Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 631 Anti‐ES ‐ Bars‐2‐Bars
Das Ende der Hohlwelt von Arndt Ellmer
Die Exped...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 631 Anti‐ES ‐ Bars‐2‐Bars
Das Ende der Hohlwelt von Arndt Ellmer
Die Expedition nach Schjepp
Die Expedition nach Schjepp von Arndt Ellmer Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher‐Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden‐X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx‐Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Anti‐ES und Anti‐Homunk auf der einen und Atlan und den Solanern auf der anderen Seite in einem solchen Maß, daß die SOL den Sturz ins Nichts wagt und dabei nach Bars‐2‐Bars gelangt, in die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehenden Sterneninsel. Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend, wie die Solaner bald erkennen müssen. Doch während für das Generationenschiff auf dem Planeten der Anterferranter eine Liegezeit wegen notwendiger Reparaturen anbricht, versucht Atlan mit seinem Team, einer neuen Spur zu folgen. Diese Aktionen bewirken DAS ENDE DER HOHLWELT …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide beschäftigt sich mit dem Geheimnis der Hohlwelt, Briss en Verzank, Tullo Wiesters und Tumy Zweuk – Drei Solaner im Einsatz. Marcoyn ‐ Ein Fetisch. Diphau ‐ Ein Prezzarerhalter. Vigo Manottel‐Zwark ‐ Ein uzerfonischer Kommandant.
PROLOG Tief im Innern einer Welt entstand Leben. Es begann nicht plötzlich. Die Voraussetzungen hatten sich lange Zeit entwickelt, und nun war es soweit. In einem kugelförmigen Himmelskörper entstand mitten in dem sich erfestigenden Gesteinskern das Leben, und es wuchs. Viele Jahrmillionen vergingen. Daß Leben – zunächst ein Einzelwesen von winzigem Umfang – gewann immer mehr an Kraft hinzu, und es breitete sich über den warmen Kern aus. Es suchte die Wärme, die langsam abnahm. Irgendwo in ihm mochte der von der Natur vorgegebene Drang gewesen sein, den Lebensraum zu erweitern und die Lebensfaktoren so zu gestalten, daß sie Überlebensfaktoren wurden und die Existenz gewährleisteten. Das Wachstum ging einher mit der stetigen Abnahme der Temperatur im Innern dieser Welt. Eines Tages stieß das Wesen an eine Grenze. Zwei natürliche Teile einer Genese berührten sich, ohne daß ein Gedanke entstand. Es war nicht einmal ein Instinkt, der hier seinen Anfang nahm. Es war viel zu früh. Es war wie die Entstehung einer Atmosphäre oder die Bildung eines Ozeans. Und wie Kontinente sich aus den Wogen heben oder ein Teil der Felsmassen im steigenden Meer versinkt, so festigte sich das Leben im Innern des Planeten. Lange Zeit blieb es so. Die äußeren Schichten des steinernen Himmelskörpers veränderten sich. Sie erstarrten zur
Unbeweglichkeit, und die dabei entstehenden Gase bildeten Wirbel um die Oberfläche, bevor sie sich in den Weltraum verflüchtigten und die noch glatte Oberfläche dem viele hunderttausend Jahre dauernden Beschuß durch Meteore und Meteorite aussetzten. Große Krater entstanden, und die Schutzhülle der Welt erhielt Risse und tiefe Wunden. Nur weiter im Innern änderte sich nichts. Die Bebenwellen verliefen sich und erreichten nicht jenen zentralen Bereich, in dem das Leben entstand und in dem es immer kälter wurde. Bald betrugen die Temperaturen dort nur noch wenige hundert Grad. In dieser Phase teilte sich das entstandene Lebewesen. Es bildete zwei kleine Körper, die zögernd der urspünglichen Größe des Einzelwesens entgegenwuchsen. Ihre Haut war nachgiebig und leicht deformierbar, und sie leuchteten in der immerwährenden Finsternis. Dies war die zweite Phase des Lebens, und sie ging einher mit der endgültigen Festigung ihres Lebensraums. Der nächste, richtungsweisende Schritt kam schnell. Überraschend schnell sogar. Es entstand ein Temperatursturz. Die beiden Wesen waren von der Natur darauf vorbereitet, denn sie bildeten nach wie vor eine Einheit mit ihr. Sie blähten sich in ihrem Lebensraum auf und teilten sich. Bald waren es sechzehn, bald zweihundertsechsundfünfzig. Kleine, perlenähnliche Gebilde waren es, und sie zogen helle Spuren an den harten Wänden des Planetenkerns. Das fast abgestorbene Gestein nahm die neuen Substanzen begierig in sich auf und speicherte sie. Es transportierte sie, und bald gab es überall Adern eines organischen Lebenssafts. Sie durchwanderten den Planeten und hinterließen ein Netz aus feinen, leuchtenden Spuren. Dreitausend winzige Lebewesen waren es nun, und ihre Entwicklung ließ keinerlei Hinweis auf die endgültige Erscheinungsform zu. Da traf ein kosmisches Ungeheuer den Planeten. Es war ein Trabant des Nachbarplaneten, dessen exzentrische Bahn eines Tages
zu dieser Katastrophe führen mußte. Er prallte gegen die steinerne Welt und riß sie fast auseinander. Sie behielt ihren Zusammenhalt, doch es entstand ein Riß, der bis tief hinein in den Kern reichte. Interstellare Gase drangen in die Welt ein, Sauerstoff und Wasserstoff und eine Anzahl von Edelgasen. Der Wind der riesigen, weißen Sonne brachte unsichtbare Lebenskeime, die sich in die Hüllen der winzigen Lebewesen bohrten und ihr Werk begannen. Der Riß im Planeten schloß sich wieder, und die Trümmer des fremden Trabanten füllten die äußeren Spalten und Gräben auf. Die Beinahe‐Katastrophe trug den entscheidenden Impuls in sich. Im Kern der Welt bahnte sich eine Entscheidung an. Die Lebewesen, die sich herausbildeten, waren klein und unscheinbar. Sie waren Bällchen von rosaroter Farbe und bewegten sich auf winzigen Beinchen fort. Acht Stück waren es, die sich um das Unterteil ihres Körpers formierten und so eine Art Bezugspunkt für unten und oben schufen. Die kleinen Lebewesen spürten, wie die Welt um sie herum immer mehr erstarrte. Längst war draußen die Sonne von grellem Weiß über Weißblau in einen blauen Zustand übergegangen. Aber von dem, was draußen war, spürten die Wesen nichts. Es wurde noch immer kälter, und sie begannen, sich die Energie einzuverleiben, die sie zum Überleben brauchten. Die Bällchen begannen zu fressen. Wieder vergingen Hunderttausende von Jahren. In dieser Zeit hatten sie sich einen Hohlraum geschaffen, der für sie zum Kern ihres Lebens wurde. In die Umhüllung dieses Hohlraums fraßen sie sich Nischen und kleine Höhlen, in die sie sich zurückzogen, jeder für sich allein. Gleichzeitig erwachte in ihnen das Gespür füreinander. Sie reagierten ängstlich und ungestüm, und nur die kräftigsten überlebten. Sie vermehrten sich, und bald war die ursprüngliche Zahl wiederhergestellt. Sie spürten einander, und sie begriffen ohne Gedanken, daß es von
ihnen viele gab, daß nicht jeder allein existierte. Sie begannen zu tasten, und sie folgten den leuchtenden Adern im Gestein, die sich in der Vergangenheit ausgebreitet hatten und hell leuchteten. Die winzigen Wesen fühlten die Wärme, die davon ausging, ohne das Dämmerlicht zu sehen. Sie folgten instinktiv den Spuren phosphoreszierenden Lebens. Und sie fraßen weiter und weiter. Der Hohlraum wuchs und wuchs, ohne daß sich die Menge der Wesen entscheidend vergrößert hätte. Es war ein kleines Volk, das ungestüm nach außen drängte. Es war nicht intelligent und konnte keine Unterscheidung zwischen drinnen und draußen treffen. Einer der Evolutionsschritte hatte jedoch einen Impuls hinterlassen. Er bewirkte, daß sie sich instinktiv nach außen wandten und langsam und stetig, wie von einem immerwährenden Hunger beseelt, nach außen fraßen, der schützenden Außenhaut ihres Lebensraums entgegen. Irgendwann empfing der erste von ihnen eine Empfindung. Sie stammte nicht aus ihm selbst, und sie kam nicht als emotionaler Laut aus der Sprech‐ und Eßöffnung. Es war ein geistiger Impuls, der jeglicher Intelligenz entbehrte. Aber er war ein Signal, der die Zusammengehörigkeit sprunghaft ansteigen ließ. Von da an verursachte das Absterben eines der Ihren Schmerz, eine Geburt Wohlbehagen. Und der Planet verlor in seinem Innern mehr und mehr an Masse. Jetzt gab es keine sprunghaften Entwicklungsabschnitte mehr wie früher. Das Leben in der steinernen Welt verlief ruhig und ohne Unterscheidungen in Tages‐ oder Jahreszeiten. Das Leben im Stein bedurfte nicht der Ausbildung von Seh‐, Hör‐ oder Riechorganen. Irgendwann einmal, wenn der Stein und die in ihm gespeicherten Substanzen aufgebraucht waren, würde es keinen Lebensraum mehr geben. Dann war auch die Existenz dieser Wesen zu Ende. So hatte die Evolution es bestimmt, und so würde es geschehen, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Die rosaroten Bällchen
konnten es nicht wissen, denn sie hatten keine Gedanken, wenngleich sich ihre Instinktfähigkeit immer deutlicher entwickelte und im Lauf der Zeit ein geordnetes Gruppen‐ und Einzelverhalten herausbildete. Für diesen Zweig der Evolution war es zu spät. Mit den ersten Anzeichen von Intelligenz war nach schier unvorstellbarer Zeit die Stunde der bitteren Wahrheit gekommen. Der Innendruck des Planeten sank ständig, und bald hatte die äußere Gesteinskruste dem nichts mehr entgegenzusetzen. Die schwächlich gewordene, steinerne Hülle drohte in sich zusammenzustürzen. Die Wesen waren ein Teil ihrer Welt, wie alle Lebewesen auf ihren jeweiligen Planeten. Sie spürten die Gefahr, und die unbestimmbare Angst verlieh ihnen wahre Wunderkräfte. Die ersten Gedanken entstanden, und sie symbolisierten die Zukunft und den Untergang. Zaghaft entstanden die ersten Begriffsversuche an der Schwelle zu einer anderen Zeit. Da begann der Schutzwall aus Stein zu knirschen. Felsen lösten sich und rasten als Geschosse durch den Hohlraum. Sie töteten die ersten Bällchen und richteten eine heillose Verwirrung an. Das Durcheinander war so groß, daß sie es in ihrer Panik nicht einmal wahrnahmen, wie sich ein künstliches Loch in der Hülle ihrer Welt bildete und eine Metallkugel hereintrieb, der fremdartige Riesen entstiegen. Die Nähe der Eindringlinge ließ die Bällchen ruhiger werden. Sie rotteten sich zusammen und erstarrten. Ihre Angst schwand, und das Unbegreifliche konkretisierte sich zu einem Gedankenwort, das alle erfüllte, ohne daß faßbar war, von wem oder welcher Gruppe das Wort gekommen war. »Warbel« lautete der geistige Impuls. Warbel war das Wort für ihre Welt, für ihren Lebensraum. Warbel war ihr Leben, das von der Natur gefährdet war. Warbel mußte unter allen Umständen erhalten werden.
1. »Wir sind dran!« Tullo Wiesters schloß den Helm über seinem kahlen, tätowierten Schädel. Er wuchtete seinen Körper herum und musterte seine beiden Begleiter. Briss en Verzank hatte wie immer Mühe, die flammend roten Haare zu verstauen, die ihm bis auf die Schultern fielen. Er stopfte sie umständlich in die Halskrause des Einsatzanzugs, dann wies ein leichtes Klacken darauf hin, daß der Magnetverschluß eingerastet war. Auch Tumy Zweuk war soweit, und Wiesters legte den rechten Handschuh schwer auf die Kontaktstelle des Tür‐Öffners. In ihren Helmen schrillte der Alarm, und eine unpersönliche Stimme verkündete: »Alles hinüber in die CHYBRAIN. Alarmstart erfolgt in drei Minuten. Wer bis dahin nicht an Bord ist, muß sehen, wo er bleibt!« Die Tür glitt auf, und die beiden Solaner und die Solanerin spurteten los. In einer Entfernung von dreißig Metern blinkte die Lampe einer Außenschleuse. Sie rannten darauf zu und konnten es kaum erwarten, daß sie sich öffnete und sie hinaus ins Freie ließ. Dreihundert Meter entfernt stand der Kreuzer auf der Oberfläche von Uzerfon. Aus fünf Meter Höhe sprangen die drei auf den Boden hinab. Links und rechts von ihnen lösten sich Schatten von der FARTULOON, es waren die Mitglieder der anderen Einsatzgruppen. Alle spurteten los. Nach hundert Metern begann Tullo Wiesters zu keuchen. Der 1,85 große, untersetzte Mann bekam keine Luft mehr. »Langsamer!« hustete er. »Wir sollen ja nicht um unser Leben laufen!« »Ruhig bleiben, Schlange«, klang Briss en Verzanks Stimme in seinem Helmempfänger auf. »Wir haben es gleich geschafft!« Sie rannten auf die Bodenschleuse der CHYBRAIN zu. Aus den
Augenwinkeln sahen sie Uzerfoner, die aus sicherem Abstand ihr Vorgehen verfolgten. Sie hatten sich in einem Halbkreis jenseits der beiden Beiboote der SOL versammelt. Ihre dunkelblauen Kugelleiber leuchteten im Licht Masilans. »Das haben wir alles den Uzerfonern zu verdanken!« zischte Tullo. »Warum muß Atlan sich auf so etwas einlassen!« »Es ist ein einfaches Zeichen der Freundschaft«, sagte Tumy Zweuk. Zum ersten Mal seit dem Verlassen des Depots für Raumanzüge sagte sie etwas. »Atlan will dem Lin‐Khan einen Gefallen tun. Pooch Veletta‐Del mit seinem klingenden Titel interessiert sich brennend für die Technik, mit der wir arbeiten.« »Ich traue diesem fremdartigen Geschöpf nicht«, murmelte Briss düster. »Überhaupt ist in dieser Galaxis alles so unbestimmt und unergründlich. Anstatt Bars‐2‐Bars sollte man sie die Große Sinnlosigkeit nennen!« »Es steckt hinter allem ein Sinn«, erwiderte Tumy. »Selbst in Schlanges keuchendem Atem.« Sie erreichten die Bodenschleuse und warfen sich hinein. Das sanfte Feld des Antigravs erfaßte sie und trug sie empor. Ihr Ziel war die Zentrale des Kreuzers, und als sie in den leeren Saal hineinstürzten, kamen sie sich einsam und verlassen vor. Von den übrigen Einsatzgruppen war nichts zu sehen und zu hören. Sie ließen sich in die Sessel fallen, und die Minikamera, die ihnen unbemerkt gefolgt war, schwenkte ab und verließ den Kreuzer. Sie kehrte zur Korvette MT‐K‐20 mit dem Eigennamen FARTULOON zurück. »Was jetzt?« dröhnte Tullo Wiesters. »Da versuchte doch einer mal, einen Kreuzer mit nur drei Mann Besatzung zu fliegen. Die siebenmal geringelte Schlange soll mich holen, wenn das klappt!« »Du bist blind wie ein Olm«, lachte Briss. »In unserem Fall klappt es auf alle Fälle. Wozu haben wir eine autarke Positronik?« »Du bist durcheinander«, sagte Tullo sofort. »Du weißt genau, daß jedes Beiboot eine übergeordnete Entscheidungseinheit hat, und das
ist SENECA!« Briss en Verzank ließ einen Monitor aufleuchten und zeigte auf das Signal, das dort erschien und nach kurzem Flackern ruhig wurde. Er schlug sich mit einem Handschuh auf den Oberschenkel, daß die Außenmikrophone der noch immer geschlossenen Helme ein klatschendes Geräusch übertrugen. »Wir sind in der CHYBRAIN!« betonte er. »Oder weißt du nicht, was das heißt?« »Er hat es vergessen; unser glänzender Hyperingenieur«, lachte Tumy Zweuk. »Schlange hat sich das Hirn verbrannt!« Jetzt begriff Tullo, den sie alle Schlange nannten, weil er auf seinem kahlen Schädel eine sich ringelnde Schlange tätowiert hatte. Er hatte es tatsächlich vergessen, daß die beiden Schiffe des Atlan‐ Teams mit von SENECA unabhängigen Positroniken versehen waren und über einen eigenen Plasmateil verfügten. Die beiden SOL‐Beiboote waren in den letzten Wochen und Monaten verstärkt zum Einsatz gekommen. »Warum sagst du das nicht gleich«, zürnte Tullo mit dem unschuldigsten Gesicht des Universums. »Das weiß doch jedes Kind!« »Weiß es auch eine blinde Schlange?« fragte Briss zurück. Bjo Breiskoll meldete sich in seiner kurzen, zurückhaltenden Art und erklärte die Übung für beendet. Er beorderte die Einsatzgruppen zurück in ihre Quartiere in der FARTULOON. Überall um die Zentrale der CHYBRAIN tauchten jetzt die Angehörigen der Kreuzerbesatzung auf, die sich weisungsgemäß in ihren Kabinen aufgehalten hatten. »Lin‐Khan und seine Begleiter ziehen sich soeben zurück«, teilte Bjo mit. »Die Uzerfoner wollen zunächst einmal abwarten, was wir bei unserem Ausflug nach Schjepp erreichen.« »Uns geht er ja nichts an«, kommentierte Tumy Zweuk, aber eine lachende Stimme schnitt ihr schmerzhaft in die Hörnerven. »Da täuscht ihr euch«, sagte Atlan. »Ihr wart von allen Gruppen
die schnellste. Als Belohnung dürft ihr mitfliegen!« »Mit der CHYBRAIN?« japste Tullo. »Da soll doch gleich die siebenmal geringelte Schlange dazwischenfahren.« »Bleibt an Bord und laßt euch Unterkünfte zuweisen«, verkündete der Arkonide. Danach herrschte Stille in den Funkgeräten. »Also, räumen wir diese Sessel«, meinte Briss. Er klappte den Helm zurück und schüttelte seine Mähne. Der 1,67 Meter große Mann mußte zu seinen Begleitern aufschauen. »Es werden ganz andere Kaliber darin Platz nehmen.« »O Göttin Serpentia!« Schlange konnte es noch immer nicht fassen. »Wir nach Schjepp. Das Glück ist uns hold.« »Und das nur, weil du dich fast zu Tode gerannt hast«, zog Tumy ihn auf. »Du solltest mal abspecken.« »Schjepp!« wiederholte Tullo Wiesters verträumt. »Wir fliegen den Hohlplaneten an.« »Schjepp!« machte Briss. »Es hört sich an, als seist du noch immer außer Atem. Am besten ist es, ich ziehe mich zur Beratung mit meinem Band von Viniard zurück. Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, dich vor dem Infarkt zu retten!« * »Schjepp!« sagte Atlan. Er stützte sich auf die Rückenlehne des Sessels, in dem Vorlan Brick saß. Der lange der beiden Zwillinge hielt die Augen geschlossen und döste vor sich hin. Als Pilot der FARTULOON unterstand er Breiskoll, der das Kommando über die Korvette innehatte. Von Atlans Anwesenheit im Zusammenhang mit dem für die Uzerfoner veranstalteten Spektakel schien er keine Notiz zu nehmen. Der Arkonide war sich jedoch sicher, daß Vorlan jedes seiner Worte in sich aufnahm und jede Tonschwankung registrierte. »Start in zwanzig Minuten«, fuhr Atlan fort. »Hage hat berechnet,
daß es einem guten Piloten gelingen müßte, den Energieschirm und die Gesteinskruste des Hohlplaneten in einem winzigen Linearmanöver mit anschließendem Bremsmanöver zu durchdringen, ohne daß das Schiff dadurch Schaden erleidet.« Seine rötlichen Augen suchten Uster Brick, den Chefpiloten der CHYBRAIN. Der kleine Mann verzog das Gesicht zu einem Ausdruck unbeteiligter Lässigkeit. Er wollte zum Ausdruck bringen, daß das für ihn kein Problem war. »Was geschieht, wenn euch etwas zustößt?« fragte Bjo. »Wäre es nicht besser, wenn die FARTULOON gleich mitkäme?« Atlan schüttelte den Kopf. Er wollte nicht beide Schiffe gleichzeitig aufs Spiel setzen. Die FARTULOON bildete die stille Reserve, den letzten Rettungsanker. »Ihr bleibt und startet erst, wenn wir euch rufen«, erwiderte er. »Daß wir uns über Funk bemerkbar machen können, dafür müssen wir selbst sorgen.« Er nickte Uster Brick zu. Der Zwilling setzte sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Er verstand Atlans Ungeduld. Der Arkonide wollte das Geheimnis Schjepps möglichst schnell ergründen. Er wollte dorthin zurückkehren, wo er sich seiner Meinung nach mit Tyari bereits aufgehalten hatte. Er war in einer Hohlwelt gewesen, und die Daten Schjepps wiesen darauf hin, daß es sich bei dem achten Planeten um einen Hohlkörper handelte. Irgendeine Macht maß Schjepp eine große Bedeutung zu. Sie hatte bisher so taktiert, daß die Uzerfoner keine Gelegenheit gefunden hatten, dem Nachbarplaneten einen Besuch abzustatten. Rypam mußte damit zu tun gehabt haben, aber der Prezzarerhalter hatte sich selbst getötet. Leider war dabei auch sein Fetisch umgekommen. Von den Uzerfonern hatte man keine Angaben über Schjepp und seine Bedeutung erhalten können. Dieses Volk hatte zudem mit einem existenzbedrohenden Problem zu kämpfen. Es lebte auf einer sterbenden Welt, deren Atmosphäre sich langsam verflüchtigte. Die
Wüstengebiete breiteten sich immer weiter aus, und die Durchschnittstemperatur stieg gleichmäßig an. Die Uzerfoner hatten die fremden Besucher von der SOL um Hilfe gebeten, und sie hatten sie ihnen zugesagt. Aus der FARTULOON‐ Positronik hatten sie ihren Computern alle Informationen und Daten überspielt, die dieses Volk zur Entwicklung der interstellaren Raumfahrt benötigte, wenn es sich eines Tages unter dem Zwang der Ereignisse aufmachte, um sich eine neue Heimatwelt zu suchen. Irgendwo in der kreuzförmigen Galaxis würde es einen unbewohnten Planeten finden. Atlan folgte Uster Brick hinaus. Sternfeuer und Joscan Hellmut waren bereits auf dem Weg hinüber zur CHYBRAIN. Auf Anweisung des Arkoniden blieb das Scientologen‐Team Nockemann/Blödel als stille Reserve auf der FARTULOON zurück. Atlan war entschlossen, das Rätsel um den Hohlplaneten und den Fetisch Marcoyn zu lösen. Er erhoffte sich so eine Spur, die zu den Prezzarerhaltern, den Rätseln von Bars‐2‐Bars und letztlich zu Anti‐ ES führte, das sich im Besitz der Koordinaten von Varnhagher‐ Ghynnst befand. Bei allem, was sich ereignete und was er tat, würde er sein eigentliches Ziel nie aus den Augen verlieren. Er hatte einen Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen. * Tyari langte nach dem Kästchen und öffnete den Deckel. Ihre überlangen Fingernägel kratzten an dem Metall. Der Insasse des Kästchens löste sich von der winzigen Versorgungsanlage und bewegte sich ein oder zwei Zentimeter zur Seite. Tyari, äußerlich fast das weibliche Ebenbild zu Atlan, war biologisch ein Mensch. Zum wiederholten Mal setzte sie ihre telepathischen Fähigkeiten gegen das kleine, rosarote Bällchen ein,
