Utopia Zukunftsromane Nr. 145
K.H. Scheer
Brennpunkt Venus Roman aus dem Jahre 2200
1. Kapitel Regungslos saß Miste...
75 downloads
417 Views
878KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Utopia Zukunftsromane Nr. 145
K.H. Scheer
Brennpunkt Venus Roman aus dem Jahre 2200
1. Kapitel Regungslos saß Mister Norman Beidrop in dem hochlehnigen Leichtmetallsessel und sah durch die starkglasige Luke hinab auf die menschenleere Hochebene von Libyen. Die Geschwindigkeit des Strato-Clippers New York–Kairo war noch immer sehr hoch. Beidrop schätzte sie auf etwas mehr als tausend Kilometer pro Stunde. Dabei schoß die große Maschine durch die dichten Luftschichten in fünftausend Meter Höhe. Der Pilot des Clippers schien ganz sicher zu sein, daß die Luftreibungswärme an der Außenhaut des schlanken Rumpfes den Passagieren in den druckfesten Kabinenräumen kein Unbehagen verursachen konnte. Die Maschine glich eher einer Rakete als einem Flugzeug im herkömmlichen Sinne. Ihre Tragflächen begannen erst in der Mitte des Rumpfes und fielen scharf nach hinten ab. Außerdem waren sie im Verhältnis zur Größe des Strato-Clippers auffallend klein; sie vermochten das Gewicht der Maschine nicht mehr zu tragen, wenn die Geschwindigkeit geringer als vierhundert Stundenkilometer wurde. Am Heck des Clippers war ein hochaufragendes Seitenruder zu bemerken, das an seinem äußersten Ende das Höhenleitwerk trug. Ungehindert konnten die Treibgase die Düsen der drei Raketenbrennkammern im schlanken Heckteil der Maschine verlassen. Vor zweieinhalb Stunden war der Strato-Clipper in New York gestartet, und in wenigen Minuten würde er fahrplanmäßig den großen Flughafen von Kairo erreichen. Norman Beidrop sah ungeduldig auf die breite, flache Uhr an seinem linken Handgelenk.
Elf Uhr und achtzehn Minuten. In drei Minuten mußte der Clipper auf Flugfeld 3 des Lufthafens von Kairo landen. Wieder spähte der mittelgroße, korpulente Mann mit dem etwas feisten Gesicht und der randlosen Brille durch die ovale Luke links von seinem Sitz. Weit vorn tauchte ein silbernes Band auf. Das mußte schon der Nil sein! Im gleichen Augenblick klang es aus den Lautsprechern der Rundrufanlage: »Wir landen in drei Minuten. Bitte anschnallen!« Wortlos griff Beidrop nach den breiten Kunststoffgurten und ließ sie in die Ösen einschnappen. Eine ältere, grauhaarige Dame neben ihm meinte seufzend: »O Gott – auch das noch! Kommt einem vor, als wäre die Zeit stehengeblieben. Sagen Sie, Sir, wissen Sie zufällig, welches Datum wir heute haben?« Forschend sah sie auf Norman Beidrop, der verhalten schmunzelnd entgegnete: »Aber sicher, Madam! Heute haben wir den 19. Mai 1989! Und warum interessiert Sie das im Augenblick?« »Nun«, meinte die alte Dame lächelnd, »ich erinnere mich, daß ich vor genau vierunddreißig Jahren zum ersten Male ein Flugzeug betrat und mit ihm über den Atlantik nach Paris flog. Heute fliege ich zum zweiten Male. Daher wundert es mich, daß man sich immer noch anschnallen muß, ehe das Flugzeug landet. Ich dachte, das wäre heutzutage nicht mehr notwendig, wo man doch schon vor zehn Jahren Flugzeuge herzustellen wußte, die bis zum Mond fliegen können.« Mister Beidrop lachte laut auf und meinte: »Ich bitte Sie, Madam, lassen Sie das um Himmels willen nicht einen Raketenfachmann hören.« Die alte Dame sah den gemütlich wirkenden Mann erstaunt an. Zögernd entgegnete sie:
»Warum nicht, Sir? Stimmt es nicht, daß wir schon vor zehn Jahren bis zum Mond fliegen konnten?« »Doch, doch, Madam«, lachte Beidrop weiter. »Allerdings nicht mit Flugzeugen, wie Sie so nett sagen. Dazu sind andere Konstruktionen erforderlich, beispielsweise Schiffe, die so ähnlich konstruiert sind wie jenes, mit dem wir in zwei Stunden von New York nach Kairo flogen. Man nennt solche Fahrzeuge Raumschiffe oder Raumraketen. Sie sind ganz anders eingerichtet als Maschinen, die innerhalb unserer irdischen Lufthülle fliegen und den internationalen Luftverkehr besorgen.« Die grauhaarige Dame meinte einen Moment später: »Sind Sie eigentlich Raketenfachmann, Sir?« Norman Beidrop sah lächelnd auf. »Nein, Madam, wie kommen Sie darauf? Ich bin Exportkaufmann. Ich hoffe, daß ich in Kairo einige gute Abschlüsse machen kann.« »Oh, dann verzeihen Sie! Ich dachte, weil Sie so gut informiert sind.« Damit erstarb das kurze Gespräch zwischen dem New Yorker Exportkaufmann Norman Beidrop und der grauhaarigen Dame, von der Mister Beidrop noch nicht einmal den Namen kannte. Sekunden später ging durch den großen Körper der Raketenmaschine ein sanfter Ruck, der die Passagiere leicht gegen die Gurte preßte. Ein leises, stark gedämpftes Pfeifen wurde vernehmbar. Als einige der Fluggäste aus den ovalen Luken sahen, erblickten sie auf den Tragflächen zwei sehr große, vierblättrige Hubschrauben, die sich heulend und pfeifend um ihre Achse drehten. Die dritte, noch größere Hubschraube auf dem Rückenteil der Maschine vermochten sie nicht zu sehen. Jetzt hing das Gewicht des Raketenclippers nur noch an den
drei Hubschrauben. Kaum merkbar pendelte die Maschine an ihnen hin und her, und nach einigen Augenblicken hatte sie jede Fahrt verloren. Geschickt dirigierte der Pilot den großen Körper über Flugfeld 3. Langsam und absolut sicher senkte sich das Flugschiff, und dann setzte es fast stoßfrei auf dem glatten Beton vor der großen Zollhalle auf. Niemand, der den Clipper in dem Augenblick sah, hätte vermutet, daß er noch vor wenigen Minuten mit rasender Fahrt durch die höchsten Schichten der irdischen Atmosphäre geschossen war. Die Hubschrauben-Landung machte übermäßig lange Rollbahnen auf den internationalen Flughäfen überflüssig, da jede Maschine nunmehr auf kleinstem Raum landen und starten konnte. Der amerikanische Exportkaufmann schien erwartet zu werden. Die grauhaarige Dame aus den USA beobachtete ihn scharf aber unauffällig. Wer hätte in der feinen, gebildeten Dame eine Geheimagentin des amerikanischen Sicherheitsdienstes vermutet? Sie beobachtete, daß Beidrop in der Zollhalle schnell abgefertigt wurde. Danach geleiteten ihn zwei Ägypter zu einem schweren Wagen, der gleich darauf in dem Verkehrsgewühl der Hauptstraße nach Kairo verschwunden war. 2. Kapitel Mit hoher Fahrt schoß der schwere Wagen über die breite Autobahn, die nach dem etwa zwanzig Kilometer entfernten Stadtzentrum von Groß-Kairo führte. Die Stadt war nicht mehr mit jener der fünfziger Jahre zu
vergleichen. Sie war auch nicht mehr die Hauptstadt des ägyptischen Reiches, sondern in ihr hatte die Regierung des gewaltigen Staatenblockes der »Afrikanisch-Vorderasiatischen Union« ihren Sitz aufgeschlagen. Beidrop dachte daran, wie sehr sich Afrika, und ganz besonders Ägypten, in den vergangenen fünfunddreißig Jahren verändert hatte. Vor vierzehn Jahren, 1974, war der mächtige Staatenbund der Afrikanisch-Vorderasiatischen Union, kurz »AVU« genannt, gegründet worden. Es war eine ganz natürliche Entwicklung gewesen, die einige Staatsmänner schon um die Mitte des Jahrhunderts vorausgesagt hatten. Damals begann es in Afrika und Arabien zu brodeln. Erst versteckt und dann offen. Die afrikanischen Völker wollten endgültig ihre absolute Selbständigkeit erwirken. Und sie erreichten auch ihr Ziel. Bereits im Jahre 1962 hatte in Groß-Ägypten kein Weißer mehr etwas zu suchen, und auch das Streitobjekt Suezkanal hatte nach dem allgemeinen Umsturz seine Bedeutung verloren. Im Jahre 1967 wurde ein akademisch gebildeter Araber namens Abd el Mazar zum Staatspräsidenten von Groß-Ägypten gewählt. Abd el Mazar dachte nicht mehr daran, die einmal gewonnene Macht freiwillig wieder aufzugeben. Mit größtem Nachdruck festigte er seine Stellung, langsam und fast unmerklich lenkte seine Regierungspolitik zu diktatorischen Maßnahmen über, und schon 1970 herrschte Abd el Mazar als Diktator über Groß-Ägypten, was sein Volk allerdings nicht merkte. Selbst in den Regierungen der anderen Weltstaaten gab es nur wenige Männer, die sein Treiben rechtzeitig durchschau-
ten und die Welt warnten. Denn Ägypten gelang 1974 der entscheidende Schlag. Mazars Macht war derart stark geworden, daß er unbedenklich darangehen konnte, die vielen afrikanischen Einzelstaaten zu einer Union zusammenzufassen. Es gelang ihm sogar noch, ganz Arabien in seinen Staatenbund einzugliedern. Von nun an gab es nur noch eine einzige Regierung in Nordund Westafrika, und auch die Araber beugten sich willig und begeistert seinen Anordnungen. Zweifellos war Abd el Mazar ein Genie, das mußten auch fremde Staatsmänner zugeben. Nachdem er sein großes Ziel erreicht hatte, begann er, die europäischen Kolonialmächte auch aus den afrikanischen Kolonien zu verdrängen, die ihnen bis dahin noch offiziell gehörten. Überall mußten die Weißen weichen. Afrika den Afrikanern! Befreit Afrika von den Ungläubigen! Das war die Parole, die überall zündete. Ende Mai 1989 beherrschte Abd el Mazar fast ganz Afrika. Die Neger jubelten, endlich fühlten sie sich von den Weißen befreit. Der Riesenstaat der Afrikanisch-Vorderasiatischen Union reichte bis hinab zu den Kapkolonien, die zusammen mit der Südafrikanischen Union als letzte noch unter europäischem Machteinfluß standen. Seit dem Jahre 1974 gab es vier gewaltige Staatenbünde auf der Erde. Das waren die USA, die Vereinigten Staaten von Europa, die Lateinamerikanische Union und nun die Afrikanisch-Vorderasiatische Union. Abd el Mazar war der Mann, diese riesenhafte Union mit ihren gewaltigen Menschenmassen zu einem mächtigen Block
zu verschmelzen. Gigantische Industrien wuchsen aus dem Boden. Es war nicht verwunderlich, daß die Regierungen der drei weißen Staaten-Vereinigungen mißtrauisch und besorgt nach Afrika und Arabien blickten, denn alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß Abd el Mazar mit dem Erreichten noch nicht zufrieden war. Erst kürzlich wurde von amerikanischen Geheimagenten gemeldet, daß in den menschenleeren Weiten der westlichen Sahara ungeheure Wasserstoff-Atomexplosionen stattgefunden hatten. Weiter wußte man, daß die Atomzentren der AVU unaufhörlich Atomwaffen in größter Anzahl herstellten. Nur zu klar war ersichtlich, was Abd el Mazar beabsichtigte. Dennoch zeigte man sich in Europa und Amerika nicht übermäßig besorgt. Auch ein Mann wie Abd el Mazar mußte wissen, daß er mit einem Atomkrieg den Untergang der Erde heraufbeschwören würde. Außerdem waren ihm die drei verbündeten Staatengruppen – die USA, die Europäischen Staaten und die Lateinamerikanische Union – in jeder Hinsicht überlegen. Der angebliche amerikanische Exportkaufmann Norman Beidrop dachte an diese Dinge, als er mit dem schweren Wagen über die breite Autobahn raste. Kurz vor der Abfahrt nach Kairo wandte Mister Beidrop den Kopf und meinte bedächtig: »Es dürfte besser sein, wenn Sie mich erst zu meinem Hotel fahren. Ich werde nach Anbruch der Dunkelheit unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnahmen bei Jussuf Hakik erscheinen.« Der dunkelhäutige Libyer neben ihm sah ihn aus schwarzen Augen forschend an. Gedehnt entgegnete er in arabischer Sprache: »Warum willst du nicht sofort mitkommen, UM-1? Der Herr
erwartet dich, es sind dringende Dinge zu besprechen. Befürchtest du, daß man dich beobachten könnte? Ich denke, man hält dich überall für einen ehrlichen Kaufmann?« Beidrop, der so bieder und jovial aussehen konnte, hatte sich vollkommen verwandelt. Sein feistes Gesicht wurde straff. Eckig trat sein Kinn hervor, und auch seine Augen hinter den randlosen Gläsern schienen hart und erbarmungslos zu blicken. Etwas ärgerlich sah er den jungen Libyer von der Seite an und entgegnete spöttisch, nun ebenfalls arabisch sprechend: »Halef, Sohn der Klugheit, wie kannst du mich danach fragen! Du solltest wissen, daß mich in den Vereinigten Staaten kein Mensch verdächtigt. Niemand ahnt dort, daß ich dem Geheimdienst der AVU angehöre. Ich bin lediglich in Exportgeschäften hier, was ja schon öfters geschehen ist.« Der dunkelhäutige Mann verzog keine Miene; hartnäckig fragte er: »Das wissen wir, UM-1. Warum also bist du so vorsichtig? Wenn dich niemand verdächtigt, wirst du auch von niemand beobachtet. Demnach können wir sofort zur Zentrale fahren, wo der Herr dich dringend erwartet.« Ärgerlich verzog Beidrop sein Gesicht. »Man sollte meinen, du wärest erst seit gestern im Geheimdienst, Halef«, fuhr er den Jüngeren an. »Es ist nicht notwendig, daß man den amerikanischen Kaufmann Norman Beidrop bei hellem Tage in das Zentralgebäude der afrikanischen Staatspolizei eintreten sieht. Das solltest du begreifen. Es bleibt dabei, ich komme nach Anbruch der Dunkelheit, benutze den unterirdischen Gang. Es kann für unsere Arbeit nur förderlich sein!« Der Libyer biß sich auf die Lippen und entgegnete dann mit gespielter Gleichgültigkeit: »Wie du willst, UM-1. Ich werde es
dem Herrn ausrichten. Hoffentlich ist er mit deiner eigenmächtigen Maßnahme einverstanden.« Blitzschnell sah er zu dem Amerikaner, auf den die versteckte Drohung jedoch nicht den geringsten Eindruck zu machen schien. Es schwang sogar ein spöttischer Unterton in seiner Stimme, als er sagte: »Ich danke dir, Halef, daß du um mein Wohlergehen besorgt bist. Ich bin davon überzeugt, daß Jussuf Hakik mein Vorgehen gutheißen wird. Bringe mich nun zu dem Hotel, in dem ich immer absteige. Sollten wir dort beobachtet werden, ist es nicht schlimm, denn du giltst ja als einer meiner besten Geschäftsfreunde.« Halef antwortete nicht mehr. Schweigend beugte er sich nach vorn und gab dem Fahrer des schweren Wagens einige kurze Anweisungen. Mit aufheulender Gasturbine schoß das Fahrzeug über die breite Zufahrtsstraße und verschwand nach wenigen Augenblicken zwischen den ersten Hochhäusern der Riesenstadt. 3. Kapitel »Ist unser Verbindungsmann UM-1 aus den Staaten schon angekommen?« fragte der hochgewachsene, schlanke Mann mit der tiefdunklen Hautfarbe und dem faltigen Antlitz in das Mikrophon. Sofort erklang es aus dem Lautsprecher der Sprechanlage: »Ja, Herr! Er ist vor fünfzehn Minuten angekommen!« »Gut! Bringe ihn zu mir.« Nachdenklich schaltete Jussuf Hakik das Sprechgerät ab und lehnte sich in dem bequemen und weichgepolsterten Schreibsessel zurück.
Er saß in einem sehr großen, luxuriösen Arbeitszimmer, in dessen Mittelpunkt ein gewaltiger, reichgeschnitzter Schreibtisch stand. Nichts in dem quadratischen Raum wirkte orientalisch. Man hätte glauben können, der Chef der afrikanisch-vorderasiatischen Staatspolizei und des Geheimdienstes hielte sich in dem protzigen Arbeitsraum eines amerikanischen Großindustriellen auf. Die näheren Mitarbeiter des hageren, schwarzhaarigen Mannes wußten aber, daß in diesem Raum nach Grundsätzen gearbeitet wurde, die sich durchaus nicht mit denen eines Großindustriellen vergleichen ließen. Außer dem Staatspräsidenten Abd el Mazar war Jussuf Hakik der gefürchtetste und wohl auch einflußreichste Mann in der ganzen Union. Es war allgemein bekannt, daß er der engste Vertraute Abd el Mazars war. Man wußte auch, daß der Diktator mit seinem Sicherheitsminister Dinge besprach, die außer den beiden kein Mensch wußte. Jedermann in der afrikanischen Zentralregierung – ob Wirtschaftsminister oder Bürobote – war eifrigst darauf bedacht, sich die Freundschaft oder zumindest das Wohlwollen dieses Mannes zu sichern. Jussuf Hakik war gefährlicher als eine Kiste Dynamit über einem offenen Herdfeuer. Der dunkelhäutige Mann saß regungslos hinter dem mächtigen Ebenholzschreibtisch und wartete auf den späten Besucher. Die Tischuhr zeigte die erste Morgenstunde an, als sich die breiten Panzertüren zu seinem Büro öffneten. Geleitet von zwei Männern, betrat Norman Beidrop den großen Raum.
Höflich verbeugte er sich vor dem Gewaltigen und wartete, bis sich die beiden Beamten der Leibwache zurückgezogen hatten. Allerdings wußte er, daß man ihn trotzdem keine Sekunde aus den Augen lassen würde. Es war ihm bekannt, daß Jussuf Hakik einige Vertraute besaß, die durch versteckte Beobachtungsschlitze die Bewegungen eines jeden Besuchers unablässig überwachten. Er störte sich nicht daran. Schweigend wartete er, bis der Chef des afrikanischen Geheimdienstes das Wort ergriff. »Du bist spät gekommen, UM-1«, sagte Hakik und verschränkte die langen, schmalen Finger. Forschend blickte er auf den Amerikaner, der als erster Agent für die USA fungierte. Über Norman Beidrop liefen alle Nachrichten und Mitteilungen der unzähligen Spione und Agenten, die der afrikanische Geheimdienst in den USA besaß. Beidrop verzog keine Miene. Beherrscht entgegnete er: »Ich habe Halef meine Gründe mitgeteilt. Ich denke, sie sind stichhaltig genug, um mein Handeln zu entschuldigen. Unsere Vorhaben sind zu gewagt und wichtig, um sie wegen solcher Bagatellen aufs Spiel zu setzen. Ich hatte den Eindruck, als wollte Halef das nicht verstehen.« Jussuf Hakik lächelte, wodurch sich sein hageres, faltiges Gesicht seltsam verzerrte. Nebenbei bemerkte er: »Du hast richtig gehandelt, UM-1. Ich begrüße deine Vorsicht. Halef war ein Eiferer, der sich in meine Gunst einschmeicheln wollte. Er versuchte, dich zu einer Unaufmerksamkeit zu überreden, wobei er in meinem Namen sprach. Er läßt in der letzten Zeit nach. Leute, die dem Rauschgift und den Mädchen verfallen sind, kann ich nicht gebrauchen. Halef wird dich nicht mehr ärgern, UM-1. Allah sei ihm gnädig.«
Beidrop wußte genau, was diese Worte zu bedeuten hatten. Einen großen Teil seiner Erfolge hatte der Ägypter mit dem Schuß Negerblut der Tatsache zuzuschreiben, daß er im richtigen Augenblick immer rasch und skrupellos handelte. So entgegnete der Chefagent für die Vereinigten Staaten kein Wort und wartete. »Nimm Platz, UM-1«, sagte der afrikanische Sicherheitsminister dann und deutete auf den bequemen Sessel vor seinem Schreibtisch. Schweigend folgte Beidrop der Aufforderung und stellte seine kleine Aktentasche neben sich auf den Fußboden. Jussuf Hakik sann eine Weile nach und meinte: »Ich habe dich rufen lassen, UM-1, weil der Plan ›Meta 12‹ akut geworden ist. Die letzten Informationen deines Kollegen auf der amerikanischen Raumstation ›R 2‹ haben in mir den Entschluß reifen lassen, die Pläne schnellstens in unseren Besitz zu bringen. Du weißt, um was es sich handelt?« Norman Beidrop nickte mit angespanntem Antlitz und antwortete: »Ja, Herr. Es betrifft das neue Metall, aus dem die amerikanischen Raumschiffe von nun an hergestellt werden sollen.« »Ganz recht! Es ist erst vor drei Monaten entdeckt worden. Man nannte es nach dem Entdecker ›Waltersit‹. Dr. Walters ist zweifellos ein Genie. Mit Hilfe seiner Entdeckung ist es jetzt möglich, die Besatzung der Raumschiffe ununterbrochen im Dienst zu lassen. Zweifellos wird man auch die vier Raumstationen umbauen und die Außenwände aus dem neuen Metall herstellen. Damit wären die gefürchteten Höhenstrahlungen gebannt.« Beidrop lauschte gespannt und aufmerksam. Jussuf Hakik griff nach einigen Papieren auf dem Schreibtisch und erklärte:
»Wie du weißt, UM-1, war es bisher nicht möglich, die überaus starken kosmischen Strahlungen abzuschirmen. Man unterscheidet bei ihnen die Primär- und die Sekundärstrahlungen. Die Primärstrahlungen sind nach unseren bisherigen Raumerfahrungen für den menschlichen Körper nicht schädlich, wenn er ihnen nicht für eine zu große Zeit ausgesetzt wird. Auch gibt es Mittel, um die vom Körper aufgenommene Strahlungsmenge wieder aus ihm zu entfernen, wenn sie gefährlich hoch wird. Das ist dir bekannt?« Beidrop nickte. »Ja, Herr, ich weiß es. Auf den amerikanischen Raumstationen werden die Besatzungsmitglieder wöchentlich mit einem bestimmten Medikament behandelt, das übergroße Dosen der Primär-Strahlung wieder aus dem Körper entfernt. Sie bedeuten keine Gefahr mehr, man kann sich ihnen beliebig lange aussetzen. Es gibt übrigens verschiedene Methoden, um die Primärstrahlungen für den Körper wirkungslos zu machen.« »Sehr gut, UM-1. Nun kommen wir zu dem neuen Metall. Zu meiner Überraschung habe ich erfahren, daß es die so starken Primärstrahlungen ebenfalls durchläßt. Ich dachte erst, es würde die damit geschützten Raumschiffkabinen vollkommen abschirmen.« Norman Beidrop wurde noch aufmerksamer. Forschend blickte er auf den afrikanischen Geheimdienstchef, der befriedigt lächelnd fortfuhr: »Diese Annahme war falsch. Trotzdem es aber die Primärstrahlungen hindurchläßt, macht es ausgedehnte Raumfahrten möglich.« »Wieso? Das verstehe ich nicht«, entgegnete Beidrop verblüfft. »Doch UM-1, es ist so! Ich sprach vorhin von den Sekundärstrahlen! Diese sind es, die bisher das größte Unheil angerich-
tet haben. In den amerikanischen und europäischen Hospitälern liegen über fünfhundert Menschen, deren Zellgewebe von den Sekundärstrahlungen angefressen und beschädigt worden ist. Sie werden wohl niemals wieder ganz gesunden. Diese schädlichen Strahlungen entstehen in dem Augenblick, wenn die äußerst durchschlagskräftigen Primärteilchen die Wandung eines Raumschiffes durchdringen. Innerhalb des Metalles stoßen die Primärteilchen mit anderen Atomen zusammen, es entsteht dadurch ein gewaltiger Schauer schneller Atomteilchen, die von den Primärteilchen abstammen. Das ist klar, nicht wahr?« Norman Beidrop nickte wortlos. Allmählich ahnte er, welche Bedeutung der neue Stoff hatte. Befriedigt fuhr Hakik fort: »Der Schauer von ungeheuer schnellen Atomkernen besteht nun aus Sekundärstrahlungen, die so ungemein gefährlich sind. Hier auf der Erde spüren wir fast nichts davon, da unsere Lufthülle sie zerstreut. Aber ein Raumfahrer ist ihnen ungeschützt ausgesetzt. Bisher mußten die Besatzungen der Raumstationen spätestens nach acht Wochen abgelöst werden, da sich die Sekundärstrahlungen bei längerem Aufenthalt im Weltraum als sehr schädlich erwiesen. Mit ihnen ist unsere moderne Raumfahrtmedizin noch nicht fertig geworden. Es hat auch schon genügend Opfer gegeben. Demnach wäre es vor der Entdeckung des neuen Stoffes praktisch unmöglich gewesen, Raumfahrten zu fernen Planeten zu unternehmen, da sich jedes Besatzungsmitglied der Raumschiffe bestimmt länger als acht Wochen den schädlichen Sekundärstrahlungen hätte aussetzen müssen.« Beidrop lächelte etwas verzerrt. Unruhig rückte er auf seinem Sessel hin und her. Jussuf Hakik lachte überlegen; in seinen kohlschwarzen Au-
gen leuchtete es triumphierend auf. »Nun, UM-1, das Weitere ist einfach! Das neue Metall läßt nur die viel weniger schädlichen Primärteilchen durch. Die Primärteilchen durchdringen das Metall, ohne daß sie sich dabei zu ganzen Schauern von schädlichen Sekundärteilchen verwandeln, was bei jedem anderen Stoff der Fall ist. Die Mannschaften werden also nur von den Primärstrahlungen getroffen, die ja aus dem Körper wieder entfernt werden können. Tödliche Sekundärstrahlungen entstehen in nur so geringen Mengen, daß man sie überhaupt nicht zu beachten braucht. Die Menge ist nicht größer als die, von der wir hier auf der Erde trotz unserer mächtigen Lufthülle in jeder Sekunde getroffen werden. Das neue Metall ist auf den amerikanischen Raumstationen erprobt worden. Drei Monate lang wurden Menschen in Kabinen praktisch gefangengehalten, und sie sind nicht an Sekundärstrahlungen erkrankt.« Norman Beidrop schnappte nach Luft. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf seinen Chef, der ihn überlegen anlächelte. »Das – das ist enorm«, stotterte er schließlich. »Das ist ganz enorm! Dieser Dr. Walters weiß gar nicht, was er da entdeckte! Raumschiffe aus diesem Stoff können also jahrelang den Weltraum durchkreuzen, ohne daß auch nur ein Mann den Sekundärteilchen ausgesetzt ist. Das ist fabelhaft, ich kann es kaum glauben.« »Es ist so«, entgegnete Jussuf Hakik ruhig, und seine Stimme wurde plötzlich wieder kalt und sachlich. Beidrop sah, wie die freudige Erregung von dem Mann wich, wie er wieder zu dem scharf überlegenden Geheimdienstler der AVU wurde. Jussuf Hakik musterte seinen US-Chefagenten durchdringend und sagte dann langsam:
»Der Stoff wird in neuerrichteten Fabriken in Arizona hergestellt. In der Gila-Wüste befinden sich die größten amerikanischen Raketenversuchs- und Startfelder. Man zog es vor, das neue Metall gleich dort zu erzeugen, wo auch die großen und kleinen Raumschiffe hergestellt werden. Die genauen Pläne des Fabrikationsverfahrens befinden sich in den großen, unterirdischen Tresorräumen des Hauptverwaltungsgebäudes. Genaue Informationen liegen bereits vor. Demnach sind die Aufzeichnungen in Tresor 8, der seinerseits wieder in den unterirdischen Panzergewölben steht. Es ist deine Aufgabe, UM-1, die Pläne schnellstens zu beschaffen.« Norman Beidrop sah einige Sekunden lang starr auf seinen Chef, der derart schwierige Dinge so leicht dahinsagte. Doch Jussuf Hakik schien zu wissen, daß dem Sachbearbeiter für die USA Mittel und Wege zur Verfügung standen, um selbst dieses aussichtslos erscheinende Vorhaben zu verwirklichen. Beidrop räusperte sich und meinte kühl: »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, Herr. In den riesigen Raketenwerken der Gila-Rocket-Fields besitze ich augenblicklich elf Agenten, darunter drei Ingenieure. Dennoch dürfte es ausgeschlossen sein, mit Hilfe der Leute an die stark gesicherten und bewachten Tresorräume unter dem Hauptverwaltungsgebäude heranzukommen.« Der afrikanische Geheimdienstleiter musterte ihn aus schmalen Augenschlitzen. »Du wirst meine Anweisungen ausführen, UM-1. Ich verlasse mich auf deine bewährten Methoden. Wie weit bist du mit dem unterirdischen Stollen? Ist es dir möglich, von außen her in die scharf überwachten Gebiete der Gila-Fields hineinzukommen?« Über Beidrops volle Lippen zuckte ein triumphierendes Lächeln. »Ja, Herr! Unsere langwierige und schwere Arbeit trägt
Früchte! Der verborgene Fluß zieht sich unter den Sandmassen der Gila-Wüste in Arizona hin. Es gelang meinen Spezialisten, an einer einsamen Stelle der Versuchsgebiete einen Schacht zu brechen. Er durchstößt etwa fünfzehn Meter Erdreich und führt senkrecht nach oben. Die Schachtöffnung ist so geschickt getarnt worden, daß sie von den Werksangehörigen nicht entdeckt werden kann. Mit Hilfe des kleinen Spezialtauchbootes können wir den unterirdischen Fluß befahren und die Gebiete der Gila-Rocket-Fields zu jeder Zeit ungesehen betreten.« Jussuf Hakik sah lange Zeit nachdenklich auf den Mann, der so außerordentliche Dinge geschaffen hatte. Bedächtig meinte er: »Das ist sehr gut, UM-1. Die Amerikaner werden niemals auf den Gedanken kommen, daß sich ein Agent in das Gelände einschmuggeln kann. Sorge dafür, daß das Tauchboot nicht entdeckt wird!« »Das ist unmöglich, Herr! Die Startbasis liegt außerhalb der Abschirmung. Das Boot befindet sich in einer tiefen, langgestreckten Höhle, deren Eingang sehr gut getarnt ist. Durch diese Höhle kann man den unterirdischen Flußlauf erreichen. Wir haben mit dem Boot etwa zwanzig Kilometer zurückzulegen, ehe wir den Stollen erreichen. Der Strom kreuzt dabei den Gila-River, und wir kommen dadurch vollkommen unbemerkt durch die Radarsperren. Wenn man sich erst einmal innerhalb des riesengroßen Versuchsgebietes befindet, achtet kein Mensch mehr auf den anderen. Es wird mir sehr leicht sein, meine Leute ungesehen hineinzubringen.« »Sehr gut, UM-1! Doch nun erkläre mir, wie du mit deinem Trupp an die Panzergewölbe unterhalb des Hauptverwaltungsgebäudes kommen willst.« Norman Beidrop zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete:
»Es wird sehr schwierig sein, Herr, aber ich werde es versuchen. Ich will in den nächsten Stunden einen genauen Angriffsplan ausarbeiten, den ich dir schnellstens zukommen lasse. Ich muß die vorhandenen Möglichkeiten erst noch einmal gründlich überprüfen.« Jussuf Hakik blickte den Amerikaner prüfend an und nickte dann. »Ich verlasse mich auf dein Geschick. Die Amerikaner und Europäer sind uns schon auf dem irdischen Mond zuvorgekommen. Dort können wir keinen Einfluß mehr gewinnen. Wir denken aber nicht daran, ihnen auch die anderen Planeten und Monde unseres Sonnensystems zu überlassen. Wir beabsichtigen, schnellstens einige interplanetarische Expeditionen durchzuführen, um unsere Machtansprüche im Kosmos zu sichern. Dazu benötigen wir das Waltersit, da wir ohne dieses Metall keine längeren Flüge durchführen können.« Der afrikanische Sicherheitsminister schwieg eine Sekunde und erhob sich. Beidrop seine schmale, sehnige Hände auf die Schulter legend, sagte er eindringlich: »Denke daran, UM-1! Es wird dein Schaden nicht sein, denn eines Tages fegen die Völker Afrikas und Asiens die degenerierte weiße Menschheit hinweg. Wir werden nur jene Menschen schonen, die rechtzeitig auf unsere Seite überschwenkten. Uns ist bekannt, daß die Amerikaner eine Raumschiffexpedition nach der Venus planen. Ich werde diesbezüglich noch einige Entschlüsse fassen. Deine Aufgabe besteht vorläufig nur darin, schnellstens das Fabrikationsverfahren des Waltersit herbeizuschaffen. Alle weniger wichtigen Aufgaben übertrage ich in der Zeit dem Sektionsleiter der südlichen USA-Staaten.« Norman Beidrop verbeugte sich wortlos und griff nach seiner Aktentasche. »Wann soll ich abfliegen, Herr?«
Hakik besann sich eine Sekunde. »Morgen! Nimm den Frühclipper nach New York. Ich sorge noch heute nacht dafür, daß deine Tarngeschäfte abgewickelt werden. Man darf dich in den USA nicht verdächtigen. Deine Exportkollegen werden über deine glänzenden Aufträge erstaunt sein.« Beidrop lächelte und folgte seinem Chef zur Tür. Dort sagte Jussuf Hakik nochmals: »Ich erwarte in zwei Tagen deinen Angriffsplan.« 4. Kapitel Der schlanke junge Mann mit dem sympathischen, sommersprossigen Gesicht und den brandroten Haaren sah etwas ungeduldig auf seine Armbanduhr. Prüfend blickte er dann hinauf in den blauen, wolkenlosen Himmel. Der Raketenclipper Berlin-New York schien sich um einige Minuten zu verspäten. Eigentlich hätte er schon vor einer Minute landen müssen. Unwillig verzog Mike Chester den schmallippigen, breiten Mund und stieß leise einen Fluch aus. Der ältere, mittelgroße Mann neben ihm schmunzelte verhalten, was Chester zu der bissigen Bemerkung veranlaßte: »Feixen Sie nicht, Hutcher, die Sache ist ernst! Der blödsinnige Clipper müßte schon längst hier sein. Das sollte uns einmal passieren, ha! Als ich einmal mit meiner Transportrakete nur drei Sekunden zu spät auf Raumstation R 3 ankam, gab es ein Donnerwetter, daß mir noch ganze vier Wochen später mein Schädel brummte.« Jesse Hutcher, seines Zeichens staatlicher Raumraketenpilot, blickte lachend auf den allgemein beliebten Raketeningenieur. Verschmitzt meinte er: »Ja, Sir, das war eine dumme Sache! In den drei Sekunden
war die Raumstation nämlich um rund zwanzig Kilometer weitergeflogen, und Sie kamen an der Stelle an, wo sie vor drei Sekunden noch rotiert hatte. Das kann einem Trans-OzeanClipper natürlich nicht passieren. Der Flugplatz rast schließlich nicht davon.« Mike Chester lachte breit, wodurch sich sein sommersprossiges Gesicht in unzählige Fältchen legte. Chester war Engländer, und nur die brandroten, kurz gestutzten Haare erinnerten an seine irische Mutter. Außerdem war der allzeit fröhliche und optimistische Ingenieur ein Mensch, auf den man sich in allen Lagen hundertprozentig verlassen konnte. Das war auch der Grund, warum ihn der Chef der GilaRocket-Fields zu seinem nächsten Mitarbeiter gemacht hatte und schließlich sogar mit ihm Freundschaft schloß. Mike Chester ließ sich durch nichts verblüffen, sein Humor hatte ihm und seinen Kollegen schon oftmals über schwierige Situationen hinweggeholfen. »Hei – welch ein Wunder!« rief Chester laut und zog die Stirnhaut in Falten. »Das Ding kommt ja wirklich noch! Sieh da, Hutcher, dort kommt die lahme Ente an ihren drei Riesenhubschrauben angependelt!« Aus den Augenwinkeln schielte Chester auf einen in der Nähe stehenden Flugzeugführer, der den Spötter empört anblitzte. Es war auch wirklich allerhand, einen Raketenclipper, der in den höchsten Schichten der irdischen Atmosphäre eine Geschwindigkeit von nahezu sechstausend Stundenkilometern erreichte, mit einer lahmen Ente zu vergleichen. Mike Chester grinste. Lustig strahlten seine hellblauen Augen den Flieger an, der sich unwillig abwandte und zur Rollbahn hinüberschritt.
