig, wenn Larsson, Vorbild 301, meint, den Gedanken der doppelten Prädestination brauche Paulus vorzugsweise in seiner antinomistischen Polemik und mobilisiere ihn "als äußerste Reserve". Keiner der explizit prädestinatianisehen Texte läßt sich antinomistiseher Polemik unterordnen. 11 Vgl. o. 11 3 B.
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"IV. Gesamtschau d. Geschichte? Gotles Plan u. Prädestination
abstrahiert, wird die Erörterung nicht theoretisch, sondern bleibt auf die durch das Problem Israel gestellte Gottesfrage bezogen. Ein Indiz für die Konkretheit des paulinischen Denkens sind die dialogischen Elemente, die den ganzen Abschnitt durchziehen". Sodann: Das Beispiel aus dem Alten Testament wollte nicht einfach Gottes absolute Souveränität betonen und auch der Skopus von Gottes Wort an Mose war nicht einfach: Ich kann tun, was ich will. E"lteheiJenJ l1Iar vielmehr für Paulul, Jaß er J,r Gott der Alte" Terlame"tel itt, der lolche Freiheit für lieh bea"lpruehl. Die alttestamentlichen Aussagen iiber Gottes Freiheit weisen den Hörer an die Geschichte des alten Bundes, wo diese Freiheit offenbar geworden ist. Der absolut freie Gott ist zugleich der, der seinen Namen geoffenbart hat (V. 15). Man könnte auch sagen: Absolute Freiheit ist nur vom wahren Gott aussagbar, d. h. von dem Gott, der sich dem Volk Israel geoffenbart hat, sonst würde dieser Gott zu einer unberechenbaren, unverständlichen und monströsen Macht, zu einem Phantom. Drittens: Bezogen auf die Geschichte des Alten Bundes kann aber die Freiheit Gottes nicht genug betont werden. Gott handelt in der Geschichte souverän und um seiner Souveränität willen. Dieser Gesichtspunkt bleibt beim paulinischen Reden von Prädestination allein im Vordergrund: Et gehl dari" tim die GoI/heil Golter, Jer GoI/ bleibe" muß, wenn er den Menschen nicht aufgrund eines Werkes, sondern allein durch seine berufende Tat rechtfertigen will (vgl. V. 12)". Viertens: Dieser positive Gesichtspunkt impliziert einen negativen: Beim RAd,,, lIon PräJeIIi"alio" Ilehl bei Paultlt "iehl die Frage naeb dem Menlehen im VorJergrU/lJ.
Paulus macht sich keine Gedanken über das endgültige Schicksal des EinzeImenschen, etwa des Pharao, und die daraus entstehenden theologischen Probleme. Aber er zieht auch aus der Alleinwirksamkeit Gottes keine Folgerungen für die Anthropologie: Wir fanden keine Reflexionen darüber, wie sich Gottes Allmacht zur subjektiven Freiheit des Menschen verhalte, nicht einmal beim Beispiel des Pharao, wo diese Frage an sich ja naheläge. Daß sie auch zur Zeit des Paulus durchaus hätte gestellt werden können, zeigen die subtilen Erörterungen etwa der Stoiker über das Verhältnis von Vorherbestimmung und menschlicher Freiheit"; vor allem aber zeigt es der von Paulus seihst aufgeworfene Einwand des fiktiven Gegners R. 9, 19, dem wir uns jetzt zuwenden müssen.
" Bultmann, Stil der paulinischen Predigt 66. 68, weist darauf hin, daß solche dialogischen Elemente sich gerade in den lehrhaften Teilen des Römerbriefs besonders häufig finden. Meistens sind sie aber bei Pis. nicht darum eingestreut, um die wirklichen Meinungen seiner Adressaten zu Worte kommen zu lassen, sondern es geht Pis. um die Widerlegung offenkundiger Absurditäten, vgl. auch o. A. IU 147. Das praktische Interesse des Pis. zeigt sich daran, daß es sehr oft darum geht, falsche sittliche Folgerungen zu verhüten, so auch R. 9, 19. Vgl. dazu Bultmann aaD 67f• .. Durch V. 11-14 bleiben die Prädestinationsaussagen auf die Rechtfertigungslehre bezogen, vgl. o. S. 72. 1m Exkurs dienen sie der Entfaltung der Gerechtigkeit Gottes, die Gerechtigkeit Golter bleiben muß, um wirklich rechtfertigende Macht zu haben. Auch R. 8, 281f. ist auf die Rechtfertigungslehre bezogen, vgl. R. 8, 30 und A. 123 . •, Vgl. die Belege bei v. Arnim H, Nr. 974-1007, ferner Liechtenhan, Vorherbestimmung, bes. 90-104. Interessant ist, daß im Judentum, auch wo der Prädestinationsgedanke radikal durchgeführt ist, sich kaum Reflexionen über das Verhältnis von Prädestination und menschlicher Willensfreiheit finden, vgl. o. A. 11. Solche finden wir erst wieder in den Reflexionen des Josephus über Pharisäer, Sadduzäer und Essener.
J. Der Prildestilltltiollsgedtlllkß ;11 R. 9,19-24
237
A. R. 9, 19-21 Die Anrede an den Gegner in V. 19 unterbricht den Zusammenhang, denn V. 22f. greifen wiederum auf V. 17 zurück38 • Die Meinung, Gottes Allmacht lasse für den Menschen keine Freiheit, sondern nur die reine Passivität übrig, da doch niemand Gottes Willen widerstehen könne, ist für Paulus ein ganz unvorstellbarer Gedanke,den er nur entrostet abweisen kann. Zu einer eigentlichen Widerlegung und einem Gespräch mit dem Gegner kommt es denn auch eigentlich nicht. Dennoch ist aber der Einwand wichtig genug, um hier vorgebracht zu werden; denn in der Konsequenz des resignierten: "Wer kann Gott denn schon widerstehen?" läge ethisch die völlige Indifferenz alles menschlichen Tuns: So lasset uns das Böse tun, damit daraus das Gute werde (vgl. R. 3, 8). Hier wie in R. 3, Sff. sind es offenbar die ethischen Konsequenzen, die Paulus besonders bedrohlich erscheinen. Nur vom Inhalt her kann ja der vom Gegner vorgebrachte Satz, der durchaus der Meinung jüdischer Weisheit entspricht3 ', nicht strittig sein, und in seiner Antwort bestätigt Paulus im Grunde genommen den Satz des Gegners, wendet sich aber gegen die Art und Weise, wie er von ihm vorgebracht wird. . So scheint es zunächst, als ob der Apostel die Frage seines Gegners einfach niederschlüge. Seine Antwort ist von bitterer Ironie: Mensch, wer bist du denn eigentlich38, daß du Gott Rede und Antwort stehen willst? Die Antwort gibt Paulus mit einem aus dem Alten Testament und aus jüdischen Schriften verbreiteten Bild: Das Geschöpf rechtet nicht mit seinem Schöpfer, und der Töpfer hat Freiheit, aus dem Ton zu machen, was er will. •• Nach Kühl, Röm. 330, stellen unsere Verse eine "Episode" dar, die "keinerlei neue Gedanken" enthält. Auch Gaugier, Röm. 11, 61, sieht in den Versen einen Unterbruch des Hauptgedankens. Zum Bezug von V.22f. auf V. 17f. vgl. u. S.241. •• Ahnliche Aussagen finden sich in weisheitlicher Tradition oft in positivem Sipne: Da. 4, 32; Hi. 9, 12; Sap. 11,21; 12, 12. Besonders Sap. 11-12 finden sich in völlig verschiedenem sachlichen Kontext sehr ähnliche Aussagen wie bei Pis., vgl. o. 11 3 B Exkurs. und u. S. 246f. und A. 41. 60. So haben Grafe, Verhältnis, Theo!. Abhandlungen C. v. Weizsäcker 267f. 285, und Holtzmann, Theol. 11, 184f., von einer paulinischen Entlehnung aus der Sap. gesprochen. Ein sicheres Urteil in der Frage der literarischen Abhängigkeit ist m. E. allerdings nicht möglieh: Der Topos von Sap. 11, 21; 12, 12 ist auch sonst verbreitet; das Bild von 15,7 und der Satz 12, 20f. sind bei Pis. in verschiedenem Zusammenhang gebraucht; die Häufung der Parallelen ist allerdings auIJallig. Die Parallelen zu R. 1, 18ff. in Sap. 13-15 scheinen mir allerdings für die Annahme von literarischer Abhängigkeit noch nicht beweiskräftig, gegen Grafe aaO 270ft"• • a "Menoun· ge" - bei Pis. steigernd (Phil. 3, 8) oder berichtigend (R. 10, 18) gebraucht - kann hier an sich beide Bedeutungen haben. Im ersteren Fall, der durchaus möglich ist, da ja Pis. die Aussage seines Gegners materialiter nicht bestreitet, hätte es ironischen Sinn: Mensch, ganz richtig, wer bist du •.. ; vld. Kühl, Röm. 329. Doch dürfte die berichtigende Bedeutung leichter verständlich sein.
238
IV. Gesamtsehall d. Gesehiehte? Gottes Plan 11. Prädestination
Die Verbindung des Schöpfungsgedankens mit dem Bild des Töpfers ist alt. Im A. T. geht sie aufGn. 2 zurück. Das Bild wird dann vor allem in der prophetischen Literatur seit Jeremia und Deuterojesaia" aktuell: Jahwes Schöpfermacht zeigt sich in der Geschichte, deren souveräner Herr er ist. Dabei kann der ausdrückliche Bezug auf die ScMpfung sogar fehlen und das Töpferbild zum selbsttragenden Bild werden'·. Im Judentum ist es verbreitet: es wird fast immer gebraucht, um das Geschöpfsein des Menschen und seine Ohnmacht gegenüber dem allmächtigen Gott festzuhalten". Aber auch im griechischen Sprachbereich ist es nicht unbekannt".
Es läßt sich also wohl sagen, daß Paulus in unsern Versen vom Schöpfungsgedanken her argumentiertu . Nur muß man sich dabei im klaren sein, was damit gesagt ist: Um die abstrakte Anwendung des Schöpfungsgedankens, aus dem Gottes Alleinwirksamkeit deduziert werden könnte, geht es Paulus nicht. Es wird nicht theoretisch mit dem Schöpfungsgedanken argumentiert, sondern Gottes Schöpfertätigkeit ist unbestritten vorausgesetzt und wird in der jetzigen Situation neu aktualisiert. Es geht auch nicht um jenes "Kreaturgefühl", jenes "Versinken und ,zu Nichte werden'" vor dem "tremendum mysterium"", das jeder Religion eigen ist, so daß also Paulus zum Anwalt von wahrer Religiosität gegenüber dem objektivierenden Mißbrauch des Gottes.. Die an unserer Stelle wohl vor allem gemeinte Stelle Js. 29, 16 ist vermutlich Zusatz, vielleicht aus dem Milieu Deuterojesaias? Vgl. dazu B. Duhm, Das Buch ]esaia, HK 111/1, 3. Aufl.. Göttingen: Vandenhoeck 1914, 186f. Aus deuterolesaianischem Milieu ist ferner Js. 45, 9 und 64,7 zu nennen. Vgl. ferner Stuhlmacher, EvTh 27 (1967) 12, Hi.l0, 9; 33, 6 und u. A. 40. ,. Jer. 18, 2ff., bes. 6; vgl. auch 19, 10ff.; Js. 41, 25 ist das Töpfermotiv bloße Illustration fur die Macht des politischen Herrschers. An sich hätte sich Jer. 18 für das, was Pis. sagen wollte, viel besser geeignet als Js. 29, doch war PIs. mit dem Buch lesaia vertrauter als mit dem Jeremiabuch . .. Vgf. Sir. 33 (36),13; Sap. 12, 12; 15,7 (nur formal sehr ähnlich); Ps. Sal. 17,23 (messianisch); Test. N. 2,2; aus Qumran z. B. 1 QS. 11, 21f.; 1 QH. 10, 3-12; 13, 14f. Die Verbindung zu Go. 2 bleibt in Qumran noch sichtbar, so daß in Qumran vom Formen der Menschen durch den Schöpfer die Rede ist, vgl. Braun, Qumran und das N. T. I, 182. Rabbinisches z. B. Ber. 32a (Anfang); Taan. 20a Bar. (die zweite Stelle zitiert bei Stt.-B. I, 285f.) . .. Vgl. die Belege bei H. Almquisl, Plutarch und das Neue Testament, ASNU 15, Upsala: Appelberg 1946, 87f. .. Dies stellen zu Recht Michel, Röm. 242; C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 27ff.; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 91, vorsichtiger Schwantes, Schöpfung der Endzeit 14, fest, vgl. auch Kertelge, Rechtfertigung 98f. und 309. Festgehalten werden muß aber, daß schon von der Vorgeschichte des Motivs im A. T. her Gottes SchöpferhandeIn und Gottes Handeln als Herr der Geschichte in Analogie zueinander stehen und z. T. mit demselben Bildmaterial beschrieben werden, vgl. o. A. 39f. und D. Wiederkehr, Theologie der Berufung in den Paulusbriefen, Studia Friburg. NF 36, Diss. Fribourg 1963, 177. Die Schöpfung erscheint bei Pis. nicht als isoliertes Theologumenon, und es ist fraglich, ob eine Bestimmung der Gerechtigkeit Gottes, wie die, die Gerechtigkeit Gottes sei für Pis. "nicht mehr nur Bundestreue " ., sondern ... die Treue des Schöpfers zu seiner Schöpfung" (Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 90) etwas spezifisch Paulinisches erfaßt und nicht vielmehr eine Stufe der Reflexion, die im A. T. mit der Einordnung der Schöpfung in die Heilsgeschichte bereits erreicht wurde. " R. 0110, Das Heilige, Breslau: Trewendt 1923, 110f.
3. Der Prädeltinationlgedanh in R. 9,19-24
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begriffs würde. Vielmehr zeigt schon das alttestamentliche Belegmaterial deutlich, daß der Schöpfergott seine Schöpfermacht immer wieder neu in der Geschichte manifestiert, indem er als deren Herr handelt 01.14ff.). Und Paulus muß in unsem Versen aus dem Zusammenhang heraus interpretiert werden, wo es um den alttestamentlichen Gott und seine Gerechtigkeit ging. Das Verstummen des Paulus ist also ein Verstummen vor diesem Gott und nicht vor einem Gott an sich'5. Wollen wir die Art und Weise, wie Paulus in V. 2Of. vom Schöpfergott spricht, näher bestimmen, so haben wir nach dem Bildcharakter unserer Verse zu fragen. Handelt es sich bei den Versen um eine Allegorie, so daß der xe:pot(Ld.lt:; 't"oü 'ltYjAOÜ bzw. der 7tMaott:; gleich Gott, das 7tMajLot bzw. axe:üot:; gleich dem Menschen zu setzen wäre? Oder handelt es sich beim Vergleich mit dem Töpfer lediglich um ein Bild, so daß wir nach dem Vergleichspunkt zu fragen hätten? Zur Beantwortung unserer Frage setzen wir bei V. 21 ein. Wenn der Töpfer verschiedene Gefäße formt, so entstehen nicht zwei Gruppen, die in einem absoluten Gegensatz zueinander stehen. Das zeigt, daß die Bildhälfte von der Sachhälfte her gestaltet ist, was für Allegorie typisch ist. Aber auf der andem Seite kann der Mensch nicht einfach mit einem Tongeschirr gleichgesetzt werden: "The trouble is that a man is not a pot; he 1IIillask, ,Why did you make me like this?'''''. Vom Alten Testament her ist der Gefäße formende Töpfert.? immer schon Bild fur Gott und mit dem Bild ist sein Anwendungsbereich vorgegeben. "Plassö" ist vom A. T. her von vornherein geprägter Terminus für das Schöpfungshandeln Gottes, und es ist kaum möglich, daß - nachdem schon V. 20a von Gott die Rede war - irgend jemand das Zitat in V. 20b neutral, d. h. als bloßes Bild zunächst ohne Be2Ug auf den Schöpfergott verstanden hätte. Es liegt also eher eine Allegorie vor, auch wenn diese nur teilweise durchgeführt ist. Ihr entscheidender Punkt ist das Verhältnis des Töpfers zu seinen Werken, nicht etwa die Bestitrunung des Wesens des Töpfers (also Gottes als absoluter Freiheit) oder des Wesens des Geschirrs (also des Menschen als absoluter Passivität, die wesenhaft zum Schweigen verurteilt ist). &I
V Ri. K. Barth, Kurzer Röm. 145: "Der Töpfer ... ist nun einmal nicht irgend
ein anmächtiger Gott, der als solcher tun kann, was ihm beliebt, sondern der Gott
Israels" . •• Dodd, Röm. 159. Die Schwierigkeiten einer rein allegorischen Deutung zeigen auch Jülicher, Röm. 289f.j Lagrange, Röm. 237, und Prat, Theol. I, 31Of. Rein allegorisch ist wohl erst die nach K. H. Schelkle, Etwählung und Freiheit im Römerbriefnach der Auslegung der Väter, ThQ 131 (1951) 189-207, dort 196, von unserer Stelle abhängige Formulierung 2. Cl. 8, H., wo das ergänzende Bild vom Feuerofen bereits vom Gerichtsgedanken gepdgt ist• •• Im Unterschied zum Geschirr zerschlagenden Töpfer, der im A. T. rein bildlich gebraucht wird, vgl. Js. 30,14; Jer. 19, 11; Ps. 2,9.
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IV. Gesamtschau d. Geschiehte? Gottes Plan u. Prädestination
Entscheidend scheint mir aber gerade dies zu sein, daß Paulus ein durchaus verbreitetes und aus dem Alten Testament geläufiges Bild als Antwort auf den Einwand seines Gegners benützt und daß er mit Hilfe von Anspielungen auf das Alte Testament formuliert. Es gehört hier mit zur Sache, daß er auf Bekanntes, Vertrautes zurückgreift, denn es geht ihm eben um Konfrontation mit dem wirklichen, aus dem Alten Testament bekannten Schöpfergott. Nur dann ist die paulinische Argumentation schlüssig. Aber was bezweckt sie eigentlich? Zunächst wehrt Paulus eine falsche Konsequenz aus dem Pharaobeispiel ab: Gottes Allmacht in der Geschichte ist nicht ein Abstraktum, aus dem man seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen dürfte. Der Frager von V. 19 denkt ja auch von Gottes Allmacht aus und würde dem Schöpfergott niemals das Recht bestreiten, die einen Gefäße zur Ehre, die andern zur Unehre zu machen. Wenn nun die paulinische Antwort sinnvoll sein soll, so kann es in ihr nicht darum gehen, die Konsequenz, die der Frager aus der Allmacht Gottes zieht, durch einen erneuten Hinweis auf Gottes Allmacht niederzuschlagen. Damit wäre nichts gewonnen. Im Gegenteil, wenn Paulus mit Berufung auf die Allmacht Gottes verböte, aus eben dieser Allmacht Folgerungen zu ziehen, hätte er nur durch noch größere Unterwürfigkeit die hinter der Unterwürfigkeit seines Gegners verborgene Überheblichkeit um einen Grad überboten. Paulus will aber durch die Verse 19-21 gerade verhindern, daß das Handeln Gottes an Phamo, wie es das A. T. schildert, zur Basis eines dann verfügbaren Gottesbegriffs wird. Oder anders: Paulus will verhindern, daß prädestinatianische Aussagen zum Determinismus objektiviert werden48 • Er will zeigen, daß der reflektierende und gegenüber Gott Rechte beanspruchende Mensch von ihm immer schon in Anspruch genommen ist und darum gar keine eigene Position ihm gegenüber b.'Ziehen kann. Für sich genommen, würden unsere Verse allerdings zu extremer Selbstpreisgabe und zum sacrificium intellectus aufrufen. Durch den deutlichen Hinweis auf das Alte Testament und Gottes Handeln in der Geschichte Ismels aber werden die Akzente entscheidend verschoben, denn es ist nicht ein unbekannter Gott, der dem .. R. Blllimann, Gnade und Freiheit, in: Glauben und Verstehen 11, 2. Auß. Tübingen: Mohr 1958,149-161, dort 157f., versucht, die prädestinatianischen Aussagen des Pis. von ihrer Spitze gegen den Verdienstgedanken her (vgl. R. 9, 11fr.) und gerade nicht als Gegensatz gegen den Gedanken der freien Entscheidung des Glaubens zu verstehen. Gegenüber einem Versuch, prädestinatianische Aussagen spekulativ oder mythologisch zu fassen, kann er pointiert sagen: "Im Glauben vollzieht sich die Erwählung, nicht dahinter und nicht davor" (aaO 158). Eben das meint auch C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 78, mit der Formulierung, "daß Prädestination in der Wortverkündigung geschieht". Seine Polemik gegen Bultmann geht wohl weitgehend an diesem vorbei, denn auch B. weiß, daß zum Ungläubigen nur das Wort "von der auch für ihn geltenden Gnade" (aaO) gesprochen werden kann.
J. Der Prädestinationsgedanke in R. 9, 19-24
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Menschen Schweigen gebietet. Angesichts der Allmacht dieses Gottes kann sich der Mensch nicht aus seiner eigenen Verantwortlichkeit entlassen. Unsere Verse wollen im Zusammenhang mit den Versen 14-18 gelesen werden. So geben sie eine entscheidende Interpretationshilfe zum Verständnis jener Verse, indem sie zeigen, daß der Mensch nur als von Gott immer schon Betroffener die alttestamentliche Geschichte als von Gott gewirkte Geschichte verstehen kann.
B. R. 9,22/ Wie schließt V.22f. an das Vorangegangene an? Will Paulus eine "Erklärung" des Töpfergleichnisses geben'·? Oder sind sie gerade als Gegensatz zu V. 19ff. zu fassen? Dafür spräche das adversative 8~. Der Sinn wäre dann: Gott /eönnte in der Tat so handeln, wie es das Alte Testament mit dem Bild des Töpfers beschreibt. Wie, wenn aber Gott in Wirklichkeit gar nicht so handelte, sondern seinen Zorn noch hinausschöbe und die Gefäße des Zorns in viel Langmut trüge 60 ? Obwohl aber "de" in V. 22 sicher einen gewissen Gegensatz zu V. 21 andeutet, ist es dennoch nicht die Meinung des Paulus, daß Gott nun doch nicht wie ein Töpfer handelt. Die Auseinandersetzung mit dem Gegner von V. 19 würde so in ein merkwürdiges Licht treten. Auf jeden Fall weist V. 22 über die Verse 19-21 hinweg aufV. 17 zurück. Die Anklänge sind unverkennbar: ~8Eh(lIUILL ry. 17. 22), ~ 86vIXILLC; und 't'o 8UlIOt't'611 ry. 17.22). V. 22 will also das Pharaobeispiel wieder aufnehmen und weiterführend auslegen. Bei der Betrachtung des Anakoluthes stellen sich uns zwei syntaktische Probleme. Erstens: Ist KOtE zu Beginn des Verses 23 ursprünglich oder ist es mit B, Orig. und andern zu streichen? Das Gewicht der Textzeugen spricht eindeutig dafür, KOtE im Texte zu lassen 61 • Doch hängt •• Barth, KD 11/2, 247. Dagegen spricht allerdings das "de" V.22, sowie die Beziehungen zwischen V. 22 und V. 17, vgl. unten. •• B. Weiss, Röm. 421f. Ahnlich formuliert Leenhardt, Röm. 146: "La comparaison avec le potier se revHe maintenant inadequate: Dieu use d'une patience qui n'a aucune place dans le travail du potier". In anderer Weise konstruiert V. Weber, Kritische Geschichte 34, einen Gegensatz zwischen V. 21 und V. 22: "Wenn aber die Masse nicht mehr gleich ist, sondern solche, die zu Gefäßen der Ehre gemacht waren, si,h zu Gefäßen des Zorns bereitet haben (Pharao, die Juden), und Gott solche Gefliße des Zorns in vieler Langmut trug ... auf Bekehrung wartend (Röm. 2, 4), und einshPei/en - jene Gefäße des Zornes nicht für immer verwerfend ... - Gefaße des Erbarmens beruft ... , wo bleibt da eine scheinbare Ungerechtigkeit?" i l Unklar ist, ob p" x«[ liest. Da der Text am Rand zerstört ist, läßt sich nichts Schlüssiges sagen, doch dürfte, wie sich aus der Breite des abgebrochenen Randes ergibt, "kai" im Text gestanden haben. Sachlich ist die Frage insofern von Bedeutung, als eine Streichung von "kai" die konzessive Deutung von "thelön" erleichtert, vgl. u. A. 52. 57. Maier, Israel in der Heilsgeschichte 44, sieht in "kai" eine Andeutung, daß Pis. ursprünglich mit V.23 eine neue, V.22 parallele (vgL
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IV. GeJaflltJchau d. Ge/chichte? GotteJ Plan u. PrädeJtination
die Entscheidung mit der zweiten Frage unserer Verse zusammen: Wie ist das Partizip &tACJlV zu verstehen? Vorgeschlagen wurden folgende Übersetzungsmöglichkeiten : 1. kon~eJJivn: Wenn aber Gott, obJchon er seinen Zorn zeigen und seine Macht kundtun wollte, mit viel Langmut die Gefäße des Zorns", die doch zum Verderben bereitet waren, trug, um den Reichtum seiner Herrlichkeit gegenüber den Geschöpfen des Erbarmens, die er zur Hertlichkeit bereitet hatte, kund zu tun? Zu ergänzen wäre dann etwa: "Hast du dann Gott noch etwas zu antworten ?"., 2. final'·. Diese übersetzung hat den Vorzug, daß der finale Sinn bereits durch das Partizip ~~(')'1 vorgegeben ist, daß sie also die neutralste ist. Zu libersetzen wäre dann: "in der Absicht, seinen Zorn zu zeigen", oder: "willens"". Der durch ~~A(O)'1 eingeleitete Partizipialsatz und der mit ihm wohl durch _( verbundene {'lOt - Satz in V. 23 stünden dann parallel und gäben formal zwei verschiedene Absichten Gottes an. KOt( wäre am ehesten mit "auch" oder "zugleich auch" zu übersetzen. Paulus würde dann sagen, daß Gott die Gefäße des Zorns aus zwei Gründen mit viel Langmut trug, nämlich erstens, in der Absicht, seinen Zorn zu zeigen, zweitens "auch", um den Reichtum seiner Herrlichkeit gegenüber den Gefäßen des Erbarmens zu zeigen". V.223 mit V. 23a, V. 22c (katcrtismena etc.) mit V. 23b) Nebensatzperiode beginnen wollte. Doch kompliziert dieser übersetzungsversuch die ohnehin schwierige Periode noch mehr. .. So z. B. von den Kommentaren F. Godet, Kommentar zu dem Brief an die Römer II, 2. Auf!. Hannover: C. Meyer 1893, CornCly, B. Weiss, Jülicher, SandayHeadlam, Leenhardt z. St., ferner KUhl, Theodizee, Theol. Stud. B. Weiss 73; Prat, Theol. I, 309. Daß von den Auslegern, die "kai" streichen, "thelän" fast durchwegs konzessiv gefaßt wird, zeigt Kühl, Röm. 332, vgl. Bornkamm, Anakoluthe, Aufs. I, 90f. •• Muß "skeuos:' hi~r als Objekt (Gefäß, in das e~as hineingegossen wird) oder als Instrument (Gerat, das zu etwas gebraucht WIrd) verstanden werden? Von Jer. LXX 27,25 und Js. 13, 5 Symmachus her müßte eigentlich mit Munck, Christus und Israel 55, und Michel, Röm. 245 A. 2, eher an "Instrumente des Zorns" ~edacht werden. Doch kann m. E. die Analogiebildung in V. 23 mtEVr) tMouc; rucht mit "Werkzeugen des Erbarmens" übersetzt werden; auch die Zusatzbestimmungen: "bereitet zu ... " und die Wendungen dc; Tt(.Lij'l bzw. dTl(.LlOt'l V. 21 legen eher nahe, OXtÜOC; bp"j'iic; als "Objekt des Zorns" zu verstehen. M Abzulehnen sind Versuche, die aus V. 23 den Nachsatz machen wollen, sei es durch Konjekturen (l'allis, Röm. 117 liest in V. 23 E7tohjlJ!:V oxeU"I) statt btl OX&Vr), sei es, indem in V. 23 das Verb des Verses 22 als Hauptverb ergänzt wird (Nygren, Röm. 267). 11 So z. B. Zahn, Pallis, Barth, Lietzmann, Lagrange, H. W. Schmidt z. St., ferner Bornkamm, Anakoluthe, Aufs. I, 91; C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 32• •• Doch behält dabei "thelän" den starken, "determinierenden" Sinn, den es von V. 18 als Wollen Gottes mitbringt, vgl. Murray, Röm. II, 34. 51 Dies wird energisch von K. Barth bestritten, der KD 11/2 248 jede "abstrakte Doppelung" der Absicht Gottes ablehnt und von dem "ei"e" Weg Gottes spricht". C. Maurer, Art. OX&UOC;, ThW VII, 359-368, dort 364 A. 35, spricht von epexegetisch steigerndem )(Otl und paraphrasiert betont: "und zwar zu dem einen Zwecke, daß ... " (aaO 364, 1). Man wird zwischen dem exegetischen und dem sachlichen Recht dieser These unterscheiden müssen. Exegetisch wäre zu sagen: Daß "kai" epexe~etisch steigernd und nicht syntaktisch verbindend ist, dürfte kaum zu halten seIn. Maurer kann dies nur, indem er vom finalen Sinn von V. 22a, der durch "thelön" auf jeden Fall gegeben ist, einfach absieht, vgl. u. A. 59. Kann man das aber nicht, so hat man auf jeden Fall formal zwei Absichten; die Frage ist dann
3. Der Prädestintltionsgedtlllke in R. 9, 19-24
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In den Kommentaren werden noch zwei weitere übersetzungsmöglichkeiten vorgeschlagen, nämlich: 3. kalual: Weil Gott die Absicht hatte ... ' •• Doch diese übersetzung verstärkt lediglich den finalen Skopus, ohne etwas Neues. beizufügen. Endlich kann 4. modal übersetzt werden, z. B.: "Gott bei der Durchführung seines Willens, seinen Zorn zu erweisen"Gt. Diese übersetzung dürfte deshalb uninteressant sein, weil auch so die finale Nuance nicht verschwindet, da sie durch &tA6IV ohnehin zum Ausdruck gebracht wird. Wir werden uns also zwischen der konzessiven und der finalen übersetzung zu entscheiden haben.
Fassen wir das Partizip &tA(,)V in konzessivem Sinn, so erhielten wir einen verständlichen Gedankengang: Eine Paraphrase würde lauten: Obwohl Gott willens ist, seinen (eschatologischen) Zorn zu zeigen und seine Macht (im letzten Gericht) kundzutun, hat er die Gefäße des Zorns in viel Langmut getragen, die doch zum Verderben bereitet sind, (auch,) um den Reichtum seiner Herrlichkeit gegenüber den Gefäßen des Erbarmens kundzutun . .. Mcxxpo&u/L(or; ist hier und bei der finalen Deutung nicht einfach positiver Begriff, sondern, entsprechend apokalyptischem und weisheitlichem Denken, nur bedingt positiv: Die göttliche Langmut ist ein vorläufiges Zurückhalten des Gotteszorns, eine Frist, die Gott vor dem endgültigen Hereinbrechen des Gerichtes noch gewährt80• Der Grund, wieso Gott diese Frist noch nur, wie sie einander beizuordnen sind. Andererseits aber gilt: Schon die Einführung des Anakoluths mit "ei de" und die so erfolgende Abgrenzung gegenüber V. 21 weisen darauf hin, daß für Pis. das sachliche Gewicht des Anakoluths auf V. 23 und nicht auf V. 22 liegt. Nach V.21 will Pis. etwas Positives sagen. Man muß auch auf die unterschiedliche Formulierung der heiden Absichten hinweisen: Gegenüber dem durch das unbestimmt-zeitlose "thelän" eingeleiteten Satz wirkt der zweite durch "hina" eingeleitete Satz bestimmter, durch seine nachhinkende Stellung betonter. So ist ein gewisses sachliches übergewicht von V. 23 kaum zu leugnen. Bei der Interpretation ist dann aber darauf zu achten, daß "makrothymia" nicht unversehens überinterpretiert und zu einem rein positiven Heilsbegriff wird, vgl. u. A. 60. "Makrothymia" heißt ehen wirklich "nur", daß Gott den Gefäßen des Zorns "ihre Zeit und zu ihrer Zeit das Lehen gelassen" habe, vgl. Barth, KD II/2, 249. Der Gefahr, daß so der Zomeswille Gottes unter der Hand nicht mehr ernst genommen wird, ist z. B. Weher, Heilsgeschichte 60, erlegen. Er schreibt, daß "Gottes letztbestimmende Absicht nicht eigentlich auf das Zorneswalten gerichtet" sei. Dieser Gefahr ist Barth aaO in seiner ausgewogenen dialektischen Verflechtung von Zorn und Gnade wohl nicht erlegen. Immerhin dürfte seine Exegese die von Pis. erreichte Stufe der Reflexion überschreiten und eine Präzision der Aussage suchen, die bei Pis. noch nicht erreicht ist. IS S. z. B. Kühl, Röm. 333, im Unterschied zu o. A. 52, ferner Althaus, Barrett, Gaugier II, Michel z. St. •• Maurer, ThW VII, 363, 37f. . 10 Vgl. bes. F. HorJt, Art. lM"l<po.&u!L('" XTA., ThW IV, 377-390, dort bes. 379, 34ff.; 381, 31ff.; 384, 6ff. In der Apokalyptik ist "makrothymia" das gnädige Zurückhalten des Gerichtes durch Gott gemäß seinem Plan: 4. Esr. 7,74; s. Bar. 21, 20f.; 2. Makk. 6, 14ff.; vgl. Sap. 12, 8ff. 20; 15,1. Bei Pis. findet sich der Begriff in der selben Bedeutung R. 2, 4 und wird dort durch "chrestotes" und "anoche" interpretiert. Vgl. auch R. 3, 25f. Lyonnet, bei Huby, Röm.621 versteht eher vom weisheitlichen Erziehungsgedanken her (Prv. 3, 11f.; Ps. Sal.8, 30ff.; 13, 6ff. etc.).
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IV. Gesa",tsehau d. Geschichte? Gottes Plan u. Prädestination
gewährt, wird dabei von den Exegeten verschieden angegeben: Die Zeit der "makrothymia" ist eine Frist für die Buße, die den Gefäßen des Zorns noch geschenkt ist81, oder eher: die Gott gewährt, damit die vorherbestimmten Gefäße des Erbarmens Gelegenheit haben, sich zu bekehren8l• Auch sonst weisen verschiedene Spracheigentümlichkeiten unseres Textes und auch die Prädestinationsvorstellung als solche in ein apokalyptisch geprägtes Milieu. r_pll;(o) ist apokalyptisch geprägter Olfenbarungsterminus, vgl. z. B. die häufige Verbindung mit dem apokalyptischen Terminus lLua'tijpIOY, ferner z. B. R. 16, 25f.; vor allem in den Deuteropaulinen Eph. 1,9; 3,311'. 9f.; 6,19; Kol. 1,27"'. Dieselbe Verbindung von Langmut und Erkenntnis von Gottes Herrlichkeit findet sich auch s. Bar. 21,20-25. Eine enge Parallele zu unserm Abschnitt ist 1 QH. 15, 14-21. Zur Vorstellung von der doppelten Prädestination bietet Qumran die engsten Parallelen".
Aber die konzessive Interpretation von &~).(o)v bereitet Schwierigkeiten: Die Parallelität von V. 22 und 23, dazu das verbindende )«X~ legen nahe, &tAWV nach Analogie des [vOt-Stzes in V. 23 ebenfalls final zu fassen. Auch V. 17f. sprechen eher für eine finale Deutung. Ferner verwehrt uns R. 1, 16-18, wo ebenfalls apokalyptische Offenbarungstermini vorkommen, Zorn und Gnade bei Paulus einfach unverbunden nebeneinander zu stellen. Wir werden also das Partizip "thelön" doch eher final interpretieren. Aber in welchem Sinn ist jetzt das Anakoluth zu deuten? Vom Judentum her wäre folgende Deutung möglich: Gerade damit Gott (im Endgericht) seinen Zorn zeigen kann, hat er die Gefäße des Zorns in viel Langmut getragen, damit am Ende dann das Strafgericht über sie umso größer würde, und um so im Kontrast zu seinem Handeln an den Gefäßen des Zorns - den Reichtum seiner Herrlichkeit gegenüber den Gefäßen des Erbarmens zu zeigen0 6• Doch befriedigt dieser Gedankengang nicht, nicht nur, weil er Gottes "makrothymia" nun wirklich jeder positiven Bedeutung entkleidet und sie nur gleichsam zur Grube macht, in die dann der Verworfene nur umso tiefer stürzt, sondern vor allem, weil der Zusammenhang der Verse 14-23 unberücksichtigt bleibt: Auf die frage nach Gottes Gerechtigkeit 01. 14) wäre keine Antwort gegeben, und der Frager von V. 19 hätte erst recht Grund zu seinem Einwand. Außerdem erwarten wir nach dem adversativen Versanfang mit "ei de" eine So z. B. B. Weiss, Röm. 423f. mit Berufung auf R. 2, 4. •• So bei Jülicher, Röm. 290; Munck, Christus und Israel 54. .. V gl. ferner u. S. 28611'. Apokalyptische Belege bei Lührmann, Olfenbarungsverständnis 121 A. 3. Zu den prädestinatianischen Wendungen "bereitet zum Verderben" und "zur Herrlichkeit vorbereiten" vgl. u. S. 248f. .. Vgl. auch Flusser, Dead Sea Sect, Scripta Hierosolymitana 4 (1958) 22111'. (Verbindung von Dualismus und Prädestination in Qumran und R.9); Braun, Qumran und das N. T. II,247. 11 Vgt 2. Makk. 6, 1411'. Ahnlich interpretieren Kühl, Röm. 333; Althaus, Röm.95. 11
J. Der Prädestinationsgedmtlu ;" R. 9,19-24
245
Aussage, die nun dem Gnadenhandeln Gottes positiv nachdenkt, nachdem in V. 20 sachlich das Terrain dafür bereinigt worden ist. Entscheidend für die Auslegung unserer Verse ist m. E. die schon erwähnte Beobachtung, daß V. 22 aufV. 17 zurückweist. Paulus ist in Gedanken noch beim Pharao beispiel und entwickelt aus ihm seinen Gedankengang. Modell des "Gefäßes zum Zorn" ist ihm der Pharao". Ihm gegenüber - an den ungläubigen Juden seiner Zeit denkt Paulus hier nichtS? - war Gott langmütig, indem er ihn auf den Plan der Geschichte treten ließ, ihn nicht hinderte und so gerade durch die dem Pharao in viel Langmut gewährte Freiheit seinen Zorn vollstreckte. Gottes Zorn am Pharao hat sich innergeschichtlich erfüllt, ist aber trotzdem Ausdruck eschatologischen Zorns". Damit ist es aber noch nicht getan. Denn Gottes Gewähren-lassen dem Pharao gegenüber machte für jedermann den Reichtum seiner Herrlichkeit seinem Volke gegenüber offenbar. Gottes Handeln ist also nicht einlinig qualliizierbar. Es führt vielmehr zu Zorn und zu Erbarmen, ohne daß das Verhältnis von Zorn und Gnade aus der Geschichte eindeutig ablesbar wäre. An dieser Stelle bricht Paulus seinen Gedanken ab. Denn offensichtlich läßt sich vom Handeln Gottes in der Geschichte nicht so, gleichsam in abstracto, reden. Formuliert er seinen ersten Relativsatz noch allgemein, so wechselt sein Blickpunkt beim nächsten Relativsatz, denn die Gefäße des Erbarmens, die Gott berufen hat, sind ja "wir", d. h. die Christengemeinde zur Zeit des Paulus". Sie kann ja von .. Zahn, Röm. 459 weist .mit Recht darauf hin, daß nur der Bezug auf ein geschichtliches Ereignis den überraschenden Aorist ,\\vtyX&V erklären könne. .. Werden die Verse auf das Verhältnis von Juden und Heiden in der Gegenwart bezogen, so wird die Auslegung nicht nur dem grundsätzlichen Charakter des Exkurses R. 9, 14ff. nicht gerecht, sondern verwickelt sich in ausweglose Schwierigkeiten. Leenhardt, Röm.147, der V.22 von der Verwerfung Israels her versteht, muß die Aussagen über die praedestinatio ad malum abschwächen bis zu dem Satz: "leur vocation subsiste"; vgl. auch Coril~ly, Röm. 531f.; Nygren, Röm. 266f.; Wiederkehr, Berufung 176f. Von R. 11, 25if. her ist es m. E. fast ausgeschlossen, daß Pis. das Volk Israel als "Gefliße des Zorns, die zum Verderben bereitet sind" hätte bezeichnen können . •• Es ließe sich sagen: V. 17f. und V. 22f. interpretieren sich gegenseitig und zwar so, daß V. 17f. den Zorn Gottes als geschichtliche Wirklichkeit, V. 22f. als letzte Absicht Gottes sichern . .. Unrichtig ist wohl die übersetzung: ,,zu denen er auch uns berufen hat" (z. B. Lietzmann, Michel z. St.). "Berufen zu etwas" ist im N. T. mit ...k konstruiert, vgl. Pr.-Bauer 789; nur im Passiv ist eine analoge Konstruktion, dann mit doppeltem Nominativ, ausnahmsweise möglich, vgl. 1. K.7, 18. 22, aber dort ist der Nominativ attributive Bestimmung des Subjekts (all Beschnittener bist du berufen worden, nicht: ~um Beschnittenen). Oder hat in den Zitaten 9,25f. (gegen den H. T.) "kale5" auch den Sinn von "berufen zu etwas"? Am ehesten ist zu übersetzen: " ... die er auch berufen hat - uns I ... ", bzw. mit reIativem Anschluß: "Sie hat er auch berufen - uns I". Nur so kommt auch das Gewicht und die eigenartige HintansteIlung von 'fll'iitö zum Ausdruck.
246
IV. Gesamtsehau d. Geschichte? Gottes Plan 11. Prädestination
Gottes Handeln in der Geschichte nicht einfach unbeteiligt sprechen, also als solche, der der Reichtum von Gottes Gnade gegenüber den Gefäßen des Erbarmens bloß kundgetan worden ist, sondern sie ist selbst ein "Gefäß des Erbarmens" und vom Handeln Gottes in der Geschichte selbst betroffen70 • Und wie Paulus schon in V. 19ff. leidenschaftlich abwehrt, das Problem der Gerechtigkeit Gottes spekulativ, von einem abstrakten Gottesbegriff her in den Griff zu nehmen, "so drängt (er) ... auch hier V. 23f. sofort dahin, die Diskussion von abstrakten Möglichkeiten abzuschneiden und sofort auf den Boden der in der Offenbarung seiner Gnade gesetzten Wirklichkeit zurückzuführen"7l. Dieses Bestreben läßt den paulinischen Gedankengang abbrechen und den Satz zum Anakoluth werden. In der schon mehrfach zur Erklärung unseres Abschnittes herangezogenen Sapien/ja Sa/omonis" findet sich in sehr ve"vandtem Kontext eine Parallele. Wir versuchen, die Eigenart des paulinischen Denkens herauszuarbeiten, indem wir beide Texte einander gegenüberstellen: "Denn, wenn du schon die Feinde deiner Kinder und solche, die des Todes schuldig waren, mit so großem Bedenken und ... Beschwören bestraftest, indem du ihnen Frist und Gelegenheit gewährtest, sich von der Schlechtigkeit loszumachen, (21) mit welcher Sorgfalt hast du (erst) deine Söhne gestraft, deren Väter du Eide und Verträge (voll) guter Verheißungen gewährtest?" (Sap. 12, 2Of.)'". Zwei formale Eigentümlichkeiten unterscheiden diesen Text von R. 9, 22f. Der Satz ist ein Schluß a minore und er ist kein Anakoluth. Beides dürfte sachliche Gründe haben. Der weisheitliche Verfasser kann zwei vorgegebene Größen einander gegenüberstellen: die Feinde Gottes, die des Todes schuldig sind, und die Kinder Gottes, deren Väter die Verheißungen galten. Das Verhalten Gottes gegenüber den Feinden ist klar: Sie haben den Tod verdient. Nicht ohne weiteres klar ist aber nun das Verhalten Gottes seinen Kindern gegenüber: Obwohl ihre Väter Träger der Verheißungen sind, haben sie durch ihr Verhalten auch Strafe verdient. Und nun der Schluß des Verfassers: Wenn Gott schon seine Feinde mit soviel Rücksicht und Bedenken bestrafte - das ist an seinem Verhalten in der Geschichte ablesbar" - wie groß muß dann erst die Rücksicht.Gottes seinen Kindern, den Verheißungsträgern gegenüber sein? Der Gedankengang ist klar und einlinig. Gott schuf durch seine Verheißungen zwei verschiedene, aufweisbare Gruppen von Menschen. Darum kann sein Handeln beiden gegenüber verglichen werden. Der Verfasser kennt seinen eigenen Standort bei den erwählten Kindern Gottes. So kann er den Erwählungsgedanken in Geschichtsbetrachtung umsetzen und ,. Vgl. Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 94. Tl Bornkamm, Anakoluthe, Aufs. 1, 91f. ,. Vgl. 0.1I 3 B. Exkurs und A. 31. '" Ahnliehe Aussagen finden sich übrigens in der rabbinischen Literatur beim Vergleich des Schicksals der Juden und Heiden oft. Formal sind sie mit "wenn" eingeleitet und enthalten einen Schluß aminore. Belege, abgesehen von 1 QH. 15,14ff., bei Glatzer, Untersuchungen 14. Die wichtigsten Parallelen sind Sif. Nu. zu 21,13 (ed. K. G. Kuhn, 1959, S. 561) = R. El'azar aus Modi'im; Esth. r. zu 1,9 (= 3,9, Frecdman-Simon Bd. 9, S. 51) = R. Me'ir. ,. Vom Verfasser der Sap. wird das am Verhalten Gottes zu den Feinden Israels beim Einzug ins Land Kanaan exemplifiziert, 12,3ff.
3. Der Prädestindtionsgeddnlee in R. 9,19-24
247
Gottes Handeln, das sich aus seiner Gnadenwahl ergibt, aus der Geschichte verifizieren. Dabei erweist es sich, daß Gott aUen Menschen gegenüber gerecht ist, aber zusätzlich noch seinen Feinden, erst recht seinen erwählten Kindern gegenüber barmherzig.
Für Paulus ist die Ausgangslage nicht mehr so einfach: Verheißungsträger Israel und Verheißungsträger Kirche stehen sich gegenüber. Auf die Verheißungen kann man sich nicht "kata sarka" berufen, sondern sie nur als Gnade empfangen (R. 9, 6ff.). In ganz anderer Weise als der Verfasser der Sapientia hat Paulus die Erfahrung der absoluten Freiheit von Gottes Gnade gema(ht. Diese Erfahrung bringt die prädestinatianische Aussage zum Ausdruck, und hier liegt denn auch der erste Unterschied zur Sapientia: Der weisheitliehe Verfasser braucht keine prädestinatianischen Aussagen. Obwohl er Gottes Freiheit betont (Sap. 1, 21. 25; 12,8), ist sie faktisch durch die Schuld der Menschen und durch die Gabe der Verheißungen festgelegt und wirkt sich nur als Möglichkeit zu größerer Milde aus. Für Paulus ist aber Gott frei und sein Handeln in der Geschichte bleibt kontingent. Gottes Handeln wird auf dem Hintergrund seiner Freiheit und auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Geschichte, die gerade Gottes Handeln in dieser Freiheit zeigt, radikal als Gnade erfahren. Und so zeigt sich der zweite Unterschied zwischen Paulus und der Sapientia: Die Geschichtsdeutung wird bei Paulus früher in die Doxologie gehoben. Die Erwählung schafft bei Paulus nicht einen Raum, von dem aus Geschichte gedeutet werden könnte, sondern Erwählung als freies, kontingentes Handeln Gottes, mittels dessen man sich nicht menschlich sichern kann, läßt die Geschichtsbetrachtung in den Dank des von Gott unverdientermaßen Beschenkten umschlagen. Und der dritte Unterschied hängt damit zusammen: Indem bei Paulus auch die Erwählung Gottes nicht menschlich verfügbar wird und sich Israel und die Kirche als Erwählte und Erwählte gegenüber stehen, ist es nicht mehr möglich, Gnade und Zorn Gottes eindeutig auf geschichtliche Größen zu verteilen. Gottes Handeln wird vielmehr hintergründig: die Erwählten kann er zu Gefäßen des Zorns machen und sein Handeln an den Gefäßen des Zorns kann auch zum Aspekt seiner Gnade werden. Auf dem letzteren liegt in V. 23 der Akzent. Paulus fragt also: Wie, wenn Gottes Handeln, durch das er seinen Zorn zeigen will, zugleich und vor allem auch seiner Gnade diente75 ? Dabei fragt er aber nicht so, daß er Gottes Zorn als Absicht seines Handelns auf die Seite .. Hier liegt auch der Unterschied zu 1 QH 15, 14ff.: Dort wird Gottes ErwIIhlen und Verwerfen als Akt seiner Schöpfermacht gepriesen. Bei Paulus steht aber nicht einfach beides nebeneinander. Gottes Gnade ist vielmehr so mlchtig, daß sein Zorneshandeln, obwohl es nichts an seiner Radikalität einbüßt, dem Glauben zum Aspekt seiner Gnade wird. Aber hier mufl der Gedankengang zerbrechetl.
248
IV. GesomtschoN J. Geschkhte? Gottes Pion N. Prädestinotion
schöbe und gleichsam der Gnade als allerletztem Ziel unterordnete. Vielmehr bleibt der Zorn mit letztes Ziel des Handelns Gottes, das gerade so seine Gnade nur umso mächtiger herausstellt. Beides muß von V. 22f. aus gesagt werden: der deutlich erkennbare Wille des Paulus, nach V. 19ff. eine positive, die Prävalenz der Gnade betonende Aussage zu machen und ein letzlich nicht aufgehobenes, unverbundenes Nebeneinander von Gottes Zorn und Gottes Gnade als letzter Absicht seines Handelns 78 • So läßt sich sagen: Das Anakoluth R. 9, 22f. ist ein eigentümliches Beispiel dafür, 711ie sich bei PON/NS die Geschichte als Feld des Handeln! Gottes erschließt, ohne verfügbar ztl werden. Die Ereignisse um Pharao werden gedeutet, aber bezeichnenderweise ist es zunächst die Schrift, die sie deutet, d. h. Gott selbst. Weil der Mensch aber immer schon von Gott Betroffener, Begnadigter ist, wird Gottes Handeln" dem menschlichen Verfügen verschlossen, obschon es durch die Schrift erschlossen bleibt. Man könnte auch sagen: Der Griff des Glaubens nach der Geschichte ist nOf1liendig, 1IIeii Gott zuvor nach der Geschichte gegriffen hat. Aber es bleibt ein Griff des Glaubens, der nicht zu einen1 einlinigen, undialektischen, am Verlauf der Geschichte verifizierbaren Geschichtsbild führt, wie dies etwa dem Verfasser der Sapientia und teilweise der Sekte von Qumran gelingt. So ist das paulinische Anakoluth wohl nicht nur zufällig entstandene Sprachsch7llierigluit, sondern Ausdruck der sachlichen Unmöglichkeit, Gott, der "uns" in unserer Geschichte trifft, unsererseits an eine bestimmte Geschichtsinterpretation Zu binden. Eine letzte Frage bleibt noch zu erörtern. Welchen Sinn haben nun die prädestinatianischen Ausdrücke und Wendungen im paulinischen Gedankengang? Wir haben schon festgestellt, daß er im apokalyptischen Denken wurzelt. Von dorther haben wir auch die prädestinatianischen Wendungen zu verstehen. Eindeutig liegt ihnen die Vorstellung der doppelten Prädestination, wie wir sie in Qumran kennen gelernt haben, zugrunde. Es gibt für Paulus Gefäße, die - natürlich von Gott - zum ewigen Verderben bereitet sind 77 , ebenso wie solche, .. Wiederum drängt sich als Parallele die Art des Nebeneinanders von Deus absconditus und Deus revelatus bei Luther auf, vgl. o. A. 111 367 und u. S. 277f., ferner die o. A. 11 461 und u. A. 124; A. V 131 gegebenen Verweise. Vgl. ferner o.A.I54. .. Die Versuche, xC<'t'I)pTLa!UIIC< &:t~ d7tß>'&:LC<1I abzuschwächen, sind zahlreich. Besonders von katholischen Exegeten, die die Pastoralbriefe für echt halten, wird immer wieder auf 2. Tm. 2, 2Of. hingewiesen (z. B. bei Lyonnet, VD 34 (1956) 261). Seit der altkirchlichen Exegese wird immer wieder versucht, das Partizip xC<'t'I)pTLa(LEIIC< medial zu fassen, vgl. Schelkle, Paulus Lehrer der Väter 352; Weiteres bei Cornely, Röm.528; Prat, Theol. I, 308f., vgl. aber 1. K. 1, 10. Oder man versucht, xC<'t'I)P'I"La!UIIC< rein adjektivisch zu fassen und übersetzt dann etwa: "reif zum Verderben" (z. B. Zahn, Röm. 456, vgl. auch Godet, Röm. 1I, 162; Davidson, Predestination 17, und die Belege bei Str.-B. I, 981ff.). Gerade die letztgenannten rabbinischen Belege zeigen aber, daß die 7tPO&:'\'OL(LCit:W ent-
3. Der Prädestinationsgedanke in R. 9,19-24
249
die Gott zur Herrlichkeit vorbereitet hat. Aber ebenso eindeutig ist, daß in unserm Abschnitt für Paulus der Prädestinationsgedanke "Voraussetzung, nicht, Thema' "78 der paulinischen Darlegungen ist. Nicht Jaß es Gefäße des Zorns und Gefäße des Erbarmens gibt, soll ausgesagt werden. Eine gewisse Zurückhaltung im Gebrauch des Vorstellungsmaterials ist unverkennbar. Nicht gesagt ist, daß Gott aktiv die Gefäße des Zorns zum Verderben bereitete, nicht, weil dies nicht der Fall wäre, sondern, weil Paulus an dieser Aussage offenbar nicht interessiert ist und hier die Grenzen der Spekulation nicht überschreiten will. Nicht ausgezogen ist der Gedanke, daß es bei der Prädestination um ein vorzeitliches Handeln Gottes geht 78 • Nicht gestreift ist die Frage, wie sich das in der Geschichte widerfahrende Gericht Gottes zum eschatologischen Gericht verhält, zu dem Gott die Gefäße des Zorns bestimmt hat. Nicht gestreift ist vor allem die Frage, wie sich Gottes prädestinierendes Handeln zur menschlichen Verantwortung verhältBO. Wie Pis. diese Frage etwa angegangen haben würde, zeigt Phil. 2, 12: Hier stellt Pis. zwei Aussagen paradox einander gegenüber: 1. Wirkt in Furcht und Zittern, d. h. nicht in falscher Sicherheit, euer Heil. 2. Gott wirkt das Wollen und das Wirken. Diese beiden Aussagen sind durch "gar" miteinander verbunden: Gottes Wirken geht voran und ermöglicht erst menschliches Wirken.
Paulus konnte hier auf die Erörterung solcher Fragen verzichten, ohne auf die prädestinatianischen Aussagen überhaupt zu verzichten. Das hängt wohl damit zusammen, daß die prädestinatianischen Aussagen für Paulus allein Aussagen über Gott, nicht Bestimmung über den Menschen und die Geschichte sein wollen81• Fragen wir nach ihrer sprechenden hebr. Vokabeln meistens vom Schaffen Golltl sprechen; zu xOI-rupTlt; vgl. Pr.-B. s. v. Textfremd ist auch die Versicherung, nicht Gott habe die Geuße zum Zorn bestimmt, gegen}. Bonsi""n, L'evangile de Paul, Aubier 1948, 124; Lyonnet aaO 263. Auch die vielfachen Beteuerungen, die praedestinatio ad malum sei hier geschichtlich, nicht eschatologisch gemeint (z. B. Beyschlag. Theodizee 56; Maier, Israel in der Heilsgeschichte 46; D. E. H. Whileley, The Theology of St. Paul, Oxford: Blackwelll964, 96f.), helfen wenig; neben "doxa" und "orgc" kann "apöleia" nur eschatologisch verstanden werden. Insgesamt wird man bei al1 diesen Vorschlägen die Vermutung, hier werde Apologetik getrieben, nicht los. ,. Gaugier, Röm.I, 332. .. Zu den zugrundeliegenden Vorstellungen vgl. o. A. 13 und u. S. 252f., ferner Wiederkehr, Berufung 179. Vom Verbum "proetoimazö" aus läßt sich über die hier anklingende Vorstellung nichts beweisen. Der Begriff dürfte in der Liturgie beheimatet gewesen sein, vgl. Michel, Röm. 245 A. 3. I. Auch in Qumran muß dieses Problem nicht bedacht werden, vgl. o. S. 231 und Braun, Qumran und das N. T. II, 248. . 81 Nygren, Röm. 264: "Der Prädestinationsgedanke ist der theozentrischste Gedanke, der überhaupt geäußert werden kann". Nur darf Prädestination nicht zur "hypoth~se theorique" werden, die von der Allmacht Gottes deduziert werden kann (gegen M. Gogll4l, Les fondements de l'assurance du salut chez l'apotre Paul, RHPhR 17 (1937) 105-144, dort 137), weil es niemals um die Machtäußerung eines abstrakten Gottes, sondern um den in der Geschichte sich offenbarenden und die Gemeinde berufenden Gott geht. Zur theozentrischen Struktur der pIn. Th_ logie vgl. ferner die Verweise u. A. 124.
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IV. Gesafll,tschall d. Geschichte? Gottes Plan
11.
Prädestination
Funktion im Anakoluth, so scheint zweierlei wichtig: Sie betonen die uneingeschränkte Souveränität Gottes in seinem Geschichtshandeln und sie halten fest, daß es in Gottes Umgang mit der Geschichte um letzte Verfügungen über den Menschen, nicht vorletzte und zweitrangige, geht. Sie sorgen dafür, daß der Gott, der sich durch die Geschichte bekannt gemacht hat, in ihr nicht verfügbar wird, mithin halten sie in der Geschichte die Gottheit Gottes fest. 4. Andere prädestinatianische Aussagen bei Paulus
A. R. 8, 28-30 Zum ersten Mal im Römerbrief wird 8,28-30 prädestinatianisches Gedankengut entfaltet. Im Anschluß an die Schilderung der Nichtigkeit der Schöpfung (8, 18ff.) und an die Schilderung der Christen in der Erwartung der künftigen Herrlichkeit (8, 23ff.) nimmt Paulus einen christlichen Lehrsatz aufS!: Denen, die Gott lieben, wirkt alles zum Guten 83• Der Ausdruck "denen, die Gott lieben" wird dann von Paulus in eigener Formulierung uminterpretiert zu: "denen, die gemäß dem Vorsatz erwählt sind". Die enge Parallele R. 9, 11 und die Stellung am Schluß kennzeichnen diese Wendung deutlich als ein Interpretament des Paulus. Und daran angeschlossen folgt die berühmte catena aurea, ein Kettenschluß, mit prädestinatianischer Begrifflichkeit. " Vgl. Michel, Röm. 210, Jervel1, Imago Dei 272, und K. Grays/on, The Doctrine of Election in Romans 8, 28-30, in: Studia Evangelica II, TU 87, Berlin : Akademie 1964,574-583, dort 575f. Zu der Pis. vorgegebenen Wendung "Gott lieben" vgl. 1. K. 2, 9; Eph. 6, 24, im A. T. Dt. 6, 5; 7,9. lüdisches bei J. B. Bauer, " ... TOI~ ArAnn~IN TON 9EON". R. 8,28 (I. (;or. 2,9, I. Cor. 8,3), ZNW 50 (1959) 106-112. Einen ähnlichen Gedankengang wie an unserer Stel1e finden wir 1. K. 8, 3, wo die Wendung "Gott lieben" durch Gottes erwählendes Erkennen überhöht wird. B. Der Text ist unsicher. Viele Handschriften (u. a. p", B, A, Orig.) lesen 0 .&e6c; als Subjekt. Dies entspricht den o. A. 82 genannten Parallelen und ist deshalb wohl leichtere Lesart. Faßt man mit S, C, D u. a. mxv-rar. als Subjekt, so erhält man eine inhaltlich sehr problematische Aussage, die wohl gerade deshalb schon früh präzisiert worden ist. Oder ist nav-ra Akkusativ? Eine Konstruktion mit cruvepyew -I- Dativ der Person -I- innerer Akkusativ (warum aber dann nicht: ~v niialv?) -I- clc; • .. wäre aber im Griechischen parallelen1o.~, wie J. G. Grifft/bs, Romans VIII, 28, ET 61 (1949/50) 286, zu Recht gegen Dodd, Röm. (nur in der Ausgabe in Fontana Books, 1959, 152) anführt. Dieser möchte aus den vorangehenden Ausführungen des Paulus "pneuma" als Subjekt übernehmen, vgl. auch E. H. Daniell, Romans VIII, 28, ET 61 (1949/50) 59. Dasselbe Subjekt gewinnen J. P. WilltJlI, Romans VIII, 28. Text and Interpretation, ET 60 (1948/49) HOf., und M. Black, The Interpretation of Romans VIII, 28, in: Neotestamentica et Patristica, Festschr. O. Cullmann, Suppl. Nov. Test. 6, Leiden: Brill 1962, 166-172, indem sie in ncivw: eine Korrektur von nveii!Lar. (= llNA) sehen.
4. Andere prädestinatianische Akssagen bei PaN/Ns
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Verschiedene Beobachtungen führen uns darauf, daß auch hier geprägter Stil vorliegts': V.29f. ist als Kausalsatz mit Mt eingeleitet. Ein nachfolgender Hauptsatz fehlt l6• Der Satz ist also Anakoluth. Das ist am leichtesten durch die Aufnahme einer vorgegebenen Formulierung erklärbar. Von den verwendeten Verben ist nur XocA~(,) und 8tKOtL6(') paulinisch. rLV6>(J](1J) findet sich bei Paulus nur noch R. 11,2 und entstammt 1. Pt. 1,20 der Taufsprache. IIpoopEt:1J) findet sich sonst nur noch 1. K. 2, 7 und stammt eben&lls aus liturgischer Sprache, vgl. Eph. I, 5. 11; Ag. 4,28. Nur Eph. I, 11 (liturgischer Zusammenhang I) steht "proorizö" sonst noch absolut, sonst ttigt es immer Zusatzbestimmungen mit sich, etweder einen Infinitiv (Ag. 4, 28) oder eine finale Bestimmung mitd~ (1. K. 2, 7; Eph. I, 5).
Die Verse sind in sich geschlossen und nehmen R. 8, 31-39 in einem gewissen Sinn vorweg. Die parallelen Aoriste weisen auf einen festgefügten, stilisierten Text, umso mehr, als ~86~Ot(Jn durch seine aoristische Formulierung im paulinischen Kontext für die Interpretation nicht geringe Schwierigkeiten bietet. Paulus, der sonst die Verherrlichung erst für die Zukunft erwartet, dürfte ihn als "triumphierende Antezipation" des Glaubens verstanden haben, während die Tradition vielleicht an die (in der Taufe?) schon geschehene Verherrlichung dachtel8 • Auf vorgegebene Formulierung weist auch die Formulierung der Verse in der 3. 'Person, denn vorher und nachher ist immer von "uns" die Rede. Schließlich wirkt V. 29b wie ein in einen festen Text eingeschobener Zusatz, veranlaßt durch das auch sonst von Zusatzbestimmungen begleitete Verb '1tpoop(~(,). Die Katene ist mindestens hypothetisch ohne V. 29 aß +b zu denken; ob sie wirklich einmal so existiert hat, bleibt natürlich offen. Jedenfalls ist der christologische Einschub wiederum weitgehend traditionell, vgl. vor allem Kol. I, 13-20. Wir .. Dies vermuten auch Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 86; JerveU, Imago Dei 272. 275, vgl. A. 359; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 186f.; Graystoo, Election, Studia Ev. H, 574ff. 81 Die Setzung eines Kommas zwischen V. 28 und 29 würde zwar den Anakoluth formal beseitigen, jedoch bliebe die Konstruktion schwer und überladen. Am ehesten ist in "lockerer Subordination" (vgl. BI.-Debr. § 456, 1) mit "denn" zu übersetzen. B' Kühl, RÖm.304; Liechtenhan, Vorherbestimmung 38. Weder das Tempus (vgl. auch R. 8, 17f. 21 und u. S. 374f.) noch die Bedeutung (sonst verherrlichen bei Pis. die Menschen Gott) sind paulinisch. Schlatter, Gerechtigkeit 285, denkt an die Gabe des Geistes, Jülicher, Röm.278, an den Verherrlichungsprozeß in unserm Innem mit Hinweis auf 2. K. 3, 18. Vielleicht ist das die Meinung der Pis. vorliegenden Tradition gewesen, die mit "Verherrlichung" die in der Taufe geschehene Auferstehung mit Christus gemeint haben könnte, vgl. Tervell, Imago Dei 275 A. 359. Doch bleibt das hypothetisch. Dion, RechSR 53 (1965) 31f., vgl. A. 59, deutet vom (für ihn pln.) Eph. her. Auch das Gleichgestaltet-Sein mit dem Bilde seines Sohnes (V. 29) dürfte Paulus für die Zukunft erwartet haben (vgl. Phil. 3,21; 1. K. 15,49), während die Tradition, wie die Aoriste zeigen, vermutlich an die Gegenwart dachte.
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IV. GesQ1IItsehatl d. Geschichte? Gottes Plan 11. Prädestination
können nur mit Sicherheit sagen, daß Pis. sowohl V. 29aot+30, als auch V. 29a~ +b aus der traditionellen christlichen Sprache übernahm; ob er selbst den christologischen Zusatz aus der Taufsprache in die Catena einsetzte, kann nicht bewiesen werden. War beides schon vor Pis. verbunden, so dürfte die ganze Tradition aus der Taufsprache stammen. Darauf weist auch Ttpoytvw(l'l(w. Phi!. 3, 21, eine Stelle, die Elemente aus beiden Teilen von R. 8, 29f. enthält, liefert auch keine sicheren Kriterien, da auch hier nicht ganz sicher ist, ob die Stelle Pis. nicht bereits traditionell vorlag".
Jedenfalls sind die Prädestinationsaussagen unseres Textes traditionell. Daß sie Bestandteil einer Liturgie, eines Bekenntnisses oder einer Doxologie waren, ist nicht mehr beweisbar. Hingegen ist auch von der Parallele Eph. 1, 9ff., vgl. 4f. her zu vermuten, daß sie aus jenem Bereich eines stark präsentisch orientierten hellenistischen Christentums stammen, das wir heute als enthusiastisch bezeichnen88 • Die Form des Kettenschlusses war damals sowohl im jüdischen wie auch im hellenistischen Milieu bekannt und geschätzt89• Nur erscheint sie hier ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet: Ihre Wirkung hat sie hier nicht so sehr als logischer Gedankenschluß wie durch ihre kompakte, kategorische Aufzählung der Heilstaten Gottes angesichts der unerlösten Welt. Der Kettenschluß wirkt hier stark hymnisch und eignet sich vorzüglich als Oberleitung zum letzten triumphalen Abschluß des ersten Teils des Römerbriefes in 8,31-39. Die Begriffe sind im einzelnen nicht leicht präzis Zu bestimmen, und angesichts des liturgisch geprägten Zusammenhangs ist eine genaue Begriffsbestimmung auch nur begrenzt sinnvoll. Der Reihenfolge der Verben liegt sicher ein zeitliches Schema zugrunde: Das "ltpoYW6lOXW geht dem "ltpoopl~w voran, das "ltpOOP~W dem XMeW etc. Einiges läßt sich auch zu den einzelnen Wörtern sagen: IIpo3-&GLI; meint bei Paulus wohl nicht betont den vorweltlichen Entschluß Gottes, sondern vor allem Gottes öffentlichen Beschluß, kraft dessen er in die Geschichte als deren Herr eingreift9o • Durch dieses Wort wird die Ben V gl. dazu u. A. VI 53. Finden wir Eph. I, 4f. 9ff. zu&llig die Stichworte Ttpo'r!&e:!Lott, Ttpb&Ea~, TtPOOpU~(J), vgl. ~.pyicD, -r&-. miV'fcr., Ulo,'}Ea(cr., 86~ot? Vgl. auch Stuhlmacher, EvTh 27 (1967) 28 und u. S. 350 . .. Parallelen bei R. Reil~enstein, Die Hellenistischen Mysterienreligionen, 4. Auf!. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1956, 257; Dibelius, Jak. 92-95; Michel, Röm. 132 A. 1; Hennecke8 1, 105 . •• npo- braucht, wie der profane Gebrauch des Wortes zeigt, an sich keine Zeitbestimmung zu sein, vg!. Ag. 11,23; 27,13. Vorweltlich ist Ttp6&ealt; erst Eph. 3, 11; 2. Tm. I, 9 gedacht, während in den zwei pln. Belegstellen diese Nuance nicht explizit ausgesprochen, höchstens implizit vorhanden ist. Die Vorstellung eines bei Gott zuvor beschlossenen Geschichtsplans findet sich auch erst in Eph. ausgesprochen, wie Dion, RechSR 53 (1965) 21, mit Recht feststellt, anders Maurer, ThW VIII, 167, 15ff. Daß der Begriff in der Bedeutung "Entschluß Gottes" eine theologische Schöpfung des Pis. sei (Dion aaO 25), ist angesichts der Belege aus Qumran für ,,'ezah" Gottes (z. B. 1 QH. 4, 13; 6, 10ff.) unwahrscheinlich. VgL auch Davidson, Predestination 9f. II
4. Andere prädestinatianisc!Je Amsagen bei PaIIlm
253
ziehung zu R. 9, 11 hergestellt. Ilpoop[~eu und 1tpoy,vßGXeu sind kaum zu unterscheiden: IlpoYLVßGXeu dürfte eher Gottes vorangehendes, liebendes Eingreifen, sein Erwählen bezeichnen't, während 1tpoopl~eu eher die Vorausbestimmung zu einer bestimmten geschichtlichen Aufgabe im Heilsplan Gottes meinteI. KocAteu meint den schöpferischen Ruf Gottes, durch den er sein erwählendes Handeln seinem Geschöpf mitteilte!; auch dieser Begriff bildet eine Brücke zu R.9. Bei der Verherrlichung denkt wohl Paulus weniger an eine bereits, etwa in der Taufe geschehene Verwandlung des Christen, vielmehr wohl an die zukünftige Verwandlung in der Auferstehung, die bei Gott schon so sehr Wirklichkeit ist, daß Paulus den ihm überlieferten Aorist nicht zu ändern brauchte. Offen bleibt, ob Paulus in erster Linie an die Prädestination des einzelnen oder der Gemeinde denkt: die meisten Begriffe finden sich in beiden Verwendungen, und die Alternative stellte sich für Paulus wohl gar nicht, denn der einzelne Christ ist nur als Glied der Gemeinde erwählt". Durch den Zusatz in V. 29b wird, sei es nun, daß Paulus ihn an seinen heutigen Ort gebracht oder sei es, daß dies schon die vorpaulinische Gemeinde getan hat, sachlich unumgänglich der Ort bestimmt, wo Erwählung und Ruf stattfinden: das Christusgeschehen. Paulus geht es nicht nur darum, die Erwählung der Gemeindeglieder durch Christus begründet und verwirklicht sein zu lassen, sondern Christus steht so sehr im Zentrum, daß es auch beim Ziel des erwählenden Handelns Gottes nicht um die Erwählten, sondern um Jesus Christus 11 "Proginöskö" und "proorizö" sind fast synonym. vgl. Müller, Zuvorersehung 39f.; E. B. Allo, Versets 28-30 du chap. VIII ad Rom. La question de Ia predestination dans l'~pitre aux Romains, RSPhTh 7 (1913) 263-273, dort 272; v. Dobschütz, ThStKr 106 (1934/35) 10; Davidson, Predestination 13, und o. A. II 215. ,Proginäskö" hat also nicht den bloß kognitiven Sinn des "Vorauswissens", wie dies neuerdings wiederum Wiederkehr, Berufung 158f., mit Hinweis auf den Gebrauch des Wortes in der Weisheitsliteratur verficht. Entscheidend ist vielmehr der alttestamentliche Erkenntnisbegriff, der z. B. in Qumran in prlldestinatianisehern Sinne weiter entwickelt worden ist, vgI. O. A. 15. Das übrige Material findet sich bei Dupont, Gnosis 93ff. Das Verb stammt aus der griechisch-weisheitlichen Sphäre, vgI. Bultmann, ThW I, 715, 39ff., die Sache aber ist in Qumran, wo sprachlich selbstverständlich die Möglichkeit der Bildung eines Kompositums mit pro- nicht bestand, schon da, vgl. auch bereits Jdt. 9, 5f. D.ie rein kognitive Interpretation von "proginöskö" ist, wenn sie nicht, wie bei vielen Katholiken, den Gedanken der Prädestination umgehen möchte (zur AuseinandersetzUng mit ihnen vgI. Allo aaO 266ff.), meist von der Absicht geleitet, einen deutlichen Unterschied zwischen "proorizö" und "proginöskö" herauszustellen, vgI. z. B. Kühl, Röm. 30H. •• Meistens ist eine Zusatzbestimmung nötig, vgI. Spicq, Vorherbestimmung 1180. Etwas anders Feine, TheoI. 270: npoyLVt~mc(o) meint die Auswahl, 1tpoopEC(o) die "auf Grund der Auswahl verfUgte Bestimmung zum Heil". • a VgI. o. A. 11 141. 142. und o. S. 89f. ... Wieso Dion, RechSR 53 (1965) 6, finden kann, die Exegeten von R. 8,28-30 seien heute "quasi unanimes", den Gedanken einer individuellen Pridcstination vom pln. Text femzuhalten, entzieht sich meiner Kenntnis. .
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IV. GeJlz11ItschlZ1I d. Geschichte? Gottes Plan
11.
Prädestination
geht: damit er Erstgeborener würde unter vielen Brüdern, bzw. damit seine "eikön" in den Gläubigen Gestalt gewinne. Welches ist nun der Grund und das Ziel der Aussagen über die Prädestination in R. 8, 29f.? Wiederum geht es Paulus nicht um die Entfaltung der Vorstellung selbst. Auch hier tritt alles in den Hintergrund, was nicht dem Skopus der Aussage dient: Es fehlt jede Reflexion über allenfalls nicht Prädestinierte95 , ferner über das Verhältnis der einzelnen "Stufen" des göttlichen Handelns zueinander. Es findet sich auch keine Ausmalung der Vorzeitigkeit des göttlichen Handelns. Auch daß Paulus den an sich nicht in seine Theologie passenden Aorist ~86~or.(Je:v einfach übernehmen konnte, zeigt, wie wenig es ihm hier auf die genaue Formulierung von Vorstellungen als solchen ankommt. Ein Hinweis darauf, daß die Gerechtfertigten in der jetzigen Zeit noch nicht verherrlicht sind, unterbleibt, kann unterbleiben, denn Paulus hat ja vorher in V. 18ff. ausführlich darüber gesprochen. Der Kettenschluß will denn auch vermutlich nicht einfach die Wendung "denen, die gemäß dem Vorsatz erwählt sind" (8, 28b) auslegen; dann wäre mit "kaleä" der Abschluß eigentlich schon erreicht. Vielmehr will er gerade Antwort sein auf die Schilderung der Unerlästheit der jetzigen Welt in V. 18ff. Nur dann wird deutlich, wieso er nicht bei der Prädestination stehen bleibt, sondern die Verherrlichung einschließt. Skopus der Aussage von V. 29f. ist: Was Gott einmal zum Heil begonnen hat, das führt er unweigerlich auch zu Endege• Das Handeln Gottes ist wirklich eine "Kette": So gewiß Gott erwählt und beruft, so gewiß rechtfertigt und verherrlicht er auch. Der Hinweis auf Christus in V.29 bürgt für die Wahrheit dieser Aussage. Gottes Heilshandeln übergreift dabei den Menschen in Vergangenheit und Zukunft. Im Glauben zeigt sich das Prae des Handelns Gottes, das schon vor allem menschlichen Handeln geschieht, im Glauben allein kann das noch zukünftige Handeln Gottes gewiß bezeugt werden. Im Glauben wird Gottes vorzeitiges Handeln gegenwärtige Wirklichkeit und das noch Ausstehende gewiß als Zukunft Gottes. Dies ist die Ansage des Glaubens gegenüber einer noch unerlästen Welt ('I. 18ff.) und gibt ihm Grund zum Triumph ('I. 31ff.). Wir versuchen nun, die paulinischen Aussagen für unser Thema fruchtbar zu machen, und fragen nach dem Verhältnis von Prädesti., Die Verdammten fehlen sogar als Folie, vgl. v. Dobschütz, ThStKr 106 (1934/35) 11. Dies ergibt sich aber aus der Form der Catena und nicht daraus, daß PIs. nur die VorsteUung einer Prädestination der erwählten Christen zum Heil gekannt hätte. ,. Vgl. Holtzmann, Theol. H, 182: "Gott tut keine halbe Arbeit". Vgl. ähnlich Liechtenhan, Vorherbestimmung 39; Gutbrod, Anthropologie 184; Hamilton, Röm. 141; Larsson, Vorbild 293ff.
4. Andere prädestinatianische Aussagen bei Pau/IIS
255
nation und Geschichte in unsern Versen. Zunächst ist etwas ganz klar: Ungleich R.9 ist nicht die vergangene Geschichte hier die Denkdimension, die Paulus leitet und die ihn zu seinen prädestinatianischen Aussagen führt. Paulus hat an unserer Stelle kein Interesse, Zeitstufen der Catena mit ihnen allenfalls entsprechenden Stadien der geschichtlichen Wirklichkeit oder der Biographie des einzelnen Gläubigen zu koordinieren. Geschichtlich betrachtet müßte ja Gottes Zuvorerkennen und Zuvorbestimmen wohl vor Beginn der Geschichte, Gottes Berufen und Rechtfertigen in ihrem Verlauf, je und je in der Gegenwart, Gottes Verherrlichen in der eschatologischen Zukunft stattfinden. Paulus denkt hier offensichtlich nicht von einem solchen Zeitplan aus, sonst könnte er z. B. vom Verherrlichen gar nicht im Aorist sprechen. Wir haben gesehen, was Paulus mit den in rhetorisch eindrucksvoller Geschlossenheit sich folgenden Aoristen betonen will: die Gewißheit von Gottes Handeln, das sachliche Prae seines Handelns vor jedem menschlichen Tun. Im Dienste dieser Sachaussage stehen hier die paulinischen Zeitaussagen. Man könnte auch sagen: Menschlich gesehen Zukünftiges ist von Gott her sO gewiß wie Vergangenes. Oder ganZ simpel: Gottes Zeit ist nicht unsere Zeit. Etwas davon leuchtet hinter den Aussagen des Paulus auf. Jedenfalls verstehen wir, warum uns die prädestinatianischen Aussagen des Apostels gerade nicht Möglichkeit zur 'Ausarbeitung eines Geschichtsbildes geben: Weil es sich hier um eine Kategorie handelt, deren sich der Glaube bedient, wenn er von Gott aus denkt und die Gewißheit von Gottes Gnade einer nur von ihrer eigenen Unerlöstheit Kunde gebenden Welt bezeugt.
B. Die Geretteten und die Verlorenen (1. K. 1, 18,' 2. K.2, 15f) Die Antithese zwischen den Geretteten «JCfl~6fUVoL) und den Verlorenen «bto).,M/LtVOL) taucht bei Paulus zweimal auf: 1. K. 1, 18 und 2. K. 2, 15. Sie fehlt in dieser Form sonst im Neuen Testament'7, Das Partizip &'7tOAAO/LtVOC; finden wir noch 2. K. 4, 3; die Gegenüberstellung der beiden entsprechenden Substantive "soteria" und "apöleia" Phil. 1, 28. Dennoch werden die Ausdrücke von Paulus nicht erklärt, sondern stillschweigend als bekannt vorausgesetzt. Wir werden dies zu berücksichtigen haben, wenn wir ihren Sinn zu ermitteln suchen. Vorher jedoch haben wir nach der Herkunft dieser Antithese zu fragen. Von Rettung und Verderben spricht das ganze Urchristentum. Der eschatologische Gebrauch der beiden Ausdrücke im Sinne von endgültiger Rettung und end.. Vgl. aber 2. Tb. 2,10, ohne Partizip etwa noch Jk. 4,12; Mk. S, 3S Par.; Mt.S, 25; 18,11 Par.; Lk. 6,9; J. 3, 16f.; 12, 2511'.
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IV. Gesall/tsehau d. Gesebiehte? Gottes P /an u. Prädestination
gültigem Verderben ist geläufig. Der Sprachgebrauch weist zurück auf die jüdische Apokalyptik"", während die Gegenüberstellung von "soreria" und "apöleia", seltener der Verben, vor allem in den original-griechischen Schriften der Septuaginta auftaucht"". Auffällig ist nun aber, daß die partizipialen Ausdrücke &'71:0>"AUp.E'IOL und ,,~t6ILEYOL im N. T. - von den genannten Paulusstellen abgesehen fast völlig fehlen' o•• So ist zu fragen, ob nicht beide Ausdrücke aus der Sprache der korinthischen Gemeinde stammen, mit der sich Paulus auseinandersetzt. An beiden Stellen, 1. K. 1,18 und 2. K. 2, 15f. ist Paulus stark von ihrer Ausdrucksweise bestimmt'o,. Die einzigen Parallelen, wo die beiden Partizipien wie in den Korintherbriefen einander gegenüberstehen, finden wir in gnostischen TextenlO2• In die Sprache der erlösungsgewissen und sakramentsfreudigen Korinther würde eine so scharfe terminologische Scheidung zwischen der Welt, die verloren geht, und der Gemeinde, die gerettet wird, gut passen' o•• Die Begriffe werden denn auch von Paulus nirgends erklärt, sondern in ihrem Sinn vorausgesetzt.
Wir haben nun zu fragen, ob Paulus von seiner Theologie her die vorgegebene Gemeindesprache neu akzentuiert. Worin besteht der speziell paulinische Gehalt der beiden Begriffe, bzw. gibt es einen solchen? Ist es das präsentische Moment, daß Paulus gegenüber allen, die sich schon gerettet wähnen, betonen möchte, daß sie nicht schon Gerettete, also ae;a(j>a\.l.EvoL, sondern erst in der Rettung Stehende, also a(j>~6\.1.e:voL sind, immer noch mit der Möglichkeit des Fallensi" ? Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, daß Paulus die Gemeindetheologie in dieser Richtung kritisch weiterführen wollte. L..",,,evl) zeigen, nicht unbedingt nahe.
4. Andere prädestinationische Aussagen bei Paulus
257
im Gericht zur jetzigen, durch die Botschaft von Christus geschehenden105• Mit unsern Ausdrucken streift Paulus das Thema der Prädestination108• Ebenso wie das Partizip (J~l:6ILE'loc; ist auch das Partizip cl1tOAAO!UVOC; passiv, nicht medial zu verstehen. Dennoch scheint bei der Prädestination nicht das eigentliche Interesse des Paulus zu liegen. Es wird z. B. nicht klar, durch wen die Verstockung der d1tO).)..U!U"OL bewirkt wird; Paulus kann hier völlig verschiedene Gedanken äußern107 • Und auch das Verhältnis von men.schlicher Schuld und göttlicher Tat bei der Verstockung der Verlorenen bleibt unk1ar108• Paulus geht es jedenfalls nicht darum, zu zeigen, Jaß Rettung und Verstokkung geschehen, auch nicht, zu beschreiben, wie sie geschehen. Aber worum geht es ihm denn? Der Skopus aller in Betracht kommenden Stellen ist eindeutig: Es geht ihm darum, zu zeigen, daß an Christus, im Gegenüber zum Kerygma von Christi Kreuz die Scheidung zwischen Geretteten und Verlorenen geschieht. Vielleicht nimmt Paulus deshalb aus der Gemeindesprache ausgerechnet die stark präsen tischen Partizipien (J~l:6ILtvOL und d1to).)..UILE'lOL auf, die das Geschehen betonen, das den Menschen widerfährt109 • Er denkt also nicht , •• Gegenüber den Synoptikern mit ihren zahlreichen Stellen, wo "apollymi" bzw. "sözö" profan gebraucht werden, und den Deuteropaulinen mit ihrem stark präsentischen Sprachgebrauch zeichnet sich Paulus sonst gerade durch ein Dominieren des futurisch-eschatologischen Sprachgebrauchs aus, sofern hier überhaupt explizit nachgedacht wird, vgl. Foerster, ThW VII, 991, 24ff. Die beiden Partizipien meinen deshalb im Sinne des Pis. wohl etwa: diejenigen (jetzt lebenden) Menschen, die (im zukünftigen Gericht) gerettet, bzw. vernichtet werden. Doch zieht Paulus diese Linie hier nicht aus und wendet sich nicht polemisch gegen die wohl eher präsentisch-enthusiastisch denkende Gemeinde. , •• Entscheidend ist vor allem das Passivum der Partizipien. Daß auch Ibro).l.U(.LEVO'; passiv zu verstehen ist, ergibt sich außer aus dem Gegenüber zu (6)1;6(.LEVO~ aus Ibm).;;' (1. K. I, 19), aus "der Gott ... hat blind gemacht" (2. K. 4, 4) und vielleicht aus lCttl 'ro~o &.7tb .&eoü (Phil. I, 28), sofern diese Wendung auf d7t6>>..e,cr;/a"'T..,p(cr; zu beziehen ist. ,., 2. K. 4, 4 streift Paulus den Dualismus mit der (polemischen, vgl. Georgi, Gegner 253f.) Aussage "der Gott dieses Aons hat die Gedanken der Ungläubigen blind gemacht". Umgekehrt betont er Phil. 1,28: "von Gott". 1. K. 1, 19 scheint durch das Zitat wenigstens indirekt anzudeuten, daß Gott der Vernichter ist. Jedenfalls zeigt die Vielfalt der paulinischen Ausdrucksweise, wie wenig dem Apostel an der Klärung dieser Frage liegt. Dieselbe Unklarheit zeigt die deuteropln. Stelle 2. Th. 2, 8, wo die Vernichtung der Ungläubigen zugleich dem ,,anomos", hinter dem die "energeia" des Satans steht, den Ungliubigen selbst, die die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, und Gott (V. 11) zugeschrieben wird. , •• Die Stene 2. K. 4, 3 kann jedenfalls nicht von PtJtltI'tlberg für seine These von der grundsätzlichen Zugänglichkeit der Offenbarung beansprucht werden (Einsicht und Glaube, ThLZ 88 (1963) 81-91, dort 88 A. 11). Daß das Evangelium (nur) bei den Geretteten offenbar ist, d. h. nur im Glauben, nicht vor dem Glauben, ist doch gerade die Kehrseite der pln. Aussage, daß es (nur) bei den Verlorenen verhüllt ist. . Oder sind die präsentischen Partizipien einfach eine Folge der allgemein sc:I:tenen Verwendung des Part. Fut., vgl. Bl.-Debr. 351? Oder wollen sie klarstellen, daß von den gegenwärtigen, nicht künftigen Erwählten und Verlorenen die Rede ist?
