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Davis J.Harbord 1.
27. Juni 1593, auf der Azoren-Insel Flores. Neun Männer lagen gefesselt in dem feuchten, stockfinsteren Keller unter den Mannschaftsunterkünften des spanischen Stützpunktes auf Flores. Diese Männer waren Philip Hasard Killigrew, Dan O'Flynn, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti und Smoky sowie ferner Adriano de Mendoza y Castillo, der Kapitän der durch einen heimtückischen Fangschuß versenkten spanischen Galeone „Confianza“, sein Erster Offizier Alfredo Vergara und sein Zweiter Offizier Juan Luis Benitez. Die sechs Seewölfe hätten es vermutlich als einen grotesken Witz bezeichnet, wäre ihnen am 16. Juni prophezeit worden, daß sie elf Tage später das Los der Gefangenschaft mit ihrem Gegner teilen würden. Ja, sie hätten wohl nur verächtlich gelächelt, wenn ihnen dann auch noch jemand gesagt hätte, drei Offiziere der spanischen Marine würden sich ihnen als Bundesgenossen anschließen und zu ihren Freunden werden. Aber das Groteske war geschehen. Sie lagen Seite an Seite mit drei spanischen Offizieren, die allerdings sehr ehrenwerte, tapfere und anständige Männer waren. Ja, daß sie zu kämpfen verstanden, das hatten diese drei Dons bereits bewiesen. Und da war hervorzuheben, daß Kapitän Castillo die gleichen Ansichten wie Hasard vertrat was zum Beispiel das Vorgehen seiner Landsleute in der Neuen Welt betraf. Castillo hatte den Mut aufgebracht - besser gesagt, die Zivilcourage -, an höchster Stelle in Spanien gegen die Ausbeutung, gegen die Verfolgung der Eingeborenen, gegen den Terror in der Neuen Welt zu opponieren. Seine Kritik war auf totale Ablehnung gestoßen, vor allem bei der Kamarilla bei Hofe, die seine Denkart für unerhört, ja, für staatsschädigend hielt; aber das auch nur im Hinblick auf die eigenen Pfründe. Man hatte beschlossen, diesen unbequemen Mann unauffällig. aus dem Wege zu räumen. Zum Vollzieher des
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Mordplans hatte man Ramon Firuso de Fernandez ausgewählt, den Generalkapitän jenes Geleitzuges, der am 16. Juni gegen jeden vernünftigen Grund den Verband Hasards angegriffen hatte. Die Unvernunft des Generalkapitäns hatte jedoch tatsächlich einen Grund gehabt. Er hatte das Gefecht mit dem englischen Gegner aufgenommen, um im Zuge der Kampfhandlungen unauffällig die eigene Kriegsgaleone „Confianza“ mit seinem Flaggschiff „Vencedor“ zu versenken und damit - das war seine Absicht - Kapitän Castillo zu liquidieren. Daß bei dieser Versenkung auch brave spanische Seeleute den Tod finden sollten, hatte für den Generalkapitän de Fernandez überhaupt keine Rolle gespielt. Nun war die „Confianza“ durch den Stückmeister der „Vencedor“, Jaime Rabel, zwar versenkt worden, aber Kapitän Castillo, seine beiden Offiziere und einige Männer der Crew waren gerettet worden von den Männern der „Isabella IX.“, die wiederum während des Gefechts mit grimmiger Verblüffung Zeuge des „Fangschusses“ geworden waren. Und sie hatten Kapitän Castillo aufgeklärt über das Geschehen. Sie hatten ferner mit ihm zusammen beschlossen, Flores, der westlichen Azoren-Insel, einen Besuch abzustatten - um die geretteten Spanier abzusetzen und Castillo Gelegenheit zu geben, das Komplott, das gegen ihn geschmiedet worden war, aufzuklären. Denn der Kommandant des dortigen Stützpunktes, Capitan Manuel Orosco Torres, hatte seine schmutzigen Finger im ebenso schmutzigen Spiel. Allerdings war dieser sehr dubiose Mann zur Zeit gewissermaßen handlungsunfähig, weil ein Untergebener von ihm, der Teniente Menacho, das Kommando über den Stützpunkt rigoros übernommen hatte einmal, weil er auf den Posten des Stützpunktkommandanten scharf gewesen war, zum anderen, weil er gemerkt hatte, daß mit seinem Kommandanten irgend etwas faul sein mußte. Leider war es dieser Teniente Menacho gewesen, dem es gelungen war, Hasards in
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den Stützpunkt eingedrungene Gruppe im Gegenzug zu überwältigen und im Keller unter den Mannschaftsräumen einzusperren. Er hatte sie mit Stricken fesseln lassen und verkündet, sie sollten am nächsten Tag in Ketten gelegt werden - ein Hinweis, der die Aktivitäten der sechs Seewölfe in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni ungemein motiviert hatte. Wer die Absicht hegte, Seewölfe „an die Kette“ zu legen, der mußte wissen, auf was er sich da einließ. Der Teniente wäre besser beraten gewesen, wenn er über diese, seine Absicht das Maul gehalten hätte. Daß diese Engländer scharfe Hunde waren, hatte er zwar bereits mitgekriegt, aber daraus keine Folgerungen gezogen. Er hielt das Kellerloch für absolut ausbruchssicher. Fenster waren nicht vorhanden, sondern nur eine schwere Luke über der Kellertreppe, die zum Korridor der Mannschaftsunterkunft hochführte. Natürlich war diese Luke so verrammelt, daß sie von unten nicht aufgebrochen werden konnte. Da hätten die Gefangenen schon einen Rammbock haben müssen, aber von dem Krach wäre wiederum der ganze Stützpunkt alarmiert worden. Es gab jedoch keinen Rammbock, außerdem waren die Gefangenen gefesselt, und zudem wurde die Luke oben vom Korridor aus von einem Doppelposten bewacht. Dieser Doppelposten wurde alle zwei Stunden abgelöst. Zwecks „ordnungsgemäßer Wachübergabe“ öffneten nach dem Ablauf der zwei Stunden die beiden alten und die beiden neuen Posten - also vier Soldaten - die Luke und spähten hinunter in den Keller, ob alle Schäfchen noch beisammen waren. Aber wo sollten die auch hin, nicht wahr? Durch yarddicke Kellerwände - behauenes Felsgestein, durch eisenharten Mörtel verfugt - gelangte kein Mensch. Da hätte er schon ein paar Wochen mit Hammer und Meißel und Spitzhacke arbeiten müssen und das wäre sogar dem müdesten und dümmsten Soldaten aufgefallen.
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Nein, die Soldaten teilten die Ansicht des Teniente, daß es völlig unmöglich sei, aus dem Keller auszubrechen. Für die Seewölfe hingegen existierten weder die beiden Wörtchen „völlig unmöglich“ noch die Einschränkung „unmöglich“. Die setzten schlicht ihren verbissenen Trotz ein, der ebenso schlicht auf der Tatsache beruhte, keine Ketten tragen zu wollen - und dann noch spanische Ketten. Zwar hatte ihr Kapitän einen Brummschädel, hervorgerufen von einem hinterrücks geführten Schlag auf den Hinterkopf, aber das hinderte ihn nicht, die alle zwei Stunden stattfindende Kontrolle von vier Soldaten zu registrieren, die durch die Luke starrten und mit Laternen das finstere Loch ausleuchteten. . „Die Luke“, hatte Hasard vor Mitternacht gesagt, „durch die Luke müssen wir raus, Leute! Das ist der einzige Ausgang, der in die Freiheit führt - in eine knapp bemessene und gefährliche Freiheit, denn wir befinden uns mitten im Stützpunkt, in dem nach wie vor die Dons das Sagen haben. Aber erst müssen wir aus diesem Loch einmal raus. Wir bleiben so liegen, wie uns die Kerle hingepackt haben und auch gewohnt sind, uns nach jeder Wachablösung liegen zu sehen. Zwischendurch darf ich euch darum bitten, daß ihr euch mit euren Fesseln beschäftigt.“ Es war gut, daß die Spanier, fromm wie sie waren - oder auch nicht-, auf Flores in unmittelbarer Nähe des Stützpunktes eine Kapelle errichtet hatten. Zu dieser Kapelle gehörte natürlich eine Glocke, besser gesagt ein Glöcklein, ein Ding, dessen Gebimmel den Profos Edwin Carberry schlichtweg nervte. Er hatte diese Bimmel als „Armsünderglocke“ bezeichnet, also als jene Glocke, die „armen Sündern“ geläutet wird, wenn sie von hinnen gegangen sind und zur letzten Ruhe gebettet werden. „Nicht mit mir“, hatte er geknurrt. „Nicht mit mir, bitte sehr, der ich zwar ein frommer Pilger, aber mitnichten ein armer Sünder bin. Das Ding hat einen Klang, daß
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einem die Haare wehtun, Himmel, Arsch und Bimmelei!“ Smoky, der neben ihm lag, bestätigte die Schmerzempfindungen des Profos und erweiterte sie um die Nuance, daß man davon Zahnschmerzen kriegen könne. „Aber nur jede Stunde“, sagte er. Und genau das war's. Daß die Haare wehtaten oder die Zähne schmerzten; war unwichtig. Aber durch die Glockenschläge wurden sie informiert, wie spät es war. Zwölf Glockenschläge hatten den neuen Tag, den 27. Juni, angekündigt. Noch während der Bimmelei ging das Rumpeln an der Luke los, das ankündigte, daß jetzt wieder eine „Besichtigung“ fällig war. Die neun Männer in dem Kellerloch nahmen Schlafposition ein, um sich zwar besichtigen zu lassen, dabei aber auch selbst verstohlen die Lage peilen zu können. Das wäre wichtig, hatte Hasard gesagt: Denn sie müßten wissen, wo sich die Kerle an dem Lukenrand postierten. Das hatten sie nämlich um zehn Uhr vor Mitternacht noch nicht so genau mitgekriegt. „Soldaten“, hatte Hasard erklärt, „haben die merkwürdige Angewohnheit, immer das gleiche zu tun. Das hängt mit dem sturen Drill zusammen. Wenn solche Kerle Posten gehen, marschiert einer wie der andere vier Schritte in die eine und vier Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Deshalb werden sich die vier Kerle da oben auch bei der Wachübergabe an vier festen Punkten hinhocken, um in den Keller zu schauen. Macht der Gewohnheit, nennt man das. Wichtig ist, welche Position der Soldat mit der Lampe einnimmt. Um zwei Uhr werden wir unsere Beobachtungen noch einmal überprüfen. Und um vier Uhr sollten wir dann soweit sein, sie überrumpeln zu können.“ Die Luke krachte also auf, nachdem sie unten im Keller deutlich gehört hatten, wie die Riegel zurückgerasselt waren. Und gleich darauf fiel ein fast greller Lichtschein in den Keller, huschte über die neun liegenden Gestalten und verharrte dann am Fuß der Steintreppe.
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In deren Nähe lag Ferris Tucker, und er fuhr hoch, das heißt, er bäumte sich auf, weil er ja an Füßen und Händen gebunden war, die Hände auf dem Rücken, und brüllte nach oben: „Ruhe, verdammt noch mal! Muß man hier dauernd im Schlaf gestört werden? Habt ihr nichts anderes zu tun, als uns alle naselang zu beglotzen?“ Er rappelte das in der spanischen Sprache herunter, ein bißchen falsch in der Betonung. Die vier Soldaten oben an der Luke fanden das sehr komisch und brachen in Gelächter aus. Demzufolge lösten sich auch die acht anderen Gefangenen aus dem „Schlaf“ und empörten sich über den „ruhestörenden Lärm“. Und natürlich peilten sie dabei die Lage, nach- dem sie lange genug geblinzelt und den Maulwurf markiert hatten, der plötzlich ans Licht gestoßen ist. Der Soldat mit der Laterne stand an. der Schmalseite der Luke, wo die Treppe endete. Er war in die Knie gegangen wie die anderen und leuchtete Ferris Tucker an. Ihm gegenüber an der anderen Schmalseite der Luke hockte noch einer. Die beiden anderen Soldaten linsten von der Breitseite her in den Keller hinunter. Auf der anderen Breitseite befand sich die zurückgeklappte Luke. Der Soldat mit der Laterne -schwenkte jetzt den Lichtschein hin und her, als sei das ein feiner Spaß, die neun Gefangenen zu blenden, und brüllte hinunter: „Maul halten! Oder ich rufe den Zuchtmeister, der euch ein feines Tänzchen zeigen wird - ein Mitternachtstänzchen, bei dem ihr singen und jubilieren werdet!“ „Idiot!“ sagte Carberry grollend. „Mit Zuchtmeistern tanze ich nicht! Habt ihr nicht was anderes zum Jubilieren? Was mehr Weibliches oder so?“ Smoky war am Kichern und sagte glucksend: „Was schön Rundes - oder so!“ „Maul halten!“ brüllte der Laternensoldat zum zweiten Male. „Dem fällt auch nichts anderes ein“, sagte Carberry und brüllte zur Luke hoch: „Ich rede, wann's. mir paßt, verstanden? Und von mir aus hol euren Zuchtmeister. Und
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sag ihm gleich, ich sei ein Kollege, den's mächtig jucke, ihn mal streicheln zu dürfen.“ Der Soldat leuchtete Carberry an, und der zuckte nicht mit der Wimper. „Du bist auch ein. Profos?“ fragte der Soldat. „Bin ich“, erklärte Carberry grimmig, „aber keiner von der Sorte, die darauf scharf ist, anderen mitten in der Nacht ein feines Tänzchen zu zeigen - zum Singen und Jubilieren. Laß uns schlafen, mein Sohn. Morgen ist auch noch ein Tag. Und jetzt sei friedlich und mach das Schott dicht. Ich brauche meine Ruhe, was, wie?“ „Merkwürdiger Kerl“, sagte der Soldat, der dem Laternenmann. an der Schmalseite der Luke gegenüberhockte. „Was der für Narben im Gesicht hat!“ An der Längsseite nörgelte einer der beiden anderen Soldaten: „Wollt ihr mit denen noch lange herumpalavern? Dann tut das, aber ohne mich. Ich hab die Schnauze voll und möchte mich aufs Ohr legen.“ Der Kerl neben ihm sagte: „Guter Gedanke. Ich auch. Habt ihr übernommen? Ist alles klar?“ Der Laternenmann und der Soldat ihm gegenüber nickten. Und der Laternenmann sagte: „Alles klar. Wache übernommen!“ Und die Luke krachte zu. Wieder waren die neun Männer in totale Finsternis gehüllt. Die Kellerluke war absolut dicht, keine Spalte zeigte sich. Das lag wohl an der feuchten Luft in dem Keller. Da quoll das Holz. Die Feuchtigkeit verhinderte, daß es schrumpfte. Hasard lächelte in die Dunkelheit und sagte leise: „Bei uns dürfte auch alles klar sein. Habt ihr euch die vier Positionen gemerkt?“ Zustimmendes Gemurmel erklang. „Gut“, sagte Hasard. „Um zwei Uhr bei der nächsten Wachablösung kontrollieren wir unsere Beobachtung. Um vier Uhr brechen wir aus. Jetzt laßt uns zusehen, daß wir die Stricke loswerden. Am besten Rücken an Rücken.“ Da sich die „Pärchen“ fanden, blieb einer übrig, und das war Edwin Carberry, der ganz außen lag. Er maulte herum, weil er
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unbeschäftigt blieb und niemand an „seinen Strippen herumzupfte“, wie er sich ausdrückte. „Ed, sei friedlich“, mahnte Hasard, „sobald einer von uns frei ist, werden auch deine Strippen aufgezupft.“ Und Dan O'Flynn, der mit Smoky Rücken an Rücken lag, fügte hinzu: „Du hast sowieso viel zu dicke Wurstfinger, um diffizil geknüpfte Knoten aufknibbeln zu können, Ed!“ „Diffizil, eh?“ grunzte Carberry. „Genau“, sagte Dan O'Flynn und wußte es war ja finster -, daß Carberry jetzt Fragezeichen in den Augen hatte, weil er sich an dem Wörtchen „diffizil“ festgehakt hatte, von dem ihm nicht klar war, was das bedeuten sollte. Aber er ließ ihn zappeln. Carberry räusperte sich und sagte: „Und was ist das?“ „Erzähl ich dir später“, sagte Dan, „muß mich jetzt konzentrieren.“ Und weil Smoky kicherte, fuhr er ihn an: „Halt die Flossen still, du Zappelphilipp!“ Smoky gluckste verhalten und sagte in Richtung Carberrys: „Ed, diffizil ist was ganz Schwieriges, verstehst du? Spanische Knoten sind zum Beispiel diffizil ...“ „Ein Murks sind die!“ fauchte der Profos. „Und wenn, dann haben die auch keine anderen Knoten als wir! Knoten ist Knoten. Außerdem habe ich keine Wurstfinger, verflucht und geteert. Ich verbitte mir solche Verunglimpfungen meiner Finger. Und ich hab in meinem Leben schon mehr Knoten aufgeknibbelt als dieser Hüpfer O'Flynn. Als der noch in den Windeln ums Überleben kämpfte, weil er im eigenen Wässerchen schwamm, knüpfte und entknippelte ich bereits Knoten, von denen ihr keine Ahnung habt! Und ...“ „Ed!“ mahnte Hasard ein zweites Mal. „Laß es gut sein. Ich kann mich bei Batuti auch besser konzentrieren, wenn hier Ruhe herrscht. Beim nächsten Mal kannst du ja zeigen, wie fix du als Entfesselungskünstler bist. Einverstanden?“ ' „Aye, Sir, einverstanden. Du wirst staunen, Sir, wie schnell ich so was hinkriege. Ich
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hab da nämlich ein Gespür für, ehrlich! Ich taste den Knoten ab und weiß sofort, wo die Part ist, an der ich zupfen muß. Du kennst doch Knoten, Sir, nicht? Da ist immer eine Part, von der die andere bekniffen wird. Und wenn du die bekneifende Part lockerst ...“ Ferris Tucker, der sich mit den Fesseln Kapitän Castillos beschäftigte, stöhnte laut und deutlich und knurrte: „Gibt's hier niemanden, der diesem Mister Carberry die Luke dichtnagelt? Der ist zu dämlich, um zu begreifen, daß er uns mit seiner Quasselei stört!“ „Aha! Aha!“ Und dann verstummte Edwin Carberry, was darauf schließen ließ, daß er schwer eingeschnappt war. Sicher, man konnte einem Mann wie dem Profos Edwin Carberry nichts Schlimmeres antun, als ihn zur Untätigkeit zu verdammen. Und das war es ja auch, was ihn so erboste. Aber er hatte nun mal keinen Partner, an dem er Knoten entknüpfen konnte, von denen die anderen „keine Ahnung“ hatten. Andererseits stimmte, was Dan O'Flynn gesagt hatte. Um es anders auszudrücken: Carberry hatte mächtige Fäuste, Dinger aus Eisen, hart und schwielig, zernarbt von zahllosen Kämpfen - und nicht mehr sensibel genug, um mit den Fingern Knoten abzutasten und zu lösen. Eben Wurstfinger! Das wurmte ihn natürlich. Er war auch ein bißchen ungeduldig, dieser Profos. Dafür aber würde er umso besser sein, wenn's ans „Aufräumen“ ging. Da war seine Pranke mehr als Gold wert. Hasard ordnete das richtig ein und sagte versöhnlich: „Ed, um vier Uhr wirst du der Mann sein, der den ersten Schlag führt. Oben an der Kellertreppe bei dem Kerl, der die Laterne hält. Der muß sofort ausgeschaltet werden, damit die anderen gar nicht erst begreifen, daß wir auf dem Sprung sind. Das muß blitzschnell gehen, verstehst du? Eventuell mußt du in die heiße. Lampe greifen, um sie ihm zu entreißen.“ Carberrys Grunzen klang sehr zufrieden. „Aye, Sir! Verlaß dich auf mich. Das regele ich.“
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„Gut. Ed“, sagte Hasard. Eine halbe Stunde später war es Dan O'Flynn, der als erster Erfolg hatte und Smokys Handfuseln aufknüpfte. „Wir haben's geschafft“, sagte Dan zufrieden, während Smoky sich bereits aufgesetzt hatte, um die eigenen Fußfesseln zu lösen. „Wurde auch Zeit“, brummte der Profos. „Bei mir wär's schneller gegangen.“ „Natürlich“, sagte Dan mit Spott in der Stimme, „wie beim Futtern, nicht? Da bist du auch immer der Schnellste und holst dir schon den dritten Schlag, wenn wir noch beim ersten sind.“ „Gute Esser sind gute Arbeiter“, erklärte Carberry ungerührt. „Und wer war denn früher der Vielfraß an Bord, he?“ „Das hast du fein gesagt, Ed“, erwiderte Dan O'Flynn. „Dann muß ich auch ein guter Arbeiter gewesen sein. Es ehrt mich, von dir gelobt zu werden.“ Bevor Carberry das Thema weiterverfolgen konnte, sagte Smoky: „Meine Füße sind frei. Wem soll ich helfen?“ "Nimm dir Dan vor“, sagte Hasard. „Ich glaube, ich bin bei Batuti auch gleich soweit.“ „Aye, Sir“, sagte Smoky. „Und wer küßt mich?“ fragte Carberry, der immer ungeduldiger wurde. „Oh!“ flötete Dan O'Flynn. „Sind Sie mit mir einverstanden, Mister Carberry?“ „Du Affenarsch!“ sagte Carberry mit Überzeugung. Alles Weitere war kein Problem mehr. Als die Glocke der Kapelle die erste Morgenstunde einläutete, waren alle neun Männer von ihren Fesseln befreit und reckten und streckten sich. Allerdings mußten sie dann wieder ihre alten Positionen einnehmen und sich auch die Fesseln zur Täuschung der Soldaten anlegen, natürlich nicht verknotet, sondern lose. Sie verdösten die Stunde bis zum Wachwechsel der Posten um zwei Uhr. Da wurde es über ihnen wieder laut, die Riegel rasselten zurück, und die Luke krachte wie bei den anderen Malen auf den steinernen
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Korridorboden. Es hatte den Anschein, als legten die Kerle auf den Krach ganz besonderen Wert nach der Devise: warum sollen die Gefangenen pennen, wenn wir Wache gehen. Daß sie den Gefangenen aber damit Gelegenheit gaben, hochzufahren - oder so zu tun -, darüber dachte wahrscheinlich keiner von ihnen nach. Der übliche Ritus wickelte sich ab - unten im Keller wurde wegen des Lärms geschimpft, oben schwenkte der Kerl die Lampe, um die Gefangenen abzuleuchten und natürlich zu ärgern. Die neun Männer waren wieder am Blinzeln und konnten dabei feststellen, daß die Kerle die gewohnten Positionen einnahmen. Der Laternensoldat hockte an der Schmalseite, wo die Treppe hochführte, und Carberry merkte sich genau dessen Position. Zwei beugten sich über die Längsseite, und der vierte Posten befand sich dem Laternenmann gegenüber. Es wurden Freundlichkeiten gewechselt, wobei sich der Laternenmann genüßlich darüber ausließ, daß der Schmied der Garnison die Ketten schon bereitgelegt hätte, und das seien sehr feine Ketten, wie sie Galgenvögeln als Zierde zuständen. „Natürlich schön schwer“, sagte der Kerl, „damit ihr ordentlich was zum Herumschleppen habt und nicht auf krause Ideen verfallt.“ „Na, das ist aber sehr freundlich“, sagte Carberry. „So ein Kettchen am Fuß hab ich mir schon immer gewünscht. Das sieht so neckisch aus, was, wie?“ „Was ist das denn für einer?“ sagte einer der beiden Soldaten an der Längsseite. „Spinnt der?“ „Das ist 'n Profos“, sagte der Laternenmann verächtlich. „Große Schnauze und nichts dahinter.“ Das wurmte den Profos, aber er verkniff sich eine Antwort. Warte nur, Bürschchen, dachte er, vielleicht sehen wir uns in zwei Stunden wieder, dann zeig ich dir, was hinter der großen Schnauze steckt. Der Kerl an der Längsseite sagte: „Ach so, 'n Profos. Dachte schon, der sei aus dem
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Urwald entsprungen.“ Er gähnte. „Also gut, abgelöst, wir übernehmen.“ Damit war auch die zweite Morgenstunde abgehakt. Die Luke krachte zu und wurde verriegelt. „ .. dem Urwald entsprungen“; murmelte Carberry erschüttert. „Sir, was sagst du dazu?“ „Das mußt du anders sehen, Ed“, erwiderte Hasard vorsichtig. „Der hatte wahrscheinlich Angst vor dir ...“ „Soll er auch“, knurrte Carberry und fügte etwas unlogisch hinzu: „Weiß gar nicht, was die immer ausgerechnet bei mir herumzustänkern haben und mich anöden.“ Hasard lenkte ab und sagte: „Hast du dir die Position des Laternenmanns gemerkt, Ed?“ „Hab ich, Sir.“ Er schien zu grinsen. „Der hält die Laterne so tief, daß ich nur zuzulangen brauche - mit links, Sir. Und mit der Rechten klopf ich ihm was aufs Maul. Es wird mir eine Ehre sein Sir „ „In Ordnung, Ed. So müßte es gehen. Du mußt nur schnell sein. Dann schlage ich vor, daß Batuti ebenfalls auf der Treppe steht und sich den Mann schnappt, der an der anderen Schmalseite hockt.“ „Aye, Sir, geht klar“, sagte Batuti. „Und die beiden Kerle an der Längsseite?“ fragte Smoky. „Die übernimmt Ferris, ebenfalls von der Treppe aus. Das wird etwas eng für euch, aber ihr wißt ja, wo ihr steht, damit ihr euch nicht gegenseitig behindert. Wir sind ja auch noch da, um einzugreifen, falls was schief läuft. Ferris, du solltest nach links und rechts greifen - Front zur Längsseite und die Köpfe der beiden Kerle zusammenbringen. Du verstehst?“ „Und ob“, sagte Ferris Tucker zufrieden. „In so was hab ich Übung.“ Ja, die hatte er, das war keineswegs übertrieben, vor allem, wenn man bedachte, über was für ungewöhnliche Körperkräfte der rothaarige Schiffszimmermann verfügte. Kapitän Castillo, der bisher schweigend zugehört hatte, sagte: „Da bleibt für Senor Vergara, Senor Benitez und mich wohl gar nichts mehr zu tun, Kapitän Killigrew?“ Es klang, als erheitere ihn das alles.
