Johannes Klein Anforderungen an Sanierungskonzepte
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Schriften zum europäischen Management H...
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Johannes Klein Anforderungen an Sanierungskonzepte
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Schriften zum europäischen Management Herausgegeben von Roland Berger Strategy Consultants – Academic Network
Herausgeberrat: Prof. Dr. Thomas Bieger, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Rolf Caspers (†), European Business School, Oestrich-Winkel; Prof. Dr. Guido Eilenberger, Universität Rostock; Prof. Dr. Dr. Werner Gocht (†), RWTH Aachen; Prof. Dr. Karl-Werner Hansmann, Universität Hamburg; Prof. Dr. Alfred Kötzle, Europa Universität Viadrina, Frankfurt/Oder; Prof. Dr. Kurt Reding, Universität Kassel; Prof. Dr. Dr. Karl-Ulrich Rudolph, Universität Witten-Herdecke; Prof. Dr. Klaus Spremann, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Universität Bamberg; Prof. Dr. Burkhard Schwenker, Roland Berger Strategy Consultants
Die Reihe wendet sich an Studenten sowie Praktiker und leistet wissenschaftliche Beiträge zur ökonomischen Forschung im europäischen Kontext.
Johannes Klein
Anforderungen an Sanierungskonzepte Analyse bestehender Anforderungen und Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Krystek
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Berlin; 2008 D 83
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1221-3
Geleitwort Krisen haben Konjunktur und zwar nicht nur in Rezessionszeiten, sondern auch in Wachstumsphasen, wie sich am Beispiel der jüngsten Finanzkrise erkennen lässt. Neben solch spektakulären, globalen Krisen tritt auf einzelwirtschaftlicher Ebene trotz der bereits zum dritten Mal in Folge rückläufigen Anzahl an Unternehmensinsolvenzen nach wie vor eine Vielzahl von Unternehmenskrisen auf. Da es für Unternehmen heute selbstverständlich ist, sich mit Krisen auseinanderzusetzen, kann die betriebliche Restrukturierung bzw. Sanierung als eine der unternehmerischen Kernaufgaben angesehen werden. Ausgangspunkt der Arbeit von Herrn Klein ist die Feststellung, dass es ein Sanierungskonzept als Normanforderung bzw. als gesetzlich fixierte Grundlage nicht gibt. Darüber hinaus existieren in der betriebswirtschaftlichen Forschung weder eine umfassende Bewertung noch eine Systematisierung der verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte. Diese Erkenntnisse gewinnen vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen für Sanierungen allgemein und speziell durch das verstärkte Auftreten internationaler Investoren als Stakeholder in der Sanierung zusätzlich an Bedeutung. Aufgrund dieser Entwicklung ergeben sich neue Anforderungen an Sanierungskonzepte sowie an alle Personen, die an Sanierungen beteiligt sind. Solche Anforderungen theoriegestützt abzuleiten und praxisorientiert zu formulieren, ist die anspruchsvolle Zielsetzung der vorgelegten Arbeit. Um es vorwegzunehmen: Die Arbeit von Herrn Klein erfüllt diese Zielsetzung in jeder Beziehung und kommt zu sehr interessanten Ergebnissen. Hervorzuheben ist dabei, dass der Autor nicht bei der Bestandsaufnahme bestehender Anforderungskataloge an Sanierungskonzepte stehenbleibt, sondern zusätzlich ein exploratives Forschungsziel verfolgt, indem er zukünftige Trends aufzeigt und daraus ableitet, welche Anforderungen an Sanierungskonzepte in Zukunft besonders wichtig werden. Dem Verfasser ist es dabei gelungen, einen theoretisch fundierten und in der Praxis einsetzbaren Leitfaden zur Erstellung von Sanierungskonzepten zu erarbeiten. Dieser Leitfaden stellt eine sehr konkrete Hilfestellung für die strategiegeleitete und den vielfältigen internationalen Stakeholderansprüchen genügende Sanierung krisenbefallener Unternehmen dar.
VI
Geleitwort
Herr Klein leistet somit einen sehr wichtigen Beitrag zur praxisorientierten Forschung auf dem Gebiet der Krisenbewältigung und trägt speziell auch internationalen Aspekten Rechnung. Die vorliegende Arbeit wendet sich sowohl an Wissenschaftler als auch an Praktiker, die mit der Sanierung von Krisenunternehmen befasst sind, und ist diesem Leserkreis als Lektüre, die konkret anwendbares Wissen vermittelt, bestens zu empfehlen. Prof. Dr. Ulrich Krystek
Vorwort Mit dem Wunsch, später einmal zu promovieren, startete ich 2003 in das Beraterleben, ohne bereits ein konkretes Thema für eine mögliche Dissertation im Kopf zu haben. Im Laufe zahlreicher Projekte und aufgrund vieler Diskussionen mit Kollegen konkretisierte sich dann genau zum richtigen Zeitpunkt das Thema "Anforderungen an Sanierungskonzepte" als promotionswürdig heraus. Das Besondere an dieser Fragestellung ist, dass es sich auf der einen Seite um ein Grundlagenthema handelt, während auf der anderen Seite die heute und in der Zukunft veränderten Rahmenbedingungen für Sanierungen eine zentrale Rolle spielen. Darüber hinaus wurde die besondere Aktualität der untersuchten Fragestellung bei der Abfassung der Arbeit immer deutlicher. Bei der Erstellung der vorliegenden Dissertation habe ich vielfältige Unterstützung erhalten, für die ich mich ganz herzlich bedanken möchte. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Krystek für die hervorragende wissenschaftliche Betreuung und seine vielen fachlichen Anregungen, die wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Prof. Dr. Hans Georg Gemünden danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und Prof. Dr. Jürgen Ensthaler für den Vorsitz bei der wissenschaftlichen Aussprache. Marko Reimer vom Lehrstuhl für strategisches Controlling der TU Berlin danke ich für den fachlichen Gedankenaustausch sowie die hervorragende Unterstützung in allen organisatorischen Dingen. Die Erstellung einer solchen Arbeit mit hohem Praxisbezug wäre ohne die zahlreichen Interviewpartner nicht möglich gewesen. Daher danke ich ganz herzlich allen Experten, die sich für ein Interview zur Verfügung gestellt haben. Der Firma Roland Berger Strategy Consultants danke ich für die Möglichkeit, die vorliegende Arbeit im Rahmen des Promotionsprogramms anfertigen zu können. Dieser Dank gilt in besondere Weise meinem Mentor Bernd Brunke für seine vielfältige Unterstützung vor und während der Promotion sowie meinen ehemaligen Kollegen Dr. Robert Simon und Holger Krumel für ihre Anregungen gerade am Anfang meines Promotionsprojekts. Dr. Ralf Moldenhauer danke ich ebenfalls für seine Unterstützung. Außderdem danke ich allen Mitgliedern des Doktorandenzirkels von Roland Berger Strategy Consultants für die stets inspirierenden Diskussionen. Besonders hervorheben möchte ich dabei meinen Mitstreiter Richard Federowski für seine umfangreichen und stets sehr fundierten Anmerkungen zu meiner Arbeit. Darüber hinaus bedanke ich mich für das Gegenlesen des Manuskripts bei Rüdiger Wolf und
VIII
Vorwort
Christina Welsch sowie bei Fabian Reinholz, Dr. Johannes Schiffer und Dr. Carsten Petry. Meinen Eltern danke ich für ihre uneingeschränkte Motivation sowie Unterstützung und ganz besonders meinem Vater Dr. Ulrich Klein für seine zahlreichen Ratschläge in Sachen Verständlichkeit, Stil und Ausdruck. Ebenso danke ich meiner Frau Niuscha, die mich mit viel Geduld und Verständnis auf dem Weg zur Verwirklichung dieser Dissertation begleitet hat. Johannes Klein
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis................................................................................................ XI Abbildungsverzeichnis......................................................................................... XV Abkürzungsverzeichnis........................................................................................ XVII
1
Grundlegung ................................................................................ 1
1.1 Einleitung........................................................................................................ 1 1.2 Problemstellung und Zielsetzung................................................................. 3 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit .................................................................. 6
2
Theoretischer Bezugsrahmen .................................................. 13
2.1 Unternehmenskrisen ................................................................................... 13 2.2 Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung .................................. 27 2.3 Sanierung als Form des Krisenmanagements .......................................... 52
3
Anforderungen an Sanierungskonzepte .................................. 91
3.1 Begriffsbestimmung und Kategorisierung ................................................ 91 3.2 Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen ............................................................................................. 95 3.3 Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte ................................. 99 3.4 Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte.......... 120 3.5 Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte ........... 152
4
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte................................................................ 157
4.1 Zukünftige Bedeutung der untersuchten Anforderungen ...................... 157 4.2 Generelle Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte ................ 161 4.3 Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte ............... 163
5
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten.......... 167
5.1 Vorbemerkungen zum Leitfaden .............................................................. 167 5.2 Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten .. 171
X
Inhaltsübersicht
6
Zusammenfassung und Ausblick ........................................... 227
Anhang: Verzeichnis der Interviews ................................................................ 233 Anhang: Verzeichnis der Interviewpartner ...................................................... 234 Anhang: Interviewleitfaden ............................................................................... 235 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 241
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis........................................................................................ XV Abkürzungsverzeichnis....................................................................................... XVII
1
Grundlegung ................................................................................ 1
1.1 Einleitung........................................................................................................ 1 1.2 Problemstellung und Zielsetzung................................................................. 3 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit .................................................................. 6 1.3.1 Methodik der Arbeit................................................................................. 6 1.3.2 Aufbau der Arbeit .................................................................................. 11
2
Theoretischer Bezugsrahmen .................................................. 13
2.1 Unternehmenskrisen ................................................................................... 13 2.1.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen ................................................... 13 2.1.1.1 Betriebswirtschaftlicher Krisenbegriff ...................................... 13 2.1.1.2 Rechtlicher Krisenbegriff ......................................................... 16 2.1.2 Forschung zu Unternehmenskrisen ...................................................... 18 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.2.4
Überblick der Forschung zu Unternehmenskrisen .................. 18 Verlauf von Unternehmenskrisen ............................................ 19 Ursachen von Unternehmenskrisen ........................................ 23 Wirkungen von Unternehmenskrisen ...................................... 25
2.2 Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung .................................. 27 2.2.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen ................................................... 27 2.2.1.1 Bedeutung der Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung ................................................................................ 27 2.2.1.2 Shareholder-Ansatz und Principal-Agent-Theorie ................... 28 2.2.1.3 Stakeholder-Ansatz ................................................................. 32 2.2.2 Überblick der Forschung zum Stakeholder-Ansatz ............................... 36 2.2.2.1 Systematisierung der Forschung............................................. 36 2.2.2.2 Die Stakeholder-Agency-Theorie nach HILL/JONES .............. 38 2.2.2.3 Die Financial-Stakeholder-Theorie nach CORNELL/SHAPIRO .............................................................. 40 2.2.3 Wirkungen von Unternehmenskrisen auf Stakeholder .......................... 42 2.2.4 Agency-Probleme bei der Erstellung von Sanierungskonzepten .......... 44
XII
Inhaltsverzeichnis
2.2.5 Lösungsmechanismen für Agency-Probleme bei Sanierungskonzepten ........................................................................... 47 2.3 Sanierung als Form des Krisenmanagements .......................................... 52 2.3.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen zum Krisenmanagement ............ 52 2.3.2 Sanierung zur Bewältigung von Unternehmenskrisen .......................... 55 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4
Begriffsbestimmung zur Sanierung ......................................... 55 Träger der Sanierung .............................................................. 58 Prozess der Sanierung ............................................................ 62 Planung in der Sanierung ........................................................ 69
2.3.3 Das Sanierungskonzept ........................................................................ 75 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.3.4
3
Begriffsbestimmung zum Sanierungskonzept ......................... 75 Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit ............. 83 Gliederung eines Sanierungskonzepts .................................... 86 Das Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage der Stakeholder ............................................................................. 89
Anforderungen an Sanierungskonzepte .................................. 91
3.1 Begriffsbestimmung und Kategorisierung ................................................ 91 3.2 Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen ............................................................................................. 95 3.3 Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte ................................. 99 3.3.1 Generelle Anforderungen aus Gesetz und Rechtsprechung ................ 99 3.3.1.1 Ausschluss bzw. Beseitigung der Insolvenzgründe ................. 99 3.3.1.2 Ernsthaftigkeit von Sanierungskonzept bzw. -versuch .......... 101 3.3.1.3 Kritische Würdigung der generellen Anforderungen aus Gesetz und Rechtsprechung ................................................. 106 3.3.2 Spezielle Anforderungen des KWG und der BaFin/MaRisk ................ 110 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4
Offenlegungspflicht im Kreditgeschäft gemäß § 18 KWG ..... 110 Anforderungen bei Problemkrediten gemäß BaFin/MaRisk .. 112 Weitere Anforderungen der Kreditwirtschaft.......................... 113 Kritische Würdigung der Anforderungen des KWG und der BaFin/MaRisk ........................................................................ 114
3.3.3 Spezielle Anforderungen des Europäischen Beihilferechts ................ 117 3.4 Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte.......... 120 3.4.1 Generelle Anforderungen ................................................................... 120 3.4.1.1 Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW ................................................................................ 120
Inhaltsverzeichnis
XIII
3.4.1.2 Kritische Würdigung der IDW-Grundsätze ............................ 124 3.4.1.3 Verwendung der IDW-Grundsätze zur qualitativen Bewertung der speziellen betriebswirtschaftlichen Anforderungen ...................................................................... 125 3.4.2 Spezielle Anforderungen der Treuhandanstalt (THA) ......................... 127 3.4.2.1 Leitfaden der THA für die Ausgestaltung von Sanierungskonzepten............................................................ 127 3.4.2.2 Kritische Würdigung des Leitfadens der THA........................ 128 3.4.3 Spezielle Anforderungen des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer ...... 131 3.4.3.1 Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 ....................................................................................... 131 3.4.3.2 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 ....................................................................................... 135 3.4.3.3 Anforderungen gemäß WP-Handbuch 2002 Abschnitt F ...... 141 3.4.3.4 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß WPHandbuch 2002 Abschnitt F .................................................. 142 3.4.3.5 Anforderungen gemäß ISA 810............................................. 143 3.4.3.6 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß ISA 810...... 145 3.4.4 Spezielle Anforderungen des RBSC-Sanierungsansatzes ................. 146 3.4.4.1 RBSC-Sanierungsansatz ...................................................... 146 3.4.4.2 Kritische Würdigung des RBSC-Sanierungsansatzes ........... 150 3.5 Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte ........... 152
4
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte................................................................ 157
4.1 Zukünftige Bedeutung der untersuchten Anforderungen ...................... 157 4.2 Generelle Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte ................ 161 4.3 Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte ............... 163
5
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten.......... 167
5.1 Vorbemerkungen zum Leitfaden .............................................................. 167 5.1.1 Konzeption und Funktion des Leitfadens ............................................ 167 5.1.2 Aufbau des Leitfadens ........................................................................ 168 5.2 Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten ................................................................................ 171 5.2.1 Übergeordnete Anforderungen für alle Kapitel ................................... 171 5.2.2 Vorbemerkungen eines Sanierungskonzepts ..................................... 172
XIV
Inhaltsverzeichnis
5.2.3 Kapitel A: Ausgangssituation .............................................................. 175 5.2.3.1 Kapitel A: Ziele und Hintergründe zur Ausgangssituation ..... 175 5.2.3.2 Kapitel A: Checkliste zur Ausgangssituation ......................... 176 5.2.4 Kapitel B: Krisenursachen und -symptome ......................................... 186 5.2.4.1 Kapitel B: Ziele und Hintergründe zu Krisenursachen und -symptomen .......................................................................... 186 5.2.4.2 Kapitel B: Checkliste zu Krisenursachen und -symptomen ... 187 5.2.5 Kapitel C: Markt- und Wettbewerb ...................................................... 190 5.2.5.1 Kapitel C: Ziele und Hintergründe zu Markt- und Wettbewerb ........................................................................... 190 5.2.5.2 Kapitel C: Checkliste zu Markt- und Wettbewerb .................. 191 5.2.6 Kapitel D: Sanierungskonzept (i.e.S.) ................................................. 198 5.2.6.1 Kapitel D: Ziele und Hintergründe zum Sanierungskonzept (i.e.S.).................................................................................... 198 5.2.6.2 Kapitel D: Checkliste zum strategischen Teilkonzept ............ 200 5.2.6.3 Kapitel D: Checkliste zum operativen Teilkonzept ................ 205 5.2.6.4 Kapitel D: Checkliste zum finanziellen Teilkonzept ............... 210 5.2.6.5 Kapitel D: Maßnahmenplanung und Status der Umsetzung.. 218 5.2.7 Kapitel E: Integrierte Businessplanung ............................................... 221 5.2.7.1 Kapitel E: Ziele und Hintergründe zur Businessplanung ....... 221 5.2.7.2 Kapitel E: Checkliste zur Businessplanung ........................... 222
6
Zusammenfassung und Ausblick ........................................... 227
Anhang: Verzeichnis der Interviews ................................................................ 233 Anhang: Verzeichnis der Interviewpartner ...................................................... 234 Anhang: Interviewleitfaden ............................................................................... 235 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 241
Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: Forschungsdesign im Überblick ............................................................. 7 Abb. 1.2: Bewertungsmethodik für die konkreten betriebsw. Anforderungen ........ 8 Abb. 1.3: Aufbau der Arbeit ................................................................................. 11 Abb. 2.1: Krisenprozessmodelle nach MÜLLER und KRYSTEK......................... 23 Abb. 2.2: Verhaltensunsicherheiten der Principal-Agent-Theorie........................ 30 Abb. 2.3: Stakeholder in der Sanierung .............................................................. 35 Abb. 2.4: Destruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen auf Stakeholder ...... 43 Abb. 2.5: Krisenphasen und Krisenmanagement ................................................ 54 Abb. 2.6: Phasenmodell des Sanierungsprozesses ............................................ 63 Abb. 2.7: Planungssystem nach HAHN............................................................... 70 Abb. 2.8: Sanierungsgutachten vs. Sanierungskonzept ...................................... 81 Abb. 2.9: Kriterien der Stakeholder für die Sanierungswürdigkeit ....................... 85 Abb. 3.1: Systematisierung der Anforderungen an Sanierungskonzepte ............ 92 Abb. 3.2: Übersicht Insolvenztatbestände der Insolvenzordnung ..................... 100 Abb. 3.3: Qualitative Bewertung (Bewertung anhand der IDW-Grundsätze)..... 126 Abb. 3.4: Leitfaden der THA: Quantitative Bewertung (Gewichtung) ................ 129 Abb. 3.5: Leitfaden der THA: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) ........... 130 Abb. 3.6: IDW FAR 1/91: Quantitative Bewertung (Gewichtung) ...................... 137 Abb. 3.7: IDW FAR 1/91: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) ................. 139 Abb. 3.8: RBSC-Sanierungsansatz ................................................................... 146 Abb. 3.9: RBSC-Sanierungsansatz: Quantitative Bewertung (Gewichtung)...... 150 Abb. 3.10: RBSC-Sanierungsansatz: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) 151 Abb. 3.11: Übersicht zur quantitativen Bewertung (Gewichtung) ........................ 153 Abb. 3.12: Übersicht zur qualitativen Bewertung (IDW-Grundsätze) .................. 154 Abb. 5.1: Struktur des Leitfadens ...................................................................... 169 Abb. 5.2: Leitfaden: Quantitative Bewertung (Gewichtung) .............................. 170 Abb. 5.3: Bewertungsmethodik der Elemente im Leitfaden............................... 170 Abb. 5.4: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.1 bis A.3) ............................... 176 Abb. 5.5: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.4) ........................................... 179 Abb. 5.6: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.5) ........................................... 180 Abb. 5.7: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.6) ........................................... 183
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abb. 5.8: Checkliste Krisensymptome und -ursachen (Kap. B)......................... 187 Abb. 5.9: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.1) .................................... 192 Abb. 5.10: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.2) .................................... 195 Abb. 5.11: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.3 u. C.4) ......................... 197 Abb. 5.12: Checkliste strategisches Teilkonzept – Zielplanung (Kap. D.1) ......... 200 Abb. 5.13: Ermittlung des dynamischen Ergebnisverbesserungsbedarfs ........... 202 Abb. 5.14: Checkliste strategisches Teilkonzept – Strategien (Kap. D.2) ........... 204 Abb. 5.15: Checkliste operatives Teilkonzept (Kap. D.3.1 bis D.3.3) .................. 206 Abb. 5.16: Checkliste operatives Teilkonzept (Kap. D.3.3 Forts.) ....................... 209 Abb. 5.17: Checkliste finanzielles Teilkonzept (Kap. D.4) ................................... 212 Abb. 5.18: Checkliste Maßnahmenpläne/Umsetzungsstatus (Kap. D.5 u. D.6) .. 219 Abb. 5.19: Checkliste Businessplanung (Kap. E.1 u. E.2) .................................. 222 Abb. 5.20: Checkliste Businessplanung (Kap. E.3 u. E.4) .................................. 225
Abkürzungsverzeichnis a.F. a.o. Abb. ABl. ABS Abs. Abtl. ACTP AE AG AGB AICPA AktG aktual. Aufl. BAG
alte Fassung außerordentlich Abbildung, -en Amtsblatt Asset Backed Securities Absatz Abteilung Association of Certified Turnaround Professionals Auftragseingang Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen American Institute of Certified Public Accountants Aktiengesetz aktualisierte
BetrAVG
Auflage Bundesarbeitsgericht Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V. bereinigt Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alters-
betriebsw.,
versorgung betriebswirtschaftlich, -e
BDU ber.