1..
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IV. Gesamlsehau d. Gesehiehte? Gottes Plan u. Prädestination
etwa wie die Frommen von Qumran von feststellbaren Qualitäten der Menschen aus und spricht nicht analog zur Bezeichnung "reschacim" und "zaddiqim" in der Sekte von &8LXOL und 8(XotLOLllO• 1. K. 1, 18ff. liegt alles Gewicht darauf, daß es das Wort vom Kreuz ist, an dem sich die Scheidung vollzieht, indem es den Geretteten zur Weisheit Gottes wird. 2. K. 2, 14ff. macht der Geruch Christi, d. h. die apostolische Predigt, die den Verlorenen von Tod zu Tod, den Geretteten von Leben zu Leben wirkt, die Würde des paulinischen Apostolates aus. 2. K. 4, 3f. i,'.t es das Evangelium, angesichts dessen die Scheidung geschieht. Der Vollzug der Prädestination ist also an die Verkündigung des Christllsgeschehens gebunden und sie vollzieht sich in der Begegnung mit ihr. Die aus der eschatologischen Gemeindesprache stammenden Wörter "apollysthai" und "sözesthai" und die prädestinatianisfhen Anklänge helfen, die an,gesühts Christi süh vollziehende Sfheidung als eJfhatologisfhe Zu verstehen, ohne daß die daraus sich ergebenden möglichen systematischen Konsequenzen, etwa die des Verständnisses des Christllsereignisses als einer Prolepse des jüngsten Gerichtes, explizit gezogen würden. Eschatologische und prädestinatianische Begrifflichkeit bildet den Horizont, der den paulinischen Aussagen die rechte Dimension gibt. Dieser Horizont wird aber nicht eigener Gegenstand theologischer Reflexion. Was wir bei den vorhergehenden Texten feststellen konnten, bestätigt sich auch hier: Prädestination ist für Paulus eine Denkdimension, die für konkrete Aussagen fruchtbar gemacht werden kann, etwa für die Gewißheit deS Heilshandelns Gottes gegenüber der unerlösten Welt (R. 8,28-30), für die eschatologische Dimension der sich in Christus vollziehenden Scheidung (1. K. 1, 18 etc.), oder für den Aufruf zu schöpfungsgemäßem Verhalten dem allmächtigen Gott gegenüber (R. 9, 19ff.). Prädestination ist für Paulus aber kein eigenes theologisches Thema und darum auch kein Ansatzpunkt für geschichtstheologische Erörterungen. C. Die Vorherbestimmungder Weisheit (1. K.2, 7)
Die Verbindung des die apokalyptische Zwei-Äonen-Lehre voraussetzenden Revelationsschemas mit prädestinatianischen Aussagen und vielleicht mit der Sophia war wohl Paulus bereits aus der Gemeinde110 Das Fehlen des Adjektivs "dikaios" zur Bezeichnung der Christen bei Pls. ist auffällig. Es findet sich überhaupt nur in allgemeinen Erörterunsen oder als Prädikativ, nie als Bezeichnung der Christen. In Qumran fehlen partizipiale Wendungen mit ,:abad" oder andem Verben, vgl. höchstens CDC. 2, 11. In Qumran geht es darum, daß der Mensch im Leben sein von Gott geschaffenes Wesen erweist, in der christlichen Gemeinde wird ein Mensch aletmJJ in der Begegnung mit dem Evangelium zum Erwählten.
4. Andere prädestinatianische ARssagen bei PtZIIltis
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theologie vorgegeben Die komplizierte Frage. ob ••sophia" ehet Heilsplan oder Heilsgut oder gar eine Erlösergestalt ist und in welcher Weise Paulus in seiner Sophiatheologie von den Gedanken der korinthischen Gemeinde beeinflußt ist. kann hier außer Betracht bleibenl l l . Gegenüber dem Normalfall des Revelationsschemas. wie es vermutlich zu rekonstruieren ist. fehlt an unserer Stelle das betonte .. jetzt". das die gegenwärtige Offenbarung des Heils seiner früheren Verborgenheit gegenüberstellt1l8• Das Gewicht liegt also an unserer Stelle nicht auf der Gegenüberstellung zweier Zeiten. Vielmehr bleibt die göttliche Weisheit auch in der Gegenwart verborgen. den Archonten nämlich, die den Weg des Erlösers nicht erkannten. ja. eigentlich auch den Korinthern. zu denen Paulus noch nicht als Pneumatikern reden kann, denn auch sie sind noch fleischlich (1. K. 3, 1ff.). Die Aussage über die Verborgenheit der von Gott bereiteten Weisheit ist also nicht nur eine temporal-begrenzte. sondern zugleich eine prinzipielle: Was in der Apokalyptik als zeitlich befristete Aussage über den gegenwärtigen Äon erschien. bleibt für Paulus nach der Offenbarung der Weisheit Gottes deren dauernde Wirkungsweise gegenüber den Unverständigen. So muß auch das von Paulus aufgenommene apokryphe ZitatlU nicht vom damals verborgenen. jetzt offenbarten Geheimnis Gottes verstanden werden, sondern auch vom prinzipiell unzugänglichen. aber von Gott seinen Erwählten geoffenbarten Geheimnis; Ebenso lenkt es den Blick weg von dem. was in der Vorzeit. oder dem, was zwischen Christus und den kosmischen Mächten geschah. hin auf das. was sich bei der Begegnung zwischen der Offenbarung l l l•
Zum Revelationsschema vgl. o. A. 11 249. Mit dem Revelationsschema scheint der Pridestinationsgedanke schon früh verbunden; eine Ausnahme macht nur R. 16, 25ff. Kol. I, 27 ist er durch i)~AlJcmI wenigstens angedeutet, Eph. 3, 11; 2. Tm. 1,9; 1. Pt. 1,20 explizit ausgesprochen, vgl. auch Tt. 1,2; 2. K. 4, 3f. Daß Kol. I, 28 und Eph. 3, 10 damit der Gedanke der "sophia" verbunden ist, ist immerhin auffällig und legt den Schluß nahe, daß die Theologie jener Briefe mit der korinthischen gewisse Beziehungen aufweist, vgl. o. A. III 4 und Lühnnann, Offenbarungsverständnis 133f.; Conzelmann, NTS 12 (1965/66) 237, ferner u. S.350. Vermutlich ist das Revelationsschema (schon in Verbindung mit der Sophia-Lehre?) bereits in der korinthischen Gemeinde bekannt gewesen, vielleicht etwa ähnlich wie Kol. I, 2M. 111 Vgl. dazu Wilckens, Weisheit, bes. 68ff. und ders., ThW VII, bes. 519,2Off., dagegen Schmithals, Gnosis 131f. Eine rein hypostatische Deutung von "sophia" ist wegen 1. K. 1, 30 unmöglich. Vgl. auch o. A. III 343 und u. A. V 94. 118 Nach dem Schema müßte "nyn" in 2, 10 stehen, vgl. Lührmann, Offenbaruogsverständnis 135f. U& Die Literatur zu 1. K. 2, 9 gibt Feuillet, Sagesse 37ff. Mir scheint das Vorliegen eines Agraphons immer noch wahrscheinlich, was die von Feulllet erarbeiteten Einflüsse der Weisheitsliteratur nicht ausschließt, vgl. Feuillet uO 47ff. Die unklare Satzkonstruktion und die zahlreichen Parallelen sprechen dafür. daß Pis. wörtlich zitiert. 111
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IV. Gesamtschatl d. Geschichte? Gottes Plan u. Prädestination
und dem Menschen zuttägt1l&. Es ist auch kein Hinweis auf eine Zeit. in der die Weisheit noch verborgen war. gegeben. Das apokalyptische Geschichtsschema. das dem Gedanken von 1. K. 2. 7 wohl zugrundeliegt. ist also von Motiven überlagert. die man vielleicht als frühgnostisch bezeichnen könnte118• und dient so dem Hinweis. daß die von Gott bereitete verborgene Offenbarung offenbar wird. aber nur als Gottes Offenbarungsgeschenk in Gestalt des Logos tou staurou. Die Prädestinationsaussage wird von Paulus zusammen mit dem damit verbundenen Offenbarungsschema aus der Gemeindetradition übernommen. Wiederum betonen die prädestinatianischen Ziige den eschatologischen Charakter von Gottes Weisheit. die er vor al/er Zeit bestimmt hat. Das damit verbundene Geschichtsbild wird aber nicht weiter ausgebaut. Exkurs: Die Herkunft der paulinischen Prädestinationsvorstellung Bisher wurde die Frage nach der Herkunft der paulinischen Prädestinationsvorstellung fast einhellig mit dem Hinweis auf die jüdische Apokalyptik beantwortet. Diese These erhielt durch die Funde von Qumran ihre stärkste Stütze. In der Tat sind in Qumran fast alle Elemente der paulinischen Prädestinationsaussagen als Teile eines festen theologischen Systems nachzuweisen. Unsere Untersuchungen haben nun allerdings noch einen zusätzlichen Hinweis gegeben: Die von Paulus vermutlich aus der Gemeindetradition übernommene Catena R. 8.28-30 wies uns in eine hellenistisch-jüdische Gemeinde enthusiastischen Gepräges. Die Gegenüberstellung von Verlorenen und Geretteten wird von Paulus wohl aus der ebenfalls enthusiastisch geprägten Gemeinde von Korinth übernommen. Schon vor Paulus kommen Prädestinationsaussagen in Verbindung mit dem sog. Reve1ationsschema vor. Diese Formel verbindet apokalyptische Denkschemata mit einer starken Betonung des durch die eschatologische Offenbarung qualifizierten gegenwärtigen Jetzt. Sie enthält also implizit eine .. realisierte Eschatologie" auf apokalyptischem Hintergrund l17 • Möglicherweise hat sich das •• mysterion" des Reve1ationsschemas auch schon vor Paulus mit der hellenistisch-jüdischen Sophia-Christo-
Vgl. Lührmann, Offenbarungsverständnis 138f. Vgl. auch die zahlreichen gnostischen Parallelen zu 1. K. 2, 9, z. B. bei Wilckens, Weisheit 76ff. Wilckens aaO 67 betont, daß apokalyptische und frühgnostische Traditionen "in keiner Weise zwei gesonderte Bereiche" sind. Vgl. auch die Verweise u. A. 119. m Daß das Revelationsschema faktisch die Gegenwart heraushebt, heißt natürlich nicht, daß in den Gemeinden, die hinter ihm stehen, die Dimension der Zukunft grundsätzlich preisgegeben worden wäre. Vgl. dazu u. S. 350. 111 111
4. Andere prädestinatianiuhe AMssagen bei Pallitts
261
logie verbunden. Aus diesem Milieu stammen. zahlreiche Prädestinationsaussagen des Neuen Testaments118• Dem Gesagten läßt sich Verschiedenes entnehmen: Zunächst einmal mehr die Beobachtung, wie sehr die Theologie der christlichen Gemeinden vor und neben Paulus für das Verständnis des Apostels wichtig ist. Natürlich ist es nicht falsch, zur Interpretation der paulinischen Prädestinationsaussagen auf das Judentum, vor allem auf Qumran, hinzuweisen. Doch wird man hier differenzieren müssen. Vor allem bei dem sehr eigenständigen Versuch des Theologen Paulus in R. 9, 14-24 erwies sich ein Rückgriff auf jüdische Parallelen immer wieder als fruchtbar. Doch an zahlreichen anclem Stellen dürften Prädestinationsvorstellungen, die in der christlichen Gemeinde verbreitet waren, für Paulus bestimmend gewesen sein. Eine zweite Beobachtung: Die Gemeinden, in denen Paulus hier fußt, lassen eine stark präsentisch orientierte Eschatologie erkennen. Auch die zahlreichen Beziehungen zur Weisheitschristologie machen wahrscheinlich, .daß wir hier auf hellenistisch-judenchristlich-enthusiastische Gemeindeterminologie stoßen. Diese Gemeinden bedienen sich apokalyptischer Kategorien, gerade um ihre realisierte Eschatologie auszudrücken. Diese Terminologie nimmt Paulus hier positiv auf. Das heißt: Die heute oft anzutreffende Paulusschau, wonach Paulus als apokalyptischer Theologe den Enthusiasmus der hellenistischen Gemeinden von der Apokalyptik her korrigiert, erweist sich als Vereinfachung. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Einmal sind gerade tnlch die enthusiastischen Gemeinden vor tmd neben Paulus bereits auf ihre Weise von der ApokalYptik geprägt11'l. Diese ApokalYptik schließt ehPa eine SophiaChristologie durchaus nicht aus, sondern ein. Beim Gesetzesverstäodnis des Apostels haben wir gesehen, daß Paulus die Gemeindetheologie positiv aufgenommen und in einer bestimmten Richtung weiter entwickelt hat1BO• Auch bei den prädestinatianischen Aussagen - und das wäre das zweite Moment, das zu bedenken wäre - kniipft Pau/fIS drlrrham Dies gilt abgesehen von Pis. wohl Air Eph. 1, 4/f.; 3, 9/f.; 2. Tm. I, 7; Tl. 1,2; 1. Pt. I, 2. 20, vielleicht auch die johanneischen Prädestinationsaussagen. 111 Vgl. Käsemann, Apokalyptik, Aufs. 1I, 119/f., bes. 126. Zur Theologie der vorpln. Gemeinden, die zugleich apokalyptisch und weisheitlich geprägt sind, vgl. die Verweise o. A. 37, ferner o. S. 102. 195f. 255f.; A. II 213~ 11284; u. A. 120; A. IX 31. 110 V g1. o. S. 221f. Ein weiteres Beispiel für positive Aufnahme von enthusiastisch geprägter Gemeindetradition, die ihr Sprach- und Bildmaterial aus der Apokalyptik bezieht, gibt Stuhlmacher, EvTh 27 (1967) 3f. (GL 3, 281). überdies haben wir damit zu rechnen, daß bereits vor Pis. eine intensive DurchdringwJg hellenistischer und apokalyptischer Elemente im hellenistischen Judentum statt8efundeo hat. Damit scheint sich neuerdings die mir nicht zugängliche Habilitationsschrift von M. H,ng,' (vgl. das bei Stuhlmacher. ZThK 64 (1967) 428f. A. 10.Aogedeutete) zu befassen. 118
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IV. Gesa1lltschatl d. Geschichte? Gottes Plan N. Prädestination
positiv an die ANssagen der enthusiastischen Gemeinde an, ohne sie Zu korrigieren. Bei den Prädestinationsaussagen wurde eine theologische Korrektur des Paulus an den Aussagen der Gemeinde noch weit weniger sichtbar als bei den Aussagen über das Gesetz, weil Prädestination für Paulus kein eigens zu behandelndes theologisches Thema war. Jedenfalls erhalten wir hier einige Hinweise, daß das Verhältnis des Paulus zur enthusiastischen Gemeindetheologie keine17llegs einlinig polemisch, sondern auch das einer positiven Aufnahme, mithin verfllutlich recht differenziert war. Und auch der sogenannte "Enthusiasmus" war ja eine recht vielschichtige und durchaus noch nicht hinreichend bekannte Bewegung. Wir werden diese vorläufigen Hinweise bei der Behandlung der paulinischen Eschatologie weiter zu verwerten haben. 5. Zusammenfassung
1. Vergleichen wir die Prädestinationsvorstellungen in Qumran und bei Paulus, so stellen wir ein starkes Maß an Übereinstimmung besonders zwischen Qumran und R. 9, 19ff. fest. Gemeinsam sind Paulus und der Sekte die Vorstellung von der doppelten Prädestination, die bei beiden anklingtl'l, die Bedeutung des Schöpfungsgedankens als Hintergrund des theozentrisch verstandenen Prädestinationsgedankens, die Vermeidung einer deterministischen Objektivierung des Prädestinationsdenkenslil. Daneben finden wir Unterschiede: Gegenüber Qumran zeigt Paulus eine große Zurückhaltung im Gebrauch der Vorstellungen; in der Sekte dagegen kann die Prädestinationsaussage zu einer systematischen Kosmologie ausgebaut werden, die auch eine Konzeption der Universalgeschichte in sich enthält. Dagegen sind bei Paulus prädestinatianische Aussagen nicht eigenes theologisches Thema, sondern eher gelegentliches Aussagemittel. Vielleicht der bedeutsamste Unterschied liegt dort, daß in der Sekte der Prädestinationsgedanke dazu dient, den Ort der Gemeinde - nicht unbedingt auch des Einzelnen - in der Gottesgeschichte zu fixieren, während bei Paulus in änlicher Weise höchstens der Ort der Weisheit, Christus, fixiert wird, während im übrigen der Prädestinationsge111 Spicq, Vorherbestimmung 1184f., will allerdings die gemina praedestinatio für Pis. im Unterschied zu Qumran so bestreiten, daß nach ihm bei Pis. die Verworfenen nicht von Gott zum Verderben bereitet, sondern nur ihrer Verderbnis überlassen seien; Verderben sei also ..Resultat und nicht Ursache". Wir konnten keinerlei Anzeichen für eine solche Differenzierung entdecken. 111 Qumran braucht Prädestinationsaussagen vor allem in Hymnen. Dem ent8pricht die pln. Tendenz, beim Sprechen vom prädestinierenden Gnadenhandeln Gottes 8o~leich in die 1. Person Pluralis überzugehen, vgl. R. 9, 24; 8, 26f. 31, was ihn von emer konstatierenden in die dankende Haltung des von der Gnade selbst Betroffenen führt.
5. ZRlafllfllenjawlIIg
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danke entweder dazu dient, falsche Heilsgewißheit zu zerstören (R. 9, 19ft".), oder dann, echte Heilsgewißheit gerade in Bindung an das Christusgeschehen zu verkünden.
2. ARffällig 'IIIar, daß die prädestina!ianischen Motive bei PaRl1I! nch sO'lllohl nach Herlettnft als aRch nach GebraRch als nicht einheitlich er'/IIiesen: Während wir R. 8,28-30; 1. K. 1, 18; 2, 7 und 2. K. 4, 3f. auf die vorpauIinische hellenistisch-jüdische enthusiastische Gemeinde stießen und nur indirekt auf die auch hinter diesen Gemeinden stehende Apokalyptik, schien Paulus R. 9, 22ft". einen neuen Gedanken selbständig zu formulieren, der inhaltlich in weit direkterem Zusammenhang mit jüdischen Analogien stand als die vorher genannten Stellen. Entsprechend ist auch der Gebrauch des Prädestinationsgedankens je verschieden: Während es R. 8, 28ft". um die Gewißheit der Gnade in Christus, 1. K. 1,18; 2,7 und 2. K. 4, 3f. um die eschatologische Dimension des Christusgeschehens geht, geht es R. 9, 19ft". gerade um die letzte Souveränität des sich in der Geschichte offenbarenden Gottes, die durchgehalten werden muß, damit die Gemeinde die ihr widerfahrene Gnade verstehen kann1l3• Allemal nnd also die Prädestinationsau.rsagm bei PaRlus nRr Horizont seines Denkens, nicht Thema .. in irgend einer Weise dienen sie immer daZR, Aspekte der eschatologischen Gnadentat Goffes Zu beleuchten, aber ihre Ver'lllendllllg im einzelnen ist entsprechend ihrer verschieJenen Herkllllft verschieden. 3. Entsprechend läßt sich auch das Verhältnis von Prädestination und Geschichtsdenken bei Paulus nicht auf eine einfache Formel bringen. Verhältnismäßig leicht ist das für Qumran: Hier ist Gottes prädestinierendes Handeln die Weise der Durchsetzung seines Geschichtsplans. Damit ist in gewissem Sinn die Prädestination weltanschaulicher Rahmen des Geschichtsdenkens der Sekte, auch wenn zu sagen ist, daß die Gemeinde von Qumran in diesem Rahmen zwar betet, dankt, kämpft, sich tröstet und gehorsam ist, aber kaum spekuliert. Bei Paulus läßt sich aber nicht einmal soviel sagen: Der Prädestinationsgedanke kann hier sowohl dazu benützt werden, Gottes gewisse Zeit menschlicher ungewisser Zeit entgegenzustellen; er kann den eschatologischen Charakter gerade des Wortes, das in der Gegenwart geschieht, akzentuieren (1. K. 1, 18; 2, 7ft".; 2. K. 4, 3f.); er kann aber auch Hilfe zum rechten Umgang mit Gottes Geschichte in der Vergangenheit sein, die, obwohl Gottes Handeln offenbarend, vom Menschen doch niemals verfügbar gemacht werden darf (R. 9, 1+-23). Jedenfalls ist der Prädestinationsgedanke für Paulus nicht der heimliche Rahmen seiner vielfältigen Bezüge aRf vergangene Geschichte. Insofern lautet das Resultat 1•• Zum Verhältnis von Pridestination und Rechtfertigung vgl. auch o. S.72. 82; IV 4A.undA.34.
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IV. Gesamts{hau d. Ges{m{hte? Gottes Plan 11. Prädestination
unserer Untersuchungen in diesem Kapitel, die ein alle bisher bei Paulus festgestellten Bezüge auf die Vergangenheit umgreifendes Zentrum, wie es etwa für die Apokalyptik der Gedanke des Planes Gottes ist, suchten, negativ. So oder so - und das verbindet Pallllll wiederum im ganten mit der Apok4!Jptik - ist der Prädestinationsgedanke ein absolut theotentris{her Gedanke und weist darauf hin, daß es bei Gottes Handeln in Vergangenheit und Gegenwart 11m ihn selbst gehtla'.
11' Vgl. o. S. 236. 237ff. 250; zu Qumtan o. S. 232f. und A. 23, ferner die Verweise o. A.1l461 und u. A. IX 37.
ZWEITER TEIL
Zukunft und Gegenwart
In unserem ersten Hauptteil waren wir der Schau der Vergangenheit bei Paulus nachgegangen. Es erwies sich, daß der Apostel um der Gerechtigkeit Gottes willen dialektisch von der Vergangenheit sprechen mußte, und zwar von der Geschichte Gottes mit seinem Volk um Gottes willen (Kap. 11) und von der abgetanenen Geschichte des Menschen um des eschatologischen Charakters des in Christus geschenkten neuen Heils willen (Kap. III). Einen diesen beiden Linien systematisch übergeordneten Gesichtspunkt, etwa den des alle Geschichte umschließenden Plans Gottes, haben wir kaum, d. h. nur in fragmentarischen Bruchstücken gefunden (Kap. IV). Wir wenden uns jetzt der Betrachtung der Zukunftsaussagen bei Paulus zu. Wiederum - wie bei der Vergangenheit - fragen wir nicht nur nach den Zukunftsvorsfe/lungen, die Paulus hat, sondem auch danach, wie und wozu er sie braucht und was er mit ihnen bewirken und sagen will, d. h. wir fragen auch nach der Zukunftsansage und ihrer Funktion in der paulinischen Theologie. Eine Aufteilung auf zwei hauptsächliche Linien wie bei der Vergangenheit scheint sich hier nicht zu ergeben. Wir gehen, wie in den vorangehenden drei Kapiteln, auch in diesem zweiten Teil so vor, daß wir zunächst von den in R.9-11 vorliegenden Zukunftsaussagen ausgehen (Kap. V), um dann nach dem Versuch eines Überblicks (Kap. VI) die wichtigsten paulinischen Texte, die sich mit Zukunftserwartungen ausführlich beschäftigen!, als sachlichen Kontext zu R. 11 mit in die Betrachtung einzubeziehen (Kap. VII-IX).
Die vorstehende Arbeit beschrinkt sich, abgesehen von Kap. VI, auf diejenigen Texte. die Zukunftsvorstellungen ausführlich behandeln. Es werden hier die Kurzaussagen über Jesu Auferstehung und das künftige Leben mit ihm vcnw:hlässigt; damit, vor allem mit den CNv-Aussagen, wird sich die Zürcher Dissertation von P. Si"'" beschäftigen. Vemachlilssigt werden hier ebenso die Kurzauaagen des Pis. über das künftige Gericht; hierzu ist die Arbeit von L. Mal*"' (vgl. 0. A. II126) zu vergleichen. 1
V. DIE ZUKUNFT ISRAELS (R. 11, 25ff.) 1. Vorbemerkungen
Schon immer hat der Abschnitt R. 11, 25ff. die Aufmerksamkeit der Exegeten erregt. "Auf diese Mitteilung, auf dieses Mysterium, war schon der ganze Abschnitt über Israel ausgerichtet", schreibt ein Ausleger' , und in der Tat scheint Paulus durch seinen feierlichen Neueinsatz in V. 25 diese Feststellung zu bestätigen. Eine Auslegung von R. 11, 25ff. wird also das Zentrum des ganzen Abschnittes R. 9-11 frei legen. In welcher Weise ist hier von der Zukunft Israels die Rede? R. 11, 25ff. wird in der heutigen Forschung höchst kontrovers beurteilt und ist je nachdem Gegenstand andächtiger Bewunderung oder energischer Sachkritik. Während z. B. Gaugier schreibt: "Wir treten ... jetzt ins eigentliche Heiligtum seiner (sc. des Paulus) Botschaft ein"', bemerkt Bultmann lakonisch in einem Nebensatz, daß "das heiIsgeschichtliche (J.U~PLOV Rm. 11, 25ff. der spekulierenden Phantasie entspringt"4. Schon die Forschungslage nötigt uns also, hier behutsam und diffel'enziert die Frage nach Sinn und Legitimität der paulinischen Aussagc..'O aufzuwerfen. Wir lassen uns zur Präzisierung unserer Fragestellungen durch eine Schau des Problems leiten, die durch ihre Prägnanz die Forschung stark beeinflußt hat. Wir meinen die Interpretation von R.9-11 durch R. Bu/lmann. Denn obwohl Bultmanns Beitrag zur Exegese unserer drei Kapitel für einen oberflächlichen Betrachter vor allem in seinem Schweigen zu ihnen zu bestehen scheint", hat er doch durch seine Position in besonderem Maße zur Beschäftigung mit R. 9-11 angeregt. Nach Bultmann hat Paulus das Geschichtsbild der Apokalyptik von seiner Anthropologie her interpretiert. Das gilt sowohl für seine Schau der Vergangenheit, die nun "eigentlich die Geschichte des Menschen ist" und die Paulus "in der Form des ,Ich' beschreiben kann", als auch für seine Schau der Zukunft, die nicht mehr an der Volksgeschichte orientiert ist, sondern am Individuum. Denn der neue Äon ist in Christus schon Wirklichkeit geworden; weil er das Ende des Gesetzes ist,
I GaugIer, Röm.1I 198, vg\. H. Hug, Das Volk Gottes. Der Kirche Bekenntnis zur Judenfrage. Zollikon: EVZ 1942,43. • Gaugier, Röm.lI, 198. • Theol. 484. • Eine vollstindige Zusammenstellung der Äußerungen Bultmanns über R. 9-11 vermittelte mir eine Seminararbeit von P. RUlilhaus,,., Frauenfeld: Kritische Darstellung von Bultmanns Aussagen zu R. 9-11, 1958, die ich hier dankbar erwähnen möchte. 1m übrigen vgL zu Bultmanns Stellung zu R. 9-11 auch o. S. 18.
2. Israel als GotteSIJolk
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hat in ihm die Geschichte des Gesetzes ihr Ende erreicht. Die Frage nach der Erfüllung der Verheißungen, die dem Volk Israel gegeben sind, wird von da aus für Paulus zur ..Schwierigkeit", mit der er ..RÖm. 9-11 ringt"'. Wem gelten sie? Die Antworr des Paulus ist ..widerspruchsvoll": Zunächst gelten sie keineswegs dem historisch-empirischen Volk, sondern dem Gottesvolk aus Juden und Heiden (R. 9, 6. 24ff.), dann aber - in der Zukunft - doch wieder dem empirischen, historischen Israel, das als ganzes das Heil erlangen wird (R. 11, 25ff.)'. Es ist deutlich, daß für Bultmann nur die Aussagen über das eschatologische Israel von R. 9 legitim sein können, während diejenigen über das historische Israel in Kap. 11 der spekulierenden Phantasie entspringen.
2. Israel als Gottesvolk A. Die Privilegien Israels (R. 9,4)
Schon früher fiel uns auf, daß Paulus in R.1-8 konsequent von 'Iou&oci:ot;, von R. 9 an ebenso konsequent von 'IapocijA spricht. Es geht also in R. 9-11 nicht um die Judenfrage, sondern um die Israelfrages. Worin aber liegt für Paulus die besondere Bedeutung von "Israel" im Unterschied zu den "Juden"'? Fragen wir zunächst: Wer ist Israel? Die Antwort des Paulus ist uneinheitlich. Drei verschiedene soziologische Größen lassen sich unter den Begriff subsumieren: 1. Unter "Israel" kann Paulus das historische Volk Israel der V~gangenheit verstehen (R. 11, 2; 2. K. 3, 7. 13). 2. Paulus kann unter "Israel" auch das jüdische Volk in seiner Gegenwart verstehen (R. 9, 27. 31; 10,19.21; 11,7; 1. K. 10,18; Phil. 3, 5, vgl. auch R. 9, 4; 11, 1; 2. K. 11,22). Dabei ist jeweils an das ganze Volk, oft an seinen Ungehorsam gedacht. Daß das Volk der Gegenwart in anderer Weise Israel ist als das Volk der Vergangenheit, deutet Paulus nirgends an; er spricht jedenfalls vom gegenwärtigen Volk ohne Zusatz als von Israel; an der einzigen Stelle, wo sich ein Zusatz findet (1. K. 10, 18: ..katasarka"), ist die Deutung auf das gegenwärtige Israel nicht ganz sicher'·. "
, Geschichte und Eschatologie 48f., Zitate 48. , Geschichte und Eschatologie im N. T., GI. u. V. IH, 101. • Vgl. o. S. 22ff. 28. • 'Iou3~to~ meint bei Pis. vor allem den Juden, insofern er das Gesetz befolgt (1. K. 9, 20f., vgl. R. 2, 28f.; GI. 2, 13ff.). Konstitutiv ist für Pis. nicht so sehr die völkische Zugehörigkeit zum Judentum (nur 2. K. 11,24; 1. Th. 2, 14; GI. 2, 15; an letzterer Stelle wird qluaEI ergänzt I), auch nicht die Ablehnung des Evangeliums (in Korrektur an W. GulbroJ, Art. 'Iap~1)A XTA. CD, ThW IH, 370--394, dort 383, H.), sondern die Ausübung der jüdischen Religion, d. h. das Halten des Gesetzes. Gegensatz ist "Ell'llv, das auch religiöser Begriff ist und nur R. 1, 14 als Gegenbegriff zu ..barbaros" erscheint. 10 Vgl. Lietzmann, Kor. 48 und J. Weiss, 1. Kor. 260. Schweizer, ThW VII, 127 A. 232 denkt eher an die Väter von 1. K. 10, 1, doch braucht m. E. die Interpretation auf das gegenwärtige Israel die andere nicht auszuschließen.
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V. Die Zu/eJmjt Israels (R. ff,25jf.)
3. GI. 6, 16 findet sich die Wendung "Israel" Gottes, die auf die Kirche aus Juden und Heiden zu deuten ist".
Wir entnehmen diesem Befund den Hinweis, daß die Sache "Israel" ihre Einheit offenbar nicht von der darin repräsentierten völkischen Größe her hat. Eben darauf weist auch R. 9, 6b, wo die soziologische Aufweisbarkeit von "Israel" schon im Ansatz durchbrochen wird J2 • Vielmehr ist zu fragen, was eine bestimmte volksmäßige Größe zu Israel macht. Wir stellen diese Frage anband der Beschreibung Israels durch Paulus in R. 9, 4. Während das, was den Juden zum Juden macht, sein faktisches oder nur vorgetäuschtes Halten des Gesetzes ist, während also das Jude-sein den aufweis baren Stand einer Religion meint, der christliche Verkündigung - wie den Griechen - je auf ihre Weise begegnet, meint "Israel" bei Paulus etwas anderes: Gott selbst schenkt Israel seine Israelschaft. Paulus zählt die Vorzüge Israels in sorgfältig aufgebauter Aufreihung auf1 3 • Diese sorgfaltige Gestaltung weist darauf hin, wie genauer hier denkt und wie wenig er sich einfach vom Affekt hinreißen läßt14• Schon darin liegt wohl bewußte Absicht des Paulus, daß er seine" Verwandten nach dem Fleisch" als Brüder bezeichnet. "Adelphos" ist ein Die Argumente hierfür hat N. A. Dahl, Zur Auslegung von Gal. 6, 16, Judaica 6 (1950) 161-170 gegen G. Sehrenk, Was bedeutet ,Israel Gottes', Judaica 5 (1949) 81-94, vgl. ders., De~ Segenswunsch nach der Kampfepistel, Judaica 6 (1950) 170--190 m. E. überzeugend zusammengestellt. Schrenk möchte "Israel Gottes" auf die Judenchristen allein deuten. 11 Die Spannung der pln. Aussage wird verkürzt, wenn hier einfach festgestellt wird, PIs. löse einen Israelbegriff durch einen andern ab, also z. B. das fleischliche Israel durch das "Israel Gottes", vgl. Schrenk, Judaica 6 (1950) 174. Wie Dinkler, Prädestination, Festschr. G. Dehn 88 A. 19 zu Recht ausführt, geht es bei PIs. nicht darum, in R. 9, 6b die Juden gegen die Judenchristen auszuspielen, aber auch nicht darum geht es (vermutlich auch gegen Dinkler aaO), das sarkische Israel durch die Kirche als Israel Gottes abzulösen. Gerade nicht um eine soziologische Neufestlegung von Israel geht es PIs. in R. 9, 6b., sondern darum, Israel an Gottes Wort zurückzubinden, vgl. auch C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 90ff. 11 Michel, Röm. 22B vermutet, daß PIs. hier "älteres hellenistisch-jüdisches Bekenntnisgut verarbeitet hat, zumal das sprachliche Material nicht typisch paulinisch ist, bzw. sonst bei Paulus anders verwandt wird". Dies gilt nicht so sehr für "hyiothesia" (s. u. A. 16) und "epaggeliai" (vgl. V. 9; hier allerdin&s Plural), eher für das Hapaxlegomenon "nomothesia" und den Plural "diathekal" (vgl. u. A. 24). Doch läßt sich beides von der pln. Intention her gut verstehen, vgl. unten. Vor allem aber fehlen enlsprechCllde Außerungm im Jüdischen Raum fast völlig. Die nächsten mir bekannten Parallelen linden sich 4. Esr. 3, 32f.; 5, 23ff., vgl. auch 10, 21f. (aber in ganz anderem Sinn), sowie - sprachlich schon sehr verschieden - 2. Makk. 1,25 und die Münzinschrift der Bar-Kochba-Zeit bei Gutbrod, ThW In, 362, 29ff. DaI zeilgenö.rsische Judenlflm hai m. W. nie in derart indikativiIch-präIenliIcher Weise von seinen Pr':iro?,aliven gesprochen wie PlI. von den Privilegien IsraelI. So wird man V.4 doch eher als pln. Bildung verstehen, deren rhetorische Kunst auffällt: Es liegen zwei Dreierreihen vor, deren erstes Wort auf - -O-ea!<x endigt und deren letztes mit einer Pluralendung schließt. Vgl. zu "Israel" im Judentum noch Dahl, Volk Gottes Blff. 1& V gl. o. S. 26f. 11
2. Israel als Gottesvolle
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sonst den christlichen "Brüdern" vorbehaltener Begriff, denn ein "adelphos" ist einer, für den Christus gestorben ist, vgl. 1. K. 8, t 1. Daß das Volk Israel als Sohn Gottes bezeichnet wird, ist eine dem Alten Testament geläufige Aussage und auch dem Spätjudenturn nicht fremd 15• Die christliche Gemeinde hat dieses Privileg Israels übernommenl '. Umso auffälliger ist, daß Paulus es nun Israel beläßt und ohne jeden Vorbehalt dem ungläubigen Israel der Gegenwart die Gottessohnschaft zuspricht. Er bezeugt dadurch zunächst, wie eng Israel und die Kirche theologisch zusammengesehen werden müssen. Von einer heilsgeschichtlichen Ablösung Israels durch die Kirche kann keine Rede sein. Noch deutlicher läßt sich das am Wort 86;« zeigen. Natürlich denkt Paulus hier an die "doxa" Gottes, die in der Geschichte des alten Bundes immer wieder dem Volke geoffenbart wurde17• Das spätere J udenturn vermag diese Linie des Alten Testaments nicht mehr durchzuhalten: Mehr und mehr wird der "kabod" Jahwes zu einer nur wenigen ausgezeichneten Menschen zuteil gewordenen Offenbarung: Mose, eventuell J osua, Adam im Urstand, dem Messias 18• Dem Volk der Endzeit kann der "kabod" wieder zuteil werdenl ' , doch in der Gegenwart ist Israel durch seine Sünde vom göttlichen GJanze getrennt. Auch für die Gläubigen des neuen Bundes ist "don" grundsätzlich Gottes Herrlichkeit!O; die Gläubigen werden zumeist erst in der Endzeit verherrlichtl l• - Umso auffälliger ist, daß Paulus hier nun 11 VgI. G. Fohm - E. LohI' - E. SdJ1ll,;t,r, Art. ut~ xor>.., ThW VIII,340-395, dort 352, 21ff. (Fohrer, A. T.); 355, 26ff.; 356,36ff. (Schweizer, Judentum); 360, 12ff. (Lohse, Judentum). 11 Während die Bezeichnung der Christen als utot bzw. ortxYII &&oii relativ verbreitet ist (freilich fast nur im abgeleiteten Sinn, vgI. Schweizer, ThW VIII, 392, 15ff.), kommt der Begriff utO&EO(CC nur im pln. Raum vor: R. 8, 15. 23 (an letzterer Stelle futurisch-eschatologisch); GI. 4, 5, vgI. Eph. 1,5; GI. 4, 5 und R. 8, 15 liegt möglicherweise Tradition vor, vgI. u. V 3c; zu Eph. 1, 5 vgl. o. A. IV 88. Zum Begriff vgl. ferner P. Benoit, Nous g~missons attendant la d~livrance de notre corps (Rom. VIII, 23), RechSR 39 (1951/52) = M~1. J. Lebreton, 267-281, dort 270 (aus dem griechischen juristischen Denken abgeleitet); L. C,r/fIIIX, Le privil~ge d'lsrael selon S. Paul, in: Recueil L. Cerfaux II, Gembloux: Duculot 1954,339-364, dort 359; Bultmann, Theol. 279; Schweizer, ThW VIII, 4Otf. (dort weitere Lit.) . .. Lit. bei H. Schlier, Doxa bei Paulus als heilsgeschichtlicher Begriff, in: Studiorum Palliinorom Congressus Internationalis Catholicus, Analecta Biblica 17-18, I, Roma: Inst. Pont. BibI. 1963,45-56, dort 45 A. 1. Zum A. T. vgl. Eichrodt, Theol. 11, 1961, 11ff. 11 Belege bei G. Kitt,I, Art. 30xit4 XTA. DEF, ThW II, 245-258, dort 249, 24ff.; 250,16ff. 11 Vgl. z. B. 4. Esr. 8, 51ff.; Sib. 3, 282f.; 1 QS. 4, 11ff.; ferner Kittel, TbW 11, 250, 26ff. I. Z. B. R.1, 23;3, 7;4,20; 9, 23; 11, 36. Vgl. auch Schlier, Dou,Analecta Biblica 17-18,50ff. 11 R. 5,2; 8,18.21; 15,7; zu R. 8, 29f. vgl. o. IV 4 A.
272
v. Die Zuleunjt Israels (R.
11,25jJ.)
dem Volk Israd in der Gegenwart "konkret, unwiderruflich"·· die Herrlichkeit Gottes zuspricht. Damit wird die von der Apokalyptik her angdegte Denkweise in gewissem Sinn übersprungen, und es erfolgt eine Rückkehr zu alttestamentlicher Denkweise und ihren Intentionen·'. dt0t3'iptTj ist in der LXX souveräner Akt Gottes, der das Volk verpflichtet, nicht zweiseitiger Vertragsschluß. Sollte der Plural an unserer Stdle, wie doch wohl anzunehmen ist, textkritisch ursprünglich sein", so wären wohl die einzelnen Bundesschlüsse Gottes mit den Vätern als kontingente Akte betont. Daß auch die Gemeinde sich in einem Bund Gottes weiß, braucht hier nicht besonders betont zu werden, eher dies, daß Paulus hier auf jede Abwertung des früher mit dem l [olk Israel geschehenen Bundes, etwa durch die Bestimmung "alter Bund", verzichtet. NOlJ.o&e:O'lot ist ein Privileg, das nicht in der sdben Weise auf die christliche Gemeinde übergegangen ist. Obwohl ja Paulus auch von einem Gesetz Christi sprechen kann (GI. 6, 2), bleibt das Gesetz das, was die spezifische religiöse Existenz des jüdischen Volkes kennzeichnet. Auffällig aber ist die Wahl des Ausdrucks. Was Paulus hier wichtig ist, ist gerade nicht der Besitz des Gesetzes durch die Juden, sondern das Geschehen der Gesetzgebung, also das Handeln Gottes, das Israel zuteil geworden ist l5• AotTpe:(ot bezieht sich in der LXX zunächst auf den Kultus im Tempel von Jerusaleml6, kann aber schon vor der Zerstörung des Tempels zur Bezeichnung der Religion überhaupt werden (1. Makk. 2, 19.22). Paulus versteht die Christen als Tempel Gottes und ihre leiblich-weltliche Existenz als Gottesdienst (1. K. 3, 16; 6,19; 2. K. 6, 16f.; R. 12, 1). Damit ist für ihn zugleich mit der Aufnahme des Begriffs eine deutliche Antithese zu den alttestamentlichen Gedanken gegeben·7 • Doch wird diese hier gerade nicht ausgesprochen und der alt•• Schlier, Doxa, Analecta Biblica 17-18, 49 • V gl. auch u. A. 75. Eine Abschwächung der "doxa" Israels wie 2. K. 3,4ff. liegt hier gerade nicht vor, gegen Cerfaux, Privil/:ge, RecueillI, 358. Die beiden Stellen stehen nicht in direktem Widerspruch zueinander, da die Herrlichkeit des Mose ja auch 2. K. 3 nicht bestritten wird, sondern stehen beziehungslos nebeneinander. •• Obwohl die wichtigsten Textzeugen Singular lesen, dürfte der Plural die schwierigere Lesart und damit ursprünglich sein, gerade, weil er sich bei Pis. sonst nicht findet, gegen Cerfaux, Privil/:ge, Recueil II, 348f. Oder hat der Plural "epaggeliai" eingewirkt? Jüdisch ist die Vorstellung mehrerer Bundesschlüsse durchaus denkbar, vgl. Str.-B. Ill, 262. 15 Zum Begriff vgl. noch 2. Makk. 6, 23; 4. Makk. 5,35; zur Sache Ps. 147, 19f.; 4. Esr. 9, 30ff. •• Belege bei H. Slralblllann, Art. Aa.Tpe:U(o) ltTÄ., ThW IV, 58-66, dort 61, 26ff.; eine Klage über das Ende des Gottesdienstes 4. Esr. 10,21f. .. Zu Unrecht bestimmt H. Seblier, Das Mysterium Israels, in: Die Zeit der Kirche, Freiburg: Herder 1955,232-244, dort 236, den Kultus Israels als "voraus•1
2. Israel als Gottesvolk
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testamentliche Gottesdienst wird hier nicht abgewertet. Mit der Identität des Wortes bleibt auch die Identität der Sache. Wohl am deutlichsten zeigen die Verheißungen die anband der übrigen Begriffe beschriebenen Strukturen: Gerade am folgenden Abschnitt R. 9, 9-13 wird klar, daß die Verheißung niemals mit Beschlag belegt werden kann, sondern Gott selbst die Weise ihres Geschehens bestimmt. In der Verheißung steht der freie Gott dem Volke gegenüber-. Was heißt das also, daß hier in V. 4 dem ungläubigen Israel die Verheißungen als Privileg zugesprochen werden, während sie ihm mit dem Isaak-Beispiel in V. 6ff. scheinbar doch gerade wieder abgesprochen werden? Jedenfalls dies: Werden die Verheißungen dem ungläubigen Israel hier vorbehaltlos zugesprochen, so ist gemeint, daß der Vorzug Israels Gottes Handeln selbst ist, ein Vorzug, über den es allerdings niemals verfügt, der aber gerade deshalb auch niemals hinfällig werden kann. über das Verhältnis von R. 9,4 zu GI. 3 reflektiert Paulus nicht; Gesetz und Verheißung, die dort als sich ausschließende Heilsprinzipien betont gegeneinander stehen, sind hier beide unter dem Gesichtspunkt einer Gnadentat Gottes an seinem Volk gesehen. Fassen wir zusammen, so ergibt sich ein Dreifaches: Zunächst: Der Vorzug Israels besteht in der ZlI1IIenJung Goltes Zu ihm. Fast alle Begriffe, die wir jetzt untersuchten, zeigen uns dies. Israels Vorzüge sind also niemals habituell und können dies auch gar nie werden, sondern bleiben immer Schenkungen. Oder anders gesagt: Der Vorzug Israels besteht gerade darin, daß es "Israel Gottes" ist. "La formule ,Israel de Dieu' (GaI. VI, 16) explique exactement la valeur du nom simple ,Israel' "29. Sodann: Die Privilegien Israels sind zugleich auch die Privilegien der christlichen Gemeinde, derer sich Golt erbarmt hat. Diese Übertragung wird aber nicht deshalb möglich, weil die christliche Gemeinde nun sicht- und aufweisbar die Rolle Israels, die dieses damit ausgespielt hätte, übernommen hat, sondern darum, weil die Privilegien Israels Gottes Privilegien sind und er sie gemäß seinem Willen .verleihen kann. Es liegt in der Art des Privilegs Israels, daß es nicht in Kontinuität kata sarka tradiert werden kann, sondern an Gott gebunden bleibt. Drittens: Aber gerade darin liegt die Möglichkeit beschlossen, daß die Privilegien Israels auch dem ungläubigen Israel voll zugesprochen werden können. Gerade das Wissen darum, daß Israels Vorzüge jederzeit Gottes Geschenk sind, verhindert, daß Paulus wie der geworfenen Schatten des Kultus der Kirche". Vielmehr stehen der Gottesdienst Israels und der Gottesdienst der Christen hier wie die übrigen Privilegien Israel8, die zugleich Privilegien der Kirche sind, unverbunden nebeneinander. Abgesehen davon wird der Stamm ..latreu _co bei PIs. sonst nicht kultisch gebraucht. •• V gl. o. II 3 A. Exkurs . •• Ceri"aux, Privilege, RecueillI, 342.
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V. Die Zukunft Israels (R. 11,25ff.)
Apokalyptiker die Wirklichkeit der Zusagen Gottes endgültig in die Zukunft verschieben oder dabei stehen bleiben muß, sich dem abwesenden Gott gegenüber klagend auf die Unwirklichkeit seines Wortes zu berufen. Paulus kann dem ungläubigen Israel der Gegenwart voll und ganz sein Israel-Sein zusprechen. Er kann von Israel so positi" reden, "lilie dies im zeitgenössischen Judentum m. W. niemals geschehen ist, denn er "IIIeiß: Golt begibt sich seiner Freiheit gerade gegenüber dem tmgläubigen Israel nicht. Damit ist also letztlich gerade Gottes Freibeit das Pril'ileg Israels. Blicken wir von hier auf den folgenden Abschnitt R. 9, 6-13, so zeigt sich, daß es verfehlt wäre, einen Gegensatz zwischen dem Israelbegriff von V. 1-5 und demjenigen von V.6b zu konstruieren. Vielmehr weiß -Paulus auch V. 1-5, daß Israel, recht verstanden, Gottes Geschenk ist. Israel ist immer schon "eschatologisches Israel", oder anders gesagt: "historisches" Israel war immer schon - GnadeBo• Ebenso haben theologische Konstruktionen wie etwa die des Restgedankens nicht so sehr die Funktion, zwischen zwei Israelbegriffen zu vermitteln, als vielmeht die, in erneuter Umschreibung das Wesen des einen Israel zu zeigen (R. 9, 27ff; 11, 7ff.). Denn dieses eine Israel entsteht je als Israel Gottes nur so, daß Gott es gnädig auswählt, mithin: einen Rest bestimmt.
B. Israel als Gottes Baum (R. 11, 16ff.) Weitere Aufschlüsse ergeben sich uns, wenn wir noch einen andern Abschnitt aus R. 9-11 betrachten, der zwar nicht direkt von Israel spricht, uns aber dennoch wichtige Aufschlüsse über das paulinische Verständnis des Gottesvolkgedankens geben kann, nämlich R. 11, 16-24. Paulus sieht hier das Gottesvolk als Baum mit Wurzel und Zweigen. Damit nimmt er ein Motiv auf, das vor allem den prophetischen Schriften des Alten Testamentes geläufig ist. Mit dem Bild der Pflanze, vorab des Weinstocks oder des Ölbaums, wird im A. T. das von Gott erwählte Volk, oft auch das seiner Erwählung ungehorsame Volk beschriebenl l• Auch im spät jüdischen und im rabbinischen Schrifttum wirkt das BUd weiter". Dennoch muß sorgsam auf seinen I. VgI. E. Sch/lle;~"., Gemeinde und Gemeindeordnung im Neuen Testament, ATbANT 35, Zürich: Zwingli 1959, § 7a. "' Belege bei ,. Behm, Art. &\L1tCAOC;, Tb W I, 345f., dort 346, 9ff.; C. Maurer, Art. ~!t:o:, ThW VI, 985-991, dort 985, 41ff.; J. Maier, Texte 11 89f.; E. Sch/lle;zer, Ego Eimi, FRLANT NF 38,2. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1965, 39f. Nicht zuginglich war mir M. M. BOllrke, A Study of the l\letaphor of the Olive-Tree in Romans XI, Diss. Washington, Studies in Sacred Theology II/3, 1947. ," Belege bei Behm, ThW I, 346, l1ff.; Maurer, ThW VI, 987, 31ff.; J. Maier, Texte 11, 90f.; Str.-B. I, 720f.; 11, 563f.; 111, 290ff.; vgl. ferner Schweizer, Homologumena, Neotestamentica 272. 283.
2. Israel als Gottesvolk
275
Gebrauch im Judentum geachtet werden. Es wird nämlich nicht einfach das Volk Israel als Gottesbaum bezeichnet, sondern ganz bestimmte - meist einschrinkende - Verwendungsmöglichkeiten liegen vor. 1. Der Beter denkt von der Verworfenheit Israels aus und erinnert Gott an seine Zusage, Israel zu seinem Weinstock, seiner Pflanze zu machen". 2. Nicht ganz Israel, sondern ein Rest von Auserwählten ist Gottes Pflanzung oder ein Sproß für die ewige Pflanzung". 3. Nicht jetzt ist Israel Gottes auserwählte Pflanze, sondern in der Zukunft, am Ende der Zeit wird GOtt es wieder erwählen und es ändern in eine Pflanze der Gerechtigkeit'·. 4. Am menschlichen Handeln in der Gegenwart wird offenbar, wer zu den Auserwählten und damit zu Gottes Baum gehört. Nicht alle sind es, sondern nur, die "in Gerechtigkeit wandeln seinen Geboten gegenüber" (Ps. Sal. 14, 2). Oder in anderer Terminologie: Es sind nur diejenigen, die sich zur EÖXOtp1t!at, d. h. zur Tugend, Weisheitusw. halten··. 5. Das rabbinische Schrifttum, das über den Stand des Volkes nachdenkt, kann wohl vorn Volk als Weinstock etc. sprechen, rut dies charakteristischerweise aber nur noch in der Form des Vergleichs, wobei einzelne Eigenschaften des Weinstockes mit solchen des Volkes verglichen werden". 6. Endlich muß noch ein Tatbestand erwähnt werden, der der offenkundigen Scheu des Judenrums, das gegenwärtige Israel indikativisch und direkt als Gottes Pflanze zu bezeichnen, in gleicher Weise entspricht: Häufig wird nicht Israel, sondern in Anlehnung an Js. 11, Iff. der Messias·' oder auch die Weisheit als Pflanzung GOttes bezeichnet, vgl. Sir. 23, 12-17.
So fällt gegenüber de~ Sprachgebrauch des Judentums bei Paulus zunächst der positive, gewisse Ton seiner Versicherung auf: Ist das Erstlingsbrot heilig, so auch der ganze Teig; ist die Wurzel heilig, dann auch die Zweige 01. 16). Vom Volk Israel ist hier die Rede, soviel ist durch den Zusammenhang klar. Aufgrund der Anrede in V. 17ff. ist auch deutlich, daß mit den Zweigen einzelne Glieder dieses Volkes gemeint sind. So spricht Paulus also hier aufgrund der Heiligkeit der Wurzel den Zweigen, also den Angehörigen des Volkes Israel, uneingeschränkt Heiligkeit zu in einem Ton, der sich wesentlich von dem in •• Z. B. Ps. 80, 9ff.; 2. Makk. I, 29; äth. Hen. 84, 6, vgl. Pseudo Philo, Am. BibI. (vgl. o. A. II 3SO) 12, 8. .. Vor allem in Qumran: 1 QS. 8, 5; 11,8; 1 QH.6, 15f.; 8, 5ff. 9f• •• Hos. 14, 6f.; Js. 27, 2ff.; Jub. 1,16; äth. Hen. 10, 16; 93, 10; Test. S. 6, 2• •• Philo Exsecr. 152, vgl. Sobr. 65. Der erstgenannte Text (von Str.-B. III z. St zitiert) bietet eine äußerst interessante Parallele, ohne daß deswegen literarische Abhängigkeit des Pis. von Philo posruliert werden dürfte, gegen Schoeps, Paulus 256. Im Unterschied zu Pis. bleibt bei Philo da..~ Baurnmotiv rein metaphoriseh, vgl. Maurer, ThW VI, 988, 14ff. Nicht die Zugehörigkeit zu Israel, sondern allein das Tun von Tugend ist bei Philo entscheidend. Die "aretc" tritt bei Philo an die Stelle des Ps. Sal. 14,2 genannten Gesetzes. •• Chull. 92a (Str.-B. 11, 495); Midr. H. L.6, 2 = 122a (Str.-B. I, 21); Lv. r. 36 = 133a (Str.-B. II, 563f.). Letztere Stelle ist besonders aufschlußreich, weil sie die Form des bloßen Vergleichs gerade an einer Auslegung von Ps. SO,9If. dmchführt . •, Z. B. Sir. 47, 22; Test. Jud. 2.t,4ff.; 8. Bar. 36, ur. Rabbinisehes bei ~, ThW VI, 988, 4ff.
276
v. Die ZlIktmjt /sraels (R.
11,25ff.)
entsprechenden jüdischen Aussagen festgestellten Grundton unterscheidetB'. Wie aber will Paulus das Baummotiv verstanden wissen? Da die Zweige kaum anders als allegorisch auf die gegenwärtigen Volksangehärigen gedeutet werden können, legt sich auch für die Wurzel eine allegorische Deutung nahe. "Riza" dürfte vermutlich nicht auf die Judenchristento, sondern auf die Patriarchen zu deuten sein. Dafür sprechen 9, 5; 11, 28 und die jüdischen Parallelenu. Das Bild hieße also, aus der Allegorie umgesetzt: Wenn schon die Patriarchen heilig sind, dann auch ihre Nachkommen, die Israeliten. Paulus formuliert es ganz indikativisch. Nun wird aber dieser Indikativ von Paulus sofort eingeschränkt: Hart und unvermittelt ist im nächsten Vers davon die Rede: daß einige Zweige abgeschnitten worden seien'z. Wird aber dadurch nicht der in V. 16 aufgestellte Gedanke der Kontinuität des Gottesvolkes völlig gesprengt? Die Einheit beider sich scheinbar ausschließenden Aussagen wird im Gottesgedanken Zu suchen sein. Gott ist es eben, der Wurzel und Zweige heilig gemacht hat. Gott ist es auch, der in freier Verfügung Zweige wegnimmt und andere hinzufügt. Allein Gott bestimmt, wer an der Wurzel Anteil hat. Natürlich weiß das der Jude ganz genau, und auch die Aussage, daß Gott souverän abschneidet und einpfropft'3, daß er allein über die Zugehörigkeit zum Gottesvolk entscheidet, ist .. Der Grundsatz, daß die Wunel die Kraft des Baumes ausmacht, ist selbstverständlich, vgl. z. B. Hi. 14,7-9. Die indikativische Sprache des Pis. erinnert im übrigen viel stärker an das A. T. als an das Spät judentum. Im A. T. kann das Baummotiv indikativisch gebraucht sein, wenn auch bezeichnenderweise vor allem im prophetischen Scheltwort (z. B. Js. 5,7; Jer. 2, 21; 11, 16; Hos. 10,1). •• So Barrett, Röm. 216. Andere deuten die ..aparehe" auf die Judenchristen und die .. riza" auf die Patriarchen (Jülicher, Lietzmann, Gaugier II u. a. z. St.). Doch spricht die formale Parallelität von V. 16a und 16b eher dafür, die inhaltliche Zäsur nach V. 15 anzusetzen. Unmöglich scheint mir der Versuch, "aparche" und "riza" auf Christus zu beziehen, wie dies nach Cl. Al., Orig., Cyr. u. a. (bei Schelkle, Paulus Lehrer der Väter 395) Vischer, Judaica 6 (1950) 126, wieder tut. Barth, KD 11/2 314, hat vorgeschlagen, "riza" und "aparchc" auf die Verheißung zu b~ ziehen, doch ist das m. E. zwar sachlich richtig, aber sprachlich unmöglich. U Z. B. Jub. 16,26; äth. Hen. 93, 5. 8; Philo Rer. Div. Her. 279; Lv. r. 36 (vgl. 0.A.37). CI Eine Parallele pChag. 2, 77b, 5 (= Str.-B. I, 721); vgl. auch 4. Esr. 5, 23ft".; Philo Exsecr. 152; Midr. H. L. 6, 2 (vgl. o. A. 37). CI Eine jüdische Parallele (Einsenkung von Proselyten in den Stamm des Volkes) findet sich Jeb. 63a (Str.-B. 111, 292) und Midr. H. L. 6, 2 (vgl. o. A. 37). Das Bild ist bei Pis. von der dargestellten Sache her gestaltet; es ist trotz Columella und St. Schulz (bei Str.-B. IH, 261) gärtnerisch einfach unmöglich. Dies hat schon Ong. gesehen, vgl. Schelkle, Paulus Lehrer der Väter 398. Daß aber Pis. über den Sinn und die Technik des Einpfropfens grundsätzlich nicht Bescheid gewußt hätte, ist kaum anzunehmen, wenn man etwa vergleicht, was Philo, Det. Pot. Ins. 104ft".; Agric. 5, darUber weiß. Auch das - seltene - Einpfropfen von wilden Zweigen in einen Baum, um diesem neue Kraft zu geben, kommt als Analogie nicht in
2. I Irael als GottrJVolk
an sich keineswegs neu". Neu ist höchstens die Härte, mit der beide Aussagen: "Die Zweige sind heilig" und: "sie sind abgeschnitten" nebeneinandergestellt werden. Die Spannung zwischen beiden Aussagen stellt uns vor die Gottesfrage. Denn um sie geht es eigentlich in diesem Abschnitt; um sie geht es, wenn das Gottesvolk verstoßen, und um sie geht es, wenn es erhalten wird. Um sie ging es schon R. 9, 6, als das Wort Gottes gefährdet schien, um sie ging es wiederum R. 9, 14ff. und R. 10, 4ff.". Darum weist Paulus seine Leser nun auf das, worum es eigentlich geht: Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes (V. 22a). Unser Abschnitt will also streng theozentrisch verstanden werden··. Mit zur Schärfe des paulinischen Gedankengangs gehört es, daß Gottes Wirken mit einem Doppelbegriff umschrieben wird: Güte IIIId Strenge. Gütig ist Gott den Heiden gegenüber, die dem Ölbaum eingepfropft werden und an der Strenge Gottes gegenüber Israel seine Güte ihnen selbst gegenüber verstehen lernen. Aber die Güte Gottes ist auch gegenüber den Heiden die Güte des Gottes Israels. Und so kann Gott auch sein eigenes Handeln überbieten und die Israeliten gemäß ihrer ihnen von Gott geschenkten "physis" wieder zum Ölbaum bringen". Darum geht es also in der Heilsgeschichte: um Gott, der in der Geschichte beides zeigt, seine Treue und seine Freiheit, seine Offenbarung und seine Unverfügbarkeir, seine Güte und seine Strenge. Und so ;st .,ahr-
scheinlich dM, 'IM immer schon als Dialektik des Gottesvolk.getftml:etu bei PtlIIlus tlIIfgeJallen ist, theolo!isch nohPendig: der absolute Ve"(jcht aIIf AMf.,eisbarkeit des Gottesvolkes, .,eil die VorzUge des Gottesvolk.es jeJerzeit Gottes eigene Tat bleiben und Gott jederzeit die Macht ~ Preisgabe des Gottesvolks behält, und zugleich die volle Wirk./ichleeit dieses Gottmollees,
Frage, da ja die "wilden" Zweige bei Paulua gerade von der Wurzd her leben. Vielmehr hat - wie bei einer Allegorie nicht anders ZU erwarten - die Sache auf du Bild eingewirkt; die Unmöglichkeit der Sache erfordert eben ein unmögliches Bild, vgl. z. B. Barth, KD II/2, 316; Vischer, Judaia 6 (1950) 126, ausführlich H. M. Gal" The Use of Analogy in the Letters of Paul, 1964 212-215. Heiden und wilde Zweige werden eben dem "Ölbaum" "gegen die Natur" eingepfropft• .. Schon das A. T. sieht Gott als Pflanzer: Js. 5, ur.; Jer.2,21; 11,17; 24,6; 32,42; 45,4; 2. S. 7,10; Ps. 80,9.16; Ez. 36,36; Am. 9,15. Vgl. auch die o. A. 42 gegebenen Belege. n Zur Parallelität von R. 9, 14ff.; 10,4ff. und 11, 16ff. vgl. o. S. 35. Vgl. femer zur theozentrischen Struktur der paulinischen Theologie o. A. IV 124 und u. ~mn
.
•• Eine interessante Parallele zum Gedankengang von 11, 161f. bietet .ach 1. EIde. (LXX) 8, 75-87: Auch dort ll!itet die - dankbare - Feststellung,. daß Gott eine Wurzel in Israel übrig gelassen habe, zum Ausruf über: "Herr Israels, du bist wahrhaftig" (8, 86)• .. V. 24 muß wohl von V. 23 her verstanden werden. du FuturUm V. 24 6n. mch n6a'f} ~ov ist Futurum logicum (Kühl, Röm. 389).
278
V. Die Zukunft lIraeil (R. 11,25ff.)
dessen Vorzüge und dessen Heiligkeit eben darum bleiben, weil sie freie Tat von Gottes Güte sinJl8. Das Gesagte wäre unvollständig, wenn wir nicht noch ein weiteres, für die Verse 16-24 konstitutives Moment berücksichtigten. Zwischen der Feststellung der Heiligkeit der Zweige und dem Hinweis auf Gottes Güte und Strenge stehen zwei parallele Satzperioden, die beide in einem Imperativ gipfeln". Dort liegt ihr Skopus. Der ganze Abschnitt will also nicht einen Sachverhalt darlegen, sondern in ein bestimmtes Verhalten führen. Dem entspricht formal das Dominieren der zweiten Person Singular. Die durchaus antiindividualistische V orstellung vom Gottesbaum wird um der Anrede an den Einzelnen willen aufgenommen. Es geht Paulus darum, das der 86vOt!'~c;, der XP'7IaT6T"1jC; und der cbtOTO!'1.ot Gottes entsprechende Verhalten zu bewirken. Dieses Verhalten umschreibt er mit Grundbegriffen seiner Theologie: Negativ hat der Gottesvolkgedanke die Aufgabe, ein "sich Rühmen", bzw. "hoch Denken" der Heidenchristen zu verhindern, also jenes Sich-berufen der Existenz auf sich selbst, das dem Glauben gerade widerspricht". Positiv heißt das, daß die Heidenchristenglauben, wobei aber Glauben gerade nicht ein Verhalten ist, zu dem man aufgerufen werden kann, sondern· Verzicht auf ein eigenes Verhalten in der Erkenntnis, "daß nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel dich" (V. 18). Der Gottesvolkgedanke will also Glauben stiften und Selbstruhm verhüten. Er will als Anrede verstanden werden61 • Diese Anrede verkündet Gottes freie Gnade. . •• Wenn hier versucht wurde, die Dialektik des Gottesvolkgedankens als notwendigen Ausdruck des paulinischen Redens von Gott zu verstehen, so soU damit nicht eine Antithese gegen C. Müller aufgesteUt werden, der von der "Gottesvolkdialektik ... als Ausweitung der Kreuzestheologie auf das Gottesvolk" (Gottes Gerechtigkeit 108) und damit von der Zusammengehörigkeit von Gottesvolkdialektik und Rechtfertigungslehre spricht. Wenn Pis. R. 11, 22 auf die Gottheit Gottes weist, gibt el: damit zugleich eine Interpretationshilfe für seine Rechtfertigungslehre • •• V. 17f. und V. 19-21 sind parallel aufgebaut: 1. Der Tatbestand wird festgestellt: die ungläubigen Israeliten wurden abgeschnitten und die gläubigen Heiden eingepfropft (V. 17; 19f.), 2. darauffolgt ein Imperativ mit Begründung (V. 18; 2Obf.) • •• C. Müller umschreibt prägnant diesen Sachverhalt so: "Die Synagoge repräsentiert den usus elenchticus für die Kirche" (Gottes Gerechtigkeit 95). Sachgemäßer wäre wohl gewesen: Israel repräsentiert diesen usus elenchticus, denn die Synagoge braucht die Kirche ja nicht zu berühren, wenn sie ihr nicht die Israelfrage, d. h. die Frage nach Gottes Treue in seiner freien Gnade stellte. n Cullmtmf/ versucht, die Alternative zwischen Existenz und Heilsgeschichte zu überwinden. Sein "heilsgeschichtlicher Existentialismus" ist als Denkanweisung deshalb sehr zu begrüßen. Wir können Cullmann auch zustimmen, wenn er formuliert, daß "der heilsgeschichtliche Glaube des Paulus in jedem Augep.blick die existentielle Entscheidung begtündet" (Heil als Geschichte 226). Cullmann ruft immer wieder in Etinnetung, daß die Entdeckung der Geschichtlichkeit der Existenz (vgl. Dinkler, Earllest Christianity, ldea of History 189f., vgl. 212) bei Pis.
J. Dal Fehlen IsraelI im Galaterbrief
279
Paulus spricht vom Gottesvolk den Heiden gegenüber, um ihre Sicherheit zu zerstören, also gerade nicht so, daß Gottes Gnade, die dem Volk geschieht, habituell verstanden werden kann, sondern so, daß die Freiheit und der "widernatürliche" Charakter von Gottes Gnadenhandeln dabei gewahrt bleiben. So weist der Gottesvolkgedanke bei Paulus auf Gott zurück, der sich in der Geschichte zwar wirklich seinem Volke geschenkt, aber als Gott auf seine Freiheit nicht verzichtet hat. Gottes Handeln an seinem Volk ist seine freie Tat, die wirklich geschehen ist, und als solche ist sie zugleich Wort an uns, das von uns nur je und je gehört werden kann. Heiltgmhkhtlkhtl Handeln Gottet ilt immer nur auf Glauben hin verkiintlbar; et kommt Ja in leine Wirklkhkeit, 7110 et 10 Ipri(ht, Jaß Glauben ~ugelpro(hen 711irJ. 3. Das Fehlen Israels im Galaterbrief Nachdem wir festgestellt haben, wie positiv und indikativisch Paulus in R. 9-11 von Israd gesprochen hat, fällt auf, daß er in jenen Ausführungen des Galaterbriefes, die sich gerade mit dem Römerbrief besonders eng berühren, nämlich in GI. 3 und 451, in keiner Weise auf Gottes Treue zu Israd reflektiert, ja, so~r auch von der Existenz einer christlichen Gemeinde aus Israel, der Judenchristen, völlig absieht. Israel und die Kirche sind sachlich hier sich ausschließende Größen. a) Wir setzen ein bei GI. 3, ~9. Nach Go. 15, 6 sind die aus dem Glauben Söhne Abrahams 5s• Abraham ist hier formal Beispiel für den Glauben. Aber sogleich klingt mit der Verheißung des Völkersegens, die ihm gegeben wurde, der Gedanke des durch die Verheißung geschaffenen Gottesvolkes an. Aber dennoch wird Abraham hier als das Interesse an Gottes Handeln in der Vergangenheit und Zukunft nicht zum Verschwinden bringt. Die Diskussion mit C. wird dort einsetzen, wo er in Ausführung seiner These, "daß die vertikale Linie wie in einem Koordinatensystem erst von der horizontalen Grundlinie aus ihren Sinn und ihre Bestimmung erhält" (aaO X), es als das Wesen des Glaubens umschreibt, die "Existenz in diesen Ereigniszusammenhang (sc. der göttlichen Heilsökonomie) hic et nunc einzureihen" (aaO VI). Dem gegenüber möchte diese Arbeit zu zeigen versuchen, daß nicht der Ereignis.zlllalllmenhang, verstanden als Einordnung der einzelnen Ereignisse in einen nur auf einer Horizontale darzustellenden Geschichtsentwurf, für das paulinische Denken der Ausgangspunkt ist, sondern nun doch die Interpretation der \ ..vertikalen" Gnade Gottes, ein Sprachgeschehen, das sich aber gerade der Homon- i talen zur Manifestation von Gottes Gottheit bedient. •• Zu GI. 3f. vgl. o. 1112 B b; 11I4D b; 1115. .. Die Kürze des Schriftbeweises, bei dem ein Zwischenglied, nimlich der übergang von Abraham zu seinen Söhnen, fehlt, bzw. selbstverständlich vorausgesetzt ist, fällt auf. Vennudich greift Pis. hier auf ihm selbst geläufige Gedanken zurück (vgl. zu R. 4, 3.16 o. S. 176f.; zu GL 3, 10-12 bes. o. A.lII 65 und u. A. 56); sein Gedankengang wird erst später, bei der Aufnahme von Bildern {V. 15lf,} und beim Exkurs über das Gesetz etwas ausruhrlicher.
280
V. Die Zukunft Israels (R. 11,25ff.)
Einzelner gesehen", der nicht in einem sichtbaren Zusammenhang mit seinen ~ 'ltl
J. Das Fehlen Israels ;111 Galaterbrief
281
diese Frage gar nicht so stellt, in Verlängerung seiner Gedanken geantwortet werden: Ja, je und je durch die freie Tat Gottes. Würde dieselbe Frage an GI. 3, 6ff. gestellt, so müßte geantwortet werden, und zwar wiederum nicht innerhalb der eigendichen Fragestellung des Paulus, sondern in Ausziehung seiner Gedankenlinien : Nein, die Abraham gegebene Verheißung bleibt aufgehoben bis zu Christus, dem sie allein gilt51 • Zwei verschiedene Anschauungsweisen scheinen sich gegenüberzustehen. b) GI. J, 15-18 bestätigen unser bisheriges Resultat. Daß .,sperma" aus Gn. 13, 15; 17,8 in V. 16 im Gegensatz zur sonstigen Auslegung des Paulus und auch im Gegensatz zur rabbinischen Auslegung" strikte als Singular verstanden ist, hat die Ausleger immer schon beschäftigt. Sicher will Paulus nicht einen Gegensatz zu R.4, 16 aufstellen, wo das "sperma" auf die Kirche aus Juden und Heiden bezogen ist. Schon GI. 3, 29 zeigt: In Christus ist wiederum die Kirche Same Abrahams, ja, die Kirche kann 3, 28 sogar als e:!c;, nämlich Christus bezeichnet werden69 • Doch warum der in R. 4 doch auch vermiedene und auch von der jüdischen Exegese her künstliche und komplizierte Umweg? Der Zusammenhang der paulinischen Argumentation macht es deudich: Um das Gesetz von jedem Anteilhaben an der Verheißung fernzuhalten. Denn Gesetz und Glaube schließen sich radikal aus (V. 10:-12); aus der Macht des Gesetzes aber hat uns Christus befreit und uns den Zugang zur Verheißung, die im Geist besteht, freigelegt (V. 13f.). Das Gesetz aber ist bei Paulus immer auch Charakteristikum für eine bestimmte Epoche'o, und so gilt auch: Für die Zeit des Gesetzes war die Verheißung suspendiert, d. h. gültig, aber nicht wirksam81 • In dieser Linie liegt, daß die Juden, die sich aufs Gesetz berufen, von der Verheißung ausgeschlossen sind. Natürlich ist diese Aussage nicht die eigendiche Intention des Paulus, sondern lediglich eine Folgerung, die wir aus seinem Gedankengang ziehen. Immerhin scheint es gerade neben R. 9-11 notwendig zu sein, zu sehen, wie Paulus auch denken kann. Fragen wir nach dem Grund ., Vgl. auch o. S. 185f. 206f. • 8 Vgl. hierzu Str.-B. 111, 265.553. Zu rabbinischen Deutungen des Numerus vgL die Parallelen bei Str.-B. 1lI, 553; H. Müller, Auslegung 24ff.; Schlier, Gal.145 A. 4, ferner Bonnard, Gal. 71, und Bonsirven, Ex~~se 298f. Eine interessante Ausdeutung des Singulars "sperma" von Go. 17, 16 gibt Philo, Mut. Nom. 145• • 1 Vgl. Wilckens, Weisheit und Torheit 13f. I. S. o.llI 7 Nr. 2-4. 11 Anders sieht Ulonska, Paulus und das A. T. 61f., die paulinische Argumentationsweise: Pis. gehe es darum, zwei Verheißungstriiger gleichrangig nebeneinander zu stellen. Das hieße aber dann: Mit dem selben Recht, mit dem seine Gegner ihren Verheißungsanteil von Abraham ableiten, könne PIs. dies von Clu:istu.l tun. Aber gerade dieses selbe Recht will ja Pis. nicht gelten 1astea. Ibm geht es ja gerade darIlm, das Gesetz als gleichmöglicheo Heilsweg abzuscbneidea.
282
v. Die ZlIksmjt Israels (R.
11,25fJ.)
dieser Denkweise, so werden wir auf die Antwort gewiesen, die sich schon bei GI. 3, 6-9 ergab: Paulus spricht polemisch in eine Situation, in der es gilt, den Glauben als einzige Erfüllung der Verheißung deutlich zu machen. Dies zeigt, wie stark die Aussagen des Paulus von der jeweiligen Situation bestimmt sind, in die er spricht, und wie wenig sie für sich genommen und objektiviert werden dürfen. t) Zum seIben Resultat führt uns die Betrachtung des Bildes vom Erben GI. 4, 1-7. Die traditionsgeschichtlichen Verhältnisse sind bei diesem Text kompliziert und haben eine nicht immer genügend beachtete Unausgeglichenheit in der Gedankenführung zur Folge. Sie seien deshalb kurz dargestellt. 1. Hinter GI. 4, 6bf. dürfte eine alte (Tauf-?) Tradition steheno,. Dafür spricht a) das feierliche /ißß&: 6 nOtrl]p, das alte, schon auf die aramäische Gemeinde zurückweisende Tradition einer griechisch sprechenden Gemeinde ist", b) der Vergleich mit R. 8, 14-17, der uns wörtliche Parallelen zu xpal;w, «ßß&: 6 nOtrl]p und d 3i: (TbtvOt, uI6,), XOtl x(1)pov61L0t;, dazu die Antithese 30ü).0t; - u!6t; lieferto,. Schließlich ist zu nennen: c) der Schlußsatz V. 76n., der vom Duktus des ganzen Abschnittes her doch eigentlich lauten müßte: "Weil du Sohn bist, bist du frei", und nicht: "Wenn du Sohn bist, bist du auch Erbe durch Gou". Damit ist lediglich die Voraussetzung des ganzen Bildes (GI. 3, 29; 4,1) aufgenommen. Paulus dürfte hier ein Stück einer Tradition einer vom Geist her lebenden, am gegenwärtigen Heilsbesitz orientierten hellenistischen Gemeinde wiedergeben, und zwar in V. 66n. und V. 76n. wohl ziemlich wörtlich. Außerhalb des Römerund Galaterbriefes kommt er auf die hier anvisierte Thematik nicht mehr zu sprechen. Wichtig ist für uns, daß die Tradition bereits den Begrift" "kleronomos" enthielt. Vennudich ist Paulus durch sie überhaupt erst zu seiner Fassung des Bildes vom Erben in GI. 3, 29 und 4, 1ft". gekommen. 2. Auch GI. 4, 4f. dürfte Tradition wiedergeben. Ihre Abgrenzung ist allerdings im einzelnen schwierig, da, wie die komplizierte Konstruktion zeigt, sich Tradition und paulinische Interpretamente überlagert haben. Die Sendung des Sohnes zu einem bestimmten Zwecke (fVOt) hat Kramer als Formelgut erwiesen". rEv6ILEVOV bt yuvOttx6, ist inhaldich überschießend ; zudem entspricht das Partizip ....EV6ILEVO, durchaus formelhaftem Stil"". Eine Zweckangabe gehört an sich zur Sendungsfonnel, doch erweist sich 01 uno v61L0v als gut paulinisch n , das an sich .. Vgl. auch Grundmann, Sohnschaft, In Disciplina Domini 179. o. Ob Abba ursprünglich vom Unservater her zu verstehen ist (vgl. O. CII/lmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 2. Auf!. Tübingen: Mohr 1958, 214f.; Hunter, Paul and his Predecessors 50) oder allgemeiner Gebetssprache entspricht, ist für uns unerheblich; jedenfalls zeigt auch Mk. 14,36 die NebeneinandersteIlung von "abba" und "ho pater" und damit die liturgische Fixierung der Anrede im hellenistischen Christentum. Vgl. auch u. A. VIII 104. O. Auf die Stelle wird in den Kommentaren häu6~ hingewiesen; den Einzelvergleich verdanke ich P. Siber. Daß auch in R.8 die Sendungsformel (V.3f.) im seIben Kontext vorkommt, muß immerhin notiert werden. 0' Christos § 25, vgl. auch Schweizer, ThW VIII, 376, 7ft".; 385, 15ft". Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Schweizer, ZNW 57 (1966) 199ft". •, V gl. R. I, 3; Phil. 2, 7; von Pis. GI. 3, 13 und Phil. 2, 8? in eigener Formuliemng aufgenommen. Jüdische Parallelen bei Schweizer, ThW VIII, 385 A. 358. " 1. K. 9, 20, vgl. R. 6, 14f.; GI. 4, 21; 5,18.
J. Das Fehlen Israels il1l Galaterbrief
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unpassende ~~Otyopoil;6) als von GI. 3, 13 her vorgegeben, so daß der erste Finalsatz wohl paulinisch ist. Auf den zweiten Finalsatz aber dürfte die in V. 6f. wirksame Tauftradition bereits gewirkt haben, wie ein Vergleich mit R. 8, 15 zeigt. So ist es wohl nicht mehr möglich, das ursprüngliche Ende der Sendungsformel zu rekonstrUieren, vorausgesetzt, daß es ein solches überhaupt gab. Dagegen dürfte die Ausführung des Bildes vom Erben in GI. 4, 1-3 Schöpfung des Paulus sein. Dabei entsteht allerdings die Schwierigkeit, daß die Gegensätze "Knecht-Sohn" (V. 7) und "mündig - unmündig" (V. 1ff.) unverbunden nebeneinander stehen. Das Bild wird bis zu einem gewissen Grade allegorisch gedeutet"8, wobei die paulinische Erklärung in V. 3 mit V. 4 durch die Sendungsformel abgelöst wird. Dadurch ergibt sich die Schwierigkeit, daß V. 3 von den einzelnen, christlich gewordenen Menschen, V. 4f. aber vom Christusereignis als Wende der Weltgeschichte her formuliert ist. V. 3 denkt also individualgeschichtlich von den Galatern her, V. 4f. universalgeschichtlich. Diese, wohl durch den traditionsgeschichtlichen Befund mit bedingte Schwierigkeit hat aber Paulus kaum als solche empfunden·'.
Auch hier ergibt sich wieder ein Doppeltes: Das Bild vom Erben zeigt das Festhalten des Paulus am Gottesvolkgedanken. Der unmündige Erbe. der unter den Zuchtmeistern steht und trotzdem Herr ist, steht zugleich für die vorchristliche Existenz der Galater und für die Existenz des Gottesvolks vor Christus70• Zugleich schließt aber das Bild jede Möglichkeit der Frage nach dem Schicksal Israels "ach dem Kommen Christi aus 71 • Vielmehr will Paulus allein dies sagen: Christus hat den Erben, der sich vor Christus durch nichts von einem Sklaven unterschied, durch sein Kommen von einem Unmündigen zu einem Mündigen gemacht71 • Die Freiheit von der Herrschaft des Gesetzes ist also prinzipielles Kennzeichen der Sohnschaft des mündigen Christen. Auch hier wird zwischen Judenchristen und Heidenchristen nicht unterschieden. J) Der Abschnitt GI. 4, 21-31 zeigt uns dieselben Denkstrukturen wie die vorangehenden Texte: 1. Die beiden Bünde, die Paulus aus der Tradition vorgegeben sind 71, sind einander radikal entgegengesetzt. Sie verhalten sich zueinander wie Knechtschaft und Freiheit. Fleisch und Verheißung. Der alte Bund •• Dies gilt für die beiden Stlltus des Erben, vermutlich auch für das xöptOC 1t<XYrw" (j,v, kaum aber für die "Aufseher" und "Haushalter" als verschiedene Einzelgestalten• •• Zum Verhilmis von Individualgeschichte und Universalgeschichte bei PIs. vgI. die Verweise o. A. IU 363. •• Ersteres ergibt sich aus der Formulierung in V. 3, letzteres aus V. 4 und dem parallelen Abschnitt 3, 23-29. U Vgl. Lagrange, GaI. 96: "Il n'y a ici aucune allusion spwale ault Juifs comme fils deDieu". 11 Künstlich sind die Deutungen, welche GI. 4, 1ff. nur auf die Judenchristen (so Zahn, Gal. 195, wobei V.6 den übergang zu den Heidenchristen bildete (uO 202) oder nur auf die Heidenchristen (so Augustin, nach Lagrange, Gal.98) beziehen. I .. Zur Antithese der beiden Bünde vgl. Luz, EvTb 27 (1967) 318 und 319 A. 7.
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v. Die Zu/emtft Israels (R. 11,25fJ.)
gehört der Welt des Sichtbaren an und führt zur Knechtschaft; der neue ist von oben gestiftet, indem die Verheißung in der Gegenwart wirksam ist". Beide schließen sich aus wie Gesetz und Glaube. 2. Nun heißt das aber nicht, daß damit die Vergangenheit einfach der Gottferne preisgegeben wäre. Indem dem Fleisch nicht das allenfalls doch noch als menschlich-verfügbar mißverstehbare Pneuma, sondern die Verheißung gegenübertritt, stehen sich nicht nur einfach die Gegenwart der neuen Zeit und die Vergangenheit des alten Bundes gegenüber, sondern auch in der Vergangenheit Heil und Unheil, Gott und Mensch". Es ist Paulus wesentlich, daß der Nomos, der ja dem alten Bund zeitlich zugehört, recht verstanden von seiner eigenen Nichtigkeit Kunde gibt (V. 21)78. Die Kontinuität zu Gottes Handeln in der Vergangenheit wird also GI. 4, 21-31 nicht etwa verneint, sondern gerade beansprucht. 3. V. 29-31 ist ein Nachtrag zur Gegenüberstellung der beiden Bünde. Die Tatsache, daß damals wie heute der nach dem Fleisch Erzeugte den nach dem Geist Erzeugten verfolgt 01. 29)77, verstärkt die Richtigkeit der allegorischen Deutung von Ismael und Isaak. Paulus hat in diesem Zusammenhang wohl nicht so sehr an die etwaigen Umtriebe von Judaisten in Galatien, sondern eher an die Verfolgung der christlichen Gemeinde durch die Juden, wie sie vor allem in Palästina geschehen war78 und wie er sie selber betrieben hatte, gedacht. Ihr stellt .. Die Antithese der beiden Bünde entspricht nicht einfach der Antithese Gegenwart-Vergangenheit. Iin Gegenteil: Durch das "obere Jerusalem" ist auch die Zukunft im neuen Bunde gegenwärtig und steht der Gegenwart des jetzigen Jerusa1em gegenüber, vgl. Luz, EvTh 27 (1967) 321. •• In gewissem Sinn vollzieht sich dadurch bei Pis. eine Rückkehr von der scharfen Antithese zwischen dunklem, alten Äon und neuem Äon zum A. T., das mit dem Eingreifen Gottes in die Geschichte rechnet. Vgl. o. 5.272; 11 3 D Nr.6; II 5 C Exkurs. .. Zur Auseinandersetzung mit Ulonskas gegensätzlicher These, Pis. zitiere nur veranlaßt durch seine Adressaten (zu unserer Stelle Paulus und das A. T. 76. 78), vgl. o. II 1. Der Gegenbeweis laßt sich allein aus dem Galaterbrief nicht führen, da anzunehmen ist, daß die Gegner des Pis. den Schriftbeweis übten, vgl. o. A. 56. Immerhin redet PIs. durchwegs die ganze Gemeinde und nicht irgendwdche Agitatoren an (vgl. nur GI. 4, 28ff.). Sogar wenn man annehmen wollte, daß sich Pis. in GI. 4,21ff. "auf die Position seiner Gegner" einlaßt (Ulonska, aaO 76), so wäre seine ganze Argumentation sinnlos, wenn nicht die ganze, mindestens z. T. heidenchristliche Gemeinde von der Wirklichkeit der Verheißung an Abraham ebenso überzeugt war wie Pis. bzw. seine Gegner. n Die Gegenüberstellung der beiden Ereignisse ist im Unterschied zu V. 24ft"., wo die Typologie durch eine Allegorie überlagert wird (vgl. o. A. II 81), rein typologisch . •• Gegen Zahn, Ga!. 242; Lagrange, Gal. 132. Daß Pis. vor allem die palästinischen Verhältnisse im Auge hat, dürfte deshalb anzunehmen sein, weil er kaum die Umtriebe seiner Gegner in den Gemeinden als Verfolgung hätte bezeichnen können, zumal, wenn eine Gemeinde von diesen Gegnern stark beeindruckt war. Auch GI. 6, 12 scheint deutlich zu machen, daß Pis. vor allem an palästinische Verhältnisse denkt, vgl. Marxsen, Einleitung 52ft".
