GÜNTER HESSE
Das Geheimnis um Block 19
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Nach Erlebnissen eines A...
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GÜNTER HESSE
Das Geheimnis um Block 19
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Nach Erlebnissen eines Augenzeugen gestaltet Fotos: Archiv (1), ADN, ZB (2)
1.—70. Tausend © Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) — Berlin, 1975 Cheflektorat Militärliteratur Lizenz-Nr.5 LSV: 7002 Lektor: Joachim Warnatzsch Umschlag: Erhard Schreier
Vorauskorrektor: Gertraut Purfürst Korrektor: Ilse Fähndrich Hersteller: Ingeburg Zoschke Printed in the German Demokratic Republic Ges amtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
EVP 0,50 Mark
Dies ist einer der unwahrscheinlichsten und widerspruchsvollsten Berichte, die man je zu Gesicht bekommen hat. Es ist die Geschichte von Mördern und Opfern, die ihresgleichen vergeblich sucht. Jede der beteiligten Seiten besaß die Mittel, die der anderen unerreichbar waren. Die Mörder nutzten die Fähigkeiten ihrer Opfer, deren Todesangst und Lebenswillen, fest entschlossen, die Mitwisser eines Tages aus der Welt zu schaffen. Die Opfer setzten ihre Talente ein, ihre Solidarität und ihren Mut, um ihren sicheren Tod hinauszuzögern, um das verbrecherische Geheimnis ans Licht zu zerren und um überleben zu können. Die einen trugen die grauen und schwarzen Uniformen des Sicherheitsdienstes (SD) und der SS. Die anderen steckten in dem gestreiften Drillichzeug der KZ-Häftlinge. Die Geschichte begann zu weit auseinanderliegenden Zeiten und an entgegengesetzten Punkten, die dennoch zusammengehörten. Während schon Anfang Dezember 1939 in Berlin ein Memorandum über die fabrikmäßige Herstellung von falschen Pfund-Sterling-Noten vom Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Heydrich über Himmler zu Hitler lanciert wurde und dessen Segen erhielt, konnte mit der Auswahl der Fachleute für die Herstellung erst im Juli 1942 begonnen werden.
Die Fälscher selbst waren Berufsverbrecher. Zwei Jahre brauchten sie, bis die Falsifikate als echte Noten anzusehen waren. In aller Eile wurden dann KZ-Insassen für die Produktion des Falschgeldes ausgesucht. Der Befehl, den die Kommandanten von Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald erhielten, verlangte, in Betracht kommende Häftlinge zu melden. Unweit von Weimar erhebt sich ein mächtiger bewaldeter Kegel, der Ettersberg. Auf seiner Kuppel, eine Tonsur im Buchenwald, die kahle Fläche des Konzentrationslagers. Unter dem Blätterdach war angenehme Kühle. Über dem Plateau des Lagers aber zitterte die Sonne. Auf dem Appellplatz flimmerte die Sommerglut. Zwischen den schmalen, flachen Baracken nur ein dünner Schattenstrich. Die dienstfreien Mannschaften der SS-Lagerbewachung johlten in der Kantine. Turbulente Stimmung auch in den Diensträumen des Lagerkommandanten Pister. Seit Tagen feierten sie das Jubiläum des Lagers, das im Sommer 1937 angelegt worden war. Neue Nahrung erhielt die Hochstimmung ständig aus den Wehrmachtberichten. Im Zimmer des Kommandanten brannten Kerzen, fünf zu Ehren dieses Jahrestages. Die Leuchter stammten aus Beutegut, französische Fayence, Tulasilber, polnische Kirchenleuchter. Die Nachrichten rissen nicht ab. Faschistische Truppen dringen in das Stadtgebiet von Stalingrad ein, sie stoßen zum Kuban vor und erreichen den Kaukasus. Jede Meldung wurde mit donnerndem „Sieg Heil!" begrüßt. Französische Weine und tsche-
chisches Bier flössen in Strömen. Der Alkoholdunst steckte in jeder Uniform. Die Häftlinge der illegalen Lagerleitung aber mahnten ihre Gefährten in allen Blocks und Kommandos zu äußerster Vorsicht. Jede Unvorsichtigkeit stachelte die Mordlust der SS-Mannschaft an. Die Freunde von Ilse Koch, der „Hündin von Buchenwald", rühmten deren ekelerregenden „Kunstverstand"; sie hatte sich Häftlinge mit besonders attraktiven Tätowierungen zeigen lassen und den Kapo Beigs veranlaßt, sie mit Phenolininjektionen zu töten; in der pathologischen Abteilung des KZ wurde den Toten dann die Haut abgezogen, präpariert und danach zu Handschuhen, Lampenschirmen und Buchhüllen verarbeitet. Die Männer mit dem Totenkopf auf dem schwarzen Mützenband folterten und quälten ihre politischen Gegner. Tausende Häftlinge wurden erschossen, mit Steinblöcken zermalmt, in Jauche getaucht, ausgepeitscht und verstümmelt. Die Totenschädel an den Uniformen schienen zu grinsen. Mit sadistischem Vergnügen wurde jede nur erdenkliche Art des Grauens an den Häftlingen aus zwölf verschiedenen Ländern praktiziert. Es war eine Geißel der Menschheit, die den Körper, den Geist und das Herz zerbrach. Am 29.7. 1942 traf in Buchenwald der Befehl von SSObersturmführer Sommer ein. Das SS-WirtschaftsVerwaltungsamt, Amtsgruppe D-Konzentrationslager, verlangte die Meldung von Häftlingen mit besonderen Kenntnissen und Berufserfahrungen:
„Es sind mir umgehend die im dortigen Lager befindlichen Häftlinge zu melden, die aus dem graphischen Gewerbe stammen, Papierfachleute oder sonstige geschickte Handwerker (z. B. Friseure) sind." Der Termin wurde für den 3.8. 1942 angegeben. In der Lagerleitung erhielt Sommer wenig schmeichelhafte Kommentare; da man den Sinn des Befehls nicht verstand, schimpfte man auf den langen Dienstweg. Neun Tage von Oranienburg bis Weimar waren nicht gerade kurz. Aber in sechs Tagen sollte man alle Akten durchschnüffeln. Unmöglich! Die SS-Führer wußten, daß in den Schreibstuben des Lagers die wendigsten politischen Häftlinge saßen, auf die man nicht verzichten konnte. Selbst mit der Androhung der Todesstrafe würden diese noch beweisen, daß die Berge von Überstellungsurkunden nicht zu bewältigen seien. Am 30.7. 1942 prasselte es in den Lautsprechern. Dann eine befehlsgewohnte Stimme: „Häftlinge aus dem grafischen Gewerbe und der Papierfabrikation haben sich sofort am Appellplatz zu melden!" In den Baracken schauten sich die Inhaftierten verdutzt an. Viel hatten sie schon aus den quakenden Röhren gehört, doch noch nie ein solches Rätsel. Mancher vermutete eine Finte der SS. In den Steinbrecherkolonnen und in den Sonderkommandos geteilte Reaktionen. Einige Häftlinge tuschelten untereinander. Schlimmer konnte es nicht kommen, egal, was man mit ihnen vorhatte. Allmählich erschienen auf dem Appellplatz sieben-
undzwanzig Männer in gestreiftem Drillich. Alle trugen den rotgelben Doppelwinkel der jüdischen Häftlinge. Einer von ihnen, Hans Kurzweil, war gelernter Buchbinder. Im Januar 1939 verhaftet, kam er zuerst in das Lager Dachau und dann nach Buchenwald. 1941 wurde er einem Kommando zugewiesen, das für Typhusversuche verwendet wurde. Der Hagere und ausgemergelte Mann, dessen Augen tief in den Höhlen lagen, dachte daran, mit seiner Meldung der sicheren Liquidierung entgehen zu können. In seinem Kopf hämmerte es: Nur 'raus hier, 'raus, 'raus! Ein anderer, ein kleiner, untersetzter Mann, seine Augen, quicklebendig, verrieten den stets wachen Geist des erfahrenen Häftlings, der die strengsten Zuchthäuser des sogenannten Dritten Reiches von innen kannte: Kurt Lewinsky, Kommunist, klug und bescheiden, Werbefachmann. Auch er wußte die Durchsage nicht zu deuten. Aber er wollte unbedingt wissen, was es mit ihr auf sich hatte. Die Häftlinge wurden erfaßt. Am 26.8.1942 ging der Transport ab; Ziel: Sachsenhausen bei Berlin. Man muß sich einen Mann vorstellen, etwa dreißig Jahre alt, der seine Wirkung auf Frauen nicht verfehlen dürfte. Ein wohlgeformtes Gesicht. Der Mund verrät nicht nur Freude am Sinnlichen, sondern auch Lust am Absurden, ja, am Verbrechen. Die Augen, kalt wie seine schwarzen, glänzenden Stiefel, deuten auf zynische Berechnung. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die dunklen und buschigen
Augenbrauen. Zu diesem Gesicht gehören ein lackierter Mützenschirm mit silberner Kordel, das Totenkopfabzeichen und der Adler mit dem Hakenkreuz. SS-Hauptsturmführer Bernhard Krüger trug die gut sitzende schwarze Uniform ohne jede Betonung. Die Sterne auf seinem Kragenspiegel sagten aus, daß dieser Mann einer der gefährlichsten Schurken im Dienste der Herrenschicht war. Er, seines Wertes und seiner Stellung im Reichssicherheitshauptamt bewußt, leitete die Gruppe F/Technische Hilfsmittel im Amt VI, deren Dienststelle sich in der Delbrückstraße in Berlin-Grunewald befand. Sogar Vertraute Hitlers, wie das Narbengesicht Skorzeny, bedurften der Unterzeichnung besonderer Schweigeerklärungen, wollten sie Krügers Schätze in Augenschein nehmen. Von Krüger konnte man alles bekommen: Pässe aus aller Herren Länder, Urlaubsscheine fremder und feindlicher Armeen, Geburtsurkunden afrikanischen Ursprungs, Polizeizeugnisse aus Japan und Passierscheine für das Pentagon in Washington. Da diese Produkte das Werk der berüchtigtsten Fälscher der Unterwelt waren, blieben sie nur besonderen Kunden vorbehalten. Seit dem Sommer 1942 verfügte Krüger auch über die Baracke 19 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Als er im August die Baracke betrat, inspizierte er siebenundzwanzig Häftlinge, die auf besonderen Befehl hin ausgesucht worden waren. Krüger kannte die Akten der Gefangenen, wußte, daß manche von ihnen aktiven Widerstand gegen das faschistische Regime
geleistet, dafür zu hohen Strafen verurteilt und in .„Schutzhaft" genommen worden waren. Er wußte, daß sie ihn schon wegen seiner Uniform bis auf den Tod haßten, aber das ließ ihn kalt; er hatte nicht vor, ein Umschulungslager oder ein Sanatorium für seine Feinde einzurichten. Krüger brauchte den Block 19 für eine Druckerei, und alles andere war ihm gleichgültig. Er besaß alle Vollmachten, sogar die, dem Lagerkommandanten den Zutritt zu diesem Block zu untersagen. Von den Männern in den gestreiften Drillichanzügen wollte er nur deren besondere Kenntnisse und Fertigkeiten, da sie alle als Beruf eine Tätigkeit in der Papierbranche angegeben hatten, die sie auch durch Prüfungen beweisen mußten. Er brauchte diese hohlgesichtigen, ausgezerrten Männer für sein „Unternehmen Bernhard". „Ihr habt mir sehr viel zu verdanken", sagte Krüger. In seiner Stimme schwang weder Hohn noch Spott. Er war sich seiner Sache so sicher, daß er auf den zynischen Sadismus seiner Kumpane verzichten konnte. „Ihr habt für Leben und Gesundheit nichts zu befürchten. Ihr werdet euch hier einrichten, so gut es geht. Wir haben gemeinsam eine Aufgabe zu lösen, von der ihr hören werdet, wenn es soweit ist. Wie wir auf Zuwiderhandlungen oder Sabotage reagieren, ist bekannt. Notfalls werde ich den ganzen Block erschießen oder aufhängen lassen. Dies nur zur Warnung." Krüger machte eine Pause, bevor er weitersprach. „Zum Blockältesten aus euren Reihen ernenne ich Arthur Lewin. Alles, was mit der Einrichtung des Betriebes zusammenhängt, wird von
Der Kommunist vom Block 19: Kurt Lewinsky
Herrn August Petrick geleitet. Er ist ein Fachmann auf seinem Gebiet. Damit ihr eure Zeit nicht mit nutzlosen Forschungen vertrödelt, sage ich euch gleich, daß er eine gutgehende Druckerei besitzt und ein verdienter Parteigenosse ist. Für eure Sicherheit im Block und nach außen sorgen Oberscharführer Marock und Oberscharführer Weber!"
