Anne J. Braun Das Ende der billigen Arbeit in China
Ostasien im 21. Jahrhundert. Das Ende der billigen Arbeit in Chin...
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Anne J. Braun Das Ende der billigen Arbeit in China
Ostasien im 21. Jahrhundert. Das Ende der billigen Arbeit in China Herausgegeben von Verena Blechinger-Talcott Thomas Heberer Sebastian Heilmann Patrick Köllner Hanns W. Maull Gunter Schubert
Anne J. Braun
Das Ende der billigen Arbeit in China Arbeitsrechte, Sozialschutz und Unternehmensförderung für informell Beschäftigte
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Schindler / Verena Metzger VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17947-6
Meinen Eltern gewidmet.
Inhalt
Verzeichnis wichtiger Abkürzungen und Termini
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1 Einleitung 11 1.1 Abschied vom Billiglohnmodell: Regulierung informeller Beschäftigung in China 11 1.2 Leseanleitung 13 2 Theorie und Methodik 2.1 Theorie: Lässt sich informelle Beschäftigung regulieren? 2.1.1 Die informelle Ökonomie: Mehr als Tagelöhner und Straßenhändler 2.1.2 Regulierung informeller Beschäftigung: Schaffung von decent work 2.2 Methodik: Wie lassen sich bessere Arbeitsbedingungen messen? 2.2.1 Analyseparameter 2.2.2 Material und Fallauswahl
17 17 17 21 23 23 26
3 Chinas informelle Ökonomie 29 3.1 Von einer Randerscheinung zum Massenphänomen – Informalisierung von Arbeit in China 30 3.2 Wie informell ist Chinas Arbeitsmarkt heute? 32 4 4.1 4.2 4.3
Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte Hintergrund: Mangelnder Rechtsschutz für informell Beschäftigte Internationale Erfahrungen: Arbeitsrechtsreformen in der informellen Ökonomie Rechtsrahmen in China: Was ändern die neuen Arbeitsgesetze? 4.3.1 Arbeitsverträge und Kündigungsschutz 4.3.2 Einkommenssicherheit, Mindestlöhne und rechtzeitige Lohnauszahlung 4.3.3 Leiharbeit, Teilzeitarbeit und Subcontracting 4.3.4 Verbot der Diskriminierung von Migrant/innen 4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis? 4.4.1 Arbeitsinspektionen 4.4.2 Lösung von Arbeitskonflikten 4.4.3 Die Rolle der Gewerkschaften 4.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Umfangreicher Rechtsschutz – mangelnde Durchsetzung 5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte 5.1 Hintergrund: Löcher in Chinas Sicherheitsnetz 5.2 Internationale Erfahrungen: Sozialabsicherung in der informellen Ökonomie
37 39 44 48 50 53 55 61 63 64 67 78 86 94 96 105
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Inhalt
5.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich informell Beschäftigte in Chinas Sozialsystem integrieren? 110 5.3.1 Sozialversicherung für informell Beschäftigte 111 5.3.2 Sozialhilfe für bedürftige Städter/innen 116 5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing 117 5.4.1 Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte 119 5.4.2 Informelle Lohnarbeitskräfte 123 5.4.3 Teilzeitbeschäftigte 124 5.4.4 Migrant/innen 126 5.4.5 „Wiederbeschäftigte“ 132 5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte 133 6 6.1 6.2 6.3
Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen 143 Hintergrund: Barrieren für Mikrounternehmen 146 Internationale Erfahrungen: Gründungsförderung in der informellen Ökonomie 150 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren? 153 6.3.1 Rahmenbedingungen: Administrative und steuerliche Vergünstigungen 155 6.3.2 Qualifizierung: Trainingskurse für Existenzgründungen 157 6.3.3 Mikrokredite: Staatliche Garantien und Zinssubventionen 160 6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing 164 6.4.1 Erleichterte Registrierung, Steuerbefreiungen und Geschäftsräume 166 6.4.2 Subventionierte Gründungskurse 170 6.4.3 Mikrokreditfonds und Lokalbanken 172 6.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Formalisierungsanreize in der Kleinwirtschaft mit geringer Reichweite 176 7 7.1 7.2 7.3
Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China Ergebnisse Effekte und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung Mehr als das Ende der billigen Arbeit – Ein Ausblick
187 187 190 197
8 Anhang 8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung 8.1.1 Arbeitsrecht 8.1.2 Sozialversicherung 8.1.3 Mikrounternehmen 8.2 Regulierungen zu informeller Beschäftigung in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing 8.2.1 Sozialversicherung 8.2.2 Mikrounternehmen
201 201 201 204 209
9
221
Literaturverzeichnis
216 216 217
Verzeichnis wichtiger Abkürzungen und Termini
AKGes ArbGes AVGes BFGes BIP CNY danwei decent work DFID EU hukou ILO KMU KP MoHRSS
MoLSS NGO NVK OECD SIYB VR WTO xiagang ZK
Arbeitskonfliktgesetz der Volksrepublik China, 2007 Arbeitsgesetz der Volksrepublik China, 1994 Arbeitsvertragsgesetz der Volksrepublik China, 2007 Beschäftigungsförderungsgesetz der Volksrepublik China, 2007 Bruttoinlandprodukt Chinesischer Yuan Arbeitseinheit menschenwürdige Arbeit Department for International Development (Entwicklungsorganisation der britischen Regierung) Europäische Union Haushaltsregistrierung (städtisch vs. ländlich) International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)/ International Labour Office (Internationales Arbeitsamt) Klein- und mittlere Unternehmen Kommunistische Partei Ministry of Human Ressources and Social Security (Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherung), Nachfolger des MoLSS seit 2008 Ministry of Labour and Social Security (Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherung), bis 2008 Non-Governmental Organization (Nichtregierungsorganisation) Nationaler Volkskongress Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für Wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung) Start and Improve Your Business (Trainingsprogramm für Existenzgründung) Volksrepublik World Trade Organzation (Welthandelsorganisation) Freisetzung von Arbeitskräften aus Staatsbetrieb Zentralkomitee
1 Einleitung
1.1 Abschied vom Billiglohnmodell: Regulierung informeller Beschäftigung in China Der wirtschaftliche Reformkurs der vergangenen Jahrzehnte hat China zu einer prosperierenden Volkswirtschaft gemacht, die zwischen 1980 und 2009 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von jährlich 9,9 Prozent aufweisen konnte. Im selben Zeitraum verzwölffachte sich das jährliche Pro-Kopf-Einkommen1. Die Armutsrate verringerte sich nach Angaben der chinesischen Regierung von 64 Prozent der Gesamtbevölkerung im Jahr 1981 auf etwa 3 Prozent im Jahr 2009. (Information Office of the State Council 2010b) Gleichzeitig werden seit Ende der 1990er Jahre die negativen Effekte der wachstumszentrierten Entwicklungsstrategie der VR China immer deutlicher sichtbar. Die zunehmende Arbeitslosigkeit und rapide wachsende Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, Stadt und Land sowie zwischen Küsten- und Inlandsprovinzen führen zu sozialen Spannungen und entladen sich in Protesten, Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Die in den 1990er Jahren angestoßene Informalisierung von Beschäftigung, genährt durch Entlassungen aus Staatsunternehmen, Land-Stadt-Migration und hohe Jugendarbeitslosigkeit, trägt wesentlich zu diesen Entwicklungen bei. Informelle Arbeitsverhältnisse – Tätigkeiten also, die instabile Beschäftigung und Ausschluss von Sozialsicherung bedeuten und sich der staatlichen Arbeits-, Steuer- und Sozialgesetzgebung weitgehend entziehen – sind seither zu einem Massenphänomen geworden2. Heute ist in China jeder zweite Arbeitsplatz als informell zu bezeichnen, da er nicht durch Arbeitsverträge und Sozialversicherungszahlungen geschützt und meist temporär, unsicher oder unterbezahlt ist oder auf Selbstbeschäftigung beruht. Informell beschäftigt sind vorrangig Bevölkerungsgruppen, die eine benachteiligte Position am Arbeitsmarkt einnehmen, insbesondere Geringqualifizierte, ältere Personen, zunehmend aber auch Absolvent/innen von Berufs- und Hochschulen. Entlassene Arbeitskräfte aus städtischen Staats- und Kollektivbetrieben (shiye xiagang renyuan) sowie ländliche Arbeitsmigrant/innen finden jeweils zu über 80 Prozent nur in informellen Tätigkeiten Beschäftigung. Seit der Machtübernahme der politischen Führung durch Hu Jintao und Wen Jiabao im November 2002 betont die chinesische Regierung erstmals die Notwendigkeit, die negativen Folgen des Wirtschaftswachstums durch mehr Verteilungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich abfedern zu müssen. Dieser Kurswechsel manifestiert sich in den im Oktober 2004 präsentierten Schlagworten eines „wissenschaftlichen Entwicklungskonzeptes“ (kexue fazhan guan)3 und der angestrebten Errichtung einer „harmonischen Gesellschaft“ (hexie 1 Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 313 US-Dollar im Jahr 1980 auf 3677 US-Dollar im Jahr 2009. (Zahlen basierend auf IMF World Economic Outlook Database, URL: http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2010/01/ weodata/index.aspx, Aufruf am 14.09.2010) 2 Für eine detaillierte Definition informeller Beschäftigung s. Kapitel 2.1. 3 Im Rahmen des „wissenschaftlichen Entwicklungskonzeptes“ wird argumentiert, dass die bisherige wachstumszentrierte Entwicklungsstrategie zu starken sozialen und ökologischen Verwerfungen geführt habe, die nun mit
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einleitung
shehui), die 2007 in das Parteistatut der KP Chinas aufgenommen wurden. Das Konzept der „harmonischen Gesellschaft“ steht insbesondere für den Abbau sozialer Ungleichheiten und für mehr soziale Gerechtigkeit im Reformprozess4. (vgl. Wacker & Kaiser 2008; Holbig 2005) Dies bedeutet eine grundlegende Neuausrichtung der politischen Prioritäten und des ökonomischen Wachstumsmodells der VR China. Es symbolisiert die schrittweise Abkehr vom Deng’schen Entwicklungskonzept, das unter dem Slogan „einige zuerst reich werden lassen“ (xian fu lun) soziale Ungleichheiten bewusst in Kauf nahm. Dem wird im elften Fünfjahrplan (2006-2010) das Entwicklungsziel eines „gemeinsamen Wohlstands“ (gongtong fuyu) entgegengesetzt. Dort wird erstmals betont, dass wirtschaftliches Wachstum nicht das Endziel von Entwicklung sei. (Quanguo Renmin Daibiao Dahui 2006) Der zwölfte Fünfjahrplan (2011-2015) geht diesen Weg weiter und wird voraussichtlich das Ziel eines „inklusiven Wachstums“ einführen, das für eine Balance zwischen wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt steht und die Früchte von Globalisierung und Wachstum gleichmäßiger verteilen soll. (China.org.cn, 15.10.2010) Erste Folgen dieser ideologischen Kehrtwende lassen sich beispielsweise in der Schwerpunktsetzung der Gesetzgebung seit der Übernahme der politischen Führung durch Hu Jintao und Wen Jiabao ablesen: Während vor 2003 nur 2 bis 6 Prozent der neuen Gesetze sozialen Fragen galten, aber 60 Prozent wirtschaftlichen, hat sich der Anteil der Sozialgesetzgebung bis 2007 auf 20 Prozent erhöht, auf Provinzebene und darunter sogar auf 40 Prozent. (Zhu Zhe 2008, zit. nach Schucher 2008: 65) Diese Abkehr von einer rein quantitativen, wachstumsorientierten Modernisierungsstrategie hin zu einem qualitativen, sozialer ausgerichteten Entwicklungsmodell spiegelt sich auch in der Beschäftigungspolitik wider. Statt einem weiteren Abbau der Privilegien von Arbeitnehmer/innen wird seither verstärkt auf die Etablierung eines Rechtssystems für Arbeits- und Sozialstandards, eine Ausweitung des sozialen Sicherungssystems sowie auf aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitslosen gesetzt. Diese Entwicklung ist verzahnt mit dem Bestreben der chinesischen Regierung, China von einem Standort für Billigproduktion zu einer Technologiemacht zu wandeln. (vgl. Information Office of the State Council 2010a) China will nicht länger die „große Werkbank“ der Welt sein und mit gering qualifizieren, unterbezahlten Arbeitskräften Billigwaren produzieren. Statt dessen soll es mittelfristig in ein Zentrum für Dienstleistungen, Handel, Finanzen und moderne Technologie transformiert werden. Dieser Strukturwandel soll die Zukunftsfähigkeit der Volksrepublik sichern. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sollen den ausufernden Arbeitskonflikten die Spitze nehmen. Zudem erhofft sich die Regierung davon ein Erstarken des Binnenkonsums, um die derzeitige Exportabhängigkeit zu verringern. Einen wichtigen Ansatzpunkt für diese Bestrebungen bilden die vielen informellen Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Arbeitsbedingungen und Löhne am schlechtesten einer „fünffachen übergreifenden Planung“ (wu ge tongchou) behoben werden müssten, d.h. einer koordinierten und ausgeglichenen Entwicklung (1) zwischen Stadt und Land, (2) zwischen Regionen, (3) zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, (4) zwischen der Entwicklung des Menschen und der natürlichen Umwelt sowie (5) zwischen binnen- und außenwirtschaftlicher Entwicklung. Das Attribut der Wissenschaftlichkeit der neuen Entwicklungsstrategie verweist auf den Anspruch des Parteistaates zur Formulierung und Umsetzung eines solchen fortschrittlichen Konzepts und „knüpft ideologisch an das historisch geprägte Wahrheits- bzw. Wissensmonopol der KPCh an, das sie als ursprünglich leninistische Partei beansprucht.“ (Holbig 2005: 16) 4 Einen zweiten Schwerpunkt des Konzepts der „harmonischen Gesellschaft“ bildet der neue Fokus auf ein umweltverträgliches, nachhaltiges Wirtschaftswachstum. (vgl. Holbig 2005; Wacker & Kaiser 2008)
1.2 Leseanleitung
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sind. Lange Zeit von der Politik ignoriert und stillschweigend toleriert wird informelle Beschäftigung nun als wichtiger Bestandteil des Arbeitsmarktes anerkannt und die Notwendigkeit gesehen, diese zu regulieren und abzusichern. Im 2004 vom Staatsrat veröffentlichten Weißbuch zur Beschäftigungssituation in China wird an prominenter Stelle festgestellt, dass neue, flexible Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, Saison-Arbeit, befristete Tätigkeiten, Arbeit auf Stundenbasis und Selbstbeschäftigung zu wichtigen Beschäftigungskanälen geworden seien, die weiter entwickelt werden sollten. (Information Office of the State Council 2004a) Als zentrale Maßnahmen werden aufgeführt: die Bereitstellung von Beschäftigungsdienstleistungen durch Arbeitsvermittlungsorgane und Arbeitsbehörden zur Unterstützung informeller Beschäftigung, die Integration informell Beschäftigter in die sozialen Sicherungssysteme, schwerpunktmäßig zunächst in die Krankenversicherung, die Einführung von Regeln zu Arbeitsbeziehungen, Lohnauszahlung und Sozialversicherung für informell Beschäftigte, das Aufheben von Barrieren für ländliche Arbeitsmigrant/innen. (Information Office of the State Council 2004a) Tatsächlich wurden 2002 erstmals konkrete Politiken erlassen, um informelle Beschäftigung zu regulieren und besser abzusichern. Insbesondere seit 2006 ist eine deutliche Zunahme der Regulierungsdichte in diesem Bereich erkennbar, die 2007 mit der Verabschiedung von Gesetzen zu Arbeitsverträgen, Beschäftigungsförderung und zur Lösung von Arbeitskonflikten ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Inwiefern die Regulierungsbemühungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen informell Beschäftigter führen und welche Auswirkungen sich daraus für das chinesische Beschäftigungssystem als Ganzes ergeben, ist Untersuchungsgegenstand dieser Studie.
1.2 Leseanleitung Das vorliegende Buch ist für drei Leserkreise von besonderem Interesse: Erstens versteht sich die Studie als Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Chinaforschung im Bereich Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Mit ihrem Fokus auf staatliche Bemühungen zur Anpassung der Institutionen des Arbeitsmarktes an die neuen, durch die ökonomische Transformation geschaffenen Realitäten vertieft sie insbesondere das Verständnis für aktuelle politökonomische Reformprozesse in der VR China. Zweitens wendet sich dieses Buch mit zahlreichen Zusammenstellungen relevanter Vorschriften und mit konkreten Fallbeispielen an Investoren und Unternehmer, die sich für die Zukunft von Arbeit, Entlohnung und Sozialabgaben in China interessieren und ein tieferes Verständnis für die arbeitsrechtlichen Neuerungen entwickeln wollen. Drittens soll die Untersuchung durch die Analyse der chinesischen Erfahrungen dazu beitragen, das Wissen um Steuerungsstrategien für die informelle Ökonomie zu erweitern und leistet als Länderfallstudie einen Beitrag zur internationalen Regulierungsforschung um informelle Beschäftigung und zur decent workDebatte. Ziel dieser Studie ist es herauszuarbeiten, mit welchen Politikansätzen die chinesische Regierung informelle Beschäftigung zu regulieren versucht und wie diese Regeln in die Praxis umgesetzt werden. Dazu werden sowohl nationale Regulierungen analysiert als auch
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1 Einleitung
deren lokale Ausgestaltung untersucht – beispielhaft an den vier Städten Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing. Das Vorgehen in China wird durch die Betrachtung von Erfahrungen anderer Länder zusätzlich in den internationalen Kontext eingeordnet. Drei Bereiche der Beschäftigungspolitik stehen dabei im Zentrum der Analyse: 1. das Arbeitsrecht, 2. die Sozialversicherungspolitik und 3. die Arbeitsmarktpolitik mit Schwerpunkt auf der Unterstützung von Selbstbeschäftigten und Mikrounternehmen. Dabei wird ein breites Spektrum an Fragen abgedeckt, zu denen unter anderem gehören: Wie sollen schriftliche Arbeitsverträge und das Zahlen von Mindestlöhnen für alle Beschäftigten durchgesetzt werden? Welche Rechte haben chinesische Leiharbeitskräfte? Warum werden Verstöße gegen das Arbeitsrecht kaum geahndet? Warum hat sich die Zahl juristisch ausgetragener Arbeitskonflikte im Jahr 2008 verdoppelt? Warum verfügen nur 8 Prozent aller ländlichen Wanderarbeiter/innen über eine Rentenversicherung und wie soll diese Situation geändert werden? Wie soll das propagierte Ziel erreicht werden, in den nächsten Jahre alle Chines/innen in die Krankenversicherung zu integrieren? Warum gilt Shanghai als Vorreiter bei der Förderung von Mikrounternehmen? Wie sollen Straßenhändler zu formell registrierten Unternehmen gemacht werden? Und schließlich: Führen die neuen Regelungen zu Arbeitsrechten und Sozialabsicherung zu einer Verteuerung von Arbeit in China? Bleibt China als Produktionsstandort für ausländische Investoren attraktiv? Kapitel 2 dieses Buches dient der theoretischen Verortung sowie der Darstellung der verwendeten Methodik. Der Studie liegt ein „integriertes“ Verständnis der informellen Ökonomie zugrunde, das die Heterogenität informeller Beschäftigung betont und sie als zentrales Element der Gesamtwirtschaft wahrnimmt. Als Regulierungsstrategie wird davon das decent work-Paradigma abgeleitet, das die normative Grundlage der Untersuchung bildet. Dieses stellt die Anerkennung und Akzeptanz informeller Beschäftigung in den Mittelpunkt und fordert die Integration informeller Arbeitsverhältnisse in den staatlichen Rechtsrahmen sowie die Schaffung einer Mindestabsicherung für diese Beschäftigungsform. Im Methodenkapitel werden darauf basierende Analyseindikatoren abgeleitet, die zur strukturierten Beantwortung der Frage nach Strategie und Umsetzung chinesischer Regulierungsansätze für die informelle Ökonomie dienen. Außerdem werden die Auswahl des Untersuchungsmaterials sowie der gewählten Fallstädte dieser auf Quellenanalyse und leitfadengestützten Experteninterviews basierenden Studie erläutert. In Kapitel 3 werden die zentralen Antriebskräfte des Informalisierungsprozesses von Arbeit analysiert und das aktuelle Ausmaß informeller Beschäftigung in Chinas Städten abgeschätzt. Es wird herausgearbeitet, welche Formen informeller Beschäftigung existieren, welche Personengruppen besonders häufig informell tätig sind und in welchen Branchen diese Beschäftigungsform dominiert. In den Kapiteln 4 bis 6 erfolgt die empirische Analyse der Regulierung informeller Beschäftigung im urbanen China. Jedes Hauptkapitel repräsentiert einen Regulierungsbereich: Kapitel 4 untersucht die Vorschriften des Arbeitsrechts und fragt, inwiefern sie informell Beschäftigten grundlegende Arbeitsstandards sichern und welche Institutionen zur Durchsetzung dieser Rechte zur Verfügung stehen. Im Zentrum stehen dabei die beiden 2008 in Kraft getretenen Gesetze zu Arbeitsverträgen und Beschäftigungsförderung, in denen flexible Arbeitsformen legalisiert und durch neue Regelungen zu Arbeitsverträgen,
1.2 Leseanleitung
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Lohnauszahlung und Kündigungsschutz sowie durch spezifische Vorschriften zu Leiharbeit und Teilzeitbeschäftigung besser abgesichert wurden. Da diese Regulierungen nahezu unverändert in lokales Recht übertragen wurden, entfällt in diesem Teil die Betrachtung von Städtefallstudien zu Gunsten genereller Überlegungen zur Implementierung der neuen arbeitsrechtlichen Bestimmungen, indem das System der Arbeitsinspektionen, das Vorgehen zur Lösung von Arbeitskonflikten sowie die Interessenvertretung durch Gewerkschaften untersucht werden. Kapitel 5 befasst sich mit den Bemühungen der chinesischen Regierung, informelle Arbeitskräfte in die sozialen Sicherungssysteme zu integrieren. Es untersucht die aktuellen Regulierungen in diesem Bereich, die auf eine Erleichterung und Vereinfachung der Teilnahmebedingungen für informell Beschäftigte insbesondere an Kranken- und Rentenversicherung, auf staatliche Subventionen für einen Teil der Beitragszahlungen bzw. auf die Schaffung spezieller Versicherungspakete für einzelne Teilgruppen informeller Arbeitskräfte abzielen. Dabei werden die interregionalen Unterschiede in der Umsetzung neuer Sozialversicherungsregeln herausgearbeitet, die zu starken Divergenzen bezüglich Versicherungsdesign und –konditionen zwischen den einzelnen Städten führen. In Kapitel 6 werden staatliche Politiken untersucht, mit denen die Gründung von Mikrounternehmen gefördert und deren Wirtschaftskraft gestärkt werden soll. Im Zentrum stehen Regulierungen, die informelle Kleinstunternehmen mit steuerlichen und administrativen Erleichterungen, durch das Angebot subventionierter Existenzgründungskurse sowie das Bereitstellen staatlicher Garantien für Mikrokredite unterstützen und deren Transformation in formelle Individualunternehmen fördern sollen. Die Analyse der einzelnen Regulierungsbereiche erfolgt jeweils in fünf Schritten: Erstens werden die wesentlichen Beschränkungen und Hürden herausgearbeitet, mit denen informell Beschäftigte in den Bereichen Arbeitsrecht und Sozialversicherung sowie als Mikrounternehmer/innen konfrontiert sind und die die Verbreitung von decent work in der informellen Ökonomie behindern. Zweitens werden internationale Erfahrungen in den jeweiligen Bereichen der Regulierung informeller Beschäftigung betrachtet, wobei sowohl die akademische Debatte als auch die politisch-praktische Umsetzung in verschiedenen Ländern kurz umrissen werden. Dies dient der Einordnung der Regulierungsstrategien der chinesischen Regierung, die, drittens, auf nationaler Ebene analysiert werden. Viertens wird die konkrete Ausgestaltung der nationalen Rahmenvorgaben untersucht. Dies erfolgt – mit Ausnahme des Bereichs Arbeitsrecht – auf lokaler Ebene anhand der Fallstädte Beijing, Nanjing, Shanghai und Shenzhen. Dabei werden unterschiedliche politische Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Städten herausgearbeitet sowie die lokale Implementierung der Strategien analysiert. Fünftens werden die in den vorangegangenen Schritten erzielten Ergebnisse mit Hilfe der in Kapitel 2.2.1 entwickelten Analyseparameter ausgewertet. Dabei wird gefragt nach der Reichweite und Zielgruppenorientierung der Regulierungen, deren politischer und ökonomischer Nachhaltigkeit, der Kooperation der involvierten Akteure sowie der Kohärenz der Regulierungen untereinander, mit anderen Politikfeldern sowie mit der decent work-Agenda. Im Fazit (Kapitel 7) werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und darauf aufbauend vier übergeordnete Thesen zu Effekten und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung entwickelt. Diese ermöglichen einerseits Rückschlüsse auf die Entwicklung von Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem in der VR China, gehen andererseits aber über den chinesischen Kontext hinaus und geben Anregungen für weitere theoretische Ausei-
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1 Einleitung
nandersetzungen sowie die Konzeptionierung und konkrete Umsetzung von Beschäftigungsregulierung in anderen Ländern. Schließlich wird in einem Ausblick aufgezeigt, dass die Beschäftigungsregulierungen der letzten Jahre tatsächlich das Ende der billigen Arbeit in China bedeuten, dass deren Implikationen aber darüber hinaus gehen und die künftige ökonomische und soziale Entwicklung Chinas in vielen Bereichen beeinflussen werden. Im Anhang werden die einschlägigen nationalen Regulierungen zu informeller Beschäftigung aufgeführt und deren zentrale Inhalte stichpunktartig dargestellt. Diese werden ergänzt durch eine Auflistung der wichtigsten Bestimmungen der Lokalregierungen von Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing.
2 Theorie und Methodik
2.1 Theorie: Lässt sich informelle Beschäftigung regulieren? Wie lassen sich neue Arbeitsstandards in einem Beschäftigungssystem durchsetzen, das zur Hälfte auf informellen Tätigkeiten basiert? Lässt sich informelle Beschäftigung regulieren oder sollte sie unterbunden werden? Bedeutet der Abschied vom Billiglohnmodell eine Formalisierung von Beschäftigung und eine Rückkehr zur „eisernen Reisschüssel“, in deren Folge Wettbewerbsvorteile verschwinden und Arbeitslosigkeit zunimmt? Oder führen höhere Arbeitsstandards gerade zu einer weiteren Ausbreitung der so genannten „Schattenwirtschaft“ und damit einem Wachstum von ungeschützter, informeller Beschäftigung? Und: was genau versteht man eigentlich unter informeller Beschäftigung und was sind ihre Charakteristika? Um sich diesen Fragen anzunähern, wird in diesem Kapitel der Stand der internationalen Theoriediskussion zur Informalität von Beschäftigung und deren Regulierung dargestellt. Ein detaillierter Blick auf die weltweiten Erfahrungen mit der Einführung von Arbeits- und Sozialstandards in der informellen Ökonomie findet sich jeweils zu Beginn der Kapitel 4 bis 6.
2.1.1 Die informelle Ökonomie: Mehr als Tagelöhner und Straßenhändler Wenngleich in der China-bezogenen Arbeitsmarktforschung und in China selbst die Auseinandersetzung mit informeller Beschäftigung ein junges Phänomen darstellt 5 , ist dieses Thema international seit mehr als 30 Jahren Gegenstand zunehmend komplexer theoretischer Debatten in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Die „großen“ (entwicklungs-) ökonomischen Theorien – Modernisierungstheorie, Dependenztheorie, Neoliberalismus, Marxismus / Neomarxismus, Weltsystemtheorie – haben sich dem Phänomen intensiv und kontrovers gewidmet6. Der „informelle Sektor“ wurde in den 1970er Jahre als marginaler, rückständiger und weitgehend unabhängig vom formellen Sektor operierender Teil der Ökonomie verstanden („Dualismus“)7. In den 1980er Jahren wurde er mit einer unterdrück5 In China ist seit Anfang der 2000er Jahre eine intensivere Befassung mit informeller Beschäftigung zu beobachten. (z.B. Cai Fang 2005; Cheng Duosheng 2004; Dong Keyong 2000; Institute for Labor Studies/ Ministry of Labor and Social Security of China & ILO 2005a; Jia Yujie 2004; Jin Yihong 2000b; Laodong he Shehui Baozhang Bu Shehui Baozhang Yanjiusuo 2002; Li Junfeng 2005; Li Lixu 2003; Lu Ming 2004; Peng Xizhe & Yao Yu 2004; Shi Meixia 2007; Xia Wang 2004; Yang Yiyong 2004; Yao Yu 2004; Yao Yujun & Wu Xiaojun 2004; Zhang Jie & Ma Bin 2004; Zhang Xiaofeng 2003; Zhang Yinghua 2004) 6 Für einen Überblick über die Diskussion zur informellen Ökonomie im Entwicklungsdiskurs siehe z.B. Wilson 1998; Chen 2004; Bernabé 2002. Die Auseinandersetzung um informelle bzw. „atypische“ Beschäftigung in den Industrieländern findet dagegen hauptsächlich in spezialisierten Teildisziplinen der Wirtschaftswissenschaften statt, wie der Arbeitsmarktforschung oder den „industrial relations“. Siehe dazu z.B. Williams & Windebank 1998; Hoffmann & Walwei 2000; Keller & Seifert 1995. 7 Zum Dualismus siehe z.B. ILO 1973; Hart 1973; Sethuraman 1976; Tokman 1978.
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Theorie und Methodik
ten Billigarbeiterschaft gleichgesetzt, die vom formellen Sektor ausgebeutet wird („Strukturalismus“)8 und Anfang der 1990er Jahre als leistungsfähiger Sektor produktiver und innovativer Mikrounternehmen gefeiert, der durch Überregulierung zum Umgehen von Gesetzen gezwungen sei („Legalismus“)9. Das in den letzten Jahren weltweit erstarkte Interesse an informellen Wirtschaftsweisen hat zu einer theoretischen Neubewertung geführt. In den 2000er Jahren hat das umfassendere Konzept der „informellen Ökonomie“ bzw. der „informellen Beschäftigung“ die Aufteilung in Sektoren ersetzt („integrierter Ansatz“) 10 . Informelle Beschäftigung wird nicht mehr als dubiose, parallel existierende Schattenwirtschaft angesehen, sondern als integrativer Bestandteil der Volkswirtschaft wahrgenommen, der sowohl in unregistrierten als auch in formellen Unternehmen vorkommt. Als informell werden Arbeitsbeziehungen bezeichnet, die nicht der nationalen Arbeitsgesetzgebung unterliegen, für die keine Steuern abführt werden bzw. die über keine Sozialabsicherung verfügen. (Hussmanns 2004: 6) Straßenhändler/innen und Mikrounternehmen werden genauso zur informellen Ökonomie gerechnet wie Zeitarbeit, unregistrierte Beschäftigung oder Saison- und Gelegenheitsarbeit. Dieser so genannte integrierte Ansatz, auf dem auch die vorliegende Studie basiert, wendet Elemente der dualistischen, strukturalistischen und legalistischen Gedankenschulen kontextbezogen auf die einzelnen Segmente der informellen Ökonomie an: „Clearly, some poor households and individuals engage in survival activities that have – or seem to have – very few links to the formal economy and the formal regulatory environment (a la dualism); some micro-entrepreneurs choose to avoid taxes and regulations (a la legalism); while other units and workers are subordinated to larger firms (a la structuralism). […] The point is to determine which segment of the informal economy one is talking about and to develop an appropriate response to that segment – rather than seeking a single causal explanation or policy response to the informal economy as a whole.” (Chen 2004: 9)
Definition informeller Beschäftigung Mit dem konzeptionellen Umdenken Anfang der 2000er Jahre ist eine neue Definition der informellen Ökonomie verbunden gewesen (ILO 2002b; Hussmanns 2004), auf die sich auch diese Studie bezieht. In der Kategorienbildung lehnt sich die hier verwendete Begriffsbestimmung zudem an das in der chinesischen Wissenschaft dominierende Verständnis der informellen Ökonomie an11 und unterscheidet drei Untergruppen: Als informelle Beschäftigung (feizhenggui jiuye) werden in dieser Studie alle bezahlten Tätigkeiten bezeichnet, bei denen die Beschäftigungsbeziehung – de jure oder de facto – 8
Zum Strukturalismus siehe z.B. Moser 1978; Castells & Portes 1989; Portes, Castells & Benton 1989. Zum Legalismus siehe z.B. de Soto 1989a / b; de Soto 1992. 10 Zum integrierten Ansatz siehe z.B. Chen 2004; Altvater & Mahnkopf 2002; Williams & Windebank 1998; Nesporova & Cazes 2006; ILO 2002a. 11 Die akademischen Debatten in China beziehen sich auf das international dominierende integrierte Verständnis der informellen Ökonomie, betonen aber die Notwendigkeit, die Definition von Informalität an den spezifisch chinesischen Kontext anzupassen. (z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003, Xia Wang 2004, Dong Keyong 2000, Peng Xizhe & Yao Yu 2004) Als zentrale Begriffe haben sich in der chinesischen Auseinandersetzung mit der Thematik die Termini „flexible Beschäftigung“ (linghuo jiuye) und „informelle Beschäftigung“ (feizhenggui jiuye) durchgesetzt, die meist synonym, teilweise aber auch mit leicht unterschiedlicher Konnotation verwendet werden (z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003 vs. Cai Fang 2005) Für eine umfassende Definition und Typologie informeller Beschäftigung in China siehe den „China-Beschäftigungsbericht 2002“ (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003) sowie Kapitel 3 dieser Studie. 9
2.1 Theorie: Lässt sich informelle Beschäftigung regulieren?
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nicht der formellen Arbeitsgesetzgebung, Einkommensbesteuerung, Sozialabsicherung oder Handelsregistrierung unterliegt, die aber in jeglicher anderer Hinsicht legal sind. Informelle Beschäftigung umfasst im Einzelnen: 1. abhängig Beschäftigte in Unternehmen des informellen Sektors (feizhenggui bumen de jiuyezhe), insbesondere in unregistrierten Unternehmen, 2. abhängig Beschäftigte mit informellen Arbeitsverhältnissen in Unternehmen des formellen Sektors (zhenggui bumen de feizhenggui jiuyezhe), also in Staats-, Kollektiv- und registrierten Privatunternehmen sowie 3. Selbstbeschäftigte (ziguxing jiuyezhe) bzw. Betreiber/innen von Mikrounternehmen (weixing qiyezhe). Grundannahmen zur informellen Ökonomie Das aktuelle Konzept der informellen Ökonomie basiert auf den folgenden Grundannahmen: (1) Signifikanz und Permanenz: Entgegen früherer Annahmen existiert Informalität weltweit und stellt kein Übergangs- sondern ein permanentes Phänomen dar. Ähnlich dem strukturalistischen Ansatz wird informelle Beschäftigung nicht als „traditionelle“ oder „residuale“ Erscheinung wahrgenommen, sondern als Charakteristikum moderner kapitalistischer Wirtschaftssysteme, das sowohl mit Wachstum als auch mit globaler Integration verbunden ist. Die informelle Ökonomie ist kein marginaler oder peripherer Sektor, sondern ein zentraler Bestandteil der Gesamtwirtschaft. (Chen 2004: 11) In vielen Ländern des Südens ist die Mehrzahl der Menschen in informellen Arbeitsverhältnissen beschäftigt (z.B. Chen 2004: 11; ILO 2002a: 10-23) und weltweit steigt deren Anteil an der Gesamtbeschäftigung weiter. Zwar ist es in den Industrieländern im 20. Jahrhundert zu einer Formalisierung von Beschäftigung und Wohlfahrt gekommen, informelle Wirtschaftsformen haben aber auch dort nie aufgehört zu existieren. Im Gegenteil sind in vielen Industrieländern Tendenzen zur „Re-Informalisierung“ vormals formeller Tätigkeiten zu beobachten; in Deutschland beispielsweise wird in diesem Zusammenhang von einer „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ gesprochen, das zunehmend durch so genannte „atypische“ Beschäftigungsformen ersetzt werde12. (z.B. Williams & Windebank 1998: 28; Hoffmann & Walwei 2000; Keller & Seifert 2006b) Auch in Entwicklungs- und Transformationsländern lassen sich keine klaren Trends hin zu einer Formalisierung feststellen. Zwar haben formelle Beschäftigungsverhältnisse in einigen Ländern Ost- und Südostasiens während der Boomphase der 1980er und Anfang der 1990er Jahre deutlich zugenommen (Williams & Windebank 1998: 28), dieser Effekt wurde jedoch in Folge der Asienkrise in den meisten Ländern nivelliert. (ILO 2002a: 20). In den ost- und zentraleuropäischen Transformationsländern und in China ist informelle Beschäftigung im Zuge der 12 Im Gegensatz zum so genannten „Normalarbeitsverhältnis“, das durch die Kerncharakteristika Stabilität, Vollzeit und Arbeitnehmerstatus charakterisiert ist, sind „atypische“ Beschäftigungsformen in der Regeln nicht auf Dauer angelegt, ermöglichen kein Existenz sicherndes Einkommen und/oder sind arbeits- und sozialrechtlich wenig abgesichert. Dazu zählen in Deutschland insbesondere (1) befristet sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (incl. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), (2) geringfügige Beschäftigung („Minijobs“) und Teilzeitarbeit, (3) Leiharbeit, (4) freie Mitarbeit sowie (5) Selbstbeschäftigung. (z.B. Schreyer 2000, Hoffmann & Walwei 2000, Oschmiansky & Oschmiansky 2003) Allerdings sind nicht alle dieser „atypischen“ Arbeitsverhältnisse automatisch als „informell“ zu bezeichnen. So sind etwa Teilzeitstellen oder Leiharbeitsverhältnisse in der Regel mit sozialer Absicherung verbunden, wenngleich die Entlohnung geringer ist und die Aufstiegs- und Qualifizierungschancen deutlich hinter denen von Vollzeitarbeitskräften zurückstehen.
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Wirtschaftsreformen rapide gestiegen, und selbst in den meisten lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten ist trotz bereits hoher Ausgangsniveaus in der letzten Dekade die Informalisierung von Arbeit weiter fortgeschritten. (ILO 2002a: 16-21) (2) Kontinuum wirtschaftlicher Beziehungen: Im Gegensatz zur Dualismus-These der 1970er Jahre wird heute davon ausgegangen, dass sich zwischen informeller und formeller Beschäftigung keine klaren Grenzen ziehen lassen. Vielmehr wird ein Kontinuum angenommen, in dem Informalität und Formalität zwei Extreme bilden, zwischen denen verschiedene Schattierungen und Übergänge existieren. Auf der Unternehmensebene bestehen solche Verbindungen zum Beispiel durch so genanntes Subcontracting, also Unterarbeitsverhältnisse, mit denen Unternehmen des formellen Sektors Tätigkeiten an informelle Kleinbetriebe auslagern. (z.B. Altvater & Mahnkopf 2002: 121, Enquete-Kommission 2002: 242) Auf der individuellen Ebene verschwimmen die Grenzen beispielsweise durch den Fakt, dass formell Beschäftigte außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten zusätzlich informelle Tätigkeiten ausüben, um ihren Lohn aufzubessern. (z.B. Williams & Windebank 1998: 32f.) Zudem bestehen dynamische Beziehungen zwischen formellen und informellen Wirtschaftsaktivitäten. So haben viele informelle Unternehmen Produktions- oder Verteilungsbeziehungen zu formellen Betrieben und viele formelle Unternehmen stellen Arbeitskräfte zu informellen Arbeitskonditionen an. (z.B. Chen 2004: 11) (3) Heterogenität und Segmentation: Informelle Beschäftigung wird als heterogenes Phänomen wahrgenommen, mit großen Unterschieden in Einkommen und Arbeitsbedingungen zwischen einzelnen Ländern und Weltregionen, aber auch innerhalb von Staaten sowie zwischen Stadt und Land bzw. verschiedenen Branchen, Unternehmensformen und Wirtschaftssektoren. (ILO 1993: 5; ILO 2002a: 31f.; Altvater & Mahnkopf 2002: 116) Insgesamt sind die Durchschnittslöhne in der informellen Ökonomie allerdings deutlich niedriger als in der formellen Ökonomie und die „working poor“ sind in der informellen Ökonomie konzentriert. (ILO 2002a: 31) Mehrere Studien haben zudem nachgewiesen, dass der informelle Arbeitsmarkt – ähnlich dem formellen Arbeitsmarkt – stark nach Geschlecht, aber auch nach Bildung, Ethnie und Herkunft segmentiert ist. (z.B. Williams & Windebank 1998: 34-36; Chen 2004: 12-14; Chen, Vanek & Carr 2004: 41-44; ILO 2002a: 31f.; für China z.B. Jin Yihong 2006) Informelle Beschäftigung kann sowohl abhängige Lohnarbeit bedeuten, als auch unternehmerische Selbständigkeit – mit jeweils stark unterschiedlichen Auswirkungen auf Lohn und Arbeitsbedingungen, wobei Lohnarbeit tendenziell mit geringeren Einkommen verbunden ist als Kleinunternehmertum. (Chen 2004: 11f.) Gleichzeitig gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Formen informeller Beschäftigung. Gering entlohnte, ausbeuterische, „marginale“ informelle Lohnarbeitsverhältnisse existieren vor allem in arbeitsintensiven Unternehmen, die mit veralteter Technologie Billigwaren herstellen. Genauso finden sich aber auch organisierte Formen informeller Beschäftigung mit hohen Gehältern, stärkerer Autonomie der Arbeitskräfte und von Kooperation statt Dominanz geprägten Arbeitsbeziehungen, etwa in kapital- und wissensintensiven Kleinunternehmen, die hochpreisige Güter und Dienstleistungen produzieren. (Williams & Windebank 1998: 32) Ähnlich groß sind die Unterschiede im Bereich individueller informeller Beschäftigung: Kleine Straßenhändler/innen, deren Erlöse kaum zur Sicherung der Subsistenz aus-
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reichen, existieren ebenso wie hoch bezahlte IT-Expert/innen und Consultants – auch wenn letztere in China nur eine kleine Minderheit darstellen. (z.B. Xia Wang 2004; Research Group of the Department of Training and Employment & MoLSS 2002: 2) (4) Legalität bzw. Semi-Legalität: Informelle Wirtschaftsaktivitäten finden zwar meist außerhalb des formellen regulatorischen Rahmens statt, eine Gleichsetzung von Informalität und Illegalität ist aber nur für einen kleinen Teil der informellen Ökonomie gerechtfertigt. Da trotz der Informalität der Arbeitsverhältnisse in der Regel legale Güter und Dienstleistungen produziert werden, bildet informelle Beschäftigung eher eine „semilegale“ Grauzone zwischen Legalität und Illegalität. (Tokman 1992) Zudem ist Informalität, wie in der legalistischen Schule angenommen, häufig als Reflex auf zu rigide, aufwändige oder auch nicht existierende Regulierungen zu verstehen. Viele informelle Tätigkeiten generieren darüber hinaus nicht genügend Output, um in existierende Steuerrahmen zu fallen. Chen weist darauf hin, dass Informalität vielmals nicht selbst gewählt ist: bei informeller Lohnarbeit sind es nicht die Arbeitskräfte, sondern deren Arbeitgeber/innen, die eine formelle Registrierung umgehen. Gleichzeitig wären viele informelle Unternehmen bereit, Steuern und Verwaltungsgebühren zu zahlen, wenn sie von denselben Vorteilen wie formelle Unternehmen profitieren könnten. (Chen 2004: 14)
2.1.2 Regulierung informeller Beschäftigung: Schaffung von decent work Mit dem neuen Verständnis der informellen Ökonomie und der Einsicht, dass diese einen dauerhaften und zentralen Bestandteil der Volkswirtschaft ausmacht, hat auch ein Umdenken bezüglich geeigneter Strategien zum Umgang mit informeller Beschäftigung stattgefunden. Dabei hat sich in der internationalen (Entwicklungs-)Debatte die Überzeugung durchgesetzt, dass weder die Eliminierung informeller Beschäftigung (strukturalistischer Ansatz / rigides Modell) noch eine reine Deregulierung der Arbeitsmärkte (legalistischer Ansatz / liberales Modell) angemessene Reaktionen auf das Phänomen der Informalität darstellen, die bis dahin die politischen Debatten bestimmt haben: „[Policy-makers] have tended to ignore [the informal sector], in the hope or the belief that it would go away. Alternatively, they have attempted to suppress it because they could not tolerate the existence of a large section of the urban population working and living on the fringes of legality and of organised society. Or they have subjected it to various forms of harassment […] because it was inaesthetic, insanitary, a potential breeding ground for crime or social or political unrest, or simply an uncomfortable reminder that something was wrong with their strategies for “development”.” (ILO 1991: 15)
Stattdessen werden heute Modelle favorisiert, die auf eine Regulierung informeller Beschäftigung abzielen: Der Staat akzeptiert und legalisiert informelle Beschäftigung und versucht, durch das Etablieren von Regeln, durch Kontrollen und notfalls durch Sanktionen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich zu nehmen. Dabei soll informelle Beschäftigung nicht in erster Linie eingedämmt und durch formelle Aktivitäten ersetzt bzw. auf dasselbe Niveau gebracht werden (Formalisierung). Ziel der Regulierung ist es vielmehr, Mindeststandards in der informellen Ökonomie durchzusetzen, die auf einem niedrigeren Niveau angesiedelt sein können als formelle Beschäftigungsstandards, die aber eine
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Grundabsicherung für alle Beschäftigten garantieren. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) spricht in diesem Zusammenhang von decent work, also der Schaffung menschenwürdiger, zumutbarer Arbeit13. (ILO 2002a) Decent work erfüllt fünf Charakteristika: Sie ist (1) produktiv und sicher, (2) gewährleistet den Respekt von Arbeitsrechten, (3) ermöglicht ein adäquates Einkommen, (4) bietet sozialen Schutz und (5) schließt sozialen Dialog, gewerkschaftliche Freiheit, kollektive Interessenvertretung und Mitbestimmung ein. (ILO 1999) Um decent work in der informellen Ökonomie zu etablieren, propagiert die ILO staatliches Eingreifen in vier Bereichen (ILO 2002a: 6; Chen 2004: 27f.): 1. Schaffung von Einkommen und Möglichkeiten: Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte sollen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Produktivität gestärkt werden, indem sie Weiterbildungen, Mikrofinanzierung und technologische Unterstützung angeboten bekommen. 2. Sichern von Rechten: Um die Rechte informeller Lohnarbeitskräfte besser zu schützen, soll die existierende Arbeitsgesetzgebung auf diese Beschäftigtengruppe ausgeweitet und Arbeitsstandards zu deren Schutz etabliert werden. Selbstbeschäftigte sollen gestärkt werden, indem sie gleichberechtigten Zugang zu Krediten und Ressourcen erhalten, Eigentumsrechte zugesprochen bekommen und als informelle Unternehmen staatlich geschützt werden. 3. Sozialschutz: Bestehende Sozialsysteme sollen ausgeweitet oder alternative Systeme eingerichtet werden, um informell Beschäftigten eine Basisabsicherung bei Krankheit, Mutterschaft, Behinderung, Alter und im Todesfall zu gewährleisten. Zudem sollen Sicherheitsnetze zur Abfederung von Krisen geschaffen sowie Maßnahmen zum Arbeitsschutz durchgesetzt werden. 4. Mitsprache: Informell Beschäftigten soll die Möglichkeit gegeben werden, sich in Gewerkschaften, Kooperativen und anderen Vereinigungen zu organisieren. Außerdem sollen sie in den relevanten Organisationen, bei der Formulierung von Politiken und Regeln sowie bei Tarifverhandlungen repräsentiert sein. Das Konzept einer angemessenen Unterstützung und Regulierung der informellen Ökonomie ist zu einem wichtigen Thema auf der internationalen Agenda geworden und wurde in die Entwicklungsstrategien vieler Länder übernommen. Es bildet einen Schwerpunkt der 2006 ausgerufenen Asian Decent Work Decade, für die sich die asiatischen Staaten zur Umsetzung bestimmter decent work-Ziele entsprechend ihrer nationalen Gegebenheiten und Prioritäten verpflichtet haben. (ILO 2007: 1) Die chinesische Regierung hat im Mai 2001 ein Memorandum of Understanding mit der ILO unterzeichnet, in dem sie sich zu den strategischen Zielen der decent work-Agenda bekannt hat und in dem Prioritäten für deren Implementierung festgelegt wurden, die den oben genannten vier Maßnahmenpaketen entsprechen (konkretisiert in ILO 2007). Der elfte Fünfjahrplan der VR China für die Jahre 2006 bis 2010 ist im Bereich Arbeit und Soziale Sicherheit von diesen Leitlinien geprägt. Gelingt dieses ambitionierte Programm, würde dies tatsächlich das „Ende der billigen Arbeit“ in China bedeuten. Wie weit die Umsetzung dieser Ziele in der Praxis vorangeschritten ist und welche Hürden dabei bestehen, wird in den Kapiteln 4 bis 6 dieses Buches untersucht. 13
Der englische Terminus wird auch in deutschen Fachpublikationen verwendet, eine einheitliche deutsche Standardübersetzung fehlt. Die ILO definiert decent work als „opportunities for men and women to obtain productive work, in conditions of freedom, equity, security and human dignity.“ (ILO 1999)
2.2 Methodik: Wie lassen sich bessere Arbeitsbedingungen messen?
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2.2 Methodik: Wie lassen sich bessere Arbeitsbedingungen messen? 2.2.1 Analyseparameter Für die Auswertung der Regulierungsstrategien informeller Beschäftigung sowie deren Umsetzung werden im Folgenden Analyseparameter entwickelt, die auf den im vorigen Kapitel dargestellten Annahmen zu Charakteristika und Regulierungsnotwendigkeiten der informellen Ökonomie basieren. Diese Parameter werden im Verlauf der Untersuchung dazu dienen, die Einzelergebnisse zu strukturieren, zu vergleichen und in einen größeren Zusammenhang zu setzen. Das für den chinesischen Kontext abgeleitete Instrumentarium lässt sich auf Analysen anderer Volkswirtschaften übertragen und kann durch weitere Länderstudien erweitert, überprüft und modifiziert werden. Zur Auswertung der chinesischen Regulierungsansätze wird eine Vielzahl von Einzelindikatoren zu sechs Analyseparametern zusammengefasst: (1) die Reichweite der spezifischen Regulierungen, (2) deren Zielgruppenorientierung, (3) die politische und (4) die finanzielle Nachhaltigkeit der Regulierungen, (5) die Kooperation der involvierten Akteure und deren Hierarchieebene sowie (6) die Kohärenz der Regulierungen untereinander, mit anderen Politiken und mit der decent work-Agenda. Reichweite: Aufgrund der Signifikanz und des Ausmaßes informeller Beschäftigung ist die Frage der Reichweite entsprechender institutioneller Veränderungen und Fördermaßnahmen von besonderer Relevanz. Welche Segmente des heterogenen Phänomens informeller Beschäftigung werden mit den einzelnen Regulierungen angesprochen und welchen Anteil hat diese Zielgruppe an der Gesamtheit der informell Beschäftigten? Wird diese (nominelle) Zielgruppe durch formale Voraussetzungen weiter eingeschränkt (z.B. hukou, Zertifikate, formelle Registrierung)? Sind die Regulierungen geschlechtersensibel, d.h. werden Frauen und Männer gleichermaßen angesprochen und erreicht? Wie groß ist die tatsächliche Reichweite? Die nominelle Reichweite spezifischer Regulierungen lässt sich aus der Analyse der Zugangsvoraussetzungen für die Gewährung einzelner Rechtsansprüche und Unterstützungspolitiken ableiten. Um die tatsächliche Reichweite abschätzen zu können, ist die Auswertung von Statistiken notwendig, etwa durch die Gegenüberstellung von Daten zu informell Beschäftigten vor und seit Inkrafttreten spezifischer Regulierungen sowie deren Entwicklung im Vergleich zu den entsprechenden Indikatoren für formell Beschäftigte. Die Datenlage ist allerdings aufgrund der generell schwierigen Messbarkeit informeller Aktivitäten und ihrer teils fehlenden Erfassung in offiziellen Statistiken problematisch. Einen Ausweg bietet die Auswertung von Daten statistisch erfasster Teilgruppen, die zu einem Großteil informell beschäftigt sind, etwa von Selbstbeschäftigten, ländlichen Migrant/innen und registrierten Arbeitslosen. Dieses Vorgehen ermöglicht zudem den Vergleich der Reichweite von Regulierungen für einzelne Teilgruppen von informell Beschäftigten. Zielgruppenorientierung: Die Auswirkungen von Regulierungen auf die informelle Ökonomie unterscheiden sich häufig von denen auf die formelle Ökonomie. Es ist daher zu fragen, inwiefern das Regulierungsdesign an die Charakteristika und Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst ist. Welchen Nutzen haben die Regulierungen, d.h. inwiefern werden die Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie verbessert? Welche Kosten und Investi-
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tionen auf Seiten der informell Beschäftigten stehen dem zusätzlichen Nutzen gegenüber (Antragsverfahren/-zeiten, Aufwand, monetäre Kosten, zeitliche Kosten)? Aufschlussreich zur Beantwortung dieser Fragen sind Studien und Medienberichte, in denen informell Beschäftigte zur Relevanz der entsprechenden Regulierungen für ihre Arbeits- und Lebensrealität interviewt wurden. Derartige Untersuchungen liegen allerdings nicht für alle Regulierungsbereiche vor. Zur Ermittlung der Zielgruppenorientierung werden daher zusätzlich die regulatorischen Neuerungen mit den zu Beginn jedes Regulierungskapitels ermittelten institutionellen Hindernissen in Beziehung gesetzt, mit denen informell Beschäftigte konfrontiert sind und die zur Prekarität ihrer Arbeitsbedingungen beitragen. Es wird gefragt, inwiefern die neuen Regulierungen dazu beitragen, derartige Hürden zu verringern bzw. abzubauen. Außerdem werden weiter bestehende Regulierungslücken identifiziert und mögliche adverse Effekte der Regulierungen auf informell Beschäftigte herausgearbeitet, die deren positive Wirkung abschwächen oder gar überkompensieren könnten. Fristigkeit und politische Nachhaltigkeit: Die Einsicht in die Permanenz informeller Wirtschaftsweisen macht eine langfristig wirksame Strategie zu deren Unterstützung notwendig. Gleichzeitig haben viele informell Beschäftigte mit akuten Problemen zu kämpfen, die kurzfristige Unterstützung erfordern. Die Balance zwischen kurz-, mittel- und langfristig wirksamen Regulierungen ist somit ein wichtiger Analysefaktor. Zudem muss nach der Nachhaltigkeit der Regulierungen gefragt werden: Führen sie zu einer dauerhaften Verbesserung der Situation informell Beschäftigter und werden decent work-Defizite langfristig abgebaut? Ein wichtiger Nachhaltigkeitsindikator ist die politische Ebene, auf der die Regulierungen angesiedelt sind. Nationale Gesetze haben eine deutlich höhere Verbindlichkeit und Beständigkeit als etwa Ministerialbestimmungen (bumen guizhang) und Regierungsdokumente (wenjian), die nur Teilaspekte eines Regulierungsbereiches regeln, oftmals innerhalb kurzer Zeit von neuen Vorschriften abgelöst werden und über eine geringere rechtliche Durchsetzungskraft verfügen14. Eine Bedingung für Nachhaltigkeit ist zudem die Existenz von Unterstützungs- und Begleitpolitiken, die Anreize für eine dauerhafte Verankerung der Regulierungen setzen. Es ist daher zu prüfen, ob die wachsende Regulierungsdichte durch eine forcierte Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen sowie weitere Begleitmaßnahmen (Informationskampagnen, Förderung der Rechtskenntnis etc.) flankiert wird. Quantifizierbare Aussagen zur Wirksamkeit und Beständigkeit der Regulierungen sind derzeit aufgrund der kurzen Implementierungsdauer und dem Fehlen umfassender Evaluierungen nicht möglich. Unter Rückgriff auf Hilfsindikatoren können aber in einigen Bereichen die Entwicklungen tendenziell abgeschätzt werden; im Bereich der Existenzgründungsförderung beispielsweise durch die Analyse von Rück-
14 Die Gesetzgebung in China hat vier Ebenen mit jeweils absteigender Verbindlichkeit und Wirkungskraft: (1) nationale Gesetze (guojia falü), die vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses erlassen und vom Staatspräsidenten unterzeichnet werden, (2) nationale Verwaltungsvorschriften und regionale Vorschriften (guojia xingzheng fagui he difang fagui), die vom Ständigen Ausschuss des Staatsrats eines regionalen Volkskongresses erlassen werden, (3) Bestimmungen von Ministerien, Behörden und Regionalregierungen (bumen guizhang he difang zhengfu guizhang), (4) Dokumente des Staatsrats, der mit dem Staatsrat verbundenen Organe und von Lokalregierungen auf unterschiedlichen Ebenen (guowuyuan, guowuyuan xiangguan bumen, geji difang zhengfu banbu de wenjian). (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 22)
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zahlungsquoten bei Garantiekrediten, Abschlussquoten von Trainingskursen und „Überlebensraten“ neu gegründeter Mikrounternehmen. Finanzierung und finanzielle Nachhaltigkeit: Nur wenige Regulierungsaktivitäten sind annähernd budgetneutral, wie etwa die Erhöhung des Rechtsschutzes für informell Beschäftigte (aber selbst dort steigen ggf. die Kontrollkosten). Maßnahmen zur Integration informell Beschäftigter in soziale Sicherungssysteme und Förderpolitiken für informelle Mikrounternehmen sind in der Regel mit Finanzierungsbedarf verbunden. Da informell Beschäftigte nicht über Lobbygruppen verfügen und zumeist nicht in politische Entscheidungsprozesse eingebunden sind, ist die dauerhafte Durchführung dieser Politiken im Fall einer Finanzierung über das Staatsbudget von der Finanzierungsbereitschaft und –fähigkeit der (Lokal-) Regierungen abhängig. Gleichzeitig stoßen wegen der meist geringen Einkommen informell Beschäftigter beitrags- bzw. gebührenfinanzierte Maßnahmen an ihre Grenzen und es existieren selten ökonomische Anreize für ein Engagement der Privatwirtschaft. Zur Analyse der Finanzierungssituation ist daher zu fragen, ob die Maßnahmen als Transferleistungen angelegt sind oder ob ökonomische Überlegungen eine Rolle spielen. Bei Politiken, die dauerhaft von hohen staatlichen Zuschüssen abhängig sind oder Anreize für moral hazard15 bieten, besteht die Gefahr, dass diese bei Finanzierungsengpässen zurückgefahren oder ausgesetzt werden. Dafür ist auch die Analyse der Kostenaufteilung zwischen Zentral- und Lokalregierungen aufschlussreich. Ein hoher lokaler Finanzierungsanteil lässt vermuten, dass entsprechende Politiken in ärmeren Regionen kaum durchführbar sind bzw. dort eine geringere Reichweite erzielen. Ein weiterer Indikator für die finanzielle Nachhaltigkeit der Politiken ist, ob die entstehenden Kosten durch Einsparungen auf anderen Gebieten teilweise kompensiert werden, etwa durch das Wegfallen von Sozialhilfezahlungen und anderen staatlichen Garantieleistungen. In die Analyse ist zudem die Verhältnismäßigkeit von Kosten und Nutzen der jeweiligen Regulierungen einzubeziehen, etwa indem die Kosten mit der Reichweite der Politiken ins Verhältnis gesetzt werden. Kooperation der involvierten Akteure und deren Hierarchieebene: China ist ein stark dezentralisierter Staat. Die politische Hierarchieebene, auf der die jeweiligen Regulierungen erlassen werden (Zentrale, Provinz, Städte), entscheidet daher wesentlich darüber mit, ob es zu einer China-weiten Standardisierung von Arbeitsrechten in der informellen Ökonomie kommt oder zu einem Flickenteppich lokal unterschiedlicher Vorschriften und Rechte. Es ist daher zu untersuchen, ob die von der Zentralregierung erlassenen Regulierungen für die Lokalregierungen verbindlich sind und von diesen ohne wesentliche Abweichungen in lokales Recht übertragen werden oder ob sie nur Rahmenvorgaben darstellen und den Provinz- und Stadtregierungen Gestaltungsfreiheit lassen. Des Weiteren ist zu 15
Unter moral hazard („moralische Versuchung“) wird in der Neuen Institutionenökonomik die Ausbeutung von Gemeinschaftsgütern zur privaten Nutzung verstanden. (Czada & Lütz 2003: 19) Moral hazard steht für Verhaltensänderungen von Individuen nach vermeintlichem Wegfall des Risikos, beispielsweise durch Internalisierung von Risiken durch den Staat. Die Gefahr des moral hazard besteht, wenn es einen Widerspruch gibt in dem, was für die Allgemeinheit (Kollektivrationalität) und dem, was für den Einzelnen (Individualrationalität) vernünftig ist. Nimmt beispielsweise der Staat im Interesse der Arbeitnehmer/innen Risiken auf sich, die durch Arbeitgeber/innen verursacht werden, besteht ein noch stärkerer Anreiz für die Unternehmen zu Externalisierung von Kosten (z.B. staatliche Zahlungen im Fall von Arbeitsunfällen). Im Zusammenhang mit informeller Beschäftigung wird die moral-hazard-Problematik insbesondere beim Design alternativer Sozialversicherungsangebote und bei der Vergabe von Mikrokrediten diskutiert.
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analysieren, ob Interessenvertreter/innen informell Beschäftigter in die jeweiligen Gesetzgebungsprozesse eingebunden werden, um eine möglichst hohe Bedürfnisorientierung und Zielgenauigkeit der Regulierungen zu erreichen. Für eine erfolgreiche Implementierung ist zudem relevant, inwiefern halbstaatliche Akteure (Gewerkschaftsbund, Frauenverband, Jugendliga), Nichtregierungsorganisationen bzw. die Privatwirtschaft in den Umsetzungsprozess integriert werden und wie die Kooperation zwischen diesen Akteuren gestaltet wird. Eine Einbeziehung dieser Akteursgruppen wirkt sich in der Regel positiv auf die Reichweite der Politiken und die Qualität der Implementierung aus. Kohärenz: Erstens ist die Kohärenz zwischen den einzelnen Regulierungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik für informell Beschäftigte zu untersuchen. Gibt es Widersprüche zwischen den Politiken in diesen Regulierungsbereichen, die deren Wirksamkeit abschwächen, oder ergänzen und verstärken sich die einzelnen Regulierungen in ihrer Wirkung? Nahezu alle Politiken haben Auswirkungen auf die informelle Ökonomie, nicht nur gezielte Maßnahmen zu deren Regulierung. Es ist daher zweitens zu fragen, ob Widersprüche zu Regelungen aus anderen Politikfeldern bestehen. Hier sind insbesondere die hukou-Politik, Wirtschafts- und Steuerpolitiken sowie die Sozialpolitik wichtige Referenzbereiche. Drittens ist zu analysieren, inwiefern die übergeordneten politischen Ziel der Schaffung einer „harmonischen Gesellschaft“ sowie von decent work verfolgt und erreicht werden. Welche der identifizierten Defizite in den Bereichen Einkommen, soziale Sicherheit, Rechtsschutz und Mitsprache werden durch die Regulierungen abgebaut und bei welchen decent work-Elementen besteht weiterhin Handlungsbedarf? Werden Unsicherheiten und Prekarität in der informellen Ökonomie verringert und die Arbeitsbedingungen langfristig verbessert?
2.2.2 Material und Fallauswahl Die Analyse der nationalen Rahmenvorgaben und Strategien zur Regulierung informeller Beschäftigung erfolgt anhand von Dokumenten der Zentralregierung. Die Implementierung und konkrete Ausgestaltung wird je nach Regulierungsbereich unterschiedlich untersucht: Im Bereich Arbeitsrecht, wo nationale Regulierungen nahezu unverändert in lokales Recht übertragen werden und landesweit ähnliche strukturelle Implementierungsprobleme bestehen, werden generelle und für ganz China gültige Überlegungen zur Umsetzung der neuen Bestimmungen vorgenommen. In den Bereichen Sozialversicherungspolitik und Existenzgründungsförderung wird die Ausgestaltung der nationalen Rahmenvorgaben dagegen auf lokaler Ebene anhand von vier Fallstudien untersucht. In diesen beiden Bereichen liegt die Regulierungskompetenz bei den Stadtregierungen, was zu lokal divergierenden Herangehensweisen führt. Die vier ausgewählten Fallstädte sind Metropolen in Nordost-, Ost- und Südchina: Beijing (ca. 15,5 Mio. Einwohner/innen) Nanjing (ca. 6 Mio. Einwohner/innen, Provinz Jiangsu) Shanghai (ca. 18,4 Mio. Einwohner/innen) Shenzhen (ca. 12 Mio. Einwohner/innen, Provinz Guangdong) Die Auswahl der Fallstädte folgt zwei zentralen Kriterien: sie sollen erstens verwertbare Regulierungsergebnisse aufweisen und zweitens divergierende Ansätze repräsentieren.
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Zum Erzielen aussagekräftiger Ergebnisse wurden Städte gewählt, in denen sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeiten zum Erlassen eigenständiger Regulierungen bestehen. Als prosperierende Metropolen, die aufgrund des Wirtschaftsbooms schon früh auf zusätzliche Arbeitskräfte aus anderen Regionen angewiesen waren, sind alle vier Fallstädte seit vielen Jahren mit dem Phänomen informeller Beschäftigung konfrontiert. Da die Absicherung dieser Arbeitskräfte auf nationaler Ebene erst spät geregelt wurde, haben die untersuchten Städte bereits vor dem Inkrafttreten nationaler Vorschriften eigenständige Regulierungen erlassen und Vorreiterrollen bei der Verrechtlichung informeller Beschäftigung gespielt. Dies war in den ausgewählten Metropolen möglich, da sie aufgrund ihres Verwaltungsstatus im Vergleich zu anderen Städten über ein deutlich höheres Maß an Rechten, Kompetenzen und Verantwortung verfügen und ihre eigene Sozial- und Arbeitsmarktpolitik betreiben: Beijing und Shanghai sind zwei der insgesamt vier regierungsunmittelbaren Städte16 (zhixia shi) in China und verfügen über Provinzstatus und damit über einen besonders großen Handlungsspielraum. Bei Nanjing und Shenzhen handelt es sich um zwei der 15 Unterprovinzstädte (fu shengji chengshi), deren Bürgermeister den Rang von Vizegouverneuren einer Provinz haben und die ebenfalls eine von den Provinzregierungen weitgehend unabhängige Lokalpolitik betreiben können. Als Sonderwirtschaftszone hatte Shenzhen zudem sehr früh das Recht zu eigenen Experimenten in der Wirtschaftsund Sozialpolitik. Die größere Autonomie der Fallstädte und das frühe Austesten von Regulierungsmodellen ermöglicht eine Analyse lokaler Politikschwerpunkte und divergierender Implementierungsergebnisse mit einem im nationalen Vergleich größeren Zeithorizont. Die Regulierungsmodelle für informell Beschäftigte in den vier Städten bilden einen guten Querschnitt durch die verschiedenen Optionen, die derzeit national Gewicht haben und im Land verbreitet sind. Die „Rollenverteilung“ zwischen den vier Städten ist dabei in den beiden anhand von Fallstudien untersuchten Bereichen der Sozialversicherung und der Förderung von Mikrounternehmen ähnlich gelagert: Shanghai etabliert sich als mit Abstand innovativste der Fallstädte und wagt die meisten Experimente. Die Regulierungsdichte ist hier am größten, und die Stadt geht in vielen Bereichen eigene Wege, die den nationalen Regulierungen weit voraus sind. Nanjing hebt sich im Bereich der Sozialsicherung durch teils innovative Ansätze bei der Durchsetzung der Versicherungspflicht hervor und zeigt sich auch bei der Unterstützung von Existenzgründer/innen besonders praxisnah. Beijing dagegen folgt in beiden Regulierungsbereichen sehr stark den nationalen Vorgaben und handelt besonders „linientreu“. Einzig Shenzhen zeigt sich ambivalent: Es bietet fast durchgängig die mit Abstand preiswertesten Sozialversicherungskonditionen für informell Beschäftigte an, während es bei der Gründungsförderung die rigidesten Vorschriften hat. Als Primärquellen werden Gesetze und politische Dokumente chinesischer Regierungsorgane auf nationaler und lokaler Ebene ausgewertet. Zur Analyse der Regulierungsstrategien auf Ebene der Zentralregierung dient die Untersuchung nationaler Vorschriften, insbesondere solcher des Staatsrats (Zhonghua Renmin Gongheguo Guowuyuan), des Nationalen Volkskongresses (Quanguo Renmin Daibiao Dahui) sowie des Ministeriums für Humanressourcen und Soziale Sicherung (Renli Ziyuan he Shehui Baozhang Bu) (bis März 2008: Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherung, Laodong he Shehui Baozhang Bu). Zur Untersuchung der lokalen Ausgestaltung nationaler Rahmenvorgaben werden Dokumente der einzelnen Fallstädte ausgewertet, wie die der jeweiligen städtischen Volksregie16
Regierungsunmittelbare Städte sind außerdem Tianjin und Chongqing.
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rungen (Shi Renmin Zhengfu), der städtischen Ämter für Humanressourcen und Soziale Sicherung (Shi Renli Ziyuan he Shehui Baozhangju) (bis März 2008: Ämter für Arbeit und Soziale Sicherung, Shi Laodong he Shehui Baozhangju) sowie spezifischer Verwaltungsämter auf Stadtebene (z.B. Sozialversicherungsfonds oder Wiederbeschäftigungsfonds). Die wichtigsten verwendeten Regulierungen auf nationaler und lokaler Ebene sind im Anhang zusammengestellt. Ergänzend zu diesen Quellen werden Arbeitsberichte und Analysen der Arbeitsbehörden und weiterer relevanter Organisationen (Gewerkschaftsbund, Frauenverband, Internationale Organisationen) sowie Statistiken und Medienberichte herangezogen. Diese Quellen geben insbesondere Auskunft über Stand und Probleme der Implementierung der einzelnen Politiken. Zusätzlich habe ich im Februar und März 2006 eigene Erhebungen in Form von 35 qualitativen, leitfadenbasierten Experteninterviews in Shanghai, Beijing und Nanjing durchgeführt17. Meine Gesprächspartner/innen waren Vertreter/innen des Arbeitsministeriums, von Arbeitsbehörden der drei Städte (Stadt- und Kommunalebene), Leiharbeitsfirmen, Existenzgründungszentren, des Gewerkschaftsbunds, des Frauenverbandes, von Universitäten, regierungsnahen Forschungsinstituten sowie Internationalen Organisationen. Die Interviews dienen einerseits der Einordnung und dem besseren Verständnis des schriftlichen Materials und geben andererseits wichtige Hinweise zur Einschätzung des Implementierungsprozesses.
17 Shenzhen wurde erst nach Abschluss der Interviewphase als vierte Fallstadt hinzugenommen, um die Varianz der Ergebnisse zu erhöhen. Dies erwies sich aufgrund der guten Datenlage sowohl hinsichtlich der Regierungsdokumente als auch in Bezug auf Sekundärquellen als unproblematisch.
3 Chinas informelle Ökonomie
Informelle Beschäftigung ist ein weltweites Phänomen. In den meisten Weltregionen ist der größte Teil der Erwerbsbevölkerung informell beschäftigt. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass informelle Beschäftigung in Nordafrika 48 Prozent der nichtagrarischen Gesamtbeschäftigung ausmacht, in Subsahara-Afrika sind es 72 Prozent, in Lateinamerika 51 Prozent und in Asien 65 Prozent. (ILO 2002c: 19) Aber auch in den Industrieländern hat informelle Beschäftigung in den letzten Jahren zugenommen. So wird in Deutschland inzwischen gut ein Drittel der Gesamtbeschäftigung als „atypisch“ bezeichnet18 (Keller & Seifert 2006b: 235), in Australien sind es 28 Prozent und in Japan über 30 Prozent. (Lee & Eyraud 2007: 5) Auch wenn in Industrieländern der größte Teil „atypischer“ Tätigkeiten durch Teilzeitbeschäftigung zustande kommt, sind gleichzeitig deutliche Trends hin zu mehr Leiharbeit, Minijobs und anderen prekären Arbeitsverhältnissen zu beobachten. (Lee & Eyraud 2007: 5) Als Hauptursachen dieser weltweiten Entwicklung werden Deregulierungspolitiken sowie der gestiegene internationale Wettbewerbsdruck als Folge der Globalisierung angeführt. (z.B. Keller & Seifert 2006b: 236; Lee & Eyraud 2007: 10-14) Betrachtet man die aktuellen Arbeitsmarktdaten in China, so scheint die Volksrepublik in dieses Bild zu passen. Derzeit ist schätzungsweise die Hälfte der städtischen Beschäftigung informeller Natur, wenngleich verlässliche Zahlen nur schwer zu bekommen sind. Wie in den anderen Ländern sind auch in China vorrangig Bevölkerungsgruppen informell beschäftigt, die eine benachteiligte Position am Arbeitsmarkt einnehmen (Entlassene, Migrant/innen, Geringqualifizierte), wobei die Situation von Frauen in jeder dieser Gruppen besonders prekär ist. Dem internationalen Trend entsprechend findet der größte Teil informeller Beschäftigung im Handels- und Dienstleistungsbereich sowie in arbeitsintensiven Industriebranchen statt. Auf den zweiten Blick werden jedoch chinesische Besonderheiten sichtbar. Während in den meisten Ländern der Welt die Informalisierung von Beschäftigung einen über viele Jahrzehnte andauernden Prozess darstellt oder Beschäftigung noch nie überwiegend formalisiert war, ist die chinesische Situation ein Ergebnis der Entwicklungen in den letzten zwei Dekaden. Noch in den 1980er Jahren war städtische Beschäftigung nahezu vollständig formell und abgesichert. Erst seit Mitte der 1990er Jahre ist eine rasante Zunahme informeller Beschäftigungsverhältnisse zu beobachten, deren Ende bislang nicht absehbar ist. Die Beschäftigungssituation hat sich damit innerhalb kürzester Zeit radikal geändert und stellt einen Großteil der städtischen Bevölkerung vor große Umbrüche und Herausforderungen. Diese Entwicklung ist Folge der ökonomischen Transformation und der damit verbundenen Umstrukturierung des Beschäftigungssystems und wird durch demographische Faktoren (Migration, Bevölkerungswachstum) sowie Globalisierungseinflüsse verstärkt. Ein zweites 18 Als „flexible“ oder „atypische Beschäftigung“ werden solche Arbeitsverhältnisse bezeichnet, die vom Konstrukt des „Normalarbeitsverhältnisses“ (stabil/dauerhaft; Vollzeit; Arbeitnehmerstatus) abweichen und erhöhte Risiken aufweisen (z.B. Teilzeitbeschäftigung und sog. „Minijobs“).
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Chinas informelle Ökonomie
chinesisches Spezifikum ist es, dass informelle Beschäftigung überwiegend als informelle Lohnarbeit stattfindet. Der Anteil von Selbstbeschäftigung ist in China deutlich geringer als im Durchschnitt der restlichen Entwicklungs- und Transformationsländer, nimmt aber zu. Das rigide System der Haushaltsregistrierung (hukou), das die Bevölkerung in Stadt- und Landbevölkerung einteilt und die Land-Stadt-Migration erschwert, ist eine weitere Besonderheit der VR China. Der Zugang ländlicher Migrant/innen zum formellen städtischen Arbeitsmarkt ist noch immer beschränkt und stellt eine strukturelle Quelle von Informalität dar. Erst seit wenigen Jahren werden die Barrieren sukzessive verringert und formelle Beschäftigung für Migrant/innen damit erst möglich gemacht.
3.1 Von einer Randerscheinung zum Massenphänomen – Informalisierung von Arbeit in China Informelle Beschäftigung stellt in China kein neues Phänomen dar. Wang Feiling schätzt, dass zum Zeitpunkt der Gründung der Volksrepublik 1949 etwa die Hälfte der 8 Millionen städtischen Arbeitskräfte arbeitslos war. (Wang Feiling 1998: 13) Da kein formelles System zur sozialen Absicherung von Arbeitslosen existierte, kann davon ausgegangen werden, dass diese Arbeitslosen ihr Auskommen zum Großteil mit verschiedenen Arten informeller Beschäftigung verdienten. Zudem war selbst ein offizieller Arbeitnehmerstatus nicht mit dem vergleichbar, was heute unter formeller Beschäftigung verstanden wird (langfristige Arbeitsverträge, soziale Absicherung etc.). Erst mit der Machtübernahme durch die Kommunistische Partei wurde städtische Beschäftigung sukzessive formalisiert, insbesondere nach der offiziellen Einführung der Planwirtschaft 1956. Im sozialistischen Beschäftigungssystem wurden den Staats- und Kollektivbetrieben die Arbeitskräfte durch den Staat zugeteilt, welche über eine lebenslange Beschäftigungsgarantie und das Recht auf Weitergabe des Arbeitsplatzes innerhalb der Familie verfügten. Die danwei (Arbeitseinheit) war für die Rundumversorgung ihrer Arbeitskräfte mit Kranken- und Rentenversicherung, Wohnraum, Freizeitangeboten und Schulen zuständig. Auch wenn informelle Beschäftigung in der planwirtschaftlichen Periode nie vollständig aufhörte zu existieren (Howell 2002: 1), stellte sie in den Städten nur ein marginales Phänomen dar. In der 1978 eingeleiteten ökonomischen Transformation Chinas von einer Plan- in eine Marktwirtschaft und von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft hat informelle Beschäftigung wieder an Bedeutung gewonnen. Seit Mitte der 1980er Jahre sind Informalisierungstendenzen zu beobachten, die sich in den 1990er Jahren verstärkt haben. Heute ist informelle Beschäftigung keine Randerscheinung mehr, sondern stellt als Beschäftigungsform der Hälfte der Arbeitskräfte in den Städten ein signifikantes Phänomen dar, das die Realität der Arbeitsbedingungen in China wesentlich prägt. Diese Situation ist einerseits Folge globaler Trends, andererseits aber auch Ergebnis des spezifisch chinesischen Wegs des Strukturwandels und der ökonomischen Transformation. Die zentralen Antriebskräfte der Informalisierung sind die Land-Stadt-Migration, die Deregulierung von Beschäftigung sowie die Auswirkungen der Globalisierung auf die sich öffnende chinesische Ökonomie. Die Transformation von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft ist in China wie in anderen Entwicklungsländern mit Land-Stadt-Migration verbunden. Diese bringt seit den
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1980er Jahren immer mehr ländliche Arbeitskräfte in die Städte, die teilweise temporär migrieren, sich zunehmend aber auch permanent in den Städten niederlassen (Urbanisierung). Das rigide System der Haushaltsregistrierung (hukou-System), das ländliche Arbeitskräfte vom regulären städtischen Arbeitsmarkt ausschließt, macht ländlichen Migrant/innen eine Beschäftigung in formellen Arbeitsverhältnissen nahezu unmöglich und drängt sie in die Informalität. Zwar wurden in den letzten Jahren auf nationaler Ebene die strikten Restriktionen gegenüber Migrant/innen aufgehoben. Der Lokalprotektionismus der Provinz- und Stadtregierungen, die um die Beschäftigungsmöglichkeiten ihrer lokalen Bevölkerung besorgt sind, führt aber weiterhin zu Diskriminierungen und praktischen Barrieren für migrantische Arbeitskräfte. (Hou Bao-qin & Chen Lan 2007: 13-15) Der Umfang der Land-Stadt-Migration hat in den letzten 30 Jahren stetig zugenommen, für das Jahr 2009 gingen offizielle Statistiken von etwa 230 Millionen Migrant/innen aus. (Information Office of the State Council 2010a) Diese sind zum weit überwiegenden Teil informell beschäftigt; die meisten Schätzungen nehmen an, dass 80 bis 90 Prozent von ihnen informellen Tätigkeiten nachgehen. (z.B. Cheng Duosheng 2004: 9; Laodong he Shehui Baozhang Bu Shehui Baozhang Yanjiusuo 2002: 3; Du Yang, Cai Fang & Wang Meiyan 2007: 11) Auch die Deregulierung von Beschäftigung mit dem Ziel, Arbeit flexibler zu machen und deren Kosten zu senken, ist ein weltweites Phänomen. In China wird sie, wie in vielen anderen Ländern (vgl. Keller & Seifert 2006b: 236), als Voraussetzung zur Bewältigung des Strukturwandels, für wirtschaftliches Wachstum und den Abbau von Arbeitslosigkeit angesehen. Die Deregulierungspolitik hat selbst in den Industrieländern zum Wiedererstarken atypischer Beschäftigungsformen geführt. Die Informalisierung von Arbeit ist wiederum in der Regel mit wachsender sozialer Polarisierung und einer Verstärkung der geschlechtsspezifischen Segmentation des Arbeitsmarktes verbunden, was auch in China zu beobachten ist19. Die drastische Deregulierung der Arbeitsbeziehungen in den Staats- und Kollektivbetrieben im Zuge der Transformation von einer Plan- in eine Marktwirtschaft hat in China aber auch sehr spezifische Auswirkungen auf die Gestalt informeller Beschäftigung. Der rapide Abbau von formellen Arbeitskräften in der Staatsindustrie seit Mitte der 1990er Jahre und die mangelnde Durchsetzung von Arbeitsstandards haben dazu geführt, dass neue Stellen zum Großteil mit informell Beschäftigten besetzt wurden. Daher ist der Anteil informell Beschäftigter in der Staatswirtschaft in China außergewöhnlich hoch. Gleichzeitig beschäftigen die sich seit Reformbeginn schnell entwickelnden Privatunternehmen viele informelle Arbeitskräfte. Insgesamt ist daher in China der Anteil informeller Lohnarbeit innerhalb des formellen Sektors deutlich höher als im Rest der Welt. Informelle Selbstbeschäftigung nimmt aber ebenfalls zu. (siehe Kapitel 3.2) Mit der Deregulierung von Beschäftigung in den Städten hat sich eine Personengruppe herausgebildet, die ähnlich den ländlichen Migrant/innen hauptsächlich auf informelle Tätigkeiten angewiesen ist: so genannte „Wiederbeschäftigte“ (zaijiuye renyuan). Als 19 Das international zu beobachtende Phänomen, dass der informelle Arbeitsmarkt noch stärker als der formelle nach Geschlecht segmentiert ist (Williams & Windebank 1998: 34; ILO 2002a: 31f.; Chen 2004: 13f.), trifft auch auf China zu. Frauen sind im informellen Arbeitsmarkt noch stärker in „typischen Frauenbranchen“ konzentriert als im formellen Arbeitsmarkt (Gastronomie, Pflege, Reinigung), sie erhalten im Schnitt 30 Prozent weniger Gehalt als Männer in informellen Tätigkeiten (im formellen Sektor liegt der Unterschied bei 15 Prozent) und sie sind seltener sozialversichert als Männer. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2005: 217-219)
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3 Chinas informelle Ökonomie
„Wiederbeschäftigte“ werden städtische Arbeitskräfte bezeichnet, die im Zuge der Reformen aus ihren langjährigen Beschäftigungsverhältnissen aus Staats- oder Kollektivbetrieben entlassen wurden und sich anschließend Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt suchen mussten. Da viele von ihnen an ihren früheren Arbeitsplätzen jahrzehntelang zumeist einseitige und sehr spezialisierte Tätigkeiten ausgeübt hatten, bringen sie kaum verwertbare Berufsqualifikationen für den neuen formellen Arbeitsmarkt mit und haben nur geringe Chancen auf erneute feste Beschäftigung. Sie finden daher oftmals nur in informellen Tätigkeiten wieder Beschäftigung, was in der Regel mit dem Verlust von Sozialversicherungsansprüchen und hohen Lohneinbußen einher geht. (z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2005: 176f.) Anfang der 2000er Jahre war „Wiederbeschäftigung“ zu 70 bis 80 Prozent informeller Natur. (z.B. Xia Wang 2004: 2; Cheng Duosheng 2004: 9; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003: 147) Als dritte Antriebskraft der Informalisierung von Beschäftigung ist die Öffnung der chinesischen Ökonomie zum Weltmarkt zu sehen. Diese wird seit 1979 schrittweise vorangetrieben und hat mit dem WTO-Beitritt Chinas im Dezember 2001 ihren formellen Höhepunkt erreicht. Wie in vielen anderen Ländern haben die Einbindung in die Weltwirtschaft und die Auswirkungen der Globalisierung von Finanz- und Handelsströmen wesentlichen Einfluss auf die Beschäftigungssituation in China. Der wachsende internationale Wettbewerbsdruck und die daraus abgeleiteten verstärkten Effizienzbemühungen der Unternehmen (Flexibilisierung, Senkung von Arbeitskosten) haben in vielen Teilen der Welt zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, zur Zunahme informeller Tätigkeiten und zur Prekarisierung bestehender informeller Arbeitsverhältnisse geführt. (z.B. ILO 2002a; Carr & Chen 2001; Lee & Eyraud 2007) In China trifft die starke Importkonkurrenz die ineffizienten Staats- und Kollektivbetriebe in der verarbeitenden Industrie (v.a. Automobilindustrie und Maschinenbau) sowie die Landwirtschaft besonders hart. (Chen Zhao 2004: 15; Mo Rong 2000: 19) Dies verstärkt einerseits den Druck zum Abbau von Arbeitskräften in der Staatswirtschaft und andererseits die Land-Stadt-Migration und beschleunigt in beiden Fällen den Informalisierungsprozess. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze noch stärker in arbeitsintensive Exportindustrien (z.B. Textil- oder Spielzeugindustrie) sowie in den Dienstleistungssektor verlagert. Diese Branchen zählen zu den „Gewinnern“ der Außenöffnung, sind aber zugleich durch einen besonders hohen Anteil an informeller Beschäftigung und oftmals prekäre Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Das wichtigste Spezifikum der chinesischen Situation ist aber die Gleichzeitigkeit all dieser Entwicklungen. Anders als in den meisten Ländern gab es in China keinen langsamen Informalisierungsprozess, sondern Deregulierungspolitik, Land-Stadt-Migration, Tertiarisierung und Öffnung zur Weltwirtschaft sind parallel zueinander abgelaufen. In ihrer Kombination haben sie innerhalb kürzester Zeit zu einem drastischen Anstieg der zuvor kaum existierenden informellen Beschäftigung geführt.
3.2 Wie informell ist Chinas Arbeitsmarkt heute? Da informelle Beschäftigung in der Regel unregistriert ist, existieren keine verlässlichen Statistiken über deren genaues Ausmaß. Studien aus den letzten Jahren kommen auf Basis von Schätzungen zu dem Ergebnis, dass heute mindestens jeder zweite Arbeitsplatz in
3.2 Wie informell ist Chinas Arbeitsmarkt heute?
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Chinas Städten als informell zu bezeichnen ist20. Bedenkt man, dass etwa 80 Prozent der über 230 Millionen ländlichen Migrant/innen sowie ein großer Teil der aus der Staatswirtschaft entlassen städtischen Arbeitskräfte auf informelle Tätigkeiten angewiesen sind, erscheint diese Schätzung realistisch. Besonders häufig ist informelle Beschäftigung in den traditionellen Industriebranchen: im Baugewerbe liegt ihr Anteil bereits bei 80 Prozent, und auch im Bergbau und der produzierenden Industrie – insbesondere im Exportsektor – ist sie zur dominierenden Beschäftigungsform geworden. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 14) Zudem ist sie im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor weit verbreitet: in Handel, Gastronomie, Pflegediensten und Kleindienstleistungen dominieren informelle Tätigkeiten. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003: 146) Der Dienstleistungssektor hat sich seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik rasant entwickelt und konnte zumindest einen Teil der Arbeitsplatzverluste des Industriesektors ausgleichen, wenn auch zu schlechteren Arbeitskonditionen. Damit bestätigt sich auch in China der weltweit zu beobachtende Trend, dass die Tertiarisierung der Ökonomie mit einer Informalisierung von Beschäftigung einhergeht. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern bedeutet informelle Beschäftigung in China überwiegend Lohnarbeit: zirka 70 Prozent der informell Beschäftigten sind in abhängigen Arbeitsverhältnissen tätig und nur etwa 30 Prozent selbständige Kleinstunternehmer/innen. (Braun 2008: 43) In den meisten Entwicklungsländern ist das Verhältnis genau umgekehrt21. Eine Ursache für den im internationalen Vergleich geringen Anteil an Selbstbeschäftigten ist in der Dominanz der Staatsunternehmen in der planwirtschaftlichen Periode zu sehen, während der (kleinunternehmerische) privatwirtschaftliche Aktivitäten nahezu vollständig zum Erliegen gekommen waren. Diese nehmen erst seit den Reformen der 1980er und 1990er Jahren wieder zu. Informelle Lohnarbeit Unter informeller Lohnarbeit werden Arbeitsverhältnisse verstanden, in denen eine Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung besteht, die aber sozialversicherungstechnisch oder arbeitsrechtlich nicht abgesichert sind. Anders als in vielen Entwicklungsländern findet informelle Lohnarbeit in China nur zu einem geringen Teil im informellen Sektor (etwa in unregistrierten Kleinunternehmen) statt. Die Mehrheit der informellen Arbeitskräfte ist in Unternehmen des formellen Sektors beschäftigt, also in großen und mittleren Staats- und Kollektivbetrieben, in Privatunternehmen und in ausländischen Unternehmen bzw. JointVentures. (Institute for Labor Studies/ Ministry of Labor and Social Security of China & ILO 2005a: 8) Unternehmen stellen Arbeitskräfte einerseits direkt ein, ohne Arbeitsverträge mit ihnen zu schließen, ohne sie sozialzuversichern und ohne sie angemessen zu entlohnen. Dies ist besonders häufig bei temporären bzw. befristeten Arbeitskräften (linshi gong), stundenweise Beschäftigten (xiaoshi gong) oder Saisonarbeitskräften (lijie gong) der Fall. 20 Für eine umfassende Darstellung verschiedener Zahlenangaben zum Umfang informeller Beschäftigung in China und deren Diskussion auf Basis aktueller statistischer Berechnungsmethoden siehe Braun 2008. Vgl. auch Cheng Duosheng 2004 und Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004. 21 In Nordafrika sind 62 Prozent der informell Beschäftigten Selbstbeschäftigte, in Subsahara-Arfika sind es 70 Prozent, in Lateinamerika 60 Prozent und in Asien 59 Prozent. (ILO 2002c: 20)
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3 Chinas informelle Ökonomie
Zum anderen findet informelle Lohnarbeit als Leiharbeit (laowu paiqian oder renyuan zulin) statt, bei der die Beschäftigten keine direkte Arbeitbeziehung zum einstellenden Unternehmen eingehen. Sie sind bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, von der sie für befristete Tätigkeiten an Wirtschaftsunternehmen „entliehen“ werden. Diese indirekte Form von Beschäftigung macht es den Entleihbetrieben noch leichter, Arbeits- und Sozialstandards zu umgehen. Zwar ist Leiharbeit nicht in jedem Fall informell22. Ein Großteil der Zeitarbeitsfirmen ist jedoch nicht staatlich registriert und operiert illegal bzw. im rechtsfreien Raum, da eine kohärente Gesetzgebung für diese Branche bislang fehlt. (Interview Zeitarbeitsfirma Personalamt Beijing, 30.3.2006; Interview Nanjing University, 16.2.2006) Das im Januar 2008 in Kraft getretene Arbeitsvertragsgesetz (Laodong hetong fa) beinhaltet erstmals Regeln für die Zeitarbeitsbranche, die aber erst durchgesetzt werden müssen. (vgl. Kapitel 4.3.3) Einem Bericht des Nationalen Volkskongresses zufolge beschäftigt allein die Baubranche mehr als 10 Millionen Zeitarbeitskräfte. Einige Branchen würden bereits von Leiharbeitskräften dominiert: so seien im Bergbau 80 Prozent der Beschäftigten als Leiharbeiter tätig (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 111f.) und auch ein Großteil der Krankenschwestern und –pfleger werde inzwischen über Zeitarbeitsfirmen eingestellt. (Interview Nanjing University, 16.2.2006) Auch wenn die aufgeführten informellen Beschäftigungsformen in Regierungspublikationen oft als „flexible Beschäftigung“ (linghuo jiuye) bezeichnet werden, existieren Arbeitsverhältnisse, die der Lesart von flexibler bzw. atypischer Beschäftigung in den Industrieländern entsprechen, in China derzeit kaum. Teilzeitbeschäftigung, flexible Arbeitszeiten oder phasenweise Beschäftigung sind in chinesischen Unternehmen bislang unüblich. (Institute for Labor Studies/ MoLSS & ILO 2005a: 9) Selbstbeschäftigung Der Terminus Selbstbeschäftigung (zimou zhiye oder ziguxing jiuye) steht für Existenzgründer/innen, die sich durch die Eröffnung eines Mikrounternehmens (weixing qiye) ihren eigenen Arbeitsplatz schaffen. Ein Teil dieser Kleinstbetriebe sind in der Rechtsform eines Individualunternehmens (geti jingying / geti gongshanghu) formell registriert23. (Laodong he Shehui Baozhang Bu 2004: 47) Viele Kleinselbständige wie Straßenhändler/innen, Haushaltshilfen oder Betreiber/innen von Imbiss-Ständen, kleinen Restaurants, Frisörläden oder Copyshops lassen sich jedoch nicht behördlich erfassen, da entweder die benötigten Dokumente fehlen oder weil Registrierungs- und Steuervorschriften umgangen werden sollen. Selbst die registrierten Selbstbeschäftigten in Individualunternehmen werden vom Arbeits- und Sozialministerium sowie in den meisten chinesischen wissenschaftlichen Publikationen pauschal zu informeller bzw. flexibler Beschäftigung gerechnet. (z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003; Institute for Labor Studies/ 22 So haben beispielsweise die Arbeits- und Personalämter eigene Zeitarbeitsfirmen, um Arbeitslose und Freigesetzte zu vermitteln. Außerdem unterhalten einige großen Staatsbetriebe Zeitarbeitsfirmen, um ihre „überschüssigen Arbeitskräfte“ weiter beschäftigen zu können. (Interview Zeitarbeitsfirma Personalamt Beijing, 30.3.2006) In diesen Fällen werden für die Leiharbeitnehmer/innen in der Regel Sozialabgaben gezahlt, eine Einkommenssicherheit – wie beispielsweise in Deutschland üblich – mit Lohnfortzahlung in den Vermittlungspausen oder bezahle Urlaubs- und Krankentage gibt es bislang nicht und die Entlohnung ist in der Regel sehr gering. 23 Zur Definition und Abgrenzung von Selbstbeschäftigung und Individualunternehmen siehe Einleitung zu Kapitel 6.
3.2 Wie informell ist Chinas Arbeitsmarkt heute?
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MoLSS & ILO 2005a) Dies scheint insofern gerechtfertigt zu sein, als dass oftmals keine soziale Absicherung existiert und Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit niedrig sind. Eine besondere Form der Selbstbeschäftigung stellt das so genannte Subcontracting dar. Groß- und mittelgroße Unternehmen des verarbeitenden oder produzierenden Gewerbes lagern oft Produktions- oder Dienstleistungstätigkeiten an Selbstbeschäftigte aus, beispielsweise die Produktion von Verpackungsmaterialien oder Zubehörteilen. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 14) Sie umgehen damit arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten und verlagern das gesamte unternehmerische Risiko auf die selbstbeschäftigten Subunternehmer/innen. Diese arbeiten auf eigene Gefahr, erhalten oft eine Entlohnung auf Stückzahlbasis und genießen keinerlei Absicherung bei Krankheit oder Absatzeinbrüchen. Weit verbreitet und besonders diffus ist das Phänomen des Subcontractings in der Baubranche. Um Kosten zu senken, geben Hauptauftragnehmer/innen von Bauprojekten einzelne Teile des Gesamtauftrags an Subunternehmen weiter, welche wiederum Subunternehmen beauftragen etc. – oftmals sind drei bis fünf Subcontractors involviert. Die vom letzten Subunternehmen in dieser Kette rekrutierten Arbeitskräfte – häufig als unabhängige Vertragsnehmer/innen und nicht als Lohnarbeitskräfte angestellt – erhalten nicht nur sehr niedrige Löhne, sondern arbeiten meist unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen, da sich niemand für ihren Arbeitsschutz zuständig fühlt. (Hewu Qingying 2007: 4) Noch sehr selten ist die Selbstbeschäftigung als Freiberufler/in (ziyou zhiye renyuan) in höher qualifizierten und besser entlohnten – wenngleich nicht unbedingt abgesicherten – Tätigkeiten, etwa als selbständige Anwälte, Immobilienmaklerinnen, Schriftsteller, freie Journalistinnen, Übersetzer oder freischaffende Künstlerinnen. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 14; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003: 146) Das Arbeits- und Sozialministerium schätzt, dass Ende 2003 in Chinas Städten etwa 34 Millionen Personen in Mikrounternehmen selbstbeschäftigt (ziying laodongzhe) und weitere 6 Millionen Menschen als selbständige Haushaltshilfen (jiazheng bangong) tätig waren. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Ketizu 2005: 2) Damit lag der Anteil der Selbstbeschäftigten an der städtischen Gesamtbeschäftigung bei etwa 16 Prozent.
