Butler Parkers Löwentour Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Das ist ja kaum noch zu ...
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Butler Parkers Löwentour Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Das ist ja kaum noch zu ertragen«, grollte Lady Simpson und schaute sich leicht gereizt in der Runde um. »Hätten Sie mich nicht warnen können, Mr. Parker?« »Mylady sind mißgestimmt?« erkundigte Josuah Parker sich in seiner unnachahmlich höflichen Art, die ihn so auszeichnete. Er hatte seitlich hinter seiner Herrin Platz genommen. »Hier ist ja alles vertreten, was ich so liebe«, stellte Lady Agatha abfällig fest. Sie ließ ihre Augen blitzen und dachte nicht daran, die vielen respektvollen Grüße zu beantworten. Sie übersah sie einfach. Lady Agatha war eine stattliche Dame, die die sechzig Lebensjahre seit geraumer Zeit überschritten hatte, sich jedoch nie darüber ausließ, wie alt sie tatsächlich war. In diesem Punkt war sie recht eitel. Weniger eitel war sie hingegen, was ihre Kleidung betraf. Sie trug eines ihrer bequemen Tweed-Kostüme, in dem ihre majestätische Fülle ausreichend Platz hatte. Dazu bevorzugte sie Schuhe, die eigentlich schon in einen Mülleimer gehörten. Auf ihrem Kopf saß ein interessanter Hut, der eine Kreuzung aus Südwester und Tropenhelm zu sein schien. »Warum sagen Sie nichts?« raunzte die ältere Dame ihren Butler an. »Darf ich daran erinnern, Mylady, daß man einer Gala- und Eröffnungsvorstellung beiwohnt?« erwiderte Parker gemessen. »Es liegt in der Natur der Dinge, wenn ich es so ausdrücken darf, daß an solch einem Abend die Damen und Herren der Gesellschaft mit Sicherheit vertreten sind.« »Ich hätte die Kindervorstellung morgen besuchen sollen«, gab die passionierte Detektivin verärgert zurück. »Die spontane Begeisterung wäre dann in jedem Fall herzerfrischender, Mylady.« Josuah Parker war ein etwas über mittelgroßer Mann unbestimmbaren Alters, mit dem ausdruckslosen Gesicht eines professionellen Pokerspielers." Er trug einen schwarzen Zweireiher, einen schwarzen Binder und eine schwarze Melone, die jetzt auf seinem Schoß ruhte. Seine linke, schwarz behandschuhte Hand lag auf dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms. Josuah Parker war das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. So etwas wie ihn gab es eigentlich nur noch in einschlägigen Spielfilmen oder Fernsehproduktionen. Wenn man ihn sah, hatte man das Gefühl, sich im Zeitalter der Queen Victoria zu befinden. Die Verärgerung der älteren Dame war übrigens zu verstehen. In den Logen, die die Manege des Zirkus säumten, saßen die Vertreter der sogenannten Gesellschaft in Smoking und Abendkleid. Das respektvolle Grüßen,
das Agatha Simpson galt, hatte ebenfalls seinen Grund. Die ältere Dame war eng mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert. Und da sie überdies noch enorm vermögend war, wollte man sich bei ihr beliebt machen. Sie aber schätzte das gar nicht. Sie haßte Förmlichkeiten und Kriechertum. Die Lady war berüchtigt für ihre mehr als offene Sprache. Wenn es sein mußte, konnte sie fluchen wie ein Droschkenkutscher. Sie hatte sich auf die Zirkusvorstellung gefreut. Agatha Simpson besaß das Herz eines Kindes, wenn ihr danach zumute war. Und an diesem Abend war sie gekommen, um sich die großen angekündigte Clownnummer anzusehen. Charlie Bellini sollte auftreten, der große, alte Bellini, ein einmaliger Vertreter seines Faches. »Wann ist er an der Reihe?« erkundigte die Lady sich bei ihrem Butler. »Laut Programm, Mylady, gleich nach der Pause«, antwortete Parker, der sich bereits informiert hatte. »Dann werden wir erst mal gehen«, sagte Lady Agatha. Sie erhob sich und schob ihre Fülle aus der Loge. Parker setzte sich die schwarze Melone auf und prüfte ihren korrekten Sitz. Dann folgte er seiner Herrin, die das große Zirkuszelt verließ. »Sie hätten selbstverständlich bleiben können«, mäkelte sie, als sie draußen vor dem Zelt ihren Butler bemerkte. »Dies, Mylady, würde ich mir niemals erlauben«, erwiderte Josuah Parker. »Wünschen Mylady irgendeine kleine Erfrischung?« »Eine gute Frage«, fand die ältere Dame. »Mein Kreislauf scheint etwas zusammengebrochen zu sein.« Parker trug das Gegenmittel selbstverständlich bei sich. Er holte aus der Innentasche seines Zweireihers eine lederumhüllte Taschenflasche und schraubte den Silberbecher ab. Dann reichte er Lady Agatha einen alten, französischen Kognak. »Schon besser«, sagte sie. »Wissen Sie was, Mr. Parker, besuchen wir doch morgen die Kindervorstellung. Nur so entgehe ich der Begrüßungsorgie gleich nach der Vorstellung.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete leicht eine zustimmende Verbeugung an. »Mr. Bellini soll gerade in Kindervorstellungen besonders gut sein.« Sie schritten auf den Ausgang zu, bis Parker plötzlich stehen blieb und zu einem der abgestellten Zirkuswagen schaute. »Was ist denn?« fragte die Sechzigjährige. »Allem Anschein nach, Mylady, dürfte gerade ein Schuß abgefeuert worden sein.« »Unsinn, das hätte ich auch gehört.« »Ein schallgedämpfter Schuß, um genau zu sein. Wenn Mylady mich für einen Augenblick entschuldigen wollen?!« Parker schritt ein wenig schneller aus als sonst. Er verschwand hinter einem der Kassenwagen, tauchte aber schon nach wenigen Sekunden wieder auf und näherte sich seiner Herrin. »Sie haben sich natürlich wieder mal etwas eingebildet, wie?« fragte sie ironisch.
»Ich fürchte«, schickte Parker voraus, »Mylady werden auf den Genuß verzichten müssen, den großen Bellini morgen bewundern zu können.« »Was soll das heißen?« »Mr. Charlie Bellini, Mylady, liegt eindeutig tot hinter dem Kassenwagen«, sagte Parker, gemessen wie immer. * Chief-Superintendent McWarden kam wieder mal rein zufällig vorbei, wie er behauptete. Er war ein untersetzter, rundlicher Herr mit dem Temperament einer stets angriffslustigen Dogge. Er leitete im Yard ein dem Innenministerium direkt unterstelltes Sonderdezernat. Sein Verhältnis zu Lady Simpson und Butler Parker war immer ein wenig gespannt. Zu oft schon in der Vergangenheit hatte er hinnehmen müssen, daß die resolute Dame und ihr Butler ihm fertig gelöste Kriminalfälle präsentierten, was natürlich seine Eitelkeit verletzte. Lady Agatha und Butler Parker waren mehr als nur begabte Amateurkriminalisten. Hinzu kam die Tatsache, daß Mylady Kriminalfälle anzog wie der Magnet die Eisenfeilspäne. Ob sie es wollte oder nicht, immer wieder stolperte sie von einem Fall in den anderen. Während Josuah Parker Kopf und Hirn der Aufklärung war, verließ Agatha Simpson sich auf ihren einmaligen Instinkt, von dem sie fest überzeugt war. Dieser Instinkt aber war eigentlich nur ihre große Begabung, wie ein weiblicher Elefant in jedem Porzellanladen herumzuwüten. Und das hatte bisher alle Gegner irritiert und erschreckt. »Sie kommen schon zu spät, McWarden«, sagte Lady Agatha an diesem Morgen zufrieden. »Ich habe bereits gefrühstückt. Und Alkohol zu so früher Tageszeit? Nein, das werde ich Ihnen nicht antun.« »Ich komme wegen Mr. Bellini«, erwiderte McWarden steif. »Sie, Mylady, und Ihr Butler waren in der vergangenen Nacht am Tatort, nicht wahr?« »Ich muß gestehen, daß ich einen sogenannten schallgedämpften Schuß hörte, Sir«, erwiderte Parker. Er servierte McWarden selbstverständlich den obligaten Begrüßungssherry, was Lady Agatha mißbilligend zur Kenntnis nahm. »Und was haben Sie sonst noch bemerkt?« forschte McWarden weiter. »Nichts, Sir, leider noch nicht mal den vagen Schatten eines Täters.« »Diesen Fall werden Sie allein lösen müssen«, schaltete die ältere Dame sich genußvoll ein. »Hoffentlich schaffen Sie es, McWarden!« »Sie waren kurz nach dem Schuß bei Bellini«, redete McWarden weiter und tat so, als habe er überhaupt nichts gehört. »Konnte Bellini noch etwas sagen?« »Er hatte bereits das gesegnet, Sir, was man gemeinhin das Zeitliche nennt.« »Haben Sie ihn durch ... äh, ich meine, haben Sie ihn untersucht?« »Dazu bestand kein Anlaß, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Die Einschußwunde ließ keine Zweifel aufkommen.«
»Er trug bereits sein Clownkostüm, Mr. Parker. Haben Sie vielleicht irgend etwas...?« »Ich muß erneut bedauern, Sir.« Parker füllte noch ein wenig Sherry nach, was seine Herrin veranlaßte, sich scharf und mahnend zu räuspern. Wenn sie wollte, konnte sie sehr sparsam sein. »Warum erschießt man einen Clown?« fragte McWarden halblaut und sah Agatha Simpson an. »Dieser Mann kann doch unmöglich Feinde gehabt haben. Er war so etwas wie der ungekrönte König der Clowns und allgemein beliebt.« »Waren seine beiden Söhne in der Lage, dazu Angaben zu machen, Sir?« erkundigte sich Parker. »Aus ihnen war bisher noch nichts herauszuholen, Mr. Parker.« McWarden schüttelte den Kopf. »Auch seine Tochter ist kaum ansprechbar. Nun, ich kann das verstehen, was ist die Clownnummer ohne Bellini?« »Er muß einen Feind gehabt haben«, warf die Detektivin ein. »Jeder Mensch hat seinen speziellen Feind, McWarden. Wenigstens einen. Lehren Sie mich die Menschen kennen!« »Könnte so etwas wie Konkurrenzneid mit im Spiel gewesen sein, Sir?« fragte Josuah Parker. »Meine Mitarbeiter gehen dieser Sache bereits nach, Mr. Parker. Beschäftigen Sie sich bereits mit diesem Fall?« Während er sprach, sah er betont Lady Agatha an. Er traute ihr natürlich wieder mal nicht über den Weg. Es kam ihm recht eigenartig vor, daß das Duo wieder mal ganz in der Nähe eines Kapitalverbrechens gewesen war. Für McWarden war das kein Zufall. »Ich habe keine Zeit, mich mit einem simplen Mord zu befassen«, raunzte die ältere Dame. »Ich arbeite an meinem Bestseller, McWarden. Der nimmt mich völlig in Anspruch.« »Sie schreiben tatsächlich, Mylady?« Ironie lag in McWardens Stimme. Ihm war bekannt, daß die Dame schon seit vielen Monaten begann, ihren einmalig guten Krimi zu schreiben. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie völlig in den Schatten zu stellen. »Ich denke jetzt an eine Kriminalkomödie«, erwiderte die Lady zu McWardens Überraschung. »Krimis gibt es inzwischen genug. Man muß die richtige Marktlücke erkennen, aber davon verstehen Sie natürlich nichts.« »Was sagen Sie zu der Waffe, Sir?« Parkers Gesicht zeigte die vage Andeutung von Überraschung. »Sie wollen das nicht bemerkt haben?« McWarden schüttelte den Kopf. »Das können Sie mir nicht erzählen, Mr. Parker.« »Er trug eine Waffe?« Lady Simpson war das ebenfalls neu. Sie blickte mißtrauisch ihren Butler an. »Warum erfahre ich das erst jetzt?« »Er hatte eine Achtunddreißiger bei sich«, sagte McWarden. »Das hört sich allerdings sehr interessant an.« Lady Simpsons Wangen wurden rosig. »Er hat also mit einem Überfall gerechnet.« »Davon gehe ich aus, Mylady.«
»Damit ist der Fall für mich bereits geklärt«, behauptete Agatha Simpson eifrig. »Also doch Konkurrenzneid! Das liegt doch auf der Hand, McWarden. Er war einfach zu gut, er blockierte den Nachwuchs. Nein, solche durchschnittlichen Fälle rühre ich nicht an, da können Sie völlig beruhigt sein. Ich werde mich weiterhin mit meiner Kriminalkomödie befassen.« Die Hausherrin nickte McWarden zu und verließ den Salon, um ihr Studio zu gehen. Chief-Superintendent McWarden sah ihr verblüfft nach und wandte sich dann an Parker. »Sind Sie auch dieser Meinung?« erkundigte er sich dann. »Mord aus Konkurrenzneid?« »Es gibt der Möglichkeiten viele, Sir«, antwortete Parker zurückhaltend und höflich. »Wenn Sie gestatten, möchte ich mir jedoch vorbehalten, mich nicht festzulegen.« * Josuah Parker hörte das »Plopp« des schallgedämpften Schusses erst, als das Geschoß dicht an seinem Kopf vorbeipfiff und klatschend in die Wand schlug. In einer gekonnten Mischung aus Gemessenheit und Schnelligkeit brachte er sich erst mal in Sicherheit und verließ das geöffnete Fenster hier unten im Erdgeschoß. Bedauernd nahm er zur Kenntnis, daß das Geschoß den Rahmen eines alten Schlachtengemäldes durchschlagen hatte. Erst dann hielt er es für angebracht, sich um den heimtückischen Schützen zu kümmern. Parker verließ den Salon durch die hintere Tür und begab sich in die Wohnhalle. Durch die Optik der Fernsehkamera, die über der Haustür angebracht war, suchte er dann nach dem potentiellen Mörder, der nur weit drüben auf der Durchgangsstraße sein konnte. Jenseits dieser Straße befand sich ein kleiner Park, der von einem hohen Zaun aus Eisengittern umgeben war. Dichtes Strauchwerk schuf die idealen Voraussetzungen für einen Hinterhalt. Die Fernsehkamera ließ sich über eine elektronische Fernsteuerung auf dieses Strauchwerk richten. Auf dem Bildschirm, der in einem Wandschrank neben der Glastür zum Vorflur untergebracht war, konnte er zuerst nichts ausmachen. Dann aber erfaßte die Optik eine seltsame Erscheinung: Zwischen dem Blattwerk erschien für nur wenige Sekunden das Gesicht eines Clowns. Er sah das kreideweiß geschminkte Gesicht, die sattrote Kugelnase und schwarze Flecken auf den Wangen. Das Haar war giftgrün und üppig. Es stand wie windzerzaust auf dem Kopf und schien aus einzelnen Spitzen zu bestehen. Butler Parker schaltete die Fernsehkamera ab und begab sich zurück in den Salon. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms drückte er beide Fensterflügel zu und sicherte sie. Dann schritt er hinauf zu Lady Simpson, die in ihrem Studio war. Sie meditierte und stimmte sich auf ihre Kriminalkomödie ein.
Parkers Herrin lag in einem ungemein bequemen Sessel und hatte die Augen geschlossen. Sie fuhr zusammen, als der Butler sich diskret räusperte. Sie mußte geschlafen haben, denn sie hatte sein Anklopfen nicht gehört. »Jetzt haben Sie mich völlig aus der Stimmung gebracht«, beschwerte sie sich dennoch. »Was ist denn, Mr. Parker? Hat McWarden es gewagt, noch mal zurückzukommen?« »Keineswegs, Mylady«, meldete Parker. »Soeben wurde auf meine bescheidene Wenigkeit geschossen.« »Wie interessant!« Sie war sofort hellwach. »Und?« »Der Rahmen eines Bildes im Salon wurde ein wenig perforiert.« »Haben Sie den Schützen ausmachen können?« »Er zeigte sich mir, bewußt oder nicht, in der Maske eines Clowns, Mylady.« »Das klingt gut.« Sie schien überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, daß man auf Parker geschossen hatte. »Und warum hat man auf Sie geschossen? Ich werde es Ihnen sagen: Der Mörder dieses Charlie Bellini glaubt, daß Sie ihn erkannt haben.« »Eine Hypothese, Mylady, die man als tragbar bezeichnen könne.« »Hat er gezielt geschossen, oder wollte er Ihnen nur Angst einjagen?« »Das Geschoß jagte dicht an meinem bescheidenen Kopf vorbei, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Also ein Schreckschuß«, urteilte die Detektivin sofort. »Man will Ihnen nur Angst einjagen.« »Möglicherweise, Mylady.« Parker gab sich zurückhaltend. »Ein Täter in der Maske eines Clowns!« Agatha Simpson marschierte inzwischen in ihrem Studio auf und ab und deutete das Ereignis auf ihre Art. »Natürlich, Mr. Parker, ich soll dazu gebracht werden, in diesen Zirkus zu kommen.« »Sie unterstellen, daß man durch diesen Schuß Mylady in den Zirkus locken möchte?« »Was denn sonst?« Die Detektivin winkte ungeduldig ab. »Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, Mr. Parker.« »Wie so oft im Leben, Mylady.« »Gehe ich hin oder nicht«, redete die ältere Dame unternehmungslustig weiter. »Nehme ich diese Herausforderung an oder ignoriere ich sie.« Die Logik der Lady war wieder mal umwerfend. Sie bog sich stets alles so zurecht, wie sie es brauchte. »Ich kann es nicht dulden, daß man auf Sie schießt, Mr. Parker«, sagte sie jetzt. »Man würde mir das als Schwäche auslegen. Ich werde also fahren. Ich möchte in zehn Minuten im Wagen sein, Mr. Parker, veranlassen Sie alles Erforderliche!« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Wo ist Kathy?« wollte Agatha Simpson wissen. »Bereits im Zirkus, Mylady«, antwortete der Butler. »Ich war so frei, Miß Porter in die Tierschau zu schicken. Es soll dort recht interessante Exoten geben, wie es in den Zeitungsinseraten heißt.«
* Der Zirkus Buddy Miles, wie er nach seinem Besitzer genannt wurde, hatte sein Hauptzelt im Stadtteil Kensington aufgeschlagen, also jenseits der Themse, von der City aus gesehen." Die Wohn- und Materialwagen standen hinter dem Hauptzelt und bildeten eine kleine Stadt für sich. An das Hauptzelt, das von drei Masten getragen wurde, schlossen sich Stall- und Wirtschaftszelte an. Hier war übrigens auch die Tierschau untergebracht, die am Morgen bereits von zahlreichen Zuschauern besucht wurde. Der Zirkus konnte es, was seine Größe betraf, natürlich nicht mit einem amerikanischen Mammutunternehmen aufnehmen, doch das, was er bot, war erlesene Artistik. Unter den vielen Zuschauern befand sich auch eine Frau, die ein wenig altjüngferlich wirkte. Sie hatte ihr rotbraunes Haar straff nach hinten gekämmt und zu einem kleinen Knoten gebunden. Sie trug einen zu langen Trenchcoat, derbe Wanderschuhe und hielt einen betagten Fotoapparat in den Händen, womit sie jedes Tier der großen Schau fotografierte. Dann wechselte sie hinüber zu den Wohn- und Materialwagen, um auch hier ausgiebig zu knipsen. Sie machte einen bemüht-eifrigen Eindruck und schien jedes noch so banale Motiv interessant zu finden. »Was machen Sie denn hier?« wurde sie plötzlich mürrisch angefahren. Die Altjüngferliche wandte sich um. Aus ängstlich-kurzsichtigen Augen musterte sie einen schlanken, mittelgroßen Mann, der eine Flanellhose und ein bunt gemustertes Sporthemd trug. Der Mann, etwa dreißig Jahre alt, war sportlich durchtrainiert, hatte ein gebräuntes Gesicht, schmale Lippen und kühle, hellgraue Augen. »Ich bin Judith Hammers«, stellte die junge Frau sich hastig vor.« Ich arbeite in der Volksbücherei in Paddington.« Während sie noch sprach, holte sie eine Brille aus der Manteltasche und setzte sie auf. Sie wich sicherheitshalber einen Schritt vor dem jungen Mann zurück, als habe sie Angst vor ihm. »Das hier ist für die Öffentlichkeit gesperrt«, meinte der Mann, schon ein wenig höflicher. »Ich bereite eine Dia-Reihe für einen Volksbildungsabend vor«, sagte Judith Hammers. »Ich bin Steve Parry.« Der junge Mann lächelte dünn. »Ich mache hier die Reklame und auch sonst alles, was anfällt. Assistent des Direktors, wenn Sie so wollen.« »Tut mir leid, wenn ich Ihnen Schwierigkeiten gemacht habe, Mr. Parry.« Judith Hammers war verlegen und derart ungeschickt, daß ihr der unhandliche Fotoapparat aus den Fingern glitt. Er wäre wohl unweigerlich auf dem Boden gelandet, wenn Steve Parry nicht blitzschnell zugegriffen und ihn aufgefangen hätte. »Haben Sie etwa Angst vor mir?« fragte Parry, als er ihr den Apparat wieder in die Hand drückte.
