Atlan - Der Held von Arkon Nr. 216
Das Ende von Yarden Vargo zerstört seine Schöpfung die Eisige Sphäre vergeht von H...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 216
Das Ende von Yarden Vargo zerstört seine Schöpfung die Eisige Sphäre vergeht von H. G. Ewers
Im Großen Imperium der Arkoniden steht es nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks ist er erneut in den Mikrokosmos gelangt, wo Ischtar, die Goldene Göttin, und seine alten Kampfgefährten Fartuloon, Corpkor und Eiskralle auf der Suche nach ihm ebenfalls eingetroffen sind. Der Gesuchte und die Suchenden treffen als Gefangene in Yarden, der Eisigen Sphäre, zusammen, Vargos künstlicher Schöpfung, die den Angelpunkt zwischen Mikro- und Makrokosmos darstellt. Atlan und seine Gefährten kämpfen um ihre Freiheit – und sie erleben DAS ENDE VON YARDEN …
Das Ende von Yarden
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan, Fartuloon, Corpkor, Eiskralle, Ischtar, Crysalgira und Chapat - Gefangene der Eisigen Sphäre. Vargo - Ein Erfinder wird zum Zerstörer. Magantilliken - Der Henker läuft Amok. Rinecco - Ein Valtor.
1. Der Grundriß des Raumes war quadratisch, die Wände bestanden aus massivem Stahl und das Mobiliar war so dürftig und primitiv, daß ein sensibles Lebewesen bei längerem Aufenthalt allmählich den Verstand verlieren würde. Fartuloon, Eiskralle und Ischtar saßen auf harten Stühlen um den einzigen Tisch herum und beobachteten Corpkor, der einer seltsamen Beschäftigung nachging. Der Tiermeister und ehemalige Kopfjäger kauerte vor einem Lüftungsgitter der Klimaanlage, aus dem beständig ein kühler Luftzug strich. Seit einiger Zeit war durch das Lüftungsgitter außerdem ein Rascheln und Pfeifen gekommen, das sich in unregelmäßigen Abständen wiederholte und einmal näher kam und sich dann wieder entfernte. Corpkor hatte nur ahnen können, daß diese Geräusche von Tieren verursacht wurden, die sich gegen den Willen der Bewohner des Pulks in den Raumschiffen und Gängen eingenistet hatten und ein Schmarotzerdasein führten. Seine Vermutung war erst vor wenigen Augenblicken bestätigt worden, als eines dieser Tiere seine spitze Schnauze durch das Gitter gesteckt und ihn aus schwarzen Knopfaugen gemustert hatte. In dem Halbdunkel hinter dem Gitter waren der unterarmlange, mit dunkelgrauem Fell bedeckte Körper und der lange nackte Schwanz nur undeutlich zu sehen. Aber das erschien dem Tiermeister halb so wichtig. Für ihn war es bedeutungsvoll, daß er den Vertreter einer Tierart vor sich sah, die anscheinend ungehinderten Zugang zu allen Korridoren, Lagerräumen, Verbin-
dungsröhren und sonstigen Örtlichkeiten des riesigen Pulks in der Eisigen Sphäre hatte. Eine Weile musterten sich das Tier und der Mann, während sie in Schweigen und Ratlosigkeit verharrten. Dann spitzte Corpkor die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus, der große Ähnlichkeit mit den Pfiffen hatte, die lange vorher aus dem Schacht der Klimaanlage zu hören gewesen waren, der in dem Gefängnis der vier Personen mündete. Das Tier zuckte zusammen. Sein nackter, rosafarbener Schwanz wischte einmal von rechts nach links über den Boden. Doch es ergriff nicht die Flucht, was der Tiermeister als ersten Erfolg für sich verbuchte. Er besaß große Erfahrung im Umgang mit Tieren aller Art, angefangen von gigantischen Raubechsen und behäbigen Pflanzenfressern, bis zu Schlangen, Insekten, Nagern, Vögeln und Würmern. Das Wichtigste, um das Vertrauen eines beliebigen Tieres zu gewinnen und damit die Basis für kooperatives Verhalten zu schaffen, war, sich auf seine Psyche einzustellen und anschließend die natürliche Fluchtdistanz nach und nach abzubauen. Da Corpkor es bei diesen Nagern – denn Nager waren es, wie er an den Zähnen erkannte – mit Tieren zu tun hatte, die sich mittels akustischer Signale verständigten, versetzte er sich in völlige Reglosigkeit, schloß dadurch optische Reize bei seinem Gegenüber aus und probierte die akustisch aufgenommene Skala der artspezifischen Verständigungssignale durch. Schon nach kurzer Zeit erwiderte das Tier einen von Corpkors Pfiffen. Damit war der Anfang einer Rückkoppelung gemacht, der Vorbedingung einer Zusammenarbeit zwischen zwei verschiedenartigen Lebewesen
4 mit sehr unterschiedlicher Intelligenz, wobei die Unterschiede in der Intelligenz nach Corpkors Überzeugung nicht absolut qualitativ gesehen werden durften, sondern immer auf die jeweilige Umwelt bezogen werden mußten. Vielleicht war es diese Überzeugung, die es dem Tiermeister erst ermöglichte, sich in die Psyche artfremder Lebewesen einzufühlen und Zutrauen und Bereitschaft zur Kooperation zu ernten. Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis Corpkor die Skala der Verständigungssignale der Nager so gut beherrschte, daß er auf ihr wie auf einer Computertastatur spielen und die von ihm gewünschten Ergebnisse erzielen konnte. Inzwischen hatten sich jenseits des Lüftungsgitters mehr und mehr der Tiere versammelt und wären nacheinander in das Rückkopplungssystem einbezogen worden. Der Tiermeister wollte gerade dazu übergehen, das Ergebnis seiner Bemühungen in praxisbezogene Aktionen umzusetzen, als die Tür des Gefängnisses sich öffnete. Sofort huschten die Nager davon. Corpkor drehte sich unwillig um – und stand auf, als er sah, daß der Vargane, der ihr Gefängnis betreten hatte, in einer verschwörerischen Geste einen Finger an seine Lippen legte. Außerdem trug er ein dick vermummtes Bündel unter dem Arm. Ischtar war beim Eintritt des Varganen und beim Anblick des Bündels wie elektrisiert hochgefahren und hatte den Mund zu einem Schrei geöffnet. Angesichts der verschwörerischen Geste des Mannes unterdrückte sie ihren Aufschrei jedoch. Der Vargane schloß die Tür hinter sich, lächelte und reichte Ischtar das Bündel. Sie nahm es und wickelte es teilweise auf. Als das Gesicht ihres Sohnes sie anblickte, drückte sie das Bündel an sich und bedeckte das kleine Gesicht mit Küssen. Dann wandte sie sich an ihre Gefährten. »Chapat! Es ist Chapat, mein Sohn!« stammelte sie.
H. G. Ewers
* Fartuloon erhob sich ebenfalls, trat neben Ischtar und musterte das Gesicht des Säuglings. »Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten«, bemerkte er. Dann musterte er den Varganen, der Chapat gebracht hatte. »Woher hast du den Kleinen – und wer schickt dich?« fragte er. »Vargo hat mir Chapat übergeben und mich beauftragt, ihn zu seiner Mutter zu bringen«, antwortete der Mann. »Ich soll Ihnen ausrichten, daß Vargo auch mit Atlan Kontakt aufgenommen hat und daß es dem Arkoniden gut geht.« »Wo ist Atlan?« fragte Ischtar. »Er befindet sich ebenfalls in einem Schiff des Pulks«, berichtete der Vargane. »Und zwar zusammen mit einer arkonidischen Prinzessin. Ich glaube, Crysalgira heißt sie.« Die Augen der Goldenen Göttin funkelten. »Zusammen mit einer arkonidischen Prinzessin?« Ihre Stimme bebte vor Eifersucht. »Wenn dieses Weib ihn verführt hat, kratze ich ihr die Augen aus!« »Aber Crysalgira ist sehr nett«, teilte Chapat ihr auf telepathischem Wege mit. »Um so schlimmer!« brauste Ischtar auf, die im ersten Moment glaubte, ihr Sohn hätte akustisch zu ihr gesprochen. »Was ist um so schlimmer?« erkundigte sich der Bote verwirrt. »Daß diese Crysalgira sehr nett sein soll«, erwiderte Ischtar. Im nächsten Moment begriff sie, daß außer ihr niemand gehört hatte, was Chapat ihr übermittelte. Sie preßte die Lippen zusammen. »Aber niemand hat behauptet, die Prinzessin wäre sehr nett«, meinte der Vargane. »Schon gut!« sagte Ischtar. »Ich habe eben nur laut gedacht.« Sie ignorierte die prüfenden Blicke ihrer Gefährten, wiegte Chapat auf ihren Armen und ging zum Tisch, um den Säugling auszuwickeln und
Das Ende von Yarden eventuell trockenzulegen. Fartuloon nahm unterdessen dem Boten einen Beutel mit Babynahrung und frischen Windeln ab, dann fragte er: »Warum hat Vargo uns keine Waffen besorgt? Er hatte versprochen, uns unsere Ausrüstung wiederzubeschaffen.« »Vargo hat selbst mit Schwierigkeiten zu kämpfen«, antwortete der Vargane. »Er läßt Ihnen jedoch ausrichten, daß er sich bemüht, Sie zu unterstützen. Darf ich jetzt wieder gehen?« »Einen Augenblick noch!« rief Eiskralle. Der Vargane wandte sich nur zögernd zu Eiskralle um. Der Anblick dieses seltsamen Wesens schien Urängste in ihm zu wecken. Als Eiskralle mit seinen eisartigen Händen auf ihn zeigte, erschauderte er. »Wenn Sie mit dem Baby hereingekommen sind, dann stehen doch sicher Wachen draußen, die mit Vargo sympathisieren«, sagte Eiskralle. »Warum kann dann nicht jemand von uns mit Ihnen hinausgehen?« »Es stimmt zwar, daß die Wachen mit Vargo befreundet sind«, gab der Bote zurück. »Aber sie würden niemanden von Ihnen hinauslassen, denn sie fürchten eine grausame Bestrafung, falls durch ihre Schuld ein Gefangener entkäme.« »Wenn wir unsere Ausrüstung bekämen und Vargo unterstützten, brauchten die Wachen keine Bestrafung zu fürchten«, erklärte Eiskralle grimmig. »Ich möchte mit ihnen reden.« »Ich denke, das wäre sinnlos«, mischte sich Corpkor ein, der bisher geschwiegen hatte. »Außerdem habe ich andere Pläne.« Er wandte sich an den Boten. »Wie heißen die Nagetiere, die überall in den Schiffen und Verbindungsgängen des Pulks herumwimmeln?« »Wir nennen sie die Valtoren«, antwortete der Vargane. »Sie sind eine schreckliche Plage für uns, denn sie vernichten immer wieder kostbare Vorräte, nagen die Isolationen von Leitungen durch und verschmutzen die Wassertanks mit ihrem Kot.« Corpkor lächelte befriedigt.
5 »Sie sind also tatsächlich überall im Pulk anzutreffen – und ihre Bekämpfung ist bisher gescheitert?« »Na, ja«, meinte der Vargane. »Eigentlich wurden sie nie richtig bekämpft. Wir haben uns eben damit abgefunden, daß es sie gibt.« »Danke, das genügt«, sagte der Tiermeister. »Richten Sie Vargo unsere Grüße aus und sagen Sie ihm, er möchte Waffen und Ausrüstung bereit halten, für den Fall, daß einem von uns der Ausbruch gelingt.« Der Bote schaute ihn verwundert an. »Aber Ihr Gefängnis ist absolut ausbruchsicher.« »Es gibt kein absolut sicheres Gefängnis«, entgegnete Corpkor. »Werden Sie veranlassen, daß Vargo unsere Wünsche erfüllt?« »Selbstverständlich«, sagte der Vargane. Als er gegangen war, richteten sich die Blicke von Fartuloon, Eiskralle und Ischtar auf den Tiermeister. »Du willst die Valtoren zu deinen Helfern machen, nicht wahr?« fragte Fartuloon schließlich. Corpkor nickte. »Das will ich – und ich denke, daß es mir gelingt. Du und Eiskralle, ihr solltet die elektronischen Wachsysteme unseres Gefängnisses, falls welche vorhanden sind, suchen, lokalisieren und definieren. Ich hoffe, meine Valtoren dazu bewegen zu können, diese Anlagen lahmzulegen.«
* Ischtar fütterte ihren Sohn und beobachtete dabei ihre Gefährten, die ihre Aktionen systematisch vorbereiteten. Corpkor kümmerte sich weder um Ischtar noch um Fartuloon und Eiskralle. Er rief durch Pfeifsignale die Valtoren herbei, mit denen er bereits Kontakt gehabt hatte. Der Valtor, der sich zuerst hinter dem Lüftungsgitter bemerkbar gemacht hatte, schien eine führende Stellung unter seinesgleichen einzunehmen. Der Tiermeister nannte ihn Rinecco, nach einer alten arkonidischen Tiersage.
6 Nach einiger Zeit hatte er Rinecco daran gewöhnt, auf seinen Namen zu hören. Rinecco seinerseits sorgte dafür, daß seine Artgenossen ihre Scheu vor dem riesigen zweibeinigen Lebewesen verloren und vermittelte zwischen dem Tiermeister und ihnen. Zweifellos übernahm er die Rolle des Vermittlers nicht aus uneigennützigen Motiven. Er wollte seinen Rang als Anführer nicht an Corpkor abtreten; deshalb sorgte er dafür, daß seine Artgenossen ihre Befehle nicht von Corpkor direkt erhielten, sondern über ihn. Corpkor seinerseits respektierte den Willen Rineccos zur Behauptung seines Ranges. Das sicherte ihm nicht nur die Freundschaft des Anführers, sondern es war für ihn auch leichter, sich dem intelligentesten Tier der Gruppe verständlich zu machen als jedem einzelnen Valtor. Nachdem er soweit war, fing für ihn der schwierigste Teil seiner Aufgabe an. Es galt, den Valtoren begreiflich zu machen, daß er etwas von ihnen wollte, was er ihnen nicht direkt zeigen konnte. Bei Lebewesen, die ganz auf Anschaulichkeit angelegt sind und denen abstraktes Denken völlig fremd ist, stellt das immer ein schwieriges Problem dar. Da auch der Tiermeister keine Wunder vollbringen konnte, mußte er Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst besorgte er sich ein Kleidungsstück Chapats, von dem er annahm, daß Atlan es irgendwann in den Händen gehabt hatte. Dieses Kleidungsstück hielt er Rinecco vor. Rinecco schnupperte daran, dann stieß er seine Schnauze durch das Gitter und bewegte die Nase heftig schnüffelnd, während er sie auf Chapat richtete. Corpkor gab durch zwei Pfiffe eine Bejahung und eine Verneinung bekannt. Das verwirrte den Valtor erwartungsgemäß, aber nach und nach gelang es dem Tiermeister, dem Valtor beizubringen, daß er die Quelle des gleichartigen Geruchs nicht bei Chapat, sondern in einer weit entfernten Gegend aufspüren sollte.
H. G. Ewers Was Corpkor vollbrachte, war eine Meisterleistung der Dressur, aber es ließ sich nicht nur mit Dressur allein erklären. Tiere zu dressieren, ist eine Sache unendlicher Geduld und vieler Tage, Wochen oder gar Monate. Corpkor schaffte das, wozu ein anderer vielleicht sechs Wochen intensiver Arbeit gebraucht hätte, nur deshalb in wenigen Stunden, weil er eine geniale Begabung besaß, auf ein Tier einzugehen und in ihm Kooperationsbereitschaft in höchstem Maße zu aktivieren. Vielleicht spielte sogar eine Art Telepathie mit, aber darüber äußerte sich der Tiermeister nie. Wahrscheinlich war es auch keine Telepathie im Sinne von Gedankenübertragung, sondern nur eine Fähigkeit, sich auf den sechsten Sinn eines Tieres einzustimmen, der fast allen technisch orientierten Intelligenzen verschlossen bleibt. Jedenfalls schaffte Corpkor es, den Valtoren beizubringen, daß sie sich in immer weiteren Kreisen auf die Suche nach jemandem machen sollten, dem der übermittelte Geruch anhaftete. Aber das war längst nicht alles. Er brachte es sogar fertig, daß die Tiere sich anfassen ließen, so daß er ihnen an Halsbändern, die er aus zerrissenen Plastiktüchern anfertigte, schriftliche Botschaften an Atlan mitgeben konnte. Rinecco unterstützte den Tiermeister dabei, indem er seine Artgenossen dicht genug ans Lüftungsgitter drängte und sie anfauchte, wenn sie vor Corpkors Hand zurückweichen wollten. Nachdem drei der Valtoren mit einer Nachricht versehen worden waren, trieb ihr Anführer sie auf den Weg. Danach kehrte er zum Lüftungsgitter zurück, schob seine Schnauze hindurch und stieß mit ihr vertrauensvoll an Corpkors Hand. Der Tiermeister lächelte. »Braver Bursche!« lobte er. »Sobald die Wächter die nächste Mahlzeit gebracht haben, sollst du meine Ration bekommen. Anschließend ruhen wir uns aus. Aber später habe ich noch weitere, größere Pläne mit dir.«
Das Ende von Yarden
2. Als die Videoprojektion des Himmels einen Sonnenuntergang simulierte, begaben Crysalgira und ich uns zu einer der Hütten, die in der paradiesischen Landschaft standen. Die Varganinnen und Varganen, die sich bereithielten, um uns als Fortpflanzungspartner zu dienen, sobald wir dazu bereit waren, schauten uns nach. Doch sie waren tatsächlich gut erzogen beziehungsweise geschult worden. Sie waren niemals aufdringlich, sondern hielten sich zurück. Natürlich hatten sowohl Crysalgira als auch ich zahlreiche glutvolle Blicke von Frauen und Männern aufgefangen. Doch das war ganz natürlich. Immerhin war die Prinzessin eine außergewöhnlich schöne Frau, und ich wußte aus einigen Erfahrungen, daß Frauen beim Anblick eines hochgewachsenen durchtrainierten Mannes, dessen Gesicht und Bewegungen den Abenteurer verrieten, sehr schnell schwach zu werden pflegten. So gesehen, mußten wir die betreffenden Blicke als Komplimente auffassen. Mir gelang das, vielleicht, weil Männer das Umschwärmtsein brauchten, auch wenn sie eine feste Bindung eingegangen sind und gar nicht beabsichtigen, sie zu brechen. Frauen haben größtenteils auch nichts gegen bewundernde Blicke, aber wenn sie sich gefühlsmäßig bei einem Mann stark engagiert haben, empfinden sie zu intensives Augenflirten schon als aufdringlich. Jedenfalls fauchte Crysalgira wie eine Katze, als wir die Hütte betraten. »Diese lüsternen Kerle haben sich verrechnet!« schimpfte sie. »Wenn mir einer zu nahe tritt, werde ich ihm jeden Knochen im Leib einzeln brechen.« Ich legte einen Arm um ihre Taille und lächelte sie beruhigend an. »Du tust diesen Männern Unrecht, Kleines. Sicher, sie begehren dich, aber aus ihren Blicken haben eher Verehrung und Werbung gesprochen, nicht plumpe Lüsternheit. Wo-
7 mit ich nicht sagen möchte, daß du ihrem Werben nachgeben sollst. Im Gegenteil, ich werde alles tun, um dich davor zu bewahren, Zuchtmutter eines neuen Varganengeschlechts zu werden.« Crysalgira drückte ihren Kopf an meine Brust. »Du bist so gut, Atlan. Ich weiß nicht, was aus mir würde, wenn ich dich nicht hätte. Wahrscheinlich hätte ich mir aus Verzweiflung längst das Leben genommen.« »So etwas darfst du nicht sagen!« Ich strich ihr übers Haar. »Ein Leben ist schnell ausgelöscht, aber wenn es entflohen ist, läßt es sich nicht mehr zurückholen – durch keine Macht des Universums. Das solltest du immer bedenken, bevor du so dumme Gedanken äußerst.« Wir setzten uns an den Tisch, der in der Mitte des einzigen Raumes der Hütte stand. Es war ein Automatbedienungstisch, von dem man auf Knopfdruck alle gewünschten Speisen und Getränke erhielt. Wir tasteten eine Flasche Wein, eine Schüssel Salat und ein Gericht aus gegrilltem Fleisch und luftigen Fladen, die in Öl gebacken waren. Während wir aßen, dachte ich an Chapat. Vargo hatte meinen Sohn mitgenommen und versprochen, ihn zu Ischtar zu bringen. Ich hoffte, daß ihm das gelungen war. Aber eigentlich machte ich mir um Chapat weniger Sorgen als um Ischtar. Die Varganen des Mikrokosmos würden meinem Sohn kein Leid antun, weil sie mich nicht unnötig gegen sie aufbringen wollten. Anders sah es mit Ischtar aus. Ich wußte, daß meine Goldene Göttin von den Varganen des Mikrokosmos wegen angeblichen Verrats zum Tode verurteilt worden war. Mehrmals war sie nur mit Mühe und Not den Mordanschlägen Magantillikens, des Henkers der Varganen, entkommen. Innerhalb der Eisigen Sphäre aber waren die Varganen nicht darauf angewiesen, daß Magantilliken selbst das Urteil vollstreckte; hier hatten sie jederzeit die Möglichkeit, Ischtar umzubringen. Ich spielte mit dem Gedanken, mich
8 selbst den Varganen als Preis für das Leben Ischtars anzubieten und mich bereit zu erklären, mit Varganinnen Kinder zu zeugen, wenn man mir dafür garantierte, Ischtar nicht anzutasten. Andererseits würde ein solches Angebot die Varganen vielleicht verleiten, Ischtar auch als Druckmittel gegenüber Crysalgira einzusetzen. Deshalb beschloß ich, die Entwicklung abzuwarten. Solange Fartuloon, Eiskralle und Corpkor bei Ischtar waren, drohte ihr wahrscheinlich keine unmittelbare Gefahr. Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als die nur angelehnte Tür knarrte. Als ich hinausschaute, sah ich sie zurückschwingen. Aber es war niemand da, der sie bewegt haben könnte. Außerdem konnte sie nur ein kleines Stück aufgeschwungen sein, zu wenig, um einen Varganen hindurchzulassen. Die Prinzessin hatte überhaupt nichts bemerkt. Sie kaute geistesabwesend und blickte auf eine Stelle des Tisches, als könnte sie dort ihre Zukunft ablesen. Ich widmete mich erneut der Mahlzeit. Kurz darauf knarrte die Tür abermals. Diesmal stand ich auf und ging hin, denn ich konnte mir nicht vorstellen, was die Tür bewegt haben sollte. Die Umgebung der Hütte war zwar wie eine Freilandschaft gestaltet, aber sie befand sich trotzdem innerhalb eines Raumschiffs, in dem es keinen Wind geben konnte, schon gar keine Windböen, die eine Tür aufstießen. »Was ist los, Atlan?« fragte Crysalgira. »Nichts«, antwortete ich. »Ich will mir nur die Füße ein wenig vertreten.« »Gehst du etwa auf Brautschau?« erkundigte sich die Prinzessin argwöhnisch. Ich wandte mich um und sah sie vorwurfsvoll an. »Du solltest mich eigentlich gut genug kennen, um solche dummen Fragen zu unterlassen. Wenn mich innerhalb der Eisigen Sphäre außer dir eine Frau interessiert, so ist das Ischtar – und Ischtar ist zur Zeit unerreichbar für mich.« »Aber du wärst gern bei ihr, nicht wahr?«
H. G. Ewers Ich wandte mich brüsk ab. Crysalgiras Benehmen enttäuschte mich. Sie hatte schließlich von Anfang an gewußt, daß ich Ischtar liebte. Schließlich galt für sie das im gleichen Maße mit dem Sonnenträger Chergost. Unsere Beziehungen waren nur deshalb hin und wieder besonders eng gewesen, weil wir uns durch gemeinsam überstandene Strapazen und Gefahren naturgemäß zueinander hingezogen fühlten und ganz einfach manchmal beieinander so etwas wie Zuflucht gesucht hatten. Als ich vor die Hütte trat, sah ich, daß der simulierte Sonnenuntergang einem simulierten Sternenhimmel Platz gemacht hatte. Hinter den Fenstern der Hütten, in denen die Varganinnen und Varganen lebten, leuchtete Licht. Ansonsten war es unnatürlich ruhig, was wiederum nur natürlich war, denn in einer künstlichen Landschaft gibt es, auch wenn die Pflanzen lebten, keine Tiere, seien es Falter, Grillen, Nachtvögel oder Raubkatzen, die der Szenerie die Belebtheit der echten Natur einzuhauchen vermögen. Es gab nicht einmal Wind, der die Blätter der Büsche und Bäume zum Rascheln brachte oder das Gras in jene wellenförmige Bewegung versetzte, die erst den Reiz großer Grasflächen ausmacht. Doch dann stutzte ich. Links von mir war eine huschende Bewegung erkennbar gewesen. Ich blickte genauer hin, konnte aber nicht mehr sehen. Wahrscheinlich hatten meine überreizten Nerven mir einen Streich gespielt. Ich wollte in die Hütte zurückkehren, da bemerkte ich aus den Augenwinkeln ein langgestrecktes graues Etwas, das im Licht der simulierten Sterne von einem Gebüsch zum anderen huschte. Unwillkürlich sah ich mich nach einem Stein um, den ich nach dem Tier werfen konnte, denn ich erkannte es als eines jener widerwärtigen Schmarotzer, die ich bei meinem Versuch, zu Ischtar zu gelangen, in einem der Varganenschiffe kennengelernt hatte. Da ich nirgends einen Stein oder ein an-
Das Ende von Yarden deres Wurfgeschoß entdecken konnte, kehrte ich in die Hütte zurück. Diesmal zog ich die Tür hinter mir ins Schloß, damit das Ungeziefer draußen blieb. Erst dann sah ich, daß Crysalgira auf dem Automattisch stand und aus Augen, in denen Furcht und Zorn miteinander wetteiferten, auf ein anderes graues Nagetier blickte, das auf meinem Stuhl hockte und seine Nase witternd hin und her drehte. Das ist zuviel! dachte ich, während ich den leeren Waffengurt abschnallte, um die rechte Hand wickelte und das freie Ende mit dem schweren Gürtelschloß langsam hin und her schwingen ließ …