4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
Der rasanten Ausbreitung informeller Arbeitsverhältnisse seit den 1990er Jahren steht eine zögerliche Anpassung der Arbeitsgesetzgebung an diese neue Beschäftigungsform gegenüber. Die Arbeitsgesetzgebung stammt zum Großteil aus einer Zeit, als Beschäftigung mit formellen Arbeitsverhältnissen gleichgesetzt wurde und ist zur Regulierung informeller Beschäftigung kaum geeignet. Damit sind die Arbeitsrechte der Hälfte der städtischen Beschäftigten nicht oder nur unzureichend geschützt. Die Reform des Arbeitsrechts und die Einbeziehung der informellen Ökonomie in den Rechtsrahmen sind daher zentrale Voraussetzungen zum Abbau der decent work-Defizite informeller Beschäftigung. Grundbedingung für eine effektive Arbeitsgesetzgebung ist ein funktionierender Rechtsstaat. Obwohl das Prinzip der “rule of law“ 1997 auf dem 15. Parteikongress in der Parteidoktrin festgeschrieben wurde, sieht, wie Gallagher herausstellt, die Mehrzahl der westlichen Rechtswissenschaftler/innen die Entwicklung des chinesischen Rechtssystems pessimistisch. (vgl. Gallagher 2005: 101) Als zentrales Hindernis wird zum einen der Unwille der Kommunistischen Partei hervorgehoben, sich rechtlichen Regulierungen und Begrenzungen unterzuordnen, die ihre politische Macht einschränken könnten. Zum anderen wird auf die Schwierigkeiten bei Implementierung und Durchsetzung von Gesetzen in den Provinzen verwiesen, die divergierende Interessen hätten und auf Unabhängigkeit bedacht seien. (vgl. Gallagher 2005: 101) Optimistischere Analysen – zu denen auch die vorliegende Studie zählt – verweisen auf sichtbare Entwicklungen in Richtung Rechtsstaatlichkeit. Nach Diamant et al. ist Recht in China zum primären staatlichen Regulierungsinstrument geworden, um die Ausübung administrativer Macht zu regeln und soziale und ökonomische Prozesse zu steuern. (Diamant, Lubman & O'Brien 2005) Ghallager argumentiert, dass diese Entwicklung auch im Interesse der Kommunistischen Partei am Machterhalt liege und pragmatischen Erwägungen folge: Erstens erhöhe die Schaffung verlässlicher und kalkulierbarer politischer und rechtlicher Institutionen die Legitimität der Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung. Zweitens sei sie nötig, um Auslandsinvestitionen anzuziehen und die Integration in den Weltmarkt voranzutreiben. Drittens komme dem Recht in der staatlichen Wirtschaftstransformation eine zunehmend wichtige Rolle zu, um den sozialen Wandel zu kontrollieren und zu regulieren. (Gallagher 2005: 101) Das Arbeitsrecht bildet dabei keine Ausnahme. Bei der Steuerung der Transformation von einer administrativ gelenkten Organisation von Arbeit unter dem planwirtschaftlichen Regime hin zu einem auf Angebot und Nachfrage basierenden Arbeitsmarkt spielen gesetzliche Regelungen eine zentrale Rolle. (Cooney 2007: 675) Das Institut für Arbeitswissenschaften des Ministeriums für Humanressourcen und Soziale Sicherung sieht die Weiterentwicklung und Modernisierung des Arbeitsrechts als unumgänglich an. Da Marktorientierung und Liberalisierung die direkten staatlichen Einflussmöglichkeiten geschwächt hätten, habe die Politik keine andere Wahl, als die Steuerung des Arbeitsmarktes stärker mit juristischen Mitteln zu verfolgen. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 47) Die schrittweise Stärkung der Regulierungskraft und –
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
reichweite gesetzlicher Regeln für den Arbeitsmarkt sei daher zwingend notwendig. Ob es der Regierung gelingt, die entstandene Steuerungslücke durch rechtliche Instrumente zu füllen, werde über Erfolg oder Scheitern der marktwirtschaftlichen Reformen wesentlich mitentscheiden. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 47) Dass das Arbeitsrecht dennoch nur zögerlich den neuen Erfordernissen angepasst wird, liegt in der Sensibilität des Themas für die soziale Stabilität (Proteste, Arbeitskonflikte) auf der einen und für das Wirtschaftswachstum (Arbeitskosten) auf der anderen Seite begründet. Es bestehen folglich Interessendivergenzen zwischen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, aber auch zwischen Zentrale und Provinzen und verschiedenen Ministerien. Bereits die Verabschiedung des Arbeitsgesetzes24 war ein langwieriger Prozess. Das seit den 1980er Jahren geplante Gesetz konnte erst 1995 nach mehreren Jahren intensiver Debatten zwischen Wirtschaftsorganen und Allchinesischem Gewerkschaftsbund sowie Flügelkämpfen innerhalb der Partei in Kraft treten, nachdem zuvor 40 Entwürfe abgelehnt worden waren. (Chan 1999: 252) Ähnlich zögerlich laufen die Verhandlungen über die ergänzenden Gesetze, die seit 1998 in der Planung sind und ursprünglich bis 1999 bzw. 2000 verabschiedet werden sollten. Zunächst durchliefen nur zwei der Vorlagen den Legislativprozess: das Gesetz zur Verhütung von Berufskrankheiten25 (2001) und das Gesetz zur Produktionssicherheit 26 (2002). Unter starkem gesellschaftlichem Druck aufgrund sich häufender Meldungen über die schlechte Behandlung von Arbeitskräften und gefährliche Arbeitsbedingungen, die sich zunehmend in Protesten, Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen entluden, wurden im Jahr 2007 nach langer Pause schließlich drei wichtige Gesetze verabschiedet: das Arbeitsvertragsgesetz27, das Beschäftigungsförderungsgesetz28 sowie das Arbeitskonfliktgesetz29. Diese Gesetze sind im Laufe des Jahres 2008 in Kraft getreten und stellen eine wichtige Zäsur für eine Modernisierung des chinesischen Arbeitsrechts dar. Um die anderen Gesetze wird zehn Jahre nach deren Initiation noch immer gerungen: für das Sozialversicherungsgesetz wurde dem Nationalen Volkskongress 2008 zwei Entwürfe vorgelegt; Lohngesetz, Arbeitsschutzgesetz und Arbeitskontrollgesetz sind dagegen noch immer in der Planungsphase. In diesem Kapitel wird argumentiert, dass vor der Verabschiedung des Arbeitsvertragsgesetztes große Regulierungsdefizite im Bereich des Arbeitsrechts existierten. Arbeitsstandards waren der Situation informell Beschäftigter nicht angepasst und schützten deren Rechte nur unzureichend. (Kapitel 4.1) Mit Inkrafttreten von Arbeitsvertrags- und Beschäftigungsförderungsgesetz 2008 hat sich die rechtliche Position informell Beschäftigter in vielen Bereichen verbessert. Internationaler best practice folgend (Kapitel 4.2) wurden 24
Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong fa (Arbeitsgesetz der Volksrepublik China), 5.7.1994. Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo zhiyebing fangzhi fa (Gesetz der Volksrepublik China zur Verhütung von Berufskrankheiten), 27.10.2001. 26 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo anquan shengchan fa (Gesetz der Volksrepublik China zur Produktionssicherheit), 29.6.2002. 27 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong hetong fa (Arbeitsvertragsgesetz der Volksrepublik China), 29.6.2007. 28 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo jiuye cujin fa (Gesetz der Volksrepublik China zur Beschäftigungsförderung), 30.8.2007. 29 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong zhengyi tiaojie zhongcai fa (Gesetz der Volksrepublik China zu Schlichtung und Schiedsverfahren bei Arbeitsstreitigkeiten), 29.12.2007. 25
4.1 Hintergrund: Mangelnder Rechtsschutz für informell Beschäftigte
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flexible Arbeitsarrangements legalisiert und grundlegende Arbeitsschutzregeln für alle (Lohn-)Arbeitskräfte festgesetzt, unabhängig von Beschäftigungsstatus und Unternehmensform. Gleichzeitig wurden spezielle Regulierungen für einzelne Teilgruppen informell Beschäftigter (Teilzeit- und Leiharbeitskräfte) in das Arbeitsvertragsgesetz integriert, und das Beschäftigungsförderungsgesetz verbietet explizit die Diskriminierung von Migrant/innen im Arbeitsleben. Aus dem arbeitsrechtlichen Regulierungsrahmen weiterhin ausgeschlossen bleiben Selbstbeschäftigung und Subcontracting. (Kapitel 4.3) Die praktische Relevanz der neuen Regulierungen für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie bleibt jedoch begrenzt, da weiterhin große Defizite in der Rechtsumsetzung bestehen. Diese manifestieren sich in erster Linie in mangelnden Arbeitsinspektionen, inadäquaten Mechanismen zur Lösung von Arbeitskonflikten und der schwachen Rolle der Gewerkschaften als Interessenvertretung informell Beschäftigter. Allerdings gibt es erkennbare Bemühungen zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung, wie beispielsweise die Verabschiedung des Arbeitskonfliktgesetzes und die Öffnung der Gewerkschaften für Wanderarbeiter/innen zeigen. (Kapitel 4.4)
4.1 Hintergrund: Mangelnder Rechtsschutz für informell Beschäftigte Das 1995 in Kraft getretene Arbeitsgesetz bildet die Kernbestimmung des arbeitsrechtlichen Systems der Volksrepublik. Es regelt übergreifend das gesamte Arbeitsrecht und enthält Vorschriften zu Beschäftigungsförderung, Arbeits- und Kollektivverträgen, Arbeitsund Ruhezeiten, Löhnen, Arbeitssicherheit und -gesundheit, zum Schutz weiblicher und minderjähriger Beschäftigter, zu Berufsausbildung, Sozialversicherung und Sozialleistungen, Arbeitsstreitigkeiten sowie zur Aufsicht und Überprüfung der Rechtsdurchsetzung30. Das Arbeitsgesetz ist insofern ein fortschrittliches Gesetz, als es die Rechte aller „Arbeitenden“ (laodongzhe) sichert, unabhängig von ihrem Status. Auf Drängen des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes wurde der Terminus laodongzhe inklusiv formuliert und bezieht sich nicht nur auf Festangestellte, sondern auf alle Beschäftigten inklusive Leiharbeits-, saisonaler und migrantischer Arbeitskräfte. (Chan 1999: 252; Gallagher 2005: 110) Das Arbeitsgesetz gilt zudem für alle de-facto-Arbeitsbeziehungen, unabhängig davon, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde oder nicht. Damit schützt das Arbeitsgesetz theoretisch auch informell Beschäftigte, selbst wenn diese nur stundenweise oder ohne schriftliche Vereinbarungen angestellt sind. Dennoch bleibt ein Teil der informell Beschäftigten außerhalb des Regulierungsrahmens des Arbeitsgesetzes und damit auch der darauf aufbauenden ergänzenden Bestimmungen. Temporär Beschäftigte und so genannte Kontrakt- bzw. Auftragsarbeiter/innen (baogongtou) gelten nicht als Teil der regulären Belegschaft von Unternehmen. Ihre Verbindung zum Unternehmen wird nicht als Arbeitsbeziehung angesehen, sondern als reine vertragsbasierte Beziehung, die dem Zivilrecht unterliegt. (Ho 2004: 41; Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108) Das Arbeitsgesetz bietet in der Realität aber selbst für die in ihren Regelungsrahmen fallenden informell Beschäftigten nur unzureichende Rechtssicherheit, was sich vor allem auf die folgenden drei Probleme zurückführen lässt: 30
Für eine umfangreiche Darstellung der Inhalte des Arbeitsgesetzes siehe u.a. Han Junling 2005 und Geffken 2006.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
Erstens sind die Arbeitnehmerrechte im Arbeitsgesetz sehr vage gehalten und bieten viel Interpretationsspielraum. Da das Arbeitsgesetz das gesamte chinesische Arbeits- und Sozialversicherungsrecht regelt und damit einen sehr umfangreichen Regulierungsgegenstand abdeckt, haben die einzelnen Bestimmungen eher den Charakter von Grundstandards, die der Ergänzung durch Spezialnormen und konkreter Durchführungsbestimmungen bedürfen. Dies sollte durch die zeitnahe Verabschiedung spezialisierter Zusatzgesetze erfolgen. Wie eingangs ausgeführt, hat ein Großteil der geplanten Gesetzesvorhaben mehr als fünfzehn Jahre nach Inkrafttreten des Arbeitsgesetzes den Legislativprozess noch immer nicht durchlaufen, wodurch große Regulierungslücken bestehen bleiben. Einige davon wurden zwischenzeitlich durch Verwaltungsvorschriften anderer Organe mit Gesetzgebungskompetenz 31 ausgefüllt, wie dem Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherung, dem Volksgericht oder lokalen Regierungen. Diese Dokumente haben zumeist den Status von „Bekanntmachungen“ (tongzhi) oder „Vorschlägen“ (yijian). Im Gegensatz zu nationalen Gesetzen, die Verpflichtungen schaffen, Rechte festlegen oder zu befolgende Prozesse in Gang setzen können, haben solche Verwaltungsvorschriften eine geringere juristische Durchsetzungskraft und sollten eigentlich der Klarstellung einzelner Aspekte der Gesetze dienen. Es ist ungeklärt, inwiefern solche Dokumente einklagbare Rechte schaffen können. (vgl. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo; Guoji Laogong Zuzhi 2004: 48; Cooney 2007: 676; Peerenboom 2002: 241f.) Zudem decken die vielen Verwaltungsvorschriften der unterschiedlichen administrativen Organe immer nur isolierte Einzelaspekte des Arbeitsrechts ab und führen in ihrer Vielzahl und ungeklärten Hierarchie zu einer inkohärenten Rechtslage. Dies erschwert die Rechtskenntnis sowohl für Arbeitgeber/innen, die diese Rechte anwenden sollen, als auch für Arbeitnehmer/innen, zu deren Schutz sie intendiert sind. Cooney sieht die unübersichtliche interne Struktur des chinesischen Arbeitsrechts als „major obstacle to its capacity to generate credible labour standards.“ (Cooney 2007: 675) Den 2008 in Kraft getretenen Gesetzen zu Arbeitsverträgen, Beschäftigungsförderung und Arbeitskonflikten, die erstmals nationale Standards für einige der bis dahin unregulierten Bereiche schaffen, kommt vor diesem Hintergrund große Bedeutung zu. Zweitens ist das Arbeitsgesetz zu einer Zeit entstanden, als Arbeitsbeziehungen im weit überwiegenden Teil der Fälle formell (d.h. Vollzeit, dauerhaft und abgesichert) waren. Bei der Regulierung informeller Beschäftigungsverhältnisse stößt es somit zwangsläufig an seine Grenzen. So beziehen sich Mindestlohnregelungen und Arbeitszeitbestimmungen auf dauerhafte Vollzeitarbeitsverhältnisse. Das Arbeitsgesetz enthält keine Standards zur Entlohnung bei stundenweiser Anstellung oder zu Arbeitszeiten und Urlaubsansprüchen von Gelegenheitsarbeiter/innen. Normierungsniveau und Arbeitnehmerschutz sind bei informeller Beschäftigung folglich besonders niedrig. Dies führt oft zu Arbeitskonflikten, für deren Lösung bei informeller Beschäftigung wiederum keine Mechanismen vorhanden waren. (vgl. z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 47) Zudem geht das Arbeitsgesetz von klassischen Arbeitnehmer-Arbeitgeber31
In China werden die zentralen Gesetze durch das oberste Legislativorgan, den Nationalen Volkskongress, verabschiedet. Diese enthalten in der Regel generelle Verpflichtungen, deren Details meist durch nationale und lokale Verwaltungsvorschriften festgelegt werden. Viele Organe haben gesetzgebende Kraft: der Staatsrat, verschiedene Ministerien, Provinzkongresse, Provinzregierungen und einige Städte. Obwohl die Zentralregierung wichtige Schritte unternommen hat, um die Hierarchie der rechtlichen Instrumente zu klären (insbesondere durch die Verabschiedung des Gesetzgebungsgesetzes 2000) bleibt die Rechtslage in vielen Bereichen uneindeutig. (Cooney 2007: 675; siehe auch Peerenboom 2002)
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Beziehungen aus. Diese existieren bei informeller Beschäftigung aber häufig nicht, etwa bei den vielen „Selbstbeschäftigten“ und bei Subcontracting. Auch bei Hausangestellten sehen sich die einstellenden Familien oft nicht in der Position von Arbeitgeber/innen mit entsprechenden Pflichten für Sozialversicherung, geregelte Urlaubszeiten oder Überstundenvergütung. Zeitarbeitskräfte sind dagegen mit zwei Arbeitgeberparteien konfrontiert (Zeitarbeitsfirma und Entleihunternehmen), wobei im Arbeitsgesetz ungeklärt blieb, wer gegenüber den Beschäftigten welche Pflichten hatte, etwa bei Sozialversicherungsbeiträgen, Arbeitsschutz und Arbeitsverträgen. Das Arbeitsgesetz enthält auch keine Antworten auf die besonderen Erfordernisse der instabilen und unsicheren Beschäftigungssituation informeller Arbeitskräfte (z.B. Besonderheiten in Sozialversicherung und Kündigungsschutz). Zudem sieht es die Interessenvertretung der Arbeitnehmer/innen durch die Gewerkschaft vor. Informell Beschäftigte sind aber kaum in Gewerkschaften repräsentiert und haben somit keine Lobby zur Durchsetzung ihrer Rechte. Drittens werden viele der im Arbeitsgesetz festgeschriebenen Arbeitsstandards in der Realität selbst bei formeller Beschäftigung nicht durchgesetzt. So wird beispielsweise der Standard einer 40-Stunden-Woche höchstens in großen Staatsbetrieben eingehalten, in vielen kleineren Unternehmen und in der Privatwirtschaft sind unbezahlte Überstunden die Regel. (vgl. z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 155) Die Missachtung von Arbeitsstandards ist bei informeller Beschäftigung besonders stark ausgeprägt, was auch auf fehlende Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten zurückzuführen ist (siehe Kapitel 4.3). Als Folge dieser Defizite bewegt sich informelle Beschäftigung weitgehend in einem rechtsfreien Raum, in dem Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte an der Tagesordnung sind. Zu den häufigsten Problemen zählen das Fehlen von Arbeitsverträgen, das Vorenthalten von Löhnen, unbezahlte Überstunden, fehlende Sozialversicherungszahlungen sowie mangelnder Arbeitsschutz. Das aktuelle Ausmaß der Arbeitsrechtsverletzungen illustriert eine im Juni 2007 veröffentlichte Studie der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften (CASS), die auf der Befragung von 30.000 Arbeitskräften in 2.150 Unternehmen in 40 Städten basiert. Ein Viertel aller Befragten war ohne Arbeitsvertrag beschäftigt. Zudem hatte der überwiegende Teil der mit Arbeitsvertrag angestellten Personen nur einen auf maximal zwei Jahre befristeten Vertrag erhalten, ein Drittel der Verträge waren sogar nur auf ein Jahr oder kürzer terminiert. (Xinhua News Agency 2007) Statistiken des Arbeitsund Sozialministeriums zufolge ist die Situation bei migrantischen Arbeitskräften besonders gravierend. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Guihua Caiwu Si 2005: 84) Der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses, Wu Bangguo, wies außerdem darauf hin, dass weniger als 20 Prozent der kleinen und mittleren Privatbetriebe Arbeitsverträge mit ihren Beschäftigten abschlössen, in kleinen Gewerbebetrieben – die ein zentraler Arbeitgeber für informell Beschäftigte sind – seien es noch weniger. (zit. nach Schucher 2006a: 49) Die CASS-Studie zeigt auch, dass Überstunden üblich sind. Insbesondere Migrant/innen und Geringverdienende haben sehr lange Arbeitszeiten und erhalten in der Regel keinerlei Überstundenvergütung. (Xinhua News Agency 2007) So wird beispielsweise aus Betrieben der Leichtindustrie im Perlflussdelta immer wieder von dort üblichen 16Stunden-Schichten berichtet, bei gleichzeitig sehr geringer Entlohnung. (Böschen 2002: 512) Generell sollen bei informeller Beschäftigung Arbeitszeiten von über 12 Stunden täglich mit nur ein bis zwei Ruhetagen pro Monat die Regel sein. (vgl. Laodong he Shehui
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Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 154; Gransow 1999: 263; Qiao Jian & Jiang Ying 2004: 310) Etwa 8 Prozent aller Befragten der CASS-Studie waren im Vorjahr mit dem Problem vorenthaltener Löhne konfrontiert gewesen, wobei die Gehälter im Durchschnitt für 3,1 Monate nicht ausgezahlt worden waren. Am häufigsten waren Migrant/innen in der Bauund Bergbaubranche betroffen. (Xinhua News Agency 2007) Allein in der Bauindustrie sollen nach Statistiken der Zentralen Disziplinarkommission der KP Chinas Ende Juni 2006 Lohnzahlungen in Höhe von 117 Mrd. Yuan ausgestanden haben. (zit. nach Schucher 2006b: 55) Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete 2004, dass in der Bauindustrie 72,2 Prozent aller Wanderarbeiter/innen keine oder nicht ihre vollen Löhne erhalten hätten. (Xinhuanet 2004) Neben der Praxis, der gesamten (informellen) Belegschaft monatelang eine Lohnauszahlung zu verweigern, sind auch willkürliche Gehaltsabzüge wegen „Fehlverhaltens“ individueller Arbeitskräfte häufig anzutreffen, die gegen das Arbeitsgesetz verstoßen. (vgl. z.B. Gransow 1999: 262) Da informell Beschäftigte ohnehin oftmals unterhalb der Mindestlohngrenze entlohnt werden (Gransow 1999: 263; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003: 157), sind diese Praktiken nicht selten existenzbedrohend für die betroffenen Arbeitskräfte und führen immer wieder auch zu persönlichen Dramen wie Selbstmorden. (vgl. Schucher 2004: 1093) Ein weiteres Problem stellt die Missachtung von Arbeitsschutz-Standards dar, die jährlich zu hunderttausenden Unglücken, zum Teil mit Todesfolge führt. Die meisten Arbeitsunfälle ereignen sich in der Bergbau-Branche, insbesondere in Kohleminen. Allein für das erste Quartal 2005 vermeldete das Staatliche Überwachungsamt für Produktionssicherheit 30.597 Todesfälle bei Arbeitsunglücken, darunter 1.113 Bergarbeiter/innen. (zit. nach K. W. 2005: Ü20) Die oben zitierte Studie der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften vom Juni 2007 gibt an, dass ein Drittel der Unternehmen für die von Arbeitsunfällen betroffenen Beschäftigten die vorgeschriebenen Versicherungen nicht abgeschlossen hatte, weshalb die Verletzten keinerlei Kompensationen erhielten. (Xinhua News Agency 2007) Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation blieb vielen informell Beschäftigten lange Zeit keine andere Wahl, als die schlechten und gefährlichen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. In den letzten Jahren wehrt sich aber ein zunehmender Teil der Arbeitskräfte gegen die eklatante Verletzung seiner Rechte. Da in den meisten Fällen die rechtliche Handhabe fehlt oder juristische Schritte vermieden werden sollen, werden Exit- und VoiceStrategien als Reaktionen bevorzugt. Das Exit-Phänomen in Form des Entzugs der Arbeitskraft aus besonders ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen hat so große Ausmaße angenommen, dass im Jahr 2003 erstmals von einer Arbeitskräfteknappheit in den arbeitsintensiven Industrien Südchinas berichtet wurde. Das Fehlen billiger, meist migrantischer Arbeitskräfte hat sich seit dem Frühjahr 2004 weiter intensiviert und betrifft inzwischen auch Ostchina und einige Inlandsprovinzen. (Inagaki 2006: 1; Cai Fang 2008: 9) Allein im Perlflussdelta sollen jährlich mindestens 2 Millionen billiger Arbeitskräfte fehlen. (Wu Zhong 2007) Ursache dieser Entwicklung sind zum einen eine Verlangsamung der Migrationsströme – ausgelöst durch einen Bevölkerungsrückgang und die wieder steigende Attraktivität landwirtschaftlicher Beschäftigung durch die Agrarreformen der letzten Jahre – und zum anderen die Zunahme von Stellenangeboten in der verarbeitenden Industrie, insbesondere in exportorientierten Unternehmen. (Inagaki 2006: 1f.) Mit sinkendem Arbeitskräfteangebot und steigender Nachfrage erhöht sich die Verhandlungsmacht der Geringverdie-
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nenden und hat zu Lohnanstiegen bei migrantischen Arbeitskräften geführt32. (Wu Zhong 2007) Die marktbedingte Anpassung kann eine zusätzliche Antriebskraft für Veränderungen sein. Rechtliche Reformen und die Gewährleistung von Arbeitsstandards kann sie aber nicht ersetzen. Wie instabil solche marktbasierten Anpassungsprozesse sind, haben auch die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 vor Augen geführt. Nach dem Einbruch der Auftragslage aufgrund der gesunkenen Auslandsnachfrage wurden viele informell Beschäftigte, vor allem Migrant/innen, sofort entlassen, was eine Rückkehrwelle in die Heimatdörfer auslöste. Viele erhielten die ihnen zustehenden Löhne nicht ausgezahlt, oftmals wegen der Flucht ihrer Arbeitgeber/innen nach dem Bankrott der Unternehmen. (z.B. China.org.cn 18.12.2008; China.org.cn 21.12.2008) Bereits 2009 wurde allerdings erneut von Arbeitskräfteknappheit in den Exportzonen berichtet. Die Voice-Strategie äußert sich sowohl in Petitionen als auch zunehmend in offenen Protesten, Streiks und Demonstrationen. Im Frühsommer 2010 lähmten Arbeitsniederlegungen in Südchina die Produktion bei mehreren großen Auslandsunternehmen wie Honda und Toyota über Wochen hinweg. Vorausgegangen war eine Reihe von Selbstmorden aus Protest gegen eklatante Verletzungen von Arbeitsrechten beim Elektronik-Zulieferer Foxconn, der international für Aufsehen sorgte. (z.B. New York Times Online, 16.8.2010) Die häufigsten Anlässe für Proteste in den Städten sind Entlassungen, nicht gezahlte oder zu niedrige Löhne, die Einschränkung von Sicherungsleistungen und Arbeitsunfälle (vgl. Ho 2004) – also jene Phänomene, mit denen insbesondere informell Beschäftigte zu kämpfen haben. In Guangdong soll es dem Provinzarbeitsamt zu Folge im Jahr 2005 allein 1,27 Millionen Petitionen gegeben haben, die ausstehende Lohnzahlungen beklagten. (vgl. Schucher 2006b: 55) Die Regierung ist sich des sozialen Unruhepotentials der Verwerfungen am Arbeitsmarkt deutlich bewusst. Um ihren Machterhalt zu sichern, muss sie an einer Verbesserung der Arbeitnehmerrechte interessiert sein. Bereits bei der schwierigen und langjährigen Diskussion des 1994 verabschiedeten Arbeitsgesetzes waren es die stark zunehmenden Proteste, die das Momentum bildeten, um das Gesetz schließlich entgegen der vielfachen Widerstände durchzusetzen. (Gallagher 2005: 113) Auch 2007 scheinen die sich in vielfältiger Form entladenen sozialen Spannungen wesentlich zur Verabschiedung der seit langem diskutierten Vorlagen von Arbeitsvertrags-, Beschäftigungsförderungs- und Arbeitskonfliktgesetz beigetragen zu haben. Diesmal wird dem Prozess dadurch zusätzlicher Nachdruck verliehen, dass die Regierung sich vom Billiglohnmodell lösen und China zu einem Produktionsstandort für höherwertige Güter und Dienstleistungen entwickeln will. Zudem sind bessere Arbeitsbedingungen eine wichtige Voraussetzung dafür, das von der Regierung propagierte Ziel einer „harmonischen Gesellschaft“ zu erreichen. Inwiefern die neuen Gesetze geeignet sind, die geschilderten Defizite in der arbeitsrechtlichen Situation infor-
32 Der im Juni 2007 veröffentlichten Studie der CASS zufolge seien die monatlichen Durchschnittslöhne für ländliche Migrant/innen von 781 Yuan (2003) auf 953 Yuan (2006) gestiegen. Die jährliche Wachstumsrate betrug 2,8 Prozent im Jahr 2004, 6,5 Prozent im Jahr 2005 und 11,5 Prozent im Jahr 2006. (zit. nach Wu Zhong 2007) Führende chinesische Arbeitswissenschaftler wie Cai Fang sehen dies als Zeichen dafür, dass China bereits den „Lewis-Wendepunkt“ erreicht hat, wo ein Arbeitskräfte-Überschuss durch einen Arbeitskräfte-Mangel abgelöst wird. Dieses demographisch bedingte Phänomen habe strukturelle und dauerhafte Lohnsteigerungen zur Folge. (Cai Fang 2007; Cai Fang 2008) Andere Wissenschaftler/innen sehen diesen Wendepunkt erst als mittelfristige Perspektive, wofür auch die in den letzten Jahren wieder abgeflachten Lohnsteigerungen sprechen. Diese betrugen 2009 nur 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (von 1340 auf 1417 Yuan). (Schucher & Kruger 2010: 124)
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mell Beschäftigter zu beheben, wird – nach einer kurzen Darstellung der internationalen Erfahrungen in diesem Bereich – in den folgenden Kapiteln analysiert.
4.2 Internationale Erfahrungen: Arbeitsrechtsreformen in der informellen Ökonomie Wie in China sind die Arbeitsgesetze der meisten Länder auf formell Beschäftigte ausgerichtet und schließen informelle Arbeitskräfte de jure oder de facto aus: Informelle Aktivitäten sind häufig nicht im Rechtsrahmen erfasst und bewegen sich damit außerhalb der Rechtssprechung. Existieren Arbeitsrechte für alle Beschäftigten, werden sie in der Praxis zumeist nicht auf die informelle Ökonomie angewandt und durchgesetzt oder werden von den Akteur/innen nicht befolgt, da sie nicht auf die Realitäten informeller Beschäftigung zugeschnitten sind. (ILO 2002d: Paragraph 3) Ein zentrales Ziel der decent work-Agenda ist es, grundlegende Arbeitsrechte für alle Arbeitenden durchzusetzen, unabhängig vom Status und der Art der Beschäftigung, vom Arbeitsort und von den ausführenden Personen. Dafür sind Reformen der Arbeitsgesetzgebung nötig, die insbesondere informell Beschäftigte in den Rechtsrahmen integrieren: „The test for modern labour law is its ability to actually reduce the decent work deficit faced by today’s most vulnerable working population: workers in the informal economy. Any lesser benchmark ignores the gap between the requirements set in labour law and those actually faced by workers – a gap that undermines the rule of law in the field.” (Tajgman 2006: 13)
Breiter internationaler Konsens besteht darüber, dass die grundlegenden Arbeitsrechte, die in der ILO-Deklaration zu Fundamentalen Prinzipien und Rechten am Arbeitsplatz33 (ILO 1998) festgelegt sind, auch für die informelle Ökonomie als Mindeststandards zu gelten haben (vgl. z.B. Chen, Jhabvala & Lund 2002: 30; ILO 2002a: 40-43; Tajgman 2006: 13): das Verbot von Zwangsarbeit, die Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung im Arbeitsleben, das Verbot von Kinderarbeit sowie Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen. Um decent work in der informellen Ökonomie umzusetzen, ist es notwendig, weitere zentrale Arbeitsrechte für alle Beschäftigten zu implementieren. Zu den Mindeststandards sollten zählen (vgl. Tajgman 2006: 13; Chen, Jhabvala & Lund 2002: 31): die fristgerechte Auszahlung der vollen vereinbarten Lohnsumme, sichere und gesundheitsunschädliche Arbeitsbedingungen sowie angemessene Arbeitszeiten und Anspruch auf Ruhepausen. Ziel kann es dabei nicht sein, die für formell Beschäftigte entworfenen Gesetze zwangsweise und unverändert auf die informelle Ökonomie zu übertragen. Dies würde informelle Aktivitäten in den Untergrund und damit in noch prekärere Beschäftigungssituationen drängen und Arbeitsplätze vernichten. Vielmehr ist eine Revision der bestehenden Gesetz33 China hat in den Jahren 2002 und 2006 die ILO-Kernkonventionen zum Verbot von Kinderarbeit und zur Nichtdiskriminierung im Arbeitsleben ratifiziert. Die Konventionen zur Abschaffung von Zwangsarbeit sowie zur Vereinigungsfreiheit und dem Recht zu Kollektivverträgen hat die Volksrepublik nicht unterzeichnet. (vgl. Adecco Institute 2007: 25)
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gebung nötig, bei der die Belange informell Beschäftigter berücksichtigt und integriert werden. Je nach lokalem Kontext kann und muss dies sehr unterschiedlich aussehen. International sind drei Herangehensweisen zu beobachten, die sich gegenseitig ergänzen und auch parallel zueinander umgesetzt werden können: (1) die Vereinfachung bestehenden Rechts und dessen Reduktion auf durchsetzbare, zentrale Arbeitsstandards, (2) die Ausweitung des Geltungsrahmens des Arbeitsrechts auf alle Beschäftigten und (3) die Schaffung spezieller Regulierungen für Einzelbereiche der informellen Ökonomie. Bei einer Überprüfung der existierenden Arbeitsgesetzgebung auf die Frage hin, wie diese effektiver auf informell Beschäftigte angewandt werden kann, ist die Vereinfachung einiger Arbeitsregeln eine mögliche Lösung. Die ILO hebt hervor, dass dabei keinesfalls die oben genannten grundlegenden Arbeitsstandards verringert werden dürften, sondern dass sich eine derartige Vereinfachung bestehenden Rechts nur dann rechtfertigen ließe, wenn sie zu einer effektiveren Anwendung der fundamentalen Arbeitsstandards führen würde. (ILO 2002a: 49) Denkbar wäre es zum Beispiel, für informell Beschäftigte Abstriche bei einer umfassenden Sozialversicherung zu machen, dafür aber grundlegende Arbeitsschutzregeln stärker durchzusetzen; statt umfangreichen Rechten bezüglich Überstunden- und Feiertagszuschlägen könnte auf die Einhaltung von Mindestlohnregeln und eine rechtzeitige Lohnauszahlung fokussiert werden. Mit der Festlegung einfacher Mindeststandards wäre es sowohl für Unternehmen leichter, Arbeitsrechte zu respektieren, als auch für Arbeitnehmer/innen, ihre Rechte zu kennen und einzufordern. Damit würde auch der verbreiteten Befürchtung entgegengewirkt, dass die Ausweitung arbeitsrechtlicher Bestimmungen auf die informelle Ökonomie die Arbeitskosten steigern und damit Beschäftigungsmöglichkeiten verringern würde34. (z.B. Vargha 1992: 18; vgl. auch Tajgman 2006: 19) Eine zweite wichtige Option zur Verbesserung des Rechtsschutzes informell Beschäftigter ist die Ausweitung des Geltungsrahmens der Arbeitsgesetzgebung. In den meisten Ländern sind Selbstbeschäftigte sowie mitarbeitende Familienangehörige explizit aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechts ausgeschlossen. In vielen Entwicklungsländern unterliegen darüber hinaus Kurzzeitbeschäftigte (z.B. Tagelöhner/innen) sowie Mikro- und Kleinunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten nicht den nationalen Arbeitsgesetzen. In einzelnen Staaten sind auch Heimarbeit, Hausangestellte und bestimmte Formen von Teilzeitarbeit von arbeitsrechtlichem Schutz ausgeschlossen. Zudem gilt das Arbeitsrecht oftmals nur für Beschäftigte, die einen Arbeitsvertrag vorweisen können. (Daza 2005; Tajgman 2006) Ziel muss es daher sein, den Geltungsrahmen der Arbeitsgesetzgebung möglichst weit zu fassen, um alle Personen, die de facto einer Lohnarbeit nachgehen, unter ihren Schutz zu stellen. So hat beispielsweise Ghana im Jahr 2003 ein „Neues Arbeitsgesetz“ erlassen, das erstmals wichtige Schutzvorschriften für formell Beschäftigte auch auf die informelle Ökonomie überträgt. Das Gesetz enthält spezielle Regulierungen, die temporäre und Kurzzeitarbeitskräften dieselben Rechte einräumen wie ihren formell angestellten Kolleg/innen, etwa gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung sowie den vollen Mindestlohnsatz für alle Tage im Dienst (auch bei wetterbedingtem 34 Das populäre Argument, dass eine Ausweitung von Arbeitsstandards Arbeitsplätze vernichten würde, wurde in zahlreichen empirischen Studien widerlegt. Es lässt sich kein direkter Zusammenhang zwischen Arbeitnehmerschutz und Arbeitslosigkeit belegen. Vielmehr sind die Beschäftigungswirkungen arbeitsrechtlicher Bestimmungen von deren konkreten Ausgestaltung abhängig. (siehe z.B. Nickell 2003; Abraham & Housman 1993)
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Arbeitsausfall) und an öffentlichen Feiertagen. Zusätzlich wurde verfügt, dass temporäre Arbeitskräfte, die sechs Monate lang ununterbrochen beim selben Unternehmen angestellt waren, wie permanente Beschäftigte zu behandeln seien. (Chen, Vanek & Carr 2004: 148) Indien hat 1999 eine nationale Kommission eingesetzt, welche die gesamte Arbeitsgesetzgebung überprüfen und Vorschläge machen sollte, wie diese modernisiert und auf informelle Beschäftigung bezogen werden könne. Daraufhin wurden mehrere Gesetze überarbeitet und inklusiver formuliert. Im Mindestlohngesetz wurde beispielsweise die Definition von „Arbeitskräften“ ausgeweitet und bezieht jetzt informell Beschäftigte ein. Zudem wurden die bestehenden, auf Arbeitszeiten bezogenen Mindestlöhne um Stückzahl-basierte Mindestlöhne ergänzt. (ILO 2002a: 50f.; Chen, Jhabvala & Lund 2002: 32f.) Ein drittes Element zur Ausweitung von Arbeitsstandards auf die informelle Ökonomie ist die Verabschiedung spezieller Regulierungen für einzelne Teilgruppen. Dieses Vorgehen folgt der Einsicht, dass informelle Beschäftigung kein homogenes Phänomen darstellt, sondern dass unterschiedliche Beschäftigtengruppen mit verschiedenen decent work-Defiziten konfrontiert sind und Interessendivergenzen existieren. Dabei ist insbesondere eine Unterscheidung zwischen abhängig informell Beschäftigten und Selbstbeschäftigten nötig. Während erstere durch eine Ausweitung der traditionellen Arbeitsgesetzgebung erreicht werden können, verfügen Selbständige nicht über kontrollierende Arbeitgeber/innen, bei denen Arbeitsstandards durchgesetzt werden könnten. Mikrounternehmen verfügen zudem meist nicht über die Ressourcen, um angemessene Löhne und Sozialabgaben an ihre Beschäftigten zu zahlen. Aus Sorge um ihre Überlebensfähigkeit bleiben viele Mikrounternehmen bewusst unregistriert, weshalb dort trotz oftmals besonders schlechter Arbeitsbedingungen Arbeitsstandards kaum durchzusetzen sind. (ILO 2002a: 53; Chen, Jhabvala & Lund 2002: 34) Für Selbstbeschäftigte und Mikrounternehmen kann es daher sinnvoller sein, Unterstützungspolitiken zu erlassen, als existierende Arbeitsstandards blind zu implementieren. (siehe dazu Kapitel 6.2) Andere Schutzbedürfnisse haben informell Beschäftigte, die als „Subcontractors“ oder in Heimarbeit beschäftigt sind. Dort handelt es sich oftmals um „versteckte Lohnarbeit“, da de facto abhängige Arbeitsverhältnisse bestehen, die auftraggebenden Unternehmen die Arbeitskräfte aber wie selbständige Kontraktor/innen behandeln und ihnen entsprechende Arbeitnehmerrechte und Sozialansprüche verweigern. Hier gibt es in den letzten Jahren Bemühungen, Mindeststandards für Löhne und Arbeitsschutz durchzusetzen. In Großbritannien beispielsweise enthält das 2004 verabschiedete Mindestlohngesetz erstmals explizite Lohnvorschriften für Heimarbeit. Der Nachweis, dass es sich bei den für ein Unternehmen produzierenden Heimarbeitskräften um unabhängige Vertragspartner/innen und nicht um Angestellte handelt, ist künftig von den Arbeitgeber/innen zu erbringen, wodurch „versteckte Lohnarbeit“ eingeschränkt werden soll. (vgl. Chen, Vanek & Carr 2004: 149) Thailand hat Versuche unternommen, Heimarbeit stärker sichtbar zu machen. Unternehmen, die Heimarbeit nutzen, müssen ihre Vertragspartner/innen und die vergebenen Aufträge anmelden und sind für die Einhaltung von Arbeitsschutzregeln zuständig. Zudem wurden Arbeitsinspektionen eingeführt, die auf Überwachungsmechanismen innerhalb der Kommunen basieren. (Thanachaisethavut & Charoenlert 2006) Zur Durchsetzung der Arbeitsrechte informell Beschäftigter sind aufgrund ihrer besonderen Charakteristika ebenfalls innovative Lösungen notwendig. Die Arbeitsinspektionsbehörden der meisten Länder sind nicht ausreichend ausgestattet und verfügen nicht
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über die personellen Ressourcen, um Arbeitsstandards in der informellen Ökonomie durchzusetzen, insbesondere in den zahlreichen Mikrounternehmen. Erfolgversprechende Ansätze basieren hier im Wesentlichen (1) auf der Kooperation mit anderen, der informellen Ökonomie näher stehenden Akteursgruppen, (2) auf Überzeugungsarbeit und Aufklärung statt Strafen sowie (3) auf einer Stärkung der Arbeitsverwaltungen. Den ersten Weg wählt beispielsweise der Staat Gujarat in Indien, wo die Regierung einer Organisation informell beschäftigter Frauen (Self-Employed Women’s Association) die Kompetenzen übertragen hat, bei der Überwachung der Arbeitsbedingungen von Heimarbeitskräften zu assistieren und die Umsetzung von Mindestlöhnen auf Stückzahlbasis zu überwachen. (vgl. ILO 2002a: 52) Der zweite Ansatz basiert auf der Annahme, dass Arbeitsinspektionen in der informellen Ökonomie eher präventive und beratende Funktionen haben sollten, anstatt Strafen zu verhängen (was Korruptions- und Erpressungsmöglichkeiten eröffnet). Die ILO spricht sich dafür aus, dass Arbeitsinspekteur/innen Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit bei den Unternehmen leisten sollten, etwa zu Fragen der Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Beschäftigungsbedingungen. Parallel dazu sollten Beschäftigte über ihre Rechte aufgeklärt und bei deren Durchsetzung unterstützt werden, etwa durch die Einrichtung staatlich subventionierter Rechtsberatungszentren. (ILO 2002a: 50-53) Es gibt aber auch Staaten, die mit der Ausweitung klassischer Arbeitsinspektionen gute Erfahrungen machen, diese allerdings mit Aufklärungs- und Beratungsarbeit kombinieren. In Südafrika und in Swaziland beispielsweise haben die Arbeitsbehörden die Personalstärke und die Anzahl der Kontrollen von Arbeitsinspektionsteams stark aufgestockt und durch ArbeitsschutzExpert/innen ergänzt. Diese kontrollieren die Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie in einem engmaschigen Netz („Straße-für-Straße“ / „Sektor-für-Sektor“) und beraten die betroffenen Unternehmen, um grundlegende Arbeits- und Sicherheitsstandards durchzusetzen. (Nyambari 2007: 4) Ein großes Problem für eine wirksame Durchsetzung von Arbeitsrechten in der informellen Ökonomie stellt die fehlende oder geringe Interessenvertretung informell Beschäftigter dar. Dies gilt zum einen für abhängig informell Beschäftigte, deren Belange gegenüber den Arbeitgeber/innen nur unzureichend durch Gewerkschaften vertreten werden. Besonders problematisch ist die Situation für diese Beschäftigtengruppe in Ländern wie Kambodscha, wo Tarifverhandlungen ausschließlich über Gewerkschaftsvertreter/innen ablaufen dürfen und keine anderen Interessenverbände als Verhandlungspartner zugelassen werden. (vgl. Sieng & Nuth 2006) Zum anderen existieren auch für Selbstbeschäftigte selten Vereinigungen, die ihre Interessen gegenüber Behörden oder Kund/innen durchsetzen. Ein interessantes Beispiel dafür, dass eine solche eigenständige Interessenvertretung durchaus möglich ist, stellt die oben zitierte Self-Employed Women’s Association in Indien dar. Ihr ist es nicht nur gelungen, durch Verhandlungen mit Regierungsbehörden bessere Arbeitsstandards für informell Beschäftigte durchzusetzen, sie hat auch eine eigene Mikroversicherung für selbstbeschäftigte Frauen ins Leben gerufen. (vgl. Reynaud 2002: 9) Außerdem gibt es in mehreren Ländern Nichtregierungsorganisationen, welche die Interessen von Einzelpersonen oder Gruppen informell Beschäftigter erfolgreich durchsetzen. (für Kambodscha siehe Sieng & Nuth 2006) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der internationale Trend dahin geht, informell Beschäftigte in den Regulierungsrahmen arbeitsrechtlicher Bestimmungen zu
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integrieren. Dazu ist es notwendig, bestehende Gesetze zu vereinfachen, auf alle Beschäftigten auszuweiten und durch spezifische Regelungen für einzelne Gruppen informell Beschäftigter zu ergänzen. Parallel dazu müssen neue Wege im Bereich der Rechtsdurchsetzung gefunden und eine wirksame Interessenvertretung für informell Beschäftigte ermöglicht werden.
4.3 Rechtsrahmen in China: Was ändern die neuen Arbeitsgesetze? Die Verabschiedung des jahrelang debattierten Arbeitsvertragsgesetzes der Volksrepublik China Ende Juni 2007 ist international auf große Beachtung gestoßen und hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Während Vertreter/innen ausländischer Unternehmen in China das Gesetz als „Rückkehr zur Eisernen Reisschüssel und zur Planwirtschaft“ ablehnen (vgl. Underwood 2006), konstatiert der indische Politikwissenschaftler T. G. Suresh: „China’s new labor contract law (…) can easily be called the most enabling legal instrument for the Chinese workers introduced since the start of the reforms three decades ago.“ (Suresh 2008: 1)
In diesem Kapitel wird argumentiert, dass das Inkrafttreten von Arbeitsvertragsgesetz (laodong hetong fa) und Gesetz zur Beschäftigungsförderung (jiuye cujin fa) am 1.1.2008 eine Trendwende in der chinesischen Arbeitsgesetzgebung symbolisiert. Sowohl inhaltlich als auch prozedural wurden dabei neue Wege gegangen. Inhaltlich ist aus Sicht der informellen Ökonomie die wichtigste Neuerung, dass erstmals flexible Formen von Beschäftigung explizit anerkannt und die dadurch entstandenen Arbeitsbeziehungen auf Gesetzesebene reguliert und geschützt werden. Es handelt sich hierbei zwar nicht um Schutzgesetze für die informelle Ökonomie, sondern die Gesetze haben Gültigkeit für sämtliche Arbeitsbeziehungen in der Volksrepublik China. Die gesetzliche Anerkennung der Pluralität von Arbeitsverhältnissen und deren Regulierung ist aber für informell Beschäftigte von besonderer Relevanz, da der bis dahin ungeklärte rechtliche Status dieser Beschäftigtengruppe einen wesentlicher Grund für die häufigen Rechtverletzungen in diesem Segment des Arbeitsmarktes darstellte. Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BFGes) gibt die großen Leitlinien vor, während im Arbeitsvertragsgesetz (AVGes) konkrete Bestimmungen zur Regulierung verschiedenartiger Beschäftigungsverhältnisse festgeschrieben sind. So heißt es in Artikel 23 des Beschäftigungsförderungsgesetzes: „Die Volksregierungen auf allen Ebenen sollen Maßnahmen ergreifen, um die Arbeits- und Sozialversicherungspolitiken für flexible Beschäftigung (linghuo jiuye), wie Teilzeitarbeit etc., schrittweise zu verbessern und umzusetzen, um flexibel Beschäftigten (linghuo jiuye renyuan) Unterstützung und Dienstleistungen bereitzustellen.“ (BFGes §23)
Das Arbeitsvertragsgesetz füllt diese Leitlinie mit Leben, indem es erstmals Arbeitsstandards festlegt, die auch typische Schwierigkeiten informell Beschäftigter einbeziehen und explizite Regelungen zu deren Lösung treffen: Es enthält Vorschriften für den Abschluss schriftlicher Arbeitsverträge und einen verbesserten Kündigungsschutz (siehe Kapitel 4.3.1), es widmet sich dem Problem vorenthaltener Löhne und verfügt die Zahlung von
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Mindest-Stundenlöhnen (siehe Kapitel 4.3.2), und es regelt die Arbeitsbeziehungen bei Teilzeit- und Leiharbeit (siehe Kapitel 4.3.3). Auch das Arbeitsvertragsgesetz lässt allerdings Regulierungslücken offen: Arbeitskräfte in unregistrierten Unternehmen, Kleinselbständige, die nicht als Arbeitnehmer/innen behandelt werden (z.B. Haushaltshilfen) sowie Kontraktarbeiter/innen mit Anstellungs- statt Arbeitsverträgen bleiben weiterhin außerhalb des Regulierungsrahmens. (vgl. Dong Baohua & Qiu Jie 2006: 24) Eine weitere wichtige Neuerung ist das Bekenntnis zu gleichen Arbeitsrechten für Migrant/innen, das im Beschäftigungsförderungsgesetz festgelegt ist. (siehe Kapitel 4.3.4) Dieses Diskriminierungsverbot wird allerdings nicht weiter spezifiziert und findet sich auch nicht im Arbeitsvertragsgesetz. Auch im Gesetzgebungsverfahren wurden neue Wege gegangen. Bei beiden Gesetzen wurde die Öffentlichkeit am Gesetzgebungsprozess beteiligt und zu eigenen Vorschlägen und Kommentaren aufgefordert 35 . Die Gesetzentwürfe wurden jeweils nach der ersten Lesung für dreißig Tage zur öffentlichen Diskussion auf der Website des Nationalen Volkskongresses publiziert und in mehreren chinesischen Tageszeitungen abgedruckt. Für das Arbeitsvertragsgesetz gingen offiziellen Angaben zufolge 191.849 Änderungsvorschläge ein, von denen 65 Prozent von „einfachen Arbeiter/innen“ verfasst worden waren. (Chinese Congress Web 9.5.2006) Zum Beschäftigungsförderungsgesetz wurden über 11.000 Kommentare abgegeben. (You Xueyun 2007) Dieses bislang beispiellose und unerwartet starke Echo insbesondere zum Arbeitsvertragsgesetz zeigt, wie groß der Bedarf an einer Verbesserung der arbeitsrechtlichen Regelungen ist. Durch die erhöhte Transparenz des Gesetzgebungsprozesses – der Gesetzentwurf wurde viermal zum Teil substanziell abgeändert – wurde aber auch deutlich, wie sensibel das Thema ist und wie ausgeprägt die Auseinandersetzungen und Interessendivergenzen zwischen wirtschaftlichen Lobbygruppen und Arbeitnehmervertretung sind. Zheng Qiao spricht von einer „Kraftprobe“ über die Prinzipien des Arbeitsvertragsgesetzes, bei der „jede Seite versuchte, den Leitgedanken dieses Gesetzes zu beeinflussen“. (Zheng Qiao 2007: 135) Das verabschiedete Arbeitsvertragsgesetz stellt einen Konsens dar, der die Interessen der verschiedenen Seiten berücksichtigt (Zheng Qiao 2007: 135) und wird vom Adecco Institute als gute Balance zwischen Absicherung und Flexibilität gewertet (Adecco Institute 2007: 25). Im Folgenden wird analysiert, wie Arbeitsvertrags- und Beschäftigungsförderungsgesetz die Rechtslage für informell Beschäftigte konkret verändert haben. Ergänzend werden relevante Regierungsdokumente in die Untersuchung einbezogen, die Einzelaspekte informeller Arbeitsbeziehungen regulieren. Teil 8.1.1 des Anhangs gibt einen Überblick über die wichtigsten nationalen Gesetze und Regierungsdokumente in diesem Bereich und fasst deren zentrale Inhalte zusammen.
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Diese Praxis wurde zuvor nur einmal beim Gesetz über Eigentumsrecht im Juli 2005 angewendet, soll künftig aber häufiger zum Tragen kommen, um die Transparenz der chinesischen Regierungsführung zu erhöhen.
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4.3.1 Arbeitsverträge und Kündigungsschutz Bis zur Verabschiedung des Arbeitsvertragsgesetzes (AVGes) im Sommer 2007 bildete das Arbeitsgesetz (ArbGes) von 1994 die einzige gesetzliche Grundlage, die Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverträgen regelte. Das Arbeitsgesetz widmet nur eines seiner 13 Kapitel dieser Thematik und legt im Wesentlichen fest, dass schriftliche Arbeitsverträge zu schließen sind, welche befristet oder unbefristet sein können (§§16, 19, 20 ArbGes). Darüber hinaus regelt es, dass Arbeitsverhältnisse beendet werden können durch Vertragsende, einvernehmliche Auflösung oder Kündigung (§§23-32 ArbGes) und dass im Fall von Berufskrankheiten und Schwangerschaft Kündigungsschutz besteht (§29 ArbGes). Das neue Arbeitsvertragsgesetz bestimmt in 98 Artikeln erstmals detailliert die Konditionen für Abschluss (Kapitel 2 AVGes), Erfüllung und Abänderung (Kapitel 3 AVGes) sowie Kündigung und Beendigung von Arbeitsverträgen (Kapitel 4 AVGes). Da sich die Verabschiedung eines nationalen Arbeitsvertragsgesetzes über viele Jahre hinzog, hatten mehrere Städte und Provinzen eigene lokale Arbeitsvertragsregulierungen verabschiedet, die weniger umfangreich, nicht auf Gesetzesebene und in ihrer Wirkung auf die jeweilige Region begrenzt waren, gleichzeitig aber in Teilen als Grundlage für das nationale Gesetz dienten. So gibt es in Beijing 36 und Shanghai 37 seit Ende 2001 lokale Arbeitsvertragsbestimmungen und auch Zhejiang, Hubei, Liaoning, Anhui und weitere Provinzen hatten Regulierungen oder Bestimmungen zu Einzelfragen verabschiedet38. Das nationale Arbeitsvertragsgesetz vereinheitlicht diese Lokalregulierungen und hebt sie auf Gesetzesniveau. Verbreitung schriftlicher, unbefristeter Arbeitsverträge Die zentrale Neuerung des Arbeitsvertragsgesetzes besteht darin, dass es die Komplexität der neuen Beschäftigungsformen anerkennt und flexible Vertragsmechanismen ermöglicht, um diese zu regulieren. Künftig sind drei verschiedene Formen von Arbeitsverträgen zulässig: befristete, unbefristete und projektbezogene Verträge. Die Regeln sind aber so gestaltet, dass sie zum einen schriftliche Arbeitsverträge für alle Tätigkeiten als Standard durchsetzen und zum anderen die bisher übliche Vergabe befristeter Verträge für Unternehmen unattraktiv machen sollen. Die Anerkennung und Legalisierung flexibler Beschäftigungsarrangements wird also mit Anreizen zu einer stärkeren Formalisierung und Absicherung von Arbeitsverhältnissen verbunden. Um zur Verbreitung schriftlicher Arbeitsverträge beizutragen, wird die Verpflichtung zum Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags innerhalb des ersten Beschäftigungsmonats39 um Regeln ergänzt, welche die Rechte von Beschäftigten ohne Verträge stärkt:
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Beijing Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Beijing): Beijing shi laodong hetong guiding (Arbeitsvertragsregeln der Stadt Beijing), 13.12.2001. Shanghai Shi Renmin Daibiao Dahuitang (Volkskongress der Stadt Shanghai): Shanghai shi laodong hetong tiaolie (Arbeitsvertragsbestimmung der Stadt Shanghai), 15.11.2001. 38 Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit lokalen Arbeitsvertragsregulierungen siehe Yang Jie & Tang Fuqiang 2006a, Yang Jie & Tang Fuqiang 2006b und Yang Jie & Tang Fuqiang 2006c. 39 Wie bereits im Arbeitsgesetz von 1994 festgelegt, ist auch laut Arbeitsvertragsgesetz innerhalb eines Monats nach Arbeitsbeginn ein schriftlicher Arbeitsvertrag abzuschließen (§10 AVGes), der unter anderem genaue Angaben zu dessen Laufzeit sowie zu Arbeitslohn, Sozialversicherung und Arbeitsbedingungen enthalten muss (§17 AVGes). 37
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Volle Rechtsansprüche auch ohne Arbeitsvertrag – ausschlaggebend ist der Beschäftigungsbeginn (§7 AVGes) Kompensationszahlungen beim Vorenthalten von Arbeitsverträgen – doppelter Arbeitslohn für jeden Monat ohne Vertrag (§82 AVGes) Entlohnung nach Vorgaben des Tarifvertrags bzw. wie Festangestellte in ähnlicher Position beim Fehlen eines Vertrags (§11 AVGes) Diese neuen Regeln machen vertragslose Arbeitsverhältnisse für Unternehmen sehr kostspielig. Der Nachweis der Existenz einer Arbeitsbeziehung dürfte informell Beschäftigten ohne schriftliche Verträge allerdings weiterhin schwer fallen. Hier kommt es darauf an, ob die Schiedskommissionen und Gerichte im Streitfall andere Dokumente, wie Lohnzettel und Arbeitspläne als Beweismittel akzeptieren. Das Arbeitsvertragsgesetz selbst macht dazu keine Aussagen. Ein weiterer Schwerpunkt des Arbeitsvertragsgesetzes ist es, unbefristete Arbeitsverhältnisse wieder zur Regel zu machen. Seitdem das Arbeitsgesetz 1995 die Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge geschaffen hatte, erhielten Beschäftigte kaum noch unbefristete Verträge, und die Vertragslaufzeiten wurden immer kürzer. Diese Praxis sichert Arbeitgeber/innen ein Höchstmaß an Flexibilität, da sie solche Verträge einfach auslaufen lassen und sich so ohne Angabe von Kündigungsgründen und ohne Abfindungszahlungen leicht von Arbeitnehmer/innen trennen können. Dies führt nicht nur zu hoher Unsicherheit für die Beschäftigten, sondern reduziert auch deren Verhandlungsmacht, da sie sich häufig aus Angst vor einer ausbleibenden Vertragsverlängerung nicht gegen zu niedrige Löhne und mangelnde Sozialversicherungszahlungen auflehnen. Das Arbeitsvertragsgesetz soll dieser Praxis mit den folgenden Regeln entgegenwirken: Befristete Arbeitsverträge werden automatisch zu unbefristeten Verträgen, wenn a. nach einem Jahr noch immer kein schriftlicher Arbeitsvertrag unterzeichnet wurde, b. zweimal hintereinander ein befristeter Vertrag geschlossen wurde sowie c. bei mindestens 10-jähriger Tätigkeit im Unternehmen. (§14 AVGes) Kommt die Arbeitgeberseite der Pflicht zur Entfristung nicht nach, hat sie jeden Monat den doppelten Arbeitslohn an die betroffene Arbeitskraft zu zahlen. (§82 AVGes) Abfindungen müssen auch beim Auslaufen befristeter Arbeitsverträge gezahlt werden, wenn diese nicht zu denselben oder besseren Bedingungen erneuert werden.40 (§§ 46 AVGes) Werden diese Regeln tatsächlich durchgesetzt, dürfte der Abschluss kurzfristiger Arbeitsverträge oder die Beschäftigung von Personen ohne Vertrag für Unternehmen unattraktiv und teuer werden. Diese Passagen des neuen Arbeitsvertragsgesetzes waren daher besonders umstritten und führten – obwohl sie gegenüber dem ersten Entwurf bereits abgeschwächt worden waren41 – zu heftiger Kritik chinesischer und ausländischer Unternehmensvertreter/innen. Diese befürchteten eine Rückkehr zu lebenslanger Beschäftigung und sahen die Vitalität ihrer Unternehmen eingeschränkt, wenn ungeeignete Arbeitskräfte nicht 40
Temporäre Arbeitskräfte haben damit Anspruch auf ein halbes Monatsgehalt bei einer Anstellung von unter 6 Monaten bzw. auf ein volles Monatsgehalt je weiterem angefangenem Jahr. Wird die Abfindung nicht gezahlt, hat die Arbeitskraft zusätzlich Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 50 bis 100 Prozent der Abfindungssumme. (§§ 47, 58 AVGes) 41 Der erste Entwurf des Arbeitsvertragsgesetzes hatte noch vorgesehen, alle Arbeitnehmer/innen ohne schriftliche Arbeitsverträge automatisch zu unbefristeten Arbeitskräften zu erklären. Außerdem sollten auslaufende befristete Arbeitsverträge automatisch in unbefristete Verträge umgewandelt werden, wenn keine Verlängerung oder explizite Kündigung erfolgt. Diese Regeln wurden auf Drängen der Unternehmensvertreter/innen abgeschwächt.
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entlassen werden könnten. (vgl. z.B. China.org.cn 19.9.2008) Mehrere Zeitungen berichteten von Unternehmen, die ihre Beschäftigten zu „freiwilligen Kündigungen“ drängten, um sie entweder zu entlassen oder kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes neu einzustellen und damit die 10-Jahresfrist für die Gewährung unbefristeter Arbeitsverhältnisse zu umgehen. (vgl. z.B. China Daily, 1.1.2008) Um bestehende Rechtsunklarheiten zu beseitigen, verabschiedete der Staatsrat im September 2008 Durchführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz. Diese stellen klar, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse kündbar sind und spezifizieren 14 konkrete Kündigungsgründe, darunter schlechte Arbeitsleistungen, ernsthafte Regelverletzungen und Pflichtvernachlässigung von Beschäftigten42. Erschwerte Kündigungen und verkürzte Probezeiten Die Neuregelung von Kündigungsschutz und Abfindungen im Arbeitsvertragsgesetz sollen die hire-and-fire-Praxis eindämmen, die (nicht nur) bei informeller Beschäftigung typisch ist. Sie verbessern die rechtliche Situation informeller Arbeitskräfte deutlich, wenngleich formell Beschäftigte mit längeren Arbeitsverträgen noch stärker von den neuen Regeln profitieren (höhere Abfindungen, besserer Kündigungsschutz). Um willkürliche Kündigungen zu erschweren, werden Arbeitgeber/innen zur Wahrung einer 30tägigen Kündigungsfrist sowie zur Zahlung von Abfindungen verpflichtet (§46 AVGes).43 Bemerkenswert ist, dass eine Abfindung auch dann gezahlt werden muss, wenn Arbeitnehmer/innen den Vertrag wegen bestimmter Irregularitäten von sich aus auflösen. Dazu zählen typische Probleme informell Beschäftigter, wie unzureichender Arbeitsschutz, unvollständige oder unpünktliche Lohnzahlungen, die Schädigung der Arbeitnehmerinteressen durch ungesetzliche Arbeitsregeln, den Zwang zur Arbeit durch Gewalt bzw. Drohungen sowie das Anweisen gefährlicher Tätigkeiten. (§38 AVGes) Zwar sind die Abfindungszahlungen sehr gering – wegen der kurzen Vertragsdauer bei informeller Beschäftigung dürften selten mehr als ein halbes Monatsgehalt (Abfindung bei Beschäftigung bis 6 Monaten) fällig werden. Die neuen Regeln setzen aber ein wichtiges Signal für die Schaffung einklagbarer Rechte informell Beschäftigter. Darüber hinaus werden erstmals explizite und einheitliche Abfindungsregeln bei unrechtmäßigen Entlassungen festgelegt, etwa wenn die 30tägige Kündigungsfrist nicht eingehalten wird oder wenn Entlassungen außerhalb der gesetzlich gestatteten Gründe vorgenommen werden. Die Entschädigungssummen sind auch hier sehr niedrig; sie sollen doppelt so hoch sein wie bei rechtmäßigen Entlassungen, also zwei Monatsgehälter pro Arbeitsjahr. (§§48, 87 AVGes) Das Arbeitsvertragsgesetz trifft auch Regelungen, die den Missbrauch von Probezeiten eindämmen sollen. Bislang wurden Arbeitnehmer/innen vor einer Festanstellung oftmals zu langen Probezeiten verpflichtet, die zu einem deutlich reduzierten Gehalt abgeleistet werden mussten. Kündigungen waren während dieser Zeit besonders einfach, und nicht selten wurden die Beschäftigten noch während oder zum Ablauf der Probezeit entlassen und durch neue ersetzt. Das Arbeitsvertragsgesetz legt die maximal zulässige Dauer einer Probezeit auf sechs Monate fest; bei Anstellungen von unter einem Jahr darf die Probezeit nur einen Monat betragen. (§19 AVGes) Sollte widerrechtlich eine längere Probezeit ver42 Guowuyuan (Staatsrat): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong hetong fa shishi tiaolie (Durchführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz der VR China), 18.9.2008. 43 Die Abfindungssumme beträgt ein Monatsgehalt pro angefangenem Arbeitsjahr; bei Beschäftigung unter 6 Monaten die Hälfte. (§46 AVGes)
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langt werden, muss den Beschäftigten eine Entschädigung in Höhe eines Monatsgehaltes pro zuviel geleistetem Monat gezahlt werden. (§83 AVGes) Erstmals werden auch Lohnstandards für Probezeiten festgelegt: So darf auch während der Probezeit der Mindestlohnstandard nicht unterschritten werden, und es müssen mindestens 80 Prozent des im Arbeitsvertrag vereinbarten späteren Gehaltes gezahlt werden. (§20 AVGes) Neu ist auch, dass Arbeitgeber/innen den Arbeitsvertrag während der Probezeit nur beim Vorliegen weniger, im Gesetz genannter Gründe kündigen dürfen. (§21 AVGes) Zusammenfassung Das Arbeitsvertragsgesetz legalisiert flexible Beschäftigungsmechanismen und wird damit erstmals der neuen Heterogenität von Arbeitsverhältnissen in China gerecht. Gleichzeitig wird diese rechtliche Flexibilisierung durch Vorschriften begleitet, mit denen die Rechte der Arbeitskräfte besser geschützt werden, indem schriftliche, unbefristete Arbeitsverträge durchgesetzt, Kündigungen verteuert und der Missbrauch von Probezeiten unterbunden werden.
4.3.2 Einkommenssicherheit, Mindestlöhne und rechtzeitige Lohnauszahlung Das Vorenthalten von Löhnen, Gehälter unterhalb der Mindestlohngrenze, unbezahlte Überstunden und das Einbehalten von Kautionszahlungen gehören zu den häufigsten Verletzungen der Arbeitsrechte informell Beschäftigter. Das Arbeitsvertragsgesetz macht erneut deutlich, dass diese Praktiken rechtswidrig sind und bestraft werden. (§§9, 30, 31 AVGes) Lässt die Arbeitgeberseite eine eingeräumte Frist zur Nachzahlung der ausstehenden Beträge verstreichen, müssen zusätzlich 50 bis 100 Prozent des geschuldeten Betrags als Schadensersatz gezahlt werden. (§85 AVGes) Vorenthaltene Löhne Bereits zwischen 2003 und 2005 waren mehrere Regierungsdokumente verabschiedet worden, die das Problem verspäteter und vorenthaltener Lohnauszahlungen – insbesondere in der Baubranche – lösen sollten44. Lokalregierungen auf allen Ebenen wurden dazu angewiesen, verstärkt Kontrollen durchzuführen und für die Auszahlung der überfälligen Löhne zu sorgen. Ende 2004 wurde zudem das Strafmaß explizit festgelegt, was nun im Arbeitsvertragsgesetz erstmals auf Gesetzesebene verankert wurde. Damit nimmt der Gesetzgeber endgültig von einer 1995 erlassenen Bestimmung 45 Abstand, welche unter bestimmten 44 z.B.: Guowuyuan Bangongting (Sekretariat des Staatsrats): Guanyu qieshi jiejue jianshe lingyu tuoqian gongchengkuan wenti de tongzhi (Bekanntmachung zur effektiven Lösung des Problems überfälliger Löhne in der Baubranche), Guofa [2003] 94 hao, 22.11.2003; Laodong he Shehui Baozhangbu (MoLSS): Jianshe lingyu nongmingong gongzi zhifu guanli zhixing banfa (Durchführungsbestimmungen zur Verwaltung der Lohnrückzahlung für ländliche Migranten im Baugewerbe), Laoshebufa [2004] 22 hao, 6.9.2004; Laodong he Shehui Baozhangbu (MoLSS) und sechs weitere Organe: Guanyu jinyibu jiejue tuoqian nongmingong gonzi wenti de tongzhi (Bekanntmachung zur intensivierten Lösung des Problems überfälliger Lohnzahlungen an ländliche Migranten), Laoshebufa [2005] 23 hao, 2.9.2005. 45 Laodongbu (Arbeitsministerium): Guanyu yinfa „Dui ‚Gongzi zhifu zanxing guiding’ youguan wenti de buchong guiding” de tongzhi (Ergänzende Bestimmungen zu einigen Fragen der „Temporären Bestimmung zu Lohnauszahlungen“), 12.5.1995. (zum Inhalt siehe Teil 8.1.1 des Anhangs)
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Bedingungen (Naturkatastrophen oder wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens) die Verzögerung der Lohnauszahlung erlaubt hatte. Diese Bestimmung sollte Mitte der 1990er Jahre Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor dem Bankrott bewahren, führte aber auch dazu, dass in vielen Betrieben verspätete oder unvollständige Lohnzahlungen als unproblematisch erachtet wurden. Mindestlöhne Das Arbeitsvertragsgesetz trifft keine spezifischen Regelungen zur Festsetzung von Mindestlöhnen. Es bestimmt lediglich, dass Mindestlöhne bzw. bei Teilzeitarbeit Mindeststundenlöhne zu zahlen sind, ohne sich auf Berechnungsmodelle und ergänzende Regulierungen festzulegen. Da die Verabschiedung des seit langem geplanten Lohngesetzes noch immer nicht auf der politischen Tagesordnung steht, wird diese Gesetzeslücke zunächst weiter bestehen bleiben. Damit behält die Ministerialbestimmung zu Mindestlöhnen46 aus dem Jahr 2004 weiterhin an Gültigkeit, die weniger bindend ist als ein Gesetz. Die Bestimmung ist dennoch von Relevanz für informell Beschäftigte, da sie neben den üblichen monatlichen Mindestlöhnen die Festsetzung von Mindestlöhnen auf Stundenbasis verfügt. (§5 Mindestlohnbestimmung 2004) Damit wurde auch für Teilzeitarbeitskräfte und für stundenweise Beschäftigte ein Lohnstandard eingeführt47. Die Bestimmung legt eine Formel fest, nach der jede Lokalregierung auf Basis der monatlichen Mindestlöhne einen minimalen Stundenlohn errechnen muss48. Dabei wird erstmals ein Anpassungskoeffizient addiert, der den Arbeitgeberanteil für Basisrenten- und -krankenversicherung einbezieht. Bei formeller Beschäftigung sind diese Sozialabgaben vom Unternehmen zusätzlich zum Lohn zu zahlen, bei stundenweisen Tätigkeiten müssen sie aber in der Regel von den Beschäftigten selbst entrichtet werden, weshalb der Gesetzgeber einen Aufschlag für stundenweise Löhne für gerechtfertigt hält. Steigen die Sozialversicherungsbeiträge, erhöht sich der Mindeststundenlohn automatisch, so dass der Netto-Stundenlohn gleich bleibt. Ein zweiter Anpassungskoeffizient soll die Unterschiede in Stabilität, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigung ausgleichen. Der Mindeststundenlohn hat daher insgesamt immer ein etwas höheres Niveau als der monatliche Mindestlohn. Die Mindestlöhne können je nach Branche und Qualifikationsniveau variieren. In Shanghai betrugen sie im Jahr 2006 beispielsweise 10 / 8 / 6 CNY pro Stunde für hoch- / mittel- / geringqualifizierte Haushaltsdienstleistungen; im Hotelservice waren es 9 / 7 / 5 CNY pro Stunde. (Interview Frauenverband, Shanghai 1.3.2006) Bislang sind allerdings nicht in allen Regionen Mindeststundenlöhne festgesetzt worden, und einige Lokalregierungen verwenden einfach den monatlichen Lohnstandard ohne Anpassungskoeffizienten. (Xia Wang 2004: 8; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 24) Außerdem dürfte die Einhaltung von Mindestlohnbestimmungen bei stundenweiser Beschäftigung besonders schwierig zu kontrollieren und durchzusetzen sein. (vgl. auch 46 Laodong he Shehui Baozhangbu (MoLSS): Zuidi gongzi guiding (Mindestlohnbestimmung), Laoshebu ling [2004] 21 hao, 21.1.2004. (zum Inhalt siehe auch Teil 8.1.1 des Anhangs) 47 Erstmals wurde in den „Ansichten zur Teilzeitbeschäftigung“ (Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian) des Arbeits- und Sozialministeriums im Jahr 2003 die Festlegung eines Mindeststundenlohns vorgeschrieben. 48 Die Formel zur Berechnung des Mindeststundenlohns lautet: Mindeststundenlohn = [(monatlicher Mindestlohn : 20,92 : 8) x (1 + Arbeitgeberbeitrag für Kranken- und Rentenversicherung)] x (1 + lokaler Anpassungskoeffizient). (Mindestlohnbestimmung 2004: §2 des Anhangs)
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Kapitel 4.4) Die Durchsetzung von Mindestlöhnen wird zudem dadurch erschwert, dass das Arbeitsvertragsgesetz das Strafmaß für ungesetzmäßig niedrige Lohnzahlungen deutlich verringert: Sah die Mindestlohnbestimmung noch Kompensationszahlungen zwischen 100 und 500 Prozent der Differenz zum Mindestlohn vor (§13 Mindestlohnbestimmung 2004), sind es seit Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes nur noch 50 bis 100 Prozent (§85 AVGes). Verbot von Repressalien gegenüber Beschäftigten Das Arbeitsvertragsgesetz verbietet es Arbeitgeber/innen explizit, von ihren Arbeitskräften die Hinterlegung von Sicherheiten zu verlangen oder deren Papiere oder Akten einzubehalten. (§9 AVGes) Diese Praxis wird bislang als Druckmittel insbesondere gegenüber Migrant/innen angewandt, um zu verhindern, dass sie – wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder besserer Jobangebote – ihren Arbeitsplatz ohne Vorankündigung verlassen. Durch das Einbehalten von „Kautionszahlungen“ oder wichtigen Ausweispapieren, die erst am Ende der Beschäftigungszeit zurückgegeben werden, hat die Arbeitgeberseite in Abwesenheit schriftlicher Arbeitsverträge die Möglichkeit fristloser Kündigungen, die Beschäftigten jedoch nicht. Ein solches Vorgehen kann nach dem neuen Gesetz mit Bußgeldern bestraft werden; beim Einbehalten von Sicherheiten werden zusätzlich Kompensationszahlungen von 500 bis 2.000 CNY an jede betroffene Arbeitskraft fällig. (§84 AVGes) Übertragbarkeit von Sozialversicherungskonten Im Arbeitsvertragsgesetz verpflichtet sich der Gesetzgeber, ein umfassendes System zur Übertragung von Sozialversicherungskonten zu schaffen, das die Mitnahme von Sozialversicherungsansprüchen beim Wechsel des Arbeitsortes und die Fortführung der Versicherung in einer anderen Region möglich macht. (§49 AVGes) Dies ist eine der zentralen Voraussetzungen, um informell Beschäftigten die Teilnahme an der Sozialversicherung zu ermöglichen. (siehe Kapitel 5) Auch wenn im Arbeitsvertragsgesetz selbst keine weiteren Aussagen darüber getroffen werden, ist diese gesetzliche Selbstverpflichtung ein wichtiger Schritt zum Aufbau eines solchen Systems. Zusammenfassung Mit der gesetzlichen Festschreibung von Sanktionen für verspätete bzw. vorenthaltene Lohnzahlungen, das Einbehalten von Kautionen oder Papieren von Arbeitskräften sowie für Entlohnungen unterhalb der Mindestlohngrenze werden häufige Arbeitsrechtsverletzungen gegenüber informell Beschäftigten aufgegriffen. Dies setzt Signale dafür, dass auch diese Beschäftigtengruppe über einklagbare Rechte verfügt und wird deren Einforderung erleichtern.
4.3.3 Leiharbeit, Teilzeitarbeit und Subcontracting Zusätzlich zu den bisher ausgeführten Vorschriften, die für alle Beschäftigten gelten, für informell Beschäftigte aber von besonderer Relevanz sind, enthält das Arbeitsvertragsgesetz für drei Formen informeller Beschäftigung erstmals Vorschriften auf Gesetzesebene: für Leiharbeit, Teilzeitbeschäftigung und Subcontracting. Der Fokus der Regulierungen ist dabei sehr unterschiedlich. Dem Bereich der Leiharbeit wird ein eigener umfangreicher
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Abschnitt im Gesetz gewidmet, der 11 Artikel umfasst. Leiharbeit wird damit erstmals auf nationaler Ebene reguliert und unter rechtlichen Schutz gestellt. Auch für Teilzeitbeschäftigung enthält das Arbeitsvertragsgesetz einen eigenen Abschnitt, der allerdings mit 5 Artikeln deutlich kürzer ist. Hier werden einige seit 2003 mittels Regierungsdokumenten verankerte Vorschriften auf Gesetzesebene gehoben, andere dagegen abgeschwächt und dereguliert. Subcontracting wird im Arbeitsvertragsgesetz nur am Rande erwähnt und bleibt deutlich unterreguliert. Leiharbeit Bis zur Verabschiedung des Arbeitsvertragsgesetzes existierte für Leiharbeitskräfte auf nationaler Ebene kein gesetzlicher Schutz. Zeitarbeit fand großteils im rechtsfreien Raum statt, da ungeklärt war, wer (Zeitarbeitsfirma oder Entleihbetrieb) gegenüber den Leiharbeitskräften welche arbeitsrechtlichen Verpflichtungen (Arbeitsverträge, Sozialversicherung, Entschädigung bei Arbeitsunfällen, Verantwortung bei Arbeitskonflikten) hatte. Zwar mussten theoretisch auch Zeitarbeitsfirmen die Vorschriften des Arbeitsgesetzes sowie der Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung befolgen. Aufgrund der unklaren Zuständigkeiten, rechtlicher Inkohärenzen und mangelnder Kontrollen waren Arbeitsrechtsverletzungen in diesem Bereich aber besonders häufig. Leiharbeitskräfte erhalten in der Regel keine Arbeitsverträge, sind oftmals nicht sozialversichert, werden gering entlohnt (nicht selten unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns), sind mit dem Problem verspäteter Lohnauszahlungen konfrontiert und können besonders leicht gekündigt werden. (z.B. Interviews Zeitarbeitsfirma Nanjing, 17.2.2006; Zeitarbeitsfirma Personalamt Beijing, 30.3.2006) Zeitarbeitsfirmen nehmen es hin, dass in den Entleihunternehmen die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten und Arbeitnehmerrechte verletzt werden (Ruhezeiten, Überstunden etc.). (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 112) Aufgrund des starken Wachstums dieser Beschäftigungsform haben einzelne Städte und Provinzen lokale Regulierungen erlassen 49 , diese sind aber sehr unterschiedlichen Inhalts, haben nicht den Status von Gesetzen und werden kaum durchgesetzt. Diese Situation wird von einigen großen, seriös operierenden Zeitarbeitsfirmen als nachteilig und Image-schädigend für die gesamte Branche eingeschätzt, weshalb sich in einigen Städten Zeitarbeitsfirmen zu Verbänden zusammengeschlossen haben und sich zur Einhaltung sozialer Standards verpflichten50. (Interviews Zeitarbeitsfirma Nanjing, 17.2.2006; Zeitarbeitsfirma Personalamt Shanghai, 3.3.2006; Zeitarbeitsfirma Personalamt Beijing, 30.3.2006) Diese Selbstregulierung ist aber von geringer Verbindlichkeit und basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Den großen Teil der Zeitarbeitsfirmen, welche die bestehenden rechtlichen Inkohärenzen und Regulierungslücken auf Kosten der Leiharbeitskräfte ausnutzen, erreichen solche Selbstverpflichtungen nicht. Das Arbeitsvertragsgesetz legt erstmals explizit fest, dass Zeitarbeitsfirmen (laowu paiqian danwei) Arbeitgeber mit allen gesetzlichen Pflichten sind und vollwertige Arbeits49
Beijing hat im Jahr 1999 als erste Stadt eine provisorische Regulierung für Zeitarbeitsfirmen erlassen: Beijing shi laowu paiqian zuzhi gunali zanxing banfa (Provisorische Maßnahmen zur Verwaltung von Zeitarbeitsorganisationen in Beijing), 1.7.1999. (zit. nach Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2004: 189f.) Seither haben auch Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jinagsu, Xinjiang und Xinghai eigene Zeitarbeits-Regeln verabschiedet. (Interview Chinese Acadamy of Social Sciences, Beijing 20.3.2006) 50 Die Zeitarbeitsverbände in Shanghai und Nanjing verpflichten ihre Mitglieder z.B. zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, zum Abschluss von Arbeitsverträgen und zu Kompensationen bei Arbeitsunfällen. (Interviews Zeitarbeitsfirma Nanjing, 17.2.2006; Zeitarbeitsfirma Personalamt Shanghai, 3.3.2006)
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verträge mit ihren Leiharbeitskräften abzuschließen haben. Diese Arbeitsverträge müssen auf mindestens zwei Jahre befristet sein. Die Zeitarbeitsfirma ist für die monatliche Lohnauszahlung verantwortlich und muss in den Vermittlungspausen ihren Leiharbeitskräften ein geringes Gehalt weiterzahlen, das nicht unterhalb des lokalen Mindestlohns liegen darf. (§58 AVGes) Außerdem hat die Zeitarbeitsfirma mit dem Entleihunternehmen einen Vermittlungsvertrag zu schließen, in dem unter anderem Lohnhöhe und Sozialversicherungsprämien festgehalten werden und über dessen Inhalt die Leiharbeitskraft informiert werden muss. (§§59, 62 AVGes) In den Durchführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz51 vom September 2008 wird zusätzlich verfügt, dass Zeitarbeitsfirmen nur Vollzeitverträge mit ihren Leiharbeitskräften abschließen dürfen, diese aber für Teilzeitbeschäftigungen vermitteln können. Außerdem werden bei Kündigung oder Vertragsende die üblichen, im Arbeitsvertragsgesetz festgelegten Abfindungszahlungen (siehe Kapitel 4.3.1) auch für Leiharbeitskräfte fällig. Übersicht 1 verdeutlicht die Vertragsbeziehungen bei Leiharbeit zwischen den drei Parteien. Übersicht 1: Schema Vertragsbeziehungen in Leiharbeit nach Arbeitsvertragsgesetz 2007
Zeitarbeitsfirma
Vermittlungsvertrag (kurzzeitig, Teilzeit möglich)
Entleihbetrieb
Arbeitsvertrag (2 Jahre, Vollzeit)
Information über Vermittlungsvertrag
Arbeitnehmer/in
Quelle: Eigene Darstellung.
Die im Vergleich zur bisherigen Praxis lange Dauer des Arbeitsverhältnisses von zwei Jahren und die Gehaltsfortzahlung in Zeiten, in denen die Arbeitskräfte nicht an ein Entleihunternehmen vermittelt werden können, sind ein Novum in China und können – sofern sich diese Regelungen durchsetzen lassen – erheblich dazu beitragen, die Volatilität und finanzielle Unsicherheit von Leiharbeit zu verringern. Sie können aber auch dazu führen, dass die Zeitarbeitsfirmen bei der Auswahl ihrer Arbeitskräfte deutlich selektiver vorgehen und nur noch Kandidat/innen einstellen, die sicher vermittelt werden können. 51 Guowuyuan (Staatsrat): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong hetong fa shishi tiaolie (Durchführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz der VR China), 18.9.2008, §§ 39, 41.
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Gerade gering qualifizierte Arbeitskräfte hätten es dann schwerer, eine Anstellung in solchen Unternehmen zu finden. Das Arbeitsvertragsgesetz beinhaltet mehrere neue Vorschriften, um der üblichen Praxis entgegen zu wirken, feste Stellen abzubauen und stattdessen billige Leiharbeitskräfte für diese Tätigkeiten einzustellen: Zum einen darf der Entleihbetrieb für eine Tätigkeit nicht mehrmals hintereinander Leiharbeitskräfte für einen kurzen Zeitraum einstellen (§59 AVGes) und kann nur „vorübergehende“ bzw. „Hilfs- und Ersatzpositionen“ mit Leiharbeitskräften besetzen 52 (§66 AVGes). Zum anderen muss der Leiharbeitskraft derselbe Lohn gezahlt werden wie fest angestellten Beschäftigten des Unternehmens in einer vergleichbaren Position, inklusive Überstundenzuschlägen und unternehmensüblichen Leistungsboni (§§62, 63 AVGes). Die im ersten Gesetzentwurf noch enthaltene Vorschrift, dass Leiharbeitskräfte nach einjähriger Verleihzeit vom Entleihunternehmen übernommen und fest angestellt werden müssen, wurde allerdings auf Drängen der Zeitarbeitsfirmen (Interviews Zeitarbeitsfirma Personalamt Beijing, 30.3.2006; Zeitarbeitsfirma Nanjing, 17.2.2006) nicht in die endgültige Version des Arbeitsvertragsgesetzes aufgenommen. Da insbesondere die zahlreichen kleinen, oft unregistrierten Zeitarbeitsfirmen die Rechte ihrer Arbeitskräfte verletzen, legt das neue Gesetz fest, dass Zeitarbeitsfirmen als Unternehmen registriert sein und ein Stammkapital von mindestens 500.000 CNY nachweisen müssen. (§57 AVGes) Außerdem wird die bisher übliche Praxis verboten, dass Unternehmen Zeitarbeitsfirmen gründen, um an sich selbst oder an Tochtergesellschaften billige Leiharbeitskräfte zu vermitteln. (§67 AVGes) Erstmals wurde auch die rechtliche Verantwortung sowohl von Zeitarbeitsfirma als auch von Entleihbetrieb festgeschrieben: beide werden dafür haftbar gemacht, wenn durch Verletzung der arbeitsrechtlichen Regelungen der Leiharbeitskraft ein Schaden entsteht und haben Schadensersatz zu leisten. Das Entleihunternehmen ist primär dafür zuständig, die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzregelungen zu gewährleisten. (§62 AVGes) Zeitarbeitsfirmen können aber bei Missachtung der neuen Regeln mit Bußgeldern in Höhe von 1.000 bis 5.000 CNY pro Arbeitskraft und dem Entzug ihrer Geschäftslizenz bestraft werden. (§92 AVGes) Es liegt somit in der Verantwortung der Zeitarbeitsfirma, auch beim Entleihbetrieb auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zu achten. Im ersten Entwurf des Arbeitsvertragsgesetzes war eine noch stärkere Verantwortung der Zeitarbeitsfirmen vorgesehen: Ursprünglich sollte für jede Leiharbeitskraft eine Kaution in Höhe von 5.000 CNY auf einem Bankkonto des Arbeits- und Sozialministeriums hinterlegt werden, aus der im Fall von Komplikationen (z.B. unvollständige oder verspätete Lohnauszahlung; fehlende Sozialabgaben) entsprechende Kompensationszahlungen an die Leiharbeiter/innen geleistet werden sollten. Auf Drängen der Zeitarbeitsfirmen, welche diese Vorschrift als zu teuer und aufwändig ablehnen (Interviews Zeitarbeitsfirma Beijing, 30.3.2006; Zeitarbeitsfirma Nanjing, 17.2.2006), wurde die Passage aus dem Gesetz gestrichen. Mit diesen Maßnahmen wird Zeitarbeit in China quasi über Nacht de jure auf europäisches Niveau gebracht. Werden alle diese Vorschriften umgesetzt, kann Leiharbeit nicht 52 Diese unkonkrete Formulierung wird in den Durchführungsbestimmungen vom September 2008 weiter spezifiziert: Leiharbeit ist nur für die Dauer von maximal sechs Monaten bzw. bei zeitlich befristeten Vakanzen (wegen Weiterbildung oder Berufspause der regulären Arbeitskraft) gestattet. Guowuyuan (Staatsrat): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong hetong fa shishi tiaolie (Durchführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz der VR China), 18.9.2008, §38.
4.3 Rechtsrahmen in China: Was ändern die neuen Arbeitsgesetze?
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mehr als informelle Beschäftigung bezeichnet werden. Sie stellt dann vielmehr ein zwar befristetes (mindestens 2 Jahre), aber durch Arbeitsverträge, angemessene Entlohnung und Sozialversicherungsbeiträge geschütztes Arbeitsverhältnis dar, das der Lesart von „atypischer Beschäftigung“ in den Industrieländern entsprechen würde. Diese Stärkung von Leiharbeit auf Gesetzesebene manifestiert den in den letzten Jahren in der politischen und akademischen Debatte zu beobachtenden Trend, der dieser Beschäftigungsform große Relevanz für die künftige Arbeitsmarktentwicklung Chinas beimisst. Sie lässt darauf schließen, dass Leiharbeit in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden soll. Um diese wachsende Branche umfassend zu regulieren, sind jedoch die wenigen Passagen im Arbeitsvertragsgesetz nicht ausreichend. Die chinesische Regierung plant eine eigenständige Zeitarbeitsregulierung, deren Verabschiedungszeitpunkt derzeit noch nicht abzusehen ist. Teilzeitbeschäftigung Teilzeitarbeit (feiquanri zhiyonggong) wird als zweite häufige Form informeller Beschäftigung im Arbeitsvertragsgesetz erstmals auf Gesetzesebene reguliert53. Für diese Beschäftigungsform hatte das Arbeits- und Sozialministerium bereits 2003 ein Regierungsdokument54 erlassen, von welchem einige Artikel – zum Teil in veränderter Form – im Arbeitsvertragsgesetz auf Gesetzesebene gehoben werden. Dieses war das erste Dokument auf nationaler Ebene, das sich explizit mit einer Form informeller Beschäftigung auseinandersetzte. Xia Wang wertet es als Symbol für den Abschied vom traditionellen Beschäftigungsmodell und als Beginn der Standardisierung und systematischen Entwicklung informeller Beschäftigung. (Xia Wang 2004: 6) Der Abschnitt zu Teilzeitarbeit im Arbeitsvertragsgesetz ist sehr kurz und regelt im Wesentlichen, dass Arbeitsverträge in mündlicher Form geschlossen werden können (§69 AVGes), dass keine Probezeit vereinbart werden darf (§70 AVGes) und dass beide Parteien das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Abfindungszahlung kündigen können (§71 AVGes). Außerdem darf der lokale Mindeststundenlohn55 nicht unterschritten werden und die Bezahlung muss innerhalb von 15 Tagen erfolgen. (§72 AVGes) Das Regierungsdokument zu Teilzeitbeschäftigung von 2003 hatten noch schriftliche Arbeitsverträge vorgesehen; lediglich bei auf unter einen Monat befristeten Teilzeitarbeitsverhältnissen sollten mündliche Verträge möglich sein. Dass das Arbeitsvertragsgesetz hinter diesen Vorgaben zurückbleibt, widerspricht dem sonstigen Geist dieses Gesetzes. Außerdem verzichtet der Gesetzgeber in Bezug auf Teilzeitbeschäftigung – anders als etwa bei den detaillierten Regelungen zu Leiharbeit – darauf, Prinzipien wie „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ oder die Pflicht zur Sozialabsicherung von Teilzeitbeschäftigten d Arbeitgeber/innen zu verfügen. Teilzeitarbeit wird hier nicht als reguläre Beschäftigungsform 53 Definiert wird Teilzeitarbeit als vorrangig auf Stundenbasis vergütete Beschäftigungsform, bei der die Grundarbeitszeit für denselben Arbeitgeber nicht mehr als 4 Stunden pro Tag und nicht mehr als 24 Stunden pro Woche beträgt. (§68 AVGes) Die „Ansichten zur Teilzeitbeschäftigung“ von 2003 hatten noch bis zu 5 Stunden pro Tag und 30 Stunden pro Woche als Teilzeitarbeit definiert. 54 Laodong he Shehui Baozhang Bu (MoLSS): Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian (Ansichten zu einigen Fragen der Teilzeitbeschäftigung), Laoshebu fa [2003] 12 hao, 30.5.2003. (zum Inhalt siehe auch Teil 8.1.1 des Anhangs) 55 Die „Ansichten zur Teilzeitbeschäftigung“ legen eine Formel zur Berechnung des Mindeststundenlohns fest, die in die Mindestlohnbestimmung von 2004 aufgenommen wurde. (vgl. Kapitel 4.3.2) Sie treffen darüber hinaus erstmals Aussagen zur Teilnahme von Teilzeitbeschäftigten an der Sozialversicherung (vgl. Teil 5), zur Lösung von Arbeitsstreitigkeiten (vgl. Kapitel 4.4) sowie zu Verwaltungsfragen. Damit sind sie deutlich ausführlicher als der Absatz im Arbeitsvertragsgesetz und dürften weiterhin an Gültigkeit behalten.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
etabliert, sondern weiter flexibilisiert und zu einem kaum geschützten Arbeitsverhältnis ohne Arbeitsverträge, Kündigungsfristen, Abfindungsansprüche und angemessene Lohnund Sozialleistungen gemacht. Qian Wang sieht in der Beschneidung der Rechte von Teilzeitarbeitskräften eine vom Gesetzgeber intendierte Deregulierung dieser Beschäftigungsform, um negative Beschäftigungswirkungen der verschärften Schutzvorschriften für Vollzeitbeschäftigte auszugleichen und Unternehmen eine „Hintertür“ für mehr Flexibilität bei Personalentscheidungen zu öffnen: „Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass mit der Teilzeitbeschäftigung für die Arbeitgeber, die in anderen Beschäftigungsbereichen nun Spielraum verlieren werden, neue Möglichkeiten zur flexiblen Verwendung von Arbeitskraft mit reduzierten Personalkosten und minimalen Risiken für sie selbst geschaffen werden sollen, um damit zugleich Beschäftigung zu fördern (…). Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Rechnung, bei der die Interessen der Teilzeitbeschäftigten geopfert werden, wirklich aufgehen wird (…).“ (Qian Wang 2008: 177)
Auch wenn die Unterstellung einer bewussten Opferung der Interessen von Teilzeitbeschäftigten für beschäftigungspolitische Ziele gewagt erscheint, ist die generelle Tendenz einer starken Flexibilisierung von Teilzeitarbeit nicht zu leugnen. In diese Richtung weisen auch die Sozialversicherungsregeln für Teilzeitbeschäftigte, welche – mit Ausnahme der Arbeitsunfallversicherung – die gesamte Sozialversicherungslast auf die Beschäftigten selbst übertragen und die Arbeitgeberseite damit aus der Pflicht nehmen. (siehe Kapitel 5.3.1 und 5.4.4) Es bleibt abzuwarten, ob in den weiteren geplanten, bislang nicht realisierten Zusatzgesetzen zu Löhnen und Sozialversicherung vorteilhaftere Regeln für diese Beschäftigungsform erlassen werden. Subcontracting An der Unterregulierung von Subcontracting ändert das Arbeitsvertragsgesetz wenig. Dies steht im Widerspruch zur Tatsache, dass Subcontracting eine sehr häufige Form informeller Beschäftigung darstellt, bei der größere Unternehmen Tätigkeiten an Selbstbeschäftigte oder kleine Subunternehmen auslagern, um arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten zu umgehen und Kosten zu senken. (vgl. Kapitel 3.2) Oftmals bewerben sich große, finanzstarke Betriebe um Ausschreibungen, etwa in der Baubranche, und lassen einen Teil der Tätigkeiten von kleinen Subunternehmen ausführen, die Arbeitskräfte informell beschäftigen und so die Preise senken können. Eine häufige Praxis ist es auch, Arbeitskräfte als Ein-Personen-Unternehmen unter Vertrag zu nehmen (so genannte baogongtou) statt sie direkt einzustellen, womit sich die Arbeitgeber/innen ganz legal ihrer arbeitsrechtlichen Verpflichtungen entziehen können. Subcontracting ist bislang kaum reguliert. Das Baugesetz von 1997 (Zhonghua Renmin Gongheguo jianzhu fa) gestattet es Auftragnehmer/innen von Bauprojekten explizit, Teile des Auftrags an qualifizierte Subunternehmen (subcontractors) weiterzugeben (§28 Baugesetz), trifft aber keine Aussagen über eine Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte. Erst 2005 veröffentlichte das Bauministerium „Vorschläge“ zum Subcontracting-System in der Bauindustrie56, in dem erstmals die Probleme dieser Ver56
Jianshe Bu (Bauministerium): Guanyu jianli he wanshan laowu wenbo zhidu, fazhan jianzhu laowu qiye de yijian (Vorschläge zur Schaffung und Verbesserung eines Arbeits-Subcontracting-Systems und zur Entwicklung von Unternehmen, die Beschäftigte für die Bauindustrie zur Verfügung stellen), Jianshi [2005] 131, 5.8.2005.
4.3 Rechtsrahmen in China: Was ändern die neuen Arbeitsgesetze?
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tragsform für die Beschäftigten eingestanden werden. Das Dokument legt das Ziel fest, bis Mitte 2008 das bisherige Arbeits-Subcontracting in der Baubranche zu verbieten und es schrittweise durch formell registrierte, spezialisierte Unternehmen zu ersetzen. Hauptauftragnehmer/innen oder spezialisierte Subunternehmen müssen Arbeitskräfte direkt einstellen, Arbeitsverträge mit ihnen abschließen und für deren Sozialversicherung sorgen. Zusätzlich sollen große, professionelle Vermittlungsunternehmen oder Zeitarbeitsfirmen in der Baubranche geschaffen werden, die einen Arbeitskräftepool für mehrere Bauprojekte bereitstellen, die Beschäftigten qualifizieren und so die Arbeitsbedingungen in der Baubranche besser kontrollieren. Diese Regeln wurden nicht ins Arbeitsvertragsgesetz aufgenommen und bleiben somit auf der untersten Regulierungsstufe mit geringer Durchsetzungskraft. Das Arbeitsvertragsgesetz legt jedoch in einem Artikel erstmals die Verantwortung von HauptAuftragnehmer/innen fest, die Teile ihrer Projekte an Subunternehmen weitergeben. Stellt ein Subunternehmen Arbeitskräfte ein, ohne sich an das Arbeitsvertragsgesetz zu halten, so haften im Schadensfall sowohl Subunternehmen als auch Haupt-Auftragnehmer/in. (§94 AVGes) Betriebe, die Projekte an Subunternehmen weiterleiten, werden damit verpflichtet, bei diesen auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen zu achten. Subcontracting ist damit noch immer deutlich unterreguliert. Eine detaillierte Festlegung der jeweiligen Rechte und Pflichten von Haupt- und Unterauftragsnehmer/innen und deren Verantwortung gegenüber den Beschäftigten wäre zusammen mit konkreten Sanktionsdrohungen auf Gesetzesebene notwendig, um die Beziehungen der drei Seiten zu definieren und den Rechtsschutz für die Arbeitskräfte zu erhöhen. Zusammenfassung Mit den Vorschriften zu Leiharbeit, Teilzeitbeschäftigung und Subcontracting werden wichtige Beschäftigungsformen in der informellen Ökonomie erstmals auf Gesetzesebene zum Regulierungsgegenstand gemacht. Die Vorschriften zu diesen drei Formen von Arbeitsbeziehungen sind aber ambivalent und führen zu Inkonsistenzen in der Behandlung informeller Beschäftigungsverhältnisse: Während Leiharbeitsverhältnisse von ihrer Prekarität befreit und arbeitnehmerfreundlich reguliert werden, werden Teilzeitbeschäftigten grundlegende Arbeitsrechte explizit vorenthalten und Subcontracting bleibt weiterhin unterreguliert und damit ungeschützt.