ohne einen Erfolg zu erzielen. War es ihr als einzige der SOL‐ Telepathen möglich, die Gedanken von Prezzarerhaltern auszuspähen, bei ihren Fetischen versagte auch sie. »Marcoyn«, sagte sie, »wir sind auf dem Weg nach Schjepp. Was weißt du über Schjepp?« Sie kippte das Kästchen ein wenig, und der kleine Fetisch stieg auf seinen acht Beinchen heraus und verharrte reglos auf der Tischplatte. »Nix wissʹ von Schjepp«, piepste er in deutlichem Benetisch. »Schjepp isʹ Schjepp. Nix stinkʹ.« Die Andrucksabsorber ließen es nicht zu, daß die Solaner in der CHYBRAIN den Start von Uzerfon mitbekamen. Lediglich die Anzeigen der Maschinen und die Eindrücke des Bildschirms vermittelten etwas davon, was sich wie ein Film abspielte. Der Kreuzer stieß in den Weltraum hinaus und entfernte sich in einer weiten Kurve aus dem Schwerkraftbereich des Planeten. Er benutzte die Gravitation des Planeten, um die günstige Flugbahn zum Nachbarplaneten ansteuern zu können. Augenblicklich änderte der Fetisch seine Position. Dort, wo sich seine Körperöffnung zur Nahrungsaufnahme befand, mußten auch die wichtigsten Organe und Sinne des kleinen Körpers liegen, denn er richtete sie immer in eine ganz bestimmte Richtung aus. So hatten die Solaner das Masilan‐System gefunden. Seit der Landung auf Uzerfon galt Marcoyns Aufmerksamkeit ohne Zweifel dem Himmelskörper, den die Uzerfoner Schjepp nannten. Atlan trat zu Tyari. Fasziniert musterte er das kleine Wesen, während Uster Brick eine kurze Linearetappe einleitete. Binnen weniger Sekunden änderte sich das Bild auf dem Schirm, und sie sahen den achten Planeten unter sich. Die Werte der Orter blieben mit denen der ersten Messungen identisch. Schjepp konnte nur in begrenztem Sinn ein Planet genannt werden. Von außen erkannte man eine Energiehülle, deren Ursprung allein künstlich sein konnte. Der Planet besaß ein
Hundertstel der Erdmasse, und sie befand sich als 48 Kilometer dicker, kugelförmiger Ring dort, wo die eigentliche Oberfläche sein mußte. Schjepp war eine Hohlwelt. Auf der Außenseite des Gesteins gab es weder Pflanzen, noch Tiere oder Wasser. Auch Gebäude wurden nicht festgestellt. »Warum richtest du dich an Schjepp aus?« fragte Atlan. »Es muß einen Grund haben, Marcoyn!« »Schjepp bleibʹ Schjepp, Atlan«, erwiderte der Fetisch, von dem sie das Wichtigste über die Gruppe der Prezzarerhalter erfahren hatten. Nicht in allen Fällen war klar, ob sie Marcoyn richtig verstanden hatten. Soviel jedoch hatten sie herausgefunden: Die Prezzarerhalter waren eine Geheimorganisation aus sehr alten Beneterlogen. Sie besaß wahrscheinlich einen zentralen Sitz. Mit Hilfe der Fetische kommunizierten die einzelnen Mitglieder untereinander. So bauten sie ein gemeinsames Wissen auf. Die Prezzarerhalter suchten nach den Spuren Prezzars, ohne jedoch welche zu finden. Wie bei der Völkern von Bars war es auch ihr Bestreben, die beiden Galaxien wieder zu trennen. Die Prezzarerhalter standen dabei in mißtrauischer Distanz zu EGEN, der geheimnisvollen Führerpersönlichkeit der Beneterlogen. Seit dem Tod der Prezzarerhalterin Kulia Aogi konnte Marcoyn keine Informationen mehr liefern, da die geistige Verbindung zu den Fetischen der übrigen Prezzarerhalter abgebrochen war. Marcoyn war einsam, sofern er ein solches Gefühl überhaupt besaß. »Ich glaube nicht, daß der Fetisch uns weiterhelfen kann«, meinte jetzt auch Sternfeuer. Die Telepathin kam zu dem Tisch herüber, auf dem Marcoyn ruhte. »Wir sollten den Sprung ins kalte Wasser wagen!« »Wie sieht es aus?« Atlan blickte fragend auf Uster Brick. Der Zwilling rasselte die Daten wie ein Computer herunter. »Genaue Distanz zum Sprung siebenhunderttausend Kilometer. Aber wir müssen unsere Energie drastisch reduzieren. Ich habe ein Drittel der Kraftstationen abgeschaltet. Die Automatik ist
programmiert. Sollten wir mit der Gesteinsschicht in Berührung kommen, wird sofort ein Notsprung eingeleitet.« Atlan nickte und steuerte den Kommandantensessel an. Er ließ sich hineinsinken und gab Alarmbereitschaft für alle Stationen. Die Schutzschirme wurden hochgefahren, eine Sirene wimmerte herzzerreißend. Irgendwo fiel ein Teil eines Schutzanzugs zu Boden und blieb unbeachtet liegen. Erst ein paar Minuten später rollte ein Roboter herbei, klaubte es auf und steckte es in den Schrank zurück, dessen Tür nicht ordnungsgemäß verschlossen gewesen war. Dann kam der Sprung. Er dauerte nur Bruchteile von Sekunden, und das Aufheulen im Schiff bewies, daß die Triebwerke mit Höchstleistung abbremsten. Es war fast finster auf dem Bildschirm in der Zentrale, doch die Orter lieferten ein exaktes Abbild eines Hohlraums. Es war geschafft. »Wir sind durch«, stellte Uster Brick mit leuchtenden Augen fest. »Und das ohne Hindernis. Was würde der Lin‐Khan sagen, wenn er an Bord wäre?« Der Monarch Uzerfons hatte sich eingehend für die Technik seiner Besucher interessiert, und der Grund lag auf der Hand. Es ging um das Schicksal seines Volkes. Oder gab es einen weiteren Grund? Seit ihrer Absichtsbekundung, Schjepp anzufliegen, hatte Veletta‐Del sie mit allem Möglichen aufgehalten. Seinetwegen hatten sie sogar eine Übung veranstaltet. »Atlan!« Tyaris Stimme klang unruhig. Das Geschöpf Tyars aus der Galaxis Bars fühlte sich hier in einem Farynt‐System nicht besonders wohl. »Es ist nicht gut, wie es gegangen ist!« Der Arkonide nickte düster. Auch ihm erschien es seltsam. So leicht hatte er sich das Vordringen in das Innere Schjepps nicht vorgestellt. »Alarmbereitschaft bleibt bestehen«, sagte er. »Uster, alle Energien auf die Schirme!« Im Augenblick glaubte er sogar, in eine tödliche Falle geflogen zu sein. Das siegessichere Lächeln Rypams im Moment seines Todes
stand ihm vor Augen. »Warbel!« vernahm er die leise Stimme Marcoyns. Der Fetisch bewegte sich. Er hüpfte auf dem Tisch umher und machte ein paar Überschläge, indem er sich rollte und die Beinchen nach oben streckte. »Warbel, Warbel!« wiederholte er, aber sie verstanden nicht, was er meinte. 2. Tullo Wiesters unterschied sich außer der tätowierten Glatze auch durch seine Kleidung von seinen Begleitern. Er trug eine schwarze, glänzende Kombination, die auf der Brust tief ausgeschnitten war und dort eine auffallende, dunkelbraune Haarpracht zeigte, während Briss und Tumy die hellgrünen Kombinationen der SOL bevorzugten. In schwankendem Seemannsgang ging Tullo um die beiden herum. Die Schlange auf seinem Kopf schillerte grün und blaugrau und zeigte eine schmale, messerscharfe Zunge in leuchtendem Rot. Zu allem Überfluß war sie an der Spitze in drei Enden gespalten. Tullos Schlangenkult und die entsprechenden Sprüche waren inzwischen überall bekannt. Seit er von der SOL in die FARTULOON und von dort in die CHYBRAIN gekommen war, gab es niemanden, der ihn nicht darauf angesprochen hatte. Tullo trug einen leicht geröteten Kopf zur Schau. Offensichtlich waren manche Frager mit ihren Bemerkungen nicht gerade zimperlich gewesen. »Schlange, du darfst die nächsten zehn Tage keine Nahrung zu dir nehmen«, säuselte Briss en Verzank. »Das ist das mindeste!« »Scher dich zur Schlange mit deinem Armband«, dröhnte Tullo. »Ich weiß selbst, wann ich genug habe!« Sie hatten sich mit Proviant für ihre Einsatzanzüge versorgt, aber
Tullo hatte fast die Hälfte davon im voraus verzehrt. Briss hob den rechten Arm. Am Handgelenk trug er ein drei Zentimeter breites Band aus rotgoldenem Harz. Darin waren fünf fremdartige Insekten eingegossen, die bei näherem Hinsehen an Minischildkröten erinnerten, jedoch von irgendeinem Ort in Xiinx‐ Markant stammten. Briss behauptete steif und fest, das Band würde seine menschlichen Instinktfähigkeiten anregen. Seit er es trage, habe sich bei ihm Geruchs‐ und Tastsinn verschärft. Sein Gespür für Gefahren und Außergewöhnliches sei gewachsen. Den Herkunftsort des Bandes bezeichnete er mit Viniard, aber das besagte nichts. Tumy Zweuk hatte bei SENECA Erkundigungen eingezogen. Die Biopositronik kannte in Xiinx‐Markant keinen Ort dieses Namens, und Briss schwieg sich aus, wo oder was Viniard war. »Hat das Band von Viniard mit dir gesprochen und dir diesen Ratschlag für Tullo erteilt?« wollte Tumy wissen. »In welcher Sprache redet es eigentlich?« »Benetisch oder Anterferrantisch, was sonst«, knurrte Schlange und freute sich, daß Briss wortlos den Arm sinken ließ und sich in den darauffolgenden Minuten schweigsam verhielt. Erst das Zirpen des Interkoms riß alle drei aus ihren Gedanken. Es war Uster Brick, dessen Kopf auf dem Bildschirm erschien. »Auf gehtʹs«, sagte der Chefpilot. »Wozu hat Atlan euch mitgenommen. Bewegt eure trägen Leiber!« »Einsatz!« pfiff Schlange. »Wir kommen!« Vier Minuten später standen sie in der Zentrale, und Atlan winkte sie zu sich. Er vermittelte ihnen das, was sie in der ersten halben Stunde über das Innere des Hohlplaneten herausgefunden hatten. Die Innenseite der Hohlkugel war von phosphoreszierenden Adern durchzogen, so daß in unmittelbarer Nähe des Gesteins ein ständiges Dämmerlicht herrschte. Die Schwerkraft betrug 0,05 g, war also vernachlässigbar. Für die Bewegungsfreiheit der Menschen war sie gleichbedeutend mit der Schwerelosigkeit. Die Felskruste war unregelmäßig und bot Zacken und Erhebungen dar, die die
Größe von Hügeln erreichten. Ab und zu waren in der Nähe der CHYBRAIN Leuchterscheinungen auszumachen, als gebe es dort minimale Konzentrationen eines nebeiförmigen Gases. »Die Scheinwerfer der CHYBRAIN reichen nicht weit genug«, sagte Atlan. »Auffällige Manöver wollen wir vorerst auch unterlassen, damit unsere Ankunft nicht verraten wird, falls sie einem möglichen Gegner bis jetzt entging. An der Grenze des optisch erfaßbaren Bereichs gibt es glatte Flächen, in denen so etwas wie Löcher zu erkennen ist. Dorthin richtet sich unsere Aufmerksamkeit!« »Warbel!« machte Marcoyn hinter der Menschengruppe, doch niemand achtete im Augenblick darauf. »Wer soll uns begleiten?« erkundigte sich Tumy. Aus ihrer Hüftgegend kam ein Pfeifton, der die Anwesenden aufhorchen ließ. »Ihr geht allein«, sagte der Arkonide mit einem Lächeln in den Augenwinkeln. »Was meint Chester dazu?« Eigentlich hatte er keinen Namen, jeder war so gut wie der andere. »Chester wird akzeptiert«, sagte eine dumpfe Stimme von Tumys Oberschenkel her. »Es wird vorgeschlagen, den Fetisch mitzunehmen.« Tullo musterte die Gesichter der Umstehenden und platzte laut heraus. »Geister im Schiff. Glaubt ihr an Geister?« Sternfeuer und Tyari wußten nicht recht, was sie mit seiner Äußerung anfangen sollten. Im nächsten Moment lächelte die Frau aus Bars‐2‐Bars. Sie hatte sich die Information aus Tumys Gehirn geholt. »Ein Prothesencomputer«, stellte sie fest. »Das ist der Geist!« »Marcoyn bleibt hier«, meinte Atlan. »Er ist zu wichtig. Wir setzen seine Existenz nicht leichtfertig aufs Spiel!« Dabei blieb es, und die drei Solaner zogen ab. Sie kehrten in ihre Kabinen zurück und meldeten sich kurz darauf in ihren Einsatzanzügen an einer der Schleusen. Atlan meldete sich über
Bordfunk. »Beim geringsten Anzeichen von Gefahr kehrt ihr zurück«, schärfte er ihnen ein. »Viel Glück!« »Danke«, sagten sie gemeinsam. Und Schlange fügte hinzu: »Ob wir alles wissen, was nötig ist?« »Ja«, meldete sich der Computer in Tumys Beinprothese. Er hatte seinen Standort im oberen Teil des Oberschenkels und verfügte über einen Funkteil sowie einen Außenlautsprecher. Briss und Tullo hatten sich schon oft gefragt, wie Tumy gehen konnte, ohne daß man ihr etwas anmerkte. Nicht einmal unter der Dusche fiel die Prothese auf. Sie war von Biomasse überzogen, die von Tumys Haut nicht zu unterscheiden war und alle Bewegungen und sogar das Spiel der Muskeln ausführte. »Was meint das Band von Viniard?« fragte Schlange weiter. Er schien seinen Mund nie halten zu können. Briss en Verzank gab keine Antwort. Die Innenschleuse hatte sich hinter ihnen geschlossen. Ein Licht zeigte an, daß die Luft abgesaugt wurde. Das Außenschott der Schiffshülle glitt zur Seite, und übergangslos umfing sie die Nacht. Briss gab Tullo einen Stoß in den Rücken, und der Hyperingenieur taumelte hinaus in die Bodenlosigkeit. * Das Innere von Schjepp wartete mit einigen physikalischen Unmöglichkeiten auf. So gab es dicht über der Felsoberfläche eine einigermaßen dichte Luftschicht. Menschen konnten hier für begrenzte Zeit atmen, ohne ersticken zu müssen. Länger als eine halbe Stunde hielten sie es jedoch nicht aus. Zudem enthielt die Luft einen hohen Prozentsatz Sauerstoff, der zu Euphorie führte oder zu einem regelrechten Sauerstoffrausch. Welche Technik diese Luftschicht am Boden hielt, war nicht erkennbar.
Zwei Kilometer über dem Boden war die Gaskonzentration so dünn, daß sie fast dem Vakuum draußen im Weltraum gleichkam. Briss en Verzank winkte seinen Begleitern, wobei er die Stablampe aufblitzen ließ. Er verzichtete darauf, sich über Funk verständlich zu machen, denn es bestand Abhörgefahr. Er aktivierte sein Rückstoßgerät, und Tullo und Tumy taten es ihm nach. Nach einem kurzen, kräftigen Schub schalteten sie es wieder ab und trieben der Oberfläche des Gesteins entgegen. Einen guten Kilometer waren sie entfernt, und ihre Geschwindigkeit blieb ziemlich gleichmäßig. Es fehlte die Anziehungskraft, die sie auf den Boden hinabriß. Minutenlang trieben sie schweigend dahin. Das neblige Schimmern vor ihnen entpuppte sich nach und nach als ein feines Gespinst aus phosphoreszierenden Adern, die das Gestein durchzogen. Ab und zu leuchtete an verschiedenen Stellen ein Licht auf, das sie an die Nordlichter verschiedener Planeten erinnerte, die ein starkes Magnetfeld besaßen. Allerdings blieben diese Erscheinungen auf winzige Flächen beschränkt. Mehr als ein heller Nebelfleck war nicht auszumachen. Wieder gab Briss mit seiner Lampe ein Zeichen. Diesmal war der Lichtkegel nicht scharf und bündelig wie beim ersten Mal. Er verschwamm und zeigte einen leicht bläulichen Hauch. Sie befanden sich in dem Bereich erhöhter atmosphärischer Konzentration, und der Gesteinsmantel kam sichtbar näher. Briss wendete umständlich und setzte seine Geschwindigkeit mit einem kurzen Bremsstoß herab. Er brachte sich in eine Position, bei der seine Beine senkrecht zur Oberfläche zeigten. Sekunden später setzten sie auf. Tullo landete auf allen vieren, und Tumy setzte sich wie auf einen Stuhl hin. Ein leiser Seufzer kam über ihre Lippen, doch sie hatte ihr Funkgerät desaktiviert. Niemand hörte sie. Briss en Verzank setzte sich in Bewegung. Der Gravotechniker kam mit den unnatürlichen Bedingungen am besten zurecht. Er federte leicht vom Boden ab und legte eine Strecke von gut dreißig
Metern zurück. In elegantem Bogen segelte er durch die Luft. Bei Tullo Wiesters sah das Manöver eher grotesk aus. Im leichten Dämmerschein des Bodens hüpfte er wie ein Nilpferd davon und landete unsanft zwischen zwei Felsen, die spitz in die Höhe ragten. Sie standen eng beisammen, und er verklemmte sich mit seinem Anzug regelrecht. Er ruderte mit den Armen und öffnete und schloß lautlos den Mund. Tumy kam neben ihm an und zog, aber sie brachte ihn nicht gleich frei. Briss en Verzank schüttelte den Kopf hinter seiner Helmscheibe. Er deutete an, daß sie zurückbleiben sollten. Dann ging er weiter, aber Tullo hielt ihn auf. »Bei der zwölfmal geringelten Schlange!« fluchte er los. »Soll ich hier ewig sitzen?« »Haltʹs Maul«, zischte Briss. »Absolute Funkstille! Ich werde die ringförmige Felsformation dort drüben untersuchen!« Er entfernte sich und machte einen großen Bogen. Die vernachlässigbare Gravitation ermöglichte ihm ein unbemerktes Anschleichen. Briss spürte den Druck des Armbands unter seinem rechten Handschuh. Dort vorn war etwas, redete er sich ein. Die Ringfelsen waren nicht natürlichen Ursprungs. Wie aufgeklebt lagen sie vor ihm. Vorsichtig bewegte er sich darauf zu. Er schob sich in einen Einschnitt hinein und suchte nach dem Boden. Er fand ihn nicht. Das Gestein im Innern der Felsformation besaß keine Leuchtadern. Absolute Dunkelheit herrschte, und der Gravotechniker ließ die Lampe aufblitzen. Blaue Quader lagen am Boden eines kleinen Kraters. Wie Igel waren sie mit einer Unzahl Antennen bestückt, und ringsherum besaßen die Steine und Brocken halbkugelförmige Aufsätze. Jetzt glaubte Briss auch ein leises Surren zu hören, das aus der Tiefe kam und von den Außenmikrophonen seines Anzugs aufgenommen wurde.
Welche Funktion die technische Anlage besaß, war nicht erkennbar. »Tumy, Tullo«, raunte er. »Kommt her zu mir. Ich brauche Unterstützung!« Er erhob sich zögernd und schätzte die Distanz ab. Er wollte hinabspringen und die Anlage untersuchen. Sie füllte den Krater ganz aus, der einen Durchmesser von rund sechzig Metern besaß. Die Quader lagen zwanzig Meter unter dem Niveau der Oberfläche. Briss erhielt keine Antwort von seinen Gefährten. Undeutlich erkannte er durch den Einschnitt, den er benutzt hatte, daß draußen zwei Schatten vorbeisausten. Tumy Zweuk ließ einen Ruf der Überraschung los, dann herrschte wieder Stille. Neben Briss explodierte ein Felsbrocken. Es gab keinen Lichtblitz, der auf eine Waffe hingewiesen hätte. Es gab nur einen donnernden Schlag, und dicht vor dem Gravotechniker ragte ein Gebirge empor, das vorher nicht dagewesen war. Ein Roboter! Es war ein Koloß von einer Maschine, und sie besaß mehrere Greifarme, die sie abwechselnd auf die Felsen herabsausen ließ. Wieder zersprang ein Stein, und Briss spürte die Aufschläge, die den Schutzanzug malträtierten. Mit einem riesigen Satz von mindestens vierzig Metern brachte er sich in Sicherheit. Der Roboter folgte ihm. Auch er hüpfte bedenkenlos durch die Luft, und seine Landung war mit einem mittleren Erdbeben vergleichbar. Briss reagierte sofort, aber die Maschine war schneller. Undeutlich sah er einen schlanken Schatten, der auf ihn zuraste. Etwas ringelte sich um seinen Körper und verdammte ihn zur Bewegungslosigkeit. Nur die Arme konnte er noch bewegen. »Tullo, Tumy!« rief er hastig. »Helft mir!« »Serpentia!« grölte Schlange. »Wir sehen dich. Was ist das für ein Monstrum!« Ein Pfeifen oder Jaulen folgte, und aus den Augenwinkeln heraus sah Briss, daß seine beiden Begleiter irgend etwas jagten. Für einen
kurzen Augenblick sah er ein winziges Etwas zwischen den Steinen der Oberfläche. Es bewegte sich auf ihn zu. Der Roboter stampfte heran und zog gleichzeitig das Stahltau ein, mit dem er Briss gefangen hatte. An dem Koloß öffnete sich eine große Klappe, hinter der helles Feuer loderte. Briss paßte gut zweimal in die Öffnung hinein. »Hilfe!« zischte der Gravotechniker, und fast übergangslos klang Atlans Stimme in seinem Helmempfänger auf. »Was macht ihr für einen Krach?« wollte der Arkonide wissen. »Habt ihr keine Lust, euch an die Funkstille zu halten?« »Lebensgefahr!« gurgelte Briss. Der Roboter war jetzt dicht über und neben ihm. Atlan hatte ihnen eingeschärft, beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort zurückzukehren. Und genau das erwartete der Arkonide in diesem Moment. »Zurück ins Schiff!« befahl er. Etwas sprang Briss en Verzank an. Es landete auf seinen Armen und rollte in seine Hände, die er schnell zu Halbkugeln formte. Keine fünf Meter von ihm entfernt tauchten Tullo und Tumy auf. Sie bremsten ab und blieben steif stehen. »Schießt!« brüllte Briss. »Macht dem Monster den Garaus!« Sie zögerten noch, aber da spürte der Gravotechniker, wie sich das Stahlseil um einen Körper löste. Es fiel ab, und der Roboter schloß die Klappe seines Konverters und rollte es ein. Gleichzeitig drehte er sich um und bewegte sich in Richtung der Ringfelsen. Er verschwand im Schatten der Steine. Die Umgebung war leer, als hätte es ihn nie gegeben. »Pffft!« machte Briss. »Das war Rettung in letzter Not!« Er starrte auf das kleine Ding in seinen Händen. »Marcoyn! Du hast das bewirkt? Es gibt keine andere Erklärung!« Der kleine, rosarote Ball pfiff und trällerte dann: »Bewirkt. Nix bewirkt. Blech bleibʹ Blech!« Wiesters und Zweuk waren heran. Sie faßten nach dem Bällchen, doch es entzog sich ihnen und blieb in Brissʹ Händen.
»Wer hat den Fetisch aus dem Schiff gelassen?« flüsterte der Gravotechniker. »Atlan, hörst du mit?« Ehe der Arkonide in der CHYBRAIN antworten konnte, stieß Tumy einen lauten Ruf aus. Ungläubig deutete sie hinter sich. Dort rasten etliche winzige Schatten über den Boden auf sie zu. Es waren alles Gestalten wie … »Kommt sofort zurück!« sagte Atlan jetzt. »Ihr redet irr. Irgendein Einfluß verwirrt euch! Marcoyn ist hier im Schiff!« »Bällchen!« lallte Schlange. »Lauter Bällchen. Ich werd verrückt. Wo kommen sie nur her?« Briss beugte sich vor und entließ das kleine Ding aus seinen Händen. Es rollte auf seine Artgenossen zu. »Schjepp«, machte es immer wieder. »Wir Schjepp. Viel Schjepper!« Die Außenmikrophone übertrugen die Worte auch in den Kreuzer. »Wenn das nichts ist«, sagte Tumy fast unhörbar. »Was meint ihr? Hat sich unser Ausflug gelohnt?« * »Warbel!« machte Marcoyn erneut, aber diesmal galt ihm die Aufmerksamkeit aller in der Zentrale des Kreuzers Anwesenden. Sie umstanden den Tisch, auf dem der Fetisch seine Kapriolen schlug. »Was ist Warbel?« fragte Sternfeuer. »Was bedeutet es, Marcoyn?« »Warbel isʹ Warbel«, kam es aus der Öffnung des Bällchens. »Es isʹ mein Heim. Warbel Heimat!« »Du stammst von Schjepp. Dein ganzes Volk lebt hier!« »Jepp!« quarrte der Fetisch. Atlans Augen leuchteten. Vergessen war das, was sich außer dem Erscheinen der Schjepper soeben auf der Innenfläche der Hohlkugel abgespielt hatte. Das Team aus Verzank, Wiesters und Zweuk befand sich auf dem Rückflug zur CHYBRAIN.