J. Das Fehle" Israels ;111 Galaterbrief
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er die wohl zu seiner Zeit schon der synagogalen Auslegung verttaute Verfolgung des Knaben Isaak durch seinen Halbbruder Ismaei gegenüber". Für Ismael, bzw. die Söhne des alten Bundes gilt nun das Schriftwort Gn. 21, 10: sie sollen ausgestoßen sein80, denn sie werden nicht erben. Hier ist die Verwerfung der Juden explizit ausgesprochen. Der Gegensatz unserer Stelle zu R. 11, 25ff. ist denn auch immer schon aufgefallen81• e) Zum Schluß sei nochmals auf die schon erwähnte Stelle GI. 6, 1681 hingewiesen: Der Gedankengang des Abschnittes GI. 3, 6--4, 31 spricht eindeutig dafür, "Israel Gottes" auf die Gesamtkirche zu beziehen. Die Frage nach Israel oder nach den Judenchristen als theologisches Problem ist uns im ganzen Abschnitt nirgends begegnet, und so scheint es durchaus konsequent zu sein, wenn Paulus, wie schon vorher, den Gottesvolkgedanken auf die Kirche bezieht und sogar das . Israel-Prädikat der Kirche zuweist. Was nun? Der Gegensatz zwischen GI. 3f. und R. 9, 1-5 und 11, 16-32 scheint unüberwindlich zu sein. Der Römerbrief und der Galaterbrief stehen sich zeitlich nicht so fern8s, so daß man nicht mit einer grundlegenden Veränderung des paulinischen Denkens rechnen kann. So wird man nach einem andern Grund für die Divergenz fragen müssen. Einen Hinweis gab uns die Situation, in die hinein der Galaterbrief spricht. Paulus steht hier vor der Notwendigkeit, die Radikalität und Einzigkeit der göttlichen Gnade in einer Situation klar zu machen, wo sich das Gesetz als zweiter, besserer oder zusätzlicher Weg zum Heil anzubieten schien. Hier muß Paulus klarstellen: Das Gesetz führt, wird es als Heilsweg verstanden, nicht zum Heil, sondern schließt vom Heil aus. In der Konsequenz dieser Ausführungen läge: Das Judentum ist verworfen. Der Grund dieser - allerdings nicht gezogenen - Konsequenz ist: Die Gnade ist der einzige Zugang zu Gott. Und zugleich hält Paulus energisch die Kontinuität von Gottes Handeln fest: Indem die Verheißung im Christusgeschehen wirksam wird, •• Die entsprechenden rabbinischen Traditionen, die sich an Gn. 21, 9/f. anschließen, lassen sich zwar nur bis in den Anfang des zweiten Jahrhunderts n. ehr. zurückverfolgen, dürften aber älter sein, vgl. die Belege bei Str.-B. III, 575f. 8. 'EXß&.AW ist kaum zu pressen und dürfte etwa in dem allgemeinen Sinne von Mt. 8, 12 gebraucht sein. Die o. A. 78 Genannten deuten auf das Hinsuswerfen der Judaisten aus der Gemeinde. n V~. bes. Duncan, Gal. 150; Oepke, Gal. 115, etwas anders Schlier, Gal.227. Ob SIch die "Ausstoßung" nur auf die Gegenwart, oder ob sie sich auch auf das Eschaton bezieht, wird hier nicht weiter bedacht. 8' Vgl.o.A.l1. .. Wenn auch kaum mit Bonnard, Gal. 14, angenommen werden kann, daß GI. uomittelbar vor R. geschrieben wurde, so dürfte doch eine Abfassung von GI. etwa um die Zeit des 2. K. (so Kümmel, Einleitung 197) sich als wahrscheinlich erweisen.
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v. Die ZuleJmjt Israels (R. 1I,25jJ.)
löst Gott sein altes, in der Schrift vorherverkündetes Handeln ein. Daß in GI. J und 4 der Heilnveg Israels so radikal preisgegeben und zugleich der Gottesvolkgedanke so radikalfestgehalten wird, ist nicht Zufällig, sondern entspricht sich gegenseitig. In R. 9-11 aber wird die Wahrhaftigkeit der selben Gnade Gottes an der Frage "Israel" zum Problem. Die Heidenchristen Roms stehen nicht in Gefahr, den Weg des Gesetzes dem Evangelium vorzuziehen, eher, ihr eigenes In-der-Gnade-Stehen für selbstverständlich zu nehmen (R. 11, 17ft".). Deshalb greift Paulus auch dort auf den Gottesvolkgedanken zurück, denkt ihn aber anders, von Israel her durch. Und so wird Paulus in R. 11, 25ft". wiederum - diesmal von der Frage nach der Wahrheit Gottes in "Israel" bewegt und der bloßen Aussage nach GI. 4, 30 genau entgegengesetzt - die Wirksamkeit und Radikalität der Gnade Gottes ansagen, die die Kontinuität von Gottes Handeln wahrt und trotzdem Gnade bleibt. Wir sahen, wie sehr die Aussagen des Paulus aus der Situation, in die sie sprechen, verstanden werden wollen, oder, wie sehr die paulinischen Briefe nicht als Darlegungen an sich richtiger Tatbestände, sondern als Wort in und aus Situation zu deuten sind. Oder noch anders: Wir sahen, daß Paulus in seinen Briefen gerade Entgegengesetztes sagen kann, um damit dennoch das Gleiche zu sagen. Treten wir nun an die Exegese von R. 11, 25fJ., so !indwir gefragt, wie Paulus in diesem. Text Gottes Handeln als Gnade zur Sprache bringt. 4. Die Zukunft Israels in R. 11,25ft". Der Abschnitt R. 11, 25-32 zerfällt in zwei Teile, von denen die Verse 25-27 das eigentliche Mysterium enthalten, das dann in V.28-32 interpretiert und fruchtbar gemacht wird. Für Paulus scheint die Aussage V.25-27 von ganz besonderer Wichtigkeit zu sein; durch die Formel oö &~ACJ) Ö!-LiiC; ciYVOEtV macht er seine Leser darauf aufmerksams«. Die Aussage selbst stellt uns vor zwei Hauptfragen, die z. T. ineinander verflochten sind. Zunächst: Was heißt "mysterion"? Sodann: Was ist der Inhalt des "mysterion"? "Myrlirion"" ist die Existenzweise himmlischer Dinge, Ratschlüsse etc. in Bezug •• Die Formel besagt kaum, daß den Lesern das, was nun folgt, noch unbekannt ist, was mindestens für 1. K. 10, 1; 12, 1 schwierig wäre (gegen Harnack, SAB 1928, 133; Grayston Election, Studia Ev. Il 577), sondern ledildich, daß Pis. an der nun folgenden Mitteilung viel liegt, vgI. B. Weiss, Röm. 493". .. Literatur: G. Bornleamm, Art. lluaTf)pLov, ThW IV, 809-834, seither: Nötscher, Terminologie 71ff.; B. Rigaux, Rev~lation des Mysteres et perfection a Qumran et dans le Nouveau Testament, NTS 4 (1957/58) 237-262; Schlier, Eph. 60f.; Betz, Offenbarung 82/f.; J. Coppens, Le ,Mystere' dans la theologie Paulinienne et ses paralleles Qumraniens, in: Litterature et theologie Pauliniennes, Rech. Bibi.
4. Die ZukRnjt Israels in R. 11,25ff.
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auf die Menschen". Der Begriff ist vor allem in der Apokalyptik bedeutsam geworden und umfaßt dort inhaltlich alles, was dem Menschen wesenhaft verborgen ist: die Geheimnisse der Schöpfung"', der Tora", der verborgenen Krifte (hb. Hen. 48 D 8), der Masse, Zeiten, Zahlen", des Heilsplans und des kommenden Aons··. Die Geheimnisse kommen dem Menschen durch Offenbarung zu, die durch Entrückung, visionäre Erlebnisse etc. erfolgt". Doch bleibt die Art und Weise des Offenbarungsempfangs unerheblich; auch Ergebnisse des Schriftstudiums, theologischer Reflexion etc. können zum Mysterion werden". Im N. T. tritt das Wort - abgesehen von einigen Stellen in der Apokalypse und der bekannten Stelle Mk. 4, 11 Pan. - nur im Bereich der vor- und nachpaulinischen Gemeinden und bei Paulus selbst auf. Traditionsgeschichtlich düme der Begriff bei Paulus zwei Wurzeln haben: 1. das sog. Revelationsschema, für das der Begriff "mysterion" konstitutive Bedeutung haben dürfte". Im Revelationsschema ist durchwegs vom "Geheimnis" im Singular die Rede, vermutlich in christologischem Sinn'·. Typisch ist die Verbindung von "mystenon" und Offenbarungsaussagen. Von diesem Hintergrund ist der Gebrauch des WOrtes in Kol. und Eph. weitgehend geprägt". Daneben wirkt 2. bei Paulus der vielfaltige Sprachgebrauch der Apokalyptik weiter. "Mysterion" ist dann eine Offenbarungs5, Paris: Descl~e de Brouwer 1960, 142-165; F. MlUm4r, Beitrigeaus Qumranzum Verständnis des Epheserbriefes, in: Neutestamentliche Aufsätze, Festsehr. J. Schmid, Regensburg: Pustet 1963, 185-198, dort 185-188, weitere Lit. 185 A. 4; Lührmann, Offenbarungsverstindnis 126ff. (Gnosis); E. Se""'i~", Zur Frage des Messiasgeheimnisses bei Markus, ZNW 56 (1965) 1-9, dort 2f. Weitere Lit. bei Coppens aaO 142 A. 2 und Lebram, VT 15 (1965) 175 A. 1. •• Vgl. äth. Hen. 9, 6; 46, 2; 71, 3; 1 QM. 14,14 etc. .. Hb. Hen. 48 D 8; 1 QH. 1,21; 8,6, vgl. 1, 11ff. •• V gl. 1. QS. 11, 5f.; 1 QpHab. 7, 4f.; für den samariwüscben Memar Marqah Lebram, VT 15 (1965)217 . •• Ath. Hen. 46, 2; 61, 4f.; 4. Esr. 14, 5; 1 QpHab. 7, 13 etc. •• Ath. Hen. 51,3; 61, 4f.; 83,7; s. Bar. 81,4 etc. t l Vgl. Bomkamm, ThWIV,822, 21ff• •• 1 QpHab. 7, 4f.; Eph. 5,32, vgl. schon Da. 9• .. Vgl. Lührmann, Offenbarungsverständnis 125. .. Lührmann, Offenbarungsverständnis 129ff., meint, daß der Inhalt des "mystenon" von Hause aus im Revelationsschema nicht christologisch sei. Doch kann sein Hinweis auf die (späteren) gnostischen Parallelen nicht genügen. In R. 16, 25ff. kann unmöglich die Theologie des PIs. Inhalt des Mysteriums sein, wie dies Lührmann aaO 124 will. Unabhängig von der Frage, ob die Doxologie erst als Schluß des Paulusbriefs konzipiert wurde oder schon vorber bestand, scheint mir undenkbar, daß die Paulusbriefe als 'YPotqlotl 1tpoql"'T~XOtl und die paulinische Theologie als "Geheimnis, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen worden war'" bezeichnet werden kann. Vielmehr wird der Inhalt des Geheimnisses nicht angegeben, weil er vorher bereits genannt ist: Eöot'Y'Y~).~ov und xi)PUYjJ4 'I..,GOÜ XPI<JTOÜ, von dem natürlich auch die pln. Theologie handelt. 1. K. 2, 6ff. ist "sophia" genannt, vgl. dazu o. A. IV 112; Eph. 3,4f. "Christus", vgl. 1. Pt. 1, 20; Kol. 1, 26f. "Christus unter euch". Eph. 3, 9f. ist die "sophia" Inhalt des Mysteriums, d. h. vermutlich wohl das in Christus geschaffene Heil, vgl. 3,12. Wie auch immer "sophia" bei Pis. zu fassen ist, in irgend einer Weise muß der Begriff eine Verbindung zwischen HeiIsgestalt (die ja als solche nicht einfach vergangene Größe, sondern gegenwärtig verkündet ist, vgl. Kol. 1, 26f.) und Heilsgut herstellen. " Auch Coppens, Mystere, Littuature 143. 162, stellt eine sprachliche Entwicklung von Pis. zu den (für ihn echten) Deuteropaulinen fest. Allerdings dürfte der: Sprachgebrauch in den Deuteropaulinen dadurch von dem paulinischen sich unterscheiden, daß er stärker vom Revelationsscbema bestimmt ist.
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V. Die Zukunft Israels (R. 11,25ff.)
wahrheit, die der Gemeinde durch Vermittlung von Charismatikern (1. K. 13,2; 14, 2), zu denen auch die Apostel gehören (1. K. 4, 1), zukommt. Hier meint der Singular "mysterion" eine einzelne Offenbarungswahrheit, so daß auch im Plural von Geheimnissen die Rede sein kann. Der Begriff dürfte also bei Paulus weitgehend der Gemeindetradition entsprechend verwendet worden sein. Für uns ist wichtig, daß durch "mysterion" eine Aussage inhaltlich qualifiziert wird als göttliche Offenbarungswahrheit. Vom Wort aus kann also nicht auf übernommene Traditionen geschlossen werden, auch wenn dies in einzelnen Fällen der Fall sein kann'·. Auch muß nicht unbedingt ein inspi· rierter Prophetenspruch vorliegen. Vielmehr ist normalerweise ein Mysterion eine vom Apokalyptiker, Propheten, Glossolalen oder Theologen selbst verantwortete Aussage. Das Verkünden von Geheimnissen ist auch nicht an ein bestimmtes Amt, etwa an das des urchristlichen Propheten, gebunden". Vielmehr kennzeichnet "mysterion" die folgende Aussage als "göttlich", d. h. als von Menschen nicht erschließbar und von Gott geoffenbart.
Was ist nun der Inhalt des Mysteriums von R. 11, 25f.? Formal ist es in drei Teile gegliedert: den Vorsatz, daß eine Verstockung zum Teil über Israel gekommen sei, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei (V. 25bc), den Mittelsatz, daß so ganz Israel gerettet werde (V. 26a), und den dazugehörigen Schriftbeweis aus Js. 59, 20f. und 27,9. Das Hauptgewicht der Aussage trägt, wie auch der angehängte Schriftbeweis zeigt, der Mittelsatz : So wird ganz Israel gerettet. Der Vorsatz ist lediglich Aufnahme und Zusammenfassung des bisher in R. 9-11 Entwickelten und ist als ganzer eine Näherbestimmung des Mittelsatzes, der aussagen will, wie Israel gerettet werden wird. Der Mittelsatz aber nimmt das, was in V. 24 nur als Möglichkeit formuliert war, indikativisch, als Mysterion qualifiziert auf und beglaubigt es durch einen Schriftbeweis. Das Ganze scheint von Paulus durchaus selbständig, ohne Anlehnung an traditionelle Formulierungen, etwa einen vorliegenden Prophetenspruch, formuliert worden zu sein. Dafür spricht die Vokabelstatistik98 , aber auch die Satzkonstruktion". Auch .. Die Geheimnisse der Propheten (1 QpHab. 7, 4) werden zwar tradiert, aber durch Offenbarung gedeutet, vgJ. Da. 9, 1ff.; 1. K. 15, SOff. nimmt Pis. Tradition so auf, daß er seine eigene Interpretation voranstellt und die Tradition nicht als solche kenntlich macht, vgJ. u. S. 354f. Ein traditionelles Wort, das er aus der Tradition übernimmt, wird also hier durch "mysterion" wieder neu Offenbarungsereignis. An unserer Stelle R. 11, 25f. meint Pallis, Röm. 131 zu Unrecht, das Geheimnis sei von Pis. durch Exegese der Schriftstelle Js. 59, 20f. gewonnen. •• Auch in Qumran ist das nicht der Fall, vgl. Rigaux, NTS 4 (1957/58) 243ff. Bei Pis. dürfte 1. K. 14,2 nicht so zu verstehen sein, daß nur der Zungenredner Geheimnisse redet und der Prophet nicht, sondern der Prophet macht "Mysteria ... allgemein zugänglich" (]. Weiss, 1. Kor. 322). Vgl. auch 1. K. 4, 1. •• Nur TWPC>lcrL<;, &!~PXE:cr.&otL und mi<; 'Icrpotij). sind unpaulinisch. II&lpC>lcrL<; ist überhaupt selten und bei Pis. R. 11, 7 vorgegeben. E!~PXO!UXL ist in der Tat auffällig. B. Weiss, Röm. 497, versucht, es vom Bild des Einpfropfens her zu verstehen, doch liegt es m. E. näher, an ein Nachwirken des auch bei den Synoptikern vorkommenden abgekürzten Sprachgebrauches vom "Eingehen ins Reich Gottes" zu denken, vgl. etwa Mt. 7,13; 23,13, der im Bereich hellenistischer Gemeinden auch sonst belegt ist, vgl. Hb. 3, 19; 4,6; 6,20; weitere Belege bei
4. Die Zu/eJmft lsrtzeis in R. 11,25ff.
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der Schriftbeweis aus dem J esaiabuch scheint keinerlei Anzeichen vorpaulinischer schriftgelehrter Arbeit zu zeigenlOO• Das Schriftzitat dürfte aber darauf hinweisen, daß das Geheimnis Paulus kaum durch visionär-ekstatische Offenbarung zugekommen ist lOl , denn eine solche Offenbarung muß wohl nicht durch ein Schriftwort beglaubigt werden. Wahrscheinlicher ist mir, daß eine bewußte theologische Aussage des Paulus vorliegt, der er die Autorität eines Mysteriums, d. h. eines auf menschliche Autorität hin allein nicht sagbaren Satzes gibt.
Dennoch sind inhaltlich die Aussagen des Mysteriums traditionell vorgegeben. Nur finden wir die Parallelen auffalligerweise nicht im Christen-, sondern im zeitgenössischen Judentum. Auch das Judentum erwartete teilweise die A_hme der Heidm, wenn auch in sehr verschiedener Form: als Diener des Gottesvolkes, durch übertritt zum Judentum oder ohne Bedingungen. Diese Aussagen finden sich zwar in verhiltnismäßig wenigen jüdischen Schriften, vor allem Sib., Tob., Test. XII, sind aber unüberhörbarl02 • Möglicherweise haben auch die von C. Müller zusammengestellten Traditionen über eine zeitweise Preisgabe Israels an die HeidenlOl einen gewissen Einfiuß auf die Bildung der paulinischen Aussagen ausgeübt, doch wird man diesen wohl gering veranschlagen müssen. Denn es handelt sich in.unserm Text weder um eine Preisgabe Israels an die Heiden noch um die Vernichtung der Heiden bei Israels Wiederannahme. Eine interessante chrisdiche Parallele ist die redaktionelle Stelle Mk. 13, 10, aber wohl nur eine aus dem theologischen EntwUrf des Markus zu verstehende Analogieloo • Zeitgeschichdich deutet dann Lk. 21, 24.
H. Wi"dis(h, Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes, ZNW 27 (1928) 163-192, dort 171f. Nachwirkungen synoptischen Sprachgebrauchs finden wir z. B. auch 1. K. 6, 9; GI. 5, 21. 11ii~ 'Iap«f). ist natürlich semitisierend, nämlich LXX-Sprachgebrauch und entspricht hebr. "kol Jisra'el", doch darf dies nicht für vorpln. Sprachgebrauch geltend gemacht werden: 'Iap«f). ist einerseits Eigenname, andererseits Kollektiv; für das, was der Ausdruck besagt, steht griechisch wohl gar keine andere Ausdrucksmöglichkeit zur Verfügung, vgI. auch Bl.-Debr. 262, 3; 275,4. Die übrigen Wörter: 'Pp6v~!lo~, ~pou~ (zu ~r;v zu ziehen, vgl. Michel, Röm. 280), 4Xp~ o~, n).i)p<>l!lOt, XOtl oGT<>l~, ~~<>l sind gut paulinisch • •• Zu 4XPL o~ vgI. noch 1. K. 11,26; 15,25. Zu XOtl o6T<>l~ bietet 1-. Th. 4,17 eine besonders nahe Par. 100 Die Argumente hierfür sind allerdings gering. Das Zitat fehlt sonst im N. T. In seinem ersten Teil ist es fast wörtlich. 1.1 Gegen Kühl, Dodd z. St. VgI. auch u. A. IX 49. 101 Das Material findet sich zusammengestellt bei W. BMUset-H. Grrssmann, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, HNT 21, Tübingen: Mohr 1926, 234-236; Volz, Eschatologie 356-359. Bei den Testamenl2 XII sind vielleicht Test. Jud. 22; Test D. 6,6f. als vorchristlich heranzuziehen. 108 VgI. o. A. II 222. . 1.0 Darauf weist bes. O. CHI/mann, Der eschatologische Charakter des Missionsauftrags und des apostolischen Selbstbewußtseins bei Paulus, in: Vorträge und Aufsätze, Zürich: Zwingli 1966,305-336, dort 321ff. Cullmann bringt die Stellen Mk. 13, 10; Apk. 6, 2 (der Reiter auf dem weißen Pferd, den er m. E. zu Unrecht auf die Evangeliumspredigt deutet); R. 11, 25f. und den "katechön" 2. Th. 2, 6f. (vgl. u. A. IX 13) miteinander in Verbindung und folgert daraus einen Topos urchristlicher Enderwartung.
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V. Die ZlIlemtJt Israels (R. 11,25ff.)
Die andere Aussage, daß gan~ Israel ger,ttet werden wird, ist im Judentum viel weniger verbreitet. Besonders im apokalyptischen Schrifttum sind es nur die Auserwählten, die Gerechten, die zum Heil eingehen ' ••. Die Aussage, daß Israel das Heil erben werde, wurde immer kollektiv verstandeni.". Auch die sich ebenfalls als wahres Israel verstehenden Qumranleute haben nie die Frage nach der Erfüllung der Verheißung an Ganz-Israel bedacht, geschweige denn, sich in einer Paulus auch nur annähernd vergleichbaren Weise dazu geiiußert. Im weitern ist an die jüdischen Traditionen von der Rückkehr der zerstreuten Stämme Israels in der Endzeit, die sich vor allem im apokalyptischen Judentum finden, zu erinnerni.'. Auch die einzige rabbinische Parallele, die ausdrücklich betont, daß ganz Israel das Heil erben werde (Sanh. 10, 1), ist dogmatisch, nicht individualisierend gemeint, werden doch gleich danach die Kategorien jener Israeliten aufgezählt, für die jener Satz nicht gilt. Wie auch immer der paulinisehe Satz verstanden werden muß, schon die Tatsache, daß er ohne jede Einschränkung formuliert und als "mysterion" qualifiziert ist, gibt ihm ein Gewicht, das über dasjenige ähnlicher jüdischer Aussagen weit hinausgeht. Nicht zu übersehen sind die christlichen Stimmen, die in allen Gemeindettaditionen in zunehmender Stärke laut werden und unter dem Einfluß der weitgehend erfolglosen Judenmission, vielleicht sogar schon der Reaktion der jüdischen Führer auf Jesus selbst, das jüdische Volk dem vernichtenden Gerichte Gottes preisgegeben sein wsen l ••• Wenn Paulus selbst auch so sprechen kann, steht er im Rahmen allgemein frühchristlicher Anschauungen. Neben GI. 3f. ist hier vor allem auf 1. Th. 2, 14fT. hinzuweisen, eine Stelle, die sich im Rahmen üblicher antijüdischer Polemik hälti.'. Daß 1. Tb. 2, 14fT. eine unreflektierte, traditionelle Aussage Vgl. Volz, Eschatologie 351fT., und Test. B. 10,11. V gl. Volz, Eschatologie 342f. 1.' Vollständiger Überblick über das Material bei Davies, Paul and Rabbinie Judaism 79-82. 1 . . Zu Mt. vgl. R. H"",,,,,I, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, BEvTh 33, München: Kaiser 1963, bes. 83fT.; zu Lk. Conzelmann, Mitte 135fT. ; zu Johannes Gutbrod, Th W 111, 380, 20fT.; J. Blank, Krisis, Freiburg: Lambertus 1964, 246fT.; zum Ganzen L. Goppell, Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert, Gütersloh: Betrelsmann 1954, bes.71fT. I •• V gl. Mt. 23, 34. 37; Lk. 11,49; 13,34; Ag. 7, 52 und Dibelius, Thess.-Phil. 11fT.; F. Hahn, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament, WMANT 13, Neukirchen: Neukirchener Verlag 1963,90 A. 1. Die neueste Interpretation der Stelle bei O. Mich,I, Fragen zu 1. Thessalonicher 2,14-16: Antijüdische Polemik bei Paulus?, in: Antijudaismus im Neuen Testament?, München: Kaiser 1967, 50-59, dort bes. 53 sieht im "Juden" nur noch den "in den Anklagestand erhobene(n) ... Gegner Gottes schlechthin". Damit wird der antijüdische Charakter der Stelle, deren traditionellen Charakter Michel mit Recht betont, m. E. verniedlicht. Zur Interpretation des schwierigen "eis telos" vgl. Lk. 18, 5. Mit z. B. J. E. Fra"", A Critical and Exegetical Commentary on the Epistles of St. Paul to the Tbessalonians, ICC, Edinburgh: Clark 1912, 114fT.; C. Masson, Les deux ~pittes aux Thessaloniciens, Comm. N. T. Ha, Neucbltel: Delachaux & Niesd~ 1957, 35 ist wohl am ehesten zeitlich im Sinne von "am Ende", "schließlich" zu deuten. Zum Problem vgl. ferner W. G. Kü",,,,el, Das literarische und geschichtliche Problem des ersten Thessalonicherbtiefs, in: Heilsgeschehen und Geschichte, Marburg: Elwert 1965, 406-416, dort 412 A. 28, und E. Ba",,,,el, Judenverfolgung und Naherwartung, ZThK 56 (1959) 294-315, dort 309 A. 1. Sicherheit läßt sich natürlich nicht gewinnen. Unklar bleibt, ob d~ = ~y zu fassen ist (dann also wie vorgeschlagen), oder nicht (dann: "bis ans Ende", "bis zuletzt" = immerwährend). Möglich wäre auch, qualitativ ("in abschließender Weise", ..völlig", "ganz 1.1
1"
4. Die Z"leIInjt Israels in R. 11,2Jff,
291
ist, dürfte einfacher sein als die verschiedentlich vertretene Annahme, daß im paulinischen Nachdenken über Israel eine Wandlung stattgefunden habellO• Unter "Zorn" (mit Artikel I) wird Paulus entsprechend seinem sonstigen Sprach'gebrauch den eschatologischen Zorn verstehen, ohne sich näher über das "Wie" dieses Zorns auszulassenl11• Von da her läßt an unserer Stelle sein betontes tl7dl lJ.~pou<; und vor allem die indikativische Aussage V. 26a umso mehr aufmerken.
Was aber heißt nun die paulinische Stelle? Schon der Ausdruck 7tA~PWI-'-IX TWV ~wv ist nicht einfach Zu bestimmen. Die Vielfalt der Bedeutungen des Wortes "pleröma" allein schon im Römerbrief ist groß. Es empfiehlt sich deshalb, von derjenigen Stelle auszugehen, an der das Wort zuletzt vorkam, also von R. 11, 12. Als Gegensatz zu ~'"'II-'-ot ist "pleröma" dort am ehesten ganz allgemein mit "Fülle" zu übersetzen, ohne nähere Reflexion auf das Wie dieser Fülle. Vielleicht schwingt der Gedanke an eine apokalyptische V ollzahl mitl l'. Man wird aber die Bedeutung des Wortes gar nicht zu exakt festlegen dürfen, wird es doch vielleicht von Paulus gerade "um seines Beziehungsreichtums willen ... gern benutzt"113. So wird man auch an unserer Stdle das Wort am ehesten mit "Fülle", "Ganzheit", ohne nähere Bestimmung dieser Ganzheit übersetzen müssen. Auch 7tii; 'IO'plX~A dürfte kaum jeden einzelnen Israditen meinen, und gar") zu deuten. Die 'Annahme einer Abhängigkeit von Test. L. 6, 11 empfiehlt sich angesichts der großen Zahl der sonstigen alttestamentlichen und jüdischen Parallelen (vgL Bammel, aaO) ebenfalls nicht; die textliche überlieferung jener Stelle ist außerdem unsicher, dazu auch die Möglichkeit einer nachttäglichen christlichen Interpolation nicht völlig ausgeschlossen. 110 Diese Erklärung wird z. B. vertreten von Bammel. ZThK 56 (1959), bes. 313f. (intensives Aufflammen der Naherwartung in 1. Th.); Hunter, Predecessors 149f. (zunehmende Erkenntnis des Universalismus der göttlichen Versöhnung in R.). T. F. Glarson, The Second Advent, 2. Aufl. London: Epworth Pccss1947, 207ff. zieht die Linien aus zum (für ihn echten) Eph. Eine solche These kann sich aber nicht auf GI. 3f. berufen, vgL o. S. 285f. und ist auch angesichts von Phil. 3, 2ff. schwierig. V gl. auch o. A. III 340 und u. S. 356f. 111 Man wird also nicht ohne weiteres ein innergeschichtliches Zorngericht, das in der Zukunft wieder zurückgenommen werden kann, annehmen dünen. wie dies D. Georgi, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalcm, ThF 38, Hamburg: Reich 1965, 34f., anzunehmen scheint. Mindestens hätte sich Pis. bier präziser ausdrücken müssen. So aber bleibt auf jeden Fall ein gewisser Widerspruch zu R. 11, 25ff., den auszugleichen Pis. sich nicht bemüht hat. 111 Vgl. die Belege bei Michel, Rörn. 280. m G. Del/ing, Art nAlJP"'I<; KorA ThW IV, 283-309, dort 300, 37f. Vgl. ferner F. W. Maier, Israel in der Heilsgeschichte 141f.; A. O,ple" Das neue Gottesvolk. Gütersloh: Bertelsmann 1950, 216; Schrenk, Der göttliche Sinn 22f. Jülicber. Röm. 300 will es als allein des Pis. würdige Exegese ansehen, "pleroma" als Vollzahl der Individuen zu verstehen. Er denkt im Unterschied zu Pis. individualistisch; richtig ist, daß das Wort natürlich einen positiven Klang hat und nicht jemanden ausschließen will. Kaum wahrscheinlich ist Barths (Röm." 399) Deutung, die "plcrc5ma" wie R. 13, 10 als Erfüllung ( = "pli!rllsis") fassen möchte. Unwahrscheinlich ist auch die These von W. Miehatlis, Die Versöhnung des Alls, Gümligen: Siloah 1950, 127f., der seine an sich richtige Interpretation von "pli!röma" im Gegensatz zu einem Verständnis von 1I'«t; 'Iapll'iJ>. = .,jeder einzelne Israclit" sehen nlöchtc.
292
V. Die Zukunft Israels (R. 11,25ff.)
sondern ganz Israel als Kollektiv, wobei unerheblich bleibt, ob nun wirklich jeder einzelne Israelit gerettet wird1l4• Jedoch bleibt auch dann, wenn hier nicht individualistisch, sondern kollektiv gedacht ist, das Gewicht der paulinischen Aussage beachtlich: Paulus formuliert selbst, in eigene.r theologischer Verantwortung, mit dem Gewicht eines Mysteriums eine futurische Zukunftsaussage, nach der ganz Israel zum Heil kommen werde. Sogar innerhalb des Judentums ist diese Aussage, wie wir sahen, alles andere als selbstverständlich, von der innerhalb des Christentums herrschenden hauptsächlichen Strömung gar nicht zu reden. Aber sie paßt gut zu dem ebenfalls indikativischen, bedingungslosen Zuspruch der Israelschaft an das Volk in R.9,4. Haben wir nun die paulinische Aussage in ihrem ganzen Gewicht und ihrer ganzen, angesichts der Parallelen überraschenden Schärfe und Radikalität zu erfassen versucht, so gilt es nun, durch weitere Beobachtungen den Ort und das Ziel dieser Aussagen zu bestimmen. Zunächst einmal: Warum zeigt Paulus das Mysterium auf? Nicht, um die Israeliten ihres Heils gewiß zu machen, sondern zunächst, um die falsche Sicherheit der Heidenchristen zu zerstören. Paulus nimmt damit den Tenor von V. 18ff. wieder auf: Seid nicht für euch selbstl16 klugl Das Mysterium bezweckt also, die Heidenchristen dem Glauben U& Vgl. die gute übersicht über die Deutungsmöglichkeiten bei Gaugier, Röm. 11, 201ft". , und die bei G. Srhrenk, Die Weissagung über Israel im Neuen Testament, Zürich: Gotthelf 1951, 34ft". gegebenen Vorschläge. über die altkirchliche Auslegung von R. 11, 25ft". orientiert F. J. C. Ilurbe, Et sic omnis Israel salvus lieret. Rom. 11,26, in: Studiorum Paulinorum Congressus Internationalis Catholicus 1961, Analecta Biblica 17-18 I, Roma: Pont. Inst. Bibl. 1963, 329-340, dort 331-338 vgl. auch Goppelt, Christentum und Judentum 120ft". Auf die Vollzahl aller Indiviiluen beziehen u. a. Jülicher, Kühl, Michaelis (hier A. 113), Hug, Volk Gottes 44. Diese individualistische Deutung legt sich aber schon vom LXXSprachgebrauch her nicht nahe, und auch die hebr. Belege fur "kol Jisra'el" zeigen dies. Vgl. bes. 1. Kö. 11,16 und 1. Esdr. (LXX) 1,19, wo numerische Vollzahl geradezu ausgeschlossen wird, ferner 1. K. 8, 65; 1. Esdr. (LXX) 5, 45. 58. H. RidJerbol, Israel in het Nieuwe Testament, in het bijzonder volgens Romeinen, 9-11, in: G. C. Aalders - H. Ridderbos, Israel, Exegetica 11/2, Den Haag 1955, 25-73, dort 62, denkt an die "ekloge", den auserwählten Teil Israels. Calvin, Röm. CR LXXVII, 226, und Barth, KD 11/2, 330, denken an die Fülle der Juden und Heiden, also an das neue Israel. Das dürfte aber schon wegen der Gegenüberstellung von Heiden und Israel unwahrscheinlich sein. Luther, Röm., Schol. zu R. 11, 25, WA 56, 438, bezieht omnis Israel auf die Juden, wenn auch mit Bedenken und unter Hinzuziehung zahlreicher Schriftbelege. In seiner Spätzeit hat L. die Hoft"nung auf eine Bekehrung der Juden allerdings aufgegeben, vgl. Hug, Volk Gottes 81ft".; M. Slöhr, Luther und die Juden, EvTh 20 (1960) 157ft". Zur Auslegung der Stelle in der Orthodoxie vgl. B. Weiss, Röm. 500f. "Ganz Israel" dürfte im Gegensatz zu ~1tb Il~POU'; stehen und schon von da her kollektiv die Vollzahl und nicht individualistISch jeden einzelnen meinen, vgl. Verweijs, Evangelium89. 111 Vermutlich ist der Nebensatz eine Anspielung auf Prv. 3,7, vgl. 26, Sb. 12; Sir. 37, 22. ~p6v,lJ-O'; ist für PIs. an sich neutral und kann durch "in Christus" qualliiziert werden, vgl. 1. K.4, 10.
4. Die ZlIhmft Im1811 i" R. 11,25ff.
293
und nicht dem Selbstruhm zuzuführen. Eigenmächtiger Ruhm der Heidenchristen wäre es, wenn sie die Israeliten für verworfen erklärten. Paulus will also durch das Mysterium zum Glauben führen und gerade nicht für sich selbst klug sein. Diese Absicht gilt es wohl zu beachten: Das Mysterium steht nicht um seiner selbst willen da, nicht, um die Spekulation zu befruchten1l8, sondern zielt auf die Zerstörung von falschem und die Schaffung von echtem Glauben. Eine weitere, wenig beachtete Eigentümlichkeit des paulinischen Textes ist die Wendung: XOtt olhf.t)t; n:iit; 'IapOt'iJ).. af.t)~I1«Ott117. Zu erwarten wäre eher: xOtt -rME, und viele Exegeten nehmen dies auch stillschweigend an. Paulus würde dann einen neuen Heilsplan verkünden, der aus drei aufeinanderfolgenden Stufen bestünde: t. Die Verhärtung Israels, 2. das Eingehen der Fülle der Heiden, und 3. die Bekehrung von ganz Israel. AumUtig gegenüber jüdischer Zukunftserwartung wäre die Reihenfolge in der Bekehrung Israels und der Heiden. Paulus zeigt aber m. E., daß er gerade auf die zeitliche Abfolge der Ereignisse nicht das Hauptgewicht legt, auch wenn er sich sicher den Ablauf in der genannten Reihenfolge vorgestellt hatlts. Obwohl sich Paulus die Bekehrung Israels als den Anfang der end111 Gegen Bultmann, Theol. 383, vgl. o. V 1. Die konkrete Funktion des Mysteriums, mit dem Pis. die Heidenchristen vor dem Abgleiten in Geschichtslosigkeit bewahren will, betont O. G/ombiltlZ, Apostolische Sorge, NovTest 7 (1964/65) 312-318, dort 312ff. m Die Beobachtung findet sich bei Godet, Röm. 11 225; Lagrange, Röm. 284f.; Lyonnet, Quaestiones Il, 111, und Huby, Röm. 4Otf. Konsequenzen ziehen aus ihr Leenhardt, Röm. 165 und F. W. GrolheiJe, Romeinen 11,25, GThT 53 (1953) 49-52, dort 51. Vgl. umgekehrt die große Masse der Ausleger: Barrett, Röm. 223: "Wben this is done ..... (Sperrung von mir); Lietzmann, Röm. 1M, fügt iJlseine Obersetzung ein eingeklammertes "dann schließlich"; Michel, Röm. 278 "und dann"; ]ülicher, Röm. 299 "alsdann"; Dodd, Röm. 182 "this done" ein. Weitere Auslegungen dieser Art finden sich u. a. bei Hühn, Ciute 161; Munck, Christus und Israel 103; Schelkle, Meditationen 172; F. Brllft, The Epistle to the Romans, 1963, 220, vgl. 222. Im Griechischen ist temporales OÜT6l'; nur als Apodosis nach einem temporalen Nebensatz möglich, vgl. Liddell-Scott s. v. Hug, Volk Gottes 45, aktualisiert das zeitliche Verständnis: Der Antisemitismus ist ein Zeichen, daß auch wir Heiden noch nicht völlig zum Heil eingegangen sind, also !unn die Umkehr Israels noch gar nicht erfolgen und durch unsern Antisemitismus "halten wir die Umkehr Israels zum Glauben auf", dies heilsgeschichtlich temporal und nicht psychologisch verstanden. Kurz: Die Exegese der Stelle zeigt schön, wie oft ein selbstverständliches Vorverständnis des Textes die Exegeten seine Feinheiten überlesen läßt. 118 Ich meine also nicht, daß sich Pis. die Reihenfolge nicht de facto so gedacht hätte, sondern, daß auf der Mitteilung der zeitlichen Staffelung des l:Ieilsplans, etwa so, wie ihn Dodd, Röm. 187, tabellarisch festgehalten hat, nicht das Hauptgewicht liegt. Die Frage, wann sich Israel bekehren werde, ob in der Geschichte (Ambrosius) oder an deren Ende (Hieronymus, Augustin), wurde in der Patristik lebhaft erörtert (Material bei C. JO_I, La dialectique paulinienne des Juifs et des Gentils, Nova et Vetera 36 (1961) 107-129), ist aber von Paulus her gtaChen Dicht die entscheidende. Nach R. 11, 15 dürfte sie eher im zweiten Sinn zu belIotwonen sein.
294
v. Die Z"lemzjt ["aell (R.
11,2Jff.J
zeitlichen Totenauferweckung vorgestellt haben könnte (R. 11, 15)119, wird sie hier gerade nicht als Bestandteil einer endzeitlichen Ereignisabfolge geschildertlID, sondern für sich, also auch nicht explizit mit der in V. 26bf. vielleicht angedeuteten Parusie verbunden. Jedenfalls wird sie nicht in einen umfassenden Ablauf der Endereignisse hineingestellt. Wichtig ist Paulus vielmehr die Art und Weise der Bekehrung Israels. Wie wird ganz Israel gerettet? So, das heißt: indem bis zum Eingehen der Fülle der Heiden eine teilweise Verhärtung über Israel liegt. Der Skopus des Mysteriums ist also nicht, daß dann, nach der Heidenbekehrung, auch noch ganz Israel gerettet werden wird, sondern: Israel wird auf unerwartete und paradoxe Weise gerettet, nämlich, indem es bis zur Bekehrung der Heiden der Verhärtung preisgegeben wird. Kommt es Paulus aber auf das Paradox der Errettung Israels an, so geht es ihm zugleich um die Unerwartbarkeit, die Unberechenbarkeit und die Gnadenhaftigkeit dieses Geschehens. ["ael wird gereffei, obfllohl er nicht mehr darauf rechnen kann. Ein Vorblick auf V. 32 bestätigt diese Interpretation: Gott verschloß alle in Ungehorsam, um sich aller zu erbarmen. Wie wird die Zukunftsaussage: "Ganz Israel wird gerettet werden" begründet? Paulus hebt hier auf die Schrift ab. Das Schriftwort aus Js. 59, 20f. mag Paulus mit dazu ermächtigt haben, seine theologische Aussage als Mysterium zu bezeichnen. Und wovon handelt das Jesaiawort? Der {1U6IU'1oC; - Christus - wird aus Zion kommen und die Gottlosigkeit von Jakob, d. h. in diesem Zusammenhang: von ganz Israel, wegnehmen und als Zeichen des neuen Bundes von Gott her die Sünden der Israeliten tilgen. Fraglich ist: Bezieht sich das Zitat Js. 59, 20 auf die Parusie oder auf das vergangene Gekommensein Christi? Für die Deutung auf die Parusie spricht zunächst 1. das Futur ~~I!!L, das allerdings durch das (ziemlich wördich wiedergegebene) Zitat vorgegeben ist und 2. das Verb ~UO!1«t, das überwiegend die Rettung aus den Drangsalen der Endzeit meint (R. 7,24; 1. Th. I, 10, vgl. Mt. 6, 13). Andererseits ist sonst die Parusie bei Paulus nie Gegenstand eines Schriftbeweisesl2l • Das Heilswerk des "Retters", nAmlich die Wegnahme der Sünden und die Aufrichtung des Bundes läßt ohne weiteres an die durch Jesu Kommen bereits geschenkte Gnade denken. Daß Christus bei seiner Parusie aus Zion kommen werde, ist eine singulAre und etwa angesichts von 1. Th. 4, 15/f. auffällige Aussage. Falls also die Aussage ,,aus Zion" überhaupt zu deuten ist und nicht einfach eine Reminiszenz Vgl. u. IX 3. Gegen W. Gr"ndmann, Paulus aus dem Volke Israel, Apostel der Völker, NovTest 4 (1961) 267-291, dort 275f., und gegen A. Charlle, L'incr~dulitl: des Juifs dans le Nouveau Testament, Gembloux 1929, 319/f. Godet, Röm. 11, 228 sieht in den Versen 30--32 einen allgemeinen überblick "über den Plan Gottes hinsichtlich des religiösen Entwicklungsgangs der Menschheit", also eine Zusammanfassung der Heilsgeschichte. 111 V gI. o. S. 87 und 11 4 B: Die Schrift bezieht sich bei Pis. fast immer auf die Gegenwart. 111
. .0
4. Die ZIIIeIInJt IsraelI in R. 11,2Jjf.
295
an Stellen wie Ps. 14,7; 53,7 vorliegt, ist doch eher an das erste Kommen des Messias zu denkenl l'. Es ist aber zu fragen, ob sich für Paulus die Alternative: "Christi Kommen in die Welt" oder "Parusie" überhaupt so stellt. Christi vergangene Heilstat bewirkt eben auch die künftige Rettung aus dem Gericht. Auch 1. Th. I, 10 zeigt sich die Tendenz des Paulus, Christi vergangenes und endzeitliches Kommen zusammenzusehen, sofern die Annahme richtig ist, daß er dort in eine ihm vorgegebene Parusieforme1 einen Splitter der Pistisforme1 "den er von den Toten auferweckte" einfügte, um den Grund des Heils deutlich zu machen 11•• Dafiir, daß Paulus nicht nNT an die Parusie, sondern an das Christusgeschehen als ganzes denkt, spricht auch, daß Js. 59, 2Of. im Judentum messianisch gedeutet wurdel l', so daß ein ausschließlicher Bezug des Zitates auf die Parusie doch schwierig ist. Vermutlich denkt also Paulus nicht an die Parusie als ",111 Heilsetappe, sondern an das Christusgeschehen insgesamt.
Pauml ";/1 die Zuktmjtlatnrage V. 25f. durch dar Zitaf emlfotoOleh beUünden und tie aUldriieklich all Explikation der in ]etul Cmltul gtlehenkfen Gnade verlfanden wirlen ll6• Im übrigen müssen wir uns bewußt bleiben, daß das Vorliegen eines Zitates und somit fest formulierter Sprache das Verständnis des genauen Sinns des Zitates bei Paulus ohnehin erschwert. Gab Paulus in den Versen 25-27 das Mysterium, so folgt in den Versen 28-32 dessen Interpretation. Mysterium und Interpretation verhalten sich aber nicht einfach so, daß nun eine zeitliche Aussage im Mysterium durch nicht-temporale Kategorien interpretiert würde. Wir sahen. daß schon in der paulinischen Formulierung des Mysteriums selbst der Akzent nicht auf der Information über datierbare zukünftige Ereignisse. sondern auf deren Ansage als unerwartbare Gnade liegt. Im Dienste dieser Gnadenansage stehen auch die chronologischen Kategorien, deren sich Paulus ohne weiteres, aber mit auffälliger Zurückhaltung und unter Verzicht auf explizite Verankerung der einzelnen Zukunftsaussage in einem apokalyptischen Gesamtentwurf der Zukunft bedient. In V. 28ff. treten nun die chronologischen Kategorien noch mehr zurück. V. 28 meint: Was das tÖrl.YY~>"~ov, die gegenwärtige Gnadenverkündigung betrifft, so sind sie Feinde118 zu euren Gunsten, was aber die B. Weiss, Röm. 499. Vgl. dazu u. S. 311 und Kramer, Christos § 28a. 11< Vgl. Str.-B. IV, 981; Sanday-Headlam, Röm. 336. m Das hieße für die theologische Vergegenwärtigung von R. 11, 25f.: Di, Verkündigung der Wiedera/lllllhme 1lra,lr /rann nicbl ,infacb air Ein~lmurag, Miler Irllllieri ",erden. Vielmehr muß die Verkündigung ibr Krileri_ Jari" jiiuJm, ob si, i" tkr __ S;llII1lio", i" di, sie lriffl, "ocb Predigl tkr GMÜ, d. b. Expli!rati"" ür Cmrtruge«hIhllfr irl. R. 11, 25f. gibt jedenfalls nicht direkte Kriterien zur Lösung der sog. "Judenfrage" ab, wie dies zur Zeit des dritten Reiches, unter allerdings begreiflichen Umständen, geschehen ist, vg!. K. L. Schmidt, Judenfrage 37f., und o. A.II8. "" Ob q&po! aktiv oder passiv zu fassen ist. Iißt sich kaum eatacheidea., vgL . Michel, Röm. 282 A. 2. 111
118
296
v. Die Zukunft Israels (R.
11,25f1.)
Erwählung betrifft, so sind sie Geliebte wegen127 der Väter. Beachtenswert ist das Nebeneinander beider Aussagen. Man könnte zunächst zu sagen versuchen: Die durch den Menschen - Israels Verhalten in der Gegenwart - geschaffene Feindschaft steht der durch Gott geschaffenen Gewißheit gegenüber. Und gerade angesichts des feindlichen Verhaltens der Menschen erwiese sich Gottes Erwählung als Gnade. Doch es genügt nicht, hier stehen zu bleiben. Auch das Evangelium ist ja Werk Gottes, nicht nur die Erwählung. So müßte man sagen: Die durch Gott selbst - um sein Evangelium geht es - geschaffene Feindschaft wird der durch Gott selbst - in seiner gültigen Erwählung - geschaffenen Gewißheit gegenübergestellt. Dadurch wird die Schuld Israels nicht beseitigt und nicht durch eine Theorie der Allwirksamkeit Gottes aufgehoben, wohl aber hinterfragt. Beides ist Gottes Wille: Daß Israel zugleich Feind und Geliebter ist, UIII Gottes willen. Letztlich steht also, wenn man versucht, die bei Paulus angedeuteten Linien etwas auszuziehen, Israel zwischen Gott und Gott128, um gerade deshalb aus seiner Schuld nicht entlassen zu werden. Und an diese Aussage V. 2S:schließt nun Paulus die Begründung 129 : Unwandelbar sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes. 'A!J.E't'ot!JlAl)'t'OC; meint: sich selber in seiner Geschichte treu130• Damit greift Paulus auf R. 9, 6a zurück und zeigt, wie sehr die Gottesfrage für ihn im Zentrum der Ausführungen von R. 9-11 stand. Aber wie geschieht es nun, daß das Evangelium nicht gerade zum Beweis der Wandlung, der Untreue Gottes wird, da an ihm Israel zu Feinden wird? Die Tiefe des paulinischen Gottesgedankens wird deutlich, wenn hier festgehalten wird, daß Gott gerade in seinem scheinbar divergierenden Handeln, das sich gemäß dem Evangelium Israel als Feinde und gemäß der Erwählung als Geliebte schafft, &(Lt't'Ot(LtAl)'t'OC;, das heißt: bei sich selbst bleibt. Wird Gottes Unwandelbarkeit nur auf die eine Seite seines Handelns, Die Bedeutung der beiden parallelen 3LIi wechselt. Das zweite Mal heißt es "um-willen", d. h. "wegen"; das erste Mal hingegen muß es heißen: "um-willen", d. h. "zugunsten von". Eine Parallele haben wir in R. 4, 25. Vgl. zum Ganzen B. Rtirke, Um der Väter willen, Röm. 11,28, Judaica 14 (1958) 106-114. 118 Die Formulierung erfolgt in Anlehnung an G. Ebt/ing, Existenz zwischen Gott und Gott, ZThK 62 (1965) 86-113, um die Bedeutung des hier ausgelegten Textes für den von Ebeling von Luther her aufgezeigten Sachverhalt aufzuzeigen. Vgl. auch o. A. IV 76 und die dort gegebenen Verweise. "D V. 29 schließt sich an V. 28b an, ohne V. 28a auszuschließen, denn beide Vershalften gehören eng zusammen. Schon weil sich J(1Xfl[afL~T~ und )().ijaL~ sonst immer auf die christliche Gemeinde heziehen, wird man kallm EÖ~YYo!:).LOV ganz von den "unwandelbaren Gnadengaben" und der "Berufung" ausschließen können. Bezieht sich aber V. 29 auf den ganzen V. 28, so gehört auch das "Evangelium", das Israel zu Feinden macht, mit zur Unwandelbarkeit Gottes, die also auch dann wahr ist und als Gnade verkündet werden darf, wo Gott sich scheinbar gewandelt hat. 110 Vgl. C. Spicq,AMETAMEAHTOl: dans Rom. XI, 29, RB 67 (1960)210-219. 127
4. Die ZukllnJt Israels in R. 11,25ff.
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zum Beispiel auf die Etwählung Israels bezogen, so wäre die Aussage billig, weil sie Israel seine Erwählung verfügbar machte. Meint aber Paulus, daß Gott gerade in seiner Divergenz, man wäre versucht, Z" sagen: in seiner Doppelheit bei sich selbst tIIId sich selbst treu bleibt, so ist dies eine theologische Aussage von höchster Relevanz, weil Gottes GOlt-Sein damit schon selbst zur Gnade wird13l• Die Verse 30-32 sind in ihrer Struktur dreimal parallel. V. 30 und 31 scheinen sich zeitlich zu folgen, während V. 32 zusammenfassend abschließt. Der Parallelismus ist durch die dreimalige Gegenüberstellung von ci1teL.a-~(o)/lbte:l.a-eLIX und ~Ael;(o)/lAeol; gegeben; einzelne Glieder sind innerhalb des Ganzen in ihrer Funktion variabell8l• Durch die feste Form wird eine starke rhetorische Steigerung auf den Schlußvers 32 hin ermöglicht, der zusammenfassend resumiert und einen fast hymnisch-triumphierenden Charakter erhält. Wir haben vorhin die Verse 28-32 als Interpretation des Mysteriums von V. 25-27 bezeichnet. In welcher Weise wird nun das Mysterium durch die Verse 30-32 interpretiert? Hart und unvermittelt, und deshalb auch von vielen Textzeugen und Exegeten für sekundär gehalten, steht V. 31 das dritte vi.lv: "So sind auch diese jetzt ungehorsam geworden, wegen des Erbarmens für euch, damit auch sie jetzt gerettet würden". Das "jetzt", wollen wir uns seiner Interpretation nicht durch eine textkritische Manipulation einfach entziehen, überrascht, da statt dessen jedermann ein "später" erwarten würde188• Wir müssen wenigstens einen Versuch der Interpretation wagen. Der Tatbestand könnte zunächst einmal durch das Stichwort "intensive NaherwarDaß Paulus gerade "heilsgeschichtliche Divergenzen" theologisch, d. h. von Gott her bedenkt, ist uns auch schon bei R. 9, 14ff. (vgl. bes. o. S. 75f.) und R. 11, 22 (vgl. o. S. 277f.) und im Aufbau von R.9-11 im Ganzen (vgl. o. S. 2811. und u. S. 400ff.) begegnet. Wiederum zeigt sich eine gewisse Pamllele zwischen der dialektischen Weise des PIs., von Gott zu reden, und der Theologie Luthen, vgl. o. A. 128, ferner die A. IV 76 gegebenen Verweise. 180 Tiji u(.tETIl:P'tlI:MEL in V. 31 kann nicht streng parallel zu 'l'fj -ro6T(a)" c1:m:L3E!qt gefaßt werden, sondern man muß es als Dat. causae (Bl.-Debr. 196), Dat. commodi oder noch lockerer als Dat. modi fassen. Viele Exegeten nehmen, um die Pamllelität strikte zu wahren, die drei Worte in den Finalsatz hinein. Sprachlich ist es möglich, daß ein Finalsatz nicht mit ..hina" beginnt, doch müßte dann das voranstehende Glied hauptsächlich betont sein, was hier nicht zutrifft, vgl. Bl.-Debr. § 475, 1. So wird man es eher bei der üblichen Interpunktion lassen. ... Nü" fehlt bei A, G,latt, sy und pm. Es steht bei S, B, D, u. a., vermutlich auch in p". Unwichtige Handschriften lesen statt "üv: lIaTBpoII. K. L. Schrnidt. Judenfrage 35 paraphrasiert .. jetzt" mit: ..am Ende der Tage"(I), Michel, Röm, 284 mit ..in der nahen Zukunft". Auch wenn man mit Lietzmann, Röm. 106 die Möglichkeit einer Dittographie ins Auge fassen muß, so ist dies ganz unsicher und "ü" ist ein typischer Fall einer schwierigeren Lesart. Es wird also doch eber im Text stehen bleiben müssen und muß auch interpretiert werden. Die Gefahr einer überinterpretation ist natürlich angesichts des schwieri$en textkritischen Befundes groß und muß, soll es überhaupt zu einer Interpretatton kommen, in Kauf genommen werden. Vgl. auch Stublmacher, ZThK 64 (1967) 441f. A. 41. 111
298
v. Die Zulelmft Israels (R. 11,25jJ.)
tung" charakterisiert werden, doch hilft diese Chiffre wenig, da im Sinne des Paulus eigentlich von einer ..letzterwartung" gesprochen werden müßte. Von Gegenwart und Zukunft Gottes als von einem chronologisch distanzierten vüv xott iJa-repov zu sprechen, ist offenbar angesichts der Infragestellung Gottes durch den Unglauben Israels unmöglich. Paulus scheint auch hier an einer linear entfalteten Zukunftsaussage desinteressiert zu sein. Bei ihm drängt sich alles zusammen im ..letzt" des Heils. Natürlich wird die Bekehrung Israels in der Zukunft stattfinden. aber, weil sie durch das Christus geschehen wirklich wird (V. 26f.), so ist sie so gewiß, daß sie jetzt präsent ist im ..Jetzt" des Heils1". Weil- in Christus - jetzt schon Zukunft ist, redet Paulus die unter den Ungehorsam verschlossenen Juden als jetzt unter der Form des Ungehorsams - begnadigt an. Mit dem Stichwort ..Naherwartung" ist hier noch wenig gesagt. Vielmehr geht es Paulus um die Gegenwart der Zukunft Gottes Jetzt - in einer für Israel gnadenlosen Gegenwart. Das läßt sich allerdings sprachlich fast nicht mehr aussagen: ..Wir stehen ... an der Grenze des Sagbaren und brechen ab"185. V. 32 gibt einen allgemeingültigen Satz über Gottes Heilshandeln188. Sein Skopus lautet: Gerade angesichts des menschlichen Ungehorsams, unter den Gott alle verschlossen hat, gerade angesichts der sündigen Existenz des Menschen unter dem Gesetz und nicht angesichts seines Gehorsams erbarmt sich Gott. Und wiederum muß zugespitzt werden: Gott läßt die Menschen angesichts seiner selbst notwendigerweise zu Ungehorsamen werden (auv~xAELatv), gerade damit1S7 sich sein Handeln an ihnen als Erbarmen zeigt188. So wird im Dunkel von Gottes Handeln in der Geschichte er selbst als Gnädiger offenbar. Die Bekehrung Israels wird iustificatio impü sein. ..Nichts anderes ist auch der Sinn von 11, 20-32"189. Es geht auch hier um das Wie des Gott-Seins Gottes oder anders: Es geht um die Errettung Israels solo gratia. Gerade darum darf die Zukunftsansage des Paulus, die so indikativisch gehalten war, wie es nicht einmal im Judentum möglich war, nicht als Zultunftsprognose mißverstanden werden. Denn dann würde ja Gnade - prognostisch - voraussehbar und damit verbilligt. Dieser Skopus von V.32 muß gegen zwei Mißverständnisse abgetu Vgl. R. 8, 28-30, wo Pis. ebenfalls gewisse Zukunft präsentisch, ja sogar aoristisch formuliert. Zur pln. Naherwartung vgl. auch u. A. IX 1; zu "nyn" o. A. 11 248 und die dort gegebenen Verweise . ..I Barth, Röm.' 403. 111 Vgl. zu GI. 3, 22 o. bei A. In 202 und u. A. 144, ferner Bläser, Gesetz 137. ... -Ivllt kann nach V.31 keinen nur konsekutiven Sinn haben, sondern muß strikte final gefaßt werden. ..I V gl. duu o. 111 5. "" C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 107.
4. Die Zuhmft Israels i" R. 11,2511.
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grenzt werden: Erstens: Es geht nicht darum, daß Gott sich aller erbarmt im Sinne einer Apokatastasis panton. Diese Lehre ist hier von Paulus weder bejaht noch verneint, sondern im Duktus seines Aussagewillens ganz einfach nicht ins Auge gefaßtlCo• IU"Trtt; ist nach GI. 3, 22 und R. 11, 25f. nicht individualistisch, sondern kollektiv zu fassen und meint hier zunächst nur: Juden und Heiden. Bei Annahme einer Allversöhnung würde der Widerspruch zu den fundamentalen Aussagen des Apostels über das Gericht unerträglich'''. Zum ganzen Problemkreis der Allversöhnung hat bereits Calvin kurz und erschöpfend Stellung bezogen: ..Porro nimis crasse delirant, qui hinc (i. e. Rom. 11, 32b) colligunt omnes fore salvos. Paulus enim simpliciter intelligit, tam Iudaeos quam gentes non munde quam ex Dei misericordia salutem consequi...... Trefflich formuliert auch K. Barth·.. : Paulus beruft sich nicht "auf die unendliche Potentialität des göttlichen Wesens im allgemeinen" (wie die Lehre von der Allversöhnung), sondern "er redet einerseits von dem wirklich verlorenen Menschen (sc. von R. 10) und andererseits von der konkreten Allmacht Gottes, der sich in Jesus Christus des Menschen angenommenhat".
Zweitens: Der Satz R. 11, 32 faßt nicht eine Periodisierung der Geschichte in Zeiträume des Ungehorsams und des Erbarmens ins Auge, so sehr sich Gottes Gnade in der Geschichte auch so aussprechen kann m , sondern verkündet ganz einfach die unerwartbare und 00faßbare Wirklichkeit der Gnade Gottes. R. 11, 32 ist ein Satz der Verkündigung: So bleibt Gott bei sich selbst, daß er sein Erbarmen über den Ungehorsam triumphieren läßt. . Und schließlich weist uns der folgende Hymnus V. 33-36, dessen Analyse nicht mehr unsere Aufgabe istlC', daraufhin, daß das Mysterium nicht als Spekulation, sondern als Mysterium des Glaubens zu fassen ist1441• Die Doxologie zeigt uns nochmals mit aller Deutlichkeit, daß es ... Vgl. die guten Ausführungen von B. Weiss, Röm. 506f. Die Konsequenz einer Allversöhnung haben gezogen: Weber, Heilsgeschichte 73; Dodd, Röm.184 ("wheter or not, therefore, Paul himself drew the ,universalist' conclusion, it seems that we must draw it from his premisses"); E. F. Ströt"., Die Judenfrage und ihre göttliche Lösung nach Römer 11, Bremen o. J. pss., vgl. :luch Weinet. Theol. 255. Für F. C. Baur ist sie die notwendige Konsequenz aus seiner Geschichtsschau, vgl. Paulus II 248f. und o. A. 111 8. Eine andere Lösung sucht A. Schweitzer: Die Folgerungen von R. 11,32 beziehen sich nur auf die "Teilnahme am messianischen Reich" der "Angehörigen der Menschheitsgeneration, die das Ende der Zeiten erlebt" (Mystik, 183). Doch hat diese Interpretation weder am Wortlaut noch am Vorstellungsmaterial des Textes einen Anhalt. ... Vgl. etwa 1. K. I, 18; 2. K. 2,15; 4, 3; o. IV 4 B. C und u. VI 2• ... RÖm. z. St., CR LXXVII, 229• ... KD 11/2, 325. ,.. Hier liegt ein Akzentunterschied zu GI. 3, 22 vor. m Literatur vgl. o. A. I 35• ... Ausgezeichnet formuliert Goppelt, NTS 13 (1966/67) 41: ..Du Mysterium, das .•. RÖm. 11, 25f. erschlossen wird, ist nie verfi.iRbsres Wiseen, sondern immer nur Gegenstand wagenden Glaubens .•• Der Heilsplao Gottes ist &r ihn ... nicht eine sinnvolle aufweisbare Folgerichtigkeit des Heilshandelna Gottes ••• aber auch nicht eine fatalistische Praesciem;".
300
V. Die ZlIleJmjt Israels (R. 11,25ff.)
Zweck des votangegangenen Abschnittes war, getade die Zukunftsspekulationen, die eigenmächtige Gotteserkenntnis abzuschneiden zugunsten des Staunens vor der Unfaßbarkeit der Größe Gottes. 'Ave~epeUVYj't'o<; und &.ve~Lx.vta.O''t'O<; wollen im Hymnus wirklich ernst genommen werden und wären sinnlos, wenn Paulus soeben die verborgenen Wege Gottes aufgedeckt hätte. Vielmehr bleibt das Geheimnis gewahrt, aus dem Gott sich schenkt. Wie schon V.29, so zeigt uns auch die Doxologie, daß Paulus in V. 25ff. von Gott und nicht von eigenmächtiger Zukunftsprognose hatte sprechen wollen. 5. Zusammenfassung
1. Paulus verstand seine Ansage des zukünftigen Heils für Israel nicht als eigene Spekulation, sondern als von Gott geoffenbattes Geheimnis. Die ZunkunJtsansage ist Gnadenansage, und ~ar so, daß die Aussage über die Zukunft im Dienste der Gnadenansage steht. Diese Gnade, die durch Zukunftsaussage angesagt wird, ist im Christusgeschehen begründet: Die in der Zukunft geschehende Gnade ist die, die der Erlöser aus Zion bringt. 2.Paulus ftagt nach der Zukunft Istaels, weil Gott durch die Geschichte des Unglaubens des Volkes in Frage gestellt zu sein scheint. Sein Reden von Zukunft ist konkret und spricht Gottes Zukunft der Situation scheinbarer Gottverlassenheit zu. Es geht ihm bei seiner ZuIeHnJtsaussage zentral um Gott, genauer: um Gottes Gott-bleiben in der Geschichte. Darum läßt er Neugierdefragen unbeantwortet und wahrt Gottes Geheimnis H7 • 3. Wenn Paulus Gnade in Form von Zukunftsansage verkündet, so bedeutet das keine Verschiebung der Gnade in eine entfernte Zeit, sondern ihre Wirklichkeit in scheinbarer Wirkungslosigkeit in der Gegenwart. Dadurch, daß die Zukunft als Zukunft Gottes angesagt wird, wird die Gege"",art nicht der GottJerne preisgegeben wie weithin in der ApokalYptik, sondern gerade in ihrer scheinbaren GottJerne als Zeit Gottes verstehbar. So verstanden, d. h. vom Christusgeschehen her begründet, von der Gottesfrage her gedacht und als Gnadenzusage gesprochen, kann Paulus so indikativisch von Gottes Verheißungen an Israel und so gewiß von seiner Zukunft sprechen, wie dies im Judentum seiner Zeit kaum möglich war.
117 Z. B. die Frage nach dem Schicksal der vom Evangelium überhaupt nicht erreichten Menschen, der gegenwärtig lebenden verstockten Juden, der vor Christi Geburt lebenden Heiden, der Allvecsöhnung etc.
VI. üBERBLICK üBER DIE ZUKUNFTSAUSSAGEN BEI PAULUS Wir gehen nun, nachdem wir die Aussagen des Paulus über die Zukunft Israels gleichsam vorwegnehmend analysiert haben, daran, uns einen überblick über die paulinischen Zukunftsaussagen zu verschaffen, um so die Aussagen von R. 11, 25fT. nicht nur innerhalb ihres textlichen, sondern auch innerhalb ihres systematischen Kontextes, im Ganzen der paulinischen Eschatologie, zu verstehen. Die Mehrzahl der Zukunftsaussagen bei Paulus unterscheidet sich schon äußerlich wesentlich von R. 11, 25ff. Meistens handelt es sich um Kurzaussagen über das zukünftige Leben oder das künftige Gericht, selten über andere Fragen. Ausführliche Aussagen über die Geschehnisse der Zukunft, die uns bei unserer Frage nach dem Geschichtsverständnis des Paulus besonders interessieren, fehlen fast völlig. Auch eine systematische Gesamtdarstellung der zukünftigen Ereignisse, also eine Art paulinischer Apokalypse, fehltl. Eine neue Gesamtdarstellung der paulinischen Eschatologie wäre dringend nötig, weil die letzte, von F. Guntermann verfaßte", vor mehr als dreißig Jahren entstanden ist. Die bisherigen Darstellungen ließen sich in ihrem Aufbau entweder durch die Reihenfolge der traditionellen kirchlichen Eschatologie· oder durch eine eigene systematische Wertung' leiten. Fast durchwegs waren sie an der Beschreibung und Bewertung der paulinischen Zukunftsflorstlllllllgen interessiert'. Ungef.ihr 1 J. Weiss, Urchristentum 422, spricht von "unsystematischer Buntheit und Willkür" der paulinischen Eschatologie. Sein Urteil steht stellvertretend für viele. Natürlich ist tU fragen, wie"iel davon auf MS Konto des Briifchartlkters der patJitrisehm Schriften geht, der eine ljstemalische BehanJlung "on Lehrgegenständen ntltiirlich ersclrwert. Wir holfen, zeigen zu können, daß PIs. aus sachlichen Gründen keine Apokalypse üblichen Stils hätte schreiben können. • Die Eschatologie des Hl. Paulus, NTA 13/4-5, Münster: Aschendorlf 1932. • Z. B. Feine, Theol. 2781f. • Z. B. Holtzmann, Theol. Il, 2091f., wo auch bereits Ansätze zur Scheidung zwischen traditionell apokalyptischen und paulinischen Aussagen vorliegen. • An wichtigen älteren Monographien ist zu nennen: R. Kabisc.'!J Die Eschatologie des Paulus in ihren Zusammenhängen mit dem Grundbegritt des Paulinismus, Göttingen: Vandenhoeck 1893; E. Teichmann, Die paulinischen Vorstellungen von Auferstehung und Gericht und ihre Beziehung zur jüdischen Apokalyptik, 1896; H. A. A. Kenned}, St. Pau!'s Conception of the Last Things, 2. Auß. London 1904; F. Tillmantl, Die Wiederkunft Christi nach den paulinischen Schriften, BSt.14/1-2, Freiburg: Herder 1909; K. DeismIr, Auferstehungshoffnung und Pneumagedanke bei }'aulus, Diss. Greifswald 1912; H. Molitor, Die Auferstehung der Christen und Nichtchristen nach dem Apostel Paulus, NTA 16/1, Münster: Aschendorlf 1933, vgl. ferner zum Auferstehungsglauben A. T. Nlkoltli",,,, Der Auferstehungsglauben in der Bibel und ihrer Umwelt II: NeuteStlinentlicber Teil, Annales Academiae Scientiarum Fennicae 59/3, Helsinki 1946, beB. 137ff. Literatur zum pln. Gerichtsverständnis vgl. o. A. V 1; u. A. 61.
302
VI. Oberblick ,iber die ZlIkNnjtsallJSagen bei Pallills
gleichzeitig mit Guntermanns Arbeit erschien die in Deutschland wenig bekannte Eschatologie von G. Vos". Ihr Aufbau ist "chronologisch", ihr Zentrum die antithetisch verstandene Zwei-.Äonenlehre. Cullmanns Grundthese des linearen Geschichtsverständnisses nimmt Vos insofern vorweg, als er "in the line of successiveness" das Charakteristische in der Abfolge der bei den .Äonen sieht und einen "straight horizontal way of looking at the eschatological progress'" annimmt. In der Zeit nach Guntermann und Vos ist dann das Interesse an der paulinischen Eschatologie stark zurückgetreten, was sich erst in den letzten Jahren wieder zu indern scheint, wobei vor allem die Aufsätze E. Käsemanns die Diskussion weiterführten'. Hingegen nehmen die Thesen von H.]. Schoeps im wesentlichen nur diejenigen von A. Schrlleitzero auf: Paulus ist "Denker der postmessianischen Situation" und sieht die .Äonenwende als vergangen an. Seine Eschatologie enthält in nuce "die ganze christliche Konzeption der Heilsgeschichte"'o. Damit wird bei ihm Christologie im Grunde zu einer Darstellung einer bestimmten Etappe auf dem göttlichen Zeitplan und nicht zum Grund des Redens von der Zukunft. Ebenfalls wenig weitergetrieben wurde die Forschung durch die einzige Monographie der letzten Zeit, die die paulinische Eschatologie als ganze behandelt, nämlich das zitatenreiche Werk von H. M. Shires, das eher einen überblick über die opinio communis der Forschung als eine eigene Interpretation enthältl l• In der im wesentlichen durch R. Bultmann bestimmten Paulusinterpretation wandte sich das Interesse weniger den eschatologischen Vorstellungen als solchen, als ihrer existentialen Auslegung zu. Die Grundsitulltion christlicher Existenz angesichts der Zukunft ist bestimmt durch die Dialektik zwischen "Jetzt schon" und "Noch nicht". Auf die Seite des "Jetzt schon" würden gehören: die Gegenwart der Gerechtigkeit Gottes und des Geistes, die Interpretation Christi als Wende der .Äonen und die typologische Gegenüberstellung des Neuen und des Alten. Daneben stehen die Zukunftsaussagen: Parusie, Gericht, künftige Auferstehung, künftiges Leben. Das eigentlich Neue, Paulus vom Judentum Unterscheidende besteht aber, so betont Bultmann, in der Behauptung, die Gerechtigkeit Gottes "rlI".tII schon in d". Gegenrllarl dem Menschen '" zugesprochen"". Damit ist sicher ein wesentlicher Akzentunterschied gegenüber jüdischer futurischer Eschatologie ausgesprochen. Doch sind die Unterschiede, betrachtet man einfach formal die Dialektik zwischen "Jetzt schon" und "Noch nicht", nicht absolut: Je mehr eine jüdisch-apokalyptische Gruppe die jeder apokalyptischen Theologie inhärente Neigung zur Esoterik profiliert, desto deutlicher treten ähnliche Strukturen der Eschatologie in den Vordergrund. Konkret: Je mehr sich eine von der Borschaft eines Apokalyptikers her lebende Gemeinde von der "Welt", die diese Offenbarung nicht besitzt, isoliert, desto deutlicher muß sie ihre eigene Begegnung mit dem die alttestamentliche Offenbarung erschließenden apokalyptischen Wort als Heilsereignis verstehen. Ein schönes Beispiel hierfür haben wir jetzt in den Qumranschriften, wo neuerdings H. W. Kuhn für die Loblieder eine formal der paulinisehen durchaus vergleichbare Dialektik zwischen "Jetzt schon" und "Noch
• Tbe Pauline Eschatology, 1930 (Neudruck Grand Rapids 1952). , Vos, Eschatology 25 bzw. 26, vgl. 36. • Vor allem: Apokalyptik, Aufs. II, 105ft'. und: Gottesgereehtigkeit, Aufs. II 181ff. • Mystik 54ff. ,. Paulus 95ff.; Zitate 95. 97. 11 The Eschatology of Paul in the Light of Modem Scholarship, Philadelphia: Westminster Press 1966. 11 Tbeol. 275, vgl. 279.
1. Keryglllllnsch begriinJele ZlIhmjtsllllSlllgm
303
nicht" aufgewiesen hatl l• Eine Interpretation der pauIinischen Eschatologie darf also nicht dabei stehen bleiben, die Dialektik zwischen ..Jetzt schon" und ..Noch nicht" zu konstatieren: Vielmehr haben wir weiter zu fragen nach ihrem innem Grund, nach der Intention der einzelnen Aussagereihen und nach ihrer Verankerung im Ganzen der paulinischen Theologie". Zur Aufgabe einer Neudarstellung der paulinischen Eschatologie können hier allerdings nur einige Vorarbeiten geleistet und Hinweise gegeben werden. Vor allem müßte sie trlIditionsgeschichdich erfolgen, da nur eine solche Darstellung die Umwertung der traditionellen Eschatologie bei Paulusl l und die konkrete Funktion der einzelnen eschatologische Vorstellungen in seiner Theologie wirklich erfassen könnte. Sie müßte ferner vor allem auf dem Hintergrund der vorpaulinischen thristlichen Eschatologie entworfen werden, die Paulus ja zunächst als .. Material" rur seine eigenen Formulierungen zu Gebote stand". Erst in zweiter Linie ist die Eschatologie der jüdischen Apokalyptik oder der pharisäischen Theologie wichtig.
Der ganze eschatologische Stoffkomplex läßt sich bei oberflächlicher Betrachtung in zwei Gruppen aufteilen. Auf der einen Seite haben wir die um das Thema "Gericht" kreisenden Aussagen, also über das Gericht nach Werken, den Tag des Herrn und die meisten Parusieaussagen. Auf der andern Seite stehen Aussagen über das zukünftige Leben, die Auferstehung von den Toten und die Rettung. Diese Aussagen stehen fast immer in enger Verbindung mit kerygmatischchristologischen Aussagen, weshalb wir sie als kerygmatisch begründete Zukunftsaussagen bezeichnen. Dieser Gruppe wenden wir uns in unserm überblick zunächst zu. 1. Kerygmatisch begründete Zukunftsaussagen Es soll hier und im folgenden Unterabschnitt lediglich der Versuch einer sachgemäßen Zusammenordnung der wichtigen Texte gemacht werden. Da unsere Leitfrage dem Geschichtsverständnis des Paulus gilt, sind für uns die zahlreichen Kurzallssagen über die Zukunft, die bei Paulus die Mehrzahl der eschatologischen Aussagen ausmachen, nur indirekt von Interesse. Sie werden deshalb lediglich in diesem überblick angeführt. Die an unserer Stelle in Frage kommenden Texte sind: R. 5, 8ft'.; 8,11; 1. K.6, 14; 15; 2. K. 4,14; 13,4; 1. Th. 4, 13ft'.; 5,10, vgl. R. 5, 15ft'.; 6,3ft'.; 8,32ff.; 2. K.l, 9f.;4, 10.
1. Bedeutsam erscheint zunächst, daß bei Paulus die Zukunftsaussagen an den angegebenen Stellen ausnahmslos an das Christuskerygma 11 Enderwartung, bes. 178ft'• .. Ich freue mich über die Gemeinsamkeit in der Fragestellung bei P. Stuhlmacher, ZThK 64 (1967) 427f. U V gl. auch u. bei A. 219 • .. Vgl. u. IX 4 Nr. 1. Nach der hinter den eigenen Fomrulierungen des PIs. ltehenden Eschatologie der christlichen Gemeinde fragt bereits Keonedy, Last Things 96ft'. 166ft'.
304
VI. Oberb/ick über die Zule1lnjlsaussagen bei Paulus
gebunden sind. Zukünftige Auferstehung, Rettung aus dem Gericht, zukünftiges Leben etc. sind einem damaligen pharisäisch gebildeten Juden selbstverständliche Vorstellungen17 • Deshalb wird nicht dies in erster Linie als auffällig erscheinen, daß Paulus überhaupt solche Erwartungen kennt. Auch nicht dies wird die Hauptfrage sein können, wie Paulus aus dem Kerygma solche Erwartungen folgern kann, sondern dies muß zu allererst auffallen, wie konsequent er alle Zukunftserwartungen ans Kerygma gebunden, ja, ins Kerygma hineingezogen hat. Gegenüber dem Judentum, wo Auferstehung und zukünftiges Leben als eine Stufe der erhofften und erwarteten Zukunft verstanden wurden, bedeutet das eine beträchtliche Umstrukturierung des Denkens. Die durch Gottes Tat an Christus, die uns das Kerygma verkündet, hergestellte Gewißheit der Erwartung wird für Paulus zentral. Es liegt also bei Paulus nicht eine Außerkraftsetzung des apokalyptischen Welthorizontes, sondern eine neue Akzentuierung und ein neuer Gebrauch vor. Dieser Sachverhalt sei an einem eindrücklichen Beispiel erläutert. Man hat oft gefragt, ob Paulus eine allgemeine Auferstehung der Toten kenne. Eine solche wird oft aus dem Gerichtsgedanken erschlossen18• Die Gegner eines solchen Verständnisses der paulinischen Eschatologie führen ins Feld, daß für Paulus die Auferstehung von den Toten bereits das Heilsgut schlechthin sei und eine Auferstehung zum Verderben ein ganz unvorstellbarer GedankelI. In der Tat denkt 17 Darstellungen und Belege bei Str.-B. IV, 1166ff.; E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter lesu Christi II, Leipzig: Hinrich 1907, 638ff.; Bousset-Gressmann, Religion 269ff.; F. Nötscher, Altorientalischer und alttestamentlicher Auferstehungsglauben, Würzburg: Becker 1926, 261ff.; Moore, Judaism II, 377ff.; Molitor, Auferstehung 101ff.; Volz, Eschatologie 229ff.; Nikolainen, Auferstehungsglauben I, Annales Academiae Scientiarum Fennicae 49/3, Helsinki 1944, 148ff.; K. Schuhert, Die Entwicklung der Auferstehungslehre von der nachexilischen bis zur frührabbinischen Zeit, BZ NP 6 (1962) 177-214; P. Hojfmann, Die Toten in Christus, NTA NF 2, Münster: Aschendorff 1966, 95ff.; zum hellenistischen Judentum ebd. 81ff. Zum Auferstehungsglauben in Qumran vgl. Nötseher, Terminologie 149ff., bes. 151. Weitere Lit. bei E. Ellis Jesus, the Sadducees and Qumran, NTS 10 (1963/64) 274--279, dort 277 A. 4 und A. 5; Literatur zur Eschatologie von Qumran zusammenfassend bei Braun, Qumran und das N. T. ll, 265ff. Allerdings ist in den vorchristlichen jüdischen Schriften die Vorstellung von einer Auferstehung nur der Gerechten verbreiteter als die der Auferstehung aller (vorhanden in äth. Hen. 22, Iff.; 51, H.; Test. B. 10, dann erst wieder 4. Esr.), doch wird in einer Baraitha vorausgesetzt, daß sowohl die Schule HilIeIs als auch die Schule Schammajs die Auferstehung aller vertreten (Str.-B. IV, 1178). .. Z. B. bei Tilimann, Wiederkunft 187; Guntermann, Eschatologie 198; Molitor, Auferstehung 57ff.; Nikolainen, Auferstehungsglauben 1I, 206, vgl. 217; Bultmann, Theol. 80. Weitere Lit. bei H. A. Wikke, Das Problem eines messianischen Zwischenreiches bei Paulus, AThANT 51, Zürich: Zwingli 1967, 93ff. 153ff. Vgl. auch u. A. VII 118. U Vgl. z. B. Kabiseh, Eschatologie 267; E. SchJlle;~er, Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern, AThANT 28, Zürich: Zwingli "1962,142 und A. 528; Mattem, Gericht 768". und A. 125. Wilcke, Zwischenzustand 154f. meint aufgrund des Sprachgebrauchs von "apollymai", das auch die Bedeutung
,. Kerygmatisch bepdete ZuhmjtslJIIssagrll
305
Paulus vom Sterben und Auferstehen Christi her und bezieht die traditionelle Eschatologie darauf. Von daher ktJnn die endzeitliche Totenauferstehung für ihn gar nicht mehr neutrales Ereignis unter andern endzeitlichen Ereignissen. sondern nur noch Heil, Folge des in Christus geschehenen Heils sein. Andererseits denkt natürlich Paulus beim Gericht nicht "nur an ein Gericht, das die Werke der ~_ Leben Auferstandenen verurteilt oder lobt..••. Angesichts von R. 2, 5&". ist das kaum anzunehmen und mindestens mißverständlich formuliert. Paulus spricht aber dennoch nie von einer Auferstehung zum Gericht, gerade auch R. 2, 5ff. nicht, und er bringt auch keine ausgeführten Gerichtsgemälde. Dies alles zeigt wohl, daß Paulus auf verschiedenen Linien denkt. Von der Auferstehung Jesu aus geurteilt wäre eine Auferstehung zur Verdammnis gerade das Gegenteil einer Auferstehung. Vom Gerichtsgedanken her wäre eine allgemeine Totenauferstehung wohl naheliegend. Weil Paulus an der Ausmalung des Gerichtes aber nicht interessiert ist, erwähnt er sie allerdings nie. An der Beseitigung der vorstellungsmäßigen Unklarheit liegt ihm offenbar nichts. Das hängt damit zusammen, daß zukünftige Auferstehung und Gericht an ganz verschiedenen Stellen in der Theologie des Paulus zum Zuge kommeno,.
2. Bei den genannten Texten ließ sich die Tendenz feststellen, die Zukunftsaussagen möglichst eng mit dem Christuskerygma zu verbinden. Die Verbindung kann dabei bei Paulus so geschehen, daß Kerygma und Zukunftsaussage durch gleiche Formulierung einander angeglichen werdensI. Häufig sind auch präpositionale oder verbale Wendungen mit aUv anzutreffen. Vermutlich liegt hier keine feste sprachliche Tradition~ sondern eigene Formulierung des Paulus anband von Anhaltspunkten in der Tradition vor. Die aUv-Aussagen haben den Sinn, die Aussagen über das, was den Christen in der Zukunft widerfährt, aufs engste mit dem Christusgeschehen zu verbinden. E. Lohmeyer·· weist auf die apokalyptischen Parallelen zu den eschatologischen "Mit-Christus"-Formulierungen. Ähnliche Aussagen finden sich vor allem in der Apokalypse. Wichtig scheinen mir vor allem Dt. 33, 2 LXX; Sach. 14, 5; äth. Hen. 1,9; 62, 14 zu sein. Versucht man, von solchen Stellen her die paulinischen "Mit-Christus"-Formulierungen zu erklären. so erweist sich die Verbindung zwischen den eschatologischen Aussagen und den von der Taufe geprägten Formulierungen als größte Schwierigkeit. Liegt in der Taufinterpretation durch ,,mit Christus" eine eigene theologische Schöpfung des Paulus vor·'? Doch weisen ver-
"Sterben" haben kann (1. K. 10,9; 15, 18), zeigen zu können, daß nach der Vorstellung des Pis. das Gericht über die Nichtchristen darin besteht, daß sie im Tode bleiben. Doch reflektiert Pis. über diesen Punkt nicht und die Basis für den Beweis ist m. E. zu schwach. o. Schweizer, ThW VII, 1060,9f. (Sperrung von mir). •• V gl. u. VI 2 Nr. 5 und A. VII 118 . •• 2. K. 4, 14 (vgl. dazu u. S. 306); 13, 4 liegt das gleiche Verbum vor; auch 1. K. 6, 14 ist die Formulierung sehr ähnlich • •• l:l'N XPIl:Tm, Festgabe A. Deissmann, Tübingen: Mohr 1927, 218-257. dort 241ff• •, R. Srhnarkenburg. Das Heilsgeschehen bei der Taufe nach dem.Apoetd. Paulua, MThS 1/1. München: Zink 1950, 171ff., bes. 173.
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VI. Oberb/icle über die Zukunftsallssagen bei Pallllls
schiede ne Forscher mit Recht auf die Verbindung von Taufe und eschatologischen Aussagen im vorpaulinischen Christentum seit der Johannestaufe". M. E. muß zwischen der FormulierIllIg "mit Christus" und der dahinter stehenden Vorstelhmg unterschieden werden. Von einer eigentlichen "Formel" crov XPLG-rCj) darf man kaum sprechen: Der Sprachgebrauch des Paulus ist vielfältig, vor allem durch die zahlreichen verbalen Wendungen. An vielen Stellen fehlt "syn" überhaupt, vgl. R. 7, 4; GI. 6, 14f.·· Ein bestimmter christologischer Titel hat sich nicht mit "syn" verbunden: Neben "Christos" (R. 6, 8; 2. K. 13, 3f.; Phil. 1,23) finden wir "kyrios" (1. Th. 4, 17, vgl. 5, 9f.), Jesus (2. K. 4, 14; 1. Th. 4, 14) und "hyios" (Hingabe! R. 8, 32). Die Wahl des Titels ist jeweils vom Kontext und nicht von der Präposition "syn" bestimmt". Am ehesten würden noch die eschatologischen Stellen erlauben, von einer "Formel" zu sprechen, doch ist cruv IXUTCj) 1. Tb. 4,14.17 psulinische Zusammenfassung des traditionellen Herrenwortes; 5, 10 ist nicht sicher eschatologisch zu deuten. Die textkritisch unsichere Stelle 2. K. 13,4 ist vielleicht auch nicht eschatologisch zu deuten"'. 2. K. 4, 14 weist vermutlich 'I1)CJo~ auf eine eigene, antignostische Formulierung des Paulus. Außerhalb des Corpus Paulinum findet sich im christlichen Sprachbereich zwar die apokalyptische Vorstdlung vom zukünftigen Zusammensein mit dem Menschensohn-Messias, aber keine feste sprachliche Formel dafür, vgl. etwa Apk. 3, 20. Ahnliches gilt auch für die jüdischen Parallelen. Auch religionsgeschichtlich ist wohl zu differenzieren: Wie]. Dupolftgezeigt hat, sind 2. K. 5, 8 und Phi!. I, 23 im Unterschied :ro den übrigen Stellen leichter vom hdlenistischen Parallelenmaterial her zu verstehen", So wird es auch bei den eschatologischen Stellen schwierig, nachzuweisen, daß Paulus eine feste Wendung übernommen habe. Vermutlich greift er auf einen nicht formelhaft verfestigten Sprachgebrauch der vorpaulinischen hellenistischen Gemeinde zurück, der vor allem aus der Taufinterpretation stammt". Dieser Sprachgebrauch war Paulus darum wichtig, weil er die enge Beziehung zwischen dem Christusgeschehen und dem zukünftigen Heil der Gläubigen vortrefflich herausstellte. Auf diesen theologischen Skopus hin und nicht auf die (verschiedenenl) zugrunddiegenden Vorstellungen hin sind die "Syn"-Wendungen zu interpretieren. Auf den hinter den Formulierungen stehenden Vorstellungshorizont hat wohl Paulus selbst wenig reflektiert, wie z. B. 2. K. 4, 14 zeigt: Hier kann die Gleichzeitigkeit der Auferstehung Christi und der Gläubigen ja nicht gemeint sein, obwohl sie faktisch im Text ausgesagt ist; man vergleiche auch die von einigen Textzeugen gebotene Anderung des schwierigen "syn" in "dia". Die "verkürzte Ausdrucksweise"·' will lediglich die enge sachliche Beziehung zwischen der Auferstehung Christi und derjenigen der Christen betonen. Für die V ernachlässigung des Vorstellungshorizontes beim futurischen "mit Christus" ist auch Phi!. 1, 23 charakteristisch·'. 1I M. Goguel, Le caract~re a la foi actuel et futur du salut dans la theologie Paulinienne, in: The Background of New Testament and its Eschatology, Festschr. C. H. Dodd, Cambridge: University Press 1956, 322-341, dort 337; Kuss, Röm. 377; Schweizer, EvTh 26 (1966) 242ff. .. Vgl. 2. K. 1, 3ff.; 5,8 und R. C. Talf",hill, Dying and Rising with Christ, BZNW 32, Berlin: Töpelmann 1967, 6, ähnlich Hoffmann, Toten in Christus 301. .. Kramer, Christos § 38 . •• Vgl. u. S. A.41. .. l:TN XPIl:TnI I, Paris: DescIee de Brouwer 1952, bes. 153ff.; 172ff. •• V gl. Schweizer, EvTh 26 (1966) 247f. 11 Kuss, Röm. 322. I. VgL auch u. S. 355f.