4.3.4 Verbot der Diskriminierung von Migrant/innen Die oben ausgeführten neuen Bestimmungen des Arbeitsvertragsgesetzes regeln viele Bereiche informeller Beschäftigung, die auch und gerade für ländliche Arbeitsmigrant/innen von großer Relevanz sind und deren Rechtslage verbessern. Dazu gehören vor allem Ansprüche auf schriftliche Arbeitsverträge und Abfindungszahlungen, die Regelung von Rückzahlung und Kompensationen bei vorenthaltenen Löhnen sowie das Verbot, Kautionszahlungen oder Ausweispapiere einzubehalten. Das Arbeitsvertragsgesetz spezifiziert allerdings an keiner Stelle übergreifend die Rechte ländlicher Arbeitsmigrant/innen, wenngleich es aufgrund seiner inklusiven Formulierungen für alle Arbeitnehmer/innen Gültigkeit besitzt.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
Ein explizites Verbot der Diskriminierung ländlicher Arbeitsmigrant/innen findet sich dagegen im Gesetz zur Beschäftigungsförderung. Neben Antidiskriminierungsklauseln gegenüber anderen Gruppen (§§3, 25 BFGes) wird hier erstmals gesetzlich festgeschrieben, dass Migrant/innen dieselben Arbeitsrechte haben wie städtische Beschäftigte: „Ländliche Arbeitskräfte, die zur Arbeitsaufnahme in die Städte gehen, haben dieselben Arbeitsrechte wie städtische Arbeitskräfte. Diskriminierende Beschränkungen gegenüber ländlichen Arbeitskräften, die zur Arbeitsaufnahme in die Städte gehen, sind nicht erlaubt.“ (§31 BFGes)
Neu ist zudem, dass die Gleichbehandlung vor dem Volksgericht eingeklagt werden kann. (§62 BFGes) Diesen generellen Prinzipien folgen allerdings keine detaillierten Regelungen zu deren Anwendung oder zu Konsequenzen bei Verstößen. So bleibt auch unklar, welches Strafmandat Volksgerichte haben, um Diskriminierungen zu ahnden. (vgl. z.B. You Xueyun 2007) Sehr unspezifisch bleibt auch die Aufforderung an die Lokalregierungen, die Arbeitsbedingungen von Migrant/innen zu verbessern: Zum einen sollen sie einen „geordneten Transfer überschüssiger ländlicher Arbeitskräfte“ ermöglichen, und zum anderen sollen entsendende und empfangende Provinzen gemeinsam für die Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zu städtischer Beschäftigung und der Arbeitsbedingungen sorgen. (§20 BFGes) Mit welchen konkreten Maßnahmen und Zuständigkeiten dies geschehen soll und wie diese Arbeit zu finanzieren ist, wird nicht ausgeführt. Die im Beschäftigungsförderungsgesetz enthaltenen Antidiskriminierungsprinzipien reihen sich in mehrere, seit dem Jahr 2000 gestartete politische Initiativen der Zentralregierung ein, die auf einen freieren Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Situation von Arbeitsmigrant/innen abzielen. So hatte der Staatsrat 2003 eine Resolution verabschiedet, nach der unfaire Beschränkungen der Arbeitsmigration für temporäre oder permanente Beschäftigung aufgehoben werden sollen. Ländliche Migrant/innen sollen mit Städter/innen gleichgestellt werden, wenn sie sich um Arbeitsplätze bewerben, und zusätzliche Gebühren sollen abgeschafft werden. Darüber hinaus sollen rechtliche Verfahren (Arbeitsverträge, rechtzeitige Lohnzahlungen) und die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant/innen (Kranken- und Sozialversicherung) verbessert werden. (Huang & Pieke 2003: 17f.) Bei derartigen Initiativen stand lange Zeit weniger die Anerkennung von Migrant/innen als gleichberechtigte Staatsbürger/innen im Vordergrund, als vielmehr die temporäre Nutzung ihrer Arbeitskraft: „Auf diese Weise sollte eine Flexibilität erreicht werden, die es erlaubt, sowohl auf lokal unterschiedliche Wirtschaftsverhältnisse zu reagieren als auch die Dauer des Aufenthaltes der Migranten je nach der konkreten Situation begrenzen oder ausdehnen zu können. Ziel der neuen Regelungen war also eine geordnete und zeitlich begrenzte Aufnahme der Migranten in den Städten. Ihr Aufenthalt soll legalisiert und zugleich die Option einer späteren Rücksiedlung offengehalten werden.“ (Gransow 2008: 77)
Eine stärkere Gleichbehandlung in bürgerrechtlicher Hinsicht wurde erst 2006 mit den „Vorschlägen des Staatsrats zur Lösung der Probleme der Wanderarbeiter“57 eingeleitet, die auf eine verbesserte Integration der Migrant/innen in ihr städtisches Arbeits- und Lebens57 Guowuyuan (Staatsrat): Guanyu jiejue nongmingong wenti de ruogan yijian (Einige Vorschläge zur Lösung der Probleme der Wanderarbeiter), 26.1.2006.
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis?
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umfeld abzielen. (vgl. Gransow 2008: 77) Trotz aller politischer Verlautbarungen ist die Durchsetzung dieser Initiativen noch sehr lückenhaft. Die im Beschäftigungsförderungsgesetz verankerte Gleichbehandlung wird letztlich erst möglich werden, wenn die seit Jahren debattierte und bereits in einzelnen Provinzen getestete Aufhebung des hukou-Systems realisiert wird. (vgl. z.B. Adecco Institute 2007: 27; Gransow 2008: 77)
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis? Die Existenz adäquater arbeitsrechtlicher Vorschriften ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung zum Schutz informell Beschäftigter. Erst die Möglichkeit, die bestehenden Rechte durchsetzen zu können, garantiert die Einhaltung wichtiger Arbeitsstandards. Die Durchsetzungsfähigkeit von Rechtsansprüchen hängt von zahlreichen Voraussetzungen ab: (a) müssen Strukturen und Behörden bestehen, welche die Macht und den Willen haben, die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften zu kontrollieren und deren Missachtung zu sanktionieren. Des Weiteren ist (b) die Kenntnis der eigenen Rechte („legal literacy“) und der entsprechenden institutionellen Wege zu deren Einforderung wichtige Voraussetzung. Dazu sind (c) Organisationen nötig, die als Interessenvertretung informeller Arbeitskräfte agieren und sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber den Arbeitgeber/innen unterstützen. Zudem muss (d) das Rechtssystem für informell Beschäftigte zugänglich sein, etwa indem Gerichte deren Fälle zur Entscheidung annehmen und indem möglichst geringe finanzielle und prozedurale Hürden bestehen. Schließlich muss (e) gewährleistet sein, dass Rechtssprüche gegenüber den Arbeitgeber/innen auch durchgesetzt und die zugesprochenen Kompensationen eingefordert werden können. Dieses Kapitel zeigt auf, dass im chinesischen Rechtssystem bei meisten der genannten Aspekte große Umsetzungsprobleme existieren. Gleichzeitig sind in vielen Bereichen positive Tendenzen zu erkennen: Insbesondere das Inkrafttreten des Arbeitskonfliktgesetzes im Mai 2008 und die Einbindung von Migrant/innen in Gewerkschaften sind als wichtige Schritte hin zu einer verbesserten Rechtsdurchsetzung in der informellen Ökonomie zu werten. Die Chancen zur Umsetzung der neuen Arbeitsrechte in der Praxis werden im Folgenden China-weit analysiert. Auf lokale Fallstudien wird in diesem Kapitel verzichtet, da die Umsetzungsprobleme strukturell bedingt und systemimmanent sind. Da es sich bei informeller Beschäftigung um ein heterogenes Phänomen handelt, unterscheiden sich die Interessen der einzelnen Teilgruppen informeller Arbeitskräfte und machen unterschiedliche Umsetzungsstrategien ihrer Arbeitsrechte nötig. Zu differenzieren ist dabei zum einen zwischen abhängig informell Beschäftigten und Selbstbeschäftigten bzw. Mikrounternehmer/innen. Da das chinesische Arbeitsrecht, wie im vorigen Kapitel dargestellt, noch immer nur für abhängig (informell) Beschäftigte gilt, steht diese Gruppe auch bei der Untersuchung der Implementierung arbeitsrechtlicher Regelungen im Fokus der folgenden Analyse. Für diese Teilgruppe sind Arbeitsinspektionen (Kapitel 4.4.1), Streitschlichtungsmechanismen (Kapitel 4.4.2) und gewerkschaftliche Interessenvertretung (Kapitel 4.4.3) gleichermaßen wichtig. Anders stellt sich die Situation für Selbstbeschäftigte dar. Diese müssen ihre Rechte vor allem gegenüber Regierungsstellen und Kund/innen durchsetzen, weshalb für sie hauptsächlich die Möglichkeit einer eigenen Interessenvertretung von Relevanz ist. (Kapitel 4.4.3) Darüber hinaus werden ihre Rechte durch Unterstützungsleistungen wie Steuerermäßigungen, administrative Erleichterungen, Existenzgrün-
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
dungskurse und den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten gestärkt, die in Kapitel 6 erörtert werden. Zum anderen ist zwischen den Interessen von städtischen informell Beschäftigten und Arbeitsmigrant/innen zu unterscheiden, die mit teils unterschiedlichen Realitäten konfrontiert sind. Migrant/innen befinden sich aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus’ in einer besonders prekären Situation und sind noch häufiger mit der Verletzung ihrer Arbeitsrechte konfrontiert. Außerdem haben sie wegen ihrer Konzentration in bestimmten Sektoren (z.B. Bausektor) mit anderen Problemen zu kämpfen und folglich andere Prioritäten bei der Rechtsdurchsetzung. Für Migrant/innen steht oft das Problem fehlender Lohnzahlungen an oberster Stelle, während sie im Gegensatz zu städtischen informell Beschäftigten ausbleibende Sozialversicherungszahlungen (wegen fehlender Übertragbarkeit von Versicherungsansprüchen) eher hinnehmen. Diese Interessendivergenzen werden in der folgenden Analyse berücksichtigt und unterschiedliche Rechtsbedürfnisse gesondert hervorgehoben.
4.4.1 Arbeitsinspektionen Organisation des Arbeitskontrollsystems Das Arbeitskontrollsystem (laodong jiancha zhidu) besteht aus Kontrollorganen auf vier Verwaltungsebenen (Zentrale, Provinz, Stadt, Kreis), die den jeweiligen Arbeitsverwaltungen untergeordnet sind. (Ho 2004: 48; Geffken 2006: 53) Das Aufgabenspektrum der Arbeitskontrollorgane ist im Arbeitsgesetz (1995) geregelt und wurde durch die „Richtline zu Arbeitsschutz-Kontrollen“ (Laodong baozhang jiancha tiaolie) im Jahr 2004 aktualisiert und ausgebaut. Die Inspektionsteams sind dafür verantwortlich, Arbeitsgesetze und – vorschriften publik zu machen, deren Einhaltung in den Unternehmen zu kontrollieren und gesetzeswidrige Unternehmensregeln zu identifizieren, Gesetzesverstöße anzuzeigen sowie auf deren Korrektur zu dringen und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen58. (§§ 89-100 Arbeitsgesetz 1995) Die Inspektionsteams sind mit umfassenden Zutrittsrechten zu allen Unternehmen und Organisationen ausgestattet und können auch ohne Verdachtsmomente oder Petitionen Routineuntersuchungen durchführen. Zudem können die Gewerkschaften und Vertreter/innen anderer Behörden im Rahmen ihres Aufgabenfeldes Kontrollen ansetzen. (§§86-88 Arbeitsgesetz 1995) Insgesamt wurden im Jahr 2009 1,75 Millionen Unternehmen mit über 90 Millionen Beschäftigten inspiziert. Wie wichtig diese Kontrollen zur Wahrung der Rechte informell Beschäftigter sind, zeigen die aufgedeckten Arbeitsrechtsverletzungen: Arbeitgeber wurden angehalten, mit knapp 11 Millionen Arbeitskräften schriftliche Arbeitsverträge zu unterzeichnen, an etwa 6 Millionen Beschäftigte ausstehende Löhne in Höhe von insgesamt 9 Milliarden Yuan nachzuzahlen und 4,6 Milliarden Yuan an Sozialversicherungsprämien zu entrichten. (Information Office of the State Council of the People’s Republic of China 2010a, b) Ernüchternd ist jedoch, dass im größten Teil der aufgedeckten Rechtsverletzungen lediglich eine „Korrektur“ der Situation angeordnet wird, etwa das nachträgliche Unterzeich58
Sie können bei Lohnkürzungen, verspäteten Gehaltszahlungen, einer Verweigerung von Überstundenvergütungen, der Nichteinhaltung des lokalen Mindestlohnstandards sowie unrechtmäßigen Entlassungen Kompensationszahlungen anordnen. (§91 Arbeitsgesetz 1995) Die Höhe der jeweiligen Entschädigungssummen wurde jüngst im Arbeitsvertragsgesetz neu festgelegt (§§84-87 Arbeitsvertragsgesetz 2008; vgl. Kapitel 4.3.2).
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis?
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nen von Arbeitsverträgen oder die Anpassung illegaler Unternehmensregeln. Nur sehr selten werden administrative Sanktionen verhängt, die sich in der Regel in Verwarnungen erschöpfen. Zu Strafzahlungen werden Unternehmen fast nie verurteilt – 2003 war dies nur bei 6 Prozent der aufgedeckten Arbeitsrechtsverstöße der Fall. (China Labour Statistical Yearbook 2004: 523) Dies erklärt sich aus den geringen Sanktionsmöglichkeiten der Inspektionsteams, die nur geringfügige Strafen verhängen können und nicht die Kompetenzen haben, Unternehmen schließen zu lassen oder deren Kapital zu konfiszieren. Zur Durchsetzung stärkerer Sanktionen sind sie auf die Kooperation mit der Polizei angewiesen. Diese verfolgt aber ihre eigenen Interessen und interveniert nur, wenn beispielsweise die öffentliche Sicherheit gefährdet scheint: “Generally speaking, labour departments cannot order a business to close, confiscate earnings, or detain its proprietor. They must seek the assistance of other state bodies to do so, such as the police. These are more likely to intervene if there is a public disturbance created as a result of a labour violation, rather than to simply enforce Labour Law.” (Cooney 2007: 678)
Damit besteht kaum ein Anreiz, arbeitsrechtliche Vorschriften von vornherein einzuhalten. Im Gegenteil dürfte es vielen Arbeitgeber/innen als rational erscheinen, zunächst die Unternehmensinteressen unabhängig von arbeitsrechtlichen Auflagen zu verfolgen, wenn selbst im Fall einer Inspektion Rechtsverstöße nicht oder nur geringfügig geahndet werden. Dies ist vermutlich ein wesentlicher Grund dafür, dass – wie die oben genannten Zahlen zu aufgedeckten Arbeitsrechtsverletzungen im Jahr 2009 eindrücklich belegen – die neuen Arbeitsgesetze auch zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten von vielen Unternehmen unterlaufen werden. Schwächen des Kontrollsystems Die geringen Sanktionsmöglichkeiten der Inspektor/innen sind aber nur ein Grund, warum das Arbeitskontrollsystem in chinesischen wie in westlichen Studien übereinstimmend als defizitär und ineffizient eingeschätzt wird. (z.B. Qiao Jian & Jiang Ying 2004: 307f.; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 157; Ho 2004: 51; Cooney 2007: 677-679) Weitere Ursachen sind die Unterausstattung der Inspektionsteams, die unklare Kompetenzverteilung des Kontrollsystems sowie das oftmals geringe Interesse der Lokalregierungen an einer forcierten Rechtsdurchsetzung. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Unterbesetzung der Kontrollorgane und die geringe Qualifikation der Kontrolleur/innen. (z.B. Cooney 2007: 678) Ende 2009 gab es landesweit 23.000 Arbeitsinspektor/innen (Information Office of the State Council 2010a) – dies bedeutet lediglich eine Aufstockung um 1.000 Personen seit Verabschiedung der neuen Arbeitsgesetze 59 . Regelmäßige und flächendeckende Kontrollen der Arbeitsbedingungen von 311 Millionen städtischen Arbeitskräften und 230 Millionen ländlichen Migrant/innen 60 sind damit kaum durchführbar. Außerdem werden Routinekontrollen nur in registrierten Unternehmen durchgeführt. Damit können nur Arbeitsrechtsverletzungen im formellen Sektor erfasst werden; die vielen unregistrierten Unternehmen mit ihren besonders schlechten Arbeitsbedingungen werden – wenn überhaupt – nur nach Anzeigen von Verdachtsmomenten inspiziert. Selbst die erst 2004 verabschiedete „Richtlinie zu Arbeits59 60
Im Jahr 2006 gab es 22.000 Inspektor/innen. (Laodong he Shehui Baozhang Bu & Guojia Tongjiju 2007) Zahlen zur Anzahl der Beschäftigten für 2009 aus Information Office of the State Council 2010a.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
schutzkontrollen“ (Laodong baozhang jiancha tiaolie) bezieht sich lediglich auf registrierte Unternehmen, obwohl andere Regierungsdokumente zu diesem Zeitpunkt bereits den Schutz informeller Arbeitskräfte propagierten. Des Weiteren existieren keine Standards für die Durchführung der Kontrollen, d.h. es ist nicht festgelegt, wie Unternehmen die Einhaltung der Arbeitsrechte nachweisen und dokumentieren müssen und wie diese kontrolliert werden soll. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 155) Auch das 2008 in Kraft getretene Arbeitskonfliktgesetz enthält keine Regeln zu Arbeitsinspektionen. Ein weiterer Grund für die Schwäche des chinesischen Arbeitskontrollsystems ist dessen Zersplitterung und unklare Kompetenzaufteilung. Es existiert keine zentrale Behörde, welche die Einhaltung von Arbeitsstandards überwacht. Die Kontrollaufgaben werden von verschiedenen Organen wahrgenommen: dem Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherung (Renli Ziyuan he Shehui Baozhang Bu), dem Gesundheitsministerium (Weishengbu), dem Staatlichen Hauptamt für Kontrolle und Verwaltung der Produktionssicherheit (Guojia Anquan Shengchan Jiandu Guanli Zongju), dem Staatlichen Hauptamt für technische Qualitätsüberwachung, Prüfwesen und Quarantäne (Guojia Zhiliang Jishu Jiandu Jianyan Jianyi Zongju) sowie Behörden auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen. (vgl. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 157) Da die Kompetenzen der jeweiligen Organe nicht genau geregelt sind, erklären sich Behörden oft für unzuständig, und eine effektive Implementierung von Arbeitsstandards wird erschwert. (Darimont 2007: 110; Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Gongzi Yanjiusuo 2003: 157) Darüber hinaus haben Lokalregierungen oftmals kein Interesse an der Durchsetzung von Arbeitsstandards, da sie um die Wettbewerbsfähigkeit ihres Standortes fürchten. Die Interessen der lokalen Kader decken sich eher mit denen der Unternehmen, da sie auf Steuereinnahmen und den Erhalt von Arbeitsplätzen angewiesen sowie teilweise selbst finanziell an den Unternehmen beteiligt sind. Petitionen werden daher häufig von den Lokalbehörden nicht behandelt oder verzögert bzw. an andere Stellen weitergeleitet, wenn wichtige Unternehmen involviert sind. (vgl. z.B. Schucher 2008: 72; Taylor, Chang Kai & Li Qi 2003: 43-45) Der so genannte „Sklavenarbeiterskandal“ des Sommers 2007, bei dem auch durch das Wegsehen zuständiger Behörden hunderte Menschen gekidnappt und zur Arbeit gezwungen werden konnten, ist nur ein besonders extremes Beispiel für diese verbreitete Praxis. Er führte allerdings dazu, dass dem Arbeitsvertragsgesetz wenige Tage vor dessen Verabschiedung noch ein Passus angefügt wurde, der erstmals zuständigen Kadern, welche ihre Pflichten verletzen bzw. die Rechtsdurchsetzung verhindern, explizit Strafen angedroht werden: Sie sollen gegenüber den geschädigten Beschäftigten auf Schadensersatz haften, werden mit Bußgeldern bestraft und können strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. (§95 AVGes) Alternative: Individuelle Anzeige? Beschäftigte sind nicht darauf angewiesen, auf die seltenen Routineinspektionen der Kontrollteams zu warten, sondern können auch direkt bei den Kontrollbehörden Anzeige erstatten, wenn Arbeitsrechtsverletzungen vorliegen. Die Möglichkeit, den administrativen Weg individueller Beschwerden zu gehen, wird immer häufiger genutzt. Bereits innerhalb der fünf Jahre von 1997 bis 2003 hatte sich die
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Zahl der Anzeigen nahezu verdreifacht 61 . Seit Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes 2008 dürfte es nochmals eine deutliche Zunahme an Beschwerden gegeben haben, da die Propagierung der neuen Arbeitsrechte von intensiven Informationskampagnen durch Regierungsorganisationen und Interessenverbände begleitet wurde. Das Rechtsbewusstsein und die Kampfbereitschaft der Beschäftigten hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, wie die immer häufiger werdenden Arbeitsniederlegungen und die im folgenden Teilkapitel betrachteten juristisch ausgefochtenen Arbeitskonflikte eindrücklich belegen. Zusammenfassung In China existieren mit einem staatlichen System von Arbeitsinspektionen institutionalisierte Wege zur Kontrolle der Einhaltung von Arbeitsstandards. Diese können aber aufgrund von Personalmangel, Kompetenzzersplitterung sowie geringen Sanktionsmöglichkeiten und –willen der zuständigen Behörden nur einen kleinen Teil der Arbeitsrechtsverletzungen aufdecken und ahnden. Angesichts dieser Defizite bleiben auch künftig individuelle Beschwerden und juristische Klagen wichtige Kontrollinstrumente.
4.4.2 Lösung von Arbeitskonflikten Neben behördlichen Arbeitsinspektionen ist das institutionalisierte Rechtsverfahren zur Lösung von Arbeitsstreitigkeiten ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung von Arbeitsstandards. Das „System zur Lösung von Arbeitskonflikten“ (laodong zhengyi chuyi zhidu) ermöglicht es Beschäftigten, Arbeitsrechtsverletzungen anzuzeigen und über einen vierstufigen juristischen Prozess ihre Rechte einzufordern. Angesichts unzureichender gewerkschaftlicher Interessenvertretung und mangelhafter staatlicher Kontrollen kommt diesem System individueller Rechtsdurchsetzung große Bedeutung zu. In der Praxis hat sich das chinesische Arbeitskonfliktsystem bislang oft als ineffizient erwiesen, was unter anderem auf dessen unzureichende personelle und finanzielle Ausstattung, auf starke Einflussmöglichkeiten von Unternehmen und Lokalregierungen sowie auf administrative Hürden zurückzuführen ist. Das 2008 in Kraft getretene „Gesetz zu Schlichtung und Schiedsverfahren bei Arbeitsstreitigkeiten“ 62 (Arbeitskonfliktgesetz) verbessert die institutionelle Situation deutlich, kann aber eine Reihe systemimmanenter Probleme nicht lösen. System zur Lösung von Arbeitskonflikten Das Arbeitskonfliktgesetz (AKGes) wurde Ende Dezember 2007 nach der dritten Lesung durch den Nationalen Volkskongress verabschiedet und trat am 1. Mai 2008 in Kraft. Es ersetzt die früheren, inadäquat gewordenen Vorschriften aus den Jahren 1987 63 und
61 Von 60.000 im Jahr 1997 auf 166.000 im Jahr 2003. (China Labour Statistical Yearbook 1999: 138, 512; China Labour Statistical Yearbook 2004: 524, 512) 62 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo laodong zhengyi tiaojie zhongcai fa (Gesetz der Volksrepublik China zu Schlichtung und Schiedsverfahren bei Arbeitsstreitigkeiten), 29.12.2007. 63 Bereits 1987 hatte der Staatsrat „Vorläufige Regulierungen zur Behandlung von Arbeitskonflikten in Staatsunternehmen“ verabschiedet, die sich noch auf Konflikte der Einführung des Arbeitsvertragssystems beschränkten, die prozedurale Grundstruktur des Systems aber bereits festlegten.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
1993/199464 (vgl. Schucher 2008: 65) und regelt Schlichtungs- und Schiedsverfahren bei Arbeitskonflikten erstmals umfassend auf Gesetzesebene. Das Konfliktlösungssystem sieht einen vierstufigen Prozess aus Verhandlung, innerbetrieblicher Schlichtung, Schiedsverfahren und gerichtlicher Klage vor (siehe Übersicht 2). Als erste Stufe der Streitbeilegung können Beschäftigte mit der Arbeitgeberseite (1.) in Verhandlungen versuchen, einen Vergleich zu erzielen. (§4 AKGes) Sind diese erfolglos oder nicht gewünscht, sollen die betroffenen Beschäftigten grundsätzlich zunächst bei der Schlichtungskommission ihres Unternehmens (2.) ein Schlichtungsverfahren beantragen. (§5 AKGes) Diese Kommission soll paritätisch besetzt sein (Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter), wobei sich die Beschäftigten neuerdings nicht mehr nur durch Gewerkschaftsmitglieder vertreten lassen können, sondern auch durch Personen, die von der Gesamtbelegschaft gewählt wurden. (§10 AKGes) Neu ist auch, dass eine erfolgreiche Schlichtung durch Unterschrift der Beteiligten rechtsverbindlich wird und vollstreckt werden kann. (§51 AKGes) Bleibt der Schlichtungsversuch erfolglos, wird der Fall an (3.) die Schiedskommission für Arbeitsstreitigkeiten der zuständigen Arbeitsverwaltung weitergeleitet. Diese kann auch direkt – ohne den Umweg über die Schlichtungskommission – aufgesucht werden. Diese Möglichkeit wird oft genutzt, da die Beschäftigten mit Hilfe der Schiedskommission Unternehmensdokumente als Beweismittel einfordern können und nicht direkt mit dem Unternehmen kooperieren müssen, das ihre Rechte verletzt hat und das sie womöglich bereits verlassen haben. (Gallagher 2005: 115) Außerdem ist die Position der Beschäftigten in ihrem eigenen Unternehmen schwach, und die dortigen Gewerkschaftsmitglieder fungieren zumeist eher als Vermittler/innen denn als Interessenvertreter/innen der Arbeitskräfte oder stehen ganz auf Seiten der Unternehmensführung. (vgl. Kapitel 4.4.3) Allerdings sind die Beschäftigten im Schiedsverfahren selbst nicht präsent. Schiedskommissionen setzen sich aus Vertreter/innen der Arbeitsbehörden, der örtlichen Gewerkschaften und der lokalen Unternehmerschaft zusammen (§19 AKGes), womit die Interessen der Beschäftigten erneut unterrepräsentiert sind (siehe unten). Führt auch das Schiedsverfahren zu keiner Lösung, kann (4.) Klage beim Volksgericht erhoben werden. Der direkte Weg einer gerichtlichen Klage ist nicht möglich; zumindest die Schiedskommission muss zuvor konsultiert werden.
64 Die 1993 vom Staatsrat erlassene „Verordnung zur Behandlung betrieblicher Arbeitskonflikte“ (Zhonghua Renmin Gongheguo qiye laodong zhengyi chuli tiaolie) bildete zusammen mit dem Arbeitsgesetz (1994, Kapitel 10) bis zum Inkrafttreten des neuen Arbeitskonfliktgesetzes die Grundlage für die Lösung von Arbeitsstreitigkeiten in China.
69
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis? Übersicht 2: Schematische Darstellung des Konfliktlösungssystems nach dem Arbeitskonfliktgesetz 2008
Arbeitskonflikt
Verhandlung
Vergleich
innerbetriebliche Schlichtung
Übereinkunft
Schiedsverfahren
Schiedsspruch
Klage vor Volksgericht
Gerichtsurteil
Beschwerde bei Arbeitsbehörde
Quelle: Vereinfachte Darstellung auf Grundlage von Schucher 2008: 73.
Aus dem geschilderten Verfahren wird deutlich, dass in China großes Gewicht auf eine außergerichtliche Streitbeilegung gelegt wird. (vgl. Schucher 2008: 72) Das Prinzip der Schlichtung ist zu betonen (§3 AKGes), und selbst Schiedskommissionen müssen zunächst versuchen, eine Schlichtung zu erreichen, bevor sie einen Schiedsspruch fällen (§42 AKGes). Seit Einführung des Konfliktlösungssystems ist die Anzahl der darüber ausgetragenen Arbeitsstreitigkeiten rapide gewachsen. Bereits zwischen 1996 und 2007 hatte sich die Anzahl der von Schiedskommissionen verhandelten Arbeitskonflikte mehr als versiebenfacht (von 48.000 auf 350.000). Wie in Übersicht 3 deutlich zu erkennen, hat das Inkrafttreten des Arbeitskonfliktgesetzes zusammen mit den neu installierten Arbeitsrechten dann eine regelrecht Klagewelle ausgelöst: Allein 2008 verdoppelten sich die zur Verhandlung akzeptierten Schiedsfälle im Vergleich zum Vorjahr; 2009 war erstmals ein leichter Rück-
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
gang zu verzeichnen 65 . Etwas langsamer, aber kontinuierlich gestiegen ist die Zahl der Arbeitsrechtsfälle, die bis zur letzten Instanz – also einer Klage vor dem Volksgericht – durchgefochten werden66. Übersicht 3: Registrierte, über Schiedskommissionen ausgetragene Arbeitskonflikte (1996-2009)
1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000
19 96 19 97 19 98 19 99 20 00 20 01 20 02 20 03 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 20 09
0
Verhandelte Arbeitskonflikte
Involvierte Arbeitskräfte
Quelle: Eigene Darstellung nach Daten aus China Statistical Yearbook 2007; Information Office of the State Council 2010a; China.org.cn 3.3.2009.
Diese Zahlen dokumentieren zum einen eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seit Durchsetzung des Arbeitsvertragssystems und die Zuspitzung sozialer Konflikte. Zum anderen weisen sie auf die wachsende Rolle formaler, institutionalisierter Konfliktlösungsmechanismen hin. Zugleich zeugt dieser Trend vom gestiegenen Rechtsbewusstsein der chinesischen Bevölkerung und dem Willen, die eigenen Interessen zu verteidigen. (u.a. Gallagher 2005: 132; Ho 2004) Die tatsächliche Anzahl von Arbeitskonflikten dürfte dennoch um ein Vielfaches höher liegen, da die offiziellen Angaben einen Großteil der auf Unternehmensebene geschlichteten Auseinandersetzungen sowie durch informelle Verhandlungen oder behördliche Intervention gelösten Konflikte nicht einbeziehen. Zudem sind in den offiziellen Statistiken informelle Proteste, wie spontane Arbeitsniederlegungen, gezielte Missachtung von Unternehmensregeln oder bewusste Verlangsamung der Produktion nicht erfasst, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. (Ho 2004: 84) Außerdem gehen die vermutlich besonders zahlreichen Konfliktfälle von ländlichen Migrant/innen nicht in die Arbeitsstatistiken ein. (Schucher 2008: 76) Dem Statistischen Arbeitsjahrbuch zufolge gibt es in Privatunternehmen und in Unternehmen mit ausländischem Kapital mehr Arbeitskonflikte als in Staats- und Kollektivbetrieben – sowohl in Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtbeschäftigung als auch absolut. 65
2008: 693.000 Schiedsfälle; 2009: 684.000 Schiedsfälle. (China Labour Statistical Yearbook 2004: 511; Schucher 2008: 96, 99; Information Office of the State Council 2010a) 66 2006: 200.000 Arbeitsrechtsfälle vor Volksgerichten verhandelt; 2008: 295.000 Fälle; 2009: 317.000 Fälle. (Schucher 2008: 96, 99; Information Office of the State Council 2010a)
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis?
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Dieser Fakt unterstützt die These, dass im Privatsektor die Arbeitsbedingungen besonders prekär sind. (Ho 2004: 126) Außerdem existieren erhebliche regionale Unterschiede: formell ausgetragene Arbeitskonflikte gibt es vor allem in den Küstenprovinzen und Metropolen, während die Inlandsprovinzen deutlich geringere Konfliktraten verzeichnen. Dies scheint zum einen an der hohen Konzentration von Unternehmen mit Auslandskapital mit ihren schlechten Arbeitsbedingungen in den Küstenprovinzen zu liegen, könnte aber zusätzlich auf einen besseren Zugang zum Rechtssystem und ein stärkeres Rechtsbewusstsein in den weiter entwickelten Regionen hinweisen. (Ho 2004: 142) Defizite des Konfliktlösungssystems Die gestiegene Anzahl an verhandelten Arbeitkonflikten darf nicht über systemimmanente Defizite der institutionalisierten Streitschlichtung hinwegtäuschen, die dem größten Teil der Beschäftigten das Einklagen ihrer Rechte weiterhin unmöglich machen: Der Zugang zum formellen Konfliktlösungssystem wird durch administrative Hürden und finanzielle Belastungen erschwert. Zudem fehlen den Beschäftigten durchsetzungskräftige Anwält/innen ihrer Interessen, und die Umsetzung von Gerichtsurteilen ist mangelhaft. Die neuen Regelungen des Arbeitskonfliktgesetzes sind darauf angelegt, die Situation in vielen Bereichen zu verbessern, können die Probleme aber nicht gänzlich beseitigen. Unklare Arbeitsbeziehungen Eine Voraussetzung für die Regelung von Arbeitskonflikten nach dem Arbeitsgesetz ist die Existenz nachweisbarer Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen. Informell Beschäftigte – insbesondere Migrant/innen – werden aber oftmals nicht als reguläre Arbeitskräfte, sondern als Auftragsarbeiter/innen (baogongtou) angestellt und haben somit keinen Arbeitnehmerstatus. Entstehende Arbeitskonflikte fallen damit nicht in den Zuständigkeitsbereich des Arbeitsgesetzes, sondern müssen nach den Vorschriften des Zivilrechts (minfa) und des Vertragsrechts (hetongfa) gelöst werden, wo Arbeitsbedingungen (Sozialversicherung, Arbeitsschutz etc.) nicht geregelt sind und kein entsprechendes Konfliktlösungssystem existiert. (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108; Ho 2004: 41) Oftmals sind sich aber weder die betroffenen Beschäftigten noch die zuständigen Behörden im Klaren darüber, was als Arbeits- und was als Auftragsbeziehung zu werten ist, weshalb die Fälle zwischen verschiedenen Behörden hin- und hergereicht werden und die Betroffenen lange auf Rechtssprüche warten müssen. (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108f.) Gleiches gilt für temporäre Arbeitskräfte (Ho 2004: 41) sowie Teilzeitbeschäftigte, die in Haushalten tätig sind 67 . Deren Beziehungen zu den Auftraggeber/innen werden ebenfalls als reine Vertrags- und nicht als Arbeitsbeziehungen gewertet, weshalb Konflikte zivilrechtlich geregelt werden müssen und das Arbeitsrecht keine Anwendung findet. Selbst wenn Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen bestehen, müssen diese in der Regel über Arbeitsverträge oder andere Belege nachgewiesen werden. Gerade informell Beschäftigte verfügen meist nicht über schriftliche Arbeitsverträge, da diese von den Unternehmen verwehrt oder selbst nicht gewünscht werden, und haben damit kein Beweismit67
Dass teilzeitbeschäftigte Hausangestellte ihre Arbeitskonflikte mit den sie anstellenden Familien oder Individuen nicht auf Basis der gesetzlichen Streitschlichtungsregeln lösen können, hat erst 2003 die Richtlinie des Arbeitsund Sozialministeriums „Einige Ansichten zur Teilzeitbeschäftigung“ (Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian) bestätigt.
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4 Neue Rechte: Arbeitsstandards für informell Beschäftigte
tel für die Existenz einer Arbeitsbeziehung und über getroffene Vereinbarungen. (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 109) Hier stärken die neuen Regelungen in Arbeitsvertrags- und Arbeitskonfliktgesetz die Rechte der Beschäftigten: Zum einen legt das Arbeitsvertragsgesetz fest, dass Arbeitskräfte ohne schriftliche Verträge denen mit Arbeitsvertrag gleichgestellt sind und dass ein Beschäftigungsverhältnis mit Erbringen einer Arbeitsleistung beginnt, auch wenn kein Vertrag vorliegt. (§7 AVGes) Zum zweiten kehrt das Arbeitskonfliktgesetz die Beweislast quasi um, indem es die Arbeitgeberseite zur Verantwortung zieht, wenn sie die ihr zugänglichen Beweismittel nicht zur Verfügung stellt: „Wenn Beweise, die mit den Forderungen im Schiedsverfahren zu tun haben, nicht vom Arbeitnehmer gestellt werden können und in der Hand des Arbeitgebers sind, kann das Schiedsgericht vom Arbeitgeber verlangen, dass er sie innerhalb einer bestimmten Frist zur Verfügung stellt. Tut er das nicht fristgemäß, so trägt er die für ihn nachteiligen Folgen.“ (§39 Abs. 2 AKGes)
In der Praxis dürfte es dennoch weiterhin schwierig sein, die Existenz einer Arbeitsbeziehung nachzuweisen, wenn die Arbeitgeberseite dies abstreitet und sich keine entsprechenden Beweise in der Hand der Beschäftigten befinden. So fanden Li Bingqing und Peng Huamin in ihrer auf Interviews mit Arbeitsmigrant/innen basierenden Studie im Jahr 2006 heraus, dass viele informelle Bauarbeiter/innen nicht einmal den Namen des Bauunternehmens benennen konnten, für das sie gerade tätig waren. Wenn die meist als Subunternehmen tätigen Baufirmen die Lohnauszahlungen verweigerten oder ohne Erfüllung der mündlichen Verträge verschwanden, hatten die Beschäftigten große Schwierigkeiten, ihre Arbeitsleistung überhaupt nachzuweisen. Da Projektleitung, Bauunternehmen und Subunternehmen oft aus verschiedenen Regionen kommen, haben die Lokalregierungen in vielen Fällen weder einen Anreiz noch die Möglichkeit, diese zu verfolgen und zur Rechenschaft zu ziehen. (Li Bingqin & Peng Huamin 2006: 12) Juristische Barrieren Das Einfordern von Arbeitsrechten wird durch mehrere institutionelle Barrieren erschwert, an denen auch das Arbeitskonfliktgesetz wenig geändert hat: Erstens lehnen Schiedskommissionen und Gerichte Fälle wegen begrenzter Kapazitäten sowie aufgrund wirtschaftlicher oder politischer Einflussnahme ab, zweitens sind die Arbeitnehmer-Interessen infolge der vorgeschriebenen Zusammensetzung in Schlichtungs- und Schiedskommissionen unterrepräsentiert und drittens fehlen spezialisierte Arbeitsgerichte. Arbeitsrechtsfälle werden oftmals bereits auf der Ebene der Schiedskommissionen abgelehnt. Ein wesentlicher Grund dafür sind die begrenzten personellen Kapazitäten der Kommissionen, die zur Bewältigung der stark gewachsenen Zahl von Arbeitskonflikten nicht mehr ausreichen. (vgl. Ho 2004: 152; Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108; Qiao Jian & Jiang Ying 2004: 308) Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Schiedskommissionen vielfach nicht nur für Arbeitskonflikte, sondern zusätzlich für die Behandlung von Petitionen und die Regelung von „Massenvorfällen“ zuständig sind. Außerdem wird bei immer mehr Fällen der formal vorgeschaltete Weg der Schlichtung übersprungen und direkt ein Schiedsspruch beantragt, da Schlichtungskomitees ebenfalls personell unterbesetzt sind oder – vor allem in jüngeren Unternehmen – gar nicht existieren. (Schucher 2008: 69) Trotz steigender Fallzahlen wurden die Mittel für die Schiedskommissionen in den letzten zehn Jahren kaum aufgestockt.
4.4 Umsetzung: Wie wirksam sind die neuen Rechte in der Praxis?
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Zudem sind sie nach der Zahl der städtischen Arbeitskräfte einer Stadt bemessen, d.h. die wachsende Zahl der Arbeitsmigrant/innen wird bei der Mittelzuweisung an die Kommissionen nicht berücksichtigt. (Schucher 2008: 69) Weitere Gründe für die Ablehnung von Schiedsfällen sind die zumeist mangelhafte juristische Ausbildung der Schiedsrichter/innen und deren Beeinflussung durch lokale Wirtschaftsinteressen. Nicht selten kommt es zu Interventionen von Lokalkadern, die um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Region oder den Verlust wichtiger Investor/innen fürchten und die Kommissionen unter Druck setzen, Fälle abzulehnen. (Qiao Jian & Jiang Ying 2004: 308) Den desolaten Zustand hinsichtlich Qualifikation und Rechtsempfinden der Schiedsrichter/innen führt auch der Fakt vor Augen, dass sich der Gesetzgeber zur Aufnahme eines Artikels ins Arbeitskonfliktgesetz genötigt sah, der fordert, dass Schiedsrichter/innen „gerecht und anständig“ sein und über juristische Kenntnisse verfügen müssen. (§20 AKGes) Außerdem wurde der geschädigten Partei das Recht eingeräumt, sich bei einer Ablehnung des Falls durch die Schiedskommission direkt mit einer Klage an das zuständige Volksgericht zu wenden. (§29 AKGes) Einen dritten bislang häufigen Grund für die Ablehnung von Schiedsfällen räumt das Arbeitskonfliktgesetz aus, indem es die Antragsfrist für Schiedsverfahren auf ein Jahr verlängert und bei Streitigkeiten über vorenthaltene Lohnzahlungen sogar ganz aufhebt68. (§27 AKGes) Die zuvor gültige Frist von 60 Tagen bis zur Meldung einer Arbeitsrechtsverletzung war oftmals bereits verstrichen, bevor die Betroffenen herausgefunden hatten, an welche Behörde sie sich wenden mussten und welche Dokumente einzureichen waren bzw. wenn sie zuvor den Weg einer Schlichtung versucht hatten. (Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108; Ho 2004: 152) Die jetzt gültige Frist von einem Jahr wird sogar unterbrochen, „wenn eine Partei Rechte geltend macht oder von einer betroffenen Abteilung Unterstützung ihrer Rechte fordert oder die andere Partei zusagt, ihre Pflicht zu erfüllen.“ Die einjährige Frist beginnt dann vom Zeitpunkt der Unterbrechung an von Neuem. (§27 AKGes) Nachteilig ist allerdings, dass als Fristbeginn nun bereits der Tag angenommen wird, an dem die Beschäftigten von der Rechtsverletzung erfahren bzw. davon wissen müssten. (§27 AKGes) Nach mehrjähriger Beschäftigung ohne Sozialversicherungszahlungen oder unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen können entsprechende Kompensationen damit nicht mehr eingeklagt werden. Neben der Ablehnung von Konfliktfällen stellt die vorgeschriebene Zusammensetzung von Schlichtungs- und Schiedskommissionen eine weitere institutionelle Hürde für das Einfordern von Arbeitsrechten dar. Schlichtungskomitees bestehen aus Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter/innen, in Schiedskommissionen kommen Vertreter/innen der örtlichen Behörden als dritte Partei dazu. Da letztere aufgrund lokaler Wirtschaftsinteressen oftmals eher der Arbeitnehmerseite zuzuordnen sind, sind die Interessen der Beschäftigten in Schiedskommissionen strukturell unterrepräsentiert. (Schucher 2008: 74f.) Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Gewerkschaften ihre Rolle als Interessenvertretung der Arbeitskräfte aufgrund ihres politischen Auftrags und wegen ihrer Verquickung mit dem Unternehmensmanagement nicht konsequent ausüben können. (vgl. Kapitel 4.4.3) Das Arbeitskonfliktgesetz verbessert diese Situation für die Ebene der Schlichtungskomitees, auf der Gewerkschaftsvertreter/innen künftig durch von der Gesamtbelegschaft gewählte 68 Beschränkungen gibt es bei Streitigkeiten über ausstehende Löhne lediglich im Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dann muss ein Schiedsantrag spätestens ein Jahr nach Kündigung eingereicht werden. (§27 AKGes)
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Personen ersetzt werden können. In Schiedskommissionen ist dies nach wie vor nicht der Fall. Eine weitere institutionelle Hürde für das Einklagen von Arbeitsrechten ist das Fehlen spezialisierter Arbeitsgerichte in China, unter dem die Qualität der Rechtssprüche leidet. Arbeitskonflikte müssen vor den Volksgerichten verhandelt werden, die oft mit zivilrechtlichem Denken an die Fälle herangehen und teilweise andere Gesetze zugrunde legen als die Schiedskommissionen, weshalb die Urteile dieser beiden Organe mitunter voneinander abweichen. (Qiao Jian & Jiang Ying 2004: 308; Geffken 2006: 85) Selbst die Arbeitsbehörden empfehlen, Arbeitskonflikte direkt bei den Schiedskomitees zu regeln, da dort die Expertise in arbeitsrechtlichen Fragen größer sei als bei den Volksgerichten. (vgl. Geffken 2006: 85) Außerdem ist es bei Gerichtsprozessen üblich, mit den Richter/innen außerhalb der Verhandlungen „zu reden“, was Korruption begünstigt. (Geffken 2006: 85) Ökonomische Barrieren Die Bestimmungen des Arbeitskonfliktgesetzes reduzieren die ökonomischen Barrieren für einen Zugang zum Streitschlichtungssystem erheblich, indem sie Prozessgebühren abschaffen und die Verfahren beschleunigen. Bis 2008 mussten zur Aufnahme von Schieds- und Klageverfahren Gebühren entrichtet werden 69 . Die Prozessgebühren variierten erheblich zwischen einzelnen Orten 70 und waren jeweils von beiden Parteien zu tragen, unabhängig vom Ausgang der Verfahren. (Ho 2004: 157) Mit dem Wegfall dieser Gebühren (§53 AKGes) wird insbesondere Geringverdienenden der Zugang zum Rechtssystem erleichtert und gleichzeitig eine psychologische Hürde für die Aufnahme von Arbeitsrechtsverfahren beseitigt. Für informell Beschäftigte noch wichtiger ist die im Arbeitskonfliktgesetz festgeschriebene Beschleunigung der Verfahren, wodurch die finanziellen Verluste durch Verdienstausfälle während der Konfliktaustragung deutlich verringert werden71. Schiedsverfahren dauerten bislang mindestens ein halbes Jahr. Folgte darauf eine Klage, fielen in der Regel vier bis zehn Verhandlungen an, die sich über etwa ein Jahr erstreckten, teilweise aber auch über drei bis fünf Jahre. (vgl. Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo 69
Guowuyuan (Staatsrat): „Verordnung zur Behandlung betrieblicher Arbeitskonflikte“ (Zhonghua Renmin Gongheguo qiye laodong zhengyi chuli tiaolie), 1993, §34. In Shanghai betrug die Gebühr zur Aufnahme eines Schiedsverfahrens im Jahr 2003 beispielsweise 300 CNY. (Gallagher 2005: 115) Die Gebühr für eine Klage vor Gericht war national einheitlich auf 50 CNY festgesetzt. (Gallagher 2005: 115; Ho 2004: 157) 71 Zur Abschätzung der finanziellen Zugangshürden zum formellen Rechtssystem für informell Beschäftigte vor Inkrafttreten des Arbeitskonfliktgesetzes ist eine groß angelegte Studie des Pekinger Zentrums für Jungendrechtshilfe und –forschung (Beijing qingshaonian falü anzhu yu yanjiu zhongxin) aufschlussreich, die auf einer Befragung in acht Provinzen zwischen 2003 und 2005 basiert. Für diese Studie wurden Migrant/innen interviewt, die mit Hilfe des formellen Systems zur Lösung von Arbeitskonflikten ausstehende Lohnzahlungen eingeklagt hatten. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich Kosten zwischen 3.420 und 5.720 CNY (ohne Anwaltskosten) anfielen, um vorenthaltene Löhne einzufordern. Einer der größten Posten dabei waren Verdienstausfälle aufgrund langwieriger Verfahren: Migrant/innen verloren durchschnittlich 11 bis 21 Arbeitstage durch Prozessbeteiligung, wodurch sie 550 bis 1.050 CNY an Löhnen einbüßten. Weitere finanzielle Belastungen ergaben sich aus Transport- und Verpflegungskosten in Höhe von mehreren hundert bis über 1.000 CNY, da zum Erreichen eines Schiedsspruchs mehrmals zu entsprechenden Regierungsstellen gefahren werden musste. Hinzu kamen Prozessgebühren in Höhe von mindestens 920 CNY. Für Migrant/innen, die Rechtshilfe in Anspruch nahmen, erhöhten sich die Kosten auf insgesamt 5.000 bis 9.000 CNY. (zit. nach Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 107) Damit überstiegen die Rechtskosten nicht selten die Höhe der ausstehenden Löhne und führten das System zur Einforderung von Arbeitsrechten ad absurdum. 70
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Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 108) In der Verhandlungszeit ist reguläres Arbeiten nicht möglich, was einen entsprechenden Verdienstausfall impliziert und insbesondere für Geringverdienende – möglicherweise mit seit Monaten ausstehenden Gehältern – Existenz bedrohend sein kann. Die langwierige Prozedur wurde nicht selten von der verklagten Arbeitgeberseite ausgenutzt, um durch Verzögerungen und Einsprüche bzw. deren Androhung und die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten die Klägerpartei zur vorzeitigen Aufgabe zu zwingen. (Ho 2004: 158) Das Arbeitskonfliktgesetz beschleunigt das Verfahren, indem es die Fristen bis zum Fällen einer Entscheidung auf höchstens 15 Tage bei Schlichtungen und auf höchstens 45 Tage bei Schiedsverfahren (in komplizierten Fällen 60 Tage) deutlich verkürzt. (§§14, 43) Werden diese Fristen nicht eingehalten, kann direkt die nächst höhere Instanz angerufen werden. Dies ist außerdem möglich, wenn 1. keine Schlichtungsvereinbarung erzielt wird (§14 AKGes), 2. die Schiedskommission ein Verfahren nicht annimmt (§29 AKGes) oder 3. Vergleiche oder Schiedssprüche nicht in der vereinbarten Frist umgesetzt werden (§15 AKGes). Die letztgenannte Regelung soll die Praxis einer langjährigen Verzögerung der verhängten Zahlungen oder Auflagen durch die Arbeitgeberseite unterbinden helfen. In diese Richtung zielen auch weitere Neuerungen im Arbeitskonfliktgesetz ab, die die Verfahren im Fall von Lohnrückständen, Behandlungskosten bei Arbeitsunfällen oder ausstehenden Entschädigungen besonders beschleunigen und damit häufige Probleme informell Beschäftigter aufgreifen: 1. Wurde die Arbeitgeberseite bei ausstehenden Löhnen, Behandlungskosten oder Entschädigungen von einem Schlichtungskomitee zu Zahlungen verpflichtet, hat sie diese innerhalb der vereinbarten Frist zu leisten. Tut sie dies nicht, kann die Arbeitnehmerseite beim Volksgericht einen Zahlungsbefehl beantragen. (§16 AKGes) 2. Bei Konflikten um ausstehende Löhne, Behandlungskosten oder Entschädigungen kann ein Schiedsgericht Vorwegvollstreckung beschließen und diese dem Volksgericht übertragen, sofern „das Leben des Antragstellers“ ansonsten „erheblich beeinträchtigt“ wäre. Beantragen Arbeitnehmer/innen Vorwegvollstreckung, müssen sie keine Sicherheiten hinterlegen. (§44 AKGes) Dies bedeutet, dass die Volksgerichte bei entsprechenden Schiedssprüchen Vermögen der Arbeitgeberseite konfiszieren können, das zur sofortigen Begleichung etwa der Lohnrückstände eingesetzt wird. Damit sind die Betroffenen nicht mehr auf den Zahlungswillen der Arbeitgeber/innen angewiesen. 3. Bei Zahlungsverpflichtungen im Fall ausstehender Löhne, Behandlungskosten oder Entschädigungen ist bereits ein Schiedsspruch endgültig und wird am Tag des Spruchs rechtswirksam (sofern der zu zahlende Betrag den lokalen Mindestlohn für 12 Monate nicht übersteigt). Endgültig ist ein Schiedsspruch zudem bei Konflikten um ausstehende Sozialversicherungszahlungen und unrechtmäßige Arbeitszeiten. (§47 AKGes) Die Arbeitgeberseite kann einen Schiedsspruch allerdings noch immer mittels Aufhebungsklage angreifen. (§49 AKGes, vgl. auch Schucher 2008: 72) All diese Regelungen dürften die bisher übliche langjährige Verschleppung der Umsetzung von Schiedssprüchen dennoch eindämmen und machen zugleich deutlich, wie brisant Konflikte um Lohnrückstände vom Gesetzgeber eingeschätzt werden.
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Fehlender Rechtsbeistand Informell Beschäftigte haben kaum Chancen auf gut ausgebildeten Rechtsbeistand, da sie sich oft die Anwaltsgebühren nicht leisten können und da Anwält/innen aufgrund der Struktur des chinesischen Anwaltssystems die Annahme ihrer Fälle ablehnen. Die entstandene Lücke in der Interessenvertretung informell Beschäftigter versuchen einige nichtkommerzielle Rechtsberatungszentren zu füllen, deren Kapazitäten aber unzureichend sind. Rechtsbeistand in China ist teuer. So belief sich beispielsweise in Guangdong allein die Mindestgebühr für Rechtsanwält/innen im Jahr 2004 auf 3.000 CNY, was für Beschäftigte mit Mindestlohn sechs Monatsgehältern entspricht. (Ho 2004: 154) Anwaltskosten müssen in China in jedem Fall von der klagenden Partei selbst getragen werden, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Selbst wenn die Beschäftigten bereit und fähig sind, die für sie hohen Gebühren zu zahlen, werden sie von Rechtsanwält/innen oft abgelehnt, da Arbeitskonflikte kaum Geld einbringen, politisch brisant sind und informell Beschäftigte als riskante Klientel gelten. Hier treffen zwei Formen von Informalität aufeinander, die in ihrer Kombination eine nahezu unüberwindbare Hürde bilden: Rechtsanwält/innen sind in der Regel als eine Art Kontraktarbeiter/innen auf Kommission bei einer Anwaltskanzlei beschäftigt und zählen somit selbst zu den informell Beschäftigten, wenngleich nicht im prekären Segment des Arbeitsmarktes72. (Michelson 2007: 171) Durch das Kommissionssystem und die prozentuale Beteiligung an der Streitsumme sind Anwält/innen darauf angewiesen, lohnende Fälle anzunehmen, um über die eingenommenen Gebühren ihr Einkommen zu sichern. Bei Arbeitsrechtsfällen – und insbesondere bei solchen mit informell Beschäftigten – wird meist um relativ geringe Summen gestritten, die für die Betroffenen viel Geld bedeuten, für die Anwält/innen aber um ein Vielfaches niedriger sind als die bei Wirtschaftsstreitigkeiten verhandelten Beträge. Da zudem die Anwaltskosten von der klagenden Partei selbst getragen werden müssen und es kaum Möglichkeiten gibt, nicht gezahlte Gebühren einzutreiben, meiden Rechtsanwält/innen „riskante“ Klient/innen wie informell Beschäftigte. Im Bewusstsein dieser Probleme hat das Justizministerium im Dezember 2004 eine Richtlinie verabschiedet, die Rechtsanwält/innen in privaten Kanzleien dazu aufruft, mehr Fälle von Arbeitsmigrant/innen anzunehmen, die ausstehende Löhne einfordern wollen. Für diese Klientel sollen die Anwaltsgebühren reduziert oder erlassen werden; eine Verpflichtung dazu wurde allerdings nicht festgeschrieben. (zit. nach Michelson 2007: 181) Angesichts des finanziellen Drucks der privaten Rechtsanwält/innen, an dem das Zirkular nichts ändert, dürfte diese Richtlinie wenig Wirkung zeigen. Das Justizministerium hat zusätzlich staatliche Stellen und Nichtregierungsorganisationen aufgefordert, günstige Rechtsberatung anzubieten, um Alternativen zum privatwirtschaftlichen Anwaltssystem zu schaffen. Staatlich finanzierte Forschungsinstitute, Gewerkschaften, Frauenverbände, mehrere Universitäten und unabhängige Nichtregierungsorganisationen haben Rechtshilfezentren eingerichtet, von denen sich ein Teil auch mit Arbeitskonflikten beschäftigt. (Ho 2004: 155; Geffken 2006: 79-81) Die finanziellen und personellen Ressourcen dieser Organisationen sind begrenzt, so dass sie nur einen Bruchteil der Arbeitsrechtsfälle annehmen können (Ho 2004: 155f.), wurden allerdings in den letzten Jahren deutlich aufgestockt. Angaben von Justizministerin Wu Aiying zufolge haben die 72
Rechtsanwält/innen verfügen über keine Einkommenssicherheit, erhalten in der Regel keine Sozialversicherungszahlungen und kämpfen oft ums finanzielle Überleben. Sie bezeichnen sich selbstironisch als „geti hu [Individualunternehmen] who know the law“. (Michelson 2007: 171f.)
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Regierungen auf den verschiedenen Ebenen ihre Ausgaben für Rechtshilfen seit 2002 um jährlich 30 Prozent gesteigert; 2007 betrugen sie landesweit 520 Millionen CNY. Laut Justizministerium waren Ende 2007 in China über 3.000 nichtkommerzielle Rechtshilfeorganisationen registriert, in denen 12.300 Vollzeitkräfte (davon 6.000 Anwält/innen) und knapp 77.000 Freiwillige arbeiteten – ein Teil davon beschäftigte sich auch mit Arbeitsrecht. Die Mehrzahl ihrer Klient/innen waren Migrant/innen, Behinderte, Frauen und Minderjährige. Die Finanzierung der Rechtshilfezentren kam vorwiegend von Regierungszuweisungen, ergab sich aber auch aus privaten Spenden sowie kostenlosen Diensten von Anwält/innen und Richter/innen. (China.org.cn 5.8.2008) Mangelnde Rechtsdurchsetzung Arbeitsrechtsfälle werden von den Schiedskommissionen überwiegend zu Gunsten der Beschäftigten entschieden. Die Durchsetzung der zugesprochenen Rechte gestaltet sich aber aufgrund von Kapazitätsengpässen und politischer Beeinflussung der Gerichte schwierig. Wenn es Beschäftigten gelingt, trotz der diskutierten Zugangsbarrieren zum formellen Konfliktlösungssystem ihr Anliegen zur Verhandlung zu bringen, wird ihnen im überwiegenden Teil der Fälle Recht zugesprochen. Im Jahr 2006 wurden 87 Prozent der von Schiedskommissionen verhandelten Fälle zu Gunsten der Arbeitnehmerseite entschieden, wobei sie in 47 Prozent der Fälle das Verfahren vollständig gewannen und in weiteren 40 Prozent der Fälle beide Parteien teilweise Recht bekamen. (vgl. Schucher 2008: 98) Diesen ermutigenden Zahlen steht das Problem gegenüber, dass die Durchsetzung von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen schwierig ist. Dieses Problem ist nicht auf das Arbeitsrecht beschränkt, wie die steigenden Zahlen an Durchsetzungsklagen und Petitionen verdeutlichen, die sich mit der Umsetzung von Richtersprüchen befassen. (Ho 2004: 173) Bei Schiedsurteilen ist die Problematik besonders groß, da eine Durchsetzung auf der freiwilligen Bereitschaft der Konfliktparteien basiert, so lange diese nicht vor Gericht gebracht werden. (Ho 2004: 176) Das Arbeitskonfliktgesetz ändert diese Situation – wie oben dargestellt – für einen Teil der Fälle, die allerdings für informell Beschäftigte besonders relevant sind: Schiedssprüche zu ausstehenden Löhnen und Kompensationen sowie Behandlungskosten bei Arbeitsunfällen sind rechtskräftig und können vollstreckt werden, sofern die zu leistenden Zahlungen den lokalen Mindestlohn für 12 Monate nicht übersteigen. Gleiches gilt für Fälle zu Sozialversicherungszahlungen und Arbeitszeiten. (§ 47 AKGes) Doch selbst bei rechtskräftigen Schiedssprüchen und bei Urteilen der Volksgerichte scheitert die Rechtsdurchsetzung oft daran, dass Gerichte kaum Kapazitäten und Sanktionsmöglichkeiten haben, um die Arbeitgeberseite zur Umsetzung der Urteile zu zwingen. (Ho 2004: 175) Oftmals fehlt aber auch der Wille zur Rechtsdurchsetzung, da Lokalregierungen politischen Druck auf die Gerichte ausüben. Diese argumentieren, dass die Durchsetzung von Strafzahlungen bei bereits schwachen Unternehmen diesen noch mehr Ressourcen entziehen und sich negativ auf die übrigen Arbeitskräfte der Unternehmen und damit auf die lokale Wirtschafts- und Beschäftigungssituation auswirken würde. (Ho 2004: 175f.) Da die Gerichte in ihrer Finanzierung von den Lokalregierungen abhängig sind, stehen sie unter Druck, Lokalpatriotismus und ökonomische Interessen gegen die Rechte der einzelnen Beschäftigten abzuwägen. Vor diesem Hintergrund ist auch fraglich, ob Gerichte bei Klagen zu ausstehenden Löhnen die oben genannten neuen Möglichkeiten
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einer Vorwegvollstreckung umsetzen, wenn dadurch wichtige Unternehmen geschädigt würden. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass insbesondere in den prosperierenden Küstenregionen die Lokalregierungen zunehmend bereit sind, ineffizient arbeitende ExportUnternehmen Bankrott gehen zu lassen, um den angestrebten Strukturwandel hin zur Produktion höherwertiger Waren zu forcieren. (z.B. Yaghmaian 2010) Die Durchsetzung von Arbeitsstandards ist dafür ein willkommenes Mittel. Da die genannten Umsetzungsdefizite zudem auch für andere Rechtsbereiche existieren und die Legitimität des gesamten Rechtssystems unterminieren sowie die Wahrscheinlichkeit anderer Formen sozialen Protests erhöhen, hat der Oberste Gerichtshof Initiativen ergriffen, um den lokalen Protektionismus einzudämmen. Diese beinhalten die Verschiebung von Durchsetzungsklagen zu höheren Instanzen, die Schaffung gerichtsübergreifender Durchsetzungsnetzwerke und die Klarstellung von Kompetenzen und Zuständigkeiten von Finanzinstituten bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen (z.B. Einfrieren von Konten). Zunächst werden diese Reformen für Wirtschaftsfälle durchgesetzt; wann sie sich auch positiv auf die politisch brisanteren Arbeitsrechtsfälle niederschlagen werden, ist noch nicht absehbar. (Ho 2004: 176, 173) Zusammenfassung Das viergliedrige System zur Lösung von Arbeitskonflikten in China setzt vorrangig auf außergerichtliche Streitbeilegung. Mit dem 2008 in Kraft getretenen Arbeitskonfliktgesetz wurden die Effizienz des Systems gesteigert und die Rechte der Beschäftigten innerhalb der Verfahren gestärkt. Insbesondere durch die Verlängerung der Antragsfrist, die Abschaffung von Prozessgebühren, die Beschleunigung der Verfahrung und die Umkehr der Beweislast wurden Hürden abgebaut, die insbesondere informell Beschäftigten bislang den Zugang zu institutionalisierten Konfliktlösungsmechanismen erschwert hatten. Einige strukturelle Defizite bestehen allerdings weiter: Solange Schiedskommissionen und Gerichte der Einflussnahme von Wirtschaft und Politik unterliegen sowie finanziell und personell unzureichend ausgestattet sind, und solange die Arbeitnehmerinteressen durch die Zusammensetzung von Schiedskommissionen und mangelnde Möglichkeiten qualifizierten Rechtsbeistands unterrepräsentiert sind, wird das Vertrauen in die formellen Mechanismen der Rechtssprechung gering bleiben. Es ist daher zu erwarten, dass weiterhin nur ein kleiner – wenn auch wachsender – Teil der Betroffenen den Rechtsweg nutzt und Viele die Rechtsverletzungen entweder hinnehmen oder versuchen, mit informellen Strategien wie Protesten, Demonstrationen oder Arbeitsverzögerungen ihre Interessen durchzusetzen.
4.4.3 Die Rolle der Gewerkschaften Als benachteiligte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt mit schwacher Verhandlungsposition ist eine Interessenvertretung für informell Beschäftigte besonders wichtig, um die eigenen Rechte verteidigen zu können. Wie im vorigen Abschnitt dargestellt, werden die Interessen informell Beschäftigter weder von lokalen Behörden noch von privaten Akteuren (Anwält/innen) und Gerichten ausreichend vertreten. Das folgende Kapitel arbeitet heraus, dass auch die Unterstützung informell Beschäftigter durch Gewerkschaften unzureichend ist. Diese Tatsache ist Folge von drei Faktoren: Erstens ist das Gewerkschaftssystem allgemein schwach und gerade erst dabei, seine neue Rolle in der Marktwirtschaft zu finden.
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Zweitens sind bislang nur wenige informell Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert, da sie von den Gewerkschaften lange Zeit nicht als Klientel akzeptiert wurden oder sich durch diese nicht repräsentiert fühlen. Drittens werden eigene, unabhängige Gewerkschaften informell Beschäftigter nicht zugelassen. Rollenkonflikte im Gewerkschaftssystem Das novellierte Gewerkschaftsgesetz73 aus dem Jahr 2001 definiert die Rolle der chinesischen Gewerkschaften neu. (Heuer 2004: 4) Zwar bestätigt es das Monopol des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes als einzig legitimen Repräsentanten aller chinesischen Beschäftigten. Es räumt den Gewerkschaften aber erstmals die Möglichkeit ein, die Rechte und Interessen der Arbeitskräfte zu vertreten und erhebt diese Aufgabe zu deren Pflicht. (§§ 2, 6 Gewerkschaftsgesetz) Über allem stehen allerdings weiterhin das Prinzip der Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei sowie die zentrale Aufgabe der Förderung der Wirtschaftsentwicklung. (§ 4 Gewerkschaftsgesetz 2001) Hier wird ein Spezifikum des chinesischen Staatskorporatismus74 deutlich, der nach Gransow dadurch charakterisiert ist, dass „die politische Führung zwar gewillt ist, auf die neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten mit einer Neubestimmung von Funktion und Aufgaben der Gewerkschaften zu reagieren, jedoch zugleich sorgfältig darauf achtet, nicht mehr Kontrolle als irgend nötig aus der Hand zu geben.“ (Gransow 1997: 92) Dem Gewerkschaftsbund werden mehr Rechte eingeräumt, um der Entstehung autonomer Gewerkschaften und unkontrollierter Proteste entgegenzuwirken und die ökonomische Transformation zu unterstützen, an der staatlichen Gewerkschaftskontrolle wird aber nicht gerüttelt. Die neu verankerte Interessenvertretung der Arbeitskräfte ist kein eigenständiges Ziel, sondern dient als Instrument zur Wirtschaftsförderung und zur Stabilisierung der Reformpolitik. (vgl. Heuer 2004: 5) Die Funktion der Betriebsgewerkschaften wird weiterhin nicht in einer konfrontativen Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gesehen; ihnen kommt vielmehr eine Vermittlerrolle zwischen den Interessen der Unternehmensführung und der Belegschaft zu. Dieses Prinzip der „Förderung der Unternehmensentwicklung und der Verteidigung der Arbeitnehmerrechte“ (cujin qiye fazhan, weihu zhigong quanyi), das „zwei Ebenen des Rechtsschutzes vereint“ (jianchi liangge weihu xiang tongyi) wird vom Gewerkschaftsbund als der zentrale Unterschied zum Gewerkschaftsverständnis „kapitalistischer Länder“ gesehen. (vgl. China Labour Bulletin 2007: 37) Trotz sich ändernder Rahmenbedingungen fokussieren die Betriebsgewerkschaften daher ihre Rolle weiterhin auf ihre schon zu planwirtschaftlichen Zeiten durchgeführten Wohlfahrtsaufgaben 75 . Zudem sind sie laut Gewerkschaftsgesetz für die Vermittlung bei Arbeitskonflikten, die Überwa73
Quanguo Renmin Dahuitang (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo Gonghuifa (Gewerkschaftsgesetz der VR China), 1992, novelliert 2001. 74 Mit dem Konzept des Korporatismus werden politische und ökonomische Systeme gefasst, in denen ein Interessenausgleich zwischen verschiedenen Akteursgruppen nicht konfrontativ sondern durch Aushandlungsprozesse erreicht wird. Staatskorporatismus steht dabei für Systeme, in denen wenige, vom Staat eingesetzte und kontrollierte Verbände über ein Repräsentationsmonopol in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich verfügen. (Schmitter 1974) Zur China-bezogenen Korporatismus-Debatte siehe Howell 1999; Zhang Yunqiu 1997; Gransow 1997; Unger & Chan 1995; Lee 1991. 75 Gewerkschaften in Unternehmen kümmern sich um Kantinen, Kindergärten, Bibliotheken und Sportanlagen, organisieren Betriebsausflüge und Veranstaltungen, betreiben Hilfseinrichtungen für Arme und unterstützen diese finanziell. (vgl. Grassi 2008: 144)
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chung der Arbeitssicherheit und –gesundheit sowie die Organisation von Aus- und Weiterbildung für Beschäftigte zuständig. (vgl. Grassi 2008: 144; Ho 2004: 160) Die chinesischen Gewerkschaften bleiben somit in einem doppelten Rollenkonflikt gefangen, der die Repräsentation von Arbeitnehmerrechten erschwert: Erstens kann der Gewerkschaftsbund in seinem Selbstverständnis als „Transmissionsriemen“ zwischen Kommunistischer Partei und Arbeiterschaft keine Position vertreten, die der Regierungspolitik widerspricht. Es ist für die Gewerkschaften generell unmöglich, staatliche Beschäftigungsund Wirtschaftspolitiken mit negativen Effekten für Arbeitnehmer/innen zu hinterfragen oder gegen diese zu opponieren. (Feng Chen 2003: 1012) Gleichzeitig ermöglicht ihnen diese Position als Teil der Regierungsstruktur aber eine gewisse Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen. Gewerkschaften auf nationaler, Provinz-, Kreis- und Stadtebene können in begrenztem Umfang und mit wechselndem Erfolg bei starken Rechtsverletzungen Druck auf die Unternehmen in ihrem Verwaltungsbezirk ausüben, um Lösungen zu Gunsten der Arbeitnehmer/innen zu erreichen. Dass diese Interventionen von den Unternehmen nicht vollständig ignoriert werden können, ist dabei weniger auf die Macht der Gewerkschaft als organisierte Arbeiterrepräsentation zurückzuführen, als vielmehr auf ihre Stellung als staatliche Organisation mit Weisungsbefugnissen. (Feng Chen 2003: 1016; Feng Chen 2004: 43) Den eigentlich dafür zuständigen Gewerkschaften auf Unternehmensebene gelingt eine Intervention dagegen in der Regel nicht, was Folge des zweiten Rollenkonfliktes der Gewerkschaften ist. Obwohl Betriebsgewerkschaften offiziell Teil des Gewerkschaftsbundes sind, sind sie organisatorisch dem Unternehmensmanagement untergeordnet und von dessen Finanzierung abhängig. Oftmals existiert zudem eine enge personelle Verquickung zwischen Gewerkschafts- und Unternehmensführung. Nicht selten werden hochrangige Manager/innen als Gewerkschaftsfunktionäre eingesetzt, wodurch eine Interessenkollision unvermeidlich ist. Diese Praxis wurde auch im novellierten Gewerkschaftsgesetz von 2001 nicht unterbunden. (vgl. Cooney 2007: 681) Betriebsgewerkschaften stehen somit eher auf der Arbeitgeberseite und können maximal eine Vermittlerrolle zwischen Unternehmen und Belegschaft einnehmen, nicht jedoch als unabhängige Interessenvertretung der Arbeitskräfte agieren. Es verwundert daher nicht, dass nur ein geringer Teil der Beschäftigten die eigentliche Funktion einer Gewerkschaft überhaupt benennen kann76. Mit ihrer zweifachen Doppelrolle als Teil des Regierungssystems und als Teil des Unternehmensmanagements repräsentieren Gewerkschaften somit eher den Staat und die Unternehmen als die Beschäftigten. Mit Fortschreiten der marktwirtschaftlichen Reformen geraten die Gewerkschaften damit immer stärker in Loyalitätskonflikte, da neben den „klassischen“ Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Divergenzen auch die Interessenkonflikte zwischen Regierung und Beschäftigten (z.B. durch unpopuläre Arbeitsmarktreformen) sowie zwischen Regierung und Unternehmen (z.B. durch Privatisierung) zunehmen. Selbst die neuen Prioritätensetzungen der letzten Jahre, die vom Gewerkschaftsbund als Modernisierung und Neuausrichtung dargestellt werden, spiegeln dessen Abhängigkeiten unvermindert wider. So wird seit einiger Zeit versucht, Arbeitsmigrant/innen sowie 76
Bei einer Umfrage in Privatunternehmen zu diesem Thema gaben 54 Prozent der Beschäftigten an, Gewerkschaften seien nur für die Organisation kultureller Veranstaltungen verantwortlich und weitere 23 Prozent gingen davon aus, dass Gewerkschaften für die Unterstützung der Produktion im Unternehmen zuständig seien. Lediglich 8 Prozent der Beschäftigten gaben an, dass die Aufgabe der Gewerkschaften die Vertretung ihrer Interessen sei. (zit. nach Geffken 2006: 94)
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Privatunternehmen in die Gewerkschaftsarbeit zu integrieren – zwei Bereiche, die für die gewerkschaftliche Interessenvertretung informell Beschäftigter besonders relevant sind. Zum ersten verdeutlichen die Bestrebungen zur Aufnahme von Migrant/innen einmal mehr die passive Rolle des Gewerkschaftsbundes und dessen fehlende Kapazitäten zu einer eigenständigen Prioritätensetzung. Die Integration von Migrant/innen basiert nicht auf der Eigeninitiative der Gewerkschaften, eine besonders benachteiligte Gruppe von Beschäftigten stärker zu vertreten, sondern folgt der Linie der Partei und deren Bemühungen um mehr soziale Ausgewogenheit und „gesellschaftliche Harmonie“: „The various labour-rights initiatives undertaken by the ACFTU77 during 2005-2006 all tightly adhered to the government’s economic and social policies and were based on the latter’s needs and commands. […] After the central government issued policies to safeguard the rights and interests of impoverished sectors of society and protect the rights of migrant workers, the ACFTU’s unions shifted the focus of their work to establishing impoverished worker relief centers, doing more for migrant workers, morale-boosting activities and so on. […] The conductor’s baton remains in the hands of the Party and the government. The ACFTU merely plays a passive role, dancing to their tune.” (China Labour Bulletin 2007: 49)
Zum zweiten zeigt sich bei den Aktivitäten zu einer stärkeren Unionisierung von Privatunternehmen, dass sich die Gewerkschaften auch dort unter der Kontrolle des Unternehmensmanagements befinden. Zwar ist es dem Gewerkschaftsbund gelungen, seit 2004 zahlreiche Betriebsgewerkschaften in Privatunternehmen zu etablieren – zum Teil auch gegen ursprüngliche Widerstände der Unternehmensführungen. Auch in der Privatwirtschaft begnügen sich die Gewerkschaften jedoch mit einer vermittelnden und unterstützenden Rolle. Die als großer Sieg des Gewerkschaftsbundes gefeierte Einrichtung von Betriebsgewerkschaften in 62 Wal-Mart-Filialen gegen den zunächst erbitterten Widerstand der internationalen Konzernleitung78 ist symbolisch dafür: Die Rahmenvereinbarung zwischen Allchinesischem Gewerkschaftsbund und dem Vizepräsidenten von Wal-Mart China beinhaltet die Regelung, dass „die Gewerkschaft in jeder Wal-Mart-Filiale die Geschäftsverwaltung bei der Ausübung ihrer operationalen und Management-Rechte unterstützt, die Arbeitnehmer zur Ausübung ihrer Arbeitspflichten motiviert und organisiert und auf gleichberechtigter Basis mit der Geschäftsverwaltung kooperiert, um sich für eine harmonische Geschäftsentwicklung gegenseitig zu unterstützen und zusammenzuarbeiten.“ (Xinhuanet 2006; vgl. auch China Labour Bulletin 2007: 47) Es gibt in den letzten Jahren Bemühungen des Gewerkschaftsbundes, zumindest die Verquickung mit Unternehmensinteressen abzubauen und in die im überarbeiteten Gewerkschaftsgesetz vorgesehen Rolle als Arbeitnehmervertretung hineinzuwachsen. Bislang gelingt dies ansatzweise nur dem Dachverband auf nationaler Ebene, der sich bei der Ausarbeitung von Arbeitsvertrags-, Arbeitskonflikt- und Beschäftigungsförderungsgesetz als starke Arbeitnehmerlobby profiliert hat. Hier werden Tendenzen hin zu einer trilateralen korporatistischen Struktur in den Arbeitsbeziehungen sichtbar. Auf Ebene der Betriebsgewerkschaften geht dieser Wandlungsprozess jedoch sehr zögerlich vonstatten, wenngleich 77
ACFTU = All China Federation of Trade Unions (Allchinesischer Gewerkschaftsbund). Wal-Mart musste im Sommer 2006 auf Drängen von Parteichef Hu Jintao und des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes erstmals in seiner weltweiten Firmengeschichte Gewerkschaften in seinen Filialen zulassen. Dies wurde vom Gewerkschaftsbund als großer Durchbruch für eine gewerkschaftliche Durchdringung multinationaler Konzerne gefeiert und weithin publiziert. (vgl. z.B. Grassi 2008: 150) 78
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es erste lokale Initiativen in diese Richtung gibt79. Eine Entkoppelung von Parteiinteressen und die Profilierung als unabhängige Arbeitnehmerrepräsentation sind dagegen nicht vorgesehen. Schwächen in der gewerkschaftlichen Vertretung informell Beschäftigter Die im vorigen Absatz diskutierten Schwierigkeiten in der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch das Gewerkschaftssystem potenzieren sich in Bezug auf informell Beschäftigte nochmals. Erstens handelt es sich um eine neue Beschäftigtengruppe, mit der die Gewerkschaften bislang wenig Erfahrungen haben und die vom Gewerkschaftsbund erst langsam entdeckt wird. Zweitens haben informell Beschäftigte eine besonders schwache Position im Unternehmen, was das Einstehen für deren Rechte erschwert. Drittens existieren etwa bei Leiharbeitskräften, Kontraktarbeiter/innen und Selbstbeschäftigten keine klassischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, bei denen Gewerkschaften ansetzen könnten. Viertens haben informell Beschäftigte selbst teilweise kein Interesse an einer Gewerkschaftsmitgliedschaft, da sie unter hohem finanziellen und Leistungsdruck stehen oder den Gewerkschaften nicht vertrauen. Informell Beschäftigte wurden von den Gewerkschaften lange Zeit nicht als reguläre Arbeitskräfte anerkannt und nicht vertreten. Im Gegenteil wirkten die Betriebsgewerkschaften bei Personalkürzungen oftmals auf die prioritäre Entlassung von Kontraktarbeitskräften und Migrant/innen hin, um Festangestellte zu schützen. (vgl. Yu Mi, Xu Xiaohong & Apo Leong 2006: 4) Erst seit 2003 gibt es Initiativen, auch informell Beschäftigte unter gewerkschaftlichen Schutz zu stellen. Insbesondere Migrant/innen sollen seither als Mitglieder rekrutiert werden. Der Weg dazu wurde in einer im August 2003 beschlossenen Satzungsänderung des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes frei gemacht. Migrant/innen haben seither unabhängig von ihrer Haushaltsregistrierung und ihrer Arbeitserfahrung das Recht auf die Mitgliedschaft in Gewerkschaften. Es ist verboten, ihren Gewerkschaftsbeitritt zu behindern. (vgl. Xinhua News Agency 2003) Die Provinzgewerkschaften der Entsenderegionen bemühen sich inzwischen, die ländlichen Arbeitskräfte bereits in ihren Heimatdörfern zu „Dorfgewerkschaften“ (cun gonghui) zu organisieren. Diese sollen zu den Gewerkschaften an den Migrations-Zielorten Kontakt aufnehmen, wozu auch Verbindungsbüros zwischen den einzelnen Orten eingerichtet werden. (vgl. Grassi 2008: 153; Froissart 2005: 37) Am Arbeitsplatz der Migrant/innen sollen so genannte „Programmgewerkschaften“ (xiangmu gonghui) etabliert werden, die beispielsweise für die Eröffnung eines Lohnkontos durch die Arbeitgeberseite sorgen. (Grassi 2008: 153) Um die Unionisierung der Migrant/innen voranzutreiben, wurden einerseits Informationskampagnen in den Medien gestartet (vgl. Froissart 2005: 32) und andererseits Unter79
So hat Shenzhen im August 2008 fortschrittliche Implementierungsbestimmungen zum Gewerkschaftsgesetz erlassen, die selbst von der kritischen China Labour Bulletin aus Hongkong als „crucial turning point in the history of China’s trade union movement“ bezeichnet werden. (China Labour Bulletin 2008b) Das entsprechende Kapitel zu den Rechten und Pflichten von Gewerkschaften in den Implementierungsbestimmungen enthält keine Referenzen zu den traditionellen, im Gewerkschaftsgesetz festgelegten Aufgaben der Wirtschafts- und Unternehmensförderung. Stattdessen wird festgeschrieben, dass die Rolle der Gewerkschaften in Arbeitskonflikten in der Repräsentation der Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Management bestehe. Zudem bestimmt Artikel 36 der Implementierungsbestimmungen erstmals, dass die Funktionär/innen von Betriebsgewerkschaften eine monatliche Unterstützung durch den städtischen Gewerkschaftsbund erhalten sollen. Dies soll die finanzielle Abhängigkeit der Gewerkschaftsvertreter/innen von den Unternehmen verringern. (vgl. China Labour Bulletin 2008b)
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nehmen unter Druck gesetzt, Gewerkschaften für Migrant/innen einzurichten. So mussten in Beijing sämtliche Bauunternehmen, die seit über einem Jahr existierten, bis Juni 2004 Gewerkschaften etablieren (Xinhua News Agency 2003), und in einigen Städten wurde die Vergabe von Baulizenzen oder die Zulassung zu öffentlichen Projektausschreibungen an die Existenz einer Betriebsgewerkschaft gekoppelt (Grassi 2008: 153f.). Das Interesse von Migrant/innen an einer Gewerkschaftsmitgliedschaft war jedoch aufgrund von Misstrauen und mangelndem Glauben an die Fähigkeiten der offiziellen Gewerkschaften, ihre Rechte wirksam zu vertreten, vielerorts zunächst gering80. Dennoch gelang es dem Gewerkschaftsbund, bis Ende 2009 80 Millionen Migrant/innen für eine Mitgliedschaft zu gewinnen, also ein reichliches Drittel der 230 Millionen Arbeitsmigrant/innen in China (Information Office of the State Council 2010a). Vergleichbare Aktivitäten zur gewerkschaftlichen Organisation informeller städtischer Arbeitskräfte sind nicht bekannt. Zwar eröffnet das Arbeitsvertragsgesetz erstmals die Möglichkeit, auch in Zeitarbeitsfirmen Gewerkschaften einzurichten. Von verstärkten Gewerkschaftsaktivitäten in dieser Branche wird aber bislang nicht berichtet. In einigen Städten bemüht sich der Gewerkschaftsbund, auch Selbstbeschäftigte und Beschäftigte in Kommunaldienstleistungen als Mitglieder zu werben. Diese Aktivitäten sind derzeit aber lokal begrenzt und haben eine geringe Reichweite. So gibt es in Shanghai Bestrebungen, Selbstbeschäftigte mit so genannten informellen Beschäftigungsorganisationen (feizhenggui jiuye zuzhi) in den Gewerkschaftsbund zu integrieren, die aber bislang mangels Interesse von Seiten der Arbeitskräfte nur zögerlich vorangehen. Außerdem wurden sieben kleine Branchengewerkschaften für Personen in gemeinnützigen Tätigkeiten gegründet, etwa für Verkehrshelfer/innen, Flussreiniger/innen und Grünflächenpfleger/innen. Diese Gewerkschaften sind unter dem Dach des Gewerkschaftsbundes organisiert und hatten im Frühjahr 2006 etwa 1.700 Mitglieder. (Interview Gewerkschaftsbund Shanghai, 10.3.2006) Gemessen an den insgesamt 5 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern in Shanghai machen sie aber nur einen sehr geringen Teil aus, der in keinem Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbeschäftigung steht. Wo Gewerkschaften informell Beschäftigte als Mitglieder aufnehmen, bestehen dieselben strukturellen Probleme wie im vorigen Abschnitt angesprochen: Die Betriebsgewerkschaften agieren weniger als Interessenvertreter der informellen Arbeitskräfte gegenüber dem Unternehmensmanagement, sondern fungieren als Mediatoren und Wohlfahrtsorganisationen innerhalb der Unternehmen. Die Regionalgewerkschaften beschränken ihr Engagement auf die Mitwirkung an der aktiven Arbeitsmarktpolitik der Regierung, indem sie Weiterbildungen, Mikrokredite und Arbeitsvermittlung anbieten (vgl. Kapitel 6), oder unterhalten Beratungsbüros und Telefon-Hotlines, um (informell) Beschäftigte mit den Grundzügen des Arbeitsrechts bekannt zu machen. (z.B. Interview Gewerkschaftsbund Nanjing, 22.2.2006) Dass zumindest mittelfristig nicht geplant ist, diese traditionelle Rolle zu verlassen, haben erst die Implementierungsvorgaben des Allchinesischen Gewerk-
80 Feldstudien von Froissart in Sichuan (2004) zufolge gab es bei den Versuchen, Dorfgewerkschaften zu etablieren, kaum Interesse unter den ländlichen Arbeitskräften. Ein hoher Kader der Provinzgewerkschaft Sichuan erklärte das vor allem mit negativen Erfahrungen mit staatlichen Organisationen und dem Misstrauen der Dorfbewohner/innen: „[W]hen officials went to the villages to introduce the union to migrants and recruit members, peasants thought they wanted to kidnap them and sell them in Xinjiang!“ (Froissart 2005: 61) Auch der Versuch, ein Gewerkschaftsbüro im Migranten-Arbeitsmarkt der Stadt Chengdu zu eröffnen, scheiterte an mangelndem Interesse und wurde einen Monat nach seiner Initiierung abgebrochen. (Froissart 2005: 61)
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schaftsbundes zu den „Vorschlägen zur Lösung einiger Probleme von ländlichen Arbeitsmigranten“ des Staatsrats im März 2006 erneut deutlich gemacht81. Alternative: eigene Interessenvertretungen informell Beschäftigter? Trotz der Unfähigkeit des Gewerkschaftssystems, die Rechte der Beschäftigten wirksam zu vertreten und deren Arbeitssituation zu verbessern, bleiben unabhängige Gewerkschaften weiterhin verboten. Lediglich wohltätige Organisationen zur Unterstützung informell Beschäftigter werden bei offizieller Registrierung akzeptiert, eigenständige gewerkschaftliche Zusammenschlüsse werden dagegen nicht toleriert. Die Kommunistische Partei ist nicht bereit, die Kontrolle über das sensible Feld der Arbeitsbeziehungen und das damit verbundene große Konfliktpotential aufzugeben und hat die Bildung freier Gewerkschaften konsequent verhindert und verfolgt. Insbesondere durch die wichtige Rolle autonomer Gewerkschaften bei den Demonstrationen von 1989 und die Verknüpfung gewerkschaftlicher Organisation mit politischen Forderungen werden diese von der Kommunistischen Partei als stabilitätsgefährdend eingeschätzt und in den Untergrund gedrängt. (z.B. Howell 2000) Auch der Gewerkschaftsbund selbst wendet sich immer wieder mit deutlichen Worten gegen unabhängige Gewerkschaftsorganisationen, die dem „Konzept der Verteidigung von Arbeitsrechten in einem Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ (Zhongguo tese shehuizhuyi de weiquan guan) widersprächen. So betonte der Vorsitzende des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes, Wang Zhaoguo, in einer Rede vor dem Exekutivkomitee der Gewerkschaft am 8.12.2006, die Gewerkschaft müsse sich in Acht nehmen vor so genannten „Arbeitsrechtsgruppen“ (zhigong weiquan zuzhi) und von der Parteigewerkschaft unabhängigen „feindlichen Kräften“, welche die Ränge der chinesischen Arbeiter/innen und Gewerkschaften im Namen der Interessenvertretung „infiltrieren und trennen“ würden. (zit. nach China Labour Bulletin 2008a: 37) Unabhängige gewerkschaftliche Organisationsversuche informell Beschäftigter wurden in der Vergangenheit immer wieder unterbunden. So gibt es seit Mitte der 1990er Jahre wiederholt Bemühungen von Taxifahrer/innen, eine eigene Gewerkschaft zu gründen. Als de facto Selbstbeschäftigte bzw. Kontraktarbeitskräfte hat der Gewerkschaftsbund die Aufnahme dieser Beschäftigtengruppe in Gewerkschaften lange Zeit abgelehnt. Die Fahrer/innen sind bei den zumeist staatlichen Taxigesellschaften angestellt, wirtschaften aber auf eigene Rechnung und müssen eine hohe monatliche Gebühr für die Nutzung der Taxis abführen. (C.B. 2003a: 1074) Als Pekinger Taxifahrer/innen 1998 eine unabhängige Gewerkschaft gründeten, wurde diese vom lokalen Gewerkschaftsbund mit dem Argument abgelehnt, dass eine solche Organisation von übergeordneter Stelle eingesetzt werden müsse und nicht von der Basisebene ausgehen könne. (Feng Chen 2003: 1023; Washington 81 Guowuyuan (Staatsrat): Guanyu jiejue nongmingong wenti de ruogan yijian (Vorschläge zur Lösung einiger Probleme von ländlichen Arbeitsmigranten), Guofa [2006] 5 hao, 21.1.2006. Als zentrale Pflichten und Aufgaben zur Unterstützung von Migrant/innen innerhalb der nächsten Jahre benennt der Gewerkschaftsbund in seiner Implementierungsvorschrift zu dieser Richtlinie: (1) die gewerkschaftliche Organisation von Migrant/innen, (2) die Einbeziehung von Migrant/innen in Kollektivverträge, (3) die Einbeziehung von Migrant/innen in Berufs- und technisches Training, (4) die Öffnung gewerkschaftlicher Beschäftigungsbüros für Migrant/innen zur Arbeitsvermittlung, (5) die Öffnung von Arbeiter-Kulturclubs und anderen derartigen Organisationen für Migrant/innen und das Anbieten von Bücherecken, Film- und Kunstprogrammen, (6) Rechtsberatung für Migrant/innen, (7) die Durchführung Moral-fördernder Aktivitäten für Migrant/innen, insbesondere vor dem Chinesischen Neujahr, (8) die Unterstützung des Schulbesuchs von deren Kindern sowie (9) Unterstützungsprogramme für Migrant/innen zur Rückkehr in die Heimatdörfer zum Chinesischen Neujahr. (zit. nach China Labour Bulletin 2007: 40)
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Post 7.2.2005) Die Organisation wurde als illegal eingestuft und aufgelöst. Stattdessen wurde eine offizielle Gewerkschaft vom Unternehmensmanagement eingerichtet, die von den Taxifahrer/innen als „Machtnetzwerk“ von Unternehmens-, Lokalregierungs- und Gewerkschaftskadern bezeichnet wird, das gegen die Interessen der Beschäftigten arbeite. (Washington Post 7.2.2005) Auch die wiederholten Versuche von Migrant/innen zur Gründung unabhängiger Interessenvertretungen in den vom Gewerkschaftsbund nicht abgedeckten Privatunternehmen wurden immer wieder niedergeschlagen. (z.B. Feng Chen 2003: 1023f.) Akzeptiert werden nur Organisationen, die unterhalb des Gewerkschaftsniveaus bleiben, also keine Tarifmacht beanspruchen. Dazu zählen etwa landsmannschaftliche Vereinigungen von Migrant/innen oder Nichtregierungsorganisationen, die deren Rechte vertreten. Solche Organisationen sind in Grenzen sogar staatlich gewünscht, um die Unzufriedenheit in geregelte Bahnen zu lenken und kontrollierbar zu machen. Sie bieten in der Regel preiswerte oder kostenlose Rechtsberatung an oder unterstützen Beschäftigte bei der Austragung von Arbeitskonflikten. (vgl. Kapitel 4.4.2) Um legal operieren zu können, müssen solche Interessenvertretungen allerdings beim Ministerium für Zivilverwaltung (minzhengbu) als Nichtregierungsorganisationen registriert sein, wofür paradoxer Weise die Unterstützung eines staatlichen Organs notwendig ist82. Nur wenige Interessenvertretungen erhalten daher eine offizielle Akkreditierung und diejenigen, denen dies gelingt, können nicht als wirklich regierungsunabhängig eingestuft werden. (Froissart 2005: 38f.) Dies gilt aufgrund ihres politisch sensiblen Status insbesondere für Nichtregierungsorganisationen, die von Migrant/innen zur Durchsetzung ihrer Arbeitsrechte gegründet werden: „However, as NGOs run by migrant workers are politically very sensitive and are even more likely than other organisations to be banned at any time, they often have no choice but to agree to some kind of collaboration with the state. […] The deal is the following: relative security is granted to these organisations as long as they accept to side with the government.” (Froissart 2005: 40)
Solche Arbeitsrechtsorganisationen können somit zwar einen Teil der Lücke schließen, die von den offiziellen Gewerkschaften aus Mangel an Ressourcen oder Unterstützungswillen gelassen wird. In ihrer Lobbyarbeit für die Rechte informell Beschäftigter können sie aber nicht aus dem von der Kommunistischen Partei gesetzten Rahmen ausbrechen, da sie sonst ihre Akkreditierung verlieren würden. Damit festigen sie letztlich den status quo, indem sie soziale Konflikte verringern helfen und politisch gewünschte Reformen vorantreiben. (Froissart 2005: 40) Vor allem aber ist es ihnen nur nachträglich möglich, auf Rechtsverletzungen informell Beschäftigter zu reagieren. Mit ihrer fehlenden Anerkennung als Tarifpartner sind sie kein Substitut für eine starke gewerkschaftliche Interessenvertretung, da sie nicht in direkte Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite treten können, um bessere Arbeitsbedingungen und den Schutz von Arbeitnehmerrechten durchzusetzen. Dass die Regierung künftig mehr Akzeptanz gegenüber individuellen Interessenvertretungen zeigen könnte, erscheint seit den intensiven Arbeitsniederlegungen in südchinesischen Unternehmen im Sommer 2010 möglich, in deren Rahmen erstmals eine unabhängige Streikgewerkschaft von Honda-Arbeiter/innen toleriert wurde. (z.B. Yaghmaian 2010) 82
Guowuyuan (Staatsrat): Minban feiqiye danwei dengji guanli zanxing tiaoli (Vorläufige Regulierung für Registrierung und Verwaltung privater nichtkommerzieller Arbeitseinheiten), 1998.
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Zwar wurden kurz darauf scharfe Restriktionen für lokale Medien zur Berichterstattung über die Unruhen verhängt und Streik-Webseiten von der Regierung geschlossen. (New York Times Online, 16.8.2010) Es ist aber zu erwarten, dass die Regierung künftig Bemühungen um Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen stärker unterstützen wird, um den gewünschten Strukturwandel hin zu innovativer High-Tech-Produktion zu forcieren. Solange es jedoch keine rechtliche Grundlage für Streiks und freie Gewerkschaften gibt, bleiben Arbeiterinitiativen eine Gratwanderung und können jederzeit wieder unterdrückt werden, sollten sie die soziale Ordnung zu stark gefährden. Zusammenfassung Trotz der im novellierten Gewerkschaftsgesetz 2001 vorgenommenen Neudefinition ihrer Rolle als Interessenvertretung der Arbeitskräfte bleibt die Durchsetzungskraft chinesischer Gewerkschaften begrenzt. Durch ihre weiter bestehende Verflechtung mit dem Parteiapparat einerseits und dem Betriebsmanagement andererseits repräsentieren Gewerkschaften in China eher den Staat und die Unternehmen als die Beschäftigten. Um sich den Veränderungen des Arbeitsmarktes anzupassen und damit ihren Weiterbestand zu sichern, hat der Gewerkschaftsbund in den letzten Jahren die Unterstützung informell Beschäftigter als neues Aufgabenfeld erschlossen. Seit 2003 bemühen sich die Gewerkschaften insbesondere um die Aufnahme von Migrant/innen und eine forcierte Unionisierung in der Privatwirtschaft. Die Betriebsgewerkschaften beschränken ihre Rolle trotz eklatanter Arbeitsrechtsverletzungen gegenüber informell Beschäftigten aber auch hier auf karitative und vermittelnde Tätigkeiten und werden bei offensichtlichen Rechtsbrüchen höchstens nachträglich aktiv. Eine Interessenvertretung von Selbstbeschäftigten scheitert bislang an geringen Ansatzmöglichkeiten für die offiziellen Gewerkschaften aufgrund unklarer bzw. fehlender Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen und an mangelndem Interesse und Vertrauen der Beschäftigtengruppe in die Staatsgewerkschaften. Eigenständige Interessenvertretungen informell Beschäftigter werden nur zugelassen, wenn sie als zivilgesellschaftliche Organisationen registriert sind und zu einem gewissen Maß mit Regierungsstellen kooperieren. Unabhängige Gewerkschaften sind weiterhin illegal. Der ideelle Wert der in den letzten Jahren forcierten gewerkschaftlichen Unterstützung insbesondere für Migrant/innen und die damit verbundene offizielle Anerkennung dieser Beschäftigtengruppe als regulärer Teil der Arbeitnehmerschaft ist keinesfalls zu unterschätzen. Die karitativen Angebote sind aber kein Ersatz für ein wirksames und offensives Eintreten für Arbeitnehmerrechte gegenüber dem Unternehmensmanagement, mit dem bessere Arbeitsbedingungen ausgehandelt und Rechtsverletzungen von vornherein unterbunden werden. Für die Durchsetzung der in den neuen Arbeitsgesetzen zugesicherten Rechte für informell Beschäftigte bleiben die Gewerkschaften damit schwache Partner.