* Die Tür flog auf und prallte krachend gegen die Wand. Ein Vargane mit einem Antigravtablett voller Speisen trat ein, begleitet von vier schwerbewaffneten Männern. Fartuloon hackte die Daumen hinter seinen Gürtel und blickte die Varganen drohend an. »Das nächstemal treten Sie gefälligst wie zivilisierte Leute ein und nicht wie eine Horde Barbaren!« sagte er. »Schließlich ist eine Dame hier.« Der Vargane mit dem Antigravtablett und drei seiner Begleiter schauten verlegen weg. Nur der vierte Vargane blickte Fartuloon herausfordernd an. »Wo ist eine Dame?« fragte er frech. »Ich kann keine …« Der Schluß seines Satzes blieb unausgesprochen, da der Kopf des Mannes unter einer Ohrfeige Fartuloons zur Seite flog. »Chaib!« grollte Fartuloon. »Ich werde dir noch Manieren beibringen!« Der Gezüchtigte hatte seine Waffe fallen lassen und war halb ohnmächtig gegen die Wand gesunken. Als er die Benommenheit abgeschüttelt hatte, zog er einen Handstrahler aus seinem Gürtelhalfter und wollte auf Fartuloon anlegen. Corpkor pfiff schrill. Im nächsten Augenblick huschten mehre-
9 re graue Schatten durch die weiten Maschen des Lüftungsgitters, schnellten an dem Varganen hoch und gruben ihre messerscharfen Zähne in seine Unterarme. Der Mann schrie gellend auf, ließ den Handstrahler fallen und wich zur Tür zurück. Bevor die übrigen Bewaffneten wußten, wie sie sich verhalten sollten, pfiff der Tiermeister erneut. Die Valtoren verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Fartuloon trat zwei Schritte zurück, um damit zu demonstrieren, daß er es nicht auf die Waffen des Verletzten abgesehen hatte. »Nehmt ihn und seine Waffen und geht!« befahl er den anderen Varganen. »Und vergeßt nicht, daß Fartuloon es nicht zuläßt, daß eine Dame in seiner Gegenwart beleidigt wird.« Schweigend verließen die Varganen das Gefängnis. Das Antigravtablett blieb auf dem Tisch zurück. Als die Tür sich schloß, drehte Ischtar, die das Baby vor den Blicken der Besucher verborgen hatte, indem sie sich halb der Rückwand zudrehte, sich wieder herum und meinte besorgt: »Das hättest du nicht tun sollen, Fartuloon. Möglicherweise zieht das Repressalien nach sich, die wir gerade jetzt, da Chapat bei uns ist, nicht gebrauchen können.« Corpkor erklärte lächelnd: »Das hat unser Bauchaufschneider auf meine Bitte hin getan, Ischtar. Ich mußte testen, ob meine Valtoren sich von mir zu einem Angriff auf Varganen benutzen lassen.« »Unglaublich!« erwiderte die Goldene Göttin. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würde es für Lüge halten. Diese Nager dürften den Herren des Pulks normalerweise aus dem Weg gehen, und hier haben sie einen Varganen todesmutig angegriffen.« Corpkor nickte. »Ich brauchte den Beweis dafür, daß sie sich dazu überwinden können«, erläuterte er. »Die Valtoren sollen nämlich die Phase zwei unserer nächsten Aktion vorbereiten, indem sie die Wächter überfallen.«
10 »Und worin besteht Phase eins?« fragte Eiskralle. »Darin, die elektronischen Wachsysteme lahmzulegen«, antwortete der Tiermeister. »Ich sagte es schon einmal.« »Was heißt eigentlich ›Chaib‹?« erkundigte sich die Varganin beim Bauchaufschneider. Fartuloon lächelte breit. »Das ist der Schimpfname für Söldner vom Planeten Badensiark«, antwortete er. »Diese Söldner zeichneten sich im Aufstand der Nordregion dadurch aus, daß sie beim Sturm auf Bodenforts mit lautstarkem Gebrüll losgingen, aber vor Erreichen der feindlichen Schußdistanz wieder kehrtmachten.« Corpkor lachte. »Dann haben sie meine Sympathie, alter Bauchaufschlitzer. Ich bewundere alle Leute, die sich nicht für fremde Interessen verheizen lassen, sondern soviel Tapferkeit aufbringen, um feige zu sein.« »Na, ja«, meinte Fartuloon. »So kann man es natürlich auch sehen. Auf jeden Fall ist der Schimpfname ›Chaib‹ von Anfang an halb scherzhaft gemeint gewesen.« Er wurde wieder ernst. »Kommt, setzen wir uns an den Tisch und essen. Dabei können wir unsere Ausbruchspläne durchsprechen. Es wird höchste Zeit, daß wir etwas unternehmen.« Sie nahmen alle rund um den Tisch Platz. Nur Corpkor blieb stehen. Er füllte seinen Teller mit den verschiedenen Speisen, dann ging er zum Lüftungsgitter, hockte sich hin und fütterte Rinecco und die anderen Valtoren, wie er es versprochen hatte. Seine Gefährten sahen ihm eine Weile zu, bevor sie ihre Teller füllten. Sie verständigten sich durch Blicke und ließen von allem soviel zurück, daß der Tiermeister nicht leer ausging. Als Corpkor die Fütterung der Valtoren beendet hatte, kehrte er an den Tisch zurück. »Vielen Dank, Freunde«, sagte er, als er sah, daß seine Gefährten ihm ein Viertel aller Speisen übriggelassen hatten. »Ich habe
H. G. Ewers die Valtoren auf Phase zwei vorbereitet. Sobald der nächste Wachwechsel vollzogen ist, werden die Tiere die Wächter angreifen und so lange beschäftigen, bis wir ausgebrochen sind und sie überwältigt haben. Ein anderer Teil der Valtoren arbeitet bereits daran, die Wachsysteme unseres Gefängnisses und die des ganzen Schiffes lahmzulegen. Ich denke, daß unsere Erfolgschancen recht gut sind.« »Und was wird mit Chapat?« fragte Ischtar. »Du bleibst selbstverständlich mit ihm hier zurück«, antwortete der Tiermeister. »Wir dürfen Chapat nicht den Gefahren aussetzen, die bei Kampfhandlungen nun einmal unvermeidlich entstehen. Sobald wir unsere Ausrüstung und Waffen wiederbekommen haben, kehrt einer von uns zurück und bringt dich in ein Versteck. Die anderen stoßen bis zu dem Schiff vor, in dem Atlan und die Prinzessin gefangengehalten werden. Alles andere wird sich dann aus den Umständen ergeben.« »Einverstanden«, erwiderte Fartuloon. »Ich werde erst wieder ganz ich selbst sein, wenn ich mein Skarg wieder habe.«
* Ich holte aus, um die Gürtelschnalle mit voller Kraft auf den Schmarotzer niedersausen zu lassen. Im letzten Augenblick hielt ich inne und ließ die erhobene Hand wieder sinken. Es war die Passivität, mit der das Tier auf seinem Platz ausharrte, die mich zögern ließ. Gewiß, es handelte sich um einen Schädling, aber ich brachte es einfach nicht fertig, ein Tier zu erschlagen, das weder angriff noch sich wehrte. Im Gegenteil, das Tier blickte mich aus seinen feuchten runden Knopfaugen so treuherzig an, daß ich mir plötzlich abgrundtief schlecht vorkam, weil ich es hatte erschlagen wollen. Ich fragte mich, woher ich eigentlich das Recht nahm, eine fremde Kreatur als nutzlos oder schädlich einzustufen. »Schaff das Ungeheuer fort!« kreischte
Das Ende von Yarden Crysalgira. Ich wunderte mich nicht über ihre Reaktion, obwohl sie eigentlich keine hysterische Natur war, sondern im Gegenteil oft genug gezeigt hatte, daß sie ihre Todesfurcht überwinden konnte, wenn es die Lage erforderte. Aber Frauen werden meist durch den Anblick kleinerer Tiere in Panik versetzt, auch wenn sie keine Scheu haben, bei Großwildjagden ganz allein wahren Mordbestien gegenüberzutreten. Die Mentalität der Frau ist und bleibt eben unergründlich. »Es tut dir doch gar nichts, Kleines«, sagte ich beruhigend. »Aber ich mag es nicht«, entgegnete die Prinzessin, diesmal allerdings schon ohne Hysterie. In diesem Augenblick bemerkte ich das schmale Plastikband, das dem Tier um den Hals geschlungen worden war. Zuerst dachte ich nur, daß es sich offenbar um ein gezähmtes Tier handelte, das von einem Varganen als Haustier gehalten wurde. Doch dann mußte ich an Corpkor denken, und mir kam die Ahnung, daß der Tiermeister diese Schmarotzer vielleicht für seine Zwecke eingespannt haben könnte. »Ich möchte, daß du stillstehst, wenn du dich schon nicht traust, den Tisch zu verlassen, Crysalgira«, sagte ich. »Möglicherweise hat Corpkor das Tier mit einer Botschaft zu uns geschickt. Also, bitte sei vernünftig!« Ich schnallte meinen Gürtel wieder um, dann näherte ich mich langsam dem Tier, um es nicht zu erschrecken. Zwar konnte es nicht aus der Hütte entkommen, da ich die Tür geschlossen hatte, aber ich wußte, daß diese Nager große und starke Zähne hatten, mit denen sie glatt einen Finger durchbeißen konnten. Und wenn ich es erschreckte, würde ich mich nicht zu wundern brauchen, wenn es sich gegen einen vermeintlichen Angriff verteidigte. Der Nager schaute mich unverwandt an. Seine kleine schwarze Nase schnüffelte unentwegt in meine Richtung. Plötzlich sprang er von dem Stuhl, auf dem er bis dahin gehockt hatte, lief auf mich zu und legte sich
11 vor meine Füße, wobei er sich auf den Rücken drehte und mir in typischer Unterwerfungsgeste seine Kehle darbot. Da war ich endgültig sicher, daß Corpkor uns das Tier geschickt hatte. Ich bückte mich und löste den Knoten, mit dem das Plastikband befestigt und zusammengebunden war. Das Tier verhielt sich dabei still, obwohl deutlich zu sehen war, wie heftig sein kleines Herz schlug. Natürlich fürchtete es sich, aber Corpkors Dressur wirkte stärker als die kreatürliche Furcht. Das Band erwies sich als ein zusammengerollter Plastikstreifen, der dicht mit arkonidischen Schriftzeichen bedeckt war. Ich rollte ihn auseinander. Unterdessen war Crysalgira vom Tisch gestiegen, aber noch in respektvoller Entfernung stehengeblieben. Erst, als ich den Streifen auseinandergerollt hatte, näherte sie sich zögernd. Ich las vor. »Lieber Atlan, Verehrte Prinzessin! Deine Ischtar und deine Freunde Fartuloon, Eiskralle und Corpkor grüßen dich und die Prinzessin, die es uns sicher nicht übelnimmt, wenn wir sie nachfolgend, ebenfalls duzen. Chapat ist gut hier angekommen, und auch uns geht es gut. Wir haben die Valtoren, von denen drei mit gleichlautenden Botschaften zu euch geschickt wurden, für uns gewinnen können. Sie werden uns helfen, aus unserem Gefängnis auszubrechen, und zwar so, daß die Varganen bis zur nächsten Wachablösung nichts davon bemerken. Vargo wird uns hoffentlich danach mit der nötigen Ausrüstung versorgen, so daß zwei von uns zu euch durchkommen können und euch befreien. Bitte, schickt die Valtoren, die mit ihren Botschaften zu euch gekommen sind, mit Antworten zu uns zurück, damit wir wissen, daß ihr unsere Botschaft erhalten habt. Wir hoffen, bald wieder vereint zu sein. Mit Atlan für Arkon!« »Oh!« brachte Crysalgira nur heraus. Ich machte mich lächelnd daran, eine
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Antwort niederzuschreiben, wozu ich meinen Kohlendioxid-Laserschreibstift und die Rückseite des Plastikbands benutzte. Danach kauerte ich mich nieder und befestigte das Band behutsam wieder am Hals des Valtors. Als das Tier sich noch immer nicht rührte, strich ich ihm sanft mit zwei Fingern über den Bauch. Es streckte sich genüßlich, und als ich meine Hand fortnahm, rollte es sich herum. »Komm gut zurück!« sagte ich, öffnete die Tür und ließ das Tier hinaus. Es zögerte nur kurz, dann eilte es lautlos durch die Öffnung und tauchte im Gras unter. Diesmal ließ ich die Tür geöffnet, damit auch die übrigen beiden Valtoren herein konnten, sobald sie eintrafen. Endlich war die Zeit des untätigen Wartens vorbei.
3. Fartuloon legte das Ohr an die Tür ihres Gefängnisses und lauschte. Deutlich vernahm er den Marschtritt der Wachablösung. »Sie kommen!« flüsterte er seinen Gefährten zu. Durch das dicke Material der Tür hindurch hörte er die Geräusche vom Korridor nur gedämpft. Aber die martialische Art der Zeremonie kam ihm zugute. Er hörte genau, wie die Wachablösung vor der abzulösenden Wache stillstand, wie die zeremonielle Meldung lautstark erstattet wurde und wie die abgelöste Wache mit knallendem Stechschritt abmarschierte. »Ich möchte wissen, wozu das Theater gut sein soll«, bemerkte Fartuloon spöttisch. »Wenn arkonidische Raumlandesoldaten vor dem Hügel der Weisen im Stechschritt paradieren, um die Abgesandten fremder Völker zu beeindrucken, sehe ich noch einen Sinn darin. Aber die Varganen können doch uns nicht ernsthaft beeindrucken wollen. Was hätten sie schon davon!« »Vielleicht wissen sie, wie arkonidische Bonbonsoldaten paradieren und wollen uns
zeigen, daß sie es ebenso gut können«, warf Ischtar ein. »Bonbonsoldaten ist gut«, meinte. Eiskralle. Fartuloon lächelte, dann wurde er wieder ernst. »Nein, es ist nicht gut, wenn die Disziplin arkonidischer Soldaten verspottet wird. Für das arkonidische Volk ist es – leider – lebensnotwendig, daß es ganz im Sinne eines normalerweise verwerflichen Militarismus erzogen wird. Aber wenn das Große Imperium nicht zweckentsprechend auf eine bedrohliche Umwelt reagierte, wäre es genauso, als würde ein Tier sich seinen Feinden ausliefern, indem es beispielsweise auf seine Tarnfärbung, sein Stachelkleid oder seine Warntracht verzichtete.« »Ich gebe dir ja recht, alter Bauchaufschlitzer«, warf Corpkor ein, »aber ich würde es begrüßen, wenn du mir verrietest, ob die abgelöste Wache den Korridor schon verlassen hat.« Fartuloon preßte abermals das Ohr gegen die Tür, dann nickte er und trat einen Schritt zurück. »Sie ist fort. Wir können anfangen, Corpkor.« »Aber wir haben noch keine Bestätigung, daß Atlan unsere Botschaft erhalten hat«, protestierte Ischtar. »Darauf dürfen wir nicht warten, sonst vertun wir wertvolle Zeit«, entgegnete Fartuloon. »Fang an, Corpkor!« Der Tiermeister hockte sich erneut vor das Lüftungsgitter, durch das Rinecco nach wie vor seine feuchte Schnauze steckte. Corpkor teilte dem Valtor durch Pfiffe und geflüsterte Laute mit, daß der Zeitpunkt für den Angriff auf die Wachtposten gekommen war. Rinecco bestätigte durch mehrere durchdringende Pfiffe, dann wandte er sich seinen Artgenossen zu und erteilte ihnen den Angriffsbefehl. Die drei Männer warteten, bis vom Korridor ein lauter Schrei ertönte, dann ergriffen sie die stählerne Tischplatte, die sie schon
Das Ende von Yarden vorher von ihren Tragbeinen gelöst hatten. Sie benutzten die schwere Platte als Rammbock. Natürlich wußten sie, daß die starkwandige Stahltür selbst nicht nachgeben würde. Sie richteten deshalb ihre Rammstöße gegen die Stelle, unter der sich die Verriegelungselektronik verbarg. Kompliziertes elektronisches Gerät war gegen starke Erschütterungen empfindlich. Die Frage war nur, ob die Tür sich öffnen ließ, wenn die Verriegelungselektronik sich in einen Haufen Schrott verwandelt hatte. Nach dem fünften Rammstoß klirrte und klapperte es hinter dem inneren Türblatt. Die drei Männer setzten die Tischplatte ab, dann zog Fartuloon am Türknauf. »Sie sitzt fest«, gab er bekannt. Er versuchte es noch einmal, stellte sich breitbeinig hin und setzte seinen Griff so an, daß er seine Körperkraft voll anwenden konnte. Diesmal gab die Tür nach. Fartuloon taumelte zurück. Seine Gefährten stürmten an ihm vorbei in den Korridor. Als der Bauchaufschneider ihnen folgte, sah er die vier Wachtposten am Boden liegen und verzweifelt gegen die Valtoren kämpfen, die sich auf sie gestürzt und sich in Armen, Beinen, Gesichtern und Ohren verbissen hatten. Entsprechend den Weisungen, die Corpkor ihnen übermittelt hatte, brachten sie keine tödlichen Bisse an, sondern sorgten nur dafür, daß die Varganen weder fliehen noch zu ihren Energiewaffen greifen konnten. Nacheinander befreite der Tiermeister die Wachen von ihren Quälgeistern – und so, wie sie von den Tieren freigegeben wurden, so wurden die Varganen von den drei Freunden entwaffnet, gefesselt und geknebelt. Als es geschafft war, lobte Corpkor die Tiere und schickte sie wieder fort. Danach schafften die drei Freunde die Wachen in eine leere Kabine, fesselten sie zur doppelten Sicherheit an die festgeschraubten Bettgestelle und aktivierten von draußen die elektronische Verriegelung.
13 »Das wäre es«, sagte Fartuloon. »Meine Anerkennung, Corpkor.« Der Tiermeister winkte ab. »Jeder setzt seine Fähigkeiten nach besten Kräften im Sinne der Gemeinschaft ein. Da kommt übrigens einer der Valtoren, die ich zu Atlan geschickt hatte.« Er bückte sich, als ein einzelner Valtor aus einem Seitengang auf ihn zulief. Das Tier hielt still, während Corpkor das Plastikband von seinem Hals entfernte. Der Tiermeister nickte zufrieden, als er Atlans Schrift erkannte, richtete sich auf und las vor. »Meine geliebte Ischtar, meine lieben Freunde. Mit großer Freude habe ich eure Nachricht gelesen. Der Prinzessin und mir geht es gut. Wir befinden uns noch im gleichen Doppelpyramidenschiff, wurden aber in die andere Schiffshälfte umquartiert und leben in einem künstlich angelegten Garten. Die Zugänge werden schwer bewacht, also seid vorsichtig. Wir erwarten euch und werden eingreifen, sobald wir eure Ankunft bemerken. Nieder mit Orbanaschol! Es lebe Arkon! Es lebe das Große Imperium!« Fartuloons Augen strahlten, als er die Botschaft seines Pflegesohnes vernommen hatte. »Laßt uns nicht länger warten!« rief er. »Vorwärts für Atlan und für Arkon!«
* Bald sollte sich zeigen, daß große Worte und persönliche Tapferkeit allein nicht genügten, wenn man einer technisch überlegen ausgerüsteten Übermacht gegenüberstand. Die drei Freunde unterrichteten Ischtar davon, daß ihr Handstreich gegen die Wachtposten erfolgreich verlaufen war, dann eilten sie zum Bug ihres Doppelpyramidenschiffs, um durch den Verbindungsstollen das nächste Raumschiff zu erreichen und Kontakt mit den Helfern Vargos aufzunehmen. Sie kamen allerdings nicht weiter als bis zur Schleusenkammer. Als das Innenschott
14 sich vor ihnen öffnete, sahen sie sich gänzlich unvermutet einer starken Gruppe Varganen gegenüber, die in goldfarbene Raumanzüge gekleidet waren. Die Varganen waren über die Konfrontierung ebenso überrascht wie die drei Freunde. Demnach hatten die Valtoren die Wachund Warnsysteme des gesamten Schiffes gründlich sabotiert. Doch es nützte den drei Freunden wenig, daß sie ihre Überraschung als erste überwanden und das Feuer auf den Gegner eröffneten. Zwar schieden sofort drei Varganen aus, aber die anderen aktivierten Schutzschirme, die sie wirkungsvoll vor den weiteren Strahlschüssen der Ausbrecher schützten. Dann erwiderten sie das Feuer. Fartuloon sah ein, daß sie gegen die hoch überlegen ausgerüstete Übermacht nichts ausrichten konnten. Er gab den Befehl zum Rückzug. Ständig feuernd und die Deckungen wechselnd, die im Hauptkorridor aus den zahlreichen Wandnischen bestanden, zogen sich die Freunde zurück. Beim ersten Quergang bogen sie nach rechts ab und eilten zu dem Antigravschacht, der sich am Ende des Quergangs befand. Sie stürzten sich in den Schacht und schwangen sich drei Decks höher wieder hinaus. Schweratmend blickten sie sich an. »Wir haben nicht mehr gewonnen als eine kleine Atempause«, meinte Fartuloon. »Inzwischen werden weitere Varganen als Verstärkung unterwegs hierher sein, und mit unseren unzureichenden Waffen können wir uns nicht einmal wirkungsvoll verteidigen, geschweige denn angreifen und durchbrechen.« »Willst du etwa, daß wir aufgeben?« fragte Eiskralle. Fartuloon runzelte die Stirn. »Wir müssen die Realitäten sehen«, erwiderte er zögernd. »Leider sind sie so, daß es sinnlos wäre, uns durch die Gänge des Schiffes hetzen zu lassen, wenn wir wissen, daß wir schlußendlich doch unterlägen.« »Vielleicht gelingt uns doch der Durch-
H. G. Ewers bruch, wenn wir es nur immer wieder versuchen«, erklärte Eiskralle. »Nein!« sagte Corpkor. »Für uns besteht keine reale Chance mehr, dieses Schiff zu verlassen. Dennoch möchte ich nicht gänzlich aufgeben. Deshalb schlage ich vor, daß zwei von uns die Varganen laufend beschäftigen, während der dritte sich eine Weile still verhält und dann versucht, im Rücken der Varganen aus dem Schiff zu schleichen.« »Der Vorschlag ist brauchbar«, meinte Eiskralle und wandte sich an Fartuloon. »Was hältst du davon?« »Wir werden es so machen, wie Corpkor vorgeschlagen hat«, antwortete Atlans Pflegevater. »Und zwar wird Corpkor der Mann sein, der sich hinter dem Rücken der Varganen aus dem Schiff schleicht.« »Ich hatte an dich gedacht«, widersprach der Tiermeister. »Mit Atlan zusammen ergibt sich ein Gespann, das sich schon so oft bewährt hat, daß es auch in der Eisigen Sphäre optimale Erfolgsaussichten haben dürfte.« Fartuloon lächelte. »Möglich, aber dazu müßte ich erst einmal zu Atlan stoßen. Ich mache mir aber keine Illusionen, daß mir das im Alleingang gelingen könnte. Du dagegen kannst unterwegs immer wieder die Valtoren als deine Bundesgenossen einsetzen. Aus diesem Grund stehen deine Aussichten, das Ziel zu erreichen, besser als meine oder die von Eiskralle – und deshalb übernimmst du den Part.« »Das sehe ich ein«, gab Corpkor widerstrebend zu. »Obwohl ich nicht gern fortgehe und euch eurem Schicksal überlasse.« »Das laß nur unsere Sorge sein«, erwiderte Fartuloon. »Wir wollen uns schließlich nicht opfern.« »Wir müssen uns beeilen!« drängte Eiskralle. »Ich höre die Varganen näher kommen.« »Schnell, dort hinein!« sagte Fartuloon und deutete auf das Schott einer Kabine. Corpkor winkte seinen Freunden zu und eilte zu dem betreffenden Schott. Es öffnete
Das Ende von Yarden sich automatisch vor ihm. Die Kabine enthielt die Standardausrüstung varganischer Schiffskabinen, was für arkonidische Begriffe allen nur denkbaren Luxus bedeutete. Der Tiermeister verzichtete darauf, das Schott von innen zu verriegeln. Das hätte bei einer flüchtigen Routineüberprüfung den Varganen sofort verraten, daß sich einer der Gesuchten hier versteckte. Statt dessen öffnete er die Wartungsklappe am Sockel des großen Pneumobetts, zwängte sich in den engen Hohlraum der Gasfederung und verhinderte durch ein Dazwischenklemmen seiner Gürtelschnalle, daß sich die Öffnung vollständig schloß. Das war lebensnotwendig, denn bei geschlossener Wartungsklappe wäre er von dem einströmenden Stickstoff der Gasfederung getötet worden. War die Wartungsklappe dagegen nicht voll geschlossen, blieb der Einfüllmechanismus desaktiviert. Dennoch fühlte sich Corpkor nicht wohl in seiner Haut, und das nicht in erster Linie, weil er in der Enge nur mühsam atmen konnte. Vielmehr bangte er um das Leben der Freunde. Ein kurzer Feuerwechsel auf dem nahen Korridorstück verriet ihm, daß Fartuloon und Eiskralle in Gefechtsberührung mit den Varganen blieben, um sie hinter sich herzulocken. Der Gefechtslärm ebbte ab, klang weiter entfernt wieder auf und verstummte erneut. Wir haben die Varganen unterschätzt, weil sie dekadent sind! überlegte der Tiermeister. Aber hier geht es für sie darum, daß die Eisige Sphäre, ihre Heimat, sicher bleibt, und bei der Verteidigung des eigenen Nestes entwickelt sogar ein scheuer Vogel oftmals todesverachtenden Mut. Corpkor verhielt sich still, bis er keinen Gefechtslärm mehr hören konnte. Danach verließ er sein Versteck, ließ das Schott aufgleiten und spähte vorsichtig auf den Gang hinaus. Nur einige Schmelzstellen an den Wänden und auf dem Boden verrieten, daß hier noch vor kurzer Zeit gekämpft worden war. Ansonsten war alles ruhig.