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„Da noch nicht, später schon“, sagte Hasard. „Entschuldigen Sie, Capitan Castillo. Aber wir sind auf so etwas gut eingespielt. Die drei Männer, die zunächst aktiv werden, wissen genau, wie sie ihre Sache anzupacken haben. Und darauf kann ich mich verlassen. Wenn das geklappt hat, wird sowieso noch eine Menge zu tun sein. Wir befinden uns ja sozusagen in der Höhle des Löwen. Also keine Bange, daß Sie nur zuzusehen brauchen.“ „Verstanden“, sagte Kapitän Castillo. „Ed, Ferris, Batuti“, sagte Hasard, „probiert mal - aber bitte leise -, wie ihr euch auf der Treppe platzieren könnt. Ed, du wirst am weitesten hochsteigen müssen.” Sie probierten es und tappten in der Finsternis die Treppe hoch. Zuerst Carberry, dann Ferris Tucker und zuletzt Batuti. Sie tasteten die Luke ab, um sich zurechtzufinden. Carberry stieg so weit hoch, bis er sich zusammenkrümmen mußte. Sie zählten die Stufen ab. Ferris Tucker würde vier Stufen unter ihm stehen, etwas gebückt. Drei Stufen tiefer würde sich Batuti befinden. Er war ja ein 'Riese. Wenn er hochlangte, würde er sich seinen Mann schnappen können. Ja, sie hatten genügend Bewegungsfreiheit auf der Treppe, das stand fest. Da war nicht zu befürchten, daß sie sich gegenseitig behinderten. Carberry wäre am liebsten gleich da oben auf der Treppe in Lauerstellung hocken geblieben, wurde aber von Hasard wieder nach unten beordert, mit der Maßgabe, die zwei Stunden bis vier Uhr auszuruhen. Das galt auch für die anderen. Man mußte sich eben in Geduld üben und die Zeit ausnutzen, um zu entspannen. Die Glocke kündigte die dritte Morgenstunde an - nur Batuti überhörte sie. Der schlief den Schlaf des Gerechten. Wahrscheinlich hatte er auch die besten Nerven. Den Disput darüber - weil sich nämlich Carberry über den „Penner“ erregte unterband Hasard kurzer- hand mit der Bemerkung, die Gentlemen sollten sich
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doch, bitte sehr, ein Beispiel andern Riesen aus Gambia nehmen. So kehrte wieder Ruhe ein. Das Dösen ging weiter, Hasard blieb wach, und die Zeit tropfte dahin. Er war davon überzeugt, daß die beiden Posten oben an der Luke keineswegs wie scharfe Hunde lauerten. Die gestatteten sich garantiert ein Nickerchen, an der Korridormauer sitzend, .den Kopf auf die Brust gesenkt. Auf und ab gingen sie jedenfalls nicht, wie sie das kurz nach der Wachablösung getan hatten. Das war deutlich zu hören gewesen. Der Teniente Menacho, der das Kommando über den Stützpunkt an sich gerissen hatte, schien auch keinen Wert i darauf zu legen, seine Wachposten zu kontrollieren. Seit sie hier in dem Keller waren, hatte er sich um die Gefangenen nicht mehr gekümmert. Der scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein, dachte Hasard. Das sprach auch dafür, daß man einen Ausbruch der Gefangenen aus dem Keller für ausgeschlossen hielt. Das Unmögliche wurde absolut nicht ins Kalkül einbezogen. Nur hinterher - da war man dann auf einmal schlauer geworden. Fragte sich nur, wie das „hinterher“ dann aussah. Hasard nickte auch etwas ein, bis er oben im Korridor die Tritte hörte - und kurz darauf Stimmengemurmel, das unwirsch klang. Er brauchte seine Männer nicht zu wahrschauen. Die waren plötzlich blitzwach. Und Carberry befand sich bereits oben an der Luke. „Los geht's, Leute“, sagte er leise, aber mit deutlicher Genugtuung in der Stimme. Da war die Stimme von Ferris Tucker. „Alles klar, Ed!“ Und Batuti: „Bei mir auch!“ Und sie standen alle, nach oben lauernd. Hasard sagte leise: „Tretet etwas von der Treppe zurück, aber stürmt sofort hoch, sobald Ed, Batuti und Ferris ihre Sache erledigt haben. Laßt mir den Vortritt, ich stehe unten an der Treppe etwas höher als Batuti.“ Sie murmelten ihr „Verstanden“.
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Der nun schon vertraute Klag des Riegelklirrens ertönte. Carberry duckte sich zusammen wie eine sprungbereite Riesenkatze. Die Luke wurde angelüftet und flog zurück. Carberry schnellte hoch wie ein Kastenteufel. Er befand sich dem Laternenmann genau gegenüber. Dessen grinsende Miene wechselte jäh in einen Ausdruck totalen Erschreckens. Vielleicht hielt er den Profos für ein fürchterliches Monster, für einen Fürsten der Hölle oder zähnefletschenden Kellergeist. Einen Lidschlag später hatte er keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Alles ging viel zu schnell in einem geradezu rasenden Tempo. Carberry entriß ihm die Lampe und hämmerte ihm gleichzeitig die rechte Pranke unter das Kinn. Der Kerl hob ab. sauste davon, beschrieb eine flache Flugkurve und landete rücklings, mit dem Kopf zuerst, auf dem Korridorboden. Der war, wie gesagt, aus Stein. Da der Kerl einen Helm trug, klang es, als habe die Glocke der Kapelle noch ein fünftes Mal geläutet, denn Sekunden vorher war gerade der vierte Glockenschlag verhallt. Carberry drehte sich um - er stand schon im Korridor - und sah noch, wie zwei Helme an der Längsseite der Luke zusammenkrachten. Das war der sechste Glockenschlag. Die beiden Kerle verneigten sich nach vorn und kippten in die Luke, wobei Ferris Tucker ihnen half, weil er die Helmketten noch nicht losgelassen hatte. Sie plumpsten wie Mehlsäcke in den Keller. Der vierte Soldat befand sich in unfreiwilliger Umarmung. Batuti. hatte ihn zu sich heruntergerissen, war mit ihm nach hinten in den Keller getaucht und verpaßte ihm dort einen Jagdhieb an die Schläfe, nachdem er ihm den Helm abgenommen hatte. Vor lauter Entsetzen hatte der Kerl keinen Ton hervorgebracht. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Bei den drei anderen war das genauso gewesen. Hasard fegte bereits die Treppe hoch und sah mit einem Blick, daß der Korridor frei
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war. Er atmete zischend aus. Bis jetzt hatte alles geklappt. „Gut, Ed“, sagte er. „Ab mit deinem Kerl in den Keller. Alle vier fesseln und knebeln. Nehmt ihnen alle Waffen ab. Die werden jetzt von uns gebraucht.“ „Aye, Sir“, sagte Carberry und grinste wild. Minuten später lagen die vier Soldaten gefesselt und geknebelt unten im Keller und durften nunmehr der Ruhe pflegen. Das Blatt hatte sich gewendet. Jetzt wurde über ihnen selbst die Luke verriegelt. Hasard und die acht Männer schlichen zum Ausgang des Korridors. 2. Für Ben Brighton jetzt stellvertretender Kapitän auf der „Isabella IX.“ - und die Männer an Bord war die Situation zu dieser Stunde völlig unklar. Sie hatten keinerlei Ahnungen von den Geschehnissen im Stützpunkt. In wilden Gefechten hatten die Arwenacks auf der „Isabella“, unterstützt von den geretteten Mannen der „Confianza“, die Landbatterien des Stützpunkts niedergekämpft und einen Zweimaster sowie zwei Galeonen der Spanier versenkt. Und dann hatte Ben Brighton den Entschluß gefaßt, mit der „Isabella“ in den Stützpunkthafen einzulaufen, um zur Stelle zu sein, sobald Hasards Kampfgruppe dort auftauchte. Denn im Stützpunkt war gekämpft worden, das hatten sie deutlich gehört. Aber dann war der Kampfeslärm verstummt. Seitdem hatte Ruhe geherrscht, eine Art Friedhofsruhe, die den Männern auf der „Isabella“ nicht geheuer war. Und sie hatten gewartet, Stunde um Stunde. Aber nichts passierte. Nicht einmal der Stützpunktkommandant zeigte sich, um den Männern auf der „Isabella“ seine Gefangenen als Geiseln zu präsentieren und - wie schon einmal - erpresserische Forderungen zu stellen. Natürlich war die „Isabella“ gefechtsklar. Ben Brighton hatte sie vor Bug- und Heckanker gelegt, die Steuerbordbreitseite dem Stützpunkt zugewendet, die
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Backbordbreitseite der Einfahrt in den Hafen. Es juckte ihnen allen in den Fingern, den Stützpunkt in Stücke zu schießen. Aber sie sahen ein, daß sie genau das nicht durften, denn damit wären auch Hasard und seine acht Männer gefährdet worden. Kein Mann hatte in dieser Nacht auf der „Isabella“ ein Auge zugetan. Jetzt, im Morgengrauen, starrten sie verbissen zu dem festungsähnlichen Bau hinüber und waren sich bewußt, daß sie gleichfalls beobachtet wurden. Die Ungewißheit über das Schicksal Hasards und seiner Gruppe zerrten an ihren Nerven. Sie waren gereizt, und als in der Kombüse, wo der Kutscher und Mac Pellew eine heiße Suppe zubereiteten, irgendein Topfdeckel zu Boden schepperte, zuckten sie alle zusammen, als sei die Pulverkammer in die Luft geflogen. Und dann fluchten sie, weil sie selbst merkten, wie nervös sie geworden waren. Auf dem Achterdeck lehnte Ben Brighton am Steuerbordschanzkleid und starrte immer wieder durch den Kieker zu dem Stützpunkt hinüber. Neben ihm standen Big Old Shane und Old O'Flynn. Alle drei hatten wegen der Morgenkühle ihre Tuchjacken übergezogen und die Kragen hochgeschlagen. „Kannst du irgendwas sehen?“ fragte Big Old Shane. „Nichts.“ Ben Brighton ließ den Kieker sinken. „Alles ruhig da drüben.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Wenn sie Hasard, Castillo und die anderen geschnappt haben, warum unternehmen sie dann nichts? Und wenn sie nicht geschnappt wurden, warum melden sie sich nicht? Sie wissen doch, daß wir hier sind.“ „Frag mich was anderes“, brummte Big Old Shane. „Da ist was passiert“, sagte Old O'Flynn dumpf. „Ach ja?“ Big Old Shane streifte den Alten mit einem kurzen Blick. „Was denn so zum Beispiel?“ „Weiß ich nicht. Ich hatte ja vorgeschlagen, daß heute nacht ein Trupp
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heimlich an Land gesetzt wird, um nach Hasard und seinen Männern zu forschen. Aber ihr wart dagegen. Ihr seid ja immer gegen meine Vorschläge. Dabei hätte der Trupp die Dunkelheit ausnutzen können. Jetzt wird's hell, da gelangt keiner mehr ungesehen an diesen verdammten Bau.“ „Du weißt genau, warum wir deinen Vorschlag abgelehnt haben“, sagte Ben Brighton verbissen. „Also hör auf, herumzunörgeln. Wir brauchen hier an Bord jeden Mann, um manövrier- und gefechtsfähig zu bleiben. Wir sitzen hier sowieso wie in einer Mausefalle.“ Ben Brighton drehte sich unbehaglich um und blickte über die Backbordseite zum Hafeneingang. Aber da wallte Morgennebel über dem Wasser. Sonst war nichts zu sehen. „Sten!“ rief er zum Hauptmars hoch. „Auch auf die Seeseite achten!“ „Verstanden!“ Stenmark, der um vier Uhr den Ausguck übernommen hatte, zeigte klar. Old O'Flynn fragte böse: „Darf man mal so erfahren, was du weiter zu tun .gedenkst, Mister Brighton, Sir?“ „Abwarten“, sagte Ben Brighton bissig. „Abwarten - abwarten!“ Old O'Flynn schniefte. „Die ganze lange Nacht haben wir abgewartet und sind um kein Stück schlauer geworden. Und wie lange soll diese elende Warterei dauern?“ Ben Brighton zuckte mit den Schultern, und Big Old Shane sagte anzüglich: „Du bist doch der Hellseher an Bord, Mister O'Flynn! Oder klappt's dieses Mal nicht?“ Old O'Flynn ignorierte die Frage und sagte: „Etwas Falsches zu tun, ist immer noch besser, als überhaupt nichts zu tun und Däumchen zu drehen und abzuwarten, ob sich vielleicht die Gegenseite zu einer Aktion aufrafft.“ „Aha! Und was sollten wir deiner Meinung nach tun?“ „Na, zum Beispiel könnten wir mal zur Abwechslung das Tor zur Festung in Stücke schießen“, erwiderte Old Donegal. „Und dann?“
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„Dann ist da zumindest eine Bresche, durch die man in den Bau eindringen könnte.“ „Klar“, sagte Big Old Shane höhnisch. „Und du bleibst hier allein an Bord und bedienst die Kanonen, um Feuerschutz zu geben, nicht wahr? Oder du gehst ankerauf und schaust mal eben draußen vorm Hafen nach, ob die Luft noch rein ist, wie? Old O'Flynn regelt das alles, mit einer Hand natürlich, mit links sozusagen - wie seinerzeit auf der ,Empreß of Sea , als ihr wegen eines Sturms auf Tauchfahrt gegangen wart, um ruhigeres Wasser zu haben. Warst du da nicht am Steuer gewesen?“ In die hellen Augen Old O'Flynns trat ein Funkeln. „Mister Shane!“ sagte er. „Es erübrigt sich, auf deinen Quatsch einzugehen. Aber ich habe euch wieder einen Vorschlag unterbreitet und darf wohl erwarten, daß man geruht, darauf zu antworten.“ „Vorschlag abgelehnt“, sagte Ben Brighton. knapp. „Und warum?“ „Angenommen, die Kerle haben Hasard und seine Gruppe als Geiseln, dann muß ich bei einem Typ wie diesem Torres damit rechnen, daß er eine Geisel umbringt oder die Gruppe gar in das Tor steilen läßt. Würdest du an meiner Stelle ein solches Risiko auf dich nehmen?“ „Wir wissen ja gar nicht, ob man sie tatsächlich geschnappt hat“, entgegnete Old O'Flynn. „Vorhin erklärtest du, da sei was passiert“, sagte Ben Brighton. „Du widersprichst dir.“ Old O'Flynn ballerte die rechte Faust aufs Schanzkleid und fauchte: „Mann, ich werd' noch verrückt! Und was ist, wenn Hasard und seine .Gruppe bereits wieder heimlich in den Steinbruch gebracht wurden, aus dem ihr sie befreit hattet? Was ist dann? Natürlich können sie dann hier nicht als Geiseln vorgeführt werden. Ist doch klar, nicht währ? Und das würde auch erklären, warum die da drüben so ruhig bleiben. Die denken, laßt diese verdammte englische Galeone ruhig dort ankern. Wenn sie dort
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bleibt, wissen wir wenigstens, wo sie ist und brauchen nicht zu befürchten, daß sie. irgendwo an der Inselküste, wo wir nicht sind, einen Trupp an Land setzen. Ist das logisch gedacht - oder nicht?“ Ben Brighton und Big Old Shane wechselten einen Blick, und Ben Brighton sagte: „Logisch gedacht ist das schon, Old Donegal.“ „Aber?“ „Aber mir leuchtet nicht ein, warum die Kerle ihre Gefangenen wieder dorthin zurückbringen sollten, wo sie bereits einmal ausgebrochen sind.“ „Das ist es doch!“ stieß Old O'Flynn hervor und hämmerte die Faust zum zweiten Male aufs Schanzkleid. „Das ist doch der Trick! Sie tun das, was wir nicht erwarten! Kapiert ihr das nicht?“ Ben Brighton wiegte den Kopf. „Ich weiß nicht. Du unterstellst diesem Torres eine ganz besondere Gerissenheit. Ich betone: eine ganz besondere! Aber die sehe ich bei dem Kerl nicht. Und was sollte er damit gewonnen haben, Hasard und seine Gruppe - so er sie hat - wieder in den Steinbruch zurückbringen zu lassen? Er braucht sie doch hier, um sie vorzeigen und uns erpressen zu können.“ „Irrtum, Mister Brighton! Irrtum!“ Old O'Flynn war sehr erregt. „Torres will sie hier weghaben, um sich auf uns konzentrieren zu können. Er wartet darauf, daß wir was unternehmen und ihm ins offene Messer rennen ...“ Ben Brighton stöhnte. „Mann, vorhin warst du dafür, das Haupttor in Stücke schießen zu lassen, um in den Bau eindringen zu können. Jetzt erklärst du, wir sollten ins offene Messer rennen und die Hasardgruppe befände sich längst im Steinbruch. Was denn nun eigentlich?“ „Wie? Ach so! Ich hab's mir eben anders überlegt“ Old O'Flynn schnaufte. „Letzteres stimmt. Der Hund will uns verführen, daß wir versuchen, den Stützpunkt zu stürmen. Ist doch klar! Er nagelt uns hier fest, aber seine Gefangenen sind gar nicht mehr hier. Wir sollten sofort ankerauf gehen, die Insel umsegeln und an der Ostküste einen Befreiungstrupp an
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Land setzen, der ein zweites Mal in den Steinbruch vordringt.“ „Wenn wir das tun“, sagte Big Old Shane bedächtig, „riecht Torres den Braten und sorgt dafür, den Befreiungstrupp gebührend zu empfangen. Das haut nicht hin, Mister O'Flynn. Tut mir leid. Du hast zwar eine Menge prächtiger Ideen, aber ich zumindest mag mich mit keiner so richtig anfreunden. Da stecken zu viele Wenn und Aber drin - Spekulationen, vor denen wir uns hüten sollten.“ „Ganz meine Meinung“, sagte Ben Brighton. Old O'Flynn ächzte vor Wut. „So was von stur! So was von vernagelt! Seid ihr noch zu retten? Seht ihr das nicht? Die wollen uns doch hier nur an der Nase herumführen! Die denken, diese Engländer sind die blödesten Hunde, die es je gegeben hat! Die schlucken alles, was man ihnen serviert, wenn's maulgerecht ist! Die ...“ Mac Pellew stieg den Niedergang hoch, ein Tablett mit drei dampfenden Zinnschalen tragend. „Suppe gefällig?“ fragte er mürrisch und starrte Old O'Flynn an.. Und weil er dessen letzte Worte gehört hatte, fügte er hinzu: „Wird auch serviert und ist maulgerecht, nämlich scharf gepfeffert, damit auch alte Kerle wieder Spaß am Leben haben. Gepfefferte Bohnensuppe, Gentlemen! Ein Rezept, das ich und der Koch als besondere Spezialität in den .knappen Stunden unserer Freizeit entwickelt haben.“ „Ich bin kein alter Kerl!“ fauchte Old O'Flynn. „Nein?“ Mac Pellew zuckte grämlich mit den Schultern. „Dann bist du eben ein junger Hüpfer! Die brauchen gepfefferte Bohnensuppe noch mehr, weil sie's auch viel wilder treiben. Magst du, oder magst du nicht? Ich hab noch mehr Hüpfer zu verköstigen und kann hier nicht bis heute abend herumstehen, bis du dich entschlossen hast, gepfefferte Bohnensuppe zu genießen.“ „Gib her!“ knurrte Old O'Flynn und empfing seine Muck samt Löffel. Ben
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Brighton und Big Old Shane nahmen ihre Mucks entgegen, und Ben Brighton fragte: „Wem ist denn vorhin in der Kombüse was an Deck gekracht, Mac?“ „Mir“, sagte Mac Pellew unwirsch. „Das heißt, dem Kutscher und mir. War die Pfeffermühle. Als ich die noch mal über der Bohnensuppe rumorgeln wollte, schlug sie mir der Kutscher aus der Hand, weil er der. Ansicht zuneigte, es sei genug Pfeffer in der Suppe. Probier mal, Mister Brighton!“ Aber da hatte Old O'Flynn bereits probiert und hüpfte auf seinem gesunden Bein herum, den Kopf schräg nach oben verdreht, den Mund zischend aufgerissen, seine Augen waren größer als sonst - so ein bißchen quellend. „Na bitte“, sagte Mac Pellew zufrieden. „Er hüpft! Das beweist die Vorzüglichkeit der von mir und dem Kutscher in den knappen Stunden unserer Freizeit entwickelten gepfefferten Bohnensuppe. Da werden auch alte Knacker wieder munter, nicht? So richtig stramm werden die und zeigen, daß sie noch was auf der Brust haben!“ Das stimmte, denn Old O'Flynn hatte sich inzwischen hochgereckt, sein Hals war sehr lang geworden, und sein Brustkasten war mächtig am Pumpen. Beim Ein- und Ausatmen zischte er. Mac Pellew strahlte. Na ja, was bei diesem Mann, dessen Miene jedem Sargträger zur Ehre gereicht hätte, als Strahlen zu bezeichnen war. Man mußte da viel Phantasie entwickeln, um das erkennen zu können. Kamele zum Beispiel sehen immer beleidigt aus - so von oben herab. Die Seewölfe hatten das am Nil zur Genüge beobachten können. Mac Pellew strahlte also wie ein Kamel. Und genauso verließ er stelzend das Achterdeck,. um „noch mehr Hüpfer zu verköstigen“, wie er sich ausgedrückt hatte. Ben Brighton und Big Old Shane betrachteten die gepfefferte Bohnensuppe in ihren Mucks und kosteten vorsichtig. Sekunden später waren sie auch am Zischen.
