Helmut Baumgarten (Hrsg.)
Das Beste der Logistik
Innovationen, Strategien, Umsetzungen
Helmut Baumgarten (Hrsg.)
Das Beste der Logistik Innovationen, Strategien, Umsetzungen
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Herausgeber Prof. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten Technische Universität Berlin Fakultät Wirtschaft und Management Institut für Technologie und Management Bereich Logistik Straße des 17. Juni 135 10623 Berlin
[email protected]
Unter Mitarbeit von Nils von Dietman Andreas Wieland Wolf-Christian Hildebrand Martin Keßler Dr. Jack Thoms
Mit freundlicher Unterstützung der Bundesvereinigung Lagistik (BVL) e. V., Schlachte 31, 28195 Bremen
ISBN: 978-3-540-78404-3
e-ISBN: 978-3-540-78405-0
DOI 10.1007/978-3-540-78405-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Beitrag „Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie“ hat abweichend hiervon © AUDI AG 2008 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und MarkenschutzGesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Lektorat und Korrektur: Reiner Juring, Bielefeld Gestaltung und Satz: designhaus berlin Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg, nach Vorlage vom designhaus berlin Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.com
Vorwort
Drei Jahrzehnte ist es her, dass eine Handvoll Wissenschaftler und Manager den Begriff der Logistik als neuen unternehmerischen Denkansatz in Deutschland etablierte. Die Generation der Logistik-Pioniere in Wissenschaft und Praxis wird derzeit abgelöst durch junge, innovative Logistiker der nachfolgenden Generation. Die Logistik ist indessen nicht nur fest in den Unternehmen verankert, sie ist auch zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Die Leistungen beim Aufund Ausbau logistischer Systeme und logistischer Infrastruktur sind gewaltig, gleichzeitig hat sich Deutschland auf diesem Gebiet weltweit eine Spitzenposition erarbeitet. Die Wissenschaft hat umfangreiche Curricula zur Deckung einer künftig weiter steigenden Nachfrage nach qualifiziertem Nachwuchs geschaffen und gewährleistet mit neuen Forschungsfeldern die stetige Weiterentwicklung des Logistik-Wissens. Zeit also, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Das Spektrum logistischer Aufgaben und Verantwortungsbereiche ist heute so vielfältig, dass ein vollständiges Abbild der Logistik in einem Buch kaum möglich ist. Hier soll das derzeit Beste aus Forschung und Praxis in der Logistik präsentiert werden, dazu gehören die innovativsten Ideen, die erfolgreichsten Strategien und die besten Umsetzungen. Die Auswahl fällt nicht leicht, viele exzellente Lösungen sind inzwischen am Markt zu finden. Ich freue mich, eine Reihe herausragender Praktiker und Wissenschaftler, darunter mehrere Träger des Deutschen Logistik-Preises und anderer Auszeichnungen, für dieses Buch gewonnen zu haben. Die Autoren gehören zur Spitze der logistischen Praxis und Forschung und stehen stellvertretend für eine außerordentlich innovative Branche, die mit ihrer dynamischen Entwicklung die Position der deutschen Wirtschaft im globalen Wettbewerb maßgeblich stützt. In Zeiten schwankender Marktentwicklungen, volatiler Rohstoffpreise und Wechselkurse sowie sich verändernder politischer Rahmenbedingungen warten heute bereits neue Herausforderungen auf Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen. Wir stehen vor einer weiteren Etappe der faszinierenden Entwicklung der Logistik. Die Verkehrsinfrastruktur – national wie international – muss auf einen stetig wachsenden weltweiten Warenverkehr vorbereitet werden, und die Unternehmen müssen ihre Prozesse mithilfe neuer IT-Lösungen effizient, anpassungsfähig und flexibel gestalten. Die Anfänge hierfür sind bereits gemacht. Und so bietet dieses Buch nicht nur Gelegenheit, den erfolgreichen Entwicklungspfad der Logistik und ihre aktuellen Leistungen zu dokumentieren, sondern auch einen optimistischen Ausblick zu wagen auf die vielen spannenden Zukunftsfelder einer chancenreichen Branche und eines attraktiven Forschungszweiges. Mein besonderer Dank gilt den über fünfzig Autoren für ihre große Bereitschaft, an diesem Buch mitzuwirken. Die Diskussionen und die Durchsicht der Beiträge haben mir große Freude bereitet. Besonderer Dank gilt weiterhin der Bundesvereinigung Logistik, insbesondere deren Vorsitzendem des Vorstands Prof. Dr. Raimund Klinkner und dem Geschäftsführer Dr. Thomas Wimmer, die sich für die Idee begeistern ließen und die Erstellung des Buches durch ihre Unterstützung ermöglicht haben. Herzlich danken möchte ich meinen Mitarbeitern Nils von Dietman, Andreas Wieland, Martin Keßler, Wolf-Christian Hildebrand und Dr. Jack Thoms für die umfassende Unterstützung bei der wissenschaftlichen und administrativen Herausgeberarbeit.
Berlin, im April 2008
Helmut Baumgarten
Inhalt
Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz Helmut Baumgarten
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1. Der Logistik-Faktor – Bedeutung einer exzellenten Logistik Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik Hanspeter Stabenau
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„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik Raimund Klinkner, Thomas Wimmer
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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten Matthias von Randow
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Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren Dirk Reich, J. Rod Franklin
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland Wolf-Christian Hildebrand, Angela Roth
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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen Christopher Jahns, Inga-Lena Darkow
81
2. Innovationen – Logistik ist Wandel Wert- und innovationsorientierte Logistik – Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg Hans-Christian Pfohl, Holger Köhler, Carsten Röth
91
Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service Michael ten Hompel
103
Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik Gerd Wolfram
113
Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken Stefan Wolff, Wendelin Groß
121
Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik Stefan Fischer
137
Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement Klaus-Stephan Otto
147
3. Strategien – Entwicklung einer logistikorientierten Unternehmensführung Entwicklungspfade der Logistik Horst Wildemann
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Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft Joachim Zentes
175
Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie Ernst-Hermann Krog, Katsiaryna Statkevich
185
Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor Michael J. Kolodziej, Petra Mostberger, Michael Sternbeck
197
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen Tony Van Osselaer
209
Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene Norbert Bensel
219
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte Michael Kubenz
229
Assessing the State of Supply Chain Management Thomas W. Speh
245
4. Umsetzungen – Unternehmen im kooperativen Transformationsprozess Die Fabrik von heute für das Auto von morgen Nikolaus Bauer
257
Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung Ekkehard Gericke
269
Extremlogistik im Landmaschinenbau Ulf Leinhäuser, Josip T. Tomasevic, Bülent Ileri, Peter Rudzio
281
Convenient Logistics Christian Berner
293
Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main Karl-Rudolf Rupprecht, Hartmut Zadek
303
Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts Niklas Wilmking
319
5. Logistik der Zukunft – Motor der globalen Vernetzung Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft Peter Klaus
333
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia Mark Goh, Luo Lei, Robert de Souza
353
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market Ludmila Simonova
369
Veränderung globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs Roland Zibell
381
Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung Detthold Aden
391
Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit Kay Middendorf
405
Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025 Stefan Walter, Heiko A. von der Gracht, Florian Schick
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Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz
Helmut Baumgarten Herausgeber
Prof. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten Jahrgang 1937 Baumgarten gründete den Bereich Logistik an der TU Berlin und baute ihn zu einer der führenden Forschungsund Ausbildungsinstitutionen aus. Er war langjähriger Direktor des Instituts für Technologie und Management. Er gehört zu den Gründern der ganzheitlichen und prozessorientierten Logistik. Schwerpunkte seiner Tätigkeiten waren auch die Weiterentwicklung der Berufsbilder von Wirtschaftsingenieuren und Logistikern. Er ist Mitbegründer der BVL und Mitinitiator des jährlichen Logistik-Kongresses in Berlin, heute Ehrenmitglied. Er war langjähriges Vorstandmitglied im Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) und langjähriges Mitglied des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums. Baumgarten gründete mehrere Unternehmen, u. a. die Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU) GmbH und die Logplan Airport Logistics Consulting GmbH Berlin, Frankfurt/Main, Denver. Er ist Berater für die Bereiche Logistik und Unternehmensplanung. Baumgarten ist Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse (2003) und wurde in die Logistik Hall of Fame aufgenommen (2007).
Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz Helmut Baumgarten
Exzellenz findet sich auf allen Ebenen der Logistik, in Innovationen, Strategien und Umsetzungen. Es findet ein Wechselspiel zwischen Unternehmen und der Forschung statt, Innovationen und Strategien aus Forschung und Entwicklung werden in die Praxis rückgekoppelt und müssen ihre Relevanz in der Umsetzung behaupten, gleichzeitig werden Entwicklungen aus Unternehmen von der Forschung aufgegriffen. Im vorliegenden Werk werden herausragende und innovative Lösungen vorgestellt, die sich teilweise bereits bewährt und zur Steigerung von Unternehmenswerten beigetragen haben, teilweise aber auch Zukunftskonzepte, deren Umsetzung bevorsteht. Die Vielfalt der Logistik spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Autorenschaft wider, die gleichermaßen die Wissenschaft und Unternehmen aus Industrie, Handel, Dienstleistung sowie Verkehr berücksichtigt. Dokumentiert wurden dabei keine Insellösungen, sondern vielmehr bereichsübergreifende Konzepte, die dem Flussgedanken der Logistik Rechnung tragen.
Bedeutungswandel der Logistik – Evolution eines Wirtschaftsfaktors Wer hätte schon vor 30 Jahren gedacht, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Logistik als einer der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren im globalen Wettbewerb und gleichzeitig als ein Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft gelten würde? Wer hätte gedacht, dass Logistiker in den Führungsetagen von DAX-Unternehmen sitzen und sich inzwischen sogar Gedanken über die Umweltverträglichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungssysteme machen? Logistik wurde lange Zeit reduziert auf Transport, Lager und Lkw-Spediteure. Die Logistik spielte sich lediglich auf Inseln der Wertschöpfung ab, im Warenverteilzentrum, in der Produktionsversorgung, in der Distribution. Die Schnittstellen zwischen diesen Funktionsbereichen wurden vernachlässigt, was beinahe zwangsläufig zu hohen Zwischenbeständen in der Lieferkette sowie langen Durchlauf- und Lieferzeiten führen musste. Der in den 80er Jahren einsetzende Kostendruck, initiiert durch eine zunehmende weltweite Konkurrenzsituation und die be-
ginnende Übersättigung vieler Märkte, erzeugte jedoch bald neue Anforderungen an die Qualität und Effizienz der Prozessabwicklung. Insbesondere in der Automobilindustrie wurde der Druck japanischer Konkurrenten mit deutlich steigenden Marktanteilen spürbar. Unternehmen wie Toyota hatten offenbar mit neuen Produktionsmethoden den klassischen Konflikt aus Kostensenkung und Qualitätssteigerung durchbrochen. Der Handlungsbedarf wurde hierzulande erkannt, und schnell wurde deutlich, wo die Defizite der Deutschen und der Europäer lagen. Die tayloristische, funktionale Zergliederung der Produktion hatte zwar zu enormen Produktivitätssteigerungen in einzelnen Arbeitsbereichen geführt, den Wertschöpfungsprozess insgesamt jedoch unüberschaubar komplex gestaltet. Mit einfachen, flussorientierten Steuerungsprinzipien wie Kanban wurden erste Ansätze zur Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen aus Japan aufgenommen. Seither hat sich vieles in der Logistik getan. Der Blick wurde vom Produktionsprozess auf den Gesamtwertschöpfungsprozess erweitert. Vom Logistik-Pionier Automobilindustrie ist der Flussgedanke längst auf viele andere Branchen übergesprungen. Mit dem Konzept des Supply Chain Management wurde das Prozessdenken und die konsequente Kundenorientierung in vielen Branchen zum neuen Paradigma, zudem rückten Informationsströme und Kosten in den Fokus der Logistik. Die zunehmende Beschäftigung der Logistik mit Fragen des Managements und der Organisation rief bald die Wissenschaft auf den Plan. Die Transformation von Funktionsunternehmen zu kundenorientierten Prozessunternehmen warf eine Reihe technologischer und organisationstheoretischer Fragen auf, deren wissenschaftliche Klärung an einigen Universitäten in Deutschland schnell fruchtbaren Boden fand. Herausragende Persönlichkeiten, die auf wissenschaftlicher Seite die Logistik begleitet haben, konnten für dieses Buch gewonnen werden. Die Beiträge von Hanspeter Stabenau, Hans-Christian Pfohl, Joachim Zentes, Horst Wildemann und Peter Klaus verdeutlichen zum einen die Bedeutung wissenschaftlicher Wirtschaftsanalysen als wichtige Orientierung für die Praxis, zum anderen aber auch das breite Themenspektrum, das heute von
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Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz
Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Logistik abgedeckt wird. Auch wenn die Wissenschaft mit ihren Ideen der vollständigen Prozessorientierung und bestandslosen, durch Dienstleister gesteuerten, antizipativen Lieferketten der Praxis zuweilen sehr weit vorausgeeilt sein mag, ist ihre
Rolle in der Weiterentwicklung logistischen Gedankenguts heute unumstritten. Mit ihren Studien zur Entwicklung der Logistik hat auch der Bereich Logistik der TU Berlin gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik die Logistikentwicklung in Deutschland dokumentiert. Aktuelle Trends wurden aufgenommen, kritisch hinterfragt
Abb. 1: Logistik im Zeitverlauf
1970er
Beschaffung
Transport Umschlag Lagerung
Produktion
Transport Umschlag Lagerung
Absatz
Optimierung abgegrenzter Funktionen
Klassische Logistik
Vertrieb
Optimierung funktionsübergreifender Abläufe Auftragsabwicklung
Klassische Logistik 1980er
Beschaffung
Klassische Logistik
Produktion
Kunde
Logistik als Querschnittsfunktion 1990er
Aufbau und Optimierung von Prozessketten
Phase der funktionalen Integration Kunde
Auftragsabwicklung Entwicklung
Versorgung
Produktion
Distribution
Entsorgung
Kunde
Logistik integriert Funktionen zu Prozessketten Phase der unternehmensübergreifenden Integration Kunde
Logistik-Dienstleister
Lieferant
Logistik-Dienstleister
Produzent
Handel
Logistik-Dienstleister
Aufbau und Optimierung von Wertschöpfungsketten
Kunde
Logistik integriert Unternehmen zu Wertschöpfungsketten
Phase der weltweiten Integration von Wertschöpfungsketten 2000er
2010er
Logistik integriert Wertschöpfungsketten zu globalen Netzwerken unter Einbezug sozio-ökonomischer Faktoren
Aufbau und Optimierung globaler Netzwerke
Helmut Baumgarten
und kanalisiert, Strategien auf ihre Erfolgswirksamkeit hin geprüft. Die BVL bot dabei in den letzten 30 Jahren eine erfolgreiche Plattform zum Wissens- und Erfahrungsaustausch. Jährlich wachsende Mitglieder- und Teilnehmerzahlen am Deutschen Logistik-Kongress sind Indizien für das wachsende Interesse an einem intensiven Diskurs zu aktuellen logistischen Fragestellungen. Im Beitrag von Raimund Klinkner und Thomas Wimmer wird der Stellenwert der Logistik als Wirtschaftsfaktor und Impulsgeber für Veränderungen vor dem Hintergrund wachsenden Wettbewerbs herausgestellt. Die Logistik ist nach wie vor ein Wachstumsmarkt. Die Aufgabengebiete erweitern sich stetig und die Umsetzungen logistischer Konzepte erfordern einen neuen Manager-Typ, der jenseits technischer Fragestellungen und organisatorischer Fundamentaltheorien den dringend notwendigen Wandlungsprozess in den Unternehmen vorantreibt, mit Feingefühl für Bereichsinteressen und Überzeugungskraft für neue Ideen. Welche Auswirkungen dies für die akademische Ausbildung von Nachwuchsführungskräften für die Logistik hat, wird in den Beiträgen von C. Jahns/I.-L. Darkow und W.-C. Hildebrand/A. Roth im Detail dargestellt. Der Bedarf an gut ausgebildeten Logistikmanagern ist groß. Der Innovationsdruck auf die Unternehmen wächst, gleichzeitig sind viele Branchen von der vollständigen Umsetzung innovativer Kunden-Service-Strategien noch weit entfernt. Auf dem Weg zum Logistiker als Moderator interdisziplinärer Prozessteams und als Orchestrator der Supply Chain sind noch einige Hürden zu nehmen.
Im Zyklus des Wandels – Innovation, Strategieentwicklung, Umsetzung Die beachtliche, hochdynamische Entwicklung der Logistik in den vergangenen drei Jahrzehnten, wie sie im vorangegangenen Abschnitt skizziert wurde, beruht auf dem ungebrochenen Erneuerungs- und Innovationsstreben der verantwortlichen Logistiker in der Praxis, aber auch auf der zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit logistischen Herausforderungen. Ohne die konsequente Weiterentwicklung der unterstützenden Technologien und der Methoden der Managementpraxis wäre die Entwicklung der Logistik zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor im Unternehmen und zum Wirtschaftsfaktor in der Gesellschaft undenkbar gewesen. Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis hat sich dabei insbesondere in den vergangenen 15 Jahren kon-
tinuierlich verbessert. Heute ist eine zunehmend enge Verzahnung zwischen den innovativen Projektthemen der Praxis und den Forschungsinhalten der Hochschulen festzustellen. Die Zusammenarbeit reicht von gemeinsamen Forschungsprojekten und Arbeitskreisen über konkrete Forschungsaufträge bis hin zu Stiftungsprofessuren der Wirtschaft. Heute ist die Logistik in der Forschung anerkannt sowohl im Management als auch in der Technologieentwicklung und -anwendung. Allen voran hat das Internet die unternehmensinterne und -übergreifende Kommunikation essenziell verändert. Es unterstützt die dezentrale Steuerung von Netzwerken und die Umgestaltung von Wertschöpfungsnetzwerken. Durch den Rückgriff auf die Telematik sind Logistiklösungen entstanden, die zu mehr Effizienz in der Transport- und Verkehrslogistik geführt haben. So lassen sich durch den kombinierten Einsatz von GPS und bestehenden Lösungen weitreichende Verbesserungen bei der Warenverfolgung im Rahmen von Tracking und Tracing erzielen. Smart Container geben Auskunft über den Zustand von Waren und lassen sich weltweit verfolgen. Flottenmanagementsysteme erlauben eine Analyse und Steuerung von Transportmitteln und befähigen die Logistik zu zeitnahen Reaktionen auf unplanbare Ereignisse. Aktuelle technologische Innovationen wie beispielsweise RFID werden maßgeblich von der Logistik vorangetrieben, derzeit entstehen neue Forschungscluster, die eine Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf Problemstellungen der Logistik untersuchen, ähnlich wie es die Bionik seit einiger Zeit erfolgreich für den Technikbereich vorgemacht hat. So lassen sich aus der Schwarmintelligenz gewonnene Optimierungsansätze auf die Logistik übertragen, um die Transportwege zu verkürzen. Auch die Vorstellung von robusten und flexiblen Systemen in der Logistik findet in der Natur ihre Entsprechung, indem Elemente logistischer Systeme als Organe aufgefasst werden. Das zweite Kapitel dieses Buches widmet sich den Innovationen und stellt hierzu einige Vorreiter aktueller Forschungszweige in der Logistik und darüber hinaus sowie Entwicklungen in der Praxis vor, deren Ergebnisse neue Effizienzsprünge für das Management logistischer Netzwerke erwarten lassen. Trotz der Vielzahl neuer Entwicklungsperspektiven in der Logistik haben sich im Entwicklungsprozess der Logistik bis heute drei wesentliche Basisstrategien herauskristallisiert, die offensichtlich nachhaltige Gültigkeit besitzen. Kundenorientierung, Prozessorientierung und ein ganzheitlicher Managementansatz gelten gemeinhin als
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Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz
Basisstrategien der Logistik. Die Vorstellung von einer Ausrichtung des Unternehmens am Kunden hat bereits seit Langem Eingang in die Managementliteratur gefunden. Da der Kunde letztlich die Leistung des Logistiknetzes beurteilt, sind effektive und zeitnahe Antworten auf sich ständig ändernde Kundenwünsche essenzielle Komponenten einer erfolgreichen logistischen Leistungsfähigkeit – auch über die Unternehmensgrenzen hinweg. Bezogen sich die Kundenwünsche noch vor wenigen Jahren vornehmlich auf die eigentliche Funktion des Produkts, so weiteten sich die Wünsche mittlerweile auf logistische Prozesse aus, die mit dem Produkt verknüpft sind. So erwarten Kunden heute beispielsweise eine hohe Liefergeschwindigkeit und -qualität. Zunehmend werden, vor allem bei hochwertigen Produkten, Dienstleistungen Teil des Produktumfangs bis hin zu sogenannten Integrated Logistics Services. Die Umsetzung einer konsequenten Kundenorientierung ist angesichts realer, komplexer Strukturen der Lieferkette oft eine langfristige Herausforderung. Eine Auswirkung der prozessorientierten Organisationsgestaltung ist, dass aufgrund der geforderten Selbstständigkeit der prozessverantwortlichen Mitarbeiter Entscheidungsbefugnisse in die untergeordnete Hierarchiestufe delegiert werden, was häufig zum Abbau von Hierarchiestufen und somit zur Beschleunigung von Entscheidungsstrukturen führt. Die Durchsetzung des Prozessgedankens im Unternehmen und über Unternehmensgrenzen hinweg erfordert jedoch ein enges Zusammenspiel der Prozessbeteiligten, das nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Vielmehr ist von einer Reihe historisch gewachsener und systemimmanenter Zielkonflikte auszugehen, die einer am Kunden ausgerichteten, durchgängigen Prozesskette zunächst entgegenstehen. Eine ganzheitliche, integrative Betrachtung der Prozesskette, wie sie von der Theorie immer wieder gefordert wird, setzt entweder einen ausgeprägten Kooperationswillen der Supply-Chain-Partner oder eine machtgetriebene Durchsetzung prozessorientierter Konzepte durch ein fokales Unternehmen voraus. Der langjährige Kampf um die Durchsetzung neuer Hoffnungsträger der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit wie Efficient Consumer Response (ECR) und Collaborative Planning Forecasting and Replenishment (CPFR) zeugen von den organisations- und komplexitätsgetriebenen Barrieren des Supply Chain Managements. In einigen Branchen hat daher die machtgetriebene Vertikalisierung als wirksame Alternative zum kooperativen Ansatz Einzug gehalten. Insbesondere im Handel wird durch gesetzliche Auflagen, beispielsweise im Bereich der Rückverfolgbarkeit von
Produkten, der Einfluss der Handelsunternehmen auf vorgelagerte Wertschöpfungsstufen weiter zunehmen. So können zum einen der Weg des Produkts vom Hersteller bis ins Verkaufsregal verfolgt und zugleich ganzheitlich optimierte Transportkonzepte mit hohen Bündelungseffekten genutzt werden. Im dritten Kapitel werden erfolgreiche Strategien dokumentiert und anhand unterschiedlicher Branchen vielversprechende Ansätze zur Verbesserung der überbetrieblichen Abstimmung und Koordination vorgestellt. Dabei finden neben den physischen und informatorischen Prozessen heute zunehmend auch Kosten Berücksichtigung. Durch die Verkürzung von Cash-to-Cash-Cycles, die Optimierung des Kapitaleinsatzes und die Erfolgsmessung auf Basis finanzwirtschaftlicher Kennzahlen kann die Logistik heute nicht nur ihren Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes erhöhen, sondern diesen auch transparenter machen. Dies ist auch und insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass neue Logistikkonzepte häufig Gefahr laufen, als langfristig erfolgsneutrale Modeerscheinungen abgetan zu werden. Tatsächlich ist die Zweckmäßigkeit von Innovationen, Strategien und Umsetzungen in hohem Maße vom Kontext abhängig, etwa der Branche, der Unternehmensgröße oder besonderen Kundenanforderungen. Im vierten Kapitel werden erfolgreiche Umsetzungen und Logistiklösungen unter Einbeziehung ihres speziellen Kontexts vorgestellt. So muss die logistikgerechte Gestaltung eines Werkslayouts angesichts der erheblichen Investitionen die zukünftigen Anforderungen an die Fertigung für viele Jahre antizipieren. Innerhalb der Architektur von Gebäuden und Fertigungsstraßen werden zukünftig verstärkt atmende Strukturen gefordert sein, um der hohen Dynamik von Märkten, Produktgestaltung und Kundenanforderungen auf Dauer gerecht werden zu können. In anderen Bereichen gilt es, mit besonderen Serviceleistungen einen Differenzierungsvorteil gegenüber dem Wettbewerb zu schaffen. Bei der Versorgung mit Ersatzteilen für hochwertige Maschinen und Anlagen oder medizinische Geräte etwa zählt im Zweifel jede Minute in der Distribution, da Ausfallzeiten erhebliche Opportunitätskosten verursachen. In Einzelfällen können daher sogar extreme Versorgungswege per Hubschrauber oder Einzelkurier gerechtfertigt sein. Dass die so erreichten Servicekennzahlen nicht als Benchmark für alle Branchen dienen können, liegt auf der Hand. Im Groß- und Einzelhandel beispielsweise stehen bis heute überwiegend Kostenkennzahlen im Vordergrund. Durch die Optimierung des Verhältnisses aus Lagerung/Bündelung und zeitnaher
Helmut Baumgarten
Versorgung gilt es, den Zielkonflikt zwischen Transportoptimierung und Minimierung von Out-of-Stocks im Sinne des Kunden zu lösen. Einige Handelsunternehmen beginnen derzeit, sich durch stärkere Einflussnahme auf die Beschaffung in diesem Bereich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Unabhängig von der Zielsetzung logistischer Projekte gilt jedoch der Grundsatz, dass der Erfolg der Umsetzung auf Schaffung von Transparenz und intelligentem Einsatz von Kennzahlen beruht. Ohne die genaue Kenntnis der relevanten Güter-, Informations- und Finanzströme kann das Projektziel nicht klar definiert werden und die Planung läuft ins Leere. Das gilt in besonderem Maße für Großprojekte und Großereignisse. Die Vorbereitung der Olympischen Sommerspiele ist ein ausgezeichnetes Beispiel für den erheblichen Planungsaufwand, der mit der reibungslosen Durchführung einer solch komplexen und kapazitätsintensiven Logistikaufgabe verbunden ist.
Ausblick – neue Horizonte Exzellente Logistik – das ist heute weit mehr als nur Best Practice in operativen Prozessen. Exzellenz in der Logistik heißt, den Kunden zum Ausgangspunkt und Initiator der Produktgestaltung und der produktbegleitenden Serviceleistungen zu machen, das Logistiknetzwerk auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten und durch eine Beschleunigung des Innovations-Umsetzungs-Kreislaufs einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen zu generieren. Die wesentlichen Eckpfeiler der Logistik – Kundenorientierung, Prozessorientierung und ganzheitlicher, integrativer Ansatz – haben heute eine höhere Wertigkeit als in den Anfängen der Logistik vor 30 Jahren. Geändert hat sich vor allem der Bezugsrahmen. Die Auftragsabwicklung wird heute nicht mehr nur durch ein einzelnes Unternehmen hindurch gesteuert, sondern durch ein weitreichendes Netzwerk aus Vorlieferanten, Lieferanten, OEMs, Dienstleistern und Handel. Zunehmend bewegt sich die Logistik in globalen Wertschöpfungssystemen, die auf die Ausnutzung globaler Lohnkosten- und Kompetenzvorteile abzielen. Die Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen den Volkswirtschaften, die Liberalisierung von Märkten sowie sinkende Kommunikations- und Transportkosten haben in den vergangenen Jahren die Internationalisierung des Wirtschaftens nachhaltig beschleunigt. Insbesondere das fortschreitende Zusammenwachsen Europas hat tief greifende Veränderungen von Logistiknetzen zur Folge.
Bewährte Verflechtungen von Unternehmen geraten ins Wanken, neue bilden sich. Westeuropäische Volkswirtschaften mit vergleichsweise hohen Löhnen sind heute der aufstrebenden Konkurrenz in unmittelbarer osteuropäischer Nachbarschaft ausgesetzt. Zudem tun sich mit China und Indien auch in Asien ernst zu nehmende Akteure im Welthandel auf und bestechen ebenso wie die Akteure in Osteuropa mit geringen Produktionskosten bei stetig steigenden Qualitätsstandards. Die großen Unterschiede der Faktorkosten durch das Aufeinandertreffen zuvor weitgehend autonomer Wirtschaftssysteme waren bislang der entscheidende Impulsgeber der Globalisierung. Im weltweiten Wettbewerb um die Gewinnung multinationaler Unternehmen spielt jedoch zukünftig die Vorhaltung einer effizienten logistischen Infrastruktur eine Schlüsselrolle, da die Versorgungssicherheit in internationalen Wertschöpfungsnetzwerken langfristig gewährleistet sein muss. Noch sind viele Emerging Markets hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Infrastruktur im Vergleich zu etablierten Märkten als rückständig anzusehen. Aber der Ausbau logistischer Kapazitäten boomt, und für die Zukunft ist von einem deutlich verschärften Wettbewerb um die effizientesten weltumspannenden Transportverbindungen auszugehen. Der weltweite Bau von Tiefseehäfen, z. B. in Yangshan (China) und in Wilhelmshaven, um Containerschiffe mit 13 000 TEU und mehr abfertigen zu können, oder der Ausbau des Panama-Kanals sind dafür genauso Indizien wie der weltweite Ausbau der Flughäfen, beispielsweise des neuen internationalen Drehkreuzes Dubai Jebel Ali in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Große Optimierungsfelder liegen jedoch auch in Managementprozessen internationaler Netzwerke. Beispielsweise kann aktuell festgestellt werden, dass die Liegezeiten von Waren an Schnittstellen zwischen Unternehmen, Schiffstransporten, Hafendienstleistungen und der Verteilung über Straßen und Schiene zu den Endkunden ansteigen. Eine weltumspannende optimierte Warensteuerung rund um den Globus ist heute eher die Ausnahme als die Regel. Daher arbeiten auch international agierende Logistik-Dienstleister fieberhaft an der Effizienzsteigerung und Kapazitätserweiterung ihrer Dienstleistungsnetzwerke. Einige haben begonnen, ihre integrierten Dienstleistungen vom Hafenbetrieb rückwärts direkt in die Logistikprozesse ihrer Kunden hinein zu entwickeln und erzeugen dadurch ein beträchtliches profitables Wachstum. Daneben ist in den letzten Jahren ein gravierender Anstieg der Bestellungen von Frachtflugzeugen zu verzeichnen. Bei der Entwicklung der Größe der Frachterflotte zeichnet sich
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Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz
eine Verdopplung bis 2025 ab. Auch steigt die Größe von Containerschiffen massiv an, um die Kosten pro Container zu verringern. Die Effizienz von Transportprozessen wird sich auf diese Weise weiter spürbar verbessern. Bereits heute hat die Effizienz internationaler Logistiknetze Situationen geschaffen, in denen es sich oft schon aufgrund geringer Kostenunterschiede lohnt, beispielsweise Baumwolle in Westafrika zu ernten, daraus ein Kleidungsstück in Indien zu nähen, dieses wiederum in Nordafrika zu färben und nach einem Lkw-Transport durch Europa in den deutschen Handel gelangen zu lassen. Zudem ist ein zunehmendes internationales Nomadentum der Unternehmen zu beobachten. Chinas Billigproduzenten ziehen von der Küste ins Hinterland und nach Vietnam weiter, in Osteuropa werden die Standorte in Polen,
Tschechien und Ungarn bereits in Richtung Rumänien, Bulgarien und Ukraine wieder verlassen. Die Standorte sind – oft öffentlich gefördert – infrastrukturell aufwendig entwickelt, aber die Karawane zieht weiter. Mittlerweile jedoch gibt es Anzeichen für ein Einpendeln des Welthandels: Zwar gibt es nach wie vor hohe Lohnunterschiede etwa zwischen Deutschland und einigen Nachbarn in Europa. Während aber in Deutschland die Löhne über Jahre hinweg nur geringfügig anstiegen, verzeichneten einige Nachbarn in Osteuropa – ausgehend von einem niedrigen Ursprungsniveau – bisweilen Zuwächse in zweistelliger Höhe. Sollten sich die Lohnkosten auf Dauer schneller angleichen als durch die Reduzierung der Logistikkosten aufgefangen werden kann, könnte der Lohnkostentourismus langfristig gedämpft werden.
Abb. 2: Verantwortungsbereiche einer modernen, exzellenten Logistik
Gesellschaftlicher Rahmen
Berücksichtigung gesellschaftlicher Effekte globaler Logistiksysteme · Umwelt · Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung . Humanitäre Versorgung bedürftiger Regionen
Umfeld
Berücksichtig von Umfeldbedingungen · nationale und internationale Infrastruktur · verkehrslogistische Herausforderungen · Sicherheit
Strategisch
Netzwerksystem:
Führungskonzeption Logistik
Gestaltung von Wertschöpfungssystemen als arbeitsteilige Fließsysteme: Gestaltungsprinzipien • Systematisches Weltbild • Totalkostendenken • Fluss-/Prozessorientierung • Kundenorientierung
Fokus: Struktur/Netzwerk Gestaltung von Strukturen
Taktisch
Managementsystem: Koordinierungsfunktion/ Querschnittsfunktion Logistik
Management von Logistikprozessen: Planung, Realisierung, Steuerung und Kontrolle von unternehmensinternen und -übergreifenden Logistikprozessen Auftragsabwicklung
Fokus: Prozess Bereichs- und unternehmensübergreifende Koordination von Prozessketten
Operativ
Ausführungssystem:
Ausführung von objektbezogenen Aufgaben:
Operative und dispositive Funktion Logistik Transport
Lagern
Fokus: Funktion Effiziente Abwicklung von operativen Logistikaufgaben in funktionalen Logistikbereichen
Umschlagen/Kommissionieren
Helmut Baumgarten
Die zunehmende Dynamik des Wirtschaftens, die heute ihren Ausdruck in immer kürzeren Produktlebenszyklen, Innovationszyklen, Strategiezyklen, Standortwechseln bis hin zu kürzeren durchschnittlichen Verweilzeiten von Unternehmensvorständen findet, wirft eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf, die zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Der Wirtschaftlichkeit und Profitabilität von Unternehmen werden vermehrt wieder gesellschaftliche Werte, darunter beispielsweise auch Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und soziale Verantwortung gegenübergestellt. Die Vereinbarkeit dieser zunächst widersprüchlich erscheinenden Zielsetzungen wird derzeit in vielen Unternehmen und Verbänden intensiv diskutiert. Es wird schnell deutlich, dass eine gleichzeitige Befriedigung aller Interessen kaum möglich sein wird. So können durch globale Wertschöpfungsnetzwerke in Entwicklungsländern viele Arbeitsplätze entstehen, zugleich steigt aber bedingt durch den weltweiten Transport der Ausstoß von Treibhausgasen. Das zukünftige Überschreiten des Ölfördermaximums und die dadurch zu erwartenden Kostensteigerungen werden maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung internationaler Transportketten haben. Dies gilt sowohl bei der Auswahl von Verkehrsträgern, indem Energieeffizienz hierbei eine größere Bedeutung zukommen wird, als auch bei der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien. Die Liberalisierung des Handels und die Förderung globaler Mobilität eröffnet neue Chancen für globales Wirtschaften und eine stärkere Partizipation unterentwickelter Volkswirtschaften, gleichzeitig entstehen jedoch neue globale Sicherheitsrisiken, wie die jüngsten, international geplanten Terrorangriffe eindrücklich bewusst machen. US-Präsident Bush unterschrieb im August 2007 ein Gesetz, das bei Exporten in die USA ab Ende 2012 ein hundertprozentiges Screening der Container in den Verschiffungshäfen erfordert. Ebenfalls zu screenen ist mit Passagierflugzeugen beförderte Fracht. Dies ist sogar binnen drei Jahren umzusetzen. Ziel dieser Maßnahmen ist die Erhöhung der Sicherheit, indem etwa die Einfuhr von Sprengstoffen und Waffen in die USA unterbunden wird. Zweifelsohne bedeutet der Umstieg von stichprobenartigen Kontrollen hin zu einem vollständigen Screening von Containern einen Systemwechsel. Dieser dürfte eine massive Veränderung logistischer Prozesse an Häfen und Flughäfen zur Folge haben. Logistikunternehmen sind daher mit der Neuentwicklung und Anschaffung von Screeningsystemen sowie der Umgestaltung des begrenzten Platzes der Verladezonen zur Integrierung der zusätzlichen
Systeme konfrontiert. Es ist durchaus denkbar, dass auch andere Volkswirtschaften dem Vorbild der USA folgen könnten und mittelfristig ebenfalls das Screening eingeführter Container fordern, mit entsprechenden Folgen für die Geschwindigkeit der Prozessabwicklung innerhalb internationaler Transportketten. Bereits heute gehen Unternehmen dazu über, größere Sicherheitsbestände und Redundanzen im Netzwerk aufzubauen, um für Versorgungsengpässe bei Störungen im Prozessablauf gerüstet zu sein. Damit steht jedoch zunehmend die Vorteilhaftigkeit global verteilter Produktionsstrukturen gegenüber lokalen Produktionssystemen, beispielsweise in Form von Lieferantenparks, infrage. Für die Zukunft der Logistik heißt es, wachsam zu bleiben und die Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld aufmerksam zu verfolgen. Neue Entwicklungen können als Risiken angesehen werden, sie bieten jedoch auch neue Chancen für den unternehmerischen Erfolg. Wer sich frühzeitig den neuen Herausforderungen stellt, kann durch Pioniergeist zum Gewinner werden. Die Beiträge im fünften Kapitel beleuchten aus Sicht unterschiedlicher Beteiligter die Herausforderungen, denen eine global aufgestellte Logistik in Zukunft gewachsen sein muss. Die Natur der Logistik ist es, dass Erfolge nur aus dem optimalen Zusammenspiel von Organisationen, Technologien, IT und vor allem Menschen entstehen werden. Der Mensch rückt im schnelllebigen Wirtschaftsgeschehen in den Mittelpunkt. Seine Beweglichkeit, seine Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit, ist die wesentliche Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit multinationaler Unternehmen im permanenten Wandel. Dauerhaft erfolgreich sind nur die Unternehmen, die schnell entscheiden und agieren, die Chancen frühzeitig erkennen und Innovationen zügig umsetzen. Literaturverzeichnis Baumgarten, H. (Hrsg.) (2001) Logistik im E-Zeitalter, Frankfurt/Main Baumgarten, H.; Darkow, I.-L.; Zadek, H. (Hrsg.) (2004) Supply Chain Steuerung und Services, Berlin u. a. Baumgarten, H.; Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik: Supply Chains im Wandel, Berlin Bowersox, D.; Closs, D.; Cooper, M. (2007) Supply Chain Logistics Management, 2nd Edition, New York Bullinger, H.-J.; ten Hompel, M. (Hrsg.) (2007) Internet der Dinge, Berlin u. a. Ihde, G. (2001) Transport, Verkehr, Logistik, 3. Auflage, München Klaus, P.; Kille, C. (2006) Die TOP 100 der Logistik: Marktgrößen, Marktsegmente und Marktführer in der Logistikdienstleistungswirtschaft, Hamburg Pfohl, H.-C. (2004) Logistikmanagement, 2. Auflage, Berlin u. a. Wildemann, H. (2005) Logistik: Prozessmanagement, 3. Auflage, München
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1. Der Logistik-Faktor – Bedeutung einer exzellenten Logistik
Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik
Hanspeter Stabenau Beauftragter Kompetenzzentrum Logistik Bremen (KLB) Mitglied des Kuratoriums Stiftung Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) Ehrenvorsitzender Bundesvereinigung Logistik (BVL)
Dr. Hanspeter Stabenau Jahrgang 1934 Stabenau ist Logistikbeauftragter des Landes Bremen, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung DAV, Ehrenvorsitzender der BVL und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des ISL, Bremen. Stabenau studierte 1954–1961 Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Verkehrswissenschaft an der Universität Köln mit dem Abschluss Diplom-Volkswirt und promovierte als Assistent im Institut für Verkehrswissenschaft zum Dr. rer. pol. Seit 1961 war er zunächst zweiter hauptberuflicher Dozent und ab 1966 Studienleiter, seit 1979 Vorsitzender des Vorstandes an der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV), Bremen. 1978 war er Gründungsmitglied der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Bremen, und bis 1999 deren Vorsitzender.
Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik Hanspeter Stabenau
Einleitung Der Begriff Logistik ist ein Beispiel dafür, wie struktureller Wandel der Wirtschaftsprozesse zu einer inhaltlichen Wandlung der Bedeutung für ein erfolgreiches Unternehmensmanagement wird. Wenn von einem Übergang der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft gesprochen wird, dann steht immer das Thema Logistik in einem vorrangigen Fokus. In diesem Beitrag soll versucht werden, den Status der Logistik und die erkennbaren Perspektiven darzustellen. Es geht darum, Linien der Entwicklung aufzuzeigen, mit denen die zunehmende Bedeutung der Logistik im Wertschöpfungsprozess der Wirtschaft insgesamt, bezogen auf die einzelnen Unternehmen, auf die übernehmensübergreifenden Prozesse und letztlich in der regionalen und globalen Arbeitsteilung verdeutlicht wird. Dabei muss bis in das siebte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zurückgegangen werden. Der Begriff Business Logistics wurde zum ersten Mal in einer Veröffentlichung des US-amerikanischen Professors D.J. Bowersox im Jahre 1964 verwandt (Bowersox 1964). Dieser Wissenschaftler hat dann zu Recht den Ruf bekommen, sich als Erster systematisch mit diesem Begriff auseinander zusetzen, insbesondere in Bezug auf die Distributionslogistik. Im Jahre 1969 wurde dann in einer Harvard-Fallstudie eine Begründung gebracht, wie der Markterfolg von Kodak (Marktanteilsteigerung auf über 50 Prozent innerhalb von sieben Jahren) erreicht wurde: durch die Installierung von drei Zentrallagern zur Versorgung des gesamten US-amerikanischen Marktes, mit dem Ziel der Erhöhung der Lieferbereitschaft auf über 90 Prozent. In dieser Zeit wurde also der Begriff Logistik für die Gegenwart neu geboren. Bis zum heutigen Tag erfährt er eine stetige Ergänzung in den Aufgabenstellungen und damit in den Wertschöpfungsanteilen, und dieser Prozess ist noch nicht beendet, sondern er wächst in eine neue Dimension hinein. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Arbeitsteilung, neuer Technologien bei der Produktion der physischen Leistungen der Logistik sowie einem allumfassenden Informationssystem.
Von der Funktionsoptimierung zur Prozessintegration Nach dem Zweiten Weltkrieg war den USA als erster Industrienation die Umstrukturierung von der Kriegswirtschaft in eine leistungsfähige Wettbewerbswirtschaft bereits in den frühen 50er Jahren gelungen. Das bedeutete den Wechsel vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt. Die wachsende und sich individualisierende Nachfrage war damit die Geburtsstunde des Marketings. Die erste Phase heißt daher „Entwicklung der Distributionslogistik“, denn sie ist das entscheidende Instrument zur Erreichung der Marketingziele über die Optimierung der Distributionssysteme, um flächendeckend einen hohen Lieferbereitschaftsgrad zu erreichen. Gerade für Konsumgüter war die Senkung der Lieferzeit und die jederzeitige Verfügbarkeit der Artikel im Einzelhandel ein positives Ziel. Das Modell des Zentrallagersystems setzte sich durch, erste Outsourcingprozesse zu logistischen Dienstleistern eingeschlossen. In Deutschland waren die Leuchttürme bei Herstellern das Bahlsen-Zentrallager in Hannover, für den Versandhandel das Bertelsmann-Zentrallager in Gütersloh (Deutscher Logistikpreis 1987) und für den Kaufhausbereich das Zentrallager von Karstadt in Unna (Deutscher Logistikpreis 1989). Die zweite Phase der Durchsetzung der Logistik in der Wirtschaft war dann in den 70er Jahren der Übergang von der Serienfertigung zur Auftragsfertigung in der industriellen Produktion. Impulsgeber hierfür war die Automobilindustrie, die sich Anfang der 70er Jahre dem Wettbewerb der japanischen Anbieter mit ihrer neu organisierten Serienfertigung auf dem Just-in-time-Prinzip ausgesetzt sah. Die Antwort war die Erhöhung der Variantenvielfalt und die Auftragsfertigung. Das bedeutete aber gleichzeitig eine Herabsetzung der Fertigungstiefe und damit die Notwendigkeit, eine größere Zahl von Lieferanten in die Wertschöpfung des Endprodukts einzubeziehen. Damit änderte sich in der Industrie die Einkaufsfunktion, da es jetzt nicht mehr allein darum ging, den kostengünstigsten Anbieter für benötigte Rohstoffe, Teile und auch Systeme zu finden, sondern vor allem auch eine hohe Lieferbereitschaft mit einer Vielzahl von Elementen der
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Logistik zu berücksichtigen. Zuverlässigkeit und Qualität im Bereich der Logistik wurden so zu wichtigen Entscheidungskomponenten. Bei der Kostenbetrachtung der Einkaufspreise kam damit noch hinzu, dass es nicht allein darauf ankam, die entsprechenden Materialien ins eigene Lager zu bekommen (Rampenpreise), sondern den Weg dieser Elemente bis in die Produktion mit einzubeziehen. Aus Einkaufspreisen wurden Beschaffungskosten unter Berücksichtigung der Lagerbestandsoptimierung. Die dritte Phase wurde dann vom Handel bestimmt. Grundlagen – ausgehend von den Marketingzielen – wurden schon erwähnt. Entscheidend war, dass die Sortimente permanent erweitert und sich damit die Artikelzahlen, die im Regal vorgehalten werden mussten, z. T. verdreifacht oder sogar vervierfacht hatten. Vorratshaltung im Outlet war flächenmäßig daher nicht mehr möglich. Es war notwendig, ein entsprechendes Liefersystem aufzubauen, welches bei A-Artikeln eine tägliche Nachlieferung bedeutete, bei B- und C-Artikeln von dreimal wöchentlich bis einmal wöchentlich gewährleistet wurde. Alle diese Systeme hatten noch einen zusätzlichen Effekt: Es konnten die Kosten gesenkt werden, vor allem durch die Steigerung des eingeleiteten Outsourcingprozesses. Und damit wird die vierte Phase eingeleitet. Die Vielzahl der notwendigen physischen, logistischen Dienstleistungen (KULT – Kommissionierung, Umschlag, Lagerung, Transport) sowie ergänzende Services, wie Verpackungen, Auszeichnungen, Regalservice oder Vor- und Endmontagen in der Fertigung oder für Exporte oder Importe gaben der Dienstleistungswirtschaft eine völlig neue Dimension. Die klassische Spedition wandelte sich zum logistischen Dienstleister. Nicht umsonst wird heute von der Logistikindustrie gesprochen. Experten gehen davon aus, dass 80 Prozent der logistischen Dienstleistungen in Industrie und Handel auslagerbar sind. Im Jahr 2000 waren es etwa 40 Prozent. In den darauffolgenden Jahren bis 2005 steigerte sich das Potenzial auf über 50 Prozent, d. h. die logistische Dienstleistungsindustrie hat noch eine Marktreserve vor sich, vor allem vor dem Hintergrund der Globalisierung. Das bisher Gesagte sei nun zusammengefasst: • Zunächst ging es darum, die verschiedenen Logistikfunktionen im Distributionsprozess zu bündeln und so effizient wie möglich zu gestalten, um einen hohen Lieferbereitschaftsgrad für Konsumgüter im Handel jederzeit zu gewährleisten. • In der Industrie war es der Übergang von der Serienfertigung zur Auftragsfertigung aufgrund des Wettbewerbs
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und damit die Veranlassung zu einem gewaltigen Outsourcingprozess in der Fertigung auf eine zunehmende Zahl spezialisierter Lieferanten. Damit rückte die unternehmensübergreifende Logistik in den Mittelpunkt. Mit der Kaufkraftsteigerung, insbesondere in den 80er Jahren, nahm die Individualisierung der Nachfrage überproportional zu, was zu einer deutlichen Ausweitung der Sortimente und einer Vervielfachung der Steigerung der Artikel im Handel führte, mit der Notwendigkeit, auch hier völlig neue logistische Systeme zu entwickeln. Die integrierte Prozessgestaltung wurde zu einem entscheidenden Faktor der Wettbewerbsfähigkeit. Der anhaltende Outsourcingprozess ist dafür ein Kennzeichen und damit eine Aufwertung der logistischen Dienstleistungswirtschaft. Dieser Prozess hält vor allem vor dem Hintergrund der Gestaltung der Globalisierung – auf die noch im Detail eingegangen wird – weiter an. Damit ist die Logistikindustrie in Zukunft der Bereich mit dem größten Wachstumspotenzial.
Stellenwert der Logistik im Wertschöpfungsprozess Wenn auf die vergangenen 25 Jahre zurückgeblickt wird, in denen die Logistik sich von der schwerpunktmäßig operationalen Aufgabe der Optimierung der logistischen Funktionen zu einer Managementfunktion der Integration der Prozesse entwickelt hat, dann wird deutlich, dass quer durch die Wirtschaft ein Paradigmenwechsel einsetzte. Dieser besteht insbesondere darin, zunächst einmal den Wertschöpfungsbeitrag der definierten Aufgabenstellung für das Unternehmen zu analysieren. Die Mehrzahl der Betriebe in Industrie und Handel hatten bis in den erwähnten Zeitraum hinein häufig keine klaren Vorstellungen, wie hoch der Logistikkostenanteil ist, vor allem, wenn die Fertigungstiefe in der Industrie bei z. T. über 50 Prozent lag oder im Handel alle komplexer werdenden Distributionsprozesse mit eigenem Equipment gehandhabt wurden. Es kann im Prinzip festgestellt werden, dass Mitte der 80er Jahre, beispielhaft ausgehend von einzelnen Unternehmen, aber auch ganzen Branchen – wie z. B. der Automobilindustrie – systematisch begonnen wurde, die logistischen Abläufe und die damit verbundenen Kosten zu ermitteln. So wurde dann die Begründung gefunden, sich von gewohnten Eigenfertigungen und Totaldistributionen abzuwenden, um insgesamt flexibler, kostengünstiger und damit wettbewerbsfähiger zu werden. Insbesondere Beispiele aus den USA, aber auch aus Japan, führten zu
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einem Strategiewandel, mit dem Erfolg, dass in der Industrie die Logistikkosten in der Zeit von 1985 bis 2000 von 22 Prozent der Gesamtkosten auf 14 Prozent im Schnitt reduziert werden konnten. Das Instrument der Logistik war damit neben einer Produktivitätssteigerung in anderen Funktionen des Unternehmens Grundlage für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Logistik wird seitdem als Querschnittsfunktion bezeichnet, die von der Produktdefinition über die Konstruktion, die Lieferantenauswahl, die Produktionsplanung, die Distribution bis zum Recycling oder anders gesehen von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung ein gestaltendes Element aller Prozesse innerhalb und zwischen den Unternehmen darstellt. Ganz bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Erwähnung der Weiterentwicklung der Logistiktechnologie. Materialwirtschaft, Lagerwirtschaft und Transport erlebten in diesem Zeitraum eine sprunghafte Durchdringung durch den Einsatz effizienter Technologien. Begleitet wurde dies mit Steuerungsmodulen der Informatik. Das führte zu der Erkenntnis, dass eine Standortoptimierung für Konsolidierungszentren, Zentrallager und Umschlagsknoten (Hub) nach geografischen und infrastrukturellen Gesichtspunkten eingerichtet werden musste, um Optimierungen beim Einsatz der Technologien aufgrund steigender Mengen durch Standardisierung und Modularisierung zu erreichen. Dieser Prozess war mit erheblichen Investitionen verbunden und führte in den Unternehmen dazu, dass die Managementaufgabe für den Logistikbereich entsprechend aufgewertet und Entscheidungsprozesse über die Entwicklung der Logistik auf Vorstandsebene/Geschäftsführungsebene angesiedelt wurden. Ein weiterer entscheidender Impulsgeber für diese Entwicklung ist der zunehmende Wettbewerb auf den internationalen Märkten. Die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG zur Europäischen Union (EU), der Übergang vom GATT zur World Trade Organization (WTO) führte zu der Notwendigkeit, alle Produktivitätsreserven zu mobilisieren, und da spielt die Logistik eine zunehmend entscheidende Rolle. Es soll nicht verschwiegen werden, dass es in den Unternehmen z. T. erhebliche Auseinandersetzungen über den Umfang des Outsourcings gab und gibt. Das Problem der Neuorganisation in sich untereinander abstimmenden Organisationseinheiten mehrerer am Wertschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen waren und sind notwendige Entscheidungen, die zu Strukturveränderungen führen und daher auch immer Widerstände von Bedenkenträ-
gern erzeugen. So kann auch heute noch in vielen Unternehmen ein konservatives Spartendenken beobachtet werden, welches im Gegensatz zu dieser ganzheitlichen Betrachtung und damit einer logistischen Integration sehr komplexer Prozesse in und zwischen den Betrieben zu verzögernden Widerständen führt – mit negativen Folgen für die Ergebnisse. Es wird von Logistiksystemen gesprochen, also dem Zusammenwirken von vielfältigen und differenzierten Funktionen zur Verwirklichung eines konkreten Versorgungsbedarfs von Produktionsstätten und Märkten. Auf diese Art und Weise entstand der Begriff des Supply Chain Managements als der zielorientierten Gestaltung und permanenten Aktualisierung der Versorgungsketten in der Wirtschaft, also einer Managementaufgabe, die die Basis für hochqualifizierte, sich dynamisch weiterentwickelnde Logistiksysteme bildet. Die Aufgabenstellung des Logistikmanagements kann natürlich auch direkter formuliert werden: Es gilt, ein Fließsystem für Materialien und Produkte zu gestalten, welches auf permanente Änderungen der Anforderungsprofile quantitativ und qualitativ flexibel erfolgsorientiert reagiert. Es gibt also keine Statik mehr in der Organisation der Abläufe. Ein Prozesscontrolling ist erforderlich, um die notwendigen Anpassungen an veränderte Strukturen höchst effizient und flexibel zu gestalten. Sicherlich klingt auch dies sehr abstrakt und theoretisch, aber eine Fülle von Beispielen, quer durch die Branchen, beweist, dass der Erfolg der Unternehmen heute ganz wesentlich von dieser Managementfähigkeit abhängig ist, und ein Querschnitt aus aktuellen Studien belegt, dass die Produktivitätsreserven in den logistischen Prozessen im Schnitt bei 15 Prozent liegen und das Kostensenkungspotenzial bei 3 bis 5 Prozent.
Paradigmenwechsel durch Globalisierung Die bisherigen Ausführungen beschäftigten sich mit der grundlegenden Aufgabenstellung der Logistik in Vergangenheit und Zukunft. Dies bezog sich auf die grundsätzliche strukturelle Einordnung der Logistik in die Unternehmensorganisation zur optimalen Gestaltung der vielfältigen und differenzierten Prozesse, in die das einzelne Unternehmen einbezogen ist. Seit Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa sowie in China, aber insgesamt weltweit, kommt eine neue Dimension an Herausforderungen auf die Gestaltung der logistischen Prozesse zu: die Globalisierung.
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Treiber der Globalisierung
Ausgangspunkt für die Globalisierung ist das weltwirtschaftliche Wachstum, welches vor dem Hintergrund einer über 50-jährigen Entwicklungshilfe der Industrienationen und der Anerkennung der Wettbewerbsordnung der WTO für die weltweite Zusammenarbeit der einzelnen Volkswirtschaften entstanden ist. Eine Perspektive dieses Wachstums für die Weltwirtschaft in einem Umfang, den es bisher in der Geschichte der Menschheit nicht gegeben hat! Die sich daraus ergebende globale Arbeitsteilung führt nach allen Prognosen für die nächsten 20 Jahre zu einem durchschnittlichen Wachstum des Welthandels von jährlich 5 Prozent und damit einem Transportaufkommen von 7 Prozent. Hinzu kommt eine durchschnittliche Wertsteigerung der international gehandelten Güter um jährlich etwa 4 Prozent. Damit ergeben sich sowohl quantitativ als auch qualitativ völlig neue Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Logistik. Die gesamten weltwirtschaftlichen Prognosedaten müssen dabei noch um eine sehr wichtige Zahl ergänzt werden: Zurzeit werden jährlich etwa 60 Mio. Menschen in den industriellen Schwellenländern zusätzlich zu Konsumenten. Diese Zahl wird bis zum Jahr 2025 um 120 Mio. jährlich ansteigen. Diese Kaufkraftentwicklung ist der entscheidende Faktor für das genannte weltwirtschaftliche Wachstum. Damit wird der Produktivitätsfaktor „regionale Arbeitsteilung“ in einem extremen Maß zu einer globalen Arbeitsteilung zwischen allen Volkswirtschaften dieser Erde. Abgesehen von den physischen Produktionsbereichen der Logistik, mit ihren KULT-Funktionen, wird damit eine neue Determinante für ein interkulturelles Logistikmanagement aufgezeigt. Die physischen Prozesse unterliegen damit zunehmend einer Industrialisierung. Das bedeutet eine nochmalige erhebliche Steigerung des Einsatzes von Technologie und Informatik; es bedarf damit auch wiederum angepasster Managementstrukturen. Standortvernetzung
In diese globale Arbeitsteilung wird damit eine immer größere Zahl von Standorten einbezogen. Diese Standorte müssen ihre jeweiligen Standortfaktoren, die für die Standortqualität verantwortlich sind, entsprechend entwickeln. Hierbei spielt in einer marktwirtschaftlich orientierten Weltwirtschaftsordnung die klassische Theorie der komparativen Kostenvorteile eine außerordentlich große Rolle. Diese besagt, dass auch Länder, die im Prinzip in allen Kostenbereichen über anderen Ländern liegen, auch in den Welthandel einbezogen werden, aufgrund der Tatsache, dass die relativen, also komparativen Kosten-
vorteile für die Partner einen Austausch sinnvoll machen. Dieser Prozess wird im Augenblick durchlebt. In den vergangenen 15 Jahren sind in Deutschland zur Gewinnung von Produktivitätspotenzialen, insbesondere durch die Optimierung der logistischen Prozesse, Kostenvorteile entstanden, die die deutsche Wirtschaft zur Exportweltmeisterschaft führten. Dabei muss die Effizienz der angewandten Forschung in diesem Bereich genauso genannt werden wie die Steigerung der Qualitätssicherung und der Lieferzuverlässigkeit. Zusätzlich ergibt sich eine Entwicklung, die unter das Thema „Vernetzung der Produktionsstandorte“ gestellt werden kann. Dieser Begriff der Vernetzung bedeutet zunächst, dass die funktionale Arbeitsteilung durch den Outsourcingprozess bei der Zulieferung von Teilen und Komponenten in die jeweiligen Endmontagen zu den Nachfrageländern in eine neue Dimension wächst. Diese Vernetzungsstrategien bedeuten eine Ausdehnung von Just-in-time-Lieferungen – die sich bisher zwischen 20 km und 200 km bewegt haben – auf bis zu mehrere 1000 km Entfernung. Hierfür sind völlig neue Managementelemente für Planung, Steuerung und Kontrolle erforderlich. Das wird noch durch die Security-Auflagen erweitert, die sich aufgrund der weltweiten Terrorgefahr gerade bezogen auf Transportvorgänge ergeben. Viel stärker als in regionalen Netzwerken spielt dabei die Integration der Informationssysteme und die Einführung sich selbst steuernder Prozesse, z. B. durch RFID, eine zunehmende Rolle. Diese Technologie erfährt damit den entscheidenden Schub. Denn neben den damit verbundenen zusätzlichen Kosten für zu zertifizierende Security-Auflagen ergibt sich für die Beteiligten durch diesen erzwungenen Informationsaustausch auch eine Fülle von Vorteilen. Emotionale Grenzen des produktivitätssteigernden Datenaustausches werden so überwunden! Die Transportfunktion ist schon angesprochen worden. Das weltweite Wachstum des Verkehrsaufkommens in den nächsten 20 Jahren um durchschnittlich 7 Prozent jährlich bedeutet einen Standortvorteil der maritimen Zonen. Es betrifft in erster Linie die Quantität des Umschlagszuwachses. Wichtiger ist, dass verschiedene Studien nachweisen, dass es für global interessierte Industrie- und Handelsunternehmen sinnvoll ist, ihre Konsolidierungszentren entweder in die maritime Zone zu verlegen oder zusätzliche Konsolidierungszentren dort zu schaffen, wenn mehr als 50 Prozent der Materialien oder Produkte über See ein- oder ausgehen. Für die Gestaltung des Seeverkehrs und des CargoLuftverkehrs bedeutet dies zunächst, dass der Zuwachs
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nur durch zusätzliche Kapazitäten, sowohl in der Zahl und Größe der Fahrzeuge, aber auch entsprechend in den jeweiligen Stationen mit ihrer technologischen Ausstattung für Be- und Entladung bewältigt werden kann. Bezüglich der Infrastrukturanbindung für die notwendigen Hinterlandverkehre ergeben sich für den politischen Raum völlig neue Entscheidungszwänge, insbesondere für Planungsverfahren und Finanzierungsmodelle. Die Zahl qualifizierter Beschäftigter wächst. Wird zurück in die Geschichte des Welthandels geblickt, so waren es die technologischen Entwicklungen, die dafür sorgten, dass die Transportkosten auf immer größere Entfernungen hin gesenkt werden konnten und damit den Welthandel begünstigt haben. Hierbei spielen drei Faktoren eine Rolle: 1. Die Nachfrage nach Konsumgütern wächst weltweit explosiv. 2. Die Technologien in der Schifffahrt und im Luftverkehr sind durchaus vorhanden, um diese Mengen kostengünstig zu bewegen. 3. Die maritimen Zonen werden zu bevorzugten Standorten für Konsolidierungszentren, Zentrallager und Umschlagknoten. Interkulturelles Logistikmanagement
Auf eine andere Größenordnung muss eingegangen werden: die Stellung eines interkulturellen Logistikmanagements. Wenn in den vergangenen Jahren auch eine Steigerung der Zahl der Ausbildungs- und Studienplätze in den Berufen, die der Logistik unmittelbar oder mittelbar zugeordnet werden können, erreicht wurde, so kann doch zurzeit festgestellt werden, dass sowohl in Europa, aber insbesondere auch in den industriellen Schwellenländern ein großes Defizit an entsprechend qualifiziertem Personal, sowohl für die operationalen Tätigkeiten, als auch für das Management besteht. Es ist damit eine Fülle von Aufgaben von allen beteiligten Institutionen zu erfüllen, um zunächst die Ausbildungsziele und die damit verbundenen Inhalte auf die skizzierte Entwicklung einer globalen Logistik auszurichten und daneben vor allem auch für die gegenwärtig Beschäftigten eine entsprechende Programmgestaltung nach Qualifizierungszielen und ihren Inhalten für eine notwendige Weiterbildung zu formulieren. Dabei spielt die interkulturelle Ausbildung, unterstützt durch eine entsprechende Sprachenqualifizierung, eine entscheidende Rolle. Die Internationalisierung des Managements auf der Basis der globalen Herausforderungen wird dadurch sichtbar, dass allein schon die logistische
Dienstleistungswirtschaft ihre globale Vernetzung nur dann erreichen kann, wenn sie weltweit gleiche Qualitätsstandards für ihre Leistungsfähigkeit definiert.
Perspektive: Logistik beherrscht Komplexität! Aus den vorangegangenen Ausführungen ist sicherlich deutlich geworden, dass die Komplexität der Anforderungen an die logistische Leistungsfähigkeit in allen Wirtschaftsbereichen zunimmt. Deshalb eine Besinnung auf die Grundlagen der Logistik: die Systemtheorie. Komplexität bedeutet eine zunehmende Zahl von Einflussfaktoren auf den Erfolg eines Wirtschaftsprozesses. Die Zahl der Einflussfaktoren braucht nicht im Einzelnen aufgezeigt zu werden. Sie ist für jeden, der in den vergangenen Jahren die quantitativen und qualitativen Faktoren beobachtet hat, in ihrer Vielseitigkeit, in ihrer Eigendynamik bekannt. So bedarf es für die Planung, Entwicklung und entsprechende Realisierung von logistischen Prozessen einer grundlegenden Systemanalyse. Diese besteht zunächst einmal aus drei grundsätzlichen Arbeitsschritten: 1. Definition und Abgrenzung der einzelnen Elemente bzw. Funktionen, die in die jeweils zu untersuchenden Systeme einbezogen werden müssen; 2. Erkennung von Eigengesetzlichkeiten, unter denen diese Elemente (Funktionen) ihre höchste Leistungsfähigkeit entwickeln können; 3. Ermittlung von Wechselwirkungen (Rückkopplungen) auf das Gesamtsystem bei Veränderungen einzelner Elemente/Funktionen und ihres Einsatzes. Die Methoden der Systemanalyse als Anwendung der Grundlagen der Systemtheorie auf die Komplexitätsbewertung der jeweiligen Systeme ist die Grundlage für die Entwicklung eines Komplexitätsmanagements in der Logistik. Es seien nur die drei entscheidenden Faktoren betrachtet, aus denen sich die Komplexität in den letzten Jahren gesteigert hat: das Wachstum und die Individualisierung der Nachfrage, der Technologieschub sowie die Globalisierung. Jedes Unternehmen der Welt wird von diesen drei Elementen in seiner zukünftigen Entwicklung mehr oder weniger stark beeinflusst. Das betrifft die Ableitung der strategischen Ziele und der operationalen Realisierung. Prozessmanagement ist die Überschrift, Inhalt ist die Gestaltung der Logistik, die unternehmensübergreifend und zunehmend interkulturell die Produktivitätsreserven in den Prozessen wecken muss, um mit höherer
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Wirtschaftlichkeit im Wettbewerb zu existieren. Das Problem ist, dass in der Ausbildung des Führungsnachwuchses nach wie vor die Funktionsorientierung überwiegt und das Systemdenken nicht genügend gefördert wird. Aber allein die Systemanalyse schafft entscheidungsfähige Lösungsalternativen, vor allem in überbetrieblichen Prozessketten. Daneben spielt das Systemcontrolling eine außerordentlich große Rolle. Der Controllingbegriff wird häufig zu sehr noch als ein Instrument der Kostentransparenz und damit der Gewinnung von Einsparpotenzialen gesehen. Dies ist nicht die alleinige und vor allem nicht die überwiegende Bedeutung des Controllings. Es geht um das Ablaufcontrolling, und gerade in kooperativ gestalteten Prozessen bedarf es der Kontrolle vor allem der Produktivitätsentwicklung in der so geschaffenen unmittelbaren Zusammenarbeit. Mit der Definition eines Komplexitätsmanagements auf der Grundlage der Systemtheorie und der daraus abgeleiteten permanenten Systemanalyse inklusive Systemcontrolling kommt es zur Transparenz der Wertschöpfungsanteile der Prozesspartner und der für sie wichtigen Anpassungsmaßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in dieser Partnerschaft. So hat sich in den letzten Jahren eine neue ergänzende Theorie zum Prozessmanagement als Komplexitätsmanagement herausgestellt: die Bildung eines Clustermanagements. Kooperationsmodelle auf der Basis der Clusterung funktionsmäßig, branchenmäßig, relationsmäßig, standortbezogen und ihre jeweilige Vernetzung führen zu weiteren Produktivitätsgewinnen. Gerade in den traditionellen Industrieländern werden diese Clusterungen, die sich ja im Wesentlichen auf die Verbundproduktion von Dienstleistungen beziehen, aber auch Produktionsabläufe einschließen und Konsolidierungen von Transportabläufen beinhalten, wesentlich zur Standortqualifizierung beitragen.
Schlussfolgerung Das Thema Logistik hat mit zunehmender Geschwindigkeit in den vergangenen 30 Jahren einen Beitrag zur Produktivitätssteigerung in allen wirtschaftlichen Prozessen geleistet. Folgendes ist deutlich sichtbar: Die neuen Herausforderungen
werden die quantitativen und qualitativen Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Logistik, insbesondere aber an ein sich weiterentwickelndes Logistikmanagement deutlich erhöhen. Heute schon gibt es keinen Prozess, in dem die Logistik nicht eine mehr oder weniger bedeutende Rolle spielt. In Zukunft wird jeder Prozess in seinem Integrationsgrad von der Logistik bestimmt, und je höher der Integrationsgrad der logistischen Prozesse ist, desto höher ist der Nutzen für alle Beteiligten. Bei einer Herabsetzung der Fertigungstiefe bei Herstellern für Konsum- und Investitionsgüter auf etwa 20 Prozent ist der Erfolgsgrad der Produkte im Markt von diesem Integrationsgrad abhängig. Dies bedeutet eine völlig neue Dimension des Managementbegriffs und wird, das ist die Überzeugung des Autors, dazu führen, dass Managementmethoden für ein unternehmensübergreifendes, verantwortungsbezogenes Management entwickelt werden müssen. Diese Aufgabe wird die heranwachsende Generation in vernetzter, globaler Zusammenarbeit lösen müssen! Literaturverzeichnis Aberle, G. (2003) Transportwirtschaft. Einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Grundlagen. Oldenbourg, München Baumgarten, H. u. a. (2002) Management integrierter logistischer Netzwerke. Haupt, Bern, Stuttgart, Wien Baumgarten, H., Darkow, I.-L. Zadek, H. (2004) Supply Chain Steuerung und Services, Springer, Berlin Bock, D., Weingarten, U. u. a. (2003) Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit: Studie Supply Chain Collaboration, Bremen Bowersox, D.J. (1964) Total Information Systems in Logistics. Transportation and Distribution Management Bullinger, H.-J., ten Hompel, M. (2007) Internet der Dinge, Springer, Berlin Göpfert, I., (2000) Logistik Führungskonzeption, Vahlen, München Haldimann, H. R. (1975) Integrale Logistik, Eigenverlag, Zürich Pfohl, H.-Chr. (2004) Logistiksysteme. Betriebswirtschaftliche Grundlagen, Springer, Berlin Schenk M., Wirth, S. (2004) Fabrikplanung und Fabrikbetriebe, Springer, Berlin Straube, F. (2004) e-Logistik. Ganzheitliches Logistikmanagement, Springer, Berlin von Weizsäcker, I. (2000) Logik der Globalisierung, Vandenhoek und Ruprecht, Göttingen Weber, J. (2002) Logistik und Supply-Chain Controlling, Stuttgart Wiendahl, H. P. (Hrsg.) (1996) Erfolgsfaktor Logistikqualität, Springer, Berlin Wildemann, H. (1992) Das Just-in-time-Konzept. Produktion und Zulieferung, München
„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik
Raimund Klinkner Vorsitzender des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Vorsitzender des Vorstands Knorr Bremse AG Thomas Wimmer Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL)
Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner Jahrgang 1965 Klinkner ist seit Januar 2007 Mitglied des Vorstands der Knorr Bremse AG, wo er im April 2007 den Vorstandsvorsitz übernahm. Nach dem Maschinenbaustudium an der TU München promovierte er 1994 berufsbegleitend an der TU Dresden. Seit 1991 war Klinkner bei der Porsche AG u. a. in der Logistikplanung, Beschaffung und Fabriksteuerung tätig. 1998 wechselte er zur Gildemeister AG, zunächst als Vorstand Produktion, Logistik, Einkauf und IT, dann von 2003 bis 2006 als stv. Vorstandsvorsitzender sowie Vorstand Produktion und Logistik. Neben der beruflichen Tätigkeit ist er als Aufsichtsratsmitglied bei Dürrkopp Adler AG, Bielefeld, seit 2003 als Honorarprofessor für Produktionslogistik an der TU Berlin sowie seit Juni 2007 als Vorsitzender des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL) tätig.
Dr.-Ing. Thomas Wimmer Jahrgang 1959 Wimmer ist seit 2004 Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Bremen. Nach dem Maschinenbau-Studium an der Universität Hannover promovierte er ab 1988 berufsbegleitend an der TU Berlin. Seit 1984 war Wimmer in der Industrielogistik tätig: bei BMW in Dingolfing, seit 1989 bei der Sauer-Sundstrand in Neumünster und seit 1993 bei der Bremer Vulkan Werft. 1997 wechselte er als Partner zur Proventus Unternehmensberatung, 1999 als Geschäftsführer zur BVL. Neben der beruflichen Tätigkeit ist Wimmer als Lehrbeauftragter für Angewandte Beschaffungs-, Produktions- und Kontraktlogistik an der Universität Bremen sowie an der Hamburg School of Logistics im Rahmen des internationalen Logistics MBA tätig. Er ist Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) in Bremen.
„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik Raimund Klinkner / Thomas Wimmer
Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik Ein häufig aus dem Zusammenhang von Wahlkampfdiskussionen gerissenes Zitat des Alt-Bundeskanzlers Helmut Schmidt lautet: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Die Gründerväter der Bundesvereinigung Logistik (BVL) haben das am 18. April 1978 nicht getan, sondern stattdessen eine Plattform für eine Gemeinschaft von Menschen geschaffen, die ganzheitlich denkend über ihre Wirkungskreise hinausschauen, um daraus fachlich und menschlich Nutzen zu ziehen und zu stiften. Mehr als 8500 Mitglieder beweisen heute täglich, dass Logistik mehr ist als in der Öffentlichkeit allgemein bekannt, dass ehrenamtliches Engagement und Wirtschaft zusammengehören und dass Ressourcen schonendes und effektives Wirken einer global vernetzten Wirtschaft keine Gegensätze sind.
Logistik im Spannungsfeld zwischen Inhalt und Wahrnehmung In der deutschsprachigen Öffentlichkeit wird Logistik auch heute noch allzu oft mit Transport, Umschlag und Lagerung verknüpft. Im englischen Sprachraum umfasst „Logistics“ sogar genau diese Teilaspekte, während „Supply Chain Management“ auch die planerischen und gestalterischen Aktivitäten für Informations- und Materialflüsse impliziert. Philosophien wie „Available to Promise“ und „Capable to Promise“ beschreiben belastbare Lieferzeitzusagen als Kern der wertschöpfungsübergreifend koordinierten Abstimmung von Bedarfen und Kapazitäten (Bretzke 2007) für zugekauf te
und selbst produzierte Güter. Für Nicht-Logistiker ist dies per se kaum verständlich. Und auch die zur Erfüllung von Verfügbarkeitszusagen erforderlichen Planungen und Prozesse werden durch diese Fachbegriffe nicht deutlich. Wirtschaftspresse und Politik nutzen den Begriff Logistik überwiegend nur eingegrenzt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die am ersten Tag des 24. Deutschen Logistik-Kongresses im Oktober 2007 in Berlin die wichtige Rolle der Logistik als „branchenübergreifende Querschnittsfunktion“ hervorhob und als Wirtschaftszweig würdigte, der unterschiedliche Bereiche zusammenführe und darüber mitentscheide, wie Deutschland sich in der Welt darstelle. „Die Verknüpfung von industrieller Produktion mit logistischer Fertigkeit wird deutlich über den Erfolg des Standorts entscheiden“, betonte Merkel weiter. Logistik ist unverzichtbarer Bestandteil der industriellen Fertigung, der Warenzirkulation sowie der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Logistik ermöglicht ein arbeitsteiliges, hocheffizientes Zusammenwirken von Unternehmen. Es bilden sich Unternehmensnetzwerke aus Lieferanten, Herstellern und Dienstleistern, die in enger informationstechnischer Anbindung den Gesamtprozess der Wertschöpfung optimal gestalten und damit Produktivität und Kundenorientierung in Deutschland erhöhen. Logistik spielt dabei in jedem der Wertschöpfungsprozesse eine bedeutende Rolle, von der Produktentwicklung bis zum After Sales Business. Durch eine kombinierte
Abb. 1: Mehrwertnutzen von Logistik Arbeitsteilung
Vernetzung von Unternehmen
Supply Chain Ressourcensteuerung
Informationskopplung
A
Durchsatzerhöhung
B
Zielorientierung
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Produktion in komplexen Netzen lassen sich im Hochlohnland Deutschland wettbewerbsfähige Preise erzielen. Logistik verbindet dabei die europaweit differierenden Standortvorteile zu einem reibungslos funktionierenden Gesamtsystem. Insbesondere für die Erschließung neuer Märkte ist eine leistungsfähige Logistik Voraussetzung. Logistik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und eine wissenschaftliche Disziplin – sie leistet unverzichtbare Beiträge zur Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Wirtschaft. Unternehmen haben Umfang und Bedeutung der Logistik weitgehend verstanden. Dies wird unter anderem in der hierarchischen Verankerung der Logistik deutlich. Sie ist in Industrie- und Handelsunternehmen seit Jahren überwiegend auf der Ebene von Vorstand und Geschäftsführung beziehungsweise Bereichsebene angesiedelt. Logistik-Manager sind im Top-Management verankert oder berichten zumindest an dieses. Dabei ist die Logistik in jedem zweiten Unternehmen als Linienabteilung organisiert, bei jedem dritten in einer Matrixorganisation und seltener als Stabsstelle verankert (Straube et al. 2005). In der Öffentlichkeit hingegen wird Logistik eher amorph wahrgenommen, die Zusammenhänge in Unternehmen und Unternehmensnetzen gelten als kompliziert und vielfach zu abstrakt. Sie sind vor allem schwer zu vermitteln.
Stellenwert der Logistik in Deutschland und Europa Logistik bedeutet in Anlehnung an Baumgarten – als ein Beispiel für die Vielzahl wissenschaftlicher Definitionen –
„ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Güter- und Informationsflüsse“. Dafür stellt die Logistik für Gesamt- und Teilsysteme in Unternehmen, Konzernen, Netzwerken und sogar virtuellen Unternehmen prozess- und kundenorientierte Lösungen bereit. Die Beschaffungs-, Produktions-, Distributions-, Entsorgungs- und Verkehrslogistik sind wichtige Teilgebiete der Logistik, die in alle Prozessketten und -kreisläufe einfließen – innerbetrieblich und weltweit, zwischen Unternehmen und bis hin zu den Endkunden. Dabei werden 45 Prozent der logistischen Leistungen von Logistik-Dienstleistern erbracht, der noch überwiegende Teil von 55 Prozent ist logistische Wertschöpfung in Unternehmen. In der Öffentlichkeit ist Logistik sogar nur zu einem Drittel wahrnehmbar, nämlich in der Bewegung von Gütern durch Dienstleister – zwei Drittel finden in der Planung, Steuerung und Umsetzung innerhalb von Unternehmen statt. Selbst im „kleineren“ Teil der Logistik agieren ca. 60 000 Dienstleistungsunternehmen, die ganz überwiegend mittelständisch geprägt sind. Das weltweit positive Image von Logistikdienstleistungen aus Deutschland resultiert aber neben der im Mittelstand zu findenden Flexibilität auch durch die Leistungsspektren und -fähigkeiten von Weltkonzernen wie der Deutschen Post oder der Deutschen Bahn. Branchenübergreifend wird ein Umsatz von 189 Mrd. Euro erwirtschaftet, das sind rund 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Logistik ist damit in Deutschland die größte Branche hinter dem Handel und der Automobilindustrie. Sie rangiert noch vor der Elektronikbranche und dem
Abb. 2: Stellenwert der Logistik in der deutschen Wirtschaft
Logistik hat in Deutschland 2,6 Mio. Beschäftigte
Logistik zeigt je nach Leistungsbereich ein überdurchschnittliches Wachstum von 3–10 % pro Jahr 60 000 Logistikunternehmen insb. KMUs mit globaler Präsenz sowie einige Global Player wie die Deutsche Post Quelle: Klaus 2006
Mit einem Umsatzvolumen von 189 Mrd. Euro ist die Logistik Deutschlands drittgrößter Wirtschaftszweig 2006 betrug das BruttoUmsatzvolumen der Logistik in Europa 836 Mrd. Euro – Der Anteil Deutschlands daran beträgt 28 %
55 % logistischer Wertschöpfung kommen aus Industrie und Handel. 45 % werden von LogistikDienstleistern erbracht
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Maschinenbau, dessen Beschäftigtenzahl sie mit 2,6 Mio. um das Dreifache übertrifft. Der Logistik-Markt Europa wird auf 836 Mrd. Euro geschätzt. Der mit ca. 28 Prozent europaweit einzigartig hohe Anteil, den Deutschland daran hat, liegt nicht nur an der geografischen Positionierung im Herzen Europas. Vielmehr nimmt Deutschland bereits heute aus Sicht vieler ausländischer Investoren eine internationale Spitzenposition in Infrastrukturqualität und Logistiktechnologie ein. Neben der geografisch hervorragenden Lage sichern das Gewicht der 82 Mio. deutschen Konsumenten und die Exportstärke der deutschen Industrie den internationalen Investoren eine größtmögliche Kunden- und Lieferantennähe. Die dichteste und heute schon stark ausgebaute Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur weltweit sowie eine Anzahl an „Global Players“ wie in keinem anderen europäischen Land runden das Bild der Standortvorteile Deutschlands ab, wenn es um Logistik geht. Hierzu tragen auch ein überlegenes Preis-Leistungs-Verhältnis, ein exzellentes „Hightech-Know-how“ sowie die Sicherheit und Zuverlässigkeit des deutschen Rechtsrahmens bei. Logistik zeigt je nach Leistungsbereich ein überdurchschnittliches Wachstum von 3 bis 10 Prozent pro Jahr und investiert ca. 15 Mrd. Euro in neue Logistik-Immobilien, Technologien und Qualifikationsmaßnahmen. Logistik ist ein zukunftsweisendes Berufsfeld, das inzwischen an über 100 Universitäten und Fachhochschulen gelehrt wird, an dem aber auch zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen intensiv forschen. Existenzsichernde Ergebnisse werden durch effiziente Wertschöpfung und optimierte Bereitstellung von Ressourcen erwirtschaftet. Je besser diese Prozesse ablaufen, desto besser sind die Ergebnisse. Logistik wirkt hier direkt und ermöglicht, an globalen Erfolgen teilzuhaben, ohne Wertschöpfung in Deutschland aufzugeben. Denn anders als bei einem „ganz oder gar nicht“ eröffnet die Logistik die Möglichkeit, bewusst ausgewählte Teile der eigenen Leistung einzukaufen und sich auf wesentliche Stärken zu konzentrieren. Logistik ist nicht mehr wegzudenken aus der industriellen Fertigung, der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen sowie der Warenzirkulation. Logistik wirkt auch als „Enabler“ neuer Dienstleistungen, indem sie sinnvolle Arbeitsteilungen über Unternehmens- und sogar Ländergrenzen hinweg ermöglicht, beispielsweise durch Outsourcing. Logistik ist darüber hinaus ein Treiber technischer Innovationen, denn ein sinnvolles Zusammenwirken von Unternehmen erfordert intelligente Kommunikations- und Steuerungsinstrumente. Durch die intensive Nutzung kon-
vergierender Technologien wie Telematik, Prozess-Automatisierung und webbasierter Datenflüsse hat sich die Logistik zu einer echten „Hightech“-Branche entwickelt. Erst dadurch lassen sich die Aktivitäten aller Wirtschaftsbereiche zu einem gemeinsamen Optimum vernetzen. Logistik ist heute nicht nur Wettbewerbs-, sondern auch Wirtschaftsfaktor und ein volkswirtschaftlich relevanter Standortvorteil.
Effizienz, Verantwortung, Erfolg Um das Dilemma zwischen den tatsächlichen Leistungen und der verkürzten Wahrnehmung der Logistik lösen zu können, ist ein breites und ohne Partikularinteressen angelegtes „Marketing“ notwendig, das auf fundierten wirtschaftlichen Grundlagen beruht und die Leistungen der Logistik in einer für Fach- und Führungskräfte, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit verständlichen Weise darstellt und vermittelt. Dabei ist es sinnvoll, dass sich Logistiker nicht nur ihrer Fachtermini, sondern des Vokabulars bedienen, das in allen Wirtschaftsbereichen verwendet wird. Wenn Wissens- und Erfahrungsaustausch zum Nutzen aller Beteiligten erfolgen soll, bedarf es einiger „Spielregeln“ und eines gemeinsamen Grundverständnisses, das auf ethischen Motiven aufbaut: Wissen muss „vernünftig“ gesammelt, gegliedert, vermehrt und verbreitet werden, Menschen sollen möglichst ohne Hindernisse zusammengebracht werden können. Anstelle wirtschaftlicher Eigeninteressen sollte das Gemeinwohl im Vordergrund stehen, selbst dann, wenn mit Anbietern und Nachfragern logistischer Leistungen beide Marktseiten versammelt sind. Uneigennütziges Engagement, dessen Ziel nicht vorrangig eigenwirtschaftlichen Interessen dient, ist notwendig, um eine Plattform zu schaffen, der sich jedermann anvertrauen kann. Fach- und Führungskräfte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die in ihren Arbeitsgebieten aktiv und verantwortlich tätig sind, sind mit über 50, manchmal auch mit 60 und mehr Arbeitsstunden pro Woche zweifelsohne hinreichend ausgelastet. Trotzdem bilden genau diese Menschen mit einer hohen Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement das Rückgrat der BVL – und zwar jenseits der von Aristoteles definierten „Freigebigkeit, bei der die Größe des erbrachten Opfers in Relation mit dem betriebenen Aufwand gesetzt werden muss“ (Wikipedia 2008). Solches Engagement generiert Nutzen durch neue Ideen, Impulse und Kontakte und stellt die Grundlage für ein Netzwerk wie das der Bundesvereinigung Logistik dar.
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Ökonomie und Verantwortung in Verbindung mit Lern- und Lehrbereitschaft macht es möglich, die Leistungen der Logistik sichtbarer und verständlicher zu machen. Gewinnerzielung und Sicherung der Zahlungsfähigkeit gelten als die zwei essenziellen Unternehmensziele. Um sie zu erreichen, ist wirtschaftliches Handeln notwendig, ein rationaler Umgang mit knappen Ressourcen sowie ein „gutes“ Verhältnis zwischen Ertrag und Aufwand. SollIst-Vergleiche oder Vergleiche zwischen verschiedenen Zeitpunkten beleuchten nur Ausschnitte der Wirklichkeit, erst Vergleiche zu anderen Betrieben oder Maßnahmen schaffen umfassende Klarheit. Logistiker decken mit ihren Arbeitsgebieten das gesamte Spektrum ab. Niedrige Erzeugungskosten durch eine geeignete Produkt- und Produktionsgestaltung, niedrige Bestands- und Versorgungskosten sowie eine möglichst hohe Zuverlässigkeit von Prozessen und Projekten wirken in allen Wertschöpfungsstufen und direkt auf Betriebsergebnisse. Partnerschaftlich eingebundene Lieferanten, kulturenübergreifendes Verständnis in nationalen und internationalen Wertschöpfungsketten sowie ganzheitliches Denken anstelle von Teiloptimierungen tragen direkt zum Geschäftserfolg bei – und sichern diesen nachhaltig. Verantwortungsvolles Management sorgt dafür, dass Mensch, Umwelt und Wirtschaft einen harmonischen Dreiklang bilden. Von anderen Unternehmen, Branchen und Regionen zu lernen, deren Methoden und Verfahren zu verstehen, sie als Impulse und Ideengeber zu verwenden, um Lösungen für das eigene Berufsfeld zu entwickeln und zu implementieren, bietet nahezu unerschöpfliche Vorteile. Unter Logistikern ist es möglich, sich zu begegnen und Wissen auszutauschen, auch wenn man Unternehmen angehört, die zueinander im Wettbewerb stehen oder in denen völlig andere „Kulturen“ vorherrschen als im eigenen Erfahrungsbereich. Im Praxiseinsatz befindliche Systeme werden als „Status quo“ verstanden, von dem derjenige, der diesen zuerst entwickelt und in Betrieb genommen hat, davon profi tiert, dass er das dafür notwendige Wissen bereits erworben hat und in tiefer Kenntnis aller währenddessen erlernten Zusammenhänge bereits an der Weiterentwicklung der im Einsatz befindlichen Lösung arbeitet.
Bundesvereinigung Logistik – Impulse und Antworten seit 30 Jahren Vor 30 Jahren als gemeinnütziger Verein gegründet mit dem Ziel, logistisches Denken über die verschiedensten Wirtschaftszweige hinweg zu fördern, bildet die BVL ein
Netzwerk für die Logistiker aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie Plattformen für den fachlichen und persönlichen Gedankenaustausch. Denn es gab und gibt viele Impulse, die branchen- und funktionsübergreifend genutzt werden können: vom Montagesteuerer aus der Automobilfabrik wie vom Versandleiter im Lebensmittelhandel, vom Einkäufer eines chemischen Betriebs wie vom Disponenten eines Spediteurs. Damals steckte die Logistik noch in den Kinderschuhen – heute macht sie hinter dem Handel und der Automobilwirtschaft den drittstärksten Wirtschaftsbereich in Deutschland aus (Fiege et al. 2005, Grünrock 2007). Die BVL ist heute der größte freiwillige Zusammenschluss von Fach- und Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Europa, die mit Wertschöpfungsnetzwerken zu tun haben. Als Gemeinschaft pragmatischer Idealisten, die ganzheitlich und interkulturell denkend über ihre Wirkungskreise hinausschauen, um daraus fachlich und menschlich Nutzen zu ziehen und zu stiften, verbindet die BVL Menschen, die die Bedeutung von Netzwerken für das effiziente und effektive Wirken einer global tätigen Wirtschaft erkannt haben und dieses auch anderen vermitteln möchten. Entwicklung und Status der Vereinsaktivitäten
Die BVL wurde am 18. April 1978 gegründet, damals verfügte sie zum Jahresende über 202 Mitglieder. Seit 1981 besteht eine eigene Geschäftsstelle in Bremen, seit 1983 ist die BVL Veranstalterin des jährlich im Herbst in Berlin stattfindenden Deutschen Logistik-Kongresses, der im Jahr 2007 mit über 3500 Teilnehmern an die Spitze der „Weltliga“ vergleichbarer Veranstaltungen aufstieg. Im Jahr 2000 wurde die Deutsche Gesellschaft für Logistik (DGfL) mit der BVL verschmolzen. Zum Jahresende 2007 hatte die BVL 8585 Mitglieder, rund 150 ehrenamtlich tätige Funktionsträger, bundesweit 26 Regionalgruppen sowie 20 akkreditierte Forschungsstellen (Bach et al., 2008). Die Bundesvereinigung Logistik erfüllt ihren Satzungsauftrag heute durch vielfältige Serviceleistungen und hohes persönliches Engagement: •
Vorstand und Beirat der BVL sind hochkarätig besetzt und repräsentieren einen weit gefächerten Querschnitt von Logistikfunktionen aus Wirtschaft und Wissenschaft. Der Vorstand ist verantwortlich für die Planung, Durchführung und Überwachung der Aufgaben, die sich aus den Zielsetzungen des Vereins ergeben. Er verantwortet die Geschäftsführung sowie die Ausführung der Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Der vom Vorstand berufene Beirat ist mit Persönlichkeiten aus
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Wirtschaft, Wissenschaft und Politik besetzt, überwiegend Vorstände und Geschäftsführer, die unmittelbar Verantwortung für Logistik tragen. Der Beirat ist ein beratendes Gremium für die BVL, durch das persönliche Netzwerke und Know-how eingebracht werden. Die 26 Regionalgruppen der BVL bilden mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement das Fundament des Vereins. Auf jährlich über 140 Veranstaltungen werden logistische Strategien, Konzepte und Lösungen hautnah und praxisbezogen präsentiert. Sie sind eine Plattform, um Kontakte neu zu knüpfen oder zu vertiefen. Sowohl Mitglieder als auch interessierte Gäste können sich hier im persönlichen Gespräch über Angebot und Leistungen der BVL informieren. Der Wissenschaftliche Beirat verankert Wissenschaft und Forschung in der Arbeit der BVL und vertritt diese bei allen relevanten Fördermittelgebern. Er berät diese bei der Durchführung und Qualitätssicherung von Forschungsprojekten und organisiert den Transfer der Forschungsergebnisse. Zurzeit sind im Schwerpunkt die Fachbereiche Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Technik vertreten. Der Förderbeirat, ein ehrenamtlich tätiger Kreis von wissenschaftlich interessierten Praktikern, hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegenüber der Öffentlichkeit bestehende Forschungsdefizite auf dem Gebiet der Logistik aufzudecken und daraus wichtige und notwendige Projektinhalte abzuleiten. Der Förderbeirat selbst ist keine Forschungsinstitution, sondern initiiert, begleitet, begutachtet und hilft. Zukunftsorientierte Arbeitskreise bearbeiten im Auftrag des Vorstands aktuelle Themenstellungen und stellen die
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Ergebnisse den BVL-Mitgliedern und der interessierten Fachöffentlichkeit in vollem Umfang zur Verfügung. Sie ermöglichen so einen schnellen Wissenstransfer und die persönliche Kontaktaufnahme bei der Suche nach fundierten Informationen und Fachwissen. Die Stiftung BVL versteht sich als Impulsgeber für neue Themenfelder der Logistik und widmet sich insbesondere der Gewinnung von Fördermittelgebern. Die Geschäftsstelle der BVL mit Sitz in Bremen hält und pflegt den Kontakt zu den Mitgliedern, zu Unternehmen und Verbänden, zu Wissenschaft und Politik, zu vielfältigen Institutionen und den Medien. Neben den drei Geschäftsführern sind aktuell 37 hauptamtliche Mitarbeiter/ innen in insgesamt vier Organisationseinheiten tätig: im Verein selbst, der Deutschen Logistik-Akademie (DLA), der Deutschen Außenhandels- und Verkehrsakademie (DAV) und der Deutschen Gesellschaft für Logistik (DGfL). Die DLA gGmbH und die Stiftung DAV fördern in enger Zusammenarbeit mit der BVL die notwendige Weiterbildung auf dem Logistiksektor durch ein umfangreiches, modular aufgebautes Seminarangebot sowie Studiengänge zum Thema Logistik. Die DGfL mbH betreut in erster Linie die begleitenden Fachausstellungen bei BVL-Veranstaltungen sowie die ELA-Zertifizierungen. Durch eigene Veranstaltungen wie Deutscher Logistik Kongress, Logistics Forum Duisburg, Wissenschaftssymposium Logistik, verschiedene Tages- und Branchenforen sowie durch die fachliche Begleitung von Messen und Ausstellungen werden Informationen und Netzwerke bereitgestellt, die dem logistischen Handeln in der Praxis neue Impulse und neue Qualität geben.
Abb. 3: Organisation der BVL
Mitglieder Mitgliederversammlung Vorstand
26 Regionalgruppen
Regionalgruppensprecher
Präsidium Vorstandsausschüsse Erweiterter Vorstand
Beirat Wissenschaftlicher Beirat Förderbeirat Arbeitskreise Stiftung BVL Geschäftsstelle
DAV/DLA
DGfL
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Die Vergabe von begehrten Preisen für die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Medien unterstützt das Ziel der BVL, das ganzheitliche Denken in logistischen Prozessen zu begleiten und zu fördern. Speziell auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten wurde eine „Informationskaskade“ mit inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmten Inhalten in unterschiedlichen Publikationen und Medien entwickelt. Gemeinsam mit ihrem Medienpartner, dem Deutschen VerkehrsVerlag, bietet die BVL ihren Mitgliedern ein mehrstufiges Kommunikationskonzept, bestehend aus einem wöchentlichen E-Mail-Newsletter (LOG.Mail), einem monatlichen Print-Newsletter (LOG.Letter) und einem im Durchschnitt alle zwei Monate erscheinenden Magazin (LOG.Punkt), das medienübergreifend als Print- und auch als elektronisches Medium zur Verfügung gestellt wird.
Perspektiven für Logistik im gesellschaftlichen Kontext
Die BVL versteht sich als das internationale Netzwerk für Logistik. Sie verbindet Menschen und Institutionen, Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Sie wird auch in Zukunft die Logistik weiterentwickeln und sich nicht für Partikularinteressen einspannen lassen, sondern Ratgeber für Zusammenhänge und fundierte Entscheidungsgrundlagen sein. „Objektivität“ anstelle
der vielleicht etwas eng gefassten „Neutralität“ wird die Leitlinie für Handeln und Kommunikation der BVL sein. An erster Stelle steht der weitere Ausbau der inhaltlichen Arbeit, danach – und zwar ganz bewusst danach – die Internationalisierung der Aktivitäten und Services. Die BVL wird sich außerdem noch intensiver als bisher der Weiterbildung annehmen. Der Fokus auf die Inhalte, die Überwindung von Grenzen – zwischen Unternehmen wie auch im Rahmen der Internationalisierung – sowie die intensivierte Weiterbildung spiegeln sich bereits in den folgenden konkreten Maßnahmen wider: •
Mit dem „Logistik-Indikator“, der gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ins Leben gerufen wurde, stellt die BVL einen Seismografen für Stimmungen und die Entwicklungen in der Logistik bereit. Befragt werden dabei in jedem Quartal 200 ausgewählte repräsentative Unternehmen zu den aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Geschäftsentwicklung und Kapazitätsauslastungen von Logistik-Dienstleistern und Anwendern logistischer Dienstleistungen. So können kurzfristige Entwicklungen in der Logistik frühzeitig erkannt werden – wie zum Beispiel aktuell die Verknappung von Kapazitäten oder die Entwicklungen am Arbeitsmarkt.
Abb. 4: Der BVL/DIW Logistik-Indikator Gesamtindikator Indexpunkte 180 170 160 150 140
Klima Lage
130 120
Erwartungen
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Die deutsche Logistikwirtschaft zeigt sich im vierten Quartal 2007 insgesamt in starker Verfassung. Der Indikator bewegt sich mit einem Wert 147 trotz leichter Abschwächung gegenüber den beiden Vorquartalen auf einem hohen Niveau. Gegenüber der Vorquartalsumfrage hat sich die Lagebeurteilung verbessert, während sich die Erwartungen erneut leicht eingetrübt haben. Gleichwohl werden die Geschäftsaussichten für das Jahr 2008 immer noch deutlich positiv eingeschätzt, sodass die Zeichen auch für das kommende Jahr weiterhin auf eine expansive Entwicklung hindeuten.
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2008 einen bundesweiten Aktionstag geben, an dem alle Regionalgruppen der BVL Veranstaltungen anbieten werden und Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung Einblicke in ihre Logistik gewähren. Logistikinstitute werden ihre Pforten öffnen und ihre Forschungsprojekte vorstellen. Namhafte Verbände beteiligen sich aktiv an dieser Idee. Der „Tag der Logistik“ wird den Medien und durch die Medien kommuniziert werden, um die Logistik noch stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu transportieren.
Die BVL verstärkt durch die Verzahnung der Aus- und Weiterbildungsangebote von Deutscher Logistik Akademie (DLA) und Deutscher Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) ihr Engagement im Bereich der beruflichen Qualifizierung. Im Zentrum steht die Prozessorientierung von der Beschaffung über die Produktion und die Distribution als Nahtstelle zu den Kunden. Grundbausteine der Logistik, dezidierte Seminare und Fachforen zu spezifischen Themengruppen in und um Wertschöpfungsketten herum sowie Bildungs- und Studiengänge, in denen modulares Wissen zu Themenschwerpunkten gebündelt wird, bilden die Kernstruktur des Programmangebots. Auch branchen- und betriebsspezifische Weiterbildung wird angeboten. Mit „Logistics Research“ wird die BVL ab Mitte 2008 ihre Plattformarbeit erweitern: Das neue Wissenschaftsjournal ist durch Zusammenschluss bestehender Plattformen entstanden – interdisziplinär und sogar medienübergreifend. Auch online wird die BVL neue Wege gehen: Beispiele hierfür sind das bereits erprobte e-Journal der Zeitschrift „LOG.Punkt“ sowie zusätzliche Services auf der BVL-Homepage – quasi vom „Taschenlexikon der Logistik“ über Kernwissen der Logistik bis hin zur OnlinePlattform, die im Herbst des Jahres 2008 vorgestellt werden wird. Mit dem „Tag der Logistik“ wird es an jedem dritten Donnerstag im April und damit erstmals am 17. April
Initiativen und deren Umsetzung in den kommenden Jahren
Zu den Alleinstellungsmerkmalen der BVL gehören ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Die Mitglieder sind freiwillig beigetreten, die Mitgliedsbeiträge sind bewusst so moderat festgelegt worden, dass sie die Mitgliederkosten für die Informationsdienstleistungen, die Einladungen zu den Veranstaltungen und den Jahresbericht des Vereins decken. Im Gegensatz zu Unternehmensverbänden erfolgen weder Rechts- oder Tarifberatung, noch Lobbyarbeit, stattdessen stehen Neutralität und Objektivität im Vordergrund. Als eine ihrer Kernkompetenzen sieht die BVL die Planung, Organisation und Durchführung hochwertiger Veranstaltungen zum Thema Logistik – und zwar von den Seiten des Content und Event wie auch ihrer Fertigkeit, Netzwerke zu managen. Für die BVL steht „Menschlichkeit“ im Vordergrund: „Person geht vor Funktion“, lautet das Leitmotiv. Der Umgang miteinander ist wichtig. Eine
Abb. 5: Die Bildungslandschaft der BVL-Akademien
Bildungsgänge Supply Chain Manager/in
Kompakt-Kurs Logistik
Supply Chain Management
Warehouse Manager/in
Produktionsmanager/in
Transport & Verkehr
Technologien & Verfahrenstechnik
Studiengänge Verkehrsfachwirt/in Betriebswirt/in
Beschaffung & Einkauf
Globalisierung
Produktion
Personal & Führung
Kompakt-Studium Logistik Grundlagen Logistik Logistik-Assistent/in
Zoll-Experte/in
Grundausbildung
Logistik Controller/in
Recht
English Logistics Certificate
English for Global Sourcing & Logistics
Informations- & Kommunikationssysteme
Distribution & Vertrieb
Controlling
Branchen Automotive
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konstruktive Meinungsvielfalt inklusive einer positiven fachbezogenen Streitkultur führen zu einer hohen Attraktivität. Diese wiederum ist Voraussetzung, wenn führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik für das Netzwerk der BVL gewonnen werden sollen. Die BVL selbst sieht ihr Wachstumspotenzial bei den Mitgliedern weiterhin als sehr groß an. Um weitere Mitgliedergruppen zu erschließen, hat der BVL-Vorstand im Rahmen seines letzten Strategiemeetings beschlossen, Bündelung und Transfer von Logistikwissen noch intensiver in den Fokus der BVL-Arbeit zu stellen. Dabei sollen insbesondere aktuelle und zukunftsorientierte Methoden und Verfahren sowie aktuelle und zuverlässige Zahlen, Daten und Fakten die Grundlage bilden für Erfahrungsaustausch, Positionsbestimmung und Vertiefung der Marktkenntnisse aller Mitglieder und sonstiger Logistikinteressierter. Es sollen auch weiterhin beide Marktseiten zusammengebracht und der Rahmen zur Pflege sozialer Kontakte geboten werden. Um das Logistikverständnis in der Öffentlichkeit zu verbessern, sollen aus Forschung und Veranstaltungen resultierende Hintergrundinformationen sowie Informations- und Bildmaterial für Medien offensiver als heute zur Verfügung gestellt werden.
Bildung ist eine vordringliche Aufgabe unserer Gesellschaft. Logistik braucht kluge Köpfe, damit Gesamtzusammenhänge verstanden werden: Die Bundesvereinigung Logistik bekennt sich zum Konzept des lebenslangen Lernens und fördert Bildung über alle Lebensstufen und Kulturen. Die Arbeit der BVL wird auch weiterhin ein Ideengenerator sein. Die Zukunft gehört der Logistik – und die Logistik der Zukunft wird in der BVL zu finden sein.
Empfehlungen für Rahmenbedingungen und Handlungsfelder Dynamische Entwicklungen der Märkte, wachsende Kundenbedürfnisse, schwankende Rohstoffpreise und Wechselkurse sowie politische Rahmenbedingungen – kaum eine Einflussgröße im komplexen Geflecht der unternehmerischen Beziehungen ist heute noch zuverlässig vorhersagbar. In diesem Umfeld Effektivität, Effizienz und ein stabiles Wachstum zu erzeugen, ist für Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen die Herausforderung der Zukunft. Im Umgang mit diesen Herausforderungen hat sich die Logistik als entscheidendes Erfolgskriterium herausge-
Abb. 6: Positive Hebel der Logistik für Deutschland
Mobilität Warenverfügbarkeit
Logistik
Logistik
Prozessorientierung Informations-Vernetzung
Bürger • Mobilität • Angebotsbreite • Kundennähe • Verkehr & Tourismus • Arbeitsplatzsicherheit • Wissenschaft & Forschung • Sicherheit
Unternehmen • Wettbewerbsposition • Vernetzung zu virtuellen Verbünden • Investition in IT-Technologie • Nutzung ausländischer Lohnkostenvorteile • Ergebnisverbesserung
Staat • Wettbewerbsposition • Vernetzung zu virtuellen Verbünden • Grenzüberschreitende Wertschöpfungsnetzwerke • Europa-Hub Deutschland • Exportunterstützung
Wirtschaft • Steigerung des Dienstleistungsanteils • Markterschließung • Globalisierung • Mittelstandsstärkung • Innovationen
Infrastruktur Interoperabilität
Supply Chain Management Globalisierung
Logistik
Logistik
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bildet. Wer in der Logistik und der mit ihr eng verbundenen IT Know-how, Technologieführerschaft und Innovationskraft mitbringt, sichert seine Wettbewerbsfähigkeit. Die Erfolge deutscher Spitzenleistungen in der Logistik von Produktions- und Handelsunternehmen wie beispielsweise bei Festo, Metro, Gildemeister, Tchibo, Bosch-Siemens Hausgeräte und Claas belegen dies eindrucksvoll. Deren ganzheitliche Konzepte erschließen Potenziale und vor allem Arbeitsplätze – auch in Deutschland. Logistik bietet Stellhebel für Bürger, Unternehmen, Wirtschaft und Staat, die, selbst wenn sie nur in Teilbereichen und Teilgebieten genutzt werden, positive Wirkungen auf das gesamte System erzielen. Beispielsweise verbessert mehr Prozessorientierung die Wettbewerbssituation von Unternehmen und Volkswirtschaften, schafft mehr Nähe zu Kunden und sichert Arbeitsplätze. Logistik muss wahrnehmbarer Produktbestandteil von Gütern aus deutscher Produktion werden, die sich durch ihre logistikbasierten Services vom internationalen Wettbewerb positiv abheben. Deutschland benötigt gute Rahmenbedingungen und Flexibilität für Logistik-Dienstleistungen. Hierzu müssen Monopole abgebaut werden und der Staat sollte sich weitgehend aus der Wirtschaft zurückziehen. Deregulierung, Freiheit und Mobilität sind existenziell für den Standort Deutschland und können trotz schwacher Haushaltslage mit innovativen Finanzierungsmodellen vorangetrieben werden. Logistikdienstleistungsunternehmen sind stark mittelständisch geprägt. Daher ist Logistikförderung Mittelstandsförderung – und umgekehrt. Insbesondere die Kapitalschwäche mittelständischer Logistikdienstleister muss beseitigt werden, damit Investitionen in komplexe Kontraktlogistik-Leistungen möglich werden. Logistikdienstleister sind durch ihre Nähe zum Kunden in der Lage, veränderte Marktbedürfnisse frühzeitig zu erkennen und unternehmerisch darauf zu reagieren. So entstehen kurzfristig innovative Produkte, Logistikprozesse und Dienstleistungen, die Deutschland voranbringen. Mobilität bedeutet Beweglichkeit und Freiheit. Darum ist die Sicherung einer gut ausgebauten Infrastruktur zentrale gesellschaftliche Aufgabe der Zukunft zur Mehrung des individuellen Nutzens und zur Steigerung der Produktivität. Infrastruktur ist eine wertvolle Ressource, deren Gebrauch von allen Nutzern finanziert werden muss – ohne Einschränkung auf bestimmte Nutzergruppen, aber differenziert und nutzungsabhängig. Beispiele für Finanzierungsmodelle sind Public Private Partnerships und die Maut. Die hervorragende Maut-Technologie sollte vermarktet und um Mehrwertdienste angereichert werden.
Die Politik muss das Ineinandergreifen aller Verkehrsträger fördern. Ein ganzheitliches Mobilitäts-Management sorgt für eine optimale, IT-gesteuerte, Ressourcen schonende Nutzung wertvoller Infrastrukturen. Mobilität nutzt Menschen und Gütern gleichermaßen. Neben der selbstverständlichen Grundversorgung muss Infrastruktur dort in besonderer Weise verfügbar gemacht oder verbessert werden, wo unter den derzeit absehbaren wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen der größtmögliche Nutzen entsteht. Durch intelligente Nutzung der Infrastruktur muss deren Leistungsfähigkeit möglichst vollumfänglich erschlossen werden. Der im Koalitionsvertrag von November 2005 festgelegte Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ zur Verbesserung der Effizienz des Gesamtverkehrssystems ist dafür ein erster wichtiger Ansatz. Und er muss weitestgehend komplementär zum „Aktionsplan Logistik“ der Europäischen Kommission gestaltet werden, der ebenfalls in Arbeit ist. Veränderungen bei den Menschen und in ihrem Umfeld werden ein wesentlicher Treiber für neue Aufgabenstellungen der Logistik und neue Services der BVL sein. Die fortschreitende Internationalisierung, der Wegfall von Grenzen und Zollschranken, veränderte Sicherheitsanforderungen, der demografische Wandel und die fast schon als selbstverständlich empfundenen Änderungen des Kommunikationsverhaltens werden bestimmend sein. Die persönliche Kommunikation wird wichtig bleiben, aber virtuell ergänzt werden. Änderungen im Konsumverhalten der Menschen werden Unternehmen veranlassen, über ihre Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsstrategien nachzudenken. Der immerwährende Wettstreit von Konzentration versus Spezialisierung beziehungsweise Dezentralisierung wird in eine neue Schleife getrieben. Die Verfügbarkeit neuer Technologien und der zunehmende Wunsch der Menschen, diese auch zu nutzen, wird neue Transferkanäle generieren. Die Logistik sorgt als Querschnittsfunktion und im Nahtstellenmanagement der Wirtschaftssektoren für eine Konvergenz bisher unverbundener Technologien zu anwendungsreifen und erprobten Produkten. Sie erfordert immer neue Technologien und informationstechnologische Lösungen für ihre spezifischen Anwendungen und wirkt damit als Innovationstreiber. Die Verbreitung von Technikinnovationen hat nachhaltig positive Effekte auf die Ressourcenschonung und erzeugt Wettbewerbsvorteile der deutschen Logistikleistungen im internationalen Vergleich. Interdisziplinäre Forschung und Entwicklung sowie ein bewusster Umgang mit
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gewachsenen Kulturen, deren Einbindung und aktives Management führen zum weiteren Ausbau der Weltmarktführerschaft Deutschlands in der Logistik. Die Sicherheit der Infrastruktur in Verkehr und Informationstechnik wird in Zukunft eine immer größere Rolle im internationalen Standortwettbewerb spielen und Entscheidungskriterium für Investoren sein. Auf „Megatrends“ wie Globalisierung, Urbanisierung, Bildung von Ballungsräumen, Klimasensibilität, Nachhaltigkeit, Krisen und Katastrophen sind Antworten zu finden, die keine Grenzen kennen und keine Grenzen benötigen. Hier müssen nicht-kommerzielle, unabhängige Netzwerke wie das der BVL mehr mit den politisch Verantwortlichen zusammenarbeiten – und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern länder-, mentalitäts- und kulturenübergreifend. Es ist sicherzustellen, dass mit politischen Gestaltungsmitteln die einzigartigen Stärken einzelner Länder und Regionen weiter ausgebaut und vorbehaltlos für alle anderen nutzbar gemacht werden können. Die Umsetzungsmaßnahmen für eine Stärkung von Mobilität, Produktivität, Dienstleistung und Innovation in Deutschland bedürfen für ihr Gelingen besonderer Rahmenbedingungen seitens der Politik. Der Staat muss eine Politik der Zurückhaltung verfolgen, die auf die Selbstregelungskräfte der Marktteilnehmer setzt und hierfür Freiräume schafft. Fünf Schwerpunkte bilden sich dabei heraus: Wettbewerb zulassen, Flexibilität ermöglichen, Planungssicherheit
durch eine transparente Wirtschaftspolitik schaffen, Kosten reduzieren und Bürokratieabbau intensivieren. Die schwungvolle Deregulierung in Deutschland sowie die Harmonisierung in Europa sind dringend notwendig: Nur unter vergleichbaren oder besser gleichen Auflagen und Verordnungen, Abgaben und Steuern sowie technischen Rahmenbedingungen sind Interoperabilität und chancengleicher Wettbewerb möglich. Der „Standortfaktor Logistik“ muss wirksam nach innen und außen vermarktet werden. Hierfür stellt die Bundesvereinigung Logistik ihr großes Netzwerk und ihre Konzepte der Politik zur Verfügung, um gemeinsam – im Schulterschluss – über die Logistik Wirtschaftsdynamik zu erzeugen. Die Politik selbst kann mit dem Aufgreifen von Logistikkonzepten wie Serviceorientierung, Ganzheitlichkeit, Outsourcing und Vernetzung neue Wege einschlagen. Mit ihrem Bekenntnis zu mehr Logistikorientierung in Deutschland kann die Politik die nötige Akzeptanz schaffen und den Strukturwandel Deutschlands aktiv begleiten. Dann wird das Image der Logistik auch ohne gezieltes Marketing die Spitzenstellung einnehmen, die ihm gebührt. Dann werden sich Talente gern und mit großem Enthusiasmus für Karrierewege in der Logistik entscheiden. Bis dahin jedoch bedarf es eines engagierten Schulterschlusses aller Logistiker. Die Bundesvereinigung Logistik ist bereit, diesen Prozess aktiv mitzugestalten und hierfür Verantwortung zu übernehmen.
Abb. 7: Rahmenbedingungen verbessern – Chancen der Politik Wettbewerb zulassen • Deregulierung, Privatisierung vorantreiben • Wegfall aller Subventionen bis 2015 • Zölle abbauen • Auflagen nur im europäischen Konsens entwickeln
Flexibilität ermöglichen • Arbeitszeitbeschränkungen aufheben • Öffnungszeiten (Ladenschluss, UWI, Nachtflugverbote usw.) • Kündigungsschutz weiter flexibilisieren (Wegfall von Kündigungsschutz bei Kleinunternehmen bis 20 Beschäftigten und für die Dauer von 12 Monaten) • Rechtsanspruch auf Teilzeit zurücknehmen • Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge verbessern • Mitbestimmung wirtschaftsorientierter ausrichten
Planungssicherheit schaffen • Politik-Transparenz erhöhen • Wirkungsvolle Gesetzesfolgenabschätzung implementieren (wie FMEA) Kosten reduzieren • Lohnnebenkosten senken • Steuerrecht vereinfachen (Substanzbesteuerung vermeiden, Gewerbesteuer abschaffen, Erbschaftssteuer bei Betriebsfortführung abschmelzen) • Unternehmensbesteuerung in durchschnittlicher Höhe aller europäischen Regelungen Bürokratieabbau intensivieren • Normungs-, Genehmigungsverfahren u. Planfeststellungsverfahren verkürzen • Schnelle und unbürokratische Ansiedlung von Investoren • Überzogene Umweltschutzauflagen abbauen Schadstoff-Bilanzen einführen • Potenziale von e-Government ausschöpfen
Raimund Klinkner / Thomas Wimmer
Literaturverzeichnis Bach, D., Grünrock-Kern, U., Wimmer, T. (2008) Chronik der Bundesvereinigung Logistik, ISBN 978-3-87154-372-2, Deutscher VerkehrsVerlag, Hamburg Bretzke, W.-R. (2007) „Available to promise – der schwierige Weg zu einem berechenbaren Lieferservice“ in: Logistik Management, 9. Jahrgang 2007, Ausgabe 2, Seite 8-18, ISSN 1436-6231, Aspecta Verlagsgesellschaft, Nürnberg Fiege, H., Klinkner, R., Wimmer, T., Witten, P., Zadek, H. (2005) „Wachstum schaffen – Zukunft gestalten – Logistik als Motor für Wachstum und Innovationen in Deutschland“ – Thesenpapier der Bundesvereinigung Logistik mit Empfehlungen an die Politik der 16. Legislaturperiode; Eigendruck, BVL, 9/2008 Grünrock-Kern, U., Wimmer, T. (2007) „Logistik – vielfältig, innovativ, international“ – Themenheft Logistik, Verlagsbeilage in: Journalist, Medienfachverlag Rommerskirchen, Rolandseck, 5/2005
Grünrock-Kern, U., Schäfer, K. (2008) „Effi zienz – Verantwortung – Erfolg“, Bericht des Vorstands 2007, Eigendruck, BVL, 1/2008 Klaus, P., Kille, C. (2006) „Top 100 in the European Transport and Logistics Services – Market Sizes, Market Segments and Market Leader in the European Logistics Industry“, 2nd Edition, ISBN 978-3-87154-358-6, DVV Media Group / Deutscher Verkehrs-Verlag, Hamburg Straube, F., Pfohl, H.-C., Günthner, W., Danglmaier, W. (2005) „Trends & Strategien in der Logistik – Ein Blick auf die Agenda des Logistikmanagements“, ISBN 3-87154-331-4, Deutscher VerkehrsVerlag, Hamburg www.bvl.de – Homepage der BVL – Gliederungspunkte „Logistik“; „Satzung“; „Wer wir sind“; „24. Deutscher Logistik Kongress“, hier insbesondere Rede der Bundeskanzlerin zur Eröffnung des 24. Deutschen Logistik-Kongresses am 17. Oktober 2007 in Berlin www.wikipedia.de – Internet-Enzyklopädie – Wirtschaft, Ethik, Ehrenamtlichkeit
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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten
Matthias von Randow Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Staatssekretär Matthias von Randow Jahrgang 1959 Von Randow ist seit Januar 2008 Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Nach Abitur und Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann leistete er 1981–1982 Zivildienst bei amnesty international. Er studierte 1983–1988 an den Universitäten in Bonn und Rom in den Fächern Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte, Soziologie und Politische Wissenschaften und erwarb 1989 einen Magister Artium. Von Randow war 1989–1990 Projektleiter beim DGB-Bildungswerk. 1990–1996 war er Referatsleiter beim DGB-Bundesvorstand und 1996–1998 Referatsleiter beim SPDParteivorstand. Er war 1999–2003 Leiter des Leitungsstabs im BMVBS. In den Jahren 2004–2007 war er dort Leiter der Grundsatzabteilung.
Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten Matthias von Randow
Güterverkehr und Logistik bilden eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft Deutschland ist der stärkste Produktionsstandort Europas. Seine Attraktivität wird durch die Leistungsfähigkeit des Güterverkehrs- und Logistiksystems maßgeblich mitbestimmt. Damit hängen wirtschaftliche Wertschöpfung, materieller Wohlstand und die soziale Basis unserer Gesellschaft entscheidend davon ab, wie leistungsfähig, sozial- und umweltverträglich wir Transport und Logistik auch in der Zukunft sicherstellen können. Bis zum Jahr 2050 wird das Güterverkehrsaufkommen in Deutschland gegenüber heute um rund die Hälfte zunehmen, die Güterverkehrsleistung wird sich mehr als verdoppeln. Mit anderen Worten: Wir werden auch zukünftig eine hohe Verkehrsnachfrage haben. Dort, wo Rohstoffe, Halbfertig- und Fertigprodukte hergestellt, verarbeitet, weiterverarbeitet, umgeschlagen, exportiert und importiert werden, wird auch in Zukunft Verkehr entstehen. Vor diesem Hintergrund bleibt Deutschland auch künftig Haupttransportland und Verkehrsdrehscheibe Europas. Deutschland kann sich als Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb aufgrund seiner guten Verkehrsinfrastruktur, seines großen Absatzmarktes, seines logistischen Know-hows und der insbesondere für Investitionsentscheidungen wichtigen Rechtssicherheit gut behaupten. Wir haben leistungsfähige Seehäfen, international bedeutende Flughäfen und den größten Binnenhafen Europas. Deswegen überrascht nicht, dass Deutschland an dem auf 585 Mrd. Euro geschätzten Logistikmarkt Europa mit rund 28 Prozent europaweit einen führenden Anteil hat.
Herausforderungen für Transport und Logistik Logistik ist ein hochkomplexer Prozess in einer arbeitsteiligen Wirtschaft, er ist in vielfältiger Weise mit den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen verflochten. Will die Verkehrspolitik mehr sein als nur der Türöffner für immer mehr Verkehr und Dampfwalze für immer mehr Verkehrswege, dann muss sie sich den umfassenden gesellschaftlichen Herausforderungen stellen, dann muss
Verkehrspolitik ihren nachhaltigen Gestaltungsauftrag realisieren. Dabei haben wir die wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen im Blick: • • • • •
Globalisierung, Umwelt- und Klimaschutz, Energieversorgungssicherheit, Demografischer Wandel, Humanressourcen, Security.
Globalisierung
Die Globalisierung ändert die Produktionsprozesse: Beschaffung und Vermarktung und in zunehmendem Maße auch Produktionsverbünde spielen sich nicht mehr national, sondern global ab. Bereits heute stammen 40 Prozent unserer Exportgüter von importierten Vorleistungen ab. Importe von Vorprodukten werden immer mehr zur Voraussetzung, um auf dem Exportgütermarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Entsprechend werden immer mehr Waren und Güter über immer größere Distanzen transportiert. Daraus folgt ein weiter steigender Bedarf an Transport und Logistik, d. h. ganz konkret auch mehr Verkehr. Bisher konnten wir trotz importierter Vorleistungen einen erheblichen Teil der Wertschöpfung in Deutschland sicherstellen, obwohl zwischen 1995 und 2006 die exportinduzierten Importe mit 11 Prozent jährlich stärker gewachsen sind als die Exporte (8 Prozent pro Jahr). In der gleichen Zeit ist der Beitrag des Exports zum deutschen Bruttoinlandsprodukt von 16 Prozent auf über 23 Prozent kräftig angestiegen. Die zunehmende globale Arbeitsteilung hat sich demnach bisher positiv auf das Wachstum in Deutschland ausgewirkt. Auch schaffen immer kürzere Belieferungszyklen und Zeitanforderungen bei immer kleiner werdenden Sendungsgrößen die Notwendigkeit einer weiteren Optimierung der Lieferkette. In einer globalisierten Welt können wir im Wettbewerb nur mit einem Höchstmaß an Innovationskraft und Flexibilität sowie zunehmender Spezialisierung und Arbeitsteilung bestehen. Die Logistikwirtschaft hat einen dementsprechend wachsenden
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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten
Bedarf an intelligenten, innovativen und effizienten Transportsystemen. In dieser globalen Welt ist ein funktionierendes Transport- und Logistiksystem mitentscheidend für die Ansiedlung internationaler Investoren. Die Attraktivität des Standortes Deutschland wird darüber hinaus durch seine Leistungsfähigkeit als Logistikbrücke zwischen den kaufkraftstarken Wirtschaftszentren in Westeuropa und den sich entwickelnden Märkten Osteuropas bestimmt. Umwelt, Klima und Energieversorgungssicherheit
71 Prozent mehr Güterverkehr und rund 20 Prozent mehr Personenverkehr bis 2025 machen nicht Halt vor schützenswerter Umwelt. Der Flächenverbrauch für die Infrastruktur wird steigen, ebenso der Verkehrslärm, der Energieverbrauch und die CO 2 -Belastung. Schon heute ist der Verkehr verantwortlich für 70 Prozent des Mineralölverbrauchs und 20 Prozent der CO 2 -Emissionen in der EU. Damit ist klar, dass auch der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Insbesondere durch eine optimierte Logistik und mehr Energieeffizienz, aber auch durch innovative Konzepte der Verkehrsvermeidung gilt es, die vom zunehmenden Verkehr ausgehenden Beeinträchtigungen der Natur und der Lebensqualität der Menschen zu vermindern und wo immer möglich zu vermeiden. Hiermit eng verknüpft ist die Frage der Energieversorgungssicherheit. Politik und Unternehmen müssen sich auf die Endlichkeit fossiler Energieträger einstellen, um auch in Zukunft bezahlbare Mobilität zu gewährleisten. Demografi scher Wandel
Mit dem demografischen Wandel wird eine Abnahme der Bevölkerung von heute 82,5 Mio. auf 77 Mio. Einwohner bis 2050 verbunden sein. Der Anteil der 65-Jährigen wird bis 2050 von heute 17 Prozent auf 28 Prozent steigen. Der damit einhergehende Fachkräftemangel setzt schon heute Grenzen für die Wirtschaftsentwicklung. Zudem wird sich die Bevölkerung ungleich entwickeln: Ländlich geprägten, schrumpfenden Regionen werden wachsende Boomregionen mit steigender Verkehrsleistung gegenüberstehen. Der demografische Wandel bringt veränderte Mobilitäts- und Konsumbedürfnisse der Gesamtbevölkerung mit sich. Das in einer alternden Gesellschaft veränderte Mobilitätsverhalten und eine erhöhte Nachfrage nach entsprechenden logistischen Dienstleistungen (z. B. Einrichtung spezieller Liefer- und Fahrdienste) werden die Anforderungen an Verkehrspolitik und Verkehrswirtschaft verändern: Der demografische Wandel bringt nicht weniger
Verkehr, sondern anderen Verkehr und eine räumliche Konzentration auf Hauptachsen und Wirtschaftszentren. Humanressourcen
Globalisierung kann bei gleichzeitiger Wahrung der Umweltund Klimaschutzziele zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa beitragen. Allerdings müssen wir hierbei auch die Humanressourcen im Blick haben: Derzeit sind 2,5 Mio. Menschen in der Verkehrswirtschaft und Logistik beschäftigt, dabei sind aber 44 Prozent aller Beschäftigten in Güterverkehr und Logistik ohne Berufsausbildung (Stand 2004). Die Menschen sind ein Schlüsselfaktor für die weitere erfolgreiche Entwicklung der deutschen Verkehrs- und Logistikwirtschaft; die Verfügbarkeit von leistungsfähigen und Wachstum schaffenden Transport- und Logistiksystemen hängt von der Verfügbarkeit leistungsfähiger Arbeitskräfte ab: •
•
•
Der wachsende Logistikmarkt benötigt die erforderliche Anzahl an Arbeitskräften; hier wird es aber infolge des demografischen Wandels zu Nachwuchsproblemen kommen. Der hochkomplexe Logistikmarkt benötigt besser ausgebildete Fachkräfte, um den steigenden Anforderungen infolge technischer Entwicklung und zunehmender Komplexität der Transportketten gerecht zu werden. Der zunehmende Zeit- und Lieferdruck mobilisiert Effizienzkonzepte, leider aber auch schädliche Dumpingpraktiken. Ein leistungsfähiger Logistikmarkt benötigt daher wirksame Sozialvorschriften verbunden mit den nötigen Kontrollen, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten und die Attraktivität des Arbeitsfeldes für die Beschäftigten weiter auszubauen.
Security
Die Terroranschläge der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie verwundbar die globalisierten Transportsysteme und Logistikketten sein können. Security ist daher eine Grundanforderung an eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und ein leistungsfähiges Transport- und Logistiksystem.
Anforderungen an Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für eine zukunftssichere Gestaltung von Transport und Logistik Wir wollen die Spitzenstellung, die Deutschland heute als Drehscheibe internationaler Logistik hat, sichern und weiter ausbauen. Dabei ist für uns unverzichtbar, die sozialen und ökologischen Aspekte gleichfalls mit im Blick zu be-
Matthias von Randow
halten. Das heißt: Wir brauchen eine nachhaltige Fortentwicklung des Wirtschaftszweiges; er muss wirtschaftlich, sozial und ökologisch effizienter gestaltet werden. Hierzu leistet die Bundesregierung ihren Beitrag mit investitionsund ordnungspolitischen Maßnahmen und zahlreichen Förderprogrammen. Investitionen
Deutschland verfügt über eine der modernsten Verkehrsinfrastrukturen weltweit mit einem dichten und leistungsfähigen Netz von Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Häfen und Flughäfen. Ihr Ausbau und Erhalt liegen deshalb in vordringlichem Interesse. In Zeiten begrenzter öffentlicher Mittel müssen wir die Investitionen vor allem auf die Bereiche konzentrieren, wo der Bedarf am größten und der verkehrliche und wirtschaftliche Nutzen am höchsten ist. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung der logistischen Knoten und insbesondere eine Fokussierung auf den Ausbau der Hauptverkehrskorridore zwischen den Wirtschaftszentren und Ballungsräumen, um die Hauptverkehrsströme in einer globalisierten und infolge des demografischen Wandels regional „unbalancierten“ Welt leistungsfähig zu halten. Gleichzeitig muss aber auch die Anbindung von Räumen sichergestellt werden, wo sie aus strukturpolitischen Gründen sinnvoll ist. Mit Verkehrsvermeidung und Effizienzerhöhung allein werden wir dem enormen Wachstum insbesondere im Güterverkehr nicht begegnen können. Bis 2011 haben wir eine stabile Investitionslinie von jährlich durchschnittlich 9,2 Mrd. Euro, bei Einrechnung der Bundesmittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und sonstigen Investitionen beträgt sie durchschnittlich über 11 Mrd. Euro pro Jahr. Die Verstärkung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ist angesichts des Verkehrswachstums unerlässlich.
Verkehrspolitik zwischen Bund und Ländern steht auf der Tagesordnung. Deswegen sprechen wir heute von dem Erfordernis einer nationalen Hafenpolitik. Effizienz
Angesichts des Klimawandels ist unser Ziel: Gewährleistung gleicher Mobilität bei geringerer Verkehrsbelastung. Wir können dem Verkehrswachstum nicht mit immer mehr Infrastruktur begegnen. Stattdessen müssen alle Verkehrsträger besser miteinander verknüpft, größere Anteile des Verkehrswachstums auf Schiene und Wasserstraße abgewickelt, die vorhandene Infrastruktur effizienter genutzt sowie die Transportkette mittels intelligenter Logistik und innovativer Technologien (z. B. Telematik) weiter optimiert werden. Verkehrsvermeidung ist möglich und sie ist notwendig, wenn wir Mobilität erhalten wollen. Intelligente Lösungen können z. B. in einer räumlichen und ggf. zeitlichen Entmischung von Verkehren auf besonders stark belasteten Strecken liegen. Aber auch die Verkehrstelematik (z. B. Verkehrsbeeinflussungsanlagen auf Autobahnen) hat hier viele Potenziale, die es zu nutzen gilt und mit denen die deutsche Technologieführerschaft in Innovationstechnologien weiter gesichert werden kann. Umwelt
Das Bundeskabinett hat in Meseberg ein umfassendes Integriertes Energie- und Klimaschutzprogramm beschlossen. Unsere Ziele bis 2020 sind: •
• •
Import-Export-Drehscheiben
Für mehr Effizienz des Gesamtverkehrssystems ist eine Stärkung insbesondere der logistischen Knoten, d. h. vor allem der See-, Binnen- und Flughäfen oder Umschlagterminals notwendig. Dabei geht es zum einen um den nachfragegerechten Ausbau der Kapazitäten und die Anbindung an das übrige Verkehrsnetz (Stichwort: Hinterlandanbindungen von Seehäfen, intermodaler Anschluss von Flughäfen), zum anderen um die räumliche und logistische Vernetzung der Drehscheiben aus volkswirtschaftlicher Sicht. Die Zeiten einer Bundesverkehrswegeplanung, die auf geschaffene Fakten in den Ländern reagierte, sind vorbei. Der Bedarf einer abgestimmten integrierten
insgesamt 20 Prozent Verringerung des Energieverbrauchs sowie 40 Prozent Verringerung der CO 2 -Emissionen gegenüber 1990 (wenn die EU sich verpflichtet, um 30 Prozent zu verringern), 20 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien und bei den Biokraftstoffen Steigerung des energetischen Anteils am Gesamtkraftstoffverbrauch auf 17 Prozent (20 Prozent im Volumen).
Mit unseren Maßnahmen im Verkehrsbereich leisten wir einen wesentlichen Beitrag für den Umwelt- und Klimaschutz. Insbesondere sind zu nennen: •
•
Weiterentwicklung der Lkw-Maut (z. B. durch stärkere Spreizung nach Emissionsklassen und Berücksichtigung von Partikelminderungssystemen bei der Mauthöhe) Entwicklung alternativer Kraftstoffe/Biokraftstoffe und innovativer Antriebstechnologien sowie Unterstützung bzw. Vorbereitung ihrer Markteinführung
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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten
•
•
Einbeziehung von Flug- und Schiffsverkehr in den Emissionshandel Weitere Modernisierung und Stärkung des nationalen und europäischen Eisenbahnverkehrs.
Auch wird weiteres Verkehrswachstum nur dann akzeptiert werden, wenn es gelingt, den Verkehrslärm deutlich zu reduzieren. Wir haben deshalb ein nationales Verkehrslärmschutzpaket aufgelegt, das Lärmschutzmaßnahmen bei allen Verkehrsträgern bündelt. Besonderes Augenmerk gilt der Lärmsanierung an Schienenwegen und der Umrüstung des Güterwagenbestandes zur Lärmreduktion an der Quelle. Staat und Wirtschaft sind gefordert, verstärkt Anstrengungen und Investitionen zum Lärmschutz zu unternehmen.
fen abzielt, bedeuten aber einen großen bürokratischen Aufwand, verlangsamen und verteuern Transporte und behindern damit Mobilität. Andererseits werden Wirtschaft und Unternehmen international nur dann als Vertragspartner akzeptiert werden, wenn sie die Sicherheit der Transportkette gewährleisten können. Die Bundesregierung tritt daher u. a. im internationalen Kontext dafür ein, dass Sicherheitsmaßnahmen unbürokratisch ausgestaltet sind und die Wirtschaft möglichst wenig belasten (Folgenabschätzung vor Einführung, Vermeidung kostspieliger Doppelkontrollen). Bestehende Sicherheitsmaßnahmen sollen zudem regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Und eines ist klar: Sicherheit im internationalen Verkehr braucht internationale Kooperation. Nationale Alleingänge sind kontraproduktiv.
Humanressourcen
Qualifizierte und motivierte Beschäftigte sind ein Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Transportund Logistikwirtschaft. Auch im Bereich der sogenannten geringqualifizierten Arbeitsplätze werden die Anforderungen an die Beschäftigten angesichts der zunehmend komplexeren Transportketten und der fortschreitenden technischen Entwicklung steigen. Es gilt also die Ausund Fortbildungssysteme zu stärken und entsprechend den neuen Anforderungen weiterzuentwickeln. Dies können wir nur in Kooperation mit den Unternehmen der Verkehrswirtschaft angehen, die hier insbesondere auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben. Gemeinsam wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Investitionen in die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ebenso bedeutend sind wie Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Angesichts des international zunehmenden Zeit- und Lieferdrucks gilt es zudem, die Einhaltung der entsprechenden Arbeitsschutz- und Sozialvorschriften sowie der Mitbestimmungsrechte und die Einhaltung der Tarifverträge und dazu die Kontrolldichte auch bei wachsendem Verkehr sicherzustellen. Security
Global Mobilität zu gewährleisten erfordert, sie mit ausreichenden Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu sichern. Aktuell diskutierte Vorschläge wie z. B. der EU-Verordnungsvorschlag zur Verbesserung der Sicherheit der Lieferkette oder der im Sommer 2007 in den USA unterzeichnete 9/11-Act, der letztlich auf ein hundertprozentiges Durchleuchten aller für die USA bestimmter Luftfracht in Passagiermaschinen und aller Frachtcontainer in Seehä-
Faire Wettbewerbsbedingungen
In einer globalisierten Welt gilt es auch, die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der einzelnen Verkehrsträger (z. B. durch Beseitigung von Zugangshemmnissen bei der Schiene) sowie zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern (z. B. durch Anlastung der verursachten Kosten bei allen Verkehrsträgern) zu harmonisieren. Die Lkw-Maut in Deutschland ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie sorgt dafür, dass die Wegekosten in Deutschland als Haupttransitland gerecht, d. h. auch dem internationalen Verkehr, angelastet werden. Eine wichtige Diskussion wird im Sommer 2008 zu führen sein, wenn die Europäische Kommission ihr Modell zur Bewertung externer Kosten des Verkehrs und eine Strategie zur schrittweisen Umsetzung für alle Verkehrsträger vorlegt. Dies soll EU-weit für Transparenz sorgen und die Möglichkeiten für eine verkehrslenkende und Umweltkosten berücksichtigende Anlastung vergrößern. Auf dieser Basis gilt es dann, offen zu prüfen, wie Umweltschutz und Wettbewerbsgerechtigkeit am zweckmäßigsten miteinander vereint werden können. Grundsätzlich ist für uns klar: Wir dürfen bei dieser Aufgabe den Blick nicht auf bestimmte Instrumente verengen. Beim Luftverkehr wird derzeit in der EU der Emissionshandel als wirkungsvolles und marktwirtschaftlich sinnvolles Instrument zur Anlastung der externen Kosten an den jeweiligen Verursacher diskutiert. Die von der Bundesregierung unterstützte Einbeziehung des Flugverkehrs und Schiffsverkehrs in den Emissionshandel ist ein Schritt zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit, der letztlich auch der Bahn zugute käme. Und die Weiterentwicklung der Maut steht seit der Kabinettsklausur 2007 auf der
Matthias von Randow
Tagesordnung. Dabei gilt: Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen muss Teil dieser Weiterentwicklung sein.
Ausblick Die arbeitsteilige Aufgabenstellung für Deutschland ist klar: Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen für ein leistungsstarkes und nachhaltiges Verkehrssystem zu setzen; die Wirtschaft muss zusammen mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern und
innovativen Technologielösungen die entsprechenden Chancen am Standort Deutschland ergreifen. So sehr dabei Politik, Wirtschaft und Verbände ihre jeweilige spezifische Funktion haben, so sehr bedarf es bei der Logistik der übergreifenden Zusammenarbeit. Neue Formen der Kooperation müssen noch gelernt werden. Sie werden dem Logistikstandort gut tun. Und das tut Not – denn das enorme Wachstum im Verkehr fordert von uns allen Kreativität und Gemeinsinn, um auch weiterhin Wohlstand, Lebensqualität und Umweltschutz zu gewährleisten.
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Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren
Dirk Reich Executive Vice President Contract Logistics und Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne + Nagel International AG J. Rod Franklin Vice President, Product Development der Kühne + Nagel Management AG Kühne + Nagel wurde 2005 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Dirk Reich Jahrgang 1963 Reich ist Executive Vice President Contract Logistics und Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne + Nagel International AG. Er hat das Wachstum der Kontraktlogistiksparte von einem kleinen zum weltweit drittgrößten Anbieter begleitet und bestimmt. Der Bereich betreibt heute über 400 Standorte in 50 Ländern und beschäftigt 25 000 Mitarbeiter. Zuvor war Reich für die Lufthansa, die German Cargo Services GmbH sowie die Viag AG in leitender Funktion tätig. Reich ist Mitglied des Vorstands der Stiftung Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung (WHU) sowie Jurymitglied für den Deutschen Logistik-Preis.
Dr. J. Rod Franklin Jahrgang 1952 Franklin ist Vice President, Product Development bei der Kühne + Nagel Management AG und dort für die Entwicklung komplexer SupplyChain-Lösungen verantwortlich. In seiner Position bei Kühne + Nagel hat Franklin Entwicklungsprojekte in den Bereichen Lean Logistics, Reverse Logistics, RFID sowie LeadLogistics-Leistungen geleitet. Sein beruflicher Werdegang führte Dr. Franklin über Viacore ENTEX Information Services, Digital Equipment Corporation, Arthur Young & Company, Booz Allen & Hamilton, Theodore Barry & Associates, Cameron Iron Works sowie General Motors Corporation.
Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren Dirk Reich / J. Rod Franklin
Einleitung In der Vergangenheit wurden logistische Dienstleistungen eher unter operativ funktionalen Gesichtspunkten diskutiert (Vasiliauskas et al. 2007). Im Wesentlichen können diese in die Bereiche Transport-, Lager-, Speditions- sowie neuerdings Value-Added-Dienstleistungen unterteilt werden (Sheffi 1990, Lynch 2004, Aertsen 1993). Jeder dieser Bereiche wurde sowohl in Forschung und Industrie tiefergehend analysiert und in seine Bestandteile zerlegt (Maloni und Carter 2006). Während diese detaillierten Analysen in der Logistikbranche zu einem verbesserten Verständnis hinsichtlich der sich verändernden betrieblichen Leistungserstellung, Kunden- und Serviceanforderungen geführt haben, resultiert der funktionale, nicht integrierte Ansatz in einem heterogenen Serviceangebot in der Logistikbranche. Die sich zum Teil überlappenden Servicekomponenten können nicht ohne Weiteres integriert werden und weisen auch keinen einheitlichen Standard auf. Dies führt tendenziell zu höheren Logistikkosten bei gleichzeitig abnehmender Qualität des Logistikservices (Krikke et al. 2001). Im Gegensatz zu traditionell weniger integrierten Logistikdienstleistungen kann ein integrierter, produktorientierter Ansatz zu einer Reduzierung der gesamten Lebenszykluskosten eines Produktes führen. Der Schwerpunkt dieses Ansatzes, der in den USA als Integrated Logistics Support (ILS) bekannt ist, liegt auf den verschiedenen Logistikanforderungen eines Produktes entlang seines gesamten Lebenszyklus (Jones 2006). Indem das Produkt im Mittelpunkt der Serviceanforderungen steht, kann ein integriertes Paket von Dienstleistungen entwickelt werden, das eine maximale Verfügbarkeit sowie Leistung des Produktes gewährleistet. Werden zusätzlich Kosten als ein Parameter des Produktlebenszyklus betrachtet, so kann ein Paket von lebenszyklusbegleitenden Logistikdienstleistungen entwickelt werden, das bei einem definierten Umfang von Serviceanforderungen ein Minimum an Logistikkosten über den gesamten Lebenszyklus garantiert. Der ILS-Ansatz ist keineswegs neu. Allerdings ist er in der traditionellen Logistikbranche kaum bekannt und wird demzufolge kaum angewendet. Traditionelle Logis-
tikdienstleister und ihre Kunden haben den ILS-Ansatz im Wesentlichen aus zwei Gründen nicht angewendet. Der erste Grund liegt in den Motiven für das Outsourcing, das in den vergangenen Jahrzehnten zu einer rapiden Ausweitung der logistischen Dienstleistungen geführt hat. Der zweite Grund ist eher historisch bedingt und hat damit zu tun, wie das ILS-Konzept ursprünglich entwickelt und wo es eingesetzt wurde.