Die beiden knallten die Hacken zusammen und brüllten wie aus einem Munde „Hier!" Krüger winkte mit der Hand ab, als sei ihm das zu laut. Die Gefangenen hatten die Worte des Hauptstrolches verstanden und schurrten mit den Holzschuhen — ihre einzige Reaktion bisher. „Also, denkt daran", sagte Krüger ironisch, „daß ich. den meisten von euch das Leben retten kann." Langsam verließ er den Block. Nun konnte es losgehen; er glaubte für sein Unternehmen den sichersten Platz der Welt gefunden zu haben. In das Lager kam niemand hinein, der dort nicht hingehörte, und hinaus nur mit Sonderausweis oder durch den Schlot. Block 19 wurde zudem noch vom übrigen Lager stark abgeschirmt. Er, Krüger, würde diese Baracke noch mehr sichern lassen. wenn es soweit war. Gegen diese Werkstatt würde das amerikanische Fort Knox ein Warenhaus sein. Und was aus seinem Block 19 kam, das würde mehr vernichten als alles Dynamit der Erde, dachte Krüger. Dafür würde er schon sorgen! Den Häftlingen war es seltsam zumute; zum erstenmal seit Monaten, bei manchen schon seit Jahren, bemächtigte sich ihrer die Ahnung, frei von Todesfurcht leben zu können. Und das war etwas völlig Fremdes, ja, etwas unmöglich Scheinendes, so, daß dieses Gefühl nicht plötzlich, überraschend in ihnen auftauchte, sondern wie ein aufsteigendes Fieber von ihnen Besitz ergriff und sie erschauern ließ. Bisher hatte der Tod ständig neben ihnen
gestanden, auf dem Appellplatz, im Arbeitskommando; er hatte auf der Latrine gehockt, er lag auf der Pritsche nebenan, steckte in grauen und schwarzen Uniformen, in weißen Kitteln, er trug das grüne Dreieck der kriminellen Kapos, er hing im Elektrozaun und kroch zum Schornstein hinaus. Vielen war er so gegenwärtig, daß sie ihn oft nicht mehr wahrnahmen. „Da steckt eine riesige Sauerei hinter", sagte Leo Krebs, ein Buchdrucker. „Ich kriege das schon noch 'raus!" „Essen fassen!" brüllte einer der Oberscharführer. Der Blockälteste teilte sechs Mann ein. Krebs sah zu, daß er dabei war. Die ersten beiden Gefangenen versuchten, in den üblichen Dauerlauf zu fallen. Krebs pfiff leise und ging mit seinem Nebenmann langsam. Der gebrüllte Befehl „Schneller! Soll ich euch Beine machen?" blieb aus. Der Oberscharführer trottete genauso dahin. Das gab zu denken. Mit zwei Kübeln voller Kohlsuppe und einem halben Dutzend Brote kehrten sie zurück. Während sie die Brühe schlürften und Brot zerkneteten, flüsterten Krebs und Lewinsky miteinander. Sie kannten sich schon aus den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. „Da stimmt etwas nicht", meinte Leo. „Die sind wie die Salonlöwen." „Klar, aber was?" antwortete Lewinsky. „Die Geschichte scheint ihnen unheimlich wichtig zu sein. Wir müssen uns beeilen, aber nichts überstürzen.
Wahrscheinlich haben sie uns auch ein paar Spitzel ins Nest gesteckt. Ich habe, als wir ankamen, zwei alte Kumpel gesehen, Robert Uhrig und Kutte Lehmann. Wenn wir was wissen, versuchen wir an sie 'ranzukommen. Ein paar von uns hier habe ich früher schon mal gesehen, aber eben nur gesehen..." „Auf alle Fälle haben einige ein bißchen Glanz in die Augen bekommen. Sie hoffen wieder, daß sie überleben." Leo beugte sich wieder über den verbeulten Napf. Kurt schaute in die Runde. Leo hatte recht; einige aßen die Kohlbrühe nicht mit der gewohnten Gier Verhungernder. Die in den Steinbrüchen zerschundenen Finger formten aus dem klitschigen Brot kleine Kügelchen, die sie wie Leckerbissen in den Mund schoben. Der Blockälteste, der nicht mit am Tisch gesessen hatte, kam herein. „Seid ihr fertig, baut die Pritschen auf. Draußen sind welche abgeladen worden. Auch Decken sind da. Die werden aber erst gefilzt, wegen Kassiber. Laßt euch Zeit. Gebt mir meinen Schlag und mein Brot." Im Oktober des Jahres hielten Lastwagen vor der Baracke 19. „Alle Mann zum Abladen, angetreten!" befahl Petrick. „Kurzweil, Krebs, Skala und Schnapper, rechts 'raus!" Der Nazi mit dem goldenen Parteiabzeichen trat an Lewin heran. „Sie sorgen dafür, daß die Kisten in der richtigen Reihenfolge an die auf den Papieren vorbezeichneten Plätze kommen. Skala leitet
das Auspacken. Die drei anderen helfen ihm dabei. Ist das klar?" „Jawohl, Herr Petrick!" antworteten die Häftlinge laut. „Alles, was sonst noch Beine hat, zum Abladen." Petrick ging zur Barackentür, wo die Oberscharführer ihren Posten hatten. „Schaffen Sie mir die Mannschaften von den Fahrzeugen vom Halse. Sollen sie sich in der Kommandantur was zu fressen und zu saufen geben lassen, meinetwegen", sagte er zu den SD-Leuten. „Wir dürfen hier nicht weg, Herr Petrick". Oberscharführer Marock tippte lässig mit dem Finger gegen seinen Mützenschirm. Petrick zog den Kopf zwischen die Schultern und starrte Marock aus winzigen Pupillen an. „Sie haben mich wohl nicht verstanden, Oberscharführer?" Petricks Oberlippe zuckte, das Kinn wurde weiß. „Kein Mensch hat Ihnen befohlen, Ihren Posten zu verlassen. Sie sollen mir die Leute vom Halse schaffen, aber ein bißchen plötzlich, Mann. Wenn ich Hauptsturmführer Krüger auch nur einen Mucks sage, können Sie sich den Krieg mal von vorne ansehen. Stimmt's Weber?" Der zweite Oberscharführer knallte die Hacken zusammen. „Bestimmt, Herr Petrick." Obwohl Petrick keinem von beiden konkret Befehl erteilt hatte, ging Marock hinaus und verhandelte mit dem Transportkommando. Es waren Leute wie er, vom SD. Als sie sich langsam entfernten, rief er ihnen
nach: „Wenn einer was von euch will, sagt, ihr kommt vom Block neunzehn. Dann klappt alles!" Die Häftlinge keuchten unter den schweren Lasten. Wenn Lewin und Skala sahen, daß einer der Kameraden sich nicht mehr aufrichten konnte, stellten sie zwei Mann mehr an die Kisten, ließen den einen verschnaufen. Hätte es unter den üblichen Lagerbedingungen dafür Peitschenhiebe gegeben, so verlief hier das Abladen ohne Antreiben. Auch wie Petrick die Leute einteilte, entsprach vernünftiger Überlegung. Skala war von Beruf Ingenieur, Krebs und Schnapper gelernte Drucker, Kurzweil kannte sich mit den Geräten für die Zurichtung des Drucks sehr gut aus. Daß die oberste SS-Führung Spezialisten des grafischen Gewerbes hatte aussuchen und nach Sachsenhausen bringen lassen, schien sich zu kompensieren, trotz der großen Erschöpfung der Häftlinge ging die Einrichtung von Block 19 zügig voran. Die Inhaftierten mußten in zwei Schichten arbeiten. In kurzer Zeit entstand eine moderne Buchdruckerei. Es gab ein Labor, die Retusche, eine Buchbinderei, die Setzerei, eine Werkstatt für die Graveure und eine eigene Stromversorgung mit Dieselgeneratoren. Der ehemalige Elektromeister Speyer aus Tempelhof mußte die Stromversorgung aufrechterhalten. Selbst die Ungewißheit, in der die Häftlinge lebten, war für Krüger vorteilhaft, denn jeder Gefangene war schon aus Selbsterhaltung daran interessiert, seinen Arbeitsplatz
mustergültig einzurichten, um nicht wegen einer Nachlässigkeit aus dem Block verbannt zu werden. Der Block 19 nahm wegen seiner räumlichen Anordnung innerhalb des Lagers eine besondere Stellung ein. Er stand am äußersten Punkt des ersten Halbkreises der Häftlingsbaracken, weit vorgeschoben, in Höhe der Kommandantur, am Rande des kleinen Lagers. Das ermöglichte Krüger, diesen Block mit einfachen Mitteln isolieren zu lassen. Der Winter hatte sich schon mehrmals zu erkennen gegeben. Ein Arbeitskommando stellte Pfähle und Masten auf. Dann wurde der Block mit Stacheldraht regelrecht eingesponnen. Selbst gegen den Himmel wurde die fünfzig Meter lange Baracke mit Stacheldraht gesichert. Zwanzig Schritte entfernt stand der steinerne Wachturm, ständig mit drei oder vier SS-Wächtern besetzt, mit schwenkbaren Scheinwerfern ausgerüstet und mit einem Maschinengewehr bestückt. Die Baracke war fünffach gesichert. Das war selbst für das härteste Lager aller Nazi-KZ ungewöhnlich, aber für Krüger noch nicht genug. Er ließ die Fensterscheiben weiß anstreichen, so daß sogar der Lager-SS das Geschehen . im Innern des Blockes 19 verborgen werden konnte. Hinter den grünen Holzwänden der Baracke setzte sich das Ungewöhnliche fort. Allein schon die Tatsache, daß jeder Häftling eine eigene Holzpritsche bekam, erregte bei den Neuankömmlingen Verwunderung. Auch der Gemeinschaftsraum, die Toiletten und der Waschraum mit den zwei Meter
messenden Waschbecken durften von ihnen allein benutzt werden. Zwei Bedingungen entfielen für Block 19 völlig, was für die Häftlinge unfaßbar erscheinen mußte: die Zählappelle und die vielen grausamen Strafen im großen Lager. Jahr für Jahr, dreimal täglich, in Sonnenglut und Frost, bei Sturm und Schnee, hatten sie, aufgestellt in Reih und Glied, die qualvollen Zählappelle ertragen müssen. Strafen waren ohne Grund ausgesprochen und vollstreckt worden, Stockhiebe auf dem Bock, das Pfahlhängen, Strafkompanie, Entzug der einzigen 350-Gramm-Brotration für mehrere Tage, das Schuhläuferkommando, Erdbunker und Zellenbau ... Für das Schuhläuferkommando war eine eigene Wegstrecke aus Beton, Schotter, Schlacke, Kies, Sand und Splitt angelegt worden, auf der hundertfünfzig Gefangene vierzig Kilometer, mitunter im Dauerlauf, neue Schuhsohlen zu prüfen hatten. Häftlinge, aus denen Aussagen herausgepreßt werden sollten, wurden in Schuhe gezwängt, die ein bis zwei Nummern zu klein waren. Aber selbst diese Qualen wußten die Faschisten noch dadurch zu steigern, indem sie den unterernährten Opfern zwanzig Kilo schwere Sandsäcke aufbürdeten. Dieser Kelch, angefüllt mit der Verachtung des Menschen und seiner Entwürdigung, sollte ausgerechnet den siebenundzwanzig nicht mehr gereicht werden? Alle Erfahrungen sprachen dafür, daß der
SS-Staat seinen Gegnern nichts schenken würde. Das begünstigende Hervorheben aus der massenhaften Vernichtung von Menschen mußte sie in noch dunklere Tiefen schleudern. Eines aber war ihnen klar. Der kleine Käfig schien sie vor der Willkür des großen Lagers zu schützen. Im Block 19 schien der Tod, der Selbstverständliche, seine Rechte an Krüger abgetreten zu haben. Aber für welchen Preis? Mit unverhohlener Genugtuung besichtigte Krüger seinen Betrieb. Er befahl, antreten zu lassen. Dann begann er seine Rede. „Ich sage euch noch einmal, daß ich der Führer dieses Unternehmens bin. Betrachtet es von nun ab als eure vornehmste Aufgabe, englische Pfundnoten zu drucken und Dokumente jeder Art herzustellen. Wenn ihr auch weiterhin eure Arbeit gut macht, braucht ihr nichts zu befürchten. Obwohl diese Sache für immer ein Geheimnis bleiben muß, werdet ihr eines Tages dieses Lager verlassen können. Unser Sieg wird auch euch belohnen. Ihr sollt alles bekommen, was der Mensch für sein Glück benötigt. Bei Verrat, auch an das übrige Lager, oder bei Sabotage wird die ganze Belegschaft erschossen! Das gilt für jeden in diesem Bau, für jeden!" Der SS-Verbrecher wies darauf hin, daß in den nächsten Tagen die Druckplatten geliefert würden und die erste Papierlieferung demnächst einträfe. „Dann könnt ihr zeigen, was ihr auf dem Kasten habt! Je besser ihr arbeitet, desto besser wird es euch ergehen." Krüger fuhr davon. Die Häftlinge blickten sich ratlos an. Nun war es heraus.