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„Ist der wahnsinnig?“ keuchte Big Old Shane. „Dem hätte ich die Pfeffermühle nicht aus den Händen, sondern um die Ohren geschlagen! Will der uns vergiften?“ „Auf Trab bringen“, sagte Ben Brighton kurzatmig, löffelte aber weiter, weil diese Suppe Feuergeister weckte. Ja, da hatte man wieder Spaß am Leben, auch wenn man noch kein alter Kerl war. Merkwürdig, der Kutscher und Mac Pellew, diese beiden Bratpfannenschwenker, erfanden doch immer wieder etwas Neues, um die Crew aufzumöbeln. Daß sie diese scharfe Bohnensuppe „in den knappen Stunden ihrer Freizeit entwickelt“ hatten, wie Mac zweimal überdeutlich betont hatte, war natürlich eine maßlose Übertreibung. „Ich und der Kutscher“ hatte Mac gesagt und sich dabei zuerst genannt, wahrscheinlich, um seine dominierende Rolle als Erfinder neuer Suppen hervorzuheben. Wenn man sich an die Schärfe gewöhnt hatte, schmeckte die Suppe phantastisch, vor allem, nach dieser durchwachten Nacht. Old O'Flynn hüpfte auch nicht mehr herum, sondern war am Löffeln. Big Old Shane ebenso. Inzwischen fluchten und zischten die Kerle auf der Kuhl und der Back, aber das gab sich wieder, als sie merkten, wie gut ihnen die Suppe tat. Ein richtiger Morgenwächter war das, wie man solche Muntermacher nannte. Der wischte auch ihre Gereiztheit weg, aus den grimmigen Mienen wurden wieder freundliche Gesichter. Allerdings, die Sorge um Hasard und seine Gruppe konnte Macs Suppe auch nicht vertreiben. Hasard junior und Philipp junior waren dabei, für die Männer Nachschläge aus der Kombüse zu holen, als die Idylle des Morgenwächters jäh zerstört wurde. Stenmark im Großmars war es, der der trügerischen Beschaulichkeit des Morgenwächters ein Ende setzte. Seine Stimme klang grell und scharf. „Galeone nähert sich der Hafeneinfahrt Es ist die ,Vencedor`!' Alle Köpfe flogen herum zur Backbordseite. Jawohl, da rauschte sie
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heran, die „Vencedor“, das Flaggschiff des spanischen Generalkapitäns Ramon Firuso de Fernández – jenes Mannes, der seinem Stückmeister Jaime Rabel einen Mordbefehl erteilt hatte, nämlich den Fangschuß auf die „Confianza“ abzufeuern. Von Westen her segelte sie auf. Von dort wehte auch der Wind, so daß die Kriegsgaleone platt vom Laken auf den Hafen zuhalten konnte. Für die Männer auf der „Isabella“ war es zu spät, um ankerauf zu gehen. Sie lagen ja vor Bug- und Heckanker. Und dann hätten sie zur Einfahrt nach Westen kreuzen müssen - eine sowieso heikle Sache bei der Enge des Fahrwassers. Jawohl, sie saßen wie die Maus in der Falle! Ben Brighton stieß einen ellenlangen Fluch aus, aber nicht nur er. Die ganze Crew war am Fluchen, einschließlich der geretteten Spanier von der „Confianza“. „Ruhe!“ brüllte Ben Brighton. „Besetzt die Backbordstücke, richtet sie auf den Don aus und wartet meinen Feuerbefehl ab. Wir bleiben vor Anker, und da muß jeder Schuß ein Treffer sein! Sten! Siehst du noch mehr spanische Schiffe?“ „Nichts zu sehen!“ brüllte Stenmark zurück. „Die ,Vencedor' ist allein!“ „Gut! Enter ab, wir brauchen jetzt jeden Mann an den Kanonen!“ „Aye, Sir!“ Stenmark schwang sich aus dem Großmars und flitzte am Steuerbordwant nach unten. Al Conroy nahm ihn sofort in Empfang und ließ ihn die Backborddrehbasse auf der Back besetzen. „Jetzt wird die Suppe kalt“, nölte Mac Pellew, der zusammen mit den. Zwillingen die Mucks. einsammelte. „Das ist hier vielleicht ein Zirkus.“ „Mann, hab dich nicht so!“ fuhr ihn Matt Davies an. „'ne Suppe kann man doch wieder anwärmen!“ „Kann man, aber 'ne aufgewärmte Suppe schmeckt wie rauf und runter, wie abgelutscht, verstehst du?“ Mac war fast am Heulen. „Das ganze Aroma ist hin. Da
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gibt man sich solche Mühe, aber Undank ist der Welt Lohn...“ „Mac!“ brüllte der Kutscher aus der Kombüse. „Wo bleibst du denn? Wir müssen die Feuer löschen! Hast du die Mucks eingesammelt?“ „Das ist auch so ein Sklaventreiber“, murmelte Mac Pellew und schnitt sein Sargträgergesicht. Mit sechs gestapelten Mucks in den Händen ging er auch so - als trage er eine Urne mit Asche. Natürlich hatten die Ausgucks auf dem spanischen Flaggschiff die im Hafen liegende „Isabella“ gesichtet, und der Generalkapitän reagierte so, wie Ben Brighton das erwartet hatte. Er beobachtete die „Vencedor“ durch den Kieker und sah, daß dort die Segel ins Gei gehängt wurden. Gleich. zeitig rannte man die Kanonen aus - mit Musik, denn mit Trommeln und Pfeifen wurde „Klarschiff zum Gefecht“ angekündigt. Dieser spanische Generalkapitän legte offenbar Wert auf militärischen Pomp oder auf jene Zeremonien, die angeblich dazu dienen sollten, das Herz der Seesoldaten auf Kampfesfreude einzustimmen, den Gegner aber zu lähmen. Immerhin klang das Trommelgerassel in Verbindung mit den schrillen Pfeiftönen martialisch genug. Sicherlich schwelgte dieser Generalkapitän auch bereits im Vorgefühl des Triumphes, jetzt einen vernichtenden Schlag führen zu können. Denn die englische Galeone wurde ihm wie auf einem Präsentierteller dargeboten. Man brauchte sie nur „zu vernaschen“. Sie war ein festes, kein sich bewegendes Ziel. Allerdings konnte man die Sache auch andersherum betrachten. Fest vor Bug- und Heckanker liegend, war die „Isabella“ zur schwimmenden Küstenbatterie geworden. Niemand brauchte am Ruder zu stehen oder die Segel zu trimmen, um irgendein Gefechtsmanöver fahren zu können. Alle Hände an Bord waren frei für die Waffen. Zwar saßen die Arwenacks in der Falle, aber sie waren entschlossen, ihre „Isabella“ in eine feuerspeiende Festung zu verwandeln.
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Es war für Hasard und die acht Männer beruhigend, die Schnarchtöne zu hören, die links und rechts des Korridors hinter den Türen zu den Mannschaftsunterkünften davon zeugten, daß der wachfreie Teil der Stützpunktbesatzung keineswegs zu den Frühaufstehern zu rechnen war und durch die Schnarchlaute kundtat, wie intensiv die Matratzen abgehorcht wurden. Hasard und Kapitän Castillo, der sich im Stützpunkt ja auskannte, pirschten vorneweg. Auf leisen Sohlen folgten die anderen Männer der Gruppe, zuletzt am Tampen Edwin Carberry mit der Laterne des Kellerpostens. Zwar brannten vereinzelte Öllampen an den Korridorwänden, aber das war ein recht trübes Licht, so daß Carberrys Lampe durchaus richtig am Platz war und den weiten Korridor gut ausleuchtete. Er hielt sie auch mit der linken Hand - sie pirschten auf der rechten Seite entlang - über die Schulterhöhe und nach links abgewinkelt, so daß Hasard und Kapitän Castillo sehen konnten, was vor ihnen lag - oder stand wie zum Beispiel die Gestelle für die Musketen, aus denen sich die Männer natürlich bedient hatten, so daß sie jetzt alle neun bestens bestückt waren. Pulverhörner und Kugelbeutel hatten sie auch mitgehen lassen. Vor Carberry nun prallte plötzlich die Tür auf und versperrte ihm den weiteren Weg beziehungsweise den Kontakt zu seinem Vordermann Batuti. Er stand gewissermaßen allein auf weiter Flur. Aus dem Raum hinter der Tür quoll der Mief schlafender Soldaten und deren Schnarchgerassel. Nur der Soldat in der Tür, die Rechte noch auf der Klinke, schnarchte nicht, aber schlaftrunken war er noch. Er mußte wohl aufs Örtchen. So wurde er also mit Carberry konfrontiert. Es sah aus, als erlitte er einen Herzschlag. Als nächstes schien er schreien zu wollen. „Pssst!“ zischte Carberry und legte schwörend den rechten Zeigefinger auf seine Lippen.
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Gehorsam klappte der Soldat den Mund wieder zu. Wahrscheinlich war er zutiefst von Carberrys zernarbtem Gesicht beeindruckt. Carberry bemühte sich um eine freundliche Miene, trat ein paar Schritte zurück, nahm den Zeigefinger von den Lippen, krümmte ihn und winkte mit ihm den Soldaten näher zu sich heran, als habe er die Absicht, dem Kerl was ins Ohr zu flüstern. Der ließ die Klinke los und war sehr folgsam. Dabei grinste er töricht, was darauf schließen ließ, daß ihm noch nicht klar war; was die Glocke geschlagen hatte. Vielleicht nahm er an, der Narbenmann wolle im einen köstlichen Witz erzählen. Carberry lotste den Kerl also von Tür weg. Zu diesem Zeitpunkt linste Batuti, längst alarmiert von dem Geschehen hinter sich, um die geöffnete Tür herum und drückte sie leise wieder zu. Carberry, der das beobachtete, grunzte zufrieden. War doch ein Prachtkerl, dieser Riese aus Gambia. Der wußte sofort, was zu tun war. Der Rückzug war dem Soldaten abgeschnitten. Carberry setzte die Lampe vorsichtig ab, richtete sich wieder auf, nahm Maß und schickte seine Rechte auf die Reise. Dieser Hammer beförderte den Kerl in Batutis Arme, und er paßte auf, daß der Kerl nicht aus Versehen doch noch losbrüllte. Aber das war unnötig. Der Kerl schlief schon wieder. Dieses Mal tiefer als sonst, weil alles mögliche bei ihm paralysiert war. Wo der Profos einmal hingelangt hatte, da stand so schnell keiner wieder auf. Als Hasard und Kapitän Castillo zurückgehuscht waren - auch sie hatten bemerkt, daß hinter ihnen irgendetwas passiert war -, knieten Carberry und Batuti bereits bei dem Kerl und fesselten ihn. Der Profos hob den Kopf, grinste seinen Kapitän in der ihm eigenen wilden Art an und flüsterte: „Alles klar, Sir. Dieses Bürschchen hier haben wir schon versorgt. Aber vielleicht sollten wir alle Türen hier im Korridor verrammeln, damit es keinen weiteren Ärger gibt. Um diese Zeit
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könnten weitere Dons eine Dringlichkeit verspüren, sich zur Galion zu begeben.“ Der Profos drückte sich sehr gewählt aus. Er wollte andeuten, es sei damit zu rechnen, daß weitere Dons das Örtchen aufsuchen könnten. Und dieses Örtchen war an Bord der Galeonen, auch der spanischen, die Galion, die kurze Plattform etwas unterhalb der Back, von der einerseits der Bugspriet aufragte, andererseits aber auch auf der jeweiligen Leeseite die Mannen sich hinzuhocken pflegten, um ihrer Verdauung freien Spielraum zu geben. Hier war zwar keine Galion, aber Hasard wußte, was der Profos meinte. Ed Carberry hatte völlig recht. Hinzu kam, daß alle Soldaten, die zur Zeit hier im letzten Morgenschlummer lagen, eine Gefahr darstellten, die man zumindest einseitig begrenzen konnte - oder sollte. Einseitig insofern, daß die Mannschaftsunterkünfte auch Fenster hatten. Das hieß, wenn man die Türen zum Korridor verrammelte, wie Carberry vorgeschlagen hatte, dann blieb den Kerlen . immer noch der Ausbruch durch die Fenster, aber dieser Weg bedeutete Zeitverlust. Dieser Zeitverlust wiederum konnte bedeutsam und wichtig für den eigenen Ausbruch aus dem Stützpunkt sein. Also entschied Hasard, die Türen im Korridor zu blockieren. Dazu benutzten sie teilweise die Musketen in den Gestellen, deren Läufe sie schräg unter die diversen Klinken klemmten oder verkeilten. Ferner verschoben sie die Gestelle selbst vor die Türen zu den einzelnen Räumen links und rechts des Korridors, kippten sie um und verkeilten sie an der gegenüberliegenden Wand. So ganz lautlos ging das nicht ab. Sie lauschten immer wieder, aber hinter den Türen tat sich nichts. Der Morgenschlaf der Kerle war wirklich eine Gabe Gottes. Ferris Tucker, Schiffszimmermann der „Isabella“, war wieder Gold wert, weil er geschickt und schnell die jeweiligen Schwachpunkte der Türblockade erkannte und beseitigte, indem er aus den
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Musketengestellen Lattenstücke herausbrach und da und dort das Widerlager verkeilte. Sie schafften diese Arbeit in etwas mehr als einer Viertelstunde, und als sie sich – nunmehr an der Ausgangstür am Ende des Korridors angelangt - ihr Werk noch einmal grinsend betrachteten, bot sich ihnen doch ein recht beachtliches Bild. Es sah aus, als sei der Korridor von links nach rechts und von rechts nach links mit einer Art Gitterwerk verstrebt und abgestützt. Da hatten sie den Dons einen feinen Schabernack gespielt, und die würden eine Weile brauchen, um die alte Ordnung wiederherzustellen, ganz abgesehen von den Musketenständern, die zum Teil demoliert waren. Da mußten neue angefertigt werden. Ferris Tucker rieb sich zufrieden die Pranken und wäre am liebsten hier geblieben, um sich von der Brauchbarkeit ihrer Blockadearbeit zu überzeugen. Denn wenn die Dons versuchten, die Türen von innen zu öffnen, würde allerlei los sein. Ein Streich, den man ausgeheckt und zur Ausführung gebracht hat, findet ja immer erst seine Krönung, wenn man zusehen kann, wie gut er klappt. Aber Hasard öffnete bereits vorsichtig die Tür zum Appellplatz, um den sich die aus Stein erbauten Unterkünfte gruppierten. Der Offizierswohntrakt lag dem Mannschaftsgebäude gegenüber. Dort marschierte ein Soldat auf und ab, die Muskete auf dem Buckel. Wahrscheinlich hatte dieser Posten den wertvollen Schlaf des Teniente Menacho und der anderen Offizierschargen zu bewachen eine im Grunde völlig überflüssige Wache, die genauso unsinnig war wie die meisten militärischen Bräuche. Wegen eines Postens schliefen Offiziere weder besser noch schlechter. Und wenn sie auf ihre Sicherheit nicht selbst aufpassen konnten, hätten sie besser Töpfer oder Schuster werden sollen, aber nicht Offizier in der spanischen Armee. Jetzt allerdings war dieser Posten dort drüben ein Hindernis, denn wenn sie über den Appellplatz zum Tor huschten, mußte
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er sie sehen, es sei denn, er hatte verkleisterte Augen oder marschierte im Halbschlaf auf und ab. Aber darauf konnte man sich nicht verlassen. Rechts von dem Offizierstrakt verlief eine Wehrmauer, die an einem Wachturm endete. Dieser Turm bildete von Hasards Standort aus die linke Flanke des Haupttors. Rechts folgte ein gleicher Wachturm, dem sich wieder ein Stück Mauer anschloß, die bis zu den weiteren Gebäuden führte. Das Haupttor war dem. Hafen zugewandt. Es bestand aus zwei mächtigen Flügeln, die mit zwei Querbalken abgeriegelt waren. Im linken Flügel war eine kleinere Tür eingebaut, durch die man üblicherweise den Stützpunkt betrat oder verließ. Tagsüber war diese Tür offen und wurde außen von mindestens zwei Posten bewacht, die jede Person kontrollierten, die den Stützpunkt betreten wollte. Von abends acht Uhr bis morgens acht Uhr blieb die Tür. geschlossen und wurde innen von zwei Posten bewacht, die sich wiederum aus der jeweiligen Wachabteilung rekrutierten, die , für vierundzwanzig Stunden eingeteilt war und für diese Zeit ihre Unterkunft in den. beiden flankierenden Wehrtürmen bezog. In der Tür befand sich eine kleine Sichtklappe, die von innen geöffnet wurde, wenn jemand im Laufe der Nacht Einlaß in den Stützpunkt begehrte. Durch die Klappe konnte man einen solchen Besucher erst einmal in Augenschein nehmen, bevor. man ihn einließ. Das alles hatte Kapitän Castillo Hasard bereits mitgeteilt, denn das Ziel ihrer Flucht war diese Tür im Haupttor, durch die sie hofften, zum Hafen gelangen zu können. Denn dort mußte die „Isabella“ liegen, zu der sie übersetzen wollten, wenn ihnen der Ausbruch aus dem Stützpunkt geglückt war. So galt Hasards nächster Blick dem Haupttor, und da befand sich, wie Castillo vorausgesagt hatte, das zweite Hindernis, personifiziert durch die beiden Posten, welche die letzte Wache von vier bis acht übernommen hatten und zu diesem
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Zeitpunkt um etwa zwanzig Minuten nach vier noch putzmunter waren - leider. Sie linsten abwechselnd durch die Sichtklappe und schienen dort etwas zu sehen, was sie mächtig interessierte. Der Teufel mochte wissen, was es war. Aber sie schienen unschlüssig zu sein, ob sie deswegen ihren Wachführer oder gar einen Offizier wecken sollten. Weil sie so eifrig durch die Klappe spähten, drehten sie der Ausgangstür des Mannschaftsgebäudes den Rücken zu. Wenn der verdammte Posten vor dem Offizierswohntrakt nicht gewesen wäre, hätten vielleicht Hasard und Batuti lautlos und in langen Sätzen den Appellplatz überqueren können, um den beiden Posten am Haupttor zu einem Tiefschlaf zu verhelfen. Aber das war eben wegen dieses anderen Postens zu riskant. Hasard geriet ein bißchen ins Schwitzen. Denn außer diesen drei Posten wurde noch etwas von Minute zu Minute bedrohlicher, und das war das heraufziehende Tageslicht. Je später sie die Flucht nach vorn, das hieß in diesem Falle zum Haupttor, antraten, desto weniger würde sie erfolgreich sein. Natürlich hätten sie weiter hinten im Ostteil des Stützpunktes über irgendeine Mauer klettern und verschwinden können, aber das wäre der längste Weg zum Hafen gewesen. Der kürzere war der durch die Tür des Haupttors. Hasard entschied sich innerhalb von Sekunden, den Weg nach links entlang des Mannschaftsbaus zu nehmen, um den Kerl vor dem Offizierstrakt als ersten auszuschalten. Dieser Plan war insofern richtig, als diese Seite des Stützpunktes noch im Schatten lag, weil Mannschaftsbau und anschließende Stallungen sowie Schmiede und andere Werkstätten überkragende Dächer hatten, zum Teil von Pfosten abgestützt, die wiederum Deckung boten. Flüsternd verständigte er Kapitän Castillo von deiner Absicht, der neben ihn getreten war und einen schnellen Rundblick genommen hatte. Castillo nickte, wandte sich um und informierte seinen Ersten
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Offizier über das weitere Vorgehen. Der verstand und gab den Plan weiter, bis auch Carberry Bescheid wußte. Das dauerte knapp eine Minute. Sie schafften es, sich ungesehen und lautlos bis zum Offizierswohntrakt heranzupirschen, wobei sie stets jene Augenblicke ausnutzten, wenn der Posten ihnen den Rücken zudrehte, das heißt, in Richtung Haupttor marschierte. Die beiden Posten dort spähten immer noch abwechselnd durch die Klappe und waren am Palavern. Sie schienen sich uneins zu sein. Der eine winkte jedenfalls ständig ab, während der andere erregt auf ihn einredete. Hasard drückte sich hinter einen Pfosten in unmittelbarer Nähe der Tür, die in den Offizierstrakt führte. Vor dieser Tür vollzog der Posten seinen stupiden Wachgang - etwa zehn Schritte ostwärts und wieder zehn Schritte westwärts. Wenn er sich nach Westen ruckartig umgedreht hatte, wie sich das für eine soldatische Kehrtwendung gehörte, dann wandte er Hasard den Rücken zu. Hasard blickte hinter sich. Die acht Mannen seiner Gruppe waren ihm dichtauf gefolgt und kauerten, eng an die Wand des Offizierstraktes gedrückt, lauernd im Schatten. Er nickte ihnen zu, um anzudeuten, daß es jetzt soweit sei. Castillo hob die Rechte zum Zeichen, daß er verstanden hätte. Denn auch das hatten sie abgesprochen: Entweder schaffte es Hasard, den Posten auf Anhieb auszuschalten, ohne daß es die beiden anderen Kerle am Haupttor bemerkten. Ging das aber schief, dann sollten sie sofort in den Trakt stürmen und versuchen, zumindest den Teniente Menacho zu überrumpeln und als Geisel zu nehmen. Denn dieser Teniente schien hier das Kommando zu haben - mehr als der sehr windige Kommandant des Stützpunktes, Capitan Torres, der seit ihrer Gefangenennahme überhaupt nicht mehr aufgetreten war. Hasard wandte sich wieder um und konzentrierte sich auf den Posten. Der schien ihn direkt anzustarren, denn er
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marschierte fast genau auf den Stützpfosten zu. Hasard hielt die Luft an. Aber drei Schritte vor ihm vollzog der Kerl seine Kehrtwendung, marschierte jedoch nicht wieder in Richtung Haupttor, sondern verhielt, um die Muskete von der rechten auf die linke Schulter zu nehmen - ein alter Zopf, wenn die Waffe auf der einen Schulter zu lange gelastet hatte. Dann wechselte man eben die Seite - und auch das wiederum im militärisch vorgeschriebenen Ritual. Der Kerl setzte die Waffe ab, mit dem Kolben am Boden, wechselte den Griff am Lauf und ruckte die Muskete wieder hoch, um sie auf der linken Schulter zu platzieren. In diesem Moment schnellte Hasard los, erreichte den Kerl mit zwei Sätzen, schlang ihm den rechten Arm um den Hals, drückte ihm die Luft ab und zerrte ihn gleichzeitig nach links in den Schatten des Vorbaus. Das klappte gut. Aber einer der beiden Posten am Haupttor war gerade etwas zurückgetreten und blickte aus reinem Zufall dabei nach links. Was er sah, das waren zwei schräg gestellte Stulpenstiefel, die fast gespenstisch im 'Schatten des Vorbaus zum Offizierstrakt verschwanden. Alles andere war recht undeutlich. Jedoch, zwei Stulpenstiefel, die in einer derartig unmöglichen Haltung nach rechts auswanderten - das heißt, sie schlackerten willenlos über den Boden -, konnten nur zu einem Posten gehören, den eine stärkere Kraft wegzerrte. Folglich war dieser Posten vor dem Offizierstrakt nicht mehr Herr seiner Sinne. Der Posten, der dieses Bild in Bruchteilen von Sekunden sah und zu verarbeiten versuchte, tat das, was die Wachordnung vorschrieb: Er brüllte „Alarm!“, riß die Pistole aus dem Waffengurt und ballerte einen Schuß in den Himmel. Der andere Posten, der gerade durch die Klappe linste, erlitt einen Schock und stieß sich den Kopf an der oberen Klappenkante. Als er wieder beisammen war und herumfuhr, sah er, wie sein Compadre mit irren Schreien auf den Offizierstrakt
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losstürmte, die rauchende Pistole noch in der rechten Faust. Von dort huschte eine Gestalt vor, fing den Compadre ab, dem flog der Kopf samt Helm ins Genick, und schon verschwanden beide Gestalten im Schatten des Vorbaus. Einen Lidschlag später krachte eine Tür zu. Da brüllte der zweite Posten am Haupttor auch „Alarm!“, zog die Pistole und feuerte sie in den Morgenhimmel ab. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Hasards gesamte Gruppe bereits im Offizierswohntrakt - als letzter Batuti, der den ersten Alarmschreier mit einem Kinnhaken gefällt und ihn mit in den Trakt gezerrt hatte, bevor Carberry die Tür zuschlug und von innen abriegelte. Jetzt zahlte sich aus, daß Kapitän Castillo die Räumlichkeiten des Gebäudes kannte. Zusammen mit Hasard stürmte er durch einen Flur. Es ging darum, den Teniente Menacho zu schnappen, bevor der eventuell durch ein Fenster flüchtete und womöglich einen Gegenangriff in die Wege leitete. Denn draußen auf dem Appellplatz tobte bereits die Wachmannschaft herum, brüllte sich die Kehlen heiser und veranstaltete eine wilde Knallerei, deren Opfer einzig und allein ein Bastardköter wurde, den man in der Aufregung für einen herumschleichenden Feind gehalten hatte. Was wirklich passiert war, wußte man ja in diesen Augenblicken noch nicht. „Dort!“ keuchte Kapitän Castillo und deutete auf eine Tür. Hasard nahm kurz entschlossen einen Anlauf, raste wie ein Prellbock gegen die Tür, sprengte sie aus den Angeln und brach wie ein wildgewordener Stier in den Schlafraum des Teniente ein. Er erwischte den Teniente buchstäblich in letzter Sekunde, denn der hatte sich bereits aufs Fensterbrett geschwungen. Hasard konnte gerade noch seinen rechten Fuß packen und ihn festhalten. Das schaffte er auch nur im Hechtsprung, wobei er unterhalb des Fensterbretts gegen die Innenwand prallte. Aber er ließ nicht los. Sekunden später war auch Kapitän Castillo zur Stelle und hielt dem zappelnden
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Teniente eine Pistole unter die Nase, was den Kerl gleich wesentlich friedlicher stimmte. Hasard rappelte sich auf und rieb sich die schmerzende Schulter, mit der er die Tür aufgesprengt hatte. Ferris Tucker erschien in der Tür und sagte hastig: „Dieser Hundesohn soll die Wachmannschaft zurückpfeifen! Die Kerle versuchen bereits, hier in den Trakt einzudringen und die Tür aufzubrechen.“ „Vorwärts, Menacho!“ sagte Capitan Castillo scharf. „Erklären Sie Ihrem Haufen, daß er sich ins Wachlokal zurückziehen soll - oder Ihr Leben geht an diesem Morgen zu Ende. Da ich Sie für einen Schweinehund halte, plagen mich keinerlei Skrupel, Sie ins Jenseits zu befördern. Da brauche ich nur an den Gewaltmarsch zu denken, als Sie uns mit Ihrer Bande zum Steinbruch brachten und sich an uns in brutaler Willkür vergriffen.“ Er stieß dem Kerl, der jetzt schlotterte, die Pistole ins Kreuz. „Los jetzt!“ Menacho setzte sich in Bewegung. Er begriff, daß er absolut keine Chance hatte, denn seine neun ehemaligen Gefangenen hatten den Spieß umgedreht und den Offizierstrakt im Handstreich genommen. Die Chargen, die in den anderen Zimmern geschlafen hatten, befanden sich bereits „unter Verschluß“, nämlich in einem fensterlosen Raum. Dort hinein schob gerade der fürchterliche Kerl mit dem Narbengesicht den Adjutanten des Teniente, der meinte, sich ein bißchen sträuben zu müssen, dafür aber einen Tritt in den Hintern erhielt, so daß er mit Beschleunigung in den Raum flog. Da war also mit keiner Hilfe zu rechnen. Aus den Augenwinkeln sah der Teniente auch, wie der riesige Neger eine verschlossene Tür aufbrach, hinter der jemand Zeter und Mordio geschrien hatte. Und wer erschien in der Tür? Menacho schluckte und schlurfte weiter. Sein Traum, der künftige Kommandant des Stützpunktes zu sein, war verflogen und zu Ende. Lamentierend tauchte Capitan Manuel Orosco Torres auf, jener Mann, den er dort in dem Raum in Gewahrsam
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genommen hatte, um sich selbst zum Stützpunktkommandanten aufzuschwingen. Und Torres krakeelte auch sofort los, er sei an allem schuldlos, der Teniente Menacho habe ihn in übelster Weise kaltgestellt, aber er bedanke sich bei seinen Befreiern, daß sie das Ränkespiel des Teniente durchkreuzt hätten, und natürlich würde er die Engländer für diese gute Tat belohnen ... Carberry brüllte ihn an, das verdammte Maul zu halten, und Hasard entschied, Torres als zweite Geisel mitzunehmen, um den Ausbruch dennoch zu bewerkstelligen. Jetzt fragte sich nur, über welche Autorität der Teniente verfügte, oder ob es dort draußen noch so einen MöchtegernKommandanten gab, der meinte, seine große Stunde habe geschlagen. Die Gruppe langte an der Tür an, Smoky riß sie auf, und Kapitän Castillo schob den Teniente vor, die Pistole in dessen Rücken gedrückt. „Pfeifen Sie Ihre Kerle zurück, Menacho!“ zischte er ihm ins Ohr. „Oder Sie sterben in dieser Minute!“ „Zurück, Leute!“ brüllte der Teniente mit überschnappender Stimme. „Das ist ein Befehl! Wenn er mißachtet wird, bin ich ein toter Mann! Und ihr werdet auch das Leben von Capitan Torres auf dem Gewissen haben!“ Etwa zwölf Soldaten befanden sich vor dem Offizierstrakt, einen Rammbock in den Fäusten. Es waren die Kerle der Wachmannschaft. Sie hatten Glotzaugen und offene Münder und sahen nicht mehr sehr entschlußfreudig aus. „Sie sollen die Tür im Haupttor öffnen!“ sagte Kapitän Castillo scharf. „Und ihre Waffen wegwerfen!“ „Werft die Waffen weg, Leute!“ Die Stimme des Teniente klang schrill. „Öffnet die Tür im Haupttor! Mein Leben und das von Capitan Torres ist in höchster Gefahr! Das seht ihr doch!“ Hasard hatte auch Capitan Torres vorgeschoben und drückte ihm ebenfalls eine Pistole ins Kreuz.