»Dem haben Sie aber schwer auf die Hühneraugen getreten, Sir«, lachte der alte Raketenpilot. Chester machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich glaube nicht, daß er welche hat, Hutcher! Meinetwegen soll er beleidigt sein. Gegen unsere Raketen ist der Clipper eine lahme Ente, daran ist nicht zu rütteln. Doch kommen Sie nun, sonst entwischt uns der seltsame Doktor noch, und wir müssen ohne ihn nach Arizona zurückfliegen.« Der schwere Trans-Ozean-Clipper war an seinen mächtigen Hubschrauben inzwischen sicher gelandet. Gerade schoben die Leute des Bodenpersonals die fahrbare Leichtmetalltreppe an die Luke heran, als Chester mit seinem Begleiter dort ankam. Aufmerksam musterten sie die Reisenden, die den Clipper hastig verließen, da viele von ihnen die Anschlußflugzeuge nach allen Teilen Amerikas erreichen wollten. Die letzten Personen schienen die Maschine schon verlassen zu haben, als Chester verblüfft murmelte: »Nanu, was soll das heißen? Wo bleibt denn der Doktor, den uns der Chef so warm ans Herz legte? Der wird doch nicht am unteren Rande der Ionosphäre abgesprungen sein? Muß ein seltsamer Heiliger sein, Hutcher. Der Chef machte so einige Andeutungen von wegen Zerstreutheit und so weiter. Sie verstehen, nicht wahr?« Im gleichen Augenblick tauchte in der Luke des Clippers ein hochaufgeschossener, sehr schlanker Mann auf, der die Dreißig kaum überschritten haben mochte. Sein Antlitz war leichenblaß, dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Das dunkle Haar hing ihm wirr in der hohen Stirn. Unsicher und etwas furchtsam blickte er durch die Gläser seiner schwarzen Hornbrille über den weiten Platz. »Himmel noch mal!« murmelte Mike Chester und stieß sei-
nem Piloten den Ellenbogen in die Seite. »Das ist er, das ist er ganz bestimmt! So stelle ich mir ungefähr einen weltfremden, schüchternen und zerstreuten Biologen vor, der nur alle Schaltjahre einmal aus den duftenden Tiefen seiner Labors auftaucht, um nachzusehen, ob die Sonne überhaupt noch scheint.« Jesse Hutcher lachte unterdrückt. Ein wenig mitleidig sah er hinauf zu dem dürren, unordentlich gekleideten Mann, der in seinen langen, schmalen Händen krampfhaft eine riesige Aktentasche und einen mittelgroßen Koffer hielt. Er schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Ratlos wandte er sich um und wollte gerade wieder in der Maschine verschwinden, als Chester etwas atemlos neben ihm auftauchte. »He – hallo – Doktor, wo wollen Sie denn hin? Sie müssen die Treppe hinuntergehen, wenn Sie den Boden der glorreichen Vereinigten Staaten betreten wollen.« Lachend sah der Ingenieur auf den Biologen, der ihn hilflos und verlegen anstarrte. »Sie sind doch Doktor Schoner, nicht wahr?« fragte Chester weiter. Der hagere Mann atmete sichtlich auf. Eifrig nickend und seinen Koffer zu Boden stellend, entgegnete er: »Ja, ja – ganz recht, mein Herr. Aber woher kennen wir uns? Hatte ich schon einmal die Ehre, Ihnen vorgestellt zu werden?« Er verbeugte sich unbeholfen und wurde wieder verlegen. »Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich nicht erinnern kann, aber ich war in den letzten Monaten derart beschäftigt, daß ich…« »Schon gut, Doc«, unterbrach ihn Chester, der sich zusammenriß, um dem jungen Wissenschaftler nicht ins Gesicht zu lachen.
Das war ja ein komischer Kauz, den der Chef da dringend aus Deutschland angefordert hatte! Chester entschloß sich, den jungen Mann schnellstens aufzuklären. »Wir haben uns noch nirgends kennengelernt. Ich freue mich aber, Sie nun begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Mike Chester, Raketeningenieur. Ihr Freund, Doktor Walter Himmert, beauftragte mich, Sie hier in New York zu empfangen und Sie mit einer unserer Werkmaschinen nach den Gila-Fields zu bringen. Ich dachte, er hätte Sie benachrichtigt.« Dr. Schoner sah vollständig verblüfft auf den rothaarigen Ingenieur. Stotternd entgegnete er: »Aber ja, natürlich, Doktor Himmert schrieb mir. Trotzdem verstehe ich nicht recht, wieso Sie bereits jetzt auftauchen. Sind wir denn schon in New York?.« Chester blickte auf den Biologen, als hätte er einen Irren vor sich. Hutcher begann dröhnend zu lachen, indessen der junge Ingenieur noch um seine Fassung kämpfte. Tief Atem holend, erklärte er: »Natürlich sind Sie schon in New York. Was dachten Sie denn, Doc?« Nun war Dr. Schoner höchst erstaunt. Ungläubig meinte er: »Ich bin doch erst vor kaum zwei Stunden in Berlin abgeflogen.« »In welcher Zeit leben Sie eigentlich?« stöhnte Chester. »Der Clipper fliegt mit sechstausend Sachen. Wissen Sie das wirklich nicht?« Dr. Heinrich Schoner wurde noch blasser. Hilflos rückte er an seinem schiefsitzenden Kragen herum und stammelte einige Worte. »Und der soll mit uns nach der Venus fliegen!« seufzte Hutcher unter der Leichtmetalltreppe leise vor sich hin und schüttelte den Kopf. »Das kann ja heiter werden!«
Mit dreieinhalbtausend Kilometer pro Stunde schoß die schnelle Raketenmaschine mit südwestlichem Kurs über die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die rote Nadel des Höhenmessers pendelte bei fünfzig Kilometer. Die irdische Atmosphäre war in dieser Höhe schon sehr dünn, und ungehindert konnten die weißglühenden Partikel der Treibgase aus der Düse der Großbrennkammer schießen. Mike Chester saß mit Dr. Schoner in der kleinen Passagierkabine. Aufmerksam musterte der rothaarige Ingenieur den deutschen Wissenschaftler, der sein Selbstbewußtsein wieder einigermaßen zurückgewonnen hatte. Nach einer Weile meinte Schoner nur noch wenig verlegen: »Bitte, halten Sie mich nicht für einen Narren, Mister Chester. Ich dachte im Moment nicht an die außerordentlichen Geschwindigkeiten, die unsere heutigen Flugzeuge zu entwickeln vermögen. Ich muß ihnen auch ganz offen gestehen, daß ich mich mit den Problemen der modernen Luft- und Raumfahrt nur in einer Beziehung stark beschäftige. Wenn Sie mich fragen, wie lange eine Mondrakete unterwegs ist, bis sie den Trabanten der Erde erreicht, wüßte ich wohl nicht die rechte Antwort.« Mike Chester lächelte den Biologen an. Der Mann schien ja ganz vernünftig zu sein, wenn er im ersten Augenblick auch einen absonderlichen Eindruck machte. Sicherlich war Dr. Schoner ein Mensch, der auf seinem Gebiet etwas zu leisten vermochte. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Mister Chester, wenn Sie mich noch vor unserer Ankunft etwas aufklärten. Sie wissen ja gar nicht, wie unendlich glücklich ich bin. Ich hätte niemals damit gerechnet, daß mich Walter – ich meine Doktor Himmert – eines Tages zu sich beriefe. Schließlich haben wir uns fast zehn Jahre nicht mehr gesehen. Wie alt ist er jetzt? Sechsunddreißig,
nicht wahr?« Chester nickte schweigend. Der Biologe wurde ihm immer sympathischer. »Ja, Doc – so alt ist unser verehrter Chef.« »Erstaunlich«, wunderte sich Schoner. »Ist es denn tatsächlich wahr, daß ihm die amerikanische Regierung die Leitung der berühmten Gila-Rocket-Fields übertrug? Es ist doch allgemein bekannt, daß sich dort außer den gewaltigen Start- und Landebahnen noch unzählige Forschungslaboratorien aller Art befinden. Wenn ich recht unterrichtet bin, sind die größten Werke der amerikanischen Raketenindustrie ebenfalls dort errichtet worden. Demnach arbeiten auf den Gila-Fields doch bestimmt viele tausend Menschen. Obgleich ich weiß, daß Doktor Himmert sehr klug ist, wundert es mich, daß man ihn so jung schon zum Chef der gesamten Werke und Forschungslaboratorien ernannte.« Mike Chester lächelte verhalten und meinte belustigt: »So etwas gibt es im alten Europa nicht, oder? Man erzählte mir, daß man die leitenden Positionen, besonders in Deutschland, nur an ergraute Persönlichkeiten vergibt.« Dr. Schoner nickte und lächelte bitter. »Ganz recht, Mr. Chester. Leider hat man in Europa in dieser Hinsicht zu viele Vorurteile. Man wird einen jungen Doktor einem in Ehren ergrauten Professor nicht vor die Nase setzen.« »Sehen Sie, Doc«, lachte der Ingenieur, »hier in den USA ist das anders. Hier beurteilt man den Menschen nicht nach seinem Alter oder seinen Zeugnissen; es entscheidet einzig und allein das Können. Doktor Himmert ist der Vorgesetzte von mindestens fünfzehn Professoren, die größtenteils zwanzig Jahre älter sind als er. In Washington hat man frühzeitig erkannt, daß Himmert wirklich ein Genie ist. Mit seinen ersten Raumschiffkonstruktionen ebnete er sich den Weg. Die Raum-
stationen 2, 3 und 4 wurden von ihm konstruiert und dann unter seiner persönlichen Leitung im Weltraum zusammengebaut. Auch die beiden Großstationen auf der Vorder- und Rückseite des Mondes sind sein Werk. Himmert ist ein Mann, wie er nur alle hundert Jahre einmal geboren wird. Hier in den Staaten hat man ein gutes Auge für solche Leute.« Schoner nickte bedächtig und meinte: »Wir besuchten die gleiche Schule. Walter schnitt schon beim Abitur ganz hervorragend ab. Wissen Sie eigentlich, daß er einen doppelten Doktor machte?« »Natürlich! Er ist Ingenieur und Astrophysiker.« Mike Chester und Dr. Schoner schwiegen eine Weile. Als der Biologe den Mund gerade zu einer Frage öffnete, knackte es in dem Lautsprecher der Bord-Sprechanlage, und die Stimme des Piloten klang auf: »Hallo, Mister Chester! Wir landen in etwa fünf Minuten auf Rollbahn 10. Der Chef bittet Sie, Doktor Schoner sofort zu ihm zu bringen.« Chester lachte breit und sah den Biologen offen an. »Haben Sie das gehört, Doc? Unser verehrter Chef scheint Sie sehnlichst zu erwarten. Geschieht das nur aus purer Freundschaft? Verzeihen Sie, ich weiß, daß ich ein neugieriger Mensch bin. Sie würden mir einen dicken Stein von der Seele nehmen, wenn Sie mir verrieten, warum Sie Dr. Himmert eigentlich gerufen hat.« Schoner wurde wieder verlegen. Doch seine Augen leuchteten glücklich, als er ohne zu zögern entgegnete: »Warum sollte ich darüber schweigen? Sie erfahren es ja doch. Allerdings bin ich überrascht, daß Dr. Himmert meiner Entdeckung solche Bedeutung beimißt.« Chester wurde aufmerksam. Versteckt musterte er den so unscheinbar wirkenden Biologen, hinter dem sich doch mehr zu
verbergen schien, als bisher zu vermuten war. Schweigend, mit einem auffordernden Ausdruck in seinen blauen Augen, blickte er Schoner an, der nachdenklich auf seine schmalen Hände sah. »Sie kennen doch die gefürchteten kosmischen Strahlungen, nicht wahr? Es ist Ihnen auch sicher bekannt, daß man mit verschiedenen Medikamenten jenen Menschen helfen kann, deren Körper eine zu hohe Dosis der Weltraum-Primärstrahlung aufgenommen haben. Ich habe nun ein Präparat entwickelt, das in die Blutbahn eingespritzt wird. Es bindet alle Strahlungspartikel, die sich im menschlichen Körper befinden. Nach der Einspritzung werden die Partikel mit dem Harn ausgeschieden, und damit ist die betreffende Person von der gefährdenden Strahlungsmenge befreit.« Chester hatte aufmerksam zugehört. »Sicher, Doc, solche Mittel sind mir bekannt. Ich mußte erst letztens wieder einige Pillen schlucken, die die höllische Primärstrahlung aus meinem Prachtkörper entfernten. Ich glaube, es handelte sich um Vitamine in einer bestimmten Zusammensetzung. Wie ist das nun mit Ihrem Präparat? Welche Vorteile hat es?« Schoner wurde etwas rot, als er entgegnete: »Es kann beliebig oft angewendet werden. Ich kann dafür garantieren, daß es den Organismus auch bei fortwährendem Gebrauch nicht schädigt, wie das bei allen anderen Mitteln dieser Art der Fall ist. Außerdem entfernt es die Strahlungspartikel restlos, wogegen andere Präparate höchstens 75 Prozent der aufgenommenen Strahlungsdosis binden. Es ist nicht sehr viel, was ich da gefunden habe. Deshalb verstehe ich nicht, daß Dr. Himmert so großen Wert darauf legt. Andere Mittel wirken auch zuverlässig, und die Schädigung des menschlichen Organismus tritt erst nach langer Anwendung
ein.« Mike Chester starrte sprachlos auf den Biologen. »Mann«, stöhnte er dann, »Sie sind ein Gemütsmensch! Wenn Ihr Mittel wirklich hundertprozentig wirkt und außerdem den Körper nicht schädigt, dann haben Sie eine gewaltige Entdeckung gemacht.« Schoner wurde entsetzlich verlegen. Unruhig rutschte er in seinem Sessel hin und her. Er gehörte zu jenen Menschen, die lobende Worte als höchst unangenehm empfinden. Chester lachte hell auf. »Sie sind ein seltsamer Mensch, Doc! Jeder andere würde mit der Entdeckung einen gewaltigen Wind machen. Ich bin, neugierig, was Himmert dazu sagt. Wissen Sie eigentlich, daß wir in Kürze zur Venus starten werden? Ihr Präparat wird uns sehr willkommen sein, da wir sehr lange fliegen müssen. Wollen Sie nicht mitkommen? Für einen Biologen gibt es auf der bisher noch völlig unbekannten Venus bestimmt allerlei zu erforschen.« Mit weit aufgerissenen Augen, die hinter den starken Brillengläsern unnatürlich groß erschienen, starrte Schoner auf den Ingenieur. »Was – was sagen Sie da? Mein Gott, das ist ja unfaßbar!« »Gar nicht, Doc«, schmunzelte Mike. »Ich habe nur das Empfinden, als hätten Sie in Ihrer Arbeit alles andere vergessen. Wir sind heute durchaus imstande, die Venus anzufliegen. Dr. Himmert wird Ihnen wahrscheinlich Näheres mitteilen. Haben Sie im letzten Jahr keine Zeitungen gelesen? Hörten Sie nichts von den eigenartigen und geheimnisvollen Flugkörpern, die vor etwa einem Jahr in steigender Anzahl über der Erde auftauchten? Haben Sie auch nichts von dem Angriff auf unsere Mondstationen Luna I und Luna II gehört?« Schoner wurde immer verwirrter. Leise antwortete er:
»Ja, ja, ich hörte schon davon. Man sprach von der Venus, und die Presse war wochenlang voll von Berichten, die ich für unwahr hielt. Sie wollen doch nicht ernstlich behaupten, daß es auf der Venus denkende Lebewesen gibt, die uns in technischer Hinsicht auch noch überlegen sein sollen?« Chester schüttelte den Kopf. Dieser Biologe war in seinem Fach bestimmt ein Könner. Andere Dinge aber, die seine Arbeit nicht direkt betrafen, schienen ihn überhaupt nicht zu interessieren. »Wir wissen mit hundertprozentiger Sicherheit, daß der Planet Venus bewohnt ist, und zwar von Wesen, die uns in technischer Hinsicht ganz gewaltig überlegen sind. Himmert wird Ihnen das bestätigen, denn er befand sich auf dem Mond, als zehn Raumschiffe der Venus versuchten, Station Luna II zu erobern. Es war ein Mißverständnis der Venusbewohner. Doktor Himmert wird Sie schon aufklären. Natürlich haben die Presseberichte übertrieben. Aber Sie können versichert sein, daß sich alles ähnlich abspielte, wie es berichtet wurde. Ich war übrigens selbst dabei! Wir haben es einem jungen Ingenieur zu verdanken, daß die Erde nicht ernstlich angegriffen wurde. Wenn Sie wollen, mache ich Sie mit dem Mann bekannt. Er hat mit einem hochstehenden Vertreter des Planeten Venus verhandelt und konnte ihn bewegen, den Angriff im letzten Moment zu stoppen.« Schoner lächelte ungläubig. »Verzeihen Sie, Mister Chester, aber das klingt alles sehr unwahrscheinlich.« Der rothaarige Ingenieur zuckte mit den Schultern und meinte ruhig: »Ich kann es Ihnen nicht verdenken, Doc! Wir glaubten auch nicht daran. Wir wußten ja noch nicht einmal, woher überhaupt die seltsamen, kugelförmigen Flugkörper kamen. In ei-
nem Zeitraum von nur drei Monaten war ihre Zahl derart angewachsen, daß man die Körper zu jeder Tagesstunde und überall von der Erde aus beobachten konnte. Erst durch jenen Ingenieur erfuhren wir, daß die Schiffe von der Venus kamen. Ich habe gehört, daß unser Retter als amerikanischer Geheimagent in einem Raketenwerk der Afrikanischen Union tätig war. Er wurde entdeckt und mußte flüchten. Dabei durchstreifte er die menschenleeren Wüsten und Gebirgslandschaften West- und Ostafrikas. In der Nähe des Viktoriasees fand er dann dieses seltsame Wesen, das mit einem der Kugelraumschiffe dort abgestürzt war.« Nun wurde der junge Biologe aufmerksam. Gespannt blickte er auf Chester. »Wenn man Sie so sprechen hört, könnte man beinahe überzeugt werden.« Chester lächelte leicht und griff nach den Anschnallgurten seines Sessels. Die kleine Raketenmaschine setzte soeben zur Landung an. »Sie werden bald überzeugt sein, Doc! Jener Ingenieur war amerikanischer Geheimagent. Der Venusbewohner, den er halbtot in Afrika fand, war mit einem Venusraumschiff abgestürzt. Die Verständigung zwischen dem Fremden und unserem Mann erfolgte durch technische Hilfsmittel; es handelte sich um eine Übertragung der beiderseitigen Bewußtseinsinhalte auf drahtlosem Wege. Das Gerät ist noch vorhanden. Sie können es sich ansehen.« »Aber dieser Angriff auf die Mondstationen, sollte das tatsächlich keine Falschmeldung gewesen sein?« Mike Chester meinte etwas bissig: »Man sollte es nicht für möglich halten, daß es auf dieser verdammten Welt noch Menschen gibt, die nicht wissen, wie dicht sie an ihrem Ende vorübergegangen sind! Ich sagte
schon, Doc, daß ich dabei war. Doktor Himmert war von den Regierungen der USA, der Staaten von Europa und der Lateinamerikanischen Union nach dem Mond geschickt worden, um Luna mit den modernsten Waffen abwehrbereit zu machen. Dennoch wären wir im entscheidenden Augenblick erledigt worden, wenn nicht jener Ingenieur aufgetaucht wäre, der in Afrika das Venuswesen rettete. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er und seine Braut von einem Raumschiff der Venusbewohner ganz in der Nähe von Mondwerk Luna II abgesetzt wurden. Die Venusianer entfernten sich danach sofort, und bisher sind keine Einflüge fremder Flugkörper mehr beobachtet worden. Ein Zeichen dafür, daß die Venusianer ihren Irrtum eingesehen haben.« »Von welchem Irrtum sprechen Sie?«, fragte Schoner erregt. »Nun, das sollten Sie wissen, Doc! Die Intelligenzen des Morgensterns sind uns in technischen Dingen weit voraus. Sie beobachteten die Erde schon lange. Die ersten Einflüge ihrer Raumschiffe fanden in den fünfziger Jahren statt. Man sprach damals von ›Fliegenden Untertassen‹.« »Ganz recht, daran kann ich mich erinnern. Mein Vater erzählte mir davon.« »Sehen Sie, Doc, unser Ingenieur erfuhr von dem Venuswesen, daß die Einflüge nur darum erfolgten, weil die Regierung der Venus durch die atomaren Explosionen auf der Erde beunruhigt wurde. Inzwischen sind mehr als dreißig Jahre vergangen. Die Atomwaffen wurden immer furchtbarer, und vor einem Jahr glaubten die Intelligenzen der Venus, die Erdbewohner bereiteten sich darauf vor, mit Hilfe ihrer inzwischen entwickelten Raumschiffahrt ihren Planeten anzugreifen. Unser Ingenieur klärte den geretteten Venusianer erst darüber auf, daß wir gar nicht wissen, daß die Venus überhaupt von denkenden Wesen bewohnt ist. Nur der Einsicht dieses einen We-
sens haben wir es zu verdanken, daß der geplante Vorbeugungsangriff der Venusianer abgebrochen wurde. Sie erkannten noch rechtzeitig, daß wir gegen sie Waisenkinder sind.« Dr. Schoner war sprachlos. Ungläubig starrte er auf Chester, der ihn vergnügt anlachte. Zögernd meinte der Biologe: »Ich kann es kaum glauben. Man hätte doch viel mehr von diesen ungeheuerlichen Dingen hören müssen. Ich verstehe das nicht.« Chester winkte ärgerlich ab und wollte Schoner die Sache erklären, als er plötzlich mit voller Wucht in seinen Sitz gepreßt wurde. Im gleichen Augenblick heulte das Raketentriebwerk direkt hinter der Kabine schrill auf, eine viele Meter lange, weißglühende Treibgassäule peitschte aus der Brennkammerdüse. Ehe die beiden Männer in der Kabine die Geschehnisse noch begriffen, richtete sich die kleine Maschine steil auf und schoß unter dem enormen Schub der mit Höchstleistung arbeitenden Brennkammern in einem Winkel von fast achtzig Grad in den wolkenlosen Himmel Arizonas. Mike Chester faßte sich nach wenigen Sekunden wieder. Obgleich die Belastung der hohen Beschleunigung übermächtig auf ihm lag, erhob er mühevoll die Rechte und schlug auf den Kontaktknopf der Bordsprechanlage. Heiser keuchte er in das Mikrophon: »Zum Teufel, Hutcher, sind Sie wahnsinnig geworden? Was fällt Ihnen ein? Gehen Sie sofort…« »Unmöglich, Mister Chester!« unterbrach ihn die erregte Stimme des Piloten. Überlaut klang sie aus dem versteckt eingebauten Lautsprecher der druckfesten Kabine. »Verflucht«, schrie Chester wütend zurück, »was ist denn los? Mann, so antworten Sie doch!«
In dem Augenblick beschrieb die Maschine eine scharfe Kurve, und gleichzeitig ließ der atemberaubende Andruck nach. Chester hörte, wie das Triebwerk etwas gemäßigter zu arbeiten begann. Doch offensichtlich raste das Flugzeug wieder mit hoher Fahrt nach Westen davon. Tief unter ihm lagen die ausgedehnten, riesenhaften Versuchs- und Startfelder der staatlichen Gila-Rocket-Fields. Der Pilot schien nicht daran zu denken, das kleine Flugschiff zu landen. In Chesters Hirn überstürzten sich die Gedanken. Was war geschehen? Da stimmte doch etwas nicht! Hutcher war ein vernünftiger und erfahrener Pilot. Heftig schlug der junge Ingenieur auf das Sammelschloß seiner Gurte und wuchtete sich aus dem Sessel. Die erregte Frage des Biologen ließ er unbeantwortet. Gerade wollte er nach vorn in den Pilotenraum springen, als sein Blick durch eine der ovalen Panzerglasscheiben nach draußen fiel. Wie angewurzelt blieb er stehen. Seine Augen weiteten sich. Er starrte auf das seltsame Gebilde, das auf gleicher Höhe mit ihnen nach Westen schoß. Blitzartig wußte Chester, warum der Pilot das Flugzeug wieder nach oben gerissen hatte und versuchte, mit Höchstgeschwindigkeit den Gefahrenort zu verlassen. Hutcher schien zu wissen, daß die Insassen jener kugelrunden Flugkörper ein sich näherndes Flugzeug als Feind betrachteten und entsprechend reagierten. Wie erstarrt stand Chester in dem niederen Raum. »Was ist denn los?« gellte da die Stimme des Biologen wieder auf. Ungeschickt hantierte Dr. Schoner an dem Sammelschloß seiner Gurte und versuchte, sich ebenfalls der lästigen Bänder zu entledigen. »Bleiben Sie sitzen, Doc!« rief Chester scharf zurück und ließ
sich ebenfalls wieder in seinen Sessel fallen. »Aber was ist denn…« »Da, sehen Sie hinaus! Man soll den Teufel nicht an die Wand malen! Sie sind also doch wiedergekommen! Was hat das zu bedeuten?« Schoner war sprachlos. Unbewußt folgte er der Blickrichtung des Ingenieurs, und plötzlich sah auch er die mächtige, gelblich glänzende Kugel, die knapp tausend Meter entfernt über den Himmel raste. Schoners Hände begannen zu zittern, mit bebenden Lippen flüsterte er: »Mein Gott, was – was ist das? Mister Chester, ist das nicht…?« »Ganz recht!« schrie der überlaut zurück und umklammerte mit beiden Händen die Armlehnen des Leichtmetallsessels, da die Maschine wieder auf Gegenkurs steuerte. Von unsichtbaren Gewalten wurden die beiden Männer in ihre Sitze gepreßt, abermalig heulte die Brennkammer im Heck des Flugschiffes ohrenbetäubend auf. Als Schoner wieder aus dem Fenster blickte, konnte er von der geheimnisvollen Kugel nichts mehr sehen. Da knackte es auch schon in der Sprechapparatur, und Hutchers Stimme klang erlöst auf: »Bei allen Raumgeistern, das war knapp, Mister Chester! Die Burschen fliegen auf ihrem Kurs weiter, wir entfernen uns von ihnen.« »Was war los, Hutcher?« fragte Chester beherrscht zurück. Dr. Schoner verstand noch immer nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Die Geschehnisse hatten sich überstürzt, alles spielte sich in wenigen Sekunden ab. »Ich wollte gerade landen, als ich die Kugel unmittelbar vor mir sah. Sie war vielleicht fünfhundert Meter hoch, ich wäre
direkt unter ihnen hinweggeflogen. Ich wußte mir nicht anders zu helfen, als die Kiste hochzureißen und mit voller Schubleistung abzuhauen. Entschuldigen Sie, Mr. Chester, aber…« »Es ist gut, Hutcher«, unterbrach der Ingenieur den Piloten und fuhr sich über die schweißbedeckte Stirn. »Sie haben das einzig Richtige getan. Ich danke Ihnen. Landen Sie nun sofort, ich muß augenblicklich den Chef sprechen.« »Ja, Sir. Die Kugel verschwindet am Horizont, Sie scheinen direkt den Stillen Ozean anzufliegen.« Es knackte wieder, und lastende Stille legte sich über die Kabine. Das dumpfe Donnern des Triebwerks wurde leiser, und rasch näherte sich die Maschine den ausgedehnten Gebäudekomplexen am südlichen Ende der Gila-Rocket-Fields. Schoner war verstört. Sich mühsam beherrschend, fragte er rauh: »Wollen Sie mir nicht erklären, was das zu bedeuten hat? Waren wir in Gefahr?« Chester verzog spöttisch seinen breiten Mund und meinte: »Erinnern Sie sich an unser Gespräch? Die große Kugel, die Sie gesehen haben, war ein Raumschiff der Venus-Intelligenzen! Wenn Hutcher nicht so rasch reagiert hätte, wären wir sehr nahe an die Kugel herangekommen, und die Burschen darin hätten einen Angriff vermutet. Wir haben unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet, verehrter Doc! Wir wären schneller in glühende Gase verwandelt worden, als Sie Ihr letztes Gebet gesprochen hätten.« Schoner wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Doch überraschend fest entgegnete er: »Was soll das heißen? Erklärten Sie mir nicht, die Venusbewohner hätten ihren Irrtum eingesehen? Sagten Sie nicht, seit