Das vom Rcichssicherheitshauptamt streng gehütete Geheimnis: Falschgeld Und wahrlich, das paßte zur SS. Menschen, die niemals kriminelle Handlungen begangen hatten, mußten diesen Subjekten eine Waffe herstellen, die ein Verbrechen darstellte, das in allen Ländern der Erde zu den schwersten kriminellen Delikten gehört. Bereits im April 1929 war in Genf ein internationales Abkommen hinterlegt worden, das alle Unterzeichnerstaaten verpflichtete, Falschmünzerei zu bestrafen. Das galt nicht nur für die Produktion von Falsifikaten, sondern auch für deren Beschaffung, sogar schon für
den Vorsatz, es herstellen zu wollen oder in Umlauf zu setzen. Auch die Herstellung und Beschaffung von Geräten, die sich zur Falschmünzerei eignen, standen bereits unter Strafe. Hitlerdeutschland war diesem Abkommen 1933 vorbehaltlos beigetreten. Aber keine zehn Jahre später hatten Chemieprofessoren das britische Notenpapier analysiert, Mathematikprofessoren das Nummernsystem errechnet und die versiertesten Gauner unter der Obhut des RSHA die Druckplatten gestochen. Anfangs sollte mit der massenhaften Produktion von Pfund-Sterling-Noten die Bank von England gesprengt und die englische Wirtschaft durch eine Inflationsflut zerbrochen werden. Geplant war, daß Flugzeuge tonnenweise gefälschte Pfundnoten über England abwerfen sollten. Später dann fanden die Naziverbrecher heraus, daß man mit ausgezeichneten Falsifikaten, die sogar von Schweizer Banken anerkannt wurden, sich so viel echte Devisen beschaffen und seine Auslandsagenten entlohnen konnte, wie man Falschgeld zu drucken in der Lage war. Für diese Aufgabe war Krügers Fälscherzentrale in der Delbrückstraße zu klein gewesen und wegen der notwendigen großen Mitwisserschaft zu unsicher. Darum Sachsenhausen, darum Krügers Zufriedenheit. Seine Rede war eine einzige Lüge. Denn er hatte nicht gesagt, worin das Glück und der Lohn der Gefangenen bestehen und wie sie aus dem Lager herauskommen würden. Er aber erhielt seinen Lohn sofort: Beförderung zum Sturmbannführer.
„Jetzt kennen wir den Preis", sagte Kurzweil. „Willst du ihn zahlen?" fragte Lewinsky. „Als ob er das entscheidet...", sagte Krebs und schüttelte den Kopf. In seinen Augen hatte Lewinsky etwas furchtbar Dummes gesagt. „Ich frage nur, ob wir wollen?" „Willst du denn?" „Ich weiß nicht...", sagte Lewinsky. Das war keine hastig geflüsterte Verständigung über einen momentan aufbrechenden Gedanken an Widerstand, es war ein Tasten in sich selbst und in dem Kameraden. Die Sätze fielen wie Tropfen von einem langsam schmelzenden Eiszapfen. Krebs war ein praktischer Mensch. Seine Gedanken bevorzugten die kürzesten Wege. Verschlungene Philosophien hatten für ihn etwas Unheimliches. „Schlagen wir den Laden in Klump", sagte er. „Ergebnis? Die stellen uns an die Wand. Aus. Die nächsten kommen ..." Max Bober, auch ein Drucker, auch aus Buchenwald und seit Jahren mit Lewinsky befreundet, hatte bisher geschwiegen, nun sagte er: „Sie brauchen unsere Fachkenntnisse, darum sind wir hier. Das ist ihre schwache Stelle, also unser Vorteil!" „Die richtigen Leute an die richtige Stelle. Ihre eigene Methode müssen wir nehmen. Ich gebe Max recht", sagte Lewinsky. „Sie haben es eilig", fügte Bober hinzu. „Wir haben Zeit. Je mehr Zeit wir uns nehmen, desto länger werden wir leben."
„Gut", sagte Lewinsky. „Den genauen Weg wissen wir nicht, aber die Richtung. Überlegt weiter, jeder für sich. Sprecht mit den anderen." Der zweite Monat des Jahres war kaum drei Tage alt. Aus dem Radioapparat in der Wachstube von Block 19 erklang laute, schwermütige Musik. Das Geräusch der Druckmaschinen aber lag wie freudiges Händeklatschen und siegende MG-Garben verhalten über den tragischen Klängen. Die Oberscharführer mieden die Werkstatt. Stalingrad war gefallen; Tausende Soldaten der Wehrmacht marschierten durch die verschneiten Schluchten an der Wolga in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Für das Reich war Staatstrauer angeordnet. Innerhalb des politisch aktiven Kerns des Blocks aber begannen heftige Gespräche. Wenn auch alle spürten, daß etwas Großes geschehen war — die Schlüsse, die sie zogen, gingen weit auseinander. In einem waren sich alle einig. Für Piotr Sukiennik, er war erst fünfundzwanzig Jahre und hatte in der Sowjetunion eine Schule für Polygrafie besucht, begannen Tage, da ihm vor Spannung die Nerven zu zerreißen drohten. Zugleich hatte ihn ein Husten befallen. Die Kameraden fürchteten, daß er an Tuberkulose erkrankt sein könnte. Immer wieder baten Lewinsky, Krebs, Bober und Schnapper den Häftling Dr. Kaufmann um Hilfe. Dr. Kaufmann hob verzweifelt die Hände. „Butter braucht er, Butter, Milch. Er muß liegen. Wir können ihm ja nicht einmal die gesunde Luft, die ein
Tuberkuloser unbedingt braucht, geben. In ein Sanatorium gehört er! Wenn wir hier nicht seinen Husten heilen, dann ..." Der Arzt fürchtete sich, den Satz zu vollenden. | „Auf keinen Fall darf er in den Krankenbau!" meinte Bober nachdrücklich. „Wir müssen überlegen!" „Ja, überlegen wir", forderte Lewinsky, „wie wir ihm helfen. Zuerst muß er das Gefühl des Sieges haben. Das hilft auch uns! Übrigens, Krüger würde ihn nie und nimmer in den Krankenbau schicken; Pjotr könnte sprechen. Die SS würde ihn vorher erschießen." „Unsere Lage ist viel zu ernst, Kameraden", meinte darauf der Arzt. ,;Wenn Pjotr Tbc hat, dann steckt jeder von uns in der gleichen Gefahr. Ich muß das sagen; das ist bedrückend." „Was rätseln wir herum? Helfen wir Pjotr, dann helfen wir uns. Wenn er Butter braucht, vielleicht geht auch Speck, werden wir das beschaffen. Als erstes können wir ihm alle etwas von unseren Rationen abgeben. So." Leo Krebs meinte ärgerlich. „Dann reden wir mit denen, die von ihren Angehörigen Pakete und Geld erhalten dürfen. Sollten sie aber nicht wollen, werde ich es von denen holen, ich allein." „Das ist Kameradendiebstahl", sagte Kaufmann. „Und was ist das, wenn wir mit ansehen, wie er vor die Hunde geht, obwohl wir eine Chance haben?" Krebs fuchtelte mit der Faust vor Kaufmanns Nase. „Das ist Kameradenmord, Herr Kaufmann." Krebs
sprach die Bezeichnung „Herr" voller Abscheu aus. „Sie haben's doch selbst gesagt, daß wir alle mit draufgehen..." „Der Ton macht die Musik, Leo", wies ihn Lewinsky zurecht. „Wir können doch zufrieden sein, daß wir unter uns einen haben, der uns helfen will." „Aber Leo hat auch recht", fügte Bober hinzu. „Wenn wir alle in der Tinte sitzen, müssen auch alle, jeder mit dem, was er hat, dafür sorgen, daß wir gemeinsam herauskommen. Ich helfe Leo. Und Fritze muß mit Arthur sprechen." Er wandte sich an Schnapper. „Auf ihn hört er. Da er immer auf seinen Vorteil bedacht ist, muß er begreifen, daß es auch für ihn vorteilhaft ist, wenn Pjotr etwas Gutes zu essen bekommt!" „Einverstanden, Doktor?" Lewinsky blickte Dr. Kaufmann fragend an. „Ich werde ihm geben, was ich habe. Eine Bitte aber noch. Unser Freund darf nicht sehr viel sprechen. Aber ständig unterhält sich jemand mit ihm. Vielleicht wäre..." Max Bober unterbrach ihn. „Das ist es ja gerade, was ihn aufmuntert. Wenn die Rote Armee erst vor deiner Haustür steht, Doktor, wird auch dir das Herz überfließen!" „Gott geb's." Dr. Kaufmann ging langsam an seinen Arbeitsplatz in der Altmacherei, wo die Blüten „abgegriffen" wurden. „Wir werden ihn informieren, ihm die Lage erklären. Er kann doch zuhören, abgemacht?" fragte Lewinsky. Die Kameraden nickten,
„Dann das Wichtigste. Leo, Max und Fritz müssen dafür sorgen, daß Pjotr so wenig wie möglich arbeitet. So lange, wie sich die Oberscharführer in ihrem Verschlag verkriechen, setzt Pjotr sich irgendwo hin, wo er von den beiden nicht gesehen werden kann. Achtet auch darauf, daß Pjotr, immer wenn es möglich ist, ins Freie geht." Lewinsky schob die Kameraden aus seinem Materialverschlag hinaus. Krebs hielt er zurück. „Mit dir sind sie wieder mal durchgegangen, nicht?" Leo fuhr zornig herum. „Ich brauche kein Kindermädchen." „Unser Zusammenhalt, unsere Solidarität, das sind Waffen. Nimm mal Marock und Weber. Ihre Devise lautet: Führer befiehl, wir folgen. Sie legen sich gegenseitig um, wenn es nur befohlen wird. Und du? Du schlägst dich für einen Russen, für einen Freund. Du bist bereit, deinen Kopf zu riskieren. Aber mußt du darum Kaufmann abstoßen? Wohin wird er sich wenden? Er ist ein sauberer Kerl. Er wird allein stehen und schwach werden. Da beginnt unsere Solidarität zu bröckeln... Das kann nicht dein Ernst sein." „Ich soll mich wohl entschuldigen?" „Ist das unmöglich? Dir fällt schon keine Perle aus der Krone." „Ich kann ihm höchstens sagen, daß ich ein alter Bullerkopp bin." Lewinsky schob ihn hinaus. „Geh schon, Bullerkopp." Viele Monate vergingen, bis sich unter den Häftlingen
des Blockes 19 ein Kern entwickelt hatte, der verläßlich war, zu dem der Weg für die anderen Kameraden offenblieb. Es wäre falsch anzunehmen, alle KZ-Häftlinge seien organisierte Widerstandskämpfer gewesen. Die Zahl der Organisierten war, gemessen an der Masse der Inhaftierten, äußerst gering. Das einzige, was alle gemeinsam ertragen mußten, waren Not, Entbehrung, Isolierung, Schikanen und eine Zukunft, die dem Tod geweiht war. Jedoch wie der einzelne dieses Los ertrug, das hing vom Grad seiner politischen Reife, von seiner früheren sozialen Stellung, von seinem Charakter und von seiner körperlichen Konstitution und Kondition ab. Kräftige Gestalten mit schwachen Nerven und wenig Einsicht in die Zusammenhänge zerbrachen schneller als andere. Gar mancher aus kleinbürgerlichen Verhältnissen versuchte auch im Lager, dem Stärkeren zu huldigen und dem Schwachen zu nehmen, wenn etwas zu holen war. Schon aus diesem Grunde waren die illegalen Lagerkomitees von unschätzbarem Wert für alle Häftlinge. Kommunisten, deren Triebfeder die Verantwortung für das Ganze ist und deren Kraft aus der Einsicht in die Gangart der sozialen und politischen Bewegungen sich immer wieder neu auflädt, bildeten oft den einzigen Halt für Verzweifelnde, Ausweglose. Mehr noch, mancher, der vorher nie mit Kommunisten zu tun hatte, der sie sogar ablehnte und den Kampf gegen sie duldete, dankte ihnen das Leben, das Überleben.