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Sie reagierten wie Marionetten, ließen den Rammbock fallen und entledigten sich hastig ihrer Waffen. Vier Mann liefen zum Haupttor, entriegelten die Tür und schlossen sie auf. „Sie sollen sich alle ins Wachlokal zurückziehen!“ befahl Kapitän Castillo. „Wir verlassen jetzt den Stützpunkt und nehmen Sie und Torres als Geiseln mit. Sollte ein Befreiungsversuch unternommen werden, ist Ihrer beider Leben keinen Pfifferling mehr wert.“ Gehetzt schrie der Teniente die Anordnungen heraus. Er entpuppte sich keineswegs als starker Mann. So brutal und herrisch er sich den Gefangenen gegenüber gezeigt hatte, so erbärmlich war sein jetziges Verhalten. Er zitterte um sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes, denn er bibberte am ganzen Körper, der Schweiß lief ihm in Strömen über das Holzhackergesicht, und es fehlte nur noch, daß er sich in die Hosen machte. Dem Kommandanten erging es ähnlich, zumal er vom Regen in die Traufe geraten war. Er war ebenfalls am Bibbern, brachte es aber fertig, einen zweiten Bestechungsversuch zu unternehmen. Über die Schulter flüsterte er Hasard zu: „Senor, ich biete Ihnen fünfhundert Golddublonen, wenn Sie mich laufen lassen.“ „Abgelehnt“, sagte Hasard knapp. „Sie scheinen ziemlich naiv zu sein, Torres.“ „Tausend Golddublonen, Senor Killigrew ...“ Hasard drückte mit der Pistole stärker zu. „Vorwärts, Freundchen! Wir unternehmen jetzt einen kleinen Spaziergang zum Hafen.“ „Ich will aber nicht“, winselte Capitan Torres. „Gut“, sagte Hasard kalt, „dann bleiben Sie eben hier, aber mit einem Loch im Kopf!“ Torres zuckte zusammen und marschierte los. Sie mußten sich beeilen, denn bereits vor Minuten bei der Knallerei auf dem Appellplatz waren die Kerle in den einzelnen Unterkünften im Mannschaftsgebäude rebellisch geworden,
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und es war nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Soldaten hier auftauchten. Aber zunächst schienen sie noch mit ihren verbarrikadierten Türen beschäftigt zu sein und brüllten herum, man solle sie öffnen. Hasard winkte Dan O'Flynn zu sich und sagte: „Übernimm den Kerl, Dan. Ich kümmere mich um unsere Rückendeckung, falls uns die Kerle verfolgen sollten.“ Die Wachmannschaft war im linken Turm verschwunden. Hasard schlug die Tür dort zu und verriegelte sie von außen. Dann schlüpfte er als letzter durch die Tür des Haupttors und schloß sie von außen ab. Den Schlüssel warf er seitwärts in ein Gebüsch. Dann folgte er seinen Mannen. Sie eilten im Laufschritt zum Hafen - und dort traf sie fast der Schlag, als sie sahen, in welcher Situation sich die „Isabella“ befand. „Teufel!“ fauchte Hasard. ..Das sieht böse aus!“ 4. Ramon Firuso de Fernández, Generalkapitän und Vollstrecker eines Mordauftrages, stand in Siegerpose am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks der „Vencedor“. Wenn kleine Leute gerne groß sein wollen, neigen sie dazu, sich in Positur zu setzen. So tat es auch der Generalkapitän, der eine Größe von etwa fünf Fuß aufzuweisen hatte. Er hatte das Kinn vorgereckt, um allen kundzutun, daß er von eiserner Härte beseelt sei. Zum Zeichen seiner Überlegenheit wippte er lässig auf den Fußballen. Die rechte Hand hatte er zwischen Brust und Bauch in den Uniformrock geschoben - eine Pose, die er einmal bei einem General während eines Scharmützels gesehen hatte und unerhört beeindruckend fand. Darum nahm er sie in einem so erhebenden Augenblick wie diesem auch ein. Mit der linken Hand beschrieb er eine großartige Geste zum Hafen und der „Isabella“ und sagte zu seinem Ersten Offizier: „Sie sehen, Gozálbez, man muß die richtige Nase haben, wenn man den
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Feind aufspüren will. Ich wußte genau, daß sich dieser englische Bastard hier im Hafen verkriechen würde. Solche Burschen stellen sich nicht den Stürmen draußen auf See - wie wir das tun. O nein! Die kneifen den Schwanz ein und schleichen sich in die nächste schützende Bucht. Nur weil mir diese Verhaltensweise klar war, konnte es uns gelingen, den Feind hier im Hafen von Flores überraschend zu stellen.“ Jorge Aurelio Gozálbez war ein phantasieloser Mensch, aber nicht dumm genug, die Behauptungen seines bramarbasierenden Generalkapitäns für bare Münze zu nehmen. Sie waren aus reinem Zufall hier auf den Engländer gestoßen, denn de Fernández war viel zu überrascht gewesen, als der Ausguck die schlanke englische Galeone im Hafen gemeldet hatte. Außerdem: Wenn man sich die zerschossenen Küstenbatterien betrachtete, dann hatte der Engländer hier nicht vor irgendwelchen Stürmen Schutz gesucht, sondern mit Erfolg seine Kanonen sprechen lassen, und daß er dieses Metier bis zur höchsten Vollendung beherrschte, hatte er ja bewiesen, als der Generalkapitän in so unverständlicher Absicht seinen Verband angegriffen hatte - und die „Confianza“ auf so mysteriöse Weise gesunken war. Im Gegensatz zu seinem prahlerischen Generalkapitän vertrat Gozálbez die Ansicht, daß diese Engländer keineswegs den Schwanz einkniffen, sondern ganz verteufelte Kerle waren und vor einem Sturm bestimmt nicht Reißaus nahmen. Die nicht! Und wo waren die anderen Schiffe, die zu dem Verband des Engländers gehörten? Gozálbez, der Mann ohne Phantasie, der nüchterne Offizier, der stets und immer seine Pflicht tat, fühlte sich ganz im Gegensatz zu seinem Generalkapitän recht unbehaglich - auch wenn sich diese englische Dreimastgaleone dort im Hafen wie auf einem Präsentierteller den Geschützen der „Vencedor“ darbot. „Paßt Ihnen etwas nicht?“ fuhr ihn der Generalkapitän an, dem das Schweigen
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und die Miene des Ersten Offiziers nicht entgangen waren. „Sie haben wohl Angst, Gozálbez, oder was ist mit Ihnen los?“ Der Erste zuckte unmerklich zusammen und erwiderte nicht ohne Schärfe: „Die Küstenbatterien sind zerschossen, Senor Generalkapitän. Vielleicht haben Sie das noch nicht bemerkt. Außerdem liegt der Engländer völlig ungeschoren dort im Hafen, was den Schluß zuläßt, daß der Stützpunkt ausgeschaltet wurde. Jedenfalls herrscht dort Grabesruhe. Was hat das zu bedeuten? Das ging mir soeben durch den Kopf. Angst habe ich nicht, Senor Generalkapitän, aber dafür denke ich nach.“ „Sie haben nicht zu denken, sondern zu gehorchen!“ wurde der Erste von seinem Generalkapitän angepfiffen. „Das Denken können Sie getrost mir überlassen, mein Lieber. Sie sind in letzter Zeit überhaupt ziemlich aufsässig und nehmen sich Unverschämtheiten heraus, die ich nicht zu dulden gewillt bin.“ „Senor Generalkapitän“, sagte der Erste steif und um eine korrekte Haltung bemüht, „ich gestatte mir, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie mich fragten, was mit mir los sei. Darauf habe ich geantwortet, nicht mehr und nicht weniger. Aber ich füge noch einmal hinzu, daß Sie nicht das Recht haben, mir Feigheit vorzuwerfen.“ „Ich werde dafür sorgen“, brüllte der Generalkapitän, „daß das Flottenkommando von Ihrer Insubordination erfährt! Sie werden noch froh sein, wenn Sie als Ruderknecht Dienst tun dürfen, Mann! Ein Nichts sind Sie! Ein Dreck! Ein Kümmerling, auf den die spanische Flotte verzichten kann! Verstanden?“ „Sie brüllen ja laut genug“, sagte der Erste Offizier und fügte lauernd hinzu: „Sollte das alles vor dem Kriegsgericht verhandelt werden, dann könnte sein, daß ich auch über die sehr merkwürdige Versenkung der ,Confianza` Bericht erstatte. Es sei denn, in der spanischen Flotte ist es üblich geworden, daß sich unsere Schiffe in Gefechten gegenseitig versenken. Dann
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allerdings würde ich mich weigern, auch als Ruderknecht in einer solchen Flotte Dienst zu tun!“ Sieh an, sieh an! Dieser Erste Offizier auf einem Flaggschiff der spanischen Flotte, ein farbloser Mensch, dessen Gaben vielleicht nie ausreichten, ihn zum Flottenführer oder Geschwaderkommodore aufsteigen zu lassen, dieser Mensch zeigte auf einmal Rückgrat - und vertrat einen Standpunkt der Ehre. Von solchen Überlegungen war der Generalkapitän de Fernández um Sternstunden entfernt. Er hätte auch nie verstanden. Er verstand nur. daß hier ein Mann - ein kleiner Erster Offizier, ein „Kümmerling“, wie er ihn genannt hatte zu einer Gefahr zu werden drohte. Denn eins hatten sich die Auftraggeber bei Hofe ausbedungen: Es dürfen niemals Zweifel auftauchen, daß Kapitän Castillo gewaltsam vom Leben zum Tode befördert wurde. Sein Tod muß ganz natürlich sein zum Beispiel während eines Gefechts. Dann könne man posthum auch noch sagen, er sei einen heldenhaften Tod gestorben, einen Tod fürs Vaterland! Ja, so hatten sie gesagt. Und jetzt wagte dieser mistige Kläffer von Erster Offizier, ihm, dem Generalkapitän, zu drohen, er werde dem Flottenkommando über die Versenkung der „Confianza“ Bericht erstatten! Im ersten Moment wollte der Generalkapitän explodieren, aber da fiel ihm jäh ein, daß es mit diesem Kerl eine viel elegantere Lösung gab, eine Lösung ä la Castillo, nicht wahr? Vielleicht konnte man ihm während eines Gefechts eine Kugel durch den Kopf jagen, unauffällig natürlich. Oder man stieß ihn außenbords beim nächsten Sturm. Jedenfalls mußte der Kerl weg, das stand fest. Sonst war die eigene Laufbahn gefährdet - der Admiralsrang, den gewisse Freunde bei Hofe durchsetzen wollten, wenn der Idiot Castillo von der Bildfläche für immer verschwand. Aus diesem Grunde verzog der Generalkapitän sein Gesicht zu einem wohlwollenden Lächeln, klopfte seinem
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Ersten vertraulich auf die Schulter und sagte: „Was streiten wir uns, mein guter Gozálbez! Sie haben Ihre Bedenken wegen des Engländers geäußert, und ich gestehe unumwunden, daß Sie scharf beobachtet haben. Aber er sitzt in der Falle.“ Er reckte wieder das Kinn vor. „Und wir werden ihn in Stücke schießen - jetzt und sofort!“ „Alle Geschütze an Steuerbord sind feuerbereit“, sagte der Erste Offizier gepreßt. „Dann .. . Der Feuerbefehl des Generalkapitäns wurde unterbrochen. Der Ausguck aus dem Großmars brüllte: „Deck! Fünf Schiffe westwärts! Haben Kurs auf Flores!“ Da war es vorbei mit dem großen Auftritt eines Siegers. Er hatte auch nicht mehr die rechte Hand im Uniformrock. Er starrte zum Mars hoch und schnappte dabei nach Luft. Der Senor Generalkapitän geruhten, außer Fassung zu sein, total außer Fassung. „Nein!“ kreischte er. „Nein! Das stimmt nicht! Was sehen Sie genau?“ „Fünf Schiffe!“ brüllte der Ausguck. „Vorneweg zwei Viermaster!“ Der Generalkapitän erbleichte und klammerte sich an die Hoffnung der Schwachen, sich verhört zu haben. „Viermaster?“ flüsterte er. „Der Ausguck muß sich verzählt haben!“ Der Erste Offizier schrie zum Ausguck hoch, die Masten der beiden vorderen Schiffe noch einmal nachzuzählen. „Vier Masten!“ brüllte der Ausguck. „Das sind die Schiffe, mit denen wir das Gefecht hatten!“ Der Generalkapitän schrumpfte zusammen und wurde noch kleiner als fünf Fuß. Es sah aus, als sacke eine unnatürlich aufgeblasene Schweinshaut in sich zusammen. Für Momente war der Senor Generalkapitän weder von eiserner Härte beseelt, noch wippte er lässig auf den Fußballen. Er war gewissermaßen ohne Pose und ziemlich nackt. Und weil nunmehr die Zeituhr tickte – fünf Schiffe gegen eine spanische Kriegsgaleone! -, sagte der Erste Offizier mit einer etwas dumpfen Stimme: „Wir sollten sofort die Segel aus dem Gei
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nehmen und nordwärts oder südwärts Flores verlassen. Jede Minute ist kostbar, Senor Generalkapitän!“ Der Generalkapitän schien aus einem Alptraum zu erwachen. Er fuhr auf, als habe ihn jemand gepiekt, und brüllte: „Nein! Erst wird dieser Hund von Engländer versenkt!“ Und er stürzte an die Querbalustrade des Achterdecks und schrie: „Feuer! Feuer frei auf den Engländer! Bohrt ihn in den Grund! Schießt! Versenkt ihn ...!“ Er war am Gurgeln, seine Hände umkrampften den. Handlauf der Querbalustrade, seine Augen traten aus den Höhlen. Er sah sehr irre aus, der Generalkapitän. Die Ladennummern, Richtschützen und Batterieführer starrten irritiert zu ihm hoch, murmelten ihr „Verstanden“, wandten sich ihren Stücken zu und peilten noch einmal die Dreimastgaleone an, die vor der Kaimauer im Hafen verankert war. Sie peilten zu lange. Und auch der Generalkapitän, der seinen Sieg hatte auskosten wollen, hatte mit seinem Feuerbefehl zu lange gewartet. Auf der Backbordseite der englischen Galeone blühten schlagartig grellrote Blumen auf, und da orgelten auch schon Tod und Verderben auf die „Vencedor“ zu. Und die englische Galeone verschwand hinter einer Wand von Pulverqualm, als zöge sie sich hinter eine Tarnung zurück. Sie schossen zurück, die Spanier, aber nur vereinzelt und ungenau. Denn vor ihnen gischteten Wasserfontänen hoch und überschütteten die Steuerbordseite, und drei, vier Kugeln fegten mit berstenden Geräuschen durchs Schanzkeid, Holzsplitter sirrten über die Decks, eine Kanone überschlug sich und rutschte nach Backbord, wo sie zwei Männer am Schanzkleid zerquetschte. An der Kanone unterhalb der Back flog das Kupferbecken mit der glühenden Holzkohle um, die Glut spritzte nach allen Seiten weg, entzündete zwei Kartuschen, jagte sie in die Luft in zwei grellen Stichflammen, und damit war der Beschuß auf den Engländer auch schon beendet.
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Auf der „Vencedor“ hatten sie alle Hände voll zu tun, um mit diesen Treffern klarzukommen. Verwundete brüllten, Brand schwelte auf, die Sicht zum Gegner war verdeckt, denn jetzt zogen die eigenen Pulverwolken in Richtung des Hafens, und der Erste Offizier schrie, man möge die verdammten Segel aus dem' Gei hängen und Brassen und Schoten wahrnehmen. Das waren Minuten der absoluten Wuhling, die auch davon nicht entwirrt wurde, daß der Generalkapitän wie ein Tobsüchtiger auf dem Achterdeck herumhüpfte und kreischte, der Engländer müsse versenkt werden. Er wurde erst wieder nüchtern, als eine verspätete Kugel der englischen Galeone achtern das Steuerbordschanzkleid durchbrach, dicht vor seinen Stiefelspitzen nach Backbord sauste, dort gegen das Schanzkleid prallte, etwas hochsprang und rauchend zurückrollte - auf ihn zu. Er verpaßte diesem rollenden, rauchenden Ding einen Tritt, prellte sich dabei den Fuß, und das brachte ihn letztlich in die rauhe Wirklichkeit zurück. Und so wiederholte er brüllend alle Befehle, die sein Erster Offizier bereits gegeben hatte. Nur wäre der Erste Offizier gern auf Südkurs gegangen, während er dem Rudergänger zuschrie, Kurs nach Norden zu steuern. Über Steuerbordbug nahm die „Vencedor“ Fahrt auf - sehr betulich, weil auch die Segel keineswegs schnell aus dem Gei fielen. Mit Mühe und Not schaffte es der Rudergänger, an der Nordmole der Hafeneinfahrt vorbeizuschleichen. Da fehlten knappe zwei Jollenlängen, und sie wäre aufgebrummt. Von der englischen Galeone klang ein Kampfruf herüber, ein dreisilbiges Wort, das sie nicht verstanden. Aber daß es Hohn und Spott enthielt, das war nicht zu überhören. Und wilder Trotz schwang in diesem Kampfruf mit. Da kroch so manchem Spanier ein kalter Schauer über den Rücken. Auf dem Achterdeck brüllte der Generalkapitän weiter herum, und die
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Zielscheibe seiner Wut war wieder einmal der Erste Offizier. „Sie Versager!“ schrie er. „Warum haben Sie nicht früher schießen lassen ...“ „Sie haben den Feuerbefehl gegeben, nicht ich!“ sagte der Erste Offizier wütend. „Interessiert mich nicht!“ tobte der Generalkapitän. „Sie haben mich mit Ihrem dummen Gefasel über zerschossene Küstenbatterien aufgehalten und abgelenkt! Aber dafür werden Sie büßen. Das verspreche ich Ihnen. Das Kriegsgericht wird sich mit Ihnen befassen, denn Sie haben verhindert, daß der Engländer versenkt wurde. Ein Verräter sind Sie! Sie paktieren mit dem Feind! Das habe ich jetzt erkannt! Ständig haben Sie meine Befehle unterlaufen und Sabotage betrieben. Aber ich habe Sie entlarvt, ich, Ramón Firuso de Fernández, Generalkapitän und Geschwaderführer in der königlich-spanischen Flotte!“ Und er klopfte sich auf die Brust, der Senor Generalkapitän, um zu betonen, was er für ein wichtiger Mann sei. Was er da allerdings von sich gegeben hatte, war an den Haaren herbeigezogen und hanebüchener Unsinn. Es war ein Wunder, daß sein Erster Offizier auch jetzt noch korrekt blieb, aber Gozálbez hatte in diesen Momenten erkannt, daß der .Generalkapitän offenbar nicht mehr ganz normal war. Ein solcher Mensch war gefährlich. Fast kühl sagte er: „Ich erwarte Ihre Befehle, Senor Generalkapitän. Im Westen zieht eine dunkle Wand hoch, außerdem ist der Wind stärker geworden, so daß die Gefahr besteht, daß wir auf Legerwall geraten ...“ „Wollen Sie mich belehren?“ fauchte der Generalkapitän. „Ich weiß selbst, was ich zu tun habe!“ „Bitte sehr.“ Der Erste Offizier zuckte mit den Schultern. „Ich erwarte immer noch Ihre Befehle – allerdings nicht in der Absicht, sie zu unterlaufen oder zu sabotieren, wie Sie mir das unterstellen.“ „Ich verbitte mir Ihre unverschämten Bemerkungen!“ brüllte der Generalkapitän.