der Zeit wären keine Einflüge mehr erfolgt?« Chester blickte starr auf den jungen Deutschen und erwiderte dann leise und nachdenklich: »Ja, das sagte ich! Unser Erlebnis beweist aber, daß sich die lieben Nachbarn auf dem Morgenstern anders besonnen haben. Wenn ich nur wüßte, was das zu bedeuten hat! Ich habe das dumpfe Gefühl, als ereigneten sich in absehbarer Zukunft allerlei unliebsame Überraschungen.« 5. Kapitel Drei Tage nach Schoners Ankunft. Nacht hatte sich über die weiten Gila-Rocket-Fields gesenkt. Es war kurz nach Mitternacht. Der Mond stand in seinem ersten Viertel, sein schwaches Licht reichte trotz des wolkenlosen Himmels kaum aus, um die unübersehbaren Rollbahnen und betonierten Quadratflächen der Raketenstart- und Landefelder zu beleuchten. Die Gila-Fields galten als die größten Versuchsfelder der Vereinigten Staaten. Wenn man mit dem Flugzeug die weite Sandwüste überflog, entdeckte das Auge immer wieder gigantische Gebäudekomplexe und ausgedehnte Fabrikationsanlagen. Neunzig Prozent der US-amerikanischen Raketen waren hier hergestellt worden. Die unweit liegende Hauptstadt von Arizona, Phoenix, hatte seit dem Jahre 1980 erheblich an Bedeutung verloren. Zunächst schien es, als nähme die Stadt durch die neuen Riesenanlagen einen gewaltigen Aufschwung. Doch als immer mehr Menschen kamen, begann man, in der Nähe des Sperrgeländes eine Ansiedlung zu errichten. In einem Zeitraum von knapp zehn Jahren war aus der Ansiedlung für die Bautrupps eine moderne Großstadt gewor-
den, die das alte Phoenix weit überflügelt hatte. Ober eine halbe Million Menschen wohnten hier, und jeder von ihnen hatte in irgendeiner Form etwas mit Raketen zu tun. Daher wunderte sich auch niemand darüber, daß der Präsident der USA die neue, so ungeheuer schnell entstandenen Großstadt »Rocket-City« taufte. Breite Fahrstraßen und ausgezeichnete Bahnverbindungen führten von Rocket-City zu den gewaltigen Werksanlagen aller Art, die innerhalb der Sperrzone lagen. Es war unumgänglich notwendig, die größtenteils geheimen Versuchs- und Fabrikationskomplexe stark zu sichern, da von interessierter Seite immer wieder versucht wurde, den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Besonders die Agenten der Afrikanisch-Vorderasiatischen Union wurden von den Industrien wie von Magneten angezogen. Dort entstanden die neuesten Raketentypen, Treibstoffe wurden erprobt und viele andere Dinge mehr getan. Oberst Ridge war für die Sicherheit der Werke und Flugfelder verantwortlich. Er tat alles Menschenmögliche, um die Anlagen von der Außenwelt abzuriegeln. Es war ihm gelungen. Für einen unwillkommenen Agenten war es praktisch unmöglich, die Sperren entlang der Grenzen unbemerkt zu durchdringen. Tag und Nacht wachten die modernen Radar-Fernbildgeräte, unablässig suchten die vielen Stationen ihre Distrikte ab. Außerdem waren noch Strahlschutzsperren und andere technische Anlagen errichtet worden. Sie alle hatten nur dafür zu sorgen, daß die Gila-RocketFields von ungebetenen Besuchern saubergehalten wurden. Das größte Gebäude unter allen war ein mächtiger, fünfziggeschössiger Riese aus Beton und Glas. Dort lagen jene Abteilungen, in denen die zahlreichen Fäden aus den vielen Konstruktions- und Zeichenbüros zusammenliefen.
In dem Hochhaus befanden sich auch die Räumlichkeiten des Mannes, der trotz seiner Jugend von höchsten Regierungsstellen zum Chefkonstrukteur und Leiter der gewaltigen GilaFields ernannt worden war. Dr. Dr. Himmert, erst 36 Jahre alt, war Deutschamerikaner. Als er vor zehn Jahren nach Arizona kam, war er ein kleiner, unbekannter Mensch, der außer seinen beiden Staatsexamen nichts aufzuweisen hatte. Professor Wernher von Braun, der berühmte Raketenpionier und Erbauer der ersten Weltraumstation, entdeckte das Genie des jungen Ingenieurs und Astrophysikers. Bereits ein Jahr später überraschte Dr. Himmert die Öffentlichkeit mit dem Entwurf einer zweiter Raumstation. Selbst von Braun, der große Könner, war ehrlich erstaunt, als er die Zeichnungen und Berechnungen sah. Ihm hatte es Himmert zu verdanken, daß die zweite Raumstation nach diesen Plänen erbaut wurde. Dabei hielt sich Himmert monatelang persönlich im Raum auf und überwachte den Zusammenbau der Station. Von da an führte Dr. Himmerts Weg steil nach oben. Bald erkannte die ganze Welt sein Genie, und vor zwei Jahren war er zum Chef der Gila-Fields ernannt worden. Vor den großen gläsernen Flügeltüren des Direktionsgebäudes stand ein schwerer, offener Geländewagen. Einige Männer unterhielten sich in der Nähe des Fahrzeuges, dessen Fahrer immer wieder ungeduldig auf die Uhr sah. »Herrgott«, murmelte der Mann leise vor sich hin, »wo bleibt nur der Chef? RAK 62 startet in fünfzehn Minuten.« Gerade wollte er einen der Männer anrufen, als sich die schweren Flügeltüren öffneten und mehrere Personen ins Freie traten. Dr. Walter Himmert sah sich prüfend um. Mit leicht blinzelnden Augen blickte er nach dem dunklen Himmel und
prüfte dann die Windrichtung. »Eine dunkle Nacht, Chef«, meinte einer seiner näheren Mitarbeiter und blickte auf die Uhr. »Sie müssen sich beeilen, wenn Sie Hauer noch vor dem Start sprechen wollen.« Dr. Himmert nickte wortlos und zog den Reißverschluß seiner hellen Kunststoffkombination bis zum Hals empor. Die Nächte in der Wüste waren empfindlich kühl. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht machten vielen Werksangehörigen schwer zu schaffen. Himmert überragte die meisten seiner Mitarbeiter um Kopfeslänge. Sein Körper war schlank, doch sehr muskulös und sportlich durchtrainiert. Das dunkle Haar lag wellig über einer hohen, kantigen Stirn. Vielleicht war das Kinn etwas zu breit und der Mund eine Idee zu dünnlippig. Himmerts Züge verrieten dem aufmerksamen Beobachter sofort, welche Charaktereigenschaften dieser Mann besaß. Es genügte ein Blick, um festzustellen, daß der Chefingenieur zu jenen Menschen gehörte, die ein einmal gestecktes Ziel mit unabänderlicher Willensstärke und eiserner Energie verfolgen. Tatsächlich war der Chef der Gila-Fields für seine Tatkraft bekannt. Es war geradezu erstaunlich, was dieser noch so junge Mann schon geleistet hatte. Himmert übergab einem seiner Mitarbeiter verschiedene Papiere und erklärte: »Wir treffen uns in einer Stunde in Prüfstandhalle 14a, Schwiggert. Ich will mir die neuen Brennkammern einmal persönlich ansehen. Ich traue den Dingern nicht recht. Haben Sie schon einmal eine im Betrieb gesehen?« Der junge Ingenieur entgegnete ein wenig zögernd: »Ja, Chef. Tutling ließ sie eine Stunde laufen, und ich muß gestehen, daß ich eigentlich überrascht war. Die Brennkammer ist nur halb so groß und schwer wie die Erzeugnisse von Werk
Boklar, trotzdem war die Schubleistung gleich hoch. Wir kamen bei höchstem Förderdruck auf etwas über dreihundert Tonnen.« Dr. Himmert sah den jungen Mann an und meinte zweifelnd: »Ich weiß nicht, Schwiggert – das kommt mir etwas zu rund vor. Mit welchem Brennstoff ließ Tutling das Triebwerk laufen?« »Mit dem üblichen Tecksonit, Chef. Die Strahlgeschwindigkeit lag eine Kleinigkeit über 20 000 Meter-Sekunden. Als Oxydator verwandten wir nach Verfahren Mortheimer konzentrierte Salpetersäure.« Himmert schüttelte den Kopf und schritt dann wortlos zu seinem Wagen hinüber. Schon neben dem Fahrer sitzend, rief er dem Prüfstandingenieur zu: »Ich bin in einer Stunde in 14a, Schwiggert. Bereiten Sie alles für einen einstündigen Probelauf vor. Verwenden Sie den gleichen Treibstoff. Ich bin doch neugierig, wo bei der Neukonstruktion unseres Kollegen Eserte der wunde Punkt zu suchen ist.« Einige der Herren lachten verhalten. Professor Eserte war für derartige Schnitzer bekannt. Immerhin war Himmert dem alten Herrn deswegen nicht böse, da der nach bestem Wissen und Gewissen handelte. Himmert hob grüßend die Hand. Der schwere Wagen fuhr an und war gleich darauf mit singender Gasturbine in der tiefen Dunkelheit verschwunden. Ingenieur Schwiggert stand noch eine Weile vor den großen Glastüren, um frische Luft zu schöpfen. Gerade wollte der junge Mann zu seinem Fahrzeug hinübergehen, als auf der südlichen Zufahrtstraße ein kleiner Sportwagen herangeschossen kam. Der Fahrer schien nicht recht bei
Sinnen zu sein. Anscheinend holte er die letzten Kraftreserven aus der Maschine heraus. Plötzlich kreischten die Reifen auf dem Beton der Straße. Fluchend sprang Schwiggert einige Schritte zurück, um von dem schlingernden Fahrzeug nicht erfaßt zu werden. »He, sind Sie wahnsinnig geworden?« brüllte der Ingenieur erbost den Fahrer an. »Was fällt Ihnen ein, nachts mit solchem Tempo in der Gegend herumzurasen? Ich werde dafür…« Schwiggert verstummte plötzlich. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die junge Dame, die überstürzt den Wagen verließ und auf ihn zu rannte. Schwiggerts Empörung machte augenblicklich einer friedlicheren Stimmung Platz, verlegen fuhr er sich mit der Rechten an das unrasierte Kinn, das deutlich verriet, daß der junge Ingenieur schon seit zwei Tagen nicht mehr aus den Prüfstandhallen herausgekommen war. Obgleich er das als Entschuldigung ansah, ärgerte er sich nun doch über sein Aussehen, denn unter den vielen alten und jungen Männern auf den Gila-Rocket-Fields gab es nur ganz wenige, die sich nicht verzweifelt bemühten, der schönsten Frau auf den Feldern angenehm aufzufallen. Schwiggert machte dabei keine Ausnahme. Auch er hatte sein Herz an die einzigartige Frau verloren, die jetzt sichtlich erregt vor ihm stand. Fatma Mukek, die junge Ägypterin mit der sanftbraunen Haut und dem herrlichen, blauschwarz schimmernden Haar, das langwellig bis auf ihre Schultern niederfiel, atmete keuchend. Ihre großen, nachtdunklen Augen, die selbst von neidischen Kolleginnen als einmalig schön bezeichnet wurden, waren nun angstvoll aufgerissen. Schwiggert sah deutlich, daß ihre Lippen bebten; ununterbrochen zitterte ihr hochgewachsener Körper, der selbst in der unkleidsamen Kunststoffkombi-
nation voll zur Geltung kam. Schwiggert bemerkte das alles mit einem einzigen Blick. Die junge Astronomin war offensichtlich am Rande ihrer Beherrschung; doch ihm schien, als läge über ihren Zügen eher ein Ausdruck von unsagbarer Furcht als Empörung oder ehrlicher Zorn. Rasch trat er einen Schritt vor und ergriff die schlanken, bebenden Hände der 27jährigen Frau. Sie achtete nicht darauf und überfiel ihn mit den hastigen Fragen. »Mister Schwiggert, ich bitte Sie um alles in der Welt, wo – wo ist der Chef? Ich meine, haben Sie Dr. Himmert gesehen?« Der junge Ingenieur gab sofort ihre Hände frei und blickte forschend in ihr von größter Unruhe gezeichnetes Gesicht. »So sprechen Sie doch!« schrie sie ihn an und umklammerte mit beiden Händen seinen Arm. »Reden Sie! Wo ist Dr. Himmert? Man sagte mir, er wäre in der Konstruktionszentrale. Wo ist er?« Schwiggert war sprachlos. Was hatte die sonst so beherrschte Frau so verändert? Warum suchte sie so dringend nach dem Chef der Gila-Fields? »Er war vor wenigen Augenblicken noch hier, Doktor Mukek«, entgegnete er kühl und reserviert. Er fühlte, daß diese einzigartige Frau niemals seine Gefühle erwidern würde. »Ist er – ist er zum Startplatz der Mondrakete gefahren, die heute nacht abfliegen soll? Ist das Schiff etwa schon gestartet? Sagen Sie es mir!« rief sie noch lauter und heftiger. Blitzschnell sprang sie nach vorn und umklammerte mit beiden Händen seine Arme. Mit unglaublicher Kraft schüttelte sie den Mann hin und her. Ihr sonst so schönes Gesicht war verzerrt, und ihre Augen schienen in wahnsinnigem Feuer zu glühen.
»Sie sollen mir sagen, wo der Chef ist!« Vergeblich versuchte er, sich aus ihrem harten Griff zu befreien, ohne dabei roh zu werden. »Zum Teufel, lassen Sie mich doch los! Himmert ist vor knapp einer Minute abgefahren. Er will zum Startfeld hinter dem neuen Radarturm und benutzte Straße N 3. Die Rakete soll in fünfzehn Minuten starten. Aber bis dahin kann er nicht dort sein, er ist ja eben erst losgefahren. Feld 5 ist immerhin 50 Kilometer von hier entfernt und liegt mitten in der Wüste. Sie holen ihn vielleicht mit Ihrem schnellen Sportwagen noch ein. Die Hauptstraße beginnt gleich dort vorn, fahren Sie immer geradeaus.« Aus Fatmas Mund kam ein leiser Laut, der wie das Röcheln eines Tieres klang. »Ich danke Ihnen, verzeihen Sie mein Betragen«, sagte sie rauh und rannte dann wie gehetzt zu ihrem Wagen. Mit halsbrecherischem Tempo wendete Fatma an der nächsten Querstraße und strebte dann der Autobahn N 3 zu, die das ganze nördliche Wüstengebiet zwischen Gila-Revier und Williams durchschnitt und alle Startfelder für die großen Mondraketen an den Rändern berührte. Schemenhaft raste der niedere Wagen an dem jungen Ingenieur vorüber. Geblendet von dem grellen Licht der starken Scheinwerfer, schloß er die Augen. Gleich darauf war der Sportwagen in der tiefen Dunkelheit verschwunden. »Verflucht!« sagte da eine heiser und erregt klingende Männerstimme hinter Schwiggert. Als dieser überrascht herumfuhr, erkannte er Dr. Puris, den Leiter einer der zahlreichen Konstruktionsabteilungen. Sein langer, schmalhüftiger Körper schien verkrampft zu sein. Mit verschleiertem Blick starrte er dem Wagen nach.
Schwiggert verzog spöttisch den Mund und sah den Physiker von der Seite an. Es war ihm bekannt, daß Dr. Puris der Mann war, der Fatma Mukek beharrlich verfolgte. Jeder auf den Gila-Fields wußte, daß ihm die schöne Astronomin erst kürzlich eine Whiskyflasche an den Kopf geworfen hatte, als er während einer Abendgesellschaft gewaltsam versuchte, sie auf der Terrasse zu küssen. Obgleich er eine Gehirnerschütterung und einen scharfen Verweis davongetragen hatte, verfolgte er sie von da an noch aufdringlicher und rücksichtsloser. Jetzt war er von den lautschallenden Stimmen anscheinend aus dem großen Hochhaus gelockt worden. Schwiggert schmunzelte versteckt. »Ah, sieh einer an, Doktor Puris! Haben Sie Fatma noch gesehen?« Zitternd vor Wut flüsterte Puris: »Sie ist hinter dem Chef her, was? Hat wohl Angst, er würde ohne sie zum Mond fliegen. Sie ist genauso ein Liebchen wie…« In dem Augenblick verlor Schwiggert die Beherrschung. Wenn Puris nur ihn, Schwiggert, beleidigt hätte, würde er kein Wort darüber verlören haben. So aber griff der Bursche Dr. Himmert an und die Frau, die alle verehrten. Puris heulte auf, als der Ingenieur mit einem Tigersatz auf ihn zu sprang. Schon umklammerte er den dürren Hals des Physikers, der augenblicklich verstummte und mit hervorquellenden Augen, in denen die Todesangst deutlich geschrieben stand, in das wutverzerrte Gesicht des Angreifers starrte. Schwiggert war äußerst erregt, vor seinen Augen wallten rote Nebel. Erst als der Körper des Gewürgten unter seinem Griff
krampfhaft zu zucken und zu baumeln begann, kam er wieder zu sich und bemerkte, was er tat. Endlich lockerte er die umklammernde Hand, da Puris’ Antlitz schon blau angelaufen war. Stoßweise keuchend begann der Physiker wieder zu atmen, instinktiv fuhren seine Hände an den schmerzenden Hals. Puris war in die Knie gesunken. Doch überraschend schnell hatte er sich wieder erholt. Er schien zäher zu sein, als Schwiggert gedacht hatte. Schwiggert atmete unmerklich auf, als Puris wieder hochkam. Mit haßerfüllten Augen starrte er auf den Ingenieur, der mit maskenstarrem Gesicht und geballten Fäusten vor ihm stand. Niemand schien die Geschehnisse bemerkt zu haben, da sie sich direkt neben der Hauptstraße befanden. Plötzlich bemerkte Schwiggert, daß der Physiker ganz langsam nach der Gesäßtasche griff und dabei keuchend hervorstieß: »Das werden Sie bereuen!« Im selben Augenblick zog Puris die Pistole aus der Tasche. Unterdrückt aufschreiend warf nun Schwiggert sich wieder nach vorn und schlug Puris seine Faust so wuchtig unter das Kinn, daß dessen Kopf in den Nacken flog. Meterweit zurücktaumelnd, stürzte er dann über einen Metallträger, wo er verkrampft und regungslos liegenblieb. Laut und heftig atmend stand der junge Ingenieur vor dem Besinnungslosen und fuhr sich fahrig über die schweißbedeckte Stirn. Puris mußte sich während des Falles verletzt haben, denn er blutete aus einer Stirnwunde. Um ihn herrschte Stille. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Als Schwiggert sich zu seinem unweit stehenden Wagen wenden wollte, fiel sein Blick auf die Pistole. Er besann sich einen Augenblick und erfaßte die Waffe vor-
sichtig mit einem Taschentuch. Nervös vor sich hin pfeifend, stieg er in das Fahrzeug. Als er in die Hauptstraße einbog, huschten die Lichtkegel der Scheinwerfer über die verkrümmte, regungslose Gestalt des Physikers, der noch immer nicht zu sich gekommen war. Schwiggert konnte nicht ahnen, daß man ihn erst am nächsten Morgen finden würde. Minuten später jagte Schwiggert über die breite Straße dem 50 Kilometer entfernten Raketenstartfeld zu, wo er Dr. Himmert noch zu finden hoffte. Dabei dachte er besorgt an die schöne Astronomin. Was wollte Fatma Mukek so dringend von Himmert? 6. Kapitel Mit brennenden Augen starrte Fatma in die dunkle Nacht. Dort vor ihr mußten nun bald die Schlußlichter des anderen Wagens auftauchen. Fatma war sich sicher, daß Himmerts Fahrzeug nicht die Geschwindigkeit ihres Sportwagens erreichte, da er wahrscheinlich wie üblich seinen geländegängigen Armeewagen benutzte. Noch tiefer drückte sie das Gaspedal durch. Hoch und schrill sang die dreihundertpferdige Gasturbine im Heck des Wagens und riß ihn mit fast 280 Kilometer über das breite Betonband, das infolge der überhöhten Fahrt für ihre Augen immer schmaler zu werden schien. Die junge Ägypterin wußte, daß ihre Sehkraft bald versagen mußte. Schon jetzt konnte sie kaum noch den weißen Streifen zwischen den beiden Bahnen der Nordstrecke erkennen. Doch da! Ihrem Mund entfloh ein Laut der Erlösung. Unvermittelt waren hinter der langen Kurve die Schlußlichter eines großen Fahrzeuges aufgetaucht. Das konnte nur Dr. Himmert
sein – er mußte es sein! Obgleich auch der andere Wagen mit großer Geschwindigkeit über die Autobahn schoß, holte Fatma auf. Kurz hinter Himmert mäßigte sie langsam ihr Tempo, gleichzeitig schien die Bahn wieder breiter zu werden. Verzweifelt drückte sie auf das Dreitonhorn und fuhr so dicht wie möglich an den Militärwagen heran. Langsam schob sie ihren niederen Sportflitzer auf die gleiche Höhe, dabei heulte unablässig die Hupe. Als beide Fahrzeuge endlich standen, erkannte Fatma, daß sie es im letzten Augenblick geschafft hatte. Nur noch hundert Meter, dann begann die Zufuhrstraße zum Raketenflugfeld 5. Dort hinten, wo die mächtige Mondrakete auf ihrer fahrbaren Startplattform stehen mußte, gleißten unzählige Lichtpünktchen. Deutlich konnte sie einen schlanken, silbern blitzenden Körper erkennen, der, angestrahlt von vielen Scheinwerfern in den nachtdunklen Himmel ragte. Fatma vermochte sich nun nicht mehr zu beherrschen. Die Aufregungen in den letzten Stunden waren selbst für ihre gewiß nicht schwachen Nerven zuviel gewesen. Haltlos schluchzend saß Fatma zusammengekrümmt in ihrem offenen zweisitzigen Sportwagen und preßte die feinnervigen, schlanken Hände vor das tränenüberströmte Gesicht. Sie merkte nicht, daß Dr. Himmert seinem verwunderten Fahrer einen Wink gab und leise zu ihm sagte: »Fragen Sie nicht, mein Lieber. Bleiben Sie hier im Wagen, warten Sie auf mich.« Der Mann fuhr sich mit beiden Händen in die Haare und stöhnte. »Aber Chef – RAK 62 soll in zwei Minuten starten. Sie wissen doch, wie wichtig es ist, daß die Rakete so schnell wie möglich zum Mond kommt. Ingenieur Hauer muß unbedingt noch mit
Ihnen sprechen, ehe er abfliegt.« Himmerts breites, etwas zu kantig und hart geformtes Kinn schob sich kaum merklich nach vorn. Der junge Fahrer zog unwillkürlich den Kopf ein und wurde sehr verlegen. Leise murmelte er: »Verzeihen Sie, Chef, ich meinte es nicht böse. Aber…« »Rufen Sie Professor Mitchel in der Radar-Fernsteuerzentrale an und beauftragen Sie ihn in meinem Namen, den Start aufzuschieben. Klar?« Indessen Himmert ausstieg und seine hohe, muskulöse Gestalt im Scheinwerferlicht auftauchte, griff der Fahrer nach dem kleinen Funk-Sprechgerät und rief die Radarzentrale MN 5 an. Fatma schreckte heftig zusammen, als sich plötzlich ein fester, muskulöser Arm um ihre Schultern legte. Sanft drückte Dr. Himmert die schöne Frau an sich und griff mit der Rechten unter ihr gesenktes Kinn. Was mochte die kluge und sonst immer beherrschte Frau so aus der Fassung gebracht haben? Himmert wußte, daß die junge Ägypterin den blonden Raketeningenieur Manfred Hauer liebte und daß die beiden jungen Menschen schon seit einem Jahr verlobt waren. Aus politischen Gründen hatte es der Geheimdienstleiter der USA nicht für ratsam gehalten, die Verlobung öffentlich bekanntzugeben, da Fatma und Hauer jene Menschen waren, durch deren Eingreifen die Erde gerettet worden war. Nur wenige Personen auf der Erde wußten genau, welches Drama sich vor knapp einem Jahr über der Rückseite des Mondes abgespielt hatte. Da man die erdabgewandte Mondhälfte von den irdischen Observatorien niemals sieht, konnte auf der Erde auch niemand die gigantische Super-Wasserstoff-Explosion beobach-
ten, mit der Himmert die erste Welle der angreifenden VenusRaumschiffe vernichtete. Dann meldeten die Radar-Raumüberwachungsstationen auch schon erneute Anflüge. Himmert erkannte, daß sich diesmal mehr als zehn Raumschiffe näherten. Er hatte fest mit dem unausbleiblichen Ende gerechnet, als plötzlich nochmals drei Venusschiffe gemeldet wurden, die sich aber von der Erde her näherten. Zu seiner unsäglichen Überraschung wurde er gleich darauf von einer der drei gelbschimmernden Riesenkugeln angerufen, und ein englischsprechender Mensch meldete sich. Er erklärte, als amerikanischer Agent in der AVU gearbeitet zu haben. Er wäre entdeckt worden und hätte fliehen müssen. Dabei wäre es ihm unter seltsamen Umständen gelungen, ein intelligentes Wesen der Venus vor dem Tode zu retten. Als Manfred Hauer und Fatma Mukek dann aus dem Innern des geheimnisvollen, einzigartig konstruierten Raumschiffes ausstiegen, waren Himmert und seine Mitarbeiter zutiefst erschüttert. »Jetzt erzählen Sie mir, was mit Ihnen eigentlich los ist.« Da zuckte ein flüchtiges Lächeln um ihre sanft geschwungenen Lippen. Himmert konnte förmlich spüren, wie die junge Frau ruhiger wurde. »Ich spürte es schon vor Tagen, als mir Manfred sagte, Sie schickten ihn zum Mond. Ich fühlte es – aber ich wagte nicht, es ihm mitzuteilen, weil er mich verlacht hätte. Ihr Europäer könnt das nicht verstehen. Ihr wißt nichts von den Gaben, die viele Araber und Inder besitzen. Ich weiß, daß ihr darüber lacht und nicht daran glaubt. Aber es ist wahr, ich besitze die Gabe, Dinge der Zukunft vorherzusagen.« Dr. Himmert sah erschüttert auf die junge Frau, deren Augen in einem überirdischen Glanz strahlten. Er dachte nicht daran,
über ihre Äußerungen zu lachen. Zwar waren von zehntausend sogenannter Hellseher meistens ebenso viele ausgesprochene Schwindler, aber die moderne Wissenschaft hatte schon seit Jahren endgültig bestätigt, daß es Menschen gibt, die durch eine seltsame und noch nicht ganz geklärte Naturgabe fähig sind, bestimmte Dinge vorauszuahnen. Sollte Fatma wirklich zu jenen so seltenen Menschen gehören, die, ohne in Hypnose versetzt zu werden, dazu fähig waren? »Sprich, Fatma, sprich«, sagte da Himmert ruhig und eindringlich. »Ich lache nicht über dich, bestimmt nicht.« »Vor einer Stunde stand ich auf der Terrasse und rief nach ihm mit der Stimme meines Herzens. Da sah ich über mir am Himmel die Rakete – die Mondrakete! Sie stieg immer höher, lange Flammen kamen aus ihrem Heck. Doch dann gewahrte ich plötzlich Manfred. Er lag auf einem Streckpolster, und sein Körper war von flüssigem Feuer umhüllt. Er rief nach mir. Ich sah die Rakete brennend abstürzen, und dann explodierte sie, wie eine Atombombe explodiert.« Erschüttert starrte Dr. Himmert auf die zerzausten Haare der Ägypterin. Fatma sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blick an. Sie wußte, daß nun die Entscheidung kommen würde. Himmert räusperte sich heftig und sagte: »Also gut. Meinetwegen soll er morgen mit RAK 49 fliegen. Ich werde ihn zurückhalten. Einverstanden?« Fatma preßte beide Hände auf das klopfende Herz und kämpfte mit einer plötzlich aufkommenden Schwäche. Und ehe Himmert sie abwehren konnte, umschlangen ihn zwei feste Arme. Brennend heiße, bebende Lippen preßten sich auf seinen Mund.