Lewinsky, mit der ersten Gruppe nach Buchenwald gekommen, war der einzige Kommunist in der Baracke. Er war untersetzt, fast klein von Statur, mit dem Geist, der in neun Jahren Haft geschult war, stets wach zu sein. Konnte er in den Zuchthäusern, in Dachau und in Buchenwald auf die moralische Stärke seiner Genossen bauen, so war es hier klar, daß er für die anderen Leidensgefährten ein echter Halt sein mußte. Er hatte nie verhehlt, Kommunist zu sein. Warum sollte er auch? Die SS wußte es, auch der Sicherheitsdienst. Sie wußten, daß er ihr Hauptfeind war. Aber noch wollten sie ihn nicht töten, weil sie ihn brauchten. Mit einer Peitsche war diese Arbeit nicht zu machen. Aber auch in diesem Mann stritten die Gegensätze. Wie kein anderer war er sich darüber klar, daß sie gut arbeiten mußten, zum Nutzen des Feindes und um den Kameraden zu nutzen. Er hielt Ausschau nach einem Mann, der voller Einsicht mit ihm bereit war, das Gefährlichste zu wagen, nämlich Krüger und der Naziführung das Geheimnis zu entreißen. Krüger hatte zwei Vorteile; ihm war es gelungen, sich die geeignetsten Fachleute zu verschaffen, ob die es wollten oder nicht, und er hatte es geschafft, das perfekte, geheimzuhaltende Verbrechen zu organisieren. Auch Lewinsky und seinen Absichten nutzten die Fachkenntnisse und Talente der Kameraden. Er besaß das Vertrauen der Häftlinge, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt und motiviert. Und er war bereit, gegen Krüger und die ganze
Nazibrut im rechten Augenblick mit der sichersten Karte zu stechen. Monate später. Kurt und Leo zwangen sich, wach zu bleiben. Die Kameraden schliefen; tiefe Stille lag über dem ganzen Lager; sogar vom nahen Bahnhof kam kein Geräusch. Im abgeteilten Verschlag, am Ende der Baracke, in dem die beiden Oberscharführer ihr Quartier hatten, brannte eine Lampe. Ihr Schein sickerte über den schmalen Gang und verlor sich an den ersten Holzpritschen. „Bist du immer noch sicher, daß die beiden sich in die Kantine verdrücken wollen?" flüsterte Leo. „Klar. Denen brennt die Löhnung doch Löcher in die Hosen", antwortete ebenso leise Kurt. „Dann sollen sie endlich machen, daß sie wegkommen! Wir haben's eilig!" Leo kicherte. „Sei doch nicht so albern." „Und wenn du dich nun doch verhört hast? Na, dann gute Nacht bis zum nächsten Monat." „Ich hab's genau gehört. Erst wollte Marock allein gehen und Weber was mitbringen. Aber Weber war nicht einverstanden. Dann wolle er lieber gehen, hat er gesagt. Das paßte Marock nicht, und so wollten sie sich zusammen für ein Weilchen auf die Beine zur Kantine machen." „Wie groß soll denn das Weilchen sein? Haben sie dazu was gesagt, Kurt?" „Kann sein, aber ich hab' nichts gehört." „Was sagst du zur Front?" „Die Nachrichten werden von Tag zu Tag besser."
„Stalingrad ist nun schon fast ein halbes Jahr her... Hitler bezieht ganz schöne Senge." „Sie setzen sich mit Erfolg ab", meinte Kurt ironisch. „Wenn es auch rückwärts geht, lauter Siege." „Ob es in diesem Jahr zu Ende geht, mit denen?" „Ich bin doch kein Hellseher." „Das müßte man können, was, Kurt?" „Na, ob das so gut ist?" „Ich mein' ja nicht wegen des Krieges. Ich meine die beiden da drüben. Es war' doch schön, wenn wir schon vorher wüßten, wann sie zurückkehren oder..." „Leo, denk an was anderes, ans Wetter oder an Speck, an was du willst." „Was ich will? Dann denk' ich daran, denen in den Arsch zu treten." „Angeber. Als du nach Dachau kamst, da hättest du das geschafft mit deinen zwei Zentnern, aber jetzt, als halbe Portion?" „Kurt, die hauen ab!" Marock und Weber gingen zur Tür, traten hinaus. Die Tür blieb offen. Sie sprachen miteinander, aber es war nichts zu verstehen. Sie lachten verhalten. Dann Schritte, die sich verloren. „Weg sind sie", sagte Leo. „Quatsch, die latschen um den Block", sagte Kurt. „Also doch Hellseher." „Hält's Maul, Mensch." Die Schritte waren wieder zu hören, verstummten an der Tür. Die Tür fiel ins Schloß. Leo atmete hörbar auf. Kurt wollte dem Pritschennachbar die Hand auf
den Mund legen, zog sie aber zurück. Eine Diele knarrte. Ein Glück, daß das Holz so trocken war. Es war nicht genau zu erkennen, wer von den beiden Oberscharführern den Kontrollgang machte. Der Mann blieb stehen. Lewinsky konnte die Stiefel riechen. Plötzlich ein Stoß in den Rücken. Kurt sprang von der Pritsche. „Leise!" befahl der Wächter und zog ihn in den Gang vor der Tür. Marock war es. „Hör zu! In einer Stunde sind wir zurück." Marock machte eine Bewegung mit dem Kopf. Damit war die Kantine gemeint. „Du bleibst wach, bis wir wieder da sind, verstanden?" „Ehrenwort!" Kurt fürchtete, daß seine Freude über die Zunge rutschen könnte. „Hör zu, Freundchen", Marocks Atem strich unangenehm über Lewinskys Ohr, „wenn etwas nicht in Ordnung geht, machen wir dich fix und fertig!" „Jawohl!" Vorsichtig verschwand Marock. Die Tür klickte leise ein. Lewinsky nahm die Hände an die Schläfen. Krebs schlich zu ihm. „Was ist denn, Kurt?" „Ach, nichts. Monatelang haben wir darauf gewartet. Ich kann's nicht glauben." „Menschenskind! Du bist aufgeregt. Es geht doch noch gar nicht los." „Wir müssen noch etwas besprechen, Leo." „Sag mal, warum hat der dich geweckt und nicht Arthur?" fragte Leo. „Weiß ich doch nicht. Er wird Angst haben, daß Lewin ihn bei der ersten Gelegenheit verpfeift. Und
was Krüger machen würde, kannst du dir ja ausrechnen." „Komisch, da suchen sie sich so eine Type als Blockältesten aus, die nur katzbuckelt, und dann haben sie Schiß." „Sei doch zufrieden. Aber jetzt keine Überstürzung. Wenn sie uns mit dem Scheinwerfer erwischen, sofort in den Schatten einer Baracke. Sie werden dann Krach schlagen, und das Durcheinander nutzen wir, um in die Nähe unseres Blocks zu gelangen. Wir brauchen nur bis an unser Tor zurück. Wir könnten dann Marock und Weber sagen, wir hätten auf sie gewartet." „Du bist aber pessimistisch." „Vorsicht ist die Mutter der Weisheit." „Hast du die Scheine?" fragte Leo. „Ich hole sie." Kurt ging an eines der Fenster. Schon vor Monaten hatte er dort in einer Ritze zwei Probedrucke versteckt. Es bestand keine Gefahr der Entdeckung, da die Fenster nie geöffnet werden durften. „Na los!" sagte Krebs. ,,Im Licht still liegen. Das Gesicht weg, damit wir nicht geblendet werden. Und dann dem Strahl hinterherlaufen. Die Halunken auf dem Turm sind auch keine Katzen." „Du, Leo, einer von uns muß es schaffen." „Quatsch doch nicht solch blödes Zeug. Darüber können wir uns im Himmel immer noch unterhalten. Los jetzt." „Bis wir am Appellplatz sind, alles in Zeitlupe, Leo."
„Komm schon, wir sind die Weltmeister im Schleichen." Im Block 19 war es still wie vordem. Nur das schwere Atmen der Kameraden war zu hören, hin und wieder dazwischen das kurze Rasseln des Lungenkranken. Noch leiser als die beiden Oberscharführer gelangten Kurt und Leo an das Tor im Stacheldraht. Es war nur angelehnt. Krebs konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Kurt schüttelte ärgerlich den Kopf. Jetzt kam die erste schwierige Stelle; der Wachturm stand nur etwa dreißig Meter entfernt. Wächter waren keine zu sehen. Der Scheinwerfer tastete gerade den Streifen vor dem Elektrozaun an der äußeren Lagermauer ab. Die Straße zum Appellplatz lag im Halbdunkel. Leo wollte hinaus. Kurt hielt ihn am Hosenbein zurück. Richtig, der Scheinwerfer wanderte gemächlich auf die Lagerstraße, blieb dort stehen, als wollte er verschnaufen. Das Licht schien kein Ende nehmen.zu wollen. „Leuchten die immer so lange?" Leo sprach fast ohne Lippen. Der Lichtkegel kam zurück. Die beiden Männer schlängelten sich dicht am Boden über den Schotter. Bis zum Appellplatz waren es noch gut fünfzig Meter. Sie schafften es. Die Kante von Block 15 gab ein wenig Schatten. Bei den weiteren Lagerbaracken brauchten sie nicht mehr zu fürchten, einem SS-Mann zu begegnen. Block 19 war der einzige, in dem SSWächter stationiert waren. Aber nun kamen die großen Laternen, die den Appellplatz ausleuchteten.