»Ein Teil des Rätsels ist also gelöst«, stellte er fest. »Schjepp ist bewohnt, und die Prezzarerhalter wußten davon.« Einmal mehr bestätigte sich eine Vermutung, daß er zusammen mit Tyari im Innern der Hohlwelt gewesen war. Das »Gehweg«, wie die Karymauner es bezeichnet hatten, war ein umfassendes Transmitternetz, das sich um eine zentrale Station rankte, die sich in dem Hohlplaneten befand. Etwas anderes noch war klar. Die Prezzarerhalter, die Zusammenballung aus rund tausend alten Beneterlogen, benutzte das Volk der Schjepper, um mit Hilfe der Fetische ein nicht abhörbares, funktionelles Nachrichtensystem zu unterhalten. Und das, obwohl die Fetische nicht gerade über eine besonders eindrucksvolle Intelligenz verfügten. Um so größer war jedoch ihre psionische Fähigkeit der Telepathie. Es stand fest, daß die Fetische damit auch die Gedanken der Prezzarerhalter abschirmten. Marcoyn und seine Artgenossen hatten es nicht freiwillig getan. Sie waren gezwungen worden, und die Anwesenheit eines Sprengsatzes in jedem Fetisch‐Kästchen war eine ständige Bedrohung gewesen. Mit Sicherheit gab es eine große Anzahl von Schjeppern, die sich in der Gewalt der Prezzarerhalter befanden. Etwa tausend sind es! meldete sich Atlans Extrasinn. Nicht mehr und nicht weniger. Gerade so viel, wie es Prezzarerhalter gibt! Die Fetische haben für sie eine überragende Bedeutung. Sie sind eigentlich der Nerv der ganzen Verschwörung. Die Prezzarerhalter werden alles daransetzen, unseren Vorstoß zu vereiteln! »Joscan«, sagte Atlan. »Das Trio hat eine technische Station entdeckt. Wir müssen unbedingt wissen, welche Funktion sie einnimmt. Es könnte sich um einen Transmitter handeln ähnlich dem, den Tyari und ich benutzt haben!« Hellmut nickte. Er gab Anweisung, die drei Solaner sofort nach ihrem Eintreffen in die Zentrale zu beordern. Sie mußten genau wissen, was sich auf den Felsen Schjepps abgespielt hatte.
»Wir landen«, entschied Atlan dann. »Wir stellen einen Kontakt zu den Schjeppern her. Marcoyn wird uns dabei eine große Hilfe sein. Irgendwie muß es eine Möglichkeit geben, seinem Volk gegen die Prezzarerhalter zu helfen.« »Wir könnten das Volk evakuieren«, sagte Tyari. »Es gibt genug Plätze in Bars‐2‐Bars, wo sie unentdeckt weiterleben können.« Atlan schüttelte den Kopf. Das war keine Lösung. Es ging darum, den Lebensraum der Schjepper zu erhalten und ihnen dadurch ihre Existenz zu sichern. Ein Volk, das im Innern eines Planeten seine Heimat hatte, konnte nicht ohne weiteres verpflanzt werden. »Wir gehen den direkten Weg«, erwiderte er. »Die Prezzarerhalter sind hier eingedrungen. Wir werden sie vertreiben.« »Falls sie sich blicken lassen«, warf Sternfeuer ein. »Ich glaube, da brauchen wir keine Sorge zu haben. Wir sind in ihr Allerheiligstes eingedrungen. Vergeßt Rypam nicht. Etwas wird geschehen. Nur der Zeitpunkt ist unklar.« »Wo wird es geschehen?« »Hier. Wir stehen unter Zeitdruck. Wir müssen den Transmitter finden und besetzen, bevor es zu spät ist!« Er gab Uster Brick einen Wink, und der Chefpilot setzte sich in seinen Sessel und steuerte die CHYBRAIN dem Boden entgegen. In unmittelbarer Nähe der Ringfelsenformation setzte sie auf. Scheinwerfer stachen durch das Halbdunkel und enthüllten ein trostloses, dunkelbraun bis gelbgrün schillerndes Oberflächenmosaik. An manchen Stellen wiesen dunkle Flecken auf Einbrüche oder Höhlungen hin. Übersät war dieses Muster mit einem dichten Teppich aus rosaroten Punkten. Das waren die Schjepper, und sie schienen das Schiff erwartungsvoll zu umlagern. »Sie wissen, daß Marcoyn bei uns ist«, sagte Sternfeuer. »Es gibt hier im Innern eine ungewisse telepathische Aura, eine Ausstrahlung. Sie gehört wohl zur Natur der Schjepper.« Auch Tyari spürte diese Aura und stimmte der Solanerin zu.
Atlan ließ die Bodenschleuse öffnen und eine lange, flache Rampe ausfahren. Er trug Marcoyn mit sich auf der Hand, um ihn bei seinem Volk abzusetzen. Dazu kam er jedoch nicht. Ein Gewimmel aus lauter Christbaumkugeln wogte plötzlich am unteren Ende der Rampe. Die Schjepper kamen herauf. In einem dichten, nicht enden wollenden Pulk strömten sie in die Schleuse und den dahinter liegenden Korridor. Erst vor dem Antigrav machten sie halt. »Marcoyn, sprich mit ihnen«, sagte der Arkonide und setzte das Bällchen ab. Sofort bildete sich eine Gasse für den Fetisch, und er eilte sie ein Stück entlang. Dann verhielt er und zog seine Beinchen ein wenig ein, so daß er auf dem unteren Ende seines Rumpfes zu ruhen kam. Absolute Stille kehrte in dem Korridor ein. Die Schleuse hüllte sich in einen Energieschirm, um ein stetiges Entweichen des Luftgemischs zu verhindern. Die Schjepper kommunizierten auf telepathischer Basis miteinander, aber weder Sternfeuer noch Tyari waren in der Lage, ihre Gedanken auszuspähen. Nach einer Weile setzte sich der Zug der Schjepper in Bewegung und strömte durch den Antigrav bis in die Zentrale hinauf. Wie ein Blumenbeet lagerten die rosaroten Bällchen auf dem Boden und verdammten die Solaner zur Bewegungslosigkeit. Atlan schaffte es gerade noch, eine Nische an der Tür zu ergattern, wo er sich hinstellen konnte. »Marcoyn, wie lange bleibt ihr?« fragte er. Eines der Bällchen glitt herbei und klammerte sich an seine Stiefel. Er nahm es auf. »Nix Marcoyn. Heißʹ Sofeyn. Gut, fein?« In der verwirrenden, bruchstückhaften Sprache eines Halbintelligenten, der für gewöhnlich keine akustischen Sprachwerkzeuge benutzte, erzählte Sofeyn nun, was im Innern Schjepps vor sich ging, das sie als ihre Heimat betrachteten, ohne von der Außenwelt zu wissen. Zentrum ihrer Furcht vor den anderen bildete der Ort ohne Wiederkehr. Ihn mieden sie ängstlich,
aber manchmal wurden einige Schjepper von dem Drang befallen, diesen Ort aufzusuchen. Sie verschwanden dann für immer und versetzten die Zurückbleibenden in große Furcht. Jetzt jedoch war Marcoyn gekommen und hatte sie aufgeklärt. Er hatte ihnen berichtet, was mit den verschwundenen Schjeppern geschah. Daß sie den Prezzarerhaltern als Sklaven dienten und in ständiger Todesangst lebten. Marcoyn kam mit Freunden, die ihm und seinem Volk helfen wollten. Die Schjepper hatten dies bereits gespürt, als die CHYBRAIN aufgetaucht war. Sie hatten Marcoyns Stimmung empfangen. Deshalb hatten sie den fremden Riesen geholfen, als der eine von dem Wächter des Kraters attackiert worden war. »Helf für Schjepp?« klapperte Sofeyn. »Ja«, sagte Atlan. »Ihr könnt beruhigt in eure Behausungen zurückkehren. Marcoyn wird mit euch gehen. Wenn es irgend etwas gibt, dann setzt euch mit uns in Verbindung. Die CHYBRAIN wird hier stehenbleiben!« Fasziniert verfolgte er den Abzug der Bällchen, und als letztes verließ Marcoyn die Zentrale. »Nix stinkʹ, du Atlan«, sagte er. Es war das größte Kompliment, das ein Schjepper einem anderen Wesen machen konnte, doch Atlan verstand es nicht in seiner ganzen Bedeutung. Er wußte nur eines: Er wollte dieses Volk von der Unterdrückung durch die Prezzarerhalter befreien. »Macht die CHY‐A klar«, sagte er zu Uster Brick und Joscan Hellmut. »Wir werden mit der Space‐Jet nach dem Ort ohne Wiederkehr suchen.« »Ich komme mit«, sagte Tyari. Der Arkonide nickte. Es war ihm recht. Er hatte einen ganz bestimmten Verdacht, worum es sich bei dem Ort ohne Wiederkehr handelte.
3. Die PFLEIDERHEGGE hatte sich heimlich auf den Weg gemacht. Sie driftete in den Leerraum zwischen den beiden Planeten hinein, und ihre Bahn war lang und zeitraubend. Auch das gehörte zu dem Plan, den der Fuchs auf seinem Thron ausgeheckt hatte. Pooch Veletta‐Del hielt mit Recht das Amt als Lin‐Khan inne. Der Uzerfoner hatte ohne das Wissen der Solaner eine geheimgehaltene und bemannte Forschungsrakete auf den Weg geschickt. Er wollte das Rätsel von Schjepp auf eigene Faust lösen. Die PFLEIDERHEGGE war ein Zylinderschiff mit einem spitzen Kegelaufsatz am vorderen Ende. Das Heck lief in den Triebwerken aus, die auf chemischer Basis arbeiteten. Sie schleuderten ihre Gase ins All, und der Andruck preßte die Astronauten in die Kontursitze. »Es gibt keine Rettung für uns, wenn etwas nicht klappt«, sagte Geri Verfok‐Zummesch, der Navigator der Besatzung. »Es bleibt uns nur der Tod für unser Volk!« »Unsinn!« Die Stimme des Kommandanten lag schwer über dem kleinen Steuerraum im Kegel der Rakete. Vigo Manottel‐Zwark bewegte sein Hauptauge nach links und warf dem Navigator einen gefährlichen Blick zu. »Der Lin‐Khan, unser Monarch, hat weise und umsichtig gehandelt. Der Nachteil, daß wir nur über eine einzige einsatzbereite Rakete verfügen, wird durch die Anwesenheit der Fremden mehr als wettgemacht. Geraten wir in eine aussichtslose Lage, wird dieser Atlan eines seiner Kugelschiffe schicken und uns retten. Für uns besteht kein Risiko.« »Aber wird der Fremde lange genug auf Uzerfon bleiben?« zweifelte Geri Verfok‐Zummesch. »Er wird Schjepp anfliegen. Bis dahin sind wir längst dort und ihm zuvorgekommen. Dann wird er seinen verwachsenen Haarkranz aufrichten vor lauter Hochachtung vor unserer Leistung.« Es waren fast dieselben Worte, die der Lin‐Khan ihm bei ihrem Abflug mitgegeben hatte. Pooch Veletta‐Del hatte alles
unternommen, um die Solaner zum Bleiben zu bringen und seinem eigenen Schiff einen Vorsprung zu sichern, der groß genug war, um das Geheimnis des achten Planeten zu enträtseln. Der Kommandant schloß sein Hauptauge, denn das grelle Licht der blauen Riesensonne Masilan stach durch die Kabinenfenster herein. Nach kurzer Pause begannen die Triebwerke erneut zu feuern und rissen die Rakete vorwärts, dem Rätsel in seiner schimmernden Schutzhülle zu. Kein Uzerfoner hatte eine Ahnung, was dieser Schirm bewirkte oder wie er zu durchdringen sei. Sie würden sich auf ihren Einfallsreichtum verlassen und entsprechend handeln. Der Überlieferung des neunten Planeten nach war der Energieschirm eine natürliche Erscheinung Schjepps. Er war immer dagewesen, solange es entsprechende Meßgeräte auf Uzerfon gab. Ein Klingeln setzte ein. Vigo Manottel‐Zwark schrak auf. Er streckte eines seiner Beine aus und betätigte einen Fußschalter. Es war der Hauptschalter, und augenblicklich setzten die Triebwerke aus, erlosch die Kabinenbeleuchtung, fielen die Anzeigen der wichtigsten Geräte aus. Hilflos dümpelte die PFLEIDERHEGGE durch den Leerraum. »Was ist? Ein Unglück! O weh!« Unruhe kam unter der aus neun Uzerfonern bestehenden Besatzung auf. Mancher Sessel knarrte unter den erregten Bewegungen seines Insassen. »Seid still!« fluchte der Kommandant. »Das Klingeln ist ein Geheimzeichen und kommt direkt vom Lin‐Khan. Er zeigt uns an, daß dieser Atlan mit einem oder beiden Schiffen gestartet ist. Wenn wir ihm zuvorkommen wollen, darf er uns nicht entdecken!« Sie schwiegen verdutzt, und Vigo aktivierte ein Notaggregat, so daß sie wenistens einen Teil der Anlagen beobachten konnten. Nur wenige Zeiteinheiten später zog in großer Entfernung ein Echo an der Rakete vorbei, bei dessen Anblick und der Geschwindigkeit sich der Haarkranz des Kommandanten steil aufrichtete und unnatürlich zu zittern begann. Kurz darauf war das
Echo verschwunden. »Habt ihr es gesehen?« stammelte Vigo Manottel‐Zwark. »Es war ein Geisterschiff. Die Fremden fliegen mit Geisterschiffen!« Er dachte jetzt nur noch daran, daß sie auf keinen Fall zu spät kommen durften. Er aktivierte alle Systeme. Die Triebwerke brüllten auf, und die PFLEIDERHEGGE raste unter voller Belastung der winzigen Kugel von Schjepp entgegen. Der Kommandant ließ alle Hemmungen fallen und hielt sich keinen Deut mehr an die Sicherheitsvorschriften. Er hatte dem Lin‐Khan versprochen, daß er als Gewinner zurückkehren würde. Er würde sein Versprechen halten, wie auch immer. Der Andruck preßte die Uzerfoner erneut in die Sessel, und mancher Raumanzug über dem Kugelkörper und den armdicken Beinen knisterte unter dem Druck. Die Stunden vergingen schleppend langsam, und die Rakete kroch mehr durch das All, als sie flog. Und das, obwohl ihre Triebwerke unablässig feuerten. Die Anzeigen der Tanks sanken verdächtig rasch ab, aber Vigo ließ sich nicht erschüttern. »Atlan wird sich um uns kümmern«, sagte er jedesmal, wenn Zweifel laut wurden. »Es besteht keine Gefahr!« Aus den Stunden wurde ein ganzer Tag, und dieser verdoppelte sich. Obwohl die Rakete die überhaupt erreichbare Höchstgeschwindigkeit flog, kam sie erst nach zweieinhalb Tagen in den Anziehungsbereich Schjepps. Der Kommandant drehte das Schiff, und in der letzten, noch möglichen Sekunde erst begann es sein Bremsmanöver und schleuderte seine Energien dem achten Planeten entgegen. »Fertigmachen zur Landung«, ordnete Vigo Manottel‐Zwark an und beobachtete aufmerksam, wie sich die letzten Öffnungen an den Raumanzügen der Uzerfoner schlossen. Die internen Versorgungsanlagen nahmen ihre Arbeit auf. »Wir erreichen den Schirm in einer halben Stunde«, sagte der Navigator mit bebender Stimme. »Wir sind viel zu schnell!«
Der Kommandant aktivierte die zusätzlichen Steuerdüsen und benutzte sie ebenfalls zur Bremsung. Die PFLEIDERHEGGE reagierte lahm wie eine alte Holibou mit ihren sechs Beinen. Der Schirm kam immer näher und leuchtete gefährlich hell. Dahinter sahen sie undeutlich den Gesteinsmantel des Planeten. »Countdown«, verkündete Geri Verfok‐Zummesch. Das große Ohr eines jeden Uzerfoners, das sich oben auf dem Körper in einer speziellen Ausbeulung des Raumanzugs befand, schwankte gefährlich hin und her. Jeder lauschte, ob er ein Knirschen oder ein anderes Geräusch empfangen würde. Nichts geschah. Das Schiff berührte den Schirm, und augenblicklich erlosch die Arbeit der Triebwerke. Ruhe kehrte ein, die Rakete glitt wie durch einen zähen Brei hindurch. Dann aber gab es einen Ruck, und sie spürten die Beschleunigung, mit der sie der Oberfläche entgegenrasten. Der Kommandant hantierte vergebens an den Kontrollen. Die Motoren sprangen nicht mehr an, die Triebwerke blieben stumm. Die PFLEIDERHEGGE verwandelte sich in ein Geschoß, das Schjepp entgegenraste. »Du hast uns in den Tod geführt«, sagte der Navigator mit sich überschlagender Stimme. »Hoffentlich hast du kein zu leichtes Sterben!« »O Lin‐Khan!« ächzte Vigo Manottel‐Zwark noch. Dann kam der Aufschlag. Die Rakete krachte mit dem Heck voran zu Boden und zerfiel in siebenundvierzig Teile, von denen ein paar explodierten. * Bei jedem Schritt, den sie taten, bei jedem Wort, das sie sprachen und bei jeder Handlung, die sie vollbrachten, hatten sie nur eines zu fürchten.
Das war EGEN. Sie kannten seine wahren Ziele nicht. Aber sie sahen immer wieder, daß EGEN falsch handelte. Sie beobachteten und vermuteten deshalb, daß EGEN gar nicht wollte, daß die beiden Galaxien Farynt und Bars wieder voneinander getrennt wurden. Also war es ihr oberstes Ziel wie bisher. Sie waren mit einemmal die einzige Kraft in Farynt, die die Machtmittel besaß, dieses alte Ziel zu verwirklichen. Und sie würden auf EGEN achten müssen, dessen Absicht wohl die Alleinherrschaft über das Krebsgeschwür Bars‐2‐Bars sein sollte. Sie durften nichts versäumen, um ihre Gedanken und Absichten geheimzuhalten. Vor EGEN und vor den Völkern von Bars, denen der entwürdigende Zustand zu verdanken war. Jetzt war die Warnung Rypams bei ihnen eingetroffen, und sie hatte sie bis in die Grundfesten ihrer alternden Persönlichkeiten erschüttert. Rypams Botschaft war fast einem Hilfeschrei gleichgekommen, und er war nicht darauf zurückzuführen, daß der Prezzarerhalter als letzten Ausweg den Freitod wählte. Schjepp war in Gefahr. Mit Schjepp war die Organisation der Prezzarerhalter in Gefahr. Das Geheimnis Schjepps mußte gewahrt bleiben. Sonst würde es nie eine Beendigung des unwürdigen Zustands geben. Die beiden Galaxien würden für alle Ewigkeiten ineinander hängen und den Tod aller in ihr lebenden Intelligenzen bedeuten. Sie mußten Schjepp retten, und wenn es den meisten von ihnen mitsamt ihren Fetischen das Leben kostete. Einzelne Prezzarerhalter und Fetische waren ersetzbar. Schjepp jedoch nicht. Diphau setzte das Kästchen mit seinem Fetisch behutsam zu Boden. Er hockte sich daneben und schloß die Augen. Er konzentrierte sich auf das, was Ketkar ihm soeben mitgeteilt hatte. Der Fetisch war aufgeregt wie er selbst, obwohl er keine Erinnerung an Schjepp haben konnte. Es gehörte mit zur Behandlung von
Fetischen vor ihrer Aufgabe, daß man ihre bewußte Erinnerung an die Vergangenheit und ihren Herkunftsort löschte. »Ketkar«, sagte der Prezzarerhalter. »Eine Botschaft an alle anderen Erhalter. Wir müssen sofort die Schiffe besteigen und zur Sonne Masilan fliegen. Es ist die einzige Möglichkeit. Wer auch immer sich dort herumtreibt, muß getötet werden. Unser Geheimnis darf nicht in fremde Hände fallen.« Es waren Fremde, und sie stammten nicht aus Farynt, kamen aber auch nicht von Bars. Wer wußte, in wessen Auftrag sie sich herumtrieben. Kulia Aogi hatte vor ihnen gewarnt. Vling und Rypam hatten vor ihnen gewarnt. Es war nicht gelungen, sie auszuschalten. Es war höchste Zeit! »Botschaʹ isʹ raus«, rasselte der Fetisch. Durch die Wand des Kästchens klang seine Stimme hohl und dünn. »Kommt was an!« Der Fetisch begann stockend zu berichten, was er von anderen Fetischen auf anderen Planeten und in anderen Sonnensystemen empfing. Ein Treffpunkt wurde genannt, und Diphau erhielt das Kommando über einen kleinen Pulk von Schiffen. Noch während er eine Bestätigung durchgab, machte er sich auf den Weg. Er eilte zum Raumhafen und bestieg das Boot, das ihm gehörte. Er flog hinauf in einen Orbit um seine Heimatwelt, die ein Teil Farynts war wie die gelbe Sonne, die sie wärmte. Er betrat sein Schiff und gab seine Befehle. Die Besatzung bestand ausschließlich aus altehrwürdigen Erhaltern und Erhalterinnen, und er grüßte sie mit dem üblichen Gruß. »Für Prezzar!« sagte er. »Ihr habt mitgehört?« »Wir kennen den Inhalt aller Botschaften«, antworteten sie ihm. »Das Schiff ist startbereit!« Diphau zog sich in seine Privatkabine zurück, während das Schiff Fahrt aufnahm und seinem Ziel entgegenstürmte. Manchmal wünschte sich der Prezzarerhalter, daß sie endlich einmal auf Spuren oder Angehörige des alten Volkes der Bheynder stoßen
würden, die vor langer Zeit in Farynt die führende Rolle eingenommen hatten. Die Suche nach ihnen war von wenig Erfolg gekrönt. Ebensowenig hatten die Prezzarerhalter eine Spur Prezzars gefunden. Und doch gab es Prezzar. Davon waren sie überzeugt. »Ketkar«, sagte Diphau. »Versuche, ob du Kontakt zu einem Fetisch findest, der sich im Masilan‐System aufhält!« Ketkar hatte seinen Körper in einer ganz bestimmten Richtung gedreht. Er behielt sie auch bei, als das Schiff in den Hyperraum eintrat und die Orientierungsmöglichkeiten des Normalraums nicht mehr zur Verfügung standen. »Das ist jetzt nicht möglich«, sagte eine Stimme hinter Diphau. Fernek, der Pilot, war unbemerkt eingetreten. »Die Fetische funktionieren nur im Normaluniversum. Aber ich habe hier eine Funkbotschaft. Treffpunkt ist ein roter Zwergstern rund dreißig Lichtjahre vor Masilan.« »Gut. Wir nehmen so große Etappen wie möglich. Je schneller wir dort sind, desto besser!« Fernek entfernte sich, und Diphau wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kästchen zu. Er hielt es immer unter Verschluß und öffnete es nur, wenn er den Sprengsatz kontrollierte oder die Versorgungsanlage für den Fetisch nachfüllte. »Gibʹ kein Fetiʹ in Masilʹ«, antwortete Ketkar jetzt auf seine ursprüngliche Aufforderung. »Rypams isʹ tot!« Er erinnert sich nicht! dachte Diphau zufrieden. Er weiß nicht, warum er immerfort in eine Richtung »starrt«. Er wandte sich ab und befaßte sich mit anderen Dingen. Er studierte an dem Problem herum, wie sie den Fremden beikommen konnten. Der Spuk um Schjepp mußte übergangslos beendet werden. Dafür benötigten sie die Kraft und Intelligenz aller Prezzarerhalter.