Die heißblütige Orientalin wußte nicht, wie gefährlich sie dem jungen Chefingenieur durch ihre in überströmender Freude gegebenen Dankbarkeitsbeweise wurde. Himmert schob Fatma von sich und drückte sie in die Polster hinter dem Steuer. Erstaunt sah sie ihn an, und völlig verstört meinte sie: »Habe ich dich beleidigt in meiner Freude? Oh, verzeih, wenn es so ist! Ich weiß, die Frauen deines Landes verhalten sich anders als wir.« »Heiliges Donnerwetter!« stöhnte darauf Himmert wie erschlagen und griff sich an die Stirn. »Nein, bei allen Raumgeistern, du hast mich nicht beleidigt. Du hast mich nur beinahe um den Verstand gebracht! Meinst du etwa, ein Raketeningenieur könnte immer ein väterlicher Freund und ein gefühlloser Holzklotz sein? Fahr zu deinem Manfred, aber schnell, sehr schnell!« Als er zu seinem eigenen Fahrzeug eilte, verwandelte sich Fatma aus dem instinktiv handelnden Naturkind wieder in die kluge, akademisch gebildete Dame zurück. Jetzt erst, als sie wieder klar denken konnte, erkannte sie, was sie getan hatte. Dennoch lachte sie und rief Dr. Himmert mit froher Stimme nach: »Ich danke Ihnen, Doktor!« Dann ließ sie die Maschine ihres Sportwagens aufheulen. Mit einem Satz sprang Himmert in seinen Wagen und bedeutete dem Fahrer, der Ägypterin zu folgen. Prof. Mitchel erwartete ihn wütend. »Sehr schön, Herr Kollege, daß Sie auch noch kommen! RAK 62 sollte vor genau 21 Minuten starten. Die vollautomatischen Steuergeräte müssen nun natürlich neu eingestellt werden. Darf ich erfahren, zu welchem Zeitpunkt die Rakete nun abhe-
ben darf, damit ich die neuen Daten an meine Elektronen-Rechenmaschinen weitergeben kann? Der Mond bleibt nicht 21 Minuten lang auf der gleichen Stelle seiner Kreisbahn stehen, nur weil die Steuergeräte des Schiffes auf diesen Treffpunkt eingestellt sind.« Himmert musterte den kleinen, hageren Mann mit den faltigen Zügen und dem schütteren Haupthaar von oben bis unten und meinte gedehnt: »Mein Gott, Professor, es wird wirklich Zeit, daß man uns endlich Leute schickt, die nur halb so pedantisch sind wie Sie. Dann kann niemals mehr etwas schiefgehen.« Die umstehenden Ingenieure und Facharbeiter unterdrückten eine Lachsalve. Prof. Mitchel, der Mann, der sich selbst für einen gottbegnadeten Wissenschaftler hielt, wurde unter dem beißenden Hohn leichenblaß. Sich wortlos umdrehend, rannte er mit kurzen, schnellen Schritten davon und verschwand in dem gewaltigen, tief in die Erde eingebauten Betonbunker, den die in der Nähe des Startplatzes anwesenden Personen beim Abflug einer Großrakete aufzusuchen hatten. Lachend blickte Dr. Himmert dem Professor nach und gab dann seine letzten Anweisungen. Die beiden Piloten der Rakete erhielten nochmals besondere Verhaltungsmaßregeln, da RAK 62 geheime Transportgüter an Bord hatte. Niemand auf dem hellbeleuchteten Raketenstartplatz bemerkte das höhnische Lächeln eines jungen Unteringenieurs, als die Piloten zusammen mit fünf anderen Männern das steil in den Himmel aufragende Leitergerüst betraten, das auf einem wuchtigen Spezialfahrzeug montiert war. Die Riesenrakete ragte senkrecht in den Himmel. Auf der knapp zwanzig Meter hohen, plumpen Stufe von kegelförmi-
ger Gestalt ruhte die eigentliche, sechzig Meter lange Mondrakete. Es war wenige Minuten nach 2 Uhr, als die Warnsirenen auf dem flachen Dach des unterirdischen Bunkers aufheulten. Soeben kam der kleine Aufzugkorb wieder die steil in den Himmel ragende Spezialleiter herabgerasselt. Mit ihm waren die beiden Piloten und die fünf anderen Männer zu der Steuerbordluke des Raumschiffes emporgebracht worden. Infolge der senkrechten Stellung lagen die Kabinen mit der Zentrale und den Außenbordluken etwa achtzig Meter über dem Erdboden. Dumpf brummend bewegte sich das schwere Trägerfahrzeug auf den stählernen Schienen voran. Gleichzeitig schob sich die mächtige Leiter zusammen. Hastig schritten die Beobachter auf die stählernen Bunkerpforten zu; nach wenigen Augenblicken stand die Riesenrakete einsam und verlassen da. Dr. Himmert stand an der steil nach unten führenden Bunkertreppe und ließ die anderen Beobachter passieren. Fatma kam zuletzt angeschlendert. Zögernd blieb sie dicht vor ihm stehen. Indem sie mit dem Kopf zu der knapp zweihundert Meter entfernten Rakete hinüberwies, fragte sie unruhig: »Wollen Sie das Schiff nicht doch zurückhalten, Doktor? Denken Sie an meine Warnung!« Himmert preßte die Lippen fest zusammen und entgegnete hart: »Unmöglich! Die Rakete muß heute nacht noch starten. Sie wird auf dem Mond dringend erwartet. Ich habe an sich schon zu viel getan.« Die Ägypterin stieg wortlos die Treppe hinab, wo sie von ei-
nem hochgewachsenen, blondhaarigen Mann mit beiden Armen empfangen wurde. Manfred Hauer sah wirklich gut aus. Sein gebräuntes Antlitz war gleichmäßig geformt, ein geschulter Beobachter konnte in ihm lesen, daß der etwa dreißigjährige Mann großen persönlichen Mut, ja einen starken Schuß Verwegenheit besaß. Lachend verschwand er mit der Orientalin in dem Bunker, indessen Himmert persönlich die schweren Panzertüren schloß. In zwei Minuten würde RAK 62 starten. 7. Kapitel Etwa fünfzehn Kilometer südöstlich der Mondraketenbasis MN 5 lagen die weiten Sandmassen und Geröllebenen der wasserlosen Gila-Wüste noch genauso unberührt wie vor einigen hundert Jahren. In diese Gegend war der moderne Mensch mit seiner Technik nicht vorgedrungen, da sie hügelig, unübersichtlich und größtenteils von Geröllmassen und größeren Felstrümmern übersät war. Doch schon zwölf Kilometer südlich, nahe des Gila-Rivers und der Süd-Grenze des gewaltigen Versuchsgeländes, hatte die Natur der Technik weichen müssen. Dort waren die wahrhaft gigantischen Werke errichtet worden, in denen ausschließlich Raketen hergestellt wurden. Angefangen von der kleinen Kampfrakete bis zum gewaltigen Riesenraumschiff, alles wurde in den neuen Industrien erzeugt. Das öde Wüstengebiet südöstlich des Startfeldes MN 5 schien vollkommen einsam und verlassen zu sein. Nirgends war ein Lebewesen in der trostlosen Weite zu bemerken. Nur unterhalb einer kleinen geröllbedeckten Bodenerhöhung schien seltsames Leben zu herrschen.
Plötzlich bewegte sich am Fuß der Sand- und Steinhalde ein großer Felsblock um seine Achse und gab eine kreisrunde, etwa meterweite Bodenöffnung frei. Undeutlicher, stark gedämpfter Lichtschein drang in die dunkle Nacht hinaus. Sofort zischte auch eine Stimme in unterdrückter Erregung auf: »Verdammt, willst du das Feuerzeug ausmachen, du Narr! Möchtest uns wohl die Greifer auf den Hals hetzen, was?« Der Lichtschein erlosch, und wieder lag tiefe Finsternis über dem Loch in der Erde. Die Stimmen verstummten, im nächsten Augenblick schoben sich Kopf und Oberkörper eines hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes ins Freie. Er trug eine enganliegende, schwarzschimmernde Kunststoffkombination, die den Schutzanzügen der Raketenmonteure sehr ähnelte. Man mußte schon genau hinsehen, wenn man einen Unterschied feststellen wollte. Der Mann konnte noch nicht alt sein, seine Bewegungen waren kraftvoll und geschmeidig. »Na und, was gibt es, Boß?« klang es gedämpft von unten herauf. »Kannst du noch nichts sehen?« Der Mann winkte ärgerlich ab und sah sich vorsichtig mit zusammengekniffenen Augen um. Doch die Gegend war nicht glatt und eben. Immer wieder unterbrachen leichte Erhebungen das Blickfeld. Er fluchte leise und erbittert. Da schien der Chef einen schönen Blödsinn eingebrockt zu haben. Heute nacht schien wirklich alles schiefzugehen! Erst rammte der Steuermann eine vorspringende Felsklippe, so daß sie beinahe mit dem kleinen Spezial-Unterseeboot in dem reißenden unterirdischen Strom abgesoffen wären.
Es war überhaupt erstaunlich, wie es der Bursche fertigbrachte, das Fahrzeug sicher bis zu diesem Ort zu bringen. Der unterirdische Fluß war teilweise noch keine zwanzig Meter breit. An diesen Stellen senkte sich die Höhlendecke des Bettes, und die Wasser stauten sich zu reißenden Strudeln. Mit größter Wucht zwängten sie sich durch die Verengungen und füllten den tiefdunklen Tunnel dabei völlig aus. Es gab auf der zwanzig Kilometer langen Strecke drei solcher Stellen. Sonst floß der von den fernen Bergen im Osten kommende Strom ruhig dahin, und man hätte ihn bequem mit einem normalen Boot befahren können, da die Decke des Tunnels oft mehr als zehn Meter über dem Wasserspiegel lag. Unbemerkt waren die zwanzig skrupellosen und verwegenen Gangster auf dem Wege in die streng abgesperrten GilaFields gekommen. Unangefochten waren sie mit ihrem Boot unter den südlichen Grenzen hindurchgeglitten. Die zahlreichen Wachen mehr als vierzig Meter über ihnen ahnten nicht, was sich auf dem für sie unbekannten Wasserlauf unter der trostlosen Wüste abspielte. Natürlich war Oberst Ridge, der Sicherheitschef der GilaRocket-Fields, über den unterirdischen Flußlauf orientiert. Davon gab es in der Gegend eine ganze Menge. Meistens kamen sie von dem fernen Felsengebirge her. Doch selbst der stets mißtrauische und immer wachsame Oberst war nicht auf den Gedanken gekommen, daß es Menschen wagen könnten, einen dieser Flüsse zu befahren und als Weg zu benutzen. Es sprach für Norman Beidrops Intelligenz, daß er beizeiten daran dachte und nach den geeigneten Möglichkeiten suchte. Jussuf Hakik, der Geheimdienstchef der AVU, wußte, warum
er den jovial und kleinbürgerlich aussehenden Mann zum Chefagenten für die USA ernannt hatte. Bisher waren Beidrops Unternehmen immer restlos gelungen, obgleich er niemals selbst dabei war, sondern die Ausführung einem der zahlreichen Unterführer überließ. Dafür eignete er sich nicht. Die Pistolen sollten andere Leute abschießen. Er war nur das Gehirn der weitverzweigten Gangster- und Spionage-Organisation, mit der er versuchte, die Geheimnisse der USA zu erbeuten. Der muskulöse Mann in dem runden, sauber ausbetonierten Schacht wurde langsam unruhig. Immer wieder flogen seine Blicke nach dem Leuchtzifferblatt der Armbanduhr. Es war eine Minute nach zwei, also schon viel zu spät. Was hatte das zu bedeuten? Aufmerksam sah er sich nochmals um, wozu er sich eine schwere Brille mit dickem Gummirand über die Augen gezogen hatte. Gleichzeitig leuchtete er mit einem sehr starken Handscheinwerfer die ganze Umgebung ab. Die von dem Scheinwerfer ausgestrahlten Lichtbündel waren mit dem bloßen Auge nicht zu sehen. Nur durch die Spezialbrille konnte er sie erkennen, wodurch er die angestrahlten Flächen genauso wahrnahm, wie das unbedeckte Auge normales Scheinwerferlicht sah. Nichts – nichts zu sehen! Wo blieb der versprochene Wagen? Ray Luger fluchte wütend und kroch wieder zu der Öffnung zurück. »Klappe halten!« zischte er wütend seine zwanzig Männer an, die ihn mit erregten Fragen überfielen. Erst nachdem er den geschickt getarnten Stahldeckel vorgezogen hatte, drückte er auf den Lichtschalter unter dem Rand. Sofort flammten einige kurze Leuchtröhren auf.
Es zeigte sich, daß der Schacht kerzengerade abwärts stieß und erst zwanzig Meter tiefer die Decke des unterirdischen Flußbettes durchbrach. Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen, den Durchbruch unbemerkt auszuführen. Mehr als drei Monate hatten fünfzig Männer mit modernsten Geräten daran gearbeitet, ehe Luger dem Chefagenten UM-1 den Befehl als ausgeführt melden konnte. Der Schacht war sorgfältig ausbetoniert und mit einer bequemen Steigleiter versehen worden, die man direkt vom Turm des kleinen U-Bootes aus fassen konnte. Etwa fünf Meter unter der Oberfläche hatte Luger noch einen großen Raum aushauen lassen, wo sich die zwanzig Männer nun bequem aufhalten konnten. Es war an alles gedacht worden. Sogar eine kleine Kraftanlage hatte Ray Luger anbringen lassen, um nicht auf Lampenlicht angewiesen zu sein. Schon oftmals hatte er von dort aus mit einem Trupp verwegener Burschen ein Unternehmen gestartet, für das der Abwehrdienst der Werke später keine Erklärung fand. Die Gangster waren wie vom Erdboden verschwunden, selbst sorgfältigste Nachforschungen brachten keine Ergebnisse. Niemand kam auf den Gedanken, daß die Spione und Saboteure höhnisch lachend nur wenige Meter unter dem Sand und Steingeröll der Wüste saßen und sich in aller Seelenruhe von den Anstrengungen erholten. So war es auch jetzt wieder! Nur waren die Gesichter der Gangster diesmal ernst. Düster blickten sie auf ihren Boß. Dieser kannte als einziger unter ihnen den Auftraggeber für all die gewagten Unternehmen. Nun, ihnen war das vollkommen gleichgültig, solange sie
prompt die ausgemachten Belohnungen erhielten, die wirklich nicht klein waren. »Diese dreimal verdammten Narren!« fluchte Luger erbittert. »Wenn wenigstens einer von ihnen herkäme und uns über die Lage informierte! Da ist doch irgend etwas schiefgegangen! Die Rakete hätte genau ein Uhr dreißig von Basis 5 starten müssen. Jetzt haben wir zwei Uhr dreizehn. Wenn die verschlafenen Trottel da oben ihre Sache nicht richtig gemacht haben, dann werden sie sich noch wundern!« Die zwanzig Kerle nickten beifällig, und einer meinte: »Richtig, Boß, das finde ich auch! ’ne Nachricht müßten sie uns geben, das ist klar! Die wissen doch, daß wir hier unten auf das Zeichen warten. Was machen wir, wenn die Mondrakete überhaupt nicht startet?« »Warum soll sie nicht?« warf ein schmächtiger Bursche mit hoher Stimme ein. »Die müssen ihren Flugplan genau einhalten, sonst gibt es Bruch. Vielleicht ist an dem Kahn was nicht in Ordnung! Die wird schon noch abzwitschern und uns den Weg freimachen.« Grinsend sah er sich im Kreise um. »Wenn sie nun aber doch nicht startet«, entgegnete der erste Sprecher beharrlich, »was machen wir dann? Wollen wir nicht auf jeden Fall die Sache landen? Beim Satan, die zehntausend Grünen kämen mir gerade recht!« »Das kann ich mir denken«, sagte Luger spöttisch und musterte den jungen Mann mit den gepflegten Haaren und Händen. »Ich lasse mich aber auf ein solches Risiko nicht ein! Es könnten leicht Dinge eintreten, mit denen wir nicht rechneten und die uns dann den ganzen Plan umwerfen. Nein, entweder die Rakete entlastet uns, wie vorgesehen – oder wir blasen die Sache ab.« »Wird dem Chef aber nicht recht sein, Boß«, antwortete ein korpulenter Mann mit treu blickenden Blauaugen. »Wir muß-
ten nun schon dreimal die Flinte ins Korn werfen, und ich habe das Gefühl, als wäre er vorgestern verdammt aufgeregt gewesen. Die Pläne von dem neuen Strahlschutzmetall sind wohl für ihn sehr wichtig, sonst hätte er uns auch nicht die hohe Sonderbelohnung von Zehntausend zugesagt, wenn wir es heute nacht schaffen.« Ray Luger biß sich auf die Lippen und ballte die Fäuste. Er wußte, daß Tommy unbedingt recht hatte. UM-1 war sehr ungehalten gewesen. Anscheinend hatte er selbst einen bösen Anpfiff bekommen. »Egal«, entschied Luger verbissen, »mag er toben, so lange er will! Wenn wir von den Greifern geschnappt werden, bekommt er das Herstellungsverfahren überhaupt nicht.« »Richtig, Boß«, brummte ein dunkelhaariger Riese mit mächtigen Muskelwülsten, »das meine ich auch! Ich war im Panzergewölbe unter dem Hauptverwaltungsgebäude. Ich kann euch nur sagen, Boys, das Ding ist stärker gesichert, als die Tresore der Staatsbank in Washington. Wenn wir nicht vorher die zehn Wachen in den gepanzerten Vorräumen unschädlich machen, kommen wir da niemals ’rein. Nur von der Wachzentrale aus können wir die Alarm- und Sicherheitsanlagen abschalten. Ich habe keine Lust, in dem langen Betongang, der als einziger Zugang zum Panzergewölbe angelegt wurde, von konzentrierten Neutronenstrahlungen verschmort zu werden. Es könnte auch sein, daß wir die Ladung von ’nem Flammenwerfer abkriegen, und die ist rund achttausend Grad heiß. Die Dinger wurden nämlich mit den neuen Raketentreibstoffen gefüllt.« Gerade wollte Luger den entscheidenden Rückzugsbefehl geben, als an einem großen, weißlackierten Kasten eine rote Lampe aufleuchtete. Zugleich huschten Zeiger zitternd über Skalen, und ein leiser Summton wurde vernehmbar.
»Das ist das Zeichen!« brüllte der korpulente Gangster mit dem biederen Gesicht freudig auf. »Das war aber auch Zeit, sage ich! Eben hat die Radarleitstelle von Feld 5 den Zündimpuls gesendet. Jetzt muß es gleich losgehen!« Ray Luger war in der gleichen Sekunde wie umgewandelt. Seine Gestalt straffte sich, und der grübelnde Ausdruck verschwand von seinem kantigen Gesicht. Es war erstaunlich, wie er die zwanzig Kerle in der Gewalt hatte. Wieder einmal bewies es sich, wie wichtig ein genau festgelegter Plan mit allen Einzelheiten für jeden Mann ist. »Vorsicht! Kein Licht machen, wenn der Deckel offen ist!« schrie Luger über die Schulter zurück und stieß dann die schwere Stahlluke auf. Geschickt schwang er sich ins Freie und eilte sofort auf die nächste Anhöhe zu. Einige Sekunden später waren seine Männer ebenfalls da. Sorgfältig sicherten sie nach allen Seiten und leuchteten mit den starken, kilometerweit reichenden Infrarot-Scheinwerfern die Gegend ab. Jeder trug eine Spezialbrille und die Ausrüstungsgegenstände, die ihm für seine Aufgabe zugeteilt worden waren. Schwere Maschinenpistolen mit furchtbaren Kleinstatomgeschossen trugen sie umgehängt. Doch das waren nur die Waffen für einen eventuell notwendigen Rückzug unter Polizeibedrohung. Für die lautlose Arbeit waren andere Geräte vorhanden! Außer Luger trugen noch fünf Burschen die erst seit wenigen Jahren entwickelten Atom-Strahler, die äußerlich einer mittelgroßen Kleinbildkamera mit einem langen Teleobjektiv glichen. In ihnen wurden die radioaktiven Ausstrahlungen eines rasch zerfallenden Transurans gebündelt und mit höchster Konzentration auf das Ziel geworfen. Das zerfallende, nach ei-
nem Spezialverfahren hergestellte Element befand sich in der Kassette der Waffe. Die kleinen Handgeräte verfügten über eine Reichweite von etwa zweitausend Meter, wobei sich, das unsichtbare Strahlenbündel so fortpflanzte wie das Licht eines Scheinwerfers. Noch auf zwei Kilometer Entfernung waren die Strahler von furchtbarer Wirkung. Ein nur sekundenlang angestrahltes Lebewesen war unweigerlich verloren, da die gerichteten, hochintensiven Partikel das Zellgewebe augenblicklich vernichteten. Es gab keine Rettung und keinen Schutz vor diesen Strahlern, es sei denn, ein Mensch hätte sich hinter Bleiwände geflüchtet. Luger verfügte sogar über zwei fahrbare Großstrahler, deren mächtige Bündel noch wirksamer waren. »Achtung, alle herhören!« sagte Ray Luger in das winzige Mikrophon des ei-großen Taschensenders, dessen speziell abgestimmte Ultrakurzwelle in nur wenigen hundert Meter Umkreis aufgenommen werden konnte. Es war kaum möglich, daß sie abgehört wurde, da dazu wieder ein Spezialempfänger erforderlich war. »Die Rakete startet in wenigen Augenblicken. Achtet auf die Umgebung, damit wir nicht entdeckt werden. Vorsicht mit Funkspruch, wenn wir in die Nähe einer Funk- oder Radarstation kommen. Sonst wird nach dem Plan gehandelt. Meine Anweisungen sind genauestens zu beachten, klar? Wenn der Wagen kommt, sofort Meldung an mich. Ende.« Seine Stimme verstummte in den winzigen Lautsprechern der zwanzig Taschengeräte. Mit angespannten Nerven blickten alle nach Norden, wo, nur fünfzehn Kilometer entfernt, das gewaltige Raketenstartfeld 5 lag.