15 Der Tiermeister schätzte ab, welcher Teil des Doppelpyramidenschiffs inzwischen von Varganen entblößt sein müßte, wenn sich alle Varganen an der Verfolgung der Ausbrecher beteiligten. Dann huschte er nach rechts, schwang sich in den Antigravlift und schwebte fünf Decks tiefer. Als er ausstieg, entdeckte er schräg links vor sich einen einzelnen Varganen. Unwillkürlich riß er seinen Handstrahler hoch, ließ ihn aber wieder sinken, da der Vargane seine Waffe im Gürtelhalfter trug. »Wer bist du?« fragte er. »Ich bin Jretak, ein Freund Vargos«, antwortete der Vargane. »Folge mir! Ich bringe dich in Sicherheit.«
* Corpkor wollte entgegnen, daß es besser gewesen wäre, auch seine Freunde in Sicherheit zu bringen. Er unterließ es, weil er einsah, daß Jretak erst dann aus seinem Versteck hatte auftauchen können, als die Verfolger diese Schiffssektion verlassen hatten. Mit einer Handbewegung veranlaßte er Jretak, vorauszugehen. Er behielt seine Waffe schußbereit in der Hand, da er nicht sicher sein konnte, ob Jretak tatsächlich ein Freund war oder ein Gegenspieler Vargos, der ihn in eine Falle locken wollte. Der Vargane schritt unbekümmert voraus. Er schien Corpkors Waffe nicht als Bedrohung anzusehen. Beim nächsten Quergang bog er nach rechts ab, schwebte in einem Antigravlift zwei Decks höher und blieb vor einer Wandnische stehen. Seine Finger glitten wie spielerisch über die Rückwand der Nische. Plötzlich verwandelte sich ein Teil der Rückwand in grauen Nebel, der wie unter einem Windstoß zerflatterte. Eine Öffnung wurde erkennbar. Schwaches bläuliches Licht fiel aus der Öffnung nach draußen. Jretak trat hindurch. Der Tiermeister hob vorsichtshalber die Waffe in Hüfthöhe, bevor er dem Varganen
16 folgte. Er gelangte in einen engen Gang, der offenbar in eine Wand eingelassen war. Hinter ihm schloß sich die Rückwand der Nische wieder. Nachdem die beiden Männer innerhalb des Geheimgangs mehrere Treppen hinauf und hinab gestiegen waren, aktivierte der Vargane eine zweite Öffnung. Diesmal schien das Ziel erreicht zu sein, denn als Corpkor folgte, gelangte er in einen Hohlraum mit transparenten Wänden, der sich ganz offensichtlich innerhalb der Bordpositronik des Schiffes befand, denn hinter den Wänden war ein wohlgeordneter Dschungel positronischer Schaltelemente zu sehen. Drei weitere Varganen erwarteten den Tiermeister. Ihr Anführer stellte sich mit dem Namen Konzelk vor. »Wir bedauern, daß wir nur Sie und nicht auch Ihre Freunde retten konnten«, sagte Konzelk. »Aber der Rat scheint mit Aktivitäten Vargos zugunsten der Gefangenen gerechnet zu haben und hat einen Teil seiner Leibwache in diesem Schiff stationiert.« »Wir können nichts mehr ändern«, erwiderte der Tiermeister. »Mein Name ist Corpkor. Ich hoffe, Sie kennen einen Weg, auf dem ich dieses Schiff verlassen und zu dem Schiff kommen kann, in dem Atlan und die arkonidische Prinzessin festgehalten werden.« »Die Verbindungsröhren sind durch Wachkommandos blockiert«, erklärte Konzelk. »Es gibt nur einen Weg, von diesem Raumschiff zu einem anderen zu gelangen: den Flug durch den freien Raum.« »Das macht nichts«, sagte Corpkor. »Gebt mir ein Beiboot, und ich wage es.« »Sie verstehen nicht«, entgegnete der Vargane. »Wir haben nur drei schwere Raumanzüge mit Flugaggregaten auftreiben können. Innerhalb der Eisigen Sphäre aber ist es lebensgefährlich, sich nur im Schutz eines Raumanzugs zu bewegen.« Der Tiermeister preßte die Lippen zusammen. Er wußte, daß die Kältestrahlung inner-
H. G. Ewers halb der Eisigen Sphäre jedes Lebewesen bedrohte, das es wagte, die Raumschiffe zu verlassen. Er wußte aber auch, daß die Gefahr, in der seine Freunde schwebten, nicht weniger groß war. Da Fartuloon und Eiskralle keine Schutzschirmprojektoren besaßen, konnten sie von einem einzigen Treffer aus einer varganischen Energiewaffe getötet werden. Er straffte die Schultern. »Ich nehme das Risiko auf mich!« erklärte er fest. Die Varganen öffneten einen Behälter. Corpkor sah darin drei goldfarbene Schutzanzüge. Es waren Anzüge von der Art, wie die Leibwache des Rates sie trug. Aber etwas fehlte im Unterschied zu diesen. »Ein Keruhm konnten wir leider nicht beschaffen«, erklärte Konzelk auf Corpkors Frage. »Es wäre auch zwecklos gewesen, da ein Keruhm von einer stationären Energieversorgungsanlage abhängt, und diese Anlagen werden allesamt von Ratsleuten kontrolliert. Aber dieser Schutzanzug ist besser als die Schutzanzüge, die Sie bei Ihrer Gefangennahme trugen – mit Ausnahme des Schutzanzugs von Ischtar.« Der Tiermeister mußte die Erklärung akzeptieren. Er ließ sich in einen der Anzüge helfen. Anschließend führten die Varganen ihn über einen anderen Geheimgang zu einem Notschott in der Außenhülle des Doppelpyramidenschiffs. Als das Innenschott der kleinen Schleuse sich öffnete, winkte er den Varganen zu, dann trat er entschlossen vor das Außenschott und wartete. Es öffnete sich, kurz nachdem das Innenschott sich wieder geschlossen hatte. Corpkor stieß sich ab und schaltete sein Flugaggregat ein. Er kannte die Richtung, in die er steuern mußte, um zu Atlans Schiff zu kommen. Die Varganen hatten sie ihm beschrieben. Aber er war noch keine Minute unterwegs, als die Kältestrahlung der Eisigen Sphäre bereits durch seinen Schutzanzug drang und seinen Körper wie mit Eisnadeln
Das Ende von Yarden bombardierte. Verbissen erhöhte Corpkor seine Fluggeschwindigkeit …
4. Fartuloon feuerte auf den Kopf eines Varganen, der um die nächste Gangbiegung spähte. Wie erwartet, richtete der Strahlschuß keinen Schaden an. Die Energieschirme der goldfarbenen varganischen Schutzanzüge waren mit Handstrahlern offenbar nicht zu knacken. Immerhin erzielte er den Effekt, daß der Vargane erschrocken zurückwich. Eiskralle, der sich dicht hinter Fartuloon befand, schob ein neues Energiemagazin in das lange Griffstück seiner Waffe. »Das letzte!« kommentierte er erbittert. »Wir brauchen nicht mehr lange durchzuhalten«, erwiderte Fartuloon. »Corpkor müßte eigentlich das Schiff schon verlassen haben.« Er zuckte zurück, als ein Energiestrahl so dicht an seinem Kopf vorbeifuhr, daß sich seine Gesichtshaut rötete. Schnell schob er die Waffe aus der Deckung und feuerte drei Schüsse ab. Beim viertenmal versagte die Waffe. Wütend zog er das leergeschossene Energiemagazin heraus und ersetzte es durch ein neues, ebenfalls sein letztes. Mehr Magazine hatten die vier überwältigten Posten nicht bei sich gehabt. Unterdessen hatten die Verfolger die Biegung, hinter der Fartuloon und Eiskralle Deckung gesucht hatten, unter massiertes Feuer genommen. Das Material löste sich unter den Strahlschüssen in glutflüssiges Magma auf. Auf dem Boden entstand ein Glutsee, über dem die erhitzte Luft flimmerte. Den beiden Männern wurde höllisch heiß. Sie wandten sich nach rechts, in eine Schiffssektion, in der sie schon einmal in ein Gefecht mit Varganen verwickelt gewesen waren. Die erstarrte Schmelze auf dem Boden und die Schmelztrichter in den Wänden
17 und der Decke zeugten von der Erbitterung, mit der hier gekämpft worden war. Diesmal ließen sich keine Varganen sehen. Das änderte sich, als die Männer eine Verteilerhalle erreichten. Sie liefen den Varganen nur deshalb nicht in die Arme, weil sie die weitaus größere Kampferfahrung besaßen und deshalb gewitzter waren als die Elitesoldaten des Rates. Die Verteilerhalle bot sich einem Gegner als ideale Falle an, denn in sie mündeten acht Gänge, aus denen praktisch überall plötzlich Varganen auftauchen und das Feuer eröffnen konnten. Deshalb gaben Fartuloon und Eiskralle aus relativ sicherer Entfernung einige Schüsse auf die sichtbaren Gangmündungen ab. Im nächsten Moment stachen die Energiebahnen aus mindestens dreißig Strahlwaffen aus den Gangmündungen. Da die Varganen ihre Gegner noch nicht gesehen hatten, feuerten sie blind, wodurch mindestens zehn das Opfer des Übereifers ihrer Kameraden wurden. Die Freunde kümmerten sich nicht um das Chaos aus Strahlschüssen, Wut- und Schmerzensschreien, sondern kehrten sofort um. Niemand folgte ihnen. Offenbar war der Anführer der Gruppe, die sich auf die Lauer gelegt hatte, ausgefallen, und niemand war da, der den Befehl zur allgemeinen Feuereinstellung gab. Solange aber auch nur ein Vargane blindlings in die Verteilerhalle schoß, konnten sich die übrigen nicht hinauswagen, um die Verfolgung der Ausbrecher aufzunehmen. Das gab den Freunden einen gewissen Vorsprung. Sie fanden Zeit, sich nach einem Weg umzusehen, auf dem sie aus der Umklammerung ausbrechen konnten. Die Antigravlifts schieden aus, denn sie waren vor kurzer Zeit desaktiviert worden. Fartuloon und Eiskralle versuchten es bei einem Magnetschacht, der normalerweise Transportkapseln vorbehalten war. Sie kamen gut voran und legten rund dreihundert Meter zurück, bevor sie merkten,
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daß sie sich in eine hoffnungslose Lage begeben hatten. Von beiden Seiten schossen schwere Transportkapseln heran, ließen keinen Raum, der einem Insekt ein Durchschlüpfen gestattet hätte. Fartuloon und Eiskralle eröffneten das Feuer. Es gelang ihnen tatsächlich, die beiden Transportkapseln bewegungsunfähig zu schießen, doch erreichten sie damit nur, daß sie nicht zwischen ihnen zerquetscht wurden. Die glühenden Wracks stellten unüberwindliche Hindernisse dar. Als sie kurz darauf über Rundruflautsprecher aufgefordert wurden, sich zu ergeben, gehorchten die Freunde. In ihrer Lage hätten sie mit weiterem Widerstand niemandem mehr geholfen, sondern praktisch Selbstmord begangen. Die Varganen warteten, bis die Wracks abgekühlt waren, dann kamen Arbeitstrupps, zerschnitten sie und schafften sie fort. Zuletzt erschienen etwa zwanzig schwerbewaffnete Varganen und führten die Freunde ab. Fartuloons und Eiskralles Hoffnung, wenigstens wieder zu Ischtar gebracht zu werden, erfüllte sich allerdings nicht. Sie wurden in das benachbarte Doppelpyramidenschiff gebracht und in einem Raum eingeschlossen, der nicht nur durch dicke Stahlwände gegen Ausbruchsversuche gesichert war, sondern zusätzlich durch fest in den Wänden installierte Beobachtungsgeräte und Lähmwaffen. »Diesmal sitzen wir endgültig fest«, meinte Fartuloon grimmig. Wegen der Beobachtungsgeräte wagte er nicht, Corpkor zu erwähnen. Er hoffte, daß dem Tiermeister die Flucht gelungen war und daß er mit Atlan und Crysalgira – und entsprechend schwerer Ausrüstung – zurückkehren und sie befreien würde. Fartuloon konnte ebensowenig wie Eiskralle ahnen, daß Corpkor zu dieser Zeit mehr tot als lebendig war.
*
Als Corpkor das Gefühl hatte, in einen Block aus Trockeneis eingemauert zu sein, wußte er, daß er umkehren mußte, wenn er nicht im freien Raum der Eisigen Sphäre umkommen wollte. Sein Gehirn schickte über die entsprechenden Nerven einen Befehl an die Hände, den Kurs zu ändern. Der Befehl erreichte die Sehnen und Muskeln auch, aber die Kältestrahlung hatte die Moleküle des Gewebes eines großen Teils ihrer kinetischen Energie beraubt, so daß die Molekularbewegung stark verlangsamt war. Entsprechend träge reagierten die Muskel- und Sehnenzellen. Corpkor merkte, daß das Rückkopplungssystem zwischen seinem Gehirn und seinen Extremitäten nicht mehr zweckentsprechend funktionierte. Immer wieder glitten seine steifen Finger an den Schaltungen der Gürtelschnalle vorbei. Dazu kam, daß die Schmerzen, die die Kältestrahlung ihm verursachte, sich auf ein fast unerträgliches Ausmaß steigerten. Die Wirkung der Kälte verwandelte sich in seinem Zentralnervensystem in die Wirkung von flüssigem Feuer, das seine Haut verbrannte und aufplatzen ließ. Außerdem reagierte sein Geist langsamer als zuvor. Corpkor schob das auf die in der Kälte allmählich zäher werdende Gehirnflüssigkeit. Das war ein Alarmzeichen, das ihm bewies, wie nahe der Tod ihm schon gekommen war. Er erinnerte sich an eine Expedition auf einen eisigen Planeten, bei dem mehrere Teilnehmer wie vom Blitz getroffen tot umgefallen waren, weil ihre Gehirnflüssigkeit gefroren war. Diese Gedanken befähigten ihn zu einer letzten Willensanstrengung, zu einem Aufbäumen des gesamten Organismus. Plötzlich konnte er seine Finger wieder bewegen und erreichte die lebensnotwendigen Schaltungen. Er bremste ab und wendete. Durch die winzigen Eiskristalle hindurch, die seine Augäpfel bedeckten, konnte Corpkor das Doppelpyramidenschiff sehen, aus dem er gekommen war. Er hoffte jedenfalls, daß es
Das Ende von Yarden sich um das betreffende Schiff handelte, denn wenn er an ein anderes Schiff geriet, würde niemand da sein, der ihm die Schleuse öffnete. Der Tiermeister hatte jedoch weder die Zeit noch die Kraft, eine Positionsmessung durchzuführen. Er konnte nur noch den Kurs halten und beschleunigen, während die Kältestrahlung seinen Körper völlig durchdrang und ihm bis ins Mark kroch. Als das Doppelpyramidenschiff gleich einer gigantischen Stahlwand vor ihm aufragte, besann Corpkor sich praktisch im letzten Augenblick darauf, daß er verzögern mußte, wollte er nicht mit hoher Geschwindigkeit aufprallen und dabei umkommen. Wieder befähigte ihn nur die verzweifelte Todesangst dazu, die entsprechenden Schaltungen durchzuführen. Im nächsten Moment – oder eine halbe Ewigkeit später, denn jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen – stieß der Tiermeister gegen die Außenwand des Varganenschiffs. Er prallte ab, wurde von den Flugaggregaten wieder gegen die Wandung gedrückt und schabte hilflos an ihr entlang. Diesmal half ihm auch die Todesangst nicht, seine Hände dazu zu zwingen, den Feldanker zu aktivieren. Corpkor wäre an der Wandung entlanggeglitten und schließlich im freien Raum zwischen den Schiffen des Pulks verschwunden, wenn sich in seiner Nähe nicht eine Schleuse geöffnet hätte. Ein Magnetanker flog an einem Seil heraus, traf auf den halbtoten Mann und hielt ihn fest. Der Tiermeister verlor das Bewußtsein nicht. Aber er nahm die Varganen, die ihn in die Schleusenkammer zogen und sein Flugaggregat ausschalteten, nicht mehr als Gebilde der Realität war, sondern als Traumfiguren. Auch der Transport in den Hohlraum der Bordpositronik verlief für ihn wie etwas, das keinerlei Bezug zur Realität besaß. Erst als der Frost allmählich aus seinen Gliedern wich und diejenigen Zellen, deren Flüssigkeit gefroren war, unter der plötzli-
19 chen Ausdehnung platzten, wurde Corpkor unsanft aus dem scheinbaren Traum gerissen. Er schrie sich vor Schmerzen beinahe die Seele aus dem Leib – und diesmal verlor er das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, waren die Schmerzen bis auf ein Ziehen und Kribbeln abgeklungen. Zwei Varganen standen neben ihm und musterten ihn mit besorgten Blicken. Corpkor versuchte zu lächeln und hatte das Gefühl, seine Gesichtshaut würde von glühenden Klingen zerschnitten. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Kehle. »Bitte, bleiben Sie ruhig liegen!« sagte einer der Varganen. »Sie sind in Sicherheit, aber noch lange nicht gesund. Die Kältestrahlung hat Ihre Haut irreparabel geschädigt. Wahrscheinlich werden Sie bis zu Ihrem Tode die Narben tragen müssen, die die Eisige Sphäre Ihnen zugefügt hat.« »Besser Narben in der Haut als in der Seele«, flüsterte der Tiermeister mit sparsamen Mundbewegungen. »Liegen Nachrichten über meine Freunde vor?« »Sie mußten ihren Widerstand aufgeben, wurden gefangengenommen und in dem benachbarten Schiff untergebracht«, antwortete der Vargane, den Corpkor als Konzelk wiedererkannte. »Hauptsache, sie leben noch«, flüsterte Corpkor erleichtert. »Haben Sie etwas über Ischtar gehört?« Als beide Varganen auf die letzte Frage nicht reagierten, wurde der Tiermeister unruhig. »Antworten Sie!« stieß er unvorsichtigerweise laut hervor und hatte gleich darauf wieder das Gefühl, seine Gesichtshaut würde von glühenden Messerklingen zerfetzt. Konzelk räusperte sich. »Sie befindet sich noch in ihrem Gefängnis, und sie lebt noch«, erklärte er. »Was heißt, sie lebt noch?« drängte Corpkor. »Meinen Sie, ich könnte die Wahrheit nicht vertragen, wenn sie schlimm ist! Reden Sie endlich!« »Wir haben erfahren, daß Magantilliken,
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der Henker, auf dem Weg zu Ischtar ist«, antwortete der Vargane tonlos. Corpkor lag eine Weile still. Er fühlte sich so hilflos, wie nie zuvor in seinem Leben. Magantilliken, der Henker der Varganen, war unterwegs zu Ischtar. Er würde sie zweifellos töten – und alle, die hätten versuchen können, das zu verhindern, waren ausgeschaltet: er selbst, Fartuloon und auch Eiskralle. Aber Atlan lebte! Doch Atlan konnte nicht ahnen, daß der Henker bereits unterwegs war, um das Urteil an seiner Geliebten zu vollstrecken. Mit unsäglicher Mühe richtete der Tiermeister sich auf, ohne auf die Schmerzen zu achten, die seinen Körper erneut durchtobten. »Bringt mir einen Valtor!« stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Und etwas zu schreiben! Ich muß Atlan davon unterrichten, welche Gefahr Ischtar droht.«
* Hilflos hatte Ischtar mitanhören müssen, wie das Schiff sich mit Gefechtslärm füllte. Anfangs konnte sie durch die angelehnte Stahltür auf den Flur sehen und die schwerbewaffneten Varganen beobachten, die durch den Hauptkorridor stürmten. Sie wußte, als sie die Ausrüstung der Varganen sah, daß ihre Freunde keine Chance hatten, aus dem Schiff zu entkommen. Die Kämpfer in den goldfarbenen Schutzanzügen trugen allesamt auf dem Rücken jenes schildbuckelähnliche Aggregat, das allgemein als Keruhm bezeichnet wurde, in Wirklichkeit aber nur das Steuergerät des Keruhms war, das zu groß und schwer war, um von einem Mann getragen zu werden und deshalb in einem sogenannten Keruhmraum fest installiert war. Das Rückenaggregat wurde vom Keruhm je nach Bedarf aufgeladen und konnte einen Energieschirm erzeugen, der sowohl als raumtüchtige Sphäre wie auch als eng anliegender Schutzschirm dienen konnte, als ein
Schutzschirm, der so stark war, daß er sogar die Gewalt einer kleinen nuklearen Explosion von seinem Träger fernhielt. Mit den Waffen, die den Freunden zur Verfügung standen, vermochten sie keinen Keruhm-Schutzschirm zu durchdringen. Sie waren der überlegenen varganischen Technik hilflos ausgeliefert. Die varganischen Kämpfer wußten das natürlich. Deshalb konnten sie ohne Furcht um ihr eigenes Leben vorgehen. Ischtar hoffte nur noch, daß ihre Freunde die Aussichtslosigkeit ihrer Lage bald genug begreifen und den Kampf aufgeben würden. Aber der Kampflärm, der einmal hier und einmal dort anschwoll und wieder verebbte, bewies ihr, daß Fartuloon, Eiskralle und Corpkor nicht daran dachten, aufzugeben. Ischtar wußte, daß ihre Freunde tapfere Kämpfer waren, die auch vor großen Risiken nicht zurückschreckten. Aber sie wußte auch, daß sie Gegner sinnloser Heldentaten waren. Sie ahnte deshalb, daß die Freunde irgendeinen Plan verfolgten, um zu retten, was noch zu retten war. Dennoch bangte sie um ihr Leben, denn es bestand die akute Gefahr, daß die drei Männer bei ihren Manövern in einen Hinterhalt gerieten und zusammengeschossen wurden. Als der Gefechtslärm nach einiger Zeit schlagartig verstummte, kehrte Ischtar in ihr Gefängnis zurück. Sie wußte nicht, ob die Freunde den Kampf aufgegeben hatten oder ob sie tot waren. Wäre Chapat nicht bei ihr gewesen, hätte sie sich auf den Weg gemacht und versucht, etwas über das Schicksal der drei Männer zu erfahren. So aber mußte sie an die Sicherheit ihres Sohnes denken. Nachdem sie Chapat gewaschen und gefüttert hatte, nahm sie ihn auf die Arme, setzte sich auf einen Stuhl und wiegte ihn sanft, damit er einschliefe. Das Baby verhielt sich sehr ruhig für einen Säugling, schaute seine Mutter nur aus großen Augen an und schmatzte ab und zu genießerisch. Lächelnd betrachtete die Varganin ihr
Das Ende von Yarden Kind. Deshalb bemerkte sie auch, wie es plötzlich zusammenzuckte und wie seine Augen dunkel vor Furcht wurden. Im nächsten Augenblick empfing sie einen starken telepathischen Ruf. »Magantilliken!« Sie erschrak heftig. »Was ist mit Magantilliken?« fragte sie laut. »Er ist auf dem Weg hierher«, antwortete Chapat telepathisch. Ischtar fühlte, wie kalte Todesfurcht in ihre Glieder fuhr. Eine Zeitlang saß sie wie gelähmt da, unfähig, etwas von dem, was ringsum geschah, bewußt wahrzunehmen. Dann erwachte sie zu hektischer Betriebsamkeit. Sie lief los, hob ächzend die schwere Stahlplatte auf, schaffte es aber nicht, sie zu halten. Deshalb ließ sie sie fallen und schob sie auf dem Boden bis an die Tür. Dort stemmte sie sie hoch und lehnte sie an die Tür. Danach schleppte sie alle Gegenstände, die sie bewegen konnte, ebenfalls zur Tür und häufte sie dort zu einer Barrikade auf. Zuletzt nahm sie eine Matratze und legte sie in den Waschraum. Dann bettete sie Chapat darauf. »Er will uns beide umbringen!« teilte Chapat ihr mit. »Ich werde ihn schon aufhalten«, erwiderte Ischtar, konnte aber nicht verhindern, daß sie dachte: »Lange wird die Barrikade dem Henker nicht widerstehen.« »Du mußt ihn töten!« forderte Chapat sie auf. »Wenn er in seinem eigenen Körper stirbt, ist er für immer tot.« »Ja!« sagte Ischtar. »Ich will es versuchen!« Sie lief in den Raum zurück, rüttelte an einem der im Boden verankerten Tischbeine. Als sie von draußen Schritte hörte, verlieh die Furcht ihr neue Kräfte. Sie zog und drückte an dem Tischbein, bis es aus der Verankerung brach. Es war genau wie die Tischplatte aus Stahl und entsprechend schwer. Aber wenn die Varganin es in beide Hände nahm, ließ es sich als Hiebwaffe ver-