Doch das gehörte zu ihrer Taktik. Leo hatte immer für diesen Weg plädiert. Frechheit siegt, war sein Argument. Sie warteten wieder, bis der Scheinwerferstrahl kam und die Straße verließ. Sie sprangen auf, hasteten geduckt vor den Baracken am Rande des Appellplatzes entlang. Der Schotter unter ihren Füßen knirschte. In den Ohren der beiden Männer klang es wie Donnergrollen. Es waren neun Baracken, also über hundert Meter, und Sprinter waren sie beide nicht. An der breiten Straße, die den Halbkreis des großen Häftlingslagers zerteilte, verhielten sie, dicht an den Sockel von Baracke 6 geschmiegt. An ihrer Längsseite krochen sie weiter, Meter um Meter. Sie sprangen über die Straße und lagen im Schatten vor der Wäscherei. Der Nachbarblock war ihr Ziel. „Mensch, Kurt", flüsterte Leo. „Hier kann man ja prima Spazierengehen." Lewinsky strich dem größeren Gefährten über den Kopf, versuchte dessen Stoppelhaare zu fassen. Das Gefühl des sicheren Sieges mußte sich irgendwie Luft verschaffen. Was war jetzt noch zu verlieren? Das Leben? Ja. Aber das hatten sie in das Spiel eingesetzt. Leo schob den langen Arm an die Türklinke. Kurt huschte in die Baracke, Krebs folgte. Ein entsetzlicher Gestank fiel über sie her. Lewinsky glitt an eine Pritsche, rüttelte einen Schläfer. Er lag quer in der Pritsche, mit ihm wohl noch zwei oder drei andere. Kurt fragte nach dem Blockältesten, den er von früher kannte. Er war es selbst. „Haben wir ein Glück, Paul", sagte Kurt und gab sich zu erkennen. Hastig, mit
Worten, die sich in der Eile überschlugen, erzählte er, was in Block 19 vorging. Er gab dem Genossen die beiden Pfund-Sterling-Noten und berichtete, daß es nun bald Millionen und aber Millionen Pfund sein würden. „Die Geschichte muß unbedingt nach draußen, Paul. Sprich mit Uhrig und Lehmann, die müßten hier in der Nähe sein." „Sie sind sogar hier, Kurt", antwortete der' Blockälteste. „Du kannst dich auf uns verlassen. Das Zeug kommt 'raus. Wie, weiß ich noch nicht, aber verlaß dich drauf. Verdammt, seid ihr Kerle!" „Übernimm dich nicht", meinte Leo. „Jeder von uns hat eine Rechnung mit denen zu begleichen. Sag mal, wieviel seid ihr denn hier bloß? Das ist ja ein entsetzlicher Gestank!" „An die achthundert Mann. Wir riechen es schon gar nicht mehr, Kumpel. Aber nun macht, daß ihr wegkommt!" „Los, nach Hause", sagte Krebs und lachte, als sei sein ganzer langer Leib bis oben 'ran mit Schadenfreude gefüllt. Sekunden später hockten sie bereits wieder im Schatten der Wäscherei und beobachteten die Hauptstraße. Alles war ruhig. Der Weg bis zur Baracke 6 schien kürzer zu sein als vorher. „Wenn jetzt Fliegeralarm kommt, dann haben sie uns", flüsterte Kurt. „Denkste, dann gehen die Lampen aus, und wir sind dann ganz schnell in der Koje. Weiter jetzt, wird schon schiefgehen!"
Geduckt sprangen sie in das Halbrund, liefen fast bis an den Rand des Platzes. Kurt sackte zu Boden, fast wäre Leo über ihn gefallen; am Block 15 lag die glühende Scheibe des Scheinwerferstrahls! Leo legte den Kopf zwischen die Stiefel seines Gefährten. Schleichend verschwand der blendende Kreis. Sie krochen ihm nach, waren wieder am Rande des kleinen Lagers. Vier Giebelwände, jede zehn Meter breit, Hagen noch vor ihnen. Sollten sie es jetzt riskieren, aufzuspringen und zu laufen? Warum jetzt noch? Es war doch gleich geschafft. Kriechen, kriechen! Da, endlich war der Stacheldraht zur Seite. Wenn jetzt der Scheinwerfer kam, lagen sie wie auf dem Präsentierteller. Aber Kurt war schon durch das Tor hindurch; Leo schob den Kopf in den Schatten neben dem Tor, zog den Körper nach. Es wurde hell. Die Stiefel steckten noch in der Öffnung. Keine Bewegung! Wenn die was merken, werden sie Krach schlagen. Er könnte den Stiefel ausziehen, ihn liegenlassen, das Tor heranholen und in der Baracke verschwinden. Sollten Marock und Weber sehen, was sie mit dem Stiefel anfingen. Er, Krebs, würde ein komplettes Paar haben, wenn es darauf ankäme. Das Licht verfiel. Ein Ruck — Leo war drin, das Tor zu. Kurt hockte noch neben der Tür. Er horchte noch an der Holzwand. „Haben wir ein Schwein, Kutte!" Krebs nahm den Kameraden bei den Ohren und schüttelte dessen Kopf in wilder Freude. Kurt machte sich los und legte den Kopf wieder an
das Holz. Der Freund verstand. Einer der beiden Oberscharführer oder beide hätten schon zurück sein, ihr Fehlen bemerkt und ihnen auflauern können. „Komm 'rein, ich muß pinkeln." Leo öffnete die Tür einen Spalt und schaute in das Dämmerlicht des Schlafraums. Nichts zu sehen. Er steckte den Kopf hinein. Die Tischlampe im Wachraum brannte. „Geschafft." Leo huschte in die Toilette. Kurt tappte in den dunkeln Waschraum und ließ sich einen dünnen Wasserstrahl über das Gesicht laufen. Jetzt konnten Marock und Weber kommen. „Was hättest du getan, wenn sie schon dagewesen wären?" fragte Krebs den Kameraden, als sie wieder in der Pritsche lagen. „Das kommt darauf an, was er getan hätte... Ich hatte vor, ihm die Wahrheit zu sagen. Dann hätten sie auch das Maul halten müssen. In diesem Falle sitzen ihre Köpfe genauso wacklig auf dem Hals wie die unseren. Aber man weiß ja nie, wann bei denen Kurzschluß ist." „Ich hätte ihm den Schädel eingeschlagen." „Laß ihn das mal hören ..." „Woran hast du gedacht, Kurt, als wir draußen waren?" „Ich weiß nicht. An nichts. Erstens kann man gar nicht immer an etwas denken, und zweitens darf man nicht immer an etwas denken. Und du?" „Es war eine herrliche Sommerluft draußen, stimmt's? Und dann der Mief... Woran denkst du jetzt?" „An vieles. Wenn die Engländer die Sache nun
spitzkriegen, dann ist das ganze Unternehmen im Eimer. Dann dauert der Krieg vielleicht nicht mehr so lange. Hunderttausende werden am Leben bleiben..." „Und das Ende der Nazis wird kommen. Mensch, ist das ein Gefühl! Am liebsten möchte ich ihnen das in die Fresse schrei'n." „Sie werden uns mitnehmen, Leo." „Na und? Sie tragen doch den Totenschädel jeden Tag am Leibe. Ab morgen werde ich diesem Dingsda an ihren Mützen zugrinsen. Ich fürchte mich nicht. Die Sache ist nur widerlich, wenn alles umsonst war, wenn es keinen Sinn, keinen Zweck haben würde. Das ist die schönste Nacht meines Lebens, Kurt, glaub mir. Und diese zwei Ganoven haben uns die Tür offengelassen! Das ist der beste Witz, den es gibt. Weißt du, Kurt, jahrelang hat diese Ohnmacht an mir gefressen, gefressen wie eine Raupe. Heute, vorhin, hab' ich sie mit dem Daumen zerquetscht. Peng. Du hast recht. Sie können sich ihre Schweinerei in die Haare schmieren. Das hatte ich ihnen geschworen. Kurt, du weißt, ich habe nichts gesagt, nichts. Ich habe meinen Schwur gehalten. Machen wir weiter so?" „Schon gut, Leo. Wir machen weiter." Kurt spürte, wie es in der Pritsche nebenan zitterte. Seine Hand suchte den Kopf des Freundes; dessen Gesicht war feucht, Tränen. Kurt zog seine Hand langsam zurück und ließ sie auf der Schulter seines Kameraden ruhen; er starrte in den Dämmer und dachte an die Monate zuvor. Fast hätte ihn die Last des Risikos, das er
einzugehen bereit war, erdrückt. Bei ihrem Tod wäre es ja nicht geblieben; wenn man sie erwischt hätte, bestimmt hätte er dann nach der ganzen Mannschaft gegriffen, ja, vielleicht auch viele im Lager erwischt. Und wenn die Lawine erst einmal rollte ... Leo schlief ein. Wenig später kamen die beiden SSLeute zurück. Als Kurt ihre Schritte hörte, richtete er sich auf, erhob sich von seinem Lager und ging auf Marock zu. „Gut gemacht, Lewinsky." Der Oberscharführer zeigte auf den Häftling, als wollte er sagen: Bitte, Weber, da hast du's! Laut, es klang zufrieden, sagte er: „Man kann sich auf einen Kommunisten verlassen, stimmt's, Lewinsky?" „Jawohl, Oberscharführer!" „Na gut, geh in die Falle, damit du noch 'ne Mütze Schlaf kriegst!" Die Druckerei lief in zwei Schichten. Im Block 19 hatte sich viel verändert. Eines Tages war Kruger mit einem halben Dutzend SD-Scharführern in der Baracke erschienen. Sie entwaffneten Marock und Weber, rissen ihnen die Uniformjacken herunter und stießen sie in einen wartenden Wagen. Krüger stellte sich zu „seinen Fachleuten", wie er stets betonte, die den Vorgang mit Erstaunen betrachteten. Zwei unbekannte Oberscharführer knallten die Tür hinter sich zu. „Marock und Weber haben gequatscht", erklärte Krüger ohne Umschweife. „Im Suff natürlich. Wie Sie sehen, geht alles gerecht zu bei mir. Jedem das
Seine. Ich empfehle Sie nun der Obhut von Oberscharführer Heitzmann und Oberscharführer Wagner. Ich hoffe, daß alles korrekt zugeht, auf beiden Seiten. Auch Herr Petrick wird morgen nicht mehr erscheinen. Ich verlasse mich da ganz auf Sie. Auf Sie, Speyer... Lewin... Skala... Kurzweil... Kaufmann... Auch auf Sie, Lewinsky; Sie wissen, was ich meine?" Kurt nickte. Er hätte Jawohl! rufen müssen, aber Krüger übersah es lächelnd. Er wies Petrick mit dem Lederhandschuh zur Tür. Über ein Jahr war nun schon seit ihrer Ankunft in Sachsenhausen vergangen. Aus dem Radioapparat in Heitzmanns und Wagners Buchte sang Hans Albers ein Lied, in dem die Zeile vorkam: „Im Himmel brauchst du ganz bestimmt kein Geld ..." Speyer, der ehemalige Elektromeister, kontrollierte die gesamte elektrische Anlage und setzte bei Fliegeralarm das Dieselaggregat in Betrieb. Kurzweil, der von Petrick zum Vorarbeiter für die Papierzurichtung gemacht worden war, nahm monatlich 10 000 Bogen in Empfang, die nahe den westlichen Ausläufern des Harzes von einer Firma Hahnemühle aus Dassel geliefert wurden. Kurzweil war dafür verantwortlich, daß nur Papier mit dem genauen Wasserzeichen zur Verarbeitung kam. Die Zurichtung des Drucks, so daß die Bogen genau paßten, mußte er als einziger Buchbinder machen. Die Fälscherwerkzeuge lieferte die Chemigraphische Anstalt des Sicherheitsdienstes in Friedensthal bei Sachsenhausen. Der Chef dieser