Seit der Meldung waren nur wenige Augenblicke vergangen. Dort hinten mußten die Triebwerke der Schubrakete soeben voll zu arbeiten beginnen. Tatsächlich, unwillkürlich hielten die Burschen den Atem an. Sie wußten, daß es keine machtvolleren Geräusche gab, als das betäubende Donnern und Dröhnen gekoppelter Großbrennkammern. Wenn man in der Nähe des Startplatzes stand, könnte man wohl meinen, dort explodierten sehr schwere Atombomben in ununterbrochener Reihenfolge. Gespannt spähte Luger nach der Stelle am Horizont, wo die Rakete gleich auftauchen mußte. Soeben kamen die ersten Schallwellen an. Sie verstärkten sich ungeheuer schnell, lauter und lauter drang es an die Ohren der Männer. Selbst hier, in der großen Entfernung, war das unheimliche Donnern noch so laut zu hören, daß sie sich nur schreiend verständigen konnten. Es schien, als erzittere die ganze Atmosphäre unter der Wucht der Explosionen. Da – plötzlich rötete sich weit hinten der dunkle Nachthimmel. Greller, in hellsten Farbtönen zuckte es dann auf, und auf einmal schoß ein stecknadelgroßes Gebilde in den Himmel. Nur eine Sekunde lang war das glitzernde Metall des Riesenkörpers im Widerschein der Treibgase zu sehen, ehe das Bild mit der Dunkelheit verschmolz. Doch dafür stand jetzt eine mehr als zwölf Meter starke Säule weißglühender Treibgase am Himmel. Dort, wo sie aus den Düsen der achtundvierzig Großbrennkammern kam, war sie undurchdringlich dicht. Deutlich konnten die Gangster daran erkennen, wie schnell das Schiff in den Himmel stieg. Es mußte schon gut tausend Meter hoch sein; die gewaltige, nach dem Boden hin breiter werdende Säule aus glühenden Gaspartikeln begann ganz unten bereits unter der leichten
Nachtbrise zu zerflattern. Zweitausend Meter Höhe! Wie ein feuerspeiender Gigant raste die Großrakete unter dem Schub der vereinten Triebwerke senkrecht in den Himmel. In den Kabinen lagen die Männer der Besatzung jetzt mühsam atmend auf ihren Strecklagern und sehnten den Augenblick herbei, wo der ungeheure Andruck der überhohen Fahrtbeschleunigung wieder nachließ. Doch vorläufig würde er noch weiter ansteigen, bis auf den achtfachen Wert der Erdbeschleunigung. »Der verfluchte Kerl!« knirschte da Ray Luger wütend und starrte der mit rasender Fahrt dahinschießenden Rakete nach. »Ich habe es geahnt, daß er nicht zuverlässig arbeitet! Das Schiff hätte gar nicht so hoch kommen dürfen. Ich werde ihm…« Da gellten an mehreren Stellen einige Schreie auf. Stöhnend und keuchend vor Erregung starrten die Agenten in den Nachthimmel, wo die startende Mondrakete plötzlich aus ihrer senkrechten Steigbahn zu geraten schien. »Er hat doch gut gearbeitet!« brüllte der dicke Jonny neben Luger triumphierend und lachte gellend. »Jetzt fahren sie zur Hölle, paß auf, Boß! Unser Mann hat dafür gesorgt, daß die Hälfte von allen Triebwerken ausfällt. Die Säure, die er auf die Treibstoffzuleitungen dieser Brennkammern träufelte, scheint sich durchgefressen zu haben. Da, sieh doch, jetzt kriegen die Kammern auf der ganzen rechten Seite keinen Sprit mehr! Sie setzen aus! Nur die linke Seite arbeitet noch – den einseitigen Schub können sie nicht mehr ausgleichen! Seht doch!« Von nun an spielte sich alles so schnell ab, daß die Blicke kaum noch zu folgen vermochten. In der Luft heulte und dröhnte es, daß den Gangstern trotz
der Entfernung die Trommelfelle schmerzten. Die weißglühende Treibgassäule beschrieb plötzlich seltsame Kurven. Der gewaltige Schiffskörper begann nun zu schwanken. Weit schlugen die aerodynamischen Steuerflossen am Heck der Schubstufe aus, da das vollautomatische Stabilisierungsgerät ungeheuer rasch arbeitete, viel schneller, als es ein Mensch gekonnt hätte. Doch gegen die Wucht der einseitig drückenden Triebwerke kämpften die Ruder vergeblich an! Urplötzlich kippte die Rakete nach rechts. Schneller und schneller neigte sich der schlanke Körper des mächtigen Mondschiffes und riß die plumpe Stufe mit herum. Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte es nun in horizontaler Richtung gleich einem Flugzeug weiterfliegen. Doch dann vollendete sich das Drama. In nordöstlicher Richtung schoß der Gigant davon, schrill heulte es in den Lüften, daß die zwanzig Beobachter meinten, die Welt ginge unter. Das Schiff drehte sich um seine Längsachse, taumelte hin und her, überschlug sich zwei-, dreimal unter dem einseitigen Schub und raste dabei donnernd und gellend pfeifend in einem immer steiler werdenden Winkel zur Erde nieder. Fünf Kilometer erst war der Gigant gestiegen, als die Triebwerke und sicher auch einige Hauptleitungen der Fernsteueranlage aussetzten. Ray Luger richtete sich hoch auf, als hinter dem Horizont plötzlich eine mächtige Feuersäule aufzuckte. In Sekundenschnelle verwandelte sich der mehr als tausend Meter emporschießende Strahl in ein breites, ausgedehntes Glutmeer, das den Himmel in grellweiße Lohe hüllte, die kilometerhoch emporschoß. Ein ganz gewaltiger Brandherd mußte sich dort entwickelt
haben, als der Brennstoff mit dem in besonderen Tanks mitgeführten Sauerstoffträger schwallartig ineinanderfloß. Wenig später drang nochmals ein dumpfes, krachendes Donnergrollen bis zu ihnen herüber, und dann wurde es wieder totenstill. Nur von weit her vernahmen sie verworrene Sirenengeräusche und sahen schwach aufblitzende Lichtpünktchen. Auf den Gila-Rocket-Fields mußte nun die Hölle los sein! Ray Luger lachte befriedigt auf und rief seinen Burschen zu: »Die Sache hat vorzüglich geklappt! Der Ingenieur auf Feld 5 scheint sehr brauchbar zu sein. Unsere Zeit ist jetzt gekommen, richtet euch genau nach meinen Anweisungen; in eineinhalb Stunden müssen wir wieder verschwunden sein! Wir können die entstandene Verwirrung ausgezeichnet benutzen, um unbemerkt in die Kellerräume des Hauptverwaltungsgebäudes einzudringen. Dort wird nun alles auf den Beinen sein, und ganz bestimmt stehen die zehn Wächter vor dem Bau, anstatt in dem gepanzerten Wachzimmer.« »Achtung, Boß, sie kommen!« rief da ein Mann von der hohen Schutthalde herunter und deutete nach Süden. Luger nickte zufrieden und meinte: »Okay, Boys, die arbeiten prompt! Wahrscheinlich haben sie auch schon ungeduldig gewartet, denn vor dem Absturz konnten sie ja noch nicht losbrummen, um uns hier abzuholen.« Die Kerle lachten leise und warteten dann ungeduldig auf den geländegängigen Anderthalbtonner, der über die menschenleere Wüste herangebraust kam. Am Steuer saß einer von den elf Agenten, die Beidrop auf den Gila-Fields besaß. Luger und seine Leute stiegen ein. Mit fast lautlos arbeitenden Gasturbinen schoß der Wagen über die Sand- und Geröllmassen der Wüste, und auf den
Gila-Fields wußte kein Mensch, daß sich dem Hauptverwaltungsgebäude am Nordende Gegner näherten, die felsenfest entschlossen waren, ein für die Raumschiffahrt unendlich wertvolles Geheimnis in ihre schmutzigen Hände zu bringen. 8. Kapitel »Jetzt – jetzt geht es los, Liebes!« rief Ingenieur Manfred Hauer begeistert und sah mit glänzenden Augen auf die vier Meter breite Sichtfläche, auf der die Großrakete klar und scharf zu sehen war. Die Radar-Fernbildgeräte und die Ultrakurzwelle hatten sich so entwickelt, wie es bereits 1954 vorausgesagt worden war. »Da – sieh doch nur!« jubelte Hauer wieder und drückte Fatma stürmisch an sich. »Sieh nur, welch ein prachtvoller Anblick das ist! Warum hat mich Himmert nur im letzten Augenblick zurückhalten müssen? Ich könnte jetzt in der Rakete sein.« Hauer verstummte plötzlich und wurde kalkweiß. Wie hypnotisiert sah er auf die mächtige Bildfläche, auf der soeben der Beginn des Dramas zu sehen war. Dr. Himmert fuhr ruckartig herum und erstarrte. Gerade begann der Gigant zu schwanken, unregelmäßig drang das Arbeitsgeräusch der Triebwerke aus den Lautsprechern der Tonanlage. Mit einigen Riesensätzen raste Dr. Himmert zum Sprechgerät und riß einen Schalter durch. Auf einer kleinen Bildfläche tauchte ein Ausschnitt der Fernsteueranlage für Flugfeld 5 auf. Himmert sah die kleine Gestalt Professor Mitchels. Wie von Sinnen sprang er zwischen den zahlreichen Geräten herum und brüllte seine Befehle.
Er hatte die Lage schon erkannt und bemühte sich verzweifelt, die stürzende Rakete mit der Radar-Fernsteuerung abzufangen. Himmert erkannte sofort, daß es dazu zu spät war. Mit voller Lungenkraft schrie er in das Mikrophon: »Professor – Professor Mitchel – hier Himmert! Hören Sie doch! Sie können sie nicht mehr halten! Lösen Sie sofort die Rakete von der Stufe und lassen Sie das Schiff mit eigener Kraft weitersteigen. Los – los! Beeilen Sie sich doch!« Mitchel sah auf der Bildfläche seines modernen Sicht-Sprechgerätes das verzerrte Antlitz des Chefingenieurs. Mochte der Wissenschaftler im Umgang mit Kollegen auch etwas überheblich sein, so war ihm doch nicht abzustreiten, daß er sein Fach beherrschte. Auch verstand er es, im rechten Augenblick richtig zu handeln. Nur einen Moment stutzte er bei Himmerts Anweisung. Dann hastete er mit unglaublicher Schnelligkeit durch den großen Turmraum und stürzte sich förmlich auf einen kleinen, mit Skalen und Kontrollampen versehenen Kasten. Er war durch zwei Leitungen mit dem großen Radar-Fernsteuergerät verbunden und stand auf einem leichten Metallgestell. Prof. Mitchel stöhnte qualvoll auf, seine Blicke schienen sich, förmlich an den Skalen festzusaugen. Er wußte, was das zu bedeuten hatte! Trotzdem riß er den großen, grellrot markierten Schalthebel nach unten. Mit flackernden Augen sah er auf die kleinen Lämpchen, die bei der Betätigung des Notkontaktes sonst blitzartig aufleuchteten. Jetzt glommen nur zwei grüne Leuchtaugen auf, womit bewiesen war, daß der Schaltimpuls von der Richtantenne abgestrahlt worden war. Längst mußte er von dem Radar-Piloten in der Steuerzentrale der Mondrakete empfangen und weiterge-
leitet worden sein. Aber der Impuls war nicht weitergeleitet worden, und Prof. Mitchel wußte in dem Augenblick, daß die Großrakete nicht mehr zu retten war. Sieben Menschen waren mit RAK 62 gestartet, und beinahe wäre Manfred Hauer auch an Bord gewesen. Todbleich und am ganzen Körper zitternd starrte der junge Ingenieur auf die große Sichtfläche. Er konnte noch immer nicht fassen, was eigentlich geschehen war. Fatma, die Frau, der er nun schon zum zweiten Male sein Leben zu danken hatte, stand schweigend vor ihm und hielt seine Hände. Sie hatte sich wieder vollkommen in der Gewalt, und ihre innere Ruhe war zurückgekehrt. Ihre Angst war verschwunden – in dem gleichen Augenblick verschwunden, als dreißig Kilometer entfernt das stolze Schiff mit ungeheurer Wucht auf den Boden schlug. Es war alles so schnell geschehen, daß es die Anwesenden teilweise noch nicht ganz begriffen hatten. Sirenen heulten auf, und die vierblättrigen Luftschrauben einiger Hubschrauber pfiffen heran. Als Oberst Ridge, der Abwehrchef der Gila-Fields, keuchend in den Bunker stürzte, waren noch keine fünf Minuten vergangen. Oberst Ridge war ein großer, drahtiger Mensch mit angegrauten Schläfen und einem faltigen, braungebrannten Gesicht, in dem besonders die hellgrauen, immer forschend blickenden Augen auffielen. Verhalten fluchend hastete er auf den Chefingenieur zu und knirschte: »Schöne Schweinerei, Doc! Sie haben inzwischen auch erkannt, daß ein Sabotageakt vorliegt?« Dr. Himmert nickte kurz und fuhr sich mit der Rechten über
die schweißbedeckte Stirn. Wieder flog sein Blick zu der großen Sichtfläche hinüber, auf der das weitausgedehnte Glutmeer der brennenden Treibstoffmassen zu sehen war. Ridge folgte seinen Augen und meinte hart: »Sinnlos, Doc! Ich weiß, an was Sie denken. Leider müssen wir uns damit abfinden und es als Tatsache hinnehmen, daß von den sieben Männern keiner mehr lebt. Wenn ich diese Schurken erwische, dann…« Der erfahrene Abwehroffizier schwieg und seine hellen Augen loderten in wildem Zorn. Doch rasch unterdrückte er seine Gefühle und wurde wieder knapp und sachlich. »Ich habe bereits veranlaßt, daß der Brandherd von einer doppelten Postenkette abgesperrt wird. Selbstverständlich versuchen wir mit allen Mitteln, uns mit den Schaumlöschgeräten wenigstens einen Weg zur Rakete zu bahnen. Es wird aber keinen Zweck haben, denn die Flüssigkeit bedeckt natürlich seeartig den ganzen Boden. Unglücklicherweise besteht die Gegend an der Absturzstelle aus festem Fels. Wäre das Schiff in die Wüste gestürzt, hätte der Sand die Treibstoffmengen aufgesogen. Wir müssen warten, es bleibt uns gar nichts anderes übrig.« Himmert blickte sich mit stumpfen Augen um und nickte dann schweigend. Still ging er hinaus ins Freie. Doch gerade, als er einen Hubschrauber besteigen wollte, zuckte er zusammen, als hätte ihn die Faust eines Unsichtbaren getroffen. Hart fuhr er Ridge an: »Sind die Absperrmannschaften schon an der Katastrophenstelle?« Ridge sah verwundert auf und antwortete kurz: »Ja, Doc, dürften inzwischen angekommen sein. Ich habe
auch sämtliche Rettungstrupps der Werksfeuerwehr und die Spezialbrigaden auf die Beine gebracht. Meine Beamten werden die vielen Neugierigen kaum zurückdrängen können. Wir müssen verhindern, daß noch andere Unfälle passieren.« Himmert stöhnte dumpf auf, und dann sagte er schneidend: »Ziehen Sie Ihre Leute sofort zurück, Oberst, augenblicklich! Die Absturzstelle muß von jedem Lebewesen geräumt werden, wenn nicht noch viel größeres Unheil eintreten soll. Los – los – veranlassen Sie das!« »Aber warum denn?« fragte Ridge verblüfft. Sein mißtrauischer Blick fiel auf den Chefingenieur, der sich gerade hastig auf den Pilotensitz eines Hubschraubers schwang und das Bild-Sprechgerät einschaltete. »Warum?« rief er keuchend zurück und verband sich mit der Großsendestation der Gila-Fields. »RAK 62 hatte tausend Kampfraketen mit je hundert Kilogramm an Bord, die für die Raketenwerfer-Abwehrbatterien auf dem Mond bestimmt waren!« rief er mit verzerrtem Gesicht. »Sie haben alle die neuesten Super-Wasserstoff-Sprengköpfe. Wenn die Kampfraketen zusammen hochgehen, erleben wir eine Atomexplosion, die ungefähr so stark sein dürfte wie drei der ersten Plutonium-Atombomben der fünfziger Jahre. Zum Teufel«, fuhr er den wie erstarrt dastehenden Offizier an, »so beeilen Sie sich doch! Setzen Sie alle Hilfsmittel ein, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Die Raketen haben Selbstzündungseinrichtungen, die den hohen Temperaturen bald erlegen sein dürften. Dann erfolgt automatisch die Kernreaktion.« Präzise gab Ridge seine Befehle und Anweisungen in das Mikrophon des Sicht-Sprechgerätes, überall auf den riesenhaften Gila-Fields wurden sie vernommen. Schon wenige Minuten später war die oft erprobte und gut
funktionierende Maschinerie in Gang gebracht, da Ridge Alarmstufe 1 befohlen hatte. Und jetzt verwandelten sich die Gila-Fields in einen brodelnden Hexenkessel, in dem jeder einzelne genau wußte, was er zu tun hatte. In größter Eile wurden die inzwischen an der Unfallstelle eingetroffenen Mannschaften wieder auf die schnellen Lastwagen verfrachtet. Die von allen Richtungen herbeieilenden Werksangerhörigen wendeten fluchtartig ihre Fahrzeuge und brausten mit Höchstgeschwindigkeit nach Süden, wo die gewaltigen Raketenwerke und Rocket-City lagen. Dort strömten die Menschen inzwischen in die Tiefbunker, die für solche Fälle vorausschauend angelegt worden waren. Überall heulten die Sirenen, riesige Lautsprecher brüllten durch die Straßen und Hallen. Rocket-City war an sich nicht gefährdet, da die Stadt mehr als neunzig Kilometer entfernt lag. Aber die Werke und die unzähligen Spezialbauten befanden sich noch im Gefahrenbereich, da die Rakete mit ihrer gefährlichen Ladung knapp fünfzig Kilometer nördlich aufgeschlagen war. Schon knapp dreißig Minuten später befand sich kein Mensch mehr in den gigantischen Hallen und Labors der GilaFields. Die unübersehbaren Rollbahnen und Raketenflugfelder waren verwaist. Nur die Beamten des Werksicherheitsdienstes blieben auf ihren Posten, um auch in der gefährlichen Situation die ausgedehnten Grenzen zu überwachen. Oberst Ridge ahnte, daß seine Gegner bei der Katastrophe ihre schmutzigen Hände im Spiel hatten. Daher alarmierte er sofort die unfern stationierten Panzereinheiten der Armee. Bald schon trafen die hundertzwanzig schweren und leichten
Panzer in den Werken ein, und ihr Kommandant unterstellte sich dem Oberst, der die gepanzerten Giganten planmäßig über die gesamten Industrieanlagen verteilte. Nochmals eine halbe Stunde später schien das Riesengebiet ausgestorben zu sein, nirgends war ein Mensch oder ein Fahrzeug auf den breiten Straßen zu sehen. Nur die Panzer rollten mit singenden Gasturbinen und drohend emporgereckten Raketenkanonen durch die Straßen und Werkanlagen. Ihre Besatzungen standen mit Oberst Ridge und Dr. Himmert in ständiger Verbindung. Die Männer hatten ihr Hauptquartier in einem der atomsicheren Tiefbunker aufgeschlagen, wo sich auch die einsatzbereiten Ersatzmannschaften des Werk-Sicherheitsdienstes befanden. Der alte Offizier war wütend darüber, daß er hier mit seinen vortrefflich geschulten Leuten sitzen mußte, während draußen vielleicht furchtbare Dinge geschahen. 9. Kapitel Der Fahrer des kleinen Lastwagens zuckte zusammen, als direkt über ihm eine Sirene aufheulte. In der gleichen Sekunde fielen andere ein, und schon schienen die Scheiben in den Hochhäusern und Riesenhallen der Raketenwerke unter den heftigen Schallwellen zu erzittern. Auch Ray Luger erschrak. Erst als die Agenten schon von der Zufahrtsstraße abbogen, erfuhren sie durch die brüllenden Lautsprecher die Ursachen des Atomalarms. Luger lachte schallend auf. »Das nenne ich Zufall – haha! Besser hätte es gar nicht kommen können, denn nun darf sich laut Werkvorschrift kein
Mensch mehr auf die Straßen wagen. Aufpassen, Lory«, wandte er sich an den Fahrer, »die zehn Tresorwächter müssen sofort unschädlich gemacht werden, sonst kriegen wir sie nicht mehr aus dem gepanzerten und strahlungssicheren Wachraum heraus. Dann könnten wir einpacken.« Wie Schemen huschten Luger und seine fünf Spezialisten auf die Rückseite des gewaltigen Wolkenkratzers, während sich die anderen Burschen vor den großen Portalen postierten. Sie standen ohne jede Deckung, strahlend helles Licht drang aus der mächtigen Halle. Die wenigen Angestellten, die trotz des Wochenendes noch gearbeitet hatten, waren inzwischen fluchtartig verschwunden. Nur die zehn Beamten des Werksicherheitsdienstes befanden sich noch in dem Riesenbau. Mühelos vermochte Luger mit seinen fünf Burschen durch die Nottür einzudringen. Die zwei dort wartenden Komplicen führten sie rasch und sicher durch lange, gewundene Gänge, wodurch sie sich der riesigen Halle von hinten näherten. Einer flüsterte leise: »Dort hinter der dicken Säule ist die Panzertür, die in den Vorraum der Wachstube führt. Von da aus muß man durch einen runden Raum, der sowohl von dem Wachraum wie auch von dem Schalter aus unter Feuer genommen werden kann. Erst wenn man an dem stark gepanzerten und gesicherten Wachraum vorüber ist, kann man den hundert Meter langen Betongang betreten, der als einziger Zugang zu dem Panzergewölbe führt. Im Gewölbe stehen dann die verschiedenen Tresore. Das ist alles, Boß – mehr kann ich dir nicht sagen. Wenn die Alarm- und Schutzeinrichtungen im Wachraum nicht abgeschaltet werden, ist es unmöglich, lebend bis zum Gewölbe vorzudringen.«
Luger winkte ab und schickte zwei Männer zur Hintertür zurück. Dann huschte er mit den anderen in die rechteckige Halle des Wolkenkratzers. Seine fünf Spezialisten trugen je einen der fürchterlichen Atom-Strahler. Vollkommen lautlos sprangen sie von Säule zu Säule und gingen dann an ihren genau vorbestimmten Plätzen in Deckung. Erregte Stimmen drangen zu ihnen herüber. Als Luger sich etwas aufrichtete, erkannte er, daß die Hälfte der Wachbeamten die Panzerräume verlassen hatte und unter das mächtige Portal getreten war. Von dort aus konnten sie den Brand beobachten. Immerhin waren sie trotz des Ausnahmezustandes so vorsichtig gewesen, die fünf Kameraden in dem gepanzerten Vorraum des Wachzimmers zurückzulassen und die meterstarke Stahltür zu schließen. Nur ein kleiner Klappschalter in der Betonwand war geöffnet, durch den sich die drinnen wartenden Beamten mit ihren Kollegen aufgeregt unterhielten. Ray Luger flüsterte einige Worte in seinen winzigen Taschensender, durch den er sich mit den draußen verbliebenen Agenten verständigen konnte. Die uniformierten Wächter ahnten nicht, daß hinter ihnen sechs Mörder lauerten, für die ein Menschenleben weniger galt als ein schmutziges Hemd. Langsam hoben die sechs Burschen die fürchterlichen Strahlgeräte; haargenau erschien das Ziel in der vergrößernden Optik. Drei von ihnen sollten ihre tödlichen Strahlenbündel in den Vorraum schicken, indessen Luger mit den anderen die Wächter unter dem Portal ausschalten wollte.
Langsam schob sich Luger hinter der deckenden Säule hervor und riß den Strahler hoch. Gellend schrie der Wächter auf. Seine Rechte flog mit einer Schnelligkeit zu der Pistole, daß Lugers Augen kaum folgen konnten. Die Beamten des Werksicherheitsdienstes waren nicht umsonst fünf Jahre lang geschult worden. Oberst Ridge behauptete immer, die Hände seiner Leute wären selbständig denkende und handelnde Organe, vollkommen unabhängig vom Gehirn. Der junge Mann hatte die schwere Automatik schon in der Rechten, als Luger den Auslösekopf des Strahlers berührte. Gleichzeitig schossen aus den Führungsrohren der anderen Geräte unsichtbare Bündel hochintensiver Atom-Strahlungen, die mühelos die Wände des Vorraumes durchdrangen und die Körper der darin anwesenden Männer zerstrahlten. Nur der junge Mann unter der Pforte kam noch dazu, seine eigene Waffe zu gebrauchen. Krachend bellte die schwere Pistole auf, und der Gangster rechts von Luger fuhr sich mit beiden Händen an die Brust, ehe er zu Boden fiel. Doch da begannen die fünf Werkposten unter den mächtigen Flügeltüren auch schon zu schwanken. Ihre Gesichter verzerrten sich, ehe sie langsam zu Boden sanken. Eine Minute später war alles vorüber. Auch der von dem Geschoß getroffene Gangster war tot. Luger betätigte den nicht gesperrten Öffnungsmechanismus der Panzerpforte. Lautlos schwang sie auf, und vor ihm lag ein hellerleuchteter, kreisrunder Raum aus Eisenbeton. Von hier führten Stufen hinunter zu dem großen Panzergewölbe. Die Gangster arbeiteten rasch und planvoll. Ein Griff genügte, um die Warn- und Alarmanlagen abzuschalten. Während einige in dem Vorraum zurückblieben und sich die Uniformen
der Toten über die strahlungssicheren Schutzanzüge zogen, stürzte Luger seinen Männern voran die Treppe hinab und stand bald darauf vor dem zwei Meter durchmessenden, kreisrunden Türkoloß des Haupttresors. »Los, Mike!« wandte sich Luger an den riesigen Burschen, der zusammen mit zwei anderen Kerlen ein seltsames Gebilde herbeigeschleppt hatte. Mit fliegenden Händen montierten sie den kegelförmigen Körper auf ein Gestell, mit dem sie ihn ganz dicht an den Stahl heranschoben. Das Ende des Kegels wies dabei auf die dicke Panzertür. Als Luger ein Zeichen gab, zogen sich die anderen eilig zurück. Singend lief der starke Elektromotor an, und gleich darauf begann es an dem Kegel zu zischen. Ein grellweißer Flammenkranz zuckte auf, wurde stärker und heller, ehe die Flammen den Stahl berührten. Es war ein moderner Leichtstahl, eine aluminiumleichte Legierung mit unwahrscheinlichen Widerstandswerten – er schmolz erst bei sechstausend Grad Celsius. Doch der Flammenkranz erzeugte Gluten, die noch höher lagen. Diese neuen Brennstoffe hatten es in sich. Schon nach wenigen Augenblicken begann der Stahl zu tropfen. Sehr schnell fraßen sich die Flammen in das Metall, das bald in dicken Strömen herunterlief. Nach einer knappen halben Stunde hatte das Spezialgerät einen Tunnel durch die starke Panzertür geschmolzen, die nun eilig abgekühlt wurde. Behende schwangen sich drei schmächtige Burschen durch die Öffnung, und schon glühten im Gewölbe kleinere Schneidbrenner auf, die den Tresor mit den gewünschten Aufzeichnungen öffneten.
Triumphierend lachte Ray Luger auf, als er die dicke Ledermappe mit dem genauen Herstellungsverfahren des neuen Strahlschutzmetalls in den Händen hielt. Als er die Aufzeichnungen gerade nach seinen Informationen hastig prüfte, klingelte das eigroße Funksprechgerät an seinem rechten Handgelenk. Der Gangsterführer zuckte leicht zusammen und gab seinen Leuten einige Zeichen. Indessen die schnellsten mit den schweren Geräten verschwanden, schaltete Luger das kleine Spezialgerät ein. Sofort ertönte es aus dem winzigen Lautsprecher: »Es wird Zeit, Boß! Wir sind eben von einem schweren Panzer der Armee angerufen worden. Wo kommen die auf einmal her?« Luger wurde blaß und sprang mit riesigen Sätzen durch den langen, hellerleuchteten Betongang. »Was wollten die?« keuchte er dabei in das Gerät. »Sie fragten an, ob bei uns alles okay wäre. Oberst Ridge befürchtet einen Anschlag oder Überfall. Wir sollen vorsichtig sein. Ich habe getan, als wäre ich der Leutnant der Wächter. Hoffentlich hat der Panzerkommandant meine Stimme nicht erkannt. Er sagte, sie würden sich mit dem Wagen in der Nähe aufhalten und das Gebäude beobachten.« Krampfhaft nach Luft schnappend kam Luger oben an. Hastig zogen sich die einundzwanzig Männer zurück und erreichten durch die kleine Hintertür ungesehen ihren Eineinhalbtonner. Der Fahrer und die zwei anderen Agenten waren schon verschwunden. Luger wollte das geländegängige Fahrzeug selbst zum Stollen zurückfahren. Neben ihm kauerte sich der schwarzhaarige Riese auf die Polster. In seinen Händen drohte schußbereit einer der fürch-
terlichen Ato-Strahler, gegen dessen tödliche Kernpartikel selbst die Panzerplatten der Kampfwagen nicht schützten. »Sofort mit allen Geräten strahlen, wenn der Tank auftaucht!« keuchte Luger heiser und brachte den kleinen Laster in Fahrt. Mit wild klopfenden Pulsen hockten die Gangster auf dem Fahrzeug, ihre Hände umklammerten kampfhaft die gefährlichen Waffen. Da schoß der Wagen auch schon mit aufheulender Gasturbine hinter den mächtigen Wolkenkratzern hervor auf die nach Norden führende Hauptstraße. Heulend quietschten die Reifen auf, als Luger das Fahrzeug in die Kurve riß und sofort wieder Vollgas gab. Sie mußten der Straße erst drei Kilometer nach Norden folgen, ehe sie mit östlicher Richtung in die einsame Wüste abbiegen konnten. Da plötzlich – hinter einem dichten Gebüsch, unfern des Hauptportals – zuckte ein großer Scheinwerfer auf, und augenblicklich wurde der davonrasende Wagen in eine grelle Lichtflut getaucht. Im gleichen Augenblick hörten die entsetzten Gangster das rasende Heulen einer auf Hochtouren gebrachten Turbine. Ehe Luger noch seine Befehle brüllen konnte, schob sich quer durch das hohe Gebüsch ein wuchtiger, plump wirkender Körper mit abgeschrägten Flächen und Rundungen. »Das ist ein Saurier-Panzer!« schrie der dicke Jonny verzweifelt und drückte beide Hände vor die unter der grellen Lichtflut schmerzenden Augen. »Es sind die schwersten Brocken, die überhaupt hergestellt werden. Er hat eine Raketenkanone mit Atomgranaten in der Drehkuppel. Sinnlos, ihn mit unseren Maschinenpistolen zu beschießen«, brüllte der Dicke weiter und versuchte, sich hinter dem massigen Schneidgerät zu verbergen.