Outsourcing und Einflussfaktoren für die Zunahme von Logistikdienstleistungen Untersuchungen zum Thema Outsourcing von 3PL-Logistikumfängen haben viele Gründe hierfür identifiziert (Lieb 1992, Rabinovich et al. 1999). Im Wesentlichen können hierbei folgende drei Hauptgründe unterschieden werden: geografische Expansion, Kostenreduktion sowie Knowhow. Die schnelle Globalisierung der letzten 20 Jahre hat viele Unternehmen dazu veranlasst, ihre bisherigen Einkaufsstrategien zu überdenken. Wo bisherige Strategien auf lokalen/regionalen Einkauf und Vertrieb ausgerichtet waren, hat die Globalisierung Unternehmen gezwungen, weltweite Einkaufs- und Vertriebsmodelle einzuführen, um sich den veränderten Anforderungen stellen zu können. Der weltweite Einkauf zwang die Unternehmen, sich in Niedriglohnländern zu engagieren, in denen sich die eigenen Einkaufsabteilungen nicht auskannten und es kaum eine eigene Unternehmenspräsenz gab. Der Vertrieb in neuen Absatzmärkten machte es zudem erforderlich, dass sich Unternehmen mit den lokalen Distributionsmöglichkeiten auseinandersetzen mussten (King 1997). Um hohe Investitionen in riskante und unbekannte Regionen zu vermeiden, haben sich Unternehmen mit einer Globalisierungsstrategie an solche Logistikdienstleister gewandt, die bereits in diesen Regionen Logistikdienstleistungen anbieten konnten. Durch das Outsourcing ihrer Logistikaktivitäten an Logistikdienstleister, die sich im lokalen Markt schon etabliert hatten, konnten Unternehmen ihr Risiko reduzieren und gleichzeitig einen schnellen
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Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren
Wachstumskurs mit hoher Flexibilität hinsichtlich Veränderungen von Sourcing-Strategien oder Distributionsmodellen verfolgen (Jüttner 2005). Einhergehend mit der Globalisierung traten auch neue Wettbewerber auf. Die Globalisierung machte es für Unternehmen erforderlich, nicht nur über Global Sourcing und Expansion in neue Märkte nachzudenken, sondern auch über ihre Kostenstruktur. Der Kostendruck infolge neuer Wettbewerber mit besserer Effizienz oder geringeren Lohnkosten zwang Unternehmen, ihre traditionell vertikal integrierten Organisationsmodelle zu überprüfen. Viele Unternehmen kamen zu dem Ergebnis, dass eine interne Logistik zu teuer war, und haben diese infolgedessen an Logistikdienstleister ausgelagert. Das Outsourcing von Logistikdienstleistungen resultierte nicht in Kostenreduktionen, sondern auch in einem verminderten Risiko, da durch Outsourcing Kapital freigesetzt und gleichzeitig die Flexibilität erhöht werden kann (Kersten und Koch 2006). Das Outsourcing von Logistikdienstleistungen eröffnete Unternehmen zudem einen Zugang zu ExpertenKnow-how und Erfahrung der Logistikdienstleister. In vielen Fällen ging Outsourcing einher mit der Fokussierung auf das Kerngeschäft, was es den Unternehmen ermöglichte, in ihrem Kerngebiet flexibler zu agieren und gleichzeitig den Profit zu erhöhen. Die sich gegenseitig unterstützenden Faktoren Kompetenz der Logistikdienstleister sowie kundenseitige Fokussierung auf das Kerngeschäft haben zu einer Zunahme des Outsourcing von
Logistikdienstleistungen in den meisten größeren Unternehmen beigetragen (Arnold 2000). Da Outsourcing-Entscheidungen unter lokalen Bedingungen und von funktional organisierten Entscheidungsinstanzen getroffen werden, ist es wenig verwunderlich, dass Logistikaktivitäten tendenziell eher funktional und somit nicht-integriert outgesourct wurden. Die meisten Unternehmen, unabhängig davon ob sie eine klassische divisionale Form oder eine Matrixorganisation aufweisen, haben ihre Logistikaktivitäten funktional organisiert. Das heißt, dass separate Unternehmensbereiche für die Beschaffungs-, Lager-, Distributions- sowie Aftersales-Logistik zuständig sind (Ballou 1999). Abbildung 1 zeigt die traditionelle funktionale Aufteilung der Logistik mit den jeweiligen Aktivitäten innerhalb der einzelnen Funktionen. Wie Abbildung 1 zeigt, überschneiden sich diverse Aktivitäten der funktionalen Bereiche. Da jedoch diese Aktivitäten durch verschiedene organisatorische Einheiten gemanagt werden, wurden Ressourcen nicht gemeinsam genutzt, Prozesse nicht durchgängig standardisiert oder ein integriertes Management implementiert. Daher werden bei Outsourcing-Entscheidungen Logistikumfänge meist isoliert vergeben, sodass Unternehmen mit einer Vielzahl von Logistikdienstleistern zusammenarbeiten, die ein ähnliches Leistungsspektrum aufweisen. Die hieraus resultierende Ineffizienz wurde von den Unternehmen aufgrund der funktionalen Trennung nicht wahrgenommen (Blanchard 2004).
Abb. 1: Primäre Logistikaufgaben und -tätigkeiten Inbound-Logistik
In-House-Logistik
Distributions-Logistik
Reverse Logistik
• • • •
• Empfang und Einlagerung der Waren • Lager- und Bestandsmanagement • Picking-Management • Kommissionierung • Leichtmontage und Produktionsbetrieb • Sichtbarkeit • Statusverfolgung/Event Management • Produktionsplanung • Versorgung und Taktung der Produktionslinien • Prozessmanagement (mail room service, on site delivery services, moves management, etc.) • Sendungsmanagement • Kundendienstmanagement • Reporting- und Kennzahlenmanagement
• • • •
• Planung und Management von Abholung und Anlieferung • Return Material Authorization • Retourendisposition • Produktreparatur und erneutes Verpacken • Lager- und Bestandsmanagement • Entsorgungsmanagement • Finanzmanagement • Management von Reparaturanbietern • Sichtbarkeit • Statusverfolgung/Event Management • PUDO- und Depot-Management • Koordinierung des technischen Dienstes • Kundendienstmanagement • Compliance Monitoring und Reporting • Teilebestellung und -management
• • • • • • • • • •
Lieferantenmanagement Bestell-Release-Management Eingangstransportmanagement Empfang und Einlagerung der Waren Lager- und Bestandsmanagement Bestellkonsolidierung Kommissionierung und Verpacken der Bestellung für die Auslieferung (Herkunftsland) Zollabwicklung und Dokumentation Sichtbarkeit Statusverfolgung/Event Management Transport Finanzmanagement Teilebestellung und -management Reporting- und Kennzahlenmanagement
• • • • • • •
Verkehrsplanung Transportmanagement Zustellnachweis- Management Projektlogistik für Sondertransporte Finanzmanagement Sicherheitsmanagement der Sendungen Sichtbarkeit Statusverfolgung/Event Management Auditieren und Bezahlung der Fracht Kundendienstmanagement Reporting- und Kennzahlenmanagement
Dirk Reich / J. Rod Franklin
Der funktionale Ansatz berücksichtigt nicht die Anforderungen eines Produktlebenszyklus eines Unternehmens. Die Anforderungen des Produktlebenszyklus werden nicht integriert betrachtet und liegen jeweils in der Verantwortung individueller funktionaler Abteilungen. Infolge dieser funktionalen Fokussierung kommt es zu überlappenden Aktivitäten, was zu einem Kostenanstieg und kaum zu einem verbesserten Serviceniveau für den Kunden führt (Blanchard und Fabrycky 1998).
Historische Entwicklung des Integrated Logistics Support Die Entwicklungsgeschichte des ILS-Konzeptes ist die Geschichte von aufkommenden komplexen technischen Systemen, speziell von militärischen Systemen, nach dem Zweiten Weltkrieg. Während des Zweiten Weltkriegs begannen Militäranalysten, fortgeschrittene mathematische Techniken zur Modellierung komplexer Probleme anzuwenden. Dieser Ansatz zur Lösung komplexer Probleme wurde als Operations Analysis bekannt (Churchman 1968). Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs konzentrierten sich die Analysten auf Themen, die im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg standen. Insbesondere wurden in den USA Einrichtungen mit dem Ziel geschaffen, der Regierung als auch dem Militär Tools und analytische Ressourcen als Entscheidungsunterstützung zur Lösung hochkomplexer Probleme zur Verfügung zu stellen. Obwohl eine Vielzahl von verschiedenen Organisationen (akademische sowie staatliche) an der Entwicklung dieser analytischen
Techniken beteiligt war, war insbesondere in der frühen Entwicklung The RAND Corporation (RAND) von Bedeutung (Feltes 1976). RAND wurde gegründet, um wissenschaftlich fundiert die Probleme der US-amerikanischen nationalen Sicherheit zu studieren. Da diese Probleme üblicherweise im Zusammenhang mit folgenschweren Entscheidungen unter Unsicherheit standen, begann sich RAND für die Entwicklung von Prozessen für militärische und Regierungs-Entscheidungsträger zu interessieren, mit denen Kosten und Risiken einer Entscheidung unter gegebenen operativen Anforderungen minimiert werden konnten. Das Vorgehen, das RAND letztendlich entwickelte, um diese komplexen Probleme zu behandeln, wurde als Systemansatz und der Prozess als Systems Engineering and Analyse-Prozess bekannt (Churchman 1968). Systems Engineering and Analyse ist ein umfassender Ansatz, um komplexe Systeme zu entwickeln. Üblicherweise umfasst Systems Engineering eine detaillierte Definition der Produktanforderungen, die Entwicklung und Bewertung von Designalternativen, die Auswahl einer Alternative, das Detaildesign der ausgewählten Analyse, das Produktionsdesign, das Prozessdesign entlang des Produktlebenszyklus sowie den Managementprozess am Ende des Produktlebenszyklus (Blanchard und Fabrycky 1998). Der Systems-Engineering-Prozess ist in Abbildung 2 schematisch dargestellt. Logistikaktivitäten bilden Kernelemente aller Phasen einer Produktentwicklung. Daher müssen Systems Engineering and Analyse-Prozesse sicherstellen, dass zu entwickelnde Produkte kostengünstig produziert, eingesetzt,
Abb. 2: Der Systems-Engineering-Prozess
Produktentwicklung
Alternative wählen
Analyse der Tradeoffs
Definition der Anforderungen
Entwicklung von Alternativen
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Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren
gewartet und entsorgt werden können. In Bezug auf Systems Engineering and Analyse-Modelle kann Integrated Logistics Support wie folgt definiert werden: “…the disciplined and unified management of all activities necessary to produce a supportable system design and a reasonable support capability to achieve a pre-determined set of measurable objectives within an acceptable cost of ownership” (Jones 2006). Obwohl diese Definition von ILS breit angelegt ist, wird klar, dass der Fokus auf das Produkt und nicht auf einzelne, isolierte Funktionen gerichtet ist. Zudem wird deutlich, dass ILS auf die Erreichung eines Kostenzieles über den Lebenszyklus ausgerichtet ist und nicht auf die Optimierung individueller Logistikaktivitäten. Die US-amerikanische Militärrichtlinie 700-127 “Integrated Logistics Support” beschreibt einen ILS-Plan, der aus folgenden zehn Elementen besteht: „1. System life cycle maintenance and repair requirements; 2. Human resource requirements for operating, maintaining and supporting the system over its life cycle; 3. Supply requirements for spare parts and operating supplies throughout the life cycle of the system; 4. Support equipment requirements for supporting and maintaining the system throughout its life cycle; 5. Technical data and documentation requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system; 6. Training and training support requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system; 7 Information technology requirements to operate, support, maintain and dispose of the system; 8. Facilities requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system; 9. Packaging, handling, storage and transportation requirements for operation, support, maintenance and disposal of the system; 10. Logistics operations design implications for all aspects of the system design activity and acquisition activities to comply with customer defined system requirements for operations, support, maintenance and disposal.“ Dem US-amerikanischen ILS-Dokument folgend, kann durch die Fokussierung auf diese zehn Elemente die
höchste Verfügbarkeit und Leistung eines Systems erreicht werden. Dies beruht darauf, dass das angeschaffte System mit Blick auf Nutzungsdauer oder Nutzungsmaximierung und nicht auf Ausfallzeitenminimierung oder Kostenoptimierung der funktionalen Unterstützung entwickelt wurde. Im Gegensatz zum traditionellen Entwicklungsvorgehen der Logistikbranche, das primär auf Logistikaktivitäten ausgerichtet ist, beginnt das ILS-Vorgehen mit den produktseitigen Anforderungen, von denen die erforderlichen Logistikaktivitäten abgeleitet werden. Die Aktivitäten sind Bestandteil eines Lebenszyklus-Unterstützungspaketes, das mit dem Produkt zusammen ausgeliefert wird und so die höchste Verfügbarkeit und Leistung des Produktes unterstützt. Dem einzelnen Logistikdienstleister, der eine Servicekomponente im Rahmen des ILS-Plans erbringen soll, werden das Verfahren, die Spezifikationen für Schnittstellen zu anderen beteiligten Dienstleistern und ihren Servicekomponenten sowie Serviceanforderungen mitgeteilt, sodass alle Servicekomponenten der beteiligten Dienstleister von einem führenden Logistikdienstleister (Lead Logistics Provider) entsprechend der ILS-Ziele nachvollziehbar gemacht werden können (US Army Regulation 700-127).
Das ILS-Konzept in der kommerziellen Logistik Während ein produktorientiertes Vorgehen im militärischen Bereich bzw. bei öffentlichen Beschaffungen von komplexen Systemen und ihrer Unterstützungsmaßnahmen angewendet wird, ist es schon schwieriger eine entsprechende Anwendung des ILS-Modells im privatwirtschaftlichen Bereich zu finden. Hier wenden die meisten Unternehmen nicht den formalen Systems-Engineering-Ansatz an, wie er bei der Entwicklung militärischer Systeme erforderlich ist. In diesem Umfeld ist die Produktentwicklung vor allem auf das Produkt ausgerichtet, unterstützende Dienstleistungen werden entweder kurz vor Produktfreigabe grob dokumentiert oder es wird angenommen, dass diese ohne weitere explizite Berücksichtigung von existierenden Unterstützungsfunktionen erbracht werden können (Ulrich und Eppinger 2007). Diese Ausrichtung wird deutlich, wenn der klassische Prozess betrachtet wird, der üblicherweise Produktentwicklungsprozessen zugrunde liegt. Der am häufigsten eingesetzte Produktentwicklungsprozess entlang vordefinierter Meilensteine im kommerziellen Bereich basiert auf der Annahme, dass die Produktentwicklung verschiedene Detailphasen bis in den Produktionsanlauf durchläuft. Ab dann übernehmen
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verschiedenste Unterstützungsfunktionen, die nicht am Entwicklungsprozess beteiligt waren, die Verantwortung für das Produkt (Cooper und Kleinschmidt 1993). Infolge der funktionalen und nicht-integrierten Vorgehensweise, mit der Produkte im privatwirtschaftlichen Bereich entwickelt werden, ist es nicht verwunderlich, dass Logistikaktivitäten ebenfalls nicht-integriert entwickelt werden. Logistikdienstleister strukturieren ihr Leistungsangebot entsprechend den Kundenanforderungen. Das bedeutet, dass Logistikdienstleister ebenfalls nichtintegrierte Logistikdienstleistungen anbieten, da diese dem Servicemodell entsprechen, das von den Kunden nachgefragt wird. Obwohl Logistikdienstleister mit ihrem horizontal nicht-integrierten Serviceangebot den Kundenanforderungen gefolgt sind, führen neuere Entwicklungen dazu, dass sie sich nun mit der Integration ihrer horizontal nicht-integrierten Serviceumfänge auseinandersetzen. Seit den frühen 80er Jahren hat das Konzept des Supply Chain Managements zunehmend an Akzeptanz gewonnen. Supply Chain Management wird vom US-amerikanischen Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) (CSCMP 2008) wie folgt definiert: “…encompasses the planning and management of all activities involved in sourcing and procurement, conversion, and all logistics management activities. Importantly, it also includes coordination and collaboration with channel partners, which can be suppliers, intermediaries, third party service providers, and customers. In essence, supply chain management integrates supply and demand management within and across companies.”
integrierten Supply Chain darin, das Produkt direkt zum Kunden zu liefern (Stalk 1988). Das Konzept der Direktbelieferung (Abbildung 3) sieht vor, dass das Produkt von einem entfernten Versandort kontinuierlich direkt auf den Kunden ohne Unterbrechungen zuläuft. Während Supply Chain Management und die Integration von Logistikdienstleistungen einige Ineffizienzen des traditionellen Vorgehens in der Logistik behoben haben, hat Supply Chain Management andererseits nicht zu einer gleichen kundenseitigen Wertschätzung wie der ILS-Ansatz geführt. Dies kommt daher, dass Supply Chain Management zwar die Gesamtlogistikkosten senken kann, aber nicht, wie das ILS-Konzept, auf die Maximierung der Produktverfügbarkeit und -leistung abzielt. Die Supply Chain im Bereich Beschaffungslogistik, die üblicherweise einen Bestandteil in der Planung des Supply Chain Management eines Unternehmens bildet, ist eine der Supply Chains, die ein Produkt im Laufe seines Produktlebenszyklus durchläuft (Abbildung 4). Ein Produkt wird nicht nur diese eine Supply Chain durchlaufen, sondern möglicherweise auch eine Installations-, Wartungs-, Deinstallations-, Weiterverwertungs- sowie EntsorgungsSupply-Chain. Jede dieser Supply Chains hat ihre eigenen Anforderungen und – wenn nicht in einer Logistikplanung adäquat berücksichtigt – eine negative Auswirkung auf das Gesamtservicepaket und verhindert damit eine optimale Nutzung eines Produktes. Schaut man auf die logistische Unterstützung aus der Perspektive des Produktes, so erfordert dies eine andere Sichtweise auf die erforderlichen Logistikaktivitäten.
Abb. 3: Direktbelieferung Supply-Chain-Modell
Wesentlich an dem Konzept des Supply Chain Managements ist die Notwendigkeit der Integration von Logistikaktivitäten, sodass Beschaffungs- und Versorgungsmanagement entsprechend obiger Definition miteinander verbunden werden können. Die Globalisierung hat zu längeren und komplexeren Supply Chains geführt. Aufgrund dieser Veränderung ist ein effizientes Supply Chain Management ein kritischer Erfolgsfaktor für die Unternehmen geworden. Logistikdienstleister haben diese Entwicklung erkannt und begonnen, ihre Logistikdienstleistungen zu integrieren, um auf diese Nachfrageveränderung zu reagieren (Spekman et al. 1998). Kunden und Logistikdienstleister definieren üblicherweise alle Dienstleistungen, die von der Quelle bis zur Senke notwendig sind. Letztendlich besteht das Ziel einer
Parcel Luft
Lieferanten
Mixed
X-Dock See
LTL FTL
D2D Network Visibility & Monitoring Performance Measurements Network Engineering Network Management • • • •
Beschaffung Logistikplanung und -durchführung Audit-, Zahlungs- & Informationsdienste Direktbelieferung
Kunden Distributoren Großkunden Wiederverkäufer Einzelhandel Großhandel
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Diese neue Sichtweise macht es notwendig, dass der Logistikdienstleister aus der Perspektive des Produktes die Anforderungen in den verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus berücksichtigt. Auf dieser Grundlage kann der Logistikdienstleister untersuchen, welche Servicekomponenten er aus seinem Dienstleistungsportfolio integrieren muss, um das Produkt mit einer integrierten Dienstleistung so zu unterstützen, dass die Nutzung des Produktes maximiert werden kann. Kühne + Nagel, einer der größten internationalen Logistikdienstleister, hat genau dies getan, als er sein Logistikdienstleistungsangebot – Supply the Sky genannt – für den Bereich Luftfahrt entwickelt hat.
Der Service Supply the Sky Wie die meisten großen Logistikdienstleister war Kühne + Nagel zu Beginn dieses Jahrzehnts mit der Notwendigkeit der Integration seines Serviceportfolios konfrontiert. Kunden von Kühne + Nagel fragten eine umfassendere Visibilität hinsichtlich ihrer Produktbewegungen sowie einen einheitlicheren Lieferservice über ihr gesamtes weltweites Netzwerk nach. Kühne + Nagel nahm sich dieser
Aufgabe zunächst in der traditionellen Form an, indem es Servicekomponenten untersuchte und innerhalb der einzelnen Geschäftszweige standardisierte und optimierte. Im weiteren Verlauf begann Kühne + Nagel ferner das Portfolio existierender Logistikdienstleistungen zu untersuchen, um so festzustellen, inwieweit das angestrebte integrierte Serviceangebot für jedes Industriesegment, in dem Kühne + Nagel tätig ist, differenziert werden sollte. Während dieser Untersuchung entdeckte das Management des Luftfahrtbereichs, dass Kühne + Nagel über die Jahre in diesem Bereich eine Vielzahl von Logistikdienstleistungen entlang des Produktlebenszyklus eines Flugzeuges entwickelt hatte. Jedoch wurden diese Logistikdienstleistungen unabhängig voneinander von verschiedenen Bereichen innerhalb von Kühne + Nagel erbracht, da sie von unterschiedlichen Kunden nachgefragt wurden. Mit dem Lebenszyklusdurchlauf eines Flugzeuges ändern sich allerdings die Anforderungen an die Logistikdienstleistungen. Die Produktion eines Flugzeuges erfordert Beschaffungslogistikaktivitäten für Flugzeughersteller. Ein Flugzeug im Flugdienst wiederum benötigt verschiedene Serviceumfänge, um eine maximale Produktivität zu
Abb. 4: Supply Chain Integration vs. Integrated Logistics Support
Traditioneller Supply-Chain-Service-Fokus, auf Lebenszyklusphasen basierend
Konsum Distribution Lagerung Umwandlung Transport Lagerung Umwandlung Transport Lagerung Produktion
Beginn
Product-Lifecycle-Service-Fokus
Ende
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gewährleisten. Effiziente Dienstleistungen, wie Inflight Catering, Wartung, Retrofit und Upgrade Services, Notfallreparaturen etc. benötigen spezielle Logistikdienstleistungen. Am Ende des Produktlebenszyklus werden Logistikdienstleistungen im Zusammenhang mit Demontage, Zerlegung und Entsorgung benötigt. Das Managementteam von Kühne + Nagel hat festgestellt, dass das Unternehmen Dienstleistungen in den meisten oben genannten Bereichen erbringt, allerdings nicht horizontal integriert und abgestimmt. Da hier noch Effizienzsteigerungspotenziale vermutet werden, konzentrier te sich das Management nun zwecks Optimierung der Logistik auf eine engere Verknüpfung der einzelnen Serviceumfänge. Das Ergebnis dieser Bemühungen war Kühne + Nagels Serviceangebot Supply the Sky (Abbildung 5). Das Serviceangebot Supply the Sky integriert folgende fünf ehemals getrennte Dienstleistungen: 1. 2. 3. 4. 5.
und organisatorischer Anforderungen, die zu überwinden waren, dauerte die Integration über zwei Jahre. Mit der Integration jedoch konnten deutliche Verbesserungen und Kosteneinsparungen erzielt werden. Die Integration der ehemals horizontal nicht-integrierten Dienstleistungen zum Angebot Supply the Sky machten es für Kühne + Nagel erforderlich, eine übergreifende Management- sowie Technologiestruktur einzuführen. Kühne + Nagel konnte hierbei auf seine Erfahrung im Bereich Lead Logistics Service (LLS) zurückgreifen. Im Rahmen von LLS liegt Kühne + Nagels Schwerpunkt nicht auf der Ausführung operativer Prozesse, sondern vielmehr in dem effizienten Management logistischer Prozesse. Diese Managementerfahrung erlaubte es Kühne + Nagel, die betroffenen Dienstleistungen in ein Gesamtangebot unter einheitlichem Management auf einer Technologieplattform zu integrieren. ILS-Dienstleistungen können auf Basis von LLS-Management und -Technologie so verknüpft werden, dass sie entlang des Lebenzyklus, angepasst auf die jeweiligen Produktanforderungen, implementiert werden. Zusätzlich können externe Dienstleister für Dienstleistungen, die momentan nicht von Kühne + Nagel erbracht werden, durch die LLS-Struktur gemanagt werden. Während das Serviceangebot Supply the Sky noch nicht den gesamten Lebenszyklus abdeckt, bietet es jedoch schon eine Vielzahl integrierter Dienstleistungen
Flugzeug-Produktionslogistik, Flugzeug-Vorfallmanagement-Services, Flugzeug-Ersatzteilmanagement-Services, Flugzeug-Inflight-Services und Flugzeug-Retrofit-Lieferantenmanagement-Services.
Da jede dieser Dienstleistungen zuvor getrennt erbracht wurde, erforderte ihre Integration ein Re-Engineering der zugrunde liegenden Strukturen. Infolge technischer Abb. 5: Das Supply the Sky-Konzept
g tun en t hal nd anagem li m
F l u g z. - P
Know-How
Herste lle Vorfallmana r gem ent
IT
Vorfallmanagement Koordination und Management aller ungeplanten Geschehnisse
enmanageme erant nt Lief Airlines
ung nstleist en -Die n e e rv ic e s af gh light-S Inf
Net
erk zw
Flu
Inflight-Service Onboard-Inventory-Services für Catering-Gesellschaften
Lief e rodu rant kt i o
Flugzeug-Produktionslogistik Produktionslogistik für Hersteller und Lieferanten
stik ogi nsl
I Ersa nsta tzt e
Ersatzteilmanagement Ersatzteillogistik für Fluggesellschaften und Dienstleister
Lieferantenmanagement Planung und Controlling der Zulieferer von Innenausstattung
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an, die einen Großteil des Lebenszyklus eines Flugzeuges abdecken. Lücken, wie z. B. die Verwertung und Entsorgung von Flugzeugen am Ende des Lebenszyklus, werden zurzeit von Kühne + Nagel hinsichtlich ihres zusätzlichen Nutzens für Kunden untersucht. Für den Fall, dass dies zusätzliche Vorteile für Kunden bringt, hat das Management von Kühne + Nagel seine Bereitschaft angekündigt, diese Servicekomponenten in das bestehende Angebot zu integrieren. Die Implementierung von ILS-Dienstleistungen wie Kühne + Nagels Service Supply the Sky erfordert nicht nur die Integration zuvor getrennter Dienstleistungen, sondern auch das Überdenken der Verkaufsstrategien sowie die Berücksichtigung des kundenseitigen Einkaufsverhaltens. Die Vorteile des ILS-Konzeptes erschließen sich vor allem für Kunden, die erkannt haben, dass ihr Anlagevermögen, in diesem Fall Flugzeuge, verschiedenste logistische Dienstleistungen benötigt. Aufgrund der traditionellen
Organisationsstruktur der meisten Kunden sowie einer fehlenden einheitlichen Betrachtung der Logistik benötigen Kunden Zeit, um das ILS-Konzept komplett zu erfassen. Mit der Einführung des ILS-Modells konnten Reduktionen der logistischen Lebenszykluskosten von 15 bis 45 Prozent erreicht werden. Diese Vorteile entstehen aus der Verbindung von Dienstleistungsumfängen am Anfang des Lebenszyklus mit denen in einer späteren Phase des Produktlebenszyklus. So können Know-how und Fähigkeiten, die im Bereich Produktionslogistik gewonnen wurden, später im Bereich Ersatzteilmanagement eingesetzt werden. Dies betrifft Verfahrensanweisungen, Handlingprozesse, Lieferantenbeziehungen/-management, staatliche Zulassungen, IT-Systemkomponenten etc. Der Erfolg des Services Supply the Sky hat dazu geführt, dass das Management von Kühne + Nagel prüft, inwieweit sich mit einer Übertragung in andere Industrien ähnliche positive Effekte erzielen lassen könnten. Die
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Abb. 6: Das Supply the Motion-Konzept
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Sequenzierung Dekonsolidierung Local Content Management Lieferantenzentrum InboundLogistik
Kanban Produktionsstrategie JIT/JIS CKD / part by part Montage Produktionslogistik Containerisierung
Multiple Packing
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Konsolidierung
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Distribution
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Demontage
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Umweltfreundliche Entsorgung
OutboundLogistik
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Reverse Logistik
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bisherige Evaluierung ergab, dass eine Anwendung des ILS-Modells in anderen Industrien dort sinnvoll sein kann, wo komplexe Produkte gehandhabt werden, die mit einem hohen Investment verbunden sind und die einen längeren Lebenszyklus aufweisen, in dem Wartungsarbeiten erforderlich sind.
Zukünftige ILS-Services – Supply the Motion und Supply the … Basierend auf einer Analyse des eigenen Dienstleistungsspektrums sowie der Industriesegmente hat sich Kühne + Nagel entschlossen, das ILS-Modell im Automotive-Sektor einzuführen (Abbildung 6). Kühne + Nagel hat nun im Sinne des ILS-Modells mit der Integration der diversen getrennten Teildienstleistungen begonnen. Nach aktuellem Planungsstand wird die mittlerweile begonnene Integration einige Zeit in Anspruch nehmen. Supply-the-Motion-Dienstleistungen sollen Kühne + Nagels Kunden ähnliche Vorteile bringen wie das Modell Supply the Sky. Mit der Integration der Dienstleistungen entlang des Lebenszyklus wird eine Kostenreduzierung, verbesserte Servicequalität und eine Nutzungsverbesserung für Kühne + Nagels Automotive-Kunden angestrebt. Als weiteres interessantes Industriesegment kommt der industrielle Bereich infrage. Hier könnten ähnliche Effekte zum Vorteil der Kunden erzielt werden.
Zusammenfassung Kunden wie auch Logistikdienstleister folgen einer bisher traditionell horizontal nicht integrierten und funktional ausgerichteten Vorgehensweise im Bereich logistischer Dienstleistungen. Der zunehmende internationale Wettbewerb und die zunehmende Komplexität der Produkte machen es erforderlich, sich mit dem funktional orientierten Ansatz auseinanderzusetzen, um Kosteneinsparungen sowie eine verbesserte Produktverfügbarkeit und -leistung (Produktnutzen) zu erzielen. Als ein viel versprechender Ansatz in Bezug auf komplexe Produkte mit langem Lebenszyklus kann das Modell Integrated Logistics Support gesehen werden. Dieses Vorgehen, das aus dem Luft- und Raumfahrt- sowie Militärbereich kommt, ist primär auf das Produkt ausgerichtet und nicht auf separate Dienstleistungsumfänge, wie dies in traditionellen Anwendungsgebieten der Logistik der Fall ist. Mit der Ausrichtung auf die logistischen Anforderungen des Produktes entlang seines Lebenszyklus können durch die Integration der verschiedenen Dienstleistungsumfänge
der Produktnutzen maximiert und die Logistikkosten reduziert werden. Das ILS-Service-Modell ist von Kühne + Nagel erfolgreich im Luftfahrtbereich eingeführt worden. Dieses Serviceangebot, Supply the Sky genannt, hat zu einer verbesserten Verfügbarkeit sowie geringeren Logistikkosten beigetragen. Aufbauend auf diesem Erfolg hat Kühne + Nagel begonnen, das ILS-Konzept im Automotive-Bereich als Supply-the-Motion-Service einzuführen. Weitere Industriesegmente, in denen die Einführung des lebenszyklusorientierten Modells Vorteile bringen könnte, werden hinsichtlich ihrer Tauglichkeit momentan geprüft. In diesem Beitrag wurde versucht, den Hintergrund des ILS-Konzeptes, sein Anwendungsgebiet sowie seine Vorteile darzustellen, die im Bereich Logistik erzielt werden können. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die vorgestellten Ideen Diskussionen anregen und so zu einem breiteren Verständnis sowie kommerziellen Anwendungen des vorgestellten Konzeptes führen. Literaturverzeichnis Aertsen, F. (1993) “Contracting Out the Physical Distribution Function: A Trade Off Between Asset Specifi city and Performance Measurement,” International Journal of Physical Distribution & Logistics Management, 23 (1), pp. 23–29. Arnold, U. (2000) “New Dimensions of Outsourcing: A Combination of Transaction Cost Economics and the Core Competency Concept, ” European Journal of Purchasing & Supply Management, 6 (1), pp. 23–29. Ballou, R. H. (1999) Business Logistics Management, 4th ed., PrenticeHall, Upper Saddle River, NJ. Blanchard, B. S. (2004) Logistics Engineering and Management, 6 th ed., Prentice-Hall, Upper Saddle River, NJ. Blanchard, B. S. and Fabrycky, W. J. (1998) Systems Engineering and Analysis, 3rd ed., Prentice-Hall, Upper Saddle River, NJ. Churchman, C. W. (1968) The Systems Approach, Delacorte Press, New York, NY. Cooper, R. G. and Kleinschmidt, E. (1993) “StageGate Systems for New Product Success,” Marketing Management, 1, pp. 20–29. Council of Supply Chain Management Professionals (2008), http// cscmp.org/aboutcscmp/definitions/definitions.asp. Feltes, Major L. A. (1976) “Planning, Programming, and Budgeting: A Search For A Management Philosopher’s Stone,” Air University Review, January-February. Jones, J. V. (2006) Integrated Logistics Support Handbook, 3 rd ed., McGraw-Hill Publishing, New York, NY. Jüttner, U. (2005) “Supply Chain Risk Management: Understanding the Business Requirements from a Practitioner Perspective,” International Journal of Logistics Management, 16, pp. 120–141. Kersten, W. und Koch, J. (2006) Motive für das Outsourcing Komplexer Logistikdienstleistungen, Weinheim, Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung. King, J. (1997) “Globalization of Logistics Management: Present Status and Prospects,” Maritime Policy & Management, 24 (4), pp. 381–387. Krikke, H., Bloemhof-Ruwaard, J., Van Wassenhove, L. N. (2001) “Design of Closed Loop Supply Chains: A Production and Return Net-
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland
Wolf-Christian Hildebrand Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Logistik der Technischen Universität Berlin Angela Roth Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Wolf-Christian Hildebrand Jahrgang 1975 Hildebrand ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Logistik der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten. Von 2005 bis 2007 leitete er ein Teilprojekt im vom BMBF-/BMWi-geförderten Forschungsprojekt „Dienstleistungsverkehr in industriellen Wertschöpfungsprozessen“. Er hat Forschungsund Lehrschwerpunkte auf dem Gebiet der Verkehrslogistik und Hafenhinterlandverkehre. Hildebrand arbeitet für die Gemeinsame Kommission für das Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin und dort insbesondere für die Überführung des Diplomstudiengangs in das Bachelor-/Mastersystem. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Darmstadt, National University of Singapore und der University of Transport and Communications in Hanoi, Vietnam.
Dr. Angela Roth Jahrgang 1975 Roth ist seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik von Prof. Peter Klaus an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1999 bis 2000 war sie am Fraunhofer ATL (Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft) intensiv mit Forschungs- und Projektarbeiten im Bereich Entscheidungsunterstützungssoftware zur Gestaltung und Optimierung logistischer Netze beschäftigt. Von 2001 bis 2003 übernahm Roth die Leitung der Abteilung Entscheidungsunterstützungssysteme. 2001 erfolgte der Abschluss der Promotion zum Thema „Dynamische Modellierung von Lagern in logistischen Netzen“. Von 1994–1998 studierte Roth Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg mit Schwerpunkt Logistik, Industriebetriebslehre und internationales Management.
Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth
Tätigkeitsfelder in der Logistik Die Logistik hat in den letzten Jahrzehnten ein kontinuierliches Wachstum erfahren und sich von Funktionen wie Beschaffung und Distribution zu einem ganzheitlichen, prozess- und kundenorientierten Managementkonzept entwickelt. Die zunehmend übergreifende und strategische Bedeutung der Logistik spiegelt sich auch in der wachsenden Verankerung von Logistikpositionen in den mittleren und oberen Hierarchieebenen wider (Baumgarten und Thoms 2002). Für die immer komplexer werdenden, funktions- und bereichsübergreifenden Prozesse im Industrie-, Handel- und Dienstleistungssektor werden hochqualifizierte Mitarbeiter mit verschiedensten Kompetenzprofilen benötigt. Die Tätigkeitsfelder in der Logistik können dabei in unterschiedliche Hierarchiestufen und damit jeweils verbundene Ausbildungsarten untergliedert werden (Abbildung 1). Kennzeichnend für die Tätigkeitsfelder in der Logistik sind dabei zum einen die Breite unterschiedlicher Aufgaben und zum anderen die relativ große Streuung der Kompetenzanforderungen und Bezugspunkte der täglichen Arbeit für Logistikmitarbeiter in den verschiedenen Hierarchiestufen. Im Bereich der beruflichen Ausbildung wird die Breite der Tätigkeitsfelder beispielsweise daran deutlich, dass rund 20 verschiedene Lehrberufe existieren, die vom Binnenschiffer oder Berufskraftfahrer über den Fachlageristen bis hin zum Kaufmann für Spedition und Logistik-
dienstleistung reichen. Bereits innerhalb der beruflichen Ausbildung differieren die praktischen Anforderungen an den gewerblich-technischen bzw. kaufmännischen Mitarbeiter in der Logistik. Während ein Lagerist insbesondere fundierte Kenntnisse hinsichtlich der Einzelaktivitäten im Lager sowie gegebenenfalls einiger technischer Aspekte vorweisen muss, werden von einem Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung neben betriebswirtschaftlichen Kenntnissen vor allem der Überblick über die Zusammenhänge des Transportierens, Umschlagens und Lagerns (TUL) im Unternehmen, organisatorische Fähigkeiten, unternehmerisches Denken und ein guter Umgang mit Kunden sowie Sprachkenntnisse erwartet. Die Bezugspunkte liegen für Absolventen der beruflichen Bildung vor allem in Einzelaktivitäten von TUL-Prozessen und in Schnittstellen zu Kunden und Subunternehmern. Die Tätigkeitsfelder von Mitarbeitern der unteren Managementebene in der Logistik, beispielsweise der Lageroder Fuhrparkleiter, umfassen bereits den Gesamtprozess im jeweiligen Bereich einschließlich aller Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Bereichen. Neben fachlichem Verständnis der Kernaktivitäten und -prozesse sind auf dieser Ebene Führungskompetenzen ebenso notwendig wie die Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und Wechselwirkungen und zum direkten Ausschöpfen von Optimierungspotenzialen bei der Durchführung einzelner Aktivitäten. Beispielsweise fällt die Optimierung und
Abb. 1: Überblick über Hierarchiestufen logistischer Tätigkeitsfelder Schulabschluss
Duale Ausbildung/Lehre
Berufserfahrung
Hierarchiestufen
• Gewerblich-technische Operative • Kaufmännische Operative Berufsakademien Fachhochschulen
• Operative Leitung • Mittleres Management
Universitäten
• Höheres Management • Akademisch-wissenschaftliche Ebene
Weiterbildung
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland
Planung von Touren und Lkw-Flotten in diesen Aufgabenbereich. Logistiker des mittleren Managements (z. B. Speditionsoder Logistikleiter) müssen zusätzlich die Fähigkeit zur Gestaltung, Planung und Steuerung logistischer Systeme und Netze aufweisen. Grundlage hierfür ist ein umfassendes Verständnis aller logistischen Prozesse und Netze im Unternehmensumfeld. Hinzu kommen verstärkt methodischtechnische Anforderungen, wie das Grundverständnis für Vertragsanbahnung und -gestaltung, beispielsweise im Rahmen von Ausschreibungen oder KontraktlogistikVereinbarungen, und Verhandlungsgeschick. Der Bezugspunkt für Führungskräfte in höheren Managementebenen ist die gesamte Supply Chain des Unternehmens und angrenzender Akteure. Ganzheitliches, integratives Denken ist ebenso notwendig wie die Fähigkeit, logistische Systeme zu analysieren, zu diagnostizieren und gegebenenfalls neu zu gestalten. Konzeptionelle Kompetenzen zur Entwicklung umfassender Logistikstrategien werden erwartet. Hierzu gehört auch der Zugang zu logistischen Entscheidungsunterstützungssystemen sowie zum Logistikcontrolling. So stellen die Planung von Logistikkonzeptionen für Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen oder der Aufbau und die Steuerung von unternehmensübergreifenden Prozessen und Güterflüssen typische Aufgaben dar. Auch die Vorbereitung von Outsourcing-Entscheidungen im Sinne von Make-or-Buy gehört zu diesem Bereich.
Auf der wissenschaftlichen Ebene ist der Bezugspunkt die Logistikwirtschaft als Ganzes sowie die Gesamtheit verschiedenster Supply Chains. Die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Logistik wird an den Universitäten oder an den Forschungszentren, beispielsweise den Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft, durchgeführt. Auch in der Logistikberatung wird ein nennenswert großer Teil des akademisch ausgebildeten Logistiknachwuchses eingesetzt. Kreativität, Innovationsfähigkeit und Beurteilungsvermögen für zukünftige Entwicklungen sind als zusätzliche Kompetenzen auf der wissenschaftlichen Ebene not wendig. Trotz der großen Streuung der Aufgabenfelder und Kompetenzen ist auch für die oberste Hierarchieebene die Kenntnis der logistischen Grundprozesse und damit der Essenz der Logistik unabdingbar. Abbildung 2 gibt einen Überblick über Bezugspunkte und Kompetenzanforderungen auf den verschiedenen Hierarchieebenen. Erwähnt werden soll an dieser Stelle, dass es im Feld der Logistik eine Reihe weiterer Berufe gibt, die für das Funktionieren logistischer Prozessabläufe unabdingbar sind, beispielsweise die IT-technische Unterstützung, rein wirtschaftswissenschaftlich oder technologisch ausgebildete Fachkräfte und Mitarbeiter in der Verwaltung. Die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder lassen die Vielfalt von Disziplinen vermuten, in denen Logistiker ausge-
Abb. 2: Überblick über Bezugspunkte und exemplarische Kompetenzen verschiedener Hierarchieebenen Hierarchieebene
Bezugspunkt
fachliche und methodische Anforderungen (exemplarisch)
Gewerblichtechnische Operative
TUL-Aktivitäten
Kenntnis der Einzelaktivitäten im Lager- und Transportwesen und allgemeiner Abläufe
Kaufmännische Operative
TUL-Prozesse, Schnittstelle zu Kunden und Dienstleistern
Kenntnis der Zusammenhänge der TUL-Aktivitäten im Unternehmen, organisatorische Fähigkeiten, unternehmerisches Denken, Umgang mit Kunden und Sprachkenntnisse
Operative Leitung
Gesamtprozess im jeweiligen Bereich, Schnittstelle zu vor- und nachgelagerten Bereichen
Umsetzen von direkten Optimierungspotenzialen bei der Durchführung einzelner Aktivitäten, Führungskompetenzen, Zusammenhänge und Wechselwirkungen erkennen
Mittleres Management
Gesamter Logistikprozess im Unternehmen sowie angrenzende Bereiche im Netz von Kunden und Zulieferern
Schnittstellenmanagement, umfassendes Verständnis logistischer Prozesse und Netze, Fähigkeit zum Aufbau und Betreiben neuer logistischer Systeme oder Netze
Höheres Management
Gesamte Supply Chain des Unternehmens und ggf. angrenzender Unternehmen
Ganzheitliches und integratives Denkvermögen, diagnostisches und strukturierendes Denken, konzeptionelle Fähigkeiten, generalistische Fähigkeiten
Akademisch-wissenschaftliche Ebene
Logistikwirtschaft als Ganzes, verschiedenste Supply Chains als Ganzes
Kreativität, Innovationsfähigkeit, Beurteilungsvermögen für künftige Entwicklungen
Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth
bildet werden. Eine einheitliche Disziplin „Logistik“ gibt es daher nicht, vielmehr gibt es auch hier eine Streuung über verschiedenste Fachbereiche. Als in den 70er Jahren die Logistik angefangen hat, sich in der Wissenschaft zu etablieren, haben nur sehr wenige Fachgebiete an den Universitäten logistische Lehrveranstaltungen angeboten. Nach einer langsamen, aber kontinuierlichen Steigerung der Anzahl logistikrelevanter Lehrgebiete erfolgte erst in den 90er Jahren ein signifikanter Anstieg der Logistikfachgebiete an den Hochschulen.
Ausbildung in der Logistik In der Logistik sind nicht nur Akademiker mit logistischem Ausbildungshintergrund zu finden, sondern auch Betriebswirte, Ingenieure, Mathematiker u. a., die sich bei Übernahme entsprechender Logistikpositionen das notwendige Wissen aneignen, etwa auch über den Weg der Weiterbildung, der im vorliegenden Beitrag jedoch nicht näher betrachtet wird. Grundsätzlich sind alle Hierarchieebenen auf verschiedenen, d. h. auch nicht-akademischen Wegen erreichbar. Gerade im Bereich der Logistik wachsen auch Mitarbeiter mit beruflicher Ausbildung häufig in Managementpositionen hinein. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten in der Logistik. Auch wenn die berufliche Ausbildung im gewerblich-technischen und kaufmännischen Bereich ganz wesentlich für
die essenzielle Durchführung der Logistik ist, liegt der Fokus hier auf der akademischen Ausbildung. Systematisierung von Studieninhalten
Es wurde gezeigt, dass die Tätigkeitsfelder in der Logistik sehr weit reichend sind. Aufgrund der verschiedenen Tätigkeiten besteht die Notwendigkeit, in der akademischen Logistikausbildung unterschiedliche Profile auszubilden und Akzente zu setzen. Ein erster Blick in die Hochschullandschaft zeigt, dass sich diese Vielfalt bereits in der institutionellen Zuordnung der jeweiligen Einrichtungen zu Fakultäten bzw. Fachbereichen ausdrückt. Im Wesentlichen sind die Lehrstühle/Bereiche entweder der Betriebswirtschaft oder den Ingenieurwissenschaften zugeordnet. Zudem gibt es eine weitere Einteilung in Richtung Operations Research, Informatik und Verkehrswesen. Je nach Zuteilung werden bereits abweichende Schwerpunkte gesetzt bzw. ein variierendes Zielgerüst und Hintergrundwissen vermittelt. Die Schwerpunktsetzung der Logistikausbildung innerhalb der Fakultäten bzw. Fachbereiche reicht von managementorientierten Inhalten über technologiebezogene Themen bis hin zur Vermittlung der ganzheitlichen Logistikphilosophie. Das methodenorientierte Ausbildungsprofil, unter dem auch Modellierungsverfahren und Methoden des Operations Research verstanden werden, wird von den Ausbildungsinstitutionen mit logistischem Fokus ebenfalls gelehrt. Je nach Ausrichtung der Profile werden entsprechende Schwerpunkte gesetzt, was jedoch auch
Abb. 3: Exemplarische Studieninhalte in der Logistikausbildung
Managementorientiertes Ausbildungsprofil • Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik • Funktionelle, instrumentelle und institutionelle Dimension des Logistikmanagements • Institutionelle Aspekte von Logistiksystemen • Gesamtwirtschaftliche und internationale Aspekte von Logistiksystemen • Fallstudie Logistik
Technologieorientiertes Ausbildungsprofil • Logistik-Technologien • Materialflussplanung • Produktionsplanung & -steuerung • ERP-Systeme & Logistik • Steuerung von Logistikketten • Informations- und Kommunikationstechnologien • Lager- und Transportsysteme
Studieninhalte für exemplarische Ausbildungsprofile in der Logistik Ganzheitlich orientiertes Ausbildungsprofil • Logistik-Management und Logistik-Technologien • Produktions-, Verkehrs- und Handelslogistik • Entsorgungslogistik • Internationale Logistiksysteme und Supply Chain Management • Methodengestützte Logistikplanung
Methodenorientiertes Ausbildungsprofil • Quantitative Methoden/Entscheidungsunterstützungssysteme • Methoden des taktischen und operativen Supply Chain Managements • Aktuelle Themen der Logistik und des Operations Research • Softwarepraktikum und SAP Advanced Planning & Optimization • Modellierungstools und -sprachen zur Implementierung von OR-Modellen und Softwarepraktikum
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland
Abb. 4: Exemplarische Lehrinhalte der Logistik-Fachdisziplin Produktionslogistik und Verkehrslogistik
Produktionslogistik
• • • • •
Grundlagen der Produktionslogistik Gestaltung von Produktionsprozessen Gestaltung des Materialflusses Produktionsplanung und -steuerung sowie ERP-Systeme Leistungsmessung: Kennzahlen und Kennzahlensysteme
• • • • • •
Integration des Vertriebs in die Produktion und Logistik Integration von Produktion und Logistik in die Entwicklung Versorgungsmanagement für Industrieunternehmen Planung und Steuerung von Produktionsverbünden Leistungsmessung in Produktionsverbünden Ansätze zur Verbesserung der Produktionslogistik
Verkehrslogistik
• Verkehrsmittel und -träger (Straße/Schiene/Wasser/Luft) • Behälter-, Lade- und Umschlagkonzepte (Paletten- und Containerkreisläufe) • Kombinierter Verkehr • Bedarfsorientierte Transportkonzepte • Öffentlicher Personennahverkehr
• • • • •
Urban Transport I&K-Systeme im Verkehr Baustellenlogistik Flughafenlogistik Hafenlogistik
bedeutet, dass die Profile untereinander nicht überschneidungsfrei sind. Exemplarisch könnten Studieninhalte der verschiedenen Profile wie in Abbildung 3 aussehen. Neben den übergeordneten Ausbildungsprofilen lassen sich Themenschwerpunkte noch feiner im Rahmen von Funktionsbereichen unterteilen. So zeigt sich beispielsweise, dass produktionslogistische und verkehrslogistische Kenntnisse in einem großen Teil der Logistikaufgaben notwendig sind und als Fachdisziplinen von den Lehrgebieten angeboten werden. In der Produktionslogistik werden beispielsweise die optimale Gestaltung und Steuerung von Produktionsprozessen, das Versorgungsmanagement und die Planung der Materialflüsse für Industrieunternehmen oder Produktionsverbünde in global agierenden Netzwerken behandelt. Das Planen, Steuern und Durch-
führen der Gütertransporte durch optimale Verknüpfung der Verkehrssysteme und -knotenpunkte ist Aufgabe der Verkehrslogistik. Für beide Fachdisziplinen sind die Lehrinhalte exemplarisch in Abbildung 4 dargestellt. Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien
Die skizzierten, sehr heterogenen Tätigkeitsfelder der logistischen Praxis erheben hohe Anforderungen an den Logistikbildungsmarkt und die dort vermittelten Kompetenzprofile. Vor allem vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs an Führungskräften in der Logistik liegt hier der Fokus auf der akademischen Ausbildung an Universitäten als wissenschaftliche Hochschulen, an Fachhochschulen mit ihren anwendungsorientierten Studiengängen sowie an Berufsakademien mit ihrem dualen Ausbildungssystem.
Abb. 5: Logistikangebot an deutschen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien Universitäten
Fachhochschulen
54,7 %
Berufsakademien
52,4 %
45,3 %
Hochschulen mit Logistikangebot
46,4 %
47,6 %
Hochschulen ohne Logistikangebot
53,6 53,6%%
Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth
Um analysieren zu können, inwieweit der Logistikbildungsmarkt die Anforderungen der Praxis derzeit erfüllt, wurde im Zeitraum Dezember 2007 bis Februar 2008 eine empirische Untersuchung durchgeführt, die diesem Beitrag zugrunde liegt (Baumgarten und Hildebrand 2008). Diese bildet die Breite des Logistikangebots mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung ab und liefert Aussagen zu aktuellen Absolventenzahlen und damit potenziellen Führungskräften in der Logistik. Im Rahmen der Untersuchung wurden 268 deutsche Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien in Deutschland befragt. Die Rücklaufquote beträgt rund 49 Prozent. Besonders hervorzuheben ist, dass darin rund 85 Prozent aller Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien mit Logistikangebot enthalten sind, wie ein Abgleich mit der im Sommer 2007 durch „Logistik Inside“ durchgeführten Hochschulzusammenstellung für logistische Studienmöglichkeiten ergeben hat (Logistik Inside 2007). Für die Ermittlung der Kennzahlen des gesamten Logistikbildungsmarkts in Deutschland ist eine prozentuale Hochrechnung erfolgt, die das Verhältnis zwischen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien berücksichtigt. Damit ergibt sich für Deutschland, dass zu Beginn des Jahres 2008 an 127 Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien Logistik in der akademischen Ausbildung verankert ist (Abbildung 5). Die 127 Hochschulen mit Logistikangebot verteilen sich auf 43 Universitäten, 69 Fachhochschulen und 15 Berufsakademien.
Logistikfachgebiete
An den Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien in Deutschland konnten durch die Untersuchung mehr als 210 Fachgebiete identifiziert werden, die logistische Themen in Lehre und Forschung aufgreifen. Die unterschiedlichen Profile und Themenschwerpunkte in der Logistik, wie eingangs gezeigt, spiegeln sich in den Bezeichnungen der logistikrelevanten Fachgebiete wider, beispielsweise „Bereich Logistik“ (TU Berlin), „Lehrstuhl für Unternehmensführung und Logistik“ (TU Darmstadt), „Institut für Materialfluss und Logistik“ (Fraunhofer IML Dortmund), „Institut für Verkehrsplanung und Logistik“ (Technische Universität Hamburg-Harburg) oder „Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme“ (Universität Karlsruhe). Durchschnittlich lehren und forschen zwei Logistikprofessoren je Fachgebiet, einschließlich Juniorprofessoren und Honorarprofessoren. Das Angebot in den Lehr- und Forschungsgebieten der Logistik formt das Profil der Studierenden. So unterschiedlich die eingangs geschilderten Tätigkeitsfelder in der Logistik sind, so verschieden stellen sich die Ausbildungsschwerpunkte in den Bildungseinrichtungen dar. Die Ausrichtung der Fachgebiete kann sowohl im Hinblick auf die Ausbildungsschwerpunkte als auch in Bezug auf das Angebot in logistischen Fachdisziplinen erfolgen (Abbildung 6). Die strategische Funktion der Logistik im Unternehmen wird durch die überwiegende Schwerpunktsetzung auf managementorientiertes Logistikwissen deutlich. Die methodenorientierte Schwerpunktsetzung sowie die
Abb. 6: Ausrichtungen der Logistikfachgebiete Schwerpunkte
Fachdisziplinen
100 % 80 %
Produktionslogistik 87 %
78 %
60 %
78 %
Beschaffungslogistik
74 % 61 %
71 %
Dienstleistungslogistik
46 %
40 % Verkehrslogistik
38 %
20 % Handelslogistik managementorientiert [Mehrfachnennungen möglich]
methodenorientiert
ganzheitlich orientiert
technologieorientiert
Weitere
30 % 43 %
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland
ganzheitliche funktions- und bereichsübergreifende Sichtweise auf komplexe Wertschöpfungsprozesse sind von den Ausbildungsinstitutionen erkannt und stellen ebenfalls einen Schwerpunkt der Logistikausbildung dar. Die geringere Schwerpunktsetzung auf Logistiktechnologien deckt sich mit Ergebnissen aus früheren Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass Kenntnisse im Logistikmanagement als wichtiger eingeschätzt werden als die der Logistiktechnologien (Baumgarten und Thoms 2002). Eine Hauptfunktion der Logistik liegt in der betrieblichen Leistungserstellung. Die Produktionslogistik ist daher eine wesentliche Ausrichtung für sehr viele Fachgebiete. Des Weiteren hat die Untersuchung ergeben, dass die Beschaffungslogistik, durch die die mengen-, zeit- und qualitätsgerechte Materialversorgung zur Leistungserstellung erfolgt, ebenfalls von vielen Fachgebieten angeboten wird. Obwohl die Verkehrslogistik Grundlage für einen effektiven und effizienten Güterverkehr und Warenaustausch bietet, ist diese Fachdisziplin im Vergleich nur in wenigen Fachgebieten verankert. Logistik in den Studiengängen
Das logistische Lehrangebot steht vor allem den Studiengängen Wirtschaftsingenieurwesen, Betriebswirtschaftslehre, Verkehrswesen, Wirtschaftsinformatik und Maschinenbau offen. In den Studiengängen Produktionstechnik, Informatik und Internationales Management u. a. können die Studierenden logistische Inhalte ebenfalls hören. Das durchschnittliche Logistikwissen und die erworbenen Logistikkompetenzen sind nicht nur abhängig vom zeitlichen
Ausbildungsumfang in Bezug auf Semesterwochenstunden (SWS), sondern auch von der Intensität und Tiefe der Logistiklehre sowie den vermittelten Kompetenzen (Abbildung 7). Für vielfältige Karrierechancen in der Logistik schafft das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens beste Voraussetzungen. Der durchschnittliche Umfang logistischer Lehrinhalte beträgt rund zwölf Semesterwochenstunden. Die interdisziplinäre und praxisorientierte Ausbildung von managementorientierten, technologischen und informatorischen Wissensgebieten von Wirtschaftsingenieuren deckt sich mit den breiten Anforderungen in der Logistik (Baumgarten und Schmager 2007). Das Studium der Betriebswirtschaftslehre ist ein weiterer klassischer Studiengang, in dem logistische Module bzw. Fächer belegt werden. Betriebswirte sind mit ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung prädestiniert, beispielsweise nicht nur unternehmensbezogene Kosten- und Nutzenbetrachtungen durchzuführen, sondern auch komplexe Investitionsentscheidungen in der Logistik vorzubereiten. Die Zunahme der Logistikstudiengänge hat erst ab den 1990er Jahren eingesetzt. Gab es vor 1990 noch vergleichsweise wenige Logistikstudiengänge, so ist deren Anzahl bis heute auf über 30 angewachsen. Rund die Hälfte dieser Studiengänge wird von Fachhochschulen angeboten (Abbildung 8). Rund 20 Prozent der identifizierten Logistikstudiengänge werden heute noch als Diplom-, 80 Prozent schon als Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten. Der akademische Grad der Logistikstudiengänge ist an die Aus-
Abb. 7: Durchschnittlicher Logistik-Ausbildungsumfang in den Studiengängen 12 SWS 10 SWS 8 SWS 6 SWS 4 SWS 2 SWS 0 SWS
Wirtschaftsingenieurwesen
Betriebswirtschaftslehre
Verkehrswesen
Wirtschaftsinformatik
Maschinenbau
[SWS = Semesterwochenstunden; Zeitaufwand für eine wöchentliche Lehrveranstaltung in 45-Minuten-Einheiten für die Dauer eines Semesters]
Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth
Studierende mit logistischem Ausbildungshintergrund
richtung der Studienprogramme (z. B. Diplom-Ingenieur, Diplom-Wirtschaftsingenieur oder Diplom-Kaufmann) angelehnt. Einen expliziten Logistikbezug im Namen hat nur der akademische Grad Diplom-Logistiker, wie er an der Universität Dortmund verliehen wird. Die Universitäten vergeben in ihren Bachelor- und Masterstudiengängen ausschließlich den akademischen Grad „Bachelor of Science“ (B. Sc.) und „Master of Science“ (M. Sc.), um die wissenschaftliche Ausrichtung der Programme zu unterstreichen. Die Fachhochschulen verleihen vor allem den akademischen Grad „Bachelor of Engineering“ (B. Eng.) und „Master of Engineering“ (M. Eng.). Der akademische Grad „Bachelor of Arts“ (B. A.) wird primär für Absolventen der Logistikstudiengänge von Berufsakademien vergeben.
Im Jahr 2007 (Wintersemester 2006/07 und Sommersemester 2007) haben rund 11 600 Studierende mit logistischem Ausbildungshintergrund die Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien verlassen, von denen rund 1300 einen Abschluss in einem Logistikstudiengang vorweisen können. Die Gesamtanzahl von Logistikprüfungen, die maßgeblich die Berechnung der Studierendenanzahl mit logistischem Ausbildungshintergrund beeinflusst hat, wurde nicht nur durch Rückfragen mit den Verantwortlichen verifiziert, sondern durch einen Korrekturfaktor bereinigt, der sich auf die Fachgebietsanzahl je Hochschule bezieht. Die logistischen Kenntnisse über Ausbildungsumfang und Kompetenzen sind dabei in Abhängigkeit der Studiengänge sehr unterschiedlich. Rund 11 Prozent der gesamten Absolventen mit Logistikkenntnissen haben Logistik als Studiengang abgeschlossen, weitere 30 Prozent mit dem Studienschwerpunkt Logistik. Diese Absolventen haben ihre Kenntnisse über logistische Strukturen und Prozesse durch Abschlussarbeiten erweitert und vertieft und können damit als besonders qualifiziert bezeichnet werden (Abbildung 9). Die Bewährung in der Praxis hat gezeigt, dass unabhängig von der Ausbildungsform – Studiengang oder Studienschwerpunkt – diejenigen Absolventen besonders für Logistikberufe geeignet sind, die eine breite und tiefe Ausbildung mit logistischen, aber auch darüber hinausgehenden Inhalten durchlaufen haben. In Deutschland waren 2006 rund 2,07 Mio. Beschäftigte direkt im Bereich Logistik tätig (Forschungsbericht LogBes 2006, Klaus und Kille 2006). Wird unterstellt, dass
Qualitätssicherung in der logistischen Ausbildung
Im Zuge der Einführung von Bachelor und Master sind die Hochschulen nicht nur zur Angleichung der Studiengangsstrukturen aufgefordert, sondern auch zur Qualitätssicherung der Studiengänge angehalten. Zentrales Element der Qualitätssicherung ist die Akkreditierung zur Überprüfung der strukturellen und inhaltlichen Gestaltung der Studiengänge. Fast zwei Drittel aller Logistikstudiengänge sind schon akkreditiert, bei Weiterbildungsstudiengängen sogar drei Viertel. Neben der Akkreditierung der Studiengänge muss als zweites Element ein kontinuierlicher Qualitätssicherungsprozess an den Hochschulen durchgeführt werden. Instrument des hochschulseitigen Qualitätssicherungsprozesses kann die Analyse und Bewertung von Studienprogrammen sein.
Abb. 8: Zunahme der Anzahl an Logistikstudiengängen 30
3 31
25
davon 7 Universitäten 18 Fachhochschulen 6 Berufsakademien
20 15 10
10
5 3 0
Vor 1990
5 1995
2000
2007
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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland
Führungskräfte der unteren Managementebene rund acht Mitarbeiter leiten, während Führungskräfte der mittleren und höheren Managementebene durchschnittlich zehn Mitarbeitern vorstehen (Klaus 1999), müssten 2006 im Feld der Logistik rund 287 000 Führungskräfte in den verschiedenen Managementebenen tätig gewesen sein. Wird weiter von der Annahme ausgegangen, dass Logistikführungskräfte rund 20 Jahre in ihrem Beruf verweilen, würde sich daraus ein jährlicher Gesamtbedarf von rund 14 000 Führungskräften in der Logistik ergeben. Davon wird bereits heute ein großer Teil durch den Logistikbildungsmarkt bereitgestellt. Ein weiterer Teil dieses Personalbedarfs wird stets durch Mitarbeiter mit beruflicher Ausbildung gedeckt werden, die sich im Unternehmen entwickelt haben, sowie durch Akademiker anderer Fachrichtungen, die sich durch Berufserfahrung und Weiterbildungsmaßnahmen für Logistikpositionen qualifiziert haben.
gen auf die Anforderungen an die akademische Logistikausbildung. Als Konsequenz erhöhen die Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien nicht nur die Kapazität der Logistikausbildung in Bezug auf Anzahl der Logistikfachgebiete und Logistikstudiengänge, sondern streben auch eine neue Qualität in der Logistikausbildung an. Das kontinuierliche Wachstum der Logistik wirft die Frage auf, wie viele akademisch ausgebildete Studierende mit logistischem Hintergrund die Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien verlassen. Durch die Untersuchung konnte erstmals fundiertes Zahlenmaterial des Logistiknachwuchses gewonnen werden. Pro Jahr stehen dem Arbeitsmarkt heute rund 11 600 Akademiker von Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien mit logistischem Ausbildungshintergrund zur Verfügung. Besonders umfangreiche Logistikkompetenzen haben davon rund 40 Prozent. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an Quereinsteigern. In naher Zukunft wird eine weitere kontinuierliche Zunahme von Absolventen mit logistischem Ausbildungshintergrund erwartet. Grund hierfür ist, dass die ersten Studierenden der jüngst eingerichteten Logistikstudiengänge
Resümee und Ausblick Die steigende Bedeutung der Logistik spiegelt sich in der Zunahme von Logistikpositionen in allen Unternehmensebenen wider. Vor allem hat diese Entwicklung AuswirkunAbb. 9: Absolventen mit logistischem Ausbildungshintergrund im Jahr 2007 Absolventenzahl mit logistischem Ausbildungshintergrund
Verteilung auf Hochschultyp
16 % Logistik als Studiengang
7%
1 300 77 %
9% Logistik als Studienschwerpunkt
59 %
3 500
32 %
6% 35 %
Logistik als Studienbestandteil
Gesamtzahl
6 800
11 600
Universitäten
59 %
Fachhochschulen
Berufsakademien
Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth
und -fachgebiete ihr Studium beenden werden. Weitere, nicht logistisch ausgebildete Akademiker stehen auch in Zukunft als Quereinsteiger zur Verfügung und wachsen in Themenfelder der Logistik hinein. Es hat sich gezeigt, dass das logistische Lehrangebot bisher mit der Entwicklung und dem Bedeutungszuwachs der Logistik Schritt gehalten hat. Auch in Zukunft ist davon auszugehen, dass nicht nur die kontinuierliche Zunahme weiterer Logistikfachgebiete und Logistikstudiengänge zusätzliche Kapazität in der Ausbildung bereitstellt, sondern auch bestehende Angebote eine Deckung der Nachfrage nach akademisch ausgebildeten Logistikern übernehmen können. Eine breite Ausbildung des akademischen Logistiknachwuchses muss sichergestellt werden, die neben den Kerngebieten der Logistik auch wirtschaftswissenschaftliche, informationstechnische und technologische Inhalte umfasst, um entsprechend auf die disziplinübergreifenden Herausforderungen in der Logistik vorbereitet zu sein.
Literaturverzeichnis Baumgarten, H.; Hildebrand, W.-C. (2008) Empirische Untersuchung zum Stand der Logistik-Ausbildungssituation in Deutschland, unveröffentl. Arbeitspapier, Berlin Baumgarten, H.; Schmager, B. (2007) Wirtschaftsingenieurwesen in Ausbildung und Praxis, (Hrsg.) Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure, 12. vollst. überarb. Aufl. Baumgarten, H.; Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik: Supply Chains im Wandel, Technische Universität Berlin, Berlin Forschungsbericht LogBes (2006) Stand und Entwicklung der Logistik in Deutschland mit Schwerpunkt auf die Logistikbeschäftigung ausgewählter Marktsegmente, Fraunhofer ATL, Nürnberg, BMVBS: Forschungsbericht FE-Nr. 96.0837/2005; für den vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse anhand der Beschäftigtenstatistik von 2006 nachvollzogen Klaus, P. (1999) Zur Quantifi zierung von Arbeitsplatzangeboten und Ausbildungsbedarfe Wirtschaftssektor „Logistik“, logistik management 1. Jg.; 1999, Ausg. 3 Klaus, P.; Kille, C. (2006) Die Top 100 der Logistik. Marktgrößen, Marktsegmente und Marktführer in der Logistikdienstleistungswirtschaft, 4., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl., Deutscher Verkehrs-Verlag, Hamburg Logistik-Inside (2007) Special: Logistikstudium, Hochschulen mit Logistikstudiengängen, in: Logistik Inside, Jg. 12, Nr. 9
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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen
Christopher Jahns Rektor der European Business School (EBS) Professor und Inhaber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management Executive Director des Supply Management Institute (SMI) Verwaltungsratsvorsitzender der SMG Supply Management Group in St. Gallen Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Inga-Lena Darkow Research Director und Juniorprofessorin für Innovation & Logistics am Supply Management Institute (SMI) an der European Business School (EBS)
Prof. Dr. Christopher Jahns Jahrgang 1969 Jahns ist seit 2006 Rektor der European Business School (EBS) und verantwortet alle akademischen Belange in Forschung und Lehre. In diesem Sinne vertritt er die EBS nach außen und gestaltet die internationalen Beziehungen zu führenden Business Schools in anderen Ländern aktiv mit. Gleichzeitig ist Jahns Inhaber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management und Executive Director des Supply Management Institute (SMI). Jahns habilitierte an der Technischen Universität München. Er war Dozent und Research Assistant im MBA-Programm International Management und Controlling der Technischen Universität München und promovierte zuvor an der Technischen Universität München. Jahns ist Verwaltungsratsvorsitzender der SMG Supply Management Group in St. Gallen und Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL).
Prof. Dr. Inga-Lena Darkow Jahrgang 1971 Darkow ist Research Director und Juniorprofessorin für Innovation & Logistics am Supply Management Institute (SMI) an der European Business School (EBS) in Wiesbaden. Zudem ist sie Academic Director MBA Programme und verantwortlich für den internationalen Vollzeit-Studiengang zum Master in Business Administration (MBA) der EBS, der im September 2008 starten wird, sowie für den Teilzeit MBA in Logistik und Supply Chain Management in Moskau in Kooperation mit der Lomonossow-Universität. Sie studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin sowie an der University of Manchester – Institute of Science and Technology (UMIST) – in Manchester, Großbritannien. Anschließend promovierte sie an der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten über Logistik-Controlling in der Versorgung.
Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen Christopher Jahns / Inga-Lena Darkow
Logistiker managen internationale Netzwerke und Wertschöpfungsketten, gestalten und optimieren SupplyChain-Management-Systeme und kümmern sich um die Logistik in Beschaffung, Produktion, Distribution und Entsorgung – samt zugehöriger Informationsflüsse. Kurz: Die Logistik stellt mit zunehmender Globalisierung höhere Anforderungen an die Mitarbeiter in den Unternehmen. Zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen ist der dauerhafte Einsatz der richtigen Logistik-Führungskräfte eine wesentliche Voraussetzung. Diese Führungskräfte sind verantwortlich für die Implementierung von Logistikstrategien – damit kommt ihnen für die strategische Ausrichtung des Unternehmens eine bedeutende Rolle zu. Zudem sind für die Verwirklichung vieler logistischer Konzepte nicht nur das Aufsetzen eines entsprechenden Systems, die Definition von Prozessen und deren Schnittstellen sowie die Vernetzung der IT-Systeme notwendig. Häufig ist der Erfolg der Umsetzung von der Qualität der Leistung der Mitarbeiter abhängig. Wesentliches Element des Erfolges ist zudem der Umgang mit dem Dienstleistungscharakter der Logistik, der vor allem durch den „Faktor Mensch“ beeinflusst wird. Die zunehmende Bedeutung der Logistik in Bezug auf den Gesamtunternehmenserfolg steht jedoch in einem
Widerspruch zu einem bis heute noch nicht etablierten, speziell auf Logistiker abgestimmten Personalmanagement. In vielen Unternehmen ist die heutige organisatorische Eingruppierung von Logistik-Führungskräften teilweise abhängig von der historischen Bedeutung der Logistik-Funktion. Der Querschnittscharakter und die häufig von unternehmensübergreifenden Aktivitäten abhängigen Aufgaben der Logistik-Manager spiegeln sich nicht immer in der Positionierung in den Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung wider. Der folgende Beitrag soll zu Ursachen und möglichen Lösungsansätzen Stellung nehmen – und einen Blick in die Zukunft riskieren.
Bedeutung des Personalmanagements für die Logistik Logistiker werden nur selten als Mitarbeitergruppe im Personalmanagement eines Unternehmens gesondert behandelt – weder in Industrie, Handel oder Dienstleistung. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Supply Management Institute (SMI) der European Business School EBS (Henkel 2008). Auf der anderen Seite stehen die zunehmende strategische Bedeutung der
Abb. 1: Die drei Felder des Personalmanagements nach Daft (1988)
Personalgewinnung • Bedarfsplanung • Anforderungsanalyse • Rekrutierung • Auswahl Personalmanagement für die Logistik Personalerhaltung • Entlohnung • Sozialleistungen • Fortbildung • Informationswesen • Verwaltung
Personalentwicklung • Aus- und Weiterbildung • Personalbeurteilung • Vorschlagswesen • Karriereplanung
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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen
Logistik und das sich wandelnde und immer komplexer werdende Aufgabenspektrum der Logistiker, insbesondere der Führungskräfte in der Logistik. Damit wird dem Personalmanagement für Logistik-Manager eine größere Bedeutung verliehen. Als erste große Herausforderung für das Personalmanagement gestaltet sich insbesondere die Gewinnung von gut ausgebildeten und engagierten jungen Führungskräften (vgl. Abb. 1). Diese High-Potentials müssen aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage sein, die komplexer werdenden Anforderungen an das Logistik-Management zu erfüllen (Claßen und Palder 2002; Wilson 2004; Meißner und Becker 2007; Wachta 2007). Die Logistik-Branche boomt – und ist dennoch in ihrer Vergütung nicht attraktiv für Berufseinsteiger, wie auch im jüngsten Hochschulanzeiger der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen ist (Trechow 2008) und Gespräche mit Experten besagen. Die Wirtschaftswoche titelte jüngst „Die 40 Top-Berufe“ – Unternehmensberater und Einkäufer stehen hier weit oben, auch Speditionskaufleute und Disponenten werden gesucht. Den Begriff „Logistiker“ sucht der Leser vergeblich (Wirtschaftswoche 2008). Damit wird deutlich, dass sich die Branche transparenter und attraktiver für potenzielle Berufseinsteiger aufstellen muss. Wie Studien aus den USA und Deutschland zeigen (Nissen-Baudewig 1996; Jayanth et al. 1999; LeMay et al. 1999; Gowen und Tallon 2003), sehen Unternehmen ein institutionalisiertes Personalmanagement für LogistikManager als sehr bedeutend für den Erfolg des Unternehmens an. In der Praxis wird jedoch das Fehlen eines solchen Ansatzes beklagt (Jahns und Langenhan 2004; Mangan und Christopher 2005). Zu einem systematischen Personalmanagement gehören das Rekrutieren, Entwickeln und Erhalten von Führungskräften. Doch schon beim Gewinnen von (zukünftigen) Führungskräften muss sich die Logistik verschiedenen Herausforderungen stellen: Bereits in der Diskussion um für junge Hochschulabsolventen in Management und Technologie interessante und spannende Berufsfelder stehen häufig eher Unternehmensberatungen oder Karrierestarts in der Forschungsund Entwicklungs-, Marketing- oder Finanzabteilung im Vordergrund. Auch die Vergütung, die sich als Baustein durch alle drei Phasen zieht, reizt nicht zum Berufsstart in dem Bereich: Wenn überhaupt Zahlen für Logistikund Supply-Chain-Management-Führungskräfte öffentlich verfügbar sind, dann liegt das zu erwartende Einkommen häufig unter dem anderer Funktionen oder auch Branchen (Henkel 2008).
Die Zukunft – „Der Kampf um die besten Köpfe“ In einer Studie wurde die Zukunft der Logistik im Jahr 2025 betrachtet. Mithilfe von Expertenbefragungen und der Delphi-Technik wurden Szenarien abgeleitet, wie sich die Zukunft des Logistik-Marktes entwickeln kann. Ein Hauptaugenmerk der Expertendiskussion lag auf der Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im globalen Wettbewerb. Deshalb wurden die beiden Extremwerte – Arbeit als der Kostenfaktor Nr. 1 versus Rohstoffzugang als bedeutendster Kostenfaktor – für die Ableitung von Extremszenarien eingesetzt. Die Detailergebnisse können in der aktuellen Studie nachgelesen werden (von der Gracht et al. 2008) oder in der Dissertationsschrift von Heiko von der Gracht, die am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) entstanden ist (von der Gracht 2008). Das erste Szenario ist dementsprechend auch mit der Überschrift „Standortfaktor Mensch“ betitelt. Das zweite dieses Problem ansprechende Szenario heißt „FabrikCities“. Beide Szenarien werden aus der Sicht des Jahres 2025 beschrieben.
Standortfaktor Mensch für die Logistik im Jahr 2025 Humankapital ist der knappe „Rohstoff“ der heutigen Wissensgesellschaft (Stand 2025). Der Zugang zu Rohstoffen gegenüber dem Faktor Arbeit hat trotz der verschärften Energieproblematik stark an Bedeutung verloren. Der Zugang zu qualifiziertem Personal ist der einzige nachhaltige Wettbewerbsfaktor in einer immer mobileren Welt geworden. Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte hat jedoch insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland stark abgenommen. Seit 2005 sind der EU insgesamt 20 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter verloren gegangen. Rückläufige Geburtenraten und das Ausscheiden der „Babyboomer“-Generation haben zu einem großen nationalen Fachkräftemangel geführt. Heute müssen zwei Erwerbstätige für einen Nichterwerbstätigen aufkommen. In Deutschland hat die Politik zudem in der Vergangenheit immer mehr Gelder in die Sozialsysteme stecken müssen, worunter das Bildungssystem zusätzlich gelitten hat. Der Mangel an jungem, hochqualifiziertem, mobilem Personal ist dadurch heute umso gravierender. Diese Entwicklungen haben gravierende Auswirkungen auf den Logistik-Markt: In wissensintensiven Industrien fehlt heute auf vielen nationalen Märkten qualifiziertes Personal. Zum Teil werden im Zuge des fortgeschrittenen
Christopher Jahns / Inga-Lena Darkow
globalen Recruitings junge, hochqualifizierte und mobile Arbeitskräfte mit teils erheblichem Aufwand angeworben. Der überwiegende Trend der letzten Jahre ist jedoch die Ausrichtung entsprechender Produktionsnetze am verfügbaren Humankapital. Die Produktion von komplexen und teuren Produkten findet dort statt, wo Unternehmen auf qualifizierte Mitarbeiter zurückgreifen können. Attraktive Standorte sind vor allem in den ehemaligen Entwicklungsund Schwellenländern zu finden. Hier haben sich große Wissenszentren gebildet, die im internationalen Vergleich ein geringeres Einkommensniveau aufweisen und zugleich attraktive Absatzmärkte darstellen. Die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Menschen ist somit Standortfaktor Nummer eins geworden, um den viele Regionen weltweit konkurrieren. „Weiche“ Faktoren wie Umwelt- und Lebensqualität spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Fabrik-Cities für die Logistik im Jahr 2025 Die kommenden Jahre (ab dem Jahr 2025) werden weniger durch den Zugang zu Rohstoffen als durch den Kampf um „Humankapital“ bestimmt. Zwar sind viele Edel- und Industriemetalle im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung Chinas und Indiens weiterhin knapp und teuer, jedoch versprechen Innovationserfolge im Bereich der synthetischen Herstellung von Ersatzstoffen eine Entspannung auch dieser Situation. Seit Jahren schon tobt hingegen ein Kampf um Fachkräfte, insbesondere in Europa. Im Gegensatz zur US-Bevölkerung, die in den letzten 20 Jahren um mehr als ein Viertel gewachsen ist, verzeichnet die europäische Region niedrige Geburtenraten. Die Zahl der Menschen über 65 Jahren ist hier seit dem Jahr 2005 um 40 Mio. gestiegen, wo hingegen die Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen um 20,8 Mio. Menschen abgenommen hat. Hinzu kommt, dass im Zuge der Tertiarisierung bzw. Quartarisierung vieler Volkswirtschaften
der Industrienationen der Beitrag des „Humankapitals“ zum Gewinn erheblich gestiegen ist. Die Nachfrage nach jungem, hochqualifiziertem, mobilem Personal übersteigt das Angebot auf den heimischen Märkten bei Weitem. Für den Logistik-Markt ergeben sich aus diesem Fachkräftemangel ernst zu nehmende Folgen: Globale Beschaffung, Produktion und Distribution gehören in fast allen Märkten und Wertschöpfungsnetzen heute zum Standard. Viele der Entwicklungsländer sind durch ihre Megacities in den weltweiten Handel fest integriert. Sie stellen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in den „alten“ Industrienationen attraktive Investitionsstandorte dar. In den letzten Jahren sind zahlreiche Produktionsstätten aufgrund der hohen Dichte an Humankapital und niedrigerem Lohnniveau gerade in diese Regionen verlagert worden. Die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Menschen ist Standortfaktor Nummer eins geworden, um den viele Regionen weltweit konkurrieren. Neben der Verlagerung von Produktionsstätten haben verschiedene Industrien gemeinsame Fabrik-Cities aufgebaut. Diese Planstädte zeichnen sich durch eine sehr attraktive Atmosphäre sowie hervorragende Infrastruktur aus und verfolgen das Ziel, qualifizierte Mitarbeiter anzuwerben und in diesen Fabrik-Cities anzusiedeln.
Anders Denken – Kluge Köpfe gewinnen Zukünftig sind für das Personalmanagement in der Logistik folgende Bereiche ausschlaggebend, um die Branche attraktiver für leistungsfähige Führungskräfte und HighPotentials zu machen (vgl. Abb. 2): 1. Transparenz über Berufsprofile und Karrierewege 2. Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“ 3. Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe 4. Angebot attraktiver Weiterbildung
Abb. 2: Vier Bausteine für Attraktivität und Image in der Logistik
Transparenz über Berufsprofile und Karrierewege
Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“
Attraktivität und Image Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe
Angebot attraktiver Weiterbildung
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6 86
Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen
Im Folgenden sollen die einzelnen Bausteine näher erläutert werden. Jedoch sind hier nicht nur die Personalabteilungen der Unternehmen, sondern auch Universitäten, Interessenverbände und die Logistik-Führungskräfte selbst in der Pflicht, das Image des Berufsfeldes weiter zu verbessern. Als Handlungsempfehlung kann hier nur für die an der Ausbildung, Weiterbildung und Beschäftigung von Führungskräften Beteiligten in der Logistik gelten, in den relevanten Feldern aktiv zu werden und dies auch an mögliche und bereits tätige Logistik-Führungskräfte zu kommunizieren.
Transparenz über Berufsprofile und Karrierewege Wie zahlreiche Studien (u. a. Baumgarten 2004) und die Diskussion mit Studierenden, Absolventen und Unternehmen immer wieder zeigen, sind die Vorstellungen zum Berufsprofil „Logistiker“ so vielfältig wie seine Aufgabenbereiche. Insbesondere für Akademiker und Manager ist es jedoch von Beginn der Karriere an wichtig zu wissen, wohin der Weg führen kann – und ob er auch bis „ganz nach oben“ führen kann. Hier besteht in der Branche nur wenig Transparenz, auch in vielen Unternehmen gibt es hier unterschiedliche Vorgehensweisen. Eine der Konsequenzen ist die als ungerecht wahrgenommene Entlohnung von Logistik-Führungskräften, da diese nicht adäquat zu ihren Peer-Managern erfolgt. Hier ist dringender Handlungsbedarf vonnöten, sollen die besten Köpfe für die Logistik dauerhaft gewonnen werden.
Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“ Heute bieten viele nationale und internationale Hochschulen Studiengänge an, die Absolventinnen und Absolventen dazu befähigen, eine Aufgabe in Logistik und Supply Chain Management zu übernehmen. Nicht alle Studiengänge führen dies in ihrem Namen, denn nach wie vor benötigt die Logistik Interdisziplinarität und damit viele verschiedene Ansätze und Ausbildungshintergründe. Es kann demnach nicht darum gehen, vermehrt „LogistikStudiengänge“ anzubieten. Vielmehr wäre eine Offenlegung der Ausbildungsinhalte, vermittelten Methoden und erreichbarer Berufsprofile mit diesen Studiengängen und Studienfächern hilfreich für Studierende und auch potenzielle Arbeitgeber. So könnte der Markt – insbesondere zum Ende des Studiums – transparenter gestaltet werden. Die Studierenden hätten zudem bereits bei der Wahl des Studienfaches Logistik an ihrer Universität eine deutliche-
re Vorstellung, was erreichbar ist – auch im Vergleich zum Belegen alternativer Fächerkombinationen. Internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Studiengänge gerade im Bereich des Managements ist selbstverständlich vorauszusetzen.
Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe Die aktuelle Studie des SMI, aber auch anderer Institutionen zeigt, dass Logistik-Führungskräfte vergleichsweise niedrig entlohnt werden und über einen geringeren variablen Anteil in der Vergütung verfügen als die Peer-Group. Dies liegt vor allem in der traditionellen organisatorischen Einbindung der Logistik-Manager in vielen Unternehmen begründet. Auf der anderen Seite wird von Unternehmensleitungen und in Befragungen immer wieder die strategische Bedeutung der Logistik hervorgehoben. Nur – lassen sich die besten Manager für die Logistik finden, wenn die Vergütung als eher unattraktiv empfunden wird? Dieses Dilemma steht dringend zur Lösung an im Personalmanagement von Industrie, Handel und Dienstleistung.
Angebot attraktiver Weiterbildung Der finale Baustein zur dauerhaften Bindung von LogistikFührungskräften mit herausragenden Fähigkeiten ist die kontinuierliche Weiterbildung. Hier steht das gesamte Spektrum zur Disposition: neue Technologien und ihre Anwendung, neue strategische Management-Konzepte, aber auch Soft-Skills wie interkulturelle ManagementFähigkeiten und Sprachen. Denn kaum eine Funktion und Branche ist globaler aufgestellt als die Logistik und braucht entsprechend ausgebildete Führungskräfte. Wobei hier das Dilemma der Weiterbildung zu beachten ist: Der Mitarbeiter ist an einem eher breit angelegten Wissen, das er auch in anderen Unternehmen anwenden kann, interessiert. Das Unternehmen ist an der Vermittlung eher unternehmensspezifischen Wissens interessiert, um den Mitarbeiter in dem Unternehmen zu halten. Mit zunehmender Hierarchieebene wird zudem die Sozialkompetenz wichtiger als Methoden- und Fachkompetenz. Die Weiterbildungsangebote sollten dies berücksichtigen. Logistik und IT (Informationstechnologie) sind das Rückgrat globaler Netzwerke. Die IT hat es bereits geschafft, die klügsten Köpfe für sich zu gewinnen. Dies gelingt insbesondere durch attraktive Entlohnung für innovative Entrepreneure. Dieses Image muss die Logistik ebenfalls anstreben – sonst ist die Funktionsfähigkeit der globalen Wirtschaft mittelfristig gefährdet.
Christopher Jahns / Inga-Lena Darkow
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2. Innovationen – Logistik ist Wandel
Wert- und innovationsorientierte Logistik – Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg
Hans-Christian Pfohl Professor und Leiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Entwicklung sowie Mitglied des Vorstands der European Logistics Association (ELA) Holger Köhler Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt Carsten Röth Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl Jahrgang 1942 Pfohl ist seit 1982 Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Darmstadt. Er hat dort den Lehrstuhl für Unternehmensführung und Logistik. Rufe an die Universitäten Mainz und Düsseldorf lehnte er ab. Seit 1997 ist er Professor am Chinesisch-Deutschen Hochschulkolleg (CDHK) an der Tongji-Universität in Shanghai. Von 1975 bis 1982 war er ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Essen-Gesamthochschule, wo er den Lehrstuhl für Organisation und Planung innehatte. Pfohl ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Entwicklung sowie Mitglied des Vorstands der European Logistics Association (ELA).
Holger Köhler Jahrgang 1978 Köhler arbeitet seit Dezember 2005 am Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit befasst er sich u. a. mit Fragen des Innovationsmanagements in der Logistik und Supply Chain Risikomanagement. Er ist Diplom-Wirtschaftsingenieur.
Carsten Röth Jahrgang 1978 Carsten Röth ist seit 2005 Mitarbeiter am Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik an der TU Darmstadt. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf den Gebieten Supply Chain Finance, Internationale Unternehmensführung und Logistik sowie Qualitätsmanagement in Unternehmensnetzwerken. Er ist Diplom-Wirtschaftsingenieur.
Wert- und innovationsorientierte Logistik – Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth
Einleitung Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen suchen fortwährend Möglichkeiten, Logistikprozesse effizienter zu gestalten. Die Material- und Informationsflüsse in der Supply Chain werden bereits durch eine Vielzahl von Methoden und Instrumenten unterstützt. Neben Verbesserungen bei diesen Flüssen wird zunehmend auch nach Möglichkeiten gesucht, die finanzwirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte der Supply Chain stärker zu berücksichtigen und zu optimieren. Ziel ist es, durch das Management und die innovative Ausgestaltung aller Dimensionen der Supply Chain den Unternehmenswert der einzelnen Supply-Chain-Unternehmen und damit den Erfolg der Supply Chain als Ganzes zu steigern. Dafür ist es von besonderer Bedeutung, dass sowohl Industrie- und Handelsunternehmen als auch die in der Supply Chain beteiligten Dienstleister gemeinsam nach neuen innovativen Logistikleistungen suchen. Um bisher ungenutzte Wertsteigerungspotenziale zu identifizieren und freizusetzen und die Entstehung von Innovationen nicht dem Zufall zu überlassen, bedarf es einer wert- und innovationsorientierten Logistik.
Wertorientierung in der Logistik Von der Kosten- zur Wertorientierung
Die Entwicklung der Logistikkonzeption hat sich seit jeher auf die Reduzierung der Kosten und die Verbesserung des Kundenservice konzentriert (Pfohl 1972, Ihde 1972, Kirsch 1973). Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den materialwirtschaftlichen und informationstechnischen Aspekten, für die auf dem Gebiet des Supply Chain Managements eine Vielzahl von Methoden und Instrumenten entwickelt wurde. Während der Analyse und Steuerung von Güterund Informationsflüssen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird (Baumgarten 2004), ist der „Gegenstrom“ dieser auf die zeitliche und räumliche Veränderung der Güter in der Supply Chain ausgerichteten Betrachtungsweise – der Fluss finanzieller Mittel – bisher eher vernachlässigt worden. Obwohl der Finanzfluss in den meisten Modellen und Definitionen auf dem Gebiet des Supply Chain Manage-
ments berücksichtigt wird, gibt es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit den Möglichkeiten der konkreten Ausgestaltung dieses Flusses befassen (Pfohl/ Elbert/Hofmann 2003, Pfaff/Skiera/Weiss 2004, Pfohl/ Elbert/Gomm 2006). Der finanzielle Aspekt der Logistik war jedoch schon immer im Gesamtkostenansatz verankert. Demzufolge müssen Logistikmanager alle relevanten Kosten der logistischen Prozesse sowie die Kosten des in den Beständen gebundenen Kapitals berücksichtigen, die einen Einfluss auf die logistischen Gesamtkosten haben (Pfohl 2004a). Dies hat zur Folge, dass der Fokus im Logistikmanagement in den letzten Jahren auf Prozessoptimierungen zur weiteren Kostenreduktion lag. Diese Konzentration der Logistikmanager auf eine reine Kostenbetrachtung hat zu Berichtssystemen geführt, die sich allein auf die Erhebung und Weitergabe von Kosten und operativen Kennzahlen an das Top-Management beschränken. Die strategische Zielsetzung der Unternehmensleitung liegt auf der Wertsteigerung des Unternehmens (Wildemann 2007). Die Messung von wertsteigernden Aktivitäten durch die Unternehmensleitung erfolgt dabei durch Spitzenkennzahlen, wie bspw. dem Economic Value Added (EVA), indem operativer Gewinn und die Kapitalkosten des Unternehmens einander gegenübergestellt werden. In der Betrachtung dieser Spitzenkennzahlen wird jedoch der Anteil der Logistik nur selten berücksichtigt (Pfohl/Elbert/ Gomm 2006). Als Konsequenz werden die Logistik allgemein sowie die damit verbundenen Prozesse aus Sicht der Unternehmensführung nicht als Profit-Center, sondern vielmehr als Cost-Center wahrgenommen. Auf den ProfitCentern liegt aber das Augenmerk der Geschäftsleitung, da diese den augenscheinlichsten Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele Wachstum, Profit und Kundenbindung beitragen (ELA/BearingPoint 2002). In Zeiten steigender Logistikkosten (ELA/A.T. Kearny 2004, Pfohl/Wang/Wilson 2005, Wilson 2007) und der Zunahme des Risikos innerhalb der weltweiten Supply Chains (Pfohl 2007) ist das Logistikmanagement gefordert, die Logistik an der Steigerung des Unternehmenswertes
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Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg
als oberstes finanzwirtschaftliches Ziel im Unternehmen auszurichten, um damit den potenziellen Wertbeitrag der Logistik für die Unternehmensführung sichtbar zu machen. Es stellt sich daher für das Logistikmanagement die Frage, welchen Beitrag die Logistik zur Unterstützung dieser durch die Unternehmensführung priorisierten Ziele leistet. Das Logistikmanagement als eine bereichsübergreifende Funktion, die alle Logistikaktivitäten integriert und optimiert sowie die Koordination der einzelnen Logistikaktivitäten mit anderen Funktionsbereichen, wie Marketing, Vertrieb, Produktion, Finanzen und der IT, übernimmt, spielt eine essenzielle Rolle für die Erreichung der Ziele des Top-Managements. Das Supply Chain Management ist ein strategischer Ansatz des Managements von Logistiksystemen (Logistikketten, Logistiknetzwerken, Demandund Supply Chains), der auf dem interfunktionalen sowie interorganisationalen Management über Unternehmensgrenzen hinweg basiert. Durch diesen interfunktionalen sowie interorganisationalen Charakter der Logistik bestehen starke Einflussmöglichkeiten bezüglich der effektiven und effizienten Gestaltung der Güter-, Informations- und Rechteflüsse, aber auch gerade ein großer Einfluss auf den Fluss der finanziellen Mittel sowohl innerhalb als auch außerhalb der Unternehmen. Immer mehr Unternehmen erkennen dabei den Wertbeitrag der einzelnen Logistikaktivitäten auf die positive Entwicklung des Umsatzes und des Cash-Flows und damit auch den unmittelbaren Einfluss auf den gesamten Unternehmenswert. Viele Unternehmen haben jedoch bis heute noch keine klaren finanziellen Ziele für ihre Logistik und messen auch nicht den Beitrag der Logistik auf den Shareholder Value (Straube/Pfohl/Günthner/Dangelmaier
2005). Es ist daher die Aufgabe der Logistikmanager, den finanziellen Beitrag der Logistik an die Unternehmensführung zu kommunizieren. Nur so kann die Unternehmensführung diese Informationen in ihren Entscheidungen berücksichtigen und den Logistikaktivitäten mehr Aufmerksamkeit widmen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Logistikmanager beginnen, in einem erhöhten Maße in wertorientierten Größen zu denken, zu handeln und zu berichten. Dies ermöglicht eine Veränderung des Logistikmanagements von einer allein kostenorientierten Ausrichtung hin zu einer eher wertorientierten Perspektive (Pfohl 2004a, Pfohl/Elbert/Hofmann 2003). Wandel in der Ausrichtung der Supply Chains
Für Logistikmanager stellt sich die Frage, wie ihr Tagesgeschäft und ihre operativen Aufgaben mit den auf die Wertsteigerung ausgerichteten Unternehmenszielen vereinbart werden können. Dazu ist jedoch eine Veränderung in der Wahrnehmung der strategischen Ausrichtung und den Zielsetzungen innerhalb des Logistikmanagements bezüglich der Gestaltung der Supply Chains erforderlich. Diese unterschiedliche Sichtweise auf die Supply Chain kann dabei, wie in Abbildung 1 veranschaulicht, als „Alte Schule“ gegenüber der „Neuen Schule“ der Supply Chain dargestellt werden. Unternehmen nach alter Schule sind durch eine kostenorientierte Sichtweise der Supply Chain geprägt. Die Kennzahlensysteme sind auf die Kontrolle und Reduktion der operativen Kosten ausgerichtet. Die Erfüllung dieses Ziels wird durch fortwährende Effizienzprogramme zur Verbesserung der operativen Prozesse in Richtung einer schlanken Supply Chain angestrebt.
Abb. 1: Alte Schule gegenüber Neue Schule der Supply Chain
Alte Schule Behandlung der Supply Chain als Cost-Center
Fokus auf operationale Kostenkontrolle und -reduktion
Wahrnehmung von operativer Effizienz als Exzellent -„Effizienzfalle“
Maximale Verschlankung der Prozesse Quelle: übersetzt aus Anderson/Delattre, 2002
Neue Schule Nutzung der Supply Chain für: • Ertragswachstum • Steigenden Marktanteil • Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen Ausnutzung von Potenzialen für neue Value-added Services Investition in sehr spezifische Kompetenzen Verfolgung eines klaren Geschäftsmodells Verwendung neuer Fähigkeiten zur Veränderung der Kundenbeziehungen
Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth
Unternehmen der neuen Schule sind hingegen bestrebt, die Supply Chain als das Schlüsselelement zur Umsetzung ihrer bestehenden und neuen Geschäftsstrategien einzusetzen. Dies beinhaltet Aktivitäten zur Gewinnung von neuen Value-added Services, der Investition in spezifische Fähigkeiten und der Verbesserung der Kundenbeziehungen. Das Ziel ist die Stärkung der Wertorientierung des Unternehmens, um ein stetiges Wachstum des Ertrags und einen steigenden Marktanteil zu erreichen sowie neue Wettbewerbsvorteile gegenüber den Wettbewerbern zu entwickeln. Bei der Transformation von alt zu neu ist zu beachten, dass die wichtigen Aspekte – Kosten und Kundenservice in der Supply Chain – ein weiterhin wichtiger Bestandteil des Logistikmanagements sind. Es ist demnach notwendig, eine Balance zwischen der Kostenreduktion und der Investition in neue Potenziale in der Supply Chain zu finden und die Schaffung weiterer Wertbeiträge für die Unternehmen zu fördern (Anderson/Delattre 2002). Supply Chain Finance als wertorientierte Erweiterung des Logistikmanagements
Um die Wertorientierung nachhaltig in die Aktivitäten der Logistikmanager einzubinden und somit auch der Forderung nach einer modernen Ausgestaltung der Supply Chain nachzukommen, ist es notwendig, die bisher vernachlässigte Rolle der finanziellen Aspekte des Logistikmanagements stärker in das Aufgabenfeld der Logistikmanager zu integrieren. Diese veränderte Betrachtung der Finanzflüsse und der damit verbundenen Aspekte der Finanzierung
und Investition innerhalb der Supply Chain erfordert eine Erweiterung des bestehenden Managements zu einem Konzept des Supply Chain Managements, das die finanzielle Dimension abdeckt. Die Lücke zwischen Logistik und Finanzen wird im Rahmen des Financial Supply Chain Managements (FSCM) thematisiert (Abb. 2). Innerhalb des FSCM wird unterschieden nach dem Financial Chain Management (FCM) und dem Supply Chain Finance (SCF) (Pfohl/Elbert/Gomm 2006). Ersteres betrifft vorrangig die technische Optimierung des Finanzflusses (bspw. die EDV-technische Gestaltung des Belegflusses). Das Supply Chain Finance hingegen beschäftigt sich mit der Optimierung der Unternehmensfinanzierung und der Verminderung der Kapitalkosten in der Supply Chain (Gomm 2008). Während beim FCM die datenverarbeitungstechnischen Probleme und die Gestaltung der Informations- und Kommunikationssysteme im Vordergrund stehen, liegt der Fokus des SCF auf der Finanzierung des Anlage- und Umlaufvermögens und der Verkürzung des Cash-to-Cash-Cycle. Die Betrachtung finanzwirtschaftlicher Aspekte in der Supply Chain im Rahmen des SCF eröffnet nicht nur neue Handlungsfelder. Vielmehr gewinnen vor dem Hintergrund der geforderten Wertorientierung neben dem Endkunden auch die Kapitalgeber an Bedeutung. Im Rahmen des SCF sind die (Re-)Finanzierungsmöglichkeiten der einzelnen Mitglieder einer Supply Chain von besonderer Bedeutung. Während großen Unternehmen über den Kapitalmarkt eine breite Auswahl an standardisierten Finanzierungsinstrumenten zur Verfügung steht, können mittelständische
Abb. 2: Konzept des Supply Chain Finance
Unternehmen (Wertorientierung) Logistik … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … Finanzen SCM (Prozesseffizienz)
FCM (elektr. Belegfluss)
SCF (Kapitalkosten) Financial Supply Chain Management finanzwirtschaftlich
logistisch Prozesse
IuK-Systeme
Fianzierung
Bestandsmanagement
Elektronische Rechnungsstellung
Anlagenvermögen
Collaborative Planning
Debitorenmanagement
Umlaufvermögen
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Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg
Unternehmen aufgrund zu geringer Volumina meist nur auf Produkte ihres lokalen Finanzmarktes zurückgreifen. Hier bietet sich im Rahmen des SCF gerade für die Mitglieder einer Supply Chain und speziell den Logistik- und Finanzdienstleistern die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu erschließen und eigene Finanzierungsangebote zu entwickeln (Pfohl/Röth/Gomm 2007). Die im Zuge des Supply Chain Finance eingesetzten Methoden bringen eine Veränderung der Rechteflüsse innerhalb der Supply Chain mit sich. So führen Off-balance-Lösungen, wie bspw. das Factoring von Forderungen, Vendor Managed Inventory oder die Errichtung und Finanzierung von Logistikimmobilien durch darauf spezialisierte Dienstleister einerseits zur Freisetzung finanzieller Mittel und zur Verbesserung relevanter Bilanzkennzahlen, andererseits zu einer Verschiebung der Rechte und damit zu neuen Fragestellungen bzgl. Haftung, Mitsprache und Kontrolle (Pfohl/Gomm/ Röth 2006). Diese Veränderungen führen dazu, dass die Perspektive der „operativen“ Wertschöpfung im Rahmen des SCM durch eine Perspektive der finanziellen Wertschöpfung erweitert wird. In diesem Zusammenhang werden die klassischen Parameter Kosten, Zeit und Qualität um die Aspekte Zukunft, Risiko und Markt ergänzt. Für eine zukunfts-, risiko- und marktorientierte Optimierung der Supply Chain sind jedoch alle beteiligten Unternehmen gefordert, neue innovative Produkte, Konzepte und Instrumente zu entwickeln – und dies nicht nur im Rahmen des SCF, sondern in allen Bereichen der Logistik von Industrie, Handel und Dienstleistern. Voraussetzung hierfür ist die Etablierung einer innovationsorientierten Logistik.
Innovationsorientierung in der Logistik Innovationsorientierte Logistik und Unternehmenserfolg
Gemeinhin werden Innovationen als Schlüssel zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Inzwischen hat der Innovationsbegriff neben vielen anderen Branchen auch die Logistik erreicht und breite Aufmerksamkeit erlangt. Immer häufiger taucht im Zusammenhang mit Logistik das Attribut „innovativ“ auf. Neben den negativen Begleiterscheinungen einer zunehmend inflationären Verwendung des Begriffs als Modeerscheinung ist jedoch vermehrt auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema in Wissenschaft und Praxis festzustellen (Göpfert 2001, Binnenbruck 2003, Chapman/Soosay 2003, Soo-say/Hyland 2004, Flint/Larsson/Gammelgaard/Mentzer 2005, Göpfert/Hillbrand 2005, Juga/Pekkarinen/Kilpala/Onkalo 2006, Wagner 2007).
Dienstleistungsinnovationen im Allgemeinen und Logistikinnovationen im Speziellen finden zunehmend mehr Beachtung, wenn das Sachgut als Primärleistung seinen Wettbewerbsvorteil verliert und die produktbegleitenden Services kaufentscheidend werden. Denn aus Produktsicht entsteht mit abnehmender Innovationsrate – gleichbedeutend mit höherer Substituierbarkeit – ein zunehmender Rationalisierungs- bzw. Differenzierungsdruck, dem die Logistik durch unterschiedliche Ausprägungen der Innovation Einhalt gebieten kann. Dem Rationalisierungsdruck auf Herstellungs- und Logistikprozesse kann durch Prozessinnovationen entgegengewirkt werden, um Produktions- und Logistikkosten zu senken. Im anderen Fall kann die Logistik eine Differenzierung durch das Angebot eines einzigartigen Lieferservice erzeugen (Logistikservice als Produktinnovation). Die Unternehmen Dell und Zara liefern hierfür herausragende Beispiele und lassen vermuten, dass innovative Logistikkonzepte einen positiven Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten können. Für Produktinnovationen von Sachgütern ist längst unstrittig, dass Innovationen eine der wichtigsten Erklärungsgrößen für den Unternehmenserfolg darstellen (Bausch/Rosenbusch 2006). Die Bedeutung industrieller Dienstleistungen für die Profilierung gegenüber Wettbewerbern, die Erreichung und Absicherung von Kundenzufriedenheit, die Erweckung eines positiven Unternehmensimages und die Absatzförderung des Kernproduktes ist ebenfalls empirisch bestätigt (Stauss 1993, Hünerberg/ Mann 1996, Innis/LaLonde 1994, Morris/Davis 1992). Die Erfolgswirkung von Innovationen industrieller Dienstleistungen hingegen ist erst in Ansätzen erforscht. Noch weniger wurde bisher der Beitrag von Logistikinnovationen zum Unternehmenserfolg untersucht. Einen Ansatz, die Bedeutung von Logistikinnovationen für den Unternehmenserfolg zu quantifizieren, liefert die aktuelle Studie der European Logistics Association und Arthur D. Little (ELA/Arthur D. Little 2007). Unternehmen mit einem effektiven und effizienten Innovationsmanagement haben demnach in der Regel geringere Logistikkosten bzw. eine höhere EBIT-Marge. Nach Einschätzung der Befragten lässt sich der Unternehmenserfolg – gemessen an der EBIT-Marge – mit einem optimierten Innovationsmanagement in der Logistik durchschnittlich um bis zu 8,5 Prozentpunkte steigern. Hinzu kommt, dass Preis und Zuverlässigkeit nicht mehr die einzigen kaufentscheidenden Kriterien für die verladende Wirtschaft darstellen (ELA/Arthur D. Little 2007). Sie werden zukünftig vielmehr zu Grundvoraussetzungen bei der Fremdvergabe von Logistikdienstleistungen ohne
Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth
Differenzierungspotenzial. Die Bedeutung der Innovationsfähigkeit hingegen nimmt als kaufentscheidendes Auswahlkriterium für die Fremdvergabe von Logistikdienstleistungen zu und gewinnt somit für die Steigerung des Unternehmenserfolgs zunehmend an Bedeutung. Trotz des nachgewiesenen Wertbeitrags von Innovationen und deren hohe zukünftige Relevanz im Verkaufsprozess logistischer Dienstleistungen werden Innovationen in der Logistik bisher kaum systematisch vorangetrieben. Dies mag daran liegen, dass der Handlungsdruck in der Logistik aufgrund guter Renditen in der Vergangenheit noch nicht hoch genug ist, operatives Denken häufig noch dominiert und es an ausreichendem erforderlichen Knowhow und Erfahrung fehlt (Giesen/Hillbrand 2006). Um die Entstehung von Innovationen in der Logistik nicht dem Zufall zu überlassen, bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit den spezifischen Anforderungen für ein Innovationsmanagement in der Logistik (Pfohl/ Frunzke/Köhler 2007a) mit dem Ziel, einen positiv auf den Unternehmenserfolg wirkenden Innovationsbeitrag zu leisten.
tischen Produktinnovationen nicht zuletzt aufgrund des Dienstleistungscharakters des Logistikservice schwierig ist. Eine Aufgabe des Innovationsmanagements in der Logistik ist somit, den Ergebnisbeitrag, die Wahrnehmung der Logistik und den damit verbundenen Stellenwert im Unternehmen sowie die Sichtbarkeit und Bewertungsmöglichkeiten zu steigern und insbesondere den Entscheidungsträgern im Top-Management die finanziellen Aspekte innovativer Logistikservices klar darzustellen. Auch die aktuelle Trendstudie der BVL zeigt (Abb. 3), dass die Prozessoptimierung ein wesentlicher Bereich ist, in dem es von hoher Bedeutung ist, den Beitrag der Logistik zur Wertsteigerung transparent zu machen. Damit Logistikmanager dem Top-Management den Wert der Logistik und insbesondere die Bedeutung logistischer Innovationen verständlich machen können, müssen sie deren Sprache sprechen, die stark vom finanzwirtschaftlichen Vokabular der Wertorientierung geprägt ist (Pfohl/Elbert/Gomm 2006). Eine intensive Auseinandersetzung mit der Schnittstelle Logistik und Finanzen sollte daher ein zentrales Thema für den Logistikmanager sein. Nicht nur dem Top-Management muss der Nutzen und der Aufwand logistischer Service-Innovationen transparent dargestellt werden, sondern auch dem Vertrieb, der in direktem Kontakt zu den Kunden steht und somit die innovativen Logistikservices „vermarkten“ muss. Darüber hinaus müssen Logistikdienstleister ihren Kunden den Wert innovativer Logistikservices transparent darstellen können und ihnen verständlich machen, dass sie von einer Innovation profitieren, insbesondere
Transparenz des Wertbeitrags von Innovationen
Die Logistik ist häufig noch durch ein permanentes Überzeugen des Top-Managements über den Wertbeitrag von Innovationen geprägt, obwohl nachgewiesen ist, dass die Logistik ein hohes Ergebnispotenzial liefert (Weber/ Dehler 2000). Dies resultiert zum einen daraus, dass logistische Prozessinnovationen im Außenumsatz meist nicht direkt erkennbar sind und die Bewertung der logisAbb. 3: Gegenstand einer Wertorientierung in der Logistik
In welchen Bereichen ist es von Bedeutung, dass Sie den Beitrag der Logistik zur Wertsteigerung transparent machen? 75 %
64 %
61 %
63 %
sehr hoch hoch niedrig sehr niedrig Prozessoptimierungen
Logistikinvestitionen ins Umlaufvermögen
Alle Unternehmen (n = 198) Unternehmen, die der Zukunfts-, Risiko- und Marktorientierung in der Logistik eine hohe Bedeutung beimessen (n = 56) Quelle: Straube/Pfohl/Günthner/Dangelmaier 2005
Logistikinvestitionen ins Anlagevermögen
Logistik-Outs Logistik-Outsourcing
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Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg
wenn sie mit an sich funktionierenden Prozessen arbeiten und den Vorteil einer Innovation zunächst nicht erkennen. Damit wird bereits eine weitere logistikspezifische Anforderung für ein Innovationsmanagement in der Logistik angesprochen – die systematische Integration der Kunden in den Innovationsprozess im Sinne einer interaktiven Wertschöpfung, um die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen. Denn nur auf dieser Grundlage ist es möglich, innovative Logistikservices zu entwickeln und als „Innovationslieferant“ wahrgenommen zu werden. Dass dies den Dienstleistern bislang allerdings nur unzureichend gelingt, wird im Urteil der Kunden über den Innovationsbeitrag von Dienstleistern in kontraktlogistischen Beziehungen deutlich (Pfohl/Frunzke/Köhler 2007b). Kunden stufen demnach den Innovationsbeitrag ihrer Dienstleister gering ein, da diese es kaum schaffen, ihre Bedürfnisse – seien es bestehende oder latent vorhandene – zu erkennen und neuartige Möglichkeiten zu deren Befriedigung zu entwickeln. Daher werden viele Kunden selbst innovativ tätig, zumal sie auch keine hohen Erwartungen an die Hervorbringung von Logistikinnovationen durch ihre Dienstleister haben. Interaktive Wertschöpfung zur Erhöhung des Innovationsbeitrags
Die Entwicklung innovativer Logistikservices erfordert eine genaue Kenntnis der Kundenbedürfnisse, d. h. Informationen über die Präferenzen, Wünsche, Zufriedenheitsfaktoren und Kaufmotive der Kunden (Thomke 2003, Reichwald/Piller 2006). Von Hippel spricht in diesem Zusammenhang von „sticky information“ (von Hippel 1994). Zur Lösung von Kundenproblemen müssen diese Bedürfnisinformationen der Kunden mit den Lösungsinformationen der Dienstleister zur effizienten und effektiven Überführung der Kundenbedürfnisse in konkrete Lösungen mittels technologischer Möglichkeiten und notwendiger Potenziale in Einklang gebracht werden. Allerdings ist es häufig schwierig oder sehr kostspielig, die notwendigen Bedarfsinformationen von Kunden auf die Dienstleister zu übertragen, da Kunden erfahrungsbasiertes Know-how besitzen, die Bedürfnisse nur schwer erklärbar sind sowie häufig lediglich als implizites Wissen vorliegen (Herstatt 2001, Gruner/Homburg 2000). Mit einer verstärkten Integration von Kunden in den Innovationsprozess können die Markt- und Kundenanforderungen und somit die Bedürfnisinformationen der Kunden von Dienstleistern antizipiert werden, bevor diese von Kunden explizit geäußert werden. Hierdurch kann die Reaktionszeit im Sinne eines „Sense and Respond“ auf
Kundenanforderungen signifikant verkürzt werden (Heinevetter/Schrecklinger/Scherf 2006). Die positiven Auswirkungen der Integration der Kunden in den Innovationsprozess werden durch empirische Studien belegt. Insbesondere in der frühen Phase der Ideengenerierung und der späten Phase der Markteinführung ist eine erhöhte Einbeziehung der Kunden Erfolg versprechend (Lüthje 2000). Studien von Ernst zeigen, dass die Erfolgswirkung insbesondere dann besonders hoch ist, wenn die interaktive Wertschöpfung einer hohen Marktunsicherheit, Spezifität und Abhängigkeit von Kundenwissen in der Wertschöpfung entgegenwirkt (Ernst 2001). Neben der positiven Auswirkung der Integration der Kunden in den Innovationsprozess der Dienstleister ist auch die Integration der Dienstleister in den Innovationsprozess von Kunden Erfolg versprechend. Es zeigt sich, dass innovative Unternehmen der verladenden Wirtschaft ihre Dienstleister früher in ihren Innovationsprozess einbinden als der Durchschnitt. Top-Innovatoren der Logistikdienstleister werden an der strategischen Planung und dem Ideenmanagement der Kunden beteiligt (ELA/Arthur D. Little 2007). Sie können sich somit weg vom reinen Erfüllungsgehilfen hin zu einem Entwicklungspartner ihrer Kunden etablieren und sich margenträchtiger positionieren. Effizienz- vs. Innovationsorientierung
Die individuellen Anforderungen der Kunden machen vermehrt spezifische, an die Kundenwünsche angepasste Problemlösungen erforderlich, die mit einem Standardprodukt nicht erfüllt werden können. Dies führt zu einer einzelkundenorientierten Differenzierung, indem permanent neue Services entwickelt werden müssen, die eine hohe Flexibilität hinsichtlich spezifischer Kundenwünsche erfordern. Auch in der Logistikstrategie von Unternehmen macht sich diese Entwicklung bemerkbar. Wie die Trendstudie der BVL zeigt, stehen für die Mehrheit der befragten Unternehmen die Flexibilität und Individualisierung der Leistungserstellung im Fokus ihrer Strategie (Straube/ Pfohl/Günthner/Dangelmaier 2005). Die steigende Nachfrage nach kundenindividuellen Problemlösungen in der Logistik stellt jedoch eine Herausforderung für das Effizienzdenken in der Logistik dar (Pfohl 2004b). Wird die Zielsetzung verfolgt, Kundenwünsche möglichst individuell und flexibel zu erfüllen, erschwert dies die Abstimmung und Auslastung der Kapazitäten deutlich, was zu einer Erhöhung der Logistikkosten führen kann. An diesem Trade-off setzt der zweistufige Innovationsprozess an, den die Top-Innovatoren unter den Logis-
Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth
tikdienstleistern bereits verfolgen (ELA/Arthur D. Little 2007). Inkrementelle Innovationen lassen sich demnach durch eine Weiterentwicklung kundenspezifischer Lösungen zu marktfähigen Modulen und Standards erzielen. Höheres Innovationspotenzial hingegen bietet der umgekehrte Weg: die Entwicklung von Modulen und Standards ohne ein konkretes Kundenprojekt mit anschließender kundenspezifischer Anpassung. Dieser zweistufige, meist iterative Prozess ermöglicht den Top-Innovatoren unter den Dienstleistern eine hohe Kundenorientierung. Sie nutzen jedoch auch verstärkt Kosteneffizienzen der Modularisierung/Standardisierung mit dem anschließenden Mass Customizing und verbinden dadurch Effizienz mit Innovationsorientierung.
Fazit Bei der zukünftigen Gestaltung der Supply Chains wird ein wertorientiertes Logistikmanagement auf der Basis zusätzlicher finanzieller Wertbeiträge und der innovativen Weiterentwicklung der Logistikleistungen eine bedeutende Rolle spielen. Nur wenn es dem Logistikmanagement gelingt, den veränderten Rahmenbedingungen von Seiten der Kunden gerecht zu werden und sich die Erwartungen des eigenen Top-Managements an einen steigenden Wertbeitrag der Logistik erfüllen, wird sich ein langfristiger Unternehmenserfolg einstellen. Logistikmanager müssen in der Sprache des TopManagements ihre Anliegen vertreten können und sind daher zwingend darauf angewiesen sich mit den finanziellen Aspekten in der Logistik auseinanderzusetzen. Das Konzept des Supply Chain Finance bietet hierfür in Ergänzung des klassischen Supply Chain Managements den notwendigen Rahmen für zukünftige Entwicklungen. Innovative Konzepte wie die des Supply Chain Finance müssen in der Logistik noch weiter systematisch vorangetrieben werden. Innovation darf nicht nur eine Modeerscheinung und Worthülse bleiben. Aufgabe eines innovationsorientierten Logistikmanagements ist es vielmehr, Rahmenbedingen zu schaffen, die den Innovationsbeitrag der Logistik erhöhen. Dies betrifft nicht nur organisatorische Rahmenbedingungen. Vielmehr muss auch ein innovationsfreundliches Klima im Unternehmen etabliert werden. Die Innovationsgenerierung darf somit nicht dem Zufall überlassen, sondern Logistikinnovationen müssen gezielt vorangetrieben werden, um einen entsprechenden Wertbeitrag zu liefern und damit die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit sicher zustellen.
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Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service
Michael ten Hompel Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der Universität Dortmund Geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML
Prof. Dr. Michael ten Hompel Jahrgang 1958 Ten Hompel ist seit März 2000 Mitglied der Institutsleitung am Fraunhofer IML in Dortmund und führt dort den Bereich „Materialflusssysteme“. Im Januar 2005 übernahm er die geschäftsführende Institutsleitung. Ten Hompel studierte Elektrotechnik mit der Fachrichtung Technische Informatik an der RWTH Aachen und promovierte 1991 an der Universität Witten/Herdecke. Seinen Berufsweg begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der Universität Dortmund und am Fraunhofer-Institut für Transporttechnik und Warendistribution. Die von ten Hompel 1988 gegründete GamBit GmbH mit dem Hauptgeschäftsfeld „Software für Produktion und Logistik“, die er bis zum Jahr 2000 leitete, entwickelte sich mit ihm als geschäftsführendem Gesellschafter zu einem der erfolgreichsten Logistiksoftwareunternehmen in Deutschland.
Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service Michael ten Hompel
Die Welt, in der wir leben, ist nicht deterministisch Zu diesem Schluss kam der Däne Niels Bohr schon vor rund 80 Jahren, als er postulierte: Vorhersagen sind schwierig, insbesondere, wenn sie unsere Zukunft betreffen. Es folgten viele weitere Erkenntnisse bei der nicht relativistischen Beschreibung unserer Welt. Wichtige Kollegen wie Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger sollten fortfahren in der statistischen Beschreibung atomistischer Effekte. Nun wird niemand behaupten, dass sich diese Erkenntnisse auf die Welt des Supply Chain Managements und die Logistik übertragen lassen. Jedoch finden sich zahlreiche Analogien, die verdeutlichen, dass sich unser Modell der Prozessketten ähnlich radikal wird ändern müssen wie seinerzeit das Modell der Materie.
Die Unschärfe in der Logistik Die Welt, in der wir leben, ist eine paradoxe. Immerzu wird sie getrieben von den Antipoden der sich im Dekadenwechsel verändernden Maxime unseres Handelns. Konzentration oder Diversifikation, Dezentralisierung oder Zentralisierung, Outsourcing oder Insourcing lauten nur einige der Alternativen logistischen Managements. Allen gemein ist jedoch der Versuch, Handlungsanweisungen zu geben, die ein Modell des Systems voraussetzen, das gesteuert oder gemanagt werden soll. Modelle dieser Art sind wiederum zahlreich und nicht immer widerspruchsfrei. Sie basieren jedoch gemeinhin auf der allgemeinen Grundannahme, dass es möglich sei, Prozesse zu definieren und zu Prozessketten zu aggregieren, die vereinheitlicht, harmonisiert und letztlich standardisiert werden können. Hiermit verbunden wird das Ziel, durch die Standardisierung der Vergangenheit (und ihrer Prozesse) Modelle und Handlungsanweisungen für zukünftige Ereignisse abzuleiten. Beides ist jedoch systemimmanent zum Scheitern verurteilt. Zunächst ist es nicht nur tägliche Erfahrung, sondern empirisch belegbar, dass sich zwar einzelne Prozesse – so sie denn klein genug sind – standardisieren lassen, niemals jedoch komplexe Prozessketten für eine zukünftige Anwendung. Alle Bemühungen dieser Art sind
auf die Vergangenheit nutzbringend anwendbar und erlauben eine historische Analyse und Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln. Niemals jedoch kann auf Dauer der Ablauf der Prozesse mit ausreichender Exaktheit in die Zukunft fortgeschrieben werden.1 Der schon lange Zeit währende Versuch, dieses deterministische Management in die Tat umzusetzen, scheitert an drei wesentlichen Faktoren: 1. Eine Standardisierung logistischer Prozesse, geschweige denn logistischer Prozessketten, ist innerhalb einer Branche außerordentlich unwahrscheinlich, branchenübergreifend unmöglich. Zu unterschiedlich sind die Abläufe, zu vielfältig die Prozesse.2 2. Je präziser ein Prozess und sein Eintreffen zu einem definierten Zeitpunkt bestimmt werden sollen, desto größer wird die Datenmenge, die hierzu verarbeitet werden muss. Schon die Bereitstellung eines Artikels innerhalb einer Kommissionierzone erfordert die Pflege des Bestandes, die vorherige Reservierung des Artikels selbst und der erforderlichen Betriebsmittel, die Führung verschiedenster Ressourcen bis hin zu dem Menschen, der den Artikel entnimmt. Hinzu kommt eine Vielzahl möglicher Fehlerstrategien für den Fall, dass technische Komponenten ausfallen oder vorherbestimmte Ereignisse nicht eintreten. All dies wiederum über mehrere Stufen hinweg: vom Lieferanten über den Transport und so fort. Die mit der Genauigkeit der Vorhersage exponentiell steigende Datenmenge führt auch zu einer Berechnungsgrenze, die den Zeitpunkt repräsentiert,
1 Dies gilt insbesondere für den in den letzten Jahren intensiv betrachteten „Echtzeitbereich“. Handeln in „Echtzeit“ setzt eine vorbestimmte Reaktion in vorbestimmter Zeit voraus. Es bezeichnet in der Logistik den unmittelbaren, steuernden Eingriff in bewegte Systeme wie Förder- und Sortiertechnik (ten Hompel und Heidenblut 2007). 2 Schon die Beschreibung des Warehouse Management im Allgemeinen erfordert über 1000 Einzelfunktionen, die wiederum applikationsspezifi sch angeordnet werden. Bereits die verschiedenartige Anordnung einfachster logistischer Grundfunktionen wie Vereinnahmung, Lagerung, Bereitstellung und Kommissionierung ergibt millionenfache Variationsmöglichkeiten (ten Hompel, Wolf, Daniluk 2007).
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ab dem die Vorausberechnung, zum Beispiel der Reihenfolge einer Auftragsliste (engl. batch), längere Zeit dauert als bis zum Start der vorausberechneten Abläufe (Prozesse) verfügbar ist – ein Phänomen, das durch stetig steigende Rechnerleistung nur insofern geheilt wird, als nicht der Wunsch nach vertikaler Integration benachbarter Akteure diese Leistung wiederum zunichte macht. 3. Je präziser ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorbestimmt wird, umso unwahrscheinlicher wird sein Eintreffen in vorbestimmter Zeit. Letztlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis exakt zu einem vorbestimmten Zeitpunkt eintrifft, gleich Null. Da sich die Wahrscheinlichkeiten entlang einer Prozesskette potenzieren, wird deren Vorbestimmtheit entsprechend unwahrscheinlich. Diese einfachen Feststellungen – zusammengefasst könnte man sie als „Unschärfe“ in der Logistik bezeichnen – finden in der Anwendung des klassischen Supply Chain Managements wenig Beachtung. Zu intuitiv ist der stete Wunsch nach Vorbestimmtheit, nach Harmonisierung der Abläufe und Standardisierung der Prozesse, der immer wieder zu dem Versuch führt, das Unvorhersagbare vorherzusagen.
Mit dem Zufall leben – serviceorientiertes Design in der Logistik Eine zielgerichtete Steuerung – nicht nur logistischer Systeme – erfordert die Nutzung von Erfahrungswissen zur Verbesserung aktueller und zukünftiger Prozesse. Die Vereinheitlichung und Standardisierung in der Logistik ist der Versuch, zukünftige Ereignisse vorherzusagen, um bei deren Eintreffen mit standardisierten Verhaltensmustern zu reagieren. Damit setzt eine sinnvolle Standardisierung eine vorhersagbare Zukunft voraus. In der Logistik führte dieses Paradoxon zur Einführung heuristischer Formalismen, deren (Allgemein-)Gültigkeit angenommen, aber niemals erreicht wird. Das serviceorientierte Design der Logistik (auch Logistics by Design) verfolgt einen gänzlich anderen Grundgedanken, der, wie sich erweisen wird, jedoch eine Standardisierung in viel höherem Maße erlaubt, als dies in der klassischen prozessorientierten Welt möglich erscheint. Zunächst basiert Logistics by Design auf einer serviceorientierten Architektur. Anstelle atomarer Prozesskettenelemente werden ebenso kleinteilige, atomare Services 3 bestimmt, die im Gegensatz zu einer relativ festgefügten
Prozesskette nur lose untereinander gekoppelt sind. Da die Reihenfolge des Aufrufs nicht vorbestimmt ist, kann eine große Menge unterschiedlicher Prozesse (bzw. „Serviceketten“) abgebildet werden, ohne die einzelnen Services selbst zu ändern. Die Präjudizierung des klassischen Prozessketten-Managements weicht einer Wahrscheinlichkeit der Zielerfüllung in einem gegebenen Zeitrahmen. Mit anderen Worten wird die vorgespiegelte Sicherheit eines alles vorausdenkenden Supply Chain Managements durch die hohe Flexibilität einer Logistics by Design ersetzt. Diese Entwicklung wird getragen durch die Erkenntnis, dass es in Zukunft wesentlich wichtiger sein wird, die Flexibilität logistischer Systeme sicherzustellen, als ein Optimum für eine dezidierte Konstellation zu bestimmen, die niemals exakt so eintreffen wird, wie sie berechnet wurde. Atomare Services lassen sich, ähnlich wie Prozesskettenelemente, in ihrer Funktion standardisieren. Die Reihenfolge ihres Aufrufs innerhalb eines begrenzten Systems ist jedoch nicht mehr vorgegeben und im Wesentlichen durch die aktuelle Anordnung physischer Komponenten (Topologie) bestimmt. Diese Topologie kann den wechselnden Bedarfen flexibel angepasst werden, ohne die Services ändern zu müssen. So kann z. B. das Layout eines intralogistischen Materialflusssystems während der Laufzeit geändert werden. Da die Reihenfolge des Aufrufs der Services innerhalb eines Anwendungsbereichs (Domäne) nicht vorhersagbar ist, entsteht die Herausforderung, allgemeingültige Schnittstellen zu implementieren, deren Anzahl und Komplexität mit der Anzahl der Services überproportional steigen wird. Eine Möglichkeit, diese Schnittstellen zu überbrücken, liegt in dem Grundgedanken, alle Informationen, die zum Aufruf und zur Parametrierung im echtzeitnahen Bereich benötigt werden, unmittelbar am Gut bzw. im logistischen Objekt zu speichern. Diese in Verbindung mit RFID als Internet der Dinge (Bullinger und ten Hompel 2007) bezeichnete Steuerungsphilosophie findet so ihre logische Fortsetzung. Die Implementierung serviceorientierter Architekturen wurde in allen führenden ERP-Systemen vollzogen. Für die Logistik, die weit mehr als die Produktion in kurzen Zeiträumen auf neue Anforderungen reagieren muss, ist es
3 Atomare, also nicht sinnvoll weiter teilbare, elementare und damit standardisierbare Services werden innerhalb einer Logistics by Design auch als Spin (service provided independent nucleon) bezeichnet. Spins werden in Sets bereitgestellt. Sets bezeichnen eine ungeordnete, lose gekoppelte, aber vollständige Menge von Spins, die zur Ausführung eines defi nierten Funktionsumfangs benötigt werden. Spins innerhalb eines Sets sind eineindeutig bezüglich der Abbildung einer (physischen) Funktionalität wie z. B. eines Wareneingangs oder eines Kommissionierbereichs etc.
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eine Frage sine qua non geworden, sich von den Fesseln eines hierarchisch vorbestimmten Supply Chain Managements zu befreien. Es ist absehbar, dass dies auch Auswirkungen auf die physische Logistik haben wird.
Die Welt ist nicht deterministisch – es ist an der Zeit, sie auch so zu gestalten.
Herausforderung Echtzeit Die physische Seite der innerbetrieblichen Logistik einschließlich der verbindenden Transporttechnik und IT wird seit dem Jahr 2003 unter dem Begriff Intralogistik (VDMA) subsumiert. Sie umfasst insbesondere auch jenen Bereich, der die echtzeitnahe Steuerung und Durchführung jedweder logistischer Operation ausführt. Der Begriff Echtzeit setzt wiederum in seiner ursprünglichen, stringenten Interpretation die Reaktion eines Systems auf ein äußeres Ereignis (Event) in vorbestimmbarer Zeit voraus.4 Hierdurch ist das Verhalten, zum Beispiel eines Förderers und seiner Steuerung, vollständig determinierbar. Die Steuerung selbst ist klassischerweise als SPS mit einem zyklisch ablaufenden Programm ausgeführt. Der Programmzyklus, addiert mit Signallaufzeiten und vorgegebenen Latenzzeiten, ergibt eine berechenbare Zeit, innerhalb derer das System auf ein Ereignis, zum Beispiel auf den Signalwechsel einer Lichtschranke
reagieren wird. Eine derartige Determinierbarkeit erscheint innerhalb der Steuerungstechnik zunächst unumgänglich und war viele Jahre ein unumstößliches Paradigma konventioneller Fördertechniksteuerung. Seit Mitte der neunziger Jahre haben jedoch zunehmend Betriebssysteme, Netzwerke und Internettechnologien Einzug gehalten, die nicht im eigentlichen Sinne echtzeitfähig sind. Klassische Vertreter dieser Gattung sind das auch im Internet verwendete Übertragungsprotokoll TCP/IP oder das Ethernet Netzwerkprotokoll CSMA/CD. Obwohl keine Antwort zeiten garantiert werden können, finden sie Verwendung, da alle ankommenden Ereignisse schnell genug bearbeitet werden. In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff weiche Echtzeitanforderung etabliert. Untersuchungen wie das Projekt Realtime Logistics (www.realtimelogistics.com) haben den Nachweis erbracht, dass sich die Prinzipien serviceorientierter Architekturen ebenso wie die RFID-Steuerung des Internets der Dinge in diesem Sinne auf reale, intralogistische (Steuerungs-)Systeme anwenden lassen und weiche EchtzeitAnforderungen erfüllen (ten Hompel et al. 2007).
4 Die Echtzeit-Verarbeitung (engl. realtime processing) ist die Verarbeitung schritthaltend mit dem angeschlossenen technischen Prozess. Echtzeitverarbeitung muss den Anforderungen bezüglich der Rechtzeitigkeit der Bearbeitung von Anforderungen und der Gleichzeitigkeit der Bearbeitung entsprechender Programme genügen. Um diesen vollständig zu entsprechen, sind spezielle Betriebssysteme erforderlich. Echtzeitfähigkeit setzt die Reaktion eines Systems auf ein äußeres Ereignis (Event) in vorbestimmbarer Zeit voraus (ten Hompel und Heidenblut 2007).
Abb. 1: Vision eines serviceorientierten Designs logistischer Systeme
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Auch mit einzelnen, passiven UHF-RFID-Tags ist es möglich, die notwendigen Informationsmengen bei üblichen Fördergeschwindigkeiten zu lesen und an Entscheidungsstellen (teilweise) neu zu beschreiben. Es zeichnet sich eine Größenordnung von lediglich 2 KByte Informationen ab, die zur Steuerung, Parametrierung und für das innerbetriebliche Routing notwendig sind.5 Die dezentrale Auswertung und Steuerung auf Basis der Informationen, die im Tag des logistischen Objektes (Palette, Behälter etc.) gespeichert werden, erfolgt – den Prinzipien einer serviceorientierten Logistics by Design folgend – über ein Multiagentensystem6, wobei die einzelnen Agenten innerhalb einer Holarchie instanziiert und über die RFID-Informationen parametriert werden. Konsequent zu Ende gedacht, führt dies zur physischen Anwendung künstlicher Intelligenz.
Intralogistik und künstliche Intelligenz Die Wissenschaft der künstlichen Intelligenz ist ein Teilbereich der Informatik, dessen Wurzeln in den 1950er Jahren liegen. Im Laufe der Jahre sind aus diesem Bereich heraus viele Definitionen entstanden, die eine detaillierte Beschreibung dazu bereitstellen, welche Faktoren für künstliche Intelligenz relevant sind. Diese Definitionen orientieren sich zum einen an der Nachbildung des menschlichen Verhaltens und zum anderen an einem idealisierten Konzept der Intelligenz, der Rationalität. Sie unterscheiden sich dabei in der Forderung einerseits nach Systemen, die wie Menschen beziehungsweise rational denken, und andererseits Systemen, die sich wie Menschen beziehungsweise rational verhalten (Russell und Norvig 2004). Historisch gesehen hat die künstliche Intelligenz als Wissenschaftsdisziplin viele Stadien durchlaufen. Nach zögerlichen Anfängen ist sie seit Anfang der 1990er Jahre mit erfolgreichen Anwendungen in der Wirtschaft vertreten. Zu dieser Zeit wurde auch das Konzept der Agenten populär, welches ganzheitlich intelligente Systeme und ihre Umgebung betrachtet. Mit dem Aufkommen des Internets wurde die Vernetzung solcher Systeme immer wichtiger, sodass auch Konzepte für Multiagentensysteme mit mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen einzelnen Agenten in den Mittelpunkt der Forschungsarbeit rückten. Diese haben in der Zwischenzeit in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen unter Beweis gestellt, dass sie die Dynaxität aktueller technischer Systeme in besonderer Weise handhaben können. Die Anwendung serviceorientierter Konzepte wie des Internets der Dinge vor dem Hintergrund künstlicher In-
telligenz hat auch eine hochgradige Dezentralisierung von Entscheidungen zur Folge. Ein logistisches Objekt – in Verbindung mit dem korrespondierenden Agenten – soll selbst entscheiden können, wie es sich verhält. Das Verhalten sollte dabei von Rationalität bestimmt sein, es sollte Intelligenz zeigen. Das Konzept des Internets der Dinge beschreibt also eigentlich die Verteilung von Intelligenz an die einzelnen Bestandteile eines logistischen Systems. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um menschliche Intelligenz, sondern ganz allgemein um rationales Verhalten von Dingen, mit anderen Worten um künstliche Intelligenz. Ein Objekt (auch Aware Object), welches rationales Verhalten zeigt, ein eigenes Gedächtnis besitzt und autonom Entscheidungen trifft, wird in der Terminologie der künstlichen Intelligenz als Agent bezeichnet. Ein Agent ist allgemein definiert als „[…] alles, was seine Umgebung über Sensoren wahrnehmen kann und in dieser Umgebung durch [Aktoren] handelt.“ (Russel und Norvig 2004). Diese Definition aus einem Standardwerk der künstlichen Intelligenz deckt sich mit den Grundlagen der Materialflussautomatisierung. Hier ist es ein Automat, der einen Prozesszustand über Sensoren wahrnehmen kann und der diesen Prozess durch Aktoren verändert (ten Hompel und Schmidt 2007). Ein solcher Automat kann in manchen Zusammenhängen der Materialflusstechnik als ein Agent gesehen werden, der selbstständig innerhalb eines logistischen Systems handelt. Diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig, denn die „Automatisierung umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, durch die der selbständige Betrieb eines technischen Systems […] bewirkt wird“ (ebd.). Sie kann im Grunde als ein sehr pragmatischer Teilbereich der künstlichen Intelligenz gesehen werden, da die beschriebenen technischen Systeme rational und ohne menschliche Hilfe handeln können müssen. Der Unterschied zwischen der Wissenschaftsdisziplin der künstlichen Intelligenz und der klassischen Materialflussautomatisierung liegt in der Herangehensweise. Das Ziel der künstlichen Intelligenz ist es, intelligente Agenten für jegliche Arten von möglicherweise widrigen Umge-
5 Es wird vorausgesetzt, dass sich zur Steuerung ein einzelner Tag am logistischen Objekt (Behälter, Palette etc.) befi ndet. BMBF Forschungsprojekt „Internet der Dinge“ 2007, s. www.internet-of-things.com 6 Ein Agent ist ein Programm, das folgenden Kriterien gerecht wird (nach Jennings und Wooldridge): Autonomie: Agenten operieren autonom, ohne Manipulation von außen; Soziales Interagieren: Agenten interagieren mit dem Anwender und mit anderen Agenten. Die Kommunikation erfolgt auf einer semantischen Ebene über die Ausführung eines Befehlsvorrats hinaus; Reaktivität: Agenten nehmen ihre Umwelt wahr und reagieren rechtzeitig und angepasst auf Veränderungen; Pro- aktives Handeln: Agenten reagieren nicht nur auf die Umwelt, sondern sind auch in der Lage, zielgerichtet und initiativ zu agieren.
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bungen zu schaffen. Dabei entsteht die Herausforderung, maschinelle Intelligenz zu erschaffen, ohne die Umgebung einfacher zu gestalten. Das Ziel intralogistischer Automatisierung ist es hingegen, ein funktionstüchtiges Gesamtsystem zu erschaffen. Wenn ein Agent nicht intelligent genug ist, dann wird die Umgebung so vereinfacht, dass der Agent dennoch erfolgreich arbeiten kann. Dies führt wiederum zur Vereinheitlichung der Agenten und zur Standardisierung der (serviceorientierten) Umgebung, innerhalb derer die Agenten „leben“ (ten Hompel et al. 2008). Neben zahlreichen Arbeiten zur Selbststeuerung 7 logistischer Netze und Systeme zeigen Simulationen, die diesem Prinzip folgen, dass sich diese Form künstlicher Intelligenz zur echtzeitnahen Steuerung intralogistischer Systeme eignet. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Internet der Dinge“ wurde durch umfangreiche Simulationen nachgewiesen, dass die echtzeitnahe Steuerung auf Basis vereinheitlichter Umgebungen und eines Multiagentensystems möglich ist. Betrachtet wurde die Gepäckförderanlage eines internationalen Flughafens. Das Simulationsmodell enthält ca. 150 verschiedene Aufgabe- und weitere ca. 100 Zielstellen für die Gepäckstücke. Insgesamt sind mehr als 2000 Agenten erforderlich, die an den einzelnen Entscheidungsstellen instanziiert werden, um die 18 000 Förderelemente des Systems zu steuern. Alle Agenten werden automatisch instanziiert. Die Codelänge beträgt weniger als 400 Zeilen. Es existiert keine zentrale Datenbank oder Entscheidungsinstanz. Die Topologie wird automatisch aus dem Materialflussgraphen analysiert. Das individuelle Routing wird über eine Adaption des Dynamic Source Routing berechnet, die das (Agenten-)Netzwerk für jedes Gepäckstück mit Routinganfragen flutet (vgl.: Johnson und Maltz 1996). Das Ergebnis dieser Simulation zeigt, Abb. 2: Agenten bei der Arbeit – Teil einer Agentenlandschaft im Materialflussgraphen einer großen Gepäckförderanlage
dass es möglich ist, komplexe und dynamische Anlagen mit Multiagentensystemen in serviceorientierten Umgebungen zu steuern (Roidl und Follert 2007). Darüber hinaus und für die Zukunft der Intralogistik wahrscheinlich noch entscheidender, gelang der folgende Nachweis: Intralogistische Steuerungen können automatisch aus dem Materialflussgraphen instanziiert werden. Mit anderen Worten:
Die Programmierung einer intralogistischen Steuerung kann automatisch aus dem Layout der Materialflusstechnik generiert und gestartet werden.
Autonomie im Materialfluss – Zellulare Transportsysteme Die Grundprinzipien des Internets der Dinge und die daraus resultierenden neuen Formen agentenbasierter Steuerung intralogistischer Systeme sind das Mittel der Wahl zur Beherrschung steigender Dynaxität und Komplexität. Alles deutet in Richtung standardisierter, kleinskaliger, repetitiver Wirkelemente und Fahrzeuge, die sich autonom und interaktiv in den Distributionssystemen der Zukunft bewegen werden. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um stetige Fördertechnik handelt oder um vorgegebene Linienführungen wie schienengeführte Fahrzeuge, die „intelligente“ logistische Objekte tragen und in der Lage sind, selbstständig einer geänderten Topologie zu folgen. Zahlreiche Entwicklungen wie Multishuttle (Dematic), HDS (Beewen und Vanderlande Industries), OSR (Knapp et al.) zeigen, dass auch auf der physischen Materialflussebene die Dezentralisierung und autonome Interaktion Einzug hält. Schlussendlich ist der Gedanke naheliegend, dass die logistischen Objekte, die ihre Ziele und Missionen auf ihren RFID-Tags tragen, auch selbstständig zum Ziel fahren. Auch auf der physischen Ebene ist das Internet einmal mehr Vorbild der Entwicklung. Die organischen Wachstumsmöglichkeiten des Internets und einige Analogien zur Anwendungsdomäne zellularer Automaten führten zur Bezeichnung zellulare Transportsysteme. Betrachtet man deren Definition, so wird deutlich, wie kongruent sich die Gedanken zum serviceorientierten Design in der physischen Umsetzung widerspiegeln: […] Zellulare Transportsysteme ermöglichen intelligenten logistischen Objekten wie „Smart Items“ oder „Aware Objects“, sich innerhalb ihrer Domäne zu bewegen. Hierzu
7 Der Begriff Selbststeuerung wurde wesentlich durch den gleichnamigen Sonderforschungsbereich 637 – Selbststeuerung logistischer Prozesse geprägt (z. B. ScholzReiter et al. 2007).