21 wenden. Ischtar stellte sich in der Nähe der Barrikade an die Wand. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie es zu hören glaubte. Die Schritte kamen näher – und hielten vor der Tür an. Dann drückte jemand von außen gegen die Tür. Sie gab nur einen Fingerbreit nach. Draußen lachte jemand, eine Männerstimme. »Damit hältst du mich nicht auf, Ischtar!« Die Varganin mußte sich mit aller Willenskraft beherrschen, um nicht laut zu schreien. Sie zitterte, wußte aber nicht, ob es vor Furcht oder vor Zorn war. Magantilliken warf sich gegen die Tür. Die Barrikade schwankte, hielt aber stand. Noch einmal warf sich der Henker kraftvoll gegen die Tür. Wieder erfolglos. »Ischtar?« rief Magantilliken. Die Varganin preßte die Lippen zusammen und schwieg. »Ich weiß, daß du da drin bist, Ischtar!« rief der Henker. »Wenn du schlau bist, gehst du von der Barrikade weg. Ich sprenge das Hindernis mit meinem Detonator weg.« Eine Weile blieb es still. Wahrscheinlich wartete Magantilliken auf eine Reaktion. Aber Ischtar schwieg beharrlich. Plötzlich krachte es laut. Eine imaginäre Riesenfaust knüllte die Tür zusammen und verwandelte die Barrikade in einen Haufen verbogener und zerschmetterter Trümmer, das Werk eines Detonators, der im Zielgebiet ein starkes Implosionsfeld erzeugte. Ischtar wagte kaum zu atmen. Schritt für Schritt schob sie sich an der Wand entlang, bis auf die Bresche zu, die Magantillikens Detonator gerissen hatte. Als sie die Bresche erreicht hatte, packte sie das Tischbein fester und hob es über ihren Kopf. Aber sie reagierte viel zu langsam, als der Henker pfeilgleich durch die Öffnung schoß, sich mitten im Zimmer über die Schulter abrollte und wieder auf die Füße kam. Ihre Hiebwaffe traf ins Leere. Magantilliken stand breitbeinig im Zimmer, den Detonator in der Hand, und lächel-
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te grausam. »Diesmal entkommst du mir nicht, Ischtar!« versprach er. Dann kam er langsam auf die Varganin zu …
5. Die künstliche Morgendämmerung wirkte verblüffend echt. Genau wie in der freien Natur eines Planeten vom Arkontyp verblaßte das Leuchten der Sterne, während sich auf einer Seite des künstlichen Horizonts ein leuchtender blauer Streifen bildete. Bald darauf zuckten hellere Strahlenbündel über den künstlichen Himmel. Der obere Rand einer blauweißen Sonne erschien, stieg höher und höher und enthüllte einen strahlend blauen Himmel, der einen trockenen und warmen Tag versprach. Ich bewunderte das imitierte Naturschauspiel nur kurz, denn ich mußte meine Aufmerksamkeit der Seite des künstlichen Paradieses widmen, von der die Freunde kommen konnten. Ich lag in einer grasbedeckten Bodenmulde in der Nähe eines Baches, dessen Ufergestrüpp mich gegen die Blicke neugieriger Varganen schützte. Crysalgira hatte sich einen Beobachtungsplatz auf der gegenüberliegenden Seite des Paradieses gesucht. Die Freunde mußten entweder auf ihrer oder auf meiner Seite auftauchen. Wir hatten vereinbart, daß derjenige, der sie zuerst entdeckte oder der auf seiner Seite Kampflärm hörte, den anderen mit einem Pfeifsignal verständigen sollte. Aber inzwischen war die künstliche Nacht verstrichen, ohne daß Fartuloon, Corpkor und Eiskralle aufgetaucht wären. Allmählich wurde ich unruhig. Ich kannte zwar die ungeheuren Strapazen, die mit einem Marsch durch die Schiffe und Verbindungsröhren des Pulks verbunden waren. Vor allem die Verbindungsröhren stellten ernsthafte Schwierigkeiten dar, denn in ihnen war es erheblich kälter als in den Doppelpyramidenschiffen. Wer durch mehr als dreißig solche Röhren ging, der
konnte durchaus Erfrierungen erleiden, auch wenn er einen Schutzanzug trug. Dennoch hätte nach meinen Berechnungen die Nacht ausreichen müssen, um die Freunde zu uns kommen zu lassen. Es sei denn, sie hatten Umwege wählen müssen – oder sie waren in Kämpfe verwickelt und dadurch aufgehalten worden. Ich hob den Kopf, als ich weit vor mir ein Geräusch hörte. Aber es waren nur drei Varganinnen, die unbekleidet aus ihrer Hütte liefen und sich in einen winzigen See stürzten, um zu baden. Als ich mich dabei ertappte, wie ich den Anblick der makellos gebauten Körper genoß, sank ich verärgert über mich wieder in mein Versteck zurück. Allmählich steigerte sich meine Unruhe zu der Furcht, meinen Freunden könnte etwas zugestoßen sein. Ich erinnerte mich noch lebhaft an meinen vergeblichen Vorstoß und an das, was ich dabei durchgemacht hatte. Was sollte ich unternehmen, wenn die Freunde nicht kamen? Nichts! erklärte mir der Logiksektor meines Extrahirns. Das war zwar logisch, aber wenn ich nichts unternahm, was sollte dann aus Crysalgira werden? Meine ursprüngliche Vermutung, daß in das künstliche Himmelsgewölbe mehrere Emotiostrahler eingebettet waren, die Crysalgira und mich im Sinne der Varganen beeinflussen sollten, hatte sich während der nächtlichen Wache zur Gewißheit erhärtet. In der Finsternis zwischen den künstlichen Sternen waren die kreisrunden flimmernden Flecken der Abstrahlfelder deutlicher zu sehen gewesen als am Tage. Während ich hoffen durfte, daß mein zusätzlich aktivierter Gehirnsektor die Wirkung der Emotiostrahlung kompensieren oder wenigstens dämpfen konnte, gab es für die Prinzessin diese Hoffnung nicht. Ich schätzte, daß sie nach weiteren drei bis vier Tagen der Beeinflussung erliegen würde. Sie würde dann nichts mehr dabei empfinden, sich den Varganen als Gebärmaschine zur Verfügung zu stellen, denn die Emotio-
Das Ende von Yarden strahlung würde ihre Gefühle so konditionieren, daß die Vereinigung mit Varganen Glücksgefühle auslöste. Das aber würden den späteren seelischen Konflikt nicht verhindern, sondern nur verschlimmern. Wieder hörte ich ein Geräusch, und wieder hob ich den Kopf aus der Deckung. Ich atmete auf, als ich den Valtor erblickte, der sich nahe bei mir ins Gras duckte. Als er mich entdeckte, richtete er sich auf den Hinterbeinen auf. Ich sah, daß er einen Plastikstreifen um den Hals trug. Demnach schickten meine Freunde mir eine neue Nachricht. Wenigstens würde ich endlich erfahren, ob und wann ich mit ihnen rechnen durfte. »Komm zu mir!« flüsterte ich. Der Valtor spitzte die Ohren. Seine schwarze Nase sog meinen Geruch ein. Dann ließ er sich wieder auf alle viere fallen und eilte zu mir, wo er sich auf den Rücken wälzte. Aufgeregt knüpfte ich das Plastikband los und entrollte es. Mein Blick fiel auf die arkonidischen Schriftzeichen, und bevor ich die neue Nachricht gelesen hatte, ahnte ich schon, daß es keine gute sein würde. Die Schriftzeichen waren derart verworren und unregelmäßig, als hätte ein Geisteskranker sie hingeworfen. Mühsam entzifferte ich die Botschaft. »An Atlan! Dringend! Ausbruch gescheitert, können nicht helfen. Magantilliken auf dem Wege zu Ischtar. Gefahr! Versuche, sie zu retten! Corpkor.« Die Schrift verschwamm vor meinen Augen infolge der erhöhten Sekretion meiner Tränendrüsen, die bei Erregung stets so reagierten. Wenn Magantilliken unterwegs zu Ischtar war, dann drohte der Geliebten tatsächlich größte Gefahr. Der Henker würde nicht zögern, sie umzubringen – und niemand war bei ihr, der ihr beistehen konnte. Niemand? Du kannst ihr nicht helfen! teilte mir mein Logiksektor mit. Wütend auf meine innere Stimme und auf
23 mich selbst richtete ich mich auf. Der Valtor sprang erschrocken hoch und floh. Ich zerknüllte den Plastikstreifen in meiner Hand. »Ich werde Ischtar helfen, und wenn ich dabei umkomme!« stieß ich halblaut hervor. Die drei Varganinnen, die in der Nähe badeten, erblickten mich und kreischten in typisch weiblicher Reaktion auf, obwohl sie doch eigentlich dankbar für den Zufall sein sollten, der mir ihre Reize enthüllte. Drei sind sowieso zuviel! übermittelte mein Logiksektor. Das war charakteristisch für ihn. Er brachte seine streng logischen Analysen auch dann noch an, wenn sie aufgrund des Aufruhrs meines Gefühlslebens wirkungslos bleiben mußten. Dennoch konnte ich nicht verhindern, daß mir die Äußerung meines Extrahirns durch den Kopf ging. Und dabei kam mir plötzlich eine Idee, wie ich es trotz aller Widrigkeiten anstellen könnte, Ischtar dennoch zu Hilfe zu eilen …
* Mein Plan war zuerst noch vage, aber auf dem Wege zu Crysalgira reifte er allmählich und nahm feste Umrisse an. Selbstverständlich durfte ich erst dann handeln, wenn ich die Prinzessin informiert hatte. Sie würde sonst völlig ratlos sein, wenn sie nach mir suchte und mich nicht fand. Aber ich hatte es eilig. Deshalb legte ich die Entfernung zur gegenüberliegenden Seite des künstlichen Paradieses im Laufschritt zurück. Crysalgira bemerkte mich, als ich noch zirka zweihundert Meter von ihrem Beobachtungsplatz entfernt war. Sie schien aus meinem Verhalten zu schließen, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen war, denn sie gab ihre Deckung auf und lief mir entgegen. »Du hast kein Pfeifsignal gegeben!« rief sie mir zu. »Was ist passiert, Atlan?« Ich blieb wenige Schritte vor ihr stehen. »Der Ausbruch ist gescheitert!« stieß ich atemlos hervor. »Ischtar befindet sich in Ge-
24 fahr. Magantilliken ist auf dem Wege zu ihr.« Crysalgira wurde blaß. »Und wir können ihr nicht helfen«, flüsterte sie. »Doch, vielleicht kann ich ihr helfen«, entgegnete ich. Danach erläuterte ich ihr meinen Plan. Die Prinzessin hörte aufmerksam zu. An ihren Augen sah ich allerdings, daß ihre Skepsis wuchs, je weiter ich kam. Als ich meine Erläuterungen beendet hatte, meinte sie: »Ich zweifle nicht daran, daß der erste Teil deines Planes funktionieren wird, Atlan. Aber der zweite Teil ist so schwierig und birgt so viele Gefahren, daß ich nicht weiß, ob du das alles tatsächlich auf dich nehmen solltest, obwohl du wahrscheinlich sowieso zu spät kommen wirst.« Die letzte Bemerkung stürzte mich beinahe in Panik, denn ich wußte, daß Crysalgira recht hatte. Aber ich wußte auch, daß ich es dennoch versuchen würde. »Ich muß es einfach schaffen, Kleines«, erklärte ich. »Du bleibst auf jeden Fall hier, egal, was geschieht. Ich muß jederzeit wissen, wo ich dich wiederfinden kann. Alles Gute, Crysalgira!« Ich drehte mich um und ging. »Viel Glück, Atlan!« rief die Prinzessin mir nach. Ich blickte nicht zurück, sondern ging mit weitausgreifenden Schritten zur anderen Seite des Paradieses zurück. Wie ich erhofft hatte, waren die drei Varganinnen noch am See. Sie hatten zwar das Wasser verlassen, standen aber noch am Ufer und rieben sich mit großen Tüchern gegenseitig trocken. Ich versuchte, unbekümmert und fröhlich dreinzuschauen und ging zielstrebig auf die Gruppe zu. Ich war sicher, daß ich nach außen Sicherheit ausstrahlte. Innerlich war ich ziemlich verunsichert, denn das, was ich vorhatte, war nicht mehr und nicht weniger, als einen Vorgang, der normalerweise viel Zeit brauchte, innerhalb einer Zeitspanne abzuwickeln, der sonst gerade für das Vorge-
H. G. Ewers plänkel ausgereicht hätte. Die mittlere Varganin war mir, wenn auch nicht bewußt, sofort aufgefallen. Sie steuerte ich an. Die Varganinnen blickten mir neugierig und verwundert entgegen. Sie waren unsterblich und mochten in ihrem langen Leben schon zahlreiche Liebschaften gehabt haben. Dennoch mußte es ihnen ungewöhnlich erscheinen, daß ein Mann sich ihnen nahte, wenn sie nackt in einer Gruppe beisammenstanden. Wenige Schritte vor den Varganinnen blieb ich stehen, neigte den Kopf und sagte: »Bitte, verzeihen Sie mir die ungewöhnliche Annäherung, meine Damen. Aber ich kann nicht zulassen, daß Sie mir wieder aus den Augen geraten.« Danach wandte ich mich der Varganin zu, die ich als Zielobjekt erwählt hatte. »Ist es sehr ungehörig, wenn ich Sie um ein Gespräch unter vier Augen bitte?« fragte ich scheinheilig. Die Varganin warf mir einen koketten Blick zu. »So, wie ich bin?« erkundigte sie sich verschämt. Aber ihre Verschämtheit war gespielt, erkannte ich. Sie wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre Rivalinnen aus dem Felde zu schlagen! teilte mir mein Logiksektor mit. Dazu ist die Konkurrenz für sie viel zu groß. »Sie können sich ja ein Tuch umhängen«, erwiderte ich. »O ja, das ist ein guter Gedanke!« flötete sie. Aber bevor sie ihn in die Tat umsetzte, gab sie mir noch ausführlich Gelegenheit, ihren gutgebauten Körper zu bewundern. Dann warf sie ihren Rivalinnen einen triumphierenden Blick zu und näherte sich mir. Die beiden anderen Varganinnen schickten ihr giftige Blicke nach. Da ich mir keine lange Vorbereitung erlauben durfte, legte ich ihr sofort einen Arm um die Hüften und führte sie aus der Hörweite ihrer Rivalinnen.
Das Ende von Yarden Unter einem blühenden Baum hielt ich an. Ich legte auch den anderen Arm um sie, blickte ihr tief in die Augen und hoffte, daß mein Charme genügend Überzeugungskraft besaß. »Ich bewundere Sie!« flüsterte ich mit gespielter Erregung. »Als ich Sie vorhin im Wasser sah, wurde mir klar, daß Sie die Schönste hier sind. Zwar habe ich noch immer Bedenken, mich als Zuchtobjekt herzugeben, aber das betrifft Sie nicht mehr. Bei Ihnen ist es etwas anderes.« Vielleicht kamen ihr Zweifel, aber meine Worte gingen ihr einfach zu leicht hinunter, als daß sie sich ihrer Wirkung entziehen konnte. Außerdem wußte sie, daß die Konkurrenz nur darauf lauerte, mich ihr wieder abzujagen. Es war klar, daß sie mir unter diesen Umständen nichts abschlagen würde. »Ich liebe dich, Atlan!« hauchte sie. Beinahe hätte ich laut und sarkastisch gelacht. Ihr Geständnis war zu banal, als daß ich es für bare Münze genommen hätte. Aber es kam meinen Absichten entgegen. »Ich liebe dich auch«, versicherte ich ihr treuherzig. »Aber unsere Liebe kann hier keine Erfüllung finden. Ich würde immer denken, daß Hunderte von Augen zusehen und Hunderte von Ohren zuhören würden. Gibt es nicht einen Platz außerhalb dieses Ortes, wo wir ungestört zusammen sein können?« Einen Augenblick lang überlegte sie, dann sagte sie: »Ja, meine Privatgemächer. Dort würden wir ungestört sein. Aber ich weiß nicht, ob die Posten uns hinauslassen werden.« »Es kommt auf einen Versuch an«, erwiderte ich. »Du mußt ihnen klarmachen, daß du deine Pflicht nur dann erfüllen kannst, wenn du auf meine Wünsche eingehst, Komm!«
* Die Wachtposten am Ausgang des Paradieses wollten uns zurückweisen. Aber die Varganin schaffte es tatsächlich, ihnen über-
25 zeugend klarzumachen, daß man im Interesse der Sache des varganischen Volkes Rücksicht auf meine Wünsche nehmen müsse. Als wir die Posten passiert hatten, führte die Varganin mich zu einem Antigravlift in der anderen Schiffshälfte und schwebte mit mir neunzehn Decks höher. Sie hielt dabei meine Hand fest in der ihren, als fürchtete sie, mich zu verlieren. Niemand begegnete uns unterwegs, was ich als günstigen Umstand registrierte. Vor einem Schott blieb die Frau stehen, drückte einen Kodeimpulsgeber dagegen und zog mich durch die Öffnung, als es aufgeglitten war. Wir kamen in eine luxuriös eingerichtete Privatkabine, die groß genug und so konstruiert war, daß man von einem Punkt aus immer nur jeweils ein Drittel des Raumes überschauen konnte. Ich sah eine erstklassige Automatbar, einen Speiseautomaten, einen Fiktivspiegel, bequeme niedrige Sessel und Tischchen und ein riesiges Bett. »Da wären wir, Atlan!« sagte die Varganin. Ihr Busen hob und senkte sich, und ihr Gesicht glühte. Sie tat mir beinahe leid. Ich fühlte mich schuldbewußt, weil ich mit ihren Gefühlen spielte, ohne sie zu erwidern. Das ist immer eine schlimme Sache, und ich konnte sie tatsächlich nur damit rechtfertigen, daß ich für Ischtar in Notwehr handelte. »Wie heißt du eigentlich?« fragte ich. »Alkyara«, antwortete die Schöne. Ihre Hände glitten liebkosend durch mein Haar, fuhren über den Nacken und den Rücken hinab. »Bist du eine aktive Raumfahrerin?« erkundigte ich mich. »Selbstverständlich«, antwortete Alkyara. Dann runzelte sie die Stirn. »Warum bist du plötzlich so kalt, Atlan?« Ich befreite mich von ihr. »Es tut mir leid, Alkyara«, erwiderte ich. »Aber ich liebe dich nicht. Ich habe dich nur benutzt, um aus dem künstlichen Paradies zu kommen, da meine Freundin Ischtar von Magantilliken bedroht wird.«
26 »Oh!« entfuhr es ihr. Sie wich zurück und starrte mich aus großen feuchten Augen an. Ich seufzte. »Du bist schön und begehrenswert – und das ist die Wahrheit, Alkyara. Aber ich kann nicht einmal an Liebe denken, wenn Ischtar in Lebensgefahr schwebt. Verzeih mir, aber ich muß dich fesseln, damit du nicht die Wachen alarmierst.« Ich sah an ihrem Gesicht, daß sich in ihrem Innern ein heftiger Kampf abspielte. Ihre Augen spiegelten zuerst tiefe Enttäuschung, dann die blinde Wut der Verschmähten. Danach setzte sich Resignation durch, gefolgt von einem Glitzern der Berechnung. Ich wußte genau, was sie dachte, auch wenn sie es nicht offen aussprach. »Ich verstehe dich, Atlan«, erklärte sie. »Und ich verspreche dir, daß ich die Wachen nicht alarmieren werde. Du brauchst mich nicht zu fesseln. Ich werde dir sogar helfen und dir verraten, auf welchem Wege du unbehelligt in das Schiff kommst, in dem Ischtar gefangengehalten wird.« Im Klartext hieß das, daß sie alles unterlassen wollte, was einer denkbaren späteren Romanze zwischen uns hinderlich gewesen wäre. Indem sie großzügig verzichtete und mir weiterhalf, hoffte sie, mich ihr gegenüber dankbar zu stimmen, so daß ich mich ihr verpflichtet fühlen würde. Die Situation gestattete mir keine Skrupel. »Ich werde dir ewig dankbar sein, Alkyara«, versicherte ich. »Wie komme ich an Waffen?« Alkyara ging zu einem unsichtbar installierten Einbauschrank und aktivierte den Öffnungsmechanismus. Ich folgte ihr vorsichtshalber, denn ich konnte es mir nicht erlauben, mich überrumpeln zu lassen. In dem Schrank erblickte ich zwei goldfarbene Schutzanzüge, die zweifellos Alkyara gehörten. Ein Aggregattornister lag darunter, und in den Halftern eines Waffengürtels steckten je eine Lähm- und eine tödliche Energiewaffe. Aber es war auch ein Schutzanzug da, der
H. G. Ewers nur einem männlichen Varganen gehören konnte. »Er gehörte Vytron, einem ehemaligen Lebensgefährten«, erklärte die Varganin. »Er kam bei einem Unfall ums Leben.« »Tut mir leid«, sagte ich und strich ihr dankbar übers Haar. »Er war ein Scheusal«, gab Alkyara zurück. »Bitte, bediene dich!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich streifte den Schutzanzug von Alkyaras Verblichenem über und schnallte mir auch das dazugehörige Flugaggregat, den Schutzschirmprojektor und den Waffengurt um. Die Gürtelhalfter enthielten eine Lähmwaffe und einen Detonator. In einer Beintasche des Schutzanzugs entdeckte ich außerdem drei Wurfmesser – Waffen, die von Varganen normalerweise nicht benutzt wurden. Wahrscheinlich hatte Alkyaras Verblichener sie irgendwann auf einem Primitivplaneten erbeutet. Die übrigen Beintaschen füllte ich mit Energiemagazinen, die reichlich herumlagen. Nach kurzem Überlegen steckte ich auch Alkyaras Waffen zu mir. Anschließend erklärte und beschrieb die Varganin mir den Weg, wie sie es versprochen hatte. Ich erfuhr erstmals, daß es sogenannte Kurzstreckenverbindungen gab, Langröhren, die jeweils fünf Doppelpyramidenschiffe »übersprangen«, so daß man, benutzte man sie, durch jede Röhre zehn Durchschleusungsvorgänge vermeiden konnte. »Ich danke dir, Alkyara«, sagte ich, nachdem ich die gewünschte Information besaß. »Was soll das?« fragte sie, als ich ihre Lähmwaffe aus meinem Gürtel zog. »Nur zur Sicherheit – auch zu deiner«, antwortete ich und schoß. Alkyara fiel stocksteif auf ihr breites Bett. Ich hoffte, daß sie meine Handlungsweise verstehen würde. Schließlich war es auch zu ihrem Besten, wenn sie nicht beschuldigt werden konnte, meine Flucht begünstigt zu haben. Niemand konnte ihr das vorwerfen, wenn sie nachwies, daß sie gelähmt gewesen
Das Ende von Yarden und deshalb an der Meldung meiner Flucht gehindert war. Anschließend verließ ich ihre Kabine. Niemand war draußen zu sehen. Ich schaltete das Flugaggregat an und steuerte auf die Schiffssektion zu, in der sich der Anfang der ersten Kurzstreckenverbindung befinden sollte.