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In diesem Moment fuhr eine Bö in die Segel, und die „Vencedor“ legte sich fast bis zum Schanzkleid nach Lee. Der Generalkapitän ruderte mit den Armen durch die Luft, konnte sich nicht mehr halten und sauste gegen das Steuerbordschanzkleid. Da er ein kleiner Mann war, wurde er dort sicher, wenn auch schmerzhaft gebremst und abgefangen. „Anluven!“ brüllte der Erste Offizier zum Rudergänger hinüber. Gleichzeitig sprang er zur Querbalustrade und schrie zur Kuhl: “Bootsmann! Lassen Sie Manntaue spannen und die Luken verschalken! Lassen Sie auch die SteuerbordGeschützpforten schließen und die Kanonen mit zusätzlichen Brocktauen sichern! Beeilung! Wahrscheinlich müssen wir noch Segel wegnehmen!” Der Bootsmann zeigte verstanden und trieb die Männer an, die bisher damit beschäftigt gewesen waren, die Gefechtsschäden zu beheben und die Kanone, die sich überschlagen hatte, auf ihren alten Platz zurückzuwuchten. Die beiden Toten waren bereits unter Deck gebracht worden, wo sie der Segelmacher in Segeltuch einnähen sollte. Die Segel wurden nachgetrimmt und dichtergeholt, weil der Erste Offizier an den Wind ging, um für die „Vencedor“ Luvraum zu gewinnen. Sie mußten weg von der Küste an Steuerbord, wenn sie nicht auf Legerwall geraten wollten. Das paßte nun wiederum dem Generalkapitän nicht. Er hatte sich aufgerappelt und brüllte den Rudergänger an: „Abfallen und in Sichtweite der Küste bleiben!“ Der Erste Offizier fuhr herum und schrie: „Wir brauchen Luv, Senor Generalkapitän:“ „Hier bestimme ich, was wir brauchen!“ schrie der Generalkapitän. „Und ich bestimme, daß wir Kurs Nord segeln und an der. Küste bleiben!“ „Das ist Wahnsinn!“ stieß der Erste Offizier hervor. „Nein, taktisches Kalkül“, belehrte ihn der Generalkapitän, ohne weiter auf die „Insubordination“ einzugehen, die in der
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Äußerung des Ersten Offiziers enthalten war. „Der Gegner verfolgt uns, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.“ Und mit triumphierender Stimme fügte der Generalkapitän hinzu: „Ich setze alles auf eine Karte! Wir müssen die Nordspitze von Flores erreicht haben, bevor der Sturm losbricht. Aber zu diesem Zeitpunkt wird der Gegner noch hinter uns sein. Wenn ihn der Sturm mit seiner vollen Gewalt trifft, wird er auf Legerwall geraten - nicht wir, denn wir haben die Nordspitze bereits gerundet und dann im Osten soviel Leerraum, daß wir tagelang vor Topp und Takel lenzen können. Der Gegner aber wird zwischen den Klippen zerschellen! Eine vernichtende Niederlage, die ich, Generalkapitän de Fernandez, in strategischer Vollkommenheit bewirkt habe!“ Und der Generalkapitän klopfte sich zum zweiten Male auf die Brust. Der Erste Offizier schluckte und gab's auf, über die „strategische Vollkommenheit“ seines Generalkapitäns einen Disput anzufangen. Dessen Plan barg unkalkulierbare Risiken, auf die sich ein verantwortungsbewußter Schiffsführer niemals einlassen durfte. Der Sturm brauchte nur früher einzusetzen, und schon befand sich die „Vencedor“ in der gleichen Situation wie der ihm folgende Gegner. Dem Sturm war es gleichgültig, 'wen er zwischen die Klippen der Leeküste fegte, einen Engländer oder einen Spanier. Und was war, wenn einer der Gegner auflief und der „Vencedor“ ein paar Treffer verpaßte, die ausreichten, um ihr die Manövrierfähigkeit zu nehmen? Dann war sie im Sturm erst recht verloren! Der Erste Offizier biß sich auf die Lippen und spähte achteraus. Was er dort sah, bestätigte seine schlimmsten Vermutungen. Ein Schiff aus dem Fünfer-Verband hatte sich gelöst und die Verfolgung der „Vencedor“ aufgenommen ein Viermaster! Jenes Schiff, das von einer schlanken, schwarzhaarigen Frau geführt wurde, die mit ihrer Crew bereits beim Gefecht und dem späteren Sturm gezeigt hatte, daß sie weder Tod noch Teufel
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fürchtete, ganz abgesehen davon, daß sie ihr seemännisches Handwerk vollendet beherrschte. Und schon jetzt holte dieser Viermaster auf, obwohl er höher am Wind .segelte als die „Vencedor“. Er würde von Backbord achteraus in Luv auflaufen! Da hatte er die denkbar günstigste Position, denn die „Vencedor“ konnte nicht nach Lee. ausweichen. Dort war noch die Westküste von Flores. Nicht der Gegner, der in Luv blieb, würde zwischen die Klippen gedrückt werden, wenn der Sturm losbrach, sondern die „Vencedor!“ Ramon Firuso de Fernández, von sich selbst überzeugter Taktiker und Stratege, war ein hirnloser Narr oder ein skrupelloser Vabanquespieler, aber wahrscheinlich war er beides, denn das eine schloß das andere nicht aus. Ich sollte beten, dachte der Erste Offizier erschüttert. Aber er hatte Zweifel, ob der Herr im Himmel dieses Gebet erhören würde. Man sagte von ihm ja, er beschütze die Gerechten, die Tapferen, die Guten, jene, die ehrlichen Herzens seien. Jorge Aurelio Gozálbez hätte nicht behaupten können, jemals bei seinem Generalkapitän solche Eigenschaften bemerkt zu haben. Ganz im Gegenteil, wobei die Sache mit der „Confianza“ zum Himmel stank. Der Herr dort oben hatte den Gestank sicherlich wahrgenommen. Und darum schlug er den Generalkapitän mit Blindheit. Der Wind hatte noch weiter zugelegt und pfiff durch das Rigg, dessen Luvteile jetzt wie zu straff gespannte Saiten waren. Ein wahnsinniger Druck lastete auf den Stagen, Wanten und Pardunen, auf Brassen und Schoten. Und der Druck würde noch stärker werden, so stark, daß sich auch Masten und Rahen wie Peitschen durchbiegen würden - bis hin zur letzten Zerreißprobe, zum berstenden Knall, der die Zerstörung dessen einleitete, was menschlicher Geist erdacht und kunstfertige Hände zusammengefügt hatten. Und der Tod würde mit seiner Sense ausholen.
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Das Licht an diesem Morgen war gespenstisch, seit die dunkle Wand im Westen höher und höher stieg. Im Osten schien sich die Helligkeit gegen das Dunkel zu stemmen. Das gab die bizarren Farben. Wogen stürmten und rollten von Westen heran. Sie waren dunkelgrün bis schwarz. Wo sie überkippten, leuchtete Weiß auf. Das Weiß tanzte auch auf den Kämmen in nie endender Bewegung, denn wo es erstarb, schäumte neuer Gischt auf, sprühte in Helligkeit, erlosch wieder. Licht und Dunkel bekämpften sich. In zuckenden Reflexen huschten sie über das Wasser, gleißend hell und dann wieder schwarz, gläsern oder massig. Als die ersten Schaumflocken ostwärts über das Wasser flogen und davon kündeten, daß die Kräfte des Windes weiter zugenommen hatten, begann die Treibjagd. Unter vollen Segeln, nach Steuerbord überliegend, rückte der Viermaster, dessen Name „Roter Drache“ lautete, in Luv, Backbord achteraus, immer weiter auf, unaufhaltsam, drohend, lauernd, bereit, mit seinen Pranken zuzuschlagen. Denn seine Stückpforten auf der Steuerbordseite waren offen. Fast alle Männer auf der „Vencedor“ bekreuzigten sich. Und der Generalkapitän? Er hatte die Schultern eingezogen. Und den Männern, die zum Achterdeck hochschauten, fiel auf, daß er wie gehetzt nach Backbord achteraus und wieder nach vorne schaute. Immer wieder. Und er hatte flackernde Augen, soweit sie das zu erkennen vermochten. So sahen Menschen aus, die auf glühenden Kohlen standen. Oder Menschen, denen das schlechte Gewissen bis in die Kehle schlug und die Augen irrlichtern ließ. 5. Es war Big Old Shane gewesen, der den alten Schlachtruf der Seewölfe angestimmt hatte. Ja, sie durften triumphieren, die Arwenacks, sie hatten allen Grund dazu.
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Nach menschlichem Ermessen war ihr Schicksal besiegelt gewesen, wobei sie allerdings nichts daran gehindert hätte, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Aber der Gegner hatte zu lange gezögert oder er war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Zudem hatte Ben Brighton eiserne Nerven bewiesen. Er war ein Stück in die Besanwanten an Backbord hochgestiegen und hatte durch den Kieker den Generalkapitän auf dem Achterdeck der „Vencedor“ beobachtet. Du mußt, hatte er sich gesagt, deinen Feuerbefehl um entscheidende Augenblicke früher geben als dein Gegner. Wenn du dabei Glück hast und Treffer erzielst, verwirrst du die Kerle dort drüben genau in dem Moment, in dem sie selbst feuern wollen. Wenn du das erreichst, verminderst du ihre Trefferchancen und versteckst dich gleichzeitig in deinem eigenen Pulverqualm. An diese Taktik hatte sich Ben Brighton gehalten, nur war er ebenso überrascht gewesen, als er erkannte, warum der Generalkapitän plötzlich so erregt geworden war. Von Westen segelten fünf Schiffe heran! Ihre Silhouetten waren Ben Brighton zu vertraut, um sich zu täuschen, vor allem waren die beiden Viermaster unverwechselbar. Der Erste Offizier Philip Hasard Killigrews ließ sich zu keinen Freudenausbrüchen hinreißen. Eiskalt beobachtete er den Generalkapitän auf dem Achterdeck des spanischen Flaggschiffs und als der zur Querbalustrade sprang, brüllte Ben Brighton: „Feuer frei!“ Er hatte im richtigen Moment reagiert und war dem Gegner um die entscheidenden Augenblicke voraus gewesen. Keine Kugel der „Vencedor“ erreichte die „Isabella“. Nur hübsche Wassersäulen stiegen an Backbord hoch, von denen der stärker gewordene Wind ein paar Sprühschleier wegriß und über die Decks verteilte. Das war alles und nicht dazu angetan, die Arwenacks zu erschüttern. Sie lachten und brüllten dann ihren Schlachtruf, als sie sahen, mit welcher
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Hektik die Dons das „Schlachtfeld“ räumten und die Flucht ergriffen, ohne weitere Schüsse auf die ..Isabella“ abzufeuern. Und sie sahen jetzt auch alle die fünf von Westen heransegelnden Schiffe, von denen bereits der „Rote Drache“ Siri-Tongs nach Norden anluvte, um die Verfolgung des spanischen Flaggschiffs aufzunehmen. Da brach der Jubel erst recht los. Ben Brighton enterte lächelnd zum Achterdeck ab, verharrte jedoch plötzlich und riß die Augen auf. Da erreichte auch eine nur zu bekannte Stimme sein Ohr, die gegen den Wind anbrüllte. „He, Mister Brighton! Sollen wir uns hier die Beine in den Bauch stehen, was, wie? Der Kapitän bittet um ein Boot, wenn's recht ist!“ Carberry! Und er stand dort auf dem Kai, die Beine gespreizt, die Fäuste in die Hüften gestemmt, das Rammkinn vorgereckt. Ja, da waren sie alle, Hasard in der Mitte. Und sie grinsten und winkten. Nur zwei Kerle grinsten und winkten nicht, die sahen eher belämmert aus, ließen die Schultern hängen und stierten auf die Pflastersteine - Capitan Torres und der Teniente Menacho! Da brandete der Jubel an Bord der „Isabella“ erneut auf. Mühelos wurde er von Carberrys Donnerstimme übertönt: „He, Mac Pellew, du verrunzelte Seegurke! Was gibt's zum Frühstück? Uns hängt der Magen in den Kniekehlen!“ „Gepfefferte Bohnensuppe!“ schrie Mac Pellew zurück. „Spezialrezept! Haben ich und der Kutscher in den knappen Stunden unserer Freizeit entwickelt!“ Carberry starrte verblüfft, drehte sich zu den anderen um und murmelte: „Was sagt der?“ „Gepfefferte Bohnensuppe“, erklärte Smoky und schmatzte bereits. „Kenn ich nicht. Was Neues, wie?“ „Scheint so, 'n Spezialrezept, hat Mac gesagt, von ihm und dem Kutscher in den knappen Stunden ihrer Freizeit entwickelt, hat er gesagt.“
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Der Profos wurde wütend. „In den knappen Stunden ihrer Freizeit! Dieser Affenarsch! Pennt sowieso den ganzen Tag und klaut dem lieben Gott die Zeit und quasselt dann von knappen Stunden ihrer Freizeit. Na, dem werd ich was flöten!“ „Was denn?“ fragte Smoky neugierig. „Den ,Isabella`-Marsch!“ knurrte der Profos. „Ist auch was Neues, wie?“ „Wirst du sehen.“ Der Profos peilte zur „Isabella“ hinüber, wo sie dabei waren, die große Jolle auszusetzen. „Das ging auch schon mal schneller“, brummelte er. „Wenn ich denen nicht was unter die Hemden blase, schlafen die im Stehen.“ „Ed!“ mahnte Hasard. „Ist doch wahr, Sir. Schau nur, was die am Fummeln sind. Kriegen den Heißtakel nicht geregelt. Seh ich von hier, daß der vertörnt ist ...“ Dann wurde er abgelenkt, weil sich Sir John von der Fockmarsrah schwang, heransegelte und im Gleitflug auf seiner Schulter landete. „Ei, da bist du ja, mein kleines Sir Jöhnchen“, flötete der Profos und war sichtlich gerührt, den alten Krakeeler wieder begrüßen zu können. Hasard, Batuti, Smoky und Dan O'Flynn waren am Grinsen. Nur Ferris Tucker nicht. Der sagte völlig perplex: „Wie nennst du dieses Sumpfhuhn? Sir Jöhnchen? Da hört sich doch alles auf! Und dann noch ‚mein kleines Sir Jöhnchen`! Dann sag doch gleich: mein kleines Jonnyleinichen, mein Zuckermäuschen, ei, ei, ei!“ Die Männer prusteten los. Carberry, dem Sir John vor lauter Herzlichkeit fast das linke Ohrläppchen abbiß, sagte verächtlich: „Da du in deinem ganzen Leben nur Umgang mit Holzwürmern gehabt hast, Mister Tucker, kannst du natürlich nicht ermessen, was Papageien für wunderbare Tiere sind, ganz abgesehen davon, daß sie fliegen und auch sprechen können. Und was kann dein Holzwurm? Überhaupt nichts - nur bohren und fressen und dabei ein Schiff zerstören. Mehr kann er nicht. Dein Holzwurm ist die letzte Scheiße!“
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„Es ist nicht mein Holzwurm!“ sagte Ferris Tucker wütend und zugleich verblüfft über die Logik des Profos'. „Und ich pflege auch keinen Umgang mit ihm. So ein Quatsch!“ „Ach nein? Hattest du nicht, mal ein Bataillon in deiner Werkstatt aufmarschieren lassen und mit ihnen Gefechtskehrtwendungen geübt? Hast du doch mal erzählt! Da warst du allerdings voll wie ein noch nicht angezapftes Bierfaß, Mister Tucker!“ „Jetzt reicht's mir- aber!“ sagte Ferris Tucker wild. Smoky schaltete sich ein und sagte: „Doch, stimmt, Ferris! Du hast uns mal erzählt, daß du mit einem Bataillon Holzwürmern exerziert hättest.“ „Red doch keinen Stuß, Mister Smoky!“ fauchte Ferris Tucker. Carberry grinste zufrieden. Dafür erboste sich Smoky. „Ich red aber keinen Stuß, verdammt noch mal! Ich weiß doch, was ich gehört habe. Matt Davies und Garry Andrews waren auch dabei! Die können das bestätigen. Du hast uns erzählt, du hättest mit einem Bataillon ...“ „Halt's Maul!“ schrie Ferris Tucker. „Dürfte ich die Gentlemen um Ruhe bitten“, sagte Hasard freundlich. „Ihr verschreckt sonst unsere beiden Gefangenen. Im übrigen, Ferris, habe ich von dieser Geschichte mit dem Bataillon auch gehört. Ich erinnere mich deswegen so genau, weil du danach, als ihr von Land zurückkehrtet, an der Gangway vorbei ins Wasser gestiegen bist. Später sagtest du, du hättest drei Gangways gesehen und nicht gewußt, welche du nehmen sollst. Wir hatten ziemliche Mühe, dich aus dem Wasser zu fischen, weil du dauernd tauchtest und erklärtest, du hättest noch eine Verabredung mit einer. Nixe. Wie hieß sie doch gleich, Ed? Weißt du's noch?“ „Melusine“, sagte Carberry und grinste von einem Ohr zum anderen. „Richtig, Melusine.“ Hasard nickte. „Ich - äh - na ja ...“ Ferris Tucker verstummte wieder, kratzte sich hinten am
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Hals, räusperte sich und scharrte mit den Füßen. „Ja? Was wolltest du sagen, Ferris?“ fragte Hasard. „Ich - äh - ich glaube, ich war damals ziemlich betrunken.“ „Ja, das stimmt“, sagte Hasard. „Nicht nur ziemlich, sondern total. Da fehlte nicht mehr viel, und du wärst bei deiner Melusine geblieben - für immer. Es war Ed Carberry, der nach dir tauchte und dich fand. Da warst du schon halb erstickt.“ Ferris Tucker blickte zu Boden und murmelte: „Hm, ich weiß.“ „Dann ist es ja gut“, sagte Hasard. „Ab mit euch in die Jolle. Paßt auf die beiden Kerle auf. Dieser Teniente wird mir zu unruhig ...“ Da raste Menacho auch schon los, stieß Smoky und Benetz, den Zweiten Offizier der gesunkenen „Confianza“ zur Seite und stürmte zum Stützpunkt zurück. „Nicht schießen!“ schrie Hasard, denn Batuti hätte reaktionsschnell wie immer die Verfolgung aufgenommen. Und dieser Riese aus Gambia, das wußten sie alle, war ein Laufwunder. Zugleich versuchte auch Capitan Torres sein Glück, war aber viel zu langsam - oder zu verbraucht, um eine Blitzaktion zu unternehmen. Dan O'Flynn packte ihn hinten am Kragen, wirbelte ihn wieder herum und verpaßte ihm eine mächtige Maulschelle, die den Capitan wie ein Ferkel aufquieken ließ. Bevor er die nächste einfing, warf er sich auf den Boden und winselte um Gnade. „Bringt ihn in die Jolle“, sagte Hasard angewidert. Das besorgten Carberry und Smoky, indem sie den Kerl mit fürchterlichen „Buh“Rufen aufscheuchten und zum Kairand trieben, wo er von Stenmark und Matt Davies, die an den Steigeisen der Kaimauer aufgeentert waren, in Empfang genommen wurde. „Ab nach unten mit dem Rübenschwein!“ knurrte Carberry. „Wenn er aufmuckt, haut ihm was aufs Maul !“
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„Aye, Mister Carberry, Sir“, sagte Matt Davies grinsend und ließ seine Hakenprothese ein bißchen blinken. Capitan Torres kriegte entsetzte Augen und sauste nach unten in die Jolle, wo Luke Morgan und Jeff Bowie zum Empfang bereit waren. Als auch Jeff Bowie seine Hakenprothese schwenkte, sank Capitan Torres mit einem Wehlaut in sich zusammen und verabschiedete sich für eine Weile von dieser Welt. „Weiß gar nicht, was den so erschreckt hat“, murmelte Jeff Bowie, der stämmige, grauäugige Mann aus Liverpool. „Dein Haken“, sagte Luke Morgan lakonisch und hievte den Capitan zwischen die Duchten. „Mein Haken?“ sagte Jeff Bowie kopfschüttelnd. „So was Dummes! Ich wollte ihn doch gar nicht erschrecken. Ich hab ihm nur zugewinkt, um ihn zu begrüßen. Diese Dons sind wirklich sehr schreckhafte Menschen.“ „Du sagst es.“ Luke Morgan peilte nach oben und war etwas nervös, weil er nicht sehen konnte, was sich auf dem Kai abspielte. Und daß sich was abspielte, hatte Hasards Ruf bewiesen, daß nicht geschossen werden sollte. Was war da los? Vorsichtshalber lockerte Luke Morgan schon mal die Pistole, die er im Gurt stecken hatte. Fast hätte er sie herausgerissen und nach oben gefeuert, als dort zuerst ein schwarzes Gesicht auftauchte. Rechtzeitig erkannte er, daß es der Mann aus Gambia war, der zu ihm hinuntergrinste, indem er sein weißes Gebiß zeigte. „Hallo, Luke!“ sagte Batuti. „Hier ist noch so einer! Ein Teniente! Leider kann er nicht mehr klettern ...“ „Laß fallen“, sagte Luke Morgan kurz angebunden. „Dann geht's schneller!“ Batutis Arm glitt nach hinten, erschien wieder mit einem Kopf, den er hinten am Kragen gepackt hatte, zog den ganzen Kerl über die Kaikante, bis dessen Füße frei in der Luft hingen - und ließ los. Luke Morgan fing den Teniente Menacho, der ebenfalls im Traumland weilte, geschickt ab und packte ihn neben den
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Capitan. Der Teniente hatte eine mächtige Beule an der Schläfe. Luke Morgan war Kenner genug, um die Ursache dieser Beule auf Batutis Faust zurückzuführen. Wo der Schwarze hinschlug, da wuchsen solche Beulen. Das war mal sicher. Batuti enterte auch sofort in die Jolle ab und bestätigte das. „Der wollte türmen“, sagte er. „Und da hast du ihn ...?“ „Da hab ich ihn“, sagte Batuti zufrieden und betrachtete seine rechte Faust. „Das ist einer von den Kerlen, die Spaß daran haben, wehrlose Männer zu piesacken.“ „Dann wäre er auch für zwei Beulen gut gewesen“, sagte Luke Morgan. „Eine genügt“, sagte Batuti und rückte zur Seite, weil Smoky und die anderen abenterten. Die große Jolle wurde ziemlich voll - zwei Gefangene, vier Rudergasten von der „Isabella“ und Hasards Gruppe. Aber sie pullten trotz des pfeifenden Gegenwindes sinnig auf die „Isabella“ zu, in deren Windschatten es dann besser ging. Carberry lud sich den Capitan auf die Schulter, als er aufenterte, und Smoky den Teniente. Minuten später wurde die Jolle auf geheißt. Zu diesem Zeitpunkt füllte Mac Pellew bereits gepfefferte Bohnensuppe in die Mucks, und Hasard beglückwünschte Ben Brighton zu dem erfolgreichen Beschuß des spanischen Flaggschiffs. „Wir dachten schon, eure letzte Stunde hätte geschlagen, Ben“, sagte er. „Aber du hast das phantastisch abgepaßt. Ich weiß nicht, ob ich die Nerven gehabt hätte, darauf zu lauern.“ „Ich hab's von dir gelernt“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Und du weißt, daß ich zwar langsam, aber gründlich lerne. Und dann sitzt es. Und ein bißchen Glück muß man auch haben.“ „Der alte bescheidene Ben!“ Hasard lachte und hieb seinem Ersten Offizier die Hand auf die Schulter, daß es nur so krachte. Da sprach auch die Erleichterung mit, die Freude, daß die Crew und die „Isabella“ unversehrt geblieben waren - wieder einmal! Aber wie lange noch?
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Aber dann zuckte Hasard zusammen, weil der Profos auf der Kuhl losröhrte. Der stand da, die Muck weit von sich gestreckt, und brüllte den wolkenzerfetzten Himmel an, als habe er dort oben irgendwo den Teufel entdeckt und fordere ihn zum Zweikampf heraus. „Was ...“, sagte Hasard fassungslos. „Das ist Macs gepfefferte Bohnensuppe“, sagte Ben Brighton hastig. „Die hat's in sich.“ Ja, das hatte sie. Smoky, Batuti, Ferris Tucker, Dan O'Flynn hüpften auch schon bereits. Nur die drei Spanier löffelten mit Genuß und schienen sich zu wundern. Die hatten wohl ausgepichtere Kehlen und Mägen. „Mac Pellew!“ brüllte Carberry. „Dir flöte ich jetzt den ,Isabella`-Marsch - huiiii!“ Mac Pellew verschwand wie der Blitz in der Kombüse. Das Schott krachte zu. Carberry schaute verdutzt, starrte auf die Muck, rührte drin herum - und löffelte weiter. Nein, er löffelte nicht, er schaufelte, und baggerte. Und zwischendurch grunzte er. Dann schmatzte er, leckte den Löffel ab, spähte zur Kombüse und sagte völlig friedlich: „Mac, hast du noch'n Nachschlag?“ Da flog das Schott wieder auf Mac erschien und sagte in seiner grämlichen Art: „Du kriegst den Hals auch nie voll genug, Mister Carberry. Aber ich hab noch was, obwohl die gepfefferte Bohnensuppe, die ich und der Kutscher in den knappen Stunden unserer Freizeit entwickelten, eine aufgewärmte Bohnensuppe ist, deren besondere Ingredienzien infolge des Erkaltens und Wiederaufwärmens eminent des Geschmacks beraubt wurden.“ Mac Pellew räusperte sich, weil ihn Carberry mit Glotzaugen anstierte, und er schon das Schlimmste befürchtete. Der Profos konnte wie ein Vulkan lostoben. Und dann war es besser, den Schutz der Kombüse aufzusuchen und das Schott zu verrammeln. Aber der Profos sagte mit. ehr gedämpfter Stimme, die keineswegs Sturm verkündete: „Mac, du redest heute morgen eine Menge Zeug, von dem ich nur die Hälfte verstehe.