,. Kerygmatisch bepJefe ZuhmjtslJllSsal!"
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3. Die Frage, auf welche Weise weltanschaulich die Verbindung zwischen dem Kerygma und der Ankündigung der zukünftigen Auferstehung bzw. des zukünftigen Lebens möglich wird, ist von Paulus aus gesehen umso weniger von Interesse, als ihm die Zukunftsaussagen ja vom Judentum her vorgegeben waren und er Bekanntes auf das Kerygma bezieht. Wo Paulus überhaupt darüber spricht, liefert er verschiedene Denkmodelle, wie die Verbindung zwischen Christus und der Zukunft der Seinen zu denken ist: durch den von Christus vermittelten Geists', durch die Gegenüberstellung des Adam- und des Christusäon, die die Gläubigen an der Tat Christi Anteil gewinnen läßts', oder durch die damit wohl verwandte Vorstellung vom Leib Christi3&, durch die Todestaufe und schließlich durch apokalyptische Kategorien wie die der Entrückung oder der Auferstehung bei der Parusie88 • Alle diese Denkmodelle stehen jedoch unsystematisiert nebeneinander. Sie auf ein einziges. grundlegendes Denkmodell zurückzuführen, dürfte kaum möglich sein. Von grundlegender Bedeutung sind allerdings die "mit Christus" - Aussagen, doch ihnen liegt ja wohl gerade nicht primär ein bestimmtes Vorstellungs modell zugrunde, vielmehr ein Paulus eigener theologischer Aussagewille. 4. Im übrigen fällt auf, wie kurz und lapidar bei Paulus meist sowohl die kerygmatischen Aussagen als auch die Zukunftsaussagen ausfallen. Die Zukunftsaussage besteht meistens in einem bestimmten, chiffreartig als pars pro toto stehenden Verb: a~~o(J.att (R. 5, 9f.); - ~'ijv (R. 6,8; 2. K. 13,4; 1. Tb. 5, 10); ~(J)01tOt~(J) (R. 8, 11); tre[P(J) (2. K. 4, 14, vgl. 1. K. 6, 14); ßatatAeO(J) (R. 5, 17); elvatt aOv (1. Tb. 4, 17). Paulus kann also von der Zukunft der Christen reden, ohne diese Zukunft weltanschaulich zu entfalten. Vielmehr genügt im Normalfall eine chiffreartige Kurzaussage. An sich scheint Paulus an apokalyptischen Zukunftsvorste//ungen wenig interessiert zu sein. Auch auf den präzisen und einheitlichen Ausdruck der Zukunftschiffren kommt es ihm nicht primär an. Doch hat dies den Apostel nicht zu einem formalisierten Reden von Zukunft geführt. Denn Paulus redet zwar meistens •• V gl. R. 8, 11; 2. K. 5, 5. Diese Linie wird von Kabisch, Eschatologie, vgI. bell. 282ff. besonders betont. In älteren Darstellungen der pln. Eschatologie Iteht oft eine pneumatische Linie neben einer älteren, "jüdischen", vgl. etwa die bei Holtzmann, Theol. 11, 218 A. 2 Genannten und u. A. VIII 1. In neuer Form wird diese These wieder aufgenommen von K. Stllrllllf", Auferstehung und Brwihlung, BFTh 2/53, Gütersloh: Bertelsmann 1953, bes. 169ff., der vor allem die in R. und 1. K. vertretenen Gedanken einander gegenüberstellt. Vgl. auch Deiaancr, Auferstehungshoffnung 92/f. " Zu R. 5, 12/f. vgl. o. III 6; zu 1. K. 15,21 als emelll Argument neben andem u.S.338 . •• Vgl. Schweizer, ThW VII, 1069,20ff., und o. A. III 299. . SI Zu 1. Th. 4, 13ff. vgl. u. VIII; zu 1. K. 15, 23ff. a1a ei,.", Argument neben andem u. S. 341.
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VI. aIHrb/iek fiber die ZNklmJtsaNssagen IHj PaN/Ns
in Chüfren von der Zukunft, aber er kann durchaus im Einzelfall konkrete, dann apoblyptische Aussagen machen3? 5. Die strenge Beziehung der Zukunftsaussagen auf das Christuskerygma dürfte weitgehend des Paulus eigene theologische Leistung sein, obwohl natürlich auch in der Urchristenheit das Christusgeschehen eschatologisch interpretiert wurde. Man denke z. B. an die alte Interpretation der Auferstehung Jesu als Anfang der Endereignisse, die sich wohl noch Mk. 15, 34ff. erhalten hat. Eschatologisch ist auch das Verständnis der Geistausgießung als vom A. T. geweissagtes Ereignis der Endzeit. Paulus selbst lagen wohl aus der Theologie seiner Gemeinden folgende traditionelle Aussagen vor: 1. Die eschatologische Taufinterpretation, vgl. Kol.2, 12. Ferner ist hier auf die traditionelle Taufinterpretation von R. 8, 14ff.; GI. 4, 6f. hinzuweisen, vgl. auch 1. Pt. 1,3-5. Wie weit Stellen wie 1. Pt. I, 3ff. 11.21 die Theologie der vorpaulinischen; hellenistischen Gemeinden widerspiegeln, muß hier offen bleiben. Im weiteren ist 2. zu erinnern an die Aussage, daß Jesus Erstgeborener aus den Toten sei (Kol. 1,18, vgl. 1. K. 15, 2Of; Ag. 26, 23; R. 8,29; Apk. I, 5). Auch Kol. I, 18 liegt das Gewicht nicht auf der von Jesus zu erwartenden Zukunft, sondern auf der in ihm bereits offenbaren Präsenz göttlicher Fülle, die die Zukunft mit einschließt. Sowohl bei den Taufaussagen als auch in Kol. I, 18 erscheint eine ursprünglich aus der Apokalyptik zu verstehende Aussage stark umgeformt, in Kol. I, 15ff. durch die übrigen, eher aus dem hellenistischen Judentum 8tammenden Aussagen des Hymnus, so daß das Präsentische dominiert, ohne daß das Futurische völlig preisgegeben ist.
Trotz dieser zahlreichen traditionellen Aussagen muß die Konsequenz, mit der Paulus Chrisoogesehehen lind ZukNnftsaNssage aufeinander bezog, auf ihn selbst zurückgehen. Denn während sich in den von ihm aufgenommenen kerygmatischen Formulierungen gelegentlich traditionelle Stücke nachweisen lassen88, werden die Zukunftsaussagen schon durch ihre Varietät im allgemeinen als paulinische Formulierungen ersichtlich'" und von der Verbindung mit den kerygmatischen Formulierungen gilt dasselbe. 6. Für Paulus ist das Leben, das durch die Auferstehung Christi ge.. Vgl. u. VII 1. 2. "' Von den uns interessierenden Texten sind R. I, 3f. und 1. K. 15, 3ft'. allgemein als vorpln. anerkannt. Ebenso dürfte R. 8, 34 vorpln. Formulierungen enthalten, kaum jedoch R. 8,32, vgl. dazu u. S. 371. 1. Th. 4, 14 ist wohl von Pis. formuliert, vgI. u. S. 325f. R. 8, 11 ist durch "pneuma", 1. K. 6, 14 durch das an sich unerwartete .. kyrios" (vgl. Kramer, Christos § 3h) eng mit dem Kontext verbunden; dasselbe dürfte trotz Windisch, 2. Kor. 418, für 2. K. 13,4 gelten, denn der Stamm lia&e:vist häufiges Motivwort im sog. Tränenbrief 2. K. 10-13 (13 mall). R. 5, 8; 2. K. 4,14; 1. Th. 5, 9 sind endlich zu kurz, als daß sich eine vorpln. Tradition nachweisen ließe. Alles in allem ist auffällig, wie oft Pis. kerygmatische Aussagen in An· lehnung an das Modell der sog. Pistisformel (vgl. zu Begriff und Sache Kramer aaO § 2ff.) selbst formuliert hat. Vgl. ferner u. A. IX 32. .. Vgl. die Verben o. Nr. 4. Zu den "Syn"-Formulierungen vgl. o. Nr. 2. Vokabelsmtistisch läßt sich traditionelles Gut abgesehen von den ausführlicheren apokalyptischen Stellen (1. Tb. 4, 13ff.; 1. K. 15, 23ff. SOff.) nirgends nachweisen.
1. Keryg1lliltiseh begriinJete ZlIklmftstJIISSIl!!"
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schaffc:n worden ist, eine zukünftige Gabe"'. Nur in Grenzfällen scheint er berc:its vom gegenwärtigen Leben aufgrund der Auferstehung Jesu zu sprechen (2. K. 4, 10f.; 13,4)u. Gegenwärtig sieht Paulus die Herrsc:haft Christi als Folge seiner Auferstehung und Erhöhung, die unser Leben bestimmt (R. 1, 3f.; 14,9; 2. K. 5, 14f., vgl. Phil.2, 6-11). Die Künftigkeit des Lebens der Gläubigen ist also für Paulus konstitutiv. Etwas anderes ist die Frage, ob Paulus in bewußter Antithese gegen einen diese Künftigkeit überspringenden Enthusiasmus die zukünftige Dimension des Lebens betont". Unsere bisher gemachten Beobachtungen lassen uns vorsichtig sein: Paulus kann mindestens auch vom Wirken des zukünftigen Lebens bis in die Gegenwart hinein (2. K. 4, 10; 13,4, vgl. 1,10) und vom gegenwlirtigen Wirken des Geistes (R. 8, 11, vgl. 1. K. 6, 14. 17; 2. K. 5,5), sowie vom neuen Wandel aufgrund der Wirklichkeit des Heils (R. 6; 14, 8ff.; 1. Th. 5, 10?) sprechen. So wird man hier vorsichtig und differenziert urteilen müssen. Vom Christusgeschehen her betont Paulus gerade die Wirklichkeit des künftigen Lebens, das bereits in die Gegenwart hineinwirkt, wenn auch sehr oft nicht direkt, sondem gerade in imperativischen oder paradoxen Aussagen. Wir 1IIerd,n im folgentkn bei tler Unlern«hllllg tI,r Einzell,x/" di, aruJflbrlirb ZlIhmjlr_arlu,«,n tier Paulur zur Sprache bring,n, jerP,ilr mrgJällig Zu IIIIlernd,n haben, ob 1IIIt1 1IIie 1IIeil' ihr Skopllr auf tI,r Wirklichkeil tkr zu/eiinjligm H,ils, ob _ 1IIi, 1IIIit er atf tkr Zu/eiinjiigk,il tles 1IIirkliche" H,ilr li,gl, otkr ob beitk S kopoi rmrhatuJm sind". Aus unsem bisherigen Ausftihrungen wurde deutlich, daß Paulus es in seinen Gemeinden tatslichlich mit einem enthusiastisch geprägten Christentum zu tun hatte, das das Heil weitgehend in die Gegenwart hineinzog. Noch offen aber blieb die Frage, wie weit in diesen Gemeinden die Dimension der Zukunft völlig preisgegeben wurde oder wie weit sie einfach faktisch zurücktrat. Schon mehrmals fiel uns auf, daß •• R. 5, 8ff.; 8, 11; 1. K. 6, 14; 15; 2. K. 4, 14; 1. Th. 4, 13tf.; 5, 10, vgL R. 6, 51f. Cl 2. K. 4, 1Of. ist betont vom LebenJeru die Rede, das im irdenen Geiaß des Leibes deli Apostels sichtbar wird, zugunsten der Gemeinde (V. 12). Aus· demKontext ist präsentisch und erst in V. 14 futurisch zu deuten, vgi. Dupont, Syn Cbristö 127; Schweizer, ThW VII, 1061, 16ff. Gemeint ist aber das gerade in der Schwachheit dc:s Pis. paradox sich manifestierende Leben, vgL u. S. 368f. 2. K. 13, 4 ist schwierig, wie schon die Interpretationen der Textzeugen zeigen: pH, D etc. haben wohl I)räsentisch verstanden und deshalb das leicht futurisch zu deutende "syn" durch "en" ersetzt; B. u. a. hingegen scheinen futurisch verstanden zu haben Und haben deshalb wohl das störende Eil; ö~ gestrichen. Aus der polemischen Fassung des Kontextes ergibt sich aber m. E., daß präsentisch zu verstehen ist, aber als polemische Aussage: Pis. wird bei seinem nächsten Besuch in Karinth ,,stark" sein, wie auch Christus in den Korinthem "stark" ist (V. 3). So wird sich auch der den Korinthem als "schwach" bekannte Paulus ihnen gegenüber bei seinem nächsten Besuch in Korinth als lebendig erweisen und niemanden schonen
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VI. Vberb/ick iiber die Zuklln!tsomsogen bei Poums
Paulus enthusiastische Gemeindetraditionen durchaus nicht polemisch, sondern positiv und kaum korrigiert in seine Briefe aufnahm". Wir werden sehen, daß die Auseinandersetzung mit diesem Typus Christentum von Paulus nicht in erster Linie auf dem Feld der futurischen Eschatologie, sondern des Verständnisses der gegenwärtigen christlichen Existenz ausgetragen wurde".
2.Parusie- und Gerichtsaussagen 1. Der Terminus 7t«poua(<<, der vor allem im ersten Thessalonicherbrief vorkommt, ist als Wort hellenistischen Ursprungs". Er taucht bei Paulus erstmals auf, wird aber dort bereits auch technisch gebraucht und in seiner technischen Bedeutung unzweifelhaft als bekannt vorausgesetzt'7. Er dürfte aus der hellenistischen Gemeinde stammen und hat in späterer Zeit weitere Verbreitung gefunden. Der nicht-technische Sprachgebrauch, der bei Paulus noch anzutreffen ist, ist dann sehr rasch verschwunden. Charakteristisch ist für Paulus die deutliche Verbindung des Ausdrucks mit dem "kyrios"-Titel. die sich aus der Tradition des Mare-Kyrios nahegelegte4B • Daneben finden sich auch Parusieaussagen, die den Terminus "parousia" nicht verwenden, z. B. 1. K. 4, 5 und Phil. 4, 5, wo vom Kommen des Herrn die Rede ist. Nah verwandt sind die Aussagen über die "Offenbarung" unseres Herrn Jesu Christi (1. K. 1, 7, vgl. 2. Th. 1, 7) und die an die Abendmahlsliturgie sich anlehnenden Aussagen 1. K. 11, 26; 16, 22, sowie die traditionelle Formel 1. Th. 1, 9f. Die Vokabelstatistik erweist ~LOTP&qlW (sonst nur noch 2 x bei PIs.), ,:f3wA«, 30u).cOO) (gegenüber Götzen, vgl. nur noch GI. 4, 8f.), .&eb~ t;w" xOt1 ti).1J&L,,6~ (vgl. v.1. zu Hb. 9, 14), ti"Ot!dvw, u16~ (in Parusieaussagen), ~~OI'CltL (im Zusammenhang mit dem kommenden Zorn) als unpln. Zu lx TW" OÖPOt";;),, vg1. das .. Vgl. zu den vorpaulinischen Gemeinden die Verweise o. A. II 284; A. IV 119 und u. A. 55; A. VII 121. Vgl. ferner o. IV 4 C Exkurs und A. III 299. •• V gl. u. VIII 2. Exkurs . •• Darauf weist schon seine Verbreitung im N. T.: Das Wort findet sich zusammen mit dem nicht-technischen Gebrauch im Sinne von "Anwesenheit" bei PIs., ferner technisch auch 2. Th., Jk., 1. J. und 2. Pt., sowie redaktionell bei Mt., also meistens in relativ späten Schriften. Zur Herkunft vgl. A. Oepke, Art. 7tOtpoua(cx XTA., ThW V, 856-69, dort 857ff. pss.; 863,37f. So sehr die jüdischen Gerichtsvorstellungen und die Messiaserwartung den allgemeinen Horizont der Parusieerwartung erschließen, so selten istim Judentum die Vokabel, vgl. Oepke aaO 861, 8f., 32ff. Zur Wortgeschichte vgl. auch Vos, Eschatology 74ff.; Guntermann, Eschatologie 29f.; Dupont, Syn Christö 49ff. .. Obwohl der Ausdruck erst im 1. Th. und nicht schon in traditionellen Stücken vorkommt (1. Th: 2,19; 3, 13; 4, 15; 5,23), zeigt die stereotype Wendung l" T"ii 7tOtpoua(qL OtÖWÜ, daß er damals wohl schon geläufig war• •• 1. Th. 2, 19; 3, 13; 4, 15; 5,23. "Christos" in 1. K. 15,23 ist durch den Kontext gegeben. "Kyrios" findet sich ferner Jk. 5, 7f.; 2. Th. 2, 1. 8, vgl. 2. Pt. 1, 16 und Kramer, Christos § 48. In Parusieaussagen ohne das Wort "parousia" finden wir "kyrios" 1. K.1, 7; 4, 5; Phil. 4, 5, vgl. 1. K. 11,23; 16,23; 2. Th. 1,7.
2. Partlsie- tmJ GeriehtsallSsagetl
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traditionelle ein' oUPOtVOÜ 1. Th.4, 16. Kramer" dürfte mit seiner Analyse recht haben. daß in eine vorpln. Parusieformel ein Splitter der Pistisformel mit der Auferstehungsaussage eingefügt wurde j ob dies durch. Pls. selbst geschah, ist unsicher. Theologisch würde eine solche Zufügung sehr gut ins pln. Denken passen: Die Zukunft, die Inhalt der Parusieformel war, muß ans Kerygma von Jesu AuIerwecltung zutückgebunden werden, weiL sie dort gtündet. Wir hitten dann einen 1. K. 115 analogen, aber umgekehrten Gedankengang. Dagegen spricht aber das mit dem bestimmten Artikel versehene bt T(;lV. VEKP(;lv, das wir im pln. Sprachbereich nur an den traditionellen Stellen Kol. 1, 18; Eph. 5, 14 (vgl aber 1. K. 15, 35. 42. 52) wiederfinden, während Pis. selbst ohne Artikel formuliert. Es ist also doch damit zu rechnen, daß Pis. die Auferstehungsaussage bereits mit der P:lrusieformel verbunden vorfand, was natürlich eine theologische Interpretation erschwert··.
Die Parusieaussagen des Paulus sind, wie die Aussagen über die künftige Auferstehung und das künftige Leben, meistens kurz und unausgeführt. Breitere apokalyptische Schilderungen finden sich nur 1. K. 15, 23ft'. und 1. Th. 4, 13ft'., vgl. 1. K. 15, SOff. Nur an diesen Stellen ist die Parusieaussage im Rahmen einer größeren apokalyptischen Ausführung mit der Aussage über die künftige Auferstehung verbunden. Wir sehen von diesen Stellen vorläufig ab, da sie eine gesonderte Betrachtung erfordern. Ebenso können wir von den durch die Abendmahlsliturgie geprägten Stellen 1. K. 11, 26; 16,2251 und der tl:aditiondlen Stelle 1. Th. I, 9f. absehen. Dann zeigt sich, daß die übrigen Parusieaussagen bei Paulus ihren Sitz in der Paränese haben und deren Verschärfung dienen. Der Tag der Parusie ist der Tag des Gerichts, auf das Paulus mahnend (1. Th. 3, 13; 5, 23; 1. K. 4, 5) oder .. Christos § 28a. . I. Anders möchte F. Hah", Christologische Hoheitstitel, FRLANT 83, Göttingen: Vandenhoeck 1963, 289f. deuten. Er sieht Parusie und Auferstehung ursl?tünglich zusammen und erstere mit dem "hyios"-Titel verbunden, doch fehlen hierfür die vorpln. Parallelen. Abzulehnen ist m. E. auch der Versuch von U. Wi/Iekens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte, WMANT 5, Neukirchen: Neukirchc~ner Verlag 1961, 80ff., der aufgrund von 1. Th. l,9f. und Hb. 5, 11~, 2 ein Schema der Missionspredigt finden will. Hb. 5, l11r. bringen aber noch weitere Punkte und eivlit7TOtCJL~ VEKp(;lv meint dort wohl die allgemeine Toterlauferwekkung. Michel, Hebr. 233 spricht sogar von einem Fehlen der Christologie in Hb. 6 und weist zu Recht auf 1. K. 2, 611. j 3, 111. als pln. Parallelen. Für 1. Th. 1, 9f. aber scheint mir der von Kramer postulierte verschiedene Ursprung von AuIerstehungsaussage und Parusie wahrscheinlich zu sein. Denn der Versuch von G. Fl'iedrich, Ein Tauflied hellenistischer Judenchristen, 1. Thess. 1, 9f., ThZ 21 (1965) 502-516, dort 502ff., aus dem Ganzen ein formal geschlossenes Lied zu rekonstruieren, fördert kaum eine wirklich einleuchtende strophische Gliederung zutage. Mattem, Gericht 83 will überhaupt die ganze Formel erst von Pis. zusammengestellt sehen, doch würde so die autnllige Reihenfolge der einzelnen Glieder im heutigen Text nicht erklärt. n Immerhin sei auf die Verbindung von Maranatha-Ruf und ,,anathema" in der Abendmahlsliturgie 1. K. 16, 22f. und Did. 10,6 hingewiesen. Bedeutet die Wegweisung der Unwürdigen vom Abendmahl im Zusammenhang mit dem Paruaieruf Maranatha eine Vorwegnahme des durch den Herm bei der Parusie ciogeIe.iteten Gerichts?
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VI. Oberb/ick über die ZuleJlnjtsallssagen bei Pall/lls
freudig-wartend (1. K. 1, 7; PhiL 4, 562 ; 1. Th. 2, 19) hinweist. "Sitz in der Theologie" der Parusie bei Paulus ist also nicht in erster Linie die Auslegung des Glaubens, sondern die Paränese. Das bringt die Parusieaussagen in eine sachliche Nähe zu den Gerichtsaussagen63 • 2. Der Sitz im Leben der Gerichtsaussagen bei Paulus ist sehr vielfältig. Die Freiheit der Christen vom Gericht kann als Folge des in Christus geschehenen Heils erscheinen (R. 5, 9f.; 8, 33f., vgl. 8,1; 2. K. 1, 10; 1. Th. 1,10), auch wenn die Verbindung zwischen Christuskerygma und Freiheit vom Gericht keinesfalls in der Weise typisch und häufig ist wie die Verbindung zwischen Auferstehung Christi und künftigem Leben der Christen. Immerhin ist es nie das Leben, der Glaube oder die Treue der Christen, die ihre Freiheit vom Zorn begründen". Gerichtsbegriffe können häufig zur Explikation der Rechtfertigung aus Glauben verwendet werden, ohne daß jedoch die Vorstellung des zukünftigen Gerichtes explizit anzuklingen braucht (vgL etwa R. 1, 17ff.; 5,16; 2. K. 3, 6ff.). Die zeitliche Fixierung von Gericht und Rechtfertigung bleibt dabei schwebend: Gerichtsterminologie kann einerseits dazu dienen, den endgültigen Charakter der in Christus geschehenen Rechtfertigung festzuhalten (vgL etwa R. 1, 17ff.; 5, 9f.; 8,33f. etc.), andererseits kann die Rechtfertigung in Verbindung mit dem Gerichtsgedanken zum zukünftigen Gegenstand der Hoffnung werden (vgL R. 2,13; 5, 16ff.; GI. 5,5). So wird deutlich, daß die Rechtfertigung im Blick auf Christus, der die Gerechtigkeit Gottes ist, gewisse Wirklichkeit, im Blick auf das Leben des einzelnen Gläubigen aber Gegenstand der Hoffnung auf den in Christus gnädigen Gott ist. Die Konsequenzen, die dies für die Darstellung der paulinischen Rechtfertigungslehre hat, können hier nicht erörtert werden". •• Vgl. mit dieser Stelle die nahen, durch Js. 40,10 beeinflußten Parallelen Apk. 22,12; 1. CI. 34, 3; Barn. 21, 3, die den Zusammenhang zwischen Parusie- und Gerichtsgedanken deutlich illustrieren. .. Anhangsweise sei noch auf die mit 1. K. 15 sehr verwandte Stelle Phil. J,20j. hingewiesen. Die Parusieerwartung dieser Stelle hat sich in Formulierung (SoterTitel) und Inhalt (Verbindung mit dem Verwandlungsgedanken, vgl. 1. K. 15, SOff.) stark von ihrem ursprünglichen Gebrauch gelöst. Sie ist vermutlich, trotz der Argumente von Güttgemanns, Apostel 240ff., paulinisch konzipiert, auch wenn sie natürlich traditionelle Elemente enthält. Aber die Verwandtschaft mit Phi!. 2, 6-11 ist teils nur eine äußerlich-vokabularmäßige, teils bezieht sie sich auf die von Pis. zugefügten Teile des Philipperhymnus (V. 81), teils ist sie unspezifisch, d. h. gilt ebenso z. B. für R. 8, 29 oder 1. K. 15, 24ff. Auch V. 20 ist mir als Teil eines Hymnus nur schwer denkbar. Eher wird Pis. selbst formulieren, natürlich unter Aufnahme traditioneller Topoi. Auffilllig ist aber, daß immer noch Gerichtsterminologie in Phil. 3, 19 und 4, 1 deutlich durchschimmert . .. V gl. Mattem, Gericht 96f. .. Vgl. dazu bes. Kertelge, Rechtfertigung 134-160. Beim Vergleich mit den traditionellen Formulierungen, bes. R. 8, 29f.; 1. K. 6, 11, aber auch R. 3, 24f. und 1. K. 1,30 flillt auf, daß jene Stellen ausschließlich präsentisch formulieren. Pis. selbst dagegen auch futurisch. Doch ist das Material zu spärlich, um weitere Schlüsse zu erlauben.
2. Pllrtlsie-
tmd GerichtsflIIssllgell
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3. Die große Mehrzahl der paulinischen Gerichtsaussagen steht jedoch in anderem Kontext. Wir setzen ein mit den Aussagen über den Tag des Herrn. 'HILSPOt als terminus für den eschatologischen Gerichtstag ist ein traditioneller Ausdruck". Paulus nimmt hier traditionelle Kirchensprache sowohl bei der Beschreibung der Attribute des "Tages" (z. B. "Tag des Zornes" R. 2, 5, vgI. Apk. 6, 17) als auch bei traditionell mit dem Gerichtstag verbundenen Bildern (z. B. des Diebes6?) auf. Wie die Gemeinde spricht er von ~ ~ILSPOt absolutll8• Sitz in der Theologie dieser Gerichtsaussagen ist die Paränese li'. Dies gilt aber nicht nur von den "hemera" Aussagen, sondern auch von zahlrdchen andern Aussagen über das Gericht über die Christen. Der Ton dieser Paränese kann dabei wechseln; je nachdem, ob die Christen mahnend (PhiI. 1,10; 2,16; 1. K. 3,13ff. ("hemera"); R. 14, 10; 1. K. 4, 4f.; 2. K. 9,6; GI. 6, 7f.) oder zuversichtlich (1. K.1, 7f.; 2. K. 1, 14; PhiI. 1, 6 (hemera); 2. K. 5, 10) angeredet werden. Nicht umsClnst hat man aufgrund dieses stereotypen Gebrauchs der Gerichtsaussagen gleichsam als Anhängsel der ParäneselO und des stark formelhaften Sprachgebrauchs von einer gewissen Isoliertheit der Gerichtsaussa.gen bei Paulus gesprochen'1• 4. Damit stehen diese Gerichtsaussagen in engem Zusammenhang mit elen Parusieaussagen, die ebenfalls in der Paränese gebraucht werdenen. Auch sonst etscheinen Parusie- und Gerichtsaussagen vielfach verbunden: Wie mit der Parusie, so ist auch mit "hemera" der Titel "kyrios" verbunden. Die Wendung "Tag des Herrn" findet sich nur bei Paulus's und einmal in der von ihm abhängigen Tradition (2. Th. •• Jüdische Belege, in Anlehnung an der alttestamentlichen ,.Tag Jahwes" bei G. Delling, Art. i)(oLtpot B-D, ThW 11, 949-956, dort 954, 111'. Zur Verbreitung dieses S~,rachgebrauchs im N. T. vgl. Kennedy, Last Things 176ft'.; Vos, Eschatology 79ft'.; E. Lö"estam, Spiritual Wakefulness in the New Testament, Lunds Univ. Arssktift55/3, Lund: Gleerup 1963,46; Bultrnann, TheoI. 79; Shires, Eschatology 63ft'. Vgl. auch schon G. P. W,lnr, Der Vergeltungsgedanke bei Paulus, Göttingen: Vandenhoeck 1912, 91. •• Vgl. Mt. 24,43 Pace.; 2. Pt. 3, 10; Apk. 3, 3; 16,15. Das Bild wird von PIs. 1. Th. 5, 1ft'. als bekannt vorausgesetzt: ..Ihr habt nicht nötig. daß lJIIUl euch schreibt •.. ihr wißt genau" • •• 1. K. 3, 13; 1. Th. 5, 4; Hb. 10,25; Barn. 7, 9, vgl. auch das häufige ..jener Tag". •• Einzige Ausnahme ist 1. K. 5, 5. I . H. Gree",n, Kirche und Parusie Jesu Christi, KuD 10 (1964) 113-135, dort 124f. 1I Vgl. H. Braun, Gerichtsgedanke und Rechtfertigungslehre bei Paulus, UNT 19, Leipzig: Hinrieh 1930, 34. 90. Auch bei Gerichtsaussagen ist PIs. an apokalyptischc:n Details und weltanschaulicher Ausmalung völlig unintereSsiert. Er läßt Widersprüche stehen (z. B. übet die Frage: pr richtet?) und systematisiert seine Aussagen nieht, vgl. Mattem, Gericht 84f. 157. I. Vgl. Wetter, Vergeltungsgedanke92. I. 1. K. 1, 8; 5, 5; 2. K. 1, 14; 1. Th. 5,2...Christos" 6ndetaic:b lI1Jtim PbiIipperbrief (1, 6.10; 2,16), der ohnehin dlltc:h eine starke Vermisc:boag im GebaUc:h der christologiSChen Titel ausgezeic:hnet ist, vgL.Kmmet, Cbristos S35;
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VI. Oberb/ick über die Zulemzjtsaussagen bei PQtI/tlS
2, 2). Da auch ohne "hemera" im Zusammenhang mit Gerichtsaussagen von der Wiederkunft des Herrn die Rede ist (1. K. 1, 7f.; 4, 5), dürfte sich der Kyriostite1 im Zusammenhang mit dem Gerichtstag am ehesten aus der Tradition des Mare-Kyrios erklären lassen". Die sachliche Nähe zwischen Parusie und Gerichtstagvorstellung zeigt sich auch an dem beiden gemeinsamen Motivwort clTtoXI1.Ä.&rr-rw! clTtoxdAm/ltt; (R. 2,5; 1. K.l, 7; 3,13, vgl. R.1, 18; 8, 18f.; Lk.17, 30). Überhaupt ist das Vokabular zwischen Parusie- und vielen paränetisch gebrauchten Gerichtsaussagen überraschend verwandt. Fast stereotyp kommen immer wieder dieselben Ausdrücke und Wendungen vor. Außer !lTtOXI1.}"OTt'rW ist auch zu vergleichen: CPl1.ve:po - (1. K. 3,13; 4,5; 2. K. 5, 10); attIPI1.VOt; (1. K. 9,25; Phil. 4, 1); XI1.UXl)!L11. (2. K. 1,14; Phi!. 2,16); attIPI1.VOt; xl1.uxijae:wt; (1. Th. 2, 19); ~!LTtpoa&e:v (2.K.5,10; l.Th.2,19; 3,13); KI1.p8lot (1.K.4,5; 10Th. 3,13); &!LE!LTt'rOt; (Phil. 2,15; 1. Th 3,13; 5, 2); ~pyov (R. 2, 15; 1. K. 3, 13ff., vgl. 2 K. 11, 15; Phil. 1, 6)86. 1. K. 1, 7f. und 4, 5 erscheinen Gericht und Parusie explizit verbunden. 5. In der Verwendung der Gerichts- und Parusieaussagen in der Paränese folgt Paulus weitgehend der Gemeindetradition" . Das lehrt ein Vergleich etwa mit 1. Pt. 1, 7.13; 4, 13; 5,4; Jk. 5, 7ff. 1. K. 4, 5 könnte überdies sogar ein Zitat vorliegen 87• 1. K. 1, 8; Phil. 1, 10 ("hemera CC) 1. Th. 3, 13; 5,23 ("parousiaCC ) stammen überdies aus Fürbittegebeten in liturgischem Stil in der Eulogie zu Beginn oder aus dem Schluß eines Briefs oder Brieffragments88. Auch 1. K. 7, 29-31, eine Stelle, die ebenfalls Paränese eschatologisch, wenn auch nicht direkt mit dem Gerichts- oder Parusiegedanken begründet, entstammt vermutlich der TraditionS'. Während also in Jer Bindung Jer Amsllge Jes leimfligen Lebens IIn Jas Kerygflla von Jer AIIferstehtmg Iem Christi eigene theologische Arbeit Jes Paulus vorliegt, scheint er bei Jen Gerichtsllussagen tradilionsgeschichtlich eher konservativ Zu verfahren rmJ weit.. "Kyrios" meint im Zusammenhang mit "hemera" sicher Jesus Christus, vgl. 1. K. 1, 8; 4,311".; 2. K. 1, 14, so daß die alttestamentliche Redewendung "Tag des Herrn" (= Tag Jahwes) nur indirekt formbildend gewirkt hat. Vgl. damit 2. Pt. 3, 8. 12, wo Gott gemeint ist. •• Zum Vokabular vgl. Braun, Gerichtsgedanke 33• .. Das gilt auch fllr die unter Abschnitt 2 genannte Verwendung des Gerichtsgedankens, vgl. 1. Th. I, 10. .. J. Weiss, 1. Kor. 99; Mattem, Gericht 183 (dort ist irrtümlicherweise von 1. K. 3, 13 die Rede). .. Mattem, Gericht 20211"., vgl. bes. 204f. Vgl. femer Bultmann, Theol. 77-82. Zum Verhältnis des Pis. zum Gerichtsverständnis des Judentums vgl. Mattem, Gericht, bes. 215: Bei Pis. finden sich Elemente des rabbinischen und des apokal~tischen Gerichtsverständnisses. Vgl. dazu auch die Verweise o. A. III 36. • Vgl. W. Schrage, Die Stdlung zur Welt bei Paulus, Epiktet und in der Apokalyptik, ZThK 61 (1964) 125-154, dort 138-144.
2. Panuie- l1li4 GerichtstIlIssagen
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gehen.1 IIIIverändert die paränetische Verkündigung der Gemeinde Z" übernehmen. Während so die Aussagen über zukünftiges Leben und zukünftige Auferstehung durch ihre enge Verbindung mit dem Kerygma in ganz besonderer Weise in den Vordergrund gerückt und dergestalt zur Glaubensaussage geworden sind, werden Gerichts- und Parusieaussalgen aus der Gemeindetradition übernommen und für die Paränese oder - hier allerdings stärker in eigener theologischer Arbeit des Paulus - für die Explikation der Rechtfertigung verwendet. Für die meisten Gerichtsaussagen, besonders die paränetischen, ist jedoch der Ort, den sie im Ganzen der Theologie des Paulus, insbesondere in seiner Dialektik von Indikativ und Imperativ einnehmen, das einzige Neue! und spezifisch Paulinische. Materialiter entsprechen diese Aussagen völlig der Gemeindetradition. Auch von dieser Seite her Zeigt sich also eine UmslrNktNrierNng des traditionellen apoka!Jptischen Weltbildes, die zwar den apokalYptischen Weltbildhorizont des Apostels nicht allfhebt, aber seine Bedelll1lng für Jas Verständnis des palilimschen Denkens einschränkt70• Denn für Paulus gewinnen die einzelnen Daten der endzeitlichen Geschichte im Kontext seiner Theologie völlig neue Akzentc!, unabhängig von ihrer Stellung im traditionell erwarteten Ablauf des Endgeschehens. 6. In. gewissem Sinn ergab unser Überblick über die paulinischen Aussagen von der Zukunft eine ähnliche Doppelheit wie bei den Aussagen über die Vergangenheit: Auch die ZlIklllljtsamsagen lassen sich aNf zwei verschiedene Linien verteilen: 1. Die Aussagen über das künftige Leben bzw. Auferstehen der Gläubigen, die Paulus vom Kerygma von Tod und Auferstehung Jesu her begründet. Zu diesen Aussagen gesellen sich die Aussagen von der Rettung des Christen aus dem Zorn des göttlichen Vemichtungsgerichtes aufgrund der Rechtfertigung. Ihnen gegenüber stehen 2. die meisten Aussagen über das künftige Gericht und die Parusie des Herrn. Sie haben ihren Sitz in der Pari.nese, die sich an die Gerechtfertigten richtet. Geht es in Jen einen AIIs.ragen 11m die Wirklichkeit des Indikativs, JarNm also, Jaß Jas Heil aNch die Zlikunjt in sich schließt, so geht es in den andern 11m die sich gerade von der •• Vgl. o. VI 1 Nr. 1. Es genügt also nicht, zu sagen, daß ..Paul's convenion to Chru;tianity alfected his eschatological views but little" (H. A. G~, The New Testllment Doctrine of Last Things, London: Oxford University Press 1948, 124). Pis. ist gerade in der Eschatologie nicht einfach uninteressierter Tradent, so daß ihn nur eine andere Bestimmung der eigenen Position im Ablauf des Geschehens von der Apokalyptik unterscheiden würde. Er hat nicht einfach die Aonenwende in die Vergangenheit geschoben, wobei dann Jesus auch zum künftig erwarteten Mes!;ias (Parusie I) würde und im übrigen der apokalyptische Entwud' bestehen bliebe. Vgl. dazu auch o. A. III 1 und die dort gegebenen Verweise zar ZweiAonen-Lehre bei Pis. Entscheidend ist gerade der von Christologie und Rechtfertigungslehre bestimmte neue Gehrat«h der alten apokalyptischen Vontc1lungen.
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VI. tJberb/ick über die ZNletmjtsatlssagen bei PaN/Ns
WirJ:jichkeit des Heils ergebende Notwendigkeit des Imperativs, der vom Geschenk des Heils her gerade nüht aufgehoben ist, sondern erst recht in Kraft tritt. Läßt sich innerhalb des paulinischen Gerichtsverständnisses eine einheitliche Konzeption feststellen? L. Mattlrn hat versucht, das eschatologische Gericht, das über Vernichtung und Heil entscheidet, vom Gericht über das Werk des Christen, das über Lohn und Strafe der gerechtfertigten Christen, nicht aber über deren Heil und Unheil entscheidet, strikte zu scheiden. "Nach Paulus entscheidet das Gericht über das unterschiedlich gute Werk des Christen nicht über Heil oder Unheil, gerecht oder ungerecht". "Lohn oder Strafe ist nicht wie im Judentum mit Heil oder Unheil gleichzusetzen"". In der Tat finden sich bei Paulus Ansätze zu einer solchen Scheidung, etwa 1. K. 3, 5/1'.; 5,5; 11,31f., vermutlich auch 2. K. 5, 10; 9,6; Phi!. 4, 17. Andererseits muß auch Mattern zugeben, daß die Möglichkeit eines Verfalls der Christen an das Vernichtungsgericht besteht, nämlich dann, wenn sie aufhören, Christen zu sein, vgl. R. 14, 15; 1. K. 8, 11; 9,24/1'.; Phil. 3, 12ff., 18f.? (falls dort von Christen die Rede ist). Mit andern Worten: Auch bei Paulus kam! das Gericht bei Christen über Heil und Unheil entscheiden. Die Rechtfertigung aus Glauben ist also nicht unverlierbarer Besitz". Zahlreiche Gerichtsaussagen geben über die Art des Gerichtes keine genauere Auskunft und lassen offen, ob ein endzeidiches .. jüngstes" Gericht gemeint ist oder nicht". Die Aufnahme traditionellen chrisdichen Gutes, insbesondere des Ausdrucks "der Tag", sowie die enge Verbindung zwischen Gerichts- und Parusieaussagen lassen dies aber als sehr wahrscheinlich annehmen". Außerdem würde der Ernst des paulinischen Imperativs doch erheblich gemindert, wenn im Gericht nur über Lohn und Strafe, nicht aber über Heil und Unheil entschieden würde. Die Annahme von "Stufen der Seligkeit"" bzw. einer bei Paulus bereits grundsätzlich vorhandenen Fegefeuerlehre wäre dann wohl unvermeidlich. Für Paulus sind aber nicht die Gerichtsllorstlllll1lgln wesentlich, sondern die Funktion des Gerichtes in der Anrede an die Gemeinde". Die Gerichtsaussagen wollen .. ,die Gerechtigkeit aus Glauben' in der Existenz des Glaubenden ein ... üben"". Seine Vorstellungen hat Paulus nicht völlig systematisiert, wohl auch nicht so weit, wie Mattem dies meint.
Zukünftige Auferstehung, Gericht und Parusie stehen also im allgemeinen unverbunden nebeneinander. Nun gibt es aber einige Stellen, wo sie in chronologische Verbindung miteinander treten und wo Paulus apokalyptische Einzeldaten zusätzlich zur Explikation theologischer Sachverhalte beizieht. Denn obwohl Paulus sowohl bei den 71 Martern, Gerichtpss., Zitate 193.176• .. Vgl. W. G. Kil1IImll, Jesus und Paulus (I), in: Heilsgeschehen und Geschichte, Marburg: Elwert 1965, 81-106, dort 95f. Ob Pls. gerade deshalb den Gedanken eines eschatologischen Gerichtes ~r nicht ganz preisgeben kann und ein gewisser Widerspruch bestehen bleiben mNß? ,. Vgl. auch o. A. 19. .. Gegen Martern, Gericht 212• .. Die Formulierung und die Sache bei Mattern, Gericht 176. Zu ähnlichen Annahmen gelangte bereits E. Kühl, Rechtfertigung auf Grund des Glaubens und Gericht nach den Werken bei Paulus, Königsberg: I. H. Bon 1904, 28, dessen Lösung (uO 26ff.) diejenige Martems in vielem schon vorwegnimmt . .. V gl. Martern, Gericht 84f. 157.212. " Jüngel, Paulus und Jesus 69.
2. Partl.tie- II1Id GerichtsfJIIssaUfI
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Aussslgen über das künftige Leben und Auferstehen als auch bei den Gerichts- und Parusieaussagen im allgemeinen ein auffälliges Desinteresse an apokalyptischen Einzelvorstellungen zeigt, d. h. normalerweise abgekürzt und in Chiffren spricht, bleibt sein Denken doch soweit im apokalyptischen Weltbild verhaftet, daß er jederzeit seine Kurzaussagen durch zusätzliches apokalyptisches Material konkretisieren kann. Dies ist der Fall in 1. K. 15, 23ff. und 1. Tb. 4, 13ff., zwei Texte.n, die uns zunächst zu beschäftigen haben. Beidemale erhält die futurische Explikation des Kerygmas eine Erweiterung durch apokalyptisches Material, u. a. durch die Parusievorstellung. Dabei handelt es sich offensichtlich um Ausnahmefälle. Wir werden uns bei beiden Texten zu fragen haben: Warum geht Paulus über die bloßen Chiffren an dieser Stelle hinaus und warum spricht er hier ausführlich und in apok:!lyptischem Stil von der Zukunft? Und: Wie verhalten sich die Einzdaussagen über die Zukunft, die Paulus im konkreten Fall macht, zueinander? Das paulinische Zukunftsbild, das sich aus 1. Th. 4, 13ff. und 1. K. 15, 23ff. ergibt, werden wir mit andem Texten vergleichen müssen, vorab mit 1. K. 15, SOff.; 2. K. 5, 1ff.; Phil. 1,23 und R. 8, 18ff. Dabei ist zu fragen, wie weit uns diese Texte, die ausführlichere Angaben über die Zukunft machen, sachlich über die Grundstrukturen des paulinischen Redens von der Zukunft, die sich aus unserm Überblick über die chiffreartigen Kurzaussagen ergeben haben, hinausführen.
VII. DIE ZUKUNFT DES GLAUBENS 1. 1. Th. 4, 13-18
A. Die Situation der Gemeinde
Der Übergang von 1. Th. 4, 12 zu 4, 13 ist ziemlich unvermittelt l . Was bewog Paulus zu seinen Ausführungen über die Toten 2 ? Dem V.13 können wir entnehmen: In Thessalonich herrschte Trauer. Aber nicht das allein bewog Paulus zum Schreiben, sondern dies, daß die Trauer der Thessalonicher einer Hoffnungslosigkeit entsprang, die vom christlichen Glauben her ausgeschlossen und geradezu Kennzeichen der Existenz des Heiden ist3• Wie Paulus von dieser Situation in Thessalonich erfahren hat, ob durch einen Brief der Gemeinde oder allein durch mündlichen Bericht des Timotheus, ist hier unwichtig'. 1 Dies hat K. G. Eclearl, Der zweite echte Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher, ZThK 58 (1961) 30-44, dort 37ff., und B. Fuchs, Hermeneutik?, in: Glaube und Erfahrung (= Aufs. III), Tübingen: Mohr 1965, 116-135, dort119, veranlaßt, zwischen 4, 12 und 4, 13literarkritisch einen Bruch zu sehen. Ihre Argumente werden von Kümmel, Problem, Heilsgeschehen 413f., m. E. überzeugend widerlegt. Darüber hinaus ist zu fragen, ob nicht 4,13 einen bewußten Rückbezug auf 4,9 enthält: "über die Bruderliebe habt ihr nicht nötig, daß man euch schreibt" ... , aber: "Wir wollen euch aber (I) nicht in Unwissenheit lassen ... über die Toten". Vgl. auch Wilcke, Zwischenreich 112f. t KOL(L.xO(LIXL dürfte neutrales Wort für "sterben" sein, das Pis. gern anstelle des theologisch durch die Aussagen über Christus und das Sterben mit ihm belasteten .xlto-&vljlYX6) setzt. Vgl. Hoffmann, Toten in Christus 186ff., bes. 205. • Vgl. Eph. 2, 12; 2. Cl. 1,7. Natürlich geht es bei der Trauer der Thessalonicher nicht um die Trauer um Tote. E. v. Dobschütz, Die Thessalonicherbriefe, Meyer K. 10,7. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1909, 187, weist mit Recht auf den Unterschied zwischen Audo(L(1t und Wörtern wie ~p'l}ve6), lttv.\h~6) etc. Aber es geht auch nicht um die Furcht der Thessalonicher vor dem eigenen Sterben (gegen Eckart, ZThK 58 (1961) 37f.), sondern um diejenige Trauer, die Ausdruck der Hoffnungslosigkeit der Menschen außerhalb Christi ist. Insofern ist das Verbot der Trauer "ganz absolut zu fassen" (v. Dobschütz, aaO, vgl. auch Masson, Thess.53). • Einen Gemeindebrief als Anlaß von 1. Th. vertritt neuerdings C. E. Faw, On the Writing of First Thess., JBL 71 (1952) 217-225, ebenso Masson, Thess.7f. Zurückhaltender ist mit Kümmel, Einl. 183, die Mehrzahl der Exegeten, da mündliche Berichterstattung durch Timotheus für Pis. durchaus ~enügt haben kann. Einen neuen Aspekt erhält die Frage durch die jetzt von W. Schmithals, Die historische Situation der Thessalonicherbriefe, in: Paulus und die Gnostiker, ThF 35, Hamburg: Reich 1965, 89-157, dort 93-97, vorgelegte Teilungshypothese von 1. Th., die m. E. im Unterschied zur Eckartsehen (0. A. 1) ernsthafte Besinnung erfordert. Ist nämlich 1. Th. 3, 11ff. ein Briefschluß und 2, 13ff. eine Danksagung eines selbständigen Briefes (dagegen wäre freilich das schon von P. Schuberl, Form
1. 1. Th.4,13-18
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Soviel steht fest: In Thessalonich sind - möglicherweise innerhalb kurzer Zeit - einige Gemeindeglieder gestorben. Dies versetzte die Gemeinde in hoffnungslose Trauer. Warum? Als Grund dieser Hoffnungslosigkeit ist zweierlei denkbar: Entweder gelangen die früh Verstorbenen nicht in die Herrlichkeit des messianischen Reichs, das der allgemeinen Totenauferstehung vorausgeht, sondern werden erst nachher, bei der sogenannten zweiten Auferstehung, auferweckt. Die bei der Parusie Lebenden haben somit einen relativen Vorzug". Doch diese vielfach vertretene Auffassung' bringt Schwierigkeiten mit sich: Sie :Ietzt doch wohl voraus, daß Paulus in der mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinde von Thessalonich7 die Lehre von zwei Aufersa~hungen und einem messianischen Zwischenreich zwischen diesen Aufi~rstehungen verkündet hätte, eine Lehre, wie wir sie sonst bei Paulus nicht belegt finden 8 • Vor allem aber ist sehr fraglich, ob Paulus einen solchen relativen Nachteil der bereits Verstorbenen als Grund einer Hoffnungslosigkeit hätte gelten lassen können, die für ihn schlechthin heidnisch ist. Suchen wir eine andere Lösung, so haben wir von der Vomussetzung aus2:ugehen, daß für die Thessalonicher der frühe Tod ihrer Gemeindeand f'unction of the Pauline Thankgivings, BZNW 20, Berlin : Töpelmann 1939,19. 26 Vorgebrachte zu erwägen I), so daß 1. Th. 2, 13-4, 1 ein selbständiger Brief wire, so würde die Rückkehr des Timotheus dem zweiten (nach Schmithals, der auch den 2. Th. als echt in seine Teilungshypothesen mit einbezieht: vierten) Thessa1onicherbrief angehören und fiele als Informationsquelle dahin. Bemerkenswert ist, daß eine der Schmithals'schen sehr ähnliche Teilungshypothese unabhängig von ihm vom Katholiken B. Rigllux, Paulus und seine Briefe, München: Kösel 1964, 154f:, immerhin erwogen wird. Andererseits schließen aber 2, 13ff. gut an 2, 1-12 an; die Thematik von 2, 13ff. unterscheidet sich überdies von dem in pm. Eulogien sonst üblichen. 4, 1fin. ist ltlX.&cll~ ltlXlltCfnnlX'rcL'rE in einem Briefschluß schwierig. , Vgl. zum Vorzuf:' den diejenigen nach jüdischer Auffassung haben, die das Ende erleben: Da. 2, 12; Ps. Sal. 17,44; 18, 6; 4. Esr. 6, 25; 7, 27; 13, 16-24. • Z, B. durch G. Wobl,nberg, Der erste und der zweite Thessalonicherbricf, KNT 12, .Lcipzig: Deichert 1903, 95ff.; Tillmann, Wiederkunft 53.; Schweitzer, Mystik 92f.; Masson, Thess. 54; Dupont, Syn Christö 41. Wilcke, Zwischenreich 122, lehrlt zwar den Gedanken eines messianischen Zwischenreichs ab, meint aber, die Thessalonicher hätten befurchtet, daß ihre Toten von dem , ..großen Ereignis' der Parusie" ausgeschlossen seien. Kann aber der Grund der Hoffnungslosigkeit der Gemeinde wirklich nur das Verpassen des großen Erlebnisses der Parusie sein? • Vgl. 1. Th. 1,9; 2, 14; Ag. 17,4; vgl. aber Kol. 4,1Of. mit Ag. 20, 41 8 Dazu Wilcke, Zwischenreich pss. Zu fragen ist natürlich, ob eine solche Lehre direkt aus dem Judentum in Thessalonich bekannt war, doch vgl. o. A. 7 und Wilcke, aaO 37-48. W. vermutet, daß die Vorstellung vom messianischen Zwischenreich, die erstmals in 4. Esr. 7, 26ff., vgl. 12,34 (und wohl doch auch s. Bar. 29f.; 40, 1ff.; rabbinische Belege aus späterer Zeit bei Volz, Eschatologie 7111".; Str.-B. IV, 816ff.) auftaucht, erst aus der Zeit nach 70 stammt und vielleicht unter dem Einfluß der Zerstörung Jerusalems entstanden ist. Für letztere These hat er jedoch keine Belege; außerdCm kann er sich überhaupt nur auf das erstmalige .«briJtlifb. Vorkommen der Vorstellung stützen, das über ihr Alter tlichts Sicheres aussagt. So muß diese These als unbewiesen (und wohl unbeweisbar) gelten•.
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VII. Die Zukunft des Glaubens
glieder für diese selbst offenbar ihre Verlorenheit und damit für die Gemeinde insgesamt Hoffnungslosigkeit bedeutet hat. Offenbar war für die Gemeinde das Erleben der Parusie Bedingung für die Teilnahme am Heil. Wie kam es zu dieser Auffassung? Es wurde vermutet, daß Paulus unter dem Eindruck der nahen Parusie zunächst nicht von der Totenauferstehung gesprochen habeI; dieser Bestandteil der pharisäischen Weltanschauung sei von ihm erst später - unter dem Eindruck des Ausbleibens der Parusie - in den Vordergrund gestellt worden10• Aber wahrscheinlich ist das nicht. Natürlich ist es wahr, daß die Christen in einer Situation höchster Naherwartung nicht mit ihrer Auferstehung von den Toten rechnen konnten, da sie ja gar nicht ihren eigenen Tod, sondern die Rückkehr Christi erwarteten. Aber dennoch ist es m. E. ausgeschlossen, daß zwanzig Jahre nach Jesu Tod nicht sowohl das Rechnen mit dem eigenen Tod als auch die Hoffnung auf eine Auferweckung von den Toten verbreitet war in den Gemeinden. Einen Beweis hierfür gibt Paulus selbst: In seinen Kurzformulierungen des Kerygmas taucht der Gedanke an die durch die Auferweckung Christi begründete Auferweckung der Gläubigen immer wieder auf (R. 8, 11; 1. K. 6, 14; 15; 2. K. 4, 14). Auch im Herrenwort 1. Th. 4, 16 ist der Gedanke der Auferstehung wohl selbstverständlich vorausgesetzt und in keiner Weise besonders akzentuiertl l • Es ist also kaum anzunehmen, daß Paulus bei seiner Predigttätigkeit in Thessalonich auf diese grundlegende Aussage verzichtet hätteI!. Oder haben die Thessalonicher den Glauben an die künftige Auferstehung nachträglich wieder aufgegeben? Fand eine gnostische Agitation gegen den Auferstehungsglauben auch in Thessalonich statt? Dann wäre die Situation in Thessalonich etwa ähnlich wie diejenige in Korinth13 • Doch auch gegen diese These erheben sich gewichtige Bedenken: Wenn die Situation in Thessalonich derjenigen in Korinth so ähnlich war, warum hat dann Paulus den Thessaloni• So U. Wilclt.tnl, Der Ursprung der überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, in: Dogma und Denkstrukturen, Festsehr. E. Schlink, Göttingen: Vandenhoeck 1963, 56--95, dort 58f.; früher schon Guntermann, Eschatologie 43f. 10 V gi. Guntermann, Eschatologie 130f. 11 Vgl. zu Recht Deissner, AuferstehungsholInung 11f. und B. Rigaux, Saint Paul. Les q,itres aux Thessaloniciens, Etudes BibI., Paris: Gabalda 1956, 527. 11 Es bliebe höchstens noch die Möglichkeit, mit einem sekundären .. Emporzukken" akuter Naherwartung beim Besuch des Paulus in Thessalonich zu rechnen (vgl. Bammel, ZThK 56 (1959) 312), die aber dann bereits zur Zeit der Abfassung des 1. Tb. kurze Zeit später wieder erlahmt wäre (gegen Bammel aaO 3101f.). 11 So etwa Kabiseh, Eschatologie 76; W. LUtgerl, Die Vollkommenen im Philipperbrief und die Enthusiasten in Thessalonich, BFTh 13/6, Gütersloh : Bertelsmann 1909, 791f.; Schmithals, Situation der Thess., Paulus und die Gnostiker 118f.
1. ,. Th. 4,13-18
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chern. eine so völlig andere Antwort gegebenU ? Warum hat er das Christuskerygma dann gerade nicht auf die künftige Auferstehung hin expliziert, wie dies in Korinth der Fall war (1. K. 15), sondern auf das künftige Sein-mit-Christus hin, das für alle zugleich eintreten wird? Von der künftigen Auferstehung spricht Paulus 1. Th. 4, 13ff. nur ganz nebenbei; und in der Zusammenfassung V. 14 läßt er sie sogar völlig aus und folgert aus Tod und Auferstehung Jesu direkt das MitJesus-Geführt-werden. Dabei wird die Vorstellung von der künftigen Aufel:stehung wohl als selbstverständlich vorausgesetzt. Der Gemeinde in Thessalonich sind vermutlich sowohl die Parusieerwal:tung als auch die künftige Auferstehung der Gläubigen bekannte Vorstellungen. Dennoch stürzte sie der Tod einiger Gemeindeglieder in tiefe Hoffnungslosigkeit. M. E. zeigt dieser BeJlI1Id, daß die Thess,~/onicher nicht systematisch-apokalYptisch dachten. Einerseits standen sie wohl in der Hochstimmung einer intensiven Naherwartung und daran brach, existentiell, nicht theoretisch, die Frage nach dem Schicksal de:r die Parusie nicht mehr Erlebenden auf. Andererseits ist aber der Glaube an eine Auferstehung der Christen in der Gemeinde von Thessalonich durchaus vorauszusetzen und von Paulus in seiner Argumentation V. 14fT. auch vorausgesetzt. Hingegen müssen wir an die Schwierigkeiten den~en, die der apokalyptische Gedanke einer künftigen Auferweckung von den Toten den nicht apokalyptisch denkenden, ehemals heidnischen Thessalonichern bereiten mußte. Diese Schwierigkeiten verstärkten sich noch, wenn wir in Rechnung stellen, daß Paulus seine Zukunftsaussagen im allgemeinen nicht apokalyptisch entfaltete, wenn nicht eine besondere, dies erheischende Situation ·vorlag. Wenigstens in seinen Briefen verfährt er so und begnügt sich rnit der Angabe von Zukunftschiffren, wie "leben", "auferstehen" etc.; vermutlich war es in seiner Missionspredigt nicht viel anders. Die meisten Glieder der Gemeinde von Thessalonich aber werden von Hause aus griechisch geprägte Zukunftsvorstellungen, etwa die eines künftigen Lebens der unsterblichen Seele, nicht apokalyptische mitg,!bracht haben. So ist es durchaus verständlich, wenn die Thessalonicher angesichts der toten Gemeindeglieder in ihren Gräbern in Trauer und Hoffnungslosigkeit versetzt wurden. Hätten die Thessalonicher die aus dem Kerygma sich ergebende Gewißheit einer künf.. Die! Frage ist an Schmithals gerichtet und spitzt sich besonders zu, wenn er in seiner Spätdatierung von 1. Th. Recht hätte. Die Feststellung, Paulus sei zur Zeit von 1. Th. 4, 13ff. eben schon besser über die wirkliche Meinung der Gnostiker orientiert gewesen als zur Zeit von 1. K. 15 (Situation der Thess., Paulus und die Gnostiker 119), hilft wenig, da nach 1. Th. 4, 13ff. Pis. für die Thessalonicher gerade Hoffnungslosigkeit, aber nicht enthusiastisches Vorwegnehmen der Auferstehung und spiritualistische Skepsis annimmt und somit die ThessalODicber wiederum falsch getröstet hitte.
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VII. Die Zukunft des Glaubens
tigen Auferstehung der Gläubigen systematisch mit der Parusieerwartung in Zusammenhang gebracht und beides, Parusieerwartung und Gewißheit der zukünftigen Auferstehung, in einem apokalyptischen System aufeinander bezogen, so hätten sie über den Tod ihrer Gemeindeglieder nicht zu verzweifeln brauchen16 • Aber offenbar wurde durch die Todesfälle ihr Glaube an die Gewißheit des durch Christus zugesprochenen Lebens erschüttert. Wir haben also in Thessalonich gerade nicht eine systematisierte apokalyptische Eschatologie vorauszusetzen. Dieser Tatbestand ist darum interessant, weil er dem theologischen Befund im Corpus Paulinum in gewisser Weise entspricht. Auch bei Paulus haben wir, wie der vorangehende Überblick gezeigt hatte, zunächst ein weitgehend unverbundenes Nebeneinander von zukünftiger Auferstehung, die aufgrund des Christusgeschehens gewiß ist, und Parusie, die mit zahlreichen Gerichtsaussagen zusammen und in den Bereich der Paränese gehört. Eine systematische, apokalyptische Verbindung zwischen beiden Komplexen hat Paulus nur zweimal vorgenommen, nämlich 1. K. 15 aufgrund des korinthischen Unglaubens und eben an unserer Stelle unter dem Eindruck der Trauer der Thessalonicher, also jeweils in konkreter Situation. Es müßte von hier aus ernsthaft gefragt werden, inwiefern die Hoffnungslosigkeit der Thessalonicher in der Struktur der paulinischen Predigt und Theologie ihre sachliche Voraussetzung hat.
B. Das Ziel des Paulus: Hoffnung aufgrund des Glaubens Das Ziel der paulinischen Ausführungen kann nur dies sein, die Trauer in Thessalonich zu beseitigen und die dortige Gemeinde erneut in die HoffilUng zu stellen. Also wohlverstanden: Nicht dies, ihr Hoffnungen zu machen, denn Hoffnungen haben auch die Heidenn, Hoffnungen haben auch die Thessalonicher selbst, die ja schließlich durchaus Chance haben, zusammen mit Paulus die Parusie zu erVgl. auch v. Dobschütz, Thess. 189 und Rigaux, Thess. 528 (.. L'enseignement (des Pis.) a ~t~ g~n~ral"); Wilcke, Zwischenreich 122 (..zumal es durchaus möglich ist. daß Paulus bei seiner Verkündigung von Auferstehung und Parusie keinen ... Zeitplan aufstellte"). Daß eine Lösung des Problems der Thessalonicher auf der Basis apokalyptischer Theologie möglich wäre, zeigen 4. Esr. 5, 41f.; s. Bar. 51, 13, vgl. 30, 1f.; 50, lff. .. Auf die Hoffnungen in den Mysterien seiner Umwelt geht Pis. hier nicht ein, vgl. Dibelius, Thess.-Phil. 24; Wilcke, Zwischenreich 116f. Auch die griechische Hoffnung auf Unsterblichkeit ist keine Hoffnung im paulinischcn Sinn. Es gilt: "Il n'y a pour saint Paul d'esp~rance qu'en J~us Christ" (Masson, Thess. 53, vgl. Rigaux, Thess. 5 3 3 ) . · . 11
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lebe:n l7. Hoffnung aber haben sie keine. Denn die Hoffnung ist eine, unteilbare, genau so wie der Glaube und die Liebe eins istl8. Die Hoffnung "konstituiert ... das christliche Sein"l', ebenso wie die Hoffnungslosigkeit das heidnische. Du!:ch diese grundsätzlichen Bemerkungen sind uns zwei Aufgaben gestellt. Zunächst haben wir zu fragen, was Hoffnung für Paulus auszeichnet und wie er sie beschreibt. Sodann werden wir unsern Ab!öchnitt daraufhin zu befragen haben, inwiefern nun Paulus den Th(:5salonichern wirklich Hoffnung schenkt. Zugleich werden wir veriluchen, das Verhältnis von Hoffnung und Zukunftsaussage etwas näher zu bestimmen. Untersuchen wir den paulinischen Hoffnungsbegriff einmal auf seine nAheren Bestimmungen hin, so fällt uns zunächst einmal auf, wie häufig PauIus den Gnmtl der Hoffnung näher beschreibt. Als Grund der Hoffnung finden wir": die Rechtfertigung (R. 5, 2) die Liebe Gottesl l (R. 5, 4) die "Geduld" Christi und den "Zuspruch" der Schrift (R. 15, 4) Gott (R. 15, 13, vgl. 8,20) das tröstende Gotteswort (2. K. 1,7, vgl. I, 5ff.) den Glauben (GI. 5, 5) Gottes Tat durch Christus (1. Th. 5, 8f.) Fral~en wir nach dem Inhalt tkr Hoffnllllg, so finden wir als zukünftige Hoff'nungsgüb:r:
.. Elle; -rl)v nGtpouenGtv 'fOÜ xup!ou V. 15 kann kaum anders als auf 01 '"P~n6!ano' bezogen werden. Ein Bezug auf ,&dv(a) ist nicht möglich, und ein Verweis auf das häufige ,&civ(a) eil; (A. Wimmer, Trostworte des Apostels PauIus an Hinterbliebene in Thessalonich, BibI. 36 (1955) 273-286, dort 275) ist unnütz, weil hier ~ nicht in der sonst auch bei Pis. üblichen Bedeutung "kommen", sondern im Sinn von npo,&cil/(a) = "zuvorkommen" gebraucht wird. Die Möglichkeiten des Bezugs weiden bei Rigaux, Thess. 539f. ausführlich diskutiert.
De"",arh ilt ant_hmen, daß PlI. SBlblt tl;, PflNIIie t" erle"'" INJ!f.IB. A. L. Moorr, Tbc Parousia in the New Testament, Suppl. Nov. Test. 13, Leiden: Brill 1966, 109f., meint, daß PIs. an "the Christian church in general" denke (asO 110), wobei er selbst nicht unbedingt mit eingeschlossen sein müsse. Das ist umso weniger anzunehmen, als die Lebenden, bis zur Parusie Obrigbleibenden hier der) Toten gegenübc:rgestellt werden. Hingegen wird man, gegen v. Dobschütz, Thess. 192, das Partizip Präsens nicht einfach stillschweigend aoristisch interpretieren dürfen; 80 sehr PIs. mit der Nähe der Parusie rechnet, so wenig denkt er sich die "OOOgbleibenden" als abgeschlossene Gruppe. Weitere Todesfalle sind durchaus möglich, und PIs. zeigt ja gerade den ganzen Abschnitt hindurch, daß seine Hoffnung nicht darin besteht, die Parusie noch zu erleben. Vgl. zum Ganzen die abgewogenen Bemerkungen von Rigaux, Thess. 222-227 un(l. u. A. IX 1. 18 "Elpis" steht bei Pis. (und im N. T.) immer im Singular• .. .R. Bultmann, Art. ~An!e; XTA. ABDE, ThW 11,515-520; 525-531, dort 528, 30. I. Es sind im folgenden diejenigen Stellen, wo "elpis" oder "elpizö" im profanen Sinne, also in der Bedeutung von "erwarten", "Erwartung" gebraucht sind, nicht vetwendet. Aber sogar an den Stellen, die ganz profan von der Hoffnung auf das Eintreten eines bestimmten· innergeschichdichen Sachverhaltes sprechen, wird gelegentlich die Begründung auc~
vm
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VII. Die Zukunft Jes Glaubens
die künftige Befreiung der Schöpfung (R. 8, 20) die Rettung (1. Th. 5,8) ("soteria") die künftige Rettung (2. K. I, 10) (~60!La:L) Daneben finden wir Stellen, wo sich die Hoffnung nicht auf ausschließlich zukünftige Dinge richtet, wie etwa die "Herrlichkeit" Gottes (R. 5, 2), die Gerechtigkeit (GI. 5, 5, vgl. R. 5, H.), unser Herr Jesus Christus (1. Th. 1,3).
Wichtig ist Paulus, daß die Zukunft Gottes dem Glauben in der Hoffnung gewiß wird (2. K. 1,7, vgl. R. 5, 4f.). Und diese Gewißheit der Hoffnung gründet wiederum in Gott selbst, der in Jesus Christus gehandelt hat. Es war auffällig, wie oft Paulus vom Grund der Hoffnung sprach. Weil die Hoffnung auf Gott sich richtet und ebenso auf Gott und seiner Tat gründet, ist sie unverfügbar, daher jederzeit Hoffnung auf Unsichtbares (R. 8, 24f. II), aber gerade darum auch gewisse Hoffnung. Zwischen Grund und Inhalt der Hoffnung kann Paulus letztlich kaum scheiden, denn der, der sie schenkt, ist der, auf den sie sich richtet; und nut: darum, weil er sie schenkt, kann sie sich echt, d. h. als Hoffnung, nicht bloß als hoffnungsloser Wahn, auf ihn richten. So kann Hoffnung geradezu zur Chiffre werden, die - unerklärt und absolut - das Wesen christlicher Existenz umschreibt!S, die, weil sie von Gott her kommt, auch auf Gottes Zu-kunft ausgerichtet ist. Hoffnung ist die Weise, wie die vom Kerygma bestimmte gewisse Zukunft in der Gegenwart präsent wird, der "Gewinn der Freiheit", den Gottes zukunftseräffnendes Handeln dem Menschen gewährt!l4. Hoffnung heißt, daß die von Christus bestimmte Zukunftsgewißheit dem Glaubenden Zeit schenkt zur Liebe und zur Nüchternheit (vgl. R. 15,5; 1. Th. 5, ~11). Hoffnung bestimmt also die Existenz in der Gegenwart, und christlicher Glaube ist somit "nicht nur im Anhang Eschatologie"·5, sondern die Hoffnung macht ganz und durchgehend sein Wesen aus. Christliche Hoffnung ist die Bestimmtheit der ganzen Existenz von Gottes Zukunft her, nicht nur ein Verhältnis, das der Mensch im besondem zu den zukünftigen Geschehnissen hat. Oder, wie P. S. Minear treffend formuliert: "Hope is a horizon within which
11 Bultmann, ThW 11, 527, 35ff. hebt zu Recht hervor, daß Pis. R. 8, 24f. nicht nur eine formale Definition der Hoffnung gibt, sondern sachgemäß ausdruckt, daß sich echte Hoffnung auf Gott richtet. •• V gl. den absoluten Gebrauch von "elpis" R. 5, 4f.; 8, 24; 12, 12; 1. K. 13, 13; 2. K. 3, 12. Im deuteropln. KoI. wird "elpis" zum himmlischen Heilsgut (1, 5), was eine deutliche Verschiebung gegenüber dem Sprachgebrauch des Pis. darstellt. .. V gl. zu dem dem pln. Hoffnungsbegriff zugrundeliegenden Sprach verständnis E. Fllchl, Die Sprache im Neuen Testament, in: Zur Frage nach dem historischen Jesus (= Aufs. 11), Tübingen: Mohr 1960, 258-279, dort 273ff., bes. 276f., Zitat 278. 11 J. Mollmann, Theologie der Hoffnung, BEvTh 38, München: Kaiser 1964, 12.
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God sets man's past, piesent and future" und nicht "a line connecting the p1:esent to the future"2t. Es ergibt sich daraus, daß für Paulus christliche Hoffnung in einer diametral andersartigen Weise Hoffnung ist als jede heidnische oder jüdische Hoffnung, ja überhaupt allein Hoffnung im echten, eschatol~ gischen Sinn des Wortes. Sie ist es, weil sie einen andem Grund hat als. jede andere Hoffnung; Paulus würde sagen: weil sie allein einen Grund hat. Hoffnung ist also bei Paulus nicht einfach VOll da her Zu bestim-
men, daß sie das Verhältnis des Menschen zur Zukunft beschreibt, sonde", von da her, daß sie Gottes Zukunft von seiner Vergangenheit her in die dort gestiftete Ge7IIißheit einschließt. Darum ist Hoffnung nicht einfach formal Umschreibungfiir das gege1t7llärtige Abwesen eines für die Zukunft Erwarteten, sondern die durch Gott selbst gegründete GeTPißheit sei"es AmPest1ls ftir alle Ze#27. Insofern ist Hoffnung elTPas, das "bleibt" (1. K. 13, 11)-. Wenn nun Paulus den Thessalonichem durch apokalyptische Einzeldaten Hoffnung schenken will, so werden wir zu fragen haben, ob er sein Verständnis von Hoffnung dabei so durchhält, daß er durch Gründung auf Gottes Vergangenheit der Gemeinde die Zukunft GottC!S gewiß machen kann. Die Argumentation des Paulus in den Versen 14-18 entspricht nun dem. von uns herausgestellten Bezug von Hoffnung auf Vergangenheit tmd Zukunft. Zunächst gibt Paulus den Grund seiner Zukunftsaussage an: Jesus ist gestorben und auferstanden. Das ist die Voraussetzung des ganzen folgenden Gedankengangs. Formal liegt hier eine Kurzform der sog. Pistisformel vor. Haben wir in V. 14 ein vorpaulinisches Traditionsstück vor uns? Zur Stützung der These könnte man auf die synoptischen Passionssummarien und die Kerygmata der Apostelgeschichte hinweisen, die auch das bei Paulus sonst ungebräuchliche Verb clvlanjl" verwend.:n". Aber zur Erklärung von ~anJ liegt m. E. näher, eine Rückwirkung von uva
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VII. Die Zukllnjt Jes GltJllbens
kurzen Formel kein vorpaulinisches Gut nachzuweisen. Auch sonst kann Paulus gelegentlich Pistisformeln selbst formulieren".
Dann legt Paulus die Formel aus: So wird Gott durch Jesus 31 auch die Verstorbenen in Gemeinschaft mit ihm führen. Diese Zukunft, die Gott durch seine Tat an Jesus den Toten eröffnet hat, ist sachlich die notwendige Interpretation des Glaubens der Gemeinde an Tod und Auferstehung Jesu S3, in ihrer konkreten Gestalt aber vom folgenden Herrenwort her zu verstehen. Im Hinblick auf dieses Herrenwort wird ein für Paulus selbstverständlicher Zwischengedanke, der sich aus der Auferstehung Jesu zunächst ergäbe, nämlich die künftige Auferstehung der Verstorbenen, übersprungen. Gleichsam als sekundäre Begründung fugt Paulus nun dem Vers 14 einen "Logos kyriou" zu, also ein Wort eben dieses gestorbenen und auferstandenen Herrn. Darin wird die durch das Christuskerygma eröffnete Zukunft im einzelnen entfaltet.
C. Das He"emvort und seine Interpretation durch Pall/us Dieses Herrenwort gibt uns nun mannigfache exegetische Probleme auf. Sie lassen sich aber auf zwei Hauptfragen reduzieren. 1. Ist an ein Wort des irdischen Jesus oder des Erhöhten gedacht? Wenn ein Wort des Erhöhten vorliegt, ist dann an eine Paulus direkt zuteil gewordene Offenbarung oder an einen aus der Tradition übernommenen Prophetenspruch zu denken? Und wenn ein Wort des irdischen Jesus vor~c'iiV'l'It; (vgl. Ag. 10,42; 2. Tm. 4, 1; 1. Pt. 4, 5, vgl. auch Mk. 12,27 Pan; Belege aus den apostolischen Vätern bei Pr.-Bauer s. v. "acp6~) beeinflußt, wobei umgekehrt die sachlich vorgegebene Reihenfolge der Verben in der Pistisformel die Voranstellung von YSXpo[ bewirkt haben könnte. Auch dort dürfte also die Pistisformel von Pis. selbst formuliert worden sein, gegen Kramer, Christos § 5d. 11 V gl. o. A. VI 38 . .. 6LIi -roü 'I"lOOü ist sicher "paulinisehe Gelegenheitsbildung" (Kramer, Christos § 1%), in Anlehnung an das ebenfalls auffallende 'I'tjIJoüt; in V. 14a, für das eine Begründung kaum, auch bei Annahme einer vorpln. Tradition nicht, möglich ist. 6LIi TOÜ 'I'tjooü ist m. E. mit !l;EI zu verbinden und nicht mit XOIJ.L'tj.&Mot~, obschon sonst fast immer die Wendung 81'* ... der damit bezeichneten Sache nachgestellt ist. Aber "Sterben durch Jesus" gibt - trotz Rigaux, Thess. 535ff. einfach keinen plausiblen Sinn, es sei denn, man bezöge mit!. jeremiar, Unbekannte Jesusworte, 3. Auft. Gütersloh: G. Mohn 1963, 79, die "Toten" im Herrenwort auf Milrtyrer, was aber durch den Kontext in keiner Weise nahe gelegt wird, vgl. auch P. Nepper-Chrislensen, Das verborgene Herrenwort, StTh 19 (1965) 136-154, dort 138. Für die hier vorgeschlagene Stellung läßt sieh übrigens leicht ein stilistischer Grund finden: Das unmittelbare Nebeneinander von 81'* und .ro" wäre doch sehr störend. So wird "dia tou Iesou" zu "axei" zu ziehen sein, ebenso neuerdings auch ausführlich Thüsing, Per Christum 202f.; Hoffmann, Toten in Christus 213ff.; Wilcke, Zwischenreich 126ff. .. EI y'*p hat "einen wirklichen Fall zur Voraussetzung" (Pr.-Bauer 434), will also nicht eine Bedingung, die es erst noch einzuhalten gälte, aufstellen. Vgl. auch u. A. VIII 15.
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liegt, an welches ist dann zu denken? 2. Welche Teile der Verse 15-17 sind "Logos des Herrn" und was ist paulinische Interpretation? Läßt sich das Herrenwort mit sprachlichen Mitteln überhaupt rekonstruieren? ad 1) Sieht man im ,,logos kyriou" ein Wort des irdischen JesusH , so entsteht eine Schwierigkeit, weil man nicht recht weiß, an welches Jesuswort zu denken ist. Vorgc:schlagen wurden: Mt. 10, 39; 16,25; 16,28; 20, 111.; 24,31; 24,34; 25,6; 26, 64; Lk. 13,30; J. 5, 25; 6, 39f.; neuerdings auch J. 11, 25f."· Ein Kommentar zu diesen zahllosen Vorschlägen erübrigt sich. Man wird dann schon eher zu der an sich problematischen Ausweglösung eines Agraphon greifen müssen"". Doch auch da erbeben sich Schwierigkeiten, weil ein solches Wort, sogar wenn der jetzige Besta:nd von V. 15-17 arg beschnitten würde, schlecht in die Eschatologie Jesu hineinpaßte. Ein Verweis auf 1. K. 7, 10; vgl. 7,6.12.25 und 1. K. 9, 14 kann UDS weiterhelfen. 1. K. 7, 10 bringt eine l1tLT~ xuptou (V. 6~ 25), die schon durch das seltette "chörizö" deudich auf Mk. 10, 9 zurückweist. Die Anweisung des Herrn 1. K. 9, 14 dagegen legt formal in keiner Weise einen Rückbezug auf ein Jesuswort, etwa Lk. 10, 7, nahe, ein Wort, das überdies kaum auf den irdischen Jesus zurüc:kgeführt werden könnte. Hingegen erinnert 1. K. 9, 14 durch seine Formulierung an die von Kisemann erarbeitete Form der Sätze heiligen Rechtes". Es ist also ,cher wahrscheinlich, daß hinter dieser Stelle ein urchrisdicher Prophetenspruch im Namen Jesu steht. Entscheidend ist nun noch eine andere Beobachtung: Wir finden in der paulinischen Parinese viele Worte, die vermutlich traditionsgescllichdich auf Worte des historischen Jesus, vor allem in der Bergpredigt, zurückgehen··. Sie sind aber nicht als l1tLTatyat! oder MYOL des Herrn gekennzeichnet und besitzen nicht die diesen eigene, besondere Autoritit. Wie auch immer dieser Sachverhalt theologisch und historisch interpretiert werden mag, fest steht jedenfalls, daß Jl/ir in Mr lIorpauJinischen G,meinM ~Jl/ischen tIIIO".J1II g_tInwr !ellls,lradition und OberJiejmlllgsgut, das IIIIter der direkten Autorität MS Kyrios lI,hl, IIIIterrcheiden müssen. Unter die zweite Gruppe fallen auch im Namen Jesu gesprochene Worte urchristlicher Propheten, wie 1. K. 9, 14 zeigte. Zu dem selben Resultat führen noch zwei andere, lingst bekannte Beobachtungen: Die erhaltenen Worte des Kyrios sind entweder ethischer oder apokalyptiJcher Natur. Das entspricht dem Gebrauch des Kyrio8-Titels in der vorpaulinischen S' Vgl. z. B. die bei v. Dobschütz, Thess. 193, Genannten, ferner z. B. G. KillIl, Art. ASyCll XTA. D, ThW IV, 10~147, dort 105 A. 145; Wegenast, Tradition 109, daztl die u. A. 36 Genannten • •• Nepper-Christensen, StTh 19 (1965) 151ff. •• Frame, Thcss. 172; Jeremias, Unbekannte lesusworte 79• .. Die WiederholllDg des Wortes "euaggelion' weist vielleicht auf Talionsstil. vgl. die von E. KäsemanII, Sätze heiligen Rechtes im Neuen Testament, in: Exegetische Versuche und ßesinnungen II (= Aufs. II), Göttingen: Vandenhoeck 1964, 69 HZ, dort 69-71, gegebenen Belege. Natürlich trüge ein so rekonstruierter Rechtssatz nicht eschatologisches Geprige, was aber im Hinblick auf die "gemeindeleite(l(le Funktion der Prophetie" (aaO 80) nicht zu wundem braucht. Der 1. K. 9, 14 zugruncleliegende Rechtssatz könnte etwa gelautet haben: "Wenn einer das EVIlDgeliumverkündet, soll er aus dem Evangelium leben". •• Vgl., die Belege bei Holtzmann, Theol. 11 232f.; Daviel, Faul and Rabbinie Judaism 138ff.; Hunter, Predecesson 47ff. 126ff., Wld ScJuase, BinZelgebote 243 A.250. 00
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VII. Die Zukunft des Glaubens
Gemeinde" und zum Teil wohl auch der Funktion der Prophetie im Gemeindeleben. Und: Die Formel ~v ).6Yf!) xup(ou kommt auch in der Septuaginta vor und weist dort auf inspirierte Prophetenrede40 • Wir haben also starke Indizien fur das Vorliegen eines urchristlichen Prophetenspruches auch an unserer Stellen. Daß dieser Spruch Paulus nicht selbst durch eine Offenbarung zuteil geworden ist", sondern von ihm aus der Tradition. übernommen und nachher interpretiert worden ist, zeigt eine Untersuchung des Sprachmaterials. Ob Paulus selbst das Herrenwort für ein Wort des historischen Jesus gehalten hat, ist fraglich; noch fraglicher ist aber nach 2. K. 5, 16, ob er diese Frage überhaupt fUr wesentlich gehalten hätte. Wir stehen damit vor der zweiten Frage: Was umfaßt der urchristliche Prophetenspruch und was gehört zur paulinischen Interpretation? aa2)
Eine Untersuchung des Vokabulars unserer Stelle'· gibt folgenden Befund: V. 15 ist vermutlich ganz von Paulus selbst formuliert. Einzig '/\"e:p~enro!UVol ist Hapaxlegomenon an unserer Stelle, erklärt sich aber leicht als übernahme aus dem Zitat in V. 16. In V. 16 ist cxöTbt; 6 (9 x bei Paulus) und t!'/\"' oöpcxvoü" bei Paulus .1 Vgl. Kramer, Christos § 47 und 48, bes. aber § 44b. 1. K. 7, 25 zeigt, daß bei "kyrios" an den gegenwärtig Erhöhten gedacht ist. '0 3. (= 1.) Kö. 13, Iff.; 21, 35; Sir. 48, 3; 6. (= 4.) Esr. 16, 37. Weiteres bei /. G. Da.;u, The Genesis of Belief in an Imminent Parousia, ]ThS n. s. 14 (1963) 104107, dort 106. Doch ist gegen Davies auch in V. 15, wie in V. 16, der Kyrios sicher Jesus Chrisnls, nicht Jahwe. Nepper-Christensen, StTh 19 (1965) 140f., möchte im "Herrenwort" den speziellen Parusielogos Jesu sehen, doch geht das aus 1. Th. 1, 8 m. E. nicht hervor. n So die von Wilcke, Zwischenreich 131 A. 666 Genannten, ferner etwa W. BotuRI, Der Antichrist, Göttingen: Vandenhoeck 1895, 166; R. BII/lmann, Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus, in: Glauben und Verstehen 1,3. Auß. Tübingen: Mohr 1958, 188-213, dort 190; G. Bornlea",,,,, Die Verzögerung der Parusie, in: In memoriam E. Lohmeyer, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 1951, 116-126, dort 119; J. G. Davies, JThS n. s. 14 (1963) 106f., sieht in der urchristlichen Prophetie einen entscheidenden Faktor für das Entstehen der Naherwartung. .. V gl. die bei Wilcke, Zwischenreich 130 A. 660, Genannten, ferner Hoffmann, Toten in Christus 219f. .. Die vokabelstatistischen Untersuchungen verdanke ich P. Siber; in seiner Dissertation wird das Material ausfuhrlich dargelegt. In der Auswertung des Befundes komme ich zu einem weitgehend ähnlichen Resultat wie er. Im übrigen sind sich die Exegeten nicht einig, ,vo eigentlich das Herrenwort genau zu suchen ist. Während v. DobschUtz, Thess. 193, z. B. es bereits mit V. 15 beginnen läßt, J. Weiss, Urchristentum 417 A. 1, und Wilcke, Zwischenreich 133, aufV. 15b beschränken möchten, sehen Dibelius, Thess.-Phil. 25; Frame, Thess. 172, und Masson Thess. 56, den Anfang erst in V. 16. NepperChristensen, StTh 19 (1965) 141ff., kommt zum Ergebnis, daß Pis. in V. 16f. drei schon verbundene Jesusworte nicht so sehr zitiere als vielmehr appliziere (aaO 143. 147). Am eingehendsten analysiert wurden die Verse durch Jeremias, Unbekannte Jesusworte 78, der in V. 16f. ohne V.176o. eine Agraphon sieht, vgl. o. A. 32. AöTbt; 6 XOPIOt; möchte er durch ein ursprüngliches "Menschensohn" ersetzen, vgl. dazu u. A. 44.52; die 1. Person Plur. und "en Christö" hält er für Zusätze. .. Vgl. R. 1, 18. Immerhin zeigen 1. Th. 1, 9f., vgl. auch Mt. 24, 30; Mk.14, 62 Parr.; J. 3, 13; 6,38. 4tf. 50f. 58, ferner die stereotype Verwendung von XCXTCX~cx(_ bt TOÜ oöpcxvoü im N. T. (9x in verschiedenem Zusammenhang), daß das Motiv traditionell ist und evt. in Zusammenhang mit einer Menschensohntradition 8teht.