für Sabotage zuständigen Gruppe des RSHA war SSObersturmbannführer Otto Skorzeny. Die Kupferplatten zeigten Werte für Noten von fünf, zehn, zwanzig und fünfzig Pfund Sterling. Von Lewin, Pipel, Schnapper, Bober und Krebs wurden sie in die Maschinen eingepaßt. Seit einigen Monaten kamen einwandfreie Noten aus den Maschinen. Lewinsky war für die Beschaffung sämtlicher Materialien und Utensilien zuständig, und Skala leitete, obwohl er Ingenieur war, die Gütekontrolle. Er registrierte jede einzelne Note der Klassen A, B und C und stellte Sortimente von Noten aller Nennwerte zusammen. Sechstausend bis zehntausend Stück verstaute er in den grünen Papirolin-Taschen und klebte die Anschriften der Handelsattaches in Ankara, Bern, Lausanne, Lissabon, Madrid und Rom darauf. Skala verließ seinen Platz in der Mitte der Werkstatt und kam in .Lewinskys Lager. „Schau dir das an. Kurt!" Er legte ihm seine Registraturbögen vor und fuhr mit dem Finger die Seriennummern entlang. Da stoppte er die Bewegung; eine Nummer fehlte. Ausgerechnet eine der „Klasse A, sehr gut". Der Finger glitt weiter. Alles in Ordnung. Wieder tippte Oskar auf eine Stelle, wo die Nummer fehlte. „Was soll ich tun, Kurt?" „Tun? Wo kann die sein? Die kann doch nicht verschwinden." Lewinsky rieb sich das Kinn. Er selbst hatte vor Monaten sogar zwei Noten versteckt. Aber das waren noch Probedrucke, die nicht registriert worden waren und damit nicht auffallen
konnten. Er hatte sie als Beweismaterial benutzt, um die Welt zu alarmieren. Sollte noch einer diesen Plan mit sich herumtragen? Dann war er von vornherein zum Scheitern verurteilt. „Du meinst, Oskar, sie kann nicht irgendwo dazwischen..." Skala nahm die Registrierbogen an sich. „Entschuldige, Oskar", sagte Lewinsky. „Ich weiß ja. Bei dir ist das ausgeschlossen." „Ich werde uns doch nicht in Teufels Küche bringen." „Verdammt noch mal", fluchte Kurt. „Die Note ist hier, hier bei uns. Wie soll sie herauskommen?" „Wenn sie nicht gefunden wird, können wir was erleben", sagte Oskar. „Wer hat sie?" Lewinsky schaute sich um. „Man muß alle fragen." „Alle?" Kurt schüttelte den Kopf. „Arthur auch,der nur auf seinen Vorteil bedacht ist, dem die Unterwürfigkeit aus allen Knopflöchern stinkt? Oder Pipel, der mit Heitzmann und Wagner wer weiß was für Geschäfte macht? Denk doch nur an die Geschichte mit dem Zahngold, das er ihnen verhökert hat. Dann können wir es gleich selber den Oberscharführern oder Krüger mitteilen. Ist die Sache nicht zu kaschieren, Oskar?" „Die Nummer einschreiben? Wie denkst du dir das? Sie werden mich fragen, wo die Note ist. Was soll ich sagen?" „Ein Teufelskreis." Lewinsky schaute noch einmal durch die Werkstätte. „Menschenskind. Du machst
doch die Bündel zurecht. Du verpackst sie. Die Leute, die sie abholen, kriegen das Geld doch gar nicht zu sehen. Wenn die Listen stimmen, stimmen auch die Bündel..." Kurt schaute Oskar fest an. Skala senkte den Blick. „Es ist mein Kopf, Kurt. Ich schaff es nicht." „Gut, ich rede mit einigen. So viele sind es ja nicht, die den Mut für so eine riskante Sache hätten. Krebs scheidet aus, das weiß ich, wir beide auch. Ich werde mit Schnapper und Bober reden." Oskar nickte. Kurt verließ seinen Verschlag und nahm die beiden zur Seite. Sie waren überrascht und verneinten. Ein Handschlag besiegelte ihre Aussagen. Oskar sah es. Resignierend zuckte er die Schultern. „Also gib die Liste ab, wie sie ist", sagte Lewinsky zu Skala. „Schicksal, nimm deinen Lauf." Die Nacht und der folgende Vormittag vergingen. Dann erschien Sturmbannführer Krüger. Er sprach mit den Oberscharführern Heitzmann und Wagner, anschließend verließ er den Block. Heitzmann befahl, die Arbeit einzustellen und im Gang anzutreten. „Es fehlt eine Fünfzig-Pfund-Note. Wer sie hat, vortreten!" Der Befehl traf die meisten der Uneingeweihten wie ein Peitschenhieb. Es wurde still und kalt wie in einer Gruft. Die Häftlinge versuchten, sich mit den Ellenbogen zu berühren, Kontakt mit dem Nebenmann zu finden. Niemand trat vor. „Das haben wir uns gedacht. Da ihr, ebenso wie wir,
wißt, daß hier nicht ein einziges Haar unerlaubt hinauskann, befindet sich die Note noch hier. Das wollen wir mal ganz logisch festhalten. Wenn die Note hier ist, werden wir sie finden. Wir brauchen also nur zu suchen, Millimeter für Millimeter. Dann werden wir feststellen, wie sie dorthin gelangt ist, und dann werden wir uns den Mann greifen. Und dann ... Na ja, noch ist es ja nicht soweit. Fangen wir bei den Pritschen an. Der erste vortreten!" Wagner behielt die Häftlinge im Auge. Heitzmann ließ von den Gefangenen das Stroh aus den Säcken entfernen und Halm für Halm wieder einpacken. Dann ließ er sich jedes Brett in der Pritsche von allen Seiten zeigen. Er prüfte jede Ritze. Stunde um Stunde verging. Er kontrollierte jedes Brett im Fußboden. Mit dem Messer fuhr er jeden Spalt und Riß in den Fenstern entlang, daß es Lewinsky und Krebs kalt über den Rücken fuhr. Wenn das vor Monaten schon passiert wäre. Am späten Abend waren die Spinde an der Reihe, in denen die Häftlinge ihre Lagerbekleidung und ein paar Habseligkeiten sowie das Eßgeschirr unterzubringen hatten. Jetzt beobachtete Heitzmann die Neunzehner, und Wagner kontrollierte genauso pedantisch und aufreizend langsam. Sie fanden die Note in Pipels Spind. Wagner stieß Pipel ins Freie. Lewinsky und Krebs sahen sich an. Erst gegen Morgen kehrte Wagner zurück. Seine Augen waren die eines Fieberkranken. „Hier wird nicht geklaut. An die Arbeit!" befahl er den
Häftlingen, die immer noch im Gang standen. Als Krüger am Vormittag zur gewohnten Zeit erschien und mit den Oberscharführern sprach, nickte er nur zum Zeichen der Kenntnisnahme. Mit einigen der qualifiziertesten Fachleute unter den Häftlingen unterhielt er sich ausgiebig darüber, wie die ganze Anlage für eine neue Produktion und für die Aufnahme von ungefähr hundert Leuten zu erweitern sei. Er bereitete die Häftlinge darauf vor, daß auch baulich einiges verändert würde. Anfang des Jahres 1944 hatte Krüger sein Sonderkommando um den Block 18 erweitert und beide Baracken durch einen hölzernen Gang verbinden lassen. Während die neuen Häftlinge von Block 19 nur allmählich auf etwa fünfzig Mann angewachsen waren und von den alteingesessenen in Obhut genommen wurden, stieg das Bewacherkommando urplötzlich auf sechzehn an. Heitzmann und Wagner, nun auch schon zum „Bau" gehörend, behielten die Oberhand. Irgend etwas lag in der Luft. Krüger hatte auch die Werkstatt verändern lassen. Die Pritschen mußten aus Block 19 verschwinden. Dafür war die Hälfte von Block 18 als Schlafraum eingerichtet und bot Platz für 200 Mann. Lewinsky und Krebs, die die Verhältnisse im großen Lager kannten, wußten, daß sich damit die Lebensbedingungen für alle Kameraden verschlechtern mußten. Sie konnten sich die Entwicklung nicht erklären. In die andere Hälfte der Baracke 18 wurden Einrichtungen, Geräte und Werk-
zeuge für die Fotokopie, die Retusche und Lichtkästen zur Kontrolle der Druckerzeugnisse installiert. Wie immer, schwieg Krüger über das, was diese Vorbereitungen betraf. Lewinsky hatte den Sturmbannführer, der fast gleichaltrig war, eineinhalb Jahre studieren können. Dieser Verbrecher mußte einen großen Coup vorhaben und würde die Katze zur rechten Zeit aus dem Sack lassen. Aber Lewinsky war es lieber, wenn er einigermaßen wußte, was das für eine Katze sein könnte. Die Kameraden bestürmten ihn mit Fragen. Er hatte keine Erklärung. Dafür entwickelte sich die Kriegslage um so aufschlußreicher. Während die sich ablösenden Wachmannschaften des SD die Meldungen aus dem Radio in der Ecke des Verschlages mit Ratlosigkeit entgegen nahmen, quittierten die Häftlinge die „erfolgreichen" Absetzbewegungen der faschistischen Truppen mit unverhohlener Genugtuung. Leningrad, Smolensk, Gomel, Kiew, Saporoshje waren befreit. Es brannte der Kampf um Odessa. Vom Schwarzen Meer bis zu den Pripjat-Sümpfen drängten die Armeen der drei ukrainischen Fronten auf die polnische Grenze zu. In die Freude der Häftlinge über die Siege der Roten Armee mischte sich bei jeder Meldung Sorge um Pjotr Sukiennik. Er war nicht mehr arbeitsfähig, lag auf der Pritsche und hustete. Die Haut umspannte nur noch das Skelett. Schrecklich waren die Finger anzusehen, aus denen die Gelenke wie Astknorren hervortraten. Mehrere Male hatte Heitzmann bereits den jungen Russen in den Krankenbau gebracht und von dem
leitenden Arzt Schmilz untersuchen lassen. Heitzmann achtete, von Krüger dazu beauftragt, darauf, daß Sukiennik weder unterwegs noch im Krankenbau mit jemandem sprach. Auch dem Arzt bedeutete er barsch, daß er keine Konservation zu pflegen, sondern nur zu untersuchen hätte. Schmitz wollte zwar.aufbegehren, aber der Hinweis auf Block 19 verschloß ihm den Mund. Eine letzte Untersuchung war fällig, allerdings nur in Block 19. Kaufmann sah Heitzmann an der Pritsche von Sukiennik stehen und wußte, einer plötzlichen Eingebung folgend, daß das letzte Spiel gemischt war. Er sah alles voraus. Heitzmann würde nach ihm rufen. Heitzmann rief. Er würde eine Speichelprobe fordern. Kaufmann spie in ein Reagenzgläschen. Das Glas verbarg er in der Tasche. Er nahm ein leeres Röhrchen. Heitzmann war ungeduldig, weil Kaufmann nicht erschien. Heitzmann rief lauter, mit dem Hinweis zur Speichelprobe. Kaufmann tat alles wie in Trance, nicht absichtlich. In seinem Unterbewußtsein dämmerte nur, daß das Sukienniks letzte Chance war. Kaufmann trat zu Heitzmann. „Na los, Mann. Wie lange soll denn das dauern?" Heitzmann war ungehalten. Kaufmann strich Pjotr Sukiennik sacht über den Kopf, bat ihn mit zwinkernden Augen, in das Röhrchen zu spucken. Sukiennik, schon völlig apathisch, tat es. „Möchten Sie das nehmen, Oberscharführer?" Kaufmann hielt Heitzmann das Reagenzglas hin.