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Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service
fordern sie bzw. die durch sie instanziierten Agenten die Dienste (Web Services) an, die zur Überbrückung einer (Teil-)Strecke des Transportnetzwerks dienen. Die hierzu notwendige Ressourcenallokation erfolgt ebenfalls durch agentenbasierte Verhandlung. Zellulare Transportsysteme sind „topologieflexibel“. Die Anordnung der transporttechnischen Entitäten im Raum (das fördertechnische Layout) kann jederzeit geändert werden. Werden den (bewegten) logistischen Objekten „Missionen“ und Strategien bzw. entsprechende Koeffizienten implantiert, so verfolgen deren Agenten in der Kommunikation mit der Umgebung und untereinander ein Ziel. Die letztendlich gewünschte Emergenz im Sinne einer ressourcenschonenden Zielerfüllung des Gesamtsystems ergibt sich durch Interaktion zwischen den intelligenten logistischen Objekten und der durch die transporttechnischen Entitäten gebildeten (serviceorientierten) Umgebung. Die Zukunft der Intralogistik liegt in der Anerkennung einer nicht bis ins letzte Detail determinierbaren Welt. Das unabdingbare Paradigma der richtigen Ware zur richtigen Zeit wird der Maxime beste Produktivität bei maximaler Flexibilität und Zielerreichung weichen. Die deterministische Welt der stetigen Förder-, Sortierund Verteiltechnik wird Gruppen von intelligenten, autonom interagierenden Fahrzeugen weichen. Mit anderen Worten wird die Intralogistik der Zukunft den Dingen Beine machen. Denn wir leben – Gott sei Dank – in einer nicht deterministischen Welt! Abb. 3: Zellulare Transportsysteme – Intralogistik der Zukunft
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Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik
Gerd Wolfram Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology Die Metro Group wurde 2002 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Dr. Gerd Wolfram Jahrgang 1959 Wolfram ist Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology GmbH. Er leitet dort die Geschäftsbereiche Advanced Technologies und Finanzen. Der promovierte Diplom-Kaufmann sorgt für die Auswahl und den Einsatz neuer IT-Innovationen (Research and Innovation), richtet die Informationstechnologie im Metro-Konzern an den Unternehmenszielen aus (IT-Strategy) und ist dafür zuständig, Hard- und Software sowie IT-Dienstleistungen für die Metro Group zu beschaffen (IT-Procurement). Seit Mitte 2002 leitet er eines der innovativsten Projekte des Konzerns: die Metro Group Future Store Initiative. Wolfram arbeitet zudem in nationalen und internationalen Gremien, die sich für die Standardisierung von Logistik- und Warenwirtschaftsprozessen im Handel rund um das Thema Radiofrequenzidentifikation (RFID) einsetzen, z. B. EPCglobal und GS1 Germany.
Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik Gerd Wolfram
Branche vor neuen Herausforderungen Jedes Jahr setzt der deutsche Einzelhandel rund 390 Mrd. Euro um. Eine beeindruckende Summe, die etwa anderthalb Mal so groß ist wie der Bundeshaushalt. Dennoch hat die Branche keinen Grund zu jubeln. Denn die Kauflust der Deutschen ist weiterhin gebremst, die Marktbedingungen hierzulande sind deutlich schwieriger geworden als sie es noch vor zehn Jahren waren. Parallel dazu wandeln sich die Bedürfnisse der Verbraucher. Der moderne Kunde ist preisbewusst, gleichzeitig steigen seine Erwartungen an Qualität und Service – mit der Folge, dass die Margen für die Händler sinken. Handelsunternehmen, die in diesem Umfeld auf Dauer erfolgreich sein wollen, müssen eine Vielzahl an Herausforderungen bewältigen. Dazu gehört, Geschäftsabläufe effizienter zu gestalten und Kosten zu reduzieren. Dabei steht immer häufiger die eigene Prozesskette im Fokus. Denn Produkte legen einen weiten Weg zurück, bevor Händler sie in ihren Verkaufsregalen präsentieren können – vom Hersteller über Zwischenhändler, Distributionszentren bis in den Verbrauchermarkt. Zudem ist ein reibungsloses Zusammenspiel unterschiedlicher Verkehrsträger erforderlich, damit die gewünschten Waren über Ländergrenzen hinweg pünktlich ihr Ziel erreichen. Die Prozesskette bietet erhebliches Potenzial für Kosteneinsparungen. Mithilfe eines verbesserten Supply Chain Managements können Unternehmen • • • • •
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ihre Lagerbestände senken, die Verfügbarkeit der Produkte in den Märkten erhöhen, Prozesse beschleunigen, Warenschwund verringern, flexibler auf die Anforderungen ihrer Kunden eingehen und gänzlich neue Dienstleistungen anbieten.
Komplexität der Prozesse
Weit fortgeschritten ist die Evolution der Prozesskette in der Automobilindustrie. Die sogenannte Just-in-timeProduktion ermöglicht es den Unternehmen, Bauteile zum exakt geplanten Zeitpunkt direkt an das Monta-
geband zu liefern. Die Lagerhaltung entfällt dabei fast vollständig. Von solchen Idealbedingungen, wie sie in der Autoindustrie herrschen, ist die Handelsbranche noch weit entfernt. Zwei Faktoren sind dabei ausschlaggebend. Erstens schwankt die Nachfrage der Verbraucher. Die Händler müssen die gewünschten Produkte stets verfügbar halten, um die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen. Ist ein Artikel ausverkauft, greift der Verbraucher vielleicht zu einem Konkurrenzprodukt oder sucht direkt einen anderen Markt auf. Zweitens ist die Bandbreite der Produkte in der Konsumgüterwirtschaft erheblich. Vom Jogurtbecher bis zum Fahrrad – ein SB-Warenhaus bietet durchschnittlich rund 80 000 verschiedene Artikel an. An jedem Tag, zu jeder Zeit. Einige Waren haben zudem ein Mindesthaltbarkeitsdatum und müssen nach Ablauf aus den Regalen entfernt werden. Bei Frischeprodukten ist es wichtig, die Kühlkette konsequent einzuhalten. Die Temperatur der Ware muss beim Transport auf einem konstant niedrigen Niveau sein, um die Qualität zu gewährleisten. Zudem gilt es, zahlreiche gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. So müssen Unternehmen beispielsweise seit 2005 eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln bis zum Hersteller beziehungsweise Erzeuger gewährleisten. Bei einem Qualitätsvorfall kann der Handel schnell reagieren und die Artikel gezielt aus dem Verkauf entfernen. Für Handelsunternehmen kommt es also vor allem darauf an, die Transparenz entlang der Prozesskette zu erhöhen und das entscheidende Mehr an Informationen zu gewinnen. Nur so können sie ihre logistischen Abläufe optimal planen, steuern und kontrollieren. Welche Waren- und Datenmengen dabei zu bewältigen sind, wird am Beispiel der METRO Group deutlich. Der Handelskonzern ist mit seinen Vertriebsmarken Metro Cash & Carry, Real, Media Markt, Saturn sowie Galeria Kaufhof an rund 2400 Standorten in 30 Ländern vertreten. Täglich muss das Unternehmen auf eine Vielzahl an Marktgegebenheiten reagieren und millionenfach Geschäftsprozesse abwickeln.
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Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik
Vorsprung durch Technologie Logistik bedeutet also nicht nur, Waren von A nach B zu transportieren. Zu ihren zentralen Aufgaben gehört es, die produkt- und prozessbezogenen Informationen zu gewinnen, zu verwalten und den an der Prozesskette beteiligten Unternehmen zugänglich zu machen. Seit Mitte der 1990er-Jahre setzt die Konsumgüterbranche dafür auf den sogenannten EAN-128-Standard. Dabei handelt es sich um ein Codierungsschema für logistische Einheiten, vergleichbar mit dem Barcode auf Produktverpackungen. Am Warenein- und -ausgang des Lagers erfassen die Mitarbeiter die Informationen mithilfe eines Scanners. Der Vorteil: Die Daten sind einheitlich und können problemlos in EDV-Systeme übernommen werden. Der Standard hat bereits zu deutlichen Verbesserungen in der Prozesskette geführt. So haben sich beispielsweise Arbeitsabläufe beschleunigt und Fehler treten seltener auf. Allerdings erfordert das Einscannen der Strichcodes weiterhin einen hohen manuellen Aufwand. RFID – Vier Buchstaben für mehr Effizienz
Die METRO Group hat frühzeitig erkannt, dass zukunftsweisende Technologien für effizientere Arbeitsabläufe wesentlich sind, und treibt Innovationen im Rahmen der von ihr gegründeten Future Store Initiative gezielt voran. Die beteiligten Partner, darunter führende Unternehmen aus der Konsumgüterwirtschaft, der IT-Industrie und dem Dienstleistungssektor, entwickeln gemeinsam neue Anwendungen für die Handelsbranche. Im Fokus steht dabei der Nutzen für die Kunden. Ziel ist es, das Einkaufen in Zukunft noch angenehmer und erlebnisreicher zu gestalten sowie neue Services anzubieten. Zudem sollen mithilfe von Technologien vorhandene Prozesse künftig effizienter gestaltet werden. Eine große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Radiofrequenz-Identifikation (RFID). Diese Technologie ermöglicht es, Objekte entlang der gesamten Prozesskette eindeutig und berührungslos per Funksignal zu identifizieren. Herzstück von RFID ist der Transponder, ein winziger Computerchip mit Antenne. Eingebettet in ein Klebeetikett, lässt er sich auf logistischen Einheiten, beispielsweise Paletten oder Verkaufskartons, anbringen. Auf dem Chip ist ein Elektronischer Produktcode (EPC) gespeichert – eine Weiterentwicklung des EAN-Standards. Mithilfe eines RFID-Lesegeräts können Anwender den EPC berührungslos und ohne direkten Sichtkontakt erfassen und mit dem Warenwirtschaftssystem abgleichen. Dort finden autorisierte Nutzer zahlreiche prozess- und produktbezogene
Informationen, zum Beispiel Namen, Herkunft, Lagerort und Herstellungsdatum einer Ware. Erfasst ein Lesegerät den EPC entlang der Prozesskette, wird dieser Vorgang automatisch im Warenwirtschaftssystem registriert. So können Händler und Hersteller stets nachvollziehen, wo sich die Lieferung gerade befindet. Welche Vorteile ergeben sich daraus für die Unternehmen? Der Handelskonzern kann vor allem den Warenein- und -ausgang erheblich beschleunigen. Das manuelle Einscannen des Barcodes auf den logistischen Einheiten entfällt ebenso wie aufwendige Zählungen. Die Bestände lassen sich automatisch über das Warenwirtschaftssystem kontrollieren. Damit wird die Datengenauigkeit im Warenwirtschaftssystem entscheidend verbessert. Denn bislang waren bei dem täglichen Warenaufkommen nur manuelle Stichproben möglich. Konsumgüterherstellern hilft RFID, weil sie ihre Kapazitäten besser planen und Lieferengpässe vermeiden können. Mindert sich auf Seiten des Händlers der Bestand, kann dieser unmittelbar reagieren und neue Ware bestellen. Der Hersteller hat wiederum die Möglichkeit, bedarfsgerecht zu produzieren. Vorreiter im Handel
Als eines der ersten Handelsunternehmen weltweit hat sich die METRO Group dazu entschieden, RFID in ihrer gesamten Prozesskette einzusetzen. Bereits 2004 startete sie dazu ein umfangreiches Pilotprojekt und führte die Technologie gemeinsam mit mehreren Industriepartnern an ausgesuchten Standorten in Deutschland ein. Ziel war es, bereits vorhandene Erfahrungen mit RFID in die Praxis zu überführen und zu prüfen, inwieweit die Technologie für die spezifischen Anforderungen der Handelslogistik geeignet ist. Insbesondere galt es, technische Beschränkungen zu überwinden, die einen flächendeckenden Einsatz von RFID erschweren. So gab es am Anfang Schwierigkeiten, Transponder auf Produkten mit hohem Wasser- oder Metallanteil genau zu erfassen. Auch die Frequenzregulierungen in Europa waren zunächst noch unzureichend beziehungsweise uneinheitlich. In Deutschland standen zum Beispiel weniger Kanäle für den Funkverkehr zur Verfügung als erforderlich. Standards als Erfolgsgarant
Parallel zur Einführung von RFID bei der METRO Group fand ein internationaler Standardisierungsprozess für die Technologie statt, maßgeblich vorangetrieben durch die Organisation EPCglobal. Die Mitgliedsunternehmen aus der IT-Branche und der Konsumgüterwirtschaft einigten
Gerd Wolfram
sich unter anderem auf Spezifikationen für die Kommunikation zwischen Lesegerät und Transponder. Außerdem legten sie fest, wie der Elektronische Produktcode im Detail aufgebaut sein muss, damit er unternehmens- und länderübergreifend zum Einsatz kommen kann. Mit der Verabschiedung des Standards EPC Class 1/ Generation 2 Ende 2005 wurde eine erste Grundlage für einen flächendeckenden Einsatz von RFID geschaffen. Die Leistungsfähigkeit des Systems konnte im Vergleich zur Vorgängergeneration enorm gesteigert werden. So hat sich beispielsweise die Leserate verbessert und es können mehr Transponder gleichzeitig erfasst werden als zuvor. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Fortschritt leistete auch das RFID Innovation Center, das die METRO Group in Neuss bei Düsseldorf eingerichtet hatte, um ihre Industriepartner bei der Einführung der Technologie zu unterstützen. Im angeschlossenen European EPC Competence Center (EECC) können interessierte Unternehmen Transponder testen, um optimale Lösungen für ihre spezifischen Anforderungen zu ermitteln. Auch das 2004 gestartete Pilotprojekt der METRO Group trug zu einer Verbesserung der Technologie und der notwendigen Prozesse bei. Mit dem Ergebnis, dass sich Transponder heute deutlich schneller und zuverlässiger auslesen lassen als zuvor. Die Erfahrungen der METRO Group und ihrer Partner belegten zudem das Potenzial von RFID. Eine Modelluntersuchung ergab, dass das Unternehmen schon bei einem begrenzten Einsatz der Technologie in nur zwei Prozessschritten rund 8,5 Mio. Euro pro Jahr einsparen kann. Vorzeigeprojekt für Europa
Seit die technologischen Voraussetzungen für einen flächendeckenden Einsatz gegeben sind, führt die METRO Group RFID seit Ende 2007 bundesweit ein. Derzeit sind alle Großmärkte der Vertriebsmarke Metro Cash & Carry, rund 100 Real SB-Warenhäuser sowie neun Läger des konzerneigenen Logistikdienstleisters MGL METRO Group Logistics in der Lage, mit Transpondern versehene Lieferungen in Empfang zu nehmen und in ihrem Warenwirtschaftssystem zu verbuchen. Die MGL METRO Group Logistics liefert den Metro Cash & Carry Großmärkten zudem nur noch Paletten, auf denen Transponder angebracht sind. Darüber hinaus beteiligen sich rund 180 Konsumgüterhersteller an der Einführung von RFID. Sie statten ihre für die METRO Group bestimmten Warensendungen ebenfalls mit Transpondern aus und übermitteln die relevanten produkt- und prozessbezogenen Informationen per elektronischem Lieferavis an das Handelsunternehmen. Die
METRO Group setzt damit das europaweit größte RFIDProjekt in der Handelsbranche um. Neue Perspektiven
Ein zentraler Vorteil von RFID für alle an der Prozesskette beteiligten Partner: Sie können sämtliche Arbeitsabläufe ohne zeitliche Verzögerung direkt in die vorhandenen EDV-Systeme übernehmen und digital weiterverarbeiten. In der Konsumgüterwirtschaft setzt sich der elektronische Datenaustausch (EDI – Electronic Data Interchange) dabei immer weiter durch. Wichtige Daten, beispielsweise Bestelllisten und Lieferscheine, werden nicht länger auf Papier, sondern auf elektronischem Wege übermittelt. Damit alle Partner das System gleichermaßen nutzen können, verwenden sie standardisierte Nachrichtenarten. Aufbauend auf diesen seit Jahren genutzten EDI-Standards kann der Einsatz von RFID Informationen liefern, die sich unternehmensübergreifend austauschen lassen. Damit wird es Geschäftspartnern ermöglicht, in Echtzeit auf die relevanten produkt- und prozessbezogenen Daten zuzugreifen, also genau dann, wenn diese erhoben werden: Passiert eine Palette mit Transponder ein RFID-Lesegerät, ist dieser Vorgang in Sekundenschnelle im System verbucht. Das ermöglicht es den Unternehmen, die eigene Aktionsgeschwindigkeit nachhaltig zu verbessern und verzögerungsfrei auf externe sowie interne Änderungen zu reagieren. Die Vision des sogenannten Real Time Enterprise rückt dank RFID in greifbare Nähe: Unternehmen können ihren Mitarbeitern die benötigten Informationen in Echtzeit bereitstellen. Im aktuell laufenden RFID-Projekt der METRO Group zeigt sich, welche Vorteile sich aus diesem Informationsvorsprung ergeben. So kann das Unternehmen Fehler in der Prozesskette sehr schnell aufdecken. Falsche Lieferungen, nicht vorhandene Lieferavise und unzureichende Produktdaten gehören künftig der Vergangenheit an. Am Computer entsteht ein genaues Abbild der Arbeitsabläufe, das einen neuen Blickwinkel auf die eigene Prozesskette eröffnet. Wie gelangen die Waren vom Hersteller bis zum Wareneingang, und wie genau sieht der Weg dieser Waren innerhalb der eigenen Organisation aus? An welchem Standort im Lager befinden sich die Paletten, die für den Versand bestimmt sind? Wo müssen bestimmte Waren im Hochregal platziert sein, um möglichst kurze Wege sicherzustellen? RFID gibt eine Antwort auf diese Fragen, weil die Technologie einen neuen Blickwinkel auf bestehende Prozesse eröffnet und Schwachstellen aufzeigt. Der zentrale Vorteil besteht also nicht allein darin, Prozesse zu beschleunigen.
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Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik
Vielmehr hilft RFID, weiteres Optimierungspotenzial aufzudecken und zu erschließen. Transparenz ohne Grenzen
Die METRO Group engagiert sich auch über Europa hinaus für RFID. Denn die globalen Warenströme machen heute nicht vor Ländergrenzen Halt und haben ihren Ausgangspunkt vielfach in Fernost. Dieser Herausforderung begegnet das Handelsunternehmen mit seinem 2006 gestarteten Programm Advanced Logistics Asia (ALA). Dabei führt es die innovative Schlüsseltechnologie RFID entlang der weltweiten Prozesskette zwischen China und Deutschland ein. Ziel ist es, auch im globalen Handel mehr Effizienz und Transparenz herzustellen. Ein Baustein von ALA ist das Teilprojekt „Cross Border Visibility“. Dabei stattet ein Logistikdienstleister im Süden Chinas ausgewählte, für die METRO Group bestimmte Warensendungen mit Transpondern aus. Ein RFID-Warenein- und -ausgangstor erfasst die Lieferungen beim Versand und prüft sie automatisch auf Vollständigkeit. Im Anschluss gelangen die Pakete per Schiff nach Deutschland. Auch die Container sind mit Transpondern versehen und lassen sich so bei der Verladung im Hafen automatisch erfassen. In Rotterdam werden die Container auf ein Binnenschiff umgelagert, wobei eine erneute Kontrolle mittels RFID erfolgt. Erst dann gelangt die Ware auf dem Wasserweg nach Dortmund, wo sie auf einen Lkw verladen wird. Im METRO Group Distributionszentrum in Unna wird die Lieferung wieder mithilfe von RFID auf Vollständigkeit geprüft. Der Händler weiß so jederzeit, an welcher Stelle der Prozesskette sich die Ware befindet und wann er mit der Lieferung rechnen kann. Seit Anfang Juni 2007 statten ausgewählte chinesische Lieferanten ihre Warensendungen zudem direkt mit Transpondern aus. Sie nehmen am Pilotprojekt „Tag it easy“ teil, das sich an Industriepartner mit geringem Technisierungsgrad richtet. Die METRO Group stellt diesen Unternehmen vorproduzierte Transponder zur Verfügung, über die sich alle benötigten Informationen abrufen lassen. Die Hersteller müssen die Etiketten lediglich an ihre Waren anbringen und am Warenausgang mit einem Handlesegerät erfassen. Die METRO Group kann aus den Daten eine präzise Packliste erstellen, sodass sie bereits vor dem Eintreffen der Lieferung einen Überblick über deren konkrete Zusammensetzung hat. Auch hier sorgt RFID für Transparenz und den entscheidenden Informationsvorsprung. Die erste Bilanz des Programms ALA fällt positiv aus. Aufwendige Zählungen sind nicht mehr notwendig, folg-
lich können die Waren wesentlich schneller und einfacher an die Märkte in Deutschland verteilt werden. Es ist geplant, das Projekt sukzessive auszuweiten – ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer effizienteren Prozesskette.
Ausblick: „The Future Value Chain“ Wie sieht sie also aus, die Prozesskette der Zukunft? Genau mit dieser Frage hat sich eine Arbeitsgruppe der Global Commerce Initiative (GCI) befasst, an der auch die METRO Group beteiligt war. Die GCI, ein Zusammenschluss internationaler Konsumgüterhersteller und Handelsunternehmen, hat in dem Ende 2006 veröffentlichten Berichtsband „The Future Value Chain“ eine Vision für das Jahr 2016 entwickelt. Danach wird sich die Zeit, die ein Produkt von der Entwicklung über die Herstellung bis zum Verkauf benötigt, deutlich reduzieren. Die nachfrageorientierte Prozesskette wird Realität. Händler richten ihr Angebot künftig noch stärker nach den Bedürfnissen der Verbraucher aus. Sie wissen frühzeitig, welche Produkte zu welchem Zeitpunkt benötigt werden. Das Gleiche gilt für die Konsumgüterhersteller. Sie können künftig bedarfsgerecht produzieren und ihre Lagerhaltungskosten deutlich verringern. Die Prozesskette der Konsumgüterwirtschaft von morgen nähert sich damit immer mehr der Just-in-time-Produktion der Automobilindustrie an. Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung sind nach Einschätzung der GCI neue Technologien wie RFID und der Elektronische Produktcode. Mithilfe dieses übergreifenden Datenstandards können Unternehmen Informationen austauschen und mögliche Probleme entlang der Prozesskette lösen, bevor diese entstehen. Neue Services im Verkaufsraum
Mithilfe von RFID wird es Handel und Konsumgüterwirtschaft außerdem möglich sein, ihren Kunden eine Fülle an Produktinformationen im Verkaufsraum zur Verfügung zu stellen. So lassen sich in einer Datenbank weitere Informationen zu den Produkten hinterlegen, beispielsweise zu deren Inhaltsstoffen. Über Info-Terminals könnten die Kunden diese Angaben künftig über den auf den Transpondern hinterlegten EPC abrufen. Allergiker wüssten so beispielsweise sofort, welche Inhaltsstoffe ein Produkt enthält. Der Einsatz von RFID bringt also nicht nur Vorteile in der Logistik, sondern auch im Verkaufsraum. Die METRO Group testet dies im Rahmen ihrer Future Store Initiative. In einer Filiale ihrer Vertriebsmarke Galeria Kaufhof in Essen hat das Handelsunternehmen dafür im Rahmen
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eines Pilotprojekts rund 30 000 Textilien in der Herrenabteilung mit Transpondern versehen. Mithilfe der Technologie lässt sich der Weg der Ware in der Filiale genau nachvollziehen – vom Wareneingang über die Verräumung in den Regalen bis hin zum Verkauf. Hat ein Kunde einen Artikel entnommen und anschließend in ein anderes Regal platziert, kann das Verkaufspersonal diesen mit einem Handlesegerät wieder auffinden. Die Mitarbeiter wissen sofort, welche Produkte noch verfügbar sind und können Kunden entsprechend beraten. Ein zentraler Bestandteil des Pilotprojekts sind außerdem innovative Anwendungen, die dem Kunden auf Wunsch zusätzliche Informationen zu den Produkten bieten. So hat die METRO Group gemeinsam mit ihren Partnern ein Intelligentes Regal entwickelt. Integrierte Lesegeräte erfassen die Transponder der verfügbaren Artikel automatisch. Ein Display zeigt dem Kunden den Warenbestand an und listet die Produkte nach Farbe und Größe auf. Wer sich schon einmal erfolglos durch mehrere Stapel Hosen gewühlt hat, wird diesen Komfort sicher zu schätzen wissen. Ein Blick genügt, um zu wissen, ob die eigene Größe vorhanden ist. Weitere Anwendungen sind der Intelligente Spiegel und die Intelligente Umkleidekabine. Integrierte RFID-Lesegeräte erfassen hier die Transponder der gewählten Artikel und zeigen die für den Kunden relevanten Produktinformationen auf Bildschir-
men an, beispielsweise die Größe. Außerdem bekommt er Vorschläge für Kleidungsstücke präsentiert, die das Outfit geschmackvoll ergänzen. Durch dieses sogenannte CrossSelling kann der Händler Impulskäufe generieren. Anwendungen wie diese sind heute noch Zukunftsmusik und allenfalls im Rahmen von Pilotprojekten umsetzbar. Noch ist die Technologie zu teuer, um sie kostendeckend auf allen Artikeln einzusetzen. Entscheidend ist zudem, welche Services der Kunde wünscht und akzeptiert. Die METRO Group wird die Bedürfnisse der Verbraucher im Rahmen von Pilotprojekten auch weiterhin ermitteln und berücksichtigen.
Schlussbemerkung Richtig eingesetzt leistet RFID weitaus mehr, als lediglich Produktinformationen zu übermitteln. Bei der Einführung der Technologie konzentriert sich die METRO Group folgerichtig nicht nur auf kurzfristig zu erzielende Prozessverbesserungen, etwa eine beschleunigte Warenannahme im Lager. Vielmehr hilft die Technologie dem Unternehmen dabei, etablierte Prozesse in der Logistik infrage zu stellen und neu zu gestalten. So verstanden ist RFID die technologische Voraussetzung – die „enabling technology“ – auf dem Weg zu einer schlankeren, effizienteren, transparenteren und sichereren Prozesskette.
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Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken
Stefan Wolff Vorsitzender des Vorstandes der 4flow AG Vorsitzender des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Wendelin Groß Berater und Doktorand 4flow AG
Dr.-Ing. Stefan Wolff Jahrgang 1965 Wolff ist seit 2000 Vorsitzender des Vorstandes der 4flow AG in Berlin, die Beratung und Software im Bereich von Logistik und Supply Chain Management anbietet. Zuvor war er stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung und Partner der Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung GmbH, einer international tätigen Logistikberatung. Von 1989 bis 1994 war Wolff wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten, Bereich Logistik, Technische Universität Berlin, bei dem er 1994 auch promovierte. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Daneben ist Wolff seit 1998 Lehrbeauftragter für Global Supply Chain Management an der Technischen Universität Berlin und engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzender des Förderbeirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Wolff ist verheiratet und hat vier Kinder.
Wendelin Groß Jahrgang 1977 Groß ist seit dem Jahr 2006 bei der 4flow AG in Berlin angestellt, die Beratung und Software im Bereich von Logistik und Supply Chain Management anbietet. Neben der Tätigkeit als Berater verfolgt er seine Promotion. Wendelin Groß studierte Wirtschaftsingenieurwesen im hochschulübergreifenden Studiengang von TU, Universität und HAW Hamburg.
Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken Stefan Wolff / Wendelin Groß
Motivation und Zielsetzung Die hohe Dynamik in Beschaffung, Produktion und Distribution industrieller Güter führt dazu, dass sich die Rahmenbedingungen für Logistiknetze kontinuierlich ändern (Baumgarten und Thoms 2002). Um die eigene Kostenund Serviceposition im Wettbewerb zu sichern, müssen Unternehmen schnell auf die neuen Anforderungen reagieren. In der statischen Gestaltung wird das Logistiknetzwerk anhand von Durchschnittswerten logistischer Kennzahlen für einen längeren Zeitraum ausgelegt. Diese Methode reicht in einer sich rasch ändernden Umwelt mit sich ebenfalls ändernden Anforderungen an das Logistiknetzwerk nicht aus. Ziel der dynamischen Gestaltung ist deshalb das Erreichen der gewünschten logistischen Leistung bei minimalen logistischen Kosten durch die ständige Aktualisierung des Logistiknetzwerks. Um die Komplexität und Dynamik logistischer Netzwerke zu beherrschen, wird in führenden Unternehmen das Konzept einer ganzheitlichen, unternehmensübergreifenden Logistik – teilweise auch unter der aus den USA stammenden Bezeichnung Supply Chain Management (SCM) – umgesetzt (Baumgarten 2004). Das Logistiknetzwerk eines Unternehmens oder eines Unternehmensverbundes als Abbildung einer oder mehrerer Supply Chains muss dynamisch an geänderte Anforderungen angepasst werden, weil auch die Supply Chain ständigem Wandel unterworfen ist.1 Aus der Anforderung, das Logistiknetzwerk in einem permanenten Prozess an die geänderten Umweltbedingungen anzupassen, ist das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken entstanden. In kurzen Zeitabständen erfolgt hier ereignisgesteuert eine Neuplanung von Teilen des Netzwerks unter Berücksichtigung der geänderten Anforderungen. Dadurch werden sowohl Kostenreduzierung als auch Kostenvermeidung – bezogen auf ein definiertes Leistungsniveau – erreicht.
1
„A Supply Chain is a dynamic system that evolves over time.“ (Simchi-Levi et al. 2000, S. 3)
Da die steigende logistische Komplexität und die damit einhergehende Beanspruchung der Logistikplanung zu überproportionalem Wachsen der Planungskosten der Unternehmen führt, birgt der Prozess der Gestaltung und Planung darüber hinaus zusätzliches Potenzial zur Kostensenkung (Wolff und Nieters 2002). Dieses Potenzial zu realisieren, indem die Planungsintervalle und damit die Häufigkeit der Planungen flexibel gestaltet werden, ist eine weitere Anforderung an die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken. Die Gestaltungselemente der dynamischen Netzwerkgestaltung beinhalten zum einen die Entscheidung über die Netzwerkstruktur, also Anzahl und Lage der Standorte, und die funktionale Ausrichtung der Standorte, also die Werkebelegung und die Aufgabenverteilung im Netzwerk. Zum anderen umfassen die Gestaltungselemente alle Transportbeziehungen im Netzwerk, die Aufteilung des Warensortiments auf die zur Verfügung stehenden Standorte und die jeweiligen Bestandshöhen sowie die Entscheidung, welcher Standort von welchem vorgelagerten Zulieferer oder Lager versorgt wird (Allokation). Bei der Bewertung von Logistiknetzwerken müssen die beiden Komponenten Kosten und Leistung berücksichtigt werden, die einerseits den Erfolg der Planungsanstrengungen widerspiegeln und andererseits die Vergleichbarkeit verschiedener Netzwerkkonfigurationen gewährleisten. Ereignisse, die eine erneute Gestaltung des Logistiknetzwerks anregen, werden als Impulsgeber einer dynamischen Regelung aufgefasst. Diese können – in Abhängigkeit vom Anwendungsfall – beispielsweise durch Änderungen im Artikelsortiment oder durch die Erschließung neuer Märkte verursacht werden. Ebenfalls zu beachten sind Änderungen im originären Bereich der Logistik wie Preise oder neue Lieferanten. Die dynamische Gestaltung logistischer Netzwerke ist als permanenter Prozess nicht denkbar ohne die Unterstützung durch Werkzeuge der Informationstechnologie (IT), die in der Lage sind, zum einen die Abhängigkeiten zwischen den Gestaltungselementen zu berücksichtigen und zum anderen die Vielzahl an Impulsgebern zu überwa-
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Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken
chen. Deshalb werden im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur dynamischen Gestaltung logistischer Netzwerke die Anforderungen an IT-Werkzeuge sowie deren Möglichkeiten aufgezeigt.
Statische Gestaltung von Logistiknetzwerken Die Gestaltung von Logistiknetzwerken hat in den vergangenen Jahrzehnten auch im Rahmen der zunehmenden Verbreitung des Supply Chain Managements (SCM) an Bedeutung gewonnen. Übergeordnete Zielsetzung im SCM ist üblicherweise das Lösen des sog. Bullwhip- oder Forrester-Effekts 2 (Göpfert 2002), der die Verstärkung von Bedarfsschwankungen entlang der Supply Chain beschreibt. In diesem Zusammenhang reicht das Spektrum ganzheitlicher Logistik von rein operativen bis hin zu strategischen Aufgabenstellungen. Da dies explizit auch unternehmensübergreifende Abläufe umfasst, ist die zwischenbetriebliche Logistik und damit die Gestaltung von Logistiknetzwerken folgerichtig ein zentraler Bestandteil des SCM (Cooper et al. 1997).
2
Beschrieben u. a. bei Simchi-Levi et al. 2000
Abb. 1: Ebenen des Supply Chain Managements Supply Chain Design Supply Chain Planning Supply Chain Execution Supply Chain Monitoring Quelle: Wolff und Nieters 2002
Die Aufgabenstellungen der Logistik umfassen im langfristig-strategischen Bereich das Supply Chain Design, im mittelfristigen Horizont das Supply Chain Planning und kurzfristig-operativ, auf der Ausführungsebene, die Supply Chain Operations (Chopra und Meindl 2004), welche sich weiter in Supply Chain Execution sowie Supply Chain Monitoring unterteilen lassen (Abbildung 1). Im Folgenden wird die Gestaltung von Logistiknetzwerken als langfristig-strategische und mittelfristige Aufgabe entsprechend dieser Klassifizierung aufgefasst. Damit wird der Ansatz auch den großen Wachstumspotenzialen des IT-gestützten Netzwerkdesigns gerecht (Straube et al. 2005). Die Gestaltung von Logistiknetzwerken wird bislang in aller Regel als statische Planungsaufgabe begriffen, die einmalig oder in relativ großen, meist mehrjährigen zeitlichen Abständen stattfindet. Das vorgesehene Planungsintervall wird dabei – außer bei drastischen Veränderungen – in der Regel nicht unterschritten, weil die im Supply Chain Design getroffenen Entscheidungen oftmals nur unter hohen Kosten zu ändern sind. Die Länge des Planungsintervalls beträgt üblicherweise mehrere Jahre (Bowersox 2002; Chopra und Meindl 2004). In diesen Bereich fallen die Netzwerkstrukturplanung, die Entscheidung, welche Produkte an welchen Standorten gefertigt werden, und die funktionale Ausrichtung der Standorte. Die mittelfristig ausgelegten Entscheidungen des Supply Chain Planning können im Gegensatz dazu durch den Einsatz zeitgemäßer Methoden und Software auch in kürzeren Intervallen unterhalb eines Jahres angepasst werden. Damit kann die Lücke zum Supply Chain Operations geschlossen werden, das Zeiträume von Tagen und Wochen umfasst. Aus unternehmerischer Sicht ist es einerseits wünschenswert, sich wechselnden Bedingungen möglichst rasch anzupassen, um Kosten und Leistung des Logistiknetzwerks optimal zu gestalten, andererseits müssen der Planungsaufwand und die Kosten möglicher gestalterischer Eingriffe berücksichtigt werden. Mit dem Ansatz der statischen Gestaltung von Logistiknetzwerken gelingt die Lösung dieser Aufgabe nur unzureichend. Das Vorgehen bei der Planung und Gestaltung von Logistiknetzwerken ist ein formalisierter Prozess, der mit
Abb. 2: Vorgehen und Planungsgrößen bei der statischen Gestaltung von Logistiknetzwerken Generierung Planungsdaten
Definition & Visualisierung Netzwerkstruktur
Netzwerkbelegung
Analyse, Optimierung, Simulation
Bewertung
Stammdaten Planungsdaten
Geografische Struktur Aufgabenverteilung
Sortimentbildung
Allokation Bestände
Szenarienbildung Vergleichsanalyse
Quelle: In Anlehnung an Wolff und Nieters 2002
Stefan Wolff / Wendelin Groß
dem Festlegen von Planungsverantwortlichen beginnt und mit dem Ergebnis einer Entscheidung auf Basis bewerteter Alternativszenarien endet. Dieser Ansatz ist insofern ganzheitlich, als dass sowohl Schritte durchlaufen werden, die dem Supply Chain Design zuzuordnen sind, als auch solche, die Bestandteil des Supply Chain Plannings sind (Abbildung 2). Die fehlende Trennung zwischen diesen beiden Ebenen hat zur Folge, dass die Netzwerkgestaltung zum einen das SCM-Konzept bislang nicht ausreichend berücksichtigt und zum anderen die Dynamisierung und den Übergang zu einem permanenten Prozess nicht ausreichend unterstützt, weil die Planungsintervalle bzw. -horizonte zu verschieden sind.
Es findet also keine laufende Beobachtung bestimmter Kennzahlen statt, die eine Neuausrichtung des Netzwerks nötig erscheinen lassen. Dieser Nachteil wird im Konzept der dynamischen Gestaltung überwunden.
Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken begegnet den Anforderungen durch die sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen einerseits und durch die Kosten der Planungsanstrengungen andererseits, indem die Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks zu jeder Zeit auf einem möglichst hohen Level gehalten wird. Die Wettbewerbsfähigkeit wird als
Abb. 3: Logistiknetzwerke verlieren mit der Zeit an Wettbewerbsfähigkeit (Beispieldarstellung)
Leistung des Logistiknetzwerks (relativ)
100 % Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)
Zeit to
100 % Aggregation
Kosten im Logistiknetzwerk (relativ) Zeit to
100 %
Zeit to
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Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken
Kombination der beiden Bewertungskriterien logistischer Netzwerke, der Kosten sowie der logistischen Leistung im Sinne der Verfügbarkeit, der Termintreue, der Qualität und anderer kundenbezogener Kennzahlen verstanden. Logistische Netzwerke sind im Zeitverlauf wachsenden Einflüssen aus verschiedenen Richtungen unterworfen, die sowohl zu steigenden Kosten im Netzwerk als auch zu sinkender Leistung führen können. Das Auftreten dieser Einflüsse ist in der Mehrheit stochastisch verteilt und entzieht sich der Antizipation im Rahmen der Gestaltung des Netzwerks. Ursache hierfür ist der Wandel der Entscheidungsparameter, die für die erstmalige und fortlaufende Gestaltung des Netzwerks herangezogen werden. Da diese Parameter nicht konstant sind, sondern sich zunehmend schnell verändern, kann auch das Netzwerk nicht dauerhaft optimiert oder ganzheitlich auf zukünftig zu erwartende Ereignisse und Entwicklungen ausgerichtet werden. Kosten und Leistung des Logistiknetzwerks verschlechtern sich deshalb in vielen Fällen im Zeitverlauf und die Wettbewerbsfähigkeit als Aggregation dieser beiden Größen sinkt (Abbildung 3). Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken ist es erforderlich, dass logistische Netzwerke nicht als feststehendes Element betrieblicher Planung begriffen werden, sondern als ein dem ständigen Wandel unterworfener, hochflexibler Bestandteil der Gestaltung im Rahmen des Supply Chain Managements. Daraus folgt, dass das Netzwerk der Anpassung an neue Gegebenheiten bedarf. Da die Auslöser, die Anpassungen erfordern, nicht vorhersehbar sind, ist die sich in vorgegebenen regelmäßi-
gen Abständen wiederholende Gestaltung des Netzwerks nicht ausreichend um die Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks zu optimieren und gleichzeitig die Kosten für die Planung möglichst gering zu halten. Einerseits werden dadurch Neuplanungen angestoßen, die unter Berücksichtigung der anfallenden Kosten nicht sinnvoll sind, und andererseits werden Auslöser nicht rechtzeitig in die Gestaltung des Netzwerks umgesetzt. Deshalb basiert das hier vorgestellte Konzept zur dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken auf der ereignisgesteuert ausgelösten Neuplanung des Netzwerks ohne statisch vorgegebene Aktualisierungszyklen (Abbildung 4). Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken ist zum einen von der statischen Gestaltung zu unterscheiden und zum anderen von verwandten Ansätzen abzugrenzen. Die Einbeziehung von Ansätzen der dynamischen Gestaltung in das Supply Chain Management ist nicht neu. Die ersten Überlegungen in diese Richtung wurden unter dem Begriff System Dynamics bekannt (Forrester 1958). Dabei werden kausale Beziehungen zwischen den verschiedenen Objekten eines Systems hergestellt, die der Interaktion dienen. Die Anwendungen im Supply Chain Management befassen sich jedoch nicht mit Design und Planung von Logistiknetzwerken, sondern lediglich mit deren operativem Betrieb (Sterman 2000). Das Supply Chain Risk Management, das sich mit der Krisenplanung (Contingency Planning) befasst, hat zum Ziel, für eventuelle Risiken in der Supply Chain, wie etwa Umwelt- oder Prozessrisiken, frühzeitig und vorausschau-
Abb. 4: Statische und dynamische Gestaltung des Logistiknetzwerks zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)
Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)
Statische Planung
Dynamische Planung 100 %
100 %
Zeit
Zeit to
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to
t1
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end Gegenmaßnahmen zu entwickeln (Mason und Towill 1998; Mayer 2007). Der Einfluss auf die Planung und Gestaltung der Netzwerke ist bei diesem Ansatz begrenzt, weil der Fokus stark auf einem einzelnen Unternehmen in der Supply Chain liegt und diese Sichtweise den Ansprüchen einer hoch arbeitsteiligen Supply Chain nicht gerecht wird (Jüttner 2005). Alternative Ansätze berücksichtigen zunehmend den operativen Betrieb des Supply Chain Execution (vgl. Abbildung 1) unter dynamischen Gesichtspunkten (Sarimveis et al. 2007), vernachlässigen es dabei aber, die Gestaltung von Logistiknetzwerken als dynamischen Prozess zu begreifen und zu beschreiben. Im Rahmen dieses Konzepts zur dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken wird im Folgenden definiert, welches die Gestaltungselemente in der Logistikplanung sind, die an geänderte Bedingungen angepasst werden müssen. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Entscheidungen in der Netzwerkgestaltung gegenseitig beeinflussen und die Planung der einzelnen Elemente deshalb nicht sequenziell, sondern simultan erfolgen muss. Im Anschluss wird festgelegt, welches die Impulsgeber für die ereignisgesteuerte Neuplanung des Netzwerks sind und wie diese mit den Gestaltungselementen in Verbindung gebracht werden.
ten beiden der Gestaltung zuzurechnen sind, während die beiden Letzteren rein operative Aktivitäten sind. Aus der unterschiedlichen Fristigkeit der gestalterischen Prozesse Supply Chain Design und Supply Chain Planning ergeben sich zwei getrennte Regelkreise (Abbildung 5):
Gestaltungselemente
Transport
Für die Definition relevanter Gestaltungselemente werden in Anlehnung an die oben vorgestellte Systematik in der statischen Gestaltung die Teilprozesse Supply Chain Design, Supply Chain Planning, Supply Chain Execution und Supply Chain Monitoring unterschieden, wovon die ers-
Die Transportplanung verfolgt das Ziel, die Warenströme zwischen den Standorten im Netzwerk zu möglichst geringen Kosten zu realisieren. Dabei wird für jede Relation zwischen zwei Standorten festgelegt, welches Transportmittel in welcher Frequenz und zu welchem verfügbaren Tarif am besten geeignet ist. Da sich die Relationen
•
•
Regelkreis 1 für die Gestaltungselemente des Supply Chain Planning; Regelkreis 2 für die Gestaltungselemente des Supply Chain Design.
Wie oben angeführt werden die Regelkreise durch Impulsgeber angestoßen, die im Rahmen des Supply Chain Monitorings erfasst werden. Regelkreis 1 – das Kernstück der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken – umfasst die Gestaltungselemente Transport, Allokation, Sortiment und Bestände. Diese vier Elemente sind also neu zu gestalten, wenn Regelkreis 1 durch einen Impulsgeber angesprochen wird. Ihre Freiheitsgrade und die untergeordneten Planungsgrößen der Entscheidung werden im Folgenden dargestellt. Regelkreis 2 umfasst die Gestaltungselemente Struktur und Aufgabenverteilung, die größeren Planungsaufwand erfordern und höhere Investitionen nach sich ziehen können und deshalb weniger häufig angestoßen werden.
Abb. 5: Dynamische Regelkreise und Gestaltungselemente Supply Chain Design
Gestaltung der Struktur Gestaltung der Aufgabenverteilung
Supply Chain Planning
Regelkreis 1 Regelkreis 2
Gestaltung der Transporte Gestaltung der Allokation Gestaltung der Sortimente Gestaltung der Bestände
Supply Chain Execution
Durchführung der Prozesse
Supply Chain Monitoring
Controlling (intrinsisch und extrinsisch)
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überschneiden und Abhängigkeiten enthalten können, wird auch das Zusammenlegen mehrerer Relationen geprüft. Auf diese Weise können sich zum Beispiel ein sog. Milkrun, der mehrere Zulieferer eines Kunden der Reihe nach anfährt um Ware aufzunehmen, oder eine Transportgestaltung mit kombinierten Pickup-and-Delivery-Touren als vorteilhaft herausstellen. Allokation
Der Begriff Allokation bezeichnet im Kontext dynamischer Gestaltung von Logistiknetzwerken die Verteilung der Warenströme auf die Relationen zwischen den geografischen Standorten. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass festgelegt wird, welches Regionallager oder welcher Produktionsort einen bestimmten Kunden versorgen soll. Bei der Planung der Allokation müssen die Transportkosten mit Fixkosten und Bestandskosten an den Standorten sowie weitere standortspezifische Kosten unter Berücksichtigung der Vorgaben zum Servicelevel abgeglichen werden, um die beste Verteilung zu finden. Sortiment
Die Planung des Sortiments umfasst die Entscheidung, wie das Artikelspektrum auf die verschiedenen Standorte aufgeteilt werden soll. So ist es in den wenigsten Fällen sinnvoll, Produkte oder Teile von hohem Wert, die selten nachgefragt werden, an allen Distributionsstandorten vorrätig zu halten. Stattdessen werden für diese höhere Transportkosten in Kauf genommen. Die Sortimentsentscheidung wird ebenfalls auf Basis von Transport- und Standortkosten sowie dem geforderten Servicelevel getroffen. Bestände
Das kurzfristigste Gestaltungselement im Regelkreis 1 ist die Höhe der Bestände. Planungsgrößen im Gestaltungselement Bestände sind artikelgruppenspezifische Vorgaben zur Sicherheitsreichweite, die unter Beibehaltung der Versorgungssicherheit minimiert wird, Bestellrhythmen und -losgrößen sowie die optimale Nutzung der Kapazitäten in Wareneingang und Lager. Netzwerkstruktur
In der Netzwerkstrukturplanung wird festgelegt, wie viele Stufen das Netzwerk hat, wie viele Standorte für die Anforderungen am besten geeignet sind und an welchen geografischen Orten die Standorte im Logistiknetzwerk liegen. Teil dieses Gestaltungselements ist auch die Auswahl von Lieferanten und deren Integration ins Netzwerk.
Aufgabenverteilung
Das Gestaltungselement Aufgabenverteilung enthält im Ergebnis die Entscheidung, welche Rolle den Standorten zugewiesen wird, also ob es sich im Fall eines Lagerstandorts um ein Regionallager oder ein Zentrallager handelt, und welche Prozesse an welchem Standort des Logistiknetzwerks durchgeführt werden. Bei Fertigungs- und Montagestandorten ist dementsprechend die Werkebelegung zu definieren, also welches Werk welche Produkte herstellt. In diesem Zusammenhang werden auch Lagerund Produktionskapazitäten an den einzelnen Standorten und für die jeweiligen Produkte bestimmt.
Impulsgeber für die dynamische Umgestaltung Über die Impulsgeber wird in der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken die Ereignissteuerung realisiert. Dadurch ist der wichtigste Unterschied zu einer statischen Gestaltung gegeben, die eine Neuplanung entsprechend fest vorgegebener Zyklen anstrebt. Die Dynamik des Konzepts entspringt dem Verständnis der Netzwerkgestaltung als kontinuierlicher, permanenter Prozess, der durch die Impulsgeber bzw. die ereignisgesteuerte Neuplanung Elemente eines Regelkreises abbildet. Die Impulsgeber entsprechen teilweise den Einflussfaktoren, die für die Netzwerkgestaltung in jedem Fall herangezogen werden, sind aber nicht darauf beschränkt. Wichtigste intrinsische Impulsgeber sind Kosten und Leistung, die auch allgemein zur Bewertung des Logistiknetzwerks herangezogen werden. Sobald im Rahmen des Supply Chain Monitoring (Controlling) deutlich wird, dass die Kosten des Netzwerks stetig oder sprunghaft ansteigen, ist einer der beiden o.g. Regelkreise anzustoßen und die entsprechenden Gestaltungselemente sind neu zu planen. Gleiches gilt für die Leistung: Wenn etwa die Verfügbarkeit von Produkten oder die Liefertreue im Netzwerk nicht mehr gewährleistet ist, muss dessen Gestaltung überprüft werden (siehe Tabelle 1). Neben diesen beiden zentralen Impulsgebern, die ex post aus den laufenden Prozessen gewonnen werden, werden auch strategische Einflussfaktoren integriert. Solche Einflussfaktoren können auch an anderen Stellen im Unternehmen auffallen und sind als Hinweise für zukünftigen, absehbaren oder antizipierten, Wandel (ex ante) zu verstehen. Darunter fallen eigenbestimmte und fremdbestimmte Faktoren, die in unterschiedlichem Maß auf die beiden Regelkreise wirken und deshalb getrennt betrachtet und überwacht werden (siehe Tabelle 1).
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Den Impulsgebern sind die beiden Regelkreise und damit die Gestaltungselemente zugeordnet, um einen Anhaltspunkt zu geben, welche Elemente in der dynamischen Gestaltung neu geplant werden müssen (Tabelle 2). Die genaue Zuordnung zwischen Impulsgebern und Gestaltungselementen ist fallabhängig und muss jeweils spezifisch bestimmt werden. Die Auslöseschwelle der Impulsgeber, also die Entscheidung, wann ein Regelkreis angestoßen wird, ist als Teil des gesamten Vorgangs der dynamischen Netzwerkgestaltung zu behandeln. Wie eingangs erwähnt (siehe Abbildung 4) ist nicht nur die Höhe des Impulses, also beispielsweise des Kostenanstiegs, zu berücksichtigen, sondern auch die Wirkungsdauer. So sollte eine geringe, aber dauerhafte Steigerung der Kosten ebenso zur Neuplanung in der dynamischen Gestaltung führen wie ein kurzfristig starker Kostenanstieg. Zentrale Anforderung bei der Bestimmung der Auslöseschwelle ist es, unerwünschtes Schwingungsverhalten im Netzwerk zu vermeiden. Ereignisse wie ein kurzfristiger Kostenanstieg dürfen nicht dazu führen, dass beispielweise eigene Standorte eröffnet werden, die nach kurzer Zeit – wenn die Folgen des Ereignisses
vorüber sind – wieder geschlossen werden müssen. Die Gewährleistung, dass nur nachhaltige Struktureffekte berücksichtigt werden, ist teilweise durch die Konzeption zweier getrennter Regelkreise gegeben, muss aber in der Umsetzung stets um sinnvolle Auslöseschwellen ergänzt werden.
Umsetzung mit IT-Werkzeugen Werkzeuge dienen im Supply Chain Management der Implementierung von Methoden und Techniken (Cigolini et al. 2004). Die Umsetzung der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken als Methode erfordert den Einsatz von Informationstechnologie als Werkzeug, um die einzelnen Techniken für die Auslegung der Gestaltungselemente anzuwenden und deren komplexe Abhängigkeit zu bewältigen. Dazu muss eine Software die oben eingeführten Ebenen des Supply Chain Managements – Supply Chain Design, Supply Chain Planning, Supply Chain Execution und Supply Chain Monitoring – modular aufgreifen, weil die Anforderungen an die Software grundlegende Unterschiede in den Ebenen aufweisen. Für die dynamische Gestaltung
Tab. 1: Impulsgeber für die dynamische Gestaltung (Beispiele) Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks
Maßgebliche Rahmenbedingungen
Kosten
Leistung
Eigenbestimmt
Fremdbestimmt
Bestandskosten
Lieferzeit
Fusion des Unternehmens oder Ausgliederung von Unternehmensteilen
Politische und makroökonomische Ereignisse und Entwicklungen
Transportkosten
Termintreue
Geänderte Wettbewerbs– strategie
Veränderung der verwendbaren Infrastruktur
Handlingkosten
Lieferfähigkeit/ Verfügbarkeit
Anwendung neuer oder anderer Technologien in der Produktion
Neue oder veränderte Anforderungen der Kunden an die Distribution
Zölle und Steuern
Lieferqualität
Verwendung neuer oder anderer Behälter
Verhalten der Wettbewerber
Behälterkosten
Lieferflexibilität
Auswahl neuer log. Dienstleister
Informationsaustausch
Informationsbereitschaft
Erschließung neuer Märkte
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von Logistiknetzwerken ist die operative Ebene des Supply Chain Execution von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist, dass die beiden Paradigmen Gestaltung des Logistiknetzwerks (Gestaltungsumgebung) und Überwachung der Impulsgeber (Monitoring) softwaretechnisch abgebildet werden (Abbildung 6). Die beiden Regelkreise, die entsprechend den vorgestellten Impulsgebern Planungsprozesse im Supply Chain Design bzw. Supply Chain Planning anstoßen, sollten in der Softwarelösung getrennt behandelt werden. Im Supply Chain Design wird unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten die optimale Entscheidung über Netzwerkstruktur und Aufgabenverteilung der Standorte ermittelt. Die Verfahren, die dabei zum Einsatz kommen, basieren auf analytischen oder simulativen Vergleichen verschiedener Szenarien, in welchen die Parameter unterschiedlich ausgeprägt sind, sowie auf Optimierungsalgorithmen. Bei der Optimierung kann bei vereinfachten Modellen der Realität meistens auf bekannte und erprobte Verfahren zurückgegriffen werden, für die Optimierung realitätsnah modellierter Netzwerke mit beispielsweise sprungfixen Kostenelementen bedarf es jedoch spezifischer, zum Teil gänzlich neuer Lösungen. In der Praxis wird das Datenmaterial für langfristige Planungen oftmals nicht mit der gleichen Sorgfalt gepflegt wie die Entscheidungsgrundlagen für die nahe und mittlere Zukunft, weil damit keine unmittelbaren Auswirkungen im Betrieb verbunden sind (Meixell und Wu 2004). Im Supply Chain Planning, das auf einer bereits bestehenden Netzwerkstruktur aufsetzt, sind deshalb in der Regel Daten besserer Qualität verfügbar. Die Neuplanung der Gestaltungselemente im Supply Chain Planning sollte in einem geschlossenen Planungssystem erfolgen, weil diese Netzwerkentscheidungen in starker Abhängigkeit zueinander
stehen (Chopra und Meindl 2004). So ist die Ausgestaltung der Allokation nicht ohne Berücksichtigung der Entscheidung zu den Standortsortimenten denkbar. Die Ermittlung der optimalen Lösung für die einzelnen Planungsgrößen erfolgt auch hier mit bekannten und erprobten Verfahren. Eines der vorgestellten Gestaltungselemente im Supply Chain Planning sind die Bestände, die durch das Bestellverhalten und die Bestandspolitik an den Standorten bestimmt werden. Stellvertretend für die anderen Elemente wird im Folgenden gezeigt, wie die Disposition im Rahmen der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken durchgeführt wird, wenn ein Impulsgeber anzeigt, dass die Neuplanung erforderlich ist. Einfluss auf die Bestandsführung in der Disposition nehmen artikelgruppenspezifische Informationen zum Lieferanten, zum Kunden, zum Transport und zur Artikel- oder Sachnummer (siehe Abbildung 7). Aus den Eigenschaften der Artikelgruppen wird in der Planung zielorientiert eine Dispositionsmatrix erstellt, die beispielsweise Sicherheitsreichweite und Lieferfrequenz abbildet. Anschließend werden die betrachteten Artikelgruppen entsprechend der Matrix automatisch in Cluster eingeteilt und die Parameter der Bestandsführung können festgelegt werden. Diese sind Nachschubmenge, Sicherheitsstrategie und -reichweite sowie das Auslösekriterium für die Bestellung. Die Überwachung der Impulsgeber stellt die Geschlossenheit der beiden Regelkreise sicher. Nur wenn die Neuplanung ereignisgesteuert ausgelöst wird, ist die Dynamik in der Netzwerkgestaltung sichergestellt. Da die Impulsgeber zu einem Teil in verschiedenen Softwareanwendungen erfasst und zu einem anderen Teil außerhalb der üblichen betrieblichen Datenerfassung und -verarbeitung
Tab. 2: Zusammenhang zwischen Impulsgrößen, Regelkreisen und Gestaltungselementen Kategorie
Impulsgröße
Sinkende Wettbewerbsfähigkeit
Steigende Kosten Sinkende Leistung
Geänderte Rahmenbedingungen
Eigenbestimmt Fremdbestimmt
Regelkreis 1
Gestaltung der Transporte Gestaltung der Allokation Gestaltung der Sortimente Gestaltung der Bestände
Regelkreis 2
Gestaltung der Struktur Gestaltung der Aufgabenverteilung
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erkannt werden, ist eine Software, die sowohl die Gestaltungsaufgaben als auch die Überwachung aller Impulsgeber leistet, kaum vorstellbar. Diejenigen Impulsgeber, die sich aus der Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks ergeben, die also an Veränderungen bei Kosten und Leistung zu erkennen sind, werden laufend oder permanent in den Steuerungstools erfasst und können in ein zentrales System zur Überwachung und Fortschreibung des „Kennzahlenbündels“ (Mayer 2007, S. 171) übertragen werden.3 Die Überwachung derjenigen Impulsgeber, die eine Änderung der Rahmenbedingungen beschreiben, erfordert Mechanismen zur Verbreitung der Impulse, weil diese an einer Vielzahl unterschiedlicher Stellen im Unternehmen zuerst erkannt werden können. Dazu eignen sich Methoden zur aktiven Verbreitung von Informationen, wie sie im Wissensmanagement entwickelt wurden. In einer zentralen Schaltstelle, die über die Entscheidungskompetenz zur Neugestaltung des Logistiknetzwerks verfügt, laufen alle Impulsgeber zusammen. Dort werden die Auslöseschwellen bzw. -werte hinterlegt und im Falle des Überschreitens werden die jeweils zuständigen Planer aufgefordert, Vorschläge zur Neugestaltung zu erarbeiten. Generell ist also nicht erforderlich, dass alle Methoden und Techniken in der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken in einem Softwarewerkzeug erfolgen. Unabdingbar ist aber, dass die drei Ebenen Supply Chain Design, Supply Chain Planning und die Überwachung der Impulsgeber (Supply Chain Monitoring) in sich geschlos-
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Synonym werden die Bezeichnungen Push-Philosophie, Push-Strategie, Push-Prinzip und Information Push verwendet (Gentsch 1999; Probst et al. 1999).
sen arbeiten, um die Abhängigkeiten innerhalb der Ebenen zu erfassen.
Fallstudie Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken wurde im Ersatzteilmanagement eines großen deutschen Industrieunternehmens erfolgreich umgesetzt. Aufgrund kontinuierlichen Wachstums war das Logistiknetzwerk an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gestoßen und die Anforderungen an die Performance (Impulsgeber) wurden nicht mehr erfüllt. Das Netzwerk wurde deshalb im ersten Schritt entsprechend Regelkreis 2 (Supply Chain Design) in seiner Struktur grundsätzlich neu geplant und im zweiten Schritt wurden entsprechend Regelkreis 1 (Supply Chain Planning) die Transporte, Sortimente, Allokation und Bestände gestaltet. Die Aufgabenstellung für das Logistiknetzwerk besteht in der Versorgung von Kunden in Europa mit Ersatzteilen innerhalb relativ kurzer Zeitspannen, weil die Kunden auf die schnelle Reparatur der Produkte angewiesen sind. Die Beschaffung der Artikel ist unabhängig davon, ob die Artikel im eigenen Unternehmen produziert oder fremdbeschafft werden, und wird zentral gesteuert. Auf Basis dieser Ausgangslage wurde die Ist-Situation im Unternehmen erfasst und mit geeigneten Werkzeugen im Modell abgebildet. Daraufhin wurde ein Soll-Konzept für die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken im Beispielunternehmen entworfen und anschließend implementiert (Abbildung 8). Die Gestaltungselemente im Soll-Konzept wurden dabei wie folgt entwickelt:
Abb. 6: Aufgaben von Softwarewerkzeugen in der dynamischen Gestaltung Supply Chain Design
Gestaltung der Struktur Gestaltung der Aufgabenverteilung
Supply Chain Planning
Gestaltungsumgebung
Gestaltung der Transporte Gestaltung der Allokation Gestaltung der Sortimente Gestaltung der Bestände
Supply Chain Execution
Software Monitoring
Supply Chain Monitoring Regelkreis 1
Regelkreis 2
Leistungsfähigkeit Rahmenbedingungen
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Aufgabenverteilung der Standorte im Netzwerk: Das Netzwerk wurde vierstufig konzipiert. Die Lieferanten sind auf der ersten Stufe angesiedelt, auf der zweiten Stufe befinden sich ein Zentrallager und ein Außenlager, auf der dritten Stufe eine Reihe von Regionallagern und auf der vierten Stufe die Kunden (beispielhaft in Abbildung 9). Netzwerkstruktur: Das Zentrallager wurde in Süddeutschland angesiedelt, weil so alle wichtigen Regionen in gleichmäßig verteilter Entfernung liegen und bestehende Strukturen genutzt werden können. Das Außenlager wurde aus Kostengründen in Osteuropa angesiedelt. Um eine schnelle Belieferung der Kunden zu gewährleisten, wurden acht Regionallager in Europa verteilt. Transporte: Die Transporte zwischen Lieferanten, Zentrallager, Außenlager, Regionallager und Kunden wurden kostenoptimal als Direktbelieferung, per Gebietsspedition oder über einen Milkrun realisiert. Sortimente: Das Artikelspektrum in den Regionallagern und im Außenlager wurde entsprechend der Parameter „Pickhäufigkeit“ und „geforderte Lieferzeit zum Kunden“ festgelegt. Diejenigen Artikel, die in einem Beispielzeitraum häufig genug nachgefragt wurden und deren Lieferung innerhalb von 24 Stunden gewährleistet werden muss, werden in den Regionallagern vorgehalten. Im Außenlager werden analog Artikel bevorratet, die selten nachgefragt werden und unkritisch in der Lieferzeit sind. Das Zentrallager wird mit dem gesamten Sortiment bestückt. Allokation: Die Zuordnung der Kunden zu Lagerstandorten wurde im hier beschriebenen Beispiel anhand der Entfernung und anhand regional spezifischer Artikel festgelegt, die nur in einem Regionallager bevorratet werden.
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•
Bestände: Die Bestände bzw. deren Höhe in den Regionallagern wurde wie oben beschrieben gestützt auf die Clusterung und Parametrisierung des Sortiments realisiert. Überwachung der Impulsgeber: Zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Netzwerks werden die Kosten und die Leistung kontinuierlich bestimmt und überwacht. Die Logistikkosten werden in einer Standardsoftware zur Logistikplanung erfasst, die Leistung anhand der Verfügbarkeit der Produkte für den Kunden und anhand der Termintreue festgestellt. Teilweise werden diese Informationen aus der CRM-Software (Customer Relationship Management) übernommen, die beim Unternehmen im Einsatz ist. Diejenigen Impulsgeber, die auf Änderungen der Rahmenbedingungen beruhen, werden überwacht, indem Mitarbeiter auf der Führungsebene aus Logistik, Produktion, Einkauf und Vertrieb die definierten Impulsgeber regelmäßig gemeinsam prüfen und dokumentieren.
Der Erfolg der umgesetzten Maßnahmen zur dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken zeigt sich zum einen darin, dass die Anforderungen an das Netzwerk bezüglich Performance erfüllt werden und dass die Kosten im Vergleich zur vorherigen Gestaltung des Netzwerks um über 10 Prozent und die Bestände um über 15 Prozent gesenkt werden konnten, dass also die eingesetzten Planungsmethoden und -werkzeuge geeignet sind. Zum anderen wird auch die Überwachung der Impulsgeber erfolgreich praktiziert und hat einige Zeit nach der Implementierung bereits dazu geführt, dass Gestaltungselemente neu definiert wurden.
Abb. 8: Vorgehen bei der Umsetzung der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken
Abb. 7: Einflussgrößen auf die Bestandshöhe
Impuls
• Liefertreue • Lieferzeit
• Wert • Anliefervolumen
• Fehlteile • Hoher Flächenbedarf • Hoher Dispositionsaufwand •…
IST-Situation
Lieferant
Artikel- oder Sachnummer
• Reaktives Netzwerkdesign • Geringe Reaktionsfähigkeit • Kaum Sortimentsbereinigung •…
SOLL-Konzept
• Aufgabenverteilung, Netzwerkstruktur • Transporte, Sortimente, Allokation, Bestände • Überwachung der Impulsgeber
Implementierung
• Dynamische Gestaltung des Logistiknetzwerks
Bestandshöhe
Transport
Kunden
• Entfernung • Transporttarife
• Bedarfsschwankung • Planungsgenauigkeit
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An diesem Fallbeispiel wird deutlich, dass das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken in der Praxis eines großen Unternehmens des produzierenden Gewerbes erfolgreich eingesetzt wird. Neben der vorgestellten Distribution von Ersatzteilen ist die Anwendung der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken in allen Unternehmen in Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsnetzwerken möglich und erfolgversprechend, wenn grundlegende Voraussetzungen wie ein großes Spektrum an Artikelgruppen, hinreichend komplexe Produktionsstrukturen und ausreichender Materialumsatz erfüllt sind.
Zusammenfassung und Ausblick Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken ist ein neu entwickeltes Konzept, das die Unzulänglichkeiten der bestehenden, langfristig orientierten Gestaltungsansätze überwindet, indem die Netzwerkgestaltung als kontinuierlicher Prozess und nicht als sporadisch auftretender, jeweils einmaliger Vorgang aufgefasst wird. Die Gestaltungselemente Netzwerkstruktur und Aufgabenverteilung der Standorte im Netzwerk als Elemente des Supply Chain Design sowie Transporte zwischen den Standorten, Sortimente an den Standorten, die Allokation der Warenströme und die Bestände als Elemente des Supply Chain
Planning werden ereignisgesteuert neu gestaltet. Dazu werden Impulsgeber aus dem Unternehmen und aus der Umwelt überwacht und in zwei Regelkreise integriert, die sicherstellen, dass die Neugestaltung nur diejenigen Elemente umfasst, die von den geänderten Rahmenbedingungen betroffen sind. So werden hohe Kosten für häufige Neuplanung vermieden. Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken ist auf den Einsatz anforderungsgerechter IT-Werkzeuge angewiesen, weil die Komplexität der Netzwerke und ihrer Gestaltungselemente ohne Softwareunterstützung nicht zu bewältigen ist. In einem Fallbeispiel wurde die erfolgreiche Implementierung des Konzepts gezeigt und dadurch deutlich gemacht, dass die Umsetzung auch in anderen Anwendungsfällen anzustreben ist. Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken leistet einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen, indem die Erfüllung der Kundenanforderungen an eine leistungsfähige, sich permanent wandelnde Logistik bei möglichst geringen Kosten sichergestellt wird. Literaturverzeichnis Baumgarten, H. (2004) Entwicklungsphasen des Supply Chain Managements, in: Baumgarten, H., Darkow, I.-L., Zadek, H. (Hrsg.) Supply Chain Steuerung und Services, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, S. 51–50
Abb. 9: Beispiel für die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken mit IT-Unterstützung
Planung von Beständen im Zentrallager
Außenlager
Regionallager Beispiellieferant
(Distributionsnetzwerk für Artikel eines Lieferanten)
Gestaltung von Lagerflächen im Zentrallager Zentrallager
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Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken
Baumgarten, H., Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik. Technische Universität Berlin, Berlin Bowersox, D.J., Closs, D.J., Cooper, M.B. (2002) Supply Chain Logistics Management. McGraw-Hill/Irwin, New York Chopra, S., Meindl, P. (2004) Supply Chain Management – Strategy, Planning and Operations. Pearson Education, Inc., Upper Saddle River, New Jersey. 2. Aufl. Cigolini, R., Cozzi, M., Perona, M. (2004) A new framework for supply chain management, in: International Journal of Operations & Production Management. Vol. 24, No. 1, 2004, S. 7–41 Cooper, M.C., Lambert, D.M., Pagh, J.D. (1997) Supply Chain Management: More Than a New Name for Logistics, in: The International Journal of Logistics Management, Vol. 8, No. 1, 1997, S. 1–14 Forrester, J.W. (1958) Industrial Dynamics: A Major Breakthrough for Decision Makers. Harvard Business Review, Vol. 36, No. 4, 1958, S. 37–66 Gentsch, P. (1999) Wissen managen mit innovativer Informationstechnologie. Gabler, Wiesbaden Göpfert, I. (2002) Einführung, Abgrenzung und Erweiterung des Supply Chain Managements, in: In: Busch, A., Dangelmaier, W. (Hrsg.): Integriertes Supply Chain Management: Theorie und Praxis effektiver unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse. Gabler, Wiesbaden, S. 25–44 Jüttner, Uta (2005) Supply chain risk management: Understanding the business requirements from a practitioner perspective, in: The International Journal of Logistics Management, Vol. 16, No. 1, 2005, S. 120–141 Mason-Jones, R., Towill, D.R. (1998) Shrinking the supply chain uncertainty cycle, in: IOM Control, Vol. 24 No. 7, S. 17–22
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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik
Stefan Fischer Professor für Praktische Informatik und Leiter des Instituts für Telematik an der Universität zu Lübeck
Prof. Dr. Stefan Fischer Jahrgang 1967 Fischer ist seit 2004 Professor für Praktische Informatik und Leiter des Instituts für Telematik an der Universität zu Lübeck. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim und promovierte dort im Jahr 1996 in Informatik. Nach einem Postdoc-Aufenthalt in Montreal, Kanada, wurde er 1998 Assistant Professor für Informationssysteme an der International University in Bruchsal. Im Jahr 2001 wechselte er auf eine Professur für verteilte Systeme an der TU Braunschweig und im November 2004 schließlich an die Universität zu Lübeck. Er beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die die zunehmend allgegenwärtige Verfügbarkeit von Rechensystemen und Kommunikationsmöglichkeiten mit sich bringt. Aktuelle Forschungsprojekte beschäftigen sich vor allem mit dem Gebiet der drahtlosen Sensornetze.
Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik Stefan Fischer
Einführung Seit einiger Zeit ist das Phänomen zu beobachten, dass virtuelle und reale Welt immer stärker miteinander verschmelzen. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die explosionsartige Verbreitung des Internets und des WWW in allen Bereichen des Lebens, die verstärkt wird durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Rechnern, die immer kleiner, aber auch immer leistungs- und kommunikationsfähiger werden. Notebooks und Personal Digital Assistants bilden nur den Anfang; die Informatik befasst sich in Gebieten wie Ubiquitous Computing oder „Drahtlose Sensornetze“ inzwischen mit sehr viel durchdringenderen Technologien, die gleichsam in die reale Welt eingewoben werden und in ihr verschwinden. Mussten früher viele Benutzer einen Computer teilen, so stand spätestens Anfang der 90er Jahre jedem Benutzer ein eigener Rechner zur Verfügung; heute ist jeder Mensch zumindest in den Industrienationen von einer Vielzahl von Prozessoren umgeben, ohne diese überhaupt noch als solche wahrzunehmen. Während sich durch diese Entwicklung eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten ergibt, steigt gleichzeitig die Komplexität solcher Systeme in einem erheblichen Ausmaß. Auf der einen Seite müssen sehr viel mehr Geräte administriert und miteinander koordiniert werden, die auf der anderen Seite über sehr viel weniger Ressourcen verfügen als traditionelle IT-Komponenten wie PC, Router oder Großrechner. Noch dazu sind diese Geräte vielfach nicht mehr in einer laborähnlichen Umgebung wie einem Büro angesiedelt, sondern sie befinden – und bewegen – sich zum Teil in einer fremden und unkontrollierbaren Umgebung. Dies hat zur Folge, dass die in der Informatik seit Jahrzehnten entwickelten Methoden zur Organisation von IT-Systemen bei solchen Varianten nicht mehr greifen – oftmals scheitert es allein schon daran, dass ein in einem unzugänglichen Gebiet ausgebrachtes Überwachungssystem schlicht nicht von einem Systemadministrator bearbeitet werden kann. Zur Lösung dieses Problems entwickelt die Informatik seit einiger Zeit neue Ideen, Algorithmen, Protokolle und Mechanismen, die auf einer Beobachtung und Umsetzung
biologischer Phänomene und Verfahren basieren, welche durch den Selektions- und Evolutionsprozess entstanden sind. Lebewesen jeglicher Art sind in der Lage, ohne fremden Einfluss in einer unbekannten bis feindlichen Umgebung zu überleben. Mit der Realisierung von Systemen mit lebensähnlichen Eigenschaften versucht die Informatik, diese Überlebensstrategien auf technische Systeme zu übertragen. In diesem Beitrag sollen die wichtigsten biologisch inspirierten Methoden zur Koordination komplexer verteilter IT-Systeme vorgestellt werden. Insbesondere betrachtet der Beitrag das Thema Selbstorganisation bzw. allgemeiner die sogenannten „Selbst-X-Eigenschaften“, die in vielen heutigen Ansätzen die entscheidende Rolle spielen. Der Beitrag stellt mit „Organic Computing“ einen dieser Ansätze etwas genauer vor und geht außerdem auf das Thema Schwarmintelligenz ein, das ebenfalls auf SelbstX-Eigenschaften aufbaut. Am Ende des Beitrags werden Vorschläge diskutiert, wie die Erkenntnisse der Informatik auf Anwendungsbereiche wie die Logistik übertragen werden bzw. diese inspirieren können.
Biologisch inspirierte Verfahren in der Informatik Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die Informatik mit biologisch inspirierten Verfahren, um robustere Systeme im obigen Sinne zu erzeugen. Dieser Beitrag wird später Selbstorganisation und Schwarmintelligenz in den Vordergrund stellen, zunächst soll aber hier ein kurzer Überblick über andere Verfahren gegeben werden. Der wohl bekannteste und älteste Ansatz ist der der Neuroinformatik, künstliche neuronale Netze zu entwickeln, die nach einem Lernprozess in der Lage sind, anhand gegebener Eingangsmuster Objekte zu klassifizieren bzw. gelernten Mustern zuzuordnen. Initiale Arbeiten fanden hier bereits in den 1940er Jahren statt (McCulloch u. Pitts, 1940). In den 1960er Jahren entstand gleichzeitig in mehreren Arbeitsgruppen der Ansatz der evolutionären oder
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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik
genetischen Algorithmen. Diese Verfahren orientieren sich an der natürlichen Evolution: Es werden zufällig neue Generationen von Algorithmen erzeugt und daraufhin bewertet, wie gut sie das Problem lösen. Die besten Versionen dienen als Basis für weitere Veränderungen. Eine Übersicht über dieses Gebiet findet sich in (Fogel 1998). Künstliche Immunsysteme erfreuen sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts großer Beliebtheit in der wissenschaftlichen Welt. Man versucht mit solchen Systemen, das natürliche Immunsystem und seine Funktionen nachzuahmen. Anwendungen finden sich vor allem im Bereich der Computersicherheit, in der man versucht mithilfe künstlicher Immunsysteme Eindringlinge abzuwehren und zu bekämpfen. Eine Übersicht über gängige Ansätze findet sich in de Castro u. Timmis (2002). Die Vorgehensweise all dieser Verfahren lässt sich insofern verallgemeinern, als der Programmierer nicht mehr wie bei der imperativen Programmierung jeden einzelnen Berechnungsschritt vorgibt, sondern das System sich selbstständig entwickeln lässt. Um diese Vorgehensweise zu präzisieren, geht der nächste Abschnitt auf die sogenannten „self-x“- bzw. „Selbst-X-Eigenschaften“ eines Systems ein. Diese zu erreichen ist das Ziel vieler biologisch inspirierter Verfahren, von denen im darauffolgenden Abschnitt die Schwarmalgorithmen vorgestellt werden. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Vorstellung eines konkreten Projektansatzes der deutschen Informatik, dem Organic Computing.
Allgemein beschreibt eine Selbst-X-Eigenschaft eines Systems seine Fähigkeit, eine bestimmte Leistung selbstständig, d. h. ohne externen Eingriff zu erbringen. Im Rahmen der später noch detaillierter beschriebenen OrganicComputing-Initiative wird auf www.organic-computing.de eine Vielzahl von Selbst-X-Eigenschaften genannt (mit ihren englischen Bezeichnungen): self-monitoring, self-optimizing, self-healing, self-manageable beziehungsweise self-managing, self-configuring, self-protecting, self-explaining, self-adaptating, self-organizing und self-stabilizing. Viele dieser Begriffe sind inhaltlich stark miteinander verwandt beziehungsweise voneinander abhängig, sodass sich eine Zusammenfassung in wenige Begriffe anbietet, wie dies etwa in (Jaeger et al., 2007) vorgenommen wird: •
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Selbst-X-Eigenschaften •
Im Mittelpunkt der Überlegungen zu den sogenannten Selbst-X-Eigenschaften steht der Begriff des autonomen Systems. Ein autonomes System ist ein System, das sich bei der Erbringung seiner Funktionalität autonom verhält, d. h., es wird nicht von einem Administrator gesteuert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dem System keine Zielvorgaben gemacht werden; vielmehr versucht das System selbstständig, die vom Administrator vorgegebenen Ziele zu erreichen. Autonome Systeme zeichnen sich durch eine gewisse Lernfähigkeit aus, durch die ihnen eine vernünftige Reaktion auf unbekannte Situationen ermöglicht wird. Eine zentrale Annahme besteht darin, dass autonome Systeme keine Kenntnis über den Gesamtzustand des Systems haben, sondern ihre Entscheidungen rein basierend auf lokal verfügbaren Informationen treffen. Wie oben schon erwähnt kann man die gewünschten Fertigkeiten eines solchen autonomen Systems unter dem Begriff „Selbst-X-Eigenschaften“ zusammenfassen.
Unter Selbstkonfiguration werden Mechanismen verstanden, mit deren Hilfe ein System einen Kontrollparameter selbstständig anpassen kann. Selbstorganisation versetzt ein System in die Lage, selbstständig seine eigene Struktur zu verändern, um eine Selbstkonfiguration vorzunehmen. Mit Selbststabilisierung wird die Eigenschaft eines Systems bezeichnet, (1) ausgehend von einem beliebigen Zustand einen als akzeptabel definierten Zustand in beschränkter Zeit zu erreichen und (2) einen als akzeptabel definierten Zustand selbstständig zu erhalten. Mit Selbstheilung wird die Eigenschaft eines Systems bezeichnet, ausgehend von einem als nicht-akzeptabel definierten Zustand einen als akzeptabel definierten Zustand in beschränkter Zeit zu erreichen. Um überhaupt feststellen zu können, ob sich das System in einem akzeptablen oder nicht-akzeptablen Zustand befindet, muss es selbst beobachtend sein.
Da alle autonomen Systeme selbstständig handeln, ist nicht von vornherein klar, welches Verhalten das Gesamtsystem aufweisen wird. Tatsächlich kann es sein, dass dieses Verhalten sich aus der Betrachtung aller Einzelsysteme nicht ablesen lässt. Ein solches Verhalten bzw. eine solche nicht vorhersagbare Eigenschaft bezeichnet man als emergentes Verhalten bzw. emergente Eigenschaft. Vielfach ist diese Emergenz bei Informatiksystemen erwünscht, wenn auch sinnvollerweise Einschränkungen bzgl. der Freiheitsgrade des emergenten Prozesses gemacht werden. So wird man etwa häufig Mechanismen einbauen, um die Abläufe stoppen zu können, die die emergente Eigenschaft erzeugen. Allgemein versucht man, durch die Realisierung von Selbst-X-Eigenschaften wünschenswerte Eigenschaften
Stefan Fischer
von Systemen wie Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit oder Robustheit zu erreichen. Beispielsweise sorgt die Einbeziehung rein lokaler Informationen in den Entscheidungsprozess eines einzelnen autonomen Systems dafür, dass schwerwiegende Fehler in anderen Systembereichen sich nicht katastrophal auswirken.
Schwarmintelligenz Eine zurzeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses stehende Umsetzungsform biologischer Algorithmen sind die sogenannten Schwarmalgorithmen. Sie basieren auf Verhaltensprinzipien natürlicher Schwärme. Nach (Kennedy et al., 2001) versteht man unter einem Schwarm eine beliebige Ansammlung lose strukturierter, interagierender Agenten. Ein Schwarmsystem ist eine Menge von Individuen (Agenten), die in der Lage sind, sowohl miteinander als auch mit der Umgebung zu kommunizieren und zu interagieren. Dabei verändern sie die Umgebung oder die Population selbst. Die Individuen des Schwarms sind dabei im Prinzip autonome Systeme, die in der Lage sind, zumeist einfache Aktionen durchzuführen. Erst durch die Interaktion und dadurch entstehende Kooperation der Individuen entsteht ein neues emergentes Verhalten, man spricht dann insgesamt von Schwarmintelligenz (Beni u. Wang, 1989). Wurden damals zunächst zelluläre Roboter mit diesem Begriff benannt, so beschreibt er heute das Verhalten bzw. Ergebnis von Algorithmen, deren Funktionsweise dem kollektiven Verhalten sozialer Organismen wie Menschen, Fischen, Bienen oder Ameisen nachempfunden ist.
Schwarmalgorithmen werden vor allem zur Lösung von Optimierungsverfahren eingesetzt, indem mithilfe lokaler Aktionen lokale Lösungen erzeugt werden, aus denen eine Gesamtlösung entsteht. Individuen lernen aus den kommunizierten Erfahrungen anderer und modifizieren daraufhin ihr eigenes Verhalten. Einer der bekanntesten Schwarmalgorithmen ist die Ant Colony Optimization (ACO). Hier werden Agenten eingesetzt, die dem Verhalten von Ameisen nachempfunden sind. Auf der Futtersuche markieren Ameisen mit Geruchsstoffen, sogenannten Pheromonen, ihren Weg. Je besser die Futterquelle ist, desto mehr Pheromone scheidet die Ameise auf dem Rückweg zum Nest aus. Andere Ameisen orientieren sich an den Geruchsstoffen und folgen dem gefundenen Weg zur Futterquelle, wobei sie auch wieder Pheromone ausscheiden. Dadurch verstärkt sich der Anreiz für weitere Ameisen, dem Weg zu folgen. Ist die Futterquelle erschöpft, verdampfen die Pheromone mit der Zeit, sodass der Weg nicht mehr als attraktiv erkannt wird und die Ameisen nach neuem Futter suchen. Der ACO-Algorithmus wurde erfolgreich zur Lösung des Kürzeste-Wege-Problems eingesetzt. Gibt es mehrere Wege zum Ziel (also der Futterquelle), dann kehren die Ameisen über den kürzeren Weg natürlich schneller zum Nest zurück als über den längeren. Dadurch erhöht sich die Konzentration der Pheromone auf dem kürzeren Weg schneller und mehr Ameisen verwenden ihn. Dieser Algorithmus bzw. das zugehörige Zwei-Brücken-Experiment wurde in (Goss et al., 1991) vorgestellt. Einen Eindruck von der Funktionsweise gibt Abbildung 1, in der der Großteil der Ameisen den direkten Weg von der
Abb. 1: Kürzeste-Wege-Suche mit Ameisenalgorithmen
Ameisennest
Futterquelle
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Futterquelle zum Bau verfolgt; dies wird durch die hohe Pheromonkonzentration auf diesem Weg erreicht. Ameisenalgorithmen werden generell vor allem zur Lösung kombinatorischer Optimierungsprobleme eingesetzt. Einen guten Überblick über existierende AmeisenAlgorithmen gibt (Dorigo u. Stützle, 2004). Eine zweite Gruppe von Algorithmen basiert auf dem Verhalten von Bienen. Im Gegensatz zu Ameisen kommunizieren Bienen direkt miteinander und nicht über das Hinterlassen von Informationen in der Umgebung. Bienen verwenden drei Arten von Tänzen, um anderen Individuen Informationen über Nahrungsquellen bzw. notwendige Organisationsänderungen zukommen zu lassen. Dabei beobachten Bienen, die auf der Suche nach einer Nahrungsquelle sind, immer mehrere Tänzerinnen und wählen dann jeweils zufällig eine aus, deren Anweisungen sie folgen. So werden immer mehrere Nahrungsquellen erschlossen. Eine interessante Anwendung für solche Algorithmen wurde in (Nakrani u. Tovey, 2004) beschrieben. Die Autoren setzen Agenten ein, die sich entsprechend dem oben beschriebenen Schema verhalten, um die Lastverteilung auf einem Cluster von Web-Servern durchzuführen. Der Algorithmus soll entsprechend den veröffentlichten Ergebnissen anderen Algorithmen um bis zu 50 Prozent überlegen sein. Neben diesen (und noch weiteren) heute schon realisierten Verfahren inspiriert die Schwarmintelligenz Wissenschaftler wie auch Romanautoren zu sehr viel weiter reichenden Visionen. So wurde etwa in Berkeley die Idee des „Smart Dust“ entwickelt (Kahn et al., 1999). Die Vision geht davon aus, dass Rechnersysteme immer kleiner und leichter werden und sich irgendwann wie Staub praktisch unsichtbar in der Luft bewegen können und dennoch in der Lage sein werden, miteinander zu kommunizieren. Inzwischen ist man bei Geräten mit einem Volumen von ca. 1 cm3 angekommen. In einem Aufsehen erregenden Artikel beschrieben (Zambonelli u. Mamei, 2002), welche Herausforderungen zu bewältigen seien, um eine Tarnkappe im Sinne der Nibelungensage zu implementieren. Eine wesentliche Rolle spielen kleinste Objekte, die Kameras und Bildschirme vereinigen und mit ihren Pendants auf der anderen Seite des Mantels interagieren. Noch sehr viel stärker in den Bereich der Fiktion gehen Romanautoren wie Stanislaw Lem in seinem Buch „Der Unbesiegbare“ oder Michael Crichton in „Prey“, in denen angriffslustige künstliche Schwärme den Menschen das Leben zur Hölle machen. Der nun folgende Abschnitt beschreibt zum Abschluss der Betrachtung biologisch inspirierter Verfahren eine weit beachtete deutsche Forschungsinitiative, das Organic Computing.
Organic Computing Die Organic-Computing-Initiative (OCI) geht von der anfangs schon erwähnten Prognose aus, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft von einer Vielzahl von Geräten (autonomen Systemen im obigen Sinne) umgeben sein werden, von denen ein Großteil miteinander interagiert. Selbstverständlich wird es weder genügend Personal geben, um diese Geräte zu betreuen, noch wird diese Betreuung möglich bzw. gewünscht sein. Die Systeme müssen also genau die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Selbst-X-Eigenschaften aufweisen, um in ihrer Umwelt zu „überleben“ und die entsprechend gewünschten Dienste zu erbringen. Die Mission der OCI besteht deshalb darin, Systeme zu bauen, die diese Eigenschaften besitzen und damit ihre Aufgaben in robuster, sicherer, flexibler und vertrauenswürdiger Art und Weise erledigen, sodass der Mensch sich auf sie verlassen kann (Schmeck, 2005). Die OCI spricht dabei von „lebensähnlichen“ Systemen bzw. Systemen mit lebensähnlichen Eigenschaften; ein klares Ziel der Initiative ist die wirkliche Realisierung solcher Systeme. Im Kern ist die OCI ein Ansatz der technischen Informatik und beschäftigt sich deshalb vorrangig mit neuen Hardware-Architekturen für eingebettete Geräte. Die Ideen haben inzwischen jedoch auch Eingang in andere Bereiche der Informatik wie z. B. die verteilten Systeme gefunden. Hier geht es dann nicht um das Zusammenspiel von Bauteilen auf einer Platine, sondern von größeren autonomen, aber kooperierenden Systemen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft hat vor gut zwei Jahren ein Schwerpunktprogramm zum Thema Organic Computing gestartet. In zurzeit 19 Projekten werden verschiedenste Aspekte sowohl von theoretischer wie auch praktischer Seite beleuchtet. Neben dem praktischen Systembau hat sich das Schwerpunktprogramm vor allem eine Festlegung der wichtigsten Begriffe und ihre genaue Analyse auf die Fahne geschrieben. So steht bspw. zurzeit der oben schon diskutierte Begriff der Emergenz ganz oben auf der Tagesordnung.
Übertragung auf die Logistik Die Logistik hat mit ähnlichen Entwicklungen bzgl. der Komplexität der Systeme zu kämpfen wie die Informatik (Branke, 2007): •
Durch die Globalisierung nehmen Zahl und Länge der Transportwege fortwährend zu, da immer mehr Güter zwischen allen Teilen der Welt ausgetauscht werden.
Stefan Fischer
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Gleichzeitig ist eine starke Entwicklung hin zur Personalisierung von Gütern und Dienstleistungen festzustellen. Vielfach kaufen Kunden keine Ware von der Stange, sondern stellen sich ein Produkt exklusiv mithilfe von entsprechenden Internet-Anwendungen zusammen. Dadurch kann nicht mehr irgendein Exemplar eines Produktes ausgeliefert werden, sondern es muss ein ganz bestimmtes sein. Durch die gleichzeitige Erwartungshaltung der Kunden, Waren immer schneller und kostengünstiger geliefert zu bekommen, müssen sich die Taktzeiten in den Produktionsprozessen stetig verkürzen.
Es bietet sich also an, sich die Lösungen der Informatik zur Realisierung komplexer, aber verlässlicher Systeme anzuschauen. Einige Technologien, deren Vorhandensein zur Lösung unabdingbar ist, existieren bereits bzw. sind in breitem Einsatz (Branke, 2007): •
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RFID-Chips werden zur Identifikation von Waren eingesetzt. Sie sind wesentlich robuster und leichter zu handhaben als bspw. Barcodes. Mithilfe des GPS-Systems sind Transportmittel und im Zweifel auch Waren jederzeit zu orten. Damit lassen sich bspw. jederzeit aktuelle Prognosen für das Eintreffen von Waren am Bestimmungsort berechnen. Dies wird gefördert durch die Verwendung drahtloser Kommunikationstechnologien wie GSM oder UMTS. Mobile Einheiten können jederzeit Verbindung untereinander oder mit einer Zentrale aufnehmen und so nicht nur Informationen dorthin liefern, sondern auch neue Anweisungen entgegennehmen. Schließlich steht eine immer leistungsfähigere IT-Infrastruktur zur Verfügung, die es gestattet, auch sehr komplexe Algorithmen, Berechnungen und Simulationen durchzuführen.
Das Ziel muss es nun sein, auf dieser Basis neue Lösungen für die typischen Logistikprobleme etwa für Standortplanung, Tour- und Flottenmanagement oder die Optimierung von Lagerbeständen zu finden. Aus den obigen Beschreibungen zu Schwarmalgorithmen bzw. evolutionären Algorithmen wird schnell klar, dass sich viele Optimierungsprobleme der Logistik damit lösen lassen. Ganz offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen Ant Colony Optimization und der Suche nach kürzesten Transportwegen. Aber auch evolutionäre Algorithmen lassen sich sehr schön zur Lösung von Aufgaben mit mehreren Optimierungskriterien einsetzen, da man zur
Bewertung einer neuen Generation von Lösungen einfach mehrere Kriterien heranziehen kann. Ein Ansatz zur Lösung des Standortplanungsproblems wird in Branke et al. (2002) vorgestellt. Auch von der technischen Seite, in diesem Fall von der Organic-Computing-Initiative, könnten interessante Lösungen kommen. So werden bspw. im OC-Schwerpunktprogramm der DFG zwei Projekte durchgeführt, die sich eine Optimierung des Verkehrsflusses und damit eine Verkürzung der Transportwege zum Ziel gesetzt haben. Im von den Universitäten Hannover und Karlsruhe durchgeführten Projekt „Organic Traffic Control Collaborative“ (Rochner et al., 2006) wird ein System zur optimierten Schaltung von Ampeln im Stadtgebiet vorgestellt bzw. erforscht. Dabei wird u. a. ein Ansatz untersucht, der von einer völlig dezentralen Steuerung der einzelnen Signalanlagen ausgeht: Jede Ampel beobachtet den Verkehr in ihrem Bereich und kommuniziert mit den direkten Nachbarn. Dadurch soll eine robuste und flexibel auf Verkehrsänderungen reagierende Ampelsteuerung entstehen. Die Universitäten Lübeck und Braunschweig kooperieren im Projekt „AutoNomos“ (Fekete et al., 2006). In diesem Projekt geht es darum, Staus auf Autobahnen zu erkennen und wesentlich schneller melden zu können, als dies heute der Fall ist. Zu diesem Zweck werden die Fahrzeuge in die Lage versetzt, mit ihren Nachbarn auf der Strecke zu kommunizieren und z. B. die per Sensorik erfassten Daten auszutauschen. Durch die rein lokale Interaktion der autonom agierenden Fahrzeuge können die notwendigen Informationen sehr viel schneller bei ihren Adressaten (Fahrzeuge in der Nähe) ankommen als dies bei der heute üblichen Datenerfassung über zentrale bzw. fest installierte Systeme der Fall ist. Staus, die sich schon gebildet haben, aber noch nicht im Radio gemeldet wurden, können so erkannt und z. B. rechtzeitig umfahren werden. Die im Projekt entwickelte Technologie wird als „hovering data clouds“ bezeichnet. Die Vorstellung besteht darin, dass sich in dem geografischen Bereich, in dem eine interessante Situation festgestellt wird, automatisch durch die Interaktion der Fahrzeuge eine Datenstruktur (eine „Datenwolke“) bildet, die nicht wie bisher üblich an einen bestimmten Rechner gebunden ist, sondern an die Situation. Mit anderen Worten, wenn die Situation ortsfest bleibt, die sie tragenden Rechner (also die Fahrzeugcomputer) sich jedoch bewegen, dann muss die Datenstruktur ständig ihren Gastrechner wechseln. Der Vorteil besteht jedoch darin, dass die Fahrzeuge, die in den Bereich der interessanten Situation kommen, sofort darüber informiert sind.
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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik
Zusammenfassung Dieser Beitrag gab einen Überblick über die Verwendung biologisch inspirierter Verfahren in der Informatik und sich daraus möglicherweise ergebende Inspirationen für die Logistik. Als Kernaufgabe wurde vor allem die Selbstorganisation von Computersystemen diskutiert, mit den grundlegenden sogenannten Selbst-X-Eigenschaften, der Kooperation selbstorganisierter Systeme in Schwarmalgorithmen und schließlich die praktische Umsetzung in einer größeren Forschungsinitiative, dem Organic Computing. Anhand einiger Beispiele wurde aufgezeigt, wie die Logistik von diesen Ideen profitieren kann. Literaturverzeichnis Beni, G., Wang, J. (1989) Swarm Intelligence. In Proceedings of the 7th Annual Meeting of Robotics Society of Japan, S. 425–428 Branke, J., Schmidt, C., Schmeck, H., Klohr, V. (2002) Evolutionäre Algorithmen zur Standortplanung. Industrie Management 18 (6): 37–40 Branke, J. (2007) Evolution (in) der Logistik, Vortragsfolien des AI-Kolloquiums, 26. Oktober 2007, Karlsruhe, http://www.aifb.uni-karlsruhe.de/ AIK/veranstaltungen/aik20/vortraege/20-AIK-Branke.pdf de Castro, L.N., Timmis, J. (2002) Artifi cial Immune Systems: A New Computational Intelligence Approach. Springer-Verlag, London Dorigo, M., Stützle, T. (2004) Ant Colony Optimization. MIT Press, 2004 Fekete, S.P., Schmidt, C., Wegener, A., Fischer, S. (2006) Hovering
Data Clouds for Recognizing Traffi c Jams. In: 2nd International Symposium on Leveraging Applications of Formal Methods, Verifi cation and Validation Fogel, D.B. (1998) Evolutionary Computation: The Fossil Record. Wiley Goss, S., Aron, S., Deneubourg, J.L., Pasteels, J.M. (1989) Selforganized Shortcuts in the Argentine Ant. Naturwissenschaften, 76(12), S. 579–581 Jaeger, M.C., Mühl, G., Werner, M., Heiß, H.U., Laude, U., Ruge, C. (2007) Projekt ASA-2: Definitionen. Interne Studie, TU Berlin Kahn, J.M., Katz, R.H., Pister, K.S. (1999) Next century challenges: mobile networking for Smart Dust. In: Proceedings of the 5th Annual ACM/IEEE international Conference on Mobile Computing and Networking (MobiCom ‚99), ACM, New York, NY, S. 271–278 Kennedy, J., Eberhart, R.C., Yuhui, S. (2001) Swarm Intelligence. Morgan Kaufmann Publishers McCulloch, W.S., Pitts, W.H. (1943) A logical calculus of the ideas immanent in nervous activity. Bulletin of Mathematical Biophysics, 5, S. 115–133 Nakrani, S., Tovey, C. (2004) On Honey Bees and Dynamic Server Allocation in Internet Hosting Centers. Adaptive Behavior 12, S. 223–240 Rochner, F., Prothmann, H., Branke, J., Müller-Schloer, C., Schmeck, H. (2006) An organic architecture for traffi c light controllers. In: C. Hochberger and R. Liskowsky, editors, INFORMATIK 2006 – Informatik für Menschen!, volume P-93 of GI-Edition – Lecture Notes in Informatics (LNI), S. 120–127 Schmeck, H. (2005) Organic Computing – A New Vision for Distributed Embedded Systems. In: Proceedings of the Eighth IEEE International Symposium on Object-Oriented Real-Time Distributed Computing (ISORC 2005), S. 201–203, IEEE Computer Society Zambonelli, F., Mamei, M. (2002) The Cloak of Invisibility: Challenges and Applications. IEEE Pervasive Computing 1(4), S. 62–70
Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement
Klaus-Stephan Otto Geschäftsführer der Dr. Otto Training & Consulting
Dr. Klaus-Stephan Otto Jahrgang 1949 Otto leitet seit über 25 Jahren die Dr. Otto Training & Consulting. Das Beratungsunternehmen begleitet große Unternehmen, Mittelständler, aber auch Nonprofit-Organisationen bei komplexen Veränderungsprozessen. Otto hat den Ansatz des Evolutionsmanagements entwickelt, bei dem Erkenntnisse aus der Natur und aus Evolutionsprozessen auf die Weiterentwicklung von Organisationen und die Innovationsentwicklung angewandt werden. Dazu leitet er Veränderungsprojekte und führt Workshops und Ausbildungen zu diesem Thema durch. Er ist Autor des 2007 im Hanser Verlag erschienenen Buches „Evolutionsmanagement“. Otto hat an der TU Berlin Psychologie studiert. In Deutschland hat er maßgeblich den Aufbau des Zivilen Friedensdienstes unterstützt.
Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement Klaus-Stephan Otto
Einleitung Eine moderne Logistik ist in ihrer Ausrichtung ganzheitlich, systemisch und integrativ (Baumgarten 2004). Die Natur hat genau auf der Basis dieser Prinzipien in ihrer Millionen Jahre alten Geschichte herausragende Logistik-Leistungen hervorgebracht. So transportieren die Blattschneideameisen zur Errichtung ihrer unterirdischen Bauten, die eine Fläche von bis zu 50 Quadratmetern einnehmen können, rund eine Milliarde Ladungen Erdreich an die Oberfläche und bewegen dabei bis zu 40 Tonnen Boden, sie selber aber sind nicht größer als ein bis zwei Zentimeter (Harf und Bischoff 2007). Es ist daher sinnvoll, für die Weiterentwicklung der Logistik auf die Natur zu schauen und von der hier entwickelten Vielfalt an Lösungen zu lernen. Diese Herangehensweise, die Natur zu analysieren und als Vorbild für wirtschaftliche und organisatorische Prozesse zu nutzen, ist die Vorgehensweise des Evolutionsmanagements (Otto et al. 2007). Im Folgenden wollen wir diesen Ansatz näher erläutern und auf das Handlungsfeld der Logistik anwenden.
Grundlagen des Evolutionsmanagements Ein Grundgedanke des Evolutionsmanagements ist die Annahme, dass Organisationen lebende Organismen sind (Otto et al. 2007). Viele der Funktionen in Unternehmen können mit Funktionsweisen von Organismen verglichen werden: Der interne Materialtransport im Unternehmen ist beispielsweise vergleichbar dem Herz-Kreislauf-System bei den Wirbeltieren, die Informationsverarbeitung mit dem Nervensystem, die Lagerung von Material kann den Funktionen von Fett- und Speichergewebe, die zentrale Steuerung dem Gehirn zugeordnet werden. Unternehmen sind komplexe lebende Systeme genau wie Organismen; sie entwickeln sich in einer Wechselbeziehung zu ihrem Umfeld und beide erhalten innerhalb ihrer Grenzen einen höheren Organisationsgrad aufrecht als außerhalb. Je komplexer das Umfeld eines Unternehmens ist, umso weniger kann es linear gesteuert werden und es muss die Regeln komplexer lebender Systeme zur Steuerung anwenden.
Organismische Ansätze bringen neue Denkweisen und Lösungsstrategien in die moderne Organisationstheorie und überwinden technische und mechanistische Ansätze in der Organisationsentwicklung, die an ihre Grenzen gestoßen sind. Sie beziehen das Umfeld in die Betrachtung mit ein und betonen das Überleben als Schlüsselziel jedes Unternehmens. Kundenorientierung und Rendite dienen diesem Ziel, sind ihm aber untergeordnet. Interagierende Prozesse, die sowohl intern als auch in ihrer Beziehung zur Umwelt ausgewogen sein müssen, rücken in den Fokus. Der Verhaltensbiologe Günter Tembrock benutzt zur Unterscheidung dessen, was einen Organismus zu einem lebenden Subjekt macht, drei grundlegende Prozesse: Formwechsel, Informationswechsel und Stoffwechsel (Tembrock 2004). Dies sind auch die basalen Prozesse in und zwischen Unternehmen. Stoffwechsel und Informationswechsel sind dabei der Kern logistischer Prozesse. Beide gehen wiederum oft einher mit einem Formwechsel. Eine gängige Unterscheidung, die für logistische Prozesse in Unternehmen verwendet wird, ist die in Inbound, Inhouse und Outbound. Diese Einteilung entspricht der Organisation des Stoffwechsels von Organismen in der Natur und charakterisiert bereits den Stoffwechsel des Einzellers. Inbound ist die Aufnahme von Nahrung und anderen Stoffen in die Zelle, Inhouse entspricht dem Transport in der Zelle, der, wie man heute weiß, so kompliziert ist, dass die Zellforscher ihn immer noch nicht genau erklären können, Outbound entspricht den Ausscheidungsprozessen der Zelle. Bei mehrzelligen Lebewesen geht es hier oft um Produkte, die in anderen Zellen des Organismus gebraucht werden, wie z. B. verarbeitete Zuckermoleküle für den Energiehaushalt.
Interessante Transportbeispiele in der Natur Transport in der Zelle
In der Zelle existiert ein sehr komplexer Stofftransport, der oft verbunden ist mit einer kontinuierlichen Weiterverarbeitung der Stoffe. Die Produkte aus dem endoplasmatischen Retikulum (ein Netz aus Membransäckchen
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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement
und -röhren, das an der Membransynthese und anderen Synthese- und Stoffwechselvorgängen mitwirkt) werden durch den Golgi-Apparat durchtransportiert und zeitgleich dort weiterverarbeitet. Der Golgi-Apparat hat eine cis- und eine trans-Seite; durch Erstere werden die Stoffe aufgenommen und durch Letztere werden sie wieder entlassen. Dazwischen wandern sie durch einzelne Zisternen (Kammern) und werden in jedem Schritt zu komplexeren Proteinen angereichert (Campbell und Reece 2003). Der Transport erfolgt durch die Diffusion. Dabei wird vorteilhafterweise von der Zelle für den Transport keine zusätzliche Energie aufgewendet, sondern die Transportenergie ist die Bewegungsenergie der Moleküle. Zwar kann die Diffusion nur auf den Transport kurzer Strecken angewandt werden, trotzdem ist es interessant zu überlegen, wie eine solche energiesparende Transportform auf logistische Prozesse übertragen werden könnte. Wir werden später sehen, dass dieses Prinzip oft für den Transport in der Natur angewandt wird. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist auch, dass im Golgi-Apparat während eines ständig fließenden Transports die Verarbeitung des Produkts stattfindet. Dies passiert auch bei logistischen Prozessen in der Fabrik durch den Einsatz eines Fließbandes. Es hat Sinn, zu prüfen, ob dieses Prinzip in der Logistik für die Zukunft nicht eine noch viel größere Rolle spielen sollte. Kann nicht die Transportzeit noch stärker dafür genutzt werden, den Wertschöpfungsprozess weiterzuführen, können nicht Transportprozesse sehr viel stärker kontinuierlich im Fluss erfolgen? Ein gutes Beispiel für den Einsatz dieses Prinzips ist die Fischproduktion. Hier wird der gefangene Fisch oft noch auf dem Meer direkt auf Schiffs-Fischfabriken verladen und dort auf dem Weg in die Häfen weiterverarbeitet, sodass bei der Anlandung das Produkt fertig verpackt direkt an den Handel ausgeliefert werden kann. Der zweite, sehr interessante Aspekt, den wir hier kurz beleuchten möchten, betrifft die Frage, wie der Stoff in den Golgi-Apparat transportiert wird. Die Stoffe (Proteine) werden in eine Membran, genannt Vesikel, eingehüllt. Sie besteht aus demselben Material wie die Außenmembran des Golgi-Apparates. Wenn das Vesikel auf die Oberfläche des Golgi-Apparates trifft, verschmilzt es mit dessen Oberfläche und die einzelnen Proteine werden von dem Organell aufgenommen. Innerhalb des Organells werden die Proteine von Zisterne zu Zisterne weitergereicht und dabei jedes Mal zu komplexeren Eiweißen weiterentwickelt. Was kann dies für logistische Prozesse bedeuten? Für die Logistik ist die Überwindung von Unternehmens-
schnittstellen und die Findung von Lösungsansätzen an diesem Punkt eine sehr wichtige Aufgabe (Baumgarten 2004). Die Vesikel sind eine hoch innovative Lösung der Natur, Schnittstellenprozesse zu verbessern. Die Substanz, mit der das Transportgut verpackt ist, besteht hier aus der gleichen Substanz wie die Eingrenzung der Produktionsstätte selbst. Dadurch können Transportverpackung und Eingrenzung des Produktionsortes miteinander verschmelzen und das Transportgut taucht problemlos in die Produktionsstätte ein. Darüber hinaus ist der Stofftransport ein komplett geschlossener Transportweg, da die Weitergabe der Stoffe nie mit einem Öffnen und Schließen von Organellen verbunden ist, sondern diese Sicherheitslücke durch den direkten Verschmelzungsprozess umgangen werden kann. Solche organismischen Transportketten sollten auch in den Logistikprozessen, wo möglich, stärker genutzt werden. Dies passiert auch bereits, z. B. wenn organische Verpackungsmaterialien genutzt werden, die leichter recycelt werden können. Transport von Samen
Der zweite Bereich in der Natur, der hier als anregende Lernmöglichkeit für logistische Vorgänge dargestellt werden soll, ist die Art und Weise, wie innovationsreich die Natur das Problem der Samenverbreitung gelöst hat: Neben der sehr häufig anzutreffenden Windbestäubung (bei einem Fünftel der in Europa wachsenden Samenpflanzen) gibt es die ebenfalls häufig vorkommende Tierbestäubung (beispielsweise durch die Insekten), außerdem manchmal auch eine Mischform aus beiden Bestäubungsarten (Amphilie) und seltener die Wasserbestäubung, die auch noch einmal sehr unterschiedliche, spezialisierte Erscheinungen für die Übertragung im See, über das Meer und durch den Regen hervorgebracht hat (Müller und Müller 2003). Besonders innovativ ist in diesem Zusammenhang die Lösung einiger Pflanzen, die sich durch Selbstverbreitung vermehren, nämlich durch ihre Eigenschaft, als „lebende Abschussrampen“ (Müller und Müller 2003, S. 253) zu fungieren. Die Diasporen werden durch die Mutterpflanzen ohne Einwirkung äußerer Kräfte verbreitet, indem sie sich drei verschiedener Mechanismen bedienen. Manche haben eine spezielle Schleudervorrichtung, andere spezielle Ablegevorrichtungen, die durch positiven Gravitropismus (mit der Schwerkraft) oder negativen Phototropismus (der Sonne abgewandt) ausgelöst werden. Wieder andere haben spezielle Fallvorrichtungen für Früchte und Samen entwickelt, indem die Fruchtstiele mit Trenngewebe ausgestattet sind, sodass die Früchte abfallen können und
Klaus-Stephan Otto
dann am Boden aufplatzen, wodurch die Samen auf dem Boden verteilt werden. Eine weitere Gruppe von Pflanzen verbreitet sich als „blinde Passagiere“ (Müller und Müller, 2003, S. 245). Dieser Name steht für verschiedene Ansätze, wie Samen mithilfe unterschiedlicher „Träger“ über teilweise sehr weite Strecken hinweg transportiert werden können. Säugetiere und Vögel verbreiten über den Verzehr von Früchten die Samen, die durch ihre besonders konstruierte Hülle nicht im Magen zersetzt, sondern unbeschadet ausgeschieden werden und dann erst im Boden anfangen zu keimen. Wieder andere Früchte und Samen kleben und heften sich an Feder- und Haarkleid und werden auf diese Weise weit transportiert. Eine weitere Möglichkeit ist die Verbreitung durch Ameisen und Menschen. Viele dieser Lösungen sind außerordentlich energiesparend. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise man noch stärker verschiedene logistische Transporte und Prozesse kombinieren, oder noch konkreter, die Möglichkeiten zu Ladungskombinationen verstärken kann. Die Möglichkeiten in diesem Bereich sind noch lange nicht ausgereizt. Hier sind weniger neue technische Lösungen gefragt als vielmehr neue Formen der Zusammenarbeit und ein anderer Umgang mit den beiden notwendigen Polaritäten von Konkurrenz und Kooperation. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen können durch Kooperationen bei der Ladungsauslastung einen Wettbewerbsvorteil erzielen und besser mit großen Unternehmen konkurrieren. Die Natur löst ein Problem also nicht auf einem Weg, sondern sie hat dafür teilweise völlig unterschiedliche Lösungen gefunden. Gleichzeitig taucht in der Natur eine bestimmte Lösungsmöglichkeit parallel an mehreren Stellen völlig unabhängig voneinander auf, wenn der Augenblick für diesen Entwicklungsschritt reif ist. So hat sich das Auge bei verschiedenen Tierarten unabhängig mindestens 50-mal an verschiedenen Orten der Erde entwickelt. Es ist richtig, logistische Prozesse zu standardisieren und zu vereinheitlichen, gleichzeitig sollte man aber auch mehr Vielfalt entwickeln und zulassen: eine Vielfalt, die den vielen verschiedenen, völlig unterschiedlichen logistischen Anforderungen entspricht. Komplexe logistische Netzwerke können so mehrere unterschiedliche Dienstleister vernetzen, die mit einem sehr spezifischen Leistungsangebot kleine spezifische Nischen im Logistikmarkt besetzen. Transport in Pflanzen/Bäumen
Jede Pflanze hat zwei getrennte Leitungen: eine für Wasser, Xylem genannt, und eine für Nährstoffe (Phloem). In
ihrem Xylem können Bäume Wasser bis auf eine Höhe von 120 Metern transportieren. Diese beachtliche Leistung kann durch eine Kombination aus drei verschiedenen Lösungen für den Wassertransport realisiert werden: Die Kapillarkraft ermöglicht es, Wasser 80 cm hoch zu befördern (durch die Adhäsion des Wassers an den winzigen Schläuchen), mit dem Wurzeldruck, der als Folge des aktiven Ionentransports entsteht, kann es zusätzlich zehn Meter hoch befördert werden. Erst in der Kombination mit dem Transpirationseffekt können so enorme Höhen wie 120 Meter erreicht werden. Das Erstaunliche an diesem Prozess ist, dass der größte Anteil dieser multifaktoriellen Leistung durch die Transpiration ermöglicht wird. Interessanterweise ist diese für den Baum ohne eigenen Energieverbrauch möglich. Mithilfe von Sonne und Wind verdunsten die Wassertröpfchen von den Blättern und erzeugen auf diese Weise einen Wassersog nach oben. Die Natur nutzt also physikalische – manchmal auch chemische – Gesetzmäßigkeiten, um ihre Transportprobleme energieeffizient zu lösen. Auch den Transport anderer Stoffe, z. B. Sauerstoff und Kohlendioxid, regeln Pflanzen – wie schon in der Zelle gesehen – mit einem die eigene Energie schonenden Prozess. In diesem Fall wird das Transportproblem vollständig über die Diffusion der Stoffe der Luft in die Pflanze und umgekehrt gelöst. Gerade in Zeiten der Klimadebatte und erhöhter Energiepreise stellt sich für die Logistik die Frage, wie vorhandene Energien aus dem Umfeld besser für den Transport genutzt werden können. Eine aktuelle Entwicklung ist z. B. die Einführung von riesigen Drachen auf Frachtern, die mithilfe des Windes, der sich in dem Drachen fängt, den Energieverbrauch des Frachters herabsetzen. Auch heute noch wird in vielen Urwaldregionen die Strömungsenergie der Flüsse genutzt, um Baumstämme zu den großen Häfen am Meer zu flößen. Wenn die Preise für Treibstoff weiter steigen, wird die Bedeutung der Geschwindigkeit zugunsten einer Kostenreduzierung zurückgehen und die Energie von Wind und Strömungen kann für den Verkehr wieder wichtiger werden.
Einige Charakteristika von logistischen Prozessen in der Natur Es ist davon auszugehen und auch sinnvoll, dass sich die Entwicklung in der Logistik zunehmend an natürlichen Prozessen orientieren wird. Diese natürlichen Prozesse haben sich evolutionär über Millionen von Jahren entwickelt und bewährt. Einige typische Charakteristika von logistischen
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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement
Prozessen in der Natur wollen wir im folgenden Abschnitt darstellen und erläutern, wie diese auf die Logistik übertragen werden können. Zentrale und dezentrale Steuerung
In der Natur werden sehr viele Transportprozesse dezentral gesteuert. Ein zentrales Nervensystem ist in der Natur erst sehr spät entstanden und auch nur bei wenigen Lebewesen vorhanden. Das Zentrale Nervensystem ist wiederum stark dezentral organisiert. Es gibt keine starke Zentrale, sondern viele dezentrale Knotenpunkte, wodurch es bei Ausfällen von Teilbereichen weniger gefährdet ist. Das bedeutet, dass die meisten Prozesse dezentral gesteuert werden und über Selbstorganisation funktionieren. Ein Fischschwarm hat einige wenige Regeln, an die sich jedes Schwarmmitglied hält. Über diese können harmonische und einheitliche Aktionen erreicht werden, ohne dass es eine zentrale Führung gibt. Nach Baumgarten (2004) ist es für logistische Prozesse sinnvoll, „kleine und flexible Unternehmenseinheiten zu schaffen, die in einem dezentral gesteuerten Netzwerk miteinander kooperieren“ (S. 6). Die dezentrale Steuerung hat den Vorteil, dass auf Störungen besser reagiert werden kann. Außerdem ist sie in vielen Fällen effektiver, weil die Komplexität des Teilsystems geringer ist als die des Gesamtsystems. Allerdings muss auch in Betracht gezogen werden, dass zusätzlicher Aufwand für die Koordination der Teilsysteme entsteht. Die Stärkung dezentraler Steuerung in logistischen Prozessen finden wir in der Kanban-Systematik realisiert: „Das Kanban-System ist in erster Linie ein dezentrales Steuerungssystem auf der Basis der selbststeuernden Regelkreise“ (Ehrmann 2005, S. 449). Hier soll eine Robustheit der Prozesse dadurch erreicht werden, dass nicht über ein zentrales Eingreifen gesteuert wird. Auch in der Debatte über zentrale oder dezentrale Lager sind die Vorteile riesiger zentraler Lager nicht mehr unumstritten. Eine gute Darstellung der jeweiligen Vor- und Nachteile von zentraler und dezentraler Lagerung findet sich bei Gleißner und Femerling (2008). Dem Logistiker stellt sich folgende Frage: Wo kann ich durch Zentralisierung Ressourcen gewinnen und wo schränke ich dadurch aber auch Kreativität ein, werde leichter verwundbar und schränke Spezifität bzw. die Angepasstheit der Teilsysteme ein? Stetige Veränderung von Mengen und Geschwindigkeit
Die Natur gestaltet ihre Prozesse in den seltensten Fällen in einer einheitlichen Geschwindigkeit, und damit verbunden gibt es auch oft Volumenschwankungen.
Ein Beispiel ist der Winterschlaf einiger Tiere. Bei schlechten Umfeldbedingungen und bei Mangel an Nahrung fallen diese Tiere in einen mehrmonatigen (aber unterbrochenen) Schlaf, wodurch die Geschwindigkeit ihres Stoffwechsels auf ein Minimum reduziert werden kann und dadurch das Überleben gesichert wird. Ähnliches geschieht auch bei starker Trockenheit und Wassermangel in der Wüste. In der Wirtschaft ist ein entsprechendes Verhalten auch oft sinnvoll. So wurde es beispielsweise nach dem 11. September 2001 für die Lufthansa notwendig, ihren Personenflugverkehr drastisch zu reduzieren und dafür eine große Anzahl von Flugzeugen vorübergehend in der Wüste zu parken. Als sich der Markt wieder erholt hatte, konnten die Flugzeuge dann in den Verkehr zurückgeholt werden. Schon heute wird in der Logistik bei der Entscheidung für ein Transportmittel die Abwägung zwischen Kosten und Dringlichkeit (also der Geschwindigkeit eines Transportes) immer wichtiger. Während bisher die Geschwindigkeit oft das entscheidende Marktargument war, wird bei weiter steigenden Energiepreisen die Bedeutung der Wirtschaftlichkeit zunehmen, was dazu führen wird, dass langsame und ressourcensparende Transporte wieder eine wichtige Nischenfunktion bekommen. Einfaches und Komplexes bestehen nebeneinander
Die Stärke der Natur ist es, auf der einen Seite eine Komplexitätsentwicklung zu durchlaufen und auf der anderen Seite Einfaches bestehen zu lassen. So hat die Natur nach den einzelligen Bakterien – Fossilfunde von ihnen datieren 3,5 Mrd. Jahre zurück – durch Zellzusammenschlüsse komplexere Lebewesen wie Fische, Reptilien, Säugetiere, Vögel und den Menschen entstehen lassen. Die Bakterien sind so erfolgreich in ihrer Überlebensstrategie, dass sie auch heute noch in jeder Handvoll Erde in größerer Anzahl vorhanden sind, als es Menschen auf der Erde gibt. Für die Logistik bedeutet dies, nicht immer modernste und komplexeste Logistikprozesse einsetzen zu müssen, sondern bei guter Eignung auch bei traditionellen Lösungen zu bleiben. Für den Transport von Kohle ist das alte Binnenfrachtschiff beispielsweise immer noch bestens geeignet. Auch hier wird zu überlegen sein, ob nicht vergangene Logistiklösungen, die abgeschafft wurden, wieder reaktiviert werden können, weil sich die Bedingungen verändert haben. Ein Versuch, der allerdings bisher nicht erfolgreich gewesen ist, war die Wiederbelebung des Luftschiffes für den Transport.
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Flow – Im Fluss sein
Bewährtes bewahren und Neues entstehen lassen
Oft sind Transportprozesse in der Natur fließend und kontinuierlich. Dabei werden Stoffe eher in geringeren Mengen aber mit hoher Frequenz transportiert als niedrig frequentiert in größeren Mengen. Viele Millionen Flimmerhärchen sorgen beim Menschen für die Reinhaltung der Lunge. Der Schleim bindet eingeatmete Staubteilchen, die dann fließend über die Luftröhre in den Schlund befördert werden. Nach Kummer et al. (2006) besteht auch „das Ziel [der] Logistik […] darin, das Leistungssystem des Unternehmens flussorientiert zu gestalten“ (S. 203). Der Wandel von der funktionsorientierten zur flussorientierten Betrachtungsweise war schon in den 80er Jahren ein wichtiger Trend in der Logistik (vgl. Baumgarten 2004), aber noch heute ist dieses Ziel eine Herausforderung. Es gibt zahlreiche aktuelle Beispiele, wo ein kontinuierlicher Transport sehr sinnvoll eingesetzt wird. In den Pipelines werden beispielsweise durchgehend große Mengen Öl über weite Strecken befördert – in verhältnismäßig kleinen Rohren. Das Entscheidende ist nicht der Durchmesser der Rohre, sondern der andauernde Fluss des Transportgutes. Ein weiteres gutes Beispiel ist die Just-in-Time-Produktion. Hier wird der ganze Prozess der Wertschöpfungskette in einen Fluss umgestaltet. Lagerbestände werden reduziert, weil angeliefertes Material gleich weiterverarbeitet wird. Darüber hinaus kann unnötige Mehrfachbewegung vermieden werden. Der Nachteil ist allerdings, dass die Versorgungssicherheit stärker durch unvorhergesehene Störungen in der Kette gefährdet ist. Eine besondere Form der fließenden Bewegung sind Kreislaufsysteme. In der Logistik sind Kreislaufsysteme noch viel zu wenig anzutreffen, teilweise wurden sie sogar wieder abgeschafft. Rohrpostsysteme werden meistens nur noch in Krankenhäusern für den Blutprobentransport eingesetzt und Paternoster-Aufzüge sind auch mittlerweile eher Relikte aus einer anderen Zeit. Allerdings sind sowohl die häufig in Großstädten eingesetzten Ringbahnen (z. B. in Berlin, London u. a. Städten) als auch viele Fördertechniken wie die Rolltreppe und Förderbänder Beispiele für Kreislaufsysteme im Transport. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden solche Kreislaufsysteme in Zukunft wieder zunehmen, denn die Hinund Herbewegung von Fahrzeugen und Behältern bringt den Nachteil mit sich, dass Geschwindigkeit aufgebaut, dann abgebremst und letztlich in einen Richtungswechsel überführt werden muss. Dieser Ablauf ist energieaufwendiger als die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Bewegung.
99 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde lebten, sind bis heute ausgestorben. In der Natur findet also ein dauernder Veränderungsprozess statt, wo Bestehendes ausstirbt, um Neuem Platz zu machen. Gleichzeitig bewahrt die Natur Bewährtes: So sind 98 Prozent der Gene von Maus und Mensch – zwei völlig unterschiedliche Lebewesen – identisch. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass es Sinn hat, eine Grundhaltung einzunehmen, die einerseits die Bereitschaft beinhaltet, sich auf ständige Veränderung einzustellen und andererseits auch das zu bewahren, was sich bewährt hat. Wir können dies bei der Umstellung der Postdienste in Deutschland verfolgen. Hier ist es zu enormen Umstrukturierungen gekommen, aber trotzdem trägt der Briefzusteller der Pin seine Briefe genauso auf dem Fahrrad aus wie sein Kollege von der gelben Post – es ist einfach das passendste Transportmittel für die Endauslieferung bei kleinen Sendungen, kurzen Transportwegen und vielen unterschiedlichen Empfängern. Flexible Absicherung von Prozessen in der Natur
Der Hormontransport im Blutkreislauf funktioniert nach einem faszinierenden Prinzip, das ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet. Die verschiedenen Hormone gelangen durch das Schlüssel-Schloss-Prinzip wirklich nur an die Orte, wo sie benötigt werden. Jedes Hormon ist durch einen Marker kodiert, der auf eine ganz bestimmte Weise beschaffen ist, wodurch es nur an bestimmten Zellen „andocken“ kann, die das passende Gegenstück hierfür an ihrer Membran aufweisen. Ein anderes Beispiel für die Absicherung von Prozessen ist der Umgang des Körpers mit Verkalkungserscheinungen in Gefäßen im Bereich des Herzens. Wenn diese auftreten, werden entweder neue Gefäße gebildet oder bestehende werden in ihrer Kapazität erheblich ausgeweitet, wodurch die Blockade erfolgreich umgangen werden kann. In unserer heutigen Welt werden Prozesse zunehmend komplexer und damit nimmt auch ihre Fehleranfälligkeit zu. Es kommt nicht so sehr darauf an Störungsfreiheit zu gewährleisten, sondern in der Lage zu sein, mit Störungen umzugehen. Um es mit den Worten von Liker und Meier (2006) zu sagen, die viele Prozessoptimierungen mithilfe des „Toyota-Weges“ durchgeführt haben: „Process stability should have a reason – to support value-added flow“ (S. 59). Die Prozessstabilität ist demnach nicht Selbstzweck, sondern dient der Unterstützung des Wertschöpfungsprozesses.
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Gerade Störungen von außen können von einem „Process Owner“ nur bedingt beeinflusst werden. Aus diesem Grund wird es immer wichtiger, bei logistischen Prozessen darauf zu achten, dass Vorsorgestrategien zur schnellen Entwicklung von „Bypass-Lösungen“ entwickelt werden, damit auftretende Blockaden notfalls schnell umgangen werden können. Durch die Streiks der Lokführer bei der Deutschen Bahn wurde genau dieses Denken von den Logistikverantwortlichen in vielen Unternehmen abverlangt. Sie waren gezwungen, viele logistische Prozesse plötzlich auf andere Transportmittel zu verlegen.
Netzwerke organisieren: Collaborative Supply Chain Management Netzwerke haben schon immer eine wichtige Rolle in der Logistik gespielt, aber seit Ende der 1990er Jahre ist das bewusste und systematische Organisieren von Netzwerken eine ganz zentrale Aufgabe in der Logistik. Ihr Anspruch ist die „übergreifende und ganzheitliche Koordination zwischen Unternehmen“ (Baumgarten 2004, S. 5). Die Prozesse in der Natur sind hoch vernetzt. Hier lassen sich Netzwerke auf verschiedensten Ebenen und in verschiedenster Form finden, die gute Anregungen bieten: Molekulare Netzwerke innerhalb von Zellen, das neuronale Netzwerk im Gehirn, Netze aus organischer Materie wie Spinnennetze, soziale Netzwerke von Lebewesen oder die Vernetzung aller beteiligten Lebewesen eines Ökosystems. Um noch einmal das menschliche Gehirn aufzugreifen: Es besitzt Schätzungen zufolge ca. 100 Mrd. Nervenzellen, welche durch ca. 100 Billionen Synapsen eng miteinander verbunden sind. Das bedeutet, dass jedes Neuron im Schnitt mit 1000 anderen Neuronen verbunden ist. Diese hohe Vernetzung hat den Vorteil, dass im Prinzip jedes beliebige Neuron von jedem Startneuron aus in höchstens vier Schritten erreichbar ist. Dadurch können sehr schnelle Rückkoppelungsprozesse stattfinden und sind schnelle Reaktionen möglich. Auch das Ökosystem Wald besteht aus einer Vielzahl hoch vernetzter Informations- und Transportprozesse. Sehr komplexe Stoffkreisläufe dienen der Absicherung der Nahrungsketten und gewährleisten damit das Funktionieren des Gesamtökosystems. Dieses Vorgehen finden wir auch in der Idee des Collaborative Supply Chain Managements wieder. Durch die Vernetzung verschiedener Dienstleister wird eine möglichst kostengünstige und schnelle logistische Leistung ermöglicht. Dabei kommt es darauf an, eine Win-WinSituation zwischen allen Beteiligten herzustellen.
Die in den 90er Jahren gegründete Star Alliance, der anfänglich nur Air Canada, United Airlines, Lufthansa, SAS und Thai Airways angehörten, ist heute ein erfolgreicher Zusammenschluss von 17 Fluglinien. Ziel dieses Zusammenschlusses war es, in der Luftfahrtkrise Anfang der 90er Jahre Effizienzsteigerung durch Abstimmung der Routen, gemeinsame und kompatible Angebote, gemeinsame Lounges, gemeinsame Streckenrechte u. a. zu erreichen. Es wurde nicht die Konkurrenz erhöht, sondern durch die Entwicklung neuer Formen der Kooperation die Krise gemeistert. Hier waren es Vertreter der gleichen Branche, die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam erfolgreicher ihre Prozesse durchführen zu können. Noch größere Potenziale können erschlossen werden, wenn sich Partner aus verschiedenen Bereichen zu einem Netzwerk zusammenschließen. Die Komplexität des Gesamtlogistiksystems und die Vernetzung zwischen den Akteuren wird weiter ansteigen. Diejenigen, die eine hohe Kompetenz besitzen, solche Vernetzungen zu steuern und zu organisieren (und dabei Win-Win-Situationen herzustellen), werden davon stark profitieren. Baumgarten (2004) benutzt ein Bild aus der Natur für die Darstellung von Unternehmensnetzwerken, in dem das Unternehmen „die Spinne im Netz“ (S. 6) ist. Aus Sicht des Unternehmens mag dies zutreffen, aus Sicht des Gesamtnetzwerks hat das einzelne Unternehmen aber keine so zentrale Rolle. Aus dieser Perspektive passt eher der Vergleich mit dem netzwerkartigen Aufbau des Gehirns und seinen vielen dezentralen Knotenpunkten. Man kann ein solches Netzwerk zwar so darstellen, dass einer der Knoten im Mittelpunkt erscheint, aber wenn man aus dem Bild „herauszoomt“, verliert er seine zentrale Stellung.
Praktische Anwendung des Evolutionsmanagements in der Logistik Im Folgenden wollen wir die fünf grundlegenden Herangehensweisen des Evolutionsmanagements darstellen und konkrete Anwendungsgebiete für die Logistik aufzeigen. Lernen aus Prozessen der Evolution
Entwicklungen in der Wirtschaft laufen vergleichbar und nach ähnlichen Mustern wie Evolutionsprozesse in der Natur ab. Die evolutionäre Entwicklung des Transports hat viele verschiedene Stufen durchgemacht, z. B. vom Floß, über das Pferd, hin zum Zug, dem Auto und dem Flugzeug. Die von Baumgarten (2004) dargestellten verschiedenen
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Phasen der Logistik stellen diese Entwicklung für die letzten Jahre auf der prozessualen Ebene dar. Sie beschreiben den Weg von der klassischen Logistik (ab ca. 1960) über die flussorientierte Betrachtungsweise hin zur unternehmensübergreifenden Integration bis zum derzeitigen Trend, Wertschöpfungsketten zu globalen Netzwerken zu integrieren. Gerade für strategische Prozesse in der Logistik ist es sehr hilfreich, aus der Evolution zu lernen. Folgende Überlegungen sind hier sinnvoll: Woraus hat sich etwas entwickelt? Wo stehen wir in der Entwicklung? Wo wird die Entwicklung hingehen? Auf dieser Basis können Roadmaps und Szenarien entwickelt und daraus nächste Handlungsschritte abgeleitet werden. Dies kann für einzelne Prozesse, für Abteilungen, Unternehmen oder Gesamtsysteme erfolgen. Die Betrachtung von Evolutionsprozessen der Natur bereichert die Kreativität für die Entwicklung neuer Wege. Dies kann hilfreich sein bei der Abwägung des Einsatzes zukünftiger Verkehrsträger, beispielsweise bei der Entscheidung für die Erweiterung oder Nichterweiterung einer Container-Flotte. Man kann daraus lernen, wie Komplexitätsentwicklung in der Natur (Anagenese) stattfindet, um dann die daraus abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten auf die Weiterentwicklung der Logistikprozesse zu übertragen. Lernen aus einzelnen Naturvorgängen
An vielen Stellen der Natur gibt es interessante Einzellösungen für logistische Problemstellungen. Insektenvölker haben faszinierende Lösungen entwickelt, aber auch die Zugvögel bieten mit ihrer Leistung über Tausende von Kilometern zu wandern hilfreiche Anregungen. In der Bionik werden Lösungen der Natur auf die Entwicklung technischer Lösungen für die Industrie angewandt, u. a. wurde dies auch für die Entwicklung neuer Fahrzeugoberflächen genutzt. Die mikroskopisch fein geriffelten Längsrillen in der Außenhaut des Airbus A310 sind den Haien und Delfinen nachgebaut. Dadurch werden pro Jahr 150 000 Liter Sprit eingespart (Blüchel 2005). Die Übertragung sollte aber auch auf der Prozessebene erfolgen. Sie kann hier wichtige Anstöße zur Erhöhung der Steuerungs-, Planungs- und Informationsverarbeitungskompetenz geben. Dazu werden im Team verschiedene Prozesslösungen in der Natur dargestellt und danach in einem Analogieprozess neue logistische Lösungen erarbeitet. Wie Innovationen in der Natur geschehen, kann anhand des VAB-Modells (Abbildung 1) nachempfunden werden: Erst wird Vielfalt hergestellt, dann eine Auswahl getroffen und daraufhin die guten Lösungen bewahrt (Otto et al. 2007). Dieses Modell eignet sich auch für die Anwendung auf logistische Innovationsentwicklung.
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Die Evolution passiert und kann gestaltet werden
Auf der einen Seite geschieht dem Menschen die Evolution, auf der anderen Seite kann er sie aber auch mitgestalten. Dies gilt auch für die Logistik. Einerseits lässt sich beobachten, wie sich durch die Globalisierung logistische Prozesse verändern, andererseits kann jeder Logistiker aber auch aktiv in den Globalisierungsprozess eingreifen und er leistet seinen Beitrag für die Weiterentwicklung der Logistik. Einige Automobilhersteller (z. B. VW) haben im Zuge der stärker werdenden Kritik an Lkw und Pkw als umweltschädliche Produkte erhebliche Teile ihrer Transportleistungen auf die Schiene verlegt. Neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten soll auf diese Weise auch das angeschlagene Image der Autohersteller wieder verbessert werden. Sie wollen sich als ökologisch verantwortungsbewusst handelnde Unternehmen präsentieren und reduzieren darum ihren CO 2 -Ausstoß. Für den Manager ist es in vielen Entscheidungsprozessen für seinen Erfolg ausschlaggebend, zu erkennen, ob er eine bestimmte Entwicklung hinnehmen muss oder ob er sie aktiv gestalten kann. Neurobiologische Erkenntnisse anwenden
Für in der Logistik tätige Manager ist es bedeutsam, die immer konkreter werdenden Ergebnisse der Neurobiologie auf das menschliche Handeln in diesem Bereich anzuwenden (Abbildung 2). Die durch moderne medizinische Verfahren gefundenen neurobiologischen Erkenntnisse geben Aufschluss darüber, wie das Gehirn funktioniert und welche Konsequenzen dies für das Denken und Handeln des Individuums hat. Wie oben beschrieben, besteht das menschliche Gehirn aus vielen dezentralen Knotenpunkten, wodurch jedes Neuron im Schnitt mit 1000 anderen Neuronen verbunden ist. Durch diese Vernetzung kann im Prinzip jedes beliebige Neuron von jedem Startneuron aus in höchstens vier Schritten erreicht werden. Dadurch Abb. 1: Das VAB-Modell
Bewahren (Ordnung schaffen)
B
Der Innovationsverlauf im VAB-Modell
A Auswählen (bewerten) Quelle: Entnommen aus Otto et al. 2007
V
Vielfalt herstellen (Altes zerstören)
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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement
können schnell auftretende Störungen umgangen werden. Nach klassischen Rationalitätsgesichtspunkten beurteilt, genügt diese Mehrfachabsicherung nicht den Kriterien der Effizienz. Allerdings haben gerade Logistiker oft die Erfahrung machen müssen, dass es sich lohnt, zusätzliche Absicherungen einzuplanen, auch wenn dies den Einsatz weiterer Ressourcen erfordert. Ein weiterer Ansatzpunkt für die Übertragung neurobiologischer Erkenntnisse auf wirtschaftliches Handeln ist die Optimierung der Arbeitsprozesse von Menschen, die in Steuerungswarten arbeiten oder Fahrzeuge führen. Es kann aber auch darum gehen, das individuelle Verhalten von Managern bei der Führung des Unternehmens und für ihr Selbstmanagement durch neurobiologische Erkenntnisse leiten zu lassen (ausführlicher dazu Otto et al. 2007, Kap. 8). Eine Möglichkeit kann hier sein, die Forschungsergebnisse zum Verhältnis von Körperwahrnehmung und geistiger Tätigkeit auf die eigene Leistungsfähigkeit anzuwenden. Langfristig und nachhaltig handeln
Evolutionsmanagement hat auch eine ethische Dimension, indem es für die Einbindung wirtschaftlicher Prozesse in langfristige evolutionäre Entwicklungen der Natur eintritt. Wirtschaftliches Handeln soll nicht gegen, sondern im Einklang mit der Natur stattfinden. Dies gilt auch für die Logistik. Diese Herausforderung stellt sich z. B. im Rahmen der Klimadebatte, der Gewährleistung von Artenvielfalt oder der Zerstörung ökologischer Räume durch überdimensionierte Transportwege. Wir werden hierauf im nächsten Abschnitt genauer eingehen. Dieses Thema wird in den nächsten Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen.
Nachhaltige Entwicklung in der Logistik Wie im vergangenen Abschnitt dargestellt, ist im Ansatz des Evolutionsmanagements der Gedanke zentral verankert, wirtschaftliches Handeln nicht gegen die Natur, sondern im Einklang mit ihr zu gestalten. Dies ist auch für das Handlungsfeld Logistik von großer Bedeutung. An der aktuell geführten Klimadebatte kann man diese Auseinandersetzung sehr gut verdeutlichen. Anfangs wurde sie noch als ethische Diskussion geführt – es war in gewisser Weise ein Luxus, ökologische Aspekte in der Ökonomie beachten zu wollen. Heute gewinnt der wirtschaftliche Aspekt der Klimaentwicklung allerdings immer stärker an Bedeutung. Die Unternehmensberatung Accenture hat in einer Befragung festgestellt, dass 70 Prozent der Verbraucher interessiert, wie viel Kohlendioxid bei Produktion und Transport eines Produkts anfällt. Auch Wal-Mart strebt an, die Emissionen entlang der Lieferkette zu reduzieren. Zulieferer, die dazu beitragen, den CO 2 -Verbrauch zu reduzieren, sollen durch prominente Stellflächen in den Märkten belohnt werden (Bialluch und Reppesgaard 2007, S. 126). Die Debatte um den Klimawandel wird in nächster Zeit noch stärker geführt und logistische Dienstleistungen werden immer mehr danach hinterfragt werden, welche Auswirkungen sie auf den Klimawandel haben. Das Kriterium der ökologischen Qualität des Transports wird gegenüber den Kriterien des Kosten- oder Zeitvorteils verstärkt an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus werden die Verbraucher und Bürger zunehmend mehr Einfluss auf logistische Prozesse nehmen. Dies zeigt sich heute schon in Konflikten, wie den Auseinandersetzungen um neue Landebahnen an Flughäfen
Abb. 2: Ansätze des Evolutionsmanagements
Wie haben sich Arten in der Evolution entwickelt? Konsequenzen für die Unternehmensentwicklung
Quelle: Otto et al. 2007
Erkenntnisse aus der Evolution der Arten
Wie hat sich der Mensch in der Evolution entwickelt? Konsequenzen für das Managementverhalten
Unternehmensebene
Verhaltensebene
Wie funktionieren neurobiologische Prozesse? Konsequenzen für die Steuerungsprozesse von Unternehmen
Wie funktionieren neurobiologische Prozesse? Konsequenzen für das Managementverhalten
Erkenntnisse aus der Neurobiologie
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oder um Nachtflugrechte für Frachtflugzeuge. Deutschland hat bereits heute einen überproportional hohen Anteil am europäischen Logistikmarkt. Durch die lange Tradition der Auseinandersetzung mit Umweltfragen und die herausragenden Leistungen in der Entwicklung von Umwelttechnik besteht die Chance, den Markt einer umweltschonenderen Logistik noch stärker zu besetzen. Dadurch können international Wettbewerbsvorteile errungen und das Klima geschont werden. Aufbauend auf diesen Überlegungen kommen wir zu dem Schluss, dass in der Logistik in Zukunft sehr viel stärker gegenüber den maschinellen/technischen Lösungen biologische Logistiklösungen an Bedeutung gewinnen werden. Diese sind sehr viel energieschonender und naturgemäßer, sie werden leichter Akzeptanz in der Gesellschaft und dadurch auch bei den Kunden finden. Wir stehen hier allerdings noch am Anfang einer Entwicklung. Wer diese Entwicklung aktiv unterstützt, wird zuerst eventuell höhere Kosten und mehr Aufwand, langfristig aber größeren Markterfolg haben – und er hat dadurch auch einen Beitrag zur Lösung unserer ökologischen Herausforderungen geleistet.
Literaturverzeichnis Baumgarten, H. (2004) Trends in der Logistik, in: Baumgarten, H., Darkow, I.-L., Zadek, H. (Hrsg.) Supply Chain Steuerung und Services. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, S. 1–12 Bialluch, M., Reppesgaard, L. (2007) Konsumverbesserer, in: Wirtschaftswoche, 49, 2007, S. 126–128 Blüchel, K. (2005) Bionik. C. Bertelsmann Verlag, München Campbell, N., Reece, J. (2003) Biologie. Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg, Berlin Ehrmann, H. (2005) Logistik. Kiehl Verlag, Ludwigshafen/Rhein Gleißner, H., Femerling, S. (2008) Logistik. Betriebswirtschaftlicher Verlag Gabler, Wiesbaden Harf, R., Bischoff, J. (2007) Wohn-Gemeinschaften, in: Geo kompakt, 11, 2007, S. 66–73 Kummer, S., Grün, O., Jammernegg, W. (2006) Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik. Pearson Studium, München Liker, J., Meier, D. (2006) The Toyota Way Fieldbook. McGraw-Hill, New York Müller, G., Müller, C. (2003) Geheimnisse der Pfl anzenwelt. Manuscriptum, Waltrop, Leipzig Otto, K.-S., Nolting, U., Bässler, C. (2007) Evolutionsmanagement. Von der Natur lernen: Unternehmen entwickeln und langfristig steuern. Hanser Verlag, München, Wien Tembrock, G. (2004) Biokommunikation: Nachrichtenübertragung zwischen Lebewesen, in: Kallinich, J., Spengler, G. (Hrsg.) Tierische Kommunikation. Publikation der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Edition Braus, Heidelberg, S. 9–27
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3. Strategien – Entwicklung einer logistikorientierten Unternehmensführung
Entwicklungspfade der Logistik
Horst Wildemann Professor und Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre – Unternehmensführung, Produktion und Logistik, TU München Geschäftsführer des TCW, Management Consulting München
Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Horst Wildemann Jahrgang 1942 Wildemann leitet den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Unternehmensführung, Logistik und Produktion an der TU München. Er studierte in Aachen und Köln Maschinenbau (Dipl.-Ing.) und Betriebswirtschaftslehre (Dipl.-Kfm.). 1974 promovierte er zum Dr. rer. pol., Auslandsaufenthalte am Internationalen Management Institut, Brüssel, und an amerikanischen Universitäten schlossen sich an. 1980 habilitierte er sich (Dr. habil.) an der Universität Köln. Seit 1980 lehrte Wildemann als Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Bayreuth, Passau und seit 1988 ist er an der TU München. Ehrungen: Staatsmedaille des Freistaates Bayern (1998), Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (2001), Ehrendoktorwürde der Universitäten Klagenfurt (2003) und Passau (2004), Aufnahme in die Logistik Hall of Fame (2004) und Bayerischer Verdienstorden (2006).