betriebswirtschaftl. Bew. BFuP BGA BGB
Bewertung Betriebswirtschaftliche Forschung und (Zeitschrift) Betriebs- und Geschäftsausstattung Bürgerliches Gesetzbuch
BGH BIP BMF BMWA
Bundesgerichtshof Bruttoinlandsprodukt Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
BvS
Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben Betriebswirtschaftslehre bezüglich beziehungsweise
BWL bzgl. bzw.
Praxis
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
ca.
circa
CDS CRO d.h. Darst.
Credit Default Swap Chief Restructuring Officer das heißt Darstellung Deckungsbeitrag Deutsche Demokratische Republik Deutsches Institut für Normung e.V.
DB DDR DIN DSCR DStR durchges. dynam. e.V. EBIT EBITDA EDV EGT EGV EK EK-Geber erg. erw. EStG et al. etc. EU EuGH EUR evtl. f. FC ff. FK FK-Geber FK-Investoren Fn. Forts.
Debt Service Cover Ratio (Schuldendienstdeckungsgrad) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) durchgesehen, -e dynamisch eingetragener Verein Earnings before interest and taxes Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization Elektronische Datenverarbeitung Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Europäischer Gemeinschaftsvertrag Eigenkapital Eigenkapitalgeber ergänzt, -e erweitert, -e Einkommenssteuergesetz et alii (und andere) et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Euro eventuell folgende Forecast fortfolgende Fremdkapital Fremdkapitalgeber Fremdkapitalinvestoren Fußnote Fortsetzung
XIX
Abkürzungsverzeichnis
FSA
Financial Services Authority (britische Regulie-
GB GenG gest. GF ggf. ggü. GKV GmbH GmbHG GoA GoF
rungsbehörde für Finanzinstitute) Geschäftsbereich Genossenschaftsgesetz gestaltet, -e Geschäftsführung, Geschäftsführer gegebenenfalls gegenüber Gesamtkostenverfahren Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmens-
GoU GoÜ graph. grundl. GuV H. h.M. HGB HR Hrsg. i.d.R. i.e.S. i.W. i.w.S. IAS IDW IDW S 1 (IDW ES 1 n.F.)
IFAC IFRS IHK inkl. insb.
führung Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensleitung Grundsätze ordnungsmäßiger Überwachung graphisch, -e grundlegend Gewinn- und Verlustrechnung Heft herrschende Meinung Handelsgesetzbuch Human Resources (Personalwirtschaft) Herausgeber in der Regel im engeren Sinne im Wesentlichen im weiteren Sinne International Accounting Standard(s) Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. IDW Standard 1 (IDW Entwurf Standard 1 neue Fassung): IDW-Grundsätze zur Unternehmensbewertung International Federation of Accountants International Financial Reporting Standards Industrie- und Handelskammer inklusive insbesondere
XX
Abkürzungsverzeichnis
InsO-E
Insolvenzordnung-Entwurf
IPO ISA IT Jg. JV Kap. KFZ KGaA
Initial Public Offering International Standards on Auditing Information Technology
KMU KonTraG KSI kurzfr. langfr. lat. LG Ltd. LuL m.w. MA MaH MaIR MaK MAK MaRisk Mio.
Jahrgang Joint Venture Kapitel Kraftfahrzeug, -e Kommanditgesellschaft auf Aktien kleine und mittlere Unternehmen Gesetz zur Kontrolle und Transparenz Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung (Zeitschrift) kurzfristig langfristig lateinisch Landgericht Private limited company (Gesellschaftsform in Großbritannien) Lieferungen und Leistungen mit weiteren Mitarbeiter (Köpfe) Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der Internen Revision der Kreditinstitute Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft Mitarbeiterkapazitäten
MIT MoMiG
Mindestanforderungen an das Risikomanagement Millionen Massachusetts Institute of Technology Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und
Mrd. n. neubearb./neu bearb. NJW No.
zur Bekämpfung von Missbräuchen Milliarden nach neubearbeitet, -e, neu bearbeitet, -e Neue juristische Wochenschrift Number (Nummer, Heft)
NOC
Net Organizational Capital
XXI
Abkürzungsverzeichnis
NPL
Non-performing loans
Nr. NZI
Nummer Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung ohne Verfasser Office of the Comptroller of the Currency (amerikanische Regulierungsbehörde für Finanz-
o.V. OCC
OLG organisator. p.a. Pik-Notes Pkt. PLC PREPS PS RBSC rd. RGW Rn. ROCE ROS Rs. S. SbA SbE sog. SPV
StGB TEUR THA TMA TransPuG
institute) Oberlandesgericht organisatorisch per annum Payment-in-kind-Schuldverschreibung (spezielles Finanzierungsprodukt) Punkt Public limited company (Gesellschaftsform in Großbritannien) Preferred Pooled Shares (Nachrangfinanzierungsinstrument) Prüfungsstandard Roland Berger Strategy Consultants rund Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Randnummer Return on Capital Employed Return on Sales (Umsatzrendite) Rundschreiben Seite Sonstiger betrieblicher Aufwand Sonstiger betrieblicher Ertrag sogenannter, -e, -s Special Purpose Vehicle (juristische Zweckgesellschaft meist für Zwecke der Unternehmensfinanzierung) Strafgesetzbuch Tausend Euro Treuhandanstalt Turnaround Management Association Gesetz zu Transparenz und Publizität 19.7.2002
v.
XXII Tz. u. u.a. u.U. überarb. UdSSR UK UKV v. v.U. VDE Verl. vgl. VJ Vol. vollst. vs. wesentl. Wettb. WiSt WP WPg WPK WPO WpÜG www YTD z. z.B. zfo Ziff. ZIP zsgest.
Abkürzungsverzeichnis
Textziffer und unter anderem unter Umständen überarbeitet, -e Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Kingdom (Großbritannien) Umsatzkostenverfahren vom, von vom Umsatz Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.V. Verlag vergleiche Vorjahr Volume (Jahrgang) vollständig versus wesentlich Wettbewerb Wissenschaftliches Studium (Zeitschrift) Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wirtschaftsprüferkammer Wirtschaftsprüferordnung bzw. Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz World Wide Web Year to date (aufgelaufenes Jahr) zur, zum zum Beispiel Zeitschrift für Führung und Organisation Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis zusammengestellt
1
Grundlegung
1.1 Einleitung Nach Jahren kontinuierlicher Steigerung ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Jahr 2006 bereits zum dritten Mal in Folge rückläufig. 2006 gab es 31.300 Unternehmenszusammenbrüche, was einem Rückgang von 15,1% bzw. rd. 5.500 Unternehmen ggü. dem Vorjahr entspricht.1 Trotz dieses rückläufigen Trends ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland nach wie vor auf einem hohen Niveau, was sich Jahr für Jahr in dem durch Insolvenzen verursachten beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden ausdrückt. Wenn man bedenkt, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen lediglich die "Spitze des Eisbergs" der Unternehmen darstellt, die überhaupt in eine Krise geraten sind, wird offensichtlich, dass es für Unternehmen heute selbstverständlich ist, sich mit Krisen auseinanderzusetzen. Daher kann die betriebliche Restrukturierung bzw. Sanierung gegenwärtig als eine der unternehmerischen Kernaufgaben angesehen werden.2 Die Gründe für diese Entwicklung, die Unternehmen einem verstärkten Druck zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit aussetzt, sind vielfältig.3 In vielen europäischen Ländern sind die Wachstumsraten derzeit grundsätzlich eher gering und bleiben voraussichtlich auch in der nächsten Zeit auf diesem Niveau. Darüber hinaus werden die Geschäftsmodelle der Unternehmen komplexer, Preise für Rohstoffe und Energie steigen und viele Branchen leiden unter einem harten globalen Wettbewerb und vorhandenen Überkapazitäten. Speziell in Deutschland kommen für viele Unternehmen die im internationalen Vergleich geringen Eigenkapitalquoten und begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten hinzu.4 Dennoch gelten deutsche Unternehmen international nach wie vor als Unternehmen mit Potenzial, was sich an dem aktuell großen Interesse internationaler Investoren für deutsche Unternehmen zeigt. Die 1989 von KRYSTEK getroffene Aussage über Unternehmenskrisen, "[...] dass man provozierend fast von Ausnahmesituationen als der Normalsituation für die Führung unserer Zeit sprechen könnte [...]"5 ist damit heute immer noch aktuell. Dennoch sind
1 2
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5
Für die Daten zur Insolvenzstatistik in diesem Absatz vgl. Creditreform (2007a), S. 2f. u. 19f. Vgl. Falckenberg, M. (2006), S. 110, Blatz, M., zu Putlitz, J., Carlsen, C. (2006), S. 2, Schreyögg, G. (2004), S. 13. Vgl. auch Hutzschenreuter, T. (2006), S. 5. Zur Abgrenzung der Begriffe Sanierung und Restrukturierung vgl. Kap. 2.3.2.1. Vgl. im Folgenden Williams, M. (2006), S. 12ff. Nach UHLENBRUCK liegt die Eigenkapitalquote bei kleinen und mittleren Unternehmen bei ca. 13-16% der Bilanzsumme, vgl. Uhlenbruck, W. (2003), S. 1. Gemäß der Untersuchung von CREDITREFORM sind fast 32% der deutschen mittelständischen Unternehmen unterkapitalisiert, d.h. sie verfügen über eine Eigenkapitalquote unter 10%, vgl. Creditreform (2007b), S. 17. Krystek, U. (1989b), S. 30.
2
Grundlegung
und bleiben Unternehmenskrisen Ausnahmeerscheinungen im wirtschaftlichen Alltag und im Lebenszyklus von Unternehmen.6 Auch in Zeiten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz (KonTraG) und des Transparenz- und Publizitätsgesetzes (TransPuG) mit einer dadurch intensivierten Diskussion um Frühwarn- bzw. Frühaufklärungssysteme sowie der neuen Insolvenzordnung werden Unternehmenskrisen vielfach immer noch zu spät erkannt und Sanierungsversuche zu spät eingeleitet.7 Vergleichbare gesetzgeberische Initiativen mit dem Ziel einer besseren Vermeidung von Unternehmenskrisen wurden in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrienationen entwickelt.8 Bis vor wenigen Jahren war der Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmarkt in Deutschland lokal weitgehend abgeschottet. Die traditionell konsensgetriebene und bankenbasierte Sanierungspraxis in der sog. "Deutschland AG" wird aber seit einiger Zeit durch das vermehrte Auftreten internationaler Finanzinvestoren abgelöst und eine internationale Sanierungspraxis, die stärker auf Marktmechanismen basiert, gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung.9 Mit der fortschreitenden Globalisierung und Internationalisierung wird sich dieser Trend weiter fortsetzen und in Verbindung mit einer zunehmenden Professionalisierung des Sanierungs-Business ergeben sich neue Anforderungen an Sanierungskonzepte sowie an alle Personen, die an Sanierungen beteiligt sind.10 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Anzahl der Sanierungsberater 2005 weltweit auf deutlich über 20.000 angestiegen ist.11 Ein realistisches, nachhaltiges und ganzheitliches Sanierungskonzept ist nicht nur eine Grundvoraussetzung (z.B. zur Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit), sondern nach wie vor einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren einer gelungenen Sanierung.12 Betriebswirtschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Unternehmenskrise und Sanierung sind in besonderem Maße von Aktualitätsschwankungen abhängig.13 Krisenforschung wird vor allem in und nach Krisenzeiten betrieben, sonst eher 6 7
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11 12
13
Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 23. Vgl. Groß, P. J. (2003), S. 128. Zur Diskussion von Frühaufklärungssystemen im Zusammenhang mit dem KonTraG, vgl. Krystek, U., Müller, M. (1999), S. 177ff. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 24, Kajüter, P. (2004), S. 12ff. Vgl. u.a. Beyer, J. (2002), S. 1ff. u. Kengelbach, J., Ross, A. (2006), S. 12ff. Vgl. zur Internationalisierung als wohl eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts Krystek, U., Zur, E. (2002), S. 7. Vgl. Altman, E. I., Hotchkiss, E. (2006), S. 293. Vgl. z.B. Schendel, D. E., Patton, G. R., Riggs, J. (1976), S. 11, Müller, R. (1985), S. 46, Bowman, E. H., Sing, H. (1993), S. 11, Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 26 u. 113, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 23, Falckenberg, M., Kuhlwein von Rathenow, N. (2006), S. 18, Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 19f., Vogt, M. A. (1999), S. 247. Neben dem Konzept ist dessen (schnelle und konsequente) Umsetzung erfolgsentscheidend, vgl. z.B. Reutner, F. (1990), S. 303, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 102. Vgl. Feldbauer-Durstmüller, B. (2002), S. 447.