4.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Umfangreicher Rechtsschutz – mangelnde Durchsetzung Die Verabschiedung von Arbeitsvertrags-, Beschäftigungsförderungs- und Arbeitskonfliktgesetz 2007 verdeutlicht die Bestrebungen der chinesischen Staats- und Parteiführung, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Flexibilität für Unternehmen und Sicherheit für die Beschäftigten wieder stärker in Balance zu bringen. Sie sollen auch dazu beitragen, durch
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besseren Zugang zu institutionalisierten Konfliktlösungsmechanismen Protestaktionen einzudämmen. In diesem Kapitel werden die Auswirkungen der arbeitsrechtlichen Reformen auf die informelle Ökonomie anhand der in Teil 2.2.1 entwickelten Analyseparameter zusammenfassend analysiert. Dabei werden im Einzelnen untersucht: (1) die nominelle und die tatsächliche Reichweite der neuen Arbeitsgesetze, (2) deren Zielgruppenorientierung innerhalb der informellen Ökonomie, (3) die politische und (4) die finanzielle Nachhaltigkeit der rechtlichen Reformen, (5) die Kooperation der involvierten Akteure von Staat, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie (6) die Kohärenz der Modernisierung des Arbeitsrechts in sich und mit übergeordneten politischen Zielen sowie mit der decent workAgenda. Reichweite Chinas Arbeitsgesetze sind inklusiv formuliert und folgen damit aktuellen internationalen Standards. Sie gelten für alle Lohnarbeitskräfte unabhängig von deren Beschäftigungsstatus und haben damit de jure eine sehr große Reichweite auch innerhalb der informellen Ökonomie. Diese wurde durch spezifische Regelungen zu Leiharbeit und besonderen Problemen informell Beschäftigter im Arbeitsvertragsgesetz weiter erhöht. Zudem haben die AntiDiskriminierungsklauseln im Beschäftigungsförderungsgesetz sowie die Reformen des hukou-Systems in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass das Arbeitsrecht auch für migrantische Arbeitskräfte Gültigkeit besitzt. Explizit ausgeschlossen bleiben Selbstbeschäftigte – und damit etwa ein Drittel der informell Beschäftigten –, selbst wenn diese in quasi-abhängigen Arbeitsverhältnissen tätig sind, etwa im Fall von Haushaltshilfen oder Kontraktarbeiter/innen. Mit einer theoretischen Reichweite von etwa zwei Dritteln aller informell Beschäftigten ist der Wirkungsradius der neuen Arbeitsgesetzgebung um ein Vielfaches höher als derjenige in den Regulierungsbereichen Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik, die in den Kapiteln 5 und 6 untersucht werden. Eingeschränkt wird die Reichweite jedoch dadurch, dass einzelne informelle Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit und Subcontracting auch in den neuen Gesetzen unterreguliert bleiben und damit rechtliche Unsicherheiten für die betroffenen Arbeitskräfte weiter bestehen. Die arbeitsrechtlichen Neuerungen gelten zwar für Männer und Frauen gleichermaßen, und im Beschäftigungsförderungsgesetz wurde die Diskriminierung gegenüber weiblichen Arbeitskräften erneut verboten. Dennoch werden Frauen bei den Reformen tendenziell benachteiligt: Zum einen stellt Teilzeitarbeit insbesondere für Frauen eine wichtige Beschäftigungsform dar, die im Arbeitsvertragsgesetz weiter dereguliert und prekarisiert wurde. Zum anderen machen Haushaltshilfen einen großen Teil der informell beschäftigten Frauen aus. Der Ausschluss dieser quasi-abhängigen Beschäftigungsform aus dem Geltungsrahmen des Arbeitsvertragsgesetzes benachteiligt damit vorrangig weibliche Arbeitskräfte in der informellen Ökonomie. Mit der Verabschiedung des Arbeitskonfliktgesetzes und der Integration von Migrant/innen in die Gewerkschaftsarbeit wurden wichtige Schritte unternommen, um die bislang geringe de facto-Reichweite arbeitsrechtlicher Vorschriften zu erhöhen. Einige systemimmanente Hürden gehen allerdings über den Einflussbereich der Arbeitsgesetzgebung hinaus und können durch rein rechtliche Reformen nicht beseitigt werden. Vor allem die systembedingten Möglichkeiten der Einflussnahme von Wirtschaft und Politik auf Arbeitsinspektionen, Gewerkschaften, Schiedskommissionen und Gerichte erschweren
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die Rechtsdurchsetzung weiterhin. Diese strukturellen Hindernisse werden weiter bestehen, solange erstens die Kommunistische Partei nicht bereit ist, ihre Kontrolle über Gerichtsbarkeit und Gewerkschaften aufzugeben und zweitens die Aufstiegschancen von Lokalkadern weiterhin primär von der regionalen Wirtschaftsleistung und weniger von sozialen Komponenten abhängen, was die Lokalregierungen zu Unterstützern der Arbeitgeberseite macht. Wenngleich es noch zu früh ist, die Auswirkungen der neuen Arbeitsgesetzgebung auf die Verbreitung von Rechtssicherheit umfassend abschätzen zu können, werden erste positive Tendenzen sichtbar. Ein Indikator dafür ist die steigende Verbreitung schriftlicher Arbeitsverträge. Angaben des Staatsrats zufolge haben zahlreiche Unternehmen nach Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes im Januar 2008 schriftliche Verträge mit ihren Beschäftigten abgeschlossen, wodurch der Anteil der Arbeitskräfte mit Arbeitsverträgen bis Ende 2009 auf 96,4 Prozent deutlich angestiegen sei83. (Information Office of the State Council 2010a) Dass diese Berechnung des Staatsrats deutlich zu optimistisch ist, belegt ein Bericht des Staatlichen Statistikamtes zur Beschäftigungssituation ländlicher Migrant/innen. Demzufolge verfügten im Jahr 2009 weniger als 43 Prozent der Arbeitsmigrant/innen über schriftliche Arbeitsverträge; in der Baubranche waren es sogar nur 26 Prozent. (Guojia Tongjiju Nongcunsi 2010) Auch eine Studie der Chinese Academy of Social Sciences kommt zu dem Schluss, dass die prozentuale Verbreitung von Arbeitsverträgen geringer angenommen werden muss als offiziell angegeben, verweist aber auf eine insgesamt positive Tendenz seit Einführung der neuen Gesetze. (vgl. China.org.cn 16.12.2008) Ein zweiter Indikator dafür, dass die jüngsten Reformen des Arbeitsrechts dessen Reichweite vergrößert haben, ist die deutliche Erhöhung der vor Schiedskomitees und Gerichten ausgetragenen Arbeitskonflikte. Allein die Anzahl von Schiedsfällen hat sich 2008 China-weit verdoppelt, im Perlflussdelta sogar verdreifacht. Die Mehrzahl der Fälle beschäftigte sich dabei mit Löhnen, Kompensationen für Arbeitsunfälle und Sozialversicherungszahlungen – also mit typischen Problemen informell Beschäftigter. (vgl. Kapitel 4.4) Ob sich damit in gleichem Maße die Zahl der tatsächlich durchgesetzten Gerichtsurteile erhöht hat, ist allerdings nicht bekannt. Zielgruppenorientierung Die Neuregelung des Arbeitsrechts in den letzten Jahren ist von hoher Relevanz für informelle Lohnarbeitskräfte. Sie verbessern deren Rechtssicherheit deutlich: Erstens wird die Legalität informeller Beschäftigungsformen in Arbeitsvertrags- und Beschäftigungsförderungsgesetz erstmals auf Gesetzesebene festgeschrieben. Informelle Arbeitskräfte (einschließlich Migrant/innen) werden damit als gleichberechtigter Teil der Arbeitnehmerschaft anerkannt, was ihren Status aufwertet und einen großen Zugewinn an Legitimität bedeutet. Dies kann als Trendwende in der chinesischen Arbeitsgesetzgebung bezeichnet werden. Zweitens wurden verbindliche und national einheitliche Regelungen getroffen, die den häufigsten Rechtsverletzungen entgegenwirken sollen, mit denen informell Beschäftigte in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert sind. Dazu gehören vor allem (1) Strafen für das Vorenthalten von Löhnen und das Einbehalten von Dokumenten oder Kautionszahlungen, (2) die Durchsetzung schriftlicher Arbeitsverträge und die Erhöhung des Kündigungsschutzes, (3)
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Gezählt wurden Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 5 Millionen CNY; Kleinstunternehmen wurden also nicht betrachtet.
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die Festlegung von Mindestlöhnen auf Stundenbasis sowie (4) die Festschreibung der Verantwortlichkeiten von Zeitarbeitsfirmen. Drittens wurden die Mechanismen der Rechtsdurchsetzung besser an die Situation der informell Beschäftigten angepasst. Insbesondere die neuen Regeln zu verlängerten Antragsfristen, kostenloser Prozessführung, beschleunigten Verfahren und umgekehrter Beweislast sowie die neu entstandenen Angebote der Rechtsberatung durch Gewerkschaften, Arbeitsbehörden und Nichtregierungsorganisationen dürften dazu führen, dass es informell Beschäftigten künftig leichter möglich ist, bei Arbeitsrechtsverletzungen den formellen Rechtsweg einzuschlagen. Die chinesischen Arbeitsrechtsreformen folgen damit internationaler best practice und sind im Vergleich zu vielen anderen Ländern fortschrittlich. Der Kritik einiger chinesischer Arbeitswissenschaftler daran, dass die oberen Schichten der Erwerbsbevölkerung stärker von der neuen Arbeitsgesetzgebung profitierten als „die Armen und Schwachen“ und dadurch Ungleichheiten reproduziert würden, kann nicht zugestimmt werden. So kritisieren Dong Baohua und Qiu Jie, dass der gesetzliche Schutz umso stärker sei, je höher eine Person in der Beschäftigungshierarchie stehe, etwa in Bezug auf die Höhe von Abfindungszahlungen oder die Entfristung von Arbeitsverträgen. (Dong Baohua & Qiu Jie 2006: 23f.) Es ist eine Grundsatzfrage, ob eine Ungleichbehandlung verschiedener Formen von Beschäftigung akzeptiert werden kann. Gleichbehandlung würde entweder bedeuten, die Rechte formell Beschäftigter zu beschneiden oder aber informelle Beschäftigung zu formalisieren, was zwangsläufig einen Teil dieser Beschäftigtengruppe in die Illegalität drängen würde. Gerade die Verbindung einer erhöhten Absicherung mit der gleichzeitigen Gewährung von Flexibilität – Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit und Kurzzeitverträge sind legalisiert worden – trägt am ehesten dazu bei, die Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie zu verbessern. Der Reformansatz der chinesischen Regierung entspricht auch dem Geist der decent work-Strategie der ILO. Die Gefahr möglicher negativer Effekte der neuen Arbeitsgesetzgebung für die informelle Ökonomie ist in zwei anderen Punkten zu sehen: Bleibt es, erstens, bei der laxen Umsetzungspraxis arbeitsrechtlicher Vorschriften, besteht die Gefahr einer weiteren Informalisierung von Beschäftigung. Die neuen Gesetze schützen zwar einerseits informelle Beschäftigung besser, verteuern aber andererseits auch formelle Beschäftigung, etwa durch höhere Kosten für Kurzzeitverträge und Abfindungszahlungen. Wird nicht parallel dazu auf eine stärkere Durchsetzung der Vorschriften gedrungen, bestehen Anreize für die Betriebe, noch weniger Arbeitskräfte mit formellen Verträgen einzustellen, um die neuen Regeln zu umgehen. Wie realistisch ein solches Szenario ist, hat die Kündigungswelle kurz vor Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes zum 1.1.2008 gezeigt. (z.B. South China Morning Post 2008) Besonders in die Kritik geraten war in diesem Zusammenhang der Telekommunikations-Konzern Huawei Technologies. Dieser hatte alle Beschäftigten, die seit mehr als acht Jahren für das Unternehmen tätig waren, zu “freiwilligen” Kündigungen gedrängt. Die Betroffenen sollten Abfindungen erhalten oder zu schlechteren Konditionen wieder eingestellt werden, um die neue Vorschrift einer automatischen Entfristung von Arbeitsverträgen bei zehnjähriger Beschäftigung zu umgehen. Dieser Vorstoß musste allerdings auf Druck der Öffentlichkeit und des Gewerkschaftsbundes revidiert werden. (z.B. China.org.cn 19.9.2008) Zweitens bestehen weiterhin Regulierungslücken. Die dadurch entstandenen Schlupflöcher ermöglichen ein Umgehen der Vorschriften und eine Beschäftigungsverlagerung in
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noch prekärere Segmente der informellen Ökonomie. So können beispielsweise die durch die neue Arbeitsgesetzgebung gestiegenen Kosten abhängiger Beschäftigung dazu führen, dass Unternehmen noch stärker auf Subcontracting zurückgreifen, also Teilaufträge an Kontraktarbeiter/innen weitergeben, die als Selbstbeschäftigte gelten und damit dem arbeitsrechtlichen Schutz nicht unterliegen. Um dies zu unterbinden, wäre eine detaillierte Regulierung von Subcontracting dringend notwendig; auch die seit langem geplante Verabschiedung von Gesetzen zu Arbeitsschutz, Arbeitskontrollen, Löhnen und Zeitarbeit ist wichtige Voraussetzung für eine weitere Erhöhung der Rechtssicherheit. Politische Nachhaltigkeit Das Londoner Adecco-Institut bezeichnet die jüngsten Arbeitsrechtsreformen in China als „its biggest ever modernization of labor laws and labor market regulations“ (Adecco Institute 2007: 20). Diese Reformen werden die arbeitsrechtlichen Standards der Volksrepublik langfristig verändern. Ihre politische Nachhaltigkeit ist besonders hoch, da es sich um nationale Regulierungen auf Gesetzesebene handelt und sie daher mit einer hohen Rechtsverbindlichkeit und China-weiter Gültigkeit ausgestattet sind. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu den untersuchten Regulierungen in den Bereichen Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik, wo die Reformen der letzten Jahre hauptsächlich in Form von Ministerialbestimmungen (bumen guizhang) und Regierungsdokumenten (wenjian) verabschiedet wurden (vgl. Kapitel 5 und 6). Diese regeln immer nur Einzelaspekte eines Themengebietes, werden oft innerhalb kurzer Zeit von neuen Vorschriften abgelöst und verfügen über eine deutlich geringere politische Relevanz und rechtliche Verbindlichkeit als Gesetze. Um die Wirksamkeit der Arbeitsrechtsreformen zu erhöhen, wären ein Bündel an Begleitmaßnahmen und eine Verschränkung mit anderen Politikbereichen wünschenswert. In erster Linie betrifft das eine Intensivierung der Reformen des hukou-Systems, welche die rechtliche Position von Migrant/innen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren zwar gestärkt, aber noch nicht zu einer Gleichbehandlung geführt haben. Wichtig ist zudem die weitere Steigerung der Rechtskenntnis informell Beschäftigter, bei der mit einer deutlichen Zunahme von Angeboten zu Rechtsberatung und Prozessunterstützung bereits Fortschritte zu verzeichnen sind. Interessant sind darüber hinaus die Ansätze einiger Städte, die Vergabe von Baulizenzen und die Zulassung zu öffentlichen Ausschreibungen an die Einhaltung von Arbeitsrechten zu koppeln. Bislang wird dies nur mit der Auflage der Einrichtung von Betriebsgewerkschaften verbunden; die Verknüpfung mit anderen arbeitsrechtlichen Standards (z.B. schriftliche Arbeitsverträge, Zahlung von Mindestlöhnen) wäre ebenfalls denkbar, wenngleich kontrollintensiver. Finanzielle Nachhaltigkeit Die Verbesserung der arbeitsrechtlichen Standards für informell Beschäftigte ist nahezu budgetneutral. Da der geschaffene Rechtsrahmen unabhängig von einer regelmäßigen Finanzierung Bestand hat, ist die ökonomische Nachhaltigkeit sehr hoch. Die arbeitsrechtlichen Reformen stellen somit im Vergleich zu den anderen untersuchten Instrumenten Sozialversicherung und Existenzgründungsförderung für die Regierung die preiswerteste Möglichkeit dar, Beschäftigte in der informellen Ökonomie zu unterstützen und besser zu schützen. Budgetwirksam sind dagegen die Maßnahmen zur Durchsetzung der geschaffenen Rechte. Insbesondere die notwendige Intensivierung von Arbeitsinspektionen sowie die
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Kapazitätserhöhung bei Schiedskomitees und Gerichten würden die mit den Rechtsreformen verbundenen Kosten erhöhen. Gleichzeitig würde aber eine derartige Verbesserung der Rechtsdurchsetzung zu Einsparungen in anderen Bereichen führen. So stand der Staat in den letzten Jahren oft für ausstehende Löhne ein, um Proteste und Unruhen zu vermeiden. Auch das Eintreiben der Lohnrückstände mit Hilfe des Rechts- und Polizeisystems ist kostenintensiv. So kommt eine Studie des Pekinger Zentrums für Jugendrechtshilfe und -forschung zu dem Ergebnis, dass die Rückgewinnung der allein für 2005 geschätzten 100 Mrd. CNY an vorenthaltenen Löhnen von Migrant/innen die Gemeinschaft mindestens 300 Mrd. CNY kosten würde, wobei 57 bis 66 Prozent der Kosten vom Staat getragen würden. (zit. nach Quanguo Renda Changweihui Fazhi Gongzuo Weiyuanhui Xingzhengfa Shi 2006: 107) Eine Intensivierung der Arbeitsplatzkontrollen könnte die Praxis der Nichtauszahlung von Löhnen von vornherein stärker unterbinden, was die Budgets der Lokalregierungen entlasten würde. Außerdem ist zu vermuten, dass bessere Inspektionen und eine präventive Durchsetzung von Arbeitsstandards langfristig Druck vom Gerichts- und Petitionssystem nehmen und dort die Kosten senken würde. Darüber hinaus könnte das Verhängen schärferer Sanktionen und Strafen bei Rechtsverletzungen einen Teil der gestiegenen Inspektionskosten kompensieren. Die größte Sorge der Lokalregierungen scheint es jedoch zu sein, mit einer harten Durchsetzung von Arbeitsstandards Investor/innen an andere Provinzen zu verlieren und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze einzubüßen. Die einzige Lösung dieses Problems wären national verbindliche Standards auch bei der Durchsetzung der Arbeitsrechte. Aufgrund der stark dezentralisierten Verwaltungsstruktur der Volksrepublik mit hoher Autonomie der Provinzen in Wirtschaftsfragen und ausgeprägtem Lokalprotektionismus, dürfte dies in der kurzen Frist schwer zu realisieren sein. Kooperation der involvierten Akteure und deren Hierarchieebene Einer der größten Verdienste der Arbeitsrechtsreformen 2007/2008 ist es, dass diese der bisher existierenden Praxis lokal differierender Arbeitsstandards ein Ende macht und China-weit gültige Rechtsgrundlagen schafft. Die neuen nationalen Vorgaben wurden ohne große Abweichungen in Lokalgesetzgebung übertragen. Das Arbeitsrecht ist seither derjenige der untersuchten Regulierungsbereiche, in dem die größte nationale Standardisierung erreicht wurde. Ein Novum stellt auch der partizipative und transparente Gesetzgebungsprozess dar, in den Akteur/innen der verschiedenen Lobbygruppen involviert wurden. Die neuen Arbeitsgesetze sind Ergebnis eines intensiven Verhandlungsprozesses zwischen Regierungsstellen, Gewerkschaftsbund und Unternehmensverbänden. Der Gewerkschaftsbund hat dabei mit seinen mehr als 100 Vorschlägen zum Arbeitsvertragsgesetz (vgl. Zheng Qiao 2007: 137) deutlich gemacht, dass er zumindest auf nationaler Ebene in die Rolle einer starken Interessenvertretung für die Beschäftigten hineinwächst. Zudem wurden die Entwürfe von Arbeitsvertrags- und Beschäftigungsförderungsgesetz zur öffentlichen Diskussion gestellt und die überraschend hohe Zahl von Eingaben aus der Bevölkerung zumindest teilweise berücksichtigt. Dies ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz und zivilgesellschaftlicher Beteiligung am chinesischen Legislativprozess. Bei der Umsetzung des Arbeitsrechts ist der Einfluss der Akteursgruppen jedoch ungleich verteilt. Da die Lokalregierungen aufgrund ihrer ökonomischen Interessen oftmals arbeitgeberfreundlich eingestellt sind und die Unternehmensgewerkschaften eher als Me-
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diatoren oder gar Anwälte für Regierung und Unternehmen agieren, statt als Repräsentanten der Beschäftigten, werden die Interessen der Arbeitnehmenden nur unzureichend vertreten. Es ist daher zu erwarten, dass eigenständige Rechtshilfeorganisationen und nichtstaatliche Formen der Interessenvertretung weiter stark wachsen und die offiziellen Gewerkschaften zunehmend unter Druck setzen werden. Kohärenz Die arbeitsrechtliche Modernisierung fügt sich in die aktuelle Leitlinie der Schaffung einer „harmonischen Gesellschaft“ ein und ist kohärent mit der generellen Tendenz zu einer stärkeren Angleichung der Rechte von Städter/innen und Migrant/innen: „Die Reformagenda der gegenwärtigen politischen Führung unter Hu Jintao, die aus den neuesten Regelungen zur Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitspolitik aufscheint, weist in Richtung einer Formalisierung, die gerade auch die ländlichen Migranten einschließt. Hier kommt es im Prinzip zu einer allmählichen Angleichung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen städtischer und (ehemals) ländlicher Bürger.“ (Gransow 2008: 95)
Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist gleichzeitig die Basis für die von der Regierung angestrebte Neuausrichtung der Wirtschaftsstruktur hin zu höherwertiger Produktion und zur Schaffung von mehr Binnenkonsum. Die Neuregelungen im Arbeitsrecht sind zudem generell geeignet, dem übergeordneten Ziel von decent work näher zu kommen. Sie zielen auf den Abbau von drei der fünf decent work-Defizite gleichzeitig ab, indem sie auf eine Eindämmung (1) unwürdiger, unterbezahlter Arbeit, (2) fehlender rechtlicher Erfassung und gesetzlichen Schutzes sowie (3) mangelnder Arbeitsrechte hinwirken. Sie tragen dazu bei, informelle Beschäftigung in das umzuwandeln, was in Europa unter „atypischer Beschäftigung“ oder „flexibler Beschäftigung“ diskutiert wird: Diese Arbeitsverhältnisse erfüllen zwar nicht alle der drei Kerncharakteristika eines formellen „Normalarbeitsverhältnisses“ (Stabilität/Dauer, Vollzeit, Arbeitnehmerstatus), sind aber durch Arbeitsverträge, angemessene (wenn auch geringe) Entlohnung und Basisabsicherung geschützt. Das einzige decent work-Element, zu dessen Verbreitung in China bislang nur sehr begrenzte Bemühungen erkennbar sind, ist das Recht zur Gründung unabhängiger Interessenvertretungen und auf gewerkschaftlichen Schutz informell Beschäftigter. Die Widersprüche zwischen der Schaffung neuer Rechte einerseits und dem Vorenthalten wirkungsvoller Durchsetzungsmöglichkeiten andererseits verdeutlichen das Dilemma der chinesischen Führung: Unter erheblichem Druck „von der Straße“ durch Proteste, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen sah sie sich zu einem Richtungswechsel hin zu stärker sozial orientierten Reformen gezwungen, in die auch die neuen arbeitsrechtlichen Vorschriften einzuordnen sind und die helfen sollen, die soziale Stabilität zu sichern. Gleichzeitig ist die Führung nur begrenzt bereit, Kontrolle und Macht abzugeben – etwa hinsichtlich größerer gewerkschaftlicher Autonomie oder unabhängigerer Gerichtsbarkeit – und behindert damit die effektive Implementierung der neuen Rechte, was den Unmut der Bevölkerung weiter schürt. Unstimmigkeiten gibt es zudem innerhalb der neuen arbeitsrechtlichen Standards, insbesondere im Arbeitsvertragsgesetz. Dort werden auf der einen Seite einige Formen informeller Beschäftigung – beispielsweise Leiharbeit – stark abgesichert und reguliert, auf der anderen Seite bleibt etwa Teilzeitbeschäftigung ohne nennenswerten rechtlichen Schutz und
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wird sogar weiter dereguliert (mündliche Arbeitsverträge, keine Kündigungsfristen, Abfindungen oder Sozialleistungen). Damit wird nicht nur das generelle Ziel einer Etablierung arbeitsrechtlicher Standards für flexible Formen von Beschäftigung in Frage gestellt, es werden auch Schlupflöcher geschaffen, die zu einer Umgehung der verstärkten Schutzvorschriften in anderen Bereichen einladen. Ausblick Die arbeitsrechtlichen Reformen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Problembewusstsein und der Veränderungswille der chinesischen Regierung groß sind und dass eine starke Orientierung an internationaler best practice stattfindet. Dass bei der Implementierung von Gesetzen Probleme auftreten, ist ein Charakteristikum aller regulatorischen Systeme und kein chinesisches Spezifikum (Cooney 2007: 675), wenngleich einige der diagnostizierten Defizite in den politischen Strukturen der VR China begründet liegen. In jedem Fall kann nicht die Rede sein von einer systematischen Ausbeutung der Arbeitskräfte durch die chinesische Regierung, wie dies von der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung kolportiert wird: Diese spricht von einem „system of […] government-engineered labor exploitation on a scale that is unmached in the present global economy.“ (American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations 2004: 12; erneuert in American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations 2006; vgl. auch Cooney 2007: 682) In China existieren sowohl moderne arbeitsrechtliche Standards als auch Verfahren zu deren Durchsetzung, die – trotz ihrer weiter bestehenden Defizite – intensiv genutzt werden. Zusätzliche Reformprozesse sind auf dem Weg, um das Arbeitsrecht und dessen Wirksamkeit zu vervollkommnen. Es besteht Raum für Optimismus, dass dies zu einer Verbesserung der Arbeitssituation informell Beschäftigter beitragen wird und zumindest die stärksten Rechtsverletzungen künftig effektiver unterbunden werden können. Da sich die rechtlichen Neuerungen in die großen Entwicklungsstrategien der chinesischen Regierung einfügen und zentral für deren Erfolg sind, ist auch künftig von einer weiteren Intensivierung des Arbeitsschutzes auszugehen. Selbst Han Dongfeng, Direktor der Hongkonger China Labour Bulletin und sonst eher bekannt als scharfer Kritiker von Arbeitsrechtsverletzungen in China, äußert sich anerkennend über die arbeitsrechtlichen Reformen und sieht darin positive Signale für die künftige Rechtsentwicklung in China: “The Chinese government has a historic opportunity to create a system of peaceful negotiation between labour and management in which both sides respect each other, the negotiation process and the resultant legal contract. If it has the vision and courage to do so, Beijing will take a significant step towards realizing its own goal of creating a "harmonious society," one in which citizens not only have confidence in and respect for the law, but also are active participants in the legal process and play a role in promoting greater social justice for all.” (zit. nach China Labour Bulletin 2008a)
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Vor Einführung der Reform- und Öffnungspolitik waren praktisch alle städtischen Beschäftigten und ihre Familien in das soziale Sicherungssystem integriert. Im Jahr 2006 verfügte dagegen nur noch knapp die Hälfte der registrierten städtischen Arbeitskräfte über eine Rentenversicherung, und jeweils nur ca. 40 Prozent waren Mitglied in der Krankenversicherung bzw. der Arbeitslosenversicherung. (Laodong he Shehui Baozhang Bu & Guojia Tongjiju 2007) Bei den anderen beiden Pflichtversicherungen – der Arbeitsunfall- und Mutterschaftsversicherung – war die Beteiligung noch deutlich geringer. Eine Ursache der rapide gesunkenen Reichweite liegt in der großen Anzahl informell Beschäftigter, deren Sozialversicherungsquote äußerst gering ist. Umfassende Datenreihen dazu fehlen; eine vom Arbeitsministerium durchgeführte Stichprobenerhebung aus dem Jahr 2005 kam jedoch zu dem Ergebnis, dass an der Renten- bzw. Krankenversicherung nur etwa 18 bzw. 16 Prozent der informell Beschäftigten teilnahmen, an der Arbeitslosenversicherung weniger als 7 Prozent. Die Sozialversicherungsquote der Frauen war in allen Fällen deutlich geringer als die der Männer. (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2005: 219) Diese geringe Absicherungsquote – und auch die noch prekärere Situation von Frauen im Vergleich zu Männern – entspricht der Situation in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern. In Subsahara-Afrika und Südasien, wo Beschäftigung nahezu vollständig informell ist, sind jeweils nur 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung in soziale Sicherungssysteme integriert. In Südost- und Ostasien variiert die Sozialversicherungsteilnahme zwischen 10 Prozent in Ländern mit einem hohem Anteil der informellen Ökonomie (wie Kambodscha) und nahezu 100 Prozent in stark formalisierten Ländern (z.B. Republik Korea); in Lateinamerika liegt sie zwischen 10 und 80 Prozent. In vielen Ländern ist in den letzten Jahren ein weiterer Rückgang der Versichertenzahlen zu beobachten. Dies gilt selbst für viele Industrieländer, in denen die hohen Absicherungsquoten seit Jahren rückläufig sind. (ILO 2002a: 55f.) Die fehlende Teilnahme in Sicherungssystemen ist zum einen ein soziales Problem. Ohne Sozialversicherung tragen die Beschäftigten ein hohes Armutsrisiko im Fall von Krankheit, Arbeitsunfällen, Arbeitslosigkeit und Alter. Dies ist gerade für informell Beschäftigte problematisch, die häufig in gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeitsverhältnissen tätig sind. Diese Tätigkeiten sind mit hohen Risiken belastet, werden aber nur gering entlohnt. Treten chronische Erkrankungen auf oder gar der Verlust der Arbeitsfähigkeit, sind diese Personen ungeschützt und müssen die entstehenden Kosten selbst tragen. Einer Studie des Development Research Center des Staatsrats und der Weltgesundheitsorganisation zufolge hatten im Jahr 2003 in China 48,9 Prozent der Kranken, die medizinische Behandlung nötig gehabt hätten, aus Kostengründen auf einen Arztbesuch verzichtet. (vgl. Schucher 2005: 82) Die geringen Gehälter lassen zudem eine private Altersvorsorge kaum zu, so dass die Beschäftigten oftmals keine Rentenansprüche aufbauen können und
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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im Alter mit Armut konfrontiert sind. Gleichzeitig verlieren in China traditionelle Absicherungsmechanismen an Relevanz und Zuverlässigkeit. Infolge von Einkindpolitik, gestiegener Lebenserwartung und als Resultat moderner Lebensformen nimmt die Bedeutung der Familie als „Versicherer“ ab. Diese Entwicklung wird auch im so genannten „1-2-4Phänomen“ reflektiert: Künftig wird ein Kind zwei Eltern und vier Großeltern unterstützen müssen. (z.B. Nielsen, Nyland, Russell & Zhu 2005: 1772) Zudem sind landsmännische / lokale Unterstützungsnetzwerke wegen der gestiegenen Mobilität der Arbeitskräfte weniger zuverlässig geworden. Diese informellen Absicherungsformen sind daher nur begrenzt leistungsfähig und kein vollständiges Substitut für Sozialversicherungsansprüche. Gleichzeitig stecken spezialisierte Finanzmarktprodukte zur privaten Risikoabsicherung in China noch in den Kinderschuhen. (Birmingham & Cui 2006: 3) Zum anderen handelt es sich bei der geringen Teilnahmequote informell Beschäftigter um ein fiskalisches Problem, da sie zunehmend zu Finanzierungsengpässen der chinesischen Sozialkassen führt. Informell Beschäftigte machen inzwischen 50 Prozent der städtischen Arbeitskräfte aus. Wenn heute die Hälfte der Beschäftigten nicht in die auf Solidarität basierenden Sozialsysteme einzahlt, haben diese sowohl in der kurzen als auch in der längeren Frist Schwierigkeiten, bestehende Versicherungsansprüche zu erfüllen. Dies gilt insbesondere für das Renten- und Gesundheitssystem, in dem einer großen Zahl Anspruchsberechtigter ein immer kleiner werdender Anteil beitragszahlender Beschäftigter gegenübersteht. Das Verhältnis wird sich aufgrund der rapide fortschreitenden Alterung der chinesischen Gesellschaft in den nächsten 20 Jahren weiter verschlechtern. Der Ausschluss informell Beschäftigter hat damit auch negative Implikationen für formelle Arbeitskräfte und formell arbeitende Unternehmen, die das Sozialsystem allein finanzieren müssen – sei es über (notwendigerweise hohe) Sozialversicherungsbeiträge oder über Steuern. Zudem ist die Einrichtung eines verlässlichen, umfassenden Sozialsystems eine wesentliche Voraussetzung dafür, die traditionell hohe Sparquote in China zu senken und den Binnenkonsum anzukurbeln. Die chinesische Regierung hat sich aufgrund dieser Probleme zum Ziel gesetzt, die Reichweite der städtischen Sozialversicherung deutlich auszuweiten und allen in den Städten beschäftigten Arbeitskräften die Teilnahme zu ermöglichen. Dies ist nur realistisch, wenn informell Beschäftigte aktiv und zügig in das Sicherungssystem integriert werden. Welche Strategien die chinesische Regierung verfolgt, um dieses Ziel zu erreichen, und welche lokalen Lösungen gefunden wurden, wird in diesem Kapitel analysiert. Im Folgenden wird argumentiert, dass das Sozialversicherungssystem der VR China nicht mit den Realitäten in der informellen Ökonomie und den Bedürfnissen der dort Beschäftigten kompatibel ist. Hohe Beiträge, starre Einzahlungsvorschriften, die fehlende Portabilität der Versicherungsansprüche zwischen Provinzen und zwischen Stadt und Land sowie die mangelnde Durchsetzung der Versicherungspflicht gegenüber der Arbeitgeberseite behindern die Sozialversicherungsteilnahme informeller Arbeitskräfte. (Kapitel 5.1) Seit 2003 versucht die chinesische Regierung, die nötigen Rahmenbedingungen für eine Sozialversicherungsteilnahme informell Beschäftigter zu schaffen und kann dabei auf langjährige Erfahrungen in anderen Ländern zurückgreifen. (Kapitel 5.2) Auf nationaler Ebene wird darauf hingearbeitet, diese Beschäftigtengruppe in das bestehende Versicherungssystem zu integrieren, indem die Teilnahmebedingungen vereinfacht und ein Teil der Beiträge staatlich subventioniert werden. Bislang wurden solche Sonderregelungen nur für Renten- und Krankenversicherung geschaffen; sie sollen aber auf andere Versicherungsarten ausgewei-
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tet werden. (Kapitel 5.3) Die Sozialversicherungspolitiken auf lokaler Ebene weisen große regionale Differenzen bezüglich Reichweite, Ausgestaltung und Konditionen auf. In mehreren Städten wurden zusätzlich Parallelsysteme geschaffen, die sich an einzelne Teilgruppen informell Beschäftigter wenden und versuchen, auf deren spezifische Bedürfnisse und Absicherungsprioritäten einzugehen. (Kapitel 5.4) Insgesamt ist es bislang nur begrenzt gelungen, die zentralen Defizite des chinesischen Sozialversicherungssystems abzubauen und größere Teile der informellen Ökonomie zu integrieren. Zwar sind die Einzahlungsmodalitäten flexibilisiert worden, und für Migrant/innen wurden auf lokaler Ebene teils preisgünstige Versicherungsangebote geschaffen. Für die meisten informell Beschäftigten bleibt die Teilnahme am sozialen Sicherungssystem aber unerschwinglich teuer, und der Transfer von Versicherungsleistungen bei Ortswechseln ist weiterhin problembehaftet. (Kapitel 5.5)
5.1 Hintergrund: Löcher in Chinas Sicherheitsnetz Das Recht auf soziale Absicherung durch Staat und Gesellschaft im Fall von Alter, Krankheit oder Behinderung ist in der Verfassung der VR China84 seit 1982 festgeschrieben. Es wurde bei der jüngsten Verfassungsänderung 2004 erstmals explizit auf alle Staatsbürger/innen ausgedehnt, also auch auf die Landbevölkerung, die bislang nicht abgedeckt war. Zudem verpflichtet sich der Staat im Arbeitsgesetz (in Kraft 1995), ein Sozialversicherungssystem (shehui baoxian zhidu) aufzubauen und legt einige Grundprinzipien fest. (Arbeitsgesetz 1995: Kapitel 9) Weitere und spezifischere Grundlagen auf Gesetzesebene existieren bislang nicht, alle anderen Belange und Reformen des Sozialsystems wurden durch Dokumente des Staatsrats und einzelner Ministerien sowie durch lokale Vorschriften geregelt. Ein seit langem geplantes Sozialversicherungsgesetz steckt noch immer im Gesetzgebungsprozess. Ein Entwurf wurde im Dezember 2008 dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses zur zweiten Lesung vorgelegt, bislang aber nicht verabschiedet. Im Zuge der marktwirtschaftlichen Reformen wird seit Ende der 1980er Jahre das ehemals auf Rundumabsicherung durch die Arbeitseinheit (danwei) basierende System sozialer Sicherung in ein beitragsfinanziertes System umgewandelt, in dem Arbeitgeber/innen, Arbeitnehmer/innen und Staat Teile der Absicherungskosten tragen 85 . Es umfasst fünf verpflichtende Versicherungen (Arbeitsgesetz 1995: §§70, 73): Rentenversicherung (yanglao baoxian), Krankenversicherung (yiliao baoxian), Arbeitslosenversicherung (shiye baoxian), Arbeitsunfallversicherung (gongshang baoxian) und Mutterschaftsversicherung (shengyu baoxian). Das reformierte Sozialversicherungssystem bezog sich anfangs nur auf Beschäftigte in Staatsunternehmen und wurde ab Anfang der 1990er Jahre auf die Beschäftigten aller Unternehmenstypen in den Städten ausgedehnt (zunächst auf Kollektivunternehmen, später auch auf die Privatwirtschaft). (OECD 2005: 270) Erst seit 2003 wurden auf nationaler 84
Zhongguo Renmin Gongheguo xianfa (Verfassung der Volksrepublik China) 1982; letzte Änderung 2004. Für Staatsbedienstete existiert ein separates Sozialversicherungssystem mit deutlich günstigeren Konditionen, das vom Personalministerium verwaltet wird. Das Sozialsystem für die Landbevölkerung wird ebenfalls getrennt verwaltet und unterscheidet sich deutlich vom städtischen Sozialversicherungssystem. 85
5.1 Hintergrund: Löcher in Chinas Sicherheitsnetz
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Ebene Migrant/innen offiziell in den Geltungsrahmen des Sozialversicherungssystems einbezogen. Generell gilt, dass die Teilnahme an den fünf Sozialversicherungen verpflichtend für alle in Unternehmen beschäftigten Arbeitskräfte ist und auch Selbstbeschäftigte teilnehmen sollen. Somit ist das Sozialversicherungssystem laut Gesetzeslage für alle Gruppen informell Beschäftigter offen. Deren geringe Absicherungsquoten erklären sich somit nicht aus rechtlichen Zugangsbeschränkungen, sondern sind auf die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung des Sozialversicherungssystems zurückzuführen. In diesem Teilkapitel wird die These vertreten, dass das Sozialversicherungssystem nicht mit den spezifischen Bedürfnissen informell Beschäftigter kompatibel ist und es für diese daher sehr unattraktiv – wenn nicht gar unmöglich – ist, Sozialversicherungsansprüche aufzubauen. Dies manifestiert sich in fünf Bereichen: (a) zu hohen Beiträgen, (b) starren Einzahlungsvorschriften, (c) schwieriger Portabilität der Versicherungsansprüche, (d) fehlenden Übergängen zwischen städtischem und ländlichem System und (e) mangelnder Durchsetzung der Versicherungspflicht. Anhand dieser Defizite, die im Widerspruch zur Beschäftigungsrealität in der informellen Ökonomie stehen, wird in diesem Teilkapitel eine problemorientierte Einführung in das Sozialversicherungssystem gegeben. Hohe Beitragsbasis vs. niedrige Einkommen Ein zentrales Hindernis für die Versicherungsteilnahme informell Beschäftigter sind die im Vergleich zu ihren Einkommen hohen Sozialversicherungsbeiträge. Für Renten-, Krankenund Arbeitslosenversicherung zahlen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam ein. Bei Renten- und Krankenversicherung geht dabei der Arbeitgeberanteil in einen Solidarfonds, wogegen die Arbeitnehmerbeiträge auf einem individuellen Versicherungskonto angesammelt und dem Beitragszahler persönlich gutgeschrieben werden86. In der Rentenversicherung dient dieses Individualkonto der Aufstockung der aus dem Solidarfonds gezahlten Basisrente. Bei der Krankenversicherung müssen kleinere Krankheitsausgaben aus dem Individualkonto bestritten werden, wogegen der Solidarfonds nur bei größeren Kosten einspringt87. Arbeitsunfall- und Mutterschaftsversicherung trägt die Arbeitgeberseite allein. Übersicht 4 gibt einen Überblick über die derzeitigen nationalen Richtwerte für die Beiträge zu den einzelnen Versicherungsarten, die lokal aber variieren können. Insgesamt haben Arbeitnehmer/innen etwa 11 Prozent ihrer monatlichen Löhne in die Sozialkassen einzuzahlen, Arbeitgeber/innen führen 30 Prozent der Gesamtlohnsumme ab.
86 Für die Rentenversicherung ist zusätzlich eine „dritte Säule“ in Form einer privaten Rentenversicherung vorgesehen, die jedoch bislang noch kaum entwickelt ist. (Birmingham & Cui 2006: 3) 87 Zu detaillierten Darstellungen der Beitragssysteme und der Anspruchsberechnung vgl. u.a. Drouin & Thompson 2006; Darimont 2004; Schädler 2001.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Übersicht 4: Nationale Richtwerte für Beitragssätze der städtischen Sozialversicherung Beitrag von für
Arbeitgeber
Arbeitnehmer
Selbstbeschäftigte
Rentenversicherung
20% der Gesamtlohnsumme
8% des Monatslohns
20% der Bemessungsgrundlage
Krankenversicherung
6% der Gesamtlohnsumme
2% des Monatslohns
8% der Bemessungsgrundlage
Arbeitslosenversicherung
1% der Gesamtlohnsumme
1% des Monatslohns
Teilnahme nicht möglich
Arbeitsunfallversicherung
1% der Gesamtlohnsumme
kein Arbeitnehmerbeitrag
1% der Bemessungsgrundlage
Mutterschaftsversicherung
1% der Gesamtlohnsumme
kein Arbeitnehmerbeitrag
1% der Bemessungsgrundlage
Gesamt
30% der Gesamtlohnsumme
11% des Monatslohns
30% der Bemessungsgrundlage
Quelle: Eigene Zusammenstellung aus aktuellen Regierungsdokumenten
In der Regel ist eine selektive Teilnahme an einzelnen Sozialversicherungsarten nicht möglich. Für informell Beschäftigte sind aufgrund ihrer oftmals gefährlichen Arbeitsbedingungen Risikoabsicherungen gegen Arbeitsunfälle und Krankheiten von besonderer Relevanz; diese beiden relativ preiswerten Versicherungen können aber im formellen System nicht ohne Teilnahme an der teuren Rentenversicherung abgeschlossen werden, weshalb oft in keine der Versicherungen eingezahlt wird. Für die meisten informell Beschäftigten sind diese Überlegungen jedoch ohnehin irrelevant, da sie entweder selbstbeschäftigt sind und somit keine/n Arbeitgeber/in für die Kofinanzierung der Beiträge haben, oder weil sie zwar abhängig beschäftigt sind, die Unternehmen aber eine Einzahlung in die Sozialkassen verweigern. Für diese beiden Gruppen, welche die große Mehrheit der informell Beschäftigten bilden, ist die Situation besonders problematisch. Wollen Selbstbeschäftigte an der Sozialversicherung teilnehmen, müssen sie sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeiträge selbst tragen. Lediglich für die Rentenversicherung wurde der Beitrag im Jahr 2005 per Staatsratsbeschluss von 28 auf 20 Prozent reduziert88. (siehe Kapitel 5.3.1) Insgesamt beträgt der Versicherungssatz damit immer noch etwa 30 Prozent (vgl. Übersicht 4). Gleiches gilt für informelle Lohnarbeitskräfte, die wegen fehlender Arbeitgebereinzahlungen individuell am Sozialversicherungssystem teilnehmen wollen. Bislang wurden für diese Gruppe allerdings auf nationaler Ebene nur Renten- und Krankenversicherung geöffnet – zu denselben Konditionen wir für Selbstbeschäftigte. (siehe Kapitel 5.3.1) Problematisch ist, dass sich die Beitragssätze nicht nach den tatsächlichen Einkünften der Versicherten richten, sondern auf einer künstlichen Bemessungsgrundlage basieren. Diese liegt bei 60 Prozent des vorjährigen Durchschnitts88 Festgelegt in Guowuyuan (Staatsrat): Guowuyuan guanyu wanshang qiye zhigong jiben yanglao baoxian zhidu de jueding (Anordnung des Staatsrats zur Vollendung des Basisrentenversicherungssystems für Beschäftigte in Unternehmen), Guofa [2005] 38 hao, 31.12.2005.
5.1 Hintergrund: Löcher in Chinas Sicherheitsnetz
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lohns der gesamten Stadt, wird also auf Basis der Einkommen in der formellen Ökonomie ermittelt und gilt für alle Beschäftigten als Untergrenze zur Berechnung der Sozialbeiträge. Bei einem nationalen Durchschnittslohn von monatlich 1.738 CNY (2006) 89 lag diese Beitragsbasis bei 1042,80 CNY. Damit wurden für Selbstbeschäftigte im Jahr 2007 durchschnittlich 312 CNY im Monat an Sozialversicherungsbeiträgen fällig (30 Prozent); für individuell teilnehmende informelle Lohnarbeitskräfte waren es allein für Renten- und Krankenversicherung 292 CNY (28 Prozent). Demgegenüber stehen monatliche Mindestlöhne zwischen 280 CNY in einigen Städten Hubeis und 810 CNY in Shenzhen, die bei informeller Beschäftigung häufig noch unterschritten werden. Für eine Versicherungsteilnahme müssten somit die meisten informell Beschäftigten einen Großteil ihrer Einkommen aufwenden, wodurch eine freiwillige Sozialversicherungsteilnahme nahezu ausgeschlossen sein dürfte. Hintergrund für die recht hohen Beitragssätze insbesondere der Rentenversicherung sind historische Schulden der Rentenkassen 90 . Im planwirtschaftlichen System hatte die danwei (Arbeitseinheit) ihren Mitgliedern ein hohes Maß an sozialer Sicherheit garantiert, ohne dass diese in die Sozialkassen einzahlen mussten. Die aus dem alten System resultierenden Rentenverpflichtungen gegenüber ehemaligen Beschäftigten in der Staatswirtschaft wurden in das neue Rentensystem übernommen und müssen von den jetzigen Beitragszahlenden beglichen werden. (z.B. Darimont 2004: 9; Schädler 2001: 268) Gleichzeitig werden die Arbeitnehmerbeiträge in ihre individuellen Rentenkonten, die eigentlich für alle Beschäftigten real angespart werden sollten, zur Auszahlung der heutigen Renten genutzt und anderweitig zweckentfremdet 91 . Die Individualkonten sind damit praktisch leer („konghu“), womit die spätere Rentenauszahlung für heutige Beitragszahlende mit Unsicherheiten behaftet ist und die Problematik an die nächste Generation weitergegeben wird. (z.B. ILO 2006c: 11f.) Für informell Beschäftigte, die entweder ohnehin zu den Verlierer/innen der marktwirtschaftlichen Reformen zählen (entlassene Städter/innen) oder schon immer vom städtischen Leistungssystem ausgeschlossen waren (ländliche Migrant/innen) ist es besonders bitter, wenn sie bei niedrigen Einkommen die historischen Systemschulden durch hohe Beiträge mit abbauen müssen. Starre Einzahlungsvorschriften vs. unregelmäßige Einkommen Das Sozialversicherungssystem ist auf formelle Festangestellte zugeschnitten und setzt regelmäßige und kontinuierliche Beitragszahlung voraus. In der Regel geht eine längere Einzahlungsunterbrechung oder eine zu geringe Beitragszahlung mit dem Verlust des Versicherungsanspruchs einher. Dies steht im Widerspruch zu den unregelmäßigen Einkünften vieler informell Beschäftigter. Aufgrund ihrer unsicheren Anstellungssituation sind sie mit Phasen der Erwerbslosigkeit konfrontiert. Ein Teil der ländlichen Migrant/innen 89
China Statistical Yearbook 2007 (CD-Rom-Version), Tabelle 5-16. Weitere Gründe für die hohen Beiträge sind Unstimmigkeiten in den Parametern der Rentenversicherung, beispielsweise dem frühen Renteneintrittsalter von 50 Jahren bei Frauen und 60 Jahren bei Männern. Zu den Defiziten des Rentensystems siehe z.B. ILO 2006c und Drouin & Thompson 2006. 91 Die Gelder aus Individualkonten werden von den entsprechenden Behörden beispielsweise für Investitionen im Infrastrukturbereich, für Verwaltungskosten oder für Spekulationen am Aktienmarkt genutzt. (Darimont 2003: 1104) Im September 2006 machte der Skandal um den Missbrauch des Shanghaier Rentenfonds Schlagzeilen und führte zur Entlassung des Shanghaier KP-Sekretärs Chen Liangyu und mehrerer hochrangiger Kader. Es waren 3,2 Milliarden CNY aus dem städtischen Rentenfonds für illegale Investitionen zweckentfremdet worden. (Economist Intelligence Unit 2007: 21) 90
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
geht zudem jährlich für einige Monate aufs Land zurück, um dort zu arbeiten. Wenn in den erwerbslosen oder einkommensschwachen Monaten nicht in das System eingezahlt werden kann, geht – insbesondere bei der Krankenversicherung – der Leistungsanspruch oft verloren. (Jia Liping 2007: 44) Bei der Rentenversicherung ist in der Regel eine unkontinuierliche Einzahlung möglich. Es dauert dann entsprechend länger, sich Rentenansprüche zu erwirtschaften. Problematisch für informell Beschäftigte ist dabei das „Alles-oder-Nichts-System“ der Rentenversicherung. Wenn mindestens 15 Jahre lang der volle Rentenversicherungsbeitrag entrichtet wurde, erhält der oder die Versicherte beim Erreichen des Renteneintrittsalters (60 Jahre bei Männern, 50 Jahre bei Frauen) eine lebenslange Altersrente. Wer weniger als 15 Beitragsjahre aufbringt, verliert dagegen den gesamten Rentenanspruch aus dem Solidarfonds – d.h. den größten Teil der Rente. Lediglich die akkumulierten Beiträge aus dem Individualkonto werden als Einmalauszahlung zurückerstattet, die weitaus höheren Arbeitgeberbeiträge verbleiben aber in der Rentenkasse. Diese Regel wurde 2005 in einem Staatsratsdokument zur Rentenversicherung92 erneut bestätigt. Ein System, das eine anteilige Rente ermöglicht – etwa bei fünfjähriger Beitragszahlung 1/3 der Rente – existiert nicht. (ILO 2006c: 10, 29) Insbesondere für ländliche Migrant/innen ist diese Hürde sehr hoch. Sie arbeiten durchschnittlich nur neun Monate im Jahr in der Stadt und bräuchten daher 20 Beitragsjahre, um einen Rentenanspruch zu erlangen. Selbstbeschäftigte oder informelle Lohnarbeitskräfte, die freiwillig an der Sozialversicherung teilnehmen wollen, sind darüber hinaus mit vielen Formalitäten konfrontiert. Die Sozialversicherungsverwaltung ist auf große Unternehmen ausgerichtet, was eine individuelle Teilnahme kompliziert macht. (Li Xiaojun 2003: 28) Lediglich in vier Provinzen werden alle fünf Sozialversicherungsarten durch eine zentrale Versicherungsagentur erhoben und verwaltet (Shanghai, Shandong, Guizhou, Xinjiang). In den 27 anderen Provinzen müssen die Beiträge für die einzelnen Versicherungen bei zwei bis fünf unterschiedlichen Behörden eingezahlt werden. (Birmingham & Cui 2006: 6) Für jede der Versicherungsagenturen muss jeden Monat ein separates Formular über die fälligen Versicherungsbeiträge ausgefüllt und bis zum Fünften des jeweiligen Monats dort eingereicht werden. Nur in Ausnahmefällen ist nach einer Spezialvereinbarung die Einsendung per Post möglich. Die Versicherungsbeiträge müssen spätestens drei Tage nach erfolgter Prüfung und Zustimmung bei der jeweiligen Versicherungsagentur eingezahlt werden. (Drouin & Thompson 2006: 29f.) Für eine individuelle Versicherungsteilnahme ist dieses Verfahren äußerst aufwändig und abschreckend. Fehlende Portabilität der Ansprüche vs. hohe Mobilität Eine der größten Hürden für informell Beschäftigte – insbesondere für die Teilnahme an Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung – ist die lokale Gebundenheit der Sozialversicherungssysteme. Die Verantwortung bezüglich Beitragserhebung und Leistungsauszahlung liegt in China generell auf der Ebene der Städte. (Wong 2005: 5f.) Die Zentralregierung macht nur generelle Vorgaben und lässt den Lokalregierungen viel Entscheidungsspielraum. Die Provinzen legen eigene Regeln fest, an die sich wiederum nicht alle Städte halten. Dies führt zu einem Flickenteppich an unterschiedlichen lokalen Kriterien und 92 Guowuyuan (Staatsrat): Guowuyuan guanyu wanshang qiye zhigong jiben yanglao baoxian zhidu de jueding (Anordnung des Staatsrats zur Vollendung des Basisrentenversicherungssystems für Beschäftigte in Unternehmen), Guofa [2005] 38 hao, 31.12.2005.
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Berechnungsmodellen für Beitragssätze, Einzahlungsdauern und Leistungsansprüche. (Jia Liping 2007: 45; Drouin & Thompson 2006: 43) Außerdem werden die Versicherungsfonds auf der Lokalebene verwaltet. Ein nationales System zur überregionalen Erfassung von Beitragszahlungen und Versicherungsansprüchen befindet sich erst im Aufbau. Wechselt eine Arbeitskraft von Ort A nach Ort B, behalten die Sozialkassen in A die geleisteten Einzahlungen, müssen aber später keine Leistungen auszahlen. In Ort B fängt der/die Versicherte dann wieder bei einem Kontostand von Null an; sowohl bezüglich der Beiträge als auch bei den für die Rentenansprüche wichtigen Beitragsjahren. Bei Orts- oder gar Provinzwechseln ist es damit praktisch unmöglich, Leistungsansprüche zu akkumulieren und die Versicherung weiterzuführen. Dieses System mag für Festangestellte noch funktionieren, für hoch mobile informelle Arbeitskräfte bedeutet es aber praktisch den Ausschluss von Versicherungsleistungen. Die Akkumulation von Leistungsansprüchen ist besonders wichtig in der Rentenversicherung, wo der Rentenanspruch an eine 15jährige Einzahlung gebunden ist. Aber auch Leistungen aus Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind von einer kontinuierlichen Einzahlung abhängig. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld existiert erst nach mindestens einjähriger Beitragszahlung an einem Ort, und die Dauer der Auszahlungen aus der Arbeitslosenversicherung ist nach Beitragsjahren gestaffelt93. Bei der Krankenversicherung müssen Arztbesuche, Medikamente und Laboruntersuchungen aus dem über die Zeit angesparten Individualkonto beglichen werden. Ist dieses nach einem Ortswechsel wieder leer, müssen diese Kosten aus der eigenen Tasche beglichen werden. Zumindest im Bereich der Rentenversicherung, wo das Übertragbarkeitsproblem wegen der langen Ansammlung von Beitragsjahren am größten ist, gibt es in den letzten Jahren Bewegung. In den meisten Provinzen wird an einem Zusammenschluss der städtischen Rentenkassen (sog. Pooling) gearbeitet. (z.B. Information Office of the State Council 2004b) Bislang scheiterte jedoch selbst in den Provinzen, die ihre Beitragssätze vereinheitlicht haben, die Übertragung von Rentenansprüchen zwischen einzelnen Städten an mangelnden technischen Voraussetzungen, insbesondere an fehlenden überregionalen Datenbanksystemen. Zudem hatten die Zuzugsregionen keinen Anreiz zur Ermittlung früherer Leistungsansprüche der neuen Arbeitskräfte, da nur die Individualkonten, nicht aber die bisher geleisteten Arbeitgeberbeiträge transferiert wurden, die künftige Rentenauszahlung aber vollständig von der Zuzugsstadt geleistet werden mussten.94 Mit großen Erwartungen sind daher die im Januar 2010 in Kraft getretenen „Übergangsregeln für die Weiterführung der Rentenversicherung“95 aufgenommen worden, die erstmals eine rechtliche Grundlage 93 Bei Einzahlung von 1 bis unter 5 Jahren werden 12 Monate Arbeitslosengeld gezahlt, bei 5 bis unter 10 Jahren sind es 18 Monate und bei mehr als 10 Beitragsjahren erhöht sich der Anspruch auf 24 Monate. (Guowuyuan (Staatsrat): Shiye baoxian tiaolie (Vorschrift zur Arbeitslosenversicherung), Guowuyuan ling [1999] 258 hao, 22.1.1999) 94 Theoretisch soll bei einem Umzug von Stadt A nach Stadt B der Stand des Individualkontos in Stadt B übertragen werden, nicht aber die von der Arbeitgeberseite in den Solidarfonds eingezahlten Beiträge. Stadt B erhält trotzdem die volle Verantwortung für die spätere Auszahlung der Basisrente, die auch die Beitragsjahre in Stadt A berücksichtigen soll. Diese muss dann aus dem Solidarfonds von Stadt B geleistet werden. (ILO 2006c: 6) In der Praxis funktioniert dieses System aber nicht. Es gibt keine Datenbanken, welche die Renteninformationen überregional kombinieren könnten. Um die Rentenansprüche zu akkumulieren, muss sich der lokale Versicherungsfonds in Stadt B die entsprechenden Informationen aus Stadt A einholen. Die Zuzugsregion hat aber keinen Anreiz, diesen Leistungsansprüchen nachzugehen, weil sie diese allein finanzieren müsste, ohne Beiträge dafür zu erhalten. (Drouin & Thompson 2006: 69; ILO 2006c: 7) 95 siehe Teil 8.1.2 des Anhangs: Guobanfa (2009) 66 hao.
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für den Transfer von Rentenansprüchen zwischen Provinzen schaffen. In diesem Dokument des Staatsrats wird verfügt, dass sowohl städtischen als auch migrantischen Arbeitskräften die Möglichkeit gegeben werden soll, bei einem Jobwechsel ihre Rentenkonten von einer Provinz in eine andere übertragen zu können. Dabei sollen sowohl die geleisteten Beitragsjahre als auch der größte Teil der Einzahlungen kumuliert werden. (vgl. Kapitel 5.3.1) Bis diese Vorschriften tatsächlich umgesetzt werden können, wird noch einige Zeit vergehen, da zunächst die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen96 und detaillierte Richtlinien in den einzelnen Provinzen erlassen werden müssen. Sie stellen aber einen wichtigen Schritt hin zu einem harmonisierten Rentensystem dar, das künftig mehr Mobilität gewährleisten wird. Solange die Portabilität der Rentenansprüche praktisch noch nicht gewährleistet ist, werden viele Arbeitskräfte bei einem Ortswechsel weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich den Stand ihrer Individualkonten auszahlen zu lassen. Unabhängig von Alter und Rentenstatus dürfen Arbeitskräfte bei einem Jobwechsel die Erstattung ihres individuellen Rentenkontos verlangen. Damit verzichten sie allerdings auf künftige Rentenansprüche und verlieren die gesamten von der Arbeitgeberseite geleisteten Einzahlungen im Solidarfonds, die den weitaus größten Teil der Beiträge ausmachen. Diese verbleiben bei der städtischen Versicherungsagentur, welche daraus später keine Renten auszahlen muss. (Drouin & Thompson 2006: 69; ILO 2006c: 7) Diese Regelung unterminiert den Sinn einer Rentenversicherung und übervorteilt gerade die zur Mobilität gezwungenen informell Beschäftigten. Sie wird aber bis zur technischen Umsetzung überregionaler Übertragungsmöglichkeiten die einzige Möglichkeit bleiben, zumindest einen Teil der Einzahlungen zurückzuerhalten. Alle bisherigen Schritte in Richtung Pooling von Versicherungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene beziehen sich ausschließlich auf die Rentenversicherung. Eine Übertragung von Krankenversicherungs- oder Arbeitslosengeld-Ansprüchen bei Ortswechseln ist bislang nicht vorgesehen. Strikte Stadt-Land-Trennung vs. Migration Die Sozialversicherungsreformen der 1990er Jahre haben die Chance nicht genutzt, das dualistische Sicherungssystem zu integrieren und zu vereinheitlichen, sondern haben die Stadt-Land-Trennung des Systems reproduziert97. Für Arbeitsmigrant/innen, die zwischen Stadt und Land pendeln, ist der Aufbau von Versicherungsansprüchen daher kaum möglich. Das ländliche Sozialversicherungssystem unterscheidet sich grundlegend von dem in den Städten. Es umfasst nur Renten- und Krankenversicherung, die aber nur sehr geringe Leistungen anbieten. Zwar wurden mit der Einführung einer neuen kooperativen Basiskrankenversicherung auf dem Land in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt und eine 96
Zwar existiert ein Nationaler Sozialversicherungsfonds, der zentral verwaltet wird und als „fund of last resort“ bei Finanzkrisen der regionalen Fonds einspringt. Dieser hatte im Dezember 2006 angekündigt, die Rentenfonds von neun Provinzregierungen zusammen zu verwalten (Tianjin, Shanxi, Jilin, Heilongjiang, Shangdong, Henan, Hubei, Hunan, Xinjiang). Dabei handelt es sich aber nur um eine zentralisiertes Management der Lokalfonds und die gemeinsame Anlage am inländischen Kapitalmarkt. (Economist Intelligence Unit 2007: 20) Die Übertragbarkeit von Rentenansprüchen zwischen den im Pool verwalteten Versicherungsträgern zu ermöglichen, ist bislang nicht Ziel dieser Aktivität. Gleichwohl könnte sie die Basis dafür sein, dies in Zukunft anzustreben. 97 Zusätzlich zur Trennung zwischen städtischem und ländlichem Sozialversicherungssystem gibt es auch innerhalb der Städte einen Dualismus. Neben dem hier diskutierten Sozialversicherungssystem für städtische Beschäftigte gibt es ein separates System für Staatsbedienstete, die deutlich günstigere Versicherungsbedingungen und höhere Leistungen erhalten.
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flächendeckende Teilnahme auf dem Land liegt in greifbarer Nähe. (Information Office of the State Council 2010b) Das Leistungsspektrum ist aber sehr gering und nicht mit der städtischen Versicherung vergleichbar. Eine Rentenversicherung befindet sich noch in der Testphase und wurde versuchsweise in einzelnen Landkreisen eingeführt. Bis Ende 2009 nahmen 130 Millionen Personen an diesem Pilotprogramm teil (etwa 14 Prozent der ländlichen Arbeitskräfte), bis zu einer China-weiten Einführung dürfte aber noch einige Zeit vergehen. (Information Office of the State Council 2010b) Die Grundabsicherung für den Großteil der Landbevölkerung bilden damit weiterhin Familie und Ackerland. (z.B. EUChina Social Security Reform Co-operation Project 2007: 42f.; Li Yehong 2003: 13; Drouin & Thompson 2006:45, 54) Die Existenz dieser beiden Absicherungsformen diente lange Zeit als Legitimation dafür, Migrant/innen nicht in das städtische Sicherungssystem zu integrieren. Dies mag für Bauern gerechtfertigt sein, die ihren Lebensmittelpunkt weiter auf dem Land haben und nur außerhalb der Saison für einige Wochen in den Städten etwas dazuverdienen. Ein Großteil der Arbeitsmigrant/innen ist aber urbanisiert und kehrt höchstens besuchsweise in die Dörfer zurück. Diese Gruppe hat die Bewirtschaftung von Land aufgegeben und lebt von dem in den Städten erarbeiteten Einkommen. Erst seit 2003 ist es nationale Politik, Migrant/innen in den Geltungsrahmen der städtischen Sozialversicherung zu integrieren. Die aktuelle Gesetzeslage ermöglicht es Arbeitsmigrant/innen, zu denselben Konditionen wie städtische Beschäftigte am Sozialsystem der Städte teilzunehmen. Lediglich von Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung sind sie ausgenommen. Dass der größte Teil der ländlichen Arbeitsmigrant/innen dennoch nicht an der Sozialversicherung teilnimmt liegt – neben den anderen in diesem Teilkapitel analysierten Systemschwächen – an der fehlenden Kompatibilität und Durchlässigkeit von städtischem und ländlichem Sozialversicherungssystem. Das System ist nicht flexibel genug, um Beschäftigten mit ländlichem hukou eine Wahlmöglichkeit zwischen der Teilnahme an städtischer oder ländlicher Sozialversicherung zu gewähren oder einen Wechsel zwischen den beiden Systemen zu ermöglichen. Die oben zitierten „Übergangsregeln für die Weiterführung der Rentenversicherung“98 (in Kraft seit 1.1.2010) sehen aber erstmals eine zumindest einseitige Übertragung von Rentenansprüchen vor: Migrant/innen, die regelgerecht am städtischen Rentensystem teilgenommen haben und die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, sollen ihre Versicherungsansprüche künftig in das neue ländliche Rentensystem übertragen dürfen, wenn sie nicht weiter in Städten tätig sein wollen. Technische Details zur praktischen Umsetzung dieser Regelung fehlen allerdings bislang genauso wie ein nationales Informationssystem zur Erfassung und Zusammenführung der an verschiedenen Orten geleisteten Beitragszahlungen, weshalb die Realisierung noch einige Zeit auf sich warten lassen dürfte. Dies ist ein weiterer Grund, warum sich Migrant/innen bei einem Jobwechsel oder dem Weggang aus einer Stadt ihr Individualkonto der Rentenversicherung noch immer auszahlen lassen und damit die Ansprüche auf die Arbeitgeberbeiträge im Solidarfonds sowie auf spätere Rentenzahlungen verlieren. Dies schafft ein hohes Risiko für Altersarmut, da ein Teil der Menschen mit ländlichem hukou, die in den Städten arbeiten, ihr Ackerland aufgegeben hat und dieses nicht zur Rentenfinanzierung zur Verfügung steht. Außerdem fließt damit das den – ohnehin in vieler Hinsicht benachteiligten – ländlichen Beschäftigten zustehende Kapital (Beiträge im Solidarfonds) in die städtischen Sozialkassen und subventioniert das Rentensystem in den Städten. 98
siehe Teil 8.1.2 des Anhangs: Guobanfa [2009] 66 hao.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Fehlende Durchsetzung der Versicherungspflicht vs. geringe Einzahlungsbereitschaft Trotz der theoretischen Möglichkeit für nahezu alle informell Beschäftigten, am Sozialversicherungssystem teilzunehmen, ist die tatsächliche Beteiligung äußerst gering. Dies liegt einerseits an der mangelnden Bereitschaft eines Teils dieser Beschäftigtengruppe, in das System einzuzahlen. Insbesondere bei Migrant/innen ist das Bewusstsein für die Relevanz einer Sozialabsicherung oftmals wenig ausgeprägt, und ein höheres aktuelles Realeinkommen wird späteren und als unsicherer betrachteten Sozialversicherungsansprüchen vorgezogen. (z.B. EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 11; Drouin & Thompson 2006: 38) Städtische informell Beschäftigte, die noch die soziale Rundumsicherung aus planwirtschaftlichen Zeiten kennen, dürften einen stärkeren Versicherungswunsch haben. Andererseits ist die geringe Teilnahmequote auf die Einzahlungsverweigerung vieler Arbeitgeber/innen zurückzuführen. Einige Unternehmen melden nicht alle Arbeitskräfte an, um keine Sozialabgaben zahlen zu müssen. Andere melden zu geringe Löhne, um die Beiträge zu minimieren. (ILO 2006c: 38; Drouin & Thompson 2006: 38) Außerdem werden informell Beschäftigten oft Arbeitsverträge vorenthalten (vgl. Kapitel 4.1), weshalb sie ihre Sozialbeiträge nicht einfordern können. Hinzu kommt, dass ein Teil der informell Beschäftigten keine eindeutigen Arbeitgeber/innen hat, die sich für Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich fühlen würden. Dies ist insbesondere bei Subcontracting und Zeitarbeit ein Problem. Bei Zeitarbeit ist abzuwarten, ob die im Arbeitsvertragsgesetz (2008) erstmals festgelegten Verantwortlichkeiten der Zeitarbeits- und Entleihfirmen durchgesetzt werden können, für Subcontracting existieren derartige gesetzliche Regeln bislang nicht. Hintergrund der geringen Einzahlungsbereitschaft ist die wenig forcierte Durchsetzung der Versicherungspflicht. Sozialversicherungsagenturen und Steuerbehörden sind schlecht ausgestattet und verfügen über geringe Finanzmittel und wenig Personal, das unzureichend qualifiziert ist. (ILO 2006c: 6) Regelmäßige und effiziente Kontrollen unterbleiben daher oft. Außerdem sind die für die Beitragserwirtschaftung zuständigen Lokalregierungen häufig bereit, über fehlende Zahlungen hinwegzusehen, um den lokalen Unternehmen Standortvorteile zu verschaffen. Es wird berichtet, dass einige Lokalregierungen auslandsfinanzierte Unternehmen sogar explizit von der Versicherungspflicht befreien, um mehr Direktinvestitionen aus dem Ausland anzuziehen. (Nielsen, Nyland, Russell & Zhu 2005: 1777) Die Durchsetzung ist auch deshalb schwierig, weil noch immer kein bindendes Sozialversicherungsgesetz existiert, das die Rechte und Pflichten einer sozialen Absicherung auf Gesetzesebene regeln würde. Sozialversicherungsagenturen haben dadurch wenig Druckmittel, um Arbeitgeberbeiträge einzufordern. (EU-China Social Security Reform Cooperation Project 2007: 11) Bislang existieren nur Bestimmungen mit geringer Verbindlichkeit und Wirkung. Ein starkes rechtliches Rahmenwerk auf Gesetzesebene wäre nötig, um die Unsicherheit zu beenden und die Basis für eine Ausweitung der Sozialabdeckung zu schaffen. Dies ist ein weiterer Grund, der die Verabschiedung des Sozialversicherungsgesetzes dringlich macht. Die Einforderung einer verstärkten Rechtsdurchsetzung ist allerdings ambivalent. Im Gegensatz zu der in einer ILO-Studie von Drouin und Thompson vertretenen These, die geringe Beteiligung an der Sozialversicherung sei primär ein Problem der Durchsetzung und nicht der Regeln (Drouin & Thompson 2006: 35), wird hier argumentiert, dass es sogar unfair wäre, auf einer umfassenden Teilnahme am städtischen Sozialversicherungssystem
5.2 Internationale Erfahrungen: Sozialabsicherung in der informellen Ökonomie
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in seinem derzeitigen Design (hohe Beiträge, starre Einzahlungsvorschriften, fehlende Portabilität zwischen Städten sowie zwischen Stadt und Land) für Migrant/innen und städtische informell Beschäftigte zu bestehen. Solange kein adäquates System existiert, das auf die spezifischen Bedürfnisse informell Beschäftigter eingeht, ist die mangelhafte Durchsetzung nur bedingt negativ zu sehen. Vor diesem Hintergrund sind die vermehrten Kampagnen einiger Städte in den letzten Jahren kritisch einzuschätzen, die informell Beschäftigte zur Teilnahme zwingen sollen. (vgl. EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 33) Dies ist unter dem Aspekt einer umfassenden Sozialabsicherung für Alle prinzipiell begrüßenswert, beim derzeitigen Zustand der Sicherungssysteme aber problematisch, zumal derartige Durchsetzungskampagnen oft primär dazu intendiert sind, die Löcher in den Sozialkassen zu stopfen. Freilich kann es nicht das Ziel sein, die Ausweitung der Sozialversicherungsabdeckung mit Verweis auf das derzeit mangelhafte System nicht voranzutreiben. Dem muss aber eine Anpassung der Absicherungskonditionen an die Arbeitsrealitäten in der informellen Ökonomie vorausgehen. Die Zentralregierung und viele Lokalregierungen haben es sich zum Ziel gesetzt, Lösungen für eine Integration dieser Beschäftigtengruppe zu finden – nicht zuletzt, weil sie die wachsenden Defizite in den Sozialkassen zu einer Erhöhung der Versichertenanzahl zwingen. Welche internationalen Ansätze es dazu gibt, welchen Weg die chinesische Regierung einschlägt und welche Strategien einzelne Lokalregierungen gefunden haben, wird in den folgenden Kapiteln analysiert.
5.2 Internationale Erfahrungen: Sozialabsicherung in der informellen Ökonomie In den meisten Entwicklungs- und Transformationsländern existiert informelle Beschäftigung seit langer Zeit und in großem Umfang. International werden daher bereits seit vielen Jahren verschiedene Optionen diskutiert und getestet, um die Reichweite der sozialen Sicherungssysteme auf die informelle Ökonomie auszudehnen. Eine Option ist die Einrichtung eines universellen Absicherungssystems, das vollständig durch Steuern finanziert wird, allen Staatsbürger/innen eine soziale Grundabsicherung bietet und somit informell Beschäftigte automatisch mit einbezieht (sog. Universalabsicherung). Der Kreis der Anspruchsberechtigten kann auch entlang demographischer oder einkommensspezifischer Kriterien begrenzt werden, so dass beispielsweise nur Personen mit einem niedrigen oder ohne Verdienst Leistungen erhalten (sog. Sozialhilfe). Eine Alternative zu teuren steuerfinanzierten Modellen sind beitragsfinanzierte Ansätze, bei denen einkommensabhängige Beiträge geleistet werden müssen und nur die Einzahlenden einen Anspruch auf Leistungen haben. Dazu zählen die klassischen Sozialversicherungssysteme. Informell Beschäftigte können entweder in bestehende Sozialversicherungssysteme integriert werden (z.B. durch das Angebot von Sonderkonditionen), oder es werden spezielle Sozialversicherungsangebote für diese Zielgruppe eingerichtet (Parallelsystem). Eine andere, in vielen Entwicklungsländern verbreitete Form beitragsfinanzierter Absicherung sind so genannte Mikroversicherungen, die meist auf Eigeninitiative und Gegenseitigkeit beruhen und durch die sich kleine Gemeinschaften informell Beschäftigter gemeinsam gegen Existenz bedrohende Risiken absichern.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Übersicht 5 gibt einen Überblick über die genannten Optionen99, die im Folgenden näher erläutert werden. Übersicht 5: Optionen für Sozialabsicherung informell Beschäftigter steuerfinanziert
Universalabsicherung / Sozialhilfe
einheitliches System für alle Beschäftigten
Sozialversicherung beitragsfinanziert Mikroversicherung
Parallelsystem für informell Beschäftigte
Quelle: Eigene Darstellung
Sozialversicherung Wie in China dominiert in den meisten Ländern das Bismarck’sche Sozialversicherungsmodell, das in den 1880er Jahren im Deutschen Reich erstmals eingeführt wurde. In der Regel werden Beitragszahlende gegen die Risiken von Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfällen, Krankheit und Alter abgesichert. Es basiert auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen, muss aber oftmals staatlich bezuschusst werden. (Overbye 2005: 307) Der Vorteil von Sozialversicherungssystemen wird darin gesehen, dass Beiträge die Basis für spätere Auszahlungen bilden und somit das Staatsbudget geschont und das Entstehen einer Abhängigkeits- und Versorgungsmentalität verhindert wird. Zu den gravierenden Nachteilen zählt, dass solche beitragsfinanzierten Systeme die Abdeckung einiger Bevölkerungsteile verhindern – meist die der Ärmsten und Benachteiligten. (Drouin & Thompson 2006: 58) Gerade in Entwicklungs- und Transformationsländern ist die Reichweite des Sozialversicherungssystems meist gering und beschränkt sich auf formelle Arbeitskräfte. Da die Systeme oft staatlich subventioniert werden, ist eine regressive Verteilung von Steuermitteln die Folge: es kommt zu einer Umverteilung von unten nach oben, da die im Sozialversicherungssystem abgesicherten Personen in der Regel zur oberen Einkommensschicht zählen und noch zusätzlich bezuschusst werden. (Overbye 2005: 307) Außerdem hängt die Effizienz beitragsfinanzierter Systeme stark von deren Durchsetzung und der Zahlungsbereitschaft (und – fähigkeit) von Unternehmen und Beschäftigten ab. (Drouin & Thompson 2006: 58) In vielen Ländern gibt es Bestrebungen, die Reichweite des Sozialversicherungssystems auszuweiten und es für informell Beschäftigte zu öffnen. Die Versicherungspflicht wird dabei meist schrittweise auf immer kleinere Unternehmensformen ausgedehnt. In der Republik Korea wurde beispielsweise im Jahr 1998 die Arbeitslosenversicherung, die ursprünglich nur für Unternehmen mit über 30 Beschäftigten zugänglich war, für Betriebe ab 10 Beschäftigten geöffnet, später im selben Jahr noch auf Unternehmen mit fünf oder mehr Arbeitskräften und im Jahr 1999 auf Teilzeitarbeitskräfte ausgeweitet. Ähnlich wurde mit der Rentenversicherung verfahren, deren Reichweite sich damit im Jahr 1999 mehr als verdoppelte. (Reynaud 2002: 22) Jede Ausweitung ist automatisch mit einer überproportio99
Für eine Einführung in verschiedene Absicherungsopitonen siehe z.B. Overbye 2005; Ortiz 2001; Reynaud 2002.
5.2 Internationale Erfahrungen: Sozialabsicherung in der informellen Ökonomie
107
nalen Erhöhung der teilnehmenden Betriebe verbunden, wodurch der Verwaltungsaufwand für die Sozialsysteme stark zunimmt. Zudem verfügen insbesondere Kleinstunternehmen oft über eine nur rudimentäre Buchführung und unregelmäßige Zahlungspraktiken. Dies stellt weniger entwickelte Sozialsysteme vor große Herausforderungen, wurde aber in mehreren Ländern bereits erfolgreich umgesetzt. Gleichzeitig hat es sich in vielen Fällen als vorteilhaft erwiesen, auf Eintrittsschwellen vollständig zu verzichten, um Unternehmen den Anreiz zur Meldung einer künstlich verringerten Beschäftigtenzahl zu nehmen (Reynaud 2002: 21) – eine Betrugspraxis, die auch in chinesischen Unternehmen verbreitet ist. Die Integration von Selbstbeschäftigten und informellen Lohnarbeitskräften ist mit gemischten Erfolgen verbunden. Nur Wenige nehmen auf freiwilliger Basis an existierenden Sozialversicherungssystemen teil, wenn diese für sie geöffnet werden. Viele sind nicht Willens oder nicht in der Lage, die kombinierten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge selbst aufzubringen. Pflichtversicherungen für diese Zielgruppe sind mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass sich informelle Arbeitsbeziehungen und Selbständigkeit sowie die dabei erzielten Einkünfte schwer nachweisen lassen. (Reynaud 2002: 21) Erfolge haben dagegen Länder erzielt, die spezielle und bedürfnisorientierte Versicherungsangebote für Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte geschaffen haben. Solche Parallelsysteme zeichnen sich durch geringere Beitragssätze und reduzierte, aber auf die Zielgruppe zugeschnittene Versicherungspakete aus. In Uruguay wurden beispielsweise für die drei Beschäftigtengruppen mit als besonders prekär eingestuften Arbeitsverhältnissen spezifische Versicherungsangebote entworfen: Bauarbeiter/innen können ein Versicherungspaket mit Renten-, Kranken-, Hinterbliebenen- und Arbeitsunfallversicherung abschließen, für Haushaltshilfen wird eine spezielle Krankenversicherung angeboten und Selbstbeschäftigte können zu besonderen Konditionen am staatlichen Sozialversicherungssystem für Renten-, Hinterbliebenen-, Invaliditäts- und Krankenversicherung teilnehmen. (Reynaud 2002: 8) Die Einrichtung derartiger Parallelsysteme wird in China kontrovers diskutiert. Befürworter/innen argumentieren, dass ein eigenständiges System vorzuziehen sei, da die hohen Beitragssätze des aktuellen Sozialversicherungssystems auf historischen Schulden der Staatsbetriebe basierten und diese den ohnehin benachteiligten informell Beschäftigten nicht zusätzlich aufgebürdet werden dürften. Außerdem würde ein solches System der chinesischen Realität mit einem segmentierten Arbeitsmarkt und sehr unterschiedlichen Einkommensniveaus und Arbeitsbedingungen in formellem und informellem Segment am ehesten Rechnung tragen. Als Gegenargument wird angeführt, dass ein Parallelsystem die Verwaltung verkompliziere und höhere Kosten generiere. Außerdem stehe es der gewünschten Integration von Stadt und Land sowie von informellem und formellem Arbeitsmarkt entgegen und würde die langfristige Finanzierung der Sozialsysteme gefährden. (vgl. z.B. Jia Liping 2007: 42; Shen Xiaomei 2006: 25; Laodong he Shehui Baozhang Bu Shehui Baozhang Yanjiusuo 2002) Mikroversicherung Mikroversicherungen sind freiwillige, selbstorganisierte Versicherungssysteme einer kleinen Gemeinschaft oder Kooperative, die über Mitgliedsbeiträge finanziert werden. Sie sichern mit geringen Beitragssätzen die wichtigsten Risiken einer Gemeinschaft ab, meist beschränken sie sich auf Krankenhauskosten. Mikroversicherungen haben einen lokalen Charakter, werden von der Gemeinschaft selbst verwaltet und haben in der Regel einen sehr kleinen Kreis von Mitgliedern. (z.B. Ortiz 2001: 16; Overbye 2005: 309) In vielen Ländern
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
haben Gruppen informell Beschäftigter eigene Mikroversicherungen aufgebaut, etwa in Bangladesh, Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Guinea, Indien, Kamerun, Kenia, Kongo, Mali, Nepal, Nigeria, den Philippinen, Ruanda, Senegal, Tansania, Togo, Uganda und in fast allen lateinamerikanischen Ländern. (Reynaud 2002: 9) Als Vorzeigebeispiel wird oft die Mikroversicherung von SEWA (Self-Employed Women’s Association) in Indien angeführt. SEWA ist die Gewerkschaft von selbstbeschäftigten Frauen in der informellen Ökonomie Indiens und hat 1992 eine Mikroversicherung ins Leben gerufen. Im Jahr 2000 waren bereits 25.000 Frauen Mitglied der Versicherung, die Kranken-, Lebens- und eine Art Hausratsversicherung (gegen Verlust oder Beschädigung des Hauses oder der Arbeitsmittel) umfasst. Der Mitgliedsbeitrag für die Versicherung beträgt 60 Rupien (1,50 US$) im Jahr, was nur einen Teil der Kosten deckt. Die Mikroversicherung wird staatlich subventioniert und erhält Zuschüsse aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. (Reynaud 2002: 9) Mikroversicherungen wird in der internationalen Sozialversicherungsliteratur ein großes Potential zugeschrieben. Ihre Vorteile liegen in der Absicherung einiger vom formellen Systemen unerreichter Bevölkerungsgruppen zu erschwinglichen Preisen, ihrer Angepasstheit an die Charakteristika und Probleme informell Beschäftigter und ihrer Förderung kommunaler Netzwerke. (Ortiz 2001: 16) Außerdem fällt durch die gegenseitige Kontrolle der Mitglieder das Eintreiben von Versicherungsbeiträgen leichter. (Reynaud 2002: 309) Nachteilig ist die geringe Größe der Mikroversicherungen, wodurch zum einen nur eine eng begrenzte Reichweite besteht und zum anderen der Risikopool sehr klein ist. Durch die geringe Mitgliederzahl ist es für die Versicherten wichtig, Personen mit so genannten „schlechten Risiken“ auszuschließen, wodurch marginalisierten Gruppen der Zugang verwehrt wird. Durchschnittlich werden in einem Ort mit existierender Mikroversicherung etwa 25 Prozent der potentiellen Zielgruppe abgesichert. (Reynaud 2002: 23; Overbye 2005: 309) Außerdem stößt das Prinzip gegenseitiger Absicherung im Fall von Epidemien oder lokalen Rezessionen an seine Grenzen. Es werden mehrere Strategien diskutiert und erprobt, um die Reichweite und den Risikopool zu vergrößern, etwa durch den Zusammenschluss mehrerer Mikroversicherungen in einer Kooperative, öffentlich-private Partnerschaften, Rückversicherungen und staatliche Subventionen. (z.B. Ortiz 2001: 16; Reynaud 2002: 10f.) Ein weiteres Problem sind die begrenzten Versicherungsleistungen. In der Regel handelt es sich nicht um vollwertige Krankenversicherungen, sondern nur besonders schwere Krankheiten und Krankenhausaufenthalte, die das Budget eines Einzelnen übersteigen, sind abgesichert. Eine Absicherung gegen Lohnausfälle oder im Alter können Mikroversicherungen nicht leisten. (Overbye 2005: 309) Außerdem funktionieren sie selten in großen städtischen Umgebungen und sind für mobile Arbeitskräfte ungeeignet, was einen Großteil der informell Beschäftigten als potentielle Mitglieder ausschließt. Universalabsicherung / Sozialhilfe Universalabsicherung bzw. Sozialhilfe sind Alternativen zu beitragsfinanzierten Versicherungsmodellen und erreichen insbesondere die Armen und Benachteiligten in einer Gesellschaft. Sie bilden ein steuerfinanziertes soziales Sicherheitsnetz, indem allen Staatsbürger/innen (Universalabsicherung) oder denjenigen, die bestimmte demographische oder einkommensspezifische Kriterien erfüllen (Sozialhilfe), eine geringe finanzielle Absicherung garantiert wird. Universalabsicherungen sind wegen ihrer hohen Kosten wenig verbreitet – in Deutschland wurde zum Beispiel über das „Bürgergeld“ diskutiert; experi-
5.2 Internationale Erfahrungen: Sozialabsicherung in der informellen Ökonomie
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mentiert wurde damit bislang nur in Alaska und kurzzeitig in Bolivien (nach nur einem Jahr abgeschafft). (Overbye 2005: 312) Sozialhilfe-Modelle sind dagegen in OECD-Ländern weit verbreitet, in Entwicklungs- und Transformationsländern allerdings noch wenig durchgesetzt. In Afrika haben nur die reicheren Länder Südafrika, Namibia, Botswana, Mauritius und die Seychellen Sozialhilfesysteme, in Lateinamerika sind es nur Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica und Uruguay. (Overbye 2005: 310) Die asiatischen Länder – China inbegriffen – haben dagegen fast alle Sozialhilfesysteme aufgebaut (außer Bangladesh, Bhutan, Kambodscha, Laos und den Malediven). (Ortiz 2001: 23f.) ILO (Reynaud 2002) und Weltbank (World Bank 1994) weisen Sozialhilfesystemen eine wichtige Rolle zu; die Weltbank setzt sich dafür ein, dass Sozialhilfe die „erste Säule“ sozialer Sicherung in allen Ländern bilden solle. (vgl. auch Overbye 2005: 310) Sozialhilfemodelle sind im Vergleich zu Sozialversicherung und Mikroversicherung am ehesten in der Lage, Sozialschutz auf benachteiligte Gruppen wie informell Beschäftigte auszudehnen, da keine Beiträge geleistet und keine langen Einzahlungszeiten nachgewiesen werden müssen. (Overbye 2005: 310) Sozialhilfesysteme sind aber – neben der Finanzierungsfrage – mit einer Reihe von Verwaltungs- und Anreizproblemen behaftet. Werden Sozialleistungen von Einkommen oder Vermögen abhängig gemacht, ergeben sich negative Anreize für Beschäftigung, Ersparnisbildung und Teilnahme an anderen Sozialversicherungsformen. (Reynaud 2002: 25; Overbye 2005: 310) Zudem sind insbesondere in Ländern mit einer großen informellen Ökonomie Einkommen schwer nachweisbar und der Missbrauch der Sozialsysteme aufgrund unvollständiger Informationen kaum zu verhindern. Gleichzeitig erreichen Sozialleistungen oft die besonders Bedürftigen nicht, da diese über ihre Ansprüche meist schlecht informiert sind, Antragsprozeduren oft schwierig und zeitaufwändig sind und Sozialhilfezahlungen häufig behördlicher Willkür und Klientelismus unterliegen. (Reynaud 2002: 25) Um diese Probleme zu umgehen und sicherzustellen, dass die Leistungen auch (nur) die wirklich Bedürftigen erreichen, werden drei Alternativen diskutiert. Eine Möglichkeit zur Vermeidung von Sozialversicherungsbetrug ist die Sammlung von Informationen bzw. die Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf Mikroebene, wo die Überwachung der Antragstellenden einfacher ist. So dürfen beispielsweise in China die Bediensteten der Straßenkomitees Nachbar/innen zur wirtschaftlichen Situation der Antragstellenden befragen. Dieses Verfahren ist allerdings sehr anfällig für Patronage und Korruption. (Overbye 2005: 311) Eine zweite Option ist die Koppelung von Sozialleistungen an demographische Faktoren statt an Einkommensnachweise. Sozialhilfe wird dann ohne weitere Bedingungen an alle Personen gezahlt, die einer leicht überprüfbaren, spezifischen demographischen Gruppe angehören, z.B. an alle Personen über 70 Jahren oder an Schwerbehinderte im arbeitsfähigen Alter. Basierend auf dieser Methode haben mehrere Entwicklungs- und Schwellenländer (z.B. Argentinien, Botswana, Chile, Costa Rica, Mauritius, Namibia, Nepal, Seychellen, Südafrika und Uruguay) Varianten eines steuerfinanzierten Mindestrentensystems für alle Staatsbürger/innen eingeführt. (Overbye 2005: 311) Die Weltbank sieht in diesen steuerfinanzierten Altersbezügen die effizienteste Möglichkeit der Minderung von Altersarmut, die kaum negative Nebeneffekte habe (einfache Verwaltung, keine Negativanreize für Beschäftigung und Sparen, universelle Reichweite). (World Bank 1994: 240) Allerdings ist auch dieses Modell nicht betrugssicher; es wurden Erfahrungen mit gefälschten Geburtsurkunden und nicht gemeldeten Todesfällen gemacht. Außerdem werden dadurch informell Beschäftigte im arbeitsfähigen Alter nicht erreicht. (Overbye 2005: 312)
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Als dritte Möglichkeit, das Informationsproblem zu umgehen, werden Mechanismen der „Selbstauswahl“ diskutiert. Zahlungen sollen so gestaltet werden, dass nur Bedürftige teilnehmen wollen. Eine Option sind Arbeitsprogramme wie öffentliche, wohltätige Arbeitsplätze mit staatlicher Finanzierung oder kommunale Projekte mit entsprechend niedrigen Löhnen. Solche Programme sind allerdings in der Regel überwachungsintensiv und ebenfalls anfällig für Patronage und Korruption. (Overbye 2005: 312f.; Reynaud 2002: 25) In Auswertung der verschieden Optionen resümiert Overbye: „An abuse-proof social assistance scheme cannot be constructed. No social assistance design, no matter how ingenious, is a substitute for good government […] Good system designs can help contain fraud and abuse within ‘reasonable’ limits. This is the most one can expect to achieve in an imperfect world.” (Overbye 2005 :313)
5.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich informell Beschäftigte in Chinas Sozialsystem integrieren? In China gibt es seit den 1980er Jahren Bemühungen, das System der sozialen Sicherung zu reformieren. Das auf einer reinen Betriebsversicherung basierende planwirtschaftliche Sicherungssystem ist nahezu vollständig aufgelöst worden. In diesem System waren Beschäftigte in Staatsunternehmen und deren Angehörige über ihre Arbeitseinheit (danwei) rundum abgesichert, ohne eigene Beiträge zahlen zu müssen; die Landbevölkerung und Beschäftigte in anderen Unternehmensformen blieben allerdings ausgeschlossen. An dessen Stelle ist in den letzten mehr als zwanzig Jahren sukzessive ein nach westlichem Vorbild konzipiertes, betriebsunabhängiges Sozialversicherungssystem getreten, das aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen sowie staatlichen Zuschüssen finanziert wird und für Beschäftigte aller Unternehmensformen geöffnet ist. Da die Hauptzuständigkeit für die Sozialversicherung bei den einzelnen Städten liegt, haben nationale Regulierungen nur Richtlinien-Charakter; die konkrete Ausgestaltung sowie die Finanzierung der Politiken findet auf lokaler Ebene statt. In China finden derzeit drei Varianten der international diskutierten Optionen zur Sozialabsicherung informell Beschäftigter parallel Anwendung. Auf nationaler Ebene besteht die zentrale Strategie darin, informell Beschäftigte in das existierende Sozialversicherungssystem zu integrieren. Etwa seit dem Jahr 2000 wurden verschiedene Teile der Sozialversicherung sukzessive für immer mehr Teilgruppen informell Beschäftigter geöffnet. Ziel ist es, das Sozialversicherungssystem auf alle Beschäftigtengruppen auszuweiten. Zusätzlich zu diesem Ansatz werden seit 2006 Sonderkonditionen für die Sozialversicherung von Migrant/innen eingerichtet, denen begrenzte Versicherungsleistungen zu niedrigeren Beitragssätzen angeboten werden. Auf nationaler Ebene handelt es sich dabei um eine Art reduzierter Teilnahme am formellen System und nicht um eine „echte“ Parallelversicherung. Einige Städte haben dagegen für Migrant/innen wirkliche Parallelversicherungen eingerichtet, die unabhängig vom städtischen Sicherungssystem gemanagt werden und anders konzipiert sind. (siehe Kapitel 5.4) Ein Parallelsystem für alle informell Beschäftigten ist nirgends vorgesehen, langfristiges Ziel bleibt die Integration. Als drittes existiert in China ein Sozialhilfesystem (zuidi shenghuo baozhang; wörtlich: Mindestlebensabsicherung), welches für einkommensschwache Gruppen ein Sicherungsnetz auf niedrigem Niveau bilden soll. Der Sozialhilfeansatz besteht seit den 1990er Jahren und richtet sich nicht
5.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich informell Beschäftigte in Chinas Sozialsystem integrieren?
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explizit an informell Beschäftigte, sondern an Personen mit Einkommen unterhalb des lokalen Existenzminimums. Allerdings sind nur Menschen mit städtischem hukou leistungsberechtigt, wodurch die Hälfte der informell Beschäftigten von vornherein ausgeschlossen wird. Einzig Mikroversicherungen gehören in China nicht zur staatlichen Strategie der Absicherung informell Beschäftigter. In Regierungsdokumenten gibt es auch keinerlei Hinweise darauf, dass Mikroversicherungen in Zukunft eine Rolle im Maßnahmenbündel für diese Zielgruppe spielen sollen.