6. Das Flugaggregat erlaubte mir nicht nur, die Langstreckenröhren optimal zu nutzen, es machte mich auch so schnell, daß die in den langen Röhren herrschende Kälte nichts anhaben konnte. Es kam nur einmal zu einem Zwischenfall. Das war, als ich die dritte Langstreckenröhre betrat und mich zwei Varganen gegenübersah, die die gleichen goldfarbenen Schutzanzüge trugen, wie ich einen anhatte. Zuerst hielten sie mich offenbar für einen der ihren, doch dann sahen sie mein Gesicht und merkten, daß ich kein Vargane war. Ohne zu zögern, zog ich eine Lähmwaffe und schoß sie nieder: Natürlich konnte ich sie nicht liegen lassen, denn wurden sie entdeckt, würde es nicht lange dauern, bis die Varganen den richtigen Schluß daraus zogen. Deshalb aktivierte ich die Antigravprojektoren ihrer Tornisteraggregate, klemmte sie mir unter die Arme und schleppte sie ins nächste Schiff. Dort verstaute ich sie in einem leeren Lagerraum, aktivierte von außen die Schottverriegelung und setzte meinen Weg fort. Da die letzte Langstreckenröhre auf meinem Wege nicht direkt in dem Schiff mündete, in dem Ischtar gefangengehalten wurde, mußte ich ein Schiff früher aussteigen. Meine Befürchtung, in dem Schiff auf Varganen zu stoßen, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Ich durchquerte den Hauptkorridor fliegend, verließ das Schiff durch die entgegengesetzte Schleuse und flog durch die letzte Verbindungsröhre.
27 Als sich das Außenschott meines Zielschiffs vor mir öffnete, erblickte ich sechs bewaffnete Varganen. Ich hatte mit Wachtposten gerechnet und deshalb vorher den Druckhelm meines Schutzanzugs geschlossen, so daß mein Gesicht durch die Spiegelreflexe der Klarsichtscheibe undeutlich gemacht wurde. Die Varganen schauten nur flüchtig zu mir. Von dieser Seite erwarteten sie offenbar keinen Gegner. Bevor sie ihres Irrtums gewahr werden konnten, hielt ich in jeder Hand einen Lähmstrahler und schoß. Ich wußte, daß ich verloren war, wenn es nur einem der Männer gelang, seinen Keruhm-Schutzschirm zu aktivieren. Und Ischtars wegen durfte ich nicht unterliegen. Vier Varganen kippten sofort steif um, die beiden anderen griffen zu meinem Glück zuerst nach ihren Waffen, bevor sie an die Schaltungen ihrer Schutzschirme dachten. Damit war der Kampf auch schon entschieden, denn bevor sie die Waffen aus den Gürtelhalftern gezogen hatten, wurden sie von der Lähmschockenergie meiner beiden Waffen getroffen. Vielleicht hätte ich mir das Keruhm-Aggregat eines der Männer umschnallen sollen, aber ich wollte keine Zeit damit verschwenden. Vielleicht befand sich Magantilliken bereits bei Ischtar. Jede Verzögerung konnte ihr zum Verhängnis werden. Deshalb öffnete ich das Innenschott und flog mit voll aktiviertem Flugaggregat in den Hauptkorridor ein. Bevor ich ein Drittel der Strecke bis zur Mittelteileinschnürung des Doppelpyramidenschiffs zurückgelegt hatte, hörte ich wenige Türen weiter ein lautes Poltern und entdeckte eine offene Tür. Ich hielt darauf zu. Kurz darauf sagte eine Männerstimme auf Varganisch: »Diesmal entkommst du mir nicht, Ischtar!« Magantilliken! Ich wußte aus Erfahrung, daß der Henker der Varganen mir kämpferisch überlegen
28 war. Normalerweise wäre ich ihm aus dem Weg gegangen, denn ich bin kein Selbstmörder. Aber jetzt und hier bedrohte Magantilliken das Leben Ischtars. Da gab es für mich kein Halten mehr. Ich riß den Detonator aus dem Gürtelhalfter, landete dicht vor der Türöffnung – und stand im nächsten. Augenblick dem Henker gegenüber. Leider konnte ich nicht schießen, denn zwischen mir und Magantilliken stand Ischtar. Meine Geliebte hielt mit beiden Händen eine Stahlstange umklammert und war offenbar entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Aber ich wußte, daß sie gegen den Henker keine Chance hatte, zudem Magantilliken ebenfalls mit einem Detonator bewaffnet war. Als Magantilliken mich sah, weiteten sich seine Augen vor Verwunderung. Ischtar bemerkte es und zog offenbar den richtigen Schluß daraus. Jedenfalls warf sie sich zur Seite, so daß ich freies Schußfeld bekam. Aber der Überraschungseffekt, der mir vielleicht zu einem schnellen Sieg hätte verhelfen können, war dahin. Magantilliken und ich feuerten gleichzeitig, während wir aus der Feuerlinie des Gegners sprangen. Hinter mir zerfiel ein Teil der Korridorwand, während in Ischtars Gefängnis drei stählerne Tischbeine zerbröckelten. Die Angst um Ischtar gab mir Mut genug, um sofort wieder hochzuschnellen und mich aus einer halben Drehung heraus ins Zimmer zu werfen, anstatt im Korridor eine Deckung zu suchen. Damit hatte Magantilliken offenbar nicht gerechnet, denn sein nächster Schuß entlud sich wieder im Korridor. Ich rollte mich herum und legte im Liegen auf den Henker der Varganen an. Magantilliken stand, gegen Beschuß aus dem Hauptkorridor gedeckt, hinter der Seitenwand eines Stahlschranks. Natürlich bemerkte er mich, aber er hätte es nicht mehr geschafft, seine Waffe auf mich zu richten und vor mir abzudrücken. Deshalb warf er sich blitzschnell zu Bo-
H. G. Ewers den. Mein Detonatorschuß entlud sich im Stahlschrank, der sich in lauter kleine Trümmerstücke auflöste. Bevor ich die Schußrichtung verändern konnte, war Magantilliken aufgesprungen und hatte sich durch die Türöffnung geworfen. Er rollte so schnell außer Sichtweite, daß der Schuß, den ich ihm nachschickte, nur ein kraterähnliches Loch in den Boden riß. »Atlan!« rief Ischtar weinend. Sie wollte zu mir kommen, aber ich winkte sie mit einer herrischen Geste zurück. Magantilliken war ein Gegner, der jede Blöße und jeden Fehler eines Gegners mit tödlicher Präzision für sich nutzte. Ich warf Ischtar eine meiner Lähmwaffen zu, dann ging ich zu einem zweiten Stahlschrank, zwängte mich zwischen ihn und die Wand und stemmte mich dagegen, bis er umkippte und polternd aufschlug. Ich lag bereits hinter ihm in Deckung, als Magantillikens Detonator die Wand hoch über mir zertrümmerte. Der Henker hatte gefeuert, während ein weiter Satz ihn an der Türöffnung vorbeitrug. Ich schnellte vorwärts und erreichte die Öffnung, als Magantilliken zwar schon wieder gelandet war, die Waffe aber noch nicht in meine Richtung gedreht hatte. Er war gezwungen, sich erst einmal eine Deckung zu suchen. Deshalb schoß ich nicht auf ihn, sondern auf die nächste Wandnische. Aber der Henker war so raffiniert gewesen, das vorauszusehen. Er sprang nicht etwa in die betreffende Nische, sondern an die gegenüberliegende Korridorwand. Dort gab es zwar keine Deckung für ihn, aber er konnte auf mich schießen, bevor ich meine Zielrichtung geändert hatte. Mir blieb weiter nichts übrig, als schleunigst wieder in Ischtars Gefängnis unterzutauchen. Dadurch geriet Magantilliken aus meinem Blickfeld. Ich konnte es nicht wagen, den Kopf in den Korridor zu stecken, wenn ich ihn nicht verlieren wollte. Damit stand die Auseinandersetzung unentschieden, denn auch Magantilliken konnte es nicht wagen, zu mir hereinzuschauen.
Das Ende von Yarden Und ein zweitesmal würde ihm der Trick mit dem Schuß aus dem Vorbeiflug nicht gelingen, das wußte er. Im ersten Moment war ich erleichtert über die Lage, denn ich dachte, daß derjenige den Kampf gewinnen würde, der die besseren Nerven besaß und in seiner Deckung ausharrte, bis der Gegner einen Fehler beging. Ich wußte, daß ich die Nerven nicht verlieren würde. Fartuloon hatte mich in dieser Beziehung unerbittlich trainiert. Doch dann vernahm ich die Rufe anderer Varganen und wußte, daß meine Rechnung nicht aufging. Die Detonatorentladungen hatten offenbar die übrigen Varganen im Schiff alarmiert. Sie waren gekommen und würden zweifellos Magantilliken unterstützen. Ich brauchte sie allerdings nicht gleich zu fürchten, denn sie konnten nicht durch die Türöffnung hereinkommen; die ließ sich von einem Mann gegen eine ganze Hundertschaft verteidigen. Aber früher oder später würden sie sich dazu entschließen, von mehreren Seiten gleichzeitig durch die Wände zu brechen. Wie der Kampf dann für Ischtar und mich ausgehen würde, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Wir waren schon jetzt so gut wie tot, aber wir würden wenigstens zusammen sterben. Nur Chapats Schicksal bereitete mir Kopfzerbrechen.
* Mittels Zeichensprache gab ich Ischtar zu verstehen, daß sie unseren Sohn holen sollte. Sie begriff und entfernte sich in einen Nebenraum, der ein Waschraum zu sein schien. Ich hatte vor, sobald Ischtar und Chapat wieder bei mir waren, mit dem Detonator ein Loch in den Fußboden zu schießen, so daß wir in das Deck unter uns entkommen konnten. Aber Magantilliken vermutete offensichtlich, auf welchen Ausweg ich verfallen würde. Kaum waren Ischtar und Chapat bei mir,
29 da meldete er sich von draußen. »Es wäre sinnlos, durch eine Wand oder durch den Boden ausbrechen zu wollen!« rief er. »Ich habe das Gefängnis einschließen lassen. Niemand kann entkommen.« Ich überlegte, ob der Henker die Wahrheit sprach. Stimmte es, was er sagte, so mußte er meine Absicht sehr früh durchschaut haben. Ebensogut aber konnte er bluffen. Ich entschloß mich, es darauf ankommen zu lassen. Mein Detonator riß ein klaffendes Loch in den Fußboden des Gefängnisses. Sofort nach dem Schuß sprang ich beiseite. Keinen Augenblick zu früh, denn dort, wo ich eben noch gestanden hatte, löste sich ein Teil des Fußbodens in einem Trümmerregen auf. Jemand hatte von unten mit einem Detonator geschossen. Damit stand es fest, daß Magantilliken nicht geblufft hatte. Unser Schicksal war besiegelt. Dennoch lächelte ich Ischtar aufmunternd zu. »Kommen Sie heraus!« ertönte wieder Magantillikens Stimme. »Oder ich lasse von allen Seiten gleichzeitig das Feuer eröffnen.« Ich lachte grimmig. »Was hätten wir davon, herauszukommen?« »Ich würde Ihr Leben schonen, Atlan«, antwortete Magantilliken. »Vielen Dank!« erwiderte ich sarkastisch. »Leider muß ich Sie enttäuschen. Sie werden mich nicht lebend bekommen.« »Ich verstehe Sie«, sagte der Henker. »An Ihrer Stelle würde ich genauso handeln. Ich hoffe, Sie haben einen schnellen Tod.« Seine Stimme veränderte sich, als er schrie: »Angriff von allen Seiten!« Ich schloß mit meinem Leben ab und bereitete mich darauf vor, möglichst viele Gegner mit in den Tod zu nehmen. Im nächsten Moment brach die Hölle los. Ich wußte zuerst nicht, was überhaupt geschah, denn das, was ich hörte und sah, entsprach nicht meiner Vorstellung von einem
30 Großangriff der Varganen. Ein Knirschen, Knacken und Krachen erscholl von überall zugleich, schwoll zu einem infernalischen Lärm an. Dann schwankte der Boden. Ich sah, wie Ischtar mit Chapat in die Knie ging, hörte ein berstendes Geräusch und konnte gerade noch zur Seite springen, um einer hereinbrechenden Stahlwand zu entgehen. Plötzlich lag der Boden schief. Ich stürzte und rollte zu Ischtar und Chapat. Wir griffen beide nach unserem Sohn, hielten ihn fest und versuchten, ihn gleichzeitig mit unseren Körpern zu decken. Durch das Krachen, Knirschen und Bersten ertönten gellende Entsetzensschreie und Hilferufe. Die Beleuchtung erlosch, dann trat Schwerelosigkeit ein. Ischtar, Chapat und ich schwebten plötzlich in der Luft. Zuerst hielt ich diesen Zustand für das Vorstadium des unvermeidlich erscheinenden Endes, doch dann merkte ich, daß der Ausfall der künstlichen Schwerkraft die Rettung war – jedenfalls fürs erste. Als kurz darauf die Notbeleuchtung anging, entdeckte ich, daß die Decke des Gefängnisses sich gelöst hatte und nur noch an einem zirka meterlangen Streifen hing. Ohne den Ausfall der Schwerkraft wäre sie zweifellos herabgestürzt und hätte Ischtar, Chapat und mich erschlagen. Ischtar blickte mich aus großen Augen an. »Was ist geschehen, Atlan?« fragte sie. »Keine Ahnung«, antwortete ich, schaltete mein Flugaggregat ein und brachte uns sicher zu Boden. »Aber was auch immer geschehen ist, es hat uns vorerst vor Magantilliken und seinen Helfern gerettet. Ich denke, sie haben zur Zeit Wichtigeres vor, als sich um uns zu kümmern. Wir schauen uns draußen um.« Ischtar hatte sich wieder gefaßt und fiel in die Rolle der geistig Überlegenen zurück, die sie mir gegenüber früher so gern gespielt hatte. »Du hättest viel früher kommen sollen«, erklärte sie. »Warum hast du so lange gewartet?«
H. G. Ewers Ich lachte humorlos. »Noch eine so dumme Frage, und du kannst allein sehen, wie du zurechtkommst. Wenn du vernünftig bist, dann hältst du mit einer Hand Chapat und mit der anderen einen Tragriemen meines Aggregattornisters. Dadurch würdest du mir nämlich mehr Bewegungsfreiheit geben – für den Fall, daß wir angegriffen werden sollten.« »Du vergißt, wer ich bin!« fuhr Ischtar hoch. Aber sie befolgte meinen Rat. Als ich merkte, daß sie sich festhielt, steuerte ich auf den Korridor hinaus – oder vielmehr dorthin, wo früher ein durchgehender Hauptkorridor gewesen war. Jetzt herrschte dort ein chaotisches Durcheinander von herabgesunkenen Deckensegmenten, umgestürzten Wänden und schwerelos umherschwebenden Energiewaffen. Die Männer, denen die Waffen gehört hatten, lagen wahrscheinlich tot unter den Trümmern. Ich fragte mich, was diese Katastrophe verursacht haben könnte. Zielstrebig steuerte ich, den Trümmern ausweichend oder sie mit dem Detonator beseitigend, auf die Schleuse zu, durch die ich gekommen war. Als wir das Innenschott erreichten, forderte ich Ischtar auf, mit Chapat auf mich zu warten. Dann betätigte ich den Öffnungsmechanismus des Schotts. Er funktionierte, was mich allerdings nicht wunderte, denn die außen liegenden Schotte waren diejenigen Raumschiffsteile, die energiestark und am stabilsten gebaut wurden. Die sechs Varganen, die ich überwältigt hatte, lebten noch. Sie waren allerdings noch immer gelähmt und schwebten mitten in der Schleusenkammer. Ich flog zu einem der drei Bullaugen aus durchsichtigen Metallplastik und warf einen Blick nach draußen. Was ich sah, verschlug mir im ersten Moment den Atem. Der gesamte Pulk war in Unordnung geraten. Verbindungsröhren hingen abgebrochen, zusammengeknickt und verdreht her-
Das Ende von Yarden um. Zwei Doppelpyramidenschiffe hatten sich aus dem Pulk gelöst und trieben steuerlos auf ein anderes Schiff zu, hinter dessen Bullaugen die Flammen von Bränden flackerten. Weit entfernt mußte ein Schiff explodiert sein. Jedenfalls gab es dort eine riesige Lücke, und in dem angrenzenden Gewirr von Schiffen und Röhren hingen ausgeglühte Trümmerstücke. Ich konnte mir nicht erklären, wie es zu einer derart verheerenden Katastrophe gekommen war. Doch das kümmerte mich am allerwenigsten. Ich verspürte plötzlich heiße Wellen der Angst, der Angst um Crysalgira und meine Freunde. Ebenso gut, wie offenbar zahlreiche Varganen umgekommen waren, konnte Crysalgira und meinen Freunden etwas, zugestoßen sein. Ich kehrte zu Ischtar zurück und machte ihr klar, daß wir unser Schiff verlassen mußten, um nach der Prinzessin, nach Fartuloon, Eiskralle und Corpkor zu suchen. Darüber, wie gering die Chancen waren, in dem chaotischen Durcheinander eine bestimmte Person zu finden, sprach ich nicht.
* »Meinst du nicht, daß unsere Freunde noch irgendwo in diesem Schiff sind?« fragte Ischtar. »Wissen kann ich es natürlich nicht«, erwiderte ich. »Aber wenn sie hier wären und überlebt haben, dann hätten sie das Chaos bestimmt genutzt, um sich Waffen zu beschaffen. In dem Fall wären sie zuerst zu dir und Chapat gekommen. Da sie bisher nicht aufgetaucht sind, müssen die Varganen sie in ein anderes Schiff gebracht haben.« Ich kehrte noch einmal in die Schleusenkammer zurück, nahm einem der Gelähmten das Flugaggregat ab und schnallte es auf Ischtars Rücken. Dadurch wurden wir beweglicher. Da Ischtar noch ihren goldfarbenen Raumanzug trug, würden wir uns auch durch Räume bewegen können, die ihre Atmosphäre verloren hatten. Es war schon ein
31 kleines Wunder, daß unser Schiff trotz der großen Verwüstungen nach außen hin dicht geblieben war. Da die Schleusenkontrollen ausgefallen waren, zog ich die sechs Varganen vorsichtshalber in den Hauptkorridor und ließ das Innenschott zugleiten. Danach war das Problem zu lösen, wie wir Chapat gegen einen eventuellen Druckabfall schützten. Ischtar bewies mir, daß ich noch längst nicht alle technischen Details der varganischen Raumanzüge kannte. Als ich mich nach ihr umdrehte, um das Problem mit ihr zu erörtern, hatte sie es bereits gelöst. Chapat befand sich in einer transparenten Ausbuchtung ihres Raumanzugs. »Eine Hermetikblase«, erklärte Ischtar. »Sie dient eigentlich dazu, Lebensproben von fremden Planeten aufzunehmen und dabei einen Austausch von Keimen zu verhindern.« »Ist die Sauerstoffversorgung gesichert?« erkundigte ich mich, während wir unsere Druckhelme schlossen. Als Ischtar bestätigte, aktivierte ich den Öffnungsmechanismus des Außenschotts. Wir hielten uns vorsichtshalber an Wandgriffen fest, um nicht in die Verbindungsröhre gerissen zu werden, falls dort ein Vakuum herrschte. Es gab tatsächlich einen starken Luftzug. Doch er hörte bald wieder auf, und die Kontrollen an meinen Schutzanzug bewiesen mir, daß der Luftdruck in der Röhre nur um ein Drittel unter den Normalwert abgesunken war. Offenbar war Luft durch einen Riß entwichen, und eine Reparaturautomatik hatte den Riß schnell wieder verschlossen. Wir schalteten unsere Flugaggregate ein und flogen zum anderen Ende der Verbindungsröhre. Auch dort funktionierte der Schleusenmechanismus noch. Das Nachbarschiff hatte keinen Druckabfall erlebt. Ischtar und ich klappten unsere Helme zurück. Sie rollten sich sofort wieder zu einer Art von Kragenwulst zusammen. Wir standen im Hauptkorridor des Schiffes und lauschten. Aus mehreren Richtungen
32 waren Geräusche zu hören: Knacken und Knirschen, ein dumpfes Rumoren und plötzlich auch die Entladungen von Energiewaffen. Ischtar streckte einen Arm aus. »Dort wird offenbar gekämpft«, sagte sie. »Sehen wir nach?« »Selbstverständlich«, antwortete ich. »Das könnten unsere Freunde sein, die sich mit Varganen herumschlagen.« Wir flogen etwa hundert Meter durch den Hauptkorridor, der in diesem Schiff frei von Trümmern war. Danach bogen wir nach rechts ab. Aber der Quergang, in den wir kamen, war teilweise durch Trümmer blockiert: eingestürzte Deckenteile mischten sich mit nach außen gefallenen Wandsegmenten. Ich mußte mehrmals den Detonator benutzen, um die Hindernisse so zu zerkleinern, daß wir darüber hinwegfliegen konnten. Dadurch kamen wir langsamer voran, als wir gehofft hatten. Ich wurde unruhig, denn aus der Richtung, in die wir uns bewegten, ertönten immer wieder die Entladungen von Energiewaffen. Vielleicht befanden, sich unsere Freunde in höchster Gefahr. Falls ihnen Varganen gegenüberstanden, die mit Keruhms ausgerüstet waren, mußten sie unweigerlich den kürzeren ziehen. Die Angst um unsere Freunde ließ mich meinen Detonator rücksichtslos mit maximaler Leistung einsetzen, auch wenn dabei Seitenwände zerpulvert wurden und möglicherweise Varganen in Gefahr gerieten, die verletzt in Kabinen lagen. Aber wenn die Varganen keine Rücksicht auf uns nahmen, durfte ich auch keine Rücksicht auf sie nehmen. Dadurch kamen wir wieder schneller voran. Ein Stück des Ganges war sogar frei von Trümmern, aber dann stießen wir auf eine Verteilerhalle, deren Decke von herabstürzenden Aggregaten zerschmettert worden war. Die Aggregate mußten aus einem Maschinenraum gekommen sein. Sie hatten sich in der Verteilerhalle gestaut und ineinander verkeilt.
H. G. Ewers Es hätte zu lange gedauert, alle diese schweren und massiven Maschinen mit dem Detonator zu zerstören. Deshalb feuerte ich auf den Boden, soweit er freilag. Es währte nicht lange, da gab er nach. Das Gewicht der Aggregate unterstützte den Vorgang noch. Polternd und krachend stürzte der Boden mitsamt den schweren Maschinen in die Tiefe. Ich hörte, wie er weitere Decks durchschlug und dann irgendwo zur Ruhe kam. Wir wollten unseren Flug fortsetzen, da bemerkte ich ungefähr zweihundert Meter voraus einen weiteren Trümmerhaufen. Im nächsten Augenblick krachte es dort. Der Trümmerhaufen wurde erschüttert. Abermals krachte es. Ich winkte Ischtar und bedeutete ihr damit, nach links in Deckung zu gehen. Dann stellte ich mich an der rechten Wand auf, zielte mit dem Detonator auf den Trümmerhaufen und rief auf Varganisch den Befehl, sich mit Namen zu melden. Eine Weile blieb es still, dann antwortete eine Stimme auf Arkonidisch – eine Stimme, die ich sogleich als die Fartuloons erkannte: »Ich habe dich an der Stimme erkannt, Atlan. Bist du allein?« »Nein!« rief ich, grenzenlos erleichtert, zurück. »Ischtar und Chapat sind bei mir. Sind Corpkor und Eiskralle auch dort?« »Nur Eiskralle«, antwortete mein Pflegevater. »Corpkor hat als einziger von uns ausbrechen können. Ich dachte, er wäre zu dir durchgekommen.« »Er muß verletzt sein«, gab er zurück. »Er schickte mir eine Nachricht, daß Ischtar in Gefahr sei. Wir müssen ihn suchen.« »Klar, mein Junge«, erwiderte Fartuloon. »Haltet euch in Deckung. Wir werden den letzten Trümmerhaufen wegblasen. Freut mich, daß du heil und gesund bist, Atlan.« »Alles klar!« bestätigte ich. »Fangt an!« Erneut krachten hinter dem Trümmerhaufen die Entladungen von Detonatoren. Mir wurde klar, daß es diese Geräusche gewesen waren, die Ischtar und ich für Gefechtslärm gehalten hatten. Wenig später war der Weg frei. Wir konn-
Das Ende von Yarden ten Fartuloon und Eiskralle begrüßen. Aber die Freude über das Wiedersehen hielt nicht lange an, denn noch wußten wir nicht, was aus Corpkor und Crysalgira geworden war. »Wir haben keine Ahnung, wo Corpkor sich aufhält«, meinte mein Pflegevater. »Es wäre sinnlos, jedes Schiff nach ihm durchsuchen zu wollen. Deshalb schlage ich vor, wir begeben uns zuerst dorthin, wo du die Prinzessin verlassen hast, mein Junge.« Ich nickte. Um Crysalgira machte ich mir tatsächlich die meisten Sorgen. Corpkor würde sich eher allein helfen können. Ich nahm an, daß er uns durch die Valtoren irgendwann eine Botschaft schicken würde. »Gehen wir!« sagte ich.