»Das hier ist alles so schrecklich fremd«, gestand Judith Hammers. »Ich werde natürlich sofort wieder zurück zur Tierschau gehen.« »Nun machen Sie erst mal Ihre Aufnahmen«, sagte Steve Parry, der sich irgendwie geschmeichelt fühlte. Ihm war natürlich nicht entgangen, wie wohlgebaut diese junge Frau war, die seiner Schätzung nach um die fünfundzwanzig sein mußte. Sie zog sich nur unmöglich an, das war alles. Modern gekleidet und mit einer anderen Frisur würde sie sogar sehr attraktiv wirken. In Frauen kannte Parry sich aus. »Ich bin Ihnen ja so dankbar, Mr. Parry«, gab Judith Hammers zurück und sah ihn bewundernd an. »In Ihrer Gegenwart hat man plötzlich gar keine Angst mehr. Oh, hätte ich nicht sagen sollen!« Sie wurde verlegen und senkte den Blick. Ihre Wangen nahmen zusätzlich eine rosa Färbung an. »Wissen Sie was, ich werde Sie herumführen«, schlug Steve Parry vor. »Aber nur unter einer Bedingung.« »Ich... Ich weiß nicht recht.« Sie sah ihn mit ihren ausdrucksvollen, grünbraunen Augen schon wieder ängstlich an. »Sie glauben wahrscheinlich, daß wir vom Zirkus durch die Bank weg Menschenfresser sind, wie?« fragte er ironisch. »Nicht direkt, oh, ich meine...« »Wir werden nach dem Rundgang zusammen einen kleinen Drink nehmen, einverstanden? « »Einverstanden!« Sie lächelte erleichtert. In seinen Augen war sie für ihn eine interessante Abwechslung. Steve Parry war bereit, sehr intensiv und heiß mit ihr zu flirten. * »Fahren Sie gleich durch, Mr. Parker«, befahl die ältere Dame und beugte sich ein wenig vor. »Dort scheint sich schon wieder was getan zu haben. Vielleicht ein neuer Mord!?« Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, hielt auf den Constable zu, der die schmale Gasse sicherte und ihm ein Stopzeichen gab. Auch Parker hatte längst die beiden Streifenwagen der Polizei vor einem der langen Wohnwagen entdeckt. »Zu Chief-Superintendent McWarden«, gab Parker dem Constable Auskunft, nachdem er kurz gehalten hatte. »Er erwartet Mylady.« Der Butler sagte das derart hoheitsvoll, daß der Constable förmlich zur Seite sprang und den Weg frei gab. Parker fuhr langsam weiter und hielt vor einem dunklen Rover, den McWarden benutzte. Das Kennzeichen war dem Butler natürlich bekannt. Lady Agatha stieg aus dem Fond des Wagens und bahnte sich nachdrücklich ihren Weg durch die Menge der neugierigen Zuschauer, die von einigen Polizisten zurückgehalten wurden. Mylady benutzte dabei sehr ungeniert ihre Ellbogen und
teilte einige schmerzhafte Stöße aus. Parker hielt sich in ihrem Kielwasser. In solchen Situationen ließ er seiner Herrin immer gern den Vortritt. Er konnte dann sicher sein, das gesteckte Ziel zu erreichen. Eine Dampfwalze hätte den Weg nicht nachdrücklicher geebnet. »Was geht hier vor?« fragte Lady Simpson grollend und stach ihren Zeigefinger in den Rücken eines untersetzten, rundlichen Mannes, der herumfuhr und die Frau entgeistert musterte. »Mylady?« fragte McWarden dann keuchend. »Lenken Sie nicht ab! Was geht hier vor?« »Auf Ben Bellini ist ein Mordanschlag verübt worden«, sagte der Chief-Superintendent widerwillig. »Wie kommen denn Sie hierher, Mylady?« »Instinkt! Etwas, was Ihnen fehlt.« »Darf man höflichst fragen und erfahren, wie es Mr. Ben Bellini geht?« erkundigte Parker sich und lüftete grüßend die schwarze Melone. »Leichte Schulterwunde. Der Mann hat noch Glück gehabt.« »Und er weiß natürlich nicht, wer auf ihn geschossen hat, nicht wahr?« stellte die ältere Dame fest. »Der Schütze arbeitete mit einem Schalldämpfer«, erklärte McWarden. »Er scheint es auf die Familie Bellini abgesehen zu haben. Aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen, Mylady, ich habe...« »Ich werde mir diesen Ben Bellini ansehen«, entschied Lady Agatha und maß den Chief-Superintendent mit einem aggressiven Bück. »Ich bin sicher, Sie haben nichts dagegen.« Natürlich hatte McWarden etwas dagegen, doch er hütete sich, auch nur ein Wort zu sagen. Seine Begleiter vom Dezernat verbissen sich ein Grinsen. Ihnen war die resolute Dame nur zu gut bekannt. Ben Bellini lag im Wohnteil des großen und komfortabel eingerichteten Wohnwagens auf einer schmalen Couch und zeigte seinen nackten, muskulösen Oberkörper. Als Agatha Simpson eintrat, wollte er seinen Schminkmantel über die Brust ziehen. »Haben Sie sich nicht so, junger Mann«, fuhr die Lady ihn an. »Ich habe schon nackte Männer gesehen, als Sie noch nicht auf der Welt waren. Sie scheinen den Schock bereits überwunden zu haben, wie?« Ben Bellini sah hilflos in die Runde. Mit solch einer Anrede hatte er nicht gerechnet. Er nahm den Kopf herum und bemerkte einen jungen Mann und eine junge Frau, die in Kopfhöhe neben der Couch standen. Die Ähnlichkeit dieser drei jungen Menschen war frappierend. »Lady Simpson«, stellte Parker vor. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Das ist meine Schwester Mabel, das mein Bruder Clay«, sagte der auf der Couch liegende Ben Bellini. »Wer könnte auf Sie geschossen haben?« wollte die Detektivin direkt wissen. »Ich weiß, daß Sie da eine bestimmte Theorie haben. Reden Sie schon endlich, ich habe meine Zeit schließlich nicht gestohlen!«
»Pritchard«, murmelte Clay Bellini, um sofort danach seine Lippen aufeinander zu pressen. »Wer ist Pritchard?« Agatha Simpsons Stimme klang wie Donnergrollen. »Keine Ausflüchte, junger Mann, sonst kann ich sehr unangenehm werden!« »Der Dompteur«, antwortete Mabel Bellini und senkte den Kopf. Sie hatte sehr leise gesprochen. »Und warum sollte er geschossen haben?« raunzte die Sechzigjährige die drei Geschwister weiter an. Sie ließ ihnen keine Zeit, so etwas wie Widerstand aufzubringen. »Vater und Pritchard hatten Streit«, murmelte Mabel Bellini. »Aber mehr sage ich nicht. Nein, mehr nicht! Ich will nicht umgebracht werden!« * »Diese Frau bringt mich noch ins Grab«, murmelte Chief-Superintendent McWarden, als Lady Simpson aus dem Wohnwagen marschierte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wer ist sie?« fragte Ben Bellini, richtete sich auf, stöhnte leicht und griff nach der verbundenen linken Schulter. »Sie hält sich für eine Kriminalistin«, sagte McWarden. »Und sie funkt Ihnen so einfach dazwischen?« Clay Bellini lächelte ungläubig. »Sie ist eine Naturgewalt«, erläuterte McWarden. »Sie haben das ja gerade miterlebt. Aber jetzt möchte ich wissen, warum Sie mir die Sache mit Pritchard verschwiegen haben.« »So wichtig war der Streit doch gar nicht«, wiegelte Ben Bellini ab und warf seiner jüngeren, etwa dreißig Jahre alten Schwester einen bösen Blick zu. »Ich möchte diese Geschichte hören«, verlangte McWarden grimmig. Er ärgerte sich, daß ausgerechnet Agatha Simpson dieses wichtige Detail aus den BelliniGeschwistern herausgeholt hatte. »Pritchard ist ein harter Bursche«, erklärte Clay Bellini wegwerfend. »Er streitet dauernd mit seiner viel jüngeren Frau und ist rasend eifersüchtig.« »Wen ertappte er mit wem?« fragte McWarden rundheraus und sah die beiden Bellini-Brüder an. »Mich«, räumte der angeschossene Ben Bellini ein. »Aber es war überhaupt nichts passiert, Sir, wirklich nicht. Pritchard hatte sich nur wieder etwas eingebildet. Wir gerieten in Streit.« »Und dann kam Vater dazu und schlug Pritchard nieder«, warf Mabel Bellini schnell ein. »Ihr Vater?« McWarden wunderte sich. »Er war immerhin siebzig Jahre alt.« »Die sahen Sie ihm nicht an, Sir. Und Vater benutzte, nun ja, eine Flasche!« Es war Clay Bellini, der das sagte. »Daraufhin schwor Pritchard Rache, nicht wahr?« fragte der Chief-Superintendent.
»Nicht direkt«, antwortete Mabel Bellini verlegen. »Man darf ja nicht alles wortwörtlich nehmen, gerade nicht bei Pritchard.« »Was sagte er?« »Er sagte, er würde Vater und uns alle umbringen.« Mabel Bellini wurde rot vor Verlegenheit. »Ich glaube aber nicht, daß er auf Vater und Ben geschossen hat, ich kann es einfach nicht glauben.« »Wo finde ich Pritchard?« McWarden wandte sich an Steve Parry, den Assistenten des Direktors. »Im Raubtierzelt, Sir«, antwortete Parry, der die ganze Zeit über an diese hinreißende Rothaarige dachte, die eine Dia-Serie für einen Volksbildungsabend in Paddington machen wollte. Der Zwischenfall hier hatte sein Konzept völlig durcheinandergebracht. Es war ihm gerade noch gelungen, sich mit dieser Judith Hammers für den Abend zu verabreden. »Wo steckt eigentlich der Direktor?« fragte McWarden. »Mr. Miles ist in Liverpool«, antwortete Steve Parry. »Er bereitet eine Küstentournee Vor. Ich habe ihn bereits verständigt.« »Erzählen Sie mir etwas über diesen Pritchard?« verlangte McWarden von Steve Parry. »Der Mann ist Dompteur der Spitzenklasse«, antwortete Parry. »Okay, es stimmt schon, er ist etwas jähzornig, aber er würde nie einen Menschen töten. Er hat in der Artistenwelt einen erstklassigen Namen. Der Mann ist schon jetzt auf Jahre hinaus ausgebucht. Er würde sich doch nicht die Karriere verderben, Sir.« »Eifersüchtig?« fragte McWarden knapp. »Na ja, Sir, das schon, aber grundlos. Seine Frau ist in Ordnung. Er bildet sich das alles nur ein.« »Bringen Sie mich zu ihm, Mr. Parry«, sagt der Chief-Superintendent. Er verließ mit Parry den Wohnwagen und passierte dabei eine streng aussehende Krankenschwester, die offensichtlich auf ihren Einsatz im Wohnwagen der Bellinis wartete. Die etwa Fünfundzwanzigjährige trug weiße Schwesterntracht und hatte ihr Haar unter einer Haube verborgen. Ihre Augen wurden von einer getönten Brille verdeckt. Diese Tönung war recht dunkel und ließ nicht erkennen, welche Farbe ihre Augen hatten. »Sie können sich' jetzt um den Mann kümmern«, sagte McWarden zu der Krankenschwester, die nur knapp nickte und dann in den Wohnwagen eilte. McWarden hatte das dunkle Gefühl, die Krankenschwester schon mal gesehen zu haben, doch dann dachte er darüber nicht weiter nach. Ihn beschäftigte dieser Pritchard, der inzwischen wohl schon von Lady Simpson interviewt wurde. *
Jess Pritchard war ein etwa vierzigjähriger, großer und breitschultriger Mann, massig wie ein Kleiderschrank, ohne dabei aber dick zu wirken. Seine Bewegungen waren fast katzenhaft geschmeidig, was so gar nicht zu seiner Statur paßte. Er hatte ein markant geschnittenes Gesicht und große Kinderaugen, die ebenfalls nicht zu seinem übrigen Aussehen paßten. Pritchard stand vor Lady Simpson und schielte über sie hinweg auf Josuah Parker, der höflich seine Melone gelüftet hatte. »Hier haben Zuschauer keinen Zutritt«, sagte er mit hoher Stimme. Auch sie fügte sich nicht in das Gesamtbild ein. Ein Baß oder dunkel gefärbter Bariton wäre wohl passender gewesen. »Sie sind Pritchard?« fragte Agatha Simpson, wartete aber seine Antwort nicht ab. »Sie haben sich also vorgenommen, die Familie Bellini umzubringen?« Die Detektivin war immer sehr direkt. »Wie war das?« Jess Pritchard wich einen halben Schritt zurück und geriet prompt in Rage. »Wer behauptet diesen Unsinn? Wer sagt so was?« »Im Moment ich«, grollte Lady Agatha. »Haben Sie die Äußerung nun getan oder nicht? Hatten Sie einen Streit mit Ben Bellini? Fühlten Sie sich von ihm hintergangen, was Ihre Frau betrifft?« »Jetzt aber 'raus, bevor ich mich »vergesse«, brüllte Jess Pritchard und beging den Kardinalfehler, drohend die lange Fleischgabel zu heben, die zur Fütterung seiner Raubtiere diente. Mylady mißverstand die Geste gründlich. Vielleicht wollte sie sie auch mißverstehen. Kurz, sie reagierte! Und ihre Reaktion fiel nachdrücklich aus. Sie benutzte dazu ihren Pompadour, jenen Handbeutel, wie ihn Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende benutzten, um Riechfläschchen, Taschentücher und sonstige Kleinigkeiten aufzubewahren. Auch im perlenbestickten Pompadour der Lady befand sich solch eine Kleinigkeit. Sie bestand aus einem soliden Pferdehufeisen, das aus Gründen der Menschlichkeit leicht mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Agatha Simpson wußte mit dieser ungewöhnlichen Waffe gut umzugehen. Aus dem Handgelenk heraus wirbelte der Pompadour hoch und traf genau die eckige Kinnspitze des Dompteurs. Der Mann wurde leicht in seinen Grundfesten erschüttert. Seine Massigkeit geriet ins Wanken. Er riß weit die Augen auf, die daraufhin einen glasigen Ton annahmen. Lady Simpson fühlte sich noch immer bedroht. Um diesen menschlichen Kleiderschrank zu fällen, handelte sie weiterhin in Notwehr. Sie trat dem Mann mit dem rechten Schuh gegen das Schienbein, was Pritchard überhaupt nicht vertrug. Er wankte noch intensiver und stöhnte. Daß er den langen Fleischspieß bereits aus der Hand verloren hatte, bekam er wahrscheinlich gar nicht mit. »Das wird Sie Lümmel lehren, eine hilflose, alte Frau zu belästigen«, fuhr Lady Simpson ihn an. »Benehmen Sie sich gefälligst wie ein halbwegs zivilisierter Mitteleuropäer! Verstanden?«
Jess Pritchard hatte sich innerlich wieder gefangen. Er humpelte einen Schritt zurück. Seine Augen funkelten. Er schnaufte vor Wut, griff hinter sich nach einem Strohballen und hielt plötzlich eine lange Dressurpeitsche in der Hand. »'Raus«, brüllte er »'raus, verdammtes Weib, oder ich vergesse mich!« »Was sagen Sie zu dieser neuerlichen Beleidigung, Mr. Parker?« Lady Agatha wandte sich zu ihrem Butler um. »Tonfall und Ausdrucksweise entsprechen nicht den gültigen Normen«, stellte der Butler mißbilligend fest. »Mr. Pritchard, darf ich Ihnen höflichst und in Ihrem eigenen Interesse dringend anraten, die Peitsche aus der Hand zu legen?« »Ich bring euch um!« Pritchards Stimme überschlug sich. Die Raubtiere in den Käfigwagen wurden nervös und brüllten. Einige Löwen und Tiger schlugen mit ihren Pranken gegen die Gitterstäbe. »Damit dürfte das ominöse Wort gefallen sein«, stellte Josuah Parker fest. »Darf ich davon ausgehen, daß es eines Ihrer Lieblingswörter ist?« Jess Pritchard wollte vielleicht erst später darauf eingehen. Nun aber lag ihm erst mal daran, die Peitsche knallen zu lassen. Er holte aus und ... schlug nicht. Er konnte es gar nicht, denn Parker war wesentlich schneller als Pritchard und Lady Simpson. Er hatte seine schwarze Melone, die mit Stahlblech ausgefüttert war, als Wurfgeschoß verwendet und sie auf die Reise geschickt. Diese Reise war nur kurz, dennoch ungemein rasant. Der Stahlrand der Melone landete auf der Nasenwurzel des Dompteurs, der sich auf dem hinter ihm liegenden Strohballen ausstreckte und sich vorerst nicht mehr rührte. Agatha Simpson war nicht inaktiv geblieben. Sie hatte ihren Pompadour in Richtung Pritchard geworfen, der allerdings nicht mehr dort stand, wo er sich eben noch befand. Der Pompadour flog durch die Länge des Raubtierzelts und landete auf der Brust eines eintretenden Mannes, der sich als Chief-Superintendent McWarden entpuppte. * »Nun haben Sie sich nicht so«, fuhr Lady Agatha den Chief-Superintendent an. »So schlimm kann's doch gar nicht gewesen sein.« »Gütiger Himmel«, stöhnte McWarden und richtete sich mit Hilfe seiner beiden Begleiter mühsam auf. »Hat mich ein Pferd getreten?« »Darf ich mir gestatten, Ihnen einen Kognak anzubieten?« fragte Josuah Parker und griff nach der Taschenflasche. »Warum gleich übertreiben«, fauchte Agatha Simpson ihn an. »McWarden ist ja schon wieder vollkommen in Ordnung.« »Sie .. . Sie hätten mich umbringen können«, rief McWarden gereizt. »Jeder ist zu ersetzen«, antwortete die Lady mehr allgemein. »Sie sind übrigens ziemlich schwach auf der Brust.« »Das haben Sie absichtlich getan!« McWarden stand endlich wieder auf den Beinen und massierte sich die Brustpartie.
»Dann hätte ich mit mehr Nachdruck geworfen«, erklärte sie grimmig. »Und das wissen Sie sehr genau, McWarden.« »Mylady befand sich in einer Art Notlage«, erklärte der Butler vermittelnd. »Mylady wurde tätlich angegriffen. Mr. Pritchard hatte die erklärte Absicht, Mylady mit einer Peitsche zu schlagen.« »Warum konnte dieser Trottel nicht schneller sein«, murmelte der Chief-Superintendent bedauernd. Dann räusperte er sich und wurde wieder dienstlich. Er näherte sich dem Dompteur, der sich gerade aufrichtete und verständnislos umschaute. »Sonderdezernat des Yard«, sagte er. »Chief-Superintendent McWarden. Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.« »Glauben Sie auch, daß ich den alten Bellini umgebracht und seinen Sohn Ben angeschossen habe?« fragte Pritchard wütend. Er schielte dabei respektvoll zu Lady Simpson und Parker hinüber. »Gäbe es einen Grund dafür?« wollte McWarden wissen. »Und ob, verlassen Sie sich darauf!« Jess Pritchard war noch ein wenig schwach auf den Beinen und nahm auf einem Strohballen Platz. »Ben Bellini treibt's mit meiner Frau! Muß ich noch deutlicher werden?« »Sie haben Beweise dafür?« »Ich habe Augen im Kopf, und ich kann verdammt gut hören!« »Ben Bellini bestreitet das aber.« »Kunststück, aber der Bursche lügt.« »Und warum hätten Sie den alten Bellini erschießen sollen?« wollte McWarden wissen. »Weil dieser raffinierte Kerl intrigiert. Er will mich feuern lassen. Er behauptet, ich würde die Tiere falsch und roh behandeln.« »Welchen Grund sollte er haben, gegen Sie zu intrigieren?« bohrte McWarden weiter. »Er hat vor, seinen Sohn Clay in den Raubtierkäfig zu bringen. Als Dompteur, natürlich.« »Die Raubtiere gehören Ihnen nicht?« »Meine Gruppe ist, nun ja, sie ist verkauft worden. Ich mußte sie losschlagen. Die hier ist praktisch ausgeliehen, sie gehört Miles.« »Dem Zirkusdirektor also?« »Richtig, Sir.« Pritchard hatte sich beruhigt. »Mein Vorgänger liegt im Spital. Ihn hat's in Edinburgh erwischt. Er ist von einem Tiger angefallen worden, und da bin ich kurzfristig eingesprungen.« »Würden Sie mich in mein Büro begleiten?« fragte McWarden. »Ich denke, wir sollten uns noch ein wenig eingehender unterhalten. Vorher möchte ich mir aber noch Ihren Wohnwagen ansehen.« Man sah es Jess Pritchard deutlich an, daß er nicht mitgehen wollte. Und vielleicht hätte er es auch mit McWarden und den beiden Assistenten aufgenommen, doch dann fiel sein Blick wieder auf Butler Parker und Agatha Simpson. »Versuchen Sie's, junger Mann«, forderte die ältere Dame ihn fast freundlich auf.
»Nee, lieber nicht«, sagte Pritchard und ließ die massigen Schultern hängen. »Ein bemerkenswert guter Entschluß«, kommentierte Josuah Parker. »Ich möchte mir erlauben, Ihnen dazu zu gratulieren.« * »Warum sagen Sie nichts?« fragte Agatha Simpson ärgerlich. »Hüllen Sie sich neuerdings in Schweigen, Mr. Parker?« Man befand sich wieder in Parkers hochbeinigem Monstrum, einem Wagen, der mal ein Londoner Taxi gewesen war. Dieser Wagen war allerdings nach den eigenwilligen Vorstellungen des Butlers umgebaut worden und nun zu einer wahren Trickkiste auf Rädern geworden. Unter der eckigen Motorhaube befand sich zum Beispiel ein Motor, der einem Tourenrennwagen alle Ehre gemacht hätte. »Mir lag und liegt es fern, Mylady vorzugreifen«, antwortete Parker über die Wechselsprechanlage nach hinten. In dem Wagen existierte nämlich noch immer die Trennscheibe, die jetzt allerdings aus schußsicherem Panzerglas bestand. »Es lohnt sich doch kaum, über diesen banalen Fall ein Wort zu verlieren«, sagte Lady Agatha grimmig. »Pritchard ist der Täter! Wahrscheinlich legt er innerhalb der nächsten Stunde ein Geständnis ab.« »Wie Mylady zu meinen geruhen.« »Sie denken anders darüber?« »Ein wenig, Mylady, um es mal so auszudrücken.« »Das hätte ich mir natürlich denken können. Sie müssen ja stets widersprechen. Nun sagen Sie schon, wie Sie diesen Fall sehen!« »Er erinnert mich an die Handlung eines klassischen Films, der im Zirkusmilieu spielt, Mylady«, schickte Josuah Parker voraus, während er den Wagen durch den Verkehr steuerte. »Die bewährten Zutaten sind vorhanden, wenn ich so sagen darf: Da ist der rohe Dompteur, ein jähzorniger Gewaltmensch, die zarte Frau, die von ihm gequält wird, da ist der charmante Liebhaber, ein besorgter Vater und schließlich der Mord.« »So etwas wiederholt sich immer wieder, Mr. Parker. Das Leben schreibt die besten Drehbücher.« »Die Dinge wirken auf meine bescheidene Wenigkeit zu konstruiert, Mylady.« »Richtig«, gab die Detektivin überraschend zurück. »Das wollte ich gerade sagen. Man will mir einen Bären aufbinden, aber darauf falle ich nicht herein.« Sie genierte sich überhaupt nicht, eine gedankliche Kehrtwendung zu vollführen. Darin war die ältere Dame eine Meisterin. »Bisher dürfte nur die Spitze eines Eisberges zu sehen sein, Mylady.« »Natürlich, das liegt doch auf der Hand.« Sie nickte nachdrücklich. »Tatsächlich dürfte es um ganz andere Dinge gehen, Mylady.« »Wem sagen Sie das, Mr. Parker! Um welche Dinge übrigens?« Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihr Butler meinte. »Zu meinem tiefen Bedauern sehe ich mich außerstande, darauf zu antworten«, gestand Parker.
»Das sieht Ihnen wieder mal ähnlich!« Parkers Herrin grollte. Dann aber kam ihr eine Erleuchtung. »Dieser Mord an Charlie Bellini und der Schuß auf seinen Sohn sollen ablenken.« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady beizupflichten. Mr. Jess Pritchard dürfte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.« »Dieser Klotz von einem Lümmel ist unschuldig.« Agatha Simpsons Kehrtwendung war vollzogen. »Er dient nur der Ablenkung.« »Was ich ja gleich durchschaut habe.« Die Detektivin lachte wissend auf. »Weiter, Mr. Parker, Sie sind auf dem richtigen Weg!« »Der vorerst nicht weiter begehbar sein dürfte, Mylady. Es fehlt an Detail-. wissen, aber Miß Porter kann da möglicherweise helfen.« »Sie hält Kontakt mit dem Zirkus?« »Miß Porter arbeitet zur Zeit für die Volksbücherei in Paddington«, erläuterte Parker. »Sie hat bereits erste Bekanntschaften geschlossen, wie ich vermute.« »Bringen Sie mir das gute Kind nicht in Gefahr, Mr. Parker.« »Miß Porter hat sich völlig auf ihre neue Rolle eingestellt, Mylady. Sie wohnt auch in Paddington und ist in besagter Dienststelle eingeführt.« »Wie haben Sie denn das wieder eingefädelt, Mr. Parker?« »Der Leiter erwähnter Volksbücherei ist meiner bescheidenen Wenigkeit ein wenig verpflichtet«, deutete Parker an. »Ich hatte das Glück, diesem Herrn mal hilfreich zur Seite stehen zu dürfen. Er wird die neue Identität Miß Porters abdecken.« »Warum dieser Aufwand? Für mich ist die Sache klar.« »Mylady versetzen meine bescheidene Person in den Zustand gespannter Erwartung.« »Wir müssen die wahren Feinde der Familie Bellini suchen«, antwortete die ältere Dame. »Vielleicht führte und führt sie ein Doppelleben. Wie finden Sie das, Mr. Parker?« »Könnten Mylady möglicherweise etwas deutlicher werden?« »Großer Gott, muß ich denn wieder mal alles allein machen?« mimte sie die Verärgerte. »Diese unwichtigen Details sind doch etwas für Sie, damit gebe ich mich nicht ab.« * Vor dem Haus der Lady stand ein Bentley. Es war in Shepherd's Market, nahe dem Hyde Park. Der altehrwürdige Fachwerkbau stand auf den noch intakten Gewölben einer noch älteren Abtei. Dieses Haus barg viele Geheimnisse, die nur die Bewohner kannten und von denen an anderer Stelle vielleicht noch die Rede sein wird. »Sind das Gangster, die da auf uns warten?« Myladys Stimme klang hoffnungsfroh. Sie sehnte sich nach einem kleinen Zwischenspiel.
»Dies dürfte der Wagen Sir Randolphs sein, Mylady.« »Was will denn dieser Bursche von mir?« raunzte Agatha Simpson enttäuscht. »Etwa ein Interview?« Sir Randolph Blake war der Herausgeber einer großen Tageszeitung und mit Lady Simpson gut bekannt. Er mochte etwa sechzig sein, war groß, schlank und hatte volles, weißes Haar, das ausgezeichnet zu seinem braunen Teint paßte. Seine Manieren waren untadelig. Er stand neben dem Bentley, als Parkers Monstrum heranrollte. »Was haben Sie auf dem Herzen, Randolph?« erkundigte Agatha Simpson sich, als sie vor ihm stand. »Ich seh's Ihnen an der Nasenspitze an, daß Sie etwas im Schild führen.« »Wie leicht Sie mich doch immer wieder durchschauen, Lady Agatha.« Sir Randolph Blake zeigte ein strahlendes Lächeln. »Ich dachte sofort an Sie, als mir diese Sache auf den Schreibtisch flatterte. Die Sensation der Sensationen! Ein Fall, wie maßgeschneidert für Sie!« »Ein Kriminalfall?« Lady Simpsons Augen verengten sich. »Hallo, Mr. Parker«, grüßte Sir Randolph den Butler betont freundlich. »Wie geht es Ihnen?« »Guten Tag, Sir«, antwortete der Butler höflich. »Ein Kriminalfall?« Agatha Simpson wurde ungeduldig. »Zieren Sie sich nicht wie eine Jungfrau, Randolph!« Butler Parker hatte inzwischen die Haustür geöffnet und ließ Mylady und ihren Gast eintreten. Im Salon kam Sir Randolph dann zur Sache. »Ich weiß nicht, ob Sie bereits orientiert sind, Lady Agatha«, schickte er voraus. »Vor zwei Tagen ist das Museum für sakrale Kunst ausgeraubt worden.« »Wissen wir davon, Mr. Parker?« Die Detektivin sah ihren Butler eindringlich an. »Ich muß bedauern, Mylady.« »Sakrale Kunst also.« Die Hausherrin räusperte sich. »Was wurde denn gestohlen?« »Kunstwerke von unschätzbarem Wert«, berichtete Sir Randolph weiter. »Goldene Kelche, Kreuze, Hostienbehälter und Tafelbilder. Alles mit Diamanten besetzt. Die Experten sprechen von einem Verlust in Millionenhöhe.« »Und warum las man davon nichts in den Zeitungen?« Agatha Simpson schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ihr Blättchen, Randolph, wird immer müder.« »Die Polizei hatte uns gebeten, darüber nicht zu berichten«, erklärte Sir Randolph. Die Bezeichnung »Blättchen« für seine große Zeitung schluckte er ohne weiteres. »Und auch die Täter haben jeden Bericht verboten.« »Sie haben verboten, über diesen Diebstahl zu berichten?« »Sie drohen, sonst die sakralen Gegenstände einzuschmelzen. Dieses Risiko kann man natürlich nicht eingehen.« »Darf man erfahren, Sir, wie die Diebe sich dieser Kunstwerke bemächtigen?« fragte Parker gemessen.