Problemstellung und Zielsetzung
3
nicht.14 Daher kann anhand der umfangreichen Sanierungstätigkeit im Zusammenhang mit der Treuhandanstalt (THA) Anfang der neunziger Jahre gut erklärt werden, dass gerade in dieser Zeit zahlreiche Veröffentlichungen, die betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte thematisieren, erschienen sind.15 Der Leitfaden der Treuhandanstalt für die Ausgestaltung von Sanierungskonzepten stammt aus dem Jahr 1990. Die Anforderungen an Sanierungskonzepte des Fachausschusses Recht (FAR) aus dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) wurden 1991 veröffentlicht und 1992 als Verlautbarung des IDW verabschiedet. Darüber hinaus gehen die Ursprünge des Sanierungsansatzes von Roland Berger Strategy Consultants (RBSC-Sanierungsansatz) ebenfalls auf diesen Zeitraum zurück.16 Die Feststellung von BRAUN aus dem Jahr 1989, dass es das Sanierungskonzept als Normanforderung – d.h. als klare gesetzlich fixierte Grundlage – nicht gibt,17 hat nach wie vor Bestand, obwohl sich die betriebswirtschaftliche Forschung im Anschluss an BRAUN intensiv mit dem Thema Sanierung auseinandergesetzt hat. Die Aussage von BRAUN gewinnt aufgrund der oben beschriebenen signifikanten Änderungen der Rahmenbedingungen für Sanierungen zusätzlich an Bedeutung.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung Da das Sanierungskonzept als gesetzliche Normanforderung nicht existiert, ist nach BRAUN die Frage zu beantworten, was ein Sanierungskonzept überhaupt ist bzw. ob und welche wesentlichen inhaltlichen Elemente es gibt, die in einem Sanierungskonzept auf jeden Fall enthalten sein müssen.18 Ganz allgemein ist unter einem Sanierungskonzept eine schriftliche Handlungs- und Verfahrensanweisung zu verstehen, von der deren Verfasser glaubt und behauptet, dass bei folgerichtiger und sachgerechter Anwendung die nachhaltige Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Krisenunternehmens erreicht werden kann.19 Bezüglich der wesentlichen inhaltlichen Elemente können aus betriebswirtschaftlicher Sicht verschiedene Antworten aus dem Leitfaden der THA, den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 und dem RBSC-Sanierungsansatz gewonnen werden. Diese konkreten betriebswirtschaftlichen (inhaltlichen) Anforderungen stellen jedoch keine gesetzlich fixierten Normanforderungen dar, sondern sind vor ihrem jeweiligen Hintergrund (THA) bzw. für ihren jeweiligen Berufsstand als eigenständige betriebswirtschaftliche Anforderungen zur Erstellung von Sanierungs-
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19
Vgl. Müller-Merbach, H. (1976), S. 159f., Hauschildt, J. (2006b), S. 25. Vgl. ähnlich bei Friedrich, M. G., Flintrop, B. (2003), S. 223. Vgl. im Detail zu Anforderungen an Sanierungskonzepte Kap. 3. Vgl. Braun, E. (1989), S. 683. Vgl. Braun, E. (1989), S. 683. Vgl. auch Sandfort, F. (1997), S. 36. Vgl. ähnlich (für den Insolvenzplan) auch Braun, E., Uhlenbruck, W. (1997), S. 439. Vgl. Braun, E. (1989), S. 684. Vgl. zur weiteren Definition Kap. 2.3.3.1.
4
Grundlegung
konzepten ohne gesetzliche Fixierung bzw. rechtliche Bindungswirkung anzusehen.20 Es ist nicht zu erkennen, dass für die Kreditwirtschaft als einen der Hauptakteure der konsensgetriebenen Sanierung eine Vorgabe für Sanierungskonzepte existiert, die den oben genannten konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen vergleichbar und für alle Kreditinstitute verbindlich ist.21 Eine umfassende und vergleichende Beschreibung sowie eine detaillierte Bewertung der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen und ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang stehen in der betriebswirtschaftlichen Forschung bisher noch aus.22 Auch in den zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Unternehmenskrise und Sanierung in jüngster Zeit findet eine ganzheitliche Betrachtung der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte nicht statt. Dabei ist vor allem die fehlende kritische Auseinandersetzung mit den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 zu bemängeln, die oftmals ohne Wertung und Einordnung in den Gesamtzusammenhang mehr oder weniger im Originalwortlaut von 1991 bzw. 1992 wiedergegeben werden.23 Es bleibt somit festzuhalten, dass weder eine gesetzliche Normanforderung an Sanierungskonzepte noch eine einheitliche betriebswirtschaftliche Sichtweise bzw. ein einheitlicher Standard existieren.24 Eine rechtlich verbindliche Norm kann auch in dieser Arbeit nicht entwickelt werden, wohl aber sind die gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen herauszuarbeiten.25 Vor diesem Hintergrund sollen in der vorliegenden Arbeit daher Aussagen zu zukünftigen Anforderungen an Sanierungskonzepte entwickelt und damit ein Beitrag zu einem allgemein anerkannten betriebswirtschaftlichen Standard erarbeitet werden. In Form eines theoretisch fundierten und praxistauglichen 20 21
22
23
24
25
Vgl. zu den Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen Kap. 3.2. Vgl. Theewen, E. M., Schlemminger, R., Fröhlich, J. (2005), S. 62. Bankenintern gibt es jedoch Richtlinien zum Vorgehen bei Sanierungen bzw. zu Anforderungen an Sanierungskonzepte. Vgl. zu einer ersten in Ansätzen vergleichenden Darstellung und Bewertung des Leitfadens der THA bzw. der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 Sandfort, F. (1997), S. 62ff. Zu einer Kurzbewertung des Leitfadens der THA, der grundsätzlich zuzustimmen ist, vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 103. Vgl. z.B. Hommel, U., Knecht, T., Wohlenberg, H. (2006), S. 52, Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 350, Klein, U. (2006), S. 77ff. und Crone, A. (2007), S. 76ff. Vgl. zu einer Wertung, der nicht zuzustimmen ist, Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 318ff. u. insb. S. 324. Unter einem Standard ist allgemein eine Richtschnur, ein Maßstab bzw. eine Norm zu verstehen. In der Betriebswirtschaft bedeutet Standardisierung die Vereinheitlichung bzw. Regelgebundenheit von Fertigungs- und Verwaltungsabläufen. Eine Norm ist eine planmäßige, durch interessierte Kreise gemeinschaftlich durchgeführte einheitliche Festlegung von Begriffen, Eigenschaften oder Abläufen. In Deutschland wird die nationale Normungsarbeit, teilweise unterstützt von anderen Institutionen, durch Arbeits- bzw. Normausschüsse des Deutschen Instituts für Normung (DIN) durchgeführt. Dabei gelten spezielle Regeln bzw. Grundsätze und alle DIN-Normen sind spätestens nach fünf Jahren darauf zu überprüfen, ob sie noch dem Stand der Technik und den wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen. Vgl. dazu Zwahr, A. (2006a), S. 47, Zwahr, A. (2006b), S. 152, Kiehl, P. (2001), S. 13ff. Zur Befugnis der Aufstellung rechtlich verbindlicher Normen vgl. Kap. 3.1.
Problemstellung und Zielsetzung
5
Leitfadens zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten berücksichtigt diese Arbeit den jeweiligen Blickwinkel der unterschiedlichen an Sanierungen beteiligten Gruppen.26 Sowohl Wissenschaft und Praxis als auch die Perspektiven verschiedener Berufsstände bzw. Finanzinstitutionen wie Kreditinstitute, Finanzinvestoren, Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer werden einbezogen. Aufgrund der beschriebenen, signifikanten Änderungen der Rahmenbedingungen für Sanierungen ist es dabei von besonderem Interesse, in den Leitfaden auch die Auswirkungen aktueller Trends in der Sanierung aufzunehmen. Die untersuchten Forschungsfragen lassen sich in Fragen zu bestehenden Anforderungen an Sanierungskonzepte und zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten wie folgt unterteilen: Forschungsfragen zu bestehenden Anforderungen an Sanierungskonzepte: Welche verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte bestehen heute? •
Wie lassen sie sich kategorisieren?
•
Was gibt es für Interdependenzen?
•
Wie sind die bestehenden Anforderungen zu bewerten?
Forschungsfragen zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten: Wie verändern sich die Anforderungen an Sanierungskonzepte in der Zukunft? •
Welche Rolle spielen die bestehenden Anforderungen zukünftig?
•
Was gibt es für generelle Trends und spezielle zukünftige Anforderungen?
•
Wie könnte ein theoretisch fundierter und praxistauglicher Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten aussehen?
26
Der Leitfaden ist dabei nicht als universeller Lösungsansatz für alle möglichen Sanierungsfälle zu verstehen, denn jede Krise und Sanierung ist immer ein Einzelfall. Dennoch gilt es in jeder Sanierung bestimmte Anforderungen zu beachten und die beteiligten Interessengruppen müssen sich auf ein von allen Stakeholdern getragenes Sanierungskonzept einigen. Vgl. auch Kap. 5.1.
6
Grundlegung
1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit 1.3.1 Methodik der Arbeit Basierend auf der wissenschaftstheoretischen Einordnung der vorliegenden Arbeit lässt sich ein problemadäquates Vorgehen für die Forschung – das Forschungsdesign – ableiten. Allgemein ist es das Ziel betriebswirtschaftlicher Forschung, Theorien, Modelle, Methoden und Instrumente zu entwickeln, die das Management bei seiner eigentlichen unternehmerischen Aufgabe – der Führung von Unternehmen – unterstützen.27 Die betriebswirtschaftliche Forschung ist damit primär anwendungsorientiert28 und nur unter spezifischen Rahmenbedingungen gültig.29 Ihren wissenschaftlichen Charakter erhalten Aussagen der anwendungsorientierten Forschung dadurch, dass ausgehend von einzelnen Problemen bzw. Fragestellungen durch Abstraktion und Verallgemeinerung Lösungen für eine größere Anzahl ähnlicher Problemstellungen erarbeitet werden.30 Als Forschungsvorgehen kann grundsätzlich ein deduktiver oder induktiver sowie quantitativer oder qualitativer Ansatz gewählt werden.31 Bei der Deduktion schließt man vom Allgemeinen auf das Besondere und da der Wahrheitsgehalt von der Prämisse auf die Konklusion übertragen wird, ist die Deduktion wahrheitsbewahrend, erzeugt aber letztlich kein neues Wissen. Der Induktionsschluss verläuft in die umgekehrte Richtung, d.h. es wird vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen und aus einzelnen Beobachtungen werden verallgemeinernde Aussagen über ähnliche Fälle und Situationen abgeleitet. Da der Induktionsschluss eher zu neuem Wissen führt, ist er zwar potenziell wahrheitserweiternd, allerdings aber auch immer unsicher, weil die Basis des konkret Beobachteten und logisch Eindeutigen verlassen wird. Die Induktion ist in einer anwendungsorientierten Wissenschaft wie der Betriebswirtschaft legitim und als hermeneutisch-dialektischer Forschungsansatz weitgehend akzeptiert. Bei einem quantitativen Forschungsansatz wird basierend auf quantitativen Daten mittels großer Stichproben versucht, eine statistische Repräsentativität von Aussagen zu erhalten, während ein qualitativer Forschungsansatz das Ziel hat, beobachtbare Wirklichkeitssegmente zu verstehen und zu deuten.32
27 28
29 30 31
32
Vgl. Ulrich, H. (1984), S. 193 u. Ulrich, H. (2001), S. 17ff. Vgl. Martin, A. (1989), S. 236ff. Zum stark zugenommenen Druck auf die Managementwissenschaften, den Praxisbezug zu erhöhen, vgl. Nicolai, A. T. (2004), S. 99f. Für die Sanierungsforschung, vgl. Bitter, G., Depré, P. (2006), Editorial. Vgl. Nicolai, A. T. (2004), S. 108. Vgl. auch Botan, C. H. (1989), S. 103ff. Vgl. Kubicek, H. (1975), S. 14. Vgl. zum quantitativen und qualitativen Ansatz Bortz, J., Döring, N. (2005), S. 295ff. Zur deduktiven und induktiven Ermittlungsmethode (für die GoA), vgl. Rückle, D. (1992), S. 757ff. Vgl. Bortz, J., Döring, N. (2005), S. 296.
Methodik und Aufbau der Arbeit
7
Abb. 1.1: Forschungsdesign im Überblick
Unternehmenskrisen
Problemstellung/ Zielsetzung
Sanierung
Theoretischer Bezugsrahmen
StakeholderAnsatz
Analyse bestehender Anforderungen • Quantitative u. qualitative Inhaltsanalyse
Experteninterviews
Übergreifende Analyse
Ableitung zukünft. Anforderungen & Entwicklung eines Leitfadens
• Problemzentrierte, leitfadengestützte Interviews
• Anwendungsorientierte Arbeit mit hohem Praxis- • Exploratives Forschungsdesign und Mix aus bezug (praxeologisches Wissenschaftsziel) deduktivem und induktivem Vorgehen
Quelle: Eigene Abbildung
In der Forschungspraxis sind deduktives und induktives Vorgehen selten in ihrer Reinform anzutreffen.33 Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, im Sinne der anwendungsorientierten betriebswirtschaftlichen Forschung Handlungsempfehlungen für die Praxis zur Ausgestaltung von Sanierungskonzepten zu geben.34 Damit verfolgt die Arbeit ein praxeologisches Wissenschaftsziel35 und hat explorativen Charakter.36 Aufgrund des explorativen Charakters, der bearbeiteten Forschungsfragen und vor dem Hintergrund, dass weder zu Unternehmenskrisen und deren Bewältigung noch zum Stakeholder-Ansatz eine geschlossene Theorie besteht,37 erweist sich das gewählte Forschungsdesign (vgl. Abb. 1.1) als besonders geeignet. Ein Methoden-
33
34
35
36
37
Vgl. Diekmann, A. (2005), S. 150, Bortz, J., Döring, N. (2005), S. 298f. Zu deduktivem und induktivem Vorgehen im Theoriebildungsprozess vgl. Carlile, P. R., Christensen, C. M. (2005), S. 4f. Für die Ermittlung der GoU vgl. v. Werder, A. (1996b), S. 12. Die Betriebswirtschaftslehre hat als anwendungsorientierte Wissenschaft neben der Erklärung von Unternehmenskrisen auch die Aufgabe, Aussagen zu machen, wie Krisen verhindert bzw. bewältigt werden können, vgl. Schreyögg, G. (2004), S. 27. Zum praxeologischen Wissenschaftsziel vgl. Kubicek, H. (1975), S. 14. Während ein theoretisches Wissenschaftsziel auf empirisch gehaltvolle und generelle Erklärungen für beobachtete Phänomene abzielt (Warum-Fragen), steht bei einem praxeologischen Wissenschaftsziel die Formulierung von Gestaltungsmöglichkeiten oder Gestaltungsempfehlungen (Wie-Fragen) im Vordergrund, vgl. Kieser, A., Kubicek, H. (1983), S. 58ff. Explorative Forschung zielt im Gegensatz zur konfirmativen Forschung, die Hypothesen über Strukturen und Zusammenhänge überprüft, auf die Erkundung neuer Strukturen ab. Die abgeleiteten Handlungsempfehlungen dienen der Verbesserung und Erweiterung des Verständnisses des Untersuchungsgegenstandes, vgl. Kubicek, H. (1975), S. 39. Vgl. zur explorativen Forschung auch Diekmann, A. (2005), S. 30f. Vgl. (Unternehmenskrise) Krystek, U. (1987), S. 2 u. 34, Hauschildt, J. , Grape, C., Schindler, M. (2006), S. 11 und (Stakeholder-Ansatz) Jones, T. M., Wicks, A. (1999), S. 206ff. u. Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 95ff.