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möglich. "Nekros" und "en Christö" ist beides an sich gut paulinisch, findet sich aber in dieser Kombination nie". Wohl aber haben wir Apk. 14, 13 in einem isoliert.:n Prophetenspruch die Wendung o! IlEXpol o! 4v KUp[~ Ii~cncwm;", so daß man fragen könnte, ob Paulus ein ursprüngliches "en kyriö" durch ein von seinem Sprachgebrauch her sinnvolleres "en Christö" ersetzt hätte. "Proton" und "epeita" sind gut paulinische Vokabeln", ebenso ~!1&!t; o! •.• "A!l4 oUv cx?no~ dürfte trotz 1. Th. 5, 10 vorpaulinisch sein'·. Die übrigen Vokabeln sind durchwegs unpaulinisch, o-Il).'/\"IY!; und OP6lvlj überdies apokalyptische Motive. Diese vokabelstatistischen Beobachtungen werden noch ergänzt durch ein formales Kriterium: das Vorkommen der ersten Person Plural in einem Prophetenspruch wäre immerhin auffällig". V. 17 fin. ist sicher wieder paulinisch. So dürfte sich, eingerahmt von paulinischer Interpretation und durchsetzt durch eine paulinische aktualisierende Verdeutlichung vielleicht etwa folgender Wortlaut des Prophetenspruch!: rekonstruieren lassen: "Der Herr mit Befehlswort mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes wird herabsteigen vom Himmel. Die Toten im Herrn werden auferstehen. Die übrigbleibenden werden zusammen mit ihnen entrückt werden mit den Wolken ZUI: Begegnung mit dem Herrn in der Luft" Es dürfte sich hier um eine P/usieweissagung aus der vorpaulinischen ~einde handeln, die sich traditions geschichtlich aus verschiedenen Gründen einer relativ späten Phase der Geschichte dieser Gemeinde zuordnen läßt: Sie faßt das Problem der Parusieverzögerung, insbesondere durch die wohl bereits traditionelle Differenzierung zwischen Gestorbenen und die Parusie noch Erlebenden, ins Auge". Sodann setzt sie voraus, daß der Mare-Kyriosll bereits zahlreiche Motive aus der Menschensohntradition übernommen hat·'. Eine Einzellnterpretation des traditionellen Prophetenspruchs, die noch manche Probleme aufgäbe, ist hier nicht unsere Aufgabe. Sein Sitz im Leben in der vorpaulinischen Ttaditioli läßt an eine Situation denken, die von derjenigen in Thessalonich nicht allzusehr verschieden ist•
•• 1. K. 15, 18 macht einen Bezug von "en Christö" auf clvcxarljcrov-ra;, sehr unwahn;cheinlich . •• T. Holi;:., Die Christologie der Apokalypse des Johannes, TU 85, Berlin: Akademie 1962, 11 vennutet auch für Apk. 14, 13 fonnelhaftes Traditionsgut. .. Vgl. bes. 1. K. 15,23. IIpwTOII ist bei Pis. mit Ausnahme der festen Wendung 'Iou3cx(
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VII. Die ZlIkmtft des Glallbens
Wir wenden uns nun der paulinischen Interpretation des traditionellen Spruches zu. Dabei fällt uns auf: 1. PflIIlus erstheint in IItIserm Text als aktiver Interpret lind n;tht als bloßer Tradent. Dies zeigt sich schon daran, daß er dem Prophetenspruch eine eigene Zusammenfassung vorangestellt hat. An die eigene Zusammenfassung schließt sich dann mit "hoti", das etwa einem Doppelpunkt gleichkommt, der Prophetenspruch an. 2. Im Vergleich zum Prophetenspruch zeigt die paulinische Zusammenfassung eine delltlithe Redllktion apoka!Jptisther Einzelheiten. Nicht nur verzichtet Paulus auf eine Ausmalung und Deutung sämtlicher im Spruch gegebener apokalyptischer Angaben, sondern es bleiben auch sämtliche uns durch den Prophetenspruch aufgegebenen Unklarheiten (etwa: wessen Befehlswort ist gemeint? wohin begibt sich Jesus mit den Seinen nach der Begegnung in der Luft?) ungeklärt. Ungeklärt bleibt auch die wichtige Frage, was mit den Nichtchristen bei der Auferstehung geschieht. Ja sogar der eigentliche Skopus des traditionellen Spruches, die Entrückung der Gläubigen, kommt bei Paulus nicht zum Zug. Paulus ist lediglich an dem einen, für die Situation in Thessalonich brennend wichtigen Punkt interessiert: Die Lebenden werden dann keinen Vorrang vor den Toten haben&8. Dabei wird das ganze apokalyptische Bild durch den ihm geläufigen Terminus "parousia" zusammengefaßt. 3. Dies bedeutet zugleich eine Konkretisierlltlg des Prophetensprllths. Die Reduktion des apokalyptischen Stoffes erfolgt nach Maßgabe dessen, was die Gemeinde in Thessalonich als Botschaft in ihre Hoffnungslosigkeit hinein braucht. Die konkrete Situation des Paulus und seiner Leser wird in den Prophetenspruch mit der ersten Person Plural hineingenommen, denn der Spruch wird durch den Zusatz np6iTov-t:(;)-ne:c; auf die Situation der Thessalonicher hin verdeutlicht und erneut zur konkreten Anrede51 • 4. Das Fazit, das in V. 17 6n. von Paulus aus dem Prophetenspruch gezogen wird: "Und so&& werden wir immer mit dem Herrn sein", ist
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Diese Reduktion der Apokalyptik bei Pis. ist den Kommentatoren seit jeher aufgefallen. V. Dobschütz, Thess. 199, erwähnt, daß Pis. auf das Wie der Begegnung gar nicht eingehe, und spricht aaO 200 von "einer grandiosen Reduktion der vielgestaltigen jüdischen Eschatologie". A. Oeplee, Die Briefe an die Thessalonieher, in: Die kleineren Briefe des Apostels Paulus, NTD 8, 9. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck 1962, 172, spricht von "Vereinfachung und Verinnerlichung". Eckart, ZThK 58 (1961) 40 stellt fest, das Herrenwort sei so verwendet, "daß nur ein kleiner Teil seines Inhalts zum Tragen kommt". Kennedy, Last Things 192, endlich spricht von "remarkable sobriety and self-restraint" des Apostels. 14 Sehr schön formuliert Dibelius, Thess.-Phil. 26: Des Paulus Antwort ist "viel mehr ein Zeugnis der Heilsgewißheit als ein Orakel über die Zukunft geworden". "' V gl. R. 11, 26 und o. A. V 98f.
1. f. Th. 4,13-18
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kein anderes, als was bei ihm anderswo als grundlegende futurische Dimension des Kerygmas erscheint, z. B. R. 6, 8; 2. K. 13, 4; Phil. 1,23. Diese Gewißheit, daß wir mit Christus leben werden und uns nichts von ihm scheiden kann (R. 8, 39), haben wir als für die Theologie des Paulus grundlegend erkannt. Darin spricht sich der Glaube als Glaube aus, daß Gottes Tat in Christus wirklich eschatologische Tat war, die die Zukunft ein für allemal zur Zukunft Gottes gemacht hat. Fragen wir nun nach dem Verhältnis zwischen apokalyptischem Prophetenspruch und dieser grundlegenden Glaubenshoffnung, so ist es nil:ht so, daß die Hoffnung des Glaubens nun in so und so viele Einzc~lhoffnungen zerfiele, so sehr sie jeweils konkrete Hoffnung ist. Die Hoffnung des Glaubens ist gerade nicht die Summe so und so vielel: apokalyptisch formulierbarer Einzelhoffnungen, so daß daraus dann gleichsam ein ganzes Hoffnungsgebäude sich entwickeln ließe. Vielfllehr ist es so, daß in einer ganz konkreten Silllation mittels des apokalYptischen Prophetenspruchs dem Glauben die durch die Hoffnrmgslosigkeit der Thessalonicher verschüttete Zukunft erneut als Zukunft Gottes geschenkt werden soll. Der Prophetenspruch gibt dem Glauben die Hoffnung zurüc:k und läßt ihn daran wieder zum Glauben werden. Somit ist es in der Tat richtig, die Zukunftsaussage 1. Th. 4, 15-17 daraufhin zu befragen, "inwiefern gerade darin der Glaube als Glaube sich ausspricht, daß er dies und dies von der Zukunft aussagtCC&'. So nämlich, daß der Prophetenspruch dem ·angefochtenen Glauben seine Hoffnung wieder schenkt und so sein apokalYptischer Inhalt nicht BeZeugtes, sondern vielmehr ZeulJlis ist, das den Glauben Glaube sein läßt&7. 5. Und schließlich zeigt der abschließende V. 1858 nochmals, daß Paulus der Ge~inde konkreten Zuspruch geben wollte. V. 13b und V. 18 sind die Klammer, die um die Interpretation des ganzen Abschnittes zu le:gen ist. Und diese Klammer macht es nochmals deutlich, daß wir c~s nicht mit abstrakter Belehrung, sondern mit konkretem Zusprul:h zu tun hatten, der den Thessalonichern in ihrer hoffnungslosen Situation ihre Hoffnung wieder schenken und die Auferbauung der Gemeinde fördern wollte (5,11).
G. Ebeli"g, Das Wesen des christlichen Glaubens, Tübingen: Mohr 1959,233• •• Das Kerygma ist also der Grund der Hoffnung, nicht bloß der "gemeinsame Boden, auf dem sich Paulus mit seinen Thessalonichem zusammenfindet" und auf dem er dann weitere, zusätzliche Belehrung aufbaut (gegen TillmaDn, Wiederkunft52). . Fuchs, Hermeneutik?, Aufs. 111, 120, und Ecbrt. ZThK SB (1961) 4O ..A; 1 erwäge:n, in V. 18 eine nach.P!'ulinische Glosse zu sehe:n. Ihr Hinwei. .uf 5,l111Cheint mir allerdings nicht bewclSluiftig. . I.
I.
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VII. Die Zukunft des Glaubens
2. 1. K. 15, 23-28 Der zweite grundlegende paulinische Text, der ausführliche Aussagen apokalyptischen Stils über die Zukunft macht, ist 1. K. 15,2:>-28. Während wir aber 1. Th. 4, 1:>-18 mit einiger Leichtigkeit als isolierte Texteinheit betrachten konnten, ist dies bei 1. K. 15,23-28 nicht möglich. Im Gegenteil: Die Interpretation des Abschnittes hängt entscheidend von derjenigen ihres Kontextes ab, und wir haben uns zunächst der Stellung unseres Abschnittes im ganzen, recht verschlungenen Gedankengang von 1. K. 15 zuzuwenden. A. Der Kontext von 1. K. 15, 23ff.
In seiner ersten Hälfte besteht das Kapitel aus vier Teilen: der Erinnerung an das überlieferte, von allen Aposteln verkündete Kerygma (V. 1-11), der ",negativen" Darlegung, daß die Ablehnung der Auferstehung durch die Korinther eigentlich auch die Ablehnung des Kerygmas in sich schlösse (V. 12-19), der Darlegung der zukünftigen Auferstehung aufgrund der Gewißheit, daß Christus auferstanden ist (V. 20-28), und schließlich weiterer Argumente für die zukünftige Auferstehung 01. 29-34). V. 1-11 stellt Paulus die ihm und den Korinthern gemeinsame Basis fest: das Kerygma von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Dieses Evangelium, das die Korinther empfangen haben, in dem sie stehen und durch das sie gerettet werden, ist ihnen, den übrigen Aposteln und Paulus gemeinsam. Für die Beurteilung der Situation in Korinth ist bemerkenswert, daß Paulus schon hier das "Stehen" der Korinther im gemeinsamen Bekenntnis festhält, also keine Differenz zwischen sich und ihnen siehti". Bedeutungsvoll ist auch die schon hier eingefügte Bemerkung: "durch welches ihr auch gerettet werdet" (V. 2); zum Evangelium gehört seine rettende Kraft. Dieser kleine Zwischensatz wirkt wie ein Präludium auf die kommenden Erörterungen über die zukünftige Auferstehung der Gläubigen. Die Aufnahme der traditionellen Reihe von Erscheinungszeugen80 hat für Paulus wohl weniger den Sinn, die Auferstehung als historisches Faktum zu beglaubigen, als im Hinblick auf die Parteien in Korinth die Einheit des christlichen Kerygmas von den Paulus und den andern Aposteln wi.. Gegen Schmithals, Gnosis 324 (ad 150B). Sein Verweis auf Ign. Smym. 1,2, wo er (uD 54 A. 2) eine Umdeutung der Auferstehung in die Kirche hinein finden will, beruht m. E. auf einer unrichtigen übersetzung dieser Stelle (allIiCTrOtCJI~ I:l~ •0
statt aUCJITIJIlOII .,. t:!~) •
Vgl. Wilckens, Ursprung der überlieferung, Festschr. E. Schlink 6311'.
333
2. 1. K. 15,23-28
derfahrenen Erscheinungen her zu begründen In diesen Konsens läßt Paulus die Korinther eingeschlossen sein. Die Ausführungen der Verle 12-19 sind deshalb befremdend, weil sie den Glauben an die Auferstehung Christi von der weltanschaulichen Möglichkeit einer Totenauferstehung abhängig zu machen scheinen: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferstanden und Glaube und Kerygma nichtig 01. 13f.). Nicht die Auferstehung Jesu scheint hier die Möglichkeit einer allgemeinen Totenauferstehung, sondern die allgemeine Totenauferstehung die Möglichkeit der Auferstehung J esu zu erschließen". Doch will der Duktus des paulinischen Gedankens genauer erfaßt sein: Paulus hat gehört, daß "einige" in Korinth die Auferstehung der Toten leugnene!,. Über die Gründe, die diese Leute zu solcher Haltung führen, l l•
.. In der Formel beglaubigt natürlich die Erscheinung vor Petros und den Zwölfen die Auferstehung, ebenso wie das Begräbnis den Tod ]esu. Wenn aber Paulus die Pistisformel durch weitere Glieder, nämlich eine zweite Legitimationsformel (vgl. Wilckens, Ursprung der überlieferung, Festsehr. E. Schlink 75) und die wohl von ihm selbst stammende Erwähnung der Fünfhundert und seiner selbst ergänzt, so will er damit nicht zusätzliches historisches Beweismaterial für die Tatsichlichkeit der Auferstehung ]esu liefern, sondern die übereinstimmung seines Evangeliums mit demjenigen der Urgemeinde betonen. Darin dürfte K. Barth, Die Auferstehung der Toten, 1924, 74f. 79. 81, vgl. auch E. Ftlrhl, Die Auferstehungsgewißheit nach 1. Kor. 15, in: Zum hermeneutischen Problem in der Theologie (= Aufs. I), Tübingen: Mohr 1959, 197-210, dort 201, und H.-W. Barl/eh, Die Argumentation des Paulus 1. Cor. 15,3--11, ZNW 55 (1964) 261-274, dort 262. 272, recht behalten. Daß natürlich für Paulus die Auferstehung ]esu aNrh historisches Faktum, bzw. besser: ein in derselben Weise wie das Kreuz nennbares kerygmatisches "Faktum" ist, bleibt dabei unbestritten, vgl. auch u. A. 65. Eventuell könnte die ausführliche Augenzeugenreihe auf dem Hintergrund der 1. K. I, 12f. genannten Parteien in Korinth zu verstehen sein, was u. a. gegen die von Schmithals, Gnosis 89, zuletzt vorgetragene Teilungshypothese des 1. K. spräche• •• Am schärfsten wird das Problem m. E. von Fuchs, Auferstehungsgewißheit, Aufs. I, 198 (Ziffer 2a), gesehen; vgl. auch Braun, Randglossen, Studien 198, und die - m. E. zu kurz schießende - Kritik von M. E. Dahl, The Resurrection of the Body, Studies in Biblical Theology 36, London: SCM 1962,23-25, an der "accepted exegesis".]. Weiss, 1. Kor. 353 spricht von einem "Spiel mit dem logischen Geset'.!:", das Pis. betreibe. In Wirklichkeit argumentiert er - vielleicht pseudologisch·- von der Auferstehung Christi her. .. Die: Paraphrase von V. 12: "Wie können da einige von euch sagen: Es gibt keine zukünftige Auferstehung von den Toten mehr" (sc. "weil alle Auferstehung schon universal geschehen ist und zwar an den Lebenden" (Güttgemanns, Apostel 75 [die erste Sperrung von mir, die zweite von G.]), vgl. ebenso K. M. Fisrher, Die Bedeutung des Leidens in der Theologie des Paulus, Diss. masch. Berlin, Humboldt Univ. 1967, 50ff.) verschiebt m. E. die Akzente. Für Güttgemanns ist entscheidend, daß Christus von den Toten auferstanden ist (V. 41; auf diese Interpretationsmöglichkeit von 1. K. 15, 3f. macht schon Bartsch, ZNW 55 (1964) 271 aufmerksam), und das Paulus gegenüber den Korinthern, die die Auferstehung der Lebendigen vertreten, gerade die Auferstehung der TOIm verficht. Doch ist alllicn(lCJL~ IIEXj)WII geläufiger Ausdruck (Mt. 22,31; Lk. 2~, 35; Att.. 4, 2;. 23, 6; 24,21; 26, 23; R. I, 4; Hb. 6, 2; 11, 35; 1. Pt. 1,3), und es 1st deshalb fraglich, ob IIapw'l in 1. K. 15, 121f. wirklich einen besondern polemischen .Akzent ttigt, umso mehr, als es V. 151f. fehlt.
334
VII. Die Zukllnft des Glaubens
denkt er nicht weiter nach". Schon dies ist theologisch bedeutsam: Die Auferstehung Christi annehmen und zugleich die künftige Auferstehung der Toten ablehnen, ist offenbar für Paulus eine völlig undenkbare Möglichkeit, die er weder begreifen kann noch will, sondern kategorisch ablehnt. Denn das Kerygma ist schon von vornherein "rettendes" Kerygma (V. 2a); es kann gar nicht von der Rettung, die es bringt, also von der künftigen Auferstehung, isoliert werden. Die Auferstehung Jesu als alle einschließendes, rettendes Faktum kann gar nicht ein isoliertes - man wäre versucht, zu sagen: bloß historisches - Faktum seines, das für sich, ohne Konsequenzen akzeptiert werden kann. Wird die Auferstehung der Toten, die gewisse Folge des Kerygmas ist, abgelehnt, so ist auch Christus nicht auferstanden, und der Glaube ist für Paulus hinfällig geworden, das Kerygma "leer", sinnlos. Die Verse 12-19 zeigen, daß für Paulus die künftige Auferstehung der Toten jedenfalls aufs engste mit der Auf•• Die Frage, ",ie die Stellung der Korinther tU beuhreiben irt, irtl/on der andern Frage tU trennen, ",ie Pir. die leorinthiuht Pontion I/trrtanden und interpretiert hat. In der ersten Frage scheint sich im Bereich der deutschsprachigen Forschung ein ziemlich weitgehender Konsens abzuzeichnen, der dahin geht, daß die Korinther enthusiastische Pneumatiker waren und in einem geistigen Milieu dachten, das man vielleicht als "Gnosis in nascendo" bezeichnen könnte, vgl. z. B. mit Modifikationen A. SGh/aller, Die korinthische Theologie, BFTh 18/2, Gütersloh: Bertdsmann 1914,28; neuerdings]. SGhnit1/lind, Die Leugner der Auferstehung in Korinth, in: Nachgelassene Reden und Aufsätze, Berlin: Töpelmann 1952, 110-139, dort 115; Fuchs, Auferstehungsgewißheit, Aufs. I, 201; Wendland, Kor. 125; Brandenburger, Adam und Christus 70f.; E. Kiiremann, Neutestamentliche Fragen von heute, in: Exegetische Versuche und Besinnungen II, Göttingen: Vandenhoeck 1964 (= Aufs. II), 11-31, dort 27f.; Bartsch, ZNW 55 (1964) 265ff. (B. bringt die korinthischen Enthusiasten mit der Interpretation der Auferstehung Jesu als Anfang der Endereignisse in der Urgemeinde in Verbindung); Schmithals, Gnosis 146ff.; H. Con<.e/mann, Zur Analyse der Bekenntnisformd 1. Kor. 15, 3-5, EvTh 25 (1965) 1-11, dort 10f.; ausführlich Güttgemanns, Apostel 56-94. über die englische Forschung orientiert M. E. Dahl, Resurrection 11 A. 1.]. HIring, Saint Paul a-t-il enseigne deux resurrections?, RHPhR 12 (1932) 300-320, dort 318, und K. Stürmer, Auferstehung und Erwählung, BFTh 2/53, Gütersloh: Bertelsmann 1953, 174, vertreten die interessante These, daß die korinthische Position sich von (einer früheren Form) der Theologie des Pis. herleite, vgl. auch Schniewind aaO 116f. Zur zweiten Frage, ob Pis. die korinthische Position zureichend verstanden habe, vgl. u. S. 336ff. .. Vgl. Barth, Auferstehung der Toten 87. Auf den zunächst erscheinenden Widerspruch, daß ein in V. 1-11 durch Zeugen immerhin beglaubigtes Ereignis durch eine hypothetische Argumentation wie in V. 12-19 gar nicht als ungeschehen erwiesen werden könnte, sondern als isoliertes Einzelgeschehen bestehen bleiben müßte, hat Braun, Randglossen, Studien 200, zu Recht hingewiesen. Offenbar ist "Christi Auferweckung ... ein Geschehen, das mit seinem eschatologischen Sinn steht und fällt" (Braun aaO). Vermutlich übt schon das Auferstehungsver8tändnis von V. 12-19 die von BtI/tmann geforderte "sachliche Kritik" (K. Barth, "Die Auferstehung der Toten", in: Glauben und Verstehen I, 3. AuA. Tübingen: Mohr 1958,38-64, dort 57), aber nicht so sehr an der pln. Aufnahme der Augenzeugenreihe, als an unserer vorschnellen übertragung der Kategorie (bloßes) "historisches Ereignis" auf das pln. Auferstehungsverständnis. Vgl. Luz, EvTh 26 (1966) 364 und A. 53.
2.1. K. 15,23-28
335
erstehung Jesu zusammengehört, so, daß beides dahinflillt. wenn das eine bestritten wird. Somit geht es Paulus in unsern Versen in keiner Weise: um die bloße weltanschauliche Möglichkeit der Totenauferstehung, sondern um die durch die Auferstehung Christi ermöglichte Totenauferstehung. Dabei ist die Auferstehung Christi für ihn wohl Faktum, aber in keiner Weise "bloßes" Faktum. Glauben ans Kerygma schließt eo ipso schon Glauben an die "soteria" des Menschen, Reden von der "soteria" eo ipso schon Glauben an das Kerygma ein. Glauben a:n die Auferstehung Christi kann nach Paulus niemals Glauben an eine Ausnahme sein, die dann als solche auf sich beruhen könnte". Wäre die Auferstehung Christi von niemandem, auch von den Korinthc:rn nicht bestrittene Ausnahme, zu der dann die Auferstehung der Toten als weltanschauliche Gegebenheit zusätzlich hinzuträte, so hätte der pharisäisch gebildete Paulus mancherlei Möglichkeiten gehabt, die künftige Totenauferstehung als Bestandteil einer Weltanschauung zu begründen'7. Er tut dies aber nicht; und so erweist sich gerade der Abschnitt V. 12-19 indirekt als besonders eindrücklicher - weil bis zur Grenze des Mißverständlichen gehender - Hinweis auf die nicht weltanschaulich zu sichernde Bezogenheit der Auferstehung der Toten auf die Auferstehung Christi. Die folgenden Verse. stehen unter der These: Jetzt aber ;sl Christus auferweckt'8 als Erstling" der Entschlafenen (V. 20). Diese These wird nun im weitern auf verschiedene Weise begründet und ausgeführt. Paulus weist zunächst (V. 21f.) auf die auch in Karinth bekannte70 Gegenüberstellung von erstem und zweitem Adam und sagt: Wie "in Adam" alle gestorben sind, so werden - aufgrund des Christusg;eschehens - alle zum Leben kommen. Der Skopus dieser AusII VgL pointiert Hermann, Kyrios und Pneuma 115: "Christi Auferstehung und die unsre sind also ein einziges Geschehen". I. SO zu Recht H. Srh11liJt, Auferstehungshoffnung im Neuen Testament, Dia. Heidc:lberg 1928, 12. Zum pharisäischen Schriftbeweis für die allgemeine Auferstehu:ng vgl. Str.-B. IV, 1175ff. I. Unklar ist, ob das Perfekt 4y{)YEpTa:~, das Pis. V. 12-20 konsequent braucht (vgl. aber den aktiven Aorist V. 151), lediglich Nachwirkung der Formel V. 4 ist oder die gegenwärtige Wirklichkeit der Auferweckung Jesu betonen will. B. V gl. auch o. A. 40. 'Ana:pxiJ bezeichnet "ein nicht bloß zeitliches, sondern kausales Verhältnis zwischen der Auferstehung Christi und der der übrigen" (Bachmann, 1. Kor. 444). "Es liegt im Begriff
a.
336
VI/. Die Zuktmft des Gltlllbens
sage kann auf verschiedene Weise gefaßt werden: Es könnte sein, daß es Paulus hier vor allem darauf ankommt, die Zukiinjtigkeit der Auferstehung in Christus zu betonen. Dafür spricht in der Tat das auffällige Futurum ~W01tOL1JMJ(JOV't'(x'Ll1; ferner würde dieCharakterisierung der korinthischen Häretiker als Enthusiasten, die in ihrem Geistleben in irgend einer Form die zukünftige Auferstehung bereits vorweggenommen zu haben glaubten, für diese Deutung sprechen. Es wäre aber auch möglich, daß Paulus primär nicht die Zukünftigkeit, sondern die Wirklichkeit der künftigen Auferstehung betonen wollte. Daß diese Auferstehung erst in der Zukunft stattfinden würde, wäre damit nicht geleugnet, aber das Gewicht der Aussage läge anderswo, eben darauf, daß die Auferstehung der Toten aufgrund von Christi Auferstehung wirklich stattfinden werde. In der Tat scheint mir nun der Skopus der paulinischen Aussagen in dieser Richtung zu liegen. Dafür spricht m. E. die Argumentation der Verse 12-19, die doch daraufhin angelegt ist, daß aus der Auferwekkung Christi die künftige Auferstehung der Toten mit Gewißheit folgt. Paulus geht in seiner Argumentation darauf aus, daß die Korinther bei Ablehnung der künftigen Auferstehung der Toten in der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit leben. "Ihr seid noch in euren Sünden" 01.17b) wäre sinnlos, wenn Paulus das spezifische Heilsverständnis der korinthischen Enthusiasten, für die die Sünde kein Problem ist (vgl. 1. K. 6, 12; 10, 23), ganz durchschaut hätte. Gerade das brauchten sich die Korinther nun nicht vorhalten zu lassen, daß sie noch in ihren Sünden seien, und Paulus würde hier eine Behauptung aufstellen, die in ihren Ohren absurd klingen mußte. Dasselbe gilt für ijÄ1tLxo't'ec; la(LEv (Lovov (V. 19)71. Auch hier hat Paulus die Intention der Korinther wohl nicht ganz verstanden, denn der Fehler der Korinther hätte doch gerade nicht darin bestanden, daß sie nur gehofft hätten, sondern, daß sie die Hoffnung geradezu übersprungen haben. Gegenüber dem das Heil vorwegnehmenden Enthusiasmus hätte Paulus - wie R. 8, 24f. - gerade das wahre Wesen der Hoffnung zum Zuge bringen müssen. Schließlich weist auch V. 20 in diese Richtung, wo in scharfem Gegenüber zur vergeblichen Hoffnung von n Die These von Brandenburger, Adam und Christus 72, daß die Gegenüberstellung zu 3~' ci"&p6>7toU .&civat'rO<; eigentlich 3~' civ&p6>7tOU ~6)iJ erwarten ließe und daß deshalb eine polemische Spitze gegen das Adam-Christus Schema im präsen tischen Sinn mißverstehende Schwärmer vorliege, ist m. E. nicht beweiskräftig. Das Futur findet sich auch in der unpolemischen Parallele R. 5, 12ff., vgl. bes. V. 17. 19 . .. Die außerordentlich gewählte Wortstellung in V. 19 macht es m. E. schwierig, ",6vov zu l:v Tii ~6)1i ~at6T'/1 (nur in diesem Leben) zu ziehen. Vielmehr muß ",6vov mit -Ij).7t,x6~a:<; verbunden werden: "Wenn wir nur gehofft, d. h. umsonst gehofft haben". Vgl. J. Weiss, 1. Kor. z. St. und die guten Ausfuhrungen von Wilcke, Zwischenreich 57f.
2. 1. K. 15,23-28
337
V. 1Sf. betont wird, daß Christus tatsächlich als der alles Weitere in sich sl:hließende Erstling der Toten auferstanden ist. Das sachliche Gewic:h~ des Satzes liegt auf ~yep't'ocr., nicht auf &1tOCpX-#J, wie die Wortstellung deutlich macht. Für diese These spricht weiter die Argumentation des Paulus in V. 29--34, wo er weitere Argumente für die Wirklichkeit der künftigen Auferstehung anführt. Zunächst nennt er die in Korinth geübte Vikariatstaufe 0'. 29), die voraussetzt, daß die Korinther mit einer Zukunft für die Toten noch rechnen 7s• Das zweite Argument ist seine eigene: apostolische Existenz im Leiden 01.30-32a). Wenn es keine Aufer:;tehung der Toten gäbe, so wäre dieses Tun des Paulus sinnlos, es bliebe nur der Ausweg einer libertinistisch-epikuräischen Ethik, die aber offenbar nach Paulus auch von den meisten Korinthern nicht bejaht wird 0'. 32b-34). In beiden Argumenten soll gezeigt werden, daß die Ablehnung der Totenauferstehung - nicht ihre Vorwegnahme - zu absurden und mit den eigenen Voraussetzungen der Korinther nicht im Einklang stehenden Konsequenzen führten. M. E.: Wird in Vers 21f. im Noch-Ausstehen der Auferstehung und nicht in ihrer Gewißheit der Skopus der paulinischen Aussagen gesehen" so wird die ganze Argumentation der Verse 12-34 unverständlich. Das schließt ein, daß Paulus tatsächlich die Position der Korinther IIIIrIiflzurejc)iend erkannt IIfId verstanden hat76• Dafür spricht auch, daß er von •• Die Exegese von Güttgemanns, Apostel 77f., ist m. E. unwahrscheinlich. Nach ihm weist Pis. den Korinthern, die nur an die Auferstehung der Lebendigen glauben (vgl. o. A. 63), den "Selbstwiderspruch" in der Vikariatstaufe nach, denn wenn die Auferstehung schon (und nur!) in der Gegenwart geschehe, nütze es nichts, sich um die Toten zu kümmern. Aber diesen Schluß hat Pis. nicht esplizit gezo~l,n. Die parallele Frage "was setzen auch wir uns (dann noch) der Gefahr aus?' (V. 30), die nach dem Sinn von etwas Sinnvollem fragt, setzt aber voraus, daß V.(29c ebenso nach etwas fragt, dessen Sinnhaftigkeit PTs. mindestens in dieser Argumentation zubilligt. Wenn Güttgemanns recht hätte, so hätte Paulus die Korinther doch weit eher auf die hoffnungslose Lage ihrer eigenen Toten und auch der nach V. 6 bereits verstorbenen Auferstehungszeugen hinweisen müssen, wie die:s V. 18 hypothetisch geschieht. •• V.30ff. können allerdings nur aus dem Zusammenhang mit Sicherheit so, wie oben vorgeschlagen, interpretiert werden. Liest man die Verse für sich, so lassen sie sich natürlich auch so verstehen wie bei Güttgemanns, Apostel 78f.: Wäre die Aufen.tehung schon und nur an der Gegenwart geschehen, so hitte ein vom Leiden gekenJlzeichnetes Leben keinen Sinn. In der Tat hätten die korinthischen Enthusiasten PIs. wohl bereitwillig die Sinnlosigkeit seines Leidens attestiert. Wir hingegen verstehen: Gibt es keine künftige Auferstehung der Toten, so besteht nur die Möglichkeit, dieses Leben als das einzige Leben zu genießen. In ihren ethischen Konsequenzen berühren sich beide Positionen. Eine Entscheidung ist nur vom Zusammenhang her möglich • •• Ein Mißverständnis des Pis. nehmen an z. B. Bultma.nn, Theo!. 172; Fuchs. Aufersteh1Jngsgewißheit, Aufs. 1,201; Schmithals, Gnosis 147, vgl. Hoffmann, Toten in Christus 245f., und R. ui/ltrlaJ, Christ the Conqueror, London: SPCK 1954, 128. Ob Pis. dabei den Korinthern epikutiische AnsichtcD unterschoben hat (so
338
VII. Die Zukunft des Glaubens
der Meinung der Korinther nichts anderes zu wissen scheint, als: !ivciaTCX(nc; vexp6>v oux l<J'rLV, eine These, die er dafür in dieser lapi-
daren Kürze unablässig wiederholt 01.12.13.15.16.29.32, vgl. 19). Da in V. 12 überdies von "einigen" die Rede ist, liegt nahe, daß Paulus seine Informationen über diese (enthusiastische) Gruppe in der Gemeinde nicht aus direkter Hand hatte. Hätte er erkannt, daß für die korinthischen Enthusiasten der Verzicht auf eine Erwartung einer künftigen Auferstehung gerade nicht Heillosigkeit, sondern eine bestimmte Weise des Heilsverständnisses meinte, so hätte er wohl anders argumentiert. Hätte er erkannt, daß die Ablehnung einer Auferstehung der Toten durch die korinthischen Enthusiasten der praesumptio, gerade nicht der desperatio entsprang, so hätte er wohl diese praesumptio als ein Sich-Rühmen "kata sarka" endarvt. Denn von der paulinischen Argumentation in V. 12ff. und V.29fT. brauchten sich die korinthischen Enthusiasten nicht unbedingt betroffen zu fühlen. So würde man Paulus, wollte man ihn von dem Vorwurf entlasten, er habe die Position der Korinther nicht ganz verstanden, dafür nur eine sehr undeutliche und ungeschickte Argumentation seinen Gegnern gegenüber zumuten. Nur in einem weitern Sinne läßt sich sagen, daß die paulinischen Ausführungen die korinthische Position sachlich dennoch treffen, nämlich insofern Vermessenheit (praesumptio) in größter Nähe zur Verzweiflung (desperatio) steht und jederzeit in solche umschlagen kann. V. 21f., 29 und 30ff. sind also wohl drei Argumente für die Wahrheit der Auferstehung von den Toten, Argumente von allerdings unterschiedlichem Gewicht. Immerhin bleibt dies zu beachten, daß Paulus offenbar dann, wenn er vom Kerygma aus die Gewißheit künftiger Auferstehung begründet, verschieden argumentieren kann, daß ihm also nicht nur etwa die apokalyptischen Denkkategorien von V. 23-28 zur Verfügung stehen". In diesen Komplex, der von der Gewißheit z. B. Schmithals, Gnosis 147), oder ob für Pls. auferstehungsloser Tod darum Heilsverlust bedeutet, weil für ihn alles Leben leiblich sein muß (z. B. Hoffmann, Toten in Christus 246), braucht hier nicht erörtert zu werden; beides ergänzt sich übrigens. Ob eine enthusiastische Gemeinde überhaupt jemals hätte formulieren können, tivtilfTounc; vEXpC,V oöx lGTLV (1. K. 15, 12), ist überdies fraglich; von der tiVtiIfTOtGLC; des (die Erlösten in sich schließenden) Erlösers kann in der christlichen Gnosis wohl die Rede sein, vgl. die Belege bei Güttgemanns, Apostel 68ff.; da sich die chrisdichen Enthusiasten aber für Pneumatiker, d. h. für lebendig und durch ihre Pneumasubstanz dem Tode gar nicht verfallend hielten, kann in ihrem Sinn überhaupt nur der Nichtchrist "nekros" sein. Der Satz könnte sich also im Munde der Korinther wohl nur auf die Nichtchristen beziehen, während Pis. eindeutig von den verstorbenen Christen spricht (V. 18.29). Auch 2. Tm 2,18 ist die enthusiastisch gnostische Position wohl in "kirchlich-orthodoxer" Terminologie formuliert. .. Das berührt sich im Ergebnis mit den Ausführungen von Braumann, Taufverkündigung 53ff. Vgl. auch unsere allgemeinen Ausführungen o. S. 307f.
2. 1. K. 15,23-28
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künftiger Auferstehung mit verschiedenen Argumenten spricht, ist nun der Abschnitt V. 23-28 eingefügt und aus diesem Zusammenhang muß elr verstanden werden.
B. 1. K. 15, 23-28: Aufbau und .Amsage Der T.!xt stellt uns vor mannigfache Probleme. Zunächst ist sein Aufbau sc:hwierig. V.23 scheint ~Wo7totYJMjaov't'or.t vom vornngehenden Vers zu entfalten: Jeder wird in seiner eigenen "Ordnung" lebendig gemacht werden. Zuerst kommt als alle andero in sich schließender Erstling Christus, dann diejenigen, die ihm gehören, dann - als drittes, sachlich nicht ganz kongruentes Glied - das "Ende". T$YII4 kann nicht nur "Abteilung", "Gruppe", sondern auch "Ordnung", "Stand", "Stellung" heißen", so daß es wohl möglich ist, Christus als erstes "tagma" zu bezeichnem. Ob im ganzen zwei oder drei ..Ordnungeo" anzunehmen sind, hängt nicht zuletzt von der Deutung von "telos" ab: Wird "telos" als ..Ende' gedeut!:t, so ist es natürlich nur in einem weiteren Sinne möglich, es als dritte "Ordnung" zu verstehen. Wird dagegen "telos" als .. Rest" verstanden, so ist es ohne S.:hwierigkeiten als drittes "tagma" zu fassen'·. Die Erklärung von dAO~ ist eine alte exegetische Streitfrage. Groodsätzlich stehen sich zwei Erklärungsmöglichkeiten gegenüber: 1. .. Telos" heißt .. Rest" und wäre dann wohl auf die Auferstehung der Nichtchristen zu beziehen". Die Schwierigkeit dieser Deurung besteht darin, daß die Bedeutung ..Rest" EUr .. telos" profangriechisch überhaupt nicht zu belegen ists°, sowie dario, daß dann die Auferstehung der Nichtchristen erwähnt wäre, wovon Paulus sonst nicht spricht. So dürfte 'wohl 2. die Bedeutung ..Ende", .. Weitende", die in der Apokalyptik gebräuchlich ist, näher liegen·'.
.. V gl. Delling, Th W VIII 32, H. 9ff. ,. Orif;inell ist der Versuch von Haing, 1. Kor. 140, der vermutet, daß als dritte "Ordnung" eigentlich die bei der Parusie noch Überlebenden von 1. Tb. 4, 13ff. zu ergänz.:n wären; doch habe Pis. dann diesen Gedanken aufgegeben. Dies ist jedoch eine völlig unbeweisbare Vermutung, die zur Erklärung der Schwierigkeiten keineswegs nötig ist, vgl. Wildre, Zwischenreich 78ff. Wilcke selbst geht saO 83 davon aus, daß .. tagma" nur eine aus mehreren Individuen bestehende Gruppe sein könne. Da für ihn also weder Christus noch das Ende ein ..tagma" sein kann, will er V. 23a zu V. 22 ziehen, um zu vermeiden, daß V. 23bf. die .. tagmata" von V. 23a expliziert. Dann wird aber V. 23a eine gänzlich unmotivierte Zwischenbemerkung. .. So deuten J. Weiss und Lietzmann z. St. Lietzmanns Deutung {Kor. 80) des Restes auf die von Jesus nach ihrem Tode bekehrten Unglaubigen ist ihrer Originalität halber erwähnenswert . •• Vgl. Wilcke, Zwischenreich 87ff. ' I l Vgl.o.S. 140f.und Delling, ThW VIII, 53,331I., bes. auch 4. Esr. 7,33. So deuten u. a. A. Roberlson-A. Plufltflter, A Critical and Exegetical Commentary on the First Epistle of St. Paul to the Corinthians, 2. Auß. Edinburgh: Clark 1914; MOlIatl:, Schlauer, AUo, Hmng und Grosheide z. St. Grundlegendaind die Untersuchungen von H~ring, RHPhR 12 (1932) 300ff. Ober die katholische Forschung orienti,:rt J. Lial, .. Deinde finis" (1. Cor. 15, 2411), VD 37 (1959) 225-231, dort 2261I.
340
VII. Die Zukunft des Glaubens
Dieses Ende wird durch zwei einander äußerlich parallele Temporalsätze beschrieben, die sprachlich hart nebeneinander stehen81 • Im Text ist aber hier das Ende noch keineswegs erreicht. Vielmehr folgen noch umfangreiche Darlegungen, die sich offenbar an 't"o 't"&)..oc; anschließen88• V. 25 entfaltet wohl die beiden Temporalsätze des V. 24 näher durch einen RückgriffaufPs. 11084 • Es folgt in V. 26 eine sprachlich isolierte Bemerkung: Als letzter Feind wird der Tod vemichtet86• Daran, oder auch an V. 25bf., schließt sich ein neuer Schriftbeweis aus Ps. 8, 7: "Alles hat er nämlich" - gemeint ist Gottes - "unter seine Füße unterworfen". V. 27bf. schließt an V. 27a wie eine exegetische Präzisierung an: Wenn es heißt 87 : "alles", so ist natürlich Gott, der ihm alles unterwarf, nicht darin eingeschlossen. Im Gegenteil, wenn ihm alles unterworfen ist, wird sich der Sohn selbst dem Vater unter•• Die beiden unverbundenen 6T«1I sind auf jeden Fall störend. Die Konstruktion dürfte wohl durch die Aufnahme von Tradition mitverschuldet sein. Ist mit S Or. 7rClpOt3Cji zu lesen, dürften die beiden 6TOtIl-Sätze einander parallel stehen; ist jedoch, wie m. E. eher wahrscheinlich, Präsens zu lesen, so könnte der zweite 6TOtl/-Satz dem ersten als vorzeitig untergeordnet werden. Dies scheint auch eher V. 25 und 28a zu entsprechen. Doch bleibt die Konstruktion schwerfällig. •• Anders konstruiert Barth, Auferstehung der Toten 94. Er faßt etTO: in V. 24 nicht als letztes Glied zu clno:pxiJ und lneLTO:. Tb TI:>'Ot; versteht er wie 1. Pt. 3, 8 adverbial. So gewinnt er eine lange, von V.24a bis V.27a dauernde Satzkonstruktion mit V. 26 als Hauptsatz. Gleich wie er konstruiert auch F. C. B",lcill, On I Corinthians XV, 26, JThS 17 (1915/16) 384f. Diese übersetzung scheitert vor allem an der Fassung von "eita", das kaum von "aparche" und "epeita" getrennt werden kann und auf jeden Fall ein zeitliches Nachher setzt. Es wird deshalb nicht· recht einsichtig, wieso bei der Barthschen Fassung Pls. "keine eschatologische Mythologie entwickelt" (Barth, aaO 95). Beachtenswert scheint mir an dem ganzen Vorschlag, daß er die inhaltlich zentrale Stellung von V. 26 auch im Satzbau berücksichtigt. Es wäre vielleicht zu erwägen, ob man nicht den zweiten Teil von Barths Hypothese unabhängig von seiner Fassung von "eita" und "to telos" übernehmen könnte. Dann könnte man übersetzen: (24) Darauf das Ende, wenn er ..• übergibt. Wenn er alle Gewalt ... vernichtet hat - (25) er muß nämlich helTschen bis ... - (26) dann wird als letzter Feind der Tod vernichtet, (27) denn alles .. , Doch bleibt das unbeweisbar. •• Gegen F. W. Mairr, Ps. 110,1 (LXX 109, 1) im Zusammenhan~ von 1. Kor. 15, 24-26, BZ 20 (1932) 139-156, dort 143ff., ist nur V. 25b Schnftbeweis. V.25a kann nicht als freie Wiedergabe von Kti&ou ~ 3eE;Lroll (IjII09, la) verstanden werden, vgl. auch aaO 148. Subjektzu.&7i ist wohl Christus, ebenso wie bei xO:T«man in V. 24, vgl. Wilcke, Zwischenreich 101. B' Daß V.26 eine falsch eingeteihte Randglosse sei (]. Weiss, 1. Kor. 360), ist ganz unbeweisbar. •• Vgl. die ausführliche Besprechung bei Wilcke, Zwischenreich 105, der sich für Christus als Subjekt entscheidet. Die Frage ist schwierig: Liest man von V.25 her, so liegt Christus als Subjekt nahe. Da jedoch der önoTclE;o:t; V. 27 sicher Gott meint und die Stelle meint, daß Christus alles unterworfen sei, so dürfte sich Pis. auch für die Schriftstelle wie im A. T. auch Gott als Subjekt gedacht haben. Die Unausgeglichenheit, die so zwischen V. 25 und V. 27 entsteht, ist nicht zu beseitigen; sie zeigt höchstens, wie wenig "am Ende" das Handeln Christi und Gottes geschieden werden kann und wie wenig es Pis. auf eine Präzisierung an diesem Punkte ankam, vgl. Wilcke aaO 105 A. 102. •, Et'lr/l •.• ist wohl mit J. Weiss, 1. Kor. 360 als exegetische Glosse des Paulus zu fassen.
2. 1. K. 15,23-28
341
werfen., damit dieser alles in allem sei (V. 28). Damit ist wiederum ein gewisser Abschluß erreicht: Der Text schließt, ähnlich wie R. 11, 36, mit einer fast hymnischen Prädikation, die das "Ende" von V.24a noch 2:U überhöhen scheint. Daß nach diesem endgültigen und wirklich abschließenden Satz in V. 29 eine verhältnismäßig banale Fortsetzung folgt, die einfach ein weiteres Argument für die Wirklichkeit der künftigen Auferstehung der Toten beisteuert, haben die Exegeten oft als merkwürdig empfunden". Noch merkwürdiger aber ist der Aufbau des ganzen Gedankengangs V. 23-28: Die zeitliche Reihenfolge scheint mit V. 24a. verlassen und der Weg explizierenden Schriftbeweises beschritten. Die beiden 6-r«V-Sätze in V. 24 scheinen in V. 25-27a und 27lr-28 in umgekehrter Reihenfolge expliziert zu sein". Der Zusammenhang mit dem Thema "Auferstehung der Toten" wird nicht mehr ohne weiteres sichtbar. Verhätnismäßig leicht ordnen sich die Verse ~24art in das Ganze der Argumentation von 1. K. 15,1-34 ein. Ihren Skopus wollen wir deshalb zuerst bestimmen. Eindeutig ist, daß Paulus durch chtlXpx-IJ ~7ttt't'« - E!'t'1X eine zeitliche Reihenfolge angeben will". Hier denkt er also die von Christus bestimmte künftige Geschichte in vermutlich drei, zeitlich fixierbaren Stufen. Deren erste ist schon geschehen: Als "apar(:he" geht sie nicht nur zeitlich den andem heiden Stufen voraus, sondern ermöglicht sie auch. Aus der "aparche" wird die zweite Stufe, die Auferstehung der Christen bei der Parusie, gewiß folgen. Auch hier ist, wie 1. Tb. 4, 13ft". in apokalyptischem Kontext die Parusie mit der Auferstehung der Gläubigen verbunden. Die dritte Stufe, zeitlich von der zweiten getrennt, ist das "Ende". Wir fragen zunächst nur, welchen Sinn die Aufzählung der drei Stufen im Kontext hat. Sicher ist, daß sie den Ausdruck "Erstling der Toten" in V. 20 II Vielen Kommentatoren gelingt es nicht, V. 29-34 in ihrer Punktion im Ganzen. von 15,1-34 zu verstehen. Bachmann, 1. Kor. 454, vermutet, daß sie an falscher Stelle f'tünden. Nach Grosheide, 1. Kor. 364, benützt Pis. die erfolgreiche Widerlegung der Gegner, die mit V. 22 zu Ende ist, zu "further remarks" über die Auferstehung, vgl. auch Wendland, Kor. 130. Allo, 1. Kor. 411, IIßt mit V. 29 "une serie d'apostrophes" nach dem "majestueux expose" des Pis. beginnen. Der Aufbau von 1. K. 15, 1-34 ist m. E. nur zu verstehen, wenn man sieht, daß Pis. nicht eine Apokalypse schreiben wollte, die dann in der Tat mit V. 24 oder V. 28 zu Ende sein müßte, sondern mit verschiedenen Argumenten die Zukunft des Kerygmas entfalten wollte. 81 Au(:h 1. K. 15, 20-28 ist also nicht einfach ein "geschichtlich-eschatologischer Gesamtaufriß" (Hoffmann, Toten in Christus 344), in den alle andem Aussagen über die Zukunft eingeordnet werden könnten, vgl. u. VII 2 D . •• Vgl. Bultmann, Auferstehung, GI. u. V. I, 56, und Schlatter, Paulus der Bote Jesu 415. Jüdische Parallelen zur stufenweisen Auferstehung: Test. B. 10, 6ff.j Test. Jud. 25, Iff. (gegen Nötscher, Auferstehungsglauben, 295f. und Molitor. Auferstehung 111, ist dort wohl von der Auferstehung aller. nicht nur der Gerechten die Rede, vgl. Volz Eschatologie 242f.). Eine interC!Slinte Parallele Z1I t. K. 15, 23 bietet Bundahish 30, 7 (bei Nikolainen, Auferstehungsglauben I. 36).
342
VII. Die ZuletmJt Jes Glaubens
näher explizieren. Aber in welchem Sinne? Etwa so, daß betont wird, daß erst Christus auferstanden sei, die weitem Geschehnisse aber stufenweise, zu ihrer Zeit, erfolgen werden, d. h. jetzt noch nicht geschehen sind? Damit würde Paulus wahrscheinlich die Schwäche der Theologie des korinthischen Enthusiamus gut korrigieren, stellte sich aber in Widerspruch zu den sonstigen Ausführungen des Kapitels, deren Skopus ja gerade umgekehrt zu fassen ist: Die Auferstehung Christi ist geschehen, und zwar ist sie "Erstling" des Kommenden, das zur Auferstehung Christi hinzugehört und ebenso gewiß geschehen wird wie sie. Jesus Christus ist eben als zweiter Adam und nicht als ,Jesus allein' auferstanden. Die Auferstehung Christi hat eine ihr gehörende Zukunft. Von dieser Zukunft handeln ja auch die Verse 29-34. Danach kann der Sinn der Aufzählung der "Ordnungen" nur der sein: So gewiß das erste "tagma", die Auferstehung Christi als " Erstling " schon geschehen ist, so gewiß wird auch das zweite "tagma", die Auferstehung der Gläubigen und das Ende eintreffenD1 • Solche Argumentationen, die durch Einteilung der Geschichte in Stufen ihren ehernen Rhythmus und ihr gewisses Fortschreiten zeigen wollen, finden sich in der Apokalyptik oft'lI. Die Aufzählung der "Ordnungen" entspricht apokalyptischem Denken und dient der Gewißmachung der Zukunft der Auferstehung Christi. Denn um diese Zukunft geht es und nicht um irgendeine, die dann einmal, irgendwann nach der Auferstehung Christi, eintreffen wird. Warum aber hat Paulus hier nicht aufgehört? Was sollen nun noch die anschließenden Verse 24a~28? Was tragen sie zum Thema "Zukunft der Auferstehung Christi" bei? Welche Notwendigkeit bestand, sie anzuschließen und warum konnte Paulus nicht unmittelbar von V. 24aot zu V. 29 übergehen? Warum wird die rein zeitliche Reihenfolge mit V. 24a~ff. verlassen? Im Vergleich Zu den vorangehenden Versen scheinen die Verse 24--28 anders Zu denken, nicht mehr vom Menschen her,
'I Anders wird der Skopus z. B. von Wendland, Kor. 127 gefaBt: "Die Unter-
scheidung der Zeiten, des einen und des anderen kaims muß beachtet und durchgeführt werden". Die Korinther "unterscheiden die ,Ordnungen' nicht". AhnIich verstehen u. a. Schniewind, Leugner, Nachgelassene Reden 12411".; Schwantes, Schöpfung der Endzeit 79f. ; J. Freeborn, The Eschatology of 1. Corinthians 15, in: Studia Evangelica 11, TU 87, Berlin : Akademie 1964, 557-568, dort 561. An sich ist diese Interpretation natürlich möglich, aber vom Kontext V. 12-22 her doch eher unwahrscheinlich. Pis. will also kaum direkt polemisch gegenüber dem Enthusiasmus den eschatologischen Vorbehalt betonen, so sehr die Verse 23-28 implizit ein antienthusiastisches Element enthalten. .. V gl. die Zehnwochenapokalypse in äth. Hen. 93f., ferner die Aufbauschemata der Apk. (7 Siegel,7 Posaunen,7 Schalen etc.), das Stundenschema bei der Kreuzigung Jesu Mk. 15, 2511". Weitere Parallelen bei J. Schreiber, Der Kreuzigungsbericht des Markusevaogeliums, Diss. masch. Bonn 1958, 156. Vgl. auch o. rv 1.
2. 1. K. 15,23-28
343
sondern von Gott, seinem Kampf und Sieg her, nicht mehr indivitfllalgeschichtlich, .rondern universalgeschichtlich;ja sie sind gerade~ eine universalgeschichtliche Entfaltung des "Endes". Wie verhalten sich beide Denkweisen zueinander? Wird V.23f. von V.24aßff. her korrigiert, interpretiert oder einfach erweitert? Besteht eine Notwendigkeit für diese Erweiterung oder hat sie ganz einfach den Charakter eines Exkurses"? Das sind die Fragen, die sich uns jetzt stellen. Wir versuchen, sie methodisch auf zwei verschiedenen Wegen anzugehen, einmal, indem wir 1. K. 15, 24ff. traditionsgeschichtlich analysieren und fragen, wo Paulus seine Akzente setzt, sodann, indem wir die ganze eschatologische Komposition mit andem, ähnlichen Texten des Paulus, vor allem mit 1. Th. 4, 13ff. vergleichen und anhand des Gemeinsamen und Verschic!denen nochmals nach dem Skopus des Ganzen fragen".
c. Traditionsgeschichtliches Zu 1. K. 15,24-28 Bultmann schreibt 1. K. 15, 23-28 der "traditionellen jüdisch-christlichen Spekulation" zu, aus der Paulus "einige Sätze vorträgt, die zu der ihm sdbstverständlichen ,Wdtanschauung' gehören"86. Diese These gilt es, zu überprüfen und zu präsizieren. Dabei sind wir nicht in der Lage, wie bei 1. Th. 4, 13-18 ohne weiteres einen traditionellen Logos von der paulinischen Interpretation abheben zu können, sondern müssen differenzierter vorgehen. Vokabelstatistisch scheint der erste der beiden Temporalsätze in V.24, also die Übergabe der "basileia" an Gott, unpaulinisch". Dagegen erweist sich V.23 und der Rest von V. 24 eher als paulinisch87 • Das Nebeneinander der beiden Temporalsätze könnte man so erklären, daß Paulus eine ihm nicht gd~iufige traditionelle Aussage in einem zweiten Nebensatz in seinem Sinn präzisiert. Gehen wir weiter zu den beiden Schriftzitaten. Ps. 110, 1 ist bekannt-
oa So Freebom, Eschatology, Studia Ev.lI, 558 ("an appaready irrelevant digression"); Bultmann, Auferstehung, GI. u. V. I, 55 meint, V. 23-28 hätten den Sinn, "das Futurum 1:6101'l:OL7j&i).c!CLChristi fehlt in den echten Paulinen vollständig...Gott und Vater" ohne Genetivatttibut (vgl. sonst nur noch Gl1, 11) ist :in dieser Form singulär; die Pis. an sich in feierlichen Wenduugen geläufige Vel'bindung von Gott und Vater (VgL Kramer, Christos § 42 a-g) findet sich nie in die.~er Weise. "' In V. 23 ist nur T'YfLCL Hapulegomenon, aber im N. T. überhaupt. In V. 24bc:: ist XCIITCIIPY~6) gut paulinisch; zur plerophotischen Aufzihlung der Michte vgL
R. 8, 38 und u. A. VIII 60. 78f.
344
VII. Die Zukmzjt des Glaubens
lich einer der im N. T. am häufigsten zitierten Verse aus dem A. T. Dies besagt an sich noch nicht viel, da gerade darum Paulus auch selbst sehr leicht auf diese Stelle zurückgegriffen haben könnte; außerdem wird sonst die zweite Vershälfte kaum ohne die erste zitiert. Bedeutsam ist hingegen, daß an zwei Stellen im N. T., nämlich Eph. 1, 20ff. und 1. Pt. 3,22, eine Anspielung auf Ps. 110, 1 in Verbindung mit der Unterwerfung der Mächte durch den erhöhten Christus erscheint98 • Bei beiden Texten handelt es sich um alte, liturgische Tradition99 • Außerdem steht in Eph. 1, 20ff. die Anspielung auf Ps. 110, 1 in enger Verbindung mit einem Zitat aus Ps. 8, 7. Beide Schriftstellen stehen im selben alten liturgischen Stück. Auch die verhältnismäßig enge Verbindung von Ps. 110,1 und 8,7 in Hb. 1, 13 und 2, 6ff. muß erwähnt werden, auch dort im Zusammenhang mit der Unterwerfung der Mächte unter Christus. Die beiden Zitate haben bei Paulus die Wendung U7tO 't'oo~ 7t68oe~ oeU't'OÜ je gegen den alttestamentlichen Text gemeinsam, und Eph. 1, 20ff. stimmt hiermit überein1oo• Auch im Gebrauch der 3. Person Singularis stimmt der Wortlaut von Ps. 8,7 in Eph. 1,22 mit 1. K. 15, 27 gegen die LXX überein. Der Schluß ist fast unumgänglich, daß offenbar Paulus Ps. 110, 1 und Ps. 8, 7 im Zusammenhang mit dem Motiv der Unterwerfung der Mächte bei Christi Erhöhung schon traditionell verbunden vorgefunden hat. Auch Polykarp, Phil. 2, 1 zeigt die gleiche Zitatenverbindung, vermutlich ohne direkte Abhängigkeit vom ersten Korintherbrief. Möglicherweise stammt auch Mk. 12,36 das Wörtlein u7toxci't'6) aus Ps. .. Vgl. auch R. 8,34. 38f. Zu vergleichen ist auch Mk. 12,35-37 (vgl. Schweizer, ThW VIII, 371, 10ff.) und Hb. 10, 13, wo die Unterwerfung wie bei Pis. erst in der Zukunft abgeschlossen ist. Der Gottessohntitel in 1. K. 15, 28 weist eine gewisse Verwandtschaft mit einer Menschensohnchristologie auf, vgl. dazu Schweizer aaO 372f. Ob die Verbindung von Ps. 8 und Ps. 110 auf ein ähnliches Milieu weist? Skeptisch bin ich gegen die These von D. M. H'!Y, The Use of Psalm 110 in the Early Church, philos. Diss. masch. Yale 1965, 119, wonach der Rückgriff auf Ps. 8 und seine Anwendung auf Christus eine Christologie des zweiten Adam von vorgnostischem Typ impliziere. Für den heutigen pln. Zusammenhang von 1. K. 15, 21-28 gilt das selbstverständlich, kaum aber von der vorpln. Verbindung von Ps. 8 und 110: Bei der atomistischen Auslegungsweise der damaligen Zeit darf der Kontext von Ps. 8, 7 nicht ohne weiteres mitgelesen werden. An den andem Stellen, wo Ps. 8 und Ps. 110 in der frühen Tradition verbunden sind (s. u.), fehlt jeder Hinweis auf eine solche Christologie. .. Zu Eph. 1, 20-23 vgl. G. SGhi/le, Liturgisches Gut im Epheserbrief, Di.~s. Masch. Göttingen 1953, 144ff.; H. Conte/mann, Der Brief an die Epheser, in: Die kleineren Briefe des Apostels Paulus, NTD 8,9. Auf!. Göttingen: Vandenhoeck 1962,63, spricht von einer "dichterisch gehobenen Meditation über das Glaubensbekenntnis", vgl. auch Schlier, Eph. 86. Zu 1. Pt. 3,22 vgl. die grundlegende Analyse von R. BN/lmann, Bckenntnis- und Liedfragmente im ersten Pettusbrief, in: Exegetica, Tübingen: Mohr 1967, 285-297, dort 289f. • 00 Nach F. W. Maier, BZ 20 (1932) 155f. hat der Text von Ps. 8,7 auf Ps. 110,1 zurückgewirkt. Doch ist auch die pln. Fassung von Ps. 8,7 vom LXX-Text stark verschieden.
2. ,. K. 15,23-28
345
8,7 Das Motiv der Unterwerfung der Mächte unter den erhöhten Christus findet sich außerdem noch im Philipperhymnus 2,9-11; ferner wäre auf Kol. 1, 16; 2,10.15 hinzuweisen. Wichtig aber ist dies: Sowohfin der Tradition von Phil. 2, 9-11, als auch Eph. 1, 20ff. und 1. Pt. 3, 22 steht die Unterwerfung der Mächte unter Christus im Zusammenhang mit seiner Auferstehung bzw. mit seiner Erhöhung, nicht aber im Zusammenhang mit seiner Parusie oder dem Ende der WeltlIlI. Diese durch Christi Erhöhung bewirkte Unterwerfung der Mächte scheint dann die Gemeinde schon früh mit den vielleicht bereits im Judentum messianisch interpretierten Psalmen 8 und 11010B verdeutlicht zu haben. Suche:n wir nach christlichen Parallelen für das andere, von uns aufgrund der Vokabelstatistik als traditionell erkannte Motiv, nämlich die Übergabe der Königsherrschaft Christi an Gott, so ist der Befund nicht ganz einfach. . 101•
Zunächst werden wir an Apk. 20, 1If. erinnert. In der Tat sind die Parallelen auffällig: Hier wie dort ist mit dem Reich Christi eine Auferstehung der Gläubigen verbunden. Hier wie dort wird im Zusammenhang mit dem Ende - Apk. 20, 14 allerdings erst nach dem Ende des Reiches Christi - der Tod endgültig vernichtet. Wähn:nd aber Apk. 20, 1ff. das Reich Christi ein Reich der Ruhe und des Friedens ist, ist die Königsherrschaft Christi 1. K. 15, 24ff. ausschließlich von der Unterwerfung der Feinde her verstandenlO'. Der sprachliche wie der inhaltliche Befund spricht überdies dafür, daß Apk. 20,4 eher dem Redaktor der Apokalypse als einer alten Tradition zuzuschreiben isttOI• Natürlich kann das dort auftauchende Motiv des tausendjährigen Reiches älter sein, doch mahnen auch die jüdischen Parall,:len zur Vorsicht'''. An den übrigen Stellen, wo im Neuen TestarneDt vom Reich Christi die Rede ist, ist dieses meist futurisch (Lk. 23, 42, vgL 22, 29 ; Apk. 22, 1. 3; 1. a. 50, 3), aber nicht begrenzt, oder lokal-himmlisch (2. Tm. 4, tOl Dllgegen würde ich Phil. 3, 21 keinen Einfluß von Ps. 8, 7 annehmen. Wir haben dort statt des unbestimmten n«vrat im Zitat den Ausdruck -ra ltcivrat. Diese:r Ausdruck ist im liturgischen Sprachgebrauch der pln. Gemeinden schon früh i.n verschiedener Weise verankert, vgl. R. 11,36; 1. K. 8, 6; 11,12; Eph. 1, 10; Kol. 1,16 etc. Auch Pis. selbst nimmt 1. Kor. 15, 27f. die Aussage des Zitates durch Ta n«vrat auf. Phil. 3, 2Of. ist überdies vermutlich keine alte, festformulierte Tradition. Das Motiv von der Unterwerfung der Mächte scheint 1. Pt. 3, 22 mindestens sprachlich nicht direkt von Ps. 8, 7 abhängig, vgl. auch Phil. 2, 9-11. Es hat sich vermutlich gegenüber Ps. 8, 7 schon früh verselbstindigt. Vgl. auch Hay, Psalm 110, 162.311. 101 Vgl. zu Phil. 2, 9ff. E. Käsemann, Kritische Analyse von PhiL 2, 5-11, in: Exegetische Versuche und Besinnungen I (= Aufs. I), Göttingen: Vandenhoeck 1960,51-95,dort86( 1•• Vgl. zu Ps. 8,7 E. F. S&oll, The Epistles ofPaul to theColossians, to Philemon and to the Ephesians, Mof&tt NTC, London: Hodder and Stoughton 1930, 158 (keine Belege!); zu Ps. 110 Str.-B. IV, 457f. 10' V gl. dazu Leivestad, Conqueror 133f. "" Fiir den Vf.· der Apk. typische Wärter sind: p.«pTUPlat, ~ 't'OÜ &aoii, npom~uvi~! ",",p(ov, X«patYj.Lat und j.LH(r)nov. Außerdem bezieht sieh die Stelle auf 13, tb zuruck, vgl. auch 7, 14ff.; 13,14. 1•• Vgl. o. A. 8.
346
VII. Die Zuktmft des Glaubens
18, vgl. Lk. 23, 43) verstanden. Eph. 5, 5 und Kol. 1, 13 sind wohl auf die Kirche zu deuten, was sich aber aus der kosmischen Ekklesiologie dieser beiden Briefe redaktionell erklären läßt. Ahnlich wird auch Mt. 13,41 mit dem Königreich Christi die Welt meinen, vermutlich ebenfalls redaktionell. Interessant ist Barn. 15, 3ff., wo die Konzeptionen von Apk. 20, Iff. und von 1. K. 15, 24ff. 1D7 so vereinigt werden, daß Kampf und Ruhe hintereinander folgen. Lk. 1, 32f. endlich wird kaum futurisch zu deuten sein1••• Hat also Paulus hier doch selbständig eine Vorstellung entwickelt? Außer der traditionellen Sprache in V. 24aß weiSt aber auch das absolute b ul6c; eher auf Aufnahme eines vorpaulinischen traditionellen Motivs 1••• An ein Einwirken jüdischer Vorstellungen von einem messianischen Zwischenreich ist aber kaum zu denken. Die Belege hierfür sind zu spärlich, und vom übergang des Messiasreichs an Gott ist im Judentum erst sehr spät die Rede llO• Vor allem aber ist der jüdische Herrscher des Zwischenreichs im allgemeinen gerade der irdisch-politische Messias, der Davidide, nicht ein erhöhter, himmlischer Herr. Paulus hat also wohl eher eine christlich-apokalyptische Tradition von der übergabe des Reiches Christi an den Vater, die nicht näher bestimmt werden kann, aufgenommen, wobei der dieser Tradition inhärente subordinatianische Zug in V. 27bf. durch die Verbindung mit Ps. 8,7 und die exegetischen Folgerungen des Paulus aus dieser Stelle noch verstärkt wurde und in einem hymnischen Abschluß gipfelt.
Die Tradition von der Unterwerfung der Mächte unter den Erhöhten hat nun Paulus mit der Überlieferung von der Übergabe des Reiches des Sohnes an Gott verbunden. Diese Übergabe erfolgt nach der Unterwerfung der feindlichen Mächte, von denen der Tod als letzter vernichtet wird. Die Königsherrschaft Christi dient bei Paulus zu eben dieser Vernichtung der feindlichen Mächte. Diese ist, auch wenn sie zeitlich nicht genau festzulegen ist, jedenfalls erst mit dem "Ende" 01. 24a) abgeschlossen. Es ist eine alte exegetische Streitfrage, ob die 1. K. 15, 24ff. genannte K{inigshe,.,.schaft Christi und damit die Unterwerfung der Mächte gegenwärtig oder zukünftig gedacht werden muß. Schon seit jeher standen sich gegenüber: 1. die orthodox-kirchliche Interpretation, die unter der Königsherrschaft Christi die Kirche mit Einschluß der Endgeschehnisse verstand, also die Unterwerfung der Mächte bereits mit der Erhöhung Christi beginnen ließ1l1; 2. die chiliastische
1.'
Oder wirkt die jüdische Tradition des Messiaskampfes ein? Vgl. u. A. 116. Gegen Hahn, Hoheitstitel247f., vgl. Schweizer ThW VIII, 384 A. 348. 1•• Vgl. Schweizer, ThW VIII, 372, 33ff., bes. auch A. 267. Vgl. ferner Mk. 13, 32. Der Gedanke einer Befristung der Herrschaft Christi ist in dieser Form bei Pis. singulär. 11. Pirqe R. EI. 11 (6c) = Str.-B. III, 472. 111 Vertreten u. a. von Bachmann, Hering, Grosheide, Allo z. St.; in monographischen Darstellungen und Aufsätzen u. a. von R. H. Chor/es, A Critical History of the Doctrine of a Future Life in Israel, in Judaism and in Christianity, London: Black 1899,390; Vos, Eschatology 245f.; O. Cu//mann, Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament, ThSt (B) 10, Zollikon: EVZ 1941, 12ff.; Leal, VD 36 (1959) 231; Käsemann, Apokalyptik, Aufs. 11, 127; Freebom, Eschatology, Studia Ev. 11, 559f.; Thüsing, Per Christum 240; H. Con~e/mann, Art. Reich Gottes I, RGG" V, 912-918, dort 917.
1.'
2. 1. K. 15,23-28
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Interpretation, die die Königsherrschaft Christi und die Unterwerfung der Feinde in die Zeit zwischen Parusie und Ende verlegte l1l• Zur Beurteilung der Frage wird man folgendes zu beachten baben. 1. Da Paulus traditionelles Material aufnimmt, ist zwischen diesem und der paulinischen Interpretation zu scheiden. In der vorpaulinischen und nebenpaulinischen Gemeindetradition konnte die Königsherrschaft Christi sowohl futurisch-eschatologisch als auch - allerdings seltener - präsentisch-ekklesiologisch verstanden werden. Angesichts der Unmöglichkeit einer sicheren Rekonstruktion der Paulus vorliegenden Tradition kann kaum eine Entscheidung gefillt werden. Auffillig ist, daß d.ie bei Paulus vorliegende Tradition von der ßClCGW[CIC Christi und nicht von seine:r )(UP~6-nj1; spricht, weshalb man nicht ohne weiteres von Stellen wie Phil. 2, 9-11; R. 8, 341f. her argumentieren darf. Daß Paulus eine präsentische Vorstellung, wie etwa Kol. 1, 13, vorlag, ist deshalb zwar möglich, aber nicht zu beweisen. Unsicher ist auch, ob Phil. 3, 21, wo die Unterwerfung der Mächte mit der künftigen Verwandlung zusammen genannt wird, weiter hilftlll• 2. Fragen wir nach der Vorstellung des Paulus selbst, so ist zu sagen: il~ -1m:~"I'CIC - e:t"I'CIC setzen eindeutig ein zeitliches Nacheinander, ohne daß auf die zeidiche Distanz reflektiert würde llt• Die Königsherrschaft Christi dauert also für Paulus auf jeden Fall in der Zeit zwischen Parusie und Ende, ob vorher auch, wird nicht gesagt. Auf die Frage nach der Dauer dieser Zeit geht Paulus im Unterschied zu Apk. 20, lff. nicht ein. Von der Unterwerfung der Mächte ist nur ausgesagt, daß sie bis zur übergabe der Herrschaft Christi an Gott dauere, nicht aber, wann sie beginnt. Jedenfalls hat die Unterwerfung des Todes, wie 'ja schon der Unglaube der Korinther zeigt, noch nicht stattgefunden. Paulus war eben an tkr Amgestaltung und Präzisierung tkr Vorstellung nieht interessiert, soNkrn nahm sie nlll' sOJlleit all/, als sie für seine Saebe nötig war.
DUlCCh die Verbindung mit der Aussage von der künftigen Übergabe des Reiches Christi an den Vater wird nun aber die aus Eph. 1, 2Off.; 1. Pt. 3, 22; Phil. 2, 9-11 etc. bekannte Tradition von der Unterwerfung der Mächte transformiert. Aus einer durl:h. die Erhöhung beVertreten u. a. von Schlatter, Lietzmann (vgl. aber vorsichtiger Kümmel, bei Lict:zmann, Kor. 193), Wendland z. St., ferner Holtzmann, Thcot 11, '1Zl; Schweitzer, Mystik 69. Vermittelnd urteilt Bietenhard, Das tausendjährige Reich 82, der zwar, im Gefolge von O. Cullmann (0. A. 111) das Reich Christi als Zeit der Kirche versteht, die Unterwerfung der Mächte aber dennoch in die Zeit nach der Parusie verlegt. 1,. Das wlke nur der Fall, wenn die Stelle vorpln. wAre, was aber sehr fraglich ist, vgl. o. A~~. Hingegen ist Kol. I, 13 möglicherweise Tradition, vgl. E. Käseman'n, Eine urchristliche Taufliturgie, in: Exegetische Versuche und Besinnuogen I (= Aufs. 1), Göttingen: Vandenhoeck 1960, 34-51, dort 37ff. 1lC Vgl. o. A. 83. 90. Aber es ist unsachgemäß, etwa mit Hering, 1. Kor. 141 festzustellen, daß das messianische Reich "sc termine donc a la parousie", uni dann. in mel:kwürdig halber Korrektur, zu sagen: "ou peu apres, lorsque la mort sera anncantie". Delling, Zeitverständnis 98, meint, daß "zwischen dem "epeita" V. 23 und dem "eita" V. 24 kein längerer Zeitraum gedacht werden" kann. Aber woher weiß er denn das? Und wenn Grosheide, 1. Kor. 365 davor warnt, unser chronologisches Denken auf die letzten Dinge anzuwenden, so drückt dieser Satz zunächst einmal die Verlegenheit seiner eigenen Exegese aus. Sicher: Paulus ist an der Ausdehnung der Zeit·zwischen Parusie und Ende keineswegs intereSsiert und zieht die Linien der Vorstellungen nicht aws, aber ein chronologisches Nacheinander ist m. E. unumgin$lich. Das gilt auch gegen Shires, Eschatology 69, der die Parusie und das Ende zeitlich zusammenfalleii lißt. .' 111
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VII. Die Zukunft des Glaubens
wirkten, gegenwärtig wie künftig (Eph. 1, 211) wirklichen, geglaubten, bekannten und akklamierten Unterwerfung der Mächte wird eine erst in der Zukunft nach der Parusie vollendete. Eine gewisse Akzentverlagerung tritt dadurch zweifellos ein. Sie besteht nicht in erster Linie darin, daß eine ursprünglich eher präsentisch orientierte Traditionl l & von der Unterwerfung der Mächte unter Christus nun zur Zukunftserwartung wird: Vielmehr liegt der neue Akzent m. E. darin, daß in eine an der zeitlichen Dimension nicht interessierte Akklamation des erhöhten Herrn als Sieger über die Mächte ein zeitliches Moment tritt. Man könnte sagen: Pattlus hat hier einer hellenistischkosmologischen Aklelamotion durch Betonung der Dimension der Zukunft neue Akzente verliehen und sie in gewissem Sinn apokalyptisiert. Daß er dabei einen gewissen Anhalt an Vorstellungen der jüdischen Apokalyptik hatte, sei damit nicht bestritten116• Die Frage ist aber, wieso Paulus dies tat. Hier werden wir nun auf den Vers 26 als Schlüml zur Interpretation des ganzen Abschnittes gewiesen: Als letzter, und das heißt zugleich auch: mächtigster Feindl17 wird der Tod überwunden118 • Im paulinischen Verständnis war der Tod eine Machtll9, die seit Adam die Welt beherrschte. Wenn nun die Korinther die Auferstehung der Toten ablehnten, so lehnten sie damit - im paulinischen Verständnis - die Macht der von ihnen ja bejahten Auferstehung Christi ab. Angesichts der fortdauernden Mächtigkeit des Todes in der Welt aber, die für die Korinther evident war (V. 181) und die auch von Paulus gerade nicht lU Es scheint mir wahrscheinlich, daß die vorpln. "enthusiastische" Tradition sich nicht durch eine dezidierte Betonung der GegellTlJarl des Sieges Christi über die Mächte (so nur 1. Pt. 3,22; KoI. 2, 15), sondern durch eine aus der Akklamation des gegenwärtig erhöhten Herrn zu verstehende Indifferenz gegenüber dem zeitlichen Aspekt (so z. B. R. 8, 34; PhiI. 2, 9-11 etc.) ausgezeichnet hat. VgI. dazu u. S.350. ue Hier muß vor allem an das Motiv vorn Messiaskampf erinnert werden, vgI. Ps. Sal. 17, 22ff.; äth. Hen. 46, 4ff.; 4. Esr. 13, 5ff.; s. Bar. 39, 7. 117 VgI. Grosheide, 1. Kor. 368. 111 V. 26 denkt von der Macht des Todes her und darf also gerade nicht individualistisch ausgedeutet werden. Der Vers gibt keine Auskunft darüber, was die Zerstörung der Macht des Todes impliziert, ob etwa die Wiedererweckung der vor Christus verstorbenen Gerechten (so Bachmann, 1. Kor. 450) oder die Auferstehung aller (so z. B. Tillmann, Wiederkunft 192; Molitor, Auferstehung 55f.; Molitor will die allgemeine Auferstehung erst aus V. 26, nicht schon aus V. 22 entnehmen) oder etwa gar die Bekehrung oer Ungläubigen nach ihrem Tod (Lietzmann, Kor. 80). An unserer Stelle ist vom Gerichtsgedanken nicht die Rede, und er darf auch nicht einfach eingelassen werden, damit dann nachher der Gedanke einer allgemeinen Auferstehung daraus abgeleitet werden kann, vgI. zu Recht H.!:ring, RHPhR 12 (1932) 304. Auch aus V. 22 kann keine allgemeine Auferstehung als Bestandteil einer chrisdichen Weltanschauung gefolgert werden: n:mec; ist von bI XP'CfTij) her zu lesen. l1t Vgl. R. Bullmann, Art. ~vot'rot; X't"A., ThW III, 7-25, dort 14, 22ff.; 18, 7ff.; imJudentum vgl. bes. 4. Esr. 8, 53; s. Bar. 21, 22f.; Sap. 2, 24. VgI. auch o. III 6 un Brandenburger. Adam und Christus, 45ff. pss., bes. 51 A. 5.
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übersprungen wurde, konnte es nach Paulus nicht genügen, im Sinne der hellenistischen Akklamation die Unterwerfung der Mächte unter den elrhöhten Christus zu bekennen, denn damit würde ja die Wirklichkeit des Todes übersprungen. Zugleich konnte es angesichts der grundsätzlichen Hoffnungslosigkeit der Korinther, die ja nach Paulus in ihrer bloßen Hoffnung (V. 19) bejammernswerter sind als alle andem Menschen, auch nicht damit sein Bewenden haben, den Korinthc:rn ihre eigene künftige Auferstehung zuzusichern. Um die Auferstehung einzelner Glaubender geht es gerade nicht, sondern um die Macht der Auferstehung Christi, die die Macht des Todes besiegt. Man könnte sagen: Die Überwindung des Todes als Macht zeigt, daß (~s sich bei der Auferstehung der Christen bei der Parusie nicht wiedc:rum um ein isoliertes, wiederum gleichsam zufälliges Ereignis handelt, sondern um die Einleitung der endgültigen Besiegung der Macht des Todes. Und da es für Paulus bei der Auferstehung der Christen um nichts weniger als um die Zukunft der Auferstehung Christi sdbst geht, heißt das wiederum, daß die kosmischen Aussagen in Y. 24-28 gerade diese. endgültige, eschatologische Bedeutsamkeit der Auferstehung Christi feststellen wollen. "Individlllliistische" Zliletmft
in V. 2J-24arJ. und "kosmische" ZuktmJt in V. 244-28 stehen also nicht einfat'h al.r tJl'ei Linien nebeneinander, sondern die letztere umfaßI die erstere und stellt ihre eschatologische Wirklichkeit sicher. Das kßsmisclrapoka!Jptische Denken erweist sich als nOl1llendig, weil es Palllu.r in seiner ganten Argumentation um die Zuktmft - und tJl'ar nicht irgend eine private, sondern 11'" die eschatologische Zukunft - der Auferstehung Christi geht. Darin, daß die sonst als gegenwärtig akklamierte Überwindung der Mächte bei Paulus erst in der Zukunft vollendet wird, zeigt sich die Wirklichkeitsbezogenheit des paulinischen Denkens, die die Resignation der Korinther angesichts des gegenwärtig mächtigen Todes ernst nimmt. So e:rweist sich die in den Versen 23-28 entworfene futurische Eschatolol~ie als sachbezogen, weil um der Auferstehung Christi willen notwendig. Abe:r mußten denn nicht auch den Korinthern die paulinischen Ausführungen als "eschatologische Mythologie" erscheinen? Konnte Paulus mit dem Einverständnis der Gemeinde rechnen? Vielleicht dachte Paulus, dies gerade deshalb hoffen zu können, weil er seinen futurisch-eschatologischen Entwurf anband christlich-traditioneller Aussagen formulierte. Vielleicht haben die - durch gottesdienstliche Tradition bekannten - Zitate in den Versen 25-27 gerade den Sinn, den Korinthern ein Einstimmen zu ermöglichen, indem eine an sich bek~lOllte Aussage in einer neuen Situation neu inte%pretiert wird11o• 100
So ve#'uhr Pis. schon mit dem Hem:nwOrt 1. Tb. 4. 1M.