»Sie stiegen durch einen Lüftungsschacht ein, Mr. Parker, und umgingen damit die normalen, erstklassigen Sicherungen. Genaue Einzelheiten waren von der Polizei nicht zu erfahren.« »Darf man davon ausgehen, Sir, daß die Täter sich aus einem ganz bestimmten Grund meldeten?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Richtig, Mr. Parker! Sie sind bereit, die sakralen Gegenstände wieder zurückzugeben.« »Gegen Zahlung einer wahrscheinlich horrenden Summe, nicht wahr?« »Das ist es, Mr. Parker. Sie verlangen eine Million Pfund.« »Diese Subjekte sind nicht gerade bescheiden.« Agatha Simpson lächelte fast anerkennend. »Und wieviel sind die gestohlenen Dinge in etwa wert?« »Wenigstens das zehnfache dieser geforderten Summe, wenn das überhaupt reicht.« »Im Fall einer Nichtzahlung droht man mit dem Einschmelzen, wie ich vermuten darf, Sir?« »Das stimmt, Mr. Parker. Und die Frist für die Zahlung beträgt genau eine Woche, von heute an gerechnet. Die Einzelheiten will man dem Museum noch mitteilen.« »Wer bearbeitet diesen Diebstahl?« erkundigte die Detektivin sich. »Ein Sonderdezernat des Yard.« »Das ein Chief-Superintendent McWarden leitet?« Lady Simpsons Augen funkelten freudig. »Ein erstklassiger Mann, Mylady.« Sir Randolph nickte bestätigend. »Ein wahres Genie«, ergänzte die ältere Dame spöttisch. »Aber lassen wir' das. Und was wollen Sie jetzt von mir, Sir Randolph? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich diese Million zur Verfügung stellen werde, oder? Ich bin eine arme Frau, die von der Vermögenssteuer fast total ausgeplündert worden ist.« »Ich nehme an, daß die Regierung sich einschalten wird. Sie kann es einfach nicht zulassen, daß diese wertvollen Bestände für immer verloren gehen. Sie sind mit der Geschichte unseres Landes eng verbunden. Viele Dinge stammen noch aus der Zeit Heinrichs des Achten. Kenner sagen, man müsse sie in etwa mit den Kronjuwelen gleichsetzen.« »Ist das ein Fall für mich, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler an. »Mylady dürften herausgefordert sein«, vermutete Parker. »Ich werde mich der Sache annehmen«, sagte die resolute Dame und nickte Sir Randolph hoheitsvoll zu. »Das Land kann sich auf mich verlassen und erwarten, daß ich meine Pflicht tun werde!« »Wurde Chief-Superintendent McWarden darüber informiert, Sir, daß Sie sich mit Mylady in Verbindung setzen würden?« »Nein, nein, das nicht, Mr. Parker. Aber da die Kunstdiebe mich als eine Art Kontaktstelle betrachten, habe ich es für richtig gehalten, Mylady zu informieren.« »Ein guter Entschluß, lieber Randolph.« Agatha Simpson gab sich freundlich. »Mr. Parker und ich werden uns das Museum mal aus der Nähe anschauen.« »Sehen Sie eine Möglichkeit, Lady Agatha, an diese Diebe heranzukommen?«
»Sehe ich diese Möglichkeit?« Agatha Simpson erkundigte sich bei ihrem Butler. Sie selbst hatte natürlich keine Ahnung. »Mylady werden entsprechende Möglichkeiten finden«, antwortete der Butler, der Sir Randolph nach weiteren zehn Minuten an die Haustür brachte. Als der Zeitungsherausgeber in seinen Bentley stieg, zuckte Parker zusammen. Dann hörte er ein bösartiges »Plopp« von der Durchgangsstraße her und spürte noch immer den kalten Luftzug eines Geschosses auf seinem Gesicht. Man hatte erneut auf ihn geschossen! * »Hat er etwas gemerkt? fragte Agatha Simpson. Sir Randolph war bereits gefahren. »Mit Sicherheit nichts, Mylady«, antwortete Parker. »Das Geschoß ist, falls Mylady dafür Interesse aufbringen, in einem Pfosten der Treppe gelandet.« »Warum schießt man auf Sie, nicht aber auf mich? Das ist eigentlich eine Frechheit!« »Der Mörder Charlie Bellinis glaubt wahrscheinlich nach wie vor, daß meine bescheidene Wenigkeit ihn erkannt hat«, meinte Josuah Parker. »Und warum zielt er nicht genauer?« »Es dürfte sich um sogenannte Einschüchterungsmanöver handeln, Mylady. Daraus könnte hervorgehen, Mylady, daß der Mörder des Mr. Bellini nicht zu jenen Tätern gerechnet werden sollte, die man gemeinhin Profis nennt.« »Denken Sie an Pritchard? Der durfte sich doch noch im Yard aufhalten.« »Wenn Mylady gestatten, werde ich sofort Erkundigungen einziehen.« Parker ging zum Telefon und ließ sich mit dem Büro McWarden verbinden. Nach wenigen Augenblicken legte er schon wieder auf und begab sich zu seiner Herrin zurück. »Mr. Jess Pritchard wurde vor gut einer Stunde entlassen«, berichtete er. »Dann dürfte er auf Sie geschossen haben. Für mich steht das einwandfrei fest.« Der resoluten Dame wurde nicht bewußt, daß sie erneut eine gedankliche Kehrtwendung vollzogen hatte. Wenn sie es aber wußte, so machte ihr das überhaupt nichts aus. Doch dann kam ihr bereits eine neue Idee. »Oder galt dieser Schuß vielleicht Sir Randolph?« »Keineswegs, Mylady«, erwiderte Parker. »Sir Randolph dürfte diesen Schuß mit einiger Sicherheit nicht wahrgenommen haben. Ich fürchte nach wie vor, daß man meiner bescheidenen Person nachstellt.« * »Natürlich wird die Show weitergehen«, sagte Steve Parry. »Ich habe bereits den Direktor benachrichtigt. Er wird in anderthalb Stunden hier sein. Er ist selbstverständlich meiner Ansicht.«
»Und wer wird die Clownnummer bringen?« erkundigte Parker sich. Er war mit Lady Simpson in den Stadtteil Kensington gefahren und befand sich jetzt im Direktionswagen. Agatha Simpson hatte sich von ihm getrennt und wollte etwas Atmosphäre schnuppern, wie sie sich ausgedrückt hatte. Parker befand sich daher begreiflicherweise in einer inneren Unruhe, zeigte sie jedoch nicht. »Die Bellini-Geschwister arbeiten wie üblich«, beantwortete Steve Parry Parkers Frage. »Die Verletzung von Ben Bellini ist nicht weiter tragisch.« »Darf ich mich zusätzlich nach der Raubtiernummer erkundigen?« »Pritchard wird zwar mit Sicherheit gefeuert werden, aber noch arbeitet er für uns. Er wird auftreten.« »Kann ich davon ausgehen, daß hier im Zirkus eine Atmosphäre herrscht, die man als gespannt bezeichnen könnte? « »Zugegeben, Mr. Parker. Aber die Show muß weitergehen, das ist ein altes Artistengesetz. Private Dinge zählen erst in zweiter Linie.« »Wo könnte ich Mr. Pritchard finden, Mr. Parry?« »In seinem Wohnwagen, oder vielleicht im Raubtierzelt. Soll ich Sie führen?« »Nein, das wird nicht nötig sein, Mr. Parry. Ich möchte Ihre wohl kostbare Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen.« »Hüten Sie sich vor Pritchard, Mr. Parker. Sie wissen ja, wie gewalttätig er ist.« Parker lüftete seine schwarze Melone und verließ den Direktionswagen. Er lustwandelte zwischen den sauber aufgereihten Wohn- und Materialwagen und sah sich plötzlich einem Clowngesicht gegenüber. Das weißgeschminkte Gesicht, die rote Knollennase und das giftgrüne Haar, das alles war ihm wohlvertraut. Dieses Gesicht schaute um die Ecke eines Materialwagens, um sofort wieder zu verschwinden. Parker ging weiter, war jedoch auf der Hut. Wollte man erneut auf ihn schießen? Würde man diesmal genauer zielen? Ließ der Mörder Charlie Bellinis es auf einen zweiten Mord ankommen? Als er die Ecke des Wagens erreicht hatte, blieb Parker wie angewurzelt stehen. Der Clown! Er saß auf der Treppe eines Wohnwagens und jonglierte mit drei Bällen. Er sah kurz hoch, als Parker sich ins Blickfeld schob, fing dann die Bälle ein und stand auf. »Mit wem habe ich die Ehre?« fragte Parker. »Sie erkennen mich nicht?« fragte der Clown. »Nur unvollständig, wenn ich ehrlich sein darf.« »Ich bin Clay Bellini.« Der junge Mann verzog sein Clowngesicht zu einer Grimasse. »Ist das Ihre Berufsmaske?« erkundigte sich Parker. Clay Bellini wirkte ein wenig irritierend auf ihn. Die Maske ließ nicht erkennen, wie Clay Bellini reagierte. »Natürlich, so trete ich jeden Abend auf.« Clay Bellini nickte. »Aber Sie werden bald als Dompteur in einem Raubtierkäfig stehen, wie ich vermute?«
»Falls es klappt und Miles einverstanden ist. Ich bin kein guter Clown, um's mal so zu sagen. Ich werde nie einer werden. Ich hab's nicht im Blut wie mein Bruder Ben.« »Und Ihre Schwester Mabel?« »Ich bin gespannt, wann sie aussteigen wird. Die Nummer wird ohnehin eines Tages platzen. Ohne unseren Vater ist sie wertlos. Er allein trug die Nummer.« »Und was wird Ihr Bruder Ben dann machen, wenn man neugierig sein darf?« »Der wird ein Hotel an der See kaufen«, erzählte der Clown unbefangen. »Davon träumt Ben schon seit Jahren, und dafür hat er eisern gespart. Soll ich Ihnen mal was sagen, Mr. Parker? Wir alle haben diesen Beruf gehaßt. Keiner von uns wollte Clown werden. Aber gegen unseren Vater kamen wir nicht an. Im Privatleben war er nicht der liebenswerte, kindliche Clown, wie ihn alle Welt kannte. Vater war ein starrköpfiger, strenger und harter Mann.« »Beleidige ich Sie, wenn ich feststelle, daß Sie alle durch den Tod Ihres Vaters wieder freie Menschen geworden sind?« »Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen, Sir.« Der Clown nickte. »Aber es stimmt irgendwie. Die Leute aus der Branche wissen das alles, was ich Ihnen gesagt habe. Das ist kein Geheimnis.« »Warum haben Sie sich nicht von ihm getrennt? Allein war Charlie Bellini fast noch besser als mit Ihnen. Entschuldigen Sie meine Offenheit.« »Tradition wird beim Zirkus und bei Artisten groß geschrieben, Mr. Parker. Vater hat wohl gehofft, im Lauf der Zeit aus uns fertige Clowns zu machen.« »Noch eine Frage, die mit Sicherheit indiskret sein wird.« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Mr. Parker«, erwiderte Clay Bellini. »Der Chief-Superintendent hat diese Frage ja auch schon gestellt. Ja, es stimmt, Vater war sehr vermögend. Meine Geschwister und ich werden jetzt ziemlich viel Geld bekommen. Aber ist das ein Grund, seinen Vater umzubringen?« »Möglicherweise nicht«, gab Parker gemessen zurück. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch er hatte drüben neben einem Materialwagen eine flüchtige Bewegung bemerkt. Parker reagierte durchaus nicht mehr gemessen. Er warf sich gegen Clay Bellini und rutschte mit ihm seitlich über die kleine Holztreppe. Im gleichen Moment war zweimal ein widerlich klingendes »Plopp« zu hören. Gleichzeitig wurden große und kleine Holzsplitter aus dem Wagen neben Parker gerissen. Parker war schneller auf den Beinen als Clay Bellini. Er rückte die leicht verrutschte schwarze Melone zurecht und nahm die Verfolgung des Mordschützen auf. »Bleiben Sie, Sir«, rief Clay Bellini ihm nach. »Sie laufen ja direkt in die Mündung!« Doch Josuah Parker hat gewisse Vorkehrungen getroffen, um sich zu wehren. Er hielt einen seiner vielen Patent-Kugelschreiber in der rechten Hand, deren Hälften er blitzschnell gegeneinander verdreht hatte. Er war somit in der Lage, eine
Miniaturschrotpatrone mit breiter Streuwirkung abzufeuern. Dieser PatentKugelschreiber war nämlich nichts anderes als eine kleine, einschüssige Waffe. Seinen Universal-Regenschirm hatte er angehoben. Die Spitze dieses altväterlich gebundenen Regendachs zielte auf die bewußte Wagenecke. Durch den Schirmstock, der als eine Art Blasrohr oder Gewehrlauf ausgelegt war, konnte Parker entweder einen Pfeil oder aber nach Wunsch eine Kleinkaliberpatrone abfeuern. In diesem Fall hatte er sich für das Kleinkaliber entschieden. Die entsprechende Wahl war durch eine knappe Drehung des Bambusgriffs erfolgt. Parker schritt also seinem Mörder entgegen, falls der nicht längst die Flucht ergriffen hatte. * Agatha Simpson war betroffen und verärgert zugleich. Ihre augenblickliche Stimmungslage hing mit ihrem momentanen Aufenthalt zusammen. Sie war gerade wieder zu sich gekommen und lag in einem recht scharf und penetrant riechenden Raubtierkäfig, der seinerseits in einem geschlossenen Wagen eingebaut war. Nicht weit von ihr war ein Trenngitter. Hinter diesem fauchte eine große Raubkatze. Die Löwin machte einen hungrigen und gereizten Eindruck. Sie schob ihre Pranken abwechselnd durch die Gitterstäbe und versuchte, an den vermeintlichen Fleischhappen heranzukommen, den Lady Simpson ungewollt darstellte. Die Sechzigjährige richtete sich auf und schob sich in eine Ecke zurück, um den Pranken zu entgehen. Sie erinnerte sich, plötzlich niedergeschlagen worden zu sein. Sie hatte das Raubtierzelt betreten, um nach Jess Pritchard zu suchen, hatte ihn aber noch nicht zu Gesicht bekommen. Die Löwin schien inzwischen begriffen zu haben, wie man das Trenngitter zwischen beiden Käfigen hochschieben konnte. Sie scharrte am unteren Rand des Schiebers und verbuchte einen ersten kleinen Erfolg. Das Trenngitter bewegte sich in den Laufschienen und ruckte ein wenig nach oben. Agatha Simpson sah das gar nicht gern. Sie hätte um Hilfe rufen können, doch das Fauchen der Löwin hätte ihre Rufe übertönt. Zudem war die ältere Dame ungemein ehrgeizig. Sie wollte sich aus eigener Kraft aus dieser mißlichen Lage befreien. Ihr Butler sollte sie schon gar nicht in dieser unwürdigen Situation sehen. Die Löwin arbeitete verbissen weiter. Ein Teil ihrer rechten Vorderpranke schob sich immer weiter unter den Schieber. Schaffte sie es, ihn nachzudrücken, dann war es um Lady Agatha geschehen, dann hatte sie keine Chance mehr... So wenigstens hätte ein heimlicher Beobachter urteilen müssen, der die resolute Dame nicht kannte. Lady Agatha hielt den Angriff immer noch für die beste Art der Verteidigung. Ihren Pompadour hatte sie leider nicht bei sich. Er lag, wie sie bereits gesehen
hatte, vor dem Käfigwagen auf der Erde. Aber sie trug immerhin noch ihren abenteuerlichen Hut, der mit zwei Hutnadeln im Haar festgesteckt war. Mehr brauchte Agatha Simpson vorerst nicht. Sie zog eine Hutnadel aus dem Haar und piekte damit in die Pranke der Löwin, die mit solch einer Gegenwehr nicht gerechnet hatte. Das Tier brüllte entsetzt auf und zog blitzschnell die mißhandelte Pranke zurück. Dann aber warf es sich wütend mit der Breitseite des Körpers gegen das Trenngitter. Die Löwin hätte es besser nicht getan. Lady Agatha hatte darauf nur gewartet. Sie stach erneut zu, diesmal noch nachdrücklicher. Die Löwin quiekte förmlich auf, sprang hoch und drückte sich anschließend gegen die äußere Wandseite ihres Käfigs. Aus gelben, verwirrten Augen maß sie dann ihr vermeintliches Opfer. Lady Simpson glaubte sogar, so etwas wie Respekt in den Augen der Raubkatze festzustellen. Doch schon erfolgte der nächste Angriff. Rasend vor Wut sprang die Löwin gegen das Trenngitter und fetzte förmlich mit ihren Pranken gegen den Schieber, durch den sie zu gelangen hoffte. Der Schieber rutschte durch eine glücklichunglückliche Bewegung ein gutes Stück nach oben. Es kam in diesem Fall auf die Sicht der beiden Beteiligten an. Die Pranke schob sich nun wesentlich tiefer in Myladys Abteil. Die messerscharfen Krallen waren nur noch wenige Zentimeter von ihrem Tweed-Kostüm entfernt. Die ältere Dame geriet nicht in Panik. Sie hatte die zweite Hutnadel in der Hand und stach auch damit noch zu. Da es sich um lange und solide Nadeln handelte, benutzte die Angreiferin sie wie kleine Speere. Die Löwin heulte auf und zog blitzschnell ihre Pranke wieder zurück. Dann leckte sie sich die beiden Einstiche und kroch humpelnd in die äußerste Ecke ihres Käfigs. Nun war eine gewisse Scheu in ihren gelben Raubtieraugen zu erkennen. Agatha Simpson nickte nachdrücklich und entspannte sich. Falls es bei diesem Waffenstillstand blieb, wollte sie sich auch weiterhin friedlich zeigen. Dann aber spitzte die Situation sich doch dramatisch zu. Der Schieber bewegte sich scharrend nach oben. Erst jetzt bemerkte die Detektivin, daß er von einem bleistiftstarken Stahldraht aufgezogen werden konnte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Verbindung zwischen beiden Käfigteilen frei war. Die Löwin konnte hereinmarschieren und sich bedienen. Sie schien das begriffen zu haben, drückte sich von der Käfigwand ab und leckte sich genießerisch die Lefzen. Dann pirschte sie langsam an die Öffnung heran, um ihren Leckerbissen aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen und versuchsweise anzuknabbern ... * »Nichts«, sagte Butler Parker enttäuscht, als er um die Wagenecke geschaut hatte.
»Er kann aber noch nicht weit sein«, meinte Clay Bellini, der dichtauf gefolgt war. »Diese Wagenstadt ist ein einziges Labyrinth«, erklärte Parker. »Eine weitere Suche wäre sinnlos, der Schütze kann in jedem der vielen Wagen stecken.« »Warum gehen wir nicht 'rüber zu Pritchard?« fragte Clay Bellini wütend. »Ich wette, daß er auf mich geschossen hat.« »Man sollte sich nicht unnötig festlegen«, schlug Josuah Parker höflich vor, um dann gleich wieder die Spitze seines Regenschirms anzuheben. Er hatte allen Grund, so zu reagieren, denn der gesuchte Clown kam wie selbstverständlich weit hinten um einen Wagen herum und näherte sich ihm und Clay Bellini. »Das ist meine Schwester Mabel«, sagte Clay sofort. »Sind Sie sicher, Mr. Bellini?« »Natürlich, Mr. Parker, ich kenne doch ihren Gang. Das ist meine Schwester.« »Die mit einiger Sicherheit nicht geschossen haben dürfte, nicht wahr?« »Natürlich nicht, Sir, der Gedanke allein ist verrückt. Entschuldigen Sie, aber warum sollte sie auf mich schießen?« »Vergessen Sie tunlichst meine Bemerkung, die vielleicht ein wenig unqualifiziert war«, meinte der Butler. Er ließ die angehobene Schirmspitze sinken und lüftete höflich seine schwarze Melone, als der Clown ihn erreicht hatte. Mabel Bellinis Clownmaske glich der ihres Bruders Clay aufs Haar. Da waren das weiß geschminkte Gesicht, die rote Knollennase, das giftgrüne Haar und die übergroßen Schuhe. »Ist was?« fragte Mabel Bellini. Sie wirkte aufgeregt. »Haben Sie ihn auch gesehen?« »Wen, wenn ich höflichst fragen darf, Miß Bellini?« »Den Clown, Sir, den Clown in unserem Familienkostüm. Und ich glaube sogar, daß er auf mich geschossen hat.« »Würden Sie das möglicherweise noch mal wiederholen?« »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, daß man auf mich geschossen hat«, wiederholte Mabel Bellini. »Drüben hinter dem Wagen tauchte für ein paar Sekunden ein Clown in unserer Maske auf, und er hatte, glaube ich, eine Schußwaffe in der Hand.« »Hast du denn keinen Schuß gehört?« erkundigte Clay Bellini sich. »Nichts«, gab sie zurück. »Wahrscheinlich wurde ein Schalldämpfer modernster Bauart verwendet«, erklärte Josuah Parker. »Sicherheitshalber möchte ich fragen, Miß Bellini, wo Ihr Bruder Ben sich befindet.« »In unserem Wohnwagen. Er liegt auf der Couch.« »Sollte man nicht zu ihm gehen? Es könnte ja sein, daß der falsche Clown ihn aufgesucht hat.« Clay Bellini reagierte sofort und lief hastig los. In seinem Clownkostüm mit den weiten Hosen und den übergroßen Schuhen sah er grotesk aus. »Einen Augenblick, Miß Bellini«, bat Parker, als auch Mabel loslaufen wollte. »Später«, gab sie hastig zurück, »später, Mr. Parker!«
»Ihr Bruder wird mit Sicherheit allein zurechtkommen«, beruhigte Parker den weiblichen Clown. »Was werden Sie nach der Auflösung der Bellini-Truppe tun? Tragen Sie sich bereits mit bestimmten Vorstellungen?« »Ich will auf jeden Fall weg vom Zirkus«, sagte sie und hatte plötzlich Zeit für den Butler. Ihre Stimme klang hart. »Ich kann diese Luft nicht mehr atmen.« »Die Rolle des Clowns liegt Ihnen nicht, wie ich herauszuhören mir erlaube.« »Sie hat mir nie gelegen, ich habe sie gehaßt, Mr. Parker! Wissen Sie, was ich werden wollte?« »Sie werden es meiner bescheidenen Wenigkeit wohl gleich und umgehend sagen.« »Ich wollte Stewardeß werden, Mr. Parker, aber mein Vater hat das nicht zugelassen. Über Tote soll man eigentlich nichts Schlechtes reden, aber mein Vater war ein harter und starrköpfiger Mann. Meine Mutter hatte sehr unter ihm zu leiden.« Clay Bellini kam zurück, aber wesentlich langsamer, und winkte beruhigend. »Ben ist in Ordnung«, sagte er, als er den Butler und seine Schwester erreicht hatte. »Er liegt auf der Couch in unserem Wohnwagen.« »Falls Sie einverstanden sind, würde ich mich gern davon überzeugen«, antwortete Parker höflich. »Es ist keineswegs Mißtrauen, um allen Mißverständnissen gleich vorzubeugen. Es ist einzig und allein mein Wissensdurst, der mich diese Bitte äußern läßt.« * Das Raubtier hatte sich dem geöffneten Schieber gefährlich genähert und schob versuchsweise seinen Kopf in den Käfig, in dem Lady Agatha sich gegen ihren Willen aufhielt. Die Löwin schnupperte und schnaubte, um dann verhalten zu brüllen. Agatha Simpson war keineswegs gewillt, sich ins Bockshorn jagen zu lassen. Sie war eine sehr couragierte Dame, hielt bereits ihren recht eigenartigen Hut in der linken Hand und klatschte ihn dem Raubtier links und rechts um die Ohren. Die Löwin war völlig irritiert und fuhr zurück. So war sie noch nie in ihrem Leben behandelt worden! Sie vergaß, mit einer ihrer Vorderpranken nach der älteren Dame zu schlagen. Lady Agatha nutzte diesen Moment der Verwirrung. In ihrer rechten Hand befanden sich die beiden Hutnadeln. Beherzt und zielsicher stach sie damit in die Nase des Raubtieres, das brüllte und dann entsetzt zurückzuckte. Dann schob die Löwin sich wieder in die vertraute Ecke ihres Käfigs und wischte sich wie eine kleine Hauskatze mit ihrer linken Pfote die schmerzende Nase. »Nicht rühren, nur nicht bewegen!« Von irgendwoher war die Stimme des Dompteurs zu hören. Sie klang beschwörend und ängstlich. »Warum soll ich mich nicht bewegen?« fragte die resolute Dame ungeniert und wandte sich halb um. Sie erkannte Pritchard, der fast auf Zehenspitzen ging und
sich an den Käfigwagen heranpirschte. In seinen Händen trug er die lange Fleischgabel. »Nicht bewegen!« Pritchard flüsterte es fast. »Und nur nicht so laut!« »Haben Sie Ärger mit Ihren Trommelfellen, junger Mann?« fragte Lady Agatha laut. »Oder fürchten Sie um die Löwin?« Die Raubkatze hockte noch immer in ihrer Käfigecke und wischte sich ausgiebig die Nase. Dabei schielte sie verwirrt auf die majestätische Dame, die sich ungeniert bewegte. »Nun sperren Sie schon endlich diesen dummen Käfig auf«, verlangte Lady Simpson von Pritchard. »Und dann möchte ich wissen, wer mich niedergeschlagen und diesem Raubtier zum Fraß vorgeworfen hat!« »Was ... Was ist mit ihm?« fragte Pritchard. Er wollte das Schloß des Käfigs öffnen, in dem Lady Agatha sich befand, doch er schüttelte ratlos den Kopf. »Nun reißen Sie sich endlich zusammen«, raunzte Agatha Simpson. »Es ist... Es ist ein anderes Schloß«, stammelte Pritchard. »Dann besorgen Sie einen Bolzenschneider oder einen Dietrich«, forderte Lady Simpson, angriffslüstern wie ein gereiztes Raubtier. »Sofort, Mylady, sofort, aber zuerst lasse ich den Schieber herunter.« »Haben Sie etwa Angst, ich könnte Ihrem Liebling etwas tun?« erkundigte Agatha Simpson sich ironisch. »Diese Raubkatze hat die Nase voll. Und ich meine es so, wie ich es sage!« Pritchard verschwand aus dem Blickfeld der älteren Dame, um das Drahtseil zu lösen, das den Trennschieber hielt. Mylady aber maß die Löwin mit einem prüfenden und aggressiven Blick, worauf das Raubtier sich noch kleiner machte. Es hatte eindeutig Angst vor diesem energischen Zweibeiner. »Bedürfen Mylady meiner bescheidenen Hilfe?« erklang Parkers Stimme in diesem Augenblick. Er erschien vor dem Käfig und lüftete höflich die schwarze Melone. »Sie wissen, daß ich Sie nicht brauche, Mr. Parker«, erwiderte Agatha Simpson grollend, »aber ich möchte doch wissen, wo Sie sich herumgetrieben haben, während ich mich mit dieser Bestie herumschlug.« Die Bestie, von der Parkers Herrin sprach, wurde noch mal kleiner und senkte den Blick. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sogar festgestellt, daß die Löwin ein wenig zitterte. »Mylady dürfen damit rechnen, daß ich Rede und Antwort stehen werde«, schickte Parker voraus. »Darf ich mir inzwischen erlauben, das Schloß aufzusperren?« Er wartete diese Erlaubnis natürlich nicht ab, sondern hatte wie durch Zauberei sein kleines Spezialbesteck in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Es bestand aus einigen seltsam geformten Schlüsseln und kleinen Haken, die an Pfeifenreiniger erinnerten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er den Sperrmechanismus des Schlosses bezwungen hatte. Parker hakte das schwere Vorhängeschloß aus und öffnete die Gittertür.
