Das Ende der Point Of?
KURT BRAND
Glenn Morris, der Funker der POINT OF, zuckte zusammen, als er auf dem Oszillo den H...
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Das Ende der Point Of?
KURT BRAND
Glenn Morris, der Funker der POINT OF, zuckte zusammen, als er auf dem Oszillo den Hyperfunkimpuls erkannte. Blitz-schnell legte er zur Kommandozentrale um. Ren Dhark sah jetzt auch auf dem kleinen Bildschirm seiner Sicht sprech-Anlage den Blip. Seine einzige Reaktion: Er kniff etwas die Au gen zusammen, veränderte aber seine Haltung nicht im Schwenksessel. Dan Riker neben ihm hatte noch nichts bemerkt. Da übertrug der Laut sprecher: „CAESAR ruft POINT OF! CAESAR ruft POINT OF CAESAR... SOS... Mollin-Sys tem...“ Aus! Kein Blip mehr auf der Sichtscheibe! Die ToFunkverbindung zum Aufklärer der Wolf-Klasse war abgerissen! Ren Dhark beugte sich leicht zu den Sprechrillen vor. „Morris, alle Daten schnellstens an mich!“ Der wußte, was Commander Dhark damit ver langte. Morris sah seine Kollegen Walt Brugg und Elis Yogan an. Sie nickten flüchtig, steckten schon mitten in der Arbeit. Brugg rief die im Checkmaster gespeicherten Daten ab. Elis Yo gan fixierte die Werte der Funk-Ortung. Glenn Morris empfing von beiden Seiten Endauswer tungen. Die Bord-Verbindung zur astronomi schen Abteilung der POINT OF bestand. Jens Lionel, Bordastronom des Ringraumers, berech nete die Entfernung zwischen dem Denebsystem, in dem das Flaggschiff der Terranischen Flotte wichtige Forschungsaufgaben durchführte, und der Mollin-Gruppe. „Morris, 594 Lichtjahre Distanz.“ „Danke, Lionel.“ Wall Brugg las noch einmal die Einfallstärke des To-Funkspruches der CAESAR ab. „0,34, Morris. Als ob man auf dem Aufklärer mit dem letzten Rest Saft SOS gegeben hätte!“ „Nehmen wir an, daß es wirklich so gewesen ist... Stop!“ Alle Daten, nach denen Commander Dhark verlangt hatte, lagen jetzt vor. Die Bord verbindung übermittelte sie als Bild; Morris ras selte sie zusätzlich herunter. Er wußte, daß man Ren Dhark so schnell nicht überfordern konnte. „Einwandfrei To-Funk, Morris?“ vergewis serte er sich. „To-Funk mit 0,34 Einfallstärke, Comman der!“ Dhark warf seinem Freund Dan einen for schenden Blick zu. „Robonen, Ren?“ Daran hatte Ren Dhark auch im ersten Mo ment gemacht, als der Notspruch der CAESAR eingelaufen war. Nach wie vor machte die relativ kleine, nicht umgeschaltete Robonengruppe als Piraten mit erbeuteten giantischen Kugelrau mern das Gebiet zwischen den Sternen unsicher. Aber die in der Vergangenheit erfolgten Zusam menstöße waren alle anders verlaufen als jetzt bei der CAESAR. Es hatte Kämpfe gegeben, in denen terranische Schiffe bis zum letzten Mo ment aus allen Strahlantennen gefeuert hatten, Notrufe waren dabei ununterbrochen abgestrahlt worden. Auf Terra und auf terranischen Schiffen hatte man sich ein Bild von den verzweifelten
Kämpfen machen können, bis dann jedesmal die To-Funkverbindung abgerissen war und der angegriffene Raumer sich nie mehr meldete. „Commander, Echo-Kontrolle, ... null!“ teilte Glenn Morris mit. Mit anderen Worten: Auf der CAESAR gab es keine Hyperfunk-Station mehr, die betriebs klar war. Für Ren Dhark der letzte und schlüssige Be weis, daß man den Aufklärer der Wolf-Klasse entweder vernichtet oder geentert hatte! War damit von den Robonen eine neue Tak tik in die Praxis umgesetzt worden? Es fiel ihm schwer sich vorzustellen, wie man einen Raumer der 100-Meterklasse, der über eine kampferfahrene Besatzung verfügte, inner halb von Sekunden besetzen konnte. Die Bordverständigung zur Triebwerkzen trale stand. „Miles, informiert?“ Miles Congollon, Erster Ingenieur der POINT OF, hatte mitgehört. „Alles okay. Schiff klar!“ Plötzlich lagen Ren Dharks Hand auf den Steuerschaltern des langgestreckten Instrumen tenpults, aber er bewegte sie nicht. „Grappa...“ Tino Grappa, der beste Ortungspezialist der Terranischen Flotte und inzwischen zum Leutnant avanciert, wußte genau, was der Com mander der Planeten, wie Ren Dharks offizieller Titel lautete, von ihm erwartete. „Ortungen ... null! Energie-Ortung auf höchs te Leistung geschaltet. Im System Mollin sind keine spontanen energetischen Ausbrüche fest zustellen!“ „Danke! Die Koordinaten für Mollin! Funk-Z, sind die Orter der CAESAR fixiert?“ Es gab kein Zögern. Prompt kam Glenn Mor ris Antwort. Fast gleichzeitig vom Checkmaster, dem ge nialen Bordrechengehirn der POINT OF, die Koordinaten für das Mollin-System. Distanz, 594 Lichtjahre! Die POINT OF nahm Fahrt auf, verließ den Sektor Deneb und beschleunigte den Sle mit maximaler Leistung. Dan Riker drehte den Kopf. „Weit und breit kein Schiff der Flotte, Ren! Wir sollten ...“ Dhark war anderer Meinung. „Funkspruch an TF-Stab, Cent Field: Wir übernehmen den Fall! Vollzug, Dan!“ Knapper konnte ein Befehl nicht formuliert werden. In der Kommandozentrale war man es gewohnt. Die Besatzung des Ringraumers, jah relang geschult, bestand aus einem Guß. Jeder Mann ging für Ren Dhark durchs Feuer, und je der wußte, daß der Commander ihnen nie mehr abverlangte, als er selber leisten konnte. Die Order an den TF-Stab ging heraus. Alle Hypersender terranischer Konstruktion waren mit dem vorgeschalteten Tofirit-Kristall ausge rüstet. Das Tofirit, das man sowohl auf Hope
abbaute wie auf dem Planeten Jump, besaß die Eigenschaft, Hyperfunkstrahlen eng zu bündeln und zu richten. Gleichzeitig erlaubte es, bei minimaler Sendeenergie riesige Lichtjahrdistanzen zu überbrücken und nur den Empfänger anzu sprechen, für den der Spruch bestimmt war. ToFunksendungen abzuhören, war unmöglich, wenn nicht die fremde Station gerade im Richt strahlbereich lag. Morris meldete sich wieder, „CAESAR antwortet auf unsere Fragen nicht. Echo-Kontrolle nach wie vor null!“ Im Schiff begannen Aggregate zu Heulen, zu brummen und zu tosen. Ren Dhark und Dan Ri ker beobachteten die Kontrollen auf ihrem In strumentenpult. Zwei Offiziere machten am Checkmaster Dienst, zwei weitere erfüllten auf der Galerie ihre Aufgabe, die in vier Meter Höhe die gesamte Zentrale umlief. Tino Grappa, der junge Mailänder saß be herrscht und voller Aufmerksamkeit hinter sei nen Ortungen und hatte auf das Instrumenten pult geschaltet, so daß der Commander mit ihm zusammen alle Ortungswerte ohne Zeitverlust ablesen konnte. Über allem stand die Bildkugel. Sie spiegelte den Deneb-Sektor und die Weite des Sternen meeres wider. „Auf Stemensog ...“, murmelte Ren Dhark, dem man die Spannung nicht ansehen konnte. Auch ihn quälte die Frage: Was war mit der CAESAR passiert? Wer hatte den Aufklärer an gegriffen und wahrscheinlich vernichtet? Wieder jene Robonen, die sich vor mehr als vier Jahren der Umschaltung durch den Commutator-Enze phalo entzogen hatten, und nach wie vor nicht wußten, daß sie Menschen waren und von dem Planeten Terra abstammten? Dan Riker schüttelte unzufrieden den Kopf. „Verflixt, warum hat der Aufklärer erst so spät den Notruf abgesetzt? Jetzt rasen wir los und ha ben keinen blassen Schimmer, was im MollinSystem eigentlich passiert ist!“ Sein Ärger war berechtigt. Daß er von Ren Dhark keine Antwort erhielt, war normal. Der Commander gehörte nicht zu den Menschen, der ein Urteil abgab, ohne vorher Für und Wider abgewogen zu haben. „Die Giants, Ren .. .?“ Riker konnte die Raubtierköpfe nicht ausstellen. Wo sich eine Möglichkeit bot, erinnerte er daran, wie sie die Menschheit versklavt halten. „Die Giants sind bei dir zu einem Komplex geworden!“ Das war hart! Aber es war auch die einzige Methode, Dan Riker jede Lust zu neh men, dieses Thema in einem fruchtlosen Ge spräch auszuwalzen. Von der Erde, aus Cent Field, dem größten Raumhafen Terras und Heimathafen der Terrani schen Flotte, kam die Bestätigung, den Befehl des Commanders erhalten zu haben. Aber der Stab der TF hatte dennoch Vorsorge getroffen: ... Drei Raumer der Planet-Klasse stehen transistionsklar im Sol-System! Ren Dhark schmunzelte. Er hatte als Chef des TF-Stabes nicht anders gehandelt. Die Zeit verging. Der Ringraumer raste mit steigender Überlichtgeschwindigkeit durch den Raum seinem Ziel zu. Gleichmäßig liefen die Aggregate, summten die Energiebänke, die Transformer, und in einem ebenso gleichmäßi gen zeitlichen Abstand kamen die Klarmeldun gen aus den wichtigsten Stationen. „In einer halben Stunde haben wir das Ziel gebiet erreicht ...“
Ren Dhark nickte. Die beiden Waffensteue rungen in der POINT OF waren gefechtsklar. Die Besatzung hatte den Befehl erhalten, in die M-Raumanzüge zu steigen. Der Commander hatte sich nicht ausgenommen. In der Bildkugel tauchte die Mollin-Sonne auf, ein weißer Riese, der dem System, das aus acht weiteren Feuerbäl len und über dreißig Planeten bestand, den Na men gegeben hatte. Dan Riker schwenkte mit seinem Sessel he rum. Er blickte auf Grappas Rücken, der bewe gungslos hinter den Ortungen hockte. „Ver dammt, immer noch nichts, Tino?“ „Keine energetischen Emissionen, die auf ein explodiertes Raumschiff schließen lassen, Riker!“ Auf den Schiffen der TF war kurz nach Nor man Dewitts Sturz und Tod militärischer Ton und militärische Ordnung eingezogen. Es gab wieder Dienstgrade und Lametta an den einteili gen, grünen Uniformen. Aber die Besatzung der POINT OF hatte diesen Zirkus nicht mitge macht. Kein Mann machte von seinem Dienst grad Gebrauch; kein Offizier verlangte von sei nen Untergebenen, mit Leutnant, Major oder Colonel angesprochen zu werden. Und Ren Dhark hatte diesen Protest seiner Besatzung mit leichtem Schmunzeln beobachtet und den Män nern ihren Willen gelassen. Äußerlicher Pomp war ihm zuwider. Immer wieder kam es vor, daß er, der Com mander der Planeten und Chef der terranischen Regierung, der in offener Wahl mit überwälti gender Mehrheit auf zwölf Jahre gewählt wor den war, an Bord seines Flaggschiffes mit Dhark angesprochen wurde. Er war ihr Ren Dhark; er dachte nicht daran, es zu ändern. Aber wenn der Ringraumer auf Cent Field gelandet war und Angehörige anderer Schiffe sich in der Nähe befanden, dann kam es jedem Mann der POINT OF glatt über die Lip pen, den Vorgesetzten mit seinem Dienstgrad anzureden. Die Mollin-Sonne wuchs in der Bildkugel. Der Ringraumer wurde auf negative Beschleuni gung geschaltet und verließ den überlichtschnel len Bereich, als der Sle den Sternensog ablöste. Mit einer Fahrt, die nur noch 0,55 Licht be trug, erreichte das Schiff den Sektor, in dem die CAESAR ihren SOS-Ruf abgestrahlt hatte. Die Bestürzung der Männer wuchs von Mi nute zu Minute, je länger die Suche nach der CAESAR erfolglos war. In der Funk-Z war man ebenso ratlos wie in der Kommando-Zentrale. Ren Dhark hatte eigenhändig die Ortungen kon trolliert. Die Werte, die sie lieferten, betrafen alle das System, aber sie erbrachten keinen Hin weis, was mit dem Aufklärer geschehen war. „So spurlos wie die CAESAR ist noch nie ein Schiff verschwunden...“, stellte er nachdenklich fest, als er wieder in seinem Pilotsessel Platz ge nommen hatte. Die nächste Sonne stand 3,2 Lichttage ent fernt. Sie war ein kleiner, roter Stern, dessen Schwerkrafteinfluß sich auf diese relativ weite Entfernung kaum noch bemerkbar machte. Ren Dhark stellte eine Verbindung zum As tronomen Lionel her. „Herrschen im MollinSystem besonders starke MassenanziehungsVerhältnisse?“ „Nein, Dhark. Das Mollin-System ist des halb nur so interessant, weil wir immer noch nicht wissen, ob zwei Sternkörper nun glühende Planeten oder Sonnen sind, die wie Planeten und zusammen mit diesen eine andere Sonne
umlaufen. Wie sieht's denn mit der CAESAR aus?“ „Keine Spur. Darum habe ich angefragt. Der Verdacht drängt sich auf, daß sie auf eine Sonne abgestürzt ist...“ „Völlig ausgeschlossen, wenn ... wenn die Koordinaten stimmen, die unsere Funk-Ortung erfaßt hat!“ Daran hatte Ren Dhark auch schon gedacht. Morris hatte mitgehört. Er schaltete sich ins Gespräch zwischen dem Commander und Lionel ein. „Die durch unsere Funk-Ortung erfaßten Koordinaten stimmen! Wir haben inzwischen Zeit genug gehabt, alles noch einmal zu kontrol lieren. Wir befinden uns mit plus-minus 300 Ki lometer in dem Gebiet, in dem die CAESAR SOS gefunkt hat!“ „Lionel, Sie haben gehört, was Morris be hauptet. Können Sie mir einen Tip geben?“ Diese Frage war charakteristisch für Ren Dhark. Es war ihm nie schwer gefallen, zuzuge ben, auch einmal etwas nicht zu wissen oder rat los zu sein. Daß er aber damit in der Achtung seiner Besatzung stieg und die Männer immer wieder erkannten, daß ihr Commander auch ein Mensch mit Fehlern war und kein Supergenie, hatte er nie überlegt oder berücksichtigt. Lionels Gesicht auf dem kleinen Bildschirm der Bordverständigung war klar und deutlich zu sehen. Der Astronom rieb sein Kinn. „Hm... Zerstörung der . CAESAR ohne atomare Reak tionen...?“ „Wie stellen Sie sich das vor?“ fragte Ren Dhark überrascht. „Der Aufklärer ist mit seinen hundert Metern Durchmesser und seinem ener getischen Schutzschirm keine Haselnuß gewe sen, die man einfach aufknacken konnte!“ „Ja, ja, Dhark ... aber wenn wir den Raptor strahl berücksichtigen?" Neben Ren Dhark richtete sich Riker ruckartig auf. Impulsiv brachte er über die Lippen: „Darauf wäre ich nicht gekommen!“ „Ich auch nicht...“, gab Ren Dhark nachdenk lich zu. „Der Raptorstrahl ... das könnte die Erklä rung sein, weshalb wir hier keine energetischen Spuren über ein Raumschiff finden, das explodiert ist ...“ Von einer Seite, an die niemand gedacht hatte, kam ein begründetet Einwurf: „Commander“, mischte sich Grappa ein, „auch mir waren die SOS-Koordinaten der CAESAR bekannt. Ich will nicht behaupten, daß unsere Energie-Ortung auf eine Entfernung von rund 600 Lichtjahren noch einwandfrei arbeitet, aber ich hätte doch wenigs tens einen Raptor-Blip über Hyper erfassen müs sen!“ „Wir drehen uns auf der Stelle“, sagte Ren Dhark. „Die Theorie, die bei der Explosion der CAESAR freigewordene Energie durch den Rap torstrahl abzusaugen, scheint mir auf schwachen Füßen zu stehen ...“ „Wenn Grappa wie ein Automat beobachtet hat!“ warf Riker ein. Dhark erhob sich. „Übernimm das Schiff, Dan.“ Er ging zum Checkmaster. Die beiden Of fiziere, die daran Dienst machten, räumten den Platz. Dhark überlegte kurz und gab dann seine Frage an das Bordgehirn. Checkmaster und Or tungen standen miteinander in ununterbrochener Verbindung. Alle erfaßten Daten mußten sich demnach im Speicherteil der Rechenanlage befinden.
Ren Dhark konzentrierte seine Gedanken ausschließlich auf dieses Problem, Sekunden später meldete sich die Gedankensteuerung. In diesem Sektor sind Raptor-Strahlen nicht benutzt worden. „Was jetzt?“ fragte Riker, als sein Freund wieder Platz genommen hatte. „Weitersuchen und dabei überlegen, was mit der CAESAR passiert sein könnte. Daß das Schiff überfallen werden ist, beweist der Notruf. Jetzt haben wir zu beweisen, daß wir logisch denken können!“ „Du meinst raten ...“, warf Dan Riker bissig ein. „Okay ich bin einverstanden, nur rechne ich nicht damit, daß wir mit Nachdenken herausfin den werden, wer unser Schiff auf dem Gewissen hat. Wenn Raptor-Strahlen nicht in Frage kom men, dann sind die Giants dieses Mal wirklich Unschuldslämmer...“ Er war schon wieder bei seinem Lieblingsthe ma. „Laß die Giants aus dem Spiel, Dan! Ich lasse mich nicht davon abbringen, daß der Cal der Gi ants den Vertrag hält, den er mit uns geschlos sen hat. Bitte, wir haben jetzt andere Sorgen ...“ „Ren, wann hatten wir einmal keine?“ Damit hatte Dan Riker den Nagel auf den Kopf getroffen. * Einmalig auf der Erde war die Skyline von Alamo Gordo! Alamo Gordo, das Herz der Welt! Eine Stadt am Rande des Otero Basins, die in knapp vier Jahren World City an Einwohnerzahl überflügelt hatte. Die Sonne ging unter. Der Himmel war klar und blau. Langsam wollte der Glutball am Hori zont verschwinden. Seine letzten Strahlen ver goldeten die gigantischen Hochbauten, die Ala mo Gordo Gesicht gaben. Stilbauten! Einer neben dem anderen. Einer höher als der andere. Einer eleganter als der andere. Schmale, schlanke Türme, die sich in den Himmel reckten. Türme, die die Kugel trugen in fünfhundert Metern - in tausend Metern - in tausendfünfhundert Metern! Und je höher die Türme ragten, um so größer war der Durchmes ser dieser Kugel - Wohnraum für viele hundert tausend Menschen - Menschen, die es nur den A-Gravkräften zu verdanken hatten, daß terrani sche Technik die Bauten erstellen konnte. Alamo Gordo wuchs buchstäblich in den Himmel; die größte Stadt Terras mit dem kleins ten Grundriß. Die Bauten in Alamo Gordo wa ren der Stil der neuen Zeit. Alamo Gordo war das Herz, das dieser neuen Zeit Leben schenkte. Viele Millionen Menschen nannten diese Stadt Dhark-City, aber der Mann, dem dieser Name gehörte, hatte kategorisch den Vorschlag abgelehnt, Alamo Gordo umzutaufen... „Ich bin kein Denkmal“, hatte er gesagt, und man hatte seinen Entschluß akzeptiert. Viele Millionen Menschen nicht. Für sie war und blieb Alamo Gordo die Dhark-City. Offiziell wurde dieser Name nie benutzt! Am östlichen Stadtrand stand ein Hochhaus im alten Stil, und dennoch war es erst vor drei Jahren errichtet worden. Vierzig Stockwerke hoch ragte es in den Himmel, eine Komposition aus Plastikbeton und wetterfesten Kunststoffen.
Das flache Dach war als Jett-Landeplatz entwi ckelt. Die Jetts hatten die Schweber alten Typs abgelöst. Tagtäglich liefen aber Tausende von den Bandstraßen; in allen Kontinenten wurden sie von Mammutautomaten geradezu gestanzt, und dennoch war immer noch nicht abzusehen, wann der Jett-Markt gesättigt war. Millionen Jetts durchrasten den Luftraum Terras, aber Mil lionen Menschen warteten ungeduldig darauf, daß auch ihnen endlich eins der Fahrzeuge ver kauft wurde. Die Invasion der Giants wirkte immer noch nach, wenngleich die groben Spuren ihrer zer störerischen Herrschaft längst beseitigt worden waren. Aus Richtung der Rocky Mountains, in knapp dreihundert Metern Höhe, jagte ein Jett auf Alamo Gordo zu. Das Fahrzeug folgte genau dem Kurs des schmalen Betonbandes, das grad linig durch die Landschaft verlief, auf unge wöhnlich schlanken und scheinbar schwachen Konstruktionen Flüsse und Täler überquerte, um danach immer wieder eins zu werden mit seiner Umgebung: Jett-Straßen, die Impulse ausstrahl ten und mittels ihrer Impulse den Luftverkehr so sicher regelten, daß Jett-Unfälle zu den sensatio nellsten Neuigkeiten zählten. Bernd Eylers, Chef der GSO, kehrte von ei ner Inspektion nach Alamo Gordo zurück. Seine Galaktische Sicherheits-Organisation war in den vergangenen dreieinhalb Jahren nach Dewitts Verschwinden kein Mammutapparat geworden. Sie umfaßte rund 11000 Männer und Frauen, die in anstrengenden Lehrgängen auf ihre zukünfti gen Aufgaben geschult worden waren, für die Sicherheit der Menschen innerhalb der Milch straße zu garantieren. Ren Dhark hatte ausdrück lich darauf bestanden, daß aus der GSO keine Geheime Regierungspolizei wurde, die ihre Auf gabe darin sah, den Menschen auf der Erde in seiner persönlichen Freiheit zu behindern. Alamo Gordo kam in Sicht. Bernd Eylers drückte einen Knopf am Armaturenbrett seines Schwebers. Sekunden später verließ der Jett das Betonband, schwenkte aus dem Kurs, hatte, die Impulse aufgenommen, die vom Flachdach des Regierungsgebäudes abgestrahlt worden waren, und hielt mit gleichbleibender Geschwindigkeit darauf zu. Knapp einen Kilometer von seinem Ziel ent fernt schaltete sich der Antrieb automatisch um. Ein kleiner Andruckregler - auch eine Errungen schaft der neuen Technik - eliminierte die hoch schnellenden gravitatorischen Kräfte und ließ Eylers von dem starken Bremsmanöver nichts bemerken. Sicher setzte sein Jett auf. Eylers schaltete al les ab, stieg aus und ging auf die kleine Kuppel in der Mitte des Flachdaches zu. Eine schottarti ge Tür öffnete sich mit ihren beiden Flügeln. Unsichtbare Kontrollstrahlen überprüften sein Gehirnstrom-Muster, erkannten, wer er war und gaben ihm den Weg frei, einen A-Gravschacht zu benutzen, über dem in flammender Leucht schrift stand: Achtung! Sicherheitsstufe l! Nur einer kleinen Gruppe Menschen auf der Erde war es möglich diesen Lift zu benutzen, der nur zwei Stockwerke tief führte und demnach auf der 39. Etage endete. In diesem Bereich befanden sich die Arbeits räume von Ren Dhark, Dan Riker, Eylers, Szar
dak und Larsen - und das Büro von Ren Dharks Stellvertreter Henner Trawisheim. Bernd Eylers schwebte in der Minus-Sphäre zur 39. Etage. Er achtete nicht mehr darauf, daß er erneut durch unsichtbare Strahlen kontrolliert und identifiziert wurde. Die Routine hatte ihn gegenüber diesen gleichgültig werden lassen. Der elastische, lindgrün gehaltene Bodenbe lag dämpfte jeden Schritt. Er ging auf sein Ar beitszimmer zu, kam am Archiv vorbei, in dem drei gewaltige Suprasensoren selbst nach drei Jahren ununterbrochener Beschickung in Tagund Nachtschichten von Experten mit Daten be liefert wurden, und betrat sein Büro. Im 39. Stockwerk gab es keine Vorzimmer, auch keine Chefsekretärinnen oder andere dienstbare Geister. Sie wurden nicht mehr benö tigt. Das Archiv mit seinem unvorstellbar gro ßem Wissen konnte von jedem Arbeitsraum be fragt werden, und meistens dauerte es nur einige Sekunden, bis die präzise Antwort einlief. Bernd Eylers blickte auf, als er Chris Shanton gemütlich im Besuchersessel mehr liegen als sit zen sah. Der schwere 2-Zentnermann, dem in zwischen die gesamte Defensiv-Verteidigung des solaren Systems unterstand, hatte ein kleines Nickerchen gemacht. Jetzt öffnete er die Augen, warf einen Blick auf sein Chrono und meinte im mürrischen Ton: „Eylers, Sie hätten ruhig ein bißchen später kommen können. Was ist schon eine halbe Stunde Schlaf?“ Sie kannten sich. Sie hatten sich auf Hope zu sammengerauft, und gingen inzwischen für den anderen durch dick und dünn. Deshalb wußte Eylers auch, daß Shantons Bemerkung nicht den Tatsachen entsprach. Der Dicke, der ob seiner Scherze berüchtigt war, und dem es besonderen Spaß machte, gerade die Experten auf den Arm zu nehmen, die sich auf ihr Können zuviel ein bildeten, setzte sich manierlich in den Sessel, hatte aber etwas Arbeit mit seiner Körperfülle. „Eylers, ich brauche ein paar Leute aus ihrem Klan, aber keine Typen, sondern Allround-Ker le. Auf Ast-227 ist der Teufel los. Da geht in ei nem fort was hoch oder kaputt. Wir haben uns alle Mühe gegeben, aber bis heute ist es uns nicht gelungen, den oder die Schmierfinken zu erwischen. Stellen Sie drei oder vier Mann ab. Ich weise Ihre Boys schon ein. Wann kann ich sie haben?“ Viele Menschen überforderte er mit seiner lü ckenhaften Informationsart, aber nicht den Chef der GSO. Eylers wußte, was Ast-227 bedeutete. Unter Shantons Leitung waren in drei Jahren ununterbrochener Arbeit 370 mehr oder minder große Asteroiden mit Hilfe der Anti-Schwerkraft und Pressorstrahlen in die Umlaufbahnen ge bracht worden, die Suprasensoren errechnet hat ten, um ganz besonders als Träger von Abwehr forts Terras Schutz zu übernehmen. Ast-227 war einer dieser planetoiden Vertei digungsstellungen. Eylers nickte, während seine rechte Hand fast blindlings seine Anfrage ans Archiv tippte. „Große Schäden, Shanton?“ „Es geht, aber was mich beunruhigt... da wird mit A-Grav gespielt. Der Kurs von Ast-227 stimmt längst nicht mehr. In drei Wochen und zwei Tagen würde er mit Ast 75 zusammensto ßen, wenn wir ihn auf seiner jetzigen Bahn be
ließen.“ Eylers Alltagsgesicht veränderte sich nicht. „Robonen?“ „Ach, die... Nein, die kommen nicht in Frage. Wir haben keine auf den Ast'. Es muß ein Kerl sein, der auf Hope gewesen ist. Ein verfluchter Tiefstapler, der verdammt viel kann ...“ „So einer wie Sie .. .“ Der Dicke schmunzelte. „Für die Bemerkung haben Sie mir einen guten Schnaps zu spendie ren, Eylers, aber einen doppelten.“ Shanton war schon immer ein Freund von harten Getränken gewesen und hatte auf Hope das unfaßbare Kunststuck vollbracht, als es längst keine guten Schnäpse mehr gab, davon immer Flaschen in geheimer Reserve zu haben. Die Supra-Sensoren des Archivs hatten langst eine Gruppe Namen geliefert, die für diesen Auftrag in Frage kamen. Eylers warf nun einen Blick auf die Folie, kreuzte mit dem Lichtstift vier Namen an, überreichte Shanton die Folie und meinte: „Die Männer können Sie haben. Waren Sie selbst oben?“ Shanton strich sich seinen Backenbart, prägte sich die vier Namen ein und erwiderte: „Das ist ja gerade das Unheimliche an der Geschichte. Jedesmal, wenn ich auf Ast-227 war, ging 'was hoch oder kaputt...“ „Dann waren Sie der Saboteur!“ behauptete Eylers mit todernstem Gesicht und wartete ge spannt darauf, wie Chris Shanton auf diesen har ten Scherz reagieren würde.“ Der faßte diese Bemerkung gar nicht als Scherz auf. „Und wenn Sie sich kaputtlachen, Eylers... ich hab' mich selbst im Verdacht! Denn diese Schweinereien auf Ast-227 tragen alle meine Handschrift!“ „Sie spinnen...“ „...oder auch nicht. Nicht wegen der vier Fi guren aus Ihrem Verein bin ich hier und hab ein kleines Nickerchen gemacht. Die hätte ich auch von Ihnen bekommen, wenn ich Sie übers Vipho angerufen hätte. Verdammt und Zugenäht... es geht um mich. Eylers, Sie sollen mich überwa chen lassen! Ganz besonders, wenn ich auf Ast 227 bin!“ Der andere, bückte sich, griffe in seinen Schreibtisch, holte eine Flasche Kognak hervor, ein Plastikglas und schenkte sich ein. Shanton durfte zusehen. Und Shanton ver langte nicht lautstark auch nach einem Harten. Er saß in seinem Sessel und sah, wie Eylers den guten Kognak wie einen klaren Schnaps kippte. „Den hatte ich nötig...“, sagte Eylers und wischte sich über die Lippen. „Ich soll Sie durch meine GSO überwachen lassen?“ „Na, und? Bin ich etwas anderes als jeder an dere, Eylers? Ich trau' mir selbst nicht mehr über den Weg!“ „Fühlen Sie sich gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe?“ Der Dicke prustete wie ein Nilpferd. „Ich bin okay wie noch nie. Ich bin auch in der letzten Zeit nicht mondsüchtig gewesen, aber...“ Er stand auf, ging zum Schreibtisch, nahm die Flasche und das Plastikglas, aus dem Eylers getrun ken hatte, grinste flüchtig und murmelte: „Alkohol war schon immer ein erstklassiges Desinfek tionsmittel ...“, und trank dann erst einmal. Hart stellte er das Glas ab, benutzte den Schreibtisch
als Sitz und fuhr fort: „Eylers, ich habe in den letzten Jahren, auf unseren gesamten AstStationen Sicherungskreise eingebaut, die ich teilweise selbst, teilweise zusammen mit Arc Doorn entwickelt hatte. Diese Sicherungskreise auszuschalten, oder so zu schalten, daß sie ge nau das Gegenteil von einer Zusatzsicherung darstellen, nämlich zerstörend wirken... Eylers, das bringen nur Doorn und ich fertig. Wir beide haben doch überall eigenhändig die Sachen ein gebaut. Die Konstruktionsunterlagen befinden sich nur im Checkmaster der POINT OF. Ko pien hat's nie gegeben. Und jedesmal, wenn ich auf Ast-227 bin oder gerade gewesen bin, geht da nicht nur was kaputt, sondern die Antischwerkraft beginnt dort wie ein Vandale zu hausen...“ „Moment“, unterbrach Eylers, „jetzt bin ich nicht mitgekommen. Eine Frage: Hat der zusätz liche Sicherungskreis Beziehung zur AntiSchwerkraft?“ Chris Shanton verdrehte die Augen, schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und donnerte mit seinem mächtigen Organ los: „Direkt nicht, aber wenn man ihn verschaltet, dann kann man mit der A-Grav spielen wie mit einem Fußball. Nur weiß das kein Mensch ...“ „Das glauben Sie...“ „Humbug, Eylers! Sie verstehen von der technischen Seite herzlich wenig! Hören Sie auf mich. Ich bin's gewesen! Ich! Deswegen bin ich hier! Sie oder Ihre Leute sollen herausfinden, warum ich mir selber ins verlängerte Rückgrat trete!“ „Nur auf Ast-227, Shanton?“ Der Diplom-Ingenieur schüttelte den Kopf. „Auch auf 34, 73, 82, 106 und 309! Jedesmal war ich auch dort. Glauben Sie endlich, daß ich dahinterstecke?“ „Wenn ... dann nicht bewußt, Shanton!“ Der Dicke verlor die Geduld. Er griff nach der Flasche, verzichtete vornehm darauf, ein Glas zu benutzen und ließ den Stoff die Kehle hinuntergurgeln, daß Eylers fühlte, wie ihm über diese Beobachtung der Schweiß ausbrach. „Ah...“, stöhnte Shanton, „das hat gut getan.“ Er hielt die Flasche in seinen Pranken. Nach denklich betrachtete er Bernd Eylers. „Ob ich es bewußt oder unbewußt getan habe... ich hab es getan! Finden Sie heraus, warum ich es getan habe, - oder noch tun werde! Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühle, seitdem ich mich selber in Verdacht habe?“ Bernd Eylers erkannte, daß es nur Zeitver schwendung war, Shanton durch Worte zu über zeugen, Träger eines krankhaften Komplexes zu sein. Seiner Meinung war der Dicke überarbeitet und gehörte mal für ein paar Wochen in ein Sa natorium in die Hände kluger Ärzte. Chris Shanton ahnte, was der andere dachte. Sein Blick hatte jede Spur von Humor verloren, als er sich zu ihm beugte und seine Stimme zu einem Flüstern absenkte: „Wenn Sie jetzt ge dacht haben, ich sei hysterisch, dann sind wir geschiedene Leute, mein Bester! In meinem Oberstübchen ist alles okay, und weil ich meine fünf Sinne Tag und Nacht zusammen habe...“ „Wann haben Sie sich untersuchen lassen, Shanton?“ unterbrach ihn der Chef der GSO, dem allmählich das selbstanklagende Verhalten des anderen unheimlich wurde.