7. Vargo hockte hinter den Kontrollen des Schiffes und drückte immer wieder eine bestimmte Reihe von Schaltplatten. Die Triebwerke des Raumschiffs arbeiteten in kurzen, aber starken Schüben und versetzten die Doppelpyramide in halbkreisförmige horizontale Schwingungen. Da dieses Schiff aus einem bestimmten Grund besonders fest mit den übrigen Schiffen des Pulks verbunden war, teilten seine Schwingungen sich dem gesamten Pulk mit. Vargo kümmerte sich nicht um die Folgen, auch dann nicht, als eines der weit entfernten Doppelpyramidenschiffe aus ungeklärter Ursache explodierte. Verbissen setzte er seine Arbeit an den Schaltungen fort. »Ich fange Notrufe auf«, meldete einer seiner Helfer, der vor dem Funkgerät saß. »In Schiff vierhunderteins und in Nummer zweihundertneunundsiebzig sind durch Hüllenrisse und Druckverluste wahrscheinlich rund fünfhundert Personen umgekommen.« »Dann werden die anderen sich jetzt vorsehen«, erwiderte Vargo. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und die Augen strahlten in irrem Glanz. Erneut schwang das schwere Schiff nach Backbord aus. Auf den Bildschirmen der
33 Rundsichtgalerie war zu sehen, wie sich draußen eine mehrere Meter starke ZusatzVerankerungsstrebe korkenzieherartig drehte, mehr und mehr zusammengeschoben wurde und plötzlich auseinanderflog. »Endlich!« stieß Vargo hervor. »Allmählich lösen wir uns aus dem Pulk!« »Die Opfer sind zu groß, Vargo«, warf ein anderer seiner Freunde ein. Er stieg über die sterblichen Überreste dreier Varganen, die beim Kampf um die Zentrale gefallen waren und blieb neben Vargo stehen. »Wenn ich gewußt hätte, welches Chaos wir auslösen, hätte ich dir abgeraten.« »Der Umsetzer ist für unser Volk viel bedrohlicher als das Chaos, das wir anrichten, Apton«, entgegnete Vargo. »Wenn wir dafür sorgen, daß er nie wieder als Verbindung zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos mißbraucht wird, können die Varganen endlich daran gehen, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Bisher haben sie es unterlassen, weil sie sich einbildeten, in dem Gerät eine Rückversicherung zu haben.« »Wirst du den Umsetzer zerstören?« erkundigte sich Apton. »Selbstverständlich«, antwortete Vargo. »Aber ich will ihn nicht innerhalb der Eisigen Sphäre zerstören, weil ich nicht weiß, welche Folgen die Explosion für den Pulk haben würde. Möglicherweise bräche die Eisige Sphäre zusammen. Deshalb werden wir ihn nach draußen bringen – und deshalb müssen wir dieses Schiff vom Pulk lösen.« Das Schiff schwang nach Steuerbord zurück. Wieder brach eine Verankerungsstrebe weg. Die beiden Verbindungsröhren, die das Schiff mit den beiden Nachbarschiffen verbunden hatten, waren gleich am Anfang der Aktion weggebrochen. »Da treiben zwei Schiffe auf ein drittes zu, in dem offenbar Feuer ausgebrochen ist!« rief ein anderer Helfer. Vargo richtete sich halb auf und blickte auf den Bildschirm, auf den der Mann deutete. Seine Lippen preßten sich zusammen, als er sah, daß eine Kollision unvermeidlich
34 war. Wie gebannt verfolgte er, wie sich die beiden Doppelpyramidenschiffe mit den Bugspitzen in die Backbordflanke des dritten Schiffes bohrten. Der Luftschwall, der aus der zerrissenen Außenhülle schoß, gefror sofort und verwandelte sich in Wolken leuchtender Eiskristalle. Das gerammte Schiff brach wie im Zeitlupentempo in zwei Teile. Aus den Bruchstellen schossen mehrere Gestalten, wirbelten umeinander und trieben dann nach allen Richtungen davon. Die drei Schiffe blieben nicht lange ineinander verkeilt. Sie drehten sich umeinander, dann lösten sie sich wieder und trieben auf andere Raumschiffe beziehungsweise Verbindungsröhren zu. »Wir müssen etwas unternehmen, um die Leute in den Schiffen zu bergen«, sagte Apton. »Wir können nichts unternehmen, ohne unsere Kräfte zu verzetteln«, widersprach Vargo. »Früher oder später werden Kreton und Kandro genug Männer sammeln, um den Umsetzer zurückzuerobern. Außerdem glaube ich, daß die Schiffe bereits verlassen sind. Die Leute darin werden ihre Körper verlassen und sich die Körper konservierter Tropoythers irgendwo im Mikrokosmos angeeignet haben.« Wieder schaltete er – und wieder schwenkte das Schiff nach Backbord herum. Doch diesmal brach keine Verankerung. Da änderte Vargo sein Vorgehen. Er wartete das Ende der Backbordbewegung ab und schaltete dann auf einen Vertikalschwenk. Diesmal rissen gleich drei Verankerungen. Das Schiff pendelte nur noch an zwei besonders starken und elastischen Streben, die es von oben und unten faßten und mit zwei riesigen Speichenkränzen von Röhren verbanden, an denen insgesamt achtzehn weitere Doppelpyramidenschiffe verankert waren. Vargo schaltete unermüdlich weiter. Er wußte, daß er gegen die Zeit kämpfte. Vor seiner Aktion gegen das Umsetzerschiff hatte er erfahren, daß Kreton und Kandro, die beiden Räte der Varganen, nach ihm fahnde-
H. G. Ewers ten, weil sie ihn für die Unruhen im Gefangenenschiff verantwortlich machten. Vargo hatte den Ausbruchsversuch der Gefangenen geschickt genutzt, indem er die kurze Zeitspanne, während der Kretons und Kandros Aufmerksamkeit auf das Gefangenenschiff konzentriert war, für seinen Handstreich gegen das Umsetzerschiff nutzte. Inzwischen würden die beiden Räte wissen, daß er den Umsetzer in seine Gewalt gebracht hatte. Sobald sich die allgemeine Lage in der Eisigen Sphäre stabilisierte, würden sie gegen ihn vorgehen. Bis dahin mußte er verschwunden sein. Und er mußte vorher sein Versprechen einlösen und die Gefangenen durch den Umsetzer in den Makrokosmos schicken …
* Nachdem wir eine der Langröhren unangefochten passiert hatten, mußten wir feststellen, daß uns der weitere Gang über die Kurzstreckenverbindungen versperrt war. Die nächste Langröhre wies einen klaffenden Riß auf, der sich über ihre gesamte Länge hinzog. In ihrem Innern herrschten dadurch Weltraumbedingungen, die für uns trotz der Raumanzüge absolut tödlich waren. »Wir müssen den Weg durch die Schiffe und ihre kurzen Verbindungsröhren nehmen«, teilte ich meinen Gefährten mit. »Hoffentlich finden wir genug intakte Röhren«, Warf Eiskralle ein. »Notfalls müssen wir eben Umwege machen«, erklärte Fartuloon. »Ich bin nicht dafür, weiter blindlings loszustürmen«, meinte Ischtar. »Wir wissen immer noch nicht, wodurch das Chaos ausgelöst wurde. Ich schlage vor, daß wir in die Funkzentrale des nächsten Schiffes gehen und den Funkverkehr im Pulk abhören, damit wir endlich erfahren, was überhaupt gespielt wird.« »Wenn die Funkzentrale von Varganen besetzt ist, müssen wir kämpfen«, wandte Fartuloon ein. »Dann merken die Varganen, daß wir noch leben und aktiv sind.«
Das Ende von Yarden »Meine Leute werden nichts unternehmen, solange das Chaos anhält«, entgegnete Ischtar. »Ich kann das behaupten, weil ich ihre Mentalität besser kenne als ihr.« Fartuloon sah mich fragend an. Ich nickte. »Also gut«, sagte mein Pflegevater. »Bringen wir es hinter uns.« Wir drangen in das nächste Schiff ein. Der Hauptkorridor lag verlassen vor uns. Auch hier gab es Beschädigungen, aber sie waren im Vergleich zu dem Schiff, in dem ich gegen Magantilliken gekämpft hatte, minimal. Da Fartuloon und Eiskralle keine Flugaggregate besaßen, mußten wir alle zu Fuß gehen. Wir traten so leise wie möglich auf, denn wir hatten kein Interesse daran, von Varganen entdeckt zu werden. Die Schwierigkeiten waren auch so groß genug. Vor dem Schott der Funkzentrale stellten Fartuloon und ich uns mit gezückten Waffen auf. Eiskralle betätigte den Öffnungsmechanismus. Als die beiden Schotthälften zur Seite glitten, marschierte er seelenruhig durch die Öffnung. Dadurch wurden die beiden Varganen, die an den Funkgeräten saßen, geistig überfordert. Sie starrten die – zugegebenermaßen – seltsame Erscheinung Eiskralles noch immer mit offenen Mündern an, als die Schüsse aus Fartuloons und meiner Lähmwaffe sie trafen und paralysierten. Wir gingen in die Funkzentrale. Eiskralle postierte sich innen neben dem Schott, um zufällig hereinkommende Varganen sofort mit seinem Lähmstrahler unschädlich zu machen. Ischtar begab sich zielstrebig an eines der Funkgeräte. Wir ließen sie gewähren, denn es war die Technik ihres eigenen Volkes, mit der sie sich natürlich besser auskannte als wir. Nach wenigen Schaltungen ertönte klar und deutlich die Stimme eines Varganen. »… sind festzunehmen oder zu töten«, sagte sie. »Ich wiederhole: Der Rebell Vargo hat zusammen mit einigen Verrätern das Schiff besetzt, in dem der Umsetzer unterge-
35 bracht ist. Dadurch, daß Vargo versuchte, das betreffende Schiff durch Schwenkmanöver aus dem Pulk herauszubrechen, versetzte er alle Schiffe und Verbindungsröhren in starke Schwingungen und löste eine Katastrophe aus, der bereits viele Varganen zum Opfer fielen. Ich fordere alle Varganen auf, mit voller Energie an der Beseitigung der Schäden zu arbeiten, die an ihren Schiffen aufgetreten sind. Wo die Schäden zu groß sind, müssen die Schiffe verlassen werden. Ausgebrochene Schiffe müssen auf jeden Fall wieder unter Kontrolle gebracht werden, damit es nicht noch mehr Zusammenstöße gibt. Auf keinen Fall dürfen noch mehr Varganen, die sich in Gefahr glauben, ihre Körper verlassen und Zuflucht in den Körpern gestorbener und konservierter Tropoythers suchen. Ich gebe zu bedenken, daß es für sie keine Rückkehr gibt, wenn ihre eigenen Körper mit ihrem Schiff untergehen. Da anzunehmen ist, daß sich die gefangenen Fremden und die Verräterin Ischtar mit Vargo verbündet haben, ordne ich an, daß auch gegen diesen Personenkreis vorzugehen ist. Ischtar, Crysalgira, Atlan, Fartuloon, Eiskralle und Corpkor sind festzunehmen oder zu töten. Hier sprach Kreton. Ich werde mich bald wieder melden.« Ischtar schaltete das Funkgerät aus und blickte uns triumphierend an. »Was habe ich gesagt!« rief sie. »Jetzt haben wir die Informationen, die wir so dringend brauchen.« »Jedenfalls wissen wir, daß Vargo das Chaos ausgelöst hat«, sagte Fartuloon bedächtig. »Wahrscheinlich will er mit dem Umsetzerschiff aus der Eisigen Sphäre fliehen. Ich frage mich, was dann aus uns werden soll. Wir sind auf den Umsetzer angewiesen, wenn wir in den Makrokosmos zurückkehren wollen.« »Atlan kehrte schon einmal aus dem Mikrokosmos in den Makrokosmos zurück«, warf Eiskralle ein. »Ohne einen Umsetzer zu benutzen.« »Ich bin nicht sicher, daß ich damals in
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dem gleichen Mikrokosmos war wie heute«, erwiderte ich. »Außerdem denke ich, daß ich damals nur deshalb in den Makrokosmos zurückgeschleudert wurde, weil ich trotz des Verkleinerungsvorgangs meine ursprüngliche Masse behielt. Dadurch blieb ich ein Fremdkörper in dem betreffenden Kontinuum. Diesmal aber ist die Anpassung an den Mikrokosmos total. Ich fürchte, ohne Umsetzer geht es nicht.« »Das denke ich auch«, sagte Ischtar. »Ich schlage vor, wir ändern unsere Marschrichtung und versuchen, das Umsetzerschiff zu erreichen, bevor es ausbricht.« »Nein!« erwiderte ich schroff. »Zu erst müssen wir alles tun, um die Prinzessin zu finden. Ohne sie gehe ich nicht durch den Umsetzer.« Ischtars Augen funkelten mich zornig an. »Geh doch allein zu deiner Prinzessin, wenn sie dir mehr bedeutet als ich!« fuhr sie mich an. »Wenn sie mir mehr bedeutete als du, hätte ich sie dann verlassen, um dich vor Magantilliken zu schützen?« fragte ich ruhig. Ich blickte Ischtar fest in die Augen, und nach einiger Zeit senkte sie beschämt den Kopf. »Verzeih mir, Atlan!« bat sie leise. »Selbstverständlich müssen wir die Prinzessin suchen.« »Danke«, erwiderte ich. »Vergessen wir das.«
* Kreton schaltete das Funkgerät aus und wandte sich an Kandro. »Hoffentlich werden meine Anordnungen und Ratschläge befolgt. Was meinst du?« Kandro wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht, Kreton. In fast allen Schiffen herrschen Panik und Hysterie. Wenn wir nicht bald entschlossen gegen Vargo vorgehen, bekommen wir die Lage nicht in den Griff.« »Sollen vielleicht wir beide allein das Umsetzerschiff stürmen?« fragte Kreton bit-
ter. »Bis jetzt hat sich nicht ein einziger Mann unserer Leibwache zurückgemeldet, und wir brauchen mindestens fünfzig Mann, um das Umsetzerschiff zurückzuerobern.« Die beiden alten Männer saßen allein in der Funkzentrale ihres frei beweglichen Flaggschiffs. In der Steuerzentrale befand sich nur der Kommandant des Schiffes, ein Vargane mit dem Namen Naikondro, der früher – als noch alle Varganen im Makrokosmos gelebt hatten – Oberbefehlshaber der varganischen Flotten gewesen war. Er galt noch immer als fähigster Raumpilot. Kreton und Kandro vertrauten darauf, daß er ihr Schiff vor Kollisionen bewahrte. Als der Interkommelder ansprach, schaltete Kandro das Gerät ein und meldete sich. Auf dem Bildschirm erschien das schmale, asketisch wirkende Gesicht Naikondros. »Fünf Männer Ihrer Leibwache haben sich bei mir zurückgemeldet«, berichtete Naikondro. »Möchten Sie mit den Leuten sprechen? Sie wirken allerdings erschöpft.« »Nein, danke«, entschied Kandro. »Die Männer sollen ihre Kabinen aufsuchen und sich ausruhen, damit sie frisch sind, wenn wir gegen Vargo losschlagen.« »In Ordnung«, erwiderte Naikondro knapp und schaltete ab. Kreton setzte zum Sprechen an, schwieg aber, weil in diesem Moment eine Kontrollampe an einem Funkgerät aufblinkte. Er aktivierte das Gerät. Auf dem Bildschirm war der Oberkörper eines Varganen in mittlerem Alter zu sehen. »Hier spricht Lunkrin«, sagte der Vargane. »Schiff dreiundachtzig mit einer Besatzung von fünfzehn Frauen und sieben Männern ist unter Kontrolle. Haben Sie Befehle für uns, Kreton?« »Ja«, antwortete Kreton. »Manövrieren Sie Ihr Schiff an unser Flaggschiff heran! Aber passen Sie auf, daß Sie nicht mit steuerlos treibenden Schiffen kollidieren! Und danke, daß Sie so umsichtig gehandelt haben.« »Wir haben nur unsere Pflicht getan«, erwiderte Lunkrin. »Befehl verstanden; wir
Das Ende von Yarden kommen.« Kreton schaltete das Funkgerät aus. Auf sein Gesicht stahl sich ein flüchtiges Lächeln. »Allmählich fangen sich die Leute wieder«, meinte er. »Vielleicht wird durch die Katastrophe der alte Kampfgeist wieder geweckt.« »Hoffentlich«, sagte Kandro und deutete auf einen der Bildschirme, die die Umgebung des Flaggschiffs zeigten. »Bisher reagieren die Leute noch ziemlich kopflos. Immer mehr Schiffe reißen sich los.« Erneut flammte die Kontrollampe an Kretons Funkgerät auf. Diesmal meldete sich Schiff achthundertneunzehn mit einer Besatzung von insgesamt hundertsechsundfünfzig Varganen, die die Kontrolle über ihr Schiff zurückgewonnen hatten. Kreton befahl ihnen, ebenfalls das Flaggschiff anzufliegen. Danach wandte er sich wieder Kandro zu. »Jetzt bin ich sicher, daß wir bald genug Schiffe beisammen haben, um gegen Vargo vorzugehen. Es ist nicht weiter schlimm, wenn die Schiffe sich losreißen. Die Hauptsache ist, daß ihre Besatzungen die Panik überwinden und die Schiffe unter ihre Kontrolle bringen.« Diesmal war es wieder der Interkommelder, der ansprach. Kandro schaltete das Gerät sofort ein. »Haben sich noch mehr Männer bei Ihnen gemeldet?« erkundigte er sich, als Naikondros Oberkörper auf dem Bildschirm zu sehen war. »Noch nicht«, antwortete Naikondro tonlos. »Und ich fürchte, das wird keine Rolle mehr spielen, Kandro. Die Automatortung hat angesprochen. Ich habe die Ergebnisse von der Positronik auswerten lassen. Offenbar hat dieses Mal der Masseausgleich zwischen Mikro- und Makrokosmos nicht richtig funktioniert.« »Was bedeutet das?« schrie Kandro aufgebracht. »Drücken Sie sich deutlicher aus!« »Die Ortung hat neue starke Einbrüche aus dem Makrokosmos angemessen«, erklärte Naikondro mit unbewegtem Gesicht.
37 »Wahrscheinlich müssen wir die Ursache darin suchen, daß diesmal nicht die volle Zahl von zehntausend Kreuzfahrerschiffen erreicht wurde. Sollten die Einbrüche stärker werden, würde die Eisige Sphäre in Gefahr geraten.« »Auch das haben wir nur Ischtar und diesem Arkoniden zu verdanken!« tobte Kandro. »Wir hätten sie sofort auslöschen lassen sollen, als wir erfuhren, daß sie in den Mikrokosmos gekommen waren.« »Wir waren eben zu tolerant«, erwiderte Kreton. »Außerdem hofften wir, Atlan und Crysalgira für ein neues Aufleben unseres Volkes verwenden zu können. Damit ist es nun wahrscheinlich vorbei.« »Neue starke Einbrüche!« meldete sich Naikondro aus dem Interkom. »Es scheint, als würde die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos bald endgültig zusammenbrechen.« »Was können wir tun?« fragte Kandro ratlos. »Sie müssen die Besatzungen aller Schiffe auffordern, sich aus dem Pulk zu lösen und die Eisige Sphäre zu verlassen«, antwortete der Kommandant. »Falls die Eisige Sphäre verschlungen wird, können wir immer noch Planeten besiedeln.« »Nein!« entschied Kandro. »Ich brauche die Schiffe noch, um den Umsetzer zurückzuerobern. Wir warten ab, Naikondro.« »Wie Sie befehlen!« erwiderte der Mann und schaltete ab.
8. Nach vielen Umwegen erreichten wir endlich das Schiff, in dem Crysalgira und ich auf die Aufgabe, die die Varganen uns zugedacht hatten, vorbereitet worden waren. Wir hatten großes Glück gehabt, denn das Schiff war nur noch durch eine einzige Röhre mit dem Pulk verbunden. Wäre die letzte Röhre auch abgebrochen, hätten wir es niemals betreten können, denn der Flug durch den freien Raum innerhalb der Eisigen Sphäre wäre gleichbedeutend mit Selbst-
38 mord gewesen. Das Innere des Schiffes bot einen schlimmen Anblick. Überall lagen Ausrüstungsteile und Aggregate herum. Zwei Varganinnen lagen ineinander verkrallt vor dem Innenschott der Schleuse. Sie waren tot. Aus der Art ihrer Verletzungen schloß ich, daß es in dem Schiff eine kurze Phase der Schwerelosigkeit gegeben hatte, in der Varganen und Gegenstände durch die Gänge und Räume gesegelt waren. Als dann die Schwerkraft schlagartig wieder einsetzte, war alles hart zu Boden gerissen worden. Dabei hatten die beiden Varganinnen sich zu Tode gestürzt. Als wir tiefer ins Schiff eindrangen, fanden wir noch mehr Tote, vor allem aber zahlreiche Verletzte. Es handelte sich ausnahmslos um junge Varganinnen und Varganen, wahrscheinlich solche, die als Partner für Crysalgira und mich ausersehen gewesen waren. Diejenigen, die unverletzt geblieben oder nur leicht verletzt waren, irrten zielund planlos umher. Sie bedeuteten keine Gefahr für uns, deshalb lähmten wir sie nicht, sondern forderten sie nur energisch auf, sich um die Verletzten zu kümmern, die sich nicht selbst helfen konnten. Zuerst reagierten sie nicht, aber als wir damit drohten, alle Widerspenstigen zu erschießen, änderte sich das. Selbstverständlich hätten wir niemanden getötet. Aber die Varganen standen unter Schockeinwirkung, und dagegen halfen nun einmal drastische Maßnahmen am schnellsten. Ich schickte Ischtar und Eiskralle zur Funkzentrale. Sie sollten sie besetzen und dafür sorgen, daß niemand über Funk ausstrahlen konnte, daß wir hier auf getaucht waren. Fartuloon und ich eilten weiter in Richtung des künstlichen Paradieses, das sich in der anderen Schiffshälfte befand. Als wir das Verbindungsschott öffneten, stürzte uns eine Flut aus Schlamm, Pflanzenteilen und Geröll entgegen und begrub uns beinahe unter sich. Wir wichen zurück, warteten, bis die Flut
H. G. Ewers zur Ruhe gekommen war und drangen dann in das ehemalige Paradies ein. Der Anblick übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Das Schiff mußte sich in der Phase der Schwerelosigkeit mindestens einmal um seine Längsachse gedreht haben. Diese Bewegung konnten den drehbar gelagerten Anschlüssen der Verbindungsgänge nichts ausmachen. Hier hatte es dazu geführt, daß der gesamte künstlich aufgetragene Boden mit allem darin verankerten Pflanzenmaterial sowie alle Hütten und das Wasser der Bäche und Seen in die Höhe geschwebt war. Als dann die künstliche Schwerkraft wieder einsetzte, war alles aus ziemlicher Höhe zurückgefallen. Es gab keine einzige Hütte mehr, keinen Baum und keinen Strauch, nur ein unbeschreibliches Konglomerat von Pflanzenteilen, Wasser, Erdreich, zersplitterten Holzteilen und den Leichen der Varganinnen und Varganen, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe hier befunden hatten. Aus dem Paradies war für sie eine Hölle geworden, die wahrscheinlich niemand überlebt hatte. Auch Crysalgira nicht. Erschüttert stand ich vor dieser Kulisse des Grauens. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich die Prinzessin nicht mitgenommen hatte, obwohl ich wußte, daß ich sie nicht an den Wachtposten vorbeigebracht hätte. Wie lange ich so dastand, weiß ich nicht. Ich kehrte erst dann ins bewußte Leben zurück, als Fartuloon mir seine Hand auf die linke Schulter legte und fest zudrückte. »Es tut mir leid, mein Junge«, sagte er mit belegter Stimme. »Aber du darfst dir keine Vorwürfe machen. Du darfst auch über deiner Trauer nicht die Lebenden vergessen. Wir alle brauchen dich, vor allem aber dein Sohn Chapat. Noch mehr aber braucht dich das Volk des Großen Imperiums. Du hast Pflichten, die schwerer wiegen als alle deine Gefühle.« »Ich weiß, Fartuloon«, erwiderte ich mit einer Stimme, die mir fremd vorkam. »Aber
Das Ende von Yarden ein Mann muß wenigstens für kurze Zeit trauern dürfen. Crysalgira da Quertamagin war eine gute und tapfere Frau, die alle Strapazen und Gefahren ertragen hat, ohne zu klagen und manchmal noch Kraft erübrigte, um mich wieder aufzurichten, wenn ich verzweifeln wollte. Sie möge in Frieden ruhen. Laß uns gehen.« Ich wandte mich dem Ausgang zu und wollte gerade den ersten Schritt tun, als ich meinen Namen rufen hörte. Es durchfuhr mich wie ein starker elektrischer Schlag, denn die Stimme, die meinen Namen gerufen hatte, war die Stimme Crysalgiras gewesen. Ich erstarrte und spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Hatten wir alle, die wir uns für aufgeklärt und wissenschaftlich gebildet gehalten hatten, uns geirrt? War mit dem Tode des Körpers doch nicht alles vorbei? Lebte die Seele auf irgendeiner höheren Ebene weiter – und konnte sie von dort aus mit jemandem Verbindung aufnehmen, mit dem sie zu Zeiten ihrer körperlichen Existenz besonders eng verbunden gewesen war? Das ist unlogisch! meldete sich mein Logiksektor. Vielleicht existiert nach dem Tode so etwas wie eine Seele weiter, aber sie kann sich niemals akustisch bemerkbar machen. »Aber vielleicht telepathisch«, erwiderte ich unwillkürlich laut. »Wovon sprichst du?« fragte Fartuloon. Seine Frage drang gar nicht richtig in mein Bewußtsein, weil mein Logiksektor mir im gleichen Augenblick mitteilte, es hätte sich nicht um Gedankenübertragung gehandelt, sondern um das Hören einer wirklichen Stimme, die er Crysalgira zuordnete. Da die Mitteilung von meinem Logiksektor kam, mußte ich sie glauben, so schwer mir das auch fiel. Im nächsten Moment hörte ich wieder meinen Namen rufen. Ich umklammerte Fartuloons Arm. »Hast du sie gehört?« stammelte ich. Mein Pflegevater schluckte trocken. »Jemand hat deinen Namen gerufen«, erwiderte er. »Eine Frauenstimme.« »Das war Crysalgira!« schrie ich.