»Darf man davon ausgehen, daß Mylady nicht freiwillig diesen Käfig betraten?« erkundigte er sich, während er der älteren Dame auf den Boden half. »Man hat mich heimtückisch niedergeschlagen«, erwiderte Lady Agatha grollend. »Und dieser Kerl kann was erleben, wenn ich ihn erwische! Er wollte mich der Löwin zum Fraß vorwerfen ...« »Die Löwin macht einen ausgesprochen deprimierten Eindruck, Mylady, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist.« »Wahrscheinlich habe ich sie etwas zu hart angefaßt«, bedauerte Agatha Simpson. Dann wandte sie sich zu Jess Pritchard um, der mit einem schweren Bolzenschneider heraneilte. »Sie werden mir gleich einiges erklären müssen, junger Mann. Ich möchte wissen, wie ich in diesen Käfig geraten bin.« »Sie sind schon draußen?« Pritchard war überrascht. »Nein, ich werde gerade verspeist, wie Sie sehen«, reagierte sie ironisch. »Ihr sauberer Plan ist nicht in Erfüllung gegangen, Mr. Pritchard!« »Sie ... Sie glauben doch wohl nicht, daß ich...?« Pritchard starrte Agatha Simpson entgeistert an und wurde dann prompt wieder jähzornig. Sein Gesicht färbte sich rot. Er holte tief Luft. »Ein wenig mehr Selbstbeherrschung würde Ihnen durchaus gut zu Gesicht stehen«, riet Parker ihm, bevor Pritchard brüllen konnte. »Darüber hinaus würde ich an Ihrer Stelle darauf verzichten, den Fleischspieß als Waffe benutzen zu wollen.« »Schon... Schon gut«, keuchte Pritchard und riß sich tatsächlich zusammen. »Aber immerhin! Ich habe die Lady nicht niedergeschlagen. Und ich würde sie auch niemals zu 'nem Raubtier in 'n Käfig stecken. Ich selbst bin ja auch niedergeschlagen worden.« »Von einem Clown, wie Sie vermutlich gerade noch bemerkten, nicht wahr?« sagte Josuah Parker. »Woher wissen Sie das?« Pritchard sah verdutzt den Butler an. »Genau so ist es gewesen, Mr. Parker. Ich bin von eiern Clown niedergeschlagen worden, von einem Clown in der Bellini-Maske!« * »Ich möchte nicht stören«, sagte Chief-Superintendent McWarden, als er den Salon der Lady betrat. Butler Parker hatte ihn hereingeführt. Es war später Nachmittag, und Agatha Simpson genehmigte sich einen kleinen Zwischenimbiß. »Ich hoffe, Sie haben diesen geheimnisvollen Clown inzwischen gefaßt«, antwortete die Hausherrin ironisch. »Schade, wären Sie etwas früher gekommen, hätte ich Sie vielleicht zu einer Kleinigkeit eingeladen.« »Ich habe so oder so keinen Appetit«, meinte McWarden. »Sir Randolph Blake war bei Ihnen, Mylady?« »Und hat mir seine Sorgen vorgetragen.« Sie nickte. »Er fürchtet, daß ein gewisses Sonderdezernat des Yard nicht in der Lage sein wird, ein paar Gegenstände wieder herbeizuschaffen, die man aus einem Museum gestohlen hat.«
»Ich muß Sie bitten, sich in diesen Fall nicht einzuschalten«, antwortete der Chief-Superintendent gereizt. »Er wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgewickelt.« »Wieso weiß Blake eigentlich davon?« fragte die ältere Dame. »Die Diebe haben seine Zeitung, das heißt natürlich ihn, angerufen und ihm ihre Bedingungen mitgeteilt.« »Ließ sich inzwischen eine brauchbare Spur finden, Sir?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Ich bin nicht befugt, auch nur eine Andeutung zu machen. Das Innenministerium selbst...« »Sie wissen also noch gar nichts«, interpretierte die resolute Dame diese Antwort. »Das ist wieder mal typisch.« »Ist das der erste Fall dieser Art, Sir?« erkundigte Parker sich weiter. »Wie soll ich das verstehen, Mr. Parker?« McWarden wurde vorsichtig. »Es ist bereits der vierte Fall dieser Art«, schaltete sich Lady Simpson triumphierend ein. »Sie können mir nichts vormachen, McWarden. In bereits vier Fällen haben die Kunstdiebe zugeschlagen und Bargeld im Wert von fast anderthalb Millionen Pfund eingenommen. Was sagen Sie jetzt?« »Wie... Woher... Ich meine...« »Mr. Parker hat auf meinen Vorschlag hin Erkundigungen eingezogen«, führte die ältere Dame weiter aus. Das stimmte zwar überhaupt nicht, doch Butler Parker erhob keinen Einspruch. Er selbst hatte aus eigenem Antrieb heraus einige Informationen gesammelt. Dazu hatten einige Ferngespräche gehört. »Auf fast identische Art arbeiteten die Kunstdiebe in Edinburgh, Birmingham und Nottingham.« Parker zählte leidenschaftslos auf. »Die gestohlenen Gegenstände, alles erlesene Kostbarkeiten aus dem Mittelalter, wurden unbeschädigt zurückerstattet, nachdem die geforderten Summen gezahlt wurden.« »Diese Transaktionen wurden jeweils von ortsansässigen Zeitungen durchgeführt«, sagte Lady Simpson. »Die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon, das war die Bedingung der Diebe, aber auch der Behörden. Man wollte keine Anschlußtäter provozieren, ähnliche Beute zu machen.« »Wie... Wie sind Sie nur darauf gekommen?« fragte McWarden verblüfft. Er sah ausschließlich Parker an. Ihm war klar, daß der Butler hier seine Fäden gezogen hatte. »Papperlapapp, McWarden, das ist unwichtig«, fuhr die resolute Dame dazwischen. »Lenken Sie nicht ab! Sie geben also zu, daß ich richtig informiert bin?« »Ich begreife nicht, wie Sie darauf gekommen sind«, wiederholte der ChiefSuperintendent; erneut sah er Butler Parker an. »Mylady war der Meinung, Sir, daß dieser Diebstahl hier in London ungemein versiert durchgeführt wurde. Hinzu kommt, daß die Regularien hinsichtlich der Rückgabe der sakralen Gegenstände derart gut durchdacht wurden, daß diese Methode bereits geübt worden sein muß.« »Sie haben mit dem Innenministerium gesprochen, nicht wahr?« fragte McWarden.
»Das allerdings auch«, gab die Detektivin abwinkend zurück. »Aber das bestätigte mir nur, was ich mir bereits dachte.« Sie hatte nach Parkers Anrufen mit einem hohen Beamten gesprochen, doch das tischte sie dem Chief-Superintendent natürlich nicht auf. »Ich fürchte, Mylady, man wird die jetzt geforderte Million zahlen müssen«, sagte McWarden. »Es ist unmöglich, die Diebe in der noch verbleibenden Frist zu stellen. Dazu reicht die Zeit einfach nicht. Oder etwa doch?« »Sie wollen wohl auf den Busch klopfen, wie?« Lady Agatha lächelte satt und geheimnisvoll. Sie tat bewußt so, als wisse sie etwas, doch das war nicht der Fall. Selbst Butler Parker hätte noch nicht mal mit einem winzigen Detail aufwarten können. Er war bisher von dem Mord-Clown in Anspruch genommen worden. * Nach der Abendvorstellung, die völlig ausverkauft war, wartete Steve Parry am Hauptausgang auf Judith Hammers. »War das ein Erfolg«, seufzte er erleichtert. »Wie hat es Ihnen gefallen, Miß Hammers?« »Es war wunderbar.« Die junge Dame hatte sich überraschend modisch zurechtgemacht und trug einen Hosenanzug, der die Biegsamkeit und Schlankheit ihres Körpers zusätzlich unterstrich. Zudem hatte sie ein leichtes Make-up aufgelegt. Parry, der Assistent des Zirkusdirektors, bemerkte das erst mit einiger Verspätung. Doch jetzt trat er einen Schritt zurück und sah sie erstaunt an. »Was haben Sie?« fragte Judith Hammers, das Mitglied der Volksbücherei in Paddington. Sie wirkte ein wenig verlegen und senkte den Blick auf sehr gekonnte Art und Weise. »Sie sehen ja ausgezeichnet aus, Miß Hammers«, stellte Parry fest. »Ich... Ich habe mir etwas Modisches gekauft«, gestand sie. »Finden Sie, daß es mir steht?« »Und ob, Miß Hammers!« Steve Parry gratulierte sich zu seinem Scharfblick. Er hatte ja gleich gemerkt, daß die junge Frau ein noch ungeschliffener Rohdiamant war. Sie war so ganz anders als die übrigen Frauen, die seinen Weg bisher gekreuzt hatten. Seine Freundinnen hatten sich aus der Zirkuswelt rekrutiert und waren eigentlich immer nur Showgirls gewesen, die im Grund austauschbar waren, ohne daß man irgendeinen Unterschied hätte bemerken können. »Ich habe noch eine halbe Stunde bei Miles zu tun«, sagte er. »Wissen Sie was, Miß Hammers, warten Sie in meinem Wohnwagen auf mich, ja? Dann möchte ich unbedingt mit Ihnen ausgehen. Ich kenne da einen netten Club, erstklassige Atmosphäre, ausgewähltes Publikum.« »Ich weiß nicht recht.« Judith Hammers zögerte. »Es schickt sich wohl nicht, daß ich...« »Es schickt sich durchaus«, überredete er sie lächelnd. »Ich sagte Ihnen doch schon, daß wir Leute vom Zirkus keine reinen Menschenfresser sind. Kommen Sie!«
Weiteren Widerspruch ließ Parry erst gar nicht aufkommen. Er legte seinen Arm behutsam um Judiths Schulter und führte die junge Frau zu dem Wohnwagen. Sein Interesse an ihr wuchs von Minute zu Minute. Es reizte ihn einfach, die Spröde ein wenig aufzutauen. »Das ist aber überraschend«, gestand Judith Hammers, als sie den Wohnwagen betrat. Es war ein schon recht großer Trailer mit kleiner Küche, Wohn- und Schlafraum. Die Einrichtung war modern und freundlich. »Ich werde Ihnen einen leichten Drink mixen«, sagte er und schaltete das Tonbandgerät ein, das in einem Wandregal fest eingebaut war. Einschmeichelnde Musik erklang, leise und unaufdringlich. Steve Parry stand vor der Hausbar und mixte einen Longdrink. Er achtete darauf, daß Judith nicht mitbekam, was er ins Glas tat. Ihm kam es darauf an, seinen Gast in entspannte und lockere Stimmung zu versetzen. »In einer halben Stunde werde ich zurück sein«, versprach er dann, als er das Glas reichte. »Versprechen Sie mir, nicht wegzugehen, ja?« »Versprochen!« Judith Hammers nippte an dem Getränk und nahm dann einen kräftigen Schluck. »Oh, das schmeckt aber sehr gut, Mr. Parry!« »Eine Vitaminbombe«, behauptete er lächelnd. »Bis gleich, Miß Hammers! Machen Sie es sich bequem!« Als er den Wohnwagen verließ, schaltete er das Deckenlicht ab. Zwei Wandleuchter in Kerzenform spendeten jetzt ein weiches Dämmerlicht, das den Augen schmeichelte. Judith Hammers. nahm auf der Couch Platz und trank erneut. Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. Sie schien überhaupt nicht auf den Gedanken zu kommen, daß Steve Parry sie noch für einen Moment durch den Türspalt beobachtete... * »Was tun denn Sie hier?« fragte der Clown, der plötzlich in der geöffneten Tür des Wohnwagens stand. Er hatte ein grellweiß geschminktes Gesicht, eine rote Knollennase und giftgrünes Haar. Er trug eine weite Hose und überlange, grotesk anmutende Schuhe. »Ich warte auf Mr. Parry«, sagte Judith Hammers. »Entschuldigen Sie, sind Sie eine Frau?« »Sie warten auf Steve?« Der weibliche Clown schob sich in den Wohnwagen und sah gar nicht lustig aus. »Wer sind Sie?« »Judith Hammers«, stellte Kathy Porter sich vor. Sie war eine perfekte Schauspielerin und traf genau den richtigen Ton. Er war eine Mischung aus Verlegenheit und Trotz. »Und wer sind Sie?« »Mabel Bellini«, gab der weibliche Clown zurück. »Sie scheinen überhaupt nicht bemerkt zu haben, daß Sie sich in einem Raubtierkäfig befinden.« »Wie soll ich das verstehen?« Die angebliche Mitarbeiterin in der Volksbücherei von Paddington stellte ihr Glas ab und sah den weiblichen Clown aus großen Augen an.
»Ein gut getarnter Raubtierkäfig.« Der Clown lachte spöttisch. »Und Parry ist die Bestie, die alles verschlingt.« »Sie machen sich einen Spaß mit mir, oder?« »Ich weiß, wovon ich rede, Miß Hammers. An Ihrer Stelle würde ich schleunigst gehen.« »Sie... Sie kennen Mr. Parry?« »Darauf können Sie sich verlassen!« Der Clown nahm seinen giftgrünen Haarschopf ab. »Ich werde ohnehin nicht lange bleiben«, versprach Judith Hammers hastig. »Steve ist gefährlich«, redete Mabel Bellini weiter. »Auf kleine Lämmchen, wie Sie eines sind, hatte er immer schon einen besonderen Appetit.« »Ich glaube, Miß, Sie unterstellen mir da Dinge ... »Verschwinden Sie«, befahl Mabel Bellini. »Verschwinden Sie möglichst schnell!« »So sollten Sie nicht mit mir reden.« »Oder möchten Sie, daß ich Sie an die frische Luft setze?« »Ich verstehe nicht, Miß Bellini, ich bin doch nur hier, um ...« »... zu flirten, ich weiß.« Mabel Bellini nickte. »Ich kenne Frauen wie Sie. Zirkuswelt, starke Männer, exotische Atmosphäre und Raubtiergeruch, nicht wahr? Da kann man nicht widerstehen, das muß man einfach mal ausprobieren, oder?« »Diesen Ton lasse ich mir nicht gefallen, Miß Bellini.« »Gut, dann muß ich deutlicher werden!« Mabel Bellini trat rasch und geschmeidig an Judith Hammers heran und holte zu einer Ohrfeige aus, doch als sie zuschlagen und ihre Hand landen wollte, traf sie ins Leere. Das Mitglied der Volksbücherei in Paddington war erstaunlich schnell zur Seite ausgewichen. »Parry gehört mir«, stieß der weibliche Clown der Familie Bellini hervor. »War ich jetzt deutlich genug? Und wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, dann kratze ich Ihnen die Augen aus!« »Ich werde warten, bis Mr. Parry zurück ist.« »Okay, Sie haben es nicht anders gewollt.« Der weibliche Clown wandte sich um und ging zur Tür. Mabel drückte sie auf und winkte knapp nach draußen. Umgehend erschienen zwei weitere Clowns im Wohnwagen. Auch sie hatten grellweiß geschminkte Gesichter, rote Knollennasen und giftgrünes Haar. Auch sie wirkten trotz ihrer Aufmachung überhaupt nicht lustig. Das Gegenteil war der Fall! Von diesen Clowns ging eine fast schon körperlich zu fühlende Bedrohung aus. »Werft sie 'raus«, sagte der weibliche Clown, »aber verpaßt ihr vorher eine Abreibung, damit sie auf ihre Kosten kommt! Nun macht schon!« »Ich... Ich werde schreien.« Judith Hammers wich zurück und stolperte förmlich in den Schlafraum des Wohnwagens, während die beiden anderen Clowns dichtauf folgten. Sie stürzten sich auf Judith Hammers und warfen sie auf das breite französische Bett. Eine Kathy Porter hätte sich solch eine Behandlung nie gefallen lassen. Eine Kathy Porter wäre eine gefährliche Gegnerin der beiden Clowns gewesen, sie kannte sich schließlich in fast allen Arten der fernöstlichen Selbstverteidigung aus.