„In den letzten drei Tagen. Im Brana-Tal. Echri Ezbal hat mich eigenhändig untersucht. Volle sechs Stunden. Es war alles andere als ein Vergnügen.“ Bernd Eylers konnte es ihm nachfühlen. Im Brana-Tal, mitten in der wildesten Wild nis des Himalaya, befand sieh eins der geheims ten Unternehmen Terras - und eins der kostspie ligsten - die CYBORG-STATION! Hier wurde der Cyborg - der Cybernetic Organism - unter der Leitung des Genetikers und Biochemikers Echri Ezbal entwickelt. 1350 Experten fast aller Fakultäten arbeiteten unun terbrochen an dem Problem, einen Typ Mensch zu schaffen, der den normalen Homo sapiens psychisch und physisch weit übertraf. Und diese Cyborg-Station im Brana-Tal war das medizini sche Zentrum Terras geworden, über eine Trans mitter-Anlage mit Alamo Gordo verbunden, die ebenso stark abgesichert war wie der kurze AGravschacht auf dem Flachdach des Regierungs gebäudes, konnte dieses Forschungszentrum in Nullzeit erreicht werden. „Und wie lautete Ezbals Befund?“ „O.B. Was hatten Sie denn erwartet, Eylers?“ Shantons Stimme orgelte wieder. „Gut. Ich lasse mir Ihren Fall durch den Kopf gehen...“ Er verstummte, weil er das unde finierbare Grinsen des anderen sah. „Was gibt es da zu lachen, Chris?“ Hin und wieder sprach man sich in der Füh rungsspitze um Commander Dhark auch mit Vornamen an, jedoch rückte der eine dem ande ren damit nicht zu nah auf die Haut. Lässig erwiderte der Mann, der nicht nur ein wunderbares Defensiv-System zum Schutze Ter ras aufgebaut hatte, sondern auch ein FrühWarnsystem, das auf viele tausend Lichtjahre den Raum um Sol ununterbrochen abtastete: „Sie haben keine Zeit, sich meinen Fall erst einmal großartig zu durchdenken, mein lieber Ey lers, weil ich in einer halben Stunde per Transmitter mal wieder auf Ast-227 bin. Und wenn dort nach meinem Besuch wieder was hoch geht und Sie haben nichts getan, mich auf Schritt und Tritt überwachen zu lassen, dann holt Sie der Teufel. Dann kreide ich Ihnen den neuen Vorfall dort oben an, Aber ziemlich dick. Sind wir uns nun klar?“ Auch ein Chris Shanton konnte den Chef der GSO nicht bluffen oder unter Druck setzen. „Ich werde mir Ihren Fall vornehmen, wenn ich Zeit habe, Shanton. Sie wollen nach Ast 227? Bitte, ich halte Sie nicht auf!“ Solche Zusammenstöße zwischen den beiden war nichts Seltenes. Sie hatten jedoch das eine Gute, daß der eine dem anderen nie etwas nach trug. Und es war auch bezeichnend, wie der di cke Ingenieur reagierte, als er auf diese Weise aufgefordert wurde, Eylers Büro zu verlassen: Er ging wortlos, aber ebenso wortlos hatte er Eylers guten, alten Kognak eingesteckt. Doch an der Tür blieb er stehen. „Den brauch ich, wenn mir mitgeteilt wird, daß nach meinem Besuch auf 227 mal wieder...“ „Ja!“ rief Eylers ihm nun mit aller Unfreund lichkeit unterbrechend zu, „das habe ich inzwi schen hundertmal gehört,... was kaputt gegangen ist! Hoffentlich dauert es eine gute Reihe Monate, bis Sie mal wieder ein Schläferchen in
meinem Büro machen können!“ „Arroganter Schnüffler!“ konnte sich Shan ton nicht verkneifen zu sagen, grinste dabei aber vergnügt und stampfte hinaus. Sein Weg führte ihn zur Transmitter-Station, die auf der anderen Seite des 39. Stockwerkes lag. Sie war ein leicht verändertes Abbild jener kleinen Anlage, die man vor Jahren sowohl im Industrie-Dom in Deluge auf dem Planeten Hope gefunden hatte, wie auch auf Kontinent 4 über jener Stelle, an der man Tofiritfündig ge worden war. Die Strahlkontrollen hatten Chris Shanton ungehindert eintreten lassen. Sein GehirnstromMuster wies ihn als einen der Menschen aus, der nach seiner Wahl jede Transmitter-Gegenstation einschalten konnte. Diese Schaltanlage hatte ein terranisches Gesicht. Sie war mehr als einfach. Sieben rotleuchtende Knöpfe, die arretiert wer den konnten, genügten, um alle Gegenstationen, - und es waren inzwischen weit über sechshun dert geworden, einzuschalten. Rechts neben dem Transmitterbogen, der wie eine massive Ringan tenne aus der Radio-Technik des vergangenen Jahrhunderts aussah, befand sich in der Form ei nes kleinen, leicht geneigten Pultes die Knopf schaltanlage. Shanton kannte die Nummer der Gegenstation auf Ast-227 auswendig. Scheinbar wahllos arretierte er vier Knöpfe, die erst nach einer Verzögerung von einigen Sekunden ihr Rotleuchten einstellten und auf grün wechselten. Die Transmitterverbindung nach Ast-227 stand. Chris Shanton hatte seinen Besuch auf dem Asteroiden nicht angemeldet. Er liebte es stets, überraschend zu kommen, Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, daß er sich damit keine weiteren Freunde erwarb, aber Mißstände entdeckte, die dann schleunigst abgestellt wurden. Er traf vor die Ringantenne, die drei Meter Durchmesser besaß, stahlgrau schimmerte und knapp fünfzehn Zentimeter dick war. Diese An tenne war nur das charakteristische Merkmal und den Menschen Terras in vielen TV-Sendun gen längst vertraut. Die eigentliche Anlage be fand sich im Boden dieses Stockwerks, aber kein einziger Hinweis bis auf das so primitiv wirkende Schaltpult deutete darauf hin. Der Transmitter war aktiviert. Der Dicke dachte sich gar nichts dabei, als er den Ring durchschritt. In der Gegenstation auf Ast-227 verließ er den anderen Ringbogen. Die Kontrollen auf dem dortigen Schaltpult wechselten eine Sekunde später von grün auf rot. Eine Verbindung zwischen dem Planetoiden und dem Regierungsgebäude in Alamo Gordo bestand demnach nicht mehr. Ungehindert passierte er die Kontrolle, ver ließ den Raum und betraf einen Gang. Abrupt blieb er stehen. Laut schnaufte er, Lebhaft zwin kerte er mit den Augen. Der Ingenieur glaubte zu träumen! Im Kommando-Gebäude trieb sich ein Zivi list herum! Und dazu war dieser Zivilist auch noch eine Type! Klein, Und dick! Kugelrund. Sein Kopf bil dete keine Ausnahme. Augen hatte der Bursche im Kopf - Unschuldsaugen. So etwas Harmloses hatte Chris Shanton noch nie gesehen. Selbst
Bud Clifton, Waffenoffizier auf der POINT OF, der Mann mit dem Kindergesicht, konnte mit diesen Babyaugen nicht konkurrieren! Und dieser Zivilist grinste ihn auch noch vertraulich an, als ob sie sich duzen würden! Chris Shanton fühlte den Schweiß auf seiner Halbglatze. Plötzlich bewegte er seine zwei Zentner er staunlich schnell. Er schoss auf den Burschen zu, den er höchstens zweiundzwanzig Jahre alt schätzte. Der grinste ihn immer noch unverschämt vertraulich an. Und er rührte sich nicht vom Fleck. Auch da nicht, als Shantons Augen unna türlich groß wurden, weil der Ingenieur das Handwerkszeug dieses Zivilisten erkannt hatte! Ein Reporter befand sich auf dem Verteidi gungs-Asteroiden Ast-227. Einer, mit einer un möglichen Figur mit Kinder-Augen! Mit der modernsten B2-Filmkamera, mit der auch in dunkler Nacht gestochen scharfe Aufnahmen ge macht werden konnten, wenn nur etwas Wärme ausstrahlung vorhanden war. Im Knopfloch seines saloppen Jacketts steck te ein U1-M — das heißeste Mikrofon, das im freien Handel auf Terra zu kaufen war. Und Chris Shanton wurde von dieser Witzfi gur gefilmt! Der Reporter drückte jetzt auch noch den Sendeknopf! TV-Sendung! schoss es dem Ingenieur durch den Kopf! Da explodierte er. „Sie verdammter Höllenhund...“ Das war erst der Anfang. Shanton verfügte über ein unvor stellbar reichhaltiges Reservoir an Kraftausdrü cken. „Woher kommen Sie? ... Wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben Ast-227 zu betreten? ... Weiß der Kommandant von Ihrer Anwesen heit? ... Wer sind Sie? ... Für welchen Bums ar beiten Sie? Nehmen die die verdammte B2 weg! Abschalten! Die Sendung abschalten! Wird's bald?“ Shanton hatte noch nie Klage führen müssen, ein schwaches Sprechorgan zu besitzen. Jetzt bewies er, wie laut er brüllen konnte. Seine Stimme dröhnte durch den breiten und langen Gang des Kommandogebäude. Türen flogen auf. Männer streckten den Kopf vor, erkannten, wer tobte, und machten sich auch ihre Gedanken über den Zivilisten, der nach wie vor seine Ka mera auf Shanton gerichtet hatte und nicht nur filmte, sondern den Film gleichzeitig zu einer unbekannten Empfangsstation abstrahlte! Der Ingenieur stand vor dem anderen. Seine Pranke sauste durch die Luft in Richtung auf die B2. Sie sauste daran vorbei! Der kugelrunde Bursche hatte sich blitzartig abgesetzt. Die Distanz betrug drei Schritte. Shanton stieß nach. Beide Hände schossen vor. Die Männer, die dem Spiel zusahen, glaubten den Unbekannten schon zwischen den Pranken des Dicken zappeln zusehen. Er zappelte nicht. Er wollte seinen Film dre hen und ihn abstrahlen! „Auf ihn! Drauf, Boys ...!“ orgelte Shantons wutentbrannte Stimme über den Gang. Wenn der Dicke auch manchmal auf dieser Station über irgendwelche Mißstände getobt hat te, so war er doch auf allen Abwehrforts des so laren Systems beliebt.
Neun Mann stürzten sich auf den Zivilisten! Sie kamen nicht dazu, ihn festzunehmen. Hinter Shantons breitem Rücken fragte ein Mann: „Stranger, arbeiten Sie immer noch für die TP?“ Shanton wirbelte herum. Die neun Mann, die zur Besatzung von Ast-227 gehörten, blieben wie versteinert stehen. Bernd Eylers, Chef der GSO, hatte die Frage gestellt, und damit gleichzeitig den Zivilisten identifiziert. Der gefürchtetste Reporter Terras befand sich auf Ast-227! Und nicht nur das: Er strahlte eine seiner berüchtigten Sendungen ab, die für die Betroffenen nie eine ungetrübte Freude gewesen waren - für die Menschen auf der Erde aber die beste Quelle darstellten, aus denen sie ihre In formationen beziehen konnten. Shanton funkelte Eylers an. „Das... der da... der ist Bert Stranger ? Und wie kommt der Kerl nach Ast-227? Darf ich das einmal erfahren? Was hat diese Figur in meinem Bereich zu su chen, Eylers?" Der blieb unbewegt. „Fragen Sie ihn selbst, Shanton.“ Das ließ sich der Dicke nicht zweimal sagen. Mit weitausgreifenden Schritten ging er auf ihn zu. Die anderen machten ihm Platz. Da sagte doch dieser Bert Stranger: „Wenn Sie noch näher herankommen, muß ich auf Su per-Weitwinkel schalten, Shanton. Denken Sie an Ihre fotogene Figur!“ Chris Shanton war alles andere als ein Ado nis. In den letzten drei Jahren hatte sich sein Bauch noch stärker entwickelt, und so wie seine Glatze an Umfang zugenommen hatte, war sein Backenbart dichter und länger geworden. Ein paar Männer lachten über die Bemerkung des Reporters. Aber der Ingenieur nicht. Lang sam hatte er seine Pranke um Strangers Handge lenk geschlossen, die B2-Kamera nach unten ge drückt und dann gezischt: „So, mein Lieber, jetzt 'raus mit der Sprache. Wer hat Ihnen die Genehmigung gegeben, Ast-227 anzufliegen und dann noch zu betreten?“ „Mein journalistisches Gewissen, Shanton“, erwiderte der Reporter und seine Augen waren wie die unschuldigen Weiten zwischen den Sternen. Er machte keinen Versuch, seinen Arm aus Shantons Hand zu befreien. Er stellte auch gar nicht den Typ eines cleveren Reporters dar. Seine unglückliche Figur zwang jeden Men schen, schnell über ihn hinwegzusehen, um nicht zum Grinsen gezwungen zu werden. Kurze Beine, kurze Arme, ein zu kurz gerate ner Rumpf, und der war dabei noch viel zu dick, und darauf saß ein Kopf mit knallroten Haaren, hübsch rund - so rund, wie normalerweise ein Kopf nie war. Bis auf die Ohren. Sie standen exakt im Winkel von neunzig Grad ab. Das wäre nicht besonders bemerkenswert gewesen, hätten diese Ohren nicht einen unwahrscheinlichen Umfang gehabt. Aber das alles sah Shanton nicht. In seinen Ohren klang das Wort vom journalistischen Gewissen nach. Für Phrasen hatte et noch nie etwas übrig gehabt. „So...“, säuselte er mit seiner Stimme, „Ihr journalistisches Gewissen hat Sie nach Ast-227 getrieben ...“ „... und Sie, Shanton!“ fiel Stranger ihm
trocken ins Wort. „Ich...?“ Wieder unterbrach ihn der andere. „Na türlich, Sie. Ich wollte mal dabei sein und alles filmen, wenn Sie hier sind und dann wieder etwas hochgeht !“ Chris Shanton riß sich zusammen. Diesem Burschen durfte unter keinen Umständen bestä tigt werden, daß sich auf diesem Abwehrfort zwischen Mars und Erde tatsächlich unerklärli che Vorfälle ereignet hatten. Er lachte, als ob Bert Stranger ihm den besten Witz erzählt hätte, ließ dessen Handgelenk los und klopfte ihm so kräftig auf die Schulter, daß der Reporter in die Knie ging und murmelte: „Kann man das auch etwas behutsamer machen? Mann, Sie verwackeln mir ja jetzt alle Aufnah men.“ Shanton glaubte den anderen mißverstanden zu haben. Mit einem Blick kontrollierte er. Die Linse der B2 zeigte zu Boden. Demnach gab es im Moment keine Aufnahmen. Darum knallte er ihm seine Pranke mit dem nächsten Schlag noch heftiger auf die Schulter. „Okay...“, nuschelte Stranger, der sein Gesicht leicht verzog, „dafür habe ich jetzt auf Verzerrung geschaltet. Wetten, daß sich einige Milliarden TV-er auf der Erde über Ihr Gesicht halb krank lachen?“ In diesem Augenblick erkannte Shanton, daß ihn der Reporter mit seiner B2, die er offen trug, hereingelegt hatte. Er lief rot an wie eine Tomate und brüllte: „Läuft die Aufnahme jetzt immer noch?“ „Auch der Ton...“, erwiderte Stranger freund lich, „und ich habe noch kein Zeichen zugefunkt bekommen, daß der Empfang auf Terra schlecht ist. Sie sind 'ne Kanone, Shanton! Wetten, daß in einer Stunde mehr als hundert Künstleragen turen Ihnen ihre Angebote machen? Haben Sie denn bisher nicht gewußt, wie fotogen Sie sind?“ Shanton war nicht eitel, aber wie jeder Mensch hatte er es nicht gern, wenn man ihn wegen seiner Figur oder seines Gesichtsausdru ckes verspottete, „Freundchen ...,“ sagte er dro hend und riß blitzschnell das superempfindliche U1-M-Mikrofon aus dessen Knopfloch, schleu derte es zu Boden und wollte es zertreten. Es ließ sich nicht zertreten. „Es ist ja auch kein U1-M, Shanton. Es sieht bloß so aus!“ erklärte Bert Stranger offenherzig. „Mein B2 in der Hand ist ja auch keine B2, Ihnen muß man doch schon mit anderen Tricks kommen, um Sie hereinzulegen. Na, und das habe ich geschafft. - Übrigens meine Zeit ist um. Werfen Sie mich jetzt hinaus, oder expedie ren Sie mich per Transmitter zur Erde zurück?“ Shanton betrachtete den Reporter, als sähe er eine Wanze. „Festnehmen!“ schnarrte er. „Und durch suchen. Alles, was dieser Reporter auf dem Leib trägt, abnehmen und mir abliefern. Ich bin in Alamo Gordo zu finden!“ Er wollte nicht einmal etwas mit Bernd Eylers zu tun haben. Die Lust, Ast-227 zu kontrol lieren, war ihm durch diesen Zwischenfall ver gangen. Er stampfte zum Transmitter-Raum zurück. Der Chef der GSO hielt ihn nicht auf. Eylers interessierte es im Moment auch wenig, wie Bert Stranger auf dieses planetoide Verteidi
gungsfort gekommen war. Seine Gedanken kreisten um einen anderen Punkt. Hatte Shanton sich nicht selbst im Verdacht gehabt, die Ursache für eine Reihe mysteriöser Vorkommnisse auf einigen Abwehr-Asteroiden gewesen zu sein? Hatte er nicht beantragt, auf Schritt und Tritt überwacht zu werden? Warum lieferte er jetzt nicht den Beweis, daß er einem Komplex zum Opfer gefallen war? Wa rum nahm er nun entgegen seinem Vorhaben keine technischen Kontrollen durch? Bert Strangers laute Proteste störten Eylers. Er horchte auf. Die Terra-Press, den meisten nur unter der Abkürzung TP bekannt, war die bedeutendste Nachrichten-Agentur des solaren Systems und ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor, mit dem auch die Regierung in Alamo Gordo zu rechnen hatte. Das enfant terrible der TP hieß Bert Stranger, war fünfundzwanzig Jahre alt und seit drei Jah ren Reporter der Terra-Press. Zweimal war er in diesem Zeitraum auf seinen Geisteszustand un tersucht worden. Die Mediziner hatten ihn für gesund erklärt, aber die Gerüchte wollten nicht verstummen, daß er dennoch einen geistigen De fekt habe. Stranger trug mit seinem Auftreten auch etwas zu diesem Gerücht bei. Menschen, die mit ihm in Berührung gekommen waren, wußten hinterher nicht zu sagen, ob sie es mit einem Narren oder mit einem besonders durch triebenen Mann zu tun gehabt hatten. Strangers berufliche Erfolge verführten, das letztere anzu nehmen, aber was dann immer wieder über ihn bekannt wurde, ließ allen Ernstes glauben, in ihm doch einen Narren zu sehen. Bernd Eylers konnte diesen Mann auch nicht einstufen. Seine GSO hatte ihm in dieser Hin sicht auch nicht helfen können. Aber nun mußte er einschreiten. Dieser Reporter hatte recht, sich gegen die von Shanton angeordnete Verhaftung zu sträu ben. Es gab kein Gesetz, daß das Betreten von Ab wehr-Asteroiden untersagte. Man hatte es für überflüssig gehalten, weil man diese Boliden nur mit Hilfe eines Raumschiffes oder über ei nen Transmitter erreichen konnte. Raumschiffe und Transmitter-Anlagen waren durch Gehirn strom-Sicherungen - so hatte man bisher ge glaubt, ausreichend geschützt. Daß diese Siche rungen nicht ausreichten, bewies Bert Strangers Auftauchen auf Ast-227. Eylers trat zu den Männern, die den Reporter mit Gewalt zu einem bestimmten Raum schlep pen wollten. „Einen Augenblick!“ verschaffte er sich Gehör. „Shantons Verhaftungs-Order ist ge genstandslos. Stranger hat recht, wenn er gegen seine Verhaftung protestiert. Wir können ihm nur untersagen, von jetzt an die Fort-Stationen zu betreten. Und das tue ich hiermit. - Stranger, verlassen Sie die Station, und das sofort!“ Die Augen mit dem unschuldigen Blick mus terten Eylers. „Soll ich zu Fuß zur Erde zurück gehen, Eylers, oder wie haben Sie sich das ge dacht?“ „Von mir aus rutschen Sie auf dem Hosenbo den!“ Der andere hielt ihm die offene Hand hin und sagte fordernd: „Gemacht, Eylers, aber nur dann, wenn Sie mir die passende Gleitcreme be sorgen. Geben Sie sie mir, und Sie können mich
beim Wort nehmen.“ Das erste Lachen klang auf. In diesem Augenblick meldete sich Strangers Vipho. Eylers stutzte. Wer in der Station hatte Verbindung mit dem Reporter aufgenommen? Es kam noch besser. Die TP, Hauptsitz in World-City, die ehema lige Hauptstadt der Erde, forderte Stranger auf, sich zu melden! Vipho-Kontakte von Ast-227 mit der Erde? Über solche relativ riesigen Entfernungen? Bernd Eylers starrte überrascht das Vipho an, das vor Bert Strangers Brust hing. Stranger meldete sich. Die TP teilte ihm kurz mit, daß seine Sendung nach wie vor ausge strahlt würde. Damit war die Durchsage beendet. Der Re porter schaltete wieder ab. Eylers griff nach seinem Vipho und betrachtete es mißtrauisch. Er hatte den Verdacht, daß man ihn mit diesem so genannten Anruf von der Erde hereinlegen woll te. Diesem Burschen waren Witze solcher Art ohne weiteres zuzutrauen. „Nicht doch“ meinte Bert Stranger leutselig, „an Ihre Spezial-Viphos lassen Sie auch keinen heran, Eylers“ Und er nahm ihm das Gerät aus der Hand. Die anderen Männer standen erwartungsvoll herum. Sie staunten, daß der Chef der GSO so behutsam mit diesem schnüffelnden Reporter umsprang. Da klangen aus Richtung des AGravlifts Schritte auf. Der Kommandant von Ast-227 eilte heran. Eylers Anwesenheit übersah er, aber nicht die des Nachrichtenjägers. „Wie kommen Sie auf meine Station? Wer hat Sie hochgeflogen? Wer hat Sie hereingelas sen?“ Drei Fragen auf einmal. Strangers knappe Antwort! „Laut Absatz 46 des terranischen Pressegesetzes bin ich als Re porter zur Aussage nicht verpflichtet. Übrigens hat mich der Chef der GSO, Bernd Eylers schon aufgefordert, Ast-227 zu verlassen. Kommandant Colluhin, fordern Sie bitte einen KleinRaumer an, der mich nach World-City zurück bringt, oder laden Sie mich ein, Ihre Station zu besichtigen? Oh, herzlichen Dank ...“ Kein Mensch hatte einen Ton gesagt. Der vierschrötige Kommandant war über so viel Dreistigkeit einfach sprachlos geworden. Sein Schweigen hatte der Reporter als Erfüllung sei ner Bitte ausgelegt, und Bert Stranger tappte auf seinen kurzen Beinen gemütlich in Richtung des A-Gravlifts davon. „Den soll doch...“ Eylers fiel dem Kommandanten ins Wort. Hastig flüsterte er: „Erteilen Sie ihm die Geneh migung. Zeigen Sie ihm, was er sehen will“ denn im Augenblick sitzen auf Terra ein paar Milliarden Menschen vor den Bildschirmen und sind gespannt, wie es hier oben weitergeht ...“ „Der überträgt nach Terra?“ Colluhin glaubte ihm kein Wort. „In Farbe und Ton. Der bestimmt. Kennen Sie ihn, den Reporter — diesen Bert Stranger?“ „Große Milchstraße...“, stöhnte Colluhin und wischte sich über die Stirn, „Daß die TP und dieser Kerl mal hier herumschnüffeln würden, habe ich mir nicht träumen lassen. Okay, wenn Sie nichts gegen seinen Besuch einzuwenden haben ... verdammt noch mal, gern tue ich es nicht. Aber ein Skandal ist noch schlimmer.
Also von mir aus soll er. Nur wie ist der Bur sche auf die Station gekommen?“ „Das möchte ich auch wissen, Colluhin. Ver lassen Sie sich drauf, ich bekomm's heraus, und dann werden hier oben einige, die Stranger ge holfen haben müssen, fliegen. Ich sehe mich mal in Ihrer Ortungsstation um. Dort mußte man den Anflug eines Raumschiffes doch geortet ha ben...“ Er erlebte sein blaues Wunder. Eylers aktivierte den Speicherbereich des Stationsgehirns. Das Gehirn konnte nicht lügen, konnte nicht belogen werden und konnte keine falschen Auskünfte geben. Verblüfft las er vom Folienstreifen das Re sultat: Seit 3.56 Uhr Normzeit ist Ast- 227 von keinem Schiff mehr angeflogen worden. Auf die Idee, daß Bert Stranger einen Trans mitter benutzt haben könnte, kam Bernd Eylers noch nicht! Cent Field, der größte Raumhafen Terras! Cent Field, der Sitz des Stabes der Terrani schen Flotte TF! Cent Field, mit der stärksten To-HyperFunkanlage ausgerüstet und zugleich Sitz der Zentrale des Frühwarn-Systems! Innerhalb von drei Jahren war diese techni sche Großleistung realisiert worden. Nachdem mau die ersten Aggregate installiert hätte, wären ununterbrochen Verbesserungen durchgeführt worden. Ren Dhark als Commander der Plane ten hatte die Regierung veranlassen können, sei nem Vorschlag zuzustimmen, und keine Kosten und Mühen zu scheuen, im Bereich des solaren Systems alle nur erdenklichen Maßnahmen zu treffen, die eine feindliche Invasion unmöglich machten. Was am Rande des Raumhafens Cent Field, vor der faszinierenden Skyline Alamo Gordos, über der Erde, zu sehen war, machte keinen be sonders imposanten Eindruck. Das Empfangsge bäude an der linken Seite der Trakte war größer und höher als das Stabsquartier der TF oder die fast fensterlose Halbkugel, die die Hyperfunk station barg. Kein einziger Antennenmast reckte sich zum Himmel hoch, keine Parabol-Kon struktion drehte sich, um Hyper-Impulse zu empfangen. Auch in diesem Fall hatte man auf die Technik der Mysterious zurückgegriffen und die Antennen, für einen normalen Beobachter unsichtbar, in die äußere Wandung der Halbkup pel gebettet. Über achthundert Meter tief ragten Stabs quartier und Hyperfunkstation in den Boden hi nein. A-Gravlifts und schnellaufende Bänder er möglichten in kurzer Zeit jede Etage zu errei chen. Die Zentrale des Frühwarn-Systems nahm im To-Funkkomplex mehr als zwanzig Stock werke in Anspruch. Geradezu unheimlich waren die über-licht schnellen Sicht-Sprech- und Kommando-Ver bindungen zu den Abwehrforts auf Asteroiden, Monden und Planeten. Im Falle eines Angriffes auf das Sonnen-System konnte von der Zentrale in Cent Field der energetische Abwehrschlag gegen Invasoren gesteuert werden. Die in die Tiefen der Galaxis hineingreifen den Ortungen erfaßten noch Struktur-Erschütte rungen transistierender Raumer in einer Entfer nung von 10000 Lichtjahren, und maßen Sprun gort und Eintauchpunkt exakt an.