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VII. Die Zukunft des Glaubens
Vielleicht - sicher können wir das nicht wissen. Jedenfalls ist Paulus hier in unserm Abschnitt nicht einfach Tradent, sondern tatsächlich so etwas wie apokalyptischer Theologe. Apokalyptischer Theologe ist er aber wohl nicht angesichts eines überbordenden Enthusiasmus der Korinther, den er als solchen wohl gar nicht ganz durchschaut, sondern angesichts der Zukunftslosigkeit des Kerygmas, die die Korinther zu den "Elendesten aller Menschen" (V.19) macht. Schlagwortartig: Die ApokalYptik ist hier für Paulus nicht die Bremse angesichts eines dem Handeln Gottes vorgreifenden Enthusiasmus, sondern Zeugnismittel angesichts eines die Zukunft preisgebenden Unglaubens. Selbstverständlich liegt hier sachlich nicht einfach ein Gegensatz vor, insofern ja ein vom Wirken des Geistes in der Gegenwart allein her lebender Enthusiasmus tatsächlich immer Gefahr läuft, in ein die Zukunft überhaupt preisgebendes und damit extreme Hoffnungslosigkeit verratendes "carpe diem" umzuschlagen. Hoffnungslosigkeit kann eben nicht nur die Form der desperatio, sondern - nur scheinbar anders - auch die der praesumptio annehmen. Wie weit in den vorpaulinischen Gemeinden diese Gefahr tatsächlich schon akut gewesen ist und die Gegenwart statt als enthusiastisch-proleptisch vorweggenommene Heilszukunft als alleinige Zeit des Heils interpretiert wurde, ist schwer zu sagen angesichts des uns vorliegenden spärlichen Materials. Verschiedene Hinweise aus den Deuteropaulinen (z. B. Eph. 1,21; 2, 2H.; Kol. 3, Iff.) und aus dem vielleicht aus einer solchen Gemeinde stammenden ersten Petrusbrief (I, 3. 11.21; 4,11), sowie das doch aurh futurische Eschatologie enthaltende Johannesevangelium weisen darauf hin, daß die Gemeinden im allgemeinen nicht jede Zukunftserwartung preisgegeben haben. Doch ist ein Urteil dadurch erschwert, daß wir nicht wissen, wie weit KoL, Eph. und 1. Pt. ihre Gemeindetheologie gerade von Paulus und seiner futurischen Eschatologie her korrigieren. Das stärkste Indiz dafür, daß unsere Vermutung dennoch richtig ist, ist die Unbefangenheit, mit der Paulus durchaus unpolemisch immer wieder überlieferungen solcher "enthusiastischer" Gemeinden aufnehmen kann lll . 111 VgL o. S. lOH. 196. 22Of. 252. 256. 258f. 261. Jedenfalls scheint mir das Urteil von Käsemann, Apokalyptik, Aufs. H, 120, daß die Parole der Irrlehrer von 2. Tm. 2, 18 "die Grundanschauung jener gesamten Christenheit, welche im hellenistischen Bannkreis das Christentum als Mysterienreligion verstand", gewesen sei, trotz Kol. 2, 12ff.; Eph. 2, 5f. (vgl. aber 71) einer Differenzierung zu bedürfen, vgl. auch o. VI 1 Nr. 6. Natürlich sieht Käsemann in seiner grundsätzlichen Bestimmung der Phänomene viel Richtiges. Ich würde ihm darin zustimmen, daß Pis. weitgehend einem enthusiastisch gepriigten Christentum gegenüberstand. Nur wird man dagegen nicht einfach die Apokalyptik stellen dürfen, vgl. o. A. IV 119. In Bezug auf unsern Text ist Käsemann darin zuzustimmen, daß Pis. apokalyptischer Theologe gewesen ist, indem er traditionelle Gemeindeapokalyptik nicht nur tradiert, sondern auch maßgeblich um- und neugepriigt, ja sogar neu gebildet hat. Auch darin hat Käsemann recht, daß 1. K. 15, 23ff. nicht primär individualistisch, sondern primär kosmologisch orientiert ist. Entscheidend ist Käsemanns Feststellung: "In der Auferweckung handelt es sich ... nicht primär um einen anthropologischen, sondern um einen christologischen Sachverhalt" (aaO 127). Das Gespräch mit Käsemann wird sich also nicht um die Frage: Apokalyptik oder Anthropologie, sondern darum drehen, in welcher Weise die Apokalyptik in unserm Text das Kerygma auslegt. Verhilft sie dazu, die Auferstehung Christi als "vorläu6g noch die große Ausnahme" zu verstehen (aaO 128)? Oder legt sie die
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Die traditionsgeschichtliche Analyse von 1. K. 1j, 24-28 führte uns an einem Paulustext ein Stück der Genesis urchristlicher futurischer Eschatologie vor. Deutlich war dabei ein Dreifaches: Erstens die Bezogc:nheit dieser Eschatologie auf das Kerygma und zweitens die Konkretheit und Situationsbezogenheit der paulinischen Aussagen. Drittens zeigte es sich, daß die Genesis von 1. K. 15, 24-28 weitgehend aufgrund innerchristlicher Traditionen verstanden werden mußte; die jüdische Eschatologie war nur indirekt von Bedeutung. Das zc:ntrale paulinische Anliegen war, die Auferstehung Jesu so auszusagen, daß sie als eschatologische, das heißt: alle Zukunft bestimm.:nde Tat Gottes deutlich wird. Wir sagten vorhin: Von der Z"-
künftigen Oberwindllng (les Todes war 11111 der Anjerstehung Jem 'fIIil/en die Rede. Nehmen wir V.271r-28 dazu, so müßten wir sagen: Von der Alljmtehtmg Jesll war letztlich 11111 der Gottheit Gottes 'fIIil/en die Rede. Nur so wird uns auch die in hymnischem Stil gehaltene!", abschliessende Formel: "damit Gott alles in allem sei" (V. 28c), die Paulus aus seiner hellenistischen Umwelt vertraut gewesen sein mag!", weder befremdlich noch überflüssig erscheinen. Damit will Paulus nicht einfach den endgültigen Hafen angeben, in den das Schiff der Geschichte dereinst einlaufen wird!", sondern vielmehr die Dimension aller seiner vorangehenden Ausführungen aufzeigen. Schon V.15 war die Frage nach Gott angeklungen, und auch in der Präponderanz des Kosm.ischen gegenüber dem Individualistischen in V. 23-28 war sie vorbereitet. Weil die Auferstehung Christi eschatologisches Ereignis ist, ge:ht es darin in letzter und endgültiger Weise um Gott. ,,Die ... Frage, wem die Weltherrschaft gehört, steht hinter der Auferstehungstheologie des Apostels"1I6. Paulus weiß aber, daß die Gottheit Gottes Aufemehung Christi als das Ereignis, das die Zukunft als Gottes Zukunft gewiß macht. aus? Dann wUrde den Korinthern mittels apokalyptischer Vorstellungen aufs n.:ue gezeigt, daß Glauben an die Auferstehung Christi auch Glauben an die überwindung des Todes und die Zukunft Gottes bedeutet. Dabei sind wir mit Käsemann der Meinung, daß die paulinische Apokalyptik ..die Angefochtenheit des Glaubenden" (aaO 130) ernst nehmen will. 111 Vgl. die Häufung von 1f«IITIX in V. 28; dazu Norden, Agnostos Theos 24011"., bes. 243 A. 2; 2441f. 118 Vgl. auch Kol. 1,18; Eph. 1, 23. Parallelen besonders bei Norden, Agnostos Theo5 245 (Aristides Sarap. 45); 246 A. 5 (Tert. adv. Prax. 5; Maoilius V 91511".); J. Weiss, Urchristentum 409 A. 3. 111 Wiederum will Pis. 1. K. 15, 28 keine weltanschaulichen Angaben machen und beanl:'ovortet deshalb keine Neugierdefragen, vgl. o. S. 48. Nicht gesagt ist etwa, worin die Unterwerfung Christi unter Gott besteht. Thüsing, Per Christum 2461f., will von R. 8, 29 her lesen: "Daß Christus durch sein eigenes ömnMacO'kL auch seine Brüder ... in die vollendete Hinordnung auf den Vater überfUhrt" (aaO 247). Doch soll hier wohl der Subordinatianismus umgangen werden, vgl. aaO 251. I'ßeiderer, Paulinismus 271, leitet aus V. 28c die These von der Allversöhnung ab. UI Käsemann, Apokalyptik, Aufs. 11, 129. Vgl. auch Bultmann, Theol.353; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 209f.: Weil Paulus das Christu8geachehen als
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nicht jetzt, sondern am Ende der Zeit offenbar werden wird, und drückt so zugleich aus, daß die Evidenz der Macht des Todes Gottes Zukunft nicht zu überspielen vermag. So zeigt die paulinische Eschatologie einen tief theozentrischen Grundzug. Dasselbe beobachteten wir bereits bei R. 9-11, besonders im triumphierenden Abschluß R. 11, 33-36128• Von der ZukJmjtse17llartung ist bei Paulus um des Glaubens willen die Rede, im Glauben aber geht es um das Festhaltenkönnen an der Treue und Wahrheit Gottes. Durch diesen theozentrischen Zug in seiner Eschatologie läßt Paulus ein zentrales Anliegen des Alten Testaments und der Apokalyptik aufs neue zur Geltung kommen 127•
D. 1. K. 15,23-28 im Vergleich mitandern eschatologischen Aussagen bei Paulus Wie verhalten sich nun die an unserer Stelle von Paulus in selbständiger Uminterpretation traditionellen Materials entwickelten eschatologischen Aussagen zu andern Aussagen des Paulus? Hat Paulus selbst eine geschlossene Anschauung über die Ereignisse der Endzeit gehabt, in die er die ihm überkommenen eschatologischen Aussagen eingepaßt hat? Auch in 1. Tb. 4, 13-18 hatten wir eine selbständige Neuinterpretation überkommener Tradition durch Paulus festgestellt. Die Auslegung beider Texte hatte gezeigt, daß Auswahl und Umprägung der apokalyptischen Aussagen sich jeweils aus den Erfordernissen der eschatologischen Interpretation des Kerygmas in konkreter Situation erklären ließen. Diese These muß nun umgekehrt der Frage ausgesetzt werden, ob nicht doch ein Gesamtentwurf paulinischer futurischer Eschatologie vorliegt, der die einzelnen Aussagen verständlich macht. Wir versuchen also, 1. K. 15, 23-28 mit 1. Th. 4, 13-18 und mit andern, einschlägigen paulinischen Texten, vorab 1. K. 15, 50-52 (35-58) und Phil. 1, 23 zu vergleichen1B8 • Im Vergleich mit 1. Th. 4, 13ff. fällt zunächst auf, daß der Thessalonichertext in 4, 17 beim "Mit-dem-Herrn-sein" anläßlich der Parusie stehen bleibt und darüber hinaus keine Aussagen macht. V. 24fT. unseres Korintherkapitels sind also überschießend, während umgeOffenbarung der Gerechtigkeit Gottes interpretiert, muß er subordinatianisch denken. "I Vgl. o. S. 299f. Zur theozentrischen Grundstruktur des paulinischen Denkens vgl. auch die Verweise o. A. II 461; IV 124 und u. A. IX 37. m Vgl. das Material bei Volz, Eschatologie 165ff. Auch in der vorpaulinischen hellenistischen Theologie kann der theozentrische Gesichtspunkt zentral sein, vgl. etwa Phil. 2, 11, das aus Gründen der Symmetrie des Hymnus m. E. vorpln. ist (mit Käsemann, Kritische Analyse, Aufs. I, 89, gegen Schweizer, ThW VIII, 385, 3ff.). In Zu 2. K. 5, 1If. vgl. u. VIII 1; zu R. 8, 18ff. vgl. u. VIII 2.
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kehrt eine ausführlichere Schilderung der Parusie in 1. K. 15, 23ff. fehlt, doch hat dies seinen Grund in dem 1. Th. 4, 13ff. aufgenommenen traditionellen Material. Immerhin scheint aber das "Mit dem Herm-Sein" 1. Th. 4, 17 etwas Endgültiges, nicht bloß Vorläufiges zu meinen. 1. Tb. 4, 13ff. bleibt bei dem auf die einzelnen Gläubigen bezogenen Denken stehen und zieht auch aus der apokalyptischen Parusieweissagung ein den Einzelnen betreffendes Fazit. Anders 1. K. 15, wo die den einzelnen Christen betreffenden Zukunftsaussagen durch die "kosmischen" Ausführungen von V.24b-28 nicht nur el:gänzt, sondern geradezu eingerahmt werden. Den Grund hierfür haben wir erkannt: Es geht eben 1. K. 15 nicht nur um das künftige Auferstehen des Einzelnen, sondern um die Zukunft der Auferstehung Christi als eschatologischer Tat Gottes und nur insofern auch um das künftige Auferstehen der Korinther1!'. Dem kosmischen Derik·en des Apostels in V. 24b-28 entspricht die grundsätzliche Infrage~.tellung der Zukunftshoffnung, die Paulus bei den Korinthern sah, während die Thessalonicher Auferstehung und Parusie als solche unbestritten ließen. Ihnen gegenüber, die von der Angst um ihre eigene Zukunft bewegt waren, mußte Paulus weit weniger grundsätzlich argunlentieren als gegenüber der Gemeinde in Korinth. Der andere Unterschied zwischen beiden Texten besteht darin, daß 1. K. 15, 23ff. vom Schicksal derjenigen, die bei der Parusie noch am Leben sind, absieht. Auf diese Frage kommt Paulus aber 1. K. 15, SOff. 2:U sprechen. Seit V. 35 erörtert er die Frage, "in was für einem Leib" die Toten auferstehen werden. Paulus stellt diese - hypothetische'" - Frage gerade nicht, um irgendweIchf' aufweisbare Kontinuität zwischen irdischem Menschsein und der Existenz UI Man kann also nicht, wie z. B. W. Grundmann, überlieferung und Eigenaussage im eschatologischen Denken des Apostds Paulus, NTS 8 (1961/62) 12-26, dort 17, die "personal-kommunikativen" Aussagen in der pm. Eschatologie einseitig in den Vordergrund stellen und die zeitlich-apokalyptischen Aussagen zu bloßen "Hilfsvorstellungen" degradieren. 11' Di.~ Argumentation braucht nicht unbedingt auf Kenntnis von Fragestellungen in der korinthischen Gemeinde zurückzugehen: '.Alla. I:pd TU; kann Argumentation eines fiktiven Gesprächspartners sein, vgl. Bultmann, Stil der paulinischen Predigt 66f.; J. Weiss, 1. Kor. 367 A. 4; Schmithals, Gnosis 147, und o. A. III 147. Schniewind, Leugner, Nachgdassene Reden 130, und Brandenburger, Adam und Christus 73 A. 2, müssen sich so helfen, daß sie die Frage der Korinther als nicht ernst gemeinten Spott verstehen, denn wenn die Korinther eine Auferstehung der Pneumatiker im jetzigen Leben annehmen, können sie die Frage von V. 35 gar nicht .!rnsthaft stellen. Man stdlt aber Pis. auch nicht ein sehr schmeichdhaftes Zeugnjs aus, wenn man ihn auf solchen Spott so ernsthaft und ausfUhrlich eingehen läßt. Die Formulierung nole,> 3~ a&>IJ4TL (vgl. s. Bar. 49, 21) dürfte vidmehr durch die bekannten Diskussionen zwischen den Schulen des Scba-i und des Hilld mit veranlaßt worden sein, vgl. Stt.-B. 111, 473f. undJ.JmtllllII, 'Flesh and BJ.ood cannot inherit the Kingdom of God' (1. Cor. 15, SO), in: Abba, Göttingen: Vandenhoeck 1966, 298-307, dort 307.
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der Auferstandenen herzustellen, sondern um diese abzulehnen und allein der freien Tat GotteS vorzubehalten111• Der Text wimmelt von Gegensatzpaaren: V. 40: epigeioi - epouranioi V. 42. 50. 53f.: phthora - aphtharsia V.43: atimia - doxa astheneia - dynamis V.44: söma psychikon - söma pneumatikon ek ges - ex ouranou V.47: choikos - epouranios V. 53f.: thneton - athanasia Sie haben den Sinn, die gänzliche Unvergleichbarkeit der Auferstehung mit allen menschlichen Kategorien und Existenzweisen zu statuieren. Auferstehung kann eigendich nur als Gegensatz zur menschlichen Existenz beschrieben werden. So kann Paulus den fiktiven Frager mit &tppCol" apostrophieren ('1.36). In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich gebieterisch die Frage nach dem Schicksal derer, die die Parusie noch erleben werden. In einem kleinen Exkurs"t geht Paulus dieser Frage nach und sagt in einem "mysterion", daß auch für die zur Zeit der Parusie noch Lebenden keine Kontinuität besteht: Zwar werden nicht alle'" sterben, aber alle werden verwandelt werden. Paulus dürfte hier Tradition aufnehmen, die zwar im einzelnen nicht mehr genau ausgeschieden werden kann, aber doch vor allem in V. 52 zu vermuten istU4 • Er Der Begriff "söma" hat 1. K. 15, 35ff. gerade nicht die Funktion, eine Kontinuitit zwischen irdischer und verherrlichter Existenz zu wahren, vgl. Schweizer, ThW VI, 418, 20ff.; ders., ThW VII, 1059, 17ff.; H. Con~tll1lann, Art. Auferstehung, RGG" I, 695f., dort 695, vgl. auch schon Stürmer, Auferstehung und Erwählung, vor allem 176ff. 111 Jeremias. Flesh and Blood, Abba 298ff., schlägt vor, V. 36-49 auf die Frage 7tolql 3~ CJq,.IX'fL (V. 35b), V.50-55 auf die Frage 7troc; (V.35a) antworten zu lassen. Er verkennt aber m. E. sowohl den rhetorischen Charakter der beiden Fragen in V. 35, die er künsdich voneinander unterscheidet, als auch die engen Beziehungen zwischen den beiden Abschnitten, vgl. nur V. 42.50. 53f. Vielmehr nimmt V. 53f. den durch den Schriftbeweis V. 45ff. und den Exkurs V. 50ff. unterbrochenen Gedanken wieder auf. Vgl. dazu auch Schweizer, ThW VII, 128, 14ff. 111 TIIlV'UC; oö ist im Sinne von oö 7t1l'l'fEC; zu verstehen, vgl. Bl.-Debr. 433, 2 und Kümmel, bei Lietzmann, Kor. 195f. . .& Tradition sind lv «T61/oCtl, l" ~Lnii bCP&cx).~oü und lv 'tij laxli'tTJ CJIlA7tLYYL, vgl. 1. Tb. 4,16. Hingegen dürfte sich V. 51b als pln. erweisen. Uber die Herkunft des Terminus IiMCJCJCJl läßt sich kaum etwas Bestimmtes ausmachen: R. 1, 23 und Gl. 4, 30 wird er in völlig anderem Zusammenhang gebraucht, sonst fehlt er bei Pls. Die Tatsache-der Verwandlung ist traditionell, vgl. äth. Hen. 50,1; 108,11; s. Bar. 5Of.; auch die von Str.-B. 111, 473 erwähnte Diskussion handelt sachlich von der Verwandlung. Gegenüber dem Judentum wird die Vorstellung durch den Kontext (vgl. V. 5Oc. 52: 4ql.&atpTOL; 53f.) weit radikaler gefaßt. Noch schwieriger ist die Frage, ob in V. 50b von CJIlP; bis xA'tJPO"OI1'ijCJIXL OÖ 3WIX'fIXL Tradition vorliegt, die dann durch den parallelen V. 50c von Pls. interpretiert worden wäre. Wie ( K. 6,9; Gl. 5, 21 zeigen, ist die Wendung XA'tJPOVOl1tCJl !3IXCJL).sllX" &soü Pis. bekannt, wird aber sonst vorzugsweise in ethischem Kontext verwendet. Up; XlXl cxtl1lX findet sich noch GI. 1, 16. Daß wir den Satz auch Phil. Ev. (ed. W. Till, Berlin: de Gruyter 1963) 23 = 104, 32ff. in gnostischem Kontext wiederfinden, dürfte eher für das Vorliegen eines traditionellen Satzes sprechen. Jeremias, Flesh and Blood, Abba 299, bezieht V. 50c auf die Toten, 50b dagegen auf die die Parusie noch Erlebenden. Doch ist wohl CP&OPIl schon V. 42 nicht eine Bezeichnung der Toten speziell, sondern des irdischen Lebens überhaupt. So wird doch eher synonymer, o. h. explikativer, als synthetischer Parallelismus membrorum anzunehmen sein. 111
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fonnuliert aber das Mysterium in eigener Verantwortung, indem er in V.51b seine c:igene Interpretation voranstellt und die verwendete Tradition - im Unterschied zu 1. Th. 4, 15ff. - nicht als sokhe kenntlich machtllI. Seinen Skopus ersehen wir aus V. 51 lin.: Alle 11. werden wir verwandelt werden. Eine Verwandlung widerflihrt also in gleicher Weise den bei der Parusie noch Lebenden und den bis dahin Verstorbenen. Es gibt kein Erben des Reiches Gottes, ohne daß Gott in völlig souveräner Neuschöpfung sein - in der Auferstehung Christi zugrundegelegtes - Wunder vollzieht.
Fragc!n wir nun nach dem Verhältnis dieses Textes zu 1. Tb. 4, 13ff., so ist: ganz einfach festzustellen, daß dort von der Entrückung der die Paru~ie noch Erlebenden die Rede ist, während es hier um ihre Verwandlung geht. Beide Vorstellungen schließen sich keineswegs aus, stehe:n aber zunächst einmal völlig kontaktlos nebeneinander. Nur dies läßt sich sagen, daß die Verwandlung für Paulus wichtiger gewesen sein muß als die Entrückung: Während er jene einfach aus der Tradition übernimmt und uninterpretiert stehen läßt, Billt der vielleicht ja auch aus der Tradition stammende Gedanke der VetWlI1ldlung sachlich mit dem Anliegen zusammen, um das es Paulus seit V. 42 geht. Paulus verwendet ihn dazu, Gottes von Grund auf neuscha:ffendes Auferstehungshandeln zu interpretieren. Auch 2. K. 5, 4 scheint er wieder auf ihn zurückzukommen!3'. Hinsichtlich der übrigen eschatologischen Vorstellungen besteht wohl zwischen heiden Kapiteln kein Unterschied: Hier wie dort nimmt der Apostel die Parl:lsie zu seinen Lebzeiten anla8 ; auch in Bezug auf die Auferstehungsvorstellung ist kein Unterschied festzustellen!·'. Gehen wir von hier weiter zum Philipperbrief, so scheinen wir dort 1, 23 vor einer völlig veränderten Sachlage zu stehen, indem das "Sein mit Christus" nach dem Tod als Alternative dem Am-Lehen-Bleiben V gl. o. A. V 96. J. Weiss, 1. Kor. 378 sieht zwischen V. 51, wo alle verwandelt werden. und V. 5:Z lin., wo dies nur von den "hemeis" (d. h. strikte: von den mit Pls. zusammen die Parusie Erlebenden) gilt, einen Widerspruch. Aber Weiss interpretiert wohl zu logisch. Im Sinne des PIs. ist wohl die Tatsache, daß die Toten unverweslich werden, auch eine Verwandlung. Die Verwandelten, die bei der Parusie noch sm Leb:n waren, sind wohl für Pis. prinzipiell den anläßlich der Parusie verwandelten auferstandenen Toten gleichgestellt, vgL Hoffmann, Toten in Christus 247. m V gl. u. S. 364. 188 Vgl. o. A. 17. Vgl. auch Robertson-Plummer, 1. Kor. 376; Tillmaon, Wiederkunft 78f. ... Gegen Teichmann, Auferstehung und Gericht 39, der meint, daß Pis. den "rei:nen Auferstehungsgedanken, wie er in 1. Th. vorliegt", in 1. K. 15 bereits nicht mehr~ durchgehalten habe, weil er ihn durch seine Verwandlun231ehre, die die ..vö . e Vernichtung" alles dessen, was zum Fleisch gehört (aaO S'3), einschließt, mo iliziert habe, vgl. auch aaO 51ff. Im Philipperbrief wäre er dann vollends preisgegeben. Woher weiß Teichmann darüber Bescheid, was für Pis. der "reine'" (für Teichmann heißt dies wohl: der rein jüdische) Auferatehangsgedanke in 1. Th. 4 an Vorstellungen voraussetzt? 110
18.
356
VII. Die ZlIkunft des Glallbens
gegenübergestellt wird. Muß das nicht fast zwangsläufig dahin interpretiert werden, daß Paulus zu jener Zeit eine unmittelbare Vereinigung mit Christus nach dem Tode erwartete140? Die Vorstellung von 1. Th. 4, 13ff., nach der ja gerade alle, die Lebenden und die Toten, zugleich mit Christus zusammen sein werden, scheint unserer Stelle diametral zu widersprechen. Nach 1. Th. 4 wäre eine Alternative zwischen "mit Christus sein" und "am Leben bleiben" völlig undenkbar. Doch wird man in der Beurteilung der Differenz vorsichtig sein müssen. Die Hoffnung auf eine künftige Auferstehung hat Paulus auch im Philipperbrief noch geteiltl4l• Im übrigen unterscheidet sich Phil. 1,23 von 1. Th. 4 und 1. K. 15 vor allem dadurch, daß Paulus - er war ja im Gefängnis und seine Hinrichtung war reale Möglichkeit - individuell und persönlich formuliert. Auf jede Ausmalung der persönlichen Hoffnung durch apokalyptische Vorstellungen wird hier verzichtet. Schon deshalb wird man sich hüten müssen, aus diesem Vers vorschnell eine völlig veränderte Eschatologie des Paulus herauslesen zu wollen. Im Grunde genommen ist Phil. 1,23 unter der Voraussetzung bereits völlig verständlich, daß Paulus sich das Sein im Tode vor der Verwandlung nicht als bewußtes Sein, sondern eigentlich überhaupt nicht vorgestellt hat14l• So ist es m. E. durchaus möglich, in der persönlichen Hoffnung die Zeit zwischen Tod und Auferstehung gedanklich zu überspringen und für sich das Sein mit Christus als Alternative zum noch am-Leben-Bleiben-müssen herbeizuwünschen. Gerade im ANsdrllck seiner persönlichen Hoffnung betont Paulur in keiner Weire irgend1l1elche apokalYptische Vorstellrmgen. Diese nimmt er dort auf, wo er sie um der rechten Interpretation des Kerygmas willen braucht. Jedenfalls ist diese Annahme leichter als die einer Metamorphose paulinischer Eschatologie, die überdies in einer unglaublich kurzen Zeit hätte stattfinden müssen143• Die Then ein" Enlrllid:ltmg 'er palliinirehen Erehafologie wurde von einem breiten Strom der Forschung vertreten, die eine langsame Hellenisiemng der paulinischen
UO So interpretieren z. B. Guntermann, Eschatologie 279f.; Dibelius, Thess.Phil. 68ff.; W. Grtmdmann, Art. t1Öv XTA., ThW VII, 766-798, dort 783, 18ff. und A.86. lU Vgl. Phil. 1,6.10.28; 2, 16; 3, 11. 19ff.; 4, 4f. 19. Vgl. u. bei A. VIII 8, ähnlich auch Schweizer, EvTh 26 (1966) 239f. A.l, und Hoffmann, Toten in Christus 313ft". 1" Das würde allerdings die These schwierig machen, daß 2. K. 5, Iff. sich auf die Furcht vor dem Zwischenzustand beziehe, vgl. u. VIII lc. 1" Der Philipperbrief ist wohl - mit G. Bornkamm, Der Philipperbrief als paulinische Briefsammlung, Neotestamentica et Pattistica, Festscbr. O. Cullmann, Suppl. NovTest 6, Leiden: Brill1962, 192-202, dort 199; Marxsen, Einleitung 63 - in einer ephesinischl."ll Gefangenschaft des Pis. entstanden, also etwa in der gleichen Zeit wie die korinthische Briefsammlung, kaum erst in Caesarea oder gar in Rom.
2. 1. K. 15,23-28
357
Eschatologie von 1. Th. über 1. K. und 2. K. bis zu Phil. annahm'''. Dabei spielte das 2. K. 1, 8-11 genannte Erlebnis oft eine wichtige Rolle. Allerdings deutet Paulu!; selbst dieses Erlebnis 2. K. 1, 9bf. offenbar anders. Mit der Möglichkeit seines Todes wird er überdies auch schon vor 2. K. 1, 3ff. konfrontiert, man vergleiche nur 1. K. 15, 30ff.; 2. K. 11, 24ff. Gegen die grundsätzliche These einer Entwicklung der paulinischen Eschatologie wandte sich die konservative Forschung, meist von einem vorgegebenen, der traditionellen Kirchenlehre etwa entsprechenden System der Eschatologie aus"". Auch mit der These, daß Paulus für sich oder eine Gruppe besonders begnadeter Christen, z. B. die Märtyrer, eine spezielle Eschatologie postuliert, wird man das Problem nicht lösen können'''. U. E. besteht die einzige, in Phil. 1,23 feststellbare Umwandlung darin, daß Paulus nicht mehr mit einem überleben bis zur Parusie unbedingt rechnet, was auch angesichts seiner Gefangenschaft durchaus verständlich ist.
Von einer grundsätzlichen Anderung oder Entwicklung der paulinisehen Eschatologie wird man also kaum sprechen dürfen. Aber ebensowenig denkt Paulus seine einzelnen eschatologischen Aussagen aus einem ganzen, geschlossenen apokalyptischen Entwurf heraus. Vielmehr stehen die einzelnen apok4!Jptisch-futurischen ARssagen des Apostels in einem merkwürdig losen Verhältnis zueinander, das man wohl Qm besten mit dem Slich1llort der "Kontaktlosigk,eit" umschreiben könnte. Auch wenn sie sich als Vorstellungen gegenseitig kaum ausschließen, lassen sie sich doch nur schwer zu einer Gesamtgeschichte der Zukunft ergänzen. Jede:nfalls bedürfen sie nicht einer solchen zu ihrer Verständlicbkeit147• sondern werden in ihrem Sinn und ihrer Funktion jeweils aus sich selbst, bzw. aus der Situation der Briefempfänger und dem theologischen Anliegen des Paulus verständlich. ... Diese Auffassung wird mit Modifikationen vertreten u. a. voo Teichnwm, Aufetstehung und Gericht pss.; Tillmann, Wiederkunft 117f.; Holtzmano, Theol. 11, 215ff.; Weinel, Theol. 324ff.; Glasson, Second Advent 206ft".; Dodd, Tbe Mind of Paul 11, N.T.Studies 109ff.; Schoeps, Paulus 102; D. M. SIIZIII'.1, Christ>. Resurrection in Pauline Soteriology, Analecta Biblica 13, Roma: Poot. lost. BibI. 1961, 75ff.; Knox, Gentiles 128ff.; Shires, Eschatology 37ff.; ferner die bei HoIfmanIlI, Toten in Christus 235f. Genannten. Vos, Eschatology 172/f., nimmt sogar eine Entwicklung der pln. Eschatologie in vier Stadien an, wobei die allmähliche Verwandlung von 2. K. 3, 18 das vierte und letzte Stadium wäre. Vgl auch u. A. VIII 1 und VIII 3. m Z. B. bei Guntermann, Eschatologie 306ff.; W. Michaelis, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11, Leipzig: Deichert 1935, 26f.; Feine, Theol. 28OIf. "" E. Lohml!Jer, Der Brief an die Philipper, Meyer K. 9/1, 13. Aull. Göttingen: Vandenhoeck 1964, 63f. (vgl. auch Nikolainen,Auferstehungll,237ff.),denktvon der Martyriumserwartung des Pis. her und deutet die unmittelbare Vereinigung mit Christus als eine besondere Gnade für den Märtyrer. Dibelius, Phil-Thess. 69 dünte aber mit seinen Argumenten gegen ihn weitgehend Recht behalten. J. SBI'enller, Einige Bemerkungen über den .,Zwischenzustand" bei Paulus, NTS 1 (1954/55) 291-296, dort 295f. deutet .,syn Christö" auf die Hoffnung des PIs. für den Zwischenzustand, richtet aber dadurch erst recht einen Widerspruch zu 1. Th. 4, 13ff. auf, wo der Zwischenzustand indifferent bleibt und .,syn kyriö" eschatologisch zu deuten ist• ... Solche Entwüne finden wir z. B. bei Schweitzer, Mystik 66-70, VM allem bei Boru:irven, Evangile 316ff., der sogar 1. K. 15 korrigiert, indem er den richtigen "ordre logique et chronologique" (aaO 316) einführt.
358
VII. Die Zu/ellnjt des Glaubens
Damit sind wir nun so weit, einen Vergleich des apokalyptischen Materials in 1. Th. 4, 13ff. und 1. K. 15 nicht hinsichtlich seines Vorstellungsgehaltes, sondern hinsichtlich seiner Intention und Aufgabe vorzunehmen148 • In beiden Texten war uns die aktive Rolle des Paulus gegenüber dem traditionellen apokalyptischen Material aufgefallen. Paulus ist nicht nur Tradent, er ist Neuinterpret, ja Neugestalter traditioneller Eschatologie. In beiden Texten fiel uns auch die Konkretheit der paulinischen Eschatologie auf. Futurische Eschatologie ist Antwort auf eine ganz spezifische Notsituation, die Hoffnungslosigkeit angesichts der ersten Todesfälle in Thessalonich und die Zukunftslosigkeit, in die die Ablehnung der Auferstehung der Toten nach der Meinung des Paulus die Korinther führte, ihre Glaubenslosigkeit, die darin wurzelte, daß das Kerygma seine eschatologische Macht nicht mehr besaß. In beiden Texten mündet eschatologische Aussage schließlich in die Paränese (1. Th. 4, 18; 1. K. 15, 58, vgl. 34). In beiden Texten erwies sich der Bezug der futurisch-apokalyptischen Eschatologie auf das Kerygma von Jesu Tod und Auferstehung als grundlegend. Beidemale hat Paulus die apokalyptische Zukunftshoffnung als Auslegung dieses Kerygmas verstanden, genauer: hat er durch den futurischen Entwurf dem Kerygma erneut die ihm eigene Zukunft eröffnet. Es geht also bei Paulus in seinen Entwürfen futurischer Eschatologie um keine andere Zukunft als die vom Kerygma eröffnete, ja noch mehr, es geht bei dieser Zukunft nicht um eine Folge des Kerygmas, sondern um das Kerygma selbst. Ohne seine Zukunft wäre "unser Kerygma leer, nichtig auch euer Glaube" (1. K. 15, 14). So läßt sich sagen: Die futurisch-eschatologischen Aussagen heben diese Entleerung des Kerygmas, die ihm in einer bestimmten Situation widerfahren ist, auf, und helfen, seine Macht zu bezeugen. Dabei sind aber die Unterschiede zwischen 1. Th. 4 und 1. K. 15 nicht zu übersehen: Während Paulus dort eine deutliche Indifferenz gegenüber apokalyptischen Einzelheiten zeigte, erweist sich derselbe Paulus in 1. K. 15, 23ff. als schöpferischer Apokalyptiker. Natürlich geht es auch 1. K. 15 nicht um die Entfaltung von Vorstellungen als solchen, sondern um die eschatologische Bedeutsamkeit des Kerygmas. Natürlich wird auch 1. K. 15 nicht das apokalyptische Einzelmaterial um seiner selbst willen entfaltet, aber dennoch bleibt der Unterschied bemerkenswert. Er ist ebenso bemerkenswert, wie die betont theozentrisehe und kosmische Akzentuierung, die die paulinische Eschatologie hier erfahren hat.
UI
Vgl. o. S. 330f.
VIII. DAS VERHÄLTNIS VON GEGENWART UND ZUKUNFT
1. Die Zukunftsvorstellungen von 2. K. 5, Hf. Wir haben in unserer bisherigen Analyse der eschatologischen Vorstellungen bei Paulus ihr gegenseitiges Verhältnis mit dem Stichwort "Kon.takdosigkeit" zu beschreiben versucht. Darunter verstanden wir die Tatsache, daß sich zwar die von Paulus in seinen apokalyptischen Darlegungen auftauchenden Vorstellungen gegenseitig nicht aussclbließen, sich aber auch für ihr Verständnis gegenseitig nicht voraussetzen, so daß weder von Widersprochen, noch von einer Entwicklung, noch von mehreren Linien in der paulinischen Eschatologie1, noch aber auch von einem geschlossenen apokalyptischen "System", aus dem heraus alle Einzelaussagen gedacht und zu verstehe:n sind, gesprochen werden kann. Dies(:r These scheint nun der schwierige Text 2. K. 5, 1-10 zu widersprechen. Seine ausführliche Analyse ist hier nicht unsere Aufgabe', weil der Text als ganzer nicht Aussagen über die Zukunft, sondern solche über die christliche Existenz angesichts ihrer Zukunft machen will. Dennoch müssen wir uns kurz mit ihm beschäftigen. Es gilt, einerseits die Zukunftsvorstellungen, die 2. K. 5, tff. auftauchen, zu bestimmen und ihr Verhältnis zu den sonst bei Paulus vorliegenden Zukunftsvorstellungen zu untersuchen. Andererseits dürfte uns gerade dieser Text wichtige Hinweise zur Frage des Verhältnisses von Zukunft und Gegenwart bei Paulus liefern. Wir werden also fragen müssen: In welcher Weise wird die christliche Existenz von ihrer Zukunft bestimmt? Wie verhalten sich Zukunft und Gegenwart des Heil!; in 2. K. 5, tff. und dem mit diesem eng zusammengehörenden Text 2. K. 4, 7ff.?
Zum Versuch, die pln. Eschatologie als ein Nebeneinander mehrerer Linien zu erklären, vgl. o. A. VII; A. VI 33; A. VII 129 und A. VII 144-146, femer u. A. 9. • Die! ältere Literatur zu 2. K. 5, 1tr. ist zusammengestellt bei TiIlmaru1. Wiederkunf.. 94 A. 1. Neuere Literatur stellen zusammen: Dupont, Syn Christo 115f. A. 1; R. F. Heillinger, 2. Corinthians 5,1-10, SJTh 10 (1957) 174-194, dort 174f.; E. E. Ellir,lI Corinthians V, 1-10 in Pauline Eschatology, NTS 6 (1959/60) 211224, dort 211 A. 1-6; neuestens handeln über unsem Tat: /l. /kr?:7, Death and Life in Christ, SJTh 14 (1961) 60-76; Hotrmann, Toten in Christus 253-285. 1
360
VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft
Da die Exegese des Abschnittes kontrovers ist, gehen wir am besten anhand eines Überblicks über die vorhandenen Auslegungsmöglichkeiten vor. a) Eine verbreitete Auslegung von 2. K. 5, 1ff. will in unserm Text folgende Aussagen finden: ,,1. Der irdische Leib, der zur Herberge für das mcül'Ot dient, muß vergehen. Er ist das Hindernis, das unserer Vereinigung mit dem Herrn im Wege steht. 2. Der himmlische Leib ist ... für jeden Einzelnen von Gott geschaffen. Er ist im Himmel, bereit, den Gläubigen im Augenblick seines Sterbens zu überkleiden. 3. Das Vergehen des irdischen Leibes würde die Nacktheit des im Christen vorhandenen mcüiJ.1X zur Folge haben. Diese Nacktheit ist zu denken ... etwa als Schatten im Hades. Allein diesem widerwärtigen Zustand wird der Christ nicht anheimfallen. 4. Vielmehr wird er im Momente des Sterbens mit dem himmlischen Leibe überkleidet, so daß das Leben in dem neuen, himmlischen a",1'Ot in demselben Augenblick beginnt, wo das Leben in dem irdischen aufhört ... 5. Sofort nach dem Tode muß jeder vor den Richterstuhl des Christus treten, um seinen größeren oder geringeren Lohn zu erhalten"". Es bedarf keiner weitem Worte, um zu sagen, daß diese individualistische und stark von griechischen Parallelen bestimmte· Sicht des Abschnittes sich nicht mit den übrigen Aussagen des Apostels zur futurischen Eschatologie vereinbaren läßt. "Die Auferstehung der Christen ... ist durch 11. Kor. 5 ... völlig unmöglich gemacht", meint Teichmann". Entweder muß dann eine Entwicklung der paulinischen Eschatologie, vielleicht durch das in 2. K. 1 geschilderte Erlebnis ausgelöst, oder eine Zweispurigkeit im eschatologischen Denken des Apostels angenommen werden. Diese Alternative bleibt auch dann bestehen, wenn man - etwa mit Windisch" - die unmittelbare Vereinigung mit Christus nach dem Tode nur für die vor der Parusie Verstorbenen annehmen möchte. Jedenfalls sind die Schwierigkeiten, die sich dieser Konzeption entgegenstellen, groß: 1. Das Auftauchen einer völlig neuen eschatologischen Konzeption hätte von Paulus irgendwie deutlich gemacht werden müssen; keinesfalls hätte er den Abschnitt mit dem ja auch die Korinther selbstverständlich einschließenden ot8IXiJ.CII ycip beginnen können. 2. Das "Moment der ,Alsbaldigkeit'" der Vereinigung mit Jesus nach dem Tode als eigentliches Novum dieser Konzeption bleibt eine Ergänzung, die der Exeget in den Text hineintragen muß'. 3. Die Gegensätze, nicht nur zu den früheren Texten 1. K. 15 und 1. Th. 4, 13ff., sondern auch zu Aussagen wie 2. K. 4, 14; 13,4 und R. 13, llff., zu den Aussagen im Philipperbrief, die eine künftige Auferstehung und einen Gerichtstag erwarten', vor allem aber zu der doch sehr eng mit unserer Stelle verwandten Stelle R. 8, 22ff.
Teichmann, Auferstehung und Gericht 65. In ähnlicher Richtung denken z. B. P. S&hmiedel, Die Briefe an die Thessalonicher und an die Korinther, HC 11/1, 2. Auf!. Freiburg: Mohr 1892, 238ff.; Holtzmann, Theol. II, 218; Windisch, 2. Kor. 157ff.; Vos, Eschatology 187ff.; M. Goglitl/, La foi a la resutrection de Jesus dans le Christianisme primitif, Paris: Leroux 1933, 38; Knox, Gentiles 128ff., und viele der o. A. VII 144 Genannten, die eine Entwicklung der pln. Eschatologie annehmen. Hettlinger, SJTh 10 (1957) 191f. nimmt nur eine vorübergehende, später wieder rückgängig gemachte Änderung der paulinisehen Eschatologiean. • Die griechischen Parallelen sind zusammengestellt bei Windisch, 2. Kor. 158f. 164f. 166, und bei Dupont, Syn Christö 142ff. 158ff., vgl. auch u. A. 32. I Auferstehung und Gericht 67. • 2. Kor. 159. , Windiseh, 2. Kor. 160, hält diese Ergänzung für "mindestens erlaubt" (I). • Vgl. o. A. VII 141. I
,. Die ZuktmjtsvorsteUungell VOll 2. K. 5,1ff.
361
würden unerträglich. 4. Was die Furcht des Paulus vor der Nacktheit eigentlich meint, wird in diesem Entwurf nicht leicht deutlich. Worin besteht die Nacktheit? Untel~ was fur Voraussetzungen tritt sie ein·? b) So wird man nach andem Lösungen zu suchen haben. Eine der vorgeschlagenen Deutungen wird dabei von vornherein ausscheiden müssen: Es wurde versucht, die "individualistischen" Aussagen von PhiL 1, 23 und 2 K. 5, 1/f. auf Paulus allein und die übrigen Aussagen auf alle Christen zu deuten1 ". Dies ist SChOll, darum nicht möglich, weil die Aussagen von 2. K. 5 aus denjenigen von 2. K. 4, 7/f. erwachsen, Paulus aber in beiden Kapiteln seine Existenz mit derjenigen der Gemeinde zusammenschließt" und gerade nicht für sich eine Sonderexistenz beansprucht, es sei denn, in Anfechtung und Bedrängnis. c) Großer Verbreitung in älterer und neuerer Zeit erfreut sich eine andere Lösung". Die überkleidung mit dem Deuen "Haus" erfolgt hier auf jeden Fall erst bei df:r Parusie. Darin besteht übereinstimmung mit 1. K. 15, SOff. Die Furcht vor dem Nacktsein bezieht sich auf den Zwischenzustand, in dem die vor der Parusie • Windisch, 2. Kor. 162 weiß lediglich, daß die Scheu vor der Nacktheit mehr jüdiSf:h als griechisch empfunden sei. Aber weshalb entsteht sie? Ist es so, daß für Pis. Nacktheit "ein Zusammensein mit dem Herrn ausschließen würde" (Windisch aaO)i' Dann wäre das Nacktbleiben am ehesten als Vollzug des Strafgerichtes Gottf:S zu deuten, vgl. u. A. 26. 40. Schlatter, Paulus der Bote 549f., deutet ~3uGliv.EVOt auf das Anziehen Christi, also auf eine Voraussetzung zum Bestehen des Gerichtes, was sich aber aus dem Zusammenhang nicht nahelegt. Originell ist die Deutung Allos. Die Quintessenz seiner umfangreichen Darlegungen (2. Kor. 120-160), die sowohl die These von Lietzmann u. a. (u. A. 12), als auch die besprochene von Teichmann u. a. ablehnt, besteht darin, daß die Furcht vor der Nacktheit eine Weise des Denkens, "quand nous ne vivons pas assez de notre foi et de notte esperance" (aaO 122), sei. 2. K.5, 1-5 ist nach Allo eine Konzession an die Todesangst der im Glauben noch nicht Gefestigten, während in V. ~10 der glaubensstarke Pis. unabhängig von dieser Angst spricht. In den Kategorien des Thontas von Aquin würden V. 1-5 einem "desir naturei", V. ~10 einem "desir de gr.ke" entsprechen (aaO 128). Die eigentliche Aussage des Pis. findet sich also nach Allo in V. 6-10, wo er seine eigene, mikrokosmische, individuelle Eschatolog:ie entwickelt (aaO 155). Diese wird aber nicht wie von den o. A. 3 Genannten gede1:ltet, sondern als Ergänzung zur Eschatologie von 1. Th. 4 und 1. K. 15, so daß Allo in seiner Skizze der "eschatologie integrale" (aaO 160) des Pis. eine Doppelstufigkeit der individuellen und kosmischen Eschatologie mit zwei Gerichten, einem "Jugement particulier" und einem endRii1tigen "jugement general de Ja :Parousie" (aaO 159) annimmt. In ihrer Weise ist AIlos Konzeption eine Neuauflage der These von den zwei Linien der pln. Eschatologie, vgL die Verweise o. A. 1; zur in vielem benachbarten Konzeption Duponts vgl. u. A. 16. 10 Kabisch, Eschatologie 296; vgl. dazu Holtzmann, Theol. 11, 217 A. 2; L. Brrm, Zur Auslegung von 11 Cor. 5, 1-10, ZNW 28 (1929) 207-229, dort 216; Deissner, Aufet'Stehungshoifnung 55 A. 1. Vgl. auch o. A. VII 146. 11 Vgl. dazu u. A. 116. 11 Vertreten mit Modifikationen u. a. in den Kommentaren von P. Btl&hllltl"", Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, KNT 8, Leipzig: Deichert 1909; W. B","$el, Die Korintherbriefe, in: SNT 11, 2. Auil. Göttingen: Vandenhoeck 1908,72-217; Lietzmann, Plummer, Hering, Hughes z. St., ferner bei Kennedy, Last Things 266; E. Kühl, über 2. Kor. 5, 1-10. Ein Beitrag zur Frage nach dem Helle:[lismus bei Paulus, Königsberg: J. H. Bon 1904, pss.; Tillmann, Wiederkunft 99/f., bes. 106; Deissner, Auferstehungsholfnung 86/f.; H. Schmidt, Auferstehungllholfnung 24/f.; Schweitzer, Mystik 13tf.; E. Weber, Eschatologie und Mystik im Nc:uen Testament, BFTh 2/20, Güteraloh: Bertelsmann 1930, 88; Guntt1mantl. EschEltologie 63/f.; Cullmann. Christus und die Zeit 212f.; dera•• UDitublichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Stuttgan: Kreuz 1962. 56ft; /. s__
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VIII. Das Verhältnis von GegenlIIart IIftd Zukunft
verstorbenen Christen leiblos auf Christus warten. Paulus würde also mit der Möglichkeit eines Todes vor der Parusie rechnen, darauf aber mit umso glühenderer Hoffnung auf die Parusie antworten 13. Doch auch dieser Exegese stellen sich nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten entgegen. Zunächst einmal zeigt sich wiederum ein Widerspruch zu 1. K. 15, SOff. und vor allem zu 1. Th. 4, 13ff. Dort ging es Paulus ja gerade darum, zu zeigen, daß die vor der Parusie Verstorbenen nicht im Nachteil gegenüber den Lebenden seien, im Gegenteill Weshalb denn nun hier plötzlich diese Furcht vor der Nacktheit des Zwischenzustandes? Vor allem aber wird der Gedankengang von V. 1-10 auf diese Weise doch sehr schwierig: V.l ist getragen von der Gewißheit des Besitzes eines himmlischen, ewigen Hauses. Diese Gewißheit würde aber durch ein nicht vorauszusehendes Hindernis, das Sterben vor der Parusie, empfindlich gestört, ohne daß dies irgend wie näher begründet würde. Man sollte meinen, daß angesichts der Furcht vor der Nacktheit des Zwischenzustandes die Konsequenz der Wunsch des Paulus wäre, möglichst lange, d. h. möglichst bis zur Parusie, am Leben zu bleiben. Danach fällt aber sein Wunsch, aus dem Leibe abzuscheiden, den er V. 8 äußert, doch eher überraschend und jedenfalls ..anders aus, als wir nach dem vorigen billigel0Veise erwarten durften"". Und das Seufzen von V. 2 und 4 gilt ja auch nicht der Angst vor dem Zwischenzustand, sondern, wie R. 8, 22ff. doch wohl wahrscheinlich macht, der noch ausstehenden endgültigen Errettung". Zahlreiche eher gequälte Konstruktionen zeugen von den Versuchen der Exegeten, mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden". Sler, Some Remarlts on the rYMNOI: in II Cor. V. 3, in: Studia Paulina, Fest-
schr. J. de Zwaan, Hurlem: Erven F. Bohn 1953, 202-214, dort 206f.; ders., NTS 1 (1954(55) 296; A. Feuillet, La demeure celeste et la destinee des Chretiens, RechSR 44 (1956) 161-192. 360-402, dort bes. 179ff. 381; Prümm, Diakonia Pneumatos UI1, 168f.; Berry, SJTh 14 (1961) 60ff.;]. A. Sint, Parusie-Erwartung und Parusie-Verzögerung im paulinischen Briefcorpus, ZkTh 86 (1964) 47-79, dort 60. Bgl. ferner die bei Ellis, NTS 6 (1959(60) 211 A. 5 und 6 Genannten. 11 Vgl. Tillmann, Wiederkunft 118, der vom Wunsch, die Parusie zu erleben, ..in alter Kraft", spricht; dagegen vermeint Guntermann, Esc;:hatologie 75 in 2. K. 5, lff. ein gewisses Nachlassen der Parusieerwartung, das vielleicht durch 2. K. I, 8ff. bedingt sei, feststellen zu können . .. Kühl, 2. Kor. 5,1-10,20. 11 E( "yE xat! (V. 3) heißt übrigens nicht, wie die oben abgelehnte Interpretation voraussetzen müßte, ..da (wir) ja nur dann" (Lietzmann, Kor. 120), sondern: ..natürlich unter der ja selbstverständlichen Voraussetzung" (Windisch, 2. Kor. 162, vgl. Hoffmann, Toten in Christus 276) . .. Hering, 2. Kor. 49, findet es bemerkenswert, daß sich Pis. V. 6ff...a un niveau spiriNel tel que meme la peur de la ,nudite' ne le touche p~us" er~ebt. Deissner, Auferstehungshoffnung 88, und Sevenster, Remarks, Studia Paulina 209, helfen sich so, daß heilsgeschichtlich im Vergleich zum Endzustand das .. nackte" Sein bei Christus zwal· etwas Unvollendetes, deshalb zu Fürchtendes, im Vergleich mit dem Leben auf Erden aber ein Schritt nach vom und deshalb etwas Erstrebenswertes sei. Tillmann, Wiederkunft 110f., denkt, daß vom Handeln Gottes her (V. 5) Pis. die Indifferenz beider Möglichkeiten betonen wolle. Feine, Theol. 283, bemerkt: ..Das Sterben vor der Parusie betrachtet Paulus allerdings als göttliche Strafe. Daraus folgt aber nicht, daß dieser Zustand mit Momenten des übels und zeitweisem Mangel an Seligkeit behaftet sei". Verstehe das, wer kannl Dupont, Syn Christö 158ff., sieht in V. 6ff. Pis. vor allem von griechischen Gedanken bestimmt und gegenüber V. lff. einen völlig andern Blickpunkt ..absolument en dehors de la perspective de la fin des temps" (aaO 154) annehmen. Auch er spricht, ähnlich wie Allo o. A. 9, von ..approfondissement de son esperance" in den Versen 6-9, muß aber aufgrund seines stark vom religionsgeschichtlichen Material her systematisierten einseitigen Verständnisses von V. 1-5 auf dem Hintergrund
,. Die ZlIktmjtsvorstelltmgell VOll 2. K. 5,1ff.
363
d) Zwei andere, in vielen Thesen ähnliche Exegesen suchen, diesen Schwierigkeiten zu entgehen, indem sie XIltTczÄ6(1) in V. 1 anders deuten. L. Bnm und R. H. Slrach.11I versuchen, 2. K. 5, 1If. nicht an 2. K. 4, 17, sondern vor allem an 2. K. 4, 16 all2,uschließen 17• Dann bezöge sich das Verb auf das tigliche Sterben des äußeren Menschen. Die Botschaft von 2. K. 5, 1ff. könnte dann sein, daß "the growth of his inner man is at every stage God's creative work"I', oder, dann doch eher, daß P'aulus angesichts der tiglichen Zerstörung des Leibes im apostolischen Leiden "auf die gewisse Hoffnung auf den neuen Himmelsleib" weist". Die S:hwierigkeiten dieser Lösung liegen auf der Hand. Sie beginnen mit der Interpretation des Aoristes XIltTcx>..uDij"D. Auch das Futur in der Wendung "wenn wir w,:nigstens ... nicht nackt erfunden werden" (2. K. 5, 3) wird schwer erkJirbar. Was die Furcht vor der Nacktheit überhaupt bedeutet, bleibt unklar. Wir haben also nach einer andem Lösung Ausschau zu halten. e) Eine solche schlägt W. Mtmdle vorII: Erlehnt es ab, die Wendung "wenn unsere irdische Zeltwohnung abgebrochen sein wird" einfach, wie es in der ersten und gelege:ntlich auch bei den andem vorgeschlagenen Deutungsversuchen geschieht, auf den Tod des Christen zu deuten. Der allgemeine Ausdruck xlltm,x.. läßt vielmehr auch andere Auslegungsmöglichkeiten offen'·. Auch bei der anläßlich der Parusie stattfindenden Verwandlung der Lebenden kann man von einer Auflösung des irdischen Hauses sprechen, umso mehr, als diese Auflösung als ein .,DarüberAnziehen"u und als "Verschlungenwerden" des Sterblichen beschrieben wird. So von 1. K. 15, SOff. und von V. 6-10 auf griechischem Hintergrund die Disparatheit der pln. Eschatologie innerhalb des Textes 2. K. 5, 1-10 selbst aufbrechen sehen. Außerdem ist wohl auch "gymnos" (V. 3, vgl. Dupont aaO 144ff. und u. A. 38) und "skenos" (V. 4, vgl. u. A. 31) auf heuenistischem oder mindestens jüdisch-hellenistischem Hintergrund zu verstehen, so daß der Wandel des Gesichtspunktes zwischen 2. K. 5, 5 und 2. K. 5,6 nur eingeschränkt durchgehalten werde:n könnte. 17 B11ln, ZNW 28 (1929) 216ff.; R. H. Slrachan, The Second Episde ofPaul to the Corinthians, Moffatt NTC, London: Hodder and Stoughton 1935, 99ff. Die von Sttachan für paulinisch gehaltene These vom Wachstum des inneren Menschen (vgl. auch die stark hellenistisch, evt. aufgrund von Gemeindetheologie formulierte Stelle 2. K. 3, 18) weist gewisse Parallelen mit den von den Korinthern in 1,15 mutmaßlich vertretenen enthusiastischen Auferstehungsvorstellungen auf. 18 Strachan, 2. Kor. 102. 10 Bnm, ZNW 28 (1929) 220 . • 0 R. BIlltmann, Exegetische Probleme des zweiten Korintherbriefes, in: Exegetica, TübiJlgen: Mohr 1967, 298-322, dort 303; vgl. auch Schlatter, Paulus der Bote 549. 11 Das Problem des Zwischenzustandes in dem Abschnitt 2. Kor. 5,1-10, Festgabe A. Jülicher, Tübingen: Mohr 1927, 93-109, vgl. auch Nikolainen, Auferstehu:ngsglauben 11, 229ff.; A. Oeplu, Art. 36(1) XT).., ThW 11, 318-321, dort 318, 37ff.; Wendland, Kor. 169; Hoffmann, Toten in Christus 267ff. '" Vgl. Liddell-Scott s. v., bes. Zif. 3; F. Blicbstl, Art. ).Ö(I) XT).., ThW IV, 337359, dort 337,9ff. In der Formulierung könnte ein bewußter Anklang an das Jesus'wort Mk. 14, 58 Parr. vorliegen, vgl. &Xe'pmrohlwC;, xlltm6(1), oIxo3op.-. Eine individualistische Deutung dieses Wortes liegt in der johanneischen Tradition .1. 2,13ff. (vorjohanneisch?, vgl. C. H. Dodd, Historica1 Tradition in the Fourth Gospel, Cambridge: University Press 1963, 161f.) vor; vgl. auch O. Michel, Art. otxo~ XT).., ThW V, 122-161, dort 149, 35ff.; Fcuillet, RechSR 44 (1956) 361-368; Hughes, 2. Kor. 164, dagegen Hoffmann, Toten in Christus 269 A. 80. Dann wäre "katalyö" traditionell und ohnehin nicht zu pressen• •• 'El'EV36011ta311t~ dürfte wohl wie XIltTlltmlDij in V.4 im Hinblick auf die die Parusie noch Erlebenden, die dann nicht vernichtet, sondern - wie alle andem verwandelt werden, fonnuliert sein, vgl. 1. K. 15.. 51f1'. und Schmitbals, GooIIis 252. Wie V.3 (vgl. 1. K. 15, 531) zeigt, dUrfte der Unterschied zwischen hw-
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft
meint Mundle, daß V. 1 in keiner Weise auf das Wann und Wie der "Auflösung" reflektiere. Vielmehr dürfte - gemäß den übrigen Aussagen des Apostels - die "Besitzergreifung des neuen Leibes ... mit der Parusie Christi verbunden" sein". Aber die allgemeine Formulierung "katalyö" zeigt gerade, daß Paulus hier nicht zwischen dem Tod vor der Parusie und der Verwandlung bei der Parusie differenziert, mithin eben nicht auf den Zeitpunkt reflektiert. Darin dürfte Mundle wohl Recht haben'·. Somit stellt 2. K. 5, Iff. auch nicht einen grundsätzlichen Widerspruch gegenüber 1. Th. 4 und 1. K. 15 dar. Vielmehr entspricht die Stelle in ihrer Indifferenz gegenüber dem Zeitpunkt der "Auflösung" sachlich genau Phil. I, 23. Die Schwierigkeiten von Mundles These liegen vielmehr an einem andern Ort. Wie ist nun die Furcht des Paulus vor der Nacktheit zu erklären? Mundle meint: "Im wesentlichen fällt er (Sc. der Zustand der Nacktheit) .•. mit der cp-&opci zusammen, der der Nichtchrist verfallen ist (Röm. 8, 21, vgl. auch 1. Kor. 15, 50)"·1. Gegen diese Auffassung wird man kaum die Annahme einer Auferstehung auch der Nichtchristen bei Paulus anfuhren können"', eher aber fragen mÜs5C.'Il: "Wie kann Paulus das fürchten", wenn er doch in Christus ist!'? Jedenfalls aber müßte erklärt werden, wieso Paulus an unserer Stelle nicht von "phthora", sondern von Nacktheit spricht. f) Damit kommen wir zu einer letzten Gruppe von Auslegern. Sie wollen zur Erklärung der aufflilligen Terminologie unseres Abschnittes die Situation und die Thesen der enthusiastisch-vorgnostischen Gegner des Paulus in Korinth heranziehen". In der Tat ist das Begriffs- und Vorstellungsmaterial unseres Abschnittes auffällig. Hapaxlegomena sind O!X(IX = O!xo30ILiJ als Bau, bezogen auf das Individuum'·; ax7j"o~, Olx'l]-djPLOV, !ixe:Lp07to('I]'rOI;, ~(o), ~7te:v3o(o), ~3'1]IL~(o), ~~(o). Nur vom griechischen Denken her sind verständlich: ax7j"oc;31 und 300lLllL und dem einfachen i;v300ILIXL, wiewohl vorhanden, sachlich nicht be-
deutsam sein, vgl. ähnlich Hoffmann, Toten in Christus 273f. .. Zwischenzustand, Fcstgabe Jülicher 97f. 1I Bultmann, Probleme, geht in seiner Argumentation davon aus, daß "katalyö" nicht zugleich auf den individuellen Tod und die Parusie bezogen werden könne, vgl. bes. aaO 304. Er selber läßt die Lösung offen, allerdings wohl unter deutlicher Bevorzugung des Bezugs auf die Parusie. Dagegen sprechen aber doch wohl J.2, 19ff. (vgl. o. A. 22) und die bei Liddell-Scott aaO (0. A. 22) aufgeführten griechischen Belege, die alle eher einen Bezug auf den individuellen Tod nahelegen würden. Dafür spricht aber "ependyomai" und "katapinö", sowie die Parallele 1. K. 15, 51ff. Legt nun "katalyö" eher einen Bezug auf den individuellen Tod und "ependyomai" und "katapinö" eher einen solchen auf die Parusie nahe und ist die o. A. 12 gegebene Lösung aus sachlichen Gründen unmöglich, so bleibt m. E. doch nur die von Bultmann uD 303 als Nr. 3 für möglich gehaltene Lösung Mundles, "daß Paulus auf den Moment der Bekleidung mit dem Himmelsgewand gar nicht reflektiert hat" und in V. 1 "einfach den Trost aus(spricht): angesichts des Todes besteht keine Angst: denn fur den Fall des Todes wissen wir, daß das Himmelsgewand für uns bereit liegt" (aaO). •1 Zwischenzustand, Festgabe Jülicher 102. .. Gegen Sevenster, Remarks, Studia Paulina 206. "' Lietzmann, Kor. 119. •• Bultmann, Probleme 298-306; Schmithals, Gnosis 246--261. •• Die u. a. von Ellis, NTS 6 (1959/60) 216ff. vorgeschlagene kollektive Deutung scheint mir aufgrund des Kontextes unmöglich, vgl. Schweizer, ThW VII, 1058 A.381. Feuillet, RechSR 44 (1956) 377, variert diese Auslegung, indem er vom zweiten Adam her versteht. 11 Vgl. dazu W. Mithat/ir, Art. CJX'I]"iJ XTA., TbW VII, 369-396, dort 384, 19ff.; Dupont, Syn Cristö 142ff. Davies, Paul and Rabbinic Judaism 313f., will im Anschluß an Manson vom Laubhüttenfest her deuten.
1. Die ZlIhmjtsvorstellflllgell VOll 2. K. 5,1ff.
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bc&rJ1I.~t~
bc '\'oü a~I'JX'\'OC;'" Fraglich ist nur, ob es aufgrund dieses Befundes schon notwendig und tunlich ist, von einer PO/~1IIile des Paulus gegen korinthische Gegner zu sprechen. Zu einer solchen Polemik gibt weder der Charakter des ganzen Briefes 2, 14-6, 13; 7,2-411, noch der die Korinther mit einschließende Kapiteleingang mit "wir wissen nämlich" Anlaß. Bultmann meint, daß Paulus in V. 3f. den korinthischen Gnostikern gegenüber, deren Position er nun im Untersc:hied zu 1. K. 15 besser erkennt habe, die Leiblichkeit der Auferstehung betonen wolleN. Dies könnte aber jedenfalls nur ein in V. 3f. auftauchender, unbetonter Zwischengedanke sein, da die durchgehende Intention des Abschnitte:s darauf ausgeht, die Ausrichtung der Christen auf das Unsichtbare, den Herrn zu zeigen (2. K. 4, 18). V. 3f. als direkte Polemik gegen korinthische Gnostiker, die die Leiblichkeit der Auferstehung leugnen, verstehen zu wollen, ist umso S>:hwieriger, als Paulus in V. 8 gerade seinen dringenden Wunsch. aus dem Leibe abzuscheiden, ausspricht. Im übrigen liegt für Paulus wohl alles daran. daß "soma" nicht zu überspringender Ort der Existenz der Christen ist (R. 12. 1), Ort der Offenbarung der "nekrösis" und der ,,zöc" Christi (2. K. 4. 711".). Ort der Bewähl:ung, an dem die Entscheidung des jüngsten Gerichtes sich orientiert (2. K. ~i, 10), aber nicht Ausdruck einer anthropologischen Kontinuität zwischen Diesseits und Jenseits··. Insofern liegt Paulus alles an der Existenz der Christen im Leibe, an der Auferstehung des Leibes nur inSoOfern. als gerade diese Aussage die freie und gnädige Tat Gottes zu beschreiben vermag. Hätte Paulus aber gegen Gnostiker polemisiert, die sich nach Nacktheit sehnten und nach dem Tode lediglich ein Fortdauern des schon jetzt wirksamen göttlichen "pneuma" erwarteten, so hätte el: wohl kaum gerade auf das .,Angeld des Geistes" als Zeichen für die Gewißheit des Handelns Gottes hingewiesen (2. K. 5. 5). Die ganze Argumentation von 5, 111". zeigt vielmehr. daß auch V. 3f. nicht als Polemik gegen die Korinther zu verlltehen ist, sondern daß sich Paulus hier im Einklang mit der Gemeinde' wußte (ct yc xext). Eine ins Ein2elne gehende Analyse des Textes als direkte Polemik gegen die Korinther würde überdies m. E. entweder die Argumentation des Paulus oder die Position der Korinther ad absurdum führen" • •• Vgl. Windisch, 2. Kor. 166; die Verbindung der Bilder vom Haus und vom Kleid linden wir nur in der mandäischen Gnosis, vgl. P. Vie/hautr. Oikodome, Diss. Heidelberg 1939, 108. I. Für die Literarkritik des 2. K. setzen wir G. Bornlea1ll1lls These als richtig voraus, vl~l. Die Vorgeschichte des sogenannten zweiten Korintherbriefes, SAH, phil.-h:ist. Klasse, Heidelberg: Winter 1961/2, 22f. Nur 2. K. 6, 14-7,1 dürften im Gegematz zu ihm ein unpaulinisches Fragment sein, wie dies etwa J. G"i/ka. 2. Kor. 6,14-7,1 im Lichte der Qumranschriften und der Zwö1fpatriarchenTestamente, in: Neutestamentliche Aufsätze, Festschr. J. Schmid, Regensburg: Pustet 1963, 86-99. dort 8611"., m. E. überzeugend gezeigt hat. Vom vorliegenden Brief meint Bornkamm asO 22, daß PIs. als ein überlegener rede. denn er ..glaubt seiner Gemeinde sicher zu sein und wirbt um sie mit aller Zuversicht". vgL 2. K. 6, Itf.;; 7,4• •• Probleme 299. Den polemischen Charakter meint er, aus den Wendungen c~ ex,ho '\'DÜ'rO (V. 5) und OU - ID~ (V. 4) entnehmen zu sollen, die aber m. E. die Beweil;last nicht tragen. •• VgL o. A. VII 131. .1 Die; ist m. E. das allerdings nicht so gemeinte Resultat der Analyse von Schmithals, G-nosis 24611". Fünfmal (I) muß er festhalten, PIs. zeige für die Position seiner Gegner "völlige Verständnislosigkeit" (asO 248.251 (Zitat). 252.258.260). Den Korint:hern schreibt er die Hoffnung zu, überkleidet und doch nackt zu sein (asO 251). Die Belege, die er asO 35Of. dafür bringt, beweisen dies m. E. allcrdinas nicht, vgl. schon D. Georgi. Rezension von Schmithals. VF 1958/59 (1~) 90-96. dort 92. Ein Beleg, den Schmithals anführt, nämlich der auch 1. K. 15.
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und Zumft
Paulus hat also vermutlich nicht gegen die Korinther, sondern mit den Korinthern argumentiert. An der zuletzt besprochenen These bleibt dies richtig, daß Paulus sich in unserm Abschnitt in ausgesprochener Häufung griechischer termini und Gedanken bedient, wohl, um "den Griechen ein Grieche" zu werden. Jedenfalls zeigt sich hier einmal mehr die grundsätzliche Freiheit des Paulus im Umgang mit Vorstellungen&1. V.3f. wird wohl am besten als indirekte Polemik erklärt: Denn daß Paulus um die Existenz solcher wußte, die sich nach Nacktheit nach dem Tode sehnten, kann angesichts der Verbreitung solcher Vorstellungen bis hinein ins Judentum 88 nicht verwunderlich sein und bedarf eines Rückgriffes auf die korinthische Gemeinde nicht unbedingt, um verständlich zu sein. Was für Paulus der Grund zu seinem kurzen Gedankenausßug von V. 3 war, ob einfach dies, daß Existenz ohne Leib für ihn weltanschaulich eine Absurdität war8D, oder dies, daß vom alttestamentlichen Sprachgebrauch her Nacktheit für ihn bedeutete: verurteilt sein, von Gott geschieden sein40 , kann hier offen bleiben. Vielleicht wollte Paulus selbst, von der Gewißheit her, daß das Leben im Leib vor Gott wertvoll und unaufgebbar ist (vgl. V. 101), seine eigenen hellenisierenden und ans Dualistische grenzenden Ausführungen korrigieren und schützen. Dann hätten die Verse 3f. gegenüber V .1f.die gleiche Funktion, wie die Verse 9f. gegenüber V.6-8 .. Paulus will also 2. K. 5 nicht eine neue Eschatologie darlegen. Er
denkt die Hoffntmg der christlichen Existenz im Ganzen innerhalb seiner alten Vorstellungen, wenn aIIch z. T. in neuer Terminologie und wiederum 50ft'. verwandte Spruch Phil. Ev. 23 = 104, 26ft'. (vgl. o. A. VII 134), sagt gerade, daß jene Gnostiker ohne Fleisch und doch nicht nackt sein wollen. Bultmann, Probleme 300 meint, Pis. habe die gegnerische Position nur zum Teil aufgenommen, vgl. dazu Georgi aaO 95. .. Vgl. auch o. S.249. 254; A. V 147; VI1 Nr. 4; VI 2 Nr.1. 6; VII 1C Nr. 2 und u. A. 94; A. IX47; vgl. ferner Güttgemanns, Apostel 46ft'.; K. M. Fischer, Bedeutung des Leidens 86. 10 Vgl. Philo Leg. All. 2, 59; Spec. Leg. 1,295; Virt. 76 . .. Vgl. Schweizer, ThW VII, 1059, 17ft'.; Sint, ZkTh 86 (1964) 74; Schmithals, Gnosis 252, andererseits aber die Belege bei Hoft'mann, Toten in Christus 159-161. Bachmann, 2. Kor. 238, weist in diesem Zusammenhang besonders auf die pharisäische Herkunft des Pis. Sicher ist es richtig, daß sich PIs. Existenz immer somatisch denkt, doch ist er hier so wenig an einer anthropologischen Kontinuität mit der zukünftigen Existenz interessiert wie 1. K. 15, vgl. o. A. VII 131. Richtig stellt Scvenster, Remarks, Studia Paulina 211, das Fehlen von "psyche" als hier an sich möglichem anthropologischem Kontinuum in unserm Kapitel fest. Von hier aus erweist sich die These von Reitzcnstein, Mysterienreligionen 355, daß wir unter irdischem bzw. himmlischem Gewand "noch eine andere Hülle haben" abgesehen von ihrer exegetischen Schwäche - auch als theologisch verfehlt. Das Angeld des Geistes in V.5 ist wiederum gerade nicht gnostisch als Weise des Selbstseins, sondern als Geschenk Gottes verstanden. co Ellis, NTS 6 (1959/60), 219/f., will "gymnos" aufgrund alttestamendicher Parallelen, vor allem Js. 20, 4; Ez. 16, 17f.; 26,29; Apk. 16,15 so verstehen. Ähnlich interpt"Ctierte bereits G. S(hrenle, Art. ß~pot; XTÄ., ThW I, 551-559, dort 558, 24f. Vgl. auch Plut. Mor. 565 A.
1. Die ZlIhmjtsvorstellllllgen von 2. K. S,1f!.
367
ohne Interesse an vorstellrmgsllläßiger Präzisierrmg. Ein Widerspruch zu andern eschatologischen Vorstellungen des Apostels war nicht sichtbar; umgekehrt denkt aber Paulus auch nicht von ihnen her und macht keinerlei Anstalten, seine neuen Formulierungen mit seinen sonstigen Darlegungen in Beziehung zu setzen und sie in ein ganzes eschatologisches Gedankengefüge einzubauen'l. Es scheint, daß Paulus je nach Aussage, die er machen will, eschatologische Vorstellungen sehr frei :aufnehmen kann. Unsere These von der ..Kontaktlosigkeit" der paulinischen eschatologischen Aussagen untereinander dürfte sich auch hier bewähren. Thema von 2. K. 5, 1ff. ist die von der Zukunft gehaltene und auf sie ausgerichtete christliche Existenz. Insofern ist der Abschnitt 5, 1fT. eng mit dem voranstehenden Abschnitt 4, 7fT. verbunden und eine Entfaltung des in 4,17f. bereits kurz Angedeuteten. Diese Verse bildl~n so etwas wie die Nahtstelle zwischen 2. K. 4, 7fT. und 5, 1fT. .Die Darstellung der christlichen Existenz als Existenz in der Schwachheit" die in der apostolischen Existenz paradigmatisch zur Darstellung kOlIunt'·, kann nicht allein von der dadurch der Gemeinde widerfahrenden Gnade und der in der Schwachheit erst recht deutlich werdenden Macht Gottes her begründet werden (2. K. 4, 12. 15). Dazu kOlIunt noch ein zweites Motiv, das bereits in 4, 14 anklingt, in V. 15f. nochmals zurücktritt, dann aber in V.17f. thematisch wird und in 5, 1ff. entfaltet wird: die Schwachheit und Trübsal in der Gegenwart als Darstellung des Todes Christi (4,10) wird überhöht von der durch Christus eröffneten gewissen Hoffnung auf die himmlische Herrlichkeit. Während 2. K. 4, 7fT. die christliche Existenz im Blick auf die Gegenwart betrachten, wechselt mit 4, 17 der Standpunkt und· der Blic:k richtet sich nach vorne, in die Zukunft. Aber das Thema bleibt das!;elbe, nämlich die christliche Existenz in Schwachheit und Hoffnung. 5, 1 nimmt die antithetische Ausdrucksweise von 4, 17f. auf und. schließt mit ..denn" direkt an. 5, 6 markiert das Ziel der bisherigen Ausführungen, nämlich die Freude mitten in der Unerlöstheit und schließt so an 4, 16, vgl. 17f., an. Daß wir hier tatsächlich einen Zielpunkt des Paulus vor uns haben, zeigt sich darin, daß Paulus, nachdem ihm ein Zwischengedanke in die Quere kam (V. 6bf.), dieses Ziel in V. B mit .&Otppoü(J.&V und in V. 9 mit der auf die Gegenwart bezogenen Paränese wieder aufnimmt's. V. 11 endlich kehrt der Apostel wiederum " Ein solches Bedürfnis zeigt sich z. B. bei Allo, 2. Kor. 159f., vgL o. A. 9. '" Zum Verhältnis von apostolischer Existenz und christlicher Existenz vgL u. A. 117; auch 2. K. 5, Hf. ist allgemein von der Existenz des Christen die Rede. ,. V gl. Bultmann, Probleme 298f. und Hoffmann, Toten in Christus 28Of. Auf die Beziehungen zwischen 2. K. 4, 7ff. und 5, 1ff. weist Hoffmmn 180 268f. 280f. 2841'. Hier liegt auch ein berechtigtes Anliegen der Auslegung von L. Brun. vgL o. sub d).
368
VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und ZlIknnft
zur Anrede an die Gemeinde zurück und faßt zusammen: "Ich hoffe, in euren Gewissen offenbar zu sein" (V. l1b). Damit weist Paulus wiederum auf 4, 2 zurück. Nach dem ersten Argumentationsgang der Rechtfertigung seines Apostolats, den Paulus - geschichtlich - von der Herrlichkeit der neuen "Diakonie" her führt (3, 1-4, 6), folgt der zweite von seiner Existenz im Leiden her, die eine Darstellung der "nekrösis" Jesu, zugleich aber auch des Lebens Jesu jetzt und in Zukunft ist (4, 7-5,10). Die Darstellung der Existenz des Christen muß beides enthalten: das Leiden und die Schwachheit, an der - paradox und unanschaulich - gerade das Leben Jesu und die Macht Gottes jetzt sichtbar wird, und die unerlöste Gegenwart, die ganz auf die himmliche Herrlichkeit ausgerichtet ist. Damit stehen 711ir vor der Frage nach dem Verhältnis von 2. K. 4, 7Jf. Zu 2. K. 5, lJf., oder sachlich: nach dem Verhältnis des Lebens Jelll, das sich bereits in der Gegetmlart manifestiert, Zu der künftigen, "himmlischen" Herrlichkeit. Auffällig ist, daß der Schwachheit des Apostels und der unerlösten Gegenwart zweierlei gegenübergestellt wird: das Leben Jesu j~tzt (4, 10f., vgl. 13. 16; 5, 5) und das Leben in der künftigen Herrlichkeit (4,14. 17f.; 5,1ff. 8). Aufs ganze gesehen liegt auf dem zweiten der Akzent. Und es fällt auf, wie vorsichtig Paulus die Aussagen über das gegenwärtig sich manifestierende Leben formuliert: Liest man 4, 1Of. 16 für sich, so liegt natürlich der Gedanke an den Geist Gottes, der das Leben Christi in der Gegenwart erfahrbar werden läßt und der dem inneren Menschen unabhängig von seinem äußeren Leben Tag für Tag Erneuerung schenkt (4, 16), nahe. Im Kontext von 2. K. 4, 7ff. aber lesen sich diese Aussagen ganz anders. Es fällt auf, daß das Stichwort "pneuma" nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich 4,13 und dort - was auch immer der Satz im einzelnen heißen möge strikte auf die Verkündigung, also den "Schatz in irdenen Gefäßen" (4, 7) bezogen wird. Ein uneingeschränkter Hinweis auf die Erfahrung des Geistes erfolgt erst 5, 5, nachdem klar geworden ist, daß der Geist nur als "Angeld" auf die künftige Herrlichkeit, zu der Gott die Gemeinde bereitet hat, zu verstehen ist. Im übrigen werden die Aussagen über das Leben Jesu in der Gegenwart durch den Kontext merkwürdig abgebogen: Das Leben Jesu wird am Leib (V. 10), ja am Fleisch (V. 11) des Apostels manifest, also am "irdenen Gefäß", am Ort des Leidens. Den Grund hierfür hat Paulus in V. 7 angegeben: damit die Macht Gottes nicht mit menschlicher Mächtigkeit verwechselt werde. Das Leben J esu im Apostel besteht nicht in dessen Geisterfahrungen, sondern in der Verkündigung des Evangeliums, und somit wird es direkt nur in der Gemeinde sichtbar, die durch diese Verkündigung entstanden ist (V. 12). Die Erneuerung des innern
2. Hei/-lI1ItI HeiUosigkeit in R. 8,18-39
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Menschen - Paulus nimmt hier hellenistische Tennmologie auf - wird sofort überführt in die Hoffnung des jetzt Angefochtenen auf die künftige Herrlichkeit und den himmlischen Bau (4,17f.; 5,1ff.)". KurZ, es fällt auf, Me vorsichtig Pault,s die Aussagen über das ugemllärtige Leben forflllliiert. Er nimmt sie zwar formal auf und befindet sich damit wohl im Eilll~lang mit den hellenistischen Gemeinden seiner Umwelt, deNtet sie aber sogleich Nm in ANssagen nicht mehr über den Geist, sondern über Jas "erA:iindigte EvangeliNm. Sieht man von allen indirekten Aussagen über das Leben Jesu in der Gegenwart in 2. K. 4.7ff. ab. also von seiner Manifestation in der Verkündigung. in der Gemeinde. in der Hoffnung auf das Unsichtbare und am Leib der Schwachheit. so bleibt als einzige direkte Aussage. die nicht sogleich wieder abgebogen wird, eigentlich nur da:! ou
A. Denk-und Zeitstrukturen von R. 8, 1f!r.J9 Bei R. 8, 18--39 handelt es sich nicht um einen Text, der futurische Eschatologie im eigentlichen Sinn enthält, denn der Abschnitt bedenkt die Gewißheit des Heils angesichts von Gegenwart und Zukunft. Man könnte sagen: Der Abschnitt behandelt den Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft, insofern nämlich die Gegenwart von d(:! Solidarität des Leidens und der Unerlöstheit bestimmt ist, die Zukunft aber vom Durchbruch der Tat Gottes, die auch schon die Zum hellenistischen Gedankengut vgl. bes. Dupont, Syn ChristO 118ff. Die Interpretation der Christologie von 2. K. 4, 7ff. WUrde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Unter dem Stichwort "Epiphanie" Christi im Apostel bzw. im Leben des Christen wurde sie von Güttgemanns (Apostel. bes. 948".) und K. M. Fischer (Bedeutung des Leidens pss.) durchgeführt. 1&
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VIII. Das Verhilltnis von Gegenwart 1iItd Zukunft
Gegenwart bestimmt. So bleibt es nicht nur bei einer Gegenüberstellung von Gegenwart und Zukunft, sondern immer zugleich auch stehen sich Gegenwart und Gegenwart gegenüber, nämlich die Gegenwart des unerlösten Menschen und die Gegenwart Gottes. Das alles taucht in unserm Abschnitt in eigenartiger Verschränkung auf und soll im folgenden näher beschrieben werden 48 • Befragen wir unsern Abschnitt auf das Vorkommen von uns aus früheren Texten bereits bekannten Denkstrukturen hin, so ist ein Zug sogleich augenfällig: Das Denken vom Kerygma aus. Natürlich denken wir hier zunächst an die christologisch-kerygmatischen Aussagen der Verse 32 und 34, die - in die rhetorisch triumphierenden Fragen von V. 31ff. eingebaut - die Gewißheit der für uns eintretenden Gerechtigkeit Gottes und seines endgültigen Sieges begründen helfen. Das Kerygma wird dabei nicht weiter ausgelegt, sondern lediglich angeführt: Das Handeln Gottes, der seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, ist unüberbietbar und schließt alles 47 in sich ein 01.32). Der Auferstandene tritt zur Rechten Gottes für uns ein, denn seine Liebestat 48 für uns findet keine Grenze. Im einzelnen bietet der Abschnitt V. 31-39 zahlreiche Probleme. Zunächst traditionsgeschichdiche: Hat Paulus auf traditionelle christologische Aussagen zu•• Eine ausführliche Analyse von R. 8, 18-39 wird also nicht beabsichtigt. Abgesehen von den Kommentaren und der Literatur zu dem bereits o. IV 4 A. behandelten Text R. 8,28-30 sei auf folgende Untersuchungen besonders hingewiesen: J.Schniewind, Das Seufzen des Geistes, Röm. 8, 26-Tl, in: Nachgelassene Reden und Aufsätze Berlin: Töpelmann 1952, 81-103; A. Viard, Expectatio Creaturae (R. 8, 19-22), RB 59 (1952) 337-354; A. M. Dubarle, Le gc!missement des crc!atures dans l'ordre divin du cosmos (Rom. 8, 19-22), RSPhTh 38 (1954) 445--465; E. Lt7IIir, A Christian Theodicy, Interpretation 11 (1957) 405-420; E. Ga/tgler, Der Geist und das Gebet der schwachen Gemeinde, IKZ 51 (1961) 67-94; Schwantes, Schöpfung der Endzeit 43ff.; E. Käsemann, Der gottesdienstliche Schrei nach der Freiheit, in: Apophoreta, Festschr. E. Haenchen, BZNW 30, Berlin: Töpelmann 1965, 142-155; U. Gerber, Röm. VIII 18ff. als exegetisches Problem der Dogmatik, Nov. Test. 8 (1966) 58-81. n Grundmann, ThW VII, 785, 7 und A. 91, will "das All" übersetzen. Es ist mir jedoch nicht einsichtig, wie der griechische Plural TOC 7tcXVTIX semantisch die Unterscheidung von "alles" und "das All" erlaubt. Fruchtbarer ist die Frage nach einer inhaldichen Näherbestimmung von TOC 7tcXVTIX. Geht man davon aus, daß V. 33 Gerichtsterminologie vorliegt, V. 38f. von den Mächten dieses Äons überhaupt handelt, daß auch V. 35b apokalyptische Drangsale mindestens nicht ausschließt, so dürfte die eschatologische Vollendung mindestens mitgemeint sein. Auch von aW her ist das wahrscheinlich, vgl. Schweizer, EvTh 26 (1966) 247. Vgl. auch u. A. 58 . •• Worin die Liebe Christi besteht, zeigen 2. K. 5, 14f., vgI. R. 5, 8; GI. 2, 20: nämlich in seinem ganzen Werk, in Tod und Auferstehung für uns; anders LietzMann, Röm.88, der auf die Interzession bezieht. 'AycXm'} Christi (und Gottes, vgI. R. 8, 39) sind von derselben Struktur wie andere o. III 6 Exkurs 1. genannte Ausdrücke, nämlich zugleich in der Vergangenheit geschehene Tat und gegenwärtig wirksame "Lebensmacht" (E. Stauffer, Art. ciYIX7tcX(O) KTA. B-F, ThW I, 34-55, dort SO, 3f., vgI. Bultmann, TheoI. 291f.; Holtz, Christologie 79f.).
2. Hei/- IIttd Hei//osigluit in R. 8,18-J9
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rückgegri/fen"? Daß in V. 34 eine Tradition aufgenommen ist, kann m. E. kaum bestritt.:n werden'·. Aber in V.32 wird Paulus wohl eher selbst formulieren: ~e:(3o"CtL ist paulinische Vorzugsvokabel (11x im N. T., davon 8 X bei Paulus); f3too; ul6o; ist rhetorische Zuspitzung und erst aufgrund von ,eL30JLGt, sinnvoll. lUVTe:.; mit Personalpronomen findet sich bei Paulus häufig, jedoch meist, mit vorang.~stellter Präposition immer, in umgekehrter Reihenfolge (vgl. R. 1, 8; 15,33; 16,24; 2. K. 7,13.15; 13,13; Phil. 1,4.7.25; 2, 17. 26; 1. Tb. 1,2; 5,5, anders 1. K. 12, 13; 2. K. 3, 18). Da aber nl1pI13(36)'" häufig gebrauchtes traditionelles Motivwort ist, ist es denkbar, daß Paulus unter dem Einfluß des häufigen nl1p",3t~6""'t öTdp + Personalpronomen (vgl. GI. 2, 20; Eph. 5, 2) ~VTe:o; nachgestellt haben könnte. Daß R. 8, 32 von Paulus selbst formuliert wurde, ist also mindestens möglichl l• Vermudich hat Paulus dabei in erster Linie an den Tod Jesu gedacht". Der Befund ist insofern aufschlußreich, als er einmal mehr zeigt'·, daß die kerygmatische Kurzaussage für Paulus durchaus noch nicht vorgegebener, unveränderlicher Text war, sondern eine Aussageform, die in sich "produktiv" ist, d. h. zur Neuformulierung, Neuinterpretation und Neufassung dringt. Schwieriger sind die syntaktischen Probleme des Abschnittes: Verteilung von Frage lind Ant\Vort auf die kurzen SätzChen V. 31/f. sind umstritten". Die Gliederung wird die Anspielung auf Js. 50, 8 mit zu berücksichtigen haben, die wohl überha'llpt hinter dem ganzen Text steht. Dann gehört ~o; 6 3QCLl~ 'rit; 6 XO
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VIII. Das Verhältnir von Gegenwart tmd Zukunft
sondern ihn für uns alle hingab, wie wird er uns mit ihm nicht alles schenken? 33 Wer wird (nun noch) Anklage erheben gegen die Auserwählten Gottes? 34 Gott ist es, der gerecht spricht: Wer wird da verurteilen? Christus Jesus ist es, der gestorben ist, mehr, der auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist, der auch eintritt für uns. 35 Wer wird uns von der Liebe Christi trennen? Wir erhalten so zwei Gedankengänge mit parallelem Aufbau, bestehend 1. aus einer indikativischen, theologischen These mit einem Fazit in Form einer rhetorischen Frage, 2. aus einer christologisch-kerygmatischen Aussage mit Angabe der Bedeutsamkeit für uns und 3. aus einer abschließenden rhetorischen Frage.