5.3.1 Sozialversicherung für informell Beschäftigte Als in den 1990er Jahren die rechtliche Basis für ein Sozialversicherungssystem in den Städten geschaffen wurde, verpflichtete der Gesetzgeber „alle Unternehmen und ihre Beschäftigten“ zur Teilnahme an Renten-, Kranken-, Arbeitsunfall- und Arbeitslosenversicherung100. Implizit sind damit auch informell Beschäftigte zur Teilnahme an der Sozialversicherung berechtigt. Aufgrund fehlender konkreter Vorschriften zu dieser Beschäftigtengruppe blieben sie aber faktisch lange Zeit aus dem Sicherungssystem ausgeschlossen. Ihre mangelnde Sozialabsicherung wurde von den Behörden weitgehend toleriert und den daraus resultierenden Problemen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst seit Beginn der 2000er Jahre wurden schrittweise Regulierungen erlassen, die informelle Arbeitskräfte explizit in die Rentenversicherung, später auch in Kranken- und Arbeitsunfallversicherung integrieren. Insbesondere seit 2003 hat die Regulierungsdichte in diesem Bereich deutlich zugenommen. Die wichtigsten derzeit existierenden Vorschriften sowie deren Aussagen zur Sozialabsicherung informell Beschäftigter sind in Teil 8.1.2 des Anhangs aufbereitet. Die zu dieser Thematik erlassenen Vorschriften haben bislang nur den Rang von Regierungsdokumenten (wenjian) 101, welche die niedrigste der vier Ebenen chinesischer Gesetzgebung mit der geringsten rechtlichen Verbindlichkeit und Durchsetzungsmöglichkeit darstellt102. Sie bilden kein kohärentes Regulierungssystem, sondern decken immer nur einzelne Teilbereiche und spezifische Gruppen der informellen Ökonomie ab. Daraus ergeben sich für die verschiedenen Formen informeller Beschäftigung sehr unterschiedliche Grade und Konditionen der sozialen Absicherung. Die seit Jahren geplante Verabschiedung eines Sozialversicherungsgesetzes wäre eine wichtige Voraussetzung, um die zahlreichen Regu100
Vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Laoshebu ling [1994] 504 hao; Guofa [1998] 44 hao; Guowuyuan ling [1999] 258 hao; Guowuyuan ling [1999] 259 hao; Guowuyuan ling [2003] 375 hao. Bei der Mutterschaftsversicherung können die Unternehmen selbst über eine Versicherungsbeteiligung entscheiden. 101 Lediglich die jeweiligen Rahmenvorschriften zu den einzelnen Versicherungsarten haben den Status von nationalen Verwaltungsvorschriften (guojia xingzheng fagui). Diese regulieren aber nicht die Versicherungsbelange informell Beschäftigter. 102 Wie in Kapitel 4 ausgeführt hat die Gesetzgebung in China vier Ebenen mit jeweils absteigender Verbindlichkeit und Wirkungskraft: (1.) nationale Gesetze (guojia falü), die vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses erlassen und vom Staatspräsidenten unterzeichnet werden, (2.) nationale Verwaltungsvorschriften und regionale Vorschriften (guojia xingzheng fagui he difang fagui), die vom Ständigen Ausschuss des Staatsrats eines regionalen Volkskongresses erlassen werden, (3.) Bestimmungen von Ministerien, Behörden und Regionalregierungen (bumen guizhang he difang zhengfu guizhang), (4.) Dokumente des Staatsrats, der mit dem Staatsrat verbundenen Organe und von Lokalregierungen auf unterschiedlichen Ebenen (guowuyuan, guowuyuan xiangguan bumen, geji difang zhengfu banbu de wenjian). (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo & Guoji Laogong Zuzhi 2004: 22)
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
lierungen zu vereinheitlichen und zu standardisieren und würde ein wichtiges politisches Signal zur Durchsetzung der Versicherungspflicht für alle Beschäftigten setzen. Hauptzielrichtung der Absicherungspolitik für informell Beschäftigte ist deren Integration in das formelle städtische Sozialversicherungssystem. Sukzessive wurden verschiedene Versicherungsbereiche für eine eigenständige Teilnahme von Arbeitskräften geöffnet, deren Arbeitgeber/innen die Zahlung von Sozialabgaben verweigern. Die individuell an der Sozialversicherung teilnehmenden Beschäftigten müssen sich allerdings in das bestehende formelle System einfügen und in der Regel sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerbeiträge einzahlen. Für einzelne Beschäftigtengruppen werden begrenzte staatliche Subventionen für den Bereich der Rentenversicherung gewährt, für andere existieren noch immer keine klaren Regeln. Aus einigen Versicherungsbereichen bleiben informelle Arbeitskräfte weiterhin ausgeschlossen. Für die einzelnen Teilgruppen informell Beschäftigter lässt sich folgende aktuelle Rechtslage festhalten (vgl. Übersicht 6): Übersicht 6: Sozialabsicherung informell Beschäftigter nach Regulierungsjahr und Beschäftigungsform Krankenversicherung
Rentenversicherung
Arbeitsunfallversicherung
Arbeitslosenversicherung
Mutterschaft svers.
Selbstbeschäft / Individualuntern.
AN-Pflicht
AN-Pflicht/ Subvention
AN-Pflicht
–
–
informelle Lohnarbeiter
AN-Pflicht
AN-Pflicht/ Subvention.
–
–
–
Teilzeitbeschäftigte
AN-Option
AN-Pflicht
AG-Pflicht
–
–
Leiharbeitskräfte
–
–
–
–
–
Subcontracting
–
–
–
–
–
Migranten
AN-Option
AN-Option
AG-Pflicht
–
–
„Wiederbeschäftigte“
Subvention
Subvention
–
Subvention
–
Legende: AN: Arbeitnehmer | AG: Arbeitgeber | – : keine spezifische Regulierung vorhanden Quelle: Eigene Zusammenstellung
Selbstbeschäftigte und Individualunternehmen wurden als erste Teilgruppe im Jahr 2000 zur Beteiligung an der städtischen Rentenversicherung verpflichtet, seit 2003 auch zu Kranken- und Arbeitsunfallversicherung. Dabei müssen sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge selbst eingezahlt werden. Obwohl der Staat seit 2005 einen Teil der Rentenversicherungsbeiträge für Selbstbeschäftigte subventioniert103, addieren sich die zu 103
Statt der 28 Prozent kumulierter Rentenbeiträge (20% Arbeitgeberbeitrag + 8% Arbeitnehmerbeitrag) müssen Selbstbeschäftige und informelle Lohnarbeitskräfte bei einer individuellen Versicherungsteilnahme nur noch 20 Prozent der Bemessungsgrundlage in die Rentenkassen einzahlen. Die restlichen 8 Prozent trägt der Staat. (vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Guofa [2005] 38 hao)
5.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich informell Beschäftigte in Chinas Sozialsystem integrieren?
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leistenden Versicherungszahlungen für diese Beschäftigtengruppe noch immer auf insgesamt 29 Prozent der Bemessungsgrundlage (20% Renten-, 8% Kranken-, 1% Arbeitsunfallversicherung). Diese basiert nicht auf den tatsächlichen Einkommen der Selbstbeschäftigten, sondern auf dem – in der Regel deutlich höheren – Durchschnittslohn der jeweiligen Stadt104. Selbstbeschäftigte sollen damit in das formelle Sozialversicherungssystem integriert werden und erhalten volle Ansprüche auf eine Basisrente, Gesundheitsleistungen und Kompensationen bei Arbeitsunfällen. De facto bleiben sie aufgrund der für die meisten Kleinselbständigen prohibitiv hohen Versicherungsbeiträge weiterhin aus dem Sozialsystem ausgeschlossen. Für informelle Lohnarbeitskräfte muss der Arbeitgeber seit 2003 bzw. 2005 in die städtische Kranken- und Rentenversicherung einzahlen. Verweigert er die Beitragszahlung, soll die Versicherungsteilnahme durch die Arbeitnehmer/innen selbst erfolgen. Die Bedingungen sind dabei dieselben wie die von Selbstbeschäftigten: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge sind von den Arbeitskräften selbst zu tragen und werden auf Basis des lokalen Durchschnittslohns ermittelt (20% Renten- und 8% Krankenversicherung). Diese Regeln ermöglichen es informellen Lohnarbeitskräften erstmals, eigenständig an der Sozialversicherung teilzunehmen, wenn sie nicht durch Unternehmen abgesichert werden. Durch die hohen Beiträge sind sie aber deutlich schlechter gestellt als formell Beschäftigte, die für eine Teilnahme an Renten- und Krankenversicherung nur 8 bzw. 2 Prozent ihres Monatslohns einzahlen müssen. Dieselben strikten Bedingungen gelten für Teilzeitbeschäftigte, die seit 2003 individuell an der Krankenversicherung teilnehmen können und verpflichtend an der Rentenversicherung teilnehmen müssen – unter Selbstzahlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen. Lediglich die Arbeitsunfallversicherung muss verpflichtend vom Unternehmen abgeschlossen werden. Teilzeitarbeit wird damit rechtlich als eine Form informeller Beschäftigung etabliert, was zu einer deutlichen Benachteiligung gegenüber Vollzeitarbeitskräften und faktisch zur Entbindung der Arbeitgeber/innen von ihrer Versicherungspflicht führt. Die Festschreibung von Teilzeitarbeit als prekäre Beschäftigungsform wurde auch im Arbeitsvertragsgesetz (2008) nicht rückgängig gemacht, sondern durch weitere Deregulierungen verstärkt. (vgl. Kapitel 4.3.3) Für Zeitarbeitskräfte und als Unterauftragnehmer/innen beschäftigte Personen (Subcontracting) existieren keine speziellen Sozialversicherungsvorschriften. Erstere zählen zu flexiblen Lohnarbeitskräften, bei Letzteren ist unklar, ob sie eher als Selbstbeschäftigte oder informelle abhängige Arbeitskräfte einzustufen sind. Für Zeitarbeitskräfte wurden die rechtlichen Zuständigkeiten von Zeitarbeitsfirma und Entleihbetrieb im Arbeitsvertragsgesetz geregelt. (vgl. Kapitel 4.3.3) Dort ist nicht explizit festgelegt, welche der Parteien für die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zuständig ist. Da aber die Verantwortung für die Einhaltung von Arbeitsrechten insgesamt dem Einteihbetrieb zugeschrieben wurde, müsste dieser auch für die Sozialabsicherung aufkommen müssen. Kontraktarbeiter/innen dagegen verfügen über keine klaren Arbeitger/innen, weshalb eine reguläre Sozialversicherungsteilnahme schwierig ist. Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Beschäftigtengruppen auf individueller Basis und zu den Konditionen von Individualunternehmen an der Sozialversicherung teilnehmen können, falls die Auftraggeberseite nicht in die Sozialkassen einzahlt. 104
National vorgegeben sind 60 Prozent des lokalen Durchschnittslohns vom Vorjahr als Bemessungsgrundlage.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Quer zu diesen Beschäftigungskategorien gibt es für ländliche Arbeitsmigrant/innen und für städtische „Wiederbeschäftigte“ spezielle Versicherungsoptionen: Für Migrant/innen wurden 2006 durch den Staatsrat eigene Versicherungsprioritäten festgesetzt105. An erster Stelle soll die Absicherung bei Arbeitsunfällen und Krankheiten stehen, in einem zweiten Schritt sollen Migrant/innen eine Rentenversicherung erhalten. Seither sind alle Unternehmen verpflichtet, für Arbeitsmigrant/innen in die Arbeitsunfallversicherung einzuzahlen. Sollte eine Versicherung fehlen, haben sie bei Arbeitsunfällen selbst entsprechende Kompensationen zu leisten. Parallel dazu können Migrant/innen eigenständig an der Kranken- und Rentenversicherung teilnehmen. Im Fall der Krankenversicherung gibt es dabei drei Wahlmöglichkeiten: die Beteiligung am formellen städtischen System, am neuen ländlichen kooperativen Gesundheitssystem oder an einem speziell für Migrant/innen eingerichteten System in den Städten, das nur schwere Krankheiten und Krankenhausaufenthalte abdeckt, dafür aber geringere Beitragssätze erhebt. Für die Rentenversicherung von Migrant/innen hatte das Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherheit 2009 eine Regulierung entworfen und zur öffentlichen Diskussion gestellt, die erstmals spezielle und günstigere Rentenregeln für diese Beschäftigtengruppe auf nationaler Ebene schaffen sollte. Das Dokument sieht vor: (1) die Teilnahme von Migrant/innen am Rentensystem verpflichtend zu machen und VorabAuszahlungen der Individualkonten zu verbieten, (2) durch stark verringerte Beitragssätze (12 Prozent der Lohnsumme als Arbeitgeberbeitrag und 4 bis 8 Prozent als Arbeitnehmerbeitrag) die Eintrittschwelle zu senken, (3) die Rentenkonten bei Ortswechseln oder Beschäftigungspausen zu konservieren und deren Weiterführung am neuen Ort bzw. bei erneuter Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, (4) bei insgesamt 15-jähriger Teilnahme volle Rentenzahlungen am Ort der letzten Beschäftigung zu leisten bzw. bei Nichterreichen der 15 Jahre die gezahlten Beiträge ins ländliche Rentensystem zu transferieren oder als Einmalzahlung zu erstatten106. Die für Ende 2009 geplante Inkraftsetzung des Entwurfs hätte eine Reihe der derzeitigen Hürden für die Rententeilnahme ländlicher Wanderarbeiter/innen ausgeräumt, wurde aber immer wieder verschoben und ist bislang nicht erfolgt. Ein wesentlicher Grund dafür ist vermutlich, dass damit das bereits zwischen Stadt und Land zweigeteilte Rentenversicherungssystem noch durch ein drittes Parallelsystem für Migrant/innen verkompliziert worden wäre. (z.B. Changzi Wanbao, 20.12.2009) Dies steht dem langfristig erklärten Ziel entgegen, ein einheitliches Rentensystem für alle Staatsbürger/innen aufzubauen. Kritisiert wurde an dem Regulierungsentwurf zudem, dass die günstigeren Beitragssätze potentiell die Einstellung billiger Wanderarbeiter/innen anstelle städtischer Arbeitskräfte forciert hätte und dass für die Umsetzung der neuen Regeln die technischen Voraussetzungen fehlten (kein transparentes und verlässliches System für Fondsmanagement und Kontrolle, kein nationales Renten-Informationssystem). (z.B. Watson 2009: 109) Seit 2005 existieren Spezialregeln für die Sozialabsicherung so genannter „Wiederbeschäftigter“ (zaijiuye renyuan), also für Personen, die aus Staatsbetrieben freigesetzt wurden und für deren erneute Unterbringung auf dem Arbeitsmarkt sich die Regierung in einer besonderen Verantwortung sieht. Sie sollen durch staatliche Subventionen in das städtische Sozialversicherungssystem integriert werden: Wenn Unternehmen neu geschaffene Arbeitsplätze mit „Wiederbeschäftigten“ besetzen und Arbeitsverträge mit ihnen 105
Vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Guofa [2006] 5 hao. Für eine detailliertere Auflistung der vorgesehenen Regeln vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: „Nongmingong canjia jiben yanglao baoxian banfa (zaoan)“, 5.2.2009.
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5.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich informell Beschäftigte in Chinas Sozialsystem integrieren?
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unterzeichnen, übernimmt der Staat den Arbeitgeberanteil an Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für maximal drei Jahre. Dies gilt bei „älteren“ Wiederbeschäftigten (Frauen über 40 und Männer über 50 Jahren) auch im Fall von informeller Lohnarbeit oder Selbstbeschäftigung – der Staat erstattet dann zwei Drittel der individuell eingezahlten Versicherungsbeiträge107. Diese starke finanzielle Entlastung eröffnet informell Beschäftigten eine reale Chance auf eine Teilnahme am sozialen Sicherungssystem. Die Subventionen stehen allerdings nur einem kleinen Teil der städtischen Arbeitslosen offen, da sie von der Vorlage eines „Wiederbeschäftigungszertifikats“ (zaijiuye youhui zheng) abhängig gemacht werden. Dieses erhalten in erster Linie Freigesetzte und Arbeitslose, die zuvor in Staatsbetrieben tätig waren; sonstige Arbeitslose aus Kollektiv- oder Privatunternehmen qualifizieren sich nur dafür, wenn sie nach über einem Jahr der Erwerbslosigkeit eine offizielle Arbeitslosenregistrierung nachweisen können, die aber schwer zu bekommen ist. Um die nationale Arbeitslosenquote auf dem niedrigen offiziellen Stand halten zu können, ist eine Arbeitslosenregistrierung immer nur solange möglich, bis die staatlich vorgegebene Grenze von 4 bis 5 Prozent erreicht wurde. (Interview GTZ Nanjing, 29.3.2003) Da die tatsächliche Arbeitslosenquote aber Schätzungen zufolge etwa 20 Prozent beträgt (z.B. Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2005: 175), sind mindestens drei Viertel der Arbeitslosen von Unterstützungspolitiken ausgeschlossen. Das planwirtschaftliche Erbe führt damit mehr als 30 Jahre nach Reformbeginn noch immer zu einer systematischen Privilegierung der Arbeitskräfte aus Staatsbetrieben – eine Feststellung, die in Kapitel 6 auch im Hinblick auf Fördermaßnahmen für Kleinstunternehmer/innen bestätigt wird. Keinerlei spezifische Regulierungen für informell Beschäftigte wurden bislang in den Bereichen Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung erlassen. Es ist daher unklar, ob diese Beschäftigtengruppe das Recht hat, auf freiwilliger Basis daran teilzunehmen, bzw. ob sie sogar zur Teilnahme verpflichtet werden kann. Zusätzlich zu den oben genannten Regulierungen gibt es seit Kurzem Fortschritte in der Übertragbarkeit von Rentenansprüchen, die für alle Beschäftigten von großer Relevanz sind und insbesondere für oftmals besonders mobile informelle Arbeitskräfte eine wichtige Verbesserung darstellen. Im Januar 2010 traten die „Übergangsregeln für einen Transfer von Rentenbeziehungen“108 in Kraft, die erstmals die Weiterführung der (formellen) Rentenversicherung bei provinzübergreifenden Ortswechseln ermöglicht. Alle Beschäftigten in städtischen Unternehmen – explizit auch ländliche Arbeitsmigrant/innen – sollen künftig am Wegzugsort ein Einzahlungszertifikat ausgestellt bekommen, mit dem sie am neuen Arbeitsort den Transfer ihrer Rentenansprüche in die lokale Sozialkasse sowie eine Fortschreibung der bereits geleisteten Beitragsjahre erwirken können. Erstmals ist es damit möglich, nicht nur die im Individualkonto angesammelten Arbeitnehmerbeiträge, sondern auch die deutlich höheren Einzahlungen der Arbeitgeberseite bei einem Ortswechsel zu übertragen. Allerdings soll ein Teil der eingezahlten Summe bei der Sozialkasse des Ursprungsorts verbleiben 109 , was in Onlineforen stark kritisiert wurde. (vgl. china.org.cn, 29.12.2009) Dennoch stellt die neue Regelung eine deutliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Situation dar, wo bei einem Ortswechsel die gesamten Arbeitgeberbeiträge 107
Vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Guofa [2005] 36 hao und Caishe [2006] 1 hao. Für eine Auflistung der zentralen Inhalte dieser Regulierung vgl Teil 8.1.2 des Anhangs: Guobanfa [2009] 66 hao. 109 Von den Arbeitgeberbeiträgen werden nur Einzahlungen ab dem 1.1.1998 übertragen und nur in Höhe von 12 Prozent der Lohnsumme – eingezahlt wurden vom Arbeitgeber aber 20 Prozent der Lohnsumme. 108
116
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
verloren gingen und die andernorts geleisteten Beitragszeiten nicht anerkannt wurden, was das Erreichen der für einen Rentenanspruch nötigen 15 Beitragsjahre sehr schwer machte. Arbeitsmigrant/innen wird zudem die Konservierung der geleisteten Beiträge zugesichert, wenn sie die Berufstätigkeit in der Stadt unterbrechen und aufs Land zurückkehren. Bei einer Wiederaufnahme von Beschäftigung in derselben oder einer anderen Stadt soll das Rentenkonto weitergeführt und bei Erreichen der Renteneintrittskriterien eine reguläre Rente ausgezahlt werden. Wahlweise soll die Übertragung der Einzahlungen an das neue ländliche Rentensystem möglich sein, wozu allerdings noch spezifische Verfahrensweisen festgelegt werden müssen. Die Umsetzung der neuen Transferregeln wird noch einige Jahre auf sich warten lassen, da bislang die technischen Voraussetzungen für einen Fondstransfer und vor allem ein nationales Renteninformationssystem fehlen. Außerdem müssen die Regeln erst in lokales Recht umgesetzt werden und sind von der Beteiligungsbereitschaft der Lokalregierungen abhängig. Zusammenfassung Insgesamt führen die verschiedenen Teilregelungen für einzelne Personengruppen und Formen informeller Beschäftigung sowie die teils widersprüchlichen Vorschriften zu Unübersichtlichkeit und einem großem Spielraum für lokale Regulierungen. Dadurch existiert eine große Bandbreite an Versicherungsbedingungen, was die Übertragung von Sozialversicherungsleistungen – trotz der neuen Regelungen für Rententransfers – bei Ortswechseln erschwert. Darüber hinaus bleiben für die meisten informell Beschäftigten die Kosten einer Sozialabsicherung sehr hoch; nennenswerte Kostensenkungen sind nur von den neuen Krankenversicherungsregeln für Migrant/innen und den hohen Versicherungssubventionen für einen Teil der „älteren“ Freigesetzten und registrierten Arbeitslosen zu erwarten. Außerdem werden mit der Betonung der Selbstabsicherung informell Beschäftigter Unternehmen von ihrer Sozialversicherungspflicht entbunden, was es der Wirtschaft noch leichter macht, sich ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen. Lediglich die Beitragssubventionen für „Wiederbeschäftigte“ schaffen Anreize für Unternehmen, Arbeitskräfte zur Sozialversicherung anzumelden und mit Arbeitsvertrag zu beschäftigen. Diese Lösung ist allerdings sehr kostspielig und vergrößert die Löcher in den Sozialkassen weiter.
5.3.2 Sozialhilfe für bedürftige Städter/innen Neben dem beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystem existiert in China unter dem Titel „Garantie des Mindestlebensunterhalts“ (zuidi shenghuo baozhang) ein System der Sozialhilfe, das vom Ministerium für Zivilangelegenheiten (minzhengbu) verwaltet wird. Dieses steuerfinanzierte System gewährt Bedürftigen eine monatliche monetäre Unterstützung. Es richtet sich nicht in erster Linie an informell Beschäftigte, sondern ist für alle Bürger/innen mit städtischem hukou zuständig110, deren Einkommen das lokal festgelegte Existenzminimum unterschreitet. Dazu gehören auch Arbeitslose, welche die maximale Bezugszeit von Arbeitslosengeld (je nach Einzahlungsdauer maximal 1 bis 2 Jahre) ausgeschöpft haben. 110
Ein System der Sozialhilfe für die Landbevölkerung befindet sich seit 2007 im Aufbau und hat laut Regierungsangaben im Jahr 2009 47,6 Millionen Landbewohner/innen erreicht. Der durchschnittliche Sozialhilfesatz betrug monatlich 101 CNY (umgerechnet etwa 10 EUR). (Minzhengbu 2010: 3)
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
117
Die ausgezahlte Sozialhilfe errechnet sich aus der Differenz zwischen Existenzminimum und persönlichem Einkommen. Sie lag im Jahr 2009 durchschnittlich bei 172 CNY pro Monat (umgerechnet etwa 17,50 EUR). (Minzhengbu 2010: 3) Die Zahlung erhalten nur diejenigen Haushalte, bei denen keines der Haushaltsmitglieder die Schwelle des Existenzminimums überschreitet und die keine als überflüssig eingestuften Dinge besitzen, wie ein Auto, Schmuck oder ein Haustier. (Drouin & Thompson 2006: 53) Über die Sozialhilfeanträge entscheiden die Nachbarschaftskomitees. In einigen Provinzen wird diese Arbeit hauptsächlich von Freiwilligen – zumeist Rentner/innen – übernommen, andere Provinzen beschäftigten bezahlte Kräfte. Zu den Aufgaben der Mitarbeiter/innen zählen unter anderem regelmäßige Kontrollen der Haushaltssituation der Hilfeempfänger. (Drouin & Thompson 2006: 53) Mit dieser intensiven Überwachung soll Sozialhilfebetrug verhindert werden; die Übertragung der Bedürftigkeitsprüfung auf Nachbarschaftskomitee-Ebene birgt aber gleichzeitig die Gefahr von Patronage, Klientelismus und Korruption. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger/innen ist in den letzten Jahren stark gewachsen - allein zwischen 2000 und 2009 versechsfachte sie sich von 4 Millionen auf 23,5 Millionen Personen. (Minzhengbu 2010: 3) Dies spiegelt zum einen den Willen der chinesischen Regierung wider, die Grundsicherung zügig auszuweiten, um soziale Härten abzufedern und Konflikten die Spitze zu nehmen. Zum anderen sind die stark steigenden Sozialhilfezahlen auch Ausdruck der sich verschlechternden Beschäftigungssituation und der wachsenden städtischen Armut. Im Jahr 2009 erhielten lediglich 4,3 Millionen informelle Arbeitskräfte Sozialhilfeleistungen. (Minzhengbu 2010: 3) Aufgrund der sehr niedrig angesetzten Grenze des Existenzminimums sind die Zahlungen kaum für eine Aufstockung der geringen Einkommen aus informeller Beschäftigung geeignet und können höchstens als Überbrückung einkommensloser Zeiten dienen. Dabei ist unklar, ob Hilfen so schnell und flexibel gezahlt werden, dass monatsweise Lohnausfälle kompensiert werden können. Außerdem wird nach einer erneuten Tätigkeitsaufnahme die Rückzahlung der geleisteten Sozialhilfe erwartet. (Drouin & Thompson 2006: 53) Sozialhilfe wird zudem nicht an Migrant/innen ausgezahlt. Diese bleiben in den Städten ohne ein soziales Auffangnetz. Die Teilnahme am Sozialversicherungssystem bleibt daher der zentrale Mechanismus, um Einkommenseinbußen im Fall von Krankheit, Alter, Arbeitsunfällen, Arbeitslosigkeit und Mutterschaft abzufedern. Im folgenden Kapitel wird anhand von Fallstudien analysiert, inwiefern es einzelnen Städten gelingt, informell Beschäftigte in die Systeme sozialer Sicherung zu integrieren.
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing Für soziale Sicherung sind in China primär die Stadtregierungen zuständig. Die Zentralregierung gibt das übergreifende politische Rahmenwerk vor, die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung, die Beitragserhebung und die Finanzierung liegt bei den einzelnen Städten, welche durch die Provinzregierungen teilweise unterstützt werden. Dies ist im internationalen Vergleich sehr ungewöhnlich. Aufgrund der hohen Kosten von Sozialsystemen und der potentiellen Notwendigkeit erheblicher Subventionen werden soziale Sicherungssysteme in nahezu allen Ländern der Welt (mit Ausnahme einiger früherer Sowjetrepubliken) von den nationalen Regierungen geführt und finanziert. Dies erscheint sinnvoll,
118
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
da die Ausgaben für Sozialsysteme den Wirtschaftszyklen entgegengesetzt sind (in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs steigen die Sozialkosten, während die Steuer- und Beitragseinnahmen zurückgehen), was aus lokalen Budgets schwer auszugleichen ist. (Wong 2005: 6) Der chinesische Sonderweg ist Folge der stark dezentralisierten Struktur der Volksrepublik und ein Erbe aus planwirtschaftlichen Zeiten111. Wie in Kapitel 5.1 dargestellt, gibt es Bestrebungen, das Versicherungs-„Pooling“ zumindest auf Provinzebene anzuheben, die aber bislang nur langsam vorankommen. Aufgrund der lokalen Zuständigkeiten existieren in China im Bereich der Sozialversicherung – anders als etwa im in Kapitel 4 untersuchten Arbeitsrecht – erhebliche interregionale Unterschiede. Da die nationale Gesetzgebung für die Sozialabsicherung informell Beschäftigter lückenhaft ist, sind die Divergenzen bezüglich Versicherungsdesign und konditionen für diese Personengruppe besonders groß. Dies zeigen auch die Ergebnisse der Fallstudien in Beijing, Nanjing, Shanghai und Shenzhen, anhand derer im Folgenden die lokale Umsetzung verschiedener Sozialversicherungsmodelle für informell Beschäftigte untersucht wird. Die Sozialversicherungspolitiken für informell Beschäftigte differieren nicht nur zwischen den einzelnen Städten, sondern auch innerhalb dieser. So unterscheiden Shenzhen und Nanjing drei verschiedene Untergruppen informell Beschäftigter, für die jeweils unterschiedliche Versicherungskonditionen gelten (informelle Lohnarbeiter/innen und Selbstbeschäftigte; Migrant/innen; „ältere“ Wiederbeschäftigte). In Beijing sind es vier und in Shanghai sogar acht Teilgruppen. Shanghai unterscheidet allein drei Arten informeller unternehmerischer Selbständigkeit und hat zusätzlich gesonderte Regeln zur Sozialabsicherung von Haushaltshilfen und von Teilzeitbeschäftigten erlassen. Insgesamt gibt es dort nicht weniger als elf verschiedene Beitragssätze für informell Beschäftigte, die von 0 bis 720 Yuan im Monat reichen. Zusätzlich existiert in allen untersuchten Städten ein Sozialhilfesystem zur Sicherung des Mindestlebensstandards der Stadtbevölkerung. In diesem Bereich gibt es – abgesehen von der unterschiedlichen Höhe der Sozialhilfesätze – kaum regionale Abweichungen, es werden prinzipiell die oben diskutierten nationalen Vorgaben umgesetzt. Zudem sind in keiner der Fallstädte spezielle Sozialhilferegeln für informell Beschäftigte erlassen worden. Aus diesen Gründen wird Sozialhilfe in der Fallstudienanalyse nicht gesondert betrachtet. Der Systematik des vorangegangenen Teilkapitels folgend lassen sich für die untersuchten Städte insgesamt sechs verschiedene Herangehensweisen an die Absicherung informell Beschäftigter herausarbeiten, wobei in jeder Stadt mehrere Modelle parallel existieren. Die erste Form ist die klassische Integration in das formelle Sozialversicherungssystem der Stadt, wobei informell Beschäftigte sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge zahlen müssen. Zweitens gibt es das Modell der „doppelten Reduzierung“, das oft bei der Kranken- und teilweise auch bei der Rentenversicherung Anwendung findet. Dabei werden von informell Beschäftigten geringere Versicherungsbeiträge 111
Zu Zeiten der Planwirtschaft war die Zentralregierung für nationale Verteidigung, Wirtschaftsentwicklung und die Verwaltung nationaler Institutionen wie dem Rechtssystem zuständig. Lokalregierungen waren mit der Bereitstellung der alltäglichen Administration und sozialen Dienste beauftragt, wie Bildung, öffentlicher Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Wohnraum etc. Die Sozialsicherung lag hauptsächlich in der Verantwortung der Staatsbetriebe, was aufgrund ihrer Finanzierung aus dem Zentralbudget unproblematisch war. (Wong 2005: 6) Im Zuge der Wirtschaftsreformen wurde die Zuständigkeit für soziale Sicherung schrittweise von den Schultern der Staatsbetriebe genommen, um diese wettbewerbsfähig zu machen, und durch die Einführung beitragsfinanzierter Sozialversicherungssysteme auf die Ebene der Stadtregierungen umverteilt.
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
119
verlangt, im Gegenzug aber die Leistungen gekürzt. Die dritte Variante stellen Sozialversicherungssubventionen der Regierung dar, die informell Beschäftigten die Versicherungsteilnahme zu deutlich reduzierten Beitragssätzen mit gleichzeitig unveränderten Leistungsansprüchen ermöglichen. Diese drei ersten Modelle zielen auf die Integration informell Beschäftigter in das formelle Sozialversicherungssystem ab. Zusätzlich gibt es zwei Varianten der Schaffung von Parallelstrukturen für die Sozialabsicherung informell Beschäftigter: dies sind – viertens – Paketversicherungen, die einzelne Versicherungsarten bündeln und als Paket anbieten, und – fünftens – privat betriebene, aber staatlich initiierte Spezialversicherungen. Beide existieren bislang nur in Shanghai. Die sechste Variante ist schließlich der explizite Ausschluss informell Beschäftigter von einzelnen Sozialversicherungsformen. Teil 8.2.1 des Anhangs listet die einschlägigen Regulierungen zur Sozialabsicherung informell Beschäftigter in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing auf.
5.4.1 Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte Für Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte gibt es in allen untersuchten Städten Sonderregeln. Diese gelten aber nur für einzelne Versicherungsarten und reduzieren die Beiträge nur unwesentlich. Generelles Ziel ist – den nationalen Vorgaben entsprechend – die Integration dieser Beschäftigtengruppe in das formelle Versicherungssystem. Die meisten Städte unterscheiden zwischen Selbstbeschäftigten und Individualunternehmen, wobei die genaue Definition und Abgrenzung oft unklar ist. Als Selbstbeschäftigte (zizhu jiuyezhe) werden meist Personen bezeichnet, die auf eigene Rechnung wirtschaften, keine Arbeitgeber haben und keine Angestellten beschäftigten. Sie sind in der Regel nicht als Unternehmen registriert. Individualunternehmen (geti gongshanghu) sind dagegen per Definition registrierte Mikrounternehmen, die maximal sieben Angestellte haben können. Ein Großteil der Individualunternehmen besteht aber aus Ein-Personen-Betrieben, weshalb die Unterscheidung vorrangig am Registrierungsstatus festgemacht wird. Shanghai hat als dritte Form informeller unternehmerischer Selbständigkeit so genannte „Informelle Beschäftigungsorganisationen“ (feizhenggui jiuye zuzhi) eingeführt. Dies ist eine Form informeller, aber staatlich registrierter Mikrounternehmen, die besonders gefördert werden und auf die in Kapitel 6 näher eingegangen wird. Teure Integration ins städtische Sicherungssystem Als generelle Regel lässt sich herausstellen, dass alle drei Formen von Mikrounternehmen sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge zahlen müssen und am formellen Sozialversicherungssystem teilnehmen. Basierend auf diesem generellen Prinzip haben alle Städte für einzelne Versicherungszweige Sonderregeln geschaffen. So bieten alle vier Städte zur Krankenversicherung informeller Mikrounternehmen ein System der „doppelten Reduzierung“ an112: Kleinselbständige können eine reduzierte Form der Krankenversicherung mit eingeschränktem Leistungsspektrum abschließen, für die geringere Beiträge fällig werden. Das Angebot umfasst eine Absicherung gegen die größten und potentiell teuersten Gesundheitsrisiken – in der Regel werden vor allem Krankenhaus112
In Beijing gilt die doppelt reduzierte Krankenversicherung allerdings nur für Selbstbeschäftigte und nicht für Individualunternehmen und in Shanghai gibt es zusätzlich Sonderregeln für Informelle Beschäftigungsorganisationen.
120
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
behandlungen sowie ambulante Behandlungen bei einigen festgelegten schweren Krankheiten gezahlt. Reguläre Arztbesuche und Medikamente werden von der Versicherung nicht abgedeckt, dafür wird sie zu einem deutlich geringern Preis als die formelle Vollversicherung angeboten. Da aber Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge selbst eingezahlt werden müssen, liegen die Kosten dieser reduzierten Versicherung für informelle Mikrounternehmen – mit Ausnahme von Shenzhen – weiterhin deutlich über den Krankenversicherungsbeiträgen formell Beschäftigter, die nur zwei Prozent ihres Lohns beitragen müssen. Nachteilig ist zudem, dass mit der reduzierten Krankenversicherung nur Ansprüche während der Einzahlungszeit erworben werden. Formell Beschäftigte erhalten auch im Rentenalter Leistungen aus der Krankenversicherung, ohne weiterhin Beiträge zahlen zu müssen. Dies ist für die reduzierten Versicherungsmodelle nicht vorgesehen, weshalb Mikrounternehmer/innen im Alter auf sich selbst gestellt sind, sofern sie nicht an der formellen Krankenversicherung teilnehmen und die dort nötigen Beitragsjahre für eine Weiterversicherung erwerben113. Übersicht 7: Reduzierte Krankenversicherung für Selbstbeschäftigte Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
Beitragssatz
8%
–
7%
1%
Beitragsbasis
60% VorjahresDurchschnittslohn Shanghai
–
70% VorjahresDurchschnittslohn Beijing
60% VorjahresDurchschnittslohn Provinz Guangdong
Kosten 2007 (CNY)
118,27
100
147,39
13,09
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Für die Rentenversicherung ist das Bild noch deutlich differenzierter. In Shanghai und Shenzhen müssen Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte den vollen kombinierten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag zahlen, der aber aufgrund unterschiedlich hoher formeller Sozialbeiträge und Berechnungsgrundlagen in Shanghai fast doppelt so hoch ausfällt wie in Shenzhen. (vgl. Übersicht 8)
113 In Nanjing beispielsweise müssen von informell Beschäftigten, die an der formellen Krankenversicherung teilnehmen, bei Rentenantritt zehn Beitragsjahre nachgewiesen werden. Dies ist deutlich weniger als bei formell Beschäftigten (30 Beitragsjahre für Männer und 25 Beitragsjahre für Frauen). Werden die nötigen Beitragsjahre nicht erreicht, kann die Differenz als Einmalzahlung geleistet werden, ansonsten verfällt der Anspruch. Unterbricht ein/e informell Beschäftigte/r allerdings die Einzahlung in die Krankenversicherung für mehr als drei Monate, wird die Versicherungsbeziehung beendet. Bei einer späteren Neuaufnahme werden die Beitragsjahre auf Null zurückgesetzt. Dies macht es für Menschen mit unsicheren Einkommen schwer, die vorgeschriebenen Beitragsjahre zu erreichen.
121
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
Die von der Nationalregierung vorgegebene Teilsubvention der Rentenbeiträge um 8 Prozent für diese Personengruppe wird nur in Beijing und Nanjing umgesetzt. In Nanjing reduziert sich die Subvention allerdings durch eine künstlich höher angesetzte Beitragsbasis.114 Allein Beijing richtet sich somit nach den nationalen Rahmenregelungen. Die Stadt bietet ihren Mikrounternehmen vorübergehend sogar eine reduzierte Beitragsbasis als Berechnungsgrundlage an (40 Prozent des vorjährigen Durchschnittslohns), die allerdings bis 2011 auf die üblichen 60 Prozent angehoben werden soll. Übersicht 8: Rentenversicherung für Selbstbeschäftigte Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
Beitragssatz
30%
20%
20%
19%
Beitragsbasis
60% VorjahresDurchschnittslohn Shanghai
70% VorjahresDurchschnittslohn Provinz Jiangsu
40% VorjahresDurchschnittslohn Beijing
60% VorjahresDurchschnittslohn Provinz Guangdong
Kosten 2007 (CNY)
443,52
227,48
240,64
248,71
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Selbstbeschäftigte sind in allen vier Städten von einer Teilnahme an der Arbeitsunfallversicherung ausgeschlossen, gleiches gilt für die Mutterschaftsversicherung (mit teilweiser Ausnahme von Shenzhen115). An der Arbeitslosenversicherung können sie nur in Nanjing und Beijing teilnehmen, wobei Beijing Berechnungsgrundlage und Beitragssatz für individuell Teilnehmende reduziert hat (2 Prozent des Mindestlohns). Individualunternehmen können in Shanghai und Beijing an allen Versicherungsarten teilnehmen, müssen aber volle formelle Beiträge zahlen. Insgesamt gibt es somit kaum finanzielle Erleichterungen der Sozialversicherungsteilnahme für Mikrounternehmen. Mit teilweiser Ausnahme bei der Krankenversicherung sind die Beitragssätze für die anderen Versicherungsformen unverhältnismäßig hoch. Lediglich Shenzhen gelingt aufgrund niedriger Beitragssätze und einer reduzierten Beitragsbasis eine nennenswerte Reduktion der Versicherungskosten. In den anderen Städten bewegten sich die Mindestbeiträge für Selbstbeschäftigte im Jahr 2007 insgesamt zwischen 412 CNY pro Monat in Beijing und 562 CNY pro Monat in Shanghai, die Beiträge für Individualunternehmer/innen waren sogar noch höher. (vgl. Übersicht 9) Setzt man diese Beiträge in 114
Statt den bei formell Beschäftigten üblichen 60 Prozent werden 70 Prozent des vorjährigen Durchschnittslohns der Provinz Jiangsu veranschlagt. Die Subvention wird in Nanjing zudem auf 6 Prozent gekürzt, wenn das tatsächliche Einkommen die Beitragsbasis überschreitet, im Jahr 2007 also über 1387 CNY lag. 115 In Shenzhen ist die Teilnahme an der Mutterschaftsversicherung nur beim Abschluss einer formellen Krankenversicherung möglich, nicht aber bei Einzahlung in die reduzierte Krankenhausversicherung.
122
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Relation zu den lokalen Mindestlöhnen, die noch nicht einmal von allen Kleinselbständigen erreicht werden, wird die hohe finanzielle Belastung einer Absicherung noch deutlicher: die Versicherungsbeiträge verschlingen in Nanjing über die Hälfte, in Shanghai etwa 80 Prozent der Mindesteinkommen. Für die meisten Kleinselbständigen dürfte eine Sozialversicherung damit unerschwinglich bleiben. Shanghai und Shenzhen machen in den jeweiligen Regulierungen zur Sozialversicherung von Mikrounternehmen explizit die Einschränkung, dass diese Politiken ausschließlich für Personen mit dem hukou dieser Stadt gelten. Ländliche Wanderarbeiter/innen und informell Beschäftigte aus anderen Städten sind davon ausgeschlossen. Für sie gelten spezielle Migrantenpolitiken, wie weiter unten ausgeführt wird. In Nanjing und Beijing gibt es solche Einschränkungen nicht, allerdings auch keine explizite Erwähnung der Integration externer Arbeitskräfte in diese Versicherungspolitiken. Übersicht 9: Mindest-Sozialbeiträge für Mikrounternehmen 2007 im Vergleich zu Mindestlöhnen (in CNY) Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
Sozialbeiträge für Selbstbeschäftigte
561,70
419,01
412,08
261,80
Sozialbeiträge für Individualuntern.
621
419,01
500,70
366,58
Mindestlöhne
750
750
640
810
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Individuelle Beschäftigungsorganisationen in Shanghai Die einzige nennenswerte Unterstützung der Sozialversicherungsteilnahme von Mikrounternehmen bieten die speziellen Regeln für Informelle Beschäftigungsorganisationen in Shanghai. Für diese gelten zwar die formellen Versicherungssätze und sie müssen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge leisten, die Beitragsbasis ist aber nur etwa halb so hoch wie für den Rest der Versicherten (lokaler Mindestlohn, entspricht etwa 30 Prozent des Durchschnittslohns). Damit halbieren sich auch die absoluten Beiträge. Sie lagen für das Jahr 2007 bei insgesamt 360 CNY. Dies ist zwar noch immer mehr als doppelt so viel, wie formell Beschäftigte Arbeitnehmer/innen als Mindestbeiträge in die Sozialkassen einzahlen müssen, liegt aber weit unter den Sätzen für Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte der Stadt. Da Informelle Beschäftigungsorganisationen dieselben Leistungsansprüche haben wie formell Beschäftigte, handelt es sich quasi um eine Subvention der Sozialversicherung dieser Gruppe. Wegen der geringeren Einzahlungen in die Rentenkasse verringern sich allerdings die späteren Rentenansprüche, weshalb im Bereich der Rentenversicherung eher von einer „doppelten Reduzierung“ zu sprechen ist.
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
123
Administrative Erleichterungen Auch wenn es in den meisten Städten bei den Versicherungsbedingungen für Selbstbeschäftigte und informelle Individualunternehmen keine wesentlichen Verbesserungen gibt, wurden zumindest einige administrative Neuerungen eingeführt, welche die individuelle Versicherungsteilnahme erleichtern sollen. So haben die Arbeitsämter der untersuchten Städte spezielle Versicherungsschalter eröffnet, die für Beratung, Beantragung und Durchführung einer individuellen Versicherungsteilnahme zuständig sind. Zudem wurden spezielle Versicherungskarten ausgegeben, die eine individuelle Einzahlung von Versicherungsbeiträgen ermöglichen, ohne eine/n Arbeitgeber/in zu haben. Dies ist eine deutliche Erleichterung, da zuvor die Versicherungsteilnahme nur über eine beitragszahlende Arbeitseinheit möglich war. In Nanjing beispielsweise wird an informelle Lohnarbeitskräfte und Selbstbeschäftigte eine Versicherungskarte mit dem Namen „meihuaka“ (Pflaumenblütenkarte) ausgegeben. Mit dieser Karte können bei allen Filialen der Nanjing Commercial Bank (Nanjing Shi Shangye Yinhang) die monatlichen Versicherungsbeiträge eingezahlt und der aktuelle Stand des eigenen Sozialversicherungskontos abgerufen werden. Die Karte fungiert darüber hinaus als normale Bankkarte. Außerdem werden Informationskampagnen durchgeführt, um informell Beschäftigte über die verschiedenen Möglichkeiten einer individuellen Sozialversicherungsteilnahme zu unterrichten. Dies ist bei der schwer durchschaubaren Vielzahl verschiedener Absicherungsregeln für einzelne Untergruppen auch nötig. In Nanjing beispielsweise fanden sich große und deutlich wahrnehmbare Informationstafeln zu aktuellen Beitragssätzen für informell Beschäftigte sowohl im zentralen Arbeitsamt der Stadt als auch in Arbeitsbüros auf Straßenkomitee-Ebene.
5.4.2 Informelle Lohnarbeitskräfte In allen vier untersuchten Städten gelten für informelle Lohnarbeitskräfte dieselben Bedingungen wie für Selbstbeschäftigte: Wollen sie sich individuell sozialversichern, müssen sie für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge aufkommen, können an der reduzierten Krankenversicherung teilnehmen und erhalten in Beijing und Nanjing begrenzt Subventionen zur Rentenversicherung. Auch sie sind überall von der Arbeitsunfallversicherung und oftmals von der Arbeitslosenversicherung (außer in Nanjing und Beijing) und der Mutterschaftsversicherung (außer in Shenzhen) ausgeschlossen. Shanghai hat zusätzlich eine Spezialversicherung für Haushaltshilfen (jiazheng fuwu zonghe baoxian) ins Leben gerufen. Dies ist eine Art Arbeitsunfallversicherung und zahlt Entschädigungen im Fall von Verletzungen oder Invalidität in Folge von Arbeitsunfällen bis zu einer Höhe von 100.000 CNY. Sie ist sehr preiswert und wird ausschließlich von der Arbeitgeberseite finanziert, die pro Jahr 30 CNY einzahlen muss. Sie bietet allerdings keine Absicherung im „normalen“ Krankheitsfall. Im Gegensatz zu den Sozialversicherungen für informelle Mikrounternehmen und Lohnarbeitskräfte gilt sie nicht nur für Shanghaier/innen, sondern auch für Personen mit externem hukou, sowohl für Voll- als auch für Teilzeitbeschäftigte. Die Versicherung ist insofern ein Novum, als dass sie zwar staatlich konzipiert und propagiert wurde, der Vertrieb und das Management aber durch zwei private Versicherungsgesellschaften organisiert wird (China Pacific Property Insurance Co. Ltd. und China Ping’an Property Insurance Co. Ltd.). Die Versicherungspolice wird an über 500 Stellen in Shanghai vertrieben, u.a. bei den Filialen der Jiaotong-Bank. Die im Juli 2004
124
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
eingeführte Versicherung hatte bereits Ende 2005 über 111.000 Familien unter Vertrag, die ihre Haushaltshilfen darüber abgesichert hatten. (Shanghai Laodong Baozhang 2006) Shenzhen plant ebenfalls eine spezielle Arbeitsunfall- und Krankenversicherung für Haushaltshilfen und Bauarbeiter/innen. (sz.bendibao.com 14.12.2007)
5.4.3 Teilzeitbeschäftigte In Shanghai, Beijing und Shenzhen existieren explizite Vorschriften für die Sozialabsicherung von Teilzeitbeschäftigten, in Nanjing lassen sich entsprechende Regeln nur über Vordrucke und Formulare des Arbeitsamtes ableiten. Generelle Regel in allen vier Städten ist, dass sich Teilzeitbeschäftigte zu den Bedingungen von Selbstbeschäftigten individuell absichern können. In Shanghai besteht zudem die Option einer individuellen Teilnahme am formellen System. Arbeitgeber/innen haben die Sozialversicherungsbeiträge zusammen mit dem Lohn an die Teilzeitbeschäftigten auszuzahlen, welche dann eigenverantwortlich an der Sozialversicherung teilnehmen. Die Arbeitgeberseite wird dabei je nach Stadt unterschiedlich in die Pflicht genommen: In Beijing enthält der festgelegte Mindeststundenlohn ausdrücklich bereits Sozialversicherungsbeiträge, in Shanghai sind diese zusätzlich zu zahlen und in Nanjing ist dies nicht eindeutig geregelt116. Shenzhen wiederum hatte im Jahr 2008 noch keinen Mindestlohn auf Stundenbasis festgesetzt. Unklar bleibt in allen Städten, ob bei Einkommen oberhalb des Mindestlohnniveaus zusätzlich Sozialversicherungszuschläge von der Arbeitgeberseite zu zahlen sind. Faktisch werden die Teilzeitbeschäftigten damit für ihre soziale Absicherung selbst verantwortlich gemacht und die Arbeitgeber/innen aus der Pflicht genommen. Die Höhe der individuell einzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge richtet sich zwar prinzipiell nach dem Einkommen der Teilzeitbeschäftigten, ist aber an die formellen Mindestgrenzen gebunden – in der Regel werden 60 Prozent des lokalen Durchschnittslohns von Vollzeitbeschäftigten als Basis angesetzt. Damit müssten beispielsweise Teilzeitbeschäftigte, die 20 Wochenstunden arbeiten und den festgesetzten Mindeststundenlohn erhalten, in Beijing insgesamt 60 Prozent und in Nanjing 73 Prozent ihres Einkommens in die Sozialkassen einzahlen (siehe Übersicht 10). Dies dürfte in den meisten Fällen deren finanzielle Kapazitäten bei weitem übersteigen.
116
Die Mindeststundenlöhne betrugen 2007/2008 in Beijing, Shanghai und Nanjing 8,70 CNY, 7,50 CNY bzw. 7,20 CNY.
125
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing Übersicht 10: Minimum an monatlichen Sozialbeiträgen 2007 für Teilzeitarbeitskräfte im Vergleich zu Mindestlöhnen bei Halbtagsbeschäftigung (in CNY)
Sozialbeiträge für Teilzeitbeschäftigte
Mindestlöhne bei wöchentlich 20 Arbeitsstunden
Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
561,70
419,01
412,08
261,80
576
696 (incl. Sozialversicherungszuschlag)
390
640 (zzgl. Sozialversicherungszuschlag)
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Versicherungsansprüche ergeben sich für Teilzeitbeschäftigte nur aus den Monaten, in denen die vollen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Ist dies drei Monate in Folge nicht der Fall, wird die Sozialversicherungsbeziehung beendet. Das bedeutet, dass die Beitragsmonate auf Null gesetzt werden, wenn der oder die Versicherte nach einer Pause wieder mit den Einzahlungen beginnen kann. Für Ansprüche aus der Krankenversicherung sind je nach Stadt drei bis sechs durchgehende Versicherungsmonate nötig, für die Arbeitslosenversicherung mindestens ein Jahr. Außerdem dauert es auf diese Weise sehr lange, die für Rentenansprüche nötigen 15 Beitragsjahre zusammen zu bekommen. In Shanghai gibt es die Möglichkeit, Versicherungsbeiträge zu akkumulieren. Wird in einem Monat der nötige Mindestsatz für die Sozialversicherung nicht erreicht, werden die eingezahlten Beiträge nicht auf das individuelle Versicherungskonto transferiert, sondern für den nächsten Monat einbehalten. Das erleichtert zwar eine kontinuierliche Einzahlung, ändert aber nichts an der hohen Beitragsbelastung. Auch hier werden nur die Monate angerechnet, in denen der festgelegte Mindestsatz erreicht wird. In den anderen Monaten besteht kein Versicherungsschutz. Insgesamt führen die hohen Mindestbeiträge, die alleinige Verantwortlichkeit für Sozialversicherungszahlungen und der Anspruchsverlust bei mehrmonatiger Einzahlungsunterbrechung dazu, dass gering verdienende Teilzeitbeschäftigte in allen Städten praktisch aus dem Sozialversicherungssystem ausgeschlossen werden.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
5.4.4 Migrant/innen Am buntesten ist das Bild bei den Sozialversicherungsoptionen für Migrant/innen. Alle untersuchten Städte haben inzwischen Regeln erlassen, die Migrant/innen das Recht zur Teilnahme an der Sozialversicherung gewähren, d.h. es besteht kein formaler Dualismus mehr bei der Absicherung städtischer und ländlicher Arbeitskräfte in diesen Städten. Sonderregeln, die speziell auf Migrant/innen zugeschnittene Versicherungsbedingungen anbieten, gibt es allerdings erst in wenigen Bereichen. In allen Städten ist zu beobachten, dass die gesonderte Integration von Migrant/innen in die Sozialsysteme schrittweise erfolgt und der Schwerpunkt zunächst auf Versicherungsbereiche gelegt wird, die als besonders dringlich – und vergleichsweise einfach zu implementieren – angesehen werden. Dies ist in allen Städten die Krankenversicherung, für die beispielsweise in Shenzhen schon seit 1996 Sonderregeln für Migrant/innen existieren, in Beijing seit 1999. In Nanjing wird zusätzlich eine spezielle Arbeitsunfallversicherung für Migrant/innen sukzessive eingeführt. Beijing und Shenzhen haben die Beitragsbasis für eine Rentenversicherungsteilnahme von Migrant/innen gesenkt, was die Beiträge deutlich reduziert. Die restlichen Sozialversicherungsbereiche sind für Migrant/innen nicht gesondert reguliert, sondern sehen die Integration in das formelle städtische System vor, was in den meisten Fällen einem Ausschluss gleichkommt. Einen recht erfolgreichen Sonderweg geht Shanghai, das die Sozialabsicherung von Migrant/innen auf ein Parallelsystem in Form einer Paketversicherung umgestellt hat. In allen Städten unterscheiden sich die Sozialversicherungsregeln für Migrant/innen von denen für städtische informell Beschäftigte darin, dass sowohl für Migrant/innen selbst als auch für deren Arbeitgeber/innen Beitragsreduktionen eingeführt wurden. Ziel ist es hier also, durch attraktive Angebote für beide Seiten die Arbeitgeber/innen in die Pflicht zu nehmen und damit Migrant/innen eine Sozialversicherungsteilnahme zu ermöglichen, wogegen die Politiken für städtische informell Beschäftigte auf eine individuelle und teure Arbeitgeber-unabhängige Sozialversicherungsteilnahme abzielen. Teilnahme an städtischer Sozialversicherung in Beijing, Shenzhen und Nanjing Für die Krankenversicherung von Migrant/innen haben Beijing, Shenzhen und Nanjing ein System der „doppelten Reduzierung“ eingeführt, das noch einmal deutlich günstigere Konditionen als die reduzierte Krankenversicherung für selbstbeschäftigte Städter/innen anbietet. Es handelt sich um eine Absicherung für Krankenhausbehandlungen und die ambulante Behandlung einiger festgelegter schwerer Krankheiten; einfache Arztbesuche sind im Leistungsspektrum nicht enthalten. Die Versicherungen sind insofern auf die Bedürfnisse von Migrant/innen zugeschnitten, als dass sie direkt und ohne Vorbedingungen funktionieren. Es gibt kein über die Zeit zu akkumulierendes Individualkonto, und Leistungen können in der Regel ab dem ersten Einzahlungsmonat in Anspruch genommen werden (im formellen System gibt es eine Sperrfrist von 3 bis 6 Monaten). Allerdings gilt die Versicherung nur für die Dauer der Einzahlung, es ergeben sich also keine Leistungsansprüche für die Zeit nach der Verrentung. Eine Weiterversicherung im Alter ist nur bei einer Teilnahme an der formellen städtischen Krankenversicherung möglich. Im Gegenzug sind die Beiträge sehr günstig: In Beijing und Shanghai fallen für Migrant/innen selbst
127
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
keinerlei Eigenbeiträge an, in Shenzhen117 und Nanjing werden pauschal 4 CNY pro Monat berechnet. Da auch die Beitragssätze für die Arbeitgeberseite sehr preiswert sind, hat die Krankenversicherung für Migrant/innen in allen Städten schnelle Ausbreitung gefunden. In Shenzhen beispielsweise hatten Ende 2006 bereits 3,43 Millionen Migrant/innen an der Krankenversicherung teilgenommen, was einen Anteil von über 60 Prozent der registrierten Migrant/innen bedeutet. Bis 2010 sollte diese Zahl auf 80 Prozent steigen. (EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 34) Übersicht 11: Krankenversicherung für Migrant/innen
Beitragssatz
Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
Arbeitgeber:
5,5% (in UniversalV; incl. ArbeitsunfallV)
2%
2%
0,8% oder 8 CNY
Migrant:
–
4 CNY
–
0,2% oder 4 CNY
60% VorjahresDurchschnittslohn Shanghai
100% VorjahresDurchschnitt slohn Nanjing
60% VorjahresDurchschnittslohn Beijing
100% VorjahresDurchschnitt slohn Shenzhen
Arbeitgeber:
135,41 CNY (incl. Arbeitsunfallvers.)
54,10 CNY
36,10 CNY
23,41 bzw. 8 CNY
Migrant:
0 CNY
4 CNY
0 CNY
5,85 bzw. 4 CNY
Beitragsbasis
Monatsbeiträge 2007
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Für die Rentenversicherung wenden Beijing, Shenzhen und Nanjing das formelle städtische System ohne Anpassung an die speziellen Bedürfnisse von Migrant/innen an. Allerdings setzen Beijing und Shenzhen den lokalen Mindestlohn als Beitragsbasis an, und Shenzhen reduziert die Beiträge zudem um 1 Prozentpunkt. Die reduzierte Berechnungsbasis verringert die Rentenbeiträge erheblich und bedeutet in Beijing eine Reduktion um nahezu zwei Drittel im Vergleich zu den formellen Mindestbeiträgen, in Shenzhen um die Hälfte. (vgl. Übersicht 12) Auch wenn durch die geringeren Beiträge die späteren Rentenansprüche sinken („doppelte Reduzierung“), ist die Senkung der Sozialbeiträge für Migrant/innen generell ein begrüßenswerter Schritt, der die Einzahlungsbereitschaft von Arbeitnehmerund Arbeitgeberseite erhöht. Parallel dazu wird in einzelnen Städten mit der Möglichkeit von Rententransfers experimentiert. Nanjing ermöglicht einen Teiltransfer von Rentenansprüchen unter sehr rigiden Bedingungen: Migrant/innen können nur ihre Eigenbeiträge (8 Prozent) in eine andere 117
In Shenzhen gibt es für Migrant/innen zwei Optionen von Spezialversicherungen: Sie können entweder an der „Krankenversicherung für ländliche Migrant/innen“ (nongmingong yiliao baoxian) teilnehmen, die pauschal 8 CNY Arbeitgeber- und 4 CNY Arbeitnehmerbeitrag pro Monat kostet. Alternativ ist die Teilnahme an der reduzierten Krankenhausversicherung (zhuyuan yiliao baoxian) möglich, die auch für Selbstbeschäftigte und arbeitslose Städter/innen gilt. Dafür zahlen Arbeitgeber/innen 0,8 Prozent und Arbeitnehmer/innen 0,2 Prozent der Beitragsbasis (lokaler Durchschnittslohn Vorjahr) ein.
128
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Stadt transferieren und verlieren damit die deutlich höheren Arbeitgeberbeiträge. Außerdem ist dieser Teiltransfer an weitere Bedingungen geknüpft: für einen Transfer innerhalb der Provinz Jiangsu muss mindestens 5 Jahre in Nanjing eingezahlt worden sein, für Transfers in andere Provinzen mindestes 10 Jahre. Alternativ können Migrant/innen beim Verlassen ihrer Arbeitsstelle in Nanjing ihr dortiges Rentenkonto beibehalten und von anderen Orten aus darauf einzahlen. Dies ist aber nur dann eine realistische Option, wenn sie ihren Altersruhesitz in Nanjing planen (und dort akzeptiert werden). Rentenkonten können auch aus anderen Städten nach Nanjing transferiert werden, aber nur wenn die Migrant/innen über 45 (Männer) bzw. 40 Jahre (Frauen) alt sind. (South Yangze Times 27.2.2008) Die Beijinger Lokalregierung hat im Januar 2006 eine Richtlinie erlassen, die den Anspruchstransfer zwischen Stadt und Land ermöglichen soll. Zieht ein Bauer zur Arbeitsaufnahme in die Stadt, kann sein Individualkonto auf dem Land entweder ruhen gelassen und später weitergeführt oder in das städtische Rentensystem überführt werden. Hat eine ländliche Migrantin andererseits am städtischen Rentensystem teilgenommen und erreicht das Rentenalter, kann sie ihre Ansprüche auf das ländliche System übertragen und sich die Rente auf dem Land auszahlen lassen. (Birmingham & Cui 2006: 19f.) Übersicht 12: Rentenversicherung für Migrant/innen
Beitragssatz
Shanghai
Nanjing
Beijing
Shenzhen
Arbeitgeber:
7% (in UniversalV)
20%
20%
10%
Migrant:
–
8%
8%
8%
60% VorjahresDurchschnittslohn Shanghai
100% VorjahresDurchschnitt slohn Jiangsu
Mindestlohn Beijing
Mindestlohn Shenzhen
Arbeitgeber:
103,49 CNY
237,84 CNY
128 CNY
85 CNY
Migrant:
0 CNY
95,14 CNY
51,20 CNY
68 CNY
Beitragsbasis
Monatsbeiträge 2007
Quelle: Eigene Zusammenstellung
In keiner der untersuchten Städte ist es jedoch bislang möglich, auch die deutlich höheren Arbeitgeberbeiträge an den neuen Arbeitsort zu übertragen. Die gewährten Beitragsreduktionen bleiben somit für den Großteil der Migrant/innen wertlos. Es verwundert daher nicht, dass sich beispielsweise in Shenzhen allein im Jahr 2007 insgesamt 830.000 der 3,2 Millionen rentenversicherten Migrant/innen ihre eingezahlten Individualbeiträge aushändigen ließen, weil sie aufgrund von Ortswechseln oder wegen einer Rückkehr aufs Land die Teilnahme in der lokalen Rentenversicherung nicht fortsetzen konnten. Da die Arbeitgeberbeiträge in der städtischen Sozialkasse verblieben, haben abgewanderte Migrant/innen die Shenzhener Rentenversicherung allein im Jahr 2007 mit 800 Millionen CNY subventio-
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
129
niert118. (sz.bendibao.com 11.3.2008; sz.bendibao.com 19.12.2008) Eine zügige Umsetzung der oben diskutierten, 2010 in Kraft getretenen Richtlinie des Staatsrats, die Anspruchstransfers künftig China-weit ermöglichen soll (vgl. Kapitel 5.3), wäre somit Voraussetzung für eine gerechtere Rententeilnahme gerade von Migrant/innen. Für die Arbeitsunfallversicherung hat nur Nanjing eine spezielle Regulierung für Migrant/innen geschaffen, in Beijing und Shenzhen gilt das formelle System. Nanjing ist damit (abgesehen von Shanghai) die erste der betrachteten Fallstädte, die den Staatsratsbeschluss von 2006 zur bevorzugten Integration von Migrant/innen in die Arbeitsunfallversicherung119 umsetzt. Wie in diesem Dokument vorgesehen, hat Nanjing zunächst für die Baubranche konkrete Regulierungen erlassen. Der nächste Schwerpunkt soll auf Restaurants und Wäschereien gelegt werden. In den Bestimmungen für die Baubranche ist vorgeschrieben, dass Arbeitgeber/innen grundsätzlich für alle dort beschäftigten Migrant/innen eine Arbeitsunfallversicherung abzuschließen haben. Künftig sollen Baugenehmigungen nur noch vergeben werden, wenn die Zahlung der Arbeitsunfallversicherung nachgewiesen wird, sie hat also vor dem eigentlichen Baubeginn zu geschehen. Um dies zu erleichtern, haben Unternehmen die Wahl zwischen dem formellen Berechnungssystem (0,8 Prozent der Lohnsumme) und einer neuen projektbezogenen Berechnung der Versicherungsbeiträge. Bei der projektbezogenen Beitragsberechnung werden pauschal entweder 1,8 Prozent der veranschlagten Personalkosten des Bauprojekts oder 0,15 Prozent der gesamten vom Auftraggeber gezahlten Projektkosten als Beiträge zur Arbeitsunfallversicherung eingezahlt. Dies hat den Vorteil, dass damit automatisch alle auf einer Projektbaustelle tätigen Migrant/innen in den Versicherungsrahmen integriert sind und dass die Beitragszahlung als Vorbedingung für die Genehmigung des Bauvorhabens gestellt werden kann. Angaben der Arbeitsbehörden der Stadt Nanjing zufolge haben seit Einführung dieser verschärften Regeln im Oktober 2007 alle neuen Bauprojekte eine Arbeitsunfallversicherung für Migrant/innen abgeschlossen. Insgesamt waren bis Ende 2007 bereits 290.000 Migrant/innen in die Versicherung integriert. (Nanjing Ribao 30.4.2008) Das sind 30 Prozent der etwa 1 Million offiziell registrierten Migrant/innen in Nanjing. Die Regelung soll auf die gesamte Provinz Jiangsu ausgedehnt werden. (ebenda) Shenzhen hat zwar keine spezielle Arbeitsunfallversicherung eingeführt, konnte die Reichweite dieser Versicherung für Migrant/innen aber mit einer verwaltungstechnischen Maßnahme erhöhen: Bis 2004 gab es nur die Wahl zwischen der Teilnahme an allen fünf Teilversicherungen oder an keiner. Diese Regel wurde 2005 aufgehoben. Seither dürfen Branchen mit hohen Gesundheitsrisiken (u.a. Baubranche) auch primär an der Arbeitsunfallversicherung teilnehmen, ohne beispielsweise in die Rentenversicherung einzuzahlen. Dies hat zu einem starken Anstieg der Absicherungsquote in der Arbeitsunfallversicherung geführt und die Versichertenzahl von 3,61 Millionen (2004) auf 7,05 Millionen (2006) innerhalb kürzester Zeit nahezu verdoppelt. 80 Prozent der Versicherten waren Migrant/innen. (EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 47) Für die Arbeitslosenversicherung gilt für Migrant/innen in allen Städten das formelle System (Ausnahme Shanghai), wobei – wie auf nationaler Ebene vorgeschrieben – von 118
Annahme: die Migrant/innen zahlen für ein Jahr in die Rentenkassen ein und lassen sich dann ihr Individualkonto auszahlen; bei längerer Rentenversicherungsteilnahme ist die Subvention noch höher. Berechnung nach He Xiaoping, stellvertretender Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz der Provinz Heilongjiang, aus der viele der Migrant/innen kommen. 119 Vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Guofa [2006] 5 hao.
130
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Migrant/innen keine Arbeitnehmerbeiträge zu zahlen sind. Beijing sieht als einzige Stadt eine verbilligte Arbeitslosenversicherung für Migrant/innen vor, indem es den städtischen Mindestlohn als Beitragsbasis ansetzt und so die Arbeitgeberbeiträge um etwa zwei Drittel reduziert (2007: 12,80 CNY statt 36,10 CNY pro Monat). Allerdings sind auch die Unterstützungsleistungen im Fall einer Arbeitslosigkeit geringer („doppelte Reduzierung“) und werden nicht als monatliches Arbeitslosengeld, sondern als Einmalzahlung geleistet. Ansonsten gelten die formellen Versicherungsbedingungen, d.h. es muss mindestens ein Jahr ohne Unterbrechungen in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt werden, um sich für Leistungen zu qualifizieren, was für viele Migrant/innen problematisch ist. In allen Städten haben Unternehmen kaum Anreize, in die Versicherung einzuzahlen, weshalb die Abdeckungsquote als sehr gering anzunehmen ist. Bei der Mutterschaftsversicherung gelten überall die formellen Regeln (Ausnahme Shanghai), und die Teilnahme ist äußerst gering. Universalversicherung in Shanghai Einen Sonderweg in doppelter Hinsicht beschreitet Shanghai und ist gemessen an der erreichten Abdeckungsquote recht erfolgreich. Zum einen hat Shanghai als einzige der vier betrachteten Städte ein Parallelsystem für die Sozialabsicherung von Migrant/innen geschaffen, das unabhängig von der städtischen Sozialversicherung funktioniert und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten ist. Zum anderen verwendet Shanghai eine breitere Definition für Migrant/innen, die hier „von auswärts kommende Arbeitskräfte“ (wailai congye renyuan) genannt werden. Darunter fallen nicht nur ländliche Wanderarbeiter/innen (nongmingong), wie dies in den anderen Städten der Fall ist, sondern auch alle Personen aus anderen Städten, die in Shanghai arbeiten. Damit gelten auch hoch qualifizierte Büroangestellte und Manager/innen aus anderen Städten, die sich in Shanghai niedergelassen haben, als Migrant/innen und sind von der Teilnahme am städtischen Sozialversicherungssystem ausgeschlossen. Shanghai hat das „Universalversicherung“ (zonghe baoxian) genannte Parallelsystem im September 2002 als erste Stadt Chinas eingeführt und die Versicherungsbedingungen im Jahr 2004 noch einmal deutlich verbessert. Die Universalversicherung umfasst die drei Teilbereiche Renten-, Kranken- und Arbeitsunfallversicherung, die aber jeweils reduzierte Leistungen beinhalten und nicht mit den formellen Versicherungen vergleichbar sind. Von Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung sind Migrant/innen in Shanghai explizit ausgeschlossen. Die drei Teilbereiche der Universalversicherung sind als Paket zu einer Versicherung zusammengefasst und können nicht einzeln abgeschlossen werden. Diese Paketversicherung ist für Migrant/innen kostenlos. Sie wird allein von der Arbeitgeberseite finanziert, die 12,5 Prozent der Beitragsbasis 120 einzahlt. Im Jahr 2007 waren das mit 184,75 CNY pro Monat nur etwa ein Drittel der Mindestbeiträge, die Arbeitgeber/innen für formelle Arbeitskräfte zu zahlen hätten. Für externe Bauunternehmen gilt der reduzierte Beitragssatz von 5,5 Prozent (2007: 81,29 CNY), allerdings enthält das Versicherungspaket dort keine Rentenversicherung. Wie auch für die anderen Städte zu beobachten und später in der Richtlinie des Staatsrats von 2006 festgeschrieben, wird damit in Shanghai der Schwerpunkt auf eine forcierte Ausweitung von Kranken- und Arbeitsunfallversicherung in der Baubranche gelegt. 120
Beitragsbasis: 60 Prozent des lokalen Durchschnittslohns vom Vorjahr.
5.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
131
Bei allen anderen Versicherten gehen 7 Prozentpunkte des Beitrags für die Rentenversicherung ab und werden auf ein Individualkonto eingezahlt. Eine Einzahlung in den Solidarfonds der städtischen Rentenkasse, wo bei formeller Beschäftigung die Arbeitgeberbeiträge hinfließen, gibt es nicht. Damit erwerben Migrant/innen keinen Anspruch auf eine spätere Basisrente, sondern bekommen beim Erreichen des Rentenalters nur die kumulierten Beiträge ihres Individualkontos ausgezahlt. Mit insgesamt 1241,52 CNY (umgerechnet etwa 116 EUR) für ein volles Beitragsjahr (2007) sind die daraus erwachsenden Rentenansprüche sehr niedrig und bilden selbst bei langjähriger Einzahlung keine ausreichende Altersvorsorge121. Da sie nicht verzinst werden, sinkt ihr realer Wert zudem inflationsbedingt. (EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 39f.) Gleichzeitig subventionieren sie aber die städtischen Rentenkassen nicht, wenn sie sich ihr Individualkonto bei einem Weggang auszahlen lassen. Rentenansprüche ergeben sich bereits, wenn innerhalb von 3 Jahren insgesamt 12 Monate lang in die Versicherung eingezahlt wurde. Shanghai ist damit die erste Stadt, der es gelungen ist, eine – wenn auch nur teilweise befriedigende – Lösung für das Problem der Transferierbarkeit von Rentenansprüchen zu finden. Auch wenn ländliche Wanderarbeiter/innen aufgrund der fehlenden Basisrente gegenüber formell beschäftigten Städter/innen benachteiligt werden, sind sie in Shanghai deutlich besser gestellt als in allen andern Städten. Sie erwerben ohne eigene Einzahlungen Rentenansprüche und müssen bei einem Weggang oder einer Unterbrechung der Beschäftigung nicht auf die von den Arbeitgeber/innen geleisteten Beiträge verzichten. Schlechter gestellt sind dagegen qualifizierte Angestellte aus anderen Städten, die anderswo an der städtischen Rentenversicherung teilnehmen könnten. Da sie allerdings in Shanghai keine Eigenbeiträge zu leisten haben, dürften sie den finanziellen Spielraum haben, um mit einer privat am Kapitalmarkt erworbenen Rentenpolice zumindest einen Teil der Absicherungslücke zu schließen. Die in der Universalversicherung enthaltene Krankenversicherung hat nur ein eingeschränktes Leistungsspektrum und soll bei schweren Erkrankungen eine Basisabsicherung bieten. Sie erstattet nur Krankenhauskosten in bestimmten Hospitälern und keine ambulanten Arztbesuche. Ein festgesetzter Betrag der Kosten ist selbst zu tragen; übersteigen die Krankenhauskosten diese Selbstbeteiligung, werden 80 Prozent des darüber liegenden Betrages erstattet. Die Höchstgrenze für die Kostenerstattung ist nach Beitragszeit gestaffelt. Der Maximalbetrag ist bereits bei einer Versicherungsteilnahme von mindestens einem Jahr erreicht und liegt beim Vierfachen des durchschnittlichen Shanghaier Jahreslohns vom Vorjahr (für 2007 waren das insgesamt 118.272 CNY). Leistungsansprüche bestehen bereits nach dem ersten Versicherungsmonat, gelten aber nur für die Beschäftigungsdauer und beinhalten keine weiteren Ansprüche nach der Verrentung. Von Versicherungsleistungen ausgenommen sind selbstverschuldete Krankheiten (z.B. infolge von Selbstmordversuchen, Drogenmissbrauch oder Verkehrsunfällen), HIV/AIDS-Behandlungen und Folgebehandlungen früherer Krankheiten. Die Arbeitsunfallkomponente der Universalversicherung deckt Krankenkosten infolge von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten ab und zahlt eine Entschädigung. Die Kompensation ist nach Alter und Invaliditätsgrad gestaffelt und wird als Einmalzahlung geleis-
121
Selbst bei einer 30jährigen durchgehenden Einzahlung in die Universalversicherung ergibt sich damit lediglich eine Einmalzahlung in Höhe von 37.234,60 CNY bei Rentenantritt. Das sind umgerechnet etwa 3.470 EUR, die für die gesamte Rentendauer zur Verfügung stehen.
132
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
tet. Der Höchstbetrag liegt beim Invaliditätsgrad 1 und einem Alter von maximal 25 Jahren bei 789.000 CNY. Die Universalversicherung gilt für alle in Shanghai tätigen Arbeitskräfte ohne Shanghaier hukou. Ausgenommen sind Haushaltshilfen, für die nur die oben ausgeführte Spezialversicherung für Haushaltshilfen (jiazheng fuwu zonghe baoxian) möglich ist (vgl. Kapitel 5.4.3), sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft. Selbstbeschäftigte Migrant/innen sollen individuell an der Universalversicherung teilnehmen und müssen die Arbeitgeberbeiträge zahlen. Im Unterschied zu den Sozialversicherungsregulierungen vieler anderer Städte legt Shanghai konkrete Sanktionen für säumige Unternehmen fest. Zahlen Unternehmen oder selbstbeschäftigte Migrant/innen nicht oder nicht fristgerecht ein, werden pro Tag Verzugsstrafen in Höhe von 2 Promille des ausstehenden Betrags fällig. Außerdem können Strafen vom ein- bis zweifachen der Zahlungsrückstände verhängt werden. Seit Einführung der Universalversicherung ist deren Reichweite kontinuierlich gestiegen und lag im Jahr 2006 bei 2,8 Millionen Versicherten. (EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 38) Bis 2010 sollte die Versicherungsteilnahme auf 3,5 Millionen bzw. 90 Prozent der ländlichen Wanderarbeiter/innen erhöht werden. (Shanghai Shi Renmin Zhengfu 2007) Dem Beispiel Shanghais folgend haben inzwischen weitere Städte – z.B. Chengdu122 – eine Paketversicherung für Migrant/innen eingeführt. Zusammenfassung Bei der Sozialversicherung für Migrant/innen existiert die größte Bandbreite lokal differierender Vorschriften. Gemeinsam ist den Regulierungen in allen Städten, dass die Absicherungsquote von Migrant/innen durch stark reduzierte Beitragssätze erhöht werden soll und dass Arbeitgeber/innen den Hauptanteil an den Versicherungskosten tragen, die aber in allen Fällen deutlich preisgünstiger sind als für städtische Beschäftigte. Migrant/innen selbst werden durch die speziellen Sozialversicherungsregeln finanziell stark entlastet, das Problem der fehlenden Mitnahmemöglichkeit von Rentenansprüchen im Fall eines Ortswechsels bleibt aber – mit teilweiser Ausnahme Shanghais – bis zur Umsetzung der neuen nationalen Vorschriften bestehen und verringert den Nutzen einer Versicherungsteilnahme für mobile Arbeitskräfte erheblich.
5.4.5 „Wiederbeschäftigte“ Die einzige Gruppe informell Beschäftigter, für welche die lokalen Sozialversicherungspolitiken sehr uniform sind und sich eng an die nationalen Vorgaben halten, sind die so genannten „Wiederbeschäftigten“. Wie in den nationalen Vorschriften123 vorgesehen, erhalten in allen vier Städten die registrierten Arbeitslosen mit hukou der jeweiligen Stadt staatliche Subventionen zur Sozialversicherung, wenn sie als Männer älter als 50 Jahre (in Beijing älter als 45) bzw. als Frauen älter als 40 Jahre sind. Lediglich die Höhe der Subventionen unterscheidet sich. Für Selbstbeschäftigte und flexibel Beschäftigte, die individuell an der Sozialversicherung teilnehmen und die obigen Bedingungen erfüllen, gewährt Shanghai 50 122
In Chengdu bietet die Paketversicherung trotz höherer Beiträge geringere Leistungen und leidet unter geringen Teilnahmequoten. Für einen Vergleich mit Shanghai siehe EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 40. 123 Vgl. Teil 8.1.2 des Anhangs: Guofa [2005] 36 hao und Caishe [2006] 1 hao.
5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte
133
Prozent Sozialversicherungssubventionen, in Shenzhen sind es pauschal 300 CNY (entspricht derzeit etwa 62 Prozent), in Nanjing 66 Prozent und in Beijing je nach Versicherungsart zwischen 70 (Rentenversicherung) und 85 Prozent (Krankenversicherung). Die Subventionen werden jeweils für drei Jahre gezahlt, zum Teil sind Verlängerungen für Menschen nahe dem Renteneintrittsalter möglich. Um die formelle Wiederbeschäftigung städtischer Arbeitsloser zu fördern, gewähren Shenzhen und Nanjing zudem Sozialversicherungssubventionen für Unternehmen. Werden städtische Arbeitslose über 50 (Männer) bzw. 40 (Frauen) Jahren angestellt und erhalten diese mindestens einjährige Arbeitsverträge und mindestens den vorgeschriebenen Mindestlohn, erhalten die Arbeitgeber/innen in Nanjing drei Jahre lang 50 Prozent ihrer Sozialversicherungsbeiträge für diese Personengruppe zurückerstattet, in Shenzhen sind es 80 Prozent (max. 300 CNY). Unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Arbeitsplätze neu geschaffen wurden, werden für die oben genannte Zielgruppen bei einer Einstellung in Handels- und Dienstleistungsunternehmen bzw. in gemeinnützigen Arbeitsplätzen in Nanjing sogar 100 Prozent der Arbeitgeberbeiträge von den Arbeitsbehörden übernommen. In Shenzhen gibt es eine vollständige Sozialversicherungssubvention bei informeller Leiharbeit für von der Regierung finanzierte Projekte. Dies ist im Übrigen die einzige Regulierung, welche eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Leiharbeitskräften fördert – in keiner anderen untersuchten Stadt und für keine andere Personengruppe existieren sonst Regelungen für Zeitarbeit. Shanghai und Beijing gewähren keine Subventionen für die Wiederbeschäftigung „älterer“ Arbeitsloser und kommen damit den nationalen Richtlinien dazu nicht nach. In allen Fällen werden nur die Arbeitgeberbeiträge subventioniert, die Arbeitnehmerbeiträge sind von den Wiederbeschäftigten selbst zu tragen. Dies bedeutet für Arbeitnehmer/innen dennoch eine hohe Subvention, da sie andernfalls als informell Beschäftigte für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge selbst aufkommen müssten. Außerdem erwerben sie durch die subventionierte Sozialversicherungsteilnahme deutlich höhere Rentenversicherungsansprüche als bei einer individuellen Teilnahme und sind Mitglieder in der formellen Krankenversicherung, die ein höheres Leistungsspektrum bietet als die Krankenhausversicherungen für informell Beschäftigte.
5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte Mit der Schaffung von Regeln zur Sozialabsicherung informell Beschäftigter ist in China in den letzten Jahren eines der zentralen decent work-Defizite der informellen Ökonomie angegangen worden. Die Problematik und Brisanz dieses Themas ist den politischen Entscheidungsträgern bewusst und wurde mit dem Ziel, eine „harmonische Gesellschaft“ schaffen zu wollen, auf der politischen Agenda weit nach oben gerückt. Inwiefern die derzeitigen Regeln und ihre Umsetzung zum Abbau von decent work-Defiziten und zur Verbesserung der Beschäftigungsqualität in der informellen Ökonomie beitragen, wird im Folgenden anhand der im Theorieteil abgeleiteten Analyseparameter untersucht. Gefragt wird dabei nach (1) der Reichweite der Sozialversicherungsregulierungen, (2) deren Zielgruppenorientierung, (3) der politischen und (4) ökonomischen Nachhaltigkeit der Politiken, (5) der Kooperation der involvierten Akteure und deren Hierarchieebene und (6) der
134
5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Kohärenz der neuen Sozialversicherungsregeln mit den anderen untersuchten Politiken und mit der decent work-Agenda. Reichweite Durch die Implementierung der Sozialversicherungspolitiken für informell Beschäftigte hat sich deren Integration in die Sozialsysteme verbessert, wenngleich die Abdeckungsquote noch immer gering ist. Es existieren keine nationalen Statistiken, welche die Sozialversicherungsquoten informell Beschäftigter gesondert ausweisen. Lediglich ländliche Arbeitsmigrant/innen, die bezüglich ihres Registrierungsstatus eine klar definierbare statistische Kategorie bilden, sind besser erfasst. Angaben des Staatsrats zufolge ist die Reichweite der Arbeitsunfallversicherung am größten, an der 2009 knapp 56 Millionen Migrant/innen teilnahmen. 43 Millionen Migrant/innen waren krankenversichert und 26 Millionen hatten an der Rentenversicherung teilgenommen. Über eine Arbeitslosenversicherung verfügten 2009 etwa 16 Millionen Arbeitsmigrant/innen. (Information Office of the State Council 2010a) Übersicht 13: Entwicklung der Sozialabsicherung ländlicher Arbeitsmigrant/innen 2006 und 2009 Versichertenzahlen (Mio. ländlicher Arbeitsmigranten)
Prozentualer Anteil an allen ländlichen Migranten
2006
2009
2009
Rentenversicherung
14,70
26,47
7,6%
Krankenversicherung
23,67
43,35
12,2%
Arbeitsunfallversicherung
25,37
55,87
21,8%
Arbeitslosenversicherung
11,5 (2007)
16,43
3,9%
k.A.
k.A.
2,3%
Mutterschaftsversicherung
Quellen: Laodong he Shehui Baozhang Bu & Guojia Tongjiju 2007; Information Office of the State Council 2010a; Prozentanteile: Guojia Tongjiju Nongcunsi 2010.
Die Daten spiegeln den politischen Fokus auf eine forcierte Ausweitung der Arbeitsunfallund der Krankenversicherung wider und zeigen gleichzeitig ein erstaunlich dynamisches Wachstum der absoluten Versichertenzahlen: Seit 2006 hat sich die Versicherungsteilnahme von Migrant/innen etwa verdoppelt. Da sich allerdings im selben Zeitraum auch die Zahl der Arbeitsmigrant/innen stark erhöht hat, sind die prozentualen Absicherungsquoten kaum gewachsen. Auch wenn sich aufgrund unterschiedlicher statistischer Erhebungsmethoden die absoluten Versichertenzahlen des Staatsrats nicht vollständig mit den vom Staatlichen Statistikamt ermittelten Prozentangaben decken, zeigen letztere dennoch eindrucksvoll, dass der Versichertenanteil von Migrant/innen weiterhin deutlich unter dem von formell Beschäftigten liegt (vgl. Übersicht 13): Rentenversichert waren dem Staatlichen Statistikamt zufolge im Jahr 2009 weniger als 8 Prozent aller ländlichen Arbeitsmigrant/innen; in der Baubranche waren es sogar weniger als 2 Prozent, im Hotel- und Gaststättengewerbe weniger als 4 Prozent. Über eine Krankenversicherung verfügten trotz der neu eingeführten Modelle nur 12 Pro-
5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte
135
zent (Bau: 4 Prozent, Hotel und Gastronomie: 7 Prozent) (Guojia Tongjiju Nongcunsi 2010) Über die Situation der Sozialabsicherung städtischer informell Beschäftigter, für welche die Datenlage besonders schlecht ist, lassen sich aus den Statistiken zu Migrant/innen nur sehr bedingt Folgerungen ableiten. Es ist davon auszugehen, dass die Absicherungsquoten für städtische Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte hinter denen von Migrant/innen zurückbleiben und deutlich geringere Zuwachsraten aufweisen. Diese These gründet sich auf ein interessantes Phänomen, das im Widerspruch zu anderen Politikbereichen steht: Im Bereich der Sozialabsicherung werden seit einigen Jahren Migrant/innen besonders gefördert und sind bessergestellt als informelle städtische Arbeitskräfte. Abgesehen von „älteren“ städtischen Wiederbeschäftigten, die jedoch nur unter der Voraussetzung einer schwer zu erreichenden offiziellen Arbeitslosenregistrierung und nur für drei Jahre Subventionen zur Sozialversicherung erhalten, sind die Versicherungsbedingungen in allen untersuchten Städten für Migrant/innen am vorteilhaftesten. Überall gibt es deutlich reduzierte Beitragssätze und Spezialtarife, in Shanghai wird ihnen sogar ein umfassendes, bedürfnisorientiertes Versicherungspaket angeboten. Für städtische Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte gelten dagegen trotz einiger Reduktionen weiterhin prohibitiv hohe Beitragssätze, da Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge selbst gezahlt werden müssen und die Beiträge auf Basis der Durchschnittslöhne formell Beschäftigter berechnet werden statt unter Zugrundelegen ihres tatsächlichen Einkommens. Damit sind informell beschäftigte Städter/innen weiterhin in den meisten Fällen faktisch von einer Sozialversicherungsteilnahme ausgeschlossen. Dass sich der Gesetzgeber schwer tut, für informelle städtische Lohnarbeitskräfte ähnlich günstige Konditionen für eine selbständige Versicherungsteilnahme einzurichten wie für Migrant/innen, ist allerdings nachvollziehbar. Wenn sich jede/r Arbeitnehmer/in preiswert selbst versichern könnte, würde dies die Unternehmen quasi von ihrer Versicherungspflicht entbinden und das Solidarsystem auflösen. Für informelle Lohnarbeitskräfte kann die Lösung also nicht primär in weiter reduzierten Versicherungsbeiträgen liegen. Hier wären einerseits eine stärkere Durchsetzung der allgemeinen Versicherungspflicht durch intensivere Kontrollen und empfindlichere Strafen sowie anderseits stärkere Anreize zu Sozialversicherungszahlungen etwa durch befristete Beitragssubventionen oder Kombilohnmodelle von Nöten. Letzteres wird bislang nur für die kleine Gruppe der „älteren“ Wiederbeschäftigten angeboten. Für Selbstbeschäftigte und Individualunternehmen gilt das obige Argument jedoch nicht, da es keine Arbeitgeber/innen gibt, die aus der Pflicht genommen werden könnten. Dass auch für diese Gruppe deutliche Beitragssenkungen möglich wären, zeigt das Beispiel der Sozialversicherungsregeln für Informelle Beschäftigungsorganisationen in Shanghai. Allerdings sind auch dort gemessen am tatsächlichen Einkommen der Versicherten die Beiträge recht hoch und liegen etwa beim Doppelten der Kosten für die Paketversicherung von Migrant/innen. Dafür sind jedoch auch die Leistungen deutlich umfangreicher. Die Bewertung der Geschlechter-Sensibilität der untersuchten Regulierungen fällt gemischt aus. Frauen sind zwar generell in allen Versicherungs- und Beschäftigtenkategorien zu den gleichen Bedingungen wie Männer in die Sicherungssysteme integriert. Der Fokus der Sozialversicherungsausweitung benachteiligt sie aber implizit. Insbesondere in der Politik für Migrant/innen liegt der Schwerpunkt sowohl auf nationaler Ebene als auch in den untersuchten Fallstädten auf der Arbeitsunfallversicherung sowie auf der Bau- und
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Bergbauindustrie. Dort sind fast ausschließlich Männer beschäftigt, denen die Sonderpolitiken zugutekommen. Einzig Shanghai bietet mit der privaten Arbeitsunfallversicherung für Haushaltshilfen eine Versicherung an, von der vorrangig Frauen profitieren. Von der Mutterschaftsversicherung dagegen, die im formellen System zum Standardpaket gehört und nur Frauen absichert, sind informell Beschäftigte meist ausgeschlossen oder können nur durch Eigenzahlung der vollen Arbeitgeberbeiträge teilnehmen. (Interview Fudan University, Shanghai 14.03.2006) Zielgruppenorientierung Generell ist eine Integration in die Sozialversicherung von großer Relevanz für informell Beschäftigte, da vielfach hohe Gesundheits- und Einkommensrisiken bestehen, gegen die eine Absicherung erwünscht ist. Selbst das für Viele in weiter Ferne liegende Risiko der Altersarmut scheint für informell Beschäftigte ein Thema zu sein. Interviews von Cai Heping und Hua Yingfang unter Migrant/innen in Shanghai und Shenzhen haben gezeigt, dass bis auf einige sehr junge Menschen fast alle Befragten an einer Rentenversicherung teilnehmen wollten. (Cai Heping & Hua Yingfang 2008: 196) Wie unattraktiv die derzeitigen Rentenversicherungsangebote für informell Beschäftigte sind, macht eine andere Umfrage in Shenzhen deutlich: 83 Prozent der dortigen Migrant/innen wollten nicht in die für sie angebotenen Rentenversicherung einzahlen, weil sie diese in ihrer derzeitigen Gestaltung als „nutzlos“ ansahen. (sz.bendibao.com 11.3.2008) Die Gründe für die noch immer schwierige Ausweitung der Sozialversicherung liegen im Wesentlichen darin, dass die in Kapitel 5.1 diskutierten Widersprüche zwischen Versicherungsdesign und Charakteristika der informell Beschäftigten nur teilweise aufgehoben werden konnten. Übersicht 14 fasst zusammen, inwiefern dies mit den einzelnen lokalen Absicherungsstrategien bislang gelungen ist. Am ehesten geht die in Shanghai angebotene Universalversicherung auf die spezifischen Bedürfnisse informell Beschäftigter nach niedrigen Beitragssätzen, flexiblen Einzahlungsmöglichkeiten und einer Mitnahmemöglichkeit der Rentenansprüche ein. Die Versicherung wird allerdings nur für Migrant/innen angeboten und gilt nur für die Dauer der Beschäftigung in Shanghai. Rentenbeiträge werden als Einmalzahlung zurückerstattet, führen nicht zu Ansprüchen auf lebenslange Altersbezüge und sind generell niedrig. Ansatzweise entspricht die Strategie der „doppelten Reduzierung“, die insbesondere bei Renten- und Krankenversicherung zur Anwendung kommt, den Charakteristika der Zielgruppe. Sie sichert nur Existenz bedrohende Risiken ab (schwere Krankheiten, extreme Altersarmut), bietet dafür aber deutlich reduzierte Beitragssätze an. Ob diese für informell Beschäftigte tragbar und attraktiv sind, hängt von der Höhe der jeweiligen Reduzierungen ab. Da die reduzierten Versicherungen gemeinsam mit der städtischen Sozialversicherung verwaltet werden, sind sie langfristig mit dem formellen System kompatibel und bauen keine Parallelstrukturen auf, d.h. ein Wechsel in die formelle Versicherung bei einer Verbesserung der individuellen Beschäftigungssituation ist problemlos möglich. Mit einer Teilsubventionierung der Sozialversicherungsbeiträge gelingt es dagegen nur in wenigen Fällen, informell Beschäftigten eine Teilnahme am Sozialsystem zu ermöglichen. Die in den nationalen Rahmenregeln verfügte Reduzierung der Rentenbeiträge um 8 Prozentpunkte für Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte entlastet die Beitragszahler/innen nur unwesentlich, da die Berechnungsbasis unverändert hoch ist und weiterhin Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge eingezahlt werden müssen. Die hohen
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5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte
Subventionen für die Zielgruppe der „älteren“ Wiederbeschäftigten erleichtern die Teilnahme von Selbstbeschäftigten dagegen deutlich und setzen starke Anreize für Unternehmen, Lohnarbeitskräfte zur Sozialversicherung anzumelden. Sie sind die einzige Maßnahme, die eine Formalisierung von Beschäftigungsverhältnissen fördert und haben für die Versicherten zudem den Vorteil, dass sie vollständige formelle Leistungsansprüche erwerben. Nachteilig ist allerdings, dass die Steuerzahler/innen für die Verpflichtungen von Arbeitgeber/innen einspringen und derartige Subventionen aufgrund hoher Kosten nur für eine kleine, eng begrenzte Zielgruppe leistbar sind. Übersicht 14: Auswertung der lokalen Absicherungsstrategien Städtische Städtische SozialversicheSozialV mit rung Subventionen Beiträge
„Doppelte Reduzierung“
Paketversicherung
hoch
reduziert
reduziert
deutlich reduziert
unflexibel
unflexibel
flexibel
flexibel
Transferierbarkeit bei Ortswechsel
derzeit: nein künftig: begrenzt
derzeit: nein künftig: begrenzt
nein
nein, aber vollständige Auszahlung RV
Transferierbarkeit Stadt – Land
derzeit: nein künftig: begrenzt
derzeit: nein künftig: begrenzt
nein
nein, aber vollständige Auszahlung RV
Anreize für Unternehmen zu Einzahlung
gering
höher
bei Städtern: nein bei Migranten: ja
höher
geringere Ansprüche; bei KV Absicherung nur für Beschäftigungs-dauer
Absicherung nur für Beschäftigungsdauer; geringere Ansprüche
Einzahlungsmethoden
Nachteile
Steuerzahler kommt für Unternehmenspflichten auf
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Fortschritte wurden überall im Bereich der Flexibilisierung von Versicherungsleistungen gemacht. Es wurden flexible, individuelle Einzahlungsmöglichkeiten geschaffen, administrative Hürden reduziert, Regeln für den Umgang mit unkontinuierlichen Beitragszahlungen erlassen und in vielen Fällen Sperrfristen verkürzt oder aufgehoben (z.B. bei Krankenversicherungsansprüchen). Mit Ausnahme der Shanghaier Universalversicherung wird allerdings der Erwerb von Rentenansprüchen weiterhin restriktiv gehandhabt. Außerdem wäre aufgrund der verwirrenden Vielzahl von Einzelregelungen eine bessere Informationspolitik dringend notwendig. Der einzige Bereich, in dem bislang keine praktischen Fortschritte erzielt wurden, ist die Übertragbarkeit von Versicherungsleistungen. Für den Transfer von Rentenansprüchen wurde 2010 die regulatorische Grundlage geschaffen, die eine wichtige Weichenstellung bedeutet, bis zu deren Umsetzung aber aufgrund fehlender technischer Voraussetzungen und der Notwendigkeit lokaler Regulierungen noch einige Jahre vergehen dürften. Künftig wird die Übertragung von Rentenansprüchen und das Kumulieren geleisteter Einzahlungs-
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
zeiten bei Ortswechseln möglich sein, allerdings weiterhin unter Verlust eines Teils der Arbeitgeberbeiträge. Gleichzeitig wird der Transfer der in Städten erworbenen Rentenansprüche von Migrant/innen ins ländliche Versicherungssystem ermöglicht, eine umgekehrte Mitnahme ländlicher Rentenzahlung ins städtische System ist aber nicht vorgesehen. Bis zur praktischen Umsetzung der neuen Transferregeln wird die Austrittsquote aus der Rentenversicherung insbesondere bei Migrant/innen hoch bleiben – in der Provinz Guangdong, die eine der wichtigsten Zielgebiete von Binnenmigration ist, liegt seit längerer Zeit bei 95 Prozent. (vgl. Cai Heping & Hua Yingfang 2008: 197; Jia Liping 2007: 45) Politische Nachhaltigkeit und Fristigkeit der Politiken Die Integration in das Sozialversicherungssystem ist generell ein langfristig wirksames Mittel, um die Prekarität informeller Beschäftigung zu reduzieren. Im Fall der Universalversicherung für Migrant/innen in Shanghai und der reduzierten Krankenversicherung handelt es sich allerdings eher um Akutmaßnahmen, die sofortige Leistungsansprüche ermöglichen, diese aber auf die Zeit der Erwerbstätigkeit begrenzen. Damit gelingt es, dem drängenden Absicherungsbedarf vieler informell Beschäftigter sofort wirksame Maßnahmen entgegenzusetzen. Gleichzeitig werden die Sicherungsprobleme aber in die Zukunft verschoben; langfristige Strategien fehlen. Einzig die hohen Versicherungssubventionen für „ältere“ Wiederbeschäftigte erreichen kurzfristig eine Absicherungswirkung und erhöhen gleichzeitig langfristig die Beschäftigungsfähigkeit der Zielgruppe. Problematisch für die nachhaltige Wirksamkeit der Politiken ist zudem, dass die wachsende Regulierungsdichte oftmals nicht von einer forcierten Durchsetzung begleitet wird: „[…] Einige Regionalregierungen und Arbeitsbehörden kümmern sich nur um Verordnungen; niemand inspiziert, niemand initiiert Kontrollen. Bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern existiert oft ein diffuses Wissen, Gesetze sind nicht bekannt oder werden absichtlich nicht befolgt, Rechtsverletzungen werden nicht untersucht oder haben geringe Folgen.“ (Zeng Yu 2008: 53)
Es gibt allerdings auch positive Gegenbeispiele, wie etwa die Koppelung von Baugenehmigungen an Zahlungen in die Arbeitsunfallversicherung in Nanjing. Shanghai hat in seiner Nachbesserung der Universalversicherung im Jahr 2004 explizite Strafandrohungen und Sanktionen festgeschrieben und allein in diesem Jahr 2.500 Arbeitsinspektor/innen eingesetzt, um die Einzahlung in den Sozialversicherungsfonds für Migrant/innen durchzusetzen. (Shanghai Daily 2004) Finanzielle Nachhaltigkeit Das städtische Sozialversicherungssystem der VR China wird insgesamt stark bezuschusst, was zum Teil auf die „Altlasten“ aus der planwirtschaftlichen Periode zurückzuführen ist, zum Teil auf Probleme bei Management und Versicherungsdesign. Jährlich fließen hohe Subventionen in die Sozialkassen. Dem Arbeitsbericht der Zentralregierung aus dem Jahr 2008 zufolge haben die Regierungen auf allen Ebenen zwischen 2002 und 2007 insgesamt 1,95 Billionen CNY in den Aufbau des Sozialversicherungssystems investiert; das waren 141 Prozent mehr als in den fünf Jahren davor. (Wen Jiabao 2008) Da die meisten Versicherungsangebote für informell Beschäftigte auf dem formellen städtischen Sozialversicherungssystem basieren und Teil dessen sind, werden sie ebenfalls bezuschusst. Besonders hoch sind die Kosten für die subventionierten Versicherungsangebote, bei denen der Staat zusätzlich für einen Teil der Beiträge aufkommt. Beim System der „doppelten Reduzie-
5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte
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rung“ dürften die Mindereinnahmen der Sozialkassen durch geringere Leistungen in etwa kompensiert werden und daher kaum zusätzlichen Kosten entstehen. Im Gegenteil subventionieren mobile informell Beschäftigte, wie vorn gezeigt, mit ihren Rentenbeiträgen die lokalen Sozialkassen. Lediglich Parallelversicherungen, wie die Universalversicherung für Migrant/innen und die Arbeitsunfallversicherung für Haushaltshilfen in Shanghai, die von externen Versicherungsunternehmen verwaltet werden und nicht Teil des formellen Sozialsystems sind, dürften kostendeckend arbeiten. Für die Versicherten hat dies den Vorteil, dass sie die historischen Schulden der Sozialkassen nicht mitfinanzieren müssen und dass wegen des einfachen und effizienteren Managements geringere Verwaltungskosten abgezogen werden. Die problematische Finanzierungssituation der lokalen Sozialversicherungssysteme ist meines Erachtens ein wichtiger Grund dafür, dass es bislang nicht gelungen ist, attraktivere und preiswertere Absicherungsmodelle für Selbstbeschäftigte und informelle Lohnarbeitskräfte anzubieten, die höhere staatliche Zuschüsse benötigen würden. Auf der anderen Seite werden die Sozialkassen durch die geringe Versicherungsteilnahme informell Beschäftigter zusätzlich belastet: Erstens fehlt diese Gruppe als Einzahlende, um die heutigen Renten und Krankenkosten mitzufinanzieren, und zweitens haben informell Beschäftigte durch die fehlende Absicherung ein hohes Risiko, im Fall von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter selbst zu Sozialfällen zu werden und durch staatliche Transferleistungen alimentiert werden zu müssen. Kooperation und Hierarchieebene der Akteure Wie in Kapitel 4 bereits für den Bereich des Arbeitsrechts festgestellt, werden Interessenvertreter/innen der informell Beschäftigten kaum in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Zwar sind die lokalen Gewerkschaften zum Teil sehr aktiv und bringen sich in die Diskussion um neue Sozialversicherungsregeln für informell Beschäftigte ein. (Interview Gewerkschaftsbund Shanghai, 10.3.2006) Sie sind aber – trotz ihrer Bemühungen, auch informell Beschäftigte als Mitglieder zu gewinnen – in erster Linie Repräsentantinnen der formellen Ökonomie und dürften daher nur Reformen befürworten, die nicht auf Kosten ihrer eigenen Klientel gehen. Die Fallstudien haben gezeigt, dass die Sozialversicherungspolitik Domäne der Lokalregierungen ist. Selbst die Rahmenvorgaben von nationaler Ebene werden in vielen Fällen nicht oder in veränderter Form umgesetzt. Jede Provinz und oftmals sogar einzelne Städte innerhalb einer Provinz haben ihre eigenen Sozialversicherungsregeln. Dies führt zu der absurden Situation, dass für informell Beschäftigte als besonders mobile Gruppe des Arbeitsmarktes die Barrieren bei Ortswechseln besonders hoch sind. Selbst in Provinzen, wo für formell Beschäftigte der Transfer von Rentenkonten auf Provinzebene harmonisiert ist, gelten je nach Stadt für informell Beschäftigte unterschiedliche und nicht miteinander kompatible Systeme. Dieser Flickenteppich an lokalen Regulierungen ist zum einen Folge des Fehlens einer umfassenden, rechtsverbindlichen nationalen Gesetzgebung in diesem Bereich. Trotz der generellen Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen in der Sozialpolitik haben die nationalen Vorgaben für das formelle Versicherungssystem einheitliche Grundstandards geschaffen. Von diesen weichen die einzelnen Provinzen zwar bezüglich der Beitragshöhe und einiger Detailregelungen ab, sie haben ansonsten aber zu einem national vergleichbaren und kompatiblem Sicherheitsnetz geführt. Für die informelle Ökonomie existieren solche
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
Rahmenregeln erst für wenige Teilbereiche und nur auf der untersten und unverbindlichsten Regulierungsebene. Die Verabschiedung des seit langem geplanten Sozialversicherungsgesetzes und die explizite Regulierung von Versicherungsbedingungen für informell Beschäftigte innerhalb dieses Gesetzes wären wichtige Voraussetzungen, um die Situation zu ändern. Zum anderen ist die Vielfalt regionaler Vorschriften Folge der lokalen Finanzierung der Sozialkassen. Anders als international üblich ist die Finanzierung der Sozialsysteme in China nicht Aufgabe des Nationalstaats, sondern lastet auf den Schultern der Lokalregierungen. Zwar gibt es inzwischen begrenzt Umverteilungen und Zuschüsse aus dem nationalen Budget. Im Wesentlichen können sich die einzelnen Städte und Provinzen aber nur so viel Unterstützung im Bereich der Sozialversicherung leisten, wie es ihre Steuereinnahmen erlauben. Strukturschwache Regionen mit hohen Anteilen an Arbeitslosigkeit und Informalität sind dabei besonders benachteiligt und werden sich Subventionen und Sonderkonditionen für informell Beschäftigte schwerlich leisten können. Prosperierende Städte und reiche Provinzen, die viele Migrant/innen anziehen, stemmen sich gegen eine Veränderung der Situation. Sie opponieren auch gegen eine Provinz- oder gar Chinaweite Übertragbarkeit von Rentenversicherungskonten, da sie vom jetzigen System profitieren. So argumentiert beispielsweise Gao Xingming, Professor an der Shenzhen Universität: „Die Renten in Shenzhen sind im nationalen Vergleich relativ hoch, sie gehören sogar zu den höchsten im Land. Wenn unter diesen Bedingungen Menschen aus allen Regionen unbegrenzt zuziehen dürfen und Personen, die nicht oder nur für einige Monate in Shenzhen gearbeitet haben, ihre Rentenansprüche hierher transferieren könnten, würde das Shenzhener Rentenversicherungssystem kollabieren. Diese Sichtweise betonen wir auch gegenüber der Regierung.“ (sz.bendibao.com 21.3.2008)
Freilich müssen angesichts der lokal finanzierten Sozialversicherungssysteme Regeln aufgestellt werden, die einen fairen Lastenausgleich garantieren sowie die entsprechenden technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Dass eine überregionale Übertragbarkeit von Rentenansprüchen realisierbar ist, zeigt das Beispiel der Europäischen Union, wo die nationalen Rentensysteme viel stärker voneinander abweichen als innerhalb Chinas und dennoch Rententransfers bei Wohnortwechseln möglich sind. Kohärenz Mit den Bestrebungen, informell Beschäftigte in die sozialen Sicherungssysteme zu integrieren, verwirklicht China ein zentrales Element der decent work-Agenda und trägt zum Abbau von Prekarität und Unsicherheit bei. Gleichzeitig ist die konkrete Umsetzung mit anderen Teilen der Strategie nicht durchweg kompatibel. Die noch immer sehr hohen Beitragssätze für Selbstbeschäftigte und individuell teilnehmende Lohnarbeitskräfte stellen weiterhin große Hindernisse für deren Integration in die Sozialversicherung dar. Dies steht insbesondere im Widerspruch zu den sonstigen untersuchten Politiken für Selbstbeschäftigte und Mikrounternehmen, etwa den Trainings- und Kreditangeboten, welche auf eine besondere Förderung dieser Zielgruppe hinwirken sollen. (vgl. Kapitel 6) Die verstärkte Regulierung und Durchsetzung der Sozialversicherungsansprüche informell Beschäftigter führt zu Widersprüchen mit der Wirtschaftspolitik. Der wirtschaftliche Wettbewerb hat zur Folge, dass Lokalregierungen ihre Standorte fördern wollen und Unternehmen günstige Investitionsbedingungen anbieten müssen. Hohe Sozialabgaben und
5.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Absicherungslücken trotz innovativer Konzepte
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eine strikte Durchsetzung der Sozialversicherungspflicht laufen dem zuwider. Lokalregierungen haben kein Interesse an einer umfassenden Arbeitgeberfinanzierung von Sozialbeiträgen, da sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten wollen. Es überrascht daher nicht, dass in keiner der untersuchten Städte die Arbeitgeber an den Sozialversicherungsbeiträgen informeller (städtischer) Lohnarbeitskräfte beteiligt werden. Die Situation könnte sich aber ändern, wenn im Rahmen des geplanten Strukturwandels hin zu höherwertiger Produktion die Arbeitsbedingungen insgesamt verbessert werden sollen. Die Sozialversicherungspolitik für Migrant/innen ist vielfach in negativer Weise kohärent mit der chinesischen hukou-Politik. Sowohl die Reformen des Registrierungssystems als auch die der Sozialversicherung zielen darauf ab, die negativen Folgen des Stadt-LandDualismus zwar abzuschwächen, diesen aber an sich nicht aufzulösen. Gerade die Sozialversicherungsregeln für Migrant/innen reproduzieren diesen Dualismus, da sie entweder ein komplettes Parallelsystem schaffen oder auf eine begrenzte, temporäre Integration mit Ausnahmen und geringeren Ansprüchen abzielen. Dies erhöht die soziale Sicherheit von Migrant/innen, ohne sie in die städtischen Systeme zu integrieren. Interessant ist dabei, dass die neuen Sozialversicherungsregeln für Migrant/innen oft deutlich günstigere Konditionen anbieten als für städtische informell Beschäftigte. Dies läuft dem Ziel zuwider, einen „einheitlichen Arbeitsmarkt“ (tongchou laodongli shichang) schaffen zu wollen. Insgesamt zielen in vielen Städten sowohl hukou- als auch Sozialversicherungspolitik darauf ab, die Arbeitskraft von Migrant/innen in den Städten temporär zu nutzen, ihren Lebensmittelpunkt und Altersruhesitz aber auf dem Land zu belassen, indem weder dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen erteilt noch ein Zugang zum städtischen Rentensystem gewährt werden. Sozialversicherungsreformen, die Migrant/innen tatsächlich gleichbehandeln wollen, müssen daher mit grundlegenden Reformen des Registrierungssystems einhergehen und ein für Stadt und Land gleichermaßen gültiges, national einheitliches Sicherungssystem schaffen. Ausblick Die Analyse hat gezeigt, dass die Integration informell Beschäftigter in die Sozialsysteme ein Ziel nationaler und lokaler Politiken ist und die Absicherung dieser Personengruppe bereits in vielen Bereichen deutlich verbessert wurde, dass aber weiterhin große Defizite bestehen. Die Gestaltung der Sozialsysteme wird in China ein wichtiges Diskussionsthema für Wissenschaft und Politik bleiben. Der Fokus wird zunächst weiter und noch intensiver auf einer Ausweitung der Krankenversicherung liegen. Der Staatsrat hatte es sich 2007 zum Ziel gesetzt, dass bis 2010 alle Stadtbewohner/innen Mitglied einer Krankenversicherung sein sollten124. Dieses Ziel dürfte für die nächsten Jahre in greifbare Nähe rücken, wenn die Ausweitung der reduzierten Krankenversicherung weiter so schnell voranschreitet. (vgl. Information Office of the State Council 2010b) Die nächste Reformphase wird sich dann allen Anzeichen zufolge stärker auf die Rentenversicherung konzentrieren. Die Umsetzung der beschlossenen Provinz- und Chinaweiten Übertragbarkeit von Rentenkonten wird dabei den Fokus bilden. Der Aufbau eines nationalen Renteninformationssystems und die Einrichtung lebenslang und China-weit gültiger Versicherungskarten sind die nächsten geplanten Schritte. Langfristig bleibt es zumindest für die Rentenversicherung erklärtes Ziel der Regierung, ein national einheitliches System zu schaffen, das für Stadt, Land und Mig124
Guowuyuan (Staatsrat): Guanyu kaizhan chengzhen jumin jiben yiliao baoxian shidian de zhidao yijian (Leitlinie zum Pilotprojekt zur Entwicklung der städtischen Basiskrankenversicherung), Guofa [2007] 20 hao, 25.7.2007.