Gerade auf diesem Gebiet war es in den letz ten Jahren ruhig geworden. Raumschiffe unbe kannter Intelligenzen waren nie näher als auf 3500 Lichtjahre Abstand an die Erde herange kommen. Die Menschheit hatte sich schnell an diesen Zustand gewöhnt; allein die phantastisch pro grammierten Rechengehirne lagen ewig und un ermüdlich auf der Lauer und werteten in Sekun denbruchteilen die erfaßten Daten aus und spei cherten sie. Nach wie vor waren im Grenzbereich des Halos der Milchstraße starke Hyperfunksender zu hören. Ein Zeichen, daß sich fremde Rassen weiterhin im Spiralarm aufhielten, in dem auch die Erde lag. Vom Stab der TF lief beim Funk eine Anfra ge ein. „Liegen neue Meldungen von der POINT OF oder der CAESAR vor?“ „Das Flaggschiff hat sich nicht mehr gemel det; von der CAESAR kein Lebenszeichen.“ „Danke.“ Die Verbindung brach zusammen. Der All tag mit seinen Routine-Aufgaben lief weiter. *
Auf der Erde gab es einen Ort, den nur weni ge Menschen kannten. Aber diese wenigen wuß ten, wie viele Milliarden Dollar hier in den letz ten Jahren ausgegeben worden waren. Kein Platz der Erde war besser abgeschirmt als das Brana-Tal im Himalaya. Keine Karte ver zeichnete es als bewohnt. Kein einziger Hinweis ließ aus der Luft erkennen, daß mitten im bizar ren Gesteinsmeer des gewaltigsten Gebirges der Erde eine Forschungs-Station existierte, die mit den modernsten Mitteln der Technik ausgerüstet war. Zwischen dieser Stelle und einem bestimm ten Raum im Regierungsgebäude zu Alamo Gor do bestand eine separate Transmitter-Verbin dung. Man hatte sich nicht mit der GehirnstromMuster-Sicherung zufrieden gegeben. Man hatte nicht allein Sorge getragen, daß man von ande ren Transmittern gewollt oder unbeabsichtigt auf diese Verbindung schalten konnte. Jeder; selbst Ren Dhark, hatte nach Passieren der einzelnen Kontrollen die Gegentakt-Sperre zu aktivieren. Damit schaltete er gleichzeitig das zweite Gerät auf der anderen Seite ein. Bei zwei unabhängig voneinander arbeitenden Zentralen wurde dann gefragt, ob die identifizierte Person das BranaTal betreten oder verlassen durfte. Erfolgte danach die Grünkontrolle, dann war der Transmitter-Weg frei. In Alamo Gordo stand Holger Alsop im Transmitter-Raum. Der schlanke, über ein Meter achtzig große junge Mann mit dem grauen, nach hinten gestrichenen Haar hatte die GegentaktSperre aktiviert und wartete auf das Grün-Sig nal. Er, der nach mehr als hundert Prüfungen und Untersuchungen geglaubt hatte, Nerven aus To firit oder Unitall zu besitzen, fühlte seine Nervo sität stärker und stärker werden. Plötzlich glaub te er wieder jene Warnung zu hören, die ihm von drei Seiten gegeben worden war, bevor er erst am gestrigen Tag zum letzten Male seine Unterschrift auf eine Folie gesetzt hatte. Holger Alsop, überlegen Sie noch einmal in
aller Sorgfalt, ob Sie bei Ihrem Entschluß blei ben. Sie wissen nicht, was Sie erwartet! Ihre Phantasie reicht nicht aus, sich vorzustellen, was auf Sie zukommt! Bedenken Sie, daß es kein Zurück mehr gibt, wenn Sie unterschrieben haben - mit einer Ausnahme: Sie sind tot! Und der Tod wird Ihr bester Freund sein, wenn Sie sich jetzt nicht anders entscheiden. Holger Al sop, Sie haben noch eine Stunde Zeit. Nutzen Sie diese Spanne und prüfen Sie sich noch ein mal! Wollen Sie denn tatsächlich den Tod zum Freund haben? An der Gegentakt-Sperre flammte es grün auf. Der Transmitter war klar. Holger Alsop blickte an sich herunter. Vor einer Viertelstunde hatte man ihm diesen strah lend weißen Plastikanzug gegeben. Ein Klei dungsstück aus einem Guß, ohne Naht, ohne Ta schen, ohne Falte. Der Anzug saß ihm wie eine zweite Haut auf dem Körper. Er gab nur die Hände und den Kopf frei. Über der linken Brust stand die Nummer 742. Noch sagte sie ihm nichts. Dennoch begann sie ihm plötzlich Furcht einzujagen. Ich habe Angst, dachte er zuerst erstaunt, dann erschüttert. Er hatte gerade den sogenann ten Angst-Test mit der besten Bewertungsnote bestanden - und jetzt flößte ihm allein schon eine Zahl Angst ein? Er sah nicht wie ein Dreiundzwanzig-jähriger aus. Sein schmales, markantes Gesicht hatte nicht viele, aber ausgeprägte Falten aufzuwei sen. Über der gutgeformten Nase standen zwei tiefe Furchen, die seine Stirn fast bis zum Haar ansatz teilten. Von den Nasenflügeln lief rechts und links eine schattenwerfende Kerbe bis tief unter die Mundwinkel. Sein Kinn, das leicht vorsprang, prägte für jeden Betrachter unwill kürlich den Eindruck, in diesem Mann einen verwegenen Draufgänger vor sich zu haben. Aber Holger Alsop war noch nie ein Draufgän ger gewesen. Es paßte auch nicht zu ihm, der mit dreiundzwanzig Jahren schon zwei akademische Titel besaß und auf den Universitäten als ver kapptes Genie angesehen worden war. Er ver körperte Bedächtigkeit; er war der Typ, der Risi ken haßte, weil jedes Risiko eine unbekannte Größe war und sich nicht berechnen ließ. Er war der geborene Mathematiker, und vom Schicksal prädestiniert Forscher zu sein - angehender Ex perte auf dem Gebiet der robonischen Ent wicklungslehre. Seine Examensarbeit hatte in berufenem Kreis Überraschung und Bestürzung ausgelöst. An Hand umfangreichen Tatsachen materials und erstaunlichen Beurteilungen bisher zum Teil noch unbekannter Untersuchungsrei hen war er in seiner wissenschaftlichen Arbeit zu dem Resultat gekommen, daß die Robonen, die als fünf Millionen starke Gruppe auf der Erde lebten, sich in ihrer Evolution immer wei ter vom Homo sapiens entfernen würden. Holger Alsop hatte sogar gewagt, die zukünftige Ent wicklung aufzuzeichnen. Er sah in den Robonen der Zukunft das von überentwickelten Instinkten beherrschte Wesen, in dem ein scharfer Intellekt, der frei von jeder menschlichen Ethik war, das Instinktive steuer te! Holger Alsop wußte, daß man Ren Dhark sei ne Arbeit vorgelegt hatte; er war auch darüber
informiert worden, wie der Commander darauf reagiert hatte. Ren Dhark glaubte immer noch, diese Robo nen-Gruppe, die sich von den übrigen Menschen nach wie vor abkapselte, eines Tages in die große Gemeinschaft zurückführen zu können. Im Gegensatz zu seiner Regierung, die einstimmig beschlossen hatte, alle Robonen auf einen erd ähnlichen Planeten zu evakuieren, glaubte er an das Gute in den Robonen, und hatte deshalb bis zum Tag dieses Gesetz nicht unterschrieben. Daran mußte Holger Alsop denken, obwohl seine Nervosität noch stärker geworden war. Hatte er sich freiwillig zu einem Einsatz ge gen die Robonen gemeldet? Sollte darum der Tod von jetzt an sein bester Freund sein? Hatte man aus diesem Grund die Geheimhaltung so weit getrieben, daß nicht einmal die Experten wußten, worum es ging, als sie die freiwilligen Kandidaten testeten? War er, wenn er durch die Ringantenne des Transmitters gegangen war, nur noch eine Num mer? Nummer 742! Er wollte den Kopf drehen und zurückbli cken. Aber es gab kein Zurück mehr. Er hatte sich entschieden! Aus freien Stü cken! Trotz der letzten Warnung! Er trat durch die Antenne des Transmitters, und verließ eine andere, die irgendwo in einem anderen Raum stand. Er war im Brana-Tal angekommen. * Der Aufklärer, die CAESAR, war spurlos im Mollin-System verschwunden. Die POINT OF, die das Schiff seit Stunden gesucht hatte, trieb im freien Fall dahin. Konferenz in der Kabine des Commanders Ren Dhark. Acht Männer und eine Frau - Dan Rikers Frau Anja - saßen um den Tisch, der von AGravkräften in der Schwebe gehalten wurde, und sie hörten einem kurzen Vortrag des Bordastro nomen Jens Lionel zu. „... Abschließend muß ich noch einmal sa gen: das Mollin-System, in dem wir nun seit Stunden nach dem Aufklärer suchen, ist kein Gefahrenfaktor für ein Raumschiff. Diese Popu lation scheidet als Ursache für das Verschwin den des Raumers aus!“ Ren Dhark warf Anja Riker einen fragenden Blick zu. Sie war erst vor wenigen Minuten in Dharks Kabine gekommen, weil sie versucht hatte, über den Checkmaster eine Erklärung für das spurlose Verschwinden der CAESAR zu fin den. Sie strich in einer weichen, aber elegant wir kenden Bewegung ihr langes, superblondes Haar zurück. Nach wie vor trug sie Pullover und lan ge Hosen. Sie hatte die Figur, um sich so salopp kleiden zu können, und sie besaß Ren Dharks stillschweigende Zustimmung, diese Kleidung auch an Bord der POINT OF zu tragen. Aber an ders als Ren Dhark hatte sich seinerzeit Sam Dhark, der Kommandant des Kolonisten-Rau mers GALAXIS, verhalten: Ihm war die figurbe tonte Kleidung seiner Bord-Mathematikerin Anja Field ein Dorn im Auge gewesen. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß eine Frau unter
so vielen Männern ein normaler Unruheherd war, und diese Unruhe wollte er nicht noch mehr durch eine bestimmte Art sich zu kleiden gesteigert sehen. Vater wie Sohn hatten recht! Die Besatzung der GALAXIS hatte sich sei nerzeit auf dem Irrflug nach Hope in einer ande ren Lage befunden als die POINT OF, obwohl sich diese Mannschaft bis auf ein paar Ausnah men aus der Besatzung des Kolonistenraumers rekrutierte. Gefahren, Niederlagen, Siege und Kämpfe hatten die fünfzigköpfige Besatzung zu einer Einheit werden lassen, in der auch Anja Riker ihren sicheren Platz hatte. Sie blickte Dhark an und zerdrückte ihre Zi garette im Ascher. „Wir haben es mit einem Pro blem zu tun, das auch dem Checkmaster unbe kannt ist. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent behauptet er dennoch, die CAESAR sei entführt worden.“ „Unfug!“ brummte Dan Riker, ihr Mann. „Eine CAESAR mit dieser Besatzung steckt man nicht einfach in die Tasche, und noch lange nicht in einen Bergungsraumer, wie ihn leider die robonischen Piraten besitzen, wir aber nicht!“ „Wir dürfen diesen Punkt aber trotzdem nicht aus den Augen verlieren“, gab Dhark zu bedenken. „Auf das Konto dieser Piraten geht der Verlust von sieben Schiffen.“ Da erklang über die Bordverständigung Walt Bruggs Stimme aus der Funk-2: „Ich schalte durch ...“ In Dharks Kabine wurde es still. Der Bild schirm flammte auf. Der Ton kam. „YAMID ruft TF! Energetisch ...“ Störungen im Hyperfunkbereich! Zischende Entladungen, oder was es sein konnte. Für die Menschen in der Kabine schien die Zeit auf einmal stillzustehen. Die Sekunden ver liefen wie zäh gewordene Tropfen, die nicht ab reißen, und fallen, wollen. „...fall. SOS... Lage ...“ Dann Sekunden später, als die Stille in der Kabine sie zu sprengen drohte, wieder Walt Bruggs Stimme: „Echo Kontrolle eingesetzt. Sender der YAMID arbeitet nicht mehr. Funk peilung hat als Standort ergeben: Gelb 77:32,8, Rot 03:61,3 und Grün 12:05,8. Distanz von un serem Standort 184 Lichtjahre ...“ Da mischte sich Tino Grappa von den Ortun gen der Kommando-Zentrale ein. „Genaue Dis tanz 184,32 Lichtjahre YAMID befand sich in den letzten Sekunden ... Ja, du große Milchstra ße, wieso habe ich sie denn nicht mehr in meiner Massen-Ortung?“ Das fragte sich Ren Dhark auch. Er sprang auf und rief in Richtung der SichtSprechanlage: „Schiff auf Kurs nehmen. Vol last-Sle!“ Dann stürmte er über Deck 4 der Zentrale zu. Wortlos räumte der Offizier, der die POINT OF während der Dauer der Konferenz übernommen hatte, den Pilotsitz. Mit einem Blick hatte Dhark die Instrumente überflogen, kontrollierte, ob Grappa alle Ortungen auf sein Instrumentenpult geschaltet hatte und verfolgte dann, wie sein Ringraumer unter den titanischen Kräften des Sle immer schneller Fahrt aufnahm. Jetzt erst schwang sich sein Freund Dan in
den Kopilot-Sitz. Damit bekam Dhark Zeit an Grappa einige Fragen zu stellen. Der junge Or tungsspezialist hatte wenig zu berichten. „... Auf jeden Fall hatte ich die YAMID, als sie schon ein paar Sekunden lang nicht mehr funkte, noch in der Massen-Ortung ...“ „Checkmaster-Kontrolle! - Brugg, haben Sie mitgehört?“ Diese Frage war an die Funk-Z gerichtet. „Alle Daten an Checkmaster abgegeben, Dhark“, erklärte der Funker sofort. Anja befand sich auch im Leitstand der POINT OF. Sie arbeitete gern mit dem Bordge hirn des Ringraumers und hatte aus eigenem In teresse Dharks Auftrag übernommen. Nur ein paar Sekunden hatten sie zu warten, dann kam schon die Antwort auf einer langen, schmalen Folie, die das Aggregat ausstieß. Abbruch der Funkverbindung 14:05,41, der Massen-Ortung 14:05,46 Norm - Zeit. EchoKontrolle 14:05,47 Uhr Norm- zeit. Dhark gab die Folie an seinen Freund weiter. „Schau dir das an! Nachdem der Sender der YA MID ausgesetzt hatte, befand sich der Aufklärer noch fünf Sekunden lang in unserer Massen-Or tung, um dann zu verschwinden ...“ „Das sieht nicht nach einem Überfall roboni scher Piraten aus“, murmelte Riker, der die Folie hin und her drehte, aber sie nicht mehr las. Dhark drehte sich wieder zu Grappa um. „Haben Sie in Richtung Zielgebiet mit dem Raum-Controller Struktur-Erschütterungen fest gestellt?“ „Keine. Leider ...“ „Wie bei der CAESAR ...“, erinnerte Dan seinen Freund daran. „Boliden und Kometen ... warum kann dieser verdammte Kahn nicht tran sistieren? Jetzt brauchen wir wieder kostbare Stunden, bis wir das Zielgebiet erreicht haben. Ren, willst du nicht ein paar Kugelraumer ein setzen? Im Sol-System kurven doch einige tran sitionsklar herum.“ In Dharks braunen Augen flammte es kurz auf. „Bist du bereit die Verantwortung für diesen Befehl zu übernehmen, Dan? Wenn wir wüßten, mit welchem Gegner wir es zu tun hätten ... aber so? Was hast du, Dan?“ Der schüttelte den Kopf, starrte die Bildku gel über dem Instrumentenpult an und sah doch nicht, was sie den Menschen in der Zentrale zeigte. Widerwillig formte er die Lippen. Ren sah seinem Freund an, wie schwer es ihm fiel, das auszusprechen, was er soeben gedacht hatte. „Du wirst natürlich wieder anderer Ansicht sein, Ren ...,“ erklärte er vorbeugend, „aber seitdem wir damals von den Synties gezwungen worden sind, einen lahmen Pyramidenraumer nach Esmaladan zu schleppen, traue ich diesen Tropfen nicht mehr über den Weg. Im MollinSystem, als wir uns nach der CAESAR die Au gen aussuchten, hatte ich sie schon im Verdacht, sie könnten hinter dem Verschwinden des Auf klärers stecken ... Ren, wie hat man damals die POINT OF gesucht, als sie sich noch, im solaren System befand und unter dem Zwangs-Ortungs schutz der Synties lag! Und wie haben wir heute im Mollin-System gesucht. Die CAESAR ist gar nicht verschwunden. Vielleicht sind wir sogar auf ein paar Kilometer Entfernung an ihr vor beigeflogen, nur konnten wir sie weder sehen, noch mit unseren Ortungen ausmachen. Hätten
wir doch diese Synties damals auf dem Planeten Methan eingehen lassen...“ „Konnten wir, das denn?“ fragte Ren Dhark, und ein flüchtiges Lächeln umspielte seinen Mund. „Korrigiere dein Erinnerungsvermögen, mein Lieber! Damals, als wir auf die Synties stießen, waren wir gar nicht besonders hilfsbe reit. Sie zwangen uns mittels ihrer Para-Kräfte zur Hilfeleistung! Oder war es anders?“ „Hm...“ Das konnte so gut ja wie nein hei ßen. Dan beeilte sich das Thema zu wechseln, „Wir sind von den Synties abgekommen. Wie stehst du zu meiner Vermutung.“ Dhark schaltete vom Sle auf Sternensog. Übergangslos ging der Ringraumer auf Über lichtgeschwindigkeit. Die Andruck-Ausgleicher im Schiff hielten die Schwerkraft auf 1g kon stant. Ihr gut zu ertragendes Summen war nicht um ein Phon stärker geworden. Jetzt konnte Ren Dhark das Gespräch mit Dan Riker wieder aufnehmen. „Ich möchte mich nicht festlegen, Dan. Du hast schlechte Erfah rungen mit den Synties gemacht, aber dennoch haben sie euch keinen Schäden zugefügt, als ihr den Pyramidenraumer nach dem Planeten Esma ladan schleppen mußtet. Erinnere dich, daß wir bei unserer ersten Begegnung einige Synties mit Blastern ungewollt vernichtetet. Das haben sie uns niemals nachgetragen. Und darum will es mir nicht in den Kopf, daß hinter dieser unheim lichen Sache die Tropfen stecken sollen. Es sei denn, sie haben unsere beiden Schiffe unter ei nen Ortungsschutz gelegt, den wir nicht erfassen können.“ Damit war Riker nicht zufrieden, aber Walt Brugg aus der Funk-Z machte es ihm unmög lich, seine Bemerkung anzubringen. „Commander, die YAMID meldet sich auf Funkanrufe nicht, aber das Stabsquartier der TF fragt an, ob die transitionsklaren Kugelraumer springen sollen.“ „Unter keinen Umständen! Falls ich Schiffe benötige, fordere ich sie an.“ „Okay, das gebe ich nach Cent Field durch...“ Ren Dhark schoss ein Gedanke durch den Kopf. Hastig beugte er sich zu den Sprechrillen vor. „Brugg, Anfrage an das Stabsquartier: Was ist unternommen worden, um weiteres Ver schwinden von Raumschiffen zu verhindern? Legen Sie das Gespräch in die Zentrale“ Neben ihm pfiff Dan „Du glaubst...?“ Die Verbindung mit dem Stab der TF stand. Dhark wiederholte seine Frage, „Nichts, Commander! Wir haben auf Ihre weiteren Direktiven gewartet!“ sagte ein Major, der sich in seiner Haut nicht mehr wohl fühlte. „Nichts?“ echote Dhark. „Einen Augen blick, Major, der Flottenchef will Sie sprechen.“ Dan Riker machte sich aus seinem Titel herzlich wenig. Ebenso wie Dhark trug er an sei ner Kombi-Uniform kein Rangabzeichen. „Major“ , sagte er, nachdem er den Mann durchdringend angesehen hatte, „geben Sie mir Colonel Dumphi.“ „Befindet sich nicht im Stab.“ „Aber Sie wissen doch, wo er zu erreichen ist. Darf ich Sie bitten, schnellstens zwischen ihm und mir eine Verbindung herzustellen?“ Dan Riker trommelte mit den Fingern auf der
Kante des Pultes. Es dauerte ihm zu lange, bis er seinen Colonel sprechen konnte, zu dessen Auf gabe es gehört hätte, nach dem Verschwinden der CAESAR alle Schiffe der TF und die Han delsraumer vor einer unbekannten Gefahr zwi schen den Sternen zu warnen. Colonel Dumphi befand sich in seiner Woh nung. Er sah nicht wie ein Militär aus, sondern wie ein Familienvater, der es sich in den eigenen vier Wänden gemütlich gemacht hat. Aber die Gemütlichkeit wurde durch Dan Riker vertrieben. „Colonel, es interessiert mich herzlich we nig, wann Sie Ihre Arbeit erledigen und wie Sie sie einteilen, doch wenn Sie den Stab verlassen, dann haben Sie Ihren Mitarbeitern genaue An weisungen zu geben: Im Fall CAESAR haben Sie es nicht getan, obwohl allein schon nach Or der 45, römisch II, die gesamte Flotte hätte ge warnt werden müssen. In fünf Minuten erwarte ich Ihre Vollzugsmeldung! Nach Rückkehr der POINT OF erscheinen Sie bei mir zum Rapport. Ich danke Ihnen!“ Dan Riker kochte vor Ärger. „Manche ler nen es nie!“ tobte er, und im gleichen Ton, aber ungewollt, fragte er seinen Freund: „Wie bist du eigentlich auf den Gedanken gekommen, die Burschen in Cent Field könnten keinen Finger gerührt haben?“ Ren kannte Riker zu gut, um ihm den bar schen Ton übelzunehmen, aber seine Frage konnte er nicht beantworten. Es gehörte zu sei ner Natur, in einem unerwarteten Augenblick Gedanken zu führen, die mit der Sache nichts zu tun hatten, über die er sich im Moment den Kopf zerbrach. Die POINT OF jagte durch den Raum auf ihr Ziel zu. Die beiden Intervalle hatten die blauvio lett schimmernde Ringröhre in ihr Mini-Konti nuum gebettet. Nach wie vor war dieser künst lich erstellte Zwischenraum ein Forschungsob jekt, an dem die Wissenschaftler verzweifelten. Die besten Kontinuum-Spezialisten konnten nicht herausfinden, worin sich dieses künstliche Raumgebilde vom Einstein-Universum unter schied. Dennoch hatten sie vor kurzem behaup tet, vor Jahresende auch dieses Rätsel gelöst zu haben. Die Technik der Amphis und Giants barg keine Geheimnisse mehr. Es war eine sensatio nelle Leistung von Wissenschaftlern und Tech nikern, daß die Menschheit inzwischen diese Materie beherrschte. In Einzelfällen waren sogar die ersten Verbesserungen durchgeführt worden, und niemand mehr sprach von giantischen Ku gelraumern oder Blastern amphischer Konstruk tion - Milliarden Menschen hatten sich erstaun lich schnell mit all diesem Neuen identifiziert und benutzten es. Eine halbe Stunde vor Erreichen des Zielge bietes liefen in der Zentrale der POINT OF die letzten Klarmeldungen ein. Die beiden Waffen steuerungen waren feuerbereit, im Triebwerks raum war alles, wie immer, in bester Ordnung, und Arc Doorn, der seit seiner Heirat mit Doris Eyck mit einem manierlichen Haarschnitt he rumlief, maulte nach wie vor über den stinklang weiligen Dienst auf einem Raumschiff, auf dem auch gar nichts defekt werden wollte. Colonel Dumphi hatte nach dem Rüffel durch seinen Flottenchef Riker alle im Raum be
findlichen Schiffe aufgefordert, rätselhafte Vor kommnisse sofort dem Stab zu melden, oder bei Gefahr zu versuchen durch einen Blindsprung zu entkommen. Glenn Morris hatte Walt Brugg in der FunkZ abgelöst und alle Empfänger des Schiffes so eingeschaltet gelassen, wie er sie vorgefunden hatte. Die automatisch arbeitenden Taster stell ten, so wie sie einen Hyper-Funkimpuls erfaßt hatten, den Empfänger blitzschnell auf die aktive Frequenz ein. Aber außer den bekannten Geräu schen aus dem Hyperspace und ganz fernen, fremden Stationen unbekannter Rassen war nichts zu hören. „In zwei Minuten haben wir das Zielgebiet erreicht“, gab Anja vom Checkmaster her durch, dem sie soeben eine neue Positionsbestimmung der POINT OF abverlangt hatte. Dhark schaltete von Sternensog auf Sle. Der Ringraumer verließ den Überlichtbereich und raste in relativ langsamer Fahrt mit 0,8 Licht dem Punkt zu, an dem die YAMID zuletzt von der Massen-Ortung der POINT OF erfaßt wor den war. Stunden später begann auch Ren Dhark zu resignieren. Von der YAMID war ebenso wenig eine Spur zu finden, wie man vergeblich nach der CAESAR gesucht hatte. Auch dieser Aufklärer schien sich in Nichts aufgelöst Zu haben. Die letzte Entscheidung lag bei Ren Dhark. Er konnte nicht fassen, was er glauben sollte. Es widersprach allen Naturgesetzen, daß Raum schiffe sich in Nichts auflösten. Die einzige Möglichkeit, daß beide Schiffe transistiert hatten und deshalb nicht zu finden waren, schied aus. Der super-empfindliche Raum-Controller der POINT OF hatte weder im Mollin-System noch im Unfallbereich der YAMID Gefüge-Er schütterung festgestellt. „Wir suchen noch einmal eine Stunde lang. Wenn 'wir bis dahin nichts von der YAMID ge funden haben, dann . . .“ Und der Rest blieb un gesagt. Es war auch nicht erforderlich, daß Dhark seinen Satz vollendete. Und die Suche ging weiter. Chris Shanton hatte Jimmy vor den Füßen sitzen. Chris Shanton drehte eine leere Kognakfla sche in seinen Pranken. Chris Shanton hatte einen moralischen Ka ter, weil er sich selbst für den größten und ge meinsten Schuft hielt, auf dessen Konto alle jene unerklärlichen Zwischenfälle in den einzelnen Ast-Stationen ging. „Jimmy, ich bin's! Ja, schau mich nicht so fragend an. Ich bin der Lump, der ...“ In diesem Moment hatte der dicke Ingenieur einen lichten Augenblick. Er starrte seinen Scotchterrier aus großen Augen an. Er stellte die Flasche auf den Tisch, und langsam machte sich Grinsen auf sei nem Gesicht immer breiter. „Oh, ich riesengro ßes Rindvieh! Ich Vollidiot! Ich Trottel!“ Es tat ihm gut, sich selbst so kraß zu beurteilen, und es war ein herrliches Gefühl Jimmy dabei zu strei cheln, der mit seinem Stummelschwanz freudig wedelte. „Jimmy, und wenn ich es bin, so bin ich es doch nicht! Hast du mich verstanden?“ Hatten seine sibillynisch klingenden Worte
diese starke Reaktion bei seinem Hund ausge löst, daß dieser zu jaulen begann und seine bei den Vorderpfoten auf Shantons Knie legte? „Jimmy, du bist wirklich ein kluges Vieh, aber jetzt mußt du mir mal beweisen, daß du noch klüger bist als ich. Na, enttäuschst du mich auch nicht?“ Ein Mensch, der über diesen Scotchterrier nicht informiert war und Chris Shanton in dieser Situation belauscht hätte, wäre unwillkürlich zu dem Urteil gekommen, ein Verrückter unterhiel te sich mit seinem Hund in dem festen Glauben, von ihm Antwort zu erhalten. Der Zweizentner-Mann erhob sich. „Komm, Alter, wir machen mal einen kleinen Spazier gang zu Onkel Bell, und dann zeigen wir diesem Eylers mal, wie leicht Schnüffler aufs Kreuz zu legen sind.“ Alamo Gordo war bis zur Invasion durch die Giants die wissenschaftliche Zentrale der Erde gewesen. Nun, ein paar Jahre nach der Befreiung durch Dhark gab es in Alamo Gordo nichts mehr davon zu sehen. Die langen, schmalen Trakte in einer parkähnlichen Umgebung waren ver schwunden. Hier begannen gleichzeitig acht Stielbauten in den Himmel zu wachsen. Aber unter Alamo Gordo befand sich nun ein Zen trum, das in seiner flächenmäßigen Ausdehnung achtzehn Mal größer war als die alte Anlage. Chris Shanton passierte mit Jimmy eine Kon trolle. Sein Gehirnstrom-Muster wurde geprüft und er damit identifiziert. Jeder Mensch hatte sein eigenes, unveränderliches GehirnstromMuster, so wie jeder Mensch über einmalige Re lieflinien an seinen Fingern verfügte. Nur waren letztere durch ärztliche Kunstgriffe zu verän dern; ein Gehirnstrom-Muster nicht, es sei denn, der Betreffende, der solche Eingriffe an sich vor nehmen ließ, wollte unbedingt ein unheilbarer Idiot werden. Shanton warf der Plastiklinse, die unauffällig in der Wand eingelassen war, einen verächtli chen Blick zu. „Das ist auch Mist! Läßt die Kon trolle Jimmy einfach passieren. Na, Doorn, das werden wir bald abgestellt haben ...“ Und er war nicht zufrieden bei dem Gedanken, daß der rot haarige Arc Doorn auf der POINT OF steckte, um dort Miles Congollons rechte Hand zu sein. Viel lieber hätte er ihn jetzt in Alamo Gordo. ge sehen. Dann wäre der Weg zu Astrophysiker Monty Bell nicht erforderlich gewesen. Sie erreichten den A-Gravlift. In der MinusSphäre schwebten sie nach unten. Die einzelnen Stockwerke waren durch Leuchtschrift gekenn zeichnet. Im Liftschacht herrschte reger Verkehr. Kein Wunder, denn in der unterirdischen Anlage arbeiteten in vier Schichten über 35 000 Wissen schaftler und Techniker. 132. Stockwerk. Abteilung G, Bereich II, Raum 17 bis 35. Abermals eine Kontrolle, die Shantons Ge hirnstrom-Muster überprüfte. Die vor ihm lie gende unsichtbare energetische Sperre wurde blitzschnell aufgehoben. Gemütlich trottete Jim my neben ihm her. Ab und zu schnupperte er mal an einer Ecke, aber er fand wohl keine ver trauten Gerüche, denn er hielt sich nie lange da bei auf. In Raum 17 erfuhr Shanton, daß Monty Bell sich in 34, in seinem Arbeitszimmer, aufhielt. Dann saßen sie sich gegenüber, und Jimmy
ließ sich von seinem Herrn kraulen. „Sie sind verrückt!“ behauptete Professor Monty Bell nun schon zum dritten Male. Das konnte Shanton nicht erschüttern. „Das andere ist viel schlimmer, Bell. Wenn das so weiter geht, lasse ich noch eine Ast-Stati on nach der anderen hochgehen. Also wie ist es? Helfen Sie mir? Allein schaffe ich es auch, aber dann dauert's länger. Und was ich nicht habe, ist Zeit. Also, mein Bester?“ Chris Shanton hatte eine impertinente Art, seine Freunde zu dem zu zwingen, wozu er sie mißbrauchen wollte. Widerwillig quälte sich Bell ein Ja ab, um anschließend sehr ironisch zu sagen: „Na, fotogen sind Sie gerade nicht, Shan ton ... Zufällig habe ich die Sendung von diesem Stranger aus Ast-227 gesehen. Habe ich gelacht! Und als der Reporter dann auch noch die Ver zerrer-Linse benutzte ... Shanton, Sie sind der beste Clown, den ich jemals gesehen habe. Und Ihnen habe ich meine Hilfe zugesagt.“ Shanton, der sonst ein ziemlich dickes Fell hatte, war gegen alles allergisch, was mit dieser Sendung aus Ast-227 zu tun hatte. Aber er durf te Bell jetzt nicht sagen, was er ihm so gern ge sagt hätte. Bell sollte ihm helfen, und darum schluckte er seinen Ärger hinunter. Er erhob sich. „Am besten fangen wir gleich an. Dann ha ben wir es bis morgen früh geschafft.“ Professor Monty Bell warf einen Blick auf sein Chrono und seufzte. In einer halben Stunde hätte er Feierabend gehabt. Nun durfte er sich mit Chris Shanton bei einer anstrengenden und äußerst schwierigen Arbeit die Nacht um die Ohren schlagen. Er unternahm noch einen Versuch, daran vorbeizukommen. „Shanton, scheinbar wissen Sie nicht, daß Colonel Dumphi für alle Abwehrforts Alarm stufe l gegeben hat?" „Doch. Weiß ich. Aber was geht mich das an? Meine Abwehr steht. Wenn, dann sollen die Burschen mal zeigen, was sie können. Und im übrigen will ich für alle Fälle dem Stab der TF mal sagen, wo ich zu finden bin. Wo werden wir arbeiten, Bell?“ „Physik, Bereich UT, Raum 263. Dritter Gang links, dann immer geradeaus, letzte Tür links. Sie können den Stab von hier aus anru fen.“ Shanton betrachtete ihn verschmitzt ... „Sie hoffen wohl, die Säbelrassler können mich zum Stab beordern? Können die nicht, weil ich die sen Boys nicht unterstehe. Na, aufgrund Ihres dummen Gesichts sehe ich, daß ich richtig ver mutet habe. Also dann den Stab informieren ...“ Und dann ging Monty Bell neben Shanton und neben Jimmy, der ständig an ihm hoch sprang und gestreichelt werden wollte, zur Phy sik, Bereich UT. Eine lange Nacht mit einem schwierigen Ar beitspensum lag vor ihnen. * Holger Alsop stieß die Tür auf. Seine Nervo sität belastete ihn nach wie vor. Auf dem Gang blieb er stehen und sah sich um. Kein Mensch war zu sehen. Kein Ton zu hö ren. Es war so still wie in einem Grab.
