Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus Zwischen Anbiederung und Verfolgung
Herausgegeben von Winfried Nerdinger in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Archiv, Berlin Mit Beiträgen von
U te Brüning, Magdalena Bushart, Magdalena Droste, Peter Hahn, Ekkehard Mai, Winfried Nerdinger, Rolf Sachsse, Renate Scheper, Wolfgang Voigt und Sabine Weißler
Prestel
Auf dem Umschlag: Baubüro Rimpl, Heinkel -Flugzeugwerke Oranienburg, um 1938. Photographie von Heinrich Heidersberger Frontispiz:
Friedrich Wagner, Symbol der Freiheit, in ,Fotobeobachter, 11, 1941 , Juli
Die Deutsche Bibliothek -
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p-Einheitsaufnahme:
Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus: zwischen Anbiederung und Verfolgung hrsg. von Winfried Nerdinger in Zusammenarb. mjt dem Bauhaus-Archiv, Berlin. Mit Beitr. von Ute Brüning ... - München: Prestel, 1993 NE: Nerdinger, Winfried IHrsg.]; Brüning, Ute
© Prestel-Verlag, München 1993 © der abgebildeten Werke, soweit dies nicht
bei den Künstlern oder deren Erben liegt: Eugen Batz, earl Bauer, Herben Bayer und Ludwig Hohl wein bei VG Bild-Kunst, Bonn, 1993; Oskar Schlemmer, bei Familien Nachlaß Oskar Schlemmer, D-Badenweiler, 1993 Photonachweis siehe Seite 216 Prestel-Verlag . MandIstraße 26 . D-80802 München Telefon (089) 38 1709-0 . Telefax (089) 38 1709-35
Reproduktionen : repro-center Färber, München Satz und Druck: Wagner GmbH, Nördlingen Bindung: Auer, Donauwörth Printed in Germany ISBN
3-7913-1269-3
Inhalt
Winfried Nerdinger
Ute Brüning
7
Vorwort
9
Modemisierung . Bauhaus Nationalsozialismus
24 Bauhäusler zwischen Propaganda und
Wirtschaftswerbung Sabine Weißler
48 Bauhaus-Gestaltung in NS- Propaganda-Ausstell ungen
Ralf Sachsse
64 Kontinuitäten, Brüche und
Mißverständnisse Bauhaus-Photographie in den dreißiger fahren Magdalena Droste
85 Bauhaus-Designer zwischen
Handwerk und Modeme Magdalena Bushart
Magdalena Droste
103 Ein Bildhauer zwischen den Stühlen Gerhard Marcks in den meißiger fahren 113 Bauhaus-Maler im Nationalsozialismus
Anpassung, Selbstentfremdung, Verweigerung Renate Scheper
142 Hinnerk Scheper: Arbeiten
zwischen 1933 und 1945 Winfried Nerdinger Wolfgan g Vaigt
153 Bauhaus-Architekten im ,Dritten Reich, 179
"Triumph der Gleichform und des Zusammenpassens Ernst Neufert und die Normung in der Architektur u
Ekkehard Mai
194 Weiterwirken der Bauhaus-Pädagogik
Aspekte und Fragmente Feter Hahn
202 Wege der Bauhäusler in Reich und Exil 214 Register
Vorwort
Seit den provozierenden Thesen von Ralf Dahrendorf und David Schoenbaum, daß erst im Nationalsozialismus eine 1918/19 steckengebliebene ,soziale Revolution< durchgesetzt worden sei, auf der die Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik basiere, ist die Frage der ,Modernität< der dreißiger Jahre immer wieder kontrovers diskutiert worden. Während in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit nur die Unterdrückung der Avantgarde-Kunst gesehen wurde, zeigt die historische Forschung zunehmend, daß Teile der modernen Kunst nicht nur eine ,Nische< im Nationalsozialismus gefunden hatten, sondern in einigen Bereichen (Werbung, Design oder Industriearchitektur) ganz offen im Interesse des Systems für dessen Ziele eingesetzt wurden. Auch das 1933 geschlossene Bauhaus, das in der Nachkriegszeit zum Inbegriff der Moderne der Weimarer Republik erhoben wurde, durchzieht mit Ideen und Personen die Zeit des Nationalsozialismus. Dieses ,Weiterleben des Bauhauses< wurde in einem Kolloquium, im Oktober 1991 vom Architekturmuseum der Technischen Universität München und dem
Bauhaus-Archiv in Berlin veranstaltet, untersucht. Nicht Personen und Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus, sondern Funktion, Gestaltungsspielraum und Entwicklung der Moderne innerhalb des Ns-Systems standen im Vordergrund des Interesses. Mit diesem Buch werden die Ergebnisse des Kolloquiums in überarbeiteter und wesentlich erweiterter Form vorgelegt. Vier Beiträge kamen neu hinzu, um noch fehlende Bereiche abzudecken. Die gesamte Spannweite des Weiterwirkens ist allerdings damit keineswegs erschöpfend behandelt, denn zur Arbeit vieler Bauhaus-Absolventen im Nationalsozialismus fehlen immer noch genaue Unterlagen und Auskünfte. Stellungnahmen noch lebender Bauhäusler wurden nicht aufgenommen, um eine distanzierte, historisch-kritische Sicht durchgehend beizubehalten.
Winfried Nerdinger Architekturmuseum, TU München
Peter Hahn· Magdalena Droste Bauhaus-Archiv, Berlin
WINFRIED NERDINGER
Modernisierung . Bauhaus . Nationalsozialismus
Man ist se hr freigebig, wenn es noch einmal loszuwettern gIlt gegen die Hersteller von Lampenschirmen aus Menschenhaut. Man ist sehr wenig geneigt, das Furchtbare zu durchdenken, das die Zukunft viel unsensationeller bedroht: die unwahrscheinliche Rückhaltlosigkeit der talentiertesten deutschen Gelehrten und Künstler, wie sie 1933 zum Vorschein kam und bis heute noch nicht zugegeben wird. Ludwig Marcuse, Mein Zwanzigstes /ahrhundert'
In der ThemensteIlung dieser Publikation Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus überlagern sich zwei Fragen, die beide seit einiger Zeit im Zentrum wissenschaftlicher Diskussionen stehen und die ihrerseits wieder miteinander verknüpft sind. Es geht zum einen um die Frage nach Kontinuität und Bruch jeweils am Beginn und Ende des Nationalsozialismus und zum andern um die Frage nach der Moderne im Nationalsozialismus. Mit dem Begriff ,Bauhaus-Moderne· soll dabei nur eine spezifische Spielart innerhalb der modernen Bewegung eingegrenzt werden. In der Münchner Ausstellung ,ArgusAuge. im Sommer 1991 waren beide Problemkreise auf dem beziehungsreichen, geschichtsbeladenen Königsplatz künstlerisch thematisiert. 2 Hans Haacke hing eine schwarze Fahne mit ssTotenkopf und der Inschrift: .. Zum Appell Deutsche Industrie im Irak« in die Propyläen und listete auf zwei weiteren Fahnen die Namen der beteiligten Firmen auf (Abb.2). Der Zusammenhang zwischen SS-Staat und Industrie, zwischen Massenmord und moderner Technik, aber auch die zeitlose Kontinuität I Plakat Internationale Automobil- und MotorradAusstellung, Berlin 1939
der Kriegsgewinnler wurden damit schlagartig deutlich. Als Gegenstück stellten Tamara Horakova und Ewald Maurer vor die Glyptothek ein um das Zweieinhalbfache vergrößertes Buffet von Mies van der Rohe aus der Villa Tugendhat (Abb.3). Moderne, Klassizismus und die Nazi-Ästhetik der angrenzenden Parteibauten sowie deren Totalitätsanspruch wurden ineinandergespiegelt. Mies, Klenze und Troost schienen aus dieser Perspektive demselben Kunstideal verpflichtet. Beide Gestaltungen verletzten bewußt Tabus, denn die Motoren der Modernisierung, Technik sowie Industrie und Wirtschaft, das .. Heil-Hitler der Gegenwart«3, wie Hans Wollschläger einmal sarkastisch formulierte, stehen trotz aller mit ihnen verknüpften Verbrechen und Katastrophen, von Auschwitz und Hiroschima bis Tschernobyl, bis heute weitgehend außerhalb jeder Verantwortung. Und der letzte Bauhaus-Direktor steht für die Legende vom besseren Deutschland, das 1933 emigrierte und nach 1945 aus dem Exil als demokratische Basis der Bundesrepublik zurückkehrte. Angesichts des Nationalsozialismus waren und sind die Fragen nach Kontinuität oder Bruch bis heute von höchster Brisanz. Fand 1933 ein Einbruch in der deutschen Geschichte statt, der 1945 mit einem Neuanfang, mit der berühmten Stunde Null wieder behoben war, geschahen die Verbrechen von anonymer .. nationalsozialistischer Hand", wie es auf vielen Gedenktafeln heißt, geschahen sie nur .. im deutschen Namen", wie Bundeskanzler Helmut Kohl in Bitburg erklärte, oder handelt es sich um einen historisch folgerichtigen Prozeß .. Von Nietzsche zu Hitler", wie Georg Lukacs 9
schon 1954 plakativ formulierte? Die Antworten der Geschichtswissenschaft, von der ·verspäteten Nation. bis zum ·deutschen Sonderweg· sowie die dazugehörigen Kontroversen füllen inzwischen eine eigene Bibliothek. 4 Eine Verschärfung und zusätzliche Stoßrichtung kam in diese Debatten durch die seit den sechziger Jahren im Anschluß an Max Weber entwickelten Modernisierungstheorien. 5 Mit dem Verweis auf die im Nationalsozialismus eher noch gesteigerte Industrialisierung und Technisierung, auf sozialpolitische Entwicklungen sowie auf eine fortschreitende Urbanisierung, Mobilisierung und Egalisierung der Gesellschaft wurden Kontinuitäten zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik betont und gewollt oder nicht - neue Ansätze zur Historisierung und häufig auch Relativierung des Nationalsozialismus geliefert. Was David Schoenbaum und Ralf Dahrendorf in Untersuchungen über den Wandel der Sozialstruktur durch den Nationalsozialismus in den sechziger Jahren noch als eine »Modernisierung wider Willen,, 6 erschien, dient heute vielfach einer Tendenz, den »Faschismus als Modernisierung abzufeiern,, 7 oder liefert Gründe zu einer Verdammung der Moderne insgesamt. So will auf dem
einen Extrem Rainer Zitclmann 8 in Hitler nur noch einen Sozialrevolutionär und Techniknarren sehen, der nicht wie früher angenommen eine Agrarisierung, sondern eine Amerikanisierung Dc;utschlands erstrebte, und auf dem anderen Extrem ist für Susanne Heim und Götz Aly Auschwitz Endpunkt und Ergebnis einer geplanten Modernisierung. 9 Das Gegenstück zu diesen beiden Historiker-Positionen findet sich auch im Bereich der Kunst- und Architekturgeschichte. So verteidigt einerseits Leon Krier den »liebenswerten" 10 Architekten Albert Speer als größten deutschen Architekten nach Schinkel, den das »tragische Schicksal" traf, wegen Hitlers Technikbegeisterung zum Rüstungsminister und damit zu einer Art Opfer des modernistischen Ns-Systems zu werden, und andererseits vertri tt Alfred Hrdlicka die Auffassung, der Na tionalsozialismus sei eine »logische Konsequenz technokratischen Denkens"II, er produziere eine »typisierte Massen-Avantgarde", und deshalb gebe es keinen Unterschied zwischen Arbeiten von Breker, Mondrian oder Newman . Die Kombination von Kontinuitätsbehauptung und Modernisierung wird schließlich aber auch zunehmend für Denunziation und
2 Han s Haa ck e, "Zum Appell - Deutsche Industrie im Irak .. , Ausstellung .ArgusAuge., Miinch en /99/
10 Win!n ed Nerdinger
3 Tamara Horakova/ Ewald Maurer, Mies- Buffet vor der Glyptothek, Ausstellung >ArgusAuge<, München 1991
Geschichtsklitterung in Dienst genommen. So erklärte Bazon Brock unter verzeichnender Berufung auf Werner Durth in völliger historischer Unbedarftheit: .. Die vom NS-Regime lancierten und teilweise verwirklichten Programme Schönheit der Arbeit setzten nahtlos fort, was deutsche Werkbüodler und BauhäusLer als genuine Programmatik der Modeme entwickelt hatten ... 12 Von Peter-Klaus Schuster u. a. finden sich ähnliche ahistorische Behauptungen l3, und den bisherigen Höhepunkt derartiger Geschichtsklitterung bildet eine Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum, in der der Kampfbundgrüoder SchultzeNaumburg, der mit sA-Schlägern seine Kunstund Rassepredigten hielt, und der Architekt der monströsen Totenburgen, Wilhelm Kreis, als .. stille«(!) und .. gemäßigte Modeme .. rehabilitiert und damit gleichzeitig auf infame Weise alle Ideale der Modeme diskreditiert wurden. 14 Die Frage nach der Modernisierung im Nationalsozialismus ist aber keineswegs beant-
wartet, sondern wird innerhalb der Historikerzunft noch völlig kontrovers diskutiert. Nach Jens Alber l5 widersprechen zahlreiche sozialwissenschaftliehe Statistiken zur Entwicklung der deutschen Gesellschaft im 20. Jahrhundert derartigen Vorstellungen von Modernisierungsprozessen. Während Peter Reichel 16 dieser Position zustimmt, spricht Hans Mommsen von .. vorgetäuschter Modernität .. 17 und sieht die verschiedenen Ansätze zu Modernisierungen im Gestrüpp des nationalsozialistischen Kompetenzwirrwarrs völlig neutralisiert oder konterkariert. Wolfgang Wippermann schließlich Lehnt den ganzen Ansatz radikal ab und sieht nur einen .. Fortschritt in der Barbarei .. 18. Spätestens hier wird deutlich, daß die verschiedenen Positionen 19 wesentlich von ihren jeweils unterschiedlichen Modeme-Definitionen abhängig sind, deren Spannweite auch die Krise der Modeme durch einen Prozeß spiegelt, den Ulrich Beck treffend zusammengefaßt hat: .. Im 19. Jahrhundert vollzog sich Modernisierung vor dem Hintergrund ihres Modemisierung . Baulwus . NS 11
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Gegenteils: einer traditionalcn Welt der Überlieferung, einer Natur, die es zu erkennen und zu beherrschen galt. Heute, an der Wende ins 21. Jahrhundert, hat Modernisierung ihr Gegenteil aufgezehrt, verloren und trifft nun auf sich selbst in ihren industriegesellschaftlichen Prämissen und Funktionsprinzipien.,, 20 Angesichts der globalen Bedrohung durch nur noch nach Rationalisierung und Maximierung ablaufende Modernisierungsprozesse ist derzeit "nichts so modern, wie die Rede vom Tod der Moderne,, 21. Dies verführt dazu, die Moderne aus ihrem konkreten historischen Kontext und insbesondere von allen positiven oder normativen Konnotationen abzulösen und den Begriff nur zur Beschreibung technischen und sozialen Wandels zu verwenden. Unter dieser Prämisse lassen sich dann natürlich die Positionen von Aly bis Zitelmann vertreten. Es fragt
sich allerdings, ob ein historischer Begriff, der seine eigene Geschichte hat, einfach aus seinem konkreten Kontext und damit von seinen jeweils unterschiedlichen Intentionen gelöst werden kann_ Dies gilt, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, für Jürgen Habermas, der ausgewählte Elemente der Moderne wie Aufklärung, Emanzipation und Demokratisierung zum historischen Konstrukt eines "Projekts Moderne,,22 verknüpfte. Ein entscheidender Parameter für die Bewertung der Modeme im Nationalsozialismus ist die Abwägung und Gewichtung der regressiven - Blut, Boden, Rasse, Überlebenskampf - und der progressiven (oder besser dynamischen) Elemente des Nationalsozialismus - Mobilisierung, Leistungssport, Kriegstechnik, Industrialisierung. Henry A. Turners Begriff "Moderne iq der Antimoderne,, 23 und Jeffrey Herfs
5 Mercedes im SpeerPavillon auf der Pariser Weltau ss telJung, 1937
M odem isJewng' Ba uhaus' N S 13
»reactionary modernism,,24 fassen dieses ,Doppelgesicht, des Nationalsozialismus zusammen. Diese Betonung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Nationalsozialismus ist nun keineswegs neu. ,Sirenenton und Sichelklang,25 hieß bereits eine bezeichnende offizielle Lyriksammlung von 1935, Ernst Bloch definierte aus »Ungleichzeitigkeit und Berauschung", aus »Plüschsofa und Lagerfeuer" die »Originalgeschichte des Dritten Reichs ., 26, und Herf bekennt am Schluß seines Buches, Thomas Mann habe eigentlich bereits 1945 das Wesentliche zum Nationalsozialismus ausgesagt: »... die Mischung von robuster Zeitgemäßheit, leistungsfähiger Fortgeschrittenheit und Vergangenheits traum, der hochtechnisierte Romantizismus ..,27 Tatsächlich lassen sich auch nahezu beliebig viele Beispiele für die nazis tische Mischung aus Progression und Regression zusammenstellen: Bekannt ist Hitlers Verehrung von
Henry Ford, dem er das Großkreuz des Adlerordens verlieh 28, sowie seine Technik- und Autobegeisterung (Abb. 1), die mit seiner Vorliebe für historistische Architektur des 19. Jahrhunderts korrespondierte. Entsprechend stand im Inneren von Albert Speers Deutschem Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937 (Abb.4), ein Paradebeispiel für monumentale, sargartig verpanzerte 'Unterdrückungsarchitektur" an zentraler Stelle ein hypermodern gestylter Mercedes-Rennwagen (Abb.5)29 j der von Egon Eiermann fast futuristisch gestylten Ausstellung ,Gebt mir vier Jahre Zeit, (Abb.6, 7), den im besten Bauhaus-Stil gestalteten OlympiaProspekten von Herbert Bayer oder dem Olympiapavillon von Paul Baumgarten (Abb.8) stehen gleichzeitige Monumentalbauten wie Zeppelinfeld oder Haus der Deutschen Kunst gegenüber, und die Titelseiten der Zeitschrift ,Moderne Bauformen, zeigen bis 1942 in regelmäßigem Wechsel bodenständige Häuschen
6 Egon Eiermann, Ausstellung 'Geb t mir vier ,ahre Zeit" Berlin 1937
14 Wm{ned Nerdillger
7 Egon Eiermann, Auss tellung ' Gebt mir vi er fahre Z eit<, Berlin 1937
oder modernistische Tankstellen und Fabrikanlagen (Abb. 9, 10).30 Diese Mischung erscheint einigen Historikern als gezielte Instrumentalisierung durch den NS-Propaganda-Apparat. So meint HansDieter Schäfer3 1 in seiner Untersuchung über die Alltagskultur im Dritten Reich, der erzwungene Konsumverzicht sei durch Gewährung gewisser Freiräume innerhalb der Modernisierung - von Coca-Cola bis Jazz (Abb. 11, 12) - kanalisiert worden; in der Architektur sieht z. B. Gerhard Fehp2 einen programmatischen Elektizismus, je nach Bauaufgabe sei die »passende" Architekturform gewählt worden, für Repräsentationsbauten klassizistisch, für Wohnungsbau regionalistisch und für Industriebau eben modem. Der mikroskopischwissenschaftliche Blick kann in fast allen Lebensbereichen modeme Elemente neben reaktionär-konservativen Gestaltungen aufzeigen, problematisch ist nur die Bewertung dieser Befunde, denn der buchstäblich verengte Blick-
winkel verzerrt häufig den Stellenwert derartiger Befunde. Was besagen letztlich einige Besprechungen moderner Literatur, ein paar JazzAufführungen oder einige moderne Architekturelemente in einer literarischen, musikalischen und architektonischen Wüste. Erst eine umfassende quantitative Abwägung erbrächte hier ein aussagekräftiges Ergebnis. So ist z. B. der Anstieg der Absatzzahlen von Thonet-Freischwingern33 (Abb.13) von 1933- 37 erstaunlich und belegt gewisse Freiräume in der - unproblematischen - Innenraumgestaltung (Abb. 14), werden die verkauften Exemplare aber auf die Zahl aller Haushalte in Deutschland umgerechnet, so lösen sie sich nahezu in Nichts auf. Problematisch ist es auch, dieses Ineinander und Nebeneinander von Reaktionär und Modern als Erklärungsmodell für »Verschleierungspraktiken« oder »Lügenhaftigkeit,,34 der NS-Kunstpolitik zu verwenden. Übersehen wird dabei zumeist, daß sich derartige UnModernisierung . Bauhaus· NS 15
gleichzeitigkeiten schon ausgeprägt um 1900 im deutschen Kaiserreich finden, das Jost Hermand deshalb bereits 1967 als ,.fortschrittliche Reaktion«35 definierte. So reiste z. B. Wilhelm 11. in seiner hochmodernen Yacht ·Hohenzollern, zur Marienburg oder nach Jerusalem, um dann kostümiert als Deutschordensritter oder Kreuzfahrer aufzutreten. Auch die immer wieder als Kennzeichen von sogenannter 'Ns-Archi tektur, beschriebene Verkleidung modernster Technik durch repräsentative Materialien und Architekturformen war bereits im Kaiserreich ganz geläufig. Das von der äußeren und inneren Erscheinung perfekt romanisch gestaltete Kaiserschloß in Posen von 1910 besaß z. B. modernste Heizungs- und Lüftungssysteme, Stahlbetondecken sowie Bäder und Aufzüge. 36
8 Paul Baumgarten, Olympia-Pavillon, Berlin 1936
16 Winfried Nerdinger
Es handelt sich hier letztlich um unterschiedliche Geschwindigkeiten zwischen gesellschaftlicher, künstlerischer und industrieller Entwicklung, um Durchmischung von progressiven und regressiven Tendenzen als typischen Phänomenen der Industrialisierung, die sich bis heute finden - man denke nur an die Paarung von New Age und Mikroelektronik oder den Trachtenlook im Düsenclipper. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen allein genügt sicher nicht zur Definition des Nationalsozialismus. Es müßte eher umgekehrt die Frage gestellt werden, warum denn Industrialisierung und Demokratisierung, Moderne und freiheitliche Entwicklung zwangsläufig -synchron· gehen sollen. Die Verknüpfung von Moderne mit Fortschritt, Partizipation und Eman-
zipation erscheint am Jahrhundertende ähnlich in Frage gestellt wie bereits vor 100 Jahren durch die Lebensreformbewegung. Im Bereich der Literatur hat Milan Kundera kürzlich nachdrücklich auf die DoppeIgesichtigkeit der Moderne verwiesen: »Es gibt die moderne Kunst, die sich in lyrischer Ekstase mit der modernen Welt identifiziert. Apollinaire. Die Begeisterung für die Technik, die Faszination durch die Zukunft. Mit ihm und nach ihm: Majakowski, Leger, die Futuristen, die Avantgarden. Aber Kafka steht im Gegensatz zu Apollinaire. Die moderne Welt als Labyrinth, in dem der Mensch sich verirrt. Der antilyrische, antiromantische, skeptische, kritische Modernismus. Mit und nach Kafka: Musil, Broch, Gombrowicz, Beckett, Ionesco, Felhni .. . In dem Maße, wie man sich in die Zu kunft vertieft, gewinnt das Erbe des antimodemen Modernismus an Bedeutung.. .. All jene, die sich für den Lärm der Massenmedien, für das debile Lächeln der Reklame, für das Vergessen der Natur, für die zur Tugend hochstilisierte Indiskretion begeistern, müßte man Kollaborateure der Modernität nennen.,,37 Moderne Kollaborateure des Faschismus oder Nationalsozialismus waren bereits Benn, Celine oder Ezra Pound 38, im Bereich der Kunst und Architektur die Futuristen oder Le Corbusier, der seine Dienste Mussolini und dem Vichy-Regime anbot. 39 Fritz J. Raddatz schnitt diese Frage für die Literatur 1979 in der Artikelserie ,Wir werden weiterdichten, wenn alles in Scherben fällt<40 in ,Die Zeit< an. Seine Hinweise auf die Tätigkeit von Günther Eich, Wolfgang Koeppen oder Erich Kästner im ·Dritten Reich
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B4IJFOHHEN MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR UND RAUMKUNST
JAHRGANG XLI . HEFT 4 . APRil 1942
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9,10 Titelseiten .Moderne Bauformen<, April und Juli 1942
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B4IJFOHHEN MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR UND RAUMKUNST
JAHRGANG XLI . HEFT 7
JULI 1942
Modernisierung . Bauhaus' NS 17
11 Coca-Cola Werbung auf städtisch em Bus in Berlin, 1939
Während das Bauhaus im Osten als bourgeois und amerikanisch-kosmopolitisch denunziert wurde 41 , obwohl in der DDR einige Bauhäusler höchste politische Positionen einnahmen, galt es in der Bundesrepublik als Garant für die Anknüpfung an das bessere Deutschland der Zeit vor '33 und als Zeichen für eine neue demokratisch-amerikanische Ausrichtung, denn das Bauhaus war ja 1933 geschlossen und seine Direktoren zur Emigration gezwungen worden. 42 Wer auch nur ein Semester dort verbracht hatte, machte damit Karriere, denn die Berufung aufs Bauhaus, und wenn auch nur durch ein Bauhaus-Produkt, war Bestandteil jener von Habermas treffend diagnostizierten Lebenslüge der Adenauer-Zeit: »Wir sind alle Demokraten" .43 Daß es sich beim Bauhaus-Bild der Nachkriegszeit um ein in jeder Beziehung 18 Winfried Nerdinger
historisch falsches Konstrukt handelt, vermerkte schon Gerhard Marcks 1954 in einem bitteren Brief an Gropius: »In Deutschland ist jeder sein eigener Hitler und ich empfinde es als durchaus logisch, daß ich sowohl von Hitler als auch vom moholysierten Bauhaus totgeschwiegen werde.,, 44 Der genaue historische Blick zeigt auch am Bauhaus, wie in vielen Lebensbereichen 1933, sowohl Widersprüche als auch fließende Übergänge. Die Begleitumstände der Schließung des Berliner Bauhauses am 11. April 1933 sind in der wichtigen Dokumenten-Sammlung ,bauhaus berlin,45 ausführlich belegt. Erstaunlich sind die sich anschließenden Bemühungen, es unter dem Motto ,Deutsches Bauhaus, wiederzueröffnen. Eine Gruppe junger Bauhäusler bekannte sich offen zum Nationalsozialismus
und beantragte die Aufnahme in den Kampfbund. Damit setzten sie allerdings nur einen Vorschlag von Kandinsky und Lilly Reich, den wohl auch Walter Peterhans unterstützte, in die Tat um. Mit gewisser Häme konnte Winfried Wendland, Referent am preußischen Kultusministerium, feststellen, wie schnell etliche Modeme ins neue Lager überliefen.46 Einige Monate schien es, als ob das Bauhaus in modifizierter Form doch wieder eröffnet werden könnte, aber letztlich handelte es sich hier um eine trügerische Hoffnung, denn das Bauhaus gehörte seit den zwanziger Jahren zu den meistgenannten Feindbildern der Ns-Kulturpolitik, eine Duldung wäre schon aus propagandistischen Gründen nicht möglich gewesenY Aber auch in Italien, wo der ehemalige Bauhaus-Meister Xanti Schawinski, der problemlos Bauhaus-Typographie auf Faschismus-Plakate übertrug, über Mussolini und mit Gropius' Wohlwollen versuchte, das Bauhaus neu zu eröffnen, zerschlug sich diese Hoffnung. 48 In den ersten Jahren der Nazi-Herrschaft gab es zwar gerade im kulturellen Bereich noch gewisse Freiräume, aber aus heutiger Sicht zeigt sich, daß die von Wilhelm Pinder bis Theodor Fischer, von Hugo Häring bis Walter Gropius, Wassili Luckhardt oder Martin Elsässer formulierten Hoffnungen auf eine Anerkennung wenigstens von Teilen der Modeme als .. deutscheu oder .. nordische« Kunst völlig illusionär waren. 49 Der Versuch einer ,Nationalisierung der Modeme
im NS-Staat, der seine antisemitische und antidemokratische Haltung doch ganz offen nicht nur propagierte, sondern demonstrierte, einen Platz finden zu können. So vertrat von der Bauhaus-Prominenz nicht nur Walter Gropius das italienische Modell einer modemen Staatskunst, sondern Mies van der Rohe unterschrieb noch 1934 den ,Aufruf der Kulturschaffenden<51 und Oskar Schlemmer schrieb im Juni 1933: .. Z. Zt. wird zwar alles nachgeprüft, die Abstammung, Partei, Jud, Marx, Bauhaus ... Ich fühle mich rein und meine Kunst streng den nat. soz. Grundsätzen entsprechend, nämlich ,heroisch, stählern-romantisch, unsentimental, hart, scharf, klar, typenschaffend< usw. - aber wer sieht es?« 52 Die Nazis sahen jedoch sehr wohl, was und wen sie ,gebrauchen< konnten. Jüdische und
12 Coca-Cola Werbeplakat, 1939
Modernisierung . Bauhaus· NS 19
kommunistische Bauhäusler mußten emigrieren oder wurden verfolgt und ermordet, aber nicht weil sie Bauhäusler waren. Die Exponenten des Bauhauses wurden schon aus propagandistischen Gründen entlassen und zumindest offiziell weitgehend kaltgestellt, aber Gropius und Mies konnten 1934 noch Abteilungen der Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit, gestalten, und Mies erhielt sogar anschließend noch den Auftrag zur Planung des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel1935. Zwar wichen manche Bauhäusler auf ,neutrale, Betätigungsfelder aus, aber einige ehemalige Meister und ganze Scharen von Bauhäuslem fanden im Bereich Architektur, Graphik, Design oder Ausstellungswesen mehr als genug zu tun. 53 Insbesondere Industrie- und Luftwaffenbauten wurden im Zeichen der Aufrüstung und des Krieges zu einer Domäne und keineswegs zu einem Versteck der Modeme. Die Herkunft vom Bauhaus al-
13 Hit1er auf Tbonet·Preischwinger, wn 1938
20 Winfried Nerdinger
lein scheint kaum oder keine Probleme bereitet zu haben. Einige Bauhäusler stiegen sogar im NS-System zu gewisser Bedeutung auf: Wilhelm Wagenfeld leitete seit 1935 die Vereinigten Lausitzer Glaswerke und bestimmte mit seinem Design weite Ausstattungsbereiche der DAF-Organisationen, Kurt Kranz wurde ,Kriegsmaler" earl Bauer Vertrauensarchitekt der DAF, Hans Dieckmann Referent für das deutsche Kunsthandwerk oder Hubert Hoffmann Landesplaner in Litauen. Von den ehemaligen Bauhaus-Meistern prägte Herbert Bayer das Erscheinungsbild der wichtigsten offiziellen NS-Propaganda-Ausstellungen bis 1937, und Hinnerk Scheper, der zahlreiche Militärbauten mit Wandgemälden schmückte, gelangte sogar auf ungeklärte Weise bis zum Auftrag zur Ausmalung von Görings Karinhall. Das Spektrum des Weiterlebens von Bauhäuslern und Bauhaus-Ideen im Nationalsozialismus zeigt die gesamte Bandbreite von Mittätern und Mitläufern über Anpassung und Neutralisierung bis zu Spaltung in öffentliche und private Tätigkeit oder verstecktem Widerstand. Offensichtlich ist, daß nirgends generalisiert werden kallli und jeder Bereich und jede Person individuell betrachtet werden müssen. Offensichtlich ist aber auch, daß zumindest Teile der modernen Gestaltung oder der Bauhaus-Ideen weder mit dem Nazi-System unverträglich waren noch dagegen immunisierten.
14 H. H. Burghardt, Schnellimbiß-Raum für ein Bahnhofsgebäude, 1936
ANMERKUNGEN
Ludwig Marcuse, Mein Zwanzigs tes Jahrhundert, München 1960, S. 177 2 Ausst. Kat. ArgusAuge, München 1991 3 Hans Wollschläger, "Tiere sehen dich an" oder das Potential Mengele, Zürich 1989, S. 12; ähnlich Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/ Main 1986, S. 19; vgl. Oskar lelli nek 1940: ·Die ,Erfolge' dieses ,Feldzuges' (biedermeierische Worte für HöllengreueJ) hat kein Blücher, kein Moltke, kein deutscher Napoleon erkämpft - der Mörder-Ingenieur hat sie errungen., in: Uteratur im Indu striezeitalter, Marbach 1987, S.844f. 4 Vgl. die Überblicke bei Thomas Nipperdey, ·1933 und Kontinuität der deutschen Geschichte·, in: Historische Zeitschrift 1978, S. 86-111; Hans Mommsen, -National Socialism: Continuity and Change., in: Walter Laqueur (Hrsg.i, Fascism, New York 1982, S. 179-210; Wilhe1m Alff, Materialien zum Kontinuitätsproblem der deutschen Geschichte, Frankfurt 1976; Konrad H.larausch, ·From Second to Third Reich: The Problem of Continuity in German Foreign Policy., in:
Gentral EUIopean History 1979, S.68-82, sowie HansUlrich Wehler, Entsorgung der deutschen Vergangenheit! Ein polemischer Essay zum ,Historikerstreit<, München 1988 5 Vgl. die Überblicke mit ausführlicher Literatur bei Hans-Ulrich Wehler, Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1973; Peter Flora, Modernisierungsforschung, Opladen 1974; Detlev Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen 1989; Stefan Immerfall, .Was ist Modemisierung(stheorie)., in : Historicum Nr. 27/1991, S. 14- 17 6 Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S.432ff.; David Schoenbaum, Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reichs, München 1980 (eng!. 1968) Karl Heinz Roth, ·Zum Tod von Tim Mason', in: 1999, Heft 3/1990, S. 145 H. 8 Rainer Zitelmann, Hit/er. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Stuttgart 1991 (gegen diese ·skandalöse. Darstellung s. Michael Salewski in: Das HistorischPolitische Buch 3/1989, S.86); vgl. ders., ·NationalsoModernisierung . Bauhaus· NS 21
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zialismus und Moderne. Eine Zwischenbilanz·, in: Werner Süß (Hrsg.), Übergänge, Festschrift H. G. Bütow, Berlin 1990, S. 195-223; ders., ·Die totalitäre Seite der Moderne., in: Michael Prinz und ders. (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modermsierung, Darmstadt 1991 , S. 1-20; vgl. auch das Vorwort der Herausgeber Uwe Backes, Eckhard Jesse, Rainer Zitelmann zu: Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zu einer Historisierung des Nationalsozialismus, Berlin 1990, S. 11 , hier werden auf einer Seite als Feindbilder benannt: .. eine ritualisierte Bewältigungsstrategie .. , .. volkspädagogische Ambitionen .. , .. mangelnde Gelassenheit .. , .. die Errichtung von Deutungsmonopolen .. etc. Diese Denunziationen entlarven die Zielsetzung der Autoren. Götz Aly und Susanne Heim, Vordenker der Vernich tung. Auscbwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1990; vgl. Karl Heinz Roth, ·Die Modernisierung der Folter in den bei den Weltkriegen., in: 1999 Heft 311987, S. 8-75; ders., ·I.G. Auschwitz: Normalität oder Anomalie eines kapitalistischen Entwicklungssprungs., in: 1999 Heft 4/1989; S. 11-28; Zygmunt Baumann, Modernity and the Holocaust, Oxford 1990 Leon Krier, ·Eine Architektur der Sehnsucht., in: Bau· welt 1987, Heft 28/29, S. 1037; auch wenn Krier einige aberwitzige Behauptungen aufstellt (.. Auschwitz-Birkenau und Los Angeles haben dieselben Eltern .. ), weist er doch zu Recht auf die Nachkriegsblindheit gegenüber den Ns-Verbrechen der Industrie hin . Die in d,esem Bauwelt-Heft gegen Krier bemühten Aufsätze entrüsten sich am eigentlichen Problem vorbei. Alfred Hrdlicka, Die Ästhetik des automatischen Faschismus, Wien/Zürich 1989, S.65-76, sowie S. 186 .. Die Nazis waren die Avantgarde der Technokratie .. Bazon Brock, Kunst auf Befebl?, München 1990, S. 11 ; Brock bezieht sich auf Werner Dunh, Deutscbe Architekten, Frankfurt 1985, der zwar übertrieben personalisiert und die Kontinuität weit überzieht, aber doch historisch argumentiert; zur Kritik s. WinIried Nerdin ger, ·Materialästhetik und Rasterbauweise . Zum Charakter der Architektur der 50er Jahre., in: Architektur und Städtebau der 50er lahre, Schriften des deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Band 41, S. 38-49 Vgl. Hartmut Frank, ·Monument und Stadtlandschaft. Anmerkungen zu einer bösen Architektur mit einem Abstand von 45 Jahren', in: Die Axt hat geblüht, Ausst. Kat. Düsseldorf 1987, S.344-357; Peter-Klaus Schuster, ·Angst vor der Moderne., in: Süddeutsche Zeitung vom 28./29. 11.1 987, ders., .Widersprüche der Moderne., in: Neue Zürcher Zeitung vom 14./ 15.4. 1990 Vittorio Magnago Lampugnani (Hrsg.), Reform und Tradition. Moderne Architektur in Deutschland 1900-1950, Stuttgart 1992 Jens Alber, ·Nationalsozialismus und Modernisierung., in: Kölner Zeitschrift fü r Soziologie und Sozialpsychologie 1989, S.346-365 Peter Reichei, ... Vergangenheitstraum .. , .. Fortgeschrittenheit .. und Völkermord . Zur Diskussion um Modernität und Modernisierung im NS-Staat·, in : Historicum
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Nr.2711991 , S. 18-26; vgl. auch Peter Reichei, Der schöne Schein des Dritten Reiches, München 1991 ; die von Reiche! konstatierte .. sektoriale .. Kontinuität .. moderner .. Entwicklungen wird auch von Jost DülIfer gegen Zitelmann betont, vgl. FAZ 10.6. 1991 Hans Mommsen, .Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung., in: ders., Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, Reinbek 1991, S. 405-427 ff. Woligang Wippermann in seinem Vortrag auf der Fachtagung ·Bauhaus-Modeme im Nationalsozialismus·, Bauhaus-Archiv 1991. Wippermann verwies auch auf Vorläufer der Diskussion in Italien um die Moderne im Faschismus, s. dazu ders., Faschismustheorien, Darmstadt 1989, S.80-86, sowie Tim Mason, ·Tbe Great Economic History Show., in: History Workshop Nr.21 , 1986, S.3-35 Vgl. auch A. J. Gregor, .Fascism and Modemization., in: World Politics 1972, S.547-564; Karl Dietrich Braeher, ·Tradition und Revolution im Nationalsozialismus', in: ders ., Zeitgeschichtliche Kontroversen, München 1976; Horst Matzerath und Heinrich Volkmann, .Modemisierungstheorie und Nationalsozialismus., in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Theorien in der Praxis des Historikers. Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 311977, S. 86-116; Gesine Elsner, · .. [n gewisser Hinsicht war Robert Ley der deutsche William Beveridge .. - Zur Diskussion über Modernisierungselemente in der nationalsozialistischen Sozialpolitik., in: 1999, Heft 4/ 1992, S.83- 1OO Beck, Risikogesellschaft (Anm.3), S. 14 Herbert Schnädelbach, ·Gescheiterte Moderne ?', in: ders., Zur Rehabilitierung des animal rationale, Frankfurt/ Main 1992, S. 431 H. Jürgen Habern1as, ·Die Moderne - ein unvollendetes Projekt., in : ders., Kleine Politische Sch riften I- IV, Frankfurt/Main 1981 , S. 444 H. Henry A. Turner, .Faschismus und Anti -Modernismus·, in: ders., Faschismus und Kapitalismus in Deutschland, Göttingen 1980, S. 157- 182; vgl. Manfred Rauh, .Anti -Modernismus im nationalsozialistischen Staat·, in : Historisches Jahrbuch 1987, S.94-121 Jeffrey Herf, Reactionary Modemism . Technology. Culture and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984 Ferdinand Oppenberg, Sirenenton und Sichelklang, Berlin 1935, vgl. Litera tur im Industriezeitalter (Anm.3), S. 825-849 Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt/Main 1962, S. 80 H. Thomas Mann, .Deutschland und die Deutschen·, in: ders., An die gesittete Welt, Frankfurt/ Main 1986, S. 718 Vgl. Christian Schneider, Stadtgriindung im Dritten Reich. Wolfsburg und Salzgitter, München 1979, S.28 Dieter Bartetzko, .Tödliches Lächeln - Der deutsche Ausstellungspavillon von Albert Speer., in: Die Axt hat geblüht (Anm. 13), S.337-343 Vgl. die Titelseiten der Zeitschrift Moderne Bauformen Hans-Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewußtsein.
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Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München 1982; ders., ·Amerikanism us im Dritten Reich., in: Prinz/Zitelmann (Anm.8), S. 199-215 Gerhard Fehl, ·Die Moderne unterm Hakenkreuz. Ein Versuch, die Rolle funktionalistischer Architektur im Dritten Reich zu klären·, in: Hartmut Frank (Hrsg.), Faschistische Architekturen. Bauen und Planen in Europa 1930- 1945, Hamburg 1985, S.88- 122 Jan van Geest/Otakar Macei, Stühle aus Stahl. Metallmöbel 1925- 1940, Köln 1980, S.46, mit der Abbildung: .. Hitler beim Zeitungs lesen unter dem Adventsbaum auf einem Thonet-Freischwinger .. (frdl. Hinweis R. Joppien) So der Interpretationsansatz bei Joachim Petsch, Bau kunst und Stadtplanung im Dritten Reich, München 1967, sowie bei einigen Beiträgen von Hinz/ MittiglSchäche/Schönberger, Die Dekoration der Gewalt, Gießen 1979 Jost Hermand, Stilkun st um 1900, München 1973, S. 26 ff. ·Das neue Residenzschloß in Posen', in : ZentralblaLL der Bauverwaltung 1910, S.453- 458 Milan Kundera, Die Kunst des Romans, Frankfurt/ Main 1989, S. 140, 147 f.; im Bereich der Literatur ist die Kritik von modemen Dichtern an Tendenzen der Moderne von Döblins Amazonas bis zu Huxley und Orwell seit langem geläufig. V~I tur Deutschland Karl Corino (HIsg.), Intellektu ell,. 1111 Bann des Nationalsozialismus, Hamburg 1980; sowie Michael Zimmermann, Die Literatur des französischen Faschismus, München 1979 Giorgio Ciucci, ·A Roma con Bottai., in: Rassegna Nr.3 (r clienti di Le Corbusier), Mailand 1979, S. 66-7I; Mary McLeod, ·Urbanism and Utopia: Le Corbusier from Regional Syndicalism to Vichy., Masch. schriftl. Diss., Princeton 1985 Fritz J. Raddatz in: DIE ZEIT Nr. 42/1979 sowie die sich anschließende Kontroverse in den folgenden Num mern; die Diskussion erinnerte vielfach an die Polemik um innere und äußere Emigration zwischen Thieß, Molo und Th. Mann in der ersten Nachkriegszeit, vgl. Johannes Grosser, Die große Kontroverse. Ein Briefwech sel um Deutschland, Hamburg 1963; für den Bereich der bildenden Kunst liegen bislang nur wenige Ansätze zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der .Modernen . im Nationalsozialismus vor, vgl. Erhard Frommhold, ·Zwischen Widerstand und Anpassung., in: Friedrich Möbius (HIsg.), Stil und Gesellschaft, Dresden 1984, S.253-278; Sabine Weißler (Hrsg.), Design in Deutschland 1933-45, Gießen 1990 Vgl. z. B. Das nationale Aufbauwerk und die Aufgaben der deutschen Architektur, Berlin 1951 Zum Bauhaus-Mythos vgl. Droste/Nerdinger/Strohl (HIsg.), Die Bauhaus-Debatte 1953, Bauweltfundamente Band 100, Berlin 1993 (im Druck); ähnliche Legenden beherrschten Soziologie und Psychologie, mit denen Otthein Rammstedt, Deutsche Soziologie
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1933-1945. Die Normalität einer Anpassung, Frankfurt/ Main 1986, sowie Ulrich Geuter, Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozia lismus, F~ankfurt/Main 1988, gründlich aufräumten. Jürgen Habermas, ·Die zweite Lebenslüge der Bundesrepublik: Wir sind wieder .. normal .. geworden., in: DIE ZEIT 11. 12.1992 Gerhard Marcks an Gropius am 25.11. 1954, Houghton Library Cambridge/Mass. Peter Hahn (HIsg.), bauhaus berlin, Weingarten 1985; die historische Aufarbei tung des Bauhauses wird durch die Selbststilisierung der Bauhäusler und. die weißen Flecken in ihren Lebensläufen besonders erschwert. WinIried Wendland, ·Die junge Generation in der Baukunst., in: Nationalsozialistische Monatshefte 1934, S.13-18 Vgl. die zahlreichen Hinweise zum .. Feindbild Bauhaus .. bei Franz Roh, Entartete Kunst, Berlin 1962, S. 72ff., sowie die Texte und Reden von Schmitthenner, Högg, Bestelmeyer u. a. gegen die Modeme bei Anna Teut, Architektur im Dritten Reich 1933-1945, Berlin 1967, S. 121 ff. Briefe von Xanti Schawinski an Gropius aus Italien 1934 im Bauhaus-Archiv; für Schawinskis Haltung vgl . die schamlose Verwendung desselben Entwurfs für eine Luftschau in Italien 1934 und eine Luftwaffenwerbung in den USA 1941 , Schawinsky, Ausst. Kat. Berlin 1986, S. 120 und 136 Winfried Nerdinger, .Versuchung und Dilemma der Avantgarde im Spiegel der Architekturwettbewerbe 1933-45·, in: Frank (Anm.32), S.65-87; ders., .Theodor Fischer und die deutsche Architektur der dreißiger Jahre', in: Maria Rüger (HIsg.), Kunst und Kunstkritik der dreißiger lahre, Dresden 1990, S. 141-147; Stefan Germer, .Kunst der Nation·, in: Bazon BrockJAchim Preiß (HIsg.), Kunst auf Befehl? , München 1990, S.21-40 Fred K. Prieberg, Musik im NS -Staat, Frankfurt/ Main 1982; Albrecht DümlinglPeter Girth (HIsg.), Entartete Mu sik, Ausst. Kat. Düsseldorf 1988 Vgl. Hahn (Anm.45), S. 147f. Brief von Oskar Schlemmer an Gunta Stölzl am 16. 6.1933 (im Bauhaus-Archiv). Schlemmer zitiert aus einer Rede von Goebbels an die deutschen Theaterleiter. Diese Passage ist im Abdruck des Briefs bei An dreas Hünecke, Oskar Schlemmer. Idealist der Form , Leipzig 1990, S. 275 ausgelassen . Auch der Bauhäusler Max Cetto zi tiert diese Worte in einem Brief an Goebbels, vgl. Teut (Anm . 47), S. 142ff. Schlemmer, der 1934 zum Mosaikwettbewerb im Deutschen Museum den Entwurf einer mit Hitlergruß zu einer Führer-Lichtgestalt marschierenden Gruppe vorlegte, rang jahrelang um seine Position zum und im Nationalsozialismus, wie seine Tagebücher (im BauhaUS-Archiv) belegen. Vgl. zum Folgenden die Nachweise in den jeweiligen Aufsätzen dieses Bandes.
Modemisi erung . Bauhaus' NS 23
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Bauhäusler zwischen Propaganda und Wirtschaftswerbung
Wir sehen die ehemaligen Bauhäusler mit einem großen, in sich heterogenen Spektrum von Werbeaufgaben betraut, deren Anforderungen im einzelnen bisher keineswegs deutlich sind. Sie waren sowohl in der Propaganda als auch in der Wirtschaftspropaganda und Wirtschaftswerbung tätig. Diese Differenzierung auf begrifflicher und organisatorischer Ebene, auf die man viel Wert legte und die für die NSZeit charakteristisch blieb, war das Ergebnis des Gesetzes über Wirtschaftswerbung vom September 1933. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda RMVP ließ in den nachfolgenden Ausführungsbestimmungen den Staat als Werbungstreibenden hervortreten, indem es ihm u. a. das Monopol auf den Begriff ,Propaganda. verschaffte. l Ihr Betätigungsfeld war allein die Politik, ihre Methode bestand aus der Sicht eines Fachmanns für Wirtschaftspropaganda in der "Einhämmerung der ewigen Wahrheiten ... 2 Der Sektor ,öffentliche Werbung., auch ,Wirtschaftspropaganda. genannt, den das Ministerium als Konsequenz des Gesetzes institutionalisierte, sollte volkswirtschaftliche Ziele verfolgen. Die Organisation dieser ,gemeinnützigen. Werbung wurde dem neu geschaffenen Kontroll- und Lenkungsinstrument der Wirtschaft, dem Werberat der deutschen Wirtschaft übertragen. Er hatte die Funktion, die Verbraucherlenkung und die volkswirtschaftliche Aufklärung einzuleiten. Daneben setzte er sich aber auch für eine breite Förderung und Effektivierung der Werbung im allgemeinen ein, wirkte also nicht nur repressiv vereinheitlichend und reglementierend. 3 Die meistpropagierte Methode, die 24
Wirtschaft zum gemeinnützigen Denken zu erziehen, war die anonyme ,Gemeinschaftswerbung., die, z. T. durch die an den Werberat abgeführten Werbeabgaben von ihm selbst finanziert, nie zuvor in diesem Umfang existiert hatte. 4 In vieler Hinsicht unbeeinflußt von der Lenkung des RM VP war die Wirtschaftswerbung, deren Privatinitiative als erwünscht und unentbehrlich für die Volkswirtschaft galt. Die Exekutive in allen drei Werbegattungen war geteilt zwischen der nationalsozialistischen Reichsfachschaft deu tscher Werbefachleu te NSROW, die dem Werberat unterstellt war, und den im Bund deutscher Graphiker BOG organisierten Künstlern, die der Reichskammer der bildenden Künste angehörten, so auch die Bauhäusler. Die Aufgabenbereiche Propaganda, Wirtschaftspropaganda und Werbung haben fließende Grenzen, verschwimmen oft ganz ineinander und profitieren methodisch voneinander. Es wurden kontinuierlich in allen fortschrittliche graphische Darstellungsformen in Anspruch genommen, die aber gleichzeitig und, wie es scheint, im Laufe des Krieges zunehmend mit rückwärts orientierten Ausdrucksmitteln einhergingen. Eine Überprüfung der Proportionen und Funktionen traditioneller und moderner Formen am Beispiel der Werbegraphik der Bauhäusler ist derzeit noch nicht möglich, da deren gebrauchsgraphische Tätigkeit in vielen Fällen noch kaum bekannt ist. 1 Herbert Bayer, Plakat für die Norddeutsche Trico tweberei A. G. Chemnitz, 1937/38
Sehn(" lIcr t rod.. c lI dur c h " Imprägnol "
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Für die Bauhäusler, die in Berlin mit Werbegestaltung ihr Leben fristeten, bildete das Studio Dorland unter der Leitung Herbert Bayers einen wichtigen Anziehungspunkt. Ähnlich wie in Moholy-Nagys Atelier bis 1934 wurden auch hier Aufträge weitervermittelt und in Teamarbeit Stilgemeinsamkeiten mit Bayer entwickelt. Die Werbung von Dorland, d. h. zwischen 1933 und 1936 die des Teams Herbert Bayer/ Kurt Kranz, dessen Anteil wegen der bis dahin fehlenden Signiererlaubnis leider noch immer nicht identifizierbar ist, war damals sehr bekannt. s Fast die gleiche Beachtung wie die mit "dorland« oder nur "Bayer« gezeichneten Arbeiten fanden die der Gebrüder Neuner6, von denen der Ältere Hans Ferdinand zwei Jahre (1931-33) als Assistent bei Bayer, der Jüngere Hein ein Jahr (1932-33) bei Moholy-Nagy? verbracht hatte. Von den bei den Werbegestaltern Albrecht Heubner und Max Gebhard hin-
2 Ludwig Hohlwein, Plakat Winterhilfswerk 1934/35
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gegen, die in Spitzenzeiten bei Dorland aushalfen, ist so gut wie nichts publiziert.8 Heubner kann man großenteils arbeitslos vermuten, da er häufig inserieren mußte, der Kommunist Gebhard fand wegen des ihm auferlegten Arbeitsverbotes nur eine untergeordnete Stellung in der Ersatzkaffeewerbung bei Kathreiners.9 In nicht so engem Kontakt zum Studio Dorland arbeiteten Walter Funkat, Heinz Loew und Joost Schmidt sowie Werner Graeff. Weder Funkat, der als ,Hausgraphiker, in verschiedenen Firmen arbeitete, noch Graeff, der vor seiner Emigration noch eine Reihe kleinerer Photobändchen über das Handwerk herausgab 10, kamen über eine angepaßte "Brotarbeit", wie Walter Funkat sie heute beurteilt I I, hinaus. Beide Künstler, auch Heinz Loew, der wenigstens kleinere Ausstellungsstände und Displays für Mieder und Strümpfe entwarf l2, hatten je wieder Gelegenheit, an einer großen Ausstellung wie ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit< 1934 mitzuwirken. Nicht einmal Joost Schmidt konnte seine sachliche, multimediale Ausstellungsdidaktik, die er für die Gemeinschaftswerbung der Abteilung ,Nichteisenmetalle, 1934 entwickelt hatte, wieder einsetzen. Das Studio Dorland, das sich seit 1929 gut in die internationale Wirtschaftswerbung eingeführt hatte und nach 1933 nurmehr Arbeiten für deutsche Markenfirmen und Gemeinschaftswerbung übernehmen durfte l3, lebte hauptsächlich von Anzeigengestaltung. 14 Mit diesem ab 1935 "führenden Werbemittel" 15 wurde ausschließlich die Konsumgüterindustrie von Dorland versorgt. Neben dieser Teamarbeit gab es auch Aufträge, die sich speziell an Bayer wandten. So z. B. die Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-GmbH, für die zumindest Bayer immer signierte, oft aber Kranz' Mitarbeit nachzuweisen ist. 16 Bayers Kontakt zur Messegesellschaft und damit direkt zum RMVP, das Auftragsvergabe und Entwürfe kontrollierte, kam durch den Werbefachmann Ingo Kaul zustandei ?, der dort Leiter der Presseabteilung war. Vermutlich verschaffte Bayers ,Draht, dorthin auch H. F. Neu-
ner und später beiden Brüdern, die ab 1935 ein gemeinsames Atelier in Berlin hatten, Aufträge für Messewerbung und Ausstellungsgestaltung. Darunter waren Werbearbeiten für die DAF (1934/35 für das Winterhilfswerk, Abb. 2, 3), in deren Auftrag aueh Bayer 1935 arbeitete (KdF-Ausstellung Hamburg).1 8 Dazu kamen kleinere Aufträge der Partei zwischen 1936 und 1939, und umfangreichere im gleichen Zeitraum für die Reichsbahn (S.40, Abb. Xl). Kontinuierlich arbeiteten alle vier ehemaligen Bauhäusler an der Zeitschrift ,Die Neue Linie· mit (S.39, Abb. X). Parallel dazu wurden ab 1936 Kurt Kranz und beide Neuners zur Gestaltung der von Ley gegründeten Zeitschrift ,Freude und Arbeit· herangezogen. Möglicherweise hat dort auch Bayer mitgewirkt, dessen Gewohnheit, »allzu politische" Arbeiten nicht zu signieren und zu dokumentieren l9, die Überprüfung bis heute behindert. Leider liegt zu den Anforderungen, die die verschiedenen Auftraggeber stellten, bisher kein Quellenmaterial vor. So beschränkt sich dieser Beitrag auf die Vorstellung dreier Materialgruppen, die zu einem großen Teil ihr Gesicht durch die vier damals bekanntesten Werbegestalter aus dem Bauhaus erhielten. Daraus wird allerdings eher die Auffassung der Künstler deutlich, Werbeaufgaben vom optischen Denken aus neu zu definieren, statt vorgegebene Gedanken oder Texte nur zu illustrieren. Der Blick auf das entstehende ,graphic design., das im Begriff ist, die Künstler-Reklame abzulösen, läßt nur wenige Rückschlüsse auf die Absichten der Auftraggeber zu. Ausstellungswerbung
Bayers Graphik wurde zu einigen der repräsentativsten Werbeaufgaben im ,Dritten Reich· verwendet: zu den großen, staatspropagandistischen Ausstellungen in Berlin. Zwischen 1933 und 1938 folgten in den Messehallen am Funkturm, immer einander steigernd, nacheinander: ,Die Kamera., ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit., 'Deutschland., 'Gebt mir vier Jahre Zeit· und ,Gesundes Volk - frohes Schaffen·.
3 Hans Ferdinand Neun er,
Plakat Winterhilfs werk 1934/35
Für diese Ausstellungen zeichnete zwar als Veranstalter, wie für andere Messen auch, die Ausstellungs-, Messe- und FremdenverkehrsGmbH verantwortlich. Doch die Form der Messe, des »wirksamsten Werbemittels für den Export", war gekoppelt an repräsentative staatliche und parteiliche Selbstdarstellung. Ihre statistische Erfassung in der Kategorie der »Kultur- und Lehrschauen mit wirtschaftlichem Einschlag,, 20 umschreibt ihren Doppelcharakter. Bayer setzte für die Ausstellungswerbung nicht nur Stilformen ein, wie er sie gleichzeitig für Wirtschaftspropaganda und -werbung benutzte, sondern verfolgte, wie zu zeigen sein wird, damit Werbestrategien, die nach dem ersten deutschen ,Markentechniker· Hans Domizlaff den »kaufmännischen Stil" der Werbung kennzeichnen. In seinem Buch ,Die Propaganda und Wirtschaftswerbung 27
4 Herbert Bayer. Prospektrück seite
,Deutsch es Volk - Deutsche Arbeit" 1934
Gewinnung des öffentlichen Vertrauens- beschrieb er die zukunftsweisenden Eigenschaften des kaufmännischen Werbestils, der im Begriff sei, den durch Lautstärke beeindruckenden und überwältigenden »Jahrmarksstil der Reklame.. abzulösen. Die Masse lasse sich »gutwillig erst dann etwas befehlen", schrieb Domizlaff 1939, »wenn sie sich vorher freiwillig unterworfen zu haben glaubt. Die Masse braucht den Glauben an die eigene Initiative. Sie will erst selbst eine Marke anerkennen, an der sie dann wie an ihrem eigenen Erzeugnis oder ihrer eigenen Entdeckung hängt ... 2 1 Die Werbung suche zurückhaltend »im Stil einer jungen Dame" aufzutreten, »die sich niemals hemmungslos und gewalttätig aufdrängen darf,,22 und suche zum Kauf zu verführen, »ohne daß der Kunde das Gefühl für die Selbständigkeit seiner Wahl einbüßt .. .23 Es sind schon oft die »Überwältigungsstrategien .. in der nationalsozialistischen Bildpropaganda bemerkt worden. 24 Für die Ankündigungen der genannten Ausstellungen sind sie bis 1936 vermieden worden. 1934 lieferte Bayer zur Ausstellung ,Deutsches Volk, eine sachliche, 28 Ute Brüning
von Nationalismen völlig freie Typographie und ein Layout für die Kataloge, führte auch für die Prospekte ein ebenso praktisches wie exklusives, quadratisches Format ein, das er von seinem kurz zuvor entworfenen Prospekt für die Weltausstellung in Chicago auf die Berliner Messeveranstaltungen übertrug. Der Entwurf wurde sehr gelobt, vor allem wegen der Möglichkeit, auf den Tiefdruckseiten die Texte nachträglich in verschiedenen Sprachen im Buchdruck zu ergänzen. 25 Das Design blieb bis 1938 für die hier genannten und viele andere Messen verbindlich. Die künstlerische Ausgestaltung der bei den Prospekte für ,Deutsches Volk- mußte sich Bayer, wie schon 1933, mit dem BDG-Vorsitzenden Richard Riemer teilen. 26 Die Auf teilung der Werbemittelgestaltung unter verschiedene Künstler wiederholte sich 1936, als der Adlerspezialist Kurt SchmidEbrnen (Mitglied des Kultursenats) den Auftrag für Katalogtitel und Plakat erhielt, während Bayer nur den Prospekt ausgestaltete und ein Plakat emwarf2 7, von dessen Verbleib nichts bekannt ist. Welche politischen Rücksichten die Auftragsvergabe beeinflußten, bleibt zu klären. 1933 und 1934 warb Bayer auf Katalog bzw. Prospekt mit Realmontagen, einer aufwendigen Technik, die für Propagandazwecke meines Wissens nur noch in ornamental verflachter Form, dagegen aber in der Markenwerbung bis zum Kriege genutzt wurde. Während Bayer 1933 mit einer durch Farbphotographie -mechanisierten, Graphik noch einmal, ähnlich wie auf seinem berühmten Titelblatt ,bauhausvon 1928, auf die produktiven Möglichkeiten der Gestaltungsmittel hinwies, baute er 1934 Moholy-Nagys Titel-Idee für dessen Bauhausbuch 14 von 1929 zum kulturpolitischen Programm um (Abb.4). Er ergänzte damit auf der Prospektrückseite das parteipolitische Programm, symbolisiert durch den Siegerkranz, der auf den ,Parteitag des Sieges- anzuspielen scheint. Bayer verstand so, traditionelle und fortschrittliche künstlerische Ausdrucksweisen als organisch verbundene darzustellen. Der schattenwerfende Ausstellungstitel zieht den
Blick in unendliche Feme, der sich dort in persönlichen Assoziationen und Interpretationen des Ausstellungsthemas verlieren kann. 1935 appellierte Bayers Werbung für die ,Volksausstellung. über den ,Menschen, sein Werden und Sein· ebenfalls an die Assoziationsfähigkeit und -willigkeit des Betrachters, diesmal sogar differenziert nach Zielgruppen (Abb. 5; S.33, Abb. I). Bayer variierte das Motiv des ,gläsernen Menschen., der auf der Internationalen Hygieneausstellung 1930 in Dresden das populärste, neuartige Demonstrationsobjekt war (und im 'Wunder des Lebens· wieder eine wichtige Rolle übernahm,) so, daß die beiden Werbemittel Plakat und Prospekt verschiedene Botschaften übermitteln. Das Demonstrationsobjekt von 1935 trat wieder in den Konturen eines klassischen, ausgewogenen Menschenbildes auf, jetzt jedoch als ,Speerträger· des Polyklet. Die Kultur- und Lehrschau erläuterte u. a. tatsächlich in vorbildlicher Didaktik die biologischen Funktionsweisen des Körpers, brach aber damit gleichzeitig den im Herbst darauf folgenden Nürnberger Gesetzen ,eine Lanze •. Plakate, Anzeigen und Katalogtitel sprechen mit einer sachlich erscheinenden, ,echten· Demonstrationsgraphik den populärwissenschaftlich Interessierten an. Die neutypographische Schriftanordnung und ihr Größenwechsel suggerieren den Plural des Wortes 'Wunder., und das Hühnerei, dem der Speerträger zu entsteigen scheint, setzen gar Vorstellungen von einer naturwissenschaftlichen Ausstellung in Gang. Der Titel des Prospekts hingegen (S. 33, Abb.l), der in die Ausstellung einführt, besorgt die Hinstimmung zur respektvollen Aufnahme der sozialdarwinistischen Thesen in der Ausstellung. Er zeigt nur einen partiell transparenten Menschen, der wenig mehr als die farbig eingespritzten Zentren des Blutkreislaufs sehen läßt. Diese verschmelzen zu einer trüb schillernden Einheit mit der riesigen, zur Blase formatgerecht gestauchten Eiversion, die jetzt ein Dotter zu enthüllen scheint. Mit feierlich klassizistischer Schrift, die dezent aus dem Dunkeln leuchtet, wird eine respektvolle Haltung vor
dem Mysterium der menschlichen Natur demonstriert. Dem ungeübten Auge mögen die Differenzen und Widersprüche bei der Verbreitung einer aufklärerischen und einer mystizierenden Version der Werbung nicht aufgefallen sein. Bayer wahrt dem Betrachter das Gefühl der persönlichen Ansprache - "Sind Sie gesund? Leben Sie richtig?", fragt der Text - und die Illusion der selbständigen Interpretation. Für die erneute Bestandsaufnahme nationalsozialistischer Leistung in der Ausstellung 'Deutschland., die zum Olympiajahr vorwiegend an das Ausland, im Jahr darauf unter dem Titel 'Gebt mir vier Jahre Zeit· an die Deutschen selbst gerichtet war, wurden unterschiedliche Werbewege eingeschlagen. Bayers 'Deutschland.-Prospekt sucht den Facettenreichtum deutscher Geschichte, Kultur und Wirtschaft mittels eines ungewöhnlich breiten
5 Anonym nach H erbert Bayer, Plakat ,Das Wunder des Leben s., 1935
ZUM BESUCH DER AUSSTELLU
Propaganda und Wirtschaftswerbung 29
~~s -c
H-WARZ
6 Deutsches Propaganda-Atelier DPA, Titelbla tt der während der Ausstellung erscheinenden Zeitschrift ,Schwarz auf Weiß" 1937
Spektrums graphischer Darstellungsmittel zu demonstrieren . Sein Layout, das z. B. mit dem Vorstoß in die dritte Dimension das kleine Format fast zu sprengen droht, macht dem Betrachter an zusammengeballten Materialkontrasten die explosive Kraft, die von den Exponaten der Ausstellung ausgehen soll, vorstellbar (S.34, Abb.lI, Ill). Anders dagegen die Werbung für 'Gebt mir vier Jahre Zeit,. Plakat, Prospekt und Ausstellungszeitschrift mit dem Titel ,Schwarz auf Weiß, (Abb. 6) setzen Photos und Photomontagen zu einer überdimensionalen Beweisführung ein. Ihre Inszenierung zu gesteigerter Repräsentation legt Abstand, 30 Ute BTÜmng
manchmal sogar regelrechte Barrieren zwischen den Betrachter und die ,Dokumente, (Abb. 7). Diese .. Überwältigungsstrategie«, die im Propaganda teil der Ausstellungen seit 1933 immer wieder eingesetzt wurde 28 , steht in schärfstem Gegensatz zur ,Verführung" die Bayer praktiziert. Bayers Werbung saugt den Blick an oder tritt ihm entgegen, hält ihn innerhalb verschiedener Bildebenen gefesselt und schafft Assoziationsräume zwischen der Präsentation von Gegenständlichem und von reinen Gestaltungsmitteln und Materialeffekten. Nicht die beeindruckende Einhämmerung fertiger Bilder, sondern die unwillkürliche, willenlose Erweckung von Vorstellungen wird damit erreicht. Bayers Werbestil war künftig beim RMVP nicht mehr gefragt. 1937 wurde sein Plakatentwurf von Goebbels als .. zu modern« beurteilt und abgelehnt.29 An seine Stelle trat der Graphiker Ernst Kroll, ein Mitglied des eigens zu dieser Ausstellung gegründeten30 ,Deutschen Propaganda-Ateliers, OPA. Diese GmbH zur .. praktischen Durchführung propagandistisch künstlerischer Aufgaben im Sinne der vom RMVP verfolgten Grundsätze« wurde vom RMVP eingerichtet und kontrolliert und beabsichtigte, möglichst alle Propagandaausstellungen mit der dazugehörigen Werbung zu gestalten. 31 Realisiert wurden allerdings wegen konkurrierender Institutionen - mit Ausnahme der Gesamtgestaltung der Ausstellung 'Gebt mir vier Jahre Zeit, - nur einzelne Teile. 32 Das OPA benutzte offenbar auch künftig nicht die von Bayer verfolgten Werbestrategien, noch schloß es Verträge mit Künstlern, die ähnlich wie Bayer arbeiteten33 (vgl. z. B. Richard Roth oder Toni Zepf, Abb . 8,9). Die Gebrüder Neuner, die 1938 für die Ausstellung ,Gesundes Leben - Frohes Schaffen, den Prospekt gestalteten, nahmen den Trend zur repräsentativen Bildvermittlung auf. Sie gaben nur dem Titelblatt die verführerische Kraft, die von den weich verlaufenden Flächen der Spritzmalerei aus der Werkstatt Bayers ausgeht, die Photoeffekte verarbeitet, ohne sie zu zitieren (S.35, Abb. IV) .