4. Die Suche nach dem Ort ohne Wiederkehr erwies sich als zeitraubendes Unterfangen. Die CHY‐A tastete ein Planquadrat der Oberfläche nach dem anderen ab. In regelmäßigen Abständen machte sie die Krater mit den Quadern aus. Sie bildeten ein regelrechtes Netz auf der gekrümmten Innenseite der Hohlkugel. Über ihre Funktion gab es keine Hinweise, aber Atlan sprach das aus, was alle dachten. »Es muß sich um die Stationen zur Aufrechterhaltung des Schirms handeln«, sagte er und gab seine Worte an die CHYBRAIN durch. »Andere Möglichkeiten sind uns bisher nicht vor die Orter gekommen!« Logischerweise stellte sich die Frage, wozu der Schirm diente. In erster Linie sollte er natürlich das Eindringen von außen verhindern. Es war jedoch nicht auszuschließen, daß er eine weitere, wichtige Funktion erfüllte. Joscan Hellmut war es, der daraufkam. Er steuerte die Space‐Jet und verglich alle Daten, die sie bisher von Schjepp erhalten hatten. »Eigentlich dürfte der Planet gar nicht existieren«, sagte der Solaner. »Wenn ich die Druckwerte gegen die Konsistenz des Gesteinsrings hochrechne, paßt es hinten und vorn nicht zusammen. Der Innendruck ist einfach niedriger als der Außendruck!« Atlan überzeugte sich, daß seine Beobachtung stimmte. Aber auch die dünne Luftschicht über die Oberfläche, die sich nicht in den weiten Innenraum der Hohlkugel verflüchtigte, gab Rätsel auf. »Normalerweise müßte Schjepp in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus bei einem starken Atemzug«, bestätigte er. »Schjepp wird also künstlich zusammengehalten!« Er setzte sich mit Uster Brick ins Benehmen, und der Chefpilot der CHYBRAIN stellte insgesamt dreißig Gruppen mit jeweils drei bis sechs Personen zusammen, die über die Oberfläche ausschwärmten
und sich rasch nach allen Richtungen verteilten. Die CHY‐B verließ ihren Hangar und brachte einen Teil auf die gegenüberliegende Seite des Hohlplaneten, rund dreitausend Kilometer entfernt. Zusätzlich waren die beiden Lightning‐Jets des Beiboots unterwegs. »Wichtig ist, daß wir Untersuchungsergebnisse von mindestens zwei der Quaderanlagen bekommen«, gab der Arkonide durch. »Funktionspläne und Übersichten dürfen nicht fehlen. Wenn es uns gelingt, die Anlagen zu steuern, sind wir die Herrscher über Schjepp. Dann können die Prezzarerhalter ruhig kommen!« Er mußte an das denken, was er von Wöbbeking über die Geschichte der Galaxis Bars‐2‐Bars erfahren hatte. Es gehörte inzwischen zum Wissen aller Solaner und nahm nicht unwesentlich Einfluß auf ihr Handeln in der Auseinandersetzung der Völker. Bars besaß einen Durchmesser von rund 80 000 Lichtjahren und eine Dicke von 15 000 Lichtjahren. Farynt war noch etwas kleiner, nämlich 75 000 auf 12 000 Lichtjahre. Ursprünglich waren beide Galaxien getrennt gewesen. Vor etwa tausend Terra‐Jahren jedoch hatten hochstehende, raumfahrende Völker in Bars beobachtet, wie sich ihnen mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit eine zweite Galaxis näherte. Messungen hatten rätselhafte Überlichtgeschwindigkeiten ergeben, ohne daß dadurch Farynt aus dem Optikbereich verschwunden wäre. War dieses Phänomen schon unnatürlich genug, so verschlug der darauffolgende Vorgang allen Intelligenzen die Sprache. Farynt drang in Bars ein, verschmolz mit ihr. Nach 800 Jahren war dieser Vorgang abgeschlossen, und der Eindringling stand still. Die beiden Galaxien bildeten einen exakt kreuzförmigen Körper, und nur nach sorgfältigen Berechnungen war es den Solanern möglich, festzustellen, welcher Stern in der Überlappungszone welcher Galaxis zuzuordnen war. Die einheimischen Völker allerdings wußten es sehr genau, zu welcher Galaxis sie gehörten. Sie empfanden alles aus der anderen Galaxis als feindlich und unwillkommen. Es war ein gegenseitiges
Anfeinden. Aus der jeweiligen Perspektive des Beobachters hatte sich immer die andere Galaxis bewegt. Was die Völker des Krebsgeschwürs Bars‐2‐Bars nicht wußten, waren die Hintergründe. Das damalige Hidden‐X war auf Bars und Tyar sowie auf Farynt und Prezzar gestoßen. Tyar, die Intelligenz, hatte den Angriff abgewehrt und sich geweigert, Hidden‐X zu unterstützen. Prezzar jedoch war eine instinktmäßige Intelligenz, und es war Hidden‐X gelungen, sich Prezzar zu unterjochen und Farynt in Bars zu steuern. Es ging dabei von der Überlegung aus, daß zwei sich kreuzende Galaxien in ihrem Innern hyperenergetische Bezirke schaffen würden, durch die ein Vordringen in andere Räume wie etwa zum Beschaffen der Quelle der Jenseitsmaterie möglich sein würde. Prezzar steuerte also seine Galaxis in Bars, wobei es zu einer kosmischen Verankerung der beiden Galaxis‐Intelligenzen kam. Tyar und Prezzar lähmten sich gegenseitig, was sich nach außen hin als Stillstand in jeder Beziehung auswirkte. Die Völker verstanden den Vorgang nicht, aber sie begannen zu verfallen und in Dekadenz zu versinken. Tyar und Prezzar waren selbst handlungsunfähig und benötigten lange Zeit, um ihre Restkräfte zu kleinen Schachzügen zu sammeln. Hidden‐X fand die berechneten Übergangsstellen nicht oder nur solche, die ihm keinen Erfolg bescherten. Es wurde durch das Erscheinen der SOL abgelenkt und hauchte seine Existenz schließlich aus. Unbeabsichtigt hatte es dabei aber einem anderen Wesen Vorschub geleistet, das sich der beiden Galaxien bediente. Anti‐ES streckte seine »Finger« aus, und Atlan war fest überzeugt, daß irgendwo in dieser stetigen Auseinandersetzung zwischen den Bars‐ und Farynt‐Völkern auch Spuren der bestraften Superintelligenz zu finden sein würden. Sie mußten nur intensiv genug suchen und die Augen offenhalten. Die CHY‐A flog weiter in geringem Abstand über dem Felsboden entlang. Ab und zu machten die lichtverstärkten Bildschirme ein paar Schjepper aus, die herumrannten und in Vertiefungen oder
Höhlen verschwanden, die an Eingänge von Kaninchenbauten erinnerten. Sobald sich Zeit bot, wollte Atlan unbedingt mehr über die Lebensweise der kleinen Wesen herausfinden. »Es ist fast aussichtslos«, sagte Sternfeuer nach einer Weile. »Bis wir die gesamte Höhlkugel abgesucht haben, sind ein paar Wochen vergangen.« »Abwarten!« sagte Atlan. Seinem photographischen Gedächtnis hatte sich die Felsformation eingeprägt, zwischen der der Transmitter verborgen gewesen war, durch den sie für kurze Zeit nach Schjepp verschlagen worden waren. Mit etwas Glück würde er sie erkennen, auch wenn er sie aus dieser Perspektive noch nie gesehen hatte. »Die Außenmikrophone übertragen Geräusche, ein komisches Säuseln«, stellte Joscan Hellmut fest. Er steuerte die Jet noch näher an die Oberfläche heran, bis sie kaum zehn Meter entfernt entlangglitt und die Scheinwerfer wie Finger über den Boden huschten. Hin und wieder tauchten leuchtende Nebelgebilde auf, kaum größer als die Schjepper. »Der Wind«, rief Tyari aus. »Er war da. An jenem Ort.« Sie trat zu Atlan, der auf den Bildschirm wies. »Dort hinten sind die Felsen. Wir haben den Transmitter gefunden!« Die CHY‐A landete unmittelbar daneben, und sie stiegen zu dritt aus. Atlan und Tyari wurden von Sternfeuer begleitet. Mit vorsichtigen Sprüngen näherten sie sich der Formation und hangelten sich zwischen aufragenden Spitzen und runden Brocken hindurch. Sie hatten ihre Helmscheinwerfer eingeschaltet. Und dann sahen sie den Transmitter vor sich. Zwischen den Felsen ragte er auf, und dazwischen leuchteten die Körper von ein paar Schjeppern. Sie schienen ihrem inneren Drang gefolgt zu sein, aber jetzt taumelten sie orientierungslos herum. Der Transmitter war nicht aktiviert. »Sternfeuer, schnell«, rief Atlan in das Helmmikrophon. »Du mußt
sie hier wegbringen. Ich will nicht, daß ihnen irgend etwas geschieht!« Die Solanerin beugte sich vor und griff nach den Bällchen. Sie umfaßte sie mit den Handschuhen und klemmte sie sich unter den Arm. »Bring sie in die Jet«, fuhr der Arkonide fort. »Ich will mich kurz informieren, ob inzwischen weitere Transmitteraktivitäten stattgefunden haben!« Zusammen mit Tyari trat er vor bis an die Bedienungskonsole. Sie lag unter einer kleinen Schutzhaube. Atlan prüfte die Daten. Der Transmitter war seit ihrem Hiersein nicht benutzt worden. »Wir haben Glück, Tyari«, lächelte er. »Es war niemand hier. Das gibt uns eine Galgenfrist!« Er wandte sich ab, doch ein entsetzter Ruf seiner Begleiterin ließ ihn herumfahren. Er verlor das Gleichgewicht und segelte zehn Meter davon, prallte gegen einen Felsen und sank, sich drehend, zu Boden. Aus aufgerissenen Augen starrte er den Transmitter an. »Atlan schnell!« schrie Tyari. »Das Feld …« Der hohe Bogen des Transmitters begann zu knistern. Er hellte sich langsam auf, und das Abstrahlfeld begann einen halbkugelförmigen Raum auszubilden, der sie mit einschloß. »Weg!« ächzte Atlan. Seine Hand fuhr zum Gürtel und schaltete den Rückentornister ein. Er schoß schräg auf die Felsen zu und über sie hinweg. Tyari folgte ihm auf dem Fuß. »Alarm!« sagte er. »Joscan, sofort weitergeben. Alarm für alle. Wer kann, sofort zurück ins Schiff. Wir bleiben hier und versuchen, die Stellung zu halten!« »Der Transmitter«, erriet Hellmut. »Ich messe Streustrahlungen an!« »Wir bekommen Besuch«, bestätigte Tyari. Sie wußten, daß die Auseinandersetzung unmittelbar bevorstand.
* Sie hatten Zuwachs bekommen. Das Trio war jetzt ein Quartett, kaum daß es Berühmtheit erlangt hatte. Argan U gehörte zu ihnen, der Puschyde vom Planeten Cur Cur U. Der 1,50 große, orangefarbene geschuppte Bär mit den treuherzigen Augen holperte in seinem ebenfalls orangefarbenen Schutzanzug hinter ihnen her. Das Zuckerwasser‐Destilliergerät auf seinem Rücken klapperte, und ab und zu hielt er inne und forderte die drei Solaner auf, ebenfalls anzuhalten. »Ich verschütte mein ganzes Zuckerwasser, wenn das so weitergeht«, sagte er dann. Im Unterschied zur Anfangszeit auf SOL sprach er inzwischen perfekt Interkosmo. »Hast du keinen Deckel für dein Dingsbums?« fragte Tullo Wiesters. Er starrte auf die Meßkolonne vor seiner Brust, lauter hyperenergetische Sensoren. Sie blieben in der Ausgangsposition. Es gab nichts in dem Planeten, das für ihn irgendwie reizvoll war. Briss en Verzank und Tumy Zweuk hatten es da schon besser. Der Gravotechniker und die Schirmspezialistin würden bestimmt auf ihre Kosten kommen, wenn die Untersuchungen erst einmal fortgeschritten waren. Der Schirm, der Schjepp einhüllte, mußte erforscht werden, und auch die Gravitationsverhältnisse waren nicht normal. Argan U wackelte mit seinem Körper, und wieder schwappte das Destilliergerät. »Es hat einen Deckel«, meinte der Puschyde. »Aber unter der fehlenden Schwerkraft hält er nicht.« Er faßte mit einer Hand nach dem Gerät und drückte den Deckel fest. Durch seine Bewegungen hatte er den festen Stand verloren und trieb wenige Zentimeter über dem Boden von der Gruppe ab. »Komm sofort zurück«, riet Briss ihm. »Da oben kommen unsere Projektoren!« Zehn Lichter stiegen vom schwarzen Himmel herab, und sie
verteilten sich gleichmäßig um die Ringfelsformation, in der der Roboter lauerte. Zehn Projektoren waren es, und sie besaßen autarke Energieversorgungen. Reglos wartete die Gruppe, bis die automatischen Antigravplattformen an den festgelegten Positionen gelandet waren und sich mit schweren Haken im Gestein verankert hatten. Dann machten sie sich ans Werk. Tullo Wiesters schnaufte und ächzte, während er die Konsole inspizierte, von der aus sie die Projektoren steuern wollten. Im Licht seiner Helmlampe schimmerten die Sensoren und Hebel anders als gewohnt. »Bei der siebenmal geringelten Schlange!« zischte er. »Ich komme mir vor wie der Ochse am Berg. So als hätte ich das noch nie gemacht!« »Vielleicht hast du dein Diplom erschwindelt«, foppte Tumy ihn. Sie hantierte am Boden und verscheuchte mit ein paar lahmen Bewegungen mehrere Schjepper, die die Neugier hergetrieben hatte. Die Bällchen sausten davon und ließen ein Gezwitscher hören. »Schjeppjeppjepp«, machten sie. »Mit Schwindel hat das nichts zu tun, höchstens mit Magie«, mischte sich jetzt auch Briss ein. »Tullos Schlangenkult ist zu allem fähig!« »Schlangen«, sagte Argan U, »was ist das?« »Es ist das, was er auf dem Kopf hat«, lachte Briss. »Ach, Tullo, nimm doch bitte mal den Helm ab!« Ein Fluch kam als Antwort aus den Lautsprechern, und der Puschyde ließ ein entsetztes »Huuh!« hören. Er trippelte im Zeitlupentempo heran und blickte dem Riesen Wiesters unter den Armen hindurch. »Alles klar?« fragte er. »Alles klar!« erwiderte Schlange. »Briss, den Luftsprung bitte!« Der Gravotechniker stieß sich vom Boden ab. Wie eine Rakete stieg er empor, aber im nächsten Augenblick holte ihn eine
unwiderstehliche Kraft auf den Boden zurück. Aus vier Metern Höhe krachte er herab und hinterließ tiefe Abdrücke im Steinstaub. »1 g. Normale Schwerkraft«, nickte Tullo. »Sie gilt überall in dem Kreis, der von den Projektoren gebildet wird. Durchmesser knapp hundert Meter!« »Gut.« Tumy bewegte sich nach innen. »Du kannst den Schirm aufbauen!« Der Schutzschirm diente dazu, Eindringlinge von außen abzuhalten. Außer den Schjeppern gab es zwar keine Wesen, aber es war möglich, daß sie es mit Robotern zu tun bekamen, die sich von anderen Stationen näherten. Von ihnen wollten sie nicht gestört werden. Es war genug mit dem Koloß, der dort vorn zwischen den Felsen steckte. Tullo Wiesters führte einen letzten Handgriff aus, dann schloß er zu den Gefährten auf. Argan U hatte keine Probleme mit dem Deckel mehr. »Also, dann mal ran«, forderte der Hyperingenieur auf. »Zeigen wir dem Löwen die Zähne!« Er bleckte sein Gebiß und fauchte fürchterlich. Sie überkletterten die Felsformation auf der dem Roboter gegenüberliegenden Seite. Unter normalen Schwerkraftbedingungen machte es ihnen mehr Schwierigkeiten als unter 0,05 g. Sie leuchteten hinab, wo die blauen Quader lagen. Die Antennen ragten unverändert zu ihnen empor, und die halbkugelförmigen Aufsätze auf den umliegenden Gesteinsbrocken verschluckten das Licht. Ein Surren aus der Tiefe ließ sie aufhorchen, und Briss verkündete: »Der Roboter! Gleich wächst er in den Himmel! Kommt!« Sie lösten sich aus ihrer Deckung und begannen den Abstieg. Von Vorsprung zu Vorsprung hangelten sie sich hinab, und die Kletterei kam ihnen wie eine Ewigkeit vor. Endlich hatten sie den Grund erreicht. Zwischen der Kraterwand und den Quadern hielten sie an. »Dort!« Briss deutete empor, wo sich die schwarze Silhouette des
Kolosses gegen das Dämmerlicht abhob. Der Roboter drehte ihnen den Rücken zu, sofern man bei ihm überhaupt mehrere Seiten unterscheiden konnte. Unbeweglich stand er da, und um seinen Kopf jagte der Sensorring und gab ein kaum wahrnehmbares Pfeifen von sich. Briss machte Zeichen, daß sie ihren Funk nicht benutzen sollten, und setzte sich an die Spitze der Gruppe. Er ahnte, wo sich der Eingang zu der Station befand. Vorsichtig und mit nur einem Scheinwerfer schlichen sie auf dem Felsgrund entlang, bis sie an einem Kamin ankamen, der in die Kraterwand geschlagen war. Sie sahen die Führungsschienen und hoch über sich die Plattform. Der Roboter stand neben ihr, und es würde nicht lange dauern, dann würde er zurückkehren. Briss en Verzank zerrte Schlange mit sich auf den nächsten Quader zu. Er leuchtete das Gebilde ab, das so groß war wie ein Zweifamilienhaus. Er fand eine Markierung, die sich farblich nicht von der übrigen Wand unterschied, lediglich eine andere Reflexionsstärke aufwies. Briss berührte die Stelle. Im selben Augenblick rumorte es über ihren Köpfen. Zwei Schläge zeigten an, daß der Roboter die Plattform betrat. Sie setzte sich sofort nach unten in Bewegung. In der Wand vor ihnen öffnete sich gemächlich ein Spalt. Es war eine Tür, aber sie reagierte viel zu langsam. Bis sie sich ein paar Zentimeter geöffnet hatte, war die Plattform unten. Metallisches Kreischen im Schacht wies darauf hin, daß der Roboter sich umdrehte. »Seht euch vor!« rief Briss. »Auseinander. Er darf uns nicht mit seinem Stahlseil erwischen!« Noch immer war der Türspalt zu eng, und der Roboter verließ die Plattform. Es ging um Bruchteile von Sekunden. Schlange reagierte. Er riß den Strahler vom Gürtel und drückte ab. Ein gleißender Strahl raste auf den Roboter zu und erwischte ihn dort, wo man normalerweise von der Brust sprach. Er blitzte kurz auf, und es bildete sich ein Loch mit roten Rändern. Aus dem Innern
der Maschine kam ein Dröhnen. Ein Knall folgte. Der Roboter verharrte reglos. Erneut gab es eine Explosion, und der Koloß neigte sich langsam nach vorn. Die drei Solaner und der Puschyde sprangen gegen die Tür und zwängten sich durch den Spalt. Briss kam als letzter. Er schaffte es gerade noch. Hinter ihm krachte der Roboter zusammen, und sein Oberteil fiel gegen die Wand und den Eingang. Steinsplitter fegten davon, als das Metall gegen den Boden prallte. Dann herrschte Ruhe. Die vier Gefährten blickten sich an. Tullo stand der Schweiß auf der Stirn, und Tumys Lippen bebten. Argan Uʹs Augen waren groß wie immer. Nur Briss schien seine Kaltblütigkeit bewahrt zu haben. »Danke, Tullo«, sagte er. »Du hast richtig reagiert. Und keinen Moment zu früh!« Tullo Wiesters brummelte etwas Unverständliches in seinen Bart. Er trat ein wenig zur Seite und klopfte Turay gegen das rechte Bein. Augenblicklich meldete sich der Computer. »Danke, Tullo«, sagte er. »Den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach wärst du jetzt der einzige Überlebende!« »Meinst du wirklich?« fragte Schlange dankbar. »Ohne Briss und Tumy?« »Ja, natürlich. Nur wir beide! Aber du hast es gar nicht verdient, so wie du Tumy manchmal behandelst! Deshalb konnte es nicht eintreten!« »Hört mit dem Gequatsche auf«, rief Briss dazwischen. Er hatte festgestellt, daß sich die Tür wieder schloß. »Kommt lieber mit. Wir werden mit einigen Überraschungen rechnen müssen!« Sie folgten ihm, und er fand irgendwo einen Schalter, mit dem er das Licht in der Station anmachte. Der Korridor war nicht lang, und er mündete in einem Saal, in dessen Mitte die verkleinerte Ausgabe des Kolosses stand. Sie war immerhin noch so groß wie ein Mensch. Gleichzeitig schrillten in den Helmen der Solaner die Alarmsirenen.
Bricks Stimme klang auf. »Alarm!« sagte der Pilot der CHYBRAIN. »Der Transmitter ist aktiviert. Es muß in den nächsten Minuten mit Feindberührung gerechnet werden! Wer kann, sofort zurück in den Kreuzer!« »Verstanden«, knurrte Briss, und Argan U sagte hell: »Kommt!« Er wollte zum Ausgang zurück. Briss ließ ihn rennen. Der Puschyde suchte vergeblich nach einem Öffnungskontakt. Daß der umgestürzte Roboter den Ausgang blockierte, schien er ganz vergessen zu haben. Schließlich kehrte er zu der Gruppe zurück. »Wir können nicht zurück«, sagte Tullo. »Bei der siebenmal geringelten Schlange, wir haben hier einiges zu tun!« »Zunächst wollen wir dem Kleinen guten Tag sagen!« Tumy deutete auf den Roboter in dem Saal und setzte sich in Bewegung. * Die Gestalten, die aus dem Transmitter kamen, ließen keinen Zweifel zu. Ihre Haut war hellblau bis tief indigo. Äußerlich glichen sie Menschen, doch die Solaner wußten inzwischen, daß ihr Inneres sich von dem der Menschen unterschied. Es waren Beneterlogen. Sie kamen mit Waffen im Anschlag aus dem Transmitterfeld, und auf einen Ruf ihres Anführers hin verteilten sie sich nach allen Seiten. Dort, wo Atlan und Tyari sich aufgehalten hatten, sammelten sich mehrere Dutzend von ihnen. »Alte Beneterlogen, ohne Ausnahme!« flüsterte Tyari. Sie lag neben dem Arkoniden zwischen zwei Felsen versteckt und spähte auf die Szene hinab. »Prezzarerhalter!« knurrte Atlan. »Jose, wie stehtʹs?« »Wir sind startbereit!« kam die Stimme Hellmuts bei ihm an. »Und wenn ihr euch zurückziehen würdet, könnten wir den Bereich zwischen den Felsen mit unserem Lähmstrahler bestreichen!« »Wartet noch ein wenig«, sagte der Arkonide. »Wir ziehen uns
langsam zurück!« Er spielte mit dem Gedanken, eine Sprengladung am Transmitter anzubringen. Töten wollte er die Prezzarerhalter nicht, also mußte er warten, bis keine mehr aus dem Transmitter kamen. Die Beneterlogen mußten genau über die Verhältnisse im Innern Schjepps Bescheid wissen, denn sie trugen keine Schutzanzüge. Vor den Gesichtern hatten sie Atemmasken angelegt, und ihre Füße steckten in Stiefeln, die ihnen das Gehen auf dem felsigen Untergrund erleichterten. Vorsichtig bewegten sie sich vorwärts. Atlan stieß Tyari an. Er rutschte nach hinten und sprang die letzten Meter von den steilen Felszacken auf den Boden hinab. Tyari folgte ihm, aber gleichzeitig mit ihr fauchte ein Schuß schräg über die Zacken in den Himmel hinein. »Sie müssen uns gesehen haben«, fluchte Atlan. »Schnell!« Sie aktivierten ihre Tornister und steuerten auf die Space‐Jet zu. Hinter ihnen tauchten die ersten Beneterlogen auf und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Die beiden Solaner erreichten die Space‐Jet und rasten in die Schleuse hinein, die sich augenblicklich schloß. Hellmut startete, und der Transmitter blieb unter ihnen zurück. Ein paar weitere Schüsse folgten ihnen, richteten jedoch keinen Schaden an. »Die Prezzarerhalter sind nicht kleinlich«, sagte Sternfeuer, als die beiden in der Zentrale erschienen. »Schjepp muß von großer Bedeutung sein!« Atlan starrte auf die sieben Schjepper, die überall auf dem Fußboden ruhten und sich in seiner Richtung orientierten. Ihm kam ein Gedanke, der entscheidend für sein weiteres Handeln sein konnte. Wenn die Prezzarerhalter einen Kampf um Schjepp entfesselten, dann stand ihnen das Wasser bis zum Hals. Dann bewies es, daß sie ihre Organisation ganz auf den Fetischen aufgebaut hatten und sonst auf nichts. Dann konnte aus dem Kampf leicht ein Inferno werden, unter dem die Schjepper und ihre Welt zu leiden hatten.