8
Grundlegung
mix aus deduktivem und induktivem Vorgehen ist gerade in diesem Fall als besonders erfolgversprechend anzusehen.38 Als Basis der Arbeit wird ein theoretischer Bezugsrahmen aus der Forschung zu Unternehmenskrisen, zur Sanierung als Form des Krisenmanagements sowie zum Stakeholder-Ansatz erarbeitet.39 Daran schließt sich eine systematische Analyse bestehender Anforderungen an Sanierungskonzepte und ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen an. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die konkreten bzw. speziellen betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte,40 die mittels einer zweistufigen Bewertungsmethodik nach der strukturierten quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse untersucht und bewertet werden (vgl. Abb. 1.2). Abb. 1.2: Bewertungsmethodik für die konkreten betriebsw. Anforderungen 1 Quantitative Bewertung (Gewichtung der Kapitel) • Normierung der Seiten/Elemente auf einheitliche Kapitel • Gewichtung der Kapitel (über Seiten bzw. Elemente)
2 Qualitative Bewertung (Bewertung anhand der IDW-Grundsätze) • Vollständigkeit • Wesentlichkeit • Klarheit/Übersichtlichkeit
Quelle: Eigene Abbildung
Während bei einer strukturierten quantitativen Inhaltsanalyse das Auszählen und Bewerten sowie Inbeziehungsetzen von Textelementen im Vordergrund steht, ist es das Ziel der strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse, nach zuvor festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Analysematerial zu legen und das Material aufgrund einschlägiger Kriterien einzuschätzen.41 In der ersten Stufe der Bewertungsmethodik (quantitative Inhaltsanalyse) werden die Kapitel anhand der aus der Theorie abgeleiteten Kapitelgliederung eines Sanierungskonzepts vorge38
39
40 41
Das gewählte Vorgehen inkl. der Art der ausgewerteten Quellen (relevante Rechtsprechung, Forschungsergebnisse aus Betriebswirtschaft und Rechtswissenschaft sowie Veröffentlichungen bzw. Stellungnahmen berufsständischer Institutionen oder ähnliche Quellen) entspricht weitgehend dem Vorgehen zur Ermittlung der GoU, vgl. v. Werder, A. (1996b), S. 11f. Vgl. auch Rückle, D. (1992), S. 757ff. u. Botan, C. H. (1989), S. 104. Für den qualitativen Ansatz spricht weiterhin, dass die Aussagekraft traditionell-quantitativer Forschungsmethodik bei explorativer Forschung relativ begrenzt ist, vgl. Eisenhardt, K. (1989b), S. 532ff. Ein theoretischer Bezugsrahmen als zentrales Element der Explorationsstrategie dient zur Erläuterung des theoretischen Vorverständnisses und als Orientierungshilfe für die systematische Erfahrungsgewinnung, vgl. Welge, M. K. (1980), S. 60f. Vgl. auch Kirsch, W. (1984), S. 752. Vgl. zur Unterscheidung von konkreten bzw. speziellen und generellen Anforderungen Kap. 3.1. Vgl. zur strukturierten (primär qualitativen) Inhaltsanalyse Mayring, P. (2002), S. 114ff.
Methodik und Aufbau der Arbeit
9
geben. Anschließend wird nach einer Normierung der analysierten Anforderungen die Gewichtung der einzelnen Kapitel anhand der Anzahl der Seiten bzw. der erfassten inhaltlichen Elemente ermittelt.42 In der zweiten Stufe (qualitative Inhaltsanalyse) erfolgt eine Bewertung der Anforderungen anhand der Grundsätze des IDW für die Erstellung von Sanierungskonzepten.43 Zur Validierung und Verfeinerung der durch die Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse sowie zur Gewinnung zusätzlicher Erkenntnisse – vor allem zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten – schließt sich eine Expertenbefragung an.44 Als Experten werden hier Personen verstanden, die auf dem Gebiet der Unternehmenssanierung seit längerer Zeit in leitender Funktion beruflich tätig sind und daher eine besondere Kompetenz besitzen, zur Beantwortung der untersuchten Fragestellung einen Beitrag zu leisten.45 Die Befragung der Experten wurde in Form problemzentrierter, qualitativer und semi-standardisierter Interviews unter Rückgriff auf einen teilweise standardisierten Interviewleitfaden mit offenen Fragestellungen durchgeführt.46 Der Interviewleitfaden enthält alle relevanten Themenkomplexe, die im Rahmen der Interviews behandelt werden und stellt somit das Gerüst der Befragung dar, wobei zur Spezifizierung, Präzisierung und Verfeinerung bestimmter Sachverhalte auch vom Leitfaden abgewichen werden kann.47 Für die hauptsächlich im zweiten Halbjahr 2006 durchgeführten Interviews wurden 16 Experten im Inland sowie im angloamerikanischen Ausland so ausgewählt, dass Investoren, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer, Banken sowie Unternehmensberater vertreten waren.48 Zur Wahrung der Vertraulichkeit wurden anonymisierte Interviewprotokolle angefertigt und die Wiedergabe von Zitaten erfolgt ebenfalls in anonymisierter Form.49 Zur erforderlichen Abbildung einer Vielzahl von relevanten 42
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Die Normierung erfolgt durch Zuordnung der Seiten bzw. inhaltlichen Elementen der untersuchten Anforderungen zu den aus der Theorie abgeleiteten Kapiteln, vgl. Kap. 2.3.3.3. Vgl. zur qualitativen Bewertung im Detail und zu den IDW-Grundsätzen Kap. 3.4.1. Zur Funktion von Experteninterviews vgl. Vogel, B. (1995), S. 74f. Zum Expertenbegriff vgl. Deeke, A. (1995), S. 9, Story, V., Hurdley, L., Smith, G., et al. (2001), S. 494, Gläser, J., Laudel, G. (2006), S. 11 u. Wolf, E. (2002), S. 282. Unter einem problemzentrierten Interview werden alle Formen einer offenen, halbstrukturierten Befragung im Rahmen qualitativer Erhebungsverfahren zusammengefasst, vgl. Mayring, P. (2002), S. 67. Die Befragung mittels eines Interviewleitfadens ist die gängigste Form der qualitativen Befragung, vgl. Bortz, J., Döring, N. (2005), S. 315. Vgl. Vogel, B. (1995), S. 76 u. Gläser, J., Laudel, G. (2006), S. 39f. Durch die teilweise Standardisierung anhand eines Leitfadens kann eine Vergleichbarkeit mehrerer Interviews hergestellt werden, vgl. Mayring, P. (2002), S. 70. Der verwendete Leitfaden findet sich im Anhang. Vgl. das Verzeichnis der Interviewpartner im Anhang. Vgl. zur Notwendigkeit der Anonymisierung Gläser, J., Laudel, G. (2006), S. 271f. Zur Auswertung der Interviewprotokolle wurde die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse angewandt, vgl. Mayring, P. (2002), S. 114ff. u. Gläser, J., Laudel, G. (2006), S. 41ff. Die Wiedergabe der Zitate erfolgt mittels einer Interviewkennung, vgl. das Verzeichnis der Interviews im Anhang.
10
Grundlegung
Aspekten handelt es sich bei der durchgeführten Befragung um eine bewusste Auswahl teilweise entgegengesetzter Positionen50 sowie aus Gründen der Praktikabilität (organisatorisch, finanziell und zeitlich) um eine Teilerhebung.51 Die Interviews, die eine durchschnittliche Dauer von ca. einer Stunde hatten, wurden als persönliche Befragung durchgeführt.52 In einigen Fällen wurden von den befragten Experten weiterführende Dokumente zur Verfügung gestellt.53 Bezüglich der klassischen Gütekriterien quantitativer Forschung bleibt festzuhalten, dass das Kriterium der Validität der Ergebnisse durch die bewusste Auswahl der Experten weitestgehend sichergestellt werden konnte, aber das Kriterium der Reliabilität mittels qualitativer Forschung in der Praxis kaum sinnvoll erfüllt werden kann.54 Insgesamt sind die klassischen Gütekriterien quantitativer Forschung bei qualitativen Forschungsansätzen nur beschränkt anwendbar.55 Aufgrund des stark explorativ geprägten Untersuchungsziels ist zudem das Kriterium der Repräsentativität nicht als oberstes Gebot explorativer Forschung anzusehen, sondern als Gütekriterium ist vielmehr das heuristische Potenzial des Forschungsdesigns zur Gewinnung verbesserter bzw. weiterführender Erkenntnisse anzulegen.56 Zusammenfassend sind problemzentrierte Interviews nach MAYRING besonders für die theoriegeleitete Forschung geeignet, da sie keinen rein explorativen Charakter haben, sondern Aspekte einer vorangegangenen Analyse berücksichtigen. So konnten auch in der vorliegenden Arbeit Erkenntnisse aus dem theoretischen Bezugsrahmen und der durchgeführten quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse der verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte in die Experteninterviews einfließen. Anschließend werden basierend auf den genannten Vorarbeiten generelle Trends und spezielle zukünftigen Anforderungen in Bezug auf Sanierungskonzepte identifiziert und schließlich ein Leitfaden als Handlungsempfehlung zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten unter besonderer Berücksichtigung aktueller Trends in der Sanierung entwickelt.
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55 56
Vgl. zur Analogie der "theoretical categories" bzw. "polar types" bei der Fallstudienauswahl, Eisenhardt, K. (1989b), S. 537 u. Berg, N. (2006), S. 362. Vgl. zur Fallauswahl auch Gläser, J., Laudel, G. (2006), S. 95f. Vgl. Berekoven, L., Eckert, W., Ellenrieder, P. (2004), S. 51. Die eine schriftliche Befragung ergab sich im Rahmen eines persönlichen Interviews zur Klärung eines offenen Sachverhalts mit einem weiteren Experten, vgl. das Verzeichnis der Interviews. Vgl. zu dieser Form der Datengewinnung Thomas, R. J. (1995), S. 11. Die Reliabilität beschreibt die Genauigkeit/Exaktheit des Vorgehens, vgl. Mayring, P. (2002), S. 141f. Vgl. auch Bortz, J., Döring, N. (2005), S. 327. Vgl. Mayring, P. (2002), S. 140ff., der daher methodenspezifische Gütekriterien aufstellt. Vgl. Kubicek, H. (1977), S. 16. Zum Begriff der Repräsentativität vgl. Berekoven, L., Eckert, W., Ellenrieder, P. (2004), S. 50.
Methodik und Aufbau der Arbeit
11
1.3.2 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in sechs Kapitel untergliedert, wobei sich der Aufbau der Arbeit unmittelbar an der verfolgten Problemstellung und Zielsetzung sowie dem gewählten Forschungsdesign orientiert (vgl. Abb. 1.3). Abb. 1.3: Aufbau der Arbeit Grundlegung • Einleitung
• Problemstellung und Zielsetzung (inkl. Forschungsfragen)
• Methodik und Aufbau der Arbeit (inkl. Forschungsdesign)
• Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung • Begriffsbestimmung und Grundlagen • Forschung zum Stakeholder-Ansatz • Agency-Probleme und Lösungen
• Sanierung als Form d. Krisenmanagements • Begriffsbestimmung und Grundlagen • Sanierung zur Bewältigung von Unternehmenskrisen • Das Sanierungskonzept
Theoretischer Bezugsrahmen • Unternehmenskrisen • Begriffsbestimmung und Grundlagen • Forschung zu Unternehmenskrisen
Anforderungen an Sanierungskonzepte • Grundlagen und Kategorisierung • Begriffsbestimmung und Grundlagen • Interdependenzen zwischen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen
• Rechtliche Anforderungen • Generelle Anforderungen (Gesetz/Rechtsprechung) • Spezielle Anforderungen des KWG bzw. der BaFin/MaRisk • Spezielle Anforderungen des Europäischen Beihilferechts • Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte
• Betriebswirtschaftliche Anforderungen • Generelle Anforderungen: IDW-Grundsätze • Spezielle Anforderungen: - Leitfaden der THA - Wirtschaftsprüfer: IDW FAR 1/91, WP-Handbuch, ISA 810 - RBSC-Sanierungsansatz
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte • Zukünftige Bedeutung der untersuchten Anforderungen
• Generelle Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte
• Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten • Vorbemerkungen zum Leitfaden • Konzeption und Funktion • Aufbau des Leitfadens
• Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten • Übergeordnete Anforderungen für alle Kapitel • Ziele und Hintergründe pro Kapitel • Konkrete Anforderungen pro Kapitel (Checklisten mit Erläuterung)
Zusammenfassung und Ausblick
Quelle: Eigene Abbildung
Im ersten Kapitel werden nach einer thematischen Einleitung die Problemstellung und Zielsetzung einschließlich der untersuchten Forschungsfragen sowie die wissenschaftstheoretische Einordnung und das gewählte Forschungsdesign erläutert. Der im Folgenden beschriebene Aufbau der Arbeit bildet den Abschluss des ersten Kapitels. Im zweiten Kapitel wird nach einer Begriffsbestimmung einschließlich grundlegender Erläuterungen bezüglich des Stands der Forschung zu Unternehmenskrisen, zum Stakeholder-Ansatz sowie zur Sanierung als Form des Krisenmanagements der theoretische Bezugsrahmen für die vorliegende Arbeit entwickelt. Dabei werden neben betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen notwendigerweise immer wieder rechtliche Themen bearbeitet. Der Schwerpunkt der Erläuterungen wird auf die Bereiche der beschriebenen Forschungsgebiete gelegt, die für das untersuchte Forschungsvorhaben von besonderer Bedeutung sind.
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Grundlegung
Das dritte Kapitel stellt basierend auf einer Kategorisierung der verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte zunächst die Interdependenzen zwischen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen dar. Anschließend werden sowohl die verschiedenen rechtlichen als auch betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte im Detail betrachtet, wobei der Schwerpunkt des dritten Kapitels auf der Analyse und Bewertung der speziellen bzw. konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte liegt. Im dritten Kapitel werden damit die Forschungsfragen zu bestehenden Anforderungen an Sanierungskonzepte bearbeitet. Im vierten Kapitel werden die aus den Experteninterviews und der eigenen Arbeit gewonnenen Erkenntnisse bezüglich zukünftiger Anforderungen an Sanierungskonzepte dargestellt. An eine Beurteilung der wesentlichen bereits in Kapitel 3 untersuchten Anforderungen an Sanierungskonzepte hinsichtlich ihrer zukünftigen Bedeutung schließt sich eine Darstellung genereller Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte sowie spezieller zukünftiger Anforderungen an Sanierungskonzepte an. Im fünften Kapitel wird basierend auf den durchgeführten Vorarbeiten der Kapitel 1 bis 4 ein Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten entwickelt. Nach einer kurzen Erläuterung zu Konzeption, Funktion und Aufbau des Leitfadens werden zunächst kapitelübergreifende Anforderungen dargestellt, bevor dann konkrete Anforderungen an Sanierungskonzepte erarbeitet werden. Pro Kapitel eines Sanierungskonzepts werden jeweils Ziele und Hintergründe beschrieben sowie detaillierte Checklisten mit zu berücksichtigenden inhaltlichen Elementen entwickelt und umfassend erläutert. Im vierten und fünften Kapitel werden somit die Forschungsfragen behandelt.
zur
zukünftigen
Ausgestaltung
von
Sanierungskonzepten
Das sechste Kapitel fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf mögliche zukünftige Forschungsvorhaben.
2
Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Unternehmenskrisen 2.1.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen 2.1.1.1 Betriebswirtschaftlicher Krisenbegriff Der Begriff Krise kommt etymologisch von dem griechischen "krisis" (Wendepunkt, Entscheidung) und bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch jeglichen Bruch einer bis dahin kontinuierlichen Entwicklung.57 Der Begriff der Unternehmenskrise leitet sich aus dem allgemeinen Krisenbegriff ab. Obwohl in der betriebswirtschaftlichen Literatur eine Vielzahl von Definitionsansätzen existiert,58 haben sich folgende Elemente als zentral für eine Unternehmenskrise herausgebildet:59 •
Nachhaltige ungeplante und ungewollte Existenzgefährdung für das gesamte Unternehmen, die den Existenzverlust mit einschließt.
•
Ambivalenz des Ausgangs, d.h. im Extremfall ist die Vernichtung des Unternehmens ebenso möglich wie eine erfolgreiche Krisenbewältigung.
•
Gefährdung dominanter Ziele,60 durch die die Krise für das Unternehmen erst sichtbar wird.
•
Prozesscharakter der Krise, d.h. eine Krise ist als zeitlich begrenzter Prozess zu verstehen, wobei der Beginn der Krise meist nur aus der subjektiven Sicht des betroffenen Unternehmens wahrnehmbar ist.
•
Begrenzte Steuerbarkeit der Krise, d.h. eine Beeinflussung des autonomen Ablaufs von Krisen zumindest in Grenzen ist zwar möglich, stellt aber gleichzeitig einen hohen Anspruch an die in Krisen erforderliche Führungsqualität.
Neben anderen Elementen wird vielfach der bestehende Zeit- und Handlungsdruck als weiteres zentrales Element von Unternehmenskrisen genannt.61 In der Literatur 57 58 59
60
61
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 3f., Krystek, U. (2002), S. 88. Vgl. zur Vielzahl von Definitionsansätzen David, S. (2001), S. 22 mit weiteren Quellen. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 6, Krystek, U. (2002), S. 88, David, S. (2001), S. 22f., Müller, R. (1986), S. 19. Vgl. zu ähnlichen Definitionen aus der US-amerikanischen Literatur Barton, L. (1993), S. 3, Pearson, C. M., Clair, J. (1998), S. 60. Unter dominanten Ziele sind der Ausschluss der Insolvenzgründe (insb. die Aufrechterhaltung der jederzeitigen Zahlungsfähigkeit), die mittel- bis langfristige Erzielung einer Mindestrendite bzw. -gewinns sowie letztlich die Fähigkeit des Erhalts und Aufbaus von Erfolgspotenzialen zu verstehen, vgl. Krystek, U. (1987), S. 6f. Zu Erfolgspotenzialen, vgl. Gälweiler, A. (1987), S. 26. Vgl. z.B. David, S. (2001), S. 23, Gunzenhauser, P. (1994), S. 8, Stadlbauer, K. (1991), S. 12. Neben Zeitdruck bzw. Stress können Überraschung, Ambiguität und der Verlust von Handlungsmöglichkeiten bestimmte Phasen von Unternehmenskrisen kennzeichnen, ohne jedoch Unternehmenskrisen generell zu charakterisieren, vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 27f.