Wollen Sie denn tatsächlich den Tod als Ihren besten Freund haben? Wieder glaubte er diese Worte zu hören. War hier der Tod zu Hause? Er faßte sich an den Kopf. Er begriff nicht, wie er zu die ser kindischen Frage gekommen war. Dann zuckte er zusammen. Vier Schritte vor ihm, wo sich gerade noch eine fugenlose Wand befunden hatte, öffnete sich eine Tür. Ein fast zwei Meter großer Mann, dürr wie ein Fakir, trat langsam hervor. Schloh weiß war sein gepflegter, langer Bart, wunderbar der Glanz in seinen blauen Augen, die ihn un verwandt anblickten. Gekleidet wie ein Brahma ne, auch so ruhig und beruhigend in seinen Be wegungen, hob er die Arme, kreuzte sie vor der Brust, und nach alter indischer Sitte verbeugte er sich stumm vor Holger Alsop und begrüßte ihn mit dieser Geste. Holger Alsop bemerkte die große Nase nicht, sah nichts von den überdimensionierten Ohren er sah nur das Ganze, und er spürte, welche Kraft von diesem alten Mann ausging, der be stimmt hundert Jahre alt war. „Holger Alsop?“ klang der Name durch die Stille, und Holger Alsop wußte, daß er noch nie eine Stimme gehört hatte, die so beruhigend auf ihn wirkte. Im gleichen Moment war seine Ner vosität nicht mehr vorhanden.“ Wollen Sie denn tatsächlich den Tod als Ihren besten Freund haben? Holger Alsop erkannte in diesem Augen blick, daß man ihn auf die schäbigste Art geblufft hatte. Dieser alte Mann vor ihm, die Güte selbst und das personifizierte Vertrauen, strahlte etwas Undefinierbares aus, das zu den größten Kostbarkeiten zählte, was es im Leben eines Menschen geben kann. „Ich bin Holger Alsop ...“ Das Gesicht des anderen blieb unverändert. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sagte: „Und ich bin Echri Ezbal.“ Dieser Name weckte in Alsop nichts. Des halb fragte er: „Und wo bin ich? Darf ich es er fahren?“ „Alles, Alsop. Sie haben den letzten Schritt getan. Sie können jetzt nur noch vorwärts gehen, aber nicht wieder zurück. Sie befinden sich im Brana-Tal, Sie stehen in der Cyborg-Station, Sie sind einer der wenigen, die damit rechnen dür fen, einige hundert Jahre alt zu werden. Ich bin der Leiter dieser Station.“ Holger Alsop hielt den Atem an. Er glaubte Blei in den Gliedern zu haben. Hier wollte man ihn zu einem Cyborg machen - ihn, einen Menschen aus Fleisch und Blut. Ihn wollte man verstümmeln? Und er hatte sich auch noch freiwillig gemeldet! „Nein!“ stieß er fast tonlos aus. „Nein, das ist nicht wahr! Das ist ein Scherz, ein gräßlicher Scherz, Echri Ezbal...“ Aber die wunderbar blauen Augen, die ihn so gütig ansahen, sagten ihm, daß er die Wahrheit erfahren hatte. * Als Chris Shanton mit Jimmy im A-Gravlift wieder nach oben schwebte, stand über Alamo Gordo der Morgen. Der Ingenieur blinzelte ge gen das Sonnenlicht als er ins Freie trat und auf
den Parkplatz zuging, wo sein Jett stand. Kaum hatte er den Einstieg geöffnet, als Jimmy mit ei nem Satz an ihm vorbeihechtete und es sich auf der gepolsterten Bank bequem machte. „Alter Gauner...“, sagte Shanton zu seinem Scotchterrier, schob ihn zur Seite und nahm sei nen Platz ein. Hinter ihm fiel der Einstieg zu und verriegelte sich automatisch. Durch diese Geräusche überhörte er, daß sein Jett-Vipho be triebsklar geworden war. Erst das Flimmern der Bildscheibe ließ ihn aufmerken. „Stab an Shanton! Bitte, melden ...“ -„Ja, was ist denn los?“ fragte der dicke Mann, der ein Gähnen kaum unterdrücken konnte, denn schließlich hatten er und Monty Bell eine lange Nacht hindurch geschuftet. „Order von Ren Dhark, sofort Defensiv-Ver teidigung übernehmen!“ Der Diplom-Ingenieur glaubte zu träumen. „He“, tobte er, „ich hab' wohl einen Bart, aber damit bin ich immer noch kein Feldherr. Da dürfte ein Befehl wohl falsch interpretiert wor den sein. Darf ich mal den Wortlaut erfahren?“ Oberleutnant Nessker verzog leicht abwer tend sein Gesicht, griff in seinem Büro lässig nach der Folie, überflog sie noch einmal und wurde blaß. „Entschuldigen Sie, bitte,“ aber Chris Shan ton entschuldigte nicht. Er wollte den Wortlaut der Order von Ren Dhark erfahren. Und er er fuhr ihn. Die technische Kontrolle der Abwehrforts ist durch Chris Shanton sofort bis auf Widerruf auszuüben. Ren Dhark. In einem anderen Befehl wurde General Mau dit aufgefordert, die Defensiv-Verteidigung zu übernehmen. Eine kleine Verwechslung! Aber ein Irrtum, der beim Stab nicht vorkommen durfte! Und Chris Shanton, dem es gar nicht drauf ankam, mal eine Woche ununterbrochen zu bummeln und jeder Arbeit weit aus dem Weg zu gehen, hatte kein Verständnis für jenen Typ Mensch, der während seiner Tätigkeit die Arbeit nachlässig oder gedankenlos verrichtete. „Okay, das klingt anders. Aber Ihnen, Ober leutnant, garantiere ich, daß der Commander Sie nach seiner Rückkehr sprechen wird, oder Flottenchef Riker. Übrigens, warum sind diese Anweisungen erfolgt?“ Oberleutnant Nesskers Augen, die vor Wut funkelten, schlossen sich zu Schlitzen. Arrogant erklärte der Militär: „Sie dürften doch wissen, daß Dienstgeheimnisse Dienstgeheimnisse sind und ...“ „Ich werde Ihnen mal etwas erzählen“, brüllte Shanton dazwischen, dem diese Frechheit unbe greiflich war. „Sie verbinden mich sofort mit General Maudit...“ „Der General hält gerade eine Lagebespre chung ab und kann nicht gestört werden. Sie ...“ Shantons Pranke schlug auf die Taste. „Neue Verbindung mit der Viphozentrale des Stabes.“ Er flüsterte leicht. Er drohte dem Mann, der sein Gespräch angenommen hatte, mit ihm Schlitten zu fahren, wenn er nicht sofort ein Gespräch mit General Maudit bekommen würde. Er bekam es. Zu seinem Glück hatte der Mann in der Vipho-Zentrale den Ingenieur er kannt. Und General Maudit ließ sich stören. „Das wissen Sie noch nicht, Shanton? Nach
der CAESAR und YAMID ist vor knapp einer Stunde ein Schiff der 200-Meter-Klasse, die SHARK, verschwunden. Spurlos verschwunden. Alle drei Schiffe haben nicht transistiert. Der Commander hat die COL angefordert. Mit ihr sucht er den Sektor ab, aus dem die SHARK sich zum letzten Male gemeldet hat. Abermals in einem verstümmelten Hyperfunkspruch. Aber...“ Zweifel und Unverständnis zeichneten sich auf dem Gesicht des Generals ab, „aber ist das der Grund, weswegen Sie mich angerufen haben?“ „Ja“, erwiderte der Ingenieur und beobachtete das Gesicht des anderen auf seiner kleinen Bildscheibe. Mit kräftigem Vorwurf in der Stimme fuhr Maudit fort: „Shanton, ich habe Sie bisher für einen vernünftigen Mann gehalten. Sie können sich doch vorstellen, daß ich in solch einer Si tuation kaum Zeit habe, Auskünfte zu geben, die Sie von jedem Mann meines Stabes auch erhal ten hätten.“ „Ich war der gleichen Ansicht, General“, er widerte Shanton so freundlich, daß Maudit die Augen weit aufriß, „nur erkundigen Sie sich ein mal, wie sich Ihr Oberleutnant Nessker mir ge genüber verhalten hat. Ich garantiere Ihnen, daß er vor dem Flottenchef oder Ren Dhark selbst erscheinen darf. Und daß in diesem Zusammen hang auch etwas für Sie abfällt, dürfte wohl klar sein.“ Maudit wußte, was die Erde diesem Zwei zentner-Mann zu verdanken hatte. Daß nun auf mehr als 370 Asteroiden, die man erst in neue Bahnen gebracht hatte, titanische Abwehrforts, standen - daß die Verteidigungsanlagen auf den Monden und Planeten des Sonnen-Systems eine Ballung von energetischen Strahlgeschützstel lungen waren - ging auf das Konto dieses Man nes, der sich von seinem lächerlich wirkenden Backenbart nicht trennen wollte. Und damals, als das alles erst einmal geschaffen werden mußte, hatte ihm ein junger Mann mit Namen Arc Doorn unermüdlich zur Seite gestanden. „Shanton, müssen Sie dem Flottenchef oder sogar dem Commander Meldung machen?“ Ge neral Maudit wollte einer Rüge, die er in diesem Verfahren von Riker oder Dhark erhalten würde, ausweichen. „Ich muß“, sagte der Ingenieur abschließend. „Organisationsmängel im Stab der TF dürfen in dieser Form nicht vorkommen. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, General?* Der nickte widerwillig. Shanton betrachtete damit das Gespräch als beendet und schaltete ab. Jimmy lag gemütlich neben ihm, den Kopf auf seinem Schoß und sah ihn aus seinen treuen Augen an. Gedankenverloren streichelte Shanton seinen Hund. Trotz seiner Müdigkeit fühlte er sich energiegeladen, und die Aufgabe, die er vor sich liegen hatte, machte, ihm Spaß. Jetzt mußte er... Jetzt konnte er vor sich selber nicht mehr ausweichen! Und jetzt konnte er bald Bernd Eylers bewei sen, daß er nicht an einem verrückten Komplex litt. Nur wenn er an das Verschwinden der drei Raumer dachte, fühlte er sich gar nicht mehr so unternehmungslustig. Drei Raumer sollten zwischen den Sternen spurlos verschwunden sein?
Was braute sich dort oben wieder einmal zu sammen? * Auf Hope, dem fünften Planeten des Doppel sonnen-Systems Col, lebten nicht mehr viele Menschen. Die ehemalige Stadt der Kolonisten, Cattan, war verlassen. Nur ein paar Techniker sorgten dafür, daß die noch vorhandenen Anla gen unterhalten und erforderlichenfalls repariert werden. Rund fünftausend Experten hielten sich im Höhlensystem von Deluge auf, der schier uner schöpflichen Fundgrube einer technisch unvor stellbaren Entwicklung, die jene Mysterious vor tausend Jahren hinterlassen hatten, als sie von Hope aus unerklärlichen Gründen verschwanden oder auf diesem Planeten durch eine Katastrophe umkamen. M-Technik war zu einem Qualitätsbegriff ge worden, und zum besten Geschäft der Regierung Terras. Soweit die wissenschaftlichen Erkennt nisse industriell genutzt werden konnten, wur den sie gegen Lizenzgebühren in einer Aus schreibung, die jeden Monat in London statt fand, an die Industrie weitergegeben. Und Com mander Dharks Finanzminister war kein schlechter Geschäftsmann, dazu auch noch ein erstklassiger Ingenieur, der einen Begriff davon hatte, welchen Wert die Dinge besaßen, die in Lizenz an die terranischen Werke abgegeben wurden. Milliardenbeträge liefen auf diese Weise mo natlich auf die Konten in Alamo Gordo ein. Dort blieb das Geld nicht lange nutzlos liegen. Das eigene Raumer-Programm hatte bisher ungezähl te Milliarden verschlungen und würde noch wei tere unvorstellbar hohe Summen kosten. Mehr als hundert Kugelraumer flogen für Terra. Auf den Großwerften lagen zehn 600-Me ter-Riesen auf Band und gingen ihrer Fertigstel lung entgegen. Daneben befanden sich Kreuzer, Jäger, Zerstörer, Sternschnuppen und Lastenrau mer im Bau. Laut Fünf-Jahres-Plan, der im Janu ar 2056 angelaufen war, sollte die TF im Jahr 2061 3500 Schiffe umfassen. Noch immer zwei felten viele Experten, ob Terra dazu in der Lage war. Ein Mann überhörte die Unkenrufe - Com mander Ren Dhark. Er war überzeugt, daß dieses Programm erfüllt werden würde. Eine zweite Geldquelle der Regierung waren die Tofiritvorkommen auf dem Inselkontinent 4 und Planeten Jump, Noch war dieses rubinrot leuchtende Schwermetall Mangelware auf der Erde, weil zu wenig Lastenraumer zur Verfü gung standen, um den Bedarf der terranischen Industrie decken zu können. Manche großen Werke mußten manchmal Monate warten, bis sie eine Zuteilung erhielten, weil mehr als neunzig Prozent des nach der Erde geschafften Tofirits jenen Werften zur Verfügung gestellt wurden, die im Auftrage der Regierung Raumer bauten. Alle Versuche, eine Transrnitter-Verbindung wischen Hope und der Erde zu erstellen, waren bisher gescheitert. Welchen Zweck die große, stilliegende Transmitter-Anlage im IndustrieDom hatte, war nach wie vor unbekannt. Colonel Huxley, Kommandant des For schungsraumers FOI, unterhielt sich über diesen Punkt mit einigen Wissenschaftlern, die mal
wieder ein paar Tage im Industrie-Dom gearbei tet und geforscht hatten. Sie winkten gemeinsam ab, als Huxley hart näckig bei seinem Thema blieb. „Colonel, erwarten Sie doch keine Wunder von uns, Machen Sie sich einmal klar, was wir bisher hier erforscht, entdeckt oder durch Zufall herausgefunden haben. Nicht ein Prozent der Dinge, die uns hier umgeben, ist uns klar. Und da erwarten Sie, daß wir fähig sein sollten, die große Transmitter- Anlage aktivieren zu kön nen? Und wir werden sie niemals in Betrieb setzen, wenn die Gegenstation dazu nicht mehr existieren sollte...“ Colonel Huxleys Hartnäckigkeit konnte eine Belästigung werden. Und er belästigte fünf Wis senschaftler. „Wenn ich richtig informiert wor den bin, dann existiert doch im Col-System ein Transmitter einer anderen unbekannten Technik, oder.. .?“ Einer der Experten murmelte unfreundliche Worte und entfernte sich in der Maschinenhöhle zwischen den gigantischen Aggregaten. Die an dern hielten bei Huxley aus. „Ja, Sie sind bestens unterrichtet, Colonel, und wir müßten uns eigentlich etwas einbilden, weil Sie uns für Zauberkünstler halten, die Wun der schaffen. Leider sind wir das nicht. Leider gibt es immer noch zu wenig Experten, die auch nur einen Schimmer von M-Mathematik, Physik und Technik haben. Woher die Leute nehmen, die sich mit jenem Transmitter befassen, der ein wandfrei einer Technik entstammt, die mit dem Mysterious nichts zu tun hat? Ein sehr kluger Mann hat einmal gesagt: Eins nach dem ande ren, und daran haben wir uns auch zu halten. Erlauben Sie mir eine Frage, Colonel: Warum wird Ihre FO 1 nicht auseinander genommen, um an Ihrem Schiff die Nogk-Technik studieren zu können?“ Ein flüchtiges Lachen flog über Huxleys Ge sicht. Dann nickte er. Der Experte hatte ihn mit dieser Frage matt gesetzt. Es gab im gesamten Bereich, in dem sich Menschen aufhielten, keinen einzigen, der sich mit der Raumflug-Technik der Nogks befassen wollte. Studium der M-Technik, hieß die Parole seit einigen Jahren, und zu diesem Studium drängten sich alle, die sich berufen fühlten. Colonel Huxley schlenderte mit der kleinen Gruppe zur Ringraumer-Höhle, in der Ren Dhark und seine Freunde auf der Flucht vor dem Diktator Rocco die fast fertiggestellte POINT OF gefunden hatten Diese Höhle war in den letzten drei Jahren als Wohnsiedlung so erstklas sig ausgebaut worden, daß sich die rund fünftau send Menschen hier wie zu Hause fühlten, alle erdenkliche Abwechslung zur Verfügung hatten und darüber vergaßen, daß sich mehrere tausend Meter Fels über ihnen befand. Die Technik hatte in diesem Bereich natür lich auch ihren Platz. Diese Stelle war Colonel Huxleys Ziel. Beim To-Funk wollte er nachhören, ob inzwischen noch mehr Raumer der TF verschwunden waren. Hier wie auf der Erde gab es Kontrollen. Be vor er die Technik betreten konnte, wurde sein Gehirnstrom-Muster erfaßt und er damit identifi ziert.
Der Colonel warf einen Blick bei der Ortung hinein. „Nichts Neues, Colonel, es sei denn, Sie möchten etwas über die Schwankungen des elektromagnetischen Feldes der Galaxis hö ren...“ Huxleys Gesicht versteinte. „Hört bloß damit auf, Ihr Nichtskönner. Seit Jahr und Tag wird darüber geredet, aber warum es diesen Magnet feld-Wirbel gibt, kann kein Mensch erklären.“ Ein junger Astrophysiker, der in der Ecke hinter seinem modernen Magnetometer saß, grinste ihn an. Das ärgerte Huxley. „Junger Mann, mit mei ner bissigen Bemerkung habe ich allein Ihre Fa kultät angesprochen. Ich finde beim besten Wil len keinen Grund zum Grinsen ...“ Der Astrophysiker ließ sich nicht einschüch tern. Huxley war nun einmal militärische Za ckigkeit gewohnt; sie alle hier in der Technik waren nichts weiter als billige Zivilisten. „Colo nel, stellen Sie uns Astrophysikern Ihre FO I zur Verfügung, unterstellen Sie sich unseren Kurs befehlen, und innerhalb eines Jahres werden wir herausgefunden haben, warum uns die Schwan kungen des galaktischen Magnetfeldes so viele Sorgen...“ „Was?“ unterbrach ihn Huxley, „ich soll Zi vilisten spazieren fahren?“ „Heißt FO I nicht Forschungsraumer Num mer I, Colonel?“ konterte der junge Wissen schaftler. „Und ist die FOI nicht seinerzeit ge baut worden, um Forschungsaufgaben zu lö sen?“ „Auf meinem Schiff fliegen Sie nicht, junger Mann!“ sagte Huxley unmißverständlich, drehte sich abrupt und verließ die Ortung. Die Männer im Funk waren ihm sympathi scher. Mit Phera, der gerade Dienst hatte, ver stand er sich besonders gut. Er nickte ihm wortlos zu und nahm neben ihm Platz. „Was Neues, Phera?“ „Die SHARK ist der letzte Kahn gewesen, der verschwunden ist. Der Commander und Lar sen mit der COL suchen immer noch im Sektor, aus dem sich der 200-Meter-Raumer zuletzt ge meldet hat.“ Nachdenklich rieb sich Huxley sein Kinn. „Eine unheimliche Angelegenheit. Raumschiffe, die einfach verschwinden ... und um bei der Sa che zu bleiben: Ich bewundere Ren Dharks Mut, daß er es gewagt hat, zur intensiveren Suche die COL anzufordern.“ „Colonel, die COL ist immerhin ein 400-Me ter-Schiff!“ In Huxleys Augen blitzte es. „Na, und? Was heißt das schon? Wer einen 200-Meter-Jäger in die Tasche stecken kann, wird auch mit einem viel größeren Schiff fertig. Ihr jungen Füchse wollt doch immer so klug sein, dabei entdeckt ihr auch jetzt nicht den Unterschied zwischen ei nem Kugelraumer und der POINT OF. Die POINT OF fliegt im Schutze ihrer Intervallfel der. Das scheint wohl einmalig zwischen den Sternen sein. Und ich nehme fest an, daß dieser Intervall-Schutz den Ringraumer viel besser gegen ein Geschlucktwerden absichert als die üblichen energetischen Schutzschirme. Übrigens: Hat Prewitt die Routine-Meldung hereingegeben?“ Er sprach von seinem 1. Offizier, der sich mit
einem zehnköpfigen Wachkommando auf der FO I befand, die in einem der Täler des dolomit enartigen Gebirges lag und seit Wochen auf ei nen Einsatzbefehl des TF-Stabes wartete. „Keine Meldung, Colonel...“ „Was?“ Ruckartig richtete der Colonel sich auf. Nachlässigkeit kannte er bei seinem 1. Offi zier nicht. Prewitt war die Zuverlässigkeit in Person. „Los, Phera, rufen Sie das Schiff an. Prewitts Meldung war doch schon vor 45 Minuten fällig. Na, machen Sie schon!“ Phera schaltete das Vipho-Standgerät ein. Die Bildscheibe flackerte, brachte aber kein Bild. Auch auf der Tonphase blieb es still. Der Funker warf dem Colonel einen forschen den Blick zu. Scharfe Falten standen auf Hux leys Stirn. „To-Funk, Phera!“ befahl der Kom mandant der Fo I. „Hoffentlich hat Ihr Vipho eine Störung ...“ Daran glaubte der Funker nicht. Aber er hatte keine Zeit ihm seine Meinung darzulegenDer Ruf ging über den verstärkenden Richt kristall hinaus. Automatisch strahlte der Sender den Anruf ab: FO /, bitte, kommen! FO I, bitte, kommen! Der Forschungsraumer meldete sich nicht! Huxley schob den Funker zur Seite, saß vor dem Vipho und gab Alarm. „Aender, stellen Sie eine Gruppe von zwanzig Mann zusammen ... natürlich aus meiner Mannschaft. Über den AGravschacht nach draußen, Treffpunkt bei den Jetts. Vollzug nicht nötig. Ich bin auch unter wegs. Mein Schiff meldet sich nicht. Die Routi ne-Meldung ist seit 50 Minuten überfällig ...“ „Aber, Colonel, Ihrer FO I kann doch nichts passieren ...“ Huxley verzichtete darauf, Aender zu ant worten. Mit einem Griff hielt er Pheras Vipho in der Hand, hing es sich um und jagte nach drau ßen. Er war schneller bei den Jetts als die meisten seiner Leute. „Zum Landeplatz der FO I!” schrie er, als er in den ersten besten Schweber stieg und Sekun den später die Antriebsaggregate hinaufschalte te. Mit drei Mann im Jett raste er los. Niemand wagte ihn zu fragen. Sie kannten ihren Kom mandanten. Er würde sie noch früh genug infor mieren, warum er es so eilig hatte, zum Lande platz der FO I zu kommen. Nackte Felsflanken rasten an ihnen vorbei. Der Taleinschnitt kam, an dessen Ende der For schungsraumer lag. Huxley belastete die Trieb werke weit über die zulässigen Werte. In Schlangenlinien zog sich das Tal tiefer ins Gebirge. Huxley flog dicht über dem Boden, wich reaktionsschnell gewaltigen Felsbrocken aus, die im Laufe der Jahrtausende aus den Wän den gebrochen und in die Tiefe gestürzt waren. Die letzte Talkurve! Der Mann neben dem Colonel sagte über rascht: „Der Erste hat den Unsichtbarkeits schirm eingeschaltet...“ Huxley sagte kein Wort. Die Geschwindigkeit des Jett sank abrupt. Der Schweber änderte den Kurs, ging ganz nah an die linke Bergflanke heran. Auf einer kleinen ebenen Fläche setzte er auf. Kaum war der An trieb verstummt, als Huxley über sein SchweberVipho versuchte Kontakt mit der FO I zu be
kommen. Der 1. Offizier, Prewitt, meldete sich nicht. Aber auch kein Mensch der zehnköpfigen Wachmannschaft. „Es gibt...“ Huxley sprach den Satz nicht zu Ende. Wortlos stieg er aus. Als ihm seine Leute folgen wollten, herrschte er sie an: „Hierbleiben und auf mich warten! Auch von den anderen hat mir niemand zu folgen!“ Entgeistert und verständnislos sahen sie ihren Kommandanten an. Sie verstanden sein Verhal ten nicht mehr. Warum war Huxley so sehr er regt, er, der sonst die Ruhe in Person war? Der Erste hatte nun einmal aus einem noch unbe kannten Grund den Unsichtbarkeitsschirm der FOI eingeschaltet, aber das war doch noch lange kein Anlaß sich derartig aufzuregen. Dann hielten sich die drei Männer vor dem Jett gegenseitig fest! Ihr Kommandant befand sich an der Stelle, wo heute morgen noch die FOI gelegen hatte! Prewitt war ohne Befehl Huxleys gestartet? Wohin, und warum? Hinter ihnen landeten die anderen Schweber. „Hier warten. Dem Alten nicht folgen. Prewitt ist mit der FO I gestartet, Boys, und der Alte ist dahintergekommen ...“, riefen sie ihren Kameraden zu. „Das würde der Erste nie und nimmer tun!“ widersprach ein Mann energisch. „Ja, zum Teufel, wo ist denn unser Kahn? Sieh dir doch an, wo der Alte herumläuft. Hier gibt's keine FO I hinter einem Unsichtbarkeits schirm. Hier gibt's überhaupt keine FO 1! Pre witt ist mit ihr auf und davon! Unser Erster! Wer hätte das von ihm gedacht...?“ Die Männer konnten es nicht glauben. Ein weiteres Gespräch kam nicht mehr auf. Lang sam, wie unter einer Zentnerlast, bewegte sich Huxley auf die Gruppe zu, stieg in seinen Jett, schaltete das Vipho ein und erhielt Kontakt mit der Ortung in der Ringraumer-Höhle. Mit ange haltenem Atem hörten die Männer zu, was ihr Kommandant zu sagen hatte. Und sie hörten die Antwort der Ortung. „...Nein, keine Energie-Emissionen! Mo ment, Colonel, ich lasse die gespeicherten Daten zur Kontrolle abrufen ... Dauert nur ein paar Se kunden. Aber warum Ihre Anfrage, Colonel? Gibt's bei Ihnen etwas Besonderes?“ „Die Daten!“ fauchte Huxley. „Die Daten, Mann! Es geht um Leben und Tod!“ Das machte Eindruck. Huxley warf mit sol chen Behauptungen nicht oft um sich. „Nichts, Colonel. Keine Ortung im Bereich Ihrer FO I. Wieso auch?“ „Narr!“ brüllte der Kommandant, der kein Schiff mehr besaß und schaltete ab. Er sah seine Männer Kopf an Kopf vor dem Einstieg seines Jett stehen. „Zurück! Zurück in die RingraumerHöhle.“ Knapp eine Viertelstunde später ging ein ToFunkspruch an die POINT OF, die nach ei nem normalen Hyperfunkanruf ihre Koordinaten mitgeteilt hatte. Ren Dhark ließ sich das zu erwartende Ge spräch mit Colonel Huxley in die Zentrale legen. Dann meldete sich der Colonel und sein Gesicht war deutlich auf dem Schirm zu sehen. „Commander“, sagte der erfahrene Mann mit brüchiger Stimme, „die FO I ist verschwunden!