Das lag nicht in der Absicht des Arkoniden. »Joscan«, sagte er. »Wir setzen uns ab. Wir beobachten zunächst nur, was die Prezzarerhalter unternehmen. Später können wir uns ihnen noch immer entgegenstellen.« »Es geht nicht mehr«, meinte Hellmut. »Sieh nur nach draußen!« Auf dem Bildschirm leuchteten acht helle Scheiben, die sich auf die CHY‐A stürzten. Es waren Beiboote. »Wo bleibt die Ortung?« bellte Atlan. »Warum ist das Mutterschiff nicht erkannt worden?« »Keine Ortung«, sagte Tyari nach einem Blick auf die Anzeigen. »Die Beiboote müssen aus dem Transmitter gekommen sein!« Joscan Hellmut hatte den Schutzschirm der Space‐Jet eingeschaltet und beschleunigte mit Maximalwerten. Die Beneterlogen rückten gefährlich auf, und der Schutzschirm schien sie nicht zu beeindrucken. Die ersten Schüsse verließen ihre Boote und schlugen in den Schirm der Space‐Jet ein. Jetzt machte es sich bemerkbar, daß die Space‐Jet in der Enge der Hohlkugel keine Fluchtmöglichkeit durch eine kurze Linearetappe besaß. Für so kurze Strecken war der Konverter nicht eingerichtet. Die Gefahr, daß die Jet im Gesteinsmantel materialisierte und zerquetscht wurde, war zu groß. Die einzige Chance blieb die Leistungsfähigkeit der Normaltriebwerke. In einer eleganten Kurve jagte das kleine Schiff in die Finsternis der Hohlwelt hinein. Die Boote der Prezzarerhalter folgten ihm. Sie waren wendig und holten auf. Wenige Sekunden später flog die Jet in einem Pulk kleiner Schiffe, die aus allen Rohren schossen. »Eine Funkverbindung mit einem der Boote, schnell!« sagte Atlan. Noch immer zögerte er, in den Kampf einzugreifen. Tyari kam seinem Wunsch nach. Sie versuchte, die Beneterlogen über die bekannten Frequenzen zu erreichen, erhielt jedoch keine Antwort. Dafür erschien das Gesicht von Uster Brick auf einem der
Monitoren. Es drückte Besorgnis aus. »Wir haben euch auf der Ortung. Es sieht schlecht aus. Weitere Fahrzeuge kommen aus dem Transmitter. Ein Schirm wölbt sich über der Felsformation. Damit dürfte jeder Zugang unmöglich gemacht sein!« »Bleibt mit der CHYBRAIN, wo ihr seid«, erwiderte Atlan. »Verratet nicht, daß sich ein größeres Schiff in der Hohlwelt aufhält. Wir werden uns hier schon irgendwie durchboxen.« Die Verbindung erlosch, und er gab den Befehl, das Feuer zu erwidern. Inzwischen umkreisten zwanzig Boote die CHY‐A. Aus unmittelbarer Nähe schossen sie. Noch konnten sie der Space‐Jet nichts anhaben, die sich wehrte. Aber auch ihre Waffen richteten in den Schirmen der Prezzarerboote nichts an. Dafür war Hellmut nicht mehr in der Lage, einen selbständigen Kurs zu steuern. Überall berührte er Schutzschirme und wurde zurückgeworfen. »Tyari«, sagte Atlan. »Kannst du irgend etwas erkennen? Einen Gedanken?« Das Geschöpf Tyars schüttelte den Kopf. Wie schon oft war es ihr nicht möglich, die Prezzarerhalter auszuspionieren. Ihre Fetische schützten sie davor. »Was sollen wir tun?« wollte Hellmut wissen. Er war ratlos. Sie konnten doch nicht abwarten, daß die Boote den Schutzschirm knackten und die Jet vernichteten. Atlan sah, daß sich der Gegner eine neue Taktik zurechtlegte. Er versuchte es jetzt mit Punktbeschuß aus mehreren Waffen. In der CHY‐A begannen Sirenen zu wimmern, und die Energieanzeigen für den Schirm wechselten abrupt von grün auf rot. Ausbrechen hatte keinen Sinn. Gegenwehr auch nicht, dazu waren es zu viele. Einen kurzen Moment zögerte Atlan. Dann rief er die CHYBRAIN um Hilfe.
* Die CHYBRAIN sandte den fliehenden Beibooten ein paar Warnschüsse nach. Zwei von ihnen taumelten durch die Bodenlosigkeit, sie waren beschädigt. Die anderen stoben davon und brachten sich in der Finsternis der Hohlkugel in Sicherheit. Joscan Hellmut schleuste die Space‐Jet ein. Mit weichen Knien verließ er die CHY‐A und suchte die Zentrale des Kreuzers auf. Sternfeuer, Tyari, Atlan und die Schjepper folgten ihm. »Das war Rettung in letzter Sekunde«, sagte Hellmut. »Der Schirm hätte nicht mehr lange gehalten!« Uster Brick warf einen fragenden Blick auf Atlan. Der Arkonide hielt Tyari im Arm und blickte finster drein. »Die Prezzarerhalter gehen aufs Ganze«, meinte er. »Es wundert mich, daß sie noch kein großes Schiff ins Innere der Hohlkugel geschickt haben!« Es war möglich, daß keines in der Nähe war. Die Beiboote konnten durch den Ferntransmitter von weit her gekommen sein. Der Arkonide glaubte jedoch, daß sich die Prezzarerhalter nicht mit dem bisher Erreichten zufriedengeben würden. »Uster, den beiden beschädigten Booten nach!« fügte er hinzu. Der Kreuzer beschleunigte und verfolgte die Flugboote der Beneterlogen. Eines schien wieder einigermaßen normal zu arbeiten, denn es zog sich rasch in die Nähe des Transmitters zurück. Das andere war nahezu steuerungsunfähig. »Den Schock müssen sie erst verdauen«, knurrte der Zwilling. Die geballte Kraft des Kreuzers war wie ein Weltuntergang über sie gekommen. Noch ehe sie wußten, was ihnen geschah, warf sie die CHYBRAIN mit ihren Waffen davon. Von einem Punktfeuer auf den Schirm der Space‐Jet war keine Rede mehr gewesen. Uster Brick fing das Boot mit einem Traktorstrahl ein und holte es an Bord. Die Solaner umstellten es, dann holten sie die Insassen heraus. Es waren zwei Prezzarerhalter, der Rest der Besatzung
bestand aus einem Dutzend schlanker Roboter. Die beiden Angehörigen der Galaxis Farynt wurden in die Zentrale gebracht. Hochgereckt und furchtlos standen sie den Solanern gegenüber. Atlan trat vor und hob eine Hand. Ein Schjepper ruhte in der anderen. »Halten wir uns nicht mit Lügen auf«, sagte der Arkonide. »Wir wissen, was mit diesem Planeten los ist. Warum tut ihr so etwas!« »Du wirst es nie verstehen«, erwiderte der eine Prezzarerhalter. Wie sein Gefährte trug auch er das Fetisch‐Kästchen an einem Riemen über der Schulter. »Aber du wirst dich damit abfinden, kurz bevor du stirbst!« Er ist so alt, wollte Hellmut ausrufen. Es dürfte schwer sein, ihn totzuschlagen! Er schwieg aber dann, weil Atlan zwei Solaner aufforderte, den Beneterlogen die Kästchen abzunehmen. Sie ließen die Schjepper frei, die sich sofort zu ihren Artgenossen gesellten. »Ihr habt dieses Volk versklavt«, fuhr Atlan fort. »Ihr seid zu Mördern geworden um eurer eigenen Ziele willen. Damit stellt ihr euch außerhalb der positiven Entwicklung des Universums!« »Nein!« rief der Prezzarerhalter laut. »Du irrst. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben dieses Volk vor dem Untergang bewahrt!« »Lächerlich!« zischte Tyari. Sie funkelte die Vertreter Farynts aus zusammengekniffenen Augen an. »Geradezu absurd! Ihr lügt!« »Nein!« wiederholte der Beneterloge. Er war unruhig geworden. Von der Arroganz der ersten Minute war ihm nichts anzumerken. »Laßt mich berichten, wie es wirklich war!« »Sprich!« forderte Atlan ihn auf. Der Prezzarerhalter erzählte. Irgendwann in sehr ferner Vergangenheit, als es noch keine Prezzarerhalter gegeben hatte, entdeckte eine Gruppe Beneterlogen bei der Untersuchung des Masilan‐Systems den Planeten Schjepp. Sie schuf einen Stollen und drang in das Innere vor, wo sie das Volk der Schjepper vorfand. Die Beneterlogen stellten umfangreiche Untersuchungen mit den
Bällchen an, ohne daß ihnen ein Leid geschehen wäre. Sie fanden heraus, daß es sich um halbintelligente, aber psionisch äußerst begabte Wesen handelte, die von ihrer Begabung nichts ahnten. Zunächst hatten die Beneterlogen nicht vor, aus dieser Entdeckung Kapital zu schlagen. Sie kamen gerade recht, um den Einsturz des Planeten zu erleben und diesen zu verhindern. »So ist es gewesen«, bekräftigte der Prezzarerhalter. »Wir haben im Innern Schjepps ein Netz aus Stabilitätslotsen errichtet. Sie erzeugen einen Schirm, der für die Stabilität der dünnen Planetenkruste sorgt und ungebetene Gäste abweist. Es ist uns ein Rätsel, wie ihr ins Innere der Hohlwelt gelangen konntet!« Atlan hätte es ihm sagen können. Daß es vermutlich an der unterschiedlichen Struktur der verwendeten Schirmsysteme lag, die ein Eindringen durch den Linearraum ermöglichten. »Und ihr errichtetet den Ferntransmitter!« sagte der Arkonide, ohne auf die letzte Bemerkung des Beneterlogen einzugehen. »Erst viel später«, erhielt er zur Antwort. »Die Gemeinschaft der Prezzarerhalter erinnerte sich an die Entdeckung und machte sich die Fähigkeit der Schjepper zunutze. Es bedurfte lediglich geringfügiger Vorbereitungen, um die kleinen Wesen in unsere Fetische umzuwandeln.« Die Solaner warfen einander verwunderte Blicke zu. Sie begriffen den Widerspruch nicht. Einerseits waren die Beneterlogen zu den Rettern der Schjepper geworden, andererseits vergewaltigten sie sie und lockten sie in den Transmitter. Sie sperrten sie in kleine Kästchen, wo sie in ständiger Angst vor dem Sprengsatz lebten. »Warum tut ihr das?« Atlans Stimme klang hart und unerbittlich. »Warum geht es nicht ohne diese Grausamkeit gegenüber den Fetischen? Habt ihr es nie mit freiwilliger Zusammenarbeit versucht?« Er erhielt keine Antwort. Er sah nur, wie beide Prezzarerhalter einen schnellen Blick wechselten und dann etwas zerbissen, was sie offensichtlich im Mund gehabt hatten.
Der Arkonide sprang vor. Er versuchte, wenigstens dem einen den Mund zu öffnen. Er kam zu spät. Die beiden Beneterlogen schluckten. »Du wirst es nie verstehen«, wiederholte der Sprecher. »Du kannst uns auch nicht mehr retten. Das Geheimnis der Prezzarerhalter bleibt gewahrt!« Sie haben Angst davor, daß ihre Organisation auffliegt, sagte der Extrasinn. Sie opfern bedingungslos ihr Leben dafür! Roboter rollten herein, aber ihre Bemühungen waren sinnlos. Ein Zucken durchlief die Körper der Prezzarerhalter, dann streckten sie sich. Fast gleichzeitig detonierten die Sprengsätze in den Kästchen. Die Roboter wurden beschädigt. Von den Solanern wurde glücklicherweise niemand verletzt. »Sie sind tot«, sagte Atlan nach kurzer Untersuchung. »Welch ein Tod! Welcher Sinn steckt dahinter?« Er schloß kurz die Augen. Er sah deutlich vor sich, daß er die Spur nicht verlieren durfte, die sich ihm hier anbot. Schjepp war eine Zwischenstation, ein kleines Rätsel. Nach seiner Hilfestellung für die Uzerfoner konnte er auch für die Schjepper etwas tun und ihnen ihre ursprüngliche Freiheit erkämpfen. Die Prezzarerhalter mußten von ihnen ablassen. Es würde einen harten Kampf geben. »Tyari«, sagte er. »Laß uns Marcoyn suchen. Wir wollen ihm seine geretteten Artgenossen zurückbringen!« Er nahm so viele Schjepper auf, wie auf seinen Arm paßten und trug sie hinaus. 5. Vigo Manottel‐Zwark wälzte den kugeligen Rumpf zur Seite. Neben ihm ragte eine zerrupfte Metallwand empor, und darüber lag ein flirrender Schimmer.
Die Pforte zum Jenseits! dachte der Kommandant und schloß alle fünf Augen. Das drehbare Ohr hing ihm schlaff auf dem Körper, und der Haarkranz war wie abgestorben. Der Mund für die Nahrungsaufnahme öffnete und schloß sich. Eigentlich durfte er im Jenseits seinen Körper nicht mehr spüren. Der Übergang erfolgte unbewußt. Die Erkenntnis riß den Kommandanten empor. Er kam auf den acht behaarten Beinen zum Stehen und schwankte gefährlich. Der Sichtkranz seines Raumanzugs war teilweise mit Staub bedeckt. Vigo Manottel‐Zwark stellte fest, daß er sich zwischen mehreren Körpern in dem aufgeplatzten Kegel seiner Rakete befand. Lin Khans Rakete. Der Gedanke an den Monarchen und den Auftrag belebte seinen Geist. Er bewegte sich vorsichtig hin und her, dann griff er mit dem Arm nach dem Anzug des neben ihm Liegenden. Ein fahriges Stöhnen antwortete ihm, und der Kommandant gab ein paar beruhigende Worte von sich. Nach und nach erlangten alle das Bewußtsein zurück. Sieben von neun Uzerfonern waren noch beisammen. Lediglich zwei fehlten, sie hatten ihre Sessel dort gehabt, wo der große Riß in der Wand klaffte. Die abgebrochenen Stümpfe der Sesselverankerungen wiesen darauf hin, daß die beiden Astronauten mitsamt ihren Sitzgelegenheiten hinausgeschleudert worden waren. »Wo sind wir?« ächzte eine Stimme. Sie gehörte Geri Verfok‐ Zummesch, dem Navigator. »Gelandet«, stammelte Vigo in einem Ton, als habe er soeben die Erfüllung seines Daseins erlangt. »Wir sind gelandet!« Langsam kamen sie alle hoch und betrachteten aus unterschiedlichen Augen den Schaden. Von dem Steuerraum und den Bedienungsahlagen war nicht viel übrig. Zerknitterte Metallflächen und in sich gepreßte Schaltelemente bildeten die einzige, deutliche Erinnerung an das, was gewesen war. Irgend jemand sagte, daß eine halbe Stunde seit dem Absturz vergangen war, aber Vigo Manottel‐Zwarks Chrono zeigte einen halben Tag an.
Es war gut möglich. Sie arbeiteten sich aus dem Wrack heraus. Sie stellten fest, daß der Spitzkegel am weitesten fortgeschleudert worden war. Die Überreste explodierter Triebwerksteile lagen etliche hundert Meter entfernt. Die Uzerfoner suchten nach ihren Kameraden, doch sie fanden sie nicht. Eine Blutspur lief unter einem besonders großen Trümmerstück hervor und kündete vom Schicksal der beiden Besatzungsmitglieder. »Du hast sie auf dem Gewissen«, sagte Geri Verfok‐Zummesch. »Du wirst dem Lin‐Khan Rechenschaft ablegen müssen, falls wir jemals zurückkehren!« Der Kommandant schloß das Hauptauge. Er wollte den Navigator nicht mehr ansehen, ohne sich abwenden zu müssen, was einer Beleidigung gleichgekommen wäre. Von den Nebenaugen aus hatte er ihn nach wie vor im Visier, aber diese waren starr, und das äußere Paar taugte nur zum Sehen bei Nacht und blieb unter dem Tageslicht meist geschlossen. »Der Schirm ist schuld«, machte er den Versuch einer Rechtfertigung. »Wir wären auch ohne unsere Raserei abgestürzt!« Es gelang ihm nicht, sich selbst zu beruhigen, und er wanderte unruhig umher. Seine Gefährten standen unschlüssig bei den Trümmern und warteten darauf, daß er eine Entscheidung fällte. »Aufbrechen!« tönte er nach einer Weile. »Der Schutzschirm über uns läßt uns genug Spielraum und Bewegungsfreiheit!« Die Schwerkraft lag sehr niedrig, und sie mußten sich erst an die Umstellung gewöhnen. Vigo Manottel‐Zwark kehrte nochmals in den Steuerraum zurück. Er brachte die Pistole mit den Leuchtraketen mit und befestigte sie an seinem Anzug. »In welche Richtung wir gehen, spielt keine Rolle«, sagte er. »Irgendwo oder irgendwann werden wir auf den Fremden und sein Schiff treffen!« »Es ist sinnlos. Auch die Kugel Atlans wird abgestürzt sein wie
wir. Es könnte sogar sein, daß niemand in dem Geisterschiff überlebt hat!« Der Navigator stampfte zur Bekräftigung seiner Worte mit vier Beinen auf, und der Boden dröhnte. Ein paar winzige Gesteinssplitter stoben nach allen Seiten davon. Das Dröhnen aber blieb. »Was hast du gemacht!« stieß Vigo hervor. »Was hast du im Boden ausgelöst? Er hört nicht mehr auf zu vibrieren!« Sie beeilten sich, aus der Nähe der Trümmer wegzukommen. Sie wanderten sinnlos drauflos, und das Dröhnen unter ihren Füßen nahm immer mehr zu. Viermal änderten sie die Richtung, ohne daß sich eine Änderung ergab. Der Kommandant mußte an riesige Maschinen denken, die sich über die Oberfläche arbeiteten oder an Wesen, höher als der Himmel, die sie mit dem Lärm ihres Absturzes aufgeweckt hatten. Er versuchte, den grauenhaften Gedanken zu verscheuchen, doch er blieb und nistete sich tief in ihm ein, bis nach mehreren Stunden einer seiner Artgenossen ausrief: »Dort vorn ist der Fremde. Ich sehe ihn!« Sie stürzten vorwärts, doch es war nicht die Kugel Atlans, die sie sahen. Es waren mehrere Raumschiffe unterschiedlicher Form. Sie schwebten dicht über dem Schutzschirm, und von ihnen reichten blitzende, sich ständig entladende Schläuche hinab auf die Oberfläche. Auf dem Gesteinsmantel Schjepps setzten sich gewaltige Maschinen fast von Geisterhand zusammen, und sie gingen einer rätselhaften Tätigkeit nach. Nach einer Weile verschwanden die Maschinen nach unten. Sie bewegten sich fast so schnell vorwärts wie ein Raumschiff. »Wir sollten hier lagern und auf Atlan warten«, schlug der Navigator vor. »Dort vorn ist es gefährlich!« »Woher willst du das wissen?« hielt der Kommandant ihm entgegen. »Vielleicht treffen wir dort vorn auf Wesen, die so aussehen wie die Fremden, die uns auf Uzerfon besucht haben. Du
erinnerst dich, daß die beiden Schiffe zu einer größeren Einheit gehören, die irgendwo in Farynt steht!« »In Farynt oder in Bars?« »Sprich den verfluchten Namen nicht aus«, herrschte Vigo Manottel‐Zwark den Navigator an. »Es gibt nur Farynt! Farynt ist unsere Heimat!« Er marschierte weiter, und die Uzerfoner folgten ihm langsam. Sie hatten einerseits Bedenken, wagten andererseits aber nicht, sich als Feiglinge darstellen zu lassen. Mehrmal winkte der Kommandant ihnen mit seinem Arm, und sein Abstand zu ihnen vergrößerte sich immer mehr. Schließlich blieb er stehen, und als sie ihn erreichten, sahen sie, daß er am Rand eines bodenlosen Abgrunds stand. Ein tiefes, breites Loch gähnte in der Felsmasse des Planeten, und sie hielten unverzüglich den Atem an. »Was ist das?« krächzte Geri Verfolk‐Zummesch endlich. »Was haben wir da?« »Wir sind am Beginn des Geheimnisses, dessetwegen wir nach Schjepp geflogen sind!« belehrte ihn der Kommandant. »Hier ist der Zugang. Hier warten wir eine Möglichkeit ab, bis zu Atlan vorzudringen. Laßt uns lagern!« Er knickte seine Beine ein wenig ein, bis er mit dem unteren Teil seines Körpers den steinigen Grund berührte. Nebeneinander setzten sich die Uzerfoner an den Rand des riesigen Loches und warteten. Sie warteten darauf, daß etwas sich tat. Warteten darauf, daß Atlan zum Vorschein kam und sie in sein Schiff nahm. Den Gedanken, das Rätsel Schjepps vor den Fremden zu lösen und die Kunde davon nach Hause zu bringen, trug längst keiner mehr von ihnen in seinem Innern. Im Augenblick waren sie froh, daß sie überhaupt noch lebten.
* »Die Wahrscheinlichkeit, daß der Ausfall einer einzigen Station den Zusammenbruch des Schirmes bewirkt, ist verschwindend gering«, eröffnete der Computer in Tumys Beinprothese, dem sie den Namen Chester gegeben hatten. »Versuchen könnten wir es mal!« »Du bist verrückt«, erwiderte Tullo Wiesters. »Bei den Energien, die zur Aufrechterhaltung des Schirmes nötig sind, kann sich ein Ausfall einer einzigen Station verheerend auswirken. Der Schim fällt zusammen, und was dann? Bleibt es dabei, oder stürzt der Gesteinsring des Hohlplaneten ein?« »Aufgrund bisher gemachter Erfahrungen ist dies nicht anzunehmen«, teilte ehester mit. »Es spricht nichts dagegen, es auszuprobieren. Zeigen sich nachteilige Wirkungen, kann man ihn immer noch wieder einschalten, sofern man die zentrale Schaltstelle des Schirmes kennt.« »So etwas von Naivität ist ja nicht zum Aushalten!« regte Schlange sich auf. »Tumy, kann man diesem Ungeheuer in deinem Bein nicht die Energie entziehen?« Die Schirmspezialistin verneinte lachend. Sie beugte sich ein wenig vor und half Briss bei der Entfernung der Abdeckung der Steueranlage. Sie untersuchten die Maschinerie, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Seit Stunden öffneten sie Anlagen und Aggregate. Tullo, der großartigste Hyperingenieur aller Zeiten, wie er sich selbst manchmal nannte, zuckte nur mit den Schultern und wandte sich dem nächsten Gerät zu. Die Technik war zu fremdartig. Sie verstanden die Zusammenhänge nicht, und Gebrauchsanweisungen lagen keine herum. Auch der Computer der Station gab keine her. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als herumzuprobieren. Von der CHYBRAIN konnten sie keine Anweisungen einholen, denn der Funkverkehr war gestört. Sie empfingen keinen einzigen Ton und wußten nicht, ob von ihren Sendungen etwas in dem Kreuzer angekommen war.