Wirtschaftswerbung
Wir sehen erstaunlich viele Bauhaus-Absolventen in der Wirtschaftswerbung beschäftigt, innerhalb der sich die Markenwerbung vielleicht am besten als Einsatzgebiet modernster graphischer Darstellungsformen eignete. Als eine der werbeintensivsten Branchen galt die Textil- und Bekleidungsindustrie34, für die vor allem Bayer mit seinem Stab im Studio Dorland arbeitete, das bereits 1933 mit seiner ,Spezialabteilung für Textilreklame< geworben hatte. 35 Richard Roth setzte als Bayers Nachfolger bei Dorland die Tradition vielfach im ,Bayer-Stil< fort. Auch die Gebrüder Neuner warben für Textilien (Abb. 11). Beide waren vermutlich in ihrer Assistentenzeit bei Moholy Hans Ferdinand wurde von ihm aus dem Bayer-
Studio abgeworben36 - mit der Branche in Berührung gekommen, für die Moholy selbst tätig war und auch während seiner Emigrationszeit in Amsterdam und London blieb Y Hein Neuner tauchte als Mitarbeiter Mies van der Rohes bei der Gestaltung der Gemeinschaftswerbung des Großhandels auf der Reichsausstellung der Textil- und Bekleidungswirtschaft 1937 auf, an der auch Karl Straub beteiligt war3 8 (Abb.lO). Obwohl es - wie Kurt Kranz sich erinnerte keine Ausschließlichkeitsverträge mit den Firmen gab, arbeitete Dorland zwischen 1933 und 1942 immer wieder für bestimmte Großhandelshäuser, Webereien und Konfektionsfirmen. Auch das Markengesicht des ,Prym,Druckknopfes oder ,Zipp<-Reißverschlusses wurde wesentlich von Dorland geprägt, ebenso
7 Pay Christian Carstensen (Initiator des DPA), Hans Hitzer (Prof. an den Vereinigten StaatsscllUlen für freie und ange wandte Kunst, Berlin), Friedrich Richter (später Berater beim DPA), Doppelseite aus dem Buch ,Deutschland<, Verlag Volk und Reich, Berlin 1936 (Gesch enk an alle Olympia-Teiln ehm er)
Propaganda un d WirtschaftswerbUllg 31
aber das der Gemeinschaftswerbung der Reißverschlußfabrikanten. »Verbrauchslenkung arbeitet also vielfach wie die Markenwerbung ... «, bestätigt 1938 auch die Zeitschrift >Deutsche Werbung, .39 Ab 1936 kamen als Auftraggeber die größten Kunstseidenhersteller Deutschlands hinzu: Rhodiaseta, marktführender Acetatseidenproduzent, die Vereinigten Glanzstoff-Fabriken VGF, die in der Konzerngruppe AKU-VGF-I.G. Farben die marktführende Rolle auf dem Acetatseidenmarkt innehatte, dazu Bemberg, mehrheitlich im Besitz der VGF, Hersteller von Kupferseide.40 Sie zogen Dorland in dem Augenblick heran, als die Produktion synthetischer Fasern im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen durch staatlichen Eingriff erheblich gefördert und gesteigert wurde. In der Textilwirtschaft
8 Richard Roth, Plakat zur Reichs·Gartenschau Stuttgart 1939, 1937 V.nmltll'-t V1Im lüIdmIihmand mui
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REICHS·OARTENSCHAU STUTrOART 1939 ::'o~·~ 32 Ute Briining
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stellte man nun verschiedentlich fest, daß sich als Publikumswerbung die bisher verwendeten Darstellungen des technischen Herstellungsprozesses nicht geeignet hatten, um die deutsche >Ersatzstoffpsychose, abzubauen, die der Verbraucherlenkung bei der Einführung neuer Werkstoffe erheblich im Wege stand. Laugenbehälter, Viskosekessel und Maschinen, wie sie zuletzt noch auf der Reichstextilausstellung 1937 in Mies' Ausstellungsgestaltung der Halle 2 oder auf einem Katalogphoto von Walter Peterhans erschienen waren, hatten sich als unzweckmäßig und »gefährlich« erwiesen. Der Chef des >Deutschen Zellwollringes" eine der 1936 vom Staat ins Leben gerufenen Unternehmensgruppen, beschrieb 1939 rückblickend die notwendig gewordene Änderung der Werbestrategie. Man habe diese technische, allgemeine Propaganda einschränken müssen und gehe jetzt zur »verstärkten Markenpropaganda« über. Absatzmäßig habe das nur »beschränkten Einfluß", als Zukunftsmaßnahme aber sei es sinnvol1. 41 Die rein privatwirtschaftlich organisierten Kunstfaserfirmen, für die Dorland arbeitete, scheinen den werbestrategischen Irrweg nie gegangen zu sein. Bayer-, Kranz- und NeunerAnzeigen verzichten auf Darstellungen kunstseidener Spulen, Werksscharen oder Erfolgszahlen vom Kampf um die Rohstoff-Freiheit und benutzen vor allem Frauenphotos, die von aktuellen rassischen und völkischen Idealen völlig frei sind (Abb. 1). Wie viele Markenfirmen der Konsumgüterindustrie warb auch die Textilbranche langfristig um das Vertrauen vor allem zukünftiger Käufer. Sie konnte es sich daher leisten, private Wunschvorstellungen statt politische Leitbilder zu formen. Die Bauhäusler fanden in diesem zukunftsorientierten, vergleichsweise kleinen Wirtschaftssektor eine Situation vor, in der wirklichkeitsgetreue Materialdarstellungen auch in surrealistischer Verfremdung geduldet wurden (S. 37, Abb. VII). Die Einführung zusätzlicher Bildebenen, z. B. mit Technik- oder Maßstabwechsel, erzeugt assoziationsträchtige Räume, die Entscheidungsfreiheit suggerieren, wie sie Hans Do-
I
Herbert Bayer, Prospekttitelblatt ,Das Wunder des Lebens<, 1935
Herbert Bayer, Doppelseite aus dem Prospekt ,Deutschland<, 1936
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Herbert Bayer, TItelblatt des Prospekts ,Deutschland<, 1936
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Hans Ferdinand und Hein Neuner, Prospekttitelblatt ,Gesundes Leben Frohes Schaffen <, 1938
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35
V Otta Rittweger, TItelblatt der Zeitschrift > Verkaufspraxis< 1934, Juli
Otta Rittweger, TItelblatt der Zeitschrift ,Verkaufspraxis< 1935, Februar VI
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VII Herbert Bayer, ganzseiLige Anzeige für die Croßhandelsfirma ACB, Berlin, in ,Die Dame< 1938, Nr. 4 und 5, letzte UmschJagseite
37
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VIII
Kurt Kranz, Titelblatt
,Die Neue Linie, 1937, Juni IX
Herbert Bayer, Titelblatt
.Die Neue Linie, 1938, Januar X Kurt Kranz, Titelblatt .Die Neue Linie' 1942, September
39
Hein Neuner, Plakat fiir die Reichsbahn, 1938 (I)
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KUlt Kranz,
Titelblatt deI Zeitschrift ·Freude und Arbeit< 1939, NI. 8
40
mizlaif für die Entwicklung des Vertrauens zu einer Marke für wesentlich hielt. Wie leicht die Grenzen zwischen Propaganda, Wirtschafts propaganda und Wirtschaitswerbung sich auflösten, obwohl sie mit großem Verwaltungsaufwand gezogen wurden, soll ein Beispiel von 1938 zeigen: Die Verwendung eines Bayer-Plakates seitens eines Kampfverbandes zur Arisierung der Textilindustrie (Abb. 12). Die >Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten und Händler<, die ihre Mitglieder unter dem Etikett >ADEFA< als arisch auswies und den durch ihre Hände gegangenen Produkten damit einen besonderen Qualitätsbeweis zu geben meinte42 , verwendete ein Motiv, das Bayer für die Textilveredelungsfirma Pfersee in Augsburg kurz zuvor entwickelt hatte. 43 Der Vorrang, den man Bayers suggestiver Verbindung von Qualitätsbeweis und zeitloser, individueller Eleganz vor etwa einer geschlossenen Kampffront von Textilarbeitern in Linolschnitt einräumte, zeugt von einer möglichen Politisierung zukunftsträchtiger Werbestrategien, zu deren Entwicklung der >Bayer-Stil< beigetragen hatte. Parallel zur suggestiven Werbung existierte die >lautere· Sachwerbung (5 . 36, Abb. V, VI), in der eine Fortentwicklung der Errungenschaften der Neuen Typographie stattfinden konnte. Da der Werberat die Forderungen zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs aus den zwanziger Jahren weiterpropagierte, sollte auch jetzt die Werbung von Übertreibung und Unwahrheit »gereinigt .. werden. Dagegen sollten Klarheit, Sauberkeit und sachliche Hervorhebung der Produktqualitäten (Abb. 13) zur gegenseitigen Leistungssteigerung beitragen und eine Zerstörung der schwächeren Konkurrenten vermeiden helfen. 44 Gerade kleinere Firmendrucksachen und Kataloge bedienen sich daher weiterhin vornehm zurückhaltender Layoutgestaltung und sachdienlicher, >neutraler· Typographie.
9 Toni Zepf, Plakat z ur Saarabstimmung 1935
Propaganda und Wirtschaftswerbung 41
sermaßen die Konkurrenz mit der ,Neuen Linie, auf. Denn ihr Konzept bestand darin, das Layout zur absoluten Modernität zu steigern. Es ging kaum mehr um Bildvermittlung, sondern um die graphische Präsentation, die jeweils 10 bis 20 Bilder zu monumentalen Themenseiten zusammenfassen mußte. Für diese künstlerische Aufwertung der photographisehen ,Dokumente, durch eine Verabsolutierung des Layouts befahl der Schriftleiter Walter Kiehl48 , persönlicher Pressereferent Leys, die Mitarbeiter Kurt Kranz' und der Gebrüder Neuner. Ihr Einfluß prägte das Gesicht der Zeitschrift, die auch viele andere Berliner Maler und Graphiker beschäftigte, nachhaltig bis 1943. Ihre Arbeiten, die von SS-Leuten, die das Dorlandstudio ohnehin oft kontrolliert haben sollen, unter ungeheuerem Zeitdruck und mit »viel, viel Farbe« eingefordert wurden 49, sind leider oft nicht signiert, so daß nicht gen au zu erkennen ist, welchen Umfang Neuners und Kranz' Mitarbeit tatsächlich hatte. 10 Karl Straub, ganzseitige Anzeige in ,Die Dame<1937, Ne. 13, Heftrückseite 11 Hein Neuner, Titelblatt der 'V TZ' 1942, NT. 21
Zeitschriftengestaltung
Im Jahr 1936, nach dem ersten Weltkongreß für
Freizeit und Erholung, der auf Initiative Leys und Selzners in Hamburg stattgefunden hatte, entstand die Zeitschrift ,Freude und Arbeit,.45 Sie sollte als Organ des dort gegründeten Internationalen Zentralbüros Freude und Arbeit diese internationale, friedlich völkerverbindende Demonstration zur Dauereinrichtung machen. Sie erschien monatlich bis 1943 mit über 100 Seiten in ständig steigender Auflage46 und wurde in 44 Ländern vertrieben. Die Zeitschrift ist volksnah gestaltet und wirkt - trotz ihrer Sechssprachigkeit - als nonverbales Medium . Das wurde mittels eines im Aussagewert nahezu wahllosen Ausstoßes an Photos unterschiedlichster Qualität erreicht. »Als schönste Zeitschrift Deutschlands «47, die z. B. auch auf der großen Athener ,Süd-Ost-Wanderausstellung, der DAF 1938 in repräsentativer Form gezeigt wurde, nahm sie äußerlich gewis4 2 Ute Brüning
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12 Herbert Bayer, Plakat für ADEFA, 1938
Das Kennzeichen iür ,va s ."abstoßend
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Die Verbindungsmöglichkeiten flächiger und räumlicher Darstellungsformen, die Bayer unter Verarbeitung surrealistischer Motive und Kompositionsprinzipien mit kontrastreichen graphischen Techniken betrieb, spielten jetzt eine große Rolle bei der Monumentalisierung des Photomaterials. Kurt Kranz, der besondere Erfahrung in der photographischen, werkstoffgerechten Materialdarstellung erwor-
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ben hatte, setzte diese zusammen mit seinen malerischen Fähigkeiten zur Gestaltung realistisch-gegenständlicher Bildzusammenhänge ein, die gerade den Anspruch auf Volksnähe in dieser Zeitschrift einlösen helfen. Das Prinzip, Bildebenen, die Bayer neben- oder übereinander organisch zu verbinden pflegte, auseinanderzuziehen und damit eine Materialebene zu erzeugen, deren isolierte Behandlung noch Propaganda und Wirtschaftswerbung 43
Bauhaus-Denken verrät, hatten Bayer und Kranz 1936 für die Werbung der Textilgroßindustrie entwickelt. 50 Dort existierte es bis 1942 als viel beachteter Sonderfall weiter, der durch die ungeheueren Kosten keine weite Verbreitung fand. 51 1937 führte Kurt Kranz den Gedanken in die ,Neue Linie<ein, gefolgt von den beiden Neuners, Richard Roth und dem damaligen Atelierleiter des Berliner Tageblatts Toni Zepf, die ihn dort mit ihren eigenen graphischen AusdrucksmitteIn weiterentwickelten. In der ,Neuen Linie< konnten die Bauhäusler dieses ,Zwei-EbenenVerfahren< zu überraschenden, abstrahierenden (S.38, Abb. VIII) und oft leicht ironisch verfremdenden Wirkungen bringen, während sie in ,Freude und Arbeit< vorwiegend billige Trompe-l'ceil-Effekte damit erzeugten (Abb. 14; S. 40, Abb. XII). ,Die Neue Linie<, modernste Kulturzeitschrift Deutschlands, konnte auch nach dem Ausscheiden ihres Herausgebers B. E. Werner aus der Reichspressekammer nach der alten Konzeption vornehm und abwechslungsreich künstlerisch ausgestattet weiter erscheinen.
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Sie bot selbst während einschneidender inhaltlicher Wandlungen eine Plattform für ,freiere< künstlerische Äußerungen, sogar für graphische Experimente. Während ihrer allmählichen Umwandlung von der weltoffenen Kulturzeitschrift zum Werbeorgan für nationalsozialistische Lebenseinstellung vollzog sich durch die Einflußnahme des RMVP nicht nur eine Öffnung für ein breiteres Publikum, sondern auch eine thematische Lenkung, die bis zu Motivvorschriften und Ausführungsanweisungen für die Titelblätter reichen konnte. (Vgl. das Titelblatt von Kurt Kranz, Abb.15, dem das Motiv und die Technik, wie sich der Künstler erinnert, vorgeschrieben waren.) Bis zum Kriegsbeginn gab sich ,Die Neue Linie
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13 lupp Ernst, Doppel · seite aus dem Katalog ,Deutsche Werkstätten<, 1940 (!)
44 Ute Brüning
14 Hans Ferdinand und Hein Neuner, Doppelseite aus ' Freude und Arbeit< 1938, Nr. 3, 1l1ustcation zum Artikel ,Beim Chef der Reichskanzlei.
Sonderinterview der Zeitschrift Freude und Arbeit mit Reichsminister Dr. Lammels<
stand ein sehr breites Identifikationsangebot, das in den Titelblättern mit einem »gegenständlichen Blickfang" unterstützt werden sollte, wie z. B. 1941 in den Bedingungen für einen Titelblattwettbewerb der ,Neuen Linie, ausdrücklich gefordert wurde. Das Angebot, den Krieg nur in »übersetzter Form", in »symbolischem Ausdruck" berücksichtigen zu müssen und daneben allgemein Menschliches thematisieren zu dürfen 53, wirkte sicher motivierend auf die Künstler. Es beteiligten sich an dem Wettbewerb auch Marianne Brandt und Karl Straub (auf Platz 79 und 80 der lobenden Erwähnungen).54 Zudem war beträchtlicher Gestaltungsfreiraum geboten, der die von Moholy-Nagy und Bayer geprägte Traditionslinie der Zeitschrift fortzusetzen beabsichtigte. Die
Wettbewerbs bedingungen umrissen mit der Forderung nach »Gegenüberstellung zweier Blickpunkte oder zweier Techniken« und nach »Fernwirkung und näherer Betrachtung" 55 durchaus charakteristische Gestaltungsprinzipien der ehemaligen Bauhäusler. Ein wesentlicher Aspekt für die Beurteilung des endgültigen Verschwindens abstrahierender Montageverfahren und Photo- ver- und überarbeitender Techniken zugunsten gegenstandsgebundener, manueller graphischer Darstellungsformen ist der Produktionsfaktor Zeit. Selbst ,Die Neue Linie, stand unter dem allgemein stärker werdenden Druck, die jeweils aktuelle politische Situation schnell beantworten zu müssen.56 Es wäre zu fragen, wie weit die zunehmende Propagandahektik nicht Propaganda und Wirtschafts werbung 45
nur eine Beschränkung auf ,schnellere< Darstellungs techniken und auf ,eindeutigere< Motive zur Folge hatte (S.39, Abb.IX), sondern auch eine mindere künstlerische und werbliche Qualität. Es liegt nahe, anzunehmen, daß in der Propaganda die zukunftsorientierten, suggestiven An- und Verlockungsstrategien, wie sie Bayer bis 1936 in der Ausstellungswerbung eingesetzt hatte und wie sie in der Markenwerbung bis zum Totalen Krieg erhalten blieben, im Lauf des Krieges endgültig von der Strategie des ,Einhämmerns< und ,Überwältigens< abgelöst wurden. Hinweise auf eine solche Tendenz liefert die Arbeitsweise des Deutschen Propaganda-Ateliers. 1941 führte dort die »größtmögliche Qualität«, die bisher dessen Produktionen ausgezeichnet hatte, zur Ablösung eines Geschäftsführers. Man warf ihm vor, viel zu lange Produktionszeiten zu beanspruchen, die Propaganda werde »unaktuell« und sei nicht mehr verwendbar. Es komme »nicht auf die Qualität an, sondern lediglich auf den propagandistischen Inhalt und auf die Masse«. »Die äußere Gestaltung ist nebensächlich, ja sogar die geringere Qualität verspricht eine größere propagandistische Wirkung, weil eben die Bevölkerung, die ... angesprochen werden soll, bessere Qualität überhaupt nicht gewohnt ist.« 57
15 Kurt Kran z, Titelblatt ,Die Neue Linie<1940. Februar
ANMERKUNGEN
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2. Bekanntmachung des Werberates vom 1. 11. 1933, diskutiert bei Gerhard Voigt, ·Goebbels als Marken· techniker., in: Warenästhetik. Beiträge zur Disk us· sion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik, Frankfurt 1975 H. /. Müller, Sachbearbeiter im Reichsausschuß für volkswirtschaltl iche Aufklärung, Propaganda, Aufklä · rung und Werbung, in : Die Deutsche Volkswirtschaft 1938, Nr.8, S. 275 ff. Vgl. dagegen Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989 Wilhelm Greuling, ·Der Werberat der deutschen Wirtschaft und seine Tätigkeit., Diss. Handelshochschule Königsberg, 1938 Die Messewerbung wurde auf den Ausstellungen ·Die deutsche Werbegraphik., Berlin 1936, und ·Die deut-
46 Ute BlÜning
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9 10 11
sehe Werbung., Essen 1936, gezeigt. Vgl. auch viele Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften ·Seidels Reklame., .Gebrauchsgraphik., ·Deutsche Werbung. loffizielles Organ des NSRDWI und ·Die Anzeige. ,ahr· buch für vorbildliche Anzeigenwerbung im nationalsozialistischen Staate·, HIsg. Alfons Brugger Veröffentlicht in den gleichen Zeitschriften wie Anm . 5 Zeugnis Moholys über Hein Neuners Tatigkeit als As· sistent im Besitz Elke Neuner Nur: anonym , ·Menschen wie Du lind ich, Querschnitt durch eine Kathreiner-Werbung., in: Werben und Verkaufen 1936, Nr. 10, S.345 Lt. Brief Waldemar Alders an Hannes Meyer, 15.10.1947, Bauhaus·Archiv Berlin Sechsbändig, Sanssouci·Veriag Potsdam/Beriin 193411935 Walter Funkat im Gespräch mit der Verfasserin
12 Eigene Dokumentation seiner Arbeiten im BauhausArchiv 13 Vgl. Uwe WestphallAnm. 3), S.67, Anm .57 14 Kurt Kranz' Aussage im Gespräch mit der Autorin stimmt mit dem vorhandenen Material überein. 15 Kurt Prüfer, ·Das Werbemittel Anzeige., in: Deutsche Werbung 1935, Nr. 18, S.1632ff. 16 Z. B. am Prospekt ·Sommerblumen am Funkturm. 11nterview mit Kranz) 17 Lt. lnterview mit Kurt Kranz 18 Eigene Zusammenstellung Herbert Bayers .planning and installation of Exhibitions· im Bauhaus-Archiv 19 Kurt Kranz erinnert sich z. B., daß Bayer die Signatur des Entwurfs für ein Wahlplakat .Ja dem Führer· 11936) seinen Mitarbeitern zuschieben wollte, die sich auch weigerten . Der Entwurf, der ein aus einer Menschenmenge gerastertes Hitler-Portrait gezeigt haben soll, sei allerdings von Goebbels abgelehnt worden, nach dem es den im RMVP tätigen Putzfrauen gezeigt und von ihnen .. zu modern .. befunden worden war. Ilnterview mit Kranz) 20 Ausstellungsbilanz, in : Die Deutsche Volkswirtschaft 1938, Nr.36, S. 1356 21 Hans Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, 2. Aufl. Hamburg 1951, S. 124 22 Hans Domizlaff lAum. 21), S. 126 23 Hans Domizlaff lAum. 21), I. Aufl. Hamburg/Berlin 1939, S. 121 24 Z. B. Ulrich Pohlmann, .Nicht beziehungslose Kunst, sondern politische Waffe. Fotoausstellungen als Mittel der Ästhetisierung von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus·, in: Fotogeschichte 1988, Nr. 28, S.27ff. 25 L. Bachmann, ·Ein guter Publikumsprospekt., in: Sei dels Reklame 1934, Nr.3, S.98 26 Prospekt ·Deutsches Volk - Deutsche Arbeit. , ill. von Richard Riemer, im Landesarchiv Berlin 27 Siehe Bayers Zusammenstellung, Aum . 18 28 Vgl. Ulrich PohJmann lAum. 24) 29 Kurt Kranz im Interview 30 Nationalsozialistische Korrespondenz 22.3. 1937, BA Potsdam, 62 DAF 3, 9925. Die Zugehörigkeit Ernst Krolls zum DPA geht u. a. aus dem Bericht über die Prüfung des DPA vom 5. 10. 1936 hervor, der eine PersonalUste enthält. BA Koblenz, R 055/368, BI. 192 31 BA Koblenz, R 0551747, BI. 193 32 Bericht des Referenten der Abt. politische Propaganda im RMVP Dr. Scheler vom 16.8. 1942, BA Koblenz, R 0551747, B.263: .. Die Übertragung der vollständigen Durchführung von Ausstellungen an das DPA liegt ... im Interesse des Hauses, kommt aber meistens deswegen nicht in Frage, weil besondere Gesellschaften, wie z. B. die Berliner Ausstellungs GmbH, oder die Messegesellschaften als Veranstalter auftreten ...
33 Nur It. Plakatsammlung BA Koblenz 34 P. Deutsch, ·Die Werbung für die Fertigwaren der Textilwirtschaft., in: Deutsche Werbung 1935, Nr. 17, S.1596ff. 35 Dorland, Werbebroschüre 1933, Bauhaus-Arehiv 36 Interview Kurt Kranz 37 Gestaltung der Zeitschrift ·international textiles. 1934, Jg. I, in: Flip Bool, ·Nieuwe Fotografie van een nieuwe generatie., in: Kees Broos, Flip Bool, De Nieuwe Fotografie in Nederland, Amsterdam/Den Haag 1980, S.80; Ausstellungsstand für Kunstseide, Jaarbeurs Utrecht 1934, in: Laszlo Moholy-Nagy, Ausst. Kat. Museum Fridericianum Kassel, 1991, S.279 38 Fragebogen des Bauhaus-Archivs im Bauhaus-Archiv, Biographie Karl Straub, in: Carl Haenlein IHrsg.), Photographie und Bauhaus, Ausst. Kat. Kestner-Gesellschaft, Hannover 1986, S. 208 39 Otto Gröndahl, ·Einzelhandels- und industrie-DirektWerbung., in: Deutsche Werbung 1938, Nr. 15, S. 1107 40 Gottfried Plumpe, Die I.G. Farbenindustrie-AG Wirt schaft, Technik und Politik 1904-1945, Berlin 1990, S. 306 H. 41 Carl Hilfreich, .Werbung für deutsche Zellwolle., in: Die Deutsche Textilwirtschaft 1939, Nr. 6, S. 8 f. 42 ·Arisierung der Konfektion·, in: Die Deutsche Vo1l<s wirtschaft 1938, Nr. 2, S. 84 f. 43 Vgl. Herbert Bayer. Das künstlerische Werk, Ausst. Kat. Bauhaus-Archiv, BerUn 1982, Kat. Nr. 27'lr-276 44 Z. B. Hermann Canzler, Die Wirtschafts werbung im neuen Reich. Stuttgart 1935, S. 18 45 Erste Hinweise auf die Zeitschrift bei Winfried Ranke, Deutsche Geschichte kurz belichtet. Photoreportagen von Gerhard Gronefeld 1937-1965. Berlin 1991, S.26 46 1936: Aufl. 60000, 1939: 150000. Zum Vergleich: Die neue Linie, Aufl. 1939: 47000 47 ·Die Zeitschrift Freude und Arbeit., in: Neue Athener Zeitung, 7.5. 1938, Abb. der Zeitschriftenpräsentation in Freude und Arbeit 1938, Nr. 6, S. 17 48 Interview mit Kurt Kranz 49 Siehe Anm. 48 50 Herbert Bayer. Das künstlerische Werk IArun.43), Kat. Nr. 258-262, .. sporting stepper .. 51 Lt. Kurt Kranz habe eine ganzseitige AGB-Anzeige in der Neuen Linie 32000,- Mark gekostet. 52 Anzeige der Neuen Linie in : Deutsche Werbung 1936, S.409 53 Titelblatt-Wettbewerb der Neuen Linie 1941, Nr. 54 Die Neue Linie 1941, Nr.6, S.29 55 Siehe Anm. 53 56 Z. B. verschwinden seit dem Kriegsbeginn die Titelblatt-Voranzeigen 57 BA Koblenz, R 0551747, BI. 161 , 162
Propaganda und Wirtschaftswerbung 47
SABINE WEISSLER
Bauhaus-Gestaltung in NS-Propaganda-Ausstellungen
Die Messe als Instrument der Volkserziehung
Die Ästhetisierung ihrer Ideen, die Darstellung von Macht, die Vorgabe von Bildern, die Zustimmung und Identifikation möglich machten, das waren unter anderen die Grundabsichten der Nazi-Propaganda. Hier sollen das Messeausstellungswesen und besonders einige exponierte Veranstaltungen in den Messehallen unter dem Funkturm der Reichshauptstadt Berlin behandelt werden, die vielen Architekten und Designern Aufträge lieferten. Daten zum Zustand und Angaben zur Ent· wicklung und Organisation des Messewesens durch die Nazis geben Auskunft über seine Akzeptanz und damit auch zu seiner sowohl wirtschaftlichen als auch propagandistischen Bedeutung für die Nazis. Hilfreich ist - wenn auch nur dünn gestreut - das Material des Instituts für Deutsche Kultur und Wirtschaftspropaganda e. V. Von 1933 an entwickelte sich dieses Institut zu einer Art Oberbehörde zur Organisation und Veranstaltung, vor allem aber Überwachung der Gestaltung von Ausstellungen jeder Art. Es organisierte Wirtschaftsausstellungen, auch solche mit stark regionalem Bezug wie z. B. ,Sachsen arn Werk., wie auch kulturpolitische Ausstellungen wie ,Der ewige Jude. oder ,Bolschewismus ohne Maske· im Auftrag der Reichspropagandaleitung der NSDAP. J Das Institut diente den Nazis als Instrument in ihrem Streben nach einheitlichen Erscheinungsformen auf allen Ebenen. Es arbeitete direkt mit dem Werberat der deutschen Wirtschaft zusammen. Sein Präsident war der Berliner Architekt und Par48
teigenosse Waldemar Stein ecker. Die NSDAP hatte ihren Untergliederungen 1934 zunächst nur empfohlen, mit dem Institut zu sammenzuarbeiten. Als am 8. April 1934 das Amt für Ausstellungs- und Messewesen als Abteilung der Reichspropagandaleitung gegründet wurde, ernannte man Steinecker zum Leiter des Amtes. In der entsprechenden Gründungs-Anordnung heißt es unter Punkt 4: »Alle eventuell bestehenden Abteilungen der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Organisationen, die sich mit dem Ausstellungs- und Messewesen befassen, unterstehen der Abteilung in der Reichspropagandaleitung ... 2 Durch den Vizepräsidenten Leopold Gutterer, der gleichzeitig Ministerialdirektor, später Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda war, wurde die direkte Anbindung an das Goebbcls-Imperium noch verstärkt. In einem Arbeitsbericht des Institutes, geschrieben 1938 von Gutterer, findet sich retrospektiv die Einschätzung wieder, daß die Ausstellung lange Zeit als Stiefkind der Propaganda behandelt worden sei. 3 Mittlerweile habe sich die Wertschätzung dem Ausstellungswesen gegenüber aber geändert, es sei als »Mittel der Volksführung anerkannt ... 4 .. Es gibt heute keine Ausstellung mehr, auf der nicht in Form von kulturpolitischen Lehrschauen Themen J Walter Gropius und /oost Schmidt, Abteilung Nichteisen·MetalIe in Halle 11 der Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsch e Arbeit., Bulin 1934
zur Darstellung gelangen, die sich an die breite deutsche Öffentlichkeit, d. h. an jeden einzelnen Besucher wenden." s Was begründete dieses stolze Resümee? Das Ziel war Zentralisierung: große, in Form und/oder Inhalt repräsentative Ausstellungen, die durch das Land wandern und als Mittler der politischen Botschaft und einer bestimmten Gestaltungsauffassung dienen sollten, dabei pro Ausstellung mehr Besucher anzogen. In den Jahren ab 1934 verringerte sich die Anzahl der Ausstellungen (inklusive Messen) drastisch, bei gleichzeitigem Anstieg der Besucherzahl. Die ideologische Lenkung wurde in den Jahren 1934 bis 1939 effektiviert. Auch Traditionsmessen bestimmter Branchen, die so oder unter anderem Titel schon viele Jahre stattfanden, wurden durch Sonderschauen
pointiert. 1937 fand von September bis November die 'Jahresschau für Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe und die Nahrungsmittelhandwerke, statt, aufgestockt durch die Sonderschau ,Die Küche - das Reich der Frau" oder zur ,Großen Wassersportausstellung Berlin 1938, gab es ,Ein Volk in Leibesübungen, als Dreingabe. So rühmte sich Ministerialrat Gutterer auch: »Mit dem Durchbruch der politischen Forderung bei den neuen Ausstellungen wurde auch ein ganz neuer Typ solcher Veranstaltungen geschaffen: die politische Ausstellung.,,6 Wie neu dieser Typ nun wirklich war, sei dahingestellt. Auf jeden Fall gingen die Nazis besonders bewußt mit dem Mittel ,Messe, um. Der Messe kam auch die Funktion als Gemeinschaftsprojekt unzähliger Naziverbände aus Partei und Staat, gemeinsam mit den Wirt-
2 Sergius Ruegenberg und Eduard Walther, Ehrenhalle der Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit" Berlin 1934. Glaswand von Cesar Klein
50 Sabine Weiß/er
3 Gustav Hassenp[lug, Z eichnung der Ehrenhalle,
Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsch e Arbeit<, Berlin 1934
schaftsverbänden, zu. Bei der Zusammenstellung der Veranstalter fällt auf, wie sehr die Nationalsozialisten bemüht waren, alle gesellschaftlichen Ebenen zu verpflichten und dadurch zu kontrollieren. Der Übergang als Eintrittskarte
All diese Funktionen, die die Messen für die Nazis hatten - das ideologische Medium, die Zwangseinschwörung von Verbänden aller Art auf gemeinsame Programme, die ästhetische Präsentation - verlangten nach einem Apparat, der aufgebaut und gestaltet werden mußte. Das brauchte Zeit und Erfahrung. Die sogenannte Machtergreifung der Nazis wurde nicht auf einen Schlag im Messewesen sichtbar. So fand 1933 vom 18. März bis 23. April die Ausstellung ,Die Frau - in Familie, Haus und Beruf< statt. Sie wurde durch die konservativen Frauenverbände getragen. Es gab nur eine ex-
plizit als Nazi-Organisation erkennbare unter ihnen: den ,Bund deutscher Mädel in der Hitlerjugend<. Immerhin hielt Goebbels zur Eröffnung der Ausstellung seine erste öffentliche Rede nach der Übernahme des Propagandaministeriums. Im Jahr 1933 versuchten die Nazis, den lange vorher angebahnten großen Ausstellungen ihren Stempel aufzudrücken. Da solche Großproduktionen zwangsweise eine längere Vorlaufzeit haben, gab es erst von 1934 an Veranstaltungen, die durch die Nationalsozialisten -erfunden< wurden. Doch ihr Einfluß auf bestimmte Ausstellungen in den Messehallen war bereits 1933 sehr groß und übermächtig. Exemplarisch bewies das die Ausstellung ,Die Kamera< . Ursprünglich vom Deutschen Werkbund geplant, wurde sie von den Nazis übernommen. Sie war von großer Bedeutung für die Entwicklung und das Verständnis der nationalsozialistischen Propagandaästhetik. 7 Die sogePropaganda·A uss tellungen 51
4 Grundriß der AussLellung ,DeuLsches Volk - Deutsch e ArbeiL<, Berlin 1934 5 Isom etrie der Halle II der Ausstellung ,DeuLsch es Volk - DeuLsche ArbeiL<, Berlin 1934, miL den von Gropius, Mies, Reich u_a. Bauhäuslem ges LalLeLen AbLeilungen
nannte -Ehrenhalle· wurde bei der -Kamera< als ästhetisches Mittel eingesetzt, die Verwendung neuster Reproduktionstechniken mit großem Eifer der Propaganda nutzbar gemacht und der Rückgriff auf Vorbilder wie auf den offiziell verpönten EI Lissitzky ohne Zögern vollzogen. Auch im Hinblick auf den Werdegang von Personen ist die -Kamera· aufschlußreich. Die Ausstellungsarchitektur wurde von Winfried Wendland entworfen. Wendland war zu dieser Zeit noch Kommissar im preußischen Kulturministerium und Kustos an den Vereinigten Staatsschulen. Er war vom Typ her einer jener Architekten, die es nie zu der Publizität und dem Ansehen gebracht haben, die sie zu verdienen meinten. Seine Briefe an den damaligen Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Hans Hinkel, belegen eine ungehemmte Bereitschaft zur Anpassung zwecks möglicher Beförderung. 8 Während Wendland an der -Kamera· arbeitete, betrieb er gleichzeitig die Zerschlagung des Bauhauses und die Anpassung 52 Sabine Weißler
6,7 Walter Gropius und loost Schmidt, Abteilung Nichteisen-Metalle in Halle II der Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit<, Berlin 1934
Propaganda-Ausstellungen 53
des Deutschen Werkbundes, was ihn auf der anderen Seite nicht daran hinderte, deren prominente Vertreter künstlerisch zu kopieren. Die Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit· vom 21. April bis 3. Juni 1934 war die erste, die auch bereits in der Vorplanung auf die Nationalsozialisten zurückging; Schirmherr war Reichspräsident von Hindenburg, Veranstalter die Gemeinnützige Berliner Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-GmbH unter Mitwirkung von Reichs- und Staatsverbänden, Reichsverbänden der Deutschen Arbeitsfront, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen. 9 Ihr folgten zwei Ausstellungen: ,Das Wunder des Lebens· (23.3. bis 5.5.1935) und 'Deutschland· (18.7. bis 16.8. 1936); alle drei zusammen wurden später von der nationalso:z.ialistischen Presse gerne als »Trilogie .. bezeichnet. Vom 30. 4. bis 20. 6. 1937 wurde die Schau 'Gebt mir vier Jahre Zeit· inszeniert, und im folgenden Jahr ,Gesundes Leben - Frohes Schaffen. (24.9. bis 6.11.). Von großer Bedeutung für die Nazis waren zudem die - wenn auch nicht von ihnen begründeten - Funkausstellungen und 1937 die 700-JahrFeier Berlins, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll. Mit der Beschlagnahmung der Ausstellungshallen zur Einlagerung von Getreide im Au-
gust 1939 war der Ausstellungstätigkeit ein Ende gesetzt. Bei der oben genannten Ausstellung ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit· arbeitete Wendland mit Carl Christoph Lärcher zusammen, dem ersten nationalsozialistischen Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes und verantwortlich für dessen Gleichschaltung im ,Fachausschuß für Raurnfragen •. Um so bemerkenswerter, daß ein Bauhaus-Meister - nämlich Herbert Bayer - den fest in nationalsozialistischer Hand liegenden Katalog »in bester Bauhaus-Manier gestaltet hatte. Textbläcke wurden in Linien gefaßt, Photographien ganzseitig bis zum Rand gedruckt, als Schrift diente eine klassizistische Antiqua, die Bayer damals auch für die Eigenwerbung seiner Dorland Agentur verwendete. Gerade die Kataloggestaltung durch Herbert Bayer verweist auf die Ende 1933 noch keineswegs abgeschlossene Diskussion über die äußere Form nationalsozialistischer Propaganda - vorläufig war alles erlaubt, was werbewirksam schien. u IO Der Bauhaus-Schüler und Bauhaus-Lehrer (1925-28 Leiter der Werkstatt für Druck und Reklame) Herbert Bayer leitete seit 1928 die Berliner Werbeagentur Dorland. Er war kein Unbekannter, und trotzdem wurde er von den Nazis mit wichtigen gestalterischen Aufgaben, wie der Kataloggestal-
8·10 Lilly Reich.
Ausstellung .Lichte Erde. gebrannte Erde· der Steingutindustrie. Abteilung Glas. Keramik und Porzellan in Halle 11 der Ausstellung .Deutsches Volk - Deutsche Arbeit•. Berlin 1934
54 Sabine Weißler
Propaganda-Ausstellungen 55
11 Mies van der Rohe, Abteilung Bergbau in Halle 11 der Auss tellung ,Deutsches Volk - Deut· sch e Arbeit<, Berlin 1934
tung bei der .Kamera<, betraut. 1934 entwikkelte Bayer Gestaltungsrichtlinien für Kunstwanderausstellungen der Deutschen Arbeitsfront (OAF).II Ebenfalls 1934 entwarf er Katalog, Plakat und Prospekt der Propaganda-Schau ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit, in den Berliner Messehallen. Im gleichen Jahr kommt noch das Plakat der ,IBA Internationale Büroausstellung< dazu. 1935 produzierte Bayer Plakat, Zeitschrift und Katalog zur Ausstellung ,Wunder des Lebens,. 1935 bis 1937 war er an mehreren kleineren Ausstellungsprojekten beteiligt. 12 Im Jahr 1936 gestaltete er einen Katalog für die .Deutschland,-Ausstellung, die parallel zur Olympiade gezeigt wurde. Neben diesen Aufgaben bewältigte er eine Reihe von Werbeaufträgen und Titelgestaltungen für Zeitschriften. Als 1937 die Arbeiten Bayers in der Ausstellung ,Entartete Kunst< gezeigt wurden, emigrierte er kurze Zeit später in die USA. An der Person Herbert Bayer läßt sich ein wichtiger Punkt aufzeigen. Daß Bayer bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten öffentlich in Erscheinung getreten war, 56 Sabme Weißler
spricht gegen die häufig geäußerte Erklärung für die Wirksamkeit von Vertretern des Bauhauses oder von ihm becinflußter Künstler während des NS-Regimes, es habe sich um einzelne, wenig profilierte Teile der Schülergeneration gehandelt, die dcn Einstieg in das Berufsleben um jeden Preis finden wollten, und sie seien den NS-Organisatoren nicht bekannt gewesen. Das ist z. B. die Auffassung des Architekten Sergius Ruegenberg. Seit 1925 war er Mitarbeiter von Mies van der Rohe und übernahm 1928 die Bauleitung des Barcelona-Pavillons. Natürlich war Ruegenberg stolz darauf, als einziger Mitarbeiter des Mies-Büros in seinem Zeugnis bestätigt bekommen zu haben, auch am Entwurf des Pavillons beteiligt gewesen zu sein. 13 Während des von ihm betreuten Aufbaues des Pavillons lernte er Dr. Ernst W. Maiwald kennen, der für das preußische Volksbildungsministerium arbeitete und später zum engsten Organisationsstab der Ausstellung ,Deutsches Volk, gehörte. Maiwald wird dort als Leiter der wirtschaftlichen Abteilung aufgeführt. Er holte den ihm bekannten Ruegenberg zur Aus-
12, 13 Han s Haffenrich ter, Halle VI ,Chemisch e Industrie<der Auss tellung ,Deutsch es Volk Deutsche Arbeit<, Berlin 1934
stellung. "Der hat mich auch - sagen wir malausgenutzt als Berater und Entwerfer für furchtbar viele Stände in der Ausstellung und sogar für die Schrift ... weil er die Qualität von Barcelona begriffen hatte.« (Abb. 2-4)1 4 Auf die Frage, warum er den Auftrag für die Ausstellung tatsächlich bekommen habe, berief sich Ruegenberg auf seine bekannte Berufserfahrung, gleichzeitig sei er aber noch nicht bekannt genug gewesen, um als Mitarbeiter von Ludwig Mies van der Rohe schon wieder in Ungnade gefallen zu sein.
Ein sehr persönlicher Erklärungsversuch, und nicht stimmig, muß eingewandt werden, da Mies ja selbst auf dieser Ausstellung vertreten war. Aber bei allen Untersuchungen von Machtsphären, Einflußstrukturen der Nationalsozialisten muß beachtet werden, daß ihr System keine klaren Machtstrukturen aufwies. Wenn es überhaupt ein gemeinsames Strukturmerkmal gab, dann das der konkurrierenden und sich gegenseitig kontrollierenden Institutionen und Personen, die oftmals mit gleichen oder sich weitgehend überschneiden-
Propaganda-A usstellungen 57
14 Gusta v Ha ssenpflug, perspekti vische Zeichnung der Halle 11 der Auss tellung ,Deutsch es Volk - Deutsche Arbeit<, Berlin 1934
den Aufgabengebieten und Entscheidungsbefugnissen ausgestattet waren. Nach Angaben Ruegenbergs waren Gropius und Mies ebenfalls von Dr. Maiwald verpflichtet worden, der sozusagen für die geschäftliche Kontinuität stand. Die Namen Gropius, Mies van der Rohe und Lilly Reich stehen folgerichtig nur ganz hinten und klein bei der Auflistung der einzelnen Abteilungen und ihrer Mitarbeiter im Katalog. Das entsprach in keiner Weise ihrer Prominenz und war eine Deklassierung durch die neuen Machthaber. Tatsächlich war fast die gesamte Halle II (Abb.5) von Mitgliedern des Bauhauses gestaltet worden: Gropius und Joost Schmidt hatten die Abteilung 'Nichteisen-Metalle, (Abb. I, 6, 7) erhalten (Mitarbeit Walter Funkat); Mies van der Rohe die Abteilung Bergbau (Abb.11); Lilly Reich (Mitarbeit Herbert Hirche) die Abteilung Glas, Keramik und Porzellan (Abb.8-1O); die 58 Sabin e Weißler
gesamte Halle VI (Abb. 12, 13), Chemische Industrie, hatte der Bauhaus-Schüler Hans Haffenrichter gestaltet. Die Zeichnungen von Ruegenbergs Entwürfen für die Ausstellung und für den Katalog (Abb. 14) besorgte Gustav Hassenpflug - ein Bauhaus-Schüler. Laut Ruegenberg wurde auch Hassenpflug von Maiwald geholt : .. Wir waren alle froh, wenn wir etwas zu tun hatten« , kommentierte Ruegenberg. 15 Business as Usual?
Um den spezifischen Charater der Ausstellungen und ihrer Kataloge zu erkennen, muß auch auf die Inhalte eingegangen werden. Wird nicht berücksichtigt, was, mit welcher Botschaft, wie gezeigt wurde, könnte man den Eindruck gewinnen, es habe sich um Projekte gehandelt, die vergleichbar waren mit denen der Auf trag-
geber vor 1933, so daß es nicht überrascht, daß Architekten und Designer sehr bemüht waren, die Aufträge zu erhalten. Diese Oberflächlichkeit stört dann nicht den Mythos, Bauhäusler zu sein sei gleichbedeutend mit Widerstand und Verfolgung. Beide Schlußfolgerungen sind nicht haltbar. Die Nazis verbargen ihre Ziele und Wertungen nie, trotzdem wurde um sie gebuhl t. In Ausstellungen wie ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit· und ,Wunder des Lebens· wurde die Überlegenheit der arischen Rasse seit den ,Urzeiten· Abteilung für Abteilung proklamiert. Daran beteiligt waren viele renommierte Forschungsinstitute und Museen mit zahlreichen Mitarbeitern und Sammlungen. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden edel te den Fachausschuß Rassepflege bei der ,Deutschen Arbeit., in dem das ss-Rasse- und Siedlungsamt den stellvertretenden Vorsitzenden stellte. In allen Abteilungen wurde mit Pathos ,nachgewiesen., daß die große Aufgabe der Weltbeherrschung ,organisch. der deutschen Volksgemeinschaft (Abb. 15) zuwachse. Das Blut trieft gleichsam aus dem schönen Bayer-Katalog, das Blut der heroischen Wehr-
macht, der auszumerzenden Asozialen, der Zwangssterilisierten. Die ganze unmenschliche Politik wird ausführlich dargestellt und pseudowissenschaftlich erläutert. In der Rundgangbeschreibung im Katalog ,Deutsches Volk· schreibt Dr. B. Gebhard, der für die inhaltliche Konzeption verantwortlich war: »Nur wenn das Volk als lebendiger Organismus zu seinen Wurzeln zurückgeführt wird - zu Blut und Boden -, ist Genesung, ein Wiederaufstieg als Nation möglich. Die Ausstellung bringt daher unter dem Titel ,Deutsches Volk· die erste Ausstellung über Rassenkunde und Rassepflege : Kein Tropfen Blut ist in uns, der nicht aus den Vorfahren käme, die durch Arbeit und Kampf gegangen sind. Das hat der Nationalsozialismus klar erkannt und als angewandte Rassenkunde in die völkische Gestaltung der Nation umgesetzt . u 16 Im Katalog ,Wunder des Lebens· wird zur Abteilung Rassepflege in der Halle IV erläutert: »Erhaltung des Lebens, Dienst an der Rasse, erbkranker Nachwuchs, unsere Ahnen und wir, das sind die Leitgedanken, unter denen diese Abteilung steht. Es wird gezeigt, wie deutsche Größe und Kultur der Vergangenheit
15 Wem er Graeff, Photom on tage ,Die Einigung des deutschen Volk es unter dem Führer., Auss tellung ,Deutsch es Volk - Deutsch e Arbeit., Bulin 1934
Propaganda-A usstellungen 59
16-19 Lilly Reich und Mi es van der Rohe, ,Reichsauss tellung der Deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft<, Berlin, März/April 1937
geschaffen sind und getragen wurden von dem hohen Blutswerte, die im deutschen Volk lagen, wie andererseits das gleiche Blut und der gleiche Mensch Träger der neuen deutschen Zukunft sind.« 17 Wie ahnungslos bzw. wie unbeteiligt konnte ein Mensch wie Herbert Bayer sein, der solche Parolen ästhetisierte? Dieselbe Frage in anderen Zusammenhängen muß auch an Mies, 60 Sabine Weißler
Gropius u . a. gerichtet werden. Die Bergbauabteilung, die Mies in der Ausstellung ,Deutsches Volk< gestaltete, war für die Nazis der Beleg für die Notwendigkeit der uHeranziehung eines tüchtigen Bergarbeiterstammes ... " 18 Konnten solche Interpretationen gleichgültig lassen? Bei Mies, Ruegenberg, Hassenpflug, Bayer u . v. a. hatten ungeklärte Machtverhältnisse
zwischen einzelnen Richtungen, die sich vor der Nazizeit fraktionierten, und persönliche Beziehungen einen sehr großen Einfluß auf die Auftragsvergabe. Sie waren zunächst wirkungsvoller als die ideologische Ausgrenzung. Daß Walter Gropius in Zusammenarbeit mit den Bauhäuslem Joost Schmidt und Walter Funkat die Abteilung Nichteisenmetalle bei der Ausstellung >Deutsches Volk, gestaltete,
ist sicher mit seinen guten Kontakten zu Metall-Industriekreisen zu erklären. Delikat an dieser Ausstellung war, daß Gropius und Mies van der Rohe - beide ehemalige Bauhaus-Direktoren - einer Ausstellung zuarbeiteten, in deren einflußreichen Gremien der bereits erwähnte Wendland saß, der unmittelbar an der Schließung des Bauhauses beteiligt war. Er hatte Mies in einem Brief die BedingunPropaganda ·Ausstellungen 61
gen zur Wiedereröffnung genannt und dabei den Ausschluß aller jüdischer Mitglieder verlangt. 19 Für Bauhäusler gilt, was für andere auch zutrifft: Wo es ging, wurde weitergearbeitet. Noch 1937 erhielten Lilly Reich und Mies van der Rohe den Auftrag zur Gestaltung der .Reichsausstellung der Deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft, in Berlin (Abb. 16-19), die dann - ebenfalls von Reich und Mies gestaltet - als Abteilung ·Textilindustrie, im deutschen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937 zu sehen war. 20 Daß die Mitglieder des Bauhauses sich gegenüber den neuen Machthabern politisch bewußt verhalten hätten, und/ oder durch ihren Kontakt mit dieser Schule grundsätzlich ausgeschlossen waren, ist in dieser Verallgemeinerung nicht zu belegen. Laut Speer war die Parteiorientierung der Architekten Hitler egal, solange man den Bogen nicht überspannte. Vielleicht waren Gropius und Mies eine Bogenüberspannung. Ihre Mitarbeit an der Ausstellung ·Deutsches Volk, wurde heruntergespielt. Herbert Bayer aber hat nachhaltig die Ästhetik der .. Trilogie« beeinflußt. Er arbeitete auch nach ·Deutsches Volk - Deutsche Arbeit, zur Zufriedenheit seiner nationalsozialistischen Auftraggeber. Der von ihm ge-
staltete Katalog für die Ausstellung .Wunder des Lebens, (1935) ließ an rassistischer Eindeutigkeit nichts offen. 1936 gestaltete Emil Fahrenkamp die .Deutschland'-Ausstellung (Abb.20) nach modernsten Gestaltungskonzepten. Hier konnte der 1933 als Lehrer in EIbing entlassene Bauhaus-Absolvent Hans Haffenrichter den rund 400 Quadratmeter großen Raum .Technik und Wissenschaft, gestalten, über den es im Katalog hieß: .. Was das neue Deutschland leistet und erstrebt auf dem Gebiet der Erschließung aller Kräfte und Schätze des deutschen Bodens, das wird hier an bezeichnenden Beispielen veranschaulicht. Das nationalsozialistische Programm ist auch hier der geistige Hintergrund des Raumes.« Die Ausstellung veranlaßte Goebbels zu dem Ausruf: .. Die Art der Darstellung in gewaltigen Photomontagen (Abb. 21) ist aus dem Geist des neuen Deutschland geboren.« 21 Herbert Bayer hatte auch für diese Ausstellung wieder den Auftrag für ein Begleitheft bekommen. Die Ausstellung hatte kein geringeres Ziel, als die Größe Deutschlands dem zur Olympiade versammelten internationalen Publikum zu offenbaren. In der zeitgenössischen Presse wurde von 1,3 Millionen Besuchern berichtet.
20 .Oeutschland' -Ausstellung, Berlin 1936, mit Stühlen von Marcel Breuer im Vordergrund 62 Sabine Weiß/er
21 'Deutschland.-A usstellung, Berlin 1936, Vorhof Ehrenhalle
ANMERKUN GEN
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Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda, Bericht, Ausstellungsja hr 1938 Siehe Berliner Börsen Zeitu ng, 9. April 1934 Institut für Deutsche Kultur- und Wirtscha ftspropaganda (Anm. 1), S.7 Ebda ., S.8 Ebda ., S.9 Ebda ., S.8 Siehe Ulrich Pohlmann, ,Ni cht beziehungslose Kunst, sondern politische Waffe., in: Fotogeschichte, H.28, 8. lg., S. 17-3 1 Berlin Document Center (BOC), Akte Wendland Ausstellungs-, Messe-, Kongreß-G rnbH AMK Berlin, Chronik von Ausstellungen in Berlin, Teil 1, 1922 bis 1944, in : Karl Schröter AMK-Chronik, i. A. der AMKBerlin, Berlin 1983, S. 26 H. Rolf Sachsse, ,Propaganda für lndustrie und Weltanschauung. Zur Verbindung von Bild und Technik in deutschen Photomessen·, in: Inszenierung der Macht.
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Ästhetische Faszination im Faschismus, Neue Gesellschaft für bildende Kunst (Hg.), Berlin 1987, S.279 Magdalena Droste, Herbert Bayer. Das künstlerische Werk 1918-1933, Katalog Bauhaus-Archiv, Berlin 1982, S.12 Droste (Anrn.ll), S. 111 Gespräch mit Sergius Ruegenberg im Sept. 1991 in Berlin. Das erwähnte Zeugnis liegt der Autorin in Kopie vor. Ebda. Ebda. Deutsches Volk - Deutsche Arbeit, Katalog, Berlin 1934, S. 183 Das Wunder des Lebens, Katalog, Berlin 1935, S. 149 Deutsches Volk - Deut ehe Arbeit (Anrn.16), S. 199 Magdalena Droste, bauhaus, Berlin 1990, S.234 Sonja Günther, Lilly Reich, 1885-1947, Stuttgart 1988, S. 58f. Berliner Tageblatt vom 18. Juli 1936 Propaganda-Ausstellungen 6 3
ROLF SACHSSE
Kontinuitäten, Brüche und Mißverständnisse Bauhaus-Photographie in den dreißiger lahren
Personale Kontinuitäten
Eine Bauhaus-Photographie gibt es prinzipiell wohl ebensowenig wie einen Bauhaus-Stil. l Am, im und ums Bauhaus herum ist viel photographiert worden, doch läßt sich daraus keine einheitliche Konzeption einer thematischen, formalen oder medialen Spezifik entwickeln2, abgesehen von einem durchgängigen, die institutionelle Bindung selbst reflektierenden Impetus pädagogischer Natur, der als Rezeptionsproblem weniger in die dreißiger als in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts hineinreicht. 3 Der von Jeannine Fiedler herausgegebene Katalog zur Photographie am Bauhaus nennt im biographischen Anhang 25 Bauhäuslerinnen und Bauhäusler, die als Photographen in den dreißiger Jahren tätig geworden sind oder hätten gewesen sein können. 4 Die meisten haben ihre photographische Arbeit allerdings so unprofiliert versehen, daß sie damit entweder kaum an die Öffentlichkeit traten oder aber sich in nichts von einem braven Durchschnitt der allgemeinen, einer funktional in die Staatspropaganda eingebundenen Photographie abhoben. 5 Dasselbe gilt auch für die Arbeiten, die die Bildagentur Mauritius bis ins Jahr 1944 von Emigranten, allerdings ohne deren Namensnennung, vertrieb; unter den Autoren dürften einige ehemalige Bauhäusler gewesen sein. 6 Zu den von der Publikationstätigkeit her erfolgreichsten Photographen unter den ehemaligen Bauhäuslern - die Typophoto-Graphiker Kurt Kranz und Herbert Bayer seien vorläufig 64
noch ausgeschlossen - zählen neben Alfred Ehrhardt und Andreas Feininger - zu diesen beiden ebenfalls weiter unten - der Bildjoumalist Umbo, der von 1933 bis 1945 durchgehend mit Otto Umbehr signierte, und das Ehepaar Schrammen, die ihre Bilder gemeinsam ohne Vornamen publizierten.? Bei Umbo und Schrammen ist jedoch insgesamt keine Bildqualität zu finden, die vom durchwegs schlechten Niveau des NS-Bildjournalismus abweicht - außer bei Nachdrucken alter Arbeiten unter neuer Thematik (Abb. I, 2). Prinzipiell waren derlei Arbeiten thematisch vollkommen aus der Zeit herausgenommen, unter der Prämisse einer scherzhaften Illustration geradezu als unoder überzeitlich konzipiert. Ebenso prinzipiell enthielten sie keinerlei Verweise auf die Politik; als sogenannte Stimmungsbilder hatten sie einen festen Platz im redaktionellen Bereich des Feuilleton oder der meist länger vorproduzierten >bunten Seite· am Wochenende. Als stabilisierende Momente einer durch Idyllik vorsätzlich verschobenen, gegenüber den politischen Realitäten geradezu verklebten Wahrnehmung erfüllten derlei Bilder eine außerordentlich wichtige Aufgabe der staatlichen Bildpropaganda des NS-Regimes. 8 Sowohl die Schrammens als auch Umbo waren in der Weimarer Bauhau s-Frühzeit Kunsthandwerker gewesen und nahmen die professionelle Photographie erst spät in den zwanziger Jahren auf; 1 Umbo, Die Himmelskam era, um 1929, in >Volk und Welt· 1937, Oktober
,...
2 Schrammen, in ,Foto-Schau<7, 1942, April
ihre Karriere in diesem Metier hat also nur mittelbaren Bezug auf das Bauhaus. 1930 wird die Baugewerbeschule Weimar unter Otto Bartning9 nach der Wahl einer NSLandesregierung in Thüringen durch Paul Schultze-Naumburg übernommen; eine seiner ersten Anordnungen ist die Besetzung einer vorher nicht vorhandenen Professur für Photographie mit dem Antiken- und Mittelalter-Interpreten Walter Hege aus Naumburg. Dieser empfiehlt sich kurz nach seiner Berufung, schon 1930, mit einem öffentlichen Bekenntnis zur NSDAP. 10 Den Vergleich zum Bauhaus, den vor allem seine zahlreichen, ihm schwärmerisch ergebenen Schülerinnen anstellten, ließ sich Hege während der dreißiger und vierziger Jahre gern gefallen 11; auch nahm er in späteren Vorträgen über sein Lehrkonzept Bezug auf die berühmte Vorläufer-Institution. Doch dürften seine pädagogischen Ansätze, die er 66 Rolf Sachsse
mit dem Bauhaus verglich, eher in den Bereich der Werkbund-Reformansätze vor dem Ersten Weltkrieg gehören. 12 Daß seine bildnerische Arbeit in der Photographie mit ihrer heroisierenden und antikisierenden Attitude sämtlichen Ansätzen einer Modeme geradezu entgegengesetzt ist, belegt nicht zuletzt deren Wirksamkeit als Säule der staatlichen Architekturpropaganda. Nach negativem Abschluß aller Erhaltungsversuche des Berliner Bauhauses 13 werden ähnliche Unterrichtsansätze ebenfalls unterbunden: Burg Giebichenstein verliert den Unterricht des Finsler-Nachfolgers Heinrich Koch 14, und Werner Graeff, der in Berlin eine private Kunstschule mit Schwerpunkt Photographie (mit Walter Peterhans als Lehrer) betrieb, wird 1934 bereits steckbrieflich wegen angeblicher Veruntreuungen gesucht. 1s Die Kunstschule Johannes Ittens in Berlin mit einer eigenen Photoklasse wurde bereits 1932 wegen finanzieller Probleme geschlossen; einige Studenten gingen mit Itten nach Krefeld . Umgekehrt kann die seinerzeit als moderat modem eingestufte Reimann-Schule nach ihrer Übernahme durch Hugo Häring als reine Photo- und Filmschule - zeitweise mit Walter Peterhans als Lehrer - bis 1944 überleben, und Edmund Kesting eröffnet nach kurzer Schließung um 1935 seine >Wegschule, in Dresden neu als nahezu reine Photoschule, an der vor allem auch abstrakte Techniken wie Photogramm, Photomontage und als deren Sonderform die Simultanbelichtung gelehrt werden (Abb.3 ).1 6 Diese Schulen sind dennoch keine BauhausNachfolger und zu Recht nur gelegentlich als in dessen Nähe stehend rezipiert worden; insgesamt ist ihre Existenz dennoch für eine Tendenz kennzeichnend: In der Gebrauchsgraphik wie im Bereich der Photographie waren modeme Auffassungen willkommen, sofern sie funktionalisierbar waren.
Modale Kontinuitäten
Allons Leid setzt mit seinem ersten Leitartikel in der Zeitschrift ,Baukunst und Werkform, im Jahr 1947 den Mythos vom Überleben der modemen Architektur und ihrer Protagonisten unter dem Schutz der niederen Dienste in der Industriearchitektur in die Welt. I? Sein Text wie auch das ganze Heft ist mit Bildern von Heinrich Heidersberger und anderen Industriephotographen der dreißiger Jahre illustriert, sehr oft gegenüber ihren Originalen und zeitgenössischen Publikationen auf ganz
modernistische Weise beschnitten und vergrößert. Die in dieser Zeitschrift mit Abbildungen vorgestellten Photographen waren keine Bauhaus-Schüler; und ob die Photographie als Darstellungsmittel der Industrie sich eine gegen den nationalsozialistischen Staat zu stellende Verbindung mit der Modeme geleistet hat, ist eher fraglich. Fest steht jedoch: diese Modernität war staatstragend und wurde nicht nur gefördert, sondern geradezu gesucht (siehe Umschlagbild).