„Sie sind wohl verrückt, Mann!" Heitzmann wendete sich angeekelt ab. In diesem Moment nahm Dr. Kaufmann das Glas mit seinem Sputum aus der Tasche und ließ das Röhrchen von Pjotr verschwinden. „Vorwärts!" befahl Heitzmann und dirigierte Kaufmann aus mehreren Schritt Entfernung in den Krankenblock. Erleichtert gingen beide den Weg zurück. Noch am selben Tage kam das Ergebnis. Sukiennik halte keine Tbc. Kaufmann warf sich erschöpft auf seine Pritsche. Kameraden eilten hinzu. Keiner wußte, was geschehen war. Kaufmann Vertraute sich nur Lewinsky an. Noch einmal betonte er, in welcher Gefahr sie alle schwebten, und fand keine Erklärung dafür, warum er dem Russen geholfen halle. Lewinsky drückte seine Hände. „Mein lieber Doktor, wenn wir jemals hier herauskommen, Bäume sehen und Blumen, wenn uns kein Totenkopf mehr begleitet, wenn die Pest auf dieser Erde vertilgt sein wird; wenn wir das erleben, dann wirst du ein guter Arzt sein, ein menschlicher Arzt. Ich weiß, Pjotr ist nicht zu retten, aber ich danke dir." „Ich hab' mir nichts dabei gedacht. Ich handelte wie im Traum", sagte Kaufmann. „Du bist ein guter Mensch", sagte Lewinsky und wandte sich ab, weil er kein weiteres Wort herausbringen konnte. Der Hals war ihm wie zugeschnürt. Die Augen überzog ein Schleier von Tränen. Er hielt die Hand vor die Augen, um sein
Gefühl zu verbergen, und suchte blindlings den Kameraden zu fassen. Kaufmann zuckte zusammen. Er zitterte am ganzen Körper. Zwei Tage später half Heitzmann dem jungen Sowjetbürger aus der Pritsche. Er nahm ihn beim Arm und geleitete ihn hinaus. Alle vom Block 19 wußten, was das zu bedeuten hatte. Etliche glaubten sogar, einige Minuten später einen dünnen, trockenen Knall gehört zu haben. Heitzmann kehrte zurück und sagte entschuldigend, daß Sukiennik nichts gemerkt habe. Mit den Häftlingen war nichts mehr anzufangen an diesem Tage. Sie verrichteten völlig nutzlose Handgriffe. Die Produktion der falschen Noten war umsonst. Es war alles Ausschuß. In den Gesichtern der Neunzehner war zu lesen, was die Seele an Gefühlen bereithält, von Furcht, Angst, Verzweiflung bis zu giftigem, tödlichem Haß. Wieder einmal war allen Häftlingen klar, daß dieses Regime eine Herrschaft des Todes war, auch in der sich abzeichnenden Agonie der Politik dieses Staates. Der Totenkopf auf den Uniformen war nicht nur ein Symbol, ein Unterscheidungszeichen für andere Uniformen, er war auch eine Maxime, eine Maßregel, ein Grundsatz: Tod allem und allen. Ein Konvoi von Lastkraftwagen hielt vor dem Doppelblock. Seine Fracht, etwa hundert gefangene Polen und Tschechen, die aus der Quarantäne von Sachsenhausen kamen, fiel mehr von den Ladeflächen, als daß sie herabkletterte. Sie wirkten wie leblos, ihre Gesichter waren ausgetrocknet, die Augen fast
erloschen. Sie bewegten sich wie Blinde und liefen wie kleine Kinder, die noch nicht gelernt haben zu laufen. Altersunterschiede waren kaum festzustellen. Selbst junge Leute schienen Greise zu sein. Krüger stand dabei, und es stieg ihm Zornröte ins Gesicht; sicher beklagte er nicht den Zustand der Häftlinge. Diesem Techniker des Verbrechens kamen Sorgen, wie er mit denen seine „große Aufgabe" bewältigen sollte. Die Brotrationen waren für die Häftlinge inzwischen im Verlauf des Krieges von 350 Gramm täglich auf 200 Gramm gekürzt worden. Dem Blockältesten und Lewinsky, dem Kommunisten, von dem er wußte, daß er in diesem Unternehmen sein antagonistischer Partner zu sein gezwungen war, befahl er, fast hysterisch laut, die Neuen binnen kurzem auf die Beine zu bringen. Als ob Lewinsky und mit ihm sein immer dichter gewordener Kern der „Alten" ein anderes Ziel gehabt haben könnten. Der Grund für Krügers sonderbares Verhalten war mit den Nachrichten über den Frontverlauf zu erklären. Danach standen die sowjetischen Truppen an der Ostseeküste. Im Mittelabschnitt stießen sie nach Polen vor, und im Süden bewegten sich die Frontlinien nach Ungarn und Rumänien. Im Westen war, wenn auch immer wieder von den Alliierten verzögert, die zweite Front entstanden. Die anglo-amerikanischen Truppen standen an der Seine, und Paris war befreit worden. Bis zu dieser Zeit wurden im Block 19 fast 9 Millionen Noten der englischen Währung gefälscht, die einen Wert von 135 Millionen Pfund Sterling
repräsentierten. Damit hätten theoretisch die Nazis fast den gesamten Goldbestand des britischen Empires aufkaufen können. Die Pläne Heydrichs, Himmlers und Hitlers wären mit Krügers „Unternehmen Bernhard" aufgegangen, wenn, ja, wenn sich die Weltgeschichte nach den Regeln der Faschisten bewegt hätte. 1944 kam der neue Auftrag hinzu. Jetzt sollten auch Dollarnoten gefälscht werden. Dazu wurde die Erweiterung um den Block 18 notwendig. In einer Hälfte dieser Baracke wurde dann auch Salomon Smolianoff untergebracht, ein gewerbsmäßiger Fälscher, der in den dreißiger Jahren als Fälscher zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden war. Obwohl Krüger nun ständig zur Eile trieb, verging ein ganzes Jahr mit über 220 Versuchen, bis der Sturmbannführer seinem Reichsführer die gelungene Fälschung präsentieren konnte. Der Sicherheitsdienst forderte immer mehr Falsifikate an. In der SS-Fälscherei begann die forcierte Produktion in zwei Schichten zu je zehn Stunden. Doch nun begann sich in den Werkstätten der geheime Widerstand stärker zu zeigen. Maschinen fielen aus, Defekte stellten sich ein, Material fehlte plötzlich. Der Retuscheur vergaß hin und wieder einen Buchstaben zu bearbeiten, oder er ließ einen völlig verschwinden, so daß sich der Druck um Wochen, ja, Monate hinschleppte. Das war die einzig mögliche Taktik, die nun noch im Kampf um das nackte Leben blieb. Dahinter spürte man die Hand Kurt Lewinskys und die des belgischen Kommunisten Max Wulfowicz.
Es war einer jener Tage, die im Leben eines Menschen weder Ziffer noch Namen haben. Irgendein Tag im Juli 1944. Vor dem Tor von Block 19 hielt nachmittags ein LKW. Die Klappe flog herunter, und ein Häftlinkskommando, wer weiß woher, begann grob gezimmerte Kisten abzuladen. Die Kisten mußten sehr schwer sein, denn vier Mann waren notwendig, eine herabzuheben. Dennoch ging die Arbeit schnell von der Hand, kein lautes Wort fiel, und bald waren zwölf Kisten gestapelt. Die Häftlinge verschwanden, der Lastwagen fuhr davon, ohne daß einer aus Block 19 auch nur dazu befohlen worden wäre. Der Oberscharführer hatte irgendwelche Papiere entgegengenommen; er rief Oskar Skala zu sich, den tschechischen Ingenieur, der seit geraumer Zeit die Gütekontrolle leitete. Er trug seine Häftlingskleidung so, als wäre sie sein Sonntagsanzug; so sauber und akkurat verrichtete er auch seine Arbeit, und so sauber und gradlinig war auch sein Charakter. Er meldete sich also bei Wagner. „Sie befehlen?" „Lassen Sie das Zeug in Ihre Nähe bringen, Skala. Morgen kommt Sturmbannführer Krüger. Er wird Ihnen sagen, was mit dem Kram zu geschehen hat!" befahl ihm der Oberscharführer. „Sehr wohl." Mehr sagte Oskar nicht, und wenn diese beiden Worte bei anderen wie Anbiederung geklungen hätten — bei ihm klangen sie ganz bewußt, Distanz zu halten, die selbst dem Wachpersonal Achtung abforderte. Oskar ging dann zum Blockältesten und bat ihn, die
Kisten in den Block schaffen zu lassen. „Was krieg' ich dafür?" Lewin blickte frech, unterwürfig. „Das mußt du schon den Wagner fragen. Vielleicht Essenentzug, wenn du es nicht machen würdest." Skala drehte sich weg, ging an seinen Platz und nahm die Listen zur Hand, als sei nichts geschehen. Lewin beauftragte Fritz Schnapper, Max Bober und Leo Krebs, die Kisten in den Raum zu schleppen. Fritz fragte noch ein paar andere, ob sie ihnen dabei helfen würden. Binnen weniger Minuten war Oskar von den zwölf Kisten umlagert. Das störte ihn nicht. Er thronte dahinter, wie in einer Burg. Damit war das Schauspiel des Tages beendet. Die Kisten standen herum, und niemand hatte ein Interesse daran, sie zu öffnen. Am nächsten Morgen, gegen neun Uhr, kam Sturmbannführer Krüger. Er war höflich, fast zurückhaltend wie immer, wünschte einen guten Morgen und tat überrascht. „Donnerwetter! Die Sendung ist bereits angekommen? Das ging aber schnell." Er zögerte. „Meine Herrschaften!" sagte er, wandte sich aber zugleich zum Blockältesten. „Lewin. Sie lassen die Kisten öffnen. Es sind Dokumente darin. Das alles wird sortiert nach Urkunden, Pässen, persönlichen Papieren und dergleichen. Ich gebe Ihnen ein Schema. Mich interessiert die Qualität der Siegel, der Stempel und anderer Beglaubigungen. Aber das ersehen Sie aus den Unterlagen. Ich verlange von Ihnen, Lewin, und nicht nur von Ihnen, von allen, daß Sie die äußerste
Sorgfalt walten lassen. Sehen Sie zu, daß Sie das schnell schaffen. In diesem Falle werde ich Ihre Arbeit persönlich überprüfen." Krüger verließ den Raum, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Lewin blieb es überlassen, wen er zum Öffnen der Kisten und zum Sortieren ihrer Inhalte einteilte. Wenn Krüger die Geschichte so wichtig war, daß er selber kam, dann mußte in ihnen wirklich etwas ganz Besonderes sein. Ein Hauch des Geheimnisvollen hätte es sein können, das die Hälfte von Block 19 dazu trieb, sich um die Kisten zu versammeln, doch es war nur Neugier. Die Kräftigsten, Leo und Max, brachen die erste Kiste auf. Dokumente, Pässe, Urkunden lagen obenauf. Jeder nahm sich eine Handvoll von Papieren. Still war es im Raum wie nach einem Begräbnis. Lewinsky und Kurzweil, die bis dahin noch gearbeitet hatten, traten hinzu. Skala nahm auch einige der Blätter in die Hand. Mit einer Bewegung, die man nie an ihm gesehen hatte, fuhr er sich über die Augen und blickte in eine Ferne, die seine Kameraden nicht zu sehen vermochten. „Sie sind tot, alle. Das hier sind die letzten Zeugnisse ihres Daseins auf dieser höllischen Erde." Er ging an seinen Arbeitsplatz zurück und verbarg das Gesicht in den schmalen Händen. „Da soll doch gleich was dreinschlagen!" Leo schrie es lauter, als es in der Baracke üblich war. „Pfoten weg!" Heitzmann und Wagner erschienen. „Was fällt euch