Mit zwei Angreifern wäre sie sogar ohne weiteres fertiggeworden. Das Mitglied einer Volksbücherei hingegen konnte kaum Gegenwehr leisten, sie hätte nicht zu der Rolle gepaßt, in die Kathy Porter geschlüpft war. Die beiden Clowns drängten sie über das Bett und befaßten sich erst mal mit ihrem Hosenanzug, den sie genußvoll in Streifen zerrissen. * »Weiter, Kindchen, weiter«, drängte Agatha Simpson zwei Stunden später. Kathy Porter war auf geschickt gewählten Umwegen in das Stadthaus der Lady gefahren und erstattete Bericht. Sie sah ein wenig mitgenommen aus. »Was sie wirklich wollten, kann ich nicht sagen«, erzählte Kathy Porter weiter. »Der Hosenanzug ist hin. Mr. Parry mußte mir anschließend einen Bademantel besorgen und brachte mich dann in meine Ersatzwohnung in Paddington.« »Dieser Mann wurde hoffentlich nicht zudringlich, wie?« »Keineswegs, Mylady! Mr. Parry schien es plötzlich mit der Angst zu tun zu haben. Er verabschiedete sich schnell und vereinbarte auch kein weiteres Treffen.« »Schließen Sie daraus, Miß Porter, daß er Angst vor den Bellini-Geschwistern haben könnte?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Eine Riesenangst sogar, Mr. Parker!« Kathy Porter nickte. »Als er in den Wohnwagen zurückkehrte, rührte er kaum eine Hand für mich. Er redete nur beschwichtigend auf die beiden Clowns Ben und Clay ein, während Mabel Bellini ihn ziemlich ordinär beschimpfte. Sie dürfte eindeutige Rechte an ihm haben.« »Das alles läuft ab wie in einem durchschnittlichen Zirkusfilm«, zitierte die Detektivin ihren Butler, tat aber so, als habe sie selbst diese Entdeckung gemacht. »Bringt mich das weiter, Mr. Parker? Äußern Sie sich endlich mal!« »Wenn es erlaubt ist, möchte ich eine knappe Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse vornehmen«, schickte Butler Parker würdevoll voraus. »In einer Stunde möchte ich einen kleinen Imbiß einnehmen«, erinnerte Agatha Simpson ihn anzüglich. Sie kannte die Ausdrucksweise ihres Butlers sehr genau. »Mylady werden pünktlich bedient werden«, beruhigte Parker sie, um dann zum Thema zu kommen. »Ausgangspunkt dieses Falles ist die Ermordung des Mr. Charlie Bellini, der erschossen wurde. Möglicherweise nimmt der Mörder an, er sei dabei von meiner bescheidenen Person beobachtet worden. Daher wohl einige diverse Mordversuche, die entweder recht dilettantisch durchgeführt wurden, oder aber einen Mordversuch nur vortäuschen sollten.« »Sie haben vergessen zu erwähnen, Mr. Parker, daß der oder die Täter in der Maske der Bellini-Clowns erschienen«, warf Agatha Simpson ungeduldig ein. »Unterschlagen Sie nicht dieses wichtige Detail!« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an, die als Zustimmung ausgelegt werden konnte. »Befragungen haben ergeben, daß die BelliniGeschwister von einem offensichtlich starrköpfigen und tyrannischen Vater reglementiert wurden. Sein Tod bedeutet für diese Geschwister eine Art
persönlicher Befreiung. Darüber hinaus aber werden sie unter sich das horrende Vermögen des Charlie Bellini aufteilen können.« »Wenn das alles kein Grund ist, Charlie Bellini umzubringen!« Lady Simpson richtete sich auf. Ihre Wangen glühten, die Augen funkelten. »Sie fielen wie die Wölfe über ihren Vater her und beseitigten ihn, um endlich frei zu sein. Vorbilder dazu gibt es in Hülle und Fülle.« »Der Verdacht wurde recht geschickt auf den Raubtierdompteur Jess Pritchard gelenkt«, berichtete Parker weiter. »Dieser jähzornige Mann dürfte leicht in eine entsprechende Falle zu locken sein. Seine ganze Persönlichkeit bietet sich dazu förmlich an.« »Der Mann hat mit dem Mord und den Mordanschlägen aber nichts zu tun«, warf Lady Simpson ein. »Das habe ich ja gleich gesagt. Wenn man doch nur auf mich hören würde!« »Abgesehen davon, Mylady, wurde auch auf die Bellini-Geschwister geschossen«, erinnerte Parker. »Mr. Ben Bellini erlitt einen Streifschuß, darüber hinaus könnte auch auf Clay Bellini geschossen worden sein.« »Ablenkungsmanöver, Mr. Parker! Durchschauen Sie das denn nicht?« Lady Agatha wußte es wieder mal ganz genau. »Was ist schon eine harmlose Fleischwunde? Was ist ein Schuß auf diesen Clay Bellini, der noch nicht mal getroffen wurde? Wahrscheinlich hat seine Schwester Mabel auf ihn geschossen, um die Verwirrung noch zu vergrößern.« »Ein Aspekt, den man nicht übersehen sollte, Mylady.« »Aber welche Rolle spielt Steve Parry?« warf Kathy Porter ein. »Er muß nach der Pfeife der Bellini-Geschwister tanzen, das ist eindeutig.« »Er hat mit Mabel geflirtet und ihr wahrscheinlich die Ehe versprochen«, urteilte Lady Agatha. »Mabels Brüder achten nun darauf, daß Steve Parry auf dem Pfad der Tugend bleibt. Und Parry seinerseits weiß, wie gefährlich solche sittenstrengen Brüder sind. Daher auch sein ängstliches Kuschen! Für mich ist das alles ein Familiendrama im Milieu eines Zirkus. Ich hätte diesen Fall gar nicht übernehmen sollen, Mr. Parker. Er ist einfach zu durchschnittlich.« »Darf ich mich erkühnen zu bemerken, daß man Mylady einem Raubtier zum Fraß vorwerfen wollte?« Parker sah die Ereignisse nicht so unkompliziert wie seine Herrin. »Ja, merken Sie denn nichts, Mr. Parker?« Die Detektivin schüttelte ironischvorwurfsvoll den Kopf. »Damit sollte Pritchard doch nur noch zusätzlich belastet werden! Die Bellini-Geschwister brauchen einen Täter, damit die Polizei Ruhe gibt. Ich möchte diesen Fall beenden, das ist etwas für McWarden. Dazu reichen seine Fähigkeiten gerade noch aus.« »Man dürfte den Bellini-Geschwistern kaum etwas nachweisen können, Mylady«, sagte Parker. »Dank der identischen Clown-Masken wird die Verwirrung nur noch größer.« »Wir haben wichtigere Dinge zu tun, Mr. Parker. Denken Sie an die gestohlenen sakralen Gegenstände und an die Million Pfund, die man dafür verlangt! Das ist ein Fall, der mich herausfordert ...«
»Dazu muß ich etwas sagen, Mylady.« Kathy Porter lächelte. »Reden Sie, Kindchen«, ermunterte die ältere Dame ihren Schützling. »Als ich allein in Mr. Parrys Wohnwagen war, Mylady, machte ich eine interessante Entdeckung.« »Und Sie machen es unnötig spannend, Kindchen«, mahnte Lady Agatha ihre Gesellschafterin. »In Mr. Parrys Wohnwagen befinden sich nur wenige Bücher, Mylady, aber die, die vorhanden sind, sind Bildbände über Museen.« »Das habe ich mir doch gleich gedacht«, behauptete die Detektivin unverfroren. »Und der Zirkus Miles war natürlich auch in Edinburgh, Birmingham und Nottingham, nicht wahr?« »Das stimmt, Mylady. Ich habe eine Rolle mit Plakaten und Ankündigungen durchgeblättert.« »Bezogen die gefundenen Sach- und Fachbücher sich möglicherweise auf die Museen in den erwähnten Städten?« erkundigte Parker sich gemessen. »Unter anderem, Mr. Parker.« »Nun, was habe ich Ihnen gesagt!?« Agatha Simpson schaute sich triumphierend um. »Mit den Bellini-Geschwistern haben wir auch gleich die Kunstdiebe. Nun brauchen wir nur noch die hier in London gestohlenen Dinge zu finden, Mr. Parker. Ich möchte Sie bitten, das in die Hand zu nehmen. Sie wissen doch, mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab, dazu ist meine Zeit zu kostbar.« * »Mylady halten die Bellini-Geschwister für die Kunstdiebe?« Josuah Parker hatte sich wie immer unter Kontrolle. »Die auch«, erwiderte die ältere Dame. »Aber in erster Linie ist natürlich Parry der Täter. Er ist das Haupt der Bande.« Es war wieder mal frappierend, wie einfach Lady Agatha diesen Fall sah und auch bereits gelöst hatte. Sie bildete sich stets ein gepflegtes Vorurteil und änderte es prompt, wenn andere Gesichtspunkte sich ergaben. Sie war darin recht flexibel. »Was halten Sie von Myladys Theorie?« fragte Kathy Porter, als Parkers Herrin den Salon verlassen hatte und hinauf in ihr Studio ging. »Myladys Theorie ist bestechend, wenn ich es so umschreiben darf, Miß Porter.« »Sie klingt eigentlich recht plausibel, finden Sie nicht auch?« »Sie klingt geradezu bestechend, Miß Porter.« »Aber dennoch, Sie akzeptieren sie nicht, oder?« »Meiner bescheidenen Person drängen sich da einige Vorbehalte und Zweifel auf, Miß Porter. Würde Mr. Parry, vorausgesetzt, er ist das Haupt der Diebesbande, diese Kunstführer in seinem Wohnwagen aufbewahren?« »Wohl kaum«, räumte Kathy Porter ein. »Weiß er überhaupt von der Existenz dieser Kunstbücher?« »Das weiß ich natürlich nicht. Aber man könnte ihn ja danach fragen.« »Was geschehen wird, Miß Porter.«
»Aber die Städte Edinburgh, Birmingham und Nottingham, Mr. Parker! Dort war der Zirkus Miles und auch dort wurden Kunstgegenstände gestohlen ...« »Dies kann ein Zufall gewesen sein, Miß Porter. Leider weiß man noch zu wenig über die Mitglieder des Zirkus Miles. Ich hätte große Lust, mich dort noch mal umzusehen.« »Als Judith Hammers kann ich wohl kaum noch auftreten, Mr. Parker.« »Wie wäre es, Miß Porter, wenn Sie als Reporterin erschienen? Den passenden Hintergrund könnte man schnell aufbauen.« »Ich werde mich ein wenig verändern, Mr. Parker.« Sie lächelte. »Werden Sie Lady Simpson verständigen?« »Unbedingt, Miß Porter, sonst würde man sich den Unwillen Myladys zuziehen. Es besteht ja immerhin noch die Möglichkeit, daß Mylady diesen Abend zu Hause verbringen möchte.« »Das glaube ich kaum.« »Das Fernsehen bringt im Hauptprogramm einen Zeichentrickfilm.« »Dann besteht tatsächlich Hoffnung.« Kathy Porter schmunzelte. Sie wußte nur zu gut, wie leidenschaftlich gern die ältere Dame Zeichentrickfilme auf dem Bildschirm verfolgte. Parker hatte sich geirrt. Als er im Studio war und von seiner Absicht berichtete, den Zirkus zu besuchen, nickte Lady Agatha Wohlwollend. »Das wollte ich gerade vorschlagen«, sagte sie. »Ich werde mir diesen Steve Parry mal gründlich unter die Lupe nehmen, Mr. Parker. Ihre Verhörmethoden sind mir einfach zu höflich.« »Haben Mylady an den Zeichentrickfilm gedacht, den das Fernsehen zu senden gedenkt?« »Schnickschnack«, gab sie geringschätzig zurück. »Und zudem werde ich die Sendung auf Videoband aufzeichnen. Bereiten Sie das vor, Mr. Parker! Ich möchte in einer halben Stunde im Zirkus sein.« »Miß Porter wird später erscheinen, Mylady. Sie wird als Reporterin auftreten.« »Es kann nicht schaden, obwohl der ganze Aufwand unnötig ist. Der Fall ist ja bereits gelöst, Mr. Parker. Ich habe schon darüber nachgedacht, wo die Diebe die sakralen Gegenstände versteckt haben könnten.« »Mylady haben die Lösung bereits gefunden?« »Was dachten denn Sie?« Die resolute Dame sah ihn fast mitleidig an. »Man muß eben Phantasie haben, Mr. Parker. Wo versteckt man etwas, was suchende Polizisten nicht finden dürfen?« »Es dürfte der Möglichkeiten viele geben, Mylady. Gerade in einem Zirkus.« »Dort, wohin ein Polizist niemals greifen würde. Geht Ihnen jetzt endlich ein Licht auf?« »Mylady denken an einen der Raubtierkäfige?« fragte Josuah Parker. »Schon ganz gut, Mr. Parker.« Sie nickte beifällig. »Ich glaube, ich weiß, Mylady, woran Sie denken.« Kathy Porter lächelte. »Überraschen Sie mich, Kindchen!«
»Sie denken an den indischen Fakir mit seinen Schlangen, nicht wahr?« »Volltreffer!« Lady Agatha war sehr zufrieden und maß ihren Butler mit einem ironischen Blick. »Nehmen Sie sich ein Beispiel an Miß Porter, Mr. Parker! Das nenne ich schöpferische Phantasie.« * Der Fakir nannte sich Mandrana und stammte, wie sich später herausstellte, aus Liverpool. Er hatte tief braune Haut, pechschwarzes Haar und noch schwärzere Augen. Er trug eine Art indisches Ge^ wand und sah Lady Simpson aufmerksam an. Sie hatte an die Wagentür geklopft und war gerade von ihm eingelassen worden. In seinem Wohnwagen herrschten tropische Temperaturen, zu denen das Mobiliar paßte. Alles war auf fernöstlich getrimmt, wie Lady Agatha feststellte. Im Hintergrund des langen Wohnwagens waren große Terrarien zu sehen, die fest in Stellagen verankert waren. »Meine Tiere«, sagte Mandrana, der den prüfenden Blick bemerkt hatte. Dann deutete er auf einen schmalen Jungen, der vielleicht gerade sechzehn war. »Meine Assistentin Jane.« »Assistentin?« Agatha Simpson korrigierte sich. Jane, also eine junge Frau oder ein noch jüngeres Mädchen, trug ebenfalls ein weit geschnittenes Gewand, das alle Formen ihres Körpers verbarg. »Ich bin Lady Simpson«, stellte die Sechzigjährige sich vor. »Ich arbeite am Fall Bellini.« »Sie sind Polizeibeamtin?« fragte Mandrana. Dann vergewisserte er sich, daß die Tür auch richtig geschlossen war. Kühle Luft schien er zu fürchten. »Ich bin Amateurin, arbeite jedoch mit der Polizei zusammen, wenn sie wieder mal nicht weiterkommt, Mr. Mandrana. Ich kenne Indien. Aus welcher Provinz stammen Sie?« »Aus keiner«, entgegnete Mandrana. »Wenn Sie's nicht weitersagen, Lady, berichte ich Ihnen, daß ich aus Liverpool komme. Jane ist allerdings wirklich aus Indien.« »Sehr hübsch.« Lady Agatha musterte wohlwollend die junge, knabenhaft gewachsene Frau. »Ich brauche Ihre Hilfe, Mr. Mandrana. Der Verdacht der Polizei scheint sich auf den Dompteur Pritchard zu konzentrieren, ich aber glaube nicht an seine Schuld. Kennen Sie Pritchard?« »Wir haben oft zusammen gearbeitet«, antwortete der Inder aus Liverpool. »Was soll ich zu ihm sagen? Gut, er ist aufbrausend und jähzornig, aber er ist kein Mörder. Er hätte den alten Bellini niemals erschossen, er hätte ihn höchstens zusammengeschlagen. Sie verstehen, was ich meine?« »Natürlich, ich kann's mir vorstellen, Mr. Mandrana. Hat er wirklich Grund zur Eifersucht?« »Kennen Sie seine Frau?« »Ich werde sie mir gleich ansehen.«
»Dann werden sie sofort sehen, daß er Grund hat.« Mandrana nickte. »Sie ist mannstoll, wenn Sie mich fragen. Jeder hier im Zirkus weiß das. Sie rennt jedem Mann nach. Sie muß einfach immer wieder ausprobieren, ob sie einen Mann verführen kann. Bei mir hat sie's auch versucht, aber da hat sie auf Granit gebissen, ich meine, da ist sie bei Jane an die falsche Adresse geraten. Jane paßt höllisch auf mich auf.« Jane, die kleine, knabenhaft zarte und schlanke Inderin, lächelte fröhlich. »Um's gleich zu sagen, Lady, Jane hat ihr angedroht, eine Giftschlange ins Bett zu legen. Daraufhin hat die Pritchard sich nicht mehr blicken lassen.« »Darf ich mir die lieben Tierchen mal ansehen?« Agatha Simpson wartete die Erlaubnis erst gar nicht ab, marschierte nach hinten und blieb vor den Stellagen stehen. Die Terrarien, groß und oben durch Luftgitter verschlossen, machten einen soliden Eindruck. Sie schienen aus starkem Glas zu bestehen. »Panzerglas«, sagte Mandrana, der ihre Gedanken erraten zu haben schien. »Für den Fall eines Unfalls, verstehen Sie? Schließlich transportiere ich auch einige verdammt giftige Schlangen.« »Was Sie nicht sagen! « »Kobras, Mambas und Klapperschlangen«, zählte Mandrana stolz auf. »Dann habe ich natürlich noch die Pythons, mit denen Jane arbeitet.« »Eine gefährliche Arbeit, wie ich glaube.« »Man is' schnell hin«, antwortete Mandrana. »Und was ist dort in den Körben und Kisten, wenn man fragen darf?« »Zwei Boas«, erwiderte der Inder aus Liverpool. »Gehen Sie nicht zu nahe 'ran, Mylady, die sind neugierig!« »Laufen sie etwa frei herum?« erkundigte die ältere Dame sich und... starrte dann fasziniert auf einen schon riesig zu nennenden, dreieckigen Schlangenkopf, der sich aus einer der langen Holzkisten schob. »Das ist Daisy«, erklärte Mandrana. »Die ist besonders neugierig. Besonders gefährlich ist sie eigentlich nicht.« »Hoffentlich weiß sie es«, antwortete Lady Agatha und wich einen Schritt zurück, während Daisy sich langsam aus der Kiste arbeitete. Ihr Körper war dick wie der Oberschenkel eines normalen Mannes. Die gegabelte Zunge schnellte prüfend hervor, der dreieckige Kopf näherte sich den Waden der älteren Dame. »Beißt sie?« fragte Lady Agatha mißtrauisch. »Meist nicht«, lautete Mandranas Antwort. »Jane, bring sie zurück! Sie wird aufdringlich.« Diese Bemerkung war stark untertrieben. Daisy hatte sich aufgerichtet und wollte sich um Myladys rechten Oberschenkel wickeln. Dabei verschob sich der derbe Tweed-Rock und rutschte nach oben. Die kleine Inderin ging mit der Boa mehr als selbstverständlich um. Sie verabreichte ihr einen leichten Klaps auf den dreieckigen Kopf, riß sie von Myladys Bein und stopfte sie dann ziemlich nachdrücklich zurück in die lange Holzkiste. Dann ließ sie einen Schieber herunter.
»Haben Sie keine Angst, nachts im Schlaf überfallen zu werden?« wollte Lady Simpson wissen. »Einen besseren Wachhund kann ich mir gar nicht vorstellen«, gab Mandrana zurück und lachte. »Hier kommt keiner 'rein, der nicht soll oder darf. Er würde schnell von Daisy abgefangen werden.« »Sie kriecht nachts frei herum?« Lady Agatha schüttelte sich. »Natürlich. Wir haben uns aneinander gewöhnt.« »Eine Frage, Mr. Mandrana, besitzen die Giftschlangen eigentlich noch ihre Giftzähne?« »Sie können es ja mal ausprobieren, Mylady.« Mandrana grinste. »Das werde ich immer wieder gefragt. Und das ist meine Standard-Antwort. Unter uns, Lady, die Giftzähne sind noch drin, aber ich gebe zu, daß Jane und ich die Giftschlangen von Zeit zu Zeit melken.« »Wie, bitte? Sie melken Ihre Giftschlangen?« Agatha Simpson schnaubte. »Wir zapfen ihnen die Giftdrüsen leer«, präzisierte Mandrana. »Das Gift verkaufen wir dann an Tropeninstitute. Das ist ein ganz hübsches Nebengeschäft.« »Was könnte man nicht alles in den Kisten und Terrarien verstecken«, sagte die ältere Dame jetzt in ihrer einmalig offenen. Art. »Kein Polizist der Welt würde bei einer Hausdurchsuchung dieses Risiko eingehen.« »Bestimmt nicht.« Mandrana lächelte neutral und sah die resolute Dame wachsam aus seinen kohlrabenschwarzen Augen an. »Ich kenne da einen Fall, da waren gestohlene Brillanten in einem Schlangenterrarium versteckt worden. Es kann auch Rauschgift gewesen sein, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Ich dachte gerade an diesen Trick.« »Wer weiß, was sich in den Holzkisten verbirgt, Mylady«, erwiderte Mandrana. »Wollen Sie nicht mal nachsehen?« »Doch sicher keine sakralen Gegenstände«, antwortete die Detektivin, »obwohl sie dort ja sicherer wären als in einem Museum.« * Josuah Parker besuchte etwa um diese Zeit den Raubtierdompteur. Jess Pritchard trug noch sein Kostüm, das aus Breecheshosen und einem bestickten Hemd bestand, das seine mächtige, behaarte Brust offen zur Schau stellte. Er sah den Butler irritiert an, als er die Tür seines Wohnwagens öffnete. »Ich erlaube mir, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, grüßte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art und nickte der Dame zu, die im Hintergrund stand. Sie war mit Sex aufgeladen, mit einem Sex allerdings von der etwas billigeren Sorte. Die Blondine mit dem langen Haar, das an eine Löwenmähne erinnerte, trug einen leichten, fast durchsichtigen Schminkmantel und darunter nur die Andeutungen von sogenannter Reizwäsche. Sie hatte graugrüne Augen, die wie Scheinwerfer leuchteten, und verlieh ihren ausgeprägten Hüften sofort einen
leichten Schwung, als sie Parker sah. Sie tat es unbewußt, mechanisch. Sie handelte wahrscheinlich aus einem inneren Zwang heraus. »Meine Frau Liz«, stellte Pritchard vor. »Liz, zieh dir gefälligst was über, du bist nicht in 'nem Striptease-Schuppen!« »Aber ich möchte Sie doch sehr bitten«, schickte Parker voraus. »Sie haben es mit einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann zu tun, der Ihrer Frau mit Sicherheit nicht gefährlich wird.« »Was wollen Sie?« knurrte Pritchard gereizt. »Ich komme gerade aus der Manege und will mich umziehen.« »Ihre Raubtiernummer war wieder mal hervorragend«, lobte Parker, obwohl er der Vorstellung nicht beigewohnt hatte. Er war eben ein höflicher Mensch. »Ich war überhaupt nicht zufrieden«, sagte Pritchard. »Vor allen Dingen Olga schien in schlechter Form.« »Olga dürfte eine Löwin sein?« »Die von Ihrer Lady mißhandelt worden ist«, sagte Pritchard. »Das Tier ist total eingeschüchtert.« »Darf ich dies in Myladys Namen ungemein bedauern, Mr. Pritchard?« »Ich begreife noch immer nicht, wie sie mit Olga fertig geworden ist«, sagte Pritchard. »Olga war die Löwin, die alles immer wieder durcheinanderbrachte. Aber jetzt rührt sie sich kaum noch vom Fleck.« »Sie wird den »Schock gewiß überstehen, Mr. Pritchard. Ich möchte noch mal auf Ihren Niederschlag zurückkommen. Sie sind sicher, daß es ein Clown in der Maske der Bellinis gewesen ist?« »Natürlich, da bin ich völlig sicher.« »Sie können aber nicht sagen, ob es nun Ben oder Clay Bellini gewesen ist?« »Nee, kann ich nicht, das ging alles blitzschnell. Hören Sie, Mr. Parker, Sie glauben doch wohl nicht, daß ich diese Geschichte erfunden habe, um den Bellinis eins auszuwischen?« »Das hegt mir ungemein fern, Mr. Pritchard. Mich interessieren andere Dinge.« »Darf ich Ihnen was anbieten?« erkundigte sich Liz Pritchard und wollte sich an ihrem Mann vorbeischieben. Er drängte sie jedoch ziemlich rücksichtslos zurück. »Ich bedanke mich in aller Form, Mrs. Pritchard«, erwiderte Parker. »Ich fürchte allerdings, daß ich unter einem gewissen Zeitdruck stehe. Mr. Pritchard, würden Sie mich freundlicherweise in Ihr Raubtierzelt begleiten?« »Da komme ich ja gerade her? Was soll ich dort?« »Möglicherweise kann ich Sie vor Dingen bewahren, die sonst äußerst peinlich für Sie verlaufen könnten.« »Ich verstehe kein Wort, aber gut.« Er folgte Parker nach draußen und schloß die Wagentür hinter sich. Betont laut. Als er Parkers erstauntes Gesicht sah -Parker ließ sein Erstaunen bewußt erkennen - winkte Pritchard ab. »Sie muß man unter Verschluß halten«, sagte der Dompteur. »Sie ist schlimmer als eine läufige Katze.«
»Sie werden verstehen, Mr. Pritchard, daß ich diese Bemerkung betont überhöre«, erwiderte der Butler steif und gemessen. »Vergleiche dieser Art schätze ich nicht sonderlich.« »Ich weiß, wovon ich spreche.« Er knurrte etwas in sich hinein. »Wieso wollen Sie mir eigentlich helfen? Vor wem? Ich verstehe nicht, was Sie eigentlich meinen.« »Nach Lage und Stand der bisherigen Ermittlungen, Mr. Pritchard, scheint man Sie zu dem auserkoren zu haben, was man gemeinhin einen Sündenbock nennt.« »Die Bellinis wollen mir da was am Zeug flicken, wie?« »Vielleicht, aber es kommen darüber hinaus möglicherweise noch andere Personen in Betracht.« »Und was will man mir anhängen?« »Eine, Millionenerpressung, um es kurz und knapp zu sagen.« * Er sah sie nachdenklich an, aber er kam offensichtlich nicht dahinter, daß sie vor wenigen Stunden noch Judith Hammers gewesen war. Kathy Porter hatte ihr Aussehen mit wenigen Mitteln gründlich verändert und gab sich nun sportlich-leger-selbstbewußt. Sie hatte sich als Kate Hilford vorgestellt und präsentierte sich in einem weiten, schwingenden Rock, modischen Stiefeln in Knautschlack und einem beigefarben Twin-Set. Sie zeigte tiefbraunes Haar und eine Brille, die ihren Beruf ein wenig zusätzlich unterstrich. Diese neue Kathy Porter befand sich im Direktionswagen des Zirkus Miles und war von Steve Parry und dem Pressesprecher des Unternehmens, einem gewissen Harry Caldon, empfangen worden. »Ich muß sie schon mal gesehen haben, Miß Hilford«, sagte Steve Parry plötzlich. »Durchaus möglich, Mr. Parry.« Selbst ihre Stimme hatte sich verändert. Sie klang jetzt wesentlich dunkler und ein wenig rauchiger. »Vielleicht im Fernsehen?« »Das wird's sein.« Steve Parry nickte langsam. »Ich bin hier wegen der Mordgeschichte«, sagte Kate Hilford alias Kathy Porter. »Ich hoffe, daß wir gut zusammenarbeiten werden.« »Der Chef ist gegen jeden Artikel«, erwiderte Harry Caldon, ein etwa vierzigjähriger Mann, der schlank und drahtig war. »Wir möchten den Mord an Bellini auf keinen Fall hochspielen, Miß Hilford.« »Ob Sie das möchten oder nicht, steht nicht zur Debatte.« Kate Hilford gab sich kühl, ohne dabei aber an Charme zu verlieren. »Wir können, wenn wir wollen, eine Riesenstory daraus machen. Ihnen ist das hoffentlich klar.« »Natürlich, natürlich.« Harry Caldon nickte. »Aber denken Sie doch an unsere Vorstellungen, Miß Hilford. Wer geht schon in einen Zirkus, in dem ein Mord geschehen ist!« »Dieser Mord ist der Öffentlichkeit bereits bekannt, Mr. Caldon.«