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Wir haben nämlich eine lausige Nacht hinter uns. Aber deine Suppe tut mir gut. Das ist eine feine Suppe. bei der ich spüre, daß sie mich mächtig anregt, obwohl ich zuerst dachte, du hättest sie mit Brennesseljauche angesetzt. Aber das ist sie nicht. Und jetzt gib mir noch einen Schlag!“ Er empfing seinen Schlag, und auch Hasard, inzwischen neugierig geworden, löffelte die gepfefferte Bohnensuppe, nachdem er den „Anbiß“ überstanden hatte. Diese Suppe war ein Meisterwerk. Da vergaß man die überstandenen Strapazen und die Müdigkeit. Mac Pellew wurde gelobt und strahlte, das heißt, sein Miesmuschelgesicht hellte sich auf, und er brauchte auch nicht zu befürchten, daß ihm der Profos den „Isabeila“-Marsch flötete, was immer das sein mochte. Der Profos klopfte ihm auf die Schulter und sagte ohne jeden Grimm: „Ist doch gut, wenn wenigstens zwei Rübenschweine aus diesem Sauhaufen in den knappen Stunden ihrer Freizeit beigehen und sich was Feines ausdenken. Bei mir hast du jetzt einen Anschiß gut, Mister Pellew. Das gilt auch für den Kutscher, klar?“ „Danke, Mister Carberry“, sagte Mac Pellew gerührt. „Du bist wirklich ein großzügiger Mensch. Möchtest du noch einen Schlag?“ „Ich glaube, ich platze“, sagte der Profos mit satter Stimme und klopfte auf seinen Bauch. „Aber Mister O'Flynn junior hat noch so hungrige Augen. Und auch mein Freund Mister Tucker, dem ich großmütig verzeihe, daß er Sir Sohn erst ein Sumpfhuhn und dann ein Zuckermäuschen genannt hat, was er beides mitnichten ist.“ „Mitnichten“, bestätigte Mac Pellew. Alle hatten fröhliche Mienen und Augen, Dan O'Flynn und Ferris Tucker nahmen ihren Nachschlag entgegen, Plymmie, die Bordhündin, kläffte eine Möwe an, die zu tief über die Kuhl gestrichen war und jetzt erschreckt hochflatterte, und Arwenack hüpfte vor Batuti auf und ab, um kundzutun, daß er sich freue, den größen schwarzen Mann wieder an Bord zu sehen.
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Capitan Torres, ins Bewußtsein zurückgekehrt, erregte die knurrende Aufmerksamkeit Plymmies, erlitt einen neuen Schock, verdrehte die Augäpfel und fiel erneut in Ohnmacht. Es war wohl alles zuviel für ihn. Das fette Nichtstun als Stützpunktskommandant auf Flores und die unzähligen Nächte trauten Beisammenseins mit gewissen Damen, die einem zweifelhaften Beruf nachgingen, hatten ihn für solche Schicksalsschläge nicht gestählt. Hasard entschied, ihn und den Teniente Menacho in die Vorpiek zu verfrachten, wo sie Zeit haben würden, über ihre Sünden nachzudenken. Wenn alles vorbei war, würde Capitan Castillo zumindest den Stützpunktkommandanten als Zeugen dafür haben, daß ein Mordauftrag bestanden hatte. Torres hatte davon gewußt. Zur endgültigen Aufklärung dieses Bubenstücks fehlte nur noch der Generalkapitän de Fernandez, der mit seinem Flaggschiff nach Norden geflohen war und von der Roten Korsarin verfolgt wurde. Hasard ließ den Bug- und den Heckanker hieven und die Segel setzen, um den Hafen zu verlassen und zu den vier wartenden Schiffen seines Verbandes zu stoßen, die beigedreht draußen auf Reede lagen. Da wurden die Arwenacks wieder auf eine harte Probe gestellt. Ein anderer Kapitän hätte es wahrscheinlich vorgezogen, bei diesen Windverhältnissen und dem engen Fahrwasser nach draußen im sicheren Hafen zu bleiben. Aber Hasard und seine Männer wußten, was sie sich zumuten durften und wie sie ihre „Isabella“ zu handhaben hatten. Sie mußten in dem engen Fahrwasser Schlag für Schlag aufkreuzen, eine mühselige Ackerei, weil ihnen für jeden Schlag allenfalls knappe einhundertfünfzig Yards von Ufer zu Ufer zur Verfügung standen. Kaum hatte die „Isabella“ Fahrt auf dem neuen Bug aufgenommen, hieß es auch schon wieder: „Klar zur Wende!“ Hasard stand neben Pete Ballie am Ruderhaus und segelte die „Isabella“
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eiskalt bis an die äußerste Grenze des Fahrwassers, bevor er den Befehl zur nächsten Wende gab. Bei „Hart über das Ruder!“ legte Pete Ballie im Blitztempo das Ruder nach Luv, gleichzeitig wurde der Besan luvwärts geholt, um das Anluven und Durch-den-Wind-gehen zu unterstützen und zu forcieren. Drehte der Bug der „Isabella“ jetzt durch den Wind, wurden die Rahen rundgebraßt, zuerst die des Großmastes, dann erst die des Vormastes, dessen backstehende Segel nunmehr den Bug der „Isabella“ weiter herumdrückten. Dann folgte das schnelle Dichtholen der Schoten und Brassen für den Trimm hart am Wind. Das mußte wahrhaftig mit affenartiger Geschwindigkeit und immer in den richtigen Momenten geschehen, und sie arbeiteten wie die Irren an den Schoten und Brassen - Loswerfen, wieder Dichtholen und Belegen und wieder Loswerfen, ein ums andere Mal in endloser Wiederholung. Der Profos brüllte dazu seine Sprüche, und da waren mal wieder Dinger dabei, die selbst die gewissen Damen des Capitan Torres zum Kreischen gebracht hätten. Er übertrumpfte sich selbst, der Profos, und die Arwenacks hatten mit dem Dichtholen Mühe, weil Lachen und Dichtholen zwei Paar Stiefel sind. Man kann nicht lachen und gleichzeitig mit „Hau ruck!“ die Leinen durchsetzen. Aber der Klotz von Profos mit seinen urigen Kräften packte überall selbst mit an, fluchend und röhrend und tobend und so richtig in seinem Element. Mit zäher Beharrlichkeit krebste die „Isabella“ durch das Fahrwasser immer weiter westwärts, bis sie eine Stunde später die Reede erreichte, über Backbordbug an den jubelnden Mannen des Schwarzen Seglers, der „Wappen von Kolberg“, der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ vorbeisegelte, dann auf den Steuerbordbug ging und die Führung des Verbandes wieder übernahm - nordwärts, dem „Roten Drachen“ und der „Vencedor“ hinterher. 6.
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Das Wild war gestellt - noch vor der klippenreichen Nordspitze der Insel Flores und noch bevor der Sturm in voller Stärke losbrach. - Es hatte den Anschein, als spiele der Viermaster mit dem spanischen Flaggschiff Katze und Maus, denn der „Rote Drache“ wechselte in Luv beliebig seine Position, mal segelte er querab der „Vencedor“, mal voraus, mal achteraus. Aber versuchte der Generalkapitän, nach Westen durchzubrechen, wurde er mit ein paar Schüssen gestoppt und auf den alten Kurs zurückgetrieben. Das waren keine tödlichen Schüsse bewahre! Aber solche, die den Generalkapitän zwangen, von einem Durchbruch abzusehen, wenn er nicht riskieren wollte, in eine volle Breitseite zu laufen. Bei diesem Katz- und Mausspiel gab sich der Viermaster nicht die geringste Blöße. Er war eindeutig schneller und wendiger und wurde hervorragend manövriert. Nicht einen einzigen Treffer hatte er bisher eingesteckt im Gegensatz zur „Vencedor“, der gewissermaßen die Verzierungen weggeschossen wurden. Da war zum Beispiel die Galionsfigur, die allegorische Gestalt eines griechischen Heroen, behelmt und im Brustpanzer, in der Rechten ein trutziges Schwert, in der linken hochgereckten Hand einen Siegeskranz. „Vencedor“ hieß ja soviel wie ,Sieger“. Der Bursche- war ganz in Gold und sehr hübsch anzusehen. Aber nach einem der ersten Schüsse des Viermasters sah er gar nicht mehr hübsch aus, weil ihn eine Kugel geköpft hatte. Als nächstes flog der Siegeskranz davon und führte wie der Kopf noch ein kleines Tänzchen auf der wilden See auf, bis er achteraus verschwand. Dann war plötzlich das Schwert verkürzt, und es sah aus, als habe der griechische Held einen Kochlöffel in der Rechten. Solchermaßen amputiert, wirkte er keineswegs mehr wie ein „Vencedor“. Die Kerle auf dem Viermaster schienen sich einen Spaß daraus zu machen, dem
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„Vencedor“ alles mögliche abzuschießen. Auch sein Popo mußte dran glauben. Da laut spanischem Reglement für die Flotte alle Schäden nach achtern gemeldet werden mußten, erfuhr der Generalkapitän, der vom Achterdeck aus ja nicht sehen konnte, was da passierte, stückweise von der Demontage seiner Galionsfigur. Die letzte Meldung lautete kurz und trefflich: „Jetzt ist der Arsch ab !“ Wie, bitte, hätte man das sonst melden sollen, nicht wahr? Der Generalkapitän war weit davon entfernt, ein humorvoller Mensch zu sein. Er hätte ja sagen können: „Besser bei dem als bei einem von uns!“ Aber das tat er nicht. Er zersprang vor Wut und forderte den Profos auf, den Namen des Mannes zu notieren, der diese Meldung abgefaßt hatte - „zwecks späterer Bestrafung mit der Neunschwänzigen“. Zwanzig Hiebe sollte der Ärmste erhalten. Dabei hatte er eine richtige Meldung durchgegeben. In seemännischer Formulierung hätte die Meldung lauten müssen: „Jetzt ist der Achtersteven ab!“ Aber das hätte Anlaß zu einer Verwechslung geben können, denn der richtige Achtersteven war ja noch dran. Bei den Schießkünsten der Kerle des Viermasters mußte man sich allerdings fragen, für wie lange noch! Aber zwanzig Hiebe für eine richtige Meldung waren nun doch ziemlich happig. Die nächste Meldung lautete: „Galionsfigur entmannt!“ Der Generalkapitän jaulte auf, als sei er selbst getroffen, fuhr zu seinem Ersten herum und schrie ihn an: „Was, zum Teufel, bezweckt dieses schwarzhaarige Luder damit?“ „Sie will, daß wir die Flagge streichen“, erklärte der Erste Offizier kalt. Und dann fügte er ebenso kalt hinzu: „Mir scheint, sie will mit dem Zerschießen der Galionsfigur andeuten, daß sie nicht die Absicht habe, das Schiff zu versenken.“ „Sondern?“ blaffte der Generalkapitän. „Wahrscheinlich genügt ihr Ihre Person, Senor Generalkapitän“, sagte der Erste Offizier, „denn Sie sind ja verantwortlich dafür, den englischen Verband angegriffen
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zu haben, der völlig friedlich seines Weges zog und keinerlei aggressive Absichten zeigte. Ich habe Sie damals gewarnt, aber Sie betonten ja stets, daß Sie für alles die Verantwortung übernähmen.“ „Das heißt“, sagte der Generalkapitän lauernd, „Sie wollen mich diesem Weib da drüben zum Fraß vorwerfen, damit die ,Vencedor` ungeschoren bleibt?“ „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte der Erste Offizier ruhig, „sondern lediglich angedeutet, daß Sie nunmehr vor den Konsequenzen Ihrer damaligen Handlungsweise stehen - Sie, nicht wir, die wir lediglich Ihre Befehlsempfänger sind. Ich halte es nur für unbillig, das Leben unserer Männer weiter aufs Spiel zu setzen. Dieser Viermaster ist uns haushoch überlegen – in der Artillerie, in der Bauart, in der Schiffsführung. Wer das nicht sieht, ist ein Narr! Es wäre. eine Illusion, anzunehmen, man könne ihn auf die Klippen locken. Der läuft höher am Wind als wir. Seine Treffsicherheit hat er bewiesen, indem er bewußt Stück für Stück der Galionsfigur zerschossen hat. Wir haben dagegen bei ihm noch nicht einen einzigen Treffer erzielt. Das sind alles Gründe, den Tatsachen nüchtern ins Auge zu sehen. Streichen Sie die Flagge, Senor Generalkapitän, bevor es zu spät ist. Hier sind brave und tapfere Männer an Bord, wertvoll genug, um nicht sinnlos geopfert zu werden. Ich sage Ihnen das, um Ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Mein Leben ist mir dabei gleichgültig - mein Gewissen allerdings nicht.“ Der Generalkapitän schnappte nach Luft. Und dann brüllte er: ,“Profos! Dieser Mann hier“, und er deutete auf den Ersten Offizier, „ist sofort in Ketten zu legen! Sofort! Er ist der Meuterei überführt! Und ich dulde ...“ Was er duldete oder nicht duldete, spielte in dieser Sekunde keine Rolle mehr. Der Sturm schlug zu. Und noch während die Steuerbordrahen der „Vencedor” nahezu im Wasser schleiften - soweit krängte sie, getroffen vom Fausthieb der tobenden Elemente, über -, krachte die Steuerbordbreitseite des
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Viermasters und hämmerte den Tod in den aufgebäumten Rumpf des spanischen Flaggschiffs. Dort platzten vier, fünf Löcher auf - unter der Wasserlinie, von gräßlicher Größe, aber noch in der freien Luft, weil sich das Flaggschiff so weit nach Lee verneigt hatte. Aber dann richtete sie sich wieder auf, mühsam zwar, aber sie schaffte es. Sie wollte noch nicht sterben. In die Löcher jedoch, jetzt unterhalb der Wasserlinie, schossen die Wassermassen. Wer sich dort unter Deck befand, starb einen schnellen und gnädigen Tod. Die hereinbrechenden Fluten waren zu plötzlich und vehement, um noch eine Flucht nach oben zuzulassen. Aber kaum hatte sich die „Vencedor“ aufgerichtet, empfing sie den zweiten Eisenhagel, der ihr Rigg zerfetzte. Der Fockmast oberhalb des Marses flog nach Lee, als bestehe er aus dürren, spröden Ästen, die keine Kraft mehr zum Leben haben. Gleichzeitig wurde der Bug der „Vencedor“ von einem Brecher getroffen, der die Größe eines zweifachen Scheunentors hatte. Zu diesem Zeitpunkt lag der Rudergänger bewußtlos an Deck. Beim plötzlichen Überkrängen der „Vencedor“ war ihm der Kolderstock entglitten, dann aber beim Aufrichten zurückgeschnellt und ihm gegen die Schläfe geprallt - mit der Stärke und Wucht eines Huftritts. So war die „Vencedor“ steuerlos, als sie von dem Brecher am Bug getroffen wurde, wobei sowieso fraglich war, ob der Rudergänger überhaupt noch etwas hätte tun können, denn die Ereignisse überstürzten sich, auch wenn der Generalkapitän, der sich am Besanmast festklammerte, unablässig, aber völlig sinnlos ..Anluven! Anluven!“ brüllte. Da gab's nichts mehr zum Anluven. Die Kommandogewalt hatte der Sturm übernommen, der Sturm und die kochende See. Der Brecher fegte den Bug der „Vencedor“ nach Lee, als habe er von einer riesigen
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Hand eine Ohrfeige erhalten. Immerhin hatte die Galeone ja bereits riesige Wassermengen in den Räumen unter Deck. Dennoch wurde sie geradezu herumgewirbelt. Ihr Bugspriet tauchte tief in die schäumenden Wassermassen, ihr Heck raste hoch, als würde es von einer gigantischen Faust angelüftet. Die Rahen flogen kreischend herum, Sturmböen krachten in die Segel - und trieben das steuerlose Schiff auf die Leeküste zu, auf die Klippen, die nördlich des Stützpunktes wie Haifischzähne gezackt und mörderisch aus der brodelnden See ragten, bereit zum Biß. Und dieser Biß würde tödlich sein. So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Das Schicksal, das der Generalkapitän in seiner Überheblichkeit dem Viermaster zugedacht hatte, traf ihn selbst. Es war unabwendbar. In schäumender Sturmfahrt raste die „Vencedor“ auf die Klippen zu. In das Heulen des Windes und das Donnern der See mischten sich die dünnen Entsetzensschreie der Männer auf dem todgeweihten Schiff. Der Generalkapitän umklammerte immer noch den Besanmast. Wie ein Affe hing er an dem Rundholz, den Blick stier auf die Klippen gerichtet, sein Mund bewegte sich schnappend, als teile er noch Befehle aus, aber niemand nahm Notiz davon. Es war auch müßig, ihm zuzuhören, weil er weiter sein „Anluven! Anluven!“ herausgurgelte eine Steueranweisung, die bei ihm offenbar in den letzten Minuten zur fixen Idee geworden war. Daß der Kolderstock wie wild hin und her schlug und der Rudergänger bewußtlos an Deck lag, nahm der Generalkapitän nicht zur Kenntnis. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht fähig, den Realitäten ins Auge zu sehen. Angesichts der sich anbahnenden Katastrophe wuchs dieser Mann nicht über sich hinaus, sondern schrumpfte zusammen. Nicht sein Erster Offizier war ein Versager, sondern er selbst. Jorge Aurelio Gozálbez war indessen zur Kuhl hinunter gegsprungen und handelte, das heißt, er leitete Rettungsmaßnahmen ein. Vielleicht schafften sie es, die Jolle zu
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Wasser zu bringen - falls sich die „Vencedor“ zwischen. den Klippen festrannte. Diese Möglichkeit bestand immerhin, auch wenn die Chance dafür nur minimal war. Sie ähnelte dem Strohhalm, nach dem ein Ertrinkender greift. Ferner ließ er sämtliche erreichbaren Schotten ausheben und die Grätings von den Luken entfernen. Sie würden als Rettungsflöße dienen. Alles verfügbare Material, das geeignet war, sich im Wasser daran festzuklammern, wurde zur Kuhl gemannt. In Erwartung des unabänderlichen Schiffbruchs blieb der Erste Offizier ruhig und gelassen und erteilte seine knappen Befehle, als gelte es, ein ganz normales Manöver auszuführen. Sein Beispiel und seine Haltung verfehlten keineswegs ihre Wirkung auf die Männer. Sie schüttelten ihre Panik und ihr Entsetzen ab und packten zu. Schon daß sich ein Offizier um ihre Rettung kümmerte, gab ihnen neuen Mut. Nie war Jorge Aurelio Gozálbez irgendwie besonders aufgefallen. In den Beurteilungen seiner Vorgesetzten stand zu lesen, er sei ein nüchterner, korrekter Mann, etwas phantasielos, aber stets darauf bedacht, seine Pflicht zu tun. Hier tat er mehr als seine Pflicht - so man die Sorge für das Schiffsvolk als Pflicht bezeichnet, denn es war durchaus nicht selbstverständlich, daß sich ein Offizier der spanischen Flotte um das Wohl und Wehe der Männer vorm Mast zu kümmern hatte. Dazu war der Abstand der Schiffsführung auf dem Achterdeck zu den Leuten - auch „Gesindel“ oder „Pöbel“ genannt - im Vordeck viel zu groß. Menschen waren ja billig, vor allem Menschen, die nicht den Vorzug gehabt hatten, adelig geboren worden zu sein. Daß dieser „Vorzug“ rein zufällig war, hatte damit nichts zu tun. Immerhin schaffte es der Erste Offizier in der knappen Zeit, die ihm noch blieb, bis die „Vencedor“ zwischen die Klippen gefegt wurde, Luken, Balken, Grätings und Schotten auf der Kuhl zusammentragen zu lassen. Und die Jolle war so weit
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vorbereitet, daß sie ausgeschwenkt und abgefiert werden konnte. Er hatte getan, was in seinen Kräften stand und die Galgenfrist genutzt, während der Generalkapitän weiter den Besanmast umarmte und sein „Anluven! Anluven!“ leierte. Das Ende der „Vencedor“ begann damit, daß ihr Kiel über einen Unterwasserfelsen wegschrammte. Es klang, als würde ihr der Rumpf von vorn nach achtern mit einer Riesenaxt aufgespalten, aber das täuschte, denn sie brach nicht auseinander. Nur ließ dieses Geräusch den Männern das Blut in den Adern gefrieren. Nein, das war noch nicht der Todesstoß. Die ,.Vencedor“ bäumte sich nur etwas auf, und ihre Höllenfahrt wurde gering vermindert. Als das gräßliche Ratschen achtern verstummte, sackte sie ein wenig tiefer, das war alles. Sturm und Brecher von achtern trieben sie weiter. Um die Männer herum flog das Wasser, voraus herrschte eine fahle Helligkeit, auf die das Flaggschiff zutorkelte - mit zerschossener Galionsfigur und abgesplittertem Fockmast. Aber Besan und die beiden Segel am Großmast standen noch voll und prall, als gelte es, den Wind von achtern in seiner ganzen Stärke auszukosten und die Galeone auf ihre höchstmögliche Geschwindigkeit zu trimmen. Unterstellte man diesem Schiff die Gefühle eines Lebewesens, vielleicht sogar menschliche Gefühle, dann war die Fahrt der „Vencedor“ in den Tod tapfer und königlich. Sie war schon verletzt und schwer angeschlagen, aber sie behielt ihren Kurs unbeirrbar bei - obwohl er zur Vernichtung führen mußte. Die Flagge war noch nicht gestrichen. Im Großtopp wehte sie, niemand holte sie nieder, um zu erkennen zu geben, daß er bereit sei, zu kapitulieren. Sie wehte ostwärts, wohin der Sturm es ihr befahl und wohin der Sturm die „Vencedor“ jagte. Mitten zwischen die Klippen. Jetzt war das Geräusch ohrenbetäubend und verkündete das Ende. Und der plötzliche und jähe Aufprall fegte die
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Männer von den Füßen, auch wenn sie sich festgeklammert hatten - irgendwo, an den Manntauen, an den Nagelbänken, an den Niedergängen. Das Heck hob sich krachend und splitternd, unterlaufen von einem riesigen Brecher. Der Bug mit dem Spriet pfeilte in die See, wälzte sich wieder aus den Wassermassen hoch, sackte zurück - und jetzt saß die „Vencedor“ fest, fast unverrückbar.. Ihre letzte Fahrt war zu Ende. Aber noch einmal durchlief ein Rucken den Schiffskörper, als bäume er sich im Todeskampf auf. Fast demütig verneigte sich die „Vencedor“ leicht nach Backbord, als zolle sie dem Sieger Respekt - der Sieger, das waren die Elemente, und vor ihnen hatte man sich zu verneigen. Das war völlig in Ordnung. Die „Vencedor“ hatte ihre Pflicht getan, mehr konnte sie nicht. Sie hatte tapfer auf sich genommen, was ihr von einem schwächlichen Schiffsführer aufgezwungen worden war. Der Aufprall hatte den Generalkapitän auf die Kuhl geschleudert - zwischen zwei große Fender, aber nicht Fender aus Holz, sondern aus Tauwerk. Und darum hatte er Glück, denn er blieb unbeschadet, bis auf die Prellungen in der Schulter. Dennoch brüllte er, als habe er sich sämtliche Knochen gebrochen. Und er brüllte gut und ausdauernd. Hier nun wieder war der Erste Offizier, den der Aufprall gegen den Backbordniedergang zur Back geschmettert hatte - der Niedergang war dabei zu Bruch gegangen -, der Mann der Pflicht, der auch seinen Kapitän nie und nimmer im Stich ließ. Schwerer blessiert als der Generalkapitän, rappelte er sich ächzend auf, wankte auf den brüllenden Mann zu, unterfing ihn und wuchtete ihn in die Jolle. Als das geschafft war, richtete er sich ächzend und unter Schmerzen auf - und starrte in die Augen des Bootsmanns, die blutunterlaufen waren, aber nicht nur von dem Blut der Platzwunde auf der Stirn. In diesen Augen stand blanke Wut - rote Wut.