14
Theoretischer Bezugsrahmen
hat sich die Definition von KRYSTEK durchgesetzt, der Unternehmenskrisen unter Berücksichtigung der oben genannten zentralen Begriffselemente wie folgt zusammenfassend definiert:62 "Unternehmungskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung bestimmter Ziele (dominanter Ziele), deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung der Unternehmung als selbstständig und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmender Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck- und Zielsetzungen." Die für eine Krise erforderliche Existenzgefährdung bedeutet aber nicht zwangsläufig die Vernichtung des Unternehmens, sondern die im Krisenbegriff enthaltene Chance zur positiven Wende ist als wesentlicher Bestandteil des Krisenbegriffs anzusehen.63 Der Begriff der Unternehmenskrise ist von den Begriffen Konflikt, Störung, Katastrophe und Risiko abzugrenzen, die mit scheinbar ähnlichem Inhalt verwendet werden.64 Konflikte sind latente oder manifeste Gegensätzlichkeiten in der Regel zwischen Personen oder Personengruppen, die nicht zwangsläufig zur Gefährdung dominanter Unternehmensziele führen. Zur Nutzbarmachung ihres konstruktiven Potenzials werden Konflikte in bestimmten Organisationsformen wie z.B. der Matrixorganisation sogar zeitlich unbegrenzt institutionalisiert, während Krisen immer ungewollt und ungeplant sind, überwiegend dysfunktionale Wirkungen haben und zeitlich begrenzt sind. Die Mehrzahl von Konflikten in Unternehmen führt nicht zu Krisen in dem Sinn, wie er in dieser Arbeit definiert ist.
62
63 64
Krystek, U. (1987), S. 6f. Im Fall internationaler Unternehmen kann der Krisenbegriff dahingehend erweitert werden, dass nicht nur überlebenskritische Prozesse des Gesamtsystems, sondern auch überlebenskritische Prozesse in Subsystemen wie Tochtergesellschaften wegen ihrer destruktiven Infektionswirkung als Unternehmenskrisen zu bezeichnen sind, vgl. dazu Hahn, D., Krystek, U. (1989), S. 1221. Eine Unternehmenskrise kann zudem als Abweichung von der unternehmerischen Normalsituation beschrieben werden. Diese Normalsituation lässt sich nur sehr vage charakterisieren und es existiert eine Grauzone zwischen der Normal- und der Ausnahmesituation. Die Normalsituation ist nach KRYSTEK durch einen dynamischen Gleichgewichtszustand gekennzeichnet, in dem Chancen und Risiken etwa ausgeglichen sind und in dem die wesentlichen Faktoren der zumindest kurz- und mittelfristigen Unternehmensentwicklung (Umsatz, Ergebnis, Liquidität) in jedenfalls hinreichendem Umfang realisierbar erscheinen. Vgl. Krystek, U. (1989b), S. 31. Vgl. dazu auch Staehle, W. (1993a), S. 2454ff. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 97, Witte, E. (1981), S. 11. Vgl. auch Müller, R. (1986), S. 622ff. Vgl. im Folgenden Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 28ff., Krystek, U. (1987), S. 7ff. u. Müller, R. (1986), S. 46.
Unternehmenskrisen
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Störungen sind Dysfunktionalitäten im betrieblichen Aufbau oder Ablauf, die z.B. in Form negativer Funktionsabweichungen bei Maschinen oder maschinellen Anlagen als Folge endogen oder exogen auf ein Unternehmen einwirkender Störgrößen auftreten. Da sich das Gefährdungspotenzial von Störungen nicht auf dominante Ziele auswirken muss, können Störungen als zeitlich begrenzte Dysfunktionalitäten im Rahmen des normalen Unternehmensgeschehens angesehen werden, die das Problembewältigungspotenzial des Unternehmens in der Regel nicht überfordern. Unternehmenskrisen können in einem frühen Krisenstadium als Störungen auftreten bzw. es ist möglich, dass sich Störungen im Laufe der Zeit durch Zusammenwirken mit anderen Störungen zu einer Krise entwickeln. Katastrophen sind verhängnisvolle Ereignisfolgen, deren Wirkungen entweder nicht voraussehbar oder nicht abwendbar sind. Im Gegensatz zu Unternehmenskrisen, die bezüglich des Ausgangs ambivalent sind, sind Katastrophen einseitig als entscheidende Wendung zum Schlimmen mit verheerendem Ausgang zu verstehen. Katastrophen können als äußerste Ausprägung von Krisen angesehen werden, die als unvorhersehbare und unabwendbare Krisen häufig den Fortbestand des Unternehmens unmöglich machen.65 Risiken begleiten wie Chancen jedes unternehmerische Handeln und lassen sich allgemein als Gefahr der Nichterreichung von gesetzten Zielen interpretieren.66 Im KonTraG werden Risiken in bestandsgefährdende und wesentliche Risiken unterteilt, die weiterhin von relevanten und unwesentlichen Risiken zu unterscheiden sind.67 Auch wenn bei der Festlegung des Risikobegriffs im KonTraG weder der Verlustbegriff noch die kritischen Grenzen gesetzlich näher bestimmt werden, wird inhaltlich dennoch auf überlebenskritische Risiken im Sinne der obigen Definition von Unternehmenskrisen abgestellt.68 Eine Unternehmenskrise besteht in der bewussten Ausdehnung des Risikobegriffs auf die Gefahr des Scheiterns von Unternehmen durch Verfehlen dominanter Ziele.69 Es lässt sich also eine besonders enge Verbindung von Risiken und Unternehmenskrisen erkennen70 und Unternehmenskrisen können allgemein als eine Folgeerscheinung von Unternehmensrisiken angesehen werden.71 Lediglich die unwesentlichen Risiken (Detailrisiken, die keinen bedeu-
65
66 67 68 69 70 71
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 9. Anderer Ansicht ist CLASEN, da bei Katastrophen keine Handlungsmöglichkeiten mehr bestehen und das Ende des Unternehmens bereits feststeht, vgl. Clasen, J. P. (1992), S. 76. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 30. Zur Risikodefinition vgl. Hahn, D. (1987), S. 137. Vgl. zur Abgrenzung verschiedener Risikobegriffe Fiege, S. (2006), S. 48ff. Vgl. Krystek, U. (1999), S. 146. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 87. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 30. Vgl. Kihm, A. (2006), S. 38.
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Theoretischer Bezugsrahmen
tenden Einfluss auf die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens haben) sind als krisenfreie Risiken zu interpretieren.72 2.1.1.2 Rechtlicher Krisenbegriff Der Begriff der Krise wird in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ebenso häufig verwendet wie in der Betriebswirtschaft und ist daher auch ein Begriff des Rechtsalltags.73 Allerdings existiert keine einheitliche Definition der rechtlichen Krise74 und die verschiedenen Gesetze verwenden den Begriff der Krise nicht, sondern knüpfen ihre Rechtsfolgen an eigene Tatbestände, in denen jeweils besondere Krisenmerkmale eine Rolle spielen (eine Ausnahme bildet die Legaldefinition im GmbHG).75 Zur Konkretisierung des normativen Maßstabs der Legaldefinition haben Lehre und Rechtsprechung als wesentliches Kriterium einer Krise die Kreditunwürdigkeit herausgearbeitet, die dann vorliegt, wenn eine Gesellschaft von dritter Seite keinen Kredit zu marktüblichen Konditionen mehr erhält und ohne Kapitalzufuhr liquidiert werden müsste.76 UHLENBRUCK definiert, dass eine Unternehmenskrise im rechtlichen Sinn dann gegeben ist, wenn sich die betriebswirtschaftliche Krise derart manifestiert hat, dass sie Pflichten der organschaftlichen Vertreter und der Gesellschafter auslöst, die der Gesetzgeber im Interesse des Gläubigerschutzes normiert hat.77 Im Gegensatz dazu liefert der Gesetzgeber im § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG folgende Legaldefinition:78 (1) Hat ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), statt dessen ein Darlehen gewährt, so kann er den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur als nachrangiger Insolvenzgläubiger geltend machen.
72
73
74 75 76
77 78
Relevante Risiken (Schwerpunktrisiken) können unter bestimmten Voraussetzungen zu wesentlichen oder sogar bestandsgefährdenden Risiken werden und sind daher in den Krisenbegriff einzubeziehen, vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 30. Vgl. Lutter, M., Hommelhoff, P. (2000), § 32a/b GmbHG Rn. 18ff., Maus, K. H. (2003), S. 14, Wittig, A. (2003b), S. 218, BGH (1998b), Rn. 7. Vgl. Uhlenbruck, W. (2006), S. 587, Pannen, K., Deuchler, I., Kahlert, G., et al. (2004), S. 1. Vgl. Reuter, A. (2003), S. 1797, der von einem "Krisenrecht" im Vorfeld von Insolvenzen spricht. Vgl. Maus, K. H. (2003), S. 14, Picot, G. (1998), S. 1098, Müller, H.-F. (2004), §19 InsO Rn. 57ff. Die Kreditunwürdigkeit setzt einen konkreten Kreditbedarf voraus. Allerdings ist die eigenkapitalersetzende Kapitalzufuhr nicht ausschließlich am Kriterium der Kreditunwürdigkeit zu messen, vgl. Lutter, M., Hommelhoff, P. (2000), § 32a/b GmbHG Rn. 18. Vgl. Uhlenbruck, W. (2006), S. 587. Mit der Modernisierung des GmbH-Rechts soll der § 32a GmbHG entfallen und das Sanierungsprivileg in der Insolvenzordnung geregelt werden. Dort taucht der Begriff Krise nicht mehr im Gesetzestext auf (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO-E), vgl. Noack, U. (2006), S. 1480.
Unternehmenskrisen
17
Die Klassifizierung eines Gesellschafterdarlehens als Eigenkapital gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG beruht nicht auf dem Vorwurf, dass ein Gläubiger nicht auf die notwendige Kapitalerhöhung hingewirkt hat, sondern begründet sich damit, dass ein Gesellschafter, der sich für eine Kapitalzufuhr entschieden hat, die für ihn scheinbar weniger riskante Form der Kapitalzufuhr als Darlehen wählt, obwohl aufgrund der Vermögenslage der Gesellschaft die Zufuhr von Eigenkapital erforderlich gewesen wäre und ein außenstehender Geldgeber unter sonst gleichen Voraussetzungen nicht bereit gewesen wäre, der Gesellschaft einen Kredit zu denselben Bedingungen zu gewähren.79 Abzustellen ist also nicht auf die Wahlfreiheit der Kapitalzufuhr als Darlehen oder Einlage, sondern auf einen finanziellen Beitrag überhaupt mit dem Risiko seiner Inanspruchnahme als haftendes Kapital und dem Absehen von jeglicher Finanzhilfe, was die sofortige, für die Gläubiger unter Umständen günstigere Liquidation der Gesellschaft zur Folge haben kann.80 Trotz der Legaldefinition bereitet der Krisenbegriff in der Rechtswissenschaft wegen der Feststellung des Krisenbeginns und damit des risikoträchtigen und eine potenzielle Haftung auslösenden Zeitpunkts erhebliche Schwierigkeiten.81 So stellt z.B. SCHÄFFLER fest, dass die Legaldefinition bei der Beurteilung einer möglichen Insolvenzverschleppung nicht weiterhilft, da es gerade nicht darum geht, dass sich eine Gesellschaft in einer Situation befindet, in der sie kein Fremdkapital mehr von Dritten bekommt (Legaldefinition), sondern die Frage zu beantworten ist, ob in der aktuellen Situation der Gesellschaft noch Kredite durch Dritte vergeben werden dürfen.82 Letztlich ist der Beginn des risikoträchtigen Zeitraums und damit der rechtliche Beginn einer Unternehmenskrise eine Einzelfallentscheidung. In Anlehnung an die rechtliche Konkretisierung kann aus Bankensicht eine Krise als eine Situation beschrieben werden, in der das Unternehmen vom Markt nicht mehr als selbstständige bzw. selbsttragende Kreditadresse angesehen wird.83
79 80 81
82 83
Vgl. BGH (1984), S. 1895. Vgl. BGH (1984), S. 1895 mit weiteren Nachweisen. Vgl. Lutter, M., Hommelhoff, P. (2000), § 32a/b GmbHG Rn. 18, Müller, H.-F. (2004), § 19 InsO Rn. 55, Hass, H., Schreiber, S., Tschauner, H. (2006), S. 852f. Vgl. Schäffler, F. (2006), S. 57. Vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 664. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau definiert im Zusammenhang mit Rettungsbeihilfen analog ein Krisenunternehmen als Unternehmen, das nicht in der Lage ist, mit eigenen finanziellen Mitteln oder Fremdmitteln Verluste einzudämmen, die das Unternehmen auf kurze oder mittlere Sicht so gut wie sicher in den wirtschaftlichen Untergang treiben werden, vgl. Gramlich, D., Walz, H. (2005), S. 1210.
18
Theoretischer Bezugsrahmen
2.1.2 Forschung zu Unternehmenskrisen 2.1.2.1 Überblick der Forschung zu Unternehmenskrisen Die Feststellung von KRYSTEK aus dem Jahr 1987, dass eine "gültige und geschlossene Theorie" der Unternehmenskrise in der Betriebswirtschaft bisher nicht existiert, trifft auch heute – rd. 20 Jahre später – immer noch zu.84 Allerdings werden in der betriebswirtschaftlichen Forschung zur Ergründung dieses komplexen Phänomens neben der bereits erfolgten Begriffsbestimmung (Kap. 2.1.1) verschiedene einzelne Aspekte von Unternehmenskrisen untersucht, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden: (1) (2) (3)
Verlauf von Unternehmenskrisen (Kap. 2.1.2.2) Ursachen von Unternehmenskrisen (Kap. 2.1.2.3) Wirkungen von Unternehmenskrisen (Kap. 2.1.2.4)
Gegenstand der Forschung zum Verlauf von Unternehmenskrisen ist eine Beschreibung möglicher Verlaufsformen sowie die Zerlegung und Darstellung des Krisenprozesses in einzelne Phasen mit unterschiedlichen Charakteristika. Dadurch kann die Komplexität von Krisenprozessen verringert werden und das Phasenmodell dient zudem als Ausgangspunkt für die verschiedenen Formen des Krisenmanagements.85 Die Ansätze der betriebswirtschaftlichen Krisenursachenforschung sind bezüglich ihrer Zielsetzung, Methodik und Aussage uneinheitlich, können aber in eine quantitative und qualitative Forschungsrichtung unterteilt werden.86 Grundsätzlich zielt die Krisenursachenforschung im betriebswirtschaftlichen Sinn auf die Ermittlung und Darstellung spezifischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge87 ab, um eine allgemeine Erklärung für das Entstehen von Unternehmenskrisen zu erhalten.88 Damit liefert die Krisenursachenforschung wesentliche Hinweise sowohl zur Vermeidung als auch zur Bewältigung von Unternehmenskrisen. Die betriebswirtschaftliche Forschung zu Wirkungen von Unternehmenskrisen untersucht die destruktiven und konstruktiven Wirkungen von Unternehmenskrisen, die selten auf das Krisenunternehmen beschränkt bleiben, sondern häufig auch das ein Unternehmen umgebende System bzw. dessen Teile betreffen.89 Für eine erfolgreiche Bewältigung von Unternehmenskrisen ist das Erkennen der möglichen 84
85 86 87 88 89
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 2, Hauschildt, J. (2006b), S. 28 , Freiling, J. (2005), S. 76, Hommel, U., Knecht, T., Wohlenberg, H. (2006), S. 36. Vgl. zum Krisenmanagement Kap. 2.3. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 90. Vgl. Töpfer, A. (1986), S. 159ff. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 32f., Krystek, U. (2006b), S. 51. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 72. Vgl. zum Unternehmen als System auch Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 7ff.