39 »Crysalgira, wo bist du?« »Oben, über dir, Atlan!« kam die Antwort. Ich legte den Kopf in den Nacken. Im nächsten Augenblick hatte ich mein Flugaggregat aktiviert und schoß förmlich auf die Stelle des ehemaligen Kunsthimmels zu, wo ich zwischen den Haltestreben für die Projektoren eine weibliche Gestalt entdeckt hatte. Im letzten Moment bremste ich ab, landete auf einer benachbarten Strebe und riß Crysalgira in meine Arme. »Du zerdrückst mich ja!« protestierte die Prinzessin schweratmend, als ich meine Umarmung lockerte. »Wie hast du es nur geschafft, die Katastrophe zu überleben?« erkundigte ich mich. Crysalgiras Augen verdunkelten sich, wahrscheinlich in der Erinnerung an das Schreckliche, das sich hier abgespielt hatte. »Als die künstliche Schwerkraft ausfiel, rechnete ich mir aus, was passieren mußte, wenn sie plötzlich wieder einsetzte«, antwortete sie leise. »Ich stieß mich mit den Füßen von einer schwebenden Hütte ab und segelte hier herauf. Hier brauchte ich mich nur noch festzuhalten, um nicht in die Tiefe zu stürzen, als die Schwerkraft wiederkam. Aber ich fürchtete schon, niemand käme, um mich aus meiner Lage zu befreien.« Ich strich ihr übers Haar, während ich sie mit der anderen Hand festhielt, damit sie nicht doch noch in die Tiefe stürzte. »Du wußtest, daß ich kommen würde«, erklärte ich. »Ja, Atlan«, erwiderte sie und lächelte plötzlich. »Und ich war gerührt über den Nachruf, den du für mich gesprochen hast.« »Schamlose!« sagte ich scherzhaft drohend. »Ich war in tiefer Trauer, und du hast hier oben gesessen und dich über meine Grabrede amüsiert!« »Da konnte ich mich noch nicht darüber amüsieren«, entgegnete die Prinzessin ernst. »Der Schock hatte mir die Stimme verschlagen, und ich kämpfte die ganze Zeit über darum, sie zurückzuerhalten, bevor ihr die Halle verließet. Es war schrecklich.«
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»Aber jetzt ist alles wieder gut«, sagte ich. »Halte dich an den Gurten meines Flugaggregats fest! Ich bringe dich auf festen Boden zurück.«
* Corpkor erwachte, weil eine nasse Schnauze ihm übers Gesicht fuhr. Er lächelte, denn er erkannte sofort den Valtor Rinecco. »Hast du mich gefunden, alter Freund«, flüsterte er. »Wie geht es dir?« Er runzelte die Stirn, als ihm etwas einfiel. Der Valtor hätte sich bestimmt nicht zu ihm gewagt, wenn die Varganen, die ihn aus dem eisigen Weltraum geborgen hatten, bei ihm gewesen wären. Er strich dem Tier behutsam mit der Hand über den Kopf. Dabei entdeckte er auf dem Handrücken die furchtbaren Eisnarben, die die Kältestrahlung der Eisigen Sphäre ihm zugefügt hatte. »Wenn ich am ganzen Körper so entstellt bin, wird jede Frau bei meinem Anblick schreiend das Weite suchen«, stellte er mit ironischem Lächeln fest. Danach wollte er sich aufrichten. Doch das ging nicht. Corpkor tastete um sich und bemerkte, daß er mit breiten Riemen an ein Pneumobett gefesselt war. Erst danach sah er, daß der Raum, in dem er sich befand, in wüster Unordnung war. Zwei Schränke lagen halbzertrümmert auf dem Boden. Eine Wand des Raumes war völlig verschwunden, und in der Zimmerdecke klaffte ein breiter Spalt. »Was hat sich hier abgespielt?« dachte der Tiermeister laut. Er löste die Gurte, die seinen Oberkörper ans Bett fesselten. Dann beugte er sich weit vor und löste die um die Beine gelegten Gurte. Der Valtor hüpfte vom Bett auf den Boden, turnte auf einem der Schränke herum und kehrte aufs Bett zurück. »Willst du mir irgend etwas mitteilen?« fragte Corpkor. Er schwang sich behutsam aus dem Bett
und entdeckte, daß er nur leichtes Unterzeug trug. Wieder sprang Rinecco auf den umgestürzten Schrank, kehrte zu Corpkor zurück und blickte ihn aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Der Tiermeister ging zu dem Schrank, bückte sich und packte die Oberkante. Er wollte das Möbel aufrichten aber in halber Höhe brach es vollends auseinander. Dadurch kam der Raumanzug zum Vorschein, den Corpkor bei seinem selbstmörderischen Ausflug in die Eisige Sphäre getragen hatte. Er erschauderte bei der Erinnerung an die grauenhafte Kälte. »Immerhin hat mir der Anzug das Leben gerettet«, meinte er. »Offenkundig willst du, daß ich ihn wieder anziehe, mein kleiner Freund. Ich werde nicht den Fehler begehen, deine Intelligenz zu unterschätzen.« Er barg den Raumanzug vollends aus den Schranktrümmern und streifte ihn sich über. Ein kurzer Check-up bewies ihm, daß alle Systeme einwandfrei funktionierten. »Was nun?« wandte er sich an den Valtor. Rinecco eilte zum Schott, richtete sich dort auf und blickte zu Corpkor zurück. »Ich soll also diese Kabine verlassen«, dachte der Tiermeister laut. »Wenn ich nur wüßte, was sich hier abgespielt hat. Es sieht aus, als wäre etwas mit unserem Schiff passiert, wie?« Rinecco gab einen schrillen Pfeiflaut von sich. Corpkor lächelte, ging zum Schott und betätigte den Öffnungsmechanismus. Die beiden Schotthälften öffneten sich knirschend einen Spalt breit, dann blieben sie stecken. »Unser Schiffchen hat ganz schön was abbekommen«, sagte Corpkor und spähte hinaus auf den Korridor. Er sah, daß es sich um einen schmalen Nebenkorridor handelte, dessen Decke sich so weit gesenkt hatte, daß sie nur noch knapp einen Meter über dem Boden hing. Hinter ihm pfiff Rinecco. Kurz darauf tauchten acht Valtoren im Korridor auf. Ihre Schnauzen waren rot verschmiert. Corpkor
Das Ende von Yarden mußte gegen eine Übelkeit ankämpfen, als er ahnte, was das bedeutete. Aber er dachte niemals daran, Zorn über Tiere zu empfinden, die doch nur ihrer Natur gehorcht hatten. Dennoch dauerte es eine Weile, bis er seine Stimme wiederfand. »Schauen wir uns also draußen um, Rinecco!« sagte er und zwängte sich durch den Spalt. Die Valtoren setzten sich unter Rineccos Führung in Bewegung. Sie liefen nach links, also wandte sich der Tiermeister ebenfalls nach links. Als er in einen Quergang einbog, änderte sich das Bild. Hier war die Decke teilweise ganz eingestürzt. Außerdem wirkte der ganze Gang irgendwie verdreht. Corpkor schaute weg, als er unter den Trümmern die sterblichen Überreste zweier Varganen erblickte. Er kam jedoch nicht umhin, über die Trümmer zu steigen, denn die Valtoren hielten nicht an. Nach ungefähr einer halben Stunde mühseligen Kletterns blieben die Tiere vor einem Schott stehen, dessen farbige Symbole es als Zugangsschott zu einem Schleusenhangar auswiesen. »Was soll ich hier?« fragte sich Corpkor. »Vargos Helfer hätten mich doch nicht im Raumanzug hinausgeschickt, wenn es im Schiff ein Beiboot gegeben hätte.« Dennoch öffnete er das Schott. Es funktionierte besser als das der Kabine. Sprachlos starrte der Tiermeister auf das kleine tropfenförmige Beiboot, das zwischen den abgebrochenen Magnetankern auf der Backbordseite lag. Die Steuerkanzel war geöffnet, und im vorderen der beiden Sitze hing die schlaffe Gestalt eines Varganen in den Anschnallgurten. Corpkor eilte zu dem Mann und sah, daß er bei Bewußtsein war. Er schien jedoch innere Verletzungen davongetragen zu haben, denn ein Blutsturz hatte das gesamte Vorderteil seiner Raumkombination rot gefärbt. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« erkundigte sich Corpkor. Die blutleeren Lippen des Mannes beweg-
41 ten sich, aber er brachte keinen Ton heraus. Der Tiermeister wußte, daß der Pilot ein Todgeweihter war. Er überlegte, wie er ihm die letzten Minuten etwas erleichtern konnte. Doch völlig ohne medizinische Hilfsmittel war das nicht möglich, und wenn er den Verletzten bewegte, bereitete er ihm nur weitere Qualen. Der Sterbende hob eine zitternde Hand und deutete nach vorn, wo die Instrumente des Beiboots waren. Bevor Corpkor sehen konnte, wohin der Vargane zeigte, fiel die Hand wieder herab. Der Tiermeister beugte sich über den Piloten und sah, daß er tot war. Er drückte ihm die Augen zu, dann versuchte er, die letzte Handbewegung zu rekonstruieren. Er kam zu keinem konkreten Ergebnis. Aber ungefähr in der Gegend, in die der Mann zu zeigen versucht hatte, befanden sich die Schaltung und das Multikontrollinstrument des Autopiloten. Corpkor überschlug die Wahrscheinlichkeit, daß der Vargane ihm hatte mitteilen wollen, der Autopilot sei auf ein bestimmtes Ziel eingestellt. Er kam zu dem Resultat, daß er eigentlich nichts anderes gemeint haben konnte. Der Tiermeister beschloß, es zu riskieren. Er zog den Toten aus dem Sitz und schloß ihn in einem Ausrüstungsschrank ein, damit die Valtoren nicht an ihn heran konnten. Danach bedeutete er seinen kleinen Begleitern durch Pfiffe und Gesten, den Hangar zu verlassen. »Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder«, sagte er, obwohl er es für unwahrscheinlich hielt. Nachdem das Innenschott des Hangars sich geschlossen hatte, kletterte Corpkor in den Pilotensitz, schloß das Kanzeldach und checkte die Systeme des Beiboots durch. Sie waren im großen und ganzen in Ordnung. Corpkor öffnete das Außenschott mit der eingebauten Fernsteuerungsanlage, dann schaltete er die Triebwerke ein. Das Beiboot glitt schlingernd über den Boden, richtete sich in die normale Lage auf
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und schoß hinaus in die Eisige Sphäre …
* Wir hatten das Schiff mit dem zur Hölle gewordenen Paradies beinahe überstürzt wieder verlassen, weil die Gefahr bestand, daß mit der letzten intakten Verbindungsröhre die letzte Verbindung zum Pulk abriß. Nachdem wir drei Schiffe durchquert hatten, die schwerste Verwüstungen aufwiesen und in denen sich offenkundig niemand aufhielt, gerieten wir in ein fast unbeschädigtes Doppelpyramidenschiff. Wir mußten sofort in einen Nebengang ausweichen, weil es weiter vorn im Hauptkorridor von Varganen wimmelte. Hinter der Biegung hob Ischtar die Hand. »Halt!« sagte sie. Wir blieben stehen und blickten die Varganin fragend an. Crysalgira beherrschte sich gut, dennoch konnte sie vor mir ihre Eifersucht auf Ischtar nicht ganz verbergen. Ich fragte mich, warum Crysalgira eifersüchtig war, denn sie liebte ja den Sonnenträger Chergost. Doch dann verdrängte ich diesen Gedanken wieder. »Im Schiff herrscht Alarmzustand«, erklärte Ischtar. »Die Besatzung sucht ihre Stationen auf. Das bedeutet meiner Meinung nach, daß das Schiff sich mit voller Absicht aus der Verbindung mit dem Pulk löst und vielleicht die Eisige Sphäre verlassen will.« »Dann kämen wir nicht an den Umsetzer heran«, stellte Fartuloon trocken fest. »So ist es«, erwiderte Ischtar. »Deshalb müssen wir die Kontrolle über das Schiff an uns reißen. Wir warten, bis sich alle Besatzungsmitglieder auf ihren Stationen befinden, dann besetzen wir die Zentrale und aktivieren die Notverriegelungen für alle Schotte, so daß die Besatzung in ihren Stationen gefangen ist.« Der Vorschlag war gut und logisch durchdacht, so daß sich eine Debatte erübrigte. Wir stimmten einhellig zu. Dann warteten wir, bis es im Schiff still geworden war. Als wir in den Hauptkorridor zurückkehr-
ten, lag er verlassen vor uns. Wir eilten in die Richtung, in der sich die Hauptzentrale befand. Auf halbem Wege verriet uns das Rumoren der Triebwerke, daß das Schiff dabei war, von den Verbindungen zum Pulk abzulegen. Der Boden erzitterte unter der Kraftentfaltung, die sich vollzog. »Ich gehe zuerst hinein!« erklärte Ischtar, als wir vor dem Panzerschott der Zentrale standen. »Aber nicht mit Chapat!« widersprach ich und deutete auf die Aufwölbung der Hermetikblase, unter der mein Sohn friedlich schlummerte. »Ich kann Chapat ja solange nehmen«, sagte Crysalgira. Ischtar warf der Prinzessin einen Blick zu, in dem ungezügelte Mordlust funkelte. »Niemals!« fauchte sie. »Dann nehme ich Chapat«, warf Eiskralle ein, der ebenfalls merkte, wieviel Zündstoff in der Luft schwebte. »Einverstanden«, sagte Ischtar. Sie öffnete die Hermetikblase, nahm Chapat heraus und reichte ihn Eiskralle, der das Kind zärtlich auf die Arme nahm. Es war schon ein eigenartiger Anblick, wie der Mann, dessen Griff andere Lebewesen in Eis verwandeln konnte, meinen Sohn behutsam auf den Armen trug. Aber ich bangte keinen Augenblick um Chapat, und auch Chapat schien sich bei Eiskralle wohl zu fühlen. Wir verteilten uns schweigend. Während Eiskralle sich notgedrungen im Hintergrund hielt, stellten Fartuloon und ich uns links und rechts des Schotts auf. Ischtar stellte sich genau vor die Mittelfuge, und Crysalgira kniete mit schußbereitem Lähmstrahler schräg hinter ihr. Als Ischtar den Öffnungsmechanismus betätigte, hielt ich den Atem an. Es konnte immerhin sein, daß die Zentralebesatzung den Mechanismus von innen gesperrt hatte. Aber das Schott öffnete sich sofort. Hochaufgerichtet schritt Ischtar in die Zentrale, ganz die stolze und arrogante Goldene Göttin, als die sie mir zuerst begegnet war.
Das Ende von Yarden Ich nickte meinem Pflegevater zu. Wir folgten ihr und sicherten Ischtar nach links und rechts ab. Crysalgira übernahm die Rückendeckung, während Eiskralle draußen die Entwicklung abwartete. Die acht Varganen in der Zentrale waren so überrascht, daß keiner von ihnen nach der Waffe griff. Drei von ihnen bemerkten uns erst, als Ischtar mit befehlsgewohnter Stimme erklärte, daß sie das Kommando über das Schiff übernähme. »Nehmen Sie die Hände über die Köpfe, verlassen Sie Ihre Plätze, ohne die Schaltpulte zu berühren und legen Sie sich flach auf den Boden, Gesicht nach unten!« befahl ich. Die Varganen gehorchten. Crysalgira und ich paßten scharf auf, als Fartuloon ihnen die Waffen abnahm. Als sie flach auf dem Boden lagen, traten unsere Lähmstrahler in Aktion. Es war die einfachste Lösung des Problems, uns gegen unerwünschte Aktivitäten abzusichern. Ischtar saß bereits vor dem Hauptkontrollpult und aktivierte die Notverriegelungen, als Eiskralle mit Chapat die Zentrale betrat. Auch das Zentraleschott verriegelte sich elektronisch. Ischtar aktivierte die Interkomverbindungen zu allen Stationen. Auf den kleinen Monitoren waren die Mitglieder der Besatzung zu sehen. Da sie auf ihren Bildschirmen nur Ischtar, also eine Varganin, sehen konnten, drückten ihre Mienen größtenteils Verständnislosigkeit und Verwunderung aus. »An alle!« sagte Ischtar. »Ich bin Ischtar, und ich habe das Kommando über dieses Schiff übernommen. Jeder bleibt auf seiner Station. Selbstverständlich habe ich sämtliche Stationskontrollen auf die Zentrale geschaltet. Betrachten Sie sich als unter Arrest stehend. Niemandem wird ein Leid geschehen, es sei denn, er würde unvernünftig handeln.« »Darf ich etwas sagen, Kommandantin?« fragte ein Vargane. Ich sah ihn sprechen. Es war ein Mann mittleren Alters, der sich in der Ortungszentrale befand und dort offen-
43 bar der Chef war. »Sprechen Sie!« forderte Ischtar ihn auf. »Die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos ist erneut aufgebrochen«, erklärte der Vargane. »Es hat starke Energieeinbrüche von drüben gegeben. Die Eisige Sphäre ist in Gefahr. Deshalb wollten wir, wie viele andere auch, fliehen. Es wäre auch im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit, wenn Sie die Eisige Sphäre so schnell wie möglich verlassen würden.« »Ich danke Ihnen«, erwiderte Ischtar. »Wir können zwar die Eisige Sphäre nicht sofort verlassen, da wir noch etwas zu erledigen haben. Aber ich verspreche Ihnen, daß Sie, sobald unsere Aufgabe erfüllt ist, die Kontrolle über das Schiff zurückerhalten werden und daß es Ihnen dann freistehen wird, wohin Sie fliegen.« Sie schaltete die Sprechverbindung ab. Nur die Bildschirme blieben eingeschaltet. Dadurch konnten wir ständig sehen, was die eingeschlossenen Besatzungsmitglieder taten. Ischtar wandte sich um und blickte uns an. »Das war keine gute Nachricht«, sagte sie leise. »Wenn wir Vargo und den Umsetzer nicht bald finden, werden wir für immer im Mikrokosmos bleiben müssen, fürchte ich.« »Es gibt nur eine Möglichkeit, Vargo schnell zu finden«, erklärte Fartuloon und ging auf das Funkgerät der Zentrale zu. »Wir müssen einen Funkspruch aussenden, der so verschlüsselt ist, daß nur Vargo weiß, daß er von uns kommt.« Ischtar überlegte nur kurz, dann erwiderte sie: »Einverstanden, Fartuloon. Bitte, fassen Sie den Funkspruch ab.«
9. Corpkor hatte den Druckhelm seines Raumanzugs geschlossen, denn die Kältestrahlung der Eisigen Sphäre machte sich schon wieder unangenehm bemerkbar. Ein kleines Beiboot isolierte eben nicht so gut
44 wie ein großes Raumschiff. Aufmerksam verfolgte der Tiermeister den Kurs, den der Autopilot steuerte. Es war kein gerader Kurs, denn immer wieder tauchten Doppelpyramidenschiffe auf, denen die Antikollisionsautomatik des Autopiloten ausweichen mußte. Nach einiger Zeit stellte Corpkor trotz aller Ausweichmanöver fest, daß das Beiboot ungefähr zur Mitte des Pulks flog. Er hoffte, daß es sein Ziel erreichte, bevor er erfroren war. Immer mehr frei bewegliche Doppelpyramidenschiffe begegneten dem Tiermeister. Sie taumelten nicht steuerlos durch die Eisige Sphäre wie die ersten Schiffe, denen das Beiboot ausgewichen war. Vielmehr schienen sie von ihren Besatzungen zielstrebig auf die leuchtende nebelhafte Hülle von Yarden gesteuert zu werden. Es sah aus, als wollten sie die Eisige Sphäre verlassen. Corpkor konnte sich das nicht erklären – bis sein Beiboot einen Sektor erreichte, in dem die Lücke im Pulk bis an die gegenüberliegende Grenze des Pulks reichte. Durch die Lücke hindurch erblickte Corpkor den Ausschnitt einer gezackten, sich ständig verformenden Linie, aus der ein rötliches Glühen brach. Der Tiermeister wußte nicht, worum es sich handelte, aber er ahnte, daß das Phänomen ein Kontinuumsriß war, durch den Energien aus einer anderen Existenzebene in den Mikrokosmos brachen. Er besaß keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber er konnte sich vorstellen, daß jeder Kontinuumsriß bedrohliche Folgen für alles hatte, was sich in seiner Nähe befand. Die Beobachtung des Phänomens beschäftigte ihn so stark, daß er erst merkte, daß das Ziel erreicht war, als sein Beiboot in einen erleuchteten Schiffshangar schwebte. Hinter ihm schloß sich das Außenschott. Corpkor öffnete das Kanzeldach, kletterte hinaus und zog seine Waffe. Er wußte nicht, ob ihn in diesem Schiff Freunde oder Feinde erwarteten, und er wollte nicht in eine Falle stolpern.
H. G. Ewers Nach kurzer Zeit glitt das Innenschott auf. Ein einzelner Vargane war davor zu sehen. Er hielt keine Waffe in den Händen und blickte sich suchend um. »Vinlan?« rief er fragend. Corpkor trat aus seiner Deckung. Die Waffe behielt er in der Hand, aber er hielt die Hand gesenkt. »Wenn Vinlan der Name des Piloten war, dann ist Vinlan tot«, sagte er auf Varganisch. Der Vargane musterte Corpkor argwöhnisch. »Haben Sie ihn getötet?« »Es war ein Unfall«, erklärte der Tiermeister. »Ich kam erst dazu, als der Pilot schon im Sterben lag. Mein Name ist Corpkor.« »Ich weiß«, erwiderte der Vargane. »Man sagte mir, daß Sie an den Eisnarben zu erkennen sind. Ich heiße Apton. Vargo erwartet Sie in der Zentrale. Er hatte Vinlan mit dem Beiboot geschickt, um Sie zu holen.« Corpkor schob seine Waffe ins Gürtelhalfter zurück und folgte Apton in die Hauptzentrale des Schiffes. Vargo drehte sich mit seinem Sessel herum, als Corpkor die Zentrale betrat. »Ich bin froh, daß ich wenigstens Sie an Bord holen konnte«, sagte er. »Die Eisige Sphäre ist vom Untergang bedroht. Entweder finden wir Ihre Freunde schnell oder überhaupt nicht mehr.« »Ich habe den Kontinuumsriß gesehen«, erwiderte Corpkor. »Außerdem konnte ich beobachten, daß viele Schiffe den Pulk verlassen.« »Sie fliehen aus der Eisigen Sphäre«, erklärte Vargo. Er runzelte die Stirn, als der Interkom an seinem Schaltpult ansprach. Als er das Gerät einschaltete, tauchte auf dem Bildschirm der Oberkörper eines anderen Varganen auf. »Was gibt es, Kyldron?« fragte Vargo ungehalten. »Die Strukturschleuse ist zusammengebrochen, Vargo«, teilte Kyldron mit unbewegtem Gesicht mit. »Kein Schiff kann die Eisige Sphäre mehr verlassen.«
Das Ende von Yarden Vargo brauchte einige Zeit, um diese Mitteilung geistig zu verarbeiten. »Das ist schlimm«, sagte er tonlos. »Ist die Ursache bekannt?« »Nein«, antwortete Kyldron. »Möglicherweise brach die Strukturschleuse zusammen, weil sehr viele Schiffe sie gleichzeitig passierten. Es kann aber auch sein, daß Einwirkungen aus dem Makrokosmos den Zusammenbruch verursachten.« »Danke!« sagte Vargo und schaltete den Interkom ab. »Bedeutet das, daß alle Varganen, die sich noch innerhalb der Eisigen Sphäre befinden, in ihr gefangen und mit ihr zum Untergang verurteilt sind?« erkundigte sich Corpkor. »Nein«, antwortete Vargo. »Wir Varganen können unsere Körper verlassen und unseren Geist in anderen Körpern ansiedeln, die auf den Planeten des Mikrokosmos leben. Dennoch ist es schlimm. Unser Volk wird aufhören, ein Volk zu sein.« Wieder meldete sich Kyldron über Interkom. »Ich habe eine Funkbotschaft aufgefangen, die vielleicht für uns bestimmt ist«, berichtete er. »Lesen Sie vor!« befahl Vargo. »Diejenigen, die einem Freund etwas anvertrauten, was er zu Freunden brachte, sind beweglich und warten auf den Ruf, der ihnen ihr Ziel nennt«, las Kyldron vor. »Das sind die Gefangenen!« rief Vargo. »Kyldron, haben Sie das Schiff angepeilt, das die Funkbotschaft ausstrahlte?« »Ich habe es angepeilt und halte es im Sucher fest«, antwortete Kyldron. »Fliegen Sie unser Schiff hin und koppeln Sie es mit dem anderen Schiff!« befahl Vargo. »Aber beeilen Sie sich. Wenn Kreton und Kandro merken, daß wir unsere Position verändern, werden sie vermutlich nicht länger zögern und losschlagen.« »Ich werde mich beeilen, Vargo«, erwiderte Kyldron und schaltete ab.