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„Wollen Sie diesen Schweinehund etwa retten?“ stieß der Bootsmann hervor. Die Antwort des Ersten Offiziers war sehr schlicht. Er sagte, noch etwas keuchend, weil er Schmerzen hatte: „Ich möchte alle retten, Bootsmann! Alle! Das ist meine christliche Pflicht.“ Er hob den Kopf und blickte nach achtern. „Dort liegt der Rudergänger - am Steuerbordniedergang. Würden Sie ihn bitte holen? Ich muß mich um die anderen kümmern.“ Und schon drehte er sich um - zu einem Mann, den der Aufprall von der achteren Kuhl zwischen die Nagelbank des Großmastes gefegt hatte. Dieser Mann bewegte sich. Der Bootsmann schluckte, dann nickte er wortlos, verlor das mörderische Funkeln in seinen Augen und tappte über das schräg geneigte Deck zurück zum Steuerbordniedergang. Und er holte den Rudergänger. Der Erste Offizier schleppte inzwischen den Mann, der sich unter der Nagelbank bewegt hatte, zur Jolle, griff ihm dort unter die Schultern, stemmte ihn hoch und bugsierte ihn in die Jolle. Er landete neben dem Generalkapitän. Der fuhr hoch und schrie: „Sofort abfieren die Jolle! Sofort! Ich dulde keine anderen Personen neben mir! Ich möchte sofort an Land gepullt werden!“ Und jetzt stand er in der Jolle, schwenkte die Arme und brüllte: „Das ist ein Befehl, Gozálbez! Ich lasse Sie in Ketten ...“ Der Rest ging in einem Gurgeln unter. Der Mann, den der Erste Offizier unter der Nagelbank hervorgezerrt hatte - es war Jaime Rabel, der Stückmeister der „Vencedor“ -, langte hoch und riß den Generalkapitän um. Der krachte mit der rechten Schläfe auf die Heckducht und verstummte, weil er bewußtlos geworden war. „Dieses Schwein!“ Jaime Rabel, groß und hager, wischte sich das lange, strähnige Schwarzhaar aus dem Gesicht. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber da schleppte der Bootsmann den Rudergänger ans Dollbord, und Rabel griff zu, um den Mann in die Jolle zu bugsieren.
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Da waren sie jetzt zu dritt. Noch zwei Männer schleppten der Erste Offizier und der Bootsmann, selbst am Ende ihrer Kräfte, heran und stemmten sie in die Jolle. Noch acht weitere Männer hatten sich irgendwo festhalten können, als die „Vencedor“ auflief. Andere waren schon über Bord gesprungen - kurz nach dem Aufprall, weil sie dachten, das Schiff breche jetzt auseinander -, oder sie hatten den Halt verloren und waren ins Wasser gestürzt. Zusammen mit den acht Männern brachten der Erste Offizier und der Bootsmann jetzt die Rettungsmittel aus und wuchteten sie über das Backbordschanzkleid. Dann wurde die Jolle abgefiert, auch an Backbord, was sich als günstig erwies, weil die „Vencedor“ nach dieser Seite überkrängte. „Rutscht an den Heißstroppen in die Jolle und legt sofort ab“, sagte der Erste Offizier zu den Männern. „Und Sie?“ fragte der Bootsmann fast entsetzt. „Die Jolle ist zu voll“, erwiderte der Erste Offizier ruhig. „Ich nehme eine Gräting und werd's schon schaffen. Wartet an Land auf die anderen, vielleicht ist der eine oder andere verletzt. Bis ich dort bin, übernehmen Sie das Kommando, Bootsmann. Wenn ich nach einer Stunde noch nicht bei Ihnen bin, marschieren Sie südwärts zum Stützpunkt. Sie brauchen nur an der Küste zu bleiben. Alles klar?“ Der Bootsmann starrte ins Boot, wo der Generalkapitän lag. Sein Gesicht verkantete sich, und er preßte die Lippen zusammen. Aber dann sagte er leise: „Alles klar. Gott beschütze Sie, Senor Gozálbez.“ Die Männer enterten ab, der Bootsmann als letzter. Die Riemen wurden ausgebracht, der Erste Offizier löste die Vor- und die Achterleine und warf sie hinunter ins Boot. Es schien, als stehe ein guter Stern über diesem Rettungsmanöver. Zumindest war es, als habe der Sturm für einige Minuten den Atem angehalten. Die Jolle schlug nicht quer, und dem Bootsmann gelang es,
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sie unbeschadet durch die Klippen zu steuern. Der Erste Offizier atmete auf. Dann wandte er sich um, eilte zum Achterdeck und von dort in die Kapitänskammer. Er fand schnell, wonach er suchte. Das Logbuch! Hastig blätterte er die Seiten zurück bis zu der Eintragung vom 16. Juni. Was der Generalkapitän dort eingetragen hatte, wirkte auf Gozálbez wie ein Schlag in die Magengrube. Er taumelte etwas, und die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Fassungslos sank er auf den Stuhl des Generalkapitäns. Also war es bittere Wahrheit, was er dunkel geahnt hatte. Die Eintragung im Logbuch bestätigte, daß die „Confianza“ in dem Gefecht mit dem englischen Verband am 16. Juni 1593 westlich der Azoren von der „Vencedor“ durch gezielte Schüsse ins Achterschiff versenkt worden war. „Lösung des Auftrags der Elimination des Capitans Castillo bot sich an“, las der Erste Offizier, „weil in der Turbulenz und Hektik des Gefechts alle Augen auf den Feind gerichtet waren. Einziger Zeuge: der Stückmeister Jaime Rabel, den ich einweihen mußte, damit er die tödlichen Schüsse abfeuert. Die ,Confianza`, im Schußwechsel mit dem englischen Verband bereits schwer getroffen, sank innerhalb kurzer Zeit. Keine Überlebenden. Stückmeister wurde von mir zu Stillschweigen verpflichtet. Vorschlag meinerseits: den Capitan Castillo posthum wegen Tapferkeit vorm Feind zu befördern und die entsprechenden Orden zu verleihen. Eine solche Beförderung und Auszeichnung dürfte angebracht sein, um jeglichen Verdacht seitens der Anhänger oder Freunde des C. zu beseitigen. Er starb als Held für König und Vaterland. Die Familie sollte entsprechend unterrichtet werden. Es würde auch gut aussehen, ihm in Barcelona ein Denkmal zu setzen, da er aus der Nähe dieser Stadt stammt ...“ Der Erste Offizier klappte das Logbuch zu. Übelkeit würgte ihn, und er sprang auf, um sich aus dem Getränkeschapp des
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Generalkapitäns einen scharfen Schnaps einzuschenken. Da wurde ihm etwas wohler, aber der schale Geschmack blieb. Dann flammte die Wut in ihm hoch, und er schmetterte das Glas an die vertäfelte Wand der Kammer, wo es klirrend zerbarst. Ein knirschendes Knacken .im Rumpf der „Vencedor“ ließ ihn zusammenzucken. Er mußte sich beeilen. Jetzt war es seine Pflicht, zu überleben, um die Wahrheit über dieses ungeheuerliche Verbrechen ans Tageslicht zu bringen. Er fand Wachstuch, in das er das Logbuch wasserdicht verpacken konnte. Zusätzlich barg er das Päckchen in einem geteerten Segeltuchbeutel, den er sich unters Hemd und Jacke vor der Brust festband. Dann verließ er die Kapitänskammer. Erschrocken verharrrte er am Backbordniedergang zur Kuhl. Aber dann erkannte er den Mann, der am Schanzkleid herumkroch und verzweifelt versuchte, eine große Lukengräting über Bord zu wuchten. Es war der Profos der „Vencedor“. An die Gräting hatte er bereits eine lange Leine gebunden sowie einen Riemen auf ihr festgezurrt. Der Erste Offizier sprang auf die Kuhl hinunter. Der Profos drehte sich überrascht zu ihm um, über sein schmerzverzerrtes Gesicht huschte ein erleichtertes Lächeln, als er den Ersten Offizier erkannte. „Dachte schon, ich sei jetzt allein an Bord, Senor Gozálbez“, sagte er ächzend. „Verletzt?“ „Ja. Bin beim Aufprall ins Vordeck geflogen. Kann rechts nicht mehr auftreten. Da muß was gebrochen sein.“ Ja, da war was gebrochen. Der rechte Fuß stand merkwürdig schief. „Schmerzen?“ fragte der Erste Offizier: „Es geht.“ Das stimmte nicht ganz, denn der Profos hatte sich bereits die Lippen blutig gebissen. Sein Gesicht war fahl und von feinen Schweißtropfen bedeckt. „Einen Moment“, sagte der Erste Offizier. „Bin gleich wieder da. Lassen Sie die Gräting solange. Ich hiev sie nachher über Bord. Wir werden das schon schaffen.“
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Der Erste Offizier lief zurück in die Kapitänskammer, holte die Schnapsflasche sowie aus dem Arzneischrank Leinenbinden und eine der Schienen, zwischen denen gebrochene Gliedmaßen stillgelegt wurden, Und eilte zurück zur Kuhl. „Hier, trinken Sie!“ sagte er und gab dem Profos die Flasche. Der nickte dankbar, gurgelte ein paar Schlucke weg, hustete, aber kriegte wieder etwas Farbe im Gesicht. „Jetzt wird's wehtun“, sagte der Erste Offizier, „aber wenn ich den Fuß eingeschient habe, liegt die Bruchstelle still, und Sie haben Schmerzerleichterung.“ „Nur zu“, sagte der Profos. „Ich werd schon nicht jammern.“ Der Erste Offizier hatte dem Feldscher eine Menge abgeschaut, auch wie man Brüche schiente. Er arbeitete schnell und geschickt und brauchte allenfalls zehn Minuten. Dann war der Fuß dick verpackt und sogar im Winkel gerichtet. Gottlob schien es ein glatter Bruch zu sein, kein Splitterbruch. Die Haut war jedenfalls unverletzt, wenn auch der Knöchel einen ziemlichen Umfang angenommen hatte. Als diese Arbeit getan war, verspannte der Erste Offizier kreuz und quer ein paar Leinen über der Gräting, an denen sie , sich zusätzlich festklammern konnten. Mit der Heißvorrichtung der Jolle hievte er die Gräting, auf der zwei Mann bequem Platz hatten, über Bord, schlug ein weiteres Ladegeschirr an den Taljen der Großrah an, unterfing damit den Profos und fierte ihn Hand über Hand zur Gräting ab, die unten auf dem Wasser tanzte. Das war ein gefährlicher Moment für den Profos, der nur einbeinig landen konnte. Aber er fing sich geschickt ab und legte sich sofort hin, um die Gräting nicht einseitig zu belasten und zu verkanten. Dann löste er den Tampen, den ihm der Erste Offizier gurtartig um die Brust und unter den Achseln hindurch angelegt hatte. Der Erste Offizier enterte an einer Trosse ab, kappte den Festmacher, stieß mit dem Riemen die Gräting von der Bordwand ab und schob ihn dann durch eine
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Tauchschlinge in der Mitte einer der vier Außenkanten. Jetzt konnte er die Gräting steuern oder auch durch Wriggen vorwärts bringen. Tatsächlich hatte der Sturm etwas nachgelassen. Dennoch, als er noch einmal zurückblickte, geschah es. Die „Vencedor“ brach auseinander. Sie hatte ausgehalten, bis die beiden letzten Männer von Bord waren. Der Großmast versank mit wehender Flagge. Der Erste Offizier biß die Zähne zusammen und blickte wieder voraus zur Küste. 7. „Roter Drache“ segelte mit Südkurs in Richtung des Stützpunktes. Es gab nichts mehr zu tun. Das spanische Flaggschiff war gestellt worden und hatte seinen Fangschuß erhalten, als Siri-Tong erkannt hatte, daß der Generalkapitän nicht gewillt war, die Flagge zu streichen. Dann war alles sehr schnell gegangen - das Abdrehen der „Vencedor“ zur Leeküste, ihre Höllenfahrt und das Ende zwischen den Klippen. Sie hatten alles genau beobachten können auch, daß ein Boot ausgesetzt wurde. Und das war es, was die Rote Korsarin ergrimmte: sie hatte durch die Optik des Spektivs erkennen können, daß dieser spanische Bastard von Generalkapitän von einem Offizier in die Jolle bugsiert worden war. Also hatte dieser Hundesohn überlebt. Fast war sie versucht gewesen, auf die ablegende Jolle zu schießen, und, verdammt, sie hätte es getan, wenn der Generalkapitän allein in der Jolle gehockt hätte. Aber in der Jolle hatten sich außer dem Generalkapitän Verletzte befunden und die Schiffbrüchigen. Auf sie zu schießen, wäre nackter Mord gewesen, auch wenn sich ein Mörder unter ihnen befand, ein Massenmörder, wenn man an die Toten der „Confianza“ dachte. Siri-Tong hatte den Plan gehabt, die „Vencedor“ zum Streichen der Flagge zu zwingen und die Übergabe des Generalkapitäns zu verlangen. Dieser Plan
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war gescheitert, und wieder hatten Unschuldige für die Untat des Schurken büßen müssen. Das war es, was die Rote Korsarin so erbitterte. Immerhin bestand eine winzige Chance, den Mörder dennoch zu erwischen. Wenn es den Schiffbrüchigen gelang, unbeschadet die Küste zu erreichen, dann würden sie sich zum Stützpunkt in Marsch setzen. Und dort würde man dann den Generalkapitän schnappen können - falls er es nicht vorzog, sich irgendwo auf der Insel zu verbergen, bis er sicher war, daß die Engländer nicht nach ihm suchten. Eine knappe halbe Stunde, nachdem „Roter Drache“ auf Südkurs gegangen war und die Stätte des Schiffbruchs verlassen hatte, meldete der Ausguck im Großmars Mastspitzen voraus, die sich bald darauf genauer erkennen ließen. Es waren die Schiffe der Freunde. Hasards „Isabella“ segelte voraus. Als sie auf Rufweite heran waren, erstattete Siri-Tong von Bord zu Bord Bericht über den Schiffbruch der „Vencedor“. „Und was ist mit dem Generalkapitän?“ schrie Hasard. „Konnte sich mit einem Boot und etwa vierzehn Überlebenden von der ,Vencedor` absetzen. Wenn sie die Küste erreichen, werden sie zurück zum Stützpunkt marschieren, was anderes bleibt ihnen nicht übrig, da sie auch Verletzte dabei haben. Tut mir leid, daß ich den Bastard nicht erwischt habe. Was schlägst du jetzt vor?“ „Wir segeln zum Stützpunkt zurück und nehmen die Kerle in Empfang, vor allem den Generalkapitän!“ schrie Hasard. Siri-Tong zeigte, verstanden. Hasard gab die neue Lage an die anderen Schiffe weiter, aber dann hatten sie doch noch einen Aufenthalt, bevor der ganze Verband auf Südkurs ging. Kapitän Castillo hatte einen Wunsch, den er sofort Hasard vortrug. Er sagte: „Kapitän Killigrew, Sir, Sie haben genug für uns getan, für meine Crew und für mich ...“
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„Nicht der Rede wert“, unterbrach ihn Hasard und winkte lächelnd ab, weil er dachte, Castillo habe die Absicht, nunmehr ein großes Loblied anzustimmen, und von solchen Lobliedern hielt er gar nichts. „Einen Moment“, sagte Kapitän Castillo. „Ich meinte, Sie haben wirklich genug für uns getan. Und dennoch habe ich eine letzte Bitte. Könnten Sie mir Ihre kleinere Jolle zur Verfügung stellen?“ „Wann? Jetzt?“ „Ja, jetzt.“ Hasard blickte den spanischen Kapitän erstaunt an. „Warum das denn?“ „Verstehen Sie das nicht?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Absolut nicht.“ Er versuchte es mit einem Scherz und fügte hinzu: „Ich nehme nicht an, daß Sie mit der Jolle nach Spanien zurücksegeln wollen?“ Kapitän Castillo blieb ernst und erwiderte: „Nein, natürlich nicht. Ich möchte mit meinen beiden Offizieren und drei von meinen Männern zur Küste pullen, um Fernández abzufangen. Insofern meinte ich, daß Sie genug für uns getan haben. Das ist jetzt unsere Sache, und ich will sie zu Ende führen. Ich habe für meine Bitte aber noch einen anderen Grund. Bei der Verschlagenheit des Generalkapitäns könnte es sein, daß er bei Annäherung an den Stützpunkt ein oder zwei Späher vorausschickt. Wenn Ihre Schiffe dort gesichtet werden, wird er den Teufel tun, weiter zum Stützpunkt zu marschieren. Nein, er wird die Flucht ergreifen und sich ein feines Versteck suchen. Flores bietet genug Schlupfwinkel. Womöglich schaffte er es, einen Fischer zu bestechen, der ihn nach Spanien zurückbringt. Das möchte ich verhindern, und darum bitte ich Sie um ein Boot Wir können es später, wenn der Sturm abgeflaut hat, zum Stützpunkt zurücksegeln.“ „Hm“, sagte Hasard und noch einmal: „Hm. Meinen Sie, daß Sie das zu sechst schaffen? Siri-Tong sprach von etwa vierzehn Überlebenden.“ „Wir haben das Moment der Überraschung auf unserer Seite“, erwiderte Kapitän Castillo, „und wir werden unsere
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Schußwaffen trocken verstauen.“ Er lächelte leicht. „Ich schätze, daß die Schiffbrüchigen der ,Vencedor` auf solche Feinheiten nicht geachtet haben, als sie von Bord gingen. Allenfalls haben sie Seitenwaffen bei sich. Im übrigen hoffe ich, die Männer - natürlich mit Ausnahme des Generalkapitäns - auf meine Seite ziehen zu können, sobald sie von mir erfahren haben, wie und von wem die ,Confianza' versenkt wurde.“ „Verstehe.“ Hasard nickte und drehte sich zu Ben Brighton um. „Was hältst du davon, Ben?“ „Ich würde ihm die Jolle geben, Sir“, erwiderte Ben Brighton. „Kapitän Castillo hat recht. Das Schlußkapitel dieser trüben Geschichte ist eine Angelegenheit der Spanier unter sich. Wir sind weder Richter noch Ankläger. Wir haben ihm geholfen, zu überleben. Jetzt muß er sogar die Sache in die eigenen Hände nehmen.“ „In Ordnung. Ben. Dann laß die kleine Jolle aussetzen. Al Conroy soll dafür sorgen, daß Musketen und Pistolen samt Pulver trocken verstaut werden.“ „Aye, Sir.“ Ben Brighton enterte zur Kuhl ab. Hasard wandte sich Kapitän Castillo zu und lächelte. „Das Stürmchen schreckt Sie nicht ab, Kapitän?“ Kapitän Castillo lächelte. zurück: „Es ist nicht das erste und wird nicht das letzte Stürmchen sein, das ich erlebe. Da bin ich ganz zuversichtlich. Und jetzt möchte ich mich wirklich bedanken. Ohne Sie und Ihre tapferen Männer hätte ich das nie geschafft, Kapitän Killigrew.“ Hasard legte die Hände auf den Rücken, blickte auf die Planken und wippte ein bißchen auf den Fußballen. Und dann knurrte er: „Hören Sie auf, Castillo, verdammt noch mal. Wir brauchen keine Blumen. Wir brauchen etwas ganz anderes, was wir Engländer mit Entzücken begrüßen würden, nämlich eine dauerhafte Freundschaft zu allen Spaniern und Portugiesen, die nicht vom Schlage eines Fernández, Torres oder Menachos sind. Ich könnte Ihnen da eine ganze Liste vorlegen, angefangen bei den Mördern meines
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Vaters und meiner Mutter, die eine Spanierin war, und endend bei einem spanischen Gesandten, der in Deutschland versuchte, meine väterliche Familie zu erpressen.“ „Sie - Sie sind gar nicht Engländer?“ fragte Kapitän Castillo verwirrt. „Doch“, sagte Hasard bissig. „Dank der üblen Intrigen der hochwohlgeborenen Brüder meiner spanischen Mutter, die mich, den Bastard, nach Deutschland abschieben wollten. Da lag ich noch im Steckkissen und landete unfreiwillig im Schoße der Familie Killigrew auf der Feste Arwenack in Cornwall. So wurde ich ein Engländer, und weil ich dort aufwuchs, blieb ich es auch. Das ist alles, und ich habe keine Veranlassung, den genannten spanischen Typen gegenüber besonders zugeneigt zu sein. Was ich mit Ihren Landsleuten drüben in der Neuen Welt erlebte, deckt sich mit Ihren Erfahrungen. Wenn wir das, was dort passierte und noch passiert, bekämpfen, haben wir ein gemeinsames Ziel. Ich habe Sie gerettet, und Ihnen dann im weiteren geholfen, weil ich Sie für einen Mann halte, der dieses Ziel nie aus den Augen verlieren wird. Insofern handelte ich aus Eigennutz und brauche weder einen Dank noch einen Heiligenschein.“ „Schon verstanden“, sagte Kapitän Castillo mit einem versteckten Lächeln. „Sie brauchen gar nicht so ruppig zu sein, mein Freund,“ „Verzeihung“, brummte Hasard, „war nicht so gemeint.“ Er starrte Old O'Flynn an, der bei ihnen stand und übers ganze Gesicht grinste. „Ist dir ein dämlicher Witz eingefallen, Mister O'Flynn?“ fuhr er ihn an. Der keilte zurück. „Recht hat er! Recht hat er! Schon wieder bist du ruppig, Mister Killigrew! Fein, daß er dir das mal gesteckt hat. Aber ich steck dir's auch. Ein unausstehlicher. Ruppsack bist du, jawohl! Und meistens hackst du auf mir herum, auf dem Großvater deiner Enkel, jawohl! Mach nur weiter so, eines Tages schlag ich dir mein Holzbein über deinen verdammten Schädel und werde ein
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Loblied singen, wenn dich der Teufel abholt!“ Es war so schön, wenn sich Old O'Flynn erboste und in Rage redete und nichts so meinte, wie er es sagte. Es befreite Hasard, dem jede Art des Danks ein Greuel war, und jetzt platzte er los und lachte donnernd, daß es bis zu den anderen Schiffen hinüberschallte und die Männer dort verwundert zum Achterdeck der „Isabella“ schauten. Und weil sie sahen, wer dort so laut lachte, lächelten sie. Da schien Old O'Flynn was losgelassen zu haben, denn der stand da, als sei bei ihm Donner und Blitz eingeschlagen. Und der Wikinger brüllte zu ihm hinüber: „He, Old Donegal! War das ein feiner Witz? Krieg ich den auch mal zu hören?“ „Du kannst mich mal am Holzbein kratzen, du besengte nordische Wildsau!“ brüllte Old O'Flynn, berstend vor Wut, zurück. Er war deshalb in Wut, weil er nicht begriff, warum sich sein Kapitän, dem er Meuterisches gesagt und Fürchterliches angedroht hatte, halbtot lachte. Und wie der lachte! Das brachte ihn noch mehr in Harnisch. Und darum brüllte er - für alle vernehmlich - zum Schwarzen Segler hinüber, was der Wikinger ihn könne und was er für einer sei, nämlich eine besengte nordische Wildsau. Sehr gewählt drückte sich Old Donegal in diesem Fall bestimmt nicht aus. Da war der „unausstehliche Ruppsack“, wie er seinen Kapitän genannt hatte, noch harmlos. Aber auf allen Schiffen dröhnte Gelächter auf. Selbst der Wikinger, der eigentlich allen Grund gehabt hätte, beleidigt zu sein, schickte sein röhrendes Lachen los und klatschte die Fäuste auf seine urigen Schenkel, daß es klang, als würden unzählige Hosenböden versohlt. Und dann brüllte er zurück: „Old Donegal! Dir schnitz ich ein paar Runen in dein Holzbein, wenn's beliebt ist! Und diese Runen werden besagen, daß dich. Thorfin Njal, der Wikinger, hier auf See, westlich von Flores, zum fiesesten Giftzwerg von Cornwall ernannt hat! Ist das was?“ Old Donegal schnappte nach Luft. Und dann sagte er ganz ruhig und gar nicht laut:
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„Dem schlage ich nicht mein Holzbein über den behelmten Holzkopf! Dafür ist mir mein Holzbein zu schade.“ „Sondern?“ fragte Hasard, immer noch lachend. „Ich glaube“, sagte Old O'Flynn bedächtig, „den saufe ich mal unter den Tisch, bis ihm der Rum aus den Ohren kommt.“ „Und dann?“ fragte Hasard. „Dann“, sagte Old O'Flynn. mit satter Genugtuung, „dann zieh ich ihn um, mein Junge. Ich zieh ihn um! Ich wickle ihm seine dämlichen Riemensandalen von den Waden, entblöße ihn von seinen stinkenden Fellen, nehm ihm den verdammten Kupferhelm ab und kleide ihn neu ein - zum Beispiel wie einen geckenhaften Don, so mit geschniegelten Schnallenschuhen, Strümpfchen, Pluderhose, besticktem Hemdchen, gerüschter Halskrause - ja, und auf seinen Holzkopf setzen wir einen feinen Federhut...“ „Wir?“ fragte Hasard keuchend. Er konnte kaum noch. Er war am Explodieren. „Wir beiden! Old O'Flynn nickte. „Und seine Lenden gürten wir mit einem Piekserchen, wie's die Dons tragen. Du weißt doch, dieses Dingelchen, mit dem unsereins Gemüse schnippeln würde. Eh? Und wenn er dann aus seinem Rumtran aufwacht, müssen ihn alle sehen - alle, verstehst du?“ Und da platzte Hasard, ja, er platzte. Dieser alte Knochen hatte eine Idee entwickelt, die geradezu umwerfend war. Und stellte man sich das vor, dann fiel man jetzt schon um vor Lachen. Hasard fiel fast um. Das setzte sich fort, denn dieser Dialog auf dem Achterdeck blieb auf der „Isabella“ nicht unbelauscht. Die Seewölfe barsten vor Lachen. Es schien, als fiele die „Isabella“ auseinander. Die Männer hieben sich gegenseitig die Fäuste auf den Rücken, boxten sich, hielten sich den Bauch, hüpften herum und führten sich insgesamt auf, als seien sie nunmehr verrückt geworden.