Entwicklungspfade der Logistik Horst Wildemann
Problemstellung Unterschiedlichen Logistikkonzeptionen zufolge wurde in den 80er Jahren in Japan sowie in den 90er Jahren verstärkt in den USA Ausschau nach neuen Denkansätzen gehalten. Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind jedoch auch eigenständige Ansätze in Europa wiederzufinden. Als Ursache kann angeführt werden, dass hierdurch auf Fehler in der Vergangenheit reagiert wurde: Vielfach wurden japanische und amerikanische Logistikkonzepte unreflektiert auf die deutsche Industrie übertragen. Ohne den konkreten Anwendungsfall zu kennen, wurden japanische Produktionskonzepte wie das JIT-Konzept auf Ad-hocEntscheidungen basierend eingeführt. Wenn man den Aussagen all derer Glauben schenken darf, die das Toyota-Prinzip vor Ort kennengelernt haben, hätte Toyota mit der Durchführung von Firmenbesuchen und Seminaren ein eigenes profitables Geschäftsfeld eröffnen können. Mancher Logistiker hat zudem die Auffassung vertreten, es reiche, ein Buch von Ohno – wohlgemerkt die original japanische Fassung – zu lesen, um dann im eigenen Unternehmen zügig mit der Umsetzung der dort beschriebenen Konzepte zu starten. Diese „Hemdsärmlichkeit“ hat dazu geführt, dass bei einigen Unterneh-
men die Probleme ansteigen und Konzepte für Jahre nicht mehr zur Anwendung kommen. Eigene Erfahrungen des Verfassers in den letzten 20 Jahren zeigen, dass die Potenziale der Logistik in Unternehmen, die Ad-hoc-Entscheidungen getroffen haben, nicht hinreichend realisiert wurden. Empirisch lässt sich dies daran belegen, dass der Durchdringungsgrad etablierter Methoden einerseits und die Zahl der Pilotprojekte innovativer Methoden andererseits geringer sind als bei erfolgreichen Unternehmen. Die Logistik ist aber im Gegensatz zu anderen Disziplinen eine pragmatische, was sich darin zeigt, dass viele der dort tätigen Mitarbeiter ihre Prozesse selbst auf der Aktivitätenebene sehr genau kennen. Den Beteiligten ist eine hohe Kompetenz zuzuschreiben, was die Beurteilung der Wirksamkeit der Logistikkonzepte betrifft. Die Entwicklungslinien in der Logistik sind daher als Antworten auf die einem Wandel unterliegende Umwelt zu verstehen. Basierend auf einem sich kontinuierlich weiterentwickelnden Verständnis der Logistik wurden in Wissenschaft und Praxis entsprechende Konzepte diskutiert, die unternehmensübergreifende Formen der Zusam-
Abb. 1: Entwicklungslinien in der Logistik
Trends
Logistikverständnis Markt und Kunde
Entwicklung und Produkt
Produktion und Beschaffung
Formen der Zusammenarbeit
Themenfelder
Entwicklungslinien
Funktionsorientierung
Managementorientierung
JIT
ECR
CPFR
IT-Unterstützung
PPS
SCM-Systeme
eTechnologie RFID
Controlling
KLR
BSC
EVA
Leistungstiefe
Outsourcing 1985
3PL
/ 4PL
Betreibermodelle
1995
Zeitachse
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Entwicklungspfade der Logistik
menarbeit zum Gegenstand hatten. Ein wesentlicher Beitrag für diese zügige Entwicklung wurde durch die ITArchitekturen und IT-Applikationen geschaffen, die sich heute bereits vielfach durch hohe Interoperabilität und Kompatibilität auszeichnen. Logistikkonzepte und -methoden werden zunehmend nicht nur hinsichtlich operativer, sondern vielmehr strategischer Relevanz diskutiert. Die Wertorientierung hat zudem mittlerweile Einzug in die Bewertung logistischer Leistungen gefunden. Diese bilanzielle Betrachtung der Logistik zeigt sich insbesondere bei der Fremdvergabe logistischer Leistungen. Mit Betreibermodellen in der Logistik wird heute ein Maximum an Flexibilität hinsichtlich der Befriedigung von Kundenwünschen bei gleichzeitig bilanziertem Einsatz des Vermögens, d. h. des Anlage- und Umlaufvermögens, erzielt (vgl. Abb. 1).
Vom funktionsorientierten zum managementorientierten Logistikverständnis
•
•
Die Konzeption der Unternehmenslogistik stützt sich auf systemtheoretische Erkenntnisse. Sie umfasst die ganzheitliche, Funktions- und Unternehmensgrenzen überwindende Gestaltung, Steuerung und Koordination der Material- und Produktflüsse sowie der hierzu komplementären Informationsflüsse von den Lieferanten durch das Unternehmen bis hin zu den Kunden. Aus diesem Gegenstandsbereich heraus haben sich vier Konzepte der Logistik herausgebildet (vgl. Wildemann 2005) (vgl. Abb. 2): • •
Instrumentelle Logistikkonzeption: Diese Dimension beinhaltet das betriebswirtschaftlich-technologische
Instrumentarium, welches zur Durchführung logistischer Aufgaben eingesetzt wird. Neben der Entwicklung und Anwendung von Verfahren zur Planung, Steuerung und Koordination logistischer Prozesse oder Systeme befasst sich der instrumentelle Logistikansatz mit dem Einsatz und der Nutzung von Materialfluss-, Informations- und Kommunikationstechnologien. Funktionale Logistikkonzeption: Die funktionale Sichtweise betrachtet die Unternehmenslogistik als Aufgabenkomplex, der sich aus sämtlichen zur bedarfsgerechten Versorgung einer Unternehmung erforderlichen operativen, administrativen und dispositiven Aktivitäten zusammensetzt. Die Logistik tritt in dieser Betrachtung als eigenständiges funktionales Subsystem neben traditionellen Unternehmensfunktionen wie Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion und Vertrieb auf. Institutionelle Logistikkonzeption: Sie behandelt die Einordnung der Unternehmenslogistik in das Organisationssystem und die aufbauorganisatorische Strukturierung der Logistik. Obwohl die primär funktionsintegrierende Sichtweise der Logistik die Bildung eigenständiger organisatorischer Strukturen nicht präjudiziert, wird die Reorganisation bestehender Organisationsstrukturen als wesentliche Schlüsselgröße zur erfolgreichen Umsetzung der Logistikkonzeption angesehen. Durch die Bündelung von Aufgaben und Kompetenzen in selbstständigen Organisationseinheiten sollen die Voraussetzungen für eine ganzheitliche Optimierung der Material- und Informationsflüsse geschaffen werden. Managementorientierte Logistikkonzeption: Die managementorientierte Perspektive betrachtet die Unternehmenslogistik als Führungskonzept und stellt stra-
Abb. 2: Das Logistikverständnis im zeitlichen Ablauf strategisch Phase 4 Phase 3 Phase 2 Logistik als Management-Konzept Phase 1 Logistik als Unternehmensfunktion
Logistik als institutionelles Konzept
Instrumentelles Logistikverständnis 1985
operativ
1995
2008
Zeit
Horst Wildemann
tegische Gestaltungsaspekte in den Vordergrund. Die Logistik wird nicht als eine auf die Steuerung, Abwicklung und Überwachung von Material- und Informationsflussaktivitäten beschränkte Dienstleistungsfunktion angesehen, sondern als querschnittsorientierte Grundhaltung zur zeiteffizienten, kunden- und prozessorientierten Koordination von Wertschöpfungsaktivitäten. Das managementorientierte Logistikverständnis geht über den eigentlichen Logistikbereich hinaus. Dieses Verständnis impliziert logistisches Denken und Handeln in sämtlichen Unternehmenseinheiten und Hierarchiestufen. Die konzeptionellen Alternativen spiegeln nicht nur die in der Literatur anzutreffenden Abgrenzungen des Logistikbegriffs wider. Sie können auch als Stufen eines Entwicklungspfades verstanden werden. Während zu Beginn der Auseinandersetzung mit logistischen Phänomenen die Lösung von operativen Transport-, Versorgungs- sowie Distributionsproblemen im Vordergrund stand, traten mit zunehmendem Erkenntnisfortschritt aufgabenbezogene Gestaltungsaspekte in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei wurde deutlich, dass zur durchgängigen Umsetzung der Querschnittsfunktion Logistik eine institutionelle Aufwertung logistischer Aufgaben erforderlich ist. Als Weiterentwicklung des organisationsorientierten Logistikverständnisses kehrt die managementorientierte Logistikkonzeption den strukturoptimierenden Entwicklungstrend um, indem sie darauf abzielt, den institutionellen Einfluss der Logistik auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken, aber gleichzeitig fordert, dass sämtliche an der Wertschöpfung direkt oder indirekt beteiligten Prozesse nach logistischen Prinzipien ausgerichtet werden müssen, wenn ein Gesamtoptimum erreicht werden soll. Für diese These einer konzeptionellen Weiterentwicklung der Logistik sprechen außerdem die bei einzelnen Autoren im Zeitverlauf zu beobachtenden terminologischen Differenzierungen. So definierte Ihde (Ihde 1980) Logistik zunächst als „Sammelbegriff für alle ökonomischen Prozesse, die die räumliche und zeitliche Verteilung von Realgütern bestimmen, und zwar von Materialien und Produkten“, während er in einem späteren Stadium der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit logistischen Fragestellungen eine von einer Managementkonzeption geprägte Position einnimmt: „Die Logistik ist eine wissenschaftliche Denkhaltung, eine Führungskonzeption, die durch die übergreifende Betrachtung der gesamten unternehmerischen Wertschöpfungskette und – bei kon-
sequenter organisatorischer Umsetzung – die Zuständigkeit für alle damit verbundenen Güterbewegungen und -bestände gekennzeichnet ist“ (Ihde 1987).
Von Just-In-Time (JIT) zu Collaborative Planning, Forecasting & Replenishment (CPFR) Der zunehmende Konkurrenzdruck, steigende Kosten und die Forderung des Marktes nach Flexibilität zwangen die europäischen Unternehmen bereits zu Beginn der 80er Jahre zur Ausschöpfung vorhandener Rationalisierungsreserven. In der Ausgangssituation organisierten japanische Unternehmen ihre Produktion nach anderen Prinzipien als europäische Unternehmen, sodass das Just-In-Time (JIT)-Konzept zunächst analysiert und anschließend eine den europäischen Verhältnissen angepasste Konzeption entwickelt und in der Produktion vieler europäischer Unternehmen implementiert wurde. Später erfolgte die Ausweitung des Konzeptes über die Unternehmensgrenzen hinweg über den Bereich der Zulieferung bis hin zum Kunden über die gesamte unternehmensübergreifende Wertschöpfungskette. Im Zusammenhang mit einem managementorientierten Logistikverständnis wurden damit die JIT-Prinzipien über die gesamte Wertschöpfungskette angewandt. Die Umgestaltung der Produktion und Zulieferung nach JIT-Gesichtspunkten orientiert sich an vier Erkenntnissen (vgl. Wildemann 2005): •
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Erkenntnis 1: Bestände in der Produktion und im Fertigwarenlager stellen gespeicherte Kapazitäten dar. Kapazitäten sind nicht als Umlauf-, sondern als Anlagevermögen zu speichern. Dies erfordert eine Umschichtung in der Bilanzstruktur. Anzustreben ist eine Erweiterung des Anlagevermögens zugunsten des Umlaufvermögens mit dem Ziel kurzer Durchlaufzeiten und hoher Flexibilität. Zusätzliche Kapazitäten ermöglichen die Verringerung der zeitlichen Verzögerung zwischen auftretender Nachfrage und betrieblicher Reaktion. Erkenntnis 2: Bestände verdecken Fehler. Bestände verdecken in einer Produktion, die sich am Fließprinzip orientiert, störanfällige Prozesse, unabgestimmte Kapazitäten, mangelnde Flexibilität, Ausschuss und unzureichende Lieferbereitschaft. Bestandssenkungen machen diese Probleme transparent. Darüber hinaus entsteht der Zwang zur Lösung dieser Probleme. Dadurch wird eine permanente Rationalisierung des Produktionsgeschehens initiiert.
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Erkenntnis 3: Zur Beurteilung der Effizienz in der Fertigung sind neben Kosten und Produktivität die Durchlauf- und Wiederbeschaffungszeiten heranzuziehen. Kurze Durchlaufzeiten und kurze Wiederbeschaffungszeiten verringern den Prognosezeitraum, verbessern die Lieferfähigkeit und erlauben eine hohe mengenmäßige Flexibilität bei Marktänderungen. Die anzustrebende Durchlaufzeit muss sich an der Prognosesicherheit orientieren. Erkenntnis 4: Nicht Funktions-, sondern Flussoptimierung ermöglicht eine JIT-Produktion. Zielsetzung ist die Nutzung der Vorteile der Fließfertigung auch in der Losfertigung. Dies bedeutet eine Verkleinerung der Losgrößen bei gleichzeitiger Erhöhung der Wiederauflagehäufigkeit. Der ständige Wechsel der Produktion erfordert Rüstzeitminimierungsstrategien und Investitionen in eine flexible Produktionstechnik als Voraussetzung zur Erlangung einer Synchronisation der Kapazitäten. Kleinere Losgrößen mit geringem Bestand verlangen sichere Produktionsbedingungen. Daher sind Strategien zur Erhöhung der Qualitätssicherheit unbedingt erforderlich.
Just-In-Time ist eine Produktions- und Logistikstrategie. Unter der Forderung der Bedarfserfüllung zum richtigen Zeitpunkt, in richtiger Qualität und Menge am richtigen Ort erfolgt eine Neuorganisation des betrieblichen Ablaufs, die sich auf den Material- wie auch auf den Informationsfluss mit dem Ziel erstreckt, die Aktivitäten des Wertschöpfungsprozesses an engen Marktbedürfnissen auszurichten. Zur Implementierung einer JIT-Produktion und -Zulieferung ist eine ganzheitliche Betrachtung des Wertschöpfungsprozesses vom Rohstoff bis zum Kunden erforderlich. Der Materialfluss verläuft von den Zulieferunternehmen zu den Abnehmern. Der zur Koordination notwendige Informationsfluss verläuft entgegengerichtet und zeitlich vorgezogen vom Abnehmer zum Zulieferanten. Mitte der 90er Jahre wurden die JIT-Prinzipien auch auf die indirekten Bereiche übertragen. So zielt JIT in F&E und Konstruktion auf Zeiteinsparungen und Flexibilitätssteigerungen mit der Folge von Kostenreduzierungen und Qualitätsverbesserungen ab. Das Ergebnis intensiver Forschungsarbeiten unter Einbezug mehrerer Fallbeispiele führte zur Definition von fünf tragenden Gestaltungsprinzipien des Konzeptes Just-In-Time in F&E und Konstruktion zur Steigerung der Effizienz von Innovationsprozessen: • •
Vorverlagerung von Erkenntnisprozessen, Erhöhung des Anteils deterministischer Prozesse,
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Parallelisierung von Aktivitäten, Integration von Aktivitäten und Beschleunigen von Aktivitäten.
Ziel ist die (Vor-)Verlagerung von Erkenntnisprozessen vom Ende an den Anfang der Innovationskette. Ergebnis ist die Reduzierung der Änderungen und Schleifen im Ablauf, die teilweise bis zu 40 Prozent des gesamten Zeitanteils beinhalten. Das traditionelle Kapazitätsverteilungsprofil eines Entwicklungsprojektes hat einen progressiv zunehmenden Verlauf, der erst sehr spät einsetzt. Ursache dafür ist die sequenzielle Abarbeitung der verschiedenen Themen durch die verschiedenen Disziplinen. Das Konzept des Simultaneous oder Concurrent Engineering ermöglicht die Vorverlagerung dieser Informationsprozesse durch geeignete Abläufe, Strukturen und Methoden. Entwicklungsprozesse enthalten planbare, also deterministische, und nur mittelbar planbare, also stochastische Prozesse. Ziel muss es sein, die Planbarkeit der Prozesse und damit den deterministischen Anteil zu erhöhen. Die Determinierbarkeit wird maßgeblich von der Geschwindigkeit und Häufigkeit der Lernprozesse beeinflusst. Gelingt es, durch Installation kurzer Regelkreise die Zahl der Lernprozesse zu erhöhen, steigt die Frequenz und Qualität der Rückkoppelungen. Die Reduzierung der Informationsbearbeitungszeiten geht einher mit kurzen Informationsliegezeiten und führt zu einem Informationsgewinn je Zeiteinheit. Die dadurch verbesserte Planungsbasis führt zur Reduktion stochastischer Prozessanteile. Ein weiteres Prinzip ist die Parallelisierung von Aktivitäten. Diese Art der Vorgehensweise stellt die üblichen Sequenzen im Ablauf infrage. Die Parallelisierung von Aktivitäten ist nur bei voneinander unabhängigen Tätigkeiten möglich. Der Grad der Abhängigkeit wird von den relevanten Informationen und der personellen Verteilung determiniert. Drittes Prinzip ist die Zusammenfassung und Integration von Aktivitäten. Dieser auf eine Reduzierung der Arbeitsteilung abzielende Aspekt setzt bestimmte Qualifikationen bei den Mitarbeitern voraus; dabei sind insbesondere die Qualifikationen, die sich nicht auf bestimmte Tätigkeitsinhalte beziehen, sondern im Bereich der sozialen Kompetenz liegen, wie Verständnis für die Verflechtung der individuellen Leistungsprozesse, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sowie Lernfähigkeit und Lernbereitschaft von Bedeutung. Weiteres Prinzip zur Realisierung der JIT-Ideen in der Innovation ist die Beschleunigung von Aktivitäten durch
Horst Wildemann
Sachmittel und Tools. Ziel ist die Verkürzung der Ver- bzw. Bearbeitungszeiten. Besonders in der Entwicklung liegen in diesem Zusammenhang Potenziale, die durch den Einsatz neuer Technologien erschlossen werden können. Bisher relativ zeitkritische Aktivitäten wie das Erstellen von Zeichnungen, das Ändern sowie die Definition von Stücklisten können durch Einsatz geeigneter Tools wesentlich beschleunigt werden. Die Umsetzung der JIT-Prinzipien erfolgt durch das Bausteinkonzept Just-In-Time, bestehend aus der integrierten Informationsverarbeitung, Fertigungssegmentierung und produktionssynchronen Beschaffung (vgl. Wildemann 2001a). • Integrierte Informationsverarbeitung: Die an der Flussoptimierung orientierte kundennahe Produktion erfordert neue Planungs- und Steuerungskonzepte, die eine Vereinfachung der Informations- und Koordinationsaufgaben zum Ziel haben. Der für die Produktion notwendige Informationsfluss wird eng mit dem Materialfluss verknüpft und bewegt sich in entgegengesetzter Richtung. Es werden selbststeuernde Regelkreise gebildet. Dabei erfolgt eine Umkehrung der Bringschuld in eine Holpflicht durch die potenziellen Verbraucher. Der Auftrag zur Nachfertigung wird von der verbrauchenden an die produzierende Stelle gegeben. Die Einführung der Holpflicht erfordert eine detaillierte Planung der organisatorisch zu verbindenden Kapazitätseinheiten, eine Gestaltung dezentraler, im Fertigungsbereich angeordneter, physisch begrenzter Pufferlager, die Einhaltung von Verfahrensregeln durch den Mitarbeiter und einen flexiblen Personal- und Anlageneinsatz zur Anpassung an Beschäftigungsschwankungen. Die Implementierung des Holprinzips orientiert sich an einer Nachfrage-Angebots-Situation. Der Kunde fragt Teile „just in time“ nach, die Produktion und Zulieferung stellt dafür ein Kapazitätsangebot bereit. Hierdurch wird die zentrale Steuerung durch ein marktwirtschaftliches Prinzip ersetzt. Eine zentrale Kontrolle ist nur für die Überwachung des Gleichgewichtszustandes des gesamten Systems erforderlich. Eine detaillierte Ablaufregelung ist nicht mehr nötig. Das Kontrollkonzept nach dem Holprinzip prüft gleichermaßen alle Aspekte der Kundenbelieferung wie Mengen, Qualität und Zeit. Die Informationsverarbeitung des Just-In-Time-Konzeptes erfordert aus Gründen der Komplexität einen Methodenmix, der unterschiedliche Planungs- und Steuerungsmethoden kombiniert. • Fertigungssegmentierung: Die Realisierung einer kundennahen Produktion nach JIT-Prinzipien setzt Struk-
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turveränderungen im Wertschöpfungsprozess voraus. Die Strukturveränderungen im Sinne der Fertigungssegmentierung orientieren sich an den Merkmalen Marktund Zielausrichtung, Produktorientierung, mehrere Stufen der logistischen Kette eines Produkts in einer Organisationseinheit, Übertragung indirekter Funktionen in das Segment sowie Kostenverantwortung. Ziel der Fertigungssegmentierung ist die weitgehende Entflechtung der Kapazitäten. Dies lässt sich nicht durch Insellösungen, sondern nur durch eine ganzheitliche Betrachtung der logistischen Kette und deren bewusste Gliederung in organisatorische Einheiten nach Produkt und Technologie erreichen. Die produktionswirtschaftlichen Ziele wettbewerbsfähiger Kosten, Lieferzeit, Flexibilität und Qualität stehen dabei gleichrangig nebeneinander. Zur Flussoptimierung werden Techniken wie die Produktion von Tageslosgrößen, Reduzierung der Rüstzeiten und Verknüpfung der Operationen eingesetzt. Das Just-In-Time-Konzept beeinflusst wesentlich die Qualitätssicherung im Unternehmen. Durch unmittelbare Rückmeldung, die durch niedrige Bestände ausgelöst wird, Beschränkung auf Produktionsraten, die eine permanente Anlaufkontrolle benötigen, und die Möglichkeiten des Mitarbeiters zur direkten Problemlösung wird die Qualitätssicherung unterstützt (vgl. Wildemann 1998). Produktionssynchrone Beschaffung: Die produktionssynchrone Beschaffung nach Just-In-Time-Prinzipien beinhaltet mehrere Bausteine. Dazu zählen Teileauswahl, Lieferantenbewertung- und -auswahl, die Analyse des Informationsflusses zwischen Lieferant und Abnehmer und der einsetzbaren Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Qualitätssicherungs- und Speditionskonzepte. Zulieferunternehmen sichern ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch, dass sie Produkte kostengerecht und mit kurzen Lieferzeiten anbieten. Die Lieferzeit ist in der Regel geringer als die für die Leistungserstellung notwendige Herstellungszeit. Es ist jedoch ein Trend zu kürzeren Lieferfristen festzustellen. Der Abnehmer bestellt so spät wie möglich, um bei der Disposition die Unsicherheiten zu minimieren. Eine kurzfristige Lieferfähigkeit kann sich auch aus der Vorhaltung von Rohmaterial sowie Zwischen- und Fertigprodukten ergeben. Dieses Umlaufvermögen verursacht Kapitalbindungskosten. Die Einführung des Just-In-Time-Konzeptes ermöglicht durch bessere und schnellere Informationsübermittlung, Fertigung nur auf Kundenbedarf sowie die Implementierung des Holprinzips eine Senkung dieser Bestände. Die dafür nötige Prognosequalität orientiert
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sich an der Durchlaufzeit des Zulieferers. Durch eine partnerschaftliche Kundenbeziehung kann die hierfür erforderliche frühe Informationsbereitstellung gewährleistet werden. Bei der Auswahl der Zulieferunternehmen für eine produktionssynchrone Beschaffung werden nicht nur die Kriterien Preis, Qualität, Zuverlässigkeit und Service betrachtet, sondern auch ihre Anpassungsfähigkeit hinsichtlich gewünschter Anlieferungsfrequenz, exakter Termine und eines steigenden Qualitätsstandards berücksichtigt. Spezialisierte Zulieferunternehmen, welche die gesamte fremdvergebene Produktion abdecken und sich in räumlicher Nähe zum Abnehmer befinden, werden bevorzugt. Durch die Vergabe der Fertigung an ein Zulieferunternehmen entsteht ein Verhältnis beidseitiger Abhängigkeit, welches aber auch Vorteile für beide Partner aufweist. Größere Stückzahlen und eine längerfristige Kapazitätsauslastung erlauben dem Zulieferer die Realisierung von Kostendegressionseffekten und ermöglichen dem Abnehmer eine fast bestandslose Fertigung mit einer Konzentration auf die strategisch wichtigen Produktionsbereiche. Für den Abnehmer eröffnet sich die Möglichkeit einer Fertigungstiefenreduzierung und gleichzeitig die Nutzung neuester Technologie in den verbleibenden Bereichen des eigenen Unternehmens zur Akkumulation von Erfahrungen und zur Gewinnung weiterer Marktanteile.
Mitte der 90er Jahre wurde das Efficient Consumer Response-Konzept als erste Weiterentwicklung des JIT-Konzepts diskutiert (vgl. Abb. 3). Das ECR-Konzept basiert auf der erfolgreichen Kombination logistischer und marketingorientierter Ansätze (vgl. ECR 1997; Wildemann 2008). Voraussetzung zur Entwicklung eines leistungsfähigen Konzepts war der Aufbau eines effizienten Informationsmanagements. Ein wesentliches Anwendungsfeld für ein derartiges, auf der Zusammenarbeit von Logistik und Marketing beruhendes Konzept bot die Lebensmittel- und Non-Food-Konsumgüterwirtschaft, die durch weitgehend gesättigte, fragmentierte Märkte sowie zyklische Nachfrageschwankungen besonders hohe Anforderungen an diese beiden Disziplinen stellt. Ausgangssituation in diesen Branchen waren die bisher nur jeweils bei Hersteller- und Handelsunternehmen unternehmensintern durchgeführten Prozessoptimierungen, die gerade bei den gewaltigen diskontinuierlichen Materialflüssen zu erheblichen Ineffizienzen in den Distributionssystemen führten. Ein hoher Servicegrad konnte aufgrund der wachsenden Variantenvielfalt und dem kaum prognostizierbaren, stark schwankenden Nachfrageverhalten der Kunden nicht durch den Aufbau von Lagerbeständen erreicht werden. Es ergaben sich erhöhte Logistikkosten durch die überdimensionierten Lagerbestände bei weiterhin auftretenden Lieferengpässen aufgrund reali-
Abb. 3: ECR- und CPFR-Konzept als Weiterentwicklung des JIT-Konzepts
OEM
Händler
Formen der Zusammenarbeit
CRM Bedarf APS
Vorgaben, Anforderungen
ERP
Kundenspezif. Fertigung
Verbrauch Prognose Bestellung Lieferung
CPFR
Verbrauch Prognose POS Bestände
Abschätzung Bedarf „Auffüllen” Dokumentation, Performance
Efficient-Consumer-Response-Konzept schneller, papierloser Informationsfluss
Hersteller
Logistik
Handel
Konsument
Just-in-Time-Konzept JIT II
FS 1985
Warenversorgung
PB
Nachfrage
Minimierung der Kosten entlang Standortbezogene Maximierung der gesamten Versorgungskette der Filialleistung
1995
2008
II: Integrierte Informationsverarbeitung FS: Fertigungssegmentierung PB: Produktionssynchrone Beschaffung
Zeitachse
Horst Wildemann
tätsferner Prognosen und fehlender Informationsflüsse über die tatsächliche Kundennachfrage am Point of Sale. Außerdem führte der mangelhafte Informationsfluss und -austausch von Basisinformationen, Berichts- und Bewegungsdaten zwischen den Herstellerunternehmen als Produktspezialisten sowie den Handelsunternehmen als Servicespezialisten zu Ineffizienzen in Logistik- und Marketingprozessen. Der Ausgangspunkt des ECR-Konzepts liegt eindeutig in der Fokussierung aller Aktivitäten auf den Kunden, indem zunächst möglichst genau die Kundenerwartungen erfasst und anschließend die Nachfrage weitgehend befriedigt wird. Aus dieser marktnahen Gestaltung von Produkten und Leistungen sollen über eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit die entscheidenden Wettbewerbsvorteile resultieren. Damit die kundenorientierten Leistungssteigerungen jedoch nicht zu Lasten des Preises erfolgen, bleibt die effiziente und damit kostengünstige Prozessgestaltung ein wesentlicher Schwerpunkt des Konzepts. Als übergeordnete Zielsetzung verfolgt das Konzept die ganzheitliche Prozessoptimierung in kooperativen Distributionssystemen bei einer Steigerung der Umsätze und Erträge in den beteiligten Unternehmen. In der Logistik verfolgt das Konzept grundsätzlich eine Reorganisation des Distributionsprozesses von einem stark vergangenheitsbezogenen planorientierten BringPrinzip zu einem flexibel reagierenden, nachfragegesteuerten Hol-Prinzip, das sowohl zur Prozessgestaltung als auch zur Steuerung im operativen Geschäft Ansätze des Marketings kontinuierlich mit einbezieht. Diese Leitlinie spiegelt sich in mehreren spezifischen Methoden wider, die unter ECR-Gesichtspunkten alle relevanten Bereiche im Distributionsprozess abdecken. Die „kontinuierliche Nachschubsteuerung“ als Methode des Bestands- und Bestellmanagements verfolgt die Zielsetzung, durch eine strikte Orientierung der Nachschubversorgung an der tatsächlichen Kundennachfrage am Point of Sale die bisherigen losgrößenorientierten Bestellungen des Handels durch einen flexiblen und kontinuierlichen Nachschubprozess zu ersetzen. Um die Bestandssenkungen beim Handel als direkte Auswirkung der nachfragegesteuerten Belieferung nicht mit zusätzlichem Transportaufwand durch Erhöhung der Lieferfrequenzen bei kleineren Liefermengen zu erkaufen und das Versorgungsrisiko mit dem resultierenden Bestandsaufbau nicht einfach dem Hersteller zu übertragen, muss das Bestandsund Bestellmanagement auch vor dem Hintergrund eines Gesamtoptimums grundlegend umgestaltet werden. Bei der konsequenten Umsetzung erhält der Hersteller eine
möglichst durchgängige Verantwortung über den Versorgungsprozess und steuert selbstständig die Nachschubversorgung. Der Hersteller generiert auf Basis der aktuell verfügbaren Lagerbestandsdaten und Abgangsdaten der Distributionszentren und Filialen und mit Informationen des Marketing über Verkaufsprognosen und Verkaufsförderungsmaßnahmen die Bestellungen für die einzelnen Distributionsstufen sowie für seine Produktion. Er bestimmt damit über die Liefermengen und -termine die Prozessparameter im Distributionskanal. Die Verknüpfung von Logistik und Marketing in neuartigen prozessorientierten Organisationsformen führt zu signifikanten Effizienzsteigerungen. Bisher trennen Abteilungs- und Unternehmensgrenzen als funktionale historisch gewachsene Organisationsstrukturen aus Prozesssicht zusammengehörige Funktionen durch zahlreiche Schnittstellen. Diese Strukturen widersprechen wesentlichen Leitlinien moderner Managementansätze wie Prozessorientierung, eindeutige Verantwortung und wirkungsvolles Controlling. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, sind die Unternehmen zunehmend gezwungen, auch über branchenfremde neuartige Organisationsformen Prozessverbesserungen zu realisieren. Neben dem globalen Ansatz der Prozessorientierung bietet das ECR-Konzept eine wirksame Möglichkeit, auf die sich verändernden Marktbedingungen einzugehen. Das ECR-Konzept ermöglicht die Implementierung von JITPrinzipien über die gesamte Wertschöpfungskette. Es erweitert das JIT-Konzept um den Marketingaspekt und geht im strategischen Bereich über das JIT-Konzept hinaus. Eine erweiterte strategische Sichtweise geht nun mit dem seit Beginn des neuen Jahrtausends etablierten Collaborative Planning, Forecasting & Replenishment-(CPFR)Konzept einher (vgl. Stölzle 1999) (vgl. Abb. 4). Planning Collaboration (Collaborative Planning) (vgl. Dudek 2004) beinhaltet die lang- bis mittelfristige Planung der Wertschöpfungsaktivitäten. Dies betrifft insbesondere die Festlegung der allgemeinen Rahmenbedingungen der Kooperation und der Entwicklung eines gemeinsamen Geschäftsplanes unter Berücksichtigung der Geschäftsentwicklungsplanung der einzelnen an der Supply Chain beteiligten Unternehmen. Ziel ist neben der frühzeitigen grundsätzlichen Abstimmung der Verantwortlichkeiten die Herstellung einer qualitativen und quantitativen Planungsgrundlage, die insbesondere auch in die unternehmensspezifische Kosten-, Leistungs- und Investitionsplanung einfließt. Zumindest hinsichtlich der langfristigen Bedarfsprognosen geht die Phase der gemeinsamen Planung nahtlos
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in die Phase der gemeinsamen Prognose über (Collaborative Forecasting). Diese beinhaltet insbesondere die Erstellung und synchrone Aktualisierung der Verkaufsprognosen in unterschiedlichen Zeithorizonten unter Berücksichtigung von Besonderheiten, wie bspw. Promotions. Ohne eine zugrunde liegende Collaboration-Philosophie führen derartige Aktionen regelmäßig zu Engpässen in der Supply Chain. Die Collaboration im Rahmen der Prognose hat schwerpunktmäßig einen mittel- bis kurzfristigen Charakter. Zur Vermeidung von Engpässen in der Supply Chain ist neben dem Abgleich der Verkaufsprognosen insbesondere auch der unternehmensübergreifende Abgleich der zur Verfügung stehenden Kapazitäten unerlässlich. Im Rahmen der Collaboration bei der Planung der Kapazitäten erfolgt daher die Bestimmung des auf der Basis der zur Verfügung stehenden technischen und personellen Kapazitäten realisierbaren Outputs. Aufgabe der Collaboration bei der Bestandsplanung ist eine unternehmensübergreifend optimierte Planung der Bestände. Ziel ist die Realisierung einer hohen Effektivität im Sinne der Realisierung der geforderten Lieferfähigkeit und -qualität bei gleichzeitiger hoher Effizienz im Sinne einer bestandsarmen Sicherstellung der Marktanforderungen. Neben der Transparenz der Bestandssituation in der Supply Chain sind in diesem Zusammenhang insbesondere Kennzahlen für Bestandsgrößen sowie Bestandsanalysen und -kontrollen zu realisieren. Parameter wie bspw. Lagerhaltungskosten und -kapazitäten sowie Sicherheitsbestände sind hierbei zu beachten. Konzepte des Vendor Managed Inventory (VMI) und der Bestandskonsignation gewinnen zunehmend an Bedeutung. Im Rahmen der Collaboration bei der Auftragsabwicklung gilt es, die Zusammenarbeit bei aktuell abzuwickeln-
den Aufträgen zu optimieren. Neben dem Tracking und Tracing gewinnt dieser Aspekt mit zunehmender Kundenindividualisierung und unternehmensübergreifender Parallelisierung der Aktivitäten im Rahmen des Änderungsmanagements zunehmend an Gewicht. Ein wesentlicher Teilbereich der Collaboration bei der Auftragsabwicklung besteht damit in der friktionsfreien Integration von Produktänderungen während der Phase der Auftragsabwicklung. Schließlich dient die Collaboration bei der Planung von Transportkapazitäten der unternehmensübergreifenden Abstimmung der Transportkapazitäten auf der Basis der Planungs- und Forecasting-Vorgaben. Dabei steht die kostenoptimale und termingerechte Produktdistribution im Vordergrund der Betrachtungen. Im Rahmen der Collaboration bei der Planung von Transportkapazitäten sind insbesondere auch unerwartete Ereignisse, die bspw. zu Sonderfahrten führen, zu berücksichtigen. Dieser Teilaspekt zielt vor allem auf die Integration von Logistikdienstleistern in die Supply Chain.
Zusammenfassung und Ausblick Logistikmanagement steht heute im Spannungsfeld weltweiter und lokaler Märkte. Unternehmen sehen sich konfrontiert mit einem anhaltenden Preisdruck, steigenden Kundenerwartungen hinsichtlich Individualisierung, Komplexität und Lieferzeit des Produktes, der zunehmenden Konzentration auf Kernkompetenzen und der weiteren Globalisierung von Produktion und Beschaffung. Angesichts dieser Anforderungen befindet sich das Wissenschaftsfeld Logistikmanagement in einem Wandlungsprozess. Zusätzlich zur traditionellen Zielsetzung
C - Collaborative
strategisch
Abb. 4: Abgrenzung der Logistikkonzepte
vom CPFR-Konzept zusätzlich abgedeckter Bereich
P - Planning vom ECR-Konzept abgedeckter Bereich
C - Replenishment
operativ
C - Forecasting vom JIT-Konzept abgedeckter Bereich
Logistik
Marketing
Strategische Planung
Horst Wildemann
der effizienten Material- und Informationsflussgestaltung wird die Entwicklung und Verfügbarkeit zukunftssicherer Logistiksysteme immer mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor. Im Einklang mit dieser Entwicklung steht daher die Gestaltung und Steuerung vielstufiger, vernetzter Prozesse zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zunehmend im Mittelpunkt betriebswirtschaftlicher Untersuchungen, die nicht mehr auf einer funktions-, sondern auf einer managementorientierten Logistikkonzeption basieren. Durch die Anwendung von Konzepten und Instrumenten der Justin-Time- und der Collaborative Planning-, Forecasting & Replenishment-Ansätze hat sich die Logistik in Theorie und Wissenschaft unternehmensintern und dann -übergreifend kontinuierlich weiterentwickelt. Die zukünftigen Herausforderungen der Logistik werden ihrerseits durch einige wesentliche Entwicklungslinien bestimmt: Die weltweiten Verflechtungen von Beschaffung, Entwicklung, Produktion und Distribution werden weiter zunehmen. Technologietreiber für diese Entwicklung ist in erster Linie der zunehmende Einfluss der Informationsund Kommunikationstechnologien auf die Supply Chain. Stationäre Technologien werden dabei mit mobilen Technologien zunehmend verzahnt werden. IT-Architekturen und IT-Applikationen werden sich durch verbesserte Portabilität und Interoperabilität auszeichnen. Webbasierte Informationstechnologien in Zusammenhang mit der RFID-Technologie werden noch stärker eine Real-time-Verfügbarkeit von Informationen und Wissen sowie Transparenz in der Supply Chain ermöglichen. ITTechnologien haben nicht nur entscheidende Wirkungen auf die bereits bekannten Erfolgsfaktoren Kosten, Reaktionsgeschwindigkeit oder Kundenservice, sondern stellen darüber hinaus neue, kollaborative Verbindungen zwischen Zulieferern und Abnehmern her. Die Wirtschaftsräume der Welt werden sich neu gruppieren, wie das Aufkommen neuer Niedriglohnländer sowie die Diskussion um den osteuropäischen Wirtschaftsraum zeigen. Der sich verschärfende internationale Kostenwettbewerb erfordert ein Ausschöpfen des Innovations- und Servicepotenzials seitens der Unternehmen. Der kollaborative Ansatz in der Logistik ist für die organisatorische Weiterentwicklung der Unternehmen zu nutzen. Der wirtschaftliche und technische Wandel wird schneller. Neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle werden entstehen. Das kollaborative LogistikManagement verbindet dabei die digitalen Fantasien der new economy mit den realen Werten der old economy. Am Ende jedes Geschäftsvorgangs steht nach wie vor die
Sicherstellung einer schnellen und pünktlichen Lieferung, welche zum Wettbewerbserfolg von Unternehmen nachhaltig beitragen wird. Die Bewertung des Nutzens der Logistik hat sich bislang auf quantitative Aspekte erstreckt. Es ist daher zukünftig Gegenstand der Logistikforschung zu analysieren, wie groß die Zahlungsbereitschaft der Kunden für die jeweilige Logistikleistung ist. Hier können Anleihen zur Conjoint-Analyse getätigt werden. Weiterhin ist zu diskutieren, ob auch qualitative Aspekte wie die Steigerung des Vertrauens und die Verbesserung der Transparenz in der Supply Chain zu bewerten und deren Kosten sowie Nutzen zwischen den Akteuren aufzuteilen sind. Insgesamt wird die kontinuierliche Weiterentwicklung und Professionalisierung der Logistik, insbesondere unter Berücksichtigung der zukünftigen Trends, zu einer Wertsteigerung für Unternehmen führen. Dabei wird ein zweifacher Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswerts angestrebt. Die erfolgreiche Rationalisierung logistischer Prozesse äußert sich in verbesserten Kunden-Lieferanten-Beziehungen, reduzierten Beständen, verkürzten Durchlaufzeiten, erhöhter Produktivität und verbesserter Qualität und wirkt so positiv auf Kostenstrukturen ein. Andererseits erweitert ein hohes logistisches Leistungsniveau die Basis für die Generierung von Umsatzerlösen und sichert sie nachhaltig ab. In diesem Zusammenhang zielt Logistikmanagement auf die Optimierung von kaufentscheidenden Faktoren wie Lieferflexibilität, Servicequalität oder Lieferzuverlässigkeit. Durch diese doppelte Wirkung auf das Unternehmensergebnis steigt die Logistik zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensführung auf. Literaturverzeichnis Baumgarten, H./Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik – Supply Chains im Wandel, Berlin Baumgarten, H./Zadek, H./Darkow, I.-L. (Hrsg.) (2004) Supply Chain Steuerung und Services. Logistik-Dienstleister managen globale Netzwerke – Best Practices, Berlin Delfmann, W. (2003) Erfolgreiche Logistikstrategien, TCW-report, München Delfmann, W./Reihlen, M. (Hrsg.) (2003) Controlling von Logistikprozessen, Analyse logistischer Kosten und Leistungen, Stuttgart Dudek, G. (2004) Collaborative Planning in Supply Chains, Berlin ECR Europe (Hrsg.) (1997) Effi cient Consumer Response, eine Einführung, Utrecht Göpfert, I. (2000) Logistik der Zukunft, 2. Aufl., Wiesbaden Klaus, P. (2002) Die dritte Bedeutung der Logistik. Beiträge zur Evolution logistischen Denkens, Hamburg Ihde, G.B. (1987) Stand und Entwicklung der Logistik, in: DBW, 47 (1987) 6, S. 703–716 Pfohl, H.Ch. (2004) Logistikmanagement, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg Stölzle, W. (1999) Industrial Relationships, Oldenbourg
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Weber, J./Dehler, M. (2001) Der Einfluss der Logistik auf den Unternehmenserfolg, WHU-Forschungspapier Nr. 79, Vallendar Wiendahl, H.-P. (1998) Engpaßorientierte Logistikanalyse, TCWreport, München Wildemann, H. (1998) Die modulare Fabrik, Kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentierung, 5. Aufl., München Wildemann, H. (2001a) Das Just in Time Konzept, 5. Aufl., München Wildemann, H. (2001b) Supply Chain Management mit E-Technologien, in: ZfB-Sonderheft 3/2001, S. 1–20
Wildemann, H. (2003) Supply Chain Management, TCW-report, München Wildemann, H. (2004a) Bewertung logistischer Leistungen in der Supply Chain, München Wildemann, H. (2004b) Betreibermodelle – Eine neue OutsourcingStrategie? (109 S.), TCW-report Nr. 50, München Wildemann, H. (2005) Logistik-Prozessmanagement, 3 Aufl., München Wildemann, H. (2008) Betreibermodelle, Leitfaden zur Konzipierung, Berechnung und Einführung von Betreibermodellen, 7. Aufl., München
Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft
Joachim Zentes Professor und Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing (H.I.MA.) Geschäftsführender Direktor des Europa-Instituts, Sektion Wirtschaftswissenschaft, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Univ.-Prof. Dr. Joachim Zentes Jahrgang 1947 Zentes ist seit 1991 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Außenhandel und Internationales Management, der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Zugleich ist er Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing (H.I.MA.) und Geschäftsführender Direktor der Sektion Wirtschaftswissenschaft des Europa-Instituts der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften „Marketing – Zeitschrift für Forschung und Praxis“ und „Marketing – Journal of Research and Management“ sowie Mitglied in mehreren Aufsichts-, Verwaltungs- bzw. Beiräten im In- und Ausland.
Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft Joachim Zentes
Logistikführerschaft als strategische Stoßrichtung des Handels Die zunehmend kompetitiver werdende Wettbewerbsarena, in welcher der Handel – hier vorrangig mit Blick auf die Konsumgüterwirtschaft – agiert, führt dazu, dass Handelsunternehmen sich nicht nur in einem horizontalen Sinne gegenüber ihren Wettbewerbern positionieren und profilieren, sondern auch ihre Rolle in der vertikalen Wertschöpfungskette neu definieren müssen. In den vertikalen Wertschöpfungsbeziehungen hat der Handel über viele Jahre eher eine passive Rolle eingenommen (Zentes 2006). Aus dieser passiven Position als „verlängerter Arm“ der Industrie hat sich der Handel herausbewegt. In diesem Kontext steht die eigenständige Profilierung am Markt mit einem eigenständigen Retail-Branding im Vordergrund. Handelsunternehmen verfolgen damit ein ganzheitliches Marketingkonzept, das mit einem eigenständigen kommunikativen Auftritt auf dem Markt verbunden ist (Schramm-Klein 2007, S. 465). Der Handel strebt aber nicht nur im Marketing nach Wertschöpfungsdominanz, sondern auch in der Logistik ist dies für ihn ein wichtiges Ziel. Diese Zielsetzung steht in engem Zusammenhang mit der im horizontalen Wettbewerb angestrebten Wettbewerbsposition als Kostenund/oder Qualitätsführer (siehe Abb. 1). Dabei spielen Zielsetzungen wie Kosten- und Effizienzorientierung sowie Vermeidung von Regallücken am Pointof-Sale („Out-of-Stocks“) eine besondere Rolle. Um diese
Ziele zu realisieren, strebt der Handel zunehmend danach, logistische Aktivitäten selbst zu übernehmen oder zu steuern. Diese Rückwärtsintegration, die z. B. anhand der Errichtung von Zentrallagern, Warenverteilzentren oder Cross-Docking-Systemen erfolgt, wird von der zunehmenden Professionalisierung der logistischen Aktivitäten im Sinne eines Strebens nach „Logistikexzellenz“ begleitet (Schramm-Klein 2007, S. 465). Abbildung 2 zeigt in schematisierter Form die aufgezeigten Tendenzen der Vertikalisierung des Handels. Die aufgezeigten Tendenzen, die als strategischer „Mainstream“ betrachtet werden und sich insbesondere im Food- und Near-Food-Handel zeigen, schließen nicht aus, dass auch „Gegenbewegungen“ in anderen Handelsbranchen festzustellen sind, so in der FashionBranche, die durch ein herstellergetriebenes Supply Chain Management charakterisiert ist (Janz 2007, Janz und Swoboda 2007).
Ansätze zur Wertschöpfungsdominanz in der Logistik Überblick
Die Hauptzielsetzungen der Optimierung der logistischen Prozesse im Handel liegen in zwei wesentlichen Bereichen.
Abb. 1: Wettbewerbsstrategische Ausrichtung des Handels
Logistikführerschaft
Kostenführerschaft
Handel
Marketingführerschaft Quelle: Hertel et al. 2005, S. 16.
Qualitätsführerschaft
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Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft
Das erste Zielbündel ist ausgerichtet auf die Effizienz logistischer Prozessabläufe. Dabei stehen v. a. Aspekte der Kostenreduzierung im Vordergrund. Die Realisierung optimaler Logistiklösungen zielt dabei nicht auf die Erreichung von Flexibilität, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit in der Supply Chain, sondern sie dient auch der Implementierung möglichst einfacher Lösungen zur Erreichung niedriger Bestände, niedriger Transport- und niedriger Kommissionierkosten (Schramm-Klein 2007, S. 468). Der zweite Komplex logistischer Zielsetzungen ist nicht unabhängig von diesen in erster Linie auf Kostenreduktionen ausgerichteten Ansätzen zu sehen: Hier steht die Erreichung einer hohen Kundenzufriedenheit im Vordergrund. In diesem Zusammenhang hat die Logistik die Aufgabe, die Kundennachfrage zu erfüllen. Sie muss dafür Sorge tragen, dass die von den Kunden nachgefragten Produkte auch in den Regalen der Verkaufsstellen des Handels verfügbar sind. Neben generellen Bestandsreduzierungen und der Vermeidung von Überbeständen ist v. a. die Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen eines der Hauptziele (Schramm-Klein 2007, S. 468). Ansatzpunkte der Logistikoptimierung sind die Beschaffungslogistik, die Distributionslogistik – einschließlich der Filiallogistik im stationären Handel und der „Logistik der letzten Meile“ im Versandhandel/E-Commerce – sowie die Retrodistributionslogistik. Mit Retrodistributionslogistik sind die Prozesse der Rückführung angesprochen, neben der Entsorgungslogistik in erster Linie Einwegoder Mehrweg-Pfandsysteme sowie Warenretouren, die im Versandhandel/E-Commerce von großer Bedeutung sind.
Die folgenden Ausführungen fokussieren auf die Beschaffungs- und die Distributionslogistik (siehe Abb. 3), wenngleich auch im Bereich der Retrodistributionslogistik in den letzten Jahren herausragende innovative Lösungen erstellt und implementiert wurden, so im Versandhandel (Witten und Karies 2003). Im Rahmen der strategischen Überlegungen zur Logistikoptimierung stellt sich als „Querschnittsdimension“ zugleich die Frage eines etwaigen Outsourcing logistischer Prozesse zur Effizienzsteigerung. So kann – wie im Folgenden aufgezeigt wird – das Streben nach Logistikführerschaft einhergehen mit dem Outsourcing des „operativen Fulfillment“ (z. B. der Lager- und/oder der Transportprozesse) an Logistik-Dienstleister: Die Steuerung der logistischen Prozesse bleibt dagegen ein Kernbestandteil der handelsbetrieblichen Wertschöpfung. Zwischen den polaren strategischen Ausrichtungen des „make“ oder „buy“ zeichnet sich zunehmend eine dritte Option ab, die der kooperativen Realisierung logistischer Aktivitäten bzw. Prozesse im Rahmen strategischer Allianzen. Auch auf diesen innovativen Aspekt wird im Folgenden kurz eingegangen. Ansatzbereiche der Logistikoptimierung Beschaffungslogistik
Die Beschaffungslogistik steht am Anfang der SupplyChain des Handels und bezieht sich auf die physische Versorgung mit Waren. Bedeutende Ansätze zur verstärkten Übernahme von Aufgaben im Rahmen der Beschaffungslogistik stellen die bereits vielfach implementierten Zentrallagerkonzepte des Handels dar. Sie haben dazu geführt,
Abb. 2: Vertikalisierung des Handels Forschung und Entwicklung Produktion Beschaffungslogistik Lagerhaltung Distributionslogistik PoS-Marketing Sortimentspolitik früher Handelsdominanz Industriedominanz Quelle: Zentes und Schramm-Klein 2004, S. 1701
heute/zukünftig
Joachim Zentes
dass der Handel der Industrie einen Teil der logistischen Versorgungsfunktion bzw. Wertschöpfungsfunktion abgenommen hat. In den Zentrallagern des Handels erfolgt eine Bündelung der Lieferungen unterschiedlicher Hersteller an die Filialen bzw. Outlets (siehe Abb. 4). Bei diesen Konzepten verbleibt die Primärlogistik , d. h. der Warenfluss vom Hersteller zum Zentrallager des Handels, weiterhin in der Verantwortung der Industrie, und die Sekundärlogistik , d. h. die Belieferung der Filialen des Handels, wird durch den Handel koordiniert. Unter den Gesichtspunkten der Lagerbestandsreduktion und der Prozessoptimierung – letztlich dem Just-intime-Gedanken folgend – wandeln sich die Zentrallager zunehmend zu „bestandsarmen“ oder gar „bestandslosen“ Warenverteilzentren (oftmals auch als Transit-Terminals bezeichnet) oder zu Cross-Docking-Plattformen. In CrossDocking-Systemen übernimmt der Hersteller bzw. der Lieferant (z. B. ein Großhändler) die filialspezifische Kommissionierung der Behälter (z. B. Rollcontainer oder Paletten), was dann eine Bündelung der vorkommissionierten Ware mehrerer Hersteller/Lieferanten auf diesen Plattformen und die Weiterleitung an die Verkaufsstellen ermöglicht (vgl. hierzu Hertel et al. 2005, S. 128 ff.). An den Vorteilen, die sich durch die Konsolidierung im Rahmen der Sekundärlogistik für den Handel ergeben, setzen die Konzepte der „Selbstabholung“ der Ware beim Hersteller durch den Handel an. Sie gehen von der Frage aus, warum nicht bereits auf der ersten Stufe eine Bündelung unter Koordination des Handels erfolgen soll, also eine Bündelung der Warenströme ab der Herstellerrampe (Schramm-Klein 2007, Prümper et al. 2006, Bretzke 1999).
Die Selbstabholung des Handels führt zugleich – wie bereits auch die Zentrallagerkonzepte – zu veränderten Preis- bzw. Konditionensystemen: Factory-Gate-Pricing ist die preispolitische Konsequenz (Zentes et al. 2007b) (siehe Abb. 5). Distributionslogistik Instore-Logistik Die Distributionslogistik umfasst alle logistischen Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Verteilung der Ware an die Kunden stehen (siehe Abb. 3). Im stationären Handel kommt in diesem Kontext der Instore-Logistik oder der Filiallogistik eine besonders hohe Bedeutung zu, weil i. d. R. die in Verkaufsstellen verfügbaren Flächen mit den höchsten Raumkosten belastet sind. Häufig finden sich in den Verkaufsstellen auch die wichtigsten Quellen für Out-of-Stocks. Daher stehen Ansätze zur Optimierung der Regalpflege oder zur Reduktion von Warenhandlingsprozessen in den Verkaufsstellen im Vordergrund der Instorebzw. Filiallogistik. Optimierungspotenziale der Filialprozesse bestehen nicht nur in den Filialen selbst, sondern sie setzen bereits auf den Vorstufen der Filialbelieferung an. Die Basis der Filialbelieferung bilden meist spezielle Ladungsträger wie z. B. Rollcontainer, auf denen die Artikel angeliefert und die dann im Laden auf bzw. in die entsprechenden Warenträger (z. B. Regale, Kühltheken, Kleiderständer) einsortiert werden. Um die Prozesse der Warenträgerbefüllung in den Filialen zu optimieren, werden auf den Vorstufen (z. B. in den Zentrallagern des Handels) spezifische Verfahren zur filialgerechten Kommissionierung der
Abb. 3: Ansatzbereiche der Logistikoptimierung im Handel Die „letzte Meile“
Lieferant
Handel
Filiale Filiallogistik
Beschaffungslogistik
Distributionslogistik
Konsumenten
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Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft
Ware eingesetzt. Dabei erfolgt die Kommissionierung z. B. in die Rollcontainer nicht entsprechend des Layouts des Zentrallagers, sondern entsprechend des Layouts der zu beliefernden Verkaufsstelle (Roll-Cage-Sequencing). Ein weiterer Optimierungsansatz in der Instore-Logistik, der ebenfalls auf den Vorstufen ansetzt, stellt Shelf Ready Packaging (SRP) dar. Hiermit sind regalgerechte Verpackungen bzw. Umverpackungen der Ware gemeint, welche die Prozesse der Verräumung in den Verkaufsstellen beschleunigen. Im weiteren Sinne können auch die neueren Konzepte des Supply Chain Managements (SCM), wie bspw. Continuous Replenishment (CR) als Ansatzpunkte zur Optimierung der Instore-Logistik, so durch automatische Nachschubversorgung zur Bestandsreduzierung und Vermeidung von Out-of-Stocks, betrachtet werden. Sie werden jedoch hier nicht näher beleuchtet, da in diesem Beitrag die „physischen“ Prozesse der Logistik (Physical Distribution) im Mittelpunkt stehen, nicht dagegen die informatorischen Prozesse bzw. darauf basierende SCM-Konzepte (vgl. hierzu Hertel et al. 2005, Zentes et al. 2007b). Distributionskonzepte im E-Commerce Die zunehmende Bedeutung des E-Commerce im Businessto-Consumer-Bereich („B2C“), so in Form des InternetShopping oder des TV-Shopping, bringen für die neuen Player in diesem Markt das zentrale Problem des logistischen und administrativen Fulfillments mit sich. Während
der traditionelle Versandhandel – letztlich die „Urform“ des Distanzhandels – diese Prozesse (einschl. des Retourenhandlings) seit vielen Jahren in der Regel professionell beherrscht, so über die Einschaltung von KEP-Diensten oder einen eigenen Lieferservice, erproben die neuen Player, „pure player“ wie auch etablierte Unternehmen in Multi-Channel-Konzepten, unterschiedliche Formen. Neben der naheliegenden Einschaltung von Logistik-Dienstleistern wie KEP-Unternehmen werden der Aufbau von Pick-up-Stationen wie auch die Implementierung eigener Lieferdienste „für die letzte Meile“ getestet. Beispielhaft können die Food-Lieferservices des britischen Marktführers Tesco und das System Coop@home in der Schweiz herausgestellt werden. Wesentliche Merkmale des Lieferservice der Coop (CH) sind: • •
•
•
•
•
Sortiment eines normalen Supermarktes heute bestellt, heute geliefert (vormittags bestellt, abends geliefert) Lieferung in festen, wählbaren Zeitfenstern (Liefertoleranz: +/- 30 Minuten) Lieferung durch Coop-Mitarbeiter bis an die Wohnungstür Zahlungsmöglichkeit online oder beim Ausliefer-Mitarbeiter Retourenhandling (z. B. Leergut, Verpackungen) durch Mitarbeiter.
Abb. 4: Zentrallagersysteme – Bündelung der Warenströme
Lieferant A Filiale I Lieferant B
Filiale II
Lieferant C
Filiale III ZENTRALLAGER
Lieferant D
Filiale IV
Lieferant E
Filiale V
Lieferant ....
Filiale ...
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Outsourcing und Kooperation als Ansatzpunkte zur Logistikoptimierung
Die Übernahme der Systemführerschaft durch den Handel, mit der im Übrigen der Logistik im Handel auch unternehmensintern eine neue Rolle zukommt (Prümper et al. 2006, Kolodziej 2006), ist – wie bereits erwähnt – nicht gleichzusetzen mit der vollständigen Durchführung aller logistischen Prozesse durch den Handel selbst. Zunehmend lagern Handelsunternehmen „klassische“ Logistikaktivitäten wie Transport-, Lager- und Umschlagsprozesse an logistische Dienstleister aus (Baumgarten und Thoms 2002). Dieses Outsourcing führt dazu, dass der Handel letztlich die Logistik in einem strategischen Sinne steuert. Handelsunternehmen, die dieser Tendenz folgen, entwickeln sich damit immer stärker in Richtung eines „Fourth Party Logistics Providers“ (4PL), der in erster Linie die Steuerung der Supply Chain übernimmt. Immer häufiger werden die Logistikaufgaben der Handelsunternehmen, so bei Unternehmen mit mehreren Vertriebslinien, in eigenen Querschnittsgesellschaften im Sinne von Shared Services gebündelt (Prümper 2003). Diese „Internal 4PL“ übernehmen auch Steuerungsaufgaben in der Logistik für externe Handelskunden. Dies ist zugleich ein Ansatzpunkt für kooperative Arrangements im Rahmen der Logistik (Zentes et al. 2007b).
Optimierungspotenziale moderner Informations- und Kommunikationstechnologien Die Optimierung der Logistikprozesse erfordert eine umfassende Unterstützung durch Support-Systeme. Im
Vordergrund stehen dabei in erster Linie Informationssysteme, die den mit dem Warenfluss verbundenen Informationsfluss optimal steuern. Hiermit ist zugleich der Aspekt der Standardisierung angesprochen. „Hersteller-, handels- und anwendungsübergreifende Standards bilden die notwendige Voraussetzung des Waren- und Datenaustauschs zwischen den Partnern in der Supply-Chain“ (Schramm-Klein 2007, S. 480). Standards dieser Art haben in der Konsumgüterwirtschaft eine lange Tradition. Zu erwähnen ist in diesem Kontext der EAN-Barcode, der vor 30 Jahren den Handel „revolutioniert“ hat: „Am 1. Juli 1977 erteilte die Deutsche Landesgesellschaft CCG, heute GS 1, den Startschuss für den ersten elektronisch gescannten Artikel: eine Gewürzmischung der Firma Gebrüder Wichartz aus Wuppertal“ (Dachser aktuell, 3/2007, S. 4). Heute stehen wiederum Kommunikationsstandards zum Datenaustausch zwischen Unternehmen in der Wertschöpfungskette in der Diskussion. Sie beziehen sich auf die neuen Technologien auf Radiofrequenzbasis (RFID). Gerade die RFID-Technologie eröffnet jedoch nicht nur neue warenbezogene Informations- und Kommunikationssysteme, so Systeme der integrativen Warenrückverfolgung (Biesiada et al. 2007), sondern auch neue Formen der Automatisierung logistischer Prozesse, so u. a. durch Pulkerfassung (vgl. hierzu Schramm-Klein 2007). Wie auch beim EAN-Barcode, der heute eine breite Anwendung nicht nur in der Handelslogistik, sondern generell in der Logistik gefunden hat, verläuft die Akzeptanz bzw. die Diffusion von RFID zunächst „schleppend“. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass die heutige Verbreitung von EAN und die zwischenzeitlich erreichten
Abb. 5: Selbstabholung des Handels Lieferanten-Logistik
Handelsgetriebene Beschaffungslogistik
Lieferant
Filiale
Lieferant
Filiale
Lieferant
Filiale
Lieferant
System-Dienstleister
Handels-Zentrallager
Filiale
Lieferant
Filiale
Lieferant
Filiale
Lieferant
Filiale
Quelle: in Anlehnung an Bretzke 1999, S. 90.
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Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft
organisatorisch-prozessualen Möglichkeiten, so mit EAN 128, weitreichende Effizienzverbesserungen erbracht haben. Der Grenznutzen, den RFID-Anwendungen ermöglichen, rechtfertigt für viele Handelsunternehmen (noch) nicht die erheblichen Investitionen, die zugleich risikobehaftet sind, da ständig technologische Verbesserungen erfolgen. Die größten Potenziale von RFID sehen Handelsunternehmen gegenwärtig eher im Marketingbereich. Ihre Ausschöpfung setzt jedoch die Verfügbarkeit der Tags auf den Produkten voraus, und nicht nur auf Umverpackungen und Behältern, was sich heute jedoch noch nicht „rechnet“.
Global Sourcing, Corporate Social Responsibility und neue Wertschöpfungsarchitekturen als Herausforderungen an die Handelslogistik Wenngleich der Handel – wie aufgezeigt – in den letzten Jahren/Dekaden eine Vielzahl technologischer, konzeptioneller und organisatorischer Innovationen in der Logistik hervorgebracht hat, steht er vor fundamentalen Herausforderungen mit Blick auf die Zukunft. So nimmt nicht nur das ausländische Beschaffungsvolumen im Rahmen der Globalisierung absolut und relativ zu, der Handel verstärkt zugleich in beachtlichem Ausmaß seine ausländischen Direktbezüge (Zentes et al. 2007a). Dieses Direct Sourcing „verlängert“ die Supply-Chain in einem geografischen Sinne. So steuert der Handel den Warenfluss künftig von den ausländischen Produktionsstätten bis in die Verkaufsstellen. Zugleich ist sich die Handelslogistik – wie die Logistik generell – zunehmend der gesellschaftlichen, im engeren Sinne ökologischen Verantwortung bewusst, so im Hinblick auf den Klimaschutz. Nachhaltige Logistik erfordert dann auch ein Überdenken der gegenwärtigen Systeme, was zu verstärkter Bildung von strategischen Allianzen in der Logistik führen kann und damit die Tendenz hin zu Coopetition, d. h. Wettbewerb und Kooperation fördert (Magin et al. 2005). Gleichermaßen zeichnen sich im Handel neue weitreichende Veränderungen der Wertschöpfungsarchitekturen ab, die logistische Konsequenzen mit sich bringen. So entwickeln sich Handelsunternehmen im Zuge der aufgezeigten strategischen Orientierung der Vertikalisierung von dem Wertschöpfungsmuster des passiven „Buyer“ hin zu einem aktiven „Coordinator“, der nicht nur eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in seine Wertschöpfungskette integriert, sondern auch die F&E-Prozesse, die Beschaffung und selbst die Produktion seiner Lieferanten im Rahmen seines Innovations- und Qualitäts-
managements steuert, so im Zusammenhang mit der Entwicklung und (Kontrakt-)Produktion von Eigenmarken. Verknüpft man die up-stream-orientierten Aktivitäten mit den vielfältigen down-stream-orientierten Aktivitäten, so der Filialisierung und dem Franchising auf der Verkaufsebene oder dem Angebot logistischer Dienstleistungen für andere Handelsunternehmen, selbst für Wettbewerber, so entwickeln sich Handelsunternehmen zu fokalen Unternehmen in komplexen Netzwerkstrukturen, d. h. zu „Value-Net-Integrators“ (Zentes und Pocsay 2007). Literaturverzeichnis Aden, D. (2007) Outsourcing der Logistik als strategische Option: Tchibo/BLG, in: Zentes, J. (Hrsg.) Faszination Handel – 50 Jahre Saarbrücker Handelsforschung, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M., S. 533–546. Baumgarten, H., Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik, Berlin. Biesiada, H., Lehnert, M., Domma, P. (2007) Integrative Warenrückverfolgung – Entwicklungstreiber und Ansätze zur transparenten Supply-Chain, in: Zentes, J. (Hrsg.) Faszination Handel – 50 Jahre Saarbrücker Handelsforschung, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M., S. 489–505. Bretzke, W. R. (1999) Industrie- versus Handelslogistik: Der Kampf um die Systemführerschaft, in: Logistik Management, Nr. 2, 1999, S. 81–95. Hertel, J., Zentes, J., Schramm-Klein, H. (2005) Supply-Chain-Management und Warenwirtschaftssysteme im Handel, Springer, Berlin, Heidelberg, New York. Janz, M. (2007) Vertikales Supply-Chain-Management in der FashionBranche, in: Zentes, J. (Hrsg.) Faszination Handel – 50 Jahre Saarbrücker Handelsforschung, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M., S. 507–532. Janz, M., Swoboda, B. (2007) Vertikales Retail-Management in der Fashion-Branche, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M. Kolodziej, M. J. (2006) Logistik im Kontext händlerischer Leistung, in: Zentes, J. (Hrsg.) Handbuch Handel, Gabler, Wiesbaden, S. 795–807. Magin, V., Heil, O. P., Fürst, R. A. (2005) Kooperationen und Coopetition: Erklärungsperspektive der Spieltheorie, in: Zentes, J., Swoboda, B., Morschett, D. (Hrsg.) Kooperationen, Allianzen und Netzwerke, 2. Aufl., Gabler, Wiesbaden, S. 121–140. Morschett, D. (2006) Retail Branding – Strategischer Rahmen für das Handelsmarketing, in: Zentes, J. (Hrsg.) Handbuch Handel, Gabler, Wiesbaden, S. 525–546. Prümper, W. (2003) Ganzheitliche Handelslogistik am Beispiel METRO – Innovation durch einen „Internal 4PL“, in: Baumgarten, H., Wiendahl, H.-P., Zentes, J. (Hrsg.) Logistik-Management, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Kap. 8.06.02. Prümper, W., Pohl, J., Thoms, J. (2006) Beschaffungslogistik im Handel, in: Zentes, J. (Hrsg.) Handbuch Handel, Gabler, Wiesbaden, S. 809–825. Schramm-Klein, H. (2007) Logistikführerschaft und Logistikoptimierung als strategische Stoßrichtungen des Handels, in: Zentes, J. (Hrsg.) Faszination Handel – 50 Jahre Saarbrücker Handelsforschung, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M., S. 463–488. Witten, R., Karies, R. (2003) Retourenmanagement im Distanzhandel, in: Baumgarten, H., Becker, J., Wiendahl, H.-P., Zentes, J. (Hrsg.) Logistik-Management, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Kap. 8.05.01.01. Zentes, J. (2006) Dynamik des Handels – Perspektiven und Zukunftsstrategien, in: Zentes, J. (Hrsg.) Handbuch Handel, Gabler, Wiesbaden, S. 3–22.
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Zentes, J. (2007) Faszination Handel – Retrospektiven und Perspektiven, in: Zentes, J. (Hrsg.) Faszination Handel – 50 Jahre Saarbrücker Handelsforschung, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M., S. 25–53. Zentes, J., Pocsay, S. (2007) Großhandel 2.0: Auf dem Weg zum Value-Net-Integrator, in: Marketing- und Management-Transfer, Oktober 2007, S. 26–34. Zentes, J., Schramm-Klein, H. (2004) Bedeutung der Markenführung
im vertikalen Marketing, in: Bruhn, M. (Hrsg.) Handbuch Markenführung, Bd. 6, Gabler, Wiesbaden, S. 1679–1705. Zentes, J., Hilt, C., Domma, P. (2007a) Global Sourcing im Einzelhandel, HandelsMonitor Spezial, Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M. Zentes, J., Morschett, D., Schramm-Klein, H. (2007b) Strategic Retail Management, Gabler, Wiesbaden.
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Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie
Ernst-Hermann Krog Leiter der Markenlogistik der Audi AG Katsiaryna Statkevich Doktorandin in der Abteilung Benchmarking und Konzeptentwicklung der Markenlogistik der Audi AG
Dr. Ernst-Hermann Krog Jahrgang 1950 Krog ist seit 2001 Leiter der Markenlogistik der Audi AG. Nach seiner wissenschaftlichen Mitarbeit und Promotion an der Universität Göttingen im Jahr 1979 begann Krog seine berufliche Laufbahn im Volkswagenwerk Kassel. 1984 übernahm er die Leitung der Logistikplanung in Emden. Ab 1986 leitete er dort die Beschaffungsdisposition und ab 1988 zusätzlich die Materialwirtschaft. Ab 1989 war Krog Leiter Technical Staff bei VW do Brasil. Ab 1991 leitete er im Werk Wolfsburg die Zentrale Produktionsprogrammplanung. Ab 1992 leitete Krog die Konzernlogistik im Top-Management. Zu seinem Verantwortungsbereich zählten Planen und Steuern der logistischen Aktivitäten der Konzernmarken VW, Audi, Seat, Skoda und der Überseeregionen, Erstellen und Abstimmen der Konzernproduktionsprogramme, Steuern des Fertigungsverbundes und Optimieren der markenübergreifenden Materialströme.
Katsiaryna Statkevich Jahrgang 1980 Statkevich ist Doktorandin in der Abteilung Benchmarking und Konzeptentwicklung der Markenlogistik der Audi AG. Sie studierte 1997 bis 2002 Betriebsmanagement an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Belarussischen Staatlichen Universität in Minsk. 2002 bis 2005 absolvierte sie das Aufbaustudium Logistik an der Fakultät Maschinenbau der Universität Dortmund. Anschließend war sie in verschiedenen Projekten in den Bereichen Logistikstandortmarketing und Bahnlogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund tätig. Seit November 2005 promoviert Statkevich an der Fakultät Maschinenbau der Universität Dortmund über das Produktionssteuerungskonzept Perlenkette. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Produktionssteuerungssysteme in der Automobilindustrie, insbesondere die Perlenkettenkonzepte, sowie Supply Chain Management.
Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich
Die Automobillogistik gilt traditionell als Vorreiter für anspruchsvolle innovative Supply-Chain-Lösungen. Mit mehreren Tausend Zulieferteilen, die rechtzeitig an den Verbauort angeliefert werden, hat die Automobillogistik eines der komplexesten Zuliefernetzwerke mit vielstufigen Wertschöpfungsketten. Die Koordination und die Steuerung dieses Netzwerks unter Berücksichtigung der vielfältigen Anforderungen der Teilnehmer eines automobilen Wertschöpfungsprozesses erfordern heute eine stärkere Positionierung der Logistik in ihrer Integrationsfunktion, um eine maximale Kundenzufriedenheit zu erreichen. Die Kundenanforderungen auf dem Automobilmarkt beziehen sich heutzutage nicht mehr ausschließlich auf die funktionsbezogenen Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern darüber hinaus auf die Erfüllung der vielseitigen und ständig wachsenden Kundenerwartungen nach mehreren Kriterien. Vor allem schnelle Lieferzeiten und zuverlässige Liefertermine in der Neufahrzeugdistribution sowie Flexibilität gegenüber den Änderungswünschen der Kunden spielen bei den Kaufentscheidungen und der Kundenzufriedenheit eine bedeutende Rolle. Die anspruchsvollen Kundenanforderungen haben einen weitgehenden Einfluss auf die Ausrichtung der Ziele der modernen Automobillogistik und fordern zunehmend eine verstärkte Kundenorientierung der Logistik.
Herausforderungen der Automobilindustrie Die Automobilindustrie in ihrer Rolle als etablierter Antriebsmotor der deutschen Wirtschaft muss sich seit Jahren den vielfältigsten und größten Herausforderungen stellen. Die nachhaltige Entwicklung des Marktumfeldes der Automobilindustrie vom Verkäufermarkt hin zu einem Käufermarkt setzt sich fort und fordert eine umfassende Kundenorientierung auch in der Supply Chain. Die Effizienz und die Kostenminimierung in der Produktion, die lange Zeit als der entscheidende Wettbewerbsvorteil in der Automobilbranche galten, reichen heutzutage allein nicht mehr aus. Die Fahrzeughersteller, die Zulieferer und der Handel sind mit den sich ständig verschärfenden Rahmenbedingungen konfrontiert, die von wachsenden Kundenanforderungen über eine drastische Zunahme
der Wettbewerbsintensität bis hin zu den Anstiegen der Materialrohstoff- und Energiepreise reichen. Steigende Kundenanforderungen
Der Wertschöpfungsprozess jedes Unternehmens orientiert sich in erster Linie an der Erfüllung der Kundenwünsche, die nicht zuletzt über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheiden. Auf dem Automobilmarkt herrscht seit Jahren der anhaltende Trend zur kundenindividuellen Massenfertigung (mass customization). Die Kunden wollen heutzutage keine Standardprodukte mehr, sondern erwarten Fahrzeuge, die deren individuellen Bedürfnissen und Wünschen genau entsprechen (Holweg 2004).
Abb. 1: Zunahme des Modell- und Derivatenspektrums der Audi AG Fahrzeugmodelle und Varianten 24 21 18 15 12 9
Limousine Avant allroad
6
Limousine Avant Cabrio
3
Limousine Cabrio Coupé AvantRS2
Coupé Roadster
Limousine Limo. lang Limousine Avant RS Limo. RS avant allroad Limousine Avant Cabrio Coupé Roadster
R8 Q7 Limousine Limo. lang Limousine Limo. lang Avant Allroad RS Limo. RS Avant A5 Coupé Limousine Avant Cabrio RS Limo. RS Avant RS Cabrio
Kurzheck Sportback
Coupé Roadster Kurzheck Sportback
1996
2000
2004
2007
A2 A5 R
A3 A6
TT A8
A4 Q
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Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie
Um diesen vielfältigen und ständig steigenden Erwartungen gerecht zu werden, weiten die Automobilhersteller ihr Produktspektrum aus, um einerseits den individuellen Kundenwünschen zu entsprechen und andererseits in der Lage zu sein, alle Marktsegmente zu bedienen (s. Abbildung 1). Eine derartige Variantenexplosion wird unter anderem durch die neuen gesellschaftlichen Trends geprägt, die sich durch eine extreme Vielfalt und zum Teil auch entgegengesetzte Anforderungen auszeichnen. Um Kunden mit unterschiedlichen Kaufmotivationen zu gewinnen, wie beispielsweise die starke Erlebnis- und Freizeitorientierung, das ausgeprägte Mobilitätsstreben oder das hohe Umweltbewusstsein, ist heutzutage eine viel stärkere Derivatvielfalt innerhalb eines Fahrzeugsmodells notwendig, als noch vor einigen Jahren (Mercer 2004). Die vielfältigen und komplexen Marktanforderungen spiegeln sich auch in dem immer breiteren Spektrum an Ausstattungsvarianten wider, das von der automobilen Zulieferindustrie verlangt wird. Sehr deutlich wird das am Beispiel der automobilen Schlüsseltechnologie Elektronik, in der die Forderung nach der ständigen Erweiterung und Weiterentwicklung der Funktionen seit Jahren einen extremen Zuwachs an Komplexität bewirkt hat (s. Abbildung 2). Die Kunden wollen dabei nicht nur zwischen mehr Ausstattungspaketen auswählen können, vielmehr wollen
sie die Ausstattungsoptionen und die gewünschten Funktionen ihres individuellen Fahrzeugs weitgehend selbst aussuchen und zusammenstellen. Steigende Kundenansprüche beziehen sich nicht mehr ausschließlich auf funktionsbezogene Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern ebenfalls auf weitere Anforderungen, wie schnelle Lieferzeiten, verlässliche Liefertermine, Flexibilität gegenüber Änderungswünschen der Kunden, hohe Servicequalität und umweltschonende Technologien. Die Kaufentscheidungen auf dem modernen Automobilmarkt werden nur durch Erfüllung dieser vielseitigen und ständig wachsenden Kundenerwartungen nach mehreren Kriterien getroffen. Steigender Wettbewerbsdruck und Globalisierung
Die globalen Markt- und Wettbewerbsstrukturen haben sich in den letzten Jahren weitgehend verändert. Die wachsende Zahl neuer leistungsfähiger Wettbewerber, die Sättigung der reifen Triademärkte und der Verdrängungswettbewerb auf neuen wachsenden Emerging Markets sind eine Entwicklung, mit der die europäischen Hersteller sich heute auseinandersetzen müssen. Die Markenloyalität der Kunden nimmt ab (Accenture 2001), und der Preiskampf um den Kunden ist heutzutage intensiver denn je. Hinzu kommt noch, dass die neuen Wett-
Abb. 2: Funktionszuwachs im Bereich der Elektronik
Mögliche Variantenanzahl
K-Line-Diagnose Funkfernbedienung Teilelektron. Außenlicht Sitzmemory 8 Wege Vollautom. Klima Kombi-Instrument inkl. Gateway A4 (2000)
K-Line-Diagnose CAN-Diagnose, TP2.0 Wegfahrsperre 4 MFL GRA + Teilelektron. Außenlicht Funkfernbedienung Licht/Regensensor AFS II Teilelektron. Außenlicht Sitzmemory 8 Wege Vollautom. Klima Kombi-Instrument inkl. Gateway A4 Facelift (2004)
ACC SWA LDW ADS Car Funktionen Wegfahrsperre 4 Komponentenschutz Energiemanagement CAN-Diagnose, ISO-CAN MFL GRA + Advanced Key II Funkfernbedienung Elektron. Wischersteuerung Licht/Regensensor AFS II Vollelektron. Außenlicht Sitzmemory 8 Wege Vollautom. Klima Gateway Kombi-Instrument A4 / A5 (2007)
Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich
bewerber ihre standortbedingten Produktivitäts- und Kostenvorteile intensiv nutzen. Beispielsweise ist China 2006 zum drittgrößten Automobilproduktionsstandort nach Nordamerika und Japan geworden. Darüber hinaus wird der Wettbewerbsdruck durch die aktuellen Entwicklungen auf dem Devisenmarkt, z. B. der Wechselkurs Euro/US-Dollar sowie durch die erheblichen Überkapazitäten vieler Fahrzeughersteller verstärkt – die durchschnittliche Auslastung eines Produktionswerkes in der Automobilindustrie beträgt derzeit zwischen 80 und 85 Prozent (Garcia 2007). Ein intensiver Wettbewerb zwischen den Automobilherstellern findet längst nicht nur um den Kunden statt. Vielmehr ist der Wettbewerb auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgedehnt. Auch der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter ist bereits in vollem Gange. Der steigende Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern, die rückgängigen Absolventenzahlen, der demografische Wandel und die Abwanderung von Spitzenkräften machen den Fachkräftemangel auch in der Automobilbranche spürbar. Knappe Ressourcen und zunehmende Umweltbelastung
Die Automobilindustrie steht vor gravierenden Entwicklungen: Der Weltenergieverbrauch steigt ungebremst an,
die Materialrohstoffe und die fossilen Brennstoffe werden knapper und teurer, die Verkehrswege sind zunehmend überlastet. Der Anstieg der Börsennotierungen für Kupfer, Nickel, Zink und Aluminium wird zwar teilweise in den zwischen Herstellern und Zulieferern vereinbarten Preisklauseln berücksichtigt, die Gesamtkostenbelastung für die Wertschöpfungskette bleibt jedoch immens (VDA 2007). Der steigende Energiebedarf und die intensive öffentliche Debatte um die zunehmende Belastung der Umwelt und um den CO 2 -Wert eines Fahrzeugs fordern die Automobilindustrie zu neuen zukunftsorientierten Strategien in der Produktentwicklung auf. Fahrzeugentwickler suchen intensiv nach neuen Wegen, Schadstoffemissionen und Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge zu reduzieren. Langfristig gilt es für die Automobilbranche, nicht nur energiesparende Technologien auf Basis konventioneller Motoren, sondern alternative Lösungen und innovative Antriebstechniken zu entwickeln.
Konsequenzen für Automobilhersteller Die nachhaltige Erweiterung der Produktpalette bei Automobilherstellern führt einerseits zur besseren Kundenzufriedenheit, andererseits hat sie die immens gestiegene
Abb. 3: Das Spannungsfeld der Logistik in ihrer Integrationsfunktion
Vertrieb · Erfüllung kurz-, mittel- und langfristiger Marktbedarfe · Wunschgerechter Liefertermin · Hohe Änderungsflexibilität · Hohe Liefertreue · Qualität
Produktion Aufgabe der Logistik:
· Auslastung der Produktionskapazitäten
Integration der unterschiedlichen Anforderungen im Kundenauftragsprozess (KAP) unter Berücksichtigung eines kurz-, mittel- und langfristigen Planungshorizontes
· Effizienter Mitarbeitereinsatz und Kostensenkung
marktgerecht
· Kurze Durchlaufzeiten · Gleichmäßige Taktung · Geringe Änderungsflexibilität produktionsgerecht
Lieferanten · Nutzung der Kapazitäten · Qualität · Kosten · Geringe Änderungsflexibilität kapazitätsgerecht
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Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie
Komplexität sowie sinkende Stückzahlen je Produktvariante zur Folge. Der steigende Kosten- und Effizienzdruck sowie der intensive Wettbewerb erfordern von allen Teilnehmern des automobilen Wertschöpfungsnetzwerkes eine permanente Optimierung der Gestaltung der Geschäftsprozesse. Die Kaufentscheidungen auf dem Automobilmarkt werden heutzutage nicht nur von den funktionsbezogenen Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern zunehmend auch von anderen Faktoren beeinflusst. Die Qualität der logistischen Leistung der Fahrzeughersteller gegenüber Kunden, beispielsweise schnelle Lieferzeiten, zuverlässige Liefertermine und Flexibilität gegenüber kurzfristigen Änderungswünschen, gewinnt zunehmend an Bedeutung und ist eine unabdingbare Komponente der Kundenzufriedenheit. Vor dem Hintergrund der Ressourcenverknappung und Umweltdiskussion gewinnen die Entwicklung verbrauchsgünstigerer Produkte sowie die Berücksichtigung der Umweltschutzaspekte bei der Prozessgestaltung immer mehr an Bedeutung. In Zeiten extrem gestiegener Wettbewerbsintensität in der Automobilbranche werden nur diejenigen profitieren können, deren Produkte die steigenden Anforderungen auch maximal erfüllen können.
Anforderungen an die Automobillogistik Die grundlegende Herausforderung der Automobillogistik in ihrer Integrationsfunktion ist es, im Spannungsfeld der
vielseitigen und teilweise konkurrierenden Anforderungen seitens der Produktion, des Vertriebs, aber auch der Lieferanten zu bestehen und diese Anforderungen unter Berücksichtigung eines kurz-, mittel- und langfristigen Planungshorizonts im gesamten Kundenauftragsprozess, d. h. von der Fahrzeugbestellung und Auftragseinplanung über die Beschaffung und Produktion bis hin zur Distribution und Fahrzeugübergabe, zu integrieren (s. Abbildung 3). Die anspruchsvollen Anforderungen des Marktes, und somit auch des Vertriebs, stellen die Logistik vor eine große Herausforderung. Die Kunden erwarten eine hohe Liefertreue bei gleichzeitiger Verkürzung der Lieferzeit. Bei kurzfristigen Auftragsänderungen dürfen die Versorgungssicherheit der Produktion und somit die Liefertermintreue an den Kunden nicht beeinträchtigt werden. Im Gegensatz zu der Forderung des Vertriebs nach maximaler Flexibilität gegenüber den Änderungswünschen der Kunden wird von der Produktion, genauso wie vom vorgelagerten Wertschöpfungsnetzwerk, eine möglichst langfristige Stabilität der Auftragsdaten zur Kapazitätsplanung verlangt. Die ebenfalls durch die Marktanforderungen gestiegene Produktkomplexität und die Ausweitung der Nischenmodelle haben einen wachsenden Aufwand zur Koordination des Wertschöpfungsnetzwerkes zur Folge. Häufigere und schnellere Fahrzeuganläufe, wachsende Modularisierung mit zunehmend komplexeren Modulen und die Steigerung des Anteils großvolumiger Teile tragen zur Komplexität
Abb.4: Veränderung des Belieferungsnetzwerkes
Europa Europa Mexiko
China Thailand
Brasilien Argentinien
Mexiko
90er Jahre
· Zunahme des Transportvolumens weltweit um 25 % · Wandel von der zentralen Belieferung zum globalen Produzenten- und Liefernetzwerk · Schaffung standardisierter Logistikprozesse und -systeme
Thailand
Brasilien
Südafrika
· Erforderlicher Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie
China
Argentinien
heute
Südafrika
Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich
bei. Konkret bedeutet das für die Logistik die Bewältigung der zunehmenden Teile- und Behältervielfalt in immer kürzerer Zeit, die Zunahme der anzuliefernden Teile an den Verbauort und den steigenden Flächenbedarf bei gleicher Grundfläche. In Zeiten extremer Wettbewerbsintensität steht die Logistik heute wohl stärker als jede andere Unternehmenssparte vor der Forderung nach permanenter Kostenoptimierung und Kostensenkung. Die Forderung der Produktion nach einer ständig effizienteren Logistikleistung und möglichst vollständiger Entlastung der Mitarbeiter im Produktionsbereich von jeglichen logistischen Tätigkeiten verstärkt den bereits durch die hohen Marktanforderungen und die Globalisierung gestiegenen Kosten- und Effizienzdruck weiter. Zeitgleich mit der Forderung nach Kostenreduzierung sieht sich die Logistik heute mehr als je zuvor mit der Anforderung nach einer hohen Prozessqualität sowie nach einer kontinuierlichen Prozessqualitätsverbesserung konfrontiert. Der Begriff Logistikqualität wird heute sehr breit definiert: Er reicht von der Unterstützung der Produktqualität durch eine effiziente Materialflussorganisation bis hin zu Servicequalität beim Handel und umfasst noch weitere Anforderungen, beispielsweise eine ökologische Transportabwicklung. Darüber hinaus erfordert die fortschreitende Globalisierung von der Logistik die Beherrschung der weltweiten Wertschöpfungs- und Liefernetzwerke mit zunehmend komplexeren Logistikketten. Die neuen Belieferungsnetz-
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werke zeichnen sich durch den Wandel von einer zentralen Belieferung zu einem globalen Produzenten- und Liefernetzwerk aus (s. Abbildung 4). Die verstärkte Produktionsansiedlung im Ausland sowie das Erschließen der internationalen Belieferungsquellen tragen zur Komplexitätssteigerung bei. Die sich daraus ergebende neue Prozesskomplexität erfordert zunehmend eine steigende Rolle der Integrationsfunktion der Logistik zwischen allen prozessbeteiligten Bereichen des Unternehmens. Das bedeutet eine Positionierung der Logistik sowohl in ihrer Querschnittsfunktion über alle Bereiche hinweg, als auch in ihrer Funktion der zentralen Anlaufstelle für die Planung und Steuerung des zunehmend komplexeren Wertschöpfungsnetzwerkes. Eine durchgängige und flexible Supply-Chain-Organisation ist unabdingbar für die Beherrschung dieser neuen Herausforderungen der automobilen Wertschöpfungskette.
Zentrales Steuerungsmodell der Logistik Die neuen Herausforderungen der Automobillogistik machen die Integration der vielfältigen Bedürfnisse der Teilnehmer des Wertschöpfungsprozesses sowie das Synchronisieren des Kundenauftragsprozesses vom Auftragseingang über Einplanung, Einkauf und Fertigung bis hin zur Distribution zu einer essenziellen Aufgabe der Logistik. Die wichtigsten Integrationsaufgaben der Logistik sind im zentralen Steuerungsmodell der Logistik dargestellt (s. Abbildung 5).
Abb. 5: Zentrales Steuerungsmodell der Logistik
Kunde/Handel
Öffnen der Bestellsysteme
Bestellung Handel/Kunde
Einsatzterminplanung und -steuerung
OEM
Übergabe des bestellten Fahrzeugs Änderungsflexibilität
Freigabe Programmplanung
Kundenauftragsprozess Einplanung
Produktion
Distribution
Mengenplanung Synchroner Materialfluss
Zulieferer/LDL
Detailplanung/ Lieferabruf
Kapazitätsplanung synchrone Produktion
Informationsfluss
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Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie
Handlungsfeld 2: Auftragseinplanung, Kapazitätssteuerung und Änderungsflexibilität
Das zentrale Steuerungsmodell der Logistik beinhaltet vier Handlungsfelder. Die Logistik ist bereits vor Produktionsstart eines Fahrzeugsmodells in die Planung der Produktionsversorgung eingebunden. Das gilt für die Planung der Materialflüsse wie für die Absicherung von Kapazitäten. Nach dem Start-of-Production (SOP) eines Fahrzeugmodells werden von der Logistik die Auftragseinplanung, die Kapazitätssteuerung der Zulieferer und die Sicherstellung der Änderungsflexibilität koordiniert. Die synchrone Materialflusssteuerung und die Steuerung der Distribution sind zwei weitere grundsätzliche Aufgaben der Logistik. Im Folgenden wird auf die einzelnen Handlungsfelder der Logistik im Rahmen des zentralen Steuerungsmodells detaillierter eingegangen.
Auch hier hat sich die Rolle einer modernen Logistik deutlich verändert: •
•
Die Aufgabe des Vertriebes ist es, sicherzustellen dass Aufträge in der Vertriebsorganisation entstehen können. Ist ein Auftrag entstanden, so wird dieser Auftrag von der Logistik übernommen und durch einen verbindlichen Liefertermin online bestätigt.
Diese Auftragseinplanung und der Auftragsabgleich, also die terminliche Zuordnung von Aufträgen aus der Vertriebsorganisation zu den verfügbaren Fertigungsressourcen unter Berücksichtigung der vorhandenen Kapazitäten und Restriktionen, werden bei einem ständig breiter werdenden Modellspektrum zu immer anspruchsvolleren Aufgaben. Die heute installierten Verfahren erlauben es, die Aufträge den geplanten Bauterminen online zuzuordnen und dabei
Handlungsfeld 1: Planung und Steuerung von Markteinsatzterminen
Die Logistik hat in den letzten Jahren zunehmend eine wichtigere Rolle übernommen. Hierzu gehören neben dem Planen von Abläufen und dem Festlegen von Verpackungen für den physischen Materialfluss insbesondere die Aufgaben der Teileversorgung und der Teil-für-Teil-Verfolgung von Neuteilen für die Produktion. Dies dient neben der Versorgung für die Fertigung von Vorserienfahrzeugen auch der Kapazitätsabsicherung für den Hochlauf des später folgenden Serienanlaufs. Aus dieser tiefen Kenntnis eines Projektstandes in der eigenen Produktion sowie im Zuliefernetzwerk leitet sich die Rolle der Logistik ab, die Steuerung und Verfolgung von Einsatzterminen zu überwachen und sicherzustellen. In dieser Funktion ist die Logistik für die Synchronisation der technischen Einsatztermine, der Hochlaufkurven und des Kapazitätsaufbaus im Wertschöpfungsnetzwerk verantwortlich, indem sie einen proaktiven und vorausschauenden Bedarfs- und Kapazitätsabgleich durchführt und somit die spätere Produktions- und Marktversorgung sicherstellt.
1. die Möglichkeit der technischen Realisierung eines komplexen Bauauftrages am Fahrzeug zu überprüfen und 2. die Terminierung unter Beachtung der Restriktionen vorzunehmen. Die Leistungsfähigkeit und Qualität dieser Verfahren ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, um den Kunden termintreu beliefern zu können. Aus den Aufgaben der Auftragseinplanung und dem Wissen um Bedarfsstrukturen leitet sich die Aufgabe der Kapazitätssteuerung der Logistik ab. Durch permanenten Abgleich von Bedarfsverläufen mit Kapazitätsverläufen werden Unter- und Überdeckungen von Kapazitäten erkannt. Die Logistik veranlasst dann Anpassungsmaßnahmen über die Fertigungsplanung bei Eigenfertigung bzw.
Abb. 6: Beispiel der Erhöhung der Änderungsflexibilität
2004
12 Arbeitstage
Produktion
Start Karosseriebau
Ende Änderungsmöglichkeiten
2006
3–5 Arbeitstage
Distribution
Fertigstellung Fahrzeug
Produktion
Distribution
Händleranliefertermin
Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich
über den Einkauf bei Zulieferteilen, um mit einer bedarfsgerechten Kapazitätsbereitstellung kurze Lieferzeiten für die Kunden sicherzustellen. In den letzten Jahren wurde durch die Einführung von Änderungsflexibilität die Funktionalität des Kundenauftragsprozesses (KAP) weiter ergänzt (s. Abbildung 6). Darunter versteht man, dass bereits von der Vertriebsorganisation abgegebene Aufträge noch möglichst lange geändert werden können. Die Motivation, eine solche Änderungsflexibilität zur Verfügung zu stellen, findet man in folgenden Punkten: 1. Ein Kunde möchte von sich aus bestellte Eigenschaften eines Fahrzeugs ändern (z. B. Außenfarbe). 2. Ein Händler nutzt die Änderungsmöglichkeit, um aus einem für sein Lager bestellten Fahrzeug ein Kundenfahrzeug zu machen, indem er noch alle Wünsche des Kunden berücksichtigen kann. Das führt in der Regel zu einem höheren Transaktionspreis als bei einem Lagerfahrzeug. 3. Als Marketinginstrument eingesetzt, bietet die Änderungsflexibilität die Möglichkeit, durch gezielte Ansprache von Kunden, die schon ein Fahrzeug bestellt haben, noch ein Upgrade der Ausstattung zu erhalten (z. B. große Navigation statt kleiner Navigation). Die hohe Flexibilität hat hier sowohl die flexiblere Anpassung an den Markt und somit die erhöhte Kundenzufriedenheit als auch eine signifikante Verkürzung der Durchlaufzeit zur Folge. Handlungsfeld 3: Materialsteuerung synchron zum Fertigungsfluss
Die Logistik steuert synchrone Materialflüsse vom Verbauort bis zum Lieferanten und stellt damit die Marktver-
sorgung pünktlich und flexibel bei minimaler Durchlaufzeit und geringen Beständen sicher. Damit wird auch die fristgerechte Fertigstellung der Kundenaufträge gewährleistet. Die zunehmende Synchronisierung der Supply Chain ermöglicht die Reduzierung der Durchlaufzeit vom Lieferanten bis zum Verbauort und die Reduzierung der Bestände in der gesamten Logistikkette (s. Abbildung 7), was essenzielle Voraussetzung eines wertschöpfungsorientierten synchronen Unternehmens (WSU) ist. Für das Einrichten eines getakteten Materialzuflusses mit minimaler Durchlaufzeit und geringen Beständen ist eine hohe Vorhersagegenauigkeit des Bedarfes von großer Bedeutung. Zur konsequenten und wirtschaftlichen Umsetzung der geforderten Steigerung des Synchronisationsgrades der Wertschöpfungsnetzwerke sind daher zunehmend innovative Produktionssteuerungskonzepte gefragt, die eine hohe Stabilität bei der Bedarfs- und Kapazitätsplanung gewährleisten können. Das Konzept der Perlenkettensteuerung bietet in diesem Zusammenhang eine Lösung an, die geforderte Stabilität und Transparenz im komplexen Kundenauftragsprozess zu schaffen. Die Grundidee dabei ist es, das Produktionsprogramm unter Berücksichtigung der Kapazitätsund Restriktionskriterien frühzeitig festzulegen, in der Regel bereits mehrere Tage vor Montagestart, und dieses Programm später bei Montageeinlauf der Fahrzeuge exakt einzuhalten. Im Zeitraum zwischen der Auftragseinplanung und dem Verbau, der als „frozen zone“ bezeichnet wird, werden die geplanten Kriterien Produktionstermin, Produktionsreihenfolge und Produktionsinhalt konstant gehalten (Weyer 2002). Die Bedarfsdaten werden an die internen und externen Zulieferer sowie an die beteiligten Logistikdienstleister vermittelt. Durch die im Vergleich zu konventionellen Konzepten wesentlich längere Vorlaufzeit haben die externen und
Abb. 7: Synchroner Material- und Fertigungsfluss in der Supply Chain
Wertschöpfungsorientiertes, synchrones Unternehmen
Schlanke Logistikprozesse
Reduzierung der Durchlaufzeiten vom Lieferanten bis zum Verbauort
Niedrige Bestände Geringerer Personaleinsatz Kostenreduktion Liefertreue/Zuverlässigkeit
· Transportvolumen · Lieferantenqualität · Lieferantenprozesse
Langfristige Integration und Qualifizierung der Lieferanten (Wertschöpfungspartnerschaften)
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Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie
internen Zulieferer eine Möglichkeit, wesentlich früher ihre Fertigungs- und Logistikprozesse zu planen. Dadurch können die Material-, Flächen- und Personalkosten sowie die Anzahl der Materialhandlingstufen in der Wertschöpfungskette deutlich verringert werden. Die erhöhte Transparenz über die Bedarfe, der durchgängige Informationsfluss und die verstärkte Synchronisierung des Fertigungs- und des Materialflusses ermöglichen eine weitgehende Reduzierung der Sicherheitsbestände. Durch die Verlängerung der JIS-Vorlaufzeit wird es ermöglicht, dass der Radius für die bedarfssynchrone Beschaffung und Anlieferung ausgeweitet und somit die Standortabhängigkeit der Zulieferer verringert wird. Ferner können durch das Konzept die Belieferungsfrequenz und -mengen optimiert werden. Handlungsfeld 4: Distributionssteuerung und Versandabwicklung
Die effizienten Distributionsnetzwerke leisten einen entscheidenden Beitrag zur marktgerechten Belieferung. Die Hauptaufgabe der Logistik im Distributionsbereich ist es, eine hohe Liefertreue bei minimalen Durchlaufzeiten und niedrigen Fahrzeugbeständen sicherzustellen. Um auch unter erschwerten Bedingungen einen stabilen Distributionsprozess sicherzustellen, werden in der Automobilindustrie sogenannte adaptive Distributionsmodelle eingesetzt, die eine hohe Reaktionsfähigkeit auf die Änderungen ermöglichen. Beispielsweise werden in der Neufahrzeugdistribution die beschleunigten Sonderprozesse installiert, um auch bei den rückständigen Fahrzeugen den vereinbarten Termin vor Kunde einzuhalten.
Auch hier kommt die Idee der Änderungsflexibilität zum Einsatz. Natürlich kann ein gebautes Fahrzeug nicht mehr geändert, sondern höchstens durch Anbauteile ergänzt werden. Aber die Änderung von Adressen, d. h. die bedarfs- und nachfragegerechte Zusteuerung von schon gebauten Fahrzeugen im Sinne einer Feinverteilung in einer Vertriebsregion hilft, Kunden flexibel zu bedienen. Die unter anderem durch die Globalisierung und die hohen Kundenansprüche gestiegenen Anforderungen an die Neufahrzeugdistribution erfordern intelligente Konzepte, die eine Fahrzeugübergabe an Kunden innerhalb kürzester Lieferzeiten auch bei großen Entfernungen ermöglichen. Ein Beispiel aus der Praxis ist hierzu das Auftragstauschkonzept des Pipeline-Tradings, das bei Audi bei den USA-Fahrzeugen zur Verkürzung der Lieferzeit und Steigerung der Änderungsflexibilität angewendet wird. Beim Pipeline-Trading werden sämtliche Fahrzeuge, die sich im Distributionsprozess befinden und für den Zwischenhandel freigegeben sind, entsprechend markiert. Wenn ein Händler das vom Kunden gewünschte Fahrzeug in seiner eigenen Pipeline nicht findet, kann er nachprüfen, ob ein solches oder ein ähnliches Fahrzeug in der Pipeline bei den Händlern derselben Region oder landesweit vorliegen. Bis zum Eintreffen der Fahrzeuge in einem Hafen in den USA erhöht sich damit das bereits bei der Auftragseingabe an Endkunden verkaufte Volumen von etwa 10 Prozent um weitere knapp 20 Prozent. Zusammenfassend über alle Handlungsfelder des zentralen Steuerungsmodells ist das Hauptziel der Logistik
Abb. 8: Ziele der Logistik
Hauptziel:
Permanente Verbesserung der Leistung gegenüber den Kunden
100 % Liefertreue
Schlanke Logistikprozesse
Versorgungssicherheit/ Lieferbereitschaft
· 100 % Liefertermintreue bei minimalen Lieferzeiten und Fahrzeugbeständen
· Minimierung der Durchlaufzeit in der gesamten Supply Chain
· Termingerechter Einsatz in allen Märkten
· Synchrone Materialsteuerung mit getakteten Routenverkehren in kleinen Losgrößen
· Hohe Lieferbereitschaft durch bedarfsgerechte Kapazitäten
Hohe Änderungsflexibilität
· Niedrige Materialbestände
Perlenkettenfertigung
· Kostenreduzierung · Hohe Flexibilität bei Auftragsänderungen bis kurz vor Produktionsstart
· Hohe Reihenfolgestabilität in der Fertigung
Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich
eine permanente Verbesserung der Leistung gegenüber den Kunden, mit dem Zweck, die maximale Kundenzufriedenheit zu erreichen (s. Abbildung 8). Die Verantwortung der Logistik liegt darin, eine maximal hohe Liefertreue bei minimalen Lieferzeiten und schlanken Prozessen mit Beibehaltung einer hohen Flexibilität im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk sicherzustellen.
Fazit und Zukunftsperspektive Der kontinuierlich steigende Wettbewerbsdruck, die Globalisierung, die wachsenden Kundenanforderungen und die fortschreitende Verknappung der Ressourcen werden auch weiter einen weitgehenden Einfluss auf die Automobilindustrie ausüben. Die resultierenden Anforderungen an eine permanent steigende Effizienz der Logistik und zugleich der kontinuierlichen Verbesserung der Prozessqualität der logistischen Dienstleistung, die aus den neuen Rahmenbedingungen resultieren, erfordern innovative Lösungen. Um diesen Forderungen nachzukommen, stellt die Logistik durch ihren integrativen Ansatz ein Netzwerk zur Steuerung und Synchronisation von Informations- und Materialfluss in der gesamten Supply Chain zur Verfügung. Die Integrationsfunktion der Logistik zwischen den Beteiligten des Wertschöpfungsnetzwerks ermöglicht schnelle und flexible Marktreaktionen und eine durchgängige Steuerung von marktbezogener Kapazitätsbereitstellung über Auftragseinplanung bis zur Auslieferung an den Kunden. Der Begriff der Kundenorientierung in der Logistik ist heute so breit definiert wie nie zuvor. Die logistische Leistung eines Automobilherstellers gegenüber seinen
Kunden spielt bei den Kaufentscheidungen auf dem vom intensiven Wettbewerb geprägten Automobilmarkt eine essenzielle Rolle. Der Kundenorientierungsgrad der Automobillogistik hat einen bedeutenden Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und somit langfristig auch auf den Erfolg oder Misserfolg aller Beteiligten des Wertschöpfungsnetzwerks. Die aktive Gestaltung von Wertschöpfungspartnerschaften gewinnt aufgrund der international verteilten Wertschöpfung und dem zunehmenden Globalisierungstrend in der Automobilindustrie auch weiter an Bedeutung. Die Notwendigkeit zur kooperativen Zusammenarbeit mit den Lieferanten aller Wertschöpfungsstufen löst zunehmend die traditionell hierarchisch geprägte Zusammenarbeit ab und führt zu einer Neudefinition der Kooperation zwischen Fahrzeugherstellern und deren Zulieferern auf allen Ebenen. Literaturverzeichnis Accenture GmbH (2001) Studie Auto 2010, Experimentierbefragung zur Zukunft der Automobilindustrie, Kronberg im Taunus Garcia Sanz, F. J. (2007) Ganzheitliche Beschaffungsstrategie als Bestandteil der strategischen Ausrichtung der globalen Netzwerkintegration in der Automobilindustrie. In: Garcia Sanz, F. J. et al. (Hrsg.), Die Automobilindustrie auf dem Weg zur globalen Netzwerkkompetenz: Effi ziente und flexible Supply Chains erfolgreich gestalten, Springer, Berlin Holweg M., Pil, F. K. (2004) The Second Century: Reconnecting Customer and Value Chain Through Build-To-Order; Moving Beyond Mass and Lean Production in the Auto Industry, MIT Press, Cambridge Mercer Management Consulting (2004) Fraunhofer Gesellschaft, Future Automotive Industry Structure (FAST) 2015 – die neue Arbeitsteilung in der Automobilindustrie, Frankfurt Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) (2007) VDA-Jahresbericht 2007, VDA, Frankfurt Weyer, M. (2002) Das Produktionssteuerungskonzept Perlenkette und deren Kennzahlensystem, Hermesverlag, Karlsruhe
© Audi AG
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Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor
Michael J. Kolodziej Geschäftsführer dm-drogerie markt Mitglied des Beirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL) Petra Mostberger Leiterin des Bereichs Supply Chain Management bei dm-drogerie markt Michael Sternbeck Doktorand dm-drogerie markt im Bereich Zentrale Logistik Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft und Logistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Michael J. Kolodziej Jahrgang 1947 Kolodziej ist Geschäftsführer bei dm-drogerie markt und für das Ressort Logistik und darüber hinaus für über 100 Filialen im Raum Köln/ Bonn/Aachen verantwortlich. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann und dem Studium der Betriebswirtschaftslehre ist Kolodziej seit 1976 bei dm-drogerie markt in unterschiedlichen Funktionen tätig. Seit 2006 ist er Mitglied des Beirats der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL).
Petra Mostberger Jahrgang 1973 Mostberger ist seit 2003 die Leiterin des Supply Chain Management bei dm-drogerie markt. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes mit den Schwerpunkten internationales Management und Handel erfolgte 1999 der Direkteinstieg beim jetzigen Unternehmen. Sie beschäftigt sich maßgeblich mit der Transparenz und Analyse der Supply Chain. Schwerpunkt bildet das Supply Chain Controlling, welches die Verantwortung der logistischen Belange des dm-Extranet beinhaltet. Seit 2005 ist Mostberger Mitglied des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL), um bestehende Forschungsdefizite auf dem Gebiet der Logistik aufzudecken und daraus wichtige und notwendige Projektinhalte abzuleiten.
Michael Sternbeck Jahrgang 1979 Sternbeck ist seit 2007 Doktorand bei dm-drogerie markt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft und Logistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Prof. Dr. H. Kuhn). Während des Studiums der Betriebswirtschaftslehre in Ingolstadt und Dunedin, Neuseeland mit dem Schwerpunkt Logistik konnte Sternbeck Erfahrungen bei verschiedenen Handels- und Konsumgüterunternehmen sammeln.
Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck
Kooperation im Wettbewerbsumfeld des filialisierten Lebensmittel-Einzelhandels (LEH) Der deutsche Einzelhandel zeichnet sich seit Jahren durch eine Erhöhung der Wettbewerbsintensität und eine Umsatzkonzentration auf immer weniger Unternehmen aus. Um sich nachhaltig in einem solch kompetitiven Umfeld behaupten zu können, rücken verstärkt die Konsumenten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Geprägt von einer negativen demografischen Prognose über die Bevölkerungsentwicklung sowie der Tendenz zu hybridem Konsumentenverhalten müssen täglich die Fragen gestellt werden, wie es gelingt, neue Konsumenten zu gewinnen, die Kunden mit dem Unternehmen zu verbinden und wie deren Bedürfnisse besser und günstiger erfüllt werden können. Die Logistik beziehungsweise das Supply Chain Management (SCM) als die Kernfunktion des Handels kann erheblich zum Ausbau und zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen beitragen. Agilität und Flexibilität einer Lieferkette sind genauso gefordert wie Ressourcenschonung und Kostenminimierung. Die Logistikkonzeption einer Handels-Supply-Chain muss also in der Lage sein, den Spagat zwischen Effektivität und Effizienz zu leisten. Dabei geht es nicht um ein „entweder oder“, sondern vielmehr um ein „sowohl als auch“. Die Komplementarität der beiden Konzepte wird durch die mittlerweile unzähligen ECR-Projekte (Efficient Consumer Response) bestätigt, die genau darauf gerichtet sind, die differenzierten Kundenanforderungen besser und mit weniger Ressourcenverschwendung und Ressourceneinsatz zu erfüllen. Zentrales Element sowohl des Gedankens des ECR als auch des Konzeptes des Supply Chain Management ist die Kooperation, insbesondere vertikaler Natur, also entlang der Wertschöpfungskette. Kooperation wird dabei als ein freiwilliges Aufeinander-Zugehen rechtlich selbstständiger Unternehmen zur Verfolgung gemeinsamer Ziele verstanden, die gemeinsam besser erreicht werden können als allein (vgl. Hirsch 2002, S. 33). Das Unternehmen dm-drogerie markt misst Kooperationen und dabei insbesondere einer hohen Kooperationsintensität mit den Industriepartnern einen sehr großen Stellenwert bei. Deren weiterer Ausbau zum Nutzen der
Kundinnen und Kunden wird auch künftig eine wichtige Herausforderung sein. Der wirkliche Wille zur Kooperation und die Realisierung einer hohen Kooperationsintensität kann als ein zentraler Erfolgsfaktor der Logistikkonzeption der Arbeitsgemeinschaft dm und daher als eine Art „Unique Logistics Proposition“ (Mostberger 2008) betrachtet werden. Im Folgenden soll das SCM-Verständnis des Unternehmens ausgehend vom theoretischen Konzept abgeleitet und der Stellenwert sowie die Vorteile der Kooperation für dm und die Partner dargelegt werden. Darauf folgend werden die Instrumente und Mechanismen erläutert, mit deren Hilfe langfristige unternehmerische Partnerschaften bei dm-drogerie markt unterstützt werden.
Verständnis und Entwicklung des Supply Chain Management In nahezu allen Branchen und den meisten Betrieben hat sich – dem Konzept des Supply Chain Management folgend – die unternehmensübergreifende Perspektive bei der Gestaltung logistischer Prozesse durchgesetzt. Dabei geht es im SCM in seiner ausgeprägtesten idealen Form, folgt man den Lehrbuch-Definitionen, um das Management der gesamten Wertschöpfungskette – vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden. Das theoretische Ziel besteht in einer voll integrativen und ganzheitlichen Planung mit dem Ziel einer netzweiten Optimierung. Vergegenwärtigt man sich bei einem Optimalitätsanspruch die hinter diesem idealen Konzept stehenden Planungsprozesse, so kann man laut Bretzke (2006) schnell zu der Auffassung gelangen, dass das SCM mit einer Reihe enorm schwieriger und bislang unzureichend beantworteter, wenn nicht gar praktisch unlösbarer Fragen verbunden ist. Bretzke (2007) verweist in seinen Ausführungen unter anderem auf die Nichtexistenz linearer Wertschöpfungsketten, die organisatorischen und planerischen Probleme sowie das Außerkraftsetzen von produktiven Marktmechanismen.
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Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor
Im Endeffekt geht es um die Frage, wie weitgehend das Konzept des Supply Chain Management ausgelegt werden soll und ob es sinnvoll erscheint, einen (analytisch begründbaren) Optimierungsanspruch der gesamten Kette beziehungsweise des Netzwerkes unter Aufgabe der Planungsautonomie mit formal ableitbaren Parameterbestimmungen an den Tag zu legen. In einem solchen Fall wäre nicht nur eine Kooperation zwischen den am Wertschöpfungsprozess Beteiligten notwendig, sondern eine vollständige planerische Integration, was mit den oben genannten Problemen verbunden ist. Das große Ganze zu realisieren erscheint auf den ersten Blick utopisch. Die Kunst liegt nämlich genau darin, eine für das jeweilige Unternehmen passende Ausprägung vertikaler Kooperationsformen zu gestalten und in einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit eine „schwächere Integrationsvariante“ (Bretzke 2006) umzusetzen. Gelingt die konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung, so liegt in den Augen von dm-drogerie markt in diesem Ansatz erhebliches Potenzial zur Generierung neuer Ideen und zur Leistungssteigerung. Kooperation auf verschiedenen Ebenen trägt dazu bei, den spezifischen Ausschnitt des Gesamtkonstruktes für die Partner einerseits transparenter zu machen und andererseits um viele Aspekte zu bereichern. Damit wird der zunehmenden Komplexität begegnet. Die eigenen Handlungen und Vorgehensweisen können so bei verbesserter Informationslage reflektiert und entsprechend justiert werden. Dies resultiert in spürbar verbesserter logistischer Leistung bei gleichzeitiger Schaffung einer für beide Seiten spannenden und interessanten Lernumgebung. Diese Auffassung von SCM wird bei dm-drogerie markt gelebt. Der gleichnamige, dem Ressort Logistik zugeordnete Bereich im Unternehmen fungiert als unternehmensübergreifend agierende Informations- und Datendrehscheibe zwischen den Fachabteilungen und
den Industriepartnern des Unternehmens. Zielsetzung ist es, die Vernetzung sowie den Austausch zwischen den an der Supply Chain beteiligten Partnern voranzutreiben und Informationen, Daten und Wissen mit den Partnern zu teilen. Anpassungen auf beiden Seiten können die Folge sein. Insofern fungiert der Bereich SCM auch als Sprachrohr der Industriepartner für logistische Fragestellungen in die Arbeitsgemeinschaft dm. Somit stellt der Bereich SCM bei dm-drogerie markt eine institutionelle Bedingung für ein erfolgreiches Kooperationsmanagement dar. Die Strukturen und Leistungen, die heute angeboten werden, wurden über viele Jahre aufgebaut und werden permanent weiterentwickelt. dmdrogerie markt folgte dabei einem Ansatz, der sich mithilfe der in Abbildung 1 dargelegten SCM-Kaskaden beschreiben lässt. Diese repräsentieren einen möglichen, den von dm-drogerie markt absolvierten Weg hin zur innovativen Ausgestaltung des unternehmensübergreifenden Austauschs. Wird diesem Ansatz gefolgt, so steht zunächst nicht die sofortige Vernetzung im Vordergrund, sondern vielmehr der Aufbau adäquater Strukturen und Prozesse. Erst wenn diese effektiv und effizient implementiert sind, kann aus einer Vernetzung auch ein Nutzen zum Wohle des Kunden gezogen werden. Somit können Beziehungen nicht nur um ihrer selbst willen intensiviert werden. Weiterentwicklungen, die auf einem solchen Fundament und einer großen gewachsenen Vertrauensbasis aufbauen, können sich zu Innovationen mit hohem Stellenwert für die beteiligten Unternehmen entwickeln. Abbildung 2 zeigt im Zeitverlauf die Entwicklung der kooperationsorientierten Organisation bei dm-drogerie markt und der konkreten Kooperationsaktivitäten. Es zeigt sich, dass die eingesetzten Mittel und Methoden konsequent weiterentwickelt und einerseits den Situationen und andererseits den technischen Möglichkeiten angepasst wurden. Über die Zeit ist so durch die vielen ge-
Abb. 1: Kaskaden des Supply Chain Managements
Struktur Effektivität
Umsetzungsgrad und Vertrauensbasis
Effizienz Qualität Vernetzung
Innovation
Ineinander übergehende Entwicklungsphasen erhöhen stetig den Umsetzungsgrad des SCM Quelle: Mostberger (2008), S. 35
Zeitverlauf
Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck
meinsamen Entwicklungszyklen das entgegengebrachte und in die Partner gesetzte Vertrauen angestiegen. Dies korrespondiert mit der Auffassung, dass Kooperation und Vertrauen nicht verordnet werden können, sondern über die Zeit wachsen und sich entwickeln müssen. Kooperationen sind ein Mittel zur gemeinsamen Leistungssteigerung zweier wettbewerbsfähiger Unternehmen und nicht dazu bestimmt, Wettbewerbsdefizite auszugleichen. Die Erhöhung der Kooperationsintensität mit den Industriepartnern und weiteren am Wertschöpfungsprozess beteiligten Dienstleistungsunternehmen geht deshalb einher mit einer permanenten Weiterentwicklung und Anpassung der internen logistischen Prozesse. Denn nur wer sich seiner eigenen Leistungsfähigkeit bewusst ist, wird auch zielgerichtete Kooperationen eingehen und Nutzen für den Kunden generieren können. Je höher die Effektivität und Effizienz der internen Lieferkette, umso höher der Leistungszuwachs, der durch die Kooperation erwartet werden kann, da der dadurch erzielte Erfolgsbeitrag intern in einem höheren Maße bis an den Endverbraucher weitergereicht werden kann. Eine zu starke Fokussierung auf die unternehmensübergreifenden Verantwortungsübergänge und eine Vernachlässigung der internen Kommunikations- und Koordinationsaufgaben erscheint genauso wenig erfolgversprechend wie eine ausschließliche Konzentration auf die internen Strukturen. Aufbauend auf diesen den Rahmen aufspannenden Überlegungen sollen im Folgenden die Motivation und die von dm-drogerie markt verfolgten Kooperationsansätze beleuchtet werden.
Die Motivation zur Kooperation Die Motive, mit den Industriepartnern in möglichst hohem Maße und auf lange Sicht zu kooperieren, sind bei dmdrogerie markt primär normativer Natur und logische Folge der gelebten Unternehmenskultur. Orientierung bieten hierfür die Unternehmensgrundsätze, die dm-drogerie markt als eine Wirtschaftsgemeinschaft beschreiben mit der ständigen Herausforderung, ein Unternehmen zu gestalten, durch das die Kundenbedürfnisse veredelt werden können, indem Entwicklungsmöglichkeiten geboten und so ein vorbildliches Wirken der Gemeinschaft ermöglicht werden. Ein Bemühen in der Organisationsgestaltung besteht darin, jedem Mitarbeiter die Freiräume zu unternehmerischem Handeln zu überlassen, sodass Lösungswege selbstständig gefunden werden können und somit die Tragweite des eigenen Handelns für jeden spürbar wird. Dies hat zur Folge, dass die Mitarbeiter aus eigener Einsicht zum Wohle des Kunden handeln (vgl. Werner 2002, S. 69). Damit unausweichlich verbunden ist das permanente Lernen des Einzelnen und damit der gesamten Organisation. Dieser Führungsstil und die daraus resultierende Kultur der internen Zusammenarbeit strahlen nach außen und damit neben den Kundinnen und Kunden auch auf die Industriepartner aus (vgl. Werner 2007, S. 118). Die feste Verankerung der Mitarbeiter in dem eigenen Unternehmen und die Bestärkung im Unternehmensleitbild erleichtern die interorganisationale Prozessoptimie-
Abb. 2: Entwicklung der kooperationsorientierten Organisation und der Kooperationsaktivitäten bei dm-drogerie markt
Vertrauensindex im Zeitverlauf hoch ho Daten- und Informationsaustausch
INVOIC ORDERS
Supply Chain Controlling
Logistikdialog
DESADV Beziehungscontrolling
SC-Gespräch
Industriekommunikation
dmOrganisation
Extranet
SCM
niedrig 1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
201
202
Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor
rung. Wenn Personen verschiedener Unternehmen im Arbeitsalltag aufeinandertreffen, so begegnen sich auch unterschiedliche Unternehmenskulturen. Um in einen produktiven Austausch zu gelangen ist es notwendig, die Unternehmenskultur des Wertschöpfungspartners anzuerkennen und der aus dem Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Kulturen resultierenden Komplexität gezielt zu begegnen. Daher lauten die Partnergrundsätze bei dm-drogerie markt bereits seit 1981: Erkennen seines Wesens, Anerkennen seiner Eigentümlichkeiten. Wird eine solche Haltung auch von den Industriepartnern eingebracht, eröffnet sich eine von gegenseitiger Achtung geprägte Arena der Zusammenarbeit. Aufbauend auf diesen Gedanken lässt sich der intrinsische Wille zur Kooperation mit den Partnern in der Wertschöpfungskette ableiten: Voneinander zu lernen ist das gemeinsame Ziel, um sich selbst zu entwickeln und dadurch überlegene Leistungen zu produzieren. Das bewusste Aufnehmen von Problemen auf vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen schärft die eigene Wahrnehmungs- und Antizipationsfähigkeit und rückt damit die eigenen Handlungen in einen breiteren Kontext. Nicht kooperieren hieße bewusstes Verzichten auf Lerninhalte und damit auf eigenes und organisationales Entwicklungspotenzial. Aufgrund der durch Kooperation geschaffenen erweiterten Lernumgebung dient diese in erheblichem Ausmaß der Erreichung der oben beschriebenen Unternehmensziele. Diese sind für dm wichtiger als das Erreichen einer ex ante geplanten Ausprägung einer finanziellen Erfolgskennzahl. Es wird die Auffassung vertreten, dass gerade aufgrund des Fehlens einer Kosten-Nutzen-Rechnung im Kooperationsmanagement so werthaltige Beziehungen resultieren. Die Rendite ist also das Ergebnis echter Kooperation und des Bemühens um loyale Kunden, nicht aber gedanklicher Ausgangspunkt des Eingehens von Wertschöpfungspartnerschaften. Echte und auf den Kunden ausgerichtete Kooperation
heißt für dm-drogerie markt auch, stets gemeinsam das Maximum für den Kunden erzielen zu wollen. Kontrakte mit Service-level-Agreements oder Sanktionen gegenüber Wertschöpfungspartnern bei Nichteinhaltung sind kaum zu finden. Die Einbettung von Konventionalstrafen in einzelwirtschaftliche Kalküle kann zur Folge haben, dass eben nicht das Maximum für den Kunden erzielt wird. Nachhaltige Verbesserungen in der Wertschöpfungskette werden viel eher durch gegenseitiges Prozessverständnis und kooperative Maßnahmen erzielt als durch eine vertraglich ausgefeilte Sanktionspolitik. Sich die Probleme des anderen zu Eigen machen, mag zunächst ungewohnt, unwirtschaftlich und ambitioniert wirken (Kolodziej 2006, S. 804). Im Hinblick auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Kunden zahlt sich dieses Engagement jedoch aus. Das Ziel gemeinsamen Handelns muss grundsätzlich der Konsument sein. dm möchte, dass die Industriepartner erkennen, dass dm ein Partner ist, mit dem sie gemeinsam dieses und damit ihr eigenes Ziel verwirklichen können.
Konkrete Ausgestaltung von Kooperationen Nach diesen allgemeinen, die Kooperation betreffenden Gedanken werden im Folgenden die konkreten Ansätze dargelegt, die dm-drogerie markt verfolgt (vgl. Abbildung 3). Dabei wird analog zu Magnus (2007, S. 23) auf eine Differenzierung zurückgegriffen, derzufolge Kooperationsaktivitäten in zwei grobe Formen untergliedert werden können: zum einen in die Kooperation durch Daten- und Informationsaustausch, zum anderen in die Kooperation durch interorganisationale Gestaltung. Kooperation durch Daten- und Informationsaustausch
Das transparente Offenlegen relevanter Daten gegenüber den Industriepartnern enthält erhebliches Potenzial zur Prozessverbesserung und Steigerung der Leistung
Abb. 3: Supply-Chain-Kooperation bei dm-drogerie markt
Supply-Chain-Kooperation bei dm-drogerie markt Kooperation durch Daten- und Informationsaustausch
Kooperation durch interorganisationale Gestaltung
Standardisierte Kommunikation via EDI
Gemeinsame Verpackungsgestaltung
Informationsaustausch via Extranet
Gemeinsame Prozessgestaltung
Standardisierung Individualisierung
203
Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck
der Lieferkette. Dies lässt sich sowohl empirisch (vgl. Magnus 2007) als auch theoretisch belegen. Werden die im Handel aufgrund der Nähe zum Endkunden qualitativ besseren und in feinerer Granularität erzeugten, zum Teil zukunftsbezogenen Daten in den hierarchischen Produktionsplanungsprozess des Industriepartners eingebettet, so resultiert ein Potenzial zur Planungsverbesserung. dm-drogerie markt forciert den effizienten Daten- und Informationsaustausch mithilfe zweier Instrumente, dem standardisierten Elektronischen Datenaustausch (EDI) und dem dm-Extranet. Hohe Kommunikationseffizienz durch EDI
Während der im folgenden Abschnitt beschriebene Datenaustausch via Extranet auf eine verbesserte Steuerung und Planung der Supply-Chain-Aktivitäten zielt, dienen die angewandten EDIFACT-Nachrichtenarten insbesondere der Erhöhung der Effizienz der Kommunikation zwischen den Unternehmen. Durch einen mittels EDI ohne Medienbrüche realisierten Datenaustausch können die Geschwindigkeit des Austauschs erheblich gesteigert und die Fehler deutlich reduziert werden. Mittlerweile ist ein erheblicher Anteil der Industriepartner in der Lage, Nachrichten per EDI zu senden und zu empfangen. Abbildung 4 zeigt für die EDIFACT-Nachrichtenarten ORDERS (elektronische Bestellung), INVOIC (elektronische Rechnung) und DESADV (elektronisches Lieferavis) den Anteil der Industriepartner, der die jeweilige Nachrichtenart im Austausch mit dm-drogerie markt produktiv nutzt. Darüber hinaus ist der aussagekräftigere Anteil der Nutzung der jeweiligen Nachrichtenarten im Verhältnis zu den jeweils durchgeführten Transaktionen aufgezeigt. Stand Januar 2008 kann dm-drogerie markt ca. 90 Prozent der Bestellungen und 97 Prozent der Rechnungen via EDI absetzen. 63 Prozent der Wareneingangspaletten werden elektronisch avisiert, sodass dieser Anteil in den Verteilzentren automatisch vereinnahmt werden kann, was den Wareneingangsprozess erheblich verschlankt. Das Ziel besteht in einer weiteren Erhöhung der EDIAnteile, wobei eine Ausweitung mit der entsprechenden Qualität erreicht werden soll, die nur über eine klassische EDI-Vernetzung mit eigener X.400-Anbindung oder über die Nutzung von Clearing Centern erreicht wird. Das dm-Extranet
Mit der Einführung des dm-Extranets im Jahr 2000 schaffte dm-drogerie markt ein internet-basiertes Informationsportal für Industriepartner mit dem Ziel, durch den Austausch von zielgerichteten Informationen und Daten
die Wertschöpfungskette zu verbessern. Der oben beschriebene partnerschaftliche Ansatz wurde auch bei der Entwicklung dieses gemeinsam genutzten Werkzeuges deutlich. So waren bei der Konzeption nicht nur die dmFachabteilungen, sondern auch Pilotlieferanten vertreten, um die Anforderungen zu bestimmen. In multifunktionalen Teams wurden über Unternehmensgrenzen hinweg die Inhalte und Kennzahlendefinitionen bestimmt und diskutiert, was in einer hohen Akzeptanz des Instrumentes resultierte. Das dm-Extranet ermöglicht allen Industriepartnern von dm-drogerie markt dynamisch aktualisierte Daten und Informationen abzurufen oder per E-Mail bei Erreichen von Schwellenwerten zu empfangen (Exception Management). Die hohe Transparenz, die durch die Zusammenarbeit via Extranet erzielt wird, resultiert in einer erhöhten Handlungssicherheit für die Partner und eröffnet zugleich die Möglichkeit, sich noch aktiver an der Prozessgestaltung zu beteiligen. Neben Neuigkeiten, Informationen wie dem Kommunikationsplan, dem Regallayout oder einem Filialverzeichnis, relevanten Downloads, Saisonverläufen und täglich aktualisierten Abverkaufs- und Warenbestandsdaten in den Filialen und Verteilzentren werden den Industriepartnern auch wöchentlich aktualisierte Prozess-PerformanceKennzahlen zur Verfügung gestellt. In einer Supply Chain Scorecard werden beispielsweise die beiden wichtigsten logistischen Qualitätskennzahlen, die Liefertermin- und Abb. 4: Stand der EDI-Umsetzung bei dm-drogerie markt (Januar 2008)
EDIFACTNachrichtenart 59 %
ORDERS
90 % 52 %
INVOIC
97 % 24 %
DESADV mit NVE
63 % 0%
20 %
40 %
60 %
80 %
100 %
Nutzung der Nachrichtenart in % der Industriepartner Nutzung der Nachrichtenart in % der jeweils durchgeführten Transaktionen
204
Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor
die Liefermengentreue, wahlweise für einen Zeitraum von einem, drei, sechs oder zwölf Monaten dargestellt. Darüber hinaus ist bereits in dieser Übersichtsabfrage die Reichweite in den dm-Verteilzentren aufgeführt. Um dem Wertschöpfungspartner nicht ausschließlich seine Leistung zu spiegeln, sondern auch die Leistung der dminternen Lieferkette, wird die Liefermengentreue der dmVerteilzentren an die Filialen aufgeführt, um den Blick auf den gesamten Prozess bis zum Kunden zu ermöglichen. Um die Daten schnell und eingehend analysieren zu können, wird dem Industriepartner die Möglichkeit eingeräumt, in den ausgeführten Berichten von einer übergeordneten Kennzahl auf die Detailausprägungen einzelner Attribute auf unterschiedlichen Informationsebenen zu schließen. So geben die Abverkaufsberichte Aufschluss darüber, wie sich bestimmte Artikel und Warengruppen in den einzelnen Bundesländern, Nielsen-Gebieten oder einzelnen Filialen entwickeln. Bereits nach dem ersten Tag einer Produkteinführung stehen die Absatzdaten der dmFilialen dem Hersteller zur Verfügung, sodass er LaunchErfolge mit realen Verkaufszahlen früh bewerten kann. Diese Funktion ermöglicht unter anderem eine fundierte Schwachstellenanalyse, indem beispielsweise von einer Servicekennzahl einfach auf die einzelnen Anlieferungen geschlossen und bei den entsprechend negativen Detailausprägungen die jeweiligen spezifischen Situationen in die Analyse einbezogen und Verbesserungspotenzial abgeleitet werden kann. Der Industriepartner kann mithilfe des dm-Extranets seine selbst erhobenen Kennzahlen mit denen von dmdrogerie markt vergleichen und so beispielsweise auf Unzulänglichkeiten in Transportprozessen aufmerksam werden. Die Werte geben somit Aufschluss über Leistungsdefizite, die bei rein interner Messung verschleiert blieben. Dies resultiert in einer unmittelbar erfolgswirksamen Prozessverbesserung. Je höher die Liefertermin- und die Liefermengentreue, desto geringer können die Sicherheitsbestände in den Verteilzentren angesetzt werden und umso geringer sind die Lagerhaltungskosten und die Kapitalbindung. Ein weiterer Vorteil dieser B2B-Anwendung ist, dass der Industriepartner und dm-drogerie markt die „gleiche Sprache“ sprechen, da sie auf denselben Informationspool zugreifen. Der Wertschöpfungspartner weiß so im Vorfeld von Gesprächen, welche Performance-Daten dm-drogerie markt vorliegen, sodass auf dieser im Vorfeld bekannten Gesprächsgrundlage diskutiert wird. Kooperation durch interorganisationale Gestaltung
Der oben beschriebene Daten- und Informationsaus-
tausch zielt auf eine bessere und günstigere Erfüllung der Kundenbedürfnisse, insbesondere aufgrund einer höheren Visibilität und einer damit verbundenen besseren Planbarkeit von Produktions- und Logistikprozessen durch geringere Prognosefehler auf übergeordneten Stufen der Supply Chain. Neben einem kontinuierlichen Daten- und Informationsaustausch engagiert sich dm-drogerie markt auch in der gemeinsamen Gestaltung von Produkten und Prozessen, die außerhalb des eigenen Autonomiebereichs liegen. In den beiden folgenden Abschnitten wird auf die gemeinsame Verpackungsgestaltung und die gemeinsame Prozessgestaltung eingegangen. Kooperation durch gemeinsame Verpackungsgestaltung
Das Competence Center Packaging (CCP) innerhalb des Bereiches Supply Chain Management bei dm-drogerie markt unterstützt die Industriepartner bei der Optimierung der Transportverpackungen. Das CCP geht gemeinsam mit ihnen in einen Gestaltungsprozess, um einerseits eine ausreichende Stabilität der Packstücke im Distributionsprozess sicherzustellen und andererseits Effizienzvorteile im Bereich der Filiallogistik zu realisieren. Insbesondere in Zusammenarbeit mit kleineren Industriepartnern können so regelmäßig für beide Seiten wertbildende Verbesserungen erzielt werden. Zielsetzung ist dabei, dass die Transportverpackung alle Anforderungen auf den einzelnen Stufen der Supply Chain besser erfüllt. Die Erfordernisse resultieren zum einen aus den Produktions- und Kommissionierprozessen beim Industriepartner. Zum anderen erfolgt im Bereich der Verteilzentren des Handels durch die Einlagerung, Kommissionierung und den anschließenden Transport in die Filialen eine weitere Beanspruchung der Transportverpackung. In spezifischen Fällen wird eine Lösung angestrebt, die es erlaubt, die Transportverpackung auch in der Filiale zu nutzen (Regalgerechte Verpackung, Trays). Neben Effizienzgesichtspunkten wie einer einfachen und schnellen Identifikation und dem leichten Öffnen treten somit die einfache und schnelle Regalbefüllung sowie Kommunikationsaspekte des Industriepartners, die die Produktwahrnehmung durch den Konsumenten erheblich beeinflussen können (vgl. Institute of Grocery Distribution 2005). dm-drogerie markt bringt die Erfahrungen aus den Verteilzentren und Filialen in die Verbesserung und Weiterentwicklung der jeweiligen artikel- oder artikelgruppenspezifischen Verpackungsgestaltung ein. Aus dieser komplexen Gestaltungsaufgabe resultieren Kooperationsvorteile sowohl für den Industriepartner als auch für dmdrogerie markt. Neben weniger Bruch und den effizien-
Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck
ten filiallogistischen Prozessen tritt zugleich eine höhere Warenverfügbarkeit und ein ordentliches Regalbild auf, das dem Konsumenten eine bessere Orientierung bietet und absatzsteigernd wirkt. Kooperation durch gemeinsame Prozessgestaltung
Über die beschriebenen Tätigkeiten hinaus unterstützt SCM selektiv Industriepartner bei der kundenorientierten Prozessgestaltung. So erfolgte beispielsweise mit einem Industriepartner die gemeinsame Untersuchung der Supply Chain, angefangen von den Rohstoff- und Packmittellieferanten bis zur Bereitstellung der Produkte am Pointof-Sale, um daraus Handlungsempfehlungen für diese und weitere Kooperationen ableiten zu können. Die im Rahmen der gemeinsamen Untersuchung erkannten Probleme bei der Packmittelbereitstellung und dem Bestand an Fertigwaren wurden gemeinsam analysiert, bewertet und Verbesserungspotenzial abgeleitet. dm-drogerie markt bringt auf diese Weise die Anforderungen des Handels direkt in den Gestaltungsprozess beim Industriepartner ein. Im konkreten Fall wurden die lange Wiederbeschaffungszeit und die produktionssynchrone Anlieferung der Packmittel als Defizite ausgemacht. Die Wiederbeschaffungszeit wurde daraufhin teilweise erheblich verkürzt und eine Vorratshaltung eingeführt, sodass die Produktionsflexibilität des Partnerunternehmens und die Leistung gegenüber dm-drogerie markt erheblich gesteigert werden konnten. Bei innovativen Produkten wurde durch diese Maßnahmen eine Bestandsverlagerung auf die Rohstoffebene möglich. Unter Berücksichtigung der sich aus der Nachfragevariabilität ergebenden Sicherheitsbestände konnten die Fertigwarenbestände, auf Kosten einer Erhöhung der erheblich günstigeren Packmittelbestände, deutlich gesenkt werden. Die Folge waren niedrigere Gesamtkosten der Supply Chain bei gleichzeitig besserer Warenversorgung für den Endverbraucher. Derartige Verbesserungen erfordern eine Beschäftigung mit vielen Prozessdetails, die jedoch zu beantworten sind, wenn man sich eine kontinuierliche Verbesserung und eine operative Exzellenz als Ziel setzt. Der Lohn für das Engagement von dm-drogerie markt auf diesem Gebiet besteht im verbesserten Leistungsaustausch. Ein sehr umfangreiches Projekt, das die Erhöhung der vertikalen Kooperationsqualität durch eine gemeinsame Prozessgestaltung auf beiden Seiten zum Ziel hatte, ist das im Jahr 2003 abgeschlossene und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Vertikale Kooperation zwischen Industrie und Handel“ (VertiKo). Ausgangspunkt dieses Verbundprojektes, an dem neben
den Partnerunternehmen Henkel und dm-drogerie markt auch die VDI/VDE-Technologiezentrum Informationstechnik GmbH, die Gerhard-Mercator-Universität Duisburg sowie die Sozialforschungsstelle Dortmund beteiligt waren, war eine gemeinsame SWOT-Analyse. Aufbauend auf den gemeinsam ermittelten Kooperationsdefiziten wurden Lösungsansätze, die strukturelle Änderungen in beiden Unternehmen zur Folge hatten, gemeinsam entwickelt, erprobt und zum Teil umgesetzt. Die Projekttätigkeiten führten zum einen zu einem deutlich verbesserten Neulistungsprozess und zum anderen zu einer verbreiterten Vertrauensbasis, die die Grundlage für weitere gemeinsame Projekte im Sinne des ECR-Gedankens darstellte. In den vorangegangenen Abschnitten wurden die bei dm-drogerie markt angewandten konkreten Kooperationsaktivitäten dargestellt. Diese werden nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie von beiden Parteien als Bereicherung empfunden werden. Im folgenden Abschnitt soll daher abschließend auf die Problematik der Wahrnehmungsunterschiede zwischen den Supply-Chain-Partnern hingewiesen und die Antwort von dm-drogerie markt darauf vorgestellt werden.
Messung der Wahrnehmung der Kooperation durch die Partner Von einer hohen Beziehungsqualität zwischen Handel und dem Industriepartner kann nur dann gesprochen werden, wenn beide Partner die Kooperation aus ihrem jeweiligen Blickwinkel als gut funktionierend einstufen und somit eine objektivierbare Win-win-Situation vorliegt. Die subjektive Bewertung der Kooperation durch das eigene Unternehmen ist also nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite, die Wahrnehmung der Güte der Zusammenarbeit durch den Industriepartner, versucht dm-drogerie markt mit einem systematischen Beziehungscontrolling zu erfassen. In einem aus dem zentralen ERP-System an die Industriepartner versandten Fragebogen werden regelmäßig Sichtweisen, Meinungen und Einschätzungen zu wichtigen Aspekten der Kooperation eingeholt und mit den eigenen Einschätzungen abgeglichen. Die sich eventuell dadurch ergebenden Wahrnehmungsunterschiede in der Kooperationsqualität werden mit dem Industriepartner diskutiert und analysiert, sodass die Gründe des Abweichens für beide Seiten verständlich werden. Daraus ergeben sich Anhaltspunkte für die weitere Verbesserung der Beziehung. Im Fragebogen werden neben einigen operativen Fragestellungen insbesondere die „weichen Faktoren“ zu erfassen versucht, wie Aspekte der Erreichbarkeit der An-
205
206
Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor
sprechpartner, der Zufriedenheit mit der Kommunikation oder der Reaktion in Konfliktsituationen. Die Einschätzung der Verlässlichkeit und des Vertrauens als Säulen einer erfolgreichen Kooperation sowie Vorschläge und Hinweise, wie eine höhere Vertrauensbasis gemeinsam erarbeitet werden kann, sind das hauptsächliche Ziel des Beziehungscontrollings bei dm-drogerie markt. Damit ist das Vertrauen in den Wertschöpfungspartner Voraussetzung und Ziel des Beziehungscontrollings gleichermaßen. Denn nur bei einer vorhandenen Vertrauensbasis wird ein Industriepartner ehrliche Antworten auf die Fragen zu den weichen Faktoren abgeben und kein opportunistisches Verhalten des Partnerunternehmens fürchten. Hat der Partner einmal erkannt, dass die durch das Beziehungscontrolling gewonnenen Erkenntnisse in die Verbesserung der Kooperationsbeziehung einfließen, so wird das Vertrauen mit jedem Controllingzyklus weiter wachsen (vgl. Weber et al. 2003, S. 36–37). Mehrfach wurde in den obigen Ausführungen die für so wichtig erachtete Vertrauensbasis erwähnt, die das Fundament einer erfolgreichen kooperativen Leistungserstellung darstellt. Diese Vertrauensbasis gilt es auf- und auszubauen, denn Vertrauen ist eine entscheidende Quelle für messbare Effizienz einer Supply Chain. Literaturverzeichnis Bretzke, Wolf-Rüdiger (2006) Sieben Thesen zur zukünftigen Entwick-
lung logistischer Netzwerke. In: Supply Chain Management, H. 3, S. 7 ff. Online verfügbar unter http://www.bretzke-online.de/downloads/SiebenThesen.pdf. Bretzke, Wolf-Rüdiger (2007) Supply Chain Management: 7 Thesen zur zukünftigen Entwicklung logistischer Netzwerke. Veranstaltung vom 02.-03.02.2007, aus der Reihe „GOR Fachtagung Supply Network and Logistics Management“. St. Leon-Rot. Online verfügbar unter http://www.bretzke-online.de/downloads2/SCM_SiebenThesen.pdf, zuletzt geprüft am 13.11.2007. Hirsch, Bernhard (2002) Werte-Controlling. Zur Berücksichtigung von Wertvorstellungen in Unternehmensentscheidungen. 1. Aufl. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl. Institute of Grocery Distribution (2005) Retail Ready Packaging. Institute of Grocery Distribution. Letchmore Heath. Online verfügbar unter http://www.igd.com/ecr-rrp.asp, zuletzt geprüft am 20.01.2008. Kolodziej, Michael J. (2006) Logistik im Kontext händlerischer Leistung. In: Zentes, Joachim (Hg.): Handbuch Handel. Strategien – Perspektiven – internationaler Wettbewerb. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler, S. 795–807. Magnus, Karl-Hendrik (2007) Erfolgreiche Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Konsumgüterherstellern. Eine empirische Untersuchung der Händlerperspektive. 1. Aufl. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl. (Gabler-Edition Wissenschaft). Mostberger, Petra (2008) Die nächste SCM-Generation. Aufgabenstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten beim Supply Chain Management der Zukunft. In: Logistik inside, Jg. 7, H. 1, S. 34–36. Weber, Jürgen; Bacher, Andreas; Groll, Marcus (2003) Steuerung der Supply Chain. Aber mit welchen Instrumenten? Vallendar: WHU-OttoBeisheim-Hochschule (Advanced Controlling, 32). Werner, Götz W. (2002) Dem Leben einen Sinn geben. Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette dm, über Haltung als innerbetriebliche Praxis. In: brand eins, Jg. 4, H. 6, S. 68–69. Werner, Götz W. (2007) Einkommen für alle. Der dm-Chef über die Machbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens. 1. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen
Tony Van Osselaer Mitglied des Executive Committee von Bayer MaterialScience, Leiter „Industrial Operations“
Dr. Tony Van Osselaer Jahrgang 1954 Van Osselaer gehört seit 2002 den Vorstandsgremien des Bayer-Polymergeschäfts an. In allen Stadien der Weiterentwicklung des Unternehmens war er im Schwerpunkt für die Bereiche Produktion und Technologie verantwortlich, seit März 2007 als Mitglied des Executive Committee von Bayer MaterialScience und Leiter „Industrial Operations“. Zusätzlich zu diesen Aufgaben koordinierte Van Osselaer von Februar 2006 bis August 2007 als Leiter der Bayer Polyurethanes (Shanghai) Company Ltd. die Investitionsmaßnahmen des Unternehmens in Shanghai, China. Er studierte Chemie an der Universität Antwerpen, Belgien und begann 1980 seine Bayer-Laufbahn bei Bayer Antwerpen N.V., Belgien. Nach verschiedenen Stationen als Betriebs- und Projektleiter wurde ihm 1997 die globale Leitung des Ressorts Produktion und Technik des Geschäftsbereichs Kunststoffe der Bayer AG übertragen.