*
45 »Das Umsetzerschiff nimmt Fahrt auf!« rief Kreton. »Vargo will offenbar fliehen!« »Er kann nicht fliehen, denn die einzige Verbindung zur Außenwelt, die Strukturschleuse, ist zusammengebrochen«, erwiderte Kandro. »Wenn Vargo das noch nicht weiß, wird er es spätestens dann bemerken, wenn er vergeblich nach der Strukturschleuse sucht.« »Vargo muß etwas anderes vorhaben«, meinte Kreton. »Er entfernt sich nicht auf dem kürzesten Wege aus dem Pulk, sondern steuert sein Schiff tiefer in den Pulk hinein. Ich fürchte, er hat Kontakt zu den ausgebrochenen Gefangenen aufgenommen und will sie an Bord nehmen.« Der Interkommelder summte. Kandro schaltete das Gerät ein und erblickte auf dem Bildschirm das Gesicht des Schiffskommandanten. »Gibt es etwas Neues, Naikondro?« fragte er. »Allerdings«, antwortete der Kommandant. »Die Kommandanten der elf Schiffe, die wir inzwischen um uns sammeln konnten, haben angefragt, wie lange sie noch hierbleiben müssen. Ihre Besatzungen fordern die Genehmigung, ihre Körper und die Eisige Sphäre verlassen zu dürfen.« »Abgelehnt!« entgegnete Kandro schroff. »Das habe ich bereits erklärt«, erwiderte Naikondro. »Aber falls die Leute durch neue stärkere Einbrüche aus dem Makrokosmos in Panik geraten sollten, werden sie eigenmächtig handeln. Sie wissen genauso wie ich, daß wir nicht in der Lage sind, Bewußtseinsinhalte aufzuhalten.« »Das ist mir klar«, gab Kandro zu. »Wir müssen den Leuten etwas zu tun geben, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen«, warf Kreton ein. »Ich denke, wir haben inzwischen genug Schiffe und Männer, um das Umsetzerschiff angreifen zu können.« Kandro überlegte nur kurz, dann meinte er: »Ich sehe ein, daß wir handeln müssen. Naikondro, ich übergebe Ihnen hiermit den
46 Oberbefehl über unseren Verband. Veranlassen Sie alles Nötige, damit das Umsetzerschiff wieder in unsere Gewalt kommt.« »In Ordnung, Kandro«, erwiderte Naikondro. »Ich melde mich wieder, sobald wir uns dem Umsetzerschiff auf Gefechtsdistanz genähert haben.« Kandro schaltete den Interkom aus und wandte sich wieder an seinen Kollegen. »Ich verspüre wenig Lust, meinen Körper aufzugeben«, sagte er gedehnt. Kreton lächelte verstehend. »Ich auch nicht, Kandro. Aber die einzige Alternative dazu wäre, mit Hilfe des Umsetzers in den Makrokosmos zu gehen. Ich wundere mich eigentlich, daß noch keiner der übrigen Varganen auf den gleichen Gedanken gekommen ist und die Benutzung des Umsetzers gefordert hat.« »Darüber bin ich froh«, entgegnete Kandro. »Wenn wir das ganze Volk mitnehmen würden, würden auch alle Probleme mit in den Makrokosmos kommen. Das aber würde unseren persönlichen Interessen zuwiderlaufen. Ich bin dafür, nur den Rest unserer Leibgarde mitzunehmen.« »Einverstanden«, sagte Kreton. »Vielleicht sollten wir auch Naikondro mitnehmen.« Kandro hob die Hände in einer abwehrenden Geste. »Nein, das nicht! Naikondro ist ein guter Mann und hat uns immer treu gedient. Aber wenn ich ihn mit unserer kleinen Gruppe in den Makrokosmos mitnehmen würde, ergäbe sich eine völlig andere Situation als hier. Naikondro würde uns sehr bald entmachten und die Führung der Gruppe übernehmen.« »Das ist nicht sicher«, entgegnete Kreton. »Aber das Gegenteil ist auch nicht sicher«, erklärte Kandro. »Akzeptiert«, sagte Kreton. »Aber wir müssen wachsam sein, denn wenn Naikondro etwas merkt, läßt er vielleicht uns zurück und geht allein in den Makrokosmos.« Unwillig blickte Kandro auf den Interkom, der sich erneut meldete. Nur zögernd schaltete er das Gerät ein.
H. G. Ewers »In Sektion acht sind zwei Tote gefunden worden«, meldete Naikondro. »Beide wurden mit einem Nadelstrahler erschossen.« »Ein Mord in unserem Schiff?« fragte Kandro entsetzt. »Haben Sie eine Ahnung, wer der Mörder sein könnte?« »Nein«, antwortete Naikondro. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Die Lippen bewegten sich, brachten aber nur ein paar gurgelnde Laute hervor. Dann kippte Naikondro aus dem Aufnahmebereich. An seine Stelle trat wenig später ein anderer Vargane. »Magantilliken!« rief Kandro. Der Henker der Varganen blickte finster in das Aufnahmegerät. »Tod allen Varganen!« sagte er. Dann schaltete er den Interkom aus.
* Magantilliken nahm die Hand vom Interkom, drehte sich um und musterte Naikondros Leichnam. »Es war ein schneller und schmerzloser Tod«, flüsterte er heiser. »Ich begreife nicht, daß ich mich nicht früher an den Auftrag erinnert habe, alle Varganen hinzurichten. Viel zu lange bin ich nur einer kleinen Gruppe nachgejagt. Doch jetzt kenne ich meinen wahren Auftrag, und ich werde nicht eher ruhen, als bis er erfüllt ist.« Er lächelte kalt, als die Alarmsirenen im Schiff aufheulten. »Das wird euch auch nicht retten«, flüsterte er. Mit federnden Schritten verließ er die Steuerzentrale und blickte sich auf dem Hauptkorridor um. Niemand ließ sich blicken. Magantilliken eilte zu den Unterkünften der Leibwache des Rates. Er wußte, daß er zuerst die erfahrenen Kämpfer ausschalten mußte, bevor er zur Hinrichtung von Kandro und Kreton schreiten konnte. Die beiden Räte konnten ihm nicht gefährlich werden. Aber im Grunde genommen konnte niemand ihm gefährlich werden, denn er war der
Das Ende von Yarden Henker, vor dem alle zitterten. Er öffnete das erste Kabinenschott und war aus dem Blickfeld der Insassen verschwunden, bevor die beiden Schotthälften auseinandergeglitten waren. »Wer ist das?« rief jemand von drinnen. Magantilliken wartete geduldig ab. Als ein Mann auf den Korridor trat, hob er die Waffe, aber er schoß noch nicht. Der Mann erblickte ihn und wurde blaß. »Was soll das, Magantilliken?« fragte er gepreßt. »Sag deinem Kameraden, er soll herauskommen!« befahl der Henker. »Ich bin schon da!« sagte der zweite Kabinenbewohner, trat auf den Korridor und schoß. Doch da hatte Magantilliken schon seine Position gewechselt. Der Schuß des Leibgardisten traf nur die Korridorwand. Aber Magantillikens Schuß traf den Mann mitten ins Herz. Bevor er zusammenbrach, lebte auch der andere Gardist nicht mehr. Magantilliken wandte sich ungerührt ab und öffnete die nächste Kabinentür. Diesmal trat er nicht beiseite, sondern feuerte, sobald sich die beiden Schotthälften einen schmalen Spalt breit geöffnet hatten. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Die beiden Bewohner hatten ihn mit schußbereiten Waffen hinter dem Schott erwartet. Nur waren sie nicht so skrupellos wie er gewesen, sondern hatten offenbar gehofft, ihn zum Aufgeben zwingen zu können. Sie starben, bevor sie Zeit fanden, ihren Irrtum zu erkennen. Magantilliken wirbelte herum, als er hörte, daß sich links von ihm ein anderes Schott öffnete. Er lag flach auf dem Boden, als jemand aus der betreffenden Kabine blind in den Korridor schoß. Dann sprang ein Leibwächter in weitem Satz aus der Kabine auf den Flur. Er starb, bevor seine Füße den Boden berührten. Gleichzeitig mit ihm war der zweite Kabinenbewohner in den Flur getreten. Er feuerte auf Magantilliken, verfehlte ihn aber knapp, weil der Henker nach vorn gesprungen war. Bevor er ein zweites Mal
47 schießen konnte, starb auch er. Die übrigen Leibwächter handelten endlich gemeinsam. Sämtliche Schotte der bewohnten Kabinen öffneten sich, und aus den Öffnungen schlug dem Henker ein wahrer Feuersturm entgegen. Aber Magantilliken hatte sich dicht an die linke Korridorwandung gepreßt. Von dort aus feuerte er schräg in die offenen Kabinen hinein, während er sich vorwärts schob. Da die Leibwächter nicht wagten, ihre Kabinen zu verlassen, konnten sie nicht gezielt auf ihn feuern. Magantilliken dagegen traf wieder und wieder. Das Feuer der Leibgardisten wurde schwächer. Der Henker bemerkte nicht, daß sich weit hinter ihm das Schott der Funkzentrale geöffnet hatte. Er hätte sich auch nicht darum gekümmert, denn er wußte, daß sich in der Funkzentrale nur Kandro und Kreton befanden, und er hielt die beiden Männer für zu senil, als daß er sie als ernstzunehmende Gegner betrachten konnte. Zweifellos stimmte seine Einschätzung. Er hatte nur nicht daran gedacht, daß panische Furcht alle Hemmungen über den Haufen werfen kann. Kandro und Kreton zögerten nicht einen Augenblick, dazu waren sie viel zu verängstigt. Sie schalteten ihre Energiestrahler auf Dauerfeuer und schossen pausenlos in die Richtung, in der Magantilliken stand. Ihre Hände zitterten zwar, aber da Magantilliken sich ungedeckt in ihrer Schußlinie befand, besagt das bei der enormen Energieentfaltung ihrer Waffen überhaupt nichts. Als sie ihr Feuer einstellten, herrschte im hinteren Drittel des Korridors eine wahre Höllenglut. Vom Henker der Varganen blieb nicht einmal ein Häufchen Asche übrig …
* »Einzelnes Schiff nähert sich uns von Backbord«, meldete Fartuloon, der die Ortungskontrollen des erbeuteten Schiffes besetzt hatte.
48 »Das könnte das Schiff mit dem Umsetzer sein«, meinte Ischtar. »Ich werde dennoch vorsichtshalber den Schutzschirm aktivieren.« Ich sagte nichts dazu. Zwar wußte ich, daß der Schutzschirm eines Varganenschiffs so stark war, daß wir Arkoniden nur davon träumen konnten, gleichwertige Schutzschirme zu besitzen. Aber ich konnte mir vorstellen, daß die Angriffswaffen varganischer Raumschiffe der arkonidischen Technologie gleich weit voraus waren. Inwieweit der Schutzschirm eines Varganenschiffs vor ihnen schützte, war mir unbekannt. Wahrscheinlich aber bot er nur bedingt Schutz gegen das Feuer mehrerer Einheiten. Ich hatte das Funkgerät besetzt und sah deshalb als erster, daß uns jemand anfunkte. Die Kontrollen zeigten, daß es mittels stark gebündeltem Richtstrahl geschah. Für mich war das der Beweis, daß wir von Freunden angerufen wurden, die nicht wollten, daß ihr Funkspruch von anderen Schiffen aufgefangen wurde. Ich schaltete das Funkgerät ein und richtete die Sendeantenne genau auf den Sektor des anfliegenden Schiffes, in dem sich – wie bei allen Varganenschiffen – die Funkzentrale befand. Auf dem Bildschirm des Geräts tauchte der Oberkörper eines Varganen auf. Am Gesicht erkannte ich Vargo. Aber der alte Vargane zeigte keine Spur mehr von der ruhigen Gelassenheit, die er bei unserem ersten Gespräch zur Schau getragen hatte. Seine Gesichtszüge waren verzerrt, und die Augen flackerten. »Sie sind es also doch!« stieß er hervor. »Wir befinden uns alle hier, und das Schiff ist unter unserer Kontrolle«, erwiderte ich. »Aber was ist mit Ihnen los? Sie zittern ja.« »Die Eisige Sphäre ist verloren!« stieß Vargo hervor. »Immer mehr Varganen lassen ihre Körper im Stich und wechseln in andere Körper auf Planeten des Mikrokosmos über, weil die Strukturschleuse Yardens zusammengebrochen ist.«
H. G. Ewers Ich brauchte einen Augenblick, um diese Nachricht zu verdauen. Das Schicksal, das den Varganen bevorstand, erschütterte mich, obwohl sie uns gegenüber keine Skrupel gekannt hatten. »Aber es gibt doch den Umsetzer«, sagte ich schließlich. »Er böte den Varganen doch die Möglichkeit, in den Makrokosmos überzuwechseln.« »Das ist es ja, was ich fürchte«, erwiderte Vargo. »Die anderen Varganen könnten versuchen, den Umsetzer zurückzuerobern. Das aber muß verhindert werden. Niemals wieder dürfen Varganen in den Makrokosmos gelangen.« Ischtar war herangekommen und stellte sich neben mich, so daß Vargo sie sehen konnte. »Auch ich nicht?« fragte sie. »Sie sind eine Ausnahme, denn Sie gehören zu den Varganen, die sich schon vor langer Zeit entschlossen hatten, im Makrokosmos zu bleiben«, antwortete der alte Wissenschaftler. »Ich bitte Sie, Ihren Schutzschirm auszuschalten, damit wir ankoppeln können. Uns bleibt nicht viel Zeit, Sie durch den Umsetzer zu schicken. Wahrscheinlich bereiten Kreton und Kandro bereits den Angriff vor. Sie haben elf andere Schiffe um ihr Flaggschiff versammelt.« »Ich desaktiviere unseren Schutzschirm«, erklärte Ischtar und ging zu ihrem Platz zurück. »Kommen Sie sofort herüber, wenn wir angelegt haben«, sagte Vargo noch, bevor er die Verbindung unterbrach. Nachdem Ischtar unseren Schutzschirm ausgeschaltet hatte, ging alles sehr schnell. Das Umsetzerschiff legte an und fuhr eine Röhre aus, die sich gegen unsere Hauptschleuse preßte. Ischtar setzte sich mit dem Varganen aus der Ortungszentrale in Verbindung. Sie unterrichtete ihn über den neuesten Stand der Dinge und versprach ihm, die Notverriegelung so auf Automatik zu schalten, daß sie nach einer Zeitspanne rückgängig gemacht wurde, die ich als eine Stunde Arkonzeit er-
Das Ende von Yarden rechnete. Anschließend verließen wir das Beuteschiff. Es gab nichts, was uns hier hätte halten können. Außerdem brannte ich darauf, endlich wieder in mein normales Universum zurückzukehren und meinen Kampf gegen Orbanaschol wieder aufzunehmen. Als wir die Zentrale des Umsetzerschiffs betraten, hatte es sich bereits von unserem Beuteschiff gelöst. Aber Vargo und seine Helfer wirkten so aufgeregt, daß wir beinahe vergaßen, Corpkor zu begrüßen. Ich sah, daß der Tiermeister furchtbare Narben an den sichtbaren Körperstellen hatte, kam aber nicht dazu, nach der Ursache zu fragen, denn Vargo erklärte, wir wären von zwölf Raumschiffen eingekreist worden. Kurz darauf sprach das Funkgerät an. Vargo schaltete es erst ein, nachdem meine Freunde und ich aus dem Bereich der Bilderfassung getreten waren. Dennoch konnten wir auf dem Bildschirm den Varganen Kandro sehen und seine Stimme hören. »Sie werden bemerkt haben, daß Ihr Schiff umzingelt ist, Vargo«, sagte Kandro. »Es gibt keine Möglichkeit für Sie, zu entkommen. Aber wenn Sie mir Ihr Schiff und den Umsetzer innerhalb einer Zeiteinheit unbeschädigt übergeben, werde ich auf eine Bestrafung verzichten. Antworten Sie!« »Ich sehe ein, daß meine Lage aussichtslos ist«, erwiderte Vargo. »Die Übergabe kann in einer Zeiteinheit in der Zentrale des Umsetzerschiffes stattfinden.« »Es ist gut, daß Sie so vernünftig sind, Vargo«, meinte Kandro. »Kreton und ich werden pünktlich zur Stelle sein.« Vargo schaltete das Funkgerät ab und wandte sich wieder an uns. »Kommen Sie!« sagte er. »Der Umsetzer ist auf Personendurchgang geschaltet. Sie werden im Makrokosmos herauskommen, das verspreche ich Ihnen.« Wir folgten ihm schweigend. In mir tobten die unterschiedlichsten Gefühle. Ich hatte in diesem Mikrokosmos so viele Abenteuer erlebt, daß mir bei dem Gedanken, ihn sang- und klanglos zu verlassen,
49 ganz eigentümlich zumute war. Aber Vargo drängte. Wir kamen nicht einmal dazu, den Umsetzer selbst zu sehen. Vargo führte uns lediglich in eine Halle, auf die der Projektor des Geräts justiert war, wie er erklärte. Kaum hatten wir uns in dem markierten Wirkungskreis aufgestellt, als der alte Vargane auch schon in eine Nische trat, in der eine Schaltkonsole zu sehen war. »Leben Sie wohl!« sagte er und drückte einige Tasten. Ich wollte mich bedanken, doch da setzte die Wirkung des Umsetzers bereits ein. Die Konturen der Halle und Vargos verschwammen. Ich spürte Ischtars Hand in meiner und dachte noch, was uns wohl drüben erwartete, dann wurden wir in einen Strudel dimensional übergeordneter Energien gezogen …
* Vargo beobachtete mit unbewegtem Gesicht, wie die Frauen und Männer in der Hallenmitte in dem Energiewirbel versanken, den der Umsetzer projizierte. Er unterdrückte einen Anflug von Wehmut und richtete seine Aufmerksamkeit auf das was er als nächstes zu tun gedachte. Vargo beabsichtigte nicht, ebenfalls in den Makrokosmos zu gehen. Er wollte abwarten, bis er sicher sein konnte, daß der Umsetzer niemals mehr mißbraucht werden würde. Zielstrebig ging er zum Kraftwerksteil des Geräts, das er einst konstruiert hatte, um Forschungsexpeditionen in den Makrokosmos zu ermöglichen. Er hatte nie geglaubt, daß sein Umsetzer mißbraucht werden konnte, bis es dann geschehen war. Von diesem Zeitpunkt an war es mit dem Volk der Varganen abwärts gegangen. Aber auch über andere Völker war viel Unheil gebracht worden. Das sollte ein für allemal ein Ende haben. Vargo schloß die Geräte, die er beim Kraftwerksteil bereitgestellt hatte, an die Energieversorgung an und gab dem Aktivator einen Kode ein. Danach kehrte er in die Zentrale
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des Schiffes zurück. »Ich werde den Umsetzer zerstören, sobald das Ultimatum der Räte abgelaufen ist«, teilte er seinen Helfern mit. »Bitte, bringen Sie sich vorher in Sicherheit.« »Was wird aus Ihnen, Vargo?« erkundigte sich Apton. »Werden Sie ebenfalls in einen Körper außerhalb der Eisigen Sphäre überwechseln? Werden wir uns irgendwann wieder begegnen?« »Das weiß ich noch nicht«, antwortete der Wissenschaftler. »Ich werde mich erst im letzten Augenblick entscheiden. Viel Glück, meine Freunde.« Nacheinander verabschiedeten sich seine Helfer. Anschließend suchten sie Kabinen auf, um sich in völliger Abgeschiedenheit auf die Übernahme fremder Körper vorbereiten zu können. Vargo aber blieb vor dem Funkgerät sitzen. Kurz bevor das Ultimatum abgelaufen war, schaltete er es ein.
* »Können wir kommen, Vargo?« fragte Kandro, leicht verwundert darüber, daß der Wissenschaftler sich vor Ablauf des Ultimatums noch einmal über Funk gemeldet hatte. Vargo lächelte undefinierbar. »Sie können kommen«, antwortete er. »Allerdings werden Sie dann sterben, denn ich habe vor, den Umsetzer zur Explosion zu bringen. Dabei wird das Schiff zweifellos auch zerstört werden.« Kandro fuhr zusammen. »Das können Sie nicht tun, Vargo!« rief er beschwörend. »Wir werden gemeinsam in den Makrokosmos gehen. Dort bauen wir uns eine neue Zukunft auf. Wir werden Ihnen jeden Wunsch erfüllen, den Sie äußern.« »Das ist nicht nötig«, erwiderte Vargo. »Ich bin in der glücklichen Lage, mir meinen größten Wunsch selbst erfüllen zu können. Das Gerät, das ich einst konstruierte und das soviel Unheil über uns und andere Völker brachte, wird aufhören zu existieren.«
Fassungslos starrten Kandro und Kreton auf den Bildschirm des Funkgeräts, der dunkel geworden war. »Er hat einfach abgeschaltet«, sagte Kandro. »Rufen Sie ihn an!« drängte Kreton. »Wir müssen ihn von seinem verrückten Plan abbringen!« »Ich fürchte, er wird sich durch uns nicht beeinflussen lassen«, erwiderte Kandro. Dennoch schaltete er am Funkgerät. »Dann schicken wir ein Enterkommando hinüber!« erklärte Kreton. »Zu spät!« sagte Kandro tonlos. Kreton sah, daß sein Kollege auf den Steuerbordbildschirm blickte. Als er seinem Blick mit den Augen folgte, packte ihn eisiges Entsetzen. Die Außenhülle des Umsetzerschiffs blähte sich auf, riß an unzähligen Stellen. Blauweiße Glut schlug von innen durch die Risse und verschlang das Umsetzerschiff innerhalb weniger Augenblicke. Als Kreton sich nach Kandro umwandte, sah er nur noch den leblosen Körper im Sessel hocken. Er beugte sich zu ihm hinüber und erkannte an den wohlbekannten Anzeichen, daß Kandros Körper sich in jenem Zustand der Starre befand, der sich einstellte, wenn ein Vargane eine Bewußtseinsteleportation in einen fremden Körper unternahm. Der eigene Körper blieb dabei am Leben. Nur wurden seine Lebensfunktionen auf ein kaum noch meßbares Minimum reduziert, aber immerhin nur soweit, daß der Besitzer, wenn er zurückkehrte, sein normales Leben wieder aufnehmen konnte. Aber diesmal würde Kandros Bewußtsein nicht zurückkehren, wußte Kreton. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte nacheinander die Bildschirme der Rundsichtgalerie. Kreton erschrak nicht, als er entdeckte, daß der Strukturriß an der Grenze zum Makrokosmos sich rasend schnell vergrößerte und daß die aus ihm hervorbrechende rötliche Glut die Eisige Sphäre fast erreicht hatte. Yarden würde untergehen – und mit Yar-
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den würde auch die Macht der Tropoythers innerhalb des Mikrokosmos erlöschen. Was mit der Grenze zwischen Mikro- und Makrokosmos geschehen würde, wußte Kreton nicht. Er wußte nur, daß es niemals wieder jene Kreuzzüge nach Yarden geben konnte. Als die Ausläufer, der fremdartigen Glut die Eisige Sphäre erreichten, flammte die nebelartige Hülle grell auf. Das Leuchten spiegelte sich auf den Hüllen zahlloser Raumschiffe, die verlassen durch den Raum trieben. Inzwischen mußten alle Varganen aus ihren Körpern geflohen sein. Kreton dachte daran, daß es für ihn höchste Zeit wurde, sich ebenfalls in einen Kör-
per außerhalb von Yarden zu flüchten. Aber er tat es nicht. Es erschien ihm sinnlos, weiterzuleben, wenn das Volk der Varganen zerstreut und die Macht der Tropoythers für alle Zeiten gebrochen war. Als die Eisige Sphäre unter dem Ansturm der fremden Energie zerriß, traf ein Schwall tödlicher Kältestrahlung das Schiff Kretons. Der letzte Bewohner der Eisigen Sphäre starb im gleichen Augenblick wie Yarden.
ENDE
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