»Huh!« machte Argan U. Sein Oberkörper ragte aus einem wannenähnlichen Maschinenteil hervor. Der orangefarbene Raumanzug des Puschyden wies Öl‐ und Fettspuren auf. Er hielt einen Schraubenschlüssel und eine Zange in Händen. »Nein«, stöhnte Tullo auf. »Du machst noch alles kaputt. Kannst du dich nicht wie wir nur aufs optische Prüfen verlegen?« Argan U lachte ihn aus seinen großen Augen an und verschwand im Innern der Wanne. Eifriges Hämmern und Klopfen war die Antwort. Dazwischen zischte und rumpelte es, und Briss rannte wie der Teufel hinüber, um sich zu vergewissern, daß der Puschyde noch am Leben war. Nach vier Stunden gaben sie es auf. »Einigen wir uns auf ein Abschlußkommunique«, schlug Briss vor. »Dann stehen wir wenigstens nicht mit leeren Händen da.« Daß es sich um eine Energiestation handelte, die ihre Energie in den Gesteinsmantel Schjepps hineinleitete, hatten sie aufgrund der architektonischen Anlage der Station schnell herausgefunden. Zu mehr hatte es nicht gereicht. Eine Altersbestimmung der Anlage hatte ergeben, daß sie etwa tausend Jahre alt war und also aus der Zeit stammte, da Farynt und Bars noch nicht vereinigt gewesen waren. Es bedeutete etwas, das sie noch nicht wußten. Sie hätten viel darum gegeben, wenn sie sich mit Atlan hätten in Verbindung setzen können. Was ging draußen in der Hohlkugel vor? Es war unerklärlich, daß der Funkkontakt bei ihrem Eindringen in die Station noch existiert hatte und später abgebrochen war. Es gab eine Erklärung. Wenn tatsächlich Prezzarerhalter durch den aktivierten Transmitter gekommen waren, dann steckten sie dahinter. Argan U tauchte aus der Wanne auf und hielt triumphierend eine eigroße Kapsel hoch. Sie schimmerte golden. »Was ist das? Was hast du da?« rief Tullo aus. »Ein kleiner Sprengsatz. Er wird ausreichen«, antwortete der
Puschyde. Schlange ging ein Licht auf. »Der Weg ins Freie!« staunte er. »Wir sprengen ein Loch in die Außenwand der Station!« »Er hatʹs begriffen!« meldete sich Chester. »Bravo, Tullo!« Sie wandten sich zum Ausgang. Briss en Verzank klopfte der desaktivierten Kleinausgabe des Kolosses väterlich gegen den Brustkorb, während Argan U vorauseilte. Der Puschyde kehrte wie der Wind zurück, und dann vernahmen sie den dumpfen Knall einer Explosion. Der Weg nach draußen war frei. * Dicht vor dem Loch, das die Explosion in die Wand gerissen hatte, blieb Riss stehen. Er lauschte und legte eine Hand gegen die Wand. Dann beugte er sich zu Boden und tastete umher. »Irgendwo muß eine Kraftstation angesprungen sein«, sagte er. »Die Prezzarerhalter sind in der Nähe!« Noch einmal kehrte er in die Steuerzentrale der Station zurück. Ein paar Meßgeräte schlugen aus, und ein vorher blinder Bildschirm leuchtete und zeigte eine Graphik, die dem Gravotechniker die Sprache verschlug. Die Darstellung bezog sich eindeutig auf den Gesteinsring des Hohlplaneten, und die elektronisch sichtbar gemachten Wellen, die über den Schirm liefen, ließen nur einen Schluß zu. Etwas näherte sich durch den Stein. Etwas arbeitete sich auf das Innere Schjepps zu. Briss eilte hinaus und berichtete. Jetzt verließen sie die Station endgültig und kletterten den Krater empor. Die Gravitation war unverändert gleich, auch der Schutzschirm rund um die Projektoren arbeitete. »CHYBRAIN, hier spricht Verzank«, meldete Briss sich. »Wir
haben eine wichtige Entdeckung gemacht. Jemand dringt durch den Gesteinsmantel vor!« Mit angehaltenem Atem warteten sie auf die Bestätigung, doch sie kam nicht. Von dem Kreuzer war nichts zu hören, und sie eilten auf die Konsole zu, mit der Tullo die Projektoren und den Schirm kontrollierte. Der integrierte Kurzstreckenorter rührte sich nicht. »Schweinekram«, fluchte Schlange. »Die CHYBRAIN ist nicht da! Was tun wir?« Sie riefen nach ihr, warteten, versuchten es immer wieder. Schließlich wurde es Tumy zu bunt. »Anstatt herumzustehen, sollten wir handeln«, rief sie. »Suchen wir doch nach diesem Transmitter. Dort werden wir Atlan finden!« »Ich habe eine Idee!« eröffnete Argan U. Er ließ Tullo die Projektoren und den Schirm abschalten, dann machte er sich an einer der Antigravscheiben zu schaffen. Er ließ den Projektor einfach herunterrutschen und legte sich auf die Scheibe. »Wir suchen die CHYBRAIN«, meinte er. Wie elektrisiert folgten sie seinem Beispiel. Kurz darauf eilten vier Scheiben der Krümmung der Oberfläche entlang. Keiner kannte den Standort des Transmitters, aber sie hofften, daß sie irgendwo Spuren der Freunde finden würden. »Macht euch auf alles gefaßt!« meldete sich Briss. Er führte den kleinen Verband an. »Wir befinden uns in Gefahr! Rechnet mit allem!« »Woher willst du das …«, begehrte Schlange auf, aber Tumy fiel ihm ins Wort. »Du vergißt sein Armband, Tullo!« mahnte sie. »Es hat prognostische Fähigkeiten!« »Einbildung!« knurrte der Hyperingenieur. Nach einer Viertelstunde empfingen sie ein Energieecho. Es war undeutlich und verwischt wie bei einem Schiff, das kurz aus dem Linearraum auftauchte und wieder verschwand. Sie hielten darauf
zu. Bei ihrer derzeitigen Geschwindigkeit mußten sie es in einer halben Stunde erreicht haben. Die Zeit verging wie im Flug, und Briss nahm es als schlechtes Zeichen. Noch immer blieben ihre Funkanrufe unbeantwortet, aber weit entfernt maßen sie jetzt die Energieentfaltung eines Kampfes an. Im Innern Schjepps war eine Auseinandersetzung im Gang. Argan U nahm den leuchtenden Fleck als erster wahr. Er stieß einen Warnruf aus, und die vier trieben ihre Scheiben nach unten bis knapp über den Boden. Was da auf sie zukam, war kein Boot von der CHYBRAIN. Es schimmerte fremdartig. »Prezzarerhalter!« fauchte Briss. »Macht euch dünn!« Sie preßten sich gegen die Scheiben und steuerten auf eine Felsgruppe zu, die ein paar hundert Meter entfernt vor ihnen auftauchte. Das fremde Boot hatte sie jedoch gesehen und holte rasch auf. Keine dreißig Meter entfernt glühte der Boden auf, zog sich die Bahn einer Strahlwaffe durch das Gestein. Briss en Verzank begann Haken zu schlagen. Er steuerte wild hin und her, raste mal in die Höhe, dann wieder gefährlich auf den Boden zu und über diesen hinweg. Es machte den Anschein, als sei seine Steuerung außer Kontrolle geraten. »Los!« drängte er. »Mir nach!« Er hatte den Gegner unterschätzt. Dieser schoß sich ein und versperrte ihnen den Weg. »Runter!« konnte Briss nur machen, dann warf er sich von der Scheibe und hoffte, daß die Gefährten ihn verstanden hatten. Er rollte sich ab und hetzte mit weiten, zwanzig Meter langen, flachen Sprüngen auf die Felsen zu. Seitlich flog die erste der Scheiben in den Energievorhang und explodierte mit einem dumpfen Knall. Die zweite und dritte folgten. Die vierte sauste seitwärts davon und lenkte die Waffen des Angreifers für kurze Zeit in die andere Richtung. Es rettete ihnen das Leben. Sekunden später sprangen sie zwischen die Felsen hinein und suchten Deckung zwischen den Einschnitten und
Miniaturschluchten. Sie arbeiteten sich in die Formation hinein, und Briss aktivierte erneut sein Funkgerät. »CHYBRAIN!« flüsterte er. »Hört ihr uns?« Es kam keine Antwort, und Briss befürchtete das Schlimmste. Er rechnete damit, daß der Kreuzer vernichtet worden war. Es war nicht auszudenken. Briss en Verzank überlegte krampfhaft, wie sie Kontakt zu weiteren versprengten Gruppen gewinnen konnten. Sie mußten aus dem Versteck heraus suchen. Tumys Handschuh krallte sich schmerzhaft in seinen Oberarm. Vor Schreck verlor er fast den Halt. »Dort!« hauchte die Frau. »Siehst du das Metall!« Er starrte durch die Dämmernis auf die blinkenden Balken, die sich zwischen den Felsen erhoben. »Hin!« sagte er. Er hatte begriffen. »Das ist der Transmitter!« Sie eilten voran, so schnell es ging. Schräg hinter sich wußten sie das fremde Boot. Mit wenigen Sätzen überquerten sie die freie Fläche vor dem Transmitter. In ihren Funkgeräten piepste es. Die vier Solaner sahen nicht die dunkle Gestalt des Prezzarerhalters, die sich in eine Nische neben dem Transmitter drückte. Sie starrten nach oben, und Briss rief: »Atlan, CHYBRAIN! Hört ihr uns?« »Hier Brick«, kam die Antwort. »Wo seid ihr?« »Am Transmitter. Paß auf, Uster. Jemand versucht, ein Loch durch den Gesteinsmantel zu treiben. Ihr müßt mit weiteren Einheiten des Gegners rechnen. Nehmt uns auf, wenn ihr könnt!« »Verstanden! Wir kommen zu euch!« Übergangslos wurde es hell. Über ihnen flammte der Transmitterbogen. »Briss!« ächzte Tullo. Er dachte plötzlich an das Armband des Gravotechnikers. »Vorsicht …!« Sie setzten sich in Bewegung, aber sie schafften es nicht mehr. Das Abstrahlfeld des Transmitters hüllte sie ein. Sie spürten noch den
ziehenden Schmerz in allen Gliedern, als sie entstofflichten. Der Platz vor dem Transmitter wurde leer, und der Prezzarerhalter schaltete das Gerät mit zufriedenem Lächeln ab. * Die Solaner der FARTULOON vertrieben sich die Zeit mit Ratschlägen für die Uzerfoner. Das Farynt‐Volk befand sich in etwa auf dem technischen Stand der Erde des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Rassenspezifische Unterschiede gab es selbstverständlich. Entsprechend ihrer anderen Körperlichkeit hatten die Uzerfoner andere Techniken entwickelt, und ihre Kultur war in jeder Beziehung auf fünf Augen, acht Beine, einen Arm und einen Kugelkörper zugeschnitten. Die Nachtsichtfähigkeit des einen Augenpaars führte dazu, daß es die nächtliche Stille in den Siedlungen des Planeten nie gab. Immer und überall waren Uzerfoner unterwegs, um ihren Geschäften nachzugehen. Die ca. 1,50 Meter großen Wesen kannten keinen eigentlichen Müßiggang. Jetzt, nach dem Wegfall der Opposition durch die Karymauner, erwachte ihr Forscher‐ und Wissensdrang zu neuer Blüte. Sie wollten alles mögliche in Erfahrung bringen und meldeten sich zu Hunderten bei den Solanern, daß diese ihnen einen Flug nach Schjepp verschaffen würden. Pooch Veletta‐Del hüllte sich erstaunlicherweise in Schweigen. Der Monarch hatte sich seit dem Abflug der CHYBRAIN nicht mehr in der FARTULOON sehen lassen. Seiner vorherigen Neugier widersprach das zu deutlich, als daß es nicht aufgefallen wäre. Allerdings wäre es keinem Solaner eingefallen, den Lin‐Khan aufzusuchen und deswegen zu befragen. Der Herrscher Uzerfons hatte schließlich auch andere Dinge zu erledigen, als sich die Technik der Solaner zu betrachten und eine Alarmübung zu verfolgen.
Diese allerdings war auf seinen persönlichen Wunsch hin durchgeführt worden und hatte den Abflug der CHYBRAIN um Stunden verzögert. »Langsam macht mir das Ausbleiben einer Nachricht Sorgen«, gestand Bjo Breiskoll, als er zu Vorlan Brick in die Zentrale der Korvette kam. »Es ist nicht Atlans Art, einen ohne Informationen zu lassen. Es muß etwas geschehen sein!« »Du willst aufbrechen und ihm nachfliegen«, stellte der Pilot fest. »Du brauchst keine Angst zu haben. Mein Brüderchen würde schon dafür sorgen, daß ich rechtzeitig von seinem Ableben erführe!« »Vorlan!« Der sensible Breiskoll reagierte empfindlich auf den derben Scherz. »Ist ja gut«, meinte Brick. »Möglicherweise liegt es an dem Energieschirm. Aber wenn der Kreuzer den Weg hinein gefunden hat, wird er auch den hinaus finden. Oder?« »Ich wünschte, du hättest recht«, nickte der Katzer. »Es wird schon alles in Ordnung sein. Was meinst du, sollen wir der Besatzung zusätzlichen Landurlaub gewähren?« »Das ließe sich hören«, schmunzelte Brick. »Aber du wartest vielleicht noch zweieinhalb Stunden. Dann ist mein Dienst hier vorbei!« Breiskoll befolgte den Rat und betrachtete es hinterher als eine Fügung des Schicksals. Knapp zwei Stunden später empfing die Korvette den verstümmelten Funkspruch Atlans. Er war nicht vollständig zu entziffern, aber es ging daraus hervor, daß sich die CHYBRAIN in der Klemme befand. »Die Verzerrung der Botschaft kommt eindeutig durch den Schirm, nicht etwa durch den Gesteinsmantel!« sagte Brick, als Breiskoll herbeieilte. Die Alarmsirenen gellten und riefen die Besatzung auf ihre Plätze. »Normalerweise läßt Gestein keine Funkwellen durch«, stellte Bjo fest. Vorlan zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht gibt es eine Öffnung, durch die man ins Innere gelangt!« Wenige Minuten später jagte die FARTULOON in den Himmel Uzerfons hinein. Die Uzerfoner blickten ihr entgeistert nach, und sie fragten sich, was das bedeutete. Aber es bereitete ihnen kein Kopfzerbrechen. Lediglich der Lin‐Khan wurde von düsteren Gedanken gequält. Er hatte keine Verbindung mehr zu seinem Schiff erhalten, und die Fremden hatten ihn nicht informiert, was der Grund ihres überhasteten Aufbruchs war. Gab es die PFLEIDERHEGGE nicht mehr? Hatte die Besatzung den überhasteten Vorstoß zum achten Planeten mit dem Leben bezahlt? Während sich der Kondensstreifen am Himmel verflüchtigte und die Korvette in die kurze Linearetappe ging, verkroch sich der Monarch in seine privaten Gemächer und fror. Erkennbar war es am unaufhörlichen Wippen des beweglichen Ohrs auf der Oberseite seines Körpers. 6. »Ketkar, wie ist die Lage?« fragte Diphau. Auf dem Bildschirm hatte er das dunkle Loch vor sich, das die Maschinen in die Kruste Schjepps getrieben hatten. Solange der Schirm existierte, machte es nichts aus. Die Hülle aus Stein blieb stabil. »Fünf Prezzarerhaltʹ sinʹ gefangʹn«, kam es aus dem Kästchen. »Sie warten unʹ schweigen.« Diphau war zufrieden. Die Müdigkeit, die ihn bei der Kunde vom Tod zweier Prezzarerhalter befallen hatte, verflog und ließ ihn in jugendlicher Frische handeln. Wenn sie es jetzt nicht schafften, dann schafften sie es nie. Immer mehr erkannte der alte Beneterloge, daß die Fremden als
Feinde einzustufen waren, denen ein entschiedener Kampf geliefert werden mußte, damit Schjepp nicht verloren war. Schjepp war das Wichtigste, was Diphau kannte. Schjepp kam gleich nach Prezzar, und die Zahl derer, die ihr Leben für Schjepp geopfert hatten, war groß. Diphau setzte sich mit den restlichen Schiffen seines Pulks in Verbindung. Er benötigte keinen Funk dazu, denn sein Fetisch arbeitete unermüdlich. Er benötigte keine Erholungspause. Die Versorgungsanlage des Kästchens gab ihm alles, was für ihn gut war. Fünf Schiffe formierten sich und folgten Diphau. Dicht hintereinander drangen sie in das einen Kilometer durchmessende Loch in die Gesteinskruste des Planeten vor. 48 Kilometer dick war der Ring, den die Schjepper in der Vergangenheit übriggelassen hatten. In den nächsten tausend Jahren würde der Ring erneut dünner werden, und die Energiestationen der Stabilitätslotsen mußten erweitert werden. Vielleicht waren auch weitere Sabilitätslotsen erforderlich. Diphau dachte, daß der Kreis der Prezzarerhalter unbedingt erweitert werden mußte. Man sollte ihn verdoppeln oder verdreifachen. Jeder Schjepper, der als Fetisch seinen Dienst im Kästchen tat, hatte schon keine Gelegenheit, weiter am Gesteinsring seiner Welt zu fressen. Es war erstaunlich, daß die Natur ein solches Volk überhaupt hervorgebracht hatte, das davon lebte, daß es seine Heimat systematisch zerstörte, und der Prezzarerhalter war geneigt zu glauben, daß es sich dabei um einen fürchterlichen Irrweg der Natur handelte. »Prezzar!« murmelte er. »Wenn wir nur eine Spur von dir hätten, ein Zeichen, wie wir uns verhalten sollen. Zeige uns den Weg, damit wir keinen Fehler machen!« Ketkar schwieg, es gab keine Mitteilungen anderer Prezzarerhalter. Alle konzentrierten sich auf den Einflug in den Planeten. Anhaltende Dunkelheit umgab die Schiffe. Längst war der
letzte Lichtschimmer Masilans und des Energieschirms hinter ihnen zurückgeblieben. Diphau nahm mehrere Schaltungen vor. Licht flammte auf und erhellte die Umgebung seines Schiffes. Er sah die glatte, glasierte Wandung des Tunnels, den die Maschinen geschaffen hatten. Nicht weit entfernt glitt sie an seinem Schiff vorbei, das der Autopilot sicher führte. Es gab keine Kollisionen oder Berührungen mit der Wandung. Noch drei Kilometer, dann waren sie durch. »Warbel!« machte Ketkar plötzlich. »Warbel, Warbel!« Das Kästchen an Diphaus Hüfte begann zu schwanken. »Was ist?« Der Prezzarerhalter runzelte die Stirn. »Eine Botschaft?« »Nix mehr Botschafʹ«, klang es dumpf. »Warbel!« »Was übermitteln die anderen Fetische? Rede schon!« »Weiß nix. Ketkar isʹ nit dumm. Will aus Gefangenkiste!« »Was?« Diphau zuckte zusammen. »Du willst hinaus?« »Warbel isʹ Heimat«, teilte der Fetisch mit. Der Prezzarerhalter wurde bleich. Seine blaue Haut nahm eine helle, fast graue Farbe an. Rasch setzte er sich an die Funkanlage und nahm Verbindung mit den anderen Schiffen auf. Dort hatten die Beneterlogen ähnliche Beobachtungen gemacht. Sie wußten nicht, was sie tun sollten. »Druck ausüben«, empfahl Diphau. »Droht ihnen!« Er nahm den Riemen von der Schulter und stellte das Kästchen vor sich ab. Er schlug mit der flachen Hand darauf, und ein quiekender Laut kam aus seinem Innern. »Ich zünde die Sprengladung, wenn du nicht gehorchst«, sagte er. Etwas wie ein Zischen kam aus dem Kästchen, dann war es eine Weile still. Ein leises Singen kündigte an, daß der Fetisch noch am Leben war. »Isʹ gut«, pfiff Ketkar nach einer Weile. »Habʹ verstandʹ.«
In diesem Augenblick erreichte Diphaus Schiff die Innenseite des Gesteinsrings. Es stürzte in die schwarze Leere der Hohlkugel. Die Ortungsanlagen arbeiteten und zeigten eine Unmenge metallischer Trümmer ganz in der Nähe. Es handelte sich um die Überreste eines ziemlich großen Schiffes. »Wir haben gesiegt«, jubelte der Prezzarerhalter, aber im nächsten Augenblick erkannte er die bittere Wahrheit. Was er sah, waren die Überreste der Bohrmaschinen. Sie waren so programmiert, daß sie sich nach Abschluß ihrer Arbeit in den Schutz eines der Stabilitätslotsen zurückzogen und sich dort desaktivierten. Die Maschinen hatten es nicht geschafft. Sie waren vorzeitig angegriffen worden. Der Gegner hatte zugeschlagen, und was er mit den Maschinen machte, würde er auch mit den Booten tun, die durch den Ferntransmitter am Ort ohne Wiederkehr in das Innere Schjepps vorgedrungen waren. »Ketkar, wir gehen mit unerbittlicher Härte vor«, sagte er zu dem Fetisch, und dieser übertrug die Botschaft eilig an alle anderen Fetische der Prezzarerhalter. »Wir können jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Der Widerstand ist zu groß. Notfalls müssen wir Opfer bringen, die uns weit zurückwerfen!« Nein, es darf nicht wahr sein, zürnte er. Schjepp ist das Wertvollste. Wir können uns nicht von ihm trennen. Es ist unvorstellbar, daß wir diese Welt aufgeben. Und doch. Wenn es nicht anders ging, blieb nur dieser eine Weg. »Gib die Nachricht durch«, sagte er zu dem Fetisch. »Ich aktiviere die Tremoraggregate. Damit haben wir jederzeit die Möglichkeit, die Stabilitätslotsen abzuschalten!« »Warbel!« machte Ketkar, aber er gab die Nachricht durch. »Warbel, Warbel!« Seine Stimme wurde dabei immer leiser. »Es geht vorbei, Ketkar«, versuchte der Prezzarerhalter seinen Fetisch zu besänftigen, denn er glaubte selbst nicht, daß sie zu dieser Möglichkeit greifen würden.
Obwohl … Eigentlich dürfte Schjepp schon lange nicht mehr existieren. »Merke dir eins, Fetisch«, meinte Diphau mit harter Stimme. »Wir haben einst eure Welt gerettet. Es liegt in unserer Hand, dies rückgängig zu machen. Es würde nur bedeuten, eurer natürlichen Entwicklung freien Lauf zu lassen.« Aber sie brauchten die Fetische. Nicht nur jetzt. Auch in Zukunft. Es dürfte nicht genügen, daß sie noch ausreichend Schjepper zur Verfügung hatten. Es ist ein Teufelskreis, erkannte der Prezzarerhalter. Wir finden nicht hinaus. Niemand half ihnen. Und Prezzar schwieg beharrlich. * Sie hatten die Schjepper aus dem Kreuzer hinausgebracht, aber keinen Kontakt zu Marcoyn erhalten. Atlan zweifelte daran, ob es überhaupt gelingen würde, den Fetisch Kulia Aogis nochmals aufzuspüren. Er hatte sein Volk wiedergefunden. Die CHYBRAIN war ihm vermutlich gleichgültig geworden. Als Atlan in die Zentrale zurückkehrte, traf die Warnung Briss en Verzanks ein. Uster Brick setzte das Schiff sofort in Bewegung. In seine Schirme gehüllt, näherte es sich dem Transmitter, aber die Fläche zwischen den Felsen war leer. Der Bogen war erloschen. Keiner der vier Solaner reagierte auf einen Funkanruf. »Sie sind weg«, sagte Uster. »Vom Erdboden verschluckt!« »Es ist möglich, daß sie durch den Transmitter geflohen sind oder unbeabsichtigt abgestrahlt wurden«, erwiderte Sternfeuer. »Wir haben im Augenblick keine Möglichkeit, ihrer Spur zu folgen.« Die Prezzarerhalter griffen wieder an. Mit allen verfügbaren Booten und Robotern bildeten sie einen Ring um den Kreuzer. Sie
wußten, daß sie ihn nicht aufhalten konnten, aber sie versuchten zumindest, ihn in ein Gefecht zu verwickeln. Atlan ließ sich nicht beirren. Er erkannte, was Verzanks Warnung bedeutete. Die CHYBRAIN jagte in die Hohlkugel hinein und gab ein paar ungezielte Warnschüsse ab. Etliche Roboter verglühten in ihren Schirmen, und die Boote der Prezzarerhalter verstärkten das Feuer. Sie folgten dem Kreuzer sofort, aber Atlan beachtete sie nicht mehr. Inzwischen maßen die Orter die Vibrationen in der Gesteinskruste Schjepps an. Riesige Maschinen arbeiteten dort, und sie kamen immer näher. Schließlich durchbrachen sie die Oberfläche und rasten auf das Beiboot der SOL zu. Uster Brick eröffnete sofort das Feuer, nachdem Sternfeuer und Tyari ihm zugenickt hatten. Die Maschinen waren Roboteinheiten ohne eine lebende Besatzung. Brick zerstrahlte einen Teil der Maschinen, der Rest explodierte und verteilte sich gleichmäßig. Zum gleichen Zeitpunkt zogen sich die Boote und die Roboter der Prezzarerhalter zurück. »Es geht los!« stellte der Arkonide fest. »Sie können den Schutzschirm nicht im Linearflug durchdringen. Sie haben deshalb eine Strukturlücke geschaffen und ein Loch in die Kruste gebohrt. Sie werden mit ihren Schiffen einfliegen und uns einen erbitterten Kampf liefern.« »In dem wir unterliegen«, stellte Joscan Hellmut emotionslos fest. »Wir können nicht zaubern, und viele Hunde sind des Hasen Tod. Das hat das Vorkommnis mit der CHY‐A gezeigt!« »Wir sind ja nicht allein«, meinte Tyari jetzt. »Was macht der Funkspruch?« Atlan nickte und setzte eine Botschaft an die FARTULOON ab. Er postierte den Kreuzer so, daß die Funkwellen das von den Prezzarerhaltern geschaffene Loch passieren konnten. Danach zog sich die CHYBRAIN weit in das Innere der Hohlkugel zurück.