Indessen war der Panzer in volle Fahrt gekommen und raste auf die Agenten zu. Dann knatterte es dumpf auf, und jaulend zischte eine Garbe aus den drei Front-Maschinengewehren über den Wagen hinweg. Dröhnend raste das Ungeheuer mit über hundert Stundenkilometern den Gangstern nach, die den Panzer inzwischen passiert hatten. Die stählernen Raupenketten vollführten einen höllischen Lärm, der von der Gasturbine nicht ganz übertönt werden konnte. Dennoch war der leichte Laster schneller und gewann Boden. Vorn tauchte bereits die Kreuzung auf. Ray Luger saß verkrampft hinter dem Steuer. Er wußte, daß es nun um sein Leben ging, denn sicherlich war das Funksprechgerät des Kampfwagens bereits in voller Tätigkeit. Wenn erst die Hubschrauber aufstiegen, waren sie trotz ihrer weit überlegenen Waffen rettungslos verloren. Wieder bellte es hinter ihnen auf, diesmal schlug die Garbe der Leuchtspurgeschosse unter den Gangstern in den Kastenaufbau des Rahmens. Holz- und Metallsplitter zischten durch den kleinen Laderaum, Flüche und Entsetzensschreie gellten auf. Doch bis jetzt hatte der Panzer noch nicht mit Atomgeschossen gefeuert. Außer sich vor Wut und Verzweiflung, schrie Luger zurück: »So strahlt doch, ihr verfluchten Narren, strahlt doch! Dann hilft ihnen die Panzerung nichts mehr. Strahlt, oder wollt ihr euch atomisieren lassen, ihr verdammten Ochsen!« Er wußte nicht, daß sie das bereits versucht hatten, das Ziel aber infolge der blendenden Lichtflut nicht trafen. Jonny faßte sich zuerst wieder. Sein feistes Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, als er einen Atom-Strahler ergriff und einen verwundeten Kameraden mit dem Fuß zur Seite
stieß. Schon stand er hochaufgerichtet im Scheinwerferlicht auf der schwankenden Pritsche. Der Strahler zitterte in seiner Hand, genau in die grelle Lichtflut hinein schickte er das unsichtbare Bündel der gerichteten Kernpartikel von höchster Konzentration. Ganz leicht bewegte er die Waffe auf und ab, nach rechts und links, indessen ihn zwei Kumpane stützten. Da – triumphierend heulte er auf. Der blendende Strahl irrte ab, und plötzlich sahen sie den Panzer im Licht ihrer eigenen Infrarotscheinwerfer. Wild schleuderte das stählerne Ungetüm auf der Straße. Sofort riß Jonny seinen Atom-Strahler wieder hoch und deckte den Kampfwagen ein. Die acht Männer in dem Panzer krümmten sich in fürchterlichen Schmerzen, krampfhaft zuckend stürzten sie von ihren schmalen Sitzen oder sanken in sich zusammen. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste der Gigant von der Straße herunter, überquerte einen meterbreiten Wassergraben, legte in furchtbarem Anprall Bäume und Umzäunungen um und donnerte dann mit unerhörter Wucht gegen die meterstarke Eisenbetonmauer einer großen Prüfstandhalle. Es polterte und krachte, grell heulte die schwere Turbine auf, und dann hatte der rasende Koloß die Mauer durchbrochen. Erst nach wildem Umhertoben in der Halle kam er an dem wuchtigen Betonklotz eines Brennkammerprüfstandes zum Stehen. Inzwischen war der kleine Lastwagen verschwunden. Als Panzerwagen die Kreuzung erreichten, hatte Luger den geheimen Schacht schon erreicht. Während seine Leute aufatmend darin verschwanden, fuhr er den Truck einige Kilometer in die menschenleere Wüste
hinein, wo er ihn dicht vor der Betonfläche der Mondraketenbasis III stehen ließ. Unangefochten erreichte er dann den Schacht. Am Horizont war noch immer die gewaltige Feuerflut zu sehen, doch die Beobachter an den Radar-Fernsehgeräten konnten feststellen, daß der Brandherd schon erheblich kleiner geworden war. Trotz der Hitze waren die Atomraketen nicht explodiert, da die Spezialzünder der Temperatur standgehalten hatten. Dr. Himmert atmete erleichtert auf, als er die Nachricht erhielt. Die Spezialverpackungen der Kampfraketen schienen den Flammen erfolgreich getrotzt zu haben. Erst später stellte sich heraus, daß sie in dem inneren isolierten Laderaum der zertrümmerten Mondrakete von den Flammen nicht unmittelbar erfaßt worden waren. 10. Kapitel Allmählich hatten sich die Blätter an den Büschen und Bäumen verfärbt, der Herbst war gekommen. Vier Monate waren seit dem Absturz der Mondrakete vergangen, als an einem frühen Septembermorgen des Jahres 1989 die amerikanische Öffentlichkeit erneut den Atem anhielt. Doch diesmal wurden nicht nur die Einwohner der USA betroffen, die der zerstörten Rakete keine Träne nachgeweint hätten, wenn nicht so viele Menschen dabei umgekommen wären. An dem Morgen schien tatsächlich eine einzige Welle des Entsetzens um die ganze Welt zu laufen. Millionen Hände griffen zitternd nach den noch druckfeuchten Blättern der Extraausgaben, Millionen Köpfe beugten sich erschüttert über die Lautsprecher der Rundfunkgeräte und lauschten den unfaßba-
ren Mitteilungen der Großsender. In den USA standen die öffentlichen Verkehrsmittel still. Erregte Menschenmassen drängten sich auf den großen Plätzen der Städte, wo die Fernbilder auf riesige Wolkenkratzerflächen geworfen wurden. Da – pünktlich um sechs Uhr dreißig meldete sich der Großsender New York in englischer Sprache, die vor zwanzig Jahren als Weltgeschäftssprache gewählt worden war. »Hier ist der Großsender New York«, meldete sich ein bekannter Sprecher mit einer ganz ungewohnt heiseren Stimme. »Unsere Aufnahmewagen und Hubschrauber sind vor einer Stunde am Katastrophengebiet angelangt, das seit einigen Minuten vollkommen abgesperrt ist. Die Bereitschaftspolizei der Staaten New Mexiko und Texas reichte bei weitem nicht aus, um das Gelände am Pecos-River einzukreisen. Die Armee sah sich gezwungen, mit allen zur Verfügung stehenden Transportmitteln fünfzigtausend Mann in das bekannte Wüstengebiet zwischen Texas und New Mexiko zu befördern, da nur durch eine hermetische Abriegelung der betroffenen Landstriche weitere Opfer zu verhüten sind. Die letzte, soeben eingegangene Meldung aus dem Hauptquartier der Bundespolizei, in dem inzwischen auch die höchsten Offiziere der USA eingetroffen sind, ist kaum zu fassen.« Der Sprecher in New York stockte eine Sekunde, nur seine schweren, keuchenden Atemzüge drangen aus mehr als hundert Millionen Lautsprechern, und sein abgespanntes, schweißüberströmtes Gesicht leuchtete auf fast ebensovielen Bildflächen. »Aus den Unterlagen in Washington geht hervor, daß in dem größten Atomkraftwerk der Welt etwa zwanzigtausend Menschen beschäftigt waren. In den nahebei erbauten Atomfabriken, wo das von dem Kraftwerk benötigte Plutonium – das ja
bekanntlich ein aus natürlichem Uran künstlich hergestellter Stoff ist – in großen Mengen erzeugt wurde, arbeiteten nochmals etwa zehntausend Menschen. Zu den Atomfabriken gehörten außerdem sehr große und weitläufige Anlagen, in denen die radioaktiven Nebenprodukte des Kernzerfalls vor allem für medizinische und biologische Zwecke verwertet wurden. Die Katastrophe ereignete sich gestern gegen zwanzig Uhr. Wie wir erfuhren, hatten neunzig Prozent aller Angestellten die Werke schon verlassen und ihre Wohnungen in der neuen Stadt Atomic-City aufgesucht. Die Stadt liegt etwa fünfzig Meilen südlich des Kraftwerkes am Ufer des Pecos, wogegen sich die industriellen Anlagen inmitten der Wüste befinden.« Wieder zögerte der Sprecher einen Augenblick, und all die Millionen Hörer an den Empfangsgeräten sahen, daß er sich mühevoll zusammenreißen mußte, als er nun mit bebendem Organ fortfuhr: »Inzwischen haben sich die restlichen Angestellten oder die in Atomic-City wohnenden Angehörigen der Angestellten im Hauptquartier des Katastrophendienstes gemeldet. Die uns zugeleiteten Informationen besagen, daß von den hundertvierzigtausend Werksangehörigen und deren Familienmitgliedern nur insgesamt 84 Menschen gerettet wurden.« In dem Augenblick lief ein einziger entsetzter Schrei um die Erde. Millionen Menschen sahen sich bleich und mit weit aufgerissenen Augen an, denn bisher waren keine Zahlen bekanntgegeben worden. »Demnach ist die Regierung der Vereinigten Staaten zu der erschütternden Gewißheit gekommen, daß durch die Katastrophe, deren Ursache bisher noch nicht geklärt werden konnte, mehr als 39 000 Menschen getötet wurden. Durch die ungeheure Atomexplosion ist in einem Gebiet mit einem Durch-
messer von hundert Meilen jedes Lebewesen vernichtet, und alle Gebäude sind total zerstört worden. Die Ermittlungen der bekanntesten Atomphysiker aus aller Welt lassen nur vermuten, daß die großen Plutonium- und Uranvorräte explodierten. Durch welche Ursachen diese Kernspaltung angeregt wurde, konnte bisher noch nicht festgestellt werden. Die Truppen der in Texas stationierten dritten Panzerarmee haben das Katastrophengebiet mit einem hundertfünfzig Meilen durchmessenden Sperrgürtel eingekreist. Es ist unmöglich, sich näher heranzuwagen, da der Boden durch intensive radioaktive Strahlungen völlig verseucht ist. Die bekanntesten Kernphysiker und Militärs stellten fest, daß die freigewordenen Energien den Kräften von vier Super-Wasserstoffbomben entsprachen. Wir schalten nun um auf unsere Fernseh-Bildberichterstatter in Texas und New Mexiko.« Es war nicht mehr viel zu sehen, denn die gigantische Feuerflut, die bei der Explosion mehr als hundertfünfzig Kilometer hoch in den Himmel schoß, war bereits wieder verschwunden. Aber die grauschwarzen, drohenden Wolkenmassen verrieten deutlich, welche Urgewalten plötzlich freigeworden waren. Etwa hundertsechzig Kilometer betrug der Durchmesser des Gebietes, in dem durch die unfaßbare Hitze und infolge der überstarken radioaktiven Strahlungen sofort jedes Lebewesen getötet worden war. Und vierundzwanzig Stunden später flammte die Erregung der Weltöffentlichkeit erneut auf, diesmal noch heftiger als vorher. Bekannte Wissenschaftler, vertraut mit den Verhältnissen von Atomic-City, erklärten einstimmig, daß die Vorräte von Plutonium und reinem Uran niemals fähig gewesen wären, von selbst in einer spontanen Kettenreaktion solche Energien
zu erzeugen! Überall auf der Welt verlangte man, über die Ursache der Katastrophe aufgeklärt zu werden. Die Aufklärung kam schneller und unerwarteter als man dachte! Achtundvierzig Stunden nach dem weltbewegenden Ereignis wurden von den ständig um die Erde kreisenden Raumstationen fremde Raumschiffe beobachtet, die unerlaubt und unangemeldet aus dem kosmischen Raum in die Lufthülle der Erde einflogen. Insgesamt registrierten die unbestechlichen und immer wachen Radar-Raum-Überwachungsgeräte zwanzig kugelförmige Raumfahrzeuge mit Durchmessern von etwa dreißig Metern. Funkrufe wurden nicht beantwortet, und nachdem die zwanzig Schiffe in die höchsten Schichten der Erdatmosphäre eintauchten, waren sie plötzlich verschwunden. Eine Stunde später machten sie sich aber wieder bemerkbar! Je zwei Kugelschiffe erschienen plötzlich über den zehn größten Städten der Erde und blieben dort – nur dreitausend Meter hoch – bewegungslos hängen, als schwebten sie an einem unsichtbaren Seil. Großsender New York, dessen Nachrichten gerade von allen Weltstationen empfangen wurden, war plötzlich nicht mehr vernehmbar, da sich ein stärkerer Sender auf seine Welle eingeschaltet hatte. Es erfolgten einige kurze Anrufe, dann erklärte eine männliche Stimme in hartem Englisch: »Ich spreche im Auftrag der Regierung des Planeten Venus. Die Menschen und Staatenregierungen der Erde müssen ab sofort ihre Atomindustrien schließen und sie innerhalb von vier Wochen restlos zerstören. Die großen Super-Synchrotone in Amerika und Europa sind
bis zum gleichen Zeitpunkt zu sprengen. Sämtliche auf der Erde vorhandenen Atomwaffen, angefangen vom kleinen Pistolen-Atomgeschoß bis zur gewaltigen Fernkampfrakete mit einer Super-Wasserstoffbombe als Ladung, müssen sofort von den amerikanischen und europäischen Raumschiffen auf die Rückseite des Mondes gebracht und dort gelagert werden. Danach ist der Mond von allen Erdenmenschen zu räumen. Für diese Maßnahme gibt die Regierung des Planeten Venus den Menschen des Planeten Erde weitere vier Wochen. Sollten die Befehle nicht genau und restlos erfüllt werden, so sehen sich die Bewohner der Venus gezwungen, die barbarischen und unreifen Bewohner der Erde so zu vernichten, wie vor zwei Tagen die Atomfabriken mit dem größten Kraftwerk der Erde vernichtet wurden. Venus muß rechtzeitig vor den immer stärker werdenden Erdbarbaren und vor deren Eroberungs- und Machtsucht bewahrt werden.« Abschließend warnte der Sprecher nochmals sehr eindringlich und klärte die Menschheit darüber auf, daß die Waffen der Erde gegen die der Venus geradezu lächerlich seien und daß die Bewohner der Venus spielend mit den Erdbarbaren fertig werden könnten, selbst wenn die in technischer Hinsicht schon um hundert Jahre weiter wären. Damit endete die seltsame Botschaft auf der Frequenz von Radio New York, und genauso plötzlich wie die Kugelraumschiffe gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Da brach auf der ganzen Erde die Hölle los! Es war unbeschreiblich, was in den verschiedenen Ländern geschah. Kaum vermochten die Regierungen die erregten Volksmassen zu beruhigen; alle hatten von den Kugelschiffen genug gehört. Der Präsident der USA berief sofort eine außerordentliche
Geheimsitzung des Sicherheitsrates ein, an der die Präsidenten der vier großen Staatenvereinigungen persönlich teilnahmen. 11. Kapitel Jussuf Hakik, der hochgewachsene, schlanke Mann mit der tiefdunklen Hautfarbe und dem faltigen Antlitz befand sich in seinem Arbeitszimmer im elften Stockwerk des Ministeriums für innerstaatliche Sicherheit, wie die offizielle Bezeichnung lautete. Es gab in Ägypten und ganz besonders in Kairo, der Hauptstadt der AVU, nur wenige Menschen, die nicht zur geheimen Staatspolizei gehörten und trotzdem furchtlos dieses gewaltige Gebäude mit der weißen Marmorfassade betraten. Selbst die Mitglieder des von Abd el Mazar eigenmächtig eingesetzten Ministerrates waren heilfroh, wenn sie das Hochhaus nicht sahen. Sie alle kannten sehr wohl die tiefen und weiten Kellerräume, in denen schon viele Menschen verschwunden waren, ohne jemals wieder zum Vorschein zu kommen. Direkt neben dem Gebäude der Staatspolizei, lediglich durch einen schmalen Parkstreifen getrennt, lag der Regierungspalast des Staatspräsidenten. Jussuf Hakik zuckte leicht zusammen, als an der unteren Schmalkante seines riesigen Schreibtisches eine rote Lampe aufleuchtete und ein leiser Summton erklang. Sofort schlug er das vor ihm liegende Aktenstück zu und reichte es dem wartenden Sekretär. »Komm in zwei Stunden wieder!« befahl er mit seiner harten, unpersönlichen Stimme. »Sorge dafür, daß ich in der Zwischenzeit keinesfalls gestört werde. Die Überwachung meines Zimmers durch meine Leibgarde ist solange zu unterlassen. Geh, ich werde dich rufen.«
Der schlanke Araber mit dem intelligenten Gesicht verbeugte sich sehr tief und entfernte sich schweigend. Dumpf klappten die schweren Polstertüren hinter ihm zu, denen man nicht ansah, daß Panzerplatten eingebaut waren. Jussuf Hakik berührte einen kleinen Schalthebel unter der Tischplatte, und sofort schoben sich die Sicherungen vor die doppelten Stahlflügel. Außerdem schlossen sich die schmalen, versteckt angebrachten Schlitze, durch die sonst von den Männern seiner Leibgarde der Raum überwacht werden konnte. Ein verhaßter und gefürchteter Polizeichef darf seinen Besuchern nicht trauen. Danach schritt er rasch zu dem schweren Tresor und berührte eine kaum sichtbare Erhöhung des Rahmens. Leise summend drehte sich der Koloß um seine Längsachse und gab einen sehr schmalen Wanddurchgang frei. Helles Licht fiel von ihm aus in das Zimmer. Er brauchte nur wenige Augenblicke zu warten, bis sich auf den steil nach unten führenden Stufen Schritte näherten. Gleich darauf trat Abd el Mazar durch den geheimnisvollen Gang in das Arbeitszimmer seines Polizeiministers. Er liebte es nicht, wenn man über seine Besuche orientiert war und benutzte daher meistens den Geheimgang, der seinen Palast mit dem Ministerium verband. Niemand ahnte, daß hüben wie drüben winzige Aufzüge durch die meterstarken Außenmauern auf und ab glitten, wenn sich die zwei wichtigsten Männer des neuen Riesenstaates unbemerkt sehen und sprechen wollten. Jussuf Hakik begrüßte den Mann mit dem breitflächigen, harten Gesicht mit gewohnter Höflichkeit. Abd el Mazar war ein auf englischen und amerikanischen Universitäten herangebildeter Araber mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Außerdem war er fanatischer Mohammedaner,
der nur deshalb nach der Weltmacht und der Vernichtung der Weißen strebte, weil er die »Ungläubigen« haßte. Schweigend ging er durch den großen Raum und setzte sich. »Wenn die Teufel von dem anderen Planeten bemerken, daß ihr Raumschiff bei der Vernichtung des amerikanischen Kraftwerkes gar nicht zerstört, sondern von deinen Leuten mitsamt der Besatzung gewaltsam entführt wurde, können wir uns getrost in Tiere der Wüste oder in Sandflöhe verwandeln, wenn wir den Scheitan nicht in der Gestalt eines dieser intelligenten Wesen im Genick sitzen haben wollen.« El Mazar starrte Hakik an. Jussuf Hakik lächelte unmerklich und doch triumphierend. Die Entführung des gewaltigen Kugelraumschiffes der Marsianer war sein bisher tollstes Meisterstück gewesen. Die seltsamen Wesen vom Planeten Mars waren vollkommen arglos. Ruhig und sicher entgegnete Jussuf: »Sorge dich nicht, Herr! Das Schiff und auch die drei schrecklichen Wesen sind in Sicherheit. Kein Mensch wird sie in den unterirdischen Anlagen von Itoko suchen und finden. Ich hatte auch meine besten Leute mitgeschickt. Die Mißgestalten weigerten sich, die drei Super-Wasserstoffbomben abzuwerfen, als sie mit der Kugel über Atomic-City ankamen. Damit hatte ich fest gerechnet und meine Leute daher angewiesen, die drei Wesen durch ein Gas zu betäuben. Es gelang auch, und meine Leute warfen den Behälter mit den drei Bomben zwischen die Werke. Die Kugel war von der Abwehr nicht angegriffen worden, da die Amerikaner damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben.« Abd el Mazar nickte langsam. »Ja, Vater von zehntausend Listen, das haben sie! Sie wissen aber auch, daß die Kugelschiffe der Venus noch nie angegriffen haben. Auch hat ihnen dieser Raketeningenieur Manfred
Hauer, den Allah tausendmal verfluchen möge, ausführlichen Bericht erstattet. Er wird beschwören können, daß die Bewohner der Venus friedliebend und anständig sind, was er durch deren sofortigen Rückzug vor einem Jahr leicht beweisen kann.« Hakik kniff die schmalen Lippen zusammen und sagte fest: »Hauer allein kann Washington, Berlin und Buenos Aires nicht überzeugen. Man hält die Schiffe unserer Marsfreunde für Fahrzeuge von der Venus. Im Grunde ist es ja auch so, denn die heute auf der Venus lebenden Intelligenzen wanderten vom Mars nach dort aus, als der Heimatplanet seine dichte Atmosphäre verlor und zu erkalten begann. Die Venus entwickelte überhaupt keine eigenen Intelligenzen. Woher sollten das die Ungläubigen wissen? Wenn sich die Nachfahren der damals auf dem Mars zurückgebliebenen Wesen nicht von selbst an uns gewandt hätten, wüßten wir es ja auch nicht, und wir würden jeden, der uns das erzählen wollte, für einen Schwindler halten, dem die Bastonade gehört.« El Mazar schwieg eine Weile und sah starr auf das Muster des Sitzpolsters. Ruckartig den Kopf hebend, meinte er: »Du denkst richtig und so klug wie ein Wüstenfuchs, Jussuf! Die Amerikaner können nicht wissen, daß die heute noch auf dem Mars lebenden Urbewohner erbitterte Feinde ihrer in viel glücklicheren Verhältnissen lebenden Brüder auf der Sauerstoff- und Wasserreichen Venus geworden sind.« Der Ägypter grinste wie ein Hafenneger, und dann redete er weiter: »Ich kann es schon verstehen, daß die knapp zwanzigtausend Wesen zählenden Marsintelligenzen ihren ungastlichen, immer kälter werdenden Planeten verlassen wollen. Dazu sollen sich die mißgestalteten Teufel aber nicht Allahs Erde aussuchen. Die Abmachungen, die ich mit dem Abgesandten des
Mars traf, gehen dahin, daß sie uns mit ihren Kugelraumschiffen und überlegenen Waffen helfen, die ungläubigen Hunde zu besiegen oder zu bekehren, und daß wir ihnen dafür mit Bodenschätzen und ausgebildeten Soldaten die Möglichkeit schaffen, die Bewohner der Venus zu bezwingen. Daran halte ich mich auch, Jussuf!« »Gewiß, Herr«, entgegnete der rasch und geschmeidig, »gewiß! Die Teufel sind an der Erde nicht interessiert, da ihnen die auch schon zu kalt erscheint und sie nicht mehr über die nötigen technischen Mittel verfügen, um die gesamte Atmosphäre künstlich zu erwärmen, wie sie das vor Jahrmillionen mit der Lufthülle des Mars getan haben wollen. Mir scheint, die Reste des Ur-Volkes auf dem Mars sind hinter ihren Venusbrüdern weit zurückgeblieben. Die Venuswesen sehen die anderen als verloren und vollkommen vertiert an. Nur Allah kann wissen, was in den übergroßen Gehirnen der Höllenwesen vorgeht, welche Ehr- und Kulturbegriffe sie überhaupt haben. In der Hinsicht sind wir Erdenbewohner ihnen doch weit überlegen, denn wir bringen es lächelnd fertig, einem Niemand die Füße zu küssen, wenn er unverhofft zu Millionen kommt. Ein guter Charakter ist nur störend und behindert das Weiterkommen. Nicht wahr, Herr?« Der Staatspräsident lachte und blickte amüsiert auf seinen gerissenen Geheimdienstchef, der lächelnd fortfuhr: »Wir brauchen uns nicht zu sorgen, Herr! Die Raumschiffe der Marsbewohner sind technische Wunder, ganz besonders deren Atomantrieb. Ich habe unsere besten Wissenschaftler eingesetzt, und unser großes Genie, Professor Sitto Dangheia, erklärte mir vor vier Stunden, daß ihm die Aggregate keine Rätsel mehr aufgäben. Nun hätte er endlich den Weg gefunden, auf dem man die nach allen Richtungen davonjagenden Kernteilchen eines langsamen und regelbaren Kernspaltungs-
prozesses so steuern könnte, daß sie wie die Treibgase nur nach einer einzigen Richtung aus den Brennkammern entweichen und damit ungeheure Rückstoß-Schubkräfte erzeugen.« Triumphierend blickte er auf Abd el Mazar, der wie von einer Schlange gebissen aufgesprungen war und ihn nun mit hervorquellenden Augen anstarrte. »Jussuf, was sagst du da? Dangheia hat das große Geheimnis endlich gelöst? Er kann die freiwerdenden Kernpartikel in eine beliebige Richtung lenken? Allah ist groß, und Mohammed ist sein einzig wahrer Prophet! Welches Geschenk machte er damit den treuen Gläubigen! Mit der Entdeckung beherrschen wir den Weltraum, oder…« »Ja, Herr«, sagte Jussuf heiser, »die Atomaggregate in den Marsschiffen sind nahezu vollendet. Dangheia zitterte vor Erregung und eilte sofort in die geheimen Labors zurück. Er sagte, mit einem solchen Antrieb könnten unsere Schiffe den Mond in zwei Stunden mühelos erreichen, und die mitgeführten Treibstoffe wären schier unerschöpflich, da die Zerfallkräfte vollkommen ausgenutzt würden.« Abd el Mazar wollte mit bebenden Lippen antworten, als sich das große Rundfunk- und Fernsehgerät neben ihm automatisch einschaltete. Jussuf fuhr herum und meinte dann hastig: »Es ist soweit, Herr! Nun schalten alle Weltsender auf Station New York um, welche die neuesten Nachrichten durchgibt. Wenn Omar seine Sache gut macht, sind wir bereits in vier Wochen die Herren der Welt und besitzen wenige Tage später sogar sämtliche Atomwaffen, die jetzt noch in den Arsenalen der ungläubigen Hunde schlummern.« »Hoffentlich sind die zwanzig Mars-Raumschiffe rechtzeitig angekommen«, entgegnete El Mazar keuchend. »Man muß felsenfest an die tödliche Drohung der Venus glauben, dazu aber
die Schiffe deutlich sehen können.« In dem Augenblick krachte und heulte es in den Lautsprechern des Fernseh-Tongerätes, und das Brustbild des bekannten Sprechers verschwand. Dafür tauchte eine gewaltige, gelbschimmernde Riesenkugel auf, in der unschwer eines der bekannten Venus-Raumschiffe zu erkennen war. Bewegungslos schwebte sie über New York, und schon begann der unsichtbare Sprecher seine Befehle und Warnungen an alle Menschen der Erde zu richten. Abd el Mazar hörte schweigend zu. Die Botschaft für die Erde näherte sich ihrem Ende. Doch bei den letzten Sätzen, in denen der Sprecher erklärte, die Venus könnte mit der Erde spielend leicht fertig werden, selbst wenn die in technischer Hinsicht um hundert Jahre weiter wäre, sprang der Diktator ruckartig auf und sah mit wütend funkelnden Augen auf seinen leicht erblassenden Geheimdienstchef. Die Stimme schwieg, dafür aber sagte el Mazar plötzlich gar nicht mehr jovial und freundschaftlich: »Du bist ein von Allah verfluchter Narr, Jussuf! Wie kannst du den Idioten Omar mit dieser Aufgabe betrauen? Der Hundesohn widerspricht sich ja derart, daß es ein Tauber merken mußte! Erst erklärte er, dir Bewohner der Venus müßten sich rechtzeitig vor den immer stärker werdenden Erdenmenschen schützen, und dann erklärt er sich für so unendlich Überlegen, daß man sich verwundert fragen muß, warum dann die Venus-Wesen so dringend die Befolgung ihrer Befehle verlangen. Glaubst du vielleicht, die Amerikaner wären blöde? Man wird sich drüben jetzt schon über den seltsamen Widerspruch Gedanken machen.« Jussuf Hakik sah in das hart gewordene Antlitz des Präsidenten, der solche Fehler wie die Sünde haßte.