Unternehmenskrisen
19
Auswirkungen einer Unternehmenskrise auf die Stakeholder und deren frühzeitige Einbeziehung in den Prozess der Krisenbewältigung von besonderer Bedeutung.90 2.1.2.2 Verlauf von Unternehmenskrisen Unternehmenskrisen als Prozesse können anhand ihres zeitlichen Verlaufs durch Phasenmodelle beschrieben werden. Als Verlaufs- bzw. Phasenmodelle von Unternehmenskrisen, die in der Literatur am weitesten verbreitet sind, können die Modelle von MÜLLER und KRYSTEK genannt werden, die untereinander kompatibel sind.91 Phasenmodelle von Unternehmenskrisen liefern wichtige Erkenntnisse für Maßnahmen zur Krisenvermeidung bzw. -bewältigung, da die Einteilung der Phasen über das Ausmaß der Bedrohung und die verfügbare Zeitspanne zur Krisenvermeidung und -bewältigung (MÜLLER) bzw. über die Aggregatzustände und die mögliche Beeinflussbarkeit des Krisenprozesses (KRYSTEK) erfolgt. MÜLLER unterteilt den Prozess von Unternehmenskrisen nach den oben genannten Kriterien einer Bedrohung von Unternehmenszielen und der zur Krisenvermeidung bzw. -bewältigung verfügbaren Zeitspanne in die folgenden vier Phasen: 92 •
Strategische Krise (Phase 1)
•
Erfolgskrise93 (Phase 2)
•
Liquiditätskrise (Phase 3)
•
Insolvenz (Phase 4)
Strategische Krise (Phase 1) Bei einer strategischen Krise sieht sich das Unternehmen einer sogenannten strategischen Lücke gegenüber, d.h. der Aufbau und/oder die Verfügbarkeit von Erfolgspotenzialen des Unternehmens sind ernsthaft gefährdet. Unter einem Erfolgspotenzial sind allgemein alle produkt- und marktspezifischen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens und damit die Grundlage seiner Wettbewerbsposition zu verstehen.94 Die für das Vorliegen einer strategischen Krise erforderliche Existenzbedrohung ergibt sich aus der Notwendigkeit der Wiedererlangung des Erfolgs90 91
92 93 94
Vgl. Kap. 2.2. Vgl. zu anderen Phasenmodellen Krystek, U. (1987), S. 21ff. Ein weiteres Phasenmodell nach Aggregatzuständen und Beeinflussbarkeit mit fünf Phasen findet sich bei TÖPFER, vgl. Töpfer, A. (1999), S. 58ff. Zu Phasenmodellen in der US-amerikanischen Literatur vgl. Bibeault, D. B. (1998), S. 203 (drei Phasen: Declining Business Position, Continuing Losses, Survival). Vgl. im Folgenden Müller, R. (1986), S. 54ff. Vgl. auch Hauschildt, J. (2005), S. 2. Die Erfolgskrise wird auch als Ergebnis- oder Ertragskrise sowie als operative Krise bezeichnet. Vgl. Gälweiler, A. (1987), S. 26. Als Beispiele für die Gefährdung von Erfolgspotenzialen können der Verlust eines Technologievorsprungs oder der (erhebliche) Rückgang von Marktanteilen genannt werden, wobei nicht jeder Verlust von Erfolgspotenzialen existenzbedrohend ist, vgl. Gless, E. S. (1996), S. 13ff.
20
Theoretischer Bezugsrahmen
potenzials sowie den damit verbundenen Kosten (z.B. für Forschung und Entwicklung, Optimierung der Fertigung oder Neuausrichtung des Vertriebs) und nicht aus bereits angefallenen Verlusten, die in der Regel erst zeitversetzt auftreten, wenn Erfolgspotenziale verloren gegangen sind.95 Erfolgskrise (Phase 2) Bei einer Erfolgskrise werden Erfolgsziele wie z.B. Gewinn, Rentabilität oder Umsatz dauerhaft deutlich unterschritten. Nach BÖCKENFÖRDE ist für eine Erfolgskrise charakteristisch, dass die dauerhaften Verluste das Eigenkapital belasten und im Rahmen einer Ergebniskrise zu einer Unterbilanz bzw. Überschuldung führen können.96 Liquiditätskrise (Phase 3) Eine Liquiditätskrise liegt vor, wenn für ein Unternehmen ernsthaft die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung besteht. In dieser Phase gilt es also, die Insolvenztatbestände laufend im Auge zu behalten.97 Insolvenz (Phase 4) Die Insolvenz bildet einen Sonderfall des Krisenprozesses, da das Unternehmen dann illiquide und/oder überschuldet ist und damit ein dominantes Ziel des Unternehmens bereits verfehlt wurde.98 Dennoch besteht unter bestimmten Voraussetzungen auch in dieser Phase die Möglichkeit, das Unternehmen als Ganzes bzw. substanzielle Teile mit der bisherigen Ziel- und Zwecksetzung zu erhalten. Nach MÜLLER stellen Unternehmenskrisen in rd. 60% der Fälle einen lang andauernden Erosionsprozess dar, bei dem zuerst Erfolgspotenziale verfallen bzw. verloren gehen (strategische Krise), dann Verluste auftreten (Erfolgskrise) und schließlich die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eintritt (Liquiditätskrise).99 Rd. 30% aller Unternehmenskrisen beginnen als Erfolgskrisen und nur 10% in der Spätphase des Krisenprozesses als Liquiditätskrise. Obwohl sich nach dieser Untersuchung Unternehmenskrisen in den meisten Fällen anbahnen, werden Sanierungskonzepte meistens erst in einem relativ späten Krisenstadium (in der
95 96 97 98
99
Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 14. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 19. Vgl. Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 343. Zu den Insolvenztatbeständen vgl. Kap. 3.3.1.1. Vgl. Müller, R. (1986), S. 54f., Krystek, U. (2002), S. 91. Vgl. auch Küting, K. (2005), S. 224. Zu einer anderen Meinung vgl. Schulten, M. F. (1995), S. 33. Vgl. im Folgenden Müller, R. (1986), S. 56. Vgl. zur Darstellung eines typischen Krisenverlaufs (ab der Erfolgskrise) Schmiedel, E. (1984), S. 763f.
Unternehmenskrisen
21
Liquiditätskrise oder kurz davor) erstellt, denn viele Unternehmen reagieren auf sich andeutende Unternehmenskrisen immer noch zu spät.100 KRYSTEK verwendet als Basis für sein Phasenmodell des Krisenprozesses die Aggregatzustände, die Unternehmenskrisen im Prozessverlauf annehmen können, sowie die Beeinflussbarkeit des Krisenprozesses. Danach kann der Krisenprozess in die folgenden vier Phasen unterteilt werden:101 •
Potenzielle Unternehmenskrise (Phase 1)
•
Latente Unternehmenskrise (Phase 2)
•
Akut/beherrschbare Unternehmenskrise (Phase 3)
•
Akut/nicht beherrschbare Unternehmenskrise (Phase 4)
Potenzielle Unternehmenskrise (Phase 1) Die Phase der potenziellen, d.h. der lediglich möglichen, aber noch nicht real vorhandenen Unternehmenskrise kann, da noch keine wahrnehmbaren Krisensymptome vorliegen, als Quasi-Normalzustand eines Unternehmens bezeichnet werden. Diese Phase, in der sich Unternehmen praktisch ständig befinden, stellt den (zumindest gedanklichen) Ausgangspunkt von Unternehmenskrisen dar und hat bezüglich der Steuerbarkeit eine besondere Bedeutung. Durch die gedankliche Vorwegnahme möglicher Unternehmenskrisen und einer darauf aufbauenden Maßnahmendefinition für den Fall des Eintritts einer Krise kann ein wesentlicher Beitrag zur Reduzierung der zeitlichen und sachlichen Anforderungen der Krisenbewältigung erzielt werden. Allerdings ist die Identifikation unternehmensindividuell relevanter potenzieller Unternehmenskrisen schwierig. Latente Unternehmenskrise (Phase 2) Die Phase der latenten Unternehmenskrise ist dadurch charakterisiert, dass die Unternehmenskrise verdeckt bereits vorhanden ist, aber für das betroffene Unternehmen mit dem herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Instrumentarium noch nicht wahrnehmbar ist. Bei Anwendung geeigneter Methoden der Früherkennung kann eine latente Unternehmenskrise identifiziert und durch präventive Maßnahmen aktiv beeinflusst werden.102 In dieser Phase kann auf den Krisenprozess noch in relativ großem Umfang eingewirkt werden und es liegen weder akute Entscheidungs- noch Handlungszwänge vor. 100
101 102
Vgl. Falckenberg, M. (2006), S. 110 mit der Feststellung, dass sich die Reaktionszeit deutlich verbessert hat. Vgl. im Folgenden Krystek, U. (1987), S. 29ff., Krystek, U. (2002), S. 92ff. Vgl. zu Methoden und Systemen der Frühaufklärung Krystek, U., Müller-Stewens, G. (2006), S. 175ff., Krystek, U. (2006a), S. 221ff., Krystek, U. (2005), S. 169ff.
22
Theoretischer Bezugsrahmen
Akut/beherrschbare Unternehmenskrise (Phase 3) Die Phase der akut/beherrschbaren Unternehmenskrise beginnt mit der unmittelbaren Wahrnehmung der destruktiven Krisenwirkungen. Deren Intensität verstärkt sich laufend und hat einen erhöhten Zeitdruck bzw. Entscheidungszwang zur Folge. Im Zeitablauf wird die Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten immer geringer und gleichzeitig erhöhen sich die qualitativen Anforderungen zur Entwicklung wirksamer Problemlösungen (Krisenbewältigungsanforderungen). Zur Bewältigung der akuten Krisensituation werden immer mehr Kräfte des Unternehmens gebunden und alle für die Krisenbewältigung mobilisierbaren Reserven ausgeschöpft. Durch die Kumulation der zur Krisenbewältigung zusammengezogenen Potenziale bzw. Aktionen kann eine negative Signalwirkung entstehen, die die Intensität der destruktiven Krisenwirkungen gegen das Unternehmen noch verstärkt und den Krisenprozess weiter beschleunigt. Trotz des geringer werdenden Handlungsspielraums und den hohen Anforderungen an die Krisenbewältigung kann in dieser Phase noch davon ausgegangen werden, dass das zur Verfügung stehende Krisenbewältigungspotenzial zur Zurückschlagung der eingetretenen akuten Krise ausreicht. Akut/nicht beherrschbare Unternehmenskrise (Phase 4) Die letzte Phase des Krisenprozesses setzt ein, wenn es nicht gelingt, die akute Krise zu beherrschen. Aus Sicht des Krisenunternehmens wird die Krise dann zur Katastrophe, die sich in der manifesten Nichterreichung überlebensrelevanter Ziele ausdrückt, da die Anforderungen der Krisenbewältigung das vorhandene Potenzial zur Krisenbewältigung übersteigen. Durch den fortschreitenden Wegfall von Handlungsmöglichkeiten, den ansteigenden Zeitdruck und die zunehmende Intensität der destruktiven Krisenwirkungen wird die Steuerung des Krisenprozesses unmöglich. Stattdessen wird häufig der Versuch einer improvisierten Beeinflussung des Krisenprozesses unternommen, um spezifische destruktive Wirkungen zu mildern. Bei den dargestellten Phasenmodellen nach MÜLLER und KRYSTEK gilt es zwei Punkte zu beachten. Erstens sind die Phasen des Krisenprozesses hauptsächlich als logische Abfolge von Ereignissen ohne zwingende zeitliche Reihenfolge zu verstehen und zweitens muss der Krisenprozess nicht notwendigerweise alle dargestellten Krisenphasen durchlaufen. Vielmehr kann er einerseits durch geeignete Maßnahmen eines aktiven oder reaktiven Krisenmanagements oder durch Umstände von außerhalb des Unternehmens gestoppt werden und andererseits muss er nicht zwangsläufig in der Phase der potenziellen Unternehmenskrise starten, sondern kann auch (schlagartig) in späteren Phasen, im Extremfall sogar erst in der Phase der akut/nicht beherrschbaren Krise, beginnen.103 Wenn z.B. die von einer Krise 103
Vgl. in diesem Zusammenhang zum Begriff der Ad-hoc-Krise Hülsmann, M. (2005), S. 33ff.
Unternehmenskrisen
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ausgehenden Wirkungen gebannt sind, aber die Krisenursachen noch nicht beseitigt werden konnten, kann der Krisenprozess auch in eine vorgelagerte Phase zurückfallen. Ist das der Fall, handelt es sich um eine nur vorübergehende Beherrschung der Unternehmenskrise. Die beiden vorgestellten Phasenmodelle des Krisenprozesses von MÜLLER und KRYSTEK sind miteinander kompatibel (vgl. Abb. 2.1). Abb. 2.1: Krisenprozessmodelle nach MÜLLER und KRYSTEK
MÜLLER
Strategische Krise Erfolgskrise
KRYSTEK
Liquiditätskrise/Insolvenz
Potenzielle Krise
Latente Krise
Akut/ beherrschbare Krise
Akut/nicht beherrschbare Krise
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Krystek, U. (2002), S. 95
2.1.2.3 Ursachen von Unternehmenskrisen Die betriebswirtschaftliche Forschung beschäftigt sich in unterschiedlicher Zielsetzung, Methodik und Aussage schon lange mit Ursachen von Unternehmenskrisen. Zur Erklärung der Entstehung von Unternehmenskrisen stellt sie dabei auf die Ermittlung und Darstellung spezifischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ab.104 Die Krisenursachenforschung wurde im Rahmen der Betriebswirtschaft bisher hauptsächlich als Insolvenzursachenforschung betrieben. Daran ist zu kritisieren, dass die Erforschung von Insolvenzursachen Erkenntnisse über Unternehmenskrisen, die das Stadium der Insolvenz nicht erreichen haben, unberücksichtigt lässt. Aufgrund ihrer Multikausalität, Mehrstufigkeit und Multilokalität sind die Ursachen von Unternehmenskrisen komplex.105 Unternehmenskrisen haben überwiegend nicht nur eine Ursache, sondern entstehen in der Realität durch das Zusammenwirken vieler krisenverursachender Faktoren (Multikausalität). Außerdem sind die Ursachen von Unternehmenskrisen in der Regel mehrstufige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, bei denen als Ursachen erkannte Ereignisse einer Stufe zu Wirkungen einer nachgelagerten Stufe werden (Mehrstufigkeit). Schließlich sind Unternehmenskrisen bezüglich ihrer Entstehung nur selten einem Entstehungsort zuzuordnen, wobei als Entstehungsort der betriebliche bzw. zwischenbetriebliche (endogene Krisen104 105
Vgl. im Folgenden Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 40ff., Krystek, U. (2002), S. 90f. Darüber hinaus wird in der Literatur noch die Multitemporalität (unterschiedliche Geschwindigkeit einzelner Phasen in Krisenprozessen) genannt, vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 50f.
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Theoretischer Bezugsrahmen
ursachen) sowie der außerbetriebliche angesehen werden kann.
Bereich
(exogene
Krisenursachen)
Die betriebswirtschaftlichen Ansätze der Krisenursachenforschung lassen sich in eine quantitative und eine qualitative Krisenursachenforschung unterscheiden, wobei die qualitative Krisenursachenforschung zu bevorzugen ist.106 Die quantitative Krisenursachenforschung versucht anhand statistischer Daten wie z.B. Branchenzugehörigkeit, Rechtsform, Unternehmensgröße und Unternehmensalter Hinweise auf die Ursachen von Unternehmenskrisen zu ermitteln und unterstellt dabei implizit einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen statistischen Daten und dem Scheitern von Unternehmen. Die qualitative Krisenursachenforschung verwendet eine andere Methodik und versucht durch Befragung von Insolvenzverwaltern, Unternehmen und Unternehmensberatern sowie durch Analyse individueller Krisenverläufe z.B. mittels Gerichtsakten, Sanierungskonzepten und Pressemeldungen von Krisenunternehmen generell gültige Hinweise auf Krisenursachen abzuleiten. Als häufigste endogene Krisenursache können nach der qualitativen Krisenursachenforschung Management- bzw. Führungsfehler genannt werden.107 Diese intuitiv nachvollziehbare Schlussfolgerung ist allerdings insofern problematisch, als sich letztlich jede krisenhafte Unternehmensentwicklung auf fehlerhafte Führungsentscheidungen zurückführen lässt.108 Als bedeutendste exogene Krisenursachen können neben konjunkturellen Fehlentwicklungen vor allem strukturelle Veränderungen im nationalen und internationalen Unternehmensumfeld wie z.B. gesamtwirtschaftlich oder technologisch induzierte Krisenursachen, eine stark zunehmende Diskontinuität109 und Veränderungen im soziopolitischen Umfeld genannt werden. Im Endergebnis lassen sich endogene und exogene Krisenursachen nicht voneinander trennen und bilden jeweils zu unterschiedlichen Anteilen gemeinsam die individuellen Krisenursachen. Als zentrale Frage bleibt allerdings offen, ob sich letztlich nicht alle (auch exogen induzierten) Krisenursachen auf ein mangelndes Adaptionsvermögen der Unternehmensführung und damit auf Management- bzw. Führungsfehler reduzieren lassen.110 Dabei ist zwar zu akzeptieren, dass in vielen Fällen die Anlässe für Unternehmenskrisen außerhalb von Krisenunternehmen liegen. Letztlich aber 106
107
108
109
110
Trotz einiger Schwächen bietet sie am ehesten die Möglichkeit, die komplexen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge an ihrem Ursprung und in ihrem Verlauf zu untersuchen, vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 42. Vgl. Euler Hermes Kreditversicherungs-AG (2006), S. 7 u. S. 20ff. Vgl. zu diesem Absatz Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 51ff. Darüber hinaus widerspricht dieser monokausale Erklärungsansatz der Multikausalität und -lokalität von Krisenursachen, Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 51. Diskontinuitäten sind Ereignisse, die sich negativ auf eine bislang kontinuierliche Entwicklung auswirken, indem sie mittels Störgrößen bisher als stabil angenommene Gesetzmäßigkeiten eines offenen Systems beeinträchtigen, vgl. dazu Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 31. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 52.