Spurlos! Die Ortungen hier haben nichts erfaßt. Nichts, aber auch nicht einen einzigen Blip. Commander, meine FO I mit Prewitt und einer zehnköpfigen Wachmannschaft sind verschwun den. Verschwunden ... Nicht mehr da ... Einfach weg, weg...“ Brach Colonel Huxley unter diesem Schick salsschlag zusammen? Ren Dhark wußte im Moment nicht, was er diesem zuverlässigen und erfahrenen Mann sa gen sollte, der sein Vater hätte sein können. Aber dann hatte Huxley den Schock über wunden. Wenigstens gab er sich plötzlich wieder als der beherrschte Mann. Doch schimmerte es in seinen Augenwinkeln nicht verdächtig feucht? Gab es das? Ein Colonel Huxley, der Tränen in den Augen hatte? „Commander“, kam seine Stimme über einen Abgrund aus Ewigkeit und Zeit klar zur POINT OF, „Prewitt und zehn Mann sind verschwunden ... elf meiner besten Freunde. Entschuldigen Sie ...“ Der Mensch Huxley, nicht der Colonel, | war zu sehen. Ein Mensch, der um seine besten Freunde trauerte! Gab es etwas Schöneres als diese unverhüllte, menschliche Regung? Die Pflicht, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, ließ den Schleier über diese Szene fallen. „Colonel, Sie bleiben auf Hope. Sie haben ge nügend Fachleute zur Verfügung, um das Ver schwinden der FO I zu untersuchen. Sollten Sie etwas entdecken, melden Sie es sofort. Und jetzt geben Sie mir bitte die Ortung.“ Diese Männer konnten Commander Dhark nichts berichten. „Wir haben inzwischen schon dreimal alles nachgeprüft, Commander. Unsere Ortungs-Gerä te arbeiten fehlerlos. Die FO I ist im gelandeten Zustand mit abgeschalteten Triebwerken ver schwunden. Etwas wie eine Transition kann nicht stattgefunden haben, sonst hätten wir die Struktur-Erschütterung angemessen...“ „Danke“, sagte Ren Dhark und gab das ToFunkgespräch mit Hope an die Funk-Z der POINT OF zurück. Jeder in der Zentrale sah ihm an, daß auch er keinen Rat wußte. Doch eine Entscheidung mußte er fällen. Dan nahm den Kopf etwas höher, als Dhark ihm sagte: „Bitte, rufe Larsen auf der COL an. Es hat keinen Sinn, noch länger nach der SHARK zu suchen. Wenn jetzt schon gelandete und abge schaltete Raumschiffe von ihren Liegeplätzen verschwinden, dann haben auch wir damit zu rechnen, daß Städte mit ihrer Bevölkerung ver schwinden können. Wir müssen nach Terra zu rück!“ „Und was sollen wir da, Ren?“ Dan war mit der Entscheidung seines Freundes nicht einver standen. „Hier, zwischen den Sternen, haben wir doch viel besser Gelegenheit, mit dem Unheimli chen Kontakt zu bekommen ...“ „Ja, wirklich?“ fragte Ren und sah ihn durch dringend an. „Wo sollen wir das Unheimliche suchen? Und so lange wir nicht einmal die ge ringste Spur finden, wissen wir nicht, was wir suchen sollen. Überlege einmal, wann die SHARK sich zuletzt gemeldet hat? Und dann mache dir klar, wann anschließend die FO I auf
Hope verschwunden ist. Vergiß auch nicht zu bedenken, wieviel abertausend Lichtjahre zwi schen diesem Sektor und dem Col-System lie gen.“ Von allen Seiten wurde der Commander an gestarrt. Er hätte sich inzwischen daran ge wöhnt, es machte ihm nichts mehr aus. Er bilde te sich auch nichts darauf ein, wieder einmal et was entdeckt zu haben, das allen anderen nicht aufgefallen war. „Du glaubst... du glaubst, daß wir es nicht mit einem Unheimlichen zu tun haben, Ren?“ fragte Dan Riker, der sich unsicher zeigte. „Ich habe den Verdacht, Dan. Wenn wir doch wenigstens den Schimmer einer Struktur-Er schütterung festgestellt hatten, dann könnten wir uns das Verschwinden der Raumer mittels phan tastischer Kombinationen verständlich machen, wenn auch nicht exakt erklären. Aber selbst in der Ringraumer-Höhle, wo man mit M-Ortungs anlagen arbeitet, hat man nichts Auffallendes be merkt. Hier verschwinden Raumer, die sich zwi schen den Sternen aufhalten; auf Hope ver schwindet die FO I, die gelandet und abgeschal tet liegt...“ „Etwas, das mit Anti-Schwerkraft arbeitet...?“ „Unwahrscheinlich. Warum haben die YA MID, SHARK, CAESAR erst SOS gefunkt, als die Schiffe kaum noch über Energie-Reserven verfügten? Haben die Raumer ihre Energievorrä te blitzartig verloren, oder hat man durch äußere Eingriffe ihre Funkanlagen zerstört? Dan, dieses Problem ist zu kompliziert, daß wir es selbst lö sen können. Wir brauchen Hilfe, und die finden wir nur auf der Erde.“ „Hoffentlich!“ Dan zeigte sich als Pessimist. Kurz darauf transistierte die COL in Richtung Terra. Die POINT OF, das Flaggschiff der Ter ranischen Flotte schlich mit steigender Über lichtfahrt hinterher. Die Stimmung an Bord war nicht lustig. Auch der letzte Mann fragte sich vergebens, wer daran interessiert sein konnte, ein Raumschiff nach dem anderen spurlos ver schwinden zu lassen. *
Cybernetic-organism ... Cyborg ... Der Cyborg, der halbmechanisierte Super mensch, ein Wunschtraum der Futorologen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, sollte im BranaTal Wirklichkeit werden. Holger Alsop saß Echri Ezbal in dessen mehr als einfach eingerichteten Privaträumen gegen über. Nackt waren die Wände. Zwei Felle lagen auf dem Boden. Ein Tonkrug stand in der Ecke und die Wasserkelle ragte nur mit ihrem Griff hervor. Echri Ezbal hatte Holger Alsop Wasser als Getränk angeboten. „Wunderbares, klares Quellwasser, Hol ger...“, hatte der Alte gesagt und seine blauen Augen forderten den jungen Mann auf zu trin ken. Aus einer handgefertigten Tonschale. Nicht aus einem Plastikbehälter. Aus einer Schale, die nach den Worten des Alten fast zweihundert Jahre alt sein sollte. „Holger, schlürfen Sie. Trinken Sie nicht Erst beim Schlürfen wird die Würze des Wassers frei...“ Und Holger Alsop trank. Er schlürfte. Und
je mehr er trank, um so ruhiger wurde er, um so schneller wich der Alpdruck von ihm. Echri Ezbal hatte ihm die große CyborgStation gezeigt. Er hatte ihm alle Geheimnisse des Brana-Tals erzählt. Er hatte mit ihm aber auch eine Nische betreten, die im schwachen Rotlicht lag, und stumm auf eine von innenher beleuchtete Tafel gewiesen, auf der Namen stan den. Und hinter jedem Namen eine Zahl. Jene Zahl, die angab, in welchem Alter der Namens träger gestorben war. Zweiundzwanzig Jahre... dreiundzwanzig ... siebenundzwanzig ... einundzwanzig und kein einziger Dreißigjähriger. „Sie alle wußten, daß ihre Chancen nicht groß waren, Holger“, hatte Ezbal ihm vor der Tafel gesagt, „und jeder liebte das Leben. Den noch kamen sie alle freiwillig, und jeder blieb freiwillig.“ Ich nicht, hatte Holger Alsop gedacht. Ich werde einen Weg zur Flucht finden! Und nun saß er Echri Ezbal gegenüber und trank aus einer Tonschale Wasser. Plötzlich senkte er die Schale, die er mit beiden Händen gehalten hatte. Trank er gar kein reines Quellwasser, sondern eine Mixtur, in der sich ein würzig schmeckendes Sedativum be fand? Rührte von diesem Mittel seine Ruhe, die ihn wieder beherrschte? Das Gesicht des hagern Alten zeigte den Anflug eines Lächelns. Er erhob sich, ging gelassen zum Tonkrug, nahm die zweite Schale vom Bo den und füllte sie mit Wasser, um dann wie Al sop zu trinken. Danach klang seine Stimme wieder auf. „Hol ger, Sie haben den Mann mit künstlicher Lunge gesehen. Einen anderen mit einem doppelten Kreislauf. Wieder einen anderen mit einem zweiten elektronischen Gehirn? Ich weiß, daß ich Ihnen mit dieser Besichtigung fast zu viel zugemutet habe, doch wäre es nicht noch schrecklicher gewesen, sie auf Raten mit der Wirklichkeit vertraut zu machen?“ In Holger Alsop meldete sich wieder der Pro test. „Man hat mich und alle anderen Freiwilli gen hereingelegt. Bei jeder Meldung zu einem Himmelfahrtskommando wären meine Überle benschancen hundertmal größer gewesen ...“ Echri Ezbal schüttelte leicht den Kopf. Sein schlohweißes Haar schimmerte. Es war unnach ahmlich, wie seine Hand durch seinen Bart strich. „Holger, habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie zu den glücklichen Menschen zählen wer den, die ein paar hundert Jahre alt werden wür den? Ich habe nicht gescherzt, so wenig wie ich vor dem Bildschirm scherzte, als wir gemeinsam beobachteten, wie zwei meiner besten Chirurgen mit Biotechnikern einem Mann einen zweiten Magen einsetzten Holger, diese kaum taubenei große weiße Kugel ist tatsächlich ein Magen ge wesen. Erinnern Sie sich noch des farblosen Schlauches, den einer der Operateure an die Ku gel anschloß? Das war die zweite Speiseröhre. Säurefest und strahlungssicher... Sie fragen nicht?“ „Ich denke an die Toten, Ezbal!“ Holger Alsop war hier noch nicht zu Hause. Der Protest lebte noch immer in ihm. „Ich stehe jeden Tag in dieser Nische, und mein Gebet: O mani padme hum, kommt über meine Lippen. Holger, sie starben, wie jeder
Mensch einmal sterben muß. Die hier gestorben sind, wären zur selben Zeit auch an jedem ande ren Ort der Erde gestorben. Nicht durch unseren Eingriff verließen sie dieses Leben, sondern weil sie nicht lebensfähig waren.“ „Das glaube ich Ihnen nicht, Ezbal.“ „Ihr Recht, Holger. Kommen Sie ...“ Wieder führte er ihn über lange Gänge tiefer in den Berg. Wieder umgab sie überall diese wunderbare Ruhe. Nur der eigene Schritt war zu hören. Leise... Und dann standen sie im Freien. Die Sonne schaute zwischen zwei dichten Wolkenbänken in das Brana-Tal hinein. Die vereisten Gipfel des Himalaya waren verdeckt. Vor ihren Füßen zog sich ein schmales langes Plastikband entlang. Eine Gruppe junger, teils großer, teils auffallend bulliger Männer trieben Leichtathletik. „Holger, sehen Sie den großen blonden Mann mit der dunklen Hautfarbe? Er trägt eine lichtun durchlässige Binde vor den Augen und bewegt sich dennoch wie ein Sehender. Er sieht auch. Trotz Binde. Er sieht über sein zweites Augen paar. Er sieht im Dunkeln, in schwarzer Flüssig keit. Nur wenn sie ihn mit Blei umpanzern, kann er nichts mehr sehen. Vorgestern wurde ihm das zweite Augenpaar eingesetzt. Holger, möchten Sie mit ihm sprechen?“ Alsop atmete laut und schwer. „Ist dieser Mann ein Cyborg?“ „Nein, den Cyborg gibt es noch nicht, den Maschinenmenschen mit einem organischen Körper. Diese Männer auf dem Plastikband wer den nie Cyborgs werden. Sie eignen sich nicht dazu. In zehn Jahren werden wir vielleicht so weit sein, auch sie dazu zu machen. Heute brin gen sie noch nicht die innerliche Einstellung zu dieser Umformung mit...“ Holger Alsop hörte sich auflachen. „Ich viel leicht, Echri Ezbal? Ich, der in ohnmächtiger Wut tobt?“ „... und Sie stehen ganz gelassen neben mir und glauben in mir immer noch einen wahnwitzigen Forscher zu sehen, der aufgrund seines fanatischen Ehrgeizes gesunde Menschen auf dem Op-Tisch hat sterben lassen? Ich kann Ihre Gedanken erraten, Holger. Ich freue mich, daß Sie innerlich vor Wut toben, und äußerlich so ruhig wirken. Den Typ, den Sie darstellen, benötigen wir im Brana-Tal, um den Cyborg entstehen zu lassen. Der Cyborg-Mensch mit ei ner Lebenserwartung von vierhundert bis fünf hundert Jahren. Und wenn das Schicksal es be sonders gut mit Ihnen meint, Holger, dann wer den Sie auch zu denjenigen gehören, die in den Phant gehen können.“ „Was heißt das, in den Phant gehen?“ fragte Alsop und betrachtete den Alten wieder, der in die Ferne blickte und mit offenen Augen zu träu men schien. „Das erfahren Sie später, Holger. Das erfah ren Sie dann, wenn Sie ein Cyborg sind. Dann wird man Ihnen erklären, was Phanten ist, und Sie werden sich abermals zu entscheiden haben, ob Sie sich freiwillig dazu melden.“ „Dann werde ich es nie erfahren!“ „Doch! Aber Sie wollen den Mann mit der Binde vor den Augen nicht sprechen? Kommen Sie, ich habe Ihnen etwas anderes zu zeigen ... einen Verunglückten, den man über Transmitter gebracht hat. Vor vier Tagen. Er hatte beide
Arme und den linken Fuß bis zum Knie verlo ren. Sehen Sie sich diesen Menschen an.“ Wie schon mehrfach betraten sie auch jetzt wieder eine Schleuse. Jeder blieb in dem vorge zeichneten Kreis so lange stehen, bis ein wei ches Signal erklang. Sie waren keimfrei gemacht worden. Und dann stand Holger Alsop neben dem Bett des Verunglückten. Er hatte sich darauf vorbereitet, einen Men schen zu sehen, der von seinem Unfall stark ge zeichnet war, entweder in tiefer Bewußtlosigkeit dahindämmerte oder durch Medikamente schmerzfrei gemacht worden war. Statt dessen sah er einen dreißigjährigen Mann, der ihn fragend und auch etwas neugierig anblickte. Bis zum Kopf unter einem Plastiktuch zugedeckt, wirkte er wie jemand, der lange und gut geschlafen hatte und nun bereit war aufzu stehen. Holger Alsop war informiert, daß es viele Medikamente gab, die gezielt wirkten. Er wußte auch, daß man jedem Menschen das Ster ben leicht machen konnte. Millionen, die von der Lebensbühne abtreten mußten, hatten eine jener winzigen Kapseln geschluckt, um mit ei nem Gefühl der Erleichterung den Schritt ohne Wiederkehr zu tun. Aber dieser Mann sah gesund aus; er befand sich in keiner euphorischen Stimmung. Echri Ezbal trat neben Alsop, zog das Plastik tuch etwas zurück und legte den Oberkörper des Verunglückten frei. „Sehen Sie sich alles genau an, Holger“, forderte ihn der Alte auf. Er deutete nach rechts und links, wo je eine durchsichtige und hohle Plastikprothese an den Schultergelen ken angeschlossen wäre. Jede hatte die Form ei nes menschlichen Armes. Die Hand war voll kommen nachgebildet. Aber das alles sah Alsop kaum. Er hielt den Atem an. Das, was er einmal als Gerücht vernommen hatte, schien hier eine Tatsache zu sein. Dem Verunglückten wuchsen die beiden Arme nach! „Und wie sieht es mit dem linken Bein aus, Shangane?“ fragte Ezbal mit seiner Ruhe aus strahlenden Stimme den Verunglückten und leg te nun auch dieses Glied frei. Das gleiche Bild: Auch an der Außenseite dieser durchsichti gen Hohlprothese befand sich ein langgestreck tes, verkapseltes Gerät, von dem Verbindungen und Hohlleitungen in den Hohlraum der Prothe se führten. „Holger“, sagte Ezbal, als er den Mann wie der zudeckte, „wir haben dabei nicht allzuviel zu tun. Den größten Teil der Arbeit, die Bildung neuer Glieder, hat der Körper dieses Mannes selbst übernommen. Wir haben nichts anderes getan, als den Bauplan der organisierten Zellen zu erstellen, um den komplexen Vorgang der sich Molekül um Molekül nachzubauender Zel len zu steuern. Sie sehen mich immer noch zweifelnd an. Nein, Holger, wir sind im Brana-Tal keine Zau berkünstler. Ich habe es Ihnen schon einmal ge sagt. Der menschliche Körper ist potentiell eine unzerstörbare, fortwährend sich selbst re generierende Einheit. Das hat um 1966 sogar schon der Psychiater Lawrence S. Kubie be hauptet. Damals glaubten Futurologen bis zur Jahrtausendwende den Cyborg geschaffen zu haben, aber je weiter man mit den Forschungen
kam, um so größer wurden die Schwierigkeiten. Es dauerte dann noch einmal fünf Jahrzehnte, bis man allen Ernstes mit dem Gedanken spielen konnte, den Cyborg zu erstellen. Bei diesen Untersuchungen entdeckte man auch, daß der Mensch die Fähigkeit, amputierte Glieder nach wachsen zu lassen, mit der Geburt nicht verloren hatte. Seit eh und je hatte diese Anlage im Men schen geschlummert. Wir haben die Fähigkeit, kaum daß Shangane hier eingeliefert worden war, in ihm aktiviert - nun hat er nur noch eins zu tun: Geduld zu haben, bis beide Arme und Unterschenkel mit Fuß nachgewachsen sind. In drei Monaten wird Shangane nicht einmal mehr eine Narbe an seinem Körper entdecken können. Er wird dann draußen auf dem Plastikband zu finden sein und Leichtathletik betreiben. Shangane, haben Sie Wünsche?“ Der Verunglückte, der aufmerksam zugehört hatte, schüttelte den Kopf. Seine Augen strahlten gläubig den Alten mit dem schlohweißen Haar an, der seine Hand auf Holger Alsops Schulter gelegt hatte. Sie verließen das Krankenzimmer. Wieder sa ßen sie sich in seinem einfach eingerichteten Pri vatraum gegenüber. Frisches Quellwasser befand sich in den Tonschalen vor ihnen. „Der Cyborg wird kein Ungeheuer sein, Hol ger. Er wird auch nicht ewig leben können. Aber seine Lebenserwartung wird bedeutend größer sein, weil sein Cybernetic-organism ein ständi ger genetischer Eingriff ist, der die Prozesse des Alterns seines Körpers beherrscht und zum Posi tiven hin steuert. Holger, Sie haben noch einige Tage Zeit, sich mit unserer Arbeit in der Cyborg-Station ver traut zu machen. Hoffentlich schenkt sie Ihnen das Vertrauen zu unserer Arbeit, das sie selbst benötigen, um Ihre Freiwilligenmeldung vor ei nem Gremium noch einmal zu wiederholen.“ Die werdet ihr nie von mir hören, dachte Hol ger Alsop, griff mit beiden Händen nach der Tonschale, führte sie an die Lippen und trank schlürfend das würzige Quellwasser. Unver wandt ruhte Echri Ezbals Blick aus den blauen Augen auf ihm. Sein schlohweißes langes Haar leuchtete. Es war unbeschreiblich wohltuend still. * Das Direktorium der Terra Press erlebte eini ge unerfreuliche Stunden, als es von einem Mann zusammengerufen worden war, der nicht zur TP gehörte. Jos Aachten van Haag hatte als Angehöriger der GSO schnell den Weg zu den leitenden Her ren gefunden. Sein Ausweis, aber mehr noch sein Auftreten öffnete ihm alle Türen. Seiner Forderung, das Direktorium vollzählig sprechen zu wollen, war man nachgekommen, als er einen Beschluß des Obersten Gerichts in Alamo Gordo vorwies. Danach war er berechtigt, die giganti sche Zentrale der Terra Press bis auf den letzten Supra-Sensor und den leistungsmäßig schwächs ten Hyperempfänger lahmzulegen. Niemand unter den Journalisten konnte sich erinnern, daß die GSO schon einmal so hart ge gen eine Nachrichtenagentur vorgegangen war. Man wollte wissen, aus welchem Grund das alles geschehen sollte. Jos hatte sich nicht darauf
eingelassen. Er war nur bereit vor dem Direkto rium zu sprechen, und er hatte darauf aufmerk sam gemacht, weder über viel Zeit noch Geduld zu verfügen. Und dann hatte sich das vierzehn-köpfige Di rektorium einiges anzuhören, was für sie kein Ohrenschmaus war. Werkspionage ... Hehlerei ... Unterstützung von Verbrechern durch Geldmittel... Jos Aachten van Haag hatte erstklassige Ar beit geleistet. Die Beweise, über die er verfügte, waren erschütternd. Nach einigen Ausflüchten hatte kein Mann des Direktoriums es mehr ge wagt zu widersprechen. Jos kam zum Schluß. „... Dieser Ingenieur Brod, den Sie sich ge kauft hatten, war ein erbärmlicher Stümper. Gott sei Dank! Er versteht zwar etwas von Transmit ter-Anlagen, aber nicht genug. In über vierzig Fällen ist es der Terra Press mit Hilfe dieses Transmitters gelungen in abgesicherte Bereiche einzudringen und ihre Reporter ein- und auszu schleusen. Da Sie auch über eine GehirnstromMuster-Anlage verfügten — ich habe mir er laubt, auch Sie zu beschlagnahmen -“ und Jos blickte sich im Kreis um, lachte stumm, während seine Augen kalt funkelten. „Sie beschickten auf dem Funkweg die Kontrolle der jeweiligen Ge genstation mit den Gehirnstrom-Mustern der be treffenden Reporter, die das Ding drehen sollten. Dadurch entgingen sie der Entdeckung, und durch die Nachlässigkeit des TF-Personals. Erst als ihr mehr oder wenig geschätzter Bert Stran ger auf Ast-227 auftauchte und er das zweifel hafte Vergnügen hatte, Bernd Eylers, wohlbe kannt als Chef der GSO, in den Arm zu laufen, begannen unsere Nachforschungen. Ich komme damit wieder auf Ingenieur Brod zurück, den Sie mit 130000 Dollar bestochen hatten, Ihnen den Transmitter aufzubauen. Er hat es getan, und er wird heute noch der Ansicht sein, sich sein schmieriges Geld ehrlich verdient zu haben. Nur daß die TF-Transmitter über ei nen ... über einen ... na, nennen wir das Ding Durchgangszähler verfügen, konnte er nicht wis sen, weil Brod nicht zur Terranischen Flotte ge hört. Als dieser Durchgangszähler auf Ast-227 befragt wurde, trauten einige von unseren Leu ten ihren Augen nicht mehr. Ihr Bert Stranger hatte den Abwehr-Asteroiden Ast-227 über Transmitter erreicht. Von diesem Augenblick an wurde noch intensiver gesucht. Die Rechnung darüber erhält die Terra Press in den nächsten Tagen. Sie können sich jetzt schon damit abfin den, daß bei der GSO hohe Stundenlöhne ge zahlt werden. Meine Herren von der Terra Press, die Ge hirnstrom-Muster Ihrer Reporter führten uns ge radewegs zu Ihnen. Damit konnten wir über tau send Untersuchungsfolien auf einen Schlag schließen. Mehr als tausend Angehörige standen bei der GSO im Verdacht der TP geheime Infor mationen zugespielt zu haben. Ihre Agentur hat te nämlich in der letzten Zeit allen Konkurren zen den Rang abgelaufen. Sie trumpften mit Nachrichten auf, daß es unserem Chef abwech selnd kalt und heiß wurde. Und uns machte er Dampf, und wir fanden nirgendwo eine undichte Stelle oder einen verantwortungslosen Schwät zer, der sich wichtig machen wollte. Was glauben Sie, wie sympathisch Sie mir
allein aus diesem Grund sind?“ Da kam wieder etwas von dem manchmal großschnäuzig wir kenden Jos Aachten van Haag zum Vorschein. Und im freundlichen Ton hatte er die letzte Be merkung nicht gemacht. „Aber dann war das Maß voll. Ihr Transmit ter, die einzige unlizensierte Station im terrani schen Bereich, wird zur Stunde abgebaut und der Flotte übergeben. Damit ist der Fall nicht ausgestanden. Aber die Regierung denkt nicht daran, sich selber Schwierigkeiten zu machen, in dem Sie die Zentrale der Terra Press durch Ge richtsbeschluß schließen läßt, denn im gleichen Moment würden die übrigen Nachrichten-Agen turen auf die Barrikaden steigen und von einer Unterdrückung der Pressefreiheit schreien. Aber sie wird, und ganz besonders wir von der GSO, zwei wachsame Augen abstellen, um die zukünf tigen Machenschaften der Terra Press... meine Herren, ich habe Machenschaften gesagt — ge nauestens zu kontrollieren.“ Im saloppen Ton schloß er, beide Hände tief in den Haschen, auf der Kante des hufeisenförmigen Konferenzti sches sitzend: „Kitzeln Sie die GSO nicht. Wir haben ein Kindergemüt, aber locken Sie nicht das Tier mit der Pranke aus dem Stall. Ich habe die Befürchtung, daß Sie dabei den kürzeren zie hen. Und von Norman Dewitt wollen wir doch jetzt nicht sprechen.“ Er ging. Vierzehn vor Wut kochende Direk toren blieben zurück. Sie wurden von der Art Wut beherrscht, die nicht zu lautstarken Ausbrü chen führt. Einstimmig stellten sie fest, noch einmal mit blauem Auge davongekommen zu sein, aber die se Tatsache milderte ihre Empörung nicht über das, wie sie auch einstimmig feststellten, unver schämte Verhalten dieses GSO-Mannes. „Ist Stranger zur Verantwortung zu ziehen? Kann man ihm diese Panne in die Schuhe schie ben?“ „Sollen wir nicht unsere leitenden Ingenieu re, die auch mit diesem Projekt zu tun hatten, an die frische Luft setzen?“ „Müßte Ingenieur Brod nicht gewarnt wer den?“ Dreizehn Männer sahen den Mann, der die letzte Frage gestellt hatte, mitleidig an. Mammut-Unternehmen haben noch nie ein Herz besessen! „Welche Haltung nehmen wir von jetzt der Regierung und ihren Maßnahmen gegenüber ein?“ Man kam zu keinem Resultat. Nur in einem Punkt war man sich einig: der Konkurrenz mit sensationellen Nachrichten nach wie vor den Rang abzulaufen. „Das Spezial-Team auf die Flotte ansetzen! Seit ein paar Tagen tut sich dort etwas. Winter shop, Sie grinsen ... haben Sie einen Vorschlag zu machen?“ Wintershop bestand aus Haut und Knochen. Seine Geiernase verriet, welch ein Mensch er war. „Stranger hat uns, gewollt oder zufällig, diese Schwierigkeiten bereitet. Wir sollten ihn speziell auf den Stab der TF ansetzen. Wenn er dabei verheizt wird, sein Pech. Er darf keine Möglichkeit haben, die Terra Press zu kompro mittieren.“ Glennsik gab zu bedenken: „Stranger hat eine Reihe Eigenarten, aber der schlechteste Mann ist
er nicht.“ Abermals mitleidige Blicke von allen Seiten. Menschliche Gefühle hatten im Konferenzsaal des TP-Direktoriums nichts zu suchen. Es beruhigte dieses Gremium, einen Mann gefunden zu haben, den sie zu ihrem Sünden bock stempeln konnten. Ressort-Chef Pantin sollte die heikle Aufgabe übernehmen und Stranger auf den Stab der TF ansetzen. Das Direktorium ahnte nicht, welche Lawine es gerade in Bewegung gesetzt hatte.