Atlan schreckte vor einem offenen Kampf zurück. Er tat es nicht nur, weil sein Ausgang im Augenblick noch ungewiß war. Rund sechzig Solaner waren noch versprengt. Sie hielten sich auf der Oberfläche Schjepps auf, suchten nach weiteren Stationen, den sogenannten Stabilitätslotsen, oder befanden sich auf der Flucht vor den Robotern und Booten der Prezzarerhalter. In der Eile hatten sie noch nicht an Bord geholt werden können, und der Einsatz der beiden Space‐Jets hatte sich als gefährlich herausgestellt. Ein zweiter, ebenso wichtiger Grund war die Rücksichtnahme auf die Schjepper. Bei einem Kampf zwischen Schiffen der Kreuzerklasse und der dabei entstehenden Energie entfaltung würde die Hohlwelt in Mitleidenschaft gezogen. Das Leben und die Existenz der Schjepper war in Gefahr. Deshalb wollte Atlan alle tun, um eine solche Entwicklung zu vermeiden. Notfalls würde er sich für einige Zeit aus der Nähe Schjepps zurückziehen. Allerdings, und das wußte jeder an Bord, war damit den Schjeppern nicht geholfen. Die Solaner hatten ihnen versprochen, sie vor den Nachstellungen durch die Beneterlogen zu schützen. Aus sicherer Entfernung beobachtete die CHYBRAIN das Eintreffen der Beneterlogenschiffe. Sechs Stück kamen durch den Tunnel, und sie standen dem Kreuzer in der Größe nicht nach. Zwei der ovalen Gebilde waren noch größer als die CHYBRAIN. Alle leuchteten sie im Tiefrot ihrer Schutzschirme. »Sie haben uns geortet«, sagte Uster Brick sofort. »Achtung, der Kurs ist eindeutig. Sie beschleunigen. In drei Minuten sind sie fast an unserer Position!« »Ausweichmanöver fliegen!« ordnete Atlan an. »Wir entziehen uns der Konfrontation, wenn es geht.« Die CHYBRAIN nahm Fahrt auf. Sie orientierte sich stärker am Mittelpunkt der Hohlkugel. Die Prezzar‐Schiffe folgten ihr, und der Abstand schrumpfte immer mehr zusammen. Dann erfolgte der erste Feuerschlag. Die Schirme des Kreuzers leuchteten grell auf. Die Schiffszelle begann zu vibrieren, und Uster
Brick flog rasch ein Ausweichmanöver. Die CHYBRAIN zog davon, dem gegenüberliegenden Ende des Hohlraums entgegen. »Computerauswertung«, sagte Hellmut. »Ihre Feuerkraft ist stark, aber wir sind ihnen fast ebenbürtig. Mit der FARTULOON zusammen würden wir jeden Schlagabtausch gewinnen.« Noch wußten sie nicht, ob die Korvette auf Uzerfon ihren Funkspruch aufgefangen hatte. Sie hofften es. Ändern würde es allerdings wenig, wenn die Prezzarerhalter weiter so hartnäckig blieben. Wieder wurde der Kreuzer unter Beschuß genommen. Brick jonglierte mit den Triebwerken wie ein Weltmeister, und ein Teil der Schüsse ging an der CHYBRAIN vorbei und traf die Innenfläche Schjepps. Sofort raste der Kreuzer davon, in das Innere der Hohlkugel hinein. »Es ist ein Katz‐ und Maus‐Spiel«, murmelte Sternfeuer. »Wir sollten ihm ein Ende bereiten!« Atlan trat an die Funkanlage und bemühte sich um eine Verbindung mit den Schiffen. Diesmal stellten sich die Prezzarerhalter nicht stur. Das Gesicht eines alten, ausgemergelten Beneterlogen erschien. »Was willst du, Fremdling?« fragte er. »Ich biete euch Verhandlungen an«, eröffnete der Arkonide. »Wir haben fünf von euch gefangen. Wir bieten sie euch zum Tausch an. Unsere einzige Bedingung ist, daß ihr uns freien Abzug gewährt.« Der Prezzarerhalter kniff die Augen zusammen. Einen Augenblick schien er ratlos, falls man seinen Gesichtsausdruck so deuten konnte. Er wandte sich ab und bewegte lautlos die Lippen. Der Riemen über seiner Schulter schaukelte. »Wir überlegen es uns«, sagte er. »Die Kampfhandlungen werden inzwischen fortgesetzt!« »Das ist Unsinn. Uns liegt nichts an einem Kampf!« rief Atlan, aber da hatte der Beneterloge bereits abgeschaltet. Wieder blitzte es bei den Schiffen auf, und die CHYBRAIN machte, daß sie von ihrem
Standort verschwand. * Eine halbe Stunde später erhielten sie die Antwort. Die Prezzarerhalter waren bereit, der CHYBRAIN freien Abzug zu gewähren, wenn zuvor die fünf gefangenen Beneterlogen ausgeliefert wurden. Der Verhandlungsführer, ein Prezzarerhalter namens Diphau, machte zur Bedingung, daß sie eine Delegation an Bord des Kreuzers schicken durften, um ihre Artgenossen abzuholen. Atlan erlaubte es und schlug einen Platz auf der Innenfläche der Hohlkugel vor, um die Übergabe durchzuführen. Die CHYBRAIN steuerte jenen Bereich an, in dem sie schon einmal gelandet war. Ganz in der Nähe lag jene Station, die von Verzank, Wiesters und Zweuk entdeckt worden war. Sofort nach dem Aufsetzen des Kreuzers öffnete sich die Bodenschleuse und entließ eine Gestalt. Atlan machte sich auf den Weg. Er wollte die Schjepper suchen und mit Marcoyn sprechen, dessen Intelligenz unter allen Schjeppern die größte war. Er wollte ihm begreiflich machen, daß sie die Hohlwelt zunächst verlassen würden, aber eines Tages zurückkehrten. Marcoyn solle auf sie warten. Dem Arkoniden war nicht wohl dabei. Es mochte für die halbintelligenten Schjepper wie ein Wortbruch aussehen, was er tat. Ob es einen Sinn hatte, Marcoyn alle Hintergründe zu erklären, wußte er nicht. Atlan durchforschte das Dämmerlicht, das von den phosphoreszierenden Adern herrührte. Er entdeckte einen Schjepper und rief ihn über den Außenlautsprecher seines Raumanzugs zu sich. »Freund, kannst du mich zu Marcoyn bringen?« fragte er. Das rosarote Bällchen umrundete seine Füße.
»Marcoyn weit weg«, machte es. »Marcoyn holʹ.« Es rannte auf seinen acht winzigen Beinchen davon, und Atlan wartete. Über den Funk verfolgte er, wie eines der Schiffe der Prezzarerhalter ganz in der Nähe landete. Eine Delegation der alten Beneterlogen verließ es und suchte die CHYBRAIN auf. Acht Gestalten waren es, die er in der erleuchteten Schleuse zählte, und aus Tyaris Bericht entnahm er, wie alles ablief. Die Gefangenen wurden übergeben und folgten ihren Artgenossen hinüber in das eigene Schiff. Atlan zählte elf Personen, und es machte ihn stutzig. Dann aber fand er sich mit dem Gedanken ab, daß er unaufmerksam gewesen war und zwei der Prezzarerhalter vorausgegangen waren. »Diphau selbst ist gekommen«, hörte er Tyaris Stimme in seinem Empfänger. »Wie steht es bei dir? Hast du Erfolg?« »Ich warte auf Marcoyn«, sagte Atlan. »Er wird geholt, ist aber weiter weg. Hat der Prezzarerhalter eine zeitliche Begrenzung für unseren Rückzug verlangt?« »Nein!« In diesem Augenblick erspähte Atlan ein helles Licht über sich, das rasch näherkam. Er bekam mit, daß in der CHYBRAIN Funksprüche gewechselt wurden. »Die FARTULOON kommt«, stellte er fest, und Tyari bestätigte es. Vorlan Brick hatte den Notruf empfangen. Er war gestartet und hatte Schjepp auf dem schnellsten Weg angeflogen. Es war ihm gelungen, sich den Durchgang durch den bewachten Tunnel in das Innere der Hohlwelt zu erzwingen. Gleichzeitig hob das Schiff der Prezzarerhalter von der Innenfläche Schjepps ab. Es stieg seitlich weg und verschwand irgendwo in der Finsternis. »Die Korvette soll landen«, rief der Arkonide, und kurz darauf vernahm er die zurückhaltende Stimme Breiskolls. »Die roten Schiffe versammeln sich am Tunnel«, sagte Bjo. »Was hat das zu bedeuten?«
Atlan wurde abgelenkt. Seine Augen schweiften über den Boden. In sichtbarer Entfernung stieg er an und folgte der Krümmung. Beim Gehen auf der Innenfläche der Hohlweit hatte man immer den Eindruck, bergauf zu wandern. Von dort oben kam jetzt eine ganze Schar kleiner Schatten herab. Es waren Schjepper, und sie umlagerten Atlan. Einer von ihnen bewegte sich bis auf seine Schuhe, und Atlan bückte sich vorsichtig und nahm ihn auf. »Marcoyn?« fragte er. »Marcoyn da. Isʹ überall ʹwesen.« Atlan spürte, daß das Bällchen fast unmerklich vibrierte. Es bewegte sich auf seiner Handfläche unruhig hin und her und im Kreis. »Atlan hilf!« brabbelte Marcoyn. »Gefahr für Schjepp unʹ alle Schjepper!« »Gefahr?« echote er. »Woher kommt sie? Meinst du die Prezzarerhalter?« »Nix Prezzar unʹ Fetisch. Gefahr technisch, Stationeʹ. Isʹ Änderung!« »Die Stabilitätslotsen!« stieß der Arkonide hervor. »Sie verändern sich?« Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm auf. »Jepp«, machte Marcoyn. »Ander sich!« Er vibrierte stärker. »Macht Platz«, verlangte Atlan. »Ich muß sofort ins Schiff zurück!« Die Bällchen bildeten eine Gasse, und er sprang davon, so gut es ihm die winzige Schwerkraft erlaubte. Er umfaßte Marcoyn mit beiden Händen, damit er ihm nicht zu Boden fiel. Wie ein kostbares Gut trug er ihn in den Kreuzer hinein, während auf der gegenüberliegenden Seite des Schiffes die FARTULOON landete. Atlan eilte in die Zentrale und berichtete hastig von der Unterredung mit dem Schjepper. Marcoyn wiederholte ständig, was er gesagt hatte. Er reagierte auf nichts sonst. Nur noch diese Worte schien er zu kennen. Das Bällchen zitterte jetzt deutlich sichtbar. »Hilf Schjepp, Atlan«, quarrte er. »Bittʹ!«
»Etwas ist faul an der ganzen Sache«, stellte Sternfeuer fest. »Wenn wir wenigstens einen der Prezzarerhalter geistig belauschen könnten!« Es war noch nie gelungen. Nur Beneterlogen ohne einen Fetisch konnten von Tyari geistig sondiert werden. Prezzarerhalter aber starben immer zusammen mit ihrem Fetisch. »Draußen geht etwas vor!« erkannte Uster Brick. »Seht nur!« Die sechs Schiffe der Beneterlogen waren im Tunnel verschwunden. Sie hatten den Rückweg angetreten. Und sie hatten sich gegen Verfolger abgesichert. »Der Tunnel schließt sich!« rief Joscan Hellmut aus. »Sie machen ihn zu!« Ein riesiger Energieschirm wölbte sich über dem Loch, das ins Freie führte. Noch war er durchdringbar, aber seine Substanz nahm rasch zu. Es bildete sich eine grellweiß leuchtende Glocke. Und es geschah noch etwas anderes. Es fing damit an, daß der winzige Marcoyn einen gellenden Schrei ausstieß. »Warbel!« jammerte er. »Warbel. Warbel! Nix Prezzar. Warbel isʹ gefährʹ. Atlan, hilf! Atlan hilf!« Das Bällchen sank in sich zusammen, weil die Beinchen es nicht mehr trugen. Ein kaum hörbares Flüstern lag über der Zentrale. »Warbel, Warbel«, machte Marcoyn ununterbrochen. Mit einemmal schlug die ernsthafte Stimmung unter den Solanern in tiefe Niedergeschlagenheit um. »Er spürt etwas«, zischte Tyari. »Das Faryntvolk hat sich etwas Teuflisches ausgedacht!« »Das kann man wohl sagen«, hallte Usters Stimme in der gedrückten Stille. »Draußen geht etwas vor. Die Stabilitätslotsen zeigen bisher nicht gekannte Aktivitäten. Es sieht nach einer Änderung im Energiehaushalt aus!« Sie starrten auf die Anzeigen der Ortungsgeräte. Noch war nichts Konkretes zu erkennen, aber Atlan reagierte dennoch.
»Hinaus, Marcoyn!« stieß er hervor. »Eile. Dein Volk soll sich überall in der Nähe der Stabilitätslotsen versammelt. Ganz schnell!« Er entließ den Schjepper auf den Boden, und Marcoyn raste davon. »Jetzt!« stieß Brick zornig hervor. »Seht ihr es? Oh, wenn ich diese Schufte zu fassen kriege!« Die energetischen und gravitationalen Bedingungen innerhalb Schjepps begannen sich zu verändern. Die Schwerkraft auf der Innenfläche stieg langsam an. »Das«, sagte Sternfeuer bebend, »ist das Aus für Warbel!« 7. Es war Diphau selbst, der schließlich den Teufelskreis durchbrach. Er wunderte sich noch, daß die Fremden so leichtfertig auf seine Bedingung eingingen. Nur ein dummer Zufall konnte seine Absichten frühzeitig durchkreuzen. Der Prezzarerhalter schickte zwei seiner Kollegen mit in das Kugelschiff. Sie trugen heimlich zwei Bomben bei sich. Ihre Aufgabe war es, die Kugel zu sprengen und ihr eigenes Leben dafür zu opfern, daß das Geheimnis von Schjepp gewahrt blieb. Alles schien zu klappen, aber dann erschien das zweite Schiff. Es warf alle Hoffnungen Diphaus über den Haufen, und er setzte sich sofort mit allen Prezzarerhaltern in Verbindung. »Wir wissen nicht, ob es Gurnimer und Fleder Ostrog gelingen wird, beide Schiffe zu zerstören«, gab er an seinen Fetisch weiter. »Deshalb bleibt nur ein einziger Ausweg! Wir haben darüber gesprochen. Prezzars Erhaltung geht über alles. Wir müssen Schjepp opfern und unsere Organisation darauf vorbereiten, daß wir eines Tages keine Fetische mehr zur Verfügung haben. Diese Aussicht sollte uns eine Warnung sein. Bis dorthin müssen wir Erfolg gehabt haben!«
Diphau erhielt keine einzige ablehnende Stimme, und so programmierte er die Tremoraggregate und gab das Zeichen zum Aufbruch. Die sechs Schiffe verließen das Innere der Hohlkugel und errichteten hinter sich einen undurchdringlichen Schirm. Egal, wie die Fremden hineingekommen waren, einen Weg hinaus würde ihnen auf keinen Fall mehr zur Verfügung stehen. Draußen, über dem Schutzschirm, der den Gesteinsring umgab, rief Diphau alle Prezzarerhalter zusammen, die sich in und um Schjepp aufhielten. Das Stöhnen seines Fetisches störte ihn nicht. Er drohte ihm erneut mit der Sprengung, und da war Ketkar endlich still. Der Prezzarerhalter justierte seinen Bordtransmitter auf die Koordinaten des Ferntransmitters und nahm alle Prezzarerhalter auf, die sich noch im Innern aufgehalten hatten. Nur die Boote und die Roboter waren zurückgelassen worden. »Wir ziehen uns zurück«, ordnete Diphau an. »Es ist nicht sinnvoll, das Ende mitanzusehen!« Zuviel war es, was zu Ende ging. Viele Jahrhunderte hatte Schjepp als Rückhalt für ihre Organisation gedient. Nun sollte es vorbei sein, und sie wußten noch nicht einmal, was dann mit ihren Fetischen geschah, die sie noch besaßen. Bisher hatten diese sich instinktiv nach Schjepp orientiert, sogar über Hunderte und Tausende von Lichtjahren hinweg. Obwohl ihnen die Erinnerung an ihre Herkunft nicht bewußt gewesen war, hatten sie es getan. Jetzt wußten die Fetische wie Ketkar, wo ihre Heimat war. Das war jedoch kein Problem, denn sie würden es ihnen wieder vergessen machen. Aber was geschah mit der Orientierung? Diphau befürchtete, daß die Fetische zugrunde gehen würden, wenn sie sich nicht mehr instinktiv nach ihrer Heimat ausrichten konnten. Das heimliche Band der Natur, es würde mit dem Untergang Schjepps zerrissen.
Der Prezzarerhalter setzte sich schwerfällig in einen Sessel und überließ es Fernek, das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Die kleine Flotte der Prezzarerhalter verschwand übergangslos aus dem Masilan‐System und materialisierte weitab an einem geheimen Treffpunkt. Dort kamen alle alten Beneterlogen zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Fremden hatte man los. Ihr Tod war vorprogrammiert. Damit war ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor beseitigt, der sie in letzter Zeit geplagt hatte. Das ließ auf eine günstige Entwicklung in der Zukunft hoffen und führte vielleicht eines Tages dazu, daß der schmerzliche Verlust Schjepps endgültig ausgeglichen war. »Es wäre aber doch besser, wenn in kurzer Zeit ein Schiff in das Masilan‐System zurückkehren würde, um sich vom Erfolg unserer Aktion zu überzeugen«, schlug Diphau vor Die übrigen Prezzarerhalter lehnten es ab. Die Technik der Stabilitätslotsen war ausgereift genug, daß man mit einem vollen Erfolg rechnen konnte. Inzwischen mußte er bereits eingetreten sein. Den entfesselten Naturgewalten konnten auch die fremden Kugelschiffe nicht standhalten. So beschied sich Diphau also mit dem Gedanken an den Erfolg, der ihm zu verdanken war. Er hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und sich nicht darauf verlassen, daß die beiden Bombenträger sich auf beide Kugeln der Fremden verteilten. »Prezzar steht über allem«, sagte er wieder einmal, und seine Sehnsucht nach einem Zeichen dieser Macht überdeckte die Äußerungen, die sein Fetisch immer wieder von sich gab. Es waren Äußerungen des Schmerzes. * Angesichts der Grausamkeit, mit der die Prezzarerhalter gehandelt hatten, kannte Atlan keine Rücksicht mehr. Mit unerbittlicher Härte
ging er gegen alles vor, was auch entfernt nach Beneterlogen aussah. Er schickte die FARTULOON aus, den Ferntransmitter zu zerstören. Er war verlassen, und Breiskoll zerstrahlte ihn. Die Explosion riß einen tiefen Krater in das Gestein. Dann machte sich die Korvette auf, um die verstreuten Solaner abzuholen, die die CHYBRAIN zu Beginn ihres Aufenthalts in der Hohlkugel ausgeschleust hatte. Sie waren noch vollzählig. Außer Briss en Verzank, Tullo Wiesters, Tumy Zweuk und Argan U kehrten alle zurück. Die vier waren vermutlich von dem Transmitter abgestrahlt worden. Inzwischen trat die CHYBRAIN gegen die Boote der Prezzarerhalter an. Eines nach dem anderen verging in der Feuersbrunst. Es wurden keine Funksprüche gewechselt, aber Uster Brick erkannte nach kurzer Zeit, daß die Boote alle robotgesteuert waren. Die Prezzarerhalter hatten sie rechtzeitig verlassen und waren durch den Transmitter geflohen. »Sie haben uns aufs Kreuz gelegt«, brummte der Chefpilot der CHYBRAIN. »Und zwar ganz gewaltig. Von Anfang an wollten sie uns vernichten. Die Sache mit dem Gefangenentausch gegen unsere Freiheit war nur ein Täuschungsmanöver!« »Es ist nun mal nicht zu ändern«, meldete sich Tyari zu Wort. »Atlan, was meinst du, sollen wir das Scientologenteam auf die Stabilitätslotsen loslassen?« Der Arkonide zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. »Nein«, sagte er. »Die Zeit reicht nicht aus. Sie können nichts ausrichten! Hage und Blödel sollen in der FARTULOON bleiben!« Das letzte der Robotboote verglühte, und der Kreuzer machte sich auf den Rückweg zu seinem Ausgangsort. Die Auswirkungen der manipulierten Stabilitätslotsen nahmen immer mehr zu. Die Schwerkraft auf der Innenfläche des Gesteinsrings betrug bereits über 1 g. Den Schjeppern machte es noch nichts aus, sie waren an unterschiedlichste Verhältnisse anzupassen. Diese Fähigkeit lag vermutlich in ihrer Vergangenheit begründet und den Verhältnissen, die im Lauf ihrer Entstehung im
Innern dieser Welt geherrscht hatten. Es würde jedoch nicht nur bei dem Gravitationsanstieg bleiben. Irgendwann platzte die Kruste Schjepps, und die Gesteinsmassen übten trotz ihrer seit Jahrhunderttausenden geschwundenen Masse noch immer einen nicht vorstellbaren Innendruck aus, der die Schjepper bei der Freisetzung zerquetschen würde. Schjepp mußte evakuiert werden. Es war kein leichtes Unterfangen. Als der Kreuzer in der Nähe einer der Stationen landete, da wartete nur ein kleines Häuflein Schjepper auf ihn. Sofeyn befand sich darunter, und er machte Atlan klar, daß es Marcoyn noch längst nicht gelungen war, mittels seiner Telepathierufe alle Schjepper von der Notwendigkeit einer Evakuierung zu überzeugen. Viele der rosaroten Bällchen waren überhaupt noch nicht in die Nähe der Terraner gekommen. Es hatte noch kein Intelligenzanreiz stattgefunden, und sie reagierten instinktiv wie immer. Sie verkrochen sich in ihren Höhlen und Kanisterschächten und wagten sich nicht mehr hinaus. »Kommt alle herein«, sagte Atlan. »Wenn sie eure Ausstrahlung im Schiff spüren, folgen sie euch von allein!« Er sollte Recht behalten. Plötzlich wurde es überall lebendig. Die Schjepper rafften sich auf und rannten in das Schiff. Erst, als keine mehr kamen, startete Uster Brick und flog die nächste Station an. Dort wiederholte sich die Prozedur. Längst waren nicht alle Stabilitätslotsen ihrem Standort nach bekannt. Die Erkenntnisse der Suchgruppen wurden überhastet ausgewertet und erbrachten eine Zahl von über dreihundert Stück. Wahrscheinlich waren es in Wirklichkeit etliche mehr. Die Gesteinskruste der Planeten begann zu beben. Es bildeten sich die ersten Risse, und die Felsen knirschten und bröckelten. Die FARTULOON flog die gegenüberliegende Innenseite der Hohlkugel ab und rettete dort, was zu retten war. Die Schwerkraft stieg weiter an, ohne daß sie etwas dagegen tun konnten. Begannen sie jetzt schon damit, die Stationen zu zerstören,
mußten sie damit rechnen, daß sie das Leben Tausender Schjepper gefährdeten. Warteten sie, war die Entwicklung nicht aufzuhalten, und der Ringplanet würde irgendwann auseinanderplatzen. Sie sahen Schjepper, die sich kaum noch über den Boden schleppen konnten. Die dünnen Beinchen konnten dem Andruck keinen Widerstand entgegensetzen, obwohl die Kugelkörper ihm mühelos standhielten. Wieder stiegen Einsatzgruppen in schweren Anzügen aus. Sie führten Behälter und starke Scheinwerfer mit sich und sammelten die Bällchen ein, wo sie sie fanden. Die CHYBRAIN und die FARTULOON projizierten mit Hilfe der Schwerkraftprojektoren Felder, die den Andruck abschwächten und teilweise ganz aufhoben. Zusätzlich machten sich die beiden Space‐Jets des Kreuzers sowie die FAR auf den Weg, die einzige Space‐Jet, die die Korvette zur Verfügung hatte. Auch sie kehrten nach Stunden mit Tausenden von Schjeppern in ihre Hangars zurück. Unter den letzten war Marcoyn. Atlan hielt ihn für den intelligentesten dieser Wesen. Durch seine Kontakte mit der Prezzarerhalterin Kulia Aogi, später dann mit Atlan, Hage Nockemann und Tyari, besaß er die meisten Intellektanreize und den größten Wortschatz, wenn er auch manchmal Mühe hatte, ihn zu artikulieren. Ohne es zu wollen, nahm er unter den Schjeppern eine Führungsrolle ein, die von seinen Artgenossen unwidersprochen anerkannt wurde. Marcoyn besaß die besten Möglichkeiten, ihnen alles zu erklären. Ohne seinen Einsatz wäre nur ein sehr geringer Teil aller Schjepper gerettet worden. »Atlan, dankʹ«, säuselte der Schjepper, als er wieder in der Zentrale der CHYBRAIN auftauchte. »Schjepper danken dir!« »Noch ist nicht alles überstanden, Marcoyn«, lächelte der Arkonide, ohne zu wissen, ob das Bällchen überhaupt die Möglichkeit besaß, sein Gesicht wahrzunehmen. »Wir halten weiter nach Schjeppern Ausschau!«
* Bjo Breiskoll leitete persönlich eine der Einsatzgruppen. Sie verließen die FARTULOON dicht über dem Boden und setzten schwer auf der Felsenfläche auf. Hier, in diesem Bereich der Innenseite Schjepps war Atlan mit der CHYBRAIN noch nicht gewesen. Die Schwerkraft betrug 2,3 g und stieg weiter. Jeder der Männer und Frauen war mit einem Mikro‐ Gravitationsgenerator ausgerüstet, so daß für sie erd‐ oder solgleiche Bedingungen herrschten, unter denen sie am effektivsten arbeiten konnten. Sie verteilten sich sternförmig und näherten sich der Station, die in einen Felshügel eingelassen war. Durch einen Zufall entdeckten sie sie, und sie sahen auch die Schjepper, die rundherum auf dem Boden lagen und sich ihrer Beinchen nicht mehr bedienen konnten. Auch für diese anpassungsfähigen Wesen gab es irgendwo eine Grenze, und die Zeiten, in denen ihre Vorfahren mühelos einen Innendruck von etlichen hundert Atmosphären ausgehalten hatten, waren wohl eine Million Jahre her oder noch länger. Was Breiskoll besonders auffiel, war die Ähnlichkeit zwischen den beiden intelligenten Völkern des Masilan‐Systems. Die Uzerfoner waren Wesen mit einem 1,50 Meter durchmessenden Kugelkörper und acht behaarten, armdicken Beinen. Der Kugelkörper diente als Kopf und beherbergte alle Sinnesorgane. Die Hautfarbe der Uzerfoner war dunkelblau, die Haare stets schwarz. Sie besaßen außenliegende Sinnesorgane wie ein Ohr am oberen Pol, fünf Augen, einen Haarkranz, einen Mund zur Nahrungsaufnahme sowie eine Sprechmembran. Dazu kam ein einzelner Arm mit zwei Gelenken und neun gleichlangen Fingern. Die Schjepper vom achten Planeten waren ebenfalls Kugeln. Sie besaßen allerdings nur einen Durchmesser von rund 5 Zentimetern,
waren also vergleichsweise winzig. Es bereitete Schwierigkeiten, in ihnen von Anfang an Wesen mit (wenn auch geringer) Intelligenz zu erkennen. Die Schjepper besaßen ebenfalls acht Beine, die ebenso wie die der Uzerfoner angeordnet waren. Das mundähnliche Sprechwerkzeug stimmte ebenfalls überein. Es fehlte ihnen der Arm und das Ohr am oberen Pol. Sie besaßen auch keine äußerlich sichtbaren Augen. Die Solaner vermuteten, daß alle diese Organe unter der rosaroten, leicht zähen Haut angelegt waren. Im Unterschied zu den Uzerfonern waren die Schjepper telepathisch veranlagt. Ihre Telepathiefähigkeit stieg mit zunehmender Intelligenz an. Bei den Fetischen hatten die Prezzarerhalter zusätzlich nachgeholfen. Bjo überlegte, ob die Ähnlichkeit ein Zufall war, oder ob sie auf einen gemeinsamen Urimpuls zurückzuführen war, der bei der Entstehung und Entwicklung von Leben im Masilan‐System vorhanden gewesen war. Zumindest würde ein solcher Impuls in die menschliche Kosmologie und Kosmogonie gepaßt haben. Dann beruhten Uzerfoner und Schjepper auf demselben Urzustand, hatten sich jedoch jeweils anders entwickelt. Hatten die Uzerfoner ihren Ursprung auch im Innern ihrer Welt gehabt? Oder kamen die Schjepper von außen? Es gab keine Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten oder sie zu beantworten lassen. Breiskoll erhielt auch keine Gelegenheit, diese Gedanken weiterzuverfolgen. Unter ihm bäumte sich der Boden auf, und in seinem Helmempfänger kamen mehrere Warnrufe an. Bjo spürte, wie der Boden ihn nach oben katapultierte. Geistesgegenwärtig betätigte er den Mikrogravitator. Wie ein Luftballon trieb er davon und landete fünfzig Meter weiter. Im Licht einiger Helmscheinwerfer erkannte er, daß ein Felsstück davonwirbelte, das so groß wie eine Landeplattform für eine Korvette war. Die Solaner brachten sich und die Schjepper rasch in Sicherheit, und es wurden keine Ausfälle oder Verletzungen gemeldet.