Unternehmenskrisen
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sind Fehlreaktionen seitens des Managements auf diese externen Ereignisse für Bestandsgefährdungen von Unternehmen ausschlaggebend.111 Krisenursachen sind damit unzureichende Anpassungsleistungen des Managements an externe Gegebenheiten, aber nicht diese Ereignisse selbst.112 2.1.2.4 Wirkungen von Unternehmenskrisen Die Wirkungen von Unternehmenskrisen beschränken sich in der Regel nicht nur auf das Krisenunternehmen selbst, sondern betreffen häufig auch das ein Krisenunternehmen umgebende System bzw. dessen Teile.113 Trotz ihrer grundsätzlich destruktiven Wirkung können Unternehmenskrisen aber auch konstruktive Wirkungen entfalten.114 Die Wirkungen von Unternehmenskrisen können also nach ihrer Lokalisierung in endogene und exogene und nach ihrer Qualität in destruktive und konstruktive Wirkungen unterschieden werden.115 Während die endogenen Wirkungen von Unternehmenskrisen vor allem bei Arbeitnehmern und Eigenkapitalgebern sichtbar werden, betreffen die exogenen Wirkungen von Unternehmenskrisen hauptsächlich die Gesamtwirtschaft, Fremdkapitalgeber, Lieferanten und Warenkreditversicherer, Kunden, verbundene Unternehmen, Konkurrenten sowie den Staat bzw. die Allgemeinheit.116 Das Ausmaß der destruktiven exogenen Wirkungen von Unternehmenskrisen ist grundsätzlich von der Größe des Krisenunternehmens abhängig und steigt mit zunehmender Größe des Krisenunternehmens an.117 Besonders gravierende destruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen sind die Vernichtung von Arbeitsplätzen sowie finanzielle Verluste bei verschiedenen Gläubigern und beim Staat.118 Sowohl die Vernichtung von Arbeitsplätzen als auch die finanziellen Verluste aufgrund von Unternehmenskrisen werden statistisch nur für Insolvenzen erfasst und damit wird nur ein Teil der gesamten destruktiven Wirkunp0gen wiedergegeben. Im Jahr 2006 wurden in Deutschland rd. 473.000 Arbeitsplätze durch Insolvenz des Arbeitgebers bedroht oder vernichtet (Vorjahr: 563.000 Arbeitsplätze) und es entstand durch Unternehmensinsolvenzen ein Schaden von rd. 31,1 Mrd. EUR (Vorjahr: 37,5 Mrd. EUR).119 Trotz der beschriebenen destruktiven Wirkungen von 111 112 113 114 115
116 117 118 119
Vgl. Krystek, U. (2006b), S. 64. Vgl. Hauschildt, J. , Grape, C., Schindler, M. (2005), S. 6. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 72. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 82, Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 52. Statt der Begriffe endogen und exogen schlägt SCHULTEN zur Lokalisierung der Wirkungen von Unternehmenskrisen die Begriffe extern und intern vor, da endogen bzw. exogen ursprünglich "von innen" bzw. "von außen kommend" bedeutet, die Wirkungen von Unternehmenskrisen aber nach innen (intern) bzw. außen (extern) gerichtet sind. Vgl. dazu Schulten, M. F. (1995), S. 45. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 76ff. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 75. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 96. Vgl. Creditreform (2007a), S. 20.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Unternehmenskrisen darf ihre Kraft zur konstruktiven Wandlung nicht vernachlässigt werden, da Unternehmenskrisen auch die Chance bieten, erstarrte Strukturen aufzubrechen, tiefgreifende Wandlungen durchzuführen sowie neue und zukunftsorientierte Konzepte bzw. Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen.120 Da die Unternehmensführung in Krisensituationen eine höhere Risikobereitschaft hat und daher in Unternehmenskrisen häufiger Prozess- und Produktinnovationen initiiert werden als in krisenfreien Phasen, können Unternehmenskrisen auch Innovationen auslösen.121 Die Wirkung von Unternehmenskrisen auf die verschiedenen Stakeholder wird im nächsten Kapitel im Rahmen der Rolle der Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung beschrieben.
120 121
Vgl. Krystek, U. (2002), S. 87ff. Vgl. Perlitz, M., Löbler, H. (1985), S. 424ff.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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2.2 Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung 2.2.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen 2.2.1.1 Bedeutung der Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung Nach modernem betriebswirtschaftlichem Verständnis werden Unternehmen heute als Instrumente zur bestmöglichen Erreichung von individuellen Zielen der an dem jeweiligen Unternehmen beteiligten Personen bzw. Personengruppen (Stakeholder) verstanden.122 Ein Unternehmen wird mit seiner Vision sowie in seinen obersten Zielen und seinem Handeln daher wesentlich durch die Interessen der mit ihm in Verbindung stehenden Stakeholder geprägt.123 Diese Feststellung gilt zwar grundsätzlich in guten wie in schlechten Zeiten, aber gerade im Fall einer Unternehmenskrise stellen die Stakeholder als Adressaten des Sanierungskonzepts einen wichtigen Erfolgsfaktor für das Gelingen einer Sanierung dar.124 Da im Krisenverlauf der Handlungsspielraum immer weiter abnimmt, wird es für Krisenunternehmen immer wichtiger, die wesentlichen Stakeholder verstärkt in die Krisenbewältigung einzubeziehen.125 In jüngerer Zeit treten in Gestalt internationaler Investoren vermehrt neue Stakeholder in der Sanierung auf, die Finanzierungen für Krisenunternehmen zur Verfügung stellen. Dadurch wird eine internationale Sanierungspraxis in Deutschland immer bedeutender, die im Gegensatz zum bisherigen schwerpunktmäßig konsensgetriebenen und bankenbasierten Vorgehen stärker auf Marktmechanismen beruht. Durch diesen Paradigmenwechsel und die neuen Stakeholder ergeben sich neue Anforderungen an Sanierungskonzepte sowie an Personen, die an Sanierungen beteiligt sind. Die Principal-Agent-Theorie beschreibt eine Reihe von Verhaltensunsicherheiten und mögliche Lösungsmechanismen, die die Interaktionen von Management und Stakeholdern betreffen. Da die Aussagekraft dieser Überlegungen immer dann besonders groß ist, wenn die Beziehungen zwischen den einzelnen Stakeholdern kompliziert sind und eine hohe Unsicherheit herrscht, ist es von großem Interesse, sie im Zusammenhang mit Unternehmenskrisen und Sanierung zu betrachten.126 Diese Ansätze sollen im Folgenden speziell im Hinblick auf die Anforderungen an
122 123
124
125 126
Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 4 u. S. 11ff., Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 4 bzw. S. 341ff. Vgl. auch Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 65, Carroll, A. B., Buchholtz, A. K. (2006), S. 66. Vgl. z.B. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 113, Scherrer, P. S. (2003), S. 71, Krystek, U. (2002), S. 116, Böckenförde, B. (1996), S. 42, Rosenzweig, J. (2006), S. 161ff. Vgl. Kall, T. (1999), S. 52. Vgl. Kap. 2.2.4. Vgl. auch Pernsteiner, H. (2006), S. 465.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Sanierungskonzepte erörtert werden, da sich damit viele Elemente in Sanierungskonzepten bzw. Mechanismen bei der Konzepterstellung erklären lassen.127 2.2.1.2 Shareholder-Ansatz und Principal-Agent-Theorie Der Begriff Shareholder geht auf den englischen Begriff "share" (Aktie, Anteil) zurück und bezeichnet allgemein einen Aktionär bzw. Anteilsinhaber. In der Betriebswirtschaft taucht der Begriff Shareholder vor allem im Zusammenhang mit dem Konzept des Shareholder Value von RAPPAPORT auf, das in der Unternehmenspraxis und betriebswirtschaftlichen Forschung große Beachtung gefunden hat.128 Beim klassischen Shareholder-Ansatz wird ausschließlich das Verhältnis zwischen Aktionären und Topmanagement betrachtet, das als Principal-Agent-Beziehung modelliert wird.129 Nach dem Shareholder-Value-Ansatz ist die systematische Wertsteigerung bzw. Maximierung des Shareholder Value das oberste Ziel für das Topmanagement eines Unternehmens. Dabei steht der geschaffene Shareholder Value (Barwert der prognostizierten Cashflows nach Abzug von Rückzahlungsansprüchen der Fremdkapitalgeber) ausschließlich den Shareholdern zur Verfügung.130 Gemäß dem Shareholder-Value-Ansatz profitieren von wertschaffenden bzw. Shareholder Value maximierenden Unternehmen nicht nur die Eigentümer (Shareholder), sondern auch alle anderen Anspruchsgruppen. Andererseits sind die Interessen aller Anspruchsgruppen gefährdet, wenn es dem Topmanagement nicht gelingt, ausreichend Shareholder Value zu schaffen.131 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Ziele des Managements von denen der Unternehmenseigner abweichen.132 Aus diesem Grund kann im Rahmen des Shareholder-Ansatzes die Principal-Agent-Theorie zur Modellierung der Beziehung von Unternehmenseignern zum Topmanagement herangezogen werden.133 Die Principal-Agent-Theorie geht in ihrem Ursprung auf die Theorie unvollständiger Verträge zurück, die unter anderem von COASE begründet wurde.134 Auf der Grundlage der Definition eines Unternehmens als "nexus of contracts" werden die Beziehungen zwischen Shareholdern (bzw. auch Stakeholdern) und dem Mana-
127 128 129 130 131 132 133
134
Vgl. Kap. 2.2.4 u. Kap. 2.2.5. Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 1. Vgl. auch Jost, P.-J. (2001), S. 86. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 7, Rappaport, A. (1999), S. 3. Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 1. Vgl. auch (Kurzdarstellung) Hahn, D. (2006a), S. 65f. Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 8. Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 3. Die Principal-Agent-Theorie kann in der Betriebswirtschaft auf eine Vielzahl unternehmensrelevanter Fragestellungen angewendet werden, vgl. Jost, P.-J. (2001), S. 32ff. Vgl. Coase, R. H. (1937), S. 386ff., Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5. Vgl. zur PrincipalAgent-Theorie grundlegend Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), Pratt, J. W., Zeckhauser, R. J. (1985) u. Eisenhardt, K. (1989a), S. 58ff.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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gement mittels Verträgen beschrieben.135 Dabei sind explizite Verträge wie z.B. Arbeits- und Lieferantenverträge von impliziten Verträgen wie z.B. dem Versprechen zukünftiger Serviceleistungen oder sicherer Arbeitsplätze zu unterscheiden.136 Implizite Verträge werden grundsätzlich immer dann angewandt, wenn die Ausarbeitung expliziter Verträge aufgrund hoher Komplexität und Unsicherheit der Situation ex ante zu unwirtschaftlich hohen Informations- und Vertragskosten führt.137 Außerdem können implizite Ansprüche aufgrund ihres vagen Charakters nicht von den Gütern bzw. Dienstleistungen, auf die sie sich beziehen, getrennt werden.138 Im Gegensatz zu expliziten Verträgen haben implizite Verträge nur eine geringe rechtliche Verbindlichkeit. Eine Principal-Agent-Beziehung kann daher als "[…] a contract under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involves delegating some decision making authority to the agent […]"139 definiert werden. Die Principal-AgentTheorie bezieht sich also auf die Analyse und Gestaltung von Auftragsbeziehungen zwischen einem Auftraggeber (Prinzipal) und einem Auftragnehmer (Agenten).140 Sie geht davon aus, dass das Ergebnis der Handlungen des Agenten zwar durch seinen Arbeitseinsatz zu beeinflussen ist, aber darüber hinaus auch von externen Faktoren abhängt. Zudem wird unterstellt, dass der Prinzipal die Handlungen des Agenten und die eingetretenen Umweltzustände, die den Erfolg der Handlungen bestimmen, weder kostenlos noch vollständig bestimmen kann, d.h. dass eine asymmetrische Informationsverteilung zu Gunsten des Agenten vorliegt.141 Wenn man die Principal-Agent-Theorie auf den Shareholder-Ansatz anwendet, beauftragen die Eigentümer (Prinzipale) das Management (Agenten) mit der Leitung ihres Unternehmens.142 Als Verhaltensprämissen werden dabei vorausgesetzt, dass die Eigentümer (Prinzipale) risikoneutral sind und nach Maximierung ihrer Kapitalrendite streben, während das Management (Agenten) risikoavers ist und streng
135
136
137
138 139 140 141 142
Vgl. Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 310, Jones, T. M. (1995), S. 407, Eisenhardt, K. (1989a), S. 58, Jost, P.-J. (2001), S. 13. Vgl. zu expliziten und impliziten Verträgen im Folgenden Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5f. Explizite und implizite Verträge sind als eine Einheit zu betrachten, d.h. Verträge zur Beschreibung der Beziehung zwischen Shareholdern (bzw. Stakeholdern) und dem Management können jeweils explizite und implizite Bestandteile enthalten. D. h. "[…] they are too nebulous and state contingent to reduce to writing at a reasonable cost […]", vgl. Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 6. Vgl. Spremann, K. (1990), S. 570. Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 308. Vgl. auch Göbel, E. (2002), S. 99. Vgl. Elschen, R. (1991), S. 1004. Vgl. Elschen, R. (1988), S. 248. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 7, Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 131f. u. Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 308.