* Chris Shanton war nach Ast-227 gerufen worden. Die Gravitationsschleuder des Abwehr forts zeigte beunruhigend starke Justierungsfeh ler. Im Bereich der Koordinaten Gelb und Grün war sie nicht mehr zu steuern. Die drei Ingenieu re auf dem Asteroiden, die für den reibungslosen Ablauf aller Aggregate und Geschütze verant wortlich waren, konnten den Fehler nicht entde cken. „Ausgerechnet Ast-227“, knurrte Chris Shanton, als er mit Jimmy den Transmitterraum betrat, um in Nullzeit den Planetoiden zu errei chen. Ast-227 gehörte mit seinem Durchmesser von 3352 Metern zu den kleinen Asteroiden, die den Schutz der Erde übernommen hatten. Außer ei nem provisorischen Nothafen für havarierte Raumer und einem gut getarnten A-Grav schacht, der zur Anlage im Innern des Felsbro ckens führte, sah Ast-227 nicht anders aus wie die rund 60000 Gesteinstrümmer, die nach wie vor hauptsächlich zwischen Mars und Jupiter kreisten. Shanton betrat das Maschinendeck, das drei Stockwerke unter der Kommandozentrale lag. Jimmy trottete brav neben ihm, schnüffelte mal hier und da und benahm sich, wie sich ein Hund eben benimmt. Der leitende Ingenieur strahlte nicht, als er dem Diplom-Ingenieur sagen mußte, am Ende ihrer Kunst zu sein. Shanton zog einen Agrav-Hocker heran, eine kreisrunde Scheibe, die in einem Meter Höhe unbeweglich in der Luft stand. Auf allen AstStationen herrschte eine künstliche Schwerkraft von 0,8 Gravos. Man hatte bewußt nicht l G ge nommen, weil diese Differenz von 0,2 die Arbeit mit schweren Lasten doch merklich erleichterte. Shanton stellte den A-Gravhocker auf sein Kör pergewicht ein und nahm dann darauf Platz. Die Scheibe sank nicht einmal um einen Millimeter tiefer. „Neuzugänge gehabt?“ fragte er. „Nein, auch keine Abstellungen. Shanton, se hen Sie hier den Duo-Zweig nach Zillo-7 lau fen? Er reagiert nicht mehr. Zur Justierung kom men nur noch schwache Impulse durch. Sie rei chen nicht aus, die Schleuder auf alle drei Koor dinaten einzustellen ... Donnerwetter, muß mir Ihr Köter denn dauernd zwischen die Beine lau fen, Shanton?“ Der Dicke sah nicht auf, als er den leitenden Ingenieur anfauchte: „Jimmy ist kein Köter, und er läuft hier herum, so lange es ihm gefällt, auch wenn Sie es nicht haben möchten. Eigentlich sollten Sie noch einmal eine Prüfung machen. Welcher Idiot hat denn den Grav-Former an den Sundermannschen Kreis angeschlossen?“ Prompt gab der leitende Ingenieur Auskunft:
„Sie, als Sie das vorletzte Mal hier waren. Ich bin meiner Sache ganz sicher!“ Dem Mann tat es sichtlich gut, Shanton diese Revanche geben zu können. „So“, knurrte der Dicke und zeigte nicht, wie bestürzt er war. Durch die Angabe dieses Exper ten wurde sein Verdacht verstärkt, daß er tat sächlich hinter diesen unerklärlichen Zwischen fällen stand. „Ist der Reaktor abgeschaltet?“ „Alles ist auf null ...“ „Und das da?“ brüllte der Dicke, hatte seinen Zeigefinger auf eine Schaltung gerichtet, der man ansah, daß sie erst vor ein paar Tagen ein gesetzt worden war. „Wer hat denn diese Mordschaltung einge setzt? Wieso sind daran nachträglich die Tarannt-Phasen an den Hyper-Block geschaltet worden? Wissen Sie, was das heißt? Diese ver dammte Anlage wird vom Notkonverter mit Energie beschickt, und die reicht für tausend elektrische Stühle... Mann, warum starren Sie mich denn so entgeistert an? Reden Sie end lich!“ „Shanton... Shanton, die Schaltung haben Sie doch auch bei Ihrem vorletzten Besuch eigen händig ausgewechselt!“ Der Zweizentner-Mann begann an seinem Verstand zu zweifeln. Er kreuzte seine Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf und überflog mit höchster Aufmerksamkeit die komplizierte Justierungsanlage der Gravitationsschleuder, die eine Reichweite von 8000 Kilometer besaß, um im engbegrenzten Zielgebiet bis zu 160 Gravos zu erzeugen. Ein Raumschiff, daß von diesen Gewalten getroffen wurde, brach in sich zusammen! Auch die besten Schwerkraft-Ausgleicher waren, wie Experimente es bewiesen hatten, nicht in der Lage, mit diesem Gravitationsstoß fertig zu werden. Plötzlich beugte er sich vor, streckte den rechten Arm aus und wollte die erste Hauptwei che der Justierung aus ihrer Verklammerung zie hen. Im gleichen Moment schrie er auf. Jimmy hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Der Scotchterrier war blitzschnell aus dem Stand hochgesprungen, hatte sein Maul aufgerissen und nach Shantons rechtem Unterarm ge schnappt. „Ist das Vieh verrückt geworden?“ schrie der Leitende auf, der kein Freund von Hunden war, und schlug Jimmy auf die Nase. „Aufhören!“ brüllte Shanton, der keine An stalten machte, seinen Hund abzuschütteln, son dern zur Seite gebückt auf dem A-Gravhocker saß und nun den Vierbeiner anstarrte. „Aber...“ „Kein Aber...!“ fuhr der Dicke dazwischen. „Laß los, Jimmy, ich rühre hier bestimmt nichts mehr an! Na, komm schon, sei brav!“ Jimmy parierte. Shanton massierte seinen Arm. Daran war deutlich zu erkennen, wo das Tier zugeschnappt hatte. „Dem würde ich geben ...“, knurrte der Lei tende der Ast-227, und seine beiden Kollegen nickten dazu. Shanton hatte sich wieder gefangen. Auf die Bemerkung des anderen ging er nicht ein, „Mel den Sie der Defensiv-Zentrale in Cent Field, daß Ihre Gravitationsschleuder ausgefallen und zur Zeit irreparabel ist. und Ihnen gebe ich den Be
fehl, hier nichts anzurühren, wenn Sie nicht mit der ganzen Station eine Himmelfahrt machen wollen. Klar?!“ Er rutschte vom A-Gravhocker, warnte die drei Ingenieure noch einmal eindringlich, nur nichts an der Justierung anzurühren und verließ mit Jimmy das Maschinendeck des Planetoiden. Zehn Minuten später saß er Bernd Eylers gegenüber. Dem war jede Lust zum Spotten oder Grinsen vergangen. „... In der letzten Nacht haben Monty Bell und ich Jimmy neu programmiert Der treue Bur sche ist nichts anderes als ein unwahrscheinlich empfindlicher Detektor, der auf mein Gehirn eingestellt ist. Sie wollten mich ja nicht überwa chen, also hatte ich mir selber eine Wache zuzu legen. Und wie Jimmy sein Programm erledigt hat, habe ich Ihnen ja erzählt. Eylers, glauben Sie mir doch endlich, daß ich aus der Justierungsanlage der Grav-Schleuder auf Ast-227 eine Bombe gemacht habe! Und eben, eben auf Ast-227, da wollte ich diese Bombe auch noch zünden! Und wenn Jimmy nicht nach meinem Unterarm geschnappt hätte, dann gäbe es dieses Abwehrfort nicht mehr!“ Bernd Eylers konnte es nicht glauben. Shan tons Behauptungen klangen zu phantastisch. In ihnen lag auch ein gravierender Widerspruch. „Shanton, Sie haben behauptet, Jimmy sei auf Sie eingestellt. Mit anderen Worten: Er kann Ihre Gedanken lesen...“ Der Dicke stöhnte. „Ich habe befürchtet, daß Sie diesen Unsinn behaup ten würden! Nein, Jimmy, kann meine Gedanken nicht lesen. Er nimmt dagegen meines Gehirn strom-Muster auf, verarbeitet sie auf logischer Basis und reagiert dementsprechend. Er ist aber zusätzlich noch so programmiert worden, frem de Gedankenströme, die in mein Gehirn eindrin gen, logisch auszuwerten und zugleich die frem de Quelle anzupeilen.“ Bernd Eylers Bild über Jimmys Fähigkeiten war durch diese Erklärung nicht viel deutlicher geworden, aber er mußte zugeben, daß Shanton alles Menschenmögliche getan hatte, um sich überwachen zu lassen. Doch der Widerspruch in seinen Angaben bestand immer noch. „Shanton, Sie haben behauptet, erst in dem Moment erkannt zu haben, was Sie tun wollten, als Jimmy Sie ansprang. Als der Hund Ihren Arm herunterriß, entdeckten Sie, daß die Justie rungsanlage eine Bombe war und Sie sie zünden wollten. Es passiert uns allen, daß wir manches erst im allerletzten Moment erkennen. Kann es ...“ „Es kann nicht so gewesen sein. Himmel, Bomben und Boliden, Eylers, haben Sie denn immer noch nicht begriffen, daß mit mir etwas nicht stimmt? Auf Ast hatte ich ein Brett vor dem Kopf. Daß dieser Leitende ein Rindvieh ist, spielt keine Rolle. Ich... ich, Eylers, habe mich wie ein Attentäter benommen, der sich dabei auch noch selbst in die Luft jagen wollte, und ich hätte auf einen Blick erkennen müssen, was mit dieser Anlage los war. Nichts habe ich be griffen. Jimmy aber alles...“ „Dann müssen doch Gedanken in Ihrem Kopf gewesen sein, die ihnen klarmachten, vor einer Bombe zu sitzen und ...“ Chris Shanton hielt sich mit seinen Pranken den Kopf fest. Ein Oh! kam über seine Lippen. Dann wurde der Zweizentnermann so schnell
wie eine Quecksilberkugel. Erstaunt sah Eylers, wie er mit Jimmy das Zimmer verließ. Ein paar Minuten später wurde Eylers über Vipho aufgefordert schnellstens in die Auswer tungszentrale zu kommen.. Shanton lief ihm mit einer langen, schmalen Folie in der Hand entgegen. Seine Augen glänz ten. Sein Gesicht glich einer reifen Tomate. Im mer wieder strich er über seinen Backenbart. Dabei murmelte er; „Wenn ich den Kerl kriege... ich schlage ihm alle Knochen kaputt! Alle ...!“ Das hatte Chris Shanton schon öfter ange droht, aber bis heute keiner Fliege etwas zuleide getan. Er war nun einmal ein Choleriker und mußte so ertragen werden. Doch in dieser Dro hung lag mehr als sonst. Er meinte es vollkommen ernst! Und als Eylers die Folie gelesen hatte, wußte er, daß der Diplom-Ingenieur diesen Mr. X tot schlagen würde, wenn er ihn im Moment der Er regung entdecken würde. Chris Shantons Gedanken waren, als er sich| auf Ast-227 aufhielt, zeitweilig von fremden Ge danken überlagert worden -, Gedanken, die auf Grund seines Gehirnstrom-Musters künstlich er zeugt worden waren? Und diese fremden Gedan ken kamen aus Alamo Gordo! „Wir gehen schönen Zeiten entgegen ...“, stellte Shanton sarkastisch fest, ging dann zu Jimmy, der wie ein ausgestopftes Tier neben ei nem großen Supra-Sensor stand, griff unter des sen Bauchdecke und schaltete dessen kompli ziertes technisches Innenleben ab. „Eylers, als Jimmy eben seine gespeicherten Daten dem Empfänger des Supra-Sensors zustrahlte und das Ding plötzlich auf vollsten Touren arbeitete be reitete ich mich innerlich schon auf alles Mögli che vor. Aber daß ich aus vielen Millionen Kilo metern beeinflußt worden war, ... Großer Gott, daran hatte ich wirklich nicht gedacht. Und jetzt sind Sie mundtot, ja? Das gefällt mir auch nicht. Jetzt sind Sie nämlich dran, und haben diesen Höllenhund so schnell wie mög lich zu suchen. Lieber schon gestern festgenom men, als erst heute. Und noch etwas. Arc Doorn muß her! Ich kann mich doch auf keiner AstStation mehr blicken lassen... Doorn, ist der einzige, der sich auf den Forts so gut auskennt wie ich. Puh ... kriegt der Junge jetzt Arbeit, und mag der Himmel wissen, was ich auf den Forts alles noch angestellt habe!“ Bernd Eylers war das Lachen längst vergan gen. Er konnte Shantons Vorschlag nur zustim men, daß nun Arc Doorn so schnell wie möglich erscheinen mußte, doch der junge Mann, der schon fast vier Jahre mit der ehemaligen Kran kenschwester Doris Eyck verheiratet war, befand sich auf dem Flaggschiff der POINT OF. „Benachrichtigen Sie Dhark!“ forderte der Dicke den GSO-Chef auf. „Erzählen Sie ihm schonungslos, wie es bei uns in puncto Defen siv-Verteidigung aussieht.“ „Aber eine Sache erscheint mir unglaubwür dig, obwohl ich auf dem technischen Sektor nicht besonders firm bin, Shanton.“ „Und das wäre?“ „Diese fremden Gedanken, die die Ihren überlagert haben, sollen allein auf Grund Ihres Gehirnstrom-Musters künstlich erzeugt worden sein? Klingt das nicht etwas zu utopisch, zu un wahrscheinlich? Wir wissen doch alle, welch ein
komplizierter Prozeß abläuft, wenn nur ein Ge danke im Gehirn entwickelt wird?“ Auch Shanton hatte plötzlich Bedenken. Schnell traf er seinen Entschluß. „Okay, wenn Sie mit Dhark sprechen, erwähnen Sie diesen Punkt nicht, aber ...“, und er beugte sich zu Eylers und musterte ihn durchdringend, „dieser Punkt ist der Schlüssel zu meinem unglaubli chen Fall. Eylers, wer kann bloß Interesse daran haben, unser Verteidigungs-System zu schwä chen?" Der in kriminalistischen Dingen erfahrene Routinier kam zum Vorschein, als der GSOChef erwiderte: „Will man tatsächlich unsere Verteidigung lahmlegen, oder hat man mit den Sabotageakten, zu denen Sie mißbraucht worden sind, etwas ganz anderes vor? Will man uns vielleicht so stark beschäftigen, daß wir weder Leute noch Zeit haben, uns auch um andere Din ge zu kümmern?“ Chris Shanton, der gar nicht begeistert war, plötzlich in einem wichtigen Fall die Hauptrolle zu spielen, zuckte ratlos mit den Schultern. „Sie müssen wissen, was zu tun ist, Eylers. Mich in teressiert im Augenblick nur, daß Doorn so schnell wie möglich meine Stelle übernimmt und alle Asteroiden-Forts kontrolliert.“ „Hoffentlich wird er nicht auch miß braucht ...“ „Mann ...“, orgelte Shanton, und seine Augen funkelten, „malen Sie den Teufel nicht an die Wand!“ Dabei aktivierte er Jimmy wieder, rief ihm ein kurzes Komm! zu und verließ mit sei nem Robothund den Raum. *
Erde aufhielt? Und der Commander war nicht allzuoft und allzulange auf Terra anzutreffen. Ihn und seine Freunde zogen die Sterne wie ein gewaltiger Magnet an. Wer war dieser Mann? Ein neuer Rocco oder Dewitt? Oder endlich einmal ein zuverlässiger Freund des Commanders? Die ersten fünfundzwanzig Jahre seines Le bens blieben im Dunkeln. Er selber sprach nie darüber. Fragen, die diesen Punkt betrafen, überging er geschickt. Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsführer, die mit ihm zu tun hat ten, begannen ihn zu bewundern, und allmählich auch zu fürchten. Sein Wissen war ungeheuer. Er schien nie etwas zu vergessen, das er einmal gehört, gese hen oder gelesen hatte. Das umfassendste Ar chiv Terras, das sich im Regierungsgebäude in Alamo Gordo befand, hatte ihm noch keine hun dertmal als Auskunftsquelle gedient. Wer hatte ihm dieses Wissen vermittelt? In welchen Jahren seines jungen Lebens hatte er es erworben? Darauf gab es keine Antworten. Noch nicht! Und Dhark und seine Freunde schwiegen. Und Henner Trawisheim arbeitete. Nicht wie eine Maschine. Für wichtige Gespräche hatte er immer Zeit. Ein Privatleben besaß er auch. An seinen Entscheidungen war nicht zu rütteln. Noch nie hatte er wenn der Commander mal wieder für kurze Zeit auf der Erde weilte, eine Anordnung zurücknehmen müssen. Und Dhark schien ihm vollkommen zu trauen. Von einer Überwachung durch die GSO war nichts festzu stellen. Was war Henner Trawisheim für ein Mensch? Kein Rocco! Kein Norman Dewitt! Macht interessierte ihn nicht. Aber Verant wortung. Die Sicherungsmaßnahmen, die der Commander der Planeten getroffen hatte, um ei nen Umsturz a la Dewitt ein zweites Mal un möglich zu machen, waren ihm nicht einmal be kannt, weil er sich für diese Dinge nicht interes sierte. Er war Stellvertreter des Commanders; nicht mehr und nicht weniger. Sein ganzer Ehr geiz lag darin, Stellvertreter Dharks zu sein. „Macht?“ hatte er einmal Journalisten, die ihn interviewten, gefragt. „Politische, wissen schaftliche oder wirtschaftliche Macht, was ist das? Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, aber ich besitze keine Macht!“ War Henner Trawisheim noch normal? Gab es tatsächlich den Menschen, der Stellvertreter des mächtigsten Mannes der Erde war, und den Macht wirklich nicht interessierte? Das Interessante daran war die Tatsache, daß es auch bald diese Fragen nicht mehr gab. Sie hatten sich buchstäblich totgelaufen. Aber Hen ner Trawisheim war nicht tot. Er war nur Ren Dharks Stellvertreter. Nur das; mehr nicht. Und er war der Mann, der nichts vergaß, und der stille, unauffällig arbeitende Organisator, der mit diplomatischem Geschick selbst große akute Schwierigkeiten schnell zu den kleinsten Neben sächlichkeiten werden ließ.
Als man nach der Wahl, in der die Menschen der Erde Ren Dhark zum Commander der Plane ten gewählt hatten, zum erstenmal den Namen Henner Trawisheim hörte, konnten sich selbst gut informierte Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler nichts darunter vorstellen. Nach dem Rätselraten, wer sich hinter diesem Namen verbarg, kam die Überraschung. In der Minister liste, die Ren Dhark wenige Tage nach seiner Wahl veröffentlichte, war dieser Henner Trawis heim als sein Stellvertreter aufgeführt. Nicht Dan Riker, Dharks bester Freund, war mit dieser schweren Aufgabe betraut worden, sondern ein blutjunger, fünfundzwanzigjähriger Mann, groß, dunkelhaarig und mit dunklen Au gen. Henner Trawisheim - die politische Sensati on -, der Mann, der aus dem Nichts zur zweit wichtigsten Persönlichkeit Terras geworden war. Woher kam er? Was hatte er bisher getan? Welche Fähigkeiten besaß er? Konnte Trawisheim seine Aufgabe überhaupt erfüllen? Ver stand er etwas von den komplizierten Zusam menhängen, die Politik, Wirtschaft und Wissen schaft miteinander verbanden? Die wilden Gerüchte über ihn verstummten schnell. Viele Menschen der Erde vergaßen sei nen Namen wieder, aber nicht die Angehörigen des Regierungsapparates, oder Politiker und Wirtschaftsführer, die hin und wieder mit ihm zu tun hatten. War Henner Trawisheim ein Genie? Hatte * ihn Ren Dhark deswegen zu seinem Stellvertre Ein Frachtraumer landete auf Cent Field. Er ter bestimmt, wenn er sich selbst nicht auf der gehörte zu den Neubauten, die in den letzten
beiden Jahren vom Band gelaufen waren. Titanische A-Grav ließ das vierhundert Meter durchmessende Schiff langsam dem Plastikbeton entgegensinken. Die starken Triebwerke im in neren Ringwurst schwiegen. Die HAMMAD kam vom Planeten Jump, bis an die Grenze der Tragfähigkeit mit dem rotfunkelnden Schwerme tall Tofirit beladen. Die Industrie, mehr aber noch die Werften Terras schrien nach diesem Metall, das auf den Planeten der Milchstraße sehr selten sein mußte, denn man hatte bisher trotz aller Suche keine weiteren Vorkommen entdecken können. Die HAMMAD war eins von den sechsund zwanzig Frachtraumern, die die Erde besaß. Aber nur fünf davon waren 400-Meter-Schiffe; die übrigen besaßen nur einen hundert Meter großen Durchmesser. Bernd Eylers hatte die Transmitter-Verbin dung zwischen Alamo Gordo und Cent Held be nutzt, um das Gebäude aufzusuchen, in dem sich der stärkste To-Sender Terras befand. Er glaubte hier oder in der Zentrale der Defensiv-Verteidi gung Chris Shanton zu finden, der nach dem Verlassen des Auswertungsraums mit seinem Jimmy spurlos verschwunden war. Da der Dicke es sich in letzter Zeit abgewöhnt hatte das obli gatorische Armband-Vipho zu tragen, war er hin und wieder schon stundenlang gesucht worden. Doch diesem Zweizentnermann dann Vorwürfe zu machen und auf die feststehende Arbeitszeit anzuspielen, war bisher ohne jeden Erfolg ge blieben. Er arbeitete, wann es ihm paßte, und er arbeitete so lange, wie er Lust hatte. Das Rätsel hafte an dieser Geschichte war stets wieder die Tatsache, daß Chris Shanton alle seine Aufträge pünktlich ausführte, auch wenn er vorher drei Tage oder noch länger gebummelt hatte. Als Eylers auf einem schnellaufenden Band den Übertragungsräumen zufuhr, nahm er ein mal ruckartig den Kopf zur Seite, weil er geglaubt hatte, einen Bekannten gesehen zu haben - Bert Stranger, den Reporter der Terra Press. Doch als er an dem Seitentrakt vorbeirollte, in dem er den anderen gleich einem Schatten hatte verschwinden sehen, konnte er keinen Menschen entdecken. Täuschung, dachte er, und vergaß den kleinen Vorfall wieder. Vor dem Arbeitszimmer des Chefleiters der To-Station sprang er ab. Man war über seinen Besuch überrascht. Eylers ließ sich am Raumha fen sehr selten sehen. Ohne Umschweife brachte er seinen Wunsch vor. „Das läßt sich machen, Eylers“, sagte ihm der Chefleiter, der ihm in seinem einfach eingerich teten Arbeitszimmer Platz angeboten hatte. „Schade, daß Sie nicht früher gekommen sind. Die COL ist vor kurzer Zeit vor der Plutobahn aus dem Sprung gekommen und fliegt unseren Hafen an. Larsen hätte Arc Doorn bestimmt gern mitgebracht. Aber ob der Commander auf Ihren Wunsch hin die Suche nach der SHARK ab bricht... hm, unwahrscheinlich.“ Daran hatte Eylers auch schon gedacht. „Kön nen Sie mich mit Larsen verbinden?“ Das war zu machen. Der Chef der GSO such te eine Sprechkabine auf, wartete, bis die GrünKontrolle aufleuchtete und ihm bekanntgab, daß To-Funkverbindung zum Kreuzer COL bestand. Auf dem Bildschirm erschien Ralf Larsens
Gesicht. Er sah auf seinem Schirm Bernd Eylers. „Hallo, was gibt's, Eylers?“ rief ihm Larsen noch weit vor der Plutobahn zu. „Nur ein paar Fragen, Larsen. Sucht Dhark noch nach der SHARK?“ „Nein. Auch er hat die Suche abgebrochen. Warum fragen Sie?" „Arc Doorn muß schnellstens verfügbar sein, und der befindet sich auf der POINT OF. Danke, Larsen, bis später.“ Er schaltete aus, rief aus seiner Kabine den Chefleiter an. „Und jetzt eine To-Hyperfunk verbindung mit dem Commander. Hoffentlich haben Sie die Koordinaten des Flaggschiffes...“ Seine Sorge war berechtigt. Wenn der augen blickliche Standort der POINT OF nicht bekannt war, dann hatte es keinen Sinn mit dem strahl bündelnden und verstärkenden Tofirit die Hy perfunk-Verbindung zu suchen, weil sie einfach ins Leere jagen und den Ringraumer nie errei chen würde. „Oh...“, stieß der Chefleiter in seinem Ar beitszimmer überrascht aus, „nach den Koordi naten, die mir soeben vorgelegt wurden, befindet sich die POINT OF auf dem Rückflug zur Erde. Aber jetzt müssen wir uns beeilen, sonst ent wischt uns der Ringraumer ... Achtung, Eylers, wir rufen das Schiff!“ Er hatte nicht lange zu warten. Ren, Dharks markantes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Sein Gesicht verriet nichts von den Enttäuschungen, die er erlebt hatte. Eylers berichtete so kurz er konnte. Einmal, als er gerade davon sprach, daß Shanton um Haaresbreite die Station Ast-227 in den Raum gejagt hätte, erschien eine tiefe Falte auf der Stirn des Commanders. „... Dhark, an Shantons Stelle muß Doorn die Kontrollen jetzt auf den Abwehrforts durchfüh ren! Mit einem Wort: Dreifünftel der planeto iden Verteidigungsstellungen sind nicht einsatz bereit. Alle Stationen, die Shanton in den letzten drei Wochen inspiziert hat, haben Befehl, keine einzige Waffe einzusetzen. Für den akuten Not fall, wie bei einer Invasion, ist es den einzelnen Kommandanten freigestellt, ob sie nach eigenem Ermessen handeln wollen. Alle Stations-Chefs haben erklärt, daß es für Sie dann keine Alterna tive geben würde.“ „Danke, Eylers. Wir sind auf dem Rückflug. Wie denken Sie über diesen Fall? Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, daß tele-hypnotische Beeinflussung im Spiel sein könnte? Oder sind im Bereich des solaren Systems vielleicht sogar Synties geortet worden?“ „Von Synties ist nichts bekannt, Dhark. Und Tele-Hypnose... hm, ein Gebiet, das mir nicht liegt. Shanton will davon gar nichts wissen. Ih nen ist ja auch bekannt, wie stur er sein kann. Er glaubt, man habe sich sein Gehirnstrom-Muster angeeignet und mittels dieses Bildes seine Ge danken überlagert...“ Nachdenklich erwiderte Dhark aus der Kom mando-Zentrale seiner POINT OF: „Das könnte auch eine Möglichkeit sein. Kann ich Shanton sprechen?“ Eylers winkte ab. „Der ist mal wieder nicht aufzutreiben. Wenn ich ihn in der Zentrale der Defensiv-Verteidigung auch nicht finde, dann steckt er sicher wieder irgendwo und program
miert seinen Jimmy um...“ Aber Ren Dhark schien sehr daran interes siert zu sein, selber mit dem Dicken zu sprechen. „Lassen Sie ihn suchen, Eylers. Ich warte...“ Beide warteten. Chris Shanton war weder in Alamo Gordo noch in Cent Field zu finden. Dhark beendete das Gespräch. „Wir sind noch rund 180 Lichtjahre von der Erde entfernt. Sie können sich also ausrechnen, wann wir lan den. Ende, Eylers ...“ Der verließ die Sprechkabine und ging zum Arbeitszimmer des Chefleiters zurück. Als er dessen fragenden Blick bemerkte, sagte er: „Der Commander ist unterwegs zur Erde. Das beru higt mich etwas.“ Woher sollte er wissen, daß seine Ruhe auf sehr schwankenden Beinen stand? * Chris Shanton hatte eine kurze, aber sehr weite Reise gemacht. Er hatte den Transmitter benutzt und befand sich im Brana-Tal, in der Cyborg-Station. Hier war der Dicke auch nicht ganz unbe kannt, und manche seiner Vorschläge der letzten Jahre waren in dieser Station in die Praxis um gesetzt worden, soweit es die technischen Dinge anging. Ein Bio-Techniker und ein Plastik-Ingenieur begegneten ihm als erste auf dem Weg durch die unterirdischen Gänge zu Echri Ezbal. Sie schmunzelten, als sie Jimmy brav neben seinem Herrn trotten sahen. Aber Shanton, der sonst ge gen eine Plauderei selten etwas einzuwenden hatte, war heute wortkarg und ging nach einigen hastig gewechselten Alltäglichkeiten weiter. Verblüfft sahen ihm die beiden Männer nach. „So habe ich den Dicken noch nie erlebt“, sagte der Bio-Techniker. „Dem ist aber eine Laus über die Leber gelaufen ...“ „Ich möchte sagen, daß irgendwo dicke Luft herrscht“, bestätigte der Plastik-Ingenieur indi rekt die Meinung des anderen. Unterdessen stampfte der Zweizentner-Mann weiter. In dem ausgedehnten Forschungs-System in einem Himalaya-Riesen hatte man bewußt auf den Einbau von schnellaufenden Bändern ver zichtet. Ärztliche Gutachten hatten vor der Ge fahr gewarnt, die Luft durch mechanische Anla gen mit Keimen zu übersättigen, und der Hin weis, daß es nach wie vor mutierende Bakterien und Viren gäbe, hatte den Ausschlag gegeben. Chris Shanton kam sich in seinem sterilen, eng auf der Haut liegenden weißen Plastik-An zug fremd vor. Unwillkürlich blickte er seinen Jimmy an und grinste kurz. Für seinen Vierbei ner gab es noch keins dieser keimfreien Beklei dungsstücke. Aber er hatte vorher dafür gesorgt, daß seine Robotkonstruktion in dieser Station nicht zum Bakterienherd wurde. Wie wenig Spaß Echri Ezbal in dieser Hinsicht verstand, war dem Ingenieur bekannt. Er verließ den Forschungstrakt, in dem die Entwicklung des ersten Cyborg vor dem Ab schluß stehen sollte, was die biologischen und technischen Voraussetzungen anbetraf. Chris Shanton konnte sich eines leichten Schauderns nicht erwehren, als er sich diese neue Sorte Menschen vorstellte.