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5 Neue Sicherheiten: Sozialabsicherung für informell Beschäftigte
rant/innen gleichermaßen gilt. Ein solches System ist sowohl Voraussetzung zur Schaffung des angestrebten integrierten Arbeitsmarktes als auch unabdingbar für mehr soziale Gerechtigkeit und die Angleichung der Lebensbedingungen in Stadt und Land. Im Hinblick auf die verschiedenen Gruppen informell Beschäftigter wird der Schwerpunkt der Politiken meines Erachtens weiter auf Arbeitsmigrant/innen liegen. Die Tendenz geht dahin, Migrant/innen nicht mehr als uniforme Gruppe zu behandeln, sondern beim Angebot von Absicherungsmodellen nach Beschäftigungsform und –dauer in den Städten zu differenzieren. Es wird beispielsweise diskutiert, Migrant/innen, die längerfristig in Städten leben und formellen Tätigkeiten nachgehen, in das städtische Sozialversicherungssystem zu integrieren. Für Migrant/innen mit urbanem Lebensmittelpunkt aber hoher Mobilität sollen wegen der weiter bestehenden Rentenproblematik Übergangslösungen gefunden werden, die zunächst eine forcierte Teilnahme an einer (reduzierten) Kranken- und Arbeitsunfallversicherung vorsehen, aber nicht den Weg für eine langfristige Integration in das städtische oder ländliche System versperren. Wanderarbeiter/innen, die weiterhin hauptsächlich auf dem Land leben und nur saisonal migrieren, sollen im ländlichen System versichert bleiben. (z.B. EU-China Social Security Reform Co-operation Project 2007: 46; Jia Liping 2007: 46; Zhong Xiaoyun 2006: 247) Bis auf Shanghai ist ein differenzierendes System in den untersuchten Städten bereits ansatzweise angelegt, genaue Regeln fehlen aber bislang. Um die Reichweite des gesamten Sozialversicherungssystems zu erhöhen, wird seit kurzem auch die Einführung einer Sozialversicherungssteuer diskutiert, die künftig das beitragsbasierte System ablösen könnte. Eine Sozialsteuer auf Löhne, die von der Zentralregierung verwaltet werden soll, könnte das Einziehen von Versicherungszahlungen für den Staat erleichtern und würde gleichzeitig die Absicherung ländlicher Migrant/innen forcieren. Das Finanzministerium prüft derzeit die Rentabilität und Umsetzbarkeit eines solchen Systems. (China.org.cn, 4.4.2010) Trotz aller Kritik am chinesischen Sozialversicherungssystem darf man, wie Nielsen et al. betonen, nicht vergessen, dass Chinas Mittelweg zwar nicht perfekt, im Vergleich zu den Transformationsländern in Osteuropa aber erfolgreich ist. Während sich der Staat etwa in Russland in der Hoffnung auf den Markt vollständig aus dem Sozialversicherungssystem zurückgezogen habe, reagiere China auf die vielen Herausforderungen einer Marktwirtschaft mit der Schaffung eines neuen Sozialversicherungsregimes und dem Ziel, alle Bürger/innen gegen die Unsicherheiten des Marktes abzusichern. (Nielsen, Nyland, Russell & Zhu 2005: 1777f.) Darimont weist darauf hin, dass das Konzept, für die gesamte Bevölkerung ein Existenz sicherndes Sozialversicherungssystem schaffen zu wollen, in diesem Umfang und für ein Entwicklungsland einmalig sei. (Darimont 2004: 18)
6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Mikrounternehmen (weixing qiye) sind in China für etwa ein Drittel der informellen Beschäftigung verantwortlich – Tendenz steigend. (vgl. Kapitel 3) Sie sind in doppelter Hinsicht wichtige Ansatzpunkte, um Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie zu nehmen: Zum einen machen so genannte Selbstbeschäftigte (ziguxing jiuyezhe) einen großen Teil der Mikrounternehmen aus. Dies sind zumeist Ein-PersonenBetriebe (z.B. fliegende Händlerinnen, Garküchenbesitzer, selbständige Reinigungskräfte), die aufgrund fehlender formeller Beschäftigungsmöglichkeiten betrieben werden, um der Familie ein Einkommen zu sichern. Diese Selbstbeschäftigten registrieren ihr Gewerbe in der Regel nicht, haben oftmals niedrige und unkontinuierliche Einnahmen und bleiben ohne Sozial- und Rechtsschutz. Zum anderen zählen Kleinstbetriebe mit wenigen Angestellten zu den Mikrounternehmen. Sie verfügen oftmals nicht über die finanziellen Ressourcen, um ihren Beschäftigten angemessene Löhne und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen zu können und registrieren diese daher nicht. Damit bleiben diese Arbeitskräfte arbeitsrechtlich ungeschützt und sind häufig mit schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert. Selbst für registrierte Individualunternehmen (getihu) 125 sind die Anreize groß, zumindest einen Teil der Belegschaft nicht formell anzustellen, da bei einem Überschreiten der Grenze von sieben Beschäftigten eine Registrierung als Privatunternehmen (siying qiye) notwendig wird. Diese ist mit größerem administrativen Aufwand und höherer Besteuerung verbunden. International geht der Trend dahin, Unterstützungspolitiken für Mikrounternehmen zu erlassen, anstatt eine Durchsetzung existierender Arbeitsstandards mittels staatlicher Macht zu forcieren bzw. diese Unternehmen zur Schließung zu zwingen. (z.B. ILO 2002a; Tajgman 2006: 23) Eine praktische Unterstützung zur Produktivitätssteigerung der unternehmerischen Aktivitäten kann den Druck auf Mikrounternehmen verringern, Einkommen erhöhen und stabilisieren und damit indirekt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen.
125
Laut Definition des chinesischen Arbeits- und Sozialministeriums (Laodong he Shehui Baozhang Bu Laodong Kexue Yanjiusuo 2003: 141) werden sämtliche Mikrounternehmen zu informeller Beschäftigung gerechnet, auch wenn diese – wie Individualunternehmen – behördlich registriert sind. Informalität wird hier also allein über die Unternehmensgröße definiert. Dies deckt sich nicht vollständig mit der dieser Studie zugrunde liegenden Definition informeller Beschäftigung, die eine fehlende formelle Besteuerung und Handelsregistrierung als Kriterien für Informalität ansetzt und der zufolge Individualunternehmen zur formellen Ökonomie gerechnet werden müssten. Gleichzeitig sind registrierte Individualunternehmer/innen häufig nicht formell im Sozialversicherungssystem abgesichert und kämpfen mit ähnlichen Finanzierungs- und Qualifikationsproblemen wie unregistrierte Mikrounternehmen. Individualunternehmen stellen somit eine Zwischenkategorie im Kontinuum von Formalität und Informalität dar, deren Status sich je nach Intensität der Durchsetzung existierender Vorschriften und je nach konkreter Unternehmenssituation in die eine oder die andere Richtung verschieben kann. Sie werden im Folgenden in die Analyse von Förderpolitiken für Mikrounternehmen einbezogen, ihre Sonderstellung wird aber herausgehoben.
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Die Attraktivität der Förderung von Kleinunternehmertum liegt für viele Regierungen weltweit aber nur zu einem kleinen Teil in der Intention begründet, die Arbeitsverhältnisse in diesen Unternehmen verbessern zu wollen. Auch die chinesische Regierung verfolgt damit eher arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Interessen: Zum einen werden Mikrounternehmen als wichtiger Kanal zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten und zur Reduktion von Arbeitslosigkeit angesehen. Kleingewerbeförderung ist in China daher wie in vielen anderen Ländern Teil der staatlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik 126 . Zum anderen ist sie Element umfassenderer Bemühungen zur Förderung von Unternehmertum und der Privatwirtschaft. Wie in anderen Transformationsländern soll ein starker Privatsektor nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern auch die Produktion steigern und die Transformation der Agrarökonomie in Richtung Industrie- und Dienstleistungsökonomie beschleunigen. (Vandenberg 2008: 41) Kleine und mittlere Unternehmen (zhongxiao qiye; KMU), zu denen die Mikrounternehmen zählen, haben sich neben ihrer Rolle als Beschäftigungsgenerator zu einem wichtigen Wachstumsmotor der chinesischen Ökonomie entwickelt. Ende Juni 2007 waren über 42 Millionen Klein- und mittlere Unternehmen bei der Industrie- und Handelsverwaltung registriert und stellten damit 99,8 Prozent aller Unternehmen in China. 38 Millionen (90 Prozent) davon waren Individualunternehmen mit maximal sieben Angestellten. (He Guangwen 2008: 5) Hinzu kommt eine große Zahl unregistrierter Mikrounternehmen, die statistisch nicht erfasst sind. Es wird geschätzt, dass Klein- und mittelgroße Unternehmen 60 Prozent des chinesischen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften, 75 Prozent der städtischen Arbeitskräfte beschäftigen und die meisten neuen Arbeitsplätze schaffen. (ILO 2006b: 6) Zwar erklären sich diese Zahlen teilweise aus der breiten Definition von Kleinund mittleren Unternehmen in China, wo noch Unternehmen mit knapp 300 Beschäftigten als Kleinunternehmen gelten, die in der EU bereits als Großbetriebe zählen würden. (vgl. Übersicht 15) Dennoch verdeutlichen sie die wichtige Rolle der Kleinwirtschaft für Wachstum und Entwicklung der chinesischen Ökonomie sowie für die Wahrung des sozialen Friedens. Ein Bericht der US-Botschaft in China zitiert chinesische Regierungsvertreter, die den Klein- und mittelgroßen Unternehmen eine wichtigere Funktion beim Erhalt der sozialen Sicherheit zuweisen als dem Sozialversicherungssystem. (The American Embassy in China 2002: 1)
126
Aktive Arbeitsmarktpolitik wird weltweit als Mittel eingesetzt, um so genannte Mismatch-Probleme des Arbeitsmarktes – also Schwierigkeiten beim Ausgleich von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage – zu beseitigen, die durch regionale oder qualifikationsbedingte Diskrepanzen oder zielgruppenspezifische Probleme entstehen. Sie sollen (a) Angebot (Arbeitsuchende) und Nachfrage (freie Arbeitsplätze) zusammenbringen und die Funktionsweise des Arbeitsmarktes optimieren (z.B. durch Beschäftigungsvermittlung, Beratung, Registrierung freier Stellen, Arbeitsmarktinformation), (b) die Qualifikationen von Arbeitskräften und damit das Arbeitsangebot erhöhen (z.B. durch Weiterbildungen und Umschulungen) oder (c) die Arbeitsnachfrage steigern (z.B. durch öffentliche Jobs, Stellensubventionen und Förderung von Existenzgründung). (z.B. ILO 2003a: 3; Betcherman, Olivas & Dar 2004: 1; Eichhorst, Profit & Thode 2001: 194f.)
145
6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Übersicht 15: Definition von Mikrounternehmen / Klein- und mittlere Unternehmen Mikro
Klein
Mittel
Groß
China Beschäftigte (Personen) Jahresumsatz (Mio. Yuan)
1-7 k.A.
< 300 < 30
300 - 2000 30 - 300
> 2000 > 300
Europäische Union Beschäftigte (Personen) Jahresumsatz (Mio. Euro)
1-9 2
10 - 49 10
50 - 249 50
> 249 > 50
Quelle: United Nations Industrial Development Organization 2005: 84
Die Regierung kann die Entwicklung von Mikrounternehmen im Wesentlichen auf zwei Ebenen beeinflussen. Zum einen fungiert sie als Regulierende und Gesetzgeberin, indem sie entsprechende Gesetze und Vorschriften erlässt und implementiert, die unternehmerische Aktivitäten regeln. Dazu gehören allgemeine Wirtschafts- und Handelsgesetze genauso wie Vorschriften zu Lizenzerfordernissen, Gebühren und Besteuerung oder dem Zugang zu Qualifikation und Finanzierung. Zum zweiten kann sie als Fördernde auftreten und die Entwicklung von Kleinstunternehmen etwa durch die Bereitstellung von Ressourcen und Infrastruktur direkt unterstützen. (Kapitel 6.2) Im Folgenden wird gezeigt, dass in China die staatliche Unterstützung von Mikrounternehmen auf beiden Ebenen ansetzt. Zum ersten wird eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Verwaltungsstrukturen für Mikrounternehmen angestrebt. Dies geschieht etwa durch die Regulierungen des Gesetzes für Klein- und mittlere Unternehmen (2002), das 2007 verabschiedete Gesetz zur Beschäftigungsförderung oder die Schaffung spezieller Unternehmensformen, mit denen Mikrounternehmen legalisiert werden sollen und von Steuererleichterungen und administrativen Vereinfachungen profitieren. (Kapitel 6.3.1) Zum zweiten werden Mikrounternehmen direkt unterstützt, etwa durch spezielle Trainingskurse für Existenzgründer/innen, in denen grundlegende Managementund technische Fähigkeiten vermittelt werden. In einzelnen Städten werden solche Kurse seit mehreren Jahren angeboten, und 2005 ist ein groß angelegtes nationales Programm in Kooperation mit der ILO angelaufen. Ergänzt werden diese Qualifizierungsangebote durch staatliche Beratungsleistungen für Kleinstunternehmen. (Kapitel 6.3.2) Außerdem wird das Problem des Kapitalmangels von Mikrounternehmen zu lösen versucht, indem staatliche Kreditgarantieprogramme aufgebaut, Anreize für Banken zur Mikrokreditvergabe geschaffen und Kreditzinsen staatlich subventioniert werden. (Kapitel 6.3.3) In der lokalen Umsetzung dieser Politiken zeige ich große Varianzen auf. Die Zentralregierung gibt zwar die Rahmenbedingungen vor, die konkrete Ausgestaltung von Arbeitsmarktpolitik fällt aber in die Zuständigkeit der Stadtregierungen, die auch für deren Finanzierung verantwortlich sind. Demzufolge werden die nationalen Schwerpunkte der Förderpolitiken übernommen, der Kreis der Förderberechtigten, die konkreten Konditionen und die Leistungen variieren aber stark zwischen den Städten. (Kapitel 6.4)
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
6.1 Hintergrund: Barrieren für Mikrounternehmen China ist eines der dynamischsten Länder im Bereich Existenzgründungen. Mehr als 12 Prozent der Chines/innen führen ein Unternehmen, wovon der überwiegende Teil Mikrounternehmen sind und seit Beginn der Reformperiode gegründet wurden. Nur wenige der neu entstandenen Mikrounternehmen überleben allerdings die Startphase. Der Anteil gescheiterter Existenzgründungen ist in China etwa doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt. (MoLSS & ILO 2005: 14; siehe auch Research Group of the Department of Training and Employment & MoLSS 2002: 10) Die Ursachen für die geringen Überlebensraten sind vielfältig. Häufig sind administrative Hürden, fehlende unternehmerische Qualifikationen der Gründer/innen und Kreditengpässe dafür verantwortlich zu machen. Politische und administrative Hürden In China waren Kleinstunternehmen lange Zeit in doppelter Hinsicht benachteiligt: Einerseits als Teil der Privatwirtschaft gegenüber den privilegierten Staatsbetrieben und andererseits als Untergruppe der Klein- und mittleren Unternehmen (zhongxiao qiye) gegenüber den bevorzugten Großbetrieben. Dies manifestierte sich beispielsweise in Beschränkungen im Zugang zu Produktionsmitteln und Krediten sowie vergleichsweise hohen Steuerbelastungen. Diese zweifache Diskriminierung wird im Zuge des Transformationsprozesses nur teilweise aufgelöst. Zwar ist die Privatwirtschaft heute den Staatsbetrieben in weiten Teilen rechtlich gleichgestellt, es existieren aber weiterhin administrative Barrieren, die eine Gründung und das dauerhafte Überleben von Mikrounternehmen erschweren: Langwierige und teure Registrierungsverfahren: Formell ist die Registrierung als Individualunternehmen nicht schwierig. (vgl. Weinmann, Liu Jun & Meng Yuan 2006: 54) Sie erfordert allerdings in der Regel je nach Branche eine Reihe zusätzlicher Lizenzen, wie Hygienezertifikate, Sicherheits- und Umweltschutzzertifikate oder Baugenehmigungen. Einer Weltbankstudie zu den Investitionsbedingungen für Klein- und mittlere Unternehmen in Südwest-China zufolge brauchten kleine Unternehmen zwar insgesamt weniger Lizenzen als mittelgroße Unternehmen. Bis zur Ausstellung einer Genehmigung mussten sie allerdings länger warten und lagen damit über dem bereits hohen Durchschnitt für alle befragten Unternehmen von 20 Bearbeitungstagen und 21 Personaltagen pro Lizenz. (World Bank 2004: 13) Da Mikrounternehmen in der Regel nicht über entsprechende Personalkapazitäten verfügen, ist ein Behördentag meist mit Verdienstausfall gleichzusetzen. Lizenzen werden zudem oftmals nicht permanent vergeben, sondern müssen durchschnittlich alle drei Jahre erneuert werden. (World Bank 2004: 13) Der Weltbankstudie zufolge wurden in einigen Regionen von Lokalbeamten Geschenke und Einladungen für die Ausstellung von Zertifikaten erwartet, teilweise waren regelmäßige informelle Zahlungen üblich. (World Bank 2004: 12, 16-18) Dies ist insbesondere für Mikrounternehmen schwierig, da ihnen die Mittel fehlen, um den teils hohen Erwartungen an entsprechende Bestechungsgelder nachkommen zu können. Schwieriger Zugang zu Produktionsmitteln: Mikrounternehmen haben aufgrund geringer finanzieller Kapazitäten Schwierigkeiten im Zugang zu Produktionsmitteln, insbesondere Land. Selbst das Anmieten von Geschäftsräumen gestaltet sich oft schwierig, da sie als unsichere Mieter/innen angesehen werden bzw. die Mietzahlungen nicht aufbringen können. Häufig werden die Kleinstunternehmen daher auf ungenehmigten Flächen errichtet. Dies ist mit hohen Risiken verbunden, da sie dort jederzeit vertrieben und mögliche Gebäu-
6.1 Hintergrund: Barrieren für Mikrounternehmen
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de und Ausrüstungsgegenstände ohne Entschädigung abgerissen bzw. konfisziert werden können. Steuerlast: Lassen sich Mikrounternehmen formell registrieren, müssen sie Steuern abführen. 2008 fielen allein 17 Prozent an Mehrwertsteuern an, und 20 Prozent des Gewinns mussten von Kleinunternehmen als Unternehmenssteuern abgeführt werden. Hinzu kamen die lokal erhobenen und damit unterschiedlich hohen Gewerbesteuern, Stadtentwicklungsund Bildungsabgaben sowie branchenspezifische Steuern. Die Steuerbelastung reduziert die meist geringen und unstetigen Einnahmen von Mikrounternehmen weiter, die ohnehin oftmals gerade die Existenz sichern. Aufgrund der geringen finanziellen Rücklagen können Mikrounternehmen zeitliche Lücken kaum abfedern, die beispielsweise dadurch entstehen, dass Mehrwertsteuern mit Auslieferung der Produkte fällig werden, die Kund/innen ihre Rechnungen aber oft erst später begleichen. Wie die oben zitierte Weltbankstudie zeigt, wird dieses Problem dadurch verschärft, dass die staatlichen Steuerbehörden den Lokalregierungen Vorgaben für das Wachstum der lokalen Steuereinnahmen machen. Daher wendeten lokale Steuerbüros konfiskatorische Methoden der Steuereintreibung an – wie Vorabbesteuerung, Doppelbesteuerung oder Vorenthalten von Steuervergünstigungen – und belasteten die Unternehmen zusätzlich: „To meet tax revenue growth targets, interviewees state that local tax bureaus may sometimes force enterprises to prepay taxes for following year; set income tax targets for loss-making enterprises; or withhold tax preferences due to enterprises. Reportedly, in many cases, prepaid taxes are not deducted from taxes due for following years, which results in double-taxation.” (World Bank 2004: 48)
Lokalregierungen hätten zudem beträchtlichen Spielraum für die Festsetzung von Steuersätzen, die insbesondere bei kleinen Unternehmen oft Verhandlungssache seien. Dies schafft nicht nur Unsicherheit über künftige Steuerlasten, sondern eröffnet auch Manipulations- und Korruptionsmöglichkeiten. (World Bank 2004: 48f.) Um diese Hürden zu umgehen, bleiben viele Mikrounternehmen unregistriert, sind damit aber noch stärker der Willkür lokaler Behörden ausgesetzt und von formellen Wegen der Finanzierung und des Rechtsschutzes ausgeschlossen. Die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen sind damit nicht nur für offiziell registrierte Individualunternehmen relevant, auf deren Geschäftstätigkeiten sie sich direkt auswirken. Sie haben gleichzeitig Einfluss darauf, wie groß der Anteil der Mikrounternehmen ist, die in der Informalität verbleiben. (vgl. auch Weinmann, Liu Jun & Meng Yuan 2006: 40f.) Seit Zentral- und Lokalregierungen Mikrounternehmen als Partner/innen für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit erkannt haben, versuchen sie, die genannten Hindernisse sukzessive abzubauen, etwa durch erleichterte Registrierungsvorschriften für Mikrounternehmen oder spezielle steuerliche Vergünstigungen in der Startphase. Bislang profitiert aber nur ein Teil der Existenzgründer/innen von derartigen Vorzugspolitiken. (siehe Kapitel 6.3.1 und 6.4.1) Fehlende unternehmerische und technische Kenntnisse Die meisten Mikrounternehmen werden nicht aufgrund unternehmerischer Motivation gegründet, sondern aus finanzieller Not und der Notwendigkeit, sich und die Familie ernähren zu müssen. In der Regel verfügen Existenzgründer/innen daher weder über ein rational entwickeltes Unternehmenskonzept noch über passende Geschäftsideen. (Interviews Baur,
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Nanjing 23.2.2006; Klemmer, Beijing 17.3.2006) Oftmals wird das kopiert, was in der Nachbarschaft und bei Freunden an Kleinstunternehmen erlebt wird. Den meisten Gründer/innen mangelt es an den notwendigen Fähigkeiten, um eine Geschäftsidee in einen tragfähigen Business-Plan umzusetzen. Fehlt ein solcher Business-Plan und gelingt es Existenzgründer/innen nicht, die Profitabilität ihres Geschäfts nachzuweisen, folgen darauf Schwierigkeiten in der Beschaffung von Finanzierung oder selbst von Geschäftsräumen. (vgl. z.B. Deng Baoshan 2004: 76) Zudem sind es zumeist ländliche Migrant/innen sowie freigesetzte oder arbeitslose Städter/innen, die mangels anderer Einkommensmöglichkeiten den Schritt in die unternehmerische Selbständigkeit wagen. Sie verfügen oftmals über nur geringe formelle Bildung und einseitige Berufserfahrungen. Zudem sind sie in der Regel mit den administrativen und rechtlichen Erfordernissen für die Gründung von Mikrounternehmen nicht vertraut. Es besteht somit ein großer Bedarf an Schulungs- und Beratungsangeboten, die potentiellen Existenzgründer/innen Wissen zu Managementfragen, rechtlichen Aspekten und Finanzierungsmöglichkeiten vermitteln. Derartige Gründungskurse werden von den Arbeitsbehörden seit 1998 angeboten, waren lange Zeit aber auf wenige Pilotstädte begrenzt und führten aufgrund inadäquater Trainingsinhalte und schlechter Ausbildung der Trainer/innen zu geringen Gründungserfolgen. Die Situation ändert sich seit 2004, nachdem das Arbeits- und Sozialministerium in Kooperation mit der ILO ein umfangreiches Programm zum Training von Existenzgründer/innen aufgelegt hat. Ziel des Programms ist es, qualitativ hochwertige Gründungstrainings in allen Provinzen Chinas anzubieten und lokale Schulungszentren zu befähigen, diese Kursangebote auszubauen. Es wurde mit großem Erfolg inzwischen China-weit eingeführt. (siehe Kapitel 6.3.2 und 6.4.2) Kapitalmangel Eines der zentralen Probleme für die Gründung und den Fortbestand von Mikrounternehmen stellt der fehlende Zugang zu formellen Finanzierungsmöglichkeiten dar. (vgl. z.B. Herrmann-Pillath, Li Kai & Pan Jiancheng 2002; World Bank 2004; Weinmann, Liu Jun & Meng Yuan 2006; Chau Quan-Minh 2005) So hatten einer Studie der Zentralbank (Zhongguo Renmin Yinhang) aus dem Jahr 2005 zufolge 66 Prozent aller Klein- und mittelgroßen Unternehmen Schwierigkeiten, Bankkredite zu erhalten. Da ein Kreditzugang umso aussichtsloser wird, je kleiner das Unternehmen ist und in die Berechnung wiederum mittelgroße Unternehmen einbezogen wurden, sind am unteren Ende der Skala noch wesentlich größere Engpässe zu vermuten. (zit. nach ILO 2006b: 8f.) Insgesamt hat die Kreditvergabe an Klein- und mittelgroße Unternehmen in den letzten Jahren zwar in absoluten Zahlen zugenommen, ihr relativer Anteil an allen vergebenen Bankkrediten ist aber weiter gesunken. (ILO 2006b: 9) Die Zurückhaltung formeller Finanzinstitute in der Kreditvergabe an Klein- und Mikrounternehmen ist ein international verbreitetes Phänomen und wird durch die Spezifika des chinesischen Bankensektors noch verstärkt. Folgende Hürden für die Vergabe von Mikrokrediten lassen sich anführen: Hohe Kosten für die Bank: Mikrounternehmen haben spezielle Kreditbedürfnisse, die sich von anderen Unternehmen – auch von anderen Klein- und mittelgroßen Unternehmen – unterscheiden. Sie benötigen sehr kleine Kredite, verfügen selten über Eigenkapital und die nötigen Sicherheiten, um das finanzielle Risiko mit den Banken zu teilen und sind – vor allem in der Startphase – oft sehr fragil, weshalb das Risiko eines Kreditausfalls höher ist
6.1 Hintergrund: Barrieren für Mikrounternehmen
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als bei anderen Unternehmen. Eine Vergabe von Klein- und Mikrokrediten ist kostspieliger für die Banken (Verwaltungsaufwand, Kontrolle, Ausfallrisiko etc.) als die Vergabe größerer Kredite, weshalb sich die meisten Geschäftsbanken auf Großprojekte spezialisieren und keine Finanzdienstleistungen im Klein- und Kleinstbereich anbieten127. Zinsvorgaben: Eines der zentralen China-spezifischen Hindernisse, das die Mikrokreditvergabe für Banken unrentabel und unattraktiv macht, ist die staatliche Festlegung von Zinsobergrenzen. (Cho 2003: 3; World Bank 2004: 40; Herrmann-Pillath, Li Kai & Pan Jiancheng 2002: 32) Lange Zeit war den Kreditinstituten bei einer Kreditvergabe an Kleinund mittlere Unternehmen nur ein maximaler Aufschlag von 30 Prozent auf den von der Zentralbank vorgegebenen Zinssatz erlaubt. Seit 2004 wird ein maximal 70-prozentiger Aufschlag akzeptiert, der aber etwa von der Weltbank noch immer als zu gering angesehen wird, um dem Finanzsektor eine gewinnbringende Kreditvergabe an diese Klientel zu ermöglichen und diese attraktiv zu machen. (World Bank 2004: 40) 2005 wurden zwei Pilotprojekte128 gestartet, die einigen kommerziellen Mikrokredit-Instituten höhere Zinssätze erlauben, welche sich derzeit etwa um jährlich 20 Prozent der Kreditsumme bewegen. Beide Projekte sind in ihrer Reichweite jedoch eng begrenzt. (Du Xiaoshan 2008: 7f., 12, 16) Wie ich weiter unten zeigen werde, durften Banken für Mikrogarantiekredite an Arbeitslose und Freigesetzte bis Mitte 2008 sogar keinerlei Zinsaufschlag verlangen. Seither sind 3 Prozentpunkte Aufschlag erlaubt, was derartige Kredite für Banken ohne staatliche Zuschüsse aber weiterhin zu Verlustgeschäften macht. Vorschriften zu Sicherheiten: Banken dürfen Kredite nur gegen bestimmte, vorgeschriebene Sicherheiten oder Bürgschaften vergeben, über die Klein- und Mikrounternehmen in den meisten Fällen nicht verfügen. (ILO 2006b: 10) Spezifische Sicherheiten, wie etwa die Standrechte kleiner Straßenverkäufer/innen und ihre Ausrüstungsgegenstände, stellen oft deren einziges Kapital dar, werden von Banken aber meist nicht zur Absicherung von Krediten akzeptiert. Vertragsdurchsetzung: Der rechtliche Rahmen und das juristische System für das Einklagen abgeschlossener Verträge sind inadäquat. Das macht es Kreditinstituten schwer, sich auf traditionelle Sicherheiten zu verlassen und diese bei ausbleibender Kreditrückzahlung einzutreiben. (ILO & MoLSS 2006: 9) Außerdem existiert kaum ein Markt für die Veräußerung von Sicherheiten, die durch Zwangsvollstreckung an Banken gehen. (Cho 2003: 4) Bei Mikrounternehmen – falls sie die geforderten Sicherheiten überhaupt aufbringen können – wiegt dieser Fakt besonders schwer, da ein erhöhtes Ausfallrisiko mit geringer Finanzkraft der Schuldner/innen einhergeht. Werden Sicherheiten eingeklagt, stehen die Kosten eines Gerichtsprozesses oft in keiner Relation zur Größe des Kredits. Außerdem
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Diese Problematik wird in der Neuen Institutionenökonomik unter dem Stichwort „Marktversagen“ breit diskutiert. So wiesen beispielsweise Stiglitz und Weiss in einem viel beachteten Artikel nach, dass Geschäftsbanken aus Effizienzüberlegungen freiwillig eine Obergrenze für Kreditzinsen festlegen, da mit steigender Zinshöhe die Anreize zur Durchführung riskanter Projekte und damit das Kreditausfallrisiko zunehmen. Da diese Zinsgrenze aber unterhalb des Kreditzinssatzes liegt, bei dem eine Kleinkreditvergabe für die Geschäftsbanken rentabel wird, werden solche Kredite am Kapitalmarkt nicht angeboten. (Stiglitz & Weiss 1991) 128 Zum einen hat die Zentralbank 2005 ein Pilotprojekt gestartet, das Privatinvestor/innen zur Gründung von Mikrokredit-Unternehmen animieren soll. Bis September 2007 waren landesweit sieben solcher Unternehmen entstanden. Zum zweiten hat die China Development Bank in Kooperation mit der Weltbank 2005 ein Mikrokredit-Projekt ins Leben gerufen, das bislang in etwa 10 Städten etabliert wurde. (Du Xiaoshan 2008: 7, 12)
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sind die Strafen für ausbleibende Rückzahlungen gering, und es existiert noch kein System zur individuellen Registrierung säumiger Schuldner/innen.129 Schwäche der Finanzinstitute: Die weiter bestehenden Probleme des chinesischen Finanzsektors (Mängel bei Kreditanalyse-Technologien, Personalmanagement, Ausbildung der Mitarbeiter/innen, Informationsmanagement, Monitoring etc.) sind im Bereich der Kreditvergabe an Mikrounternehmen besonders gravierend, da hier einschlägige Erfahrungen fehlen. Banken verwenden teilweise Kreditevaluierungstechniken, die noch aus der Planwirtschaft stammen und inadäquat für die Vergabe von Mikrokrediten sind. Bankangestellte sind im Umgang mit dieser Klientel oft nicht geschult und haben keine Erfahrung in der Evaluierung von Liquidität und Profitabilität von Klein(st)unternehmen. (ILO 2006b: 10) All diese Faktoren führen dazu, dass formelle Finanzinstitute, welche das Potential für eine rasche Ausweitung ihrer Angebote an Mikrounternehmen hätten, kein Interesse daran haben, Kredite an geringverdienende Existenzgründer/innen zu vergeben. Nichtstaatliche und nichtkommerzielle Mikrofinanzorganisationen, die seit vielen Jahren in China versuchen, diese Lücke zu schließen, leiden dagegen unter ihrem ungeklärten rechtlichen Status, unter fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten und unter zu geringer Management-Kapazität. (China Association of Microfinance 2008: 12) Die zentralen Finanzquellen von Mikrounternehmen und Selbstbeschäftigten sind weiterhin Selbstfinanzierung und finanzielle Anleihen im Verwandten- und Freundeskreis sowie der informelle Kreditmarkt. Während die private Kreditvergabe unsicher und abhängig von der aktuellen Finanzsituation der Kreditgeber/innen ist, verleihen informelle Kreditinstitute zu sehr rigiden Konditionen und hohen Zinsen. Informelle Kreditvergabe fällt zudem unter keinerlei Bankenaufsicht oder Vergabestandards und birgt eine hohe rechtliche Unsicherheit. Die chinesische Regierung hat erkannt, dass der Kapitalmangel den zentralen Engpass für die Entwicklung von Mikrounternehmen darstellt. Sie betrachtet die Mikrofinanzierung inzwischen als wichtigen Bestandteil ihrer Wiederbeschäftigungspolitik. Wie ich in den Teilkapiteln 6.3.3 und 6.4.3 zeigen werde, hat sich die Vergabesituation von Mikrokrediten trotz des staatlichen Engagements jedoch kaum verbessert.
6.2 Internationale Erfahrungen: Gründungsförderung in der informellen Ökonomie International folgt die Förderung von Mikrounternehmen zwei Strategien: Zum einen sollen damit die Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie verbessert werden, zum anderen ist die Gründungsunterstützung Teil arbeitsmarktpolitischer Programme, die Arbeitsplätze schaffen und die Kleinwirtschaft ankurbeln sollen.
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In China existiert kein umfassendes System, das Banken mit verlässlichen Kredit- und Rückzahlungsdaten ihrer Klientel versorgt. (Li Zhanwu 2005: 376) Dies benachteiligt kleine Unternehmen überproportional, da die Informationsbeschaffung über solche Unternehmen für Banken besonders aufwändig ist und die Kreditvergabe daher als riskanter angesehen wird. Ein derartiges Schuldenregister ist allerdings in Arbeit. Die Statistikabteilung der Zentralbank sammelt derzeit Informationen von den Banken und verfügt bereits über Angaben zu 4 Millionen Kreditnehmenden in 31 Provinzen. Bislang wurde das Projekt noch nicht auf nationale Ebene ausgedehnt und beinhaltet noch keine Informationen zu Individualkrediten. Eine solche Weiterentwicklung ist aber geplant, so dass sich das Informationsmanagement im Bankensektor voraussichtlich verbessern wird. (Cho 2003: 4)
6.2 Internationale Erfahrungen: Gründungsförderung in der informellen Ökonomie
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Durchsetzung von Arbeitsstandards Aufgrund ihrer geringen Umsätze bleiben Mikrounternehmen aus Sorge um ihre Überlebensfähigkeit und zur Umgehung von Besteuerung vielfach unregistriert. Arbeitsstandards sind daher in der Kleinökonomie trotz oftmals besonders schlechter Arbeitsbedingungen schwer durchzusetzen. (ILO 2002a: 53; Chen, Jhabvala & Lund 2002: 34) Statt Arbeitsstandards blind zu implementieren oder Mikrounternehmen gar zu schließen, wird international diskutiert, Selbstbeschäftigte und Mikrounternehmen durch positive Anreize und staatliche Förderung bei der Einhaltung von Arbeitsrechten zu unterstützen. So argumentiert Tajgman, dass beispielsweise die Durchsetzung von ArbeitszeitRegeln bei Selbständigen weniger geeignet sei als eine praktische Unterstützung zur Produktivitätssteigerung ihrer Aktivitäten, die indirekt den Druck für lange Arbeitszeiten verringern würde. Festgelegte Arbeitszeiten könnten sogar negative Folgen haben, da damit Korruptionsanreize für Kontrollbeamte geschaffen würden. Die Durchsetzung angemessener physischer Sicherheitsvorschriften sei dagegen sinnvoll, da sie nicht nur die Arbeitssicherheit erhöhen, sondern langfristig auch zu Produktivitätssteigerungen beitragen würde. (Tajgman 2006: 23) Die 1998 von der ILO verabschiedete „Job Creation in Small and Medium-Sized Enterprises Recommendation“ regt folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsqualität in Mikrounternehmen an (ILO 2002a: 54): 1. Barrieren abbauen und Transaktionskosten senken: Durch die Abschaffung unangemessener Vorschriften zu Unternehmensregistrierung, Lizenzen und Berichten soll die offizielle Anmeldung als Unternehmen erleichtert werden. 2. Vorteile einer Registrierung und Legalisierung erhöhen: Indem beispielsweise registrierten Betrieben Förderpolitiken gewährt werden, sollen Anreize für Mikrounternehmen geschaffen werden, sich behördlich anzumelden. 3. Verständnis für Arbeitsrechte erweitern: Mikrounternehmen sollen einfache Maßnahmen vermittelt werden, wie sich mit geringem Aufwand der Arbeitsschutz im Betrieb verbessern lässt. Sie sollen zudem über grundlegende Arbeitsrechte informiert werden. Jobschaffung und Wirtschaftsförderung In vielen Ländern existieren arbeitsmarktpolitische Programme, welche die Gründung von Mikrounternehmen unterstützen. Die Förderung soll es vorrangig Arbeitslosen ermöglichen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen und sich selbst einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Existenzgründer/innen werden finanziell unterstützt und erhalten Zuschüsse, Vergünstigungen und Mikrokredite. Durch Trainingsmaßnahmen, Unternehmensberatung und Anleitung zur Entwicklung und Umsetzung eines tragfähigen Geschäftskonzepts werden sie in der Startphase ihrer Existenzgründung begleitet. Diese Programme können auf bestimmte Gruppen zugeschnitten sein oder allen Arbeitslosen zur Verfügung stehen. Oft müssen sich potentielle Teilnehmer/innen einem „Screening“ unterziehen, das die Tragfähigkeit ihres Projekts feststellen und die Mittelvergabe besser fokussieren soll. (Betcherman, Olivas & Dar 2004: 6, 49) Viele asiatische Staaten haben langjährige Erfahrung in der Förderung von Mikrounternehmen. Mehrere Entwicklungs- und Transformationsländer in der Region, in denen Kleinstbetriebe eine wichtige Rolle für die Gesamtwirtschaft spielen, haben eigene Ministerien zu deren Unterstützung geschaffen. In Indien beispielsweise unterhält das „Ministerium für Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen“, in Kooperation mit anderen Organisati-
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
onen 23 Programme zur Existenzgründungsförderung, die von technischen Hilfen bis zum Kapazitätsaufbau von Interessenvereinen und Instituten für Existenzgründungstrainings reichen. Indien hat bereits 1993 ein Programm eingerichtet, das die Vergabe von Kleinkrediten an arbeitslose Unternehmensgründer/innen subventioniert. Bis 2007 wurden damit 2,8 Millionen Kredite vergeben und schätzungsweise 4,2 Millionen Jobs geschaffen. (Vandenberg 2008: 44) In Sri Lanka führt das „Ministerium für ländliche Industrie und Förderung von Selbstbeschäftigung“ ein durch ausländische Organisationen gefördertes Projekt durch, das Mikrounternehmen indirekt unterstützt, indem ihr Marktzugang erleichtert wird, politische und regulatorische Reformen initiiert werden und auf Verbesserungen in der Unternehmenskultur hingearbeitet wird. (Vandenberg 2008: 45) Sri Lanka hat zudem über 20 Jahre Erfahrung in der Bereitstellung von Existenzgründungstrainings verschiedener Ausrichtungen und Anbieter. Darüber hinaus stellt die Vergabe von Mikrokrediten einen Förderschwerpunkt des Landes dar. Beachtenswert ist beispielsweise das „SamurdhiProgramm“, das durch direkte Einkommenstransfers an arme Haushalte ein soziales Sicherheitsnetz schafft. Ein Teil dieser Transfers wird in den lokalen Samurdhi-Banken angelegt, welche als kooperative Sparvereinigungen konzipiert sind. Die Mitglieder können bei diesen Banken Mikrokredite für Konsumzwecke, aber auch für unternehmerische Aktivitäten aufnehmen. Außerdem unterhalten in Sri Lanka mehrere große Staatsbanken verschiedene Mikrokredit-Programme, und 2005 hat die Regierung eine Bank für Klein- und mittlere Unternehmen gegründet, die auf Kleinkreditvergabe spezialisiert ist. (Vandenberg 2008: 45) In Singapur wird Existenzgründungsförderung als ein Mittel gesehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken, indem Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung und zur Innovation von Produkten und Dienstleistungen unterstützt werden. Beschäftigungsschaffung wird hier nur als Nebeneffekt dieser Förderpolitiken angesehen. (Vandenberg 2008: 42) Die Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und damit von Unterstützungspolitiken für Existenzgründer/innen wird seit einigen Jahren immer stärker hinterfragt. Die Evaluierung von Arbeitsmarktpolitik hat sich zu einer komplexen Disziplin entwickelt130 und zeigt einen gemischten und oft geringen Erfolg von Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik bezüglich Wiederbeschäftigungsraten und Lohnsteigerungen auf: „A wide range of results can still be found with some programs demonstrating positive labor market effects for participants and others showing either no impact or even negative effects. Obviously, program design and the context in which the program operates matters a great deal.” (Betcherman, Olivas & Dar 2004: 1)
Ursache dieser durchwachsenen Ergebnisse sind negative Effekte von Arbeitsmarktpolitik, die im Extremfall positive Auswirkungen der Maßnahmen überkompensieren können. In internationalen Studien werden bei der Förderung von Mikrounternehmen häufig die folgenden unerwünschten Nebeneffekte festgestellt: Es kann nur eine kleine Untergruppe von Arbeitslosen unterstützt werden, wobei die Nutznießer/innen oft besser gebildet (Bestenauslese) und männlich sind. Da viele Arbeitslose eine Selbstbeschäftigung nicht als lohnenswerte Alternative ansehen, sind in den Industrieländern die Gründungsraten trotz hohen finanziellen Einsatzes der Regierung sehr niedrig. Problematisch an dieser Maßnah130
Einen guten Überblick über aktuelle methodologische Ansätze zur Wirkungsanalyse aktiver Arbeitsmarktpolitik bieten Betcherman, Olivas & Dar 2004 sowie World Bank 2002.
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
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me ist zudem das hohe individuelle Risiko, das die Existenzgründer/innen tragen und das bei einem Scheitern ihre Lebensgrundlage zerstören kann. Außerdem besteht die Gefahr von Mitnahmeeffekten, zum Beispiel wenn Kleinstunternehmen auch ohne Unterstützung gegründet worden wären oder die Förderung als Einnahmequelle nutzen, ohne den Weg in die Selbständigkeit zu beschreiten. Verdrängungseffekte treten auf, wenn subventionierte Mikrounternehmen solchen ohne Förderung Konkurrenz machen. (vgl. Betcherman, Olivas & Dar 2004) Die Ergebnisse einer groß angelegten Weltbankstudie131 zur Evaluierung der Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zeigen allerdings, dass geförderte Existenzgründer/innen in den meisten Fällen von der Unterstützung profitieren und die „Überlebensraten“ der gegründeten Mikrounternehmen hoch bzw. höher als ohne Förderung sind. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht universell, einzelne Evaluierungen zeigen keine oder negative Effekte. (Betcherman, Olivas & Dar 2004: 49-51) So führt beispielsweise die Existenzgründungsförderung der deutschen Beschäftigungsagenturen durch Überbrückungsgeld und Bezuschussung von „Ich-AGs“ zu ambivalenten Resultaten. (vgl. z.B. Noll & Wießner 2006) Am besten schneiden im internationalen Vergleich Programme ab, die zusätzlich zu finanzieller Unterstützung Beratungs- und Begleitungshilfen anbieten. (Betcherman, Olivas & Dar 2004: 51) Einschränkend ist zu bedenken, dass die meisten verfügbaren Evaluierungen nur ökonomische Faktoren messen und in der Regel auf Beschäftigungsquoten und Lohnsteigerungen fokussieren. Das dabei entstehende Bild einer uneffektiven aktiven Arbeitsmarktpolitik mit teils beträchtlichen negativen Nebenwirkungen muss relativiert werden, indem soziale Effekte in die Auswertung einbezogen werden. Ein wichtiges Argument, das für aktive Arbeitsmarktpolitik und die Unterstützung von Existenzgründer/innen spricht, ist die Förderung von decent work. Die ILO hat nachgewiesen, dass Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik positiv mit der Wahrnehmung von Beschäftigungssicherheit und mit steigender Beschäftigungsqualität korrelieren, indem sie ein Sicherheitsnetz für den Fall von Arbeitslosigkeit schaffen. Die positiver wahrgenommene Beschäftigungssicherheit hat wiederum vorteilhafte gesamtwirtschaftliche Effekte, indem sie das Konsumverhalten fördert und die Bereitschaft zu Jobwechseln und zum Tragen unternehmerischer Risiken erhöht. (vgl. ILO 2003a: 11)
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren? In China verfolgen die Förderpolitiken für Mikrounternehmen nicht in erster Linie das Ziel, die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich der informellen Ökonomie zu verbessern, sondern werden vorrangig als Instrument für Jobschaffung und Wirtschaftsförderung eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine recht junge Entwicklung: Das private Kleinunternehmertum war in China lange Zeit sowohl gegenüber Staatsbetrieben als auch gegenüber großen Unternehmen diskriminiert worden. Diese Situation ändert sich schrittweise erst seit Ende der 1990er Jahre, als Klein- und mittlere Unternehmen von der chinesischen Regie131
Die 2004 veröffentlichte Weltbankstudie (Betcherman, Olivas & Dar 2004) wertet 159 wissenschaftliche Evaluierungen aktiver Arbeitsmarktpolitik aus Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern aus und leitet übergreifende Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik ab.
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rung zunehmend als Partner für die Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit und für das Forcieren der ökonomischen Transformation erkannt wurden. Einen wichtigen Einschnitt stellt dabei der 15. Parteikongress 1997 dar. Dieser hatte einerseits eine Beschleunigung der Privatisierung zur Folge – insbesondere nach der Verfassungsänderung von 1999, in der das Privatunternehmertum offiziell anerkannt wurde. (Herrmann-Pillath, Li Kai & Pan Jiancheng 2002: 9) Mit der Propagierung des Slogans “zhua da fang xiao“ (wörtlich: die Großen packen und die Kleinen freilassen) markiert er andererseits den ersten Schritt zur Öffnung der Wirtschaft gegenüber der Konkurrenz von kleinen und mittelständischen Unternehmen. (Weinmann, Liu Jun & Meng Yuan 2006: 47) Zur Umsetzung dieser Politik wurde 1998 in der damaligen Staatlichen Wirtschafts- und Handelskommission eine Abteilung für Klein- und mittlere Unternehmen eingerichtet. Seither haben verschiedene Ministerien Zirkulare und Verwaltungsrichtlinien zur Unterstützung dieser Unternehmen erlassen132. Diese wurden 2002 im „Gesetz zur Förderung von Klein- und mittleren Unternehmen“ (KMUGes; Zhongxiao qiye cujin fa)133 systematisiert und ergänzt. Dieses Gesetz symbolisiert einen klaren Politikwandel. Es schafft erstmals eine rechtliche Basis für die verschiedenen Regierungsabteilungen, sich in der Förderung von Kleinund mittleren Unternehmen zu engagieren und schreibt diese als Pflicht verbindlich fest. Dazu verankert das Gesetz zum einen wesentliche Rechte für Klein- und mittlere Unternehmen: Es legt fest, dass deren Gewinne geschützt sind, keine unrechtmäßigen Gebühren und Strafen erhoben und sie nicht gegenüber größeren Unternehmen diskriminiert werden dürften. (§§6, 7 KMUGes) Zum anderen verfügt das Gesetz konkrete Maßnahmen zur Förderung dieser Unternehmen, die über die Einrichtung eines Titels für Klein- und mittlere Unternehmen im Zentralbudget und aus Ressourcen der Lokalregierungen finanziert werden sollen. Mit dem Spezialfonds der Regierung werden unter anderem das Anbieten von Unternehmens-Dienstleistungen (Gründungsförderung, Training, Beratung), die Einrichtung eines Kreditgarantiesystems und technologische Innovationen unterstützt. (§§1013 KMUGes) Diese Fördermaßnahmen konzentrieren sich jedoch auf die größeren unter den Klein- und mittleren Unternehmen, was einerseits auf deren höhere Verhandlungsmacht und steuerliche Relevanz zurückzuführen ist und sich andererseits aus der breiten Definition von Klein- und mittleren Unternehmen in China erklärt, zu denen noch Betriebe mit bis zu 2000 Beschäftigten gezählt werden (siehe Übersicht 15, Seite 145). Außerdem werden vorrangig Unternehmen in der High-Tech-Branche unterstützt. (United Nations Industrial Development Organzation 2005: 87) Mikrounternehmen haben dagegen kaum Chancen, von den Mitteln aus dem staatlichen Fonds für Klein- und mittlere Unternehmen zu profitieren. Diese Diskriminierung gegen Mikrounternehmen innerhalb der KMUFörderung ist ein weltweites Phänomen: „However, most programmes providing support services to small enterprises target small and medium-sized enterprises rather than micro-enterprises and, as a result, they may end up marginalizing rather than helping the great majority of informal entrepreneurs. These support programmes tend to pick the winners and neglect the others.” (ILO 2002a: 112)
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Für eine Übersicht der wichtigsten Dokumente siehe Weinmann, Liu Jun & Meng Yuan 2006: 47 und United Nations Industrial Development Organization 2005: 83. 133 Quanguo Renmin Daibiao Dahui (Nationaler Volkskongress): Zhonghua Renmin Gongheguo zhongxiao qiye cujinfa (Gesetz der Volksrepublik China zur Förderung von Klein- und mittleren Unternehmen), 29.6.2002, in Kraft 1.1.2003.
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
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Für chinesische Mikrounternehmen sind daher eher die Förderpolitiken relevant, welche die Regierung im Rahmen ihrer Wiederbeschäftigungspolitik seit Ende der 1990er Jahre aufgelegt hat und die Arbeitslose zur Gründung von Kleinstbetrieben anhalten sollen. Seit der schrittweisen Schließung der staatlichen Wiederbeschäftigungszentren, in denen freigesetzte Arbeitskräfte nach den Entlassungswellen Mitte der 1990er Jahre untergebracht wurden, ist seit Anfang der 2000er Jahre ein genereller Wandel der chinesischen Arbeitsmarktpolitik zu beobachten. Die Strategie der Alimentierung ehemaliger Arbeitskräfte aus Staatsbetrieben wurde sukzessive durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ersetzt, innerhalb derer die Förderung von Selbstbeschäftigung und Existenzgründung eine wichtiges Element darstellt. Die unterschiedlichen seither verfügten Unterstützungsmaßnahmen134 wurden 2008 im „Gesetz zur Beschäftigungsförderung“ (Jiuye cujin fa) zusammengefasst und haben durch den Gesetzesstatus eine hohe Verbindlichkeit erhalten135. Die Gründung von Kleinstunternehmen durch Arbeitslose soll demnach durch Maßnahmen auf drei Ebenen unterstützt werden: 1. Verbesserung der administrativen und steuerlichen Rahmenbedingungen: Steuervergünstigungen, geringere Verwaltungsgebühren und die Bereitstellung von Geschäftsräumen sollen die Gründung von Mikrounternehmen erleichtern. (§18 BFGes) 2. Training und Beratung: Die Lokalbehörden werden aufgefordert, durch Beratung zu Förderangeboten, Berufsqualifizierung und Existenzgründungstraining die Überlebenschancen von Mikrounternehmen zu erhöhen. (§§24, 46, 49 und 50 BFGes) 3. Kredite: Existenzgründer/innen sollen durch die Bereitstellung von Mikrokrediten Zugang zu Startkapital erhalten. Dazu sollen die Lokalregierungen spezielle Beschäftigungsfonds einrichten und finanzieren, aus denen u.a. die Kosten für Kreditgarantien und Zinssubventionen finanziert werden. (§§15 und 19 BFGes) Die Gliederung der folgenden Teilkapitel folgt den drei genannten Regierungsschwerpunkten. Insbesondere bei der Umsetzung der letzten beiden Punkte lässt sich die chinesische Regierung stark von internationalen Erfahrungen leiten und wird von internationalen Organisationen sowie durch bilaterale Zusammenarbeit bei der Konzeption und Implementierung dieser Politiken unterstützt. Die Politiken müssen von den Lokalregierungen finanziert werden und sind somit von der Finanzkraft der einzelnen Städte abhängig. Es ist nicht gesetzlich festgelegt, wie viel Geld die einzelnen Lokalregierungen in die Wiederbeschäftigungsfonds investieren sollen und wie diese Finanzierung konkret aussehen soll. Die lokale Umsetzung der oben genannten Maßnahmen fällt daher sehr unterschiedlich aus, was auch in den untersuchten Fallstädten deutlich wird. (vgl. Kapitel 6.4)
6.3.1 Rahmenbedingungen: Administrative und steuerliche Vergünstigungen Ein Ansatzpunkt, um die Ausweitung von Mikrounternehmen zu fördern, ist die Verbesserung des Verwaltungs- und Steuerumfelds für diese Klientel. Damit sollen die Gründung 134
Für einen detaillierten Überblick zu den einzelnen Regulierungen zur Existenzgründungsförderung in China und deren Inhalten siehe Teil 8.1.3 des Anhangs. 135 Die Unterstützung von Existenzgründungen nur ein Teilsapekt des gesamten Förderpakets des „Gesetzes zur Beschäftigungsförderung“. Zu den darin enthaltenen Bestimmungen gegen Diskriminierung im Arbeitsleben vgl. Kapitel 4.
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von Kleinstbetrieben erleichtert und beschleunigt sowie deren Rentabilität und Überlebenschancen erhöht werden. Arbeitslose und Freigesetzte, die ein Mikrounternehmen gründen und dieses als Individualunternehmen registrieren lassen, werden seit 2002 vom Staat mit den folgenden Politiken unterstützt136: Steuer- und Abgabenbefreiungen: Aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründete Mikrounternehmen sind für drei Jahre von Gewerbesteuern, Stadtentwicklungssteuern, Bildungsabgaben und Einkommenssteuern befreit. Sie müssen zudem keine Gebühren für Verwaltung, Registrierung und Beglaubigungen bei den zuständigen Behörden entrichten. Allein der Gewerbesteuersatz (Körperschaftssteuer) lag in China bis vor kurzem bei 33 Prozent des Gewinns. Im lang erwarteten und im Januar 2008 in Kraft getretenen neuen Körperschaftssteuergesetz der VR China wurde er auf 25 Prozent verringert, für Kleinunternehmen sogar auf 20 Prozent gesenkt137. Für Mikrounternehmen mit zumeist sehr geringen Gewinnen stellt selbst dieser Steuersatz eine starke Belastung dar, so dass die dreijährige Steuerbefreiung eine große finanzielle Erleichterung für Existenzgründer/innen bedeutet. Seit 2006 ist die Summe der Steuerbefreiungen auf 8.000 CNY pro Jahr begrenzt. Gesondert verwiesen wird darauf, dass die Verwaltungsämter für zusätzliche Dienstleistungen faire und möglichst niedrige Gebühren berechnen sollen und dass es ihnen verboten ist, Kapital von Mikrounternehmen einzuziehen oder unrechtmäßige Beiträge aufzuerlegen. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass gerade Mikrounternehmen häufig behördlicher Willkür ausgesetzt sind und von Lokalbeamten mit ungesetzlichen Gebührenforderungen konfrontiert werden. Logistische Unterstützung: Arbeitslose und freigesetzte Existenzgründer/innen sollen dabei unterstützt werden, Geschäftsräume für ihre Mikrounternehmen zu finden. Die Stadtentwicklungsbehörden werden aufgefordert, Selbstbeschäftigte bei den Planungen zu berücksichtigen und beim Errichten neuer Geschäftszentren einen Teil der Räume an diese zu vergeben. Wenn vor Ort die Möglichkeit besteht, sollen Behörden Produktionsstätten und Schulungsräume für Existenzgründungen zur Verfügung stellen. Beschleunigte Verfahren: Die Behörden werden dazu angehalten, den administrativen Aufwand für die Registrierung von Mikrounternehmen zu verringern und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dies soll etwa durch die Einrichtung so genannter „onestop shops“ geschehen, also spezieller Schalter für diese Zielgruppe, an denen die Registrierung bei allen beteiligten Behörden zentral und gleichzeitig abgewickelt werden kann. Die genannten Förderpolitiken gelten nicht für alle Mikrounternehmer/innen, sondern werden in den Regulierungen auf bestimmte Zielgruppen begrenzt. Auch wenn die Reichweite der Gründungsförderung in den letzten Jahren immer stärker ausgedehnt wurde, bleiben bis heute einige Gruppen informell Beschäftigter von der staatlichen Förderung ausgeschlossen. Zunächst konnten nur Arbeitslose und Freigesetzte aus Staatsbetrieben die Vergünstigungen in Anspruch nehmen, seit 2006 auch städtische Sozialhilfeempfänger/innen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sowie Hochschulabsolvent/innen. Erst seit Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes 2008 wird nicht mehr zwischen verschiedenen Unternehmensformen differenziert und alle städtischen Arbeitslosen können sich um die staatlichen Unterstützungsleistungen bewerben. Weiterhin ausgeschlossen aus der Förderung bleiben ländliche Migrant/innen, die in Städten Mikrounternehmen gründen 136
Die einzelnen Regulierungen und deren Inhalte sind in Teil 8.1.3 des Anhangs detailliert aufgeführt. Nationaler Volkskongress (Quanguo Renmin Daibiao Dahui): Körperschaftssteuergesetz der VR China (Zhonghua Renmin Gongheguo qiye suodeshui fa), 16.3.2007, in Kraft 1.1.2008: §§4 und 28. 137
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
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wollen. Wie bereits für die Vergünstigungen bei Sozialhilfezahlungen festgestellt (vgl. Kapitel 5), wirken also auch bei der Gründungsförderung die Trennungsmechanismen aus planwirtschaftlichen Zeiten weiter: Arbeitskräfte aus Staatsbetrieben wurden bis vor kurzem gegenüber Beschäftigten aus Kollektiv- und Privatunternehmen bevorzugt und die hukou-basierte Teilung der Bevölkerung führt weiterhin zu deutlichen Ungleichbehandlungen.
6.3.2 Qualifizierung: Trainingskurse für Existenzgründungen Mikrounternehmen werden selten aufgrund guter Geschäftsideen und aus Unternehmergeist gegründet, sondern entstehen oft aus Mangel an Einkommensalternativen. Die zumeist arbeitslosen Gründer/innen verfügen daher in der Regel nicht über entsprechende Kenntnisse in Wirtschafts- und Arbeitsrecht, Management und Marketing. (vgl. Kapitel 6.1) Um Existenzgründungen zu fördern und bestehende Mikrounternehmen zu stabilisieren, versucht die chinesische Regierung daher seit Ende der 1990er Jahre, Freigesetzte und Arbeitslose durch Trainingskurse zu Kleinstunternehmer/innen auszubilden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich das Existenzgründungstraining in den letzten Jahren in Umfang und Lehrinhalten stark entwickelt und ist heute zu einem der wichtigsten Politikelemente zur Förderung von Wiederbeschäftigung und Kleinunternehmertum geworden. Das Arbeits- und Sozialministerium hat 1998 erstmals Kurse für Existenzgründer/innen in drei Pilotstädten (Beijing, Shanghai und Suzhou) eingeführt und das Programm bis 2002 landesweit auf 30 Städte ausgedehnt. Die Trainingskurse richteten sich ausschließlich an Arbeitslose und Freigesetzte aus Staatsbetrieben. Umfang und Erfolg dieser Programme blieben jedoch begrenzt, und die Gründungsraten nach Trainingsteilnahme waren gering. Die Trainingsinhalte wurden von den Teilnehmenden als praxisfern und die Qualifikation der Trainer/innen als unzureichend eingeschätzt. Kursteilnehmer/innen hatten zudem selten Zugang zu Kleinkrediten, Steuervergünstigungen und anderen Präferenzpolitiken. (Research Group of the Department of Training and Employment & MoLSS 2002: 19) Sehr erfolgreich wurde dagegen mit technischer Unterstützung durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ab 2001 ein Pilotprogramm in drei chinesischen Städten durchgeführt, das international erprobte Inhalte und Methoden anwandte und Trainingskurse durch die Vergabe von Mikrokrediten und technische Unterstützung flankierte138. (ILO & MoLSS 2003: 44) In dessen Folge unterzeichnete die chinesische Regierung ein umfangreiches Kooperationsabkommen mit der ILO, um deren weltweit eingesetztes „Start and Improve Your Business“-Programm (SIYB) China-weit zu einzuführen. Die von 2004 bis 2007 andauernde Implementierung dieses Programms unter technischer Leitung der ILO wurde aus Mitteln der japanischen Regierung sowie der britischen staatlichen Entwicklungsorganisation DFID kofinanziert. „Start and Improve Your Business“ (Chuangban he Gaishan Nide Qiye) ist in China inzwischen zur Basis der nationalen Existenzgründungsförderung geworden, wurde in mehreren Verordnungen als Teil der chinesischen Arbeits-
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Das „Project on Strategic Approaches towards Employment Promotion“ (PEP) wurde in den drei Städten Jilin, Zhangjiakou und Baotou von der chinesischen Regierung mit technischer Unterstützung der ILO durchgeführt und von der japanischen Regierung mitfinanziert.
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
marktpolitik festgeschrieben und wird seit Sommer 2007 von der chinesischen Regierung in Eigenregie weitergeführt. Das Programm besteht aus vier Modulen, die in Zusammenarbeit mit der ILO auf den chinesischen Kontext übertragen wurden: Im zweitägigen Kurs „Generate Your Business Idea (Chansheng Nide Qiye Gousi)“ werden potentielle Mikrounternehmer/innen unterstützt, Geschäftsideen zu entwickeln und auf deren Durchführbarkeit zu überprüfen. Darauf folgt der zentrale Kurs “Start Your Business (Chuangban Nide Qiye)“, der fünf Tage dauert und in dem Teilnehmende in einem Schritt-für-Schritt-Verfahren lernen, ein eigenes Unternehmen zu gründen und zu führen. Diese beiden Lehrgänge werden durch Aufbaukurse ergänzt, die sich an existierende Mikro- und Kleinunternehmen wenden. “Improve Your Business (Gaishan Nide Qiye)“ unterstützt Unternehmer/innen mit sechs eintägigen und frei kombinierbaren Modulen, ihr Unternehmensmanagement zu verbessern, und “Expand Your Business (Kuangda Nide Qiye)“ erarbeitet Wachstumsstrategien mit Kleinunternehmen, die expandieren wollen. (Interview ILO, Beijing 17.3.2006; SIYB-China-Website139) China-spezifisch ist die Integration von Lektionen über die HIV/AIDS-Problematik in den Lehrplan, mit der seit 2006 die große Reichweite der Gründungstrainings gleichzeitig für Präventionsmaßnahmen genutzt werden soll. (Laoshetinghan [2006] 244 hao; DFID 2007: 13; Thomas 2006) Zudem wurde eine speziell auf Migrant/innen zugeschnittene Fernsehserie produziert – eine mehrteilige Seifenoper, in der die Protagonist/innen Mikrounternehmen gründen. Über diese im staatlichen Fernsehen ausgestrahlte Serie soll ein breites Publikum mit Grundlagenwissen über Existenzgründungen sowie Informationen über entsprechende Schulungsangebote versorgt werden140 . (DFID 2007: 13; Klemmer 2006: 242f.; ILO Online 2006) Die Kurse sind national standardisiert und basieren auf für China ungewöhnlichen partizipativen und praxisorientierten Lehrmethoden. Zu Projektbeginn lag einer der Schwerpunkte auf der Ausbildung qualifizierter Trainer/innen – allein bis März 2006 wurden 2.666 Berufsschullehrer/innen als SIYB-Trainer/innen weitergebildet und zertifiziert, die an landesweit 600 Trainingsinstitutionen unterrichten. Der größte Teil dieser Schulungszentren wird staatlich geführt und gehört zum System der Arbeitsbehören; etwa 20 Prozent der Lehreinrichtungen mit SIYB-Trainings werden kommerziell betrieben und erhalten für die dort zu Existenzgründer/innen umgeschulten Arbeitslosen Zahlungen von den lokalen Arbeitsämtern. (Interview ILO, Beijing 17.3.2006) Die Existenzgründungs-Schulungen sind für Personen, die zur Zielgruppe der Förderpolitiken gehören, kostenlos. In den vier Phasen der Programmeinführung wurden diese Zielgruppen immer weiter gefasst (vgl. Übersicht 40): Nach anfänglicher Begrenzung auf städtische Arbeitslose und Freigesetzte wurden sie 2005 auf Studierende und – auf Drängen
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Website des SIYB-China-Projekts unter http://en.siyb.osta.org.cn (Aufruf am 10.11.2008). Die Fernsehserie mit dem Titel “Wode weilai bu shi meng“ (Meine Zukunft ist kein Traum) wurde ab 16. August 2006 im staatlichen Fernsehsender Sichuan TV ausgestrahlt und umfasst zwölf Episoden mit je 45 Minuten Laufzeit. Die Hauptcharaktere sind Migrant/innen vom Land, die sich in Chengdu ein besseres Leben aufbauen wollen und zunächst im Bau- und Restaurantgewerbe arbeiten, sich dann aber selbständig machen. Die Serie wurde in Mandarin und im Sichuan-Dialekt ausgestrahlt, um möglichst viele ländliche Migrant/innen zu erreichen. Ziel war es, mit einer Mischung aus Information, Romantik, Action und Drama die Zielgruppe für Existenzgründungen zu interessieren. Während der Ausstrahlung hatten lokale Arbeitsbehörden Telefon-Hotlines geschaltet, um interessierten Migrant/innen Fragen zum Thema Existenzgründung zu beantworten und sie an entsprechende Schulungszentren zu verweisen. Eine Ausweitung der Serie war geplant. (ILO Online 2006)
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6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
der ILO – auch auf ländliche Migrant/innen ausgeweitet141. Die Unterstützung Arbeitsloser und Migrant/innen durch Gründungstrainings wurde 2008 im Gesetz für Beschäftigungsförderung (Jiuye cujin fa) auf höchster Ebene festgeschrieben; staatliche Subventionen für die Kursteilnahme werden dort allerdings nur für Arbeitslose verfügt. (§§24, 46, 49 und 50, BFGes) Parallel dazu wurde die geographische Reichweite der Trainingsangebote schrittweise ausgedehnt. Nach anfänglicher Einführung in zehn Pilotstädten lag der Projekschwerpunkt in der zweiten Phase auf vier Provinzen in Südchina (Sichuan, Yunnan, Guangxi, Guangdong) und landesweit 100 „Schwerpunktstädten“. Die dritte Projektphase konzentrierte sich auf die sechs zentralchinesischen Provinzen Shanxi, Chongqing, Shaanxi, Gansu, Qinghai und Ningxia, und seit 2007 wird eine flächendeckende Implementierung im ganzen Land angestrebt. (vgl. Übersicht 40) Übersicht 16: Zielvorgaben für Ausweitung der Existenzgründungstrainings Phase 1
Phase 2
Phase 3
Phase 4
(Juli 04-Juni 05)
(Juli 05-Juli 06)
(Juni 06-Juni 07)
(seit Juli 07)
beteiligte Städte und Provinzen
10 Pilotstädte
4 Provinzen + 100 Schwerpunktstädte
6 Provinzen (je 3 Pilotstädte) + 100 Schwerpunktstädte
landesweit; dabei 100 Schwerpunktstädte
Zielgruppe
Arbeitslose/ Freigesetzte
Arbeitslose/ Freigesetze;
Arbeitslose/ Freigesetzte;
Arbeitslose/ Freigesetze;
Studierende;
Jugendliche;
Studierende;
Migrant/innen
Migrant/innen
Migrant/innen; ehemalige Soldat/innen; Behinderte
Anzahl Teilnehmender pro Jahr (Vorgabe)
Provinzstädte: 3.000 sonstige: 2.000
Sichuan, Guangdong: 10.000
Shaanxi: 10.000 Gansu: 5.000
Schwerpunktstädte: 1.500
Yunnan, Guangxi: 5.000
sonstige Provinzen: 2.000
regierungsunmittelbare Städte: 3.000
Pilotstädte Phase 1: 5.000 Schwerpunktstädte: 3.000 Erfolgsquote (Vorgabe)
80% Abschlussquote; 50% Gründungsquot.; 30% Migrant/innen;
80% Abschlussquote;
60% Gründungsquot.; 3 Jobs pro Gründung
50% Gründungsquot.; 50% Gründungsquot.;
3 Jobs pro Gründung
80% stabil n. 1 Jahr;
80% stabil n. 1 Jahr;
3 Jobs pro Gründung
5 Jobs pro Gründung
Quelle: Eigene Zusammenstellung142 141
Die chinesische Regierung wollte die Teilnahme am SIYB-Programm ursprünglich nur für RückkehrMigrant/innen fördern, die in ihrem Heimatdorf ein Unternehmen aufbauen wollen. ILO-Untersuchungen hatten jedoch ergeben, dass die Mehrheit der Migrant/innen permanent in Städten ansässig werden wollten, weshalb beschlossen wurde, die permanente Integration dieser Personengruppe durch Existenzgründungs-Unterstützung zu fördern. (Klemmer 2006: 230) 142 vgl. Teil 8.1.3 des Anhangs: Laoshetinghan [2004] 84, Laoshetinghan [2005] 307; Laoshetinghan [2006] 244; Laoshebufa [2007] 30.
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Offiziellen Zahlen der chinesischen Regierung zufolge sind die ambitionierten staatlichen Zielvorgaben (vgl. Übersicht 40) erreicht und teilweise übererfüllt worden: So gab Yu Faping (Direktor der Trainingsabteilung des Ministeriums für Humanressourcen und Soziale Sicherung) im Sommer 2008 an, dass während der Projektlaufzeit zwischen Juli 2004 und Juli 2007 insgesamt 760.000 Personen an Existenzgründungstrainings teilgenommen hatten. Davon hätten 90 Prozent den Kurs abgeschlossen und 60 Prozent ein Unternehmen gegründet. Damit seien insgesamt über 2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden, also etwa 1,6 zusätzliche Jobs pro Gründung. (Jiang Jing & Yu Faping 2008: 22) Die Angaben der Kooperationspartner ILO und DFID stimmen für die Gesamtzahl der Trainingsteilnehmer/innen und für die geschaffenen Arbeitsplätze mit den Regierungsdaten überein, gehen jedoch von geringeren Gründungsquoten nach der Kursteilnahme aus. Die von der chinesischen Regierung angegebenen hohen Erfolgsquoten seien darauf zurückzuführen, dass etwa ein Viertel der Teilnehmenden bereits bei Kursbeginn ein Mikrounternehmen geführt habe und das Gründungstraining zur Verbesserung seiner unternehmerischen Kenntnisse sowie der Chancen auf einen Kreditzugang nutzen wollte. (Interview ILO, Beijing 17.3.2006) Werden diese Personen herausgerechnet, gehen ILO und DFID von einer Rate an Neugründungen um 38 bzw. 39 Prozent nach einer Kursteilnahme aus. Dies sei im internationalen Vergleich noch immer eine sehr hohe Quote. (DFID 2007: 13; Interview ILO, Beijing 17.3.2006)
6.3.3 Mikrokredite: Staatliche Garantien und Zinssubventionen Der Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten stellt eine große Hürde für die Gründung sowie das dauerhafte Überleben von Mikrounternehmen dar. Da Banken in der Regel keine Kredite an Kleinstbetriebe vergeben und (potentielle) Selbstbeschäftigte oft nicht über ausreichende Eigenmittel verfügen, fehlen ihnen sowohl das nötige Gründungskapital als auch die Finanzen zur Überbrückung von Einnahmeflauten oder für weitere Investitionen. (vgl. Kapitel 6.1) Mikrokreditgarantien gelten international als wichtiges Instrument zur Förderung der Kreditvergabe an Selbstbeschäftigte und Kleinstunternehmer/innen durch den Kapitalmarkt. Sie haben die Funktion, das erhöhte Kreditausfallrisiko dieser Unternehmen durch die Übernahme von Rückzahlungsgarantien abzusichern. Der tatsächliche Kredit wird durch die Banken vergeben, das Kreditrisiko aber durch die Einlagen des Garantiefonds abgedeckt. Kann ein Mikrounternehmen seine Kreditschulden nicht begleichen, springt der (staatliche) Garantiefonds ein und übernimmt Zins und Tilgung gegenüber der Bank. Zugleich übernehmen Garantiefonds einige administrative Aufgaben, wie die Abwicklung eines Teils des Antragsprozesses oder begleitende Beratungs- und andere Dienstleistungen für die Kreditnehmer/innen. Ziel ist es, damit die Kosten einer Kreditvergabe an Mikrounternehmen für die Banken zu senken und deren Bereitschaft zu erhöhen, ihre Finanzierungsangebote für diese Klientel auszuweiten. Zugleich werden die Kreditnehmer/innen in das formelle Finanzsystem integriert, können ihre Vertrauenswürdigkeit bei Kreditinstituten unter Beweis stellen und im Idealfall später kommerzielle Kredite erhalten. Kreditgarantiefonds sind in der Finanzliteratur nicht unumstritten, da die subventionierten Kredite zu Verzerrungen des Finanzmarkts und der Kapitalallokation beitragen. So
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
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sieht beispielsweise die Weltbank insbesondere in maroden Finanzsystemen wie dem Chinesischen die Einführung von Kreditgarantiefonds als problematisch an: „[I]mposing a guarantee scheme on a faulty financial system, unsound and inefficient financial institutions, and a general culture that condones non-repayment of debts, may make matters worse rather than better.“ (World Bank 2004: 41)
Sie hält eine vollständige Deregulierung der Zinssätze für den besseren Ansatz, um die Kreditvergabe an Kleinunternehmen zu stimulieren. Wenn Garantiefonds dennoch die von der Politik favorisierte Option seien, sollten sich diese zumindest an internationalen Erfahrungen orientieren und stark marktorientiert ausgerichtet sein, um moral hazard aufgrund inadäquater Kreditanalysetechnologien oder fehlender Rückzahlungsanreize zu verhindern. (World Bank 2004: 41) In China wurden Mitte der 1990er Jahre erstmals Experimente mit Mikrokrediten gemacht. Ab Anfang 1994 wurden Pilotprojekte durchgeführt, um die Übertragbarkeit insbesondere der Grameen-Bank-Methode auf den chinesischen Kontext zu testen. Diese Projekte wurden in der Regel durch internationale Geber finanziert und durch halbstaatlich bzw. Nichtregierungsorganisationen umgesetzt. Aufgrund der Erfolge dieser Pilotprojekte stiegen die chinesische Zentralregierung sowie einige Provinzregierungen Ende 1996 in die Mikrofinanzierung ein und stellten finanzielle, personelle und organisatorische Ressourcen bereit, um Mikrokredite zu fördern. (Du Xiaoshan 2008: 2) Der Fokus lag dabei auf dem Land; Mikrokredite wurden primär als Instrument zur Armutsminderung und ländlichen Entwicklung eingesetzt. Ende der 1990er Jahre wurden erstmals auch Experimente mit Mikrokrediten für städtische Arbeitslose durchgeführt, die in ihrer Reichweite jedoch zunächst stark begrenzt blieben. Seit Anfang der 2000er Jahre ist Mikrofinanzierung zu einem Schwerpunkt der staatlichen Entwicklungsstrategie geworden und wird mit größeren Summen öffentlicher Gelder gefördert. Die Vergabe von Mikrokreditgarantien an Kleinstunternehmen wurde 2002 als Bestandteil des „Start and Improve Your Business“-Projekts mit Unterstützung der ILO in drei Pilotstädten143 eingeführt und wenig später als Teil der staatlichen Wiederbeschäftigungspolitik China-weit verbreitet. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wurde die Unterstützung arbeitsloser Existenzgründer/innen durch Mikrokredite im Jahr 2008 auf Gesetzesebene verankert. (§§15 und 19 BFGes) Inzwischen verfügen nahezu alle Provinzen und größeren Städte über staatliche Kreditgarantiefonds, parallel dazu wird weiterhin der Aufbau formeller Finanzinstitutionen in ländlichen Regionen gefördert. (Li Zhanwu 2005: 375; Du Xiaoshan 2008; Sun Tongquan 2008) Der Regulierungsrahmen für die Kreditvergabe an Mikrounternehmen und Selbstbeschäftigte gestaltet sich wie folgt: Zielgruppe Die staatlich geförderten Kreditgarantien in den Städten richten sich ausschließlich an freigesetzte und arbeitslose Existenzgründer/innen mit städtischem hukou, seit 2006 auch an Hochschulabsolvent/innen. Die Bewerber/innen müssen im Besitz eines Wiederbeschäf143
Wie die im vorigen Teilkapitel beschriebenen Existenzgründungstrainings wurden auch Mikrokreditgarantien im Rahmen des SIYB-Projekts 2002 in den drei ILO-Pilotstädten Jilin (Provinz Jilin), Zhangjiakou (Provinz Hebei) und Baotou (Innere Mongolei) eingeführt. (ILO 2006b: 5)
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
tigungszertifikats (zaijiuye youhui zheng), unter 60 Jahren alt, gesund und arbeitsfähig sein. Ländliche Migrant/innen, die Mikrounternehmen gründen, gehören laut nationaler Gesetzgebung nicht zum Kreis der Förderberechtigten. Damit bleiben migrantische Kleinstunternehmer/innen zusätzlich zu nicht gewährten Steuervergünstigungen auch von staatlicher Anschubfinanzierung für ihre Gründungsprojekte ausgeschlossen. Es gibt allerdings aktuelle Entwicklungen in der Landnutzungspolitik, die sich indirekt positiv auf migrantische Existenzgründer/innen in den Städten auswirken könnten: Die Kommunistische Partei Chinas hat im Oktober 2008 ein wegweisendes Politikdokument144 verabschiedet, das es Bäuerinnen und Bauern erstmals gestattet, das ihnen zur Nutzung überlassene Land unterzuvermieten, zu verpachten oder zu tauschen bzw. in eine Kooperative zu geben. Lediglich der Verkauf von Land bleibt weiterhin untersagt145. Die zentrale Intention dieser Politik ist es, die Effizienz der chinesischen Landwirtschaft durch Zusammenschlüsse der kleinen Landparzellen zu erhöhen und damit zur Steigerung der ländlichen Einkommen beizutragen. Als positiver Nebeneffekt ergibt sich, dass ländliche Migrant/innen, die sich in Städten niederlassen wollen, über eine Verpachtung ihrer Landnutzungsrechte Startkapital für die Gründung eines Mikrounternehmens erwerben können. Zudem werden sie von der Bürde befreit, regelmäßig auf ihr Ackerland zurückkehren zu müssen, um das Nutzungsrecht nicht zu verlieren bzw. eine (unrechtmäßige) Landwegnahme durch Lokalbehörden abzuwehren. Diese Politik unterstützt migrantische Unternehmer/innen somit indirekt, wenngleich ein deutliches Gefälle zu städtischen Existenzgründer/innen bestehen bleibt, die neben der Vergabe von Startkapital zusätzlich von Steuervergünstigungen und direkten Fördermaßnahmen profitieren. Kreditvergabe Bevor ein Mikrokreditantrag bei einer Bank gestellt wird, muss ein mehrstufiger administrativer Prozess durchlaufen werden. Kreditnehmer/innen benötigen zunächst die Empfehlung ihrer Heimatkommune, danach wird der Antrag durch die lokalen Arbeitsbehörden und schließlich durch den Kreditgarantiefonds begutachtet. Nach positiver Prüfung auf allen Ebenen wird der Antrag an eine kommerzielle Bank weitergeleitet, die ein Kreditprüfungsverfahren durchführt und innerhalb von drei Wochen über die Kreditvergabe entscheiden muss. Damit liegt der Kreditvergabe eine Mischung aus politischen (Zielgruppe) und kommerziellen (Kreditwürdigkeit) Kriterien zugrunde. Zudem ist die Kreditvergabe häufig an eine erfolgreiche Teilnahme an einem Existenzgründungstraining gekoppelt (Interview ILO, Beijing 17.3.2006), was in den nationalen Vorschriften jedoch nicht als offizielles Kriterium festgehalten ist. Generell wird eine enge Verzahnung von Gründungstraining, Unternehmensberatung und Kreditvergabe für Existenzgründer/innen angestrebt. Der maximale Kreditrahmen wurde im Sommer 2008 von ursprünglich 20.000 auf 50.000 RMB pro Mikrokredit aufgestockt, mit einer Erhöhungsmöglichkeit für Partnerschaftsunternehmen. Die Kredite müssen für die Gründung bzw. laufenden Kosten der Mikrounternehmen verwendet werden. Garantiekredite sollen für zwei Jahre vergeben werden, mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit um ein weiteres Jahr. Rückzah144 Zhonggong Zhongyang (Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas): Guanyu tuijin nongcun gaige fazhan ruogan zhongda wenti de guiding (Bestimmung zu einigen zentralen Fragen zur Förderung der ländlichen Reformen und Entwicklung), 12.10.2008. 145 Ackerboden ist in China Kollektiveigentum und wird mit Langzeitverträgen als kleine Parzellen an Bäuerinnen und Bauern verpachtet. Bislang waren weder Verkauf noch Vermietung des zugeteilten Bodens erlaubt.
6.3 Nationale Strategien: Wie lassen sich Chinas Mikrounternehmen stabilisieren?
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lungsmodalitäten und Zinszahlungen sind zwischen den Kreditparteien auszuhandeln. Diese Rahmenvorschriften werden in der Praxis jedoch sehr flexibel gehandhabt. Sowohl bei der Kredithöhe als auch bei den Laufzeiten gibt es in einzelnen Städten deutliche Abweichungen. (vgl. Kapitel 6.4.3) Zinsen und Zinssubventionen Bei der Einführung der Kreditgarantien für Mikrounternehmen 2002 wurde festgelegt, dass die Zinssätze für Mikrokredite den Zinsvorgaben der chinesischen Zentralbank entsprechen müssen und diese nicht überschreiten dürfen. Erst seit August 2008 ist es Kreditinstituten erlaubt, für die Vergabe von Mikrokrediten ein Zinsaufschlag von 3 Prozentpunkten zu berechnen. Mit einem derart geringen Zinsspielraum wird den Banken aufgrund der vergleichsweise hohen Verwaltungskosten jedoch noch immer kein finanzieller Anreiz für eine rentable Kleinkreditvergabe gewährt. (vgl. Kapitel 6.1) Zusätzlich zu den Kreditgarantien fördert die Regierung die Mikrokreditvergabe mit Zinssubventionen. Die Zinszahlungen von Personen mit „Kleingewinn-Projekten“ (weili xiangmu) werden zu 100 Prozent aus Mitteln der Zentralregierung finanziert. Als „Kleingewinn-Projekte“ gelten Individualunternehmen von Arbeitslosen und Freigesetzten, die in Kommunen oder Straßenkomitees kleine Handels-, Essens-, Pflege- oder Reparaturdienstleistungen anbieten und mit Unterstützung der Garantiefonds Mikrokredite erhalten. Seit 2006 dürfen zusätzlich alle Arbeitslosen mit entsprechendem Zertifikat sowie Hochschulabsolvent/innen 50-prozentige Zinssubventionen beantragen, wenn sie sich mit Kleinstunternehmen selbständig machen. Die Zinssubventionen sollen in den sieben Ostprovinzen und –städten Beijing, Shanghai, Shandong, Jiangsu, Zhejiang, Fujian und Guangdong aus den lokalen Finanzetats aufgebracht werden; für alle anderen Provinzen wird das Budget vom Finanzministerium der Zentralregierung bereitgestellt. Organisation und Finanzierung der Garantiefonds Die Garantievergabe für Mikrounternehmen wird hauptsächlich von den seit längerem bestehenden Garantieorganen für Klein- und mittlere Unternehmen übernommen. Das Kreditsystem wird durch Garantieinstitute der Zentralregierung organisiert und von den Lokalregierungen mit Zuschüssen des Finanzministeriums finanziert. (Wang Yanzhong 2004: 38, Wu Xiaoling 2005: 4) Den größten Teil der Garantieunternehmen bilden von den Regierungen auf nationaler, Provinz- und Stadtebene betriebene Garantiefonds (zhengfu chuzi de zhongxiao qiye xinyong danbao gongsi). Flankiert wird dieses System durch kommerziell operierende Garantieunternehmen (shangye danbao youxian gongsi) und Unternehmen für gegenseitige Kreditgarantien (huzhu danbao gongsi), die wiederum durch Rückgarantien der Lokalregierungen staatlich gefördert und gelenkt werden. (Li Zhanwu 2005: 376, ILO 2006b: 5) Diese vergeben allerdings vorrangig Kreditgarantien an Kleinund mittlere Unternehmen und sind kaum in die Garantievergabe für Mikrounternehmen involviert. Da die staatlichen Garantiefonds für ihre Dienstleistungen keine oder nur sehr geringe Gebühren nehmen, im Falle von Zahlungsunfähigkeiten die Kreditnehmer/innen aber gegenüber den Banken zur Begleichung der Kreditschuld verpflichtet sind, schrumpfen die Fondsmittel kontinuierlich und müssen rückfinanziert werden. Die Mittel dazu kommen hauptsächlich aus den Budgets der Wiederbeschäftigungsfonds der Lokalregierungen auf den entsprechenden Ebenen und werden durch die Zentralregierung bezuschusst.