Um seine Fassung ringend, erklärte der gefürchtete Chef der geheimen Staatspolizei: »Verzeih, Herr, ich werde dem dreimal verfluchten Narren zeigen, was es heißt, sich nicht genau an meine Befehle zu halten! Er sprach nicht genau nach meinem Text und fügte die letzten Sätze eigenmächtig hinzu.« Abd el Mazar sah ihn einige Zeit schweigend an und entgegnete dann leise und drohend: »Sieh zu, wie du diese Scharte wieder auswetzen kannst! Die Befehle der angeblichen Venusregierung müssen von allen Staaten ausgeführt werden, oder ich mache dich für das Mißlingen des großen Planes verantwortlich.« Damit wandte sich der Staatspräsident ruckartig um und schritt auf die Geheimtür zu. Dicht davor fragte er noch kurz: »Was geschieht nun mit den zwanzig Raumschiffen unserer Verbündeten?« »Sie fliegen sofort zum Mars zurück, da sie dort dringend benötigt werden«, antwortete Jussuf rasch und übereifrig. »Mir scheint, die heruntergekommenen Marsbewohner können solche Schiffe nicht mehr herstellen, daher haben sie hier auch nur ein einziges stationiert. Vielleicht können wir die Kugeln schneller nachbauen, als es ihnen lieb ist. Ich vertraue Professor Sitto Dangheia, dem genialen Abessinier.« »Er soll Tag und Nacht arbeiten!« befahl El Mazar kurz und zwängte seinen wuchtigen Körper durch den schmalen Spalt. »Ich werde ihn belohnen und ehren. Allah erleuchte seinen Geist. Sorge dafür, daß von meinem Besuch nichts bekannt wird. Du erscheinst in einer Stunde offiziell in meinem Palast, um mit mir über die Botschaft aus dem Weltraum zu beraten.« Jussuf Hakik fluchte haltlos, als der Gefürchtete den Raum verlassen hatte. Wie ein Wahnsinniger sprang er zu dem
großen Sicht-Sprechgerät auf seinem Schreibtisch und begann fieberhaft zu arbeiten. 12. Kapitel Die Völker der Erde waren erregt und besorgt, wie noch nie zuvor. Die Stimmung in allen Staaten ließ sich schon recht gut mit offener Panik vergleichen, und die internationale Presse sorgte noch dafür, daß diese Stimmung gehörig aufgepeitscht wurde. Schon seit zwei Tagen und Nächten saßen die Regierungsoberhäupter der großen Staatenbünde zusammen, um die notwendigen Maßnahmen zu beraten. Die Forderungen der Venus wurden allgemein abgelehnt, da es bei der politischen Lage auf der Erde jedem Staatsmann absurd erschien, alle Verteidigungswaffen abzuliefern und sich auf Gnade und Barmherzigkeit einem vollkommen unbekannten Gegner auszuliefern. Dennoch warnte das Beispiel von Atomic-City! Die Zahl der Todesopfer hatte sich inzwischen noch erhöht. Die Venusianer hatten mit dem heimtückischen Überfall bewiesen, daß sie menschliche Gefühle überhaupt nicht kannten und gewillt waren, ihre unheimlichen Drohungen zu verwirklichen – so dachten die Politiker. Eine solche Situation hatten die Menschen der Erde noch nie zu meistern gehabt, und es war erstaunlich, wie schnell auf einmal Entschlüsse gefaßt werden konnten, und wie bald man sich absolut einig wurde, wenn keine eigennützigen Interessen auf dem Spiele standen. Noch niemals zuvor waren die Geheimsitzungen des internationalen Atomkontroll- und Sicherheitsrates so reibungslos abgelaufen, und Dr. Himmert, der mit einigen Mitarbeitern er-
schienen war und um seinen fachmännischen Rat gefragt wurde, bemerkte erstaunt, wie vernünftig selbst hohe Politiker sein können, wenn die Situation ernst wird. Raketeningenieur Manfred Hauer wurde ebenfalls nach Washington gerufen, wo die internationalen Beratungen stattfanden. Erregt schilderte er sein Zusammentreffen mit dem Bewohner der Venus und erklärte abschließend mit Bestimmtheit, er könne nicht daran glauben, daß die Intelligenzen der Venus für das Bombardement verantwortlich zu machen seien. Seine Braut, Fatma Mukek, unterstützte ihn darin; somit ergab sich eine ganz neue Perspektive. Es folgten stundenlange Beratungen zwischen den Wissenschaftlern, die aber zu keinem einheitlichen Ergebnis kamen. Woher sollten die zwanzig Kugelraumschiffe sonst gekommen sein? Nur von der Venus – eine andere Möglichkeit gab es gar nicht! Es war schließlich Dr. Himmert, der am dritten Beratungstag den einzig vernünftigen Vorschlag machte, der aber auch nur von einem so verwegenen, tollkühnen Menschen wie Himmert vorgebracht werden konnte. In engstem Kreise erläuterte er seine Absichten, und es gelang ihm, die führenden Männer der USA, der Vereinigten Staaten von Europa und der Lateinamerikanischen Union zu überzeugen. Die Gesandten der Afrikanisch-Vorderasiatischen Union waren von dieser Besprechung ausgeschlossen worden, da Himmert ausdrücklich darum bat. Nach vier Stunden wurde Dr. Walter Himmert, der Chef der Gila-Rocket-Fields, mit den höchsten Vollmachten ausgestattet, die ein Mensch bis dahin erhalten hatte. Von der Stunde an handelte Dr. Himmert nur noch im Interesse der Erde; auf den gewaltigen Gila-Fields entwickelte sich
eine fieberhafte Tätigkeit. Alle laufenden Unternehmen wurden gestoppt und sämtliche Hilfsmittel der gigantischen Raketenindustrien nur noch für sein großes und gewagtes Vorhaben eingesetzt. In vierzehn Tagen mußte er es geschafft haben, da es sonst unter Umständen zu spät sein konnte. Die Weltöffentlichkeit wurde nicht informiert, und nicht einmal alle Regierungsstellen der drei verbündeten Riesenstaaten wußten, was auf den Gila-Fields eigentlich getrieben wurde. Warum die plötzliche Urlaubs- und Ausgangssperre? Warum durften die auf den Fields arbeitenden Menschen nicht zu ihren Familien in die außerhalb der Sperrzone liegende Stadt Rocket-City? Homer Mounty, der Chef der US-Bundespolizei und des Geheimdienstes, war persönlich nach den Gila-Fields gekommen, um über die Sicherheit der Anlagen zu wachen. Seine hochqualifizierten Beamten beschatteten Dr. Himmert und dessen Mitarbeiter ununterbrochen. Diese Männer waren unersetzlich, und nur sie konnten die Erde vor größtem Unheil bewahren. Innerhalb von achtundvierzig Stunden hatte das US-Kriegsministerium ein riesiges Truppenaufgebot in die Gila-Wüste entsandt. Mehr als zweitausend schwere und leichte Panzer sicherten die Grenzen, schwere Raketenwerfer-Batterien waren überall in Stellung gegangen, unzählige Raketenjäger kreuzten über dem riesigen, so leicht verwundbaren Gebiet, in dem nun rund hunderttausend Menschen an dem glichen Projekt arbeiteten, das in einer Rekordzeit beendet werden mußte. 13. Kapitel Leichenblaß stierte Dr. Edward Puris auf den hochgewachsenen, muskulösen Mann mit dem kantigen, überaus hart und
gefährlich wirkenden Gesicht. Urplötzlich war der Fremde in der ölverschmierten Kombination in sein Arbeitszimmer eingedrungen und hatte die Tür hinter sich abgeschlossen. Dr. Puris wußte sowieso nicht, wo ihm der Kopf stand, denn gerade die Konstruktionsabteilungen waren derart überlastet, daß die technischen Zeichner kaum nachkommen konnten. Der Physiker wollte wütend aufbrausen. Aber als er den Eindringling erkannte, sank Puris in sich zusammen, und seine dicken, fleischigen Lippen begannen zu beben. Eiskalt und drohend sprach Ray Luger, der Chefagent für Arizona, seine Forderungen aus. Der wagemutige Bursche war wieder durch den unterirdischen Fluß eingedrungen und hatte Puris ganz offen aufgesucht, obgleich überall die Beamten der Geheimpolizei umherstreiften. Dr. Puris wehrte und sträubte sich entsetzt. Doch dann sank er wimmernd zusammen und gab nach, da ihn Luger kühl lächelnd daran erinnerte, daß er ganz in seiner Hand sei. Ein Wort – und der ehrenwerte Dr. Edward Puris, Abteilungsleiter in der Auswertungszentrale für Neukonstruktionen, wanderte auf den elektrischen Stuhl. Die US-Justiz war in Dingen des Landesverrats unerbittlich, und Mr. Puris hatte bereits mehr als ein wichtiges Geheimnis an den afrikanischen Spionagedienst geliefert. »Das bleibt also dabei, Puris«, sagte Luger abschließend und musterte den Zitternden von Kopf bis Fuß. »Sie fliegen mit – unter allen Umständen! Ist das klar?« Der Physiker nickte und fuhr sich über die schweißnasse Stirn. »Also gut, ich werde es meinem Chef ausrichten«, grinste Luger höhnisch. »Er wird dafür sorgen, daß Sie zu den wenigen Todesmutigen gehören, die die Erde retten sollen. Leider
können wir zur Zeit den Bau des Raumschiffes nicht verhindern, die Sicherheitsmaßnahmen sind zu scharf. Daher sind Sie von Kairo persönlich angewiesen worden, als Beobachter den gewagten Flug zur Venus mitzumachen. Wir brauchen genaue Informationen. Sie müssen unbedingt erfahren, was Himmert bei den drei Regierungschefs der Venus erreicht. Noch besser wäre es, wenn die Rakete überhaupt nicht dort ankommen würde.« »Sie wird nicht dort ankommen«, gurgelte Puris verzweifelt, »es ist unmöglich! Himmert ist wahnsinnig. Er will mit einer ganz normalen Mondrakete den Sprung zur Venus wagen. Wenn wir wirklich in vierzehn Tagen starten können, steht die Venus etwa fünfzig Millionen Kilometer entfernt. Himmert baut zwei riesige Stufenraketen, auf die er das Mondschiff als dritte Stufe aufsetzen will. Sicher werden wir gut von der Erde abkommen und erreichen auch unsere Reisegeschwindigkeit, aber dann ist es aus! Wenn die Funksignale auf der Venus nicht gehört werden und die Venusianer uns nicht retten, sind wir verloren. Die Treibstoffe reichen höchstens noch, um die Rakete so weit zu stoppen, daß sie zu einem winzigen Mond der Venus wird. Wir können nicht landen – aber auch nicht zurückfliegen. Himmert ist wahnsinnig! Ich – ich fliege keinesfalls mit, ich will leben und – und…« Puris verstummte unter dem eisigen Blick des Agenten. Ganz leise entgegnete Ray Luger: »Sie fliegen mit, mein Freund, Sie fliegen! Sie sind unser Verbindungsmann, und Sie werden uns darüber orientieren, was da oben beschlossen worden ist. Wenn ein solch hervorragender Kopf wie Dr. Himmert das Unternehmen für möglich hält und sogar persönlich daran teilnimmt, dann können Sie sich darauf verlassen, daß die Sache Hand und Fuß hat! Himmert weiß, was er will. Wenn er die Venus nur annähernd erreicht,
wird seine Rakete ganz bestimmt von den ausgezeichneten Erkennungsgeräten der seltsamen Wesen ausgemacht werden. Es ist uns bekannt, daß Ingenieur Hauer noch die kleine Kapsel zur Gedanken- oder Bewußtseinsübertragung auf drahtlosem Weg hat. Er hofft, damit die Venusbewohner ansprechen zu können und von einem ihrer Schiffe aufgenommen zu werden.« »Wahnsinn – Wahnsinn!« keuchte Puris verzweifelt und wand sich wie ein Wurm. Er hätte alles dafür gegeben, wenn man ihm den Todesflug erlassen hätte. »Kein Wahnsinn, mein Lieber«, entgegnete Luger kalt. »Sie fliegen mit, basta! Dr. Himmert wird von höchster Stelle angewiesen, Sie mitzunehmen. Denken Sie daran, daß auch die schöne Fatma Mukek mitfliegen soll, da nur sie und Hauer mit den Venuswesen vertraut sind. Leider hat Himmert gute Erfolgsaussichten, auch wenn die Treibstoffvorräte längst nicht für eine Landung oder gar für die Rückkehr reichen. Dr. Himmert ist der einzige Mensch, der augenblicklich in der Lage ist, unsere wohlvorbereiteten Pläne zu durchkreuzen.« »Aber wieso denn? Ich verstehe das nicht«, wimmerte Puris. »Die Venusregierung drohte uns doch, Sie kennen die Botschaft. Weshalb will Himmert dann zur Venus fliegen? Denkt er vielleicht, die würden seinetwegen ihre Absichten ändern? Inwiefern könnte er Kairos Pläne verhindern?« Der Agent lächelte wissend und meinte kühl: »Das geht Sie nichts an. Sie haben lediglich Befehle auszuführen, oder Sie wandern auf den elektrischen Stuhl. Bereiten Sie sich vor, in einigen Tagen komme ich wieder. Hoffen Sie nicht, uns durch Winkelzüge zu entkommen.« Verzweifelt starrte Dr. Puris auf die weißlackierte Tür, durch die der gefährliche Bursche wieder verschwunden war. Er
fühlte sich schon als toter Mann, denn dieses Wahnsinnsunternehmen konnte ja niemals gelingen! Mit einer gewöhnlichen Mondrakete wollte Himmert, der Narr, zur Venus fliegen! Lächerlich, mehr als lächerlich! 14. Kapitel Staatssekretär Nofford gehörte zu den höchsten Beamten des amerikanischen Kriegsministeriums, dem auch die gewaltigen Raketenwerke der Gila-Fields unterstanden. Nachdem diese Riesenindustrien errichtet worden waren und die Raumfahrt immer bedeutender wurde, sah man sich in Washington genötigt, ein neues Ministerium zu gründen, das sich lediglich mit den interplanetarischen Dingen beschäftigte und die Raumschiff-Fabrikation überwachte. Man hatte eine Spezialabteilung unter der Leitung des Staatssekretärs Samuel Nofford geschaffen, der dadurch der unmittelbare Vorgesetzte Himmerts wurde. Die Ereignisse der letzten drei Wochen hatten seinen Nerven ganz besonders stark zugesetzt, da man seine Sonderabteilung mit der Ausführung und Leitung der von Dr. Himmert vorgeschlagenen Pläne beauftragt hatte. Die Regierungen der drei verbündeten Superstaaten blickten vertrauensvoll auf den dicken, schwerfälligen Nofford und auf den jungen, herkulisch gewachsenen Mann, von dem man wußte, daß er ein genialer Könner war. Und dann hatte Himmert es geschafft! Vierzehn Tage gab er als Bautermin für die riesige Stufe an, von der die Mondrakete mitsamt ihrer gewöhnlichen Starthilfe-Stufe in den Weltraum gebracht werden sollte. Es waren erst zwölf Tage vergangen, als das gigantische, bis obenhin mit Treibstoff angefüllte Gebilde fertig in der größten
Montagehalle der Gila-Fields stand. Neben dem massigen, kegelförmigen Körper mit der stumpfen Spitze stand die sechzig Meter hohe, schlanke Mondrakete RAK 123 auf ihren Steuerflossen. Es war das modernste Schiff und galt als besonders gut gelungene Neukonstruktion des Chefingenieurs. Rechts von dem in einer so kurzen Zeit erbauten Giganten ruhte die fünfundzwanzig Meter hohe Stufe, die sonst vollauf genügte, um die eigentliche Mondrakete durch die Lufthülle der Erde zu tragen und ihr eine hohe Geschwindigkeit zu verleihen, ehe die schiffseigenen Triebwerke überhaupt zu arbeiten begannen. Doch diesmal waren etwas mehr als fünfzig Millionen Kilometer zurückzulegen, und außerdem war Himmert noch genötigt, die gewaltige Entfernung in fünfzehn Tagen zu bewältigen, da die Hälfte der vier Wochen schon verstrichen war. Das erforderte nach den genauen Berechnungen der Elektronen-Rechenmaschinen eine Brennschlußgeschwindigkeit von etwa 30 Kilometer pro Sekunde. Eine normale Stufe konnte das nicht leisten, und die Treibstoffe der Rakete durften auch nicht bedeutend angegriffen werden, da bei der Annäherung an die Venus die rasende Fahrt wieder gestoppt werden mußte. Dafür wurde jeder Tropfen in den gewaltigen Tanks von RAK 123 benötigt. Selbst für die übliche Mondnutzlast von dreihundert Tonnen hatte Himmert noch Treibstoff getankt und die großen Laderäume als Flüssigkeitsbehälter umbauen lassen. Man mußte wirklich mit jedem Gramm rechnen, da ja die Brennschlußgeschwindigkeit des Schiffes mit 30 Kilometer pro Sekunde nicht konstant bleiben würde. Die Venusbahn liegt innerhalb der Erdbahn, also viel dichter zur Sonne hin.
Die Erde bewegt sich aber nun gerade so schnell, um den ungeheuren Anziehungskräften der Sonne widerstehen zu können. Deshalb würde Himmerts Rakete für die Gravitation der Sonne nicht schnell genug sein und sich der Venusbahn nähern. Unangenehm dabei war nur der Umstand, daß die Rakete trotz abgestellter Triebwerke immer schneller werden würde. Die Anziehungskräfte der Sonne sorgten für eine fortwährende, wenn auch geringe Beschleunigung. Es waren unzählige Faktoren, die in überhasteter Arbeit berücksichtigt und auch bewältigt werden mußten. Himmert kam die zwölf Tage kaum zur Ruhe, stets war er in der gewaltigen Montagehalle zu finden, wo die Stufe entstand. Nun war sie vollendet, und Himmert atmete erleichtert auf. Staatssekretär Nofford stand neben ihm und blickte erblassend an dem gigantischen, nahezu 60 Meter hohen Gebilde hinauf. Es war so groß wie die Rakete selbst, aber mit einem viel stärkeren Umfang. Am kreisrunden Heck durchmaß sie genau dreißig Meter und sechzig Meter höher, an ihrer Frontfläche, immer noch fünfundzwanzig Meter. Auf den Koloß sollte die normale Startstufe gesetzt werden und erst darauf die eigentliche Rakete. Nach Himmerts Berechnungen mußten die gewaltigen Triebwerke und ungeheuren Treibstoffmengen der untersten Stufe ausreichen, um dem Gesamtschiff eine Fahrt von 18 Kilometer pro Sekunde zu verleihen. Dann würde sie sich im freien Weltraum abtrennen und leider verlorengehen, denn zurückholen konnte man sie nicht mehr. Erst danach sollte die gewohnte fünfundzwanzig Meter hohe und fast genauso starke Normalstufe zu arbeiten beginnen.
Ihre Treibstoffe mußten ausreichen, um der Rakete selbst nochmals 10 Kilometer pro Sekunde zu verleihen. Dann hatte das Schiff bereits eine Fahrt von 28 Kilometer pro Sekunde, ohne selbst einen Tropfen Treibstoff verbraucht zu haben, und außerdem waren die gewaltigen Massen der Stufen mit ihren leeren Tanks und Triebwerken nicht mehr mitzuschleppen. Der schwere, übermäßig dicke Mann schnaufte laut und wischte sich mit der flachen Hand über die spiegelblanke Glatze. Ehrliche Sorge, aber auch tiefste Hochachtung lagen in seinen klugen Augen, als er den jungen Chefingenieur nur ansah. Er konnte es kaum fassen, was ihm Dr. Himmert da erklärt hatte. »Mein Gott«, murmelte er leise, und seine fleischigen Lippen zitterten, »mein Gott, Doc, was haben Sie da gebaut? Das ist ja ein Monstrum! Haben Sie schon mal ausgerechnet, wie groß die drei zusammengesetzten Schiffe sein werden?« »Rund hundertfünfzig Meter, Mister Nofford«, lächelte Himmert schwach und sah Mike Chester, den rothaarigen Raketeningenieur, warnend an, da der eine respektlose Bemerkung machen wollte. Chester verzog schmollend den Mund, indessen Nofford laut aufstöhnte: »Das ist ja unheimlich, Doc! Hundertfünfzig Meter! Demnach ist Ihr dreistufiges Riesenschiff ja noch siebzig Meter größer als die an sich schon gigantischen Raketen, die Professor von Braun vor dreißig Jahren erbaute.« Himmerts Antlitz wurde hart, achselzuckend meinte er: »Es mußte sein, Sir! Selbstverständlich hätte ich niemals einen solchen Giganten gebaut, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte. So aber mußten die bereits vorhandenen Mittel genügen,
und einzig die Riesenstufe war neu zu bauen. Sie besteht ja nur aus einem Gerippe mit Verkleidung, zwanzig Großtanks und zweiundsiebzig zu einem Hochleistungs-Triebwerk verbundenen Brennkammern, die wir ebenfalls bereits auf Lager hatten. Oder meinen Sie, ich hätte einen derartigen Koloß sonst in zwölf Tagen bauen können? Normalerweise hätte ich mein Venusschiff im Weltraum zusammengebaut, auf einer der Raumstationen, im schwerelosen Raum, und wäre von dort mit einer schon hohen Anfangsgeschwindigkeit gestartet. Das aber war mir nicht möglich, und es mußte auch so gehen.« Himmert schwieg einen Augenblick; er sah zu, wie die vier gewaltigen Deckenkräne die Normalstufe an den Halterungen packten, und wie sie mit ihrem kreisrunden Heck und den Steuerflossen in die Aussparungen der großen Stufe einsetzte. Es geschah sehr rasch und sicher; Augenblicke später war das entstehende Dreistufenschiff um fünfundzwanzig Meter gewachsen. Dann faßten die gleichen Kräne die sechzig Meter hohe, wundervoll schlanke Mondrakete, der Himmert die großen Tragflächen hatte abnehmen lassen. Alle Stufen würden nicht mehr zur Erde zurückkommen, er wußte es nur zu gut. Die Spezialhalle war an der Stelle turmartig ausgebaut worden. Das Glasdach lag hundertsiebzig Meter hoch, und die Deckenlaufkatzen konnten die Rakete gefahrlos emporheben, bis sie mit ihrem Heck in die Halterungen der zweiten und mittelsten Stufe glitt. Nofford war sprachlos. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Die Montagehalle wimmelte von Monteuren und anweisenden Ingenieuren. Alles klappte wie bei einem langgeübten Arbeitsgang. In einer Stunde war der Zusammenbau beendet, und das fast fünfzig Meter emporragende Riesengebilde ruhte nun auf ei-
ner der massigen Startbühnen. Die unzähligen Stahlräder der Startplattform liefen auf acht überschweren, fest im Beton verankerten Schienen, auf denen sie mitsamt dem dreistufigen Riesen sicher und verhältnismäßig leicht zum Startgelände hinausgerollt werden konnten. Das Schiff wog vollgetankt fest sechsundzwanzigtausend Tonnen, also etwa viermal soviel wie die Raketenschiffe, mit denen der Raumfahrtpionier Professor von Braun vor dreißig Jahren die erste Raumstation erbaute. Die zweiundsiebzig Großbrennkammern im Heck der gewaltigen Stufe hatten eine Schubleistung von zweiundfünfzigtausend Tonnen. Hätte Dr. Himmert nicht den leistungsfähigen Treibstoff mit der Ausströmgeschwindigkeit von zwanzigtausend Metern pro Sekunde besessen, würde er überhaupt nicht daran denken können, mit dem dreistufigen Riesen die Venus anzufliegen, obgleich sie derzeit in Opposition stand und nur fünfzig Millionen Kilometer entfernt war. Nofford entfernte sich. Erschüttert starrte er auf die meterdicken Hochdruckleitungen, die nun von Raupenfahrzeugen in die Halle geschleppt wurden. Jetzt erst, nach dem erfolgten Zusammenbau, wurden die drei verschiedenen Stufen betankt und mit Proviant versehen. In fünf Stunden sollte der leitende Ingenieur der Halle das Schiff startklar melden, so hatte es Himmert gefordert. Ehe sich Nofford von ihm verabschiedete, fragte ihn Himmert noch: »Sagen Sie, Sir, ist es nicht möglich, den widerwärtigen Schleicher von Puris zurückzulassen? Warum muß ich den Kerl unbedingt mitnehmen? Das verstehe ich nicht. Der Mann haßt mich, außerdem verfolgt er unsere Mitarbeiterin Fatma Mukek.« Staatsekretär Nofford sah seinen Schützling prüfend an und
meinte dann leise: »Das verstehe ich auch nicht ganz, lieber Doc! Aber vielleicht werde ich bald herausfinden, weshalb der Kriegsminister persönlich darauf drang. Es scheint, als wollte er diesen Dr. Puris unter allen Umständen an Bord Ihres für die Erde so ungeheuer wichtigen Schiffes wissen. Ich denke, lieber Doc, ich sollte sofort einmal ausführlich mit unserem Geheimdienstchef über die Sache sprechen – Sie verstehen?« Bedeutsam blickte er Himmert in die Augen, der aufatmend sagte: »Sehr gut, Sir, sehr gut! Homer Mounty wird das bald herausfinden. Im einsamen Weltraum werde ich mit dem Burschen schon fertig, verlassen Sie sich darauf. Wir sehen ihm unauffällig auf die Finger, denn ich vermute bestimmt, daß er für die Afrikanische Union arbeitet und die Ergebnisse unseres Fluges unbedingt aus erster Quelle ermitteln will.« »Tun Sie das, Doc, dann kann nichts passieren. Ist Manfred Hauer noch immer fest davon überzeugt, daß die Venus mit den Drohungen überhaupt nichts zu tun hat?« »Immer noch, Sir, und seine Braut glaubt noch fester daran. Sie müssen es am besten wissen, denn sie haben beide das Wesen von dem anderen Planeten kennengelernt. Meine Meinung kennen Sie ja.« Nofford nickte und sah sich noch einmal in der gigantischen Halle um. Dann räusperte er sich und schloß den jungen Chefingenieur in die Arme. Seine Stimme bebte ganz merkwürdig, als er leise sagte: »Machen Sie es gut, mein Junge, viel Glück auf der Reise! Denken Sie daran, daß Sie für unsere schöne Erde Ihr Leben wagen, denn auch ich fühle, daß hinter den Drohungen und dem fürchterlichen Massenmord in Atomic-City eine ganz andere Macht steckt. Ich traue der Sache nicht. Nochmals, mein
Junge, alles Gute! Ich kann heute nacht nicht hier sein, ist auch besser so. Ich könnte es nicht mit ansehen, wie Sie mit Ihren fünf Begleitern in das Schiff steigen, das vielleicht…« Er verstummte und fuhr sich mit den Händen über die Augen. Mike Chester, der immer heitere Spottvogel, schluckte krampfhaft, als er dem Freund nachsah, der den herzkranken Staatssekretär fürsorglich aus der Halle brachte. Heute nacht… 15. Kapitel Das, was für die USA die Gila-Rocket-Fields waren, bedeuteten für die Afrikanische Union die nicht minder gigantischen Raketenwerke von Itoko im äquatorialafrikanischen Kongobecken. Auch diese Fabriken, Prüfstände, Labors und unzähligen Forschungsstationen waren selbstverständlich durch ein Sperrgebiet von der Außenwelt abgeriegelt, da Abd el Mazar noch viel weniger als die Amerikaner wünschte, daß unwillkommene Augen seine Geheimnisse erspähten. Wenige Kilometer nördlich begannen schon die riesenhaften, unübersehbaren Urwaldgebiete des Kongo. Die Industrien und Flugfelder selbst lagen südlich des Äquators noch in der baum- und buschbestandenen Savanne, die sich für solche Anlagen vorzüglich eignete. Freilebende Negerstämme waren in der Gegend nicht mehr zu finden, obgleich sie früher als gefürchtete Horden in der Äquatorprovinz des ehemaligen Belgisch-Kongo in reicher Anzahl vorkamen. Für den amerikanischen und europäischen Geheimdienst war es ungeheuer schwer, in dieses wichtigste und größte Ra-
ketenwerk der Afrikaner eigene Agenten einzuschmuggeln, da Jussuf Hakik mit diktatorischen Bestimmungen wie Urlaubssperre, Postzensur, Untersuchungszwang und anderen Maßnahmen dafür sorgte, daß die Sicherheit nicht gefährdet wurde. Manfred Hauer war es drei Jahre lang gelungen, den raffinierten und gefährlichen Ägypter zu täuschen und seine Übermittlungszentrale in Chartum regelmäßig mit den neuesten Nachrichten zu versorgen. Doch das war nun vorbei. Die Agententätigkeit war seit seiner und Fatmas Flucht weit schwieriger geworden. Das Sperrgebiet hatte man ganz erheblich vergrößert, es durchmaß nun gut hundertdreißig Kilometer. In diesem Außenkreis gab es zwei Innengürtel, von denen jeder nochmals mit gleicher Schärfe überwacht wurde, wobei Hakik modernste Radar-Objekttaster in ungeheurer Anzahl eingesetzt hatte. Die mächtigen Werke und Forschungsstätten wimmelten von seinen Spitzeln. Jeder beobachtete jeden, und selbst die führenden Wissenschaftler mußten mit ihren Äußerungen sehr vorsichtig sein, da Abd el Mazar keinen Spaß verstand. In das erweiterte Sperrgebiet war auch eine vierzig Kilometer lange – aber recht flache Gebirgskette mit einbezogen worden. Die geheimen, unterirdischen Anlagen für besondere Zwecke waren hier in den Bergen eingerichtet worden, wozu natürliche Schluchten und Hohlräume ausgenutzt wurden. Es war kurz nach Mitternacht. Tiefe Dunkelheit lag über dem Land, da mächtige Wolkenbänke den Sternenhimmel verdeckten. In der Gegend nahe des tropischen Urwaldes gingen oftmals heftige Unwetter nieder, die aber genauso rasch wieder verschwanden, wie sie gekommen waren.
Vor zehn Minuten noch schien der schwefelgelbe Himmel ein einziges Flammenmeer zu sein, und nun schienen schon hier und da einige Sterne durch aufgerissene Wolken. Schwacher Lichtschein drang aus einer schmalen und sehr hohen Schlucht mit schroff ansteigenden Felswänden. Sie mochte dreihundert Meter lang und fünfzig Meter breit sein. Sehr geschickt war sie in ihrer ganzen Ausdehnung überdacht worden, wodurch sie zu einer großen Halle von achtzig Meter Höhe wurde. Sie mündete in ein breiteres Tal mit weniger steilen Felswänden, dessen Zugänge stark gesichert und hermetisch abgeriegelt wurden. Dort lag eine der geheimen Forschungsstationen der Raketenwerke von Itoko. Die darin arbeitenden Menschen kamen niemals mehr hinaus. Nur die leitenden und vertrauenswürdigen Herren durften den Ort öfters verlassen, vor allem natürlich der große Könner Sitto Dangheia, der Kernphysiker. Auch der berühmte Physiker und Raketenspezialist Professor Ogr el Muglad konnte kommen und gehen, wann er wollte. El Muglad war der technische Chef der Raketenbasis von Itoko, indessen der aus ältestem abessinischem Geschlecht stammende Professor Dangheia der Leiter des Atomzentrums von Itoko-Nord war. Es war ungeheuer, was der Staatspräsident in seiner Regierungszeit aus dem vor zehn Jahren noch kleinen Versuchsort für Raketenbomben gemacht hatte. Heute brauchte Itoko hinter den Gila-Fields nicht zurückzustehen. Heller Lichtschein fiel aus der überdachten Schlucht in das breitere Tal. Dicht unter den hohen Toren stand Jussuf Hakik hinter ei-
nem sehr großen, schlanken Mann mit edel geschnittenen Zügen und klug blickenden Augen. Dies war Sitto Dangheia, der bedeutende Atomphysiker, der seinem Land vor einem Jahr eine neue Wasserstoff-Superatombombe geschenkt hatte. Damit machte er die amerikanisch-europäische Drohung zunichte, da nur diese Staaten die Superbombe bis dahin besessen hatten. Bei den Männern stand noch ein kleiner, korpulenter Mann mit einem schwarzen, bereits von silbernen Fäden durchzogenen Vollbart; das war Professor Ogr el Muglad, ein waschechter Araber, und ein ganz ausgezeichneter Raketenfachmann. Die drei Männer waren europäisch gekleidet, der Geheimdienstchef hatte sogar einen leichten Mantel übergezogen, da die Nacht empfindlich kühl war. Ungeduldig blickte er wieder auf seine leuchtende Armbanduhr und fragte Ogr el Muglad: »Wie weit bist du? Ist das Marsraumschiff nun endlich startklar? Es wird allmählich Zeit! Die amerikanische Venusrakete ist schon seit dreizehn Tagen auf dem Wege. In zwei Tagen hat Dr. Himmert den Planeten erreicht, und dann ist unser herrlicher Plan verraten. Die Kugel muß heute Nacht noch starten.« Der kleine, nervöse Professor fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf und stöhnte: »Allah ist mein Zeuge, daß ich mein Bestes getan habe! Die Steuer- und Navigationsgeräte der gewaltigen Kugel sind mir klar, und ich habe sie deinen Spezialbeamten genau erklärt. Ich bin sicher, daß sie das Marsraumschiff beherrschen werden. Nur über den Atomantrieb kann ich sie nicht orientieren, da mußt du Dangheia fragen.« Ungeduldig blickte der Sicherheitsminister auf den Abessinier, der unmerklich lächelnd meinte: »Das Schiff ist in dreißig Minuten startfertig. Meine Assisten-
ten laden die sechs Atomaggregate gerade frisch auf, wozu wir Plutonium verwenden. Die Maschinen sind nicht größer als eine schwere Brennkammer und reagieren unglaublich genau. Die Plutoniumkerne werden in einem winzigen Atommeiler, der nach ganz anderen und bisher unbekannten Gesetzen arbeitet, einwandfrei gespalten und die freiwerdenden Energien in einer Art von Hochfrequenz-Strahlröhre gleichgerichtet. Genau wie die Gase aus einer Brennkammerdüse schießen sie dann mit annähernder Lichtgeschwindigkeit aus der Strahlröhre, die sich überhaupt nicht erhitzt.« »Bei Allah!« stöhnte El Muglad entzückt. »Eine Strahlgeschwindigkeit von fast dreihunderttausend Kilometern pro Sekunde – das ist ein Wort! Das sind ja schier unerschöpfliche Energien, die Leistung eines Rückstoßmotors richtet sich doch nur nach der Strahlgeschwindigkeit der ausgestoßenen Gase.« »So ist es«, bestätigte Sitto Dangheia stolz. »Ich bin dem großen Geheimnis nun so nahe gekommen, daß wir es ruhig wagen können, das unter so großen Mühen erbeutete MarsRaumschiff in den Weltraum zu schicken, um die Amerikaner unschädlich zu machen, ehe sie den Morgenstern erreichen. Sollte das Schiff verlorengehen, kann ich notfalls sofort gleichwertige Antriebsaggregate herstellen. Sonst birgt die Kugel keine Geheimnisse, höchstens ihre radarähnlichen FernbildFunk- und Meteorerkennungsgeräte könnten mich noch interessieren, obgleich wir in der Hinsicht fast genauso weit sind. Wenn die Wesen auf der Venus ihre Technik nicht höher entwickelt haben, brauchen wir sie nicht zu fürchten.« Jussuf Hakik sah spöttisch, auf den etwas überheblich werdenden Wissenschaftler und meinte: »Vergiß nicht, daß die Raumschiffe von diesem Typ schon vor Jahrmillionen gebaut wurden. Die auf dem sterbenden Mars verbliebenen Bewohner haben sich nicht weiterentwi-
ckelt, aber die nach der blühenden und warmen Venus Ausgewanderten haben nicht geschlafen. Ihre Schiffe müssen weitaus besser und schneller sein, auch verfügen sie über hochwertige Atomwaffen, die aber auf einer uns unbekannten Basis arbeiten. Meine Agenten konnten das ermitteln, denn die Ungläubigen haben die Venuswaffen am eigenen Leibe erprobt.« »Wir verfügen ebenfalls über Strahlungswaffen«, erklärte Dangheia etwas von oben herab und richtete sich stolz auf. »Die bekannten Atom-Strahler mit ihren gebündelten und konzentrierten Neutronenstrahlungen sind einzigartig in ihrer Wirkung. Die ähnlich arbeitenden Strahlgeräte in dem erbeuteten Marsschiff sind noch nicht einmal so gut. Ihre eingebauten Raketenkanonen arbeiten nach dem gleichen Prinzip wie die unseren, nur daß die Raketengeschosse von winzigen Atom-Rückstoßladungen angetrieben werden. Dieses Geheimnis entschleiere ich auch noch, und dann sind wir unschlagbar. Die Kampfraketen mit den Atom-Treibladungen rasen mit der unfaßbaren Beschleunigung von fünfhundert Kilometer pro Sekunde auf ihre Ziele zu, das ist doch ungeheuer!« Hakik winkte ärgerlich ab. Er wußte, daß der Kernphysiker in solchen Angelegenheiten sehr engstirnig sein konnte. Der Geheimdienstchef hatte aus den Meldungen seiner Agenten klar ersehen, daß die Venusbewohner ihren Marsbrüdern unendlich weit überlegen waren, auch bestimmt in den Waffen. Er dachte an den violett schimmernden Strahl, den ein Venusraumschiff auf einen angreifenden US-Raketenjäger schickte, und der darunter in Sekundenschnelle verschwand. Die Venusianer mußten es gelernt haben, die durch Kernreaktionen erzeugte Höllenglut in gebündelten Strahlen auszusenden, wodurch die davon getroffenen Körper augenblicklich verdampften.