3 Edmund Kesting, Selbstporträt, um 1930, in ,Photoblätter, 18, 1941 Bauhaus·Photographie in den 30er lahren 67
Für das Propagandaministerium und sein 1933 eingerichtetes Referat ,Bildpresse, in der Abteilung ,Positive Weltanschauung, ist die Photographie prinzipiell und apriori keine Kunst, dies vor allem auch im Gegensatz zum Film - gerade das macht sie zum Bestandteil einer robust pragmatischen Modemisierungsstrategie. 18 Photographie ist eine Gebrauchsware (vor allem für die Presse), sie kann als Handwerk oder Kunstgewerbe betrieben werden; medial entspricht diese Sicht relativ exakt dem 1932 erstmals geäußerten und in späteren Publikationen wiederholt bekräftigten Ansatz von Rudolf Amheim. 19 Entsprechende Überlegungen - soweit sie in der komplexen Struktur der NS- Propaganda überhaupt nachvollziehbar bleiben - zeitigten recht unmittelbar zwei Resultate: Zum einen gab es relativ wenig Verfolgung von Modernisten in Werbung und Graphik, also auch in der Photographie.2o Dagegen
4 Korl-Hugo Scmnölz, Modell Berlin, 1939
68 Ral f Sachsse
war der Versuch der Indienstnahme von ausgewiesenen Modernisten auch ohne Parteienbindung durchaus häufiger: der junge Photograph Karl-Hugo Schmölz wurde seinen eigenen Erzählungen zufolge während der Arbeiten am Berliner Modell (Abb. 4) auf seine fehlende Parteizugehörigkeit hin angesprochen, woraufhin ein Mitarbeiter Speers ein entsprechendes Ondit von Joseph Goebbels zitiert habe, wonach bei Propagandisten des Staates es sogar besser sei, daß sie keine Parteibücher besäßen.2 1 Zum anderen ließ ja gerade Goebbels die Massenkomrnunikationsforschung und Publizistik anderer Länder genau beobachten und zur Nachahmung aufrufen (etwa in der Serie ,Wie es die anderen machen, in der Zeitschrift ,Deutsche Presse, von 1935 bis 1941). Offizielle Propagandastrategien sahen die Photographie im Schnittpunkt von Politik und Industrie angesiedelt und darin etwa dem Automobil oder
5 Wilh elm Ni emann, Ehrenhalle ,Die Kam era<, Bulin 1933
dem Tourismus vergleichbar. 22 Neben der Konsumgüterwerbung wurde die Messe als modernes Distributionsmittel dieser Schnittfläche industrieller und staatlicher Interessen wiederentdeckt. Ein typisches Beispiel bietet dafür ,Die Kamera" 1933 in Berlin gestartet. Ursprünglich als Nachfolgerin der WerkbundAusstellung .Film und Foto, Stuttgart 1929 gedacht, wurde sie nach der Gleichschaltung des Werkbundes für die Selbstdarstellung von Partei und Staat umgemünzt, die dieser noch sehr nötig hatte.23 Die Methode war einfach: aus den beiden erfolgreichsten Großveranstaltungen der zwanziger Jahre, eben der ,FiFo, 1929 und der Kölner ,Pressa, von 1928, wurden die wichtigsten Elemente zusammengetragen, auf die Interessen übertragen und als neue Form dem Publikum aufgetragen. Dazu gehörte wie schon in Köln eine Ehrenhalle mit Großphotos im Eingangsbereich (Abb.S), durch den alle Besucher gehen mußten; diese Ehrenhalle war nunmehr ganz den Zielen des Staates gewidmet und hatte durch ihre Großartigkeit auch zu überdecken, daß die eigentliche Ausstellung eher schwach bestückt und vor allem als Messe wenig erfolgreich war - die brutale Zerstörung der ja meist in jüdischem Besitz befindlichen und weitge-
hend liberalen Presselandschaft hatte allzu viele Spuren hinterlassen.24 Als Instrument der Verknüpfung wirtschaftlicher Interessen und ideologischer Leitfäden blieb der deutschen Photographie die Messe weitgehend in jener Form erhalten, die die ,Kamera' 1933 etabliert hatte: Selbst das Gründungskomitee der 'photokina, bestand zu großen Teilen aus Industrievertretern, die NS-Propaganda in Auftrag gegeben hatten. 25 Die große Bedeutung der Konsumwerbung für Adolf Hitler ist schon in ,Mein Kampf, nachzulesen ("Man muß Politik verkaufen wie Seife u und "Die Werbung hat sich auf weniges zu beschränken und dies möglichst oft zu wiederholen u). Die Photographie wird in diesem programmatischen Buch des zukünftigen Diktators nicht erwähnt, als Reproduktionstechnik und damit als Wiederholungsmedium sui generis ist sie jedoch geradezu omnipräsent. Pragmatisch von großer Bedeutung war dabei die Differenzierung von Inlands- und Auslands-Propaganda. Von Zeitschriften wie ,Die Neue Linie, (Gestaltung: Herbert Bayer, später Kurt Kranz) wurden häufig ganze Auflagen gekauft, um sie bei geeigneten Schwerpunktthemen im Ausland abzusetzen26 oder aber bevorzugt an großen Berliner Kiosken berei tzuhalten, etwa zu Zeiten der Olympiade oder wenn Bauhaus·Photograpm e in den 30er lahren 69
6 Schramm en , in .Foto -Schau<7, 1942, Juli 7 Paul Mai, Reich sparteitag Nürnberg, 1934
große Mengen ausländischer Besucher erwartet wurden. Im Inland dominiert dagegen betuliche Idyllik als Aufmachung (Abb. 6). Dabei ist das betonte Eingehen auf kleinbürgerliche Instinkte zum einen als Konsensstrategie begreifbar, doch jenseits der pragmatischen Ebene scheint gerade in den Photographien von Familienglück, Erdverbundenheit und ländlichem Leben ein Zeitbezug durch, der prinzipiell alle Ereignisse als schicksalhaft gegeben und für den Menschen unabänderlich darstellen soll- eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg einer Ästhetisierung der Politik und einer Vorbereitung des Krieges. Strukturelle Übernahmen
Es erscheint nachgerade als Konsens aller Faschismusforschung, daß originelle Leistungen des Regimes nicht nachweisbar sind, sondern sich fast immer als Aufnahme früherer Ideen und schnelle Um widmung auf staatliche initiativen erweisen - ein typisches Beispiel ist die Autobahn.27 Dasselbe gilt für die Photographie: Noch vor dem Erlaß des Schriftleitersatzes vom November 1933 wurde die Organisation der Amateurphotographen - VDA v, 70 Rolf Sachsse
ein 1908 gegründeter, groß bürgerlicher Verein mit kunstphotographischer Tradition - zum ·Reichsbund Deutscher Amateurfotografen' (RDAF) umfunktioniert, teilweise zwar mit personeller Kontinuität, aber vor allem mit der Organisationsstruktur der kommunistischen .Arbeiterfotografie< - ganz einfach aus dem . Grunde, daß diese Organisation fälschlicherweise für ein perfektes Instrument gehalten wurde, um Nachwuchs für den fehlenden Bildjournalismus zu bekommen.28 Wichtiger als derlei organisatorische Übernahmen waren jedoch jene strukturellen Dimensionen, die sich als Übernahmen von Bildformen, von funktionalen Mustern und von pädagogischen Ansätzen beschreiben lassen. Die Entwicklung der Bildformen des Neuen Sehens ist nicht unbedingt spezifisch für die Photographie am Bauhaus, wenn auch umgekehrt eine Subsumierung ohne weiteres möglich erscheint. 29 Grob strukturiert, läßt sich das Neue Sehen als System von vier kategorialen, ineinander verschränkten Grundmustern mit jeweils spezifischen Bedeutungsebenen beschreiben.30 Bei der allgemeinen Etablierung der Moderne in der Gesellschaft am Ende der zwanziger Jahre sind diese kompositionellen Grundmuster mit den entsprechenden Bedeu-
Bauhaus-Photographie in den 30el fahlen 71
tungen bereits so fest verknüpft, daß es sinnlos gewesen wäre, sie wieder voneinander zu lösen - also wurden sie auch vom NS-Staat übernommen und in eigene Symbolketten und Bedeutungsträger eingepaßt. Zu den Grundmustern gehört als erstes das Prinzip der Reihung: Im Bild findet sich die Wiederholung eines (kleinteiligen) Elements, das am Bildrand zur Evokation der unendlichen Wiederholbarkeit prinzipiell angeschnitten wird. Als Bildform moderner Werbung findet dieses Prinzip vor allem Verwendung für Konsumgüter mit positivem Selbstverständnis industrieller Produktion (z. B. Zigaretten oder Schrauben). Im Bild wie in der von ihm evozierten Wirklichkeit gilt das einzelne Element nichts, die Wiederholung alles - Kracauers Schlagwort vom »Ornament der Masse « wird Abbild der Realität.al Es liegt auf der Hand, daß
8 T. Lux Feininger, ohne Titel, 1928
72 Rolf Sachsse
dieses Grundmuster im NS-Staat weiterverwendet, vor allem aber auf Menschen transponiert wird; dies geschieht nicht unmittelbar, sondern in der für Photographie und Film vorbereiteten Inszenierung von Massenaufmärschen bei Parteitagen oder anderer Großveranstaltungen, die dann mittels filmischer oder photographischer Reproduktion verbreitet werden (Abb. 7). Ein weiteres Grundmuster markiert die Kontrakomposition: Ihr ist ein schräggestelltes Kompositionskreuz mit gleichwertigen Seitenstrahlen und bevorzugter Diagonale zur Dynamisierung eigen (Abb.8). Ihre Herkunft aus der sowjetischen Avantgarde, der Gruppe De Stijl und anderen konstruktivistischen Quellen deutet auf eine enge Verbindung von Kunst und Technik über diese Form hin; in der sowjetischen Malerei wurde sie bereits ab 1930 auf realistische oder propagandistische Bildvorwürfe übertragen - eine weitere Anwendung fand sich bald in der Modephotographie. Die Propaganda des NS-Staates nutzte die Kontrakomposition (s. Frontispiz), wenn auch oft im Winkel und damit in der Dynamik bereits abgeschwächt, bevorzugt für die Wiedergabe modernster Technik und speziell für die Rüstungstechnologie, vor allem, wenn es darum ging, den industriellen Vorsprung vor potentiellen Gegnern darzustellen . Das dritte Stilmittel der Modeme war die Photomontage. Es gab und gibt die Klebemontage im Positiv, die Belichtungsmontage im Negativ, dazu diverse Misch- und Zwischenformen und eine spezielle Form als Montage mit graphischen Elementen: Photoplastik und Typophoto. Am Bauhaus wurde die Photomontage nicht gar so gepflegt wie etwa im Unterricht von Max Burchartz in Essen; erst aus der Klasse von Joost Schmidt lassen sich Ergebnisse jenseits einer einfachen Typophoto-Montage aufzeigen (Abb.9). Die Photomontage wurde vor der Machtübernahme und noch bis etwa Herbst 1933 in der NS-Publizistik viel verwandt (vor allem auch, um Hitlers Menschenscheu zu kaschieren); danach war sie wegen der offensichtlichen Nähe zu John Heartfield,
gegen den im Prager Exil sogar diplomatische Bemühungen angestrengt wurden, nicht mehr gefragt, wohingegen sie im Zweiten Weltkrieg dann wieder mehr für Feind- und Auslandspropaganda als nützlich erschien und eine gewisse Renaissance erlebte (Abb. 10). Vierte und letzte Gestaltungsform eines Neuen Sehens in der Photographie ist die bewußte Konzeption von Bildserien : Bereits vor den Zeiten des Bauhauses nicht selten - dem Prinzip der Photographie inhärent, wurde sie sehr früh angewandt -, erschien die Bildserie durch die industrielle Einführung von Rollfilm und Kleinbild in Deutschland um 1925 sehr häufig. Als stillgelegter Film mit hohem Anspruch an eine visuelle Dynamik des synchronen Sehens wurde sie in der Avantgarde viel und gern verwendet (Abb.12), aber auch als prinzipiell journalistische Technik, als umfassende Dokumentation für komplexe Vermittlung schien sie gut geeignet und wurde bereits in den zwanziger Jahren von nahezu allen Photographen für nahezu alle Bildvorwürfe eingesetzt. 1m NS-Staat ist die Bildserie oft vom Inhalt her verniedlicht und zur platten Erzähltechnik verflacht, wenn auch bei passenden Gelegenheiten in Anlehnung an andere Kompositionsformen des Neuen Sehens angepaßt; hier in einem Beispiel von Paul Wolff, dem wohl genialsten Ausschlachter des Neuen Sehens für die NS-Propaganda (Abb. 11). Die Bildserie wird gerade in der Personalisierung politischer Inhalte gern als Medium historischer Legitimation verwendet, damit wiederum an Gebrauchsformen des 19. Jahrhundertsanknüpfend - es wimmelt in deutschen Zeitungen und Illustrierten um 1939 geradezu von HitlerBildreihen. Dynamische Kompositionsformen in Bildern und Gebrauchsweisen der Wirtschaftswerbung im Umgang mit ihnen hatten ein positives Verhältnis der Bürger zum Staat herzustellen. Im Prinzip dienten alle Übernahmen des Neuen Sehens, wie sie auch am Bauhaus praktiziert worden waren, als Verfahren von deutlich sichtbar technischer Herkunft zur Herausstellung von Modernität und Weltläu-
9 Joost Schmidt. Photomontage >Dessau<. 1930
10 Anonym. Waffen einst und heute. in >Neu es Volk . 8. 1940. Oktober
Bauhaus·PhoLOgraphie in den 30er lahren 73
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Paul Wollt, Bade/Teuden, Rohkontakt, um 1936
12 Kurt Kran z, Die fa lsch e N eun, 1930/31
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figkeit, was über die allgemein positive Grundstimmung hinaus propagandistisch nach innen wie nach außen notwendig war. In Einzel- und Mischformen wurden die Elemente des Neuen Sehens zur Vermittlung staatlicher Aufgaben und ihrer notwendig vom Volk zu erbringenden Finanzierung gebraucht: des wirtschaftspolitisch, verkehrsideologisch und kriegstechnisch gleichermaßen wichtigen Baus der Autobahnen (Abb. 13), der Erhöhung aller industriellen Produktivität und der damit erhofften sinkenden Arbeitslosenrate sowie wirtschaftlichen Autarkie; zur Vermittlung allerneuester Technologien für Rüstung, Flugtechnik und -abwehr, also zur Einbindung aller Kriegsvorbereitung in eine Kombination aus allgemein technischem Fortschrittsdenken und vitalistischer Überlebensemotion (Abb. 15); auch und vor allem für die Konsumartikelwerbung (Abb. 14), die nicht nur ökonomische Aufgaben versah, sondern zur positiven GrundeinsteIlung gegenüber dem Staat wesentliche Voraussetzungen lieferte; und last but not least zu einer Verknüpfung fürsorglicher Staatsaufgaben mit eben der Wirtschaftswerbung (S . 121, Abb. XIll) letztlich zu dem, was Hans-Ulrich Reck als postmoderne uDesignierung des Körpers« bezeichnet hat.32 In der Gebrauchsgraphik und dem Typophoto der dreißiger Jahre wird sicher mehr Wert auf Bildvermittlung als auf graphische oder typographische Elemente gelegt, was sich auch an staatlichen Verfügungen wie dem Frakturschrift-Erlaß33 zeigen läßt. Dahinter steht zumindest aus der Sicht einer staatlichen Propaganda die Überzeugung, daß der Irrationalismus des Vorsprachlichen im Bild rein für Gefühlswertvermittlungen funktionalisiert werden solle, während die Übersendung von Inhalten als Botschaften verläßlich nur über Sprache erfolgen könne.34 Darstellen läßt sich dieses recht gut an einigen Arbei ten der Bauhäusler Herbert Bayer und Kurt Kranz, auch des Itten-Schülers Fritz Brill. Bei den Arbeiten für die Agentur Dorland, insbesondere aber bei den direkten Staatsaufträgen Herbert Bayers wie der Gestaltung des of-
13 Wolf Strache, um 1939, in >Auf allen Autobahnen<, Dannstadt 1939
hziellen Besucherfaltblattes der DeutschlandAusstellung während der Olympiade 1936 in Berlin (Abb. 16) zeigen sich diverse Übernahmen formaler wie funktionaler Grundlagen aus dem Neuen Sehen: Neben typographischen Elementen finden sich Anklänge an Bauhaus-Gestaltungen vor allem in der Rastergraphik und der Verwendung einer sachlichen Photographie, die von Stimmungsbildern überblendet werden. Kurt Kranz hingegen - wenn er der Überwachung durch Herbert Bayer entgangen war3 5 demonstrierte eine recht unbekümmerte Einbeziehung aller Elemente seiner Zeit: Von der (wie Amateurbildnerei aussehenden, aber professionell produzierten) Photographie über die Idylle bis zur Handschrift wird Volksnähe evoziert (Abb. 17). Mit einer Vergangenheit des Graphikers am Bauhaus hat dies offensichtlich nicht mehr allzu viel zu tun. Moderate Modernität in der Gebrauchsform - wie im Unterricht und der Praxis von Joost Schmidt36 - findet sich auch in der werblichen Arbeit des Itten-Schülers Fritz Brill, der zudem als technischer Pionier diverser Anwendungsformen von Farbphotographie und Retoucheverfahren gelten kann . Von einer Plattform moderater Modernität ausgehend, lassen sich zahlreiche namenlose Nachahmer, in ähn-
licher Manier arbeitend, anführen: denn Werbung ist nicht nur als Methode der Verschränkung von Industrie und Propaganda, sondern auch in der Form ihrer Mittel prinzipiell unverändert übernommen worden - als Typo mit Photo. Bei den Übernahmen pädagogischer Ansätze ist wesentlich, daß die Bauhaus-Pädagogik in erster Linie Grundstudiums- oder Vor kursPädagogik war. 37 Ihr Rekurs auf fundamentale Formen und Sinnesreize ist im Reformschuldenken bequem anzusiedeln; dieses wurde partiell ins NS-Schulprogramm übernommen. 38 Nach all den öffentlichen Distanzierungen und Hetzkampagnen konnte eine direkte Berufung auf das Bauhaus natürlich nicht erfolgen, was aber strukturelle Analogien keineswegs ausschloß; dies ist das Gebiet der größten Überschneidung von personeller und struktureller Kontinuität. Walter Hege praktizierte, wie angedeutet, in Weimar einen Werkstattunterricht wie nach der Kunstgewerbeschul-Reform um 191439, sein technischer Mitarbeiter und Dozent Heinrich Freytag übernahm jedoch viel von der reprotechnischen Ausrichtung eines photographischen Grundunterrichts, die Walter Peterhans am Bauhaus eingeführt hatte und die Freytag in diversen Publikationen übernahm. 40 Bauhaus·Phowgraphie in den 30er fahren 75
Peterhans unterrichtete von 1933 bis April 1934 bei Werner Graeff, danach an der Reimann/Häring-Schule, wo der Peterhanssche Unterricht selbst nach dessen Emigration von wechselnden Lehrern in gleicher Weise fortgeführt wurde. Die wesentliche Verbreitung eines pädagogischen Impetus über Bücher wurde schon arn Bauhaus erkannt und in der Konzeption der Bauhaus-Bücher - sicher auch unter dem Einfluß von Lucia Moholy - berücksichtigt. Photobücher von Bauhäuslern gab es relativ früh, als Vorläufer kann natürlich Moholy-Nagys Werk ,Malerei Fotografie Film, gelten; spätere Lehrbücher sind dagegen wohl alle angeregt von Werner Graeff (,Es kommt der neue Fotograf" 1929, und mehr noch ,Qttos Fotos" 1932). Zudem kamen technische Lehrbücher heraus, die die Vermittlung von gestalterischen Grundlagen gleichsam hinterrücks inkorporierten: Walter Peterhans produzierte zwischen 1933 und 1936 vier Publikationen im Knapp-Verlag (,Der Fotorat') mit teilweise über 50000 Exemplaren in 40 Auflagen; betrachtet man einige der anonym erschienenen Schriften dieser Reihe, mögen es sogar mehr sein. Der Bauhäusler Alfred Ehrhardt publizierte diverse Ratgeber zur Aufnahme von Landschaften und insbesondere von Wasserflächen (Abb.18); meist enthielten seine damaligen
Werke jedoch andere Bilder als die, die heute von ihm aus dieser Zeit bekannt sind; die in den letzten Jahren veröffentlichten Aufnahmen sind fast ausnahmslos kaum dokumentierbare Nachdrucke der fünfziger und sechziger Jahre. Der älteste Sohn Lyonel Feiningers und ehemalige Bauhaus-Student Andreas Feininger pflegte bereits am Ende der zwanziger Jahre eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Graphiker und Autor Hans Windisch, der ab 1927 im Knapp-Verlag Halle das Jahrbuch ,Das Deutsche Lichtbild, herausgab, in dem wiederum diverse Bauhäusler Photographien publizierten. Nach Ausscheiden des Lektors Dr. Walther Heering aus dem KnappVerlag produzierte Andreas Feininger für Heering einige Publikationen, wie bei Peterhans zumeist Portrait-Anleitungen und technische Hilfen. 1936 startete Heering eine antijüdische Hetzkampagne gegen Knapp 41 und mußte konsequenterweise selbst den Autor Feininger fallenlassen, der im gleichen Jahr emigrierte. Wohl von Vorarbeiten Feiningers ausgehend, erscheint dann mit Hans Windisch als Autor eine Photoschule, die im Prinzip wie auch gestalterisch eine trivialisierte Bauhaus-Grundlehre ist; sie wird eines der erfolgreichsten Photolehrbücher deutscher Sprache. 42
Bruch: Bedeutungsebenen 14 Lotte Lehmann, Werbea ufnahm e, 1941 15 Agentur Hoffmann , Lichtdom Reichsparteitag Nürnberg, 1936 C>
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Gattungsspezifisch gesehen hat das Bauhaus kaum eigene Ansätze in der Photographie entwickelt - das war ja mit dem Rekurs auf einen Bauhaus-Stil bereits angedeutet worden; gegebene Anwendungsformen des Mediums und deren Erscheinen wurden überdacht und erweitert. Wichtigstes Spezifikum mag dabei die private Erinnerungsphotographie gewesen sein: Dort ist offensichtlich die Entwicklung eigener Lösungen am weitesten vorangeschritten - sowohl bei Lehrern wie Moholy-N agy 43 als auch bei den Studenten. 44 Die Bedeutung des Bauhauses für die funktionale Entwicklung des Neuen Sehens ist eher als marginal anzusehen; deutlichster Beleg dafür mag sein,
16 Herbert Bayer, Große Deutsche Ausstellung z ur Olympiade Bulin 1936, Faltblatt 17 Kurt Kranz, Titel eines Prospektes, 1937
18 Al/red Ehrhardt, Wattenmeer, in >Volk und Welt<1941, funi [>
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daß das Bauhaus zwar an Ausstellungen wie der -FiFo· in Stuttgart 1929 beteiligt war, aber doch auch nur als eine Schule unter vielen. 45 Die Entwicklung wichtiger Ansätze für das Neue Sehen wurde am Bauhaus und in seinem Umfeld vorderhand theoretisch stimuliert (vor allem über Moholy-Nagys programmatische Schrift -Malerei Fotografie Film· von 1925), in der Praxis einer funktionalen Anbindung photographischer Gestaltungsweisen arbeitete die Schule jedoch mehr hinter der Entwicklung her. 46 Von daher ist meine Betrachtung aus dem NS-Gebrauch heraus auf mögliche Präzendentien in der Photographie rund ums Bauhaus in erster Linie als Gegenprobe zur Kontinuitätsfrage gedacht. Die Bedeutung der Pressephotographie ist am Bauhaus nur unzureichend erkannt worden (mit Ausnahme der Zeit unter Hannes Meyer, wo sie aber funktional auf eine reine Dokumentation eingeengt und daher quasi wertneutral betrieben wurde 47 ; spätere Studenten wie Raviv oder Blühova sind wohl mehr unter dem Blickwinkel zu betrachten, daß sie bestehende Interessen am Journalismus in der BauhausAusbildung mit einem ästhetischen Fundament versahen. 48 Von den ganz späten (und da-
Bauhaus-Photographie in den 30er fahren 79
mit politisierten) Bauhaus-Studenten sind wiederum nur wenige in Deutschland geblieben; auf deren eventuelle Tätigkeiten im Journalismus hat das Bauhaus gestalterisch keinen Einfluß gehabt. Von Begriff und Formgestaltung her ist das Typophoto als Werbemittel eine eigenständige Entwicklung des Bauhauses49 (Abb.19), und diese ist von den NS-Werbern definitiv übernommen worden 50 (S. 121, Abb. XIV). In der NSZeit wird die Photographie als Bestandteil von Typophoto, wie gezeigt, zwar wichtiger, weil die Schrift weniger eigenständig zu sein hat, aber das einzelne Bild wird dafür auch weniger ausdrücklich gestaltet: Meist erfolgt ein starker Rekurs auf Idylle und Romantik, auf Vorspiegelung sachlicher Objektivität oder (besonders bei Arbeitsdarstellungen) auf einen dynamischen Eindruck hin. Im NS-Typophoto wird bevorzugt das Portrait als Träger emotionaler Botschaften eingesetzt, dies sicher auch in An-
19 Herbert Bayer, Titel ,bauhaus<, 1926
bindung an die Personalisierung in der Vermittlung von Politik und im diametralen Gegensatz zur Dingbindung der Neuen Sachlichkeit. Die von Lucia Moholy in der Architekturdokumentation eingeschlagene Linie einer völligen Rücknahme der Gestaltungsmittel wird schon von Walter Gropius nicht als Prinzip verstanden und insgesamt nicht weiter verfolgt. Dagegen perfektionieren Consemüller und Peterhans das Repertoire repräsentativer Ansichten, wie sie in den Werkbund-Jahrbüchern und deren Kölner Ausstellung 1914 entwickelt worden waren. Dieses Repertoire aus geraden Linien und knappen Anschnitten, von verhaltener (aber doch intendierter) Monumentalität und deutlicher Fixierung auf die Darstellung plastischer Massen wird von anderen Photographen, vor allem auch in der Architekturphotographie der dreißiger Jahre, aufgegriffen und als ,Bauhaus-Stil< später mißverstanden. 5 1 Für den Gebrauch von Architekturphotographie im NS-Staat ist einerseits Heges Antikenrezeption (Abb. 20,21) und andererseits die am Bauhaus nur wenig rezipierte Sicht eines Albert Renger-Patzsch von Bedeutung, dazu die Tricktechnik des Films und der Bau von Filmkulissen. Dennoch hat sich der Mythos einer bauhausnahen Architekturphotographie durch die ganzen dreißiger Jahre gehalten - zu Unrecht, wie ich meine.
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Bruch: Widerstand und Photographie
Eine Reihe von Bauhäuslern emigrierte, speziell die politisch aktiven. Oft gingen sie zu rück in ihre Heimatländer, wo sie später eventuell aufgespürt und in KZs verbracht wurden, anderen Oppositionellen und Untergetauchten entsprechend. 52 Photographie war immer auch Medium des Widerstandes; meist wurden Bilder als Dokumentation des Noch-Daseins von Widerständlern gebraucht und sind entsprechend wenig aussagekräftig in bezug auf die eigentlichen Widerstandsaktionen. Es gab gelegentlich Widerstandsaktionen mit Photographien: Libertas Schulze-Boysen beispielsweise 80 Ralf Sachsse
20, 21 Waller Hege (I), Albert Speer, Parteitagsgelände Nürnberg, um 1939
Bauhaus-Photographie in den 30er ,abren 81
arbeitete im Zentrallabor der Propagandakompanien und vergrößerte Photos von den Greueltaten zahlreicher Soldaten, die sie zur Anwerbung weiterer Widerstandskämpfer verwendete. Es gab auch Aktionen gegen propagandistische Photoausstellungen: Beispielsweise sprengte die Gruppe ,Baum· 1942 neun Tage nach der Eröffnung die Ausstellung ,Das Sowjetparadies. in die Luft. Doch bei keiner dieser Aktionen ist mir eine Verbindung zum Bauhaus bekannt. Nur eine einzige, sehr mittelbare Verbindung zwischen antifaschistischem Widerstand via Photographie und dem Bauhaus ist mir geläufig: ,De ondergedoken camera·. 53 Zwischen 1941 und 1945, während der deutschen Besatzungszeit in Holland, waren zwei Gruppen von Photographen als Dokumentatoren unterwegs (die eine nannte sich eben ,die untergetauchte Kamera., die andere hieß ,Particam.). Das Photographieren unter freiem Himmel war während der deutschen Besatzungszeit verboten; Konzessionen für Innenaufnahmen wurden nur an eigene Propagandaphotographen und Kollaborateure vergeben. ,Die untergetauchte Kamera· wurde von einem deutschen Emigranten, Fritz Kahlenberg, organisiert, der wiederum engen Kontakt zu Piet Zwart hatte (Abb.22) . Zwart schrieb 1948 in einem Ausstellungskatalog dieser Gruppe, daß der Einfluß des Bauhauses auf diesen Kreis von Photographen (die alle später bekannte Berufsphotographen werden sollten) via der Haagschen Kunstgewerbeschule nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. 54 Doch ein solcher Einfluß bleibt mittelbar und vor allem mehr auf den prozessualen Charakter der ganzen Bewegung bezogen, der offensichtlich die Tatsache des Photographierens als mediales Moment wichtiger war als die photographierten Sujets. Von den niederländischen Bauhäuslem war keiner an diesen Aktionen beteiligt. So muß sich das Bauhaus mit dem Durchschnittsschicksal begnügen, zum Erfolg des NS-Regimes einiges, zum Widerstand mit ästhetischen Mitteln dagegen nichts beigetragen zu haben. 8 2 Rolf Sachsse
22 Charles Breijer, Portröt Ilse Kahlenberg, Mai 1945
ANMERKUNGEN
Zum ,Bauhaus-Stil· vgl. Peter Hahn, ·Experiment Bauhaus., in: Ausst. Kat. Experiment Bauhaus, Berlin 1988, S. 71. Als frühere kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff vgl. Walter Dexel, Der Bauhausstil ein Mythos, Stamberg 1976; in ähnlichem Sinne äußerte sich bereits Lucia Moholy in mehreren Rezen sionen der .bauhaus.-Ausstellung Stuttgart 1968. 2 Andreas Haus, .Fotografie am Bauhaus: Die Entdeckung eines Mediums. , in: Jeannine Fiedler
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(Hrsg.), Fotografie am Bauhaus, Berlin 1990, S.126- 183 Roll Sachsse, ·Bilder machen lernen, Zur deutschen Photographje-Ausbildung., in : Ausst. Kat. Otto Steinert und Schüler. Fotografie und Ausbildung 1948 bis 1978. Essen 1990, S. 144- 161 Sabine Hartmann und Karsten Hinz, Biographien, in : Fiedler (Anm . 2), S. 339-357; es sind rues namentlich Gertrud Arndt, Eugen Batz, Herbert Bayer, llse Bayer, Egon Becker, Albert Braun, Hermann Bunzel, Heinz Clasing, Wils Ebert, Andreas Feininger, Walter Funkat, Albert Hennig (der nicht mit einem gleichnamigen, in den dreißiger und fünfziger Jahren viel publizierten Pressephotographen identisch ist), Gerhard ltting, Kurt Kranz, Heinz Loew, Erich Mrozek, Georg Muche, Hans Neuner, Walter Peterhans, Hinnerk Scheper, Tom und Eberhard Schrammen, Herbert Schürmann, Eisa Thiemann und Umbo (Otto Umbehr). VgI. als allgemeine Einführung Rolf Sachsse, .L'Allemagne: Le llI' Reich ., in: Jean-Claude Lemagny, Andre Rouille (ed.), Histoire de 1a Photographie, Paris 1986, S. 150- 157 Lucia Moholy vertrieb mündlichen Au sagen zufolge einige ihrer Jugoslawien-Bilder bis in dje späten drei ßiger Jahre hinein auf diesem Wege; leider habe ich bislang keine gedruckte Verwendung der Aufnahmen nachweisen können . Vgl. Leo Fritz Gruber, ,Eberhard Schrammen, ein un bekannter Künstler aus Köln', in: Kölner Museumsbulletin 7, 1989, I, S.39-45; auch djeser Text unterdruckt jedwede Tatigkeit der Schrammens in den NSJahren zugunsten einer nicht nachweisbaren ,Inneren Emigration·. Vgl. Willy Stiewe, Das Bild als Na chricht, Berlin 1933, S. 145- 148. Spätere Auflagen dieses Buches, das als Leitfaden der Ns-Bildpropaganda gelten kann, machen die hi er angedeutete Tendenz noch erheblich deutlicher. Zur Kontinuität von Bauhaus-Ideen in Weimar nach 1925 vgl. Dörte Nicolajsen, Vincent van Rossem, ·Cornelis van Eesteren en de Bauhochschule in Weimar', in: long Holland I, 1991 , S. 17-29 In: Der Nationalsozialist. Weimar, 28.2.1930, unpag.; zu Hege vgl. Fritz Kestel, .Walter Hege (1893- 1955), .. Rassekunstphotograph .. und/oder .. Meister der Lichtbildkunst .. !., in : Fotogeschichte 8, 1988,29, S.65-75; sowie Angelika Beckmann, .Walter Hege (1893- 1955) und das fotografische Abbild der Naumburger Stifterfiguren ., Diss. phiI. Berlin 1990 In den sechziger und siebziger Jahren häufige mündliche Aussage von Walde Huth-Schmölz; vgl. Ausst. Kat. Deutsche Lichtbildner. Wegbereiter der zeitgenössischen Photographie. Köln 1987, S. 131 f. Walter Hege, .Fotografie im Dienste der Kunst·, in: Foto -Prisma 6, 1955,7, S.3 15-3 17. In ei nem lruheren Text verweist er auf seinen Lehrmeister Hugo Erfurth, der als Werkbund-Grundungsmitglied die entsprechende Tradition zu vermjtteln wußte: Walter Hege, in: Wilhelm Schöppe (Hrsg.), Meister der Kamera erzähl en. Halle 1937, S.36-43
13 VgI. Peter Hahn (Hrsg.), bauhaus berlin. Auflösung Dessau 1932. Schließung Berlin 1933. Bauhäusler und Drittes Reich. Weingarten 1985, S. 11 8-144 14 Eva Mahn, ·Zur Geschichte der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein bis 1958·, in : Ausst. Kat. Design und Kun st: Burg Giebichens tein 1945-1990. Ein Beispiel aus dem anderen Deutschland. München 1991, S. 15-29, hier S. 20-22 15 Anonym, .Betr.: Die .. Deutsche Fotolernschuleo. von Werner Graeff., in : Photofreund 15, 1935, S.68 16 Mündliche Mitteilungen von Karl -Otto GÖtz und Annemarie Hager, kein Hinweis darauf in : Klaus Werner, Edmund Kesting. Ein Maler fotografiert. Leipzig 1987 (das Buch enthält ohnehin nur eine extrem verzerrte Auswahl des Kestingschen CEuvres). 17 Alfons Leid, .Anmerkungen zur Zeit·, in: Baukunst und Werkform I, 1947, I, S. 2-14, hier S. 14 (Anmerkungen zu den Bildern dieses Heftes). 18 Akten Hans Weidemann 1935136, Bundesarchiv Koblenz R 56 VI /9, S.43-46 (Diskussionsausschnitt mit Hans Hinkel, Anlaß nicht angegeben ) 19 Rudolf Arnheim, ·Flächenbilder. (1932), in: Wollgang Kemp (Hrsg.), Theorie der Fotografie II, München 1979, S. 164- 169; in gleicher Weise, doch wesentlich schärfer formuliert, ders ., ·Über die Natur der Fotografie. (19 74), in: ebda., Bd. llI, München 1983, S. 17l-181 20 Die einzige Verfolgung eines deut ehen Photographen im NS-Staat vor dem Zweiten Weltkrieg, die von Au gust Sander, ist persönlich motiviert: Sein Sohn Erich war als linkssozialistischer Agitator bereits im Februar 1933 verhaftet worden, saß im Jugendgefängnis Siegburg und ist dort kurz vor Vollendung seiner Haftstrafe von Gefängnisangehörigen ermordet worden; August Sander selbst stand unter ständiger Überwachung und häufigen Verhören der Gestapo Köln. VgI. Rolf Sachsse, August Sander in V/ersen, Viersen Beiträge zu einer Stadt Bd. 15, Viersen 1989, S. 10- 13 21 Zwischen 1967 und 1982 habe ich mit Karl -Hugo Schmölz Dutzende von Gesprächen zur Geschjchte seiner Arbeit geführt . Die Aussage stimmt überein mit der häufigen, immer apologetisch gemeinten Bemerkung, daß dieser oder jener Photograph/Designer/Künsder/Architekt nie NSDAP-Mitglied gewesen sei und daher keine Propaganda gemacht haben könne; vgI. etwa Wollgang Klötzer (Hrsg.), Frankfurt in Photographien von Paul Wolf! 1927-1943. München 1991 , S. 14- 15 22 Roll Sachsse, ·Heimat als Reiseland ., in: Klaus Pohl (Hrsg.), Ansichten der Ferne. ReisepholOgraphie 1850-heute. Gießen 1983, S. 129-150 23 RolfSachsse, .Propaganda für Industrie und Weltanschauung, Zur Verbindung von Bild und Technik in deutschen Photomes en·, in: Ausst. Kat. In szenierung der Ma cht. Ästhetische Faszination im Faschismus. Berlin 1987, S. 273-284; als neuere Bearbei tung des Themas vgl. Ausst. Kat. Kultur Technik und Kommerz. DiepholOkina -Bilderschauen 1950-1980. Köln 1990 24 Vgl. Ausst. Kat. Die Gleichschaltung der Bilder. PressefolOgrafie 1930-1936. Berlin 1983
Bauhaus-PholOgraphie in den 30er lahren 83
25 Vgl. Ausst. Kat. Kultur Technik Kommerz (Anm.23). 26 Z. B. Hinweis auf das vorn Propagandaministerium mitfinanzierte Sonderheft .Italien· der Zeitschrift ·die neue linie· in der Kulturpressekonferenz vom I I. 1.1938, Bundesarchiv Koblenz Zsg. 10111 I, S.21 27 Vgl. Claudia Windisch-Hojnacki, ·Die Reichsautobahn . Konzeption und Bau der RAB, ihre ästhetischen Aspekte sowie ihre Illustration in Malerei, Literatur, Fotografie und Plastik., Diss. phil. Bonn 1988 28 Rolf Sachsse, ..·Der modeme Fotograf hat Angst vor sich selbst .. , Anmerkungen zur Geschichte amateurfotografischer Makro-Organisation in Deutschland., in : Fotogeschichte 3, 1983, 8, S. 41-52. Nachdem die bisherige Historiographie der Arbeiterphotographie-Bewegung auf Quellenmaterial der ehemaligen DDR angewiesen war, dürfte sich der Forschungsstand zur Wirksamkeit dieser Medienstrategie noch ausdifferenzieren. 29 Vgl. Rainer K. Wiek, .Mythos Bauhaus-Fotografie., in: ders. (Hrsg.), Das Neue Sehen : von der Fotografie am Bauhaus z ur Subiektiven Fotografie, München 1991, S.9-32 30 Vgl. ansatzweise Manfred Schmalriede, ·Das Neue Sehen und die Bauhaus-Fotografie., in: ebda., S.33-50; vgl. Haus (Anm . 2). Beide differenzieren diese Muster nicht so aus. 31 Zur Anwendung dieses bei Kracauer nur als Titel ohne visuellen Bezug vorhandenen Begriffs auf mechanische Reproduktionstechniken wie Photographie vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I , München 1987', S. 179- 183 32 Hans-Ulrich Reck, ,Design als Macht: Gestaltung als verzeichneter Gebrauch., in: Hermann Sturm (Hrsg.), Verzeichnungen, Vom Handgreiflichen zum Zeichen, Essen 1989, S.59-74, hier S. 71 33 Gerd Fleischmann, .Fraktur Antiqua Nazischrift? , in : Notausgabe. Zur Ästhetik des NS-Staates, Dokumentation des Symposions vom 13.4. 1983 am FB Design der FH Bielefeld, Bielefeld 1983, S.207-231 34 Vgl. Franz Böckelmann, Theorie der Massenkommuni kation , Frankfurt 1975, S.42-93 35 Bei einem Symposium zur Bauhaus-Photographie (vg]. Anm .29) beklagte sich Kranz bitter darüber, daß die Rezeption seiner designerischen Tätigkeit während der dreißiger Jahre vollkommen mit der Arbeit seines Arbeitgebers Bayer identifiziert würde, speziell was die NS-Inhalte dieser Tätigkeit anginge. 38 Joost Schmidt, Lehre und Arbeit am Bauhaus 1919-32, mit Beiträgen von Heinz Loew und Helene Nonne-Schmidt, Düsseldorf 1984 37 " . .. man fing die Kurse nicht bei I an, sondern bei 0." Konrad Wünsche, Bauhaus: Versuche. das Leben z u ordnen, Berlin 1989, S.60. Den Schwerpunkt aller Bauhaus-Pädagogik im Vorkurs zu sehen, hat bereits Lucia Moholy gefordert: di es., ·VI. International er Kongreß für Zeichnen, Kunstunterricht und angewandte Kunst in Prag, 29.7.-5.8. 1928', in: i 10, 2, 1928, 16, S.82-84 und 17118, S.96-97 38 Vgl. Geert Platner (Hrsg.), Schule im Dritten Reich. Erziehung zum Tod, München 1983
84 Rolf Sachsse
39 Vgl. Ekkehard Mai, .vom Werkbund zur Kölner Werkschule. Richard Riemerschmied und die Reform der Kunsterziehung im Kunstgewerbe., in : Ausst. Kat. Ri chard Riem erschmid. München 1982, S.39-62, hier S. SO-52 40 Interview Rolf Sachsse mit Heinrich Freytag (1904-1984) am 16.6. 1981 in Kressbronn 41 Rolf Sachsse, ,Verleger und Autoren. Ein Briefwechsel., in: Fotogeschichte 8, 1988, 28, S.55-60 42 Hans Windisch, Die Neue Foto-Schule. Harzburg 1937. Die I. Auflage erscheint 1937, die 12. Auflage 1977: 281-290000; seither wird das Werk als Taschenbuch Ratgeber nahezu unverändert bis heute gedruckt und dürfte eine Gesamtauflage von ca. 350000 Exemplaren erreicht haben . Angaben aus : Frank Heidtmann, Bibliographie der Photographie. Deutschsprachige Publikationen der lahre 1839-1984, München/Lon don/New York/ Paris 1989, Bd. I, S. 136 und 140 43 Andreas Haus, Moh oly-Nagy. Fotos und Fotogramme, München 1978, S. 67 f. 44 Egidio Malzona (Hrsg.), bauhaus Fotografie, Bielefeld/Düsseldorf 1982, S. 149-3 10 45 Ausst. Kat . Film und Foto, Stuttgart 1929, Reprint Stuttgart 1979 46 Gerhard Glüher, ·Die Fotografie am Bauhaus zwischen akademischer Konvention und ästhetischem Experiment·, in: Wiek (Anm. 29), S. 51-66 47 Vgl. Magdalena Droste, 'Unterrichtsstruktur und Werkstattalbeit am Bauhaus unter Hannes Meyer., in: Ausst. Kat. hannes m eyer architekt urbanist lehrer 1889-1954, Frankfurt/Berlin 1989, S. 134- 165 48 Herbert Molderings, ·Moshe Raviv-Vorobeichic (Moi Ver)., in: Fiedler (Anm. 2), S. 74-82 49 Der Begriff nach Laszlo Moholy-Nagy, ·Typo - Photo., in: Typographische Mitteilungen 3, 1925, 10, S.202. Vgl. Manfred Schmalriede, ·Zur Entwicklung von Typographie und Typofoto innerhalb der Neuen Gestaltung., in: Ute Eskildsen, Jan C. Horak (Hrsg.), Film und Foto der zwan ziger 'ahre, Stuttgart 1979, S.26-37 SO Vgl. Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin 1990 SI Evelyn Weiß, .Biographie Karl -Hugo Schmölz., in: Ausst. Kat. Aus den Trümm ern, Kunst und Kultur im Rheinland und in Westfalen 1945-1952: Neubeginn und Kontinuität. Bonn 1985, S. 201 f. 52 Eine entsprechende Widerstandsgeschichte des Bauhauses existiert m . W. nicht, obwohl die Rezeptionsgeschichte dieser Schule dies doch nahegelegt hätte. 53 Diethart Kerbs (Hrsg.), Die untergetauchte Kamera. Fotografie im Widerstand Amsterdam 1940-45. Berlin 1987 54 Ausst. Kat. Fotografie in Nederland 1920/1940. s'Gravenbage 1979, S. 140
MAGDALENA DROSTE
Bauhaus-Designer zwischen Handwerk und Moderne
Viele der heute bekannten Bauhaus-Angehörigen im gestalterischen Bereich hatten die Nationalsozialisten als Juden oder Ausländer entlassen und vertrieben, oder sie fanden in Deutschland keine angemessene Beschäftigung. Marcel Breuer, der bedeutendste Bauhaus-Designer, der aus Ungarn kam, hatte als jüdischer Ausländer keinerlei Arbeitsmöglichkeiten und ging über die Schweiz und England ins amerikanische Exil. Über Leben und Arbeit von Marianne Brandt, der überragenden Metall-Designerin des Bauhauses, gibt es kaum Nachrichten. Sie malte naturalistisch, fertigte Textilarbeiten an und überlebte mühsam im Elternhaus. l Erich Dieckmann, Entwerfer eines Typenmöbelprogramms, der als Lehrer auf Burg Giebichenstein 1933 entlassen wurde, verkümmerte auf einer Stelle im ,Amt Schönheit der Arbeit<.2 Die Weberin Gunta Stölzl wagte sich aus der Schweiz nicht nach Deutschland zurück, da sie mit einem jüdischen Palästinenser verheiratet war. Anni Albers, neben Stölzl die wichtigste Bauhaus-Weberin, emigrierte 1933, die Textildesignerin Margarete Leischner 1936, die Weberin Otti Berger wurde als Jüdin ermordet. 3 Mit Margueritt! Friedländer-Wildenhain emigrierte 1933 eine herausragende Porzellanentwerferin, nachdem ihr auf Burg Giebichenstein gekündigt worden war. Neben Friedländer-Wildenhain und Dieckmann wurden auch Benita Koch-Otte, Heinrich Koch, Franz Wildenhain und Gerhard Marcks entlassen 4 , dessen qualitätsvoller Entwurf für ein KPM-JU-
biläumsgeschirr 1938 nicht ausgeführt werden durfte. 5 Die jüdische Deutsche Margarete HeymannMarks mußte ihre Hael-Keramik-Werkstätten in Marwitz/Velten 1934 für einen Schleuderpreis, der nie bezahlt wurde, verkaufen 6 und wanderte nach England aus. Als "Jüdische Keramik« wurde ihr Geschirr Bollhagen-Keramik gegenübergestellt: "Zwei Rassen fanden für denselben Zweck verschiedene Formen. Welche ist schöner?«? Naum Slutzky und Hin Bredendieck, die schon eine ganze Reihe von Lampenentwürfen für die Industrie geliefert hatten, emigrierten 1933 und 1937.8 Mit Ausnahme von Gunta Stölzl konnten alle diese Emigranten im Ausland zum Teil glanzvolle Karrieren machen. Die, die in Deutschland blieben, mußten damit zurechtkommen, daß der Bereich der angewandten Kunst in seiner ganzen Breite politisch instrumentalisiert werden konnte. Kunsthandwerk und Design
Kunsthandwerk wurde im NS-Staat in der Regel höher bewertet als das gestaltete Industrieprodukt, und zwar mit der Begründung, daß auch die Grundlage des Industrieentwurfs die Beherrschung des Handwerks sei. Hintergrund dieser heute merkwürdigen Wertung war die Neuorientierung aller Kunstgattungen - und der Kunstausbildung - am Ideal des Handwerks. Gegenüber der Weimarer Republik fand eine spezifische Verlagerung der Argumentation statt. Damals diskutierte man im Sinne einer 85
Konkurrenz über den Stellenwert und die Notwendigkeit des Industrieentwurfs und die Daseinsberechtigung des Kunsthandwerks. Nach 1933 wurden beide als gleich notwendig erachtet, der wichtigste Unterschied sei der, ob ein Produkt gut oder schlecht gestaltet sei. Die 'guten< Formen wurden dem »deutschen Stil" gerecht, dessen Merkmale Adolf Hitler 1934 formulierte: »Ich sehe es als wichtigste Aufgabe an, eine Form zu finden, die den Forderungen der Gegenwart nach Einfachheit und Schlichtheit gerecht wird und zugleich eine würdige Haltung bewahrt. Das ist die wichtigste Aufgabe für das Kunsthandwerk ... ,, 9 Trotz Hitlers scheinbar eindeutiger Forderung herrschte Stilpluralismus: Funktionales Industriegut in der Bauhaus-Nachfolge, traditionelles Kunsthandwerk sowie volkskundliche Erzeugnisse wurden ideologisch in das Konstrukt des »deutschen Stils" eingebunden. lo Der Aufwertung des Handwerks und Kunsthandwerks entsprach seine politische und wirtschaftliche Förderung. Die Leipziger Frühjahrs- und Herbstmessen, schon vor 1933 zentraler Verkaufs- und Ausstellungsort für das Kunsthandwerk, verzeichneten nach 1933 wachsende Umsätze und Ausstellerzahlen. 11
Im ranghöchsten Ausstellungsinstitut des Staates, dem Münchner ,Haus der Deutschen Kunst<, fanden 1938 und 1938/39 Architekturund Kunsthandwerksausstellungen statt, die dann allerdings wegen des Kriegsbeginns nicht weitergeführt wurden. 12 Durch den ,Kunst am Bau<-Erlaß vom Jahr 1934 kam es zu zahlreichen Aufträgen von Seiten des Staates, der Wehrmacht oder sonstiger Institutionen. Nicht nur die Kunsthandwerker, sondern auch die noch junge Berufsgruppe der Entwerfer wurden über die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer erfaßt, »um sie nach den angestrebten kulturpolitischen Zielen einheitlich auszurichten,,13. Trotzdem scheinen die Arbeitsmöglichkeiten für Kunsthandwerker besser gewesen zu sein, da diese Berufsgruppe stark gefördert wurde. Diese Rahmenbedingungen spiegeln sich in der durchschnittlichen Existenz der BauhausAbsolventen im NS-Staat. Der wichtigste Industriedesigner im Deutschland der dreißiger Jahre war zweifelsohne Wilhelm Wagenfeld. 14 Seit 1931 reformierte er die Produktion der Schott & Gen. Glaswerke in Jena und wechselte 1935 zu den Vereinigten Lausitzer Glaswerken in Weißwasser. Mit Wagenfeld war
I Wilhelm Wagenfeld, Back schüssel aus Preßgla s, 1938/3 9 2 Wilhelm Wagenfeld,
Gläsernes Teegeschirr für SChOll eJ Gen ., Jena, 1930·34 86 MagdaJena Droste
Bauhaus-Designer 87
3 Wilh elm Wagenfeld, GJassatz Loben stein, 1936
erstmals ein Künstler - mit außergewöhnlich hohem Gehalt - in die Leitungsebene einer Fabrik vorgestoßen. In wenigen Jahren entwikkelte er eine Produktpalette von Glas und Preßglas-Objekten, die, in großer Stückzahl hergestellt, den alltäglichen und gehobenen Haushaltsbedarf abdeckten (Abb. 1-4). In der Arbeit Wagenfelds kann man drei wesentliche Aspekte des Bauhauses wiedererkennen: das Typenprodukt, materialgerechte Herstellung und hohen Qualitätsanspruch. Neben traditionellen Glasprodukten wie Gläsern, Karaffen, Krügen widmete Wagenfeld seine Aufmerksamkeit besonders bisher unbekannten oder vernachlässigten Gegenständen: Zitronenpressen, Aschenbecher, Tassenfilter, Eierbecher und sogar Blumenuntersetzer wurden entwikkelt, akribisch getestet und immer wieder verbessert, bis sie auf den Markt kamen . Dies konnte Wagenfeld dank seines Durchsetzungsvermögens und eines für Gestaltungsfragen offenen Managements erreichen. Auch die Werbung nahm er zeitweilig selbst in die Hand . So wurde z. B. die Zitronenpresse wie ein wichtiges Einzelstück photographiert und konnte zum Demonstrationsobjekt seiner Entwurfsgrundsätze dienen. Die Produkte wu.rden als 88 MagdaJena Dros te
'gute" zweckmäßige und langlebige Formen verkauft und rezipiert. Stets wurde auch die Gemeinschaftsleistung des Entwurfs betont. Dies entsprach ihrer tatsächlichen Entstehung, machte die so angepriesenen Gegenstände aber gleichzeitig für die Zwecke des Systems verfügbar, denn längst hatte man die neuen Herstellungsverfahren in einem politischen Sinne interpretiert: »Handwerker, Kunsthandwerker und Entwerfer, alle drei - als vierter im Bunde die Industrie selbst - müssen kameradschaftlich Schulter an Schulter in Front stehen, einsatzbereit und tätig für die Gestaltwerdung nationalsozialistischen Kultu.rwollens.« 15 Da durch Standardisierung und »sachliche Gestaltung« die Individualität des Objekts verdrängt ist, kann es »zur Konsequenz und zum Ausdruck der Gemeinschaftsideologie« werden. 16 Auch die heute sogenannte PR-Arbeit gehörte zu Wagenfelds selbst entwickelten Strategien. »Sorgfältig wird ... dort die Ausstattung öffentlicher Veranstaltungen und institutionen registriert. vLG-Gläser beim Opernball, im Restaurant des Deutschen Hauses in Paris, im Pariser Goethehaus, in der Londoner Botschaft, als Tagungserinnerungen und als Sport-
abzeichen ... " 17 Wagenfelds Industrieware wurde nicht nur auf der Pariser Weltausstellung 1937, sondern auch auf den Mailänder Triennalen 1937 und 1940 gezeigt und ausgezeichnet. Regelmäßig wurden die neuen Produkte in der ,Schaulade· annonciert (Abb . 5-8) und im redaktionellen Teil vorgestellt; auch auf den Leipziger Messen und auf den zahllosen Ausstellungen, die sich dem 'gedeckten Tisch· widmeten, waren Wagenfelds Produkte präsent. Erst jetzt wurde bekannt, daß Wagenfeld neben der vLG-Tätigkeit für die Ss-Porzellanmanufaktur Allach ein »Diplomatengeschirr" entwarf, das wegen des Krieges - die Einführung neuer Formen war verboten - nicht produziert wurde, worauf Wagenfeld den Vertrag am 18. 11. 1943 kündigte. 18 Trotz seiner un-
bestrittenen Erfolge wurde Wagenfeld angefeindet, da er sich weigerte, der Partei beizutreten. »Ich mußte vorsichtig sein, lavieren, Mitgliedschaften immer wieder zurückweisen und wurde zu guter Letzt doch als politischer Schädling Soldat.,,19 Der einzige Bauhaus-Angehörige, der sich nach dem Krieg selbst rühmte, die BauhausPrinzipien hochgehalten zu haben, war Georg Muche. »Mit der Klugheit, die schlauer ist als die List der Argen, gelang das mit der Gründung einer Meisterklasse für Textilkunst und einem Studio hier in Krefeld an der Textil-Ingenieurschule." Er habe seit 1933 eine kleine Gruppe junger Menschen um sich geschart, um sie »im Sinne unserer Bauhaus-Arbeit zu unterrichten ,,20, schrieb er im August 1945 an
4 Wilh elm Wag enfeld, ,Kühlschrank -Service" Aufnabm e DOTe Barleben , um 194 1
Baubaus·Design er 89
aus Speisekammer lind Kiill/schrank bereit [Ur den Tisd. ~ .
5-8 Von Wilh elm Wagenfeld gestaltete Anzeigen fü r die Zeitschrift 'Schaulade<, 1941
Gropius. Tatsächlich war Muche kein Nationalsozialist, vieles in Krefeld gelang ihm offenbar dank guter persönlicher Kontakte zu Krefelder Fabrikanten. Muche war allerdings nicht der Gründer dieser Meisterklasse, sondern nur deren ers ter künstlerischer Leiter. Als einzigartige Einrichtung innerhalb des nationalsozialistischen Kunstschulsystems ist ihre Geschichte bedeutsam. Im Zuge der Umorganisation des gesamten Kunstschulwesens hatten die Nationalsozialisten bis auf wenige Ausnahmen alle Akademien und Kunstgewerbeschulen in Handwerkerschulen und 1938 in 'Meisterschulen des 90 Magdalena Droste
deutschen Handwerks< umgewandelt und die Ausbildung auf handwerklicher Basis neu organisiert. 21 Schon die Struktur dieser Schulen, ein stark verschultes Unterrichtsprogramm, ließ keinerlei Spielraum in Richtung Industriedesign. Weder Lehrkräfte noch starke Begabungen konnten sich entfalten. Die 1935 reorganisierte Textil-Ingenieurschule Krefeld war eine der wenigen Schulen, an der eine systematische Ausbildung für den Personal bedarf der Industrie betrieben wurde. Gegründet und finanziert wurde die Meisterklasse für Textilkunst als Verbund von drei Trägern: der Wirtschaftsgruppe Textilindustrie, der Stadt Krefeld und dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. 22 Mit der Einrichtung der Meisterklasse, die als selbständige Institution der Textil-Ingenieurschule finanziell und verwaltungsmäßig angegliedert war, wurde die bisher von Johannes Itten geleitete Flächenkunstschule zum 31. 3. 1938 abgewickelt. 2J
Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der Besuch der Weltausstellung in Paris durch die Vertreter der Industrie. »Die Weltausstellung in Paris gab die Möglichkeit, den Stand der Länder hinsichtlich ihrer Kunst- und Modeschulen miteinander zu vergleichen. Dabei stellte sich heraus, daß die französischen Schulen auf diesem Gebiet weitaus den ähnlichen Schulen anderer Länder überlegen waren. Vor dem Weltkriege hatte auch Deutschland in Fragen der Bemusterung alle anderen Länder außer Frankreich überragt. Diese Überlegenheit hat Deutschland nunmehr verloren.« Damit sei die Frage des Exports berührt. 1932 habe die Industrie die Flächenkunstschule gegründet, um den Vorsprung der französischen Industrie einzuholen. Der Besuch der Weltausstellung habe aber gezeigt, daß »Deutschland auf dem Gebiet der Bemusterung in der Zwischenzeit nicht vorwärts gekommen ist«. Man habe daher die Entscheidung getroffen, für das ganze Reich eine Sonderklasse zu bilden, in der die besten Textil-Schüler weiterzubilden seien. Ittens Flächenkunstschule werde diesen neuen Anforderungen nicht gerecht, zumal die Teilnahme bei Itten keine technischen Vorkenntnisse erfordere. Auch sei der Unterricht zu einseitig, da der Schüler drei Jahre nur von Herrn Itten unterrichtet werde. Der besonders begabte Schüler leide hier unter dem Durchschnitt. 24 Am 1. April 1939 nahm eine Meisterklasse den Unterricht auf, zu deren Leiter Georg Muche berufen worden war, übrigens eine Gehaltsklasse unter Ittens Anstellung und vorläufig für fünf Jahre. Die Auswahl der Schüler wurde durch ein neunköpfiges Kuratorium getroffen, das sich aus fünf Mitgliedern der industrie und vier Vertretern von Stadt und Staat zusammensetzte, unter ihnen der Maler Oskar Moll und Lilly Reich. 25 Die Ausbildung dauerte ein, später zwei Jahre, die Schüler erhielten ein Stipendium. Die Klassenstärke lag bei 10 bis 1S Teilnehmern . Zweck dieser Elite-Einrichtung war es, Künstler auszubilden, »die in der Lage sind, als Textilentwerfer die deutsche Textilindustrie vom ausländischen Einfluß auf
,-I
W.~OI L
1:1
Leipziger Grassimuseum
ErdgoschoB
Messe Ba uhaus·Designer 91
9,10 Christian Dell für Gebr. Kaiser e,) Co., Neheim -Hiisten: Doppeltischlampe aus der Baureille >ideel<, 1933/34, und zwei Schreibtisch!ampen >idee!<, 1933/34, Modell 6556
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dem Gebiete der Bemusterung und Geschmacksbildung unabhängig zu machen". 26 Als zu Beginn des Jahres 1943 der 1938 mit Muche auf fünf Jahre geschlossene Vertrag ablief, hieß es in einer Aktennotiz: nMuche ist als Lehrer und Mensch schwer zu behandeln ... Muches Erfolge sind dagegen anerkennenswert, wie auch sein künstlerisches Können von der Industrie hoch geschätzt wird. Er trägt aber eine starke Künstler-Überheblichkeit in sich. Von der Stadt Krefeld wird er auffällig begünstigt ... zumal er in letzter Zeit auch nach außerhalb (Wuppertal-Barmen) umfangreiche Aufträge für Freskomalereien erhalten hat. Die Textilindustrie will alles tun, um ihn für die höhere Fachschule für Textilindustrie Krefeld und damit für die Textilwirtschaft zu halten. ,,27 Muche wurde 1943 verbeamtet, ,Sonderleistungen< für die Industrie konnten zusätzlich honoriert werden, weitere Nebentätigkeiten waren erlaubt, Nebeneinkünfte zugesichert. Die Auswahl von Assistentinnen war freigestellt. Ohne jedes politische Zugeständnis hatte er sich maximale Einkünfte und größte
11 WalLer Gropius, Wils Ebert, Ofen ,Oranier< auf dem Normb1aLL der ,Warenkunde<, 1939 12 MargueriLe Frjedländer-Wilden hain, Geschirr ,Burg Giebichenstein< auf dem Normblatt der ,Warenkunde<, 1939
Bauhaus-Designer 93
13 Grete Wagner-Reichardt, Vorh angsto!f in Schlangenmuster, 1938
14 Grete Willers, handgewebte Stoffe, um 1936
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künstlerische Freiheit sichern können. 28 Eine ähnliche Einrichtung sollte nach Krefelder Vorbild in Wien errichtet werden. Die Meisterklasse hatte also in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung: Sie war eine Elite-Einrichtung und stark von ihrer Leistung und vom Erfolg bei der Textilindustrie abhängig. Den Unterricht konnte Muche in eigener Verantwortung und ohne festen Stundenplan gestalten. Schon im Gründungsjahr 1939 präsentierte die Meisterklasse eine erste kleine Ausstellung ,Blumen und Pflanzen als Schmuckform', 1941 zeigte man in Berlin bei Gurlitt eine weitere Ausstellung (S. 123, Abb. XVI). 29 Der Maler Oskar Schlemmer, der Muche von Wuppertal aus mehrfach besuchte, schrieb über die hier entstehenden Stoffe, daß »M(uche) in Seidenmustern dem alles beherrschenden französisch-italienischen Markt eine deutsche Art entgegensetzen Will". 30 Er verkannte, daß Muche hier keine selbstgewählte Aufgabe betrieb, sondern die Nachfrage der Textilindustrie bediente, die wiederum politischen Vorgaben folgte. 1941 hatte Goebbels die Forderung nach einer deutschen Mode verkündet3 1, an deren Realisierung auch an zahlreichen anderen Stellen im Reich gearbeitet wurde. Schon Itten hatte sich große Chancen im Bereich der deutschen Mode ausgerechnet: Er hatte seit 1935 Pläne für eine ,Reichsakademie der Textil- und Mode-Industrie, gemacht und 1937 an Göring geschickt. 32 Im Vorwort zur ,Reichsausstellung der Deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft, 1937 in Berlin hatte Itten die Arbeit der Schule den rassistischen und politischen Zielen des Staates untergeordnet: »Die Volkskunst ist für einen blutmäßig einheitlichen Volksstamm immer von gleichem eindeutigem, körperlich konstitutionell bedingtem Charakter ... Wir stehen heute als Stoffschöpfer vor der wirtschaftlich wie kulturell gleich bedeutsamen Aufgabe, arteigene deutsche Stoffe zu schaffen ... Naturgemäße Menschenerziehung im Hinblick auf das textile Gebiet werden uns zu einer arteigenen starken Stoffkultur führen ... ,, 33
Solche Entgleisungen unterliefen dem vorsichtigen Muchc nicht, der sich damals mit seinem besten Freund Itten wegen einer politischen Äußerung bis in die fünfziger Jahre entzweite. Auch der Zeitzeuge Schlemmer schrieb, er könne sich Muche nicht vorstellen ,. bei Flaggenhissung und allen damit verbundenen städtischen und parteilichen Verflechtungen u • 34 Paradoxerweise sind für uns heute die unter Itten entstandenen, oft geometrischen oder von der Struktur lebenden Stoffe viel ·moderner. (S. 122, Abb. xv) als die großzügig floralen Dessins aus der Meisterklasse, die häufig tradierte Klappschemata und volkskundliche Motive zeigen. Während Wagenfeld und Muche sich gewissermaßen exponierten - Muche erwog sogar, sich um den Direktorposten der Handwerkerschule Wuppertal zu bewerben35 - , blieb Christian DelI, ehemals Werkmeister der Metallwerkstatt des Bauhauses, als Lampendesigner für die Firma Kaiser & Co. in Neheim-Hüsten nahezu unbekannt. 36 1933 an der Frankfurter Kunstschule entlassen, entwickelte er den Lampentyp .ideel., der zu verschiedenen Serien differenziert wurde und auf dem Baukastenprinzip beruhte. Diese zu Tausenden hergestellten Lampen, von denen das Modell ·6556 Super. (Abb.9, 10) bis heute in Produktion ist, wurden aber - anders als Wagenfelds Gläser nie auf Ausstellungen als .gestaltete Industrieware· aufgewertet. Dieses Schicksal teilten sie mit Kühlschränken, dem Volksempfänger und anderem technischen Gerät. Erwähnenswert und weitgehend unbekannt sind auch die Spannstoffe, die Grete Wagner-Reichardt in den dreißiger Jahren für die Junkers Flugzeugwerke in Dessau entwarf.3 7 Die Öfen, die der Architekt Wils Ebert - zuerst als Gropius' Assistent, dann selbständig für die Franckschen Eisenwerke in Dillingen entwarf, fanden anonyme Aufnahme in die .Warenkunde., eine Sammlung vorbildlich gestalteter Produkte, die seit 1939 vom KunstDienst (Abb. 11) in Berlin herausgegeben wurde. In diesem bis heute unverzichtbaren Nachschlagewerk ist auch dokumentiert, daß
15 Crete Willers, handge webter Wandb ehang, um 1934
16 Benita Koch -O tte, Ausschnitt ein es Wandbehangs, 1940
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17 Walfgang Tümpel, Nirosta -Schale, nach 1939
das Geschirr von Friedländer-Wildenhain ,Burg Giebichenstein, (Abb. 12) für die KPM weiterverkauft, ihr Name aber unterschlagen wurde. Auch die Bauhaus-Tapeten sind aufgenommen, das sicher erfolgreichste Bauhaus-Produkt, das diesem Namen aber nur noch bedingt Rechnung trug: Jedes Jahr wurde eine neue Kollektion hergestellt, und die leicht verwaschenen Muster der dreißiger Jahre unterscheiden sich erheblich von den frühen Dessins. Obwohl die Bauhaus-Entwerfer die Erwähnung des verpönten Wortes ,Bauhaus, in Biographien, Fragebögen etc. vermieden oder seine Bedeutung als Ausbildungsstation herunterspielten, warb die Herstellerin der Bauhaus-Tapeten, die Firma Rasch, mit einer ganzseitigen Farbanzeige dafür im Katalog der ersten ,Architektur und Handwerker-Ausstellung' 1938 (S. 124, Abb. XVII) . Die Tätigkeit im Industriedesign war jedoch die Ausnahme, nicht die Regel. Die überwiegende Zahl der Bauhäusler führte selbständig eine kleine Werkstätte, andere blieben nur Mitarbeiter oder fanden Anstellung an kunsthandwerklichen Schulen. Viele holten jetzt ih96 Magdalen a Droste
ren Meistertitel nach, da das Bauhaus-Diplom keinen Wert mehr hatte. 3B Mary Thierfeld (Meisterbrief nach 1933), Grete Wagner-Reichardt (Meisterbrief 1942; Abb. 13) und Ilse Schröter-Voigt betrieben selbständige Weberei-Werkstätten, May Weintraut, Kat ja Rose, Ida Kerkovius, Gerhard Kadow (Meisterbrief 1933), Elisabeth Kadow-Jäger und Elfriede Burgdorf-Enderlin (Leitung Weberei der Stadt Mannheim) zeitweilig. Grete Willers (1935 Berechtigung zur Ausbildung von Lehrlingen in der Weberei; Abb.14, 15) unterrichtete an der Handwerkerschule der Stadt Essen in der Klasse für Handweberei und Stickerei, Margarete Leischner (Meisterbrief 1936) an der Textil- und Modeschule der Stadt Berlin, Else Mögelin an der Handwerkerschule Stettin (Schwerpunkte pommerische Damastweberei, Teppichknüpfen). Lis Beyer-Volger leitete die Weberei-Klasse des Polytechnischen Zentralvereins in Würz burg, Benita Koch-Otte (Meisterbrief 1937; Abb. 16) die Weberei in Bethel. Hans Gross, Lehrer an der umgestalteten Nordischen Kunsthochschule Bremen (Parteimitglied), entwarf Wandbehänge mit völkischen
Themen. Mindestens sieben Bauhaus-Absolventen führten Metall- oder Gold- und Silberschmiede-Werkstätten: Ine Burchard in Berlin, Karl Raichle in Meersburg eine Zinnschmiede, Hans Przyrembel in Leipzig, Wolfgang Tümpel (Meistertitel 1935; Abb. 17, 18) in Bielefeld, Friedrich Marby (Meistertitel 1938) in Weimar; Wilhelm Schabbon in Sieker und Alfred Schäfter in Leipzig. Otto Lindig, der ab 1942 überwiegend für die SS-Manufaktur Allach arbeiten wollte39, und das Ehepaar Hilde und Erich Kloidt führten eigene Keramik-Werkstätten. Heinz Neuy absolvierte 1937 die Meisterprüfung im Tischlerhandwerk. Lilli Schulz, Lehrbeauftragte in Halle für Emaille, machte 1935 ihre Meisterprüfung. Als Holzschnitzer arbeiteten Heinrich Basedow (sA-Obersturmführer ehrenhalber) und Heinrich Konrad (,Runenschnitzer· genannt), Lehrer an der Hansischen Hochschule, Hamburg. Die Witwe Lydia Driesch-Foucar stellte künstlerisch gestaltete Lebkuchen her (Abb. 19). 18 Wolfg ang lY.impel, Teedose, Kupfer, handgetrieben und gehämm ert, 1937 'V 19 Lydia Driesch -Fou car, Lebkuchen , ausges tellt 1936
Messen - Ausstellungen
Weder bei den Freiberuflern noch bei den angestellten Bauhäuslern gab es ,große Karrieren·. Die kleinen, mühsamen, angepaßten, unauffälligen Existenzen waren die Regel. Eine Spitzengruppe unter den Bauhäuslern konnte auch im Ausland mit ihren Leistungen bestehen. Auf der Weltausstellung in Paris 1939 wurden Otto Lindig, Wilhelm Wagenfeld und Gerhard Marcks ausgezeichnet. Auf der Mailänder Triennale 1940, auf der das Deutsche Reich fast 200 Preise erhielt, waren die folgenden Bauhäusler unter den Ausgezeichneten : Textil: Else Mögelin, Grete Wagner-Reichardt, Gerhard Kadow; Metall: earl Auböck, Hans Przyrem bel (Abb. 22), Wolfgang Tümpel, sowie wieder der Keramiker Otto Lindig (Abb. 20, 21) und Otto Dorfner, der ehemalige Leiter der Buchbinderwerkstatt des Bauhauses.4o Selbst auf den bei den Münchner Architektur- und HandBauh aus· Designer 97
20 Otto Lindig, freige drehte Vasen , Vase links ungla siert, drei Vasen glasiert, 1936137
werks-Ausstellungen, die im Gesamtcharakter weitaus repräsentativer als die Leipziger Ausstellungen im Grassi-Museum waren, sind eine Reihe von Bauhäuslern vertreten. Neben den schon genannten Namen (Auböck, Dorfner, Gross, Kadow, Lindig, Wagenfeld, WagnerReichardt, Schulz) stellte 1939 auch Ida Kerkovius einen Teppich aus . Im Abbildungsteil des Katalogs tauchte allerdings keines der Objekte auf. Hier überwog das repräsentative Kunsthandwerk.
Bei einer Düsseldorfer Ausstellung ,Deutsche Handwerkskunst der Gegenwart., 1941 als Verkaufsausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf abgehalten, sind sogar mehr als zehn Prozent der Aussteller Bauhaus-Schüler, in der Regel aber liegt ihr Anteil am Gesamtvolumen deutlich niedriger. Zu einer der wichtigsten Ausstellungs-Institutionen wurde die Kunsthalle Mannheim unter ihrem Direktor Passarge. Walter Passarge, Nachfolger des entlassenen Hartlaub, verlagerte den Sammlungsschwerpunkt des Hauses von Malerei und Skulptur auf Kunsthandwerk und Design. Er baute nicht nur eine Sammlung auf, die bis heute besteht, sondern organisierte auch einen Ausstellungszyklus, der der neuen gleichwertigen Teilung zwischen Kunsthandwerk, Industriedesign und Volkskunst entsprach. Er begann 1936 mit der Ausstellung ,Deutsche Werkkunst der Gegenwart< und zeigte 1942 ,Künstler in der Industrie •. Eine Ausstellung über ,Deutsche Volkskunst der Gegenwart<war in Planung, konnte dann allerdings nicht realisiert werden. Walter Passarge scheint die Beschäftigung mit Kunsthandwerk und Design als Tarnung betrieben zu haben, um den Umgang mit der sehr viel stärker poli-
21 Otto Lindig, Schnaps/lasch e mit drei Bech em , um 1940 98 Magda Jena Droste
Hans Przyrembel, Teek essel mit Ebenholz -
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griff, um 1941
tisierten bildenden Kunst zu vermeiden. Auch Carl Georg Heise, 1933 in Lübeck als moderner Museumsleiter entlassen, Will Grohmann und Konrad Roethel publizierten zahlreiche Aufsätze über Kunsthandwerk und Industriegestaltung, die im Tenor frei vom NS-Jargon sind. Dieser Ebene der unpolitischen Rezeption steht die politische Instrumentalisierung gegenüber, die Kunsthandwerk und Design gleichermaßen erfaßte. Die übergeordnete Beschwörungsformel hieß ,Deutsche Wertarbeit" auch Wertware, künstlerische Wertarbeit etc. Damit griff man auf Vokabular des Deutschen Werkbundes zurück, dem jetzt ein neuer geseIlschaftspolitischer Stellenwert und eine neue Interpretation unterlegt wurde. Festge-
macht wurde die 'Wertarbeit, an der sorgfältigen handwerklichen Herstellung, der Materialgerechtigkeit und angeblich individuellen Beseelung des Einzelstücks, eine Eigenschaft, die man auf die Industrieware übertragen konnte_ Mit dem Leitwort 'Wertarbeit, war man in der Lage, tatsächlich stilistisch völlig unterschiedliche und gegensätzliche Objekte zu vereinnahmen: Die Wertarbeit war auch ein wichtiger Gesichtspunkt, unter dem das Propagandaministerium ,Kulturpropaganda, für das Ausland trieb. So organisierte das Propagandaministerium schon 1933 die Teilnahme des Deutschen Reichs an der Weltausstellung in Chicago, später die Teilnahme Deutschlands an den Triennalen in Mailand und natürlich der WeltausstellunginParis 1937. Bauh aus-Design er 99
Daneben gab es eine Fülle kleinerer Auslandsausstellungen. 1935 startete eine Wanderausstellung in Belgrad, die ,Deutsche Kunst und Deutsches Kunstgewerbe der Gegenwart. vereinigte, um in der Folge in "Sofia, Athen, Ankara und Istanbul .. Zeugnis von deutscher Wertarbeit abzulegen. 41 Ab 1937 organisierte der Kunst-Dienst Ausstellungen, u. a. in Zürich 1943 ,Deutsche Wertarbeit., Bem 1943 ,Deutsches Kunsthandwerk., Wien 1943 ,Deutsche Werkkunst·, die ebenfalls als 'Kultur-Propaganda. für das Ausland gedacht waren. Nur wenige der in diesen dreizehn Jahren von Bauhäuslem entworfenen Objekte möchte man heute in eine imaginäre Galerie des modemen Designs stellen. Im Porzellan (Marcks, Friedländer) brachen die Entwicklungslinien ab, ebenso bei den Metallmöbeln. Die künstlerische Substanz des Bauhauses war durch Emigration, Arbeitsverbote und eine am Handwerk orientierte Kunstpolitik entscheidend geschwächt. Freie Entwicklung und Austausch mit dem Ausland waren behindert. Die Nazis hatten nicht nur das Bauhaus zerschlagen und
dessen Anspruch auf Modernisierung bekämpft, sie besetzten die modemen Formen selbst und stellten sie in den Dienst des Nationalsozialismus. Die künstlerischen Arbeiten der Bauhaus-Designer aus diesen Jahren haben keinen einheitlichen Stil: biederes Kunsthandwerk, völkische Entwürfe, konservative Luxusprodukte und modemes Product Design sind gleichermaßen vertreten. Immer wieder aber finden sich auch herausragende Produkte, die den Weg in die fünfziger Jahre weisen. Eine Bestandsaufnahme steht erst am Anfang. Als das Bauhaus nach 1945 in der Bundesrepublik als Re-Import aus den USA zu einer der wichtigsten kulturellen Leistungen der Weimarer Republik stilisiert wurde, blendete man Kompromisse, Anpassung und Mißbrauch aus. In Deutschland korrigierten die Bauhäusler, die in der NS-Zeit in Deutschland geblieben waren, ihre Biographien und schlossen sich damit der kollektiven Verdrängung der Ns-Zeit an, die damals die ganze deutsche Nation vollzog.
ANMERKUN G EN
Anne·Kathrin Weise, .Leben und Werk von Marianne Brandt., Diplomarbeit Humboldt·Universität zu Ber· !in, 1991 2 Angela Dolgner, ·Erich Dieckmann. Vom .Burg.·Lehrer zum Referenten für das deutsche Kunstgewerbe., in: A1exander von Vegesack IHIsg.), Erich Dieckmann. Praktiker der Avantgarde, Ausst. Kat. Vitra Design Museum, Weil am Rhein 1990, S.41 - 48 3 Alle biographischen Angaben zu den Weberinnen in : Magdalcna Droste IHrsg. für das Bauhaus-Archiv), Gunta Stölzl. Weberei am Bauhaus und aus eigener Werkstatt, Berlin 1987 4 75 1ahre Burg Giebichenstein 1915-1990. Beiträge zur Geschichte. Ausgewählt und eingeleitet von Renate
Luckner·Bien, Halle 1990 5 Margarete Tarchow, Berliner Porzellan im 20. lahrhun · dert, Berl in 1988 6 Brief Harold Marks an Peter Hahn, Bauhaus·Archiv, 24.8. 1989 Bauhaus-Archiv Berlin 7 Der Angriff, 20. 5. 1935 IKopie im Bauhaus-Archiv Berlin) 8 Biographische Angaben zu Metallentwerfern in: Klaus Weber IHIsg. für das Bauhaus·Archiv), Die Metall· werk statt am Bauhaus, Berlin 1992 100 Magdalena Dros te
9 Die Schaulade, vereinigt mit Kunst und Kunstge· werbe, Bamberg, 10./g., H.5, S.253 10 Wichtigste Literatur: Erika Gysling·Billeter, ·Die angewandte Kunst: Sachlichkeit trotz Diktatur., in: Die dreißiger lahre. Schauplatz Deutschland, Ausst. Kat. München 1977, S. 171- 199; Die Dek oration der Ge· walt. Kun st und Medi en im Faschismus, Gießen 1979, S. 53-6O; Erika Billeter, ·Design., in: Erich Steingräber IHIsg.), Deutsche Kun st der z wanziger und dreißiger ,ahre, München 1979, S.350- 374; lohn Heskett, ·.. Modernismus" und .. Archaismus" im Design während des Nationalsozialismus·, in: Berthold Hinz u. a. IHIsg.), Die Dekoration der Gewalt, Gießen 1979; Hans-Ernst Mittig, ·Faschistische Sachlichkeit., m: Günter Metken IHrsg.), Realismus. Z wischen Revolu · tion und Reaktion 19/9- 1939, München 1981, S.362-372; Heinz Fuchs, Fran~ois Burkhardt, Produkt Form Geschichte. 150 lahre Deutsches Design, Bcrlin 1985; Gert Seile, Design·Geschichte Jn Deutschland. Produi
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hauptung., in : Bazon Brock, Achim Preiß IHrsg.), Kunst auf Befehl! Dreiunddreißig bis fünfundvierzig, München 1990,5.9-20 Vgl. dazu Die SchauJade, Bamberg, mit regelmäßigen Berichten und Die Kunstkammer, Berlin 1934- 1936. Ulustri erte Monatszeitschrift nebst amtlichen Mittei lungen. Herausgegeben vom Präs identen der Reichskammer der bildenden Künste Otto Thomae, Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und ÖffentlichkeitsarbeJl im DriLLen Reich, Berlin 1978, S.69 1 Max Jung, .Anerkennung des künstlerischen Entwurfs·, in : Westdeutscher Beobachter vom 27.8.1936, Bundesarchiv Potsdam 6203, DAF 3, 8182 Neuere Literatur zu Wagenfeld : Beate Manske, Gud run Scholz IHrsg.), Täglich in der Hand. Indu strieformen von Wilhelm Wagenfeld aus sechs lahrzehmen, Berlin 1988/2. Auflage) Max Jung, ·Der Entwerfer .. Zeitschriftenartikcl vom 9.9. 1936 aus Bundesarchiv Potsdam 6203, DAF 3,8 182 Mittig IAnm. 10), S.368 Walter Scheiffele, .Wilhclm Wagenfeld und die Verei nigten Lausitzer Glaswerke., in: Manske/Scholz IAnm . 141, S.235-249, hier S.243 Gabriele Huber, Die Porzellan -Manufaktur Allach München Gmb H, Neuburg 1992, 5.210 Scheiffele IAnm . 17), S.244 Der alLe Maler. Briefe von Georg Mu che 1945-1984 IHrsg. Bauhaus- Archiv Berlin ), Tübingen 1992, S. 12 Gottfried Federle, .oie Meisterschulen des Deutschen Handwerks. Zur Neubenennung der preußischen Handwerkerschulen., in: Deutsches Handwerk , 10.6.38, NT. 23, Bundesarchiv Potsdam 62 DAF 3 19005, 84,85 Di e wesentlichen Daten und Hintergrunde zur Geschi chte der Meisterklasse basieren auf dem Akten band des Reichs- und Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Textilingeni eurschule Krefeld, im Bundesa rchiv Potsdam 4901, 9532 unpag. Unvollständige Geschichte der Abwicklung in: Karin Thönnissen, lohannes ltLen und die Höhere Fach schule fü r textile Flächenkunst in Krefeld, Au st. Kat. Textilmuseum Krefeld 1992 Schreiben Oberbürgermeister der Stadt Krefeld an Mi nister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung,
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Abt. Fachschulen vom 15. November 1937, Bundesarcmv Potsdam 490 I , 9532 unpag. Freundliche Mitteilung von Thyra Hamann -Hartmann, 1939 Absolventin der Meisterklasse, spätere langjährige Assistentin von Georg Muche Oberbürgermeister der Stadt Krefeld an den Herrn Regierungspräsidenten vom 17. 11. 1939, Bundesarchiv Potsdam 4901, 9532, unpag. ,Für die Akten Krefeld., 15 . 12. 1942, Bundesarchiv Potsdam 4901 , 9532, unpag. Vertrag Muche im Bauhaus-Archiv Berlin, Nachlaß Muche. Vgl. auch Muches Darstellung in: Georg Mu ehe, Blickpunkt. Sturm , Dada. Bauhaus, Gegenwart, Tübingen 1965, S. 122f. Zeitungsa usschnitte zur Ausstellung 1939 im Bauhaus-Archiv Berlin, Nachlaß Muche. ·Künstler und Industrie', in: Die Neue Unie, Okt. 194 1, S. 22ff. und Vereinigte Textil - und Bekleidungszeitschrift, 16. August 1941 , NT. 17 Tagebuch Oskar Schlemmer, 19.3.1942, in : Gunther Thiem, Georg Muche. Der Zeichn er. Ausst . Kat. Graphisehe Sammlung Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1977, S.54 Uwe Westphal, Berlin er Konfektion und Mode 1836-1939. Die Zerstörung ein er Tradition, Berlin 1986 Thönnissen IAnm.23), S.61 WestphaI IAnm .3 1), S. 100 Brief Oskar Schlemmer an J. Bissier vom 19. 11. 1942 in : Matthias Bärmann IHrsg.), luJius Bissier Oskar Schlemmer Briefwechsel, St. GaUen 1988, S. 110 Schlemmer IAnm.34), S. 104 VgJ. Klaus Weber, ·Sachliche Bauart. Höchste Qualitätsarbeit. Christian Deli als Lehrer, Silberschmied und Gestalter., in : Weber IAnm. 8), S.56-65 Freundlicher Hinweis von Helmut Erfurth, Stadtarchiv Dessau Soweit die biograph ischen Angaben nicht aus den schon zitierten Katalogen IAnm.3 und 8) stammen, sind sie den Fragebögen zur Person en tnommen, die das Bauhaus-Archiv Berlin von den Bauhäuslem ausfüllen ließ. Huber IAnm. 18), S.204 ·Deutscher Erfolg in Mailand., in : Die Schaulade, Bamberg, 16. Jg., H. 11 , September 1940, S. 222 H. .Wanderausstellung im Ausland " in: Die Kunstkam mer, Berlin 1936, H. 4, S.22
Bauhaus-Designer 101
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MAGDALENA BUSHART
Ein Bildhauer zwischen den Stühlen Gerhard Marcks in den dreißiger lahren
Von den Bildhauern, die am Weimarer Bauhaus gelehrt oder studiert haben, ist Gerhard Marcks mit Sicherheit der bekannteste; er gehörte zu den ersten Meistem, die von Walter Gropius ans Bauhaus berufen wurden. Die beiden Künstler kannten einander seit Kindertagen, hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg zusammengearbeitet und sich nach Kriegsende gemeinsam im >Arbeitsrat für Kunst· engagiert. In Weimar war Marcks freilich nicht für Bildhauerei, sondern zunächst für den Unterricht in handwerklichen Fächern zuständig; ab 1920 leitete er die Bauhaus-Töpferei in Dornburg-Saale. Die Arbeit am Bauhaus gestaltete sich wenig glücklich: Querelen um die Ausstattung der Dornburger Werkstatt und unterschiedliche Vorstellungen über Aufgaben und Charakter der Schule führten schon bald zu Spannungen zwischen Marcks und Gropius. Den letzten >Trennungsgrund. gab die Forcierung industrieller Produktionsformen, die Gropius 1923 als neue Leitlinie verkündete und die Marcks als Verrat am Gründungsgedanken des Bauhauses empfand. Beim Umzug des Bauhauses nach Dessau 1925 wurde die Töpferwerkstatt aufgelöst. Marcks folgte dem Ruf Paul Thierschs nach Halle an die Staatliche Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, wo er bis zu seiner Entlassung 1933 eine Werkstatt für Bildhauerei leitete. Die Enttäuschung über das Bauhaus-Debakel scheint Marcks nie ganz überwunden zu haben; wann immer er sich über die Jahre in Weimar und Domburg äußerte, geschah dies voller Bitterkeit. Dabei hatte es von Anfang an unübersehbare ideologische Differenzen gege-
ben. Was Marcks an den Arbeitsrats- und Bauhaus-Aktivitäten begeisterte, war die romantische Utopie vom Zusammenschluß der Gattungen unter Führung der Architektur und die Rückbesinnung der Künste auf das Handwerk. Sie schien nicht nur der Kunst einen veränderten Stellenwert im öffentlichen Leben zuzuweisen, wie sie einst die Kathedralen der Gotik innegehabt hatten, sondern darüber hinaus auch die Aussicht auf eine inhaltliche und formale Neubestimmung der Plastik zu eröffnen. Während jedoch die Künstler-Revolutionäre um Gropius das künftige Gesamtkunstwerk unter das Vorzeichen eines (wie auch immer gearteten) 'Sozialismus· stellten, fühlte sich der Bildhauer dem völkischen Lager zugehörig. Er verband die angestrebte Rückkehr zu Handwerk und mittelalterlicher Bauhütte mit der Hoffnung auf die geistig-moralische Erneuerung des Volkes. "Zusammenschluß aller Künste zur Bauhütte, und handwerkliche Grundlage und Ausbildung .. : So beschrieb Marcks 1919 seinem Gesinnungsfreund Richard Fromme die Zielsetzung des Arbeitsrates - um sich sogleich von dessen politischer Ausrichtung zu distanzieren: "Alles andre mache ich jedenfalls nicht mit." I Diese Programmpunkte behielten für Marcks weit über die Bauhaus-Zeit hinaus ihre Gültigkeit; auch seine Versuche, im ,Dritten Reich· Aufträge und Lehramt zu erhalten, sind von ihnen bestimmt. Der Glaube allerdings, zwischen Kunstpolitik und parteipolitischen Ansprüchen ließe sich eine klare Trennungslinie ziehen, sollte sich dann als verhängnisvoller Irrtum erweisen. 103
2 Gerhard Marck s,
A rchi tekturent wiirfe, 1927/37
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Das gleichberechtigt von Architekten, Malern und Bildhauern gestaltete Gemeinschaftswerk entstand weder im Umfeld des Arbeitsrates noch am Bauhaus. Während die BauhausWerkstätten für Holz- und Steinbildhauerei ihren Anspruch auf Autonomie aufgaben und sich statt dessen den formalen Vorgaben der Architektur unterordneten, schuf Marcks weiterhin Museums- und Ausstellungsstücke im traditionellen Sinn.2 Doch auch die Werke, die während der Jahre in Halle in Verbindung mit architektonischen Projekten entstanden - die monumentalen Tierskulpturen für die Kröllwitzer Brücke in Halle und ein Relief für das 104 MagdaJen a Bushart
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Restaurant des Flughafens Halle-Leipzig - entsprachen nicht seinen Idealvorstellungen einer Einbindung von Plastik in einen architektonischen Rahmen. Diese hielt er in Skizzen und später, während des Zweiten Weltkriegs, auch in Modellen fest : hohe Turmbauten und klassizierende Tempel, die keinen anderen Zweck haben sollten als den, dem Bildwerk ein Gehäuse bzw. einen monumentalen Sockel zu bieten (Abb. 2,3).3 Die nationalsozialistische Machtübernahme brachte Marcks erneut in einen ideologischen Zwiespalt: Einerseits fühlte er sich vom Gedankengut des Nationalsozialismus
angezogen - 1931 gestand er dem Architekten Erich Consemüller seine Sympathie für die "Schwarze Front", "wie überhaupt das Gefühl nach N.A. tendieren würde, wenn dort nicht völliges Vakuum an Intelligenz wäre ,,4; noch 1936 beschwor er in einem Brief die "guten Grundideen des Nationalsozialismus"s Auf der anderen Seite entsprach die politische Realität des .Dritten Reiches< so gar nicht den Vorstellungen einer nationalen Erneuerung Deutschlands, wie er sie verstand. Vor allem die Kulturpolitik der neuen Machthaber verfolgte er mit wachsendem Unverständnis, ohne freilich zunächst die nationalsozialistische .Bewegung
lassen. Eine Sparmaßnahme, wie es offiziell hieß9; den Ausschlag werden jedoch die massiven Angriffe gegen die Kunstgewerbesehule und ihre Lehren anläßlich der ,Hallischen Kunstschau 1933< im März 1933 gegeben haben. 1O Zum gleichen Zeitpunkt scheiterte die Berufung zum Direktor der Düsseldorfer Akademie am Einspruch der dortigen Ns-Fachgruppe. I I Resigniert schrieb Marcks seinem ehemaligen Bauhaus-Kollegen Oskar Schlemmer: "Ich fange an zu glauben, daß unsereins immer draußen steht, wie auch die Welt sich dreht. stat foris, dum volvitur mundus. In Weimar hieß ich Nazi, jetzt marxistisch liberalistisch etc.,,12 So schwer Marcks seine Entlassung aus dem Lehramt getroffen haben wird: die Jahre bis 1937 gehörten zu den bis dahin erfolgreichsten seines Schaffens. Er war auf allen wichtigen Ausstellungen in Deutschland vertreten; seine Einzelausstellung in der Galerie Karl Buchholz
3 Gerhard Marcks, ,Tempel der Stille<, Architektur-
modell. 1937
Gerhard Marcks in den 30er {ahren 105
(1935) war nach eigener Einschätzung ein
»Bombenerfolg [.. .] mit Verkäufen ohne Zahl «.13 Die Kritik feierte ihn als Künstler, der in seinem Werk eine Synthese zwischen südlicher Klassizität und nordischem Ausdrucksverlangen gefunden habe. Sinnfälliger Ausdruck der öffentlichen Anerkennung war 1935 ein halbjähriges Stipendium an der Villa Massimo. Zum Erfolg trug mit Sicherheit das taktische Vorgehen von Museumsleuten und Händlern bei. So tauschte earl Justi für die Berliner Nationalgalerie die Gruppe der beiden stupsnäsigen Griechinnen gegen die neuere Plastik Still allein mit dem Hinweis auf deren größere »Verständlichkeit «. 14 Ähnlich wußte die Galerie Buchholz die Interessen ihres Man-
4 Gerhard Marcks, ,Mu tter Deutschland<, Entwurfszeichnung z u der Figur fü r da s Reichsehrenmal Bad Berk a, 1932
,...
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danten zu wahren, wenn sie Walter Passarge, dem Direktor der Kunsthalle Mannheim, Änderungen in der Auswahl von Marcks-Exponaten vorschlug, um »das gewisse gotische Element des Künstlers« nicht zu stark hervortreten zu lassen. 15 Weniger Glück als auf dem Kunstmarkt und im Ausstellungsbetrieb war Marcks bei der Suche nach einer neuen Lehrtätigkeit beschieden. Es war wohl nicht nur die Aussicht auf finanzielle Absicherung, die ihm eine neuerliche Anstellung attraktiv erscheinen ließ; vielmehr hoffte er noch immer darauf, die Ideale aus Bauhaus- und Arbeitsratstagen in seinem Sinne umsetzen zu können. Der erste Vorstoß in diese Richtung war theoretischer Natur. 1934 unterbreitete Marcks dem Preußischen Kultusministerium das Programm für eine Akademiereform - ein Thema, mit dem er sich seit dem Ende der zwanziger Jahre immer wieder beschäftigt hatte. Der Aufbau der Reform-Akademie mit Meistem und Lehrlingen, Vorkursen und Kursen in freier und angewandter Kunst ist unübersehbar am Vorbild des Bauhauses orientiert. Die einzelnen Abteilungen sollten »möglichst gemeinsam an denselben Aufgaben beschäftigt«, die Leitung einem Architekten übertragen werden. Bildhauer und Maler »müßten vor allem als Anreger der Werkstätten dienen, soweit nicht ein gemeinsamer Auftrag alle beschäftigt« . 16 1935 standen dann gleich zwei Stellen zur Disposition: Richard Scheibe, mit Marcks seit der gemeinsamen Berliner Studienzeit befreundet, war an die Preußische Akademie der Künste berufen worden und hatte Marcks als Nachfolger für sein Lehramt an der Frankfurter Städelschule vorgeschlagen. Gleichzeitig erreichte MaIcks eine Anfrage der Türkischen Botschaft in Berlin, ob er bereit sei, die Leitung der Abteilung Bildhauerei an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul zu übernehmen. 17 Vor allem an dem Frankfurter Angebot zeigte Marcks Interesse, eröffnete es doch die Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit Josef Hartwig, vormals Formmeister der Werkstätten für Holz- und Stein bildhauerei am Weima-
rer Bauhaus. 18 Die Vorverhandlungen führte der Frankfurter Stadtrat Dr. Keller, der von einem Gespräch mit Marcks den besten Eindruck mitnahm: Marcks sei ein Mensch von .. ausgesprochen nordischem Gepräge" , der großes Interesse an der Stelle zeige . .. Obwohl er während seiner Zugehörigkeit zum Bauhaus in Weimar als .rechtsradikaler Antisemit und Hakenkreuzler
5 Gerbard Marck s, .Krieg und Frieden<, Denk m al für die gefall en en Bergleute des Preussag· Kali werks Bleich erode, 1938
dringend gewarnt werden. ,, 22 Obwohl die Stadt Frankfurt zunächst Bereitschaft zeigte, den Fall durchzukämpfen, zog Marcks die Bewerbung von sich aus zurück, .. da diese Kämpfe um seine Person seine Schaffenskraft als Künstler lähmen würden " .23 Die Absage traf Marcks hart: .. Jetzt mache ich Porzellanvasen für die Reichskanzlei und hoffe auf die Türken. Im schwarzen Korps wurde Hanfstaengls Entfernung gefordert, Barlachs Zeichnungen sind beschlagnahmt. So ist es wohl nur stilgerecht, daß aus Frankfurt für mich nichts wurde.,,24 Mit Poelzigs Tod platzten auch die TürkeiPläne. Die Stelle an der Akademie der Schönen Gerh ard Marcks in den 30er lahren 107
6 Gerhard Marck s .• Rosselenk erin<. Gips für Bronzeg uß. 1941
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Künste in Istanbul übernahm 1937 der Bildhauer Rudolf Belling. Ähnlich erfolglos wie Marcks' Avancen auf ein Lehramt blieben zunächst auch seine Versuche, Aufträge für architekturbezogene Plastik respektive Denkmäler zu erhalten. Noch während seiner Zeit in Halle hatte sich Marcks mit Denkmalsprojekten zum Ersten Weltkrieg getragen. Seine Betende, ohne Auftrag für den Marktplatz der Stadt Halle als Sinnbild der Not der Kriegsjahre geschaffen, war dort auf wenig Gegenliebe gestoßen.25 Wenig besser erging es ihm mit der Trauernden Mutter, die er in Zusammenarbeit mit dem Architekten Wilhelm Kreis als Wettbewerbsbeitrag für ein -Reichsehrenmal Bad Berka< entworfen hatte (Abb.4). Während Kreis bei der Ausscheidung im Januar 1933 für die architektonische Gestaltung den dritten Preis erhielt, lehnte die Jury Marcks' Trauernde Mutter ab: das .. auf tiefe Trauer gestellte Bildwerk .. entspreche nicht .. dem hier zu erwartenden Motiv ... 26 Nach 1933 setzte Marcks an die Stelle der weiblichen Verkörperungen von Trauer und Not männliche Jünglingsgruppen als Sinnbilder der (kriegerischen) Kameradschaft. Doch auch mit diesem Konzept war er nur in einem Fall erfolgreich: bei der Gruppe Krieg und Frieden, geschaffen 1936-38 für die preußische Bergwerk- und Hütten AG/Kali werk in Bleicherode. Bereits im Vorfeld hingegen scheiterte 1935 der Versuch, über Werner March einen Auftrag für eine Figurengruppe auf dem Berliner Reichssportfeld zu erhalten. 2? Die Modelle 28 entsprachen so wenig den formalen Vorstellungen des Architekten und den inhaltlichen Vorgaben der Auftraggeber, daß March sie gar nicht erst der zuständigen Kunstkommission vorlegte, sondern sie direkt, wenn auch mit dem Ausdruck größten Bedauerns, zurückschickte. Er habe, so March, aufgrund von Marcks' neueren Arbeiten auf eine Zusammenarbeit - March spricht von .. Angleichung .. 29 - gehofft. Angesichts der eingereichten Vorschläge allerdings sehe er .. innerhalb der Ihnen bekannten monumentalen Situation des Reichssportfeldes vorerst leider keine Mög-
lichkeit, wo ich mich, so schr ich dies wünschte, um eine Aufgabe für Sie bemühen könnte«. Ebenso lehnte er eine von dem Bildhauer augenscheinlich erwogene Vergrößerung der fünglingsgmppe für diese Zwecke ab (Abb. 1).30 Marcks wiederum fühlte sich in seinen künstlerischen Intentionen gröblich mißverstanden; er empfand die Ablehnung als Affront: »Schade um die schönen verpaßten Gelegenheiten; sie wissen nicht, was sie tun.«31 So bemühte er sich denn um andere »Gelegenheiten«: Von der Gruppe für Bleicherode war bereits die Rede; die zerbrechlich wirkende Figur des Friedens stützt sich mit versonnenem Blick auf den kampfbereit das Schwert ziehenden Krieg (Abb.5). Ebenfalls 1936 entstand der Entwurf eines knienden und nach dem Schwert greifenden Jünglings für ein Kriegerdenkmal in Mannheim-Seckendorf, dessen Ausführung zwar an parteipolitischen Streitereien scheiterte, das dem Bildhauer jedoch das Wohlwollen des Mannheimer Bürgermeisters und die Aussicht auf einen öffentlichen Auftrag für Mannheim eintrug. 32 Als Beitrag zu einem Wettbewerb für ein Denkmal der Bewegung schließlich, zu dem ihn die Stadt Rostock eingeladen hatte, entwarf Marcks eine Treppenanlage mit hohem Sockel, den drei vorwärts schreitende Männer bekrönen sollten. Die politischen Ereignisse des Jahres 1937 setzten der Teilnahme an Wettbewerben ein vorläufiges Ende. Noch Anfang Juli 1937 war Marcks anläßlich der Mannheimer Schau 'Junge deutsche Bildhauer· in der Presse als bedeutender Vertreter der jüngeren Bildhauergeneration hervorgehoben worden, und als Mitte Juli im Rahmen der »Neuordnung« der Preußischen Akademie der Künste eine Reihe von Mitgliedern ausgeschlossen bzw. »inaktiviert« wurden, fand sich sein Name - neben dem Richard Scheibes, aber auch dem Arno Brekers und Josef Thoraks - auf der Liste der Neuernennungen. Mit der Eröffnung der Münchner Ausstellung ,Entartete Kunst· am 19. Juli 1937, in der zwei Arbeiten des Bildhauers zu sehen waren, veränderte sich die Situation jedoch schlagar-
7 Gerhard Marck s, Pferd der Rosselenkerin-Gruppe, Gips für Bronzeguß, 1943
tig: Die Stadt Mannheim stornierte eilig den geplanten Erwerb der Gruppe Die Freunde und natürlich auch den versprochenen Auftrag. Der Mannheimer Kunsthallendirektor Walter Passarge ließ Marcks' Werke aus der Ausstellung entfernen und warnte einen potentiellen Interessenten vor der Aufstellung einer Marcks-Plastik - er halte es »für im Augenblick nicht tragbar, daß ein Werk von Marcks noch in der Öffentlichkeit gezeigt wird, und zwar gerade, wie mir auch vom Ministerium bestätigt wurde, im Interesse des Künstlers« .33 Die Akademieernennung - aus Marcks' Sicht ein »mißglückter Husarenstreich wohlwollender Männer« 34 - wurde unter dem Vorwand zusätzlicher Überprüfungen hinausgeschoben und schließlich stillschweigend begraben. 35 Der Wettbewerbseinladung aus Rostock kam Marcks schon von sich aus nicht mehr nach, weil er sich nicht »Insulten« aussetzen wollte. 36 Den gravierendsten Einschnitt bildete sicherlich das Ausstellungsverbot, das die Reichskammer der bildenden Künste Ende 1937 für fünfzehn Plastiken und eine Reihe graphischer Arbeiten erteilte, die sich im Lager der Galerie Buchholz befanden. Ein Jahr später unterbanden Regierungsstellen dann auch noch die Arbeit für die KPM. Seit 1927 hatte Marcks mit Gerh ard Marck s
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den 30er loh ren 109
der Manufaktur und ihrem Direktor Günther von Pechrnann zusammengearbeitet und eine Reihe von Entwürfen für Vasen und Schalen geliefertj die Möglichkeit, "Porzellanvasen für die Reichskanzlei" zu machen, hatte ihn über mangelnde Erfolgserlebnisse auf anderen Gebieten hinwegtrösten können. 37 Für das KPMJubiläum 1938 hatte er im Auftrag von Pechmann das Teeservice TIergarten entworfen. Der Einspruch kam von höchster Stelle, nämlich der ,Kanzlei des Führers,: Marcks sei ein "Kulturbolschewist", dessen Arbeiten den "besonderen Unwillen des Führers erregt" hättenj der Auftrag für das Jubiliäumsservice müsse deshalb als bewußte Opposition gegen die offizielle Kulturpolitik gewertet werden. 38 Daß das Service daraufhin nicht mehr in Produktion ging, versteht sich von selbst. Günther von Pechrnann kostete seine Unterstützung für Marcks die Stellungj er wurde im August 1938 aus seinem Amt entlassen. Für Marcks wurde der Druck von außen zeitweise so unerträglich, daß er erwog, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Allerdings verband er den Gedanken an die Emigration stets mit Horrorvisionen. Zu der für den erklärten Nicht-Rassisten geradezu grotesk anmutenden Angst vor einer "jüdischen Kunstmafia ", die die amerikanische Kunstwelt beherrsche und unter der man nur als "Emigrant und Jüdling,,39 reüssieren könne, kam die durchaus realistische Einschätzung des eigenen Marktwertes. Glanzvolle Erfolge nämlich, wie sie Gropius und Moholy-Nagy im Exil feiern konnten, wären ihm mit seiner traditionsgebundenen Plastik wohl kaum beschieden worden: "Die deutschen Architekten werden in USA mit offenen Armen aufgenommen. Bildhauer und vollends Maler bezieht man aber aus Frankreich. ,,40 In Deutschland hingegen standen die finanziellen Aussichten nicht schlecht. Allen kulturpolitischen Restriktionen zum Trotz blieb Marcks hier nämlich weiterhin gut im Geschäft. Er könne "Massenauf- . lagen" seiner Bronzen machen, so begehrt seien sie bei privaten Sammlern, berichtete er Erich Consemüller 1941.41 110 Magdalena Bushart
Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich dann auch im Bereich der öffentlichen Aufträge eine Wende ab. Marcks hatte sich an einem Wettbewerb zur Verschönerung der Stadt Posen beteiligt und reiste zusammen mit Richard Scheibe an Ort und Stelle, um den Auftrag entgegenzunehmen und einen geeigneten Standort für seine Plastik zu suchen. Für die geplante Steinskulptur Stehendes Mädchen mit Thch um die Hüften wählte er - "um nicht aufzufallen,,42 - einen Platz im verwilderten Alten Botanischen Garten. Doch dann änderte er sein Vorhaben : Statt der intimen Einzelfigur entwickelte er die monumentale Gruppe einer Rosselenkerin auf Gespann mit zwei Pferden weiter, an der er schon längere Zeit gearbeitet hattej als Aufstellungsort war der Hindenburgpark vorgesehen. Die Arbeit wirkt in sich seltsam widersprüchlich: Zu der strengen Statuarik der Rosselenkerin (Abb.6) mag der detailreiche Naturalismus der Pferdefiguren nicht recht passen (Abb. 7). Dennoch fand sie augenscheinlich nicht nur bei den Posener Stadtvätern Anklang - auch Georg Kolbe lobte die Rosselenkerin als "Spitze" in Marcks' bisherigem Werk. 43 Zur Aufstellung der Gruppe kam es allerdings nicht mehr. Ein Pferd wurde 1943 in Marcks' Berliner Atelier zerstört, die beiden anderen Figuren gingen in den Nachkriegsjahren verloren. Im letzten Kriegsjahr wurde dem Bildhauer schließlich eine makaber anmutende ,Genugtuung, von Staats wegen zuteil j sie führt die vieldiskutierten Widersprüche der nationalsozialistischen Kulturpolitik ebenso vor Augen, wie sie Marcks' Taktieren zwischen Verweigerung und der Suche nach Anerkennung bezeugt. Bei einem Bombenangriff im November 1943 wurde das Haus in Nikolassee durch einen Volltreffer zerstört und mit ihm sämtliche Plastiken, die im Keller eingelagert waren. Marcks' Antrag auf Entschädigung brachte die zuständigen Behörden in arge Bedrängnis. Hatten sie es doch mit einem Künstler zu tun, dessen Werk als "entartet" gebrandmarkt worden war, der jedoch zugleich bei verschiedenen Gelegenheiten offizielle Anerkennung erfah-
ren hatte und erst kürzlich mit einem Auftrag ausgezeichnet worden war. Die Entscheidung der Berliner Landeskulturverwaltung fiel salomonisch aus: .. In Anbetracht des Umstandes, daß der Bildhauer Professor Gerhard Marcks als tüchtiger Künstler anerkannt ist, ein Teil seines Schaffens jedoch einer Periode angehört, deren Produkte vom nationalsozialistischen Staat als nicht artgemäß abgelehnt und zur Öf-
fentlichkeit nicht zugelassen worden sind und es infolgedessen dem Staat nicht zugemutet werden kann, für den Verlust von Werken einzustehen, die er weltanschaulich bekämpft, wird als Gesamtentschädigung ein Ausgleich von 100000,- RM vorgeschlagen. Es wird dabei von der Voraussetzung ausgegangen, daß die neueren Werke des Marcks einwandfreie Kunstwerke sind.,, 44
ANMERKUNGEN
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Brief vom 12.3. 19 19; zit. nach : Ursula Frenzel, Ger· hard Marcks 1889-1981. Briefe und Werk e, München 1988, S. 34 Seiner Enttäuschung über diese Entwicklung gab Marcks 1940 in einem Bri ef an Lyonel Feiniger Aus· druck: .. Wie hat sich die Welt seit damal s verändert! Die Kathedrale, von der jeder von uns auf seine Weise träumte, sie ist nicht erstanden. Du hattest sie für Dich zwar schon realisiert, wir jüngeren irrten noch auf der Suche nach etwas Kollektivem ." Brief vom 15. 11 . 1940; zit. nach: Ursula Frenzel (Anm. I ), S. 106 Zu Marcks' Architekturentwürfen vgl. Beate Manske, ,Auftrag und Botschaft. Mahnmale von Gerhard Macks., in: Gerhard Marcks 1889- 1981. Retrospektive, Ausst . Kat. Mu seum Ludwig Köln/Nationalgalerie Berlin/ Gerhard Marcks-Haus Bremen, München 1989, S.271-29 1 Brief vom 5. 10. 1931; zit. nach: Ursula Frenzel (Anm . IJ. S. 65 Brief an Erich Consemüller, 26. 2. 1936; zit. nach : Ursula Frenzel (Anm. I ), S. 89 Diese Haltung wird vor allem in der Diskussion um die von dem Maler Leo von König betriebene Gründung eine r eJtk lusiven Künstlergruppe deutlich, mit der nach Vorstellung ihrer Initiatoren Einfluß auf die Kulturpolitik der nati onalsozia listischen Regierung genommen werden sollte. Vgl. Ursula Frenzel (Anm . I), S.72-74. So erklärte Marcks in einem Schreiben an die Düssel dorfer Akademie, die ihm den Direktorenposten angeboten hatte: .. Meine politi sche Einstellung ist, daß Künstler ebenso wie Soldaten sich nicht mit Politik befassen sollten. Von Hitler erhoffe ich alles Gute für Deutschland, denn auf wen sollten wir sonSt hoffen ... Brief vom 23. 4. 1933; zit. nach Ursula Frenzel (Anm . I ), S. 2 16 Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Halle/S., 7. 4. 1933; zit. nach : Ursula Frenzel (Anm. I), S.69. Die Polarisation - hier technikorientiertes und politisiertes Bauhaus, das ei nes .. beinahe natürlich zu nennenden Todes .. gestorben sei, dort handwerksmäßig-bodenständige Kunstgewerbeschu le, wo stets eine .. be-
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wußt-deutsche Haltung .. gepflegt worden sei - taucht auch in anderen Schriften auf, in denen di e .Bu rg. gegen Eingriffe der national sozialistischen Kulturpolitik verteidigt wird . Vgl . Bernhard Varnhagen, in: Deutsche Z ukunft vom 6. 5. 1934 Entlassungsschreiben vom 29.5. 1933; GNM/JB-9. Diese offi zielle Lesart behielten die Hallenser Behörden auch später noch bei . 1935 teilte man dem Frankfurter Oberbürgermeister auf Anfrage mit, Marcks sei aus finanziellen Gründen entlassen worden, nachdem er in den Jahren von 1925 bis 1932 insgesamt nur vier Schüler unterrichtet habe. Schreiben vom 23. 12. 1935; StA FfM/Nr.668 1, Bd.2 Vgl. Werner Piechocki, .Bemerkungen zur faschisti schen Kunstpolitik 1933/34 in Halle., in: Im Kampf um die moderne Kunst. Das Scbicksal einer Sammlung in der /. Hälfte des 20.lahrhunderts. Ausst. Kat. Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1985, S.85-90; S. 86 f. Bri ef an Liesbeth Caesar, Pfingstsonntag 1933; zit. nach : Ursula Frenzel (Anm . I), S.70 Brief vom 27.5. 1933; zit. nach : Ursula Frenzel (Anm.I), S. 70 Brief an Erich Consemüller, 17.2. 1935; zit . nach: Ursula Frenzel (Anm . I), S.87 Brief vom 22.3. 1933. Vgl. dazu Christian Tümpel, ·Gerhard Marcks zwischen Ächtung und Achtung., 10 : Ausst.Kat. Köln 1989 (Anm.3), S.192-223; S. 193 Brief vom 26.5. 1937; Archiv der Kunsthalle Mannheim, Ordner ·Neue deutsche Bildhauerei· Anlage zum Briefentwurf an Ministerialrat Wendland, Sommer 1934; zit. nach : Ursula Frenzel (Anm . I), S. 2 16; die erste Fassung des Briefes entstand um 1929 (GNMIJB-9). Brief der Türkischen Botschaft, 11. 12.1935; in : Dokum ente zu Leben und Werk des Bildhauers und Grapbikers Gerhard Marcks, Ausst. Kat. Gerhard MarcksHaus Bremen/Germanisches Nationalmuseum NÜTnberg, NÜTnberg 1979 (Materiali en des Archivs für bil dende Kunst Bd. 7), S.48 Vgl. Marcks' Brief an Wilhelm Rletschel, 22. 11. 1935; in : Ursula Frenzel (Anm. I), S. 88. In der Folge der
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Frankfurter Verhandlungen karn es tatsächlich zur Zu sammenarbei t zwischen den bei den Künstlern - Josef Hartwig half Marcks bei der Ausarbeitung des Großen Grabengels 11935-371Bericht Dr. Keller vom 16_ 12. 1935; StA FfM IAnm. 9) Brief vom 28. 12. 1935; StA FfM IAnm.9) Schreiben vom 4.2. 1936; StA FfM IAnm. 9) Schreiben vom 17. 2. 1936; StA FfM IAnm.9) Bericht Dr. Keller vom 11. 3. 1936 über seine Dienstreise nach Berlin am 4.15.3.1936; StA FfM IAnm.9). Ob der Rückzug tatsächlich so freiwilli g erfolgt war, wie dies der Stadtrat zu Protokoll gab, oder ob man nicht vielmehr Marcks dazu gedrängt hatte, muß dahingestellt bleiben. Brief an Charles Crodel, 7. 4. 1936; zit . nach : Ursula FrenzellAnm. I), S.90 Zu den Arbeiten für Halle vgl. zuletzt Kat ja Schneider, Burg Giebich enstein. Die Kunstgewerbeschule unter der Leitung von Paul Thiersch und Gerhard Marcks 1915-1933,2 Bde., Weinheim 1992, Bd. I, S.376-378. Protokoll der Sitzung des Preisgerichts vom 26. 1. 1933; BNR43. Trotz dieses Ergebnisses erwogen Marcks und Kreis Ider im ,Dritten Reich· zum ·Generalbaurat für die Gestaltung der deutschen Kriegerfriedhöfe. aufgestiegen war) in den fünfziger Jahren erneut eine Zusammenarbei t: di esmal an einem anthroposophischen Museum in Köln. Die Initiative für eine Beteiligung an der skultpuralen Ausgestaltung scheint von Marcks ausgegangen zu sein; March nimmt bei der Übersendung der Unterlagen auf einen Besuch von Maria Marcks Bezug. Die Frage, welcher Standort für die Figuren vorgesehen war, ist nicht eindeutig zu beantworten : March spricht in seinem ersten Brief vom .. Nordende des Kampfbahngeländes .. ; di e Gruppe sollte auf die Siegerstelen entlang der Rundhecke Bezug nehmen IBrief vom 19.10. 1935; GNMIIB-3). In einem zweiten Brief ist vom .. Osteingang .. di c Rede IBrief vom 14. 11. 1935; GNMIIB-3) . Vermutlich war für Marcks jene Stelle nördlich des Ostcingangs vorgesehen, an der schließlich Karl Albikers Slalellenläu ler aufgestellt wurden . Welche Modelle Marcks eingereicht hatte, ließ sich nicht feststellen ; im Werkverzeichnis ist keine Arbeit zum Reichssportfeld aufgeführt. Brief vom 19. 11 . 1935; GNMIIB-3 Brief vom 14. 11. 1935; GNMIIB-3 Brief an den Bildhauer Wilhelm Rietschel, 22. 11. 1935; zi t. nach : Ursula FrenzellAnm. I), S. 88
112 Magdalena Bushart
32 Von diesem Plan unterrichtete Walter Passarge den Bildhauer. Schreiben vom 7.5. 1937; in : Ursula Frenzel IAnm . I), S.94. In einem Brief an die Galerie Buchholz spricht Passarge sogar davon, .. daß Marcks in nächster Zeit im Auftrag der Stadt Mannheim zu größeren Arbeiten für städtische Bauten und Anlagen herangezogen werden soll ... Brief vom '5.6. 1937; Archiv der Kunsthalle Mannheim IAnm. 15). Die Verhandlungen waren im Juli 1937 bereits im Gange . Vgl . Marcks' Brief vom 8.7.1937; Mannheim IAllm. 15). Einziges bekanntes Resultat dieser Verhandlungen blieb ein Brun nenmodell Wasserkunst für Mannh eim Iwv 343). 33 Walter Passarge an Heinrich Sachs, 23.7.1937; zi t. nach : Ursula Frenzel IAnm. I), S.94 34 Brief an Erich Consemüller, 4.8.1937; zit. nach : Ursula Frenzel IAnm. 1), S. 95. Die Berufung dürfte mit wohlwollender Unterstützung des Reichsmini sters für Wissenschalt. Erziehung und Volksbildung, Rust, erfolgt sein. Rust hatte noch nach der Eröffnung der Ausstellung ·Entartete Kunst· öffentlich seine Sympathie für Marcks ' Schaffen kundgetan. Vgl. Christian Tümpel 19891Anm . 14), S.203. 35 Als die Akademie 1940 einen zweiten Versuch machte. auf der Grundlage der Ernennungen von 1937 neue Mi tglieder zu berufen, schloß man Marcks ausdrücklich aus dem Kreis der Kandidaten aus: .. Der Bildhauer Gerhard Marcks-Berlin, der wegen mancher seiner Werke vielfach WIderspruch erfahren hat, würde für die Berufung kaum in Betracht kommen ... SchreIben an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 11.3. 1940; Akten ADK/Nr. 1107 36 Schreiben an Erich Consemüller vom 18.8. 1937; zit. nach: Ursula Frenzel IAnm. I), S.95 37 Vgl. Anm .24 38 Schreiben der KanzleI des Führers an den Reichsführer der SS, 20.3. 1938; zit. nach : Margarete Jarchow, ·Di e Staatliche Porzellan manufaktur Berlin IKPM) 19 18- 1938·. Diss. Hamburg 1984, S.98 39 Brief an Oskar Schlemmer, 12.9. 1938; zit. nach: Ursula FrenzellAnm. I), S. 100 40 Ebenda 41 Brief vom 19.10.1941 , Ursula FrenzcllAnm. I), S. 109 42 Brief an Erich Consenmüller, 9. 10. 1941 ; zit. nach: Ursula FrenzellAnm. I), S. 109 43 Brief vom 5. 5. 1944; in: Ursula Frenze1 IAnm . I), S. 110 44 Schreiben der Landeskulturverwaltung Gau Berlin an den Bezirksbürgermeister des Verwaltungsbezirks Berlin -Zehlcndorf, Kriegssachschädcnamt, 29.9. 1944; zit. nach : Ausst.Kat . Nürnberg 1979 IAnm. 17), S.53
MAGDALENA DROSTE
Bauhaus-Maler im Nationalsozialismus Anpassung, Selbstentfremdung, Verweigerung
Die Lebenswege von Klee, Kandinsky, Feininger, Muche und Schlemmer und die Verfemung ihrer Kunst standen lange stellvertretend für die Geschichte der Bauhäusler im Nationalsozialismus. Die übermächtige Lehrergeneration verdeckte den Blick auf das Schicksal der Schülergenerationen am Bauhaus. Ungeachtet künstlerischer Rangunterschiede zeichnen sich in den Biographien der durch das Bauhaus verbundenen Künstler gemeinsame Figurationen ab, die das allzu pauschale Bild des verfemten Bauhaus-Künstlers differenzieren können. Zwischen der Malerei, die die Nazis als -entartet· brandmarkten, und der offiziell genehmen Malerei gab es eine breite Grauzonc, die viele Bauhaus-Künstler als Überlebenschance nutzten.' Verweigerung, Auslandsaufenthalte oder Unterrichtstätigkeit erweisen sich als strukturierende Merkmale in den Biographien der Bauhaus-Angehörigen. Aus der Generation der Bauhaus-Lehrer hatten 1933 alle ihre Stellen verlorenj Kandinsky noch als Bauhaus-Lehrer in Berlin, Schlemmer an den Vereinigten Staatsschulen in Berlin, Klee an der Akademie Düsseldorf, Muche an der Akademie Breslau. Auch einige Bauhaus-Schüler teilten dieses Schicksal: in Halle, Burg Giebichenstein, Walter Herzger (Leiter der kleinen graphischen Werkstatt) 1933 j in Elbing Hans HaHenrichter als Professor für Kunst- und Werkerziehung 1933 j in Stettin Kurt Schwerdtfcger als Entwurfsklassenleiter 1937. Der Gruppe der Entlassenen läßt sich jedoch leicht eine Liste derjenigen konfrontieren, die ihre Stellen behielten oder
nach 1933 Anstellung fanden, ein Vergleich, der allerdings die künstlerische Substanz außer acht läßt, die Deutschland durch die Emigranten verlor. Muche, gerade in Breslau entlassen, und Joost Schmidt, 1933 am Bauhaus gekündigt, fanden an der Schule ,Kunst und Werk., der von Hugo Häring übernommenen ehemaligen Reimann-Schule, Anstellung, die als Privatschule unter besonders scharfer Überwachung stand. 2 Schmidt, dem schon einmal die Unterrichtserlaubnis entzogen worden war, überstand 1937 eine zweite Überprüfung. Er sei ein "fachlich großer Könner, der politisch nicht in Erscheinung getreten ist, viel weniger gegen den Nationalsozialismus aufgetreten war ... 3 Schmidt konzentrierte sich damals auf seine Fähigkeit zu naturalistischen Zeichnungen, die einem Botaniker Genüge getan hätten, und lebte ansonsten zurückgezogen und unauffällig. Für den Alfred Metzner Verlag entstanden einige Buchumschläge (Abb. 1-3). Auch an den im Unterricht Georg Muches entstandenen Zeichnungen nahm ein Kontrolleur keinen Anstoß. Ein Bauhaus-Schüler reinsten Wassers, Hans Thiemann, der in Berlin in äußerster Armut und Heimlichkeit malte, registrierte die hier praktizierte Mimikry mit Spott: "das ehemalige bauhaus hat sich jetzt in der früheren reimann schule etabliertj d. h.: nur zweitrangige ,meister· und deren schüler dozieren dort. das ganze ist mehr oder weniger übliches (sprich übles) kunstgewerbe ... na ja! .. 4 "Sonst ziemlich schwaches Niveau", urteilte auch Schlemmer 1939. 5 113
I loost Schmidt, Buchumschlag für den Al/ red Metzn er Verlag Berlin , 194 1
2 loost Schmidt, Buchumschlag fü r den Alfred Metzn er Verlag Berlin, 1936
~ 114 MagdaJena Droste
NSDAP-Beitritt oder stilistische Anverwandlungen und Veränderungen waren oftmals der Preis für pädagogische Tätigkeit. Wer überzeugter Nationalsozialist war, kann heute kaum entschieden werden. Peter Röhl, seit 1926 an der Frankfurter Städelschule, trat 1933 in die NSDAP ein. 6 Der einstige Konstruktivist wurde als Maler wieder gegenständlich und ließ nach seinen sturmzerfurchten Landschaftsbildern Postkarten herstellen (Abb. 4, 5). Leo Grewenig, seit 1932 als Kunsterzieher im Saarland angestellt, wurde zum 1. 5.1933 Parteimitglied, seit Juli 1935 war er zusätzlich Ortsgruppenpressewart. 7 ln den >Graphischen Nachrichten· bekannte er 1935, daß Adolf Hitler durch seine Regierungsreform dem Berufsstand des Handwerkers Ehre und Rechte wiedergegeben habe. B Er hatte seinen Stil allerdings nicht geändert, denn 1942 wurde ihm die Genehmigung zur Teilnahme an einer Ausstellung verweigert. Er solle seine künstlerischen Leistungen »auf eine neue gesündere Basis« stellen. 9 Ima Breusing war von 1933 bis 1942 Lehrerin an der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen . Als der private Verein gleichgeschaltet wurde, übernahm sie 1938 den Vorsitz. 10 Sie war Mitglied der NS-Opfergemeinschaft ll und lag mit ihrem peniblen Realismus im Trend der Zeit (Abb. 7). Der Maler Vincent Weber wurde 1934 an der Meisterschule für gestaltendes Handwerk Stettin als Leiter der Abteilung Malerei eingestellt und trat im Juli 1940 in die Partei ein. 12 Maria Karla Luz-Ruland, seit 1. 5. 1933 Parteirnitglied l3, erhielt im November 1934 eine Stelle an der Staatlichen Hochschule für Baukunst Weimar, ab 1941 an der Meisterschule Danzig und schließlich an der Staatlichen Meisterschule Straßburg. Sie unterrichtete in Entwurf und Aktzeichnen. 14 Der Bauhaus-Schüler Fritz Tschaschnig, der als Dekorationsmaler und als freier Maler arbeitete, belegte 1938/39 >Akt-Kopf.-Studien an den Kölner Werkschulen und unterrichtete 1940/41 selbst vertretungsweise dort in den genannten Fächern.
3 loost Schmidt, Buchum schlag für den Al/red Metzn er Verlag Berlin, 1938
Aber auch, wer vom Staat entlassen worden war, konnte weiter erfolgreich tätig sein, wie das Beispiel Hans Haffenrichters zeigt. Er war gleichzeitig Mitglied im Deutschen Werkbund, im Kampfbund für deutsche Kultur und im Verein Berliner Künstler. 1933/34 entwarf und leitete er den Aufbau der Halle >Chemische Industrie· (Halle VI) für die Ausstellung >Deutsches Volk - Deutsche Arbeit·. ls 1936 publizierte die >Kunstkammer., das damalige Mitteilungsorgan der RbK, auf ihrem Titelblatt
eine bronzene Hitler-Büste (Abb. 6) Haffenrichters. 16 . Für 1936 gab er das außerordentlich hohe Einkommen von 9941 ,- Mark an. I? 1939 und 1941 stellte er bei der >Großen Deutschen Kunstausstellung. in München aUSj 1942 bei der Herbstausstellung der Berliner Akademie der Künste. 18 Die Grenze zwischen Anpassung und Karriere ist für jeden Einzelfall anders zu ziehenj erschwerend kommt hinzu, daß detailliertes biographisches Material oft nicht zugänglich oder nicht erhalten ist. Bauhaus-Maler 115
Totale Verweigerung
Nach 1945 bemühten sich fast alle der hier genannten Künstler, ihre Laufbahn als ,freie Künstler· fortzusetzen und die Ns-Zeit zu vergessen. Ein radikaler Gegenentwurf zu diesen von Anstellung, Anpassung und Verdrängung beeinträchtigten Künstlerkarrieren ist die Existenz des Malers Hans ThiemaIill (Abb. 8) zwisehen 1933 und 1945, die aus heutiger Sicht ein breit dokumentiertes Beispiel totaler Verweigerung ist. 1933 beendigte Thiemann sein Studium mit dem Bauhaus-Diplom und ließ sich in Berlin nieder, um hier eine Existenz als freier Maler zu begründen. Ihm fehlte jeder materielle Rückhalt, er hatte weder einen Kunden- oder Sammlerkreis und auch keinen
4 Karl Peter Röhl, ,Sturm ., Kohlezeichnung, 1941
11 6 Magdalena Droste
Galeristen. Trotzdem stilisierte der 25jährige unbekannte Maler 1935 seine künstlerische Existenz zur historischen Mission : "Ich betrachte es gewissermaßen als eine aufgabe (als etwas überpersönliches), dasjenige in eine andere zeit hinüberzuretten, was sonst unweigerlich unters fußvolk geraten würde. denn wie viele mußten sich umstellen oder, wenn sie ehrlich sind, einen anderen beruf ergreifen, nur um leben zu können! aber man kann die kunst nicht so nebenbei betreiben, erst verdienen und dann in kunst machen ... sie verlangt im gegenteil die besten stunden des tages für sich . .. " 19 Sein Korrespondenzpartner war der Architekt Paul NaeH, mit dem er sich während dessen Studium am Bauhaus Dessau unter Mies van der Rohe angefreundet hatte. Dic zahlreichen Briefe und Postkarten, in denen nur wenig verschlüsselt wurde, geben auch Auskunft darüber, wie Thiemann sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Er sprach von Aufträgen für eine Sparkassenzeitung, von Karikaturen, an denen er viele Änderungen zeichnen mußte, malte Porträts nach Photographien und verkaufte naturalistischc Landschaften, »um meine finanzen etwas aufzubessern. Diese arbeiten verkaufen sich wie die warmen semmel« .20 Einmal porträtierte er sogar das Pferd eines Grafen Westerhold . Auf die Bitte seines Freundes nach einem Photo einer ,Verkaufs·Landschaft schrieb er: "aus kulturmoralischen gründen (und aus angst ... katzenjammer) lasse ich diese sudeleien niemals knipsen; auch werden sie nicht signiert: ... diesen tribut bin ich meinem ,unbekannten meistertitel· gewissermaßen schuldig!«21 Eltern und Bekannte, die ihn finanziell unterstützten, wurden mit solch naturalistischer Malerei beruhigt: »Das Porträt für Frl. WolH ... vorerst gebrauche ichs noch zu Reklamezwecken in der Provinz; dort sitzen alle meine ,naturalistischen· Auftraggeber! und die benötigen dann und wann eine gemäßigte Arbeit als Beruhigungspille - oder als Purgativ gegen geistige Verdauungsstörungen, die ihnen abstrakte Kostproben verursacht haben.« 22
5 Karl Peter Röhl, ,Landschaft mit Wolke<, Rötelzeichnung, 1939
1939 kaufte ihm der Berliner Sammler und Galerist Dr. Feldhäuser (er stellte 1937 auch Fritz Kuhr aus und machte Schlemmer eine Ausstellungsofferte) fünf Bilder ab. 23 Auch von NaeH erhielt er Unterstützung. Ganz bewußt hatte es Thiemann vermieden, Mitglied der Reichskulturkammer zu werden; er wollte so wenig wie möglich aktenkundig werden. Um der drohenden Einberufung zu entgehen, ,pflegte. Thiemann eine Tuberkulose und hungerte sich auf ein Untergewicht von 99 Pfund herunter, das er jahrelang streng einhielt. Dadurch entging er tatsächlich dem Militärdienst. Der Entschluß, die »Malerei zu retten" , stand für Thiemann unausgesprochen an erster
Stelle. »Ich habe immer gearbeitet, ganz gleich, ob ich mich hundsmiserabel fühlte oder nur miserabel; bei Hitze und Kälte; in zerbombter und unzerbombter Umgebung. ,,24 Da Thiemann sehr lange an einem Bild malte, entstand dennoch nur ein schmales Werk (Abb.9, 10). Das Werkverzeichnis 25 umfaßt zwischen 1933 und 1945 etwa 35 Ölbilder und eine noch nicht genau erschlossene Zahl von Zeichnungen. Thiemanns Werk jener Jahre blieb stilistisch heterogen: Die Meister Klee und Kandinsky, aber auch der französische Kubismus und die Pittura metafisica beeinflußten ihn. Im Kunstleben nach 1945 spielte er nur kurz im Umkreis der Berliner Galerie RoBauhaus-Maler 117
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Essen eine Wanderausstellung, in der sechs Hauptwerke Kuhrs hingen, gewaltsam geschlossen und Kuhr im .Völkischen Beobachter, diffamiert. Ein Malverbot bestand trotzdem nicht, da Kuhr Kammermitglied war. 30 Wie Thiemann hatte er einen Mäzen, den Reichsbankdirektor Arnold Budczies (der außer Kuhr auch Munch und Kirchner sammelte), mußte aber zahlreiche Brotarbeiten ausführen. Bei solchen Restaurierungsarbeiten und dekorativen Malereien konnte er von seiner früheren Ausbildung profitieren. 1935 erhielt er eine »mäßige" Beihilfe der Reichskulturkammer, 1936 bat er um Stundung der Beiträge, »weil es mir nicht gelingt, etwas zu verkaufen. so muß ich um das nackte leben zu fris ten, wohlfahrtsunters tü tzung beziehen ". 31 Erhalten haben sich zahlreiche Arbeiten mit Momentaufnahmen aus dem Berliner Straßenleben, deren freundliche Thematik und lockerer Strich nichts von den Beschwernissen ah-
6 Han s Haffenrichter, Büste Adolf HiUer, Bronze, 1936
7 Ima Breusing, ,Kind mit Katze', Ölbild,
sen eine Rolle, zur Teilnahme an der ersten Documenta 1955 wurde er nicht geladen. 26 Ähnlich unauffällige, aber weniger radikale Existenzen wählten merkwürdig viele Bauhaus-Absolventen aus dem Kreis der 'Jungen Bauhausmaler" z. B. Otto Hofmann, Eugen Batz und Fritz Winter. Über Otto Hofmann schrieb Thiemann: »ein kollege, maler aus der schule klee und kandinsky, der sich bis jetzt auch noch nicht dazu überwinden konnte, in blubo zu machen, resp. diese schollen pinselei ernst zu nehmen; denn machen mußte er sie schon manchmal - aus finanziellen rücksichten.,,27 Hofmann wohnte zeitweilig in dem kleinen Nest Hainichen in Thüringen, wo ermit eigener Signatur - für den Bauhaus-Meister Lindig Keramiken bemalte. 28 Ärmlich und bescheiden verlief auch das Leben von Fritz Kuhr29, der das Bauhaus mit einem Diplom verlassen hatte und seit 1930 als freier Maler in Berlin lebte. 1933 wurde in 118 Magdalena Droste
0.'.
8 Hans Thiemann in seinem Berliner Atelier, 1943
nen lassen (Abb.11; S.128, Abb.xxll). Auf abstrakte Malerei verzichtete Kuhr fast ganz. Kuhr, 1948 von Karl Hofcr an die Hochschule der Künste geholt, stellte häufig aus, hatte aber als Maler wenig Resonanz. Eugen Batz32 hatte sich während seines zweijährigen Bauhaus-Studiums auf den Besuch der freien Malklassen Klees und Kandinskys konzentriert und folgte Klee 1931 an die Akademie Düsseldorf. Der Mäzen Ernst Heyer, ein Essener Buchhändler, der den jungen Künstler unterstützt hatte, distanzierte sich immer mehr von seiner abstrakten Malerei: »Ich muß Ihnen aber nur wiederholen, daß die abstrakte Malerei für Deutschland erledigt ist ... Sie sagen, Kunst hat mit Politik nichts zu tun. Auch das ist nicht richtig, Politik hat mit Kunst sehr viel zu tun. Das neue Deutschland läßt es sich nicht nehmen, auch seinen Einfluß in bezug auf Literatur und Kunst geltend zu machen, und das mit Recht.,,33 Batz zog sich in sein Elternhaus zurück, wo er im Metallgewerbe seines Vaters mitarbeitete. Sonntags und an den Abenden widmete er sich der Malerei und der Zeichnung (Abb. 12,
13). Seine lyrisch weichen, ganz aus der Farbe lebenden Abstraktionen entwickelten sich aus der Nachfolge Klees und wurden nach 1945 als ,Entdeckung' gefeiert, ohne daß der Künstler sich einen Markt erobern konnte. Der Bauhaus-Absolvent Wilhelm Imkamp 34, der sich 1930 als freischaffender Maler in Essen niedergelassen hatte, gab in seiner Biographie an, er habe abstrakt gemalt, aber für den Lebensunterhalt Porträt- und Landschaftsmalerei ausgeführt. 1939 wurde er zum Kriegsdienst in einer Luftwaffenbaukompanie eingezogen, war aber 1942 in der Ausstellung ,Das Bild des Krieges (Kunst der Front 1942 des Luftgaukommandos VI), vertreten. Das Frühwerk des Kandinsky-Schülers wurde 1944 durch Bomben vernichtet. Als abstrakter Maler spielte Imkamp nach 1945 im Stuttgarter Raum kurzzeitig eine Rolle.35 Fritz Winter3 6 ist der einzige Bauhaus-Maler der Schülergeneration, der nach 1945 eine bis heute anhaltende überregionale Bedeutung erlangen konnte. In seinem Werk entfaltete er nach dem Krieg eine freie gestische Sprache, in der lineare Elemente und abstrakte FarbfläBa uh aus·Maler 119
9 Han s Thiemann , ,Atelier<, Öl auf Leinwand, 1939
chen zusammenwirken, und fand damit Anschluß an die Ecole de Paris. Winter hatte das Bauhaus nach dreijährigem Studium 1930 mit einem Diplom verlassen und ließ sich nach Zwischenaufenthalten in Berlin und Halle 1933 in Allach und 1935 in Diessen am Ammersee nieder. Da er eine großzügige Förderin hatte, seine spätere Frau Margarete Schreiber-Rüffer, konnte er halbwegs sorgenfrei leben. Trotzdem entstanden Brotarbeiten, wie Kerzenleuchter (einer von ihnen von Emmy Göring erworben), daneben vermietete man Zimmer. 1937 arbeitete Winter für die Münchner Reichsnährmittelausstellung. Winters Biographin Lohberg berichtet, daß sich der Künstler um eine Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer bemühte, die er 1937 erhielt. Arbeiten aus Museumsbesitz wurden nicht beschlagnahmt, wie es fälschlich in älterer Literatur heißt. 1936 bewarb sich Winter um Teilnahme an der alljährlichen Münchner Kunstausstellung, jedoch ohne Erfolg. Eben-
10 Halls Thiemann , ,Abwehr<, Öl auf Leinwand, 1940
120 Magdalena Droste
Herbere Bayer, Werbung ArchJanoJ, 1935
XIII
XIV Herbert Bayer,
Werbung AGB-Stoffe, 1937 121
xv Stoffe aus der Höheren Fach schule für textile Fläch enkunst in Krefeld unter der Leitung von /ohann es [tten, Musterproben, 1932-38
Stoffe und Entwürfe aus der Krefelder ,Mei sterklasse für Textilkunst
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XVIII Hinnerk Scheper, Farbplan für das Wohnhaus Degenhard in Gelsenkirchen, 1935 XIX Kurt Kranz, Buchumschlag ,Front am Polarkreis<, 1943
FRONT AM. POLARKREI \\ 11.1181.\1 LlMI'EIlT·\ I~ RI.;\(; · BERLI~
125
xx Oskar Schlemmer, Reihe von Figuren mit erhobenen Armen, 1934. Entwurf zum Kongreßsaal im Deutschen Museum München, Detailstudie, Farbkreide auf Schreibpapier
126
XX I Fritz
Winter, ,Triebkräfte der Erde<, 1944. Öl auf Papier
127
XXII Fritz Kuhr, >Berlin er SLraßen szene<, 1939 (i). MischLechnik XXII I Georg Mu che, Miniawrfresk o, ausgeführt im Wuppertal er >Malt echnikum < der Firm a HerberLs, um 1942
128
falls erfolglos blieb der Versuch, an der 1. Großen deutschen Kunstausstellung teilzunehmen. Erst nach 1937 erhielt Winter Malverbot. Schon fünf Tage nach Kriegsbeginn wurde er eingezogen. Während eines Heimataufenthaltes entstanden ab Weihnachten 1943 und Frühjahr 1944 auf Schreibmaschinenblättern die etwa 4Steiligen -Triebkräfte der Erde· (S. 127, Abb. XXI), die zu den dichtesten abstrakten Bildern gehören, die im Deutschland der Nazizeit entstanden, und Winters Rang bis heute begründen. Reise als Flucht
Jahre früher als die zwei te Generation der Bauhaus-Schüler (Thiemann, Winter etc.) hatten Künstler wie lda Kerkovius, Peiffcr-Watcnphul oder Wemer Gilles eine Existenz als freie Künstler begründet und sich noch in der Weimarer Republik einen Namen machen können. Als Schüler des Weimarer Bauhauses legten sie aber keinen Wert darauf, sich als -Bauhaus-Maler. aufzuwerten; dies machte erst die ihnen folgende Schülergeneration, um damit vom gesteigerten Ansehen der Schule zu profi-
tieren. Sie alle überlebten das -Dritte Reich· als reisende Kosmopoliten. Ida Kerkovius' Biographie37 verzeichnet zwischen 1934 und 1939 Reisen nach Norwegen, Belgien, Frankreich, Bulgarien, Italien, dazwischen Besuche in der Heimat Riga . 1939 mußten sie und ihre Familie Riga wegen des Kriegsausbruchs verlassen und zogen nach Stuttgart. Leider fehlt jede neuere Literatur über Ida Kerkovius, so daß wir nichts über ihr Selbstverständnis in jenen Jahren wissen; auch Dokumente, beispielsweise zum Mal- oder Ausstellungsverbot, oder Briefe sind nicht bekannt. 1934 beteiligte sich Ida Kerkovius am Wettbewerb um die Mosaikausschmückung des Festsaales im Münchner Deutschen Museum, wie Schlemmer ers tawlt notierte. 38 Für Wemer Gilles (Abb. 14) waren die Reisen .. notwendige Voraussetzungen des eigensten Wesens seiner Kunst", so Hcntzen. 39 Obwohl fast jeder Brief von Gilles aus den dreißiger Jahren .. Äußerungen über den Mangel an Essen sowie Klagen über Kälte und fehlende Malutensilien,, 40 enthielt, war Gilles ständig unterwegs . .. Wechselnde Aufenthalte in Berlin und an der Ostsee", heißt es für die "Jahre 1933
11 FriLz Kuhr, Radierung ohne Titel, dreißiger lahre
Bauhaus-Maler 129
12 Eugen Batz, ohne Titel (Dorf), Tinte, Th sche und Kreide auf Papier, 1938
bis 1935. 1936 hielt er sich auf Ischia und in Berlin auf. Von 1937 bis 1941 verbrachte er die Sommer in Palinuro, die Winter auf Ischia. Zwischen 1941 und 1944 war er in Berlin, im Rheinland, in Süddeutschland und an der Ostsee. Erst 1944 wurde er zum Kriegsdienst herangezogen. Noch ehe ganz klar war, daß auch seine Malerei ihrer Modernität wegen nicht erwünscht sein würde, bekannte Gilles: "Kasernen und Fliegerkasinos kann ich nicht dekorieren.,,41 Trotz gelegentlicher kleinerer Verkäufe lebte Gilles äußerst anspruchslos. Eine Zeitlang sorgten Freunde dafür, daß er monatlich mindestens 100 Mark zum Leben hatte. 42 1935 fehlte ihm das Geld, um die von der Reichskammer der bildenden Künste verlangten Photos nach seinen Bildern anzufertigen, zudem war er mit den Beiträgen im Rückstand. 4J Bei einer Kontrolle 1937 in der Berliner Buch- und Kunsthandlung Karl Buchholz an der Leipziger Straße entdeckte der "Herr Reichsbeauftragte für künstlerische Formgebung" im Dezember 1937 drei Aquarelle (Mondlandschait, Dorf mit Windmühle, Boote und Kühe) und teilte Gilles mit, "daß diese 130 MagdaJena Droste
Werke nicht mehr ausgestellt werden dürfen".44 Es gab also Abstufungen zum totalen Mal- und Ausstellungsverbot, die sich auf das Verbot, einzelne Werke auszustellen (oder wie bei Grewenig, eine Ausstellung zu beschicken) beziehen konnten. Neben Fritz Winter war Werner Gilles der einzige Bauhaus-Schüler auf der ersten Documenta 1955. Beide hatten, so das Urteil Haftmanns 195445, mit ihrer Malerei Anschluß an die internationale Entwicklung gefunden, auch wenn sie weitgehend davon ausgeschlossen gewesen seien. "Die Zeit für meine Kunst ist zu schlecht, und ich muß mit drei bis fünf verlorenen Jahren rechnen", schrieb 1933 Max Peiffer-Watenphu1. 46 Auch er war ein "Wahlitaliener,,47 wie Gilles. Er verkaufte Photos an die ,Neue Linie· und an Ullstcin, um seine Einkünfte zu verbessern. 1937 war er zwar mit einem Blumenbild auf der ,Entarteten Kunst· vertreten, dies stand jedoch einer Anstellung an der Textil-Ingenieurschule Krefeld 1941 bis 1943 nicht im Wege. Nach Jahren schlechter Umsätze zogen die Kunstverkäufe wieder an: "Verkaufe sehr
viel und verdiene so viel wie noch nie im Leben", schrieb er 1941, und auch 1942 war er mit Privatverkäufen zufrieden. 48 1943 erhielt er eine Einzelausstellung im Wuppertaler Vonder-Heydt-Museum. Schlemmer und Muche
Zwischen den Verweigerern, Mitläufern, den kleinen Karrieristen und denen, die nur gelegentlich ins Visier der Kontrollorgane gerieten, blieb Oskar Schlemmers Existenz nicht frei von tragischer Größe. Wie viele andere Künstler hatte er den von der Reichskulturkammer verlangten Ariernachweis 49 eingereicht und gehörte ihr als Mitglied an. Hinlänglich bekannt ist Schlemmers Enttäuschung über seine Ausjurierung beim Wettbewerb 1934 des Propagandaministeriums für die Gestaltung des Kongreßsaals im Münchner Deutschen Museum mit Mosaiken: »Meine
Entwürfe sind nicht schlecht ... ich habe als einziger, die Volksgemeinschaft darzustellen versucht ... ,,50 Für die Längswand von 130 Metern hatte Schlemmer Figurenreihen entworfen (S. 126, Abb. xx), die »von links nach rechts in zunehmender Bewegung auf einen zentralen Sonnen jüngling an der Stimwand des Saales zustreben sollten" Sl Noch im Februar 1937 sah er klare Parallelen zwischen den Grundbedingungen seiner Kunst, »Gesetz, ... Maß und Ordnung", und dem nationalsozialistischen Staat und fragte den Kritiker Fritz Nemitz: »Warum sollen gerade heute nun Tugenden in der Kunst verachtet werden, die im Staatspolitischen ihre Parallelen haben ?,, 52 Im März 1937 wandte sich Schlemmer, der seit 1933 auf dem Land in Sehringen ein »einkommensloses ,,53 Leben fristete, an die Landesleitung der Reichskulturkammer »mit der Frage und dem Ersuchen, mir in irgendeiner Weise zur Fortsetzung meiner künstlerischen
13 Eugen Batz, ohn e Titel (Abs trakte Komposition), Gouache und Graphit auf Papier über Holz, 1934 Bauhaus·Maler 131
Studien, auch auf pädagogischem Gebiet, zu helfen" .54 Soviel politische Naivität und Blindheit überrascht angesichts der Schlemmer widerfahrenen öffentlichen Demütigungen. 55 1930 in Weimar Zerstörung und Übertünchung seiner Wandmalereien im ehemaligen BauhausGebäude, Entfernung seiner Bilder aus dem Landesmuseumj 1933 Entlassung aus dem Lehramt, Schließung einer Einzelausstellung im Stuttgarter Kunstverein vor der Eröffnungj Magazinierung seines Bildes ,Konzentrische Gruppe, in der neugehängten Berliner Nationalgalerie, 1934 Magazinierung seiner Wandbilder für das Folkwangmuseum Essen, Ausschluß aus der ,bereinigten, Secession56j 1936 Schließung der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Hamburg, an der er beteiligt war.5' Bis zu den drei Ausstellungen im Jahre 1937 (,Entartete Kunst', München 58, dann Wanderschaftj ,Bolschewismus ohne Maske', Berlin59, und ,Entartete Kunst' in der Dessauer Anhaltischen Gemäldegalerie60 ) glaubte Schlemmer, nur Opfer eines Mißverständnisses oder unaufgeklärter Widerspruche zu sein. Er glaubte, überzeugen zu können, »daß er mit seiner Malerei der neu verkündeten Zielvorstellung einer überzeitlichen, repräsentativen, erhabenen, sinnbildhaften Kunst entsprechen könne".61 Im März 1938 nahm er eine Tätigkeit bei der Stuttgarter Malerfirma Albrecht Kämmerer auf, die sich mit Kriegsbeginn ausweitete. Für das Reichsluftfahrtministerium und das Luftgaukommando wurden Tarnanstriche entwikkelt (Abb. 16).62 Über Kämmerer63 kamen auch Aufträge zur Bemalung von Bauernschränken, Ausmalungen von Kirchen, Sgrafitti (Abb. 15), Wandfriese, Balkenbemalung, Zimmerausmalungen etc. Daneben erhielt Schlemmer Privataufträge: Der Stuttgarter Sammler Hugo Borst ließ Schlemmer seine Speisezimmertüren (!) bemalen, der Architekt Herre vermittelte 1940 den Auftrag für vier Wandbilder mit den Jahreszeiten im Robert-Bosch-Krankenhaus. Ab November 1940 konnte Schlemmer zusätzlich im Maltechnikum der Lackfabrik von Dr. Kurt 132 Magdal ena Droste
Herberts in Wuppertal arbeiten. Auch hier verpflichtete er sich nur monatsweise, so daß es zwischen den beiden Auftraggebern fast zu Auseinandersetzungen um seine Arbeitskraft kam. 1942 drohte gar jeder dem anderen, Schlemmer für den eigenen Betrieb dienstverpflichten zu lassen. 64 Schlemmer verstand es nicht, diese beiden Auftraggeber gegeneinander auszuspielen, sondern verinnerlichte diesen Konflikt. Beide Tätigkeiten standen seinem freien Künstlertum im Weg. Die Wandmalereien für das Bosch-Krankenhaus bezeichnete er 1940 als »Zwangsprodukte".6s Zunehmend spürte Schlemmer: »Ich muß mein Zentrum wiedergewinnen.,, 66 »Mein Tun der letzten Jahre waren Irrungen und Wirrungen, aus Existenzgründen hineingeraten. Wie komme ich auf anständige Weise wieder heraus?,, 67 »Fast als Lösung all der Zwiste innerer und äußerer Natur, Erkrankung", hieß es im November 1942 im Tagebuch. 68 Im April 1943 starb Schlemmer an den Folgen einer Diabetes. Der »blonde Siegfried" und »Glücksritter,, 69 Muche hatte 1939 in Krcfeld einen Vertrag als künstlerischer Leiter einer Meisterklasse für Textilkunst abgeschlossen, der es ihm erlaubte, sich freikünstlerisch zu betätigen. Schon seit 1928 hatte er sich mit Freskomalerei beschäftigt und publizierte nach einer Studienreise 1938 das Buch ,Buon Fresco, Briefe aus Italien über Handwerk und Stil der echten Freskomalerei,. Mangels Wänden und Auftraggebern führte er ,Tafelfresken, aus, die er zuletzt 1939 in der Berliner Galerie von der Heyde ausstellen konnte. Da Muche für sich beanspruchte, das Geheimnis der echten Freskotechnik wiederentdeckt zu haben, stieß er im Wuppertaler Maltechnikum auf großes interesse, wo der ehrgeizige Herberts eine Serie umfassender mal technischer Veröffentlichungen betrieb, unter denen auch die Wandbildtechniken vorgesehen waren. Das Projekt, an dem schon der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt und Willi Baumeister arbeiteten, wurde jedenfalls um Muche erweitert. Für die Publikationen stellten Muche, Baumeister und auch Schlemmer Demonstrationstafeln her, die
14 Wem er GWes, Mohn blüten und gelbe Iris in einem Blumenglas, daneben eine Muschel, Aquarell, 1935 in der Nationalgalerie Bulin beschlagnahmt
beschrieben und photographiert wurden (Abb . 18). Als Herberts schließlich 1953 das schon für 1942 geplante Buch herausbrachte, wurden die Anteile von Muche, Hildebrandt, Schlemmer und Baumeister nur pauschal im Vorwort genanntJo Während Muche aus seiner sicheren Krefelder Position mit Herberts so gut verhandelt hatte, daß er neben den VersuchstafeIn einen ganzen Raum ausmalen durfte, dessen Thematik ihm freigestellt war - er malte ohne festen Plan und ohne Vorzeichnung (Abb. 17) -, zerrieb sich Schlemmer zwischen zwei fordernden Auftraggebern, verausgabte
und vergeudete sich für Versuchsreihen, Tarnanstriche und handwerkliche Arbeiten, denen er immer wieder Sinn abzuringen versuchte, um dann doch zu erkennen, daß diese Brotarbeiten zur .. Entselbstung u 71 führten. Aus den Bildern, die Schlemmer in seinen letzten Lebensjahren noch malen konnte, spricht Rückzug und Verdüsterung, während Muches Fresken von bukolischer Heiterkeit und Helle sind (S. 128, Abb. XXlll). Taktisches Geschick und politisches Denken waren Schlemmer fremd. So schickte er sein >Triadisches Ballett< - erfreut über eine Bauhaus-Maler 133
Ausstellungsmöglichkeit - ohne jede Bedenken 1938 zur Bauhaus-Ausstellung nach New York 72, während Muche, als er von einer deutschen Abteilung der Weltausstellung hörte, in einem warnenden Brief an Gropius seine Zustimmung zur Ausstellung versagte, bevor sie eingeholt worden war. 73 Mit der »Klugheit, die schlauer ist als die List der Argen« 74 hatte Muche Existenz und Künstlerturn retten und sichern können, ohne jemals in politischen Verdacht zu geraten, eine Lebensleistung, die sonst kaum einem Bauhaus-Angehörigen gelang. Die Bauhaus-Schüler hatten - im Gegensatz zu ihren Lehrern - schon aufgrund ihrer Jugend und mangelnder Entfaltungsmöglichkeiten
IS Oskar Schlemmer bei Sgrafi ttoarbeiten in Mün ch en, 1939
keine großen Namen, aber auch als Künstler von regionalem Rang gerieten sie in die Kontrollmechanismen des Systems, das über die Reichskulturkammer eine totale Erfassung, Verwaltung und lnstrumentalisierung der Kunst anstrebte. Hans Breustedtls ist ein Beispiel für jene kleinen Existenzen, die ins Visier der Machthaber gerieten. 1932 ließ er sich in Weimar als freischaffender Künstler nieder und wurde 1938 aus der RbK ausgeschlossen, erhielt Berufs- und Ausstellungsverbot. Seine geplante Emigration scheiterte am Kriegsausbruch, er mußte nach Deutschland zurückkehren und arn Rußlandfeldzug teilnehmen. 1942 wurde seine polnische Frau in Treblinka ermordet, sein gesamtes Werk durch Bombardement zerstört. Wollgang Hildebrandt konnte noch 1935 bei der Berliner Galerie Ferdinand Möller ausstellen. 1940 erhielt er vom ,Ausschuß zur Begutachtung minderwertiger Kunsterzeugnisse. nach einer Austellung in Hamburg bei Rudolf Grabbe Berufsverbot. 76 . Walter Herzger 77 arbeitete von 1933 bis zur Einberufung 1940 als freier Maler in Italien, mußte sich allerdings durch kunsthandwerkliche Auftragsarbeiten ernähren (Abb. 19). Johannes Berthold 78, Absolvent des Weimarer Bauhauses, der okkulten Ideen nachhing, und zeit seines Lebens in Greiz ansässig war, ernährte sich vom Verkauf harmloser Landschafts bilder aus der Umgebung Weimars. Anpassung oder Überzeugung
Neben den heimlichen Malern und den angepaßten Kompromißlern gab es einige, die ihre Zustimmung zum System durch NSDAP-Beitritt bekräftigten. Außer den schon genannten wurden die Bauhaus-Absolventen FrahmHessler, Reinhard Hilker, Rudolf Riege und Kurt Schmidt Parteimitglieder. 79 Riege 80 und Hilker pflegten den anfangs favorisierten expressionistisch-nordischen Stil, der sich dann aber nicht gegen den von Hitler bevorzugten südlich-klassischen Stil durchsetzen konnte . 134 Magdalena Droste
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16 Oskar Schlemmer, Tarnanstrich , EntWllrf um 1940, Farbstifte
Bauhaus-Maler 135
Hilker 81 produzierte Heimatmotive und Städtebilder, Rudolf Riege, Vertrauensmann der RbK Hannover, der auf der Pariser Weltausstellung 1937 eine Silbermedaille erhielt, schnitt in Holz und hatte Aufträge für Glasfenster im Rathaus Hameln, Krankenhaus Ülzen und der Universitätsklinik Göttingen. 82 Die Bauhaus-Maler Egon Engelien und F. W. Bogler standen in der Tradition der Neuen Sachlichkeit (Abb.20). Beide waren freiberuflich als Maler tätig; von Bogler sind zahlreiche Porträ ts bekann t. Der Bauhaus-Schüler Herbert Wegehaupt pflegte den südlichen-klassischen Stil, wie ein jüngst publiziertes Wandbild mit sprengenden
Reitern belegt. 83 1933 beteiligte er sich am Wettbewerb der Deutschen Arbeitsfront, an dem auch Schlemmer teilgenommen hatte. Von 1935 bis 1938 war er Inhaber eines Meisterateliers an der preußischen Akademie. 1936 erhielt er den Dürerpreis der Stadt Nürnberg und 1942 den Rompreis. 84 Riege und Hilker wurden neben Otto Berenbrack und Kurt Kranz als Kriegsmaler verpflichtet. Riege war .Sonderführer., d. h. Zeichnender Berichterstatter im Offiziersrang. 85 Auch Kurt Kranz war ·Sonderführer· und in Finnland eingesetzt. Er bebilderte das 1943 erschienene ·Buch eines Lappland-Korps. Front an1 Polarkreis. Deutsche Soldaten im finni-
17 Von Georg Muche in Freskotechnik ausgemalter Raum im WuppertaJer ·Maltechnikum . der Firma Herberts, um 1942; 1943 kriegszerstört
136 Magdalena Droste
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Georg Mu ch e im Wuppertaler ,Malt echnikum<der Firma Herberts, um 1942
sehen Urwald· (S. 125, Abb. XIX). In den Kriegsjahren entstand auch sein ,Norwegisches Aquarellbuch<.86 Der Bauhaus-Schüler Peter Keler mußte ein Archiv für ,Kriegsmaler. leiten. 87 Aspekte des Kunsthandels
Hans Thiemann war ein ebenso leidenschaftlicher wie armer und sparsamer Bücherliebhaber und Kunstfreund, der alle Berliner Händler kannte und regelmäßig nach Trouvaillen für sich oder für seinen Freund NaeH suchte. Außer zahlreichen Kunstbüchern kaufte er auch Literaturausgaben. Seine favorisierten Künstler waren seine Bauhaus-Lehrer Klee und insbesondere Kandinsky, mit dem er bis 1939 korrespondierte. Sein Briefwechsel mit dem
Schweizer Freund gibt Einblicke in Angebot und Preisschwankungen moderner Kunst und Kunstliteratur. Bis 1935 scheinen Bücher über modeme Kunst und graphische Mappenwerke moderner Künstler fast verschleudert worden zu sein. Für den Freund erwarb er Waldens ,Einblick in Kunst< für 3 Mark, die Kandinsky-Monographie von Zehder für 1,50 Mark sowie eine ähnlich preiswerte Chagall-Monographie. Für acht Dada-Lithos von Kurt Schwitters' ,Die Kathedrale< hatte er nur so Pfennige gezahlt. Die George-Grosz-Mappe ,Im Schatten· wollte er dem Freund für 30 Mark besorgen statt für 100 Mark, wie früher gefordert wurde; eine Mappe mit sechs Kaltnadelradierungen von Dix für 16 Mark. "der buchhändler ist froh, wenn er diese sachen für diesen billigen preis Ba uhaus-Maler 137
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19 Walter Herzger, ,St. AngeJo/Jschia<, 'fusche auf Papier, 1939
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abstoßen kann, denn es besteht ja immer die möglichkeit oder die gefahr, daß er sie kostenlos dem staat zum verbrennen zur verfügung stellen muß .., 88 .. es handelt sich eben um ein spekulationsobjekt . ., Der Laden, der diese Objekte anbot, wurde jedoch von der Polizei geschlossen, ehe Thiemann sie erwerben konnte. 89 Schon wenige Wochen später zogen die Preise stark an : .. bücher über kandinsky und klee sind so stark gefragt, daß sie weggehen wie warme semmeln ... man freut sich deshalb über den erwerb einer solchen sache ungefähr so, wie wenn es einem gelingt, ein viertel pfund butter zu erwerben. man muß lange schlange stehen, um butter zu bekommen.,,90 Doch auch ein Jahr später war Kunst .. oft zu den billigsten preisen zu haben. man muß nur in solchen fällen schnell zugreifen können und zwei- bis dreihundert mark gleich zur verfügung haben. den wert des einkaufspreises behält das bild jedenfalls immer. sie sind hier nur aus dem grunde so billig zu ha138 MagdaJena Droste
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ben, weil es sich meist um verlegenheitsverkäufe handelt. bei versteigerungen kommen natürlich gepfefferte summen in frage. ,,91 Nur im Falle eines Feininger-Aquarells wurde ausdrücklich die jüdische Provenienz erwähnt: .. stammt aus jüdischem haushalt, der aufgelöst wird ... , eine vollkommen einmalige sache und garantiert original. "n Im März 1937 sah er zwei farbige Kandillsky-Holzschnitte und fragte nach dem Interesse des Freundes: .. ich werde mich auch nach anderen sachen umsehen, die ausgefallen, aber leider nicht >gefallen< sind. wer heute so was verlangt, wird gleich als >unheilbar<ein taxiert, was liebhaberpreise zur unangenehmen folge hat. ,,93 Im April 1937 erwarb er für den Freund zwei Kandinsky-Holzschnitte aus der Mappe >Kleine Welten
Bei dem Kunsthändler und Sammler Dr. Feldhäuser (der auch einige Thiemann-Ölbilder erworben hatte) erkundigte sich Thiemann nach Preisen für Klee und Kandinsky-Ölbilder. »ein großer k(andinsky) (ein meter fünfzig mal ein meter fünfzig) siebentausend mark. kleinere dabei nicht mal gute bilder, nicht unter tausend, ebenso klee, und geradezu unerreichbar, wie die götter, die modernen hanzosen. auch die sogenannten primitiven erzielen schwindelnde preise ... im übrigen: ich bin immer auf der suche nach kunst; finde aber jetzt den zeitpunkt für erwerbungen noch nicht gekommen. trotz allem. nierendorf hat sich in ein hinterhaus verkrochen; v. d. heyde läuft wie ein irrer in seinem laden herum - und was möller macht, weiß ich nicht. ich weiß nur, daß alle drei recht zäh sind, wenn man mit ihnen handeln und verhandeln wi11.« 95 Auch bei den Kunstbüchern halten Nachhage und hohe Preise an: So läßt Thiemann Kandinskys Buch 'Punkt und Linie zu Fläche, zurücklegen und Grohmanns Buch über die Sammlung Ida Bienert. »diese schriften, obwohl unerwünscht, sind im handel dennoch sehr stark mit nachfrage belastet, ein jeder, der es sich leisten kann, deckt damit seinen wintervorrat. nach der melodie: warte nur balde, es kommt nicht mehr.« 96 Der große Wunsch Naeffs bleibt aber offensichtlich eine Arbeit von Paul Klee. »klee ist zum teil unverschämt teuer, zum teil, wo es sich um unica handelt, erträglich.«97 »Zwei frühe zeichnungen sollen je 80 mark kosten. klee ist immer noch nicht zu haben, wird auch wohl schwer halten: denn mehr kann man sich kaum darum bemühen, als ich es in letzter zeit getan habe.«98 Dafür erwarb er etwa gleichzeitig zwei Originalgraphiken von Archipenko für 10 Mark, eine von Gleize für 8 Mark. 99 Zwischen 1937 und 1940 scheinen sich die Preise auf dem verbotenen Kunstmarkt - gegen Thiemanns ursprüngliche Erwartung - nicht verändert zu haben. Zwar gab es immer wieder günstigste Gelegenheitskäufe - so erwirbt er Jahresanfang 1942 zwei Feininger-Graphiken, deren Preise er nicht einmal mitteilt JOO - , doch
insgesamt bleiben die Preise stabil : »bilderankäufe scheinen mir im augenblick nicht ratsam : wegen der unverschämt hohen preise. die nachfrage verhält sich zum angebot wie der montblanc zum berliner kreuzberg. «IOJ Angebot und Handel fanden offenbar unter dem Ladentisch statt und waren nur einem Insiderkreis zugänglich. Die Buchhandlung und Galerie Buchholz, die unter Beobachtung des Sicherheitsdienstes stand - hier wurde im August 1937 eine Barlach-Ausstellung geschlossen -, gehörte zu Thiemanns wichtigen Adressen: »Gute arbeiten sieht man fast immer bei buchholz und auf auktions-ausstellungen.« 102 Nach 1943 fehlen Äußerungen zum Kunsthandel.
20 F. W. Bogl er, Porträt Mi chael M alzahn, um 1938
Ba uh aus-Maler 139
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Konrad Dussel. Der NS-Staat und die .. Deutsche Kunst .. •• in : Karl Dietrich Bracher. Manfred Funke. Hans-Adolf /acobsen {Hrsg_J. Deutschland 1933-1945. Neue Studien z ur nationalsozialistisch en Herrschaft. Pößneck 1992. S.256-272. hier S. 272. (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Studien zur Geschichte und Politik Band 3 14) Akte Reimann-Schule im Bestand des Reichsministeriums für Volksbildung. Erziehung und Wissenschaften im Bundesarchiv Potsdam 4901 , 101 79 Politische Beurteilung des Gau-Hauptstellenleiters vom 5. /uli 1937, Akte Joost Schmidt, RKK, Document Center Berlin Postkarte Hans Thiemann an Paul Naeff vom 1. 12. 1936, Bauhaus-Archiv Berlin Karte Oskar Schlemmer an Tht Schlemmer vom 12. I. 1939, Abschrift im Bauhaus-Archiv Karteikarte NSDAP-Mitgliedschaft Röhl. Document Center Berlin Karteikarte NSDAP-Mitgliedschaft G rewenig, Document Center Berlin Leo Grewenig. ·Die Meisterwerke und die Aufgaben der Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen·, in : Graphische Nachrichten. März 1935. Bundesarchiv Potsdam 62 DAF 3. 19004 Michael Steiner. Peter Platzbecker (Hrsg.). Leo Grewenig. Bilder von 1916-1983. Heidelberg {19831. S. 44 Käthe, Paula und der ganze Rest. Künstlerinnenlexi kon. Berlin 1992, Eintrag .Breusing .• S.30 Akte Reichskulturkammer Ima Breusing. Document Center Berlin Karteikarte NSDAP-Mitgliedschaft Weber. Document Center Berlin Akte Maria Karla Luz-Ruland, Document Center Berlin. und Angaben Fragebogen Bauhaus-Archiv Berlin Fragebogen Bauhaus-Archiv Berlin Akte Reichskulturkamm er Haffenrichter. Document Center Berlin Die Kunstkammer. Berlin 1936. 4 Vgl. Anm. 15 Zusätzliche Angaben in : Marlene Lauter. Sp uren von Natur und Kosmos. Hans Ha ffe nrichter Malerei. Graphik, Plastik. Ausst. Kat. Städtische Galerie Würzburg 1992 Brief Hans Thiemann an Paul Naeff. Juli 1935 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH. 27. 4. 1940 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH. 14. 5. 1940 Brief Hans Thiemann an Paul NaeH. 12. Dez. 1939 Zu Feldhäuser vgl. auch Eberhard Roters, Gal erie Ferdinand Möller Breslau Berlin Köln 1917-1956. Berlin 1984. Zu Kuhr vgl. die von Kunststudio BormannSchütze {Nachlaß Fritz Kuhrl erstellte Biographie. Brief Hans Thiemann an Paul NaeH. 6. August 1945 Gerd Wolfgang Essen. Han s Thiemann. Das ma lerische Werk. Werk verzeichnis 1931-1977. Hamburg 1977. Der künstlerische und schriftliche Nachlaß von Hans Thiemann befindet sich heute im BauhausArchiv Berlin.
140 Magdalena Droste
26 Eckhart Gi llen und Diether Schmidt {Hrsg.l. Zon e 5. Kunst in der Viersekwren s tadt 1945- 1951. Berlin 1989 27 Karte Hans Thiemann an Paul Naeff. Mai 1936 28 Hans Peter /acobson. Ouo Lindig - der Töpfer. 1895-1966. Auss t. Kat. Gera 1990. Kat . 77 und 78 29 Angaben Fritz Kuhrs in einem Fragebogen. Freundlicher Hinweis vom Kunststudio Bormann-Schütze {Nachlaß Fritz Kuhrl 30 Akte Reichskulturkamm er Kuhr. Document Center Berlin 31 Brief Kuhr an di e Reichskulturkammer 1936 {Anm.301 32 Die Darstellung stützt sich auf: Dieter Hoffmann. Eugen Batz. Leben und Werk , hrsg. v. /ohannes Döbele. Zü ri ch und Stuttgart 1984 33 Hoffmann {Anm. 321, S. 39 f. 34 Die Darstellung stützt sich auf: Wilhelm 1mkamp. Ausst. Kat. Galerie Schlichtenmaier Schloß Dätzi ngen, Stuttgart 1989 35 Günther Wirth •. Stuttgarts Beitrag zur Kunst der Gegenwart., in : Helmut Heissenbüttel {Hrsg.l. Stu u garter Kunst im 20. /ahrhundert. Malerei. Plastik. Architektur. Stuttgart 1979, S. 72- 135. hier S. 87 36 Die Darstellung stützt sich auf: Gabriele Lohberg. Fritz Wint er. Leben und Werk. München 1986 37 Kurt Leonhard. lda Kerkovius. Leben und Werk. Köln 1967 38 Brief Oskar Schlemmer an Willy Baumeister vom 14.10. 1934. Abschrift im Bauhaus-Archiv Berlin 39 Alfred Hentzen. Wern er Gilles. Köln 1960. S.97 40 Marlis Schwengers, Wemer Gil/es (1894-1961). Köln 1985. S.58 41 Hentzen {Anm .391. S.83 42 Hentzen (Anm. 39). S.86 43 Akte Reichskulturkammer Gilles. Document Center Berlin 44 Vgl.Anm.43 45 Werner Haftmann. Malerei im 20. /ahrhundert. Eine Entwicklungsgeschichte, München 19796• S. 426 46 Die Darstellung folgt : Grace Watenphul Pasqualucci. Alessandra Pasqualucci. Max Peiffer-Watenphu/. Werk verzeichnis Bd. I, Köln 1989 47 Bernhard Degenhart. Geleitwort in : Max PeifferWatenphul {Anm. 461, S. 11 48 Vgl. Anm . 46. S. 41 49 Brief Oskar Schlemmer an Willy Baumeister vom 12.6. 1933, Abschrift im Bauhaus-Archiv Berlin 50 Karin von Maur. Oskar Schlemmer. Bd. l. Monographie. Passau 1979, S.250 51 Karin von Maur, Oskar Schlemm er. Bd. U. CEuvrekatalog, Passau 1979, S.36 1. K 59 52 Brief Oskar Schlemmer an Fritz Nemitz vom 17.2. 1937, Abschrift im Bauhaus-Archiv Berlin. Dieser Satz fehlt auch in der Neuausgabe der Briefe Tagebüch er Schriften von Andreas Hün eke, Leipzig 1990. S. 3 10 H. 53 Brief Oskar Schlemmer an /ulius Schottländer vom 23.5.1932. Abschrift im Bauhaus-Archiv Berlin 54 Brief Oskar Schlemmer an Hugo Borst vom 18.3. 1937, Abschrift im Bauhaus-Archiv Berlin
55 Vgl. auch Maur (Anm_ 50), S_232 H. 56 Michael Nungcsser, Als die SA in den Saal marschIerte. Das Ende des I~ eich sverbandes bildender Künstler Deutschlands, Berlin 1983, S. 159 57 1936 verbotene Bilder, Ausst. Kat. Deutscher Künstlerbund Bonn 1986 58 Entartete Kunst, Das Schick sal der Avantgarde im Nazi -Deutschland, München 1992 59 Maur (Anm. 51), S. 237 f. 60 Zeitungsausschnitt aus dem Völkisch en Beobachter, ·Bauhauskunst - Entartete Kunst·, vom 25.9.1937 in: DAF 3, 19131 P 29 Bundesarchiv Potsdam 61 Maur (Anm. 51), S.243 62 Brief Schlemmer an Tut Schlemmer, 24.9. 1942, Abschrift Bauhaus-Archiv Berlin 63 Maur (Anm.51), S.260f. 64 Brief Schlemmer an Casca Schlemmer, 14.9. 1942, und an Tut Schlemmer, 15.9.1942, Abschrift Bau haus-Archiv Berlin 65 Maur (Anm. 5 t), S.26 1 66 Tagebuch 5. August 1941 in : Tut Schlemmer (Hrsg.), Oskar Schlemmer. Briefe und Tagebü cher, München 1958 67 Brief an Julius Bissier vom 20.2. 1942 in : Matthias Bärmann, /ulius Bissier, Oskar Schlemmer, Briefwechsel, St. Gallen 1988, S.76 68 Hüneke (Anm.52), S.343 69 Tagebuch Oskar Schlemmer 11 . 7. 1942, in: Gunther Thiem, Georg Much e, Der Zeichner, Ausst. Kat. Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart 1977, S. 54, und Brief an Julius Bissier vom 7.8.1942, in: Bärmann (Anm.67), S.62 70 Kurt Herberts, Wände und Wandbild, Die Wandbildtechniken, ihre baulichen Voraussetz ungen und geschichllich en Z usamm enhänge, Stuttgart 1953. Vgl. auch Maur (Anm. 5 1), S. 283 H. Muche kennzeichnete in einem Exemplar des Buches, welche Tafeln von ihm durchgeführt worden waren . Exem plar im Bauhaus-Archiv Berlin. Vgl. auch : Kurt Herberts (Hrsg.), Modulation und Patina, Ein Dokument aus dem Wuppertaler Arbeitskreis, Stuttgart 1989 71 Hüneke (Anm. 52), S.323 72 Hüneke (Anm. 52), S.319 73 Brief Georg Muche an Walter Gropius vom 10. 11. 1939, in : Magdalena Droste, ·Der politische Alltag., S.209-234, hier S. 23 1, in: Bauhaus Berlin. Auflösung Dessa u 1932 Schließung Berlin 1933 Bau häusler und Drittes Reich. Eine Dokumentation
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zusammengestellt vom Bauhaus-Archiv Berlin, Weingarten 1985 Brief Georg Muche an Walter Gropius vom 23.8.1945, in: Der alte Maler. Briefe von Georg Much e 1945-84. Herausgegeben vom Bauhaus-Archiv Berlin, Tübingen 1992, S. 12 Die Darstellung folgt : Jil Silberstein, Hans /oachim Breustedt, Metamorphosen und Meditationen, Lausanne 1988 Fragebogen W. Hildebrandt im Bauhaus-Archiv Berlin Die Darstellung folgt : Paul Gönner (Hrsg.), Walter Herzger 1901- 1985, Friedrichshafen 1987 Hans-Peter Jakobson, .Johannes Berthold - eine durch das Bauhaus Weimar geprägte Künstlerpersönlichkeit-, in : Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, 1987, 4/5/6, S. 334 f. Karteikarten NSDAP-Mitgliedschaft Frahm-Hessler, Hilker, Schmidt im Document Center Berlin; Akte Reichskulturkammer Riege, Document Center Berlin Rudolf Riege, 1892-1959. Zum Hundertsten Geburtstag am 9. März 1992, Hameln 1992 Heimatbu ch Hagen + Mark. Hagener Heimatkalen der 7984, Hagen 1983, S. 137- 141 Angaben Rieges in der Akte Reichskulturkammer, Document Center Berlin G. Mortimer, Kurt Davidson in: Deutschland 1933-45, Band 212, Tübingen 1992, Nr. 1505 Akte Reichskulturkammer Wegehaupt, biographi sche Angaben Bauhaus-Archiv Berlin Zu Riege Anm . 80, übrige Angaben Fragebögen Bau haus-Archiv Berlin Exemplare im Bauhaus-Archiv Berlin Angabe Biographie Peter Keler Bauhaus-Archiv Berlin Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 8.9. 1935 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 4. 10. 1935 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 2. 11. 1935 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 27. 10. 1936 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 11. 3. 1936 Postkarte Hans Thiemann an Pa ul N aeH 1. 3. 1937 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 24.4. 1937 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 6.9.1937 Brief Han s Thiemann an Paul NaeH November 1937 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH I. 3. 1938 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 14.6. 1938 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 14.6.1938 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 12. I. 1942 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 6.2.1940 Postkarte Hans Thiemann an Paul NaeH 17.10.1940
Bauhaus-Maler 141
RENATE SCHEPER
Hinnerk Scheper: Arbeiten zwischen 1933 und 1945
ob wir noch einmal zeiten erl eben, in denen es möglich ist, ohne .. druck auf der seele .. zu leben ? Lou Scheper, 1934
Wohl niemand kann am 30. 1. 1933 von der sogenannten ,Machtergreifung. der Nationalsozialisten überrascht worden sein - schon gar nicht ein Angehöriger des Bauhauses, denn bereits zweimal war diese Einrichtung unter dem Druck der Rechten gezwungen worden, den Ort zu wechseln. Nun mußte auch mit einer baldigen Schließung des seit Oktober 1932 unter Mies van der Rohe in Berlin als private Schule weitergeführten Bauhauses gerechnet werden. Scheper war erst im September 1931, von den Veränderungen unter Stalin enttäuscht, aus der Sowjetunion zurückgekehrt, wohin er zwei Jahre zuvor voller Enthusiasmus gegangen war, um sich am Aufbau des Landes zu beteiligen. I Nun erlebte er in Deutschland eine politische Entwicklung, die ihm ebenfalls bedrohlich erscheinen mußte. Vielleicht waren seine Erfahrungen in Rußland oder fehlende Sprachkenntnisse sowie die durch seine einfache, ländliche Herkunft stark ausgeprägte Heimatverbundenheit der Grund dafür, daß Scheper - anders als viele Bauhäusler - die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, nicht erwogen zu haben schien. Er versuchte vielmehr in Deutschland den Lebensunterhalt seiner schon bald fünfköpfigen Familie zu sichern. Zur Zeit der Übersiedlung des Bauhauses von Dessau nach Berlin hatte sich Scheper, der 142
seit Ins Meister und Leiter der Werkstatt für Wandmalerei am Bauhaus war, um eine weitere Lehrstelle an den weniger angefeindeten Folkwangschulen in Essen beworben. 2 Als dieses Vorhaben scheiterte und die knappen Finanzen des Bauhauses nur eine 14tägige Mitarbeit im Monat erlaubten, verstärkte er seine Bemühungen, Photographien in den damals so zahlreich erscheinenden Illustrierten zu veröffentlichen. Scheper hatte schon während seiner Lehrzeit als Maler und seines Studiums an den Kunstgewerbeschulen in Düsseldorf (1918/19 ) und Bremen (1919) mit Aufnahmen von Personen in der dörflichen Umgebung seiner niedersächsischen Heimat Geld verdienen können . Während seiner Studienzei t (1919- 22) und Lehrtätigkeit am Bauhaus hat er wenig photographiert - nur auf Reisen machte er Aufnah men, die den Einfluß der am Bauhaus üblichen Art zu photographieren zeigen. 3 Erste Bilderserien entstanden während Schepers Aufenthalt in der Sowjetunion. Sicher nicht unbeeinflußt von der russischen Photographie machte er Architekturaufnahmen, das Typische festhaltende Landschaftsphotos und vor allem Abbildungen von Menschen auf Straßen, Plätzen und Märkten. Von diesen aussagekräftigen, in ihrer Sensibilität über reine Dokumentation hinausgehenden Aufnahmen konnte Scheper einige in der deutschsprachigen ,Moskauer Rundschau· veröffentlichen,
I Teil der Wandmalerei im Gem einschaftsraum des Werkes der Kali ·Chemie in Sehnde bei Hannover, 1934
für die seine Frau Lou 4 eine Anzahl von Artikeln geschrieben hatte. Im Berlin nahm Scheper sogleich Kontakt zu einigen der dortigen Agenturen aufS und bot zunächst seine russischen Photos und die von den Urlaubsreisen an. Als das Bauhaus im April 1933 von der Gestapo durchsucht, geräumt und versiegelt worden war und eine Wiedereröffnung unwahrscheinlich erschien, unternahm Scheper zusammen mit seiner Frau Lou vom Mai bis November 1933 nach sorgfältiger Vorbereitung Reportagereisen nach Norddeutschland und ins Rheinland . Dort photographierte er wiederum überwiegend Menschen, die von der Anwesenheit des Photographen offensichtlich ganz unbeeindruckt ihren Alltagsbeschäftigungen nachgingen. Aus diesem Material stellte er Serien mit von Lou Scheper verfaßten Texten zusammen. In ihrer Thematik entsprachen diese Bildreportagen ganz dem Geschmack der Illustriertenle-
2 ,La Rivista Illustrata deI Popolo d 'llalia<, Mailand 1933, NT. 12, fg.12 (» Istantanee della strada lUssa«, S.73-76)
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ser dieser Zeit, die so am Leben anderer Bevölkerungsschichten teilhaben konnten. Aber nur einige dieser Berichte wurden in der angebotenen Form publiziert, denn Photos, Unterschriften und Texte hatten systemkonform zu sein. Aus dem Bildmaterial wurden fast nie Aufnahmen mit ungewöhnlichen Ausschnitten oder Sehweisen ausgewählt. Bezeichnenderweise war es eine italienische Zeitschrift, die zur Illustration eines Artikels über die Sowjetunion einige derjenigen Photos veröffentlichte, die mit der verkanteten Kamera aufgenommen worden waren und solche, die Spiegelungen oder Straßenszenen in der Draufsicht zeigten (Abb.2). In dem sich von der Moderne entfernenden Deutschland griff man lieber auf realistische Darstellungen von Personen zurück, die wohlversorgt innerhalb der Großfamilie oder beim geruhsamen Feierabend gezeigt wurden (Abb. 3), oder auf solche von jungen, kraftstrotzenden, nordisch aussehenden Menschen. Keinesfalls durfte Not oder Leid aus den Photos sprechen. Durch Zusammenstellung und Kommentierung mit tendenziösen oder belanglosen Worten wurden die Aufnahmen in einen von Scheper nicht gewollten Zusammenhang gebracht. Das war nicht verwunderlich, denn die neuen Machthaber bekannten sich schon bald öffentlich zur Propaganda »zum Wohl des Volkes« und zwangen die im Pressewesen Tätigen in berufsständische Organisationen, um sie dadurch kontrollieren zu können. 6 So mußte Scheper 1933 wie alle Photographen Mitglied im ,Reichsverband Deutscher Bildberichterstatter< (R.D.B.) werden und wurde, als man diesen in den ,Reichsverband der Deutschen Presse< überführte und alle Personen einzeln überprüfte, dort nicht aufgenommen. Dadurch ging die Zahl seiner Veröffentlichungen rasch zurück, und ab 1936, als die staatliche Kontrolle immer perfekter wurde, konnte er gar nicht mehr publizieren. Doch inzwischen war Scheper nicht mehr so stark auf diese Art des Gelderwerbs angewiesen. Seinem früheren Arbeitsgebiet entsprechend, hatte er Aufträge zu Farbgestaltungen
von Gebäuden angenommen, denen aufgrund der zufriedenstellenden Ausführung weitere folgten. Die ersten Arbeiten vermittelte Regierungsund Oberbaurat Otto Weißgerber von der preußischen Bau- und Finanzdirektion . Scheper hatte mit ihm schon 1924/25 bei der Farbgebung der klinischen Neubauten der Universität Münster zusammengearbeitet, wo er erstmalig Farbe als Orientierungsmittel eingesetzt hatte.7 Als er Ende 1933 von Weißgerber den Auftrag erhielt, die Treppenhäuser und Flure der Technischen Hochschule in Berlin auszumalen, verwendete er wieder verschiedene der von ihm bevorzugten hellklaren Farben zur Kennzeichnung der einzelnen Geschosse. Im Zuge dieser Arbeit oder bei den folgenden Aufträgen aus dem Hoehsehulbereieh 8 dürfte Scheper Kontakt zu Bauleitern der Staatshochbauverwaltung bekommen haben, von denen er in der Folge häufig zur Ausmalung öffentlicher Gebäude herangezogen wurde. So gab er in einigen Ministerien, Verwaltungsgebäuden, Bauten der Wehrmacht, Privathäusern hochgestellter Persönliehkeiten9 und in den Räumen der Italienischen Botschaft die Farben an. Außerdem entwarf er in diesen Zusammenhängen Wappen, Gobelins, Teppiche, Intarsien und Mosaiken. Bei Betrachtung zeitgenössischer Architekturphotos, insbesondere solcher von Innenräumen der Repräsentationsbauten, fällt auf, daß sie alle reichlich bis üppig mit kunsthandwerklichen Arbeiten ausgestattet waren. In einem auf Joseph Goebbels zurückgehenden Runderlaß des Preußischen Finanzministeriums war 1934 angeordnet worden, daß bei öffentlichen und halböffentlichen Bauten »ein angemessener Prozentsatz der Bausumme für die Erteilung von Aufträgen an bildende Künstler und Kunsthandwerker aufgewendet wird ... Diese Arbeiten sollten nicht nur »zwecklose Zutaten sein, sondern sinnvoll in Beziehung zu dem Zweck des Gebäudes, zu den örtlichen Begebenheiten und zur Umgebung gebracht .. werden. lo 1935 wurde in einem weiteren Erlaß
3 ,Die Grüne Post" Berlin 1934, Nr. 17
(" Der älteste deutsch e Meierhof" , S. 6)
gefordert, daß noch mehr Maler zu Raumgestaltungen hinzuzuziehen seien, und zwar nicht zu bloßen »Anstreicherarbeiten .. , sondern zur Erfüllung »großer heroischer Aufgaben ... , deren Lösung in früheren Jahrhunderten blühender deutscher Kunstgestaltung eine Selbstverständlichkeit war ... 11 Doch gerade mit solchen »Anstreicherarbeiten .. hatte Scheper bisher Räume gestaltet. Es ging ihm nicht darum, einen Raum zu schmücken, sondern darum, Farbe zur Unterstützung der Architektur zu verwenden. Dabei berücksichtigte er ihre psychologische Wirkung und setzte sie auch zur Korrektur schlechter Raumproportionen ein. »Farbe soll nicht wie eine Verkleidung - sie muß wie eine Eigenschaft der Wand wirken .. , und »WandmaHinn erk Scheper zwischen J933 und 1945 145
lerei darf keinesfalls die Architektur dazu benutzen, sich auf ihr ungebunden in Szene zu setzen«, hieß es in einem 1930 veröffentlich ten Artikel. 12 Aber genau dieses verlangten die damaligen Machthaber und Auftraggeber. Sie waren der Ansicht, daß durch das "neu erwachte Machtund Nationalbewußtsein « wieder große Baukunst und mit ihr eine neue Bildkunst entstehen werde, "eine Monumentalmalerei etwa ... , die ihre Inhalte der einfachen Erlebniswelt entnehmen « würde und "dem ersten Volksgenossen wie dem letzten ohne Kommentar zugänglich ist ... 13 Dieses anstrebend, entstanden in öffentlichen Gebäuden und Gemeinschaftsräumen weniger vom Wunsch nach künstlerischer Gestaltung geprägte als in Erfüllung dieser Forderungen gemalte Wandbilder mit sehr beschränktem Themenkreis, häufig ergänzt
4 Teil des Wandfrieses in der Halle des Bahnhofs
Bornh olm er Straße in Berlin , 1935
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durch vom ·Führer< selbst geprägte, zum Dienst für das Volk anspornende Sprüche. Scheper verspürte bislang nicht den bei vielen Malern seiner Zeit vorhandenen Wunsch, Wandbilder zu schaffen. Er hatte Tafelbilder gemalt, von denen die meisten im Krieg verlorengegangen sind. Die erhaltenen Skizzen und Aquarelle zeigen überwiegend Landschaften und Häuser in leicht abstrahierender bis expressionistischer Art, die nicht unbeeinflußt von Feininger ist. Vor 1933 hatte Scheper nur ein einziges Mal - und dies zu seiner eigenen Unzufriedenheit eine bildliche Darstellung auf Wände gemal t. 14 Wenn er nun Aufträge zu Wandmalereien annahm, so tat er es einma l aus dem Zwang heraus, Geld verdienen zu müssen, zum anderen stellte die einwandfreie technische Durchführung eine Herausforderung für ihn dar, der er sich gerne stellte. Er gehörte nämlich durch
5 Wandbild im Potsdamer Bahnhof in Berlin, 1936
seine gründliche Ausbildung zu den wenigen Handwerkern, die in der Lage waren, in den alten Techniken des Freskos, der Enkaustik und der Leirnfarben- und Kaseinmalerei zu arbeiten. Erste Wandbilder entstanden ab 1934 in Zusammenhang mit einer Reihe von Aufträgen zur Farbgestaltung in Berliner und Potsdamer Fern- und S-Bahnhöfen. ls Verschiedentlich malte Scheper Eisenbahnkarten oder Stadtgrundrisse, oder er wählte Motive mit Bezug
zum namengebenden Zielort (Abb.4) oder zur Umgebung der Station. Beim Potsdamer Bahnhof in Berlin berücksichtigte er beide Orte, indem er den Weg vom Potsdamer Tor in Berlin zum Berliner Tor in Potsdam (Abb.5) und auf der gegenüberliegenden Wand nach dem gleichen Kompositionsschema die erste Eisenbahn von Berlin nach Potsdam mit ihren Bahnhöfen zeigte. Die Darstellungsart war überwiegend stark vereinfachend und geometrisierend, »in der Wirkung nicht schwer und ernst, sondern Hinnerk Scheper zwischen 1933 und 1945 147
heiter oder sagen wir bilderbuchähnlich« .1 6 Mit dieser leicht verständlichen, volksnahen Gestaltung und dem inhaltlichen Bezug richtete er sich also nach den Forderungen des zuvor erwähnten Erlasses. Bei den Arbeiten in Gemeinschaftsräumen von Industrie- und Verwaltungsgebäuden berücksichtigte Scheper ebenfalls die Wünsche der Auftraggeber, indem er einfach dargestellte Szenen aus dem Arbeits- und Freizeitbereich malte. Beispielsweise zeigte er in der Kantine des Verwaltungsgebäudes der Feuersozietät in Berlin Straßen- und Wirtshausszenen aus dem alten Berlin. Einige Male stellte er den Arbeitsort selbst dar, wie beim Entwurf für ein Wandbild in
6 Entwurf für ein Wandbild in ein em Berliner Auss tellungsraum , 1938
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einem Ausstellungsraum der Berliner Niederlassung eines Stahlwerks (Abb.6). Hier sind mit der Reihung gleicher Elemente zwar Prinzipien der ·Neuen Sachlichkeit· übernommen worden, gleichzeitig wird jedoch eine Monumentalisierung der Industriclandschaft erreicht, die als Symbol der Stärke des Faschismus gedeutet werden könnte. 1934 malte Scheper in den Versammlungsräumen von zwei Werken der Kali-Chemie l ? Wandbilder mit Darstellungen aus dem Arbeitsleben (Abb. 1, 7). Von einer der Arbeiten hieß es lobend, daß sie .. ganz den Forderungen des Amtes für ·Schönheit der Arbeit..• entspräche. IB Dieses 1934 gegründete Amt setzte sich für die Schaffung .. würdiger Arbeitsplätze für die arbeitenden Volksgenossen« ein l9 und unterstützte den Bau heller und freundlicher Arbeits- und Aufenthaltsräume mit gut gestalteter Ausstattung und dem Volk verständlichen Darstellungen an den Wänden. Damit sollte den Werktätigen das Gefühl gegeben werden, in der großen Volksgemeinschaft eine anerkannte Rolle zu spielen, und es wurde verschleiert, daß die übergeordneten Organisationen ·Deutsche Arbeitsfront· und deren Unterabteilung .Kraft durch Freude· sie entrechtet hatten und bis in den Feierabend hinein kontrollierten. Zur Vorbereitung der Arbeiten im Werk der Kali-Chemie in Sehnde fuhr Scheper tagelang mit den Werktätigen gemeinsam untertage, um dort zu skizzieren und .. den Geist des Betriebs und seiner Mauern« kennenzulernen. 2o Auf den dann geschaffenen Wandbildern zeigte Scheper die Werktätigen nicht als von der anstrengenden Arbeit gezeichnete Menschen, wie es zuvor sozialkritische Künstler taten, sondern die Darstellung war entweder schematisierend, wie bei den Bahnhofsbildern, oder verherrlichend, wie bei den eine Lore schiebenden Arbeitern, die zusammen - und damit wird der Gemeinschaftsgedanke beschworenunter Einsatz ihrer gesamten Muskelkraft Schwerstarbeit verrichten (Abb. 1). Durch Vereinfachung wird erreicht, daß die Menschen nicht als Individuen, sondern als die
7 TeiJ der WandmaJerei im Gem einschaftsraum des Werkes der Kali·Chemie in Sehnde bei Hann over, 1934
Bergarbeiter an sich erscheinen. Die Hintergründe sind nur schematisch und im Verhältnis zu den im Mittelpunkt stehenden Personen verschwindend klein abgebildet, so daß keine Bildtiefe entstehen kann. Hierdurch und durch die nur leicht rundplastisch gemalten Figuren wird zwar die häufig an Wandbilder gestellte Forderung nach Flächigkeit erfüllt, andererseits aber entsteht kein geschlossenes Bild, sondern eine Addition von Einzeldarstellungen vor der neutralen Farbe des Wandputzes. Ähnlich verfuhr Scheper auch bei ., leichten Wandmalereien.,21 ohne höheren Anspruch an Thematik oder Gestaltung in einigen Privathäusern. 22 Bei Umbauten in Berlin und Potsdam sowie beim Bau eines Einfamilienhauses in Gelsenkirchen konnte Scheper auch eigene Bauvorstellungen verwirklichen. 13 Erste Farbvorstellungen für die Ausmalung zeigte er, indem er in den Ausführungsplan mit Tempera-
farben getönte Wände und Decken so einfügte, als sähe man von unten in die Räume - eine für den Laien schwer lesbare, von Scheper häufig verwendete Darstellungsart (S . 125, Abb. XVIII) . Derartige Farbentwürfe mußten aber keinesfalls mit den Ausführungen übereinstimmen, denn Scheper überzeugte sich stets persönlich an Ort und Stelle anband eigenhändig angesetzter Proben von den beabsichtigten Farbwirkungen. Von 1938 an ergab sich durch den früheren an haI tischen Landeskonservator Ludwig Grote die Möglichkeit, mit dem Anfang der dreißiger Jahre in Dänemark entwickelten Präparat ·Deckosit· Restaurierungsarbeiten an zerstörtem Werkstein von Plastiken durchzuführen.24 Die Arbeit mit dem in Struktur, Härte und Farbe dem Naturstein ähnelnden Material muß erfolgreich gewesen sein, denn Scheper hat es noch in den fünfziger Jahren angewendet.25 Hinn erk Scheper zwischen 1933 un d 1945 149
8 Wandmalerei in der Kapelle der Veste Heldburg, Wiederh erstellung 1941/42
Außerdem konnte Scheper auch Wiederherstellungsarbeiten und Farbgebungen in historischen Gebäuden in und bei Berlin durchführen - so wie er es zuvor schon in Zusammenarbeit mit Grote in Dessau und Umgebung getan hatte. 26 1938 waren im Festsaal des Reichsforstamtes Fresken und Deckenbemalungen aus der Schinkelzeit wiederherzustellen und die Farben in dem zum Wohnsitz des Generalforstmeisters umgebauten Schloß Sakrow anzugeben. Als man 1941 im Prinz-Albrecht-Palais die verschandelnden Ein- und Umbauten rückgängig machte, die zuvor beim Einzug der Zentrale des Sicherheitsdienstes vorgenommen worden waren, konnte Scheper die Räume in Annähe150 RenaLe Scheper
rung an Schinkelsche Farbvorstellungen gestalten und die Bemalungen ergänzen. Gegen Ende seiner freiberuflichen Tätigkeit, die im November 1942 durch die Einberufung zum Militär27 abgebrochen wurde, arbeitete Scheper im Auftrag des Herzogs Georg von Sachsen-Meiningen in der alten Burgkapelle der Veste Heldburg in Thüringen an einer Bemalung aus dem 15. Jahrhundert, die in einem Text von 1903 schon als »vielfach beschädigt bezeichnet wurde. 28 Nach intensivem Aktenund Kunstgeschichtsstudium und unter Hinzuziehung von Fachleuten ergänzte Scheper große Teile der Malerei (Abb. 8). Die bei den Restaurierungsarbeiten und Farbgebungen in und an historischen Bauten
gewonnenen Erfahrungen waren Scheper bei seiner späteren Tätigkeit als Denkmalpfleger von Berlin von großem Nutzen. Gleich nach Kriegsende wurde er von Baustadtrat Hans Scharoun mit der Bergung, Sicherung und Pflege kriegszerstörter Kunstgegenstände und Bauten beauftragt und Ende 1945 gleich auch als Leiter des Amtes für Denkmalpflege eingesetzt. Nach der Teilung der Stadt im Jahre 1949
beschränkte sich seine Tätigkeit auf den westlichen Bereich Berlins. 1957 wurde Scheper ganz plötzlich aus seinem arbeitsreichen Leben gerissen. So fehlen aus größerem zeitlichen Abstand gemachte eigene Äußerungen zu dem hier behandelten Lebensabschnitt und zu dem nicht unheiklen Aspekt der Tätigkeit für offizielle Auftraggeber in der Zeit des Nationalsozialismus.
ANMERKUNGEN
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Vom Magistrat der Stadt Dessau von seinen Lehrver· pflichtungen am Bauhaus beurlaubt, wurde Scheper zum Aufbau ei ner zentralen Beratungsstelle für Farbe in der Archi tektur nach Moskau berufen 17/1929-9/193 1). Scheper sollte an den Folkwangschulen als Nachfolger von Kar! Rupflin Leiter der Dekorationsmalereiklasse werden, doch lehnte Direktor Alfred Fischer es ab, diese Stel le nur mit eine r halben Kraft zu besetzen. Die am Bauhaus entstandenen Photos zeichnen sich häufig durch besondere Merkmale aus, wie ungewöhn · liehe Bildausschnitte, extreme Draufsichten oder un° gewohnte Verzerrungen durch eine steil nach oben ge· richtete oder verkantete Kamera, sta rke Licht·Schat· ten-Wirkungen und Verfremdung des Abgebildeten durch darauffallende Schattenmuster, Mehrfachbelichtungen, bewußte Bewegungsunschärfen usw. Lou Scheper, geb. Berkenkamp, war Maleri n und schri eb für verschiedene Zeitschriften; sie studi erte von 1920-22 am Bau haus, heiratete 1922 Hinnerk Scheper und gehörte in Dessau der Bühnenabteilung an. Scheper arbeitete vor allem mit der .Degephot., bis zum November 1932 ·Dephot. genannt, der Agentur ·Kind. und der .Atlaphot. zusammen. 13.3. 1933 Einrichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda; 22.9. 1933 Reichskulturkammergesetz; 4. 10. 1933 Sch riftl eitergesetz Farbe als Orientierungsmittel benutzte Scheper auch im Dessauer Bauhaus-Gebäude 11926), im Regierungsgebä ude in Schneidemühlll928), im Palais Hilda in Dessau 11929) und bei m Narkomfin -Gebäude in Moskau 11929/30). Hörsaa l der Universitätsklinjk Ber!in, Farbgestaltung 1936; Wettbewerbsbeitrag von Friedrich Hetzclt für die Hochschul e, FarbgestaItung des Modells und Entwurf eines 30 m hohen Freskos im großen Festsaal 1939 Fliegerhorst Cottbus, Farbangaben 1934; Lager Döberitz, Farbangaben Offizierswohnhäuser 1934; Luftfahrt· ministerium, Farbangaben Zwischenbau 1935; Heeresnachrichtenschule in Halle, Leitung der Ausmalung und Wandmal ere i 1935/36; Finanzministerium, Farbangaben 1935/36; Ministe rium des inneren, Farbproben
1936/37; Jagdhaus in Neu-G lobsow, Entwurf Wandmalerei 1937/ Ausmalung und Fassadenmalerei 1939; Jagdhaus Karinhall in der Schorfheide, Ausmalung und Wandmalerei 1937/ Ausmalung 2. BA. 1939/ 40; Jagd· haus in Speck, Ofenentwurf 1937; Kaserne in Burg, Wandbildentwürfe 19371 Tafelbilder 1938; Reichsforstamt u. Preuß. Landesforstamt, Farbangaben und Re· staurierung der Fresken 1938; Schloß Sakrow, Ausma· lung 1938; Reichsautobahn -Verwaltungsgebäude, Farb· angaben und Wandbildentwurf 1938; Jagdhaus in Rominten, Farbangaben 1940; Prinz-Albrecht-Palais, Farbangaben und Restaurierung der Fresken 1941; italieni sche Botschaft, Ausma lung und Entwürfe für verschie· dene Ausstattungsstücke 1941 /42. Außer den oben, in den Anmerkungen INr. 8, Nr. 15, Nr. 17, Nr. 22, Nr. 23) und im Text erwähnten Wandge· staltungen war Scheper an folgenden Projekten betei ligt: Deutsche Bank, Farbangaben 1934; Sied lungshäu· ser in Dahlem, Farbangaben 1934; Gemeindehaus Ha · selhorst, Farbangaben 1934; Oberrealschule in Strauß· berg, Farbangaben 1934; .Neuform ., Wandmalerei 1935; Mercedes-Ausstellungsraum, Farbangaben 1936; Ver· waltungsgebäude der Feuersozietät, Farbangaben 1937/381 Wandmalerei 1938; Siedlungshaus in Nikolas· see, Wandmalerei am Giebel 1939; Munitionsfabrik in Neuruppin, Wandmalerei 1940/41; Preußenhaus, Farb· gestaltung 1940; Kaserne in Dahme/Mark, Ausmalung Aufenthaltsraum 1942: Ernst-Moritz-Arndt-Kirche, Farbangaben und Wandmalerei 1942; Farbangaben in verschiedenen Einfamilienhäusern in und um Ber!in. ISofern keine abweichenden Angaben gemacht wurden, befanden sich die Bauten in Berlin. Von den erwähnten Arbeiten gibt es nur in einzelnen Fällen Photos oder Entwürfe. Die Angaben sind einer 1943 von Scheper aufgestellten Liste entnommen und wurden nach Auswertung von Briefen und anderer schriftlicher Unterlagen ergänzt.) 10 Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, ·RdEr!. d. Pr. FM. vom 6. 10. 1934, berr. Aufträge an bildende Künstler und Kunsthandwerker bei Bau aufgaben der Staatshochbauverwaltung - VII Nr. 131 1
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Ao. 1-9·, in: Zenlralblatt der Bauverwalwng, Berlin 1934, Nr. 4, Jg.54, S.685 RdErl. des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda vom 27.4.1935, erwähnt in : o. V., ,Die Ausschmückung von Bauten durch Werke der Malerei., in: Zenlralblall der Bauverwaltung, Berlin 1935, Nr.44, Jg.55, S.872-875 H. (und) L. Scheper (,Ma ljarstroj<), 'Architektura i zvet· (Architektur und Farbe), in: MaI;amoe delo, Moskau 1930, Nr. 1-2, S. 12-15 Franz Meunier, ·ll. Die Architektur als Mutter der Künste., in: Bauweil, Berlin 1934, Nr. 6, Jg.25, S.4-8 Scheper malte 1928 im Regierungsgebäude von Schneidemühl eine die Zerstückelung der Grenzmark darstellende Landkarte. Anhalter BhI., Farbangaben und Wandmalerei im Wartesaal 1934; Stettiner BhI., Farbproben 1934; Görlitzer Bhf., Farbproben 1934; Lehrter Bhf., Farbangaben und Wandmalerei im Erfrischungsraum 1934; Bhf. Bomholmer Straße, Wandmalerei in der Halle 1935; Bhf. Zoologischer Garten, Farbangaben 1936/38; Potsdamer Bhf., Farbangaben und Wandmalerei 1936; Bhf. Friedrichstraße, Farbproben 1936/ Wandmalerei 1938; Anhalter Bhf., Farbproben im Wartesaal 1936; S-Bhf. Potsdam, Wandmalerei 1936/ Wandbildentwurf 1938 Kurt Köster, ·Soldaten, Schloßpläne und Adler., in: POlsdamer Beobachter vom 29. 12. 1936 Nienburg/Weser, Wandmalerei 1934; Sehnde bei Hannover, Wandmalerei 1934 Weitere Arbeiten für die Kali -Chemie: Verwaltungsgebäude in Berlin, Farbangaben einschließlich Fassade
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1934; Stand auf der Reichsnährstands-Ausstellung in Erfurt 1934; Stand auf der Ausstellung in Breslau 1935; Stand auf der Reichsnährstands-Ausstellung in Ham burg 1935; TaIel auf der Bauweltausstellung 1936 ',Schönheit der Arbeit' . Weihe eines vorbildlichen WerkgemeinschaItshauses·, in: Hannoversches Tageblall vom 21. I. 1935 Ebda. Wilhelm Lotz, ,Kunst im Betrieb., in : Schönheit der Arbeit. Berlin 1939, Nr. 2, Jg.4, S.50-59 Brief Hinnerk Scheper an Lou Scheper vom 11. 11. 1938 Wintergarten Ziese in Berlin-Wannsee 1936; Frühstücksraum Hellerich (1) in Berlin 1938; Gartenhaus Dir. Voigt in Potsdam 1939 Haus Degenhard in Gelsenkirchen 1935; Haus von der Goltz in Berlin-Wannsee 1936; Haus Thosl in Ham burg 1936 Petrusbrunnen in Trier 1938; Figuren am chinesischen Pavillon in Potsdam; Zeughausfiguren 1938/ Figuren auf dem Dach 1939; Figuren im Park von Herrenhau sen 1939 Kleistkolonnaden, Sandstcinwappen Zitadelle, Wachhäuser Charlottenburger Schloß Palais Reina, Farbangaben einschließlich Fassade 1927; Schloß Oranienbaum, Farbangaben 1927; Palais Hilda, Farbangaben einschließlich Fassade 1929; Altes Theater, Fassade 1930 Ab Oktober 1943 war Scheper in Berlin beim Generalinspektor für Wasser und EnergJe dienstverpflichtet . Eugen Fritze, ·Die Veste Heldburg., in: Bau- und Kunsldenkmäler Thüringens, Jcna 1903, S. 13
WINFRIED NERDINGER
Bauhaus-Architekten im >Dritten Reich<
.. Es kann doch niemand bezweifeln, daß die neue Bau· methode als solche gar n;cht nach dem Menschen oder einem menschlichen Ziel fragt. Sing Sing wird genauso modern gebaut wie eine neue Markthalle, ein Warenhaus genauso schick wie eine neue Siedlung, und wenn etwa große neue Kasernen für ein neues Milüär einmal notwen · dlg werden sollten - oder vielleicht sogar neue Riesenfabriken für Gaskri egsbomben, so werden sie wahrschein· lich genauso modern gebaut ... Adolf Behne, 1930 1
Um Material für eine Bauhaus-Publikation zu erhalten, schrieb Walter Gropius 1935 aus England zahlreiche alte Bauhäusler in Deutschland an und bat sie um Zusendung von Arbeiten der letzten Jahre. Von den wenigen Antworten, die er erhielt, ist die von Ernst Göhl sicher am treffendsten: "Ich will ehrlich sein. - AIs ich Ihr Schreiben bekam, mußte ich unwillkürlich an einen Märchenprinzen und einen stillen Märchengarten aus alter vergangen er Zeit denken. - Wir leben im Jahre 1935, es hat sich einiges geändert, wir (ich spreche von den mir bekannten BauhäuslernJ stehen mitten im Existenzkampf und haben höchstens ein Restchen alter Ideale in ganz, ganz persönliche Gebiete retten können ... aber nie werden Sie erfahren, was die Bauhäusler in Prag, Paris, Berlin wirklich tun und das gerade wäre interessant zu wissen, vielleicht aber nicht schön anzuhören ... ,,2 Göhl sprach damit für die große Gruppe der Bauhaus-Renegaten, deren angepaßte Arbeiten heute zu Recht vergessen sind. Ob, wie und um welchen Preis einige Bauhäusler versuchten, Reste der alten Ideale zu erhalten, ist Thema dieser Publikation. Über das politische Verhalten der Bauhäusler im Nationalsozialismus
wußten allerdings nicht nur die ehemaligen Studienkollegen untereinander relativ gut Bescheid - 1940 schrieb zum Beispiel A. Arndt an W. J. Heß; " ... mit Scheper telefoniert, der immer noch bei Hermann Göring in Karin Hall ausmalt. Feiner Posten, was? Soviel Glück haben wir da nicht erwischt. « 3 -, sondern sie berichteten darüber auch ins Ausland. So schrieb Ivo Pannagi 1934 empört an Gropius über Mies van der Rohes Unterschrift zum ,Aufruf der Kulturschaffenden·4 , Martin Wagner teilte ihm mit, daß er und Häring deshalb eine Einladung von Mies abgelehnt hatten S, und K6sa Zoltan meldete Gropius 1939 "Verräter,,6 in den eigenen Reihen wie Farkas Molnar. Auch Waldemar Alder gab in einem Brief vom 16. Juni 1947 an seinen alten Lehrer Hannes Meyer einen detaillierten Bericht. Er nannte die »offenen und getarnten Nazis·.? am Berliner Bauhaus 1933, die Gruppe "Heide, Chors, Rohbra, Lindner etc." und empörte sich, daß letzterer gerade zum Professor an der neueröffneten Weimarer Architekturschule ernannt worden war. 8 Alder zählte weitere Verstrickungen auf, wie Parteimitgliedschaften oder Hubert Hoffmanns "Tätigkeit bei der sS", weshalb dieser auch soeben in Dessau wieder entlassen worden sei. Auf die Frage Hannes Meyers nach dem Schicksal der Heimkehrer aus Rußland schrieb AIder: »Meines Wissens ist allen 1936 nichts passiert. Im Gegenteil ist ein großer Prozentsatz von ihnen ... bei den Reichswerken Hermann Göring eingestellt worden." Damit hatte Alder sicher Recht, denn die Heimkehrer der Brigaden Meyer und May sowie andere Rußland-Helfer wie Hassenpflug, Püschel, Sander, Hebebrand, Kratz oder 153
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Wolters erhielten Aufträge und Positionen im Nazi-Deutschland, und insbesondere Herbert Rimpls riesiges und weitverzweigtes Baubüro, das die Reichswerke Hermann Göring architektonisch betreute, wurde zum großen Sammelbecken von Bauhäuslern oder modernistischen Architekten. Seine Übersicht veranlaßte Alder zu einem resignativen Fazit: »Hier wird ein Kult entwickelt, als wären die Bauhäusler eine besondere Sorte Menschen ... Dem ist nicht so. Ich konnte gerade in den 12 Jahren feststellen, daß sich unsere werten Kollegen recht wohl im 3. Reich gefühlt haben, und wenn irgendwo ein Funke von Opposition da war, so bestand er eben nur darin, daß man diese formale Richtung als Kulturbolschewismus abtat. Wäre an Stelle von Hitler Mussolini arn Ruder gewesen, so wäre alles wunderbar in Ordnung gewesen ... Gegenüber dieser subjektiven Wertung von Al der, für die zwar vieles spricht, muß doch ergänzt werden, daß sich einige ArchitektenBauhäusler allen Verstrickungen mit dem NSSystem dadurch entzogen, daß sie sich auf unproblematische Positionen - soweit es das innerhalb eines derartigen Systems gab wie Bauführung, Filmarchitektur, Statik oder 154 Winfried Nerdinger
Tiefbau (Keler, Selmanagic u . a.j9 zurückzogen. Eine historisch gerechte Einschätzung der Lebenswege und Karrieren der Bauhäusler während der NS-Zeit müßte sicher jeden einzelnen Fall individuell untersuchen, wobei noch viele Biographien genauer zu recherchieren, die weißen Stellen der Lebensläufe auszufüllen und insbesondere die Selbststilisierungen und der Bauhaus-Kult der Nachkriegszeit zu durchleuchten wären. IO Der folgende Überblick kann keinem persönlichen Schicksal gerecht werden, sondern will nur die Spannweite der Lebenswege und die Möglichkeiten der modernen Architektur innerhalb des Ns-Systems aufzeigen. Bereits die Haltung des Bauhaus-Gründers Walter Gropius zeigt eine charakteristische Ambivalenz. Einerseits stimmte Gropius mit Martin Wagner und Wilhelm Wagenfcld gegen die Gleichschaltung des Deutschen Werkbundes 11 und verteidigte in Briefen an den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Eugen Hönig, und an den Werkbund- und BOA-Vorsitzenden, Carl Christoph Lörcher, das modeme Bauen 12, andererseits sind gerade diese Briefe ein Dokument für Gropius ' Hoffnung auf eine Etablierung der Modeme als
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2 WalLer Gropius mit Rudolt Hillebrecht. Wettbewerb >Haus der Arbeit<, 1934 (Detail)
3 Gustav Hassenpflug, Wettbewerb >Haus der Arbeit<. 1934
Bauhaus-Architekten 155
4-6 Mies van der Rohe, Deutsch er Pa villon ,
Weltau ss tellung Brüssel, 1935
.deutsche· Kunst nach dem italienischen Vorbild, eine Hoffnung, die er mit Häring, Mächler, Mies oder Elsässer teilte. 13 Architektonischer Ausdruck dieser Auffassung ist der zusammen mit Rudolf Hillebrecht 1934 verfaßte Beitrag zum Wettbewerb ·Häuser der Arbeit., der modeme Architektur für einen explizit nationalsozialistischen Inhalt einsetzt und penetrant mit Hakenkreuzfahnen (Abb. 2) illustriert. 14 Neben zahlreichen anderen Exponenten der modemen Architektur nahmen im übrigen auch die beiden Bauhäusler Gustav Hassenpflug (Abb.3) und Ernst Hegel (Abb.1 an diesem Wettbewerb teil. 15 Ähnlich wie Gropius setzten auch sie mit ihren Beiträgen erfolglos auf das italienische Modell. Gropius' Engagement ging allerdings noch weiter. Zusammen mit den Bauhäuslern Joost Schmidt und Walter Funkat gestaltete er 1934 die Abteilung Nichteisen-Metalle auf der Ausstellung ·Deutsches Volk - Deutsche Arbeit·. 16 An dieser NS-Propagandaschau für .. deutsche Rasse .. und .. deutsche Arbeit .. wirkten im übrigen etwa ein Dutzend Bauhäusler oder Mitarbeiter von Bauhäuslern mit, die insgesamt sechs Abteilungen, die große Ehrenhalle und meherere Schauräume einrichteten. Des weiteren übersandte Gropius am 2.2. 1934 ein zusammen mit Martin Wagner verfaßtes Expose über die Industrialisierung Ostpreußens an
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156 Winfri ed Nerdinger
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Hans Weidemann, den Referenten von Goebbels im Propagandaministerium. In einer detaillierten Analyse trugen sie Vorschläge vor, wie die »brachliegenden Kräfte auf dem Gebiete des Städtebaus" 17 eingesetzt werden könnten, d. h. sie versuchten, einen offiziellen Planungsauftrag zu erhalten. Die schlechte Auftrags- und Finanzlage teilte Gropius mit nahezu allen Architekten in diesen Jahren, er war jedoch eingetragenes Mitglied der Reichskulturkammer und unterlag keinen besonderen Restriktionen wie earl Fieger l8 oder gar einem Berufsverbot wie Ferdinand Kramer l9 . Im Gegenteil, als Gropius bei Hönig gegen Verleumdungen seiner Person Hilfe anforderte, schrieb ihm dieser zurück, er schätze ihn als »deutschempfindenden,, 20 Menschen, und er solle sich ruhig selbst verteidigen, »wobei ja immer als Beweis Ihrer Wertung die Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste angegeben werden kann". Seine Übersiedlung nach England im Herbst 1934 war in erster Linie finanziell begründet, im übrigen reiste er 1935/36 mehrfach wieder
nach Deutschland; von Flucht oder Asyl kann schon deshalb nicht die Rede sein. Bis 1939 hoffte Gropius ganz offensichtlich auf eine Rückkehr nach Deutschland und bemühte sich deshalb intensiv darum, jede politische Komplikation von seiner Person fernzuhalten. Sein Freund Alexander Dorner schrieb ihm deshalb 1941: »Auch Du wolltest zuerst die Nazis mit ihren eigenen Waffen schlagen und dann hast auch Du versucht, zu retten, was zu retten war.,,21 Jährlich schickte Gropius seine (frisierten) Abrechnungen ans deutsche Finanzamt, wichtige Briefe unterzeichnete er »mit deutschem Gruß", von Hönig erbat er sogar 1936 eine Bestätigung, daß seine Tätigkeit in London »im deutschen Interesse" sei 22, und mehrfach betonte er gegenüber der englischen Presse, er sei weiter »german citizen,, 23. Um seinen Berliner Hausrat in die USA bringen zu dürfen, organisierte er über Theodor Heuss und Ernst Jäckh ein Abkommen mit dem Goebbels-Ministerium: Die deutsche Presse könne doch den Erfolg berichten, daß »dieser kulturelle LehrBauhaus·Architekten 157
7 Mies van der Rohe mit Erich Holthoff, Verseidag-Werke in Kmjeld, 1934/35
stuhl von einem Deutschen besetzt wird., 24, und an Hönig schrieb er dazu: »Wie bisher werde ich mich auch in Zukunft loyal verhalten und sehe meine Mission in Harvard als die, der deu tschen Kultur zu dienen an." 25 Als dann nach seiner Professur in Harvard 1938 von ihm eine Reichsfluchtsteuer verlangt wurde, schrieb er empört an den Staatssekretär Frank, er »empfinde es als beschämend, unbegründet als Überläufer behandelt zu werden." denn er sei weiter »loyaler deutscher Staatsbürger., 26. Im übrigen hielt er sich ostentativ von allen
8 Ludwig Hilb erseim er, Haus am Rupenh om,
Berlin, 1935
158 Win fried Neulinger
deutschen Emigranten und deren Bestrebungen bis zum Kriegsausbruch fern. Mit Ausnahme einer Unterschrift für den Kongreß ,Das freie Wort,2? im Februar 1933 lehnte er jede politische Stellungnahme ab und verweigerte sogar noch 1938 in den USA eine Nennung seines Namens für die ,American Guild for German Cultural Freedom,28. Umgekehrt traf sich Gropius jedoch in London mit Hönig, und der SA -Mann Lörcher kam zum Essen zu ihm nach Hause, denn mit beiden verstand er sich nach Aussage seiner Frau »sehr gut., 29. Noch 1936 traf er sich in London auch mit seinem ehemaligen Mitarbeiter Ernst Neufert, äußerte sich anschließend begeistert über die Weiterentwicklung seiner eigenen Ideen in dessen Bauentwurfslehre und besprach das Buch wohlwollend. 3D Erst nach 1945 sah Gropius in Neufert jenen »Nazi-Geist.,31, der den Neuaufbau in Deutschland verhindere, während dieser Wiederaufbau doch dann gerade in den Schienen von Neuferts Bauentwurfslehre verlief. Gropius stellte zwar für sich ein Dossier, ,Eigener Kampf mit den Nazis,32, zusammen, aber diese Briefsammlung ist nicht nur lückenhaft, sondern verdeckt seine ambivalente Haltung. Der internationale Glanz der Nachkriegszeit für den ,Mister
9 Ludwig Hilberseimer, Wettbewerb Universität Berlin (an der Heerstraße), 1937
10 Ludwig HiJberseimer, Wohn - und Büroanlage Berlin, Kantstraße, 1937/38
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Bauhaus-Architekten 159
11 Rudolj Ortner, Schnilzerschule Empjerlshausen, 1938
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12 Hermann Runzel, Krematorium Osnabrück, 1935/36
160 Winfried Nerdinger
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13 Hans Volger, Verwaltungsforum üldenbl1rg, 1938
Bauhaus, verklärte schließlich vollends diese Phase seines Lebens. Weiterhin ist es zumindest erstaunlich, wie viele leitende Mitarbeiter aus dem Büro Gropius zu den Nazis überliefen. Neben Neufert, Speers Beauftragter für Normungsfragen, wurde Hanns Dustmann33 Reichsarchitekt der Hitlerjugend, Otto Meyer-Ottens34 Oberbauleiter von Rimpl und Walter Tralau 35 Geschäftsführer für Städtebau im Salzgittergebiet und Leiter der Abteilung Wohnungsbau der Reichswerke Hermann GÖring. Die direkte Herkunft aus dem Büro des Bauhaus-Gründers verursachte offensichtlich keine beruflichen Probleme in der N5-Zeit. Auch die Mitarbeiter aus dem Büro des letzten Bauhaus-Direktors Mies van der Rohe erhielten N5-Aufträge und z. T. über Parteimitgliedschaft entsprechende Positionen. So gestalteten für die Ausstellung ,Deutsches Volk-
Deutsche Arbeit, Sergius Ruegenberg und Ernst Walther 1934 die große Ehrenhalle und mehrere Schauräume, Eduard Ludwig36 den Stand der Holzindustrie und Giesenschlag37 die Metallwarenindustrie. Giesenschlag arbeitete anschließend als Architekt und Bauleiter beim Luftwaffenministerium, und Karl Otto38 wurde Luftschutzexperte des Göring-Ministeriums. Ernst Walther3 9 kam durch persönliche Vermittlung von Mies zu Dr. Maiwald, dem Beauftragten des Reichsverbandes der deutschen Industrie, um die Industrie-Ausstellung Berlin 1933 zu gestalten. Zur weiteren Förderung der Karriere wurde Walther dann 55-Mitglied, was nicht verhinderte, daß er nach 1945 Professor an der Hochschule der Künste in Berlin wurde - schließlich verfaßte Mies großzügig ,Persilscheine, für seine alten Mitarbeiter. 4o Die Haltung des letzten Bauhaus-Direktors Mies van der Rohe zum Nationalsozialismus Bal1haus·Architekten 161
14 Gerhard Weber mit Herbert Rimpl, Süd bahn hof an der neuen N ordSüd-A chse in Bu lin , 1941/42
ist eher noch zwiespältiger als die von Gropius. Schon im Zuge der Auseinandersetzungen um die Schließung des Bauhauses wehrte er sich gegenüber Martin Mächler: " .. . daß irgendein schmieriger Lump über mich das Gerücht verbreitet, ich sei ein holländischer Jude. «41 Er wurde problemlos Mitglied der Reichskulturkammer, 1934 schloß er sich außerdem zwei weiteren NS-Organisationen 42 an und unterscruieb den berüchtigten ,Aufruf der Kulturschaffenden,. Im gleichen Jahr errichtete er die Abteilung Bergbau auf der NS-Propaganda-
schau ,Deutsches Volk - Deutsche Arbeit,. Im Juni 1934 wurde er offiziell von der Reichskulturkammer mit fünf weiteren ausgewählten Architekten zum Wettbewerb für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in BrüsseI 1935 eingeladen. 43 Hier sollte ausdrücklich die "Weltanschauung« der Nazis demonstriert werden und dementsprechend identifizierte Mies seinen mit Hakenkreuzen geschmückten Entwurf (Abb.4- 6) im Begleitschreiben mit dem "Wesen deutscher Arbeit« 44. Zwar wurde nicht er, sondern Ludwig Ruff beauftragt, aber
15 Carl Bauer mit Fritz Schreiber, Kam eradschaf tshaus der Senking-Werke bei Hann over, 1938
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162 Win fried Nerdinger
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als Kompensation erhielten Mies und seine Lebensgefährtin Lilly Reich sofort die Gestaltung der Abteilung der Chemie- und der Textilindustrie zugesprochen. 4s Zur Ausführung kam davon allerdings nichts, denn Deutschland zog sich Endc 1934 von der Ausstellung zurück. Noch 1937 konnte er aber mit Lilly Reich die Abteilung der deutschen Textilindustrie gestalten, die in Speers Pavillon auf der Pariser Weltausstellung gezeigt wurde. 46 Innerhalb weniger Jahre hatte Mies somit ein Denkmal für die Kommunisten, den Pavil-
roun, Sep Ruf oder Egon Eiermann - keinen Komprorniß ein. Finanzielle Gründe dürften kaum für diese Haltung von Bedeutung gewesen sein. Schon für seinen prämierten Beitrag zum Reichsbankwettbewerb, den Sibyl Moholy-Nagy unsinnigerweise als »deadly fascist design« 48 bezeichnete, erhielt er 5000 RM, für die Brüsselplanung nochmals 5500 RM, dazu kamen die genannten Ausstellungsabteilungen, Tankstellen, Fabrikgebäude für die Verseidag in Krefeld (Abb. 7), Privatplanungen und Tantiemen.49 Als
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16 Garl Bauer, Hann oversch e Kupferschmiederei, 1940/42
Ion der Weimarer Republik in Barcelona und einen Propaganda bau der Nazis entworfen. Wenn ihn Richard Pommer deshalb den nTalleyrand der Architektur·.47 nennt, dann ist das jedoch insofern falsch, als sich Mies einerseits wohl wirklich nichts aus Parteipolitik machte und andererseits seinen künstlerischen Prinzipien bei allen Aufträgen treu blieb. Das Problematische liegt eher darin, daß für Mies die moderne Form auf jeden Inhalt übertragbar war, daß es für ihn letztlich nur um einen Formenkanon an sich ging. Zugespitzt könnte man vielleicht sagen, politisch ging er jeden, formal jedoch - im Gegensatz zu Hans Scha-
zu versteuerndes Einkommen so führte er 1936 immerhin noch 3600 RM an, außerdem hatte er zu dieser Zeit noch zwei Mitarbeiter gemeldet. Seine Übersiedlung in die USA 1938 hatte kaum politische und nur bedingt finanzielle Gründe, sondern war getragen von der Hoffnung auf Anerkennung, die ihm die Nazis versagt hatten. Im Gegensatz zu dem eher unpolitisch konservativen Mies wäre bei seinem Freund Ludwig Hilberseirner, dem langjährigen Autor der ·Sozialistischen Monatshefte., eher eine Beeinträchtigung der Arbeit und eine politische Stellungnahme zum Nazi-Deutschland zu erwarBauhaus·A rchitek ten 163
17 Gustav Hassenpflug, Haus Walter MatLhes, Bulin, 1938
18 Gustav Hassenpflug, BÜIoeinrichwng Höhne e,) Benecke, Bulin 1938
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164 Winfried Nerdinger
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19 Gus tav Hassenpflug, Ausstellungsstand auf der Rundfunkausstellung, Berlin 1938
ten. Schließlich gehörte die Entfernung von Kandinsky und Hilberseimer zu den Forderungen der Nazis für eine Wiedereröffnung des Bauhauses. 5 1 Aber auch Hilberseimer unterlag keinen Restriktionen. 1935 konnte er zwei Wohnhäuser (Abb.8) mit allen Kennzeichen des ·Neuen Bauens' in Berlin errichten 52, und 1937 nahm er am Wettbewerb für die neue Berliner Universität teil, für die er würfelartige, von Le Corbusier inspirierte Hochhausblöcke (Abb. 9) plante. Bis zu seiner Emigration in die USA im Juli 1938 war er mit mehreren großen modernen Planungen für Wohnanlagen (Abb. 10), einen Hotelkomplex und eine Gartenstadt beschäftigt. 53 Von den Bauhaus-Architekten, die in Deutschland blieben, paßte sich ein großer Teil dem offiziellen Geschmack an, einige machten sogar im Ns-System Karriere. Da manche bei Schließung des Bauhauses keinen Abschluß hatten, mußten sie an eine andere Bauschule wechseln. Erstaunlich ist allerdings dabei, daß
Mies van der Rohe persönlich dem jungen Rudoll Ortner empfahl, nicht zu Tessenow nach Berlin, sondern zu Schultze-Naumburg nach Weimar zu gehen, denn dort würde er eine gute Fachausbildung bekommen.54 Die Handschrift von Schultze-Naumburg und Norkauer zeigt sich dann auch an den Bauten, die Ortner als ·Chefarchitekt der Magdeburger Feuersocietät, bis zum Kriegsbeginn plante und ausführte (Abb. 11). Modeme Formen a la Mies kamen bei ihm, wie bei vielen anderen, erst 1945 wieder zum Vorschein. So wie das Parteimitglied Ortner in Magdeburg arbeiteten Siegfried Ebeling in Hamburg oder das NSDAP-Mitglied Helmuth Weber55 in Jena konventionell und angepaßt, ohne aufzufallen. Auch bei Hermann Bunzel 56, der immerhin Hannes Meyers ADGB-Bundesschule in Bemau als Bauleiter betreut und bis 1934 Otto Haeslers Entwurfsatelier in Celle geleitet hatte, verschwand die modeme Formensprache weitgehend (Abb. 12). Bauhaus·Architekten 165
20,2 1 Ernst Hegel, Haus Dr. Torn ow, Berlin-Luckenwalde, 1937/38
166 Win{ried Ne rdinger
Wer in die kommunale Bauverwaltung ging oder in das Architekturbüro eines offiziellen N5-Architekten eintrat, kam auch mit N5-spezifischen Bauaufgaben in Berührung und ebnete sich oftmals durch Parteimitgliedschaft die Karriere. So entwarf Hans VoIgerS 7, Baurat in Krefeld, ein neues monumentales Verwaltungsforum für Oldenburg (Abb. 13), Hans eieluszek arbeitete im Büro Hermann Alkers im Rahmen der Sonderbaubehörde am Ausbau der ,Hauptstadt der Bewegung', Fritz Koch war Mitarbeiter bei Roderich Fick beim Bau der Linzer BIÜckenkopfbauten, Partei- und 55-Mitglied Waldemar HüsingS8 plante für die Reichsbahndirektion in Augsburg und seit 1942 für den Wiederaufbau von Lübeck, Rudolf Sanders9 entwarf als Leiter des Bremer Büros von Friedrich Tamms einen Generalbebauungsplan für Schwerin und errichtete seit 1940 bei Speer zahlreiche Militärbauten sowie das Munitionsministerium am Zoo und das LuftwaffenForschungsamt Lübben, Ernst Kanow 60 plante für eine Wohnungsbaugesellschaft mehrere Großsiedlungen im Rahmen der Speersehen Neugestaltung von Berlin, Gerhard Weber61
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Emanuel Lindn er, Wohnhau s Dr. Haberecht, Berlin -Grunewald, 1936
schließlich wurde Leiter von Herbert Rimpls großem Privatbüro und entwarf das Zentralverwaltungsgebäude der Reichswerke Hermann Göring sowie den Südbahnhof (Abb. 14) an Speers großer Berliner Nord-Süd-Achse. Aber noch zahlreiche weitere Bauhäusler stiegen im NS-System zu mehr oder weniger hohen Ämtern und Würden auf. Lothar Lant 2 wurde Bauführer und Ortsverwalter der NSVolkswohlfahrt HochzoH, Hubert Hoffmann 63 Landesplaner von Litauen, Erich Brendel64 Leiter der Bauabteilung der Bauernsiedlung West-' mark-Saarbrücken sowie Bauberater für das gesamte bäuerliche Bauen in Lothringen, und earl Bauer65 erhielt die wichtige Position eines Vertrauensarchitekten der DAF für den Gau Süd-Hannover-Braunschweig. In dieser Funktion hatte Bauer bestens zu tun und errichtete zahlreiche Siedlungen, Musterhäuser und So-
zialbauten wie z. B. das Kameradschaftshaus der Senking-Werke (Abb.15) (zusammen mit dem Bauhaus-Kollegen Fritz Schreiber), das als Musterbau vom ,Amt Schönheit der Arbeit' veröffentlicht wurde. Im Krieg wechselte Bauer wie viele andere zum Industriebau und errichtete u. a. die Hannoversche Kupferschmiederei, jetzt HAKu-Werke (Abb. 16). Auch wer als Privatarchitekt in den Jahren zwischen 1933 und 1939 überleben wollte, mußte Kompromisse eingehen. Ohne Satteloder Walmdach war im Bereich Wohnungsbau praktisch keine Baugenehmigung zu erhalten. Was sich aber unter dem ,deutschen, Dach abspielte, wurde weit weniger streng gesehen. So setzen z. B. zahlreiche Siedlungen der ,Einfa,66 unterm Satteldach bruchlos die Modeme des Berliner Wohnungsbaus der Weimarer Republik fort. Bei privaten Einzelhäusern war der Bauhaus-Architek ten 167
Spielraum zur Gartenseite noch größer, und im Inneren richtete sich sowieso jeder ein, wie er wollte und konnte. Entsprechend dieser abgestuften Abschirmung findet sich im Werk von Gustav Hassenpflug67 eine ganze Serie von Innenräumen im besten Bauhaus-Stil, im übrigen nicht nur für Wohnräume wie etwa beim Haus Matthes 1938 (Abb. 17), sondern auch für Büros (Abb. 18) oder Ausstellungen (Abb. 19) wie beim Junkers-Messestand 1937 und der Junkers-Lehrschau 1938. Auch das von außen eher biedere Haus Tornow in Luckenwalde des Bauhäuslers Ernst Hegel 68 , für das er immerhin 1938 den ,Großen Staatspreis für Architektur der Akademie der bildenden Künste BerliIl' erhielt, zeigt im Inneren deutliche Anlehnungen an Mies' Tugendhat-Haus (Abb. 20,21). Derartige Beispiele für die Spaltung zwischen eher konventioneller Straßen- und modernistischer Gartenseite sind öfters bei Wohnbauten von Architekten des 'Neuen Bauens" wie Scha-
roun, Eiermann, Schwarz oder Sep Ruf, zu finden. 69 Rudolf Lodders brachte diese Haltung auf die Formel: »Der braunen Umwelt zeig' die kalte Schulter / zum Garten hin - bau' Dir ein Tuskulum.,Jo Aus der aufgezwungenen Dachform machten schließlich emige Architekten eme Tugend. Während Eiermann bravourös mit Pultund Satteldächern operiertc, erinnerten sich andere offensichtlich, daß zur Tradition der Modeme nicht nur das Flachdach von Gropius und Le Corbusier, sondern auch das Walmdach der Prairiehäuser von Frank Lloyd Wright gehörte. So finden sich mehrere Bauten von Emanuel Lmdner, Gustav Hassenpflug, Rudolf Lodders (Abb. 22-24) oder Fritz Schleifer7l , bei denen das Walmdach durch Überhöhung und weiten Dachüberstand besonders akzentuiert wird. Die darunterliegende Fassade tritt dagegen optisch etwas zurück, und durch Bündelung der Fenster kann wie bei Wright dem Ein-
23 Gustav Hassenpjlug, Hau s Walter Matth es, Berlin, 1938
168 Win fried Nerdinger
druck eines Massivbaus entgegengewirkt werden. Bei einer derartigen Betrachtung von >modernen· Details muß allerdings sofort zwei Mißverständnissen entgegengetreten werden: Einerseits bauten fast alle genannten Architekten gleichzeitig auch ganz konventionell, wenn es vom Kunden gewünscht oder verlangt wurdei so errichtete Hassenpflug parallel zum Haus Matthes das konservativ bodenständige Haus Kranz (Abb.25). Andererseits verzerrt und verstellt die mikroskopische Suche nach modernen Details den Blick auf die Wirklichkeit im NS-Baualltag. Es muß klar zwischen Spurenelementen, die der Historiker zusammensucht und dann bündelt, und der überwältigenden Masse des konservativ-reaktionären Baugeschehens - ausgenommen allerdings der Industriebau - unterschieden werden. Im Gegensatz zu den versteckten Resten von Moderne im Wohnungsbau konnten moderne
24 Rlldolf Lodders, Halls Wachholz, Hambllrg· Altona, 1934
25 Gllstav Hassenpfillg, Hall s Kranz, 1938
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26 EmantleJ Lindner, Drahtfabrik Lang, Branden burg/ Ha veJ, 1936
Architekturformen im Bereich des privaten und staatlichen Industriebaus relativ uneingeschränkt verwendet werden. Die Verknüpfung von Technik mit Industrieproduktion, Geschwindigkeit und Rüstungsfortschritt begünstigte den Einsatz technischer Materialien wie Glas, Eisen, Beton und die architektonische Darstellung technischer Werte wie Rationalisierung und Funktionalität, allerdings im Rahmen einer Ns-spezifischen Vorstellung von »Schönheit der Technik" 72. So erklärte Goebbels 1939: »Der Nationalsozialismus hat das Wunder fertiggebracht, die Technik dieses Jahrhunderts, die schon im Begriff stand, den Menschen sich vollkommen botmäßig zu machen, aufs neue zu beseelen und sie mit dem Geist nicht nur der Zweckmäßigkeit, sondern auch der ästhetischen Schönheit zu erfüllen. ,,73 Dieser Technikkult ist nun aber mit einem Denken in architektonischen Gattungen verknüpft, das noch völlig den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verhaftet war. So beschimpfte Hitler 1937 den Entwurf Adolf Abels für das neue Münchner Kunstausstellungsgebäude als »Badeanstalt" 74, »Markthalle" , »Bahnhof" oder »sächsische Zwirnfabrik", weil er nicht 170 Winfri ed Nerdinger
seinen Vorstellungen von der »angemessenen" archi tektonischen Repräsen ta tionsform für Kunst entsprach. Beim Besuch der HermannGöring-Werke in Linz erklärte Hitler zu Speer: »Sehen Sie sich diese Front von 300 Metern an. Wie schön sind diese Proportionen! Hier liegen eben andere Voraussetzungen vor als bei einem Parteiforum. Dort ist unser dorischer Stil Ausdruck der neuen Ordnung, hier dagegen ist die technische Lösung das Angemessene." 75 Der modernen Form war damit ein klarer Rahmen und die Aufgabe zugewiesen, technische Werte im Sinne der NS-Ideologie auszudrücken. Im Bereich des privaten und staatlichen Industriebaus fanden moderne Architekten deshalb ein weites Betätigungsfeld. So wie Eiermann (bei dem Herbert Hirche 1939- 45 arbeitete) für die Totalwerke 76, Lodders 77 für Borgward, Vaeth für Mannesmann oder Kremmer und Schupp für rheinische Zechen, so erstellten auch einige Bauhäusler private Industrieanlagen mit allen Kennzeichen des ·Neuen Bauens,. Genannt seien nur die Verseidag-Werke von Mies und Erich Holthoff in Krefeld 78, die Drahtfabrik Lang von Emanuel Lindner in Brandenburg (Abb.26), die Fabrikanlage von Heinrich S. Bormann in Braunschweig (Abb.27) oder die Bauten von Fritz Pfeil als Chefarchitekt der Junkers-Werke in Breslau 79 . Ernst Neufert, Hausarchitekt der Lausitzer Glaswerke (Abb. 28), führte den Titel ·Industriearchitekt, im Briefkopf und hatte in seinem Berliner Büro zehn Angestellte, darunter die Baqhäusler Kurt Debus und Gustav Hassenpflug, sowie fünf Bauführer für auswärtige Baustellen. Bo Der Bauhäusler Heinrich KöllingB' spezialisierte sich ab 1940 auf den Bau von Tierkörperverwertungsanstalten, die zur Produktion des kriegswichtigen Nitroglyzerin dienten. Seine 60 Bauvorhaben, die er mit sieben Angestellten plante und z. T. durchführte, nahmen eine »reichswichtige Stellung" mit höchster Dringlichkeitsstufe ein. Mit Kriegsbeginn wurden einige Bauhäusler wie Egon Hüttmann, Fritz Schleifer oder das Parteimitglied Hans Georg Knoblauch Bauleiter und Architekten für .Industriebauten', d. h.
27 Heinrich S. Bormann, Fabrik in Braunschweig, 1942
28 Ernst Neufert, Maschinenfabrik Hagenuk, Berlin 1940
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29 PillS PahJ, Schacht anjage, HaverJohwiese, wn 1940
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Rüstungseinrichtungen bei Luftwaffe und Wehrmacht. Ihre Tätigkeit ist heute kaum mehr zu rekonstruieren, da sie - wenn überhaupt - später nur vage Angaben dazu machten. So vermerkte z. B. Gropius' ehemaliger Mitarbeiter Wils Ebert nur: .. Planungen für Hydrierund Aluminiumwerke, Industriebau, spez. Generalbebauungspläne «82, was immerhin auf eine rege Beschäftigung schließen läßt. Das größte Sammelbecken der in Deutschland verbliebenen modernen Architekten wurde aber Herbert Rimpls Baubüro für die im Juli
1937 gegründeten ·Reichswerke Hermann Göring« .83 Mit Anwachsen des Konzerns, der 1940 über 600000 Beschäftigte zählte und die weltweit .. größte Konzentration industrieller Macht« darstellte, wuchs auch das für die Architektur verantwortliche Büro Rimpl, das Zweigstellen über das gesamte Reich anlegte und etwa 700 Mitarbeiter beschäftigte, darunter die Bauhäusler Gerd Balzer84, Heinrich S. Bormann, Wilhelm J. Heß, Hubert Hoffmann, Max Enderlein, Fritz Koch, Pius Pahl (Abb.29, 30), Walter Tralau oder Gerhard We-
30 PillS PahJ, Hütten · w erk in Linz, 1941/42
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31 Fritz Kremmer un d Martin Schupp, Fabrik anlage in Wes tfa len , um 1938
32 Fritz Kremmer un d Martin Schupp, Großkraftwerk, um 1938
ber. Auch mer waren die Bauhäusler keineswegs in untergeordneter Position >versteckt" sondern Tralau leitete immerhin die gesamte Abteilung Wohnungsbau, Bormann konnte z. B. 300 Wohnungen als Versuchsbauten mit Gasbeton in Salzgitter errichten85, und Gerhard Weber war Abteilungsleiter der Montanblock-Baustab-GmbH. Am Werkverzeichnis dieser Architekten zeigt sich, daß einige eine Vielzahl großer Industrieanlagen zwischen Narvik und der Ukraine planten und bauten. 86 Da alle Bauten den Anschein moderner Architektur erwecken und da Rimpl nicht auf Parteimitgliedschaft achtete und für seine Mitarbeiter während des Krieges viele Freistellungen erreichte, entstand sofort nach Kriegsende die Legende von der Nische oder dem Versteck der Modeme im Industriebau. Schon am 17. l. 1946 erklärte Rudolf Lodders in einem Vortrag den Industriebau als uVentil,, 87 für seine Generation, und im Januar 1947 heißt es in der ersten Nummer von >Baukunst und Werkform': »Daß eine kleine Zahl grundsatzBa uhaus -Archilekten 173
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33 Baubiiro Rimpl, Eingang der Heinkel-Flugzeugwerke Oranienburg, um 1938
treu er Architekten den Weg in die Industrie als Ausweg und Zuflucht gefunden hat, macht es dem deutschen Bauen möglich, dem Bauen der übrigen Welt mit nicht ganz leeren Händen wieder zu begegnen. u s8 Die erste Abbildung ist dementsprechend eine Stahlwerkshalle (Abb.35) von H . S. Bormann aus dem Büro Rimpl. Industrieanlagen von Eiermann und Gerhard Weber folgen. Die Denkfigur, die von
nun an unentwegt wiederholt wurde, lautet ganz einfach: Wer in der Nazi-Zeit moderne Formen verwendete, kann kein Nazi gewesen sein. Die modeme Form an sich rehabilitierte den Architekten und legitimierte ihn sofort als demokratischen Geist oder gar Widerständler. Diese Lebenslüge einer Architektengeneration ist das genaue Gegenstück jener anderen, von Gottfried Benn formulierten und von Bruno E. Wemer in ,Die Galeere" dem Schlüsselroman der ,inneren Emigration" zitierten Entlasrungslüge: »Die Armee ist die aristokratische Form der Emigration. u s9 Die Berufung auf den Industriebau ist in doppelter Hinsicht falsch und entlarvend. Zum einen handelt es sich in vielen Fällen keineswegs um funktional entwickelte Bauten im Sinne des ,Neuen Bauens,. Die Anlagen sind durch künstliche Symmetrien und Überhöhungen monumentalisiert (Abb. 31,32) und die Grundrisse gewaltsam auf Platzwirkung, bzw. direkt auf einen Appellplatz ausgerichtet. So wurde z. B. der Hof der viel zitierten HeinkelWerke in Oranienburg90 nur dadurch geschaffen, daß eine langgestreckte Toilettenanlage den Flügel direkt am Haupteingang bildete
34 Baubiiro Rimpl. Heinkel-Flugzeugwerke Oranienburg. um 1938
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35 Heinrich S. Bormann, Stah lwerksh aJ/e Sa lzgit ter, um 1940
(Abb.33, 34). Zum anderen wurde bei dieser Argumentation völlig verdrängt, daß es sich bei den moderen Industrieanlagen fast durchweg um militärische Produktionsstätten, um den Ursprungsort der technischen Massenmordmittel von Panzer und Granaten bis zum Zyklon B handelte. Die moderne Architekturform ist aber nicht per se human oder demokratisch, sondern es kommt darauf an, für wel-
che Funktion und für welches gesellschaftliche Ziel sie eingesetzt wird. 9 1 Erst die Anordnung in einem gesellschaftlichen und architektonischen Gesamtzusammenhang bestimmt die Bedeutung der jeweiligen Form. In diesem Sinne sind die modernistischen Industriebauten und ihre Architekten integrierte Bestandteile des NS-Systems. Moderne Architektur schützte nicht vor Mittäterturn. Bauhaus Architekl en 175
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Adolf Behne, in: Wohnungswirtschaft 1930 Ernst Göhl an Gropius am 23.7.1935 Brief im Bauhaus-Archiv Berlin (im folgenden Bauhaus-Archiv); s. auch den entsprechenden Brief von Hans Volger vom 20.7.1935; Ernst GöhJ (1907-1944) war hauptsächlich im Krankenhausbau tätig. Alfred Arndt an w.). Heß, Brief vom 4.4. 1940, Bauhaus-Archiv Brief vom 25.8.1934, Bauhaus-Archiv, Gropius Nachlaß 14/205 (im folgenden GN); vgl. Peter Hahn (Hrsg.), bauhaus berlin, Weingarten 1985, S. 147; zum Hintergrund und dem anschließenden Streit zwischen Rosenberg und Goebbels siehe Ralf G. Reuth, Goebbels, München/Zürich 1990, S. 321 f.; nach dem Austritt aus dem Völkerbund am 14.10.1933 hatte im übrigen der ehern. Bauhaus-Meister Lothar Schreyer zusammen mit 88 prominenten Künstlern und Dichtern ein Manifest mit dem .. Gelöbnis treuester Gefolgschaft .. für Hitler unterschrieben, siehe H.-). Eimer, Hitlers Deutsche, Gernsbach 1991, S. 116 Wagner an Gropius, Bauhaus-Archiv, GN 5/374 K6sa Zoltan an Gropius, Bauhaus-Archiv, GN 49112; siehe auch den Brief von Gropius an Albert Hadda 20.10.1946, .. nie habe ich Nachricht von Dustmann, Omo (d. i. Otto Meyer-Ottens) und Neufert erhalten. Alle drei haben, soviel ich hörte, Hakenkreuze in ihrem Herzen entdeckt, was mein Interesse an ihnen verdunkelte ... GN 42/205 Brief von Waldemar Alder an Hannes Meyer vom 16.6. 1947, dort auch die folgenden Zitate, Nachlaß Meyer im Deutschen Architektur-Museum, Frankfurt a. M. Emanuel Lindner (geb. 1905), Schüler von Mies; bekannt wurde sein Röntgeninstitut in Osnabrück 1949/50 im Stile seines Lehrers; alle Angaben zu Bauhäuslern beruhen, soweit nicht anders angegeben, auf der Sammlung von Biographien im Bauhaus-Archiv Berlin. Ich danke Magdalena Droste, die mir diese Unterlagen zugänglich machte und mir mit vielen wei teren Hinweisen und Recherchen half. Siehe die Biographien-Sammlung im Bauhaus·Archiv (Anm.8) Die zumeist von den Bauhäuslern selbst verfaßten Biographien im Bauhaus-Archiv sind Musterbeispiele von Verdrängung, oft allerdings auch schlichtweg von Lügen, wenn sie mit den Akten im Berliner Document Center (im folgenden ßOc) gegengelesen werden. Bei Gustav Hassenpfl ug heißt es, um nur ein beliebiges Beispiel zu nennen: .. 1934-45: freier Architekt und industrial designer in Berlin und in der Schweiz ... Eine geradezu groteske Selbstdarstellung liefert Hubert Hoffmann, ·Die Freitagsgruppe< (masch. schriftl. Exemplar im Bauhaus-Archiv) Vgl. Die Zwanziger lahre des Deutschen Werkbunds, Gießen 1982, S.282 Brief an Hönig 27.3. 1934, GN 13177- 80, an Lörcher 20.2. 1934, GN 13/58-62, vgl. Wal ter Scheiffele, ·Das neue Bauen unter dem Faschismus', in: Kunst Hochschule Faschismus, Berlin 1984, S.226- 244
176 Winfried Nerdinger
13 Zur Diskussion um eine .. Nationalisierung der modernen Kunst .. , die weitgehend in der von Wilhelm Pinder in der Zeitschrift ·Die Kunst der Nation< vorgegebenen Argumentation verlief, s. Winfried Nerdinger,
29 Ise Gropius an Xanti ISchawinski) o. D. im BauhausArchiv: .. Die beiden, auf die es ankommt, werden nichts gegen Walter haben ... 30 Walter Gropius, ·Data for Design., in: Architectural Review 1936, Nr.479, S.I72H.; s.a. den Brief Neuferts an Gropius 1936, GN 71132 3 1 Gropius, .. a mechamstic and technocratic attitude, derived from Nazi mentality .. , GN 5311 58; nach Einspruch von Hill ebrccht nimmt Gropius sei ne Bemerkungen gegen Neufert in dem Bericht an L. D. Clay zurück, GN 451153 f. 32 Dossier mit handschriftlichem Titel von Gropius im Bauhaus-Archiv GN 1311 H. 33 Vgl. Hanns Dustmann, ·Vom Bauen der Hitlerjugend., in: Der deutsche Baum eister, München 1939, Heft 1 34 Zur Auseinandersetzung um die Berufung von MeyerOtten zum Hamburger Oberbaudirektor 1948 s. die Briefe zwischen G ropius und Hillebrecht, GN 441196 und 45/299 35 Walter Tralau 11904-1975), 1946 Baudirektor und 1962 Oberbaudirektor in Köln, Biograpille Bauhaus-Archiv 36 Eduard Ludwig 11906- 1960), Neue Deutsche Biographie Bd. 15, 1987, S. 425 f. 37 Siegfried Giesenschlag, BOG RKK 38 Zu Karl Otto vgl. Johann F. Geist und Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1945-1989, München 1989, S. 109 Ifrdl. Hinweis Chr. WolsdorH) 39 Brief von Walther an Mies vom 10.6. 1947, Mies Col lection, Library of Congress, Washington, Box 60 file Wal ther, dort groteske Erklärung zum Eintritt in die ss 40 Mies CoHecti on IAnm.39) Box 60 file Walther 41 I1se Balg IHrsg.), MarLin Mächler, Weltstadt Berlin Berlin 11987), S.368 42 Reichsluftschutzbund und Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Mies Collection IAnm.39), Private R und N 43 Brief von Hönig mit der Einladung vom 8.6. 1934, s. Pommer IAnm.47), Anm . 183 44 Vgl. Arthur DrexJer IHrsg.), An Illustrated Catalogue of the Mies van der Rohe Drawings in The Museum of Modem Art, Bd. 1, New York/ London 1986, S.84 45 Vgl . Pommer IAnm. 47), Anm . 198 46 Vgl. Sonja Günther, Lilly Reich 1885-1947, Stuttgart 1988, S. 58 f. 47 Richard Pommer, .Mies van der Rohe and the Political Ideology of the Modern Movem ent· , in : Franz Schulze IHrsg.), Mies van der Rohe, Critical Essays, New York 1989, S. 97- 145, Z itat S.97. Pommers Beitrag ist zwar sorgfältig recherchiert lim Gegensatz zu dem unbrauchbaren Sensationsprodukt von Elaine S. Hochman, Arcmtects of Fortune. Mies van der Rohe and the Third Reich, New York 1989), aber leider finden sich in seinem Aufsatz einige gravierende Fehler, die an seiner Fähigkeit, deutsche Texte zu verstehen, zweifeln lassen. 48 Sibyl Moholy-Nagy, in: !oumal of the Society of Architectural Historians 1965, S. 24 f. , 80 H. 49 Vgl. die Zusammenstellung der Arbei ten und Planungen bei DrexJer IAnm . 44); zu den Tankstellen von
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Mies s. den Brief von Carl Bauer an das Bauhaus vom 5.9. 1978 BOG RKK Mies, Erklärung zur Bei tragsfestsetzung der Reichskulturkammer. Vgl. Hans Thiemann an P. M. NaeH, 10.2. 1937 : .. Was eigentlich mit und um Mies los ist, weiß ich nicht ; es gibt sogar Leute, di e behaupten, es ginge ihm sehr dreckig; - aber bei diesem Auftrag?! lund warum nimmt er dann nicht e1l1e USA-Berufung an!?!)lvieHeicht ist er .deutscher· als seine Gegner es wahr haben woll en ... ).. , Karte im Bauhaus-Archiv Vgl. Hahn IAnm.4), S.143 Vgl. Richard Pommer, David Spaeth, Kevin Harrington, In the Shadow of Mies: LudWlg Hilberseimer, Architect, Educator, and Urban Planner, Chicago 1988, S.122-1 27 Vgl. das Werkverzeichnis von Christine Mengin, in : ,Ludwig Hilberseimer., Rassegna Nr. 27, S. 1986 Rudolf Ortner zum vf. OktOber 1991; Parteimitglied 1940 vgl. BOG Parteikorrespondenz lim folgenden PK und Biographie im Bauhaus-Archiv; zum Wettbewerbserfolg bei zwei Schulbauten s. Eisenacher Zeitung vom 5.9. 1936 mit Abbn . Helmuth Weber 11911-1977), Partei mitglied 1.5.1933, BOG PK; detaillierte Anga ben zu Webers Arbeit 111 Jena verdanke ich Anka Zinserling, die bei Webers Tochter und im Stadtarchiv Jena recherchierte. Hermann BunzeI11901- 1985 ), Biographie Bauhaus-Archiv Hans Volger 11904-1973), Biographie BauhaUS-Archiv; zu seiner Nazi -Tätigkeit siehe den Brief von Gropius GN 421501 Waldemar Hüsing 11909- 1979), Partei mitglied 1937, Waffen SS 1939, vgl. BOG PK; nach frdl. Auskunft von F. Fischer/ Hamburg ist Hüsing beim Wiederaufbau von Lübeck kaum hervorgetreten. Rudolf Sander 11902,--1967), Biographie im Bauhaus-Archiv. Arbeiten u. a. Rasthof Herrnsdorf, Hotel in Thorn Ernst Kanow Igeb. 1906), Manuskript .Bauhaus-Erinnerungen· im Bauhaus-Archiv, Vgl. BOG RKK Gerhard Weber 11909-1987), detaillterte Angaben zu Leben und Werk im Personalakt der TU München, wo Weber 1955- 1975 lehrte Lothar Lang 11907-1974), Partei mitglted vgl. BOG PK Hubert Hoffmann Igeb. 1904); Biographie Bauhaus-Archiv und BOG RKK Zu Erich BrendeII1 898- 1987) vgl. Biographi e BauhausArchiv und Ulrich Höhns, .Wiederaufbau in der Westmark., in: Jean -Louis Cohen und Hartmut Frank IHrsg.), Deutsch-französische Beziehungen 1940-1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt, Forschungsprojekt 1986- 1989 der VolkswagenStiftung Bd. ill, S.59 Carl Bauer Igeb. 1909), Biographie Bauhaus-Archiv ; Carl Bauer, .Aus der niedersächischen Baupflege., in : Heimatpflege - Heimatgestaltung 1939, Nr. 7, S. 83f.; ·Carl Bauer 75, Ein Leben für Gestaltung, Architektur, Sport·, 8. Mai 1984 IPrivatdruck); Liste der Vertrauensarchitekten in AnatOl von Hübbenet, Das Taschenbuch Schönheit der Arbeit, Berlin 1938, S.263-266
Bauhaus-Architekten 177
66 Die .Einfa·, d. h. Berliner Gesellschaft zur Förderung des Einfamilienhauses Gemeinm. G.m .b.H., war Nachfolgerin der .Gehag.. In ihrer Zeitschrift GroßSiedlung Ifrdl. Hinweis Chr. Wolsdorff) finden sich zahllose Beispiele modernen Bauens unterm Satteldach, und auch alte Siedlungen wie z. B. Tauts Britz wurden dort problemlos propagandistisch vorgeführt. 67 Vgl. Christian Grohn, Gustav Hassenpflug, Düsseldorf 1985, S.41-52; zu den Junkers-Arbeiten frdl. Auskunft von H. Erfurth, Museum für Stadtgeschichte Dessau, 27.9.1991 68 Zu Hegel s. Anm. 15 69 Vgl. die zahllosen Beispiele in der Zeitschrift Modeme Bauformen 70 Rudolf Lodders, in: Kontraste, Jahrbuch der Freien Akademie der Künste in Hamburg 1960, S. 160 71 Ulrich Höhns, ·Fritz Schleifer., in: Deutsches Architektenblatt 6/1987, S. HS 81-87; zum Weg der Schneider-Schüler vgl. Wolfgang Voigt, .Fortsetzung oder Ende der Moderne·, in: Deutsches Architektenblatt 1211987, S. HS 173- 177 und 111988, S. HS 6-11; die Veröffentlichung seines modernen Landhauses in Elmshorn in der Bauwelt 1935, Heft 50, S.7, schickte Schleifer an Gropius und schrieb dazu, es sei .. mit Hilfe eines vernünftigen Baurates genehmigt" worden IBrief vom 22. 12. 1935) 72 Vgl. Karl -Heinz Ludwig, Technik und Ingenieure in Dritten Reich, Düsseldorf 1979; Joan Campbell, !oy in Work. German Work, Princeton 1989, S.312ff. Der Begriff war seit der Werkbundzeit geläufig, vgl. Franz Kollmann, Schönheit der Technik, München 1927; die ·Bauten der Technik· werden in allen offiziellen NS-Architekturpublikationen gleichberechtigt neben den großen Monumentalbauten abgebildet. 73 Josef Gnebbels, Rede am 1.5. 1939 vor der Reichskul turkammer, nach: Der deutsche Baumeister 1939, Heft 5 74 ·Der Führer eröffnet die .. Große deutsche Kunstausstellung 1937" " in: Die Kunst im Dritten Reich 1937, S.54 75 Albert Speer, Spandauer Tagebücher, Frankfurt a. M.I BerlinIWien 1975, S. 261 f. 76 Egon Eiermann, .Erweiterung und Umbau der TotalWerke Foerstner & Co .• , in: Modeme Bauformen 1939, S.561-568 77 Vgl. Bauwelt 1935, Heft 3, S.3-6; zu Kremmer und Schupp s. z. B. Bauwelt 1935, Heft 9, S. 1-6 78 Vgl. Wolf Tegethoff, .Industriearchitektur und Neues Bauen, Mies van der Rohes Verseidag Fabrik in Krefeld. , in: Archithese 3/1983, S.33-38; Holthoff arbeitete 1934-1969 bei der Verseidag, Biographie BauhausArchiv 79 ·Eine Fabrikanlage. in: Bauwelt 1942, Heft 35/36, S. 1-4; nach seinen eigenen Angaben war Heinrich
178 Winfried Nerdinger
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Sigfrid Bormann Chefarchitekt der Stahlwerke Braunschweig in Salzgitter und leitete unter anderem die Generalplanungen des Eisenwerks in Teschen; zu Fritz Pfeil 11909-1965) siehe Biographie im BauhausArchiv Neuferts Lausitzer Werksneubau ist programmatisch abgebildet über dem Aufsatz von Fritz Rauda, ,Neu es Bauen, Neue Architektur. Die neue Baukunst ist das Spiegelbild des deutschen Volkes·, in: Die sächsische Wirtschaft Nr. 10, vom 11. 3.1938; vgl. Ernst Neufert, Industriebauten, WiesbadenlBerlin 1973 S. 16-20 Heinrich KöUing, BOC RKK, vgl. Dr. Adler, .Technische Fette und Futtermittel aus Tierkörpern., in: Der Vier;ahresplan, Zeitschrift für nationalsozialistische Wirt schaftspolitik 1939, Nr. 14, S. 83 f. Wils Ebert 11909-1979), Biographie Bauhaus-Archiv Matthias RiedeI, .GrÜndung und Entwicklung der Reichswerke .. Hermann Göring" und deren Position in der Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches 1935-1945·, in: Wolfgang Benz IHrsg.), Salzgitter. Geschichte und Gegenwart einer deutschen Stadt 1942-1992, München 1992, S.41-77, dort folgendes Zitat Ge rd Balzer 11909-986), ·Entwurfsarchitekt in Oranienburg und im Salzgittergebiet., Biographie BauhausArchiv H. S. Bormann siehe Anm . 79 Gerhard Weber siehe Anm. 61 Rudolf Lodders, Industrieba u und Architekt und ihre gegenseitige Beeinflussung, Hamburg 1946, S.30, vgl. S_ 33, .. Daß diese harte Schule Ider NS-Industrie - d. Vf.) eine in Wirren geborene bzw. sich entwickelnde und in Schrecken gestählte Generation von Baukünstlern zu einer neuen Disziplin geführt hat .. ; ders., ·Zuflucht im Industriebau., in: Baukunst und Werkform 1947, Heft I, S.39 .. und schließlich tauchten wir dort unter, wo Hitler ein Ventil gelassen hatte: im indu striebau ... Zur Entnazifizierung Rimpls vgl. Die Neue Zeitung vom 10.3.1950 Alfons Leitl, .Anmerkungen zur Zeit·, in: Baukunst und Werkform 1947, S.3-11 Gottfried Benn, .Doppelleben., in: ders., Prosa und Autobiographie, Ges. Werke Bd. 4, Frankfurt a. M. 1984, S.415; vgl. Feter de Mendelssolm, Der Geist in der Despotie, Frankfurt a. M. 1987, S.243, Mendelssohn nennt diesen Satz .. eine geschniegelte Abscheulichkeit" . Vgl. Herbert Rimpl, Ein deutsches Flugzeugwerk, Berlin 1938; ders. , ·Ein deutsches Flugzeugwerk., in : Mo derne Bauformen, 1942, S. 1- 13 Diese Definition .faschistischer. Kunst ist paraphrasiert nach Wolfgang Fritz Haug, ·Ästhetik der Normalität - Vorstellung und Vorbild., in : Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus, Berlin 1987, S.79-102
WOLFGANG VOIGT
» Triumph der Gleichform und
des Zusammenpassens« Ernst Neufert und die Normung in der Architektur
Ernst Neufert (1900- 1986), Schüler von Walter Gropius und Verfasser der 'Bauentwurfslehre., kann man als den großen Unbekannten in der Geschichte des Bauhauses bezeichnen. In der Bauhaus-Literatur spielt der in aller Welt verbreitete Name dieses Mannes bis heute keine Rolle - erstaunlicherweise, denn Neufert war und ist noch heute der Autor des erfolgreichsten Architekturbuches aller Zeiten. Seine Bauentwurfslehre, die zum ersten Mal im März 1936 in Berlin erschien, wurde in deutscher Sprache bis heute in 33 Auflagen fast 400000mal gedruckt. Schon vor 1945 arbeiteten Architekten auch außerhalb Deutschlands mit diesem Werk, denn während des Zweiten Weltkrieges erschienen Lizenzausgaben in Italien und in Spanien. Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt und erschien zuletzt in einer russischen und einer japanischen Ausgabe. 1 Die heute erreichte Weltauflage kann nur geschätzt werden; sie wird, einschließlich der deutschen Fassung, nicht unter 600000 Exemplaren liegen. Der 1986 in der Schweiz verstorbene Autor2 ist allerdings trotz seines Erfolgs relativ unbekannt geblieben. Spektakulär ist nicht nur die Bauentwurfslehre; neugierig machen auch andere Aspekte seiner Person - etwa seine führende Rolle bei der Normung und Industrialisierung des Bauwesens; die Umstände einer Karriere, die den Bauhäusler Neufert bis in den Stab von Albert Speer führte; schließlich sein rascher Wiederaufstieg: Als er bereits 1945 einen Lehrstuhl an der Technischen Hochschule in Darmstadt erhielt, war er nach eigenen An-
gaben der erste deutsche Akademiker, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Professor berufen wurde. 3 Der Grund des erst in den achtziger Jahren aufgebrochenen Schweigens über Neufert 4 ist nicht schwer zu erraten; er liegt jedenfalls nicht nur in der pragmatischen, unkünstlerischen Linie der Bauentwurfslehre, in ihrem Charakter als technisches Handbuch, das die Sinne der Kunsthistoriker weniger reizte als eine Bauhaus-Lampe oder ein Stahlrohrstuhl. Schwer vereinbar mit dem vorherrschenden Geschichtsbild der modernen Bewegung erscheint in erster Linie Neuferts Karriere: Der nicht emigrierte Bauhäusler, der selbst nach dem gewaltsamen Ende des Bauhauses in hohe Positionen des ,Dritten Reiches· aufsteigen konnte, ohne die Herkunft vom Neuen Bauen jemals zu verleugnen, stellt in seiner Person Kontinuitäten dar, die auch heute nicht gerne zur Kenntnis genommen werden. Der im Jahre 1900 in einer thüringischen Kleinstadt geborene Neufert war 1919 einer der ersten Studenten im gerade eröffneten Weimarer Bauhaus von Walter Gropius, dem er zwischen 1924 und 1926 als Bürochef und Bauleiter diente. Beim Bauhaus-Neubau in Dessau und den ,Meisterhäusern. für die dort tätigen Lehrer, beide entworfen im Atelier von Gropius, war es Neufert, der die Werkplanung und Ausführung in Händen hatte. Im Jahre 1926 holte Otto Bartning den erst Sechsundzwanzigjährigen als Professor und Leiter der Architekturabteilung an die neugegründete Staatliche Bauhochschule in WeimarS (Abb. 1). 179
Im Jahr 1930 begann für Neufert eine langjährige, letzten Endes aber fruchtbare Krise. Das Land Thüringen - mit der Hauptstadt Weimar - war die erste deutsche Provinz, in der eine nationalsozialistische Regierung durch Wahlen an die Macht kam. Als Exponent des zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Stigma des ·Baubolschewismus, versehenen Neuen Bauens verlor Neufert 1930 seine Professur und wurde damit, bereits einige Jahre vor 1933, eines der ersten Opfer nationalsozialistischer Kulturpolitik. 6 Seines Postens beraubt, bestritt Neufert - mitten in der Weltwirtschaftskrise seinen Lebensunterhalt teils mit einigen Fabrikbauten (u. a. für die Faguswerke in AIfeld/Leine, wo er Gropius als Hausarchitekt ablösen konnte), teils mit publizistischen Arbeiten und Vortragsreisen, die ihn 1932/33 nach England, Skandinavien und in die UdSSR führten. In den Jahren der Krise profilierte er sich als Fa~hautor für Vorfertigung und Sparund Schnell bauweisen aus Holz, dem damals billigsten Baustoff in Deutschland. Daneben gab er Kurse an Johannes Ittens privater Kunstschule in Berlin. Die erzwungene Studienphase sollte sich später als äußerst wertvoll erweisen; sie bildete das Fundament für Neuferts zweite, entscheidende Karriere. Ernst Neuferts Bauentwurfslehre präsentiert sich bis heute als universelle Autorität für alle Maß-Fragen in von Menschen benutzten Räumen (Abb.2). Der Entwerfer müsse wissen, heißt es in der Einführung, .. in welchem Größenverhältnis die Glieder eines wohlgebildeten Menschen zueinander stehen und welchen Raum ein Mensch in verschiedenen Lagen und in der Bewegung einnimmt. (... ) Er muß wissen, welchen Platz der Mensch zwischen den Möbeln braucht, in Küche, Speisezimmer, Büchereien usf., um die an diesen Möbeln nötigen Handreichungen und Arbeiten bequem vornehmen zu können, ohne daß Raum verschwendet wird. (.. . ) Schließlich muß er wissen, welche kleinste Abmessungen die Räume haben, in denen er sich täglich bewegt, wie Eisenbahn, Straßenbahn, Kraftwagen usf.',7 In der Einführung beklagt Neufert das Verschwin180 Wollgang VO igt
den der klassischen anthropomorphen Maße (Elle, Fuß etc.) als Folge der Durchsetzung des Meters im 19. Jahrhundert. Die Bauentwurfslehre wurde mit einem hohen Anspruch versehen: Sie sollte das bei Alberti und Dürer noch gültige Prinzip vom .. Menschen als Maß aller Dinge« für das 20. Jahrhundert neu entwickeln. Das bis heute in der Konzeption unveränderte Buch enthielt in knappster Form dargestellte Organisationsvorschläge rur unzählige Situationen mit den beigegebenen Nutzungsmaßen: der Mensch in der Wohnung, am Arbeitsplatz, im Kino, im stationären und .. fahrenden« oder .. fliegenden« Hotel, in Bewegung (Eisenbahn, Auto, Flugzeug) und in Ruhe (im Bett). Als konsequenter Realist vergaß Neufert weder den Luftschutzkeller (Abb.3) noch die logischerweise an den Schluß gestellte Grabstätte. Ausgestattet mit dem Mythos der Universalität und Unfehlbarkeit wurde die Bauentwurfslehre schnell zum Objekt der Haßliebe unter den Architekten. Eine Vorstufe der späteren Bauentwurfslehre waren die .. Hilfsblätter« aus Neuferts eigenem Unterricht in den Jahren 1926 bis 1930 an der Weimarer Hochschule. Dort standen nSchnellentwürfe« auf dem Lehrplan, und Ernst Neufert störte sich daran, daß von den Studenten erwartet wurde, daß sie sozusagen bewußtlos draufloszeichneten. So begann er schon in den zwanziger Jahren damit, Informationen zu bestimmten Bauaufgaben auf einzelnen Blättern zusammenzufassen, die er vervielfältigen ließ und an die Studenten verteilte.8 Aus den Weimarer Hilfsblättern, von denen keine Beispiele erhalten geblieben sind, wurden die charakteristischen Seiten der Bauentwurfslehre mit dem fettgedruckten Stichwort in der rechten oberen Ecke (Abb. 5). Obwohl Ernst Neuiert ein Bauhäusler der Weimarer Periode war, ist die Nähe zum Gedankengut des Bauhauses Dessau mit Händen zu greifen. Die Aura strenger Rationalität und der Glaube an den Nutzen einer umfassenden Systematisierung und Normung verweisen auf Ideen, wie sie in den zwanziger Jahren von Walter Gropius und Ludwig Hilberseimer propa-
1 Ernst Ne llfer t (2. v. r.) lind Otto Bartning (Mitte vorn) mit Studenten der Weimarer BauhochschuJe im Jahr 1929
giert worden waren . In der neuen Architektur »wird das Gesetz verehrt und herausgehoben ", so lautete das Fazit der von Hilberseimer 1927 veröffentlichten -Großstadtarchitektur
beit hatte Auswirkungen auf Hassenpflugs Studie über eingebaute »raumverbundene Möbel" im Massenwohnungsbau, die in Neufertsche Typengrundrisse eingepaßt wurden. 11 Von Konzessionen an die Traditionalismen der dreißiger Jahre, an die -offiziellen< Architekturen des -Dritten Reiches<, war in der Bauentwurfslehre nichts zu spüren. In der Beispielsammlung von Grundrissen war die Moderne präsent, als hätte es die Rückschläge nach 1933 nicht gegeben. Das Dessauer Bauhaus ist mit Mies, Gropius und Hilberseimer vertreten, und Architekten werden zitiert, die längst emigriert sind wie Ernst May, Erich Mendelsohn, Alexander Klein oder Bruno Taut. Von den Klassikern der Moderne ist die Frankfurter Küche ebenso selbstverständlich präsent wie das Ernst Nellfert und die Normwlg 181
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2 Abmess ungen und Platz bedarf von Menschen , Bauentwurfslehre 1936
Totaltheater von Walter Gropius oder das Moskauer Kommunewohnhaus von Moisei Ginsburg. ' 2 Wo unter der Überschrift »Haus und Formen als Ausdruck der Zeit und ihrer Lebensart« Haustypen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einander konfrontiert werden, läßt Neufert keinen Zweifel daran aufkommen, welcher Richtung die Zukunft gehören soll - dafür steht Mies van der Rohes aus frei im Raum stehenden Wandscheiben komponiertes ,Haus um 2000" das als 1:I-Modell auf der Berliner Bauausstellung von 1931 präsentiert worden war 13 (Abb. 6). Revolutionär war die Bauentwurfslehre durch ihre bis heute kaum veränderte Bildersprache, die Teile des Buches in die Nähe des Comics rückte. Neufert hatte begriffen, daß die Existenz von Film, Photographie und Reklame die Lesegewohnheiten verändern mußte. Im »optischen Zeitalter« (Otto Neu-
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rath) hatte das Medium Buch vor allem dann eine Chance, wenn es dem Leser mit visuellen Hilfsmitteln entgegenkam. So besteht die Bauentwurfslehre in weiten Teilen aus winzigen Strichzeichnungen, die nicht mehr Textilillustration sind, sondern die notwendigen Aussagen selbst transportieren . Wo Szenen des Alltags dargestellt sind, gibt es über die jeweilige Aussage hinaus eine eigenartige Botschaft. Der »Mann ohne Eigenschaften« (Robert Musil) beherrscht das Bild j eine Population gesichtsloser Menschen, die sich in Hunderten von Momentaufnahmen mit unerschütterlicher Vernunft an die Arbeit macht oder zur Ruhe begibt, macht das Buch zum surrealistischen Panorama modernen Lebens. Woher die Anregung für die Bildersprache kam, darüber kann man nur spekulieren. Vieles spricht für ein Vorbild aus Skandinavien, das in der Literaturliste der ersten Bauent-
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wurfslehre auch genannt ist. 14 Das dänische ,Haandbog for Bygnings-Industrien< war ein 1930 zum ersten Mal gedruckter Reklameband der Bauindustrie für Architekten (Abb. 4). Ihm waren drei Seiten mit 83 kleinen Zeichnungen beigegeben, die den Architekturkritiker Werner Hegemann so sehr begeisterten, daß er sie in den von ihm herausgegebenen 'Wasmuths Monatsheften für Baukunst< reproduzieren ließ.ls Sie sahen aus wie eine Kurzfassung der Bauentwurfslehre und zeigten wie später bei Neufert Menschen in allen möglichen Situationen, außerdem Möbel und Gebrauchsgegenstände des Alltags mit ihren Abmessungen . In dieser Hinsicht war das Konzept in beiden Fällen genau gleich. Die dänischen Zeichnungen waren jedoch noch ohne ein ausgefeiltes System und ohne den Anspruch der Vollständigkeit. Erst Neuferts systematische Bearbeitung mit rund 2700 Darstellungen allein in der er-
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sten Auflage erweiterte die dänische Anregung zu einer enzyklopädischen Sammlung. Als Werbung für die organisierte Normung, die auf dem Gebiet des Bauwesens damals noch nicht sehr verbreitet war, gab es kein wirksameres Medium als die Bauentwurfslehre. So ist es kein Zufall, daß der Deutsche Normenausschuß die Herausgabe des Buches im Jahre 1936 unterstützte und zur ersten Auflage ein Geleitwort beisteuerte. Um Ernst Neuferts herausragende Rolle in der deutschen Normungsbewegung zu verstehen, bedarf es eines Rückblicks auf deren Anfänge. Die organisierte Normung - die sogenannte 'DIN< - war in den zwanziger und dreißiger Jahren noch eine relativ neue Erscheinung. Ihren Ursprung hatte sie während des Ersten Weltkrieges, als im Rahmen der von Walter Rathenau konzipierten zentral gelenkten Kriegswirtschaft nach Möglichkeiten gesucht wurde, den Aus-
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4 Vorbild der Bau entwurfslehre: Zeichnungen aus
dem ' Haandbog for Bygnings- Ind ustrien<, Kopenhagen 1930
stoß der deutschen Waifenproduktion zu steigern. So entstand 1917 in Berlin der noch heute bestehende ,Normenausschuß der Deutschen Industrie', der in der ersten Zeit den in der Waffenherstellung engagierten Metall- und Elektrobetrieben wie AEG, Borsig, Demag, Henschel und Siemens als Beratungsebene dazu diente, um im gemeinsamen Interesse bestimmte Einheitsmaße festzulegen . 16 Noch im gleichen Jahr wurde unter Beteiligung von Hermann Muthesius und Peter Behrens sowie Walter Curt Behrendt als Vertreter des Deutschen Werkbundes ein Filialausschuß für die Normung im Bauwesen gegründet, der bis zum Beginn der dreißiger Jahre etwa 100 einzelne Baunormen verabschiedete. 17 Mit den professionellen Normern stand auch Walter Gropius in Verbindung. Auf der neunten Jahresversammlung des Deutschen Normenausschusses im Herbst 1926 hielt er einen Vortrag, in dem er - vor dem Hintergrund der eigenen Versuche in Törten bei Dessau 18 etwas voreilig das »fix und fertig eingerichtete Wohnhaus vom Lager« ankündigte, das dank umfassender Typisierung und Normung schon
.. in Kürze ein Hauptprodukt der Industrie« sein werde. 19 Der Geist der Normung hinterließ überall in den Entwürfen der zwanziger Jahre seine Spuren. Die ideologische und ästhetische Wirkung der Normung war allerdings größer als der praktische Erfolg. Das weitgehend noch mittelständisch organisierte Bauhandwerk begegnete, ebenso wie viele Architekten, der Normung mit Mißtrauen, weil man erwartete, »daß durch die Möglichkeit industrieller Reihenfertigung dem Handwerk Arbeit entzogen werden könnte«.2o Mit den Genossenschaften und Kommunen blieben auch die großen Wohnungsbau träger auf Distanz; sie »glaubten am besten zu fahren «, so klagte noch 1942 Karl Sander, der Geschäftsführer der Baunormung, »wenn sie nach ihren eigenen Erfahrungen erstellte Bauteile verwendeten« .2 1 Die große Stunde der Normer kam erst mit dem Kriegsbeginn im September 1939, als eine sofort erlassene Verordnung den DIN-Normen ein Gewicht verlieh, das sie bis dahin nie hatten. Die deutschen Behörden erhielten das vielfach genutzte Recht, die Anwendung der Normen in ihrem Bereich durch einen Verwal-
5 Zweckmäßige Anlage von Hochhäusern, Bauentwurfslehre 1936
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tungsakt anzuordnen; die DIN wurde damit faktisch zum Gesetz IZ Weder der Mangel an Arbeitskräften noch die Rationierung elementarer Baustoffe (Holz und Eisen) sollten die mit Kriegsaufgaben zusammenhängende Bauproduktion gefährden. Durchführbar war das nur durch ein hohes Maß an staatlicher Lenkung und Rohstoffzuteilung unter Nutzung aller Möglichkeiten der Rationalisierung und vor allem der Normung. So sahen sich die deutschen Architekten aller Lager um 1940 im anbrechenden Zeitalter einer wahrhaften Normungskultur, die die Grundlagen ihrer Arbeit radikal verändern würde. Für die Einstimmung der Architekten auf deren Erfordernisse gab es kein wirkungsvolleres Instrument als Neuferts Buch. Im Jahre 1944, als bereits 100000 Exemplare erschienen waren 23 , gab es kaum einen deutschen Architekten mehr, der es nicht benutzte. »Das Buch wird rasend abgesetzt, es ist seit 8 Tagen erschienen und heute sind bereits über 4000 Exemplare abgesetzt", so berichtete Ernst Neufert voller Stolz im Mai 1936 seinem Lehrer und Mentor Walter Gropius. 24 Die erste
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Auflage war dann nach drei Wochen vergriffen. Im Juni desselben Jahres besuchte Neufert die USA, die er -laut eigener, nach 1945 gemachter Aussage - mit Emigrationsabsichten bereist haben will.25 Der Erfolg der Bauentwurfslehre veranlaßte ihn zum Bleiben. Als er von Albert Speer im Juli 1938 zum Beauftragten für die Rationalisierung des Berliner Wohnungsbaus berufen wurde, war er längst der arrivierte Fachmann, auf den das -Dritte Reich< gar nieht verzichten konnte. Die sechs Jahre zuvor von Nationalsozialisten veranlaßte Suspendierung in Weimar erwies sich nun als Episode, die seinen Aufstieg nur verzögert hatte. 1943 folgte die Wahl zum Leiter des Baunormungsausschusses der deutschen Industrie. Eine vergleichbare Position, die ihm 1932 in der Sowjetunion angeboten worden war, hatte er damals abgelehnt, wegen »der nicht besonders positiven Erfahrung, die Ernst May und seine Mitarbeiter dort gemacht hatten". 26 Die forcierte Aufrüstung der Luftwaffe gab Neufert zu Beginn des Krieges die Gelegenheit, seine Maß-Vorstellungen weiter zu entwikkcln. Als er 1939 den Auftrag erhielt, »Typen-
Straßenseite
Brause
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Küche
Abort u. Bidet Ankleideraum
Mädchen 6 Das Hau s als Ausdruck der Zeit und ihrer Lebensart : Grundriß von Mies van der Rohes .Hau s um 2000<, Bau entwurfslehre 1936
Anrichte Abort u. Waschraum EBraum Gartenseite
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Ernst Neuren und die Normung 185
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7 Querschnitt und Ansicht ein es genormten Flugzeughangars mit Achsabständen von 2.50 Meter, um 1940, BauordnungsJehre 1943
pläne für verschiedene Fabrikationszwecke der Luftfahrtindustrie zu entwickeln", so berichtete er später, »war mir klar, daß eine einheitliche Verwendung von gleichen Bauteilen ... für die verschieden großen Hallen nur dadurch möglich war, daß für sie alle ein einheitliches Systemmaß zugrunde gelegt wurde" Y Das für die Luftwaffe entwickelte Grundmaß für Achsenabstände von 2,50 Meter (Abb. 7), wurde wenig später unter der Bezeichnung ,!BA· (Industriebaumaß) auf den gesamten Holzbau, auf die Bauten der Industrie und sämtliche Unterkunftsbauten ausgedehnt und 1942 zur DIN 4171 erhoben. Für den Systematiker Neufert war das Normungsziel jedoch erst erreicht, wenn es gelang, ein universelles, vom kleinsten bis zum größten Modul kohärentes und für alle Aufgaben gültiges Baurnaß zu etablieren. Von Albert Speer gefördert, konnte Neufert seine Studien am Gegenstand des zukünftigen Berliner Wohnungsbaus fortsetzen, der um 1940/41 für die Zeit nach dem siegreich beendeten Krieg geplant wurde.28 Durch eine Verbindung von Dezimal- und Duodezimalsystem wurde ein Grundrnaß auf der Basis von 1,25 Meter entwickelt, das ebenso leicht teilbar wie addierbar war und mit vielen gebräuchlichen Abmessun186 Wallgang Vaigl
gen am Bau (Raumhöhen, Ziegelsteingrößen, Schranktiefen etc.) besser harmonierte als der volle Meter. 29 Als es unter der Bezeichnung ,Oktametersystem. 1941 erstmals veröffentlicht wurde30, versetzte es die Architekten, deren Selbstverständnis als Baukünstler durch die Flut kriegsbedingter Vorschriften und Beschränkungen bereits stark angekratzt war, erst einmal in Unruhe. Zur Beruhigung der Traditionalisten aller Lagcr beeilte sich Neufert, an Tempeln der Antike ebenso wie an norddeutschen Bauernhäusern Module nachzuweisen, die seinem Oktameter genau entsprachen3 1 (Abb. 8-10). In den Bauzeitschriften des Jahrgangs 1941 findet man die Spuren einer heftigen Debatte mit Stimmen, die zwar nicht die Normung, aber den Nutzen von Neuferts Vorschlag in Zweifel zogen und eigene Vorschläge vorlegten. 32 Neufert hatte jedoch vorgesorgt, um das noch keineswegs zur DIN erklärte Oktameter als vollendete Tatsache zu inszenieren. Diesem Zweck diente das auf dem Obersalzberg verfaßte Vorwort Speers, in dem davon die Rede war, daß Hitler »sich mit großem Interesse laufend über die Ergebnisse dieser Arbeit unterrichten ließ ... 33 Das Oktameter - das war die Botschaft an Neuferts Kritiker fand Billigung auf allerhöchster Ebene. 34
Zur Untermauerung des Oktameters erschien 1943 Ernst Neuferts .Bauordnungslehre. oder abgekürzt ·BOL·. 35 RudoU Weilbier bejubelte das .. erstaunliche Buch von Atlasgröße und Lexikondicke« in der ·Bauwelt· als .. Triumph der Gleichiorm und des Zusammen passens« und ihren Autor als den .. geborenen Systematiker« .36 Das Vorwort des Rüstungsministers Albert Speer, der auch der Herausgeber war, gab der BOL eine klare Aufgabe: .. Der totale Krieg zwingt zur Konzentration aller Kräfte auch im Bauwesen. Weitgehende Vereinheitlichung zur Einsparung technischer Kräfte und zum Aufbau rationeller Serienfertigung ist die Voraussetzung zu einer Leistungssteigerung, die zur Bewältigung unserer großen Bauaufgaben erforderlich ist.«37 Was mit diesen Aufgaben gemeint sein konnte, hatte Neufert an anderer Stelle 1942 angeführt: .. Die allgemeine Ausrichtung auf Einheitsmaße« im Bauwesen sei .. für die Bewältigung der gewaltigen Bauaufgaben im Osten eine der ersten Voraussetzungen« .38 Genauso klar, wie Ernst Neufert seine Talente in den Dienst des ·Dritten Reiches· stellte, bekannte er sich auch jetzt noch zu seiner Herkunft aus der modernen Architektur. Ein zu diesem Zeitpunkt ungewöhnliches Bekenntnis zum 1933 von den Nazis geschlossenen Bauhaus wurde das Gutachten, das Neufert 1942 abzugeben hatte, als ein neuentwikkelter Stuhl aus Stahl die noch bestehenden Patente Mies van der Rohes zu verletzen
drohte. Neufert nutzte es, um nicht nur über die Qualitäten von Mies, sondern .. ausführlich und positiv über die revolutionäre Arbeit « zu schreiben, .. die am Bauhaus geleistet worden war« .39 Ernst Neuferts Position blieb zwiespältig. Er sah sich selbst nicht als Nazi40 und war noch 1934 seinem jüdischen Kollegen Alexander Klein behiUlich gewesen, als dieser versuchte, im Ausland eine neue Existenz zu beginnen.41 Aber in der neun Jahre später erschienenen BOL stößt der Leser auf antisemitische Untertöne, denen offenbar ein opportunistisches Kalkül zugrundelag: Auch die Antisemiten sollten Neuferts Maßordnung akzeptieren . Die Zahl ·Sieben· komme als Maßzahl für die Normung nicht in Frage, so Neufert, sie solle .. möglichst gemieden« werden, zumal sie .. bei vielen kultischen Handlungen, vor allem bei Juden überall« in Gebrauch sei j .. für unsere Zwecke« würden ihr .. keine praktischen Vorzüge innewohnen«.42 Erst recht peinlich wird es in einer oberflächlich gereinigten Neuauflage der BOL aus dem Jahre 1961, in der nun nicht mehr von einer jüdischen, sondern einfach von einer .. bösen« kultischen Zahl abgeraten wurde.43 Die BOL gipfelt in einer Vision der totalen Industrialisierung, wie Neufert sie für den nach dem Krieg zu leistenden Wiederaufbau der zerstörten Berliner Wohngebiete vorsah . Die in den letzten Kapiteln der BOL vorgestellte Studie war 1939- 41 im Auftrag Speers entstanden, der ihm die Aufgabe gestellt hatte,
8 Ansichten einer Unt erkunftsbarack e im Okta-
m etermaß auf ein em 1.25- Raster, Bauordnungslehre 1943
UNTERKUNFTE ALS BEHELFSDAUERWOHNUNG
Ernst Ne ufe rl und die Nomwng 187
»Grundrisse und Konstruktionen zu entwikkein, um den Wohnbedarf der Stadt Groß-Berlin von jährlich 25000 bis 35000 Wohnungen mit mechanischen Baumethoden zu befriedigen. «44 Das Ergebnis überholte selbst die kühnsten ,Wohnmaschinen·-Phantasien der zwanziger Jahre. Im Unterschied zu den Vorschlägen der zwanziger Jahre dachte Neufert nicht daran, in der Fabrik gefertigte Rohbauteile an der Baustelle zusammenzusetzen, wie es unter Ernst May bei den Frankfurter ,Plattenhäusern· praktiziert worden war. 45 Bei ihm ist die Fabrik beweglich; sie wird als mobile »Hausbaumaschine« an jeder Baustelle neu installiert und wieder zerlegt. Als wandernde Schalung, die von Haus zu Haus auf Schienen vorwärtsrollt, hinterläßt sie an der Rückseite eine aus Beton gegossene fünfgeschossige Hauszeile von beliebiger Länge. Am Kopf der Maschine werden die Baumaterialien angeliefert (Beton für den Rohbau, Fertigteile für den Ausbau) und durch einen Aufzug in das gewünschte Stockwerk befördert. Im Inneren seiner Hausbaumaschine (Abb. 11) sah Neufert hochspezialisierte Arbeiterkolonnen im Taktverfahren am Werk: »Wie in einem modemen Industriebetrieb (Kraftwagenbau) ist ... jeder Arbeiter auf seine bestimmten Handlungen eingestellt und für seine Aufgaben geschult bis zum letzten Handgriff, denn nur auf diesem Wege können Spitzenleistungen erreicht und die zueinander passenden Arbeitszeiten eingehalten werden.,,46Die Hausbaumaschine sollte zu jeder Jahreszeit einsatzbereit sein; für den Winter war eine wärmedämmende Verkleidung vorgesehen, der sie in eine beheizbare Fabrik verwandelte (Abb. 13). Für eine Hauseinheit mit fünf Geschossen und zehn Wohnungen rechnete Neufert mit einer Woche Bauzeit, einschließlich des VorTÜckens der Maschine in die neue Position. Da die Maschine nur gerade Strecken fahren konnte, war ein anderes Schema als das des Zeilenbaus nicht möglich. Die Starrheit des Systems erinnert an die 1929 errichtete Dammerstock-Siedlung in Karlsruhe, deren Bebauungsplan maßgeblich von Walter Gropius entwickelt worden war 188 Wallgang Vaigt
9 Oktametermaße an den Triglyphen lind Gesim splot ten der Propyläen in Athen, Ballardnllngslehre 1943
(Abb. 12). Die in Dammerstock in voller Rigidität angewandte Zeilenbauweise folgte wie bei Neufert der starren Schienenbahn einer Maschine (des Baukrans). Über die Monotonie seiner Wohnstadt machte Neufert sich keine Sorgen; .,ihre typisierte Einförmigkeit", so meinte er, werde später »selbst vom Romantiker als wohltuend empfunden werden".47 Kaum anders hatte sich Gropius geäußert, als er sich 1926 auf der Jahresversammlung des Deutschen Normungsausschusses gegen das »Märchen von der Vergewaltigung des Individuums durch Typung und Normung.. verwahrte. 48 Der Aufbau einer Häuserfabrik beschäftigte Gropius seit 1923, und viele seiner bald darauf initiierten Wohnbauprojekte - wie die 1926 begonnene Versuchssiedlung Törten bei Dessau oder die 1928 nach seiner BauhausZeit mit dem Unternehmer Adolf Sommerfeld konzipierte Fabrik für Wohnhäuser - sind als Versuch zu verstehen, die in vielen Manifesten der zwanziger Jahre geforderte Revolutionierung des Bauwesens mit den Methoden Henry Fords in die Tat umzusetzen. 49 Im Sommer 1936 hatte Neufert seinen bereits emigrierten Lehrer Walter Gropius in London besucht, der sich schon vorher über die gerade erschienene Bauentwurfslehre lobend äußerte, ihrem Autor finanziellen Erfolg wünschte und den »Respekt vor der deutschen organisatorischen Leistung.. hervorhob, die
seiner Ansicht nach auch in England Anerkennung finden würde. so Als Gropius elf Jahre später im August 1947 zum ersten Mal nach dem Krieg Deutschland bereiste51 und anschließend der amerikanischen Regierung über seine Eindrücke berichtete, mochte er mit den Leistungen seines erfolgreichsten Schülers, der seinen eigenen Traum von der Häuserfabrik auf so konsequente Weise weiterverfolgt hatte, nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden. Neuferts Normungsarbeit galt ihm nun als Beweis für "eine von jeder Kreativität entfernte, aus der Nazi-Mentalität abgeleitete mechanistisch-technokratische Einstellung u , die in Deutschland noch lebendig sei; Neufert habe überdies versucht, eine übertriebene SuperNormung (»over-standardization u ) zu etablieren, die sogar die von Albert Speer eingeführten Verordnungen hinter sich lasse. 52 Dabei hatte Gropius selbst zusammen mit Konrad Wachsmann erst 1942 in den USA das genormte und vorgefertigte "Packaged House u entwikkelt, das es hinsichtlich der »over-standardiza-
tion mit Neuferts Hausbaumaschine durchaus aufnehmen konnte. 53 Neuferts Vision blieb nach 1945 nicht ohne Folgen, obwohl die Hausbaumaschine in dieser oder ähnlicher Form nie verwirklicht wurde. Ihre Wirtschaftlichkeit, an der Zweifel erlaubt sind, ist nie überprüft worden. Durch den Erfolg der Bauentwurfslehre war Neufert allerdings längst eine Autorität, dem viele Architekten blind vertrauten. Als Plädoyer für die Industrialisierung 'und Normung des Bauens spielte das Modell eine wichtige Rolle . Das zeigt sich an einem sehr ambivalenten Nachruf auf die Hausbaumaschine, den Hugo Häring 1947 für -Baukunst und Werkform, schrieb. Häring fällte zwar ein scharfes Urteil über ihre Monstrosität, das er aber durch ein überschwengliches Lob für Neuferts pädagogische Leistung sogleich relativierte: " ... wir stehen mit Erschrecken vor den Wohnmaschinen Neuferts, sie sind das Ergebnis eines ganz und gar von GOTT verlassenen Bauwillens aber was technisch in Zusammenhang damit u
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10 Die Proportionen des Menschen im Okta· metermaß. Bauordnungs· lehre 1943
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Ern st N eufe rts /-lau sbaumaschin e im Schnitt. BauardnungsJehre 1943
190 Walfg ang Vaig l
12 Dammerstock Siedlung Karlsruh e, starrer Zeilenbau nach Bebauungsplan von Walter Gropius
13 Ernst Neuferts Hau sbaumaschine mit ,Bauschale
und vor allen Dingen in der Entwicklung des industriellen Bauens getan und erreicht worden ist, ist von großem Wert für die Zukunft. Die heftigen Widerstände, die vordem etwa den fabrikmäßig hergestellten Wohnbauten oder den Großsiedlungen oder Wohnhochhäusem entgegengebracht wurden, sind heute verschwunden. Wer kein Dach mehr über dem Kopf hat, wird nicht zögern, ein Haus zu beziehen, das ihm bezugsfertig aus einer Fabrik geliefert würde ... ,, 54
ANMERKUNGEN
Für nützliche Ratschläge und Hilfe bei der Erschließung von Quellen bedanke ich mich bei Koos Bosma, Ulrich Höhns, Winfried Nerdinger, Dörte Nicolaisen und Jos Weber. Den ersten Anstoß zur Beschäftigung mit Ernst Neufert und dem Thema der Baunormung gaben Hartmut Frank und Bruno Vayssiere, die mir 1988 auf zwei Tagungen - ,Pier Luigi Nervi und die Herausforderung der Architektur durch die Technik· in der Hochschule für bildende Künste Hamburg und ·Reconstruction. Deconstruction. Des grandes travaux aux villes nouvelles. im Centre Pompidou in Paris die Gelegenheit zur Vorstellung erster Thesen gaben.
Die Bauschale im Wintermantd fertigt unabhängig von Schnee und Eis, Tag und Nacht, Woche für Woche Haus um Haus
EmSI
Neufert [md die Normung 191
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Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, Bauwelt-Verlag, I. Auflage, Berlin 1936. Die geschätzte Zahl wurde mir vom Verlag Friedrich Vieweg & Sohn in Wiesbaden genannt, der heute im Besitz der Weltrechte ist. Die 1992 posthum erschienene 33. Auflage wurde von Peter Neufert in Köln, dem Sohn Ernst Neuferts, vollständig neu erarbeitet und neu gestaltet. Ernst Neuferts Lebensdaten: Geboren 15.3. 1900 in Freyburg an der Unstrut, gestorben 23.2. 1986 in seinem Alterssitz in Bugneaux sur Rolle am Genfer See. Vgl. die autorisierte Biographie von Fritz Gotthelf, Ernst Neuferl. Ein Architekt unserer Zei t. Berlin 1960, S.17 Neuferts vielfältige Aktivitäten als Normungsbeauftragten bei Albert Speers GS! wurden erstmals behandelt bei Werner Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970. Braunschweig 1986, S. 150- 156 Über Neuferts Unterricht in Weimar vgl. Werner Graeff, Staatliche BauJlOchschuJe Weimar 1929. Weimar 0.J.11929), S.8- 1O Zur Tätigkeit Schultze-Naumburgs in Thüringen siehe Barbara Miller Lane: Architektur und Politik in Deutschland 1918-1945. Braunschweig/Wiesbaden 1986, S. ISO!., sow Ie Norbert Borrmann : PauJ SchultzeNaumburg. Maler Publizist Architekt 1869- 1949. Ein Lebens - und Zeitdok ument mit einem Geleitwort von luliu s Posener. Essen 1989, S. 191 H. Ernst Neufert IAnm . I), S.22 So berichtete es der inzwischen verstorbene Cornelis van Eesteren, Neuferts früh erer Kollege an der Weimarer Hochschule, dcr dort Vorlesungen über Städtebau hielt. Ich verdanke di esen Hinweis jos Weber, der mit Cornelis van Eesteren Anfang der achtziger jahre einige Gespräche führte . Ludwig Hjlberse lmer, Großstadtarchitektur, Stuttgart o. j. (l927), S. 103 Der Mitarbeiter Hassenpflug wird im Vorwort ausdrücklich genannt; sein Name erscheint fettgedruckt an erster Stelle vor den übrigen Mitarbeitern, siehe Ernst Neufert IArun. I), S.3. Zu seiner Arbeit im Atelier Neufert siehe auch das von Ernst Neufert 1941 ausgestellte Zeugnis im Nachlaß Hassenpflug, Bauhaus-Archjv Berlin. Vgl. Gustav Hassenpflug, ·Raumverbundene Möbel im Mietwohnungsbau., in: Ba u welt. 1941 , H.48, S. 751 f. Vgl . die dort gezeigten Vier- und Fünfraumtypen mit den auffallend ähnlichen Grundrissen in Neuferts Bauordnungslehre IAnm .35), S.416- 419 Ernst Neufert IAnm . I), S. 103,227, 143 Ernst Neufert IAnm. I), S.33. Zum ·Haus um 2000· siehe Wolf Tegethoff, Mies van der Roh e. Die Villen und Landhauspro;ek te, Essen 1981 , S. 110- 113 Ernst Neufert IAnm . J), S.279 Werner Hegemann, ·Das därusche Handbuch der Bauindustrie·, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst . Berlin 1931, 15. jg., H.6, S. 272-274 Zu den Ursprüngen der organisicrten Normung vgl. di e allerdings sehr unkritische jubiläumsschrift: Deut-
192 Wolfgang Voigt
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scher Normcnausschuß IHrsg.), Fünfzig lahre Deutsch er Normenausschuß, Berlin/ Köln 1967. Vgl. den Bericht über die Gründung des Unterausschusses für Baunormen von Walter Curt Behrendt, ,Normen im Bauwesen., in : Deu tscher Werkbund Mitteilungen, Berlin 1918, H.3, S. 4-9 Zur Versuchssiedlung in Dessau -Törten, die von der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen gcfördert wurde, vgl. Winfried Nerdinger, Walter Gropius, Ausst. Kat., Berlin 1985, S.82-89 Walter Gropius, ,Normung und Wohnungsnot., in: Technik und Wirtschaft, Berlin 1927, 20.jg., H. 1, S. 7- 10 Karl Sander, ,25 jahre deutsche Baunormung., in : Bau welt, Berlin 1942,33. jg., Nr. 45/46, S. 35 1-354, Zitat S. 352 Sander IAnm. 20), ebda. Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan über die verbindliche Einführung von Normen, Geschäfts- und Lieferbedingungen vom 8.9.1939 Vgl. die Angabe bei Rudolf Weil bier IAnm . 36), S.24 Vgl. den Brief Neuferts an Gropius in London vom 18.5. 1936, in : Bauhaus-Archiv Berlin, Nachlaß Gropius 9/86 Vgl. das Kapitel ·Beruflicher Werdegang, Fachpublikationen und Bauten bis 1945·, in Ernst Neufert, Indu striebauten, Wiesbaden/ Hannover, 1973, S. 15 Fritz Gotthelf IAnm. 3), S. 11 Ernst Neufert, ·Systematische Baunormung im Aufbruch., in : Der deutsche Baumeister. Berlin 1942, jg.4, H. 12, S. 9-12, Zitat S.9 Teilergebnisse dieser Studien sind in den nachfolgend genannten während des Krieges gedruckten Schriften cnthalten: Ernst Neufert, Bombensicherer Luftschutz im Wohnung sba u. herausgegeben vom Generalinspektor für die Reichshauptstadt, Berlin 1941 , sowie ders., Der Miet er hat das Wort . herausgegeben vom Generalinspektor für die Reichshauptstadt, Berlin 1942. Zu diesen Arbeiten siehe ausführlicher Werner Durth IAnm.4), S. 150- 156 Über einen der ersten prakti schen Versuche, den Neu fert selbst mit dem Oktamctersystem untcrnahm, siehe Wolfgang Voigt, ·Einc Fabrik Ernst Neuferts im Elsaß: Prototyp für die Serienproduktion und Normung· ; in : Rainer Hudemann, Rolf Wittenbrock IHrsg.), Stadtentwick lung 1m deutsch -französischen Grenzraum (19. u. 20. lh .). Saarbrücken 1991 , S.324. Siehe auch Wolfgang Voigt, ·Uno stabilimento di Ernst Neufert in Alsazia: Prototipo per la produzi one in serie·, in : Casabella. Majland 1990, Nr.567, S.54 Ernst Neufert, ·Das Oktameter-System ., in : Der soziale Wohnungsbau in Deutschland. Berlin 1941 , jg. 1, H. 13, S.453-465 Ernst Neufert IAnm. 35), S.39, 67 Zu dieser Debatte vgl. Siegfried Stratemann, Grundriß-Lehre. Mietwohnungsba u. Berlin 1941 , sowie die Beiträge von Hans Spicgel: ·Maß- und Zahlensystem für Typ und Norm - Vorsatz oder Erprobung?', in: Der soziale Wohnungsba u in Deutschland, Berlin 1941 , jg. 1, H. 13, S. 473-478; ferner johann Wilhclm Lud o-
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36
37 38 39
wici, ·Zur Wahl des richtigen Modul (Normung der Baumaße)·, in : Der soziale Wohnungsbau in Deutschland. Berlin 1941, /g. I, H. 13, S.469-472 Abgedruckt in Der soziale Wohnungsbau in Deutschland. Berlin 1941 , /g. l , H.13, S.452 Die autoritäre Art, in der Neuferts Maßsystem während des Krieges präsentiert wurde, war einer der Hauptkritikpunkte in der nach 1945 wiederaufgenommenen Normungsdebatte der modernen Architekten: .. Bekanntlich hat Professor Neufert die Bauordnungslehre, in der er die Gedanken und Vorschläge über sein Maßsystem umfangreich niedergelegt hat, in seiner Eigenschaft als Beauftragter für Normungsfragen des damaligen Ministers Speer herausgegeben; dazu noch mit einem Vorwort von Speer selbst. So sehr man es begrüßen mag, daß die Mittel des Dritten Reiches auch eimmal der Klärung friedlicher Angelegenheiten zuflossen, so sehr bedeutete gerade der offizieHe Charakter der Neufertschen Veröffentlichung und des Neufertschen Auftretens in diesen Dingen ein Hemmnis für eine freie und fruchtbare Aussprache. Wer den Behörden-Respekt der Deutschen kennt und gar den terroristisch vertieften Staatsgehorsam des letzten Jahrzehnts, der wundert sich nicht angesichts der geringen Neigung zu öffentlichen Gesprächen über Themen, die als in autoritärer Weise geklärt angenommen wurden .. , so die Vorbemerkung des Herausgebers Alfons Leitl zum Beitrag von Georg Leowald: ·Sinn und Grenzen der Normung. Eine nachgeholte Auseinandersetzung mit Neuferts Bauordnungslehre., in : Baukunst und Werkform . Heidelberg 1947, /g. I, H. I, S.52 Ernst Neufert, Bauordnungslehre, herausgegeben vom Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Albert Speer, Verlag Volk und Reich, Berlin 1943 Rudolf Weil bier, .Triumph der Gleichform und des Zusammenpassens., in: Bauwelt. Berlin 1944, 35. /g., S.24-26 Ernst Neufert (Anm. 35), S. II Ernst Neufert (Anm. 27), S. I1 Fritz Gotthelf (Anm. 3), S. 14
40 Neufert sei nie Parteimitglied geworden, so daß nach 1945 gegen ihn .. trotz seiner großen Prominenz nicht das geringste vorlag .. , beteuert Fritz Gotthelf (Anm. 3), S.17 41 Ernst Neufert wandte sich damals an Cornelis van Eesteren, Stadtbaurat in Amsterdam, um ihn für ein Engagement Kleins zu gewinnen, das diesem die Fortsetzung seiner Forschungen über die Rationalisierung im Wohnungswesen erlauben würde; siehe den Brief Neuferts vom 20.2.1934 an Cornelis van Eesteren in: Collectie Nederlands Architectuur-lnstituut, Archief van Eesteren, X. 1037. 42 Ernst Neufert (Anm.35), S.31 43 Ernst Neufert, Bauordnungslehre. Handbuch für Rationelles Bauen nach geregeltem Maß. Frankfurt/Berlin 1961, S.31 44 Ernst Neufert (Anm.35), S.435 45 Vgl. dazu Dietrich Andernacht, Gerd Kuhn, ·Frankfurter Fordismus., in: Ernst May und das neue Frankfurt 1925-1930. Ausst. Kat., Frankfurt 1985, S.54f. 46 Ernst Neufert (Anm. 35), S. 457 47 Ernst Neufert (Anm. 35), S. 471 48 Walter Gropius (Anm. 19), S.9 49 Siehe dazu Winfried Nerdinger (Anm. 18), S. 16-24 50 Vgl. den Durchschlag eines Briefes von Gropius an Ernst Neufert vom 14.5. 1936, in: Bauhaus-Archiv Berlin, Nachlaß Gropius 9/87. Den Hinweis auf diese und die nachfolgende Äußerung von Gropius verdanke ich Winfried Nerdinger. 51 Zum Verlauf dieser Reise siehe Hartrnut Frank, ·Un salto costruttivo per uscire dal caos .. , in: Rassegna. Mailand 1983, Nr. 15, S. 88 f. 52 Walter Gropius, ·Report to the Secretary of the Army Kenneth C. Royal., Dezember 1947, in: Bauhaus-Archiv Berlin, Nachlaß Gropius 531158 53 Zum Packaged House vgl. Winfried Nerdinger (Anm. 18), S.204-206, siehe auch Konrad Wachsmanns eigenen Bericht in seinem Werk Wendepunkt im Bauen. Wiesbaden 1959, S.136ff. 54 Hugo Häring, ·Neues Bauen·, in: Baukunst und Werkform, Heidelberg 1947, H.I , S.31
Ernst Neufert und die Normung 193
EKKEHARD MAI
Weiterwirken der Bauhaus-Pädagogik Aspekte und Fragmente
Weiterwirken der Bauhaus-Pädagogik nach 1933 - das meint vor allem Geist und Inhalt der Bauhaus-Lehre, das bedeutet vor allem die wie auch immer geartete öffentliche und institutionalisierte Arbeit, nicht die private Arbeit im Verborgenen, das meint die ideelle Gemeinschaft der ,Bauhäusler., die sich entweder einem Grundkonsens oder aber ganz konkret einer einmal erworbenen Praxis des Gestaltens erkennbar und bekenntnishaft verschrieben haben, das meint über die absehbare Zahl der Meister vor allem auch die Schüler, die als Nachrücker vielerorts dann tätig wurden - bis hin zu Fach- und Gewerbeschulen, ja zum Schuldienst allgemein. Mit knapp hundert Schülern - so jedenfalls zuletzt noch unter Mies van der Rohe ' - verlor das Bauhaus seine wirtschaftliche Wirksamkeit. Dreizehn Jahre hatte es mit ganz unterschiedlichen Zu- und Abgängen je nach Aufenthalt und Abschluß bestanden. Die Gesamtschülerzahl war mithin sehr groß (ca. 1200), wem also das Etikett ,Bauhaus· zu attestieren ist, fällt nicht leicht. Zumal für die ,braunen Jahre. sehr unterschiedliche Formen des Weiterwirkens anzunehmen sind: nicht nur äußere, sondern auch innere Emigration, unauffällige Weiterarbeit und Existenzsicherung an Schulen unterschiedlichen Charakters, auch Anpassung und Mitläuferturn, das dennoch der Gestaltungspraxis und der Lehre am Bauhaus noch unter braunem Vorzeichen die Grundlagen verdankt oder diese umschreibt und für sich nutzt. Den gelegentlich vollzogenen und getarnten Schulterschluß zwischen der NS-Ideologie und der Modeme gab es ebenso, wie die mit dem Bauhaus gewonne194
nen Grundpositionen der systematischen Vereinigung von hoher und angewandter Kunst, von Werk und Lehre, von Architektur, Bild- und Gestaltungskünsten den Zeitentwicklungen und Zeitnotwendigkeiten entsprachen. Der ideologische Haß, mit dem das Bauhaus von der niederen und offiziellen NS-Kulturpolitik verfolgt wurde, kann kaum darüber hinwegtäuschen, daß man ein System zu eigenen Zwekken nutzen wollte. Dies konnte nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftspolitischen Substruktion des Bauhauses erfolgen, seiner geradezu klassischen Form- und Materialienlehre mit der Betonung des Handwerks und Werkbegriffs, seiner Idee des ineinandergreifenden Gesamtkunstwerks im einen »Bau ", der »absoluten Form", ja auch seiner anthroposophischen Basis. Es ist also die Frage, wo und wie man in der Kunstpädagogik der Ns-Zcit sich des Bauhauses bemächtigte - und zwar über persönlich-biographische Verstrickungen hinaus . Ein solcher Vergleich der Kunstschulpraxis in der Ns-Zeit steht freilich vielfach noch auf ungesichertem Boden. Die Aufarbeitung der braunen Jahre an Kunstschulen läßt immer noch zu wünschen übrig, die Dokumentenlage ist aufgrund von Kriegsverlusten damals noch nicht abgegebener Akten schlecht bzw. der Vernichtung und absichtlichem Vergessen überantwortet worden.2 Wo ist eine ,offizielle· Bauhaus-Rezeption, wo ist verdecktes Weiterwirken, wo Anpassung und Mitläuferturn unter Ns-Gewand, und wer will letzteres einwandfrei entscheiden? Eine Ausgangsposition mag Winfried Wendlands Aufsatz über »Nationalsozialistische Kunstpo-
litik im neuen Preußen .. in der ,Form· vom Oktober 1933 geben, in dem er für das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin die neue Politik begründete: nEs wurde unter die Ära der Zersetzung der Schlußstrichgezogen .. . An den Staatlichen Kunstschulen begann die Reinigung. In Berlin wurde eine Reihe berüchtigter Lehrer an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst beurlaubt, u. a. der bekannte Kunstbolschewist Karl Hofer, dann Weiß, Oskar Schlemmer, an der Staatlichen Kunstschule der Professor Lahs. In Düsseldorf macht die Ära Kaesbach ein weit größeres Aufräumen notwendig. Fast 50% der Lehrerschaft wurden entlassen, u. a. Aufseeser, Moll, Klee und Dr. Albrecht. In Breslau war gleichfalls eine radikale Kur notwendig. Dort wurden beurlaubt Rading und Scharoun, bekannt als Architekten der neuen Sachlichkeit. Molzahn als Maler des Mechanismus. Über die weiteren Kräfte in Breslau stehen die Entscheidungen noch aus, wie gleichfalls an den Berliner Schulen noch einige Veränderungen vorgenommen werden ... 3 Wendland war von Haus aus Architekt, Kustos - so Wulf4 - an den Vereinigten Staatsschulen und Referent im Preußischen Kultusministerium für Ns-Politik. Opfer dieser nKulturerhebung .. als ndeutsche Erhebung« waren an den Vereinigten Staatsschulen bzw. der Kunstschule in Berlin Lehrer wie Oskar Schlemmer, Ludwig Gies, Hans Poelzig, Bruno Paul und Käthe Kollwitz; Paul Klee, Heinrich Campendonk, Oskar Moll, Ewald Matare, später Franz Radziwill und Edwin Scharff in Düsseldorf; Max Beckmann, Richard Scheibe und Willi Baumeister in Frankfurt; Otto Dix in Dresden; Karl Hubbuch und Georg Scholz in Karlsruhe; Friedrich Adler, Friedrich AhlersHestermann und Richard Luksch in Hamburg. 5 Stuttgart oder München z. B. sollten hingegen im Zuge einer Generationserneuerung aus Altersgründen fast automatisch eine nationalsozialistische Berufungspolitik erfahren, die vor allem in der nHauptstadt der Bewegung« mit dem Maltechniker Adolf Ziegler als
Präsident der Reichskammer der bildenden Künste dann eine besonders fatale und programmatische Neubewertung der nKunststadt München« zur Folge haben sollte. 6 Für Breslau, Königsberg oder Kassel war schon ab 1931 das Ende eingeläutet worden; Gleichschaltung, Machtergreifung und Entmachtung folgten. ? Ein enormer Aderlaß an Lehrern und Schülern hatte nach 1933 die Kunstakademien betroffen. Berufsbeamtengesetz, Arbeitsdienst und Wehrmacht neben Rassismus und antikommunistischen Kampfzielen bzw. neben einer nationalideologischen Front gegen den Internationalismus sollten ab 1933, vor allem nach 1937 und 1939 für die Instrumentarien sorgen, mit denen die Modeme bekämpft wurde. Das Bauhaus war dafür ja nur das plakativste und programmatischste Synonym, es war zum Inbegriff von Internationalismus und Avantgarde geworden, besetzte den Schul- und Ausbildungsgedanken und besaß ein universales Konzept vom Bau aller Künste über Architektur und Handwerk, der letztlich dem totalitären Bau- und Einheitsgedanken, der 'Architektur. des Reichs, in die Quere kam. Wie aber sah nun das Über- und Weiterleben von Bauhaus-Ideen und Ex-Bauhäuslem aus? Auf persönliche Schicksale und Biographien bezogen, konnte dies heißen: Entlassung in die äußere und innere Emigration, manchmal auch Berufs- und Ausstellungsverbot. Auswanderung in die USA, nach Frankreich, die Schweiz, Italien und Spanien läßt sich mehrfach konstatieren, wie z. B. bei Feininger, Itten, Max PeifferWatenphul, Gunta Stölzl oder Marli Ehrmann. Andere privatisierten und suchten sich mit Gebrauchsarbeit über Wasser zu halten, oder sie traten in Firmen ein, die ihre Werkarbeit gebrauchen konnten und sie förderten. So übernahm Wilhelm Wagenfeld von 1935 bis 1942 die künstlerische Leitung der Vereinigten Lausitzer Glaswerke, wurde Hannes Schmitt Kameramann und Regieassistent bei der UFA und Tobis, begründete Wemer Graeff in Locarno eine eigene Fotoschule. Einige der bedeutendsten Bauhaus-Künstler wie Schlemmer und Muche mit ihren Freunden Baumeister und Gerhard 195
Marcks fanden in der Farbenfabrik von Kurt Herberts in Wuppertal einen Tarnunterschlupf und entwickelten sogar unter dem Eindruck neuen Farbmaterials neue praktische und theoretische Gestaltungsmöglichkeiten. Das war die eine Möglichkeit, eine andere war die Fortsetzung der Lehr- und Gestaltungspraxis als Einzelkämpfer an Werkschulen, Schulen oder privaten Einrichtungen im In- und Ausland. Bezeichnend ist ein Brief Oskar Schlemmers an seine Frau von 1940, in dem er eine Stippvisite in Krefeld beschreibt: »Muche hat telegrafiert, daß sie mich zu einem Besuch in Krefeld erwarten. Er ist älter geworden. Nach dem Essen gingen wir zur Schule, einem alten Backsteinbau. Ganz oben im Dach sind die Räume von Muche, die mit dem übrigen Teil nichts zu tun haben. Eigener Etat von der Industrie. Er zeigte mir Stoffe, die unter seiner Leitung entstanden, zum Teil schöne Sachen, wie man sie nicht oder selten sieht. Entschieden Anregungen für die Industrie, die sie kauft und im großen herstellt. Er zeigte mir auch freie Arbeiten, Malereien, meist Stilleben. Die Atmosphäre jedenfalls gut. Wir gingen noch im Museum vorbei, wo zur Zeit eine kunstgewerbliche Ausstellung [>Deutsche Werkkunst, I ist: Wagenfeld (Gläser), Lindig (sehr schöne Vasen), Wandteppiche von Benita Otte und der Mögelin, auch Tümpel. Ebenso ist Kadow, der Leiter einer Schulklasse, vom Bauhaus, desgleichen seine Frau, Lehrerin für Seidenstickerei . Ein Teil davon war nachher bei Muche zum Kaffee, außerdem Volger, Stadtbaumeister in Krefeld, der Mann der Lisbeth Beyer. Das war nun wirklich eine Überraschung! Man wollte natürlich viel von mir wissen. Ist das nicht amüsant, soviel Bauhaus auf einem Fleck und alles brauchbare Leute? ,,8 In der Tat war dies eine Ausnahmesituation der Konzentration von Bauhauskräften an einer Textilfachschule, wie es allenfalls noch von der ehemaligen Kunstgewerbeschule, der Meisterschule für gestaltendes Handwerk in Stettin und teils noch von der Burg Giebichenstein überliefert ist, Giebichenstein ist ein eigenes Thema 9 - was Stettin angeht, so ließen 196 Ekkehard Mai
sich hier u. a. EIsa Mögelin (Textilklasse) und Kurt Schwerdtfeger (Bildhauerei) nennen, allerdings erfuhr Mögelin erhebliche Einschränkungen als freie Künstlerin, Schwerdtfeger wurde als Mitglied der Novembergruppe 1937 entlassen. Der Hölzel-Schüler Vincent Weber hingegen, ebenfalls ehemaliges Mitglied der Novembergruppe und der Rheinischen Sezession, war Leiter der Abteilung Malerei von 1934 bis 1945, wobei aber einschränkend der Wehrdienst seit 1941 zu nennen ist. Sakrale Malerei und christliche Kunst, verbunden mit seiner Professur in Rom (span. Akademie?), mochten ihn mehr schützen als Schwerdtfeger. Freilich bedürfte es hier genauerer Auskunft aus Stettin selbst. Noch eine Reihe anderer solcher Lehrtätigkeiten, allerdings dann vereinzelt, wären anzuführen - etwa Friedrich Engemann, der nach seinen Bauhaus-Zeiten in Dessau und Berlin von '33 bis '39 als Leiter der Abteilung Holz an den Technischen Lehranstalten in Dessau verblieb, Leo Grewenig, der als Maler nach seiner Bauhaus-Zeit bei Kandinsky und Klee und nach zwischenzeitlichen Lehrtätigkeiten im Saarland schließlich daselbst Kunsterzieher mit Staatsexamen wurde, ebenso Ludwig Hirschfeld-Mack, den es als Kunsterzieher nach Australien verschlug, oder aber der Formentwerfer und Bildhauer Hans Hoffmann-Lederer, der nach Kriegsdiensten ab 1943 als Lehrer an der Kunsthochschule in Posen unterkam. Auch Hans Pistorius konnte sich als Kunsterzieher an der privaten Berthold-Otto-Schule in Magdeburg bis 1940 halten, bis er dann einberufen wurde. Neben den Farbenfabriken Dr. Kurt Herberts in Wuppertal dürfte aber die schon erwähnte Textilschule in Krefeld ein herausragender Fall gewesen sein. JO Erst die jüngste Itten- und Muehe-Literatur enthält Nachrichten zur tatsächlichen Arbeit und zur Überlebenspraxis in Krefeld, wobei das Spektrum von Lehre und Wirkung durchaus detailliert zur Sprache kommt. 11 Diese erst 1932 als eigener Zweig der Webschule unter Itten ins Leben gerufene >Schule für textile Flächenkunst, war das Ergebnis von Forde-
rungen seitens der Textil- und Seidenindustrie, die sich eine andere zeitgemäße geschmackliche Vorbildung ihrer Meister und Arbeiter wünschte. Man wollte eine systematische Aufbauschulung, für die Itten der rechte Mann schien. Nicht von Staat und Stadt - von der Industrie ging die Berufung und Finanzierung Ittens aus, der von Anfang 1932 bis Ende 1937 die Schule leitete. Idee und Absicht war, die sogenannte Flächenkunstschule als Gestaltungsvorhut mit der praktischen Webschule zu verbinden. Anfangs war dies institutionell getrennt, nach dem Weggang Ittens allerdings wurde daraus eine Abteilung der Webschule, bevor ein neuerlicher Anlauf - diesmal unter dem Begriff einer >Meisterklasse für Textilkunst· - die Berufung Georg Muches zum 1. April 1939 zur Folge hatte. 12 Die industriellwirtschaftliche Bedeutung sorgte hier offensichtlich für einen Freiraum; denn selbst nach dem Brand der Webschule von 1943 wurde die Meisterklasse beibehalten und nach Xanten ausgelagert, llm in den Räumen der dortigen Berufsschule weiterzuarbeiten. 1944 war dann aufgrund der Kriegslage die Zusammenlegung mit der Textilingenieurschule in Chemnitz per Erlaß angeordnet, jedoch von der Schule selbst erfolgreich abgelehnt worden. Die Schule überstand daher voll die Kriegsjahre und wurde 1945 unter den Militärbehörden reorganisiert und neu aufgebaut. Zu Ittens Arbeit in Krefeld und zu seinem Elementar- und Naturunterricht in Strukturund Kompositionsübungen liegen detaillierte Eigenberichte vor. Die Industrie zielte sogar auf eine Akademie der Textil- und Modeindustrie. Aber wie er dann schon im November 1937 in einem Brief an Gropius zusammenfaßt, nachdem auch von ihm Bilder in der Ausstellung >Entartete Kunst· gezeigt wurden: »Der Erfolg meiner Krefelder Arbeit ist unbestritten. Die Industrie bestätigt, daß unsere Schularbeit ihr bringt, was sie braucht. Alle ausgebildeten Schüler sind in der Industrie tätig und zum Teil außergewöhnlich erfolgreich. So kann ich sagen, daß ich das Problem Kunst und Technik in pädagogischer Hinsicht - und meiner Ansicht
nach ist es ein pädagogisches Problem - für die Textil-Industrie auf breiter Basis gelöst habe. Die kulturelle und volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Problems brauche ich Ihnen nicht auseinanderzulegen . .. Wäre ich nicht Schweizer und ehemaliger Bauhäusler, so würden Regierung und Industrie meine Arbeit zweifellos auf breiter Basis ausbauen zu einer Akademie der Textil- und Mode-Industrie .. . Aber meine Gegner sind eine wohl organisierte Übermacht, so daß ich am 1. März 1938 sehr wahrscheinlich die Koffer packe als ein >Entarteter. und volksfremder Schweizer. « 13 Itten trug sich gegenüber Gropius mit Emigrationsplänen und der NeugIÜndung einer vergleichbaren Schule in Amerika, ging dann aber an die Kunstgewerbeschule und das Kunstgewerbemuseum in Zürich, als die Schule zum 1. April 1938 aufgehoben wurde. Unter solchen Umständen muß sich die Wiederbelebung durch Muche in Gestalt einer Meisterklasse recht erstaunlich ausnehmen. Als Maler, Bauhäusler und Formmeister der Weberei seit 1920 war er in der Vorkurspraxis völlig einig mit Itten, wiewohl er keine Theorie hinterließ. 14 Aber eben dies, zusammen mit der Art seines wenig auffälligen Wesens, das sich eher zurückzog und einem persönlichen Konserva tivismus zu verschreiben schien, machte wohl möglich, was mit dem exponierten Itten schwierig schien: Fortsetzung der durchaus anerkannten und erfolgreichen Arbeit, ohne zuviel werbewirksame Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Muche blieb nämlich auch in Krefeld seinem abstrakt-konstruktiven Bildschaffen treu, auch er war schließlich mit dreizehn Bildern in der >Entarteten Kunst· vertreten. Er wählte die »innere Emigration « und übernahm erst nach langwierigen Verhandlungen die Meisterklasse: »Die Klasse hatte, weil sie nicht nur von Staat und Land, sondern auch von der Industrie finanziert wurde, einen relativ selbständigen Status, so daß Muche seine Lehrtätigkeit (Malen, Zeichnen und deren Anwendung für die Textilgestaltung) während der ganzen Kriegszeit ohne wesentliche politische Behinderung ausüben konnte.« IS Auch er fand Weiterwirken der Bauhaus · Pädagogik 197
im übrigen bei Kurt Herberts in Wuppertal in dessen >Institut für Malstoffkunde· ein Refugium, das »im Geheimen und Verborgenen die Bauhausüberlieferungen fortsetzen .. ließ. 16 Die Untersuchung seiner 20jährigen Arbeit in Krefeld bis 1958 steht noch aus. Eine weitere Überlebensmöglichkeit für Bauhäusler scheint neben Krefeld und Stettin schließlich die 1902 gegründete Privatschule des Bildhauers Albert Reimann in Berlin geboten zu haben. Entwurfs- und Atelierpraxis, die Herkunft aus der Kunstgewerbebewegung und der Werkschulgedanke machten diese Schule dem Bauhaus wahlverwandt. Als private Kunstgewerbeschule mit Anwendungsaufträgen aus Industrie und Wirtschaft bestand sie bis zur Emigration Albert Reimanns, der Jude war, im Jahre 1935, und wurde dann von dem Architekten Hugo Häring übernommen und fortgeführt. 17 Vor allem der hohe, auch jüdische Ausländeranteil in der Schule sowie ihre Reputation bei der Industrie hatten für ihren Erfolg und Fortbestand über 1933 hinaus sorgen können, auch wenn dann massive Einbrüche in Schülerschaft und Auftragslage eintraten. Carl Gadau, der 1. Vorsitzende des NS-Betriebsrates, formulierte die neuen Ziele von deutscher Kunst und deutschem Volk schon 1933 - möglicherweise Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Schule -, doch nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 mußte sie verkauft werden. Reimanns Nachfolger Hugo Häring versuchte trotz einer enormen Schuldenbelastung und dem Versuch der Neugründung einer Reimann-Schule in London durch den Sohn Reimanns einen Neuanfang. Das Verhältnis Reimann - Häring ist mehrfach zur Sprache gebracht worden, und der Vorwurf, Häring habe sich am Vermächtis Reimanns schadlos gehalten, entspricht nach Lage der Dinge wohl kaum der Wirklichkeit. 18 Häring führte an den Staat ab, was Reimann zustand - zwangsweise und unter erheblich erschwerten Bedingungen, da er längst nicht mehr das Wirtschaftsaufkommen der früheren Schule hatte. Häring hat dies umfänglich in einer >Erwiderung auf die Angriffe Albert Reimanns· vom November 1938 dargelegt. 19 Hä198 Ekkeh ard Mai
ring war sicher darauf bedach t, den Erhalt der Schule den Preußischen Ministerien als in deren eigenem Interesse liegend darzustellen. Tatsache ist aber, daß die Bauhaus-Meister Walter Peterhans und Joost Schmidt bei Hugo Häring beschäftigt wurden, daß personenbezogen und nicht per Programm gelehrt wurde und es ihm somit möglich wurde, »der Schule mitten im >Dritten Reich· eine höchst modeme, teilweise nahezu avantgardistische Prägung zu geben .. , so jedenfalls Aschenbrenner. 20 Moll, Scharoun und Schlemmer gehörten zum Freundeskreis und »wurden zu spezifischen Aufgaben herangezogen... Erst 1943 wurde durch den Bombenkrieg die Arbeit eingestellt, aus der Verlegung nach Sch loß Wurzach wurde nichts mehr.
Kunstschulen und -akademien
Soweit Enklaven von Bauhäuslern. Wie aber sah es mit den großen Kunstschulen und -akademien aus? Es ist dies im Grunde ein eigenes Kapitel, über das bereits unterschiedliche Arbeiten vorliegen, überwiegend freilich geprägt von der Abwehrhaltung gegenüber dem Unrechtsregime und der Wiedergutmachung gegenüber den betroffenen Künstlern . Es verunklärt dies die Einschätzung der tatsächlich an den Schulen geleisteten Arbeit und ihrer Grundlagen, die nicht nur einer neuen Blut-und-Boden-Politik verpflichtet waren. Über die keineswegs klaren, sondern wechselnden Positionen in der »Auseinandersetzung um die künstlerische Modeme an den Vereinigten Staatschulen .. Berlins hat sich ausführlich Christine FischerDefoy in >Kunst Macht Politik· geäußert.2 1 In Düsseldorf sollten sich die seit 1919 mitgeschleppten Konflikte zwischen einer traditionellen und überalteten Lehrerschaft und einer neuen jungen Kunst in der Gestalt des 1924 berufenen Kunsthistorikers, Sammlers und Erfurter Museumsmannes Walter Kaesbach und seiner engagierten Berufungspolitik 1933 konzentrieren .22 Die politischen Vorzei-
ehen waren jetzt zur dauerhaften Bereinigung einer alten Fehde günstig - auch insofern Kaesbach der erste Nichtkünstler auf dem Direktorenstuhl war. Seit 1929 hatte er Campendonk, Klee (1931), Matare und Moll (1932) berufen, auch Architektur und Bühnenkunst besetzte bzw. schuf er neu. Im Jahr 1933 wendete sich jedoch das Blatt - er bekam sofortiges Hausverbot. Primär richteten sich die Angriffe gegen die Maler, darunter Paul Klee - allerdings ist bis heute nicht ganz klar, wann und wie Klee gekündigt wurde. Klee hegte anfangs noch Hoffnungen, bleiben zu können, und zwar unter dem Interregnum des Architekten Peter Grund, aber dann machte seine Beurlaubung kurze Zeit später diesen Plan zunichte. 23 Auch an der Städelschule in Frankfurt gab es Entlassung, Neubeginn und Kompromiß. Scheibe, Baumeister, Beckmann und Klimt waren neben dem Kunsthistoriker und Direktor Fritz Wiehert gleich entlassen worden. Äußere und innere Emigration waren die Folge. Und dann gab es den »Fall des Fachlehrers Karl-Peter Röhl, der, mit rotem Schal vom Bauhaus kommend, sich und andere für A vantgardismus und antifaschistische Aktion begeistert, nachher mit gleichem Enthusiasmus fürs >Völkische, ist. Er engagiert sich im NS-Studentenbund« - so Günter Bock über die Städel-Schule im Dritten Reich. 24 Dennoch sorgte das Selbstverständnis Frankfurts als Freie Reichsstadt für Berufungen und Besetzungen bis 1943, »die ein Maximum an Freiheit mit einem Minimum an Konflikt verband«. Der Bürgermeister, Dr. Krebs, ließ sogar den Namen Städels wieder aufleben - 'Städtel, aus dem Jiddischen vielleicht und damit Herkunftsbezeugung des alten Stifters? Tatsache ist, daß in Frankfurt jedenfalls auch der Antinazi Delavilla und der Bauhäusler Josef Hardtwig an der Städelschule überlebten. Hamburg schließlich: Auch hier war es wie in Düsseldorf und Frankfurt zu rassistisch begründeten Entlassungen von Direktor Max Sauerlandt, Bauhäuslern, Juden und »Baubolschewisten« gekommen, darunter vor allem der Architekt Karl Schneider und die mit ihm
für »Architektur- und Raumkunst« zuständigen Bauhaus-Schüler Alfred Ehrhardt und Fritz Schleifer. 25 Nach dem Sturz auch des Direktors Maetzig 1934, der lange eine geschickte Politik des Ausgleichs betreiben konnte, war einmal mehr die Förderung des Handwerks zum ideologischen Programm erhoben worden und mündete unter dem Direktor, dem Schmitthenner-Schüler und Architekten Paul Fliether, schließlich im Vorschlag einer »aus den Werkstätten zu entwickelnden Kunsthandwerkerschule« bzw. einer »Meisterschule des deutschen Handwerks«. Die Werkgemeinschaft im Fundament der Werkstätten machte es möglich, daß sich hier positive und auch negative Möglichkeiten von Bauhaus und Werkbund miteinander verknüpften und in der inhaltlichen Zielsetzung von Stoff- und Materialgerechtigkeit einer traditionalistischen Moderne ihre Verankerung erfuhren. Ein ehemaliger Bauhäusler wie der Runenschnitzer, Maler und Holzbildhauer Heinrich Konrad fand hier ebenso eine Wirkungsstätte wie Fliether selbst ein umgedeutetes Erbe von Werkschule und Bauhaus schon nach 1919 gepflegt hatte.
Bruch und Kontinuität
Vor dem Hintergrund dieser knappen Skizze scheint ein Urteil über das Fortleben der Bauhaus-Pädagogik im Positiven wie Negativen keineswegs klar. Persönliche und institutionelle Formen von Bruch und Kontinuität sind das eine, die Grundgedanken des Bauhauses das andere. Sie wurden durchaus auch adaptiert und pervertiert. Der Grundkonflikt von Tradition und Moderne fand im Bauhaus den spektakulärsten Träger, der beide Stränge gleichermaßen verfolgen ließ. Auffällig jedenfalls scheint, daß primär dort, wo freies Gestalten hohe Kunst vermeint, Ablehnung als ideologisches Programm gefordert und dort, wo Gestalten wirtschaftlich nützlich und industriell verwertbar schien, Duldung, wenn nicht Integration möglich war. Architektur, Technik und Handwerk, praktische und wirtschaftliche Nützlichkeit Weiterwirken der Bauha us·Pädagogik 199
und eine Systematik der Erziehung stellten nach 1933 die Hauptforderungen für eine Reform des Kunstunterrichts an den klassischen Kunstschulen dar. Werk- und Volksverbundenheit war gefragt, das Hineinwirken ins Leben. Das zeigt verdächtige Übernahmen und Aufgriffsmöglichkeiten von Gedanken, wie sie um und nach 1900 entstanden waren und schließlich im Bauhaus kulminierten. Von daher ist mancher Schul terschluß - offen oder verdecktvon der einen wie anderen Seite möglich gewesen. 26
ANMERKUNGEN
Frau Magdalena Droste danke ich sehr herzlich für die Beschaffung von Material aus dem Archiv des Bauhauses. Grundsätzlich sei auf das Buch von Rainer Wick, bauhaus Pädagogik, Köln 1982, verwiesen. Die NSZeit wird nicht eigenständig thematisiert.
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Über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Notwendigkeiten der Lizenzeinkünfte und Industrieaufträge nach Privatisierung und Wegfall aller öffentlichen Unterstützung vgl. vor allem Peter Habn (Hrsg.), bauhaus berlin. Auflösung Dessau 1932, Schließung Berlin 1933, Bauhäusler und Drittes Reich, Eine Dokumentauon, zusammengestellt vom Bauhaus-Archiv Berlin. Berlin 1985, besonders S. 91 H.; Adalbert Behr, .Ludwig Mies van der Rohe und das lahr 1933·, in: Wiss. Z. Hochseh. Archil. Bauwes.-A.Weimar 33 (1987). Nr.4 /5/6, S. 277 ff. Vgl. die knappe Skizze von Ekkehard Mai, .Westdeutsche Kunstakademien nach '45·, in: H. Borger, E. Mai, S. Waetzoldt (Hrsg.), '45 und die Folgen. Kunstgeschichte eines Wiederbeginns. Köln/ Weimar/Wien 1991 , S. 187 fl. Seit dem 30.lanuar 1933 war eine systematische Kampagne zur Entlassung aller mißliebigen und als .. kulturbolschewistisch .. diffamierten künstlerischen und wissenschaftlichen Kräfte eingeleitet worden. Wendland veröffentlichte seine Tirade auch in: Baugilde 15, 1933, S. 974 H. Vgl. losepb Wulf, Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963, S.70 Vgl. Christine Fischer-Defoy, Kunst Macht Politik. DIe Nazifizierung der Kunst - und Musikhochschule in Berlin. Berlin 0.1. (1986); dieselbe, ..·Meine Rettung nach Berlin ist ein Akt der letzten Stunde ... Oskar Scblemmers Lehrtätigkeit an den Vereinigten Staatsscbulen Berlin im Wintersemester 1932133·, in: Peter Hahn (Anm. I), S. 235 H.; Wemer Alberg, ·Kunst zwischen Propaganda, Verdrängung und Anklage. Die Si-
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tuation der bildenden Kunst 1933- 1945·, in: 1946. Neuanfang: Leben in Düsseldorf. hrsg. vom Stadtmuseurn Düsseldorf, Düsseldorf 1986, S. 247 H.; Städelschule Frankfurt am Main. Aus der Geschichte einer deutschen Kunsthochschule, hrsg. vom Verein der Freunde der Städelschule e. V., Frankfurt a. M. 1982; Dresden. Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste (1764- 1989), Dresden 1990; I. Heusinger von Waldegg, Die Hochschule der bildenden Künste im Dritten Reich. Akademiegeschichte von den zwanziger lahren bis in die fünfziger lahre und ihre kulturpolitischen Voraussetzungen , Karlsruhe 1987; Hartrnut Frank (Hrsg.), Nordlicht. 222 lahre. Die Hamburger Hochschule für bildende Kün ste am Lerchenfeld und ihre Vorgeschichte, Hamburg 1989 6 Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stutlgart. Eine Selbstdarstellung. Stuttgart 1988; Winfried Nerdjnger, ·Fatale Kontinuität: Akademiegeschichte von den zwanziger zu den fünfziger lahren., in: Thomas Zacbarias (Hrsg.), Tradition und Widerspruch . 175 Kunstakademie München, München 1985, S. 179ff. 7 Vgl. Ernst Scheyer, Die Kunstakademie Breslau und Oskar Moll, Würzburg 196 1; Poelzig. Endell. Moll und die Breslauer Kunstakademie 1911-1932. Ausst. Kat. Berlin/Mühlheim 1965; Kunstakademie Königsberg 1845- 1945, hrsg. von der Prussia-Gesellschaft e. V. in Duisburg und der Ostdeutschen Galerie in Regensburg, Regensburg 1983; Günter Krüger, ,Zu r Gesch ichte der ostdeutschen Kunstakademien., in: Deutsche Kunst aus dem Osten, Ausst. Kat. Bonn/Berlin 1989190, S. 11 7 fI. 80skar Schlemmer, Idealist der Form . Briefe. Tagebü cher, Schriften 1912-1943, brsg. von Andreas Hüneke, Leipzig 1989, S.330 9 Hierzu dje letzten vier Titel: Wilhelm Nauhaus, Die Burg Giebichenstein. Geschichte einer deutschen Kunstschule 1915-1933, Leipzig 198 1; 75 1ahre Burg Giebichenstein 1915-1990. Beiträge zur Geschichte. ausgewählt und eingeleitet von Renate Luckner-Bien, Halle 1990; Design und Kunst: Burg Giebichenstein 1945-1990. Ein Beispiel aus dem anderen Deutsch land, Ausst. Kat., hrsg. von Florian Hufnagl, München 1991 ; Katja Schneider, Burg Giebichenstein. Die Kunstgewerbeschule unter Leitung von Paul Thiersch und Gerhard Malck s 1915 bis 1933, Weinheim 1992 10 100 lahre Textilingenieurschule Krefeld, Krefeld 1955 11 Vgl. die ausführliche Studie von Karin Thönnissen, ,ohannes Itten und die Höhere Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld, Ausst. Kat. des Deutschen Textilmuseums Krefeld, Krefeld 1992 12 Vgl. Georg Muche. Das künstlerische Werk 1912- 1927, Ausst. Kat. Berlin 1980 sowie 100lahre (Anm. 10). 13 Willy Rotzier, ,ohannes Itt en. Werke und Schriften. Zürich 1978, S.85 14 Georg Muche (Anm. 12), S.22 15 Horst Richter, Georg Muche, Recklinghausen 1960, S. 17 16 Paul Ortwin Raye, Kunstdiktatur im Dritten Reich. Hamburg 1949, S.74. Die Beziehungen zu Herberts
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sind vor allem in den Tagebüchern Willi Baumeisters ausführlich dargelegt, vgl. u. a. Willi Baumeister, Ausst. Kat. Berlin 1989, S. 46 H. Dokumentation und Darstellung in: Hans Maria Wingler (Hrsg.), Kunstschul-Reform 1990- 1933. Fünf Beispiele ihrer Verwirklichung, Berlin 1977, S.246ff. Ebda., S.270 u. a. Hugo Häring, Die Schule KUN ST UND WERK . Eine Erwiderung auf die Angriffe Albert Reimanns, 28. I J. 1938 (Durchschlag im Archiv der Akademi e der Künste Berlin ) In : Hans Maria Wingler (Anm . S. 268. Vgl. Anm .5. Vgl. W. Alberg (Anm . 5); Anna K1aph ek, Walter Kaes bach und die zwanziger lahre an der Kunstakademie, Düsseldorf o. J.; vgl. zur Person auch Walter Kaesbach , Stiftung 1922-1937. Die Geschichte einer expressionistischen Sammlung in Mönchengladbach, bearbeitet von Sabine Kimpel, Mönchengladbach 1978
In
23 Vgl. Christi ne Hopfengart, Klee. Vom Sonderfall zum Publikumsliebling. Stationen seiner öffentlichen Resonanz in Deutschland 1905-1960, Mainz 1989, S. 97 H. 24 Städelschule Frankfurt am Main (An m .5), S. 103 25 Nordlicht (Anm.5) 26 Kennzeichnend für di e Ambivalenz der Haltung mag eine Passage, stellvertretend für andere, aus dem Brief eines Schweizer Architekturstudenten vom 26.6. 1932 (noch zu Dessauer Zeiten) an einen Schweizer Archi tekten sein: "Tatsache ist, daß man mit allen Mitteln versucht, die Kommunisten und Juden zu vertreiben. Wir werden stets gewarnt, in Kleidung und Benehmen die Spießer der Stadt nicht zu erregen. Di e Mei ster, die um ihre Gehälter fürcht en, suchen sich in jeder Beziehung bei den Nazis angenehm zu machen. Die Nazis wollen das Haus jedenlalls stehen lassen. Wer sich ,gut aufführt., kann bleiben. Aber statt dem 'Kulturbolschewismus, soll dann gute deutsche Kunst getrieben werd en .. , in : bauhaus berlin (Anm. 1), S.69
Weiterwirken der Bauhaus-Pädagogik 201
PETER HAHN
Wege der Bauhäusler in Reich und Exil
Den Initiatoren dieser Veröffentlichung geht es, Winfried Nerdinger hat dies einleitend begründet, um die Aufklärung tatsächlicher Abläufe in den vom Bauhaus repräsentierten Gestaltungsbereichen während der NS-Jahre und weniger um Personen und deren mögliche Verstrickung in den Unrechtsstaat und dessen Unrechtshandlungen. Das heißt gewiß nicht, daß diese Geschichte, wie jede Geschichte, unabhängig von Personen abgelaufen wäre: Auch Bauhäusler waren vom NS-Staat betroffen. Nicht wenige haben gelitten und sind verfolgt worden. Viele, darunter einige der angesehensten und erfolgreichsten, sind außer Landes gegangen. Andere haben sich in Hilfsberufen, die oft weit von ihren eigentlichen Neigungen und Fähigkeiten entfernt waren, notdürftig durchgeschlagen. Viele, wenn nicht die meisten, haben sich an die Verhältnisse angepaßt und in bescheidenem Umfang gestalterisch gewirkt. Wieder andere haben im NS-Staat erfolgreich Karriere gemacht. Auf diese unterschiedlichen ,Wege der Bauhäusler, und, wo dies möglich ist, auf deren Hintergrund hinzuweisen ist Sinn der nachfolgenden Skizze. Diese Wege nahmen vom Bauhaus ihren Ausgang (soweit man überhaupt die gemeinsame Schulzugehörigkeit einer Gruppe von gut über 1200 heterogen geprägten Zeitgenossen als tragfähiges Kriterium betrachten kann). I Wir wissen, daß die Lehrinstitution Bauhaus am 1l. April 1933 in einer Polizeiaktion endete: Das Schulgebäude wurde von Polizei und SA umstellt, durchsucht und versiegelt, eine Reihe von Studierenden wurde festgenommen (Abb. 1).2 Dies bedeutete noch nicht, formal jedenfalls nicht, die Auflösung des Bauhausesj 202
die erfolgte erst am 20. Juli 1933, und zwar als Selbstauflösung des Instituts durch Mies van der Rohe und die bis zuletzt in Berlin verbliebenen Lehrer. Ob dies angesichts der damals schon hoffnungslosen Situation ein Akt der Resignation war oder (wie dies Mies van der Rohe rückblickend darstellt)3 ein Akt trotziger Selbstbehauptung, ist keineswegs irrelevant. Nicht die Nazis hätten demnach das Bauhaus geschlossen, wie dies populär weltweite Meinung ist, sondern der Lehrkörper selbst hätte dieses Ende festgesetzt. Für die Wirkung und das Ansehen des Bauhauses ist dies deshalb bedeutsam, weil seine Einschätzung - das Bauhaus als Repräsentant des guten, d. h. von den Nazis verfolgten Deutschland - stets mit seinem gewaltsamen Ende verknüpft war. Die Situation 1932/33 liefert zugleich einen Schlüssel für die Wege der Bauhäusler während der nachfolgenden NS-Jahre, gleichviel ob die Betreffenden in Deutschland blieben oder ins Exil gingen, und auch nicht allein für die Bauhäusler der letzten Jahre. Sicher wird man die Frage stellen können, ob und weshalb denn das Ende des Bauhauses unausweichlich war - denn gleichgeschaltet hä tte auch ein Bauhaus, wie manche verwandte Institution, so der Werkbund, fortexistieren können. 4 Die tieferliegenden Ursachen für die Selbstauflösung des Bauhauses erklären sich indessen nicht allein durch seine Situation während der ersten Monate des NS-Regimes. Sie liegen vor allem im Programm und in der Ge-
1 [wao Yamawaki, >Der Schlag gegen das Bauhaus<, Zeitungs- und Photocollage, 1932
schichte des Bauhauses begründet, auch in dessen positiver wie negativer Publizität als Symbol und Sachwalter der ,Moderne, schlechthin. So wie dieser Begriff in der Bauhaus-Literatur im allgemeinen angewand t wird, bedarf er allerdings der Präzisierungj es reicht nicht hin, ihn im Sinne einer Vermittlung von technisch orientierter Zweckhaftigkeit und ,moderner, Kunst zu verwenden, und zwar in einer Phase, die (vereinfacht ausgedrückt) mit Gropius' Fagus-Fabrik beginnt und mindestens bis in die fünfziger, sechziger Jahre ausgreift. Längst ist darauf hingewiesen worden, daß diese ,Moderne, in Wahrheit viel weiter zurückliegende Wurzeln hat, etwa in den Ingenieurbauten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. 5 Er ist auch viel umfassender konnotiert, als dies der bauhausspezifische Begriff .Gestaltung' nahelegt, und zwar durchaus unterschiedlich in den verschiedenen kulturellen und zivilisatorischen Bereichen Literatur, bildende Kunst, Musik, Architektur, Wissenschaft, Technik und der gesellschaftlichen und geschichtlichen Entwicklung ganz allgemein. Das Bauhaus als Sachwalter der gestalterischen Moderne versuchte den Brückenschlag zwischen Entwicklungslinien, die einander lange Zeit gegenüberstanden: die ·klassische, Tradition, geprägt von den Werten ,Kunst', ,Kultur', .Akademie" und die ,andere Tradition', deren Exponent der Ingenieur und Konstrukteur ist und deren Wertvorstellungen sich eher an .Technik" .Zivilisation, ,Fortschritt" ,Konstruktion, und ,Experiment' orientieren. Für die Rezeption des Bauhauses bis in die Nazijahre hinein ist dabei bedeutsam, daß die Reaktion der ,klassischen, Tradition auf die Entwicklungen der ·anderen Tradition' seit jeher einen konservativen, technikfeindlichen und kulturpessimistischen Einschlag aufweist. 6 So machte sich das Bauhaus schon dadurch von Beginn an Feinde, daß es überkommene akademische Strukturen in der Ausbildung von Künstlern programmatisch in Frage stellte. Wichtiger ist noch, daß dieses Programm, das mit einer postulierten ·Rückkehr zum Handwerk, begann, den Weg zur Industrialisierung 204 Pe l er H ahn
von Kunst und Gestaltung fortschritt, was ihm aus heutiger Sicht den Ruhm einbringt, Wegbereiter des Industrie-Designs gewesen zu sein, zeitgenössisch aber die Angriffe derselben kleinbürgerlichen Kräfte auf sich zog, die den Nährboden für die NS-Bewegung bildeten. (Tatsächlich haben dann auch die im ,Dritten Reich, verbliebenen Bauhäusler, so weit sie gestalterisch tätig blieben, in ihrer Mehrheit eher kunsthandwerklieh als industriegestalterisch gewirkt.) Während der Weimarer Jahre ging es dabei einmal um die von seinen rechtsorientierten Gegnern geschickt instrumentalisierten, letztlich sozial motivierten Ängste, das vom Bauhaus propagierte - tatsächlich nur innerhalb recht enger Grenzen auch realisierte - industrie-Design könnte dem tradierten Handwerk den Boden en tziehen, zum anderen um die ,epater le bourgeois,-Haltung eines Teils der Bauhaus-Leute selbst. Die Gegnerschaft von Rechts zog das Bauhaus zeit seiner Existenz auch durch die internationalität seiner Lehrer wie seiner Studierenden auf sich. Tatsächlich hatte es, im Vergleich zu anderen deutschen Hochschulen, relativ viele ausländische Lehrkräfte, darunter waren einige seiner prominentesten: Der Schweizer Johannes Itten, der seinen Vorkurs in Wien entwickelt hatte, der Russe Wassily Kandinsky, der Deutsch-Schweizer Paul Klee, der Österreicher Herbert Bayer, der Ungar Laszlo Moholy-Nagy, später die Schweizer Hannes Meyer und Konrad Wittwer, der Holländer Mart Stam und der Tscheche Karel Teige können für diese grundsätzliche internationalität stehen. Auch der Ausländeranteil der Bauhaus-Studierenden war deutlich höher als an vergleichbaren Kunstschulen. 7 Schließlich machte auch der soziale Anspruch seines Programms das Bauhaus seinen Gegnern suspekt, obschon sich dieser Anspruch expressis verbis nicht politisch oder gar sozialrevolutionär verstand - allenfalls in Teilen bildet hier die Ära Meyer eine Ausnahme - , sondern sich in Theorie, Ausbildung und Praxis auf Gestaltungs-, Architektur-, Wohnungs- und Städtebaufragen bezogj Fragen, die allerdings hinreichend poli-
tische Brisanz in sich trugen. Das Bauhaus war stets in hohem Maße angewiesen auf die politische Unterstützung der Kräfte der Mitte und links der Mitte, die es trugen. Verloren diese Kräfte- wie die von sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien gebildete thüringische Regierung und der demokratisch geführte Magistrat in Dessau unter seinem Oberbürgermeister Fritz Hesse - ihren Einfluß an ihre politischen Gegner von Rechts, verloren sie also die Macht, so entfiel auch die Grundlage für das Bauhaus, die immer schmal war. Den 'unpolitischen Charakter< des Bauhauses haben seine Verantwortlichen daher - wiederum abgesehen von der Ära Meyer - aus schierem Selbstschutz stets aufs Neue hervorgehoben. .. Uns trägt ein Volk«, hatte Klee nüchtern erkannt,8 und Gropius empfand sich erst dreißig Jahre nach seinem Weggang aus Deutschland, 1954, »mit der Mehrheit«.9 Ob dies nun, aus heutiger Sicht, zutreffend war oder nicht: Zeit seiner Existenz galt das Bauhaus weithin und vor allem in den Augen der Rechten als ,links<, es war »die Kathedrale des Sozialismus« 10, die politischen Angriffe - auch persönlich gezielte - hörten niemals auf und verschärften sich in den dreißiger Jahren bis hin zu dem diffamierenden Schlagwort vom ,kulturbolschewistischen< Bauhaus, das gleichsam zum Leitmotiv für dessen Endphase wurde. 11 Diese Endphase wurde denn auch von einem rein politischen Vorgang eingeläutet: den Wahlen in Sachsen-Anhalt im Mai 1932, die den Nationalsozialisten zur Mehrheit verhalfen. Die Konsequenzen für das ,unpolitische< Bauhaus folgten auf dem Fuße: Seine Schließung zum September 1932 war trotz starker Proteste in Presse und kulturell interessierter Öffentlichkeit beschlossene Sache. Die kurze Phase des Bauhauses Berlin endete im April 1933 in der schon erwähnten Polizeiaktion - bei der ein nennenswertes Protestecho diesmal ausblieb. Aber nicht allein die Freunde des Bauhauses verhielten sich nunmehr passiv. Das Bauhaus selbst hatte auf die ,Machtergreifung< wenige Wochen zuvor praktisch nicht reagiert, obwohl auch die Bauhaus-Leute das national
und international stark beachtete Ereignis und (zumal in Berlin) den Fackelzug zur Siegesfeier der ,nationalen Erhebung< zweifellos wahrgenommen haben, deren Folgen sie bald genug zu spüren bekommen sollten. 12 All dies gehört zum Hin tergrund für die Wege der Bauhäusler zwischen Reich und Exil, wobei allerdings dieser Hintergrund die persönlichen und beruflichen Schicksale der Betroffenen in höchst unterschiedlicher, auch individueller Weise strukturiert. Dennoch sollte es möglich sein, bei diesen Wegen eine Reihe typischer Gruppen zu differenzieren. Da sind zunächst die Bauhaus-,Prominenten<, die wichtigsten Lehrer, die mit ihrem persönlichen Namen für Programm und Leistung des offiziell verfemten Bauhauses standen (dazu gehören in vorderer Linie der Bauhaus-Gründer Walter Gropius und der letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe). Diese Kerngruppe, zu der auch Josef Albers, Marcel Breuer, Laszlo MoholyNagy oder Herbert Bayer gehörten, verließ in ihrer Mehrheit Deutschland, entweder gleich zu Beginn der NS-Zeit 1933/34 oder 1937/38. Von ,Exil< kann dabei allerdings nur bedingt gesprochen werden und kaum von politischem Widerstand gegen die Umwälzung in Deutschland oder gar von antifaschistischem Widerstandskampf. Die ,Prominenten< fanden zudem außerhalb Deutschlands, insbesondere in den Vereinigten Staaten, relativ gute Bedingungen für ein Weiterwirken, weil Programm und Leistungen des Bauhauses dort nicht unbekannt geblieben waren. Bei der begrifflichen Klarstellung geht es daher um ein viel weiteres Feld, das von der normalen Berufung (wie der von Josef Albers an das Black Mountain College) über berufliche und persönliche Behinderung, aber nicht unmittelbare Gefährdung der Person (Mies van der Rohe) bis zu tatsächlicher Verfolgung reicht (wie im Falle der nach Jugoslawien geflüchteten, dort aber später aufgegriffenen und im Konzentrationslager ermordeten Otti Berger). Eine weitere Gruppe ist der dezidiert ,links< orientierte Personenkreis um Hannes Meyer, der bereits vor der Ns-Herrschaft in der Sowjetunion tätig war und erst Wege der Bauhäusler 205
wieder im Reich auftauchte, als die hochstalinistischen Paßgesetze dies erzwangen. 13 Ins Ausland gingen, gleich 1933, auch Wassily Kandinsky und Paul Klee; Lyonel Feininger und }ohannes Itten folgten 1937 bzw. 1938 Sonderfälle insofern, als diese Künstler ungeachtet ihrer starken Bindungen an die deutsche Kultur als ,Ausländer< angesehen wurden. Andere wichtige Bauhaus-Lehrer blieben im Inland, so Oskar Schlemmer, Georg Muche und Gerhard Marcks, aus ihren Ämtern entfernt, mißtrauisch beobachtet, diffamiert als ,entartete< Künstler, aber doch mit Abstufungen, und nicht wegen ihrer Bauhaus-Zugehörigkeit allein als verfolgt anzusehen. Eine Tendenz zur Verweigerung gegenüber dem gleichgeschalteten staatlichen Kulturbetrieb, zum >Abtauehen< ist in dieser Gruppe ebenso anzutreffen wie die Bemühung um Anerkennung auch durch den nationalsozialistischen Staat und seine Funktionäre. In der Schülerschaft ist das Spektrum weiter. Auch von den Bauhaus-Schülern gingen einige ins Exil, insbesondere diejenigen, die als >Linke< oder wegen ihrer jüdischen Abstammung - oder bei dem - gefährdet waren. Soweit sie im Reich blieben, haben manche von den Studierenden, die sich (innerhalb oder außerhalb des Bauhauses) politisch links, insbesondere kommunistisch, engagiert hatten und den neuen Verhältnissen widerstanden, dies mit Kz-Haft und ihrem Leben bezahlt. 14 Wegen einer früheren Zugehörigkeit zum Bauhaus allein scheint es indessen auch hier keine Verfolgung gegeben zu haben, auch wenn eine Zuordnung zur ,kulturbolschewistischen< Bauhaus-Linie im nationalsozialistischen Staat und seinen Untergliederungen, z. B. der Reichskulturkammer, sicher keine berufliche Empfehlung war. Die meisten, die sich anpaßten, haben denn auch ihre frühere BauhausZugehörigkeit während der Ns-Zeit eher verschwiegen. Daß es überzeugte Anhänger der nationalsozilistischen Bewegung unter den Bauhäuslern gab (insbesondere während der letzten Semester), sei am Rande vermerkt - die Bauhaus-Angehörigen unterscheiden sich da 206 PeteT H ahn
auch nur graduell von der übrigen deutschen Bevölkerung. Es soll versucht werden, dies an einigen Beispielen näher zu verdeutlichen. Walter Gropius (Abb. 2), der sich bereits 1928 von der Leitung des Bauhauses zurückgezogen hatte, hielt sich zum Zeitpunkt der ,Machtergreifung< zu einer Vortragsreise in der Sowjetunion auf, wobei ihm klar gewesen sein dürfte, daß die NSPresse die Reise in das bolschewistische Rußland aufgreifen und gegen ihn verwenden könnte - was auch geschah. 15 Eine öffentliche Stellungnahme von Gropius zum politischen Umbruch selbst ist nicht bekannt, auch nicht zur Polizeiaktion gegen das Bauhaus im April 1933. Als führendes Mitglied des Deutschen Werkbundes widersetzte er sich (zusammen mit Martin Wagner und Wilhelm Wagenfeld) dessen Gleichschaltung, und er wehrte sich auch gegenüber NS-Funktionären gegen die Diffamierung des von ihm vertretenen >Neuen Bauens< 16, versuchte aber dennoch, seine beruflichen Perspektiven aufrecht zu erhalten; dafür zeugen seine Teilnahme am Reichsbankwettbewerb (1933) und die Gestaltung der Halle ,Nichteisenmetalle< (zusammen mit dem ehemaligen Bauhaus-Lehrer }oost Schmidt) auf der Propaganda-Ausstellung ,Deutsches Volk Deutsche Arbeit< (1934). Nach seiner eigenen rückblickenden Darstellung nutzte er 1934 einen Theaterkongreß in Rom, um sich aus Deutschland abzusetzen und nach England zu reisen. Eine Flucht war das indessen nicht. Gropius blieb mit dem Reich verbunden und brach keineswegs alle Brücken ab. Für seine Tätigkeit in England, wo er ein willkommener Gast war und auch privilegiert behandelt wurde, besaß er die offizielle Einwilligung der Reichskulturkammer. 17 Anders als die politischen Emigranten, die zur gleichen Zeit mit ihm in England waren, vermied er sorgfältig öffentliche Stellungnahmen, die als Kritik an den Verhältnissen in Deutschland ausgelegt werden konnten. Als er 1937 nach Harvard berufen wurde, fand dies in der gleichgeschalteten deutschen Presse anerkennende Erwähnung. ..die nachricht über deine berufung
2 Herbert Bayer, XanLi Schawin sky und Walt er Gropius in Ascona, 1933
wurde hier als eine stolze notiz gebracht. was aber vorherging ignoriert. naja", wundert sich Herbert Bayer. 18 Auch in den Vereinigten Staaten, wo Gropius bald zu einer hoch geachteten Autorität seines Fachgebiets wurde und zum Star der Modeme aufstieg, vermißt man eine öffentliche Stellungnahme zu den Vorgängen im nationalsozialistischen Deutschland, zu denen im selben Jahr die Ausstellung ,Entartete Kunst< gehörte, in der praktisch ausnahmslos alle seine Bauhaus-Malerfreunde auf das niederträchtigste diffamiert wurden. Selbst in der von ihm zusammengestellten Ausstellung ,Bauhaus 1919- 1928< des Museum of Modem Art 1938 in New York, die doch eine vorzügliche Propaganda bühne geboten hätte und die denn auch für die Bauhaus-Rezeption in den USA von kaum zu überschätzender Bedeutung war, findet sich allenfalls andeutungsweise ein kritischer Hinweis im Vorwort von Alfred H. Barr, dem Direktor des Museums: .. The work of many artists in this book is being shown without their consent. When the book was at the point of going to press it was considered advisable do delete the names of several of these artists.,,1 9 üb ein von Barr insbeson-
dere für die Wanderfassung der Ausstellung vorgeschlagener Hinweis auf die Schließung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten tatsächlich dort erschien, ist nicht bekannt.2o Solche Zurückhaltung kann schon verwundern, wenn man bedenkt, wie beispielsweise Thomas Mann ebenfalls 1938 in den Vereinigten Staaten öffentlich und öffentlichkeitswirksam mit Vorträgen und Aufsätzen gegen Hitler agitierte. 21 Noch im Ns-Reich gehörte, neben Gropius, Ludwig Mies van der Rohe als letzter BauhausDirektor zu dem suspekten Personenkreis des ,kulturbolschewistischen< Bauhauses (Abb.3). Man kann auch in diesem Falle diskutieren, ob er persönlich bedroht war (offenbar hat er selbst dies nicht so eingeschätzt). Auch er war jedoch in seiner beruflichen Perspektive stark behindert. Der beste Beleg dafür ist wohl sein Beitrag zum Reichsbankwettbewerb, der einen Preis erhielt und stark gelobt wurde. Hitler selbst zog aber das Verfahren an sich und setzte durch, daß ein außer Konkurrenz eingereichter Entwurf des Reichsbankbaudirektors Wolff realisiert wurde, der ein erstes Beispiel für die von den Nazis geschätzte offizielle ArchitekWege der Bauhäusler 207
turdoktrin abgab. Daß Mies den ,Aufruf an die Kulturschaffenden ' im ,Völkischen Beobachter, vom 18. August 1934 zur Wahl von Hitler als Nachfolger von Hindenburg unterzeichnete22, haben ihm aus dem Umkreis seiner schon in den USA lebenden Kollegen manche sehr verübelt, auch, daß er erst spät, 1938, und erst nachdem ihm eine Position am Armour Institute in Chicago garantiert worden war, Deutschland verließ. Sybil Moholy, die streitbare Frau Laszlo Moholy-Nagys, hat Mies aus diesem Grunde von der "Diaspora« der ehrenhaften Emigranten ausgeschlossen und verbal geschmäht, " . .. that he who lies down with dogs gets up with fleas «.23 Mies, obwohl von Gropius hierum gebeten, verweigerte sich hartnäckig einer Beteiligung an der schon erwähnten Bauhaus-Ausstellung des Museum of Modern Art. Solange er in Deutschland sei, dürfe bei der gegenwärtigen offiziellen Einstellung eine Darstellung seiner Zeit keinesfalls stattfinden24, aber auch als er 1938 bereits in den Vereinigten Staaten war und insofern keine Gefährdung seiner Person mehr zu befürchten brauchte, blieb er bei seiner Weigerungi er selbst hat dies mit dem Schutz seiner in Deutschland gefährdeten Schüler begründet, es mag aber auch an dem distanzierten Verhältnis beider Männer zueinander gelegen haben. 25 Das schon wenige Jahre später gefeierte Oberhaupt der Second Chicago School of Architecture, einer der einflußreichsten Architekten des modernen Bauens in der Neuen Welt, war offenkundig ebenso wenig wie Gropius selbst zu einem wirksamen politischen Protest gegen die Vorgänge in Nazideutschland bereit. Josef Albers, der dem Bauhaus Berlin bis zu dessen Auflösung angehört hatte, war der erste aus dem Kreise der Meister, der noch 1933 seine Zelte in Deutschland abbrach und in die USA ging, mit ihm seine Frau, die Weberin Anni Albers. Für den arbeitslos Gewordenen war die Berufung ans Black Mountain College nach der Schließung des Bauhauses Berlin eher der Glücksfall einer normalen Berufung (soweit unter den Umständen 1933 etwas 'nor208 Peter Hahn
mal, war) als ein aufgezwungenes Exil. Im zeitlichen Ablauf ist Josef Albers zugleich das erste Beispiel für die seltsame Ironie, daß Idee und Programm, für die der Name ,Bauhaus, stand, gerade durch die Behinderung und Unterdrückung in ihrem Ursprungsland nahezu multiplikativ erweiterte Wirkungsmöglichkeiten fanden. Laszlo Moholy-Nagy, der seit seinem Ausscheiden aus dem Bauhaus 1928 als institutionell ungebundener Künstler und Designer meist in Berlin wirkte, ging 1934 zunächst nach Amsterdam, später nach England, bevor er schließlich 1937 zum Gründungsdirektor des New Bauhaus in Chicago berufen wurde, wo er auf der Grundlage eines weiterentwikkelten Bauhaus-Lehrprogramms mit großen Problemen und Rückschlägen bis zu seinem Tode 1946 wirkte. 26 Sein ungarischer Landsmann Marcel Breuer schreibt 1933 ziemlich vergnügte Briefe von seiner Autoreise nach Spanien und Marokko, klagt dann aber aus Budapest über mangelnde Arbeit, bevor er 1934 in Zürich die später berühmt gewordenen Doldertal-Häuser erbaut. Von dort schreibt er an Ise Gropius: "Bis zum nächsten Krieg und darüber hinaus, ins Himmelreich! Sie sind beide nicht sehr weit: Krieg und Himmelreich. Der einzige Trost: Man spricht zu viel davon. Der Hund, der bellt, beißt nicht. Manchmal aber doch.« 27 (Ein seltenes Beispiel für eine ,politische, Äußerung in der Korrespondenz des inneren Bauhaus-Kreises.) Später findet man ihn mit Gropius in England, seit 1937, ebenfalls mit Gropius, an der Harvard Universität. Bevor er dorthin kommt, läßt er selbstbewußt wissen, daß er sich keineswegs mit einem zweitrangigen Lehrauftrag zufriedengeben werde, vielmehr gehe es um das ,modern movement' in seiner Ganzheit eine Flucht war auch dies nicht. Auch nicht im Falle von Herbert Bayer, der bis 1938 als Werbegraphiker (bei Dorland), zugleich als Ausstellungsgestalter, aus der Kerngruppe der Ballhäusler den wirtschaftlich wohl stärksten Stand hatte und sich die schließliche Ausreise in die USA sorgfältig überlegte. Diese
3 Ludwig Mies van der Rohe und Ludwig Hilb erseim er beim Abschiedsausflug der Berliner BauhällsJer an die Havel. Mai 1933
Ausreise hing mit den Vorbereitungen der geplanten Bauhaus-Ausstellung des Museum of Modern Art in New York zusammen, die Bayer gestalten sollte. Diese Ausstellung wurde demnach in mehrfacher Hinsicht zu einem bedeutenden Schnittpunkt für die Wege der Bauhäusler im "Land Exil « (wie Brecht die USA jener Jahre nannte) doch wiederum: trifft der Exilbegriff auf die Kerngruppe der Bauhäusler in Amerika überhaupt zu? Geht man von der Ausstellung im Museum of Modern Art 1938 aus, so war dies eine offenbar überzeugend inszenierte Selbstdarstellung der Ära Gropius mit ihren Zentralgestalten Bayer, Breuer, Albers, Moholy-Nagy und Feininger, die zu diesem Zeitpunkt sämtlich in den USA lebten. Sie bedeutete für das ,modern movement' ('unsere, Bewegung, wie die Korrespondenzen zwischen den Bauhäuslern dies immer wieder als Topos formulieren) den Durchbruch, einen bedeutenden, ja entscheidenden Sieg, jedoch nicht über die NSBewegung, welche doch das Bauhaus und die meisten seiner wichtigsten Vertreter aus Deutschland vertrieben und seine Vision in ihrem Ursprungsland (zunächst) zerstört hatten,
sondern über die Beaux-arts-Prinzipien, die in den USA bis dahin vorherrschend waren. Es ging so gesehen gar nicht um Exil im Sinne von Zuflucht und Asyl für einen bedrohten Personenkreis, sondern um die Durchsetzung einer gemeinsamen Idee, wenn nicht in Deutschland, dann eben in der Neuen Welt. Was für die eine - die deutsche - Seite ,Exil, war, bedeutete zudem für das Zielland - die USA - etwas völlig anderes, nämlich ,Immigration, auf Dauer. 28 Bei den ,Prominenten, jedenfalls war dies so: Gropius, Albers, Breuer, Moholy-Nagy und Bayer fanden nicht allein Schutz, sondern (in spürbarem Unterschied bespielsweise zu den exilierten Literaten, die überwiegend am Rande des Existenzminimums lebten, schließlich handelte es sich um die Jahre der Großen Depression) letztlich enorm erweiterte Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten. Dies mag das skizzierte Ausbleiben eines politischen Protests zumindest teilweise erklären, und es ist nur folgerichtig, daß aus diesem Personenkreis nach dem Kriege kaum jemand ernsthaft daran dachte, dauerhaft nach Deutschland zurückzukehren (wobei Ferdinand Kramer zu den regelbestätigenden Ausnahmen zählt). Wege der Bauhällsler 209
Im Exil- und Auswanderungsland USA fanden zeitweise etwa 30 Bauhäusler Zuflucht; zahlenmäßig waren die anderen Exilländer von deutlich geringerer Bedeutung. 29 Etwa 23 Bauhäusler fanden zeitweise in der Sowjetunion Arbeitsmöglichkeiten3o, bis der Druck des Hochstalinismus (und der Entzug der Pässe) 1937 ihre Ausreise erzwang. Hannes Meyers Schicksal kann hier als paradigmatisch gelten: Nachdem er mit der roten Bauhaus-Brigade seit 1930/3 1 in der UdSSR tätig gewesen war, kehrte er 1936 in die Schweiz zurück, wo er aber als Kommunist gemieden wurde; schon bald suchte er in Mexiko neue Wirkungsmöglichkeiten. Von den Malern des Bauhauses wird an anderer Stelle dieses Bandes ausführlicher berichtet.31 Was die Meister betrifft, hatte Wassily Kandinsky Deutschland schon 1933 in Richtung Paris verlassen. Daß er noch 1934 glaubte, in Deutschland könne "die Kunstfrage eine gesunde und günstige Lösung finden .. 32, sei am Rande angemerkt, zeigt es doch, daß Kandinsky trotz seines Exils - das wievielte war es in seinem Leben: aus Deutschland während des Ersten Weltkrieges, aus Rußland 1922, und nun erneut aus Deutschland! - die so verbreitete Auffassung teilte, es werde so schlimm nicht kommen. Ein ,bürgerliches< Fehlurteil oder eine durchaus zeittypische Illusion? Paul Klee verließ ebenfalls 1933 Deutschland und kehrte in die Schweiz zurück. Itten unterrichtete bis 1934 an der Itten-Schule Berlin, nach deren Schließung bis 1938 an der Krefelder Textilfachschule und kehrte erst in die Schweiz zurück, als er keine Alternative mehr sah. Lyonel Feininger blieb bis 1937 in Deutschland, wo er sehr zurückgezogen lebte, und ging dann resigniert in seine amerikanische Heimat. Außer in den Vereinigten Staaten waren während der NS-Jahre Bauhäusler über ganz Europa verstreut und lebten in Holland (Citroen, Fischer u. a.), Schweden (Forbat, Despotopoulos), England (außer den Prominenten z. B. Adams-Teltscher, Loew, Jackson, Lucia Moholy, Singer u. a.), Frankreich (Flocon, Bagel, Weinfeld, Leppien) oder Italien (Peiffer-Watenphul, Gilles 210 Peter Hahn
u. a.). Andere gelangten bis Australien (Hirschfeld-Mack) und Südamerika (Grete Stern) Länder und Namen, die für Schicksale stehen, die hier kaum nacherzählt werden können . Und die im Reich Verbliebenen? (Abb. 4) Oskar Schlemmer, schon vor Anbruch des ,Dritten Reiches<mit der Zertörung seiner Weimarer Wandbemalungen ein erstes Opfer der NSKulturbarbarei, wurde 1932 in Breslau, dann in Berlin aus seinen Lehrämtern entfernt, protestierte beherzt (und fruchtlos) gegen NSSchmähungen und schlug sich dann bis zu seinem frühen Tod (1943) mühselig durch, wobei er offenbar kaum zu verstehen vermochte, daß und warum seine präzise Kunstauffassung, die er als durchaus ,deutsch< empfand, von den Mächtigen des neuen Staates abgelehnt wurde, bis hin zur Diffamierung als ,Entarteter<. Der ehemalige Bauhaus-Meister Hinnerk Scheper, sicherlich kein Nazi, hat unter anderem einen Auftrag zur Ausmalung von ,Karinhall<, des Landsitzes von Hermann Göring, akzeptiert.33 Gerhard Marcks, 1933 gleichfalls aus seinem Lehramt entlassen, lavierte zwischen Verweigerung und dem Bemühen um Anerkennung durch die NS-Kulturgewaltigen. 34 Wilhelm Wagenfeid hat unter den Bauhäuslern während der NS-Jahre in Deutschland wohl die erfolgreichste Karriere als Industrie-Designer absolviert, und er tat dies, ohne, wie andere, seinen Bauhaus-Hintergrund zu verschweigen. 35 Auch Christian DelI hat im Bereich des Industrie-Designs weitergewirkt, während Wolfgang Tümpel eher kunsthandwerklich tätig war. Viele der in Deutschland Gebliebenen waren wohl tatsächlich ,abgetaucht<: in kleinen Handwerksbetrieben und Werkstätten, in Fremdberufen (wie Eugen Batz als Metallarbeiter) oder (wie beispielsweise viele Architekten) als AngestellteinBüros. Unvermeidlich stellt sich bei alledem die Frage nach Anpassung oder Widerstand . Ein. deutig in die eine oder andere Richtung wird man dies nur selten beantworten können. Haben sich Bayer (mit seinen hochprofessionellen Graphiken im Dienste von ,Deutsches Volk Deutsche Arbeit<) oder Mies van der Rohe (mit
der Unterzeichnung des Aufrufs an die Kulturschaffenden) oder gar Gropius selbst (wenn er versuchte, mit dem Hinweis auf das faschistische Italien die Formen des neuen Bauens im NS-Staat akzeptabel zu machen) kompromittiert? War es denn eine Schutzbehauptung, wenn nach 1945 immer wieder auf den Druck des Systems und auf die Notwendigkeit der schieren Lebenserhaltung verwiesen wurde? Der Topos vom -besseren Deutschland" repräsentiert ausschließlich durch die 1933 Emigrierten' hat lange Zeit ein Schwarz-Weiß-Bild nahegelegt, das so nicht aufrecht zu erhalten ist. Auch eine Dichotomie von -Held, auf der einen, ,Mitläufer, oder gar ,Mitschuldiger, auf der anderen Sei te führt in die Irre. Es tu t den Exilierten' auch Gropius, keinen Abbruch, wenn man feststellt, daß bei ihrer Ausreiseentscheidung die beruflichen Aspekte eine ganz zen trale
Rolle spielten und daß sie (anders als das Gros der politischen Flüchtlinge aus Deutschland) gute Chancen fanden, nicht zuletzt gute Chancen für ihr modernis tisches Credo, für ihre nunmehr in alle Welt verbreitete Bauhaus-Botschaft. Die Chancen für die Zurückgebliebenen waren demgegenüber (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) miserabel, ihre Lage nach dem Krieg, soweit sie ihn überlebten, auch. Danach erwies sich dann die Verbundenheit der ,Bewegung, erneut, zunächst in einer (von Gropius initiierten) Care-Paket-Aktion, später dann in Reisen und in einer Rückkehr von Ideen und Programmen, die pädagogisch beispielsweise in der Gründung der Hochschule für Gestaltung Ulrn, aber auch mit der in den fünfziger Jahren einsetzenden Restauration der Moderne, am sichtbarsten im Bereich der Architektur, ihren Ausdruck fand.
4 Die Hak enkreuz fahn e am Prellerhaus des Dessauer Bauhaus·Gebäudes, 1933
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Die Schätzung von 1258 Studierenden am Bauhaus folgt Folke Dietzseh, ,Die Studierenden am Bauhaus·, Dissertation IA) Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 1990, Band 2, S_ 11 3; dort auch Datenbank mit weiteren statistischen Angaben_ Peter Hahn IHrsg.), Bauhaus Berlin, Weingarten 1985, S.127 Ludwig Mies van der Rohe, .The End of the Bauhaus·, 1952, in: Hahn IAnm.2), S. 153. Mies beschreibt dort, wie er das Bauhaus unter dem Druck der Verhältnisse, aber aus freiem Entschluß - mit Champagner im Freundeskreis der Lehrkräfte - auflöste, als er sich der Zustimmung der Gestapo zur Weiterführung des Bauhauses sicher wußte. Hahn IAnm.2), S. 143. Die Gestapo machte am 21. 7.1933 die Wiedereröffnung des Bauhauses Berlin u. a. von der Entfernung Hilberseimers und Kandinskys abhängig, die durch Persönlichkeiten .. auf dem Boden der nationalsozIalistischen Ideenwelt .. ersetzt werden sollten, ferner von einer Umstellung des Lehrplans, der .. den Ansprüchen des neuen Staats für seioen innerlichen Aufbau .. genügen müsse. Otl Aicher, ,die dritte modeme., in: arch +, Januar 1990, Nr. 102, zitiert nach Otl Aicher, Die Welt als Entwurf, Berlio 1991, S.40ff. Werner Hofmann, ·Der Tod der Götter., in: Die nützlichen Künste, Ausst. Kat. Berlin 1981, S.35ff., wo die kulturpessimistische Traditionslinie bis zu Goethe zurückverfolgt wird. Dietzsch IAnm. I), Band 2, S.336, stellt die Ausländeranteile ausgewählter deutscher Kunstschulen vom Sommersemester 1928 bis zum Wintersemester 1932/33 denen des Bauhauses gegenüber und gelangt zu dem Ergebnis, daß das Verhältnis der Ausländeranteile dieser Kunstschulen durchweg deutlich unter den Ausländeranteilen des Bauhauses liegt. Paul Klee, Vortrag ,Die bildnerischen Mittel., Jena 1924, siehe Christian Geelhaar, Paul Klee und das Bauhaus, Köln 1972, S. 19 James Marston Fiteh, Walter Gropius, New York 1960, S. 31. Gropius äußerte sich in diesem Sinne auf einer Reise nach Japan . Oskar Schlemmer, ·Das Staatliehe Bauhaus in Weimar', Manifest aus dem Werbeblatt ·Die erste Bauhaus-Ausstellung in Weimar Juli bis September 1923·, in: Hans M. Wingler, Das Bauhaus, 2. erw. Aufl. Bramsehe 1968, S.79, dort die Formulierung, das Bauhaus .. wird zunächst zum Sammelpunkt derer, die zukunftsgläubig-himmelstürmend die Kathedrale des Sozialismus bauen wollen .. - was in der Öffentlichkeit heftige Angriffe gegen das .. politisierende .. Bauhaus auslöste. Zum Begriff .Kulturbolschewismus. siehe Hahn IAnm.2), S.52 Hahn IAnm.2), S. 127 ff. Es gab nach der Razzia vorn 11. 4. 1933 eine Reihe von Versuchen seitens der StudIerenden und Mies van der Rohes selbst, die Wiedereröffnung der Schule zu erreichen. Mies sprach u. a.
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bei Rosenberg vor, der ihm eröffnete, das Bauhaus sei .. ein Symbol für die Mächte, die dem Nationalsozialismus den schärfsten Kampf lieferten ... Philipp Tolziner, ,Mit Hannes Meyer am Bauhaus und in der Sowjetuninn 11927-1936)., in: Hannes Meyer, Ausst. Kat. Berlin 1989, S. 234 H. Dietzsch IAnm.1), Band 2, S.322ff. stellt für die Zeit von 1933 bis 194524 Verhaftungen und Internierungen, 20 Aufenthalte in Konzentrationslagern und weitere acht Zuchthausaufenthalte zusammen. Mindestens acht Bauhäusler wurden im KZ ermordet. Hahn IAnm.2), S. 127, und Reginald Isaacs, Walter Gropius. Der Mensch und sein Werk, Berlin 1984, Band 2, S. 628 ff. Isaacs IAnm. 15), Band 2, S.649H. Brief Walter Gropius an den Präsidenten der Reichskulturkammer Eugen Hönig vom 19.9. 1934, wo sein Englandaufenthalt mit der .. Durchführung einer Bauaufgabe .. in London begründet wird. Die offizielle Genehmigung der Reichskulturkammer erfolgte am 9. 10. 1934, wo der Aufenthalt in London als .. Reise .. bezeichnet wird. Ich verdanke diesen Hinweis roei nem Kollegen Christian Wolsdroff. Beide Dokumente Nachlaß Gropius im Bauhaus-Archiv Berlin Herbert Bayer, Brief an Walter Gropius vom 17.2. 1937, Houghton Library, Cambridge/Mass. Alfred H. Barr, .Preface., in: Herbert Bayer, Walter und [se Gropius IHrsg.), Bauhaus 1919-28, New York 1938, S. 9 Alfred H. Barr, Bricfan Walter Gropius vom 10. 12. 1938, wo Barr ein Statement vorschlägt: .. In 1933 the Bauhaus was closed by the National Socialist Government. Because the Bauhaus had developed during th e Social Deroocratie regime the National Socialists feIt that it was politically related lo the German Democracy and was thereforesuspect ..... ln einer handschriftlichen Notiz von lse Gropius hierzu wird der Text überarbeitet und hervorgehoben, daß die .. radical innovations lOok place in the field of art and education and wereneverrelated lo any political party program ... Nachlaß Gropius im Bauhaus-Archiv Berlin Siehe Marianne KrülI, Im Netz der Zauberer. Eine andere Geschichte der Familie Mann, Zürich 1991 , S.359 Hahn IAnm.2), S. 147 Sybil Moholy, ·The Diaspora., in : !oumal of the 50ciety of ArchiteclUral Hiswrians, Band XXIV, Nr. I, März 1965, S.241. Auf die Polemik von Sybil Moholy antwortet in derselben Zeitschrift, Band XXIV, Nr. 3, Oktober 1965, S. 254 f. Howard Dearstyne, ehemaliger Bauhaus-Studierender und enger Mitarbeiter Mies van der Rohes, mit einer apologetischen Darstellung. Walter Gropius berichtet über diese Haltung Mies van der Rohes in einern Brief an Josef Albers vnm 7.10.1937, Houghton Library, Cambridge/Mass. Dies erklärt zumindest teilweise, weshalb in der für die spätere aroerikanische Rezeption so grundlegenden Ausstellung nur die Gropius-Jahre Ibis 1928) Behandlung fanden, und weder die sich hieran anschließende Meyer-Zeit noch die Mies-Ära.
26 Peter Hahn und Lloyd C. Engelbrecht IHrsg.l, 50 lahre New Bauhaus, Ausst. Kat. Berllll 1987 27 Marcel Breuer, Brief vom 21. 4. 1934 an Ise G ropius, Houghton Library, Cambridge/Mass. 28 Eine grundsätzliche Erörterung dieser Problematik fin det sich bei Laura Fermi, Illustrious lmmigrants. The IntellectuaJ Migration {rom Europe, 1930/41 ,2. Aufl. Chicago und London, 1971, S. 3 H. 29 Dietzsch IAnm.l l, Band 2, S.3 18ff., nennt insgesamt 80 emigrierte Bauhäusler. 30 Dietzsch IAnm. 11, Band 2, S.317 31 Siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Magdalena Droste, .Bauhaus-Maler·. S. 113 32 Peter Hahn, ,,· herr kandinsky, Ist es wahr ... Kandinsky als Bauhausmeister., in : Peter Hahn IHrsg.l, Kan -
dinsky - Russische Zeit und Bauhausiahre 1915-1933, Ausst. Kat. Berlin 1984, S. 64 f. 33 Siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Renate Scheper, ·Hinnerk Scheper: Arbeiten zwischen 1933 und 1945" S. 142 34 Siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Magda lena Bushan, ·Ein Bildhauer zWischen den Stuhlen: Gerhard Marcks in den dreißiger Jahren ·, S. 103 35 Kunst-Dienst IHrsg.l, WiJh eIm Wagen/eId. Werkstatt bericht 2. Aufl. 1942, Lebenslauf S. 24. In einem entsprechenden Werkstattbericht des Kunst-Dienstes uber den Keramiker OltO Lindig, ebenfalls 1942, fehlt demgegenuber der biographische Hinweis auf dessen Bauhaus-Jahre. Beide Werkstattberichte im Bauhaus-Archiv Berlin
Wege der BauhäusJer 213
Register
ABELS, Adolf 170 Adams-Teltscher, George 210 Alder, Friedrich 195 Ahlers-Hesterrnann, Friedrich 195 Alber, Jens II Albers, Anni 85, 208 Albers, Joscf 205, 208, 209 Alberti, Leon Battista 180 Alder, Waldemar 153, 154 Alkers, Hermann 166 Aly, Götz 10 Archipenko, Alexander 139 Arndt, Alfred 153 Arnheirn, Rudolf 68 Aschenbrenner 198 Auböck, Carl 97, 98 Aufseeser 195 BAGEL, Moses 210 Ba lzer, Gerd 172 Barlach, Ernst 107, 139 Barleben, Dore 89 Barr, Alfred H. 207 Bartning, Otto 66,179,181 Basedow, Heinrich 97 Batz, Eugen 118, 119, 130, 131,210 Bauer, Carl 20,162,163, 167 Baum (Gruppe) 82 Baumeister, Willi 132, 133, 195, 196, 199 Baumgarten, Paul 16 Bayer, Herbert 14, 20, 25, 26, 271., 29, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 37, 39, 41, 43, 43, 44, 45, 46, 54, 56, 59, 60, 62, 64, 69, 741., 78, 80, 121,204,205,206,207, 2081.,2 10 Beck, Ulrich 111. Beckmann, Max 195, 199 Behrendt, Walter Curt 184 Behrens, Peter 184 Belling, Rudolf 108 Benn, Gottfried 17, 174 Berenbrock, Otto 136 Berger, Otti 205 Berthold, Johannes 134 Beyer-Volger, Lisbeth 96, 196
21 4 Register
Bienert, Ida 139 Bloch, Ernst 14 Blühova, Irena 78 Bock, Günther 199 Bogler, Friedrich-Wilhelm 136, /39 Bollhagen, Hedwig 85 Bormann, Heinrich S. 170, 171. 1721., 174, 175 Borst, Hugo 132 Brandt, Marianne 45, 85 Brecht, Bertold 209 Bredendieck, Hi n 85 Breijer, Charles 82 Breker, Arno 10, 109 Breuer, Marcel 62, 85, 205, 208, 209 Breusing, Ima 114, 118 Breustedt, Hans 134 BrilI, Fritz 74 Brock, Bazon II Buchholz, Karl (Galerie) 105, 106, 109 Budczies, Arnold 118 Bunzcl, Hermann 160, 165 Burchard, Ine 97 Burchanz, Max 72 Burgdorf-Enderlin, Elfriede 96 Burghardt, H. H. 21 CAMPENDONK, Heinrich 195, 199 Cassirer (Galerie) 118 Chagall, Marc 137 Chors, Adolf-Georg 153 Cicluszek, Hans 166 Citroen, Paul 210 Consemüller, Erich 80, 105, 110 DAHRENDORF, Ralf 10 Debus, Kurt 170 Deli, Christian 92,95,210 Despotopoulos, Jan 210 Dieckmann, Hans 20, 85 Dix,Otto 137, 195 Domizlaff, Hans 27 1., 32, 41 Dorfner, Otto 97, 98 Domer, Alexander 157 Driesch-Foucar, Lydia 97, 97
Dürer, Albrecht 180 Durth, Werner II Dustmann, Hans 161 ESELING, Siegfried 165 Ebert, Wils 95, 172 Ehrhardt, Alfred 64, 76, 78, 199 Ehrmann, Marli 195 Eich, Günther 17 Eiermann, Egon 14, 14, 15, 163, 168, 170, 174 Elsässer, Martin 19, 156 Enderlein, Max 172 Engelien, Kurt 136 Engemann, Friedrich 196 FAHRENKAMI', Emil 62 Fehl, Gerhard 15 Feininger, Andreas 64, 76 Feininger, Lyonel 76, 113, 138, 139, 146, 195,209,210 Feininger, T. Lux 72 Feldhäuser, Kurt 139 Fick, Roderich 106 Fiedler, Jeannine 64 Fieger, Carl 157 Finsler, Hans 66 Fischer 210 Fischer-Defoy, Christine 198 Fliether, Paul 199 Flocon, Albert 210 Forbat, Frcd 210 Ford, Henry 14, 188 Frahm -Hessler, Franz 134 Frank, Hartrnut 11, 158 Freytag, Heinrich 75 Friedländer-Wildenhajn, Marguerite 85,93,96, 105 Fischer, Theodor 19 Funkat, Walter 26,58,61, 156 Furtwängler, Wilhelm 19 GADAU, Carl 198 Gebhard, B. 59 Gebhard, Max 26 Gies, Ludwig 195 Giesenschlag, Siegfried 161 Gilles, Werncr 129, 130, / 33, 210
Ginsburg, Moisei 182 Gleize, Albert 139 Goebbcls, Joseph 30, 48, 51,62,68,94, 145, 157, 170 Göhl, Ernst 153 Göring, Emmy 120 Göring, Hermann 94, 153, 154, 16 1, 167,170,172,210 Grabbe, Rudolf 134 GraeH, Werner 26, 59, 66, 76, 195 Grewenig, Leo 114, 196 Grohmann, Will 99, 139 Gropius, Ise 208 Gropius, Walter 18, 19,20, 48, 52, 53, 58, 60·62, 80, 90, 93, 95, 110, 134, 153, 154,155, 156, 1571., 1611., 168, 172, 179, 180, 181 , 182, 183, 184, 185, 1881., 191, 197,204,205, 206f., 207, 208, 21 I Gross, Hans 96, 98 Grosz, George 137 Grote, Ludwig 149 Grund, Peter 199 Gutterer, Leopold 48, SO HAA CKE, Hans 9, 10 Habermas, Jürgcn 13, 18 Häring, Hugo 19,66, 113, 153, 156, 189, 198 Haesler, Otto 165 Haffenrichter, Hans 57, 58,62, 113, 115, 118 Haftmann, Wcrner 130 Hardtwig, Josef 199 Hartlaub, Gustav 98 Hanwig, Josef 106 Hassenpflug, Gustav 51, 58,58,60, 153, 155, 156, 164, 165, 168, 168, 169, 169, 170, 181 Heartfield, John 721. Hebebrand, Werner 153 Heering, Walther 76 Hege, Walter 66,75,80,81 Hegel, Ernst 154, 156,166, 168 Hegemann, Werner 183 Heide, Helmut 153 Heidersberger, Heinrich Umschlagbild, 67
Heim, Susanne 10 Heise, Carl Gcorg 99 Hentzen, A1fred 129 Herberts, Kurt 132, 196, 198 Herf, jeHrey 13 f. Hcrmand, jost 16 Herre, Gustav 132 Herzger, Walter 113, 134, 138 Heß, Wilhelm jacob 153, 172 Hesse, Fritz 205 Heubncr, Albrecht 26 Heyde, von der 139 Heyer, Ernst I 19 Heymann -Marks, Marga rete 85 Hilberseimer, Ludwig 158, 159, 163, 165, 180f., 209, 209
Hildebrandt, Hans 132, 133 Hildcbrandt, Wolfgang 134 Hilker, Reinhard 134, 136 Hill ebrecht, Rudolf 155, 156 Hindemith, Paul 19 Hindenburg, Paul von 54, 208 Hinkel, Hans 52 Hirche, Herbert 58, 170 Hirschfeld-Mack, Ludwig 196,2 10 Hitler, Adolf 10, 14, 18,20, 62, 69, 72, 73, 86, 105, 114, 11 5, 118, 134, 154, 170, 186, 207, 208 Hönig, Eugen 154, 157, 158 Hofer, Karl 11 9, 195 Hoffmann, Hubert 20, 153, 167, 172 HoHmann, Otto 11B Hoffmann -Lederer, Han s 196 Hohlwein, Ludwig 26 Hol thoff, Erich 158, 170 Honikova, Tamara 9, 11 Hrdlicka, A1fred 10 Hubbuch, Karl 195 Hüsing, Waldemar 166 Hüttmann, Egon 170 [MKAMI>, Wilhelm 119 ltten, johannes 66, 74, 91, 94 f., 122, 180, 195, 196, 197,204,206,2 10 jackson, Werncr 210 jäckh, Ernst 157 jupp, Ernst 44 justi, Carl 106
KADOW , Gerhard 96,98, 196 Kadow-jäger, Elisabeth 96 Kaes bach, Wal ter 195, 198 f. Kästner, Erich 17 Kahlenberg, Fritz 82 Kahlenberg, llse 82 Kandinsky, Wassily 19, 113, 117, 11 8,119,137, 138, 139, 165, 196,204, 206,210 Kanow, Ernst 160 Kaul, lngo 26 Kcler, Peter 137, 154 Kerkovius, [da 96,98, 129 Kesting, Edmund 67 Kiehl, Walter 42 Kirchner, Ernst Ludwig 118 Klee, Paul 113, 117, 119, 137, 138, 139, 195, 196, 204, 205, 206, 210 Klein, Alexander 181 , 187 Klein, Cesar 50 Klenze, Leo von 9 Klirnt, Gustav 199 Kloidt, Erich und Hilde 97 Knapp, Friedel 76 Knoblauch, Hans Georg 170, 172 Koch, Fri tz 166 Koch, Heinrich 66, 85 Koch -Otte, Benita 85, 95, 96, 196 Kölling, Heinrich 170 Koeppen , Wolfgang 17 Kolbe, Georg 110 Kollwitz, Käthe 195 Konrad, Heinrich 97, 199 Kramer, Ferdinand 157,209 Kranz, Kurt 20,26,27,31, 32, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 46, 64,69, 74, 74, 75, 78, 125, 136 Kratz, Walter 153 Krebs, G rete 199 Kreis, Wilhelm 11 Kremmer, Fritz 170, 173 Krier, Leon 10 Kroll, Ernst 30 Kuhr, Fritz 118, 119, 128, 129 Kundera, Milan 17 LAHS 195 Lang, Lothar 167 Le Corbusier 17, 165, 168 Leger, Fernand 17 Lehmann, Lotte 76 Leischner, Margarete 85,96
Leit!, A1phons 67 Leppien, jean 210 Ley, Robert 27, 42 Lindig, Otto 97, 98, 98, 118, 196 Lindner, Emanuel 153, 168, 170, 170 Lissitzky, EI 52 Lodders, Rudolf 168, 169, 170, 173 Lörcher, Carl Christoph 54, 154, 158 Loew, Heinz 26,210 Luckhardt, Wassili 19 Lukacs, Georg 9 Luksch, Richard 195 MÄ CHLER, Martin 156, 162 Mai, Paul 70 Maiwald, Ernst W. 56-58, 161 Majakowski, Wladimir 17 Mann, Thomas 14, 206 Marby, Friedrich 97 March, Werner 108 Marcks, Gerhard 18, 85, 97, 100, 102, 103-111 , 104109, 195f., 206, 210 Matare, Ewald 195, 199 Matthes, Walter 164 Maurer, Ewald 9, 11 May, Ernst 153, 181 , 185, 188 Mendelsohn, Erich 18 1 Meyer, Hannes 78, 153, 165,204,205 f., 210 Meyer-Ottens,Otto 161 Mies van der Rohe, Ludwig 9,11,19,20,31,32,52, 56,56,57, 60f., 116, 142, 153, 156, 156, 158, 161163, 165, 170, 179, 182, 185, 187, 194,202,205, 2071., 209, 2 1I Mögelin, Else 96,97, 196 Möller, Ferdinand 134, 139 Moholy, Lucia 76, 80, 210 Moholy-Nagy, Laszlo 26, 28,31,45,76,78, 110, 204, 205, 208, 209 Moholy-Nagy, Sibyl 163, 208 Moll , Oskar 91, 195, 198, 199 Molnar, Farkas 153 Molzahn, Michael 139, 195 Mornrnsen, Hans I I Mondrian, Piet 10
Muche, Gcorg 89-9 1,93, 94,95, 113, 123, 128, 132, 133, 134, 136,137, 195 1., 197, 198, 206 Munch, Edvard 11 8 Mussolini, Benito 17, 19, 154 Muthesius, Hermann 184 NAEFF, Paul 116, 137, 139 Nemitz, Fritz 13 1 Neufert, Ernst 158, 161 , 170,171,179-190 Neuner, Hans Ferdinand 26, 26 f., 27, 30, 31, 32, 35, 42, 43,44,45 Neuner, Hein 26, 27, 30, 3 1,32,35, 4~ 42,44, 45 Neuy, Heinz 97 Niemann, Wilhelm 69 Nierendorf (Galerie) 138, 139 Norkauer, Fritz 165 ORTNER, Rudolf 160, 165 Otto, Karl 161 PAH L, Pius 172, 172 Pannagi, [vo 153 Passa rge, Walter 98, 106, 109 Paul, Bruno 195 Pech mann, Günther von 111 Peiffer-Watenphul, Max 129, 130, 195,210 Peterhaus, Wal ter 19, 32, 66, 75 f., 80, 198 Pfeil, Fntz 170 Pinder, Wilhelm 19 Pistorius, Hans 196 Poelzig, Hans 107, 195 przyrembel, Hans 97, 98 Püschel, Konrad 153 RADDA TZ, Fritz j. 17 Rading, Adoli 195 Radziwill, Franz 195 Ralchl e, Karl 97 Rathenau, Walter 183 Raviv, Moshe 78 Reck, Hans-Ulrich 74 Reich, Lilly 19, 52, 54, 55, 58,62,91, 163 Reichel, Peter 11 Reimann, Albert 198 Renger-Patzsch, Albert 80 Riege, Rudoli 134, 136 Riemer, Richard 28 RegI st er 215
fumpl, Herbert 154, 161, 162,172,173,174,174 Ri ttweger, Otto 36 Röhl, Karl-Peter 114, 117, 199 Roethel, Konrad 99 Rohbra, Kurt- Karl 153 Rose, Kat ja 96 Rosen IGalerie) 117 I. Roth, Riehard 30,3 1,32,44 Ruegenberg, Sergius 50, 56-58,60, 161 Ruf, Sep 163, 168 RuH, Ludwig 162 SACHSEN-M EI NING EN, Herzog Georg von 150 Sander, Kar! 184 Sander, Rudolf 153, 166 Sauerlandt, Max 199 Schabbon, Wilhelm 97 Schäfter, Alfred 97 Scharff, Edwin 195 Scharoun, Hans 151, 163, 168, 195, 198 Schawinski, Xanti 19, 207 Scheibe, Richard 106, 109, 110, 195, 199 Scheper, Hinnerk 20, 125, 142-151 , 210 Scheper, Lou 144 Schinkel, Karl Friedrich 10, 150 Schleifer, Fritz 168, 170, 172,199 Schlemmer, Oskar 19, 94, 95, lOS, 113, 126, 129,
131 , 132, 134, 134, 135, 136, 195, 196, 198,206,2 10 Schmidt, loost 26, 48, 53, 58,61, 72, 73, 75, 113, 114, 115, 156, 198 Schmidt, Kurt 134 Schmidt-Ehrnen, Kurt 28 Schmitt, Hannes 195 Schmölz, Karl-Hugo 68, 68 Schneider, Kar! 199 Schoenbaum, David 10 Scholz, Georg 195 Schrammen, Eberhard und Toni 64, 66, 66, 70 Schreiber, Fritz 162 Schreiber-Rütfer, Marga rete 120 Schröter-Voigt, llse 96 Schultze-Boysen, Libertas 80,82 Schultze-Naumhurg, Paul 11 , 66, 165 Schulz, Lilli 97, 98 Schupp, Martin 170, 173 Schuster, Peter-Klaus 11 Schwerdtfeger, Kun 113, 196 Schwitters, Kurt 137 Selmanagic, Selman 154 Singer, Franz 210 Slutzky, Naum 85 Speer, Albert 10, 12, 13, 14,62,68,81, 161 , 163, 166, 170, 179, 185, 186, 187, 189 Stalin, losef 142 Starn, Man 204
WACHSMANN, Komad 189 Wagenfeld, Wilhelm 20, 86-89, 86, 87, 88, 89, 90, 95, 97, 98, 154, 195, 196, 206,210 Wagner, Friedrich fronti spiz Wagner, Martin 153, 154, 156,206
ZEPF, Toni 30,41,44 Ziegler, Adolf 195 Zitelmann, Rainer 10 Zoltan, Kosa 153 Zwart, Piet 82
Bundesarchiv Koblenz 26,41 Bundesarchiv Potsdam 62 Hedwig und lohannes Döbele, Stuttgart 130, 131 Fritz-Winter-Haus, Ahlen 127, Abb. XXI Paul Gönner 138 Gertrud Hesse, Duisburg 97 oben Kunststudio Bormann Schütze, Nachlaß Fritz Kuhr 128, Abb. XXII; 129 Adolf Lazi, Stuttgart 87 Bernd Nicolai 107
Photoarchiv C. Raman Schlemmer 126, Abb.xx; 134 Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek 29,32 IKnud Petersen), 118 oben Preußischer Kulturbesitz, Li pperheydesche Kostümbibliothek 38, Abb. VIII; 39, Abb. IX; 42 oben lJungebluth), 42 unten IKnud Petersen) Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie Berlin 133
Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek 3 1; 39, Abb. x; 40, Abb. XII; 46 lJungebluthl Hinnerk Scheper 143, 146, 147, 149, 150 lost Schilgcn 92 Senatsbibliothek, Berlin 28 Städtische Kunsthalle Mannheim 97 unten Universitäts- und Stadtbibliothek, Köln 36, Abb. v, VI Von der Heydt-Museum, Wuppertal 135
Steinecker, Waldemar 48 Stern, Grete 210 Stijl, De 72 Stölzl, Gunta 85, 195 Strache, Wolf 75 Straub, Karl 31, 42, 45 TAMMs, Friedrich 166 Taut, Bruno 181 Teige, Karel 204 Tessenow, Heinrich 165 Thiemann, Hans 11 3, 116, 117,119, 120, 129, 137, 138, 139 Thierfeld, Mary 96 Thorak, losef 109 Tralau, Walter 161, 1721. Troost, Paul Ludwig 9 Tümpel, Wolfgang 96, 97, 97, 196,210 Turner, Henry A. 13 I. UMBO lOtto Umbehr) 64, 65,66 VAETH, Hans 170 Volger, Hans 16 1, 166, 196
Wagner-Reichardt, Grete 94, 95, 96, 98 Waiden, Herwarth 137 Walther, Eduard 50 Wal ther, Ernst 161 Weber, Gerhard 162, 165, 166f., 1721., 174 Weber, Vincent 196 Wegehaupt, Herbert 136 Weidemann, Hans 157 Weilbier, Rudolf 187 Weinfeld, lean 210 Weinkraut, May 96 Wei ßgerber, Otto 145 Wendland, Winfried 19, 52,54,61 f. , 1941. Wemer, Bruno E. 44, 174 Wiehert, Fritz 199 Wildenhain, Franz 85 Wilhelm 11. 16 Willers, Grete 94, 95, 96 Winter, Fritz 118, 119, 120, 127, 129, 130 WIppermann, Wolfgang I1 Wittwer, Konrad 204 Wolff, Paul 73, 74 Wollschläger, Hans 9 Wolters, Rudolf 153 Wright, Frank Lloyd 168 f. YAMAWAKI,lwao 202
Photonachweis Sofern nicht unten aufgeführt, stammen die Bild vorlagen aus den Archi ven der Autoren hzw. aus dem Bauhaus-Archiv, Berlin. Archiv Dirk Lohan, Chicago 157 Archiv Sommer, Offen burg 74 oben Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München 27 Hans-Ioachim Bansch 98 unten
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