»Aber er ist hoffentlich schon wieder vergessen.« »Aber nein!« Kate Hilford schüttelte den Kopf. »Nach unserem Wissensstand ist erneut geschossen worden, oder wollen Sie das etwa abstreiten? Die Familie Bellini scheint generell bedroht zu sein.« »Warum wollen Sie das an die große Glocke hängen?« schaltete Steve Parry sich nun ein. »Das ist unsere Pflicht als Zeitung. Aber vielleicht habe ich mich eben nicht deutlich genug ausgedrückt, meine Herren. Wir wollen eine Story über die Bellinis bringen. Die Geschichte einer Clown-Dynastie, verstehen Sie? Menschlicher Hintergrund und so. Was wird jetzt aus dieser einmaligen Glanznummer? Wer tritt an die Stelle Charlie Bellinis und so weiter. Sie wissen ja wohl selbst, was man dazu schreibt.« »Solch ein Artikel könnte uns allerdings helfen«, räumte der Pressesprecher ein und nickte. »Ich denke, Mr. Miles wird damit einverstanden sein.« »Wo steckt denn der Direktor?« fragte Kate Hilford. »Schon wieder unterwegs, Miß Hilford«, entgegnete Harry Caldon und hob bedauernd die Schultern. »Wir bereiten eine große Bädertournee vor. Keiner kann mit den zuständigen Behörden besser verhandeln als Mr. Miles.« »Soll ich Sie mit den Bellini-Geschwistern bekannt machen?« fragte Steve Parry. Man sah es ihm deutlich an, daß er sich für die Reporterin bereits interessierte. »Das hat noch Zeit«, meinte Kate Hilford und winkte ab. »Da wäre noch etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte. Aber nur unter sechs Augen, um das gleich zu sagen.« »Ehrensache«, meinte der Pressesprecher. »Hier bleibt alles unter uns«, versicherte Steve Parry. »Um was geht es denn?« »Meine Redaktion hat einen ganz verrückten Anruf erhalten«, sagte Kate Hilford. Sie dämpfte unwillkürlich ihre Stimme und beugte sich vor. »Irgendein anonymer Anrufer hat eine ungeheuerliche Behauptung aufgestellt. Hören Sie jetzt genau zu, meine Herren! Im Zirkus Miles soll es eine Gruppe von Dieben geben, die Museen ausplündern und die geraubten Kunstgegenstände gegen horrendes Geld wieder zurückerstatten.« Pressesprecher Harry Caldon erlitt daraufhin einen leichten Hustenanfall, während Steve Parrys Gesicht zuerst rot anlief, dann aber weiß wurde. »Das ist doch... Das ist doch Unsinn«, sagte er schließlich, während Pressesprecher Caldon nicht weiter hüstelte. »Ich gebe nur das wieder, was ich am Telefon hörte«, antwortete Kate Hilford. »Genauer gesagt, nur das, was ich jetzt schon sagen möchte.« »Wurden etwa Namen genannt?« Harry Caldon hatte sich beruhigt und sah Kate Hilford erwartungsvoll an. »Darüber möchte ich jetzt noch nicht sprechen.« Sie schüttelte den Kopf. »Gibt es denn einen aktuellen Fall?« wollte Steve Parry wissen. »Den gibt es, meine Herren«, schloß die angebliche Reporterin. »Aus einem Londoner Museum wurden sakrale Gegenstände gestohlen, deren Wert gar nicht zu beziffern ist. Gegen eine Million Pfund will man diese einmaligen Schätze
zurückgeben. Falls nicht gezahlt wird, sollen die Dinge einfach zerstört und eingeschmolzen werden!« * »Das Raubtierzelt kennen Sie ja bereits, Mylady«, sagte Dompteur Pritchard und deutete auf die aneinandergereihten Käfigwagen. Die diversen Löwen und Tiger maunzten entweder herum oder fauchten. Nur eine ganz bestimmte Löwin erlitt sofort einen leichten Schock und drückte sich eilig in eine Ecke ihres Käfigwagens. Es handelte sich um Olga, die ihre Peinigerin sofort wiedererkannt hatte. »Man will mir also 'ne Millionenerpressung anhängen«, sagte Pritchard und ärgerte sich bereits wieder in einen leicht cholerischen Zustand. »Dahinter stecken doch bestimmt diese Bellinis, wie?« »Sie wollen gar nicht wissen, woraus diese Millionenerpressung besteht?« erkundigte Lady Simpson sich und nahm die Parade der Raubtiere ab, die unter ihrem strengen Blick plötzlich still wurden und sich niederlegten. Löwin Olga schien einiges über die stattliche Dame berichtet zu haben... »Mich interessiert solch ein Blödsinn nicht, Mylady. Ich und eine Millionenerpressung! Das ist doch ein Witz.« »Hoffentlich lacht die Polizei wie Sie, Mr. Pritchard.« »Ich bringe diese Bellinibrut noch der Reihe nach um«, schwor der Raubtierdompteur. »Zuerst macht Ben Bellini sich an meine Frau 'ran, und jetzt soll ich sogar noch ein Gangster sein. Das geht mir langsam gegen die Hutschnur.« »Nun reißen Sie sich mal gefälligst zusammen!« donnerte Lady Agatha den Aufgebrachten an. »Sie werden keinen Menschen umbringen, haben Sie mich verstanden?« »Jawohl, Mylady.« Pritchard nahm unwillkürlich Haltung an. Die Raubtiere duckten sich und schoben sich noch enger und hilfesuchender zusammen. Wenn Agatha Simpson laut wurde, sank ihre Stimme in die Baß-Region. »Wo könnte man Ihrer Ansicht nach hier im Raubtierzelt etwas verstecken, was die Polizei nicht finden soll?« fragte die ältere Dame mit wesentlich leiserer Stimme, was die Raubtiere wieder hoffen ließ. »Das hat Ihr Butler mich eben auch schon gefragt«, sagte Pritchard. »Das ist keine Antwort. Strengen Sie Ihren Kopf gefälligst an!« Nach seinem Besuch bei Pritchard und dessen Frau Liz hatte Parker anschließend den Dompteur quasi an Lady Simpson weitergereicht und war allein weitergegangen. Er wollte sich noch ein wenig im Zirkuszelt umsehen und dabei ungestört sein. »Was soll ich denn hier zum Beispiel verstecken?« fragte der Dompteur und strengte sich schleunigst an. »Handelt es sich um einen Gegenstand, Mylady?« »Um mehrere größere Gegenstände. Denken Sie von mir aus an Kerzenleuchter, Becher, Schatullen und Altargegenstände.«
»Die könnte man höchstens da drüben in oder zwischen den Strohballen verstecken.« »An solch ein Versteck denke ich nicht, Pritchard.« Sie wurde jetzt streng, und die Raubtiere schoben sich prompt wieder enger zusammen. »Sonst weiß ich nichts, Mylady.« Pritchard verzweifelte schier. »Könnten die Dinger nicht vielleicht in meinem Wohnwagen sein? Oder in den Kästen darunter?« »Ausgeschlossen, das würde sich nicht mit meiner Theorie decken, Mr. Pritchard.« Sie wurde wieder etwas gnädiger und freundlicher. »Wie steht es denn mit den Raubtierwagen? Gibt es da doppelte Böden oder etwas Ähnliches?« »Doppelte Böden, Mylady? Wozu sollten die gut sei?« »Und was ist mit diesen Schubläden darunter?« Lady Agatha deutete auf die Unterbauten, die wirklich an riesige Schubläden erinnerten. »Da kommen die Käfigsegmente 'rein. Aber an die kommt doch jeder dran, an die Stauräume, meine ich.« Agatha Simpson nahm ihre Lorgnette, jene einstielige Brille, wie sie vor vielen Jahren die Damen der Gesellschaft trugen. Sie klappte den Stiel herunter und schaute sich dann die Käfige intensiver an. Die verwirrten Raubtiere rechneten mit Tätlichkeiten und drückten sich in die Ecken ihrer Gehege. Die Löwin Olga schien wahre Schreckensgeschichten erzählt zu haben. »Da haben wir doch, wonach ich suche«, sagte die ältere Dame schnell und nickte zufrieden. »Was sind denn das für Kästen dort?« »Radkästen, die überbaut worden sind, Mylady«, erklärte Pritchard hastig und eifrig. »Die Tiere hegen gern darauf, so haben sie mehr Platz.« »öffnen Sie die Kästen«, ordnete die resolute Dame an. »Jetzt, Mylady? Das geht nur, wenn die Tiere aus den Käfigen sind.« »Dann sorgen Sie gefälligst dafür!« »Dazu müßte erst der große Raubtierkäfig in der Manege aufgebaut werden, Mylady.« »Dann tun Sie es!« »Mylady, allein schaffe ich das nicht, dazu brauche ich die Manegenarbeiter. Was vermuten Sie denn in den Radkästen?« »Die Millionenbeute, die man Ihnen unterschieben möchte, Mr. Pritchard.« »Die Bellini-Geschwister, nicht wahr?« »Unsinn, reden Sie sich nichts ein, Pritchard! Können Sie nicht wenigstens einen Käfig räumen? Ich möchte eine Stichprobe machen.« »Ich könnte die Tiere in den Halbkäfig treiben, aber das dauert seine Zeit. Die Biester sind ziemlich unruhig.« »Diesen Eindruck habe ich allerdings nicht, guter Mann. Lassen Sie mich das mal machen. Sorgen Sie nur dafür, daß ein Schieber den Käfig abteilt.« Agatha Simpson brauchte kein Eisengerät, um die vier Raubtiere im ersten Wagen nach rechts zu treiben. Sie baute sich vor dem Käfig auf, während Pritchard einen großen Schieber herbeiholte und in die Laufschiene einsetzte. Dann deutete
die ältere Dame mit ihrer Lorgnette nachdenklich in die Ecke des Raubtierwagens, wo sie die Löwen sehen wollte. »Das glaub ich nicht«, stöhnte Pritchard. »Das glaub ich nicht, und das glaubt mir kein Mensch.« Die vier Löwen trotteten in die befohlene Ecke und ließen sich dort brav wie die Hauskatzen nieder. Gut, sie fauchten ein wenig, aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie wollten wohl nicht völlig ihr Gesicht verlieren. Pritchard schob den Schieber quer durch den Wagen und schuf zwei Abteile. Eines davon konnte man ohne jede Gefahr betreten. »Öffnen Sie doch endlich den Kasten«, sagte Lady Simpson zu dem beeindruckten Dompteur. »Gütiger Himmel, sind Sie langsam!« Pritchard stieg in den Wagen und hantierte am Radkasten. Er öffnete die Abdeckplatte, die eine Art Pultdeckel hatte, Und beugte sich neugierig vor. Dann griff er hinunter und zog... eine giftgrüne Clown-Perücke hervor. * »Immerhin eine Clown-Perücke, wie sie der Bursche benutzte, der mehrmals geschossen hat«, sagte Lady Simpson eine Stunde später. Sie befand sich in Parkers hochbeinigem Monstrum und war mit dem Ergebnis ihrer Nachforschungen nicht ganz zufrieden. »Mr. Pritchard soll offensichtlich belastet werden«, vermutete Parker. »Wann können die übrigen Radkästen untersucht werden, Mylady?« »Morgen, während der Früharbeit in der Manege. Pritchard will mit seiner Gruppe arbeiten. Und genau das gefällt mir nicht, Mr. Parker.« »Mylady meinen mit Sicherheit nicht die angesetzte Probe.« »Die Raubtierwagen sind für den ganzen Rest der Nacht unbewacht.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu widersprechen. Die Raubtiere selbst dürften die besten Wächter sein.« »Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Mylady war noch nicht völlig überzeugt. »Alle Raubtierwagen waren nicht durch Schieber zu teilen, das stimmt schon, aber wer weiß, was der oder die Täter sich noch einfallen lassen.« »Mylady hegen bestimmte Vermutungen?« »Falls man die Raubkatzen abschießt oder betäubt, wie man das so in Kulturfilmen sieht, Mr. Parker, dann kann man die Beute ohne weiteres aus den Radkästen holen und sie wegschaffen.« »Mylady sind nach wie vor davon überzeugt, daß die Kunstdiebe in den Reihen der Zirkusmitglieder zu suchen sind?« »Aber selbstverständlich, Mr. Parker. Zweifeln Sie etwa daran?« »Dies, Mylady, würde ich mir niemals gestatten.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, grollte sie. »Kehren Sie um, Mr. Parker!« »Mylady wollen dem Zirkus einen weiteren Besuch abstatten?« »Ich werde dort Nachtwache halten.«
»Ein unter Umständen gefährliches Unterfangen, Mylady.« »Papperlapapp, Mr. Parker! Ich weiß mich schon meiner Haut zu wehren!« »Mylady wissen, daß Miß Porter beschützt werden muß?« »Und dabei bleibt es auch. Lassen Sie das gute Kind nicht aus den Augen! Sie hat den Köder bei diesem Pressesprecher und bei Parry ausgelegt. Jetzt wird es sich zeigen, ob man den Köder auch annehmen wird.« Parker verzichtete auf eine lange Diskussion, drehte bei passender Gelegenheit und fuhr seine Herrin zum Zirkus zurück. Als sie das Gelände erreichten, war von dem Glanz der Zirkuswelt nichts mehr zu sehen. Bis auf einige im leichten Wind schaukelnde Lampen waren alle Reklamelichter gelöscht worden. Das große Hauptzelt lag in der Dunkelheit wie ein Gebirgsrücken. »Wo werden Mylady Quartier beziehen?« erkundigte sich Parker. »Im Raubtierzelt, wo sonst?« »Werden Mylady den Dompteur vorher informieren?« »Ich werde mich aufs Gelände stehlen und keinem Menschen etwas davon sagen, daß ich zurückgekommen bin. Nur so kann ich etwas in Erfahrung bringen.« »Ich muß gestehen, daß ich Mylady höchst ungern gehen lasse.« »Haben Sie sich nicht so, Mr. Parker!« »Darf ich mir wenigstens erlauben, Mylady einige Hilfsmittel zu geben?« »Was haben Sie mir denn zu bieten?« erkundigte die Detektivin sich. »Ein kleines Funksprechgerät, das auf der Frequenz der Polizei sendet.« »Auf keinen Fall, Mr. Parker, die Polizei bleibt aus dem Spiel! Das fehlte noch, daß McWarden sich im letzten Moment einschaltet. Können Sie mir keine besseren Vorschläge unterbreiten?« »Einige Kugelschreiber vielleicht, Mylady?« »Gut, geben Sie mir eine Nebelbombe und eine Schrotpatrone! Das kann nicht schaden.« »Eine Schußwaffe, Mylady? Ich denke an einen regulären Revolver. »Ich habe meinen Pompadour, Mr. Parker.« Die Lady schüttelte den Kopf. »Und nun beeilen Sie sich! Kathy befindet sich unter Umständen bereits in höchster Gefahr!« Die resolute Dame nahm die beiden Kugelschreiber entgegen und verschwand in der Dunkelheit. Sie bewegte sich dabei mit der Geschmeidigkeit eines betagten Elefanten und der Geräuschlosigkeit eines Indianers, der statt seiner Mokassins Holzschuhe benutzt. * Kathy Porter hatte gemäß ihrer Rolle als Reporterin eine Ausweichwohnung bezogen. Sie befand sich in einer Art Wohnsilo, wie sie leider auch in London errichtet worden waren. Dieses Haus, in dem jeder Bewohner ganz nach Wunsch völlig anonym bleiben konnte, lag im Stadtteil Westminster. Die Schilder unten am Eingang und oben an der Wohnungstür zeigten den Namen Kate Hilford. Hätte man bei jener Zeitung nach einer Kate Hilford gefragt,
so wäre die prompte Bestätigung erfolgt, daß sie hier tatsächlich als Reporterin arbeitete. Wenn Josuah Parker sich eine Personenlegende ausdachte, vergaß er auch nicht das kleinste Detail. Kathy Porter hielt sich inzwischen in diesem kleinen Apartment auf und harrte der Dinge, die da vielleicht kamen. Sie hatte einen fetten Köder ausgelegt, als sie von dem Millionengeschäft der Kunstdiebe gesprochen hatte. Wenn Steve Parry oder der Pressesprecher Caldon etwas damit zu tun hatten, so mußten sie irgendwie reagieren. Kathy Porter hatte immerhin deutlich durchblicken lassen, daß sie noch viel mehr wußte. Der angebliche anonyme Anrufer hatte ja angeblich Namen genannt. Kathy Porter hatte diesen Köder im Auftrag der Lady Simpson ausgelegt. Die Detektivin glaubte nach wie vor fest daran, daß die Kunstdiebe Mitglieder des Miles-Zirkus waren. Und sie rechnete damit, daß die Beute irgendwo im Zirkus verborgen wurde. Kathy lächelte, als sie an Agatha Simpson dachte. Aufgrund einiger Zufälligkeiten hatte sie diese Theorie entwickelt und ließ sich nicht mehr davon abbringen. Plausibel klang es schon, was sie sich da ausgedacht hatte. Leider fehlte bisher auch nur der kleinste Hinweis auf die Richtigkeit ihrer Hypothese. Lady Agatha ließ sich wieder mal ganz von ihrer Phantasie leiten. In der Vergangenheit hatte sie damit schon häufig Butler Parker übertrumpft, der stets streng logisch vorzugehen pflegte... Das Telefon klingelte. Kathy ließ sich Zeit, bis sie abhob und sich meldete. Eine undeutliche Stimme entschuldigte sich und murmelte etwas von einer Fehlverbindung. Bald darauf läutete das Telefon erneut. Kathy meldete sich und hörte erneut die undeutliche Stimme. »Legen Sie nicht auf, Miß Hilford«, sagte diese Stimme, die sie nicht identifizieren konnte. »Ich habe Ihnen einen interessanten Vorschlag zu machen.« »Wer sind Sie?« Kathy wußte sofort, daß einer der Kunstdiebe am Apparat waren.« »Das spielt keine Rolle«, sagte die Stimme, die wohl zu einem Mann gehörte. »Ich habe zufällig einiges aufgeschnappt, als Sie im Direktionswagen wäre.« »Sie haben gelauscht?« »Richtig! Ich war unter dem Wagen am Lüftungsschacht. Hören Sie, wollen Sie sich ein kleines Vermögen verdienen?« »Worauf wollen Sie hinaus?« »Ich rede vom Kunstdiebstahl, Miß Hilford. Welche Namen hat der anonyme Anrufer Ihnen genannt? Für diese Namen würde ich eine Menge Geld zahlen.« »Ich lasse mir doch nicht meine Story verpatzen«, erwiderte Kathy Porter auflachend. »Und wer sagt mir, daß ich dieses kleine Vermögen je zu sehen kriege?« »Tausend Pfund, Miß Hilford!« »Die Sie mir vorbeibringen werden, nicht wahr?« Sie lachte spöttisch. »Warum nicht, wenn Sie Mut haben!?«
»Fünftausend Pfund, darunter würde ich es nicht machen. Aber das war jetzt gerade nur ein Witz, damit Sie mich nicht falsch verstehen.« »Okay, fünftausend Pfund, Miß Hilford! Ich werde in fünfzehn Minuten unten an der Haustür klingeln und dann ein Päckchen zurücklassen. Darin werden Sie das Geld finden.« »Darauf gehe ich niemals ein!« Sie erhielt keine Antwort mehr, denn es klickte bereits in der Leitung. Kathy Porter legte auf und griff nach dem kleinen Funksprechgerät, das Butler Parker ihr mitgegeben hatte. Sie schaltete es ein und informierte Parker, der, wie er antwortete, bereits auf dem Weg zu ihr war. * Es war ihr völlig gleichgültig, ob sie beobachtet wurde oder nicht. Agatha Simpson marschierte auf das Raubtierzelt zu und passierte dabei die Wohnwagen, die durchweg dunkel waren. Die Insassen schliefen um diese Zeit sicher schon. Mitternacht war . immerhin vorüber. Als die ältere Dame das Raubtierzelt fast erreicht hatte, spürte sie, daß sie verfolgt wurde. Sie hörte keine Schritte hinter sich und bemerkte auch sonst nichts, doch ihr Gefühl sprach deutlich an. Da pirschte sich irgendwer hinter ihr her. Die Lady ließ sich natürlich nichts anmerken. Angst war ihr unbekannt. Der Pompadour in ihrer linken Hand geriet jedoch in leichtes Pendeln. Sie machte sich auf einen plötzlichen Überfall gefaßt. Er erfolgte wenig später. Eine dunkle Gestalt stand vor ihr. Sie war um eine Ecke des links von ihr stehenden Wohnwagens herumgesprungen und schien zu einem Schlag auszuholen. Agatha Simpson war schneller. Der Pompadour wirbelte blitzschnell hoch, und der darin befindliche »Glücksbringer« leistete wieder mal ganze Arbeit. Es gab einen dumpfen Laut, als das Hufeisen sein Ziel traf. Dann legte sich die Gestalt zu Myladys Füßen und rührte sich vorerst nicht mehr. »Flegel«, murmelte die Sechzigjährige und beugte sich zu dem Gefällten hinunter. Ungeniert, wie sie nun mal war, riß sie ein Streichholz an und leuchtete in das Gesicht des Opfers. Es war der Fakir Mandrana, den es erwischt hatte. Er lag auf dem Rücken, aber er war nicht allein. Lady Simpson zuckte nun doch unwillkürlich zurück, als sie einen großen, dreieckigen Schlangenkopf entdeckte, der sich über die linke Schulter des Inders aus Liverpool schob ... Daisy! Die Boa kroch scheinbar träge über die Schulter des ohnmächtigen Mannes und hielt auf Lady Simpson zu, die das gar nicht gern sah. Schlangen gehörten nicht gerade zu jenen Kreaturen, die sie besonders schätzte oder gar liebte.
Daisy schien böse zu sein. Vielleicht hatte sie mitbekommen, daß man ihren Herrn und Meister niedergeschlagen hatte. Daisy wurde schneller und schoß dann mit ihrem dreieckigen Kopf nach vorn, um Agatha Simpson zu rammen. Wahrscheinlich hatte Daisy noch wesentlich mehr vor. Sie wollte die ältere Dame dazu noch umschlingen und ihr sämtliche Knochen brechen, wie es Boas so an sich haben. Daisy fühlte sich für ihren Herrn verantwortlich. Lady Agatha wich überraschend geschickt zur Seite und setzte ihren Pompadour noch mal ein. Der »Glücksbringer« krachte gegen den dreieckigen Kopf der riesigen Boa. Daisy erlitt einen leichten Ohnmachtsanfall und fühlte sich nicht mehr wohl in ihrer Schlangenhaut. Der schwere, dreieckige Kopf legte sich flach auf den Boden, während die gespaltene Zunge seitlich aus dem Maul heraushing wie eine Funkantenne, deren Einzelteile zerbrochen waren. »Das fehlte noch«, grollte die Detektivin. Dann widmete sie sich dem Inder aus Liverpool, der sich zu rühren begann. »Sperren Sie Ihre Blindschleiche gefälligst ein, bevor noch mehr passiert!« Agatha Simpson hatte eine kleine Taschenlampe eingeschaltet und strahlte Mandrana an, der sich an den Kopf faßte und stöhnte. Im gleichen Moment wurde ein Bogenstrahler eingeschaltet. Eine nicht unbeträchtliche Lichtflut ergoß sich über die wildbewegte Szene. Jess Pritchard erschien und hielt die unvermeidliche Fleischgabel in Händen. Als er Lady Simpson sah, zuckte er zusammen und blieb stehen. Dann entdeckte er Mandrana und Daisy. Die Boa schickte sich an, schleunigst das Feld zu räumen. Sie musterte dabei die resolute Dame aus verstörten Augen. »Nehmen Sie gefälligst Ihren Bratspieß herunter«, raunzte Lady Agatha den Dompteur an. Dann widmete sie sich dem Inder aus Liverpool.« Was haben Sie hier zu suchen?« »Ich... Ich habe Daisy ausgeführt«, sagte der falsche Inder und rieb sich die Unke Kopfseite. »Weil's doch hier Mäuse und Ratten gibt. Und Daisy braucht so was.« Er kümmerte sich nicht weiter um Lady Agatha und Pritchard. Er lief hinter seiner beleidigten Daisy her, die im Tempo das Weite suchte. »Ich traue diesem Kerl nicht über den Weg«, sagte Pritchard leise und sah dem Inder aus Liverpool nach. »Was gefällt Ihnen nicht an ihm?« fragte Agatha Simpson. »Der läßt keinen in seine Karten blicken«, meinte Pritchard. »Und nachts ist er immer mit seinen Schlangen unterwegs, angeblich, um sie zu füttern. Widerlich!« »Und warum treiben Sie sich während der Nacht herum?« »Ich passe auf das Raubtierzelt auf, Mylady«, gab Pritchard zurück. »Sie wissen doch, wegen der Radkästen. Ich will mir nichts anhängen lassen.« »Sie wissen immer noch nicht, wie der grüne Haarschopf in den Radkasten geraten sein könnte?« »Nee, aber das kann nur geschehen sein, als ich mit den Tieren in der Manege arbeitete. Und ich sage Ihnen noch mal, diese Bellini-Typen müssen das getan
haben. Woher sollte die Perücke sonst stammen? Die gehört doch zu ihren ClownMasken!« * Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und war den Rest der Strecke zu Fuß gegangen. Dank seiner schwarzen Kleidung war er in der Dunkelheit kaum auszumachen. Er hatte sich per Sprechfunk mit Kathy Porter unterhalten und wußte, was man ihr da per Telefon vorgeschlagen hatte. Ihm kam es jetzt darauf an, den Überbringer der fünftausend Pfund abzufangen. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm aktiviert und den Mechanismus so eingestellt, daß er einen Blasrohrpfeil verschießen konnte. Er stand im Eingang zu einem Haus und beobachtete die Vorhalle jenes Wohnsilos, in dem Kathy Porter ihre Ausweichwohnung bezogen hatte. Parker brauchte nicht lange zu warten. Nach etwa fünf Minuten erschien ein Vauxhall und näherte sich dem Wohnsilo. Wer am Steuer des Wagens saß, war wegen der Dunkelheit nicht auszumachen. Parker hob die Spitze seines Universal-Regenschirms und wartete auf seinen Einsatz. Der Vauxhall hielt, und ein schlanker Mann stieg aus. Er lief zum Eingang des Silos und legte dort neben die Tür ein kleines Päckchen. Dann klingelte er und wollte zurück zu seinem Wagen. Parker hätte bereits schießen können, doch da machte er eine zusätzliche Entdeckung. Um ein Haar hätte er den Fußgänger übersehen, der die Straße herunterkam. Er benahm sich keineswegs wie ein normaler nächtlicher Passant, sondern drückte sich eng gegen die Häuserwände und pirschte sich vorsichtig an die Haustür heran. Butler Parker änderte sofort seinen Plan. Er ließ den ersten Mann zurück in den Vauxhall steigen, der daraufhin sofort wegfuhr. Der nächtliche Passant hingegen hatte jetzt das Vordach erreicht und baute sich hinter einem Blumenkübel auf. Die Absicht war klar. Hier wurde mit verteilten Rollen gearbeitet. Der zweite Mann sollte wohl Kathy Porter überraschen, falls sie herunterkam, um das Päckchen an sich zu nehmen. Parker registrierte das Licht, das jetzt im Treppenhaus des Wohnsilos aufflammte. Wenig später erkannte er Kathy Porter, die einen Lift verließ und sich vorsichtig der Haustür näherte. Sie verhielt sich genauso, wie man es von einer Frau in ihrer Situation erwartete. Sie war mißtrauisch, was sich bereits ihrem Gang entnehmen ließ. Dann öffnete sie langsam die Haustür und bückte sich nach dem abgelegten Päckchen. In diesem Moment sprang der nächtliche Passant hinter dem großen Blumenkübel vor und baute sich vor Kathy Porter auf. Bei dieser Gelegenheit nahm der Butler wahr, daß der Mann eine Clown-Maske trug. Da war das giftgrüne Haar, das grellweiß geschminkte Gesicht und die rote Knollennase... Kathy hob sofort beide Hände. Für Parker war das ein Zeichen dafür, daß der nächtliche Besucher eine Schußwaffe auf sie richtete. Parker verzichtete darauf,
den Blasrohrpfeil abzuschießen. Die Gefahr war einfach zu groß, daß der getroffene Mann unwillkürlich abdrückte. Wenig später gingen der Clown und Kathy Porter zurück zum Lift und entschwebten nach oben. * »Sind Sie einer der Bellini-Clowns?« fragte Kathy, als sie im Lift waren. Sie musterte den Mann eingehend, konnte aber keine Klarheit gewinnen. Der Mann mit der Clownmaske trug Jeans und darüber eine Weste aus braunem Cord. Seine Hände wurden von übergroßen Handschuhen verdeckt, die ebenfalls zum Clownkostüm paßten. »Die Fragen werde ich gleich stellen«, sagte der Clown. »Und machen Sie keine Dummheiten Miß, sonst drücke ich ab!« In seiner Hand lag ein kurzläufiger Revolver mit Schalldämpfer. Die Waffe wurde wegen der übergroßen Handschuhe nur mühsam gehalten, und Kathy Porter hätte sie ihm ohne weiteres aus der Hand schlagen können, doch dazu bestand vorerst kein Anlaß. Einmal wußte sie, daß Butler Parker in der Nähe war, zum anderen aber wollte sie erst mal erfahren, welche Fragen dieser Mann stellte. Sie waren im Apartment. »Setzen Sie sich«, kommandierte der Clown. Er verstellte seine Stimme und rollte einen sperrigen Gegenstand in seiner Mundhöhle. Vielleicht ein Bonbon oder gar ein kleiner Kieselstein. Die Wirkung war erstaunlich. Die Stimme war eine Mischung aus Zischlauten und Lispeln. »Sie haben mich 'reingelegt«, beschwerte sich Kathy. Sie setzte sich so, daß der Clown der Wohnungstür den Rücken zukehren mußte. Sie tat es nicht ohne Grund. »Welche Namen sind Ihnen von diesem anonymen Anrufer genannt worden?« fragte der Clown. »Ihnen passiert nichts, wenn Sie reden. Ich will's nur wissen.« »Und wenn's nun Ihr Name ist?« fragte Kathy zurück. »Sie werden dann bestimmt abdrücken.« »Unsinn, ich bin kein Mörder, wenn man mich nicht dazu zwingt. Den Namen!« »Also schön, der Anrufer nannte Steve Parry, den Assistenten des Direktors.« »Ach nee!« Der Clown war überrascht. »Und weiter?« »Und er sprach von den Bellini-Geschwistern«, schwindelte Kathy Porter weiter. Sie hielt sich damit genau an die Theorie, die Lady Simpson so nachdrücklich entwickelt hatte. »Die Bellinis!« Der Clown schüttelte leicht den Kopf. »Und wer war der Anrufer?« »Ich habe wirklich keine Ahnung.« »Könnte es Pritchard gewesen sein?« »Sie meinen den Raubtierdompteur?« »Wen sonst? Schinden Sie keine Zeit heraus, Miß Hilford! Ist er es nun gewesen oder nicht?« »Ich denke schon. Mehr weiß ich aber wirklich nicht.«