ein, so herumzubrüllen?" Wagner stand kerzengerade vor der Gruppe. Kurt zog Leo am Ärmel, doch Krebs machte sich frei und trat auf Heitzmann zu. „Haben Sie das schon einmal gesehen, Oberscharführer?" Seine Stimme zerhackte die Angst der Kameraden wie eine Axt. „Was soll das, Krebs!" bellte Wagner. „Wenn das nicht lauter Leichen wären in der Kiste, würde ich mit der Faust dreinschlagen, Herr Oberscharführer!" „Sie bleiben eine Stunde im Waschraum, Krebs. Ruhe hat hier zu herrschen! Klar?" Wagner sah zu Heitzmann, wütend und kalt. Der zweite SS-Mann schrie: „Hau schon ab, Krebs! Der Befehl gilt! Auch für die anderen: Ruhe! Auseinander jetzt!" Die beiden Aufpasser verschwanden wütend in ihren Wachraum, drehten dort das Radio auf volle Lautstärke. Walzermusik. Die Häftlinge sortierten Stunde um Stunde die geraubten Hinterlassenschaften von Tausenden Leidensgefährten. Bilder in Postkartengröße, Paßfotos, manche vergilbt, zeigten Menschen aller Altersgruppen. Gesicht um Gesicht... Aus den lakonischen Angaben in den Dokumenten waren Herkunft und Stellung abzulesen; es waren arme Menschen und reiche, seßhafte und vagabundierende, die sogenannten besseren Leute und die weniger besseren. Das Sortieren ging unheimlich langsam vor sich. Ein
Ausweis ruhte in der Hand: Ein runzliges Gesicht blickte unverwandt den Betrachter an. Dann war es das Antlitz eines Intellektuellen, dann jugendliche Züge. Die schwarzen, weißen und grauen Töne der Fotografien schienen zu leben, Papier schien zu bitten, zu fragen, je länger man es betrachtete. Rings um die Häftlinge von Block 19, alles Menschen jüdischer Herkunft, stapelten sich die Schicksale Tausender verschleppter, erschlagener, vergaster Juden aus allen Ländern Europas. Plötzlich waren auch die Verhältnisse im Isolierblock wieder offensichtlich, klar, wie nie zuvor. Niemand hatte gefragt, keiner etwas geantwortet. Aber es hämmerte aus jedem Papier: So ergeht es auch dir; du hast nicht mehr an den Tod geglaubt; du warst sogar zufrieden, in diesem Block gelandet zu sein; du konntest einer gelernten Tätigkeit nachgehen, dein Beruf war zum Lebensretter geworden, so schien es. Doch nun wußtest du wieder! Im Angesicht der fragenden Augen, die schon erloschen waren, nahmen sie die Papiere in die Hand, begutachteten Siegel, Stempel, die Qualität einer Unterschrift. Sie trugen das Dokument in eine Liste ein, machten ein Zeichen, legten das Papier zur Seite. Bücken, blicken, notieren, ablegen... Nicht daran denken, hundertmal, tausendmal am Tag: Nicht daran denken! Plötzlich war es heraus, einer sagte: „So werden sie die ganze Welt sortieren lassen." Leise sagte es der polnische Kamerad Ehrlich in die niederdrückende Schwüle des Raumes.
„Das werden sie nicht!" Zornig sagte es Kurt Lewinsky. „Das werden sie nicht! Sie können es nicht. Bei Stalingrad hat man sie nicht nur das Sortieren ihrer eigenen Verluste gelehrt. Die Rote Armee wird sie zerschlagen, alle, alle, alle!" Ehrlich verbarg seinen Blick vor dem des Kommunisten. Zögernd fragte er, resignierend: „Aber wann, Kurt, wann?" „Bald, ja es wird bald geschehen sein. Der Krieg wird zurückkehren, dorthin, von wo er ausgegangen ist! Hast du denn jeden Maßstab verloren?" „Über uns wird er hinwegrollen, wie bisher alles über uns hinweggerollt ist..." Diese Wendung in dem Gespräch war Kurt nicht recht. Er sah sich im Kreis der Kameraden um; dachten denn alle so? Es schien ihm, und er glaubte zu spüren, seine ganze Arbeit bisher, seine täglichen Versuche, den Gefährten Mut einzuflößen, den Willen, zu überleben, nicht in Verzweiflung und Lethargie dahinzudämmern, all das schien mit einem Schlag vergeblich gewesen zu sein. In diesem Augenblick haßte er Ehrlich; mußte er es denn auch so weit treiben? Kurt erschrak. Er sah, daß sein Freund Leo wie versteinert auf einem Hocker saß. Seine Hände hingen schlaff herab. Kurt ging zu ihm. Leo bemerkte ihn nicht, er blickte in die Leere, so wie am Morgen Oskar. Kurt faßte seinen Freund an den Schultern. „Was ist, Leo?" Krebs antwortete nicht.
„Fehlt dir etwas? Bist du krank?" Krebs schwieg. Lewinsky blickte ihm über die Schulter. Auf dem Boden lag eine Urkunde. Er hob sie auf. Es war die Geburtsurkunde einer schon sehr alten Frau. Lewinsky gab das Dokument Leo. Er nahm es, steckte es vorsichtig, ja, fast zart in seine Tasche. Dann stand er auf, ging wortlos in die äußerste Ecke des Raumes und lehnte den Kopf an den Pfosten der Pritsche. Kurt sollte bald erfahren, daß es die Geburtsurkunde von Leos Mutter gewesen war. Wagner brüllte aus seinem Verschlag heraus: „Freistunde!" Die Häftlinge verließen die Baracke und gingen in den schmalen Gang zwischen Stacheldraht und Blockwand, still, in sich gekehrt. Leo aber blieb an dem Pfosten stehen; er schien nichts gehört zu haben. Aus seinem Raum trat Wagner und schrie den Häftling an. „He, das gilt auch für dich! 'raus!" Da trat Max Bober wieder in die Druckerei, ruhig schritt er auf Wagner zu. Voller Haß blickte er den Nazi an, dann zischte er zwischen den Zähnen hervor: „Laß den Mann in Ruhe, wenn du je eine Mutter gehabt hast!" Der Oberscharführer ging, wütend die Tür hinter sich zuschlagend, in seinen Verschlag zurück. Durch die neu in den Block 19/18 Befohlenen hatte sich die Gruppe der Antifaschisten in der Falschmünzerei größeren Einfluß auf alle anderen verschaffen können. Aber es wuchsen auch die
Schwierigkeiten. Unter dem physischen Druck traten nicht nur die Stärken jedes Häftlings zutage, sondern auch seine Schwächen. Da waren sie gezwungen, den Nazis in jeder Minute ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Talente zu geben, und sie sehnten jede Minute die Niederlage ihrer grausamen Ausbeuter herbei, und sie taten das Ihre dazu! Auf Lewinsky stürmten die Gedanken ein. Kaum an die Macht gelangt, hatten die Nazis ihn eingesperrt. Dann hatte er über elf Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern gegen die Faschisten gekämpft, versucht, ihnen so viel wie möglich zu schaden... Im Januar lieferte Krüger die ersten falschen DollarNoten. Im Februar stießen die sowjetischen Streitkräfte zur Oder vor und bereiteten sich auf den letzten, vernichtenden Schlag gegen das faschistische Regime vor. Aus dieser Gegenüberstellung entwickelten sich ganze Bündel von Fragen. Und eine, die in Kurt immer wieder bohrte: Warum jetzt noch alles auf eine Karte setzen? Es ist doch gleich geschafft... Aber hatte er es nicht erlebt? Stillhalten hieß, sich selbst aufgeben: Selbstaufgabe aber ist Selbstmord! Und er fing sich: Lieber bis zum letzten Atemzug kämpfen; sollte das Leben nicht zu halten sein, dann sollte es nicht fliehen vor denen, die bereits ihre Flucht vor der Verantwortung vorbereiteten. Als dann im April 1945 der Befehl erteilt wurde: „Alles abmontieren, alles verpacken!", da stürzte für die Faschisten eine Welt zusammen. Falsifikate, Pässe,
Geheimwaffe Hitlers: Falsifikate. Nicht mehr zum Einsatz gelangt, wurden in den letzten Kriegslagen Millionen gefälschter englischer Pfundnoten kistenweise im Toplitzsee (Salzkammergut) versenkt. Im Mai 1959 wurden die Kisten geborgen Maschinen und Geräte verschwanden in Kisten. Dann rollten die offenen Güterwaggons mit den Häftlingen schließlich nach . Süden. Fünf Tage und fünf Nächte vegetierten fast achtzig KZ-Häftlinge in einem Waggon, sie wußten nicht um Ziel noch um ihr Schicksal. Das aber war bereits für die vom Block 19 vorbereitet. Ahnten sie es, die achtzig Kameraden? Und was blieb da noch zu raten? Nur eines war wichtig: Nicht den Kopf verlieren! Der Transport kam
in Mauthausen an und wurde einige Wochen danach nach Redi-Zipfl in das Arbeitslager Schlier geleitet. Man sagt es so dahin: Der Mensch lebt nur einmal. Aber wie viele Tode hatten die Häftlinge schon erlebt? Ihnen erschien der Tod täglich, stündlich. Doch SS-Krüger betonte, daß es nun wieder aufwärts gehen würde. Aber er befahl, die Tausenden Ausschußnoten zu verbrennen und einzuäschern. Und mit jeder Note, deren Rauch in den Frühlingshimmel stieg, schien den Häftlingen jede Lebenschance zu verbrennen. Aber Krügers gemütliche Grausamkeit war noch nicht gestillt. Konnten die Häftlinge wissen, daß dieser Verbrecher bereits einen SS-Trupp von Skorzeny besaß, der nicht nur die falschen Geldnoten und Pässe sowie andere Falsifikate in die sogenannte Alpenfestung bringen sollte? Noch einmal wurde der Häftlingstransport verlegt, diesmal in das KZ Ebensee. Dort sollten die Häftlinge zu zwanzigtausend anderen Schicksalsgenossen in einen unterirdischen Stollen gebracht werden, um sie samt Stollen in die Luft zu sprengen! Noch einmal erschien Krüger, doch anders als gewohnt: In einem schnellen „Alfa Romeo" brauste er heran, neben ihm saß eine attraktive Blondine. Der Wagen hielt, der Sturmbannführer übermittelte den Wachmannschaften den Befehl seines Verbrecherchefs Himmler: „Jede Spur des ,Unternehmens Bernhard' ist zu verwischen, alle hundertvierzig Beteiligten des Unternehmens sind zu liquidieren." Frisch und ausgeruht stieg er in den
Wagen, gab Gas und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Doch die alliierten Armeen kamen immer näher; jeder Faschist, ob groß, ob klein, bekam es mit der Angst zu tun. Auch die SS-Wachmannschaften versuchten, schnell noch ihre eigene Haut zu retten. Die Häftlinge überließen sie ihrem Schicksal... Am 5.5.1945 rollten amerikanische Panzer in das Lager des Grauens. Alles, was in den lebenden Skeletten noch an Kraft war, die Erlösung von der Qual ungezählter Jahre, der Jubel über den Sieg, floß in einer Sturmflut von Tränen über... Der erste Tag der Freiheit war gekommen.