Auch dachte er an die überaus starken Strahlungen, die vor einem Jahr beinahe die ganze Besatzung des Mondwerkes Luna II verbrannt hätten, obwohl die Männer ausnahmslos Schutzanzüge trugen und in den tiefen Mondschächten saßen. Nein, Sitto Dangheia irrte sich hier ganz gewaltig. Mit den Marswesen konnte man unter Umständen fertig werden. Aber es war entschieden besser, mit den Venusbewohnern nicht anzubinden. Sehr lange und eingehend sprach Jussuf Hakik mit den zehn Männern, die als erste Erdmenschen ein auf einem fremden Planeten erbautes Weltraumschiff in die unendlichen Weiten des Kosmos steuern sollten. Es waren Spezialbeamte seiner Geheimpolizei, also Männer, die sonst als geschulte Agenten in fremde Industrien eingeschmuggelt wurden, wo sie Fachkenntnisse unbedingt benötigten. Acht Tage lang waren sie von den Professoren Dangheia und El Muglad in die Geheimnisse des Marsraumschiffes eingeweiht worden. Die fernen Eigentümer glaubten indessen fest, es wäre bei der Atomkatastrophe in Amerika vernichtet worden. Jussuf Hakik konnte sicher sein, daß die zehn Burschen von meist brauner Hautfarbe die gestellte Aufgabe einwandfrei lösen würden. So sagte er, auf die Uhr blickend: »Es wird Zeit, begebt euch in das Schiff! Die Plutoniumladungen der sechs Rückstoßaggregate enthalten so viel Energie, daß ihr den Raumer damit bis auf zweihunderttausend Kilometer pro Sekunde beschleunigen könnt. Das ist natürlich Unsinn, ich will damit nur die Leistungsfähigkeit ausdrücken. Wenn ihr normal beschleunigt und bremst, könnt ihr jahrelang mit der Aufladung fliegen, andererseits könnt ihr sie auch in
wenigen Stunden restlos verbrauchen. Versteht ihr das?« Die zehn Burschen nickten, und ihr Anführer, zugleich Kommandant des Schiffes, erklärte in schlechtem Arabisch: »Wird alles erledigt, Herr, haben verstanden. Noch etwas?« Der Geheimdienstchef blickte befriedigt auf den besten Agenten, den er jemals in den USA gehabt hatte. Es war – Ray Luger! Jussuf hatte ihn speziell für die schwere Aufgabe aus den Staaten kommen lassen, da er dem ehemaligen Ingenieur voll vertraute. Er reichte dem intelligenten Gangster fast herzlich die Rechte und sagte eindringlich: »Höre, Ray! Himmerts Schiff darf unter gar keinen Umständen die Venus erreichen, du mußt es vorher vernichten! Benutze dazu die Raketenkanonen der Marsianer, die sich als Doppelgeschütz in einer Drehkuppel befinden. Die Raketengranaten haben Atomantrieb. Du hörtest von Dangheia, wie ungeheuer schnell die Geschosse fliegen. Du kannst mit ihnen im Weltraum schon auf Entfernungen von hunderttausend Kilometer schießen, und sie werden durch ihre bis zehn Minuten anhaltende Beschleunigung von fünfhundert Kilometer in jeder Sekunde in wenigen Augenblicken diese Entfernung überwunden haben. Mit den Fernsteuergeräten lassen sie sich auch über große Distanz leicht fernlenken und fernzünden. Himmert kann dir also nicht entgehen, obgleich auch seine Rakete eine Drehkuppel mit zwei automatischen Raketenwerfern besitzt.« Ray Luger lachte verächtlich auf und entgegnete wegwerfend: »Ich erledige ihn, Herr, ganz sicher! Stimmen die Einstellungen der automatischen Steuergeräte?« »Natürlich!« fuhr da Ogr el Muglad beleidigt und tempera-
mentvoll auf. »Meinst du vielleicht, ich verstünde mein Handwerk nicht? Die Elektronen-Rechenmaschinen haben Himmerts Kurs genau bestimmt, und wenn du bis auf ungefähr vierhundert Kilometer pro Sekunde beschleunigst, wirst du in dreißig Stunden etwa fünfundvierzig Millionen Kilometer zurückgelegt haben. In der gleichen Zeit erreicht Himmert in unmittelbarer Venusnähe den Punkt, wo sich dein und sein Kurs an der Planetenbahn schneiden. Wenig später muß Himmert schon zu bremsen beginnen, deshalb ist der Zeitpunkt für den Angriff sehr günstig, nicht wahr?« »Laß das meine Sorge sein«, entgegnete der Agent kalt und wandte sich wieder an seinen höchsten Chef: »Ich werde mein Tempo beizeiten auf die Geschwindigkeit der amerikanischen Rakete einstellen. Die radarähnlichen Ortungsgeräte arbeiten ja zuverlässig über Millionen Kilometer, und ich kann das Schiff rechtzeitig ausmachen. Was soll ich tun, wenn ich von Raumschiffen unserer Marsfreunde angerufen werde?« Der afrikanische Sicherheitsminister schüttelte ärgerlich den Kopf. »Unsinn, die feigen Halunken wagen sich nicht sonnenwärts über die Erdbahn hinaus, da sie sich vor ihren gescheiten Brüdern fürchten. Sonst hätten wir ja eines ihrer Schiffe der Rakete nachsenden und unser wertvolles Beutestück hierbehalten können. Sie kommen dir nicht in die Quere. Starte nun, der Zeitpunkt rückt näher!« In der aus den Talwänden gebildeten Riesenhalle stand eine mächtige, gelbschimmernde Kugel mit einem Durchmesser von zwanzig Metern. Das war die übliche Form der Mars- und Venusschiffe, die sich auch in den Jahrmillionen seit der Auswanderung nicht geändert hatte. Das gelbliche Material war kein Metall, sondern ein ungeheuer harter und doch elasti-
scher Kunststoff, den selbst die stärksten kosmischen Primärstrahlungen nicht durchdringen konnten, was etwas heißen wollte. Diesem Geheimnis war auch der geniale Dangheia nicht auf die Spur gekommen, und die drei Marsianer der ursprünglichen Besatzung waren schon seit Wochen tot. Die Weltraumkugel stand auf vier schräg gespreizten, einziehbaren Stützen. Man konnte unter die Kugel treten und die dort eingebaute Luftschleuse erreichen. Ehe Luger als letzter Mann in ihr verschwand, sagte er leise zu Hakik: »Ich schaffe es, Herr, denke aber auch an meine Belohnung! Mit dem neuen amerikanischen Metall, das ich euch verschaffte, können wir wundervolle Raumschiffe bauen, die mit solchen Atomaggregaten angetrieben werden. Dann sind wir unschlagbar und imstande, den Weltraum zu erobern. Mach mich zum Minister für interplanetarische Angelegenheiten, und ich bleibe dein treuer, zuverlässiger Diener.« Eine halbe Stunde später begann es an sechs verschiedenen Stellen auf der Außenfläche der Riesenkugel bläulich zu flimmern. Mit rasender Geschwindigkeit schossen die Kernpartikel aus den Strahlrohren und erzeugten damit den erforderlichen Schub. Vollkommen lautlos hob die Kugel ab und stieg, rasch schneller werdend, in den dunklen Nachthimmel. 16. Kapitel »Hallo – hallo! RAK 123! Ich rufe RAK 123! Hallo – ich rufe Chefingenieur Doktor Himmert, an Bord der Venusrakete RAK 123! Ich rufe Doktor Himmert! Hier Professor Mitchel, derzeitiger Kommandant der Mondstation Luna II auf der erd-
abgewandten Seite des Mondes. Hier spricht Professor Mitchel – ich rufe im Auftrag des US-amerikanischen Geheimdienstes und der Zentralleitung der internationalen Kriminalpolizei. Antworten Sie, Doktor Himmert – antworten Sie – wir hören!« Fast verzweifelt ließ der kleine, schmalbrüstige Wissenschaftler nun das Tischmikrophon sinken und sah sich in der großen Funk- und Radarzentrale der Mondgroßstation Luna II forschend um. Mitchel war von Staatssekretär Nofford zum Mond geschickt worden, damit der erfahrene Spezialist die Funkspruchverbindung persönlich unterhalten konnte. Mondstation Luna I auf der von der Erde aus sichtbaren Vorderseite des Trabanten lag augenblicklich unter der eisigen Kälte der vierzehntägigen Mondnacht. »Haben Sie die Richtantenne genau eingepeilt?« fragte Mitchel einen seiner Ingenieure, der schweigend nickte. Der Wissenschaftler wurde immer nervöser. Das starke, hochentwickelte Ultrakurzwellenempfangsgerät war eingeschaltet und die höchste Verstärkungsstufe gewählt worden. Himmert war nun bereits vierzehn Tage unterwegs, er mußte jetzt die Venus schon mit dem bloßen Auge erkennen. Eine Fernbildverbindung war über die Distanz nicht mehr einfach, aber sprechen müßte er doch auf jeden Fall können! Dazu waren die Sende- und Empfangsgeräte ausreichend. Sie würden sogar noch sehr viel mehr leisten. Warum meldete sich RAK 123 nicht? Die Nachricht mußte unbedingt durch. Mitchel begann vor Nervosität zu zittern, als es endlich in den Lautsprechern krachte und Himmerts Stimme klar und überlaut aufklang. »Hallo – ich rufe Luna II, ich rufe Professor Mitchel! Durchsage verstanden, werde aber nicht recht klug daraus. Stehen augenblicklich 5 Millionen Kilometer schräg hinter der Venus,
die auf ihrer Bahn mit fünfunddreißig Kilometern pro Sekunde davonläuft. Das ist sehr günstig, denn die Planetengeschwindigkeit können wir von unserer eigenen Fahrt abziehen, wonach wir die Differenz – etwa achtzehn Kilometer pro Sekunde – abzustoppen haben. Es war nicht leicht, die Rakete genau auf die Umlaufbahn zu bringen. Ganz sind wir auch noch nicht drauf – aber wir werden es schaffen. Es ist alles wohlauf an Bord, wir sind selbstverständlich etwas aufgeregt. In einer Stunde beginnen wir mit den Anrufen. Hauer peilt schon die große Richtstrahl-Antenne ein. Die Intelligenzen des Planeten müssen uns hören – das ist ganz selbstverständlich bei der Nähe unseres überstarken Senders.« Die Worte des 45 Millionen Kilometer entfernten Sprechers wurden eine Sekunde lang von Kratzgeräuschen überdeckt, ehe sie wieder klar durchkamen: »… sprachen von einem Kugelraumschiff. Was ist damit? Folgt es uns etwa? Konnten Sie feststellen, ob es sich um ein Raumschiff der Venus handelt? Ich bin mißtrauisch, die Kugelschiffe gleichen sich täuschend. Bitte, wiederholen Sie Ihre Durchsage, Professor Mitchel. Geben Sie mir genaue Details. Ich höre! Ende…« Es knackte wieder, und die Stimme verstummte. Sofort begann Mitchel aufgeregt zu sprechen. Er wußte jedoch, daß die Ultrakurzwellen nicht schneller als das Licht durch den Raum eilten. Dreihunderttausend Kilometer in jeder Sekunde legten sie zurück. Himmert konnte seine Worte erst nach 150 Sekunden hören. »Achtung – Doktor Himmert – hier Mitchel auf Luna II! Gott sei Dank, daß Sie endlich antworten. Raumstation R 3 beobachtete vor zirka dreißig Stunden den Durchgang eines nichtgemeldeten Fremdkörpers. Die Beobachter erkannten ein in den Raum startendes Kugelschiff, dessen Kurs einwandfrei er-
mittelt und berechnet werden konnte. Es muß Ihre Flugbahn in der nächsten Stunde schneiden, falls es seinen Kurs nicht ändert. Vorsicht! Homer Mounty, US-Geheimdienst, warnt dringend! – Seine Agenten beobachteten vor genau dreißig Stunden eine Kugel, die von den afrikanischen Raketenstartfeldern in Itoko aus startete. Homer Mounty vermutet größte Gefahr. Machen Sie sofort Ihr Schiff gefechtsklar und fahren Sie die Kuppel mit den Raketenkanonen aus. Agentenmeldungen aus Afrika besagen, den Leuten der AVU-Staatspolizei wäre es gelungen, ein Venusraumschiff mitsamt seinen Waffen unbeschädigt zu erbeuten. Wir vermuten, daß dieses Schiff mit einer Menschenbesatzung zu Ihrer Verfolgung ausgesandt wurde. Achtung – ich gebe noch genaue Verhaltungsmaßregeln und Daten durch und…« * Dr. Himmert, Ingenieur Mike Chester, Manfred Hauer und dessen Braut, Fatma Mukek, standen vor der kleinen Funkzentrale der schlanken Rakete. Deutlich drangen Mitchels Worte aus den Lautsprechern, durch die geöffnete Schiebetür waren sie in der ganzen Kommandozentrale zu hören. Außer den genannten Personen waren noch anwesend: der deutsche Biologe Dr. Heinrich Schoner und der Physiker Dr. Puris. Alle befanden sich in der Zentrale, da Himmert sie dorthin gebeten hatte. Die Venus rückte näher und näher. Schon war sie auf den Projektionsflächen der optischen Außenbord-Bildgeräte billardkugelgroß zu sehen. Die Erregung stieg von Stunde zu Stunde, die vierzehntägige Flugzeit schien sich unendlich zu
dehnen, und selbst alte Raumhasen wie Chester, Himmert und Hauer mußten ihre ganze Willenskraft aufbieten, um nicht wie Puris unter der seelischen Belastung zusammenzubrechen. Der Weltraum war unendlich. Sie flogen mit einer von Menschenhand erbauten Nußschale durch jene Weiten, die noch kein Mensch ergründet hatte. Der schwerelose Zustand während der langen, unbeschleunigten Flugperiode wurde langsam unangenehm. Obgleich sie mit den Spezialschuhen auf den magnetisierten Fußböden der Zentrale und Kabinen haften blieben, mußten sich die Körper doch gewaltig umstellen. Schoners Präparat zur Entfernung von überhohen Dosen der Primärstrahlung wirkte wunderbar, auch die aus dem neuen Strahlungsschutzmetall Waltersit hergestellten Passagierräume erfüllten alle Erwartungen. Die schädlichen, unentfernbaren Sekundärstrahlungen konnten sich in dem Material nicht entwickeln. Soweit war die gefährliche Reise planmäßig verlaufen, wie es Himmert auch gar nicht anders erwartet hatte. Gefährlich wurde es erst von nun an, denn jetzt mußte die durch die Anziehung der Sonne gesteigerte Fahrt wieder abgebremst werden. Da kam der Anruf von Luna II, und Himmert wurde unruhig. Sofort rief er die Kameraden und ließ sie mithören. Mitchel sprach noch immer. Er beschwor Himmert, die Rakete gefechtsklar zu machen, da sich ein Feind nähere. Als der Professor wieder auf Empfang umschaltete, sah Himmert den rothaarigen Freund an, der sich grinsend wie ein Lausejunge an die Stirn tippte und meinte: »Die sehen ein bißchen zu schwarz, alter Junge! Das kann doch nur eine Venusmaschine sein, und zu den Leuten wollen wir ja. Wahrscheinlich haben Sie unseren Start beobachtet und
bereiten sich auf unseren Empfang vor. Ich garantiere dir, daß wir keinesfalls angegriffen werden.« »Das denke ich auch«, warf Fatma ruhig ein. »Ich habe einen der Venusriesen mit den überhohen Beinen und den großen Ovalaugen kennengelernt. Wir werden von ihnen nicht angegriffen; sie wissen, daß wir ihnen weit unterlegen sind und…« Da gellte hinter ihnen ein wütender Schrei auf. Blitzartig fuhr Himmert herum und konnte gerade noch sehen, wie Dr. Puris eine schwere Automatikpistole hob. Er hatte sich wieder einmal nicht beherrschen können und triumphierend gebrüllt, als er die Waffe auf sie richten wollte. Himmert handelte rein instinktiv, als er sich mit voller Kraft von dem magnetischen Fußboden abstieß und nun schwerelos durch die Zentrale flog. Mit furchtbarer Wucht prallte er gegen Puris’ Beine, die dadurch ebenfalls vom Boden weggerissen wurden. Beide schnellten hoch empor, überschlugen sich, prallten gegen die gepolsterten Wandungen und schossen dann wieder quer durch den Raum bis in die Bugspitze der Rakete. Puris brüllte wie ein Irrsinniger. Endlich konnte sich Himmert an einer der Lederschlingen anklammern und dem Physiker einen Faustschlag versetzen, der durch die fehlende Schwerkraft so hart ausfiel, daß der eckige Schädel des Mannes nach hinten flog. Fatma schrie auf, als Puris sofort verstummte. Keuchend setzte Himmert die Spezialschuhe auf den Boden und konnte nun endlich wieder stehen. »Er ist tot«, flüsterte Dr. Schoner kalkweiß und sah entsetzt auf den herkulischen Freund, dessen Kräfte sich hier vervielfacht hatten. »Du hast ihm durch den Schlag das Genick gebrochen!« Himmerts Antlitz glich einer Maske, die Gedanken jagten
sich hinter seiner Stirn. Blitzartig wurde ihm klar, daß Professor Mitchel richtig vermutet hatte! Die fremde Raumkugel sollte sie angreifen, nur so konnte es sein. Puris mußte halb irre vor Furcht geworden sein, als er das hörte. Anscheinend waren seine Auftraggeber nicht gewillt, seinetwegen die gefährliche Rakete zu schonen. Himmert sah noch nicht ganz klar, aber er ahnte, daß hinter all den Verbrechen der letzten Monate nur einer steckte: Abd el Mazar! Sich ruckartig umwendend, teilte er den Gefährten seine Vermutungen mit. Fatma taumelte in die Arme des geliebten Mannes, und selbst der verwegene und robuste Mike Chester wurde blaß. »Sofort die Raumanzüge anlegen!« ergriff Himmert die Initiative. »Atemklappen schließen, wir sprechen über die Anzugapparatur. Tempo – alles andere später!« Über eine Viertelstunde war vergangen, bis Fatma und die vier Männer die schweren Raumpanzer angelegt hatten. Mit fliegenden Händen kontrollierte Himmert den Luftdruck in jedem Panzer. Eine Atmosphäre mußte er betragen, auch mußten die kleinen Klima- und Sauerstoffanlagen fehlerfrei arbeiten. Dann jagten sich seine Anweisungen. Während er mit Chester in den kleinen Laderaum B eilte, um die dort eingebaute, druckdicht abschließende Panzerdrehkuppel mit den beiden Raketenkanonen auszufahren, stürzte Hauer an den großen Spezialsender, der extra für den Ruf zur Venus konstruiert und eingebaut worden war. Die kleine Kapsel, die ihm das Venuswesen überreicht hatte, blieb von selbst an seiner linken Schläfe haften, und damit war der Sender für kaum meßbare Gedanken- oder Gehirnwellen arbeitsbereit.
Jetzt schaltete Hauer den Ultrakurzwellensender ein und rief durch die genau eingerichtete Antenne verzweifelt die noch vier Millionen Kilometer entfernte Venus an. »Allah hilf uns!« flehte Fatma weinend. Wieder und wieder rief Manfred Hauer den fernen Planeten an, auf dem seine Zeichen doch gehört werden mußten. Ununterbrochen wiederholte er die Botschaft. * »Achtung – da sind sie!« sagte Ray Luger ruhig und sah gefühllos auf die große Sichtfläche der Zentrale. »Entfernung achtundneunzig Kilometer. Automatisches Zielgerät ist mit Radar-Objekttaster verbunden. Fernsteuergerät der Raketengranaten hat das Ziel ebenfalls erfaßt«, meldete ein dunkelhäutiger Nubier in englischer Sprache. Noch eine Sekunde zögerte Luger, ehe er mit aufleuchtenden Augen auf den seltsam geformten Auslöseknopf der rechten Raketenkanonen drückte. Auf dem oberen Pol des kugelförmigen Schiffes war eine kleine Kuppel sichtbar geworden. Aus einem der beiden daraus hervorragenden Rohre leuchtete in dem Augenblick ein grünliches Flimmern und erlosch wieder. Vollautomatisch hatte sich der Atom-Treibsatz entzündet und riß das metergroße Geschoß mit unfaßbarer Beschleunigung durch den Raum. Kurz darauf ging durch Himmerts Rakete ein harter Schlag. * Fatma schrie auf. »Sie beschießen uns!« brüllte Mike Chester in sein Helmmi-
krophon und drehte mit fliegender Hast an den Einstellschrauben des Radar-Ortungsgerätes. »Wieso melden unsere Geräte das fremde Schiff nicht?« schrie er außer sich, als ein zweiter Stoß durch den Schiffskörper ging. Indessen Himmert mit aller Willenskraft versuchte, den unheimlichen Gegner in die Radargeräte zu bekommen, schrie hundert Kilometer entfernt Luger in die Geschützzentrale seines Schiffes: »Ihr verdammten Idioten! Die Raketen schlagen durch und explodieren nicht! Ihr sollt sie einen Meter vor den Bordwänden fernzünden.« * Weder die verzweifelten Menschen in der Rakete noch die Gangster in dem gestohlenen Kugelschiff bemerkten die drei ebenfalls kugelförmigen Körper, die sich mit rasender Geschwindigkeit durch den nachtschwarzen Raum bewegten und von der Venus zu kommen schienen. Die als glühender Ball im All hängende Sonne stand hinter ihnen – niemand nahm die Kugelschiffe wahr, und selbst Luger achtete nicht auf die Erkennungsgeräte seines Marsschiffes. Gerade brüllte er mit überschnappender Stimme: »Feuer!« Wieder schoß eine Rakete aus den Rohren und raste auf die Rakete zu, wo sie, einen winzigen Augenblick später, dicht vor der Steuerbordwand in der Nähe des Hecks ferngezündet, explodierte. Himmert hatte den Gegner im letzten Augenblick in das Radarnetz bekommen, als es geschah. Er sah auf der Bildfläche
plötzlich eine grellweiße Feuersäule. Aufschreie ertönten in seinem Helmlautsprecher, und dann hörte er, daß die Rakete wie eine Glocke aufdröhnte. Eine unheimliche Gewalt riß ihn vom Zielsitz und ließ ihn mit seinem Schutzpanzer gegen eine Schottenwand knallen, ehe es schwarz vor seinen Augen wurde. * Luger lachte brüllend auf und deutete auf die Bildfläche. Die atomare Explosion hatte zwei Drittel des gesamten Schiffskörpers zerstört. Das halb aufgerissene Bugstück raste jetzt, sich immer von neuem überschlagend, in die Tiefen des Weltraums. »Die sind erledigt – hahaha!« Da erstarb ihm das Gelächter auf den Lippen, entsetzt weiteten sich seine Augen, und vollkommen ratlos stierte er auf die Bordwände seines Schiffes, die sich plötzlich verfärbten. In Sekundenschnelle erglühten sie – jetzt schon hellweiß. Eine unheimliche Hitze ließ die zehn Gangster zurücktaumeln. Schon war Weißglut um sie. Langsam erlagen ihre Körper den Gluten, ehe die Kugel überhell erstrahlte, um danach spurlos zu vergasen. Da erst erlosch der violett flimmernde Strahl an der Kuppel eines der drei unbemerkt herbeigekommenen Schiffe, von denen die beiden anderen schon längst dem planlos in den Weltraum taumelnden Raketenwrack nachjagten. * Qualvoll aufstöhnend griff Dr. Himmert mit beiden Händen an den dick bandagierten Kopf und fuhr ruckartig von dem weichen Lager auf.
Ein lauter Schrei kam von seinen Lippen. Plötzlich sah er wieder die entsetzlichen Bilder vor sich: die Kugel – die Explosion! »Ruhig – ruhig! Es ist ja alles gut«, sagte da eine Männerstimme ganz ungewohnt zart, und eine kräftige Faust drückte den leicht fiebernden Chefingenieur auf das weiche Lager zurück. Ratlos starrte Himmert in das lächelnde Gesicht Chesters, der dicht neben ihm saß. Auf einmal wußte Himmert wieder, was geschehen war. Unvermittelt fragte er heiser: »Mike – ehrlich sein! Wo sind wir? Was ist mit der Rakete? Wo sind Fatma, Hauer und Schoner? Rede! Aber die Wahrheit! Die Venusleute haben eingegriffen, nicht wahr? Oder träume ich, bin ich verrückt?« Mike Chester schüttelte ernst den Kopf und blickte sich in dem vollkommen fremdartig eingerichteten Raum um, in dem das sanfte Licht aus der Decke zu strahlen schien und in dem sich mehrere der weichen Polster befanden. »Ja, Walt, sie haben eingegriffen, leider etwas zu spät. Nein – nein«, hielt er den auffahrenden Freund zurück, »nicht so, wie du denkst! Fatma und Hauer sind okay. Sie schlafen nebenan. Du warst sechs Stunden lang besinnungslos. Schoner hat sich ein Bein gebrochen, als wir in unserem zerfetzten Schiff herumflogen. Ein Glück, daß du uns die Raumpanzer anlegen ließest, denn unsere Atemluft war völlig aus der Kabine entwichen.« Himmert starrte den Freund fragend an, und Chester antwortete verhalten schmunzelnd: »Sie hörten unsere Anrufe auf der Venus. Wäre gar nicht mehr nötig gewesen, denn sie hatten uns längst bemerkt. Nur haben sie eine Sekunde zu lange gezögert, ehe sie die afrikanischen Gangster in dem Marsschiff zerstrahlten.«
Himmerts Augen wurden noch größer. Jetzt berichtete Chester schnell, was er von dem dolmetschenden Hauer erfahren hatte. »Ja – so haben uns die sauberen Moslems hineingelegt. Die warteten nur auf den Augenblick, wo wir unsere gesamten Atomwaffen auf den Mond gebracht hätten, und dann wollten sie uns überwältigen. Die Venusintelligenzen waren tödlich erschrocken und auch gedemütigt. Du wirst lachen, Alter, vor uns nämlich fühlten sie sich gedemütigt! Sie halten uns für bessere Tiere, und nun haben Angehörige ihres eigenen Volkes mit Verbrechern gemeinsame Sache gemacht. Sie versprachen uns fest, die Marsbewohner zu bestrafen und dafür zu sorgen, daß sie niemals mehr zur Erde kommen. Dort müßten wir aber schon selbst Ordnung schaffen, meinten sie, denn das wäre nicht ihre Aufgabe. Auf der Erde weiß man inzwischen Bescheid. Der Sicherheitsrat tagt bereits, und Abd el Mazar dürfte schon jetzt Blut schwitzen. Wir werden erwartet, Doc, und du kannst dich auf einen festlichen Empfang gefaßt machen. Die Erde ist jedenfalls gerettet – durch unseren Flug gerettet!« Mike Chester schwieg, und Himmert fragte mit leuchtenden Augen: »Wo befinden wir uns jetzt?« »In einem Venusraumschiff, das von dem Planeten ferngesteuert wird und uns auf dem Mond absetzen soll.« »Also haben die Venusbewohner uns die Entscheidung aus der Hand genommen.« »Sie haben uns geholfen. Und sie versprachen, uns auch in Zukunft zu helfen.« Himmert, der noch immer sehr geschwächt war, sank zurück. Auf seinem Gesicht breitete sich ein müdes, aber sehr glückliches Lächeln aus. »Wir müssen noch eine Menge lernen«, flüsterte er, ehe er
einschlief. ENDE