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Um die Verluste in Grenzen zu halten und kalkulierbar zu machen, darf die Gesamtsumme der übernommenen Kreditgarantien das Fünffache des Fondskapitals nicht übersteigen. Muss ein Garantiefonds bei seiner Kooperation mit einer Bank bei mehr als 20 Prozent der vergebenen Kredite einspringen, soll die Zusammenarbeit mit dieser Bank sofort eingestellt und erst nach einem festgelegten Kontrollverfahren wieder aufgenommen werden. Als weitere Notbremse sollen die involvierten lokalen Behörden eine maximale Kompensationsgrenze für ihre Garantiefonds festlegen. Nur unterhalb dieser Grenze müssen die lokalen Finanzbehörden Subventionen für die entstandenen Verluste der Garantiefonds bereitstellen. Zur Entlastung der lokalen Behörden sind die Garantiefonds auf Provinzebene verpflichtet, einen Teil der Verluste der städtischen Fonds mitzutragen – seit 2004 mindestens 10 Prozent. Ob und in welcher Höhe sich Banken und Kreditnehmer/innen am Verlustrisiko beteiligen müssen, wird regional sehr unterschiedlich gehandhabt. 2004 wurde erstmals auf nationaler Ebene festgelegt, dass die kommerziellen Banken 20 Prozent des Kreditrisikos übernehmen und von den Kreditnehmer/innen selbst Sicherheiten in Höhe von maximal 30 Prozent der Kreditsumme verlangt werden sollen. Tatsächlich wird das Kreditrisiko häufig weiterhin vollständig von den staatlichen Garantiefonds getragen. (vgl. Kapitel 6.4.3) Um mehr Anreize für eine verlustarme Mikrokreditvergabe zu schaffen, gibt die Zentralregierung jährlich Zuschüsse an Finanzinstitute, Garantiefonds und Kreditkommunen, die eine hohe Effizienz und hohe Rückzahlungsquoten vorweisen können. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Zentralregierung in den letzten Jahren nationale Rahmenbedingungen geschaffen hat, um administrativ-steuerliche, qualifikatorische und finanzielle Hürden abzubauen und die Gründung von Mikrounternehmen zu erleichtern. Mit Ausnahme der Existenzgründungstrainings richten sich die Förderangebote ausschließlich an städtische Arbeitslose und Freigesetzte sowie Hochschulabsolvent/innen. Im Folgenden wird untersucht, wie die nationalen Vorgaben in den Städten Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing umgesetzt werden.
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing Ähnlich die Sozialversicherung fällt auch die Arbeitsmarktpolitik in die Kompetenz der Stadtregierungen. Nationale Vorgaben haben zwar Richtlinienfunktion, werden aber je nach lokalen Bedingungen und Prioritäten unterschiedlich umgesetzt. Die Finanzierung liegt ebenfalls hauptsächlich in der Verantwortung der einzelnen Städte und wird aus den lokalen Wiederbeschäftigungsfonds geleistet. Zur Analyse der Umsetzung von Förderpolitiken für Mikrounternehmen ist daher die Betrachtung der lokalen Gesetzgebung und Implementierung sinnvoll. Dies geschieht im Folgenden erneut anhand der vier Fallstädte Shanghai, Nanjing, Beijing und Shenzhen. Gemeinsam ist den vier untersuchten Städten, dass sie die Schwerpunkte der Existenzgründungsförderung übernehmen, die auf nationaler Ebene vorgegeben wurden. Erstens werden administrative und steuerliche Vergünstigungen eingeräumt (Kapitel 6.4.1), zweitens Existenzgründer/innen durch die Vermittlung unternehmerischer Kenntnisse sowie Beratungsangebote unterstützt (Kapitel 6.4.2) und drittens Kreditgarantien und Zinssubventionen für die Vergabe von Mikrokrediten gewährt (Kapitel 6.4.3).
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
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Davon abgesehen divergieren die konkreten Fördermodelle für Mikrounternehmen in den betrachteten Fallstädten deutlich und bilden einen guten Querschnitt durch die verschiedenen in China anzutreffenden Ansätze. Sie reichen von einem sehr rigiden System in Shenzhen, das hinter den nationalen Vorgaben zurückbleibt und die Förderung stark beschränkt und mit teilweise hohen Auflagen verknüpft, bis zu einem äußerst liberalen Ansatz in Shanghai. Dort wurden bereits vor Beginn der nationalen Förderung informelle Mikrounternehmen mit einer großen Bandbreite an Maßnahmen unterstützt, was Shanghai auch im Bereich der Gründungsförderung zu einem Vorreiter innerhalb Chinas gemacht und die nationalen Regulierungen in diesem Bereich mit geprägt hat. Ebenso geht Nanjing in einigen Bereichen eigene und innovative Wege. Beijing dagegen ist ein Beispiel für eine Stadt, die die nationalen Vorgaben in weiten Teilen unverändert in lokales Recht übernimmt. Die unterschiedlichen Förderphilosophien werden besonders in der Zielgruppenauswahl deutlich, die zwischen den Städten stark variiert und von den Vorgaben der Zentralregierung abweicht. (siehe Übersicht 17) Gemeinsam ist allen vier Städten, dass sie ausschließlich Personen mit hukou der jeweiligen Stadt Förderung gewähren – Migrant/innen, die nicht zum unmittelbaren urbanen Einzugsgebiet gehören, sind generell ausgeschlossen. Hauptzielgruppe sind Arbeitslose und Freigesetzte, die als einzige in sämtlichen Städten von allen Förderpolitiken profitieren. Shenzhen handhabt die Gründungsförderung am restriktivsten und beschränkt den Zugang zu Unterstützungsleistungen auf diese Zielgruppe – Steuerermäßigungen werden sogar nur Arbeitslosen mit Wiederbeschäftigungszertifikat gewährt. Shanghai dagegen legt die Förderung am breitesten an und zählt ländliche Arbeitskräfte aus dem Einzugsgebiet der eigenen Stadt zu den Förderberechtigten sowie – mit Ausnahme von Steuerbefreiungen – Hochschulabsolvent/innen und selbst Personen, die sich zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen befinden und nicht zur eigentlichen Klientel der Arbeitsbehörden gehören. In Nanjing und Beijing liegt die Zielgruppendefinition zwischen diesen beiden Extremen und variiert je nach Förderbereich. Ein Spezifikum in Nanjing ist dabei, dass auch „Bauern, die ihr Land verloren haben“ (deren Felder also der Stadterweiterung zum Opfer fielen) an subventionierten Gründungstrainings teilnehmen und sich um Garantiekredite bewerben können.
166
6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Übersicht 17: Zielgruppen der Förderung von Mikrounternehmen
Beschäftigte Migrant/innen
x
x
x
x x°
„Bauern, die Land verloren"
x°
Shenzhen
x
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Hochschulabsolvent.
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Kreditgarantien
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Trainingssubventionen
Shenzhen
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x x°
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Rentner/ innen Legende: x Anspruch | * nur Arbeitslose mit Wiederbeschäftigungszertifikat | ° nur mit hukou der jeweiligen Stadt Quelle: Eigene Zusammenstellung
6.4.1 Erleichterte Registrierung, Steuerbefreiungen und Geschäftsräume Für viele Mikrounternehmen ist die Vielzahl von Steuer- und administrativen Vorschriften Grund dafür, sich nicht formell registrieren zu lassen und ihren ungeschützten semi-legalen Status beizubehalten. Oftmals verfügen sie nicht über ausreichend Kapital, um die Bedingungen für eine Registrierung als formelle Individual- oder Privatunternehmen zu erfüllen. Aufgrund instabiler und geringer Umsätze sind viele Mikrounternehmen zudem nicht fähig, regelmäßig Steuern zu zahlen. Um für diese Unternehmen Anreize zu schaffen, den Schritt aus der Informalität in die Semi- oder vollständige Formalität zu gehen, haben alle vier Fallstädte administrative und steuerliche Erleichterungen für Mikrounternehmen beschlossen. Am weitesten geht Shanghai, das mit der Einführung „Informeller Beschäftigungsorganisationen“ (feizhenggui laodong zuzhi) eine Unternehmensform geschaffen hat, die einen legalen Status hat, ohne eine formelle Registrierung bei den Industrie- und Handelsbehörden vorauszusetzen und die eine Brückenfunktion zwischen informeller und formeller Ökonomie einnimmt. Alle Städte bieten Mikrounternehmen eine dreijährige Steuerbefreiung an, wenn sie sich als Individualunternehmen registrieren lassen, wobei der Kreis der geförderten Personen sehr unterschiedlich definiert ist. Zusätzlich werden von den lokalen Arbeitsbehörden Gründungszentren und Geschäftsräume zur Verfügung gestellt. Auch hier variieren die Bedingungen in den einzelnen Städten stark.
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
167
Erleichterte Registrierung Den nationalen Vorgaben entsprechend haben alle vier Städte Regeln implementiert, die bestimmte Zielgruppen bei der Gründung von Individualunternehmen für drei Jahre von Verwaltungs-, Registrierungs- und Beglaubigungsgebühren befreien146. Zusätzlich zu diesen Vergünstigungen für Individualunternehmen haben Nanjing und Shanghai eigene Politiken erlassen, die explizit auch informelle Mikrounternehmen fördern. Sie gehen damit deutlich über die nationalen Vorgaben hinaus. In Nanjing werden besonders Migrant/innen bei ihren kleinstwirtschaftlichen Aktivitäten unterstützt. So wurden im Sommer 2007 informelle Straßenstände von Migrant/innen ausdrücklich legalisiert: Migrant/innen mit kleinen Verkaufs- und Essensständen sowie Bäuerinnen und Bauern, die in Nanjing Waren aus Eigenproduktion auf mobilen Ständen anbieten, müssen sich nicht bei den Industrie- und Handelsbehörden registrieren lassen, sondern können ihren Wirtschaftsaktivitäten ohne Lizenz nachgehen. Wollen Migrant/innen ihr Mikrounternehmen als Individualunternehmen offiziell registrieren lassen, können sie ohne städtischen hukou eine formelle Geschäftslizenz beantragen – zuvor wurden für diese Gruppe lediglich provisorische Lizenzen vergeben, die regelmäßig erneuert werden mussten.147 Am weitesten geht Shanghai in der Legalisierung und Unterstützung informeller Mikrounternehmen. Bereits 1996 – also mehrere Jahre vor Beginn der Existenzgründungsförderung auf nationaler Ebene – hat Shanghai die Unternehmensform der „Informellen Beschäftigungsorganisation“ (feizhenggui laodong zuzhi) eingeführt. Als Informelle Beschäftigungsorganisation können Mikrounternehmen registriert werden, die von Arbeitslosen, Freigesetzten oder „überschüssigen ländlichen Arbeitskräften“ mit Shanghaier hukou geführt werden 148 und deren Wirtschaftsaktivitäten bestimmte Dienstleistungen für die Bewohner/innen der eigenen Kommune umfassen. Dazu gehören beispielsweise kleine Reparaturwerkstätten, Imbiss-Stände, Kioske sowie kommunale Dienste wie Parkplatzbewachung, Gebäudereinigung, Fahrdienste oder Krankenpflege149. (vgl. auch Kapitel 5.4.2) Diese informellen Mikrounternehmen müssen sich lediglich bei den Arbeitsbehörden registrieren, benötigen aber im Gegensatz zu Individualunternehmen keine Geschäftslizenz der Industrie- und Handelsbehörden. Damit verfügen sie über einen legalen Status, ohne als formelles Unternehmen – mit den entsprechenden steuerlichen und administrativen Pflichten – eingetragen zu sein. Sie profitieren zudem von einer Vielzahl von Förderpolitiken, zu denen Steuerbefreiungen, Mikrokreditgarantien, kostenlose Gründungstrainings, Sozialversicherungssubventionen und kostenlose administrative Leistungen gehören. Die Registrierung als Informelle Beschäftigungsorganisation gilt für drei Jahre. In dieser Zeit sollen die informellen Mikrounternehmen durch die Unterstützungsleistungen befähigt werden, ihre Wirtschaftskraft zu erhöhen und sich zu formellen Individualunternehmen zu entwickeln. Den dreijährigen Förderzeitraum dürfen Informelle Beschäftigungsorganisationen in jedem Fall ausschöpfen, auch wenn ihnen vor Ablauf dieser Frist die Transformation in ein for146
Zu den jeweiligen lokalen Regulierungen siehe Teil 8.2.2 des Anhangs. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Nangzhengfa [2007] 196 hao. 148 Weitere Bedingungen für die Registrierung als Informelle Beschäftigungsorganisation sind, dass das Gründungskapital maximal 500.000 CNY betragen darf und dass mindestens 70 Prozent der Belegschaft aus Arbeitslosen, Freigesetzten und „überschüssigen ländlichen Arbeitskräften“ der Stadt Shanghai gehören. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Hu laobao jiufa [2003] 34 hao, 15.7.2003. 149 Eine vollständige Liste der als Informelle Beschäftigungsorganisation anerkannten Aktivitäten findet sich auf der Internetseite des Shanghaier Amtes für Humanressourcen und Sozialversicherung unter http://www.12333sh. gov.cn/kyzd/fzgjy/zcjd/200509/t20050920_8637.shtml (Aufruf am 27.11.2008). 147
168
6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
melles Unternehmen gelingt. Sind die Mikrounternehmen nach drei Jahren nicht genug entwickelt, um sich formell registrieren zu lassen, ist eine erneute dreijährige Anmeldung als Informelle Beschäftigungsorganisation möglich150. Shanghai hat mit der Rechtsform der Informellen Beschäftigungsorganisation eine Unternehmensform geschaffen, die eine Brückenfunktion zwischen informeller und formeller Ökonomie einnimmt. Diese Mikrounternehmen sind besser abgesichert und haben mehr ökonomische Möglichkeiten als „klassische“ informelle Betriebe und bilden eine Art Zwischenkategorie zwischen informeller und formeller Beschäftigung: „On the one hand, policies and measures are introduced to promote, but also record and regulate, informal labour organisations, placing these more towards the formal end of the formality/informality continuum in terms of both enterprise and employment. On the other hand, the government authorities classify these organisations as part of the informal economy because they do not fall within the regulatory framework of the Industrial and Commercial Bureau. Thus, though they are recorded and regulated by the Labour and Social Security Bureau, they are not recorded and regulated by the government department which has the authority to grant them formal status.” (Howell 2002: 10)
Aufgrund des großen Erfolgs dieses Konzepts in Shanghai – sowohl für die Erfassung und Regulierung informeller Tätigkeiten als auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen – haben auch andere Städte die Rechtsform der Informellen Beschäftigungsorganisation eingeführt, beispielsweise Hefei und Hangzhou. Steuervergünstigungen Die nationale Vorgabe, Individualunternehmen bestimmter Zielgruppen in den ersten drei Jahren nach ihrer Gründung von Bildungsabgaben sowie von Gewerbe-, Stadtentwicklungs- und Einkommenssteuern zu befreien, wird ebenfalls in allen Städten aufgegriffen. Da es sich um vollständig oder teilweise lokal erhobene Steuern151 handelt, bedeutet dies eine Subvention von Individualunternehmen aus dem Budget der jeweiligen Städte. Es verwundert daher nicht, dass – mit Ausnahme Nanjings 152 – alle Städte die Zielgruppe enger fassen als dies die nationalen Vorschriften vorsehen. (zur Festsetzung der Förderberechtigten siehe Übersicht 17; S. 166) Nanjing ist auch die einzige Stadt, die Individualunternehmen mit besonders kleinen Umsätzen dauerhafte Steuererleichterungen einräumt, indem die Steuererhebungsgrenze höher festgelegt wird. So müssen Individualunternehmen der förderberechtigten Zielgruppen nur Mehrwertsteuern (zengzhishui) abführen, wenn die monatliche Absatzsumme 5.000 CNY beim Handel mit Waren bzw. 3.000 CNY bei Arbeitsdienstleistungen übersteigt. 150
vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Hu laobao jiufa [2003] 34 hao; auch: Wu Lijian 2006; Sheng Zuhuang 2004; Howell 2002. 151 Die Einnahmen der Einkommenssteuern teilen sich Zentrale und Städte (60% Zentrale, 40% lokal), die restlichen Steuern gehen zu 100 Prozent an die Städte. (Wong 2005: 18) 152 Nanjing differenziert nach den unterschiedlichen Hintergründen der Existenzgründer/innen und gewährt Steuerbefreiungen für: (a) Arbeitslose sowie „neue Arbeitskräfte“ mit Wiederbeschäftigungszertifikat und demobilisierte Soldat/innen: 3 Jahre Befreiung von Gewerbesteuer, Stadtentwicklungssteuer, Bildungsabgaben, Einkommenssteuer; Gesamtsumme max. 8.000 RMB; (b) Hochschulabsolvent/innen im Bereich Naturwissenschaft und Technik: 2 Jahre Befreiung von Gewerbesteuer, Stadtentwicklungssteuer und Einkommenssteuer; (c) demobilisierte Militärkader sowie mitversetzte Familienangehörige von demobilisierten Soldat/innen: 3 Jahre Befreiung von Gewerbesteuer und Einkommenssteuer; (d) Behinderte mit Weiterverarbeitungs- oder Reparaturdiensten: vollständige Steuerbefreiung. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Ningzhengfa [2007] 196 hao.
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
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Zudem müssen Gewerbesteuern (yingyeshui) erst ab einem Monatsumsatz von 5.000 CNY gezahlt werden. Bei einem Mehrwertsteuersatz von 17 Prozent (2008) und einem je nach Branche zwischen 1 und 7 Prozent variierenden Gewerbesteuersatz bedeutet dies deutliche Steuerersparnisse. Geschäftsräume Um die Transformation von einem kleinen Straßenstand oder von Heimarbeit in ein formelles Unternehmen zu schaffen, ist die Anmietung von Geschäftsräumen oder Werkstätten erforderlich, die aber oft das Budget von Mikrounternehmen übersteigt. Die Volksregierungen der untersuchten Städte halten die Arbeitsbehörden auf Stadtbezirksebene daher an, für Existenzgründer/innen geeignete Immobilien kostengünstig bereit zu stellen. Dafür werden häufig leerstehende Fabrikgebäude genutzt. Es sollen aber auch neu entstehende Gewerbezentren animiert werden, einen Teil der Räume preiswert an Existenzgründer/innen zu vermieten. Die Vorschriften dazu sind allerdings unverbindlich und nicht mit konkreten Förderansprüchen verbunden. Dennoch existieren in allen vier Städten derartige „Gründungszentren“ (chuangye zhongxin), „Gründungsparks“ (chuangyeyuan) oder „Gründungsbasen“ (chuangye jidi), in denen Mikrounternehmen preiswert oder kostenlos ihre Dienste anbieten können. In diesen Zentren werden neben Geschäftsräumen zusätzlich Gründungsberatungen und weitere Dienstleistungen der Arbeitsbehörden angeboten. Shanghai hat diese Form der Existenzgründungsförderung am stärksten institutionalisiert und verpflichtet jeden Stadtbezirk, mindestens ein Existenzgründungszentrum für Mikrounternehmen einzurichten. Zielgruppe dieser Förderung sind hauptsächlich Informelle Beschäftigungsorganisationen in der Startphase (mindestens 90 Prozent) sowie solche, die sich gerade in der Umwandlung in formelle Individualunternehmen befinden (höchstens 10 Prozent). Jedes Unternehmen darf maximal drei Jahre lang in einem solchen Zentrum unterstützt werden. Die Kosten für die Einrichtung und Unterhaltung der Gründungszentren teilen sich Stadt- und Bezirksregierungen. Im März 2006 hatten 19 Stadtbezirke insgesamt 55 Existenzgründungsparks eingerichtet, in denen 4.000 Kleinstunternehmen – mehrheitlich Informelle Beschäftigungsorganisationen – Geschäftsräume bezogen hatten; weitere waren geplant. (Interview Arbeitsamt Shanghai, 7.3.2006) Als einzige Stadt stellt Shanghai Mietsubventionen für Mikrounternehmen bereit, die keinen Platz in einem Existenzgründungspark erhalten. Für maximal drei Jahre können jährlich 800 bis 2.000 CNY pro Mikrounternehmen dafür ausgegeben werden. Diese Förderung erhalten allerdings nur Unternehmen, die nicht gleichzeitig von Zinssubventionen profitieren (vgl. Kapitel 6.4.3) Mikrounternehmen müssen sich für eine der beiden Fördermöglichkeiten entscheiden.153 Zusammenfassung Alle vier Städte sind bemüht, Mikrounternehmer/innen zu einer Formalisierung ihrer Betriebe zu bewegen, indem die Registrierung als Individualunternehmen erleichtert, Steuern temporär ausgesetzt und in begrenztem Umfang kostengünstige Geschäftsräume zur Verfügung gestellt werden. Nanjing und Shanghai haben darüber hinaus bestimmte informelle Unternehmensformen legalisiert und damit unter rechtlichen Schutz gestellt.
153
Vgl. Teil 8.2 des Anhangs: Hu laobao jiu [2005] 6 hao; Hu laobao jiufa [2007] 11 hao.
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
6.4.2 Subventionierte Gründungskurse In allen vier untersuchten Städten bildet die Vermittlung unternehmerischer Fähigkeiten an Personen, die sich mit einem Mikrounternehmen selbständig machen wollen, einen der Schwerpunkte der Gründungsförderung. Für bestimmte Zielgruppen werden Existenzgründungskurse kostenlos oder teilsubventioniert angeboten; die Finanzierung kommt aus den städtischen Wiederbeschäftigungsfonds.154 Organisation Die Gründungstrainings werden durch die städtischen Ämter für Humanressourcen und Sozialversicherung koordiniert und reguliert. Interessant ist dabei, dass sich die Stadtregierungen auf diese Funktion des Koordinators und Regulators begrenzen; die Durchführung wird in allen vier Städten an staatliche und private Trainingsinstitute delegiert. Dies ist ein Novum in der chinesischen Arbeitsmarktpolitik, die noch vor wenigen Jahren von den Arbeitsbehörden und deren Unterorganisationen vollständig selbst durchgeführt wurde. Inzwischen können Kursteilnehmer/innen nicht mehr nur in Berufsschulen, die von den Arbeitsbehörden selbst bzw. von halbstaatlichen Organisationen wie Gewerkschaftsbund, Frauenverband oder Jugendliga geführt werden, sondern auch in verschiedenen privaten Trainingsinstituten subventionierte Gründungskurse besuchen. Wie im gesamten von den Arbeitsbehörden geförderten Umschulungs- und Qualifizierungssystem werden damit auch im Bereich des Existenzgründungstrainings Wettbewerbselemente eingeführt und stärker auf die Eigenverantwortung der Zielgruppen gesetzt. Trainingsinstitute können sich bei den Arbeitsbehörden für die Durchführung von staatlich subventionierten Existenzgründungskursen akkreditieren lassen. Unter dem Schlagwort „die Regierung kauft die Trainingsresultate“ (zhengfu goumai peixun jieguo) werden sie erfolgsabhängig für die Durchführung solcher Kurse entlohnt. Der Erfolg wird zumeist am Anteil der Teilnehmer/innen gemessen, der den Kurs abschließt und nach Kursende ein Unternehmen gründet. In Beijing und Shenzhen erhalten Trainingsinstitute nur dann die volle festgesetzte Förderung pro Teilnehmer/in, wenn die Abschlussquote bei mindestens 80 Prozent liegt und wenn nach Kursende mindestens 50 Prozent (Beijing) bzw. 30 Prozent (Shenzhen) ein registriertes Individualunternehmen gegründet haben. Werden diese Vorgaben nicht erfüllt, erhält das Trainingsinstitut nur 70 Prozent der festgelegten Fördersumme. Nanjing hat im Entlohnungssystem eine geschlechtsspezifische Komponente eingeführt: dort werden den Trainingsinstituten bei Erreichen der vorgeschriebenen Abschlussquote155 zunächst für jede/n Teilnehmer/in 70 Prozent der Fördersumme ausgezahlt. Die restlichen 30 Prozent werden erstattet, wenn der Kursteilnehmer tatsächlich ein Unternehmen gründet; für weibliche Gründerinnen zahlen die Arbeitsbehörden 35 Prozent aus, womit die Trainingsinstitute animiert werden sollen, mehr Frauen in ihre Kurse aufzunehmen und diese im Gründungsprozess besonders zu unterstützten. Shanghai macht als einzige Stadt die Subventionszahlungen nicht vom Erfolg der Trainingsinstitute abhängig, sondern setzt auf die Eigenverantwortung der Kursteilnehmer/innen. Personen, die zur förderungswürdigen Zielgruppe gehören, erhalten von den Arbeitsbehörden so genannte Trainingskarten („peixunka“), mit denen sie bei (akkreditierten) Trainingsorganisationen ihrer Wahl an Existenzgründungskursen teilnehmen können. 154 155
Zu den einschlägigen Vorschriften in den einzelnen Städten vgl. Teil 8.2.2 im Anhang. Die für eine vollständige Förderung maßgebliche Abschlussquote liegt bei 75 Prozent.
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
171
Die Trainingsinstitute veröffentlichen ihre Konzepte und die Inhalte der Gründungskurse im „Städtischen Ausbildungsnetzwerk“, auf dessen Basis potentielle Teilnehmer/innen einen passenden Kurs auswählen können. Bestehen sie die Abschlussprüfung des Kurses, wird ihnen die Teilnahme von den Arbeitsbehörden vollständig erstattet. Bei Nichtbestehen müssen die Kosten von den Teilnehmenden selbst getragen werden. Zielgruppe Shanghai ist die einzige Stadt, in der die Förderung von Existenzgründungen nicht ausschließlich als Mittel zur Unterbringung von „Problemgruppen“ am Arbeitsmarkt (Arbeitslose, Freigesetzte, ländliche Migrant/innen) gesehen wird, sondern als Instrument zur Förderung der Kleinwirtschaft und des Unternehmertums insgesamt dient. (zur Festsetzung der Förderberechtigten in den anderen Städten vgl. Übersicht 17; S. 166) Dort können seit Oktober 2007 nicht nur Arbeitslose, sondern auch Beschäftigte an Existenzgründungstrainings teilnehmen, wenn sie zuvor kein eigenes Unternehmen führten. Ihnen steht jährlich ein zur Hälfte subventionierter Gründungskurs zu. In dieselbe Richtung weist die ebenfalls 2007 eingeführte Kombinationsmöglichkeit „Gründung + Berufsqualifikation“ („chuangye + jineng“): nach einer erfolgreichen Teilnahme an einem Gründungskurs kann zusätzlich im selben Jahr an einem subventionierten berufsqualifizierenden Training teilgenommen werden, in dem technisch-fachliche Kenntnisse vermittelt werden, die zum Führen des neuen Unternehmens nötig sind (z.B. Handwerkskenntnisse, Computerkenntnisse etc.). Shanghai ist allerdings auch die einzige Stadt, welche die Teilnahme an subventionierten Gründungskursen an einen bestimmten Bildungsstand (mindestens Mittelschule) sowie die vorherige Prüfung der „Gründungsfähigkeiten“ der einzelnen Personen durch die Ämter für Gründungsberatung auf Stadtbezirksebene koppelt und somit eine Vorauslese trifft („creaming“). Dies dürfte insbesondere ländliche Arbeitskräfte treffen, die oft nicht über entsprechende formelle Schulabschlüsse verfügen, und könnte auch für ältere Arbeitslose problematisch sein, die zur Zeit der Kulturrevolution keine vollständige Schullaufbahn absolvieren konnten. Inhalte In allen vier Städten bestehen die Existenzgründungstrainings aus der Vermittlung theoretischer Kenntnisse, die für die Gründung eines Unternehmens erforderlich sind, aus praktischen Übungen und einer anschließenden Beratungsphase. Die Curricula beinhalten Wissensvermittlung zu Marktanalyse, Management, Finanzierung, Personalführung sowie zu relevanten lokalen und nationalen Vorschriften und Gesetzen zur Registrierung und Führung von Unternehmen. Lediglich Nanjing und Shenzhen schreiben den Trainingsinstituten vor, die auf nationaler Ebene favorisierte ILO-Methode “Start and Improve Your Business“ (SIYB) anzuwenden, was entsprechend ausgebildete und zertifizierte Lehrkräfte sowie speziell entwickelte Lehrmaterialien voraussetzt. In Nanjing beispielsweise werden vier Kursmodule unterschiedlichen Umfangs angeboten: (1) Generieren von Unternehmensideen (24 Stunden), (2) Existenzgründung (240 Stunden), (3) Unternehmensverbesserung (70 Stunden) sowie (4) Gründungsprojekte für ländliche Arbeitskräfte (168 Stunden). In Beijing und Shanghai wird den Trainingsinstituten die Wahl gelassen zwischen der SIYBMethode und anderen Ansätzen. Kursziel ist es in der Regel, für jede/n Teilnehmer/in einen eigenen Business-Plan auszuarbeiten, auf dessen Grundlage die Unternehmensgründung durchgeführt und der zur
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
Beantragung von Krediten und Förderleistungen eingereicht werden kann. Beijing schreibt als einzige Stadt einen maximale Kursstärke von 30 Personen vor, in anderen Städten sind größere Klassen möglich. In Nanjing beispielsweise gaben in einer Befragung unter Absolvent/innen von Existenzgründungstrainings die Hälfte der Personen an, in Kursen mit über 30 Teilnehmer/innen ausgebildet worden zu sein, zum Teil mit 100 Personen. (Chau QuanMinh 2005: 6) In solch großen Klassen sind praktische Übungen und die Erstellung individueller Unternehmenskonzepte schwer durchführbar. Häufig geäußerte Kritikpunkte der in Nanjing befragten Teilnehmer/innen waren folglich, dass die Gründungskurse abstrakt und wenig praxisorientiert seien und dass ein stärkeres Eingehen auf individuelle Probleme sowie eine stärkere Begleitung der eigenen Gründungsidee wünschenswert wären. (Chau Quan-Minh 2005: 13) Eine begleitende individuelle Gründungsberatung vor, während und nach Trainingsteilnahme ist in allen vier Städten vorgesehen. In Beijing und Shenzhen beispielsweise werden Trainingsinstitute verpflichtet, nach Kursende sechs Monate lang Beratungsleistungen für die Existenzgründer/innen anzubieten und diese mindestens monatlich (Beijing) bzw. zweimonatlich (Shenzhen) zu kontaktieren, um nach dem Fortgang der Gründungsaktivitäten zu fragen und Unterstützung anzubieten. Außerdem bieten in allen vier Städten die Arbeitsbehörden auf den verschiedenen Ebenen Gründungsberatungen an. Da detaillierte Evaluierungen dieser Beratungsleistungen fehlen, ist deren Qualität schwer abschätzbar. In meinen in Nanjing geführten Interviews wurde allerdings deutlich, dass die Qualität der Beratungsangebote als unbefriedigend wahrgenommen wird. In Nanjing wird von Seiten der Arbeitsbehörden hauptsächlich mit ehrenamtlichen Berater/innen gearbeitet, etwa verrenteten Lehrer/innen und Regierungskadern, deren Erfahrung begrenzt und deren Professionalität gering ist. Die Beratungsleistungen beschränken sich zumeist auf die Weitergabe von Informationen zu Förderregeln und Gründungsformalitäten; eine qualitativ hochwertige Beratung in Bezug auf Markterschließung und konkrete Rechtsfragen ist nicht möglich. Die Ehrenamtlichkeit der Aufgabe führt zudem zu einer hohen Fluktuation der Ansprechpersonen. (Interviews GTZ Nanjing, 23.2.2006 und Existenzgründungszentrum Nanjing, 20.2.2006; vgl. auch Baur 2004: 2) Zusammenfassung Die obigen Ausführungen zeigen, dass es in allen untersuchten Städten gelungen ist, subventionierte Gründungskurse und Beratungsleistungen für potentielle Mikrounternehmer/innen zu etablieren und in Kooperation mit privaten und staatlichen Ausführungsorganisationen für eine große Reichweite zu sorgen. Auch wenn die konkrete Ausgestaltung und die Teilnahmebedingungen im Detail zwischen den einzelnen Städten variieren, lässt sich überall ein starker Fokus auf diese Maßnahme der Existenzgründungsförderung erkennen, der im Wesentlichen den nationalen Rahmenvorgaben und den Schwerpunkten des China-weit eingeführten ILO-Programms Start and Improve Your Business folgt.
6.4.3 Mikrokreditfonds und Lokalbanken Alle vier Fallstädte haben seit 2002 Kreditgarantiefonds eingerichtet, die aus den Wiederbeschäftigungsfonds finanziert werden. In einigen Städten existieren mehrere Fonds. So unterhalten in Beijing die einzelnen Stadtbezirke eigene kleine Kreditgarantiefonds, und in
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
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Shanghai hat der Gewerkschaftsbund der Stadt einen zusätzlichen Garantiefonds eingerichtet. Die Kreditvergabe selbst geschieht nicht durch die Fonds, sondern durch lokale Banken. Dies sind in der Regel die Filialen der Commercial Bank (Shangye Yinhang); andere Geschäftsbanken werden ebenfalls zum Einstieg ins Mikrokreditgeschäft angehalten, sind aber aufgrund der geringen Gewinnmargen zurückhaltend. Bedingungen der Kreditvergabe Wie Übersicht 17 (S. 166) verdeutlicht, gibt es im Bereich der Mikrokreditvergabe besonders große Unterschiede bezüglich der Zielgruppen in den einzelnen Städten: Während Shenzhen die Vorzugskredite auf Arbeitslose beschränkt, gehören in Beijing und Nanjing auch ländliche Migrant/innen mit hukou der jeweiligen Stadt zur Zielgruppe156. In Shanghai richten sich die Kreditgarantien an Informelle Beschäftigungsorganisationen sowie an arbeitsintensive Kleinunternehmen (3 Jahre nach deren Registrierung). Der Kreis der Förderberechtigten wird überall durch weitere Bedingungen eingeschränkt. Dazu gehören: Offizielle Unternehmensregistrierung: In Nanjing, Beijing und Shenzhen können ausschließlich Mikrounternehmen Kreditgarantien beantragen, die über eine formelle Unternehmensregistrierung (Individual-, Partnerschafts-, Kleinunternehmen) bei der Industrieund Handelsbehörde verfügen. Damit wird die große Gruppe der besonders prekär beschäftigten kleinen Straßenhändler/innen und Kleinstdienstleister/innen ausgeschlossen, die ihre Tätigkeit aus steuerlichen und administrativen Gründen nicht registrieren lassen. In Shanghai dagegen sind es insbesondere diese nicht formell registrierten Mikrounternehmen ohne Geschäftslizenz, die als Informelle Beschäftigungsorganisationen im Fokus der Kreditgarantievergabe stehen. Trainingszertifikat: Beijing und Shenzhen machen zusätzlich die erfolgreiche Teilnahme an einem Existenzgründungstraining zur Bedingung für eine Kreditgarantievergabe; in Shenzhen kann diese auch durch zweijährige unternehmerische Praxiserfahrung bzw. eine Fachausbildung ersetzt werden. Nanjing verlangt die Vorlage eines Gründungsplans. Eigenkapital: Lediglich in Nanjing und Shenzhen können Kreditgarantien beantragt werden, wenn keinerlei eigene Mittel in die Projektfinanzierung fließen. In Beijing und Shanghai sind 30 bzw. 50 Prozent Eigenkapitalanteil an der gesamten Projektsumme aufzubringen. Sicherheiten: Auch in der Frage eines Nachweises von Sicherheiten unterscheiden sich die Regulierungen in den einzelnen Städten deutlich. In Nanjing und Shanghai werden die kleinsten der Mikrokreditgarantien ohne das Einbringen eigener Sicherheiten oder Bürgen vergeben; hier müssen erst bei Kreditsummen ab 50.000 CNY (Nanjing) bzw. 100.000 CNY (Shanghai) Sicherheiten nachgewiesen werden. In Beijing dagegen müssen 30 Prozent der Kreditsumme abgesichert werden. Dabei werden die Hinterlegung einer Kaution oder eines Pfands, Hypotheken sowie Bürgschaften dritter Personen akzeptiert. Lediglich von Personen, die zu einer Kreditkommune157 gehören, werden keine zusätzlichen Sicherheiten eingefordert. Shenzhen verlangt die Absicherung der gesamten Kreditsumme durch eine Bürgschaft. Der Bürge oder die Bürgin muss einen hukou der Stadt Shenzhen besitzen 156
In Nanjing nur dann, wenn es sich um „Bauern, die ihr Land verloren haben“ handelt. Als Kreditkommunen werden Kommunen (shequ) bzw. Straßenkomitees (jiedao) bezeichnet, in denen sämtliche Personen, die sich um Mikrokreditgarantien bewerben, an Existenzgründungstrainings teilgenommen haben, die jährlich eine bestimmte Summe an Kreditgarantien vergeben und wo die Rückzahlungsquote sehr hoch (in der Regel über 95%) ist. 157
174
6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
und über eine feste Anstellung mit stabilem Einkommen verfügen158. Dies bedeutet, dass die Garantiefonds in Shenzhen nur Rückgarantien übernehmen, also nur dann einspringen, wenn weder die eigentlichen Kreditnehmer/innen noch die Bürgen die Kredite zurückzahlen können. Kreditkonditionen und Zinsen Dem Konzept von Mikrokrediten entsprechend ist die Höhe der Garantiekredite mit 20.000 (Nanjing) bis 100.000 CNY (Shanghai) gering. Dies ermöglicht eine größere Reichweite der Garantiefonds und dürfte in den meisten Fällen den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen, deren Gründungsprojekte in der Regel arbeits- aber wenig kapitalintensiv sind und die an Krediten für einfache Ausrüstungsgegenstände und einer kleinen Anschubfinanzierung ihrer Unternehmen interessiert sind. Die anfangs sehr kurzen Kreditlaufzeiten wurden inzwischen in allen Städten auf zwei Jahre – in Shanghai sogar auf drei Jahre – erhöht, mit einer Verlängerungsmöglichkeit um ein weiteres Jahr. Der administrative Aufwand für die Kreditnehmer/innen ist relativ gering. Die meist nur eine Seite umfassenden Kreditanträge können bei den Arbeitsbehörden auf unteren Ebenen (Kommune, Straßenkomitee oder Stadtbezirk) bzw. direkt bei den Garantiefonds eingereicht werden und durchlaufen dann einen standardisierten, oft sehr kurzen Evaluierungsprozess innerhalb der Arbeitsbehörden unter Einbeziehung entsprechender „Expertenteams“ der Garantiefonds und/oder Gründungszentren der Arbeitsbehörden. Über die Kreditvergabe selbst entscheiden in der Regel die kooperierenden Banken auf Empfehlung der Garantiefonds. Dafür ist kein zusätzlicher Antrag von Seiten der Mikrounternehmer/innen nötig, das Verfahren wird von den Arbeitsbehörden koordiniert und durchgeführt. Aufgrund der übersichtlichen und kurzen Prüfungsverfahren vergeht zwischen Kreditantrag und –bewilligung nur sehr wenig Zeit; die Kredite werden bei positivem Bescheid in der Regel innerhalb von 12 (Beijing) bis 30 (Shanghai) Arbeitstagen nach Antragstellung vergeben. Allerdings wird nur ein Teil der Kreditanträge bewilligt; in Nanjing werden beispielsweise knapp viermal so viele Kreditanträge gestellt, wie Kreditgarantien vergeben werden (können). (Interview Gewerkschaftsbund Nanjing, 22.2.2006) Auch die monetären Kosten für die Kreditnehmer/innen sind niedrig und liegen sowohl deutlich unterhalb internationaler Vergleichswerte als auch unterhalb der Kosten für Marktkredite in China. Zum einen nehmen die Garantiefonds – anders als international üblich – keinerlei Gebühren für die Gewährung von Kreditgarantien. Zum anderen sind die Zinssätze für Mikrogarantiekredite staatlich festgesetzt und sehr niedrig. Sie liegen unterhalb der üblichen Kreditzinsen der Banken und sind um ein Vielfaches geringer, als für eine kostendeckende Mikrokreditvergabe durch den Finanzmarkt nötig wäre. (vgl. Kapitel 6.1) Zusätzlich besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, die gezahlten Zinsen nachträglich vom Staat zurückerstattet zu bekommen. Wie in den nationalen Regulierungen vorgesehen, können Betreiber/innen so genannter „Kleingewinn-Projekte“ (weili xiangmu) Zinssubventionen beantragen, wenn die Kreditrückzahlung regelmäßig und fristgerecht abläuft. (vgl. Kapitel 6.3.3) Mit der Konzentration auf „Kleingewinn-Projekte“ kommen die Zinserstattungen den prekärsten und kleinsten der Mikrounternehmen zugute und bedeuten trotz der 158
Als Bürgen akzeptiert werden (a) Beamte oder Festangestellte mit mindestens einjährigem Beschäftigungsverhältnis, (b) formelle Arbeitskräfte aus Groß- und mittleren Unternehmen mit mindestens einjährigem Beschäftigungsverhältnis und einem Monatseinkommen über 3.000 CNY oder (c) Immobilienbesitzer/innen mit stabilem Einkommen. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Shen laoshe gui [2007] 1 hao.
6.4 Lokale Ausgestaltung: Fallstudien in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
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relativ geringen Zinssätze eine wichtige Entlastung für diese Kreditnehmer/innen. Allerdings ist auch dafür – mit Ausnahme von Shanghai – eine formelle Unternehmensregistrierung notwendig, so dass informelle Straßenstände und mobile Kleinstdienstleister/innen nicht von dieser Politik profitieren. In Beijing liegt der Subventionssatz bei 100 Prozent der gezahlten Zinsen. In Nanjing und Shenzhen erhalten nur Arbeitslose mit Wiederbeschäftigungszertifikat sowie demobilisierte Soldat/innen eine vollständige Zinserstattung; die anderen zur Kreditzielgruppe gehörenden Personen erhalten die Hälfte der gezahlten Zinsen zurück. Shanghai bindet als einzige Stadt die Vergabe von Zinssubventionen weder an eine formelle Unternehmensregistrierung noch an den Nachweis eines „Kleingewinn-Projekts“. Voraussetzung ist stattdessen die Weiterbeschäftigung eines bestimmten Anteils an Arbeitslosen, Freigesetzten und „überschüssigen ländlichen Arbeitskräften“. Bei Informellen Beschäftigungsorganisationen müssen weiterhin 70 Prozent der Belegschaft aus diesen Personengruppen bestehen und einen „stabilen“ Arbeitsplatz haben, d.h. mindestens 10 Monate im Jahr beschäftigt, sozialversichert und bei den Arbeitsbehörden gemeldet sein. Mit diesem Ansatz wird nicht die Formalisierung von Mikrounternehmen ins Zentrum gestellt, sondern ein Anreiz zur Verbreitung von decent work innerhalb der Belegschaft informeller Unternehmen gesetzt. Kreditausfälle Können Mikrounternehmen ihre Kredite nicht zurückzahlen, springen im Ernstfall die Garantiefonds ein. Das Prozedere ist in den Städten unterschiedlich geregelt. In Beijing, wo für 30 Prozent der Kreditsumme Sicherheiten hinterlegt werden müssen, werden diese einbehalten und der Garantiefonds kommt für die ausstehenden Kreditverpflichtungen gegenüber der Bank auf. In Shenzhen werden die eingetragenen Bürg/innen für den Kreditausfall zur Kasse gebeten; erst wenn diese zahlungsunfähig sind, springt der Garantiefonds ein. In Nanjing, das weder Sicherheiten noch Bürgschaften für die Vergabe von Mikrokreditgarantien verlangt, werden die Kreditschulden zwischen Garantiefonds (70 Prozent), Stadtbezirk (10 Prozent) und Kredit gebender Bank (20 Prozent) aufgeteilt. Hier trägt also auch die Bank einen Teil des Ausfallrisikos. Um die Ausfallquoten gering zu halten, werden Stadtbezirke mit hohen Kreditausfällen sanktioniert und Akteur/innen mit guten Rückzahlungsquoten belohnt. Stadtbezirke, in denen die Kreditausfallquoten über 20 Prozent liegen, müssen für ihre Bewohner/innen die Garantievergabe einstellen und dürfen sie erst nach Ergreifen von Maßnahmen zur Risikoeindämmung und nach Kontrollen durch ein Evaluierungsteam wieder aufnehmen. Kommunen (shequ) und Geschäftsbanken mit Rückzahlungsquoten bei Mikrogarantiekrediten ab 90 Prozent erhalten dagegen Boni159 von der Stadtregierung, die für die Verwaltungskosten der Kreditvergaben verwendet werden müssen. Shanghai hat als einzige Stadt ein formalisiertes Konkurssystem für Mikrounternehmen eingeführt, das unter bestimmten Bedingungen den Erlass der Schulden ermöglicht. Informelle Beschäftigungsorganisationen können einen Schuldenerlass beantragen, wenn sie über ein Jahr im Zahlungsverzug sind und aufgrund schwerer Erkrankungen oder fami-
159
Die Höhe der Boni wurde 2005 auf 2 Prozent der gesamten vergebenen Kreditsumme festgesetzt. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Ningzheng banfa [2005] 88 hao.
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
liärer Notlagen der Kreditnehmer/innen160 keine Chancen für eine Kreditrückzahlung sehen. Parallel dazu wurde ein persönliches Kreditregister eingeführt, in dem das Rückzahlungsverhalten sämtlicher Kreditnehmer/innen in Shanghai vermerkt und das vor Vergabe neuer Kredite von den Banken eingesehen wird. Haben Mikrounternehmen Rückzahlungsschwierigkeiten oder kommt es gar zu Kreditausfällen, ist es für die Kreditnehmer/innen kaum möglich, erneut Kredite aufzunehmen oder Ratenfinanzierungen bei Auto- oder Immobilienkäufen zu erhalten. Im Gegensatz zu Nanjing wird in Shanghai somit der Anreiz für hohe Rückzahlungsquoten nicht auf der Ebene der Behörden und Banken gesetzt, sondern die einzelnen Kreditnehmer/innen stärker in die Verantwortung genommen. Zusammenfassung Die Gestaltung der Mikrokreditvergabe in allen vier Städten kommt den Bedürfnisse von Kleinstunternehmer/innen nach, indem kleine Kreditbeträge zu geringen Zinssätzen, ohne Gebühren und mit geringem Antragsaufwand vergeben werden. Damit wird Existenzgründer/innen die Möglichkeit gegeben, sich mit Startkapital zu versorgen und finanzielle Engpässe beim Weg in die Selbständigkeit zu überbrücken. Die Kehrseite der günstigen Kreditkonditionen ist allerdings, dass die Vergabe von Mikrokrediten für private Geschäftsbanken nicht lukrativ ist und diese von einem Einstieg in die Mikrofinanzierung abhält. Da die kooperierenden staatlichen Banken nur über begrenzte Kapazitäten verfügen, schränkt dies die Reichweite dieser Fördermaßnahme stark ein, und nur ein kleiner Teil der Anspruchsberechtigten kann tatsächlich mit Gründungskrediten versorgt werden.
6.5 Diskussion und Zwischenbilanz: Formalisierungsanreize in der Kleinwirtschaft mit geringer Reichweite Die Förderung von Mikrounternehmen hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Element der Regulierung informeller Beschäftigung entwickelt. Die Unterstützung unternehmerisch selbständiger informell Beschäftigter durch Steuererleichterungen, Existenzgründungskurse und Kreditgarantien ergänzt die Regulierungen zu Arbeitsstandards und Sozialversicherung, welche sich vorrangig an (informell) Beschäftigte in abhängigen Arbeitsverhältnissen richten. Im Folgenden wird analysiert, inwiefern die Politiken zur Förderung von Mikrounternehmen dazu beitragen, die decent work-Defizite informeller Beschäftigung abzubauen und die Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse informeller Kleinstunternehmer/innen besser abzusichern. Mit Hilfe der in Kapitel 2.2.1 abgeleiteten Analyseparameter wird dabei gefragt nach (1) der theoretischen und der tatsächlichen Reichweite der Gründungsunterstützung, (2) der Zielgruppenorientierung dieser Maßnahmen, (3) der politischen und (4) der ökonomischen Nachhaltigkeit der Förderansätze, (5) der Kooperation der involvierten staatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteure sowie (6) der Kohärenz der Gründungsförderung mit den anderen untersuchten Regulierungen informeller Beschäftigung und mit der decent work-Agenda.
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Zu diesen Notlagen zählen: (a) Kreditnehmer/in ist verstorben, verschollen, schwer erkrankt oder vollständig arbeitsunfähig oder (b) finanzielle Notlage der Familie und drei Monate in Folge Sozialhilfebezug. Vgl. Teil 8.2.2 des Anhangs: Hu laobao jiufa [2004] 22 hao.
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Reichweite Mit der Förderung von Mikrounternehmen haben sich die rechtliche und finanzielle Situation sowie die unternehmerischen Fähigkeiten vieler Selbstbeschäftigter verbessert. Ein Großteil der informellen Unternehmen ist jedoch von den Unterstützungspolitiken ausgeschlossen oder profitiert aufgrund begrenzter Budgetkapazitäten der Lokalregierungen nicht. Anders als in den Bereichen des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung ist die nominelle Zielgruppe der Gründungsförderung stark eingegrenzt. Alle untersuchten Städte gewähren ausschließlich Bürger/innen ihrer eigenen Stadt Vergünstigungen und Subventionen für die Gründung von Mikrounternehmen. Ländliche sowie städtische Mikrounternehmer/innen, die aus anderen Regionen zuziehen und keinen permanenten hukou der jeweiligen Stadt erhalten, werden nicht unterstützt. Selbst ländliche Arbeitskräfte, die aus den zum Einzugsgebiet der jeweiligen Stadt zählenden Dörfern stammen und über einen entsprechenden hukou verfügen, haben nur in einigen Städten Zugang zu Gründungsförderung und werden jeweils nur punktuell gefördert; Steuerermäßigungen erhalten sie beispielsweise nur in Shanghai (vgl. Übersicht 17, Seite 166). Damit ist mit den Migrant/innen eine der größten Gruppen oftmals informell beschäftigter Personen von der direkten Gründungsförderung ausgeschlossen. Dies steht im Widerspruch zu den untersuchten Regulierungen in den Bereichen Arbeitsrecht und Sozialversicherung, wo Migrant/innen immer stärker als Teil der Zielgruppe gesehen und unterstützt werden. Die einzige Personengruppe, die durchgängig von allen Politiken für Existenzgründer/innen profitiert, sind Arbeitslose und Freigesetzte mit dem hukou der jeweiligen Stadt. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschäftigungsförderung 2008 waren auf nationaler Ebene allerdings nur diejenigen unter ihnen förderberechtigt, die aus Staatsbetrieben entlassen wurden. Arbeitslose aus Kollektivbetrieben konnten nur von den Vorzugspolitiken profitieren, wenn deren Lokalregierungen die Finanzierung allein trugen, sonstige Arbeitslose erst nach einjährigem Bezug von Sozialhilfe. In Shenzhen haben noch immer nur Arbeitslose mit Wiederbeschäftigungszertifikat Anspruch auf Steuerermäßigungen, in den anderen Städten wird nicht mehr zwischen verschiedenen Formen von Arbeitslosigkeit differenziert. Hochschulabsolvent/innen, die laut nationaler Politik zur Zielgruppe für alle drei Bereiche der Gründungsförderung zählen, werden in den untersuchten Fallstädten lediglich in Nanjing umfassend unterstützt. In Shanghai und Beijing profitieren sie nur von einzelnen Politiken, in Shenzhen sind sie nicht förderberechtigt. Dies steht im Widerspruch zur schwierigen Beschäftigungssituation junger Menschen in China, die selbst nach einem Hochschulabschluss zunehmend Probleme haben, eine feste Anstellung zu finden. Dass der Weg der Existenzgründung für diese Zielgruppe eine wichtige Option darstellt, zeigt etwa der Wandel in der Alters- und Bildungsstruktur der Kreditnehmer/innen in Shanghai, wo Hochschulabsolvent/innen zu den Personen gehören, die sich um Mikrokreditgarantien bewerben können. Der Anteil der unter 35jährigen unter den Mikokreditnehmer/innen stieg dort allein zwischen 2004 und Mitte 2006 von 25 Prozent auf 34 Prozent, der Anteil der Hochschulabsolvent/innen erhöhte sich dabei im gleichen Zeitraum von 17,1 Prozent auf 23,5 Prozent. (Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju 2006) Shanghai fördert als einzige Stadt auch Beschäftigte, die den Weg in die unternehmerische Selbständigkeit gehen wollen. Personen in gut bezahlten, abgesicherten und stabilen Beschäftigungsverhältnissen dürften nur in wenigen Fällen Interesse daran haben, sich mit
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einem Mikrounternehmen selbständig zu machen. Gerade für informell Beschäftigte, die als Leiharbeiskräfte, auf Stundenbasis oder ohne dauerhafte und vertraglich gesicherte Anstellung arbeiten, könnte ein derartig geförderter Übergang in die Selbständigkeit dagegen eine reale und lohnenswerte Option sein. Personen im Rentenalter sind von Vorzugspolitiken für Existenzgründer/innen ausgeschlossen. In allen untersuchten Städten und in allen Bereichen der Gründungsförderung sind nur Menschen im gesetzlichen Arbeitsalter unterstützungsberechtigt. Es ist davon auszugehen, dass diese Regelung insbesondere für Personen problematisch ist, die über längere Zeit informell beschäftigt sind und keine oder keine ausreichenden Rentenversicherungsansprüche erwerben. (vgl. Kapitel 5) Sie sind im Alter auf zusätzliche Verdienste angewiesen, die oft über das Anbieten von Kleinstdienstleistungen und Handelsaktivitäten generiert werden. Für diese Personengruppe dürfte es am schwierigsten sein, aus der Informalität auszubrechen. Insgesamt ist der Kreis der potentiellen Nutznießer/innen der Gründungsförderung also stark begrenzt und von den lokalen Bedingungen abhängig. Die tatsächliche Reichweite dieser Politiken ist noch geringer. Da keine exakten Zahlen vorliegen, kann diese nur geschätzt werden. Es ist anzunehmen, dass die Reichweite von Steuervergünstigungen für Mikrounternehmen am größten ist, da darauf alle Individualunternehmen Anspruch haben, deren Gründer/innen zu den definierten Zielgruppen gehören. Bei Gründungstrainings sind die Kapazitäten dagegen begrenzt und für Mikrokredite qualifizieren sich noch weniger Unternehmen. Angaben des Ministeriums für Humanressourcen und Soziale Sicherung zufolge hatten Finanzinstitute bis Ende 2007 landesweit 15,3 Mrd. CNY an Mikrokrediten mit staatlichen Garantien vergeben. (Zhongguo Zhongxiao Qiye Hainan Wang 2008) Es finden sich jedoch nur auf lokaler Ebene Daten, wie viele Personen bislang von der Kreditpolitik profitiert haben. So wurden in Shanghai bis Juli 2006 6.400 Garantien für Mikrokredite in Höhe von insgesamt 450 Mio. CNY durch die Arbeitsbehörden vergeben. (Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju 2006) In Nanjing profitierten im Jahr 2005 etwa 500 Personen von Garantien, die Mikrokredite in Höhe von mehr als 10 Mio. CNY absicherten. (Interview Arbeitsamt Nanjing, 16.2.2006; Interview Wu Jun, Nanjing 22.2.2006) Diese Zahlen machen nicht nur deutlich, dass die Reichweite in den einzelnen Städten sehr unterschiedlich ausfällt. Sie zeigen auch, dass nur ein Bruchteil der Mikrounternehmer/innen Garantiekredite erhält. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich bei der Kreditförderung um eine junge Politik handelt, die erst seit 2006 stark ausgebaut wird, was eine weiter wachsende Reichweite vermuten lässt. Sie wird aber eine in ihrem Ausmaß begrenzte Maßnahme bleiben, da sie auf lokale Finanzierung und die Kooperationsbereitschaft von Banken angewiesen ist, die bislang wenig Interesse daran zeigen (siehe unten). Auch zur Reichweite der Gründungstrainings wurden kaum Zahlen veröffentlicht. Angaben des Direktors der Bildungsabteilung des Ministeriums für Humanressourcen und Soziale Sicherung, Yu Faping, zufolge hatten zwischen 2004 und Mitte 2008 China-weit 760.000 Personen an SIYB-Existenzgründungstrainings teilgenommen. Die Abschlussquote wird mit 90 Prozent angegeben, die „Erfolgsquote“ (Gründung nach Trainingsteilnahme) mit 60 Prozent. (Jiang Jing & Yu Faping 2008: 22) Unklar ist, ob sich die Zahl der Teilnehmer/innen auf die nach ILO-Methode durchgeführten „Start and Improve Your Business“-Trainings bezieht oder ob von der Gesamtzahl der Gründungskurse die Rede ist.
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Zur gleichberechtigten Behandlung von Frauen und Männern durch die Maßnahmen der Gründungsförderung finden sich keine aggregierten Daten. Eine von der ILO in drei Städten durchgeführte Evaluierung des Programms „Start and Improve Your Business“ ergab, dass dort 42 Prozent der Kursteilnehmer/innen Frauen waren, was in etwa die Beschäftigungsquote von Frauen im chinesischen Arbeitsmarkt widerspiegelt. Frauen hatten gleiche Chancen, nach dem Training einen Business-Plan als Grundlage für eine Kreditbewerbung zu erstellen. 44 Prozent der Teilnehmenden, die nach Trainingsabschluss ein Unternehmen gründeten, waren Frauen, und 60 Prozent der in den neu gegründeten Mikrounternehmen geschaffenen Arbeitsplätze wurden an weibliche Bewerberinnen vergeben. (ILO 2005: 3) Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass die Gründungsförderung Frauen nicht benachteiligt. Da Frauen allerdings überdurchschnittlich stark von Entlassungen und Freisetzungen betroffen sind und größere Schwierigkeiten als Männer haben, erneut formelle Anstellung zu finden, sind sie in besonderer Weise auf die Gründung eigener Mikrounternehmen angewiesen. Daher wären eine stärkere Förderung von Frauen in diesem Bereich und eine um 50 Prozent liegende Teilnehmerinnenquote wünschenswert. Als einzige der untersuchten Städte bietet Nanjing den Trainingsinstituten mit höheren Zahlungen für erfolgreiche weibliche Kursabsolventinnen Anreize zu einer intensiveren Förderung von Frauen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass nur ein kleiner Teil der Mikrounternehmen erreicht wird. Es ist anzunehmen, dass die kleinsten und informellen unter ihnen kaum von den Politiken profitieren. Allerdings ist eine starke Dynamik festzustellen: die erst seit wenigen Jahren implementierten Maßnahmen zur Förderung von Mikrounternehmen sind von Jahr zu Jahr ausgeweitet worden, die Regulierungsdichte hat stark zugenommen und die Reichweite hat sich deutlich und zügig erhöht. Die jüngsten Regulierungen legen den Schluss nahe, dass diese Fördermaßnahmen intensiviert und künftig eine größere Zahl an Kleinstunternehmer/innen unterstützt werden soll. Zielgruppenorientierung Die in den letzten Jahren deutlich erhöhte Regulierungsdichte zu Belangen von Mikrounternehmen hat bestehende Rechtsunsicherheiten verringert und die Unterstützung von Selbstbeschäftigten und Kleinstbetrieben zu einem Schwerpunkt der staatlichen Arbeitsmarktpolitik gemacht. Sie greift die Schwierigkeiten von Mikrounternehmen in drei Bereichen auf: Durch die Verbreitung und Subventionierung von Gründungskursen wird Kleinstunternehmer/innen die Möglichkeit gegeben, ihre oftmals geringen unternehmerischen und juristischen Kenntnisse auszuweiten, eigene Geschäftsstrategien zu entwickeln und damit die Erfolgschancen ihrer Betriebe zu erhöhen. Die Vergabe von Mikrokreditgarantien zielt mit der Überwindung von Finanzierungsschwierigkeiten auf eines der Hauptprobleme von Existenzgründer/innen für den Schritt in die Selbständigkeit ab. Mit der Gewährung von Steuerermäßigungen und administrativen Vergünstigungen wird der Übergang informeller Mikrounternehmen in die Formalität erleichtert und deren Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Gleichzeitig schafft sie eine größere rechtliche Sicherheit gegenüber behördlicher Willkür. Die Ausgestaltung dieser Politiken orientiert sich dabei an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Zielgruppe. Leistungen wie Existenzgründungskurse, Garantievergabe und behördliche Dienstleistungen werden kostenlos oder stark subventioniert bereitgestellt. Sie sind für die Antragsteller/innen in der Regel mit einem geringen administrativen Aufwand
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verbunden, etwa durch die Vergabe von Trainingskarten oder kurze und schnelle Wege zur Beantragung von Kreditgarantien. Widersprüchlich ist die Koppelung von Kreditgarantien an die Registrierung als Individualunternehmen. Damit wird zwar einerseits ein starker Anreiz gesetzt, das eigene Mikrounternehmen formell eintragen zu lassen, um die günstigen Finanzierungsangebote in Anspruch nehmen zu können. Andererseits werden diejenigen informellen Kleinstbetriebe ausgeschlossen, die nicht über die Kapazitäten für den Schritt in die Formalität verfügen – oftmals gerade aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten. Eine Ausnahme bildet hier Shanghai, das Informelle Beschäftigungsorganisationen zur Hauptzielgruppe der Vergabe von Mikrokreditgarantien macht und damit die kleinsten und bedürftigsten der Mikrounternehmen unterstützt. Den Charakteristika der Zielgruppe widerspricht die einseitige Förderung von Mikrounternehmen im Bereich Handel und Dienstleistungen. Die starke Konzentration von Kleinstbetrieben im tertiären Sektor ist zwar zum Teil dadurch bedingt, dass dort die Eintrittsbarrieren vergleichsweise niedrig sind und Mikrounternehmen mit relativ geringen Investitionen und ohne technische Spezialkenntnisse gegründet werden können. Sie wird aber auch durch die Ausrichtung der staatlichen Förderpolitiken forciert. Sowohl die Definition von „Kleingewinnprojekten“ als auch von Informellen Beschäftigungsorganisationen, welche besonders stark von den Förderpolitiken profitieren, sind an Kleinstprojekte im tertiären Sektor gekoppelt. Selbst Gründungskurse und –beratung fokussieren auf diesen Bereich. So ergab eine von der ILO durchgeführte Evaluierung des Programms „Start and Improve Your Business“, dass 80 Prozent der Unternehmen, die nach Trainingsteilnahme gegründet wurden, im Handels- und Dienstleistungssektor, aber nur 9 Prozent im produzierenden Gewerbe angesiedelt waren. (ILO 2005: 8) Dies steht im Widerspruch zur Tatsache, dass viele zur Hauptzielgruppe der Arbeitslosen und Freigesetzten gehörenden Personen zuvor in der Produktion gearbeitet haben und in diesem Bereich über spezifische Qualifikationen verfügen. Diese einseitige Fokussierung erhöht zudem die Konkurrenz und den Preisdruck zwischen den geförderten Mikrounternehmen. Politische Nachhaltigkeit und Fristigkeit der Politiken Die Unterstützung von Mikrounternehmen wirkt sich kurzfristig und unmittelbar positiv auf die Arbeits- und Lebensbedingungen informell Beschäftigter aus. Sie reduziert finanzielle, administrative und unternehmerische Eintrittsbarrieren für Kleinstunternehmer/innen, verbessert deren Rechtssicherheit und erleichtert damit den Weg in die Selbständigkeit. Sie gilt international als nachhaltiges und langfristig wirksames Politikinstrument. Durch Anschubunterstützung in Form von Gründungskursen, befristeten Steuererleichterungen und anfänglichen Finanzspritzen wird die Etablierung von Unternehmen ermöglicht, die mittelfristig eigenständig wirtschaften, ohne die Zielgruppe in eine dauerhafte Abhängigkeit von Fördermaßnahmen zu bringen. Ob das derzeitige Design der Fördermaßnahmen in China tatsächlich zu einer langfristigen Verbesserung der Situation informell Beschäftigter führt, lässt sich aufgrund der kurzen Implementierungsdauer und fehlender systematischer Evaluierungen zu diesem Zeitpunkt schwer abschätzen. Die einzelnen, mit verschiedenen Aspekten der Gründungsförderung beauftragten Organisationen verfügen in der Regel nicht über ein aussagefähiges Evaluierungssystem. Damit bleibt nicht nur unklar, wie viele Personen Leistungen der Existenzgründungsförderung beanspruchen und wie dieser Personenkreis tatsächlich struk-
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turiert ist. Es ist auch unbekannt, welche Leistungen besonders nachgefragt werden, wie die Zufriedenheit mit den Förderangeboten ist, wo Lücken bestehen und wie viele Gründungen tatsächlich stattfinden, in welchen Bereichen und mit welcher Lebensfähigkeit. (vgl. Baur 2004: 4) Die Wirksamkeit der Politiken kann nur anhand von Hilfsindikatoren geschätzt werden. Ein möglicher Indikator könnte die Rückzahlungsquote der Garantiekredite sein, da sie Auskunft darüber gibt, welcher Anteil der unterstützten Unternehmen die Gelder gewinnbringend investieren konnte. In Shanghai beträgt die Ausfallquote von Mikrogarantiekrediten knapp 20 Prozent (Interview Arbeitsamt Shanghai, 7.3.2006), ähnliches gilt für Nanjing (Interview Existenzgründungszentrum Nanjing, 17.2.2006). Dies weist darauf hin, dass ein Fünftel der Kreditnehmer/innen in diesen Städten trotz Unterstützung kein tragfähiges Unternehmen aufbauen konnte. Einer ILO-Studie zufolge sind die Ausfallquoten in einigen Städten noch höher. So war der städtische Garantiefonds in Jilin zum Zeitpunkt der Untersuchung mit einer rapiden Dekapitalisierung konfrontiert, da aufgrund der schlechten Rückzahlungssituation allein für 2005 1,7 Mio. CNY an Garantiezahlungen geleistet werden mussten. Der städtische Mikrokredit-Garantiefonds in Kunming musste Ende 2004 eingestellt werden, weil er Bankrott gegangen war. (ILO 2006b) Eine hohe Ausfallquote muss allerdings nicht unbedingt auf ein Scheitern der Unternehmensgründung zurückzuführen sein, sondern kann auch in moral hazard begründet liegen, da die Nichtrückzahlung der Kredite kaum negative Konsequenzen nach sich zieht (siehe unten). Umgekehrt kann selbst bei den Mikrounternehmen, welche die Darlehen fristgerecht zurückzahlen, nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sie langfristig und stabil weiterexistieren. Ein weiterer möglicher Indikator sind die unternehmerischen Aktivitäten nach Abschluss der Existenzgründungstrainings, für die allerdings kaum detaillierte Auswertungen vorliegen. Lediglich eine ILO-Studie hat 2005 den Erfolg der Start-Your-Business-Kurse in den Städten Baotou, Zhangjiakou und Jilin evaluiert. Dort hatten 94 Prozent der Teilnehmer/innen bis Kursende einen Business-Plan erstellen können, 79 Prozent hatten diesen für die Beantragung von Mikrokrediten eingereicht, von denen wiederum 90 Prozent bewilligt wurden. Diese hohen Erfolgsquoten sind nach ILO-Angaben führend im weltweiten SIYBProgramm. Im internationalen Vergleich sehr hoch waren auch die Gründungsraten: 60 Prozent der Teilnehmer/innen, die zu Kursbeginn noch kein eigenes Unternehmen geführt hatten, machten sich spätestens 12 Monate nach Abschluss selbständig. (ILO 2005: 6) Dies deckt sich mit den Erfahrungen in Shanghai, wo 60 bis 63 Prozent der Kursteilnehmer/innen ein Unternehmen gründen (Interview Arbeitsamt Shanghai, 7.3.2006) sowie mit den offiziellen Angaben zu den China-weiten Trainingserfolgen (z.B. Jiang Jing & Yu Faping 2008: 22). Die mit 90 Prozent hohe Überlebensrate der in der ILO-Studie befragten Mikrounternehmen ein Jahr nach Kursabschluss ist allerdings nur bedingt auf den Erfolg der Gründungstrainings zurückzuführen: über die Hälfte der Teilnehmer/innen hatten bereits zu Kursbeginn ein Unternehmen geführt und die besonders prekäre Startphase bereits überstanden. Sehr positiv ist zu bewerten, dass 92 Prozent der Mikrounternehmer/innen nach Trainingsteilnahme ihr Unternehmen offiziell registrieren ließen und den Übergang in die Formalität vollzogen. Die Evaluierung führt dies darauf zurück, dass eine formelle Unternehmensregistrierung Vorbedingung für die Kreditvergabe ist. (ILO 2005: 6) Die starke Verzahnung von Training, Kreditvergabe und Unternehmensregistrierung scheint also ein starker Anreiz für und eine interessante Brücke in die Formalität zu sein.
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Finanzielle Nachhaltigkeit Existenzgründungsförderung ist in China Bestandteil der staatlichen Arbeitsmarktpolitik und damit budgetrelevant. Sie ist nicht primär darauf ausgelegt, sich selbst zu tragen, sondern verfolgt gesellschaftspolitische Ziele (Senkung der Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsförderung), für die der Staat Steuergelder aufwendet. Gefragt werden muss dennoch nach der Relation zwischen den relativ hohen Kosten und dem damit erzielten Nutzen. Stehen diese in einem ungünstigen Verhältnis zueinander, ist zu überlegen, ob mit anderen Politiken bei ähnlichem Aufwand eine größere Wirkung erzielt werden könnte. Teil der Kalkulation ist, dass durch die Förderung unternehmerischer Selbständigkeit die Arbeitslosigkeit sinkt und Mittel passiver Arbeitsmarktpolitik (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und weitere Sozialleistungen) eingespart werden. Unter diesem Gesichtspunkt „rechnet“ sich für die Regierung die Förderung von Existenzgründungstrainings am stärksten, wie an folgender Beispielkalkulation deutlich wird: So erhalten etwa in Beijing Trainingsinstitute von der Stadtregierung 1.329 CNY pro Teilnehmer/in an einem Existenzgründungskurs; bei Nichterreichen der Erfolgsindikatoren (Abschlussquote des Kurses 80 Prozent, Gründungsquote 50 Prozent) nur 930 CNY. Stellt man diesen Kosten die möglichen Ersparnisse an Sozialhilfe und Arbeitslosengeld gegenüber, die bei erfolgreicher Existenzgründung nach Kursteilnahme eingestellt werden können, „amortisiert“ sich die Finanzierung der Trainingskurse sehr schnell: Ende 2007 lag der Sozialhilfesatz in Beijing bei 327,78 CNY. Diesen erhalten Personen, welche das deutlich höhere Arbeitslosengeld, welches nur für ein bis zwei Jahre gezahlt wird, bereits ausgeschöpft haben. Bei einer durchschnittlichen Gründungsquote von 60 Prozent nach Trainingsteilnahme und angesichts der Tatsache, dass ein/e Existenzgründer/in im Schnitt zwei weitere Personen einstellt, die ebenfalls zumeist arbeitslos sind (ILO 2005), sind die Kosten eines Gründungskurses in Beijing bereits durch zwei Monate Sozialhilfe-Ersparnis ausgeglichen161. Eine ähnliche Rechnung ließe sich für die Steuerersparnisse aufmachen, wenngleich der Zeithorizont deutlich länger ist. Die dreijährigen Steuerbefreiungen sollen informellen Unternehmen Anreize zur Registrierung setzen und die Startphase erleichtern, bis das Mikrounternehmen wettbewerbsfähig geworden ist und Gewinne macht. Im Idealfall ist das geförderte Mikrounternehmen innerhalb dieser drei Jahre zu einem stabilen Steuerzahler und Arbeitgeber geworden, der dem Staat Einnahmen bringt. Dieses Idealszenario tritt aber nur für einen Teil der Unternehmen ein. Wie schwierig das Wirtschaftsumfeld für Mikrounternehmen trotz der Förderung ist, zeigt sich am Beispiel der Informellen Beschäftigungsorganisationen in Shanghai. Angaben des Shanghaier Arbeitsamtes zufolge gelingt nach der dreijährigen steuerlichen und finanziellen Förderung nur etwa einem Drittel der Informellen Beschäftigungsorganisationen die Umwandlung in ein Steuern zahlendes, formelles Individualunternehmen. Ein weiteres Drittel schafft den Sprung in die Formalität nicht und lässt sich für drei weitere Jahre als Informelle Beschäftigungsorganisation registrieren. Das letzte Drittel geht noch während der Förderphase Bankrott und muss schließen. (Interview Arbeitsamt Shanghai, 7.3.2006) Am kompliziertesten ist die Frage der finanziellen Nachhaltigkeit bei der Förderung durch Kreditgarantien. Kosten-Nutzen-Überlegungen scheinen sowohl in der nationalen Politik als auch in den untersuchten Fallstädten keine wesentliche Rolle zu spielen, wofür die teilweise sehr hohen Kreditausfallquoten (siehe oben) und die in Kauf genommenen 161
1.329 CNY (Kosten pro Kursteilnehmer) : 0,6 (Gründungsquote) : 327,78 CNY (Sozialhilfesatz) : 3 (Arbeitslose weniger pro Gründung) = 2,25
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dauerhaften Verluste der Fonds Indizien sind. Da die Fonds keine Gebühren nehmen, haben sie keine Möglichkeit zu einer eigenständigen Refinanzierung. Zugleich tragen die Garantiefonds das Ausfallrisiko in der Regel vollständig allein; nur in Nanjing wird eine Risikobeteiligung der Banken angestrebt (20 Prozent). Da die Fonds zudem meist keine Sicherheiten verlangen, müssen sie bei ausbleibenden Kreditrückzahlungen in voller Höhe einspringen und die Zahlungsdefizite gegenüber den Banken aus ihren Mitteln begleichen. Zusammen mit der fehlenden Möglichkeit, die daraus entstehenden Verluste selbständig ausgleichen zu können, führt dies zu einer Dekapitalisierung der Fonds. Die staatlichen Garantiefonds für Mikrokredite sind also strukturell so angelegt, dass eine dauerhafte Bezuschussung von Seiten der Behörden notwendig ist. Damit sind die Fonds von den aktuellen politischen Richtlinien und von den jeweiligen Etatrestriktionen der Lokalregierungen abhängig. Die in vielen Mikrokreditprojekten – etwa in Lateinamerika und Südostasien – angestrebte Fähigkeit der Fonds, mittelfristig selbständig wirtschaften zu können, ist hier nicht das Ziel. Es handelt sich eher um eine dauerhafte Transferleistung des Staates im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik als um eine Anschubfinanzierung für den Aufbau eines nachhaltig und eigenständig operierenden Mikrofinanzsektors. In der Mikrofinanzliteratur wird von einem Trade-Off zwischen Zielgruppenorientierung (politischer Fokus) und finanzieller Nachhaltigkeit (ökonomischer Fokus) ausgegangen, deren Für und Wider kontrovers diskutiert wird. (vgl. ILO 2006b) An der neoliberalen Strategie einer reinen Nachhaltigkeitsorientierung wird kritisiert, dass damit die eigentliche Zielgruppe verfehlt wird. Viele finanzschwache informell Beschäftigte werden von der Kreditvergabe ausgeschlossen, wenn Mikrokredite nur bei Nachweis entsprechender Sicherheiten, der Zahlung von Gebühren, zum Marktzinssatz und nach intensiver Prüfung der Rückzahlungsfähigkeit vergeben werden. Außerdem besteht für das Fondsmanagement der Anreiz, größeren Krediten den Vorrang vor den sehr kosten- und arbeitsintensiven Mikrokrediten zu geben, um rentabel wirtschaften zu können. Der chinesische Weg, der ökonomische Faktoren zugunsten politischer Ziele vernachlässigt, birgt dagegen ein hohes moralhazard-Risiko: Wird die Verwendung der Kredite nicht kontrolliert und bleibt ein Kreditausfall ohne nennenswerte Sanktionen, besteht ein Anreiz, das Geld für Konsumausgaben anstelle von Investitionen zu nutzen und die Mittel nicht zurückzuzahlen. In diesem Fall wird das Förderziel ebenfalls verfehlt. Außerdem schränkt eine fehlende ökonomische Orientierung die Wachstumsmöglichkeiten der Fonds und damit deren Reichweite ein. Sie birgt die Gefahr einer Schließung der Fonds in sich, wenn die Verluste zu groß werden bzw. das Lokalbudget zur Refinanzierung nicht mehr ausreicht. Wie realistisch dieses Szenario ist, zeigt das oben zitierte Beispiel des Garantiefonds in Kunming, der weniger als ein Jahr nach seiner Gründung wegen hoher Verluste geschlossen werden musste. Es ist daher fraglich, ob die Mikrogarantiepolitik der Regierung mittelfristig in ihrer derzeitigen Form weitergeführt werden kann oder ob ein Mittelweg zwischen beiden Strategien gefunden werden muss. Hier könnten die Erfahrungen des Garantiefonds in Shenyang Impulse geben, zu dessen Klientel überwiegend kleine Straßenhändler/innen zählen und der durch eine gute Balance zwischen finanzieller und Zielgruppenorientierung kostendeckend wirtschaftet162. 162
Der Garantiefonds in Shenyang wurde von der britischen Organisation DFID mitbegründet und wird von der städtischen Wirtschaftskommission finanziert. Er ist unabhängig von direkter Einflussnahme der Arbeitsbehörden und strebt finanzielle Nachhaltigkeit an. Der Fonds nimmt Garantiegebühren (2 Prozent der Kreditsumme) und beteiligt die kooperierenden Banken zu 24 Prozent am Risiko. Außerdem verlangt er Sicherheiten von seinen
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Kooperation der Akteure Die Regulierungen zu Mikrounternehmen basieren auf Zirkularen und Verwaltungsvorschriften der Zentralregierung, an deren Ausarbeitung insbesondere das Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherung, das Finanzministerium sowie die Zentralbank beteiligt waren. Die konkrete Umsetzung dieser Regulierungen geschieht auf Ebene der Provinzen bzw. Städte (oberhalb des Regionallevels), die entsprechend der nationalen Vorgaben eigene Verwaltungsvorschriften mit detaillierter Regelung des lokalen Implementierungsprozesses erlassen haben. Diese Dezentralisierung der Unterstützungspolitiken für Kleinstunternehmen entspricht den aktuellen Ansätzen der Unternehmensförderung in den Industrieländern, wo der Trend zu einer „Regionalisierung der Regionalpolitik“ geht, um die Unterschiede zwischen einzelnen Branchen und Regionen angemessen in die Implementierungsstrategien einbeziehen zu können. (vgl. z.B. Meyer-Stamer 2002; Herrmann-Pillath, Li Kai & Pan Jiancheng 2002) Finanziert werden die Maßnahmen hauptsächlich aus den lokalen Wiederbeschäftigungsfonds. Diese einheitliche Finanzierung erleichtert die Koordination der Einzelmaßnahmen. Durch die enge behördliche Anbindung und Finanzierung muss die Gründungsförderung nicht an Wirtschaftlichkeitsfaktoren ausgerichtet werden, sondern kann politische Ziele verfolgen. Gleichzeitig ist die finanzielle Ausstattung der Unterstützungspolitiken damit von den politischen Prioritäten der Lokalregierungen sowie von deren Budgetrestriktionen abhängig. Es ist davon auszugehen, dass in ärmeren Regionen Chinas die Fähigkeit der Lokalregierungen etwa zum Aufbau und zur dauerhaften Refinanzierung von Kreditgarantiefonds geringer ist als in prosperierenden Städten mit hohen Steuereinnahmen. Damit würden in wirtschaftsschwachen Regionen trotz der großen Zahl informell Beschäftigter weniger Kredite vergeben. Zwar ist in den nationalen Verwaltungsvorschriften festgelegt, dass die Provinzregierungen mindestens 10 Prozent der Verluste der städtischen Fonds zu übernehmen haben und dass Zuschüsse aus dem Budget der Zentralregierung gewährt werden sollen, die Hauptlast wird aber von den Lokalregierungen getragen. Für die Implementierung der Gründungsförderung kooperieren die Lokalregierungen mit quasi-staatlichen Akteuren. Gewerkschaftsbund und Frauenverband bieten in vielen Städten eigene Existenzgründungskurse an. Der Gewerkschaftsbund ist in einzelnen Städten an der Mikrofinanzierung beteiligt und betreibt beispielsweise in Nanjing und in Shanghai eigene Fonds. (Interview Gewerkschaftsbund Shanghai, 10.3.2006; Interview Gewerkschaftsbund Nanjing, 22.2.2006) Zudem waren Organisationen der internationalen oder bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wie die ILO und die britische Entwicklungsorganisation DFID in der Aufbauphase von Gründungstrainings und Garantiefonds stark involviert - meist in Form der Bereitstellung von technischem Know-how und finanziellen Zuschüssen. Kreditnehmer/innen, akzeptiert dabei aber beispielsweise auch Standrechte der Straßenhändler/innen zur Kreditabsicherung. Standrechte stellen ein in der Zielgruppe meist verfügbares, zugleich aber für die Mikrounternehmen überlebensnotwendiges Gut dar, was starke Anreize zur Kreditrückzahlung setzt. Anders als die Fonds in den untersuchten Fallstädten beschäftigt er professionelle, speziell geschulte Fondsmanager. All diese Faktoren haben Anteil daran, dass er im Gegensatz zu den anderen Garantiefonds eine Rückzahlungsquote von nahezu 100 Prozent aufweisen kann. Bis 2006 gab es nur einen Kreditausfall, der aber durch gemeinsames Handeln von Garantiefonds und Bank teilweise wieder eingetrieben werden konnte. Der Fonds kann seine Kosten selbst decken, wenngleich es sich nicht um ein kommerziell lohnenswertes Investitionsprojekt handelt und daher eine staatliche bzw. NGO-Trägerschaft sinnvoll bleibt. Allerdings werden nicht nur Mikro-, sondern auch größere Kredite vergeben und damit die reine Orientierung auf Kleinstunternehmen aufgegeben, was die Reichweite für die untersuchte Zielgruppe einschränkt. (vgl. ILO 2006b)
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Eine Besonderheit der Existenzgründungsförderung ist es, dass seit einigen Jahren private Akteure einbezogen werden. Die Durchführung von Existenzgründungskursen wird an private Trainingsinstitute ausgelagert, welche erfolgsabhängig für ihre Leistungserbringung vergütet werden. Bei der Vergabe von Mikrokrediten kooperieren die staatlichen Garantiefonds mit privaten Geschäftsbanken. Während die Zusammenarbeit mit den Trainingsinstituten gut etabliert ist und erfolgreich funktioniert, gestaltet sich die Kooperation mit Privatbanken für die Mikrokreditvergabe schwierig. Dies ist vorrangig darin begründet, dass die Vergabe von Mikrokrediten trotz der Leistungen der staatlichen Garantiefonds kein rentables Geschäftsfeld für die Banken darstellt. Die involvierten Banken dürfen nur geringe Zinsen nehmen, die staatlich festgelegt sind und unterhalb der zulässigen Kreditzinsen für mittlere und Großkredite liegen. Der seit 2008 für Mikrokredite zulässige Zinsaufschlag von 3 Prozentpunkten auf den Zentralbankzins wird diese Situation nicht ändern, da der Verwaltungs- und Kontrollaufwand für Kleinstdarlehen trotz staatlicher Garantieübernahmen und trotz geringer Risikobeteiligung der Banken höher ist als für größere Kredite und die Gewinnmargen gering sind. In vielen anderen Ländern füllen Mikrofinanzinstitute diese Marktlücke, welche ihr Geschäftsfeld explizit auf Kleinstkunden ausrichten. In China wird die Entwicklung solch spezialisierter Mikrofinanzierer dadurch gehemmt, dass diese zwar Mikrokredite vergeben können, aber keine Spareinlagen generieren dürfen. Mit dem Wegfall des Einlagen-Geschäfts ist der Finanzierungsspielraum für derartige Finanzinstitute begrenzt und das Geschäft mit Kleinstkunden bleibt unrentabel. (vgl. China Daily 2006) Die Mikrokreditvergabe ist somit für den privaten Finanzsektor unattraktiv und bleibt abhängig vom Engagement der staatlich gesteuerten Banken sowie von Zuschüssen der Lokalregierungen. Steigt der Staatssektor aufgrund veränderter politischer Prioritätensetzung oder wegen Finanzierungsengpässen aus, wird das gesamte System der Mikrokreditvergabe eingestellt werden müssen. Kohärenz Die Unterstützung von Mikrounternehmen durch Steuervergünstigungen, Bildungsangebote und Kreditgarantien stärkt deren Marktposition und baut Unsicherheiten und Prekarität ab. Sie schafft neue Chancen für informell Beschäftigte und baut gleichzeitig Brücken in die Formalität. Damit entspricht die Gründungsförderung den Zielen der decent work-Strategie und passt sich in das Gesamtkonzept ein, die Arbeits- und Lebenssituation informell Beschäftigter verbessern zu wollen. Gleichzeitig ergeben sich Inkohärenzen zu den anderen untersuchten Politikbereichen. Während Mikrounternehmen durch Steuersubventionen, Trainings- und Kreditangebote besonders gefördert werden, sind sie bei der Ausweitung des Sozialversicherungsschutzes auf informell Beschäftigte sowie bei den Reformen des Arbeitsrechts benachteiligt. Die neuen Arbeitsgesetze besitzen weiterhin nur für (informelle) Lohnarbeitskräfte Gültigkeit. Selbstbeschäftigte sind ungeschützt, selbst wenn sie in quasi-abhängigen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, etwa als Kontraktarbeiter/innen oder Haushaltshilfen. (vgl. Kapitel 4) Zudem stehen die weiterhin hohen Beitragssätze für eine Sozialversicherungsteilnahme von Selbstbeschäftigten und Kleinstunternehmen sowie deren Ausschluss aus einzelnen Versicherungsarten (vgl. Kapitel 5) im Widerspruch zu den finanziellen und administrativen Anreizen, welche die Gründungsförderung schafft. Einzig Shanghai bietet mit seiner speziellen Förderung von Informellen Beschäftigungsorganisationen ein kohärentes und abgestimmtes Konzept, in dem Politiken der Gründungsförderung mit Sozialversicherungs-
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6 Neue Chancen: Förderung von Mikrounternehmen
subventionen verknüpft werden. In den anderen untersuchten Städten stehen die einzelnen Regulierungsbereiche eher ergänzend nebeneinander, als kohärent ineinander zu greifen: Reformen in Arbeitsrecht und Sozialversicherung zielen vorrangig auf eine bessere Absicherung abhängig informell Beschäftigter, während Mikrounternehmen und Selbstbeschäftigte nur durch die Gründungsförderung unterstützt werden. Die einzelnen Elemente der Gründungsförderung sind dagegen gut aufeinander abgestimmt. Die Trainingskurse für Existenzgründer/innen werden teilweise als Forum zur Entscheidung über Kreditbewilligungen genutzt (Interview ILO Beijing, 17.3.2002) und bilden eine wichtige Voraussetzung für eine sinnvolle Verwendung der Darlehen. In einigen Städten führt eine erfolgreiche Trainingsteilnahme und ein dort erstellter Business-Plan nahezu automatisch zur Vergabe von Mikrokrediten. (ILO 2005) Steuervergünstigungen und Beratungsleistungen sorgen ebenfalls dafür, dass die geförderten Mikrounternehmen gewinnbringend wirtschaften und die gewährten Kredite zurückzahlen können. Diese Kohärenz gilt allerdings nur für die durchgängig geförderte Gruppe der städtischen Arbeitslosen und Freigesetzten. Ländliche Arbeitskräfte mit dem hukou der jeweiligen Stadt erhalten zwar oftmals Trainingssubventionen, selten aber Kreditgarantien und nur in einer der untersuchten Städte Steuerermäßigungen. Auch die Gründungsförderung für Hochschulabsolvent/innen ist in vielen Städten auf einzelne Unterstützungsleistungen begrenzt. (siehe Übersicht 17, S. 166) Damit wird die Chance vertan, dass sich die einzelnen Instrumente der Gründungsförderung in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken und in ihrem Zusammenspiel Mikrounternehmen in der prekären Gründungsphase umfassend unterstützen. Ausblick Die Förderung von Mikrounternehmen ist ein dynamischer Bereich der Regulierung informeller Beschäftigung. Innerhalb der letzten Jahre wurde ein Unterstützungssystem aufgebaut, das in weiten Teilen internationalen Standards entspricht. Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation, die sich in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 noch verschärft hat, ist die Gründungsförderung in dieser Zeit weiter ausgebaut worden. In den staatlichen Programmen zur Beschäftigungsstabilisierung in der Wirtschaftskrise lag der Schwerpunkt auf einer Ausweitung des Existenzgründungstrainings sowie auf einer verlängerten Gewährung von Steuerermäßigungen163. Spielraum für die Erhöhung von Reichweite und Effizienz der Gründungsförderung besteht insbesondere bei der Vergabe von Mikrokrediten. Diese hat sich in vielen Ländern als wichtiger Motor für die Unterstützung des Kleinunternehmertums erwiesen, bleibt in China aber weit hinter ihren Potentialen zurück. Eine Ausweitung der direkten Gründungsförderung auf ländliche Migrant/innen ist nicht zu erwarten, da die Finanzierung dieser Maßnahmen weiterhin in der Verantwortung der Stadtregierungen liegt, die eine Unterstützung von Mikrounternehmen vorrangig als Mittel zur Unterbringung von städtischen Arbeitslosen ansehen. Migrantische Existenzgründer/innen werden jedoch künftig stärker von den ländlichen Reformen profitieren, die durch die Ende 2008 eingeräumten Möglichkeiten zur Verpachtung der Landnutzungsrechte ein dauerhaftes Engagement ländlicher Migrant/innen in den Städten ermöglichen und neue Finanzierungsquellen für Unternehmensgründungen erschließen.
163
z.B.: Guowuyuan (Staatsrat): Guanyu zuohao dangqian jingji xingshi xia jiuye gongzuo de tongzhi (Bekanntmachung zur Beschäftiungsarbeit in der aktuellen Wirtschaftslage), Guofa [2009] 4 hao, 13.2.2009.
7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
7.1 Ergebnisse Die Untersuchung hat gezeigt, dass die chinesische Regierung informelle Beschäftigung als dauerhaften und integralen Bestandteil des marktbasierten Wirtschaftssystems der Volksrepublik anerkennt. Statt sie zu eliminieren oder vollständig zu formalisieren, versucht sie mittels Regulierungspolitiken auf die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich Einfluss zu nehmen. Diese Herangehensweise entspricht dem „integrierten“ Verständnis informeller Beschäftigung und folgt dem von der ILO international propagierten decent work-Ansatz. Sie ist wesentlicher Bestandteil der Regierungsstrategie zur Schaffung einer „harmonischen Gesellschaft“ und zum Erreichen eines ausgewogeneren, „inklusiven Wachstums“. Arbeitsrecht: Mit dem Inkrafttreten von Arbeitsvertragsgesetz und dem Gesetz zur Schlichtung von Arbeitskonflikten 2008 bestehen in China erstmals gesetzliche Grundlagen, die auch die Rechte informell Beschäftigter schützen. Durch verschärfte Regeln zur Durchsetzung von Arbeitsverträgen, Mindestlöhnen und einer rechtzeitigen Lohnauszahlung sowie durch explizite Regulierung der Arbeitsrechte von – zumeist informell beschäftigten – Leiharbeitskräften verbessert sich die arbeitsrechtliche Situation informeller Lohnarbeiter/innen. Es bleiben jedoch Regulierungslücken bestehen, und Selbstbeschäftigte bzw. Mikrounternehmer/innen sind durch die neuen Gesetze nicht geschützt. Große Defizite existieren bei der Implementierung arbeitsrechtlicher Bestimmungen. Mangelnde Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten der Arbeitsinspekteur/innen und die schwierige Durchsetzbarkeit der verbrieften Rechte vor Gericht führen dazu, dass ein Großteil der Regulierungen nur nominell besteht, für die Betroffenen aber nur begrenzt wirksam ist. Sozialversicherung: Die chinesische Regierung versucht seit 2003, die nötigen Rahmenbedingungen für eine Sozialversicherungsteilnahme informell Beschäftigter zu schaffen. Auf nationaler Ebene wird darauf hingearbeitet, diese Beschäftigtengruppe in das bestehende Versicherungssystem zu integrieren, indem die Teilnahmebedingungen vereinfacht und ein Teil der Beiträge staatlich subventioniert werden. Bislang wurden solche Sonderregelungen hauptsächlich für Renten- und Krankenversicherung geschaffen; eine Ausweitung auf andere Versicherungsarten ist geplant. Die Umsetzung dieser Vorschriften auf lokaler Ebene weist große regionale Differenzen bezüglich Reichweite, Ausgestaltung und Konditionen auf. In mehreren Städten wurden zusätzlich Parallelsysteme etabliert, die sich an einzelne Teilgruppen informell Beschäftigter wenden und versuchen, auf deren spezifische Bedürfnisse und Absicherungsprioritäten einzugehen. Insgesamt ist es bislang nur begrenzt gelungen, die zentralen Defizite des chinesischen Sozialversicherungssystems abzubauen und größere Teile der informellen Ökonomie zu integrieren. Zwar sind in einigen Bereichen die Beitragssätze deutlich reduziert und die Einzahlungsmodalitäten flexibilisiert worden, eine individuelle Versicherungsteilnahme bleibt aber teuer und der Transfer von Versicherungsansprüchen bei Ortswechseln wird erst in einigen Jahren möglich sein.
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
Förderung von Mikrounternehmen: Seit Mitte der 2000er Jahren gibt es verstärkt staatliche Bemühungen, Mikrounternehmen und Selbstbeschäftigte zu fördern, um damit Arbeitsplätze zu schaffen. Die Förderung konzentriert sich auf drei Bereiche: Erstens werden Kleinstbetriebe durch Steuerbefreiungen und die Vereinfachung von Registrierungsverfahren unterstützt und zur Formalisierung ihrer Tätigkeiten angehalten. Zweitens wurde ein China-weites Bildungsprogramm ins Leben gerufen, das potentiellen Existenzgründer/innen Grundlagenwissen in Betriebsführung, Wirtschaftsfragen und Rechtskenntnis vermitteln und damit den Schritt in die unternehmerische Selbständigkeit erleichtern soll. Drittens werden finanzielle Engpässe von Kleinstunternehmer/innen abgebaut, indem staatliche Kreditgarantien vergeben und Zinsen subventioniert werden. Während die Gründungstrainings nach internationalen Standards konzipiert wurden und mit großer Reichweite erfolgreich durchgeführt werden, bleibt die Vergabe von Mikrokreditgarantien bislang in ihrer Wirkung begrenzt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die staatlichen Garantiefonds mit einer starken Dekapitalisierung konfrontiert sind und Anreize für private Finanzakteure fehlen, sich an der Vergabe von Mikrokrediten zu beteiligen. Die Indikatoren-basierte Analyse der nationalen Strategien zur Regulierung informeller Beschäftigung und deren lokaler Umsetzung führt zu folgenden Ergebnissen (siehe Übersicht 46): Übersicht 18: Indikatorenauswertung 1. Arbeitsrecht
2. Sozialversicherung
3. Gründungsförderung
Reichweite
nominell: hoch tatsächlich: gering
nominell: hoch tatsächlich: gering
nominell: begrenzt tatsächlich: gering
Zielgruppenorientierung
hoch
begrenzt
hoch
Politische Nachhaltigkeit
hoch
gering
hoch
Finanzielle Nachhaltigkeit
hoch
gering
begrenzt
Koordination der Akteure
Gesetzgebung: hoch Umsetzung: gering
gering
hoch
Kohärenz mit decent work
hoch
hoch
hoch
Quelle: Eigene Darstellung
Reichweite: Die Regulierung informeller Beschäftigung folgt in China keinem Masterplan und wird als solche nicht einheitlich und zentral gesteuert. Die Gruppe der informell Beschäftigten existiert nicht als uniforme Kategorie in der chinesischen Politik. Die Regulierungen richten sich stattdessen an spezifische Teilgruppen, wie städtische Arbeitslose, ländliche Migrant/innen, Leiharbeitskräfte oder Selbstbeschäftigte. Die einzelnen Politiken werden in den verschiedenen Regulierungsbereichen je nach dort vorherrschenden Interes-
7.1 Ergebnisse
189
senschwerpunkten unterschiedlich konzipiert und umgesetzt: Die Reformen im Bereich Arbeitsrecht sind primär durch wachsende soziale Spannungen aufgrund vorenthaltener Löhne und unwürdiger Arbeitsbedingungen motiviert und schaffen neue Standards, die für die gesamte (informelle) Ökonomie Gültigkeit besitzen. Die Neuerungen in der Sozialversicherungspolitik, die eine preiswertere Sozialabsicherung mit reduzierten Leistungen kombinieren, fokussieren dagegen auf Migrant/innen, um die Absicherungsstandards im formellen Bereich stabil zu halten. Die Förderung von Mikrounternehmen richtet sich bislang ausschließlich an städtische Arbeitskräfte, da sie hauptsächlich als Instrument zur Verringerung der Arbeitslosigkeit unter der Stadtbevölkerung intendiert ist. In allen drei Bereichen existieren Widersprüche zwischen einer hohen nominellen und einer geringen tatsächlichen Reichweite der Politiken, die auf Implementierungsdefizite zurückzuführen sind. Dies verweist zugleich auf einen großen Spielraum für eine Erhöhung der Wirksamkeit der bisherigen Regulierungen, wenn entsprechende Rahmenbedingungen verändert und die konkrete Ausgestaltung der Politiken und deren Durchsetzung verbessert werden. Zielgruppenorientierung: Eine hohe Zielgruppenorientierung wird vorrangig in den jüngsten Reformen des Arbeitsrechts und der Förderung von Mikrounternehmen erreicht, in welchen auf spezifische Bedürfnisse informell Beschäftigter eingegangen wird und bestehende Hindernisse im Zugang zu Rechtsschutz sowie zu finanziellen Ressourcen und Qualifikationsmöglichkeiten abgebaut werden. Im Bereich der Sozialversicherung ist es dagegen bislang nicht gelungen, neue Absicherungsangebote zu schaffen, die den Spezifika informeller Beschäftigung entsprechen. Fristigkeit und Nachhaltigkeit: Die arbeitsrechtlichen Neuerungen sind geeignet, langfristig gültige Arbeitsstandards in der informellen Ökonomie zu verankern. Die Anschubunterstützungen für Existenzgründungen befähigen informelle Mikrounternehmer/innen, mittelfristig eigenständig zu wirtschaften, ohne sie dauerhaft von Fördermaßnahmen abhängig zu machen. Im Bereich der sozialen Absicherung informeller Arbeitskräfte wird dagegen auf kurzfristig wirksame Politiken und lokale Insellösungen gesetzt, wodurch eine umfassende und langfristig tragfähige Lösung der Absicherungsproblematik in die Zukunft verschoben wird. Die finanzielle Nachhaltigkeit ist im Bereich der Sozialversicherung gering, da die meisten Versicherungsangebote für informelle Arbeitskräfte auf dem städtischen Absicherungssystem basieren, das auf Grund von historischen Schulden und Defiziten im Versicherungsdesign stark subventioniert werden muss. Existenzgründungskurse und Steuerbefreiungen für Mikrounternehmer/innen sind weniger kostenintensiv und amortisieren sich zudem durch entsprechende Einsparungen anderer Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) im Fall erfolgreicher Unternehmensgründungen. Die Gewährung staatlicher Kreditbürgschaften dagegen ist mit ständigen Finanzabflüssen verbunden, da die Garantiefonds nicht kostendeckend operieren können und auf eine dauerhafte Refinanzierung angewiesen sind. Aufgrund ihres geringen Finanzierungsbedarfs ist die Nachhaltigkeit der Neuerungen im Arbeitsrecht als hoch einzuschätzen. Kooperation und Hierarchieebene der Akteure: Das größte Gewicht hat die Zentralregierung bislang auf die Reform des Arbeitsrechts gelegt, wo in den letzten Jahre nationale Regulierungen auf Gesetzesebene erlassen wurden. Eine derartige nationale Standardisierung auf höchster Ebene fehlt in den Bereichen Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik. Dort dominieren weniger verbindliche Regierungsdokumente, die in kürzeren Abstän-
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
den von neuen Vorschriften abgelöst werden und in ihrer Wirkung lokal begrenzt sind. Während Abweichungen in den Förderangeboten für Mikrounternehmen zwischen den einzelnen Städten aufgrund der lokalen Gebundenheit der Kleinstbetriebe kaum problematisch sind, führt die regionale Begrenztheit der Sozialversicherungspolitiken in der Praxis zum Ausschluss ländlicher Migrant/innen und mobiler städtischer Arbeitskräfte. Interessenvertreter/innen informeller Arbeitskräfte werden nicht am Regulierungsprozess beteiligt. Bei der Verabschiedung von Arbeitsvertrags- und Beschäftigungsförderungsgesetz sowie bei der Diskussion des geplanten Sozialversicherungsgesetzes wurden jedoch Eingaben aus der Bevölkerung berücksichtigt, was einen wichtigen Schritt hin zu einem partizipativeren Gesetzgebungsprozess markiert. Kohärenz: Die Gesamtrichtung der staatlichen Regulierung zielt auf eine Registrierung und Absicherung informell Beschäftigter auf niedrigem Niveau, ohne diese Beschäftigungsform vollständig zu formalisieren und ohne sie an die Arbeits- und Absicherungsstandards formeller Beschäftigung anzupassen. Die Prekarität informeller Beschäftigung soll stattdessen schrittweise abgebaut werden. Dieses Vorgehen der chinesischen Regierung ist im internationalen Vergleich progressiv und kohärent mit dem Ziel der Schaffung von decent work.