»Stop, so schnell sind wir noch nicht fertig.« Der Clown mit der giftgrünen Perücke war sehr neugierig. »Und wo soll die Beute sich befinden? Man hat Ihnen doch bestimmt einen Tip gegeben, oder?« »Nein, das nicht. Ehrlich! Würden Sie jetzt endlich gehen?« »Haben Sie schon mit der Polizei darüber gesprochen?« »Natürlich nicht, ich könnte ja sonst meine Story nicht schreiben.« »Das ist gut.« Der Clown lachte plötzlich, aber trotz der grotesken Maske war es kein gutes Lachen. »Haben Sie Ihre Chefredaktion informiert?« »Doch, natürlich. Ich meine, ich habe eine Notiz hinterlassen. Man wird sie morgen auf meinem Schreibtisch, ich meine, auf dem Schreibtisch des Chefs finden« »Ich denke gar nicht daran, Sie zu ermorden.« Er hob den Lauf samt Schalldämpfer, was Butler Parker mißverstehen mußte. Er stand nämlich schon im Apartment und handelte augenblicklich. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hakte er nach der Hand des Clowns und riß sie blitzschnell hoch. Der Clown, überrascht, fuhr herum und warf sich sofort auf den Butler. Parker parierte diesen Angriff überlegen. Er grüßte den Clown durch Lüften der Melone, was allerdings ein wenig schwungvoll ausfiel. Die stahlgefütterte Wölbung legte sich auf die Stirn des Angreifers. Der Clown riß daraufhin weit die Augen auf, verschluckte dann den Gegenstand in seinem Mund und setzte sich nachdrücklich auf den Teppichboden. Dann fiel er zur Seite und gab Ruhe. »Ich hatte schon Sorge, Mr. Parker, Sie würden die Schlösser nicht rechtzeitig öffnen können«, sagte Kathy Porter. »Konstruktionen ohne jede technische Phantasie«, urteilte der Butler gemessen. »Wenn Sie gestatten, Miß Porter, würde ich dem Herrn jetzt gern die ClownMaske abwischen.« »Überlassen Sie das mir«, entgegnete sie. »Ich habe Fettcreme im Badezimmer. In ein paar Minuten wissen wir, wer dieser Mann ist.« »Wahrscheinlich Mr. Steve Parry«, sagte Parker. Nach drei Minuten erwies seine Prognose sich als richtig... * »Ich bin ein Idiot gewesen«, sagte Parry und senkte den Kopf. »Sie sagen es, Mr. Parry.« Butler Parker nickte zustimmend. »Sie haben sich strafbar gemacht, wie Sie vermutlich wissen.« »Weil ich 'rausbekommen wollte, wer diese Sachen gestohlen hat«, antwortete Steve Parry. »Können Sie das nicht verstehen, Mr. Parker? Zuerst der Mord an Charlie Bellini, dann die verschiedenen Schüsse und jetzt auch noch ein Millionendiebstahl. Das würde den Zirkus völlig ruinieren.« »Völlig?« Parker wurde hellhörig, zeigte es natürlich nicht. Sein Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines Pokerspielers. »Es stimmt also, daß das Unternehmen Miles sich in gewissen Schwierigkeiten befindet, nicht wahr?«
»Gewisse Schwierigkeiten? Uns steht das Wasser bis zum Hals!« »Würden Sie die Freundlichkeit haben, das näher zu erklären?« Man befand sich noch in Kate Hilfords Apartment und wartete auf den Pressesprecher Caldon, der das Päckchen an der Tür abgelegt hatte. Steve Parry hatte ihn angerufen und ihm geraten, umgehend zu erscheinen. »Das Fernsehen macht uns kaputt«, antwortete Steve Parry. »Wir können an Sensationen bieten, was wir wollen, aber die Leute bleiben lieber zu Hause vor dem Bildschirm.« »Der Zirkus Miles befindet sich also in einer Existenzkrise, um es ganz deutlich auszudrücken.« »Wenn wir nicht bald eine Finanzspritze bekommen, können wir schließen.« »Aber den allgemeinen Niedergang doch keineswegs aufhalten, höchstens hinauszögern.« »Miles will das Unternehmen umbauen«, gestand Steve Parry. »Ich werde jetzt wohl darüber reden müssen.« »Es wäre angebracht. Aber einen Moment, wenn ich bitten darf, Mr. Caldon scheint zu kommen.« Es hatte an der Haustür geklingelt. Über die Haussprechanlage rief Parker nach unten. Als der Pressesprecher seinen Namen genannt hatte, betätigte Parker den Türöffner. Nach wenigen Minuten erschien Caldon, der einen völlig zerknirschten Eindruck machte. »Wir sind Idioten gewesen«, stellte er fest und sah dann Kathy Porter an. »Entschuldigen Sie diesen Blödsinn! Es steht Ihnen natürlich völlig frei, uns anzuzeigen.« »Zu diesem Thema wird Miß Hilford sich zu einem späteren Zeitpunkt noch äußern«, meinte Josuah Parker. »Bleiben wir erst mal bei der geplanten Umgestaltung des Zirkus Miles, meine Herren. An was ist da gedacht?« »Miles will eine Art Wunderland eröffnen«, sagte Caldon sofort. »Sie wissen, so in der Art von Disneyland.« »Was nicht billig sein dürfte.« »Er sucht ja verzweifelt nach Geldgebern«, schaltete Steve Parry sich ein. »Mit einer Million Pfund wäre ihm vermutlich gedient, nicht wahr?« »Wie meinen Sie das, Mr. Parker?« Parry stutzte und nickte dann. »Ich verstehe jetzt. Sie denken an die Kunstdiebstahlgeschichte, nicht wahr? Aber das können Sie sich abschminken, so was würde Miles nie tun.« »Sie kennen unseren Chef nicht«, fiel Pressesprecher Caldon ihm ins Wort. »Er ist durch und durch Artist. So was liegt nicht auf seiner Linie. Er ist ein Ehrenmann.« »Und wie darf ich Sie, meine Herren einschätzen und beurteilen?« »Okay, die Frage ist berechtigt.« Parry senkte den Kopf. »Das hier mit Miß Hilford war eine Riesendummheit, aber wir wollten retten, was noch zu retten ist. Übrigens, der Revolver ist nicht geladen.« »Dies erlaubte ich mir bereits festzustellen.« Parker deutete ein zustimmendes Kopfnicken an. »Sie interessieren sich für Kunst, Mr. Parry?«
»Sehr sogar. Ich habe mal ein paar Semester Kunstgeschichte studiert, bevor ich zu Miles überwechselte. Aber ich besuche immer noch jedes Museum, das ich erreichen kann. Womit ich mich natürlich wieder mal verdächtig mache, oder?« »Ich denke, daß man damit das Thema beenden könnte«, schlug der Butler vor und sah Kathy Porter an. »Ich bilde mir ab sofort ein, nur besucht worden zu sein«, gab die angebliche Kate Hilford lächelnd zurück. »Aber meine Story möchte ich haben. Die BelliniStory!« »Wir werden Ihnen jede nur erdenkliche Hilfestellung geben, Miß Hilford«, sagte Pressesprecher Caldon eifrig und deutete auf Parry. »Mr. Parry weiß sicher Dinge, an die Sie normalerweise nie herankämen.« »Es gibt da persönliche Beziehungen zwischen Ihnen und den Bellinis?« erkundigte sich Parker prompt. »Miß Bellini und ich, also, nun, wir sind in etwa verlobt«, räumte Steve Parry ein. Er wirkte plötzlich ein wenig verlegen. »Er ist verlobt worden«, stichelte Caldon und grinste. »Hör auf, Harry«, bat Parry. »Die Bellini-Brüder sind recht energisch, wenn es um ihre Schwester geht?« tippte Parker an, obwohl er von Kathy Porter wesentlich mehr wußte. »Mabel und ich werden wahrscheinlich heiraten«, sagte Parry ohne viel Begeisterung. »Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Da wäre noch eine letzte Frage, die aus dem Weg geräumt werden sollte. Trauen Sie den Bellini-Brüdern Ben und Clay zu, Museen ausgeraubt zu haben?« »Ben und Clay?« Parry sah den Butler betroffen an und schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Warum sollten sie es tun?« »Geldgier, nur um ein Motiv zu nennen.« »Die Bellinis sind nach dem Tod ihres Vaters sehr reich«, antwortete Parry, der es aus erster Hand wissen mußte. »Charlie Bellini hat Riesengagen verdient und lebte sehr sparsam. Seine Kinder bekamen praktisch immer nur ein Taschengeld. Charlie Bellini war geizig.« »Und sein Verhältnis zu den Kindern gespannt?« schaltete Kate Hilford sich ein. »Er war ein Tyrann, glauben Sie mir. Er war bei seinen Kollegen überhaupt nicht beliebt. Er setzte durch, was immer er wollte. Und er intrigierte gegen jeden Kollegen, der nicht vor ihm katzbuckelte. Er war nur in der Manege gut, aber sonst...?« »Wer könnte ihn Ihrer Ansicht nach erschossen haben?« fragte Josuah Parker und wandte sich an Caldon. »Schwer zu sagen, Mr. Parker. Pritchard vielleicht?« »Warum gerade Mr. Pritchard?« »Na ja, der Streit, den er mit Bellini gehabt hat. Und dann die Geschichte mit seiner Frau.«
»Liz, also Pritchards Frau, bändelte natürlich auch mit Bellini an«, warf Steve Parry ein. »In diesem Fall muß man wohl sogar sagen, daß Charlie Bellini derjenige gewesen ist, der aktiv wurde. Er wollte Liz unbedingt haben.« »Und Clay die Raubtiergruppe zuspielen, nicht wahr?« »Damit hat er Pritchard wohl nur reizen wollen, Mr. Parker. Aber über Pritchard hinaus gibt es noch einige andere Leute, die seinen Tod gewünscht haben.« »Ich zum Beispiel«, warf Pressesprecher Caldon trocken ein. »Ich hatte den alten Bellini angeblich nicht groß genug herausgestellt. Er wollte mich feuern lassen. Und er drohte damit, mich unmöglich zu machen.« »Was stelle ich mir darunter vor?« erkundigte sich Parker. »Ich habe mal gesessen«, räumte Caldon ein. »Wegen Unterschlagung, um ganz genau zu sein. Ich war bei einem Verband beschäftigt, in der Autoindustrie. Miles wußte davon, und durch ihn wird Charlie Bellini an diese Sache herangekommen sein, glaube ich wenigstens. Doch, ich hätte auch Grund gehabt, ihn zu erschießen. Er war einfach mies, dieser Bellini!« * »Miles kam mir gleich verdächtig vor«, sagte Lady Simpson, als sie Parkers Bericht gehört hatte. Sie befand sich in ihrem Stadthaus und nahm noch einen kleinen Imbiß zu sich. »Mylady kennen Mr. Miles, den Direktor des Zirkus?« fragte Parker. »Erfreulicherweise nicht«, erwiderte sie. »Dadurch wird mein Blick nicht getrübt, Mr. Parker. Ich kann völlig objektiv urteilen.« »Darf ich Myladys Worten entnehmen, daß Mylady den Zirkusdirektor für den Dieb der sakralen Museumsgegenstände halten?« Parker wunderte sich schon längst nicht mehr. »Er hätte doch ein Motiv, möglichst schnell zu Geld zu kommen«, gab die ältere Dame zurück. »In der Verzweiflung wird auch ein Mr. Miles nach einer Chance suchen, sein Unternehmen zu retten. Was wissen wir über diesen ominösen Mann, der nie zu erreichen ist? Das allein ist mir verdächtig genug.« »Mr. Miles ist ein hochgeachteter Mensch, Mylady.« »Eine wunderbare Tarnung für seine Diebstähle«, erklärte die Detektivin. »Ich werde mich auf diesen Miles konzentrieren, Mr. Parker. Sie werden sehen, daß es sich lohnt.« »Mylady konnten eine Visitation der Radkästen vornehmen?« Parker lenkte sicherheitshalber vom Thema ab. »Die findet heute während der Proben statt.« Sie sah auf das Zifferblatt der uralten Standuhr. »Bis dahin werde ich noch ein wenig meditieren, Mr. Parker.« »Werden die Raubtierwagen, für die Mylady sich interessieren, inzwischen bewacht?« »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker! Ich habe ein paar handfeste Arbeiter engagiert. Sie lassen die Wagen nicht aus den Augen. Und dann ist da ja noch Pritchard.«
»Den Mylady inzwischen für unschuldig halten, wie herauszuhören ich mir erlaube?« »Er ist vollkommen harmlos, von seinem Jähzorn mal abgesehen. Nein, dieser Mann besäße ja gar nicht die Intelligenz, genau die Stücke aus einem Museum herauszuholen, auf die es ankommt. Pritchard ist ein Muskelpaket, mehr nicht.« Sie nahm noch eine Portion Roastbeef zu sich, einige Röllchen Schinken aus Parma und beschloß den kleinen Imbiß mit einem Hühnerkeulchen. »Ich werde gegen neun Uhr frühstücken«, sagte sie. »Denken Sie an meine Diät, Mr. Parker! Ich möchte keine Fehler begehen...« »Mylady können mit einem äußerst frugalen Frühstück rechnen«, gab Josuah Parker gemessen zurück. Er geleitete seine Herrin hinüber in die Wohnhalle und wartete, bis sie im Obergeschoß verschwunden war. Der Morgen graute bereits, und Parker hatte endlich Muße, sich verschiedene Dinge gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Da war der Mord an Charlie Bellini, mit dem alles begonnen hatte. War er von seinen eigenen Kindern umgebracht worden, die ihn gehaßt haben mußten? Kam dazu noch das Motiv, endlich mal an das große Geld heran zu können, das Charlie Bellini gehortet hatte? Daß Kinder ihren tyrannischen Vater ermordeten, war in der Kriminalgeschichte gewiß keine Seltenheit. Jahrelang hatten die Bellini-Geschwister sich ducken und parieren müssen. Irgendwann war es dann wohl zu einer Katastrophe gekommen. Kam der Dompteur Jess Pritchard als Mörder in Betracht? Er war jähzornig und eifersüchtig. Seine Frau hatte gewisse Beziehungen zu Charlie Bellini unterhalten, ob gezwungenermaßen oder nicht. War einem Pritchard solch ein Mord zuzutrauen? Parker bejahte diese Frage. Es paßte allerdings nicht zu diesem Dompteur, anschließend in der Maske der Bellini-Clowns weitere Mordversuche zu unternehmen und zum Beispiel auf Ben Bellini zu schießen. So umständlich wäre Pritchard gewiß nicht verfahren. Er wäre wahrscheinlich viel direkter vorgegangen. Welche Rolle spielte der Pressesprecher des Zirkus, Harry Caldon, der erst relativ spät in das allgemeine Blickfeld geraten war. Caldon, vorbestraft wegen Unterschlagung und Betrug, wurde von Charlie Bellini unter Druck gesetzt. Hatte vielleicht Harry Caldon die Nerven verloren und sich seines Widersachers entledigt? Ihm war zuzutrauen, daß er anschließend in der Bellini-Maske weitere Schüsse abfeuerte, um Spuren zu verwischen und Irritationen auszulösen. Dann war da Steve Parry, der sich als Fastverlobter von Mabel Bellini betrachten mußte. War er von Mabels Brüdern dazu gezwungen worden? Oder hatte er Charlie Bellini erschossen, um über Mabel zu Geld zu kommen? Wenn er sie heiratete, war er ein vermögender Mann. Gerade Parry besaß die Intelligenz, in der Clownmaske der Bellinis aufzutreten und Verwirrung zu stiften. Falls er Ben Bellini tödlich getroffen hätte, wäre sein Anteil am Bellini-Vermögen noch reicher ausgefallen. Was sollte man zu dem Inder aus Liverpool sagen? Einen direkten Zusammenhang zwischen ihm und den Bellinis gab es eigentlich nicht. Doch Parker
gestand sich ein, daß er zu wenig über diesen Schlangenbeschwörer wußte. Dies galt auch für die übrigen Artisten des Zirkus. Die Zeit war einfach zu kurz gewesen, um umfangreiche Befragungen vorzunehmen. Leider hatte sich nämlich Myladys Theorie als störend erwiesen, nach der die sakralen Gegenstände aus dem Museum von Mitgliedern des Miles-Zirkus gestohlen worden sein sollten. Der Zirkus hatte in jenen Städten gastiert, in denen Kunstdiebstähle verübt worden waren. Auch die betreffenden Daten stimmten, wie der Butler inzwischen wußte. In Edinburgh, Birmingham und Nottingham war genau zu dem Zeitpunkt Beute gemacht worden, als der Miles-Zirkus dort seine Vorstellungen gegeben hatte. Zufall? Oder sollte Myladys Phantasie richtig gezündet haben? Wer kam als Kunstdieb in Betracht? Steve Parry vielleicht? Er war immerhin Kunstkenner, wie er selbst eingeräumt hatte. Hatte er etwa mit dem Pressesprecher Caldon zusammengearbeitet? Oder vielleicht mit den Bellini-Geschwistern? Stand er mit dem Inder aus Liverpool unter einer Decke? Parker gab es auf, seine Gedanken weiter Karussell fahren zu lassen. Eine kleine Denkpause konnte jetzt auf keinen Fall schaden. * Wie gelangweilte Hauskatzen saßen die Löwen und Tiger auf ihren Postamenten im großen Vorführkäfig und gähnten. Die Vormittagsproben waren für sie nicht ungewöhnlich. Jess Pritchard stand wie ein Herrscher in der Mitte des Käfigs und erteilte seine knappen Befehle. Die Raubtiere reagierten meist mit einiger Verzögerung, die wohl Unwillen ausdrücken sollte, Sie bauten Pyramiden, sprangen durch Reifen, legten sich gruppenweise in den Manegensand und fauchten dann pflichtschuldigst. Gefährlich sah das alles ganz sicher nicht aus. Es zeigte sich aber auch, daß Jess Pritchard gar kein schlechter Dompteur war. Seinen Tieren gegenüber bewies er Geduld und Einfühlungsvermögen. Parker stand neben dem Laufgang, durch den Vierbeiner die Manege betreten und wieder verlassen konnten. Der tunnelähnliche Gang war durch einen Schieber versperrt worden. Die Raubtiere konnten jetzt nicht zurück in ihre Käfige, die von Lady Simpson inspiziert wurden. Die Detektivin war in ihrem Element. Auf ihr Kommando gehorchten vier stämmige Manegearbeiter, die nacheinander alle Radkästen öffneten und untersuchten. Lady Simpson wäre in der Lage gewesen, eine kleine Armee zu befehligen. Sie wußte wieder mal genau, was sie wollte. Neben ihr war die angebliche Reporterin Kate Hilford. Kathy Porter hatte ihre Rolle noch nicht aufgegeben, um sich unauffälliger im Zirkus bewegen zu können. Sie hielt ihren Fotoapparat in der Hand und schoß hin und wieder einige Aufnahmen.
»Konnten Mylady bisher einen ersten Teilerfolg verbuchen?« erkundigte sich Parker, der das Raubtierzelt betreten hatte. »Man scheint die Beute inzwischen in Sicherheit gebracht zu haben«, erwiderte die ältere Dame gereizt. »Aber noch sind nicht alle Radkästen geöffnet.« Die vier Manegenarbeiter beschäftigten sich inzwischen mit den beiden letzten Wagen, in denen die Tiger untergebracht waren. Parker glaubte nicht an einen Erfolg dieser Suche, doch er hütete sich, das laut werden zu lassen. »Lady, hier is' was!« rief einer der Arbeiter in diesem Moment und griff in einen der Radkästen. »Na, bitte!« Lady Agatha straffte sich und brachte ihre Fülle näher an den Raubtierwagen heran. »Nun zeigen Sie schon endlich, junger Mann, was Sie gefunden haben!« »'ne Kanone, Lady.« Der Arbeiter wickelte ein Tuch auseinander und präsentierte der älteren Dame dann einen Revolver samt Schalldämpfer. »Daraus ist mit Sicherheit auf die beiden Bellinis geschossen worden«, behauptete Agatha Simpson umgehend. »Fassen Sie die Waffe nur ja nicht an, junger Mann! Geben Sie sie mir!« Der Arbeiter bückte sich und reichte die Waffe, die er wieder eingewickelt hatte, an Mylady weiter. Sie schlug das Tuch auseinander und nickte triumphierend. Dann wandte sie sich an Parker. »Was sagen Sie jetzt, Mr. Parker?« »Bemerkenswert, Mylady«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Selbst der Schalldämpfer wurde glänzend imitiert.« »Imitiert?« Die Detektivin hüstelte leicht. »Nach Lage der Dinge und Augenschein, Mylady, dürfte es sich um eine Wasserpistole, beziehungsweise um einen Wasserrevolver handeln.« »Natürlich, was dachten denn Sie!?« Die resolute Dame fauchte verächtlich. »Das habe ich doch auf den ersten Blick gesehen.« »Gewiß, Mylady.« Mehr sagte Parker nicht. Er sah, daß seine Herrin vor einer Explosion stand. »Man will mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« »Gewiß, Mylady.« »Der Mörder, nicht wahr?« »Davon sollte man ausgehen, Mylady.« »Das werde ich diesem Subjekt noch heimzahlen.« Sie bekam sich langsam wieder unter Kontrolle. »Wer könnte mir diesen Streich gespielt haben?« »Das, Mylady, wird sich schon sehr bald herausstellen«, gab Parker zurück. »Es muß sich um eine Person handeln, die Myladys Aktivitäten der vergangenen Sunden aus nächster Nähe und sehr genau verfolgen konnte.« Kate Hilford, die angebliche Reporterin, verbiß sich mühsam ein Lachen. *
Weniger vornehm und zurückhaltend gaben sich drei Clowns, die im Eingang zum Raubtierzelt standen. Sie hatten grellweiß geschminkte Gesichter, rote Knollennasen und giftgrünes Haar. Sie hielten sich die Bäuche vor Lachen und schlugen fast Purzelbäume. Dann faßten sie sich an den Händen und führten einen Ringeltanz auf. »Sehr albern«, tadelte Agatha Simpson und schoß einen vernichtenden Blick auf sie ab. »Vielleicht hat die Millionenbeute sich tatsächlich in den Radkästen befunden«, sagte Parker vermittelnd. »Papperlapapp, Mr. Parker, ich brauche Ihren Trost nicht.« Sie grollte wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. »Natürlich war die Beute darin, aber sie ist weggeschafft worden.« »Auf keinen Fall aber in der vergangenen Nacht, Mylady.« »Natürlich nicht. Das geschah früher, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Aber ich weiß, wo nun zu suchen ist.« »Mylady denken an den Fakir Mandrana?« »Natürlich. Sein Giftgewürm hütet den Schatz, Sie werden sehen. Eine Lady Simpson irrt nie!« Sie schien vergessen zu haben, daß sie gerade einem Irrtum erlegen war. Sie wandte sich ab und marschierte auf die drei Bellini-Clowns zu, die kicherten und glucksten, was ziemlich ansteckend wirkte. Selbst Josuah Parkers Mundwinkel verzogen sich andeutungsweise. »Können die Tiere zurück in ihre Käfige?« Einer der Manegearbeiter erschien neben Agatha Simpson. »Natürlich.« Die Lady nickte. »Holen Sie sich gleich in der Kantine Ihr Honorar ab, junger Mann! Sie haben brav gearbeitet.« Dann geriet ihr Pompadour in heftige Schaukelbewegung. Die drei BelliniClowns bekamen das durchaus mit und zogen sich schleunigst zurück, nicht ohne vorher noch ausgiebig gelacht zu haben. »Unsympathische Leute«, urteilte die ältere Dame. »Diesen Bellini-Clowns traue ich alles zu.« »Sie lachten in der Tat, als hätten sie Mylady einen raffinierten Streich gespielt«, stellte Josuah Parker fest. »Aber diese drei Bellinis werden sich noch wundern.« »Mylady sollte man nie unterschätzen.« Sie hatten das Raubtierzelt verlassen und marschierten vereint hinüber zum Wohnwagen des Inders aus Liverpool. Mandrana saß auf der Treppe und putzte Lederzeug. Er hob den Kopf, als Agatha Simpson vor ihm erschien. Er sah sie aus seinen dunklen Augen mißtrauisch an. »Wollen Sie mich wieder niederschlagen?« fragte er nervös. »Beschreien Sie es nicht«, warnte ihn die ältere Dame. »Meine Daisy ist noch völlig durcheinander«, beschwerte Mandrana sich. »Sie ist verstört. Ich glaube nicht, daß ich mit ihr heute auftreten kann.«
»Ich werde mich bei ihr gleich entschuldigen«, antwortete die Detektivin ironisch. »Mr. Mandrana, ich würde mich gern in Ihrem Wohnwagen umsehen.« »Und meine Tiere mißhandeln, wie?« »Das kommt auf Ihre Tiere an! Sie wissen, daß ich hinter einer wertvollen Diebesbeute her bin.« »Die wollen Sie doch nicht etwa bei mir suchen, oder?« »Haben Sie etwas in Ihrem Wohnwagen zu verbergen?« »Natürlich nicht, aber Sie werden es mit Giftschlangen zu tun haben. Warum rufen Sie nicht die Polizei?« »Die würde Ihre Tierchen einschläfern, um in aller Ruhe suchen zu können«, behauptete die ältere Dame. »Ich werde das wesentlich schonender erledigen.« »Da bin ich aber gespannt, Mylady«, gab Mandrana zurück. »Sie scheinen nicht zu wissen, was 'ne Kobra ist.« »Vorsichtig«, rief die angebliche Reporterin Hilford in diesem Augenblick. Sie warf sich gegen Agatha Simpson, und ein zischendes Etwas jagte an Parker und der Lady vorbei. Es landete klatschend im Holz des Wohnwagens. »Ein Clown«, rief Kathy Porter. »Ich habe sein Gesicht ganz genau erkannt, ein Clown!« * »Ich habe die Polizei verständigt«, sagte Steve Parry. »Der Chief-Superintendent wird in etwa zehn Minuten hier sein.« »Sehr gut, Mr. Parry«, bedankte Parker sich. »Worauf warten Sie noch?« erkundigte Agatha Simpson sich bei ihrem Butler. »Wollen Sie nicht endlich die Terrarien untersuchen?« »Wie Mylady wünschen.« Parker betrat den Wohnwagen, dichtauf gefolgt von dem angeblichen Fakir aus Indien. Die Lady und Parry folgten. Die übrigen blieben lieber draußen im Freien. Mit den Giftschlangen wollten sie eindeutig nichts zu tun haben. »Wie wollen Sie denn die Terrarien untersuchen?« fragte Mandrana unruhig und sah Parker an. »Ich warne Sie, Mr. Parker! Sie haben es mit hochgiftigen Mambas, Klapperschlangen und Kobras zu tun. Ein Biß - und Sie sind tot!« Statt zu antworten, griff der Butler in seinen Zweireiher und holte eine Eisenhand hervor, wie sie von Rittern des Mittelalters verwendet wurde. Er schlüpfte in diesen Eisenhandschuh und öffnete den Deckel des ersten Terrariums. Die schwarze Mamba, die dort schlief, fühlte sich gestört, was eigentlich verständlich war. Sie griff sofort und ohne Zögern an. Ihr Kopf schoß vor, und die Zähne schlugen nach der seltsam geformten Hand. Dann hatte die Mamba Zahnschmerzen ... Sie fuhr zurück und bereitete sich auf einen zweiten Angriff vor, zumal diese seltsam harte Hand eine Art Erdbunker abräumte, in den die Mamba sich normalerweise gern zurückzog, um völlig ungestört zu sein. Der Erdbunker war immerhin groß genug, um wertvolle Kleingegenstände aufzunehmen.