»Beeilt euch!« rief Bjo. »Wir haben nicht mehr lange Zeit!« Er stellte fest, daß sich die Atmosphäre am Boden verflüchtigte. Die Schjepper waren Luftatmer, und sie würden ersticken, wenn sie bis dahin nicht in Sicherheit gebracht waren. Breiskoll sprang in weiten Sätzen vorwärts, und er suchte den entstandenen Krater ab. Er fand ein paar der Bällchen, die hineingefallen waren und sich instinktiv an den phosphoreszierenden Adern hielten. Er steckte sie in einen Beutel, den er am Gürtel trug. Nach etwa zehn Minuten tauchte er wieder aus dem Krater auf. Rund zwanzig der Bällchen hatte er noch retten können. »Wir haben alles abgesucht, einschließlich der Station«, erhielt er eine Meldung. »Der Wachroboter gebärdet sich wie rasend. Aber er ist uns nicht gefährlich geworden.« Bjo überlegte, ob er den Befehl zur Vernichtung der Station geben sollte. Wahrscheinlich war es noch zu früh, und er wollte die übrigen Suchgruppen nicht gefährden. »Zurück in die Korvette«, sagte er. »Wir starten so schnell wie möglich!« Sie kehrten zurück und flogen weiter, um die übrigen Suchgruppen aufzusammeln. Über fünfhundert Schjepper kamen auf diese Weise noch zusammen, und sie brachten sie in die Hallen, in denen ihre Artgenossen untergebracht waren. Dann kehrte Bjo in die Zentrale der FARTULOON zurück und übernahm das Kommando. Ein Funkspruch von Atlan ging ein. Der Arkonide blickte vom Bildschirm auf Breiskoll herab. In seinem Gesicht zuckte es. »Bjo«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, weiterzumachen. Wir setzen uns ab. Deine Positronik empfängt soeben die Flugdaten. Der Countdown läuft über Automatik. In zwei Minuten sind wir weg. So lange wird Schjepp mit der Explosion noch warten können!« Es würde eine Implosion mit einer nachfolgenden Explosion. Zunächst würde der Planet in sich zusammenstürzen wie ein Stern
beim Übergang in ein Schwarzes Loch. Dann würde der entstandene Innendruck das Felsmaterial wieder auseinanderdrücken und in das Weltall schleudern. Die erste Phase würde nichts und niemand überleben, der sich zu diesem Zeitpunkt im Innern der Hohlkugel befand. Der Countdown lief aus, und übergangslos verschwand die Schwärze des Innenraums und machte zittrigen Streifen Platz. Sie waren anders als bei gewöhnlichen Linearetappen, und sie wechselten fast augenblicklich mit dem Schwarz des Weltraums. Die Ortung arbeitete auf Hochtouren. »Atlan!« schrie Bjo. »Was soll das? Wir haben uns nicht von der Stelle bewegt. Wir sind noch im Innern von Schjepp!« »Ich sehe es«, kam die Stimme des Arkoniden bei Bjo an. »Achtet auf die Energiewerte des Schutzschirmes, der den Planeten umgibt. Ihr könnt sie jetzt empfangen wie wir auch!« Bjo starrte auf die Orter. Die Werte lagen um das Zehnfache über denen, die sie gespeichert hatten. Es gab kein Durchkommen mehr. Sie steckten in einer Falle. »Wir müssen durchbrechen«, hauchte der Katzer. »Ein Loch in den Planeten schießen!« Die beiden Beiboote der SOL versuchten es, doch es gelang nicht. Der Schutzschirm übte auch im Normalraum eine verstärkte Wirkung nach innen aus und absorbierte alle Energien. Mehr als ein sechzig Meter tiefes Loch kam nicht dabei heraus. CHYBRAIN und FARTULOON setzten sich in Bewegung. Sie versuchten, den Schirm vor dem Tunnel zu knacken. Er war inzwischen in den umfassenden Energieschirm integriert und widerstand allen Bemühungen. Schließlich gaben sie es auf. »Es bleibt nur noch eine Möglichkeit, Bjo«, meldete Atlan sich. »Wir müssen alle Stabilitätslotsen zerstören, die wir ausfindig gemacht haben. Hoffentlich reicht ihre Anzahl, um den Schirm zusammenbrechen zu lassen!«
Es war eine winzige Hoffnung, an die sie sich klammerten. Schjepp war nicht zu retten, das war allen klar. Deshalb begannen sie ihr Zerstörungswerk, ohne zu ahnen, daß die größere Gefahr aus ihren Schiffen selbst kam. Zwei Minuten später gellte der Alarm durch den Kreuzer und die Korvette. Wieder war es Atlan, der sprach. »Sofort Einsatz stoppen!« schrie er. »Marcoyn hat soeben einen Gedankenfetzen aufgefangen. Er glaubt, daß in unseren Schiffen zwei Prezzarerhalter mit ihren Fetischen versteckt sind. Sie wollen uns in die Luft sprengen!« 8. Von dem Augenblick an, als Geri Verfok‐Zummesch aufstand, wurde dem Kommandanten die Sinnlosigkeit ihres Wartens erst so richtig bewußt. Er beobachtete den Navigator, der unruhig am Rand des Abgrunds entlangtrabte und Unverständliches in seinen Bart murmelte. »Warten!« sagte er nach einer Weile laut. »Wie lange reichen unsere Notrationen aus?« Wenn Vigo Manottel‐Zwark ehrlich war, mußte er zugeben, daß sie höchstens für drei Tage reichten. Wenn sie vier oder fünf Tage Hunger ciazurechneten, waren es also hoch stens acht Tage, bis das Delirium kam. Sie alle wußten es, und sie hatten die Hoffnung längst aufgegeben, daß der Fremde kommen würde, um sie zu retten. Ja, der Kommandant war fest davon überzeugt, daß es Atlan nicht anders erging als ihnen selbst. Es war möglich, daß er schon tot war. »Siehst du«, sagte der Navigator. »Das ist der Grund, warum du keine Befehlsgewalt mehr über uns hast. Jeder ist jetzt nur noch seinem Gewissen verantwortlich!« Vigo Manottel‐Zwark ahnte Unheil.
»Setz dich hin!« befahl er rauh. »Du redest irr!« »Ich mache nur nicht mehr mit«, erwiderte der Navigator zynisch. »Ich kann nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Hoffentlich wirst du kein leichtes Sterben haben, Vigo! Zwei unserer Kameraden sind schon tot!« Der Kommandant spürte, daß die fünf übrigen Mitglieder der Besatzung einhellig hinter Geri standen. Er hätte versuchen können, einzulenken. Aber er war zu müde. Er wackelte mit seinem Ohr. »Was willst du?« fragte er, und seine Sprechmembran zitterte. Geri Verfok‐Zummesch gab keine Antwort. Er hatte seinen Beutel mit der Notration fallen lassen. Jetzt trat er an den Rand des Abgrunds. »Es ist besser, als nichts zu tun«, hörten sie ihn sagen. Dann verschwand sein Körper in der Tiefe. Der Kommandant saß da, als hätte ihn der Schlag getroffen. Keiner stand auf, um dem Stürzenden nachzublicken. Nach zwei Minuten etwa empfingen sie über den Funk ihrer Raumanzüge einen langgezogenen Schrei. Er kam von Geri, und sie entnahmen ihm, daß der Navigator fiel und fiel. Er verlor nicht das Bewußtsein, aber er stürzte durch eine dunkle Tiefe. Zehn Minuten hielt der Schrei an, dann verlor er sich in einem Säuseln und Winseln, und die Astronauten rückten näher zusammen. »Das haben wir nicht gewollt«, sagten sie zu Vigo. »Was meinst du, Kommandant?« Vigo Manottel‐Zwark setzte zu einer Entgegnung an, aber in diesem Moment tauchte der erste Schatten auf. Er schoß aus dem Loch in die Höhe und stürmte davon. Es war eines der Schiffe, die sie beobachtet hatten. In diesen Sekunden war es dem Kommandanten egal, wer sich in diesem Schiff befand. Das zweite folgte ihm auf dem Fuß, und der Kommandant riß die Leuchtpistole heraus und schoß eine Signalrakete nach der anderen ab. Sie rasten schräg über dem Loch
in den Himmel und kreuzten die Flugbahnen des dritten, vierten, fünften und sechsten Schiffes. Dann hatte Vigo Manottel‐Zwark die letzte der Leuchtraketen verschossen. Sie erlosch irgendwo dort droben und verfing sich in dem Energieschirm, der sich wieder geschlossen hatte. Die Schiffe hatten sie nicht bemerkt und reagierten nicht. Sie flogen davon und waren nach wenigen Augenblicken verschwunden. Der Kommandant stieß einen Seufzer aus. Er hatte getan, was er konnte. Er hatte drei Beine zum Nachladen zu Hilfe genommen und die Raketen in schnellem Rhythmus abgefeuert. Jetzt stand er am Abgrund, und seine Artgenossen traten zu ihm und hielten ihn fest. »Nein«, sagte er. »Ich springe nicht!« Er ließ nur die Pistole hinabfallen, dann setzte er sich wieder hin und versank in dumpfes Grübeln. Nicht viel später begann der Boden unter ihren Körpern zu zittern und zu beben. Es war eindringlicher und stärker als beim ersten Mal, als die Maschinen das Loch gebohrt hatten. Es schien aus fernen Tiefen zu kommen, und die Astronauten erhoben sich und wollten ihren Kommarfdanten davonzerren. »Wir bleiben hier?« sagte er dumpf. »Das ist ein Befehl!« Sie gehorchten ihm überraschend und setzten sich wieder am Rand des Abgrunds nieder und warteten weiter. Was konnten sie auch anderes tun! Es blieb ihnen nur das Warten. Kein Gedanke an Rettung durchstreifte mehr ihre Gehirne. Die sechs Uzerfoner erlebten mit, wie sich der Planet unter ihnen aufbäumte. Er riß auseinander, und sie schlossen mit ihrem Leben ab. »Lin‐Khan, ich schäme mich!« rief Vigo Manottel‐Zwark aus. Er schloß die Augen. Das Stück am Rand des Abgrunds, auf dem sie verharrten, knirschte gefährlich.
Es brach ab. * Die Zerstörung der Stabilitätslotsen ging quälend langsam vor sich. Sie beschränkte sich einzig und allein auf die Besatzungen der beiden Schiffszentralen. Die anderen Solaner waren auf der Suche nach den angeblich versteckten Prezzarerhaltern und ihren Bomben. Niemand glaubte so recht an Marcoyns Warnung. Die Schjepper wurden in ihren Quartieren immer unruhiger. Mit zunehmender Gefährdung ihres Planeten wuchs die Panik, in die sie sich hineinsteigerten. Auch Marcoyn mochte davon betroffen sein. Da aber fiel Atlan die Beobachtung ein, die er beim Austausch der Gefangenen gemacht hatte. Er hatte geglaubt, es seien zwei Prezzarerhalter weniger aus der CHYBRAIN gekommen. Er stürzte zur Rundrufanlage und gab seine Beobachtung durch. »Findet sie auf alle Fälle. Wahrscheinlich ist es einem von ihnen gelungen, mit einem Transmitter in die FARTULOON zu kommen!« Draußen ging Schjepp seinem Ende entgegen. Der Planet ächzte und knirschte. Kilometerweite Risse bildeten sich, und mehrere Stabilitätslotsen verschwanden explodierend in der Tiefe. Die Katastrophe war nicht mehr weit, und die Solaner hatten noch keinen Erfolg erzielt. Sie waren Gefangene des Untergangs. Atlan rief die Korvette. »Bjo«, sagte er, »es hat keinen Sinn. Wir schaffen es nicht in der kurzen Zeit. Es kann sich nur um Minuten handeln! Wir ziehen uns sofort in den mathematischen Mittelpunkt der Hohlkugel zurück. Dort sind wir noch am sichersten. Bereitet alles für eine Notetappe durch den Linearraum vor. Sobald der Energieschirm zusammenbricht, springen wir!« »Ist gut«, erwiderte Breiskoll.
Die beiden Schiffe nahmen Fahrt auf. Sie rasten dem Mittelpunkt entgegen, und die ersten Felstrümmer folgten ihnen. Der ansteigende Druck der Gesteinskruste katapultierte sie in den Hohlraum hinein. Die Solaner orteten, daß weitere Stabilitätslotsen durch die Erschütterungen und den Gesteinsdruck vernichtet wurden. Die Orter verfolgten peinlich genau jede Schwankung des Schutzschirms, registrierten jeden Abfall der Gravitation. Sie lag jetzt durchschnittlich bei 8 g. Dann brach der Planet in sich zusammen. Es war ein langsamer Prozeß, der sich zunächst dadurch ankündete, daß ein Teil der Felsoberfläche seinen Zusammenhang verlor und in das Zentrum der Hohlkugel geworfen wurde. Die beiden Schiffe fanden sich plötzlich in einem unaufhörlichen Bombardement und wurden trotz ihrer mit Höchstlast arbeitenden Schutzschirme hin und her gerissen. »Es ist fast soweit«, meinte Tyari. »Die Schjepper haben einen Höhepunkt in ihrer Hysterie erreicht. Du solltest es dir einmal anhören!« Atlan verzichtete gern darauf. Er hatte andere Sorgen. »Suchgruppen, was machen die Prezzarerhalter?« Endlich gingen die Erfolgsmeldungen ein. Sie entdeckten die beiden Beneterlogen in kleinen Reparaturkammern. Es gelang in beiden Schiffen, sie zu überwältigen und die Bomben zu entschärfen. Allerdings ließ sich nicht verhindern, daß sich die Prezzarerhalter zusammen mit den beiden Fetischen vernichteten. Gleichzeitig erreichte Schjepp die entscheidende Phase des Untergangs. Die Gravometer schlugen durch, so stark war die Implosion. Innerhalb von Sekunden wurden sämtliche Stabilitätslotsen zerstört. Der Schirm fiel in sich zusammen, aber die Gesteinskugel implodierte bereits. Es war, als presse sich die Faust um die beiden Schiffe ruckartig zusammen.
Die Sirenen heulten auf, aber fast gleichzeitig verschwanden die SOL‐Beiboote im Linearraum. Sie hatten eine Etappe geplant, die sie in sichere Entfernung bringen würde, doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und dieser hieß Schjepp. Der Gesteinsring knallte zusammen und explodierte erneut. Gravitationswellen gewaltiger Zerstörungskraft rasten hinaus in das Weltall. Sie hätten auch den neunten Planeten Uzerfon vernichtet, aber das Schicksal war dem zweiten Volk Masilans günstig gesinnt. Der größte Teil der Energien floß in den Hyperraum ab, und so blieb zumindest die Normalraumkomponente des Masilan‐Systems einigermaßen unbehelligt. Die CHYBRAIN und FARTULOON materialisierten nur wenige Kilometer über der ursprünglichen Oberfläche, die von außen einzusehen gewesen war. Der Schutzschirm existierte nicht mehr, und Reste einer Lufthülle verteilten sich rundherum in dem Gebiet, das plötzlich in Vakuum überging. Es entstand ein Sog, der die Gase hineinriß in das Zentrum der ehemaligen Hohlkugel. Gleich darauf kamen sie zurück, und die Anzeichen der Explosion veranlaßten Atlan, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Die FARTULOON brauste bereits davon. Atlan lenkt die CHYBRAIN an einem Felsstück vorbei, das bereits weit draußen trieb und die Flugrichtung zum neunten Planeten hatte. Es mußte sich um ein frühzeitig abgesprengtes Stück handeln, denn aus dem Gebiet der Implosion konnte es noch nicht kommen. Als der Kreuzer an dem Brocken vorbeiflog, schlugen die Orter aus. Dort drunten war etwas, und es handelte sich um Gestalten, die reglos auf dem Fels lagen. »Uster, schnell«, sagte der Arkonide. Er dachte an Prezzarerhalter. Brick bremste ab und holte den Felsen mit einem Traktorstrahl in den Hangar. Behutsam setzte er das Stück ab, und die Kameras übertrugen Einzelheiten, während die CHYBRAIN sich hastig aus der Nähe Schjepps entfernte.
»Es sind keine Beneterlogen«, sagte der Chefpilot. »Schaut nur mal genau hin!« »Uzerfoner!« stieß Tyari hervor. »Es sind Wesen Farynts! Und sie bewegen sich!« »Was hat das zu bedeuten?« wollte Joscan Hellmut wissen. »Wie kommen sie hierher?« »Langsam begreife ich«, antwortete Atlan. »Pooch Veletta‐Del, den sie den Lin‐Khan nennen, hatte eine Expedition nach Schjepp geschickt, ohne es uns wissen zu lassen. Sie sollte den Planeten erkunden. Wahrscheinlich wollte der Monarch den Ruhm für sich einheimsen, das Geheimnis des achten Planeten enträtselt zu haben. Sternfeuer, nimm ein paar Leute und kümmert euch um die Bedauernswerten. Bestimmt sind sie schwer verletzt!« Im nachhinein stellte sich heraus, daß sie außer einem Schock nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Aber sie hatten drei Mitglieder ihrer Crew verloren. Die beiden Schiffe näherten sich Uzerfon, und die Panik unter den Schjeppern ließ nach. Noch einmal landete Atlan auf dem neunten Planeten und übergab die sechs Überlebenden kommentarlos an Lin‐Khan. Dann verabschiedeten sie sich endgültig. Die Uzerfoner hatten es nun selbst in der Hand, ihr zukünftiges Schicksal zu bestimmen. Die Vernichtung Schjepps würde auch ihnen eine Warnung sein. Atlan hatte ihnen das Wissen zurückgelassen, wie sie sich eines Tages vor dem Aussterben ihrer Rasse auf der verödenden Welt retten konnten. Vielleicht würden sie sich dann dankbar des hochgewachsenen Fremden mit den Silberhaaren erinnern. Marcoyn erschien in der Zentrale der CHYBRAIN. Der Schjepper ließ sich von Atlan aufheben. »Vorbei!« quarrte er. »Katastrophʹ vorbei! Alle ʹrettet!« »Es tut mir so leid, kleiner Marcoyn«, sagte der Arkonide. »Ich wollte dein Volk vor den Prezzarerhaltern retten. Ich habe es geschafft, aber dabei wurde eure Heimat zerstört. Warbel ist nicht
mehr!« Marcoyn bewegte sich unruhig. »Warbel, Warbel«, machte er. »Neuʹ Warbel. Irgendwo?« »Ja natürlich!« rief Tyari aus. »Ihr braucht eine steinerne Welt, in der ihr leben könnt! Der vierzehnte Planet!« Unter den 22 Planeten des Masilan‐Systems gab es mehrere erkaltete Welten, die nur noch aus Fels bestanden. Der vierzehnte Planet kam in seiner Substanz und seinen Bedingungen Schjepp am nächsten. »Neuʹ Warbel!« bekräftigte Marcoyn und machte sich davon, um es seinem Volk beizubringen. Sie flogen die Nummer 14 an und ließen die Schjepper aus den beiden Schiffen hinaus. Marcoyn ging als letzter. »Leb wohl, kleiner Schjepper«, sagte Atlan, während er beobachtete, wie sich die ersten der Bällchen in den felsigen Untergrund fraßen. »Ich verspreche dir, daß ich die Fetische befreien werde, wo immer es geht. Ich werde sie hierher zu deinem Volk bringen lassen und werde euch auch helfen, falls die Prezzarerhalter jemals wieder Macht über euch gewinnen sollten!« »Atlan Dank«, pfiff Marcoyn. »Du nix stinkʹ!« Dann war er aus dem Schiff hinaus. CHYBRAIN und FARTULOON hoben ab und verließen das Masilan‐System. Sie hatten die Restspuren der Prezzar‐Schiffe analysiert und kannten die Flugrichtung. Damit war die nächste Spur aufgegriffen, die sie verfolgen mußten, um an ihr Ziel zu gelangen. Zunächst aber ging es zurück nach dem 102 Lichtjahre entfernten Anterf. Zurück zur SOL, ihrer Heimat. EPILOG
Längst waren die Öffnungen zum Licht verschüttet. Der Fels hatte sie in sich aufgenommen und ihnen einen neuen Sinn des Lebens gegeben. Ein Hohlraum war entstanden, den sie geschaffen hatten. Er befand sich tief in dieser Welt, in ihrem Zentrum. Klein war er, aber mit den Jahrtausenden wuchs und wuchs er, und immer war da eine Oberfläche, in der diese Wesen ihre Nischen und Höhlungen anlegten. Dicht nebeneinander lagen sie, und mit jeder Gesteinsschicht, die die kleinen Bällchen wegfraßen, entfernten sich die Eingänge ein wenig voneinander. Gleichzeitig schieden die Wesen eine Substanz aus, die sie zunächst erschreckte. Leuchtende Spuren zogen sich über das Gestein und in das Gestein hinein und durchdrangen den ganzen Planeten. Auf der Innenfläche des Hohlraums gab es ständiges Dämmerlicht. Das war Warbel. Die meisten Schjepper vergaßen im Lauf der Zeit, daß es nicht das alte Warbel war, sondern ein neues. Eine neue Heimat, ein neuer Planet. Sie fanden keine Unterschiede. Einen Unterschied gab es dennoch. Ein paar von ihnen verloren kein bißchen von ihrer Intelligenz, die sie sich erworben hatten. Sie bildeten eine Führungsgruppe in ihrem Volk, und manchmal erzählten sie akustisch oder telepathisch von fremdartigen Wesen und Erscheinungen. Diese Schjepper trugen Namen wie Marcoyn und Sofeyn, und sie waren hoch geachtet, wenn auch ihre Worte manchmal nicht verständlich waren. Es war ein Zeichen ihrer Weisheit. Warbel lebte fort. Die Schjepper sprachen von ihm als von Schjepp, und sie fraßen den Planeten von innen her auf. Es ging ihnen gut, und sie entwickelten sich weiter. Eines Tages würden sie vielleicht einen neuen Evolutionssprung durchmachen. Sie dachten nicht daran, da ihnen die Erinnerung an
frühere Vorgänge solcher Art fehlte. Sie setzten ihre Zivilisation so konsequent fort, wie sie sie gewohnt waren. Es gab keinen sporadisch auftretenden Drang mehr, einen Ort ohne Wiederkehr aufzusuchen. »Atlans Werk«, sagte Marcoyn. Aber wer war schon Atlan. Warbel war Warbel und Schjepp. In ferner Zeit, in Millionen von Jahren, entstand eine Situation, wie sie dagewesen war. Bis dorthin würden sie nicht mehr daran denken. Schjepper fraßen ihren Planeten auf, bis er in sich zusammenfiel und ihrer Existenz ein Ende bereitete. Falls nicht im rechten Augenblick ein Beneterloge kam, oder ein Wesen wie Atlan. ENDE Atlans Hauptanliegen ist es, zwischen den verfeindeten Völkern von Bars‐2‐ Bars Frieden zu stiften. Dieses Ziel rückt in Reichweite, sobald der Arkonide auf das Prezzar‐Mydonium stößt, auf die ZENTRALE DER ERHALTER … ZENTRALE DER ERHALTER – das ist auch der Titel des nächsten Atlan‐ Bandes. Der Roman wurde von Peter Griese geschrieben.