7.2 Effekte und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung Aus den erzielten Forschungsergebnissen lassen sich übergeordnete Erkenntnisse zu Effekten der Regulierung informeller Beschäftigung auf den Arbeitsmarkt und zu deren Grenzen ableiten, die im Folgenden in Thesenform diskutiert werden. Sie ermöglichen zum einen Rückschlüsse auf konkrete Entwicklungen in der VR China und geben zum anderen Impulse für weitere theoretische Diskussionen um die Auswirkungen von Beschäftigungsregulierung sowie für die politisch-praktische Umsetzung und das konkrete Design von Regulierungsansätzen in anderen Ländern. These 1: Die Regulierung informeller Beschäftigung schafft einen zuvor nicht existenten Zwischenbereich „semi-formeller“ Beschäftigung im Übergang zwischen formeller und informeller Beschäftigung. Die Politiken zur Regulierung informeller Beschäftigung beeinflussen die Struktur des chinesischen Arbeitsmarktes. Sie schaffen einen Übergangsbereich zwischen völlig ungeschützter informeller Beschäftigung und stark abgesicherter formeller Beschäftigung, den ich als „semi-formelle“ Beschäftigung bezeichne. Dieser Bereich ist neu und entsteht erst durch das staatliche Eingreifen in den Arbeitsmarkt. Das Konzept der „semi-formellen“ Beschäftigung ermöglicht ein analytisches Differenzieren zwischen unregulierter und regulierter informeller Beschäftigung und erleichtert das Herausarbeiten von Regulierungseffekten.
191
7.2 Effekte und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung Übersicht 19: Semi-formelle Beschäftigung
formell
formell
staatliche
semi-formell
Regulierung
informell
informelle Beschäftigung unreguliert
informell
informelle Beschäftigung reguliert
Quelle: Eigene Darstellung
In Abgrenzung zu (unregulierter) informeller Beschäftigung, definiert als Beschäftigungsbeziehungen, die – de jure oder de facto – nicht der Arbeitsgesetzgebung, Einkommensbesteuerung, Sozialabsicherung oder Handelsregistrierung unterliegen, verstehe ich semiformelle Beschäftigung als Arbeitsverhältnisse, die in den staatlichen Rechtsrahmen integriert sind und einen Basisschutz genießen, aber nicht das Niveau formeller Arbeitsstandards erreichen. Semi-formelle Beschäftigung ist (a) gekennzeichnet durch die Gewährung grundlegender Arbeitsrechte, insbesondere durch die Durchsetzung von Mindestlohnregeln und Arbeitsverträgen. Sie verfügt (b) über einen legalen Status und verringert so die Ausbeutbarkeit durch Arbeitgeber/innen. Semi-formelle Beschäftigung ermöglicht (c) eine Basisabsicherung gegen existenzielle Risiken, insbesondere gegen Verarmung bei Arbeitsunfähigkeit, Krankheit und Alter. Sie geht (d) mit einer erleichterten Aufwärtsmobilität einher, etwa durch Unterstützungsleistungen für Existenzgründungen sowie dem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und zu Wissen. Sie bedeutet also für informelle Arbeitskräfte eine Aufwärtsbewegung auf dem Kontinuum zwischen Informalität und Formalität, bleibt aber hinter den Standards formeller „Normalarbeitsverhältnisse“ zurück. Im Bewusstsein der Heterogenität aller drei Beschäftigungsformen lässt sich folgende vereinfachende Typologie erstellen:
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
Übersicht 20: Gegenüberstellung der Charakteristika informeller, semi-formeller und formeller Beschäftigung Informelle Beschäftigung
Semi-formelle Beschäftigung
Formelle Beschäftigung
Bezahlung oft unter Mindestlohn, Problem vorenthaltener Löhne
Mindestlohnregeln, erleichterte Rückforderung ausstehender Löhne
regelmäßige, angemessene Entlohnung
keine Absicherung
Basis-Absicherung gegen existenzielle Risiken
Sozialversicherung für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfälle, Mutterschaft
Ausbeutbarkeit
Basis-Schutz gegen Ausbeutung durch Arbeitgeber
umfassende Arbeitnehmerrechte und gewerkschaftliche Interessenvertretung
fehlende Rechtssicherheit für Mikrounternehmen
legaler Status mit verbesserter Rechtssicherheit für Mikrounternehmen
Rechtssicherheit für unternehmerische Tätigkeiten
erleichterte Aufwärtsmobilität durch spezielle Qualifizierungsangebote, Mikrofinanzierung
Aufwärtsmobilität durch Zugang zu formeller Bildung und Bankensystem
„Teufelskreis der Armut“ durch fehlenden Zugang zu Bildung und Finanzierung Quelle: Eigene Darstellung
Die Schaffung und Ausweitung semi-formeller Beschäftigung ermöglicht ein Zurückdrängen ungeschützter informeller Arbeitsverhältnisse und bewahrt gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität am Arbeitsmarkt. Ihr kommt daher eine große Bedeutung für die Bewältigung der ökonomischen Transformation zu. These 2: Die Legalisierung und staatliche Unterstützung informeller Beschäftigung führt nicht zu einer weiteren Informalisierung von Arbeit in China. Meine Untersuchungsergebnisse widersprechen den in theoretischen Diskussionen geäußerten Befürchtungen, dass sich informelle Beschäftigung durch deren Legalisierung und staatliche Förderung ausweiten und formelle Beschäftigung weiter zurückdrängen werde. Dass dies in China nicht der Fall ist, lässt sich vor allem mit dem speziellen Regulierungsdesign in den einzelnen Bereichen erklären. Die Regulierungen sind so angelegt, dass sie den Weg aus der Informalität in Semi- und Formalität durchlässiger machen, gegen eine Abwärtsmobilität aber Barrieren setzen. Damit ersetzt semi-formelle Beschäftigung einen Teil der informellen Beschäftigung, ohne formelle Beschäftigung zu verdrängen.
193
7.2 Effekte und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung Übersicht 21: Barrieren gegen Informalisierung
formell
formell
staatliche Regulierung semi-formell informell informell
informelle Beschäftigung unreguliert
informelle Beschäftigung reguliert
Quelle: Eigene Darstellung
Das Unterbinden der Informalisierung formeller Arbeitsverhältnisse wird besonders im Bereich der Sozialversicherung deutlich. Die neu geschaffenen Angebote einer kostengünstigen Basisabsicherung richten sich fast ausschließlich an ländliche Migrant/innen, die zuvor ohne jegliche Sozialversicherung beschäftigt waren. Für Städter/innen dagegen existieren bislang keine attraktiven semi-formellen Versicherungsangebote. Ein wichtiger Grund dafür ist meines Erachtens, dass die Regierungen auf nationaler und lokaler Ebene keine Anreize für Unternehmen schaffen wollen, Städter/innen zu reduzierten Sozialversicherungskonditionen anzustellen und damit formelle in semi-formelle Beschäftigung umzuwandeln. Der Gesetzgeber zieht eine Grenze für die Abwärtsmobilität formeller Arbeitskräfte, was aber auf Kosten informell beschäftigter Städter/innen geht, denen dadurch erschwingliche Versicherungsangebote vorenthalten bleiben. Im Bereich der Existenzgründungsförderung sind ähnliche Intentionen erkennbar. Dort werden informelle Mikrounternehmen sowohl dabei unterstützt, aus der Informalität in die Semi-Formalität aufzusteigen, als auch Anreize zur Formalisierung gesetzt, etwa durch befristete Steuerbefreiungen und Kredite bei einer Registrierung als Individualunternehmen. Gleichzeitig wird mit der Begrenzung der Vorzugspolitiken auf neu registrierte Unternehmen unterbunden, dass diese von bestehenden formellen Unternehmen zur Umgehung von Besteuerung genutzt werden. Inkonsistenzen gibt es dagegen in den neuen Regulierungen des Arbeitsrechts. Insbesondere die Deregulierung von Teilzeitarbeit und deren Etablierung als informelle Beschäftigungsform ohne Sozialabsicherung, Kündigungsschutz und schriftliche Arbeitsverträge widerspricht den sonstigen, auf Semi-Formalisierung ausgerichteten arbeitsrechtlichen Neuerungen und öffnet Möglichkeiten zur Informalisierung von Beschäftigung. These 3: Aufgrund der zielgruppenspezifischen Ausgestaltung staatlicher Regulierung kommt es im Bereich der semi-formellen Beschäftigung zu einer Segmentierung zwischen Städter/innen und Migrant/innen.
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
In der unregulierten informellen Ökonomie sind die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten ähnlich prekär und hängen nicht von der Herkunft der Arbeitskräfte ab. Durch die Abwesenheit staatlicher Einflussnahme gelten die Gesetze des Marktes. Barrieren, die durch die Institution des hukou-Systems geschaffen werden, existieren nicht. (Braun 2006) Dies ändert sich mit dem regulierenden Eingreifen des Staates in die informelle Ökonomie. Über die Ausrichtung der Förderpolitiken und der Differenzierung zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen wird der Stadt-Land-Dualismus der formellen Ökonomie in die semiformelle Ökonomie übertragen. Dies führt zu ungleichen Arbeitsbedingungen innerhalb des Bereiches der semi-formellen Beschäftigung, wobei die Segmentationsgrenze zwischen Städter/innen und Migrant/innen verläuft. Übersicht 22: Segmentation durch Regulierung
formell
Städter
Städter
formell
staatliche Städter
Migranten
Regulierung
informell
semi-formell
Städter und Migranten Städter und Migranten
informelle Beschäftigung unreguliert
informell
informelle Beschäftigung reguliert
Quelle: Eigene Darstellung
Besonders deutlich wird die Segmentation bei Mikrounternehmer/innen. Diese profitieren nur dann von Steuervergünstigungen, Qualifizierungsangeboten und Kreditgarantien, wenn sie einen hukou der jeweiligen Stadt vorweisen können. Migrant/innen sind von den Förderpolitiken ausgeschlossen und bleiben in einer ungeschützten Position. Zur Finanzierung einer Existenzgründung ist es ihnen zwar inzwischen möglich, ihre Landrechte zu verpachten, staatliche Gründungssubventionen und direkte Unterstützung erhalten sie jedoch nicht. Auch die neuen Sozialversicherungsregeln führen zu einer stärkeren Segmentation semiformeller Beschäftigung, da sie für Migrant/innen entweder ein Parallelsystem schaffen oder eine temporäre Beteiligung am städtischen Sozialversicherungssystem mit Sonderkonditionen vorsehen, wogegen sie für städtische informell Beschäftigte auf eine langfristige Integration in das formelle System abzielen. Lediglich im Bereich des Arbeitsrechts werden Ungleichbehandlungen abgebaut, etwa durch dessen hukou-unabhängige Gültigkeit und das explizite Verbot der Diskriminierung von Migrant/innen im Arbeitsleben. Zwar werden keine konkreten Sanktionen für Verstöße gegen diesen Grundsatz festgeschrieben, viele der neuen arbeitsrechtlichen Bestimmungen regeln aber Probleme, die typischerweise migran-
195
7.2 Effekte und Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung
tische Arbeitskräfte betreffen (vorenthaltene Löhne, Einbehalten von Dokumenten und Kautionen etc.). Übersicht 23: Segmentation semi-formeller Beschäftigung Informelle Beschäftigung
Städter
Ausbeutbarkeit, keine Interessenvertretung
Rechtssicherheit
Städter
Migranten
legaler Status mit verbesserter Rechtssicherheit
keine Absicherung
Integration in städtisches System mit geringen Vergünstigungen
Parallelsystem mit starken Vergünstigungen, fehlende Übertragbarkeit
fehlender Zugang zu Bildung und Finanzierung
subventionierte Gründungstrainings, Mikrofinanzierung, Steuerreduzierung
keine direkte Unterstützung bei Existenzgründung
soziale Absicherung
Mikrounternehmen
Migranten
Semi-formelle Beschäftigung
Quelle: Eigene Darstellung
These 4: Die Grenzen der Regulierung informeller Beschäftigung bestehen (a) in Pfadabhängigkeiten (historisches Erbe aus Planwirtschaft), (b) in institutionellen Barrieren (lokale Autonomie, hukou-System) sowie (c) in Interessenkonflikten mit konkurrierenden politischen Zielen (Wirtschaftswachstum, Schutz formeller Arbeitskräfte). Informelle Beschäftigung wird daher auch künftig weiter existieren. Der Regulierung informeller Beschäftigung sind Grenzen gesetzt, deren Ursachen außerhalb der Reichweite von Arbeitsrecht, Sozialversicherungssystem und Arbeitsmarktpolitik liegen. Aufgrund dieser Grenzen wird informelle Beschäftigung trotz zunehmender Regulierungsdichte nicht vollständig durch semi-formelle Beschäftigung ersetzt werden, sondern weiterhin Bestandteil der Volkswirtschaft bleiben.
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
Übersicht 24: Grenzen der Regulierung
formell
formell
staatliche Regulierung semi-formell informell
informelle Beschäftigung unreguliert
Grenzen der Regulierung
informell
informelle Beschäftigung reguliert
Quelle: Eigene Darstellung
In China ergeben sich Regulierungsgrenzen erstens aus historischen Gründen, die im Weiterwirken institutioneller Arrangements aus der planwirtschaftlichen Periode begründet liegen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die fortbestehende besondere Verantwortung der Kommunistischen Partei gegenüber ehemaligen Arbeitskräfte aus den Staatsbetrieben. Diese findet Niederschlag in Vorzugspolitiken für Freigesetzte und Arbeitslose aus der Staatswirtschaft, die von günstigen Sozialversicherungs-Konditionen und umfassenden Unterstützungsleistungen bei einer Existenzgründung profitieren. Diese systematische Privilegierung verringert die Förderbudgets für sonstige informell Beschäftigte und begrenzt die Reichweite der Politiken. Eng damit verbunden ist die Problematik der aus den Staatsunternehmen übernommenen Rentenschulden der Sozialkassen. Diese belasten das heutige Sozialversicherungssystem und schränken den Finanzierungsspielraum für Beitragsreduzierungen und andere Vergünstigungen für informelle Arbeitskräfte stark ein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die historisch bedingte Schwäche des Gewerkschaftssystems, das als traditionelles Organ der Partei die Interessen der Arbeitnehmer/innen nur eingeschränkt vertreten kann und insbesondere bei der Durchsetzung von Rechten informell Beschäftigter an seine Grenzen stößt. Insgesamt sind die Einflussmöglichkeiten des Parteistaates außerhalb der Staats- und Kollektivbetriebe noch immer begrenzt, was die Durchsetzbarkeit von Arbeits- und Sozialstandards für informell Beschäftigte in der Privatwirtschaft generell erschwert. Zweitens begrenzen institutionelle Barrieren die Wirksamkeit der Regulierung informeller Beschäftigung. Hier ist in erster Linie das hukou-System zu nennen, das trotz der Reformen der letzten Jahre weiterhin zu einer strukturellen Ungleichbehandlung städtischer und migrantischer Arbeitskräfte führt. Es trägt wesentlich zur prekären und ausbeutbaren Beschäftigungssituation von Migrant/innen bei und drängt diese systematisch in die Informalität. Substanzielle Verbesserungen in der Sozialabsicherung und den Arbeitsbedingungen dieser Beschäftigtengruppe können nur bei einer Aufhebung der hukou-Trennung erreicht werden. Einer landesweit kohärenten Regulierung informeller Beschäftigung
7.3 Mehr als das Ende der billigen Arbeit – Ein Ausblick
197
werden zudem durch Dezentralisierung und starke Lokalautonomie Grenzen gesetzt. Mit einem Anteil von 69 Prozent an den gesamten öffentlichen Ausgaben, die unterhalb der nationalen Ebene getätigt werden, ist China das am stärksten dezentralisierte Land der Erde. (White & Smoke 2005; Wong 2005) Insbesondere die lokale Verantwortung für Sozialversicherung und Arbeitsmarktpolitik begrenzt in strukturschwachen Regionen mit einem hohen Anteil informeller Arbeitskräfte die Finanzierungsmöglichkeiten für Unterstützungspolitiken. Kohärente und zwischen einzelnen Provinzen übertragbare Sozialversicherungsmechanismen für informell Beschäftigte können so nicht geschaffen werden; stattdessen existiert ein bunter Flickenteppich an lokal differierenden Versicherungsbedingungen und -ansprüchen. Die starke Abhängigkeit von lokalen Steuereinnahmen führt dazu, dass aufgrund von Lokalpatriotismus Arbeitnehmerschutz für wirtschaftliche Interessen geopfert wird und sich neue arbeitsrechtliche Standards schwer durchsetzen lassen. Drittens setzen vorhandene Interessenkonflikte mit anderen politischen Zielen der Verbreitung semi-formeller Beschäftigung Grenzen. Insbesondere ökonomische Interessen stehen in Konkurrenz zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie, da diese zu einer Verteuerung von Arbeit für die Unternehmen führt. Aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen und einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen werden Regulierungen für viele Fragen nicht erlassen (z.B. in den Bereichen Teilzeitbeschäftigung und Subcontracting) oder existierende Regulierungen nicht durchgesetzt. Besonders deutlich wurde dies zuletzt während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009, als die forcierte Durchsetzung der zahlreichen arbeitsrechtlichen Neuerungen vielfach ausgesetzt wurde, um die schwächelnde Exportindustrie nicht zusätzlich zu belasten und Massenentlassungen zu vermeiden.
7.3 Mehr als das Ende der billigen Arbeit – Ein Ausblick Semi-formelle Beschäftigung wird sich künftig zu einem noch wichtigeren Bestandteil des chinesischen Arbeitsmarktes entwickeln. Die Ausweitung semi-formeller Beschäftigung geschieht, wie oben gezeigt, vorrangig durch das Verdrängen informeller Arbeit: Ungeschützte Arbeitsverhältnisse werden also durch Beschäftigungsbeziehungen mit Basisschutz ersetzt. Dies wird mit einer Verteuerung von Arbeit im Billiglohnsektor einhergehen. Für die Zukunft sind dabei drei zentrale Trends zu erwarten: Erstens wird allem Anschein nach auf die Phase der Regulierung nun eine Phase der verstärkten Implementierung folgen. Die neuen Arbeitsgesetzte traten nahezu zeitgleich mit dem Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in Kraft, während der über Verletzungen des Arbeitsrechts weitgehend hinweggesehen wurde. Das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum sollte nicht zusätzlich gefährdet und weitere Entlassungen vermieden werden. Die schnelle Erholung des Arbeitsmarktes von den Folgen der Krise, die deutliche Anhebung der Mindestlöhne in vielen Provinzen und die Unterstützung der zahlreichen Streiks und Arbeiterproteste im Jahr 2010 durch die chinesische Regierung weisen darauf hin, dass nun zu einer forcierten Durchsetzung der neuen Arbeitsrechte übergegangen werden soll. Zugleich werden sich die Beschäftigten selbst künftig deutlicher für eine Umsetzung ihrer neuen Rechte stark machen. Durch die forcierte Arbeitsgesetzgebung der letzten Jahre ist auch im Billiglohnbereich das Bewusstsein für die Existenz grundlegender Arbeitsrechte
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7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
gewachsen. Wie die starke Zunahme juristisch ausgefochtener Arbeitskonflikte und die Verbreitung von Streiks und Arbeitsprotesten zeigt, sind Chinas Arbeiter/innen bereit, ihre Rechte stärker einzufordern. Die Macht der Arbeitnehmer/innen wird noch steigen, da der große Arbeitskräfteüberschuss der letzten Dekaden als Folge von Ein-Kind-Politik und einer alternden Gesellschaft langsam zurückgeht. Vor allem die prosperierenden Küstenprovinzen klagen bereits wieder über einen Mangel an Billigarbeiter/innen, da Arbeitsmigrant/innen aufgrund sich zunehmend verbessernder Beschäftigungschancen in Zentral- und Westchina sowie in Folge gestiegener Bildungschancen häufiger in ihren Heimatregionen verbleiben. Um attraktiv zu bleiben, werden Unternehmen künftig Arbeitskräfte im Niedriglohnbereich und insbesondere ländliche Migrant/innen besser behandeln müssen. Zweitens wird der Schwerpunkt in den nächsten Jahren noch stärker auf einer Ausweitung der sozialen Sicherung auf die informelle Ökonomie liegen. Die Regierung plant die flächendeckende Verbreitung einer Basiskrankenversicherung für alle Beschäftigten, die in Kürze erreicht werden soll. Bei den Reformen der Rentenversicherung wird der Fokus auf der Transferierbarkeit von Versicherungsansprüchen bei Ortswechseln und zwischen städtischem und ländlichem System liegen, was eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme flexibler, mobiler Arbeitskräfte darstellt. Insbesondere die Absicherung migrantischer Arbeitskräfte wird in den nächsten Jahren forciert werden, wobei die Arbeitsunfallversicherung und die Krankenversicherung weiter im Zentrum stehen werden. Unternehmen werden künftig auch im Niedriglohnbereich kaum noch um die Zahlung von Versicherungsbeiträgen herumkommen, wenngleich die Absicherungskosten weiterhin deutlich unter denen für formell Beschäftigte bleiben dürften, da Beitragsreduzierungen gewährt werden und nicht in alle Versicherungen eingezahlt werden muss. Drittens ist – parallel zu diesen auf eine stärkere Standardisierung von Arbeitsverhältnissen hinauslaufenden Tendenzen – ein weiterer Ausbau flexibler Beschäftigungsbeziehungen zu erwarten. Die gesonderte Regulierung von Leiharbeit im Arbeitsvertragsgesetz und die Ankündigung weiterer spezifischer Vorschriften für diese Beschäftigungsform lassen darauf schließen, dass ihr für die künftige Arbeitsmarktentwicklung besonders große Relevanz beigemessen wird. Die forcierte Ausweitung von Leiharbeitsverhältnissen verdeutlicht die Hoffnung der Regierung, mit semi-formeller Beschäftigung Arbeitsplätze zu schaffen, die über eine grundlegende Absicherung verfügen, die Flexibilität von Unternehmen in Personalfragen aber möglichst wenig beschneiden. Damit soll eine Balance zwischen den Interessen der Arbeitskräfte an Sicherheit und den Interessen der Unternehmen an Flexibilität erreicht werden, welche die soziale Stabilität garantiert, ohne die wirtschaftliche Effizienz und das Wachstum zu gefährden. Mit der Regulierung von Zeitarbeit verteuert sich allerdings auch diese Form flexibler Beschäftigung für die Unternehmen, da künftig Sozialversicherungsbeiträge entrichtet und unternehmensübliche Löhne gezahlt werden müssen. Auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wird stärker auf Flexibilität und Eigeninitiative gesetzt werden. Statt zur Aufrechterhaltung einer hohen Beschäftigungsquote ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu akzeptieren und (staatliche) Unternehmen von Personaleinsparungen abzuhalten, wird Arbeitslosigkeit künftig stärker durch eine Vermittlung in semi-formelle Arbeitsverhältnisse reduziert werden. Darauf weist einerseits die Einrichtung von Zeitarbeitsfirmen durch lokale Arbeitsbehörden hin, die Arbeitslose in befristete Jobs vermitteln sollen. Andererseits ist ein weiterer Ausbau der Förderung von Selbstbeschäftigung und Existenzgründungen geplant. Mit der Unterstützung von Mikrounternehmen
7.3 Mehr als das Ende der billigen Arbeit – Ein Ausblick
199
verbinden sich nicht nur Hoffnungen zur Reduktion von Arbeitslosigkeit, sie sollen auch die Tertiarisierung und Urbanisierung der chinesischen Volkswirtschaft vorantreiben. Insgesamt werden die Verbesserungen in Rechtsschutz, Sozialabsicherung und Arbeitsbedingungen im untersten Segment des Arbeitsmarktes zu Kostensteigerungen für Unternehmen führen. Arbeit wird teurer werden – allerdings nicht sprunghaft und nur in begrenztem Ausmaß. Erstens verfügt China weiterhin über ein großes Potential an ländlichen Arbeitskräften, die bei einer Erhöhung der geringen Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft als mobile und preiswerte Kräfte für den städtischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und auf absehbare Zeit weiter für Migrationsströme in die Städte sorgen werden. Zweitens sind Chinas Arbeitskräfte im Vergleich zu anderen asiatischen Volkswirtschaften noch immer sehr preiswert, wenn auch nicht mehr so billig wie zuvor. Das Lohnniveau im produzierenden Gewerbe liegt in China weiterhin bei nur 7 bis 21 Prozent dessen von Japan, Korea, Taiwan oder Hongkong. Es bewegt sich noch unterhalb dem von Malaysia und ist etwa genauso hoch wie in den Philippinen und Thailand. (Schucher & Kruger 2010: 133; Yang et al. 2010: 17) Drittens sind die Lohnsteigerungen mit einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität einhergegangen. Unternehmensprofite scheinen insgesamt nicht durch die höheren Löhne beeinflusst worden zu sein. (Schucher & Kruger 2010: 134) Es ist daher davon auszugehen, dass China trotz steigender Löhne und Sozialabgaben seinen Kostenvorteil gegenüber vielen asiatischen Ökonomien in naher Zukunft behalten wird. Die Folgen der Lohnsteigerungen für Unternehmen werden aber je nach Branche sehr unterschiedlich sein: Zu den Verlierern zählt vor allem die arbeitsintensive Exportindustrie, insbesondere die Produzenten leicht herzustellender Güter wie Spielwaren oder Textilien. Deren Geschäftsmodell basiert auf der Bereitstellung billiger Arbeitskräfte und Massenproduktion mit geringen Gewinnmargen. Lohnerhöhungen sind Existenz bedrohend, wenn sie nicht durch deutliche Produktivitätssteigerungen abgefedert werden können. Einige Investoren haben bereits mit der Verlagerung der Produktion nach Bangladesch, Vietnam oder Kambodscha begonnen. (Dengg & Moravec 2010; Schucher & Kruger 2010: 133) Stark betroffen sind auch chinesische Subkontraktoren, die für ausländische Unternehmen produzieren. Diese verfügen ebenfalls über sehr geringe Profitmargen und sind bei Kostensteigerungen leicht ersetzbar. (Barboza 2010) Diese Entwicklung ist von der chinesischen Regierung gewollt und wird durch Wechselkurs- und Steuerpolitik unterstützt: Die Exportindustrie wird durch die stufenweise Aufwertung des Yuan zusätzlich unter Druck gesetzt, und Steuerbefreiungen für arbeitsintensive Exporteure und Industrien mit Niedriglöhnen werden zurückgefahren. (Yaghmaian 2010) Arbeitsintensive Exportunternehmen ohne technologische Kapazitäten zur Effizienzerhöhung werden somit langfristig aus dem Markt gedrängt oder auf Lokalproduktion umgestellt werden. Anders gestaltet sich die Situation für wissens- und technologiebasierte Industrien. Dort sind die Löhne nur für einen geringen Teil der Gesamtkosten zuständig, weshalb ein Anstieg weniger stark ins Gewicht fällt. Außerdem gelingt es in diesem Industriezweig eher, die Lohnerhöhungen durch Produktivitätssteigerungen auszugleichen, etwa durch die forcierte Automatisierung von Produktionsprozessen. (Schucher & Kruger 2010: 133f.) Zur Erzielung von Kosteneinsparungen wird die Produktion zudem stärker nach Zentral- und Westchina verlegt werden, wo die Löhne um 20 bis 30 Prozent niedriger sind als in den Küstenprovinzen. (Barboza 2010; Dengg & Moravec 2010)
200
7 Fazit: Mehr als das Ende der billigen Arbeit in China
Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Niedriglohnbereich bedeutet damit nicht einfach das Ende der billigen Arbeit in China, sondern hat deutliche Implikationen für die künftige Gestaltung der Wirtschaftsstruktur. Sie unterstützt gleichzeitig wichtige Wandlungsprozesse in anderen Bereichen und ist in diesem Sinne in mehrfacher Hinsicht relevant für die Zukunft Chinas als Volkswirtschaft, Sozial- und Rechtsstaat: Höhere Löhne und mehr Arbeitnehmerrechte werden (a) von der Zentralregierung als eine wichtige Voraussetzung für eine Neuausrichtung des Wachstumsmodells und für eine Neupositionierung innerhalb der internationalen Arbeitsteilung angesehen. Sie bilden die Grundlage für den angestrebten Entwicklungsweg, der die chinesische Ökonomie von einem auf Billigproduktion basierenden Niedriglohnland zu einer wissensbasierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft mit ausgewogener Wirtschaftsstruktur transformieren soll. Die Strategie des „inklusiven Wachstums“, die offiziellen Berichten zufolge im nächsten Fünfjahrplan als Leitlinie für die Wirtschaftsentwicklung der Jahre 2011 bis 2015 festgeschrieben wird, soll zu einer stärkeren Teilhabe der Bevölkerung an den Wachstumsgewinnen führen und den Binnenkonsum ankurbeln, um künftig die Exportabhängigkeit der Ökonomie zu verringern. (China.org.cn, 15.10.2010) Bislang macht die Inlandsnachfrage in China lediglich 36 Prozent des Nationaleinkommens aus; in den USA sind es über 70 Prozent, in Europa und Japan knapp 60 Prozent. (New York Times Online, 5.7.2010) Die Schaffung sozialer Absicherungsmodelle für informell Beschäftigte ist (b) ein zentraler Schritt hin zu einer umfassenden Sozialsicherung für die gesamte chinesische Bevölkerung. Die Integration informeller Arbeitskräfte in die Sicherungssysteme ist aufgrund ihres großen und wachsenden Anteils an der Erwerbsbevölkerung nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ökonomische Notwendigkeit für die Finanzierung der Sozialkassen. China wandelt sich bereits in eine alternde Gesellschaft, was Renten- und Krankenversicherung unter starken Finanzierungsdruck setzt und die Beteiligung größerer Bevölkerungsteile unabdingbar macht, um das Sozialsystem erhalten und ausbauen zu können. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der informellen Ökonomie trägt (c) dazu bei, die Einkommens- und Chancenungleichheiten innerhalb der chinesischen Bevölkerung zu verringern. Sie ist ein wichtiges Element, um die Ausweitung des Wohlstandsgefälles zu stoppen und möglicher Weise umzukehren. Ihr kommt damit eine große Bedeutung für die Wahrung der sozialen Stabilität zu. Da Migrant/innen einen Großteil der informell Beschäftigten ausmachen, berühren alle auf die informelle Ökonomie abzielenden Regulierungen (d) gleichzeitig Fragen der Urbanisierung und der Integration ländlicher Arbeitskräfte in die Städte. Sie bieten Chancen, der angestrebten Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Land- und Stadtbevölkerung näher zu kommen. Die Reformen des Arbeitsrechts sind (e) ein wichtiger Baustein für die Verrechtlichung von Wirtschaftsbeziehungen sowie für den Aufbau eines verlässlichen Rechtssystems und der Etablierung von rule of law in der Volksrepublik. Angesichts der Schwächung direkter staatlicher Einflussmöglichkeiten durch Marktentwicklung und Liberalisierung wird eine rechtsbasierte Steuerung von Arbeitsmarkt und Wirtschaftssystem künftig weiter an Bedeutung gewinnen.
8 Anhang
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung 8.1.1 Arbeitsrecht Regulierung
Aussage zu informeller Beschäftigung 1. Arbeitsverträge und Arbeitsstandards allgemein
Arbeitsgesetz (Zhonghua Renmin Gongheguo laodongfa) 5.7.1994, in Kraft 1.1.1995, Ständiger Ausschuss des NVK
Grundlagengesetz des chinesischen Arbeitsrechts; regelt u.a.: - Arbeitsverträge, Kollektivverträge - Arbeits- und Ruhezeiten - Löhne - Arbeitsschutz und Gesundheit - Schutz weiblicher und minderjähriger Beschäftigter - Sozialversicherung und Sozialleistungen - Lösung von Arbeitsstreitigkeiten
Antwort auf Bitte um Weisung zu Fragen von befristeten Arbeitskräften (Dui „Guanyu linshigong deng wenti de qingshi“ de fuhan) 7.11.1996, Sekretariat des Arbeitsministeriums
befristet Beschäftigte (linshi gong) haben selbe Arbeitnehmerrechte wie formelle Arbeitskräfte haben Anspruch auf Arbeitsvertrag, Sozialbeiträgen und Boni in Geltungsdauer des Arbeitsvertrags kann es Unterschiede geben
Ansichten zu einigen Fragen der Teilzeitbeschäftigung (Guanyu feiyuanri zhi yonggong ruogan wenti de yijian) 30.5.2003, MoLSS, Laoshebu fa [2003] 12 hao
Bestimmung zu Tarifverträgen (Jiti hetong guiding) 20.1.2004, in Kraft 1.5.2004, MoLSS, Laoshebu ling [2004] 22 hao
Ziel: alle Unternehmen führen Tarifverträge ein durch Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Betriebsgewerkschaft in Tarifverträgen festgelegte Standards (Lohnhöhe, Arbeitszeiten etc.) dürfen bei individuellen Arbeitsverträgen nicht unterschritten werden
Bestimmung zur Stärkung der Verwaltung von Arbeitsverträgen ländlicher Migranten in der Baubranche (Guanyu jiaqiang jianshe deng hangye nongmingong laodong hetong guanli de tongzhi) 11.5.2005, MoLSS, Bauministerium, Allchinesi-
Arbeitsbehörden, Gewerkschaften und Baubehörden sollen für stärkere Verbreitung von Arbeitsverträgen unter Arbeitsmigranten sorgen Alle Unternehmen, die Arbeitsmigranten einstellen, müssen mit diesen schriftliche Arbeitsverträge schließen und sie bei den zuständigen Behörden registrieren; sonst Strafen Arbeitsverträge müssen Klauseln enthalten zu Beschäftigungsdauer, Arbeitsinhalt und –zeiten, Sozialversicherung und Ar-
auch bei Teilzeitbeschäftigung Arbeitsverträge Festlegung Mindeststundenlohn Sozialversicherung Lösung von Arbeitskonflikten
A. J. Braunm, Das Ende der billigen Arbeit in China, DOI 10.1007/978-3-531-92743-5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
202
8 Anhang
scher Gewerkschaftsbund, Laoshebu fa [2005] 9 hao
beitsschutz, Lohn etc. Arbeitsinspektionen und Arbeitskonfliktlösung müssen intensiviert werden
Arbeitsvertragsgesetz der Volksrepublik China (Zhonghua Renmin Gongheguo laodong hetong fa) 29.6.2007, in Kraft 1.1.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
Gesetz der Volksrepublik China zur Beschäftigungsförderung (Zhonghua Renmin Gongheguo jiuye cujin fa) 30.8.2007, in Kraft 1.1.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
Verpflichtung der Regierungen auf allen Ebenen zur Förderung von Beschäftigung, incl. Berufsbildung, Beschäftigungsdienstleistungen, Förderung von Selbstbeschäftigung und Mikrounternehmen Unterstützung flexibler Beschäftigungsformen Verbot der Diskriminierung im Berufsleben, u.a. gegenüber Migranten
Schriftliche, unbefristete Arbeitsverträge als Regel Abfindungen bei Kündigungen Verkürzte Probezeiten Strafen bei Vorenthalten von Löhnen oder Löhnen unterhalb Mindestlohn Verbot von Repressalien ggü. Arbeitnehmern Spezifische Regulierungen zu Leiharbeit, Teilzeitarbeit und Subcontracting
2. Löhne Temporäre Bestimmung zu Lohnauszahlungen (Gongzi zhifu zanxing guiding) 6.12.1994, in Kraft 1.1.1995, Arbeitsministerium
Bei durch Arbeitnehmer verursachten Schäden kann Unternehmen Teil des Lohns als Kompensation einbehalten (max. 20% pro Monat)
Ergänzende Bestimmungen zu einigen Fragen der „Temporären Bestimmung zu Lohnauszahlungen“ (Guanyu yinfa „Dui ‚Gongzi zhifu zanxing guiding’ youguan wenti de buchong guiding” de tongzhi) 12.5.1995, Arbeitsministerium
Lohnauszahlung kann verzögert werden, wenn Unternehmen von Naturkatastrophe betroffen oder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Zustimmung der Gewerkschaft) Maximale Dauer der Lohneinbehaltung muss lokal festgesetzt werden
Bestimmung zu Mindestlöhnen (Zui di gongzi guiding) 21.1.2004, MoLSS, Laoshebu ling [2004] 21 hao
Lokalregierungen müssen monatliche Mindestlöhne für Vollzeitbeschäftigte und Mindeststundenlöhne für Teilzeitbeschäftigte festlegen (feste Formel vorgegeben) Mindeststundenlöhne müssen Renten- und Krankenversicherungsbeiträge einbeziehen; müssen Unterschiede in Stabilität, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigung Rechnung tragen 3. Arbeitskonflikte
Bekanntmachung zur weitergehenden Lösung des Problems vorenthaltener Löhne von Arbeitsmigranten (Guanyu jinyibu jiejue tuoqian nonmingong gonzi wenti de tongzhi) 2.9.2005, MoLSS und 7 weitere Organe, Laoshebu fa [2005] 23 hao
Behörden sollen Arbeit zur Rückgewinnung ausstehender Löhne von Migranten intensivieren Kontrollen verstärken; Strafen durchsetzen Arbeitskonfliktverfahren zu ausstehenden Löhnen zügig abwickeln
Gesetz der Volksrepublik China über
regelt institutionelles Verfahren zur Schlichtung von Arbeits-
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
Schlichtung und Schiedsverfahren bei Arbeitsstreitigkeiten (Zhonghua Renmin Gongheguo laodong zhengyi tiaojie zhongcai fa) 29.12.2007, in Kraft 1.5.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
203
konflikten (ersetzt diesbezügliche Regeln des Arbeitsgesetzes von 1995) soll Zugang zu Konfliktlösungsmechanismen für Arbeitskräfte erleichtern; dazu Verlängerung von Antragsfristen, Verkürzung von Bearbeitungszeiten, stärkere Rechtsverbindlichkeit, höhere Transparenz explizite Regeln zu Konflikten bei Zeitarbeit und Lohnrückständen
204
8 Anhang
8.1.2 Sozialversicherung Regulierung
Aussage zu informeller Beschäftigung 1. Krankenversicherung
Entscheidung zur Einrichtung einer Basiskrankenversicherung für städtische Beschäftigte (Guanyu jianli chengzhen zhigong jiben yiliao baoxian zhidu de jueding) 14.12.1998, Staatsrat, Guofa [1998] 44 hao
alle Unternehmen und ihre Beschäftigten müssen an Krankenversicherung teilnehmen über die Teilnahme von Township-and-Village-Enterprises sowie Individualunternehmen entscheidet Provinzregierung
Leitlinie zur Krankenversicherungsteilnahme flexibel Beschäftigter in den Städten (Guanyu chengzhen linghuo jiuye renyuan canjia jiben yiliao baoxian de zhidao yijian) 26.5.2003, MoLSS, Laoshebu fa [2003] 10 hao
flexibel Beschäftigte (linghuo jiuye renyuan) mit klarer Beschäftigungsbeziehung zum Unternehmen müssen (yao) über Unternehmen an Krankenversicherung teilnehmen; sonstige flexibel Beschäftigten müssen individuell einzahlen Beitragssätze entsprechend lokalen Krankenversicherungsbedingungen (auf Basis lokalen Durchschnittslohns) zunächst Einzahlung in Solidarfonds, um stationäre Behandlung und große Kosten abzusichern; Möglichkeit Abschluss Individualkonto schaffen bei Neuversicherten kann Sperrfrist festgelegt werden; Instabilität der Einkommen muss beachtet und Lösungen für Umgang mit Zahlungsunterbrechungen gefunden werden Einführung spezieller Versicherungsschalter, die individuelle Einzahlung erleichtern
Ansichten zu Fragen der Teilzeitbeschäftigung (Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian) 30.5.2003, MoLSS, Laoshebu fa [2003] 12 hao
Teilzeitarbeitskräfte (feiquanri zhiyonggong) können (keyi) individuell an Krankenversicherung teilnehmen können je nach Einzahlungshöhe Grundbehandlungen erhalten konkrete Maßnahmen sind von lokalen Arbeitsbehörden festzulegen
Ansichten zur Ausweitung der Krankenversicherung auf Unternehmen gemischter und privater Eigentumsformen und deren Beschäftigte (Guanyu tuijin hunhe suoyouzhi qiye he feigongyouzhi jingji zuzhi congye renyuan canjia yiliao baoxian de yijian) 28.5.2004, MoLSS, Laoshebu fa [2004] 5 hao
graduelle Integration ländlicher Arbeitsmigranten mit Arbeitsbeziehungen zu Unternehmen in städtische Krankenversicherung ländliche Migranten mit Individualunternehmen können an Krankenversicherung teilnehmen; zu selben Bedingungen wie flexibel Beschäftigte
Vorschläge zur Lösung einiger Probleme von ländlichen Arbeitsmigranten (Guanyu jiejue nongmingong wenti de ruogan yijian) 21.1.2006, Staatsrat, Guofa [2006] 5 hao
einer der beiden Schwerpunkte der Integration von Arbeitsmigranten in Sozialversicherung: Versicherung für schwere Krankheiten und Krankenhausaufenthalte schaffen; soll auf Provinzebene festgelegt und durchgeführt werden (zweiter Schwerpunkt: Arbeitsunfallversicherung; s.u.) wegen geringer Einkommen: angemessene Beitragssätze für Migranten und für Arbeitgeber festlegen (lokal) Migranten mit stabilen Beschäftigungsverhältnissen können in
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
205
städtische Krankenversicherung integriert werden Migranten können sich alternativ auch für neue ländliche kooperative Krankenversicherung entscheiden 2. Rentenversicherung Provisorische Verordnung zur Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen (Shehui baoxianfei zhengjiao zanxing tiaolie) 22.1.1999, Staatsrat, Guowuyuan ling [1999] 259 hao
Rentenversicherung gilt für alle städtischen Unternehmen und deren Beschäftigten (zhigong) Provinzregierungen sollen städtische Individualunternehmen (geti gongshang hu) in Rentenversicherung aufnehmen
Pilotplan zur Vollendung eines Sozialversicherungssystems in den Städten (Guanyu wanshang chengzhen shehui baozhang tixi de shidian fang’an) 25.12.2000, Staatsrat, Guofa [2000] 42 hao
Freiberufler (ziyou zhiye renyuan) und Individualunternehmen (geti gongshang hu) müssen an Rentenversicherung teilnehmen
Bekanntmachung zu einigen Fragen der Basisrentenversicherung für städtische Beschäftigte (Guanyu wanshang chengzhen zhigong jiben yanglao baozhang zhengce youguan wenti de tongzhi) 22.12.2001, MoLSS, Laoshebu fa [2001] 20 hao
ländliche Arbeitsmigranten können nach Unterbrechung Rentenversicherung weiterführen, wenn sie erneut in städtischen Unternehmen arbeiten ländliche Arbeitsmigranten können bei Erreichen gesetzlichen Rentenalters nach 15 Beitragsjahren Basisrente erhalten; ansonsten Auszahlung Individualkonto
Ansichten zu Fragen der Teilzeitbeschäftigung (Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian) 30.5.2003, MoLSS, Laoshebu fa [2003] 12 hao
Teilzeitarbeitskräfte (feiquanri zhiyonggong) müssen (yingdang) an Rentenversicherung teilnehmen zu Bedingungen wie Individualunternehmen Einrichtung von Individualkonten unter Berücksichtigung bereits geleisteter Beitragsjahre bei Erreichen gesetzlichen Rentenalters staatlich festgesetzte Basisrente
Entscheidung zur Vollendung des Basisrenten-versicherungssystems für Beschäftigte in Unternehmen (Guanyu wanshang qiye zhigong jiben yanglao baoxian zhidu de jueding) 31.12.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 38 hao
alle Beschäftigten incl. Individualunternehmen und flexibel Beschäftigte (linghuo jiuyezhe) müssen (yao) an der Rentenversicherung teilnehmen Ausweitung der Rentenversicherung mit Schwerpunkt auf Privatunternehmen, Individualunternehmen und Selbstbeschäftigte staatliche Subventionen der Versicherungsbeiträge für Individualunternehmen und flexibel Beschäftigte: nur 20% Rentenversicherungsbeitrag (gemessen an lokalem Durchschnittslohn), davon 8% auf Individualkonto; nach Renteneintritt gleiche Basisrente wie andere Beschäftigte Übertragbarkeit Rentenkonten bei Unternehmenswechsel soll verbessert werden
Vorschläge zur Lösung einiger Probleme von ländlichen Arbeitsmigranten (Guanyu jiejue nongmingong wenti de ruogan yijian)
intensiv nach Lösungen für Rentenversicherungsproblem von Arbeitsmigranten suchen Rentenversicherung für Migranten soll durch niedrige Beiträge, große Reichweite und Portabilität gekennzeichnet und mit
206
8 Anhang
21.1.2006, Staatsrat, Guofa [2006] 5 hao
städtischer Rentenversicherung verbunden sein in Regionen mit entsprechenden Möglichkeiten können Migranten mit festen Arbeitsverhältnissen auch direkt in städtische Rentenversicherung integriert werden Migranten, die bereits an städtischer Rentenversicherung teilnehmen, müssen von Unternehmen weiter Versicherungsbeiträge erhalten
Maßnahmen zur Teilnahme ländlicher Arbeitsmigranten an der Basisrentenversicherung (Kurzfassung) (Nongmingong canjia jiben yanlao baoxian banfa (zhaiyao) 5.2.2009, MoHRSS, (bislang nicht in Kraft getreten)
Rentenversicherung für alle Arbeitsmigranten mit Arbeitsverträgen in städtischen Unternehmen verpflichtend Rentenbeiträge: 12% des Arbeitslohns durch Arbeitgeber in Sozialpool, 4-8% des Arbeitslohns durch Arbeitnehmer in Individualkonto Migranten, die bereits an städtischer Rentenversicherung teilnehmen, können Beitragssätze anpassen bei Jobwechseln keine Auszahlung des Individualkontos möglich; stattdessen Ausstellung eines Beitragszertifikat durch lokale Sozialversicherungsagentur; auf dessen Basis Weiterführung der Rentenversicherung an neuem Ort; Fondstransfer durch beide Sozialversicherungsagenturen unter Akkumulierung der Einzahlungen bei Arbeitsunterbrechung Konservierung der Konten mit Verzinsung nach 15 Beitragsjahren Rentenberechtigung am Ort der letzten Beschäftigung; bei Nichtvollendung der 15 Beitragsjahre Übertragung in neue ländliche Rentenversicherung oder Einmalzahlung Einrichtung eines nationalen Informationssystems und Einführung einer nationalen Sozialversicherungskarte
Übergangsmaßnahmen für Transfer und Weiterführung der Basisrentenversicherung von Beschäftigten in städtischen Unternehmen (Chengzhen qiye zhigong jiben yanglao baoxian guanxi zhuanyi jiexu zhanxing banfa) 28.12.2009, in Kraft 1.1.2010, Staatsrat, Guobanfa [2009] 66 hao
gilt für alle Beschäftigten in städtischen Unternehmen, die an Basisrentenversicherung teilnehmen, incl. ländlicher Migranten bei Jobwechsel zwischen Provinzen: Wegzugsort stellt Einzahlungszertifikat aus und transferiert Fonds an Sozialkasse am neuen Ort (Stand Individualkonto + Teil der Arbeitgeberbeiträge seit 1.1.1998 basierend auf 12 Prozent des Arbeitslohns) und Informationen über Beitragsdauer Æ Kumulation bis Erreichen Renteneintrittsvoraussetzungen, dann Auszahlung nach üblichen Regeln Arbeitsmigranten: bei Einzahlungsunterbrechung werden gezahlte Beiträge konserviert; bei Wiederaufnahme von Arbeit an altem oder neuen Ort Weiterführung des Rentenkontos und Rentenauszahlung bei Erreichen der Renteneintrittskriterien; wenn diese nicht erreicht Übertragung an neues ländliches Rentensystem Details zu lokalen Zuständigkeiten für Transfer und Auszahlung zügiger Aufbau nationalen Informationssystems und Einführung national gültiger Sozialversicherungskarten 3. Arbeitsunfallversicherung
Bestimmung zur Arbeitsunfallversicherung (Gongshang baoxian tiaolie) 27.4.2003, Staatsrat,
alle Unternehmen und Individualunternehmen (geti gongshang hu) mit Beschäftigten müssen (yingdang) an Arbeitsunfallversicherung teilnehmen alle Beschäftigten in allen Unternehmensformen und in Individualunternehmen sind abgedeckt
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
207
Guowuyuan ling [2003] 375 hao
für die Versicherungsteilnahme von Individualunternehmen mit Beschäftigten sollen die Provinzen detaillierte Reglungen erlassen
Ansichten zu Fragen der Teilzeitbeschäftigung (Guanyu feiquanri zhiyonggong ruogan wenti de yijian) 30.5.2003, MoLSS, Laoshebu fa [2003] 12 hao
Arbeitgeber müssen (yingdang) für Teilzeitarbeitskräfte (feiquanri zhiyonggong) Arbeitsunfallversicherung abschließen Teilzeitarbeitskräfte haben rechtlichen Anspruch auf Unfallkompensation bei aus Arbeitsunfall resultierender Behinderung der Grade 5 bis 10 kann Einmalzahlung vereinbart werden
Bekanntmachung zu Fragen der Arbeitsunfallversicherung von Migranten (Guanyu nongmingong canjia gongshang baoxian youguan wenti de tongzhi) 1.6.2004, MoLSS, Laoshebu fa [2004] 18 hao
alle in Unternehmen angestellten Arbeitsmigranten haben Recht auf Kompensation bei Arbeitsunfällen Unternehmen müssen alle Migranten in Arbeitsunfallversicherung integrieren Schwerpunkt zunächst auf Bau- und Bergbauindustrie; Ausweitung Migranten mit Hukou aus anderen Provinzen können in Arbeitsprovinz bei Arbeitsunfall und Behinderung der Grade 1 bis 4 zwischen Einmalzahlung und dauerhafter Zahlung wählen
Vorschläge zur Lösung einiger Probleme von ländlichen Arbeitsmigranten (Guanyu jiejue nongmingong wenti de ruogan yijian) 21.1.2006, Staatsrat, Guofa [2006] 5 hao
zweiter Schwerpunkt der Integration von Arbeitsmigranten in Sozialversicherung: Arbeitsunfallversicherung für alle Migranten durchsetzen (erster Schwerpunkt: Krankenversicherung; s.o.) alle Unternehmen müssen für Migranten Arbeitsunfallversicherung abschließen; wenn Migranten nicht versichert werden, muss Unternehmen dennoch Kompensation laut Arbeitsunfallbestimmung zahlen Fokus zunächst auf Bau- und Bergbauindustrie
4. Arbeitslosenversicherung Bestimmung zur Arbeitslosenversicherung (Shiye baoxian tiaolie) 22.1.1999, Staatsrat, Guowuyuan ling [1999] 258 hao
Arbeitslosenversicherung gilt für alle Unternehmensformen
5. Mutterschaftsversicherung Durchführungsbestimmung zur Mutterschaftsversicherung für Unternehmensbeschäftigte (Qiye zhigong shengyu baoxian shixing banfa) 14.12.1994, MoLSS, Laoshebu ling [1994] 504 hao
Mutterschaftsversicherung gilt für weibliche Beschäftigte in allen Unternehmensformen
6. Übergreifend Bekanntmachung zur Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit für Freigesetzte und Arbeitslose
Dienstleistungsunternehmen, die neu geschaffene Arbeitsplätze mit Freigesetzten oder Arbeitslosen mit „Wiederbeschäftigungszertifikat“ besetzen (Arbeitsvertrag für 3 Jahre), erhalten
208
8 Anhang
(Guanyu jinyibu zuohao xiagang shiye renyuan zaijiuye gongzuo de tongzhi) ZK der KP China, Staatsrat, 30.9.2002, Zhongfa [2002] 12 hao
Subvention für Renten- und Arbeitslosenversicherung; max. für 3 Jahre; Arbeitnehmeranteil müssen Beschäftigte selbst tragen freigesetzte und arbeitslose Männer über 50 Jahren und Frauen über 40 Jahren mit „Wiederbeschäftigungszertifikat“ in gemeinnützigen Tätigkeiten: Subvention zu Renten- und Arbeitslosenversicherung
Bekanntmachung zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo de tongzhi) 4.11.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 36 hao
Unternehmen, die neu geschaffene Arbeitsplätze mit Freigesetzten und Arbeitslosen (über ein Jahr Arbeitslosigkeit) mit „Wiederbeschäftigungszertifikat“ besetzen, diesen mindestens einjährige Arbeitsverträge ausstellen und Sozialabgaben abführen, erhalten Subvention für Arbeitgeberanteil an Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung; Arbeitnehmeranteil müssen Beschäftigte tragen; max. für 3 Jahre; bei Älteren in Ausnahmefällen länger über 40jährige Frauen und über 50jährige Männer mit „Wiederbeschäftigungszertifikat“ erhalten bei flexibler Beschäftigung (linghuo jiuye) einen Teil ihrer Sozialversicherungsbeiträge erstattet; max. 2/3 der Beiträge; max. für 3 Jahre
sowie Bekanntmachung zu Finanzierungsfragen für die Intensivierung von Beschäftigung und Wiederbeschäftigung (Guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye zijin guanli youguan wenti de tongzhi) 10.1.2006, Finanziministerium, MoLSS, Caishe [2006] 1 hao
209
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
8.1.3 Mikrounternehmen Regulierung
Aussage zu Mikrounternehmen
1. Mikrounternehmen allgemein / Rahmenbedingungen Bekanntmachung zur Realisierung der Basis-Lebensabsicherung und Wiederbeschäftigungsarbeit für Freigesetzte aus Staatsbetrieben (Guanyu queshi zuohao guoyou qiye xiagang zhigong jiben shenghuo baozhang he zaijiuye gongzuo de tongzhi) 23.6.1998, Staatsrat, Zhongfa [1998] 10 hao
Freigesetzte aus Staatsbetrieben sollen in Wiederbeschäftigungszentren finanziell und bei Wiederbeschäftigung unterstützt werden dabei u.a. Förderung von deren Selbstbeschäftigung (a) Selbstbeschäftigung in Kommunaldienstleistungen: Vereinfachung Registrierung, 3 Jahre Befreiung von Gewerbesteuer, Einkommenssteuer und Verwaltungsgebühren (b) bei Gründung von Individual-, Familien- oder Privatunternehmen: schnelle Genehmigung, 1 Jahr lang Befreiung von Unternehmensverwaltungs-Gebühren, Finanzsektor soll Kredite bereitstellen
Verlautbarung zu Fragen steuerlicher Vorteile auf dem Gebiet der Kommunaldienstleistungen für freigesetzte Arbeitskräfte (Xiagang zhigong congshi shequ jumin fuwuye liangshou youguan shuishou youhui zhengce wenti de tongzhi) 14.3.1999, Staatliches Steueramt, (Guoshuifa [1999] 43 hao Gesetz der VR China zur Förderung von Klein- und mittleren Unternehmen (Zhonghua Renmin Gongheguo zhongxiao qiye cujinfa) 29.6.2002, in Kraft 1.1.2003, Ständiger Ausschuss des NVK
Schutz der Rechte und Interessen von KMU und deren Investoren (Art. 6-7) Rechtseinhaltung durch KMU (Art. 8-9) Finanzierung der KMU-Förderung durch KMU-Titel im Zentralbudget und durch Lokalregierungen (Art. 10-13) Förderung: Steuervergünstigungen, Beratungs- und Informationsdienste, Verbesserung Registrierung (Art. 22-26)
Bekanntmachung zur Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit für Arbeitslose und Freigesetzte (Guanyu jinyibu zuohao xiagang shiye renyuan zaijiuye gongzuo de tongzhi) 30.9.2002, Staatsrat, Zhongfa [2002] 12 hao
legt Ziele der Wiederbeschäftigungsarbeit der Regierung fest mit Gültigkeit vom 1.10.2002 bis 31.12.2005 Förderung von Selbstbeschäftigung und Existenzgründung von Arbeitslosen und Freigesetzten: (a) 3 Jahre Befreiung von mehreren Steuern und Abgaben (keine Gewerbesteuer, Stadtentwicklungssteuer, Bildungsabgaben, Einkommenssteuer; keine Gebühren für Verwaltung, Registrierung und Beglaubigung) (b) Verwaltungsbehörden dürfen von Arbeitslosen und Freigesetzen mit Individualunternehmen kein Geld einziehen oder Beiträge auferlegen; Gebühren für Verwaltungsdienstleistungen müssen fair und so gering wie möglich sein (c) Unterstützung bei Suche nach Geschäftsräumen für Selbstbeschäftigte; wenn neue Geschäftszentren entstehen, soll Teil der Räume an arbeitslose Existenzgründer gegeben werden; wenn lokal Möglichkeit besteht, sollen Behörden Produktionsstätten und Schulungsräume bereitstellen (d) zuständige Behörden sollen Arbeitslose und Freigesetzte zu Existenzgründung beraten und anleiten und über Förderpolitiken informieren; Existenzgründungstraining durchführen; Re-
Bekanntmachung zu Gebührenermäßigungen für Individualunternehmen von Arbeitslosen und Freigesetzten (Guanyu xiagang shiye renyuan congshi geti jingying youguan shoufei youhui zhengce de tongzhi) 17.10.2002, Staatsrat, Guobanfa [2002] 57 hao Durchführungsvorschläge zu einigen
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8 Anhang
Fragen der Bekanntmachung des Staatsrats zur weiteren Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit für Freigesetzte und Arbeitslose (Guanyu guanche luoshi Zhonggong Zhongyang Guowuyuan guanyu jinyibu zuohao xiagang shiye renyuan zaijiuye gongzuo de tongzhi ruogan wenti de yijian) 25.11.2002, MoLSS und 10 weitere Organe, Laoshebufa [2002] 20 hao
gistrierungserfordernisse vereinfachen und kurze Registrierungszeiten gewährleisten; wenn Möglichkeit besteht, spezielle Schalter einrichten für zentrale Registrierung bei Industrie- und Handels-, Steuer-, Sozialversicherungsbehörden und für Vorzugspolitiken („one-stop shop“) (e) alle Lokalregierungen sollen Kreditgarantiefonds für Freigesetzte und Arbeitslose einrichten
Ansichten zur Förderung, Unterstützung und Anleitung der Entwicklung der Individual- und Privat- und sonstigen nichtstaatlichen Wirtschaft (Guanyu guli zhichi he yindao geti siying deng feigongyouzhi jingji fazhan de ruogan yijian) 19.2.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 3 hao
weitere Vereinfachung von Regulierungen, die Entwicklung von Individual- und Privatunternehmen behindern beschleunigte Schaffung relevanter Unterstützungsmaßnahmen und Implementierungsregeln geringere Mindestkapitalanforderungen Vereinfachung Unternehmensregistrierung, u.a. durch “onestop services” Unterstützung von Freigesetzten und Absolventen bei Gründung von Individualunternehmen
Bekanntmachung zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo de tongzhi) 4.11.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 36 hao
legt Ziele der Wiederbeschäftigungsarbeit der Regierung fest mit Gültigkeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2008 Förderung von Selbstbeschäftigung als wichtiger Weg der Wiederbeschäftigung soll von allen involvierten Ministerien und Behörden auf zentraler, Provinz- und Lokalebene unterstützt werden u.a. durch Vorzugspolitiken für Freigesetzte und Arbeitslose, die Individualunternehmen gründen: (a) 3 Jahre Befreiung von mehreren Steuern und Abgaben bis zu insgesamt 8.000 CNY pro Jahr (Gewerbesteuer, Stadtentwicklungssteuer, Bildungsabgaben, Einkommenssteuer) (b) Verwaltungsbehörden dürfen von Arbeitslosen und Freigesetzen mit Individualunternehmen kein Geld einziehen oder Beiträge auferlegen; Gebühren für Verwaltungsdienstleistungen müssen fair und so gering wie möglich sein (c) Unterstützung bei Suche nach Geschäftsräumen für Selbstbeschäftigte; wenn neue Geschäftszentren entstehen, soll nach Möglichkeit Teil der Räume an arbeitslose Existenzgründer gegeben werden; wenn lokal Möglichkeit besteht, sollen Behörden Produktionsstätten und Schulungsräume bereitstellen (d) Beratung und Anleitung zu Existenzgründung und Förderpolitiken; Registrierungserfordernisse vereinfachen und kurze Registrierungszeiten gewährleisten; wenn Möglichkeit besteht, spezielle Schalter einrichten für zentrale Registrierung bei Industrie- und Handels-, Steuer-, Sozialversicherungsbehörden und für Vorzugspolitiken („one-stop shop“) (e) Bereitstellung von Mikrokreditgarantien
Bekanntmachung zur konkreten Umsetzung der Steuerpolitiken zur Wiederbeschäftigung von Freigesetzten und Arbeitslosen (Guanyu xiagang shiye renyuan zaijiuye youguan shuishou zhengce juti shishi yijian de tongzhi) 18.1.2006, Staatliches Steueramt, MoLSS, Guoshuifa [2006] 8 hao Durchführungsvorschläge zur Bekanntmachung des Staatsrats zur weiteren Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu guanche luoshi guowuyuan jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gonzuo tongzhi ruogan wenti de yijian) 20.1.2006, MoLSS und 17 weitere Organe; Laoshebufa [2006] 6 hao Bekanntmachung zu einigen Fragen der Steuerpolitiken zur Wiederbeschäftigung von Freigesetzten und Arbeitslosen
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
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(Guanyu xiagang shiye renyuan zaijiuye youguan shuishou zhengce wenti de tongzhi) 23.1.2006, Finanzministerium, Staatliches Steueramt, Caishui [2005] 186 hao Bekanntmachung zur Durchführung der Vorzugsbesteuerung für Freigesetzte, Arbeitslose und Hochschulabsolventen (Guanyu dui congshi geti jingying de xiagang shiye renyuan he gaoxiao biyesheng shixing shoufei youhui zhengce de tongzhi) 13.1.2006, Finanzministerium, Staatliche Entwicklungs- und Reformkommission, Caizong [2006] 7 hao
Ausweitung der Steuer- und Abgabenermäßigung (Guofa [2005] 36) auch auf Hochschulabsolvent/innen, die Individualunternehmen gründen und innerhalb von zwei Jahren nach Hochschulabschluss bei Industrie- und Handelsbehörden registrieren Konkretisierung der erlassenen Gebühren- und Steuerarten; auch gültig für Freigesetze und Arbeitslose mit Individualunternehmen
Leitlinien zur Verbesserung von Finanzdienstleistungen für Migranten (Guanyu gaijin he jiaqiang dui nongmingong jinrong fuwu gongzuo de zhidao yijian) 14.8.2006, Zentralbank, Yinfa [2006] 287 hao
Migrant/innen sollen durch „effektive Maßnahmen“ bei Existenzgründung in Städten und im Heimatort unterstützt werden; keine Details
Gesetz zur Beschäftigungsförderung der VR China (Zhonghua Renmin Gongheguo jiuye cujin fa) 30.8.2007, in Kraft 1.1.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
Steuervergünstigungen für KMU sowie Individualunternehmen, die von Arbeitslosen gegründet werden (Art. 17) Unterstützung von arbeitslosen Existenzgründer/innen durch Geschäftsräume und Befreiung von Verwaltungsgebühren (Art. 18) Lokalregierungen sollen spezielle Beschäftigungsfonds einrichten und finanzieren, aus denen u.a. Kosten für Mikrokreditgarantien und Zinssubventionen für Mikrokredite bezahlt werden (Art. 15 und 19) Politikberatung, Berufsqualifizierung und Existenzgründungstraining für Arbeitslose, die Individualunternehmen gründen (Art. 24, 46, 49, 50)
Bekanntmachung zur Verbesserung der Beschäftigungsförderung (Guanyu zuohao cujin jiuye gongzuo de tongzhi) 3.2.2008, Staatsrat, Guofa [2008] 5 hao
bestätigt bisherige Förderpolitik für Mikrounternehmen; Ziele für 2008: Verbesserung Bedingungen und Politiken für Existenzgründungen; Aufbau koordinierten Unterstützungssystems mit Gründungsdienstleistungen und –training; Vereinfachung Verwaltungsaufwand; Ausbau Finanzierungswege für Mikrounternehmen; Gründergeist fördern und mehr Beschäftigte und Hochschulabsolventen zu Existenzgründern machen
2. Existenzgründungstrainings Bekanntmachung zur Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit für Arbeitslose und Freigesetzte (Guanyu jinyibu zuohao xiagang shiye
legt Ziele der Wiederbeschäftigungsarbeit der Regierung fest mit Gültigkeit vom 1.10.2002 bis 31.12.2005 zuständige Behörden sollen Arbeitslose und Freigesetzte zu Existenzgründung beraten und anleiten und über Förderpoliti-
212 renyuan zaijiuye gongzuo de tongzhi) 30.9.2002, Staatsrat, Zhongfa [2002] 12 hao
8 Anhang
ken informieren; Existenzgründungstraining durchführen
Vorläufigen Arbeitsstandards zur Einrichtung nationaler Pilotbasen für Existenzgründung (Guojia chuangye shifan jidi jianshe gongzuo biaozhun (zanxing)) 25.3.2004, Sekretariat des MoLSS, Laoshetinghan [2004] 84 hao
Aufgabenfestlegung für 10 Pilotstädte für staatliche Existenzgründungskurse in 1. Phase des SIYB-Projekts; konkrete Zielvorgaben Ausbildung von Trainern für Existenzgründungskurse, Durchführung von Trainings, Beratung, Anleitung, Förderung Erfahrungsaustausch Kooperation mit Gewerkschaftsbund, Jugendliga, Frauenverband und privaten Trainingsanbietern, um deren Dienstleistungen zu verbessern; innerhalb der Provinz Erfahrungsaustausch mit 5-10 Städten
Bekanntmachung zur weiteren Umsetzung und Ausweitung des Projekts „Start and Improve Your Business“ (SIYB) (Guanyu jinyibu zuohao „Chuangban he gaishan nide qiye“ (SIYB) xiangmu shishi tuiguang gongzuo de tongzhi) 5.9.2005, Sekretariat des MoLSS, Laoshetinghan [2005] 307 hao
Aufgabenfestlegung für 2. Phase des SIYB-Projekts, Juli 2005 bis Juli 2006: Erhöhung der Reichweite (konkrete Zielvorgaben) Schwerpunkt der Projektausweitung auf vier Provinzen Sichuan, Yunnan, Guangxi, Guangdong; zudem 100 Schwerpunktstädte als Kooperationszentren für Gründungstraining weiter Training für Freigesetzte und Arbeitslose; zusätzlich Migrant/innen und Student/innen, dabei Anpassung der Methoden
Bekanntmachung zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo de tongzhi) 4.11.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 36 hao
legt Ziele der Wiederbeschäftigungsarbeit der Regierung fest mit Gültigkeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2008 alle Städte sollen Existenzgründungstraining einführen zuständige Behörden sollen Arbeitslose und Freigesetzte zu Existenzgründung beraten und anleiten und über Förderpolitiken informieren Arbeitslose, Freigesetzte und ländliche Migrant/innen erhalten staatliche Subvention für Teilnahme an Existenzgründungstraining (einmalig)
Durchführungsvorschläge zur Bekanntmachung des Staatsrats zur weiteren Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu guanche luoshi guowuyuan jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gonzuo tongzhi ruogan wenti de yijian) 20.1.2006, MoLSS und 17 weitere Organe, Laoshebufa [2006] 6 hao Bekanntmachung zur Durchführung der dritten Phase des SIYB-Projekts (Guanyu zuohao chuangban he gaishan nide qiye (SIYB) xiangmu sanqi gongzuo de tongzhi) 9.6.2006, Sekretariat des MoLSS, Laoshetinghan [2006] 244 hao
Aufgabenfestlegung für 3. Phase des SIYB-Projekts, Juli 2006 bis Juni 2007 (konkrete Zielvorgaben) vollständige Implementierung in 6 Provinzen, je Provinz 3 Schwerpunktstädte; Weitergabe neuester Erfahrung an Pilotstädte aus Phasen 1 und 2 sowie an 100 Schwerpunktstädte aus Phase 2 Steigerung der Trainingsqualität, moderne internationale Methoden, Vervollkommnung von Training, Kreditgarantien, Zusatzdienstleistungen; Sicherung der Nachhaltigkeit Zielgruppe: Freigesetzte und Arbeitslose, Jugendliche, Migrant/innen zusätzliche Einführung der Module Improve Your Business
8.1 Nationale Regulierungen zu informeller Beschäftigung
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und Expand Your Business für KMU Gesetz zur Beschäftigungsförderung der VR China (Zhonghua Renmin Gongheguo jiuye cujin fa) 30.8.2007, in Kraft 1.1.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
Anleitung Arbeitsloser zur Gründung von Individualunternehmen; Bereitstellung von Politikberatung, Berufsqualifizierung und Gründungstraining (Art. 24) lokale Arbeitsbehörden zuständig für Koordinierung und Unterstützung von Bildungsinstitutionen für Existenzgründungstraining sowie für Überzeugung von Arbeitskräften, daran teilzunehmen (Art. 46) Arbeitslose erhalten Subventionen für Trainingsteilnahme (Art. 49) Migrant/innen sollen zu Trainingsteilnahme animiert werden; Bildungsträger sollen Berufs- und Existenzgründungstraining für Migrant/innen anbieten (Art. 50)
Bekanntmachung zur Intensivierung von Existenzgründungstrainings zur Förderung der Wiederbschäftigung (Guanyu jinyibu jiaqiang chuanye peixun tuijin chuangye cu jiuze gongzuo de tongzhi) 6.9.2007, MoLSS, Laoshebufa [2007] 30 hao
Anweisungen zur landesweiten Verbreitung von Existenzgründungstraining (konkrete Zielvorgaben) Kooperation mit Gewerkschaftsbund, Jugendliga und Frauenverband Ausweitung der Zielgruppe: Freigesetzte und Arbeitslose, Student/innen, Migrant/innen, ehemalige Soldat/innen, Behinderte Æ Anpassung der Materialien an neue Zielgruppen Ausweitung und Qualitätserhöhung in Trainerausbildung; Fachkräfte und Beratungsexperten gewinnen, Begleitung durch Kreditgarantien, Gründungszentren, Durchsetzung von Vergünstigungspolitiken (Steuerermäßigungen etc.), Begleitdienstleistungen 3. Mikrokreditgarantien
Gesetz zur Förderung von Klein- und mittleren Unternehmen (Zhonghua Renmin Gongheguo zhongxiao qiye cujinfa) Juni 2002, Ständiger Ausschuss des NVK
Unterstützung von Kreditgarantieinstituten zentrale Aufgabe des staatlichen KMU-Entwicklungsfonds Erhöhung und Verbesserung des Angebots an Mikrokrediten Staatliche Förderung eines Kreditsystems für KMU Einrichtung von Kreditgarantiefonds für KMU
Bekanntmachung zur Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit für Arbeitslose und Freigesetzte (Jinyibu zuohao xiagang shiye renyuan zaijiuye gongzuo de tongzhi) September 2002, Staatsrat, Zhongfa [2002] 12 hao
alle Provinzen sollen Kreditgarantiefonds für Freigesetzte und Arbeitslose einrichten Finanzierung von Finanzbehörden der Lokalregierungen; finanzielle Unterstützung aus Budget der Zentralregierung Details zu Kredithöhe und –verfahren
Verwaltungsvorschrift zu Mikrokreditgarantiefonds für Freigesetzte und Arbeitslose (Xiagang shiye renyuan xiao’e danbao daikuan guanli banfa) 2002, Zentralbank, Finanzministerium, Nationale Wirtschafts- und Handelskomission, MoLSS; Yinfa [2002] 394 hao
Zielgruppe von Mikrokreditgarantien sind Arbeitslose und Freigesetzte unter 60 Jahren Details zu Antragsprozess, Kredithöhe und –laufzeit, Zinsen und Subventionen sowie Verwaltung der Kreditgarantiefonds
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8 Anhang
Verwaltungsvorschrift zum Zinssubventionsfonds für Mikrokreditgarantien für Freigesetze und Arbeitslose mit Kleingewinn-Projekten (Xiagang shiye renyuan congshi weili xiangmu xiao’e danbao daikuan caizheng tiexi zijin guanli banfa) 2003, Finanzministerium, Zentralbank, MoLSS, Caijin [2003] 70 hao
100%ige Zinssubvention bei Mikrogarantiekrediten für Arbeitslose und Freigesetzte mit „Kleingewinn-Projekten“ Finanzierung durch Finanzministerium; in 7 Ostprovinzen durch lokalen Finanzetat Details zu Anträgen, Prüfung, Verwaltung
Bekanntmachung: Die Arbeit von Mikrokreditgarantiefonds für Freigesetzte und Arbeitslose vorantreiben (Guanyu jinyibu tuijin xiagang shiye renyuan xiao’e danbao daikuan gongzuo de tongzhi) März 2004, Zentralbank, Finanzministerium, MoLSS, Yinfa [2004] 51 hao
Maßnahmen zur Verbesserung von Management, Risikokontrolle und Antragsformalitäten bei Mikrokreditgarantiefonds Förderung von Krediten für arbeitsintensive Kleinunternehmen, die Arbeitslose und Freigesetzte einstellen
Bekanntmachung des Staatsrats zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit (Guowuyuan guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo de tongzhi) 4.11.2005, Staatsrat, Guofa [2005] 36 hao
legt Ziele der Wiederbeschäftigungsarbeit der Regierung fest mit Gültigkeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2008 Förderung von Selbstbeschäftigung als wichtiger Weg der Wiederbeschäftigung soll von allen involvierten Ministerien und Behörden auf zentraler, Provinz- und Lokalebene unterstützt werden u.a. durch Mikrokreditgarantien für Freigesetzte und Arbeitslose (incl. demobilisierte Soldaten), die Individualunternehmen gründen bestätigt bisherige Politik zu Mikrokreditgarantien Ausweitung der Antragsberechtigung auf Hochschulabsolventen mit Arbeitslosenzertifikat, die Individualunternehmen führen
Durchführungsvorschläge zur Bekanntmachung des Staatsrats zur weiteren Intensivierung der Wiederbeschäftigungsarbeit (Guanyu guanche luoshi guowuyuan jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gonzuo tongzhi ruogan wenti de yijian) Januar 2006, MoLSS und 17 weitere Organe; Laoshebufa [2006] 6 hao Bekanntmachung zur Verbesserung der Mikrogarantiekreditpolitik (Guanyu gaijin he wanshan xiao’e danbao daikuan zhengce de tongzhi) Januar 2006, Zentralbank, Finanzministerium, MoLSS, Yinfa [2006] 5 hao
Antragsberechtigt für Mikrogarantiekredite zusätzlich Hochschulabsolventen, die nach Westchina gehen bzw. in Orten bis Kreisebene Unternehmen gründen Zinssubventionen: 100% bei Kleingewinn-Projekten, 50% für Arbeitslose, 50% für Hochschulabsolventen mit KleingewinnProjekten Kosten teilen sich Finanzministerium und lokale Finanzbehörden Kreditkommunen
Gesetz zur Beschäftigungsförderung der VR China (Zhonghua Renmin Gongheguo jiuye cujin fa) 30.8.2007, in Kraft 1.1.2008, Ständiger Ausschuss des NVK
Lokalregierungen sollen spezielle Beschäftigungsfonds einrichten und finanzieren, aus denen u.a. Kosten für Mikrokreditgarantien und Zinssubventionen für Mikrokredite bezahlt werden (Art. 15) Staat soll Finanzierungsmöglichkeiten und Kreditunterstützung für KMU ausweiten und Kleinkredite an Personen vergeben, die Unternehmen gründen (Art. 19)
8.2 Regulierungen zu informeller Beschäftigung in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
Bekanntmachung für die weitere Intensivierung der Verwaltung von Mikrokreditgarantien zur aktiven Förderung von Existenzgründungen und Beschäftigung (Guanyu jinyibu gaijin xiao’e danbao daikuan guanli jiji tuidong chuangye cu jiuye de tongzhi) 4.8.2008, Zentralbank, Finanzministerium, MoHRSS, Yinfa [2008] 238 hao
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für Mikrogarantiekredite ab 1.1.2008 3% Aufschlag auf Zentralbank-Zinssatz; Zinsen für Kleingewinnprojekte vollständig von Zentralregierung übernommen Zielgruppe: arbeitslose Städter und Personen mit Beschäftigungsschwierigkeiten; konkrete Bedingungen müssen Provinzen festlegen maximale Kreditsumme 50.000 RMB; für Partnerschaftsunternehmen ggf. mehr Vereinfachung und Verkürzung der Antragsverfahren, v.a. für Personen mit hoher Kreditwürdigkeit Verbesserung Risikomanagement der Garantiefonds; Provinzen müssen jährlich Mittel für Kompensationen bereitstellen; Zentrale stellt Mittel bereit, um bedürftigen Provinzfonds zu unterstützen sowie effiziente Finanz- und Garantieinstitute bzw. Kreditkommunen zu belohnen engere Verzahnung von Mikrokreditgarantien, Kreditkommunen und Existenzgründungstraining; engere Kooperation zwischen lokalen Arbeitsämtern, Finanzämtern und Zentralbank
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8 Anhang
8.2 Regulierungen zu informeller Beschäftigung in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
8.2.1 Sozialversicherung Beijing Shi Laodongju (Arbeitsamt der Stadt Beijing): Nongmin hetongzhi zhigong canjia Beijing shi yanglao, shiye baoxian zanxing banfa (Bestimmungen zur Teilnahme ländlicher Vertragsarbeiter an Renten- und Arbeitslosenversicherung in Beijing), Jiglao xianfa [1999] 99 hao, 17.5.1999. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Beijing): Guanyu Beijing shi feiquanri zhi jiuye guanli ruogan wenti de tongzhi (Bekanntmachung zu einigen Verwaltungsfragen für Teilzeitbeschäftigung in Beijing), Jing laoshe banfa [2003] 68 hao, 23.4.2003. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Beijing): Guanyu tiaozheng Beijing shi 2007 nian zuidi gongzi biaozhun de tongzhi (Bekanntmachung zur Anpassung des Mindestlohnstandards 2007 in Beijing), Jing laoshe zifa [2007] 111 hao, 28.6.2007. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Beijing): Beijing shi waidi nongmingong canjia jiben yiliao baoxian zhixing banfa (Durchführungsbestimmungen der Stadt Beijing zur Teilnahme externer Migranten an der Basiskrankenversicherung), Jing laoshe banfa [2004] 101 hao, 28.7.2004. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Beijing): Guanyu guanche shishi „Beijing shi jiben yanglao baoxin guiding“ youguan wenti de juti banfa“ (Detailmaßnahmen zur Umsetzung der „Bestimmung zur Rentenversicherung der Stadt Beijing“), 1.3.2007. Beijing Shi Shehui Baoxian Jijin Guanli Zhongxin (Verwaltungszentrum des Sozialversicherungsfonds der Stadt Beijing): Guanyu 2007 niandu Beijing shi shehui baoxian jiaofei gongzi jishu youguan wenti de tongzhi (Bekanntmachung zu einigen Fragen der Beitragsbasis für Sozialversicherungszahlungen in Beijing), 27.3.2007. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Beijing): Guanyu tongyi 2008 niandu gexiang shehui baoxian jiaofei gongzi jishu he jiaofei jin’e de tongzhi (Vereinheitlichung der verschiedenen Berechnungsgrundlagen und Beitragssätze für Sozialversicherung 2008), Jing Shebao Fa [2008] 22 hao, 1.4.2008. Shanghai Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Shanghai): Shanghai shi wailai congye renyuan zonghe baoxian zanxing banfa (Maßnahmen zur Universalversicherung für externe Arbeitskräfte in Shanghai), [2002] 123 hao, 1.9.2002. Shanghai Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Shanghai): Guanyu xiugai „Shanghai shi wailai congye renyuan zonghe baoxian zanxing banfa“ de guiding (Bestimmung zur Korrektur der „Maßnahmen zur Universalversicherung für externe Arbeitskräfte in Shanghai“), [2004] 34 hao, 30.8.2004. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shanghai): Guanyu guanche „Shanghai shi wailai congye renyuan zonghe baoxian zanxing banfa“ de shishi xüze (Spezifizierungen zur Implementierung der „Maßnahmen zur Universalversicherung für externe Arbeitskräfte in Shanghai“), Hu Laobao Jiufa [2005] 8 hao, 15.3.2005. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shanghai): Queding feizhenggui jiuye de ladong zuzhi congye renyuan jiaona shehui baoxianfei gongzi jishu de tongzhi (Bekanntmachtung zur Festlegung der Beitragsbasis für Informelle Beschäftigungsorganisationen), Hu Laobao Jifa [2006] 8 hao, 29.3.2006; sh.bendibao.com 17.12.2007. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju, Shanghai shi Yiliao Baoxian Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shanghai, Krankenversicherungsamt der Stadt Shanghai): Guanyu benshi
8.2 Regulierungen zu informeller Beschäftigung in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
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feiquanri zhi jiuye de ruogan wenti de tongzhi (Bekanntmachtung zu einigen Fragen der Beschäftigung von Teilzeitarbeitskräften), 19.6.2007. Shanghai Shi Shehui Baoxian Shiye Jijin Jiesuan Guanli Zhongxin (Berechnungs- und Verwaltungszentrum des Sozialversicherungsfonds der Stadt Shanghai): Tiaozheng 2007 niandu shehui baoxian jiaofei edu de tongzhi (Bekanntmachung zur Anpassung der Beitragssumme 2007), 5.4.2007; sh.bendibao.com 17.12.2007. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shanghai): Guanyu tiaozhen benshi xiaoshi zuidi gongzi biaozhun de tongzhi (Bekanntmachung zur Anpassung des Mindeststundenlohns in Shanghai), Hu Laobao zongfa [2008] 24 hao, 24.3.2008. Shenzhen Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shenzhen): Shenzhen shi shehui yiliao baoxian banfa (Maßnahmen zur Krankenversicherung der Stadt Shenzhen), 1.3.2008. Shenzhen Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Shenzhen): Shenzhen linghuo jiuye renyuan banli shebao zhinan (Leitfaden für die Sozialversicherung von informell Beschäftigten), 22.4.2008. Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju, Shi Jiaynzu Gongchengju (Arbeits- und Sozialamt, Bauamt der Stadt Nanjing): Guanyu nongmingong canjia gongshang baoxian youguan wenti de tongzhi (Bekanntmachung zu einigen Fragen der Teilnahme von Arbeitsmigranten an der Arbeitsunfallversicherung), 1.12.2006. Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Nanjing): Nanjng shi gongbu 2007 nian jiaofe jishu biaozhun (Veröffentlichung der Beitragssätze für 2007 in Nanjing), 6.9.2007. Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Nanjing): Guanyu tiaozheng Nanjing shi zuidi gongzi biaozhun de tongzhi (Bekanntmachung zur Anpassung des Mindestlohnstandards in Nanjing), Ning Laoshe Xin [2007] 7 hao, 1.10.2007. Nanjing Shizhengfu Bangongting (Büro der Stadtregierung Nanjing) et al.: Guanyu „Nanjing shi jianzhuye nongmingong shehui baoxian shishi banfa“ de tongzhi (Bekanntmachtung zu den „Implementierungsmaßnahmen der Sozialversicherung für Migranten in der Baubranche der Stadt Nanjing“), Ningzheng banfa [2007] 132 hao, 1.10.2007. Nanjingshi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Nanjing): Nanjing shi chengzhen shehui jiben yiliao baoxian banfa (Krankenversicherungsverordnung der Stadt Nanjing), Nanjingshi Renmin Zhengfu Ling [2007] 265 hao, 27.11.2007, in Kraft 1.4.2008. Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Arbeits- und Sozialamt der Stadt Nanjing): Feiquanri zhi laodong hetong shu (Arbeitsverträge für Teilzeitbeschäftigte), 2008.
8.2.2 Mikrounternehmen Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Beijing Shi Caizhengju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung, Steueramt der Stadt Beijing): Guanyu yinfa Beijingshi chuangye peixun butie jingfei guanli banfa de tongzhi (Bekanntmachung zur Implementierung der Verwaltungsvorschrift zu Subventionszahlungen für Existenzgründungskurse in Beijing), Jing laoshe peifa [2005] 104 hao, 26.7.2005. Beijing Shi Caizhengju, Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Zhongguo Renmin Yinhang Yingye Guanlibu (Finanzamt und Amt für Arbeit und Sozialversicherung Beijing, Geschäftsverwaltungsamt der People’s Bank of China): Guanyu yinfa „Beijing shi xiao’e danbao daikuan guanli shishi zanxing banfa“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Vorläufigen Maßnahmen zur Verwaltung und Implementierung von Mikrogarantiekrediten der Stadt Beijing“), Jingcai jingyi [2006] 534 hao, 13.3.2006.
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8 Anhang
Beijing Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Beijing): Guanche luoshi Guowuyuan guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo wenjian de tongzhi (Bekanntmachung zur Implementierung des Staatsratsdokuments zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit), Jingzhengfa [2006] 4 hao, 20.3.2006. Beijing Shi Caizhengju, Beijing Shi Guojia Shuiwuju, Beijing Shi Difang Shuiwuju (Finanzamt, Staatliches Steueramt, Regionalsteueramt der Stadt Beijing): Zhuanfa Caizhengbu, Guojia Caizhengju guanyu xiagang shiye renyuan zaijiuye youguan shuishou zhengce wenti de tongzhi (Verbreitung der Bekanntmachung des Finanzministeriums und des Staatlichen Gesamtsteueramtes zu einigen Fragen der Steuerpolitik zur Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen und Freigesetzten), Jingcaishui [2006] 464 hao, 30.3.2006. Beijing Shi Caizhangju, Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Zhongguo Renmin Yinhang Yingye Guanlibu (Finanzamt und Amt für Arbeit und Sozialversicherung Beijing, Geschäftsverwaltungsamt der People’s Bank of China): Guanyu yinfa „Beijingshi shiye renyuan congshi weili xiangmu xiao’e danbao daikuan caizheng tiexi guanli banfa“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Verwaltungsmaßnahmen für Zinssubventionen für Mikrogarantiekredite von Arbeitslosen mit Kleingewinnprojekten der Stadt Beijing“), Jingcai jinrong [2006] 806 hao, 16.5.2006. Beijing Shi Caizhangju, Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Zhongguo Renmin Yinhang Yingye Guanlibu (Finanzamt und Amt für Arbeit und Sozialversicherung Beijing, Geschäftsverwaltungsamt der People’s Bank of China): Guanyu yinfa „Beijingshi shiye renyuan congshi weili xiangmu xiao’e danbao daikuan caizheng tiexi guanli banfa buchong guiding“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Ergänzenden Regulierungen zu den Verwaltungsmaßnahmen für Zinssubventionen für Mikrogarantiekredite von Arbeitslosen mit Kleingewinnprojekten der Stadt Beijing“), Jingcai jinrong [2008] 1987 hao, 8.9.2008. Beijing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Beijing Shi Nongcun Gongzuo Weiyuanhui (Amt für Arbeit und Sozialversicherung, Ständiger Ausschuss für Ländliche Arbeit der Stadt Beijing): Guanyu zuohao 2008 niandu benshi nongcun laodongli chuangye peixun gongzuo youguan wenti de tongzhi (Bekanntmachung zu Fragen der Durchführung der Existenzgründungsarbeit für ländliche Arbeitskräfte der Stadt Beijing 2008), Jing laoshe fufa [2008] 149 hao, 18.8.2008. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung der Stadt Shanghai): Guanyu guifan feizhenggui jiuye laodong zuzhi guanli de ruogan yijian (Einige Vorschläge zur Regulierung der Verwaltung von Informellen Beschäftigungsorganisationen), Hu laobao jiufa [2003] 34 hao, 15.7.2003. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung der Stadt Shanghai): Guanyu yinfa „Guanyu cujin jiuye zhuanxiang zijin danbao kaiye daikuan de buchong yijian“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Ergänzenden Vorschläge zu Garantien für Existenzgründungskredite aus dem Spezialfonds für Beschäftigungsförderung“), Hu laobao jiufa [2004] 22 hao, 30.4.2004. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung der Stadt Shanghai): Guanyu fuchi jianli feizhenggui jiuye laodong zuzhi chuangyeyuanqu ruogan yijian de tongzhi, Hu laobao jiu [2005] 6 hao, 9.3.2005. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung Shanghai): Guanyu yinfa „Guanyu cujin jiuye zhuanxiang zijin danbao kaiye daikuan de shihsi yijian“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Umsetzungsvorschläge für Garantien für Existenzgründungskredite aus dem Spezialfonds für Beschäftigungsförderung“, Hu laobao jiufa [2005] 30 hao, 30.8.2005. Shanghai Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Shanghai): Guanyu jinyibu jiaqiang benshi cujin jiuye gongzuo de tongzhi (Bekanntmachung zur weiteren Intensivierung der Beschäftigungsarbeit der Stadt Shanghai), Hufufa [2006] 11 hao, 15.5.2006. Shanghai Shi Caizhangju, Shanghai Shi Guojia Shuiwuju, Shanghaishi Difang Shuiwuju (Finanzamt, Staatliches Steueramt, Regionalsteueramt Shanghai): Guanyu zhuanfa „Caizhengju,
8.2 Regulierungen zu informeller Beschäftigung in Beijing, Shanghai, Shenzhen und Nanjing
219
Guojia Shuiwu Zongju guanyu xiagang shiye renyuan zaijiuye youguan shuishou zhengce wenti de tongzhi“ (Verbreitung der Bekanntmachung des Finanzministeriums und des Staatlichen Gesamtsteueramtes zu einigen Fragen der Steuerpolitik zur Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen und Freigesetzten), Hucaifa [2006] 38 hao, 7.6.2006 Shenzhen Shi Laodong he Shehui Baozhangju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung der Stadt Shenzhen): Guanyu yinfa „Shenzhenshi shiye renyuan chuangye peixun he chuangye fuwu shishi banfa“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Implementierungsmaßnahmen für Existenzgründungstraining und Existenzgründungsdienstleistungen für Arbeitslose der Stadt Shenzhen“), Shenlaoshe [2006] 140 hao, 1.9.2006. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung Shanghai): Guanyu jinyibu guli fuchi zimou jiuye he zizhu chuangye de ruogan yijian (Einige Vorschläge zur weiteren Förderung von Selbstbeschäftigung und eigenständiger Existenzgründung), Hu laobao jiufa [2007] 11 hao, 14.3.2007. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung Shanghai): Guanyu yinfa „Guanyu jinyibu guifan benshi butie peixun gongzuo de yijian“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der “Vorschläge zur weiteren Regulierung der subventionierten Trainingsarbeit der Stadt Shanghai”), Hu laobao [2007] 19 hao, 10.4.2007. Shanghai Shi Laodong he Shehui Baozhang Ju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung Shanghai): Guanyu yinfa „Guanyu jinyibu wanshan benshi chuanye peixun gongzuo de yijian“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der Vorschläge zur Verbesserung der Trainingsarbeit für Existenzgründungen der Stadt Shanghai), Hu laobao zhifa [2007] 49 hao, 12.9.2007. Shenzhen Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Shenzhen): Guanyu jinyibu jiaqiang jiuye zaijiuye gongzuo de yijian (Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Beschäftigungs- und Wiederbeschäftigungsarbeit), Shenfu [2006] 78 hao, 15.5.2006. Shenzhen Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Shenzhen Shi Shangye Yinhang (Amt für Arbeit und Sozialversicherung, Commercial Bank Shenzhen): Guanyu yinfa „Shenzhenshi shiye renyuan xiao’e danbao daikuan shishi xize“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Detailvorschriften für die Implementierung von Mikrogarantiekrediten für Arbeitslose der Stadt Shenzhen“), Shen laoshe gui [2007] 1 hao, 4.1.2007. Nanjing Shi Zhengfu Bangongting (Sekretariat der Volksregierung der Stadt Nanjing): Zhuanfa Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhangju deng bumen „Guanyu jinyibu wanshan xiagang shiye renyuan xiao’e danbao daikuan gongzuo de banfa“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Mikrogarantiekredit-Arbeit für Freigesetzte und Arbeitslose“ des Amtes für Arbeit und Sozialversicherung Nanjing sowie anderer Behörden), 1.11.2004. Nanjing Shi Zhengfu Bangongting (Sekretariat der Stadtregierung Nanjing): Zhuanfa Renhang Nanjing Fenhang Yingguanbu deng bumen „Guanyu jinyibu wanshan Nanjingshi xiagang shiye renyuan xiao’e danbao daikuan shishi yijian de buchong yijian“ de tongzhi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Ergänzenden Vorschläge zu den Implementierungsvorschlägen zur weiteren Verbesserung von Mikrogarantiekrediten für Freigesetzte und Arbeitslose der Stadt Nanjing“ der Geschäftsverwaltungsabteilung der Nanjinger Filiale der People’s Bank of China und weiterer Behörden), Ningzheng banfa [2005] 88 hao, 23.8.2005. Zhongguo Renmin Yinhang Nanjing Fenhang, Jiangsu Sheng Caizhengting, Jiangsu Sheng Laodong he Shehui Baozhangting (Nanjinger Filiale der People’s Bank of China, Finanzamt der Provinz Jiangsu, Amt für Arbeit und Sozialversicherung der Provinz Jiangsu): Guanyu zhuanfa „Zhongguo Renmin Yinhang, Caizhengbu, Laodong he Shehui Baozhangbu guanyu gaijin he wanshan xiao’e danbao daikuan zhengce de tongzhi“ de tongzi (Bekanntmachung zur Verbreitung der „Bekanntmachung der People’s Bank of China, des Finanzministeriums und des Ministeriums für Arbeit und Sozialversicherung zur Verbesserung und Vervollkommnung der Politiken für Mikrogarantiekredite“), Nanyinfa [2006] 23 hao, 10.3.2006.
220
8 Anhang
Nanjing Shi Renmin Zhengfu (Volksregierung der Stadt Nanjing): Guanyu jinyibu guli chushixing zizhu chuangye daidong jiuye gongzuo de tongzhi (Bekanntmachung zur weiteren Intensivierung von Beschäftigungsschaffung durch die Förderung erstmaliger selbständiger Existenzgründungen), Ningzhengfa [2007] 196 hao, 16.7.2007. Nanjing Shi Laodong he Shehui Baozhangju, Nanjing Shi Caizhengju (Amt für Arbeit und Sozialversicherung, Finanzamt Nanjing): Guanyu jinyibu wanshan woshi chengxiang tongchou zhiye peixun butie zhengce de yijian (Vorschläge zur weiteren Verbesserung von gemeinsamen Subventionen für Berufstrainings in Stadt und Land der Stadt Nanjing), Ninglaoshe zhipei [2008] 1 hao, 28.4.2008.
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