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Vor allem war merkwürdig - für die Männer auf den anderen Schiffen, besonders für den Wikinger und seine Crew -, daß sich Hasard und Old O'Flynn umarmten und der Kapitän mit dem Alten über das Achterdeck walzte, als gelte es, einen Hochzeitstanz einzuleiten. Die wirbelten da herum, als feierten sie gleichzeitig Kindstaufe oder so was. „Die führen sich auf wie Affen!“ knurrte der Wikinger wütend, weil es ihn ärgerte. daß er nicht dabei war. „ ... führen sich auf wie Affen“, wiederholte der Stör, und dieses Mal gelang es ihm nicht, rechtzeitig aus dem Kinken zu treten. Der Wikinger wischte ihm eine - ein Ding, das mit Wut geladen war. Der Stör flog davon und verschwand an Backbord im Achterdecksschott. Das war' verschlossen gewesen. Jetzt war es das nicht mehr. Der Schiffszimmermann würde Schloß und Angeln ersetzen müssen, wahrscheinlich auch die Füllung, ganz sicher aber das Schott selbst. Das war total im Eimer. Auf der „Isabella“ sagte Hasard keuchend: „Das bleibt unter uns, Männer! Auf Ehre! Im übrigen wird das unsere Rache sein! Unsere Rache dafür, daß wir nach Island segeln mußten, um den verrückten Wikinger wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Er hat jetzt zwar seine Gotlinde, die wir ihm alle gönnen, weil sie genau die richtige Frau für ihn ist, aber Rache muß sein. Und wir werden ihn fein kostümieren, wie's Old Donegal vorgeschlagen hat. Das wird ein Spaß ...!“ Und wieder tobte das Gelächter über die Decks der „Isabella“. „Er kriegt 'ne Perücke auf!“ sagte Carberry ächzend. „Eine mit Locken bis auf die Schultern...“ „ ... und fein gepudert!“ Smoky keuchte mit dem Profos um die Wette. Und schon platzten sie wieder los und hieben sich die Pranken auf die Schultern. Klarer Fall, Old Donegal Daniel O'Flynn war der Held des Tages, und bis das große Kostümfest stieg, würden sie sich immer neue und noch verrücktere Versionen ausdenken. Jawohl, Strafe mußte sein,
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denn da oben in Island hatte es der Wikinger fast geschafft, seine ganze Crew zum Teufel zu jagen. Inzwischen war die Jolle unter viel Gelächter und Glucksen ausgesetzt worden - nicht im Rekordtempo, weil sie sich zwischendurch an Old Donegals Plan ergötzt hatten. Kapitän Castillo, seine beiden Offiziere und drei seiner Männer, darunter Julio Chocano, der Bootsmann. der „Confianza“, enterten ab. Mit Hasard war vereinbart worden, sich im Stützpunkt wieder zu treffen. Die sechs Schiffe nahmen Kurs auf den Hafen des Stützpunktes, während sich Castillo und seine fünf Männer mit dem Boot durch die aufgewühlte See in Richtung der Küste vorankämpften, kein leichtes Stück, aber sie waren ja keine blutigen Anfänger und hatten ihr seemännisches Handwerk gelernt. 8. Nur einmal war für die beiden Männer auf der Gräting Gefahr im Verzug gewesen. Da war ihr Behelfsfloß von einer Woge angelüftet und auf eine Klippe zugefegt worden. Aber da hatte sich der Erste Offizier mit aller Kraft gegen den Riemen gestemmt, und sie rasten haarscharf an dem Stein vorbei, der wie ein Dolch aus dem Wasser ragte. Kurz darauf entdeckte der Erste Offizier das Boot der „Vencedor“ auf einem Stück Sandstrand und die Gruppe der Männer, die wie verrückt winkten und schrien. Dem Ersten Offizier fiel eine Zentnerlast von der Seele. Wenigstens dieser Rest der Crew hatte es geschafft und den Schiffbruch überlebt. Aber wenn er sich nicht täuschte, hatte sich die Gruppe vergrößert. Da mußte es also auch noch anderen Männern gelungen sein, sich an Land zu retten - dank der Luken, Balken und Schotten. Erst in diesem Moment fiel dem Ersten Offizier ein, daß noch ein Mann das Drama überstanden hatte: der Generalkapitän, für
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den es besser gewesen wäre, wenn er für sein Verbrechen mit dem Leben gebüßt hätte. Dann wäre alles leichter gewesen. Jorge Aurelio Gozálbez hätte in diesem Falle über die Tragödie westlich der Azoren geschwiegen. Niemandem wäre mit einer Anklage gegen einen Toten gedient gewesen. Und niemand hätte erfahren, daß die „Confianza“ von einem eigenen Schiff versenkt worden war. Aber der Generalkapitän lebte. Und für sein Verbrechen, das er in seinem Logbuch als „Auftrag“ bezeichnet hatte, würde er sich verantworten müssen. Der Erste Offizier beschloß, zunächst nicht zu verraten, daß er im Besitz des Logbuchs war und damit wußte, was sich während des Gefechts mit den Engländern tatsächlich abgespielt hatte. Aber eins stand fest: Sollte der Generalkapitän jetzt an Land wieder großmäulig herumkommandieren, dann würde er sich den Teufel um dessen Befehle kümmern. Er, Jorge Aurelio Gozálbez, hatte dafür gesorgt, daß wenigstens ein paar Männer der Crew gerettet werden konnten. Er hatte nicht die Nerven verloren, sondern seine Pflicht getan, was man von dem Generalkapitän keineswegs behaupten konnte. Er hatte das Handeln seinem Ersten Offizier überlassen und selbst nur idiotisch herumgebrüllt. Jetzt hatte er nicht mehr das Recht, Befehle zu geben - er hatte ja auch kein Schiff mehr, denn das hatte er verspielt. Noch bevor sie den Strand erreichten, wo der Bootsmann bereits mit ein paar Männern ins Wasser gewatet war, um die Gräting in Empfang zu nehmen, drehte sich der Profos, der auf dem Bauch lag, zu dem Ersten Offizier um und sagte: „Ich stehe auf Ihrer Seite, Senor Gozálbez. Den Befehl des Generalkapitäns, Sie in Ketten zu legen, hätte ich auch nicht ausgeführt. Mir liegt daran, daß Sie das wissen, bevor Sie mit diesem Mann wieder aneinander geraten.“ Er verzog das Gesicht. „Sie hören ja, dort an Land schreit er schon wieder herum, als befände er sich auf seinem verdammten Achterdeck!“
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„Danke, Profos“, sagte der Erste Offizier. „Aber gerade Sie sollten wissen, daß Verweigerung eines Befehls mit Meuterei gleichzusetzen ist.“ „Ein Verbrecher hat nichts mehr zu befehlen“, sagte der Profos grimmig. „Es hat sich sehr schnell auf der ,Vencedor' herumgesprochen, daß mit der Versenkung der ,Confianza' etwas nicht stimmte. Der Generalkapitän soll eine Absprache mit Jaime Rabel gehabt haben - kurz vor dem Gefecht. Und ein paar Männer von uns haben beobachtet, wohin der Stückmeister geschossen hat. Rabel war hinterher auch käseweiß und in einer Verfassung, die man schlicht mit Gewissensnot bezeichnen kann. Das ist in den Tagen danach nicht besser, sondern schlimmer geworden. Ich erwischte ihn sogar, als er vor zwei Tagen über Bord springen wollte. Er sagte mir, er ertrage das Leben nicht mehr. Können Sie sich darauf einen Reim bilden?“ „Ja“, sagte der Erste Offizier gepreßt. „Aber ich möchte Sie bitten, über das, was Sie mir eben berichtet haben, zunächst zu schweigen. Ich habe meine Gründe dafür.“ „In Ordnung“, sagte der Profos. „Wahrscheinlich verdanke ich Ihnen mein Leben, Senor Gozálbez. Allein hätte ich das mit der Gräting nicht geschafft. Aber ein Mann soll um sein Leben kämpfen, solange er atmet. Ich bin in Ihrer Schuld.“ „Unsinn!“ knurrte der Erste Offizier und steuerte die Gräting zwischen zwei Klippen hindurch. Dahinter wurde die See etwas ruhiger, und da lag der Strand. Auch sie hatten es geschafft. Der Bootsmann lachte breit, ebenso die anderen Männer, die mithalfen, die Gräting an Land zu ziehen. „Fein, daß wir sie wieder bei uns haben, Senor Gozálbez!“ rief der Bootsmann. „Und Sie bringen sogar unseren Profos mit! Wenn das nichts ist!“ Der Erste Offizier sprang an Land und drehte sich gleich wieder um zur Gräting. „Vorsicht; er ist verletzt. Der rechte Fußknöchel ist gebrochen“, sagte er. „Lassen Sie mit den Riemen der Jolle eine Trage bauen, Bootsmann. Wir werden den
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Profos abwechselnd zum Stützpunkt tragen. Er kann nicht gehen ...“ Der Erste Offizier wurde herumgerissen und starrte in die funkelnden Augen des Generalkapitäns. „Das wird ja immer schöner!” tobte der Generalkapitän. „Ich will hier weg und habe keine Zeit, mich um den Profos oder diese anderen Knechte zu kümmern. Die sollen zusehen, wo sie abbleiben. Ich muß sofort nach Spanien zurück, um dem Flottenkommando Bericht zu erstatten. Sie werden mich begleiten, Gozálbez, jetzt, sofort!“ „Nichts werde ich“, sagte der Erste Offizier ruhig. „Nehmen Sie die Hand von mir weg. Sie haben mich nicht anzufassen!“ Beifälliges Gemurmel erklang ringsum. Der Generalkapitän prallte zurück, als habe er eine Ohrfeige erhalten. Wut verzerrte sein Gesicht. „Sie wagen, mir zu widersprechen?“ schrie er. „Das ist Meuterei! Profos! Nehmen Sie diesen Mann fest!“ „Geht nicht“, sagte der Profos lakonisch, „hab mir den Fuß gebrochen.“ „Interessiert mich nicht!“ brüllte der Generalkapitän. „Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Mann! Dieser Meuterer ist sofort zu fesseln und abzuführen! Sofort! Auf der Stelle! Das ist ein Befehl!“ „Ach?“ sagte der Profos höhnisch. „Wohin soll er denn abgeführt werden? Zum Mond? Oder wohin?' Sie wollten doch sofort mit ihm nach Spanien! Was denn nun?“ „Bootsmann!“ brüllte der Generalkapitän und hatte Schaum vor dem Mund. „Nehmen Sie den Profos und den Meuterer fest ...“ „Tun Sie's doch“, sagte der Bootsmann ruhig, aber in seinen Augen glomm ein gefährliches Licht. Und langsam glitt seine rechte Hand zum Entermesser, das in seinem Gurt steckte. „Nur wenn Sie's tun, dann werde ich Sie daran zu hindern wissen. Der Erste Offizier ist ein ehrenhafter Mann. Auch der Profos, und der ist noch dazu verletzt. Wir alle sind Schiffbrüchige - weil Sie als Kapitän
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versagt haben. Das werden wir vor jedem Gericht bezeugen und beeiden ...“ „Das ist eine verdammte Verschwörung!“ schrie der Generalkapitän. „Das kostet Sie alle den Kopf, dafür werde ich sorgen! Und hier befehle ich ...“ „Genug“, sagte der Erste Offizier scharf. „Sie haben keine Befehlsgewalt mehr, Generalkapitän. Das sollten Sie begreifen. Es geht auch nicht mehr um Ihre Person, sondern darum, die Verletzten zu versorgen und zum Stützpunkt zu bringen. Dann werden wir weitersehen.“ „Ich bin verletzt!“ keifte der Generalkapitän. „Ich muß getragen werden, weil ich nicht mehr laufen kann!“ „Sie werden laufen“, sagte der Erste Offizier, und jetzt kochte allmählich die Wut in ihm hoch. „Oder, bei Gott, ich bringe Ihnen das Laufen' mit einem Knüppel bei, Sie Zerrbild' von einem Offizier!“ Und er sprang zu der Jolle, zog die Pinne aus dem Ruderkopf und nahm sie drohend in die rechte Faust. Von diesem Moment an war vorerst Ruhe. Der Generalkapitän biß sich auf die Lippen, sein Gesicht hatte die Farbe von Hafergrütze angenommen. Offenbar war ihm klar geworden, daß er zur Zeit nichts mehr zu melden hatte. Ja, hätte er sich jetzt um die Verletzten gekümmert, wäre ihm vielleicht etwas Achtung zuteil geworden. Aber er hatte ja bereits an Bord nach dem Schiffbruch gezeigt, daß ihm die eigene Person wichtiger war als die Rettung der Mannschaft, zu der er nichts, aber auch gar nichts beigetragen hatte. Und was tat er jetzt? Er hockte sich auf einen Stein und sah zu, wie eine Bahre behelfsmäßig hergestellt wurde und der Erste Offizier von Mann zu Mann ging, um Blessuren zu versorgen. Außer den Männern, die in der Jolle Platz gefunden hatten, waren noch sieben weitere Männer mit dem Leben davongekommen und hatten sich an Land retten können. Einer hatte einen Schlüsselbeinbruch, ein zweiter hatte sich die rechte Hand gebrochen. Beide erhielten vom Ersten Offizier Notverbände. Fast alle
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hatten Prellungen oder Platzwunden. Aber sie würden laufen können und sich beim Tragen der Profos-Bahre ablösen. Die Stimmung war den Umständen entsprechend gut, aber sie verdüsterte sich wieder, als die ersten Toten an den Strand gespült wurden. Der Erste Offizier ließ sie am Fuß einer Düne bestatten - vier Tote. Und er sprach das letzte Gebet über dem Grab, das die Männer umstanden. Der Generalkapitän war nicht dabei. Er hockte weiter auf dem Stein und bewies einmal mehr, was auch tote Männer aus dem Schiffsvolk für ihn waren: Gesindel, dem man keine Träne nachweinte. Bestatten? Lachhaft! Solche Leute warf man auf See über Bord und an Land auf den Schindanger, alles andere war Humanitätsduselei. Wenn man den Generalkapitän .nach der letzten Auseinandersetzung mit dem Ersten Offizier geschnitten und nicht mehr weiter beachtet hatte, so traf ihn jetzt so mancher finstere Blick. Hätte das der Erste Offizier befohlen, der Generalkapitän wäre von ihnen totgeschlagen worden wie ein tollwütiger Hund. Denn jetzt haßten sie ihn - wegen der toten Kameraden, deren Grab er schändete, weil er auf dem Stein sitzen blieb, während der Erste Offizier sein Gebet sprach. Als sie sich in Marsch setzten, war es Nachmittag geworden. Vier Männer trugen die Bahre, zwei vorn, zwei hinten. Als der Erste Offizier die Pinne etwas anhob und auf den Generalkapitän zuging, bequemte der sich, aufzustehen und sich dem Zug anzuschließen. Aber er war zu einem Aussätzigen geworden. * Es war eine Stunde später, als der Zug abrupt stoppte, denn der Weg vor ihnen, zwischen zwei Felsen hindurch, war ihnen versperrt. Sechs Männer blockierten ihn, und alle sechs Männer hatten Pistolen in den
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Fäusten. Einer löste sich und trat vor die fünf anderen. „Capitan Castillo!“ flüsterte der Bootsmann, der an der Spitze gegangen war, und bekreuzigte sich, weil er dachte, einem Geist begegnet zu sein. Und dann wich er zur Seite. Sie wichen alle aus, nach rechts und nach links, denn Capitan Castillo ging weiter, sehr ruhig und sehr aufrecht, den Blick auf den letzten Mann der Kolonne gerichtet auf den Generalkapitän de Fernández. Der begriff zunächst überhaupt nichts, weil er dachte, man hätte eine Ruhepause eingelegt, um die vier Männer, welche die Bahre trugen, abzulösen. Also hatte er sich gleich auf einen Stein gesetzt. Und er hielt es auch nicht für nötig, sich dem Geschehen zuzuwenden. Er geruhte erst aufzublicken, als der Schatten einer Gestalt über ihn fiel. Und dann schrie er: „Nein! Nein! Sie sind es nicht! Das kann nicht sein! Sie sind tot ...!“ „Noch nicht“, sagte Castillo. „Es hat nicht geklappt, Fernández. Die Engländer haben mich aus dem Wasser gezogen - nicht nur mich, meine beiden Offiziere wurden auch gerettet, ebenso der Bootsmann“, er drehte sich leicht um und deutete hinter sich, „dort stehen sie, wie Sie sehen können, genauso lebendig wie ich. Warum werden Sie denn so grün im Gesicht? Ich dachte, Sie würden sich freuen, daß wenigstens ein paar Mann den Untergang der ,Confianza` überlebt haben!“ Der Generalkapitän gurgelte. Dann erbrach er sich. Castillo trat zwei, drei Schritte zurück und wartete. Sein Gesicht wirkte wie aus Eis. Mit einem Blick sah er auch, wie die Schiffbrüchigen immer weiter zurückwichen - nicht, um zu fliehen, nein, um anzudeuten, daß sie mit diesem Generalkapitän nichts zu tun haben wollten. Dann traf der Blick Castillos den Ersten Offizier der „Vencedor“, der den Blick freimütig und offen erwiderte.
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Und der Erste Offizier sagte, indem er sich leicht verbeugte: „Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Senor Capitan ...“ „Gozálbez!“ Der Generalkapitän war aufgesprungen und hatte irre Augen. „Lassen Sie von der Mannschaft den Weg freiräumen! Diese Kerle wollen verhindern, daß wir den Stützpunkt erreichen! Und überwältigen Sie Castillo! Er ist ein Verräter! Ein Abtrünniger! Hören Sie? Ein Verräter, der unseren König stürzen will!“ „Waren die Toten der ,Confianza` auch Verräter?“ fragte der Erste Offizier ruhig. „Wer? Die Toten von der ,Confianza?“ fauchte der Generalkapitän und blickte sich gehetzt um. „Was hat das denn damit zu tun? Ach so, ja, natürlich! Das waren auch Verräter! Das ist eine riesige Verschwörung! Verstehen Sie das nicht, Mann?“ „Ich verstehe nur, daß Sie dem Stückmeister Jaime Babel den Befehl gaben, die ,Confianza` während des Gefechts mit dem englischen Verband unauffällig und mit einem Fangschuß zu versenken“, sagte der Erste Offizier kalt. „Das ist eine Lüge!“ schrie der Generalkapitän, aber er war jetzt kalkweiß. „Ich habe Ihr Logbuch, Fernandez“, sagte der Erste Offizier. „Und ich werde Capitan Castillo, der mit seiner Mannschaft wie ein Löwe gegen die Engländer gekämpft hat nicht wie ein Verräter -, dieses Logbuch zum Beweis übergeben, daß Sie dem Stückmeister den kaltblütigen Befehl zu einem Massenmord erteilt haben!“ Der Erste Offizier wirbelte herum und blickte den Stückmeister an. „Stimmt das, Senor Rabel?“ Der Stückmeister senkte den Kopf. „Gott möge mir verzeihen - es stimmt. Ich wagte nicht, mich dem Befehl zu widersetzen.“ Und leise fügte er hinzu: „Ich bekenne mich schuldig.“ „Lüge!“ brüllte der Generalkapitän noch einmal, und dann sprang er los, nach links, wo ihm einer der geretteten Männer seiner Crew am nächsten stand. Den stieß er um und entriß ihm gleichzeitig das Entermesser.
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Und dann drang er auf Castillo ein. Der wich zurück. Gleichzeitig flog sein Degen mit einem zischenden Laut aus der Scheide. Und dann griff er mit flirrenden Hieben und Paraden selbst an, trieb den Generalkapitän über den Strand, durchs Wasser, wieder auf den Strand und gegen die Felsen, die hinter dem Sand wie eine Schutzmauer gegen die See aufragten. Das Entermesser wirbelte zu Boden. Der Degen zuckte hoch, die Klingenspitze richtete sich auf die Gurgel des Generalkapitäns und nagelte ihn am Felsen fest. Das war der Tod. Aber Castillo zischte: „Heraus mit der Wahrheit, Fernandez! Gaben Sie dem Stückmeister den Befehl, die ,Confianza` zu versenken? Ja oder nein?“ „Ja“, röchelte der Generalkapitän. „Ja-jaja! Ich gestehe alles ...“ Er verdrehte die Augen und kippte um. Der Bootsmann der „Vencedor“ war zur Stelle, packte den Generalkapitän am Kragen und schleifte ihn zum Wasser. Capitan Castillo stieß den Degen in die Scheide zurück und atmete pfeifend aus. „Sie hätten ihn töten können“, sagte der Erste Offizier. „Es war ein faires Duell. Wir waren Zeugen.“ Castillo schüttelte den Kopf. „Er gehört in Spanien vor ein Gericht. Ich werde ihn wegen versuchten und vollendeten Mordes anklagen. Das bin ich den Toten meines Schiffes schuldig. Es wird sich herausstellen, wer ihm den Auftrag zu diesem Verbrechen erteilt hat. Auch die Hintermänner gehören vor dieses Gericht. Er wird sie nennen müssen. Darum ließ ich ihn leben.“ „Verstehe.“ Der Erste Offizier knöpfte seine Jacke auf, griff unter sein Hemd und band den Segeltuchbeutel los. Er überreichte ihn dem Capitan und sagte: „Er enthält das Logbuch. Ich barg es, bevor ich von Bord ging. Wir auf der ,Vencedor` ahnten alle, daß mit dem Untergang Ihres Schiffes etwas nicht stimmte. Da ich als letzter an Bord geblieben war, konnte ich ungestört die Kapitänskammer betreten und das Logbuch an mich nehmen. Ich
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habe die Eintragung vom 16. Juni gelesen. Es ist ungeheuerlich. Er schlug darin vor, Ihnen in Barcelona ein Denkmal zu setzen.“ Er schüttelte den Kopf. „Unfaßbar. Aber der Mann bringt es fertig, vor Gericht alles zu leugnen. Dann wird das Logbuch ein guter Beweis gegen ihn sein.“ „Ich danke Ihnen, Senor Gozálbez“, sagte Castillo und schüttelte dem Ersten Offizier die Hand. „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.“ * Sie trafen am Abend im Stützpunkt ein, den jetzt Capitan Castillo als rangältester Offizier übernahm - so lange, bis er Gelegenheit hatte, mit seinen Gefangenen
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nach Spanien zurückzukehren - mit dem Generalkapitän de Fernández, mit Capitan Torres und mit dem Teniente Menacho. Sie würden sich alle drei verantworten müssen. Am nächsten Tag, der Sturm hatte abgeflaut, lief Hasards Verband aus dem Hafen aus und ging auf Kurs Südwest, der Karibik entgegen. Wenig später begegneten ihnen ziemlich ramponierte Handelsgaleonen und Karavellen mit Kurs auf Flores – der Restverband des Generalkapitäns, der schon keiner mehr war. Man zog aneinander vorbei und tat sich nichts. Das war besser, als aufeinander zu schießen. „Diese Olivenfresser ...“ knurrte Carberry. „Tun so, als könnten sie kein Wässerchen trüben . .
ENDE