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen Tony Van Osselaer
Bedeutung der Kunststoffindustrie Kunststoffe in allen Varianten und Anwendungen sind heute zentraler Bestandteil eines nachhaltigen und auf das Wohl des Menschen ausgerichteten Lebensstils. Viele der vom Endverbraucher wahrgenommenen positiven Eigenschaften eines Produktes gehen auf den Einsatz und Anteil von Kunststoffen zurück. Auch aktuelle energie- und klimapolitische Diskussionen unterstreichen die Bedeutung von Kunststoffen heute und in der Zukunft mit großem Nachdruck, da deutlich wird, wie sehr gerade der Anteil hochwertiger Materialien aus der Klasse der Kunststoffe einen Beitrag zur Lösung der großen Herausforderungen der Menschheit leisten kann. Im Jahr 2006 wurden weltweit etwa 245 Mio. Tonnen Kunststoffe produziert, wobei von einem weiteren robusten Wachstum dieser Menge auch in der Zukunft ausgegangen werden kann. Der enorme Anstieg der Nachfrage
nach Kunststoffen sei veranschaulicht am Beispiel der dynamischen Nachfrageentwicklung für Polycarbonat, einem besonders hochwertigen Kunststoff, der von Bayer MaterialScience als Weltmarktführer unter dem Namen Makrolon® vertrieben wird (siehe Abbildung 1). Diese Produktionsmengen bedeuten ein Vielfaches an Warenströmen und Werteströmen. Daher hat eine erfolgreiche Logistik neben allen anderen unternehmenstypischen Herausforderungen wesentlichen Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg. Die effektive und effiziente Einbindung von Logistikdienstleistern ist wiederum ein wesentlicher Erfolgsfaktor und Voraussetzung für leistungsfähige, effiziente Supply Chains. Eine bedarfsgerechte Bereitstellung zuverlässiger Lager-, Umschlags- und Transportkapazitäten ist in diesem Zusammenhang unverzichtbar. Somit nimmt die Be-
Abb. 1: Strategieelement Innovation: Wachstumstreiber Polycarbonat 2.900
Weltverbrauch Polycarbonat [kt] Polycarbonat für Blends
2.500
Polycarbonat ohne Blends 2.000
1.500
1.000
500
1972
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
0
212
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen
schaffung von Logistikdienstleistungen einen besonderen Stellenwert für den unternehmerischen Erfolg ein. Am Beispiel des Bereiches Bayer MaterialScience, der Sparte für hochwertige Materialien innerhalb des Pharma- und Chemiekonzerns Bayer, werden daher wichtige Aspekte und damit verbundene Lösungsansätze und Perspektiven zu diesem Thema beschrieben.
Bayer MaterialScience als ein führender Anbieter hochwertiger Materialien Im Zeichen des Leitbilds „Science For a Better Life“ setzt Bayer auf Innovation und Wachstum in den drei Arbeitsgebieten Gesundheit, Ernährung und hochwertige Materialien. Diese Arbeitsgebiete operieren unter dem Dach einer strategischen Managementholding als eigenständige Teilkonzerne. Unterstützt werden die Teilkonzerne von drei Servicegesellschaften bei Technologie, betriebswirtschaftlichen Prozessen und Standortbetrieb (siehe Abb.2). Bayer MaterialScience repräsentiert das Arbeitsgebiet hochwertige Materialien und ist ein führender Hersteller von innovativen Werkstoffen und Systemlösungen, die in zahlreichen Produkten des täglichen Lebens Anwendung finden. Hauptabnehmer sind die Automobil- und Bauindustrie, die Elektro- und Elektronikbranche, Hersteller von Sport- und Freizeitartikeln, Verpackungen und medizintechnischen Produkten. Das Produktportfolio basiert wesentlich auf Polyurethanen und Polycarbonaten und wird weltweit an über 40 Standorten hergestellt.
Die Versorgung dieser Standorte mit Rohstoffen und Verbringung der Fertigprodukte in die weltweiten Märkte ist eine gemeinsame Aufgabe von Beschaffung und Logistik mit strategischer Bedeutung.
Struktur der Beschaffung im Konzernverbund Um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen der drei Arbeitsgebiete bei Beschaffung und Logistik gerecht zu werden und gleichzeitig vorhandene Synergien konsequent zu nutzen, wurde die Beschaffung konzernweit dezentral in Form einer Procurement Community organisiert ist. Dabei verteilen sich die rund 1100 Mitarbeiter, die ein Beschaffungsvolumen von 15 Mrd. Euro im Jahr 2006 verantworten, auf sechs einzelne Bereiche, die jeweils einem Teilkonzern bzw. einer Servicegesellschaft zugeordnet sind. Die direkte Anbindung an jeweils eine Unternehmenseinheit sorgt für Nähe zum operativen Bedarfsträger und erlaubt den intensiven Dialog mit ihm. Der Beschaffungsorganisation liegt das Instrument des Community Management zugrunde und sie basiert auf dem Qualified-Major-User-Prinzip (Hauptnutzerprinzip). Das Community Management erarbeitet, verabschiedet und implementiert gemeinsame Prinzipien, Richtlinien sowie harmonisierte und standardisierte Abläufe und stellt eine konzernweite Personalentwicklung sicher. Das Hauptnutzerprinzip besagt, dass der Teilkonzern (und dessen Einkaufsorganisation) die Verantwortung für ein synergistisches Beschaffungsgut übernimmt, in der
Abb. 2: Konzernstruktur Drei leistungsstarke Teilkonzerne
Holding Konzernvorstand Bayer AG
Corporate Center
Teilkonzerne Bayer Health Care AG
Bayer CropScience AG
Servicegesellschaften Bayer MaterialScience AG
Bayer Business Services GmbH
Bayer Technology Services GmbH
Bayer Industry Services GmbH & Co. OHG
Tony Van Osselaer
Regel derjenige Teilkonzern, der den größten Anteil am jeweiligen Beschaffungsvolumen in einem Beschaffungsfeld hat und damit den Hauptbedarfsträger darstellt. Diese beiden Elemente sichern zeitgleich die Vorteile einer zentralen und dezentralen Organisationsform.
Anwendung des Community Managements und des Hauptnutzerprinzips auf die Beschaffung von Logistikdienstleistungen Beispielsweise wurde mittels Community Management in dezentralen Strukturen konzernweit die Sicherung einer nachhaltigen Beschaffung durch ein systematisches Lieferantenmanagement etabliert. Diese Nachhaltigkeit umfasst auch das Ziel, in der Beziehung mit den Lieferanten gesetzmäßiges und verantwortliches Handeln – Responsible Care – für beide Geschäftspartner zu einer ständigen Verpflichtung zu machen. Mittels Lieferantenmanagement werden einheitliche Bewertung, Auswahl und Optimierung von Lieferantenbeziehungen sichergestellt. Neben der Einhaltung von technischen Standards und wirtschaftlichen Kennzahlen sind soziale oder ökologische Parameter wesentliche Kriterien. Ein aktueller Schwerpunkt in diesem Zusammenhang liegt
bei Bayer derzeit auf einer Evaluierung von Lieferanten aus Nicht-OECD-Ländern mit dem Bayer Sustainability Survey. Die angewendeten Kriterien wurden in der Community gemeinsam erarbeitet und werden weltweit dezentral in den beschaffenden Einheiten standardisiert angewendet. Erfahrungswerte fließen zur ständigen Verbesserung des Prozesses über die Community zurück. Zu den so ausgewählten Lieferanten gehören auch die Anbieter von Logistikdienstleistungen. Hieran lässt sich das Prinzip des Hauptnutzers aufzeigen. Da das Arbeitsgebiet Gesundheit wesentlicher – aber nicht alleiniger – (Gesundheit ist ein synergistisches Beschaffungsgut) Bedarfsträger von Luftfracht im Konzern ist, ist es auch Hauptnutzer und tritt demzufolge als Lead Buyer auf. Land- und Seetransporte werden hauptsächlich von Bayer MaterialScience genutzt und werden daher in der dortigen Einkaufsorganisation verantwortet. Das Aufgabengebiet des Lead Buyers ist entsprechend vielfältig und umfasst alle Aktivitäten, die mit dem synergistischen Beschaffungsgut und den entsprechenden Lieferanten zusammenhängen. Bei Bedarf beruft der Lead Buyer in solchen Fällen ein Sourcing Team ein, in dem die entsprechenden Experten der Bedarfsträger vertreten sind. Das Beschaffungssegment Logistikdienstleistungen
Abb. 3: Globales Produktionsnetzwerk Bayer MaterialScience – Ausgewählte Produktionsstandorte 2007 MA WV OH GA TX
= = = = =
Massachusetts West Virginia Ohio Georgia Texas
South Deerfield, MA South Charleston, WV Newmark, OH New Martinsville, WV Columbus, GA Channelview, TX Baytown, TX Santa Clara, MEX
Uerdingen Dormagen Leverkusen
Maasvlakate, NED Antwerp, BEL Fros-sur-Mer, FRA El Prat, ESP Tarragona, ESP
Brunsbüttel Bitterfeld
Leverkusen Sakai, JPN Niihama, JPN Shanghai, CHN Lin Yuan, TPE
Filago, ITA
Cuddalore, IND Map Ta Phut, THA Anyer, INA
Belford Roxo, BRA
213
214
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen
repräsentiert einen Wert von mehreren hundert Mio. Euro und verteilt sich zu etwa zwei Dritteln auf Straßen- und Intermodaltransporte, zu etwa einem Viertel auf Seefracht und Binnenschifffahrt und schließlich auf sonstige Transportmodi, zum Beispiel Luftfracht. Bei der Entscheidung für einen bestimmten Lieferanten steht immer stärker die ganzheitliche Betrachtung der Supply Chain im Vordergrund, und in diesem Zusammenhang die Frage der prozessseitigen Integrationstiefe der Logistikdienstleister, z. B. durch Integration der IT-Systeme zwecks Sendungs- und Auftragsverfolgung oder aber der Übertragung von Kontroll- und Koordinationsfunktionen auf die Logistikdienstleister. Es gilt, die angesichts zunehmender Globalisierung wachsende Komplexität der Lieferketten zu bewältigen. Wesentliche Elemente sind End-to-End-Transparenz entlang der Lieferkette und Total Cost of Ownership bzw. Total Cost to Serve. Das beinhaltet neben den Produktions- und Logistikkosten konsequenterweise den wichtigen Hebel der Reduktion des Umlaufvermögens im eigenen Unternehmen. Das Umlaufvermögen zu optimieren erfordert neben einer integrierten Produktions- und Absatzplanung insbesondere eine Optimierung der Logistikinfrastrukturen und Bereitstellung von Transportkapazitäten, sprich einer Stateof-the-art-Logistikdienstleistung. Dieses erfordert zum einen die Standardisierung von Leistungen und Abläufen – dem Schlüssel zu mehr Effizienz –, zum anderen auch Differenzierung und Flexibilisierung, sprich kurzfristig und flächendeckend auf zuverlässige Logistikdienstleistungen zugreifen zu können. So ist es zum Beispiel wünschenswert, Produkte in standardisierten Tankcontainern oder Tankwagen zu verladen. Unterschiedliche chemische und
physikalische Eigenschaften der Produkte erfordern aber unterschiedliche Spezifikationen von Tankbehältern in Merkmalen wie z. B. Größe, Werkmaterialien, Betriebsdruck oder Ausstattungen (Anschlusskupplungen oder Heizvorrichtungen). Verladebetriebe wie auch Warenempfänger können in diesem Zusammenhang oft sehr individuelle Anforderungen stellen. Derartige Anforderungen haben zur Folge, dass die Austauschbarkeit und universelle Einsetzbarkeit von Transportbehältern nur bedingt gegeben ist, was den Auslastungsgrad, sprich die Effizienz reduziert und damit den Fixkostenanteil pro Transport erhöht. Bei der Etablierung eines effizienten Logistiknetzwerkes steht neben Kostenaspekten zunehmend die Zuverlässigkeit von Transport bei gleichzeitig effizientem Ressourceneinsatz im Vordergrund. In diesem Zusammenhang stellen Lkw und Fahrer die relativ wohl wichtigsten Logistikressourcen dar: Etwa die Hälfte von ca. 9,5 Mio. Tonnen in der Region Europe, Middle East, Africa transportierten Güter werden intermodal oder nur auf der Straße transportiert. Vor dem Hintergrund des in Europa deutlich zu erkennenden Fahrer- und Equipmentmangels, getrieben von einem konjunkturbedingten überproportionalen Anstieg der Nachfrage nach Ladungsraum, ist der optimale Einsatz knapper Logistikressourcen ein ausgesprochen wichtiges Thema. Dieses wiederum erfordert ein noch höheres Maß an Integration zwischen Bayer MaterialScience und seinen Logistikdienstleistern, als es bereits heute der Fall ist. Noch grundlegender in der Bedeutung ist nur noch das Thema Sicherheit: Der adäquate Umgang mit Risiken aus dem Transport und den transportierten Gütern an sich und die Abwehr von bewusst herbeigeführten Gefährdungen
Abb. 4: Synergistische Beschaffungsgüter „Lead Buyer“-Zuordnung nach dem Hauptnutzerprinzip Synergiebereich
Nicht synergistische Beschaffung
Synergistische Beschaffung
Seefracht
Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer MaterialScience ernennt Lead Buyer
PR/Werbung
Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer HealthCare ernennt Lead Buyer
C1-C4 Amine
Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer CropScience ernennt Lead Buyer
Beratungsleistungen
Leiter Procurement der Servicegesellschaft Bayer Business Services ernennt Lead Buyer
Toluol
Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer MaterialScience ernennt Lead Buyer
etc.
Tony Van Osselaer
durch Dritte hat höchste Priorität. Dieser Gesamtkontext ist die Rationale bei der Forderung nach möglichst effektiver Zusammenarbeit zwischen Einkäufer und Anbieter von Logistikdienstleistungen entlang aller betroffenen Prozesse mittels Durchgängigkeit, Transparenz und Automatisierung. Den multimodalen, unternehmensübergreifenden Logistik- und SupplyChain-Lösungen gehört hier eindeutig die Zukunft. Dieses Zukunftskonzept trifft bei der Umsetzung der Bayer MaterialScience-Wachstumsstrategie in Asien allerdings auf ganz andere Fragestellungen als in den etablierten Märkten.
Investitionen in Asien als neue Herausforderung an bekannte Prinzipien beim Einkauf von Logistikdienstleistungen Der Standort Shanghai ist mit rund 1,8 Mrd. Euro bis 2012 das größte Investitionsprojekt von Bayer MaterialScience. Während die rund 1 Mio. Tonnen Rohstoffe vorwiegend per Tankschiff, aus Tanklagern und über Rohrleitungen zu den Betrieben gelangen, wird für die Produkte fast ausschließlich der Straßentransport genutzt – jährlich über 63 000 Lkw-Transporte (siehe Abb. 6). Diesem Bedarf steht in China ein immer noch stark entwicklungsbedürftiger Infrastruktur-Status gegenüber. Dies gilt gleichermaßen für Straßen- und Binnenwasserwege wie für den Schienenverkehr. Die chinesische Regierung begegnet dieser Situation bereits seit Langem mit verstärkten Investitionen in Infrastrukturprojekte,
der Weg zu einer flächendeckend befriedigenden Situation ist aber noch lang. Dies wird besonders deutlich im Vergleich zu den USA, einem Land ähnlicher Flächenausdehnung: China verfügt derzeit noch über ein 70 Prozent kürzeres Schienennetz und ein 90 Prozent kürzeres Fernstraßennetz, bei einer Bevölkerungszahl, die rund viereinhalb Mal so groß ist. Weiterhin ist der technische Zustand der Fahrzeugflotten, seien es nun Lkw, Schienenfahrzeuge oder Schiffe, noch stark entwicklungsfähig, verbessert sich aber schrittweise. Gerade bei den Lkw liegt die „Noncompliance“-Quote nach den von uns eingeforderten Standards im internationalen Vergleich heute noch sehr hoch. Auch bei der Ausbildung der Fahrer, der Einhaltung zu Vorgaben bei der Beladung der Fahrzeuge und bei der Einhaltung der maximalen Lenk- und Arbeitszeiten ist China weiter um Verbesserungen bemüht. Laut Angaben der United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific sind 70 Prozent der Straßentransportunfälle verursacht durch Überladen und/ oder Geschwindigkeitsüberschreitung. All dies trägt dazu bei, dass Logistik in China noch deutliches Potenzial zur Verbesserung von Effizienz und Sicherheit gegenüber Europa oder den USA aufweist. Verstärkt wird dies durch behördliche Regulierungen, z. B. für Gefahrguttransporte auf der Schiene oder Autobahnen, dahingehend, dass der Gefahrguttransport teilweise gänzlich untersagt ist. Analoges setzt sich fort beim Marktzugang für ausländische Logistikanbieter: Auch wenn die Anzahl der Direktinvestitionen internationaler Transport- und Logistikunternehmen seit Chinas Beitritt zur WTO stark zugenommen hat,
Abb. 5: Beschaffung von Logistikleistungen Frachtkosten bei Bayer und Bayer MaterialScience Bayer-Konzern Frachtkosten nach Teilkonzern Total ~ 600 Mio. € (2006)
Bayer MaterialScience Frachtkosten nach Beförderungsart Total ~ 380 Mio. € (2006)
~ 13 %
~8%
~ 23 %
~ 10 % ~ 64 %
~1% ~ 17 %
BMS
Straße/Intermodal
BHC
Ozean
BCS
Bahn Binnenschiff Luft/Kurier-Express-Paket
215
216
Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen
Abb. 6: Bayer Integrated Site Shanghai Eine Herausforderung für unsere Logistikbeschaffung Zahl der Lkw pro Tag
ca. 75
2006
ca. 210
ca. 210
2008
2009
ca. 220
ca. 110
2007
2010
Ab 2008: Jährlich über 63 000 beladene Lkw; Stoßstange an Stoßstange würde die entsprechende Lkw-Schlange von Shanghai nach Nanjing und zurück reichen.
erfordert der uneingeschränkte Zugang insbesondere zum innerchinesischen Transportmarkt derzeit noch die Gründung eines Joint Ventures mit einem chinesischen Partner. Die Vergabe der dafür u. a. erforderlichen A-Lizenzen wird restriktiv gehandhabt, muss von Provinz zu Provinz neu beantragt werden und ist in der Regel verbunden mit der Gründung eines neuen Joint Ventures mit einem weiteren chinesischen Partner. Außerdem kann erst nach Jahresfrist eine weitere Lizenz in einer anderen Provinz beantragt werden. Diese Beispiele zeigen bereits deutlich, dass die Umsetzung eines globalen Standards im Bereich der Beschaffung von Logistikdienstleistungen in Asien, speziell China, nicht vergleichbar mit Europa ist, wo in der Regel die richtige Auswahl aus der ausreichend großen Anzahl qualifizierter Partner im Vordergrund steht. Vielmehr gibt es einige verbesserungsfähige Umfeldfaktoren, die sich nur langfristig verändern – insbesondere auf dem Gebiet der Regulations- und Infrastrukturthemen. Mitwirken an dieser langfristigen Entwicklung und opportunistischer Modalmix sind daher Teile von Maßnahmen – z. B. großvolumige Transporte auf Schiene oder Wasser zu verlagern. Dazu wollen wir, entsprechend unserer globalen Beschaffungsstrategie, vorrangig mit großen, wirtschaftlich stabilen und serviceorientierten, vorzugsweise chinesischen Partnern zusammenarbeiten. Keine
Kompromisse werden bei unseren Standards zu Umwelt, Gesundheit, Sicherheit und Qualität gemacht. Um dieses sicherzustellen, werden alle Logistikdienstleister von Bayer MaterialScience umfassend auditiert. Ein besonderes Augenmerk wird auf die sicherheits- und umweltrelevanten Aspekte gelegt, wie z. B. das Vorhandensein und die effektive Umsetzung von Fahrerauswahlverfahren und Schulungskonzepten. Bayer MaterialScience treibt gemeinsam mit anderen Unternehmen die Einführung des europäischen „Safety & Quality Assessment Schemes“ (SQAS) für Transport- und Logistikdienstleister in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Verband der Chemischen Industrie (Cefic) und der Association of International Chemical Manufacturers (AICM) voran. Damit leistet Bayer MaterialScience einen wichtigen Beitrag, die Entwicklung der lokalen Transport- und Logistikindustrie im Hinblick auf sicherheits- und umweltrelevante Aspekte zu beschleunigen.
Zusammenfassung Zusammenfassend ergibt sich für den Logistikdienstleistungseinkauf daher, dass fünf wesentliche globale Themen zugleich auch die wesentlichen künftigen Herausforderungen in China sein werden: •
•
•
•
•
Nutzung der Chancen einer globalisierten Logistikdienstleistungsbeschaffung unter Beibehaltung unserer Standards Implementierung regionaler Beschaffungsstrategien in Bezug auf regionale Transport- und Logistikdienstleistungen bei Aufrechterhaltung globaler Synergien Nachhaltige Sicherung der Versorgung für und der Distribution aus unseren Standorten Verstärktes Lieferantenmanagement mit dem Ziel, weltweit mit den besten Partnern zusammenzuarbeiten Noch stärkere Integration unserer Logistikpartner in die Supply Chain zwecks Maximierung von Effizienz und Zuverlässigkeit für unsere Kunden.
Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene
Norbert Bensel Vorstand für Transport & Logistik der Deutschen Bahn AG
Dr. Norbert Bensel Jahrgang 1947 Bensel ist seit 2005 Vorstandsmitglied für Transport & Logistik der Deutschen Bahn AG. Er studierte Chemie und Ingenieurwissenschaften in Berlin und promovierte 1977 zum Dr. rer. nat. Seine berufliche Laufbahn begann im Scheringkonzern und führte über leitende Funktionen bei R+V Versicherungen und der Daimler-Benz Aerospace AG 1996 zur Ernennung zum Vorstandsmitglied der Daimler-Benz InterServices (debis) AG, zuständig für das Ressort Personal. 2002 wechselte Bensel in den Vorstand der Deutschen Bahn AG und verantwortete hier zunächst den Bereich Personal, bis er im März 2005 das Ressort Transport und Logistik übernahm. Mit einem weltweiten Netzwerk von 80 000 Mitarbeitern in 150 Ländern an 1500 Standorten erzielte das Ressort Transport und Logistik 2007 einen Umsatz von ca. 18 Mrd. Euro und erwirtschaftete damit nahezu 60 Prozent der Erlöse der Deutschen Bahn AG.
Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene Norbert Bensel
Grundlagen multimodaler Transport- und Logistikketten Begriffsbestimmung
Jede Transportaufgabe hat den Zweck, Personen oder Waren von einem Punkt zu einem anderen zu bewegen, ist also ein Transferprozess zwischen einer Quelle und einer Senke (vgl. Pfohl, H.-C. (2003), S. 5 ff.). Im einfachsten Fall erfolgt dieser Transferprozess als eingliedrige Kette auf direktem Wege. Demnach wird das Gut an der Quelle verladen und ohne weitere Umlade- oder Behandlungsschritte zur Senke transportiert. Bei mehrgliedrigen Ketten existiert zwischen der Quelle und der Senke mindestens ein weiterer Punkt, an dem das Gut umgeschlagen wird. Diese Punkte werden typischerweise als Konsolidierungsbzw. Dekonsolidierungspunkte bezeichnet. Der gesamte Prozess von der Quelle zur Senke wird als Transportkette bezeichnet. Die Logistikkette basiert im Wesentlichen auf den Merkmalen der Transportkette, die jedoch um transportnahe oder wertschöpfende Tätigkeiten erweitert wird (vgl. Krieger, W. (2000), S. 321). Wie vorstehend erläutert können Transportketten unterschiedlich aufgebaut sein. Eingliedrige Ketten nutzen nur einen Verkehrsträger, wohingegen mehrgliedrige Ketten auch mehrere Transportmodi nutzen können. Verkehre, die zwei und mehr Verkehrsträger nutzen, werden als multimodale Verkehre bezeichnet. Hier ist neben dem Wechsel des Verkehrsträgers auch ein Wechsel des Transportbehälters möglich. Eine Sonderform des multimodalen Verkehrs stellt der intermodale Verkehr dar, wobei das Gut bei allen Modi im gleichen, standardisierten Transportbehältnis (z. B. Container, Wechselbrücke oder Sattelauflieger) verbleibt. Eine Unterform hiervon ist der kombinierte Verkehr – hier wird der Hauptlauf auf der Schiene abgewickelt (vgl. Brandenburg, H. et al. (2006), S. 185). Schnittstellen bei der Kombination von Verkehrsträgern
Bei der Kombination zweier Verkehrsträger kommt es im Ablauf einer Transportkette zwangsläufig zu einem Bruch, der mit Verzögerungen verbunden ist. In vielen Fällen werden Verkehrsträger miteinander kombiniert, da ein durchgängiger Transport von der Quelle zur Senke physisch nicht
möglich ist. Oftmals lassen sich aber auch durch eine Kombination von Verkehrsträgern und die dadurch mögliche Ausnutzung ihrer jeweils spezifischen Stärken Effizienzgewinne erzielen und die Anforderungen der Kunden besser erfüllen. Neben den Eigenschaften des Gutes spielen hierbei die Faktoren Kosten, Zeit und Qualität und zunehmend auch die Umweltverträglichkeit die wichtigste Rolle. Systemeigenschaften der Verkehrsträger
Alle Verkehrsträger haben sehr individuelle Systemeigenschaften, die bei einer Einsatzentscheidung gegeneinander abgewogen werden müssen.
Straße Die starke Position des Lkws im Modal Split ist nicht nur mit der insbesondere in Deutschland sehr gut ausgebauten Infrastruktur zu erklären, sondern muss auch seinen spezifischen Eignungsvorteilen zugeschrieben werden. Da der Lkw netzungebunden operiert, ist der Einsatz sowohl im Nahbereich als auch im Regional- und Fernbereich möglich. Es ist keine Abstimmung mit Fahrplänen oder einem übergeordneten Netzbetreiber notwendig – bei der Straße handelt es sich um eine öffentliche Infrastruktureinrichtung, die von jedem zu jeder Zeit genutzt werden kann. Der Lkw ist ständig einsatzbereit, im Kurz- und Mittelstreckenbereich sehr schnell und hat eine Kapazität von bis zu 26 t bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h. Der Lkw wird zur Erschließung der Fläche, also zum Transport von Waren auch in die entlegensten Regionen genutzt. Hierbei ist besonders zu bemerken, dass auch Haus-zu-Haus-Verkehre ohne zeitintensive Umladevorgänge möglich sind. Der Lkw besitzt eine hohe Anpassungsfähigkeit an die zu befördernden Gütermengen und -arten. Es gibt keine besonderen Einschränkungen, was die Lademittel betrifft. Es können sowohl Massengüter in loser Schüttung oder in gasförmiger und flüssiger Form als auch Container und palettierte Ware transportiert werden. Auch sperrige oder schwere Güter können auf der Straße befördert werden.
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Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene
Schiene Beim Schienenverkehr ist zunächst das Rad-Schiene-System zu erläutern, also die sehr enge Beziehung zwischen Infrastruktur (dem Verkehrsnetz) und den Verkehrsmitteln, aus der zahlreiche Besonderheiten resultieren. Durch die Bindung der Bahn an die Infrastruktur ist hier ein Netzbetreiber für die zentrale Steuerung erforderlich, der für eine planvolle Nutzung der begrenzten Teilabschnitte sorgt. Für durchgängige Transporte vom Versender zum Empfänger sind auf beiden Seiten Gleisanschlüsse notwendig. In der Produktion wird zwischen Einzelwagen- und Ganzzugverkehren unterschieden. Anders als bei Ganzzügen sind bei Einzelwagenverkehren Rangiervorgänge in Zugbildungsanlagen notwendig. Für schienengebundene Systeme ist eine Kostenstruktur mit hohen Fix- und niedrigen variablen Kosten typisch. Gerade im Transport von Massengütern hat die Eisenbahn mit einer Nutzlast von bis zu 3000 t und Geschwindigkeiten von 80 bis zu 120 km/h pro Zug deutliche Systemvorteile, die insbesondere auf langen Relationen zum Tragen kommen. Auch auf der Schiene können alle gängigen Lademittel und fast alle Güter befördert werden. Darüber hinaus zeichnet sich die Schiene durch eine sehr gute Umweltbilanz aus. Luft Transporte mit dem Flugzeug stehen für kurze Beförderungszeit auf langen Distanzen mit einem geringen Transportrisiko bei vergleichsweise hohen Kosten. Die für den kommerziellen Frachttransport eingesetzten Flugzeuge haben eine Reisegeschwindigkeit von 850 bis 1000 km/h und eine Nutzlast von max. 125 t. Aufgrund dieser Eigenschaften werden hauptsächlich wertvolle und/oder zeitkritische1 Güter mit Luftfracht transportiert. Zu den Nachteilen zählen die geringen Beförderungskapazitäten, die begrenzten Möglichkeiten für den Transport sperriger Güter und die sehr geringe Netzdichte (vgl. Vahrenkamp, R. (2002), S. 2; Jaeger, G./Laudel, H. (2004), S. 29). Im Flugzeug werden die mit Abstand spezifischsten Lademittel verwendet. Wegen der runden Form des Laderaums der Flugzeuge sind die verwendeten Ladeeinheiten auf diese Gegebenheiten angepasst, sodass nur in einigen wenigen Fällen kubische Formen zu finden sind. Wasser Hochseegewässer Das Hochseeschiff eignet sich für fast alle Gutarten und hat sehr große Laderäume. Die wohl wichtigste Gattung 1
z. B. Lebensmittel, lebende Tiere, Ersatzteile, Modeartikel oder Zeitungen
ist das Containerschiff; darüber hinaus gibt es zahlreiche Spezialschiffe. Containerschiffe können bis zu 14 000 TEU bzw. 140 000 t Fracht laden und haben eine Reisegeschwindigkeit von bis zu 45 km/h. Wegen der enormen Größe und Länge können Hochseeschiffe nur an besonders geeigneten Hafenanlagen festmachen, zur Be- und Endladung werden passende Terminalanlagen benötigt. Binnengewässer Das kommerziell nutzbare Netz der Binnengewässer ist auf große Flüsse und Kanäle beschränkt, und der Betrieb ist auf nicht staugeregelten Wasserstraßen vom Wasserstand und generell weiteren Witterungsfaktoren abhängig. Mit einer Kapazität von bis zu 3000 t und Geschwindigkeiten von max. 20 km/h können Binnenschiffe nur kleine Teile des Landes erreichen. Für die Be- und Entladevorgänge sind besondere Anlegestellen mit entsprechenden Umschlageinrichtungen notwendig. Die Beförderung von Fracht auf Binnengewässern ist insbesondere für Sendungen mit hohem Gewicht und/oder mit sperrigen Ausmaßen passend, da Binnenschiffe über große Laderäume verfügen. Marktumfeld und Erfolgsfaktoren für multimodale Transportund Logistikketten
Mit fortschreitender internationaler Arbeitsteilung wird das Wachstum im Güterverkehr in den nächsten Jahren anhalten. Bis zum Jahr 2012 ist mit hohen einstelligen Wachstumsraten in den Bereichen Luft- und Seefracht, aber auch Landverkehr und auf der Schiene sowie besonders im Bereich Kontraktlogistik zu rechnen. Die fortschreitende Deregulierung der europäischen Güterverkehrsmärkte, insbesondere im Schienengüterverkehrsmarkt, gibt dabei zusätzliche Impulse. Gleichzeitig führt die verstärkte Sensibilisierung der Nachfragerseite für Klimawandel zu einer Erhöhung der Nachfrage nach umweltfreundlichen Transportlösungen. Zur Bewältigung des Wachstums und zur Berücksichtigung der steigenden Anforderungen der Logistikkunden, zum Beispiel mit Blick auf die Umweltfreundlichkeit von Transport- und Logistiklösungen, ist die intelligente Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger zu multimodalen Transport- und Logistikketten von zunehmender Bedeutung. Dem Verkehrsträger Schiene kommt dabei eine wachsende Bedeutung zu. Bei der Ausgestaltung von multimodalen Transport- und Logistikketten ist – basierend auf den Kundenanforderungen – eine Reihe von Kriterien zu berücksichtigen. So ist zum Beispiel die Möglichkeit des effizienten Umschlags
Norbert Bensel
unter Einsatz von standardisierten, kompatiblen Behältern und Ladehilfsmitteln von hoher Bedeutung. Ebenfalls erfolgsentscheidend für multimodale Transport- und Logistikketten ist das Erreichen der für den Transport mit einem bestimmten Verkehrsträger notwendigen kritischen Masse oder Sendungsgröße. Die Optimierung der Transportkette erfolgt im Spannungsfeld zwischen Auslastung des Transportmittels, der Bündelungsfähigkeit der einzelnen Sendungen und der Abfuhrfrequenz. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist darüber hinaus auch die Fähigkeit zur durchgängigen Steuerung über alle Verkehrsträger und Schnittstellen hinweg aus einer Hand.
Effiziente Vernetzung der Transportsysteme in der Praxis durch DB Schenker unter besonderer Berücksichtigung der Schiene Im Folgenden soll anhand von vier ausgewählten Praxisbeispielen von DB Schenker ein Einblick in verschiedene mögliche Formen der Vernetzung von Transportsystemen gegeben werden. Alle Beispiele zeigen, wie durch die Verknüpfung den speziellen Markt- und Kundenanforderungen Rechnung getragen wird. Die Schiene findet dabei in drei Beispielen besondere Berücksichtigung. Kurzvorstellung DB Schenker
DB Schenker, das Transport- und Logistikressort der Deutschen Bahn, bietet seinen Kunden vom Massengut bis zum Stückgut weltweite Lösungen über alle Verkehrsträger entlang der gesamten Logistikkette an. An 1500 Standorten in 150 Ländern sorgen die 80 000 DB Schenker-Mitarbeiter für den reibungslosen Ablauf vor Ort. Mit einem Umsatz von ca. 18 Mrd. Euro gehört DB Schenker zu den führenden Logistikanbietern weltweit. Dabei verknüpft DB Schenker seine führenden Positionen im europäischen Schienengüterverkehr und im europäischen Landverkehr mit seinen führenden Positionen im weltweiten Luft- und Seefrachtgeschäft sowie Kontraktlogistik und Supply Chain Management. Wie kein anderer Anbieter ist DB Schenker in der Lage, durch integrierte Vernetzung der Verkehrsträger effiziente und nachhaltige multimodale Transport- und Logistikketten anzubieten. Railports als Verknüpfungspunkt Schiene – Straße
Im konventionellen Massengüterbereich kann DB Schenker mit seinen Railports multimodale Transport- und Logistikketten anbieten: Als in der Regel bimodale Logistikzentren ermöglichen Railports den direkten Umschlag der Güter zwischen Schiene und Straße, aber auch deren
Zwischenlagerung sowie andere logistische Zusatzleistungen. Grundsätzlich können nahezu beliebige Gutarten, vor allem aber Massengüter unter Nutzung von Railports transportiert werden. Ein typischer Distributions-Railportverkehr beginnt im Gleisanschluss eines Großverladers mit der Direktverladung aus der Produktion unmittelbar in Bahnwaggons – im Idealfall unter Umgehung des sonst üblichen Versandlagers. Nach der Abholung der zum Versand bereitgestellten Waggons oder Waggongruppen werden diese in vorbestimmten Rangierbahnhöfen für den anschließenden Hauptlauf auf einen Ziel-Railport zu Ganzzügen gebündelt. Die Empfänger, häufig kleine oder mittlere Unternehmen „in der Fläche“ ohne eigenen Gleisanschluss, werden entweder beliefert, nachdem die Ware im Railport vom Bahnwaggon auf einen Nahverkehrs-Lkw direkt umgeschlagen worden ist. Oder die Ware wird zunächst zwischengelagert, um später „just-in-time“ zugestellt zu werden. Im Fall der Just-in-time-Zustellung, die von den meisten Kunden bevorzugt wird, fungiert der Railport zusätzlich als Regionallager, welches ein eigenes Beschaffungslager des Empfängers zumindest in Teilen ersetzen kann. Die Leistungsfähigkeit und das Serviceniveau von Railportverkehren resultieren also aus der Bündelung von Mengen für den Hauptlauf auf der Schiene bei reduziertem Handling-, Transport- und Administrationsaufwand, der Entkopplung des Schienenhauptlaufs vom Nachlauf auf der Straße durch den Railport in seiner Pufferfunktion als Regionallager sowie dem möglichen Wegfall von Versand- und Beschaffungslagerkapazitäten, verbunden mit der Möglichkeit, diese alternativ zu nutzen (Abbildung 1). Dabei kann die Schiene im Streckentransport, vor allem bei großen Entfernungen im grenzüberschreitenden Güterverkehr und hohem Mengenaufkommen, ihre Systemund Effizienzvorteile ausspielen, während die Flexibilität des Lkws bei der Bedienung der Kunden in der Fläche voll zum Tragen kommt. Das macht Railport-Verkehre attraktiv, vor allem auch für diejenigen Verlader, die bisher mangels eines eigenen Gleisanschlusses ausschließlich auf den Lkw setzen mussten. Derzeit gibt es zwölf Railports in Deutschland und neun Railports im europäischen Ausland, davon alleine vier Railports in Italien. Mit Ausnahme von Transitverkehren ist das deutsche Einzelwagennetz Ausgangs- und Endpunkt und damit Basis aller Railport-Verkehre. Die Besonderheit der Railports im Ausland ist jedoch, dass diese in der Regel ab einem grenznahen Bahnhof in Deutschland im Ganzzug, dem sogenannten Railport-Shuttle unter der Regie von DB Schenker, direkt angefahren werden. Dies
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Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene
kann je nach Land eine Einbeziehung verbundener Unternehmen von DB Schenker, der jeweiligen Staatsbahn oder privater Eisenbahnverkehrsunternehmen bedeuten. In jedem Fall werden durch die Railport-Shuttles im Vergleich zum konventionellen europäischen Einzelwagenverkehr sehr kurze Wagenumlaufzeiten erreicht. Sendungen sind hierdurch schneller beim Empfänger und die Waggons stehen schneller wieder für neue Transporte zur Verfügung. Aufgrund der hohen Nachfrage und der sehr positiven Kundenresonanz zu den bereits bestehenden Railports wird DB Schenker sein Railport-Angebot in Europa gemeinsam mit ausgewählten Kooperationspartnern weiter ausbauen. Seehafenhinterlandverkehr/Drehscheibe Duisburg
Die bestehenden Prognosen gehen von deutlichen Mengenzuwächsen im Seehafenhinterlandverkehr aus. Derzeit liegt der Containerumschlag in den Westhäfen bei 18 Mio. Ladeeinheiten p. a., und bis 2015 ist ein Wachstum von 9 Prozent p. a. auf dann fast 40 Mio. Ladeeinheiten zu erwarten. Aktuell ist der Anteil der Schiene am Modal Split aus den Westhäfen mit nur 10 Prozent sehr niedrig (Straßengüterverkehr: 60 Prozent; Binnenschiff: 30 Prozent). Verglichen mit dem Modal Split Schiene in Hamburg von 32 Prozent bestehen hier für die Schiene erhebliche Chancen. Die Häfen nehmen Kapazitätserweiterungen vor, um die steigenden Mengen abfertigen zu können. Beispielsweise erweitert der Hafen Rotterdam seine Kapazitäten bis 2015 um 20 Prozent, der Hafen Antwerpen wird seine Kapazitäten um 16 Prozent erweitern. Neben den Kapazitätserweiterungen in den Häfen bildet eine funktionierende Hinterlandanbindung die Voraussetzung für das seeseitige Wachstum. Prognosen gehen davon aus, dass die Schiene ihren Anteil an den Hinterlandverkehren der Westhäfen
ausbauen wird. Dabei gibt es bereits Maßnahmen, um den Anteil der Schiene am Modal Split zu erhöhen. Auf niederländischer Seite wurde zur Verbesserung der Bahnanbindung des Hafens Rotterdam die Betuwe-Linie gebaut. Doch trotz des hohen Containeraufkommens in Rotterdam von 9,8 Mio. TEU p.a. gibt es nur für wenige Empfangsregionen hinreichende Mengen für Ganzzugsysteme, die auch die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen KV erfüllen (z. B. lange Transportläufe, ca. ab 450 km). Um einen wirtschaftlichen Transport der Container in Ganzzugsystemen zu ermöglichen, strebt DB Schenker an, Duisburg gemeinsam mit der Hafengesellschaft duisport zum zentralen Hinterland-Hub für die Westhafenverkehre auszubauen und über diese Drehscheibe den Anschluss an das KV-Netz sicherzustellen. Die notwendigen Investitionen befinden sich zum Teil bereits in der Realisierung. Mit diesem Drehscheibenkonzept können die anfallenden Containervolumina rascher aus den Seehäfen abgezogen werden, da es keiner ganzzugfähigen relationsreinen Mengen bedarf. In Duisburg werden die Container dann für den Weitertransport via Zug oder Binnenschiff zielrein gebündelt. Mit der Drehscheibe können kurze Schienenvorläufe durch Umladen der Ladeeinheiten auf andere Züge mit längeren Schienenhauptläufen kombiniert werden. Außerdem wird eine höhere Bedienungsdichte für die Sendungen bzw. Relationen erreicht, für die keine ausreichenden Mengen für regelmäßige Direktzüge vorhanden sind. Die Drehscheibe verbessert damit auch die Anbindung an die kleineren Häfen und hafennahen Aufkommensregionen. Das Konzept sieht vor, die maritimen Verkehre mit den kontinentalen Verkehren zu bündeln, die in Duisburg primär über das PKV-Terminal umgeschlagen werden. Durch die Bündelung werden die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen europaweiten Schienentransport erfüllt.
Abb. 1: Railports verknüpfen Straße und Schiene intelligent
Hauptlauf
Versender
Nachlauf
Transport auf der Schiene
Umschlag und Straßentransport
Optional: Pendelzug
Optional: Lagern/Puffern, Services
Direktverladung
Bündelung
Railport
Bedarfsgerechte Zustellung
Empfänger
Norbert Bensel
Aufbau eines Terminalnetzwerks für kombinierten Verkehr in China
Der Transportmarkt in China wächst mit hohem Tempo. Die von China ausgehenden Handelsströme werden hauptsächlich in Containern über die Seehäfen in die Welt verschifft. Die Verbindung der Produktionsstätten mit den Häfen stellt eine besondere Herausforderung dar, da in China noch keine leistungsfähigen Produktionssysteme im Hinterlandverkehr existieren. Der Transport der Container erfolgt hauptsächlich mit dem Lkw, in geringem Umfang auch über die Binnenwasserstraßen im Gebiet des Pearl River Delta und des Jangtse. Bei schienenbasierten Hinterlandverkehren sind die Produktionssysteme derzeit nicht aufeinander abgestimmt, sodass Verkehre häufig zum An- und Abkuppeln von Einzelwagen und Wagengruppen angehalten und teilweise neu rangiert werden mit der Konsequenz einer hohen Verlängerung der Transportzeit. Der Anteil von Containertransporten am nationalen Transportvolumen liegt mit 0,4 Prozent deutlich unter dem europäischen Markt (1,3 Prozent). Wachstumshemmende Faktoren sind hier neben fehlenden Containern eine zu lange und zum Teil unzuverlässige Transportdauer, unattraktive Preise, keine festen Fahrpläne, die fehlenden Möglichkeiten für tracking und tracing sowie elektronischen Datenaustausch. Aktuell wird das Angebot damit insgesamt den Bedürfnissen der Versender nur unzureichend gerecht. Zur Optimierung der Verkehrssysteme wurde vom chinesischen Eisenbahnministerium ein Joint Venture (JV) namens „China United International Rail Containers Co., Ltd.“ zwischen einem Tochterunternehmen des Eisenbahnministeriums und DB Schenker sowie weiteren Unternehmen als Partner gegründet, das im Kontext des Fünfjahresplans 2006 bis 2011 der chinesischen Regierung die Entwicklung und den Betrieb eines Terminalnetzwerks für den kombinierten Verkehr zum Ziel hat. Hierfür sind Investitionen in die Infrastruktur mit insgesamt 18 Standorten geplant, von denen heute (Anfang 2008) bereits zwei Terminals in Shanghai und Kunming in Betrieb sind und weitere sieben Standorte bis 2011 betriebsbereit sein werden. Der Aufbau dieser Terminals soll das bestehende schienenbasierte Containervolumen von 2 Mio. TEU innerhalb des Fünfjahresplans bis 2011 auf 10 Mio. TEU steigern. Das JV wird im Terminal Leistungen wie Umschlag und Lagerung sowie Services erbringen, als Operateur ein Netzwerk von Ganzzügen zwischen den eigenen und den Terminals Dritter betreiben sowie den Vor- und Nachlauf organisieren und logistische Zusatzleistungen anbieten. Ergänzend wird ein IT-System etabliert, das die
den Transport begleitenden Informationen verarbeitet und so einen optimalen Informationsfluss für alle Beteiligten sicherstellen wird. Nutzung verschiedener Verkehrsträger zur Lagerund Produktionszyklenoptimierung im multimodalen Logistik-Hub Dubai
In Branchen mit kurzen Produktlebenszyklen ist der schnelle und zuverlässige Transport vom Produktionsort zum Kunden von besonderer Bedeutung, da hier nur ein begrenztes Fenster zum Verkauf der Waren zur Verfügung steht. Aufgrund der begrenzten Planbarkeit der Abverkaufszahlen müssen neben den Produktions- auch die Transportprozesse in der Lage sein, flexibel auf die jeweiligen Situationen zu reagieren, um die Verfügbarkeit der Waren gewährleisten zu können. Insbesondere in der Textilindustrie, aber auch bei verderblichen Waren hat sich für Transporte aus Asien und dem Mittleren Osten eine Transportkette mit einer Kombination aus See- und Luftfracht etabliert. Die Nutzung verschiedener Verkehrsträger dient dabei zur Lager- und Produktionszyklenoptimierung. Im Textilbereich werden die Läden in monatlichem Turnus – teilweise auch häufiger – mit neuen Kollektionen beliefert. Der Versand der fertigen Waren erfolgt aus strategischem Kalkül mit See- und Luftfracht unter dem Gesichtspunkt der Kollektionsrotationen. Die nächsten zwei bis drei Kollektionen werden nahezu zum gleichen Zeitpunkt vom Produktionsstandort mit Seefracht nach Dubai versendet. Die Transportkette wird bewusst mit einem Bruch organisiert, um so auf die jeweilige Verkaufssituation flexibel reagieren und die Transportzeit bewusst als „bewegtes Lager“ nutzen zu können. Je nach Bestand der Kollektionen in den Läden werden dann die Waren in Dubai weiterversendet. Bei geringen Beständen werden die Folgekollektionen mit Luftfracht transportiert, bei ausreichenden Beständen wird der Transport mit dem Containerschiff fortgesetzt. Analog kann im Bereich der verderblichen Waren bspw. anhand verschiedener Reifegrade der versendeten Früchte disponiert werden. Im Bedarfsfall sind die Fahrpläne der Containerlinien und Frachtmaschinen mit den Umschlagzeiten in Dubai abgestimmt, sodass eine nahezu nahtlose Verbindung gewährleistet werden kann. Aufgrund der eigenen Flight Operations von DB Schenker ex Dubai können den Kunden ausreichende Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Nach Ankunft in Europa werden die Luftfrachtsendungen im Schenker-Landverkehrsnetz an den Bestimmungsort gebracht. Durch die intelligente Verknüpfung der bei-
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Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene
den Transportmodi im Hauptlauf kann im Bedarfsfall die Laufzeit gegenüber reiner Seefracht um bis zu 50 Prozent verringert werden, bei im Vergleich zur reinen Luftfracht deutlich geringeren Kosten. Darüber hinaus organisiert DB Schenker den gesamten Transport aus einer Hand und kontrolliert damit vom Versand- bis zum Bestimmungsort die gesamte Supply Chain.
Ausblick Die Logistikbranche steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Das hohe Wachstum der Transportmärkte infolge der weiter zunehmenden Globalisierung hält an. Gleichzeitig steigen die Kundenanforderungen zum Beispiel in Bezug auf Schnelligkeit, Flexibilität und Service, aber auch bezüglich Kosteneffizienz und Umweltverträglichkeit. Dies berücksichtigend, wird die intelligente Kombination verschiedener Verkehrsträger und dadurch optimale
Ausnutzung ihrer spezifischen Einsatzstärken künftig weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei macht es insbesondere die verstärkte Sensibilisierung der Nachfragerseite für Klimawandel für Logistikanbieter notwendig, die Potenziale der Verkehrsträgerverknüpfung zur Steigerung der Energieeffizienz gezielt zu nutzen. Der verstärkten Einbindung des umweltfreundlichen Verkehrsträgers Schiene in integrierte multimodale Transport- und Logistikketten wird damit in Zukunft eine erhöhte Bedeutung zukommen. Literaturverzeichnis Brandenburg, H. et al. (2006) Güterverkehr – Spedition – Logistik, 37. Aufl. Krieger, W. (Hrsg.) (2000) Gabler Logistik Lexikon, 2. Aufl., Wiesbaden Pfohl, H.-C. (2003) Logistiksysteme, 7. Aufl., Berlin u. a. Jaeger, G./Laudel, H. (2004) Transportmanagement. Bd. 1. 5. Aufl., Hamburg Vahrenkamp, R. (2002) Die Rolle der Luftfracht in der internationalen Logistik, Kassel
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
Michael Kubenz Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Kube & Kubenz Internationale Speditions- und Logistikgesellschaft mbH & Co. KG
Michael Kubenz Jahrgang 1957 Kubenz ist seit 2006 Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV). Kubenz studierte BWL in Hamburg. Er brach das Studium ab, um nach dem Tod seiner Eltern den Familienbetrieb Kube & Kubenz Internationale Speditionsund Logistikgesellschaft mbH & Co. KG zu führen, der sich auf den Transport und die Logistik spezieller Gefahrgüter und sonstiger Produkte in Tankzügen und Containern spezialisiert hat. Von 1995 bis 1998 war er Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union, Brüssel, als Mitglied der Gruppe der Arbeitgeber. Er ist seit 1983 Mitglied im Aufsichtsrat der Vereinigung Deutscher Kraftwagenspediteure (VKS), dessen Vorsitz er 1995 übernahm. Er ist in verschiedenen Verwaltungs- und Beiräten tätig, so unter anderem bei der BLG Logistics Group, Kombiverkehr Deutsche Gesellschaft für kombinierten Güterverkehr und der DEKRA.
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte Michael Kubenz
Einführung Für die Definition von Logistik findet in der Praxis häufig die Seven-Rights-Definition nach Plowman (Grosvenor E. Plowman (1964)) Anwendung: „Logistik heißt, die Verfügbarkeit des richtigen Gutes, in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, für den richtigen Kunden, zu den richtigen Kosten zu sichern.“ Schon diese Definition zeigt, dass eine Logistikdienstleistung auch immer etwas mit Ortsveränderung zu tun hat. Der Transportlogistik kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Transportlogistik im eigentlichen Sinne beschäftigt sich mit der physikalischen Verbringung von Gütern (fest, flüssig, gasförmig) zwischen verschiedenen Orten innerhalb von Logistiknetzwerken (Transportnetzstruktur). Der Transport wird dabei durch einen Frachtführer oder durch einen Spediteur im Selbsteintritt durchgeführt. Die Transportorganisation übernimmt der Spediteur als Logistikdienstleister, der in der Regel zusätzliche Leistungen rund um die Transportlogistik anbietet. In diesem Beitrag wird versucht, die besondere Bedeu-
tung des Straßengüterverkehrs für die Transportlogistik darzustellen, auf Probleme des Straßengüterverkehrs einzugehen, eine Prognose für die Zukunft abzugeben und besonders innovative Konzepte vorzustellen.
Die Bedeutung des Straßengüterverkehrs Deutschland
Vor allem die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) führen amtliche funktionale Verkehrsstatistiken durch. Amtliche Verkehrsstatistiken orientieren sich relativ streng an der Tätigkeit „Transport“ (funktionale Berichtskreisabgrenzung) und den dafür erforderlichen unmittelbaren Voraussetzungen. Sie erfassen dabei alle wichtigen Angaben, insbesondere zu Verkehrsleistungen (beförderte Güter), zu den Beförderungsunternehmen, zu den Verkehrsmittelbeständen, zur Verkehrsinfrastruktur sowie zum Unfallgeschehen. In amtlichen Verkehrsstatistiken werden dabei konsequenterweise diejenigen deutschen Unternehmen einbezogen,
Tab. 1: Verkehrsleistungsstatistik Beförderungsleistung 2005 bis 2007
Verkehrsträger
Verkehrsleistung in Mrd. tkm Jahr 2005
Jahr 2006
Veränderungen in %
Jahr 2007 Veränderungen in %
Rohrfernleitungen
16,7
15,8
- 5,1%
16,1
1,6%
Eisenbahnen
95,4
105,8
10,8%
116,9
10,5%
Binnenschifffahrt
64,1
64,0
- 0,2%
65,7
2,6%
Straßengüterverkehr
404,5
442,7
9,4%
456,6
3,1%
Deutsche Unternehmen
271,8
288,9
6,3%
302,8
4,8%
Gewerblicher Verkehr
212,6
226,2
6,4%
242,3
7,1%
Werkverkehr
59,2
62,7
5,9%
60,6
- 3,4%
Verkehr im Nahbereich
25,6
27,3
6,6%
29,9
9,7%
Verkehr im Regionalbereich
49,9
52,7
5,7%
57,3
8,7%
Verkehr im Fernbereich
196,3
208,9
6,4%
216,0
3,4%
Ausländische Lkw
132,7
153,8
15,9%
153,8
5,5%
Alle Landverkehrsträger
580,7
628,3
8,2%
655,2
4,3%
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Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
die eine bestimmte Transporttätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob diese Transporttätigkeit die Haupttätigkeit, eine Nebentätigkeit oder eine Hilfstätigkeit (z. B. Werkverkehr von Unternehmen des Handels) der Unternehmen darstellt. Die Verkehrsleistungsstatistiken weisen die Beförderungsmenge bzw. das Beförderungsaufkommen im Güterverkehr (Tonnen) sowie die Beförderungsleistungen (Tonnen/Kilometer) nach und werden bei den Betrieben stichprobenhaft direkt per Fragebogen erhoben. Bei den Ergebnissen ist aber zu beachten, dass in unbekannter Höhe Mehrfachzählungen durch Umsteigen oder Umladen enthalten sind und dass das Beförderungsaufkommen ausländischer Unternehmen des Straßengüterverkehrs im Transit durch Deutschland und im Kabotageverkehr nur durch das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften, kurz EUROSTAT, erhoben werden kann. In die Tabellen sind daher die Daten des Statistischen Jahrbuchs 2007 für die Bundesrepublik Deutschland (Statistisches Bundesamt, September 2007) und der BAG-Marktbeobachtung Bericht Herbst 2007 (Bundesamt für Güterverkehr, 16.11.2007) sowie der BAG-Marktbeobachtung Güterverkehr, Jahresbericht 2006 (Bundesamt für Güterverkehr, 31.05.2007) eingeflossen, sowie für den Anteil ausländischer Unternehmen die gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr, Mittelfristprognose Winter 2006/2007 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung FE-Nummer 96.0809/2004/ (Seltz et al., Januar 2007) angenommen worden. Die Zahlen 2007 basieren auf Hochrechnungen der Halbjahreszahlen und Befragung von Marktteilnehmern. Prognosezahlen werden hell hinterlegt dargestellt. Deutlich ist festzustellen, dass der Straßengüterverkehr die dominante Rolle unter den Verkehrsträgern darstellt.
Europa
Eine ähnliche Dominanz hat auch der Straßengüterverkehr in Europa. In Europa muss aber noch der Anteil des Luftverkehrs und des maritimen Verkehrs berücksichtigt werden. Allerdings treten hier statistische Schwierigkeiten auf, da der Luftverkehr für Güter in Europa zum Teil auf der Straße abgewickelt wird (Luftfrachtersatzverkehr) und bei den Mengen, die über die Häfen ein- und ausgehen, nicht zwischen intra-europäischen Mengen (Binnenmarkt) und Drittlandsverkehr unterschieden wird. Daher liegen zurzeit nur Zahlen bis 2005 vor.
Prognosen für die Zukunft des Straßengüterverkehrs Die Verkehrsprognose des Bundesverkehrswegeplans 2003 (Projektgruppe Bundesverkehrswegeplanung, Beschluss Bundeskabinett vom 2. Juli 2003) geht für den Zeitraum von 1997 bis 2015 von massiven Steigerungen der Verkehrsleistungen im Güterverkehr um 64 Prozent und im Personenverkehr um 20 Prozent aus. Auch für den Zeithorizont bis 2050 zeichnet sich keine grundlegend andere Entwicklung ab: Die Güterverkehrsleistung insgesamt wird sich bis dahin ab heute von ca. 650 Mrd. Tonnenkilometer (tkm) auf dann über 1200 Mrd. tkm nahezu verdoppeln. Der Anteil der Güterverkehrsleistung wird auf der Straße gegenüber heute um zwei Prozentpunkte auf 72 Prozent zunehmen. Die Straße wird also auch in der langfristigen Perspektive die Hauptlast des Güterverkehrs tragen. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur für Deutschland in einem größer werdenden Europa ist angesichts der dynamischen Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen innerhalb der EU unverzichtbar. Ein wichtiger
Abb. 1: Modal Split-Anteile der Landverkehrsträger nach der Verkehrsleistung (Straße: nur Verkehr > 50 km)
2005 17,2%
2006
11,5%
17,9%
Straße (>50km)
10,7%
68,8%
Eisenbahn
Quelle: Selz et al. (Januar 2007)
17,9%
Binnenschiff
69,0%
Rohrleitung
2010
10,5%
17,9%
2,6%
2,7%
3,0% 68,3%
2007
9,9% 2,5%
69,7%
Michael Kubenz
Gesichtspunkt ist dabei der Ausbau der europäischen Verkehrswege zu einem grenzüberschreitenden Netzwerk. Mit den von den Staaten der Europäischen Union beschlossenen Leitlinien für transeuropäische Verkehrsnetze (TEN-V) (Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996) wurde ein Orientierungsrahmen für den Auf- und Ausbau der international bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur in der EU bis zum Jahr 2010 geschaffen. Das transeuropäische Straßennetz TERN (Trans-European Road Network) als Teil des gesamten transeuropäischen Verkehrsnetzes soll: • • •
•
233
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2236/95 des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Netze) geregelt.
Die Probleme im Straßengüterverkehr Das Problem Infrastruktur
Leider findet dieses Verkehrswachstum und die Schaffung eines transeuropäischen Straßennetzes kein adäquates Abbild in der Entscheidung der Volksvertreter in den Parlamenten. Wie aus den Zahlen des Finanzplanes des Bundes 2007 bis 2011 entnommen werden kann, ist sogar eine Reduzierung der Finanzmittel für die Bundesfernstraßen vorgesehen. Als Lösung des Problems schlägt die Bundesregierung vor: „Das heutige Verkehrswachstum kann nur mit dem Einsatz neuer, zukunftsweisender Technologien effizient und umweltgerecht bewältigt werden. Vor diesem Hintergrund kommt verkehrsbezogenen Kommunikations-, Leitund Informationssystemen (Telematik im Verkehr) ein steigender Stellenwert in der Verkehrspolitik zu.“ (Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011, S. 30) Verkehrsleitsysteme sollen also davor bewahren, im Dauerstau zu enden. Auf europäischer Ebene sieht es nicht besser aus: Die Mitglieder der Gemeinschaft müssten für den Zeitraum 2007 bis 2013 über 300 Mrd. Euro aufbringen. Dies werden die Staaten nicht leisten können, daher haben
dem internationalen Fernverkehr dienen, die Umgehung von Ballungsräumen ermöglichen, Verbindungen zu den Netzen anderer Verkehrsträger herstellen und die Anbindung und die Integration der Randgebiete der Union verbessern.
Die Europäische Gemeinschaft kann die Mitgliedstaaten beim Ausbau der Transeuropäischen Verkehrsnetze unterstützen, dies tut sie durch die Trans-European Transport Network Executive Agency (TEN-TEA). Sie baut aber selbst keine Infrastruktur. Voraussetzung und maximale Höhe eines Zuschusses sind in der EG-Verordnung Nr. 807/2004 (Verordnung (EG) Nr. 807/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur
Abb. 2: Modal Split EU 25
Modal Split (Inland) Straße
Schiene
Binnenschifffahrt
Pipelines
See
Luft
2005
44,2
10,0
3,3
3,4
39,1
0,1
2004
44,1
10,3
3,4
3,4
38,9
0,1
2003
43,4
10,1
3,3
3,5
39,6
0,1
2002
43,6
10,0
3,6
3,5
39,2
0,1
2001
43,1
10,2
3,6
3,7
39,4
0,1
2000
42,9
10,8
3,7
3,6
38,8
0,1
1999
43,4
10,8
3,7
3,7
38,3
0,1
1998
42,9
11,5
3,9
3,8
37,9
0,1
1997
42,0
12,1
3,9
3,7
38,2
0,1
1996
42,3
12,0
3,8
3,9
38,0
0,1
1995
42,1
12,1
3,9
3,8
38,1
0,1
Anmerkungen: Luft und See: ausschließlich Inlandstransport und Transporte innerhalb der EU 25 Straße: Nationale und internationale Beförderungen durch in der EU 25 zugelassene Fahrzeuge Quelle: Europäische Kommission 2006
234
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
Europäische Kommission und Europäische Investitionsbank (EIB) am 11. Januar 2008 eine Kooperationsvereinbarung über ein Kreditgarantieinstrument für transeuropäische Verkehrsnetzprojekte (LGTT) unterzeichnet. Das LGTT ergänzt die anderen Finanzierungsinstrumente der Europäischen Kommission für TEN-Verkehrsvorhaben, die eine stärkere Beteiligung des privaten Sektors zum Ziel haben. Private Investoren sollen gewonnen werden, um die Infrastruktur zu finanzieren. Das Problem der Unterfinanzierung der Infrastruktur ist nicht neu. Schon 1999 hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen (BMF) eine unabhängige Kommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ (Pällmann-Kommission) berufen. Die Kommission hatte den Auftrag, konkrete Empfehlungen für die zukünftige Finanzierung der Bundesfernstraßen, der Bundesschienenwege und der Bundeswasserstraßen zu geben. Sie kam schon im Jahr 2000 zu folgendem Ergebnis: „[...] besteht eine Finanzierungslücke im Bereich der drei Verkehrsträger von mindestens 7,5 Mrd. DM p. a. bis über das Jahr 2010 Jahr hinaus (Bundesfernstraßen 4,0 Mrd. DM; Bundesschienenwege 3,0 Mrd. DM; Bundeswasserstraßen 0,5 Mrd. DM). Im Bereich aller drei Verkehrsträger haben die Instandhaltungsdefizite zwischenzeitlich ein Ausmaß angenommen, dass von einer Instandhaltungskrise gesprochen werden kann“.
Mautpflicht beginnt grundsätzlich mit der Auffahrt auf allen Bundesautobahnen (BAB) einschließlich Rastanlagen. Die Mautumsätze betrugen im Jahr 2005 insgesamt 2,86 Mrd. Euro (brutto), im Jahr 2006 waren es rund 3,08 Mrd. Euro (brutto). Bis einschließlich August 2007 sind bereits über 2,18 Mrd. Euro an Mauteinnahmen erzielt worden (Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung). Durch die Lkw-Maut erhöhen sich die Kosten für den Gütertransport auf den Bundesautobahnen. Ausgehend von einem 40-Tonnen-Lkw mit einer Fahrleistung von 100 000 Kilometern pro Jahr auf dem deutschen Autobahnnetz und einer durchschnittlichen Mauthöhe von 12,4 Cent pro Kilometer kommt es zu einer Nettobelastung von jährlich etwa 11 000 Euro pro Lkw. Hinzu kamen noch die indirekten Kosten der Maut, die durch interne Organisations-, Informations-, Schulungs- sowie Controlling- und Finanzierungskosten entstanden sind. Diese beliefen sich schätzungsweise nochmals auf 10 bis 20 Prozent der direkten Mautkosten und verteuerten jeden mautpflichtigen Kilometer zusätzlich um durchschnittlich 1,9 Cent. Diese Erhöhung musste im Markt an die Auftraggeber (Verlader) weitergegeben werden. Dies gelang zum größten Teil bei den Lastkilometern (Fahrten mit Ladung), aber nicht bei den Leerkilometern (Fahrten ohne Ladung) (Bundesamt für Güterverkehr, 15.11.2006). Das Problem der Wettbewerbsbedingungen in Europa
„Der Deutsche Bundestag stimmt mit der Bundesregierung überein, dass a) aufgrund der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Güterkraftverkehr ein Harmonisierungsvolumen in Höhe von 600 Mio. Euro jährlich gewährleistet wird und dazu b) folgende Maßnahmen umgesetzt werden sollen: Mautermäßigungsverfahren/Mineralölsteueranrechnungsverfahren, Änderung des Kfz-Steuergesetzes, lnnovationsprogramm oder jede andere geeignete Har-
Das Problem staatlicher Eingriffe Die Maut
Die Pällmann-Kommission hat auch die Umstellung der Infrastrukturfinanzierung von einer Umlage-Finanzierung (Kraftfahrzeugsteuer) auf eine Nutzer-Finanzierung (Straßenbenutzungsgebühr) vorgeschlagen. Am 1. Januar 2005 ist in Deutschland eine Straßenbenutzungsgebühr für Lastkraftwagen über 12 t Gesamtgewicht eingeführt worden. Die
Tab. 2: Die Ausgaben des Bundesfinanzplanes bis 2011
Die Ausgaben des Bundes 2006 bis 2011 nach Aufgabenbereichen [in Mio. Euro] Verkehr
Ist 2006
Soll 2007
Entwurf 2008
Finanzplan 2009
Finanzplan 2010
Finanzplan 2011
Eisenbahnen des Bundes
9 269
9 412
9 178
9 565
9 608
9 718
Bundesfernstraßen
6 124
5 653
5 633
5 520
5 469
5 466
Bundeswasserstraßen
1 553
1 668
1 748
1 792
1 791
1 790
Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden; Regionalisierungsgesetz
1 693
1 672
1 672
1 672
1 672
1 672
Sonstige Maßnahmen im Verkehrsbereich
1 370
1 762
1 680
1 677
1 543
1 499
Michael Kubenz
monisierungsmaßnahme einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung. Mautermäßigungsverfahren/Mineralölsteueranrechnungsverfahren sind prioritär zu verfolgen, um die angestrebte Harmonisierung umfassend und zeitnah zu erreichen.“
päischen Kommission – wie das MEV – ebenfalls nicht mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Über alternative Harmonisierungsmaßnahmen im Sinne des Mautkompromisses laufen Gespräche zwischen den Bundesministern für Verkehr und Finanzen.
Dies hat der Deutsche Bundestag am 22. Mai 2003 beschlossen. Die Einführung der Maut ist auch mit der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Europa begründet worden. Nachdem das gemäß dem Kompromiss prioritär zu verfolgende Mautermäßigungsverfahren (MEV) im Januar 2006 von der Europäischen Kommission im Rahmen des Beihilfeprüfverfahrens nicht genehmigt wurde, ist gemeinsam mit den Verbänden entschieden worden, gegen die Entscheidung nicht zu klagen und die anderen im Mai 2003 vereinbarten Harmonisierungsmaßnahmen zu realisieren. Dazu zählen die Absenkung der Kraftfahrzeugsteuer und das Innovationsprogramm zur Förderung der Anschaffung besonders emissionsarmer schwerer Lkw. Das Innovationsprogramm ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften genehmigt worden; das Gesetz zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften ist am 17. August 2007 verkündet worden. Es trat am 1. September 2007 in Kraft. Das darüber hinaus von den externen Rechtsexperten der Verbände und des BMVBS entwickelte Mautbonussystem (MBS) ist nach Auffassung der Euro-
Die Besteuerung von Diesel
Über Jahre hinweg gab es in Deutschland deutliche Anhebungen der Mineralölsteuer. So wurde die Mineralölsteuer mit dem Begriff Ökosteuer allein in den Jahren 1999 bis 2003 fünfmal angehoben und kletterte von 32 auf rd. 47 Cent pro Liter. Das politische Versprechen, die Einnahmen aus der Ökosteuer in voller Höhe zur Senkung der Lohnnebenkosten zu verwenden, wurde dabei nicht eingehalten. Und bei jeder Erhöhung der Mineralölsteuer verdient der Staat auch noch zusätzlich über die Mehrwertsteuer mit. Verstärkt wurde diese Entwicklung noch durch die Explosion der Kraftstoffpreise in den vergangenen zwei Jahren. Die Unternehmen mussten mit Preissteigerungen von über 35 Prozent im Zeitraum Januar 2005 bis Januar 2008 beim Dieseltreibstoff fertig werden. Auf Ebene der Europäischen Gemeinschaft würde eine Bandbreite mit einem Mindest- und einem Höchststeuerbetrag eingerichtet. Die Mitgliedstaaten hätten ihre Verbrauchsteuersätze auf gewerblich genutzten Diesel innerhalb dieser Bandbreite festzulegen. Diese würde – nach und nach verengt – im Jahr 2010 dann 100 Euro ausmachen. Damit sich die Mitgliedstaaten, für
235
236
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
die Übergangszeiten gelten, auf diese Regelung einstellen können, schlagen die Kommissionsdienststellen vor, die gegenwärtigen Mindeststeuerbeträge der Energiesteuerrichtlinie bis 2013 als Untergrenze der Bandbreite zu verwenden. Ab 2012 soll der Mindestsatz für Diesel auf 359 Euro erhöht werden und dann weiter auf 380 Euro im Jahre 2014. Außerdem haben die Mitgliedstaaten keine Obergrenze zu beachten. Den Mitgliedstaaten, die zu einem höheren Satz als dem Mindestbetrag besteuern wollen, steht dieses frei. Mit diesem Vorschlag ist eine einheitliche Besteuerung in Europa in weite Ferne gerückt.
Die Lenk- und Ruhezeiten und die Arbeitszeitregelungen von Fahrern
Seit dem 1. September 2006 gilt in Deutschland ein neuer § 21a Arbeitszeitgesetz. Dieser Paragraf reduziert die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit von Kraftfahrern um 15 Prozent. Ab 11. April 2007 gilt die neue Verordnung über Lenk- und Ruhezeiten der Europäischen Union (Verordnung (EG) Nr. 561/2006, 11.4.2006). Das bisherige System wird nur im Grundsatz beibehalten, denn die Flexibilität bei der Planung von Ruhezeiten (Pausen) geht verloren. Die Umsetzung der neuen Sozialvorschriften hat eine Kostenlawine ausgelöst. Klaus hat in der Studie
Abb. 4: Lkw-Mauterhebung in Deutschland
Automatische Einbuchung
Satellit für GPS (Global Positioning System) Ziel
Fahrzeuggeräte Unternehmen des Güterkraftverkehrs 1. Einbau Fahrzeuggerät
2. Eingabe Fahrzeugdaten
3. GPS erfasst die Position
4. Fahrzeuggerät 5. Kontrolle erkennt maut(stationär pflichtige Straße und mobil)
8. Zentrale rechnet Gebühren mit dem Unternehmen des Güterkraftverkehrs ab
6. Fahrzeuggerät berechnet Mautgebühren
7. Betrag wird per Mobilfunk (GSM) an die Mautzentrale gesendet
Manuelle Einbuchung im Internet oder am Mautstellen-Terminal Ziel Unternehmen des Güterkraftverkehrs 1. Einbuchung über Internet oder Terminal
4. Bei Internet-Einbuchung rechnet die Zentrale Gebühren mit dem Unternehmen des Güterverkehrs ab Quelle: www.TollCollect.de
2. Fahrzeug fährt auf mautpflichtiger Straße
3. Kontrolle (stationär und mobil)
237
Michael Kubenz
„Das neue Fahrpersonalrecht in der Europäischen Union“, die im Jahr 2007 im Auftrag des DSLV erstellt wurde, die Kostenauswirkungen im Straßengüterverkehr untersucht. Für Lkw mit mehr als 3,5 t betrug bisher das Kostenvolumen 50 Mrd. Euro. Jetzt, nach vollständiger Umsetzung des neuen Fahrpersonalrechts, wird gegenüber 2006 ein zusätzlicher Kostenschub von 4,7 Mrd. Euro auf die Logistikwirtschaft zukommen. Das ist eine prozentuale Steigerung um 9,4 Prozent.
ten Fahrpersonalbedarf ausgelöst haben, und die deutlich zurückgegangene Fahrerausbildung durch die Bundeswehr. Den bis zu 15 000 ausgeschriebenen offenen Stellen stehen knapp 120 000 bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg arbeitslos gemeldete Fahrer gegenüber, darunter mehr als 30 000 Berufskraftfahrer. Dass die mittelständisch geprägte Branche kein geeignetes Personal findet, ist kein Quantitätsproblem, sondern vielmehr ein Qualitätsproblem. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die arbeitslos gemeldeten Fahrer oftmals nicht ausreichend qualifiziert und auch nicht hinreichend motiviert sind, um eine Fahrertätigkeit im Fernverkehr mit den nicht zu leugnenden strapaziösen und familienunfreundlichen Arbeitszeiten zu bewältigen. Hinzu kommt der Umstand, dass viele der von der Agentur für Arbeit empfohlenen Fahrer nicht über die notwendige Erfahrung verfügen. Auch die Bereitschaft potenzieller Fahrer, für eine Stelle umzuziehen, ist gering. An das Fahrpersonal werden heutzutage hohe Anforderungen gestellt. Als Aushängeschild des Unternehmens ist der Fahrer verantwortlich für ein hochwertiges Fahrzeug und entsprechend hochwertige Waren. Er muss die Technik des Fahrzeugs beherrschen sowie über entsprechende
Das Problem „Fahrermangel“
Ein immer akuter werdendes Problem ist der Fahrermangel (Marktbeobachtung Güterverkehr – Sonderbericht, 24.5.2007). Deutsche Kraftwagenspediteure und Transportunternehmen suchen händeringend nach qualifiziertem Fahrpersonal, und das trotz der hohen Arbeitslosigkeit bei Lkw-Fahrern. Gründe hierfür sind zum einen der konjunkturelle Aufschwung, die steigende Transportnachfrage aus den neuen Mitgliedstaaten der EU sowie das altersbedingte Ausscheiden einer zunehmenden Anzahl von Fahrern aus dem Beruf. Hinzu kommen die geänderten Arbeitszeitregelungen (siehe oben), die seit Herbst 2006 einen verstärkAbb. 5: Energiesteuer auf Dieselkraftstoff in Europa in Euro-Cent pro Liter
Stand Kurse: 2.Juli 2007
80,00
71,56
70,00
0,00
A
B* BG CH CY CZ D DK E* EST F* FIN GB GR
H
I* IRL L
LT LV M
36,00
37,66 30,20 24,50
43,20 32,33
40,15 29,52
36,44
N NL P
31,70
37,08
33,24
29,04 18,73
27,60
10,00
25,55
41,30 42,30
36,81
34,52
39,45 31,94
24,54
29,30
30,20
47,64 34,62
36,49
46,69 24,48
27,35
34,70
20,00
33,91
30,00
33,11
40,00
42,64
50,00
44,67
60,00
PL RO S SK SLO ø EU ** ab EU Min 2014 27 *** (in B, FIN, IRL,PL auf schwefelarmen Diesel; in A, D, GB, H, L, NL, S auf schwefelfreien Diesel; in DK, FIN, N, S, einschl. CO2-Steuern) * niedrigerer Steuersatz auf gewerblich genutzten Dieselkraftstoff („Gewerbediesel“) durch Erstattungsregelung ** niedrigerer EU-Mindestsatz gilt für EST, GR, L, LT, LV, M, P und PL mit unterschiedlichen Übergangsfristen (für BG und RO gelten erst ab 2008 Mindestsätze) *** EU-Mindestsatz gem. Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Energiesteuerrichtlinie 2003/96/EG vom 13.3.2007 (z. T. Übergangsfristen bis 2017) Quellen: Europäische Kommission und eigene Recherchen des BGL
238
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
Sprachkenntnisse bei Einsätzen im grenzüberschreitenden Verkehr verfügen. Hinzu kommt – wie schon erwähnt – die Motivation, um auch über längere Zeiträume insbesondere im Auslandseinsatz mit entsprechenden Abwesenheitszeiten vom Wohnort Transporte durchzuführen. Angesichts der prekären Situation am Arbeitsmarkt – im Übrigen kein rein deutsches Problem, sondern auch in vielen anderen west-, aber auch osteuropäischen Ländern zu beobachten – bemüht sich der DSLV zusammen mit dem BGL darum, auch Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten legal einstellen zu dürfen, was in Deutschland zurzeit aufgrund der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber zehn der zwölf neuen Mitgliedstaaten untersagt ist, auch im Rahmen eines begrenzten Kontingentes. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich bereit erklärt, enger mit den Verbänden des Verkehrsgewerbes zusammenzuarbeiten, um offene Stellen für Fahrer im Fernverkehr zu besetzen. Falls die regionalen Arbeitsagenturen vor Ort keine geeigneten inländischen Bewerber für offene Stellen benennen können, könnten dann auch Arbeitsgenehmigungen für Fahrer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten und auch aus Drittstaaten erteilt werden. Umweltschutz und CO2 -Reduktion
Die Bundesregierung bietet als deutschen Beitrag für ein internationales Klimaschutzabkommen nach 2012 an, die
Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu reduzieren. Dieses Angebot steht unter der Voraussetzung, dass die Europäische Union im selben Zeitraum ihre Emissionen um 30 Prozent gegenüber 1990 reduziert und andere Staaten vergleichbar ehrgeizige Ziele übernehmen. Dafür sieht die Bundesregierung vor allem zwei Schlüssel: Energie muss weit effizienter eingesetzt werden als heute, und wir brauchen mehr CO 2 -arme Energien (Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, Dezember 2007). Lkw haben schon durch die verbindlichen EU-Emissionsgrenzwerte (EURO 0 bis EURO 5) eine erhebliche Absenkung der Emissionen erreicht. Allerdings stiegen bei der Einführung der Emissionsklassen teilweise die Kraftstoffverbräuche. Neue Emissionsklassen müssen also auch den Kraftstoffverbrauch und den damit verbundenen CO 2 -Ausstoß berücksichtigen.
Innovative Konzepte in der Transportlogistik auf der Straße Neue Maße und Gewichte
Auf der 61. IAA Nutzfahrzeuge 2006 in Hannover präsentierten die im VDA vertretenen Nutzfahrzeughersteller erstmals mit den innovativen Nutzfahrzeugkonzepten EuroCombi ihren Lösungsvorschlag, um das prognostizierte
Abb. 6: EU- Emissionsgrenzwerte für Dieselmotoren (Straße) EU-Emissionsgrenzwerte für Dieselmotoren (Straße) Zulässiger Schadstoffanteil gegenüber Euro 0 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 %
HC CO
30 % 20 %
NO3
10 %
Rußpartikel
0% 1990 Euro 0
1993 Euro I
1996 Euro II
2001 Euro III
Quellen: Europäische Kommission, Brüssel, Umweltbundesamt Dessau und Berechnungen des BGL Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V.
2006 Euro IV
2009 Euro V
Michael Kubenz
steigende Straßengüterverkehrsaufkommen in Zukunft zu bewältigen (Jahresbericht „Auto 2007“ (Juli 2007)). Die 25,25 m langen EuroCombis bieten mit ihrem höheren Ladevolumen die Möglichkeit, mehr Güter mit weniger Verkehr und damit weniger Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen zu transportieren. Zugleich verfügen sie über neueste Technik und die höchsten verfügbaren Sicherheitsfeatures. Zwei EuroCombis können durch die innovative 25,25mKombination drei herkömmliche Lastzüge ersetzen. Seit einigen Jahren werden in Europa andere Lkw-Kombinationen als der in Deutschland erlaubte 40t-Zug mit einer Maximallänge von 18,75 m eingesetzt. Die längeren Kombinationen basieren auf den existierenden Vorschriften für Abmessungen und Gewichte der EG-RL 96/53/EG. Vor allem in Skandinavien sind mittlerweile langjährige positive Erfahrungen mit den Lkw bei einer Gesamtlänge von bis zu 25,25 m gemacht worden. Auch die Niederlande haben 2006 einen mehrjährigen Feldversuch abgeschlossen, bei dem der Einsatz dieser Fahrzeugkombinationen im Detail untersucht wurde und das Resultat durchweg positive Ergebnisse waren – sei es unter Sicherheits-, Effizienz- oder Umweltgesichtspunkten. So ist es möglich, dass diese Fahrzeuge eventuell künftig auf dem niederländischen Straßennetz zum Alltag gehören bzw. weitere Länder in vergleichbare Großversuche einsteigen werden. Das Konzept wurde in zwei Varianten vorgestellt: Bei der volumenorientierten Variante zieht eine herkömmliche zweiachsige Sattelzugmaschine (4x2) einen 13,60m-Standard-Sattelauflieger, an den ein Tandemachs-Anhänger angekoppelt ist. So wird eine Gesamtfahrzeuglänge von 25,25 m und ein Gesamtgewicht von
48 t erreicht. Haupteinsatzgebiete sind die Belieferung von Produktionsstandorten, Lebensmitteltransporte und Stückgutverkehre. Die gewichtsorientierte Variante besteht aus einem Motorwagen mit drei, davon zwei angetriebenen (6x4) Achsen und einem bis zu 7,82 m langen Fest- oder Wechselaufbau, dem mittels eines sogenannten ZweiachsDolly ein herkömmlicher 13,60m-Standard-Sattelauflieger angehängt wird. Diese Variante, die besonders für die Belieferung von Produktionsstandorten, Teilladungsverkehr und den Transport von Haushaltsgeräten sowie Getränkeund Papiertransporte geeignet ist, beinhaltet eine Länge von 25,25 m und ein maximales Gesamtgewicht von 60 t. Für den Einsatz dieser neuen Fahrzeugkonzepte konnten folgende Vorteile identifiziert werden: •
•
•
•
•
2,2 Mrd. eingesparte Lkw-Kilometer bei deutschlandweiter Zulassung von EuroCombi; 13 Prozent weniger gefahrene Kilometer bei europaweiter Zulassung; durchschnittliche Reduktion des Kraftstoffverbrauchs bei jeder transportierten Tonne je Kilometer um 15 Prozent und damit weniger Treibhausgase; 6 Prozent reduzierte Kosten für die Volkswirtschaft bei deutschlandweiter und 12 Prozent reduzierte Kosten bei europaweiter Zulassung; 25 Prozent weniger Verkehrsraum
Diese Argumente hätten zählen sollen, aber leider haben sich der Bundesminister und seine Kollegen aus den Bundesländern gegen einen Feldversuch in Deutschland ausgesprochen (Die Welt, 10. Oktober 2007).
Abb. 7: EuroCombi und Straßenlänge
EuroCombi
Gesetzlicher Mindestabstand 50 m
EuroCombi
ca. 100 m
Standard-Zug
Gesetzlicher Mindestabstand 50 m
Standard-Zug ca. 150 m
Quelle: VDA
Gesetzlicher Mindestabstand 50 m
Standard-Zug
239
240
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
Abb. 8: EuroCombi – Varianten
Volumenorientierte Variante
Gewichtsorientierte Variante Quelle: VDA
Alternative Treibstoffe
Mit dem verabschiedeten Biokraftstoffquotengesetz ist der Ausbau der Biokraftstoffe in Deutschland festgeschrieben. Das zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Biokraftstoffquotengesetz verpflichtet die Mineralölwirtschaft, einen wachsenden Mindestanteil von Biokraftstoffen, bezogen auf die jährliche Gesamtabsatzmenge eines Unternehmens an Otto- und Dieselkraftstoff (einschließlich des Biokraftstoffanteils), in Verkehr zu bringen (Biokraftstoffquote). Der Biokraftstoffanteil im Diesel soll
ab 2007 mindestens 4,4 Prozent betragen, im Jahr 2007 bei Benzin 1,2 Prozent mit einer jährlichen Erhöhung um weitere 0,8 Prozent auf mindestens 3,6 Prozent im Jahr 2010. So beträgt der Biokraftstoffanteil bis zum Jahr 2012 in Deutschland 8 Prozent. Bis zum Jahr 2020 soll er auf 12 Prozent ausgebaut werden. Nach Berechnungen des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) führt diese Biokraftstoffquote im Jahr 2012 zu einer CO 2 -Einsparung von 7,5 Mio t. Umgerechnet auf den Fahrzeugbestand bedeutet dies eine spezifische CO 2 -Reduktion von zirka 6 g/km. Gleichzeitig entfällt die bislang geltende steuerliche Förderung von Biokraftstoffen für die innerhalb der Quote in den Markt gebrachten Biokraftstoffe. Eine Ausnahme bilden die sogenannten Biokraftstoffe der zweiten Generation, die auch weiterhin von der Mineralölsteuer befreit bleiben. Im Gegenzug wird die steuerliche Förderung für Biokraftstoffe in Reinform sukzessive bis zum Jahr 2012 abgebaut. Für viele Transportunternehmen und Kraftwagenspediteure, die ihre Fahrzeugflotten auf den Betrieb mit Biodiesel (Rapsmethylester RME) umgestellt haben, bedeutet diese Besteuerung wieder die Rückkehr zum Einsatz von fossilem Diesel. Flottenmanagement und Fahrersteuerung
Für den Marktauftritt von Logistikdienstleistern hat Baumgarten (Baumgarten et al. 2004) vier Dimensionen herausgearbeitet: 1. Verständlichkeit der Produkte 2. Hervorheben des Kundennutzens
Abb. 9: Biokraftstoffbesteuerung Angaben in ct/l 40 35 30 25 20 15 10 5 2007 Biodiesel Quelle: VDA
2008 Pflanzenöl
2009
2010
2011
2012
Michael Kubenz
3. Modularität des Produktprogramms 4. Standardisierte Leistungserstellung Für die Verständlichkeit der Produkte ist sicherlich, auch vor dem Hintergrund des Infrastrukturproblems, die Information an den Kunden das hervorragende Problem. Kunden erwarten verlässliche Information über Ankunft- und Abholtermine. Auch der Kundennutzen wird hier deutlich, wenn man bedenkt, dass die Ver- und EntladeEinrichtungen bei den Kunden ebenfalls eine knappe Ressource sind („Engpass Rampe“). Eine Modularität im Straßengüterverkehr ist nur zu erzielen, wenn die Ressource Fahrer mit all ihren Problemen (siehe oben) konsequent von der Ressource Fahrzeug getrennt wird. So kann erreicht werden, dass Strecken im Begegnungsverkehr (zwei Fahrzeuge treffen sich an einem definierten Punkt auf der Strecke und die Fahrer wechseln das Fahrzeug, um z. B. mit dem Fahrzeug wieder zurückzufahren) oder im Stafettenverkehr (ein Fahrzeug wird zu einem definierten Platz von einem Fahrer gefahren und dort an einen anderen Fahrer übergeben) zurückgelegt werden und damit ein Modul erstellt wird. Dieses Verhalten führt dann auch zu einer standardisierten Leistungserstellung; es können Fahrpläne angeboten werden. Die Verbreitung solcher standardisierter Leistungserstellung ist heute bei dem Verkehr zwischen großen Lagern (Umschlagspunkte, Hub) der Fall. Zur Überprüfung der Arbeitszeit des Fahrers und der Verlässlichkeit des Fahrplanes kommen Telematikdienste zum Einsatz.
Industrialisierung des gewerblichen Straßengüterverkehrs? – Das Advanced-Truckload-Geschäftsmodell in den USA
Müller hat bei ihren Untersuchungen des Marktes in den USA (Müller, Vorlesung) sechs Merkmale für erfolgreiche Anbieter im Ladungsverkehr auf der Straße festgestellt. Diese sind: 1. Geografisch verteilte Kundenbasis 2. Größere Zahl von Service- und Operationsbasen 3. Kundenkontakte und Disposition zentralisiert und computergestützt („Single Point“) 4. Standardisiertes Equipment, professionelles Fuhrparkmanagement 5. Einsatz moderner Informations- und Lokalisierungstechnologien 6. Intelligentes Leistungsportfolio Alle Merkmale verlangen nach einer großen Struktur; dies ist in den USA auch gegeben. Die untersuchten Firmen haben mehr als 8000 ziehende Einheiten pro Firma. In Deutschland ist die Situation anders. Nach der aktuellen Unternehmensstatistik des Bundesamts für Güterverkehr (BAG – Bundesamt für Güterverkehr, 2005) waren im Jahr 2001 56 500 Unternehmen mit 635 528 Beschäftigten (davon 447 939 Fahrer) im gewerblichen Güterkraftverkehr tätig. Das Güterkraftverkehrsgewerbe wird von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt. Zwei Drittel aller Unternehmen beschäftigen nur bis zu fünf Mitarbeiter. Der mittelständische Charakter dieses Wirtschaftszweiges wird auch dadurch unterstrichen, dass gut die Hälfte aller Unternehmen (54 Prozent) nur bis zu drei Lastkraftfahrzeuge
Abb. 10: Nutzfahrzeug-Telematikdienste Grobeinteilung der Nutzfahrzeug-Telematikdienste Telematikdienste
Fahrzeugmanagement
Transportmanagement
Technische Basis
Automatisch erfasste Betriebsdaten des Fahrzeugs und Datenkommunikation (z. B. SMS)
Kommunikation (z. B. SMS, Funk) Fahrzeugortung (GPS)
Dezentrale Funktionen (Fahrzeug)
· Überwachung Betriebszustände · Lenkzeitüberwachung · Ladungsüberwachung
· Fahrerkommunikation · Verkehrsinformation · Navigation
Zentrale Funktionen (Disponent, Controller)
· Fahrerbewertung · Wartungsplanung · Transportgutüberwachung und Dokumentation
· Auftragsverfolgung · Positionsbestimmung und Ankunfts-Forecast · Tourenauswertung
Quelle: Visality Consulting GmbH, 2004
241
242
Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte
einsetzt. Wenn die Unternehmen gezählt werden, die bis zehn Fahrzeuge einsetzen, steigt die Zahl auf 86 Prozent. Das Produktionsmodell ist daher sehr bedarfsorientiert und die Unternehmen sind vielfach als Subunternehmer für Spediteure tätig. Eine Industrialisierung mit standardisierter Leistungserstellung ist daher kaum möglich. Neue Formen von Kooperationen am Beispiel „E.L.V.I.S“
Eine Möglichkeit, um Vorteile aus dem Einsatz großer Flotten zu ziehen, ist die Kooperation. Ein solches Kooperationsmodell ist E.L.V.I.S. Unter dem Dach der E.L.V.I.S. Aktiengesellschaft (www.elvis-ag.de) haben sich mittelständische deutsche Speditions- und Frachtführerunternehmen zusammengeschlossen. Das Netz verfügt derzeit über eine Flotte von 3481 Lkw mit einer zentralen Flottensteuerung.
Fazit Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der Straßengüterverkehr sowohl in Deutschland als auch in Europa die dominante Rolle unter den Verkehrsträgern darstellt. Auch für den Zeithorizont bis 2050 zeichnet sich keine grundlegend andere Entwicklung ab: Die Güterverkehrsleistung insgesamt wird sich bis dahin von heute knapp 600 Mrd. Tkm auf dann über 1200 Mrd. Tkm mehr als verdoppeln. Der Anteil der Güterverkehrsleistung wird auf der Straße gegenüber heute um zwei Prozentpunkte auf 72 Prozent zunehmen. Dieses enorme Wachstum wird nur mit massiven Investitionen in die Infrastruktur, der Implementierung intelligenter Telematikdienste sowie innovativen Fahrzeugkonzepten zu bewältigen sein.
Assessing the State of Supply Chain Management
Thomas W. Speh Rees Distinguished Professor of Distribution, Miami University, Oxford, Ohio, USA
Prof. Dr. Thomas W. Speh born 1944 Speh is the James Evans Rees Distinguished Professor of Distribution at The Richard T. Farmer School of Business, Miami University in Oxford, Ohio. He teaches courses in Logistics and SCM. He was the Director of the Warehouse Research Center at Miami University from 1986–2000. Speh has published numerous articles in a variety of outstanding academic and professional journals. He is a frequent speaker at conferences worldwide. He has conducted numerous research and consulting projects. He is a member of the Advisory Board for the EU Bestlog project. Speh was the 2003 President of the Council of Logistics Management and a past president of the Warehousing Education and Research Council. In October of 2007 Speh received the Council of Supply Chain Management Professional’s Distinguished Service Award.
Assessing the State of Supply Chain Management Thomas W. Speh
The great promise of supply chain management has always been that firms working collaboratively in their respective supply chains will be able to leverage the strong relationships that have been created to build quantum leaps in performance for the entire supply chain. As we survey the landscape of supply chain management we do find many instances of companies who have achieved success in delighting their customers with excellent logistics services delivered in a very efficient manner. However, as we examine the broad spectrum of companies, industries, supply chains and different countries, it can be concluded that we have barely scratched the surface in realizing the potential benefits associated with the supply chain management mandate. This article will examine the stateof-the-art in supply chain management in 2008, looking at how we measure supply chain success for individual companies as well as for entire supply chains. We will first examine the short history of supply chain management as a discipline and assess where it stands as a discipline. Next, we will explore key metrics for assessing supply chain performance at the company level and then at the supply chain level. Once the assessment has been explained, we will conclude by examining the key steps necessary to realize the full potential of the supply chain management discipline.
The Evolution of Supply Chain Management In the overall scheme of things, the supply chain management (SCM) discipline is very young. The earliest use of the term SCM was believed to have occurred in the early
1980’s having been coined by a consulting firm in the logistics arena. Prior to the 1980’s a variety of management disciplines focused upon the several functional areas that we now have come to ascribe to SCM: logistics, operations management, procurement/purchasing, customer service and some aspect of sales and marketing. The premise of SCM was that the critical link to efficient and effective satisfaction of customers was the integrated actions of all the functions and firms that are involved in bringing a product to market. Thus, SCM was often referred to as a “seed to table” or “cradle to grave” discipline in that there is a need to manage and control all the processes, companies, product movements that occur from where the basic raw materials and components that will make up a product reside to the time that the finished product is placed in the hands of the ultimate consumer. Given the extent and complexity of the supply chain, there are many processes that can be managed rather efficiently and effectively across the vast reaches of the supply chain, yet that does not assure that the entire supply chain has succeeded in its mission. At the same time, selected companies in the supply chain can be very successful, yet the other members of the supply chain may suffer as a consequence or alternatively, they may not be able to operate effectively, unless all supply chain efforts are coordinated. Thus, the SCM discipline, being very ‘young’ is really just learning how to fulfill the promise of the great benefits that are possible through coordinated efforts by all those ‘players’ involved in a typical supply chain. That said, it is possible for many individual firms to be very successful, profitable and responsive, yet the entire supply
Fig 1. The Evolution of the Supply Chain Management Concept
B.C. ???
2006 How long will it take?
Warehousing and Transportation
1950
Physical Distribution
Logistics
Inception of SCM
1982
Full Implementation of Collaborative SCM
2???
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Assessing the State of Supply Chain Management
chain may not experience the same benefits. There are many reasons for this situation, and these will be explored later in the paper. Figure 1 depicts the evolution of the SCM concept and suggests that given the relatively immature nature of the discipline it is not surprising that full implementation of SCM has not be fully realized, and it may indeed take considerable time before we realize the full potential of the supply chain management approach.
In the United States, two highly acclaimed and accepted evaluations of company supply chain performance are those conducted by AMR Research and MIT. The goal of the work done by each of these organizations is to develop a process for assessing the very best supply chain companies and then use the process to compare and evaluate companies on the basis of their prowress in supply chain management.
Lessons Learned from the AMR Approach1 Supply Chain Metrics: Measuring Firm Success in Supply Chain Implementation A major premise of this article is that individual firms can be successful in managing many supply chain processes, activities and functions, yet the effectiveness of the overall supply chain may not be achieved because of the many factors that impede effective supply chain integration and collaboration. These are aspects of SCM that need to be thoughtfully addressed by SCM practitioners, educators and consultants in the years to come. That said, there has been considerable effort by academics, consultants and practitioners to develop processes, approaches and specific metrics for assessing the competency of organizations in managing their supply chain networks and operations. This section of the article will examine the key metrics that seem to enjoy relatively broad acceptance by the supply chain community as effective markers of supply chain performance. There is a plethora of performance metrics that have been advanced over the years as ways to assess the extent to which supply chain operations and processes are being managed. The range of metrics is vast, but generally they can be looked at as efficiency focused, effectiveness focused or asset utilization focused. Thus, when looking at efficiency we encounter metrics that look at logistics cost per unit, cost per order, inventory carrying cost, cash-to-cash cycle, and many similar measures. In the effectiveness realm, companies evaluate customer service measures like percent of on-time deliveries, percent of orders damaged, or more encompassing metrics like the “perfect order.” For the asset utilization measures, firms typically assess the rate of return on logistics assets managed, or inventory days of supply. Although these traditional measures are worthwhile and play an important role in the supply chain control process, we are witnessing more sophisticated attempts to develop supply chain metrics that seem to distinguish the very best supply chain firms from those which are not so effective.
AMR’s basic approach is that the best supply chain companies are those who manage “demand-driven supply networks.” To be selected as a “best practice“ supply chain company, a firm must manage their supply chain with the premise that demand shapes their SC operations. A demand-driven supply network is a system of technologies and processes that senses & reacts to real-time demand signals across a supply network of customers, suppliers, & employees. So, in short, AMR’s belief is that excellent supply chain firms are those that are most effective at understanding and then managing the demand for their products. With the basic premise that firms need to manage demand and let demand drive their supply networks, AMR applies several criteria to assess specific aspects of supply chain performance. These measures include: 1. Overall financial performance 2. Demonstrated ability to orchestrate the supply chain (e.g., the demand driven supply chain network) 3. Four key metrics are looked at to evaluate how well firms manage their supply chains: A. Demand forecasting accuracy B. Perfect order fulfillment C. Total supply chain cost D. Time-to-value for new products The very best supply chain firms, as measured by these criteria, have these characteristics in common: 1. They deliver 20% more perfect orders 2. They hold a third less inventory 3. They have lower costs equal to 5% of revenue than companies that do not measure well on AMR’s 1 This section is based on the report of AMR’s research as shown on their website at http://www.amrresearch.com/supplychaintop25/. In addition, several interviews with AMR personnel helped to elaborate on the nature of their work.
Thomas W. Speh
supply chain criteria. AMR found that in 2006, the top fi ve supply chain leaders were Nokia, Apple Computer, Procter & Gamble, IBM, and Toyota Motor.
Lessons Learned from the MIT Approach3 MIT sought to investigate the factors that are related to excellent supply chain performance, and their approach is very much different than the approach and metrics provided by AMR. This is a good situation in that it provides supply chain professionals different ways to view supply chain excellence based upon the basic conceptual underpinnings of each approach. MIT’s approach specifies that there is no such thing as a “best practice” in supply chain management. The key is that the supply chain strategy and “practice” needs to be based on the company’s corporate strategy. The very best supply chain companies are those whose supply chain strategy supports, enhances and is an integral part of the company’s corporate strategy. MIT’s research suggests that the most effective supply chain companies are those that 1. Have a clear business strategy, supported by supply chain strategies and operations 2. Have a complementary operating model that enables the strategy, and they then execute very effectively 3. The operating model and strategy are aimed at achieving a balanced set of objectives. 4. Follow a limited number of tailored supply chain strategies. The excellent supply chain firms tend to follow one of three operating strategies based on their type of product, competition and their customer requirements. Thus, Fig 2. An Example of a Demand-Driven Supply Chain, Based On The Research Conducted By AMR Anheuser-Busch has created a sophisticated demand signal depository, called BudNet. The online database provides extraordinary visibility for Anheuser-Busch all the way through the distributor network to the retail outlet, so the company can see exactly what is selling, to whom and through which retail chain. This tool allows Anheuser-Busch to be extremely responsive with replenishment, new products, promotions and other demand management requirements. The system handles millions of transactions that are stored in a data warehouse. It pulls the data from A-B’s order system, from point-ofsale data and from other order and transaction systems throughout the supply chain. The data is available throughout the firm’s SC network, so A-B can make very refined decisions about what they sell into which regions and into which channels.
some firms will follow a “customer responsive” operating strategy whereby the emphasis is on speed and timeliness. This approach makes sense in industries like fashion and high tech. Other firms may follow an operating strategy based on “efficiency.” Here the focus is on developing the lowest cost supply chain due to the nature of the product. This approach makes sense in industries where margins are low and efficiency is absolutely essential like coal, groceries and industrial supplies. Finally, a firm may follow an operating strategy of “asset utilization,” where the emphasis is leveraging assets in capital intensive industries like automotive, steel and chemicals. Figure 3 provides a way to conceptualize company operating strategies on the basis of their product/market characteristics.
Supply Chain Performance The interesting aspect of the performance measurement assessments conducted by AMR and MIT is that they are focused on company supply chain performance, not the entire supply chain. There is indeed an impressive array of firms that are identified by each study which have mastered many of the key processes associated with managing their own supply chain operations. An important question remains, and that is “just how well we are doing in accomplishing the critical outcomes embedded in the supply chain management concept.” The essential element to consider in this regard is just how well are companies within a given supply chain collaborating for the benefit of all of them as well as for the good of the total supply chain – suppliers, producers, distributors, third-party firms and the ultimate customer. The underlying factor that will play a significant role is the extent to which collaboration and relationship building and maintenance is being accomplished. Unfortunately, much of the evidence suggests that the collaborative concept of supply chain management is quite far from being accomplished. Some of the evidence includes the following: A study completed by a major consulting firm concluded “There are really no companies in the world today that have developed this totally seamless supply chain between vendors and their ultimate customers!”
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2 From the 2006 AMR study. 3 This material is based on the work done at MIT and published by Larry Lapide in, “The Essence of Excellence,” Supply Chain Management Review; April 2006, Vol. 10 Issue 3, p18–24.
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In another consulting study, the researchers concluded that “of the firms that claim to embrace supply chain management, only 2 percent were able to achieve supply chain success.” In another study completed in the UK, it was found that “55% of all strategic partnerships fall apart within three years of their inception.” Relationships frequently do not live up to expectations. A major 3PL supplier in a “supply chain relationship” won supplier of the year awards and lost money on every unit shipped! A recent study completed by Supply Chain Management Review 4 concluded that: •
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“The idea of collaboration has eluded most firms – the traditional, largely adversarial business model still holds in most organizations.” Supplier and Customer Relationship Management were dead last in terms of level of sophistication among a variety of processes reviewed within partner firms. Only 25 percent of the firms they studied had a supply chain strategy, and of this 25 percent, only 15 percent shared their supply chain strategy with their partners!
The magazine went on to conclude that “The real business benefits of advanced supply chain management remain largely untapped.” Fig 3. Examples of the three different supply chain operating strategies Firms should look at these metrics in terms of the relative focus of their supply chains. Customer Responsive
Fashion Apparel
Airline
Grocery Chain Efficiency Source: MIT 2020 Council
Making Collaborative Supply Chain Management a Reality: Key Steps To speed the process of achieving the full benefits of collaborative supply chain management, there are a number of things companies can focus upon. However, it should be realized that this process will be slow and may take many years of frustrating failures laced with few success stories. After all, the supply chain model is very challenging with its strong focus on the sharing of information, strategic alignment, trust, team-based problem solving, sharing of risks and rewards, and interfunctional collaboration within the firm. These are new initiatives for many individuals and firms, and it will take a long time to build these approaches into the company cultures. Hence, the full benefits of collaborative supply chain management may not be noticed until very much in the future. Here are some of the key steps that companies need to take to speed up the process of implementing the supply chain management collaborative model. 1. The first place to start is within our own firms to insure that internal processes are integrated and that different functions are collaborating effectively. Essentially, companies with rigid hierarchies that separate distribution, manufacturing, engineering and other functions trap themselves into functional silos that can never develop and execute an integrated strategy. If we cannot make collaboration work within the firm, there is little hope of it working across several different firms in the supply chain. 2. Educate top management on the importance of SCM and the need for collaboration to drive it. Collaboration cannot happen without top management’s blessing. Many supply chain initiatives have failed miserably because, although the middle managers of several companies were aligned, their top management did not understand the value of collaboration and how to make it work. Top management would therefore not support collaborative initiatives. To get top management attention they must be convinced of the role and value of collaborative supply chain management. Several studies exist to show that collaboration does translate to the bottom line, and top management must be introduced to this line of thinking. One consulting study indicated that firms that are adept at collaborative supply chain management are 12 times more
Steel company Asset Utilization
4 This is based on “How Are We Doing?” Poirier, Charles C. and Quinn, Francis J., Supply Chain Management Review, Nov/Dec 2004, Vol. 8 Issue 8, p24–31.
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profitable than those firms who are not good at these efforts. Figure 4 shows the impact that top management directives and support can have on driving supply chain success. 3. Use performance metrics that focus on creating supply chain value and collaboration Metrics drive behaviors, and without metrics that are agreed to among all members of the supply chain, there is little hope that firms will work together effectively. We need to be creative and develop metrics that work across the supply chain, ones that are visible to the participating firms, and ones that all companies buy into. In short, performance measures must motivate managers and workers to do those things that foster collaboration and add value to the supply chain as a whole. The situation presented in Figure 5 is an excellent example of how well-conceived performance metrics really do drive management behavior to create favorable supply chain results. As shown, once Hewlett-Packard introduced the IDC metric that focused on reducing inventory costs, managers were incented to carefully reduce materials, work-in-process and finished goods inventory. These results reverberated across the supply chain as well, as HP witnessed large scale reductions of finished goods inventories at resellers and retailers. 4. We need to ‘Educate’ SC partners both upstream and downstream in the supply chain. Companies that have the expertise in relationship management or a particular aspect of supply chain management need to share that expertise so that all firms in the supply chain can benefit from that knowledge. A powerful example is the way that Toyota works with suppliers to make them more efficient through understanding many of the processes used by
Toyota in their internal operations. Toyota never uses reverse auctions and they generally source from the country in which they manufacture. These initiatives are powerful as Toyota claims that 60% of the innovations that go into their automobiles are generated from their suppliers. 5. A critical factor in fostering collaborative supply chain relationships is to develop effective ways to measure the economic value of partnerships. Business operates on the basis of key KPIs that are related to profitability, and one of the missing ingredients in supply chain relationships is that we have not perfected a way to absolutely demonstrate how partnering and sharing can translate to the bottom line of each of the participants in the supply chain. It is easy to pontificate on the virtues of working closely with suppliers – sharing risks, rewards, and information. However, for that to happen we need to be able to demonstrate the dollar and cents value to collaborating. This is not an easy task, and because it is not easy, very little has been done to create models which clearly show the bottom line value of a partnership. 6. For many firms, a good first place to start is to create a supply chain strategy. This strategy should articulate what the firm hopes to accomplish, the operating objectives and strategies and how the rest of the supply chain fits into this strategy. Once created, the strategy must be discussed, revised and agreed on by the other firms in the supply chain. In this way, the key partners are working from a common base against common objectives. 7. Educate all levels of management on how to build relationships. Relationship building skills should be emphasized throughout the supply chain, so that all parties are working jointly to understand the essence of good re-
Fig 4. The importance of top management in driving the implementation of SCM
An example of the power of top management to drive Supply Chain enhancement …
Radio Shack
COO created a company-wide supply chain project. He sought to show how everyone had a hand in the problem of a supply chain inefficiencies, and to provide the motivation to change. Here was the outcome of the project:
Company-wide key performance indicators on the SC The adoption of key strategic sourcing tools Simplification, rationalization and automation of key supply chain processes Creation of a new role: EVP of Supply Chain Mgt Executive office backing to achieve the new SC improvement mandate
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Fig 5. How performance metrics can impact supply chain effectiveness
Key Performance Measures in Action: HP HP was being crucified by: Materials devaluation, scrap, write-offs, price protection for retailers, and discounts • These negative factors were driven by rapid product life cycles of PCs and their components • Bottom line: The longer they held inventory, no matter where or in what form in the SC, the less profits were made • SOLUTION: A new performance metric: IDC, or Inventory Driven Cost. • PURPOSE: Focus everyone’s attention on managing inventory throughout the SC. Because inventory costs are nebulous and not easily captured by accounting systems, it forced them to go out and figure out what these costs were. • They quantified and tracked such costs as devaluation of materials, price protection for retailers, financing cost of inventory, warehousing cost, fire sale of end-of-life inventory, returns cost, write off of obsolete products • Changed the income statement to include IDC: IDC no longer invisible!! All functional areas shared a common understanding of the metric and its impact
The impact of IDC It was a cross-functional metric and got everyone’s attention. It created transparency in the SC by showing costs that were hidden It helped HP adjust their supply chain to reduce IDC: Total inventory was reduced by 50%!
lationship management. Most managers are very good at managing their functions, but not many are equally adept at developing and then managing a relationship. Thus, firms need to provide development programs that will allow their middle and top level managers to learn how to build and sustain business relationships. This type of education can spill over to suppliers and customers, and perhaps firms can bring suppliers and customers together in joint sessions so that they all learn together in an atmosphere of sharing and trust. It is recognized that strong, long-lasting collaborations and partnerships are built upon several critical foundations. Figure 6 depicts these key areas. As this figure suggests, strong, long-lasting relationships among supply chain entities happen only after considerable effort is put into understanding the key underpinnings of the relationship. Hence, relationships will not last long when the companies do not understand the underlying reason for entering into an alliance or partnership – there are either no or improper expectations. Importantly, it is necessary to invest a great deal of time in “due diligence” surrounding the initial establishment of the relationship. It takes considerable time and effort to understand a potential partner’s corporate culture, strategic focus, expectations for the relationship and corporate values. If these elements are not aligned,
the chances that the collaboration will be effective are greatly diminished. Once again, performance metrics become a focal point for any good relationship in the supply chain. If the metrics are not carefully spelled out, then the chance for misunderstanding and disagreement over the partner’s performance are bound to occur. One of the major issues between third-party logistics providers and their clients is the high management turnover associated with third-party companies. The problem is that once managers begin to understand one another and feel comfortable, all that history is lost if there is frequent turnover. So, to mitigate the impact of management turnover at both partner companies, the partnership mentality has to be ingrained in the culture of both companies. Finally, trust is probably the most critical ingredient to a solid relationship, and it should develop if all of the above mentioned elements are in place. 8. Examine methods that can be employed within the supply chain so that costs, risks, and rewards of doing business are distributed fairly across the network, not necessarily evenly. Not all members of the supply chain have the same level of “investment” or risk in the supply chain, so it is not necessary to create approaches for all firms to share equally. The important thing is that there is an approach
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in place that allows the supply chain participants to share rewards and risks in a way that is fair and equitable, which does not imply that all firms will benefit equally.
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Fig 6. Factors underlying successful supply chain collaborations
A successful supply chain collaboration happens when …
Conclusion Managing a relationship is harder than managing a function, it is more complex and requires a different set of skills. There is a tendency in supply chain management that it is “business as usual” when managers begin to assess the possibility of creating supply chain collaborations with the companies aligned in their supply chain. Unfortunately, this is not the case, and a much different set of skills is required. There is a strong need to focus on creative ways to integrate goals, people, cultures, performance measures, and visions amongst those firms both upstream and downstream within the supply chain. There are many companies who are very effective when it comes to managing many of the key aspects of their supply chains, and the success they have achieved is impressive. However, the success attributed to entire supply chains has not paralleled that achieved by individual firms. The major problem is that supply chain success is dependent on establishing key collaborations among suppliers, 3 PLs, manufacturers, distributors, and retailers, and this is where the major problem lies. The ability to form, maintain and sustain strong partnerships is chal-
The companies in the supply chain understand why they are partnering The culture, strategic focus, expectations, values of the companies are aligned The firms have developed agreed-upon performance metrics and they are in place Relationships transcend management changes at both companies Trust exists between managers at each firm
lenging, and many firms are not yet equipped to do it. To be able to benefit from some of the very impressive supply chain operations focused on demand planning, information sharing, operating models which support key corporate strategies, and sophisticated collaborative planning forecasting and replenishment models, firms must first focus on understanding how to collaborate effectively. This will require educating top management, finding appropriate supply chain-wide metrics, measuring the value of partnerships and sharing risks and rewards equitably. Because these are new approaches to many managers, the full benefits of collaborative supply chain management may take many years to accomplish.
4. Umsetzungen – Unternehmen im kooperativen Transformationsprozess
Die Fabrik von heute für das Auto von morgen
Nikolaus Bauer Hauptabteilungs- und Werkleiter für die Produktion Fahrwerks- und Antriebskomponenten bei BMW in Dingolfing BMW wurde 1991 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Nikolaus Bauer Jahrgang 1957 Bauer ist seit Mai 2006 Hauptabteilungs- und Werkleiter für die Produktion Fahrwerks- und Antriebskomponenten bei BMW in Dingolfing. Bauer wurde 1957 in Garmisch-Partenkirchen geboren. Nach Beendigung der Schulzeit mit dem Abitur und dem Wehrdienst von 1977 bis 1979 begann er ein Maschinenbaustudium an der TU München. Im Juni 1985 startete Bauer seine Laufbahn bei der BMW AG in verschiedenen Funktionen an den Standorten München, Landshut und Leipzig. Bauer ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner Freizeit interessiert er sich für Skifahren, Jogging, Radfahren und Segeln. Seit März 2002 hält er zahlreiche Vorträge vor allem zum Thema Logistik. Zum Sommersemester 2007 hat er einen Lehrauftrag an der TU München im Fachbereich Logistik übernommen.
Die Fabrik von heute für das Auto von morgen Nikolaus Bauer
Die BMW Group: Weltweites Netzwerk Die BMW Group ist in mehr als 160 Ländern der Erde präsent und produziert derzeit an 22 Standorten in zwölf Ländern. Zum Produktionsnetzwerk zählen acht Fahrzeugwerke für BMW-Automobile und -Motorräder sowie das Werk Oxford für MINI und die Rolls-Royce-Manufaktur in Goodwood (England), weiterhin Motorenwerke in Österreich und Großbritannien sowie die Motorenfertigung im BMW-Werk München. Ergänzt wird das Produktionsnetzwerk durch die Komponentenfertigungen in Berlin, Dingolfing, Landshut, Eisenach und Swindon (Großbritannien). Wo sinnvoll, bindet die BMW Group auch externe Partner in die Serienfertigung einzelner Fahrzeugtypen ein, so zum Beispiel Magna Steyr Fahrzeugtechnik in Graz bei der Produktion des BMW X3. Die Strategie der Produktion bei der Wahl der Standorte lautet dabei: „Die Produktion folgt dem Markt“. Einerseits erleichtern lokale Produktionsstätten den Zugang zu neuen Märkten mit einem langfristigen Wachstumspotenzial. Andererseits sorgen internationale Produktionsstandorte durch ein hohes lokales Einkaufsvolumen mit unterschiedlichen Währungen für einen Ausgleich der Warenströme sowie der Währungsschwankungen und -risiken. Eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung dieser Strategie ist also ein effizientes, flexibles und agiles Produktionsnetzwerk.
Ein leistungsfähiges Produktionsnetzwerk muss zudem der wachsenden Nachfrage nach individuell produzierten Fahrzeugen sowie der großen Variantenvielfalt und Komplexität der Produkte und Prozesse Rechnung tragen. Flexible Strukturen sorgen für eine hohe Auslastung der Werke. Jedes Fahrzeugwerk der BMW Group kann in der Regel mindestens zwei Modelle oder Varianten bauen, um das Werk bei Nachfrageschwankungen einzelner Modelle möglichst gut auszulasten. Die Werke sind zudem prinzipiell so ausgelegt, dass sie aufgrund der flexiblen Strukturen weitere Modelle zusätzlich in die laufende Produktion aufnehmen können.
BMW-Werk Leipzig Mit Beginn der Produktion am 1. März 2005 erweiterte das jüngste Mitglied des Produktionsnetzwerkes, das Werk Leipzig, die Produktionskapazität des Konzerns noch einmal deutlich. Die Ausrichtung auf eine konsequente Premiummarken-Strategie und die im Jahr 2000 angekündigte Produktoffensive machten für die BMW Group trotz weltweiter Überkapazitäten in der Automobilproduktion zusätzliche Fertigungskapazitäten erforderlich, insbesondere bei den kleinen Modellen (BMW 1er, BMW 3er), für die Europa der Hauptabsatzmarkt ist.
Hohe Flexibilität durch „atmende“ Strukturen
Die Entscheidung für den Standort Leipzig
Das Unternehmen kann dem Anspruch gerecht werden, der führende Premiumhersteller zu sein, wenn das Produktionsnetzwerk durch sogenannte „atmende“ Strukturen schnell und flexibel auf Marktveränderungen und individuelle Kundenwünsche reagieren kann. „Atmend“ sind die Strukturen eines Produktionsnetzwerkes dann, wenn Nachfrageschwankungen im Rahmen der strategischen Werkebelegung ausgeglichen werden können. Denn im zunehmend härter werdenden Wettbewerbsumfeld ist neben der Produktsubstanz und der Qualität entscheidend, wie schnell neue Produkte auf den Markt gebracht und wie zuverlässig Kundenwünsche bedient werden können.
Als in den führenden europäischen Tages- und Wirtschaftszeitungen der Standort für ein neues Werk ausgeschrieben wurde, erhielt das Unternehmen in kurzer Zeit über 250 Bewerbungen aus ganz Europa. Eine Vorgabe dabei: Der Standort sollte logistischen Strukturen gerecht werden, wie sie sich zum Beispiel aus den Prämissen des späten Orderfreeze und maximaler Kundenindividualität ergeben. Daran mussten sich die Standorte messen lassen. Weiterhin galt es, auf über 200 Hektar in urbaner Lage ein Automobilwerk zu errichten, dessen mittelfristige Tagesproduktion bei 650 Fahrzeugen liegen sollte. Angesichts der Anforderungen an den neuen Standort er-
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Die Fabrik von heute für das Auto von morgen
wies sich nach Abwägung aller Kriterien und nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren Leipzig als der Standort, der für das Vorhaben die besten Realisierungschancen versprach. Für Leipzig sprachen unter anderem: •
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Wirtschaftlichkeit und Flexibilität hinsichtlich der Arbeitsstrukturen und der Anbindung an den Werkeverbund, die ideale Beschaffenheit und Lage des Werksgeländes, die Verfügbarkeit von qualifiziertem und motiviertem Fachpersonal, die Möglichkeit der Nutzung vorhandener Zuliefererund Logistikstrukturen, eine gute Infrastruktur für Verkehr, Versorgung und Distribution, eine schnelle Umsetzung des Projektes.
Der Automobilmarkt: Dynamik des Wandels Eine zentrale planerische Aufgabe besteht darin, die strategische Ausrichtung für die Handlungsfelder von morgen zu definieren und die Ausrichtung auf die Erfolgsfaktoren der Zukunft einzuleiten bzw. Freiräume zu bieten für nicht oder nur schwer abschätzbare Entwicklungen. Der Kanon der Einflussgrößen ist breit. Er reicht von globalen bis nationalen Aspekten, daher hier nur ein Auszug: Neben den Qualitätseigenschaften, dem Image und den Kosten tragen unter anderem der Innovationsgrad der eingesetzten Technik, die angebotene Variantenvielfalt und die Termintreue zum wahrgenommenen Wert des Automobils und somit zur Kaufentscheidung bei. Die zunehmende Technologiedynamik bei Bauteilen erfordert kürzere Produktlebenszyklen und kurze Produktanlaufzeiten. Dabei erfordern zukünftige Technologien wie alternative Antriebe oder Werkstoffe andere oder zusätzliche Arbeitsschritte und Prozesse in der Fertigung. Die Versorgung der einzelnen Bandabschnitte mit Zulieferteilen, -modulen und -systemen wird komplexer und vielfältiger. Eine zukunftsfähige Fabrik muss also proaktiv neuen Bedürfnissen begegnen und neue Technologien und Materialien in bestehende Prozesse integrieren. Flexibilität wird zum Wert an sich
Die BMW Group hat sich für die Herstellung individueller Fahrzeuge entschieden. Die damit einhergehende hohe Komplexität im Produkt, aber auch im Prozess wird genutzt, um die für den Kunden beste und innovativste Lösung zu realisieren. Der Umgang mit Komplexität ist eine Kernkompetenz des Unternehmens geworden.
Die Dynamik des Wandels, die mit der stetig zunehmenden Komplexität einhergeht, wird als Chance begriffen, um einen Mehrwert für den Kunden zu generieren. Die Logistik ist dabei ein zentrales Element zur Verknüpfung des Kundenorderprozesses mit der Supply Chain und dem termintreuen Auslieferungsprozess.
Der Kunde: Anspruchsvoll und individuell Angesichts der schon heute ausgeprägten Individualität des Kunden und die dadurch stetig steigende Zahl von Varianten und Konfigurationsmöglichkeiten ist davon auszugehen, dass das Kundenverhalten von morgen an Individualität zunimmt. Schon heute verbirgt sich hinter nahezu 100 Prozent aller Fahrzeuge bei Produktionsstart bereits der Auftrag eines Endkunden oder Händlers. Durch diese Built-to-Order-Strategie erhöht sich die Kundenzufriedenheit aufgrund der kundenspezifischen Individualität des Fahrzeugs, Rabattaktionen werden seltener, Kapitalkosten niedriger und – ein nicht unbeträchtlicher monetärer Aspekt – die Fahrzeugausstattungen werden hochwertiger. Denn der Kunde, der bis zu sechs Tage vor Montagestart seine Bestellung ändern kann, nimmt diese Orderänderung in der Regel mit dem Trend zur hochwertigeren Ausstattung vor. Jeden Monat werden zwischen 120 000 und 140 000 Orderänderungen vorgenommen, das sind im Durchschnitt 1,2 je Fahrzeug. Dem Kundenwunsch kann entsprochen werden, weil der Produk tionsprozess selbst stabil und von Marktschwankungen freigehalten wird.
Prinzip Wandel – Strukturen im Einklang mit heutigen und zukünftigen Produkten und Prozessen Der Wettbewerb um Innovationen und der Kostendruck in der Automobilindustrie wird angesichts weiter steigender weltweiter Überkapazitäten noch intensiver werden. Dabei leistet die Logistik einen wichtigen Beitrag, Zukunft zu gestalten. Mit der wachsenden Anzahl von Modellen und Varianten, der kundenindividuellen Fertigung und der Verkürzung von technischen Innovationszyklen steigt auch die Komplexität der Logistikplanung und der Materialversorgung weiter drastisch an. Die nachhaltige Bewältigung von Komplexität und Dynamik wird zu einem der wesentlichsten Erfolgsfaktoren der Zukunft. Komplexität ist nicht allein das Resultat steigender Produkt- und Kundenanforderungen, denn sie wird insbesondere dann stärker wahrnehmbar, wenn sich Prozesse verändern, um Produktinnovationen für den Kunden verfügbar zu machen. Denn
Nikolaus Bauer
so sicher die Einführung neuer Produkte und Prozesse im Lebenszyklus eines Werkes prophezeit werden kann, so vage können von Beginn an die daraus resultierenden Anforderungen an Produktion und Logistik abgeschätzt werden. Sind im späteren Verlauf Strukturanpassungen erforderlich, besteht latent die Gefahr von Effizienzverlusten, die aus den Begrenzungen der existierenden Prozesse und Strukturen resultieren. Das Ergebnis sind historisch bunt und uneinheitlich zusammengewachsene Werksstrukturen, die keine durchgängig effizienten Prozesse mehr zulassen. Die Struktur einer Fabrik muss daher nicht nur hocheffiziente Prozesse für die Gegenwart ermöglichen, sie muss auch hochflexibel auf neue Anforderungen der Produkte und Prozesse reagieren können. Die Logistik ist zur langfristig optimalen Erfüllung ihrer Aufgabe auf wandlungsfähige Strukturen in der Fabrik angewiesen. Will die Logistik ihren wesentlichen Prinzipien gerecht werden, so müssen diese bereits in der Fabrikplanung berücksichtigt werden. Die zentrale Dimension der Wandlungsfähigkeit liegt dabei in der Mobilität und Flexibilität von Gebäudeelementen, Technik, Personal und Wissen.
Strukturen – Prinzip der Modularität und Flexibilität Die Wandlungsfähigkeit einer Fabrik muss nicht nur organisatorisch verankert, sie muss auch auf dem Grundstück,
in den Gebäuden und an den Arbeitsstationen umsetzbar sein. Voraussetzung für eine höhere Strukturdynamik der Produktionssysteme ist dabei grundsätzlich erst einmal eine hohe Nutzungsneutralität und Erweiterbarkeit der Gebäude und der Produktionsflächen sowie eine hohe innere Mobilität der Anlagen und Ressourcen. Einheitliche Schnittstellen im Material- und Informationsfluss sowie modulare Fabrikbausteine verringern die Komplexität bei Erweiterungsvorhaben, erhöhen die Integrationsgeschwindigkeit und ermöglichen so die aufwandsarme Anpassung der Strukturen ohne Störung des laufenden Fabrikbetriebs.
Prozesse – Prinzip der Standardisierung und Stabilität Gilt es, die Mitarbeiter in ihrer Flexibilität, Individualität und Kommunikation zu fördern, um ihr volles kreatives Potenzial zur Geltung zu bringen, ihre Veränderungsbereitschaft zu erhöhen sowie die Bausteine der Fabrik möglichst modular, nutzungsneutral und mobil zu gestalten, so sollten Informationsflüsse, Materialflüsse und Prozesse in hohem Maße standardisiert und stabil organisiert sein, damit wiederum ihre einfache Veränderungsfähigkeit gewährleistet ist. Durch einen hohen Grad der Vereinheitlichung können die Folgekosten von Prozessveränderungen deutlich reduziert werden. Gleichzeitig erhöhen Standards in Segmenten die Transparenz, verringern die Komplexität
Abb. 1: Die Werksstruktur leitet sich aus den Prozessen ab
Mitarbeiter/Besucher
z.B. für alternative Fertigung Karosseriebau
Lackiererei
z.B. für alternative Werkstofflackierung
Montage
z.B. für Presswerk z.B. für Presswerk
Erweiterungsfläche VZ Ost
Auslieferung Fertigfahrzeuge Mitarbeiter VZ Süd
Teileversorgung
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und sind somit Voraussetzung für eine langfristige Steigerung der Effizienz. So kann zum Beispiel dadurch, dass einer bereits lackierten Karosserie erst bei Montagestart der spezifische Kundenauftrag zugeordnet wird, über Standard-Produktionsabrufe der JIS-/JIT-Anteil erhöht werden, wodurch sich Bestände, Handling, Flächen- und Behälterbedarf im Werk verringern.
Architektur und Gebäude – das ganze Werk ist Logistik Aus dem Planungsprozess für das Werk Leipzig ergab sich eine Vielzahl von logistischen Prämissen für die Umsetzung, von denen sich wiederum eine Vielzahl in den realisierten Strukturelementen wiederfindet. Sinngemäß kann man sagen: „Das ganze Werk ist Logistik“, stellt es doch ein architektonisches Flussdiagramm dar. Die Entkopplung von Material- und Personenströmen war eine der Planungsprämissen im Werk Leipzig. Und so wurde das Central-Core-Prinzip nicht nur materialflussorientiert, sondern insbesondere auch mit Blick auf eine Entzerrung der Personen- und Material- beziehungsweise Produktströme ausgeplant. Der Karosseriebau, die
Lackiererei und die Montage grenzen jeweils direkt an das Zentralgebäude, womit ein sternförmig angelegter Gesamtkomplex entstanden ist. In den Versorgungszentren werden Komponenten von internen und externen Lieferanten vormontiert und in der für die Produktion benötigten Reihenfolge, also „sequenzgenau“ für die Montage bereitgestellt. Diese Strukturen bieten einerseits die notwendige Flexibilität, andererseits stellen sie die Entkopplung von den Fertigungsbereichen und -prozessen dar. Von den 208 Hektar des Werksgeländes sind mit über 30 Hektar aktuell nur circa 15 Prozent der Fläche bebaut. Verlängerungen oder sogar Spiegelungen von Produktionshallen sind bei wachsendem Kapazitätsbedarf problemlos möglich. Ein detaillierter Flächennutzungs- und -entwicklungsplan stellt sicher, dass unterschiedlichste technische Entwicklungsszenarien ohne Effizienzverluste integriert werden können.
Vier Finger für eine optimale Versorgung Eine der Besonderheiten des Werkes Leipzig stellt die etwa 600 Meter lange Montagehalle dar. Deren vier
Abb. 2: Die hochflexible Struktur der Montagehalle ist einzigartig
Sozialachse als robustes Element zwischen den Bändern Anordnung der Fixpunkte auf einer Achse
Erweiterbarkeit Problemlose Erweiterbarkeit zwischen den Fixpunkten
Integration neuer Technologien möglich Optimale Zugänglichkeit der Bänder für Direktbelieferungsumfänge
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Gebäudeflügel, die sich fingerartig ausstrecken, prägen den Charakter des Werkslayouts. Diese bislang in der Branche einmalige Fertigungsstruktur erlaubt es, Zulieferteile und vormontierte Module auf kürzestem Wege direkt an die Fertigungsbänder zu transportieren. Jeder Montageort kann durch Direktanlieferung versorgt werden. Wie bei der gesamten Werksplanung wurde auch hier die Wandlungsfähigkeit besonders berücksichtigt. So ist beispielsweise die Integration zusätzlicher Montageinhalte durch das Verlängern einzelner Finger problemlos möglich. Selbst eine Verdopplung der Montage- und Logistikflächen ist bei vergleichsweise niedrigen Investitionen realisierbar: Die Fixpunkte, die durch kurze, komplexe und nur mit hohem Aufwand verlagerbare Automatikstationen entstehen, liegen entlang der Hauptachse. So müssen sie nicht verlagert werden, sollte einmal der Bedarf bestehen, die Produktionskapazität durch Verlängerung der Finger oder mittels einer Spiegelung des Montagegebäudes zu erhöhen. Selbst dann besäße das Montagegebäude nach wie vor eine Struktur, die logistisch optimale Prozesse ermöglicht. Besondere Aufmerksamkeit fand die Planung der Direktanliefertore: Auch sie sollten möglichst einfach zu verlagern sein. Durch Standardisierung der für die JIS-/ Abb. 3: Die drei Versorgungswege für die Montage Direktanlieferung per Lkw Große Teile von geringer Komplexität, aber hoher Variantenvielfalt. Beispiel: Kofferraumverkleidung, Kabelbaum 15 Prozent des Gesamtvolumens Modulanlieferungen per Elektrohängebahn Große, komplexe Baugruppen in hoher Variantenvielfalt, die in Versorgungszentren auf dem Werksgelände vormontiert werden. Beispiel: Cockpit, Sitze, Türen 70 Prozent des Gesamtvolumens
JIT-Versorgung vorgesehenen Tore und durch die Gestaltung der Verbindungszunge für die Höhenjustierung der Lkw nach außen sind die Tore versetzbar. Falls sich der Verbauort eines Lieferteils am Band verlagert, kann auch das Tor schnell und kostensparend verlagert werden – wenn es sein muss, an nur einem Wochenende. Um die für die logistischen Tätigkeiten erforderlichen Wege möglichst kurz zu halten, die Reproduzierbarkeit und Stabilität der Versorgungsabläufe sicherzustellen, wurden aus der Vielzahl denkbarer und in der Industrie üblicher Versorgungsabläufe genau drei definierte Standardbelieferungsformen ausgewählt. Diese sorgen während des Produktionsprozesses für die sequenzgenaue und zuverlässige Versorgung der Montage mit vormontierten Modulen, Systemen und Einzelteilen. Dieses Konzept führt in der Umsetzung zu einer für die Logistik bedeutsamen und vorteilhaften Entzerrung der Produktkomplexität sowie zur Verringerung der Varianz und Erhöhung der Stabilität im Hauptmontageprozess. Bei der EHB (Elektrohängebahn) gibt es nur einen Transportkreislauf für Module und Türen zwischen den Versorgungszentren und der Montage im Einbahn-Ringverkehr. Dadurch entfallen Überholvorgänge, und die Störanfälligkeit wird reduziert. Damit die EHB auch künftige Verbauorte erreicht, die nicht in die aktuelle Linienführung integriert sind, wurden die Hallenhöhe der Montage sowie der Transportkorridor zu den Versorgungszentren einheitlich oberhalb von neun Metern freigehalten. Das FTS (Fahrerloses Transportsystem) findet auf einer Gesamtstrecke von bis zu acht Kilometern mit mittlerweile 79 fahrerlosen Transportfahrzeugen seinen Weg zum exakten Verbauort. Die Besonderheit: Es gibt keine festen Fahrwege über Induktionsschienen. Die Fahrzeuge sind durch Trägheitsnavigation frei programmierbar und navigierbar. Zusätzlich sind Magnete im Boden eingelassen, die den Fahrzeugen als Referenzpunkte dienen. Die geringe und überaus stabile Andienzeit für die Versorgung der Bandabschnitte bewirkt eine Versorgungssicherheit, die ein „Hamstern“ von Verbauvorräten und damit den Bedarf an montagenahen Lagerflächen obsolet macht. Diese Prozesssicherheit ermöglicht darüber hinaus eine fast staplerfreie Fabrik und somit die ungestörte Konzentration auf die Montagetätigkeiten.
Lagerware per fahrerlosem Transportsystem Teile, die nicht täglich einen Lkw füllen würden, werden im Versorgungszentrum Ost gelagert, (geringer Wert, geringes Lagervolumen) Beispiele: Batterie, Lenkrad, Rückspiegel 15 Prozent des Gesamtvolumens Versorgungsvolumen Montage gesamt: circa 10.000m3/Tag
Der Lieferant im Werk Die strukturelle Entkopplung der Vormontagen wird im Werk Leipzig auch durch die Eigenleistungsgrenze unterstützt. Entsprechend der Kerneigenleistungsstrategie von
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BMW montieren interne und externe Lieferanten Komponenten und Module. Zur Beschleunigung der Qualitätsregelkreise und Intensivierung der Zusammenarbeit sind die wichtigsten Modullieferanten in Versorgungszentren auf dem Werksgelände angesiedelt. Der Abruf durch BMW und die Bereitstellung für den Verbau im Fahrzeug erfolgen sequenzgenau, das heißt in genau der Reihenfolge, in der die kundenspezifischen Fahrzeuge gebaut werden. Die Produktion erfolgt dabei synchron mit der Fertigungsbestandsreichweite von 20 Minuten.
Festigung der Geschäftsbeziehung. Im Rahmen des Dienstleistereinsatzes wurden für geeignete Umfänge Flächen an Dienstleistungspartner vermietet. Dadurch konnte die Einstiegsbarriere für den Logistikdienstleister verringert werden. Außerdem können einzelne Umfänge jederzeit ausgegliedert werden, da die Vergabe an einen Dienstleister mit geeigneten Vertragslaufzeiten, Vereinbarungen über Ausstiegsmöglichkeiten und dementsprechend getrennten Eigentumsverhältnissen der Ausrüstung erfolgte. Ausschreibungsprozess und Vertragsgestaltung unterlagen standardisierten Modulen.
Fremdvergabe der physischen Logistik Produktionssteuerung Die physische Logistik wird vollständig von Dienstleistungspartnern übernommen. Mitarbeiter der Firmen Schenker, Rudolph und AFG leisten alle Aufgaben im Rahmen der physischen Logistik. Die Vorteile eines Logistikdienstleisters sind offensichtlich: Know-how und Kostenvorteile steigern nicht nur die eigene Effizienz, sondern vor allem auch die Flexibilität. Daher galt es lange vor Erreichen der Kammlinie, frühzeitig ein zentrales Partnermanagement zu implementieren. Übergeordnete Ziele des Partnermanagements sind die stetige Prozessoptimierung und die
Im Werk Leipzig werden alle Teilversorgungs- und Produktionsprozesse mithilfe der IT gesteuert. Nach diesem Verständnis ist die IT der Logistik zugeordnet. Die Leipziger IT-Landschaft wird hierbei durch drei organisatorisch getrennte, jedoch fachlich und im Alltagsgeschäft eng miteinander verzahnte Fachbereiche repräsentiert. Das IT-Management verantwortet die Verfügbarkeit von über 180 eingesetzten Produktivsystemen von der Auftragssteuerung bis zur Erfassung der Abfallmengen im Werk. Die Leipziger IT garantiert
Abb. 4: Die Module-EHB versorgt die Montage sequenzgenau mit großvolumigen Bauteilen aus den Versorgungszentren
Ausbau Türen Leitungspaket
VZ Ost
Cockpit
Leitungspaket
Himmel
Separate Türenmontage
Einbau Sitze Einbau Türen
Sitze Cockpit
Hochzeit Frontend
Frontend VZ Süd
Antriebsmodul Himmel
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Stabilität in den Prozessen und Flexibilität durch schnelle Reaktionszeiten sowie eine von allen Arbeitsplätzen jederzeit abrufbare transparente Visualisierung des gesamten Produktionsprozesses einschließlich des Störgeschehens in der Fertigung. Ziel ist es, eine maximale Verfügbarkeit der Systeme bei gleichzeitiger Minimierung der Risiken und Kosten sicher zustellen. Dabei wird durch den Einsatz innovativer Technologien und schlanker Prozesse die ideale Verbindung von Mensch, Technik und Prozess geschaffen.
Das Resultat Während die europäische Automobilindustrie aktuell durch Überkapazitäten gekennzeichnet ist, lastet die Kundennachfrage das Produktionsnetzwerk der BMW Group voll aus. Und so stellt das Werk Leipzig bereits heute unter Beweis, dass es ein verlässlicher Partner im Produktionsnetzwerk ist. Dank der flexiblen Strukturen steht neuen Herausforderungen nichts im Wege. So wurden mittlerweile zwei der vier Finger der Montagehalle verlängert, um neuen Montagetakten Platz zu bieten. Auch die Teile- und Modulversorgung kann problemlos erweitert werden: Alle Umfänge lassen sich im Rahmen Abb. 5: Werk Leipzig
der drei definierten Standardversorgungsprozesse abbilden. Nur wenige Monate nach Produktionsstart wurde die vereinbarte Stückzahl erreicht. Bis Dezember 2007 wurden im Werk Leipzig 331 049 Automobile produziert – alle auf dem Qualitätsniveau der anderen BMW-Werke. Im BMW-Werkevergleich verzeichnet die Logistik des Werkes Leipzig allerdings eine deutlich verbesserte Kostenstruktur: Die Kostenvorteile ergeben sich u. a. aus dem umfassenden Dienstleistereinsatz, den standardisierten Automatisierungsumfängen, aber nicht zuletzt auch durch die Direktanlieferungen mit verbauortnaher Heckentladung.
Ausblick Auch nach einem störungsfreien Anlauf muss die Zukunftsfähigkeit neu hinterfragt werden. Dabei gilt es einerseits, die einmal gesetzten Prämissen immer wieder aufs Neue auf den Prüfstand zu stellen. Andererseits dürfen neue Ansätze das Gesamtssystemverhalten nicht aus dem Gleichgewicht bringen. So ergab eine im Jahr 2007 durchgeführte sorgfältige Untersuchung der Werksstrukturprämissen sowie der
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Logistikstandards, dass die in der Planungsphase des Werkes definierten Prämissen und Standards auch sechs Jahre nach Entscheidung für den Standort Leipzig nichts an ihrer Aktualität verloren haben. So wurde z. B. die frühzeitige Entscheidung für die Ansiedlung von Vormontagen großvolumiger und variantenreicher Module wie z. B. der Türen und Achsen bestätigt. Die logistisch optimierte Anbindung dieser Module aus den Versorgungszentren auf dem Werksgelände ermöglicht kurze Wege zum Verbauort, die taktsynchrone Produktion und JIS-Versorgung der Montage sowie eine variierbare Fertigungstiefe. Direkt am Hauptband sind Vormontagen nur dann zulässig, wenn sie umtaktungsflexibel sind und keinen zusätzlichen Strukturbedarf erfordern. Sind diese
Kriterien erfüllt, können kleinere Montagetätigkeiten auch in unmittelbarer Hauptbandnähe durchgeführt werden. Ebenfalls bestätigt wurden die drei Versorgungsprozesse. Pilothaft untersucht wird derzeit die Flussoptimierung der Direktanlieferungsumfänge durch eine Verkürzung der Liefer- und Bereitstellfrequenzen (realisierbar durch Milkrun, Lkw-Taktung, bedarfsorientierte Bereitstellung etc.). Insbesondere die Bereitstellung beinhaltet derzeit noch nicht gänzlich ausgeschöpfte Potenziale: Die Integration von bandnahen Supermärkten und Durchlaufregalen verspricht weitere Bestandsminimierungen am Verbauort sowie die Reduzierung von Wegezeiten für die Montagemitarbeiter.
Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung
Ekkehard Gericke Vorstand Order Fulfilment Management der Festo AG Festo wurde 2003 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Dr.-Ing. Ekkehard Gericke Jahrgang 1947 Gericke ist seit 2001 Vorstand für das Order Fulfilment Management bei der Festo AG, Esslingen. Nach dem Studium des Maschinenbaus und Industrial Engineerings an der Technischen Universität Hannover, der Universität Stuttgart und der Oregon State University, Corvallis, USA erfolgte 1980 die Promotion zum Dr.-Ing. an der Universität Stuttgart. Anschließend folgte der Einstieg bei BMW in der Produktionsplanung und schließlich die Fertigungsleitung Montage im Werk Dingolfing. In verschiedenen deutschen Maschinenbauunternehmen war Gericke Vorstand.
Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung Ekkehard Gericke
Ausgangslage Der Weltmarkt für pneumatische und elektrische Automatisierungstechnik zeichnet sich seit Jahren durch zunehmende Komplexität der Kundenanforderungen aus. Dies geht einher mit der wachsenden Segmentierung in Teilmärkte für Spezialanwendungen. Zu den volumenstärksten Absatzmärkten von Festo zählen die Automotive- und die Elektronikindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau sowie die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie, seit geraumer Zeit auch die Prozessindustrie. Alle diese Branchen sind durch die folgenden Trends gekennzeichnet: •
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fortlaufende Globalisierung der Investitions-, Einkaufsund Projektstrategien, Verlagerung der Massenproduktion in Regionen mit niedrigen Lohnkosten, steigende Ansprüche der Kunden an die Technologiekompetenz des Lieferanten, perfektes Fulfilment, integrative Zusatzleistungen, Vor-Ort-Präsenz und Bereitschaft zu dauerhafter Systempartnerschaft.
Das Unternehmen – Festo
Das Familienunternehmen Festo mit Hauptsitz in Esslingen hat sich zum Ziel gesetzt, diese Herausforderungen anzunehmen. So ist es Festo in den letzten Jahren in einem anspruchsvollen Umfeld gelungen, seinen Anteil am Pneumatikweltmarkt kontinuierlich auszubauen. Das Umsatzwachstum von Festo lag in den letzten Jahren über dem durchschnittlichen Wachstum des deutschen Maschinenbaus. Das global ausgerichtete Unternehmen hat sich durch Innovationen und Problemlösungskompetenz in der pneumatischen und elektrischen Antriebstechnik zum Leistungsführer seiner Branche entwickelt. Abgerundet wird das Leistungsspektrum mit einem weltweit einzigartigen Angebot an Aus- und Weiterbildung in zahlreichen Sprachen. Neben dem innovativen und breiten Produktportfolio sind die Erfolgsfaktoren von Festo die Problemlösungs- und Beratungskompetenz des Vertriebes, eine durchgängige globale IT-Struktur, eine schnelle und zuverlässige Marktversorgung, eine hohe Kun-
denorientierung und qualifizierte, zufriedene Mitarbeiter. Weltweit beschäftigt Festo 12 000 Mitarbeiter, der Umsatz für das Geschäftsjahr 2007 liegt bei rund 1,6 Mrd. Euro. Produkte
Das Basisangebot von Festo bilden pneumatische und elektrische Antriebe, Ventile, Ventilinseln, installationssparende Anschlusstechnik, Handhabungs- und Montagetechnik, Druckluftaufbereitung, Verbindungstechnik, Vakuumtechnik, Lage- und Qualitätsprüfung, Sensorik und Steuerungstechnik in Verbindung mit einem umfassenden Aus- und Weiterbildungsangebot. Darüber hinaus gehören einbaufertige Subsysteme ebenso zum Programm wie abgestimmte Branchenlösungen für die Automobil-, Elektronik-, Nahrungsmittel- und Verpackungs- und die Prozessindustrie, spezialisierte Lösungen für regionale Märkte und individuelle Lösungen für Einzelkunden. Neben 25 000 Katalogprodukten bietet Festo auch kundenspezifisch gefertigte Systemlösungen an. In der Vergangenheit bestellten die Kunden die notwendigen 200 verschiedenen Teilenummern einzeln und mussten diese Komponenten dann vereinnahmen, lagern, montieren, aufeinander abstimmen, in Betrieb nehmen, Änderungen verwalten und aufwendige Rechnungen prüfen. Der Vorteil des komplett montierten Handlings für den Kunden liegt auf der Hand: eine Teile- und Bestellnummer, definierte Schnittstellen (Mechanik, Pneumatik und Elektrik), geprüft, dokumentiert und einbaufertig. Festo bietet auch weiterhin einzelne Komponenten an. Betrachtet man jedoch den kompletten Prozess, so ist der Bezug einbaufertiger Subsysteme hochgradig wirtschaftlich. Die Komplexität solcher Subsysteme kann durch den Hersteller Festo wesentlich besser beherrscht werden als durch den Kunden, der Handlingsysteme nur projektbezogen konstruiert, montiert und einzeln in Betrieb nimmt.
Logistik- und Produktionsstruktur Lieferquellenstruktur
Lieferquellen sind alle Erzeuger von Waren, die für die Versorgungskette benötigt werden:
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Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung
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externe Lieferanten für Material und Komponenten für die interne Produktion Lieferanten für Handelsware, also verkaufsfähige Zusatzprodukte Global Production Centre (GPC): interne Lieferanten von Komponenten und Produkten Unterlieferanten: externe Lieferanten zur Unterstützung der GPC Regional Service Centre (RSC): interne Logistikcenter inklusive der Produktion kundenspezifischer Baukastenprodukte zur Versorgung eines transnationalen Wirtschaftsraums National Service Centre (NSC): interne Produktion zur Versorgung nationaler Märkte.
Die Grundstruktur der Vernetzung der Lieferquellen zu einer Marktversorgungskette zeigt Abbildung 1. Die Endkunden werden von den ineinander gestaffelten externen und internen Lieferquellen bedient. Die Distributionslogistik zum Endkunden hin wird von externen Dienstleistern übernommen. Schnittstelle ist dabei die Auslieferrampe des jeweiligen Logistikstandorts (RSC oder NSC). Lieferanten
Lieferanten sind externe Partner, die Materialien und Komponenten für die Produktion oder Handelswaren liefern. Festo steuert über sein Global Purchasing Network (GPN) ca. 650 Lieferanten, die je nach strategischer Bedeutung in vier Klassen eingeteilt sind. •
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Strategische Lieferanten (A-Lieferanten) sind hoch qualifizierte Schlüssellieferanten, mit denen auch Produktneuheiten entwickelt werden können. Bedingt strategische Lieferanten (B-Lieferanten) sind bewährte Lieferanten, die das Potenzial besitzen, sich zu einem strategischen Lieferanten zu entwickeln. Sonstige Lieferanten (C-Lieferanten) sind vielfach kleinere, lokale Partner von Festo, die Festo bei der
•
Sicherstellung der Versorgung, der Abdeckung von Kapazitätsengpässen und dem C-Teile-Management unterstützen. Die Beziehungen zu Auslauflieferanten (D-Lieferanten) werden aktiv oder passiv beendet.
Nur 40 Prozent der Einkäufer arbeiten in der Zentrale – der restliche Mitarbeiterstamm ist in den Auslandsgesellschaften, um weltweit nahe an den Beschaffungsmärkten zu sein. Durch diese Aufteilung konnte das Einkaufsvolumen außerhalb Deutschlands in sechs Jahren verdoppelt werden. Global Production Centre (GPC)
Die Festo-internen Lieferquellen, Global Production Centres (GPC), liefern primäre Komponenten und lagerhaltige Endprodukte für die Regional Service Centre (RSC). Diese erhalten ihr Vormaterial und ihre Komponenten von Lieferanten. Zum Kapazitätsausgleich greifen die GPCs auf Unterlieferanten zu. Die GPCs werden in Leit- und Versorgungswerke unterschieden. Ein Leitwerk hat die Aufgabe, für die ihm zugeordnete Produktgruppe oder Technologie alle im Wettbewerb relevanten Merkmale wie Lieferzeiten, Liefertreue, Bestände, Technologie und Qualität für den globalen Produktionsverbund zu sichern und auszubauen. Für jede Produktgruppe und jede Technologie gibt es jeweils ein GPC mit Leitwerkfunktion. Für diese Aufgaben erhält ein Leitwerk Ressourcen und Ansprechpartner, die für die Herstellung der Produkte des Leitwerkes nicht herstellkostenrelevant sein dürfen. Das Leitwerk verfügt über einen vollständigen Überblick über die Anwender der Technologie im Werks- und Lieferantenverbund. Das Leitwerk hat den Überblick über Kapazitäten, Betriebsmittel und Prozesse aller Versorgungswerke und hat hinsichtlich der Technologie Richtlinienkompetenz. Kapazitätserweiterungen an allen Standorten sowie die Auswahl des Standortes für eine neue Technologie erfolgen über das Leitwerk.
Abb. 1: Marktversorgungsstruktur Lieferanten für Handelsware Unterlieferanten
Lieferanten für Material und Komponenten
Global Production Centre (GPC)
Regional Service Centre (RSC)
National Service Centre (NSC)
Endkunden
Ekkehard Gericke
Ein Versorgungswerk ist ein GPC-Werk ohne Leitwerkfunktion, ein RSC oder ein NSC. Unterlieferanten
Unterlieferanten sind externe Partner, die Teilprozesse (z. B. Oberflächenbehandlung) innerhalb der Produktherstellung für ein GPC übernehmen. Regional Service Centre (RSC)
RSCs sind die Versorgungsquellen der Vertriebsgesellschaften und, wenn es die Verkehrsinfrastruktur und Zoll-/Währungsgrenzen erlauben, auch Versorgungsquelle direkt für die Endkunden in den großen Währungs- und Wirtschaftsräumen. Die RSC verfügen über Lagerware und eine kundenspezifische Fertigung und Montage für die Baukastenprodukte ihrer Region. Endprodukte werden lagerhaltig bevorratet oder kundenauftragsspezifisch gefertigt. Ziel ist es, einen möglichst hohen Anteil der internen Wertschöpfung erst nach Eingang oder nahe am Kundenauftrag in der Region zu erstellen. RSCs werden von den Lieferquellen des Produktionsund Beschaffungsverbundes beliefert, zunächst über die Logistikfunktion des RSC Europa, bei wirtschaftlichen Liefermengen dann direkt aus den Produktionsstandorten oder von Lieferanten. Übergeordnetes Ziel ist es, alle Endkunden direkt aus den RSCs zu beliefern, d. h. ohne Zwischenlagerung der Ware in den Vertriebsgesellschaften, weil damit die kürzestmöglichen Lieferzeiten bei minimaler Kapitalbindung erreicht werden können. Die Vertriebsgesellschaften in den Ländern haben nach dem Kundenauftrag mit der physischen Auslieferung nichts mehr zu tun; das Auftragsmanagement, die Verpackung und die Belieferung durch einen Dienstleister erfolgen in Verantwortung der Zentrale und direkt an die Eingangsrampe
des Endkunden. Festo ist in Europa in der Lage, rund 95 Prozent des Umsatzes direkt aus dem europäischen RSC im Saarland an die Endkunden in West- und Osteuropa auszuliefern. Voraussetzung für die Direktbelieferung sind hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, schnelle Auftragsdurchlaufzeiten und eine gute Verkehrsinfrastruktur, um den Nachteil größerer Entfernungen zu neutralisieren. Gleichzeitig muss die begleitende IT-Struktur in der Lage sein, Material-, Informations- und Geldströme getrennt zu steuern. Eine Direktbelieferung zum Endkunden ist die schnellstmögliche Auslieferform im Verbund mit einer hochproduktiven Zentrallagerstruktur. Dezentrale Bestände schmelzen ab, durch die verringerten Schnittstellen sinkt die Fehlerwahrscheinlichkeit. Abbildung 2 verdeutlicht den Unterschied zwischen einem Global Production Centre (GPC) und einem Regional Service Centre (RSC). Die weltweiten Standorte (GPC und RSC) sind in Abbildung 3 dargestellt. National Service Centre (NSC)
Kunden, die auftragsspezifische Ware in kleinen Mengen mit kürzester Lieferzeit benötigen und selbst über Expressbelieferung aus einem RSC nicht marktgerecht bedient werden können, erhalten ihre Ware aus dem NSC (Produktionsstätte mit minimalistischer Ausstattung) der Festo-Vertriebsgesellschaften.
Komplexitätssteuerung durch selbststeuernde Regelkreise Die Herausforderung an die Marktversorgung eines Global Players besteht darin, alle Kunden zuverlässig mit hoher
Abb. 2: Unterscheidung Global Production Centre und Regional Service Centre Beschaffungsmarkt
Absatzmarkt
Rohmaterial und Komponenten Global Production Centre (GPC)
Handelsware lieferzeitunkritisch
Regional Service Centre (RSC)
Unikat mit Kernkompetenz
Multipler Werkstyp, benchmarkfähig
kundenauftragsneutral, Supply Chain, Mindestgröße, Währung, local content, Transport, Zoll
kundenspezifisch, Warenbestand für 85 % des regionalen Umsatzes, Direktbelieferung für Länder der Region
Optimierungsziel: Herstellkosten
Optimierungsziel: Marktbedienung
lieferzeitkritisch
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274
Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung
Termintreue bei niedrigen Beständen zu bedienen, und das angesichts des breiten Produktspektrums, der weltweiten Präsenz mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen über unterschiedliche Zoll-, Zeit- und Währungsgrenzen hinweg. Die Steuerung globaler Netzwerke lässt sich entweder durch zentrale Administration oder durch dezentrale „Selbststeuerung“ nach globalen Regeln und Standards bewältigen. Festo verfolgt den zweiten Weg. Dabei werden zunächst Ziele und Rahmenbedingungen für die selbststeuernden Regelkreise durch ein übergeordnetes Zielsystem mittels der Balanced Scorecard synchronisiert. Das Zielsystem hat die notwendige Balance zwischen monetären und nichtmonetären Zielen zu gewährleisten. Globale Netzwerke benötigen zentrale Vorgaben und Standards, damit dann die operative Selbststeuerung dezentral oder automatisch nach einheitlichen Regeln ablaufen kann. Produktionssteuerung der internen Lieferquellen (GPC)
Die Stärke einer Kette wird von ihrem schwächsten Glied bestimmt. Das schwächste Glied einer Prozesskette wird im Folgenden als Engpass bezeichnet. Der Schlüssel zum Optimieren einer Prozesskette liegt darin, sich auf diesen Engpass zu konzentrieren. In der klassischen Fertigungsorganisation wurde jeder Prozessschritt für sich lokal betrachtet und optimiert, die gesamte Produktionskette geriet aus dem Blick. Bei der Konzentration auf den Eng-
pass werden hohe Losgrößen, lange Durchlaufzeiten, lange Qualitätsregelkreise, schlechte Termintreue und hohe Bestände bei geringem Kapitalumschlag vermieden. Dadurch, dass in das richtige „Kettenglied“ investiert wird, steigert sich der gesamte Durchsatz. Wenn die Prozessschritte, die Engpässe darstellen, maximal genutzt werden, ist auch die gesamte Produktionskette maximal produktiv. Die vorgelagerten Prozessschritte arbeiten dem Engpass optimal zu. Sie steuern immer nur so viel Material in den Prozess ein, wie der Engpass verarbeiten kann. Dadurch werden die Durchlaufzeiten minimal und beschränken sich im Idealfall auf die Bearbeitungszeiten. Die Entscheidung, welche Aufträge eingelastet werden, liefert das Replenishment (Wiederauffüllung). Im Replenishment werden für alle lagerhaltigen Teile obere (grüne) und untere (rote) Bestandsgrenzen definiert. Im Unterschied zu traditionellen statischen Dispositionsverfahren sind diese Bestandsgrenzen dynamisch und passen sich automatisch dem Marktbedarf an. Die Dimensionierung dieser Linien wird in Form von Algorithmen im ITSteuerungssystem hinterlegt. Dieses Verfahren wird als engpassorientierte Organisation (EOO) bezeichnet nach der Theory of Constraints (TOC) des Physikers Eliyahu Goldratt. Nach Einführung dieses Steuerungssystems, das zu variablen Losgrößen führt, wird zunächst die Kapazität aller fabrikinternen Engpässe erhöht, danach werden zukünftig auch externe Lieferquellen eingebunden.
Abb. 3: GPC- und RSC-Standorte
RSC Europe GPC Rohrbach GPC Aarau GPC Biel RSC NAFTA
GPC Simferopol GPC Ceska Lipa GPC Budapest GPC Berkheim GPC Shanghai GPC Bangalore
RSC ASEAN RSC SAM GPC Sao Paulo
Global Production Center Regional Service Center
Ekkehard Gericke
Dank des Engagements und der professionellen Kompetenz der hauseigenen IT besitzt Festo in der SAP-Umsetzung weltweit eine Vorreiterrolle. Dieses Projekt zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der internen Lieferquellen von Festo wurde stufenweise über mehrere Jahre eingeführt und ausgebaut. Obwohl die Einführung von EOO im ersten Werk noch nicht vollständig abgeschlossen ist, sind bereits deutliche Erfolge sichtbar (Abbildung 4). Der Kapitalumschlag stieg innerhalb von drei Jahren um 40 Prozent. Die Durchlaufzeit in der Montage konnte um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden. Die Durchlaufzeit der (spanenden) Eigenfertigung ist sogar um 55 Prozent gesunken. Der Rückstand der Produktion konnte um über die Hälfte reduziert werden.
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Interne Lieferanten-Kunden-Beziehungen zwischen den Produktionsstandorten GPC und dem zentralen Lager entlasten den Kunden RSC durch Übertragung von Dispositionsverantwortung, Kompetenzen und Aufgaben. Dadurch wird die für eine zentrale Steuerung typische Komplexität aufwandsminimal beherrscht. Die Selbststeuerung einer Lieferquelle kann aufgrund der informatorischen Nähe der Mitarbeiter innerhalb eines Standortes sehr viel schneller zu Korrekturen bei Abweichungen führen. Beispielsweise konnte der Bestand eines bestimmten Produktspektrums im RSC bei unveränderter Liefertreue zum Markt hin um mehr als 40 Prozent gesenkt werden (Abbildung 5). Ausliefersteuerung der externen Lieferquellen (Lieferanten)
Ausliefersteuerung der internen Lieferquellen (GPC)
Traditionell geben die Bedarfsträger RSC den Produktionsstandorten GPC das Produktions- und Lieferprogramm vor. Jedes RSC wird von mehreren GPC beliefert. Auch hier erweist sich eine dezentrale operative Selbststeuerung verteilter Produktionsstandorte als vorteilhaft gegenüber einer zentralen Steuerung. Dazu kann das Produktionswerk den Lagerbestand seiner Produkte im RSC selbstständig permanent erkennen. Die Standorte bestimmen daher selbst die Reihenfolge der Produktionsaufträge und steuern den Bestand auf ihren Lagerstufen und im zentralen Lager selbst. Die Produktionsstandorte haben damit Dispositionsverantwortung für das von ihnen produzierte Teilespektrum im RSC. Durch die ganzheitliche Verantwortung für Qualität, Liefertreue, Verfügbarkeit und Kosten optimieren die Produktionsstandorte ihre Lieferleistung in eigener Regie. Die Leistung der einzelnen Standorte wird auf einem aggregierten Level an Rendite, Kapitalumschlag, Qualität, Liefertreue und weiteren Kennzahlen gemessen. Die operative Abwicklung und Kontrolle erfolgt selbstständig vor Ort.
Der Aufbau eines weltweit einheitlichen IT-Systems für nahezu alle Unternehmensfunktionen ist ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie der Festo-Gruppe. Festo hat als einer der ersten Kunden von SAP sehr früh die Basis für eine Standardplattform gelegt und diese – mit wichtigen Impulsen für SAP – kontinuierlich selbst weiterentwickelt. Heute arbeiten nahezu alle Landesgesellschaften auf einem einheitlichen Enterprise-ResourcePlanning-System (ERP-System) und greifen dabei auf gemeinsame, zentrale Stammdaten zu. Bereits in den 80er Jahren wurden Lieferanten mit elektronischem Datenaustausch (EDI) angebunden. Ab dem Jahr 2000 konnten die Lieferanten ihre aktuelle Bewertung im Supplier Rating System (SRS) abrufen. Für die strategisch angestrebte Integration der Lieferanten wurde gemeinsam mit einem IT-Partner der Inventory Collaboration Hub (ICH) erarbeitet. Festo stellt im ICH lieferantenspezifisch seine Bedarfs- und Bestandsinformationen zur Verfügung. Aufgrund dieser Daten disponiert der Lieferant den Nachschub seiner Teile eigenverantwortlich. Die komplette Verantwortung für die
Abb. 4: Veränderung durch engpassorientierte Organisation
38 %
Kapitalumschlag
Durchlaufzeit
-56 %
Rückstand
-63 % -80 %
-60 %
-40 %
-20 %
0%
20 %
40 %
60 %
80 %
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Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung
heute Pilotanwender auf diesem Gebiet. Der elektronische Informationsaustausch wird über die Anbindung entweder mittels internetbasierter Plattformen oder direkt an das Festo-SAP-System realisiert: schnell, zuverlässig, fehlerfrei und zeitunabhängig. Damit folgt Festo auch bei der Lieferantenanbindung dem Prinzip selbststeuernder Regelkreise.
Abb. 5: Bestandsveränderung durch Ausliefersteuerung Bestand -41,67 % -60 %
-40 %
-20 %
0%
20 %
40 %
60 % Steuerung der globalen Marktversorgung
Die Vertriebsgesellschaften von Festo hatten in der Vergangenheit ihre eigenen Lagerbestände. Ab 1996 wurden die lokalen Lagerbestände in den einzelnen Vertriebsgesellschaften wesentlich reduziert und die Belieferung der Endkunden mit Schwerpunkt Europa erfolgte durch die RSCs. Die fortgeschrittene Vernetzung mit IT-Systemen ermöglichte es, in einer zweiten Stufe die Bestandshoheit der Vertriebsgesellschaften zentral zu steuern. Jede Teilenummer ist global einem Disponenten zugeordnet, der die weltweite Bestandshoheit verantwortet. Vertriebsgesellschaften werden nur beliefert, wenn ein Kundenauftrag vorliegt oder der Lagerbestand aufgefüllt werden muss. In diesem Fall erfolgt die Bestellung automatisch über die vernetzten ERP-Systeme. Alternativ kann der Disponent den Lagerbestand in Rücksprache mit der Vertriebsgesellschaft aus strategischen Gründen erhöhen (z. B. bei Akquise, Wettbewerber lieferunfähig, kurzfristige Lieferzeiten gefordert). In diesem Fall muss kein Kundenauftrag vorliegen. Gleichzeitig kann der Disponent zwischen Kundenauftrag und Nachschubauftrag unterscheiden mit
Lagerbefüllung, die Festlegung der Losgrößen sowie die Anzahl und Frequenz der Anlieferungen liegt ebenso beim Lieferanten wie die Auslösung der Beschaffungsvorgänge und die Umwandlung der geplanten Zugänge in Lieferavise (Abbildung 6). Der zuständige Disponent bei Festo gibt nur noch einen Mindest- und einen Maximalbestand vor. Die Komplexität der Fertigung von zahlreichen verschiedenen Teilen wird damit direkt an der Quelle, beim Lieferanten, bewältigt. Die Vorteile für den Lieferanten sind eine langfristige Wertschöpfungspartnerschaft, ein Höchstmaß an Transparenz bezüglich der Geschäftsprozesse sowie die optimale Glättung der eigenen Fertigung und internen Prozesse durch die Entkopplung von fest vorgegebenen Lieferterminen. Für Festo und den Lieferanten lassen sich Prozesskosten reduzieren und Lagerbestände signifikant senken. Die Anliefertermintreue verbesserte sich durch ICH um 16 Prozent (Abbildung 7). Festo trug damit wesentlich zur Entwicklung eines anwenderfreundlichen, web-basierten Systems bei und ist Abb. 6: Prinzip des Inventory Collaboration Hub
Festo
Lieferant
SAP/RE
Inventory Collaboration Hub (ICH)
Bestand/Bedarf Min- / Max-Bestände
Alert Geplante Anlieferung Lieferung
Wareneingang
Bestand
Vertriebssystem
Kundenauftrag Lieferavis
Ekkehard Gericke
Abb. 7: Veränderung durch Inventory Collaboration Hub (ICH)
Abb. 8: Veränderung durch CTM
Liefertreue
Liefertreue 5%
16,2 % -80 %
-40 %
0%
277
40 %
-10 %
80 %
eindeutiger Priorität für Kundenaufträge. Damit kann die Lieferquelle unterschiedlich reagieren, der Kundenauftrag hat immer Vorrang gegenüber einem Lagernachschubauftrag, selbst wenn der schon länger platziert wurde. Dieses Steuerungssystem heißt Capable-to-Match (CTM). Durch die Zentralisierung der globalen Liefer- und Nachschubsteuerung von Festo kann der globale Lagerbestand deutlich gesenkt werden. Die Liefertreue bei CTM-Teilen konnte im Vergleich zu den klassisch disponierten Teilen um 5 Prozent verbessert werden (Abbildung 8). Zusätzlich ist jederzeit Transparenz über alle Lagerorte hinweg gewährleistet. Zwischen den Lagerorten können unerwartete Bestellungen weltweit ausgeglichen werden.
0%
-5 %
5%
10 %
Ergebnisse Die von Festo gewählte Marktversorgungsstruktur ermöglicht eine hohe Lieferfähigkeit durch kurze Reaktionszeiten, schnelle, zuverlässige und transparente Prozesse sowie globale Präsenz. Wesentliche Leistungskennwerte der globalen Marktversorgung konnten weiter deutlich verbessert werden (Abbildung 9). In Regionen mit günstiger Verkehrsinfrastruktur wie z. B. Europa kann sogar ein 24h-Service für Kunden mit spezifischen Produktanforderungen angeboten werden. Der Kunde bestellt ein konfigurierbares Produkt (z. B. eine kundenspezifische Ventilinsel oder einen kunden-
Abb. 9: Veränderungen wesentlicher Kennzahlen 2001 – 2007
ppm-Rate Lieferanten
- 86 %
Non-quality costs
- 52 %
ppm-Rate
- 47 %
Lagerbestand Pneumatic
- 13 %
Auslandsbeschaffungsanteil
12 %
Umsatz pro Supply-Chain-Mitarbeiter
12 %
Supply-Chain-Mitarbeiter Deutschland
18 %
Lieferleistung
32 %
Verpackte Positionen
39 %
Anzahl Einkaufsteile [Teilenummern]
64 %
Kapitalumschlag -100 %
-80 %
-60 %
-40 %
-20 %
0%
20 %
40 %
60 %
78 % 80 %
278
Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung
spezifischen Zylinder) und erhält dieses innerhalb von 24 Stunden (Auftragseingang bei Festo bis Anlieferung beim Kunden europaweit). Für die Auftragsbearbeitung inklusive Produktion verbleiben dabei nur vier Stunden. Die Produktion muss also im „Kundentakt“ fertigen und entsprechende freie Kapazitäten vorhalten. Anschließend wird das fertige Produkt verpackt, adressiert und einem Logistikdienstleister übergeben, der die Zustellung zum Kunden übernimmt.
Auch für Katalogprodukte ist eine hohe Lieferfähigkeit unabdingbar. Festo ist mit der erreichten Lieferfähigkeit Klassenbester in der pneumatischen und elektrischen Automatisierungstechnik. Mit einer hohen Termintreue der zugesagten Lieferungen haben Kunden von Festo den Vorteil einer verzögerungsfreien Produktion, niedriger Prozesskosten und hoher Kundenzufriedenheit. Denn auch die Lieferfähigkeit von Kunden bildet die Grundlage ihrer Profitabilität.
Extremlogistik im Landmaschinenbau
Ulf Leinhäuser Leiter Produktionsentwicklung der CLAAS KGaA Josip T. Tomasevic Leiter Konzerneinkauf der CLAAS KGaA Bülent Ileri Leiter Transportlogistik der CLAAS KGaA Peter Rudzio Leiter Ersatzteillogistik der CLAAS KGaA CLAAS wurde 2007 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Dr. Ulf Leinhäuser
Jahrgang 1965 Leinhäuser leitet seit Januar 2005 die Produktionsentwicklung der CLAAS Gruppe. Er lebt mit seiner Familie (zwei Kinder) in Hamm (Westfalen). Nach Maschinenbaustudium und Promotion an der Universität Hannover mit Schwerpunkt Produktionsorganisation sowie einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Leibnizakademie Hannover arbeitete er bis 1999 als Berater bei A.T. Kearney Management Consultants als Experte für Supply Chain Management im Automotive-Bereich. Nach zwei Jahren beim amerikanischen SCM Softwarehouse i2 Technologies wechselte Leinhäuser 2001 zur Boston Consulting Group als Manager für Supply Chain Management und Produktionsentwicklung.
Josip T. Tomasevic Jahrgang 1967 Tomasevic ist Leiter Konzerneinkauf der CLAAS Gruppe. Er studierte Maschinenbau-Fertigungssysteme an der FH für Technik in Esslingen. Seit 2004 ist er Leiter Konzerneinkauf der CLAAS KGaA mbH mit dem Aufgabengebiet Gesamtkoordination aller gruppenweiten, strategischen Beschaffungsaktivitäten. 2000–2004 war er Leiter Zentrale Beschaffung der Gildemeister AG. Davor konnte Tomasevic sieben Jahre Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement und Materialwirtschaft gewinnen.
Bülent Ileri Jahrgang 1975 Ileri leitet seit März 2004 die Transportlogistik der CLAAS Gruppe. Er lebt mit seiner Familie (ein Kind) in Harsewinkel (Ostwestfalen). Nach einer Ausbildung zum Speditionskaufmann sowie einem Europäischen Studiengang zum Diplom-Wirtschaftsingenieur für Logistikmanagement an der Hochschule Niederrhein und Hogeschool Venlo (Niederlande) arbeitete er von 2000 bis 2004 bei KPMG Consulting als Consultant für Supply Chain Management.
Peter Rudzio Jahrgang 1970 Rudzio ist seit 2004 als Leiter Logistik in der CLAAS Service & Parts GmbH für das Bestandsmanagement, die Lager- und Distributionslogistik sowie die Steuerung des weltweiten Servicelogistik-Netzwerkes zuständig. Er begann seine berufliche Laufbahn mit einem Studium zum Dipl.-Ing. für Maschinenbau im dualen System an der Berufsakademie Stuttgart. Seit 1994 ist er in verschiedenen Funktionen der Ersatzteillogistik bei CLAAS tätig und war unter anderem mit der Planung, Realisierung und Inbetriebnahme des weltweiten Ersatzteillogistikzentrums von CLAAS in Hamm befasst. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Extremlogistik im Landmaschinenbau Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio
Die CLAAS Gruppe hat durch eine konzernweite SupplyChain-Initiative ihre Strategie des profitablen Wachstums nachhaltig umgesetzt und im Markt für Landmaschinen eine Spitzenposition im globalen Wettbewerb erreicht. Die Notwendigkeit zur Globalisierung entsteht durch das Wachstum der Weltbevölkerung – alle zwei Tage um die Einwohnerzahl einer Weltstadt wie Frankfurt am Main. Für CLAAS als Markt- und Technologieführer in der Agrartechnik erwächst der unternehmerische Auftrag aus der gesellschaftlichen Verantwortung, die stark wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft zu ernähren. Das Unternehmen hat diese Herausforderung angenommen und die globalen Absatz- und Beschaffungsmärkte durch Produktionswerke in Nordamerika, Russland und Indien weiter durchdrungen. Die operativen Produktgesellschaften und die Geschäftsführung der CLAAS Gruppe haben gemeinsam erkannt, dass nur ein weltweit integriertes Einkaufs-, Produktions- und Servicenetzwerk die Basis für profitables Wachstum auf globaler Ebene bildet. Folglich wurden
in einer konzernweiten Supply-Chain-Initiative die globalen Wertschöpfungsprozesse ganzheitlich hinterfragt, neu gestaltet und konsequent aufeinander abgestimmt. Logistik ist für CLAAS zum Enabler für profitables, globales Wachstum geworden.
Ausgangslage und Anforderungen an die Logistik Als August Claas im Jahr 1913 die Firma CLAAS gründete, hatte er sicherlich noch keine Vorstellung von der Notwendigkeit anspruchsvoller Logistiksysteme. Trotzdem setzte er bereits damals mit Teamarbeit, Anpassungsfähigkeit, Service-Verständnis und Innovationen Maßstäbe für die Logistik von heute. Der Erfolg der Produkte machte es notwendig, die Produktionskapazitäten international auszubauen. So begann bereits 1962 die Internationalisierung mit einem Pressenwerk im französischen Metz. Es folgten weitere
Abb. 1: Geschäftsentwicklung CLAAS Gruppe 2 659
175,8
2 351 2 175 130,7
1 928
6,6 %
5,6 %
1 496 86,4 4,0 %
36,1 22,6
1,9 %
1,5 % 2003
2004
Umsatz [in Mio. Euro]
2005
2006
2007
2003
2004
2005
Ergebnis vor Steuern [in Mio. Euro]
2006
2007
Umsatzrendite [in %]
284
Extremlogistik im Landmaschinenbau
Produktionsstandorte wie 1992 in Indien oder 1999 in den USA, dem Heimatmarkt der großen Wettbewerber, wo die Eröffnung eines eigenen Werks in Omaha die logische Konsequenz war. 2003 wurde der französische Traktorenhersteller Renault Agriculture übernommen, wodurch CLAAS sein Produktportfolio um eigene Traktoren erweiterte. Somit werden nunmehr Systemlösungen „aus einer Hand“ angeboten. Der Unternehmensstandort Harsewinkel ist heute das Zentrum eines globalen Produktionsnetzwerkes mit weit diversifizierten Baureihen. Aufgrund der speziellen Produkt- und Kundenstruktur, der Globalisierung und vor allem aufgrund des kontinuierlichen, signifikanten Wachstums werden extreme Anforderungen an die Logistik gestellt. Dabei gilt es vor allem die Herausforderungen der Landmaschinenindustrie an die Logistik zu beherrschen. Dies sind •
• •
die Saisonalität des Marktes und die Ersatzteilversorgung bis aufs freie Feld, die Komplexität und Größe der Produkte, die gleichzeitige Integration von Renault Agriculture in die CLAAS Gruppe.
Saisonalität des Marktes
Erntemaschinen, als Beispiel seien hier Mähdrescher mit ihrer extremen Saisonalität genannt, kommen nur innerhalb eines begrenzten Erntezeitfensters von maximal zwei Monaten des Jahres zum Einsatz. Dabei beträgt die Netto-Einsatzzeit bei Mähdreschern maximal 25 Tage. Entsprechend müssen sie möglichst zeitnah im Vorfeld der Ernte produziert und zur Verfügung gestellt werden, während nach diesem Zeitpunkt kaum noch Marktbedarf besteht. In der Praxis bedeutet dies eine Verdichtung von ca. 80 Prozent des Produktionsbedarfs in den Monaten April bis Juli, anschließend ein unmittelbarer Abfall der Produktionsleistung auf unter 20 Prozent der Jahresmenge über den Rest des Jahres. Das Bestellverhalten der Kunden im Hinblick auf Bestellzeitpunkt, Mengen und Produkttypen ist außerordentlich volatil. Kleinste Klimaschwankungen können direkte Auswirkungen auf den kurzfristigen Auftragseingang haben. Dies führt zu einer schwierigen Prognose der zu erwartenden Verkäufe der Fertigprodukte. Je nach Wetterverlauf und Entwicklung der Erntequalität werden mehr oder weniger Maschinen benötigt. So kommt es, dass die Abnahmemengen einzelner Kunden sehr kurzfristig zwischen 10 und 100 Erntemaschinen schwanken können. Dabei ist die Toleranz hinsichtlich der Lieferzeit gering. Die Kunden fordern die Lieferung oft-
mals sofort – oder gar nicht mehr. Aufgrund der beschriebenen engen Erntezeitfenster müssen die Landmaschinen bestmöglich genutzt werden. Üblicherweise bleibt nur wenig Zeit für Wartung und Instandhaltung und natürlich kommt es bei der Arbeitsbelastung zu Verschleiß und gegebenenfalls auch zu Maschinenstillständen. Diese bedeuten für die erntenden Unternehmer unmittelbare Umsatzverluste und sind daher schnellstmöglich zu beheben. Dabei befinden sich die Maschinen dann nicht in der Werkstatt, sondern buchstäblich auf „freiem Feld“. Die beschriebenen Anforderungen an die Extremlogistik sind tägliche Rahmenbedingungen, in denen sich CLAAS sicher bewegen muss. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in allen Bereichen der Logistik des Unternehmens besondere Anforderungen bestehen, wie sie vermutlich in dieser Kombination in keiner anderen Branche der Welt auftreten. Komplexität und Größe der Produkte
Bei der Betrachtung der Beschaffungslogistik muss man berücksichtigen, dass es sich um Maschinen im „XXLFormat“ mit einer sehr hohen Teilevielfalt und Varianz handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die gefertigten Stückzahlen geringer als beispielsweise bei einer LkwProduktion ausfallen. So verließen im Jahr 2007 ca. 7200 Einheiten das Werk in Harsewinkel – ein vergleichsweise kleines Volumen. Ein Großteil dieser „Industrieanlagen auf Rädern“ wird nach dem Make-to-order-Prinzip kundenindividuell produziert und macht folglich das Customizing der Produkte notwendig. Daher gilt es pro Maschine ca. 20 000 Sachnummern gezielt zu beherrschen mit Bauteilen, die von der Dimension einer Unterlegscheibe bis hin zum zugekauften 1000-Liter-Tank oder der Fahrerkabine reichen. Hinsichtlich der Variantenzahlen haben Kunden beispielsweise die Möglichkeit, gemäß ihren Anforderungen zwischen ca. 80 verschiedenen Felgentypen zu wählen, dies wiederum in Kombination mit 100 verschiedenen Reifentypen – mit einem Felgendurchmesser von bis zu 38 Zoll. Hier signifikante Skaleneffekte und konsolidierte Eingangstransporte zu erreichen, beschreibt eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Beschaffungsmärkte sind heute auch für CLAAS global und reichen neben den Zulieferländern in Osteuropa inzwischen bis nach Asien und in die USA, mit entsprechenden Konsequenzen für Lieferzeiten, -frequenzen und logistische Qualitätsanforderungen. Auch die Herausforderung an die Distributionslogistik stellt eine Klasse für sich dar. Die fertigen, „Dinosaurier“-
Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio
ähnlichen Maschinen müssen schnell und sicher zu den Kunden transportiert werden, um sofort einsatzbereit zu sein – und das weltweit in mehr als 140 Ländern. Diese sind meist nur über Spezialtransporte zu beherrschen. CLAAS setzt dabei auf alle gängigen Verkehrsträger wie Lkw, RoRo-Schiffe, Bahn oder Flugzeuge. Die Entwickler haben dazu bei der Neukonstruktion von Maschinen auch stets die Einhaltung des Bahnprofils im Produktlastenheft verankert. Am Transportmarkt sind die verfügbaren Ressourcen hierfür generell begrenzt. In Verbindung mit der extremen Saisonalität stellt jede Auslieferung das Koordinationsvermögen der Logistiker vor große Herausforderungen. Schließlich ist auch auf die Kosten der Transporte höchstes Augenmerk zu legen, um die Wettbewerbsfähigkeit besonders gegenüber nationalen Wettbewerbern zu gewährleisten. Integration von Renault Agriculture
Die Integration von Renault Agriculture, der Traktorensparte des französischen Renault-Konzerns, stellte sich als besondere Herausforderung dar. Nicht zuletzt mussten hier zwei Unternehmen mit deutlich unterschiedlichen Unternehmens- und Landeskulturen zusammengebracht werden. Es galt, innerhalb kürzester Zeit gegenüber Lieferanten und Kunden als ein einheitliches Unternehmen aufzutreten und sich als Systemanbieter in der Landtechnik zu positionieren. Ein signifikanter Anteil an Sachnummern und Komponenten wurde von gleichen Lieferanten bezogen, jedoch mit unterschiedlichen logistischen Prozessen. Durch Harmonisierung der Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Ersatzteillogistik wuchsen die beiden Organisationen schnell zusammen und arbeiten heute als eine Einheit. So konnte bereits im Jahr 2006 – nach nur drei Jahren der Integration – mit dem AXION der erste
285
vollständig von CLAAS entwickelte Traktor auf den Markt gebracht werden.
Die internationale Supply-Chain-Initiative Als ein Baustein der globalen, profitablen Wachstumsstrategie bei CLAAS wurde die gruppenweite Koordination der Logistik über alle Standorte definiert. So wird Logistik nicht als „Hype-Thema“ verstanden, sondern als grundsolides „logistisches Gesamtwerk“. Internationales Wachstum und zunehmend globale Beschaffungs-, Produktionsund Vertriebsnetze haben die Logistik zur Kernkompetenz werden lassen. Es sollte daher ein Logistiksystem entwickelt werden, welches einerseits die operativen Aufgaben effizient bewältigt und andererseits durch Universalität und globale Vernetzung eine Plattform für die Integration der Standorte bildet. Daher wurde „Zusammenwachsen – um zusammen zu wachsen“ zur erklärten Mission aller Beteiligten. Die Supply-Chain-Initiative wurde als grundlegende Reorganisation der weltweiten Unternehmenslogistik gestartet. In diese Initiative wurden die Bereiche Einkauf, Produktion, Transportlogistik und Ersatzteillogistik samt Service gleichermaßen einbezogen. Die logistische Roadmap wurde gemeinsam entwickelt und in einzelnen, bereichs- und unternehmensübergreifenden Initiativen in nur drei Jahren umgesetzt. Supplier Relationship Management
Die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Lieferanten gilt als einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren, um das Wachstum der Gruppe beherrschen zu können. Neben Innovationskraft, Technologie, Qualität und Kostengestaltung ist die Vereinheitlichung der Logistikschnittstellen
Abb. 2: Die CLAAS Supply-Chain-Initiative Lieferant Initiative
Supplier Relationship Management
Zielsetzung Steigern von Qualität, Flexibilität und Senkung von Kosten, durch Lieferantenpartnerschaften und Koordination der globalen Beschaffung
CLAAS Inbound Logistics
Transparente, effiziente und beherrschte Inbound-Logistik durch standardisierte und konsolidierte Transporte
Manufacturing Logistics
Senken von Bestand, Fehlteilen, Vorgaben und Durchlaufzeiten durch flexible Produktionslogistik
Kunde Outbound Logistics
Nutzen von Kostenvorteilen durch strategische Allianzen und gezieltes Outscourcing
Service Parts Network Optimization Verbesserte Service-Level durch Integration der Ersatzteilnetze
286
Extremlogistik im Landmaschinenbau
mit den Lieferanten eine wesentliche Aufgabenstellung. Im Rahmen der Supplier-Relationship-Management-Initiative wurde die Regelkommunikation mit den Prozesspartnern mit höchster Geschwindigkeit etabliert. Direkte Regelkommunikation per EDI erfolgt mit identifizierten A-Lieferanten. Zusätzlich wurden ca. 100 weitere Lieferanten auf das CLAAS-Lieferantenportal (clip. claas.com) aufgeschaltet, das in kürzester Zeit in Betrieb genommen wurde. Das Portal erleichtert den automatisierten Daten- und Informationsaustausch über Web-EDI, erlaubt die Übernahme von Prognosedaten für die kollaborative Planung und stellt die inzwischen standardisierten Logistik-Vereinbarungen mit Anlieferregelungen, Behältervorschriften und Prozessbeschreibungen für die Zulieferpartner zur Verfügung. Die Lieferantenintegration bündelt alle Methoden und Vorgehensweisen zur Integration der Entwicklungs- und Lieferpartner in die Wertschöpfungs- und Logistikkette. Bei der Entwicklung neuer Produkte werden die Lieferanten frühzeitig über sogenannte Konzepttage integriert. Dabei bringen sie ihr Entwicklungs- und Produktionswissen ein, um CLAAS bei seiner Technologieführerschaft zu stärken. In den letzten zwei Jahren wurden über 20 Konzepttage durchgeführt. Je nach Phase im Produktlebenszyklus konnten dabei Kostensenkungspotenziale von bis zu 30 Prozent erzielt werden. Als konsequente Weiterführung dieses erfolgreichen Ansatzes werden aktuell Lieferanten aus unterschiedlichen Produktbereichen zusammengebracht, um gemeinsam ganze Systemketten zu optimieren. Damit wird der Grundstein für Innovation gelegt. Diese Initiativen setzen innovative und hochmotivierte Lieferanten voraus, die über das Lieferantenmanagement identifiziert werden. Die standort- und funktionsübergreifende Lieferantenbewertung bildet hierbei die Grundlage zur gezielten Lieferantenqualifizierung und Weiterentwicklung sowie zur Ableitung von Lieferanten- und Warengruppenstrategien.
Um die strategischen Lieferpartner immer wieder zu Höchstleistungen zu motivieren, werden auf den internationalen Lieferantentagen ausgezeichnete Lieferantenleistungen prämiert. An dem Lieferantentag 2006 nahmen mehr als 150 strategische Lieferanten aus 21 Nationen teil. Währenddessen werden in Top-Lieferantenmeetings auf Vorstandsebene die Anforderungen der Kunden und des Unternehmens direkt vermittelt: So wird zum Beispiel auch „in Gummistiefeln“ auf dem Feld gemeinsam erlebt, was eine CLAAS-Maschine letztendlich für den Kunden ausmacht. Ein weiterer Bestandteil des Supplier Relationship Managements stellt das „Best Cost Country Sourcing“ dar. Best Cost Country Sourcing bedeutet, nicht nur dort zu beschaffen, wo die entscheidenden Absatzmärkte sind, sondern auch dort, wo unter Sicherstellung der hohen Qualitäts-, Innovations- und Serviceansprüche die besten Einkaufsbedingungen zu realisieren sind. Um Bauteile für Best Cost Country Sourcing zu identifizieren, werden mithilfe der Werkzeuge der Lieferantenintegration, beispielsweise der Wertanalyse, nicht nur Volumina von CLAAS, sondern auch Lieferantenvolumina analysiert, um gemeinsam deren sinnvolle Verlagerung zu prüfen. Auch hier greift wieder das Lieferantenmanagement um geeignete Lieferanten zu finden. So verschwimmen in speziellen Kooperationsprojekten zunehmend Unternehmensgrenzen, sodass partnerschaftlich gemeinsame Verbesserungspotenziale realisiert werden können. Zur Steigerung von Qualität, Flexibilität und Kosten durch Lieferantenpartnerschaften und zur besseren Koordination der globalen Beschaffung wurde die Inbound-Logistik direkt in die Logistikvereinbarungen aufgenommen. Diese beruht auf sechs Säulen und umfasst die Kommunikation, das Versorgungsklassen-Konzept sowie das Transport-, Ladungsträger-, Bestands- und PerformanceManagement. Das gesamte CLAAS-Einkaufssystem zielt auf den Aufbau langfristiger Lieferpartnerschaften, um TechnoloAbb. 4: Die sechs Säulen der CLAAS Inbound-Logistik
Abb. 3: Best Cost Country Sourcing Direktes Material Zeitraum
Kommunikation
2006
+76 %
Versorgungsklassen-Konzept Transport-Management Ladungsträger-Management
2003
Bestands-Management 0
20
40
60
80
100 in Mio. EUR
Performance-Management
Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio
gieführerschaft und profitables Wachstum nachhaltig zu sichern. Mit Value Sourcing hat der Einkauf den Wandel vom Warengruppenmanager hin zur Schlüsselfunktion für das Management von Technologien vollzogen. Inbound Logistics
Im Rahmen der Inbound-Logistik-Initiative wurden Transport und Lagerung im gesamten Produktionsverbund adressiert. Nach Erfassung der Transportkosten der Werke und ihrer Wareneingangsprozesse wurde offensichtlich, dass nachhaltige Kosteneffekte nur durch eine Strukturänderung der gesamten Prozesskette zu realisieren waren. Um das angestrebte Wachstum zu ermöglichen, galt es, die Anzahl der anliefernden Spediteure von 244 auf nur zwei zu verringern. Synergieeffekte durch Volumenbündelung und effiziente Steuerung der Eingangsverkehre werden nun durch einen strategischen Partner für das nationale und einen strategischen Partner für das internationale Geschäft erreicht. Nach Erstellung des Konzeptes und der Ausschreibung wurden an nur einem Tag 650 Lieferanten auf die beiden neuen Logistikpartner umgestellt. Nach entsprechender Planung erfolgte die Umstellung ohne Reibungsverluste, bei voller Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Parallel dazu wurden zu den bestehenden „ab Werk“Lieferanten weitere Lieferanten mit „frei Haus“-Lieferkonditionen auf „ab Werk“ umgestellt. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 150 Lieferanten (80 Prozent des Beschaffungsvolumens) auf „ab Werk“-Lieferkonditionen umgestellt – verbunden mit weiteren Einsparungen im Transportbereich. Durch die Übernahme der Transportverantwortung konnten Bündelungseffekte erzielt und somit die Fahrzeugauslastung erhöht werden. Zusätzlich wurde
die Komplexität des Anlieferprozesses durch direkte Anlieferung in Standardbehältern und standardisierte Auszeichnung der Eingangsfrachten wesentlich reduziert. Die Auszeichnung der angelieferten Sendungen und Waren erfolgt nach VDA-Standard und ermöglicht eine direkte Übernahme der Informationen in SAP. Dank des partnerschaftlichen Verhältnisses von CLAAS zu seinen Lieferanten konnte hier eine unerwartet hohe Umsetzungsgeschwindigkeit erreicht werden. Neben der reinen Transportausschreibung und den sich ergebenden Skaleneffekten wurden die Eingangsverkehre auch strukturell optimiert. Die konsequente Einführung von Milkrun-Verkehren erlaubte nun die volumenkonsolidierte Anlieferung aus ausgewählten Regionen. Manufacturing Logistics
Zur Standardisierung der Anlieferprozesse und der Bandversorgung wurden für alle Werke verbindliche Versorgungsklassen definiert. Jede Sachnummer ist einer entsprechenden Versorgungsklasse zugeordnet und systemtechnisch in SAP hinterlegt. Nach der Systemerfassung im Wareneingang folgt jedes Teil dem der Versorgungsklasse zugeordneten Prozess (z. B. JIS/JIT). Durch Prozessverbesserungen und selektive Einführung von Konsignationslagerung konnte die Umschlaghäufigkeit des Umlaufbestandes in den letzten drei Jahren um 70 Prozent gesteigert werden. Zusätzlich wurde die Anzahl der im Umlauf befindlichen Behältertypen innerhalb eines Jahres von 493 auf 26 reduziert. Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben bis zum finalen Ziel von acht Behältertypen in der Gruppe. Die Verwendung von Standardbehältern erhöht die Behälterverfügbarkeit, unterstützt die Prozessvereinheit-
Abb. 5: Bündelung der Inbound-Logistik auf zwei strategische Partner Situation 2003
Situation 2006 Strategischer Partner national
Strategischer Partner international
CLAAS Lieferanten CLAAS Gruppe Produktgesellschaften
287
288
Extremlogistik im Landmaschinenbau
lichung und erlaubt die effizientere Nutzung von Flurfördergeräten. Zeitgleich wurde ein KLT-Ladungsträgerpool in Betrieb genommen, der mithilfe der internetbasierten Abrechnung eine neue Qualität der Kostentransparenz schafft und dabei hilft, die jährlichen Behälterinvestitionen und laufenden Kosten für Reinigung, Wartung und Instandhaltung signifikant zu senken. Outbound Logistics
Der Handlungsspielraum der Distributionslogistik für CLAAS-Produkte ist traditionell begrenzt. Aufgrund der Dimensionen der zu versendenden Produkte kommen nur Tieflader bzw. Spezialbahnwaggons infrage. Hier weist der Transportmarkt aufgrund der hohen Kosten und schlechten Auslastung der Fahrzeuge bei Rücktransporten nur begrenzt zur Verfügung stehende Ressourcen auf. Erschwerend kommt die extreme Saisonalität hinzu, die eine kontinuierliche Nutzung der Fahrzeuge über den Jahresverlauf unmöglich macht. Deshalb wurde ein strategisches Portfolio entwickelt, um sowohl für die kontinuierlichen Versandtransporte zu Spitzenzeiten, als auch für das auftretende Spot-Geschäft jederzeit einen Pool an Transportpartnern zur Verfügung zu haben, die über Rahmenverträge mit CLAAS verbunden sind. Auf diese Weise ist eine hohe Verfügbarkeit der Fahrzeuge gewährleistet, bei maximaler Flexibilität und konstant niedrigen Kosten. Ergänzend wurden direkte Verträge mit Reedereien für RoRo-Transporte geschlossen, um sich die knappen Ressourcen zu sichern. Darüber hinaus forciert CLAAS auch Innovationen auf dem Transportsektor. So wurde beispielsweise gemeinsam mit einem Spediteur ein Multifunktions-Lkw entwickelt, der durch seine Flexibilität den Transport sowohl für Mähdrescher auf dem Weg nach Frankreich als auch für Traktoren auf dem Rückweg nach Deutschland ermöglicht. Parallel dazu wurden die Outbound-Prozesse vom Ende der Montagelinien bis zum Versand aufgenommen Abb. 6: Anzahl Milkruns Eingangstransporte Zeitraum 2006
+25
2003 0
5
10
15
20 25 Anzahl Milkruns
und detailliert analysiert. Daraufhin wurde im Traktorenwerk in Le Mans die gesamte Versandabwicklung neu gestaltet und an einen Logistikdienstleister vergeben. Insgesamt konnten in den letzten drei Jahren die Kosten für Outbound-Transporte erheblich reduziert werden. Service Parts Network Optimization
Die Anforderungen an die Ersatzteillogistik sind in den letzten Jahren rasant angewachsen. Immer weniger Erntemaschinen bearbeiten immer größere Flächen, da die Ernteleistung der Maschinen immer weiter gestiegen ist. Natürlich führt die hohe Arbeitsbelastung zu Verschleiß und gegebenenfalls auch zu Maschinenstillständen, die schnellstens behoben werden müssen. In der Regel bleibt nur wenig Zeit für Reparatur, Wartung und Instandhaltung. Die global agierenden Kunden fordern unabhängig von der geografischen Lage ihrer Standorte einen weltweit einheitlichen Service. Darüber hinaus sind die Kundenerwartungen für die Beschaffung von nicht bei den lokalen Händlern vorrätigen Ersatzteilen in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wurde vor 15 Jahren noch eine Lieferung am nächsten Tag akzeptiert, ist die Erwartung von einer Over-night- und In-night- zu einer Same-day-Lieferung heutzutage gestiegen. Der Service hat sich hier durch seine Leistungsfähigkeit seit vielen Jahren eine besondere „Allzeit-bereit“Reputation verdient – und zwar auch außerhalb sonst üblicher Arbeitszeiten, am späten Abend und auch am Wochenende. Das Ersatzteillogistikkonzept von CLAAS und seinen Vertriebspartnern kombiniert auf einzigartige Weise die Vorteile einer zentralen Organisation (Kosten, Bestände) mit den Stärken einer dezentralen Struktur (Kundennähe, Servicevorteile). Das weltweite Ersatzteildistributionsnetzwerk besteht aus zwei europäischen Zentrallagern, weiteren Regionallagern zur Übernachtversorgung speziell in den Kernmärkten sowie weiteren dezentralen Servicezentren. Dadurch werden die Importeure und die lokalen Händler im Ersatzteilservice und -vertrieb optimal unterstützt. Bemerkenswert ist dabei, dass die defekten Maschinen in der Regel nicht in einer Werkstatt stehen, sondern teilweise auf vollkommen menschenleeren Flächen ohne Infrastrukturanbindung – sprichwörtlich „allein auf weiter Flur“. Hier sind Ersatzteillieferungen auch gelegentlich mit dem Hubschrauber notwendig, um die Maschinen schnellstmöglich wieder betriebsbereit zu machen.
Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio
Das Parts Logistics Center (PLC) in Hamm-Uentrop ist ein hochmodernes, intelligent automatisiertes Ersatzteildistributionszentrum und bildet das Fundament der weltweiten Ersatzteilversorgung. Zum Beispiel vergehen hier zwischen Eingabe des Kundenauftrags online beim Händler und der Bereitstellung zur Abholung im PLC weniger als 30 Minuten. In der Übernachtversorgung aus den Zentrallagern setzt CLAAS auf individuelle, gemäß den Bedürfnissen des Marktes maßgeschneiderte Transportlösungen, die späte Bestellschlusszeiten und Lieferung während der Nacht bzw. am frühen Morgen ermöglichen. Von entscheidender Bedeutung ist insbesondere die Verfügbarkeit der Teile in der Nähe des Einsatzes, um die Maschine möglichst am selben Tag wieder nutzen zu können. Zur weiteren Differenzierung vom Wettbewerb und um die ständig wachsenden Anforderungen an den Service für Landmaschinen zu erfüllen, werden zusätzlich zum Bestand beim Händler funktionswichtige, langsam drehende Teile in regionalen Kompetenzzentren vorgehalten. Erklärtes und erreichtes Ziel ist es, ein breites Spektrum von Ersatzteilen innerhalb von drei Stunden Fahrzeit für jeden Kunden in den Kernmärkten bereitzuhalten. So kann über diese Teile auch dann verfügt werden, wenn die normalen Transportnetze nicht genutzt werden können, d. h. am Abend und am Wochenende. Unterstützt wird das Konzept durch die Integration aller Bestände der Zentral- und Regionallager im CLAASSAP-System sowie durch internetbasierte Tools zum Austausch von Bestandsinformationen bei unabhängigen Händlern und Importeuren. Auf diese Weise lassen sich die Bestände im Ersatzteillogistiknetzwerk als ein „virtuelles Lager“ nutzen.
Somit kann durch das Zusammenwirken der verschiedenen Distributionsstufen exzellenter Service geboten werden, ohne Bestände und Logistikkosten steigen zu lassen.
Erfolgsfaktoren und Ergebnisse Zu den Erfolgsfaktoren ist bei CLAAS ganz eindeutig zu zählen, dass die Logistik bereichsübergreifend von Einkauf, Produktion, Transportlogistik bis hin zur Ersatzteillogistik samt Service gemeinsam vorangetrieben wird. Natürlich gibt es für die Einzelinitiativen eindeutige Projektverantwortungen, aber der übergreifend gelebte Gedanke der Gesamtwertschöpfung stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Initiative dar. Jeder Projektteamleiter erhielt sowohl quantitative als auch qualitative Ziele im Sinne der Gesamtzielsetzung mit enger Terminplanung. Diese wurden durchgehend nach konsistenten Controlling-Vorgaben anhand von Kennzahlen verfolgt. Ein weiterer Erfolgsfaktor der effizienten Umsetzung ist die Unterstützung durch das Top-Management. Die Geschäftsführer der Business Units sowie die Geschäftsführer für Einkauf und Produktion sind Sponsoren der Initiative und können so bereichsübergreifende Ziele setzen und in den Zielvereinbarungen der Mitarbeiter verankern. Die Einkäufer werden heute nicht mehr nur an Materialpreisen, sondern auch an der gesamtlogistischen Leistung eines Lieferanten gemessen. Eine weitere wichtige Rahmenbedingung für die stringente Umsetzung war es, während der Konzepterarbeitung auch gezielt „Quick Wins“ zu realisieren, um sofort wirksame Einsparungen und qualitative Prozessverbesserungen zu erreichen. Auf diese Weise konnte eine hohe Motivation der beteiligten Projektteammitglieder und
Abb. 7: Versorgungsklassen der CLAAS Gruppe Materialklasse
Lagerbestand
Nachfülltechnik
Versorgungsklasse 1 JIS (Just in Sequence)
A-/B-Teile
Nein
MTO – Make to order Einzelbedarfsgesteuert – JIS
Versorgungsklasse 2 Fließteile/JIT (Just in Time)
A-/B-Teile
Nein
MTO – Make to order Sammelbedarfsgesteuert – JIT
Versorgungsklasse 3 Lagerteile
B-Teile
Ja
Bedarfsorientierte/ plangesteuerte Disposition
Versorgungsklasse 4 Kanban-Teile
C-/B-Teile
Ja Kanban-Puffer
Ziehprinzip Kanban
Versorgungsklasse 5 Nachfüll-Teile/Schüttgut
C-Teile
Ja
Behälter-Kanban
289
290
Extremlogistik im Landmaschinenbau
Abb. 8: Ersatzteil-Verfügbarkeit Service-Level
Fazit und Ausblick
Zeitraum
Betrachtet man die Aktivitäten abschließend, so lässt sich die besondere Leistung der CLAAS-Gesamtlogistik wie folgt zusammenfassen: Trotz knapper Ressourcen wurden die Projektinhalte der relevanten Logistik-Potenzialfelder zeitgleich bearbeitet und vorangetrieben. Wo es vorher unkoordinierte Materialflüsse ohne Prozessstandardisierung, mit geringer Transparenz und mit wenig Synergienutzung innerhalb des Produktionsverbundes gab, wurde innerhalb kürzester Zeit eine leistungsfähige Logistik-Gesamtkonzeption aufgebaut und umgesetzt – ohne jedoch hierfür aufwendige Overhead-Strukturen zu schaffen. Die Konzepte der Logistik wurden in extrem kurzen Projektphasen stets unmittelbar praktisch umgesetzt. Gelingen konnte dies nur durch eine Ausrichtung aller Beteiligten an der gemeinsamen Strategievorgabe und der Erkenntnis, dass Wachstum bei CLAAS eine funktionierende Gesamtlogistik zwingend erfordert. Es kann heute festgestellt werden, dass die SupplyChain-Initiative nicht nur zu einer dynamischen Entwicklung der logistischen Performance mit positiver Auswirkung auf das Geschäftsergebnis der CLAAS Gruppe führte, sondern auch eine Plattform darstellt, auf der die operative Einbindung neuer Tochtergesellschaften reibungsarm und schnell erfolgt ist und auch in Zukunft erfolgen wird. Natürlich gibt es auch zukünftig viel zu tun, denn schließlich schreitet die Globalisierung weiter voran und bei den wichtigen Trendthemen „Welternährung“ und „alternative Energiegewinnung“ ist CLAAS durch die Technologieführerschaft seiner Produkte ein wichtiger Impulsgeber. Gerade erst hat das Unternehmen die Grundsteinlegung für sein zweites Mähdrescherwerk in Indien vorgenommen, das
2006
+4 %
2003 91 %
92 %
93 %
94 %
95 %
96 %
97 %
-partner erreicht werden. Die beschriebenen Initiativen wurden von den Projektteammitgliedern zusätzlich zu ihrem operativen Tagesgeschäft durchgeführt. In den Teams fanden Über-Kreuz- bzw. Doppelbesetzungen – mit entsprechender Belastung – statt, da die verschiedenen Themenfelder nur auf wenige Mitarbeiter verteilt werden konnten. Die mit den persönlichen Zielvorgaben der Teammitglieder kongruente Projektzielsetzung, der Teamgedanke und die schnellen Erfolge bewirkten, dass alle vom ersten Tag „an einem Strang zogen“ und jedes Teammitglied über die übliche Arbeitsleistung hinaus die notwendige Extraleistung einbrachte. In regelmäßigen Steuerkreissitzungen auf höchster Ebene – denn die Logistik ist inzwischen im Top-Management „angekommen“ – wurden Projektfortschritt und Zielerreichung überprüft. Die im Zeitraum von 2003 bis 2006 durch die Initiative erzielten wesentlichen Ergebnisse sind in Kennzahlen ausgedrückt in Abbildung 9 zusammengefasst.
Abb. 9: Ergebnisse
Von
Auf
Teileverfügbarkeit von Ersatzteilen (ET):
93 Prozent
97 Prozent
Bestandsreichweite (ET)
9 Monate
7 Monate
Transportkosten vom Umsatz (ET):
7,4 Prozent
4,2 Prozent
Produktivität je Mitarbeiter:
178 T€
287 T€
Produktivität je m² Produktionsfläche:
4,8 T€
7,2 T€
Umschlaghäufigkeit (Gesamtbestand):
5,5
7,4
Anzahl Milkruns:
0
25
Anzahl Speditionen (Inbound):
244
2
Anzahl Behältertypen:
493
15
Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio
2008 in Betrieb gehen wird. Auch dieses gilt es logistisch effizient anzubinden und in den bestehenden Werksverbund zu integrieren. Zukünftig wird insbesondere die Prozessintegration mit den Lieferanten weiter vorangetrieben. Zudem erhofft sich
CLAAS Effekte durch die frühzeitige Involvierung der Logistik in die Entwicklungstätigkeiten. Logistikgerechtes Design wird ein weiterer Baustein für die durch die Logistik geschaffene Plattform des „Zusammenwachsens – um zusammen zu wachsen“.
291
Convenient Logistics
Christian Berner Chief Executive Officer der Lekkerland AG & Co. KG
Christian Berner Jahrgang 1953 Berner führt seit Januar 2004 als Chief Executive Officer den Konzern Lekkerland AG & Co. KG. Er absolvierte sein VWL-Studium an der Universität Hamburg und begann seinen beruflichen Werdegang bei der Boehringer Mannheim GmbH. Berner assistierte von 1981 bis 1982 dem Inhaber der Unternehmensgruppe Gauselmann. Von 1982 an arbeitete er als Projektleiter Organisation und Controlling der Eurokai KGaA in Hamburg, bis er 1988 zu Kühne + Nagel nach Hamburg wechselte. Nachdem Berner dort den Bereich Finanzen/Controlling leitete, wurde er 1990 als Mitglied in die Geschäftsleitung berufen. 1998 übernahm er den Vorsitz der Geschäftsleitung von Kühne + Nagel mit Verantwortung für die Bereiche Marketing/Vertrieb, Personal und Logistik. Berner wurde im September 2001 zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der damaligen LekkerlandTobaccoland GmbH & Co. KG berufen.
Convenient Logistics Christian Berner
Wherever, whatever, whenever – Convenience als Megatrend Ob frühmorgens oder spätabends: Convenience ermöglicht dem Verbraucher, sich jederzeit einfach und schnell zu versorgen, in der Tankstelle, im Kiosk, in der Kantine oder im Fastfood-Restaurant. Und der Trend zu Convenience nimmt stetig zu. Die Gründe sind vielfältig: Die Menschen werden immer mobiler, die Flexibilität im Beruf nimmt zu und die Bereitschaft, täglich selbst zu kochen, nimmt ab. Unaufhörlich steigt zudem die Zahl der Einzelhaushalte. Doch nicht nur Singles schätzen diese Konsumform. Der typische Käufer im Convenience-Shop sucht den schnellen, bequemen Einkauf. Er hat wenig Zeit, kein Interesse an Produktvergleichen und will deshalb von allem die optimale Auswahl. Er möchte ein spontanes Bedürfnis befriedigen, Zigaretten kaufen oder eine Kleinigkeit essen, belegte Brötchen oder Sandwiches beispielsweise, und dazu auch etwas trinken, ein kühles Erfrischungsgetränk oder einen heißen Kaffee – und das alles in ansprechender Umgebung und freundlicher Atmosphäre. Es geht um den einfachen, schnellen und bequemen Genuss.
Lekkerland – Der Genuss-Lieferant Es gibt viele Möglichkeiten, Convenience-Produkte an den Kunden zu bringen: im Kiosk, in der Kantine oder im Fastfood-Restaurant, in der Bäckerei, im Kaufhaus und im Supermarkt, in Tabak- und Süßwarenfachgeschäften sowie in Tankstellen-Shops oder in neuen, spezialisierten Convenience-Stores. Die Struktur der Outlets reicht von international organisierten Systemkunden bis zum einzelnen Shop-Betreiber. So profitieren Tankstellen-Shops, die zu einer Mineralölgesellschaft gehören, beispielsweise von deren hoher Professionalität sowie vom einheitlichen Markenauftritt. Kioske hingegen gestalten ihre Auftritte individuell und vielfältig. Die Anforderungen dieser heterogenen Kundenklientel an Lekkerland sind sehr komplex. Lekkerland hat sich auf dieses Segment spezialisiert. Das Unternehmen spielt eine zentrale Rolle in der Wertschöpfungskette zwischen einerseits einer großen Zahl von Herstellern und Industriepartnern sowie andererseits
einer sehr großen Zahl von unterschiedlichsten Kunden in ganz Europa. Jeder Kunde soll mit dem auf seine Klientel zugeschnittenen Sortiment versorgt werden. Die besondere Herausforderung in diesem Geschäft liegt in seiner logistischen Komplexität. Denn die Kunden erwarten auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Lieferungen. Häufig ist kein Platz da, um Produkte zu lagern. Wenn ein Artikel aus dem Regal verkauft ist, entsteht eine Lücke. Hier gilt es, kleine Mengen unterschiedlicher Temperaturbereiche auszuliefern, manchmal mehrfach die Woche und zwar an eine Vielzahl von Outlets. Allein in Deutschland verarbeitet Lekkerland täglich mehr als eine Million Auftragspositionen. Zudem hat das Unternehmen es mit stark ausgeprägten Saisonalitäten zu tun. So boomen im Sommer Food-Sortimente mit Getränken und Eiscreme oder auch Non-Food-Produkte wie Grillkohle. Weihnachten und Ostern erfordern andere Sortimentsbausteine und stellen jeweils andere Anforderungen. Eine völlig andere Verteilung der Aufträge ergibt sich auch während der Woche oder während des Monats. Bei vielen Artikeln, wie etwa Tabakwaren, treten beispielsweise über die Woche hinweg starke Nachfrageschwankungen auf. Bei der Bedarfsprognose hilft dem Unternehmen zwar ein SoftwareTool, aber die Wettervorhersage und regionale Gegebenheiten wie Stadt- oder Volksfeste müssen die erfahrenen Disponenten selbst mit berechnen. Diese Supply Chain ist deshalb nie statisch und die optimale Bestandsführung erfordert die Antizipation sehr variabler Einflussfaktoren. Es geht darum, einerseits Outof-Stock-Situationen stets zu vermeiden und andererseits die Kapitalbindung zu minimieren. Das Supply Chain Management ist deshalb für Großhandelsunternehmen eine notwendige Unternehmensfunktion.
Ausgangssituation Im Januar 2004 begann Lekkerland mit Firmenkäufen in neun europäischen Ländern seine internationale Expansion. Geleitet von der Vision, internationalen Großkunden wie
296
Convenient Logistics
etwa Mineralölgesellschaften überall in Europa einheitliche Standards zu bieten, galt es im Logistikkonzept sowohl den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Geschäftsmodellen als auch der für regionale und nationale Kunden notwendigen Flexibilität und Nähe gerecht zu werden. Wenn auch die Herausforderungen für die europäische Integration ungleich komplexer waren, konnte das Unternehmen auf den Erfahrungen aufbauen, die es in jüngster Zeit in Deutschland gemacht hatte. Denn erst im Jahr 1999 hatten die beiden Großhandelsgesellschaften Lekkerland und Tobaccoland in Deutschland fusioniert. Maßgeblich für den Zusammenschluss war das Ziel, aus zwei Unternehmen, die mit komplementären Sortimenten dieselbe Kundenklientel bedienen, einen Full-Service-Partner zu schmieden. Tobaccoland als Spezialist für den Sortimentsbereich Tabakwaren ergänzte die Lekkerland-Segmente Süßwaren, Snacks und Getränke und umgekehrt. Tobaccoland war bereits zum Zeitpunkt der Fusion ein zentral geführtes Unternehmen mit rund 25 Niederlassun-
gen und einheitlichen Belieferungsstandards. Die bis dato gesellschaftsrechtlich unabhängigen fünf Lekkerland-Regionalzentralen boten zwar nationale Lieferstandards, organisierten diese jedoch in deutschlandweit 21 Niederlassungen vollkommen eigenständig. Um die Ziele der Fusion zu verwirklichen und den Kunden von der Bestellung bis zur Auslieferung einfache Prozesse bei gleichzeitig hoher Qualität zu bieten, galt es, die Logistik einem vollständigen Reengineering zu unterziehen. Dies betraf sowohl das Standortkonzept, die EDV-Systeme und die Materialflusskonzepte in den Lagern als auch die Distributionsprozesse. Die Schaffung einer Einheitsgesellschaft mit insgesamt nur noch 18 Standorten in Deutschland, einheitlichen Prozessen und einer IT-Plattform war bis 2003 erledigt.
Strategie Lekkerland ist integraler und steuernder Bestandteil der Wertschöpfungskette seiner Lieferanten und Kunden. Die Anforderungen an die Logistik sind daher anspruchsvoll
Abb. 1: Die Logistikorganisation bei Lekkerland
Linienfunktion
Vorstand
Transport Warehousing Inbound
Executive Vice President
Matrixfunktion
Supply Chain
Land 1
Land 2
Land 3
Land 4
Christian Berner
und komplex. Die tägliche Leistung wird im Spannungsfeld zwischen Standardisierung für Großkunden und optimalen Prozessen einerseits sowie Individualisierung für jeden einzelnen Kunden andererseits erbracht. Zu den wesentlichen Einflussfaktoren bei der Konzeption für die europäische Integration der Logistik zählen nicht nur die jeweilige Infrastruktur und die Arbeitsmarktsituation, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern. So hat beispielsweise ein starkes Wohlstandsgefälle Einfluss auf die Dichte von Convenience-Shops, die Arbeitsmarktsituation auf die Verfügbarkeit von Mitarbeitern und die Straßenverhältnisse sowie das Autobahnnetz auf die Distribution und den Fuhrpark. Nicht weniger von Bedeutung für die Logistikkonzeption sind die zum Teil voneinander abweichenden Geschäftsmodelle, die in den einzelnen Ländern von Lekkerland verfolgt werden. So hat die spanische Landesgesellschaft beispielsweise einen zusätzlichen Schwerpunkt in der Belieferung von Fastfood-Ketten mit Waren aller Temperaturbereiche in Mehrkammer-Lkw. In Rumänien wird für Industriepartner die gesamte Distributionsfunktion inklusive diverser Value Added Services übernommen. Die Beispiele zeigen die Vielfalt möglicher Leistungen der Lekkerland-Gesellschaften, während das Basis-Geschäftsmodell in allen Ländern das Rückgrat darstellt. Länderübergreifend wird das Prinzip „best-out-of-all“ verfolgt. Bewährte Prozesse, Konzepte und Erfahrungen werden voneinander gelernt und übernommen. Dies gilt insbesondere für die Sicherung und weitere Verbesserung der Qualitätsstandards. Das Ziel eines konsequent umgesetzten logistischen Gesamtkonzeptes bestand also darin, den Anforderungen nach internationalen Standards genauso gerecht zu werden wie den lokalen Gegebenheiten. Logistikorganisation
Basis zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine funktionierende Aufbauorganisation, die Lekkerland in Form einer Matrix bereits im Jahr 2002 eingeführt und im Zuge der Expansion auf europäisches Niveau gehoben hat. Entsprechend den jeweiligen Schwerpunkten bündelt und koordiniert der Bereich Corporate Logistics eine breite Anzahl von komplexen Aufgaben und Prozessen. Fachlich verantwortlich führt Corporate Logistics die gesamten dezentralen operativen Einheiten in Europa und ist für alle Fragen der logistischen Abläufe zuständig. Spezialisten in den Bereichen Lager-, Transport- und Tiefkühllogistik sowie Materialwirtschaft sind dafür verantwortlich, die
Leistungsstandards ständig zu verbessern und europaweit Best Practices zu etablieren. Methodenwissen und Methodentransfer sichern Knowhow und Erfahrungen im gesamten Unternehmen. Aufgabe von Corporate Logistics ist es, dieses Know-how bezogen auf die logistischen Schwerpunkte zu bündeln und um unternehmensexterne Entwicklungen, Technologien und Trends zu ergänzen. Sowohl branchenspezifische als auch branchenfremde Best Practices werden dabei berücksichtigt. Der Transfer in die operativen Geschäftsbereiche erfolgt in einem dreistufigen Konzept: Transparenz und Kennzahlen, Prozesse und IT sowie neue Technologien. Transparenz und Kennzahlen
In der ersten Stufe werden unternehmensweit einheitliche Key Performance Indicators (KPIs) zur operativen Steuerung von Abläufen und Prozessen definiert. Diese reichen von Leistungskennzahlen über Bestands- und Verfügbarkeitsindizes bis hin zu Qualitätskennziffern. Ziel ist eine einheitliche Steuerung der dezentralen operativen Einheiten. Bei Lekkerland beginnt dies mit der Transparenz von Leistungen. Mithilfe verschiedener Instrumente des Logistikcontrollings werden die monatlichen Leistungen je Mitarbeiter bzw. je Einheit auf Basis bereichsspezifischer Kennzahlen visualisiert. In regelmäßigen Meetings werden diese Kennzahlen besprochen, um Leistungen zu reflektieren und Anstöße zur Verbesserung zu geben. Die Transparenz der Leistungskennzahlen erlaubt eindeutige Benchmarks, auf deren Basis Ziele gesetzt und verfolgt werden. Prozesse und IT
Für die ständige Optimierung der bestehenden Prozesse und Abläufe kommen in der zweiten Stufe verschiedene EDV-gestützte Verfahren und Anwendungen zum Einsatz. So werden im Bereich der Lagerlogistik regelmäßige Lageroptimierungen durchgeführt. Dafür wurden im Tagesbetrieb Optimierungsalgorithmen in der Materialflusssteuerung eingesetzt. Die hier verwendeten Simulationswerkzeuge berücksichtigen Kriterien wie Zugriffshäufigkeit, Abverkauf sowie Packreihenfolge innerhalb der Warengruppen, um eine möglichst optimale Artikelplatzierung in Bezug auf Einlagerung und Kommissionierung zu gewährleisten. Im Bereich der Transportlogistik nutzt Lekkerland Simulationsverfahren, um eine kontinuierliche Routenoptimierung durchzuführen. In Abhängigkeit von Auftragsgröße, Auftragsanzahl sowie zu fahrenden Entfernungskilometern wird die Anzahl der Routen mit den entsprechenden Kundenstopps geplant.
297
298
Convenient Logistics
Neue Technologien
Sind mit den bestehenden Abläufen und Prozessen keine weiteren Qualitäts- und Effizienzsteigerungen zu erzielen, werden in einer dritten Stufe nach Identifizierung unternehmensexterner Best Practices neue Prozesse und Technologien etabliert. So konnte in der Lagerlogistik die Tabak- und Food-Kommissionierung von beleggeführter Kommissionierung erfolgreich auf eine beleglose Kommissionierung mittels Pick-by-Voice und Pick-by-Light umgestellt werden. Lekkerland hat als erstes Handelsunternehmen in Deutschland mit der flächendeckenden Einführung der Pick-by-Voice-Technologie bereits 2001 begonnen. Standortkonzeption
Der Kunde erhält in einer One-Stop-Strategie die Produkte aller Sortimentsbereiche mit einer Lieferung. Das Standortkonzept folgt Parametern wie Lieferservicegrad, Transport- und Umschlagkosten, Bestandskosten, Verkehrsanbindung, Standortflexibilität hinsichtlich Erweiterbarkeit sowie vorhandenem Mitarbeiterpotenzial. Die Anzahl, Lage und Ausstattung der Lagerstandorte ist ausschlaggebend für Effektivität und Servicegrad der Kundendistribution. Die Analyse der Logistikstrukturen erfolgt nach einem festgelegten Simulationskonzept. Um einerseits flexibel und kurzfristig auf Kundenwünsche reagieren zu können und andererseits Ressourcen zu schonen, müssen die Lagerstandorte möglichst nahe bei der Mehrheit der Kunden liegen. Dabei fließen alle wesentlichen Variablen in das Optimierungsmodell ein: Empfänger, Umsätze, Stoppgrößen, Verteilung auf die Wochentage und vieles mehr. Die jeweilige Lösung wird mit dem Team vor Ort zusammen erarbeitet. In Polen zum Beispiel sind aufgrund mangelnder Infrastruktur und Autobahnen deutlich mehr Standorte erforderlich, um die Feindistribution auch in ländliche Gegenden zu gewährleisten. Deshalb konnten die bestehenden 14 Lagerstandorte nicht reduziert werden. Allerdings blieben nur acht dieser Standorte bestandsführende Lager, wobei alle baulich verändert wurden. Weitere sechs Standorte wurden in Transshipment Points umgewandelt – ein für Polen bislang vollkommen neuer Logistikansatz. Homogene IT-Landschaft
Eine schnelle Belieferung sowie die flexible Reaktion auf die Anforderungen des Marktes sind wichtige Wettbewerbskriterien für ein Convenience-Unternehmen. Eine hochverfügbare, homogene IT-Infrastruktur sowie ein maßgeschneidertes Warenwirtschaftssystem, das sich flexibel an die individuellen Bedürfnisse der verschiede-
nen Kundengruppen anpassen lässt, sind für das Tagesgeschäft bei Lekkerland essenziell. Lekkerland betreibt eines der europaweit größten produktiven SAP-R/3-Systeme im Handel, das integraler Bestandteil der Logistikstrategie ist. Täglich greifen über 2000 Anwender auf hochverfügbare Systemplattformen des unternehmenseigenen Rechenzentrums in Frechen/ Köln zu. Zwei Systeme in einem Metrocluster sorgen für eine Verfügbarkeit der SAP-Systeme von 99,93 Prozent. Jährlich werden über das Warenwirtschaftssystem rund 10 Mio. Aufträge mit rund 350 Mio. Auftragspositionen abgewickelt. Die Antwortzeiten auf den Bildschirmen betragen wenige Millisekunden. Bislang sind Deutschland, Ungarn, die Schweiz und Österreich über zweifach gesicherte MPLSVerbindungen mit den zentralen Anwendungen gekoppelt. Für die Warenwirtschaft kommt die Branchenlösung SAP Retail und für die Steuerung der Lagerabwicklung das Logistics Execution System (LES) von SAP zum Einsatz. Um auch in kleineren, umsatzschwächeren Landesorganisationen eine einheitliche Funktionalität sicherzustellen, wird als zweiter Standard das ERP-System iScala eingesetzt. Insbesondere überregionale Systemkunden schätzen die hohe Aussagekraft der EDV-Systeme immer stärker als eigenen Wert innerhalb der Gesamtleistung von Lekkerland. Die Vernetzung mit den verschiedenen Kundensystemen ist heute elementarer Bestandteil der operativen Prozesse. Um noch differenzierter, strukturierter und schneller unternehmensrelevante Informationen speichern und auswerten zu können, hat Lekkerland ein Business Information Warehouse auf Basis SAP BI angelegt, das alle relevanten Führungs- und Steuerungsinformationen gebündelt bereitstellt. Einführung innovativer Technologien
Lekkerlands flächendeckendes Standortnetz ermöglicht die Auslieferung der bestellten Waren innerhalb von 24 Stunden bei nahezu 99 Prozent Lieferquote – eine Anforderung, die ohne intelligentes Lager- und Transportmanagement sowie ein leistungsfähiges Warenwirtschaftssystem nicht möglich wäre. Die logistische Reorganisation erforderte eine grundlegende Neugestaltung der bestehenden Abläufe und Prozesse in den Logistikzentren. Darüber hinaus sollten Qualität und Effizienz weiter optimiert werden. Ein wesentlicher Baustein des logistischen Gesamtkonzepts war daher für die westeuropäischen Standorte der Übergang von einer überwiegend belegorientierten Kommissionierung zu einer beleglosen Kommissionierung. Damit sollten Prozesssicherheit und Transparenz bei hoher Produktivität gesteigert
Christian Berner
und Fehler minimiert werden. Gesucht waren skalierbare und flexible Systemlösungen, die den speziellen Anforderungen der jeweiligen Warengruppen gerecht wurden. Die Tatsache, dass die Absatzmengen von Tabak und Food unterschiedlich starken Schwankungen unterliegen, erschwerte die Aufgabe. Während die Volumina von Tabakwaren im Wochenverlauf bis zu 50 Prozent schwanken, unterliegt das Food-Sortiment im Jahresverlauf besonderen Schwankungen. So wird zum Beispiel der Getränkebereich in den Sommermonaten stark nachgefragt. Hier beginnen die saisonalen Spitzen Mitte März und enden Anfang Oktober. Zu berücksichtigen war ebenfalls das zum Teil sehr abweichende Umsatzvolumen der Logistikzentren. Werden in einem Lager lediglich Tabakwaren im Wert von jährlich 100 Mio. Euro kommissioniert, kommen andere Niederlassungen auf Größenordnungen von bis zu 800 Mio. Euro. Hieraus ergeben sich konkrete Anforderungen für skalierbare Technologien. Tabakkommissionierung mit Pick-by-Voice und Pick-by-Light
Nach eingehender Analyse der Tabaklager stellte sich ein Modell heraus, das abhängig vom Absatzvolumen drei unterschiedliche Lösungen vorsieht. In der Basislösung ist die Kommissionierung mit Rollwagen völlig ausreichend. Für mittlere Absatzvolumina rechnet sich Pick-by-Voice (hier werden die Kommissionieraufträge elektronisch optimiert und mit elektronischer Stimme an den Lagermitarbeiter übertragen) in Kombination mit einer konventionellen Bandanlage. Für Standorte mit einem sehr hohen Umsatz ist eine innovative, halbautomatische Kommissionieranlage die effizienteste Lösung. Einer voll-
automatischen Lösung mangelt es an Flexibilität, den hohen Schwankungsbereichen des Tagesvolumens effizient zu begegnen. Für die Modernisierung der Kommissionierung fand Lekkerland in der Technisch Wissenschaftlichen Industrieberatung GmbH (TWI), Karlsruhe, den richtigen Partner. Gemeinsam mit TWI entwickelte Lekkerland sowohl für die halbautomatische als auch für die kombinierte Tabakkommissionierung eine maßgeschneiderte Lösung. Um die Vorteile der neuen Technologien in vollem Umfang zu nutzen, ging der Implementierung die Prüfung und Optimierung der Artikelplatzierung voran. In einem Pilotprojekt wurde für die halbautomatische Kommissionierung eine modular aufgebaute Kombination aus den Systemen Pick-by-Voice und Pick-by-Light entwickelt. Der Kommissionierprozess beginnt bei den sogenannten C- und B-Artikeln, wie etwa Raucherzubehör, braune Ware oder Zigarillos mit Pick-by-Voice. Der Mitarbeiter kann pro Durchgang bis zu acht Kartons parallel befüllen. Dazu ist er mit einem sogenannten Hit-Handy ausgestattet, das zugleich Scannerfunktion übernimmt. Über das Handy mit Lautsprecherfunktion erhält der Kommissionierer zunächst die Sprachinformation, zu welchem Pickplatz er sich begeben soll. Dort angekommen scannt der Mitarbeiter einen Code am Regal und das System bestätigt ihm, dass er sich am richtigen Platz befindet. Als nächste Information gibt das System durch, welche Menge der Kommissionierer in welchen Karton packen soll. Zur Bestätigung des Packvorgangs scannt der Mitarbeiter den Barcode des empfangenden Kartons.
Abb. 2: Tabak-Kommissionierung mit innovativer, halbautomatischer Kommissionieranlage
Materialfluss Enterprise Resource Planning
SAP
Daten
Materialfluss-Rechner TWI
Technologie
Artikel
Kommissionierung
Pick-by-Light
Pick-by-Voice C-Artikel: Braune Ware, Zubehör
B-Artikel: Zigaretten
Batch-Kommissionierung
A-Artikel: Top 100 Zigaretten Automatische Bandanlage
299
300
Convenient Logistics
Flexibilität als Vorteil
terialflussrechner, der die Aufträge aus SAP als führendes Warenwirtschaftssystem entgegennimmt und nach erfolgreicher Bearbeitung auch dorthin zurückmeldet. In der kombinierten Tabakkommissionierung stehen die Kommissionierer zwar an einer konventionellen Bandanlage, sie erhalten die Pick-Informationen jedoch mittels Pick-by-Voice über einen Kopfhörer und bestätigen die Artikel und die entnommenen Mengen über den EANCode per Scanner. Für den optimalen Einsatz dieser Technik wurde nicht nur der Kommissionierprozess verändert, sondern auch der Ablauf der Endkontrolle. Jeder kommissionierte Karton wird wie bei der halbautomatischen Anlage am Ende verwogen. Die Freigabe erfolgt durch ein akustisches Signal. Bevor der Karton verschlossen wird, fertigt die Anlage vom Inhalt ein Foto.
Bevor der Kommissionierer die Kartons zur weiteren Befüllung an die Bandanlage übergibt, wird jeder Karton verwogen und das Gesamtgewicht mit dem Sollgewicht verglichen. Auf der Bandanlage, die nach dem Pick-by-Light-System arbeitet, werden den Kartons noch die A-Artikel, also die Top100-Zigaretten beigefügt. Das System zeigt über ein Display die zu entnehmende Menge unter jedem Warenschacht an, die der Kommissionierer durch Knopfdruck bestätigt. Die Logistikzentren verfügen jeweils über eine unterschiedliche Anzahl dieser Bandanlagen. Sie sind gespiegelt und werden je nach Auftragslage in Betrieb genommen. An schwachen Tagen laufen nur ein oder zwei dieser sogenannten TOPs (Transport ohne Palette). Das ermöglicht eine flexible Personalplanung. Darüber hinaus hat sich die Krankenquote aufgrund des ergonomischeren Bewegungsablaufs um 15 Prozent reduziert. Ein weiterer Vorteil des Systems ist, dass Pickfehler nahezu ausgeschlossen sind. Die Kartons durchlaufen während der Kommissionierung ein mehrstufiges Sicherheitskonzept, bestehend aus Wiegen, Scannen und digitaler Verfilmung des Inhalts. Gesteuert wird der gesamte Kommissionierablauf durch einen Ma-
Food-Kommissionierung mit Pick-by-Voice
Im Bereich Food arbeitet Lekkerland mit einem reinen Pick-by-Voice-System. Bereits seit Anfang 2002 wird dieses System zur beleglosen Kommissionierung mit Sprachsteuerung im Unternehmen eingesetzt. Der Roll-out in die westeuropäischen Länder ist beinahe abgeschlossen.
Abb. 3: Produktivitäts- und Qualitätsverbesserung – Deutschland: Food Jahr 145
2004
0,094 %
159 2005
0,060 %
175
2006
0,055 %
2007
178
bis Oktober 2007
0,052 % 0,02 %
0,00 % 100
110
120
0,06 %
0,04 % 130
140
150
0,08 % 160
0,10 % 170
180
0,12 % 190
Veränderung in % und h
Produktivitäts- und Qualitätsverbesserung
Produktivität in Koli/h
Durchschnittliche Packfehlerentwicklung
Packfehler in %
Christian Berner
Dabei ist die von der Firma Topsystem entwickelte Sprachsoftware TopSPEECH auf einem handelsüblichen Pocket-PC (PDA) installiert. Die mitarbeiterindividuelle Spracherkennung führt zu extrem kleinen Datenübertragungsmengen und kurzen Antwortzeiten. Gesteuert werden alle Abläufe über das Lagerverwaltungssystem SAP LES. Über einen Kopfhörer erhält der Kommissionierer Anweisungen, zu welchem Pickplatz er zu gehen hat. Dort angekommen, bestätigt er verbal über eine Prüfziffer den Platz. Nun gibt das System an, welche Mengen der Mitarbeiter entnehmen soll. Auch das bestätigt er über zuvor abgespeicherte Schlüsselworte. Nach Abschluss der Position wird der Kommissionierer vom System zum nächsten Pickplatz geleitet. Parallel dazu laufen im Lagerverwaltungssystem alle Bestandsbuchungen online. Nachschubaufträge werden umgehend ausgelöst. Der klare Vorteil des Systems besteht darin, dass weder Belegbearbeitung noch Scanvorgänge den Arbeitsfluss unterbrechen und der Mitarbeiter beide Hände zum Greifen der Ware frei hat. Die ohnehin niedrige Packfehlerquote konnte bereits im ersten Jahr nach Einführung der beleglosen Kommissionierung um weitere 30 Prozent reduziert werden. Der Produktivitätszuwachs lag im Zeitraum von 2002 bis 2007 bei über 20 Prozent. Erfreulich ist auch die hohe Akzeptanz des Systems bei den Mitarbeitern. Die Kommissionierer empfinden die Sprachsteuerung als Arbeitserleichterung und Aufwertung. Die individuelle Sprachkennung stellt darüber hinaus jedem Mitarbeiter frei, den Dialog in seiner Muttersprache zu führen. Naturgemäß führt die elektronische Berechnung der optimalen Wege für den Kommissionierer auch zu einer deutlichen Effizienzsteigerung und erhöht die Wirtschaftlichkeit des Logistikbereichs. Kundenschnittstellen
In der Distribution als einer der wesentlichen Kundenschnittstellen werden die Auswirkungen des logistischen Gesamtkonzepts am deutlichsten sichtbar. Der Kunde erhält in einer One-Stop-Strategie alle Teilsortimente mit einer Lieferung. Die permanente Routenplanung und -optimierung passt die Ausliefergebiete an und minimiert die Anzahl der Ausliefertouren. Ziel ist eine deutliche Reduzierung der Kundenstopps sowie der gefahrenen Kilometer. Zugleich werden die Belastungen für Kunden, Anwohner und Umwelt durch verringerte Anlieferfrequenzen und Abgasemissionen deutlich gesenkt. Der hohe technische Standard der Lieferflotte ist Garant für die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Warenauslieferung. Sie gehört mit einem Durchschnittsalter von drei Jahren zu den jüngsten in Europa.
Bei der Auslieferung steht der menschliche Kontakt zwischen Kunden und Fahrpersonal im Vordergrund. Freundliche, hoch qualifizierte Fahrer kennen „ihre“ Kunden sehr genau. Dies fördert Vertrauen, beugt Missverständnissen vor und ist somit „einfach bequem“ für Kunde und Fahrpersonal. Im Rahmen eines Risk Managements sorgen darüber hinaus kontinuierliche Fahrerschulungen und Analysegespräche für eine Sensibilisierung der Fahrer gegenüber den Gefahren im Straßenverkehr sowie bei den Ladevorgängen, um mehr Sicherheit für alle Straßenverkehrsteilnehmer zu schaffen.
Erfolg und Ausblick Lekkerland ist heute ein bedeutender europäischer FullService-Anbieter für alle Absatzkanäle im ConvenienceHandel. Die Vision, internationalen Großkunden überall in Europa einheitliche Standards zu bieten und zugleich den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Geschäftsmodellen als auch der für regionale und nationale Kunden notwendigen Flexibilität und Nähe gerecht zu werden, scheint weitgehend erreicht zu sein. Lekkerland ist es gelungen, durch eine neue logistische Gesamtkonzeption stabile und schlanke Prozesse zu etablieren, den administrativen Aufwand zu minimieren und zugleich Kostenersparnisse zu generieren. Der Erfolg des Unternehmens ist gleichzeitig auch der Erfolg seiner Partner, weil Lekkerland als integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette seine Partner am Unternehmenserfolg beteiligt. Konkurrenzfähige Preise, zuverlässige Abläufe und maßgeschneiderte Kundenschnittstellen sind das Ergebnis des komplexen Logistik-Reengineerings. Die Beibehaltung der bei nahezu 99 Prozent liegenden hohen Lieferbereitschaft und die kontinuierliche Einhaltung der Lieferzeiten bestätigen das Engagement und Qualitätsbewusstsein der Beteiligten. Künftige Herausforderungen, auf die Lekkerland in der Logistik Antworten finden wird, sind beispielsweise die noch stärkere Verzahnung interner Abläufe zwischen Einkauf, Vertrieb und Logistik durch das integrierte Supply Chain Management oder auch eine nachhaltigere Auslastung des Fuhrparks durch eine eigene Beschaffungslogistik. Auf künftiges Wachstumspotenzial in den stark wachsenden Produktbereichen Frische, Ultrafrische und Tiefkühlkost bereitet sich das Unternehmen ebenfalls durch den Aufbau einer Mehrkammerlogistik und den Ausbau seiner Lager vor. Darüber hinaus gewinnen Aspekte der Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Logistik ist und bleibt eine Kernkompetenz von Lekkerland. Deshalb muss und wird Lekkerland stets State-of-theart-Lösungen implementieren und seinen Partnern anbieten.
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Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
Karl-Rudolf Rupprecht Senior Vice President Hub Management Frankfurt der Deutschen Lufthansa AG Hartmut Zadek Professor und Leiter des Lehrstuhls für Logistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Beirat der Visality Consulting GmbH Berlin Mitglied des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL)
Dr.-Ing. Karl-Rudolf Rupprecht Jahrgang 1955 Rupprecht ist seit 2004 Senior Vice President Hub Management Frankfurt der Deutschen Lufthansa AG. Er studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und promovierte 1988. Er stieg bei der Deutschen Lufthansa AG ein. Zwischen 1989 und 1994 übernahm er verschiedene Managementaufgaben im Bereich der Flugzeugwartung. Er leitete die Einheit Betriebsmittel Services und bereitete die rechtliche Verselbstständigung unter dem Namen der Lufthansa Engineering and Operational Services GmbH (LEOS) vor. Rupprecht wechselte 1995 nach Hamburg, war zunächst Corporate Manager für den Bereich Unternehmensentwicklung, im gleichen Jahr bis 2000 stellvertretender Leiter Marketing & Sales der Lufthansa Technik AG. Von 2000 bis 2004 war er Geschäftsführer der Lufthansa Technik Logistik GmbH.
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Hartmut Zadek Jahrgang 1968 Zadek ist seit 2008 Leiter des Lehrstuhls für Logistik an der Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin und war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technologie und Management mit Leitung praxisorientierter Forschungsprojekte im Bereich Logistik. 1999 folgte dort die Promotion summa cum laude bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten. Er wurde mit dem Konrad-Mellerowicz-Preis ausgezeichnet. Bis Ende 2007 war er im Projektmanagement in der Beratung tätig, seit 2002 hatte er Prokura und Führungsaufgaben im Management Board inne. Er ist Mitbegründer und Beirat der Visality Consulting GmbH Berlin und Mitglied des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Es bestehen Lehraufträge an der Universität Dortmund und der Kühne School of Logistics and Management.
Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek
Entwicklungen im Luftverkehr Die Luftfahrtbranche hat sich aus der schwierigen Phase zu Anfang des Jahrtausends befreit und auf den langfristigen Wachstumspfad zurückgefunden. Extreme Sicherheitsanforderungen und hohe Treibstoffpreise nehmen aber noch immer starken Einfluss. Die Etablierung der Low-CostCarrier, Konzentrationstendenzen von Fluggesellschaften und strategische Neuausrichtungen von Netzstrukturen kennzeichnen heute zusätzlich den Airline-Markt. Flughäfen und Airport-Dienstleister müssen sich an den immer weiter steigenden Anforderungen der Airlines hinsichtlich Qualität, Flexibilität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit ausrichten (Wollschläger und Zadek 2005). Der Wettbewerb im Luftverkehr findet nicht nur in der Luft, sondern zunehmend am Boden statt. Flughäfen sind nicht selten in der Hand großer Holding-Strukturen, die ganze Ketten von Airports zu modernen Dienstleistungs-
zentren ausbauen. Deren wirtschaftlicher Erfolg hat sich längst vom eigentlichen Flugbetrieb losgelöst. Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines Liberalisierungsprozesses des Luftverkehrsmarktes, der Anfang der 1990er Jahre begann. Aus den staatlichen Fluggesellschaften wurden sukzessive und zum überwiegenden Teil börsennotierte Unternehmen, die einem permanenten Auslastungs- und Kostendruck ausgesetzt sind. Daraus resultierte eine beträchtliche Anzahl an spektakulären Übernahmen, die mit dem Ziel erfolgten, Verbundvorteile in den AviationNetzwerken zu realisieren. Gleichzeitig mussten Unternehmen wie Airlines, Caterer und Flugzeughersteller ihre Kosten senken und ihr Leistungsangebot verbessern. Die Betreibergesellschaften, einstmals rein öffentliche Unternehmen, wurden in den vergangenen Jahren zunehmend privatisiert und müssen nunmehr im Wettbewerb mit
Abb. 1: Entwicklungen im Weltluftverkehr PKT* - Entwicklungen im Weltluftverkehr (1970–2020)
Entwicklung der im Markt befindlichen Fluggeräte bis 2020 Anzahl Flugzeuge
PKT* in Mrd. Prognose 6 % Wachstum pro Jahr
8000 7000
22 000
20 997
20 000 18 000
6000
+3,5 % pro Jahr
16 000 5000
14 000
4000
12 000 10 000
3000
8000
2000
11 716 8235
6000 4000
1000
2000 1970
1990
2000
2010
2020
0
1995
2005
*PKT = Passengers Kilometers Transported Quelle: IACO
Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Luftverkehrsbericht 2004
2020
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Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
privaten Dienstleistern um Aufträge der Airlines kämpfen. In Bereichen wie der Flugzeugabfertigung, der Passage und dem Operations haben private Wettbewerber seit der Liberalisierung des Wettbewerbsrechts Zugang zur Flughafeninfrastruktur (Bermig 2005). Öffentlich-rechtliche Tarifstrukturen und unflexible Beschäftigungsmodelle schwächen hierbei die Konkurrenzfähigkeit der Betreiber. Ausgründungen von Tochtergesellschaften ohne solche Beschränkungen auch gemeinsam mit Logistikdienstleistern sind die Folge. Dies führte zu einer verstärkten Fragmentierung der Wertschöpfungskette Aviation, zu einer Zunahme der Komplexität und zu höheren Anforderungen an die Koordination aller beteiligten Unternehmen (Emmermann u. a. 2006). In diesem Umfeld kann ein Dienstleister seine Rolle nicht mehr im herkömmlichen SchnittstellenManagement zweier Wertschöpfungsstufen definieren. Es existieren keine einfachen Prozessketten, sondern komplexe Bündelungen unterschiedlicher Dienstleistungen, die häufig an einem Punkt, dem Flughafen, konzentriert sind. So beherbergt in Deutschland ein mittlerer internationaler Verkehrsflughafen ca. 100 einzelne Unternehmen vom Betreiber über Airlines und Dienstleister bis hin zur Flugsicherung und sorgt für ca. 10 000 Arbeitsplätze. Die Rahmenbedingungen für Verkehrsflughäfen in Deutschland sind mit über 6 Prozent p. a. Zuwachs bei Passagierzahlen und Fracht von guter Entwicklung geprägt.
Einen überproportionalen Anteil daran hatten die Low Cost Carrier (LCC), die bereits fast 20 Prozent des Passagieraufkommens vereinen. Deren Flugangebote machen das Flugzeug zu einem immer größeren Konkurrenten für die anderen Verkehrsträger (Emmermann u. a. 2006). Die Angebotsausweitung führt zu einem Wandel im Luftverkehrsmarkt: vom Anbieter- zum Käufermarkt. In Summe entsteht ein heftiger Preiswettbewerb der Airlines untereinander mit Auswirkungen auf die Kostensensitivität bei der Nachfrage nach Airport-Leistungen. Dabei befindet sich der Markt erst am Anfang einer nachhaltigen Entwicklung, die im Rahmen der Globalisierung exponentiell ansteigen wird. Innerhalb der nächsten 15 Jahre wird sich der Weltluftverkehr mehr als verdoppeln und die Anzahl eingesetzter Fluggeräte um 75 Prozent steigen (siehe Abbildung 1). Für etablierte Netz-Airlines erhöht sich der Wettbewerb massiv. In sieben Jahren hat sich in Europa die Anzahl der von LCC eingesetzten Transportgeräte auf 350 Flugzeuge verzehnfacht. Die Anzahl der mit LCC beförderten Passagiere stieg um den Faktor 30 von zwei auf 62 Mio. Passagiere. Dabei wuchs am stärksten die Komplexität des Netzwerkes: Die Anzahl der angebotenen Flugrelationen stieg um den Faktor 300 (Widmann 2005). Ein Ende dieses Wachstums ist noch lange nicht in Sicht. Neue Netzwerk-Carrier aus der Golf-Region verschärfen
Abb. 2: Yield-Entwicklung im Weltluftverkehr Yield-Entwicklung Weltluftverkehr (1990–2002)* US-Cents 10
Yield/Pax Lokal- vs. Umsteigeverkehr
Stückkosten/Pax Hub- vs. dezentrale Airports
Yield-Veränderung (%)
105–115 %
Yield per RPK Index
9
100 %
Index
100 %
70–85 %
5%
8
226–33 %
Yield-growth 5%
7 - 5% 1990
2002 200
Lokalverkehr
Umsteigeverkehr
Dezentrale Hubs Airports P2P/P2 Hub Airports
*RPK = Revenue Passenger Kilometers Quelle: IACO
Quelle: LH-Benchmarks, Transport Research Labs Geschäftsberichte
LCC P2PAirports
Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek
den Wettbewerb auf den Top-Verkehrsströmen nach AsienPazifik, Nordamerika und Nahost. Die Profitabilität einer Airline hängt maßgeblich von der Auslastung der Fluggeräte ab. Um eine hohe Auslastung zu erzielen, werden durch intelligente Buchungssteuerungssysteme für verkehrsschwache Tageszeiten verstärkt preiswerte und günstige Tickets angeboten. Somit findet seit Beginn der Liberalisierung ein stetiger Verfall der Yield-Raten statt. Besonders hart ist der Wettbewerb beim Umsteigeverkehr. Zusätzliche Direktverkehrangebote der LCC, sogenannte Punkt-zu-Punkt-Verkehre, entziehen den traditionellen Umsteigeflughäfen, den sogenannten Hub-Flughäfen, einen Teil der Passagiere und führen zu einem stärkeren Yield-Verfall. Darüber hinaus weisen die Hub-Flughäfen aufgrund der komplexeren Infrastruktur in der Regel höhere Kosten als kleinere, dezentrale Flughäfen auf (siehe Abbildung 2). Diese Entwicklung zwingt etablierte Airlines mit ihren traditionellen Netzangeboten über Hub-Flughäfen zum Umdenken. Neben einem immer konsequenteren Kostenmanagement müssen über andere Geschäftsmodelle und strategische Allianzen zusätzliche Einnahmequellen erzielt werden. Das aufgezeigte Wachstumspotenzial der Luftfahrtbranche birgt in den nächsten Jahren hohe Herausforderungen und Anpassungsnotwendigkeiten für die Luftfahrtindustrie und die Flughäfen im Besonderen. Die Verkehrsdichte in den Hub-Airports hat bereits heute eine Dimension erreicht, die zu erheblichen Limitierungen des
prognostizierten Wachstums führen wird, sofern Anpassungen an die Marktbedürfnisse ausbleiben. Flughäfen weltweit werden in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen in die Erweiterung der Infrastruktur leisten müssen, um die prognostizierten Wachstumsraten und die Abfertigung neuer XXL-Flugzeugmuster möglich zu machen (Emmermann u. a. 2006). Im weltweiten Wettbewerb der Mega-Hub-Flughäfen wird aufgrund der limitierten Möglichkeiten des Infrastrukturausbaus das Verkehrsmanagement zu einem immer wichtigeren strategischen Wettbewerbsfaktor. Die Deutsche Lufthansa AG hat auf diese Entwicklungen mit der Umsetzung von drei nachhaltigen Strategien geantwortet: •
•
•
Auf- und Ausbau einer weltweiten Allianz, der sogenannten Star Alliance mit gemeinsamen Kostenvorteilen und einem einzigartigen Angebot an Flugverbindungen Ausweitung des Angebotsspektrums mit erkennbarer Differenzierung von Kundensegmenten mit Vollserviceangeboten, spezifischen Executive Services oder schlanken Charter- und LCC-Angeboten Entwicklung einer aktiven Verkehrssteuerung am MegaHub Frankfurt/Main, der Heimatbasis von Lufthansa, und Ausbau zum Verkehrsmanagement mit einzigartigen Leistungen für Umsteigepassagiere bezüglich Transferzeiten, Konnektivität und Service.
Abb. 3: Arten der Netzwerkgestaltung Liniennetz
Hub-and-Spoke-Netz: Single-Hub
Hub
Punkt-zu-Punkt-Netz
Hub-and-Spoke-Netz: Multi-Hub
Hub 2 Hub 1
Hub 3
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Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
Strategien im Management der Flugzeugflotten Die Planung und Gestaltung des Streckennetzes gehört zu den wichtigsten strategischen Aufgaben des Managements von Flugzeugflotten. Die Netzwerkrelationen der Airlines können auf Direkt- oder Umsteigeverbindungen basieren. Direktverbindungen können Nonstopflüge oder Flüge mit Zwischenlandungen ohne Flugzeugwechsel sein. Grundsätzlich werden drei Arten der Netzwerkgestaltung unterschieden: • • •
Liniennetz, Punkt-zu-Punkt- oder Rasternetz, Hub-and-Spoke-Netz.
Unter Liniennetzen versteht man Systeme von Flugverbindungen, bei denen ein am Heimatflughafen gestartetes Flugzeug auf dem Weg zum endgültigen Zielort mehrere Zwischenlandungen einlegt, bevor es vom Endziel aus wieder in der Regel auf derselben Route zurückfliegt. Liniennetze stammen noch aus den Zeiten staatlicher Airlines. Hauptgründe für die Einrichtung von Liniennetzen waren die damals geringere Reichweite der Flugzeugtypen und eine für eine getrennte Bedienung der einzelnen Flughäfen zu geringe Nachfrage. Von Vorteil ist bei Liniennetzen die einfache Planung. Die Bedeutung von Liniennetzen insbesondere bei privatisierten, gewinnorientierten Airlines ist jedoch aufgrund der hohen Kosten und zum Teil vorhandenen Restriktionen bezüglich der Aufnahme von Zusteigern stark zurückgegangen (Maertens 2002).
In dezentralen Punkt-zu-Punkt- oder Rasternetzen werden die einzelnen Flughäfen untereinander mit Nonstopflügen direkt verbunden. Im Vergleich zu Umsteigeverbindungen werden dadurch deutlich kürzere Flugzeiten insbesondere im Kurz- und Mittelstreckenbereich erzielt. Einerseits können damit höhere Erlöse bei zeitsensiblen BusinessPassagieren erzielt werden, andererseits ist bei entsprechender Nachfrage eine höhere Nutzungsrate der Flugzeuge und Crews möglich. Von Nachteil sind die im Vergleich zu hoch frequentierten Umsteigeverbindungen über Hubs geringere Bedienungshäufigkeit sowie die höheren Stationskosten. Gewinnorientierte Airlines bieten grundsätzlich nur solche Städtepaare als Punkt-zuPunkt-Relation an, zwischen denen die Verkehrsströme groß genug sind, d. h. eine ausreichende Nachfrage nach Flügen besteht. Im Kontinentalverkehr ist dieses System exponentiell gewachsen und hat insbesondere eine starke Nachfrage nach Kurzreisen ausgelöst und befriedigt. Im Interkontinentalverkehr ist dieses System bislang nur vereinzelt zwischen Weltstädten und Massentourismusorten anzutreffen. In den letzten Jahren haben die großen interkontinental operierenden Airlines ihre Streckennetze zunehmend auf das Hub-and-Spoke-System umgestellt. Beim Hub-and-Spoke-Netz werden die von kleineren Flughäfen abfliegenden Passagiere auf speichenförmigen Zubringerstrecken (Spokes) zu einem als zentrale Drehscheibe fungierenden Großflughafen (Hub) geflogen, dort gesammelt und entsprechend ihres Endziels auf Anschlussflüge verteilt. Die Zubringerflüge versorgen den Hub bzw. die
Abb. 4: Überblick zu Abfertigungsgeräten bei der Bodenabfertigung eines Flugzeuges
Fluggast Fluggastbrücke Tankwagen
Wasserwagen Schlepper Fluggasttreppe Entsorg Entsorgungsfahrzeug CateringWagen
Hubbühne
Feuerwehr Enteisungsfahrzeug Quelle: Visality Consulting GmbH
Zugwagen m mit Dollies
Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek
Anschlussflüge mit Fluggästen, sodass höhere Auslastungen möglich werden und/oder größere Fluggeräte mit einer effizienteren Kostenstruktur eingesetzt werden können. Dies trifft vor allem beim Interkontinentalverkehr zu. Es werden Single-Hub-Netze und Multi-Hub-Netze unterschieden. Bei Single-Hub-Netzen leitet die Fluggesellschaft alle Verkehrsströme über einen einzigen, zentral gelegenen Hub, der somit zum einzigen Knotenpunkt der Airline wird. Single-Hub-Netze werden insbesondere von Fluggesellschaften aus flächenkleinen Ländern wie in Europa betrieben. Bei Multi-Hub-Netzen handelt es sich um mehrere aufeinander abgestimmte Single-Hub-Netze, welche durch Flüge zwischen den Hubs miteinander verbunden sind. Passagiere, welche von einem kleineren Flughafen in der Ursprungsregion zu einem kleineren Flughafen in der Zielregion reisen wollen, müssen so in der Regel zweimal umsteigen, und zwar zuerst am Hubflughafen in der Ursprungsregion und dann am Hub der Zielregion. Den Airlines erlauben Multi-Hub-Netze zum einen eine weite flächenmäßige Expansion und damit eine Erhöhung ihres Passagierpotenzials und zum anderen eine verstärkte Bündelung zwischen den Hubs (Mayer 2001). Aus Sicht der Passagiere steht dem Nachteil des doppelten Umsteigens der Vorteil einer großen Auswahl an Flugverbindungen und Zielen gegenüber. Multi-Hub-Netzwerke können auch durch Airline-Allianzen entstehen. So ist der Hub Frankfurt/Main des Star-Alliance-Mitglieds Lufthansa nonstop mit den Hubs der wichtigsten Partner-Airlines wie beispielsweise United Airlines (Washington, Chicago, San Francisco), Singapore Airlines (Singapur), SAS (Kopenhagen), Varig (Sao Paolo) und All Nippon Airways (Tokio) verbunden, um den Passagieren ein weltweites Streckennetz zu bieten, innerhalb dessen in der Regel maximal zweimal umgestiegen werden muss (Maurer 2006). Hub-and-Spoke-Systeme führen bei größeren und international operierenden Linienfluggesellschaften zu massiven betriebswirtschaftlichen Vorteilen. Produktionsseitig können durch die Bündelung der Verkehrsströme über die Hubs Economies of Density, Scale und Scope erzielt werden. Absatz- und strategiebezogen erlauben es Hub-and-Spoke-Systeme den Airlines, ihr Angebot durch zusätzliche Flüge überproportional stark zu erweitern und durch die Dominanz am eigenen Hub Markteintrittsbarrieren für potenzielle Konkurrenten aufzubauen. Diesen Vorteilen stehen nur wenige Nachteile gegenüber. Problematisch sind in einem Hub-andSpoke-System hauptsächlich die während der An- und Abflugwellen hohe Kapazitätsbeanspruchung der Infrastruktur und Personalressourcen des Hubs sowie die
Anfälligkeit gegenüber Verspätungen, die die Konnektivität zu Anschlussflügen gefährden. Trotz der überwiegenden Vorteile des Hub-and-SpokeSystems bedeutet dies nicht, dass an den internationalen Drehkreuzen eine komfortable ökonomische Situation herrscht. Hier bildet sich ebenso ein Konkurrenzkampf im internationalen Maßstab ab: Mega-Airports mit über 40 Mio. Passagieren p. a., zu denen in Deutschland nur Frankfurt/ Main zu zählen ist, kämpfen um die Rolle als Hub in den Netzwerken der global agierenden, sich zunehmend konzentrierenden Passagier-Carrier. Bestehende Mega-Hubs mit Kapazitätsrestriktionen können im Wettbewerb zu neuen Mega-Hubs in der gelben Wüstenlandschaft oder auf künstlichen Inseln im blauen Meer nur durch intensive Partnerschaften mit ihren Home-Carriern sowie einem intelligenten Verkehrsmanagement langfristig bestehen und weiter wachsen. International agierende Airlines setzen oft auch auf die Kombination von Systemen. Air Berlin fliegt im Sommerflugplan hauptsächlich im Punkt-zu-Punkt-Verkehr, während im Winterflugplan die Europaziele aufgrund des geringeren Passageaufkommens über ein Drehkreuz am Flughafen Nürnberg versorgt werden. Die Deutsche Lufthansa AG verfügt über ein MultiHub-Netz mit dem Mega-Hub Frankfurt/Main, den weiteren Hub-Flughäfen München und Zürich sowie den Mega-Hubs der Star-Alliance-Partner. In Ergänzung bietet Lufthansa auch gezielt mehr Punkt-zu-Punkt-Verkehre insbesondere in Konkurrenz zu den LCC an, um das Flächenangebot in Europa abzusichern. In den letzten Jahren hat insbesondere der Standort Hamburg davon profitiert. Lufthansa hat dieser Entwicklung durch eine Aufteilung der Flugzeugflotte in drei Divisionen Rechnung getragen. Die Hubs Frankfurt/Main und München verfügen über ihre eigenen Flottendivisionen, die jeweils eigenständig im Netzeinsatz geplant und gesteuert werden. Zusätzlich gibt es für den dezentralen Verkehr eine dritte Flottendivision, die für die Punkt-zu-Punkt-Verkehre zur Verfügung steht.
Logistische Herausforderungen und Leistungsprozesse in den Wertschöpfungsketten In- und Outbound an einem Hub-Flughafen Hub-Flughäfen stehen vor besonderen Herausforderungen, die weit über das eigentliche operative Geschehen hinausgehen. Ein konkretes Beispiel: Fluggesellschaften erwarten, dass durch die Bodenabfertigung, das sogenannte Ground Handling, die Bodenzeiten der Flugzeuge auf ein Minimum reduziert und somit unproduktive Stand-
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310
Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
zeiten sowie Verspätungen kompensiert werden. Hierzu müssen zahlreiche Dienstleister in einer eng aufeinander abgestimmten Abfolge genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort die gewünschten Leistungen erbringen. Beteiligte an der Wertschöpfungskette Flugzeug sind u. a. die Flugsicherung, die Vorfeldsteuerung des Flughafens, der Abfertigungsdienstleister, die Spezialunternehmen für Catering, Reinigung, Betankung und Enteisung, der Dienstleister für das Schleppen von Flugzeugen sowie die Technik (siehe Abbildung 4). Erbringt ein einzelner dieser Beteiligten seine Leistung zu spät oder nicht in der gewünschten Qualität, so verfehlt der Gesamtprozess des Ground Handlings seine Ziele: Pünktlichkeit, Anschlusssicherheit (Konnektivität) und Wirtschaftlichkeit (Emmermann u. a. 2005). Aus diesem Grunde kann die Abfertigung der Flugzeuge, aber auch das Handling der Passagiere und ihres Gepäcks sowie der Fracht an zahlreichen Airports mit einem Formel-1-Boxenstopp verglichen werden. Die Tätigkeiten der einzelnen Dienstleister sind hochgradig spezialisiert und auf maximale Geschwindigkeit ausgelegt – wenn auch oftmals zu sehr funktional und zu wenig prozessorientiert. Die Airlines definieren die zeitlichen und qualitätsbezogenen Vorgaben für den Gesamt- und die
Einzelprozesse in sogenannten Referenzmodellen. Der Turnaround eines Flugzeuges besteht aus dem Inboundund dem Outbound-Prozess (siehe Abbildung 5). Eine derartige Standard-Prozesskette kann hierbei 200 und mehr einzelne Prozessschritte aufweisen. Dabei ist zusätzlich nach Flugzeugtypen, Geräteeinsatz, Abfertigungsarten, Airlines, Destinationen etc. zu differenzieren. Zusätzlich stellt sich, neben der Aufgabe der steuernden Einflussnahme über zahlreiche Unternehmensgrenzen und IT-Schnittstellen hinweg, jedoch eine zentrale Herausforderung: der Umgang mit den zahlreichen stochastischen Unwägbarkeiten des Flugverkehrs wie z. B. Wetter, Pünktlichkeitssituation, Slot-Vergabe, Rollverkehr, verspätete Passagiere, Wiederausladung von Gepäckstücken oder technische Defekte. Keiner dieser Faktoren ist exakt planbar – damit gleicht das Ground Handling am Hub-Flughafen der Aufgabe, täglich mehrere Hundert Boxenstopps mit einem heterogenen, multinationalen Team und bei Nebel durchzuführen. In Deutschland zählt Frankfurt/Main mit über 54 Mio. Passagieren pro Jahr zu den internationalen MegaHubs. Als Netzknoten der Deutschen Lufthansa AG ist der Flughafen auf ein Hub-Zielsystem ausgerichtet, das
Abb. 5: Wertschöpfungsketten In- und Outbound
Inbound
Start
Empfang Daten-Telex Abflughafen
Übernahme Flugsicherung
Annäherung
Landung
Rollführung
Annahme an Position
Einsatz Geräte
Passagierausstieg
Entladung, Bags, Cargo, Mail, Catering
Cleaning
ggf. TechnikService
ggf. sonstige Dienstleistungen
ggf. Ausstieg Crew
ggf. Versiegelung
ggf. Schlepp Werft oder andere Position
ggf. techn. Klarmeldung
ggf. Rollführung
ggf. Schlepp auf Position
ggf. Entsiegelung
ggf. Einstieg Crew
Koordination Ladegruppe/ Cockpit
ggf. Betankung
ggf. Versorgungsservice
ggf. Catering
ggf. Klimaservice
ggf. sonstige Dienstleistungen
Beladung
Passagiereinstieg
Abstimmung Tower
Pushout
Rollführung inkl. Remote Holding
ggf. Enteisung (Remote, Rampe)
Start
Versand Daten-Telex
Ende
Outbound
Quelle: Visality Consulting GmbH
Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek
bestmöglichen Service mit hoher Kundenzufriedenheit, hinreichende Sicherheit, hohe Pünktlichkeit und gute Anschlusssicherheit für den Fluggast mit wirtschaftlicher Effizienz verbindet (siehe Abbildung 6). Diese Zielgrößen sind freilich oftmals schwer vereinbar. Ein Beispiel: Das Warten auf eine Passagiergruppe von einem verspäteten Zubringerflug rettet diesen Fluggästen den Anschluss, zerstört aber die Pünktlichkeit im Abflug und gefährdet damit wiederum die Anschlüsse am Zielort. Wird andererseits zugunsten der Pünktlichkeit, die bei großen Flugzeugmustern je Minute mit einem dreistelligen Euro-Betrag zu kalkulieren ist, auf die Passagiergruppe nicht mehr gewartet, sind zahlreiche Umbuchungen vorzunehmen und ggf. sogar Hotelübernachtungen zu disponieren, welche neben der Kundenzufriedenheit die Wirtschaftlichkeit negativ beeinflussen. Hier liegt ein mehrdimensionales, konkurrierendes Zielsystem (Krebs 2007) vor, innerhalb dessen die Zielprioritäten für jedes einzelne Flugereignis neu ausgelegt und in der Steuerung umgesetzt werden müssen. Auch der einzelne Prozessbeteiligte im Ground Handling operiert mit divergierenden Zielen. Der eigenen Auslastungs- und Produktivitätsmaximierung steht die Optimierung des Gesamtprozesses oftmals konfliktär entgegen. Wenn beispielsweise der Flughafenbetreiber die Planung der Flugzeugpositionen noch kurz nach der Landung eines Fluges ändert, um den Passagieren ein möglichst komfortables Aussteigen auf einer kurzfristig frei gewordenen Position zu ermöglichen, verursacht er damit womöglich eine „Karawane“ von Servicefahrzeugen auf dem Vorfeld, da zahlreiche Dienstleister sich bereits auf einen „Boxenstopp“ auf einer weit entfernten Position eingerichtet hatten. Wenn andererseits ein Dienstleister seine Ressourcen auf eine hinreichende Minimalverfüg-
barkeit gemäß des Flugplans auslegt, so kann er im Falle von überraschenden Verspätungen z. B. im Abend-Peak möglicherweise nicht mehr auf eine Einsatzreserve zurückgreifen, und es kommt zu zusätzlichen Verspätungen am Boden. Für die Einschätzung der Gesamtprozess-Performance am Hub ist somit nicht allein der Output der genannten Haupt-Zielgrößen entscheidend, sondern in Hinblick auf die Hub-Steuerung die intelligente Anwendung einzelner Steuerungsmethoden für das konkrete Einzelereignis. Damit die Hub-Steuerung nicht ins Leere greift, ist bei den einzelnen Prozessbeteiligten gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität, Qualität und Zuverlässigkeit erforderlich.
Ressourcenengpass, funktionale Organisationsstrukturen und Steuerungsanforderungen Hub-Flughäfen sind einer überdurchschnittlichen Kapazitätsbeanspruchung der Infrastruktur und Personalressourcen ausgesetzt. Kritischer Engpass an vielen Hubs ist die Start- und Landebahnkapazität als hauptsächlicher Bestimmungsfaktor für die Anzahl der zu vergebenden Slots. So ergibt sich für die Flughäfen eine höchstzulässige Anzahl an Flugbewegungen pro Stunde, der sogenannte Kapazitätseckwert (Jäggi 2000). Da die Hubs als Umsteigeflughäfen konzipiert sind, gibt es mehrere Ankunfts- und Abflugwellen pro Tag, sogenannte Knoten, zu denen viele aufeinander abgestimmte Flüge starten und landen. In Frankfurt/Main beispielsweise operiert die Deutsche Lufthansa mit mehreren solcher Knoten pro Tag. Die Verteilung der Ressourcenbelastung ist dadurch an Hub-Flughäfen üblicherweise sehr unausgewogen. Mehrere Phasen der Spitzenauslastung wechseln im
Abb. 6: Zielsystem der Deutschen Lufthansa AG für den Hub-Flughafen Frankfurt/Main
Gepäck
Passagier
Transferzeit
Netz
Rotation
Wirtschaftlichkeit Konnektivität
Ziele DLH AG Kundenzufriedenheit
Quelle: Deutsche Lufthansa AG
Pünktlichkeit
Bodenzeit
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Tagesverlauf mit Phasen sehr geringen Ressourcenbedarfs (siehe Abbildung 7). Zusätzlich treten starke saisonale Schwankungen auf, z. B. aufgrund von Urlaubszeiten oder Megaevents. Um die Leistungsfähigkeit des Flughafens sicherzustellen, werden die Personalkapazitäten nicht selten auf die Spitzenlastsituationen ausgelegt. Hinzu kommen die Restriktionen aus dem öffentlichen Dienstrecht bezüglich der Tarifstrukturen, Arbeitszeitmodelle und Dienstzeiten, die nicht die geforderte Flexibilität für einen derartigen Tagesverlauf mit hinzukommenden spontanen Veränderungen aufgrund von Wetterbedingungen und Verspätungen aufweisen. Der Airport-eigene Bodenverkehrsdienst muss nahezu an allen Flughäfen mit Schichtmodellen auskommen, die zwischen sechs und zehn Stunden variieren. Damit lassen sich jedoch einzelne Spitzenlastsituationen am Tage verteilt nicht effizient und kostenoptimal abdecken. Aufgrund der stark schwankenden Belastungsverläufe sind die Mitarbeiter in einem nicht optimierten Ist-Zustand oftmals nur zu ca. 50 bis 60 Prozent, die Geräte nur zu 15 bis 25 Prozent der netto verfügbaren Zeit ausgelastet. Neben den Leerzeiten, die durch das Tageslastprofil entstehen, treten auch abfertigungs- und prozessbedingte Leerzeiten auf. Diese resultieren aus der funktionalen Aufgabenteilung im Bodenverkehrsdienst. Die Komplexität der im Ground Handling zu erbringenden Leistungen ist über die Jahre aufgrund der Kundenanforderungen, des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der verschärften Sicherheitsvorschriften stark angewachsen. Die Flughafenbetreiber reagierten zumeist mit einer organisatorischen und funktionalen Trennung der ein-
zelnen Bodenverkehrsdienstleistungen. Die Mitarbeiter konnten speziell auf ihren Einsatzbereich qualifiziert werden, mussten nicht die gesamte Komplexität der Leistungsvielfalt beherrschen und konnten so funktionsorientiert und dezentral für die Aufgaben geplant, disponiert und operativ gesteuert werden. Nachteile dieser Entwicklung sind jedoch verschiedenste Schnittstellen über den Gesamtprozess der Flugzeugabfertigung hinweg. An diesen Schnittstellen entstehen meistens Wartezeiten mit Bindung von Ressourcen sowie Informationsverluste. So bringen beispielsweise Fahrer leere Gepäckwagen zum Flugzeug, warten dort ohne eigenes Tun, bis das Gepäck von anderen Mitarbeitern aus dem Flugzeug entladen und auf den Gepäckwagen gestapelt ist, und fahren dann mit dem Gepäck zur Einschleusung ins Flughafengebäude. Anderes Beispiel: Bei der Gepäckeinschleusung werden Mitarbeiter abgestellt, um die ankommenden Gepäckstücke von den Flugzeugen auf das Ausgabeband einzuschleusen – jedoch unabhängig, wie viel gerade laut Tagesverlauf zu tun ist. Oder an den sogenannten Sortierrundläufen im Gepäckverteiler: Dort nehmen Mitarbeiter die eingecheckten Koffer vom Rundlauf und beladen den Gepäck-Dollie, der später zum Flugzeug herausgefahren wird. Da z. B. bei Interkontinentalflügen zwei bis drei Stunden vorher der Check-in-Schalter öffnet, ist der Sortierrundlauf die ganze Zeit bis zur Abfahrt des letzten Gepäck-Dollies geöffnet und mit Mitarbeitern versehen, egal wann und wie viele Koffer kommen. Ein prozessorientierter Ansatz sowohl bei der Steuerung des Gesamtprozesses als auch der Ausführung der Einzelprozesse kann die aufgezeigten Nachteile deutlich
Abb. 7: Beispiel zum Abflug-/Ankunftswellensystem an einem Hub-Flughafen
1 Arrival
Interkont
2
Interkont
Quelle: Deutsche Lufthansa AG
3
4
Interkont
5
Interkont
6
7
Interkont
8
23:20
22:40
22:10
21:35
21:00
20:25
8 19:50
18:40
18:05
7 17:30
16:55
6 15:45
15:10
14:35
14:00
5 13:25
12:50
12:15
4 11:40
11:05
10:30
09:55
3 09:20
08:45
08:10
2 07:35
07:00
06:25
05:50
05:15
1
Interkont
19:15
Interkont
16:20
Departure
Uhrzeit (lokal)
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reduzieren, die Auslastung der operativen Mitarbeiter auf bis zu 80 Prozent erhöhen, einen signifikanten Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Hub-Flughafens leisten sowie den Erfüllungsgrad der oben genannten Ziele der HubAirline nachhaltig steigern.
Das Hub Control Center der Deutschen Lufthansa AG mit unternehmensübergreifender Struktur Ein dichtes Netzwerk an Flugverbindungen der Deutschen Lufthansa AG überzieht den Globus und verbindet rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr die Regionen der Welt. An dem Mega-Hub Frankfurt/Main verdichten sich die Verkehrsströme der Lufthansa-Flüge zu Knotenpunkten, an denen in möglichst kurzer Zeit täglich über 30 000 Passagiere mit ihrem Gepäck umsteigen und Fracht umgeschlagen wird. Aus der Vielzahl an möglichen Umsteigebeziehungen mit ihren jeweils spezifischen Prozessen und Systemen sowie der unterschiedlichen Dienstleistungspartner im Abfertigungsprozess und existierenden Sicherheitsrestriktionen ergibt sich eine schwer zu steuernde und kaum zu überblickende Prozesskomplexität. Dieser täglichen Herausforderung stellt sich das Hub Control Center (HCC) der Deutschen Lufthansa AG am Standort Frankfurt/Main.
Das HCC hat das Ziel, sowohl die Flugzeuge pünktlich und sicher abzufertigen, als auch die Passagiere und deren Gepäck wunschgemäß zu befördern. Hierzu gehören Steuerungs- und Dispositionsaufgaben sowie Supportfunk tionen, die die Arbeitsgrundlage für andere Bereiche bilden. Im HCC sitzen die wichtigsten Systempartner zusammen, um kurze Entscheidungs- und Kommunikationswege zu haben. Durch das HCC findet eine Steuerung aller Flugereignisse statt, die unter LH-Flugnummer operieren. Das „Star Connection Center“ im HCC betreut die Carrier der Star Alliance. Die Station wird im operativen Tagesgeschäft durch den Hub Duty Officer (HDO) ganzheitlich geführt, der die Abläufe bereichsübergreifend, d. h. Landside und Airside mit Wirkung in das HCC sowie in alle LufthansaStationsbereiche und in alle relevanten Systempartner hinein optimiert. Die Pünktlichkeitsziele liegen seinem Handeln als oberste Prämisse zugrunde. Der HDO besitzt den durchgängigen Überblick über die Verkehrssituation im Gesamtbetrieb. Er ist Ansprechpartner und Kommunikationsschnittstelle für das Management sowie abteilungsübergreifende Eskalationsstufe für den operativen Betrieb. Ihm obliegt die Verantwortung über das gesamte Betriebssystem und die Feinsteuerung der Abfertigungsprozesse entsprechend den unterschiedlichen Betriebs-
Abb. 8: Ablauforganisation zur aktiven prozessorientierten Verkehrssteuerung
Service Provider HCC
Inbound-Koordinatoren Positionierung Abzug/Bereitstellung
A/C-Koordinatoren Bodenabfertigung Partnersteuerung
Transfer-Koordinatoren Pax kritische Umsteiger Rampendirekttransfer
Transfer-Koordinator Baggage kritisches Gepäck
OutboundKoordinatoren Gesamtsteuerung Ressourcendisposition
Ramp-Koordinator
Fokus: Einzelereignisse
Fokus: Gesamtsystem ONB Quelle: Deutsche Lufthansa AG, Visality Consulting GmbH
Fokus: Gesamtsystem OFB
t
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Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
modi hinsichtlich Pünktlichkeit, Konnektivität, Wirtschaftlichkeit und Servicequalität auf der Station. Dem HDO im operativen Betrieb zur Seite stehen die Verkehrsleiter vom Dienst (VvD). Terminal und Vorfeld werden bereichsübergreifend von den VvD qualitätsgesichert. Die VvD sind permanent im Terminal unterwegs, um die Situation vor Ort beurteilen zu können, und berichten alle relevanten Informationen an den HDO. Als Key Account für interne und externe Partner der Station steuern die VvD die Systempartner im Tagesgeschäft und setzen nachhaltige Verbesserungsmaßnahmen um. Bei Unglücksfällen übernehmen sie das stationsseitige Notfallmanagement. Das HCC wird bereichsübergreifend von den HCC Duty Managern (HDM) geführt und nach Pünktlichkeitsund Wirtschaftlichkeitsaspekten qualitätsgesichert. Den HDM obliegt die fachliche und disziplinarische Führung der Lufthansa-Mitarbeiter im HCC. Die HDM kommunizieren regelmäßig die Stations- und Verkehrsmanagement-Ziele an die Mitarbeiter. Sie informieren und unterstützen die Mitarbeiter bei neuen Verfahren und sind zuständig für Personalsteuerung, -ausgleich, -dispo sition, -akquisition, Umverteilung von Arbeitspaketen sowie die Tageseinteilung. Die HDM bilden somit eine Klammerfunktion über alle HCC-Aufgabengebiete durch regelmäßigen Informationsaustausch und Meetings, Sicherstellung der Qualität und „übergeordnete“ fachliche Entscheidungen. Gleichzeitig steuern sie die weiteren Systempartner im HCC. Im HCC selbst sind neben den HDM seitens Lufthansa sogenannte Koordinatoren zur prozessorientierten Steuerung der Bodenprozesse und Service Provider für unterstützende Leistungen vertreten. Seitens der Systempartner sind mit steuernden Mitarbeitern u. a. Fraport im Bereich Landside und Airside, Lufthansa Technik, LSG (Catering), LEOS (Schleppen), Lufthansa Cargo und die Sicherheitsbehörde vertreten.
Aktive prozessorientierte Verkehrssteuerung der Lufthansa-Flugzeugflotte am Hub Frankfurt/Main Mit der prozessorientierten Verkehrssteuerung im HCC will Lufthansa dem zukünftigen Verkehrswachstum Rechnung tragen, die Nachteile funktionaler Organisationsstrukturen ausgleichen und die Infrastruktureinschränkungen am Hub Frankfurt/Main kompensieren. Somit können alle Ressourcen gemeinsam mit den Systempartnern optimal genutzt werden.
Die Ablauforganisation in der Verkehrssteuerung ist dadurch gekennzeichnet, dass es Gesamtprozessverantwortliche für In- und Outbound gibt und diese eng mit den anderen Koordinatoren zusammenarbeiten, die für bestimmte Bodenereignisse (Flugnummern) oder Umsteigeströme verantwortlich sind. Der Inbound-Koordinator ist zuständig für die Disposition der Gates und Positionen für Lufthansa und die zu betreuenden Airlines in der Star Alliance. Er tut dies unter Berücksichtigung der gültigen Rahmenbedingungen sowie in Abstimmung mit den anderen Koordinatoren und agiert mit Hauptfokus auf Pünktlichkeit und Konnektivität. Er steuert Ressourcen, wie z. B. Schlepps, in Absprache mit den Prozessbeteiligten. Der Outbound-Koordinator steuert den Hub-Verkehr unter Berücksichtigung von Netzaspekten und ist im Bedarfsfall Entscheider für den Gesamtprozess Verkehrssteuerung. Sein Verantwortungsbereich umfasst flugübergreifende Entscheidungen mit dem Ziel, die Pünktlichkeit, die Konnektivität und die Wirtschaftlichkeit unter Abwägung der aktuellen Steuerungsvorgaben zu steigern. Er priorisiert und koordiniert situativ die Ressourcen der Systempartner. Übergreifende Entscheidungen stimmt er mit den jeweiligen internen und externen Verantwortlichen ab. Die A/C-Koordinatoren steuern und kontrollieren die ihnen zugeordneten Bodenereignisse (Flugnummern) engpassorientiert mit flugbezogener Ausrichtung auf die Ziele Pünktlichkeit, Konnektivität und Wirtschaftlichkeit sowie auf die Sicherung der vertraglich vereinbarten Qualität der internen und externen Systempartner. Bei flugbezogener Ausrichtung überwachen die RampKoordinatoren vor Ort die Abfertigungsleistung kritischer Inbound-Flüge, kritischer Gepäckströme und kritischer Outbound-Flüge. Sie stellen das Bindeglied zwischen HCC und Prozessbeteiligten dar, leiten bei Unregelmäßigkeiten Gegenmaßnahmen ein und stellen deren Qualität sicher. Sie steuern ggf. die Systempartner am jeweiligen Flugzeug (Rampe und Gate) unter den Aspekten Pünktlichkeit, Konnektivität und Wirtschaftlichkeit und sind ihnen bei Bedarf bzgl. Steuerungsanweisungen weisungsbefugt. Die Transfer-Koordinatoren Pax identifizieren und priorisieren kritische Umsteigerströme. Sie steuern und koordinieren die Ressourcen sowie die Arbeitspakete der HCC Service Provider und regen zur Sicherung für werthaltige Umsteigeströme Steuerungsaktivitäten an. Die HCC Service Provider stellen sicher, dass alle relevanten und korrekten Daten für den Check-in zur Verfügung stehen. Sie unterstützen und informieren interne und externe Partner, bearbeiten Serviceanfragen sowie
Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek
Flugunregelmäßigkeiten und sind an der Company-Frequenz der primäre Ansprechpartner für das Cockpit. Sie identifizieren alternative Reisewege für Gast und Gepäck, tätigen Umbuchungen und leiten die daraus resultierenden erforderlichen Maßnahmen ein. Aktive Steuerung heißt agieren statt reagieren. Hierzu sind für alle Verantwortungsbereiche genaue Handlungsoptionen aus System- und Einzelsicht definiert und deren Wirkung wird aus Gesamtsicht monetär bewertet. Sogenannte Betriebsmodi ermöglichen, dass alle beteiligten Systempartner eine gemeinsame Zielsetzung und Ausrichtung haben. Der Betriebsmodus Standard bedeutet situatives Entscheiden des Betriebsoptimums, der Modus Pünktlichkeit fokussiert auf die On-Time-Performance zur Stabilisierung der Operations und der Modus Konnektivität dient der Sicherstellung von Transferprozessen für Gast und Gepäck. Des Weiteren erfolgt steuerungsseitig eine Fokussierung auf Flüge, die für das Lufthansa-Netz besonders wichtige Kunden an Bord haben und einen hohen Netzertrag bringen. Diese Flüge können bei Bedarf priorisiert gesteuert werden. Die Steuerungstools, um eine spezifische Situation zu adjustieren, sind in klaren Verantwortungsbereichen so abgegrenzt, dass es nicht zu widersprüchlichen Anweisungen oder Doppelarbeit kommt. Zu einer aktiven Steuerung gehört auch eine kundenorientierte, zeitgerechte Kommunikation, die dadurch ermöglicht wird, dass die Ansprechpartner genau spezifiziert sind und durch die neuen Aufgabenverteilungen eine gezielte Erreichbarkeit gegeben ist. Bei den Flügen, die eine Priorität in der Produktion haben, wird ein Koordinator mit Weisungsbefugnissen gegenüber den Prozessbeteiligten vor Ort sein, um eine Sicherstellung der Steuerungsimpulse zu gewährleisten. Zur Stabilisierung von Transferprozessen setzen die Koordinatoren des HCC verschiedene Steuerungsaktivitäten ein. Mit einer Connex-orientierten Positionierung werden Inbound- und Outbound-Flugzeug nahe nebeneinander positioniert. Dies wird in der Regel dann vorgenommen, wenn im Inbound ein großer Umsteigestrom auf den besagten Outbound geht. Dadurch wird die Wegezeit für den gesamten Passagierstrom auf ein Minimum reduziert. Der Ramp Direct Service (RDS) wird für kritische Umsteigeströme bereitgestellt. Für Passagiere inklusive Gepäck, deren Umsteigezeit kürzer ist als ursprünglich geplant war, wird ein Direkttransport vom Inbound-Flugzeug zum OutboundFlugzeug organisiert, der die Umsteigezeit in Anbetracht der Wege am Hub Frankfurt/Main deutlich reduziert und so die Konnektivität sicherstellt. Sind mehrere Umsteigegruppen auf dem Inbound-Flugereignis, die kurze Umsteigezeiten
haben, so kann ein Arrival Service organisiert werden. Hier werden die betroffenen Passagiere bereits beim Betreten des Terminals persönlich über ihre Anschlussflüge und dazu relevanten Örtlichkeiten informiert. Ist für größere Passagiergruppen, die verspätet landen, der Umstieg auf den Anschlussflug gefährdet, so kann im Ausnahmefall auch ein Connexdelay für den Outbound-Flug festgesetzt werden. Dann fliegt der Outbound-Flug eine definierte Zeit später ab mit dem Ziel, dass die verspäteten Passagiere noch ihren Anschlussflug erreichen. Helfen alle Steuerungsaktivitäten nicht weiter, so führen die Service Provider vorausschauend eine Umbuchung durch, d. h. Passagiere, die ihren Anschlussflug aufgrund zu knapper Umsteigezeiten nicht mehr erreichen, werden auf den nächstmöglichen Flug gebucht und das Gepäck entsprechend umgeleitet. Dies sind nur einige Beispiele von einem umfangreichen Steuerungsset des HCC, um die zeit- und ressourcenkritischen Transferprozesse am Hub Frankfurt/Main zu stabilisieren und im Vergleich zu anderen Mega-Hubs eine einzigartige Performance für die Passagiere zu erzielen.