Die christologischen Aussagen haben in unserm Abschnitt eine Schlüsselstellung. Einerseits sind sie zur Beglaubigung der triumphierenden, lapidaren Aussagen über Gott: "Gott ist für uns" 01. 31), "Gott ist es, der rechtfertigt" 01.33 fin.) notwendig. Mit solcher Gewißheit Aussagen über Gott zu machen, ist nur aufgrund seiner Tat in Christus möglich. Die Gottesaussage wird also in der Christologie verankert, die ihrerseits wieder streng der Gottesaussage unterordnet wird". Christi Tat schließt wiederum ihre Folge mit ein: Gott hat uns darin Gewißheit gegeben, daß er uns "alles" schenken wird; Christus tritt für uns ein, also vermag uns keine Macht von seiner Liebe zu trennen. Das Christusgeschehen eröffnet die Zukunft als Gottes Zukunft. Was aber in 1. K. 15 und 1. Th. 4, 13ff. als Auslegung von Christi Auferstehung mit Auferstehungsterminologie beschrieben war, wird hier in Rechtfertigungs- und Gerichtsterminol0gie ausgesprochen&8: Christi Tod und Auferstehung heißt: Rechtfertigung durch Gott; und das wiederwn heißt, daß dem zukünftigen Gericht seine verdammende Kraft genommen ist. Die Rechtfertigung entscheidet auch über das letzte Gericht&7. Diese Entscheidung ist bereits gefallen, obwohl das Gericht selbst zukünftig bleibt58• Aber die Zukunft wird hier nicht als etwas Ausstehendes erfahren, sondern als etwas Gewisses, bereits in die Gegenwart Hineinragendes&9, oder .. V.32 ist streng subordinatianisch, vgl. Schweizer, ThW VIII, 386, 25f. In V. 34 ist der Subordinatianismus durch das Passiv "auferweckt" und die Vorstellung des Eintretens bei Gott ausgedrückt. Vgl. auch o. A. VII 125 und u. A. IX 37. i I VgLo. VI2Nr.2. . 17 C. Müller, Gottes Gerechtigkeit 54, spricht zu Recht von einem "Prozeß kosmischer Dimension", wobei hier nicht untersucht werden kann, wie weit Pis. diesen Prozcß wirklich vorstellungsmäßig durchdachte; vgl. auch Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 205. "' Die Futura V. 32. 33. 35. 39 sind effektiv und nicht nur logisch, vgl. Michel, Röm.216. •• Bei Paulus ragt überhaupt die Gewißheit des künftigen Heils immer in irgend einer Weise in die Gegenwart hinein. Sie gibt Trost (1. Th. 4, 13ff.), Leben in der Verborgenheit des Leidens (2. K. 4, 7ff.), Kraft zu neuem Wandel (R. 6; Phi!. 3,
2. Hei/- tmd Hei//osigluit in R. 8,18-39
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besser: die Vergangenheit des Christusgescheheos nimmt auch die Zukunft des Gerichtes in Beschlag, so daß Paulus von dieser Zukunft jetzt - gegenwärtig - in hymnisch-triumphierender Gewißheit" zu sprech.en vermag. So wird das Gericht in keiner Weise als etwas noch zu erwartendes Zusätzliches zur Rechtfertigung, sondern als etwas verstallden, worüber Gott in Christus bereits entschieden hat. Dieselbe Gewißheit kann Paulus auch anders ausdrücken: Die Liebestat Cluisti ist so mächtig, daß uns keine Macht der Welt davon trennen kann (V. 37-39)81. Angesichts der Macht der Liebe Christi ist jede Macht machtlos. Damit ist dieselbe Sache anvisiert. Für Paulus dürften überdies bdde Ausdrucksweisen ineinander übergehen. Die Mächte sind ja auch nach jüdischer Vorstellung diejenigen Instanzen, die im Gericht die Auserwählten anklagen werdenIlI. So sind beide Ausdrucksweisen einander benachbart, ohne ineinander überzugehen. Denselben theologischen Sachverhalt, daß eine christologische Aussage eine auch die Zukunft umfassende Aussage über Gottes Heilshandel.n begründet, finden wir auch in den Versen 28-3{)81. Im Vergleich zu V. 31-39 liegen die Verhältnisse insofern traditionsgeschichtlich gc!rade umgekehrt, als hier vielleicht Paulus" in eine schon vorgegebene Aussage über Gottes Heilshandeln, die wir als doxologische oder liturgische Verkündigung zu bestimmen suchten, eine christologische Aussage einfügt (V. 29b). Die "Kette von Heilsaussagen in V. 28--30 formuliert alle Aussagen aoristisch, was Paulus selbst kaum so getan hätte. Durch die gleichmäßig aoristische Formulierung und die lapidaren, verbalen Aussagen bringt die vorpaulinische Tradition die Gc!wißheit und Unumstößlichkeit des Handelns Gottes zum Ausdruck. Da die Catena mit der Verherrlichung auch Gottes Zukunft CC
15ff.), elen Geistbesitz aIs Angeld (R. 8, lff.; 2. K. 5, 5), der aber R. 8, 18ff. als im Seuf'zen und 1. K. 12-14 als im Dienen sich manifestierend gezeigt wird. Vgl. ferner u. Exk'llrs. •• Zum Stil von R. 8,31-39 vgl. Delling, Gottesdienst 87 A. 61. Dodd, Röm. 140, hält R. 8, 28-39 für eine "meditation, in the spirit of prophecy ... not theology". Diese :lß sich richtige Bemerkung ist allerdings im Zusammenhang der Allversöhnung gefährlich, vgl. o. A. V 140. Die Aufzählung der Mächte in Gegensatzpaaren in V. 38f. trägt stark rhetorischen Charakter. Wie z. B. 1. K. 3,p~ ist sie wohl z. T. vorgegeben und darf jedenfalls nicht auf ihre einzelnen Begriffe hin ausgedeutet werden. Vgl. dazu aueh G. MllntkrJein, Interpretation einer Tradition, KuD 11 (1965) 136-142, dort 138f. Auch der parallele Aufbau von V. 31ff. und 33f. sowie die zahlreichen kurzen Fragen unterstreichen den hymnisch-rhetorischen Stil des ganzen Abschnittes. " Detltet Pis. durch das Futurum 3uvljm:TrL' (V. 39, vgl. XfI»p(GU V. 35) an, daß in der Zukunft die Mächte versuchen werden, die Gläubigen von der liebe Christi zu trennen? Vgl. auch 1. K. 15, 24ff., wo die Mächte in der Zukunft endgültig besiegt werden. •• Zur Funktion der Mächte beim Gericht vgl. äth. Hen. 40, 7; WeiteRS bei Volz, Eschatologie 289f.; Str.-B. IV, 1206• •• Vgl. die Einzelanalyse von R. 8, 28-30 o. IV 4 A • .. V gl. o. S. 252f.
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart tmd Zukllnjt
mit umfaßt und von ihr so gewiß spricht, daß sie sie gleichsam in die Vergangenheit hineinnehmen kann, ist es umso notwendiger, auf Christus hinzuweisen, der als Erstgeborener unter vielen Brüdern auch die Verherrlichung verbürgt. Paulus nimmt in V. 29 vielleicht Taufterminologie86 auf und weist dadurch auf V. 14-17, wo ebenfalls Taufterminologie vorliegt, und indirekt auf R. 6 zurück. Auch in V.28-30 wird also das die Zukunft mit umfassende Heilshandeln Gottes von der Christologie her gedacht und begründet. Schließlich benutzt Pal.tlus in den Versen 14-17 jene wohl auch in GI. 4, 6f. verwendete (Tauf-?)Tradition88• Auch dieses Traditionsstück legt das Hauptgewicht auf präsentische Formulierungen: Wir haben den Geist erhalten (V. 15), wir sind Kinder bzw. Söhne Gottes (V. 14. 15. 16. 17), wir sind Erben (V. 17). Diese betont präsentischen Aussagen sind umso auffälliger, als in den folgenden Versen gerade das Gegenteil hervorgehoben zu sein scheint: Wir warten noch auf die Sohnschaft (V. 23)87, die Herrlichkeit der Söhne Gottes ist noch nicht offenbar (V. 19.21). Überhaupt scheint in der zweiten Hälfte unseres achten Kapitels des Römerbriefs ein gewisses Durcheinander in der zeitlichen Fixierung der Heilsaussagen zu herrschen. Während V. 18 die Herrlichkeit der Kinder Gottes explizit künftiger Offenbarung vorbehält (vgl. auch V. 17 und 21), kann Paulus in V. 30 unbekümmert darum die alte Tradition aufnehmen, die vorwegnehmend von der bereits geschehenen Verherrlichung spricht. Die "Erlösung des Leibes" (V. 23) meint vermutlich die zukünftige Auferstehung88 ; der Gebrauch des Wottes «1tOMTp6l0'!.t; ist darum auffallig, weil bei Paulus sonst - zwar selten - dieses Wort der Interpretation des vergangenen Christusgeschehens dient81. Wie stark andererseits das zukünftige Gericht (V. 31-39) vom Christusgeschehen her in die Gegenwart hineingenommen worden ist, sahen wir schon. An einem absolut zeitlich fixierbaren ordo salutis scheint Paulus mindestens nicht interessiert70. •• Vgl. z. B. Jervell, Imago Dei 273ff., Fuchs, Freiheit 113, und die Verweise o.A.65 • .. V~l. o. V 3c. .. Die von wesdichen Textzeugen und vielleicht von p" vertretene Auslassung von u!o&EO'Ecxv ist m. E. aus dem Bedürfnis nach Harmonisierung mit V.I4-17 zu erklären, vgl. anders Benoit, RechSR 39 (1951/52) 268ff. Inhaltlich ist "hyiothesia" hier wohl vom Offenbarwerden der "doxa" der Kinder Gottes (V. 21) her zu verstehen und steht der "Erlösung des Leibes" parallel. 'B Daß es sich bei dem Genitiv 'fOÜ G6l\LIX'rOC; um einen Gen. subiectivus handelt und nicht um einen Gen. separationis, zeigt neben Eph. I, 14 auch die ganze pln. Theologie, die eine Erlösung 110m Leib nicht kennt. Leib ist auch nicht "bloß" der äußere Leib, vielmehr bezeichnet "söma" auch hier den ganzen Menschen, der der Offenbarung der Sohnschaft in der Auferstehung entgegenharrt, vgl. Lewis, Interpretation 11 (1957) 416; Schweizer, ThW VII, 1059, 4ff. •• Im Unterschied zum Sprachgebrauch im Judentum, vgl. J. Weiss, 1. Kor. 42. '0 Vg1. o. S. 255.
2. Heil- 1I11t/ Hei/Iosigkeit in R. 8,18-J9
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Blicken wir auf die Abfolge der Gedanken, so scheint auf einen stark indikativisch-präsentisch orientierten Abschnitt 14-17 ein stark futurisch orientierter Abschnitt zu folgen (V. 18ff.), der vom Noch-Ausstehen der endgültigen Erlösung her denkt. Hier findet sich auch jene grundsätzliche Aussage, die die "Rettung" auf Hoffnung hin gegenwärtig sein läßt. In R. 8, 24 liegt das Gewicht auf dem vorangesteUteo 't'j\ ••• i).,;18L 7l und Dicht auf der bf:reits geschehenen O'(.o)T'I)plat". Auch R. 8, 25 liegt, wie der Kontext klar zeigt, anders als etwa 1. K. 15, gerade auf der Zukünftigkeit der Rettung der Akzent. "Auf Hoffnung hin" heißt: Wir sehen die Rettung Dicht, sondern erwarten sie, die jetzt noch unsichtbar ist, von der Zukunft. Die grundsätzliche Aussage über die Hoffnung in V. 24b muß von V. 25 her gelesen werden und Dicht von der philosophischen Gnome 2. K. 4, 18b, die aber bei Paulus doch wohl auch zeitlich umgedeutet erscheint'·. Hoffnung wird also hier primär im Spannungsfeld zwischen sic.ntbarer Gegenwart und noch ausstehender Zukunft, Dicht primär im Spannungsfeld zwischen unsichtbarem Ewigen und sichtbarem Zeitlichen gesehen". Der Skopus der beiden Verse liegt also gerade darin, die Rettung als zukünftige ·dem gegenwärtigen Seufzen entgegenzusteUen.
Auf V. 18-27 folgt wiederum ein Abschnitt, der stark präsentisch denkt (il. 28-30), schließlich der triumphierend bekennende Schluß (V. 31-39). Überblicken wir diese Gedankenfolge, so ergibt sich zunächst, daß dann, wenn Paullll direkt (V. 28-30; V.31ff.) oder indirekt (V. 14-:L7) vom Handel." Gottes spricht, Präsens oder Vergangenheit vorzuherrschen scheinen, während dann, wenn er von der Situation des Menschen aus denkt, das Futur dominiert (V. 18ff.)7&. Wir können jetzt noch etwas genaue1' sagen: In R. 8, 18-39 werden Wirklichkeit des Menschen und Wirklichkeit Gottes einander gegenübergestellt. Denkt Paulus von Gott aus, so läßt ihn die Unumstößlichkeit seines Handelns davon im Präsens oder in der Vergangenheit sprechen; denkt er von der menschlichen Wirklichkeit aus, dem Seufzen der unerlösten Kreatur, '1 Vermutlich als Dat. modi zu interpretieren, vgl. R. 12, 11 und Sanday-Headlam. Röm. 209f. Dativ des Zwecks (Fuchs, Freiheit 110) ist wohl undenkbar, auch Dativ instrum. (M. F. La~a", Nous sommes sauves par l'esperance (Rom. VIII, 24), in: A la rencontre de Dieu, Memorial A. Gelin, Le Puy: Xavier Mappus 1964, 33:1-339, dort 333) ist schwierig• .. Der Aorist ist auff"allig und hat nur noch in 1. K. 15, 2 und 2. K. 6, 2 (vgl. auch die o. IV 4 B besprochenen SteUen) Sachparallelen, die die Rettung Dicht für die Zukunft erwarten. 'B Vgl. Kümmel bei Lietzmann, Kor. 202 zu 117, 16, ferner M. Carrrt, La sigoi6cation a.:tueUe pour l'histoire du salut du visible et de l'invisible dans 1a pensee Pauliniellne, in: Oikonomia, Festschr. O. CuUmann, Hamburg: Reich 1967, 109-117.. dort 113ff. ,. Gegen Barth, Röm. ' 298; Bultmann, TbW 11,527,40ff.; zu "elpis" auch Gaugier, IKZ 51 (1961) 69; richtig z. B. Nygren, Röm. 243. Vgl. auch o. VII 1 B und dort A.22 . .. Vgl. einen ähnlichen Tatbestand in der Apk.; dazu Holtz, Christologie 213f. Auch 1. Th. 4, 13ff. und 1. K. IS war es die Angefochtenheit der Gegenwart, die Pis. zu expliziten futurischen Aussagen führte. VgL u. IX 4 Nr. 3.
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VIII. Dar Verhä/mir von Gegenwart und Zukunft
so führt ihn das zum futurischen Reden. Zeitliche Ausdrucksform und Ausgangspunkt des Denkens stehen miteinander in Beziehung. Diese Festellung führt uns sogleich zu einem andern, bezeichnenden Zug von R. 8, 18ff.: Es geht also Paulus nicht allein um die alle Macht der Zukunft überwindende Heilsgewißheit, nein, je mehr er indikativisch von der Gewißheit des Heils spricht, desto deutlicher wird die Notwendigkeit, die reale Wirklichkeit des Menschen nicht zu überspringen, sondern ins Denken hineinzunehmen78 • Je mehr PaulflS also indikativisch vom Heil spricht, desto stärker wird sein Denken in Kontrasten. Das liegt daran, daß Paulus mit der Heilszusage die Wirklichkeit nicht überspringen, sondern verifizieren will. Wir stoßen hier auf eine Grundstruktur des paulinischen Denkens, die im Römerbrief immer wieder und hier am Schluß des achten Kapitels besonders deutlich zutage tritt77 • Zunächst ein eher unauffälliges Beispiel: Es fällt auf, daß Paulus in V. 36 die Aufzählung dessen, was uns von Christus nicht trennen kann, durch ein alttestamentliches Zitat unterbricht. V. 35 ist der Aufzählung bedrohlicher Situationen gewidmet und bringt Begriffe, die uns meist aus den paulinischen Peristasenkatalogen bekannt sind78 • V.38f. setzen diese Aufzählungen fort; die nun folgenden Sachverhalte sind von Paulus vermutlich personifiziert, als Mächte gedacht79 • Das alttestamentliche Zitat unterbricht diese Aufzählung ziemlich unvermittelt. Was ist seine Funktion? Es soll offenbar zeigen, daß es sich bei den in V. 35 aufgezählten Situationen nicht um Möglichkeiten, vielleicht einer fernen, apokalyptischen Zukunft, sondern um die wirkliche, alltägliche Lage des Christen handelt. Denn das Zitat erst statuiert durch den Gebrauch der 1. Person Plural die Wirklichkeit des Leidens. "Evs:xev lJOÜ weist darauf, daß Paulus wohl- wie z. B. auch 8, 17 - besonders an das Leiden um Christi willen, wie es faktisch vor allem in der apostolischen Existenz zum Austrag kommt, denkt. Dieses Leiden ist gottgewollt ; daß aber Paulus seine Wirklichkeit besonders betont, ist auffällig. Er hält so den Ort fest, wo die triumphierende "Meditation" von R. 8, 31ff. allein ihren legitimen Ort haben kann: im Leiden und in der Anfechtung. Ausführlicher und grundsätzlicher geschieht diese Verifikation theologischer Aussagen an der Wirklichkeit nach den Versen 14-17 durch V.18-27. .. Vgl. Nygren, Röm. 244f. .. Vgl. dazu Näheres bei Luz, ThZ 25 (1969) A 2 IIb. 71 E))'i
2. Hei/- NIId Heillosigkeit in R. 8,18-J9
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B. R. 8,18-27 Anschluß und Aufbau von R. 8, 18ff. sind nicht in jeder Hinsicht klar. V. 18, V. 19 und V. 20 schließen je mit ..gar" an das Vorangehende an. Völlig klar ist eigentlich nur die Stellung von V. 20, der das sehnsüchtige Warten der noch nicht erlösten Schöpfung (V. 19) begründet. V. 18 führt "wir leiden mit, damit wir auch mitverhelTlicht werden" (V. 17c) weiter. Eine Begründung im strengen Sinn liegt aber nicht vor: "Gar" ist am ehesten mit "aber" zu übersetzen". V.19 ist zusammenfassende Vorwegnahme dessen, was in V.20-22 dann ausgeführt wird; wir dürften also hier den Skopus von V. 20-22 vorweggenommen finden"'. Lesen wir aber V. 19 von V. 18 her, so kann dieser Skopus gerade nicht allein in der Schilderung der unerlösten Kreatur liegen, sondern in ihrem Ausgerichtetsen'l auf eine völlig andere Zukunft, die Offenbarung der Söhne Gottes. Es geht also schon in V. 19-22 darum, daß die unerlöste Schöpfung eine Zukunft hat. Das hilft uns für das Verständnis des Aufbaus des ganzen Abschnitts. Häufig wird eine Dreiteilung angenommen. Paulus spräche dann vom Seufzen erstens de:r Schöpfung (V. 19-22), zweitens der Menschen (V. 23-25) und drittens des Geistes (V.26f.)·'. Diese These dürfte aber daran scheitern, daß das Seufzen des Geistes in V. 26 einen andern Sinn zu haben scheint, als dasjenige der Schöpfung und dasjenige der Menschen: Während hier das Seufzen Ausdruck der Unerlöstheit ist, wird es dort als Ausdruck des Für-uns-Einttetens des Geistes interpretiert. Die drei Arten des Seufzens dürfen nicht einfach formal miteinander parallelisiert werden, sondern V. 26f. muß für sich interpretiert werdeni•• Am besten dürfte es sein, von V. 18 auszugehen. Dieser Vers gibt m. E. das Thema des ganzem folgenden Abschnittes (V. 19-27) an: Es geht darum, daß die Leiden der Gegenwart nicht zählen" im Vergleich zur zukünftigen Herrlichkeit. Dies zeigt Paulus in zwei parallelen Gedankengängen, nämlich für die Schöpfung in V. 19-21, für die Cbristen, die durch Gott den Geist als Erstling"' besitzen, in V. 22-30. Für die Schöpfung zeigt Paulus die Zukunft Gottes in V. 21, für die Christen, die Gott lieben, in V. 28-30·'. Es ist deshalb wohl untunlich, V. 18-27 oder V. 22-27 von V.2:8-30 zu isoliereni'. vgl. Bullmn, ThW 111, 14, 22ff.; fur ßci&o~ Lietzmann, Röm. 89; H. Sth/i"., Art. ßci&
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart tmd Zukunft
Nun erheben sich aber zwei Fragen: Einmal haben wir nach dem gegenseitigen Verhältnis der beiden Teile unseres Abschnittes, der kurzen kosmologischen Ausführung in V. 19-21 und der nachfolgenden Erörterung über die Christen V. 22ff. zu fragen. Die zweite Frage, die sich uns aufdrängt, ist die nach dem Sinn von V. 26f. im ganzen Gedankengang. Wir stellen diese zweite Frage vorläufig zurück und wenden uns der ersten zu. a) Das Seufzen der unerlösten Schöpfung - darunter darf man nicht nur die beseelte Menschen- und Engelwelt verstehen'·, sondern auch die &<\Iuxet'8 gehören dazu - ist ein in der Apokalyptik geläufiges und weitverbreitetes Motiv. Sprache und Stil unserer Verse weisen uns auf apokalyptische Traditionen: Zu "ödinö" und "stenazö" vgl 4. Esr. 7, 62ff.; 10,9ff.t •• Fraglich ist, ob "ödinö" hier nach den apokalyptischen Parallelen ein spezifisches Leiden der Endzeit vor der Parusie meint". Die Herkunft dieser Motive aus der Apokalyptik ist umso auffälliger, als auch der technische terminus "kaine ktisis" (2. K. 5, 17; Gl. 6, 15) auf die Apokalyptik als Mutterboden weist". Dieses Motiv ist Paulus wohl vermutlich durch Vermittlung der judenchristlich enthusiastischen Gemeindetheologie zugekommen" und wird genau umgekehrt gebraucht als die R. 8, 18ff. anklingenden Motive: Geht es dort um die Unerlöstheit der gegenwärtigen Welt, so steht hiertypologisch - das bereits angebrochene Jetzt der Heilszeit im Vordergrund. Geht es dort um die Hoffnung, unter der auch die unerlöste Welt steht, so hier um die Wirklichkeit des Heils, das bereits gegenwärtig ist. Die Gegenüberstellung beider Aussagemöglichkeiten zeigt gut das bewußte und "eklektische" Aufnehmen /IOn traditionellen Motilltll bei Paulul", wobei allerdings der terminus technicus "Neusehöpfung" nur im einen Sinne vorkommt. Das grundsätzliche Interpretationsproblem besteht darin, R. 8, 18ff. und GI. 6, 15 zusammenzusehen. Dabei erweisen sich die Interpretamente in R. 8, insbesondere "elpis" (V. 21. 24), die das Nochnicht-Sehen des Zukünftigen von Christus her angesichts der Gewißheit dieser Zukunft zu etwas Positivem qualifiziert und somit die unerlöste Gegenwart ganz von ihrer Zukunft her versteht, sowie der gerade nicht enthusiastisch verstandene pneuma-Begriff (R. 8, 26f.) als entscheidend.
I' Gegen Fuchs, Freiheit 108; Schlatter, Gerechtigkeit 269f.; H. W. Schmidt, Röm. 145, vgI. auch Gutbrod, Anthropologie 15ff. Deren These wird ausführlich widerlegt von Viard, RB 59 (1952) 341ff. Der Gegensatz zwischen "uns", den Geistbesitzenden, und der "ktisis" (V. 23) macht es höchstens möglich, daß PIs. die Nichtchristen auch zur "ktisis" gerechnet hat. So gehört zur Schöpfung zunächst wohl einmal alles außer den Christen, wofür auch die unten gegebenen Parallelen sprechen, vgI. anders 4. Esr. 7, 62ff.; die Menschen sind nicht einfach auszuschließen, vgI. Grundmann, Sohnschaft, In Disciplina Domini 183; G. SchneiJer, Neuschöpfung oder Wiederkehr, Düsseldorf: Patmos 1961, 84f. Mit der Frage hat sich bereits Luther Schol. zU R. 8, 20 befaßt und prägnant erklärt, nicht "ktisis" meine die Menschen, "sed melius per ,vanitatem' intelligitur homo" (WA 56,
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.. Lietzmann, Röm. 84. I. VgI. ferner J. Schneider, ThW VII, 602, 23ff.; Str.-B. I, 950, und Michel, Röm. 204f. A. 6. 11 VgI. dazu auch Vos, Eschatology 84. Zur Nichtigkeit und Erneuerung der Natur vgI. Str.-B. III, 247ff.; Sanday-Headlam, Röm. 210ff.; Stauffer, Theol. 56f.; ferner Davies, Paul :lnd Rabbinic Judaism 38f. I. Stuhlmacher, EvTh 27 (1967) 20. I. Stuhlmacher aaO 3f., vgl. die Verweise o. A. VII 121. .. Stuhlmacher aaO 21. Vgl. auch o. A. 37 und u. A. IX 47.
2. Hei/- und Hei//osigleeit in R. 8,18-39
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Die Frage stellt sich, ob diese Ausführungen über die Schöpfung in R. 8, 18ff. mehr sind als ein bloßes "Beispiel" oder ein bloßer Exkurs zu den nachfolgenden Ausführungen über die Christen'·. Sicher läßt sich Folgendes sagen: 1. Auch i:n V. 19-22 will Paulus nicht "kosmologische Belehrungen anstellen"". Er setzt vielmehr voraus, daß seine kosmologischen Aussagen der Gemeinde nicht neu sind", und denkt aus dem Erfahrungsfeld der Gemeinde. 2. Andererseits ist es aber zu wenig, wenn die ",kosmologische Aussage' als ein Mittel nur zur Deutung entsprechender menschlicher Verhältnisse" verstanden wird·'. Der Kosmos ist nicht nur ein Bild zur Deutung von menschlichem Gesehehen"'. Vielmehr kennl Palilur offenri(hllich un_e Diarlare "on Kormologie und Anlhropologie nkhl und riehl beider ~urammen. Der Mensch ist immer schon als Glied der Schöpfung, die in sein Gesehick mit verstrickt ist, verstanden. In Mere", Sinne gilt von R. 8, 18ff.: "Nicht der Kosmos um seiner selbst willen ist Gegenstand der Erörterung"''', sondern der Mensch. Vom KOr1flor irl U1It der Mttu(hm ",illm, der aber gtrade nie irolierler, allein aur rkh relbrt ~u "errtehender Weren irl, rondenr Glied der SdJ6pjung, die Rede.
3. Ein gewisses Licht fallt auf diese Einheit von Kosmos und Mensch von der erwartet<:n endzeitlichen Herrlichkeit her. Es scheint mir nicht zuf"allig, daß der Kosmos die Offenbarung der Söhne Goller der Goller erwartet und zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder GolIer befreit werden wird (V. 19. 21). Man könnte auch umgekehrt formulieren: Die Herrlichkeit der Söhne Gottes wire nicht "doxa" im Vollsinn des Wortes, wenn nicht auch die ganze Welt, die beseelte und unbeseelte Schöpfung daraufhin ausgerichtet wäre. Die "doxa" kann von Paulus nicht als ein auf den Menschen allein beschränktes Geschehen gedacht werden.
Alles das sind bei Paulus unausgesprochene Voraussetzungen seines Denkens, die nicht ausgeführt werden. So sehr gerade von der Eschatologie her ein Ansatz zur Überwindung der Diskrepanz zwi,. Vgl. Schwantes, Schöpfung der Endzeit 49. ,. Schwantes, Schöpfung der Endzeit 45. Zu Recht bemerkt Schwantes, daß Pis. sein jüdisches Material nicht deute, sondern nur an allgemein Bekanntes erinnere (aaO 51, vgl. u. A. 97). So ist es m. E. überinterpretiert, wenn Stuhlmacher, Gerechti.gkeit GOttes 232, mit Hinweis auf die beiden Parallelstellen Phil. 3, 10 und 2. K. 1, 9 sagt, "das die Welt anonym knechtende Leiden" werde ,,für .,. den Chr.isten durchsichtig als der von Christus eingeleitete Kampf des Schöpfers mit den Mächten der Welt um das Recht an seiner Schöpfung"• .. Ot3CX!tEV ylip "introduces a fact of common knowledge" (Sanday-Headlam, Röm. 208, vgl. Grayston, Election, Studia Ev. ll, 575f.). Woher aber stammt diese Kenntnis? Hier ist einzig an das oben genannte apokalyptische Material zu erinnern, vgl. zurVorgesehichte dieser Motive imA. T. H. w. Wolff, Das Geschichtsverständnis der alttestamentlichen Prophetie, in: Probleme alttestllmentlicher Hermeneutik, herausg. von C. Westermann, ThB 11, München: Kaiser 1960, 319-340, dort 331f. Modem ist die Antwort von Zahn, Röm. 405, der an die gequälten und geängsteten Tiere und ihre Schmerzenslaute denkt, oder von W. Foerrler, Art. xTl!;6) XTA., ThW III, 999-1034, dort 1030, 32, der das Zeugen von Nachkommen in Pflanzen und Tierwelt als einen "gigantischen Leerlauf" (= fI.OtTcxl6T-~t; I) bezeichnet• •, Sch~'antes, Schöpfung der Endzeit 46. Richtig hingegen G. Schneider, Neuschöpfung 86: "Die kosmologische Betrachtung der meisten Apokalypsen tritt bei Paulus hinter dem anthropologisch-geschichtstheologischen Interesse zurück" • .. Gegen Schwantes, Schöpfung der Endzeit 51. .00 G. Schneider, Neuschöpfung 87.
380
VI/I. Das Verbaltnis von Gegenwart tmd ZuktmJt
schen Anthropologie und Kosmologie vorzuliegen scheint und so unmöglich es für Paulus ist, den Menschen losgelöst von seinem Eingebettetsein in die Natur zu denken, so wenig wird von Paulus über diese Diskrepanz und ihre überwindung grundsätzlich reflektiert. Ein Ansatz zu einer Naturgeschichte des Glaubens existiert bei ihm nicht, vielmehr spricht er seine Leser auf eine ihnen selbstverständliche Weise der Welterfahrung hin an, um auch an diesem Stück Welterfahrung den Gläubigen zu zeigen, daß es keinen Bereich gibt, der nicht auch von der Herrlichkeit der Kinder Gottes erfüllt würde. Für die theologi5che Interpretation des Abschnittes scheint mir jedenfalls dies ausschlaggebend zu sein, daß Paulus gerade nicht in erster Linie eine bestimmte Weise des Weltverständnisses einführen wollte, sondern ein Stück selbstverständlicher Erfahrung der Gemeinde auf- und ernstnimmt. Nicht um eine spezifische Art des Denkens über die Welt geht es Paulus, sondern darum, daß die Schöpfung, wie sie eben gedacht und erfahren wird, unter die Hoffnung gestellt ist. Zugleich wird verhindert, daß die SohnschaJt, die die Gläubigen durch die TauJe lind im Geist bereits empfangen haben, Zu einer letztlich die Welt i;berspringenden lind damit enthunastisch-welt/osen Existenz wird. Unser Text liefert also einen trefflichen Kommentar zum Stichwort "Entweltlichung" als Signum der christlichen Existenz. Nicht um ein überspringen der Welt in irgendeiner Weise geht es, sondern um Solidarität mit der Welt, aber in der Hoffnung. b) Auch im folgenden Abschnitt V. 23fT. geht es Paulus um Erfahrungen der Ge-
meinde. Für CltöTOl lv IOtUTOi.; MCllci?:olLC" (V. 23) braucht dies nicht bewiesen zu werden, denn auch die Christen leben noch nicht in der endgültigen Erlösung. Der Anschluß an das Vorangehende mit ~(JOtÖTIJ)'; ••• xOt( spricht dafür, daß auch V. 26f. als Ausdruck der Schwachheit zu verstehen ist. Auch die "unaussprechlichen Seufzer" sind also zunächst, wie das Vorangehende, ein Hinweis auf die Unerlöstheit des Christen. Es muß sich dabei wohl um ein irdisches Seufzen handeln; daß an eine himmlische Interzession des Paraklet-Geistes gedacht ist, ist von ci).ci)."lTO'; her zwar möglich; es wäre aber nicht einzusehen, wieso die InterzeSsion des Geistes noch im Himmel die Form von Seufzern haben sollte. Außerdem fehlen für diese konkrete Ausmalung der Parakletvorstellung Parallelen10'. Wenn wir also nach einer irdischen Gebetserfahrung fragen, so bieten sich drei mögliche Lösungen an: 1. die Zungenrede10', 2. unartikulierte Gebetslaute108 und .01 Michel, Röm. 208 meint z. B., daß nach 2. K. 12, 4 das Seufzen als ein himmlisches zu deuten sei. Der im Himmel vor Gott für die Menschen eintretende Geist nehme deren Schwachheit auf und seufze so stellvertretend, in der Sprache der Menschen. Doch ist dieser Gedanke wohl kaum ohne Kommentar verständlich. Ahnlich interpretiert J. Schneider, ThW VII, 602, 17f. I " SO Godet, Röm. 11, 111; Zahn, Röm. 412f.; Kühl, Röm. 298; Althaus, Röm. 84; Käsemann, Schrei nach Freiheit, Apophoreta 150; weitere Vertreter dieser Deutung daselbst A. 18. '0' An "wortloses" Gebet denken Barrett, Röm. 168, und H. W. Schmidt, Röm. 150, lihnIich wohl H. GruPln, Gebet und Eschatologie im Neuen Testament, N. T. Forschungen 111/1, Gütersloh: Bertelsmann 1931, 153f. Zur Deutung von
2. Hei/- und Hei//osigluil in R. 8,18-39
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3. liturgische Gebetsrufe wie "Halleluja", ,,Abba-Vater", ,,Maranatha"·M. M. E. ist es abc:r nicht nötig, die "unaussprechlichen Seufzer' für eine dieser Gruppen ausschließlich in Anspruch zu nehmen"' • Gegen eine Beschränkung auf die Zungeruede allein spricht, daß die Glossolalie für Paulus Charisma Einze1ner ist, hier aber die Gemeinde auf eine allgemeine Erfahrung hin angeredet wird·". Doch ist dieser Einwand nicht unüberwindlich, denn Paulus redet ja auch einzelne Christen nicht als Individuen, sondern als Glieder der Gemeinde an, so daß glossolaIe Erfahrungen einzelner Gemeindeglieder von der Gesamtgemeinde sehr wohl als Eintreten des Geistes für die betende Gemeinde als ganze verstanden werden konnten"'. Andererseits liegt es gerade nach R. 8, 14ff. nicht nahe, liturgische Gebetsrufe der Gemeinde wie "Abba-Vater" oder "Halleluja" von den "unaussprechlichen Seufzern" auszuschließen, um so mehr, als auch rein griechisch sprechende Gemeinden doch eine ganze Reihe solcher Rufe in semitischer Sprache bewahrt haben. Solche fremdsprachigen, im Gottesdienst ausgerufenen Gebetn.orte konnten durchaus cl}..o.1)'tO~ sein·o•• Denn es ist nicht auszumachen, ob cl}.1D.1)TOC; den Sinn von "unaussprechlich", d. h. "geheimnisvoll", "überirdisch". (also himmlische, göttliche Worte), oder "unaussprechlich", d. h. "unartikuliert", "wortlos" trägt, also im letzteren Falle nur gestammelte Seufzer meint. lBei dem geringen Vorkommen des Wortes kann nicht einmal gesagt werden, ob semantisch überhaupt zwischen beiden Bedeutungen differenziert werden darfI°•. Auch von hier aus legt es sich nicht nahe, die "unaussprechlichen Seufzer" allzu eng festzulegen. clMA1)'tOc; vgl. unten. Wichtig ist, daß an eine spezifische Erfahrung d~ Christen gedacht ist, die Tat des Geistes ist und vom allgemeinen Seufzen der Schöpfung wohl ul1.terschieden werden muß. 1. K.14, 7. 14 zeigen, daß Reden in Zungen ohne 3LMTO~'1 (d. h. unartikuliertes Reden) durchaus auch die Form des Gebetes haben kann, das Pis. als Tat des "pneuma" interpretiert (1. K. 14,14). Es ist also zu fragc:n, ob im Sinne des Pis. zwischen dem ersten und dem zweiten Vorschlag überha~lpt geschieden werden darf• . .& Vgl. z. B. G. Ho,.de,., Paulus und das Gebet, N. T. Forschungen 1/10, Gütersloh: Be:rtelsmann 1936, 169f. A. 2; Lietzmann, Röm. 86, und Schniewind, Seufzen, Nachgelassene Reden 83, ähnlich auch Barth, Kurzer Röm. 125. Wenn Gaugier, IKZ 51 (1961) 74f. "ganz nüchtern an das schlichte Bittgebet der Gemeinde" denken will, so läßt er die Frage unbeantwortet, wieso dieses als "unaussprechliche Seufzer" bezeichnet werden und als Seufzen des Geistes interpretiert werden kann. So dürften denn auch die von Harder, aaO 164 A. 1 genannten Parallelen aus den. Zauberpapyri Pis. niher stehen als die von A. Diel!{el, Beten im Geist, ThZ 13· (1957) 12-32, dort 121f., aus 1 QH beigebrachten Belege für nicht-<:kstatisches Beten im Geist. Vgl. auch das von Harder aaO 138-151 zusammengestellte Maternd und Käsemann, Schrei nach Freiheit, Apophoreta 149f. "I Auch Huby, Röm. 304, und Bmce, Röm. 175, wehren sich gegen eine einseitige Beschriinkung des Seufzens, dort auf die Zungeruede • •0. Schniewind, Seufzen, Nachgelassene Reden 84, weiSt mit Recht aufStellen wie Eph.6, 18; Jd. 20, die zeigen, daß das Gebet oller Geistgebet ist• •0. Daß von Erfahrungen der Gemeinde und nicht des Einzelnen die Rede ist, betonen mit Recht Fuchs, Freiheit 112, und Käsemann, Schrei nach Freiheit, Apophoreta 148. • 0. Darauf weist auch xpcil; R. 8, 15; GI. 6, 6, das vom Geist gegebenes Reden meint,vgl. Greeven, Gebet und Eschatologie 144. Außerchristliche Parallelen für ekstatische, fremdsprachige Gebetsrufe bei Harder, Paulus und das Gebet 164 A.1. . .0 Meistens wird in den Kommentaren die Bedeutung "unaussprechlich" = "geheimnisvoll", "himrnlisch" vorgezogen, was von 2. K. 12,4 her seinen gutal Grund hat.
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft
Haben wir richtig interpretiert, so wird allerdings auch in unsern Versen Welt und weltliche Unerlöstheit in einem tiefen Sinn ernst genommen. Dieses Ernstnehmen geschieht so, daß Paulus streng zwischen dem Wirken des Geistes und der menschlichen Schwachheit unterscheidet: Vom Seufzen des Menschen in V. 23 ist das Seufzen des Geistes wohl zu unterscheiden. Dort seufzen die Menschen ~v ~U't"o;;~, hier wird es betont (ouh61), daß es der Geist Gottes ist, der mit seinen Seufzern unserer Wortlosigkeit zuhilfe kommt. Die Wirksamkeit des Geistes ist aber für Paulus gerade nicht Aufhebung menschlicher Schwachheit, sondern sie geschieht in dieser Schwachheit und ist Hilfe in ihr. Diese Aussage ist genau analog zu dem von Paulus in 2. K. 4, 7ff. Gesagten, wo das Leben Christi sich nicht trotz, sondern gerade· im irdenen Gefäß des Apostels manifestiert. Das Seufzen des Geistes ist für den Menschen dann gerade nicht Ausweis seiner eigenen pneumatischen Vollmacht, sondern sie bleibt ihm Hinweis auf seine eigene Gebetsunfähigkeit, in der sich Gott als mächtig erweist. Insofern ist hier tatsächlich die Rechtfertigung allein aus Glauben auf das Gebet angewandt11o• In diesem Sinne ist unser Text wirklich - grundsätzlich, nicht polemisch - die Krisis jedes enthusiastischen Pneumatismus, der das Wirken des Geistes als Ausdruck eigener pneumatischer Mächtigkeit verstehen will. V.26f. haben im Zusammenhang der Verse 22-30 die Funktion, zu verhüten, daß das Wirken des Geistes, von dem in R. 8 soviel die Rede war, nicht als innerweltlich aufweisbares, etwa enthusiastisches, Phänomen mißverstanden werdel l l• Es ist Paulus vielmehr gerade wesentlich, daß der Geist unserer Schwachheit zu Hilfe kommt, und mit seiner Hilfe diese Schwachheit nun gerade nicht übersprungen wird. Vielmehr wird sie durch den Geist, der auf die Gebetsunfähigkeit der Christen weist. gerade paradigmatisch deutlich gemacht. Paulus trennt also hier das ..pneuma" vom Menschen, der es als Pneumatiker in Besitz nehmen könnte llB• um so die ganze Gemeinde in ihrer Schwachheit das von außen kommende ..pneuma" als Gabe Gottes, der seine Erwählten bereits begnadet hat 28-30) und dem die Zukunft gehören wird 31-39). verstehen zu lehren.
rr.
rr.
Vgl. Schniewind, Seufzen. Nachgelassene Reden 91ft"., mit Hinweis auf Barth, Schlatter und Luther (aaO 94f.), ferner Gaugler, Röm. I, 314; Käsemann, Schrei nach Freiheit, Apophoreta 153f. 111 V.26f. ist also nicht nur "lose angehängt" (Fuchs, Freiheit 111) oder ein Beispiel (Barrett, Röm. 168). Allerdings ist m. E. auch nicht mit Käsemann, Schrei nach Freiheit, Apophoreta 155 in unserm Abschnitt 4;,.,lIle Polemik gegen einen Enthusiasmus zu finden. Paulus formuliert vielmehr grundSätzlich-thetisch, wobei gerade diese positiven Ausführungen indirekt Krisis jeder Antezipation des Heils sind. 111 V gl. Greeven. Gebet und Eschatologie 148. 110
2. Hei/- IIfId Hei//osig1eeit in R. 8, 18-J9
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C. Fazit Versuchen wir, zusammenzufassen, was uns unser Abschnitt über das Geschichtsverständnis des Paulus und besonders sein Zukunftsverständnis lehrt. so scheint es sinnvoll, zunächst einmal mit einer negativen Ft:ststellung zu beginnen: 1. Die Ilcheinbare Sorglosigkeit, mit der Paulus die einzelnen "Stadien" des Heils auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verteilt, und die: inneren Widersprüche, die dabei auftauchen können. wiesen uns dal:auf hin, daß Paulus nicht von einem Geschichtsentwurf aus denkt, in dem diese Stadien und unser eigener Stand auf einer chronologischen Linie absolut festgelegt sind. Damit soll nicht gesagt sein, daß Paulus nicht einen solchen Entwurf hätte formulieren können. wenn c:r seine Aussagen zu festen Vorstellungen objektiviert hätte, sondem dies, daß hier nicht die Mitte seines Denkens liegt. 2. Sogleich muß aber eine positive Feststellung folgen: Vom Kerygma von Jesu Tod und Auferstehung her, von der Rechtfertigung her und von der Taufe her hält Paulus streng daran fest, daß die ganze Zukunft Gott gehärt und daß nichts diese Gewißheit zunichte machen kann: Die ..ganze Zukunft" ist dabei von Paulus im strengen und UIIl&ssenden Sinn gedacht und nichts, keine herrschende Macht und kein Teil der Schöpfung ist davon ausgeschlossen. Pamus denkt die ZufetmJt Gottes nicht als ZufetmJt des glaubenden Individuums allein oder als ZlIfetmJt der glaubenden Gemeinde allein, so sehr diese auch und vor allem auf die ZufetmJt Gottes allSgerichtet sein dürfen. ADerdings gilt dann auch das Andere: Von der ZukunJt der Welt redet Pau/us nicht 11m ihrer selbst willen. Kosmologische Spekulationen sindfiir ihn kein eigenes Thema. Es gibt für Paulus keine Zukunft der Welt, die nicht auch Zukunft des Menschen wäre, keine Zukwut der ..ktisis", die nicht auch Zukunft der Kinder Gottes wäre. Paulus denkt den Menschen nicht als isoliertes Individuum, sonde:rn als Geschöpf. Deshalb muß er von der Zukunft der Welt reden, aber nicht um kosmischer Spekulationen willen. sondern um der Zukunft des Menschen, der Geschöpf in der Welt ist, willen. 3. Gerade darum aber, weil es Paulus um die Zukunft als Handeln Gottes und damit als Gnade geht, braucht er die noch unerlöste und hilflose Gegenwart nicht zu überspringen. Vielmehr beobachten wir bei ihm immer wieder einen energischen Bezug des theologischen Denkens auf di" ErfahrungS7llirk/ichkeit des Menschen. Ernstnehmen dieser Wirklichkeit und Emstnehmen des Heils als Gnade Gottes, die gerade angesichts menschlicher Heillosigkeit wahr ist, aber vom Menschen in keine:r Weise als Besitz in Anspruch genommen werden kann, bedingen sich gegenseitig. . .. . 4. So ist ein Grundzug des pauiinischen Denkens die strenge UnterulJliJ.g
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V/lI. Das Verhältnis von GegenlIIart lind Zuhmjt
der Wirklichkeit des Menschen, in der er lebt, und der Tat Gottes, die ihm als Gnade bege!!,et. Von dieser Unterscheidung ist der Enl7llurf einer jUlllrischen Eschatologie bei ihm mitbestimmt. Es ließ sich gerade an unserm Abschnitt zeigen, daß Paulus überall dort, wo er vorwiegend vom Menschen aus denkt, streng futurisch-eschatologisch spricht, um die Wirklichkeit des Menschen und die Unerlöstheit der Welt nicht zu überspringen. Wo er aber theozentrisch von Gott und seiner Tat aus denkt (R. 8, 28ft". 32)118, besteht mindestens die Möglichkeit, das Heilsgeschehen präsentisch, ja vergangen zu formulieren, um seine Wahrheit gegen alle menschliche Wirklichkeit herauszustellen. Sicher ist unser Text hierfür ein besonders markantes Beispiel, weil er deutliche Standpunkte bezieht und sie dann auch wechselt. Dennoch zeigt sich aber immer wieder bei der Interpretation paulinischer Texte: Ernstnehmen der uner/östen Wirklichkeit und jUlllrische Eschatologie gehören Zusammen, denn juturische Eschatologie ermöglicht es, von Golt eschatologisch Zu reden, ohne die Wirklichkeit Zu überspringen. Das Heil Goltes in der Gegenwart aber besteht dann im Wunder der übe"aschenden Präsenz Gottes gerade in der menschlichen Schwachheit (V. 26/). Exkurs: Nochmals: Paulus und der Enthusiasmusll& Unser Text R. 8, 18-39 war ein schönes Beispiel dafür, wie Paulus enthusiastisch proleptische Aussagen der Gemeinde zugleich positiv aufnimmt und korrigiert. R. 8, 14ff. und 28ff. waren wohl von enthusiastischen Gemeinden geprägte Traditionsstücke. Sie nimmt Paulus auf, da es ihm um die Gewißheit des künftigen Heils geht. Zugleich spricht er jetzt ganz betont von der unerlösten Wirklichkeit des Menschen (V. 18-27. 36), wobei selbst die Erfahrung des Geistes Hinweis auf die eigene Hilflosigkeit ist (V.26f.). Eine direkte Polemik gegen enthusiastische Ansichten konnten wir aber nicht feststellen.
Paulus nimmt also enthusiastische Aussagen durchaus positiv auf, korrigiert sie aber durch sein Verständnis der christlichen Existenz, die gerade als Existenz des Christen immer auch radikal die Hilflosigkeit und Schwachheit der Welt (R. 8, 18fJ.) mit sich trägt und weiß, daß diese Schwachheit letztlich die Schwachheit Christi ist (2. K. 4, 7fJ.). Dabei ist die Existenz des Christen dialektisch verstanden: R. 8, 18ft". stehen 2. K. 5, 17 und GI. 6, 15 gegenüber. Beide Stellen interpretieren sich gegenseitig, das heißt: R. 8, 18ft". leiten an, die Neuschöpfung als von jeder menschlichen Qualität radikal 2U unterscheidende Tat Gottes zu verstehen. Damit hat Paulus grundsätzlich die Position eines proleptischen Enthusiasmus, der das Endheil vorwegnimmt, in Frage gestellt, aber auch grundsätzlich gegen die Apokalyptik Stellung bezogen, die das Leiden 111 1lO
V gL die Verweise u. A. IX 37f. V gL vor allem o. IV 4 C Exkurs; VII 2 pss. und die Verweise o. A. VII 121.
2. Hei/- N1Id Hei//osigkeit in R. 8,18-39
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und die Schwachheit der Gegenwart nicht als Ort der Gnade, sondern gerade umgekehrt als Hinweis auf Gottes Abwesenheit vom alten, bösen Äon versteht116• Diese Fe:ststellungen sind um so bedeutsamer, als wir andererseits kaum feststellen konnten, daß Paulus einen apokalyptisch geprllgten Entwurf futurischer Eschatologie zur direkten polemischen Auseinandersetzung mit proleptischem Enthusiasmus verwendet. Auch 1. K. 15 stand die Gewißheit der zukünftigen Auferstehung, nicht ihre Zukünftigkeit zur Debatte. So stellen wir eine Arbeitshypothese mehr als eine Hypothese soll es nicht sein - auf: Paulus führt die Auseinandersetzung mit dem Enthusiasmus nicht durch den Entwurf einer futurischen Eschatologie, die dann primär die Aufgabe hätte, den eschatologischen Vorbehalt festzuhalten, sondern primär durch sein Verständnis der christlichen Existenz. An vieles wäre hier zu erinnern, was hier nur angetönt werden kann, da es nicht mehr direkt zum Thema dieser Arbeit gehört: Vorab im zweiten Korintherbrief. wo Paulus die christliche Existenz am Modellfall der apostolischen beschreibt118, geht es Paulus immer wieder um die Dialektik von menschlicher Schwachheit und Herrlichkeit Gottes, wobei die Herrlichkeit in der Schwachheit erst erfahrbar wird (2. K. 4. 7ff.; 12, 7ff,; 13, 1ff., ygI. GI. 2, 19ff.; 4, 12ff.; 6,14.17; 1. K. 4, 7ff.; 2. K. 1, 5ff.). Diese Dialektik ist christologisch, vom Kreuz her begrundetl1'1. In Vgl. duu K. M. Fischer, Bedeutung des Leidens 34. m Güttgc:manns, Apostel 94ff., vgl. auch 195ff., beschreibt die Existenz des Apostels als Ort der Epiphanie Jesu m. E. richtig, isoliert aber die Existenz des Apostels in m. E. zu prinzipieller Weise von der aer Gemeinde überhaupt. Vgl. Güttgemanns lIaO 195: "Damit wird ... der Apostel nicht zum Typ christlicher Existenz", weil der Charakter der a!,ostolischen Existenz als Ort der Epiphanie Jesu sie "von jeder andern innerhalb iler Gemeinde" unterscheidet und ihr "besonilere Dignität und Autorität" verleiht, vgl. ferner aaO 323ff. Doch zeigen etwa Phi!. 3, 7-17, sowie die Aufforderungen, "Nachahmer" des Apostels zu werden (1. K.4, 16; 11, 1, vgl. 1. Th. 1, 6; 2,14; GI. 4, 12), daß die Existenz des Apostels und diejenige der Gemeinde gerade in Bezug auf Leiden und Schwachheit nicht prinzipiell voneinander verschieden sind. Dafür spricht auch das paulinische Apostolatsverständnis, u. a., daß Pis. auch den Apostolat als Gemeindeamt kennt und auch seinen korinthischen Gegnern den Aposteltitel nicht abzusprechen scheint, vgL u. IX 1. Auch 2. K. 4, 7ff. wird durch V. 17ff. über den Apostel hinaus auf alle Christen lIusgeweitet, ohne daß der übergang vom Apostel zum Christen überhaupt irgc:ndwie hervorgehoben würde, vgl. auch o. A. 42. In die selbe Richtung geht übrigens auch die Kritik, die K. M. Fischer, Bedeutung des Leidens, bes. 100ff., an Güttgemanns anbringt. m Darin dürfte das neuerdings wieder von Güttgemanns, Apostel 11211'., bes. 119. 123, und K. M. Fischer, Bedeutung des Leidens, bes. 55, aufgenommene Stichwort: von der "Epiphanie Jesu im Apostel" - mit der o. A. 116 vorgenommenen Einschränkung, bzw. Ausweitung - das Richtige treffen. Hier liegt wohl auch der Unterschied zwischen Paulus und den Psalmen von Qumran, in denen ebenfalls ein sehr starkes Hervortreten der präsentischen Eschatologie mit einer starken Betonung der (kreatürlichen) Ohnmacht des Menschen einhergeht, vgl. H. W. Kuhn, Enderwartung 44-112, und die dort besprochenen Texte. Qumran 111
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VIII. Das Verhältnis von Gegenwart und Zuktmjt
seiner eigenen Existenz hält Paulus exemplarisch das Kreuz Christi fest als unaufgebbaren Ort, an dem Gnade geschah und geschieht. Gott bleibt der Gott des Kreuzes und damit auch der Gott der Welt mit der ganzen Tiefe ihrer Schwachheit und ihres Leidens. Gottes Kraft wird in der Schwachheit vollendet (2. K. 12, 9): in diesen Satt läßt sich wohl der antienthusiastische Entwurf christlicher Existenz des Paulus am besten zusammenfassen. E. Fuchs schreibt: "Der Glaube braucht um seiner selbst willen einen diakritischen Punkt, an welchem er als Glaube zu sich selbst zurückgerufen wird. Dieser Punkt ist in der Theologie des Glaubens der Todesgehorsam Jesu"118. Genau das hat Paulus ausgelegt, wenn er vom Leiden des Apostels, bzw. der Gemeinde als Ort der Gnade spricht. Weiter: Auch die Konsequenz, mit der Paulus aus den indikativischen Aussagen den Imperativ folgen läßt, oder die Konstanz, mit der er eschatologische Ausführungen in Paränese ausmünden läßt, vor allem aber sein unüberhörbarer Hinweis auf das Gericht gerade auch der christlichen Gemeinde gegenüber, sowie die Nüchternheit, mit der die pneumatischen Gaben dem Kriterium der Auferbauung der Gemeinde unterworfen werden, sind implizit antienthusiastisch. Natürlich hängt alles das aR&h mit der Eschatologie zusammen, wie gerade R. 8, 14-39 zeigt. Aber er bleibt m. E. ents&heidend, Jaß die grnndsätzli&he Auseinandersetzung mit dem EnthllJiilJmllJ ni&ht primär innerhalb der Es&hatologie, sondern dur&h den Enhllllr/ der &hristliGhen Existenz erfolgt. Dabei sei nicht bestritten, daß für Paulus die Dimension der Zukünftigkeit in der Eschatologie eine viel fundamentalere Bedeutung hat als in jedem Enthusiasmus, denn gerade sie ,,./oJubt es ja erst, Leiden und Schwachheit zu tragen und ernst zu nehmen, mithin, die Gegenwart nicht einfach zu überspringen. In dieser Weise ist die Dimension der Zukunft in der Eschatologie natürlich die Voraussetzung auch der paulinischen Auseinandersetzung mit dem Enthusiasmus. Doch ging es in dieser Auseinandersetzung m. E. nicht primär um diese Dimension, besonders, da auch der vor und neben Paulus verbreitete Enthusiasmus, soweit er für uns überhaupt noch erkennbar ist, die Zukunftserwartung nicht grundsätzlich übersprungen haben dürfte11l• uigt in gewissem Sinn ebenfalls enthusiastische Strukturen, weil nämlich das Heil durch den Eintritt des Frommen in die Gemeinde für diesen in gewissem Sinn ebenfalls proleptisch vorweggenommen ist, vgl. Kuhn, aaO 178f. und o. S.231. 111 Fuchs, Sprache, Aufs. 11, 276. Die Kontroverse, ob bei Pis. die Anthropologie von der Eschatologie her (Stuh1macher, Gerechtigkeit Gottes 206 A. 2) oder die Eschatologie von der Anthropologie her interpretiert sei (Bultmann, Geschichte und Eschatologie 47), ist wohl so zu modifizieren, daß beides von der Christologie bestimmt ist. 111 VgLo.S.350.
IX. DIE ZWISCHENZEIT BIS ZUR PARUSIE In diesem kurzen letzten Kapitel soll gefragt werden, ob die Zeit zwischen Tod und Auferstehung Christi und allgemeiner Auferstehung und Parusie für Paulus als Zeitepoche eine selbständige Bedeutung hat und wie sie von ihm interpretiert wird. Die Fragestellung ist also von vorneherein eingeschränkt. Auferstehung und Parusie sind rur Paulus zukünftige Ereignisse. Wir haben auch gesehen, daß er wohl durchwegs an ein nahes Bevorstehen der Parusie denktl. Deutlich ist nuch geworden, wie ernst Paulus die Gegenwart als die Zeit, in der endgültige Erlösung noch nicht geschehen ist, nimmt, und wie sehr ihrn daran liegt, einerseits die unerlöste Wirklichkeit nicht in vorschnellem Enthusiasmus zu überspringen, andererseits die gewisse Hoffnung der Zukunft Christi auf sie fallen zu lassen. Die Fraget die uns jetzt zur Beantwortung bleibt, ist, ob bei Paulus die kurze Zeit zwischen Ostern und Parusie als eigenständige Zeitepoche theologische Bedeutung gewinnt. Wir fragen also, ob sie, und wenn ja, wodurch sie als besondere Epoche qualifiziert wird. Durch unse~e bisheri!!:en Untersuchungen ist ein gewisses Präjudiz für die Beantwortung dieser Frage geschaffen: Parusie und künftige Auferstehung, so sahen wir, kommen bei Paulus gerade nicht primär als fixierte Ereignisse auf einem vorgegebenen chronologischen Zeitplan zur Sprache und sind auch relativ selten chronologisch miteinander verbunden. Im weitem ist zu fragen, wie die gegenwärtige Zeitepoche zu Vergangenheit und eschatologischer Zukunft in Beziehung gesetzt wird. Im Zentrum unseres Interesses werden dabei zwei Komplexe stehen: die Frage nach der heils geschichtlichen Bedeutung des paulini:;chen Apostolates und die Frage nach der Bedeutung der Heidenmission. Denn durch die Verkündigung des Evangeliums und den paulinischen Apostolat für die Heiden ist für Paulus seine Zeit primär ausgezeichnet.
1. Zum paulinischen Apostolatsverständnis Paulus hat die Sendungserfahrung, die ihn vor Damaskus zum Apostel für di(: Heiden machte, von sonstigen pneumatischen Erfahrungen irgendwelcher Art grundsätzlich unterschieden. Auf erstere beruft er 1
V gl (I. S. 297f. 357; A. VII 17; A. VIII 13.
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IX. Die Zwis~henzeit bis zur ParlISie
sich zur Legitimation seines Apostolates-, von letzteren mag er gerade um seines Apostolates willen nicht sprechen (vgl. 2. K. 12, 1). Im vorpaulinischen Verständnis bedeutete wohl eine Erscheinung des Auferstandenen weder eo ipso schon Aussendung als Apostel3, noch wurde der Apostolat überall selbstverständlich nur auf die vom erhöhten Herrn Ausgesandten beschränkt'. Unsicher ist jedoch, wie weit der vorpaulinische Sprachgebrauch überall einheitlich war, unsicher auch, ob die Legitimation des Apostels durch eine Erscheinung ein spezifisch paulinischer Gedanke war6. Doch können wir diesen Fragen hier nicht nachgehen. Wichtig ist für uns jedoch eine andere Frage: 1. K. 15, 6-8 bezeichnet Paulus die ihm widerfahrene Berufung zum Apostel als letzte 01. 8). Ist dies eine Aussage von prinzipieller Bedeutung oder nur einfach faktische Tatsache? Hat es nach der Paulus widerfahrenen Christuserscheinung einfach keine solche Erscheinungen mehr gegeben, oder durfte es keine solche mehr geben? Gibt es für Paulus so etwas wie eine ausgezeichnete "Zeit des Apostolats"? Diese Frage wird man m. E. verneinend beantworten müssen. "E!rXOt't'ov 8l 1ttXv't'CI)V (1. K. 15, 8) braucht nicht betont Paulus ans Ende einer langen Apostelreihe zu setzen, sondern kann ganz einfach 1. K.9, 1; 15, 81f.; GI. I, 15f., vgl. R. I, 5; 1. K. I, 1; 2. K. I, 1; GI. I, 1. 12. Zum Zusammenhang zwischen Berufung und Sendung des Pis. vgl. den Litemturbericht bei Rigaux, Paulus 861f. I Weder Pis. noch die vor ihm liegende Tmdition scheinen anzunehmen, daß die Erscheinung vor 500 Brüdern (1. K. 15, 6) diese alle zu Aposteln machte. Aus der synoptischen Tmdition dürfte vor allem die Erscheinung vor den Frauen in ähnliche Richtung weisen. • Die (enthusiastischen?) Gegner von Pis. 2. K. 11,13, vgl. 5, scheinen sich als Apostel bezeichnet zu haben, ohne daß Pis. sie der unberechtigten Titelführung bezichtigte, vgl. G. Klein, Die zwölf Apostel, FRLANT 77, Göttingen: Vandenhoeck 1961, 39; L. Goppell, Die apostolische und die nachapostolische Zeit, in: Die Kirche in ihrer Geschichte I, Lieferung A, Göuingen: Vandenhoeck 1962, A 122; Georgi, Gegner 39. Hllben sie zu den Fünfhundert gehört? Das ist nirgends angedeutet. Auch 1. K. 12, 28f.; Apk. 2, 2: Did.11, 31f. bezeugen die große Verbreitung eines weit gefaßten Apostolatsverständnisses. • Vgl. dazu E. Lohse, Ursprung und Prägung des christlichen Apostolats, ThZ 9 (1953) 259-275, dort 267f. (vor Pis. waren die Apostel AusgeSllndte der Gemeinden); J. MtIII&k, Paul, the Aposdes and the Twelve, StTh 3 (1949) 96-110, dort 1011f. (vorher waren die Apostel einfach Missionare): W. S&hmilhals, Das kirchliche Apostelamt, FRLANT 79, 1961, 481f. (der Apostolat stammt aus der antiochenischen Missionstltigkeit): E. S&!Ja,eiter, Rezension von W. Schmithals: Das kirchliche Apostelamt, ThLZ 81 (1962) 837-840, dort 839f. (vor Pis. waren die Apostel zunächst bevollmächtigte Gemeindeleiter, dann auch Missionare). Die Schwierigkeiten zeigen auch Klein, Zwölf Apostel 551f., und Lührmann, Olfenbuungsverständnis 931f. Sicher ist nur, daß der Zusammenhang von "apostolos" und dem Titel "Christos" als vorpln. nicht nachgewiesen werden kann, vgL Kmmer, Christos § 13e. Doch setzt Pis. andererseits vomus, daß der Hinweis auf seine Christuserscheinung zur Legitimation seines Apostolates als Argumentationsweise prinzipiell nicht bestritten wird, vgl. Goppelt, Apostolische Zeit A 122. I
1.
ZUIII
pllulinis~hen
ApostolotsversfiinJnis
389
adverbieU "zu allerletzt" heißen'. "Ex"C'pc.>(J.(l ist wohl ein an Paulus von seinen Gegnern gerichtetes Schimpfwort und scheint sich auf jeden Fall nicht primär auf den späten Zeitpunkt der Bekehrung des Paulus, sondern auf seine Unwürdigkeit vermutlich infolge der früheren Verfolgung der Gemeinden zu beziehen? Weiter muß darauf hingewiesen werden, daß 1. K. 15, 8 offenbar die einzige Stelle wäre, an der Paulus eine chronologische Begrenzung des Apostolates zum dogmatisch rdevanten Prinzip gemacht hätte. Angesichts der paulioischen Naherw:lrtung ist die Annahme einer besonderen "Zeit des Apostolats" ohnehin nicht wahrscheinlich. Endlich wäre sehr fraglich, ob Paulus dann, wenn für ihn das Apostelamt Auftrag aus und für eine bestimmte, heilsgeschichtlich begrenzte Zeit gewesen wäre, so unbefangen vom Apostolat als einem zwar hervorragenden, aber doch nur eine/TI kirchlichen Amt, neben dem es noch andere gibt (1. K. 12, 28f.), oder von Aposteln der Gemeinden (2. K. 8,23; Phil. 2,25) oder von seinen Gegnern in Korinth als Aposteln hätte sprechen können. Vielmehr scheint die Aussage des Paulus 1. K. 15, 8 ein Erfahrungsurteil zu beinhalten, daß eben die andern Apostel vor der ihm widerfahrenen Erscheinung Christus begegnet sinds• Die Tendenz seiner Aussagf:n geht denn auch nicht darauf, irgend jemandem seinen Apostolat zu bestreiten, sondern den eigenen Apostolat zu verteidigen, offenbar um seines besonderen Charakters als Apostolat für die Heiden willen'. • Pr.-Bauer 621, vgl. auch Mk. 12,22. • Diese Frage hängt kaum von der schwierigen und verschieden beantworteten nach der genauen Bedeutung des Wortes "ektröma" ab. Wenn "ekuöma" seiner ursprünglichen Bedeutung nach ,,Frühgeburt" heißt (vgl. Pr.-Bauer s. v. ;J. Sehntider, Art. ~P6)lLot, ThW 1I, 463-465, dort 463, 15f.), dann kann sowieso nicht auf den späb..-r1 Zeitpunkt der Bekehrung des Pis. angespielt sein, vorausgesetzt, daß die ursp:riingliche Bedeutung des Wortes noch bekannt war. T. BOIII,." Paulus AborUVlIS (1. Kor. 15,8), StTh 18 (1964) 46-50, dort 50, denkt an Spott über körperli(:he Mißgestalt. Eph. 3, 8; 1. Tm. I, 1~15 und vor allem GI. 1, 13ff. sprechen. aber eher für die oben vorgeschlagene Deutung, vgl. auch J. M_Jc, Paulus tamquam abortivus, in: New Testament Essays, Gedenkschrift T. W. Manson, Manchester: University Press 1959, 18~193, dort 189. Bei Ignatius (Röm. 9, 2; Eph. 21, 2; Trall. 13,1; Smym. 11, 1) wird das Motiv stereotyp. Schwieri.g und sprachlich nicht beweisbar ist m. E. die These von Güttgemanns, Apostel 89ff.: Pis. wird von den korinthischen Gegnem mit dem Schimpfwort "ektröma" die "christologisch-zeidiche Distanz" (uO 90) vorgeworfen, die Pis. zwischen Auferstehung Christi und Auferstehung der Christen setzt. • Vgl. R. 16,7; GI. I, 17. An beiden Stellen spricht Pis. mit einer gewissen Ehrerbietung von den Aposteln "vor ihm", ohne daß sich daraus eine feste Rangordnun~: ergäbe. • Vgl. dazu Munde, Paulus und die Heilsgeschichte 54ff.; Hahn, Mission 83. Für die beseondem Aspekte des pln. Apostolatsverständnisses, die sich aus der Verküodigungsfunktion des Apostels als Epiphanie Jesu ergeben, auf die hier nicht eingegangen werden kann, vgl. E. KilUllltl"", Die LegitimitSt des. Apostels, Libelli 23, 2. Auß. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1956, 38f(.; Güttgernanns, Apostel, beB. 94ff.
390
IX. Di,
Z1lJisGhen~eit
bis ~111' Parllsie
2. Die Gegenwart als Zeit der Heidenmission Damit stehen wir bereits bei der zweiten Frage, nämlich der nach der theologischen Bedeutung des historischen Geschehens der Heidenmission. R. 15, 7ff. macht uns mit einem zentralen Gesichtspunkt vertraut: Das Gotteslob der Heiden ist ~&~tXtwO"t.<; der Verheißungen an Israeli'. Begründet wird die Heidenmission durch die in Christus offenbar gewordene Gerechtigkeit Gottes, die nicht partikulare Gerechtigkeit Gottes sein kann, sondern die ganze Welt beanspruchtl l • Gedeutet aber wird sie vom Alten Testament her: Hier geschieht auf völlig unerwartete Weise. was Gott schon längst gewollt hat. Ähnliches sagt Paulus, wenn er die Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Ökumene durch ein Zitat aus dem Alten Testament wiedel'gibt (R. 10. 18). Auch den Unglauben Israels und seine Reizung durch die Bekehrung der Heiden überliefert Paulus als alttestamentliches Wort Gottes. als Weissagung aus Gesetz und Propheten (R. 10,19-21). R. 15. 14ft versteht er seine Predigt für die. denen noch nicht verkündigt wurde. als Erfüllung alttestamentlicher Weissagung (V. 21, vgl. auch 1,2). Sein priesterlicher Auftrag am Evangelium ist ihm dabei von Gott gegeben und wird von ihm in alttestamentlicher Sprache beschriebenla. Nun aber muß dieser positiven Linie eine negative zur Seite gestellt werden: Die Heidenmission wird von Paulus nicht auf die Parusie bezogen. Paulus versteht sich nicht als Vorläufer der Parusiel3 und 10 Es ftllt auf, daß die Schriftworte R. 15,9-12 sich nur mit der Hoffnung und dem Lobpreis der Heiden, nicht aber mit der Erfüllung der Verheißungen an Israel beschäftigen. Worin besteht die Erfüllung der Verheißungen an die Väter? Doch gehört der Lobpreis GotteS durch die Heiden, der durch die Schrift angekündigt wird, mit zu den Israel gegebenen Verheißungen. So ist in der Zitatengruppe doch wohl beides aufgenommen und es bleibt gerade auch in der Verwerfung Israels wahr, daß Gott die Verheißungen an seinem Volk erfüllt. 11 V gl. hierzu G. Bomlra",,,,, Christus und die Welt in der urchristlichen Botschaft, in: Das Ende des Gesetzes (= Aufs. I), 2. Auf!. München: Kaiser 1958, 157-172, dort 160; E. Sr""";t,r, Zur Interpretation des Römerbriefs, EvTh 22 (1962) 105-107, dort 105; Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes 215f. Übergeordneter Gesichtspunkt des ganzen Abschnittes ist EIe;; 361;11:\1 'tOÜ .&EOÜ (V. 7, vgl. 2. K. 4, 15). Daß es sich hierbei wirklich um den übergeordneten Gesichtspunkt und nicht bloß um eine liturgische Floskel handelt, ergibt sich aus der Aufnahme des Motivs in V. 9, der inhaltlich die ganze folgende testimonienartige Zitatreihe bestimmt, vgl. u. A. 38. 11 Zu GI. 1, 15f., vgl. Munck, Paulus und die Heilsgeschichte 15ff.; zu R. 1, 1 Michel, Röm. 35; zu R. 15, 16 vgl. unten. 11 Diese These wird in verschiedener Weise vertreten. Cullmann, Missionsauftrag, Aufsätze 334ff., vgl. den., Heil als Geschichte 231f.; Munck, Paulus und die Heilsgeschichte 33fr., halten nach 2. Th. 2, 6f. dafür, daß Pls. in sich selbst den "katechän" und den wiedergekommenen Elia sieht. Wenn Pls. selbst der "katechön" wäre, so müßte er nach 2. Th. 2, 7 die Parusie doch erst /IIlrh seinem Tode erwartet haben, was 1. Th. 4, 13ff. widerspricht. Außerdem ist 2. Th. vermutlich deuteropaulinisch •.ähnlich wird die These auch von Grundmann, Paulus aus dem
2. Die Gege"wart als Zeit tier Heitl",11Iisno"
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meint nicht. durch rasenden Lauf mit dem Evangelium um die Welt die Parusie beschleunigen oder aufhalten zu können. Er hält sich weder {(ir den XIX'r~WV, noch ror den wiedergekommenen EUa, noch gar ror den Messias 14• Wohl sieht er seine weltweite Verkündigung als gottgewollten Auftrag am -Evangelium, wohl sieht er die Proklamation der' ror die ganze Welt geltenden Gerechtigkeit Gottes als Erfüllung alttestamentlicher Weissagung1li ; aber er ordnet die Völkermission nicht in eine Abfolge von vor dem Ende geschehenden Ereigni!;sen ein. Schwieril~ ist die Interpretation von R. 15, 16. Sind die Heiden jenes Opfer, das schon alttestamentliche prophetische Erwartung für das Ende der Zeit auf dem Zion erwartet? Man wird sehr vorsichtig urteilen müssen. Sicher hat das Auftauchen dner großen und repräsentativen Delegation von Heiden mit der Kollekte in Jerusalern Aufsehen erregt. D. Georgi hat überdies vermutet, daß die Oberbringung der Kollekte in Jerusalern im Dienste der mi!p1X~fJA6)(J1.I; des jüdischen Volkes (R. 11, lHf.) gestanden habe". Das ist möglich; immerhin bleibt auffällig, daß Paulus R. 15,27 die Kollekte eher von der leiblichen Bedürftigkeit der ,.Armen"" her zu begründen scheint. Auf Js. 66,20 ist kaum angespielt". Vor alleIlI aber;1I aII/fällig, Jaß PallllU seine Reise noth Jeruralem ~IIT Oberbringung Jer Kollekte, f?OII Jw er erst in V. 25 spritht, in luinerki Betiehung ~IIT npoa,opll TW"~" (vermutlich
Volke, NovTest 4 (1961) 276, vertreten. Lohse, ThZ 9 (1953) 271, meint, daß Pls. "als Knc:cht seines Herrn in großer Eile zu allen Heiden - bis ans Ende der Welt gehen" Inüsse, weil seine Tätigkeit "unter dem Zeichen des Eschaton" (aaO 272) chronologisch Voraussetzung für die Bekehrung von Ganz-Israel und damit des Endes sl!i. Dagegen wendet aber J. KnDx, Romans 15, 1~33 and Paul's Conception of Apostolic Mission, JBL 83 (1964) 1-11, dort 6, vgl. auchConzelmannNTS 12 (196;'/66) 233, zu Recht ein, es sei nicht einzusehen, weshalb Pis. 10-15 Jahre seines Lebens in einem relativ kleinen Gebiet gewirkt habe, wenn er angenommen hitte, daß die Parusie von seiner Missionierung der Heidenwelt abhänge. Von "großer Eile" (Lohse aaO) ist in der pln. Missionstätigkeit nichts zu. sp~ vg~. nur GI. I, 17-2, 1; R. 15,23-25; Phi!. 1,21-26. Falls Ag. 16,9ff. einen hIstonsehen Kern enthält, hat sich auch das Missionsprogramm des Pis., obwohl von Anfang an auf die Gewinnung der Heiden ausgerichtet, erst aIlmihlich ausgeweitet, vgl. Bornkamm, Christus und die Welt, Aufs. I, 159• .. Zu Elia vgl. o. S. 8Of.; zum "katechän" o. A. 13; daß sieh Pis. selbst fUr den Messias gehalten habe, meint H. J. SthonjielJ, The lew of Tarsus, London: Macdofllud 1946, 79ff. 200. Nach Holtz, ThLZ 91 (1%6) 330, identifiziert sich Pis. mit dem Gottesknecht von Deuterojesaia, aber ohne Bezug auf Js. 53. . 11 E. S"h7IIei~er, The Church as the Missionary Body of Christ, NeOteStamentica, Zürich: Zwingli 1963, 317-329, dort 319, weist daraufhin, daß sich R.l,16f. auf Ps. 98, 2f. zuriickbezieht. l f Kollekte 84f. 11 Dan.uf weist doch wohl hI TOLl; (JlXpx,xOLI;. Daß mit den ,.Armen" hier nicht ein traditioneller Ehrentitel, sondern wirklich finanzielle Armut gemeint ist, hat Georgi, Kollekte 81 A. 315 m. E. mit guten Gründen gegen Hahn, Mission 93 A. 5 wnhrscheinlich gemacht. . 18 Daß hinter R. 15, 16 die Stelle Js. 66, 20 steht, so daß die Heiden "als Opfergabe ... auf den Berg Zion gebracht werden" (Schweizer, EvTh 22 (1962) 106, vgl. den., Missionary Body, NeOtestamentica 320, und Michel, Röm. 365 A. 1), ist m. E. nicht einleuchtend. Die wörtlichen Berührungen Bind kaum nennenswert, sprachlich und inhaltlich steht Js. 61, 6, vgl. 6O,5ff. näher. Auch die inhaltlichen Schwierigkeiten sind groß, vgl. oben.
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IX. Die Zwischenzeit bis zur Parusie
gen. obj.) bringt, WM Joth eigentlith nahe läge, wenn er tllff tltzr Moliv der erthlltologirthen Völktnlltll/fllhrt ~11111 Zion irgendwie BeZllg genommen hälle. In Jerusalem bringt Paulus nicht die Heiden als endzeitliches Opfer dar auf dem Berg Zion, sondern die Kollekte als Liebesgabe zur filWlZiellen Unterstützung der Armen. Anschließend will er seine Missionstätigkeit weiterführen, rechnet also durchaus mit dem Fortgang der Zeit. überdies ist Js. 66,20 vom Opfer, das die Heiden auf dem Zion bringen werden, die Rede, das in den Diasporajuden besteht. All das spricht dagegen, R. 15, 16 von der in Js. 66,20 gemeinten endzeitlichen Völkerwallfahrt zum Zion her zu deuten. M. E. ist V. 16 am leichtesten aus sich selbst heraus verständlich und die Formulierung npo<1tpopa. TWV ~wv im Zusammenhang mit den übrigen kultischen Vorstellungen des Verses nicht weiter auffällig: Der Priester Paulus bringt die durch die Verkündigung des Evangeliums gewonnenen Heiden Gott als Opfergabe dar. Will man an die eschatologische Völkerwallfahrt denken, so könnte sie allerhöchstens zeichenhaft angedeutet sein·', denn die Mission geht ja nachher weiter, und die heidnische Delegation konnte bei allem Optimismus nicht als jener "Fülle der Heiden" (R. 11,25) angesprochen werden, nach deren Eingehen Paulus R. 11, 25f. die endzeitliche Bekehrung Israels erwartet.
Die bereits erfolgte Bekehrung der Heiden wird wohl von Paulus nicht in erster Linie als jenes vorletzte Ereignis, das nach Gottes Heilsplan die Vorstufe zur Parusie bildet, gedeutet. Wohl denkt sich Paulus die Zeit bis zur Parusie, also auch die Zeit der Völkermission, nur kurz; umso auffälliger ist aber seine Zurückhaltung in der Deutung der Heidenmission vom Ende her. In erster Linie deutet Paulus die Mission vom Alten Testament her als Erfüllung der Verheißung Gottes (R. 10, 18ft'. 15, 7ft'. 21)20.
3. R. 11, 11ft'. Ein Textkomplex muß in diesem Zusammenhang noch besonders betrachtet werden, nämlich R. 11, 11ft'. Wird nicht hier die Bekehrung Israels in Beziehung zur Parusie gesetzt? Zunächst muß uns der schwierige Vers 15 beschäftigen: "Wenn aber ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was ist dann ihre Annahme anderes als Leben aus den Toten?". Heißt das, daß die endgültige Bekehrung Israels "will be the signal for the resurrection"21 und daß die Wiederaufnahme Israels den Anfang der Auferstehung der Toten einleitetlll ? Sicher ist m. E., daß "Leben aus den Toten" nicht auf das innere •• Vgl. Hahn, Mission 93. Die np0<1tpopa. TWV ~wv futurisch zu interpretieren, wie dies u. a. G. Sass, Apostelamt und Kirche, FGLP 9/11, München: Kaiser 1939, 90 und Munck, Paulus und die Heilsgeschichte 43, vgl. 298f., tun möchten, ist kaum wahrscheinlich • .. Richtig Fuchs, Christus und der Geist 116: "Warum wandert Paulus durch die Welt? Weil die Erfüllung der Verheißung angebrochen ist". I. Barrett, Röm. 215. 11 Vischer, Judaica 6 (1950) 121ff.
J. R. 11, Ilff.
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Leben des Christen im Geist bezogen werden darf; die vorangehende "Versöhnung der Welt" zeigt, daß Paulus hier nicht individualistisch denkt; iiberdies fordert "Versöhnung der Welt" eine Überhöhung. Aber heißt das, daß Paulus hier sagen möchte, "Israels Bekehrung (werde) das Ende der Heilsgeschichte sein"23? Dagegen .spricht einiges: 1. Die für Paulus auffällige Formulierung ~CIliJ ix _pCiiY will interpretiert werden. Wenn Paulus nichts anderes gemeint hitte als dies, daß die Bekehrung Israels die endzeitliche Auferstehung der Toten einleiten werde, dann hätte er ja den ihm viel geläufigeren Ausdruck clvclOTIX~ vEXpCiiY gebrauchen können··. Wenn er hier aber von ~CIliJ ix VEXPOOV spricht, so heißt das doch wohl, dan er nicht primär in zeitlichen, sondern in qualitativen Kategorien denkt. "Leben alls den Toten" wird natürlich erst im Eschaton, bei der Auferstehung der Toten, mmifest, aber Paulus denkt hier in erster Linie qualitativ an das schlechthin unüberbi,~tbare Wunder Gottes, das Leben aus den Toten, also nicht primär an das auf der Zeitlinie das Ende einleitende Ereignis der künftigen Totenauferwekkungl l• 2. Die Pa.rallele in V. 12, die zur Interpretation herangezogen werden muß, weist in dieselbe Richtung. Es geht Paulus um die schlechthinnige Umqualffizierung eines geschichtlichen Ereignisses vor und durch Gott: Wenn schon der Fehltritt des Volkes Israel in Wirklichkeit durch das Handeln Gottes zum Reichtum der Welt geworden ist, wieviel mehr erst die Vollzahllsraels? Das heißt: Wenn schon die Abwendung von Gott in Wirklichkeit durch Gott zum Instrument seines Gnadenhandelns wird, was gilt dann erst von der Zuwendung zu Gott? Ein Begriff, eier das überhaupt noch in Worte fassen könnte, steht Paulus nicht zur Verfügung. Auch in V. 12 geht es also primär um die Qualifizierung geachichtlicher Ereignisse vor Gott, nicht um ihre Eingliederung in einen Heilspian. 3. Paulull scheidet konsequent zwischen seinem eigenen Wirken, das vielleicht "einige" der Israeliten retten wird, und der "Annahme" des ganzen Volkes. Die nlXplX~-IJA(~aL~ des Volkes durch die Bekehrung der Heiden··, durch die vielleicht einige gerettet werden, wird nicht kausal in Verbindung gebracht mit der Rettung von Ganz-Israel in R. 11, 25, etwa so, daß durch fortgesetzte 1mp1X~~ aufgrund erfolgreicher Heidenmission schließlich sukzessive ganz Israel sieb bekehren werde"'. Bei der Eifersucht Israels handelt es sich vielmehr um eine Absicht
•• Altha,JS, Röm. 104• •• So deuten z. B. Zahn, Sanday-Headlam, Schlatter, Lietzmann, Michel, H. W. Schmidt" Bruce z. St. Vgl. aber die guten Bemerkungen von Godet, Röm.1I z. St.; Hllby, Röm. 390f. und Murray, Röm. 11, 82f1'., vgl. 84 A. 31. Man wird aller()ings "zöe ek ne krön" auch nicht nur mit "t!;vt!;nement d'une trCs grande utilitt!; et ft!;licitt!;" (Huby aaO 390) wiedergeben können; entscheidend ist für Pis. die eschatologische Dimension des Lebens• • 1 Bruc~" Röm. z. St., vgl. Gaugier, Röm. H, 187; Dodd, Röm. 177f. H Gemdnt ist sicher hier und deshalb wohl auch schon R. 10, 19 die 7m:p~t ACIlaLt;, die zur Bekehrung einzelner Glieder des Volkes Israel führt, nicht etwa derjenige "Eifer", der sich z. B. in der Verfolgung der christlichen Gemeinden durch die Juden (vgl. 1. Th. 2, ISff.) äußert, gegen Lyonnet, Quaestiones H,93f• •• Anders Conzelmann, Theol. 276: Von der "Theorie aus. daß die Juden auf die rognose. daß Heiden ·eifersüchtig werden sollen, entwirft Paulus die Gesch~·ch sich die Juden am Ende der Geschichte bekehren werden". • will sich C. dieses Eifersüchtigwerden nicht "als historischen Vorgang vorsk en··. Aber wie derulSOnst?
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IX. Die Zwischenzeit bis tllf' Partuie
des Missionars Paulus, bei der Rettung von Ganz-Israel dagegen um eine eschatologische Tat Gottes, die Paulus nur als Mysterium verkünden und in keiner Weise vorausplanen kann. Zwischen seiner eigenen Missionstaktik und der endzeitlichen Rettung von Ganz-Israel setzt Paulus keine kausale Beziehung. Das weist wiederum darauf hin, daß Paulus nicht in erster Linie von einer zeitlichen Abfolge her denkt, sondern daß er die Annahme Israels, die "Leben aus den Toten" bedeutet, dem Geschehen der Gegenwart als unüberbietbare, eschatologische Tat Gottes gegenüberstellt.
Dann meint !;;(o)~ &x V&Xp(;)v gerade jenes eschatologische, überhaupt nicht mehr überbietbare Handeln Gottes, "the greatest/conceivable blessing"B8 und nur in zweiter Linie ein Ereignis im linearen Ablauf einer Heilsgeschichte. Natürlich hätte wohl Paulus, daraufhin befragt, das "Leben aus den Toten" und die Rückkehr Israels mit der Parusie in Zusammenhang gebracht, doch entscheidend ist gerade, daß er hier mehr vom "Was" als vom "Wann", mehr vom "allgemeinen Prinzip", als vom "bestimmten Ereignis"29, mehr von der in der Geschichte wider Erwarten sichtbar werdenden göttlichen Gnade als von einem bestimmten Geschichtsverlauf aus denkt. Damit ordnet sich R. 11, 15 in die Denkstrukturen des Apostels ein, die u. E. den umstrittenen Abschnitt R. 11, 25-32 bestimmen. Auch dort ging es ja nicht primär um die Entwicklung eines künftigen Geschichtsverlaufs, sondern vor allem um das "Wie" des Handelns Gottes, nämlich um Gottes Gnade in und über der Geschichte. Blicken wir zurück, so zeigt die Zeit zwischen Ostern und Parusie bei Paulus sich unter vielen Aspekten: als Zeit des offenbarenden Eingreifens Gottes in die Geschichte durch die Berufungen zum Apostolat, als Zeit der Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen in der Evangeliumsverkündigung an die Heiden, als Zeit der gottgewollten Verstockung Israels, als Zeit des Glaubens an Gottes Zukunft auf Grund der Botschaft von Christus und damit als Zeit der Hoffnung, als Zeit endlich des neuen Wandds auf Grund des Gestorbenseins mit Christus und damit als Zeit des Leidens und der Liebe. Da wir in dieser Arbeit aber in erster Linie von den wdtgeschichtlichen Ereignissen in der Theologie des Paulus ausgingen, müssen diese zuletzt genannten Aspekte hier außer Betracht bleiben. Wichtig aber war, daß in all diesen Bestimmungen der Gegenwart diese nicht als Zeitepoche zwischen Ostern und Parusie unter einem bestimmten, dominierenden Gesichtspunkt sichtbar wurde. Die Jetztzeit ist für Paulus nicht ein betrachtbarer Zeitabschnitt, sondern in mannigfiu:her Weise und ohne daß es zu einer heils geschichtlichen Systematisierung kommt, vom Christusgeschehen bestimmte Zeit. .. Dodd, Röm. 177f• •• Gaugier, Röm.lI, 187.
4. ZtisammefljasSllllg
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4. Zusammenfassung
1. Pau1us kann seine futurische Eschatologie in weiten Teilen seines Schrifttums ohne Explikation durch apokalyptische Vorstellungen lassen. Für ihn charakteristisch sind abbreviaturhafte Kuaaussagen über das zukünftige Leben, das Sein mit Christus, die Rettung aus dem Gericht, die Parusie, den Gerichtstag etc. Solche Kurzaussagen waren den Gemeinden vorstellungsmäßig klar, aus der Tradition geläufig und bedurften keiner weitem Explikation. Im allgemeinen, d. h. '1110 nicht eine besondere Notsituation der Gemeinde PaIIllI! dazu Z7lIingt, ist er an einer Entfaltrmg und Präzisierung der Vorstellungen 'IIIenig interessiert; er nimmt sie viellnehr eklektisch und ch1ffreartig auf und macht sie seinem Aussagewillen dienstbar80• Das ist auch darum möglich, weil er in einem erstaunlich weiten Umfang Aussagen besonders der judenchristlichhelleni!;tischen Gemeinde aufnahm, einer Gemeinde also, die apokalyptisch dachte und zugleich das Heil weitgehend in die Gegenwart hineinnahm8l• 2. Paulinisch ist dagegen die Energie, mit der Aussagen über künftiges Heil, also künftiges Auferstehen, künftiges Leben, zum Teil auch die Rettung aus dem Endgericht auf das Kerygma tIOn lelll Tod und AR/erstehll1.rg als ihren Grund bezogen werden. Hier allein ist die Zukunft als Zukunft Gottes ein für' allemal erschlossen, und nur vom Kerygma aus läßt si(:h überhaupt von Zukunft Gottes sprechen. Das Kerygma, auf das die Zukunftsaussage bezogen wird, ist dabei oft die Pistisformel; es kann sich aber auch um freiere Formulierungen oder alttestamentliche Zitate handeln81• Daß Gottes Handeln in Christus ein Geschehen ist, dat; Zukunft als Zukunft Gottes eröffnet, ist Aussage des Glaubens und wird von Paulus nicht weltanschaulich begründet. 3. Auch bei der futurischen Explikation des Kerygmas herrscht chiffreartige Kurzaussage vor. Paulus kann aber solche Kurzaussagen durch zusätzliches apokalyptisches Vorstellungsmaterial ausweiten. Dies geschieht vorwiegend in konkreten Situationen, in denen Gottes Zukunft durch Hoffnungslosigkeit oder Skepsis in Frage gestellt ist.