»Sie ruinieren mir die Mamba«, rief Mandrana entsetzt. Er hatte schließlich sogar gehört, wie die Giftzähne gegen das Eisenblech gestoßen waren. Die schwarze Mamba hatte sich den Fall inzwischen überlegt und verzichtete auf einen zweiten Angriff. Sie zischelte verärgert und zog sich in die äußerste Ecke des Terrariums zurück. Dann grub sie den Kopf in den weichen Mulm und beschloß, diesen Besucher aus Eisenblech ab sofort zu ignorieren. * »Ich hatte gleich damit gerechnet«, sagte Agatha Simpson nach etwa zehn Minuten. Die Suche war ergebnislos verlaufen. »Mylady wollten und suchten letzte Gewißheit«, meinte Parker höflich. »Eben«, entgegnete sie grimmig. »Mir fallen allerdings die Bellini-Clowns auf die Nerven. Sie standen vor dem Wohnwagen und lachten wieder.« »Miß Porter beschäftigt sich mit ihnen, Mylady«, antwortete der Butler. »Wollen Mylady warten, bis Chief-Superintendent McWarden kommt?« »Natürlich«, sagte sie. »Ich verlange, daß der ganze Zirkus systematisch durchsucht wird. Irgendwo müssen die gestohlenen Gegenstände ja sein.« Mylady hatte diesen grimmigen Wunsch gerade geäußert, als McWarden auch schon erschien. In seiner Begleitung befand sich wenigstens ein Dutzend uniformierter Polizisten. McWarden stelzte auf die ältere Dame zu. »Es ist schon wieder geschossen worden?« fragte er. »Von einem Mann, der die Bellini-Clownmaske trug«, antwortete Josuah Parker. Er wollte noch etwas hinzufügen, als die angebliche Reporterin Hilford angelaufen kam. Es mußte sich wieder etwas ereignet haben, wie man ihr sofort ansah. »Clay Bellini«, sagte sie und schnappte nach Luft. »Er ist angeschossen worden, fast vor meinen Auge. Es hat ihn an der Schulter erwischt...« »Ist das ein Zirkus«, stellte Lady Simpson erfreut fest. »Ein besseres Programm kann man sich gar nicht vorstellen. Kommen Sie, McWarden! Man scheint mit dem Schuß nur auf Sie gewartet zu haben.« Als auch Parker sich in Bewegung setzen wollte, hielt Lady Agatha ihn am Ärmel zurück. »Mir ist da gerade eine Idee gekommen«, sagte sie. »Mylady wollen sich an den Ermittlungen nicht beteiligen?« wunderte sich Parker. »Solche Routinedinge interessieren mich nicht. Besorgen Sie sich umgehend einen Spaten, Mr. Parker!« »Wie Mylady wünschen.« »Und kommen Sie ins Hauptzelt«, redete Lady Simpson weiter. »Ich ahne jetzt, wo die Beute versteckt worden ist. Daß ich nicht schon früher darauf gekommen bin!« Sie ließ Parker keine Zeit, weitere Fragen zu stellen. Agatha Simpson marschierte bereits in Richtung Hauptzelt. »Wo mag sie die Beute nur vermuten?« fragte Kathy Porter den Butler.
»Wahrscheinlich unter der Manege«, gab Parker zurück. »Theoretisch gesehen eine Möglichkeit, wie ich nicht verhehlen möchte. Hören Sie, Miß Porter, Sie sollten vielleicht eine kleine Spezialaufgabe übernehmen. Haben Sie eine Schußwaffe dabei?« »Ich bin bestens versorgt.« Parker ging mit ihr zu einem der Materialwagen hinüber und sagte ihr leise, was sie innerhalb der kommenden halben Stunde tun sollte. Dann trennten sie sich. Parker besorgte sich den verlangten Spaten und begab sich ins Hauptzelt. Agatha Simpson hatte die kleine Seitentür geöffnet und schritt prüfend durch die Mischung aus Sand und Sägespänen, die den Boden des Raubtierkäfigs bedeckte. »Hier irgendwo muß die Beute versteckt sein«, sagte sie mit einer Sicherheit, die umwerfend war. »Der Käfig wird aber ab- und aufgebaut, Mylady«, erklärte Parker. »Dann werden Brettersegmente aufgelegt«, antwortete die ältere Dame. »Können Sie sich nicht mehr daran erinnern? Die Artisten arbeiten auf diesem Kunstboden. Wer würde darunter schon nach einem Versteck suchen?« »Sollte man vielleicht nicht Mr. McWarden..,.?« »Wenn Sie sich genieren, werde ich eben graben«, grollte die ältere Dame. »Sie sind sich wohl zu fein dazu, oder?« »Mitnichten und keineswegs, Mylady! Die Frage ist nur, wo man ansetzen soll? Es gibt der Möglichkeiten mehrere, wenn ich es so sagen darf.« »Lassen Sie mich überlegen! Wo würde ich das bewußte Loch graben? In der Mitte? Oder mehr seitlich? Auf keinen Fall dort, wo's aus der Manege 'rausgeht. Warten Sie, Mr. Parker, drängen Sie nicht so! Dort!« Mylady hatte sich entschieden und deutete auf eine ganz bestimmte Stelle. Josuah Parker unterdrückte einen Seufzer und baute sich vor der Stelle auf, die Lady Agatha gerade bezeichnet hatte. Als er mit seiner Ausgrabung beginnen wollte, bemerkte er, daß seine Herrin wie hypnotisiert über ihn hinweg zum Gitter blickte. Parker wandte sich um und erkannte einen Bellini-Clown, der gerade eine dicke Eisenkette um den Rahmen der kleinen Zugangstür zum Raubtierkäfig schlang und ein mächtiges Schloß vorlegte. »Was soll dieser Unsinn?« grollte die Lady aufgebracht. »Abwarten«, rief der Clown mit undeutlicher Stimme. »Abwarten und wundern!« * »Was meint er damit?« fragte Agatha Simpson gereizt, als der Clown im Halbdunkel des riesigen Hauptzeltes verschwand. »Das dort, Mylady«, sagte Parker. Er deutete auf den Tunnel, durch den nacheinander die Raubtiere einmarschierten. Zuerst erschienen die Löwen, dann die Tiger. Sie machten einen sehr gereizten Eindruck und schienen außer Rand und
Band zu sein. Sie sahen die beiden fremden Zivilisten in ihrem Käfig und schwärmten aus. »Das grenzt ja fast an einen Mordversuch«, stellte Lady Agatha unwirsch fest. »Es ist ein Mordversuch, Mylady«, korrigierte der Butler. »Man sollte sich tunlichst vor zu schnellen Bewegungen hüten, wenn ich diesen Hinweis geben darf.« Die Raubtiere liefen aufgeregt durcheinander und beratschlagten offensichtlich, wie man die beiden Zweibeiner am besten zerlegte. Als Agatha Simpson einen halbe Schritt zur Seite gehen wollte, stolperte sie ausgerechnet über Parkers Fuß und landete im Sand. Für die Raubtiere war das das Signal, es mal zu versuchen. Sie preschten vor und wollten sich mit ihren Opfern näher befassen. Doch sie hatten nicht mit Butler Parker gerechnet. Er hatte seinen Universal-Regenschirm vom linken Unterarm genommen und ... spannte ihn jetzt blitzschnell auf. Das Resultat war frappierend. Das schwarze Regendach wirkte wie eine Bremse. Die Raubtiere, die so etwas noch nie gesehen hatten, stemmten sich mit ihren Vorderpranken in den aufspritzenden Sand und wichen dann erst mal zurück. Agatha Simpson wollte sich aufrichten und mit ihrem Pompadour eingreifen. »Sie haben mir absichtlich ein Bein gestellt«, behauptete sie. »Das werde ich bei passender Gelegenheit energisch abstreiten, Mylady«, antwortete Parker. »Darf ich Mylady jetzt raten und empfehlen, erst mal im Sand zu verbleiben, bis eine gewisse Ordnung wiederhergestellt ist?« Parker scheuchte einen übereifrigen Tiger mit dem Schirm zurück und befaßte sich dann anschließend mit einem männlichen Löwen, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, Mylady zu beschnuppern. Dann faltete der Butler den Schirm zusammen und betätigte sich als Raubtierdompteur. Mit harter Kommandostimme erteilte er Befehle, die die Raubtiere wohl noch nie gehört hatten. Doch es war der Klang seiner Stimme und sein imponierendes Auftreten, das Ordnung schuf. Die Raubtiere drängelten sich noch ein wenig herum und nahmen dann nacheinander Platz auf ihren Postamenten. Sie fauchten, zeigten ihre herrlichen Gebisse und schlugen mit den Pranken in die Luft, doch sie gehorchten. »Mr. Parker, ich lasse eine Strickleiter herunter«, war in diesem Moment Kathy Porters Stimme oben aus der Kuppel zu hören. »Langsam, wenn ich bitten darf!« Parker beherrschte seine neue Rolle. Er schritt die Reihe der Raubtiere ab und bekam sehr wohl mit, daß ein Tiger ihn anschleichen wollte. Bevor Lady Simpson etwas unternehmen konnte, hielt der Butler bereits einen seiner Patentkugelschreiber in der Hand und versprühte dessen Inhalt in die Augen und Nase des Raubtieres.
Der Tiger nieste sofort. Es schüttelte ihn derart durch, daß er fast von den Beinen fiel. Dann legte er sich in den Sand, übrigens nicht weit von Mylady entfernt, um sich die Nase zu reiben. Dabei rollten dicke Tränen aus seinen Augen. Inzwischen schwebte eine Strickleiter in den Käfig herunter. Auf einer Sprosse stand Kathy Porter, die ihrer Chefin vorsichtig zuwinkte. Der Manegeboden war noch nicht ganz erreicht, als die Strickleiter sich plötzlich aus ihrer Halterung hoch oben in der Kuppel löste. Kathy Porter stieß einen leisen Schrei aus und fiel aus einer unwesentlichen Höhe von etwa anderthalb Meter in den Sand. Sie landete dabei fast auf dem niesenden Tiger, der aber überhaupt nicht reagierte. »Zur Seite, Parker«, rief in diesem Augenblick der Chief-Superintendent. McWarden und einige seiner Leute standen vor dem Gitter und hielten Schußwaffen in ihren Händen. »Aber Sie werden doch wohl nicht schießen wollen, Sir?« erwiderte Josuah Parker. * »Nach den sakralen Gegenständen brauchen Sie nicht mehr zu suchen, Mylady«, sagte McWarden eine Viertelstunde später. »Sie wollen lieber die Million zahlen, nicht wahr?« fragte die ältere Dame. »Aber nein, Mylady«, antwortete McWarden und barst vor Stolz und Überlegenheit. »Die Kunstgegenstände sind inzwischen von meinem Dezernat sichergestellt worden!« Zuerst sagte Mylady überhaupt nichts. Dann räusperte sie sich und geriet anschließend in eine leicht gereizte Stimmung. »Was Sie nicht sagen!« meinte sie dann. »Und wo haben Sie die Kunstgegenstände gefunden?« »Die gestohlenen Gegenstände befinden sich bereits im Yard, Mylady. Sie werden gesichtet.« »Und wer sind die Täter?« »Drei Ganoven, die als Vorauskommando des Zirkus Plakate klebten.« »Bitte, Mr. Parker!« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler und nickte nachdrücklich. »Wie ich es gleich gesagt habe! Die Täter stammen aus dem Zirkus...« »Eigentlich nicht«, warf McWarden genußvoll ein. »Sie hatten ein eigenes Unternehmen gegründet, das sich auf Plakatieren spezialisiert hat. Sie wurden von Miles nur für diese Tournee engagiert.« »Schnickschnack, langweilen Sie mich gefälligst nicht mit solchen unwesentlichen Kleinigkeiten, McWarden! Sie arbeiteten für den Zirkus. Und damit wird aus meiner Theorie nackte Realität, wollen Sie das etwa abstreiten?« »Nein, auf keinen Fall!«
»Und wo hatten diese Subjekte die Beute versteckt?« fragte Agatha Simpson weiter. »In ihrem Materialwagen, Mylady.« »Materialwagen!« Die Lady fühlte sich erneut bestätigt. »Die gibt es auch hier, McWarden. Damit ist erwiesen, daß dieser Kunstdiebstahl eigentlich von mir geklärt worden ist, oder?« »Wenn Sie darauf bestehen, Mylady.« »Wie konnten Sie die drei Täter ermitteln, Sir?« erkundigte sich Parker. »Wir haben alle Mitglieder des Zirkus durchgecheckt, Mr. Parker. Natürlich auch diejenigen, die für ihn auf diese oder jene Art arbeiten. Der Computer lieferte uns dann die Hinweise, die wir brauchten. Alles weitere war dann nur noch ein Kinderspiel.« »Warum habe ich noch keinen dieser Computer?« fragte Lady Agatha. »Wenn Mylady befehlen, werde ich mich sofort um solch ein Gerät kümmern«, gab Parker höflich zurück, um sich dann jedoch McWarden wieder zuzuwenden. »Gibt es schon Fortschritte im Hinblick auf den Mord an Mr. Charlie Bellini?« »Es war ein Bellini-Clown, der uns in den Käfig einschloß«, erinnerte die ältere Dame. »Wenn Sie mich fragen, McWarden, und Sie sollten es tun, dann verhaften Sie die Bellini-Geschwister. Sie haben ihren Vater auf dem Gewissen!« »Keineswegs, Mylady«, schaltete Kathy Porter sich ein. Das heißt, Mylady brauchen nicht länger zu bluffen, sondern können die Wahrheit sagen. Der Täter ist bereits hier!« Während Kathy Porter noch sprach, erschienen im Kantinenzelt die unmittelbar beteiligten Personen. Da waren die drei Bellini-Geschwister, die noch ihre Clownmasken trugen, da waren Steve Parry und Harry Caldon, da waren Pritchard und der Inder aus Liverpool, Mandrana samt seiner Frau Jane. »Und wer ist das?« wollte Agatha Simpson wissen. Sie deutete auf einen untersetzten, weißhaarigen Mann von vielleicht sechzig Jahren. »Mr. Miles«, flüsterte Parker ihr schleunigst ins Ohr. »Aha, der Mörder, nicht wahr?« reagierte die ältere Dame. »Nicht unbedingt, Mylady«, schränkte Parker schnell ein. »Miß Porter wird ihn benennen können.« Was Kathy Porter dann auch tat. Sie war bereits aufgestanden und wandte sich noch mal zu Lady Simpson zurück. »Sie sind sicher, Mylady, daß es der Mann ist, auf den ich jetzt zugehen werde?« fragte sie. »Natürlich, Kindchen«, erwiderte die ältere Dame und glaubte in diesem Moment selbst daran, daß sie den Mörder von Charlie Bellini gefunden habe. Kathy Porter hielt zuerst auf Miles zu, wechselte dann ein wenig die Richtung und ging auf den Pressesprecher Caldon zu, der einen hochroten Kopf bekam. Dann aber schwenkte Kathy noch mal zur Seite, näherte sich Pritchard, brachte den Inder aus Liverpool in Verlegenheit und ... hechtete sich auf Steve Parry, der gerade die Flucht ergreifen wollte. Sie erledigte ihn mit einem schnellen Handkantenschlag und trat dann zur Seite.
»Ich habe es ja schon immer gesagt«, tönte Mylady sofort. »Der Mörder konnte nur dieses Subjekt sein.« »Und er hätte wahrscheinlich auch noch die übrigen männlichen Bellinis umgebracht«, fügte Kathy Porter hinzu. »Es war seine Geldgier. Er wollte möglichst viel von dem bekommen, was Charlie Bellini hinterließ.« Auf einen Wink von McWarden hin liefen zwei seiner Assistenten zu Steve Parry hinüber und legten ihm Handschellen an. Dann wandte der Chief-Superintendent sich an Lady Simpson. McWarden wirkte ziemlich aufgeregt. »Wie haben Sie das herausgefunden?« fragte er dann. »Sagen Sie es ihm«, erwiderte die ältere Dame diplomatisch und sah ihren Butler an. »Mylady rechneten mit einem mörderischen Überfall im Hauptzelt«, schickte Parker voraus. »Auf Myladys Anregung hin verbarg Miß Porter sich in der Zirkuskuppel und bezog Posten auf dem Hochseil. Als der Mörder in der BelliniMaske die Seitentür verschloß, folgte sie ihm heimlich und stellte fest, daß es sich um Parry handelte.« »Genauso ist es gewesen«, behauptete die ältere Dame ohne jede falsche Scham. »Ja, McWarden, Ideen muß man haben! Aber das werde ich heute ausnahmsweise mal nicht weiter vertiefen. Sie haben ja auch einen ganz netten, wenn auch nicht bedeutenden Erfolg zu verbuchen. Endlich mal, nicht wahr!?« »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, murmelte McWarden bissig. »Das wäre nicht das erste Mal, lieber McWarden«, stichelte die Detektivin. »So, und heute abend werde ich mir die Vorstellung ansehen. Ich hoffe, daß die Bellinis gut sind!« * Sie waren sogar erstklassig, wie Lady Simpson einräumte. Nachdem der Beifall für die wirklich gute Luftnummer verrauscht war, meldete der Annonceur sich zu Wort. Er teilte den Besuchern mit, die Fakirnummer Mandrana müsse leider ausfallen, die Schlangen seien indisponiert. »Daisy scheint zu streiken«, sagte die Lady genußvoll. »Die Raubtiere, Mylady!« Parker deutete diskret auf den Käfigtunnel, durch den die Tiger und Löwen einmarschierten. Gleichzeitig erschien Dompteur Pritchard im Käfigrund. Die Raubtiere waren erregt, wie sich deutlich zeigte. Pritchard wollte sie dazu bringen, auf ihre Postamente zu gehen, doch die Tiere gehorchten nicht. Die Postamente vor der Loge, in der Lady Agatha und Parker saßen, blieben leer. Pritchard legte eine härtere Gangart vor, doch die Tiere verweigerten ihm den Gehorsam. Jess Pritchard schwitzte. Er ließ die Peitsche knallen, brüllte seine Kommandos, trieb die Raubtiere durcheinander, doch sie machten stets einen weiten Bogen um jene Stelle, wo Mylady und Parker Platz genommen hatten. »Ob ich mal eingreifen sollte?« fragte Lady Simpson ihren Butler.
»Das würde die Tiere in wilde Panik versetzen, Mylady«, warnte Josuah Parker. »Es gibt nur ein einziges Mittel, Mr. Pritchard vor einer Blamage zu bewahren.« »Wollen Sie etwa in den Käfig gehen?« fragte die ältere Dame ironisch. »Man sollte vielleicht gehen«, schlug Parker vor. »Die Raubtiere scheinen mit Myladys Besuch nicht ganz einverstanden zu sein.« Pritchard schob sich in die Nähe der Loge. »Bitte«, rief er halblaut und beschwörend zugleich, »bitte, Mylady, gehen Sie! Sie schmeißen mir die ganze Nummer! Olga hat sie sofort wiedererkannt und spielt verrückt...« »Eine sehr sensible Katze«, stellte Mylady fest. »Ich beschwöre Sie, Mylady«, flüsterte Pritchard weiter, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief. »Die Tiere haben einfach Angst vor Ihnen.« »Nun, unter diesen Umständen!« Agatha Simpson erhob sich und rauschte aus der Loge. »Mr. Parker, was haben Sie mir jetzt ersatzweise zu bieten? Der Abend hat gerade erst angefangen.« »Haben Mylady besondere Wünsche?« »Ich suche eine nette, kleine Abwechslung, Mr. Parker. Wissen Sie was. wir fahren zu den Docks hinüber. Vielleicht habe ich das Glück, auf irgendeinen Gangster zu stoßen, der mich beleidigt.« »Mylady können schon jetzt fest damit rechnen«, antwortete Josuah Parker und rückte sich die schwarze Melone zurecht. »Soll es sich um eine mittelschwere oder sehr schwere Beleidigung handeln?« »Um eine sehr schwere, Mr. Parker, das bitte ich mir aus.« »Dann zu den East India Docks, Mylady. Ich kenne dort einen Nachtclub, in dem es recht rüde zugehen soll.« »Worauf warten wir noch?« Die ältere Dame schwenkte unternehmungslustig ihren Pompadour und marschierte auf Parkers Monstrum zu. Der Butler nahm sich die Freiheit, ein wenig aufzuseufzen. Das nächste Abenteuer war schon vorprogrammiert! ENDE scan: crazy2001 @ 10/2011 corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen Nr. 182
Parker spielt den Schmetterball Es war schon mehr als ungewöhnlich, als man Butler Parker eine Handgranate servierte, wo er doch mit einem ganz normalen Tennisball gerechnet hatte. Er schmetterte zwar diesen Feuerwerkskörper gekonnt ab, doch er mußte sich dann am laufenden Band heimtückischer Angriffe erwehren, die seinem Leben galten. Parker erwies sich dabei als glänzender Sportler, der nichts schuldig blieb, bis er ein wahnwitziges Mordkomplott aufdeckte, daß Im Grund gar nicht ihm galt. Selbstverständlich halfen ihm dabei die skurille Lady Agatha und die attraktive Kathy Porter, die sich ebenfalls sehr sportlich gaben und in Trickkisten griffen, die Butler Parker präpariert hatte. Günter Dönges legt einen neuen Parker-Krimi vor, in dem Hochspannung, Witz und Skurrilität wieder gut gemischt sind. Wer ungewöhnliche Krimis schätzt, sollte die Story unbedingt lesen.