Von der Verkehrssteuerung zum Verkehrsmanagement Verkehrsmanagement bedeutet mehr als aktive Verkehrssteuerung. Ergänzend sind Prozesstransparenz und -controlling, ein fokussiertes Partnermanagement im laufenden Betrieb sowie kontinuierliche Verbesserungen aller Bodenprozesse gefordert. Lufthansa hat für das HCC ein mehrstufiges Reportingsystem aufgebaut und sorgt somit für Transparenz und Controllingmöglichkeiten. Tagesberichte der HDO und HDM geben einen detaillierten Überblick über den abgelaufenen Tag. Die Performance-Werte zur Pünktlichkeit und Konnektivität werden nicht nur in Summe, sondern je Verkehrsspitze separat in Verbindung mit dem jeweiligen Betriebsmodus ausgewiesen. Sämtliche Steuerungsaktivitäten zur Performance-Steigerung werden systemseitig erfasst und im Tagesbericht gelistet. So kann im Nachgang rekonstruiert werden, wo erfolgreich agiert wurde oder noch Verbesserungspotenzial besteht. Auf der Management-Reportingebene werden aggregierte Performance-Ergebnisse im Überblick dargestellt. Hier kann flexibel zwischen einer Tages-, Wochen- oder Monatsbetrachtung gewechselt werden, sodass Vergleiche innerhalb unterschiedlicher Perioden gezogen werden können. Sowohl Verkehrsspitzen als auch flottenspezifische Fragestellungen können ausgewertet werden. Neben der Berücksichtigung aller LH-Flugereignisse können auch nur
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Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main
die Kont- oder Interkont-Ereignisse betrachtet werden. Zusätzlich kann der Filter auf priorisierte, sogenannte TopFlugereignisse, gesetzt werden, die im Rahmen der aktiven Steuerung durch die Koordinatoren bevorzugt bearbeitet werden. Für die Darstellung des aktuellen Zustands im Verkehrsmanagement wird im HCC ein Online-Ticker mit den wichtigsten Daten über zwei Bildschirmseiten auf Großmonitoren angezeigt und fortlaufend aktualisiert. Dieser Online-Ticker ist auch von anderen Stationsbereichen abrufbar. Im Rahmen der Lufthansa-Initiative „Partners for Excellence“ treffen sich Stationsvertreter von Lufthansa mit ihren Systempartnern, um sich über aktuelle Fragestellungen aus dem laufenden Betrieb sowie Verbesserungsmöglichkeiten auszutauschen. Kleinere Punkte werden sofort beschlossen und umgesetzt. Bei größeren Herausforderungen war die Initiative oft der Anstoß zu einem größeren Kooperationsprojekt. So können in partnerschaftlicher Weise zukunftsweisende Lösungen zum Nutzen aller Beteiligten erarbeitet werden. Der Mega-Hub Frankfurt/ Main erhält in Summe eine weitere Leistungsfacette, die zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit beiträgt.
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Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts
Niklas Wilmking Member of the Board of Directors von Schenker China Ltd. und Schenker BITCC Logistics (Beijing) Co. Ltd.
Niklas Wilmking Jahrgang 1974 Wilmking ist derzeit Mitglied im Board of Directors von Schenker China Ltd. und Schenker BITCC Logistics (Beijing) Co. Er studierte an der Universität Bayreuth Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management. Studienbegleitend arbeitete er als Werksstudent bei der Deutschen Lufthansa AG. Nach einer Tätigkeit als Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Stinnes AG in Berlin war er zunächst für den Bereich Corporate Development von Schenker China Ltd. zuständig. Anschließend übernahm er in Singapur die Projektleitung für die Post Merger Integration von BAX Global in 13 Ländern der Region AsienPazifik. Wilmking lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Peking.
Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts Niklas Wilmking
Olympische Sommerspiele übertreffen die Dimensionen aller anderen Großveranstaltungen sowohl sportlicher als auch kultureller, politischer oder wirtschaftlicher Art. In Peking werden im Jahr 2008 circa 10 000 Athleten aus etwa 200 Ländern erwartet. Circa 20 000 Pressevertreter werden anreisen. 70 000 freiwillige Helfer sollen den Ablauf der Spiele unterstützen. Insgesamt müssen ungefähr 300 000 Personen akkreditiert werden. Während der Spiele wird täglich mit etwa einer Mio. Besuchern in den olympischen Anlagen gerechnet. Weltweit werden vier Mrd. Menschen das Geschehen über Fernsehen verfolgen. Die Grundlage für einen reibungslosen Ablauf der Spiele bildet ein effizient funktionierendes Logistikkonzept. Hierfür ist neben dem lokalen Organisationskomitee eine sehr begrenzte Zahl von Logistikunternehmen zuständig, die sich als langjährige Dienstleister für die Nationalen Olympischen Komitees, für zahlreiche Fernsehgesellschaften, Ausrüster, Sponsoren und Partner etabliert haben. Logistik bedeutet für diese Kundengruppen, dass die richtige Sportausrüstung, die notwendige technische Ausstattung oder auch ein zu vermarktendes Produkt in technisch einwandfreier Qualität und in der richtigen und häufig großzahligen Menge am richtigen Ort just-in-time zur Verfügung steht.
Die Olympischen Spiele 2008 als Kombination logistischer Herausforderungen Im Folgenden werden aus Sicht von Logistikdienstleistern zunächst die besonderen Herausforderungen betrachtet, die sich im Rahmen der Olympischen Spiele als Großveranstaltung sowie durch den Austragungsort Peking ergeben. Im Fokus steht dabei die Versorgung des Regelbetriebs der Spiele. Auf die speziellen logistischen Anforderungen, die sich im Rahmen der Eröffnungs- und Abschlussfeier sowie durch die Weltumrundung des Olympischen Feuers ergeben, wird hingegen nicht eingegangen. Logistische Komplexität von Großveranstaltungen – die Olympischen Spiele als Sonderfall
Das Logistikmanagement von Großveranstaltungen stellt aus der Sicht von Logistikdienstleistern ein besonders
herausforderderndes Aufgabenfeld dar. Anders als bei der Bewirtschaftung einer industriellen Supply Chain, die nach erfolgreicher Implementierung einer spezifischen Konfiguration über einen längeren Zeitraum hinweg nicht oder nur geringfügig modifiziert wird, sind bei Großveranstaltungen in der Regel individuelle Logistikkonzepte für einen sehr kurzen Zeitraum zu planen. Bei internationalen Großveranstaltungen wird dies in erheblichem Umfang erschwert durch nicht vertraute und als ungewöhnlich empfundene Aufgaben, die sich aus der geografischen Lage, dem rechtlichen, politischen und insbesondere kulturellen Umfeld des jeweiligen Veranstaltungsorts ergeben. Die Bestimmung von klar definierten Routinen und eindeutig zugewiesenen Verantwortlichkeiten ist dabei nicht unmittelbar möglich. Vielmehr ist ein intra- und interorganisationales Informations- und Kapazitätsmanagement nötig. Die Verfügbarkeit von Ressourcen ist in der Regel nicht unmittelbar transparent; die Nachfrage nach Ressourcen, insbesondere von Transportmittelkapazitäten, übersteigt in der Spitzenzeit der Veranstaltung häufig das vor Ort verfügbare Angebot. Die Zusammensetzung des Aufgabenspektrums aus vertrauten und neuen Tätigkeiten, die konzertierte Zusammenarbeit vieler Beteiligter vor Ort, teilweise in enger Abstimmung mit Kollegen in Übersee – all das macht das Logistikmanagement solcher Events zu einer komplexen Managementaufgabe. Die Abwicklung von Olympischen Spielen wird aus logistischer Sicht aber insbesondere durch Sicherheitsvorschriften sehr kompliziert. Zeitlich weit vor Beginn der Spiele werden im Rahmen eines sogenannten Venue Security Sweep sämtliche olympischen Anlagen komplett von Sicherheitskräften überprüft. Diese Durchsuchung beschränkt sich nicht nur auf die Wettbewerbsstätten, sondern bezieht sich auch auf weitere Anlagen wie zum Beispiel das Olympische Dorf, das Internationale Fernsehzentrum und das Pressezentrum. Nach dieser Überprüfung sind die jeweiligen Orte nicht mehr frei zugänglich. Sie befinden sich im Zustand des sogenannten Lock Down. Eintritt erhalten nur akkreditierte Personen nach einer Sicherheitsüberprüfung. Abbildung 1 gibt einen Überblick zur differenzierten Systematik der Zugangsberechtigungen zu Sportstätten und anderen olympischen Anlagen.
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Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts
Die Anlieferung von Sendungen in die olympischen Stätten wird demzufolge wesentlich aufwendiger. Da die Lagerkapazitäten innerhalb der olympischen Anlagen sehr begrenzt sind, muss eine hochfrequente Versorgung durch externe Lager sichergestellt werden – vor dem Hintergrund der Sicherheitsvorschriften ist dies eine besondere Herausforderung. Ein sogenanntes Master Delivery Schedule (MDS) des Organisationskomitees gibt sämtlichen Lieferfahrzeugen einen festen Zeitraum zur An- und Abfahrt bei der Anlieferung von Sendungen vor – vergleichbar mit Slots, die Verkehrsflugzeugen von der Flugsicherung zugeteilt werden. Anmeldungen von Transporten sind seitens der Logistikdienstleister mit einer Frist von 48 Stunden vorab zu tätigen. Im Master Delivery Schedule nicht registrierte Fahrten sind grundsätzlich nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass grundsätzlich alle Fahrzeuge in einem umfangreichen Prozess vorab registriert und mit einer Fahrzeugeinfahrtberechtigung ausgestattet sein müssen. Sämtliche Fahrer sind – teilweise Monate vorab – zu akkreditieren, was Auswirkungen auf den Auswahlprozess hat und die Zusammenarbeit mit Subdienstleistern, insbesondere Fuhrunternehmern erschwert. Bevor die Fahrzeuge in die olympischen Stätten einfahren können, müssen sie durchsucht und die Sendungen vollumfänglich durchleuchtet werden. Um Staus auf den direkten Zufahrtstraßen der olympischen Einrichtungen zu verhindern, werden die Fahrzeuge in der Regel an einem geografisch separaten Ort durchsucht. Nach der Überprüfung werden sie mit einem Siegel verplombt, wobei das Screening durchaus mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Dieser Prozess ist als solcher nicht kompliziert. Die Schwierigkeit ergibt sich vielmehr aus der Anwendung der Sicherheitsvorschriften zum Zeitpunkt kurz vor BeAbb. 1: Akkreditierungssystematik für die Olympischen Spiele
Zone
Zugangsberechtigung
Blue
Austragungsstätte, Operativer Bereich (Rückseite), Allgemeiner Bewegungsbereich (Vorderseite)
Red
Operativer Bereich (Rückseite), Allgemeiner Bewegungsbereich (Vorderseite)
White
Allgemeiner Bewegungsbereich (Vorderseite)
2
Bereich für die Vorbereitung der Athleten
4
Bereich für die Presse
5
Bereich für Fernsehgesellschaften
6
Bereich für die „Olympische Familie“
R
Wohngebiet des Olympischen Dorfs
ginn der Spiele, wenn in kurzem Zeitraum ein Maximum der Sendungen eintrifft. Das ist die sogenannte BumpIn-Periode. Dabei müssen in sehr kurzer Zeit von den Logistikunternehmen Frachtvolumina in der Größenordnung von Hunderttausenden von Kubikmetern vor der Eröffnung der Spiele in die olympischen Anlagen geliefert werden. Während des Lock-Down-Zustands kommt es dementsprechend an den Durchsuchungsanlagen für Lieferfahrzeuge zu teilweise langen Wartezeiten. Dadurch bedingte Verzögerungen können dazu führen, dass ein Fahrzeug seinen Slot im Master Delivery Schedule verliert und nicht zeitgerecht anliefern kann bzw. darf, da der Zeitaufwand für die Sicherheitsprüfung im MDS keine Berücksichtigung findet. In Auslaufrichtung nach Abschluss der Veranstaltung kommt es im Rahmen der sogenannten Bump-Out-Periode zu einer noch stärkeren Verdichtung von Frachtströmen. Zwar müssen ausgehende Sendungen bei Verlassen des Dorfes nicht durchleuchtet werden. Da aber der größte Teil der Frachten z. B. von internationalen Sponsoren, Nationalen Olympischen Komitees oder internationalen Fernsehgesellschaften nur temporär importiert wird, wird das gesamte Volumen in der Regel innerhalb von zwei bis drei Tagen nach der Abschlussfeier exportiert. Dies wiederum stellt höchste Ansprüche an die Kapazitätsplanung in See- und Luftfracht. An den Olympischen Spielen nehmen mehr als 200 Nationen teil, die Fracht nach China bringen lassen. In Analogie zur industriellen Supply Chain kann man daher hier de facto von einem globalen Sourcing- bzw. exportseitig von einem globalen Distributionskonzept sprechen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass nur Dienstleister mit weltweiter Präsenz eine umfassende Koordination der Logistikleistung bieten können. Um hierbei logistische Ressourcen auf nationalem und internationalem Niveau effizient steuern zu können, empfiehlt sich intraorganisational die maximale Nutzung lokal verfügbarer Kapazitäten bzw. ein selektiver und vollständig kontrollierter Einsatz von Subunternehmern. Gut funktionierende Transportwege und Transportkapazitäten sind zur Durchführung logistischer Aktivitäten bei Olympischen Spielen besonders wichtig. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei Olympischen Spielen, egal in welchem Land, regelmäßig das bestehende lokale Makro-Logistik-System, insbesondere die Straßeninfrastruktur, überlastet ist. Daher ist es für Logistikdienstleister unabdingbar, im Vorfeld zusätzliche Transportkapazitäten und ein fundiertes Risikomanagementsystem einzuplanen. Auf die Verkehrssituation in China wird im
Niklas Wilmking
Jahr 2008 trotz partieller Fahrverbote besonderes Augenmerk zu richten sein. Der folgende Abschnitt beleuchtet diesen Aspekt ausführlicher. Komplexe makro- und mikrologistische Ausgangsbedingungen am Austragungsort
Auch wenn es sich bei den Olympischen Spielen 2008 um eine lokale Veranstaltung in Peking sowie sechs weiteren Städten handelt, ist es zum besseren Verständnis des Hintergrunds hilfreich, die Entwicklung der Transport- und Logistikindustrie in China zu kennen. Mit Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 wurde die zentrale Planwirtschaft eingeführt. Die Regierung übernahm die Kontrolle über Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsaktivitäten. Letztere wurden über ein Three-Tier-System, basierend auf einem Netzwerk von staatlichen Großhändlern abgewickelt (Hong et al. 2004). Jede einzelne Industrie verfügte dabei getrennt voneinander über ein eigenes Transport- und Lagersystem, das ausschließlich auf branchenspezifische Bedürfnisse ausgerichtet war, aber wegen fehlender interorganisationaler Synergieeffekte nicht effizient operierte. Rückblickend erwiesen sich insbesondere die strikt voneinander getrennten administrativen Bereiche, welche eine horizontale Integration von Logistikdienstleistungen nahezu vollständig verhinderten, als höchst problematisch. Die Nachwirkungen dieses Systems sind auch heute noch ein massives Hemmnis bei der Entwicklung der chinesischen Logistikindustrie (Luo und Findlay, 2002). Seit Mitte der siebziger Jahre ist das Frachtvolumen auf der Straße Jahr für Jahr um durchschnittlich 1,4 Prozent angestiegen. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden auf der Straße mit 70 Prozent Verkehrsanteil erstmalig mehr Güter transportiert als auf der Schiene (Goh und Ling 2003). Im Jahr 2007 umfasste das Straßennetz der Volksrepublik China allerdings nur 45 000 Kilometer Autobahnstrecke, was einem Anteil von weniger als einem Prozent entspricht. Die Regierung arbeitet daran, das Fernverkehrsnetz auf circa 85 000 Kilometer auszubauen und die Anbindung ländlicher Gegenden zu verbessern (Dyer, 2007). Auch im Luftfrachtbereich stehen die Zeichen auf Ausbau: Zwischen 1978 und 2004 wurden 14,1 Mrd. Dollar in den Ausbau von Flughäfen investiert. Große Flughäfen wie Peking, Shanghai, Xiamen und Shenzhen sind bereits privatisiert. Die Nachfrage nach Luftfrachtvolumen kann zum aktuellen Zeitpunkt weder durch das zur Verfügung stehende Volumenangebot noch durch die bestehende Infrastruktur vollständig befriedigt werden (Thomas, 2006).
Die Situation in der Seefahrt sieht ähnlich aus. Circa 25 Prozent der weltweiten Containerverkehre haben ihren Ursprung derzeit in China (Kerr, 2006). Die Entwicklung von Hafenanlagen wird daher mit Nachdruck vorangetrieben. Im Mittelpunkt der Entwicklungsaktivitäten stehen Ningbo, Dalian, Tianjin, Shenzhen und natürlich Shanghai. Der neue Tiefseehafen Yangshan, der vermutlich 2020 der größte Hafen der Welt sein wird, ist über eine 32 Kilometer lange Brücke mit dem Festland verbunden. Der Aufbau eines zuverlässigen makro- und mikrologistischen Systems ist ein Kernziel der chinesischen Volkswirtschaft. Neben notwendigen Veränderungen in der Administration, im Zollwesen und in der einschlägigen Gesetzgebung ist insbesondere eine adäquate Verkehrsinfrastruktur die essenzielle Voraussetzung für die Entwicklung von Logistikdienstleistungen. Ungenügende Transportmöglichkeiten, insbesondere im chinesischen Hinterland, treiben Logistikkosten in die Höhe. Der Markt für Logistikdienstleistungen ist sehr stark lokal fragmentiert und noch nicht auf dem Niveau westlicher Industrienationen. Schätzungen zufolge existieren in China über zwei Mio. Fuhrunternehmer, bei denen der Inhaber in der Regel der einzige Fahrer des einzigen Fahrzeugs ist (Sowinski, 2007). Im Hinblick auf 15 000 registrierte Logistikunternehmen plant die Regierung eine strikte Konsolidierung des Marktes (Kwan und Knutsen, 2006). Der WTO-Beitritt Chinas wird zu nachhaltigen Veränderungen auch im Logistikbereich führen. China hat sich zu einer schrittweisen Liberalisierung und Marktöffnung verpflichtet, in deren Folge sich ausländische Logistikdienstleister in der Volksrepublik niederlassen und eigene Aktivitäten aufbauen dürfen. So haben sich für die Olympischen Spiele 2008 neben der nationalen Fluggesellschaft Air China mit UPS und Schenker zwei ausländische Unternehmen als Anbieter von Transport- und Logistikdienstleistungen qualifiziert.
Entwicklung eines Logistikkonzepts im Rahmen der Olympischen Spiele Im Folgenden wird ein Überblick zur Zeit- und Personalplanung eines Logistikdienstleisters bei der konzeptionellen Vorbereitung gegeben. Weiterhin werden operative Bausteine des Konzepts beschrieben. Projekt- und Personalplanung als kritische Erfolgs faktoren
Auf die Olympischen Spiele ausgerichtete weltweite Verkaufsaktivitäten finden in der Regel viele Monate vor der eigentlichen Veranstaltung statt. Ein effizienter
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Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts
Abstimmungsprozess zwischen den beteiligten internationalen Organisationseinheiten ist daher unerlässlich. Als hilfreich erscheint, frühzeitig den Fokus auf ein effizientes intraorganisationales Schnittstellenmanagement zu legen, da die beteiligten Akteure häufig nicht nur räumlich, sondern auch in Bezug auf den kulturellen und weltanschaulichen Hintergrund weit voneinander getrennt sind, was zu Konflikten führen kann. Ein Kernteam des Projekts, bestehend aus lokalem Management und Spezialisten aus der weltweiten Organisation, nimmt etwa zwei Jahre, aber spätestens 18 Monate vor Beginn der Olympischen Spiele vor Ort die Arbeit auf. Weitere Projektmitglieder in den Herkunftsländern der Kunden arbeiten zeitgleich an der Vorbereitung der Spiele. Mit dem Näherrücken der Veranstaltung werden zunehmend mehr Experten aus unterschiedlichen internationalen Organisationseinheiten für einen Zeitraum von zwei bis sechs Monaten an die jeweilige Landesgesellschaft am Austragungsort abgeordnet. Hierbei handelt es sich in der Regel um Mitarbeiter, die über langjährige Erfahrungen in den Bereichen Transportmanagement, Lagerhaltung und Venue Logistics mit spezifischem Fokus auf Großveranstaltungen im Sport verfügen und die koordinative Aufgaben wahrnehmen. Grundlage für den Aufbau entsprechender Kompetenz in einem globalen Netzwerk ist die Etablierung eines langjährigen Systems zum intraorganisationalen Austausch und zur gemeinsamen Koordination entsprechender Ressourcen. Abbildung 2 gibt in diesem Zusammenhang einen Überblick zu dem generischen Management von Events als Grundlage für die Abwicklung der Olympischen Spiele.
Innerhalb des Projekts ist kontinuierlich eine Balance zwischen dezentralisierten und zentralisierten Managementstrukturen zu finden. Situationsbedingt kann im Rahmen der Olympischen Spiele eine Überschreitung abgegrenzter Zuständigkeiten vor Ort erforderlich werden, um kurzfristig auf dringliche Kundenbedarfe einzugehen. Überlappende Verantwortlichkeiten und die stetige Bereitschaft, Entscheidungsbefugnisse kontrolliert neu zu delegieren, sind eher Regelfall als Ausnahme. Auf diese Weise werden zügige Entscheidungen unter teilweise extremem Zeitdruck möglich und das zur Veranstaltung rapide ansteigende Volumen von Informationsflüssen bleibt beherrschbar. Spielregeln im Sinne von reproduzierbaren Routinen und Standardprozeduren sind trotz wechselnder Rollenverteilung äußerst wichtig, um eine strukturierte Zusammenarbeit von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Organisationseinheiten sicherzustellen. Im Hinblick auf die Kapazitätsspitzen, bedingt durch Bump-In- und Bump-Out-Periode, sehen sich Logistikdienstleister mit der Herausforderung konfrontiert, den entstehenden Mangel an eigenen lokalen Ressourcen auszugleichen bzw. den Anteil intern verfügbarer Kapazitäten durch effektive Mobilisierungsstrategien zu erhöhen. Durch eine frühzeitige Antizipation von umzuschlagendem Volumen, beispielsweise über regelmäßige Hochrechnungen der weltweit beteiligten Organisationseinheiten, wird der erste Grundstein für die Bewältigung des hohen Frachtaufkommens gelegt. In der Regel wird die Kapazitätsspitze bereits einen Monat vor dem Beginn der Spiele erreicht. Abbildung 3 zeigt in diesem Zusammenhang den Auslastungsgrad von Lagerkapazitäten. Basierend auf der Hochrechnung kann in einem iterativen Prozess der
Abb. 2: Zusammenspiel von generischem und spezifischem Event Management
Regionen-Clusterung
Analyse und Detailplanung
Implementierung
Leistungsevaluierung
Pre-Assessment
· Ziele · Kritische Erfolgsfaktoren · Kapazitätsplanung · „Masterplan“
· Pre-Lock-Down · Lock-Down · Spiele · Post-Lock-Down · Übergang
· Qualitätsmessung · Erreichung kommerzieller Ziele
Vorbereitung
Event
Nachbereitung
Planung und Implementierung von Netzwerken Organisationsentwicklung Know-how-Aufbau und Entwicklung Generisches Event Management internationaler Logistikdienstleister
Quelle: Systematik in Anlehnung an Tufinkgi, 2004
Spezifisches Event Management Olympische Spiele
Niklas Wilmking
Personalbedarf in den unterschiedlichen Kompetenzfeldern relativ genau bestimmt und mit vor Ort verfügbaren eigenen Ressourcen abgeglichen werden. Aus einer möglichen Unterdeckung ergibt sich der Rekrutierungsbedarf, der nach Möglichkeit intern zu decken ist. Da der weltweit bestehende Mitarbeiterstamm von Logistikdienstleistern in der Regel dieselben Arbeitsprozesse und -routinen nutzt und mit identischen IT-Systemen arbeitet, entfällt auf diese Weise eine aufwendige Einarbeitung. Strukturierte Trainingsmaßnahmen bilden dennoch die Grundlage, um Mitarbeiter aus anderen Büros der jeweiligen Landesorganisation oder aber aus internationalen Organisationseinheiten mit den spezifischen Gegebenheiten vor Ort vertraut zu machen. Eine Vernachlässigung oder inadäquate Nutzung lokaler Ressourcen, die zur Entsendung kostenintensiver überflüssiger Kräfte in das Zielland führt, ist aus Wirtschaftlichkeitsgründen strikt zu vermeiden. Der Einsatz von lokalen Subunternehmern stellt eine weitere wichtige Säule bei der kapazitativen Umsetzung des Logistikkonzepts sowohl im Transportbereich als auch im Feld der Venue Operations dar. Lokale Fuhrunternehmer, mit denen im Idealfall auch im Regelbetrieb zusammengearbeitet wird, decken in signifikantem Umfang Transporterfordernisse ab. Abbildung 4 gibt einen Überblick zum Bedarf an Fahrzeugen im Verhältnis zur Kapazitätsspitze.
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Während das Vor-Ort-Handling in den olympischen Anlagen von eigenen Kräften des Dienstleisters gesteuert und überwacht wird, stellen Subunternehmer darüber hinaus Arbeitskräfte zur operativen Abwicklung bereit. Im Vorfeld einer Zusammenarbeit sollte auch bei bestehender Kooperation im Regelbetrieb stets eine Ausschreibung stehen, nicht zuletzt um die Lieferanten von Anfang an mit besonderen Anforderungen der Olympialogistik vertraut zu machen. Nach erfolgter Auswahl ist in der Vorbereitungsphase in ausreichendem Umfang auf die Schulung der Mitarbeiter des Subunternehmers zu achten. Abläufe und Prozesse müssen ebenso wie Schnittstellen eindeutig festgelegt werden. Im Idealfall stellt dies sicher, dass die Aktivitätsspektren von Stammbelegschaft und Subunternehmern nahtlos ineinandergreifen. Im Mittelpunkt der Vorbereitungsphase steht zunächst eine umfassende Situationsanalyse und -bewertung. Was sind die kommerziellen Ziele der Veranstaltung? Was sind die kritischen Erfolgsfaktoren im jeweiligen Gastland? Welche Kapazitäten werden, basierend auf detaillierten Hochrechnungen, in welchem Bereich benötigt? Wie können diese organisationsintern bzw. -extern beschafft werden? Operative Standardprozeduren und Verfahrensanweisungen werden in der Regel kundenspezifisch ausgearbeitet und abgestimmt. Weiter werden
Abb. 3: Auslastungsgrad von Lagerkapazitäten im Zeitverlauf
100 %
100 %
100 %
100 %
80 %
60 %
60 % 50 %
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35 %
35 %
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30 % 25 %
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5%
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t1
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t3
t4
Zeit
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Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts
umfassend integrierende Operationskonzepte entwickelt. Eng damit verbunden sind auch Fragen des Informationsmanagements und der Leistungskoordination sowie des Risikomanagements. Zum Abschluss dieser Phase wird häufig der Vorbereitungsstand des operativen Personals überprüft, da wegen des sehr kurzen Arbeitszeitraums nur wenige Möglichkeiten zum Nachjustieren bestehen. Hierzu können Real Time Events simuliert oder Szenarien im Detail durchgesprochen werden (“What if & what would I do in case of”). Für die Implementierungs- bzw. Abwicklungsphase werden alle operativen Teilbereiche zeitpunkt- und volumengenau geplant. Konkret werden hierbei zur Verfügung stehende Mitarbeiter, auch von Subunternehmern, unterschiedlichen Kunden, Aufträgen oder Arbeitsbereichen zugeordnet – teilweise sogar auf Stundenbasis. Parallel verläuft die exakte zeit- und ortsgerechte Disposition von Transportmittel- und Lademittelkapazitäten, sowohl im lokalen als auch im internationalen Kontext. Auch hier ist eine revolvierende Kontingenzplanung wichtig, um Unsicherheiten, die sich primär durch das überlastete lokale Umfeld ergeben, kontrolliert abfangen zu können. Im Rahmen der Abschlussphase wird die Wiedereingliederung von Mitarbeitern in den lokalen Regelbetrieb bzw. deren kontrollierte Rückführung in die entsendenden Gesellschaften geplant. Auch die Stilllegung temporär genutzter Infrastruktur kann hier Berücksichtigung finden. Eine umfassende Leistungsevaluierung und -dokumentation rundet diese Phase ab. Abb. 4: Ausnutzung der Fahrzeugflotte 100 % 100 %
100 %
80 % 69,2 % 61,5 %
60 %
40 % 27,7 %
20 %
0%
15,4 %
t-5
20 %
t-4
t-3
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t0
t1 Zeit (Monat)
Operative Komponenten eines Logistikkonzepts für die Olympischen Spiele
Das Serviceportfolio von Logistikunternehmen für die Olympischen Spiele umfasst weit mehr als transportaffine Tätigkeiten, wie aus Abbildung 5 hervorgeht. Essenzielle Grundlage für ein operatives Konzept zur Darstellung dieser Leistungen ist eine substanzielle Hochrechnung benötigter Kapazitäten. Hierbei können basierend auf quantitativen Werten früherer Veranstaltungen unterschiedliche Methoden, wie zum Beispiel das Past-Average- oder Moving-Average-Verfahren genutzt werden. Mit entsprechenden dimensionalen Abschätzungen kann für jede olympische Anlage ein umfassendes Arbeitskonzept, bestehend aus zwei Hauptkomponenten, der Transportund der Venueplanung, entwickelt werden. Hinzu kommt die Planung der internationalen Transporte, einschließlich der Verzollung, das Arbeitskonzept für ein Lager sowie ein umfassendes Risiko-Management-System. Herzstück der Transportplanung sind Bump-In- und Bump-Out-Pläne. In diesen werden die Anlieferung und die Abholung von Sendungen vollumfänglich abgebildet. Um den Anforderungen des Master Delivery Schedules gerecht zu werden, müssen unterschiedliche Koordinaten erfasst werden. Hierzu zählen in der Regel neben dem exakten Zeitfenster für Anlieferung und Entladung die während der Veranstaltung ständig wechselnden Kontakt- bzw. Adressdetails des Empfängers, aber auch die spezifischen Angaben zum genutzten Fahrzeug, eine Beschreibung der Fracht und eine exakte Mengenangabe. Da signifikante Frachtmengen in einem kurzen Zeitraum angeliefert bzw. abgeholt werden, ist die Planung des Bump In und Bump Out sehr aufwendig. Als korrespondierendes Arbeitsmittel wird für die tägliche Disposition jedes Fahrzeugs ein Daily Runsheet genutzt, in dem teilweise Monate im Voraus Sendungen auf Lkw zugeteilt werden. Die Sendungsgesamtübersicht mit allen Importund Exportkoordinaten findet sich im Freight Schedule. Ein Operations Manual beschreibt die genauen Verfahrensanweisungen vor, während und nach der Lock-Down-Phase, ferner die Leistungstarifierung und Zollbestimmungen. Eng mit der Transportkoordination ist die Planung des Vor-Ort-Handlings in den olympischen Anlagen verbunden, insbesondere die zeitgerechte Disposition der erforderlichen Anzahl an Fachkräften und des Equipments. So werden nach Zustellung in den Venues unterschiedlichste Tätigkeiten für Kunden abgewickelt, die im Kern letztlich auf der temporären Personalüberlassung und der strukturierten Personalsteuerung vor Ort durch das Management des Dienstleisters beruhen. Hierfür wird vielfach auch
Niklas Wilmking
Material Handling Equipment benötigt, beispielsweise Gabelstapler, die der Logistikdienstleister bereitstellt. Vielfach werden auch Kranfahrzeuge benötigt, um Container abzuladen oder schwere Sendungen zu justieren. Hierbei ist vorab individuell ein Risiko-Assessment vor Ort durchzuführen, um mögliche Gefahrenpotenziale zu identifizieren. Lagerkapazitäten in den olympischen Anlagen sind nur sehr begrenzt vorhanden. Der Großteil des betriebsnotwendigen Volumens wird daher in einem Satellitenlager des Logistikdienstleisters geführt. Für die Olympischen Spiele werden in der Regel vereinfachte WarehouseManagement-Systeme genutzt, da die Komplexität des Artikelbestands im Vergleich zu industriellen Kunden eher gering ist und das Lager Züge einer Cross-DockingAnlage trägt. Bedarfsgerecht wird benötigtes Material ausgelagert, konsolidiert und zugestellt – während der Spiele im 24-Stunden-Betrieb. Werden Materialabrufe in industriellen Supply Chains in der Regel über EDI-Verbindungen abgewickelt, erfolgt dies im Kontext der Spiele seitens des Kunden vielfach auf Zuruf. Dabei übernehmen Mitarbeiter des Logistikdienstleisters vor Ort die Dokumentation des Auftrags und initiieren die Abwicklung im Dialog mit Kollegen im externen Lager bzw. stellen die vollständige Abarbeitung sicher. Bei mehreren hundert
Aufträgen pro Tag ist dies eine nicht zu unterschätzende Koordinationsaufgabe. Um sämtliche Vor-Ort-Leistungen von Personal in den olympischen Anlagen transparent zu dokumentieren, werden manuelle Arbeitsaufträge vor Ort angefertigt und vom Kunden gegengezeichnet. Für den Logistikdienstleister ist es von vitaler Bedeutung, hier einen effizienten Dokumentenfluss festzulegen, da die Arbeitsaufträge die Abrechnungsgrundlage gegenüber dem Kunden darstellen. Eine weitere Herausforderung ist eine kundenspezifisch zeitgerechte Konsolidierung zahlreicher Einzelrechnungen. Da es sich bei den meisten Sendungen um temporäre Einfuhren handelt, muss ein besonderes Augenmerk auf eine sehr saubere Dokumentation gegenüber den Zollbehörden gelegt werden. Ein Großteil der konsolidierten Importe wird in anderer Konfiguration und teilweise über einen anderen Verkehrsträger exportiert. Wegen der zersplitterten Zuständigkeit lokaler Zollbehörden in China müssen daher detaillierte Zollpläne entwickelt werden, um den Behörden im Detail nachweisen zu können, welche Sendungsbestandteile das Land wieder verlassen haben. Sämtliche im Land verbleibenden oder konsumierten Teile sind grundsätzlich Gegenstand der Verzollung und stellen für Kunden von Logistikdienstleistern einen beträchtlichen Kostenfaktor dar.
Abb. 5: Servicespektrum von Logistikdienstleistern im Kontext von Großveranstaltungen im Sport
Transportaffine Tätigkeiten
Lageraffine Tätigkeiten
Logistik am Veranstaltungsort
Sonstige Tätigkeiten
Beschaffung/Einkauf von Transportkapazitäten
Lagerung
On Site Storage
Kommunikationssteuerung
Umfassende Transportplanung für Kunden/Veranstalter
Umschlag
Power Supply
Management von temporären Einfuhren
Vorlauf (Land/Schiene)
Handling
Inside venue deliveries/pick ups; Venue-to-Venue Deliveries
Bereitstellung von Multifunktionscontainern (Lagerung, Bürocontainer)
Internationaler Hauptlauf (Schiene/Luft/See)
Verpackungstätigkeiten
Bereitstellung von Kränen
Sonstige Value Added Services
Nachlauf (Land/Schiene)
Etikettierung
Bereitstellung von Personal
Zollabfertigung
Pick & Pack Operations
Bereitstellung von Material Handling Equipment
Distribution
327
328
Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts
Sämtliche Aktivitäten und Arbeitspläne im Rahmen der Eventlogistik sind im Hinblick auf das Management von Risiken weitestgehend mit alternativen Lösungen hinterlegt. Hierzu werden zunächst mögliche Risiken orts- und situationsspezifisch ermittelt und anschließend mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet. Verkehrsbehinderungen sind dabei wesentlich wahrscheinlicher und werden entsprechend detaillierter berücksichtigt als beispielsweise Streiks in Häfen oder Aktivitäten von Extremisten; allerdings werden auch diese unwahrscheinlichen Szenarien in der Risikoplanung berücksichtigt. In einem Risk Register werden potenzielle Risiken geführt, Kommunikationswege festgelegt sowie Entscheidungen für eine spätere Effizienzevaluation festgehalten.
Zusammenfassung und Ausblick Die erfolgreiche Abwicklung der Olympischen Spiele in China wird eng mit der reibungslosen Implementierung eines umfassenden Logistikkonzepts zusammenhängen. Als MegaEvent in einem hyperdynamischen Marktumfeld stellen die Spiele besondere Herausforderungen an Organisationskomitee und Transport- und Logistikdienstleister gleichermaßen. Für Letztere wird der Grad des Erfolgs vermutlich auch über zukünftige Engagements im Bereich der Eventlogistik in der Volksrepublik entscheiden. Dabei stehen in Zukunft nicht nur der Sport, wie zum Beispiel bei den Asian Games in Guangzhou im Jahr 2010 im Fokus, sondern in steigendem Ausmaß auch andere große Unterhaltungsveranstaltungen wie internationale Ausstellungen oder Konzerte ausländischer Künstler. Mit der zunehmenden Liberalisierung des
chinesischen Marktes ist das Reich der Mitte für Logistikdienstleister nicht nur im Hinblick auf industrielle Kunden attraktiv. Die zunehmende Kaufkraft der Bevölkerung und das stark ansteigende Interesse an Sport und Kultur stehen in den kommenden Jahren für signifikant mehr internationale Großveranstaltungen in China. Weltweite Tourneen werden in Zukunft nicht mehr an China vorbeigeführt, sondern hier stattfinden. Die erfolgreiche logistische Abwicklung erfordert somit gleichermaßen eine starke lokale Präsenz, gut ausgebaute internationale Netze sowie organisationsinterne Kompetenz im Hinblick auf Großveranstaltungen. Ausländische Anbieter haben hier zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch einen Vorsprung, den es zu verteidigen gilt. Literaturverzeichnis Dyer, G. (2007) Logistics is key to inland shift, in: Financial Times. London (UK): 10. Dezember 2007 Goh, M. und Ling, C. (2003) Logistics Development in China, in: International Journal of Physical Distribution / Logistics Management, Vol. 33, No. 9 / 10, S. 886–918 Hong, J., Chin, A. und Liu, B. (2004) Logistics outsourcing by manufactures in China: A survey of the industry, in: Transportation Journal, Vol. 43, No. 1, S. 17– 25 Kerr, J. (2006) China Ports Update: Seven Developments to Watch, in: Logistics Management, Januar, Vol. 45, No. 1, S. C-75 – C-77 Kwan, C. und Knutsen, K. (2006) Intermodal Revolution, in: The China Business Review, Juli / August, Vol. 33, No. 4, S. 20–25 Luo, W. und Findlay, C. (2002) Logistics in China: Implications of Accession to the WTO, Workshop Paper, WTO Accession and Poverty Reduction Sowinski, L. (2007) Driving Further Into China, in: World Trade, September, Vol. 20, No. 9, S. 42–44 Thomas, G. (2006) China’s Runway Challenge, in: Air Transport World, Februar, Vol. 43, No. 2, S. 32–35 Tufinkgi, P. (2004) Logistik im Kontext internationaler Katastrophenhilfe. Dissertationsschrift. Berlin.
5. Logistik der Zukunft – Motor der globalen Vernetzung
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
Peter Klaus Leiter der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft (ATL) in Nürnberg Professor am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Peter Klaus, D.B.A. Jahrgang 1944 Klaus ist seit 1995 Leiter der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft (ATL) in Nürnberg. Im Jahr 1990 wurde er an den damals neu errichteten Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Nürnberg berufen. Er war nach einer Ausbildung zum Diplom-Kaufmann und Speditionskaufmann bis Ende der 1970er Jahre in der mittelständischen Transport- und Speditionswirtschaft praktisch tätig. 1982 promovierte er an der Boston University, Boston/Ma., zum Doctor of Business Administration (D.B.A.) und erlangte am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge/Ma., den Grad eines Master of Science (Transportation).
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft Peter Klaus
47,8 Tonnen Fracht müssen derzeit jährlich für jeden der 82,4 Mio. Einwohner Deutschlands auf Straßen, Schienen, Luft- und Binnenschifffahrtswegen bewegt werden. In absoluten Zahlen sind das fast vier Mrd. Tonnen und 2,6 Mrd. einzelne Transportaufträge – vom kleinen Päckchen bis zur Massengutfracht1. An jedem durchschnittlichen Arbeitstag entspräche dies ca. 800 000 voll ausgelasteten Lastzugfahrten über eine mittlere Strecke von ca. 157 km, wenn es nur diesen einzigen Güterverkehrsträger gäbe2. Jeder Transportvorgang ist mit mindestens einem Beund einem Entladevorgang verbunden. Fast jeder Be- und Entladung sind weitere Hantierungen der Kommissionierung und Konsolidierung, der Lagerung und Beständeverwaltung, der Verpackung, des Umschlags und vielfältige andere Mehrwertleistungen vor- und nachgelagert, die sich in und zwischen den Betriebsstätten der Industrie, des Handels, des Handwerks und der Serviceorganisationen vollziehen. Die Gesamtzahl solcher nicht direkt mit dem Transport verbundenen Lager- und Güterordnungstransaktionen kann grob auf 12,4 Mrd. pro Jahr bzw. 50 Mio. pro Arbeitstag geschätzt werden. Etwa 2,1 Mio. Menschen – überwiegend gewerblich tätig – sind in Deutschland damit beschäftigt, diese Leistungen zu erbringen. Die physischen Logistikaktivitäten des Transportierens, (Um-)Ordnens und Lagerns von Materialien und Gütern in der Wirtschaft sind kein Selbstzweck. Sie werden von den Konsumptionsbedürfnissen der Wirtschaft ausgelöst und sind so nahtlos wie möglich mit den Ressourcengewinnungs- und Produktionsprozessen zu verknüpfen. Die dafür nötigen Transaktionen und Prozesse sind zu „administrieren“: zu planen, zu strukturieren, zu steuern,
1
2
3
Tonnagedaten von 2006 gem. Bundesministerium (ViZ 2007). Darin nicht enthalten die zusätzlichen Seeverkehrstonnagen von ca. 3,6 Tonnen pro Kopf. Die Zahl der Transportaufträge ist geschätzt in Klaus/Kille (2006), S. 1/Tab. 9. Dieser Wert ergibt sich aus der mittleren Weite aller statistisch erfassten Binnentransporte in Deutschland von derzeit 157 km, einer angenommenen Auslastung je Lastzugfahrt von 20 Tonnen und 250 Arbeitstagen pro Jahr. . Schätzung für 2007, nach 189 Mrd. Euro für 2006; 175 Mrd. Euro für 2005 und 170 Mrd. Euro im Jahr 2004 (Klaus/Kille 2007)
abrechnungs- und informationstechnisch zu begleiten, kontinuierlich zu verbessern. Dafür sind heute weitere ca. 0,5 Mio. Menschen in vorwiegend kaufmännischen, technischen und managementbezogenen Funktionen tätig.
Was das Wachstum der Logistik treibt: erste Feststellungen Somit beschäftigt die „Logistik“, die alle genannten Aktivitäten verantwortet, heute mindestens 2,6 Mio. Menschen in Deutschland. Sie stellt mehr als 7,5 Prozent der 39 Mio. Arbeitsplätze. Nach der Gesundheitswirtschaft mit ihren mehr als 4 Mio. Beschäftigten würde die Logistik als zweitgrößte Arbeitgeberbranche rangieren, wenn sie schon als eigenständiger Wirtschaftszweig etabliert und in den amtlichen Statistiken entsprechend ausgewiesen wäre. Gemessen am geschätzten jährlichen Kostenvolumen (bzw. „Umsatzwert“) des nationalen logistischen Systems von über ca. 200 Mrd. Euro 3 für 2007 rangiert die Logistikwirtschaft an dritter Stelle der Wirtschaftsbranchen in Deutschland nach Gesundheits- und Automobilbauwirtschaft. Tab. 1 zeigt ein Mengengerippe des aktuellen Bedarfs der deutschen und europäischen Wirtschaft nach Leistungen des Transports, der Hantierung und Lagerung aller Güter der Volkswirtschaft. Es beschreibt die physische Nachfrage, die das „logistische System Deutschlands“ zu bedienen hat. Den Feststellungen zur aktuellen quantitativen Bedeutung der Logistik, die inzwischen weite Aufmerksamkeit gefunden haben, steht eine andere, kaum im Bewusstsein der Fachleute präsente Beobachtung gegenüber: Der physische Versorgungs- und Entsorgungsbedarf eines Durchschnittsbürgers an Gütern des täglichen Konsums, den die Wirtschaft bereitzustellen hat – für Essen, Trinken, Gesundheit und Hygiene, Haushalt, Heizenergie, Treibstoffe, Papier etc. –, liegt bei weniger als 10 kg pro Tag, etwa drei Tonnen pro Jahr. Selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung der anteiligen Material- und Gütermengen, die im jährlichen Durchschnitt für den Bau und die Un-
336
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
Tab. 1: „Mengengerippe“ der Nachfrage nach Logistikleistungen in Deutschland und Europa, Datenstand 2005
Gesamtwirtschaft
Einheit
Deutschland
EU 29
Bruttoinlandsprodukt
Mrd. €
2235
11 481
… davon güterorientierte Wirtschaft (Land-/Forstwirtschaft, produz. Gewerbe und Handel)
Mrd. €
860
Gesamtaufwand (bzw. Umsatzwert) des logistischen Systems
Mrd. €
175
800
€
2134
1587
Transportierte Gütertonnagen (ohne See)
Mrd. t
3,7
21,3
Zahl Transportaufträge
Mrd. #
2,6
t
1,5
Mrd. €
3427
€
941
Tsd. #
750
Mrd. €
74
Zahl Umschlags-, Be- und Entladetransaktionen
Mrd. #
4,9
Zahl vor- und nachgelagerter Kommissionierungs- und Konsolidierungstransaktionen
Mrd. #
7,5
Arbeitsplätze Lagerarbeiter, Warenprüfer, Kommissionierer etc.
Tsd. #
1150
Logistikaufwand absolut für Güterumschlag, Warenhandling
Mrd. €
45
Mio. t
370
Geschätzte Lagerfläche
Mio. m2
740
Durchschnittlicher Wert der Lagerbestände
Mrd. €
350
Durchschnittlicher Wert pro Tonne
€
941
Durchschnittliche „Reichweite“ der Lagerbestände in Kalendertagen
#
36
Logistikaufwand pro Kopf der Bevölkerung Transport
Durchschnittliche Tonnage pro Auftrag Kumulativer Wert der transportierten Güter (= Umsätze der güterorientierten Wirtschaft) Durchschnittlicher Wert pro Tonne (= Wertdichte) Arbeitsplätze Fahrzeugführer, Verkehrsbetriebsfachleute im Bereich Güterverkehr aller Verkehrsarten Logistikaufwand absolut für Gütertransport
343,8
Umschlag, Kommissionierung, Warenhandling
207,9
Lagerung und Beständewirtschaft Durchschnittlicher Lagerbestand in Tonnen
35
Logistikaufwand absolut für Beständewirtschaft
167,9
Logistik-Administration Gesamtzahl administrative logistische Transaktionen
Mrd. #
15,0
Arbeitsplätze kaufmännische Mitarbeiter, IT, Management etc.
Tsd. #
600
Mrd. €
17
Logistikaufwand absolut für Administration
80,0
Peter Klaus
terhaltung der langlebigen Wohn- und Alltagsinfrastruktur eines Durchschnittsbürgers bewegt werden müssen, sind es nur fünf bis sechs Tonnen pro Jahr, die die logistischen Systeme der Volkswirtschaft „auf der letzten Meile“, in geeigneten „Portionen“ und Sortimenten zu Haushalten und Bürgern verbringen.4 Dies bedeutet, dass nur wenig mehr als 10 Prozent des oben festgestellten, heutigen jährlichen GesamtmengenDurchsatzes des logistischen Systems von 47,8 Tonnen pro Bürger direkt zur Befriedigung von deren Bedürfnissen erfolgen. Fast 90 Prozent des Durchsatzes entstehen als sekundärer, „abgeleiteter“ Bedarf. Sie sind Folge der Arbeitsteiligkeit und Stufigkeit der Wertschöpfungsprozesse moderner Volkswirtschaften, verursacht durch die vielfachen Business-to-Business-Transaktionen zwischen Unternehmen der Urproduktion, der Rohstoffverarbeitung, Vor-, Zwischenmaterial-, Komponenten- und Endprodukte-Fertigung, der dafür auch nötigen Bereitstellung von Investitionsgütern sowie den Distributionsprozessen bis zum Endverbraucher, Entsorgung oder „Recycling“. In den nicht arbeitsteiligen, nur lokalen Wirtschaftssystemen des vor-industriellen Zeitalters, als Produktion, Konsum und Entsorgung vorwiegend an einem Ort, in einem einstufigen Wertschöpfungsprozess und ohne Vernetzung mit überregionalen, internationalen und globalen Systemen arbeitsteiliger Produktion und des Handels erfolgten, hat es 90 Prozent des heutigen logistischen Bedarfes noch nicht gegeben! Es folgt aus dieser Betrachtung, dass die enorme Zunahme der Bedeutung der Logistik im Verlauf der Industrialisierung moderner Volkswirtschaften von mehreren Einflüssen bestimmt war: Zuerst, natürlich, von zahlenmäßiger Zunahme der Bevölkerung und der immer großzügigeren Befriedigung von deren materiellen Bedürfnissen. Noch viel stärker war und ist diese Entwicklung aber von der dramatischen Zunahme der Arbeitsteiligkeit und der weltweiten Dislozierung wirtschaftlicher Aktivitäten getrieben. Erst diese Entwicklung stieß die seit den 1970er Jahren eingeleitete Verselbstständigung der Logistik als eigenständigem Wirtschaftszweig, ihre Entdeckung als erfolgskritischer Funktionsbereich und Erfolgsfaktor in den Unternehmen sowie als eigenständigem Wissenschaftsfeld an.
4
Die vorläufi ge Schätzung dieser Zahlen erfolgte im Rahmen einer noch andauernden Forschungsaktivität der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Technologien der Logistikdienstleistungswirtschaft ATL in Nürnberg .
Fünf Fragestellungen systematischer LogistikMarket-Intelligence Es ist ein wachsender offener Markt zwischen Anbietern und Nachfragern logistischer Leistungen aus der starken Tendenz zum Outsourcing von Logistikaktivitäten entstanden – der Übertragung solcher Leistungen aus den Händen der primären Bedarfsträger aus Industrie, Handel, Konsum in die Hände von spezialisierten Dienstleistungsunternehmen der Logistik. Dieser Markt ist von hoher Komplexität gekennzeichnet: Es vollziehen sich turbulente Veränderungen der Kostenstrukturen und Wettbewerbskonfigurationen. Technologie- und Wachstumssprünge führen zu hohen Produktivitätsfortschritten. Reglementierende – und deregulierende – Eingriffe der Politik verändern zusätzlich die Rahmenbedingungen des Handelns für die Marktteilnehmer. Die Vermessung und Verfolgung von Marktentwicklungen ist außerordentlich schwierig, weil Begrifflichkeiten und Grenzen der Logistikdienstleistungsmärkte noch wenig geklärt sind und gesicherte, zugängliche Daten nur lückenhaft vorliegen. Der Aufbau systematischen, quantitativ belegten Wissens über Größenordnungen, Leistungen, Trends der Logistikdienstleistungswirtschaft als Voraussetzung für die Bewertung und Prognose von Erfolgen, Erfolgstreibern und Wirkungen politischer und unternehmerischer Maßnahmen steht erst am Anfang. Deshalb soll dieser Beitrag den aktuellen Stand der Bemühungen um die Entwicklung systematischen Wissens für die wichtigsten Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft darstellen. Fünf Fragestellungen werden aufgeworfen und – soweit dafür derzeit Aussagen verfügbar sind – übersichtsartig beantwortet, nämlich die Fragen nach … 1. einer praxisgerechten und praktikablen Eingrenzung der Logistikdienstleistungsmärkte; 2. der absoluten Größe der Logistikdienstleistungsmärkte und ihrer relativen Bedeutung in der Gesamtwirtschaft – für die gesamte Weltwirtschaft, Europa und für Deutschland; 3. Kriterien der Segmentierung der Gesamtlogistik in relevante Marktfelder; 4. Treibern, Trends, vermuteten Erfolgsfaktoren und den Zukunftsperspektiven für die weitere Entwicklung ausgewählter, besonders beachteter Logistikmarktsegmente: weltweite Containerlogistik, die Systemverkehrsnetzwerke für Paket und Expressfracht, Stückgüter und „Truckloads“ sowie für Kontraktlogistik;
337
338
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
5. den Herausforderungen der Abschätzung längerfristiger Logistik-Marktentwicklungen für Politik, Logistik-Wissenschaft und unternehmerische Marktforschungsaktivitäten sowie dem damit verbundenen weiteren Entwicklungsbedarf systematischer Market Intelligence.
Zu kritischen Begrifflichkeiten und einer praxisgerechten Eingrenzung der Logistikmärkte Zwei kritische Begriffe müssen geklärt werden, um Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft eindeutig zu diskutieren und – soweit überhaupt möglich – auch quantitativ einzuschätzen: Als Markt soll hier nicht allein der Marktplatz im engeren volkswirtschaftlichen Sinne – der öffentlich zugängliche Ort des Austausches von Gütern und Dienstleistungen –, sondern im erweiterten Sinne der Betriebswirtschaftslehre und aktueller Managementpraxis ein „Potenzial an erschließbarer Nachfrage“ für betrachtete Produkte und Dienstleistungen verstanden werden. Der Markt für Logistikdienstleistungen ist also zu beschreiben als die Gesamtheit der Logistikbedürfnisse der Wirtschaft, wie sie annähernd in den einleitenden Ausführungen und dem Mengengerippe der Nachfrage nach Logistikleistungen (Tab. 1) umrissen wurden. Bisher wird nur ein – allerdings rasch wachsender – Anteil dieser Bedürfnisse über offene Marktplätze und Markttransaktionen im engeren Sinne zwischen Nachfragern solcher Leistungen (in der Praxis zumeist Verlader oder Kontraktgeber genannt) und selbstständigen Anbietern logistischer Leistungen (den Transport- und sonstigen Logistikdienstleistern) abgedeckt.
Die zweite, schwierigere, inhaltliche Frage nach dem hier relevanten Gegenstand der Nachfrage führt zu der Problematik der Definition von Logistik. Dem relativ jungen Wirtschafts- und Wissenschaftsfeld der Logistik, den für die Logistik sprechenden Verbänden, Wissenschaftlern und Praktikern ist es noch nicht vollständig gelungen, Konsens über eine trennscharfe und für quantitative Marktanalysen geeignete Eingrenzung des Feldes herbeizuführen. Eine der ältesten und meist zitierten Definitionen des US-amerikanischen Professors Bowersox, der als einer der Väter der modernen betriebswirtschaftlichen Logistik gilt, beschreibt die Logistik anhand der Aufgabenstellung „… to design and administer a system to control the flow of materials, parts, and finished inventory to the maximum benefit of the enterprise“ (Bowersox 1969, S. 2). Die deutsche Bundesvereinigung Logistik (BVL) definiert Logistik als „… ein System, das zunächst im Unternehmen, aber auch unternehmensübergreifend mit Lieferanten und Kunden, eine optimale Versorgung mit Materialien, Teilen und Modulen für die Produktion – und auf der anderen Seite natürlich für die Märkte […] zu sichern hat“5. Für die Zwecke einer prägnanten Beschreibung von Fakten und Entwicklungen der Logistikdienstleistungsmärkte ist eine möglichst eindeutige, anhand von zähl- und messbaren Aktivitäten, Ressourcen, Marktwert- und Leistungs-Outputgrößen orientierte Definition nötig. Es soll deshalb der Markt für Logistikleistungen hier eingegrenzt werden auf
5
Vgl. die BVL-Homepage <www.bvl.de>, Stichwort „Logistik“ Stand Januar 2008.
Abb. 1: Darstellung volkswirtschaftsweiter Logistiksystem-Aufwendungen Auftragsabwicklung 4 %
Lagerwirtschaft und Umschlag 37 %
EU Bestände 15 %
Transport 38 %
Daten für EU 25 im Jahr 2006 auf Basis einer Stichprobe von Davis (2007)
Logistikplanung, Admin. 6 %
Peter Klaus
„alle Logistikleistungen des Transports, der Lagerung, Ordnungsveränderung (Umschlag, Kommissionierung, Konsolidierung) und der Beständewirtschaft, die produktionsextern zwischen den Produktions- und Verkaufsstätten der Wirtschaft benötigt werden, sowie die damit direkt verbundenen Administrations-, Dispositions- und Planungsleistungen. Das Volumen dieses Marktes umfasst sowohl die einschlägigen Leistungen, die mit verladereigenen Mitteln (Werkverkehr, Eigenläger) erbracht werden, wie auch die outgesourcten Leistungen, die von Dienstleistern zugeliefert werden“6. Die in den folgenden Ausführungen diskutierten Marktdaten beziehen sich jeweils auf diese Definition, die kompatibel mit einer für US-amerikanische Marktmessungen häufig genutzten Definition ist7. Abb. 1 zeigt, wie damit die Aufwendungen für ein nationales Logistiksystem in fünf Kategorien eingeteilt und berichtet werden können. Andere, expansivere Definitionen der Logistik, die deren Bedeutung der Logistik auch als „Erfolgsstrategie des Managements“ und „Weltsicht“ hervorheben, werden hier nicht näher berücksichtigt 8.
Größe der Logistikdienstleistungsmärkte und deren relative Bedeutung in der Gesamtwirtschaft Eine systematische Auseinandersetzung mit Logistikmärkten und -entwicklungen muss mit der Feststellung eines Ist-Status beginnen. Logistikaufwendungen der Wirtschaft weltweit
Nur sehr wenige Autoren sind bekannt, die es bisher gewagt haben, eine Schätzung der weltweiten Logistikmärkte zu versuchen. Der bereits zitierte Nestor der wissenschaftlichen Logistik in den USA, Donald Bowersox von der Michigan State Universität, hat in zwei aufeinanderfolgenden Bemühungen mit Kollegen Schätzungen der weltweiten Aufwendungen für Logistik präsentiert (Bowersox/Calantone 1998 und Bowersox/Calantone/Rodriguez 2003): Im Wesentlichen auf der Basis der Daten einer in den USA seit 1989 regelmäßig durchgeführten nationalen Logistikmarktstudie und Markttrendanalyse9 führten diese Autoren Hochrechnungen der weltweiten Logistikaufwendungen durch. Sie berücksichtigten für die Hochrechnung auf andere Länder u. a. dort statistisch erfasste Transporttonnagen, Einwohnerzahlen und Bruttosozialproduktdaten, Landesflächendaten und Außenhandelsdaten. Die letzte Schätzung (Bower-
sox/Calantone/Rodriguez 2003) auf der Basis von Daten des Jahres 2000 ergibt einen weltweiten Logistikaufwand von 6380 Mrd. US-Dollar (5853 Mrd. Euro)10, entsprechend einem 13,7-Prozent-Anteil am Weltbruttosozialprodukt von 46 620 Mrd. US-Dollar (42 770 Mrd. Euro) bzw. Logistikaufwand pro Kopf der Weltbevölkerung (ca. 6,2 Mrd.) von 944 Euro. Diese Zahlen können in Relation gesetzt werden zu der in Tab. 1 gezeigten Zahl für Deutschland „Logistikaufwendungen pro Kopf der Bevölkerung“ von 2 132 Euro, bzw. den sich für Deutschland ergebenden Logistikaufwendungen relativ zum Bruttosozialprodukt von 7,9 Prozent. Bowersox und seine Kollegen berechnen für Deutschland einen viel höheren nationalen Logistikaufwand im Jahr 2000 von 345 Mrd. US-Dollar bzw. 15,3 Prozent des BIP, was – nach detaillierten Schätzungen des Autors dieses Berichts – etwa um das Doppelte zu hoch ist. Angesichts der enormen Probleme schwankender Währungskurse, unterschiedlichster realer Kaufkraftparitäten zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und industrialisierten Ländern, den Systemeigenheiten etwa in China, Indien, Russland, ist es nicht überraschend, dass diese auf US-Datenbasis hochgerechneten Zahlen nicht als ein realistisches und zuverlässiges Ergebnis gewertet werden können. Jüngst hat der US-amerikanische Berater Armstrong (2007) eine weitere Berechnung „Estimating Global Logistics Spending“ veröffentlicht, in die die Ergebnisse europäischer und anderer Landesstudien eingeflossen sind. Armstrongs Schätzungen (vgl. Tab. 2) mit einem Weltlogistikaufwandsvolumen, für das Jahr 2006, 5399 Mrd. US-Dollar (4217 Mrd. Euro)11, für Deutschland 230 Mrd. US-Dollar (180 Mrd. Euro), dürften wesentlich näher an der Realität liegen als die von Bowersox und seinen Kollegen. Sie liefern auch einen Versuch der Aufteilung in die wichtigsten Aufwandskategorien (Tab. 3). Die Aufgabe einer wirklich konsistenten und vergleichbaren Weltschätzung der Logistikmärkte ist aber bis heute noch nicht befriedigend gelöst.
6
Diese Defi nition liegt den seit 1996 kontinuierlich durchgeführten „Top 100“-Studien der Logistik zugrunde, vgl. Klaus/Kille (2007), S. 31 f., aus der viele der in diesem Beitrag zitierten Marktdaten entnommen sind. 7 Ursprünglich vorgeschlagen von Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964) 8 Eine ausführliche Diskussion der Entwicklung und wichtiger Interpretationen solcher erweiterten Logistikbegriffe ist u. a. in Klaus (2002) nachzulesen. 9 Die „State of Logistics Reports“, bis 2003 herausgegeben von Robert Delaney vom amerikanischen Marktforschungsunternehmen Cass Information Systems, seitdem vom Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) unter der Verantwortlichkeit von Rosalyn Wilson; letzte Ausgabe, als 18. Report von Wilson (2007). 10 Der Dollar-Preis für einen Euro lag im Jahr 2000 bei etwa 1,09 (Mittelkurs 2005 etwa 1,20; Mittelkurs 2006 etwa 1,28; Jahresendkurs 2007 1,48). Quelle: <www.waehrungskurs.de> im Januar 2008. 11 2006 wird gem. Fußnote 10 ein mittlerer US-Dollar-Umrechnungskurs von 1,28 für den Euro eingesetzt.
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Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
Die Größe des Logistikmarktes in Europa
Seit 2003 wurden im Institut des Autors dieses Beitrages Schätzungen der Logistikaufwendungen für die Europäische Union durchgeführt, für die deutlich bessere – wenn auch nach wie vor schwierige – Daten- und Schätzvoraussetzungen bestehen. Einige wesentliche summarische Ergebnisse daraus für das Jahr 2006 sind in Tabelle 4 eingefügt. Es ergibt sich ein Gesamtaufwandsvolumen für die 15 westeuropäischen EU-Mitgliedsländer zuzüglich der Schweiz und Norwegens (EU 17) nach dem Stand von 2005 von 738 Mrd. Euro, zuzüglich eines Volumens von
61,4 Mrd. Euro für die zwölf Beitrittsländer von 2006/2007, insgesamt für EU 29 von ca. 800 Mrd. Euro. Dies entspricht einer Relation des Logistikaufwandes zum Bruttosozialprodukt von 7,0 Prozent pro Kopf der 503 Mio. Einwohner von 1590 Euro. Der Anteil der an Logistikdienstleister outgesourcten Logistik ist auf knapp 50 Prozent des Gesamtvolumens geschätzt. Einige Einsichten, die sich aus dem Vergleich der europäischen Länderdaten gewinnen lassen, werden unten im Zusammenhang mit der Diskussion von Treibern, Trends und vermuteten Erfolgsfaktoren der Logistikmärkte vorgestellt.
Tab. 2: Armstrongs (2007) „Global Logistics Estimates 2006“ mit Anteilen der Kontraktlogistik Weltweite Logistikmarktschätzung und Third-Party Logistics (3PL) Kosten 2006 Region
Land
Nordamerika
Europa
Fernost
Südamerika
Logistik (US$ Mrd.)
Logistik (% vom BIP)
3PL Umsätze
Kanada
122
10,4
10,2
Mexiko
118
15,0
7,7
USA
1305
9,9
113,6
Region
1545
10,2
131,5
Frankreich
204
9,5
20,7
Deutschland
230
8,0
23,3
Italien
189
10,6
19,8
Spanien
147
13,6
14,0
Großbritannien
234
10,0
23,5
Andere
426
10,1
42,3
Region
1,43
9,9
143,6
China
529
21,1
37,1
Indien
140
17,3
7,9
Japan
425
8,7
37,4
Andere
168
10,7
11,9
Region
1.262
12,9
94,3
122
14,9
7,8
Venezuela, RB
19
11,7
1,1
Argentinien
26
12,7
1,5
167
14,1
10,4
995
16,0
37,3
5399
11,5
417,1
Brasilien
Region Verbleibende Länder Total
Peter Klaus
Aktuelle Vermessungsergebnisse des Logistikmarktes in Deutschland
•
Die entsprechenden Daten zum Logistikmarkt Deutschland, die an anderer Stelle ausführlich vorgestellt wurden12, sind in Tab. 5 kurz zusammengefasst. Der hier gezeigte Datenstand von 2005 mit einem volkswirtschaftsweiten Logistikaufwandsvolumen berücksichtigt noch nicht den kräftigen Konjunkturaufschwung, der im Jahr 2006 einsetzte. Das vergleichbare Logistik-Aufwandsvolumen ist für 2006 auf 189 Mrd. Euro, für 2007 gemäß vorläufiger Schätzung auf über 200 Mrd. Euro gestiegen.
•
•
•
Für eine Segmentierung des großen, aber heterogenen Gesamt-Logistikmarktvolumens bestehen vielfältige Möglichkeiten: In den eher volkswirtschaftlichen und verkehrswissenschaftlichen Betrachtungen der Logistikwirtschaft wird eine Segmentierung vorzugsweise nach den Funktionen bzw. den wertschöpfenden Aktivitäten gewählt, die einen Schwerpunkt der logistischen Leistung darstellen, also z. B. •
• •
Beschaffungslogistik, („Intra“-) Produktionslogistik , Distributionslogistik , Entsorgungslogistik ; Lagerlogistik und Transportlogistik (vgl. z. B. Abb. 1, Tab. 3 und 4), das letztere Segment häufig aufgeteilt in die
Verkehrsmodi Straßen-, Schienen-, Binnenschifffahrts-, Rohrleitungs-, Seeschifffahrts- und Luftverkehrstransport (vgl. Tab. 2).
In der Praxis sind aber auch vielfältige andere Segmentierungen der Logistikmärkte üblich, wie z. B. nach:
•
Segmentierung der Logistikdienstleistungmärkte
341
• •
Art der logistischen Objekte bzw. Güterarten (z. B. Lebensmittellogistik); Auftraggeberbranchen- bzw. Kundentypen oder institutionellen Gesichtspunkten (z. B. Verlagslogistik, Logistik öffentlicher Organisationen); Auftrags- und Abwicklungstypen (z. B. Expressfracht); Verkehrsnetzstrukturen (z. B. Märkte für „Netzwerksystemanbieter“ oder der Relationsspediteure); Transportgefäßtypen (z. B. Tank- und Silotransporte); Art der rechtlichen und organisatorischen Beziehungen zwischen Auftraggebern und Logistikdienstleistern (z. B. „Kontraktlogistik“).
Die in der Praxis üblichen Marktsegmentierungen, wie sie sich z. B. durch die Mitgliederkreise von Verbandsorganisationen ausdrücken und durch das Verständnis der Unternehmen, wer ihre relevanten Wettbewerber und Branchenkollegen sind, vermischen nicht selten mehrere dieser Segmentierungsaspekte. 12
Vgl. insbesondere Klaus /Kille (2006 und 2007), sowie Klaus/Kille (2008).
Tab. 3: Armstrongs (2007) „Global Logistics Estimates 2006“: Aufteilung nach Transportmodi, Beständekosten, Lagerhausoperationen, Administration Weltweite Logistikkosten nach Modal Split (Mrd. US$) Region
Straße
Schiene
Wasser
Luft
Forwarding
Beständekosten
Warehousing
Logistikplanung, Admin.
Logistik gesamt
Nordamerika Kanada
59
10
4
3
2
30
8
6
122
Mexiko
58
5
3
4
2
30
9
7
118
USA
635
54
47
38
27
345
101
58
1.305
Region
752
69
54
45
31
405
118
71
1.545
Frankreich
64
13
7
19
5
40
45
11
204
Deutschland
72
14
6
12
7
45
53
21
230
Italien
72
9
8
16
6
39
18
21
189
Spanien
72
2
7
9
4
28
18
7
147
Europa
Land
Großbritannien
Fernost
82
12
8
37
7
46
31
11
234
Andere
153
29
22
43
5
72
85
17
426
Region
515
79
58
136
34
270
250
88
1.430
231,6
1,6
56,1
3,2
11,1
110,6
41,8
73
529
China
342
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
Tab. 4: Die Logistikmärkte Europas gemäß der „Top 100“-Schätzung, Datenstand 2005
Einwohner in Mio. 2005
BIP 2005 in Mrd. €
bewegte Tonnage gesamt 2005 in Mio. t
Transportkosten in Mrd. € (43,0%)
plus Lagerwirtschaft/ Komm. in Mrd. € (26,0%)
Zwischensumme „TUL“ Kosten in Mrd. €
plus Auftragsabwicklung in Mrd. € (5,0%)
plus Logistikplanung/ Admin. (5,0%)
plus Beständekosten in Mrd. € (21,0%)
Summe Logistikkosten in Mrd. € 2005
10,5
299
592
11,0
6,7
17,7
1,3
1,3
5,4
25,7
5,4
208
249
5,6
3,4
9,0
0,6
0,6
2,7
13,0
82,5
2.241
3.703
75,6
45,7
121,2
8,8
8,8
36,9
175,7
5,2
157
478
8,6
5,2
13,8
1,0
1,0
4,2
20,1
Frankreich
62,7
1.710
2.380
41,8
25,3
67,0
4,9
4,9
20,4
97,1
Griechenland
11,1
181
499
7,3
4,4
11,7
0,8
0,8
3,6
16,9
Großbritannien
60,2
1.792
2.342
45,6
27,6
73,2
5,3
5,3
22,3
106,0
Irland
4,2
161
314
4,3
2,6
6,9
0,5
0,5
2,1
10,0
Italien
58,6
1.417
1.830
31,2
18,9
50,1
3,6
3,6
15,3
72,6
Luxemburg
0,5
29
39
1,0
0,6
1,6
0,1
0,1
0,5
2,2
Niederlande
16,3
506
1.127
18,7
11,3
30,0
2,2
2,2
9,1
43,5
4,6
238
496
8,7
5,2
13,9
1,0
1,0
4,2
20,2
Belgien Dänemark Deutschland Finnland
Norwegen
8,1
245
404
5,7
3,5
9,2
0,7
0,7
2,8
13,4
Portugal
10,5
148
360
3,7
2,2
5,9
0,4
0,4
1,8
8,6
Schweden
9,0
288
498
11,0
6,6
17,6
1,3
1,3
5,3
25,5
Schweiz
7,4
294
420
6,8
4,1
10,9
0,8
0,8
3,3
15,8
Österreich
43,4
905
2.375
30,9
18,7
49,6
3,6
3,6
15,1
71,9
400,3
10 820
18 105
317,5
192,0
509,4
36,9
36,9
155,0
738,2
7,7
21
199
0,5
1,2
0,1
0,1
0,4
1,8
10,2
100
530
4
2,2
5,9
0,4
0,4
1,8
8,6
Estland
1,3
11
86
1
0,5
1,3
0,1
0,1
0,4
1,9
Lettland
2,3
13
135
1
0,7
1,9
0,1
0,1
0,6
2,7
Litauen
3,4
21
136
1
0,7
1,8
0,1
0,1
0,6
2,6
Spanien „Europa der 17“
2,9
% des BIP: Bulgarien Tschechien
1
4,7
6,8
Malta
0,4
5
10
0
0,1
0,2
0,0
0,0
0,1
0,3
Polen
38,2
244
1.031
10
6,3
16,7
1,2
1,2
5,1
24,2
Rumänien
21,6
79
423
4
2,5
6,6
0,5
0,5
2,0
9,6
Slowakei
5,4
38
251
1
0,7
1,8
0,1
0,1
0,5
2,5
2,0
28
95
1
0,5
1,3
0,1
0,1
0,4
1,9
10,1
89
275
2
1,1
2,8
0,2
0,2
0,9
4,1
Slowenien Ungarn
0,8
14
55
1
0,3
0,9
0,1
0,1
0,3
1,2
Summe der neuen EU-Staaten
103,5
662
3227
26,4
15,9
42,3
3,1
3,1
12,9
61,4
„Europa der 29“
503,8
11 481
21 332
343,8
207,9
551,7
40,0
40,0
167,9
799,6
Zypern
% des BIP:
Quelle: Klaus/Kille (2007) (2007), S. S 66
3,0
4,8
7,0
Peter Klaus
Im Rahmen der „Top 100“-Studien der Fraunhofer ATL in Nürnberg hat sich eine pragmatische Segmentierung des Gesamt-Logistikdienstleistungsmarktes bewährt, die insgesamt 15 Marktfelder berücksichtigt. Diese sind nicht überschneidungsfrei, entsprechen aber bestmöglich den in der Praxis gebräuchlichen Kennzeichnungen. Abb. 2 zeigt die 15 Marktfelder und deren aktuelle anteilige Größenordnungen.
Zu Treibern, Trends, Erfolgsfaktoren und Zukunftsperspektiven ausgewählter Logistikmarktsegmente In den realen Märkten der Logistik ist eine kaum übersehbare Vielfalt von Angebotskombinationen logistischer Leistungen, Architekturen und Praktiken der Leistungserstellung und Ansätzen der Ertragssicherung – Geschäftsmodelle13 für erfolgreiches Agieren in den Logistikmärkten – vorzufinden. In den folgenden Abschnitten dieses Beitrages werden drei große Marktsegmente und dort vorherrschende Geschäftsmodelle der Logistik skizziert, denen ganz besondere Bedeutung
343
wegen ihrer Größe und Wachstumsdynamik zugerechnet wird. Weltweite Seecontainerlogistik
Die Zahl weltweit im Seeverkehr beförderter Container wird 2007 auf über 143 Mio. TEU pro Jahr geschätzt. Dafür sind über 400 Mio. Containerumladevorgänge in den Häfen nötig. Die Größenordnung des weltweiten Seecontainermarktes für 2007 ist auf 142 Mrd. Euro geschätzt. Es ergibt sich ein durchschnittlicher Erlös für jede Ozean- und Short-sea-Containerbewegung von knapp 1000 Euro.14 Der Anteil Europas am Weltcontainermarkt dürfte bei etwa einem Viertel des Weltmarktes liegen. Der Umsatzwert der ca. 7 Mio. Outbound-Containerbewegungen aus Deutschland kann entsprechend auf etwa 7 Mrd. Euro geschätzt werden. Die weltweiten Marktführer in diesem Geschäft sind die dänische Moller-Maersk-Gruppe mit einer Umsatz-
13 14
Vgl. dazu Stähler (2001). Quelle: Drewry Shipping Consultants www.drewry.co.uk, Stand Januar 2008. „TEU” bezeichnet eine Twenty-Foot-Equivalent-Unit.
Tab. 5: Datenübersicht zum Logistikmarkt Deutschland, Datenstand 2005
Volkswirtschaftliche Kenndaten Bruttoinlandsprodukt (BIP in Mrd. €)
Kennzahlen
Mrd. €
%-Anteile
EU-Durchschnitt
0
2.241,0
100 %
636,5
Einwohner (in Mio.)
82,5
23,5
Bruttoinlandsprodukt/Einwohner (in Tsd. €)
27,2
27,0
Erwerbstätige (in Mio.)
36,7
7,5
Landesfläche (in Tsd. km²)
357
158,3
Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km²)
231
114,3
3.973
3530
3.703,3
1065
44,9
42,3
Arbeitskosten (in € pro Monat) Logistische Kennzahlen Transportmenge absolut (Mio. t p.a.) Transportintensität (t/Einwohner p.a.)
175,7
7,8 %
6,8 %
75,6
3,4 %
2,9 %
- davon Straße, mittlere Entfernung (km)
74,5
62,6
2,8 %
2,1 %
- davon Schiene, mittlere Entfernung (km)
300,7
3,5
0,2 %
0,1 %
gesamte Logistikaufwendungen (in Mrd. €) - davon Gütertransportaufwendungen (in Mrd. €)
gesamte Logistikaufwendungen (€/t)
47,44
32,79
... nur Gütertransportaufwendungen (€/t)
20,40
13,98
... nur Lagerwirtsch./Komm. (€/t)
12,34
29,97
Quelle: Klaus/Kille (2007), S. 156
344
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
größenordnung im Seecontainertransport von 20 Mrd. Euro und über 13 Mio. beförderten TEU15, die in der Schweiz beheimatete Mediterranian Shipping Co. (MSC) mit 8,25 Mio. TEU und die taiwanesische Evergreen Marine Corp. Die bedeutendsten Seecontainerumschlagszentren sind im Jahr 2006 die asiatischen Häfen Singapur mit ca. 25 Mio. TEU-Bewegungen, Hongkong mit 23 Mio. TEU, Shanghai mit 22 Mio. TEU und Shenzhen mit 19 Mio. TEU-Bewegungen. Hamburg und Bremen liegen mit knapp 10 bzw. 5 Mio. TEU Bewegungen und überdurchschnittlichen Steigerungsraten unter den Top-20 der weltweiten Containerhäfen.16 Die Wachstumsraten der weltweiten Seecontainerlogistik haben seit den 1990er Jahren regelmäßig im Bereich von 7 bis über 10 Prozent gelegen. Dies ist eine Folge der kontinuierlichen Steigerung des Containerisierungsgrades bei Seegütern, der Intensivierung der weltweiten Arbeitsteilung als Folge der Globalisierung, des damit verbundenen starken Wirtschaftswachstums der fernöstlichen Schwellenländer und nicht zuletzt der relativen Verbilligung des Containertransports.17 Diese Rationalisierungserfolge im weltweiten Containerverkehr sind wiederum möglich geworden durch die Ausnutzung von Skaleneffekten beim Einsatz immer größerer Schiffseinheiten, verbesserte Schiffsauslastungs-
und Einsatzplanungen. Unterstützt werden diese Effekte durch Fusionen der Containeroperateure, die Entwicklung von reinen Linien- zu netzwerkartigen Fahrtenstrukturen, nicht zuletzt durch kontinuierlich voranschreitende Mechanisierung und durch die Automatisierung der Umschlagsaktivitäten. Fast alle Seeverkehrsexperten sehen eine langfristige Fortsetzung dieser Trends. Es wird eine nochmalige Verdoppelung der weltweiten TEU-Bewegungen bis 201518 vorhergesagt. Dies spricht für andauernde Wirkung auch der bisherigen Erfolgsstrategien der Marktführer im weltweiten Containergeschäft: weitere Unternehmenskonzentration durch Fusionen und Liniennetzwerkbildung, fortgesetzte Nutzung größerer Schiffseinheiten, Mechanisierung und Industrialisierung der Prozesse. Aus europäischer und deutscher Sicht bleiben dennoch Fragen zur Marktentwicklung der weiteren Zukunft offen: Könnte der Containerboom – entgegen den verbreiteten Prognosen – nicht in absehbarer Zeit an ein Plateau der Sättigung stoßen? 15 16 17 18
Stand 2006 lt. Geschäftsbericht des Unternehmens. Quelle www.hafen-hamburg.de, Stand Januar 2008. Vgl. dazu Zachzial (2000). Vgl. dazu Zachzial (2006) und dort genannte Quellen.
Abb. 2: Verteilung der Logistikaufwendungen in Deutschland auf Marktsegmente Grenzüberschreitende Aircargo-Carrier und Leistungen der Luftfrachtspedition 7
Nationale Massengutlogistik 10
Grenzübersch. Transport- Speditionsleistungen, Schwerpunkt Seeschifffahrt u. Seehafenspedition 11
Nationaler allgemeiner Ladungsverkehr 14,5
Grenzübersch. Transport- Speditionsleistungen, Schwerpunkt Straße u. Schiene 9,6
Schwertransporte, Krandienste 0,8 Nationale Tank- und Silotransporte 5,5
KEP - Paket-, echte Kurier- und spezialisierte Expessdienste 9
Terminaldienste, nicht integrierte Lagerei-, Umschlags- und sonstige logistische Zusatzleistungen 19 High-Tech-Güter, Messelogistik, Neumöbel- und Umzugstransporte 4,5 Hängende-Kleider-Logistik 0,6
Quelle: Klaus/Kille (2007), Datenstand 2005
Nationale sonstige Ladungsverkehre mit speziellem Equipment 8,5
€ 175 Mrd.
Nationaler allgemeiner Stückgutverkehr 5,5 Konsumgüterdistribution und Konsumgüterkontraktlogistik 21,5 Industrielle Kontraktlogistik, insb. industrielle Produktionsversorgung und Ersatzteilversorgung 47
Peter Klaus
Eine solche Frage begründet sich zum einen aus dem Zweifel, ob die Importmengen per Container aus Asien, die zu hohen Anteilen Waren für den privaten Verbrauch und Gebrauch betreffen, angesichts stagnierender Bevölkerung und geringem Wohlstandswachstum in Mittel- und Westeuropa langfristig noch so steigerungsfähig sind, wie das die Prognosen unterstellen. Ein solcher Zweifel kann auch für die Export- und Importvolumen an Industriegüter-Containerfracht begründet werden, die vom Offshoring von industrieller Produktion aus Deutschland und Europa getrieben sind. Bei einer stagnierenden, eher sogar rückläufigen hier verankerten industriellen Beschäftigung und Wertschöpfung könnten bald Grenzen der Steigerung der Arbeitsteiligkeit und Stufigkeit erreicht werden. Die hiesigen Volkswirtschaften entwickeln sich immer mehr zu post-industriellen, auf Dienstleistungen basierenden Strukturen mit quantitativ stagnierender materieller Industriegüterproduktion. Dürfen – vor diesem Hintergrund – die oft zweistelligen Wachstumsraten des Containerverkehrs der vergangenen Jahre noch auf weitere Jahrzehnte extrapoliert werden? Systemverkehrsnetzwerke für Paket- und Expressfracht, Stückgüter und Truckloads
Ein weiteres, ganz besonders dynamisches Feld logistischer Aktivitäten sind die Systemverkehrsnetzwerke. Unter diesem Begriff sollen mehrere Marktsegmente zusammengefasst werden, die aus der Sicht ihrer Leistungsarchitekturen, Erfolgsfaktoren, Entwicklungstrends und Zukunftsperspektiven ähnliche Merkmale aufweisen: die Märkte für Paket- und Expressfracht (KEP), für landge-
345
bundene Stückgutfracht, auch für die standardisierte Distribution von Food- und Non-Food-Konsumgütern von den Markenartikelherstellern an den Einzelhandel und die sich entwickelnden Märkte für nicht-spezialisierte Ladungsund Teilladungsferntransporte per Lkw. Die gemeinsamen Merkmale dieser Märkte sind: •
•
•
•
ein sehr hohes absolutes Sendungs- und Tonnagevolumen, das sich für die Abwicklung in Massenproduktionssystemen mit hohem Standardisierungsgrad eignet; eine flächig verteilte Nachfrage, die eine flächendeckende Präsenz der Logistikanbieter bzw. die Vorhaltung von verteilten Bedienungsdepots und lückenlos abgedeckten Bedienungsgebieten fordert; ein hohes Interesse der Verlader an der Möglichkeit, zur Minimierung von Transaktionskosten ihre täglich wechselnden Auftragsvolumen an einen bzw. an wenige Netzwerkanbieter abgeben zu können (One-StopShopping), dabei sich auf einheitliche Leistungsqualität, übersichtliche Preisstrukturen, durchgängige Sendungsverfolgung (Tracking- und Tracing) verlassen zu können.
Solche industrialisierten19 Systemverkehrsnetzwerke haben sich in den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern Schritt für Schritt entwickelt. Sie erfordern hohe Startinvestitionen der Anbieter in Form der Depot- und Hubnetzwerke und IT-Systeme, der Sicherung täglich verfügbarer,
19
Vgl. zum Konzept der Industrialisierung von Dienstleistungen Levitt (1972, 1976).
Tab. 6: Summarische Übersicht der Ist-Daten zu den Logistikaufwendungen „global“.
Datenstand 2006
Welt
Fernost
USA
EU 29
davon 12 EUBeitrittsländer
Deutschland
11 481
662
2241
503
103
82
1020
800
61
175
142
40
35
7
(Quelle Armstrong 2007)
(Quelle Armstrong 2007)
(Quelle Wilson 2007)
(Quelle Klaus/Kille 2007)
37 600
6640
10 300
Einwohner (EW) in Mio.
6400
3000
300
Logistikaufwand € Mrd. (gesamt)
4217
985
BIP (in € Mrd.)
(Quelle Klaus/ Kille 2007)
davon "realisierte" Log.-Dienstl.: - Container
€ Mrd.
- Integrator
"
30
15
8
2
- Landgeb. KEP
"
50
25
18
5
- Stückgut-Netze
"
50
20
20
6
- Kontraktlogistik
"
170
80
78
17
Hinweis: Die Segmentaufteilungen beruhen mangels präziser Daten z. T. auf freien Schätzungen.
346
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
zumeist fahrplanmäßig operierender Transportkapazitäten, der Beherrschung der Komplexität und Kontinuität der Leistungsqualität solcher Netzwerke. Sie decken aufgrund überlegener Preis-Leistungs-Relationen für die Verlader wachsende Anteile der Logistik-Gesamtnachfrage ab. Zuerst entwickelten sich industrialisierte Systemverkehrsnetzwerke im Bereich kleinstückiger Paketfracht. Pionier dieses Marktes – zugleich einer der Pioniere industrialisierter Dienstleistungssysteme überhaupt – war das US-amerikanische Unternehmen UPS. UPS begann die Strategie der Industrialisierung seit der Nachkriegszeit systematisch umzusetzen und gilt bis heute als Referenzunternehmen mit einem Weltumsatz von 50 Mrd. US-Dollar bzw. 33,4 Mrd Euro. 20 Der Markt für industralisierte KEP-Dienste lässt sich grob in zwei Subsegmente teilen:
•
Das Integratorsegment wächst sehr kräftig – mit Raten oberhalb des auf gut 6 Prozent geschätzten Wachstums des gesamten weltweiten Luftfrachtmarktes.22 Treiber sind die Globalisierung und das überdurchschnittliche Wachstum der Logistiknachfrage für hochwertige, terminkritische
20
Die luftfrachtbasierten weltweiten Integratorsysteme von UPS, FedEx, DHL, TNT und einigen nationalen Anbietern mit einem kräftigen Weltumsatzvolumen von über 30 Mrd Euro. 21 Die landtransportbasierten nationalen und kontinentalen Paket- und Expressfrachtmärkte in Nordamerika,
•
•
Europa, erst ansatzweise in Asien, in denen UPS, FedEx-Ground, DHL, aber auch europäische Organisationen wie DPD, GLS und nationale Akteure tätig sind. Das kombinierte Weltumsatzvolumen landgebundener industrialisierter Paket- und Expressfracht dürfte 50 Mrd. Euro weit überschreiten. Europa dürfte an diesen Märkten heute etwa ein Drittel, Deutschland wiederum ein Viertel am europäischen Markt repräsentieren.
21
22
Pressenotiz UPS zum vorläufi gen Jahresergebnis 2007 über alle Geschäftsfelder vom Januar 2008, Umrechnung der US-Dollar-Umsätze zum aktuellen Kurs von 1,48 Dollar/ Euro. Die Abgrenzung zum traditionellen Luftfrachtgeschäft der Airfreight-Carrier und Forwarder ist unscharf, von denen die industrialisierten Integratoren kontinuierlich Marktanteile gewinnen. Vgl. die „World Air Cargo Forecast 2006-2007“ von Boeing, Quelle www.boeing.com/ Commercial/cargo/01 vom Januar 2008 und IATA, www.iata..org/economics, die das weltweite Airfreight-Carrier-Umsatzvolumen auf ca. 50 Mrd. Euro veranschlagen.
Abb. 3: Abhängigkeit der Logistikaufwendungen pro Einwohner vom Entwicklungsstand der Wirtschaft (gemessen am BIP pro Einwohner) Log. Kosten/EV 4,0 3,5
US
3,0
SE NL
2,5
BE D
2,0 1,5
0,0
GR
EE
LPL
China IND
0,0
RO
CY
E CH
UK A
ES F I
LV
1,0 0,5
DK
CZ RO
SI PT MT
RO
BG
5,0
10,0
15,0
20,0
25,0
30,0
35,0
40,0
45,0
BIP pro Einwohner Quelle: Klaus/Kille (2007) S. 55, Datenstand 2005
Peter Klaus
Güter und das Bedürfnis der verladenden Wirtschaft nach integrierten, qualitätsgesicherten, einfach zu handhabenden Services. Die Integratoren verdichten ihre Netze und erschließen schrittweise auch die wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen des Globus. Dadurch – sowie durch die noch auf längere Sicht möglichen Marktanteilszugewinne von der traditionellen Luftfracht – werden sie noch auf längere Sicht überdurchschnittliche Wachstumsraten realisieren können. Für die landgebundenen KEP-Dienste in den „reifen“ Ländern Nordamerikas und Europas verlangsamt sich hingegen seit einigen Jahren das Wachstum. Die Nachfrage für diese Dienste ist weitgehend erschlossen, sodass wesentliche Marktanteilsgewinne nicht mehr möglich sind. Das längerfristige Wachstum dürfte sich in die Nähe des realen Wirtschaftswachstums der jeweiligen Länder einpendeln. Osteuropa, Asien, später auch andere Weltregionen sind für die landgebundenen KEP-Dienste noch weitgehend zu erschließen. Mit einigem zeitlichen Abstand wurden die Konzepte des industrialisierten Paketversandes seit den 1960er und 1970er Jahren in den USA, seit Ende der 1980er Jahre auch in Europa auf den Versand von Industriestückgütern (Less-than-Truckload/LTL) übertragen – palettisierte und andere verpackte Fracht im Sendungsgewichtsbereich zwischen ca. 30 und 2500 kg. In den USA hat sich in der Folge ein dramatischer Konzentrationsprozess vollzogen. Die fünf größten Systeme mit dem heutigen Markt führer YRC halten ca. 60 Prozent des dort auf über 30 Mrd. US-Dollar geschätzten Stückgutmarktes 23. In Europa kann der industrialisierte Stückgutmarkt auf 20 Mrd. Euro geschätzt werden. Davon entfallen ca. 5,5 Mrd. Euro auf Deutschland, sodass der Weltmarkt mit Japan und den sich ansatzweise entwickelnden industrialisierten LTL-Märkten in China auf 50 bis 60 Mrd. Euro zu veranschlagen ist. Für die langfristige Entwicklung ist in den reifen Ländern eine Annäherung der Wachstumsraten an das reale Wirtschaftswachstum zu erwarten, jedoch eine schrittweise Erschließung zunächst der Schwellenländer mit industrialisierten Stückgutnetzwerken zu Lasten der traditionellen handwerklichen, vorindustriellen schlichten Formen der Transportabwicklung. Zuletzt ist auf ähnliche Industrialisierungsentwicklungen hinzuweisen, wie sie sich bei KEP und LTL und auch für die standardisierte Distribution von Konsumgütern und im Advanced Truckload-Geschäft in den USA vollzogen haben. Gerade für das Letztere scheinen sich beachtliche Wachstumspotenziale auch in Europa aus den Tendenzen
zu stärker gebündelter und zentralisierter Logistik der Verlader und durch Abbau von Werksverkehrsflotten und selbstständigen Trucker-Kapazitäten zu ergeben. Kontraktlogistik
Ein besonders dynamisches, Wachstumspotenziale versprechendes, für Marktanalysen aber auch problematisches Segment logistischer Aktivitäten ist die Kontraktlogistik. Die Schwierigkeiten beginnen bei der Definition. Im USamerikanischen Sprachgebrauch ist dieser Markt zumeist als „Third Party Logistics Service Provider“-Segment (3PL) bezeichnet. Es werden wechselnd aber auch Begriffe wie 4PL, „Lead Logistics Provider“ (LLP) benutzt. Für die Zwecke dieser Diskussion sollen unter dem Begriff Kontraktlogistik Geschäfte und Geschäftsmöglichkeiten verstanden werden, bei denen: •
•
•
•
mehrere logistische Funktionen zu einem Leistungspaket erhöhter Komplexität integriert sind (also nicht nur Transport, Lagerung oder Auftragsabwicklung), die längerfristig vertraglich abgesichert (eben durch einen mindestens einjährigen, meistens jedoch mehrjährigen schriftlich fi xierten Kontraktrahmen zwischen Auftraggeber und dem Dienstleister) vergeben werden, und zwar in einer individuell den Bedürfnissen des Verladers angepassten und ausgestalteten Weise, bei einem Geschäftsvolumen, das ein erhebliches Mindest-Jahresgeschäftsvolumen überschreitet (praxisgerecht ist ein Kontraktumsatz von mindestens 0,5 bis 1 Mio. Euro p. a.).24
Der potenzielle Markt für Kontraktlogistik schließt somit einen großen Teil der komplexeren Logistikaktivitäten ein, die in der Vergangenheit als Inhouse- bzw. Intralogistik von Industrie und Handel selbst durchgeführt wurden. Seit den 1990 er Jahren führt die Tendenz zum Outsourcing von nicht als Kernkompetenz erachteten Leistungen dazu, dass solche Logistikaktivitäten-Leistungspakete an qualifizierte Logistikdienstleister übergeben werden. Die Tendenz dazu dürfte sich in den kommenden Jahren weltweit und rapide fortsetzen. Daraus ergibt sich ein potenziell riesiger, noch stark ausbaufähiger Markt für qualifizierte Logistikdienstleister. Dieser wird neben den damit verbundenen Wachstumserwartungen auch deshalb als besonders attraktiv 23 24
Vgl. Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) S. 6. Vgl. Klaus (2007) S. 94.
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348
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
eingeschätzt, weil er definitionsgemäß langfristige Kundenbindung und Ertragssicherheit durch erhöhte Nichtaustauschbarkeit der Partner verspricht. Die veröffentlichten Schätzungen dieses Marktes sind zu unterscheiden in solche, die das Potenzial erfassen, und solche, die die Umsatzwerte der jeweils tatsächlich outgesourcten Logistikleistungen betreffen. In den „Top 100“-Studien wurde das europaweite Potenzial für Kontraktlogistik-Geschäfte auf ca. 313 Mrd. Euro – also 39 Prozent des Gesamtaufwandsvolumens für Logistik in Europa – veranschlagt. Daraus ergäbe sich eine Schätzung für ein derzeitiges weltweites Potenzial, das zwei- bis zweieinhalbmal so groß, also 600 bis 750 Mrd. Euro sein könnte.25 Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) schätzen das weltweit realisierte Kontraktlogistikvolumen auf 225 Mrd. US-Dollar bzw. 175 Mrd. Euro. Armstrong schätzt dieses für 2006 auf 427 Mrd. US-Dollar bzw. 281 Mrd. Euro.26 Vom englischen Beratungsunternehmen Transport Intelligence wird eine niedrigere Marktschätzung von 129 Mrd. Euro weltweit genannt.27 Die „Top 100“-Schätzung bereits realisierter Kontraktlogistik-Volumen für Europa 2005 beläuft sich auf ca. 78 Mrd. Euro. Dazu ist ein realisierter Kontraktlogistikanteil in den USA von etwa weiteren 80 Mrd. Euro28 sowie ein kleineres Volumen in Fernost zu rechnen, sodass sich eine Schätzung derzeit im Weltmarkt realisierter Kontraktlogistikgeschäfte von ca. 180 Mrd. Euro ergäbe. Umsatzstärkster Anbieter in diesem Markt ist mit deutlichem Abstand DHL mit etwa 11 Mrd. Euro. Im Wettbewerb der Kontraktlogistikanbieter lassen sich zwei prinzipielle Erfolgsstrategien und Subsegmente erkennen: •
•
Eine „Multi-User-Center“-Strategie, wie sie z. B. das in Deutschland führende Unternehmen Fiege mit seinen Megacenters verfolgt. Es kehren hier Elemente der oben beschriebenen Industrialisierungsstrategie wieder, wie die Bemühung um Gewinnung von Skaleneffekten aus der Bündelung von Ressourcen und Geschäften oder der kundenübergreifenden Standardisierung von Prozessen. Eine Strategie strikt dedizierter Kontraktlogistikangebote für jeden einzelnen Kontrakt, bei der der Grad der Anpassung und Integration der Dienstleisteraktivitäten in die Prozesse der jeweiligen Kontraktgeber maximal gesteigert, damit die Nicht-Austauschbarkeit erhöht und eine verbesserte Preis-Unabhängigkeit angestrebt wird. Eine solche Strategie wird insbesondere auch von mittelständischen Anbietern erfolgreich eingesetzt. Im Rahmen
solcher Kontrakte werden zunehmend auch Leistungselemente einbezogen, die nicht mehr logistisch sind, wie etwa leichte Montage- und Kundendienstarbeiten, Facility Management, Call-Center und Vertriebsaktivitäten. Die Wachstumspotenziale für die Kontraktlogistik sind angesichts des noch relativ geringen Outsourcing-Grades selbst in den reifen nordamerikanischen und europäischen Ländern und der zusätzlichen riesigen Entwicklungspotenziale in den Schwellenländern sehr groß. Sie werden eher von der Fähigkeit der Anbieter begrenzt sein, die dafür benötigten qualifizierten Personal- und Sachressourcen bereitzustellen und mit hoher Qualität und Effizienz zu beherrschen. Damit ergeben sich erwartete Wachstumsraten von 10 bis 15 Prozent p. a. in der Kontraktlogistik für die kommenden Jahre.29
Längerfristige Entwicklungen der Logistik und die Zukunftsherausforderungen systematischer Market Intelligence für die Logistik Die Vorstellung der Schätzungen und Überlegungen bis hierher hat gezeigt, dass im Bereich einiger elementarer Größenordnungen und Trendannahmen durchaus Konvergenzen bezüglich der globalen Einschätzungen bestehen. Eine zusammenfassende und ergänzende Übersicht der Ist-Daten, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten des Beitrages berichtet wurden, ist in Tabelle 6 zu finden. Es lassen sich schließlich einige Thesen zu den Treibern des Wachstums der Logistikdienstleistungsmärkte identifizieren: •
Der wichtigste einzelne Wachstumstreiber für die nationalen Logistikaufwendungen ist der wirtschaftliche Entwicklungsstand der Länder, wie Abb. 3 nahelegt: Mit wachsendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner 30 steigen die Logistikaufwendungen pro Einwohner.
25
Vgl. oben Tabelle 4 – Europa Gesamtlogistik 800 Mrd. Euro. Gem. den Schätzungen von Armstrong in Tab. 2 hat Europa einen Anteil an den Welt-Logistikaufwendungen von knapp 30 Prozent. Die Kontraktlogistikpotenziale in den wirtschaftlich weniger entwickelten Teilen der Welt sind derzeit noch wesentlich geringer zu unterstellen als in den entwickelten Regionen. Es ist bei allen Dollar/Euro Umrechnungen zu beachten, dass diese stark von den Zufälligkeiten des jeweiligen Kursverhältnisses beeinfl usst werden, vgl. oben die Fußnote 10. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in amerikanischen Quellen das „internationale Forwarding“-Geschäft der Spediteure zur Kontraktlogistik gezählt wird, vgl. Homepage von Armstrong & Associates <www.3plogistics.com> März 2006, das nach der hier gewählten Defi nition auszuklammern wäre. Vgl. DVZ Nr. 139 vom 20.11.2007, S. 1, „Kontraktlogistik wächst weltweit um 10 Prozent“. Das heißt um die „Forwarder“-Anteile reduzierter Umsatz. Vgl. dazu u. a. Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) und Lieb (2007). hier als Maß des Entwicklungsstandes der Länder genutzt.
26
27 28 29 30
Peter Klaus
Dies bedeutet, dass die logistisch bereits hoch entwickelten, reifen Volkswirtschaften, wie die Deutschlands, aus dieser Entwicklung keine besonderen Wachstumsimpulse beziehen können, die weniger entwickelten dagegen sehr kräftige. Weitere wichtige Treiber des Logistik-Marktwachstums liegen in: •
•
den Zugewinn-Potenzialen mehrerer Marktsegmente aus der fortschreitenden Globalisierung und Dislozierung. Sie treffen besonders für das weltweite Containerverkehrs- und das Integrator-Geschäft zu, weniger für die nahräumig abzuwickelnden nationalen Landverkehre und das Konsumgüter-Distributionsgeschäft. der Erschließung der Outsourcing-Potenziale durch weitere Umschichtung von Aktivitäten aus den primären Wirtschaftsbranchen von Industrie und Handel in den Logistikdienstleistungssektor. Diese sind im Segment der Kontraktlogistik noch hoch, in Segmenten wie den KEP- und Stückgutsystemverkehren der reifen Länder minimal, für das Trucking in einem mittleren Bereich.
Abbildung 4 fasst die Thesen zu den Wachstumstreibern und deren tendenzielle Wirkungen auf die in diesem Beitrag angesprochenen Marktsegmente schlaglichtartig zusammen. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, wie außerordentlich komplex und – in weiten Bereichen – noch
von unsicheren Datengrundlagen gekennzeichnet die Bemühungen um bessere Market Intelligence für die Logistik sind. Unternehmerische Strategien, Infrastrukturinvestitionen, wirtschafts- und umweltpolitische Eingriffe sollten aber ohne solide Datengrundlagen nicht geplant und umgesetzt werden. An die nationalen Regierungen und internationalen Institutionen wie die Europäische Kommission, deren statistische Ämter, die großen Logistikverbände und auch an die akademische Community, bleibt die Forderung zu stellen, dass die Datenbereitstellung für die Logistik weiter verbessert wird. Für einen so wichtigen Bereich und Erfolgsfaktor der Wirtschaft darf es nicht dabei bleiben, dass unternehmerische Strategien, Infrastrukturinvestitionen, wirtschafts- und umweltpolitische Eingriffe ohne solide Datengrundlagen geplant und umgesetzt werden! Literaturverzeichnis Armstrong and Associates (2007) „Estimating Global Logistics Spending“ in: Commonwealth Business Media, Logistics Focus 2007, East Windsor NJ/USA. Bowersox DJ (1969): Logistical Management. A Systems Integration of Physical Distribution Management, Material Management, and Logistical Coordination, New York London. Bowersox DJ; JR Calantone (1998) Executive Insights: Global Logistics: Journal of International Marketing, Vol. 6 No. 4:89–93 Bowersox DJ; JR Calantone; AM Rodriguez (2003) Estimation of Global Logistics Expenditures using Neural Networks. Journal of Business Logistics 24 2: 21–36. Bundesministerium (ViZ 2007) für Verkehr, Bau- und Wohnungs wesen (Hrsg.), Verkehr in Zahlen 2007/2008, DVV Media Group Hamburg.
Abb. 4: Tendenzielle Wirkungen der Wachstumstreiber auf die längerfristigen Wachstumsperspektiven der Logistik-Marktsegmente hoch hoch
niedrig
Wachstum aus Disiozierung/Globalisierung
hoch
~ 15 % ~ 12 %
„D/EU West“ Seecontainer „EU-Ost“
Kontraktlog. „EU-Ost“
„D/EU West“ Integrators „EU-Ost“
~5%
~ 10 %
Truckload „EU-Ost“
„D/EU West“ landgeb. Parcel „EU-Ost“
~ 10 %
~8%
„D/EU West“ Stückgut-Systeme „EU-Ost“
~0%
~5%
„D/EU West“ Konsumgüter-Logistik „EU-Ost“
Basiswachstum: plus „reales BIP“ minus „Prod.gewinn“ Wachstum aus erhöhter Arbeitsteiligkeit niedrig
hoch
s Au m au u t s h Wac niedrig
öpf ssch
ung
Outs
o
gpo urcin
iale tenz hoch
349
350
Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft
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Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
Mark Goh Associate Professor, Department of Decision Sciences, The Logistics Institute – Asia Pacific and NUS Business School, Singapore Luo Lei Assistant Professor, Xi‘an Jiaotong School of Management, China Robert de Souza Executive Director, The Logistics Institute – Asia Pacific, Singapore
Prof. Dr. Mark Goh Goh is with the Department of Decision Sciences, School of Business, NUS. He holds a Ph.D. from the University of Adelaide. In the National University of Singapore, he holds the appointments of Director (Industry Research) at The Logistics Institute – Asia Pacific and was a Program Director of the PennState NUS Logistics Management Program. He has worked for numerous outstanding logistics institutes worldwide. His other professional affiliations include memberships of INFORMS, and the Academy of International Business. He has been involved in executive training for various key organisations in Singapore. Goh has also acted as a consultant to organisations. He is currently on the editorial board of distinguished Journals.
Dr. Luo Lei Lei is an assistant professor with the Xi‘an Jiaotong University, School of Management. She obtained her Phd from the NUS Business School.
Prof. Dr. Robert de Souza De Souza is the Executive Director of The Logistics Institute – Asia Pacific (TLI – Asia Pacific). He is a Chartered Engineer and a distinguished writer, speaker, consultant and advisor in the area of supply chain management. Prior to this appointment, effective May 1st 2004, de Souza served as Deputy Executive Director (Industry) and IT Director at TLI – Asia Pacific. Previously, de Souza was Executive Vice President (Asia Pacific) for V3 Systems. His extensive tenure in the industry also includes serving as the Corporate Senior Vice President and Global Chief Knowledge Officer at Viewlocity Inc. and co-founder, Vice Chairman and CEO of SC21 Pte, Ltd. He has worked for numerous outstanding logistics institutes worldwide. De Souza is a member of the Editorial Boards of distinguished journals.
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
Introduction In today’s competitive business environment, the ability of a firm or a network of firms to distribute goods and services to the final market quickly and at minimum cost is often the difference between securing a profi t and suffering a loss. Currently, the global cost of logistics is estimated at around USD 3.5 trillion and the average cost of logistics and movement is estimated to be about 21% of the selling price of a product respectively (http:// www.bangkokbank.com/download/Update_The_Logistics_Business_EN.pdf). There are two basic measures of logistics performance: cost to serve and time to value (this is often interpreted as service quality). At the macro-economic level, logistics cost as a percentage of GDP is generally used to measure and calibrate a country’s logistics efficiency and hence competitiveness in trade. For the advanced industrialized nations such as the U.S., the U.K., and Japan, logistics cost typically forms 10%, 7%, and 11% of GDP respectively. In Asia, however, the same cannot be said. For instance, logistics cost in Asia can vary greatly, from a low of 8.3% in Singapore to as high as 40% in similarly small sized countries such as Brunei (http://www.bangkokbank.com/download/ Update_The_Logistics_Business_EN.pdf). Indeed, logistics cost for many countries in Asia are high compared to those of the developed countries. Some commonly cited reasons for this variance include poor transport infrastructure, underdeveloped transport and logistics services, and slow and costly bureaucratic procedures for dealing with both import and export (EXIM). In this paper, we use secondary data to investigate the logistics development of 17 selected economies in Asia and attempt to classify the logistics environment so as to provide a sense of the state of logistics maturity within the different geographies in Asia. Figure 1 places 10 countries, based on open domain data, on a graph of global competitiveness and logistics cost. The Global Competitiveness Index (GCI), published by the World Economic Forum ( World Economic Forum 2007), measures the set of institutional factors, policies, and other variables that set the sustainable current and medium-term levels
of economic prosperity. The GCI can be regarded as a comprehensive metric based on PEST analysis as it is a weighted average score of over 90 variables, ranging from 1 (=least competitive) to 7 (=most competitive). The GCI provides a holistic overview of factors that are critical to driving productivity and competitiveness, and groups the factors parsimoniously into nine pillars: (1) institutions; (2) infrastructure; (3) macro economy; (4) health and primary education; (5) higher education and training; (6) market efficiency; (7) technological readiness; (8) business sophistication; and (9) innovation. Before developing the results any further, this paper categorically assumes that efficient logistics can increase the cost (and hence trade) competitiveness of nations. Therefore, we would reasonably expect a negative relationship between logistics cost and a country’s competitiveness. Our sample shows an empirical correlation of -0.902 (p < 0.001) of these two variables. Countries lying at the North-west corner of Figure 1 are those with better competitiveness and lower logistics cost (hence higher logistics efficiency). These countries such as Australia, Hong Kong, Japan and Singapore belong to a Tier 1 group, with the best competitiveness and logistics efficiency. These countries share the following characteristics: (1) exports have shifted toward high-technology manufacturing and services; (2) logistics costs are at very competitive levels; (3) transport volumes are high; and (4) multimodal linkages are well developed. The challenge for this logistics group is to maintain logistics cost competitiveness and to improve service quality in line with the advent of disruptive technology. In short, these countries possess superior logistics environments. Next, Taiwan, South Korea and Malaysia are located round about the middle of Figure 1, suggesting a relatively good and acceptable logistics environment. Compared to the earlier group, this group (Tier 2) still faces logistics challenges in that policies and institutions to encourage multimodal transport are available but need further development and improvement. In short, these countries possess acceptable logistics environments for the time being.
356
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
Third, China, India, Brunei, the Philippines, and Thailand are among the below average logistics environment regimes. For all these countries, transport policies lack consistency and predictability, and policy coordination among the different agencies and the various tiers of government is poor. The state of logistics is rather rudimentary, with multimodal transportation only in an early stage of development. Transportation inefficiencies persist, particularly in rural areas. For example, in China and India, local authorities and other agencies usually mete out illegal road tolls to increase their informal revenue. Such behavior, while socially acceptable in the local context, only serves to erode international trade competitiveness. The low penetration of the foreign Logistics Service Providers (LSPs) is also an indicator of the state of infancy of logistics development and maturity in these countries. Many behind the border logistics challenges exist. First, trade documentation faces serious difficulty when goods are transported from an inland origin or to an inland destination. Second, customs clearance is troublesome and time consuming. Freight forwarders in the interior of China highlight that inland transport costs account for about two-thirds of the total export transport costs from China (World Bank 2003). The cost of internal access to ports is greater than the costs associated with port or
international transport. This may constrain the development of rural areas to enjoy the benefits of trade-induced growth. Lastly, the countries that contribute to the structurally weak logistics environment include those of Cambodia, Indonesia, Laos, Myanmar, and Vietnam. Due to data limitation, Cambodia, Laos, and Vietnam are excluded from our competitiveness-logistics cost analysis of Figure 1. Many countries in the Tier 4 group, especially the landlocked countries such as Laos, suffer from chronic transport infrastructure deficits. Roads are frequently closed and services suspended. For example, roads in Myanmar are poorly maintained. Many roads are unpaved, and during the rainy season, some parts of the road network become impassable. Around 41% of the population of Laos live more than 6 km from a main road. Again, many dirt roads are impassable during the rainy season. Over 10% of the villages in Vietnam are inaccessible by road for at least a month each year (Country profile, The Economist Intelligence Unit). Due to the poor road conditions, large commercial vehicles can not pass. Using the smaller vehicles and vessels imposes high operating costs. In many Asian countries, marine transport serves about 90% of the countries’ import and export activities. As a result, freight cost forms a significant component of the total logistics cost. The freight cost used in this paper is the
Fig. 1: Contribution of logistics cost to country competitiveness Global Competitiveness Index 5.80 % 5.60 %
Singapore
Japan Hong Kong
5.40 %
Taiwan
Australia
5.20 %
South Korea
Malaysia
5.00 % 4.80 %
Thailand
4.60 %
India
4.40 %
China
4.20 % 4.00 %
8.0 %
10.0 %
12.0 %
14.0 %
16.0 %
18.0 %
20.0 %
22.0 %
Logistics % GDP
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
average US dollar cost of transporting a twenty-foot container (TEU) from major ports in China to overseas destinations. Figure 2 shows the global competitiveness and freight cost relationship to measure the efficiency of marine transport. For our sample in this study, the correlation between the GCI and freight cost is -0.640 (p = 0.018), suggesting that the higher the freight cost, the worse is the logistics efficiency. As distance is a key factor for transportation cost, we expect those economies physically close to China to have a lower freight cost. However, the freight cost from China to Singapore is less than that of Malaysia, Thailand, the Philippines, and Indonesia. This is attributed to the better logistics services offered in Singapore. Indeed, the major success factors for the ports of Singapore and Hong Kong are their transaction-cost and time-cost advantages. Other advantages include their efficient auxiliary services (particularly customs and freight forwarding), less congested road access, and better links to international transport networks. Figures 1 and 2 suggest that economies with higher GCI scores also enjoy higher incomes and trade values. This relationship runs both ways. Economies with fewer political barriers to trade (as indicated by the lower GCI) enjoy greater returns to logistics investments, because the demand from advanced manufacturing may push the private sector to improve the logistics services. Countries with better logistics services will facilitate the free movement of goods and improve trade.
357
In general, there are two factors influencing logistics efficiency. The first is devotion to expanding hard infrastructure such as airports, highways, and shipping ports. The second is to improve other network components such as efficient customs clearance, information system services, and quality trucking services. These can be achieved by expediting customs clearance, automating the trade documentation process, and making processing times more consistent. We now compare the infrastructure of the 17 countries on an aggregated level and highlight some problems faced.
Transportation Infrastructure Infrastructure investment levels vary greatly across Asia. China, with the fastest GDP growth in the world, invests heavily in infrastructure. Since 2002, gross fi xed capital formation has averaged about 40% of GDP in China. Much of this investment has been on infrastructure. Vietnam has a very high investment rate too (30% of GDP). Thailand’s infrastructure investment is more than 7% of GDP. However, Cambodia, Indonesia and the Philippines have infrastructure investments of less than 4% of GDP (Asian Development Bank 2005). Table 1 compares the total road network of the 17 economies. Columns 2 and 3 show the length of road and road density in each country, respectively. Column 4 indicates
Fig. 2: Freight cost and country competitiveness Global Competitiveness Index 6.00
Singapore
Japan 5.50
Hong Kong
Taiwan South Korea
5.00
Australia Malaysia Thailand
4.50
India Indonesia
4.00
Philippines
Vietnam
3.50
Cambodia
3.00 2.50 2.00
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
1000
Freight cost to the largest part
358
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
the percentage of roads paved, which is an important measure of the quality of the infrastructure. China has the most rapid road network growth in recent years, at an average annual rate of 5.6%. However, its road conditions are relatively poor compared to the developed countries in Asia. Likewise, Cambodia, Laos, Myanmar and the Philippines suffer from poor basic road access. In contrast, Hong Kong, Taiwan, Singapore and Thailand have more than 95% of their roads paved. The road density is high in Hong Kong, Taiwan, Japan, and Singapore. Figure 3 shows the infrastructure quality ranking of East Asian economies (1 = worst, and 7 = best). It would appear that sustained investment and efficiency in operations have helped some economies in Asia such as Malaysia and Thailand to achieve considerable competitive advantage across infrastructure related sectors. However, the performance of China, Indonesia, Vietnam and the Philippines are less impressive. This is particularly disap-
pointing for countries such as China and Vietnam, as they have invested heavily in their infrastructure. Poor coordination between the planning and financing agencies may explain the poorly and inefficiently resourced infrastructure undertakings. On rail transport, Australia, China and India feature strongly. In 2005, China’s rail network reached 75,400 km, which surpassed India as the country with the largest rail network in the Asia Pacific (Country profile, The Economist Intelligence Unit). Indeed, railways form the backbone of China’s transport system, carrying around a quarter of the total freight measured in ton-km, and a third of passengers measured by passenger-km. However, the rail network in China is congested and suffers from unreliable schedules, for both cargo and passengers, especially during the national public holidays. Many countries, including India experienced no expansion of the overall rail network, whereas Cambodia, Japan and Vietnam experienced a decrease in their railways. Of these countries, Vietnam experienced
Tab. 1: Road network
Australia Brunei Cambodia China
Length of Roads (km)
Road Density (km/100 km2)
Road Status
913,000
12
38.7% paved
3,358
58
38,300
22
34.7% paved; over 2,525 km of good quality roads made of asphalt, concrete and other materials 11.6% paved; 28% of national road (4,800 km) paved
1,930,500
19
28.3% paved
1,955
178
100% paved
36,288
101
95.5% paved
3,319,644
10
50% paved; national highways cover 57,700 km
370,516
20
59% asphalt-covered; 46.3 % paved
1,180,300
312
South Korea
86,990
88
25.4% paved (89.9% main national roads paved, main national roads 54,100 km) 74.5% paved
Lao
31,000
14
less than 20% paved
Malaysia
77,695
20
75.3% paved
Myanmar
28,200
8
12.2% paved
Philippines
201,994
68
19.8% paved
Singapore
3,200
467
Thailand
63,730
12
97.5% paved
Vietnam
126,000
29
35% covered with asphalt; 25.1% paved
Hong Kong Taiwan India Indonesia Japan
100% paved; Total length of all expressways is 150 km
Source: Country Profile, The Economist Intelligence Unit. If country profile does not have required information, then we obtain the data from the country’s URL.
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
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Fig. 3: Infrastructure quality ranking
Overall infrastructure quality
Telephones
Electricity supply
Malaysiaa
Malaysiaa
Malaysiaa
Thailandd
Thailandd
Thailandd
Chinaa
Chinaa
Chinaa
Indonesiaa
Indonesiaa
Indonesiaa
m Vietnam
m Vietnam
m Vietnam
Philippiness
Philippiness
Philippiness
Singaporee
Singaporee
Singaporee
Hong Kongg
Hong Kongg
Hong Kongg
Koreaa
Koreaa
Koreaa
Taiwann
Taiwann
Taiwann
Japann
Japann
Japann
0.0
2.0
4.0
6.0
8.0
0.0
Railroads
2.0
4.0
6.0
8.0
0.0
Ports Malaysiaa
Malaysiaa
Thailandd
Thailandd
Thailandd
Chinaa
Chinaa
Chinaa
Indonesiaa
Indonesiaa
Indonesiaa
Vietnam m
Vietnam m
Vietnam m
Philippiness
Philippiness
Philippiness
Singaporee
Singaporee
Singaporee
Hong Kongg
Hong Kongg
Hong Kongg
Koreaa
Koreaa
Koreaa
Taiwann
Taiwann
Taiwann
Japann
Japann
Japann
2.0
4.0
6.0
8.0
0.0
2.0
4.0
6.0
8.0
6.0
8.0
Air Transport
Malaysiaa
0.0
2.0
4.0
6.0
8.0
Note: The rankings are shown for developing East Asian economies (green) and advanced East Asian economies (blue). The dark blue vertical bar is the mean for all surveyed countries. Source: World Economic Forum, 2003.
0.0
2.0
4.0
360
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
the greatest decrease, at an average annual rate of 3.24% (Asian Development Bank 2005). The rail network of Indonesia experienced the fastest growing over the period of 1997 to 2004, at an average annual rate of 8.4%. Given the diverse physical relief of Asia, good airport infrastructure is required to accommodate freighters outside of the major airports. The requirement for airport infrastructure depends on the domestic traffic, which is quite small in most Asian countries. Presently, many countries lack sufficient airport infrastructure for rapid fire logistics response. This lack of sufficient airport infrastructure undeniably increases the total time and the corresponding cost of shipment. Nonetheless, countries such as Singapore, Hong Kong, Malaysia, South Korea, Thailand, Taiwan, Japan and Brunei have reasonably good airport infrastructure, particularly in their capital cities. The aircraft turnaround time in the other Asian countries is about 3-5 hours, at least double the internal norm of 1.5 hours for cargo turnaround. Aircraft are sometimes forced to alter their landing times due to the lack of apron crew to load and unload cargo. Moving to maritime transport, ninety percent of the world’s trade in manufactured goods is now carried by containers. Table 2 presents container throughput for major
ports in selected countries in Asia. In the Asia Pacific, the 10 busiest ports handled 110 million TEU in 2004, accounting for 61.3% of the region’s total throughput. The world’s six busiest container ports (Hong Kong, Singapore, Shanghai, Shenzhen, Busan, and Kaohsiung) are located in this region. These six ports handled 27.4% of world container throughput, or 51.1% of the region’s total (ESCAP 2005). Further, Table 2 shows that the fastest growth of container throughput occurred in China (31% per annum from 1995 to 2003) and Vietnam (31% per annum during 2000-2003). China is now firmly established as the world’s most important container shipping market. The most dramatic growth has occurred in the ports of Shanghai and Shenzhen. The strong volumes growth (29%) in Malaysia during 2000-2003 mainly results from the rapid growth in transshipment traffic at the new port of Tanjung Pelepas, often seen as a competitor of Singapore’s PSA port. Container throughput also grew at a moderate rate in Thailand. The growth in its new port, Laem Chabang is extraordinary. With the advantage of high productivity terminals and deep water berths, and backed by a policy decision to cap the throughput of the congested Bangkok port at one million TEUs, Laem Chabang’s total throughput increased from a negligible level in 1990 to 3.6 million TEUs in 2003, over 82% of the national total.
Tab. 2: Port container traffic (1994-2004)
Selected economy or area/port
Percentage change per annum 1995-2000 2000-2003
1994/1995
1999/2000
2003/2004
2,279,502
3,496,751
4,769,111
8.9
10.9
Melbourne
852,282
1,273,577
1,721,067
8.4
10.6
Sydney
669,005
1,016,401
1,270,211
8.7
7.7
Brunei
71,050
61,034
n.a.
-3.0
n.a.
China
4,682,262
19,373,737
41,172,500
32.8
28.6
600,000
2,120,000
5,139,700
28.7
34.3
Shanghai
1,527,000
5,613,000
14,557,200
29.7
37.4
Shenzhen
284,000
3,993,714
13,650,000
69.7
50.6
Tianjin
702,051
1,708,423
3,814,000
19.5
30.7
12,549,746
18,100,000
20,449,000
7.6
4.2
Taiwan
7,848,695
10,510,762
12,086,734
6.0
4.8
Kaohsiung
5,232,000
7,425,832
9,710,000
7.3
9.4
Keelung
2,169,893
1,954,573
2,070,192
-2.1
1.9
446,802
1,130,357
1,246,027
20.4
3.3
1,360,308
2,313,667
3,916,004
10.0
19.2
Australia
Qingdao
Hong Kong
Taichung India
361
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
For many economies, such as China, Hong Kong, Taiwan, India, Indonesia, Japan, and Singapore, container throughput growth slowed after the year 2000. As transshipment hubs, Hong Kong and Singapore now experience slower growth as a result of competition from the emerging regional ports of Shenzhen and Tanjung Pelepas respectively. The competitor ports, being deep water can serve the bigger containerships albeit at a lower cost rate simply to exchange rate differences. In general, the rapid growth in container usage represents both the evolution in maritime technology and a significant logistics challenge to economies in the region. One challenge lies in the rapidly growing demand for berth space and the ready availability of a port’s
hinterland for container based activities such as yard storage, and container freight stations. Indeed, greater land area for container storage, road and rail links, and associated services are needed to keep up with expanded container capacity. The increase in trade volumes have led liner services to introduce larger-container ships that require deeper access channels, which can only be provided by voluminous dredging. The existing ports in river estuaries (such as Bangkok, Haiphong, Saigon, and Shanghai) may become less competitive than coastal deep-water ports (such as Laem Chabang and Hong Kong). Some existing estuarial ports are already looking for new developments on the coast to overcome this comparative disadvantage.
Tab. 2 contd. Selected economy or area/port
1994/1995
1999/2000
2003/2004
Percentage change per annum 1995-2000 2000-2003
731,063
1,319,426
2,465,489
12.5
23.2
Indonesia
2,048,130
3,797,948
4,560,397
13.1
6.3
Tanjung Priok
1,300,126
2,476,152
3,248,149
13.8
9.5
Japan
10,604,124
13,295,701
14,566,953
4.6
3.1
Kobe
1,463,515
2,265,991
2,045,714
9.1
-3.4
Nagoya
1,477,359
1,911,919
2,150,000
5.3
4.0
Osaka
1,159,051
1,474,201
1,863,608
4.9
8.1
Tokyo
2,177,407
2,899,452
3,580,000
5.9
7.3
Yokohama
2,756,811
2,317,489
2,147,102
-3.4
-2.5
Malaysia
2,075,470
4,642,428
10,072,072
17.5
29.5
Port Klang
1,133,811
3,206,753
5,243,593
23.1
17.8
n.a.
418,218
4,020,421
n.a.
112.6
Philippines
1,891,639
3,042,892
n.a.
10.0
n.a.
Manila
1,668,031
2,291,704
2,629,342
6.6
4.7
South Korea
4,918,000
9,030,174
12,993,429
12.9
12.9
Busan
4,502,596
7,540,387
11,430,000
10.9
14.9
Singapore
11,845,600
17,096,036
18,441,000
7.6
2.6
Thailand
1,961,916
3,178,779
4,409,996
10.1
11.5
Bangkok
1,432,843
1,073,517
1,346,121
-5.6
7.8
529,073
2,105,262
3,624,000
31.8
19.9
Vietnam
n.a.
976,546
2,195,939
n.a.
31.0
Da Nang
n.a.
22,995
30,882
n.a.
10.3
Mumbai/JN Port
Tanjung Pelepas
Laem Chabang
Source: Containerization International Yearbook; published data on ports. 2000, 2001; 2004 world totals from Drewry Shipping consultants, Global Container Terminals: Profits, Performance and Prospects (Drewry: London, 2002).
362
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
ESCAP (2002) divides the development of logistics centers in the port area into two categories, based on their purposes, namely “logistics center oriented” (Singapore and Japan) and “production oriented.” Pure logistics functions such as storage, assembly, labeling, exhibition, together with limited manufacturing functions are the characteristics of the large-scale logistics centers. They are typically equipped with huge warehouses, storage facilities, and assembly and processing services. Recently, the ports in Korea have introduced this type of logistics center as well. Many ports in China and the Kaohsiung Port of Taiwan belong to the production oriented group. They develop production and manufacturing functions in Free Trade Zones (FTZs) so as to attract leading-edge technologies and foreign investment by offering manufacturing, trade, logistics and distribution as an integrated offering. For example, China has transformed many port areas into modern FTZs, and existing ports have equipped themselves with a large FTZ in the hinterland, providing customs with one-stop shopping services that guarantee both industrial activities and logistics activities in the same place. Despite these developments and initiatives by both the respective governments and private sector participation, fi ve major barriers to port and logistics center operations exist. These barriers are: (1) insufficient infrastructure; (2) lack of professionals and skilled workers; (3) conflict between the port and local government on the allocative efficiency of land; (4) high degree of bureaucracy; and (5) the poor services in many ports.
Bureaucratic Procedures In addition to the inadequate transport infrastructure, underdeveloped logistics and transport services and bureaucratic (and sometimes grey) import and export procedures are the sources of high logistics cost. Much of the problem is behind the border, and indeed beyond the port. The cost of internal access to ports is greater than the costs associated with the ports themselves or with maritime transport. A well-developed 3PL sector is the key to efficiently and effectively operate the port logistics centers. However, the current situation in the 3PL industry in Asia, combined with the lack of professionalism in 3PL service providers has a negative impact on the development of logistics services. In some countries, companies combine their internal transport and warehousing functions and build up their internal logistics departments as 3PL services are rare. Since automated and technological equipments are
utilized more in logistics, efficient logistics require professionals who can handle these advanced equipments. The success of Singapore has heightened the importance of ensuring that the workforce has good IT capabilities. Good logistics practices translates to shorter transit times, certainty of delivery schedules, careful handling of goods, harmonized certification, standardization of product quality, and security from theft. Overly complex administrative procedures and bureaucratic attitudes among government officials can be a major obstacle to efficient logistics services and fast speed to market. Typically, LSPs are required to submit the import/export documentation at the customs border of the respective country. The inefficiency in documentation arises due to the lack of a fully automated and integrated system such as EDI or Tradenet (such as that found in Singapore). As a result, many more documents are required to be completed for clearance purposes. This delay is complicated by the lack of a standard documentation format across countries and the lack of transparent regulations. Some of the documents required to be submitted at the customs office include the pack list, trade document, shipping document, regulation form and sometimes the certificate of origin. The import shipments to Singapore, Malaysia and Thailand are typically divided into four categories, namely, documents (no value), low value-shipments, nondutiable shipments above a certain country-specific value, and dutiable shipments. For the last two categories, customs usually require more information. For example, in Singapore, documents (such as mail) can be processed quickly, but dutiable cigarettes are inspected very carefully. The customs authorities of some countries require a number of documents which inadvertently delays the documentation process. For example, the customs authorities of Indonesia and Thailand require a number of different documents, albeit often repeated, to be filled which increases inefficiency in the documentation process. In Indonesia, customs require import licenses for any goods as well as the shipping list. If a company has licenses, it can import at any time. Apart from an import license, the other documentation needed is the shipping list (item list). In Thailand, customs specifically require many details on their documents. Typically, it takes 5-7 working days to clear after the goods arrive at the port. Similarly, for cross-border flow between Malaysia and Singapore, several layers of documentation are required. From Singapore to Malaysia, one needs to fill export documentation from Singapore and nearly a similar set of import documentation to enter Malaysia (REPSF Project 06/001d).
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
In Myanmar, it requires at least 3 weeks to obtain an export/import licence and other documentations for each shipment. Being time consuming, this poses the greatest impediment to trade in Myanmar. If a license cannot be obtained on time, a penalty is imposed. Likewise, in Vietnam and Laos, customs clearance takes about the same time. When documents are in good order, customs clearance (import) can be less than three days. For transit goods, it takes 3-5 working days. In Laos, one needs to obtain a number of licences. For example, fi ve forms are required to be filled for goods shipped between Thailand and Vietnam, transiting via Laos. In Brunei, apart from the electronic documentation, additional manual entry and printed documentation are required, although the number of documents is small (REPSF Project 06/001d). Table 3 presents the number of documents, time and cost for imports and exports of selected economies in Asia based on the 2006 doing business survey on trading a standardized shipment of goods. As expected, Hong Kong and Singapore have the most efficient customs clearance process, with least number of documents, shortest time,
363
as well as the lowest cost. India, Laos, the Philippines and Thailand are found to have high import/export costs and relatively cumbersome customs procedures. Additional data on import/export are only available for eight of the 17 economies (Table 4). Table 4 shows that India has the longest customs clearance time while Thailand and Vietnam are relatively shorter. A large proportion of firms in the Philippines, Thailand and Vietnam export and import directly. Domestic inputs are heavily used in China and India for production, and the final products are for domestic consumption in general. The 2006 doing business survey also provides some empirical evidence that efficient customs and trade transport are positively associated with a country’s export. Long delays and frequent demands for bribes tend to encourage many petty traders into smuggling goods across the border. Drilling down in terms of customs clearance times for the different modes of transport, Table 5 presents the cargo clearance times in work-days for the economies covered in this study. The data is consistent with the findings in Table 4, showing that Australia, Hong Kong,
Tab. 3: Trading across borders
Documents for export (number)
Time for export (days)
Cost to export (US$ per TEU)
Documents for import (number)
Time for import (days)
Cost to import (US$ per TEU)
Australia
6
9
795
5
12
945
Cambodia
6
9
795
5
12
945
China
6
18
335
12
22
375
Hong Kong
2
5
425
2
5
425
Taiwan
8
14
747
8
14
747
10
27
864
15
41
1244
Indonesia
7
25
546
10
30
675
Japan
5
11
789
7
11
847
South Korea
5
12
780
8
12
1040
12
66
1420
16
78
1690
Malaysia
6
20
481
12
22
428
Philippines
6
18
1336
7
20
1336
Singapore
5
6
382
6
3
333
Thailand
9
24
848
12
22
1042
Vietnam
6
35
701
9
36
887
India
Lao
Source: 2006 doing business survey. http://www.doingbusiness.org/ExploreTopics/TradingAcrossBorders.
364
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
Japan and Singapore are efficient in customs clearance for both air and sea cargo. To be fair, the delay may sometimes be due to security reasons. For example, in Thailand, the security requirements are strict requiring extensive documentation especially for the import and export of new products. In Malaysia and Singapore, since the process is less complex, customers face fewer problems in customs clearance. Border customs clearance is strict at the MalaysianThailand border since there have been incidents of crime and pilferage. Table 6 shows the percentage of containers inspected for selected countries. Tariff charges add to logistics cost. Higher costs may occur because of the lack of cost control, ineffective labor management, and/or institutional inefficiencies such as rigid dock labor schemes creating chronic over-staffing, restrictive work practices, and high wages. ESCAP (2002) undertook a comparative study of port tariffs across a
significant number of ports in the Asia Pacific, by comparing port tariffs based on two hypothetical types of container ships: 3,000 TEUs and 1,100 TEUs. Table 7 summarizes the total costs of the 3,000 TEU ships. The costs are shown in US dollar nominal exchange rates and in Purchasing Power Parity (PPP) rates. Logistics service levels are also an important issue. Many countries have improved the quality and scope of their communication system. EDI is most efficient in Hong Kong and Singapore. Singapore saves about 1 billion dollars (SGD) a year by use of Tradenet. In Malaysia, for example, documents can be submitted using EDI, but the payment process is manual. Similarly, in Indonesia, the Philippines and Thailand, even though EDI is in place, the documentation review process is very long and uncertain. For example, in Thailand, after the completion of the approval process, one needs to bring the documents to the customs office for stamping. In the case of Brunei, the
Tab. 4: Trade indicators
Cambodia
China
India
Indonesia
South Korea
Philippines
Thailand
Vietnam
Average time to clear direct exports through customs (days)
n.a.
6.16
13.58
3.38
5.98
5.37
1.33
2.5
Longest time to clear direct exports through customs (days)
6.78
5.78
21.31
6.48
9.15
9.33
2.83
4.72
Average time to claim imports from customs (days)
n.a.
7.6
12.54
4.82
7.28
7.17
3.67
3.68
Longest time to claim imports from customs (days)
10.16
10.48
18.59
10.08
12.58
13.14
8.2
6.83
Firms that export directly (%)
13.12
17.77
10.38
38.4
18.9
31.68
54.66
38.27
Firms that import directly (%)
24.85
n.a.
7.05
n.a.
21.07
42.22
n.a.
35.14
Domestic sales (% sales)
86.4
87.49
92.79
70.81
91.97
69.25
61.57
67.94
Sales exported directly (% sales)
10.8
9
6.19
26.35
6.86
24.56
32.4
24.14
Sales exported indirectly (% sales)
2.8
3.71
1.02
2.84
1.18
6.19
6.04
7.92
Domestic inputs (% inputs)
71.84
92.25
96.22
n.a.
84.34
64.59
84.22
64.44
Inputs imported directly (% inputs)
20.83
n.a.
2.4
n.a.
11.06
27.53
n.a.
21.27
Inputs imported indirectly (% inputs)
7.33
n.a.
1.37
n.a.
4.6
7.89
n.a.
14.29
Source: 2006 doing business survey, accessed from http://www.enterprisesurveys.org/ExploreTopics/CompareAll.aspx?topic=trade&viewall=true&excel=true
365
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
documents can be prepared in the computer and then saved onto a disk which is then transferred for further processing. In Myanmar, EDI is not fully functional and the documents need to be prepared 5 working days in advance of the arrival of goods. Laos and Cambodia are, however, poor in EDI. In Laos, while there is a single-stopwindow at the border, the inspection is done twice, one at the single-stop-window and the other with the local customs at the Lao border.
Implications While Asia is growing in terms of trade and Asia continues to feel the birth pains brought about by modern logistics practices, there is much change to be wrought at the policy and institutional levels. We now provide some implications for policy makers on the above countries to improve the logistics services and further to increase trade competitiveness. First, trade competitiveness can be achieved through the domestic integration of transportation. For this, inTab. 5: Average days for customs clearance
termodal transportation is highly recommended. Complementary institutional actions must be taken to extend and improve transport services to remote areas and to establish better flow conditions for domestic market development. This can be achieved through post-harvest services, cargo consolidation through farmer or business associations, up-to-date information on prices and market demand, access to financial credit, and improving the skill set of the industry professionals. Second, since the private sector is more efficient than the public sector in providing logistics services, the privatization of logistics services is a possible solution to efficient logistics operation. Governments may be well advised to withdraw from the direct provision of logistics services while creating the right enabling environment for competition and private investment. Fostering growth in this way is more amenable to a free market practice and can encourage better trade competitiveness as the private sector is given free rein to improve logistics infrastructure as deemed fit. Governments need to exercise market-responsive land-use policies for locating logistics infrastructure, especially ports. Security concerns should be taken into account on a regional level and governments must work closely with industry players to provide supply chain security as expeditiously as possible. Funding for the procurement of equipment, technical assistance in drafting regulations, and training for customs and security staff in implementation are needed to improve security standards. Third, a sound regulatory environment needs to be developed for Asia especially in areas such as transport, cross-border facilitation, urban land use and management as well as security. Regulatory consolidation to make businesses face uniformly consistent rules across Asia is a solution for an effective transport ministry. Governments
Air
LCL
FCL
Australia
1
2
2
Brunei
3
5
5
n.a.
n.a.
n.a.
China
4
30
5
Hong Kong
2
4
3
Taiwan
4
10
7
India
8
10
12
Indonesia
3
4
4
Japan
2
5
6
South Korea
n.a.
n.a.
n.a.
Lao
n.a.
n.a.
n.a.
Malaysia
4
4
4
Myanmar
n.a.
n.a.
n.a.
Philippines
4
5
3
Singapore
2
3
3
India
100
Thailand
5
5
5
Japan
5
Vietnam
5
7
7
Malaysia
Cambodia
Source: International Exhibition Logistics Associates, http://www.iela.org.
Tab. 6: Percent of import containers inspected
Percent of Containers Inspected Australia
10
Cambodia
70
China Taiwan
Source: World Bank/IFC trade logistics database, 2005.
5 50
20
366
Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia
should promote an integrated planning framework for developing trade corridors, with an established hierarchy of modal interfaces (inland terminals, container stations, cargo clearance facilities with respect to customs, health inspections, and tax payments). Removing monopolies and making publicly administered transport available to everyone is another regulatory requirement. Countries need to bring their transport regulations and policies in line with the WTO. In this regard, cross-border facilitation can be achieved by harmonizing and simplifying customs procedures, sharing information, modernizing information and communications technology and customs administration, and establishing transparent transit rules and post-entry compliance audits. The one window concept of clearance needs to become a reality sooner than later.
Finally, regional cooperation is a key in the harmonization of national, regional, and international rules and policies relating to trade facilitation. Ongoing regional initiatives such as ASEAN, APEC and Mekong River Commission provide regular opportunities to co-operate on a country level. The World Bank helps countries to promote trade facilitation with investments and technical assistance. It also provides a knowledge-sharing forum in global best practices and capacity building. Much needs to be done for logistics in Asia before there is true renaissance for logistics and supply chain management in this part of the world. Acknowledgements: An earlier version of this paper was presented at the First International Conference on Operations and Supply Chain Management held in Xian China, 2007. The authors acknowledge the financial support of an NUS research grant R-385-000-017-720.
Tab. 7: Comparison of port tariff levels (3,000 TEU class ship)
Nominal exchange rate Country
Port
Australia
Sydney
China
Purchasing power parity
Tariff (US$)
Manila = 100 (Rank)
Tariff (US$)
Osaka = 100 (Rank)
181,991
351 (18)
201,282
198 (9)
Shanghai
84,033
162 (8)
366,129
361 (15)
Tianjin
75,706
146 (5)
329,848
325 (13)
Hong Kong
Hong Kong
205,000
395 (20)
189,221
187 (6)
Taiwan
Kaohsiung
123,926
239 (13)
228,896
226 (11)
India
Mumbai
92,429
178 (9)
450,857
444 (16)
Madras
93,663
181 (12)
456,877
450 (17)
Indonesia
Jakarta
77,819
150 (6)
703,060
693 (20)
South Korea
Busan
92,535
178 (10)
163,809
161 (3)
Japan
Osaka
144,746
279 (16)
101,435
100 (1)
Yokohama
359,882
694 (21)
252,198
249 (12)
Malaysia
Port Klang
68,928
133 (4)
163,703
161 (2)
Myanmar
Yangon
189,935
366 (19)
855,384
843 (21)
Philippines
Manila
51,848
100 (1)
213,145
210 (10)
Singapore
Singapore
157,459
304 (17)
167,497
165 (5)
Thailand
Bangkok
63,424
122 (2)
199,961
197 (7)
Laem Chabang
63,769
123 (3)
201,049
198 (8)
Saigon Port
81,836
158 (7)
482,562
476 (19)
Vietnam
Source: ESCAP, 2002. “Comparative Analysis of Port Tariffs in the ESCAP Region” p. 40.
Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza
References World Economic Forum (2007) “The Competitiveness Indexes” Working paper, World Economic Forum World Bank (2003) “East Asia integrates: A trade policy agenda for shared growth,” Working paper, the World Bank Asian Development Bank (2005) “Connecting East Asia: A new framework for infrastructure,” Working paper, Asian Development Bank, Japan Bank for International Cooperation and the World Bank
ESCAP (2005) “Review of developments in transport in Asia and the Pacifi c” Working paper, United Nations ESCAP (2002) “Commercial development of regional ports as logistics centers,” Working paper, United Nations REPSF Project 06/001d. “An investigation into the measures affecting the integration of ASEAN’s priority sectors (Phase 2): The case of logistics”, forthcoming ESCAP (2002) “Comparative analysis of port tariffs in the ESCAP region,” Working paper, United Nations
367
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market
Ludmila Simonova Chief Analyst, Consulting Department, RosBusinessConsulting
Dr. Ludmila N. Simonova born 1955 Simonova is currently working as Chief Analyst with RosBusinessConsulting, Consulting Department. Her main professional activity there is connected to transport and logistics. She is author of the following analytical reports: Russian Transportation & Logistics Market: 2006 Results & Prospects up to 2012; International Container Shipping & Transitional Potential in Russia. She graduated from Moscow State University in 1977, Ph.D. in World Economy. Since 1977 Simonova is a senior researcher at the Institute of Latin America of the Russian Academy of Science, Department of Transitional Economy. She has more than 70 publications (books, articles, analytical reports) on world, LatinAmerican and Russian economy.