Die Entfaltung futurisch-apok4!Jptischer Eschatologje erfolgt dann 1I4ch Maßgerbe dessen, 'lilas die Not der konkreten Situation erfordert. Aber auch da, wo:> die Explikation der Zukunft des Kerygmas mit zusätzlichem apokalyptischem Material erfolgt, geht es um nichts anderes als darunl, in konkreter Situation die Zukunft als vom Christusgeschehen I. Vgl.. auch o. VI1 Nr. 2: ferner die Verweise o. A. VßI37. 11 Vgl. die Verweise o. A. IV 119 und VI 44, ferner o. S. 251f. 255-262 pas. 282. 343ft. :-I73f. 384ff. Zu der Vorstellung vom Leib Christi und der darin enthaltenen Eschatologie vgl. o. A. Iß 299, zur Eschatologie der votpla. Gemeinden die Ver.weise 0. A. VII 121. •• Vgl. R. 8, 14-17.29; 11,26f. und o. A. VI 38.
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IX. Die ZIvischenzeit bis zur Parusie
her eröffnete Zukunft Gottes zu bezeugen. Auch das hiefür notwendige apokalyptische Vorstellungsmaterial stammt aus der Gemeindetradition und wird von Paulus z. T. in selbständiger theologischer Umgestaltung verwendet88• Es bleibt aber im Dienste der Interpretation des Kerygmas, ist also Interpretament und nicht Interpretiertes, Zeugnis und nicht Geglaubtes. So läßt sich sagen: Der energische Bezug al/er Zukunftsenvarlllng auf Kreuz und Auferstehung Jesu macht das, was bisher Vorstellrmg über die Zukunft oder irgenrlwelche Erwarlllng war, Zu gewisser Hoff1lllng. 4. Futurisch-eschatologische Aussagen stehen vorwiegend im Dienst der Verkündigung gegenüber Angefochtenen und dienen meistens nicht dem direkten Kampf gegen enthusiastische Vorwegnahme der Zukunfts'. Wohl aber ist die paulinische Eschatologie immer wieder implizite Kritik an jedem En.rlJllsiasmus, indem sie die Möglichkeit gibt, die noch nicht erlöste Gegenwart ernst Zu nehmen86 • Der paulinischen Zukunftsgewißheit 1I 1. K. 15, 23ff. konnten wir, anders als 1. Th. 4, eine Umgestaltung apokalyptischer Vorstellungen durch den Theologen PIs. beobachten. I< Weder 1. K. 15, 23ff. (vgl. bes. o. S. 336ff.), noch 2. K. 5, 3f. (vgl. o. S. 365f.), noch R. 8, 26f. (vgl. o. A. VIII 111) konnten wir direkte antienthusiastische Polemik feststellen. . •• U. Wilc/eens, Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums, in: Offenbarung als Geschichte, KuD Beiheft 1, Göttingen: Vandenhoeck 1961,42-90, dort 65ff., legt einen interessanten, leider nicht genauer durchgeführten Entwurf vor: Dem Apostel liegt an zweierlei, dem "vergangenen Geschehen der Auferweckung Jesu ... , auf das der Glaube sich richtet" (aaO 68) und der künftigen e~genen Auferstehung. Der zwischen beiden Ereignissen liegende Zeitraum markiert den Unterschied zwischen Christus und uns. So impliziert "die von Paulus scharf herausgearbeitete Differenz zwischen Christus und den Christen ... zugleich eine Unterscheidung der Vergangenheit des Christusgeschehens von der Gegenwart der Christen und der Zukunft der Heilsteilhabe" (aaO 70). Den Vergangenheitscharakter des Christusgeschehens betont nach Wilckens "pointiert polemisch" (aaO) die Kreuzestheologie des Apostels, die Zukünftigkeit der Heilsteilhabe die futurische Eschatologie. Doch läßt sich m. E. dieser besteChend geschlossene Entwurf in dieser Weise nicht durchhalten. Schon Wilckens selbst sieht, daß die paulinische Pneumalehre trotz der gerade hier gegenüber dem Enthusiasmus sichtbar werdenden Korrekturen "eine gleichsam querschlagende Wirkung" (aaO) habe. Das gleiche gilt m. E. von der paulinischen Christologie, die wohl nicht so einfach auf
4. Zusammenfassung
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entspricht ein tiefes Ernstnehmen der unerlösten Gegenwart, in der der Tod lloch nicht überwunden ist, aber der gegenüber das Prae des auferstandenen Christus steht, das ihr Hoffnung zuspricht. So finden sich die zukunftsgewissesten Aussagen des Paulus in R. 8 in enger Verbindtlng mit den stärksten Aussagen über die Unerlöstheit der Welts,. Auch 2. K. 4, 7-5, 10 sind die Leiden des Apostels und die Hoffnung auf den künftigen himmlischen Bau aufs engste miteina.nder verbund(:n. In anderer Weise betonen die von Paulus aus der Tradition übernommenen Gerichtsaussagen. daß die jetzige Zeit noch nicht mit der eschatologischen Zukunft Gottes identisch ist, indem sie den Ernst des Wandels auf Grund der Rechtfertigung aus Glauben einschärfen. Wichtig ist aber, daß die Gegenwart durch die paulinische Zukunfto;erwartung positiv qualifiziert wird. Über dem Leiden des Apostels und in ihm steht die Hoffnung auf das Leben Christi (2. K. 4, 7ff.); über dem Seufzen der unerlösten Welt die alles bewegende Tat der Liebe Gottes (R. 8, 18ff.), ja. gerade in der Sprachlosigkeit der Christen ist die Sprachwirklichkeit des Geistes mächtig (R. 8, 26f.). Über jeder hoffnungslosen Situation steht die Hoffnung der Auferstehung ]esu Christi und darum auch die· Gewißheit ihrer Gegenwart gerade in der Hoffnungslosigkeit. In diesem Sinne ist "Hoffnung" für Paulus Chiffre für die Existenz von einer Zukunft her, die ganz allein Gottes Zukunft ist. 5. Ein el~tscheidendes theologisches Merkmal der paulinischen Eschatologie ·war ihre theozentrische Struktur37• Dies zeigt sich etwa in der subordillatianischen Christologie, die Paulus vertritt und für die Zukunft: auslegt. Das Prae, das jeder christologischen Aussage gegenüber der rioch unerlösten Welt eignet, und das Voraussein des auferstand(:nen Christus vor den Gläubigen, das die eschatologische Zukunftsaussage begründet, führt aber, wenn anders Christologie gegenübc:r das Ende vorwegnehmenden Enthusiasten stellte. Ein kritisch-antienthusiastisches Moment ist in der pm. Eschatologie gewiß enthalten, aber es kommt im allgemeinen nicht zur direkten Polemik gerade mittels der Eschatologie. Umgekehrt nahm Paulus zahlreiche enthusiastische eschatologische Traditionen positiv a13f, vgl. die Verweise o. A. 31. Vgl. auch E. Fuchs, Das Christu5verständnis bei Paulus und }ohannes, in: Glaube und Erfahrung (Aufs. 111), Tübingen: Mohr 1965, 298-313, dort 303. •• Vgl. (0. S. 3751f. Auch die intensive Beschäftigung des Paulus mit dem Unglauben Israds zeigt seinen Willen, Gottes Verborgenheit in der Gegenwart in einem letzten Sinne durchzuhalten und ernst zu nehmen. R. 11 ~igl - ",mn aueh in flöllig
anderer JI~eise - eine gt"lllim Parallelitäl tU1ll Versländnis MS Ltbens als IIn'borgenes unJ nur paradox sich manifesliermdes Gul in der Gegt1lrllarl und als ojfmkunJiges Heil ersl in der eschatologischen Zukunfl, Jas ",ir 2. K.4, 7jf. UM R. 8, laff. 26f. 28jf.feslslelllm: Die gegetl7llärlige Verslockung Israels enlhäll - "erborgen und auf krU1llmen Wegm - die Chance des Ltbensjelt/, indem sie tur Bekehrung der HeiMnJuhrl (R. 11, 12. 15) unJumfam",' und manijeSI- in Golles Zukunft (R. 11,25ff.) •
•• S. o. S. 2761f. 296f. 351f.; A. VIII 55. Vgl. ferner die Verweise o. A. II 461; A. IV 76; A. IV 124 und u. A. 38.
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IX. Die Zwischenzeit bis zur Parusie
subordinatianisch verstanden wird, zur Doxologie als einem Strukturmoment eschatologis/~hen Redens. In der Tat fiel uns immer wieder auf, daß eschatologische Aussagen mit einem Lobpreis Gottes abschließen und sich der Doxologie als Sprachform nähern 38• Auch darin zeigt sich, worum es in der Eschatologie zentral geht: Darum, daß der Gott, der Jesus sterben und auferstehen ließ, bei dieser Tat und damit bei sich selbst bleibt. P. Stuhlma(her versteht in seinen verschiedenen Arbeiten die paulinisehe Eschatologie als proleptische und christologische Interpretation des Kommens Gottes·'. Sein systematischer Interpretationsversuch ist von einer beneidenswerten Geschlossenheit und berührt sich an zahlreichen Stellen mit den hier vorgetragenen Erwägungen. Insbesondere liegt uns beiden am theozentrischen und doxologischen Charakter der paulinischen Eschatologie'·. Eine vorläufige Differenz scheint sich darin anzudeuten, daß in dieser Untersuchung der für Stuhlmacher zentrale Begriff der "Prolepse" vermieden wird. Natürlich handelt es sich hier zunächst um einen hermeneutischen Leitbegriff, der seine Fruchtbarkeit in der Interpretation zu erweisen hat. Dennoch deutet sich an diesem Punkt ein Akzentunterschied an: Stuhlmacher scheint das sachliche Gewicht auf "proleptisch" zu legen und fragt: Wie geschieht in der Geschichte, vor allem aber im Christusgeschehen das vorlaufende Kommen Gottestl? Wir fragen primär christologisch: Wie geschieht von der Christologie her und auf die Christologie hin die Entfaltung der paulinischen Zukunftserwartung? Stellt man die an sich nicht sachgemäße Altemativfrage: Wird bei Paulus die Christologie vom Eschaton oder das Eschaton von der Christologie her verständlich?, so hätte Stuhlmachers Entwurf eine größere Nähe zur ersten, der hier vorgelegte eine größere Nähe zur zweiten Frage. Der Begriff der Prolepse scheint, wie das Beispiel Pannenbergs zeigt, insofern mißverständlich, als damit auch die Annahme eines festgefugten, von seinem Ende her verstehbaren apokalyptischen Geschichtsentwurfs verbunden sein könnte, wobei dann Gottes Offenbarung und sein Geschichtshandeln dem Ende vorausläuft. Dann wäre der apokalyptische Geschichtsentwurf in seiner ungebrochenen Ganzheit und insbesondere sein Ende notwendige Verstehensbedingung von Offenbarungsgeschichte und Christologie. Damit soll nun allerdings nicht die These Stuhlmachers wiedergegeben werden, sondern eher eine
Vgl. o. S. 27f. 247. 252. 299f. 351f.; A. VIII 60; A. IX 11. Zur Struktur der doxologischen Rede vgl. W. Pa/l/le/lberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh: . G. Mohn 1964, 1841f. .. Vgl. besonders seine systematische Darstellung ZThK 64 (1967) 443-450. ,. Vgl. bes. die o . .A. 37f. genannten Stellen und Stuhlmacher, ZThK 64 (1967) 449undA.57. U Weil für Stuhlmacher "die Zeit im ganzen" (also auch die Zeit der Geschichte Israels) "von Paulus als Wort des kommenden Gottes erfahren" wird (ZThK 64 (1967] 441), also beides, Christus~eschehen und alttestamentliche Offenbarung, unter dem Gesichtspunkt der Prolepse verstanden wird, ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, nun wiederum den Vorrang des Christusgeschehens vor der alttestamendichen Offenbarung zu betonen. Dies tut er, indem er auf die paulinische Präexistenzchristologie zurückgreift und sie der alttestamendichen Geschichte voranstellt. Er kommt dabei zu exegetisch notgedrungen problematischen Aussagen: "Als Schöpfungsmittler ... ist Christus auch früher da als Adam" (aaO 437, zu R. 5, 121f.). Oder: Im neuen Bund "führt Christus die Tora wieder auf ihre paradiesische Funktion zurück" (aaO, mit Hinweis auf GI. 6,21). Vgl. auch o. A.1l406. BI
4. ZUJall/lllenjammg
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Gefahreru:one angedeutet werden, gegen die er sich schiffer abgren%eD müßte, gerade wc:nn er den Begriff der Prolepse als Interpretament braucht. Auf der Indern Seite ist nun natürlich klar, daß gerade die paulinische Christologie, die m. E. die Interpretation der Eschatologie erst ermöglicht und in ihrer spezifisch,:n Struktur verständlich macht, ihrerseits wieder proleptische Züge trägt. Genauer: Christologische Interpretamente, die apokalyptisch-proleptisch strukturiert sind, z. B. "neuer Äon", ..Neuschöpfung", ..Gerechtigkeit Gottes", ,,Auferstehung", vielleicht auch "Evangelium", z. T. "Pneuma", stehen neben solchen, die nicht proleptisch strukturiert sind, wie z. B. die Sophiachristologie, das Stell~'ertretungs-, Sühne-, Opfer- und Loskaufsmotiv, weitgehend die Titel "Christos" und "Kyrios" und zum Teil auch der Gottessohntitel. Hier sind offene Fragen, deren Erhellung wohl auch die theologische Interpretation der paulininischen Eschatologie weiterführen könnte. Gefragt werden müßte: a) traditionsgeschichtlich: Wo und wie erfolgte die Verbindung der disparaten Interpretamente in der vorpaulinischen hellenistisch-judenchrisdichen Gemeinde? Welche Voraussetzungen waren hiefür in einem apokalyptisch mitgeprägten hellenistischen Judentum schon gegeben? b) systematisch: Wie verhalten sich sachlich proleptis,:he und nicht-proleptische Interpretamente in der paulinischen Christologie? Anders als Stuhlmacher würde ich die auch von ihm anvisierte"Umschichtung des Denkens", die sich bei Paulus als ,,Folge seiner Begegnung mit dem Christus" vollzogen hat", so sehr betonen, daß mir die von der Christologie her denkend: Interpretation der Eschatologie als Vollendung des Christusgeschehens der Stoßrichtung des paulinischen Denkens mehr zu entsprechen scheint als die vom Eschaton" her denkende Charakterisierung der paulinischen Eschatologie als "proleptisch und darin (I) christologisch"u. Einen eigendichen Gegensatz aber vermag ich zwischen ihm upd mir nicht zu sehen; die Unterschiede dürften zum Teil auch von den verschiedenen uns leitenden Fragehinsichten herkommen. Stuhlma':bers Versuch bleibt ein hilfreicher und in die Tiefe der Probleme führender Disk:ussionsbeitrag.
6. Hielt und erst hier ist ein weiterer, kennzeü;hnender Zug der pau1ini:schen Eschatologie zu erwähnen: Es gibt bei Paulus keine Zukunftsaussage, die nicht auch Aussage über die Zukunft des Menschen wäre. Rein kosmologische Aussagen finden wir bei Paulus nicht. Aussagen über die Zukunft der Welt erscheinen verbunden mit solchen über die Zukunft des Menschen, der Glied der Schöpfung
•• Stuhlmacher, ZThK 64 (1967) 449 A. 56. .. Was dieses Eschaton bei Stuhlmacher ist, blieb mir unklar. Was heißt eigentlich: "proleptisches Kommen Gottes"? Was wird da vorweggenommen? Die nun doch wieder von der (jüdischen!) apokalyptischen Erwartung her vorgegebene endzeidiche Fülle Gottes? Dann käme allerdings das Verstehen nicht nur der paulinisehen Eschatologie, sondern auch der paulinischen Christologie in eine schicksIllshaft hinzunehmende Abhängigkeit von der apoka1vt>tischen Erwartung, deren Horizont der Mensch entweder (dankbar und aus Gnade! I) übernimmt oder (aber dllnn um den Preis des Glauben-Könnens!) zurückweist. Oder meint Stuhlmacher ein vom Christusgeschehen her erst eröffnetes Ende? Dies scheint mir Paulus -eher zu entsprechen, wobei dann natürlich wieder nach der Notwendigkeit und Elsetzbarkeit der das Christusgeschehen interpretierenden apokalyptischen Kategorien zu fragen ist • .. Vgl. Stuhlmacher, ZThK 64 (1967) 449.
400
IX. Die Zwischenzeit bis zur Paru.rie
ist's. Weil die paulinischen Zukunftsaussagen konkrete und nicht spekulative Aussagen sein wollen, ist ein gewisses Zurücktreten apokalyptischer Zukunftsvorstellungen unverkennbar, so sehr Paulus in konkreter Situation auch wieder selbständig apokalyptisch denken kann. Will man - nun sehr schematisch und vereinfacht - einen gewissen Grundzug im paulinischen Nachdenken über die Zukunft festhalten, so könnte man vielleicht sagen: Von der Zukunft der Welt spricht Paulus um der Zukunft des Menschen willen. Von der Zukunft des Menschen aber spricht er 11m der- in je.ru Tod und Auferstehung gegründeten - Zukunft Gottes willen. 7. Entsprechend seinem Gebrauch von apokalyptischen Vorstellungen als Glaubenszeugnis in konkreter Situation ließen sich die paulinischen Aussagen über die Zukunft nicht einfach linear zu einem Entwurf der Endgeschichte addieren, aus dem heraus Paulus dann denkt. Innerhalb seines Vorstellungsmaterials ließen sich weder Widersprüche finden, so daß einzelne Vorstellungen einander direkt ausschlössen, noch ließen sich einzelne Vorstellungen spannungslos zu einem Gesamtbild addieren. Auch die These einer Entwicklung der paulinischen Eschatologie ließ sich in der üblichen Form nicht halten". Vielmehr stehen die einzelnen eschatologischen Zukunftsvorstellungen kontaktlos nebeneinander47• Die Einheit der paulinischen Eschatohgie liegt nicht ;m Vorstel/ungsmaterial, sondern in ihrem Gebrauch zur Interpretation des Kerygmas. 8. So können paulinische Zukunftsaussagen nicht. als Vorstellungen zureichend interpretiert werden, vielmehr sind sie Zusagen, Anrede'8. Sie wenden sich an die Gegenwart und nehmen sie ernst, indem sie ihr· Gottes Zukunft zusprechen, ohne ihre Wirklichkeit zu überspringen. 5. Schluß: R. 9-11 Vergleichen wir das paulinische Nachdenken über die Zukunft mit seinen Aussagen über die Vergangenheit, so stellen wir zahlreiche gemeinsame Züge fest. a) Beidemale war nicht ein umfassendes Geschichtsbild der Horizont, aus dem Paulus dachte. CI VgL o. S. 379f. 383 und auch die o. A. 111363 zum Verhältnis von Individualgeschichte und Weltgeschichte in der pln. Schau der Vergangenheit gegebenen Verweise • • 1 Lediglich bei der Frage, ob Paulus die Parusie noch zu seinen Lebzeiten erwarte, ließ sich eine gewisse Entwicklung feststellen. Zur Entwicklung der pln. Theologie überhaupt vgl. die Verweise o. A. 111 340. n Vgl. o. S. 357. 366f. 383., ferner o. S. 206/f. und A. II1271 • .. V gl. die Verweise o. Einl. A. 7.
5. SchlIlß: R. 9-11
401
b) Von Vc:rgangenem und Zukünftigem war nicht um seiner selbst willen die Rede, sondern Vergangenheits- und Zukunftsaussagen dienten &~ Explikation des Heils. Vergangene Gottesgeschichte zeigte die Souveränität und Treue des gerechten Gottes. Abgetane Vergangerlheit lehrte die Dimension des eschatologischen Heils ermessen. Bd den Zukunftsaussagen aber ging es um den eschatologischen Charakter von Gottes Heilstat, die der Gegenwart gegenüber das letzte Wort behält. c) So ist das paulinische Nachdenken über die Geschichte in engsten Zusamme11hang mit der Verkündigung des sich in der Geschichte als ihr Herr offenbarenden Gottes gestellt. Um Gott, seine Gerechtigkeit, seine Henlichkeit und seine Zukunft geht es letztlich dem paulinischen Geschichtsdenken. 'Vielleicht das schönste und eindrücklichste Beispiel, wie sich das Nachdenken des Paulus über Vergangenheit und Zukunft zu einer Einheit zusammenfindet in der Ansage der Gnade Gottes, finden wir in R. 9-11. Der komplizierte Aufbau der drei Kapitel und die scheinbaren Widersprüche in ihnen haben uns ja schon beschäftigt'I• In gewisser Weise enthalten ja R. 9, 6-29 und R. 9, 30-10, 21 heide Hauptaspekte des.paulinischen Nachdenkens über die Vergangenheit: R. 9, 6-29 denkt Paulus theozentrisch und vom Alten Testament her der Gottheit Gottes nach: Gott bleibt bei seinem Wort, aber so, daß er in sekler ganzen Souveränität Gott bleibt&O. Damit wird zugleich auch die Position festgelegt, in der der Mensch - das Geschöpf-allein über Gott nachdenken kann, nämlich als von Gott immer schon Betroffener. R. 9, 30-10, 21 kommt der zweite Aspekt des paulinischen Denkens über die Vergangenheit zum Zuge: Es wird der Unterschied zwischen dem Streben nach der Gerechtigkeit des Gesetzes und dem Hören auf die Glaubensgerechtigkeit dargelegt. Das Gesetz als Heilsweg ist durch Christus zu Ende, nicht mehr an der Zeit, vergangen&l. Israel hört die Verkündigung des Evangeliums nicht und wird in Schuld v'erstrickt, was Paulus gerade so zeigt, daß er vom unerschütterlichen Heilswillen Gottes gegenüber Israel spricht (10, 14-21). R. 11, 1-·10 faßt die Situation zusammen. 11,11ff. setzt Paulus zu seiner eigentlichen Aussage an und zwar so, daß er zunächst zeigt, daß das Handeln Gottes hintergründig ist und auch hinter dem Gericht - wider allen Anschein - die Gnade wirkt (R. 11, Ilff.). Auch die .. Vgl. Noack, StTh 19 (1965) 165f., behauptet sogar, zur Zeit der Abfassuns von R. 9, 1ff. habe Pis. um das Mystetium von R. 11, 25ff. noch nicht gewußt. Angesichts des theologisch durchdachten Gedankengangs von R. 9-11 ist das m. E. unmöglich. I. Vgl. o. II, bes. II 3 Bö IV 3 A. B. 11 V gl. 0., III, bes. 111 2. '
402
IX. Die Z1llisGhen~eit bis ~1Ir Parune
Heidenchristen können nie diese Gnade als festen Besitz ergreifen (R. 11, 16ft".). R. 11, 25ft". endlich sagt Paulus mit seiner Zukunftsankündigung die im Christusgeschehen begründete (V.26f.) Gnade an Israel an. Ohne Kapitel 9, das anband des Alten Testamentes lehrt, daß Gott wirklich Gott ist, über den der Mensch nicht verfügen kann, und ohne Kapitel 10, das Israel- auch anband des Alten Testamentesden Mund verschließt, indem es zeigt, daß nach der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes in Christus jede Gesetzesgerechtigkeit nur noch unzeitgemäß, vergangen, usurpiert und "eigene" sein kann, ohne diese beiden Kapitel könnte die Zukunftsaussage von R. 11, 25ft". nicht als reine Gnadenansage, auf die sich niemand berufen kann und die doch Gott in seiner Treue schenkt, verstanden werden. Ohne den dialektischen Aufbau der drei Kapitel, in dem die verschiedenen Weisen des Paulus, Geschichte zu bedenken, zum Zuge kommen, könnte Paulus den zentralen Gesichtspunkt in seiner Frage nach Israel, daß es nämlich darin um die Frage nach Gott geht, nicht durchhalten. So aber ist seine Antwort auf die Frage nach Israel eine konkrete Auslegung der Gottheit des sich in Christus offenbarenden gnädigen Gottes.
REGISTER a) Autorenregister (Die ausführliche Literatumngabe befindet sich auf der jeweils zuerst genannten Seite. Abkürzungen für Zeitschriften und Reihen entsprechen der RGG') Aicher G., Allo E. H.,
Das A.T. in der Mischna: 45 1. Kor.: 117,119,121,156,339,341,346 2. Kor.: 132, 361, 362, 366 Rom. 8,28-30, RSPhTh 7 (1913): 253 Almquist: H., Plutarch: 238 Altbaus, P., Röm.: 19,22. 143, 194,209,243,244,377,380,393 149, ISS, 173, 189,191 Gal.: Ams1er S., L'Ancien Testament: 58,157 Typologie: 44, 52f., 71,118,119 Typologie, RThPh 37 (1949): 47,53 Audet, j. P., Testimonia, RB 70 (1963): 95 Auerbach E., Mimesis: 60 Figum, Archivum Romanum 17 (1938): 53, 60 Bacher, 'W., Agada I: 45 Terminologie: 111 Bachnuulß P., 1. Kor.: 116, 120, 121, 335, 341, 346, 348 2. Kor.: 361, 366 Baeck 1., Glaube, Paulusbild: 144 BalIa E., Ich der Psalmen: 159 BammdE., Judenverfolgung, ZThK 56 (1959): 290, 291, 320 Rechtsdenken, NTS 6 (1959/60): 184 Bandstr.IA.J., Law: 136,140,142, ISS, 160, 187,192 Barr J., Old and New: 53,61 Semantik: 14,18 25, 76, 81, 91, 112, 113, 140, 198, 243, 276, Barrett C. K., Röm.: 293, 371, 380, 382 First Adam: 14, 129, 179 Barth K., Röm.': 115,116,157,164, 172, 242, 291, 298, 375 Kurzer Röm.: 25,172,239,381 Auferstehung der Toten: 333, 334, 340 Christus und Adam: 205 Evangelium und Gesetz: 139 31,74,75,91, 139, 140, 141, 241, 242, 243, KD Il{2: 276, '1:17, 292 Bartsch. H.-W., 1. Cor 15,3-11, ZNW 55 (1964): 333, 334 Antisemitische Gegner, Antijudaismus : 22 Bauer J. B., R. 8,28, ZNW 50 (1959): 250 Bauemfeind 0., Art. TPEx6» XT).., ThW VIII: 76 Baumbach G., Qumran und das Joh.: 231, 232, 234 BaumglrtelF., Verheißung: 48,66,68 Baut F. C., Paulus II: 138,172,229
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RegJster
Gesetz, MThZ 15 (1964): 141f. Heil Gottes: 81,195,229,232,233,234 Art. ctl'TtEAOt;, ThW I: 274 Art. vou&m6l Kor).., ThW IV: 122 La loi, Ex~g~se et Th~ologie: 164, 165 BenoitP., Rom. VIII 23, RechSR 39 (1951/52): 271, 374 Betry R., 2. Cor 5,1-10, SJTh 14 (1961): 359, 362 Betz 0., Offenbarung: SO, 106, 107,286 Beyschbg W., Theodizee: 24,78,249 BietenhardH., Reich: 347 Billerbeck P., Abrahams Leben, Nathanael15 (1899); 16 (1900): 177 Black M., Approach: 58 Second Adam, SJTh 7 (1954): 196, 197 Rom. VlIT, 28, Festschr. Cu1lmann: 250 Bliser P., Gesetz: 140, 141, 142, 155, 160, 162, 171, 190, 191, 198,298 Schriftverwertung, ThQ 132 (1952): 47 Blank J., Krisis: 290 Blumentbal A. v., 'l'67tOt;, Hermes 63 (1928): 54 Böhl E., . Citate:. 65,77 Boer W. P. de. Imitation: 54, 120 Boman T., Das hebräische Denken: 18 Paulus abortivus, StTh 18 (1964): 389 BoneM. L., Paul's Use ofthe O.T.: 41 149, 155, 190, 281,285,286 Bonnard P., Gal.: 41,43, 44, 45, 49, 50, 62, 63, 66, 77, 80, 87, Bonairven J., Ex~g~se: 92,117,281 L'Evangile: 249, 357 Bombmm G., Anakoluthe, Aufs. I: 198, 210, 242, 246 Christus und die Welt, Aufs. I: 390, 391 Lobpreis Gottes, Ads. I: 26 Sünde, Aufs. I: 160,161,163,164,165, 166, 167 Verzögerung, Gedenkschrift Lohmeyer: 328 Vorgeschichte des 2. Kor., SAH 1961/62: 365 Philipperbrief, Festschr. Cullmann: 356 Art. I'ucm,PUlV, ThW IV: 286, 287 Bourke M. M., Röm. 11: 274 Bousset W., Kor.: 361 Gal.: 150,191 Antichrist: 328 Kyrios: 195 Schulbetrieb : 63 289,304 - und GressMann H., Religion: Brandenburger E., Adam und Christus: 159, 164, 165, 167, 195, 196, 198, 199, 202,203,205,209,334,336,348,353 Brandt W., Gesetz: 141, 142, 186 Bratsiods P., Notiz, NovTest 5 (1962): 26 Braumann G., Taufverkündigung: 118,338 Braun H., Gerichtsgedanke: 313,314 Qumran und das N.T. I: 161, 238 Qumran und das N.T. 11: 95, 100, 102, 103, 106, 217, 230, 232, 235,244,249,304 Heck I., Hecker J., Behm J.,
Antorenregist". Braun H.,
40S
Radikalismus: 229, 230 Randglossen, Ges. Studien: 221, 333, 334 Römer 7,7-25, Ges. Studien: 161 A.T. im N.T., ZThK 59 (1962): 116 Gal.: 141, 146, 149 Bring R., Erfüllung, KuD 5 (1959): 140 Gesetz, StTh 20 (1966): 140 BronsonD.B.,Paul and Rabbinic Judaism, JBL 83 (1964): 218 Brownlee W. H., Biblical Interpretation, BA 14/3 (1951): SO, 106 Bruce A. B., Paul's Conception: 25 Röm.: 293,381,393 Bruce F., Brütsch C., Question juive: 23 Brun L." 11 Cor. 5,1-10, ZNW 28 (1929): 361, 363, 367 Büchsel R., Art. ).ÖC4 Kor).., ThW IV: 363 Buffi~re F., H~raclite: 62 Bugge C. A., Gesetz, ZNW 4 (1903): 141,220 Bultmann R., Joh.: 221, 256 Geschichte und Eschatologie: 17, 18 Stil der paulinischen Predigt: 20, 42, 72, 73, 236, 353 31,36,66,125,136,137,187,192, 198,?J)2, Theol.: 211f., 268, 271, 293, 304, 313, 314. 337, 351, 370 Tradition: 57 Auferstehung, GI. u. V. I: 334, 341, 343 Bedeutung des geschichtlichen Jesm, Gl. u. V. I: 328 Christus des Gesetzes Ende, Gl. u. V. 11: 143f. Gnade und Freiheit, Gl. u. V. 11: 240 Geschichte und Eschatologie im N.T., Gl. u. V. m: t7, 36,269 Verstindnis der Geschichte, GI. u. V. IV: 'JZI Adam und Christus, Exegetica: 198, 203, 205, 208 Bekenntnis- und Liedfragmente, Exegetica: 344 ä~lOmNrJ &coü, Exegetica: 169 Glossen, Exegetica: 32,160 Heilsgeschichte, Exegetica: 14, 15, 143 Probleme, Exegetica: 363, 364, 365, 366, 367 Römer 7, Exegetica: 159,160,161 Typologie, Exegetica: 53, 55, 180 Art. y,~ax6) XT).., ThW I: 80, 230, 253 Art. neo<; Kor).., ThW 11: 76 Art. l).,;[t; Kor).., ThW 11: 323, 324, 325, 375 Art. &«v«TOt; Kor).., ThW 111: 348, 377 Art. ,;,mro6) Kor).., ThW VI: 211f. Burkitt F. C., 1. Cor. XV, 26, JThS 17 (1915/16): 340 BUrroWl' M., Ancient Israel, Idea of History : 12 Burton E. d. W., Gal. : 152, 155, 186, 189, 280 Calvin J., Röm., CR LXXVII: 85, 140, 164, 203, 292, 299 Campenhausen, H. v., Begründung, Aus der Frühzeit: 44, 106, 133,225 Carrez M., Signification, Oikonomia: 375 Cerfaux L., Tb~logie de I'Eglise: 95 122 Kyrios, Recueil I:
406
Register
Cenaux L..
Abrahsm, Recueil 11: 175 Privil~ge, Recueil 11: 271, 272, 273 Vestiges, Recueil 11: 99 CharIes R. H., Doctrine of a Futur Life: 346 Chame A., L'ina:Mulit~: 294 Gebrauch: 41,65 Clemen A., ClemenC., Reihet'lfolge, ThStKr70 (1897): 219 Auffassung des A.T., ThStKr 75 (1902): 42, 90,111 Cler S., Loi: 141, 151, 187 Cohen B., Letter and Spirit, HThR 47 (1954): 124 Art. Philo, RGG" V: 63 Colpe C., Conzelmann H., Apg.: 58 Eph.: 344 Mitte: 51, 290 Theol.: 44,393 Weisheit, NTS 12 (1965{66): 73, 94, 129, 168, 220, 259, 391 1. Kor. 15,~5, EvTh 25 (1965): 334 Art. Aufemtehung, RGG" I: 354 Art. Eschatologie, RGG" 11: 136 Art. Reich Gottes, RGG" V: 346 Coppens J., Mysthre, Litt~mture: 286, 287 Arguments acripturaires, Anal. BibI. 17-1811: 124, 133 Com~ly R., Röm.: 27, 242, 245, 248 Cmnfield C. E. B., Law, SJTh 17 (1964): 142 Cullmann 0., Christologie: 282 ChristuS und die Zeit: 14, 140, 143, 361 Heil als Geschichte: 14,15, 17f., 135, 278f., 390 Königshemchaft: 346,347 Unsterblichkeit: 361 Missionsauftmg, Aufsätze: 289, 290 Vorwegnahme, Aufsätze: 213 Dahl M. B., Dahl N. A.,
Resurrection: 333, 334 Volk Gottes: 42, 81, 270 Gti. 6,16, Judaica 6 (1950): 270 Beobachtungen, N.T. Studien R. Bultmann: 87, 88, 110, 137, 152 Dalmer J., Erwählung: 235 Erwählungslehre, Greifswalder Studien H. Cremer: 235 Daniell E. H., Rom. VlII,28, ET 61 (1949{5O): 250 DanWou J., Sacmmentum futuri: 60 Davidson F., Predestination: 235,248, 252, 253 Davies J. G., Parousia, JThS ns 14 (1963): 328 Davies W. D., Paul and Rabbinic Judaism: 141,144,195,220,221,222,290,327, 364,378 Tomh in the Mesaianic Age: 144, 145 Davies W. H.,Anathema, RevExp 31 (1934): 26 D~ut R. te, Tradition, Bibi 42 (1961): 128 DeissmannA., Licht vom Osten: 199 Paulus: 159 Deissna: K., Auferstehungshoffnung: 301, 307, 320, 361, 362 MlAAEIDTm:, RThPh ns 38 (1950): 26 DBayE., Delling G., Gottesdienst: 42, 373
Atdorenregisler DeIling G.,
407
Zeitverständnis: 18,347 Art. -fJ!dPOt, ThW 11: 313 Art. nA-Ijp1J~ X'fA., ThW VI: 291 Art. GW~XiCol X-fA., ThW VII: 155 Art. -ra.crcrCol X'I"A., ThW VIII: 190, 339 Art. 'I'&.o~ X'I"A., ThW VIII: 121, 140, 141, 339 141,164,217,219 Dcmann P., Moses: Dibelius M., Thess.-PhU. : 150, 290, 322, 328, 330, 356, 357 Jak.: 178, 252 Geisterwelt: 155 Paulus: 77 Dietzel A., Beten im Geist, ThZ 13 (1957): 381 DietzfelbiJ:lger C., Heilsgeschichte: 16, 18, 81, 135, 153, 154, 179, 180. 183, 185, 188,204,206,207,208 Paulus und das A.T.:66, 83, 84, 111, 178, 184, 190 Dillmann -. Baal, Monatsber. Akad. Wiss. Berlin 1881: 80 Dinkler E., Earliest Christianity, Idea of History: 87, 224, 278 Jesu Wort, N.T. Studien R. Bultmann: 179 Prädestination, Festschr. G. Dehn: 25,36,180,230,231,235,246, 251,270 Art. Geschichtsverständnis, RGGI 11: 17 Dion H. M., Predestination, RechSR 53 (1965): 235, 251,252, 253 Dittmar W., Vetus Testamentum: 41,44 Dobschütz E. v., Thess.: 318,322,323, 3Z1, 328, 330 Prädestination, ThStKr 106 (1934/35): 78, 235, 253, 254 Schriftbeweis, ZNW 24 (1925): 98 Dodd C. H., Röm.:· 16, 19f., 139, 171, 202, 239, 250, 289, 293, 371,372,377,393,394 Historical Tradition: 363 Scripmres: 95, 98, 100, 101 The Mind ofPaul 11, N.T. Studies: 219, 357 133 Doeve J. W., Hermeneutics: DubarlelL.M .• Rom. 8,19-22, RSPhTh 38 (1954): 370 Duhm B.. Jes.: 238 Duncan G. S., Gal.: 152, 280, 285 Dupont J., Gnosis: 235,253 Syn Christo: 306, 309, 310, 319, 359, 360, 361, 362, 363. 364,369 Stnlcture litt&airc, RB 62 (1955): 19, 28 Ebeling G., Eckart K. G., Eichholz G., Eichrodt W.,
Eissfeldt 0., EIliger K., Elliott J. H.,
Wesen: 331 Existenz, ZThK 62 (1965): 296 Art. Geist und Buchstabe, RGGI 11: 123, 124 Zweiter echter Brief, ZThK 58 (1961): 318,330,331 Prolegomena, Tradition: 23 Theol. I: 76 Theol. II: 271 Heilserfahrung, ThZ 12 (1956): 18, 223 Typologische Exegese, Probleme: 33 Einleitung: 159 Studien: 50,103,107 Elect and Holy: 95, 96
408 Ellis E.,
Ellwein E., Esh S.,
Register Paul's Use: 41,44,47,79,90,94,95 Jesus, the Sadducees, NTS 10 (1963/64): 304 Note, NTS 2 (1955/56): 103 1. Cor. 10,4, JBL 76 (1957): 118 2. Cor. V, 1-10, NTS 6 (1959/60): 359, 362, 364, 366 Römer 7, KuD 1 (1955): 161 Der Heilige: 27
53 Fairbaim P., Typology: FawC.E., Writing, JBL 71 (1952): 318 Evangelium: 141,220 Feine P., 28 Paulus: Theol.: 195,253,301,357,362 s. bei Kümmel - und Kümmel W., Einl.: FeuiUet A., Christ Sagesse: 91,118,120,197,259 Demeure dIeste, RechSR 44 (1956): 362, 363, 364 Plan salvifique, RB 57 (1950): 20, 28, 29, 31, 35, 140 79 Fichtner J., Weisheit: Glaube und Geschichte, ThLZ 76 (1951): 46 Stellung, ZNW 36 (1937): 79 FischerK.M., Bedeutung des Leidens: 333, 366, 369, 385, 396 Fitzer G., Art. ~qlplrYlc XT).., ThW VII: 179 Fitzmyer J. A.,O. T. Quotations, NTS 7 (1960/61): 103 4Q Testimonia, ThSt 18 (1957): 95 2. Cor. 6,14-7,1, CBQ 23 (1961): 99 Flusser D., Dead Sea Sect, Scripta Hiersolymitana 4: 96 Foerster W., Art. xTI!:", XT).., ThW 111: 379 - und Fohrer G., Art. atjJ!:", XT)~, ThW VII: 256, 257 Fohrer G., Prophetie und Geschichte, ThLZ 89 (1964): 12, 108 Art. ul6c XT).., ThW VIII: 271 Frame J. B., Thess.: 290,327,328 Freebom J., Eschatology, Studia Ev. 11: 342, 343, 346 Freundorfer J., Erbsünde: 195 57 Fridrichsen A., Miracle: Friedrich G., Christus Einheit und Norm, KuD 9 (1963): 196 Gesetz des Glaubens, ThZ 10 (1954): 142, 170, 173 Tauflied, ThZ 21 (1965): 310 Röm. 5,13, ThLZ 77 (1952): 199 Gegner, Festschr. O. Michel: 128,217 Art. npocpirnllO XT).., ThW VI: 170 Fuchs E., Christus und der Geist: 143,392 Freiheit: 163, 164,371, 374, 378, 381, 382 Hermeneutik: 54,86, 135, 180 Auferstehungsgewissheit, Aufs. I: 333, 337 Christus das Ende der Geschichte, Aufs. 11: 18, 143, 226 Sprache, Aufs. 11: 324,386 Sprachereignis, Aufs. 11: 13 Theologie und Jesus, Aufs. 11: 141, 151, 180 Christusverständnis, Aufs. 111: 397 Hermeneutik?, Aufs. III: 318,331 Römer 7,7-12 und 21-23, Aufs. 111: 11, 159 FuIler R. H., Foundations: 197
Atllorttlf'egister
Gabathu1er H. J., Chrismshymnus: 221 Gadamer H. G., Wahrheit und Methode: 17 Art. Geschichtsphilosophie, RGG' 11: 14 Girtner B., Habakuk Commentaty, StTh 8 (1955): 97 Gäumann N., Taufe und Ethik: 169 Gale H. M., Analogy: 277 Galley K., Hellsgeschehen: 54,58,108,120,121,136,194,225 Gaugler E., Röm. I: 159,172,198,202,249,371,381,382 23, 25, 29, 74, 75, 76, SO, 112, 139, 143, 237, Röm. 11: 243,268,276,393,394 Gebet der schwachen Gemeinde, IKZ 51 (1961): 370, 375, 381 Georgi D., Gegner: 44,63,126,128,129,130,132, 256, 257, 388 Kollekte: 291,391 Phil. 2,6-11, Zeit und Geschichte: 218, 220 Rez. Schmithals, VF 1958/59: 365f. Gerber U., Röm. VIII, 18ff., NovTest 8 (1966): 370 Giese E., Römer 7: 160, 161 Glasson T. F., Second Advent: 291,357 Glatzer N. N.,Anfinge: 109 Untersuchungen: 45,46, 47, SO, 61, 63, 83, 84, 85, 204, '1Z7, 228,246, Glock J. P.; Gesetzesfrage: 141 Glombitza 0., Apostolische Sorge, NovTest 7 (1964/65): 293 Gnilka J., 2. Kor. 6,14-7,1, Festschr. J. Schmid: 365 Godet F., Röm. I: 209 Röm. 11: 242, 248, 293, 377, 380, 393 Goguel M., Foi lla R~surrdction: 360 Conversion, JBL 53 (1934): 150 Fondements, RHPhR 17 (1937): 249 Paulinisme, RThPh II111 (1951): 149 Caractere du salut, Festscbr. C. H. Dodd: 306 Goppelt L., Apostolische Zeit: 388 Christentum und Judentum: 290,292 52,55,56,57,58,63,180 Typos: Apokalyptik und Typologie: 52, 53, 54, 57, 88, ISO, 217 Paulus und die Heilsgeschichte, NTS 13 (1966/67): 14, 114, 135194,206,299 Art. lfEyr.» Kor).., TbW VI: 119 Art. ~ Kor).., ThW vm: 54, 56, 57, 59, 120 Gtafe E., Gesetz: . 141, 142, 218 Verhiltnis, Theol. Abhandlungen C. v. Wei2sic:ker: 79, 237 Grant R. M., Letter and Spirit: 62, 63, 124 Grayston K., Election, Studia Ev. 11: 250, 251, 286,379 Greeven H." Gebet und Eschatologie: 3SO, 381, 382 Kirche, KuD 10 (1964): 313 Griffith G. 0., Röm.: 34 Griffiths J. G., Rom. VIII, 28, ET 61 (1949/50): 2SO Grosheide 11. W., 1. Kor.: 121,339,341,346,347,348 Romeinen 11, 26, GThT 53 (1953): 293 Grundmanrl W., Gesetz, ZNW 32 (1933): 141, 149, 187 Paulus aus dem Volke, NovTest 4 (1960/61): 293-, 390f. überlieferung und Eigenaussage, NTS 8 (1961/62): 353
410
Register
Gtundmann W., Sohnschaft, In Disciplina Domini: 224, 282, 378 Art. aUv XT).., ThW VII: 356, 370 Güttgemanns E., Apostel: 137,212,213,214,312,333,334,337,366, 369,385,389,396 Guntermann F., Eschatologie: 301,304,310,320,356,357,361,362 Gutbrod W., Anthropologie: 162, 201, 254, 378 Art. 'Iapai). XT).., ThW I1I: 269, 270, 290 Art. v6lLo~ XTÄ., ThW IV: 141, 143, 170, 172, 189, 199 Last Things: 315 Guy H. A., HaenchenE., Apg.: 217 H!ring Th., Röm.: 25, 30, 139 HahnF., Hoheitstitel: 310,346 Mission: 290, 389, 391, 392 Hahn W. T., Mitsterben: 60 Hamilton F. E., Röm.: 71,254 Hamilton N. Q., Holy Spirit: 132 Gal. 3, 11, ZNW 34 (1935): 150 Hanse H., Hanson R. P. C., Allegory: 56,62,63 HArder G., Paulus und das Gebet: 381 Harnack A. v., Das Alte Testament, SAB 1928: 41, 42, 89, 94, 102, 286 Hams R., Testimonies I: 95,96 99,111 Testimonies 11: Essays: 95 Hatch E., Sittliche Rechtfertigungslehre: 141, 142 Haufe C., Gesetz, ThLZ 91 (1966): 142 Hauaser P., Autorit~ de l'Ecriture: 81, 86,92,127 Hay D., Psalm 110: 344, 345, 371 Hegermann H., Schöpfungsmitt1er: 221 Das hellenistische Judentum, Umwelt I: 63 68,215 Heidegger M., Sein und Zeit: Heidland H. W., Anrechnung: 178 Heinemann J.,Allegoristik: 53f., 61, 62, 63 Wissenschafdiche Allegoristik, Mnemosyne 4/2 (1949): 61, 62 Heinisch P., Einftuß Philos: 61,63 228 Helfgott B., E1ection: Hellbardt H., Telos, EvTh 3 (1936): 140 1. Kor.: 256, 339, 346, 347 H&ing J., 309, 361, 362 2. Kor.: Deux r~surrections, RHPhR 12 (1932): 334, 339, 348 Hermann I., Kyrios: 124, 132, 335 Hemtrich V., Art. >.Et'1L1J4 XTÄ., ThW IV: 81 Hetdinger R. F., 2. Cor. 5,1-10, SJTh 10 (1957): 359, 360 Hoffmann P., Toten in Christus: 304,306,318, 326, 328,337,338,341,355, 356, 357, 359, 362, 363, 364, 366, 367 Holu T., Christologie: 329,370,375 Selbstverständnis, ThLZ 91 (1966): 100, 109, 391 Holtzmann H. J., Theol. 11: 216,218,237,254,301,307,327,347,357, 360,361 HommelH., Römer 7, ThViat 8 (1961/62): 162 14,28, 137 HoppeTh., Heilsgeschichte: Horst F., Art. lJ4)(Po&ulL!rt XT).., ThW IV: 243
Auforeflregister
Huby .J., Röm.: Hühn E., Citate: Hug, H., Volk Gottes: Hughes P. E., 2. Kor.: Hummel R., Auseinandersetzung: Hunt 13. P. W. 5., Gospel Soutces: Hunte!: A. M., Predecessors: Iturbe J. C.,
411
32, 69, 139, 243, 293, 381, 393 41,293 268,292, 293 131,361,363 290 95,97 95,282,291,327
Omnis Israel, Anal. BibI. 17-18: 292
104, 105, 106, 107 Jeremlas G., Lehrer: Jeremlas J., Unbekannte Jesusworte: 326, 3'1:1, 329 Flesh and Blood, Abba: 353, 354 Gedankenführang,Abba: 19,28,44, 86, 175,203 81 Rest, Abba: Johannestaufe, ZNW 28 (1929): 118 OMOE, ZNW 52 (1961): 184 Art. ).!.&ot; Kor).., ThW IV: 97 Art. MfI)l.lG'ijt;, ThW IV: 55, 59 Imago Dei: 166,250, 251, 374 Jervetl J., Anthropological Terms: 213 Jewett R., Dialectique, Nova et Vetera 36 (1961): 293 Joum:tC., 19,27,34,74, 115, 139, 143, 157, 166, 171, Jülicher A., Röm.: 194, 199, 239, 241, 244, 251, 276, 291, 292, 293 96 - und Fascher E., Einleitung: JUngel E., Paulus uljld Jesus: 187, 316 Gesetz, ZThK 60 (1963): 71,193,199,200,202,203 Kabisch R.,- Eschatologie: 301,307,320,361 Käser.aann E., Jesu letzter Wille: 221 Legitimltät: 389 Anliegen, Aufs. I: 118f. Kritische Analyse, Aufs. I: 345, 352 Taufliturgie, Aufs. I: 347 Apokalyptik, Aufs. 11: 213, 261, 302, 309, 346, 350, 351 Gottesgerechtigkeit, Aufs. 11: 25, 302 Neutestamentliche Fragen, Aufs. 11: 334 Sitze heiligen Rechts, Aufs. 11: 327 Schrei nach Freiheit, Apophoreta: 370, 380, 381, 382 Masoreten des Westens 11: 93 Kahlf' P., Kaiser 0., Jes.: 62 137 Kamlah E., Par/inese: Buchstabe, EvTh 14 (1954): 91, 124, 127 Kamlah W., Geschichtlichkeit: 144 Kam:tzki M., Zitate: 49 Kaut:~sch A. F., De Veteris Testamenti: 41 Kennedy H. A. A., Last Things: 301,303,313,330,361 Kertelge K.., Rechtfertigung: 14f., 136, 137, 142, 204, 238, 312 Kittel G., Art. 3oxifl) Kor).., ThW 11: '1:11 Art. )Jyfl) Kor).., ThW IV: 3'1:1 Klawlner· J., Paulus: 218 Zwölf Apostel: 388 Klein G.,
Register
412
Exegetische Probleme, EvTh 24 (1964): 115, 168, 170, 171 Gottes Gerechtigkeit, VF 12 (1967): 170 Individualgeschichte, EvTh 24 (1964): 148, 152, 153, 156, 280 Römer 4, EvTh 23 (1963): 153, 168, 169, 170, 171, 173, 177, 180f. Knopf R., Pm. Jud.: 96 Knox J;, Rom. 15,14-33, JBL 83 (1964): 391 Knox, W. L., Gentiles: 34,118,220,360 Koch K., Geschichtsdenken, HZ 193 (1961): 227 Abraham-Midraschimkette, WZ Rostock 2 (1952/53): 280 Koepp W., Köster H., Herrenworte, ZNW 48 (1957): 329 Kraftischen R., Prädestinationslehre: 22 Kramer W., Christos: 95, 110, 114, 160, 214, 295, 306, 308, 310, 313, 325, 326, 328, 329, 343, 371, 388 159 Kraus H. J., Klagelieder: 34, 72, 96, 139, 159, 172, 175, 199, 203, Kühl E., Röm.: 209, 237, 242, 243, 244, 251, 253, 277, 289, 292,380 Rechtfertigung: 316 361, 362 2. Kor. 5,1-10: Gesetz, ThStKr 67 (1894): 141, 192 Theodi2:ee, Theol. Stud. B. Weiss: 24, 69, 242 43, 219, 285,318 Kümmel W. G., Einleitung: 158, 159, 161, 164, 165, 166 Römer 7: Jesus und Paulus I, Heilsgeschehen: 27, 316 Heilsgeschehen: 219 Jesus und Paulus Dfipc~, Heilsgeschehen: 169 Problem der Thess., Heilsgeschehen: 290, 318 Rez. Neugebauer, ZRGG 14 (1962): 213 Art. Schriftauslegung, RGG" V: 57 Art. Weissagung und Erfüllung, RGG" VI: SO Ktirzinger J., Röm. 7, BZ NF 7 (1963): 160 KublmllllD G., Theologia naturalis: 201 Kuhn H. W., Enderwartung: 231,232,385,386 Kuhn K. G., DllpCl"1J.6~ ZThK 49 (1952): 161 Sektenschrift, ZThK 49 (1952): 231, 232 Rörn.: 12, 14, 16, 114, 159, 161, 162, 164, 172, KUls 0., 175, 194, 198, 199, 306 202 Röm. 5,12-21: Geschichtstheologie, ThGI46 (1956): 16 Nomos, MThZ 17 (1966): 142, 151, 161,219,226 Klein G.,
n.
:Laam M.F., Rom. VIII, 24, Lagrange M.J., Röm.:
M~m.
A. Gelin: 375 31, 32, 70, 71, 74, 76, 77, 81, 139, 164, 166, 203, 210, 239, 242, 293 GIII.: 150,187,189,283,284 Lampe G. W. H., Typology: 62 212,228,229,231,235,254 Larsson E., Vorbild: Ual J., Deinde Finis, VD 37 (1959): 339, 346 Weisheitstraditionen, VT 15 (1965): 195, 196 Lebram J., 30,74,75,140,164,199,202,241,245,293 Leenhardt F. J., Röm.: !.einlud Ro, Conqueror: 337, 345 Leogsfeld P., Adam und Christus: 53,200,205
AmorenreglJler
413
Lewis E., Licht J.,
Theodicy, Interpretation 11 (1957): 370, 374 Thanksgiving Scroll, IEJ 6 (1956): 231, 233 Analysis, Scripta Hierosolymitana 4: 230, 233 Nedabah, Studies in memo E. L. Sukcnik: 230 Liechtenhan R., Vorherbcstimmung: 235, 236, 251, 253 Lictzmann H., Röm.: 22, 27, 110, 112, 115, 139, 171, 173," 202, 203,210,242, 245, 276, 293, 297, 370, 371, 377,378,381,393 Gal.: 152, 155 118,119,120,121,132,133,196,256,269. - und Kümmel W. G., Kor.: 309,335,339,347,348,361,362,364,375 Ligier L.., Poch~ d'Adam II: 199,200,209 Lindars :6., N. T. Apologetics: 90,95,97,101,103,280 Ljungrntn H., Pistis: 32,93,140 Lövcstarn E., Spiritual Wakefulness: 313 Löwy M., Gesetz, MGWJ 47 (1903); 48 (1904): 141, 144, 149, 178,216,217 Lohmeyer E., Phil.: 357 Grundlagen: 140, 143, 216 Gcsctzcswerke, Probleme: 147, 165 :ErN XPI:ETru, Festschr. Deissmann: 305 Lohse E., Ursprung und Prägung, ThZ 9 (1953): 388, 391 Art. ul6~ x~).., ThW VIII: 271 Lührma:rm D., Offcnbarungsverständnis: 87, 88, 168, 169, 194, 244, 259, 260, 287,388 22, 34, 172 Lütgcrt W., Röm.: Die Vollkommenen: 320 Lundbcl:g P., Typologie \)aptismale: 118 Luther M., Röm., WA 56: 74,75,82,140,292,378 Vorrede zum R., WA DB 7: 193 Luz U., Aufbau, ThZ 25 (1969): 20, 21, 43, 163, 209,376 Bund, EvTh 27 (1967): 46, 57, 58, 59, 67, 124, 126. 128, 130, 131, 133, 138, 283, 284 Entmythologisierung, EvTh 26 (1966): 110,334 19 Lyonnet S., Gal. Röm.: Quaestiones II: 78,140,293,393 Doctrina, VD 34 (1956): 70r., 248 L'histoire du salut, Bibi 43 (1962): 164, 166 Note, RechSR 39 (1951): 19 Rom. VII,7, Festschr. O. Cullmann: 166 Rom. 10, 6-8, M8. A. Robert: 91, 93 Maass F., Schriftauslegung, ZThK 52 (1955): 62 Maier F. W., Israel in der Heilsgeschichte: 19,28, 29, 30, 32, 33, 65, 157,241, 249 Ps. 110, BZ 20 (1932): 340, 344 Maier J., Texte II: 104,274 Marmorstein A., Paulus und die Rabbinen, ZNW 30 (1931): 195, 198 Marsh J., Fulncss: 18 Martclct G., Sacrements, RechSR 44 (1956): 117, 119, 122 42,280,284,356 Marxsen W., Einleitung: Massofl C. H., Thcss.: 290, 318, 319, 322, 328 . . 142, 147, 267, 304, 312, 313, 314, 316, 371 Matterll L., Gericht:
414 MaurerC.,
Register
Gal.: 189,191 Gesetzeslehre: 16, 139, 141, 187, 200 Schluß ,a minore', ThLZ 85 (1960): 129 Art. ~(~ct, ThW VI:. 274, 275 Art. mceilo~, ThW VII: 242, 243 Art. 'rUh)(.L1 X'rA., ThW VIII: 234f., 252 Metzger B. M., Index: 27 Formulas, JBL 70 (1951): 103 Meyer R., Art. nEpl-d(.Lv(J) X'rA., Th\V VI: 179 Art. npoql-frnlc; x'rA., ThW VI: 49 Michaelis W., Phil.: 357 Versöhnung des Alls: 291, 292 Johannestaufe, Judaica 7 (1951): 118 Art. mt."vI) X'rA., ThW VII: 364 Michel 0., Röm.: 21, 22, 27, 30, 32, 66, 74, 75, 80, 92, 111, 112, 113, 139, 159, 168, 171, 173, 174, 175, 176, 180, 183, 199, 209, 217, 238, 242, 243, 245, 249, 250, 252, 270, 289, 291, 293, 295, 297, 371, 372, 377, 378, 380, 390, 391, 393 Hebr.: 46, 64, 311 Paulus und seine Bibel: 41, 44, 69, 71, 77, 80, 85, 95, 96 1. Thess. 2,14-16, Antijudaismus: 290 Art. otxo~ X'rA., ThW V: 363 Mineat P. S., Chtistian Hope: 325 Mitton C. L., Rom. VII, ET 65 (1953/54): 160, 161 Modalsli 0., Gal. 2,19-21, ThZ 21 (1965): 161 Möller H., Röm. 7, DTh 6 (1939): 160 Moffatt J., 1 Kor.: 120,339 301, 304, 341, 348 Molitor H., Auferstehung: Moltmann J., Theologie der Hoffnung: 324 Moore A. L., Parousia: 323 Moore G. F., Judaism I 100, 165, 195, 221 Judaism 11 142, 304 144, 149 Judaism III Müller C., Gottes Gerechtigkeit: 22, 29, 31, 65, 74, 75, 81, 96, 165, 167, 232, 235, 238, 240, 242, 270, 278, 298, 372 Müller F., Marginalien, ZNW 40 (1941): 32 Müller H., Auslegung: 44,53,54,120,133,185,281 Qal-Wachomer-Schluß, ZNW 58 (1967): 136, 200 Müller K., Zuvorersehung: 235,253 Müller K., Art. Allegorische Dichtererklärung, Pauly-W. Suppl. 4: 61, 62 Mündetlein G., Interpretation, KuD 11 (1965): 373 Muller-Duvernoy C., Probl~me juif: Judaica 15 (1959): 23, 34 Munck J., Christus und Israel: 21, 24, 29, 31, 70, 77, 80, 242, 244, 293 . Paulus und die Heilsgeschichte: 24, 80, 389, 390, 392 Paul, the Apostles, StTh 3 (1949): 388 1. Cor. 15,8, N. T. Essays: 389 Mundle W., Glaubensbegrift': 154 Zwischenzustand, Festgabe Jülichet: 363, 364 Mutalt L. V" Vetstehen, Der Historiker und die Geschichte: 11 Murmelstein B., Adam, WZKM 35 (1928): 195, 198 Mutray J., Röm. I: 160
Autorellregister Murray J., Mussner F.,
415
Röm.lI: 27,242, 393 51, 164 Jak.: Beiträge aus Qumran, Festscbt. J. Schmid: 2fr1
Nauck ~7., Tradition und Charakter: 161 Nepper-Christensen P., Herrenwort, StTh 19 (1965): 326, 3'r1, 328, 329 Neugeba.uer F., In Christus: 67,141, 154,213 In Christo, NTS 4 (1957/58): 213 Nikolainen A. T., Auferstehungsglauben I: 304, 341 Auferstehungsglauben 11: 301, 304, 357, 363 229 Nilsson M. P., Religion 11: Noack EI., Current and Backwater, StTh 19 (1965): 20, 401 Nötsche:r F., Auferstehungsglauben: 3M, 341 Terminologie: 104,230,286,304 Schicksalsglaube, BZ NF 3 (1959); NF 4 (1960): 229, 230, 233 Schicksal und Freiheit, BibI. 40 (1959): 229 26,351 Norden E., Agnostos Theos: Geschichtsverständnis, Ges. Studien: 227 NothM., 30, 82, 114, 143, 160, 161, 171, 180, 193, Nygren A., Röm.: 197,198,242,245,249,375,376,377 118, 141, 145, 150, 152, 155, 184, 187, 189, OepkeA., Gal.: 190, 199, 280, 285 Thess.: 330 291 Gottesvolk : Art. ßlim(o) XTA., ThW I: 118 Art. 86(0) XTA., Th W 11: 363 Art. nctpoua!at XTA., ThW V: 310 Oestem:icher J. M., Israels Misstep, Anal. Bibi. 17-18 I: 25 Ogara P., Ex ipso, VD 15 (1935): 26 Oke C. C., Rom. 8,23, Interpretation 11 (1957): 377 Ott H., Art. Heilsgeschichte, RGG" IU: 14 Otto R., Das Heilige: 238 Packer J., Rom. 7, Studia Ev. TI: 160 Pallis A., Röm.: 92, 112, 139, 165, 203, 209, 242, 288 Pannenberg W., Christologie: 398 Einsicht und Glaube, ThLZ 88 (1963): 257 Heilsgeschehen, KuD 5 (1959): 115 Petersoll E., Kirche aus Juden und Heiden: 19,23,28,69,74 Pfeifer G., Hypostasenvorste1lungen: 220 Pfister F., UroIJ(&iat, Philologus 69 (1910): 155 PB.eider,~r 0., Paulinismus: 142, 165, 191,218,351 Plummc:r A., 2. Kor.: 309,361 Pope H., Rom. 10,13-21, JThS 4 (1903): 32 Popkes W., Christus traditus: 114, 371 Porter F. C., Apocalyptical Conceptions, JBL 41 (1922): 100 Th~ol. 20,237,242,248 Prat F., Preiskel: H., Art. ~AAOY~(O), ThW 11: 199 Prigent P., Testimonia: 59,97 Prümm K., Diakonia Pneumatos 11/1: 66, 128, 362 Röm. 1-11, BibI. 31 (1950): 124 Quispel. G., Zeit und Geschichte, ErJb 20 (1951): 18 .
416
Regisler
Rad G. V.,
Theol.lI: 49,54,55,56,60,227 Typologische Auslegung, EvTh 12 (1952/53): 47, 53, 60 Reicke B., The Law, JBL 70 (1951): 155 Röm. 11,28, Judaica 14 (1958): 296 Reitzenstein R., Mysterieoreligionen: 252, 366 RendtorffR., Henneneutik des A. T., ZThK 57 (1960): 13 Rengstorf K. H., Paulus, Studia Ev. 11: 34,81 Art. d.nocrri>.>.CiI XTA., ThW I: 119 Art. BcBtilJXCiI XTA., ThW 11: 110 ReumllDn J., OIKONOMIA = Covenant, NovTest 3 (1959): 14 Ridderbos H., Ga!.: 184, 189 Israel in het Nieuwe Testament: 292 Rigaux B., Thess. : 320, 322, 323, 326 Paulus: 319,388 Rh&tion, NTS 4 (1957/58): 286, 288 Rissi M., Was ist: 18 Robertson A. und Plummer A., 1. Kor.: 339, 355 Robinson J. A. T., Body: 212 Rössler D., Gesetz und Geschichte: 45, 143, 145, 165, 179, 218, 227, 234f. Rutishauser P.: 268 Sahlin H., New Exodus, The Root of the Vine: 120 Sanday-W. - Headlam A., Röm.: 22,27, 32, 80, 81, 164, 171, 176, 202, 242, 295, 375, 377, 378, 379, 393 SandmeI S., Philo's Place: 65,178 SII88 G., Apostelamt: 392 Zukunft: 66, 115 Sautet G., Schelkle K. H., Pett.: 58 Meditationen: 198,293 Paulus Lehrer der Väter: 21, 26, 78, 248, 276 Erwihluog und Freiheit, ThQ 131 (1951): 239 Henneneutische Zeugnisse, BZ NF 6 (1962): 117 Schille G., Liturgisches Gut: 344 Schlatter A., GeIl.'Chtigkeit: 21,25,92, 113,139,157,160,165,199,251, 378,393 Korinthische Theologie: 334 Paulus der Bote: 120,121, 122, 339, 341, 347, 361 Schlier H., Gal.: 145, 149, 152, ISS, 171, 187, 189, 190,281, 285 Eph.: 14,286,344 Doxa, Anal. Bibl 17-18: 271, 272 Mysterium, Zeit der Kirche: 272f. Art. \i«&o.. XTA., ThW I: 377 Art. 1i~Ii«L~ XTA., ThW I: 67 Schmid J.. Zitate, BZ NF 3 (1959): 92 Schmidt H., Auferstehungshoffnung: 335, 361 Schmidt H. W., Röm.: 23, 76, 113, 115, 164, 171, 199, 242, 378, 380,393 23,295,297 SchmidtK. L .• Judenfrage: Ventockung, ThZ 1 (1945): 78 Art.d.nCil&~,ThWI:33
Art. xWJ:CiI XTA., ThW III: 65
417 360 388 129, 132, 259, 332, 333,337,338,353, 363, 364,365,366 Paulus und Jakobus: 217 Häretiker in Galatien, Pis. und die Gnostiker: 219,280 Situation der Thess., Pis. und die Gnostiker: 318, 319, 320, 321 Der historische Jesus, ZNW 53 (1962): 96 Schmitz 0., Abraham, Festschr. A. Schlatter: 177, 178 Schnackenburg R., Heilsgeschehen: 305 Schneidet B., Letter, CBQ 15 (1953): 123, 124 Schneide:r G., Neuschöpfung: 378,379 Schneider J., Art. mp6l!U', ThW 11: 389 Art. 7I:Clpatßatlv6l XT)., ThW V: 187 Art. GUI/«l;6l XTA., ThW VII: 377, 378, 380 Schniewind J., Leugner, Nachge1assene Reden: 334, 342, 353 Seufzen, Nachge1assene Reden: 370, 377, 381, 382 - und F:riedrich G., Art. 17l:atyyillCol XT).., ThW 11: 66, 68 Schoeps H. J., Paulus: 16,24,145,149,162, 195, 217,275,302,357 Pis. als rabbinischer Exeget, Aus frühehr. Zeit: 69 SchonfieJ.d H. J., Jew ofTarsos: 391 Schrage W., Einzelgebote: 106,327 Ekklesia, ZThK 60 (1963): 325 SteIlung, ZThK 61 (1964): 314 Scltteibel: J., Kreuzigungsbericht: 342 Schrenk G., Der göttliche Sinn: 29 Weissagung: 292 Geschichtsanschauung, Studien: 14, 16 Israel Gottes, Judaica 5 (1949): 270 Missionsdokument, Studien: 21 Segenswunsch, Judaica 6 (1950): 270 Art. !8IXOC;., ThW I: 73, 74 Art. ß~POC;., ThW I: 366 Art. 'YPoitp6l XT).., ThW I: 97, 123, 124 Art. lV'rillo!U'1 x-r).., ThW 11: 165 Art. >.!y6l x-r).., ThW IV: 82 Art. >.Ei!L!U' XT).., ThW IV: 81 Schubert: K., Auferstehungslehre, BZ NF 6 (1962): 304 Schubert: P., Form and Function: 318f. Schürer B., Geschichte 11: 304 Schutz 0., Gal. 3, ThStKr 75 (1902): 186, 191 Schutz S., Decke des Moses, ZNW 49 (1958): 128 Rechtfertigung, ZThK 56 (1959): 231 Schunack G., Problem des Todes: 139,142,162,163,166,202 Schwantes H., Schöpfung der Endzeit: 26, 115, 238, 342, 370, 377, 379 Schweit2:er A.,Mystik: 24,26,145,217,299,302,319,347,357,361 Schweizc:r E., Markus: 51 Ego Eimi: 274 Erniedrigung: 304 Gemeinde: 274 . Gegenwart des Geistes, Neoteatamendca: 231 Homologumena, Neoteatamentica: 196, 197, 212, 274
SchmJedc:l P., Thess.-Kor.: Schmithals W., AposteJsmt: Gnosis:
418
Register
Schweizer E., Missionary Body, Neotestamentica: 391 Priiexistenzvorstellung, Neotestamentica: 92, 118,220 Interpretation des Röm., EvTh 22 (1962): 390, 391 Messiasgeheimnis, ZNW 56 (1965): 287 Mystik, EvTh 26 (1966): 68, 306, 356, 370 Sendungsformel, ZNW 57 (1966): 282 Interpretation des Kreuzes, Mc!:l. M. Goguel: 214 Rez. Schmithals, ThLZ 87 (1962): 388 Art. 'lfYwjLCI 1("1').., ThW VI: 119, 132, 213, 231, 354 Art. alip; 1("1').,., ThW VII: 66, 174, 269, 354 Art. aii>jLCI 1("1').., ThW VII: 58, 196, 212, 305, 307, 309, 354, 364, 366,374 Art. ul6c; 1("1'">.., ThW VIII: 271, 282, 344, 346, 352, 372 Scott E. P., Kol.-Eph,: 345 Scroggs R., Last Adam: 166,205 Seesell1llll!1 H., Art. mtpClt 1("1').,., ThW VI: 121 Selwyn E. G., Pett.: 96, 97 Sevenster J. N., Zwischenzustand, NTS 1 (1954/55): 357, 362 Remarks, Studia Paulina: 351f., 364, 366 302, 313, 347, 357 Shires H. M., Eschatology: Siber P.: 267 Sieffert F., Entwicklungslienie, TheoL Stud. B. Weiss: 141, 219 Siegfried C., PhUo: 61,63 Simon M., St. Stephen: 217 Sint J. A., Parusie-Erwartung, ZkTh 86 (1964): 362, 366 Citaten: 41 Smits c., Soden H. v., Sakrament und Ethik, Aufs. I: 212 Sowers 5., Hermeneutics: 53, 55, 63 Spicq C., Rom. XI, 29, RB 67 (1960): 296 Art. Vorherbestimmung, BibeltheoL Wörterb. 11: 235, 253, 262 166,195 Stacrk W., Soter II: Stalder K., Werk: 154, 156, 186, 190 Stanley D. M.,Christ's Resurrection: 357 Studier: 44, 63 Starfelt E., Theol.: 217,378 Stauffer E., Art. 6.yat~~ 1("1').,., ThW I: 370 Art. tr&., ThW 11: 159,165 14 Steck K. G., Heilsgeschichte: Stegmann A., Gal. 3,20, BZ 22 (1934): 190 Allegorische Exegese: 62, 63, 64 Stein E., Stendahl K., School: 95,103,106 Strachsn R. H., 2. Kor.: 363 Stmthmann H., Art. ).Gt-rp!Ög 1("1').., ThW IV: 272 Stöhr M., Luther und die Juden, EvTh 20 (1960): 292 Strecker G., Weg der Gerechtigkeit: 51, 142 Strobel A., Verzögerungsproblem: 101 Ströter E. F., Judenfrage : 299 Stürmer K., Auferstehung und Erwählung: 307, 334, 354 Stuhlmacher P., Evangelium: 217 Gel"eChtigkeit Gottes: 73, 74, 92, 154, 168, 169, 170, 238,251,351, 372,379,386 Erwlgungen, EvTh 27 (1967): 57, 215, 238, 252, 261, 378
Automlf'egisler
419
Stuhlnlacher P., Gegenwart und Zukunft, ZThK 64 (1967): 35,123, 134. 261. 297. 303, 398. 399 Glauben und Verstehen, EvTh 26 (1966): 221 Probleme, EvTh 27 (1967): 111f. Sundberg A., O.T. in the Early Church: 41 Testimonies, NovTest 3 (1959): 95, 101 Takamori A.,' Typologische Auslegung: 54 Tannehill R. C., Dying and Rising: 306 TaskeJt R., Old Testament: 92 Teichmann E., Auferstehung und Gericht: 301, 355, 357, 360, 361 Thüsing W., Per Christum: 27,67,326,346,351 Thyen. H., StU: 42,44,46,66,71,77, SO, 92,95,100 TUing R., Lehre vom Nomos: 141 . 301, 304, 319, 331, 348, 355, 357, 359, 361, Tillirulnn F., Wiederkunft: 362 Hermeneutik: 47 TonnP., Troeltsch E., Historische und Dogmatische Methode, Ges. Schr.lI: 115 Paulus und dasA.T.: 34f., 43, 86f., 89,110,111,112, 150.151,152, 281,284 Unnik W. C. van, ReiseplIne, Studia Pau1ina: 100 Venn,~ G., Manuscrits: 104 141,292 Verwc:ijs P. G., Evangelium: Viard A., Expectatio, RB 59 (1952): 370, 378 Probl~me du salut, RSPhTh 47 (1963): 30 Vielhlluer P., Oikodome: 365 Visch,:r W., Geheimnis, Judaica 6 (1950): 23, 276, 277, 392 Vollmer H., Citate: 41,44,71,81,95, 117 Volz :P., Eschatologie: 56, 145, 195, 'JZl, 228, 256, 289, 290, 304, 319, 341, 352, 373 VosG., Eschatology: 302,310,313,346,357,378 Waarcl J. de, Comparative Study: 96 WalterN., Aristobulos: 62, 63 WeberE., Eschatologie und Mystik: 361 Heilsgeschichte: 22,24,28,30,299 In Christo Jesu, NKZ 31 (1920): 213 Weber V., Kritische Geschichte: 22, 241 Wegenast K., Tradition: 280,327 Wehrli P., Deutung Homers, Diss.: 61, 62 Weind H., Theol.: 159, 299, 357 Weise:r A., Glaube und Geschichte: 11 Weis! B., Röm.: 30,71, 164,209,241,242, 244, 286, 288, 292295,299 Weis!. J., 1. Kor.: 117, 120, 121,269,288,314,325.333,335, 336, 339, 340, 353, 355, 374 175,217,301,328,351 Urchristentum: WencUand H. D., Kor.: 309,334,341,342, 347, 363 Gesetz und Geist: 141 Geschichtsanschauung: 14, 108 Wettc:r G. P., Vergeltungsgedanke: 313 Whitc:ley D. E. H., Theology: 249 UlonskaH.,
420
Register
Wiehe W., Wüste:nzeit: 47,54,56,121 Wiederkehr D., Theologie der Berufung: 238, 245, 249, 253 Wiencke G., Paulus über Jesu Tod: 42, 214 304,319,322, 326, 328, 336,339,340 Wilcke H. A.: Zwischenreich: 311 Wilclcens U., Missionsreden: Weis~~t: 220,256,259,260,281 Bekehrung des Paulus, ZThK 56 (1959): 143, 144, 218, 219 Jüdische überlieferung, ThViat 8 (1961/62): 95 Römer 3,21-4,25, EvTh 24 (1964): 115, 116, 168, 170, 171, 172, 179 Offenbarungsverstindnis, Offenbarung als Geschichte: 396 Recbtfertigung, Festschr. v. Rad: 115, 168, 171, 174, 179, 180 Ursprung, Festschr. E. Scblink: 320, 332, 333 Art. CJDopEat XTA., ThW VII: 220, 221, 259 82, 229 Wildberger H., Eigentumsvolk : Jesaias Verstlndnis, SuppI. VT 9: 12, 14 Wilson J. P., Rom 8,28, ET 60 (1948/49): 250 Wimmer A., Trostworte, BibI. 36 (1955): 323 Windfuhr D., Paulus als Haggadist, ZAW 44 (1926): 66, 91 Windiscb H., 2. KoJr.: 124,128, 129, 132, 308, 360, 361, 365 Barn.: 61 Paulus und das Judentum: 42 Eingehen, ZNW 27 (1928): 289 Weisheit, N.T. Studien G. Heinrici: 92, 118, 220 Wittram R., Geschichtswissenschaft, ZThK 62 (1965): 135 Wochenmark J., Schicksalsidee: 228,229 319 Woblenberg G., Thess.: Wolff H. W., Geschichtsverständnis, Probleme: 379 Woollcomhe K. J., Typology: 53 Zahn A., . Gesetz: 141, 143, 207 Zabn Tb., Röm.: 26, 76, 77, 80, 113, 139, 143, 165, 171, 172, 198,242,245,248,377,379,393 Gal.: 146,150,155,187,283,284 Zebnpfund R., Gesetz, NKZ.8 (1897): 191 Zehret F., Psa1menzitate: 87,95,98 Zimmern W., Ezechiel: 55 Erkenntnis: 78,108 Verheißung, Probleme: 48, 49, SO, 66 Art. Wort Gottes, RGG' VI: 84
b) BibelstellenregOister (in Auswahl)
Mt.
12,4H.
57
Ag.
7,35.37
58f.
R.
1,2 1,17 2,511. 2,2711. 3,l-9a 3,10-18 3,20 3,2111. 3,31 4 4,3 4,6 4,lH. 4,13-16 4,15 -4,17-25 -4 ,23-25
111 90 101 305 125f. 20 98 90 187 16811. 171ff. 17311. 89 90
0
0
5-8 5',12-21 ~I,12
S,13f. S,20 ..,. 7,5f. 'j',7-12 7,9f. 7,14-25 8 8,14-17 8,18-39 8,18-27 !I,24f. 1I,26f. 11,28-30 11,32 8,34 n,36 n,38f. ~)"'11
g~fi'83f. 187f. 199f. 176f. 113ff. 209 19311. 20911. 209f. 198f. 187 201ff. 218 125f. 158/f. 188 206 163ff. 168 1911. 374f. 369ff. 397 377ff. 324 375 380f. 25O/f. 263 373f. 37011. 370f. 376 376 2011. 40011.
9,1-5 9,3 9,4 9,5c 9,6-29 9,6-13 9,6-9 9,6 9,6a 9,7 9,10-13 9,14-24 9,14-18 9,16 9,17-24 9,17 9,19-21 9,22f. 9,24 9,25-29 9,25 9,25f. 9,30-10,21 9,30-10,3 9,3011. 9,33 10 10,4 10,5-13 10,6-8 10,8 10,11 10,1311. 10,13 10,14-21 10,15 10,17 10,18 10,19-21 10,2Of. 11 tl,lb 11,2-10
26f. 21 269ff.
27 401 28 185 274 28Of. 6411. 25 28 35f. 70 101 7011. 28f. 72ff. 235f. 90 233 90 23711. 241ff. 29 29f. 85 98 98 90 401 31 188 202f. 9611. 3011.208 13911. 15611. 167 218 31f. 9111. 90 90 99 101 32f. 101 101 390 390 91 3311. 34 34
Regt/er
422 11,2-6 11,4 11,8-10 11,9f. 11,11 ff. 11,15 11, 16ff. 11,25-32 11,25f. 11,28-32 11,30-32 11,32 11,33-36 11,34f. 14,9 14,11 15,4f. 15, 7 ff. 15,9-12 15,16
1. K. 1,18-3,23 1,18 2,7 4,5 5,6-8 7,10 7,29-31 9,9f. 9,14 10,1-13 10,4 10,11 15,1-11 15,6-8 15,8 15,12-19 15,19 15,20 15,21f. 15,23-28 15, 23-24a 15,24-28 15,24 15, 25ff. 15,26 15,28 15,29-34 15,45ff. 15, SOff. 15,56
80ff. 80 90 98 85 34 392 ff. 402 294 392f. 34f. 274ff. 23 35f. 81 268f. 286ff. 394 401f. 288ff. 295ff. 297ff. 192 298f. 26 299f. 99 325f. 101 11 0 ff. 390 99390 391f. 99 255ff. 258ff. 314 64 327 314 116f. 327 117ff. 64 119 117ff. 332f. 333 388f. 333ff. 338 336 335 195 335f. 339ff. 341f. 343ff. 343 101 348f. 351 337 341 195ff. 288 353ff. 362 188
2.K. 2, 15f. 3 3,1-3 3,3 3,4ff. 3,6b 3,7-18 4,3f. 4,7ff. 4,10f. 4,14 4,18 5, 1 ff. 5,3f. 5,4 5,8 5,16 6,14-7,1 13,4 GI.
3,1-5 3,6ff. 3,8 3,10-12 3,11 3, 13f. 3, 15ff. 3, 19ff. 3,19 3, 23 ff. 3,23f. 4,1-7 4,4f. 4,6f. 4,21-31 6,16
Eph. l,20ff.
255ff. 108 123ff. 127f. 123 130 145f. 207 123f. 128ff. 257 367ff. 397 309 306 375 359ff. 365 355 306 93 99 306 147f. 149 279ff. 111f. 149ff. 101 152 149 184ff. 281 ff. 149 188ff. 186f. 191ff. 153f. 155f. 282f. 282f. 282 5764 130 185 283ff. 270 285 344f.
Phil.
1,23 1,28 2,9-11 2,10 3,20f.
306 355f. 364 255 345ff. 101 312 345
KoI.
1,18 2,17
308 58
1. Th. 1,9f. 1,10 2, 14ff. 4,13-18
310f. 295 290f. 318ff. 352 362
423
Bibelslellenngisler 4,14.17 5,10 2. Th.2,6f. Hb. 5,11ff. 10,37f. 11 11,17.19
306 306 390f. 311 101 46 64
1. Pt. 1,10-12 2,+-10 3,22
51 9611'. 344f.
Apk. 11,1-13 14,13 16 2O,1ff.
81 329 55 345f.
c) Register von griechischen und deutschen Sachwörtern (Unter dem griechischen Wort Vermißtes ist unter dem entsprechenden deutschen Wort aufzufinden.) !lyttmJ Christi ei8lX~
clp.CZPT~
47tczpx-ll 47t6».up., yvgpl1;r.o ypcX!,-\.&Gt yp~ 8Exotu)~
861;Gt
214 370 73 137 IMIf. 167 1981f. 202 207 211 276 335 ' 25511. 304f. 244 1231f. 97 112 12M. 189 258 131 27tf. 390
fpyov
7282211 389 76f. 211 112f. 32311. 336 375 397 213 148 314
iJl'iPGt
313f.
'Iou3Gti~
xtüJr.o x6Gp.or; XÖPlor;
269 27 269ff. 288ff. 7990 57378' 65 72 89 f. 253 137 214 313f. 31:1f.
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1:12
!UlXpo&up.~
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243f. 244 26Of. 28611. 354
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74 87f. 125 137 168ff. 'J!)7f.
'Ir[cm.r;
nvciip.Gt 'lrpO-
114 153f. 176f. 211 278 12511. 307 368 11tf. 252 280
Gllpl; cmpp.at cNv XplcniP Gc{lt;r.o G(I)p.at
137 65 305ff. 255ff. 307 353f. 366 374
-dAor;
121 13911. 339 54120
b>.oyiJ ExTPr.op.at O&o~ n7t~
iv Xplenep
'IGpGt-IJ). lax~ _lvi)XT~
~
RIO/Irr IIOn griithiltlHn IIIIJ J,tdlth,n Sllth1/lirlml
425
Aballam, im Judentum: 66 1771f. bei Paulus: 64ft'. 67 114f. 1731f. 179ft'. 206 225 65 166 1941f. 307 335f. Adam: 53 611f. Allegorie, allgemein: in Qumran: 50 62 106 bei Paulus: 64 117 119 239 Altes Testament bei Paulus: Kap. 11 pSS., ferner 177 225f. 240 Apokalyptik, Paulus und die: Verweise S. 145 A. 36 und S. 219 A.338, ferner 60 66f. 1951f. 261 300 314 330 350 356ft'. Apostolatsverstllndnis: 109 214 3871f. Beispielaufführungen: 46f. 69 71 76 81f. 83 86 120 180f. Deus absconditus/Deus revelatus: Verweise S. 248 A. 76 und S. 297 A. 131, ferner 29225 Doxologisches Reden: 351f. 398 und die dort A. 38 genannte:D SteHen Enthusiasmus, christlicher: Verweise S. 310 A. 44 und S. 350 A. 121, ferner 261 309f. 348 350 396 Entwicklung der paulinischen Theologie: 196f. 212f. 219 291 356f. 360 Erwählungsgeschichte: 64f. 83 179 206 und die Verweise S. 179 A. 171 Exist,~ntiale Interpretation: Verweise S. 17 A. 26, ferner -IndividuaIgeschichte Gerec:htigkeit Gottes: Verweise S. 170 A. 128, ferner 31f. 36 84 156ft'. 168ft'. 177 Gericht: 305 3121f. 372f. Geschichtsverstllndnis, apokalyptisches: 45 56 83 227 f. prophetisches: 56 l08f. rabbinisches: 45 47 83 Gesetz: Kap. III pSS., ferner 93f. 123f. ZT2 Geschichte als Sprachgeschehen: Verweise S. 13 A. 7; S. 204 A. 261 und S. 223 A.361 Gottc:svolkgedanke: 69 71 83 119 181 269ft'. 274ft'. 279 283 285 Heilsgeschichte: 12f. 23f. 193 204f. Individualgeschichte: Verweise S. 223 A. 363, ferner 138 223f. 399f. Königsherrschaft Christi: 346 f. Kontaktlosigkeit der paulinischen Vorstellungen untereinander: Verweise S. 359 A. 1; S. 366 A. 37 und S. 400 A. 47 Kontrastschema, soteriologisches : 88 137 Korillthische Gemeinde: 136 196f. 212f. 256 332ft'. Kosmologie: 3481f. 3771f. 383 399f. Kultgesetz: 142 217 Leib Christi:
212f.
Mem:chensohn : Missionsverstllndnis :
197 306 329 344 390ft'.
Naherwartung :
Verweise S. 387 A. 1, ferner 294f. 297f. 320 323 361f. 387 169f. 211ft'.
Ontologie: Pamllie:
294f. 310ft'. 322ft'. 341 355 361f; 394 ferner_Naherwartung
426 Plan Gottes:
Register
49 56 225 232ff. Prädestination: Kap. III pss., ferner 25 72 67 80 82 Rabbinisches Judentum und Paulus: Verweise S. 145 A. 36, ferner 83 179f. 183 314 Rechtfertigung: 312 87f. 111 137 258f. 260f. 287 Revelationsschema: Verweise S. 237 A. 37 Sapientia und Paulus: SchöpfUngsgedanke: 56 115 233f. 237ft". 262 ferner -+ xextvij x-r(alC; Theozentrik des paulinischen Denkens: Verweise S. 135 A. 461; S. 233 A.23; S. 264 A. 124 und S. 397 A. 37 Typologie: Verweise S.223A. 359, ferner 47 52ff. 69 71 7780ff. 85 106 120ff. 138 180 284 Verheißung: 47ff. 64 66ff. 93f. 112 154f. 176 182f. 189f. 206 211 273 281 390ft". Vorpaulinische Traditionen: Verweise S. 95 A. 284; S. 261 A. 119 und S. 395 A. 31, ferner -+Enthusiasmus -+Kontakdosigkeit Vorstellungen: 92 102 118 220ff. 258ff. 287, ferner die Verweise S. Weisheitsth.eologie : 220 A. 343-347 47ff. 59 85f. 105 Weissagung: Zwei-Aeonenlehre: Verweise S. 136 A. 1, ferner 56 60 72 84 109 126f. 137 157 204 258( 284 302 315 319345f. Zwischenreich: