Unbestechlich, aber käuflich!
8/04
€ 2,50
• SFR 5,00
www.eulenspiegel-zeitschrift.de 50./58. Jahrgang • ISSN 0423-59...
401 downloads
749 Views
6MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Unbestechlich, aber käuflich!
8/04
€ 2,50
• SFR 5,00
www.eulenspiegel-zeitschrift.de 50./58. Jahrgang • ISSN 0423-5975 86514
Franzis neuer Anzug:
GOLD! OLYMPIA-SPECIAL OLYMPIA-SPECIAL S. S. 33 33
SPD/DGB:
Knigge für Arschlöcher Kids:
Verjubeln ist geil! TV:
Frauentausch ist Weibersache FUNZEL:
Unten ohne an deutschen Zapfsäulen
Einigkeit macht stark Wenn sich Sozis und Gewerkschaften zu sehr lieben
14
Eulenspiegel 8/04
ser seiner volksfeindlichen Reformphantasien nicht halten kann, sozusagen ein Eigenurinpanscher! Gerhard Schröder ging per SPIEGEL sofort in die Vorneverteidigung und bescheinigte seinem Jugendfreund Bsirske, gegen den er im APOKindergarten manchen Schwanzvergleich gewonnen hatte, sinngemäß: »Wenn’s drauf ankommt, kriegt der ihn doch gar nicht mehr hoch!« So konnte das nicht weitergehen! Fieberhaft wurde auf beiden Seiten an der Vorbereitung einer Benimm-Konferenz gearbeitet, die das historische Bündnis von Gewerkschaften und Sozialdemokratie aus der Jauche holen sollte. Maßgebend beteiligt war dabei ein gewerkschaftsinternes Lebewesen mit dem Namen Mönig-Raane (auch hier schwer zu sagen, welcher der
beiden Begriffe den Vornamen bildet und welchem Geschlecht er zuzuordnen ist). Das Mönig-Raane hatte vor den Kameras zwar schwer damit zu kämpfen, die Augen offen zu halten, wurde aber nicht müde zu betonen, daß es sich bei Kollegen und Genossen sozusagen um Schweine aus ein- und demselben Stall handele, die nun doch bitteschön nicht anfangen sollten, sich gegenseitig die Ringelschwänzchen abzukauen. Gemeinsamkeiten seien beispielsweise: Beiden laufen die Mitglieder weg. Na, auf so was kann man doch aufbauen! Wobei die Gewerkschaften immer noch ausrufen: Unsere Mitglieder laufen schneller. Während Müntefering kontert: Unsere benutzen aber Gehhilfen! Um einander zur Weißglut zu treiben, bleibt man aber jeweils Mitglied
Peter Muzeniek
werden sollten. Freilich wollte er es hinterher »so nicht gesagt« haben, vor allem nicht zu BILD. So gewöhnlich drücke er sich gewöhnlich nicht aus. Scheiße sei außerdem ein eher harmloses organisches Restprodukt, während man bei der Agenda schon von einem hochkontaminierten Furz von beachtlicher Detonationskraft sprechen müsse. Na, und so weiter. Dann zog Ver.di-Chef Bsirske nach. In den Gewerkschaften gönnt nämlich der eine dem anderen keine Verbalinjurie. Es ist ein kollegialer Wettbewerb entbrannt, wer noch feinsinniger, noch eleganter in die politische Landschaft aulen kann. Bsirske kletterte aufs Podium und titulierte unseren Friedenskanzler quasi als Schlappschwanz, einen inkontinenten zudem, der das Was-
Klaus Stuttmann
»Einigkeit macht stark«. Das hat die deutsche Sozialdemokratie seit Geburt des kleinen Jesuskindes auf ihre Fahne geschrieben. Darauf sieht man zwei in den Klassenauseinandersetzungen zur Tatwaffe gereifte rechte Hände – die eine soll eine Genossenhand sein, die andere eine Gewerkschafterhand. Aber das müßte man heutzutage noch dazuschreiben. Denn eher verstümmelt sich ein gestandener Gewerkschaftsfunktionär in der Kantine der Berliner Ver.di-Zentrale die Hand mit dem Brötchenhalbierungsautomaten, als daß er einem Verräter von der Schröderbande die Flosse hinstrecken würde. »Einigkeit macht stark« – das gilt aber auch heute noch. Einig ist man sich nämlich insoweit, daß jeweils auf den anderen so beschauliche Diminutive wie »Arschlöcher«, »Flachwichser« oder noch ganz was anderes unter der Gürtellinie zutreffen (wie das, was der Kanzler neulich zu seiner in vielen Tarifauseinandersetzungen rauh gewordenen Kampfgefährtin Engelen-Kefer sagte, wobei man nicht weiß, welcher der beiden Namen der Vorname ist). Zwischenzeitlich saßen die Klassenfeinde – verbal gesehen – tief in der Kloake. Es stank bereits aus ihren Mäulern, so daß sich das Publikum noch dringlicher als bisher wünschte, sie mögen diese doch bitte halten. Bei der IG-Metall schufteten die Referenten an einem kleinen Handbuch für den Kollegen an der Basis mit dem Titel »Laß den Schließmuskel sprechen, Kollege!« – eine Art Wörterbuch mit vielen Varianten, die Sozis und das Wort »Scheiße« sinnfällig zusammenzubringen. Mit seiner vielbejubelten Formulierung, die Agenda 2010 sei »Scheißdreck«, hatte IG-Metall-Chef Jürgen Peters bereits den Kammerton A angeschlagen, nachdem die sprachlichen Folterinstrumente gestimmt
beim anderen – Schröder bei Bsirske, Sommer, Engelen-Kefer und Peters bei Müntefering. Nur Bsirske gilt als schwulökologischer Außenseiter – er ist bei den Grünen. Weitere Gemeinsamkeiten: Keine der beiden Seiten hat wirklich eine Ahnung, wie es weitergehen soll, beide wünschen sich, daß das deutsche Volk zwischen 40 und 50 Stunden pro Woche auf Arbeit gehen möge, beide haben in der Hartz-Kommission gesessen, Kreuzworträtsel ge-
löst bzw. gepopelt und sich bei jedem Vorschlag, wie man Arbeitslosen Geld wegnehmen kann, bei den Händen gefaßt und im Chorus gebrüllt: Haut se, haut se – immer auf die Schnauze! Und beide finden die CDU nebst Angela zum Kotzen – noch mehr, als sie sich gegenseitig zum Kotzen finden. Noch weniger als Furunkel im Analbereich wünscht sich Metaller Peters deshalb – nach eigenen Angaben – eine neue Regierung. Wo er vorfährt,
betont er, die Regierung Schröder sei mit Abstand die beste. Ob er seit Adolf Hitler meint, wissen wir nicht. Sie bestünde zwar durchweg – mit Verlaub! – aus arbeitnehmerfeindlichen Scheißkerlen, habe sich aber um die Bundesgartenschau, das Dosenpfand und die Homo-Ehe historische Verdienste erworben. Kürzlich kam es nun »zum Showdown«, wie die Blätter titelten. Es wurden Tischtücher und das gute Kaffeeporzellan aufgedeckt. Und be-
sagte alte Fahne gehißt. Das schöne Ambiente sollte die gegnerischen Söldner daran hindern, Darmgeräusche mit dem Mund zu simulieren und das Mobiliar zu zerdeppern. Dann kam Schröder und mußte Sommer die Hand geben. Aber sofort wischten sich beide die Hände an den Westen ab (Schröder sogar an der Weste von Sommer), als klebe Glibber daran oder Elefantensperma. Dann brüllten sie sich eine Weile an. Schröder hatte nach einer halben Stunde plötzlich einen Termin zur plötzlichen Rettung des Weltfriedens und mußte mal schnell verschwinden, und dann soll es ruhiger geworden sein. Man verabschiedete einen »Ehrenkodex für die kommenden Klassenkämpfe unserer Zeit«, wie er offiziell heißt. Bei den Referenten heißt er »SiebenPunkte-Knigge für Arschlöcher«. Er soll einen zweiten Röhm-Putsch verhindern. »Eulenspiegel« hat das Dokument: 1. Wir halten unsere Weiber da raus! Insbesondere der DGB nimmt seine Seite »Doris feucht-fröhlich« aus dem Internet, und Müntefering stellt die Observierung von Peters im Milieu ein. 2. Bei spontanen Begegnungen zwischen Sozis und Kollegen bleiben die Hände grundsätzlich über der Gürtellinie. Angebotene Ohrfeigen müssen auch geliefert werden (siehe BGB unter »Schenkungsversprechen«). 3. Niemand vergreift sich mehr an Mönig-Rahne! Und wenn doch, wird sie hinterher wieder ordentlich saubergemacht. 4. Wenn’s auch schwerfällt: Wir versuchen in unserem politischen Vokabular nicht unter das Pausenhof-Niveau einer Realschule zu sinken. 5. Harmlose Neckereien (»Na, du kleines Arschloch« usw.) nehmen wir nicht öffentlich übel, weil die Bevölkerung das nicht verstehen würde. 6. Wir gießen grundsätzlich keine Getränke (auch keine alkoholischen) über die Computertastaturen des politischen Verbündeten. 7. Falls Deutschland an Tschechien verkauft werden muß, ist es nicht der jeweils andere, sondern keiner von uns gewesen. Dann ist nämlich die CDU schuld. Mathias Wedel Eulenspiegel 8/04
15
Unsere Besten
weißen Brautschleier mit nichts darunter nur träumen können, ging Renate Pokorny, wie ihr Mädchenetikett lautete, mit dem Vater ihres Kindes gleich unter die Haube und ließ sich von ihm erst durch seinen Tod scheiden, 1984. Obendrein gab sie, als das Baby in ihrem Bauch wohnte, dem Gymnasium selbstbewußt den Laufpaß und walzte, nachdem mit der Geburt die Formalien erledigt waren, souverän ins Erwerbsleben hinein, wobei sie auch hier ihrer persönlichen Mutter hinterhereiferte, die ihr Familienleben als Verkäuferin und Reiseleiterin mit zusätzlichen Brötchen gefüllt hatte. Während Renate Schmidt zu Hause ihre saubere Wäsche machte und die Kinder stopfte, machte sie draußen an der frischen Luft Karriere als Programmiererin und Systemanalytikerin und trat, weil Ehe, Kinder, Familie und Beruf ihr noch lange nicht den Rand gaben, 1972 der SPD bei, für die sie ab 1980 im Bundestag auf einem breiten Stuhl saß; von dort präsidierte die Omnipatente von 1991 bis 1994 dem Arbeitskreis »Gleichstellung von Mann und Frau mit wem auch immer«. Da auch das alles sie noch nicht auslastete, mischte sie in der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen colo für die Runde. Wenn die Damen dann ihren nach Kräften mit, arbeitete stark für das BayeriSchwips in der Birne haben, zwitschern sie viel- sche Jugendrotkreuz und engagierte sich mit allem stimmig »Alle Schwestern werden Brüder« und eiern Gewicht in der Zentralstelle für Recht und Schutz mit gestärktem Rückgrat und hohem Busen ins Wochenende. Aber manchmal kippt die Stimmung. Es passiert, wenn die Fotos von den Lieblingen mit den zwei bis vier Beinen von Auge zu Auge gereicht werden: Plötzlich bricht eine Ministerin in ein wimmerndes Tränenmeer aus, und noch während die anderen der Kriegsdienstverweigerer, setzte sich, da sie auch sie mit Händen voller Trost oben streicheln, kocht davon noch nicht genügend gefordert wurde, im die Heulsuse über. Ein spitzes Wort gibt das andere, Deutschen Familienverband, beim Kinderschutzund schon reißen sie sich an den Haaren, spuk- bund und in der AIDS-Hilfe sehr massiv ein und tat, ken,, kratzen und kugeln kreischend ineinander weil sie sich noch immer nicht richtig beansprucht verbissen durch das Dienstzimmer der Kultur- fühlte, auch bei der Arbeiterwohlfahrt und dem staatsministerin. Spätestens dann schlägt Renate Bund Naturschutz und Umwelt extrem wuchtig mit; Schmidts dicke Stunde: Mit starker Brust fährt sie und weil auch dann noch zu viel leere Zeit blieb, zwischen die Zankenden und ruft die Streithennen trat die im hessischen Hanau geborene und im fränwenn nötig mit der flachen Hand zur Ordnung. kischen Nürnberg wohnhafte Bayerndarstellerin als Zwar ist Renate Schmidt, die seit dem 12. Dezem- Model für dralle Dirndl auf, verdingte sich als pralle ber 1943 lebt, nicht die Stubenälteste – das ist Hei- Serviererin in Bierzelten, die im lauten Getriebe eidemarie Wieczorek-Zeul aus dem Jahr 1942 –, doch nes Volksfests schon mal statt der leeren Maßkrüge genießt sie aufgrund ihrer stattlichen Bauweise eine die vollen Männer von der Bierbank abräumte, unniederringbare Autorität unter ihren Kollegin- nahm an Traktorrennen teil, wobei sie meist als nen. Zudem ist sie als Frauenministerin praktisch Traktor antrat, gründete nebenher den Verein »Pro deren Vorgesetzte, und als Familienministerin weiß Melkmaschine« und wurde kurzum zur leibhaftisie ohnehin am besten, wie man tödlichen Haß, Neid gen Verkörperung von Freude durch Kraft – Dinge, und Streit löscht. Andererseits ist es gerade sie, die die vielleicht nicht jeder weiß, aber so steht es jedrei Kinder hochgesäugt und schon drei Enkel im denfalls in einem Artikel des »Eulenspiegel«, AuStall stehen hat, die immer wieder die Eifersucht gust 2004. Und dessen Existenz ist ja wohl nicht der anderen erregt… wegzuleugnen! Während die Brigitte, die Christina oder die Heidi Doch so voll das Kraftweib, das Powertier, ja der nur Fehlzündungen hatten, war Renate Schmidt Familienelefant Renate Schmidt im eigenen Saft bereits mit achtzehn in die mütterlichen Fußstap- steht, die Wirklichkeit gehorchte nicht immer aufs fen gerutscht und hatte ein Kind bekommen. Und Wort. Just in Bayern traf sie in den 90er Jahren, während manche ihrer Kolleginnen bis heute vom als sie die CSU ohne Abendbrot in die Opposition
Mutterkuh Volle Granate,
der Nation Renate!
18
Eulenspiegel 8/04
schicken wollte, auf taube Köpfe. So sehr sie sich den Mund fusselig salmte, das Wahlvolk wollte nicht hören; es wählte 1993 nicht Renate Schmidt zum Landesvater, sondern Edmund Stoiber. Nicht einmal ein Drittel der Wähler warf der SPD seine Stimme in den Hut, und auch 1998 halfen weder gutes Zureden noch ernste Ermahnungen: Renate Schmidt rollte den Bayern abermals am Arsch vorbei, die SPD soff mit 28,7% ab. Zudem mußte sie als Landesvorsitzende der SPD und Fraktionschefin im Landtag ihrem Namensvetter Albert Schmidt Manieren einbleuen, der sich als Stellvertretender Landesvorsitzender, Geschäftsführender Fraktionschef und Generalsekretär des Landesverbandes immer wieder in die Belange der bayerischen SPD einmischte. Renate Schmidt servierte ihm einen Satz heißer Ohren und schickte ihn für immer in den Keller. Doch allmählich wurde ihr Fleisch müde: Im Mai 2000 gab sie in der Bayern-SPD den Teppichklopfer aus der Hand. Auch das Privatleben bekam Löcher: Alle Kinder waren aus dem Haus gewachsen. Renate Schmidts Leben lag brach. Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Märchenprinz daher: Im Oktober 2002 holte Gerhard Schröder sie nach Berlin, und seither steht die Frauen- und Familienpolitik endlich voll im Fett. Zwar hat Schröder, der bekanntermaßen gern scherzt: »Vier Hochzeiten und kein Trauerfall, äh: Baby!«, selber nur Fahrkarten geschossen; doch inzwischen hat er, der Kinderklimbim immer für Frauengedöns hielt, oben rum verstanden, daß in Deutschland die Kinder aussterben. Die Geburtenrate liegt weit unter den Radieschen, und solange die Deutschen beim Wort »Kind« an »Abtreibung« denken, tut wahrlich ein Gesinnungsnageln, pardon: Gesinnungswandel not. Früher fing man sich Kinder so leicht ein wie einen Schnupfen, das weiß Renate Schmidt aus eigener, hausgemachter Erfahrung. Heute ist es komplizierter. Nicht nur fehlt es an allen Ecken und Kanten an einer kindergartengerechten Umwelt, es mangelt auch an Möglichkeiten für Frauen, die ein Balg an der Schürze haben, sich im Berufsleben weiterhin verwerten zu lassen. Hier will Renate Schmidt Gesellschaft und Wirtschaft kräftig ins Gewissen stechen und hat, um die Kinderproduktion hochzutreiben, bereits eine »Allianz für die Familie« parat, die Deutschlands Zukunft vollmachen soll. Zugleich hat sie auch das bereits vorhandene Kindergut in der Bundesrepublik gut auf dem Schirm und plant Fernsehspots in Sachen Familienpädagogik, damit die Eltern ihren Nachwuchs nicht mehr mit dem Stuhlbein erziehen, sondern lernen, daß ihre Kinder lebende Wesen sind, aus denen einmal Menschen werden. Oder sogar Politiker! Da kennt sich Renate Schmidt aus. Peter Köhler
Frank Hoppmann
Jeden letzten Freitag der Woche ist großes Frauenfrühstück im Kanzleramt. Dann kommen sie mit allen sieben Köpfen im Büro von Kulturstaatsministerin Christina zusammen: die Edelgard, die Heidemarie, die Brigitte, die Ulla, die Renate und die Renate. Dann führen sie sich ihre neuesten Klamotten vor, gießen sich aus langen harten Kannen heißen Kaffee ein und schwelgen in riesigen wohlgerundeten Torten, die so weich sind, daß sich jeder Mann gern mit dem Gesicht voran hineinlegen würde. Kichernd zünden sich die Evastöchter auch mal ein Zigarettchen an, erzählen sich gickernd den neuesten Klatsch über ihre männlichen Kabinettskollegen, wer mit wem und wie oft, und bei jeder Nennung des Namens Eichel kieksen sie so schrill, daß die Fenster zu platzen drohen. Stolz reichen sie die aktuellen Ausgaben der Frauenzeitschriften herum, in denen ein Artikel über sie steht, und diskutieren, von Kopf bis Fuß errötend, ob frau vielleicht doch einmal das Angebot des »Playboy« annehmen sollte; und sie zeigen sich Fotos von ihren Kindern und Enkeln oder, wenn keine auf der Pfanne sind, vom Hund oder dem Wellensittich. Gelegentlich galoppiert auch Doris vorbei und spendiert einen Pic-
Leer Von der Ausbildung 2004 zur Einbildung stellensuche
Man kann sie einfach nicht mehr hören, diese ewige Jammerei: Zu schwaches Angebot von starken Ausbildungsplätzen hier, zu starke Nachfrage von Schwachköpfen da. Der »Eulenspiegel« als Fachorgan für Hilfsschüler und Ungebildete aller Art hat sich der Sache mal angenommen und untersucht, wie sämtliche Beteiligten die Sache sehen. Hier das bewährt ausgewogene Ergebnis. 1. Was der Deutsche Industrie- und Handelstag von der gegenwärtigen Bewerbungssituation hält. Ein Beispielbrief aus dem täglichen Posteingang:
22
Eulenspiegel 8/04
Die gegenwärtige Konjunkturprognose weist eine Reihe von atypischen Besonderheiten auf, unter denen vor allem die stark eingeschränkten Wachstumsmöglichkeiten quer durch alle
Schlüsselbranchen bei gleichzeitigem Rückgang des generellen Personalbedarfs und massivem Absinken des verfügbaren Bildungspotentials…
… na gut, das reicht. 4. Wie »BILD am Sonntag« das Thema auf den Punkt bringt:
Pisa-Schock:
2. Wie der durchschnittliche Lehrstellenbewerber die Angebotslage empfindet. Ein Antwortformbrief:
Firmenkopf
Lieber Herr Scheff, ich will gerne, das Sie mir was lernen, darum schreibe ich diese Bewerbung. Als Beruf stelle ich mir irgendwas Geiles mit Frisuren vor oder wo man sonst außen einen schönen Kopf hat und nich soviel innen drinne braucht. Also Fernsehen geht auch. Meine Leistungen in der Schuhle waren meistens ziemlich einigermaßen – jedenfalls wenn ich da gewesen bin. Ich mußte nämlich manchmal zu Hause bleiben, weil draußen Wetter gewesen ist. Dann habe ich aber immer am Computer gelernt, zum Beispiel die Spielregeln von »Sim City«. Ich könnte also glatt auch Arschitekt werden, falls Sie gerade mal wieder keinen Bock auf Ausbildung haben sollten, was man ja heutzutage von deutschen Manege... Mangane… Managern öfters lesen tut. Meint jedenfalls mein Vater, und der versteht allerhand von Wirtschaftsthemas: Holsten knallt am dollsten, sagt er immer, und das weiß nur jemand, der selber ordentlich löten kann. Und Etiketten lesen. Ich für meinen Teil kenne mich auch mit viele Dinger aus. Mein besonderes Fachgebiet ist das Abhängen, aber bei Bedarf kann ich auch Rumsitzen oder Im-Wege-Stehen. Außerdem interessiere ich mich sehr dafür, was andere tun: Wenn einer arbeitet, kann ich stundenlang zusehen! Auch die Beschäftigung mit Farben finde ich voll cool. Am liebsten mache ich nämlich blau. Was ich einmal anfange, geht meistens sehr schnell. Zum Beispiel werde ich sehr schnell müde. Mit anderen verstehe ich mich super, denn normalerweise sind alle derselben Meinung wie ich. Jedenfalls spätestens, nachdem sie von mir ein paar auf die Lichter gekriegt haben. Wenn Ihre Angestellten mal Schwierigkeiten machen sollten, kann ich Ihnen da gerne ein paar Tips geben. Noten kann ich Ihnen leider nicht schicken, denn ich habe Musik abgewählt. Aus der Penne bin ich sowieso schon nach der neunten Klasse weg, denn ich hatte durch das ständige Nachsitzen so viele Überstunden angesammelt, daß es höchste Zeit war zu gehen. Time to say goodbye, wie der Lateiner sagt. Damit aber genug gesülzt. Jetzt lassen Sie mal was gucken – zum Beispiel, wieviel Kohle ich in Ihrer Bude abgreife. Danach überlege ich mir dann, ob Sie mich zu einem Gespräch einladen dürfen. Tschau Ihr (Name unleserlich)
3. Wie die Wissenschaft erklärt, was los ist. Ein Fachartikel:
Datum
Sehr geehrte(r) .................................... für Ihr Bewerbungsschreiben vom .......... danken wir sehr herzlich. Es freut uns, daß Sie für unser Unternehmen .................................... so viel Interesse zeigen, denn wir stehen den Problemen junger Leute von jeher sehr aufgeschlossen gegenüber. Es versteht sich darum von selbst, daß wir alles daransetzen, um ihnen eine realistische
5. BILD am Montag:
aufzuzeigen und den Standort Deutschland weiter zu stärken. Im Gegensatz zu dieser, unserer jahrelang bewährten Unternehmensphilosophie bietet die gegenwärtige
Totgesucht: Lehrstellenbewerber stirbt an Blutblase vom Bettelbriefschreiben!
-
So liebe Leute, wenn Ihr nun schon keinen Ausbildungsplatz habt, so wißt Ihr jetzt wenigstens, weshalb. Und wenn nicht, hilft Euch auch kein Ausbildungsplatz mehr! Reinhard Ulbrich Zeichnungen: Barbara Henniger
- Zukunftsperspektive - Erfolgschance - Zielorientierung (Nichtzutreffendes streichen)
Wirtschaftssituation Bundesregierung Gewerkschaftsspitze Ausbildungsbürokratie Kostenexplosion Steuergesetzgebung OPEC-Politik Wetterlage (alles ankreuzen)
leider sehr wenig Anlaß zum Optimismus. Vielmehr sehen wir uns genötigt, - Arbeitsplätze aus Polen in den Sudan zu verlegen - nun erst recht FDP zu wählen - alle Vorstandsabfindungen bei 30 Millionen Euro einzufrieren - von Maserati auf Porsche umzusteigen - die Subventionierung von Chateauneuf du Pape zu fordern . (nach Bedarf ergänzen) Sie werden verstehen, verehrte(r).................., daß wir uns unter diesen mißlichen Umständen nicht in der Lage sehen, auch noch Ausbildungsplätze bereitzustellen. Zu unserem großen Bedauern müssen wir Ihnen deshalb eine Absage erteilen. Es wird für Sie aber gewiß ein Trost sein, daß Sie sich damit in guter Gesellschaft befinden. Wir wünschen Ihnen noch ein glückliches Jahrtausend und verbleiben mit vorzüglicher Hochachtung (Unterschriftsstempel)
Eulenspiegel 8/04
23
Jung, dynamisch,
insolvent W
enn Sie morgens schlaftrunken aus Ihrer Behausung poltern und in den vollen Bus steigen, wartet sicher schon einer dieser neunzigjährigen Brackwasserschnorchler auf Sie, die den lieben langen Tag nichts anderes tun, als im Zweiminutentakt Lamentos über »Die Jugend von heute« herunterzubeten. »Die Jugend« von heute, das kritzelte ein übellauniger Babylonier vor dreitausend Jahren schon auf eine Tontafel, »ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.« Und kein geringerer als Sokrates pflichtete diesem babylonischen Kinderversteher – wenn auch mit etwa fünfhundertdreißig Jahren Verspätung – bei, als er sagte: »Die Jugend verschlingt die Speisen, legt die Beine übereinander und tyrannisiert die Eltern«. Nun will ich natürlich nicht so weit über das Ziel hinausschießen wie unser Sokrates und behaupten, die Jugend lege die Beine übereinander, nein, man zeige mir die Gelbe Karte und pfeife mir streng ins Gesicht, wenn ich so ausfallend werde! Unsere Jugend schlägt also nicht die Beine übereinander, aber verfressen und tyran24
Eulenspiegel 8/04
nisch ist sie schon ein bißchen. Am allermeisten aber ist sie pleite! Das konnten die Griechen und Babylonier freilich nicht ahnen, da das Taschengeld ja erst in den Sechzigern eingeführt wurde, als Kinder plötzlich Menschenrechte bekamen und das Abholen der Lohntüte der einzig verbliebene Grund für die Bratzen war, ihren Eltern überhaupt noch Höflichkeitsbesuche abzustatten. Überall schreien es investigative BILD-Reporter von den Dächern, und besorgte Lokalpolitiker runzeln sauertöpfisch die Stirn, denn Deutschlands Jugend ist verschuldet, und bevor manch einer sein achtzehntes Lebensjahr vollendet und zu einem flüggen Mitglied unserer Gesellschaft wird, steht schon der Gerichtsvollzieher vor der Tür und droht damit, die Lebenssäfte aus den Drüsen zu pfänden. Bevor Sie nun in Betroffenheit versinken: Das kann Ihnen ja egal sein, Ihre Drüsen sind ja eh schon verwelkt, und nach Ihnen die Sintflut. Aber zugeben müssen Sie schon, daß das für die jungen Leute nicht eben schön ist. Als ich zum ersten Mal von der Verschuldung Jugendlicher hörte, mußte ich mich schütteln, weil ich das für einen gelungenen Witz hielt. Als ich
nämlich eine Jugendliche war, bestand mein finanzielles Imperium aus einem tönernen Sparschwein, in dem sich pittoresk verstreute Pfennige befanden, die geizige Großtanten dort zweimal im Jahr mit gönnerhafter Miene reinkullern ließen, während sie sich mit fettigen Torten vollstopften und sich mit dem Handrücken die Kuvertüre vom Kinn wischten. Nach acht Jahren Pubertät belief sich mein Gesamtvermögen auf etwa dreizehn Mark siebenundvierzig. Größere pekuniäre Orgasmen erlebte mein Tonschwein nur, wenn ich eine Eins in Mathe schrieb. Das kam in meiner schulischen Karriere etwa zweimal vor, und meine Mutter hatte für diesen denkwürdigen Augenblick eine Entlohnung von fünf Mark vorgesehen. Runden wir also auf, ich besaß mit Eintreten in die Volljährigkeit fünfundzwanzig Mark. Wäre ich zu der Zeit in eine Bank gegangen und hätte um einen Kredit oder sogar auch nur ein Girokonto gebeten, um meine Reichtümer zu deponieren, hätte der Bankdirektor persönlich beim Jugendamt angerufen und meinen Eltern rückwirkend die Erziehungsberechtigung aberkennen lassen; man hätte mich in eine eigens für solche Fälle gebaute Zeitmaschine gesetzt und in mein Ge-
burtsjahr zurückkatapultiert, auf daß ich diesmal mit Verstand zur Welt käme! Heute ist das alles anders. Heute werden Jugendliche bereits mit Giro- und Sparkonto, Handyvertrag, Führerschein und Aktien aus der Fruchtblase gequetscht, und bevor das Hirn die erste meßbare Kurve pulst, weiß die Hand schon, wie man eine Kreditkarte elegant über den Tresen schiebt. Die Kids sind in der Schuldenfalle: Mußte man einst für ein Paar Nike-Schuhe noch den wohlsituierten Klassenbesten in düsteren Gassen mit komplizierten Frakturen beschenken, steht man heute schon bei der Einschulung als Werbelitfaßsäule vor der Tafel. Mittels drastischer Werbekampagnen wird den Ablegern suggeriert, ein Leben ohne Marke sei wie die Vertreibung aus dem Garten der Hesperiden. Kreditinstitute schlagen sich darum, den Jüngsten in die leere Tasche zu greifen, denn wer als Teenager verschwenderisch ist, wird auch im Alter keinen Sparstrumpf unter die Matratze legen, allein schon, weil er gar keinen Strumpf und erst recht keine Matratze mehr besitzt. So ernst ist die Verschuldung unserer Jüngsten, daß kürzlich sogar der Bundesverband Inkasso
forderte, man solle den Umgang mit Geld und Schulden in die Lehrpläne der hiesigen Schulen aufnehmen, wenn schon sonst nichts Brauchbares aus den dreizehn Jahren Müßiggangs zu quetschen sei. Wie soll aber ein Lehrer einem Schüler den Umgang mit Geld vermitteln? Wenn Lehrer einen gesunden Bezug zum Geld hätten, würden sie für das, was sie täglich in den Schulen treiben, sicher keines verlangen, sondern ihrerseits Scheinchen an die um kostbare Lebenszeit beraubten Pennäler verteilen. Natürlich kann man emphathisch wehklagen, oh, die armen jungen Leute, sie müssen sich identifizieren, mithalten, wie Nutztiere getrieben durch den Parcours des Markenund Konsumterrors. Der vornehmliche Grund, warum sich Kinder aber inzwischen benehmen wie Yuppie-Mittdreißiger, ist, daß die Phase der Jugendlichkeit drastisch vorgezogen wurde. Mit sieben gibt’s das erste Schminktäschchen, mit acht die Weltreise, mit neun den ersten Sex und mit zwölf das Facelifting. Hormone im Babybrei und New Yorker Lifestyle haben vollendet, was düstere Trendprognosen uns prophezeiten: Mit fünfundzwanzig ist man ausgemusterter Sondermüll, fünf Jahre später
gibt’s die Geburtstagstorte mit der Aufschrift »Endlager Dreißig«. Wenn rezessionsgeschädigte Bürger jeden Cent zehnmal umdrehen, bevor sie ihn wieder einstecken, muß das Geld eben da zirkulieren, wo der Durchblick sich noch durch eine Schicht Pubertätspickel an die Oberfläche kämpfen muß. Ginge es unserer Wirtschaft besser, müßten Kreditinstitute sicher nicht zu solch niederen Geschäftspraktiken greifen (täten es aber freilich trotzdem). Evolutionstechnisch sind wir damit einen großen Schritt rückwärts gegangen und haben ein zartes Band zwischen uns und den Mäusen geknüpft: Kreucht bei denen nämlich die Natter vor dem Bau, treibt die Muttermaus schon mal die Kinder hinaus oder frißt sie höchstpersönlich auf. Lange interpretierten rührselige WochenendWaldretter diese Geste so, daß die Maus ihren Kindern ihre Leiden ersparen wolle. Im Grunde geht es ihr aber nur um den vollen Bauch. Tisch dekken, Lippen lecken – eine Gesellschaft frißt ihre Kinder. Seien Sie froh, daß Sie es hinter sich haben. Giannina Wedde Zeichnungen: Cleo-Petra Kurze Eulenspiegel 8/04
25
Ein sommerlicher Berlin-Führer
Wer die Hauptstadt richtig kennenlernen will, fängt am besten ganz unten in ihren Niederungen an – also in der Gastronomie. Ein Überlebender berichtet.
W
Currywurst... 30
Eulenspiegel 8/04
ir schreiben einen ganz gewöhnlichen Julitag im Juli des Monats Juli: Durchgeschwitzte Provinzrabauken schieben ihre nur mäßig kaschierten Spitzbäuche und Hängebrüste durch die Französische Straße. Zum Glück nimmt das Borchardt sie allesamt auf, zumindest wenn sie Otto Sander, Désirée Nick, Sting oder Minister Otto Innen-Schily heißen. Damit leistet das Etablissement schon mal einen wichtigen Beitrag zur Verschönerung des allgemeinen Ortsbildes. Aus Sicherheitsgründen werden die Gäste im Innern der Promi-Deponie Schulter an Schulter auf langen Bänken gelagert: So können sie nicht umfallen, wenn die Rechnung kommt. Fünfzig Euro und mehr pro Hauptgericht treiben manchem zwar die Tränen in die Augen, aber die mei-
... Carpaccio... sten Insassen haben sich abgesichert und tragen Sonnenbrille. Wer dennoch einen Schwächeanfall erleiden sollte, kann sich ganz in der Nähe wieder in Form bringen. Das Margaux Unter den Linden hat nämlich eine Weinkarte, die über zwei Kilo wiegt. Damit läßt sich nicht nur die erschlaffte Muskulatur trainieren, man kann das Monstrum im Bedarfsfall auch nach dem arroganten Personal schmeißen, welches hier fortwährend Hochnäsigkeit mit Hochkultur verwechselt. Mit diesem Benehmen läge der Gast jedenfalls voll auf der Linie des postmodernen Ambience-Cocktails, der die Atmosphäre des Hauses prägt. Spezialität: Rindvieh an blasiertem Champagner-Parvenü garniert mit halbgewalktem Promenaden-Windbeutel.
Je später der Abend, desto größer die Flaschen – darum führt uns der Weg zum Abschluß des ersten Tages in die Paris Bar. Hier nehmen die bedeutendsten Säcke der Stadt ihren Absacker. Stilvoll werden dazu alle Flaschen von hinten beleuchtet. Man weiß nur nicht genau, ob die größten Flaschen vor oder hinter der Theke stehen. Die Räumlichkeit ist in Form und Möblierung einem Blinddarm nicht unähnlich, allerdings hängen an der Wand Spiegel, so daß man sich selber dabei zusehen kann, wie einem übel wird. Zu danken ist dieser Zustand der Verabreichung von Veilchenlikör und überfahrenem Hund, der hier freilich Gulasch heißt. Wir nehmen uns vor, bei nächster Gelegenheit den armen Hund durch den ganz und gar nicht armen Wirt zu ersetzen, und schlie-
ßen ansonsten mit unserem irdischen Dasein ab. Zumindest für heute. ★ Viel zu früh dräut am nächsten Tag um 17 Uhr der Morgen. Bloß gut, daß man auch zu dieser unmenschlichen Zeit in den Berliner Szenekneipen schon frühstücken kann. Die Assel in der Oranienburger Straße hält zum Beispiel ein super Büffet bereit, das aus gut gewärmtem Pils mit frisch gepreßtem Doppelkorn besteht. Im Hinterzimmer hämmert dazu ein hörgeschädigter Höhlenbewohner auf einem Brennholzhaufen herum, der hier irrtümlich als Klavier firmiert. Als eigentliche Sehenswürdigkeit erweist sich jedoch ein in den Tiefen des Raumes installiertes Meisterwerk namens »WC«. Im Laufe der Jahre haben dort tauEulenspiegel 8/04
31
...und Bulette sende freischaffende Artisten nach Kräften an den Becken vorbeigenotdurftet, und den Betreibern der Kunsthalle ist es durch Unterbinden jedweder Reinigung gelungen, aus den Resten eine überaus beeindruckende Farb- und Geruchskomposition zu schaffen. Sie sollte in keinem Berlin-Handbuch fehlen. Zumindest in keinem für Pilz- und Ausschlagserkrankungen. Nach der Besichtigung dieses seuchenhygienischen Weltkulturerbes steht nicht nur ein Orts-, sondern auch ein Zeitenwechsel an. Den kriegt der Kneipologe in der Simon-Dach-Straße gratis: Kaum hat er um dreiviertel neun im Außenteil der Astrobar Platz genommen, stellt der Wirt die Stühle weg. Also weiter ins Conmux. Doch auch dort währt die Freude nur kurz. Um zehne verschwinden ebenfalls die Sitzgelegenheiten. Im Gegenzug steigt 32
Eulenspiegel 8/04
die Zahl der Obdachlosen in Friedrichshain vorübergehend stark an, darunter sogar Brillenträger, Jackettbesitzer und pakistanische Rosenhändler – ein Elend! Von den Heimatvertriebenen, die noch in der Lage sind zu sprechen, weiß sogar einer den Grund: Der Krach sei schuld. Mehr als 55 Dezibel lasse das Amt nicht zu, deshalb müßten die Stühle weg. Dabei könnten wir sogar beeiden, daß unserer ganz leise gewesen war! Im Anita Wronski in der Knaakstraße haben sie dieses Problem nicht. Die Kneipe nimmt bereits das halbe Haus ein, so daß hier weniger der Schankbetrieb stört als vielmehr die letzten Anwohner. Zum Biertrinken kommt man allerdings auch nicht, denn innerhalb von zwei Stunden wird der Tisch erst durch einen kurdischen Feuerzeugverkäufer belagert, dem dann alsbald zwei Bettler,
mehrere Zeitungshändler, eine Wahrsagerin und ein mobiler Brötchendienst folgen. Zeitweilig herrscht ein Gedränge wie im Basar von Timbuktu. Genau darin liegt nun der größte Nachteil aller Szenekneipen: Man trifft fast nur Auswärtige. Einen großen Vorteil haben sie jedoch auch: Man trifft keine Einheimischen. Richtige Berliner können dort allerdings gar nicht auftauchen, denn sie werden meistens in eigenen zoologischen Anlagen verwahrt. Die nennen sich Sport-Casino, Sportklause, Sportlereck oder Sport-Oase, und sie liegen in Gegenden, wo die Leibesübung des Trinkens noch als Leistungsdisziplin betrieben wird. (Nein, nicht neben dem Bundestag – in Neukölln zum Beispiel.) Zur Grundausstattung gehören hier nicht nur gut gefettete Fensterscheiben, teerhaltige Gardinen und zinkenfreie Gabeln, sondern auch ein Servierpersonal, das seine Umgangsformen direkt aus Bin Ladens letztem Benimmkurs für Menschenfresser mitgebracht hat. Wie der Name schon sagt, wird in der Sportlerklause Sport großgeschrieben: Regelmäßig findet etwa der beliebte Gläserweitwurf statt, auch Hochsprung über Getränkepfützen ist an der Tagesordnung. Besonderer Popularität erfreut sich der Faustkampf, wobei die Zahl der Teilnehmer je nach Abfüllungszustand zwischen zwei und zweihundert variiert. Sobald der Wirt das Überfallkommando gerufen hat, kommt es dann zu Sprintwettbewerben, und wer nach der Razzia noch übriggeblieben ist, kann sich – hilfreich unterstützt durch das hauseigene Sperrmüllmobiliar – ab halb eins im Fallrückzieher üben. Auch unser Testbesucher mußte um diese Zeit leider das Weite suchen, denn er hatte ein Wintersportangebot vom Nachbartisch abgelehnt. (»Mit dir fahr ick Schlitten, du Sackjesichte!«) ★ So bleibt ihm am vierten Tag nur noch das Freiluftgehege. Dort eine gastronomische Einrichtung aufzutun, ist schwierig. Einen Imbiß findet man dagegen leicht, denn man muß einfach nur dem Gestank von altem Bratfett, Achselschweiß und angebrannten Fritten folgen. Der Weg führt so zu Abenteuerspielplätzen, die Futterluke oder Manni’s Mampfe heißen, und anschließend direkt weiter in die städtische Gerichtsmedizin. Wenn man es nicht ganz so weit kommen lassen will, kann man vorher aber bei Konnopke in der Schönhauser Allee Anker werfen. Da ist das Essen von führenden Straßenkötern getestet, bloß die Kunden sind nicht ganz koscher. Zeitweilig soll sich dort sogar ein gewisser Gerhard Schröder herumtreiben. Sehen Sie also zu, daß Sie Ihre Ärmel möglichst schnell wieder von der klebrigen Theke losreißen! Es sei denn, Sie folgen sowieso dem ältesten Grundsatz der Berliner Schnellfresserei, der da lautet: Bei de Wurscht is eh allet wurscht. Utz Bamberg Zeichnungen: Guido Sieber
Rainer Ehrt
special
Erfolge Gute Leistungen werden jetzt auch bei den Olympischen Spielen der Schlafmützen gezeigt, und zwar nicht nur in den Disziplinen Schnarchen, Langschläferei und Kissenschlacht. Die Resultate werden allerdings erst in neun Monaten vorliegen. P.K.
Sandkastenspiele Beach Volleyball soll eventuell als olympische Disziplin wieder abgeschafft werden. In Kreisen des IOC wundert man sich schon lange, was »der Schwachsinn eigentlich soll« und »welcher Spinner sich das ausgedacht hat«. Sobald man Näheres weiß, will man entsprechenden Schritte einleiten und eventuell die Schmiergeldzahlungen der Beach-Volleyball-Verbände drastisch erhöhen oder wenigstens die Frauen ohne Bikini spielen lassen, wahrscheinlich beides. F.R.
34
Eulenspiegel 8/04
der olympischen Doping-Geschichte
Das waren noch unbeschwerte olympische Zeiten, als sich niemand groß um Doping und seine Folgen scherte. Man registrierte allenfalls belustigt, daß bulgarische Kugelstoßerinnen und rumänische Hammerwerferinnen lange Kinnbärte trugen und sich unter den Trikots sowjetischer Kraftsportler mitunter zirkuszeltartige Büstenhalter abzeichneten. Die weltweit gängigsten Dopingmittel waren in den 50er und 60er Jahren der Hochpeitscher »Altius«, der Schnellermacher »Citius« und der Bewußtseinserweiterer »Fortius«. Die Nebenwirkungen dieser leistungssteigernden Medikamente waren allerdings so unberechenbar wie vielfältig. »Neger« (Heinrich Lübke) wurden zeitweise grün, Frauen konnten plötzlich nicht mehr kochen, und Männer hatten ständig einen Steifen. Hals wohlgemerkt. Auch sonst kam es zu manch unerwartet ulkiger Mutation durch Doping. Nicht von ungefähr wurde bei den Olym-
pischen Spielen 1964 ein italienischer Ruderer offiziell zur Miß Olympia gewählt. Für Aufsehen sorgte auch ein dreibeiniger chinesischer Dreispringer sowie ein kanadischer Judoka, der im vierten Monat schwanger war. Leider waren aber mittlerweile auch die ersten Doping-Toten der olympischen Geschichte zu beklagen. Bei den Spielen 1960 starb ein spanischer Marathonläufer, als er auf dem Weg aus dem olympischen Dorf zu einer Apotheke vom Wagen eines Drogenkuriers erfaßt wurde. Im sel-
ben Jahr stürzte ein Schweizer Radfahrer beim Training so unglücklich, daß sich eine spritzbereit aufgezogene Amphetaminwumme, die er in seiner Satteltasche mit sich führte, in sein Herz rammte. Als sie während eines Techtelmechtels in ihrer olympischen Unterkunft einen mit Elefantenbullenhormonen aufge-
putschten brasilianischen Wasserballer oral befriedigte, ertrank 1964 eine britische Hockeyspielerin an den Spermamassen, die sich dabei in sie ergossen. Die belgische Tischtennisspielerin Kim Sloterbeeke erlebte durch eine Überdosis Narkotika einen Horrortrip und hörte beim Endspiel plötzlich Stimmen, die ihr befahlen, Tischtennisbälle zu verschlucken. Sie erstickte qualvoll. Und auch dem Publikum stockte der Atem, als bei den sofort eingeleiteten Wiederbelebungsmaßnahmen unübersehbar wurde, daß das Fräuleinwunder des belgischen Tischtennis vier Brüste hatte, die überdies von einem rattenfellähnlichen Flaum bedeckt waren. Millionen von Fernsehzuschauern schalteten angewidert um. Um solche »ekelhaften Vorfälle«, wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) anschließend einstimmig befand, und vor allem die damit einhergehenden »gravierenden Einbrüche in der Fernsehquote« künftig zu verhindern, beschloß das IOC 1968, das Dopingverhalten der Athleten fortan zu überwachen. Die ersten Dopingkontrolleure hatten zunächst leichtes Spiel. Wenn nicht schon die reine Inaugenscheinnahme bestimmter körperlicher Ausstül-
pungen als Doping-Beweis reichte, genügte fast immer die Riechprobe, um einen Sportler oder eine Sportlerin der Einnahme von Doping-Mitteln zu überführen. Insbesondere bei Aufputschern wie Terpentinersatz, Ebersekret oder (rektal eingeführtem) Nuß-Nougatextrakt war das eine zuverlässige Kontrollmethode. Andere Wirkstoffe, so etwa das beliebte Affenhodenstereoid, das Narkotikum Zinn 40 sowie sämtliche Kälbermastmittel, konnten nur durch die Harnprobe ermittelt werden. Dutzende von olympischen Dopingfahndern mußten sich 1968 durch Tausende von randvoll gefüllten Pißröhrchen schmecken. Erst 1972 wurde ein Labortest entwikkelt, der den Dopingkontrolleuren die nicht nur reichlich unzuverlässige, sondern auch nicht ganz ungefährliche Geschmacksprobe ersparte. Nicht wenige Dopingfahnder hatten in der Ausübung ihres Dienstes schwere Harnvergiftungen erlitten. Die gründlicheren Dopingkontrollen hatten jedoch keineswegs zur Folge, daß nun bei Olympischen Spielen weniger gedopt wurde. Für die Teilnehmer galt schließlich weiterhin »High sein ist alles«. Und natürlich
Burkhard Fritsche
Nach der beeindruckenden Vorstellung von Heike Drechsler (56) bei den letzten Olympischen Spielen will nun auch Carlo Tränhardt (74) noch mal ein Comeback starten: »Was soll ich denn sonst machen, ich bin ja sogar für RTL zu blöd«, so der Lattenkracher. F.R.
Olympia-Stadion während Fußballturniers nach hartem Foul eingestürzt – Verantwortliche geben dem Schiedsrichter >
Lo Blickensdorf
Comeback
Kurzer Abriß
Olympia-Stadion rechtzeitig fertiggestellt – Verantwortliche geben sich »zufrieden und selbstherrlich« >>>
»altius, citius, fortius«, wie ja nicht ganz zufällig ein weiteres olympisches Motto lautet. Die gleichnamigen Aufputschmittel waren allerdings mittlerweile von der Internationalen Atomaufsichtsbehörde verboten worden, nachdem sie festgeEulenspiegel 8/04
35
Der Moderne Fünfkampf soll ab den nächsten Olympischen Spielen umgestaltet und damit noch moderner werden. Die Disziplinen heißen dann Synchronschwimmen, Gewichtheben, Rhythmische Sportgymnastik, Tortenwettessen und Segeln. F.R.
Doping Frische Luft ist ein Aufputschmittel und steht ab sofort auf der Dopingliste. Training und Wettkämpfe sollen nach dem Willen der Weltsportverbände ebenfalls verboten werden. »Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum sauberen Sport«, so ein Mitglied des IOC, das überhaupt sehr zuversichtlich ist: »Künftig werden wir die Medaillen unter uns ausmachen!« P.K.
Bungee-Springen Eine weitere Trendsportart hat es ins olympische Vorführprogramm geschafft. Für den Demonstrationswettbewerb wurden die Regeln beim Bungee-Springen zuschauerfreundlich vereinfacht: Wer mit seiner Stirn dem Boden am nächsten kommt, hat gewonnen. Bedauerlicherweise wird der amtierende Weltmeister, der Schwede Lasse Reinstroemen, daran nicht mehr teilnehmen, er starb letzten Monat an Gehirnblutung. Sein Weltrekord von 0.02 cm Bodenabstand wird allerdings kaum unterboten werden. F.R.
36
Eulenspiegel 8/04
ukrainischen Straßenradachters. Wie bei solchen Razzien üblich, sammelten die Fahnder als erstes die Mobiltelefone der Sportler ein, um so zu verhindern, daß sie schnell noch die letzten Bestellungen beim Mannschaftsapotheker stornieren. Bei näherer Inaugenscheinnahme der Geräte stellte sich allerdings heraus, daß es sich bei den Handys der Ukrainer in Wirklichkeit um Rektal-Zäpfchen handelte, die mit einem Wadenkraftstereoid gefüllt waren. Die Radler hatten sich den Umstand zunutze gemacht, daß die modernen Mobiltelefone heutzutage in immer kleineren Abmessungen produziert werden. So konnten sie selbst bei Rennen ihre als Handys getarnten Zäpfchen offen einführen, ohne den Argwohn der Kontrolleure zu wekken. Schließlich standen Telefone bis dato nicht auf der Liste verbotener Substanzen, was aber wohl in Kürze der Fall sein wird. Einiges Kopfzerbrechen bereitet den Dopingfahndern nach wie vor die transzendentale Form des Dopings. »Es ist meine Überzeugung, daß es etwas gibt, was mich lenkt.« So bekannte sich nämlich vor kurzem der Formel-1-Pilot Ralf Schumacher zu
daß man von Doping sprechen muß. Gott-Doping sozusagen. Gott-Doping ist ein weit verbreitetes Problem, das reihum alle Sportarten betrifft. Bekennend gläubige Sportler gibt es schließlich reichlich. Trotzdem ist Gott bis jetzt auf keiner offiziellen Dopingliste verzeichnet. Gehörte er da aber nicht eigentlich hin? Schließlich können Sportler, die nicht an Gott glauben, auch nicht mit der Hilfe des Allmächtigen rechnen. Damit besteht für einen ungläubigen Sportler vom Start weg eine mindestens so große Chancenungleichheit wie für einen Athleten, der gegen einen chemisch aufgeputschten Gegner antreten muß. Problem nur: Gott-Doping läßt sich mit herkömmlichen Tests nicht nachweisen. Der setzte nämlich voraus, daß sich Spurenelemente Gottes im Urin eines Sportlers ausfindig machen ließen. Wenn überhaupt, läßt sich aber Gott im Menschen nur dort nachweisen, wo auch dessen Sportsgeist erzeugt wird: in der menschlichen Seele. Von der weiß man aber bekanntlich nicht mal, wo sie im menschlichen Organismus angesiedelt ist. Und auch diese Frage wäre noch zu klären: Wenn nun in ein und dem-
Nel
Zeitgemäß
stellt hatte, daß alle drei Medikamente atomwaffenfähiges Plutonium enthielten. Wer jetzt bei Olympia »höher, schneller, weiter« kommen und damit die bestdotierten Sponsorenund Werbeverträge einheimsen wollte, mußte auf Leistungs-Präparate umsteigen, die keine augenfälligen Nebenwirkungen wie übermäßige Schambehaarung oder spontane Geschlechtsumwandlung zeigten und auch in den herkömmlichen Blut-, Speichel- und Urintests nicht nachweisbar waren. Seither ist ein regelrechtes Hase- und Igel-Rennen zwischen Doping-Anbietern und Doping-Kontrolleuren entbrannt, bei dem die Entwickler neuer Wirkstoffe bis heute stets einen leichten Vorsprung verzeichnen können. Den Kontrolleuren bleibt nichts anderes übrig, als den immer raffinierteren Medikamenten und Methoden der Doping-Industrie hinterherzuhecheln. So dauerte es beispielsweise Jahre, bis sie einem Mittel auf die Spur kamen, das Damenbärte nach innen wachsen läßt. Auf dieses Weise konnten sich etliche Kugelstoßerinnen, Hammerwerferinnen und Gewichtheberinnen jahrelang unentdeckt mit männlichen Wachstumshormonen vollpumpen. Die Geschichte der modernen Dopingfahndung ist überhaupt reich an, wenn auch leider so unappetitlichen Anekdoten, daß hier auf ihre Schilderung aus Rücksicht auf sittlich empfindsamere Leser und Leserinnen verzichtet werden muß. Allein die Berichte von der Aufdeckung der Dackelspermatransfusionen, die Ende der 90er Jahre in der US-amerikanischen Leichtathletikszene für eine wahre Leistungsexplosion sorgten, läßt selbst abgebrühten Sodomiten das Ejakulat in den Samensträngen gefrieren. Auch jene schauderhaften Vorgänge um das fragile Reagenzglas, in dem ein britischer Geher unverseuchten Babyharn im Anus versteckt zur offiziellen Urinprobe mitbrachte, um diese zu manipulieren, bleiben hier in den Einzelheiten besser unerzählt. Auch der aktuellste, aktenkundig gewordene Dopingbetrug zeugt von der großen Erfindungsgabe der Betrüger. Aufgedeckt wurde er bei einer routinemäßig durchgeführten Doping-Razzia im Trainingslager des
so anstellen« >>> Turmspringer bei Sprung in leeres Becken getötet – Griechischer Funktionär soll ihn »aus >
seinem Glauben an Gott und ließ damit durchblicken, daß er, der RennProfi, praktisch ferngesteuert ist und offenbar auch seine Rennen gewissermaßen mit einem Beifahrer bestreitet. Seitdem wird nicht nur in der Formel-1-Szene heftig darüber gestritten, ob das nicht ein eindeutiger Verstoß gegen das Formel-1-Reglement ist. Die olympische DopingKommission ist sogar der Ansicht,
selben Wettkampf mehrere Sportler auf Gottes Hilfe setzen, tritt dann nicht der Allmächtige gleichsam gegen sich selbst an? So gesehen, erweist sich Gott-Doping auch sporttheologisch betrachtet als ein eher verzwicktes Problem. Das IOC hat mittlerweile die katholische Glaubenskongregation um Kardinal Ratzinger um ein Gutachten gebeten. Fritz Tietz
Experten im Gespräch
geht heute nicht mehr Nicht mehr lange, dann ist Olympia und bietet wie immer eine tolle, bunte und phantasievolle Palette an Disziplinen für jedermann. Aber wo kommen sie eigentlich her, all die Sportarten? Wir haben nachgehakt: ein Interview mit dem Sportartenerfinder Wendelin Springer vom Institut für angewandte Leibesübungen. Herr Springer, wie wird man eigentlich Sportartenerfinder? Also, am Anfang stand natürlich eine ganz spontane Eingebung. Ich hätte mal fast den Bus verpaßt und mußte einen Spurt einlegen, um ihn noch zu erreichen, den Bus. Da habe ich aus einer Inspiration heraus den 100-Meter-Lauf erfunden und natürlich sofort erkannt: Das ist es. Das schlug dann ja auch wie eine Bombe ein. Ich hab mir das patentieren lassen, hab’s verschiedenen Experten vorgelegt, NOK, IOC, DFB, DSB, DLV, DDP, CDU und so weiter, und die haben sofort alle ja gesagt. Das war der Anfang.
lief auch ganz gut, aber irgendwann bin ich an Grenzen gestoßen. Der 100.000-Meter-Lauf war nicht mehr durchsetzbar. Er fand merkwürdigerweise keine Anerkennung. Darum bin ich neue Wege gegangen. Als ich in Griechenland Urlaub machte, habe ich spontan den 42.195-Meter-Lauf erfunden. Übrigens war der Urlaub in Marathon.
Sie haben dann die Laufdisziplinen durch einige Schikanen verfeinert. Wie kam es dazu? Das Laufen war im Prinzip ausgereizt. Da fiel mir ein, man könnte den Läufern Hindernisse in den Weg stellen – Balken, Wassergräben und solDer 100-Meter-Lauf ist ja auch nicht che Sachen, wo man gegenstoßen mehr wegzudenken aus dem Sport. oder reinfallen kann. Aber wie macht man nach so einer geHerr Springer, Sie sagten einmal so nialen Idee weiter? Ich habe natürlich gleich erkannt, schön, das Beobachten sei die Quelle welche Dimensionen meine Erfin- Ihrer Inspiration… dung hatte, und daß man daran an- Genau, man muß einfach nur genau knüpfen kann. Zuerst war das ganz hinschauen. Als meine Frau mal mit einfach. Ich habe einfach die Idee einem Teller nach mir geworfen hat, weiterentwickelt: 200-Meter-Lauf, war das die Geburtsstunde des Dis400-Meter-Lauf, 800-Meter-Lauf, kuswerfens. So als Beispiel. Man 10.000-Meter-Lauf und so weiter. Das kann natürlich auch die Natur be-
Nel
die Schuld >>> Olympic Aquatic Centre bislang noch ohne Wasser – Verantwortliche: Schwimmer sollen sich »nicht >
obachten, die Fortbewegung der Fische zum Beispiel. Da habe ich das Schwimmen als sportliche Disziplin erfunden. Manchmal habe ich auch einfach so aus Jux was erfunden. Dreisprung zum Beispiel. Ist doch völlig idiotisch. Hat aber funktioniert. Oder Stabhochsprung. Kaum zu glauben, daß die da mit so langen Stangen durch die Gegend rennen. Kam aber gut an. An was arbeiten Sie denn zur Zeit? Das ist natürlich top secret. Aber im Grunde ist alles ausgereizt, und wir müssen versuchen, bestehende Sportarten zu kombinieren, wie etwa beim Biathlon, Schießen und Skilanglauf. Wir probieren so Sachen aus wie die Kombination Boxen und Schach, Fußball und Hochsprung, Tanzen und Fechten. Da machen wir zuerst Brainstorming, dann Computeranimation, Tierversuche, na, das Übliche halt. Aber es wird immer schwerer. Ich denke, wir werden uns demnächst auf das Fliegen verlegen. 100-Meter-Fliegen, 200-Meter-Fliegen und so weiter… wie beim Laufen. Und wer weiß, vielleicht kombi-
nieren wir eines Tages sogar Fliegen und Schwimmen und Laufen. Finanziell sind Sie ja abgesichert durch Beteiligungen an Firmen Ihres Vaters, der ja auch aus der Branche kam... Ja, mein Vater war auch Erfinder. Er hat Sportartikel entwickelt, und die produzieren wir heute noch. Zum Beispiel Derdiedas und Adidas. So Sachen halt. Herr Springer, wenn Sie so auf die Reihe Ihrer Erfolge zurückblicken, was war Ihre größte Leistung? Zweifellos die Erkenntnis, daß die Menschen unterschiedliche Verhältnisse zum Sport haben. Darum habe ich für die ganz Verrückten den Spitzensport erfunden, für die Menge den Breitensport und für die große Mehrheit, die sich gar nicht bewegen will, das Zuschauen. Und zu welcher Gruppe gehören Sie ? Dreimal dürfen Sie raten. Ich bin doch nicht verrückt. Danke. Thomas Schaefer Eulenspiegel 8/04
37
Rhythmische Wortgymnastik, Synchronsprechen und Simultanplaudern Unsere Medaillenhoffnungen in der olympischen Moderation 1400. Eine nackte, schonungslose Zahl, die dem gemeinen Fernsehzuschauer die Gänsehaut des Grauens auf den Rücken treibt. Denn 1400 Stunden lang werden ARD und ZDF von den Olympischen Spielen in Athen berichten. 1400 Stunden, das bedeutet zehn Stunden Übertragung von der Qualifikation im Gewichtheben der Damen und fünfzehn Stunden von den Aufwärmübungen in der Pferdedressur. 1400 Stunden, das bedeutet außerdem, daß uns rund um die Uhr die angestammten Konsensköpfe aus der öffentlich-rechtlichen Asservatenkammer entgegengrienen. Allen voran das ZDF, das so ziemlich alles aufbietet, was den Zuschauer panisch auf der Fernbedienung fingern läßt. Die Zuseher begrüßt mit einem seligen Lächeln der dauergelockte Pferdeflüsterer Michael Steinbrecher. Der sieht nicht nur so gefühlsecht aus wie der verschollene Gitarrist der Kelly Family, sondern grinst auch noch bei jeder Frage so, als habe er gerade an einer randvollen LSD-Schale genuckelt. Dann geht es hoch zum Meister der unverbindlichen Sowohl-als-auchAnalyse, dem graumelierten Pensionär Wolf-Dieter Poschmann, dem es auch bei nur einer Kamera im Studio souverän gelingt, stets in die falsche Richtung zu schauen, und der stets so hilfesuchend dreinblickt, als hocke hinter der Kamera sein Zivildienstleistender. Und wer dann noch immer nicht verzweifelt zum MDR umgeschaltet hat, wird vom Mensch gewordenen Gummibärchendurchfall Johannes B. Kerner überrascht, dem man ohne Probleme eine Vergangenheit als langjährigem Fleckenmittelverkäufer in der Cottbuser Innenstadt auf den Kopf zusagen würde, wüßte man 38
Eulenspiegel 8/04
nicht um seine traurige Vergangenheit als Ponydarsteller im Streichelzoo. Immerhin, einen Vorteil hat Kerner, er wird von seinen kuscheligen Kollegen nicht »Kerni« genannt, während sich Steinbrecher und Poschmann, zwei volljährige Moderatoren wohlgemerkt, doch tatsächlich mit »Steini« und »Poschi« begrüßen. Da fragt sich der Zuschauer dann doch indigniert: Fernsehen oder Kindertagesstätte? Liegt die Floskelquote des ZDF etwa bei rekordverdächtigen 70 Prozent (»Er darf jetzt nicht übersäuern« und »Wenn er jetzt seine Leistung abruft,
dann ist alles möglich«), rangiert die ARD derzeit bei etwa 65 Prozent, macht den Rückstand aber durch erbarmungswürdige Satzkonstruktionen, die jeden Deutschlehrer vor dem Fernseher ins Kissen schluchzen lassen, wieder wett. Allen voran Reinhold Beckmann, dessen einfühlsame Talks mit viertplazierten deutschen Teilnehmern im Hafen von Piräus sicher dem Horrorfilmgenre neue Impulse geben werden. »Thorsten, nach ihrer Bronzemedaille haben sie gejubelt. Wie haben sie sich gefühlt?« – »Gut.« – »Das hat man ihnen angesehen, Uwe!«
Doch vor den Talk haben die Fernsehplaner die Live-Übertragung gesetzt. Und so werden wieder sterbenslangweilige Disziplinen wie Sportschießen und Ringen, die sogar vom Offenen Kanal Wanne-Eickel abgelehnt würden, zur allerbesten Sendezeit ausgestrahlt, bloß weil bei den Sendern die unbegründete Hoffnung besteht, ein erstes »Gold für Deutschland« in Richtung Heimat zu tröten. Und wenn dann tatsächlich eine unförmige deutsche Ringerin durch einen glanzlosen Sieg gegen eine vom Medikamentenmißbrauch gezeichnete Rumänin eine Bronzemedaille abgestaubt hat, stehen auch sturzöde Reporter wie Rudi Cerne und Kristin Otto hinter dem Mikrofon stramm und verkünden mit zitterndem Timbre, daß sich unser Land doch glatt auf Platz 148 des Medaillenspiegels vorgearbeitet und dabei immerhin schon Luxemburg und Mikronesien hinter sich gelassen hat. Da werden selbst Drei-Sterne-Gefrierfächer wie Monica Lierhaus spontan patriotisch. Gerade Lier-
Klassiker am Mikrophon Ja, einen wunderschönen Tag, meine Damen und Herren zu Hause an den Schalltrichtern, ich melde mich vom Turmspringen der Herren. Der deutsche Meister Jens Wittig, den Gürtel wirft er, den Mantel weg und besteigt den ragenden Turm. Und wie er tritt an des Brettes Rand, das Geländer umfaßt die zitternde Hand. Er scheint sich zu fragen: Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, zu tauchen in diesen Schlund? So steht er wankend auf des Turmes Zinnen und schaut mit verzagten Sinnen auf das beheizte Becken hin. Doch endlich – der Jüngling sich
Gott befiehlt und schon hat ihn die brausende Flut umspült und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer schließt sich das Wasser – er zeigt sich nimmer. Doch sieh! Aus dem finster flutenden Schoß,
herrlicher Sprung von Jens Wittig, da ist Gold drin, doch leider muß ich hier abbrechen, denn das Finale der Ruder-Achter geht in die entscheidende Phase! Germaniens Recken liegen in vorderster Front, dicht bedrängt von der
Heute: Sportreporter Schiller da hebet sich's schwanen-weiß, und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß, und er rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß, und er ist's, und atmet lang und atmet tief und begrüßt das himmlische Licht! Ja, meine Damen und Herren, das war ein
Russen wackrem Troß! Fast scheint es so, daß Kräfte feindlich sich entzweien und blinde Wut die Ruderstange führt, daß sich im Kampfe tobender Parteien die Stimm’ des Steuermanns verliert... Doch nun die letzten Meter, die Schlagge-
schwindigkeit wird noch einmal erhöht – Frisch Gesellen, seid zur Hand, möchte man ihnen zurufen, von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß! Jawohl – sie kömmt, sie kömmt, der Achter stolze Flotte, das Weltmeer wimmert unter ihr! – Und sie haben es vollbracht! Ganz knapp geh’n beide Nachen durch das Ziel! Ja, meine Damen und Herren, letzte Gewißheit wird hier wohl erst Albrecht Dürers Ziel-Holzschnitt bringen. Bis dahin um Geduld ich bitt’ zum letzten Male – damit zurück in die Zentrale! Rüdiger Kind
unter den Trümmern >>> Karaiskaki-Stadion in Otto-Rehhagel-Stadion umbenannt – Rehhagel nach eigenen Worten >
haus, die sonst den Eindruck erweckt, sie habe beim Wechsel zur ARD unterschreiben müssen, wenn überhaupt, dann ausschließlich im Archivkeller des WDR zu lachen, und die auf Sendung meist so mürrisch dreinschaut wie eine russische Eiskunstlauftrainerin nach einem verpatzten Rittberger bei der olympischen Kür. Im Studio kollidiert dann aufs Tragischste die Dreistigkeit öffentlichrechtlichen Abgreifwillens mit dem Bildungsauftrag von ARD und ZDF. Da wartet der Zuschauer gespannt, wie oft Michael Antwerpes wohl erklären wird, warum die Akropolis nicht mehr ganz heile ist, und wie oft sich ZDF-Redakteure wohl das Abhängen am Strand von Piräus als Außenreportage vom Sender bezahlen lassen. Bei der ARD ist noch nicht ganz klar, ob der Großmeister Jürgen Emig dabei sein wird, dessen landeskundliche Expertisen (»Hier wird ein vorzüglicher Käse angebaut«) noch von der Tour de France allseits bekannt sind. Wer jedoch auf die rhetorischen Glanzlichter wartet, wird ohnehin enttäuscht. Denn die ganz großen Aphoristiker des Sportjournalismus sind nicht mehr dabei. Hans- Joachim Rauschenbach etwa, der einst beim olympischen Gymnastikturnier die Anatomie einer russische Turnerin mit einem anerkennenden »Schenkelchen, Schenkelchen« bedachte. Und doch wollen wir nicht ungerecht sein. Denn ein einsamer Höhepunkt wartet in all der Langeweile auf die Zuschauer. Wenn nämlich das Gespräch im Studio mit dem Medaillengewinner vom Vortag mal wieder schnurstracks in Richtung Nirwana wabert, ist es Zeit für den gefürchteten ARD-Olympia-Kalender. Den bekommen alle Gäste, die nicht bei drei durch die Studiotür entfleucht sind, feierlich überreicht. Und kein Athlet wird je wagen, das Präsent abzulehnen, nicht einmal mit der durchaus sinnigen Begründung: »Ich hab schon sieben Stück.« Und die Mienen der Athleten zu sehen, während sie das Werbemitbringsel überreicht bekommen, das entschädigt für alles. Sogar für Poschi und Steini. Philipp Köster
Nel
Scheiß« geschubst haben >>> Gewichtheber lehnt sich an Wand der Olympic Weightlifting Hall – keine Überlebenden >
Eulenspiegel 8/04
39
Ausblick
»stinksauer« >>> Otto-Rehhagel-Stadion eingestürzt – ohne Angabe von Gründen >>> Erdbeben der Stärke 0,2 – Athen >
im
Zeitalter der
Nachdem die rot-grüne Bundesregierung Deutschland erfolgreich umgestaltet hat, wird sie bei den Bundestagswahlen 2006 in den verdienten Ruhestand verabschiedet. Die ehemaligen Regierungsmitglieder ihrerseits denken nun aber gar nicht an Rückzug, sondern streben Führungspositionen im internationalen Sport an. Erfolgreiche Reformer werden schließlich immer gebraucht. Nach diversen Auslandseinsätzen der Bundeswehr sieht man das in den anderen Ländern ebenso: Sämtliche Chefsessel des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) fallen in deutsche Hände; Gefangene werden nicht gemacht. Die vom neuen IOC-Präsidenten und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzte Hartz-Kommission schlägt als zentrale Maßnahmen die Zusammenlegung der Olympischen Spiele mit der Rechtschreibreform (Hartz XXVIII) und die Verlängerung des Anlaufes beim Kugelstoßen vor. Außerdem empfiehlt sie, die Gold-, Silber- und Bronzemedaillen durch kostengünstige Alternativen zu ersetzen (Lakritzschnecken, Stockschläge, Fotos des IOC-Präsidenten). Auch sei es erforderlich, daß die Wettkampfnehmer (früher: Sportler) die Wettkampfnebenkosten der Wettkampfgeber (früher: Veranstalter) nicht ins Unermeßliche treiben. 40
Eulenspiegel 8/04
In diesem Sinne teilt Wolfgang Clement sogleich den 100-Meter-Lauf in zehn sozialversicherungsfreie Minijobs zu jeweils zehn Metern auf; den Läufern kann während des Rennens ohne Einhaltung von Fristen jederzeit gekündigt werden. Auch neu: Wettkampflose Wettkampfnehmer müssen in Zukunft jeden von der Agentur für Wettkämpfe (früher: Wettkampfamt) angebotenen Wettkampf annehmen; ausgebildete Turmspringer z.B. können nicht länger vorbrin-
Für Ulla Schmidt ist wie immer alles im Lot: Die Reformen seien sozial ausgewogen und kämen auch dem kleinen Mann zugute, zum Beispiel zwölfjährigen Turnerinnen, »wenn die mal wieder vom Schwebe… äh… barren gefallen sind...« Die Finanzen des internationalen Sports liegen in den bewährten Händen von Hans Eichel. Bereits nach wenigen Jahren steht das IOC mit 800 Trilliarden Euro in der Kreide. Abhilfe soll eine Steuerreform bringen: Zukünftig ist eine Wettkampfsteuer
Nachdem die rot-grüne Bundesregierung Deutschland erfolgreich umgestaltet hat, wird sie bei den Bundestagswahlen 2006 in den verdienten Ruhestand verabschiedet. gen, die Vermittlung zum Hürdenlauf sei unzumutbar – nein, selbst einen Einsatz im Niedriglohnsektor, z.B. als Hürde, müssen sie jetzt akzeptieren. Daß die Langstrecken stets von Läufern aus Afrika gewonnen werden, preist Heidemarie Wieczorek-Zeul als großen Erfolg ihrer Entwicklungshilfe-Politik. Otto Schilly sieht das anders: Für ihn handelt es sich um »nichts anderes als das angeborene Fluchtverhalten potentieller Dealer«, für die er im noch zu errichtenden IOC-Gefängnis schon mal ein Plätzchen freihalte.
in Höhe von 300 Prozent zu zahlen, die mit dem Koeffizienten aus gefühlter Windstärke und persönlicher Bemessungsgrundlage, geteilt durch den Nachhaltigkeitsfaktor, vervielfältigt wird. Die Aufwendungen können später beim Jahressteuerausgleich zur Hälfte von den zulagefähigen Eigenbeiträgen für einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgezogen werden. »Damit«, so Eichel, »vereinfachen wir das Steuerrecht radikal!« Zur Vorfinanzierung der Steuerschuld will das IOC den Wettkampfnehmern zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen.
Ex-Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hat wie immer keine Idee, meldet sich aber zum Seilspringen. Selbst Alt-Bundespräsident Johannes Rau stellt sich noch einmal in den Dienst der Olympischen Sache, indem er sich in einer Sänfte von Berlin nach Athen tragen läßt, um, wie er sagt, »den jungen gutgebauten Sänftenträgern ein Beispiel zu geben, daß es Werte gibt jenseits von Kommerz und Gewinndenken«. Schließlich steuert auch Manfred Stolpe seinen Teil zum Erfolg der deutschen IOC-Herrschaft bei: Dank des von ihm eingeführten Zeiterfassungssystems des Konsortiums Supertoll-Collect kann der Weltrekord im Marathon von zwei Stunden und sechs Minuten auf acht Nanosekunden gesenkt werden – minus zwar, dafür aber per Satellit gemessen. Die Läufer sind also im Ziel, noch ehe sie gestartet sind. Stolpe zeigt sich denn auch zufrieden: »Dann brauchen die ja gar nicht mehr zu dopen!« Auf diese Weise bewahrheitet sich bereits nach wenigen Jahren Gerhard Schröders Versprechen: »Wir werden zeigen, daß die Grundsätze der Agenda 2010 im Sport ebenso Gültigkeit haben wie in der Politik: Es kommt auf das Tempo an, nicht auf die Richtung!« Robert Niemann Zeichnungen: Nel
jetzt eine Endzeit-Steinwüste >>> Das Leben der Athener Falko Rademacher geht weiter wie bisher.
Betroffene packen aus »Wenn meine Frau am Sonntagnachmittag ein neues Paar Nietenstilettos braucht, weil bei mir abends sonst nichts läuft, steh’ ich auf dem Schlauch.« Der für die Deutsche Bank und zwei Handvoll weitere Weltinstitute in höchster Position tätige Wirtschaftsanwalt Herbert K. ist stinksauer und brutal angenervt zugleich. Man kann förmlich dabei zusehen, wie das Blut vom bebenden Herzen in seinen kantigen Charakterkopf gepumpt wird. Die Schläfenadern drohen zu explodieren, und auf Herbert K.s Stirn zeichnet sich eine voller echtem Pathos pulsierende, gartenschlauchdicke Vene ab. Seit dem kürzlich gefällten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem das Ladenschlußgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sei und die Geschäfte auch in Zukunft an Sonnund Feiertagen geschlossen bleiben müssen, geht Herbert K. final in die Offensive. »Es muß gegen den staatlich-judikativen Antiliberalitätsterror endlich was unternommen werden«, erklärt er mit schnittiger Stimme. »Ich bin dabei, eine Initiative zur totalen Mobilisierung in Sachen Ladenschlußgesetzaufhebung zu gründen. Geld und Unterstützung aus den wertschaffenden Kreisen sind ja reichlich da. Unsere Bedürfnisse werden in allen Aspekten mit geradezu vorsätzlicher Bosheit ignoriert oder sogar attackiert. Diesen Sozen und Gewerkschaftern gehören Beine gemacht!« Herbert K. atmet durch. 44
Eulenspiegel 8/04
Verkäuferin Verena M. entfacht eine Lulle Marke »Auslese« und blickt mit wäßrigen Augen auf ihre verwaschene Schürze. Sie schnauft ein wenig, dann schweigt sie. Nach ein paar Minuten scheint sie sich gefangen zu haben. »Ich darf ja eigentlich nichts sagen. Aber seit der Clement letztes Jahr diesen langen Samstag gemacht hat, sehe ich meinen Mann eigentlich nur noch sonntags nach dem Frühschoppen.« Wieder senkt Verena M. den Kopf. Ihr sprödes Haar halten zwei Klammern. »Werbegeschenke«, wispert sie, auf die bunten Plastikklammern angesprochen. »Die hab’ ich mir aus dem Karton genommen. Schreiben Sie das bitte bloß nicht...« Auf den Klammern steht »Kaufhof«. »Ich könnte den ganzen Tag ›Bullshit!‹ brüllen!« Herbert K. atmet wieder einmal tief durch. Offenbar genügen ein paar Minuten Unterhaltung über ein Thema, das zur Zeit wie kein zweites den Meinungsmarkt der Akutaufreger beherrscht, um die rhetorische Maske des erfolgreichen Spitzenanwalts abzulegen und einen Klartext zu reden, der den Namen verdient. »Unser sogenannter Superminister ist doch eine Pfeife vor dem Herrn. Die Länder sollen künftig den Ladenschluß regeln, sagt er jetzt, nach dem Urteil. Da lache ich nur. Die Länder sind, mit Verlaub, Arschlöcher! Unterstützen mich die Länder dabei, am Sonntag in der Feinkostabteilung bei Kaufhof einen Kar-
ton »Jack Daniels« kaufen zu können? Na? Na? Nein! Ich muß wahrscheinlich auch in Zukunft extra zum Flughafen raus! Und das bei meinem Personal Time Account! Und dann kost’ die Kiste eine ganze Stange doppelt so viel!« Herbert K. gellt geradezu. Das mag daran liegen, daß die Bundesregierung, die im Mai 2003 auf einem flexiblen, unbürokratischen Weg den samstäglichen Ladenschluß bis 20 Uhr verlängert hatte, dieser Tage das BVG-Urteil begrüßt hat und durch Wolfgang Clement (Super-SPD) mitteilen ließ, die Entscheidung trage »sowohl den Bedürfnissen des Handels, der Verbraucher als auch der Arbeitnehmer Rechnung«. »Den Bedürfnissen der Verbraucher?« Herbert K. brummt nun bärbeißig. »Die Verbraucher sind doch die, die sich den Verbrauch leisten können. Rund um den Tag, round about the week. Full Time, voll Force. Also wir. Die Erzeuger von Wachstum. Ich bitte Sie. Wenn ich ›Föderalismuskommission‹ schon höre! Die soll das jetzt regeln. Da könnte ich... entsichern.« – »Föderalismuskommission?« fragen wir. »Ja, die soll jetzt ran. Und dann...« »Und dann, nach dem Frühschoppen mit seinen Kumpeln aus dem Textilwerk, dem ehemaligen...«, Verena K. kann ein Seufzen nicht unterdrücken, »da ist dann eher Ebbe. Ich schau’ dann fern.« »Unsere Gewerkschaft«, wechselt Verena K. unvermittelt das Thema,
dabei zupft sie an ihrem strohigen, ausgesprochen graumelierten Haar herum, »unsere Gewerkschaft findet ja, daß das ein guter Tag für alle Verkäufer gewesen sein soll, das mit dem Gericht und so. Weil der Sonntag als Tag der Arbeitsruhe, sagen die, und als Tag der seelischen Erhebung gesichert worden ist. Ich finde...« Verena K. verstummt, während sie in einer Broschüre von Ver.di blättert. Sie wollte wohl sagen: »Schlimm.« Sie sagt es nicht. »Schlimm. Schlimm, schlimm, schlimm. Schlimm ist gar kein Ausdruck. Arbeitnehmerschutz? Schutz vor Nachtarbeit? Ich arbeite schon mittags! Die dürfen froh sein, wenn sie abends ein paar Stunden länger von unsrer sauer verdienten Kohle leben dürfen. Wenn ich am Sonntagabend ein zweites Paar Stiefelstilettos besorgen muß, darf dann doch die Schuhverkäuferindingsbums... Dingsbumsfrau... ein bißchen dankbar... Herrgott, dingensbums sein und...!« Es ist elf Uhr morgens. Der Mahagonischreibtisch glitzert im gesprenkelten Sommerlichtfirn. Der »Jack Daniels« wirkt an diesem Dienstag scheinbar besonders gütig und zungenlösend. »Dem Verkaufsverbot machen wir den Grausen... machen wir den... machen wir den Gaus... den Garaus«, gluckst Herbert K., generös die rechte Hand ausstreckend. »Ich«, er zieht die Büroluft tiefseetief ein, »ich [Kraftausdruck] die, ich... ich scheiß’ auf... äh... auf... äh... wie heißt der?« – »Clement?« werfen wir ein. »Clement. Ja, Clement. Schröder! Den [Kraftausdruck] ich!« »Die Ver.di hat gesagt«, faßt sich Verkäuferin Verena K. wieder ein bißchen, ein Schluchzen unterdrückend, »die hat gesagt, die neuen langen Samstagsstunden haben nichts gebracht. Kein Umsatzplus. Und weniger Arbeitsplätze. Das haben sie gebracht, die Samstagsstunden. Sagt die Ver.di.« Ihr Herz verlangsamt den Schlag. Die Röte aus ihrem Gesicht weicht nicht. »Ich hab’ SPD gewählt. Den Clement, mit dem Gerhard. Jetzt haben die Menschen Zeit einzukaufen. Und wieviel Geld haben sie?
Zeit haben sie, und ich habe... Ich arbeite in der Spirituosenabteilung. Was wollen die uns noch antun?« ★ Herzen sind verletzt, hie wie da. Widerstand wächst oder könnte wachsen, auf beiden, auf allen Seiten. Wolfgang Clement, der deutsche Sagenhaftminister, ist zwar vorerst gescheitert mit dem Plan, »den Ladenschluß an Werktagen komplett
freizugeben« (wdr.de), aber es droht oder es wird kommen eine komplett neue, radikale Regelung, beschlossen durch die gute »Föderalismuskommission«. Die Fronten sind »so oder so«, so Wolfgang Clement, verhärtet, die gesellschaftlichen Kampfmittel sind verschieden. Das Beste wäre wohl, auch unter sportlichen Aspekten der Fairneß und des Funs, Verena M.
und Herbert K. bestellten als Stellvertreter ihrer Klassen die Sekundanten. Wie in alten Zeiten. Auf daß ein für allemal darüber entschieden werde, wie die neuen Zeiten gestaltet werden. Zu unser aller Wohlstandswohl, jawohl und ja und. Und im übrigen ja auch sowieso. Jürgen Roth Zeichnungen: Andreas Prüstel Eulenspiegel 8/04
45
Frauentausch ist eine der gängigen Pflichtübungen für Programmdirektoren. Um so erstaunter reagierten sie, als der »kress report«, die BILDZeitung für Medienschaffende, knapp 20 Prozent Marktanteil für »Frauentausch« meldete – da ist so manchem Senderchef vor Schreck die Praktikantin vom Schoß gefallen. Tatsächlich ist das »soziologische Experiment um die Frau als Managerin der Familie« (O-Ton der Produktionsfirma Constantin Entertainment) das erfolgreichste eigenproduzierte Format des Intellektuellen-Senders RTL2, der den soziologischen Diskurs mit »Big Brother« eröffnete, um über Umwege gynäkologischer (»Schnulleralarm«) und technischer (»Die Hammer-Soap«) Experimente wieder zu seiner Kernkompetenz zurückzukehren.
Nymphomanin trifft Asketin
Supermama im mit Deutschland Tausch-Rausch Mutterkreuz
Grundidee der Sendung ist der klasZur Erinnerung: Eine Doku-Soap hat sische Voyeurismus. Der berühmte nichts mit Dokumentation zu tun. Blick hinter die Gardinen des NachWährend letztere eine real existie- barn, um sich schön aufgeilen zu rende Situation darstellt, ist erstere können: Boah, ist das schmutzig bei inszeniert: Bei Frauentausch werden denen, sind die asozial, guck mal, die die Mütter zweier Familien für eine haben nicht mal Fernseher in den Woche ausgewechselt. Dennoch blei- Kinderzimmern, schau mal, die spieben dokumentarische Blicke in sozia- len Instrumente, wohl noch nie was von CDs gehört? Die le Milieus, die man in der Tat soziolo- Grundidee der Sendung ist der familiären Kontraste sind schlicht gegisch auswerten klassische Voyeurismus. könnte, auch wenn Der berühmte Blick hinter die halten: Landmutti mit mindestens der ErkenntnisgeGardinen des Nachbarn, um sich zwölf Kindern, halt gering ausfällt. schön aufgeilen zu können: Boah, ebenso vielen KatErkenntnis eins: Die ist das schmutzig bei denen, sind zen, Pferden, HänHausfrau und Mutdie asozial, guck mal, die haben gebauchschweinen ter ist die zentrale nicht mal Fernseher in den usw. tauscht mit geFigur in der Familie, Kinderzimmern. diegener Designerquasi die GeschäftsMami, die in einer führerin. Männer sind allenfalls Staffage – man stelle Vorstadtvilla zwei drogenabhängige, sich einen Männertausch vor: Unter- zugepiercte Teens patchworkt. Die schiedliche Jobs gäben vielleicht personalen Konflikte der Inszenienoch etwas her, aber interfamiliär? rung werden um so plakativer geJürgen trinkt Franks Bier, Frank setzt, um Zündstoff in der Sendung schaut in Jürgens Fernseher. Sehr zu haben: Nymphomanin trifft Askeaufregend. Erkenntnis zwei: Der tin, Manische trifft Depressive, JüMensch ist uneinsichtig, nicht lern- din trifft Palästinenserin (»Papa, wafähig und tendenziell rassistisch. rum hat die neue Mama so einen Auch nichts Neues. Erkenntnis drei: dicken Gürtel um?«) – das wären Deutschlands Gesellschaft ist mor- noch halbwegs lustige Konstellatiobide und nicht mehr zu retten. Alter nen, leider reicht es bei Constantin gerade mal für »flippig« trifft »boHut. 54
Eulenspiegel 8/04
denständig« und »liberal« trifft Teenagern einen Lebensentwurf vor»stockkonservativ«. Hui, das ist bri- lebt, der einen nicht wundern läßt, sant. daß es mit diesem Land bergab geht: Übers Internet checkt sie Dates mit Männern für den schnellen Fick, eine Swinger-Babe dauerhafte Beziehung möchte sie vs. Power-Döner nicht, weil sie Machos nicht erträgt. Kein Wunder, daß in den seltensten Sagt’s und zieht sich einen Mini bis Fällen der intendierte Konflikt »funk- zur Schamgrenze und ein Dekollete tioniert«. Mehrfach wurden falsche bis zum Bauchnabel an, um, genau, »Brandings« ausgegeben – wie die Machos kennenzulernen. Vor ihrem hohlen Medienköpfchen ihre nichts- Umzug in die Familie der Inderin sagenden Etikettierungen nennen –, Shashi verteilt sie eben noch ein paar denn jedes Mal war der Grundkon- Post-its in der Wohnung. Am Herd flikt »miese, kleine Rassistin« trifft steht »Hier wird deutsch gekocht!«, »schlampige Ausländerin«, so auch an einer Schranktür, hinter der sich Süßigkeiten verberdas angekündigte gen, »Naschen verboTreffen zwischen ten!«, an der Couch »cooler FinanzbeamPutzneurotikerin Manuela tin« und »überzeug- startet ihre ausländerfeindliche »Diese Couch ist neu, bitte nicht draufsetter Katholikin«. PutzOffensive in der Kameruner neurotikerin Manu- Gastfamilie mit »Da hab ich ja zen!« Wäre ein Mann ela startet ihre aus- voll die Arschkarte gezogen«. da gewesen, hätte sie ihm wahrscheinlich länderfeindliche Ofauf die Stirn geschriefensive in der Kameruner Gastfamilie mit »Da hab ich ja ben »Wird nur von arischen Frauen voll die Arschkarte gezogen« und gefickt!«. macht sich zunächst daran, den »to- Entsprechend liebevoll führt sich Tatal versifften« Teppichboden aus der mara in der indischen Gastfamilie ein: Der Herd ist ihr zu schmutzig, der Wohnung zu reißen. Noch härter drauf ist Tamara, eine Mann zu lethargisch und Mitbeten vor dieser widerlichen Mittvierzigerin- den Mahlzeiten kommt überhaupt nen, die neben einem Vollzeitjob als nicht in die Tüte: »Ich bet’ doch nich’ Rassistin ihren beiden verwahrlosten zu irgendeinem Allah oder Buddha!«
Recht so. Ausländerinnen werden Frauentausch = auch nur dann von den Zuschauern Kamerarausch zur »Supermama« gewählt, wenn sie in ihrem Habitus deutscher als Nun hat eine Doku-Soap keinen hodie meisten Deutschen sind. hen Anspruch, und man würde da Gerne erinnern wir uns in diesem auch gerne ein Äuglein zudrücken, Zusammenhang an Gül. Kein Bio- wenn diese kleinen Tricks nicht so Dünger für die ganzheitliche Land- perfekt in die schludrige Machart wirtschaft, sondern der Name ei- fielen: Jede Szene ist so gedreht, als ner hyperaktiven Türkin, die als wäre einem blinden Hilfsarbeiter Putzmaschine in Deutschland nach einem Fünflitertopf Sangria wiedergeboren wurde. Ihr Tausch eine DV-Kamera in die Hand gemit Janine, einer typischen Vertre- drückt worden, mit dem Spruch: terin des White-Trash – und damit »Halt ma drauf, Wolfi, einstellen genau der RTL2-Zielgruppe –, die brauchste nix, is allet automatisch, in einem Swinger-Club arbeitet, wa!« So stolpert Wolfi durch die wurde nicht, wie von den Redak- Wohnung, dem Zuschauer wird teuren beabsichtigt, zu einem Kon- schlecht bei all den wechselweise flikt über Moral und Sitte, sondern grellorange, grauen oder dunkelartete in ein Drama um Selbstbe- blauen Gesichtern, Unschärfen, stimmung, Selbstwert und Selbst- Achssprüngen und pseudohip verbewußtsein aus. Denn während Gül, kanteten Einstellungen. Überdeckt der knubbelige Power-Döner, die wird die rasend dilettantische KaLotterbude von Janimeraführung durch ne und ihrem ver- Die pfiffigen Constantin-Red- den Schnitt, der sich wahrlosten Anhang akteure helfen da gerne ein an neoclippigen MätzaufVordermannbringt, wenig nach: Als Janine einen chen aufgeilt wie etwa ist Janine mit den Kuchen für den Geburtstag Jumpcuts (Schnitte in selbstgerechten Muder gleichen Einsteleines Mini-Machos backen selmanen-Machos lung) und Speed-Efsoll, werden hinter ihrem heillos überfordert. fekten (z.B. doppelte Rücken drei Tüten BackpulIn einer derart mänGeschwindigkeit), die ver extra in den Teig geschütnerdominanten Umdie dramaturgische tet, damit der Kuchen mißgebung hat ein labiHilflosigkeit der Malingt, die Machos weiter auf ler Charakter keine cher unterstreichen. dem Mädchen rumhacken Chance, schnell Eine Erkenntnis ist können. kommt hinter der vielleicht doch neu: gespielten FreizügigMan hätte nicht gekeit eine erschreckende innere dacht, daß eine Sendung mit einem Haltlosigkeit zum Vorschein. Die derart sexistischen Unterton, mit pfiffigen Constantin-Redakteure diesem Geschmack von Mutterhelfen da gerne ein wenig nach: Als kreuz, 50er-Jahre-Muff und SagroJanine einen Kuchen für den Ge- tan, wo es vor allem darum geht, wie burtstag eines Mini-Machos bak- fein die Mami den Haushalt putzt ken soll, werden hinter ihrem Rük- und Kinder und Mann mit Leibliken drei Tüten Backpulver extra in chem versorgt, so einen nüchternen den Teig geschüttet (das sah man Blick auf die bundesrepublikaninicht im Bild, weiß ich jedoch aus schen Verhältnisse wirft, auf eine sicherer Quelle), damit der Kuchen marode, weitgehend haltlose und mißlingt, die Machos weiter auf dem unglückliche Gesellschaft, die von Mädchen rumhacken können, das einem tiefen Pessimismus geprägt schließlich heulend aus der Küche ist. Von all dem ahnen die Macher rennt (»Zu Hause hat der immer ge- von Frauentausch nichts, das ist klappt!«). auch gut so. Sollen sie weiter mit der Das ist mies, einen Menschen zur podolskischen Unbekümmertheit Quotensteigerung so ans Döner- ihre wackligen Soaps produzieren. messer zu liefern, für Leute von Con- Wir, die soziologischen Voyeure, stantin gehört das wohl zum Hand- gucken zu! werk. Jochen Gerken Eulenspiegel 8/04
55
Unverkäuflich – aber bestechlich!
Funzel StripSUPER
Das Intelligenzblatt für Andersdenkende
Seit der Großen Revolution 89/90 unabhängig vom Eulenspiegel
Poker an deutschen
Die Väter der Erfolge: Tankstellen Potraffke hat den ziehen nach:
Längsten! Wo kommen eigentlich diese komischen Stangen her, die die Stabhochspringer benutzen? Nun, einige kommen aus verschiedenen Betrieben, die Sportartikel herstellen. Aber die besten kommen aus der Werkstatt von den Hochsprungstab-Schnitzern »Potraffke & Geiler« im Erzgebirge! Hier werden sie heute, wie vor hundert Jahren, in mühevoller Kleinarbeit aus heimischem Gummibaumholz Stück für Stück von Hand gefertigt. Wir sind mit
Herrn Geiler verabredet. In der kleinen Fabrikhalle von »Potraffke & Geiler« sitzen zwei wortkarge Männer und schnitzen bedächtig an langen Stangen. Wir fragen die Sekretärin, wer denn von den beiden Herren Geiler ist. Die Sekretärin antwortet rasch: »Der Herr Potraffke!« Also wenden wir uns an Herrn Potraffke. Er erzählt uns, was das Besondere an seinen Hochsprungstäben ist. »Das ist das elastische Holz des Gummibaums«,
Dienstbekleidung und mit den Maßen 93-64-87 bei einer Mindestgröße von 173 cm bedient. »Seit wir unten ohne arbeiten, halten freilich viel mehr Kunden an«, sagte die umtriebige Geschäftsfrau unserem Reporter. Der Umsatz sei trotz der hohen Preise in den letzten Wochen extrem angestiegen, führte die flotte Inhaberin aus und erklärte, daß viele, vorwiegend männliche Kunden eine weitere Erhöhung der Preise durchaus begrüßen würden. Auf die Frage unseres Reporters, was sie bei einer weiteren Erhöhung denn tun würde, antwortete die pfiffige Geschäftsfrau schlagfertig: »Wenn die Preise noch mehr anziehen, müssen wir eben noch mehr ausziehen.« FUNZEL meint: Ideen muß man haben. c.r.
erklärt er und fügt listig hinzu: »Wir machen sie einfach 20 Zentimeter länger, das kommt immer gut an. Besonders bei den Damen.« LoB Herr Potraffke mit seinem selbstgeschnitzten Stabhochsprungstab
Was macht eigentlich... Was macht Erna eigentlich... Goldmädchen Kasulke?
Zapfsäulen Infolge der starken Erhöhung der Spritpreise ist an deutschen Tankstellen ein gnadenloser Kampf um den Kunden entbrannt. Zahlreiche Tankstellen erweiterten das Angebot. So können der Fahrzeugführer und selbstverständlich auch seine Mitfahrer die mitgeführte schmutzige Wäsche waschen, sich einen Maßanzug schneidern, die Haare schneiden und legen lassen, einen Bausparvertrag abschließen sowie vieles mehr. Einige Tankstellen führen bereits das komplette Sortiment eines Einkaufzentrums und bereiten den Anbau von Freizeit- und FitneßCentren vor. Eine sehr kundenfreundliche Idee hatte auch Selma S., Inhaberin der Tankstelle »Lolita« an der B 96. Dort wird der Kunde ausschließlich von Mitarbeiterinnen in streng vorgeschriebener
Ein guter Polizist muß Respekt einflößen. Doch nicht jeder verfügt über die optimale Physiognomie, wie ein Bulle auszusehen, und so muß häufig auf technische Hilfsmittel wie Gummiknüppel, Wasserwerfer oder Morgenstern zurückgegriffen werden, um der Aufgabe gerecht zu werden. Die USA, führend auf dem Gebiet der Einschüchterung, zeigen wieder einmal, daß es auch anders geht: »Fearface One« nennt sich das Programm, bei dem Polizisten lernen, mittels mimischer Abschreckung territoriale Dominanz zu erwirken. Der deutsche Polizeiausbilder Ottmar Bolzenschneider (r.), ein Hund von Kerl, hat daran teilgenommen und ist voll des Lobes: »Wenn du den Killerblick drauf hast, wagt es keiner mehr, der Staatsgewalt Widerstand zu leisten.« Seine Erfahrungen mit dieser neuen Methode gibt Ausbilder Bolzenschneider nun in Wochenendseminaren an seine Kollegen weiter. Daß es bis zur Serienreife der neuen Taktik aber noch weit hin ist, zeigte der Beta-Test vor Bewohnern eines besetzten Hauses in Berlin-Friedrichshain. Sie hielten den Auftritt von Jürgen Taschkent (Mitte) und Achim Moppeling (rechts) für einen Außendreh der »Bullyparade« und klatschten begeistert Beifall, anstatt sich vor Angst in die Hosen zu machen. Und so bestätigte sich wieder einmal: Bulle oder Rindvieh? – Der Grat ist schmal. RG
Geschmeidig wie immer: Olympiasiegerin Erna Kasulke im Rock am Ring
Trauriges Los eines Mannes, der mit einer Sportlerin verheiratet ist
Dieser oft gestellte Frage unserer verehrten Leserschaft gingen wir einmal nach und besuchten die Olympiasiegerin an den Ringen in der Leistungsgruppe Kürkampf von 1988 in ihrer gemütlichen Kölner Wohnung am Stadtring. Um die früher vom Publikum und den Medien umschwärmte Sportlerin Erna Kasulke ist es heute sehr ruhig geworden. 1990 wechselte sie die Ringe der Turnhalle mit Eheringen – sie heiratete den Versicherungsvertreter Hermann Prötschel vom Deutschen Ring. »Heute habe ich die Ringe an der Hüfte«, scherzt
Erna Kasulke-Prötschel launig. Dann kichert sie: »Ich nenne meinen Mann deshalb manchmal scherzhaft Der Herr der Ringe.« Ob sie heute noch Sport treibe, fragen wir unser »Goldmädchen«. Nach kurzem Seitenblick auf ihren Gatten antwortet sie zögerlich: »Nur manchmal. Wenn wir sonntags im Kölner Stadtpark an den TrimmDich-Geräten vorbeikommen, hält mich nichts mehr. Dann klemm’ ich meinen nörgelnden Hermann zwischen zwei Baumstämme und turne, was die Ringe halten.« LoB
Nach den Erfolgen von Synchron-Schwimmen und BeachVolleyball, die für die olympische Idee geradezu prädestiniert sind, hat das IOC eigens für die Spiele in Griechenland eine weitere sehr beliebte Sportart in das olympische Programm aufge-
nommen: das Paarlaufen. Die Teilnahme ist vorerst jedoch nur weiblichen Sportlerinnen vorbehalten, und die Wettkämpfe finden ausschließlich auf der Insel Lesbos statt. Karten ausverkauft! c.r. Bulle (links) oder Rindvieh (rechts)? – Die richtige Mimik macht’s
Impressum Der Sommer war bisher schrecklich, aber der »Eulenspiegel« ist noch viel schrecklicher. Sehr tröstlich finden das die FUNZEL-Autoren Lo Blickensdorf, Rüdiger Grothues, Peter Homann/ Gegendruck, Andreas Jahn, Nico, Constanze Roeder und Rainer Spiske.
Funzel-RÄTSEL Pinkelst du gegen den
nicht über nasse Hosen!