Echri Ezbal, der einem alten BrahmanenGeschlecht entstammte, hatte darauf bestanden, als die Cyborg-Station auf Anordnung von Ren Dhark zu dieser gewaltigen Anlage ausgebaut wurde, daß man seine privaten Räume ganz ein fach anzulegen habe. Bis auf ein versteckt ange brachtes Vipho hatte er auf jedes technische Hilfsmittel verzichtet. Ohne anzuklopfen, drückte Shanton die Tür auf, eine alte, mit Symbolen verzierte Holztür, die einmal Ezbals Haus in der Heimat vor Ein dringlingen geschützt hatte. Urran, der Hund, lag auf dem Fell. Er warf den Kopf hoch, als sich die Tür öffnete. Im glei chen Moment stieß er drohendes Knurren aus, federte hoch, drückte sich ab und sprang Jimmy an. Choldi, die Katze Ezbals, hatte zusammenge rollt auf seinem Stuhl gelegen, war durch Urrans Knurren geweckt worden und fauchte jetzt den Scotchterrier an, der mit blitzschnellem Auswei chen seinem vierbeinigen Kollegen den ersten Spaß verdorben hatte. „Ruhe!“ sagte Shanton noch gemütlich. Urran hatte sich herumgeworfen und witter te plötzlich. Sein Gegenüber mußte ihm ein Rät sel sein, denn seine schwarze Nase blieb stark gekraust und deutlich war zu hören, wie er die Luft einsog. Jimmy saß bei Fuß. Die Katze Choldi schien alles längst durchschaut zu haben. Sie rollte sich auf dem Stuhl ihres Herrn wieder zusammen und schloß die Augen. Shanton sah sich um, warf einen Blick auf sein Chrono und steuerte dann den Stuhl an, der für die Besucher des, greisen Wissenschaftlers reserviert war. Dadurch kehrte er den beiden Hunden den Rücken und bemerkte nicht, daß auch Urran sein Urteil über Jimmy gefällt hatte. Wollte er der Robotkonstruktion seine ganze Verachtung dadurch zeigen, indem er gegen Jimmy gerichtet sein Bein hob? Aber das hatte Jimmy nicht gern! Urran kam nicht dazu seine Visitenkarte ab zugeben, weil der Scotchterrier herumwirbelte, nun gar nicht wie ein Hund, sondern mehr wie ein Pferd mit beiden Hinterläufen ausschlug, seinen Kollegen traf und in die Ecke schleuder te. Winselnd vor Schreck, und dann bösartig knurrend kam Urran zurückgejagt. Er sprang seinen Kollegen an. Aber Jimmy sprang auch, jedoch höher als der andere. Als Urran mit der Nase gegen die massive, mit Symbolen verzierte Tür stieß, winselte er abermals. Jimmy, der Scheinheilige, hatte inzwischen neben Shanton Platz genommen und beobachte te den anderen gelassen. Urran knurrte noch einmal, verzichtete aber auf einen weiteren Angriff und nahm wieder auf seinem Fell Platz. Chris Shanton hätte in diesem Augenblick gern gewußt, was in diesem Hundekopf vor sich ging. Die Tür wurde von außen geöffnet. Echri Ezbal, der Motor der Cyborg-Station trat ein, begleitet von einem jungen Mann, der dem Di plom-Ingenieur auf den ersten Blick sympa thisch war. „Man hat mir Ihren Besuch gemeldet, Shan ton. Das hier...“, er deutete auf den jungen
Mann, „ist Holger Alsop. Ja, Sie raten richtig. Er hat sich freiwillig für das Cyborg-Programm ge meldet...“ Und es tut ihm leid, stellte der Dicke in Ge danken fest. Alsop verflucht längst seinen Ent schluß. Ich glaube, der wird nie ein Cyborg. Für Alsop war keine Sitzgelegenheit mehr vorhanden. Er blieb an der Tür stehen, die Hän de lässig auf dem Rücken. Sein Blick ruhte auf Jimmy, der den Kopf in eine schiefe Haltung ge bracht hatte und ihn, wie es Hunde oft tun, mus terte. „Sie können vollkommen unbefangen reden, Shanton“, forderte Ezbal den Ingenieur auf, der sich immer wieder erst daran gewöhnen mußte, daß es in dieser isoliert liegenden Station keine Geheimnisse gab. Jede Flucht war ausgeschlossen. Die Trans mitter-Verbindung sprach nur auf eine Handvoll Personen an. Ein Energie-Schirm, der bis zur an deren Talseite reichte, machte Ein- oder Ausflü ge unmöglich. Dazu kam noch ein raffiniert ar beitendes Ortungs-System. Wer sich in der Cyborg-Station befand, hielt sich im sichersten Gefängnis der Erde auf. Shanton erzählte von seinen Sorgen. Schwei gend, den Kopf in eine Hand gestützt, die blauen Augen zu Boden gerichtet, hörte Echri Ezbal zu. Einmal kam Urran und ließ sich von ihm strei cheln. In Jimmy steckte der Teufel. Er erhob sich und verlangte auch gestreichelt zu werden. Chol di, die Katze, die es sich inzwischen in der Ecke bequem gemacht hatte, schlief schon wieder. Holger Alsop fiel es schwer, zu glauben, daß Shantons Scotchterrier eine Robotkonstruktion sein sollte. „Das war's, Ezbal. Deshalb bin ich ins BranaTal gekommen. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ich habe schon einmal daran gedacht, daß man mein Gehirnstrom-Muster dazu benutzt hat, um meine Gedanken mit fremden zu überlagern und ...“ „Nein“, widersprach der greise Wissenschaft ler, der jetzt Shanton ansah. „Diese Theorie scheidet aus. Tele-Hypnose ist wahrscheinlicher, aber daran möchte ich auch nicht glauben ...“ „Was kann es dann gewesen sein, Ezbal?“ fragte Shanton ungeduldig. Der abgeklärte, alte Genetiker und Biochemi ker, der Prototyp eines Asiaten, den Meditatio nen oft von der Erde fortgeführt hatten, wunder te sich nicht über die Ungeduld des anderen. Seine blauen Augen schienen noch mehr Güte als bisher auszustrahlen, und Verständnis für die vielen menschlichen Unzulänglichkeiten. „Chris...“ er sprach den Ratsuchenden mit Vornamen an, „das Natürliche ist immer noch das Stärkste - Holger, ich werde wohl vergessen haben, Ihnen es auch zu sagen: Der Körper von aber Milliarden Menschen hat sich auf die starke einfallende Strahlung aus dem galaktischen Magnetfeld eingestellt ohne Schaden zu neh men; der Körper kann sogar einen Cyborg ertra gen. Er ist variabel; das Künstliche besitzt diese Eigenschaften nicht, weil es seinem Wesen nach starr sein muß. Deshalb, Shanton, können Sie durch eine künstlich hervorgerufene Aktion nicht beeinflußt worden sein. Aber ich kann Ih nen die Lösung auch nicht geben. Jemand auf der Erde muß ein Problem gelöst haben, an dem
hier über dreihundert Experten seit Jahren vergeblich arbeiten. Ein Zukunftsbild ist die Steuerung eines Cy borgs, in dem man seine Gedanken durch fremde überlagert und ihn an das befohlene Ziel bringt, ohne daß er davon etwas bemerkt - für uns ein Zukunftsbild. Shanton, ich möchte den Men schen, der sie auf den Ast-Stationen zu Sabota gehandlungen veranlaßt hat, gern kennenler nen ...“ Und ich schlage ihm vorher alle Knochen ka putt, dachte der Dicke erneut maßlos wütend, weil ihm jetzt auch noch bewußt geworden war, daß er auf Ast-227 zum Mörder an mehr als hundert Menschen geworden wäre, wenn Jimmy ihn nicht angefallen hätte. Enttäuscht fragte er noch einmal: „Sie kön nen mir keinen einzigen geben, in welcher Rich tung die GSO zu suchen hat?“ „Keinen Einzigen. Und Tele-Hypnose, gibt es sie überhaupt?“ „Es gibt sie, Ezbal. Die Synties haben sie an uns Menschen praktiziert!“ Ruhig erklärte der alte Wissenschafter: „Syn ties sind keine Menschen. Man kann keine menschlichen Maßstäbe an sie legen. Die Struk tur der Tropfenwesen ist völlig ungeklärt. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann, doch Sie dürfen mir jetzt einen Gefallen tun, Shanton ... Da steht Holger Alsop, ein Mensch, der mit seinem freiwilligen Entschluß hadert, er möchte fliehen. Er hat es mir nicht gesagt, ich weiß es trotzdem. Es gibt keine Fluchtmöglich keit aus dem Branatal. Es gibt für ihn nur eins: Zu seinem Wort stehen — zu seinem freiwilli gen Entschluß!“ Impulsiv erwiderte Shanton, ohne sich sei ne Worte reiflich überlegt zu haben: „Wenn ich mir vorstelle, einmal ein Cyborg werden zu müs sen, würde ich versuchen, vor mir selbst davon zulaufen!“ Wie konnte Echri Ezbal jetzt dem DiplomIngenieur dankend zuwinken? Er sah Holger Al sop nicht an, auch da nicht, als er den dicken Mann mit seinem Robothund an der hölzernen Tür verabschiedete. Langsam ging er zu seinem Platz zurück, ließ sich nieder, streichelte Urran und lockte Choldi, die Katze herbei, die mit leichtem Satz auf seinen Schoß sprang und sich darauf sofort rundlegte. „Holger?“ Seine Stimme klang wunderbar. Seine Augen strahlten eine Ruhe aus, die zum klingenden Ton seiner Stimme paßte. „Niemand kann vor sich selbst davonlaufen! Und Sie haben sich freiwillig für jeden Einsatz im Dienst der TF gemeldet. Sie sind bei Ihrem Entschluß ge blieben, als man Sie warnte und Ihnen sagte, Sie könnten beim ersten Einsatz schon Ihr Leben verlieren. Sie werden es nicht verlieren! Nicht ich, aber Sie werden zu den beneidenswerten Menschen gehören, die mit dreihundert Jahren Alter noch so jung sein werden, wie Sie jetzt jung sind! Holger, Sie bleiben Mensch, selbst als Cy borg! Holger, ich hatte einmal einen Sohn, der so aussah wie Sie heute vor mir stehen. Könnte ich ihn aus dem heiligen Fluß herausholen und wieder zum Leben erwecken, ich würde alles tun, um ihn zum Cyborg zu machen! Holger, ich würde ihn überlisten, wenn er sich dagegen sträuben würde. Holger, irgend et
was läuft Ihnen wie ein Schatten nach, und ich kann nicht herausfinden, an welcher Seite sich Ihr Schatten befindet. Holger, ich ...“ Da verlor Holger Alsop den letzten Rest sei ner bisher kümmerlich bewahrten Beherrschung. In seinen Augen blitzte es auf. Sein Gesicht verlor die frische Farbe, seine Lippen wurden zu Doppelstrichen, und seine Stimme klang so scharf, daß Urrin ihn anknurrte, und Choldi, die Katze, erwachte. „Ich will den Tod nicht zum Freund haben, Ezbal! Ich will nicht draufgehen, wenn gewis senlose Kreaturen, die sich Menschen, ja, sogar Wissenschaftler nennen, mich verstümmeln. Ich will leben! Ja, ich bin bereit in den gefährlichs ten Einsatz zu gehen, aber ich will den Tod nicht zum Freund haben! Den nicht! Der holt mich noch früh genug!“ Hatte er geschrien? Echri Ezbals Mienenspiel gab ihm darüber keine Auskunft. Ruhig sah ihn der greise Geneti ker und Biochemiker an. „Holger, darf ich erfahren, wer Ihnen gesagt hat, der Tod würde Ihr Freund werden, wenn man Sie zu einem Cyborg machen würde?“ Plötzlich lag etwas Suggestives in seiner Frage, und der Blick aus seinen Augen war auch anders als sonst. Unbeweglich sah der Alte ihn an, je doch nicht starr und zwingend. Immer noch gü tig, aber in einer Art, die Alsop zwang, das zu sagen, was er nicht sagen wollte. „Als ich ... kurz bevor ich ... also wenige Mi nuten bevor ich zum letztenmal meinen frei willigen Einsatz bei der terranischen Flotte durch Unterschrift bekräftigte...“ Langsam lehnte sich Ezbal zurück. „Jetzt be ginne ich zu begreifen, flüsterte er. „Holger, vertrauen Sie mir?“ „Nein! Seitdem Sie Ihren verstorbenen Sohn vorgeschoben haben ...“ „Holger, erlauben Sie denn, daß wir Ihnen Ihr Gehirnstrom-Muster - nicht das grobe, das nur zur Identifizierung der Person dient - sondern das vollständige, noch einmal abnehmen. Und mit dem vergleichen, das man uns zugeschickt hat?“ „Was soll das bedeuten, Ezbal?“ fragte Alsop mißtrauisch. „Ich vermute, daß man uns ein verfälschtes Muster übersandt hat. Und wenn das wahr ist, dann wären Sie als Cyborg zu einem Toten auf Abruf geworden. Bisher haben wir diese Muster nie nachgeprüft!“ Das klang so wahr, so erschreckend, daß Al sop fragte: „Das glauben Sie, Ezbal?“ „Ich vermute es. Geben Sie uns die Erlaubnis, Holger?“ „Dazu ja. Und wenn das übersandte Muster mit dem meinen nicht übereinstimmt, was ge schieht dann?“ Echri Ezbal atmete schwer und laut, „Es ist dann schon viel geschehen. Zuviel! Dann weiß man außerhalb des Brana-Tal, was hier vorgeht. Die Geheimhaltung muß eine undichte Stelle ha ben, und auf der anderen Seite der Erde scheint es eine Gruppe zu geben, die unsere Forschungs arbeit sabotieren will. Sabotage...“ Er lauschte diesem Wort nach. Hatte nicht auch Chris Shanton von Sabotage gesprochen? Der alte Wissenschaftler, der sich mit solchen Dingen noch nie beschäftigt hatte, stand plötz
lich Problemen gegenüber, denen er nicht ge wachsen war. Er mußte sich mit Bernd Eylers in Verbindung setzen. Noch besser war es, wenn Eylers ins Brana-Tal kam. Er sah wieder Holger Alsop in und stutzte kaum merklich. Der Mathematiker und Experte für roboni sche Entwickungslehre starrte nachdenklich vor sich hin. Als er Ezbals Blick bemerkte, erwiderte er ihn. „Können Fanatiker für diese Sabotage in Frage kommen, Ezbal?“ „Saboteure sind immer Fanatiker. Ein Fanati ker ist ein kranker Mensch. Fanatischer Ehrgeiz in der ausgeprägten Form stellt stets eine Gefahr für die Umwelt dar.“ „Hm... Wann kann man mir mein Großes Ge hirnstrom-Muster abnehmen?“ Blitzartig zuckte es Ezbal durch den Kopf: Er beginnt sich für seinen Fall zu interessieren. „Sofort, Holger aber bevor wir hinüber gehen noch eins: Ich traue den Männern in Alamo Gordo nicht mehr, die Ihnen sagten, Sie würden den Tod zum Freund haben, wenn Sie bei Ihrer Freiwilligen Erklärung blieben. Man kann auch auf dem psychologischen Gebiet sabotieren. Und mit diesem Satz: Der Tod wird Ihr Freund sein! hat man am Cyborg-Projekt Sabotage getrieben. Denn dieser Satz ist Lüge! Genau das Gegenteil ist der Fall, aber mir wollen Sie ja diese Behauptung nicht abnehmen. - Gehen wir jetzt!“ Drei Stunden später war die letzte der drei Hauptprüfungen abgeschlossen. Holger Alsops Großes Gehirnstrom-Muster, das man von Alamo Gordo nach dem Brana-Tal geschickt hatte, war falsch! Echri Ezbal zeigte ihm an Hand eines Dia gramms, das von zwei Spezialisten erstellt wor den war, wo die Verfälschung lag. „Holger, man ist viel geschickter vorgegangen, als ich befürch tet hatte. Sehen Sie hier diesen Knick? Hier, wo die rote Linie sich mit der schwarzen kreuzt? Ich will Sie nicht mit medizinischen Ausdrücken be lasten. Nur soviel sei Ihnen gesagt: Sie wären ein Cyborg geworden. Sie hätten auch die schärfsten Belastungsproben erstklassig bestan den. Wir hätten Sie für die Terranische Flotte freigegeben, und dann, wieder bei einem Ein satz, wären sie plötzlich nicht mehr zurückge kommen, Vollidioten kennen ihr Zuhause nicht mehr! Und irgendwer hätte sie über einen be stimmten Hyper-Impuls, wahrscheinlich in ei nem besonders wichtigen Einsatz, zum Vollidio ten gemacht. Das verrät mir dieser Knick!“ Holger Alsop war von Echri Ezbals Erregung beeindruckt. „Sie haben mir doch erklärt, jeder Cyborg verfüge auch über ein Zweitgehirn, das aus einer Mischung terranischer Sensor-Technik und giantischer konstruiert worden sei und nicht größer als eine Bohne wäre. Kann man denn mit einem Hyper-Impuls auch dieses Zweitgehirn zerstören?“ „Ja Und nein! Weil die Cyborg-Konstrukti on, die auf dem Großen Gehirnstrom-Muster ba siert, falsch aufgebaut worden wäre. Das Zweit gehirn, das unabhängig vom normalen arbeitet, hat sich deshalb nach diesem Muster zu richten, weil sonst die Rückschaltung nicht mehr möglich ist.“ „Der Mensch würde dann ewig ein Cyborg bleiben?“ fragte Alsop mit immer stärker wer
dendem Interesse. „Nein! Der Mensch würde sterben, und übrig bliebe nur eine wunderbare Konstruktion, die keine Aufgabe mehr erfüllen könnte.“ „Das verstehe ich nicht, Ezbal...“ „Nein? Das Zweitgehirn steht ununterbrochen mit dem normalen Gehirn in Verbindung, solan ge der Mensch nur Mensch ist. Das Zweitgehirn lernt von den Überlegungen des anderen. Es ist doch in Wirklichkeit, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, nur eine Grundschaltung, die erst noch den Lehrstoff aufnehmen muß, den ihm das natürliche Gehirn vermittelt. Stellen Sie sich darunter keine der üblichen Lehrstunden vor. Der Träger eines Zweithirns bemerkt von diesem Unterricht nichts. Doch nun zurück zu diesem Hyper-Impuls, und davon ausgehend, daß die gesamte CyborgAnlage an einem verfälschten Großen Gehim strom-Muster abgestimmt worden ist. Rechnerisch, nicht experimentell haben wir nachweisen können, daß die Grundschaltung des Zweitgehirns, wenn es nicht exakt auf das natürliche eingestellt ist, eine Dauerbelastung auslöst. Diese Dauerbelastung führt in kurzer Zeit zu ei ner Schwächung des Groß- und Kleinhirns. Eine Schwächung, die nicht von Bedeutung ist, so lange keine plötzliche organische Hochbelastung erfolgt. Aus ihrem Großen Gehirnstrom-Muster läßt sich leicht Ihre Alpha-Rhythmus-Frequenz ablesen. Diese per Hyperfunk bei einem Einsatz auf Sie abgestrahlt, läßt Ihr Gehirn zusammen brechen, und Sie werden zu einem unheilbaren Idioten. Aber damit besteht die dünne Verbin dung zum Zweitgehirn immer noch. Die Rück schaltungs-Phase. Das Zweitgehirn stellt fest, daß diese Phase tot ist. Nach dem Programm sei ner Grundschaltung wird es unentwegt versu chen diese Verbindung wieder zu aktivieren, was natürlich nicht mehr möglich ist. Von sich aus wird das Zweitgehirn bald sein Bemühen einstellen und durch einen vorprogrammierten Hyperfunk-Kurzimpuls mitteilen, daß es nicht mehr aktiv ist. Damit hört die Zweitheit MenschCyborg auf zu existieren.“ „Einen Menschen einfach aufgeben? Ezbal, das ist doch Mord!“ „Nein, aber eine unbedingt erforderliche Schutzmaßnahme. Holger, können Sie sich einen idiotischen Cyborg vorstellen ? Auf dem menschlichen Sektor verrückt und auf dem ande ren normal? Man hätte ein Ungeheuer vor sich. Wir haben sehr früh an diese Möglichkeiten gedacht. Wir haben die Menschen vor unserer Er findung auch zu schützen. Jedoch bis auf Aus nahmen, die immer unvermeidbar sein werden, können diese Zwischenfälle nicht eintreten, wenn wir in jedem Fall genau nach dem Großen Gehirnstrom-Muster des Betreffenden vorgegan gen sind. Deshalb bin ich ja so entsetzt, daß man unsere Arbeit auf diese Weise sabotieren wollte.“ „Hm ...“, brummte Alsop und strich sich über sein Haar „haben Sie überlegt, daß ich nach die sen wenig reizvollen Aussichten noch weniger bereit bin ein Cyborg zu werden, Ezbal?“ Nach langer Zeit flog wieder ein Lächeln über das markante Gesicht des Alten. Er warf einen Blick auf die Nummer, die Alsop über der linken Brust trug. Nummer 742! „Sie werden Ihre Meldung aufrecht erhalten,
Holger. Sie sind nicht der Mann, der vor sich selber davonläuft. Und Sie waren, als Chris Shanton etwas Ähnliches in meinen Privaträu men vorhin sagte, mit seiner Bemerkung ganz und gar nicht einverstanden. Und ich hätte Ih nen, nachdem nun feststeht, daß Sie ein Opfer der Sabotage werden sollten, die volle Wahr heit nicht mitteilen müssen. Irgendwann hätten Sie es ja doch einmal erfahren, und dann wäre ich in Ihren Augen unglaubwürdig geworden. Etwas Schlimmeres könnte mir nicht passie ren...“ Holger Alsop wehrte sich gegen den starken Eindruck, den der greise Wissenschaftler in die ser Szene auf ihn gemacht hatte. Als er sich klar geworden war, daß ihn die ungeschminkte Wahrheit nicht beunruhigte, stellte er überrascht fest, unbewußt sich auszumalen, wie alt er als Cyborg werden konnte. Cyborg...? Und unter dem Blick aus Echri Ezbals ab grundtief leuchtenden blauen Augen verlor die ser Begriff langsam in Alsop an Grauen und Ab scheu. * Die COL hatte der POINT OF längst gemel det, vor der Pluto-Bahn aus dem Sprung wieder ins normale Kontinuum eingetaucht zu sein. Ren Dhark dachte kaum noch daran. Seine Gedanken kreisten um das rätselhafte Verschwinden von vier Raumschiffen, und um die Meldung, die Eylers ihm per To-Funk zugestrahlt hatte. Arc Doorn war informiert worden. Der wort karge Bursche, den auch seine junge Frau Doris nicht hatte ummodeln können, hatte die Nach richt wortlos zur Kenntnis genommen. Anders als er hatte sich Dan Riker verhalten. Er disku tierte mit seinem Freund die unbegreifliche Nachricht aus Cent-Field. Aber nicht eine Se kunde lang hatte er Ingenieur Shanton im Ver dacht, der Zweizentner-Mann könnte die Sabo tage-Aktion mit Wissen und klarem Verstand gestartet haben. Unzufrieden, weil auch dieser Fall so uner klärlich war, knurrte er: „Wir brauchen Terra nur ein paar Tage den Rücken zukehren, und schon ist überall der Teufel los! Ich...“ In diesem Moment waren die dreiundzwan zig kugelförmigen Konverter des Ringraumers auf maximale Leistung geschaltet worden! Überrascht riß Dhark seinen Kopf hoch. Er hatte seit den letzten zehn Minuten das Instru mentenpult mit seinen Schaltern nicht mehr be rührt; und sein Freund Dan kam für dieses Er eignis auch nicht in Frage, denn er hatte gerade noch lässig im Kopilot-Sessel gehockt und ge raucht. Alle Menschen in der Zentrale horchten auf. Dhark beugte sich vor, wollte den Steuer schalter, der die Konverter und ihre Energie-Ab gabe regelte, in eine andere Lage bringen, als er die Feststellung machte, daß der Schalter blo ckiert war. Schiff übernommen! klang es in seinem Kopf und in dem der anderen auf. Die Gedankensteuerung, die seit Jahr und Tag nicht mehr eingegriffen hatte, war plötzlich wieder aktiv geworden. Sie mußte auch sämtli che Konverter der POINT OF hochgefahren ha
ben, die schon weit über dem maximalen Be reich standen. „Grappa...?“ schrie Dhark durch das Dröh nen, das im Ringraumer von Sekunde zu Sekun de lauter wurde. Leutnant Tino Grappa rief zurück: „Alle Or tungen null!“ „Das ist doch nicht möglich!“ widersprach Ren Dhark, dessen Stimme leichte Unruhe ver riet. „Alle Ortungen kontrollieren!“ Das hatte Grappa schon getan. Sie arbeiteten exakt, als er sie auf die nächste Sonne justiert hatte. „Ortungen sind klar, Dhark. Im nahen Bereich ist nichts zu erfassen...“ „Denk an unsere Schiffe, die verschwunden sind“, rief Riker seinem Freund zu. „Und ob ich daran denke... Aber...“ Der Checkmaster meldete sich. Er arbeitete plötzlich auch auf der gleichen Basis wie die Gedankensteuerung. Je der hörte in seinem Kopf die unpersönlich klingende Stimme in feinstem Terranisch sa gen: Unbekannte Gefahr im nahen Raum! Ach tung, unbekannte Gefahr bedroht POINTOF! Eine Gefahr? Glenn Morris hatte in der Funk-Z Dienst. Dhark rief ihn an. Morris' Antwort kannte er schon, als er dessen Gesicht auf der kleinen Bildscheibe der Bordverständigung sah. Weder Echo-Kontrolle noch Raum-Control ler warfen Werte aus! Dhark ließ die Verbindung stehen. Da misch te sich das Triebwerk ein. Arc Doorn vertrat Miles Congollon, der keinen Dienst hatte. „Dhark, mehr als sechzig Prozent aller Energien gehen an die Flächenprojektoren, Hier ist der Teufel los ...“ „Gedankensteuerung hat Schiff übernommen. Nur Zwischenfälle melden. Klar, Doorn?“ „Okay ...“ Riker stieß ihn an. Jeder mußte brüllen, um sich bei dem Lärm, der plötzlich durch den Ringraumer tobte, verständlich zu machen. „Ren, der Kahn wird trotzdem langsamer ...!“ Wenn sie das Instrument nicht narrte, das ihre vielfache Überlichtgeschwindigkeit anzeig te, dann bremsten unerklärliche Kräfte die POINT OF mehr und mehr ab. „Notspruch an Cent Field?“ fragte Morris. „Vorbereiten, aber erst auf Befehl absenden!“ entschied Dhark, der seinen Augen nicht mehr traute. Was war mit den beiden Intervallen los, in deren Schutz sein Schiff flog? Wurden nicht mehr genügend Energien zur Verfügung gestellt, um die beiden dreitausend Meter durchmessenden Mini-Welträume stabil zu halten? Verbindung zum Triebwerksteil „Doorn, was ist mit den Intervallen? Geben Sie Saft drauf, sonst brechen sie uns zusammen!“ „Können, Dhark! Hier spielt auch die Gedan kensteuerung den Chef! Alles blockiert.“ Manu Tschobe, Anja und Jens Lionel der Bordastronom, stürmten in die Kommando-Zen trale. Anja kümmerte sich um nichts anderes als um den Checkmaster. Verblüfft warf sie den Kopf in den Nacken, daß ihr langes, blondes
Haar für einen Augenblick wie eine Fahne im Wind wehte, als sie die Stimme in ihrem Kopf hörte: POINT OF befindet sich in einem unbekann ten Gefahrenbereich! Weitere Auskünfte nicht möglich! Und das 174 Lichtjahre von der Erde entfernt! Der Afrikaner stand zwischen Dhark und Dan Riker und sah auch, wie der Ringraumer langsamer und langsamer wurde. Noch 145fache Überlichtgeschwindigkeit! Lag es an den Flächenprojektoren der POINT OF, die nicht mehr genügend Energien emittieren konnten, um den Brennpunkt des Sternensogs zu versorgen? Doorn deswegen anzurufen, war zweck los; auch im Triebwerksraum hatte die ominöse Ge dankensteuerung alle Kommandofunktionen über nommen. Und wie diese Steuerung reagieren konnte, hatte sie einige Male Jahre vorher dem Menschen im Ringraumer demonstriert. Jean Rochard, Kommandant der Waffensteue rung Ost, meldete sich. „Dhark, wir haben hier nichts mehr zu tun! Alle Waffensteuerungen sind blockiert. Die Antennen umzuschalten - unmög lich!“ Bud Clifton, der Mann mit dem Kindergesicht, aber der beste Waffenoffizier der TF, meldete das gleiche aus seiner WS-West. Die POINT OF konnte sich nicht mehr verteidi gen. Gegen wen? Ren Dhark fühlte eine Unruhe, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Warum gingen Ihm seine verschwundenen vier Schiffe nicht aus dem Kopf? Hatten sie es mit demselben Gegner zu tun, der die SHARK, FO I, YAMID und CAESAR auf seinem Gewissen hatte? Im Schilf heulten, brüllten, prasselten und zischten die riesigen Aggregate. Ihr Toben und Brummen durchschlug alle Schallisolationen, Das eigene Wort war kaum hoch zu verstehen. Aber warum tat die Gedankensteuerung nichts dagegen. Sie ließ das Schiff doch langsa mer werden. Warum war der Sternensog nicht auf Vollast geschaltet? Weshalb dieses Bum meln, das sich mehr und mehr der Lichtmauer näherte? Wieder versuchte Ren Dhark vergeblich ei nen der Steuerschalter an seinem Pult in eine an dere Lage zu bringen. Nach wie vor blieben sie blockiert. Die Erregung im Leitstand stieg. Manu Tschobe trat von einem Bein auf das andere. Dhark sah ihn an. Der Afrikaner beugte sich zu ihm herab. „Tschobe, können Sie etwas von einer para mentalen Beeinflussung feststellen?“ „Daran haben Sie gedacht?“ rief der Schwar ze überrascht zurück. „Ich habe Synties vermu tet...“ „Die könnten wir orten... Grappa, immer noch nichts erfaßt?“ Ungeduld schwang in der Stimme des Commanders mit. „Nichts, Commander! Nicht ein Blip im na hen Bereich zu erfassen. Es ist zum Heulen!“ Glenn Morris in der Funk-Z wurde es auch ungemütlich. Wieder fragte er Dhark: „Notruf
nach Terra abstrahlen? Flotte alarmieren oder ...?“ Der Commander schrie zurück, leicht den Kopf den Sprechrillen zugewandt: „Kein Notruf! Sollen noch mehr Schiffe draufgehen?" In der Kommando-Zentrale hatte man ihn ver standen. Bestürzt wurden vielsagende Blicke ge wechselt. Wenn Ren Dhark ihre Situation so ge fährlich ansah, dann konnte man sich auf einiges gefaßt machen! Ein tiefes, noch nie gehörtes Dröhnen klang auf, war in jeder Kabine des Ringraumers zu hören und wurde stärker und stärker. Die Unitallzelle der POINT OF begann zu schwingen! Ratlos sahen sich Dhark und sein Freund an. Die Zelle, die halbmeterdicke Unitallwandung der POINT OF vibrierte wie eine angezupfte Saite eines Musikinstrumentes. Über die Bordverständigung kam ein unver ständlicher Aufschrei. Glenn Morris hatte ihn ausgestoßen. Und dann war nichts mehr zu hö ren. „Was haben Sie entdeckt, Morris?“ Dhark zwang sich seiner Stimme ruhigen Klang zu ge ben. Er hatte bemerkt, wie erregt seine sonst eiskalten Männer geworden waren. Alles konnten sie in dieser Lage gebrauchen, aber keine Offi ziere, die vor innerlicher Unruhe nicht mehr so präzise handelten, wie es erforderlich war. Keine Antwort aus der Funk-2! „Morris, antworten Sie...!“ „Ich laufe 'rüber!“ schrie Manu Tschobe und wollte sich in Bewegung setzen, als sich die Funk-Z endlich meldete. „Commander, wir können nicht mehr funken! Alle Hyperfunk-Anlagen liegen still! Ob sie der Checkmaster oder die Gedankensteuerung... Große Milchstraße, Dhark! Ich hab's mit der Echo-Kontrolle erwischt! Ich hab's! Ich hab's ...“ Glenn Morris schien durchzudrehen. Es hatte keinen Sinn, ihn durch Anbrüllen zur Vernunft zu zwingen. Nur Ruhe brachte das fertig. „Was haben Sie entdeckt?“ fragte Dhark mit einer Stimme, als ob ihn das alles herzlich wenig anginge. „Was, Morris?“ Der junge Leutnant kam wieder zu sich, „Auf Gelb 56:32,01 in 34 Lichtjahren Abstand... Da ist was, nur verlangen Sie von mir nicht, ich sollte Ihnen sagen, was ich entdeckt habe ... Nur was...“ „Ich laufe doch 'rüber“ entschied Manu Tschobe und rannte aus der Kommando-Zentrale zur nahgelegenen Funk-Z. Glenn Morris mußte ihm Platz machen. Tschobe hockte vor der Echo-Kontrolle, die man sonst nur benutzte, um festzustellen, ob ein be stimmter Hyper-Sender betriebsklar war. Dieses Gerät war einmalig und gehörte zu dem großen Komplex in der POINT OF, der allen Wissenschaftlern ein undurchdringliches Rätsel geblie ben war. Mit einem Blick überprüfte Tschobe, ob auch der Checkmaster die Daten der Echo-Kontrolle erhielt. Er beugte sich dann zu den Sprechrillen vor. „Distanz schrumpft langsam. Nur noch 2,9 Lichtjahre entfernt. Ob klein oder groß, nicht zu erkennen. Die Blips, die wir hier zu sehen be kommen, sind neuartig. Weiß der Teufel, was das ist! Müssen wir denn genau darauf Kurs hal ten?“
Mein Gott, dachte Tschobe, als Dhark ihm antwortete, bat der Mann eine Bombenruhe. Bringt den auch nicht dieses verdammte Etwas auf Touren? In diesem Moment hatte er Ren Dhark über schätzt; innerlich fieberte er, doch als Komman dant des Ringraumers durfte er sich diese nur allzu natürliche Schwäche nicht anmerken las sen, und selbst sein bester Freund Dan stellte von seiner unbeschreiblich großen Unruhe nichts fest. „Tatsächlich kein Syntie-Blip, Tschobe?“ wollte Dhark wissen. „Nein, oder die Tropfen müßten damit mani pulieren können, als ob sie es mit Knetmasse zu tun hätten.“ „Okay, melden Sie sich sofort, wenn Sie Neues beobachten ...“ „Muß mich schon melden, Dhark. Distanz nur noch 2,5 Lichtjahre. Dabei kriechen wir doch. Das Etwas muß auf uns zukommen. Können denn die Astronomen und Astrophysiker nichts entdecken?“ Jens Lionel hatte längst wieder den Leitstand der POINT OF verlassen und befand sich in der astronomischen Abteilung. Auch die Kollegen, die vor gut einer Stunde ihre Schicht beendet hatten, waren anwesend. Mit allen Mitteln der modernen Astro-Tech nik wurde gearbeitet. Der Raumabschnitt im Bereich der Koordinate Gelb um 50 herum wurde abgesucht, abgetastet, durchforscht, aber nicht das geringste war festzustellen. „Nicht aufgeben!“ hämmerte Lionel seinen Kollegen ein „Wir müssen das Etwas finden. Wir müssen herausbekommen, was es ist!“ Er hatte gut reden. Damit waren auch keine Resultate zu erzielen. Aus dem Triebwerksraum kam die nächste Katastrophenmeldung. Miles Congollon hatte dort die Leitung wieder übernommen. Mit ande ren Worten: Er hatte zuzusehen wie alle anderen seiner Abteilung auch. Hier gab es nichts mehr zu tun. Alle Schaltungen waren durch die Ge dankensteuerung blockiert. „Dhark, der Sternensog steht dicht vor dem Zusammenbruch ...“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, als es den überlichtschnellen Antrieb der POINT OF nicht mehr gab. „Und was macht der Sle, Miles?“ rief Dhark von der Zentrale aus. „Nichts... Oh, mein Gott...“ In dem Leitstand des Ringraumers sagte man es auch. Die beiden Intervalle der POINT OF bestan den nicht mehr; aber im Schiff war die Hölle los. Die riesigen Aggregate drohten hochzugehen. Eine einzige Explosion konnte den Untergang der POINT OF bedeuten. „Dhark...“, wieder Congollons unheilschwan gere Stimme über die Sicht-Sprech-Verbindung, „wir müssen damit rechnen, daß der Schwer kraft-Regler ausfällt. Was dann an Bord gesche hen wird, wissen nur noch die Götter!” Der Antrieb arbeitete nicht mehr! Die POINT OF konnte ihre Strahlantennen nicht einsetzen! Die beiden Intervallfelder hatten aufgehört zu existieren! Der Ringraumer war nicht mehr in der Lage
einen Notruf abzustrahlen! Konnte es noch schlimmer kommen? Es kam noch schlimmer! „Dhark, Distanz zum Etwas nur noch 0,3 Lichtjahre!“ meldete Manu Tschobe. Mike Doraner und Pjetr Wonzeff waren in der Sicht-Sprech-Verbindung. „Nein!“ entschied Dhark mit eiserner Stim me. „Und im übrigen können Sie auch den Rin graumer nicht mehr verlassen. Wir haben keinen Intervallschutz mehr. Begreifen Sie nun, wie verzweifelt unsere Lage ist?“ Mike Doraner ließ nicht nach. „Commander, lassen Sie es uns mit der 025 und 026 versu chen. Wenn unsere Flash kein Intervallfeld mehr erstellen können, kommen wir natürlich nicht durch die Unitallwandung, aber sonst ist drau ßen im Raum für uns das Risiko nicht größer als im Schiff. Vielleicht haben wir eine Chance über unseren Bordsender einen Notruf nach Ter ra...“ „Zum Donnerwetter, keinen Notruf nach Cent Field abstrahlen! Sollen denn noch mehr Menschen draufgehen, Doraner?“ Im nächsten Augenblick war er wieder der beherrschte Com mander. „Okay, versuchen Sie Ihr Glück. Wagen Sie aber nicht zuviel. Moment, ich rufe Tscho be! - Manu, Distanz?“ „Noch 0,25 Lichtjahre. Das Etwas muß in den letzten Minuten sein Tempo gedrosselt haben. Also wenn Sie diese verdrehten Amplituden se hen würden, müßten Sie wie ich den Kopf schüt teln.“ „Ende!“ unterbrach ihn Dhark. Er wandte sich wieder an die beiden Flash-Piloten, die ihn vom Depot abgerufen hatten. „Distanz zum Un bekannten 0,25 Lichtjahre. Versuchen Sie Ihr Glück. Versuchen Sie auch, falls Sie nach drau ßen kommen, Funk-Kontakt mit uns aufzuneh men, auch wenn wir nicht antworten können. Alles Gute!“ Mike Doraner und Pjetr Wonzeff warfen sich einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu, dann jagten sie zum Depot los, in dem sich die Flash 025 und 026 befanden. Sie verständigten sich über Vipho. Der Ein stieg schloß sich. Da meldete sich Ren Dhark. „Alles klar wie sonst“, teilte Mike Doraner mit. „Versuche Intervall einzuschalten ... - Inter vall steht. Ich fliege aus...“ „Ich auch!“ rief Pjetr Wonzeff, und seine Stimme klang weder unsicher noch anders als sonst. Sie waren Überraschungen gewohnt und hatten in vielen Flash-Einsätzen bewiesen, auch dann noch einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn andere längst keine Hoffnung auf Rettung mehr hatten. Die beiden Blitze durchflogen die Unitall wand, schalteten den Sle hoch und nahmen Fahrt auf. „Hallo, POINT OF, wir sind gut herausge kommen und...“ Verdutzt starrte Mike Doraner sein Vipho an, das um seinen Hals hing. Das Gerät arbeitete nicht mehr. Die Funkanlage sei ner 025 einzuschalten, gelang ihm nicht mehr. Nicht nur, daß sein Intervall zusammengebro chen war, auch der Sle setzte aus und sein Flash begann im freien Raum zu torkeln und sich nach allen Seiten zu drehen, wie ein Korken auf unruhiger Wasserfläche. Nur der Andruck-Ausgleicher in seinem Blitz
arbeitete noch. Alles andere lag nicht lahm, son dern war blockiert. Hatte die Gedankensteuerung der POINT OF auch ihre Blitze übernommen? Welchen Zweck wollte sie mit diesen unverständlichen Manipu lationen verfolgen? Das kleine Hyperfunk-Gerät blieb tot. Mike Doraner starrte zur Bildprojektion hinauf. Der Sternenhimmel schien sich wie ein Karussell zu drehen, das dazu aber auch nach allen Seiten torkelte. Daran erkannte der Pilot, welche irrsin nigen Bewegungen sein kleines Beiboot machte. Ich glaube, jetzt haben Pjetr und ich zu viel riskiert, dachte er. Das wird unser letzter FlashEinsatz gewesen sein. Mit Nicken unterstrich er seine Gedanken. Aber dann flammte noch einmal mit aller Kraft sein Wille zu überleben auf. Er wollte die Gedankensteuerung kraft seiner gedanklichen Konzentration zwingen, ihm die Kommandoführung des Flash wieder zu überge ben. Daß zur gleichen Zeit Pjetr Wonzeff denselben Versuch machte, konnte er nicht ahnen. Die Fingerspitzen auf den wichtigsten Steu erschaltern, wartete er auf die Reaktion jener Einrichtung, mit denen die Mysterious nach wie vor Wissenschaftler Terras narrten, weil sie ihr Geheimnis nicht preisgab, wie sie tatsächlich ar beitete. Theorien darüber gab es genug; doch ob eine der vielen Theorien stimmte, mußte erst noch bewiesen werden. Mike Doraner konzentrierte seine Gedanken mit solcher Kraft, daß ihm darüber der Schweiß auf der Stirn und an den Fingerspitzen ausbrach. Plötzlich bewegte sich der Schalter des An triebs von Sle auf Sternensog. Mike Doraner jubelte schon, aber als er wieder die Bildprojek tion über seinem Kopf betrachtete und die Ster ne nach wie vor kreisen sah, erkannte er, daß sich nichts geändert hatte. Sein Sternensog arbeitete nicht! „Verdammt noch mal, die Gedanken-Steue rung hat noch nie faule Witze gemacht...“, fluch te er in seinem kleinen Beiboot und wischte sich den Schweiß ab. „Was soll dieser Unsinn? Wa rum konnte ich nur einen Steuerschalter...? Oh, jetzt sitzt das verdammte Ding auch noch fest! Na, dann gute Nacht, Erde. Vielleicht hat Won zeff mehr Glück als ich. Mich hat's voll er wischt. Puh... im Bett sterben ist doch schöner als im freien Raum zwischen den Sternen. Hof fentlich kommst du gut nach Hause, schöne POINT OF.“ Dann schwieg er, legte den Kopf in den Nacken, übersah das Kreisen der Sterne und betrachtete den Ringraumer, von dem er ein paar Kilometer entfernt war. Nur ein paar Kilometer und dennoch uner reichbar weit! Eine Ewigkeit, ein Abgrund aus Zeit und Raum lag zwischen seinem Flash und der POINT OF. Aus der Funk-Z des Ringraumers meldete Manu Tschobe nun schon zum dritten Male: „Weder von der 025 noch 026 einen Funk spruch...“ Man konnte die beiden Beiboote in der Bild kugel über dem Instrumentenpult sehen. Die unmißverständliche Darstellung einer hilflosen Lage.
Dan Riker hämmerte sich mit der Faust gegen seine Stirn. „Ich begreife nichts mehr. Weshalb hat diese verfluchte Gedankensteuerung zugelas sen, daß die beiden Flash ausfliegen konnten? Gibt es etwas Sinnloseres als diese Erlaubnis?“ Niemand antwortete darauf. Miles Congollon meldete sich. Er, der auf an dere, die ihn nicht kannten, melancholisch wirk te, zeigte auf seinem Gesicht größte Bestürzung. „Dhark, hier wird verrückt gespielt! Jemand will uns in den Orkus schleudern, der Sternensog ist vom Schiff aus abgeschaltet worden. Unsere POINT OF hat mit ihrer verfluchten Gedanken steuerung verhindert, den Sle einzuschalten. Ich habe Beweise dafür! Unwiderlegbare Beweise. Und noch was... die Energie-Mengen, die sonst zur Erhaltung der Intervalle abgeführt laufen jetzt andere Wege...“ „Wohin?“ fragte Ren Dhark, dessen Gesicht höchste Spannung zeigte. „Weiß ich nicht Doorn ist mit seinem Können auch am Ende. Dabei gibt der Kahn Energie-Mengen frei, die unheim lich groß sind. Ich...“ „Ende, Miles. Tschobe hat Neuigkeiten. Bleiben Sie in der Verständigung.“ Der Afrikaner hinter der Echo-Kontrolle schwitzte, aber er wollte auch seine Nachricht los werden“ „Die Blips haben ein anderes Aussehen bekommen. Sind noch verrückter in ihren Formen geworden. Aber da ist noch etwas. Das Ding vor uns ist sendeklar ... oder feuerbereit... oder reißt gerade sein unsichtbares Maul auf, um uns zu verschlingen. Vielleicht bin ich überge schnappt ... jetzt schon ... aber ich habe die Befürchtung, daß es gleich los geht. Die Waffen steuerungen sind immer noch unklar, Dhark?“ Tschobe war eine Doppelbegabung. Er war nicht nur ein erstklassiger Arzt, sondern ein ebenso guter Funk-Experte. „Waffensteuerungen unklar. Manu...“ „Es kommt näher, Dhark!“ schrie Tschobe dazwi schen. „Es nimmt Fahrt auf. Und wie! Distanz 0,2 .... jetzt nur noch 0,18 ... 0,15 ... wird noch schneller und ... meine Ortungen arbeiten nicht mehr!“ rief Grappa verzweifelt Ren Dhark und Dan Riker zu. Im nächsten Augenblick gab es in der gesamten POINT OF keine einzige Bildkugel mehr – das Fenster des Schiffes, über das man in den freien Raum blicken konnte, war blind! Irgendwo setzte Pfeifen ein ... Überall! Wenigstens war es überall zu hören. Das Pfeifen wurde nicht lauter, stieg aber unermüdlich die Tonleiter höher. „Distanz 0,12 Lichtjahre!“ Miles Congollon meldete sich erneut. „Meine Aggregate im Triebwerksraum pfeifen ...“ „Von dort kommen diese neuen Geräusche?“ rief Dhark verblüfft zurück. „Es hört sich so an . . .“ Den Tiefschlag unter die Gürtellinie versetzte allen in der Zentrale Chefmathematikerin Anja Riker, die noch immer am Bordgehirn der POINT OF stand. ,,Checkmaster hat sich abge schaltet. Er gibt keine Antworten mehr und führt keine Berechnungen durch!“ Ren Dhark wollte den Pilotsitz verlassen und tat es dann doch nicht. Er streckte die Hand aus und forderte von seinem Freund eine Zigarette. Dann schob er sie zwischen die Lippen, drehte sie und rauchte.
Das unerklärliche Pfeifen, das man noch nie im Ringraumer gehört hatte, war kaum noch zu ertragen. Immer schneller schien es sich dem Grenzbereich zu nähern, wo menschliche Ohren diese Tonfrequenzen nicht mehr aufnehmen konnten. Da endete es abrupt! Der Lärm der über Maximum geschalteten Aggregate bestand nicht mehr. Die Bildkugel existierte wieder. Tino Grappa knurrte hinter sei nen Ortungen: „Das ist doch ein Narrenschiff! Jetzt klappt alles wieder!“ Ren Dhark starrte als einziger die Bildkugel an. Er verfügte über ein gutes Gedächtnis, was Sternkonstellationen anbetraf. Wenige Augen blicke später war er sich seiner Sache sicher. Als er seinen Freund ansah, konnte Dan nicht verste hen, weshalb die braunen Augen des anderen so stark leuchteten. Und jetzt schmunzelte Dhark auch noch. „Ich weiß nicht ...“ Durch eine Handbewegung bat Ren seinen Freund zu schweigen. Doch er erhielt keine Ge legenheit ihm eine unwahrscheinliche Neuigkeit mitzuteilen. Manu Tschobe, der nicht mehr da ran dachte, daß er sich das Sprechen in Brüll stärke ersparen konnte, rief überlautstark: „Der Funk klappt wieder. Wir haben die 026 mit Wonzeff auf der Phase. Der Mann muß verrückt geworden sein. Er behauptet, in einer Entfer nung von drei Lichtjahren vor unserem SonnenSystem zu stehen ...“ „Gratulieren Sie ihm, Tschobe! Pjetr Wonzeff hat es genauso schnell erkannt wie ich. Los, gra tulieren Sie ihm über Hyperfunk!“ Der Afrikaner, sonst nicht begriffsstutzig, fragte verwirft zurück. „Dem Wonzeff gratulie ren? Für seinen Unsinn? ... Moment mal, meine Echo-Kontrolle zeigt ja keine verdrehten Blips mehr ...“ „Das kann sie nicht mehr so gut wie eben, Tschobe, oder Sie müßten Sie neu auf unseren unbekannten Gegner justieren. ... Große Milch straße, hat denn noch immer keiner festgestellt, daß wir uns vor Atair im Sternbild des Adler be finden, nur 14,l Lichtjahre von der Erde ent fernt?“ Überforderte er die anderen in diesem Augen blick? „Atair . . .“, murmelte Dan, und er sprach den Namen der Sonne ungewöhnlich deutlich aus: „A-ta-ir . . .? Aber wir hatten doch bis zum SolSystem noch 174 Lichtjahre zurückzulegen ...“ „Hatten ...“, warf Ren Dhark ein und schmun zelte. Am liebsten hätte er gesagt, gerade die schönste Minute seines Lebens erlebt zu haben! Diese Mysterious... dachte er und schüttelte über diese unbekannte, wahrscheinlich ausge storbene Rasse bewundernd den Kopf. Da mischte sich Jens Lionel von der astrono mischen Abteilung ein. Dhark hatte sich schon in Gedanken gefragt, wie lange diese Experten wohl benötigen würden, bis ihnen die Augen aufgingen. „Commander...“ Lionels Stimme überschlug sich, „Commander, die POINT OF muß transis tiert haben! Dhark, wir stehen dicht vor der Son ne Atair...“ „Und die Flash 026 mit Pjetr Wonzeff hat sich bis auf drei Lichtjahre unserem SonnenSystem genähert. Wahrscheinlich wird sich Do raner gleich auch melden...“
Dharks Kommando-Stab im Leitstand stöhn als es immer mehr Raumschiffe gab. Manche an Bord wußten nicht einmal mehr genau, welchen Die POINT OF war doch ein Sprung-Schiff militärischen Rang sie hatten. Auf der linken ein Raumer, der in Null-Zeit durch den Hyper- Brustseite trug aber ein jeder mit größtem Stolz space gewaltige Lichtjahr-Distanzen zurückle den Namen POINT OF, der in roten Buchstaben leuchtete. gen konnte? War die POINT OF aber irgendwo gelandet In der Funk-Z fing Tschobe den Ruf der 025 auf. Er legte den Spruch zum Leitstand hinüber. und befanden sich Angehörige fremder Besat Mike Doraner meldete sich. Sein Gesicht war zungen in der Nähe, dann hieß Ren Dhark nur gut auf dem kleinen Bildschirm zu erkennen. Commander, und jeder Offizier wurde mit sei Daß er etwas blaß war konnte nicht übersehen nem Dienstgrad angesprochen. Im Schiff je werden. doch... Dhark hatte schmunzelnd dieses Verfahren „... Es tut gut, die POINT OF wenigstens im Funkbereich an der Strippe zu haben, aber seiner Besatzung gebilligt. Er konnte ihnen lei sonst... Dhark, mein Flash hat eine Panne. Mei- der nicht sagen, daß er vom militärischen Zirkus ne Ortungen drehen durch. Ob Funk-Distanz auch nicht viel halten würde - aber innerhalb oder Massen-Ortung. Ich soll auf einmal auf seines Ringraumers durfte er als ihr Freund un Grün 23:00,53 und Rot 08:73,82 rund 104 ter seinen Freunden sein. Lichtjahre hinter der POINT OF stehen. Das Und für Arc Doorn war Ren Dhark ein kann doch nie und nimmer stimmen.“ Freund - ein guter Freund. „Sie wissen inzwischen auch, daß die Mike Doraner war noch nicht der Gedanke gekommen, daß seine 025 transistiert haben POINT OF transistieren kann... Doorn, bin rat könnte. Er war überzeugt, daß zum ersten Male los. Ich sage es Ihnen ganz offen. Die die Ortungen seines Blitzes versagt haben muß Gedankensteuerung hat uns einen Nasenstüber verpaßt...“ ten. „Das Pfeifen! Wir haben es bisher noch nie „Und wenn es stimmt, Doraner? Und wenn Ihre Ortungen klar sind? Und wenn Sie 104 in der POINT OF gehört!“ warf Arc ein. Ihn Lichtjahre hinter dem Ringraumer stehen? Was kümmerte es nicht, daß er wie ein Wunderknabe sagen Sie zu der Tatsache, daß die POINT OF von allen Seiten angestarrt wurde. Daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Auch an die Tatsache, sich im Sternbild des Adlers befindet?“ Schweigen. Der Hyperfunk übertrug für Se daß man von ihm in schwierigen Situationen oft kunden nur das typische weiche Rauschen. Dann mehr erwartete, als er leisten konnte. Daß er ein klang Räuspern auf. Mike Doraner schluckte in Faible für unbekannte Techniken besaß und er sich in ihre Mentalität hineinversetzen konnte, seinem Flash. „Transistiert? Die POINT OF kann springen? hatte ihn in all den Jahren nie arrogant werden Und mein Flash ist gesprungen? Hat es in der lassen. Er wußte selbst nicht, wie er zu dieser POINT OF auch so scheußlich gepfiffen wie in Veranlagung kam. Dhark wiegte zweifelnd den Kopf. „Das Pfei meinem kleinen Boot?“ Erstaunlich schnell hatte er diesen freudigen Schock überwunden und fen? Diese akustische Kulisse? Doorn, enttäu konnte schon wieder Fragen stellen. schen Sie mich heute nicht. Wir alle haben je Ren Dhark gab das Gespräch an seinen nes berühmt-berüchtigte Brett vor dem Kopf. Freund ab. Die POINT OF ist ein Sprung-Schiff. Warum Er grübelte, Während es in der Zentrale leb haben wir diese Fähigkeiten vorher nie heraus haft wie selten war. Man konnte sich noch nicht gefunden, und wir hätten es so oft gut gebrau so schnell mit dem Gedanken vertraut machen, chen können, zu transistieren.“ daß der Ringraumer ebenso transistieren konnte, Für kurze Zeit schloß Doorn die Augen. Er wie alle anderen Schiffe jener unbekannten Ras- rekapitulierte noch einmal alle Vorgänge. sen, die sich aus der Milchstraße kommend in Das Etwas kam auf sie zu. Überlichtschnell. diesen Spiralarm geflüchtet hatten. Die Gedankensteuerung hatte das Schiff über Aber warum hatte ihnen die Gedankensteue nommen. Nach vielen Jahren zum ersten Male rung diese Sprungtechnik so lange vorenthalten? wieder. Die Ortungen waren ausgefallen. Die Und warum hatten sich darüber im Archiv der fußballgroßen Flächenprojektoren auf der inne Ringraumer-Höhle keine Mentcap-Unterlagen ren Seite der äußeren Unitallhaut hatten keine befunden? Er erinnerte sich ganz genau, danach Energien mehr dem Brennpunkt zugeführt. End verlangt zu haben, jedoch das Archiv hatte keine ergebnis: Zusammenbruch des Sternensogs. kreisrunde Scheibe ausgeworfen, um ihm eine Aber war der Ringraumer nicht von Kräften, die Mentcap zu liefern, die ihn darüber informieren von außen herankamen, in seiner hohen konnte. Überlichtfahrt abgebremst worden? Dann hatte es die beiden Mini-Welträume „Doorn, kommen Sie auf schnellstem Weg zur Zentrale.“ die Intervallfelder - nicht mehr gegeben, die Kurz darauf trat der bullige, oft wortkarge sonst immer den Schutz des Ringraumers über junge Mann ein. Er nahm die Hände nicht aus nommen hatte. den Hosentaschen, als er vor dem Commander Kein Sternensog! Also keinen Antrieb mehr, der Planeten stand. Für ihn war dieser Comman und das in relativer Nähe eines unbekannten, un der an allererster Stelle Ren Dhark, und an Bord sichtbaren Gegners, der schon vier Raumschiffe der POINT OF wurde er fast ausschließlich nur der TF verschlungen hatte. mit seinem Namen angesprochen, denn hier wa Kein Intervall! Kein To-Funkverkehr! Zu ren diese Männer, denen die Erde doch ihre Ret sammenbruch der Bildkugeln im Schiff. Aber neuartig das durchdringende Pfeifen, daß die tung zu verdanken hatte, unter sich. Hier verzichteten sie herzlich gern auf den Tonleiter hinaufgejagt war, ohne dabei lauter zu militärischen Zirkus, der eingeführt worden war, werden. te.
Das Pfeifen...? Arc Doorn fühlte, daß sich seine Gedanken in falscher Richtung bewegten, aber er kam von diesem Pfeifen nicht los. Ratlos zuckte er mit den Schultern. „Dhark“, sagte er und er sagte es gar nicht freundlich, „ich habe auch das berühmt-berüchtigte Brett vor dem Kopf. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wieso unsere POINT OF auf einmal zu einem Sprung-Schiff geworden ist.“ Ren Dhark war leicht enttäuscht, oder hatte er zuviel von Doorn erwartet? Der junge Mann, dessen Heimat Sibirien gewesen war, verließ die Zentrale. Am Checkmaster stand Anja, die dem Gespräch aufmerksam gefolgt war. Wie ein Blitz schoß es Dhark durch den Kopf. Der Checkmaster! Er mußte jetzt Auskunft geben! Er mußte! Und dann programmierte er seine Frage, an deren Beantwortung ihm so viel lag. Das Bordgehirn einer Technik, die vor tau send Jahren schon diesen Höchststand erreicht hatte, arbeitete. Gelb-Kontrollen leuchteten auf, verschwan den, aber Rot kam nicht. Dafür Grün. Und das Resultat. Im Auffang lag die längliche Folie. Etwas überhastet griff Dhark danach, las den Text in terranischer Schrift. Die Intervalle der POINT OF sind eine ab solute Transitionsbremse. Das gleiche gilt auch für alle Flash. Nur mit abgeschalteten Interval len kann der Ringraumer transistieren! „Wir werden nie auslernen .. .“, brachte Ren Dhark über die Lippen. Er gab die Folie an sei nen Freund Dan weiter. Das einfachste zu über sehen, bedeutete es zugleich nicht auch, daß der Mensch noch nicht reif war, die Technik der Mysterious zu begreifen? Der Alltag gab ihm keinen Spielraum länger darüber nachzudenken. Vom Planeten Hope aus dem Doppel-Sonnensystem Col kam ein Funk spruch. Wir haben eine wichtige Entdeckung ge macht, die das Verschwinden der FOI erklären könnte. Untersuchungsmaterial wird von der FLYING-DOG nach Alamo Gordo gebracht, gez. Colonel Huxley.
— ENDE —