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market1 Ludmila Simonova
Main trends from 2005 until 2006 The development of the Russian transportation and logistics market from 2005 until 2006 can be characterized by the following trends: The Russian transportation and logistics market is currently at a stage of rapid growth, which can be traced to dynamic economy, industry, and trade’s higher demands for organizing and servicing foreign and domestic freight flows, as well as the need to reduce transportation and logistics costs through outsourcing these functions. The market’s globalization played an important part in this. This accompanied the advent of western companies, whose process flows involved intensive freight forwarding. The Russian logistics outsourcing market (the revenue of companies providing transportation, freight forwarding, warehousing and logistics management services) grew at an average annual rate of 16 % from 2004 until 2006. The increase was the highest in the segment of integrated logistics services in connection with storage and distribution of goods (more than 30 % a year). Investment in port and terminal infrastructure and warehouse facilities rose significantly, which laid the foundation for forming a modern Russian transportation and logistics system. One of the most investment-attractive market segments is container shipping, whose dynamics between 2004 and 2007 was determined by the enlargement of Russia’s foreign trade and expansion of port handling facilities. In forthcoming years, the bulk of freight and container transportation will shift towards the broadening of the share of imports from South and Southeast Asia, with the leading role to be assigned to China. Annual average growth in container shipping between 2004 and 2006 stood at 20 % and will exceed 20 % from 2007 until 2012. The industry’s consolidation process has intensified, which may be seen in the establishment of large transpor1
This article is an abstract of the analytical report “Russian Transportation and Logistics Market: 2006 Results and Prospects up to 2012” prepared in RosBusinessConsulting (Russian Information Agency), Consulting Department.The research was carried out in February-May 2007 in Moscow. See: http://marketing.rbc.ru
tation and logistics holdings, growth in transaction volume, the expansion of the range of services, and the geographical diversification of the business. The main driver for the market’s growth was the accumulation of assets by logistics companies (purchase of vehicles, rolling stock, construction or rent of warehouse facilities), as well as the expansion of leading logistics providers to the regions. Russian Railways’ position has strengthened substantially, and the functions and spheres of activity of the state monopoly have broadened. Not only has Russian Railways managed to retain the dominating position in the rail freight segment, but it is also pursuing an aggressive policy in warehousing and terminal services, as well as port freight handling (including buying into port shareholding, establishment of transport and logistics centers and warehouse terminals). The years 2005 and 2006 were characterized by further development of multi-functional companies providing integrated logistics services (3PLs). In addition to the traditional range of functions, such as transportation and freight forwarding, 3PLs have also assisted in warehousing, reloading, packaging, and other supplementary valueadded services, involving subcontractors. The warehousing services market saw the advent of chain warehouse development projects and a rise in foreign investor interest in the Russian warehouse real estate market. However, despite the announcement of logistics companies’ plans to create regional warehouse chains, the anticipated “warehouse boom” has not yet happened in the regions, and is unlikely to occur before 2008. The growing scale of activity of western retail chains and transnational companies which heavily use 3PL services has markedly influenced the level of competition and the development of Russia’s transportation and logistics market in general. Over the last two years, revenue of the leading western (predominantly European) logistics operators more than doubled in Russia. The importance of logistics has undeniably become an important factor in the growth of the national economy. The last two years have shown that the development of
372
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market
transportation and logistics infrastructure was becoming one of the top priorities of Russia’s state policy. The mechanisms of public-private partnership are bound to play a key role in this process, as a federal law on concessions has been passed and the Investment Fund, a financial instrument of the public-private partnership, has been created. With its help, government support will be provided for top-priority investment projects in different regions of Russia. The key principles and trends of the national transportation policy have been formulated in Russia’s Transport Strategy until 2020 and Transport Development Strategy until 2010. Corresponding measures have been detailed in the interim as part of the Russian Transport System Modernization in 2002-2010 federal target program’s subprogram “Development of Transportation Service Exports.” The subprogram provides for the implementation of integrated investment projects for the development of the transport infrastructure and technologies, airport hubs, seaports, terminal and logistics systems.2
Market size and structure According to RBC’s estimates, the Russian transportation and logistics market size (the revenue of transportation and logistics companies operating on Russian territory, including Russian Railways) increased by 35.5 %, from $24.5bn to $33.2bn from 2004 until 2006.3 The annual average growth rate (including the inflation component) stood at 16 %. Western experts assess the market’s potential to be worth $120bn-$150bn (EUR92bn-EUR115bn). Shipping by transportation companies hold the dominant share of revenues according to types of services 2
Tenders have been held as part of the implementation of the subprogram “The Development of Transportation Service Exports” to provide grounds for investment under seven transportation and logistics projects: comprehensive development of transportation infrastructure on the Azov and Black Sea coast; the development of the Novorossiysk transport hub in the Krasnodar region; comprehensive development of the Murmansk transport hub, comprehensive development of the international trans-Siberian transport corridor, a transportation and logistics hub in Yekaterinburg; the development of logistics infrastructure in the Far East on the premises of the seaports Vostochny and Nakhodka; the construction of the Central Ring Road and the establishment of a system of transportation and logistics complexes in the Moscow region; the development of airport hubs Sheremetyevo and Pulkovo.
3
EUR24.9bn, or approximately one third of Germany’s logistics outsourcing market.
Fig. 1: Russian transportation and logistics market growth 2004-2006, $ bn
17 %
35
16 %
20 % 18 %
30
33,2 28,7
25
16 % 14 %
24,5
12 %
20
10 % 15
8% 6%
10
4% 5
2% 2004
2005
Market Size Growth % Note: Transportation and logistics companies’ revenues measured in current US dollar values Source: corporate data, RosBusinessConsulting
2006
Ludmila Simonova
provided ($28.1bn in 2006, 85 % of which is accounted for by Russian Railways). A considerable increase in the size of this market segment since 2004 (30 % in two years) is chiefl y attributed to higher rail and road freight tariffs (a rise of over 9 % per year), as well as a wider range of services provided by automotive transport. According to Russian Railways data, the company’s proceeds from shipping services measured in current ruble values and taking into account tariff indexation grew 10.9 % in 2006 compared to the previous year, up to RUR648.4bn ($23.9bn). According to RBC’s estimates, shippers’ freight traffic amounted to 2,100bn tonne-kilometers in 2006 (up 4.4 % from 2005), and their share in overall freight traffic in terms of all sectors of the national economy combined grew to 93 %. A large share of outsourcing in the shipping industry is explained by the distinct nature of the formation of the Russian transportation market, namely: The predominance of rail freight in total freight traffic across the economy and the monopolistic market position of Russian Railways as a commercial freight transportation service provider (Russian Railways’ freight traffic reached 1,948bn tonne-kilometers in 2006, which is 4.8 % more than in 2005.). In most cases, industrial enterprises with their own railways infrastructure and rolling stock use it only to transport large-volume freight on short hauls, which is reflected in their low freight traffic figures.
Maritime, air freight and transportation along inland waterways is predominantly carried out by specialized shippers. It was not until recently that Russian production companies (primarily oil) have begun to lease or build their own inland waterways and sea transport. Road freight is one of the only exceptions. As a rule, Russian companies, vertically integrated holdings and retail chains have their own truck fleets, which reflects reporting data showing a high share of freight handling by non-shipping companies. In 2006, only 73.8bn tonnekilometers (37.1 %) of the total 198.8bn tonne-kilometers was accounted for by commercial services, while the freight traffic of specialized shipping companies did not exceed 35bn tonne-kilometers (17.5 %). The freight forwarding services segment expanded faster than shipping, which can be traced to the sophistication of tasks for shipping goods, increasing demand for integrated services, including the organization of multi-modal shipments and “door-to-door” deliveries. The freight forwarding segment is valued at $3.6bn, while the correlation of spending on shipping alone and on freight forwarding changed significantly within the past two years: 8:1 in 2006 against 10:1 in 2004. The warehousing and distribution services segment is developing rapidly (at an annual rate of 30 % in 2005 and 2006), although its market share is still quite modest (around $1.2bn, or 3.6 %). Logistics management, according
Fig. 2: Russian transportation and logistics market growth by segments 2004-2006, $ bn
0,3
Logistics management
0,2 1,2
Warehousing and distribution
0,4 3,6
Freight forwarding 2,1
28,1
Shipping
21,9 0
5
10
15
2006 E 2004 Note: Transportation and logistics companies’ revenues measured in current US dollar values Source: corporate data, RosBusinessConsulting
20
25
30
373
374
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market
to RBC’s estimates, is responsible for another 1 % of the total market size with around $300m (up 58 % per year between 2004 and 2006). The capacity of the international freight market exceeds $5.6bn, accounting for over 20 % of the total transportation market revenue. The revenue of companies involved in forwarding international freight (including loading-unloading and handling, customs clearance and insurance, as well as warehousing in ports, etc.) is estimated at $1.4bn, which is around 40 % of the total proceeds received in the freightforwarding segment. According to market participants, the share of value-added services the revenue of freight forwarders involved in international shipping (including transportation, warehousing, customs clearance services) stands on average at 20 %.
Competitive environment The main factors affecting the formation of a competitive environment on the Russian transportation and logistics services market include:
Domestic drivers: • Rapid market growth amid a vigorous economy and booming consumer demand. • A gradual leveling-out of the development of various segments, and reinforced geographic diversification of the range of services provided. • Growing influence of western logistics operators (especially in the 3PL segment, international freight operations and express delivery). • A trend for the consolidation of Russian logistics companies; an acceleration in the process of establishment of large transportation and logistics holdings distinctive of the beginning of market consolidation.
•
•
A lack of transparency and information disclosure in the case of most companies; a deficiency of credible economic data about company operations (with rare exceptions). A highly fragmented market, the existence of a large number of small players.
International drivers: • A change in demand structure towards a higher integration and quality of services provided. • Active expansion of trade and production companies to Russian regions acting as a driver for logistics outsourcing growth as companies strive to optimize their logistics costs. • Growing interest of investment companies and industrial holdings with considerable financial resources in expanding their presence on the transportation and logistics market. • Development of the transportation and warehousing infrastructure, including through redirecting capital from other sectors. • Implementation of state transportation and logistics infrastructure development programs, including in Russian regions. The competitive environment on the Russian transportation and logistics market is largely determined by the activities of Russian companies. However, it is generally accepted that the key players in the 3PL segment are western logistics providers with a rich experience in providing solutions for the large production and retail companies that they serve worldwide. As a rule, the scale of operations of western logistics providers on the Russian market is directly linked to the activities of their regular customers in Russia. There are over 4,000 companies represented in the competitive sector of Russia’s transportation and logis-
Fig. 3: Russian transportation and logistics market by types of services in 2006, %
Total – US$33.2 bn Warehousing and distribution 3 % Logistics management 1 % Freight forwarding 11 % Source: Russian Statistics Agency, Russian Finance Ministry, RosBusinessConsulting
Shipping 85 %
Ludmila Simonova
tics services market (road, sea, and air freight, container shipping, freight forwarding, warehousing, and logistics management, i.e. all segments except for rail freight services generally provided by Russian Railways). No more than a hundred companies, including western logistics operators, may be referred to as 3PL providers capable of rendering the full range of services (including those with high added value), according to RBC’s estimates. According to RBC’s estimates based on corporate data, the size of the competitive transportation and logistics segment (excluding Russian Railways) amounts to $9.3bn. The top 20 transportation and logistics companies represent about one third of the competitive segment, and only 9 % of the total transportation and logistics market. In addition to Russian companies, the top 20 also includes eight western 3PL providers. There is presently a high level of competition in the freight forwarding segment, mostly due to a large number of companies operating in the area of organizing shipping services and achieving a relative balance between supply and demand on the market. The demand for integrated logistics services, which began to develop several years ago and which are currently available only the Moscow and St. Petersburg regions, is far ahead of supply. Competition is expected to increase in the mid term after new warehouse facilities have been launched in other Russian regions and as the supply of goods storage and distribution services grow. The express delivery and mail segments are seeing the highest level of competition, which is not due to an excessive number of players on the market, but rather because the requirements being made for the quality and comprehensiveness of the services provided is quite high. Express delivery is the typical example of services of the 3PL level. This segment is the most sensitive to the proper set-up of a logistics operating structure and interaction on both the physical and logical information level. The largest international operators are DHL+Exel (Deutsche Post World Net), TNT, UPS, FedEx, Geopost Group (Armadillo), as well as the Russian companies Garantpost, CPCR-Express, Pony Express, EMS Russian Post, and are all currently operating on the Russian express delivery market. The growing scope of activities of western retail chains and transnational companies that assume a wide use of 3PL provider services aided the development of western logistics players on the Russian market. According to RBC, the operating revenues of western (mainly European) logistics operators in Russia more than doubled to $800m
(around 9 % of the competitive market’s size) in 2004-2006. However, it is clear that despite the attractiveness and big potential of the Russian market, the operations of most 3PL operators are still rather modest in Russia, not exceeding 3 % of revenues on a global scale. One of the latest trends is the reorientation of foreign companies’ operations from predominantly international freight services to domestic operations. Presently, the share of domestic Russian operations in Schenker’s revenue is already approaching 50 %. The company’s development plan is for its network to reach the cities with 80 % of the Russian population by the end of 2007. The main short-term goals for most western 3PLs are to increase assets (including the construction of warehouses and terminals), venture out to the Russian regions, as well as to adapt their operating methods to Russian market conditions. In terms of revenue, the leaders are Russian transportation holdings that include shipping companies and port operators as their subsidiaries, as well as considerable assets in the form of motor vehicles, terminals, and warehouse complexes, and that expand their activities though creating (or acquiring) specialized logistics divisions providing 3PL services. The revenues of leading transportation holdings (such as the transportation group FESCO, the Delo group of companies, and Eurosib SPb – TB) are estimated to be between $300m and $550m. These companies are responsible for approximately 15 % of the competitive sector of Russia’s transportation and logistics market. According to RBC’s estimates, of the top 20 logistics companies (including eight western 3PL providers: FM Logistics, DHL+Exel, UPS, TNT, K+N, Tablogix, Schenker, and Panalpina), ten have a revenue of between $50m and $100m (a combined 10 % of the competitive market), and the revenue of six companies is estimated at around $100m-$150m (7.5 %); the revenue of one company, Sovtransavto, is nearly $200m (2.4 %). For the major Russian companies, their growth potential is linked to the creation of a modern logistics infrastructure, increasing the integration of the services provided, as well as expanding their customer bases and geographical reach. Practically all major shipping companies, forwarders and logistics operators have plans in the short term to diversify their business and set up a multimodal freight handling system. Most Russian companies are extremely cautious about entering into long-term alliances with western 3PLs, giving preference to such forms of interaction as
375
376
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market
subcontracting or agency agreements in international freight operations. A new trend has developed to raise finances for development by selling a stake in the Russian company to foreign banks and investment funds, which, in turn, speaks of an advance in the investment attractiveness of Russia’s logistics business. For example, in 2005 Citigroup Venture Capital International Growth Partnership L.P., Citigroup Venture Capital International Co-Investment L.P., and DTB GmbH bought a 32 percent stake in NLC from RosEvroGroup. The deal amounted to $50m, and NLC plans to use the proceeds for developing the company’s operating activities, including the construction of a regional network of logistics parks. The Great Circle Fund LP, a US-sponsored dedicated emerging markets transportation sector investment fund, invested $20m in shares of the Russian Logistic Service (RLS) group of companies. The proceeds will be used to expand the holding’s core transportation business and develop a national network of RLS-operated terminals in major regional centers. The majority of leading Russian transportation and logistics companies position themselves as 3PL providers, and their further development and advancement of competitiveness are linked directly to expanding the list of services they provide (transshipment, packing, and other services with a significant added value) and providing freight handling services at all the stages of the supply chain. For midsize and small companies, the most promising method is to deepen their specialization, concentrating on meeting niche demand and providing specific services, such as transporting and forwarding non-standard, hazardous, and other goods. From the viewpoint of meeting higher customer requirements, there is a possibility for
cooperation both between Russian companies and with foreign logistics operators on the basis of mutual framework and franchising agreements. The strategies of such companies may include plans to acquire their competitors, because such takeovers can more rapidly reinforce the position of such companies in specific market niches or on certain geographic markets.
Regional aspects of competition An important internal growth and consolidation driver within the logistics sector is the expansion of large production and trade companies (primarily, retail chains) to Russian regions and the need to provide efficient product distribution from depots in those regions. This market niche is currently serviced by small local companies. Many large Russian transportation and logistics market players, including recently established logistics companies claiming 3PL operator status 4, have very large-scale plans for regional development, construction of warehouse, port and container terminals and establishment of regional distribution centers. Investment is planned to reach hundreds of millions of dollars. As large market players continue to step up their activities, local companies will find themselves gradually driven out of the market, leaving them three options: to depart from the market, to cooperate with the leaders and become subcontractors, or be taken over. These processes help to consolidate the industry, reduce the number of companies and boost their sizes.
4
For example, Relogix is a logistics chain operator founded in 2005 by the direct investment fund Renova Capital. Relogix, a full-cycle logistics operator, is leasing a warehouse complex in Moscow and developing a chain of its own warehouses in St. Petersburg, Samara, Novosibirsk, and Yekaterinburg. The company‘s 2006 revenue is estimated at $16m.
Tab. 1: Key drivers of increasing Russian regions‘ importance as consumers and producers of transportation and logistics services • • • •
•
Growing consumer demand and retail sales in dynamically developing Russian regions (mainly in large cities). Industrial production growth and increasing need for modernization and technical upgrade of enterprises. Regions expanding their export-import operations. Implementation of projects for the integrated development of regional transportation and logistics hubs on the basis of port and regional centers as part of an effort to promote public-private partnership. The integrated development of international transportation corridors, primarily the Trans-Siberian Railway.
Source: RosBusinessConsulting
•
• •
•
A massive entry of Russian and western retail chains as well as transnational consumer goods producers and sellers to Russia‘s regional markets. An increase in regional imports of producer goods, consisting mainly of heavy machinery and equipment. The transfer of the greatest share of customs clearance, handling and warehousing functions to regional transportation and logistics centers. An increase in transit freight flows along Russian territory.
Ludmila Simonova
Tab. 2: Internal and external factors of Russian transportation and logistics market growth External:
Internal:
• • • •
• • •
• •
Global trade and industrial development Russia’s prospective accession to the WTO The expansion of the European Union Trade growth with China and the increasing need to create new transportation corridors, including transit freight shipping across Russian territory Globalization of the activities of transnational corporations and western retail chains The expansion of international logistics companies
• • •
A consistently high rate of economic growth Expanding industrial production and retail sales Increasing export-import operations and changes in the structure of foreign trade Changes in the structure of demand for transportation and logistics services Rapid consolidation on the logistics market The current condition of the transportation and logistics infrastructure and growing investment in the industry
Source: RosBusinessConsulting
Higher business activity in the regions has been producing changes. Though Moscow and St. Petersburg still remain the chief freight traffic generators for the logistics sector, there are cities that are gaining popularity as distribution hubs: Rostov-on-Don for service in southern Russia, Samara for the Volga River Basin (Povolzhye) region, Novosibirsk for Siberia, and Khabarovsk for the Far East. The factors in table 1 will most likely determine the increase in the significance of Russian regions as consumers and at the same time producers of a wide range of transportation and logistics services in the mid term.
Growth drivers The further development of the Russian transportation and logistics market and changes in its competitive environment will depend directly on the effect of internal and external factors (table 2).
Russia’s increasing investment attractiveness, the inflow of foreign capital to the country, as well as its prospective accession to the WTO will stimulate competition in key sectors of the economy, including in transportation and warehousing services. Trade growth with China, as well as the creation of new transport corridors to link Europe and Asia, will lead to an increase in both incoming and outgoing cargo traffic. The development of transportation and logistics infrastructure with the help of expanding investment in the industry is creating the backdrop for an increase in volumes of transportation, storage and distribution of various goods, boosting the number of large consumer product manufacturers and distributors. However, the key growth drivers of the shipping market and the demand for logistics services will remain, as in the previous fi ve-year period, the development of industrial production and trade, as well as the increase in foreign trade.
Fig. 4: Russian transportation and logistics market by types of services in 2012 (forecast), %
Total - US$61.5 bn
Warehousing and distribution 5 % Logistics management 2 % Freight forwarding 11 % Source: Russian Economy Ministry, RosBusinessConsulting
Shipping 82 %
377
378
Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market
A high rate of increase in annual industrial production (5 %), retail sales (10 %), and foreign trade (imports – 14 %) will consequently boost consumer demand for the entire set of transportation and logistics services during the period in question (2006-2012). Demand will be booming in transportation of goods intended for foreign trade, primarily machinery and equipment, as well as other investment products. In turn, the increase of the population’s personal disposable incomes and retail sales will trigger further growth of transported volumes and an expansion in the demand for storage space for both imported and locally-produced goods. Growth is expected to be the highest in the international container-shipping segment.
Transportation and logistics market growth forecast until 2012 According to RBC’s estimates, the market’s size (the revenue of companies that provide the services in current dollar values) is expected to increase by 1.9 times between 2006 and 2012, from $33bn to $61.5bn. The average annual rate of growth will exceed 10 %. The market’s structure is expected to change, as the development of certain segments will be uneven, with the warehousing and management services segments growing the fastest (see Fig. 4).
In terms of volume (tonne-kilometers), shipping services by transportation companies will increase by 5 % annually in 2006-2012 (from 2,100bn tonne-kilometers in 2006 to 2,820bn tonne-kilometers in 2012). The exception will be with sea freight, including containerized shipping, which will grow by more than 18 % thanks to higher exports and imports of containerized goods and boosting transit shipping via Russian territory. The dynamics of international containerized shipping will depend largely on the expansion of imports of manufacturing equipment and automotive component parts for assembly lines operating in Russia. Shipping companies’ revenues are expected to increase, on average, by 10 % per year in the period in question, RBC estimates. As for market structure in terms of tonne-kilometers, it is projected that road transport will continue to strengthen its position (from 1.7 % in 2006 to 3 % in 2012) on the back of higher physical volumes of freight moved on commercial basis, as well as the expansion of the segment of freight services provided by road transportation companies. Thanks to rapid growth, starting in 2008 the share of sea freight by Russian transportation companies will grow significantly (from 2.2 % to 4.4 %). Following slower freight traffic growth during the period until 2012, rail and inland waterway transport’s market shares are expected narrow somewhat.
Fig. 5: Projected changes in the structure of freight traffic of Russia’s transportation companies 2006-2012, %
0,1
Air
0,1 2,4
Inland waterways
3,1 4,4
Sea
2,2 3,0
Road
1,7 90,1
Rail
92,9 0
10
20
30
40
2012 F 2006 F - Forecast Source: Russian Statistics Agency, Transportation Ministry; RosBusinessConsulting
50
60
70
80
90
100
Ludmila Simonova
Fig. 6: Growth forecast for Russian transportation and logistics market segments 2006-2012, $ bn
1,2
Logistics management
0,3 3,0
Warehousing and distribution
1,1 7,0
Freight forwarding
3,6 50,3
Shipping 0
5
10
15
20
25
2012 F 2006
28,1 30
35
40
45
50
55
60 US$ bn
Note: revenue of transportation and logistics companies in current US dollar values F - Forecast Source: RosBusinessConsulting
The freight forwarding segment will grow faster than transportation services (12 % per year). Over the next six years, consolidation in the freight forwarding segment is expected to speed up amid a considerable increase in competition. According to RBC’s estimates, the market of shipping services provided by transportation companies will increase from $28.1bn in 2006 to $50.3bn in 2012 and the freight forwarding segment will advance from $3.6bn to $7.0bn. The highest rate of increase, more than 20 % per year, is expected to occur in the integrated logistics segment (warehousing and distribution services), which will be
triggered by large-scale construction of warehouse complexes in Moscow, the Moscow region, and other territories. Given that at least 70 % of all construction-in-progress and planned warehouse facilities are launched, this segment may more than triple in size, from $1.1bn to $3bn (see Fig. 6). Logistics management (services aimed at optimizing business processes), whose development is linked directly to the market’s qualitative improvement and the expansion of 3PL operations (primarily western logistics companies), will demonstrate the highest level of growth (26% annually in 2006-2012). According to RBC’s estimates, the revenue of companies that operate in this segment will in the mid term surge from $0.3bn to $1.2bn.
379
Veränderungen globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs
Roland Zibell Direktor der ADI Consulting GmbH, Pfäffikon, Schweiz, und Dubai, UAE, dort Projektdirektor Dubai Logistics City im Auftrag des Government of Dubai, Department of Civil Aviation Regionalgruppensprecher der Bundesvereinigung Logistik
Dr.-Ing. Roland Zibell Jahrgang 1958 Zibell ist seit 2003 Direktor des Schweizer Logistik- und Beratungsunternehmens ADI Consulting, wo er die Leitung verschiedener internationaler Logistik-Entwicklungsprojekte übernommen hat. Zibell studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin mit Schwerpunkt Logistik und am IIT Chicago für den Master of Science in Operations Research. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten arbeitete er am Fachgebiet Materialflusstechnik und Logistik der TU Berlin sowie in Ausbildung und Logistik-Planungsprojekten für diverse Industrieunternehmen. Zibell promovierte 1989 an der TU Berlin zum Thema „Just-in-Time“. Prägende Stationen der folgenden Jahre waren die Tätigkeiten als Mitglied der Geschäftsleitung im Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU), als VP Logistics bei Kühne + Nagel und als Senior VP e-Business und Global Customers bei Danzas/DHL.
Veränderungen globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs Roland Zibell
Einleitung Die offensichtlichsten Folgen der Globalisierung sind die Zunahme und Verlagerung der globalen Warenströme. Weitaus stärker als die Inlandsprodukte der Industrieländer wachsen die Umschlagsleistungen der Logistik-Hubs wie Shanghai, Singapur, Dubai oder Rotterdam entlang der Haupttransitstrecken zwischen Asien und Europa. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzen wird; allerdings wird diese Entwicklung längerfristig von Effekten überlagert, die sich aus der demografischen Situation einiger Weltregionen ergeben. Eine weitere Beschleunigung der Globalisierung, verbunden mit der demografisch verursachten Verlagerung produzierender und konsumierender Märkte, wird dann eine drastische Auswirkung auf Standorte, Struktur und Größe von Logistik-Hubs haben. Dieser Beitrag soll die Trends der mittelfristigen Entwicklung aufzeigen und einen Ausblick auf die weitere Zukunft geben. Sehr schwierig ist die Quantifizierung von Wachstum und Struktur zukünftiger Warenströme, weil die genauen Einflüsse der verschiedenen Parameter auf Volumina – mangels historischer Erfahrungen in globalisierten Märkten – nicht ausreichend bekannt sind. Bislang wurden mittelfristige Prognosen zum Wachstum der Warenströme in der Realität deutlich übertroffen, langfristig ausgerichtete Schätzungen dürften keine verlässlichen Planzahlen liefern. Da die Entwicklung der Warenströme im Hinblick auf die Frage nach ihren Auswirkungen auf Logistik- MegaHubs qualitativ aber ausreichend beschrieben werden kann, soll in diesem Beitrag auf neue eigene Schätzungen verzichtet werden.
Logistik-Mega-Hubs Die Bezeichnung „Logistik-Mega-Hub“ ist eher ein Schlagwort als ein klar definierter Fachbegriff in der Logistik. Dennoch charakterisiert sie sehr anschaulich den Trend zur Clusterbildung im Rahmen der internationalen Transportströme und Umschlagsplätze. Kern eines solchen Hubs ist die Umschlagsleistung zwischen verschiedenen Transportmodi (z. B. Schiff – Bahn) oder auch nur gleich-
artigen Transportmodi (z. B. Schiff – Schiff), zunehmend verbunden mit Lagerung und wertsteigernden Zusatzleistungen. Da im globalen und interregionalen Warenverkehr weit über 90 Prozent der Transporte in Containern über See abgewickelt werden, entstehen Mega-Hubs mit überregionaler Bedeutung in der Regel nur an Hafenstandorten. Dennoch sollten rein „landgestützte“ Hubs, d. h. ohne eigenen Hafen, nicht völlig außer Acht gelassen werden. Strukturell lassen sich Logistik-Hubs unterscheiden in Gateways für den Im- und Export, die über ein wirtschaftlich starkes Hinterland verfügen, und Transithubs, bei denen die Verknüpfung von Transporten von und zu weiter entfernten Quellen und Zielen im Vordergrund steht. Während sich im Umfeld von Gateways zumeist logistische Infrastrukturen für Lagerung und Feinverteilung befinden (z. B. Rotterdam, im Umkreis von über 200 km), spielt sich das Geschehen in Transit-Hubs (z. B. Dubai) in einem engen lokalen Umfeld (weniger als 20 km) ab, trotz insgesamt gleicher Umschlagsleistung.
Asien – Europa: im Fokus der mittelfristigen Entwicklung Seit nunmehr über 20 Jahren liegen die Wachstumsraten der asiatischen Märkte deutlich über denen Europas und Nordamerikas. Die weitgehende Öffnung der Märkte erlaubt die Verlagerung der Produktion in die Länder mit niedrigsten Löhnen, mit der Konsequenz, dass die Handelsströme von Asien nach Europa und Nordamerika (einseitig) steigen, aber auch die Binnenmärkte in Asien kräftig gestärkt werden. Während Europa von der Osterweiterung der EU profi tiert und noch über eine gesunde Substanz produzierender Industrien verfügt, zeigen die abnehmenden Warenströme aus Nordamerika dessen schnellen Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Da auf dem Weg zwischen dem Fernen Osten und Europa zudem die süd- und westasiatischen Märkte mit ebenfalls hohen Wachstumsraten liegen, stehen die internationalen Warenströme zwischen Asien und Europa mittelfristig im Vordergrund des Interesses. Nicht
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unerheblich für die Logistik ist dabei die rasante Entwicklung innerhalb Asiens bezüglich der Verlagerung von Produktionsstätten; sie erzwingt eine hohe Flexibilität der Logistikinfrastruk turen einschließlich Alternativen zum reinen Seetransport. Dominante Handelsströme und Logistik-Hubs
Seit dem Jahr 2007 befindet sich kein amerikanischer Hafen unter den weltweiten Top Ten der Container häfen. Die asiatischen Häfen Singapur, Shanghai, Hongkong, Shenzen und Pusan führten 2007 die Rangliste mit Wachstumsraten von bis zu über 20 Prozent an. Diese Standorte qualifizieren sich sicherlich als Logistik-Mega-Hubs; sie stoßen zum Teil nun aber an geografische Grenzen ihres Wachstums. Dies wird zur Konsequenz haben, dass weitere bestehende asiatische Häfen zur Gruppe der Mega-Hubs hinzustoßen (z. B. Guangzhou mit einer Verdreifachung der TEU-Umschlagsleistung auf 9,2 Mio. TEU im Jahr 2007, binnen weniger als vier Jahre) und komplett neue Häfen entstehen. An solchen neuen Standorten wird sich zeigen, ob die Planer der Logistikinfrastruktur in der Lage sind, sowohl ausreichend weit in die Zufunkt zu planen und genügend Wachstumsmöglichkeiten zu schaffen als auch die standortspezifischen Anforderungen an die Verknüpfung verschiedener Transportmodi und an Flächen für weitere Logistik-Mehrwertdienstleistungen zu erfüllen. Das Fallbeispiel Dubai kann zeigen, dass es zunehmend schwieriger werden wird, den schnellen Wandel von Märkten und Transportströmen im Rahmen einer Planung und Realisierung von Logistik-Mega-Hubs angemessen zu berücksichtigen und zu beherrschen; so ist eine Umgestaltung eines Transit-Hubs zu einem Gateway gegebenenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Vor ganz besonderen Herausforderungen steht dabei Europa. Nur wenige der bestehenden Hafenstandorte lassen sich ohne Probleme schnell genug erweitern, um jährlich zweistellige Wachstumsraten über mehrere Jahre hinweg zu verkraften. Neue Standorte lassen sich in Westeuropa nur sehr viel schwieriger, zu hohen Kosten und mit vielen Zeitverlusten errichten. Die etablierten Logistik-Mega-Hubs werden im Bereich der Seefracht damit zunehmend ein Flaschenhals, der Warenströme auf andere Verkehrsträger zwingen kann und Hafenstandorte im Mittel- und Schwarzmeerraum stärken wird. Die zunehmende Anzahl von bedeutenden Hafenstandorten in Asien und Europa wird daher dem Trend zu immer größeren Containerschiffen entgegenwirken und gleichzeitig den Transit-Logistik-Hubs noch mehr Bedeutung und Umschlagsvolumen geben.
Logistik-Mega-Hub Dubai
Die zunehmenden Warenströme zwischen Asien und Europa haben dem Standort Dubai in die Liga der LogistikMega-Hubs verholfen. Unterstützt von einer liberalen und weitsichtigen Politik des Emirates am Persischen Golf etablierte sich in den 90er Jahren zunächst der Hafen Jebel Ali zu einem Container-Transit-Hub. Er wurde im Jahr 2007 zur Nummer sieben in der Liste der größten der Welt, mit Ausbaumöglichkeit auf das Sechsfache der heutigen Umschlagsleistung von 10,7 Mio. TEU pro Jahr. Die Transitfunktion blieb aber nicht auf die Seefracht beschränkt, sondern zeigte sich mit gleichen Steigerungsraten ebenfalls in der Luftfracht und darüber hinaus auch im kombinierten See-Luft-Verkehr. Diese multimodale Verknüpfung gab einen wichtigen Anstoß für die Planung des weltweit ersten multimodalen Logistik-Mega-Hubs, der Seefracht (Hafen), Luftfracht (Flughafen) und Lagerung sowie logistische Mehrwertdienste (Dubai Logistics City, DLC) innerhalb einer Freihandelszone zusammenfasst. In Dubai wurde erstmalig ein multimodales LogistikMega-Hub vom Reißbrett aus geplant. Dabei wurde sichergestellt, dass Planung und Umsetzung mit direktem Input der Logistikindustrie erfolgten. Die zwischen den Hafenanlagen und dem neuen Flughafen Al Maktoum International Airport angelegte Dubai Logistics City entsteht derzeit auf einer Fläche von 25 km² (vgl. Abb. 1). Nur Logistikdienstleister, Logistikdivisionen aus Handel und Industrie und unterstützende Service-Unternehmen erhalten für diesen Standort eine Lizenz. Damit wird erreicht, dass sich ein Cluster für die Logistikindustrie entwickelt, das allen Vertretern fast unbegrenzte Wachstumsmöglichkeiten über Jahre hinaus sichert. Während der Planungs- und Implementierungszeit der Dubai Logistics City ergaben sich deutliche Hinweise auf mittel- und längerfristige Trends für Warenströme. Aufgrund der großen Warenströme über den Transitstandort Dubai und den vielen dort ansässigen Händlern und Logistikdienstleistern ergibt sich dort eine hohe Sensibilität für Veränderungen. So haben binnen dreier Jahre die Logistikdienstleister in Summe die zunächst geplanten Flächen für Lagerhaltung, Distribution und Mehrwertdienstleistung nochmals verdreifacht (allein in der Dubai Logistics City auf 2,5 Mio. m² Lagerhallen, Stand Januar 2008). Dies reflektiert den Wirtschaftsboom in der Region, der die Kaufkraft des Durchschnittsbürgers stärkt, aber auch für den Zuzug weiterer Menschen sorgt. Die Analyse der Logistikunternehmen zeigt auch, dass ein steigender Anteil der Händler und Dienstleister die Arabische Halbinsel, die CIS-Länder im Norden und vor allem Ostafrika und den in-
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dischen Subkontinent als Märkte für sich entdeckt haben, da auch dort – wenn auch von sehr niedrigem Niveau – hohe Wachstumsraten verzeichnet werden. Damit kommt zur ursprünglich dominanten Rolle Dubais als Transithub zunehmend auch die Funktion als Gateway hinzu. Der Logistik-Mega-Hub Dubai profitiert davon vor allem deshalb, weil es für die Warenströme derzeit wenig leistungsfähige alternative Standorte zur Versorgung dieser neuen Märkte gibt. Gleichzeitig ist der Standort Dubai logistisch aber nicht gut dafür gerüstet, ein Hinterland zu versorgen, das hohe Zuwachsraten bei Bevölkerungszahl und Konsum verzeichnet: Da die ursprüngliche Planung des Hafens auf eine Transitfunktion ausgerichtet war, wurde keine Bahnanbindung in den Plänen berücksichtigt und ist heute aufgrund der Ausrichtung der Piers im Hafen auch im Rahmen der Hafenerweiterung kaum noch nachzurüsten. Alternativen für globale Warenströme
Unter der Annahme, dass das Volumen der Warenströme von Ost nach West mittelfristig weiter wachsen wird, zei-
gen sich zunehmend Überlastungserscheinungen, sowohl in europäischen als auch in asiatischen Häfen. Als Folge werden die Transportzeiten und -kosten tendenziell steigen, was darüber hinaus bereits heute durch die Tatsache verstärkt wird, dass in China produzierende Unternehmen ihre Werke immer weiter ins Hinterland verlagern. Da im Rahmen der Diskussion um die globale Erwärmung auch die Seeschifffahrt mit ihren Emissionen thematisiert wird, stellt sich insgesamt die Frage nach Alternativen für die globalen Warenströme. Für Warenströme zwischen dem Hinterland Chinas und dem voraussichtlich wachsenden osteuropäischen Konsumgütermarkt bietet sich der Ausbau und die verstärkte Nutzung der Bahn über die transkontinentalen Routen an: die sibirische Route, die chinesisch-russische Route und die Südroute via Indien (vgl. Abb. 2). Alle drei Routen sind um mehrere tausend Kilometer kürzer als der Seeweg über den Suezkanal und noch deutlich kürzer, wenn es um die Verbindung der inländischen Standorte Chinas und Europas geht. Allerdings werden selbst im besten Fall
Abb. 1: Integration von Hafen, Flughafen und Logistikpark innerhalb einer Freihandelszone
Quelle: Dubai Logistics City/Dubai Government
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die Kapazitäten auf dem Schienenweg nur einen geringen Anteil des Warenstromes übernehmen können, realistischerweise nicht einmal das aufgrund des Wachstums im Welthandel zusätzlich anfallende Volumen. Zum Vergleich: Die Waren eines einzigen modernen Containerschiffes erfordern (theoretisch) eine Zuglänge von 4500 Waggons. Das heißt, allein aus Shanghai müssten bereits heute mehrere Züge pro Stunde Richtung Europa fahren, um auf den Seeweg verzichten zu können. Hinzu kommt die Tatsache, dass zunehmend Produktionsstätten an viele verschiedene Standorte des südlichen Asiens verlegt werden, was den Einsatz der Bahn für Transporte nach Europa erschweren dürfte. Trotzdem wird die zunehmende Nutzung der transkontinentalen Bahnverbindungen Auswirkungen auf Standorte von Logistik-Hubs haben. Entlang der Hauptverbindungen zwischen Ost und West werden bedeutende Logistikstandorte auch ohne direkten Zugang zum Meer entstehen. Die für einen Logistik-Hub wichtige Verknüpfung verschiedener Transportmodi oder
Abb. 2: Ost-West-Routen per Bahn als Alternative zum Seeweg
Verkehrsträger und Flächen für Lagerhaltung, Distribution und Mehrwertdienstleistung wird allein aufgrund der im östlichen Europa entstehenden Konsumenten- und Produzentenmärkte entstehen.
Logistikeffekte der Demografie Die Globalisierung, aber auch die politische Stabilität in einer Vielzahl von Ländern, führen zu einem erhöhten Wohlstand in den Schwellenländern Asiens und sogar bereits in einigen Ländern Afrikas. Am deutlichsten wird dies in Indien mit der Herausbildung einer Mittelschicht, die heute durchaus 50 Mio. Einwohner umfasst. In anderen Ländern kommen die Einnahmen hinzu, die aufgrund der steigenden Rohstoffpreise erzielt und oft in der eigenen Region investiert werden. Dieser wachsende Wohlstand und der damit verbundene Konsum liefert bereits heute einen beträchtlichen Beitrag zum Wachstum der Warenströme (wie oben am Beispiel Dubais erläutert)
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und leitet die Abkehr vom reinen Ost-West-Denken bezüglich der Warenströme ein. Zunächst profitieren von dieser Entwicklung günstig gelegene Standorte wie Dubai, ohne dass die europäischen oder ostasiatischen Logistik-Hubs große Einbußen hinnehmen müssten. In den Prognosen zur Struktur der globalen Warenströme werden gemeinhin die dramatischen Effekte unterschätzt, die sich in den nächsten wenigen Jahrzehnten zusätzlich aufgrund der demografischen Entwicklung ergeben werden. Zwar ist auch in der Vergangenheit die Bevölkerung in vielen Regionen stark gewachsen, in den nächsten Jahrzehnten wird dies allerdings mit einer globalisierten und schnell anpassungsfähigen Welt in Kombination eintreten. Märkte, die heute als Versorger oder Abnehmer fungieren, werden – relativ gesehen – drastisch an Bedeutung verlieren, dazu zählen vor allem Europa, Amerika und sogar China. „Gewinner“ dieser Entwicklung werden Ostafrika, Westafrika und der Mittlere Osten sein, denn in diesen drei Regionen wird die Bevölkerung fast ungebremst weiter wachsen; so werden zu den heute knapp 1 Mrd. Einwohnern Afrikas bis 2050 noch einmal 1 Mrd. Konsumenten hinzukommen. Im Vergleich dazu wird die Zahl der Einwohner in China zwischen 2025 und 2050
Abb. 3: Prognose für das Bevölkerungswachstum nach Weltregionen, geordnet nach stärkstem Wachstum Region
2005-2025
2025-2050
Eastern Africa
59,1 %
48,9 %
Western Africa
54,9 %
46,2 %
Africa
51,2 %
43,3 %
Middle East
38,8 %
25,3 %
Indian subcontinent
29,2 %
16,8 %
SE Asia
23,7%
12,1%
South America
23,3%
12,2%
Latin America and the Caribbean
23,3%
11,8%
Northern America
18,3%
13,3%
Southern Africa
10,3%
7,4%
China
10,1%
-2,6%
Northern Europe
7,5%
4,4%
Western Europe
2,4%
-1,6%
Southern Europe
1,9%
-4,5%
Europe
-2,2%
-7,1%
-10,2%
-17,1%
Eastern Europe
Quelle: United Nations Population Division (2007)
sogar zurückgehen. Selbst in Südostasien und Indien wird sich das Bevölkerungswachstum deutlich abschwächen. Die Zeiträume von heute bis 2025 oder darüber hinaus mögen als recht weit in der Zukunft erscheinen. Bezüglich der Schaffung einer erforderlichen Infrastruktur für die Logistik (Häfen, Bahnen, Straßen) allerdings ist dies nicht viel Zeit, denn allein für Afrika, das heute noch kaum über leistungsfähige Containerhäfen verfügt, sind gewaltige Anstrengungen erforderlich, um eine Anbindung an die globalen Warenströme zu erreichen. Während heute Logistik-Mega-Hubs in Asien, insbesondere China, Korea etc., entstehen, werden solche in der Zukunft auch an den Küsten Afrikas dazukommen. Neben Standorten wie Dubai, der künftig eher den Mittleren Osten und die nördlicher gelegenen Länder bedienen dürfte, werden Standorte wie Tanger, Tripolis, Alexandria, Dschibuti, Daressalam etc. zu Kandidaten für neue Logistik-Mega-Hubs. Durchaus könnten sich Investoren aus China oder dem Mittleren Osten finden, die bereit sind, komplett neue Logistikstandorte mit kompletten Städten zu planen und zu finanzieren, so wie derzeit auf der Arabischen Halbinsel zu beobachten (z. B. King Abdullah Economic City). Beispiel Tanger: Wenn sich Produktionsstätten in Richtung Südasien und Afrika verlagern und sich gleichzeitig die Konsumnachfrage in Afrika erhöht, erhält der bestehende Hafenstandort Tanger eine höhere geostrategische Bedeutung, nämlich als Transit-Hub. Hier können sich Transportströme zwischen Afrika und Europa mit denen aus und nach Asien (sowohl via Suezkanal als auch via Südafrika) treffen. Sogar die Versorgung der Ostküsten Amerikas mit Waren aus Afrika und Südasien könnte über diesen Standort erfolgen, zulasten mancher heutigen Warenströme von China über den Pazifik an die amerikanische Westküste. Beispiel King Abdullah Economic City: Die im Aufbau befindliche King Abdulla Economic City (KAEC) liegt in Saudi-Arabien am Roten Meer direkt an der SuezkanalRoute der Seeschifffahrt. Dieser Standort verfügt über ein großes, auch per Bahn erschlossenes Hinterland mit hohen Wachstumsraten bei Konsum und Bevölkerung. Aufgrund des erwarteten Bevölkerungswachstums in Ostafrika und dem Arabischen Raum kann die KAEC für die Region um das Rote Meer und als Umschlagspunkt für die Anbindung an Afrika eine Logistik-Mega-Hub-Funktion einnehmen, so wie es heute Dubai für die Golf-Region, die CIS-Staaten und den indischen Subkontinent darstellt. Die Parallelen zu Dubai sind besonders deutlich, wenn die Rolle gesehen wird, die diese Standorte in der Ver-
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Abb. 4: Geplanter Hafen der KAEC am Roten Meer, mit 10 Mio. TEU Kapazität
Quelle: King Abdullah Economic City/Emaar
knüpfung hoch entwickelter Logistik – mit großen Containerschiffen und moderner Umschlagtechnik – mit einer Vielzahl kleiner Standorte spielen, die heute und auch in weiterer Zukunft nur mit kleineren Schiffen, per Flugzeug und mit einfacher Umschlagtechnik erreichbar sind. Welcher dieser Standorte sich allerdings wirklich zu einem Mega-Hub entwickeln wird, hängt stark von der jeweiligen politischen Stabilität, den wirtschaftlich-gesetzlichen Freiheitsgraden, den Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Kapital, von der Weitsicht der strategischen Planer, dem verfügbaren Kapital und der Geschwindigkeit der Umsetzung ab.
Die Geschwindigkeit des Wandels Im Rahmen der Veränderungen der globalen Warenströme stellt die zunehmende Geschwindigkeit des Wandels und die zunehmende Anpassungsfähigkeit der Märkte eine besondere Herausforderung dar. Kleinste Verschiebungen bei Lohnkosten und anderen Faktorkosten oder andere
Einflüsse können schnelle und umfassende Umstrukturierungen verursachen, bis hin zur Verlagerung ganzer Industrien in andere Länder oder Kontinente binnen kurzer Zeit. Als Beispiel sei genannt, dass binnen des Jahres 2006 große Teile der Textil- und Bekleidungsindustrie von China nach Bangladesch verlegt wurden, ausgelöst von der Erreichung der international festgelegten Quoten pro Land. Es ist abzusehen, dass allein China in den nächsten Jahrzehnten einen Großteil der bestehenden bzw. zusätzlichen Produktionskapazität aus China herausverlagern wird, zunächst in das südlichere Asien, bald darauf aber in die „verlängerte Werkbank Afrika“. Aufgrund der Geschwindigkeit und der Dimension ergibt sich für die stark an Infrastruktur gebundene Logistik eine große Herausforderung. Es wird sich zeigen, ob Logistik-Mega-Hubs dies bewältigen können oder ob kleinere und in größerer Zahl entstehende Häfen, Flughäfen etc. besser und schneller in der Lage sind, auf den schnellen Wandel zu reagieren. Es scheint aber, dass in den betroffenen Ländern in der Logistik auch in Zukunft viel improvisiert werden muss. Dies kann dazu führen, dass auf manches Optimierungspotenzial verzichtet werden muss und die Nachhaltigkeit der Entwicklung nicht an erster Stelle stehen wird. Allein die sich ergebenden Flexibilitätsanforderungen werden bewirken, dass die Verkehrsströme nicht allein über Bahn und Containerschiffe der Megaklasse laufen, sondern dass mittelgroße Containerschiffe und auch die Luftfracht eine ganz bedeutende Rolle behalten werden. Literaturverzeichnis Dubai World Central (2007) Introduction to a Quantum Leap for Logistics. http://www.dubaiworldcentral.net/fileadmin/DLC/Download_center/DLC_Bro.pdf United Nations Population Division (2007) The 2006 Revision and World Urbanization Prospects. http://esa.un.org/unpp/
Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung
Detthold Aden Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group
Detthold Aden Jahrgang 1948 Aden ist seit 1999 Vorsitzender des Vorstandes der BLG Logistics Group. Nach Ausbildung und Praxisjahren in verschiedenen Unternehmen wurde er 1976 Gründungsgeschäftsführer des Paketdienstes UPS United Parcel Service in Deutschland. 1982 übernahm Aden die Alleingeschäftsführung der Bertelsmanntochter VVA, der späteren Bertelsmann Distribution GmbH. Dem Unternehmen wurde 1987 der Deutsche Logistik-Preis verliehen. 1988 wurde er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der UnionTransport-Gruppe berufen. Unter Adens Initiative kam es zur Gründung der Franchisekooperation Unitrans und zum Zusammenschluss mit der Nedlloyd Gruppe. 1990 übernahm er den Vorsitz der Geschäftsführung der Thyssen Haniel Logistic GmbH und verantwortete die Fusion der Unternehmen Thyssen Trans mit denen der Haniel Spedition. 1995 wurde er Mitglied des Vorstandes der Thyssen Handelsunion AG.
Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung Detthold Aden
Die Globalisierung ist das ökonomische Prinzip von global sourcing, global production und global selling. Dabei werden diverse und teils sehr unterschiedliche Strategien verfolgt. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie eine ständige Zunahme der internationalen Arbeitsteilung bewirken und diese wiederum das Welthandelsvolumen deutlich stärker ansteigen lassen als die weltweite Produktion – und zwar etwa mit der doppelten Jahreszuwachsrate.
Interkontinental spielt der Seeverkehr eine dominierende Rolle Die interkontinentalen Güterströme laufen zu fast 99 Prozent über die Seewege. Dabei spielt das weltweit normierte Transportsystem Container eine dominante Rolle. Vielseitigkeit, Zuverlässigkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis des Systems sind in dieser Kombination ohne Parallele. Im laufenden Globalisierungsprozess bestätigt sich seit etlichen Jahren in etwa die Faustregel: Ein Prozent Wachstum der weltweiten Produktion generiert zwei Prozent Wachstum des Welthandelsvolumens und drei Prozent Wachstum des Containerverkehrs. 2007 wurden auf den Containerterminals weltweit rund 450 Mio. Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Bis 2010 wird diese Zahl auf über 500 Mio. TEU steigen. Daneben gewinnen die Nord-Süd-Achsen ständig an Bedeutung. Dies sind Verbindungen zwischen Europa und Südafrika, Nordamerika und Südamerika sowie entlang der asiatischen Küsten. Diese Verbindungen werden mit deep sea carriers bestritten. Zudem verkehren zahlreiche Feederschiffe (short sea carriers) zwischen den Hauptcontainerhäfen und kleineren Terminals mit Regionalcharakter. Damit ist das System Container weltweit nach Fahrplänen vernetzt und alle Transportabläufe lassen sich exakt planen.
Das Transportsystem Container Der Container ist der eigentliche Wegeereiter der Globalisierung. Als der amerikanische Spediteur Malcolm McLean Mitte der 1950er Jahre mit der „Ideal X“ das erste Containerschiff der Welt auf die Reise schickte, ahnte er noch nicht, welche Welle er letztlich damit auslösen
würde. McLean setzte seine Schiffe zunächst nur entlang der US-Ostküste ein. Im Vietnamkrieg leistete er mit containerisierten Verkehren über den Pazifik einen Beitrag zur Versorgung der amerikanischen Truppen. Für die Rückwege akquirierte er Ladung in Japan. Damit war der Beweis erbracht, dass Container auch im Überseeverkehr erfolgreich eingesetzt werden konnten. 1966 folgte der Schritt über den Atlantik. Bremen und Rotterdam waren die ersten Containerhäfen in Europa. In den 1970er Jahren gelang die weltweite Normierung des Transportsystems Container für den See- und Landverkehr. Damit war der Standardbehälter universell einsetzbar. Die großen Container-Hubs bieten heute täglich mehrere Schiffsabfahrten in die Hauptregionen der Weltwirtschaft. Das heißt, es besteht jeden Tag mehrfach die Möglichkeit, einen Container nach Asien oder Amerika auf den Weg zu bringen. Die fahrplanmäßige Genauigkeit des Systems und das gesamte Preis-Leistungs-Verhältnis sind ohne Vergleich. Die Kosten für den Transport eines Containers sind im Vergleich zu den transportierten Warenwerten sehr gering. Nur mit dem Container ist Supply Chain Management im interkontinentalen Maßstab realisierbar.
Tendenz zu größeren Containerschiffen Mit den wachsenden Containerströmen nehmen auch die Schiffsgrößen zu. Bei den deep sea carriers sind die größten Schiffe gegenwärtig knapp 400 Meter lang und können in der Breite bis zu 22 Containerreihen transportieren. Bei einem Tiefgang von gut 15 Metern lässt sich daraus eine Stellkapazität von bis zu 15 000 TEU ableiten. Der Trend zu größeren Schiffen wird von ökonomischen Parametern bestimmt – insbesondere den Kosten pro transportiertem Container. Noch größere Containerschiffe sind technisch kein Problem. Problematisch sind Tiefgänge von mehr als 15 Metern, weil dann zu viele Häfen auf der Welt von solchen Schiffsgrößen nicht mehr angelaufen werden könnten. Nicht überall lassen sich die wasserseitigen Zufahrten anpassen, wenn der Grund aus Felsen besteht. Wer als großer Containerhafen (hub) auch in Zukunft bestehen will, muss den Großschiffen zumindest weitgehend tidefreien Verkehr gewährleisten. Parallel zur Größenentwicklung
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der deep sea carriers werden zunehmend größere Feederschiffe eingesetzt.
Globalisierungsgewinner Deutschland Im Zuge der Globalisierung spielt Deutschland eine im Vergleich zu seiner Größe sehr große Rolle. Das Außenhandelsvolumen lag vorläufigen Berechnungen zufolge bei rund 1,8 Billionen Euro. Die Position als Exportweltmeister hat sich jedenfalls auch 2007 wieder bestätigt. Nach Einschätzung der Wirtschaftsforschungsinstitute werden die Ausfuhren in diesem Jahr sogar die Billionengrenze überspringen. Als Exportweltmeister werden wir 2008 allerdings höchstwahrscheinlich von China abgelöst. Auch bei den Einfuhren spielt Deutschland eine starke Rolle. Importweltmeister sind wir zwar nicht, gehören aber mit 82 Mio. Konsumenten immerhin zu den Hauptkunden auf dem Weltmarkt.
Das gegenwärtige Wirtschaftswachstum in Deutschland resultiert fast ausschließlich aus den Exporten. Von der Stärke des Außenhandels profitiert besonders auch die Transport- und Logistikbranche. Mit rund 200 Mrd. Euro Jahresumsatz und annähernd drei Mio. Beschäftigten liegt sie nach der Automobilindustrie und dem Gesundheitswesen auf Platz drei der Schlüsselbranchen in Deutschland. Allein die deutschen Seehäfen sorgen direkt und indirekt für rund 500 000 Arbeitsplätze. Mehr als die Hälfte davon sind allein durch die bremischen Häfen und Hamburg induziert. Durch die Erweiterung der EU haben sich die Außengrenzen erheblich nach Osten und Südosten verschoben. Damit ist Deutschland in eine geografische Mittelpunktslage gerückt. Da einige der neue Mitgliedstaaten keine eigenen Seehäfen haben und andere an Nebenmeeren liegen, die von großen Containerschiffen nicht direkt angelaufen werden, kommt den Nordseehäfen Bremen/
Abb. 1: Die Fairland war das erste Containerschiff, das über den Atlantik nach Europa kam. Es wurde am 6. Mai 1966 im Bremer Überseehafen entladen.
Detthold Aden
Bremerhaven und Hamburg sowie künftig auch Wilhelmshaven mit dem geplanten JadeWeserPort eine erheblich gewachsene Bedeutung zu. Die Hubs sind nicht nur Drehscheiben für die gesamte deutsche Wirtschaft, sondern auch für weite Teile Ost- und Südosteuropas. Die Steigerung der Produktivität und Effizienz beim Hafenumschlag setzt auch eine entsprechende Qualifizierung der wachsenden Belegschaften voraus. Die Unternehmen in den deutschen Seehäfen werden deshalb bis 2012 insgesamt 2800 Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren und damit neue, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen. Der Bund wird mit der „Qualifizierungsoffensive Seehafenlogistik“ finanzielle Mittel dafür bereitstellen. Mit der Integration von Langzeitarbeitslosen in die Hafenarbeit werden bereits seit einigen Jahren sowohl in Hamburg als auch in den bremischen Häfen gute Erfahrungen gemacht.
Seehäfen entwickeln sich zu logistischen Netzknoten Die großen Seehäfen sind heute nicht lediglich Bündelungs- und Umschlagszentren der Güterströme an der Abb. 2: Containerterminal Bremerhaven heute
Schnittstelle zwischen Land und See, sondern zunehmend auch logistische Netzknoten mit einem erheblich erweiterten Leistungsprofil. Geografische Reichweite und Dienstleistungstiefe wurden zum Beispiel in den bremischen Häfen stark ausgebaut. Ein modernes, seehafenorientiertes Logistikunternehmen hat inzwischen durchaus die Kompetenz zum Supply Chain Management im interkontinentalen Stil entwickelt und das traditionelle Hafendenken mit der Konzentration auf den Seegüterumschlag an einem einzigen Standort überwunden. Industrie und Handel fordern in der Globalisierung kompetente logistische Netzwerke und keine Einzellösungen. Die Antwort darauf sind Terminal-, Transport- und Dienstleistungsnetzwerke mit zumindest kontinentalen und besser noch interkontinentalen Reichweiten. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Mercedes montiert an diversen Standorten in Übersee eine breite Fahrzeugpalette, unter anderem im brasilianischen Juiz de Fora das Coupé der erfolgreichen C-Klasse. Diese Fahrzeuge sind ausschließlich für den Export bestimmt, die meisten für Europa. Die Bauteile kommen größtenteils aus den deutschen Mercedes-Werken und von deutschen Zulieferern. Die Konsolidierung aller Teile von rund 200 Zulieferern und
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aus den Mercedes-Werken erfolgt in einem Logistikzentrum der BLG in Bremen. Dort werden geklebte Karosserieteile gehärtet und für den Transport konserviert. Teilweise werden auch Vormontagen von Baukomponenten vorgenommen. Mit diesen value-added services ist der Logistiker die verlängerte Werkbank des Herstellers. Nach Maßgabe der Montagelinie in Juiz de Fora verpackt und containerisiert der Logistiker in Bremen alle erforderlichen Bauteile und bringt die Behälter per Binnenschiff auf den Weg zum Containerterminal Bremerhaven zur Verschiffung nach Südamerika. In Juiz de Fora hat ein Joint Venture des Logistikers die komplette Werkslogistik übernommen. Dort entstehen mehrere 10 000 Fahrzeuge pro Jahr. Am Ende der Montagelinie werden die fertigen Fahrzeuge angenommen und über Rio de Janeiro nach Deutschland verschifft. Auf dem Autoterminal in Bremerhaven durchlaufen sie das Technikzentrum, erhalten die PDI (pre-delivery inspection) und werden anschließend per Lkw in das Händlernetz verteilt. Damit ist die Supply Chain von der Entstehung der Fahrzeuge bis zu den Händlern komplett. Der Logistiker unterstützt den Hersteller vom Sourcing über die Produc-
tion bis hin zum Selling und hat seine eigene Wertschöpfung damit erheblich gesteigert. Die Dienstleistungstiefe befruchtet die Logistikzentren ebenso wie die Containerund Autoterminals, zudem die Bereiche Automobiltechnik und Fahrzeugtransporte. Ein weiteres Beispiel für die Schlüsselrolle eines seehafenorientierten Logistik-Providers sind Dienstleistungen für Tchibo. In Bremen baute der Logistiker für über 100 Mio. Euro den größten und modernsten Hochregallagerkomplex des Kontinents. Alle Gebrauchsartikel, die unter dem Slogan „Jede Woche eine neue Welt“ in 54 000 Verkaufsstellen in Deutschland und Europa vertrieben werden, durchlaufen das zentrale Lager in Bremen. Zudem erfolgt die Nachversorgung aller Verkaufsstellen direkt aus dem Bremer Logistikzentrum. Ein Großteil dieser Waren kommt per Container aus Asien über die Containerterminals des Logistikers in Bremerhaven und Hamburg. Damit profitieren auch die Terminals von diesen handelslogistischen Dienstleistungen. Ebenso über Bremen werden alle Kunden in ganz Europa und mehreren Ländern Afrikas direkt mit Kopierern und Faxgeräten von Konica Minolta beliefert. Dabei sorgt
Abb. 3: Die EBBA MAERSK und ihre sieben Schwestern sind gegenwärtig die größten Containerschiffe der Welt.
Detthold Aden
der Logistiker auch für die länderspezifische Konfigurierung der Business Electronics und übernimmt auch technische Umrüstungen. Die Geräte und das entsprechende Zubehör kommen per Container aus Japan. Im Zuge einer Umstrukturierung des Vertriebssystems ließ Konica Minolta das gesamte Leistungspaket neu ausschreiben. Eine der Bedingungen war dabei, dass das Logistik zentrum künftig am Rhein im Ballungsgebiet Nordrhein-Westfalen angesiedelt sein muss. Der Bremer Logistiker erhielt den Zuschlag, lässt gegenwärtig am Standort Emmerich ein neues Logistikzentrum mit 80 000 Quadratmetern Fläche errichten und wird das Geschäft im Sommer von der Weser an den Rhein verlagern. Damit verbunden ist die Ausweitung der Logistikleistungen auf die Druckerpalette dieses Herstellers – und etwa 200 neue Arbeitsplätze. Die frei werdenden Flächen im Logistikzentrum Bremen werden dringend für das Wachstum in den Bereichen Autoteile- und Handelslogistik benötigt. Die Beispiele zeigen, wie sich ein ursprünglich lokales Hafenumschlagsunternehmen auf der Basis seiner traditionellen Kompetenz in die weltweite Logistik hinein entwickelt hat. Die geografische Reichweite und die Dienstleistungstiefe umfassen zahlreiche Aufgaben, die mit dem klassischen Hafengeschäft im Grund nichts zu tun haben. Damit wurde die logistische Kompetenz ausgebaut, die Wertschöpfung deutlich gesteigert und die Beschäftigung erhöht. Das Unternehmen hatte vor zehn Jahren 2500
Mitarbeiter und bietet heute einschließlich seiner Beteiligungen weltweit schon mehr als 13 500 Arbeitsplätze, etwa 6500 davon allein im Bundesland Bremen. Der Logistiker bietet den globalen Märkten Dienstleistungen bis hin zum kompletten Supply Chain Management. Die Kunden aus Industrie und Handel nutzen diese Kompetenz entweder komplett oder aber als individuell maßgeschneiderte Leistungspakete. Für die BLG ist es heute prinzipiell gleichgültig, welche Leistungen oder Leistungspakete auf welchem Kontinent von den Kunden gefragt sind. Sie müssen allerdings durch die spezifische Kompetenz der operativen Geschäftsbereiche Automobil, Container- und Kontraktlogistik passen. Zudem gibt es weitere Bemessungskriterien: den Kunden, das jeweilige Geschäft und zudem auch länderspezifische Aspekte. Mindestens zwei dieser Kriterien müssen erfüllt sein, wenn man eine neue Logistikdienstleistung erfolgreich realisieren will.
Die Position der deutschen Seehäfen Die deutschen Seehäfen erreichten 2006 erstmals einen Gesamtumschlag von über 300 Mio. Tonnen. Sie sind auch 2007 weiter gewachsen und lagen mit einem Plus von etwa sechs Prozent bei 318 Mio. Tonnen. Bis 2010 wird sich das Aufkommen jährlich um durchschnittlich fünf Prozent erhöhen, so die aktuelle Mittelfristprognose des Bundesverkehrsministeriums. Nach der neuen Seeverkehrsprognose steigt das
Abb. 4: Karosserieteile werden im Logistikzentrum Bremen zum Transport nach Übersee vorbereitet und in Container verpackt.
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Aufkommen der deutschen Seehäfen bis 2025 insgesamt um das Eineinhalbfache auf 759 Mio. Tonnen. Dabei wird sich der Containerumschlag auf 45,3 Mio. TEU mehr als vervierfachen und der Fähr- und Ro/Ro-Verkehr der deutschen Ostseehäfen auf 71,7 Mio. Tonnen etwa verdreifachen. Kein anderer Wirtschaftsbereich in Deutschland hat eine so erfolgreiche Entwicklung vorzuweisen und so gute Perspektiven für die Zukunft wie die Transport- und Logistikbranche. Und dabei spielen die Seehäfen eine herausragende Rolle. Dies ist auch ein Verdienst der deutschen Seehafenpolitik. Es ist jedoch unerlässlich, diese Erfolge nachhaltig zu gestalten und dauerhaft zu sichern. Dabei ist es wichtig, zu investieren, zu optimieren und strategisch zu koordinieren. Um die Wachstums- und Beschäftigungschancen zu nutzen, muss konsequent in die Seehäfen und ihre Verkehrsanbindungen investiert werden.
Infrastrukturanpassung ist ein Wettlauf mit der Zeit Bei einem durchschnittlichen Wachstum des Containerverkehrs von sechs bis acht Prozent im Jahr, was in den
90er Jahren die Regel war, verdoppelt sich der Transport von Containern und der Umschlag in den Seehäfen etwa alle zehn Jahre. Dieser Zeitraum reichte aus, um die Verkehrsinfrastruktur in den Seehäfen der Nachfrage anzupassen. Bei Wachstumsraten zwischen zwölf und 14 Prozent verkürzt sich der Zeitrahmen auf die Hälfte. Das heißt, die Seehäfen können der Entwicklung kaum folgen. Terminalkapazitäten sind trotz ehrgeiziger Planungen und konkreter Ausbauprojekte fast überall knapp. Noch gravierender ist das Problem der Verkehrsinfrastruktur im Binnenland und damit auch bei den Hinterlandverbindungen der Seehäfen. Plan- und Planfeststellungsverfahren dauern vor allem in Deutschland viel zu lange. Es gibt Verkehrsprojekte, die seit mehr als 20 Jahren in der Planung sind, und bislang wurde noch nicht einmal der erste Spatenstich vollzogen. Für die Containerreeder sind zweistellige Wachstumsraten kein Problem. Schiffe lassen sich bei der heute üblichen Fertigung in kleinen Serien relativ schnell bauen. So hat die zum APM-Konzern gehörende Werft Odense Steel Shipyard Ltd. die EMMA MAERSK und ihre sieben gigantischen Schwesterschiffe in weniger als zwei
Abb. 5: Über das Hochregallager in Bremen versorgt Tchibo 54 000 Verkaufsstellen in Deutschland und Europa mit Gebrauchsartikeln.
Detthold Aden
Jahren fertiggestellt. Weltweit haben die Werften Ende 2007 rund 1500 Containerschiffe mit fast sieben Mio. TEU Stellkapazität zur Ablieferung bis 2010 in ihrem Auftragsbestand. Darunter sind etwa 300 Mega-Carrier für mehr als 8000 TEU. Die Weltcontainerflotte wächst damit im Jahresdurchschnitt um annähernd 14 Prozent. Die Anpassung der Verkehrsinfrastrukturen der Seehäfen und deren Hinterlandverbindungen ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die deutschen Seehäfen werden 2008 etwa 17 Mio. TEU umschlagen und damit weiter zweistellig wachsen. In Bremerhaven ist die Terminalerweiterung CT 4 im Bau. Sie wird im Sommer 2008 komplett betriebsbereit sein und das Containerterminal um 1,7 auf rund fünf Kilometer verlängern. Hamburg plant, seine Terminalkapazitäten bis 2015 zu verdoppeln. Der JadeWeserPort in Wilhelmshaven ist in der Planung und kann frühestens 2010 den Teilbetrieb aufnehmen. Aber auch wenn es gelingt, den Neubau von Terminals und den Ausbau vorhandener Kapazitäten einigermaßen
bedarfsorientiert voranzutreiben, bleibt ein Risiko. Denn: Der beste Hafen ist nicht besser als seine Hinterlandverbindungen. Ein Wettlauf mit der Zeit entscheidet folglich darüber, ob Deutschland seine Chancen nutzen und die starke Position im Welthandel und als führende Logistikdrehscheibe Europas auch dauerhaft behaupten kann. Die Bereitschaft von Hafenunternehmen, Bund und Küstenländern, in die Zukunft dieser wachstums- und beschäftigungsintensiven Branche zu investieren, ist sehr ausgeprägt. Das Bewusstsein um die Notwendigkeit ist vorhanden, allerdings fehlt das Tempo. Zudem muss die Finanzierung der als vordringlich geplanten Maßnahmen gesichert werden. Absichtserklärungen allein reichen nicht.
Herausforderung der Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie Darüber hinaus gibt es ein weiteres Problem. Der Begriff Klimawandel und seine absehbaren Folgen sind 2007
Abb. 6: Die Überseehäfen in Bremerhaven mit den Frucht- und Fahrgastterminals im Vordergrund, rechts die Autoterminals und im Hintergrund der jetzt fast fünf Kilometer lange Containerterminal.
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sehr stark in das Bewusstsein der Weltbevölkerung gedrungen. Die weltweite Wachstumsbranche Transport und Logistik muss sich dem Thema stellen. Es ist eine Herausforderung: Die zu erwartenden umwelt- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung müssen von den Verkehrsträgern erfüllt werden. Patentrezepte gibt es nicht, sondern bislang nur unkoordinierte Einzelvorstellungen mit teils sogar fragwürdigen Erfolgen. Sicher ist aber: Wir müssen deutlich steigende Transportmengen bewältigen, um die Qualität des Hafen- und Logistikstandortes Deutschland zu erhalten und weiterzuentwickeln. Dabei müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Reduzierung der Schadstoffemissionen zu erreichen. Die bislang bekannten technischen Möglichkeiten sind relativ gering und reichen allenfalls aus, um die negativen Effekte der steigenden Güterverkehre auszugleichen. Aus Sicht der Logistikbranche ist ein koordiniertes Maßnahmenbündel erforderlich. Wesentlich dabei sind:
Vermeidung von Staus durch intelligente Verkehrsleitsysteme, zielgerichteter Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen mit straffer Bedarfsorientierung, zeitliche Entzerrung des Güterverkehrs durch Mautspreizung, flüssigere Verkehrsgestaltung auf den Autobahnen durch Überholverbote und automatisierte Verkehrsregelungen etc. Ferner muss die Schieneninfrastruktur verbessert werden und verstärkt den Bedarf des wachsenden Güterverkehrs berücksichtigen. Die Beseitigung der administrativen Hemmnisse im Bereich des short sea shipping (z. B. Zollbehandlung) würde die Küstenverkehre wettbewerbsfähiger gestalten.
Hohe Investitionsbereitschaft in Politik und Hafenwirtschaft Die deutsche Hafenwirtschaft wird bis 2012 insgesamt 3,2 Mrd. Euro in den Ausbau ihrer Terminals investieren. Die Küstenländer wollen 4,3 Mrd. Euro in den Ausbau ihrer Hafeninfrastrukturen und der Bund bis 2010 weitere
Abb. 7: So ist das Containerterminal JadeWeserPort in Wilhelmshaven geplant.
Detthold Aden
5,1 Mrd. Euro in den Ausbau der seewärtigen Zufahrten und der Hinterlandanbindungen investieren. Insgesamt ist damit ein Investitionsvolumen von 12,6 Mrd. Euro für den Ausbau der deutschen Seehäfen und ihrer Anbindungen geplant. Ein großer Teil der prioritären Projekte ist Bestandteil des Investitionsrahmenplans 2010 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes. Von den prioritären Wasserstraßenprojekten sind alle Maßnahmen in den Plan eingeflossen: die Fahrrinnenanpassungen von Außen- und Unterweser sowie Außen- und Unterelbe, der Ausbau der Mittelweser mit Bau der Schleusen in Dörverden und Minden sowie die Schleusen am Elbe-Lübeck-Kanal. Darüber hinaus ist auch der Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals Bestandteil des Investitionsrahmenplans. Diese Maßnahme ist wichtig, damit der Nord-Ostsee-Kanal nicht zum Engpass für Feeder-Verkehre zwischen Nord- und Ostsee wird. Aber auch die seewärtigen Zufahrten zu den Häfen Emden und Wismar müssen ausgebaut werden. Dafür fehlen allerdings noch die planerischen Voraussetzungen. Machbarkeitsstudien sind aber bereits in Arbeit. Beide
Maßnahmen müssen nachträglich in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden. Von den prioritären Schienenprojekten wurden in den Investitionsrahmenplan aufgenommen: die Y-Trasse, die Elektrifizierung der Strecke Hamburg – Lübeck, der Ausbau der Strecke Oldenburg – Wilhelmshaven sowie der dreigleisige Ausbau der Strecke Stelle – Lüneburg. Prognosen gehen davon aus, dass die Häfen Hamburg, Bremen/Bremerhaven und Wilhelmshaven bis 2015 täglich von 300 Güterzügen zusätzlich angefahren werden. Ohne die Y-Trasse würden die Straßen täglich mit 4850 Lkw zusätzlich belastet. Nicht in den Investitionsrahmenplan aufgenommen wurde der Ausbau der Strecken Rostock – Berlin, Berlin – Pasewalk – Stralsund. Der Ausbau dieser Strecken soll jedoch im Rahmen der Investitionsmittel zur Erhaltung des bestehenden Schienennetzes erfolgen. Von den Bundesfernstraßen-Projekten sind im Investitionsrahmenplan berücksichtigt: der sechsstreifige Ausbau der A 1 und A 7, der Weiterbau der A 281 – Eckverbindung in Bremen sowie der Neubau der A 26 von Stade (A 20) nach Hamburg (A 7).
Abb. 8: Containerganzzüge verbinden fahrplanmäßig die großen Terminals mit den Wirtschaftszentren in Deutschland und Europa.
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Nicht aufgenommen wurden dagegen der Weiterbau der A 20 von Lübeck (A 1) nach Stade (A 26) mit Elbquerung sowie der Neubau der Strecke A 29 Lüneburg – Wolfsburg. Hier liegen die planerischen Voraussetzungen noch nicht vor. Dies gilt auch für die Küstenautobahn A 22 und die Hafenquerspange. Die deutschen Seehäfen benötigen diese Maßnahmen jedoch dringend und setzen darauf, dass auch diese Projekte zügig vorangebracht werden. Um die Erfolge der deutschen Seehafenpolitik zu sichern, müssen die finanziellen Mittel für diese Projekte bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. Neben der Notwendigkeit, konsequent in den Ausbau der Seehafenanbindungen zu investieren, kommt es darauf an, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur optimal zu nutzen. Durch Innovationen soll die Leistungsfähigkeit der Supraund Infrastruktur optimiert werden. Wir wollen daher in konzertierter Aktion mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Technologien im Hafen- und Terminalbereich sowie im Hinterlandverkehr ausbauen und damit die Hafenlogistik stärken.
Der Bund fördert ISETEC II Das Bundeswirtschaftsministerium hat dafür das neue Technologieprogramm „Innovative Seehafentechnologien II“ (ISETEC II) ausgeschrieben. Es knüpft an den Erfolg des ISETEC I-Programms der Jahre 1985 bis 1995 an, das im Zuge der ersten Containerisierungswelle im Seetransport aufgelegt wurde. Mit dem neuen Förderprogramm sollen die Flächenproduktivität gesteigert und die Intermodalität verbessert werden. Hierfür sind Fördermittel in einer Größenordnung von 30 Mio. Euro vorgesehen. Das Programm ISETEC II läuft von Anfang 2008 bis Ende 2011. Zudem kommt es bei der Sicherung der Erfolge deutscher Seehafenpolitik auch darauf an, strategisch zu koordinieren. Auf nationaler Ebene ist es wichtig, die Strategie für die see- und landseitige Anbindung der Häfen auf der Grundlage der „Gemeinsamen Seehafenplattform“ weiterzuentwickeln. Dies darf jedoch nicht zu einem Hafenkonzept führen, bei dem der Schiffsverkehr nach Tiefgängen auf einzelne Häfen verteilt wird. Die Häfen müssen für alle Schiffe erreichbar sein. Deshalb ist der Bau des Tiefwasserhafens JadeWeserPort in Wilhelmshaven kein Ersatz für die Vertiefungen der seewärtigen Zufahrten zu den Häfen Hamburg und Bremerhaven. Er ist eine langfristige Ergänzung der Terminalkapazitäten an der Deutschen Bucht. Auf EU-Ebene kommt es darauf an, nationale Spielräume zu erhalten, um das Gewerbegebiet Hafen nach standortspezifischen Strategien weiterentwickeln zu
können. Gleichzeitig müssen durch Beihilfeleitlinien und Transparenzregelungen faire Wettbewerbsbedingungen für die europäischen Seehäfen geschaffen werden. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom Oktober 2007 zur künftigen EU-Seehafenpolitik die Anliegen der deutschen Seehäfen berücksichtigt.
Die Idee des Infrastrukturfonds Zum Thema der Infrastrukturfinanzierung unterstütze ich den Vorschlag, einen Infrastrukturfonds aufzulegen. Die Idee ist in der Fachwelt zwar umstritten, aber bereits bis in den Bundestag vorgedrungen. Damit ist die Chance gegeben, dass sie in die Gespräche der Föderalismuskommission aufgenommen wird. Der Infrastrukturfonds sollte kein Besitzfonds, sondern ein reiner Finanzierungsfonds sein. Der Sinn ist ausschließlich, ergänzende Mittel zu den Haushalten der Verkehrsminister für die Verkehrsinfrastruktur zu generieren. Bei einer Beteiligung des Bundes und der Länder ist ein solcher Finanzierungsfonds nicht konkursfähig und damit eine sichere Anlage für das reichlich vorhandene Kapital. Mit diesem Fonds werden dann Infrastrukturen finanziert, die sich beispielsweise durch die Maut in angemessenen Zeiträumen zurückzahlen lassen. Ein Beispiel für eine Fondsfinanzierung könnte die Küstenautobahn A 22 einschließlich der erforderlichen Brücken oder Tunnel werden. Ich denke bei dem Fondsmodell allerdings nicht daran, Hafenterminals zu finanzieren, und ich denke vor allem nicht daran, dass diese Form der Finanzierung die Kosten für die Nutzung gegenüber dem Status quo verteuert. Verkehrsinfrastrukturen gehören zur sogenannten öffentlichen Daseinsvorsorge, und der Besitz muss folglich immer bei der öffentlichen Hand verbleiben. Diese Form der Finanzierung darf auch nicht die nutzerspezifischen Kosten erhöhen. Besitzfinanzierung – also PPP-Modelle – gehört für mich nicht dazu.
Fazit Durch die Globalisierung wächst das Welthandelsvolumen etwa mit der doppelten Rate der globalen Produktion. 99 Prozent der interkontinentalen Transporte laufen über See. Der Container ist das Haupttransportsystem im Rahmen der Supply Chains von Industrie und Handel. Zuverlässigkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis des Containers sind ohne Alternative. Mit dem zunehmenden Welthandel hat sich die Containerschiffsgröße auf Stellkapazitäten bis zu mehr als 10 000 TEU entwickelt.
Detthold Aden
Seehäfen sind die Schnittstellen zwischen See und Land. In der Erweiterung der traditionellen Hafenorientierung als lokale Umschlags- und Lagerzentren wachsen die Seehäfen zunehmend in Kompetenzen der internationalen Logistik hinein. Dienstleistungstiefe und geografische Reichweite werden ausgebaut. Beispiele aus Bremen belegen die Kompetenz bis hin zum Supply Chain Management. Deutschland ist Exportweltmeister und auch einer der größten Kunden des Weltmarktes. Durch die EU-Osterweiterung und die wachsende Wirtschaft in Russland ist Deutschland zu einer logistischen Drehscheibe für weite Teile Zentral- und Osteuropas geworden. Die Wachstumsbranche Transport und Logistik beschäftigt hierzulande bereits annähernd drei Mio. Menschen und verzeichnet einen Jahresumsatz von rund 200 Mrd. Euro. Dabei spielen die Seehäfen eine zentrale Rolle. 2007 summierte sich der Gesamtumschlag auf etwa
318 Mio. Tonnen. Der Containerverkehr wächst zweistellig. Die deutschen Seehäfen beschäftigen direkt und indirekt rund 500 000 Menschen. Der Ausbau der Seehäfen und der Verkehrswege muss sehr zügig erfolgen, um die starke Position Deutschlands als Logistikdrehscheibe in der Globalisierung und die Wachstumsbranche nicht zu gefährden. Das ist schwierig, da die Planungs- und Planfeststellungsverfahren extrem langwierig sind. Zudem muss die Finanzierung für den Ausbau der wasser- und landseitigen Verkehrsinfrastruktur gesichert werden. Literaturverzeichnis Bundesministerium für Verkehr, Institut für Seeverkehr und Logistik, Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe, Fraunhofer Institut Nürnberg, Bundesvereinigung Logistik, diverse Fachmagazine, eigene Erhebungen der BLG LOGISTICS GROUP
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Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit
Kay Middendorf Sprecher der Geschäftsführung der Tchibo Logistik GmbH Tchibo wurde 2004 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.
Kay Middendorf Jahrgang 1956 Middendorf ist seit 1997 Sprecher der Geschäftsführung der Tchibo Logistik GmbH in Bremen. Er absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, das er 1984 abschloss. Von 1984 bis 1996 war er bei der EduScho GmbH & Co KG tätig, zuletzt als Geschäftsführer mit Ressortverantwortung für Logistik.
Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit Kay Middendorf
Einleitung/Vorbemerkung Der gesellschaftliche Wertewandel hinterlässt Spuren in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens. Der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, der sich schwerpunktmäßig mit internationalen Bemühungen zur CO 2 -Reduktion auseinandergesetzt hat, hat gezeigt, dass die Emissionsreduzierung nicht mehr nur Gegenstand von außerparlamentarischer Opposition und Nichtregierungsorganisationen ist, sondern Legislative und Exekutive erreicht hat – national wie international. Gleichzeitig nimmt die internationale Arbeitsteilung wesentlich schneller zu als die Perspektive des „alten Europa“ vordergründig sichtbar werden lässt. Während das Bruttosozialprodukt in den Industrieländern seit drei Jahrzehnten nur noch im unteren einstelligen Bereich wächst oder gar stagniert, wächst die Volkswirtschaft in einigen „Schwellenländern“ seit Jahren zweistellig. China ist auf dem Weg zur stärksten Exportwirtschaft der Welt – das Wachstum wird vorrangig getragen durch Produktionsverlagerungen aus den klassischen Industrieländern (Konsumgüter). Der Arbeitskostenvorteil in China erzwingt Offshoring- und Outsourcingaktivitäten, Produktionslinien werden verlagert. Ein später Sieg für Adam Smith: Der „Wohlstand der Nationen“ wächst aufgrund der Arbeitsteilung; in den Industrieländern werden Produkte auch für untere Einkommensgruppen verfügbar gemacht, die früher unerschwinglich waren (Unterhaltungselektronik, Textilien, Computertechnologie etc.), in den Schwellenländern wächst der Wohlstand, allerdings wohl nicht in allen Schichten gleichmäßig. Damit einher geht die explosionsartige Zunahme von „Verkehr“ und Logistik, um die räumliche Distanz zwischen Nachfrage und Angebot zu überbrücken. Nahezu alle Werften weltweit sind über Jahre hinaus mit Aufträgen versorgt, um den zusätzlichen Schiffsraum für das prognostizierte Wachstum des Handels bereitzustellen – insbesondere Containerschiffe. Wachsende Arbeitsteilung induziert zusätzliche Emissionen, ggf. auch andere Störungen des ökologischen Gleichgewichtes. Eine Logistik – wie die von Tchibo –, die konsumentengetrieben ist und sich als unterstützendes Element des „brand building“ versteht, muss für einen
Interessenausgleich zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeitszielen sorgen. Zur Systematisierung der Aufgabenstellung haben wir bei Tchibo im Jahr 2007 zwei Dinge getan: 1. Wir haben unter dem Begriff „corporate responsibility“ eine eigene Organisationseinheit geschaffen, die alle unter dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ subsumierten Aktivitäten koordiniert – „Rainforest“-Projekte, ökologischer Kaffeeanbau, Klimaschutz etc. 2. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität in Harburg und dem Bundesumweltministerium ein Projekt namens LOTOS (Logistics towards sustainability) aufgelegt, das in einem zweistufigen Verfahren zunächst die CO 2 -Bilanz des Unternehmens Tchibo erstellt und anschließend in Expertenrunden Möglichkeiten und Handlungsoptionen zur Reduzierung der Emissionen aufzeigt. Aus Sicht des Unternehmens geht die Aufgabe noch ein Stück weiter als aus Sicht der Projektbeteiligten: „Was kann und was muss die Logistik tun, um der Marke „Tchibo“ „Flankenschutz“ zu geben (ein bewusst gewählter Begriff aus der ursprünglichen, militärisch geprägten Logistik-Begriffswelt des Generals Clausewitz).
Die Tchibo-Logistik – kurz und knapp Prägendes Element des Geschäftsmodells von Tchibo aus logistischer Sicht ist das Nonfood-Geschäft. Obwohl die beiden übrigen Geschäftsfelder „Kaffee“ und „Service/ Coffee Bar“ nach wie vor einen erheblichen Umsatzanteil repräsentieren, werden sie im Folgenden nur so weit wie nötig Erwähnung finden. Tchibo war der „first mover“ im wöchentlich wechselnden Gebrauchs- und Geschenkartikelgeschäft – der Erfolg hat mittlerweile eine große Zahl von Wettbewerbern zu ähnlichen Modellen inspiriert, was zwangsläufig für Tchibo zu der Herausforderung führt, den Wettbewerbsvorsprung zu halten, besser noch: auszubauen. Die Logistik ist einer
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Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit
der wesentlichen, differenzierenden Aktionsparameter; die Logistik ist Kernkompetenz. Charakteristika: a. Breite Distribution (fünfstellige Outlet-Anzahl allein in Deutschland) b. Kommissionsverträge mit allen Partnern im Lebensmittelhandel und im Facheinzelhandel c. Wöchentlich wechselnde Sortimente, heterogen, schmal, hohe Stückzahlen pro SKU (Stock keeping unit) d. „Short time to market“: schnell abflachende Nachfragekurven erfordern eine „quick response“- Organisation Das Kommissionsmodell führt dazu, dass dem Handelspartner die Ware nicht verkauft wird. Der Kaufvertrag kommt zwischen Tchibo und dem Konsumenten zustande; der Partner erhält eine Provision. Das führt natürlich zu einer Rücknahmeverpflichtung unverkaufter Restbestände aus den Regalen des Handels – mit der Auslieferung einer neuen „Phase“ (Wochensortiment) wird gleichzeitig ein etwaiger noch vorhandener Restbestand einer alten Phase physisch zurückgeholt. Diese sich aus dem Geschäftsmodell ergebenden Eckpfeiler führen zu folgenden strategischen Prozesselementen:
Prozesshoheit Die aktive Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette schafft Planungssicherheit und garantiert logistikgerechte Produkte und Prozesse. Die gezielte Auswahl und langfristige Integration kompetenter Partner unterstützt die hohe Qualität der Leistung. Skalierbarkeit Dezentrale, modularisierte und langfristig skalierbare Logistik- und IT-Netzwerke tragen einem turbulenten Marktumfeld Rechnung. Konsequente Kundenorientierung Die Trennung von Push-Erstversorgung über Cross-Docks und Pull-Nachversorgung aus dem Zentrallager sichert den maximalen Servicegrad. Category Management Die permanente Abstimmung zwischen Marketing- und Logistikplanung sowie ein integriertes Retourenmanagement schaffen Sortimentshygiene am Point of Sale und im gesamten Distributionsnetzwerk. Visibilität Real-Time-Bestandsführung auch über Transitbestände in allen Stufen der Wertschöpfungskette garantiert hochpräzise Logistik-Disposition. Das Zusammenspiel von Marketing-Effektivität und Lo gistik-Effizienz
ist ein entscheidender Erfolgsfaktor von Tchibo; die Bundesvereinigung Logistik hat dieses Konzept unter dem Titel „Jede Woche eine neue (Logistik-) Welt“ mit dem Deutschen Logistikpreis 2004 ausgezeichnet. Seither ist das Konzept in wesentlichen Elementen weiterentwickelt worden. Insbesondere im Bereich des „Efficient consumer response“ (ECR) und des category managements haben informationstechnologische Weiterentwicklungen die Möglichkeiten des Informationsaustausches zwischen den Beteiligten an der Supply Chain deutlich verbessert. Seit Mitte 2007 werden alle großen Tchibo-Outlets mit einer order lead time (Zeitspanne zwischen Datenkassenabfrage und Lieferung) von weniger als 24 Stunden nachversorgt. Auslöser sind die Abverkaufsdaten, die uns aus den Kassen übermittelt werden. Für die Beurteilung der Emmissionsbilanz von Tchibo sind folgende Aspekte des Logistikkonzeptes von besonderer Bedeutung: a. Berücksichtigt die Verkehrsträgerwahl systematisch auch CO 2 -Emmissionen? Ist die Verkehrsträgerwahl richtig? b. Ist die Netzstruktur der Distributionszentren richtig gewählt? (ein- versus mehrstufig, Zentral- versus Regionallagerkonzept)? c. Wird der Verkehrsvermeidung ausreichend Beachtung geschenkt (Dispositionsverfahren etc.)? d. Wird die Ware ausreichend verdichtet transportiert? Hinter all diesen Fragen stehen naturgemäß sowohl ökologische wie auch ökonomische Motive. Ein Handelsunternehmen ist nicht altruistisch; es geht ausschließlich um die Frage, welche Möglichkeiten zur nachhaltigen Gestaltung der Supply Chain bestehen, ohne das Geschäftsmodell grundsätzlich infrage zu stellen. So wurde z. B. unterstellt, dass im Rahmen der weltweiten Arbeitsteilung ein wesentlicher Teil des Nonfood-Sortiments auch weiterhin aus dem Fernen Osten stammt. Ausgelöst durch diese Aufgabenstellung haben wir zu Beginn des Jahres 2007 das Projekt LOTOS aufgelegt, über dessen Fortgang im Folgenden berichtet wird.
LOTOS – Logistics towards sustainability Die Technische Universität in Hamburg-Harburg hat dieses Projekt mit Tchibo als Praxispartner und unter finanzieller Beteiligung des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
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schutz und Reaktorsicherheit initiiert. Tchibo war deshalb als Partner von besonderem Interesse für Wissenschaft und Politik, weil Tchibo die gesamte Supply Chain vom Produzenten (Fernost/Süd- und Mittelamerika/Ostafrika) bis zum Konsumenten kontrolliert und innerhalb der eigenen Wertschöpfung sowohl Produktion als auch Groß- und Einzelhandel betreibt. Aus Sicht der Wissenschaft ist die Übertragbarkeit der gewonnenen methodischen Erkenntnisse bezüglich „Wissensbündelung, Wissensanwendung und Wissensvermittlung für die Optimierung von Transportketten unter Nachhaltigkeitsaspekten“ besonders relevant. Das Interesse des Unternehmens Tchibo beschränkt sich naturgemäß auf die „Wissensanwendung“, respektive Durchführung der relevanten Maßnahmen. Der Begriff „Sustainability“ bzw. „Nachhaltigkeit“ ist kein Begriff, der im allgemeinen Sprachgebrauch interpretationsfrei verwendet wird, im Gegenteil: Er wirkt oft diffus, ja widersprüchlich. Daher nachfolgend der Versuch einer Definition. Nachhaltigkeit ist ursprünglich forstwirtschaftlich geprägt: Die Abholzung von Baumbeständen sollte nicht größer sein als das, was regenerativ nachwächst. Ziel: Erhalt der Baumbestände für nachfolgende Generationen. Der Raubbau an den Baumbeständen im Amazonas-Gebiet gilt als Verstoß gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Aus Sicht der Bundesregierung (Bundesregierung.de) heißt Nachhaltigkeit: „Jede Generation muss ihre Aufgaben lösen. Sie darf sie nicht nachkommenden Generationen aufbürden.“ Insoweit ist eine klimaveränderte CO 2 -Emission nicht nachhaltig, weil sie die Lebensqualität nachfolgender Generationen (möglicherweise) nachteilig beeinflusst. Seit der UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 gibt es die Agenda 21, die von 180 Regierungen ratifiziert wurde. Damit wird das Nachhaltigkeitsprinzip (Sustainability, Zukunftsbeständigkeit) völkerrechtlich verbindlich. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist insoweit das weltwirtschaftliche Pendant zu einem klassischen betriebswirtschaftlichen Verhaltensmuster: „Von den Erträgen leben, nicht von der Substanz“. Die aggressive Annexion des Begriffes durch Nichtregierungsorganisationen und bestimmte politische Parteien hat in der Wirtschaft mutmaßlich zu einer Reserviertheit geführt, die den objektiv richtigen Zielen der Debatte nicht gerecht wird; mittlerweile dürften allerdings fast alle großen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen den Begriff in ihrer Kommunikationsstrategie verwenden (Beispiele im Internet: Deutsche Post, Volkswagen).
Abb. 1: CO2-Bilanz je Verkehrsträger, Tchibo 2006 Verkehrsträger
CO2-Emissionen (t)
Prozentwert
Binnenschiff
113
0,1 %
Flugzeug
506
0,3 %
Schiene
4 076
2,8 %
Straße
42 072
23,9 %
Seeschiff
98 820
67,9 %
145 587
Das LOTOS-Projekt wurde wie folgt gegliedert: • •
• •
Aufstellung einer CO 2 -Bilanz Interdisziplinäre Expertenworkshops zur Ideensammlung und Potenzialermittlung Maßnahmenableitung und Prozessdesign Implementierung
Die CO2 -Bilanz Im relevanten Zeitraum (2006) hat der Transport der von Tchibo vertriebenen Waren rund 146 000 Tonnen CO 2 emittiert. Bei der Interpretation der Zahl ist Vorsicht geboten. Die erfasste Supply Chain ist naturgemäß nicht vollständig geschlossen und nur so weit erfasst worden, wie dazu Informationen vorliegen. So sind alle einkommenden Ladungen erst auf Basis „free on board“, sprich: ab Abgangshafen im Ursprungsland erfasst worden. In China, dem dominierenden Ursprungsland für Konsumgüter, hat sich zwar die Industrie – nicht zuletzt wegen fehlender Infrastruktur – in einem 500 km breiten Streifen zwischen Hongkong und Shanghai konzentriert. Damit sind die Vortransportstrecken bis zum Hafen relativ kurz – verglichen mit der Gesamtgröße des Landes. Kaffee wird jedoch nicht in Hafennähe, sondern in den Bergen produziert, sodass in Mittel- und Südamerika wie auch in Ostafrika erhebliche Transportentfernungen nicht erfasst sein dürften. Hier gilt es künftig, das Rechenwerk zu verfeinern – möglicherweise in Zusammenhang mit dem „carbon footprint“ (www.carbonfootprint.com). Darüber hinaus sind naturgemäß alle Transporte für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die der Lieferant sich für die Produktionsaufnahme zuliefern lässt, nicht erfasst.
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Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit
Nichtsdestotrotz boten die Zahlen der CO 2 -Bilanz eine gute Einstiegsplattform für die nachfolgenden interdisziplinären Expertenhearings im dritten Quartal 2007. Auffällig ist zunächst der extrem hohe Anteil des Seeschiffes an den Gesamtemissionen (68 Prozent). Auch wenn hier einschränkend gesagt werden muss, dass die Gesamtemission nach Anzahl der beförderten Container mit marktüblichen Durchschnittsgewichten gerechnet wurde, die Tchibo-Ladung aber deutlich leichter ist als der Durchschnitt und demzufolge weniger Emissionen zu verantworten hat, so ändert dieser Hinweis auf methodische Unzulänglichkeiten nichts an der Kernaussage: Der wesentliche Hebel zur Reduzierung von Emissionen liegt im Seetransport. Dieser Aspekt birgt politischen Sprengstoff, weil hier die Befürchtungen der Globalisierungskritiker und der Umweltverbände zusammentreffen. Die weltweite Arbeitsteilung nimmt ungebremst zu. China wird in einigen Jahren die größte Volkswirtschaft der Welt sein – getrieben von einer Produktionsinfrastruktur, die vorrangig überseeische Märkte versorgt. Dies indiziert ein gigantisches Wachstum des Seeverkehrs, das deutlich stärker sein muss als das Wachstum der Volkswirtschaften. An dieser Stelle stehen Politik und Wirtschaft vor einer großen Herausforderung. Allerdings entsteht hier eine Konvergenz zwischen Ökonomie und Ökologie: Die Notwendigkeit zur Verbrauchs- (und Emissions-) reduzierung ergibt sich schon aus der Entwicklung der „Bunker“- (Schweröl-) -Kosten – 200 US-Dollar pro Barrel Rohöl innerhalb der nächsten zehn Jahre sind wohl wahrscheinlich. Das Flugzeug ist bei Tchibo ein nahezu irrelevantes Transportmittel; es wird nur eingesetzt, wenn die Produktion nicht termingerecht fertiggestellt wurde – der Anteil von 0,3 Prozent wurde nicht näher betrachtet.
Bahn und Binnenschiff sind zu einem erheblichen Anteil an den Tchibo-Transporten beteiligt, emittieren aber nur etwa ein Zehntel dessen, was der Straßenverkehr an CO 2 emittiert.
Ideen und Maßnahmen zur CO2 -Reduktion Folgende wesentliche Handlungsfelder haben wir nach Abschluss der Bilanzierung mithilfe von externen Experten identifiziert: • • • • •
Seeschifffahrt Standortoptimierung Komplettladungsverkehr versus direct store delivery Verkehrsträgerwahl Verkehrsvermeidung
Im Folgenden wird versucht, das Potenzial und die Realisierbarkeit einzelner Maßnahmen abzuschätzen. Seeschifffahrt
Von 146 000 Tonnen, die als Gesamtemission in unserer Bilanz ausgewiesen werden, gehen etwa 100 000 Tonnen auf das Konto der Seeschifffahrt – Containertransporte in einem oligopolistischen Markt, der nicht dem Kartellierungsverbot unterliegt. Die Preisbildung folgt Zyklen, die Wettbewerbsintensität ist zeitweilig „überoptimal“ (im Far East Trade machen nahezu alle Reedereien in regelmäßigen Abständen Verluste), zeitweilig wird offenbar munter „kartelliert“. Die Handelsströme sind „unpaarig“: Der Ferne Osten exportiert deutlich mehr nach Europa als in umgekehrter Richtung. Die Schiffe werden größer: Nahezu 400 m Länge und mehr als 16 m Tiefgang sind möglich und stellen die Hafeninfrastruktur vor große Herausforderungen. Der Faktor
Abb. 2: Aktuell transportiert die Bahn nur einen verschwindend kleinen Teil der Konsumgüter in Deutschland
Kay Middendorf
„Mensch“ wird durch den Faktor „Kapital“ ersetzt, die Bedeutung der Kapitalbindungskosten steigt; die Folge: Man fährt so schnell wie möglich. Das Interesse der Reedereien an möglichst vielen „Umläufen“ ihrer Schiffe deckt sich mit dem Kundeninteresse: Insbesondere im Konsumgütergeschäft ist das Konsumentenverhalten volatil; „short time to market“ ist erforderlich. Allerdings bremst die Entwicklung der Treibstoffkosten den Trend zur Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit. Der Anteil der „Bunkerkosten“ an den Gesamtkosten der Schiffe soll bereits bis zu 60 Prozent betragen. Eine deutliche Reduzierung der Schadstoffemissionen lässt sich durch eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit erreichen. Eine Reduzierung von derzeit 23,5 auf nur 20 Knoten führt zu einer Emissionsreduzierung um 50 Prozent (Behrendt, M., Der Spiegel 1/2008, S. 63) – die keine übermäßig nachteilige Wirkung auf die nachfragegerechte Konsumentenversorgung haben. Getrieben durch die Rohölpreisentwicklung werden die Reedereien diesen Weg ohnehin gehen. Ich erwarte eine solche Fahrplanumstellung spätestens 2010 – in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit des notwendigen zusätzlichen Schiffsraums und von der Bunkerpreisentwicklung. Der Vollständigkeit halber ist ein Hinweis erforderlich: Das Schiff ist – bezogen auf Tonnenkilometer – mit deutlichem Vorsprung das umweltschonendste Verkehrsmittel. Eine Verlängerung der Transportzeit von Hongkong nach Hamburg um drei bis fünf Tage auf dann 26 bis 28 Tage sollte möglich sein. Standortoptimierung
Konsumorientierte Logistiksysteme sind üblicherweise ein- oder mehrstufig. Einstufige Systeme („Zentrallagerkonzepte“) erkaufen sich den Vorteil höherer Warenverfügbarkeit und geringerer Bestandsreichweiten mit längeren Transportwegen zum Kunden; allerdings ist der Verdichtungsgrad auf der beschaffungslogistischen Seite oft höher als bei mehrstufigen Systemen. Der Lebensmittelhandel arbeitet traditionell mit dezentralen Systemen: Es gibt etwa 280 Großlager des Handels in Deutschland. Derlei Systeme haben den großen Vorteil, dass sich Bestandslücken im Regal aufgrund kürzerer Transportwege und -zeiten schneller auffüllen lassen. Das Zentrallager von Karstadt war Vorreiter der Zentralisierung; Tchibo folgte 1996 mit der Errichtung eines Zentrallagers in Gallin/Mecklenburg-Vorpommern, beschaffungslogistisch optimiert zwischen den Kaffee-
Produktionsstandorten Hamburg und Berlin und in der Nähe des Eingangshafens Hamburg. Von Gallin aus wurden bis 2002/2003 alle Kunden in Deutschland beliefert (direct store delivery). In einer vergleichenden Studie wurde auf Basis realer Warenmengen ein Zentrallagerkonzept mit Regionallagerkonzepten verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Tonnen-/m³-Kilometer im Zentrallagerkonzept wesentlich größer war als bei dezentralen Konzepten – vorrangig getrieben von der durch den Kommissionierprozess hervorgerufenen Aufblähung des Transportvolumens (heterogene Sortimente). Dabei zeigte sich, dass ein Konzept mit zwei bis drei Standorten im Norden und zwei Standorten im Süden Deutschlands deutliche Transportkostenvorteile hat. Dieses Konzept wurde schrittweise realisiert. Mit dem Neubau eines zentralen Warenwirtschaftszentrums in Bremen und zwei regionalen Distributionszentren im Süden (Neumarkt/Oberpfalz und Gernsheim/ Hessische Bergstraße) wurden die Zahl der gefahrenen Tonnenkilometer und damit die CO 2 -Emission erheblich reduziert. Komplettladungsverkehre versus direct store delivery
Ein denkbarer Kritikpunkt aus ökologischer Sicht gilt vermutlich dem wöchentlichen, partiell sogar täglichen „direct store delivery“. Der Handel versucht seine „Schnittstelle Rampe“ in seinen Outlets durch Reduzierung der Zahl der Lieferungen zu entlasten. Das Beispiel Metro (Deutscher Logistikpreis 2002) zeigt, dass die Übernahme der Ware ex Produktion der Hersteller erheblichen Nutzen bringt. Bei einer Evaluierung von Handlungsalternativen ist zunächst die Frage zu beantworten, an welcher Stelle der Supply Chain die outletgenaue Kommission gebildet werden soll. Wird sie weiterhin durch Tchibo gebildet und die Abwicklung über die Handelslager vorgenommen, wird die order lead time verlängert. Wird die outletgenaue Kommissionierung in den Lagern des Handels vorgenommen, erhöht sich das Absatzrisiko für Tchibo: Die vorab an die Handelslager überstellten Sortimente sind zwangsläufig fehlverteilt (keine nachfragegesteuerte Versorgung) – Umsatznachteile sind zu erwarten. Vor einer abschließenden Beurteilung ist beabsichtigt, nach den Prinzipien des „efficient consumer response“ eine Transportsimulation gemeinsam mit ausgewählten Partnern im Handel durchzuführen. Ein CO 2 -Reduzierungspotenzial kann nur vermutet werden.
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Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit
Verkehrsträgerwahl
Die Lage der neu errichteten Distributionszentren in Bremen, Neumarkt und Gernsheim ist mit Blick auf die geografische Nähe leistungsfähiger Güterverkehrszentren für den kombinierten Verkehr gewählt worden. Es ist erklärtes Ziel, möglichst große Teile des Komplettladungsverkehrs auf der Bahn zu befördern – in eigens für uns entwickelten palettenbreiten und kranfähigen (45-Fuß)Containern. Die Versorgung der Produktionsbetriebe in Berlin und Marki (Warschau) mit Rohkaffee aus den Seehafenbetrieben ist bereits weitgehend von der Straße auf die Bahn umgestellt worden. Das Gleiche gilt für die Versorgung der Distributionszentren Neumarkt, Gernsheim und Bruck (Wien) aus dem Nonfood-Zentrallager in Bremen. Der Vortransport der in Hamburg und Bremerhaven gelöschten Container nach Bremen erfolgt überwiegend mit Binnenschiff und Bahn. Generell bleibt festzustellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn gegenüber der Straße nur teilweise und dann auch nur nach mühsamen Verhandlungen gegeben ist. Der Grund ist nach meiner Einschätzung die fehlende Rückladung. Die Bahn hat keine zielorientierte Akquisitionsorganisation für SPOT-Ladungen. Die fehlende Trennung von Netz und Betrieb wirkt hier kontraproduktiv. Verkehrsvermeidung
Höhere Warenverdichtung, Bündelung, Einsatz größerer Fahrzeuge und nachfrageorientierte Verteilung sind identifizierte Ansatzpunkte. Die bessere Ausnutzung der Lkw-Höhe scheitert heute an technischen Restriktionen (Rampenhöhen) und Kosten (Abpack- und Aufpackkosten bei „loser“ Verladung).
Abb. 3: 45’-Container, seit 2006 im Einsatz
Abb. 4: Transportmittel Non-Food Port of destination Bremerhaven
Port of destination Hamburg
Binnenschiff
Bahn Vorratslager Bremen
Bahn
Bahn
Bahn
Lkw
Lkw
DC Gernsheim
DC Neumarkt
DC Bruck (A)
DC Gallin
DC Herne
Nahverkehrsfahrzeuge 7,5 t Kunden
Wir arbeiten an einem Konzept, zumindest teilweise die verfügbare Ladehöhe von 2,50 m besser zu nutzen. Heute liegt die über Standards und Normen definierte Höhenbegrenzung bei 2,08 m – hier schlummert ein Potenzial von rund 20 Prozent. Unsere durchschnittliche Auslastung von Komplettladungs-Lkw liegt heute nur bei 90 Prozent. Unter Zuhilfenahme neuer Dispositionstools wollen wir unsere Leerfrachtanteile auf 5 Prozent begrenzen. Die Vereitelung des 25-Meter-Zuges durch politische Beschlüsse, getrieben durch die unbegründete Sorge, die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn könne leiden, halten wir für kontraproduktiv im Sinne der CO 2 -Reduzierung. Unsere Güter sind leicht. Selbst bei einer Ladelänge von 25 m wäre keine Überschreitung des bereits heute zulässigen Gesamtgewichtes von 40 Tonnen zu erwarten. Durch die Gewichtsverteilung auf zusätzliche Achsen wäre die Punktlast auf den Straßen sogar niedriger als heute. Die nachfragegerechte Warenverteilung ist ein Instrument zur Reduzierung unverkaufter Reste nach Abschluss einer Verkaufsaktion. Damit entfällt auch die Notwendigkeit zur Rückführung an unsere Zentrallager – ein weiterer
Abb. 5: Transportmittel Rohkaffee Port of destination Hamburg Bahn
Bahn
Bahn
Produktion Berlin
Produktion Wien (A)
Produktion Marki (PL)
Kay Middendorf
Baustein zur CO 2 -Reduzierung. Allerdings ist eine kurze order lead time Voraussetzung, um etwaige Bevorratungsnotwendigkeiten im Outlet zu umgehen.
Resümee und Ausblick Weltwirtschaftliches Wachstum und die zunehmende Arbeitsteilung führen zu wachsender Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und damit zu steigenden Preisen: ein natürliches Regulativ der CO 2 -Emissionen, das wir nutzen müssen. Darüber hinaus sind im Sinne einer wohlverstandenen ethischen Verantwortung verstärkte Bemühungen aller
Prozessbeteiligten erforderlich. Wir wollen uns dieser Herausforderung stellen und haben bereits Erfolg versprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Darüber hinaus müssen auch die Verbraucher stärker in den Entscheidungsprozess eingebunden werden als heute: der „carbon footprint“, eine auf Konsumgütern angebrachte Verbraucherinformation über die artikelindividuelle CO 2 -Bilanz und Herkunft, scheint der richtige Weg zu sein, Kaufentscheidungen im Spannungsfeld zwischen Preis und Klimaschutz zu erleichtern. Eine bewusst und in voller Kenntnis der Warenherkunft getroffene Verbraucherentscheidung wird helfen, der Kritik der Globalisierungsgegner die Schärfe zu nehmen.
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Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025
Stefan Walter Juniorprofessor und Research Director Document Logistics am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) Heiko A. von der Gracht Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Innovation Center des Supply Management Institute (SMI) der EBS Florian Schick Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektmanager am Supply Management Institute (SMI) der EBS
Prof. Dr. Stefan Walter Jahrgang 1971 Walter ist Juniorprofessor und Research Director Document Logistics am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) und leitet Forschungsprojekte zur Dokumentenlogistik. Als Projektleiter ist er verantwortlich für die Konzeption, Planung und Umsetzung der internationalen Konferenz FUTURE OF LOGISTICS, die am Vortag der CeMAT 2008 erstmalig in Hannover stattfinden wird. Seit mehreren Jahren ist er Dozent und Unternehmensberater in den Bereichen Trends und Strategien in der Logistik, Supply Chain Management sowie Dokumentenlogistik. Walter studierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin. Anschließend promovierte er an der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing. Baumgarten über Logistik in Dienstleistungsunternehmen. Von 2003 bis 2006 war er strategischer Projektleiter des Deutschen Logistik-Kongresses der Bundesvereinigung Logistik e. V. (BVL).
Heiko von der Gracht Jahrgang 1978 Von der Gracht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Innovation Center des Supply Management Institute (SMI) der EBS. Er studierte den europäischen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logistik-Management mit dem Schwerpunkt Produktionslogistik an der Hochschule Niederrhein und der Fontys Hogeschool Venlo, Niederlande. Außerdem erwarb er einen Master of Science in International Logistics an der University of Plymouth, Großbritannien. Von der Gracht schließt in diesem Jahr seine Promotion zum Thema Zukunftsforschung, insbesondere Szenario-Planung, in der Logistik ab. Im Rahmen der internationalen Konferenz FUTURE OF LOGISTICS zur CeMAT 2008 ist von der Gracht für die Planung und Umsetzung der wissenschaftlichen Konzeption verantwortlich.
Florian Schick Jahrgang 1983 Schick ist seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektmanager am Supply Management Institute (SMI) der EBS und ist dort verantwortlich für die strategische Entwicklung der internationalen Konferenz FUTURE OF LOGISTICS, die am Vortag der CeMAT 2008 in Hannover stattfinden wird. Schick studierte General Management an der European Business School (EBS) und am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey (ITESM) in Mexiko-Stadt mit dem Schwerpunkt „Mergers & Acquisitions in Logistics and Supply Chain Management“. Während seines Studiums gründete er 2004 das „EBS Supply Management Forum“, das im April 2008 bereits zum dritten Mal an der EBS stattfinden wird.
Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025 Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick
Die Logistik hat die Zukunftsforschung und ihre Möglichkeiten für sich noch nicht entdeckt. Die Logistikdienstleistungsbranche liegt im Bereich der Zukunftsforschung deutlich hinter der Pharma-, Automobil- und Telekommunikationsbranche, die die langfristige Zukunft ihrer Branchen schon seit vielen Jahren sehr systematisch analysieren, um Veränderungen zu antizipieren und Wettbewerbsvorteile zu erzielen (Darkow, von der Gracht, 2006). Warum sollte dies nicht auch in der Logistikdienstleistung möglich sein? Das Supply Management Institute (SMI) und die FutureManagementGroup AG haben aus diesem Anlass eine Studie zur Zukunft der Logistikdienstleistungsbranche in Deutschland 2025 durchgeführt, die im Februar 2008 gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik (BVL) veröffentlicht wurde (Von der Gracht et al., 2008). Mit diesem Projekt sollen die Bedeutung und Möglichkeiten der Zukunftsforschung in der Logistik herausgestellt und ein weiter Blick in die Zukunft geworfen werden.1 Basis der Zukunftsstudie ist eine Delphi-Befragung mit 30 Experten aus Unternehmensführung und -entwicklung führender Anbieter-Unternehmen (Top 50 nach Umsatz) der Logistikdienstleistungsbranche. Die Experten bewerteten in einer zweiphasigen Befragung Projektionen zu zukünftigen Entwicklungen nach ihrer Erwartungswahrscheinlichkeit des Eintritts, dem Einfluss auf die Branche und der Wünschbarkeit des Eintritts der Entwicklungen. Ziel der Zukunftsstudie ist die Untersuchung der politischrechtlichen, ökonomischen, soziokulturellen und technologischen Rahmenbedingungen für den deutschen Logistikdienstleistungsmarkt bis 2025. Die Studie findet weiterhin Antworten auf folgende Fragen: Wie wird sich das Marktumfeld für LogistikDienstleister bis 2025 verändert haben? Wo gibt es Chancen für Logistik-Dienstleister in der Zukunft und welche potenziellen Überraschungen sind schon heute denkbar? Zur Systematisierung wurde die Zukunft aus vier Perspektiven betrachtet (vgl. Mi´ci´c, 2007):
1
Die Studie und dieser Beitrag basieren auf der Forschungsarbeit im Rahmen der Dissertationsschrift von Heiko A. von der Gracht am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) (Von der Gracht, 2008).
• • • •
Die wahrscheinliche Zukunft Die gestaltbare Zukunft Die anstrebbare Zukunft Die unerwartete Zukunft
Die fünfte Sichtweise auf die Zukunft wurde in dieser Studie nicht betrachtet, da sie unternehmensspezifisch ist. Sie ist die geplante und geschaffene Zukunft in Form einer Strategie.
Grundlagen der Szenarioplanung Die Anwendung der Szenariotechnik ist ein relativ neues Phänomen in der Wirtschaft. Royal Dutch Shell wurde bekannt als Pionierunternehmen, das die Szenariotechnik für die Planung und die strategische Ausrichtung des Unternehmens Anfang der 1970er Jahre einsetzte. So gelang es ihnen die Ölkrisen von 1973 und 1979 vorherzusehen, die sich ergebenden Konsequenzen früher abzuschätzen und sich gezielt darauf einzustellen. Andere Unternehmen wurden durch Shells durchschlagenden Erfolg aufmerksam auf dieses Tool zur Unterstützung der strategischen Unternehmensplanung und begannen es fortan selbst zu nutzen. Dies wird insbesondere durch Studien von Linnemann und Klein aus den Jahren 1977 und 1981 belegt. In diesem Zeitraum verdoppelte sich die Zahl der „Fortune 1000“-US-Unternehmen, die die Szenariotechnik einsetzten, auf 44 Prozent. Heute sind Szenarien ein fester Bestandteil in der Unternehmensplanung. Jedoch können deutliche Unterschiede in der Verbreitung in den unterschiedlichen Industrien festgestellt werden. So besteht insbesondere in der Logistikdienstleistungsbranche noch erheblicher Nachholbedarf. Die Szenarioplanung wird mittlerweile in verschiedenen Anwendungsfeldern eingesetzt. Bradfield et al. (2005) nennen beispielsweise ihre Verwendung im Krisenmanagement, in der Wissenschaft, als Kommunikations- und Managementtool oder aber als Zukunftsforschungsinstrument. Generell werden Szenarien vorwiegend von größeren Unternehmen, die in kapitalintensiven Industrien mit langen strategischen Planungshorizonten agieren, eingesetzt, wie z. B. Automobilherstellern.
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Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025
Einsatz einer Delphi-Befragung für die Szenariostudie Die Delphi-Technik ist eine der bekanntesten Methoden der Zukunftsforschung. Sie ist ein systematisches, mehrstufiges Befragungsverfahren und wurde Ende der 50er Jahre von der RAND-Corporation entwickelt, um allgemeine Probleme der Gruppendiskussion (Mitläufereffekt, Halo-Effekt) zu vermeiden. Sie kam erstmalig im „Projekt Delphi“ zum Einsatz, in dessen Rahmen sieben Forscher in Form einer strukturierten schriftlichen Befragung mögliche Ziele sowjetischer Angriffe auf die USA bewerteten. Heute ist die Delphi-Technik ein wichtiges Forschungsinstrument in Wissenschaft und Praxis. Die Delphi-Technik geht von drei Grundannahmen aus. Die erste Annahme beinhaltet, dass eine Gruppe zu einem besseren Ergebnis kommt als eine Einzelperson. Des Weiteren wird angenommen, dass Expertenmeinungen genauere Ergebnisse liefern als Einschätzungen von NichtExperten. Außerdem wird von einer Konsensannäherung der Experten infolge des anonymisierten, kontrollierten Feedbacks der Gruppenmeinung zwischen den Runden ausgegangen.
Annahmen – Die wahrscheinliche Zukunft Die befragten Experten rechnen ebenso mit einem weiteren Wachstum des Volumens im Standardgeschäft (Transport, Umschlag, Lagerung) wie mit überproportionalen Steigerungen der Nachfrage nach hochwertigen, individualisierten Lösungen (Kontraktlogistik, Systemgeschäft) in der Logistikdienstleistung. Sie sind somit sehr optimistisch. Der Markt wird nach ihrer Auffassung 2025 aber auch wesentlich kosten- und wettbewerbsintensiver, komplexer, dynamischer, schneller, digitaler, globaler, vernetzter und individueller sein als heute. Durch die zunehmende Komplexität müssen Innovationen in Zukunft schneller umgesetzt werden. Die verstärkte Globalisierung zeigt sich unter anderem in einer erwarteten weltweiten Konsolidierung auf wenige Logistik-Dienstleister im Standardgeschäft und der großen Bedeutung, die globale Netzwerke spezialisierter Anbieter in Zukunft spielen dürften. Als hemmende Faktoren für die Entwicklung der Branche werden die langfristig weiterhin ungelöste Problematik der globalen Energieversorgung, überproportionale Kostensteigerungen beim Schutz vor Industriespionage, Kriminalität und Terrorismus sowie große Unsicherheiten bei der Zukunft staatlicher Infrastrukturinvestitionen und der Verfügbarkeit von Fachkräften gesehen.
Chancen – Die gestaltbare Zukunft Über das erwartete allgemeine Marktwachstum hinaus bieten sich Logistik-Dienstleistern zahlreiche in dieser Studie dargelegte Optionen, ihre bestehenden Geschäftsfelder durch den Einsatz neuer Technologien, Differenzierungen in Marketing und Vertrieb, die Entwicklung attraktiver Produkte und Lösungen sowie durch Kooperationen mit Anbietern angrenzender Bereiche zu stärken. Darüber hinaus ergeben sich aus den erwarteten Veränderungen Möglichkeiten, neue Geschäftsfelder in Bereichen der Dokumentenlogistik über Reverse Logistics bis zu NetzwerkBeratungen zu erschließen, die bisher von vielen LogistikDienstleistern nicht oder nur in geringem Umfang bedient werden.
Visionskandidaten – Die anstrebbare Zukunft Differenzierung ist eine wesentliche Quelle unternehmerischen Erfolges. Vor diesem Hintergrund sollten sich Logistik-Dienstleister klar positionieren und sich aus Kundensicht von ihren Wettbewerbern unterscheiden. Werden die treibenden Kräfte im Marktumfeld und die erwarteten Entwicklungen im Markt analysiert, lassen sich so Chancen im Sinne von Handlungsoptionen für Logistik-Dienstleister ableiten. Zukunft besteht meist zum kleineren Teil aus Innovation und zum größten Teil aus Diffusion. Das bedeutet, dass sich das „Neue“ langsam von den Innovatoren ausgehend verbreitet, bis es schließlich die Mehrheit der Anwender erreicht. Es gibt eine Reihe verschiedener Visionskandidaten, im Sinne von Rollen, die Logistik-Dienstleister im Markt der Zukunft spielen können: Image als Technologieführer aufbauen
Wenn die Adaptionsgeschwindigkeit technologischer Innovationen in der Logistik zunimmt, wird es wichtiger, sich als Führer und Treiber dieser Innovationen zu positionieren. Durch die frühzeitige Nutzung technischer Möglichkeiten etabliert sich der Anbieter somit nicht nur als zuverlässiger Logistik-Dienstleister, sondern als Innovations-Partner für seine Kunden. Nutzung der Vielfalt an Wissen, Kulturen und Arbeitsweisen
Durch den Einsatz von Arbeitskräften aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen können Unternehmen deutliche Vorteile ziehen. Besondere länderspezifische Verfahrensweisen und verschiedene Lösungsansätze aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten können in vielen Bereichen genutzt werden und sich gegenseitig
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bereichern. Durch die Vielfalt der Kulturen multipliziert sich das Wissen des Unternehmens. Voraussetzung ist ein funktionierendes Diversity-Management und die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter, sodass Konflikte vermieden und kulturelle Synergien genutzt werden können. Diversity-Management, Kultur der internationalen Mobilität schaffen
Globales Recruiting und der Bedarf an international ausgerichteten Arbeitnehmern bringt eine multikulturelle Belegschaft mit sich. Eine ausgewogene Mischung von Expatriates und Einheimischen belebt die eigene Unternehmenskultur und fördert die Bereitschaft der Mitarbeiter zur internationalen Mobilität, was wiederum für den Aufbau von globalen Netzwerken und internationalen Kooperationen hilfreich sein wird.
Wildcards – Die unerwartete Zukunft Nichts ist so sicher an der Zukunft, wie die Tatsache, dass sie uns in Teilen überraschen wird. Extremszenarien möglicher Entwicklungen des Marktumfeldes dienen dazu, den Grad an Überraschung zu reduzieren. Wesentliche Dimensionen dieser Szenarien sind:
•
Es ergeben sich gemäß Abbildung 1 acht Extremszenarien, die im Folgenden kurz beschrieben werden. 1. „Standortfaktor Mensch“ Das Problem der Energieversorgung ist weltweit nicht gelöst. Zwar ist die Öl-Abhängigkeit nicht mehr so verheerend wie vor 20 Jahren, doch noch immer werden rund 80 Prozent der Transportmittel mit Öl angetrieben und 90 Prozent der Waren in den Geschäften unter Einsatz von Öl hergestellt. Trotz der verschärften Energieproblematik hat der Zugang zu Rohstoffen gegenüber dem Faktor Arbeit stark an Bedeutung verloren. Humankapital ist der knappe „Rohstoff“ der heutigen Wissensgesellschaft. Der Zugang zu qualifiziertem Personal ist der einzige nachhaltige Wettbewerbsfaktor in einer immer mobileren Welt geworden. Der Anteil an Arbeitskräften, die Tätigkeiten mit hohen Anforderungen leisten (z. B.. Führungsaufgaben, Organisation, Management, F&E, Beratung), ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren von 40 Prozent auf 55 Prozent angestiegen. Im Gegensatz zu den Industriestaaten hat das qualifizierte Arbeitskräfteangebot in den ehemaligen Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch enorm zugenommen. Im Zuge der Globalisierung haben über eine Milliarde Menschen der BRIC-Staaten in den vergangenen 20 Jahren die Schwelle zum Konsum überschritten und verfügen somit heute über ein Jahreseinkommen von mindestens 3000 US-Dollar.
Abb. 1: Szenarioraum mit acht Extremszenarien
5 Arbeit = Kostenfaktor Nr. 1
Rohstoffe = Kostenfaktor Nr. 1
1
* Globaler Wettbewerb
6
2 8 7
3
4
Problem der Energieversorgung nicht gelöst
gelöst
Gl. We ttb .*
•
Das Problem der Energieversorgung: Wird es 2025 gelöst sein oder nicht? Die entscheidenden Standort- und Kostenfaktoren: Steht der Faktor Verfügbarkeit von Arbeitskräften oder der Faktor Rohstoffzugang 2025 im Mittelpunkt? Der globale Wettbewerb: Werden Entwicklungs- und
Rohstoffzugang vs. Arbeit
•
Schwellenländer auf das Niveau der Industriestaaten aufschließen oder könnten sie sogar bis zum Jahr 2025 weiter zurückfallen?
Abstand zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und Industrienationen hat sich vergrößert
Entwicklungs- und Schwellenländer haben stark aufgeholt
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2. „Fabrik-Cities und Fusionsreaktoren“ Das Energieproblem gilt weltweit als gelöst. Ab 2050 soll der erste kommerzielle Fusionsreaktor saubere, ungefährliche und nahezu unbegrenzte Energie liefern. Dann reichen zwei Liter Wasser und ein halbes Pfund Gestein als Rohstoff für den jährlichen Stromverbrauch einer ganzen Familie. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die kommenden Jahre weniger durch den Zugang zu Rohstoffen als durch den Kampf um „Humankapital“ bestimmt werden. Dem Defizit an Arbeitskräften in den Industrienationen steht jedoch ein massives Arbeitskräfteangebot in Entwicklungs- und Schwellenländern gegenüber. Die Anzahl der Personen in den BRIC-Staaten, die nach lokalen Maßstäben über ein mittleres Einkommen verfügen, ist in den letzten 20 Jahren auf weit über eine Milliarde angestiegen. Zwei Drittel aller Megacities (Einwohner > 10 Mio.) liegen zudem in den Entwicklungsländern. Viele dieser Städte, beispielsweise Lagos, Delhi, Bombay oder Mexico City, sind inzwischen auf über 20 Mio. Einwohner angewachsen. Diese konzentrierten Zentren der Weltwirtschaft sind Drehscheiben für Menschen, Waren, Wissen und Geld und erzeugen zum Teil bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des jeweiligen Landes.
Energieverbrauch beträgt heute bereits 40 Prozent. Je nach Standortvoraussetzungen nutzen Länder Sonnenlicht und -wärme, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme als Energiequelle. Die Weltbevölkerung beträgt derzeit 8,5 Mrd. Menschen, wovon etwa zwei Drittel in Städten leben. Die Zahl an Megacities mit mehr als 10 Mio. Einwohnern beläuft sich auf 30. Die meisten dieser Städte liegen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Zwar hat der Kampf um Energierohstoffe dank der Energiewende abgenommen. Der Kampf um Metallrohstoffe hat jedoch in den vergangenen Jahren ungeahnte Dimensionen angenommen. Gründe hierfür sind vor allem die Industrialisierung und Urbanisierung in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
3. „Das Zeitalter der Energiekriege und des Urban Mining“ Das Energieproblem hat sich weltweit dramatisch zugespitzt. Aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahlen und des „Energiehungers“ aufstrebender Entwicklungs- und Schwellenländer hat sich der Welt-Energieverbrauch in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt. Doch sind nicht nur fossile Brennstoffe knapp. Mit dem Aufholen vieler Entwicklungs- und Schwellenländer sind heute über 60 Prozent der Weltbevölkerung entscheidend an der Rohstoffnachfrage beteiligt. Die Preise vieler Industrie- und Edelmetalle haben sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren vervierfacht. Diverse Rohstoffvorkommen sind bereits versiegt und können nur als Sekundärrohstoffe wiedergewonnen werden. Im Zuge der weltweiten Verknappung aller Rohstoffe haben viele Schwellen- und Entwicklungsländer dank ihres Rohstoffreichtums wirtschaftlich aufholen können. Knapp die Hälfte der Bevölkerung Afrikas und Asiens lebt heute in Städten. Über ihre Megacities mit mehr als 20 Mio. Einwohnern sind sie fest in den Welthandel integriert und profitieren in großem Maße von der Globalisierung.
5. „Die 2-Klassen Welt“ Der Anteil regenerativer Energien am Weltenergieverbrauch konnte in den letzten 20 Jahren nur langsam gesteigert werden. Gründe hierfür sind die zum Teil immer noch mäßige Energieeffizienz regenerativer Energien, das Problem ihrer Speicherung, die schlechte Akzeptanz der Bevölkerung und unzureichende Versorgungsnetze. Insgesamt 80 Prozent des Welt-Energiebedarfs werden folglich immer noch durch fossile Energieträger gedeckt. Die Arbeitsmarktsituation in den meisten Industrienationen, insbesondere in Europa, hat sich weiter verschärft. Der fortschreitende demografische Wandel und der steigende Qualifikationsbedarf sorgen für akuten Fachkräftemangel. Die Urbanisierung ist insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern weit fortgeschritten, sodass heute etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Viele der Megacities mit über zehn Mio. Einwohnern sind unkontrolliert ohne Industrialisierung und Infrastruktur gewachsen. Sie haben sich im „Jahrtausend der Städte“ zu Städten des Elends entwickelt. Zwei Drittel der Stadtbewohner wohnen unter inhumanen Bedingungen in Marginalvierteln ohne die grundlegendsten Basisinfrastrukturen. Wasser- und Luftverschmutzung durch Verkehr, Industrieanlagen und fehlende Abwasser- und Abfallentsorgung gehören ebenso zum Alltag wie hohe Gewalt- und Kriminalitätsraten. Einer reichen Oberschicht von zehn Prozent der Stadtbevölkerung steht eine breite Unterschicht von 70 Prozent gegenüber. Die Mittelschicht ist auf lediglich 20 Prozent der Bevölkerung geschrumpft.
4. „Kampf um Metallrohstoffe“ Der Weg zur globalen Energiewende zeichnet sich immer deutlicher ab. Der Anteil regenerativer Energien am Welt-
6. „Energiewende erfolgreich, Viren auf dem Vormarsch“ Das Problem der Energieversorgung ist gelöst. Elektrischer Strom wird zu 80 Prozent von sauberen, erneuerba-
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ren Energien hergestellt. Kontinuierlicher technologischer Fortschritt sowie die Einsicht und Akzeptanz der Menschen haben zur globalen Energiewende geführt. Regenerative Energien können kostengünstig und effizient im Mix genutzt werden. Im Zuge der globalen Energiewende haben Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran an Bedeutung verloren. Stattdessen ist Humankapital zum knappen „Rohstoff“ aufgestiegen. Der demografische Wandel hat in Europa zu akutem Fachkräftemangel geführt. Trotz Lösung des weltweiten Energieproblems ist der Abstand zwischen Industrienationen und Entwicklungsbzw. Schwellenländern größer denn je. Das HI-Virus hat sich weiter ausgebreitet. Große Teile der Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern sind infiziert. Viele afrikanische und asiatische Länder haben enorme Verluste an Arbeitskräften und Humankapital erlitten. Die Folgen sind häufige Ausfälle der Mitarbeiter und hohe Fluktuation. Indiens Wirtschaftswachstum ist dadurch in den letzten 20 Jahren beispielsweise um 40 Prozent gesunken. Auch nicht ansteckende Krankheiten haben weltweit im Zuge der Verstädterung und der Industrialisierung zugenommen. Mehr als drei Viertel aller Diabetiker weltweit leben heute beispielsweise in den Entwicklungs- und Schwellenländern. 7. „Space Logistics“ Der Anteil regenerativer Energien am Welt-Energieverbrauch konnte in den letzten 20 Jahren nur geringfügig erhöht werden. Zwar hat absolut die Nutzung dieser Energien zugenommen, zugleich hat sich jedoch auch der Welt-Energieverbrauch im Zuge der Industrialisierung Chinas und Indiens nahezu verdoppelt. Das Fördervolumen und der Verbrauch von Rohstoffen, insbesondere fossiler Energieträger, sind heute größer, aber auch umweltschonender denn je. Die Aussicht auf nahezu unbegrenzten Zugang zu Rohstoffen in den kommenden zehn Jahren hat weltweit, aber insbesondere in den künftigen Fördernationen, zu einem unbedachteren Umgang mit Ressourcen geführt. Mittelfristig werden wieder viele Industrien auf verstärkten Einsatz fossiler Energieträger und Rohstoffe setzen. Der Abstand zwischen den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in den letzten Jahren durch Korruption, Geldwäsche und Gewinntransfer, Pandemien und Umweltkrisen immer größer geworden. Die erdölreichen Länder Subsahara-Afrikas haben den „Rohstoff-Fluch“ in den vergangenen 20 Jahren am deutlichsten zu spüren bekommen. Bis zu 30 Prozent der gesamten Erdöleinnahmen sind in dieser Region jährlich verschwunden. Milliarden an „Petrodollars“ aus der Erd-
ölförderung sind von internationalen Erdölkonzernen aus den Vereinigten Staaten, Europa und Asien ins Ausland transferiert worden. Nach erfolgreichem einwöchigen Mondaufenthalt eines fünfköpfigen US-Astronautenteams vor fünf Jahren plant die NASA, entsprechend ihrer „Vision for Space Exploration“, in den kommenden Monaten mit der Errichtung einer permanenten Mondbasis zu beginnen. China und Indien schmieden nach ihren erfolgreichen Expeditionen ähnliche Pläne. In den nächsten zehn Jahren soll die entsprechende lunare Infrastruktur und Logistik ausgebaut werden. Zukünftige Expeditionen konzentrieren sich zudem auf den zwei Kilometer großen, erdnahen Asteroiden Amun, dessen Gesamtwert der Rohstoffe auf über 20 000 Mrd. US-Dollar geschätzt wird. 8. „Die globale Energie- und Wasserkrise“ Die globale Energienachfrage hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Bereits im Jahr 2015 wurde das weltweite Öl-Fördermaximum erreicht und das Zeitalter des billigen Erdöls beendet. Seitdem wurde noch fieberhafter an der Lösung des weltweiten Energieproblems gearbeitet – bislang jedoch nicht mit dem erhofften Erfolg. Bedrohlicher als die Verknappung der fossilen Energierohstoffe ist jedoch die Verknappung des Rohstoffs Wasser. Die Menschheit befindet sich in einer globalen Wasserkrise, die insbesondere die Entwicklungs- und Schwellenländer trifft. Zwar bedeckt Wasser etwa zwei Drittel der Erdoberfläche, doch lediglich 0,01 Prozent davon ist Trinkwasser, das zudem nicht verschmutzt oder als Schnee und Eis gebunden ist. Aufgrund des starken Wachstums der Weltbevölkerung ist der Weltwasserbedarf in den letzten 20 Jahren um nahezu 45 Prozent gestiegen mit der Folge, dass heute die Hälfte der Länder auf der Welt unter ernsthafter Wasserknappheit leidet. In Zeiten von Energie- und Süßwasserkrisen haben sich Rohstoffe zum Kostenfaktor Nummer eins entwickelt und Arbeitskosten in ihrer Bedeutung zurückgedrängt. Insbesondere der Bedarf an fossilen Energieträgern und an Agrarrohstoffen ist größer denn je. Die weltweite Nachfrage nach Getreide ist in den letzten 20 Jahren um 50 Prozent, die Nachfrage nach Milch und Fleisch sogar um 100 Prozent gestiegen. Folgt man den Extremszenarien, besteht schon heute ein deutlicher Bedarf, z. B. für die Entwicklung eines Modells, das den Attraktivitätsgrad einer globalen Beschaffung für eine Produktgruppe direkt mit der Ölpreis-Entwicklung verknüpft. Hieraus ließe sich eine signifikante Aussage über
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die Geschwindigkeit der Globalisierung ableiten: Je stärker der Ölpreis ansteigt, desto höher werden die LogistikKosten, und zunehmend fällt eine knappe Entscheidung pro oder contra Verlagerung der Beschaffung bzw. Produktion ins Ausland zugunsten der lokalen Beschaffung aus. Eine Entschleunigung der Globalisierung könnte eintreten. In der Folge wäre eine Rückwärtsintegration in Richtung der Energieerzeuger eine ernst zu nehmende Option und die lokale Wertschöpfungstiefe der Unternehmen könnte wieder ansteigen. Für diese geänderten Rahmenbedingungen globaler Logistiknetzwerke muss der Supply Chain Manager in der Konzernentwicklung eines Logistik-Dienstleisters eine strategische Handlungsoption in der Schublade vorhalten, um Agilität und Flexibilität – und damit komparative Wettbewerbsvorteile – auszubauen oder abzusichern.
Wildcard: Verbreitung einer Pandemie durch Logistik-Netze Neben den Extremszenarien des Marktumfeldes sind weitere Entwicklungen und Ereignisse, wenn auch nicht wahrscheinlich, so zumindest denkbar: eine weite Verbreitung des „Fabbings“ (3D-Printer für digitalisierte Produkte), Einsatz von sogenannten Personal Fabricators (ein Gerät zur Produktion (Fabrication) von Gütern im eigenen Haus), Terroranschläge auf logistische Netze, eine Rückkehr des Protektionismus, eine Diktatur des Datenschutzes oder weltweite Systemausfälle in der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur. All diese Entwicklungen und Ereignisse können, auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Expertenbefragung, als unwahrscheinlich angesehen werden. Ihr Eintritt ist aber dennoch möglich und im Eventualfall extrem bedrohlich. Hier wird exemplarisch auf das Gefahrenpotenzial der Verbreitung einer Pandemie durch Logistik-Netze eingegangen. Regelmäßig entstehen weltweit neue Krankheitserreger. Ursache ist hauptsächlich natürliche Mutation. Dabei wird beobachtet, dass neue Erreger immer häufiger Resistenzen gegenüber den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten aufbauen. Die Auswirkungen einer Pandemie werden an der Spanischen Grippe deutlich, die zwischen 1918 und 1920 durch einen ungewöhnlich virulenten Abkömmling des Influenzavirus (Subtyp A/H1N1) bis zu 50 Mio. Menschenleben gefordert haben soll. Experten warnen seit Jahren vor dem Ausbruch einer weiteren Pandemie. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass beispielsweise bei einer Verbreitung des Vogelgrippe-Virus vom Typ A/H5N1 1,5 Mrd. Menschen behandelt werden müssten und 40 Mio. Tote möglich wären.
Die wirtschaftlichen Folgen wären ebenso katastrophal. Laut aktuellen Studien ist bei einer weltweiten Epidemie mit Verlusten von weltweit 4,4 Billionen Dollar zu rechnen. Das Potenzial für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle liegt bei einer Rate von mindestens 35 Prozent. Die Weltbank hat kürzlich berechnet, dass schon das Auftreten der Vogelgrippe in mehreren ostasiatischen Ländern, das nur wenige Opfer forderte, Kosten in Höhe von 0,1 bis 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursacht hat. Die Auswirkungen auf die Logistik liegen auf der Hand. Internationale Logistik-Netze werden in diesem Zusammenhang als Risiko angesehen. Durch den Transport von Personen und Tieren, die Erreger in sich tragen, würde sich ein Virus sehr schnell ausbreiten. Nationalstaaten und regionale Staatenverbünde würden sich von potenziellen Gefahrenregionen abschotten. Globale Beschaffung, Produktion und Distribution würden nicht zuletzt auch wegen der Mitarbeiterausfälle zum Erliegen kommen. Bei der Spanischen Grippe fielen beispielsweise in den Ford-Werken in Detroit zeitweise bis zu 1000 Arbeiter wegen einer Erkrankung an der Grippe aus. Es würden zudem umfangreiche staatliche Kontroll- und Quarantäne-Vorschriften gelten, um eine Verschärfung der Situation zu verhindern. Der Handel und der Reiseverkehr würden, wie beim Ausbruch von SARS (schweres akutes Atemwegssyndrom) in Asien im Jahr 2002/2003, aussetzen. Die Finanzmärkte wären genauso betroffen wie die Rohstoffmärkte. Produktions- und Lieferketten würden unterbrochen. Bei Just-in-Time-Produktionen würde die Produktion stillstehen. Es wäre damit zu rechnen, dass diese Entwicklungen zwangsläufig alle Branchen treffen würden. Es gibt Unternehmen, die sich in den vergangenen Jahren auf solche Szenarien eingerichtet und Notfallpläne entwickelt haben, um den Betrieb einigermaßen aufrechtzuerhalten. Einige große Finanz-Dienstleister planen im Ernstfall die nahezu vollständige Arbeit von zu Hause aus ein oder setzen auf den Rückgriff auf externe Dienstleister. Von einigen Logistik-Dienstleistern ist zudem bekannt, dass sie über detailliert ausgewiesene Notfallpläne in Abstimmung mit Gesundheits- und Ordnungsbehörden verfügen. Damit ist die Entwicklung von robusten Health Care Supply Chains eine Möglichkeit für Logistik-Dienstleister, diesen Extremsituationen wirksam entgegenzutreten. Auch mehrere große Industrieunternehmen besitzen seit SARS Krisenpläne, um den Produktionsstopp zu vermeiden. Verschiedene Studien belegen jedoch, dass die meisten Unternehmen weder auf eine Pandemie vorbereitet sind, noch an entsprechenden Notfallplänen arbeiten.
Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick
Fazit Der Beitrag zeigt, dass langfristige Zukunftsbetrachtungen für Unternehmen der Logistikdienstleistungsbranche ein wichtiges Management-Instrument sind. Sie ermöglichen, ein klareres Bild von zukünftigen Entwicklungen des Marktes und seines Umfeldes zu gewinnen und die darin liegenden Chancen frühzeitig zu erkennen und zu nutzen. Das ganzheitliche Bild der Zukunft der Logistikdienstleistungen in Deutschland 2025 bietet Unternehmen einen Referenzpunkt für die eigene strategische Planung. Durch den Vergleich der eigenen Einschätzungen mit den Erwartungen der Experten können ergänzende Sichtweisen gewonnen werden. Die Identifikation der Eventualitäten im Markt zeigt zugleich interessante Forschungs- und Entwicklungsfelder auf. Mit den Chancen und Visionskandidaten wurde ein „Katalog der Optionen“ zusammengetragen, der dazu dienen kann, die eigene Strategie zu prüfen, zu aktualisieren und gegebenenfalls um attraktive Elemente zu erweitern. Die Extremszenarien bilden extreme Eckwerte einer möglichen Entwicklung – und machen Unternehmen, die in der Logistik tätig sind, auf Handlungsnotwendigkeiten aufmerksam. Die möglichen Überraschungen zeigen auf, in welchen Bereichen sich Unternehmen gegebenenfalls gegen unerwartete Entwicklungen absichern sollten.
Die der durchgeführten Studie zugrunde liegende Methodik und Projektionen werden derzeit um für Industrie und Handel wichtige Thesen zu Technologietrends, ClusterManagement, Energieszenarien und Health Care Supply Chains ergänzt. Ein internationales und branchenübergreifendes Roll-out findet im Mai 2008 statt und wird im Anschluss publiziert. Literaturverzeichnis Bradfield, R., Wright, G., Cairns, G., und Van Der Heijden, K. (2005) The origins and evolution of scenario techniques in long range business planning. Futures, Vol. 37, No. 8, S. 795–812. Darkow, I.-L. und von der Gracht, H. A. (2006) The Potentials of Scenario Planning For Logistics Service Providers. Supply Chain Practice, Vol. 8, No. 2, S. 60–82. Linneman, R. E., und Klein, H. E. (1979) The Use of Multiple Scenarios by U.S. Industrial Companies. Long Range Planning, Vol. 12, No. 1, S. 83–90. Linneman, R. E., und Klein, H. E. (1983) The Use of Multiple Scenarios by U.S. Industrial Companies: A Comparison Study 1977-1981. Long Range Planning, Vol. 16, No. 6, S. 94–101. Mi´ci´c, P. (2007) Die fünf Zukunftsbrillen – Chancen früher erkennen durch praktisches Zukunftsmanagement. Offenbach: Gabal Verlag GmbH. Von der Gracht, H. A. (2008) Scenario Planning for Logistics Service Providers – Planning Practices and Scenarios for 2025. Wiesbaden: Gabler Verlag. (im Erscheinen) Von der Gracht, H. A., Dänecke, E., Mi´ci´c, P., Jahns, C., und Darkow, I.-L. (2008): Die Zukunft der Logistik-Dienstleistungsbranche in Deutschland 2025. Hamburg: Deutscher Verkehrsverlag.
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