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Theoretischer Bezugsrahmen
opportunistisch handelt.143 Da das Management weitgehende Verfügungsrechte und Informationsvorsprünge gegenüber den Eigentümern besitzt, kann es das Unternehmensvermögen zu seinem eigenen Vorteil und zum Nachteil der Eigentümer einsetzen.144 Die Principal-Agent-Theorie beschreibt in Form der Adverse Selection und des Moral Hazard zwei wesentliche Verhaltensunsicherheiten (Agency-Probleme), während das Problem des Hold Up in der Principal-Agent-Theorie nur vereinzelt berücksichtigt wird (vgl. Abb. 2.2).145 Abb. 2.2: Verhaltensunsicherheiten der Principal-Agent-Theorie Agency-Problem
Problemtyp
Entstehungszeitpunkt
Adverse Selection
• Hidden Characteristics
• Vor Vertragsschluss
Moral Hazard
• Hidden Action • Hidden Information
• Nach Vertragsschluss
Hold Up
• Hidden Intention
• Nach Vertragsschluss
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Göbel, E. (2002), S. 100
Adverse Selection beschreibt das Risiko der Auswahl ungeeigneter Vertragspartner und beruht auf Informationsasymmetrien vor Vertragsschluss. Hintergrund ist das Problem der Hidden Characteristics, d.h. der Agent verfügt über Informationen, die dem Prinzipal nicht zugänglich sind und die vom Agenten dadurch, dass er z.B. bestimmte Tatsachen verschweigt, als Wissensvorsprung ausgenutzt werden. Für den Prinzipal besteht also das Risiko, dass er wesentliche Eigenschaften des Agenten bzw. der vom Agenten angebotenen Güter und Dienstleistungen nicht kennt. Dies kann das Zustandekommen von Leistungsbeziehungen verhindern und im Extremfall zu einem Marktversagen führen. 146 Als Moral Hazard wird der Anreiz für den Agenten verstanden, durch versteckte Handlungen bzw. durch Unterlassen bestimmter Handlungen dem Prinzipal nach-
143
144 145 146
Die Prämissen bezüglich der Risikoneigung von Prinzipal und Agent werden vor dem Hintergrund plausibel, dass Prinzipale über Diversifikationsmöglichkeiten verfügen, die den Agenten nicht zur Verfügung stehen, vgl. Elschen, R. (1991), S. 1007 u. Eisenhardt, K. (1989a), S. 60. Vgl. Jones, T. M. (1995), S. 409, Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 308. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 100ff. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 101, Elschen, R. (1991), S. 1005f.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
31
vertraglich Schaden zuzufügen.147 Hintergrund ist das Problem der Hidden Action, d.h. der Prinzipal kann die Aktivitäten des Agenten nicht vollständig beobachten und nicht ohne weiteres vom Ergebnis auf das Anstrengungsniveau des Agenten schließen, und das Problem der Hidden Information, d.h. der Prinzipal kann die Aktivitäten des Agenten zwar beobachten, aber nicht beurteilen. Das Problem des Hold Up beschreibt die Gefahr, dass der Agent nachvertraglich die Abhängigkeit des Prinzipals, die sich aus einer Faktorspezifität ergeben kann, ausnützt.148 Zur Begrenzung von Adverse Selection durch Reduzierung der Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agent existieren die Mechanismen des Signaling und Screening.149 Beim Signaling lässt der Agent als besser informierte Partei dem Prinzipal bestimmte Informationen wie z.B. Garantien oder Gütesiegel zukommen. Beim Screening gehen die Aktivitäten vom Prinzipal aus, der Informationen über den Agenten wie z.B. Auskünfte von Dritten einholt oder Auswahlverfahren durchführt. Zur Begrenzung des Moral Hazard werden neben dem Monitoring das Einräumen vertraglicher Anreize sowie der Einsatz von Sicherungsgütern diskutiert.150 Monitoring geht dabei über das Beobachten und Kontrollieren hinaus und schließt Anstrengungen des Prinzipals mit ein, die darauf abzielen, das Verhalten des Agenten z.B. durch Budgetrestriktionen, Kompensationsmodelle sowie Verhaltensregeln zu kontrollieren.151 Mittels vertraglicher Anreize kann durch eine entsprechende Entlohnung des Agenten eine höhere Zielkongruenz zwischen Agent und Prinzipal erreicht werden.152 Beim Einsatz von Sicherungsgütern hinterlegt der Agent ein Pfand, das er bei unzureichender Erfüllung seines Auftrags ganz oder teilweise verliert ("bonding").153 Da der Agent seinen Informationsvorsprung opportunistisch ausnutzen kann, ist grundsätzlich ein Mindestmaß an impliziten Verträgen in Agency-Beziehungen zu erwarten.154 Die Herausforderung für eine PrincipalAgent-Beziehung besteht also immer dann, wenn "[…] which is almost always – the principal cannot perfectly and costlessly monitor the agent's action and information."155 147
148
149 150 151 152 153 154
155
Vgl. Göbel, E. (2002), S. 102, Elschen, R. (1988), S. 249, Elschen, R. (1991), S. 1004f. Vgl. auch Spremann, K. (1989), S. 743. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 103, Spremann, K. (1989), S. 742f. Vgl. zum Problem des Hold Up (wörtlich "Raubüberfall") die Stakeholder-Agency-Theorie in Kap. 2.2.2.2. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 110ff. Vgl. auch Spremann, K. (1990), S. 578ff. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 110 bzw. 112ff. mit weiteren Lösungsansätzen. Vgl. Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 308. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 110 bzw. 113ff. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 110 bzw. 116ff. Vgl. Elschen, R. (1991), S. 1004. Vgl. zu folgendem Absatz Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 308, Elschen, R. (1991), S. 1004ff. Vgl. zu einer Kritik Göbel, E. (2002), S. 125ff. Pratt, J. W., Zeckhauser, R. J. (1985), S. 2f.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Der klassische Shareholder- bzw. Principal-Agent-Ansatz hat lange die wissenschaftliche Forschung dominiert und sich z.B. in der schnellen Verbreitung von Stock-Option-Programmen auch direkt auf die Praxis ausgewirkt.156 Allerdings wird seit einiger Zeit zu Recht grundsätzlich kritisiert, dass mit der Beschränkung der Betrachtung auf das Verhältnis Eigentümer zu Management die Beziehungen des Managements zu den anderen Bezugsgruppen des Unternehmens bzw. Stakeholdern außer Acht gelassen werden und die Prämisse des streng opportunistischen Verhaltens des Managements (als Agenten) nicht der Realität entspricht.157 2.2.1.3 Stakeholder-Ansatz Der Begriff Stakeholder kommt ebenfalls aus dem Englischen, wobei "to have a stake" soviel bedeutet wie "einen Anteil haben" bzw. "an etwas beteiligt sein", aber auch "Einfluss auf etwas haben". Die Bedeutung eines Anteils ("stake") umfasst dabei eine große Bandbreite von den Extremen lediglich eines Interesses ("simply an interest") auf der einen bis zu einem Rechtsanspruch ("legal claim") auf der anderen Seite.158 Der bekannteste Denkansatz zur Stakeholder-Theorie wurde von FREEMAN entwickelt und stammt aus dem Bereich des strategischen Managements.159 Im Gegensatz zum Shareholder-Ansatz bezieht der Stakeholder-Ansatz neben den Aktionären bzw. Eigentümern (als Share- und Stakeholder zugleich) die Interessen weiterer Bezugsgruppen des Unternehmens wie z.B. Arbeitnehmer, Lieferanten, Gläubiger, Kunden und den Staat bzw. die Allgemeinheit in die Betrachtung mit ein.160 Ausgangspunkt für diesen Ansatz ist die Definition eines Unternehmens als Aktions-, Interessen- und Vertragszentrum, in dem die Beiträge verschiedener Akteure zur arbeitsteiligen Wertschöpfung unter Leitung des Topmanagements gebündelt werden.161 Unter diesem Aspekt gehen die Anspruchsgruppen eines Unternehmens auch über die Eigen- und Fremdkapitalgeber hinaus.162 Beim Stakeholder-Ansatz ergeben sich die beiden prinzipiellen Fragen, wie erstens die Berücksichtigung weiterer Bezugsgruppen zu begründen und wie zweitens der Kreis der einzubeziehenden Stakeholder konkret abzugrenzen ist.163 Als klassisches Argument für die Beschränkung auf die Anteilseigner-Management-Beziehung 156 157 158 159 160
161
162 163
Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 7, Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 88. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 7. Vgl. Carroll, A. B., Buchholtz, A. K. (2006), S. 67. Vgl. Freeman, R. E., Reed, D. L. (1983), S. 88ff. u. Freeman, R. E. (1984). Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 8. Vgl. zur Einbeziehung weiterer Bezugsgruppen auch Staehle, W. (1993b), S. 2455f. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 6. Vgl. zur Definition von Unternehmen Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 3ff. Vgl. auch Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976), S. 310 u. Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5. Vgl. Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5. Vgl. auch Kap. 2.2.1.3. Vgl. zu diesem Absatz v. Werder, A. (2003), S. 8f.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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(Shareholder-Ansatz) wird angeführt, dass allein die Anteilseigner das Risiko unvollständiger Verträge tragen, da sich ihre Interessen (Kurssteigerungen und Gewinnausschüttungen) aufgrund des unternehmerischen Risikos nicht in bindenden Vereinbarungen festhalten lassen und ihre vertraglichen Beziehungen zum Management somit notwendigerweise unvollständig bleiben. Für die anderen Stakeholder gelte das nicht, denn sie seien entweder vertraglich z.B. durch Arbeits- und Lieferantenverträge oder gesetzlich z.B. durch Kündigungs-, Gläubiger- und Verbraucherschutz vollständig abgesichert. Diese Sichtweise verkennt allerdings, dass die Shareholder, die zweifellos ein besonders riskantes Engagement eingehen, nicht die einzige Bezugsgruppe sind, die dem Risiko unvollständiger Verträge ausgesetzt ist. Auch andere Stakeholder tragen das Risiko, Beiträge zur Wertschöpfung im Unternehmen zu leisten, die sich für sie nicht bzw. nicht in dem erwarteten Ausmaß auszahlen.164 Umgekehrt können neben dem Management auch andere Bezugsgruppen von ihren unvollständigen Verträgen profitieren. Wenn z.B. Großkunden in Preisverhandlungen mit existenzgefährdender Abwanderung drohen oder Fremdkapitalgeber bei Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage kurzfristig Saisonkredite oder Kreditlinien signifikant zurückfahren, kann das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Somit greift die Beschränkung der Probleme, die sich durch Risiken und Opportunismusoptionen bei unvollständigen Verträgen ergeben, ausschließlich auf die Eigentümer-Management-Beziehung zu kurz und es sind weitere Bezugsgruppen (Stakeholder) zu berücksichtigen. Bei der Frage nach der Abgrenzung der einzubeziehenden Stakeholder ist zunächst festzuhalten, dass der Begriff Bezugsgruppen bzw. Stakeholder in der Literatur uneinheitlich verwendet wird und unterschiedliche Ansichten existieren, welche Stakeholdergruppen neben den Aktionären und dem Management zu berücksichtigen sind.165 Ursprünglich wurde der Begriff Stakeholder vom Stanford Research Institute geprägt, an dem 1963 die Definition "[...] those groups without whose support the organization would cease to exist [...]"166 entstand. Unter Stakeholdern wurden damals Anteilseigner, Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Gläubiger und die Gesellschaft verstanden.167 Freeman beschreibt Stakeholder in einer engen Definition als "[...] any identifiable group or individual on which the organization is dependent for its continued survival [...]" bzw. in einer weiten Definition als "[...]
164
165
166 167
Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 8. Bei spezifischen Investitionen kann das Problem des Hold Up auftreten, vgl. dazu die Stakeholder-Agency-Theorie in Kap. 2.2.2.2. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 9, Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 66, Mitchell, R. K., Agle, B. R., Wood, D. J. (1997), S. 853. Freeman, R. E., Reed, D. L. (1983), S. 89. Vgl. Freeman, R. E., Reed, D. L. (1983), S. 89.
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Theoretischer Bezugsrahmen
identifiable group or individual who can affect the achievement of an organization's objectives or who is affected by the achievement of an organisation's objectives."168 In der deutschsprachigen Literatur werden die Gruppen, mit denen ein Unternehmen in Beziehung steht, nach Art und Ausprägung der Macht sowie nach dem Willen, diese Macht auszuüben, unterschieden.169 Der am weitesten gefasste Begriff der Bezugsgruppen schließt alle Gruppen ein, die zu einem Unternehmen tatsächlich, potenziell, direkt oder indirekt einen Bezug haben. Die Macht und damit die Abhängigkeit des Unternehmens sowie der Wille dieser Bezugsgruppen zur Ausübung der Macht sind äußerst gering. In die Kategorie der Interessengruppen gehören solche Gruppen, die einen tatsächlichen direkten oder indirekten Bezug zum Unternehmen haben. Ihr Wille zur Machtsausübung ist höher als bei den Bezugsgruppen, während ihre Macht und damit die Abhängigkeit des Unternehmens von den Interessengruppen aber genauso gering wie bei den Bezugsgruppen ist. Unter strategischen Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdern fasst man schließlich die Gruppen zusammen, die konkrete Erwartungen und Ansprüche an ein Unternehmen formulieren und entweder selbst oder durch Vertreter die unternehmerische Tätigkeit bzw. Ziele und deren Erreichung beeinflussen können und davon auch selbst beeinflusst werden. Die Ansprüche und Eingriffsmöglichkeiten dieser Gruppen beruhen in erster Linie auf faktischen, vertraglichen, gesetzlichen oder normativen Grundlagen, können aber auch in gesellschaftspolitischen oder wirtschaftsethischen Konventionen begründet sein.170 Die Macht- bzw. Bedrohungsposition einer Stakeholdergruppe ist sowohl aufgrund veränderter Rahmenbedingungen als auch aufgrund veränderter Möglichkeiten für das Krisenunternehmen, eine Gegenposition zu bilden, im Zeitverlauf variabel.171 Damit zählen zu den strategischen Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdern die Bezugsgruppen, die gegenüber dem Unternehmen eine effektiv wirkende Macht besitzen und auch den Willen haben, sie auszuüben.172 Stakeholder verfügen also über weitreichende Einflussmöglichkeiten, so dass bei Nichterfüllung ihrer Ansprüche eine Existenzbedrohung für das Unternehmen auftreten kann. Unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren und dem Unternehmen sind zu den Stakeholdern alle diejenigen 168
169 170 171 172
Freeman, R. E., Reed, D. L. (1983), S. 89ff. Vgl. ähnlich Freeman, R. E. (1984), S. 25ff. Zur Konkretisierung der Definition ist GOODPASTER zuzustimmen, der anregt, in der weiten Definition die Formulierung "who can affect" durch "who can actually and potentially affect" zu ersetzen. FREEMAN unterstreicht selbst die Wichtigkeit, zukünftige Stakeholder einzubeziehen, vgl. Goodpaster, K. E. (1991), S. 58f. bzw. Freeman, R. E. (1984), S. 52. Vgl. zu diesem Absatz Janisch, M. (1992), S. 123ff. Vgl. auch Hügens, T., Zelewski, S. (2006), S. 368. Vgl. Janisch, M. (1992), S. 126. Vgl. Janisch, M. (1992), S. 125. Im Folgenden wird nur noch der Begriff Stakeholder verwendet.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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Akteure zu rechnen, die "[...] in wirtschaftlich deutbaren und nicht vollkommen vertraglich oder gesetzlich determinierten Austauschbeziehungen zum Unternehmen stehen."173 Dabei haben die Stakeholder ein Interesse daran, für ihre zur Wertschöpfung des Unternehmens geleisteten Beiträge eine adäquate Gegenleistung zu erhalten.174 In dieser Arbeit soll vor dem Hintergrund von Unternehmenskrise und Sanierung der Stakeholderbegriff auf die Stakeholder eingeschränkt werden, von denen die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens unmittelbar abhängt. Aus diesem Grund wird der engen Definition von FREEMAN gefolgt.175 Als Stakeholder werden also Anteilseigner bzw. Eigenkapitalgeber (EK-Geber), Fremdkapitalgeber (FK-Geber), Management, Mitarbeiter und Gewerkschaften bzw. Betriebsrat, Lieferanten (inkl. Kreditversicherer), Kunden und die Allgemeinheit bzw. der Staat (inkl. der Medien) betrachtet (vgl. Abb. 2.3).176 Abb. 2.3: Stakeholder in der Sanierung EK-Geber: • Bestehende Gesellschafter • Potenzielle Investoren
Lieferanten & Kreditversicherer: • Lieferanten • Kreditversicherer
FK-Geber: • Banken(pool) • Bestehende & potenzielle weitere FK-Klassen • Sonstige
Management Krisenunternehmen
Allgemeinheit/ Staat: • Allgemeinheit • Staat • Medien
Kunden: • Bestehende Kunden • Potenzielle Kunden
Mitarbeiter: • Mitarbeiter • Gewerkschaften/BR • PSV
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung Freeman, R. E. (1984), S. 25 u. Lüthy, M. (1988), S. 64
Je nach Einzelfall können weitere Stakeholder hinzukommen bzw. kann es erforderlich werden, einzelne Gruppen noch weiter zu unterteilen.177 Vor dem Hintergrund der aktuellen Trends in der Sanierung sind vor allem die Eigen- und Fremdkapital173 174
175
176
177
v. Werder, A. (2003), S. 9. Vgl. v. Werder, A. (2003), S. 9. Die Ansprüche der Stakeholder resultieren aus ihrer Bereitstellung von Ressourcen oder ihrem emotionalem Einsatz, vgl. Hügens, T., Zelewski, S. (2006), S. 368. Vgl. Freeman, R. E., Reed, D. L. (1983), S. 91 bzw. Freeman, R. E. (1984), S. 31. Vgl. auch Janisch, M. (1992), S. 127. Vgl. zu ähnlichen Abgrenzungen v. Werder, A. (2003), S. 9, Janisch, M. (1992), S. 127, Dyllik, T. (1984), S. 74f., Slatter, S., Lovett, D. (1999), S. 182ff., Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5, Finkin, E. F. (1992), S. 58. Vgl. Dyllik, T. (1984), S. 75.
36
Theoretischer Bezugsrahmen
geber in der Regel detaillierter zu betrachten. Bei den Eigenkapitalgebern sind neben den bestehenden Gesellschaftern (z.B. Aktionäre) auch potenzielle (internationale) Investoren, die in das Eigenkapital investieren, zu berücksichtigen. Neben den Banken bzw. dem Bankenpool sind bei den Fremdkapitalgebern bestehende bzw. potenzielle Fremdkapitalgeber unterschiedlicher Klassen wie z.B. Bondholder, Second-Lien-Financiers, Distressed-Debt-Investoren sowie sonstige Fremdkapitalgeber wie z.B. Leasinggeber oder Mischformen aus Eigen- und Fremdkapitalgebern (Mezzanine-Investoren) zu beachten.178 Darüber hinaus kann der Pensionssicherungsverein (PSV) als weiterer Stakeholder in eine Sanierung einbezogen werden.179 2.2.2 Überblick der Forschung zum Stakeholder-Ansatz 2.2.2.1 Systematisierung der Forschung Seit der grundlegenden Veröffentlichung von FREEMAN findet sich in der Literatur eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten zur Stakeholder-Theorie, die bisher jedoch nur vereinzelt systematisiert bzw. kategorisiert wurden. Den bedeutendsten Ansatz einer Kategorisierung bietet die vielzitierte Systematisierung von DONALDSON/PRESTON, die die Stakeholder-Theorie in einen deskriptiven, einen instrumentellen und einen normativen Theoriezweig untergliedert:180 (1)
Die deskriptive Stakeholder-Theorie beschreibt bzw. erklärt, wie sich Unternehmen und Manager verhalten: "The theory is used to describe, and sometimes to explain, specific corporate characteristics and behaviors."181 Zusammengefasst geht es also um die Frage: "What happens?"182 Die Ergebnisse der deskriptiven Stakeholder-Theorie bilden die Grundlage für die Stakeholder-Agency-Theorie von HILL/JONES, die auf der PrincipalAgent-Theorie aufbaut.183
178 179
180
181 182 183
Vgl. zu Mezzanine-Kapital Kap. 5.2.6.4. Der PSV, der seit 1974 auf Basis des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge agiert, hat für seine Zwangsmitglieder als gesetzlicher Träger einer Insolvenzsicherung das Ziel, im Falle einer Insolvenz eines Mitglieds, dessen gegebene Zusagen für Betriebsrenten zu sichern, vgl. Krystek, U. (1987), S. 81. Der PSV kann aufgrund gesetzlicher Vorschriften auch außerhalb einer Insolvenz Sanierungsbeiträge leisten, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 4 Ziff. 2 BetrAVG. Vgl. im Folgenden Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 65ff. Vgl. auch Jones, T. M. (1995), S. 405f., Nothardt, F. (2001), S. 86f., Carroll, A. B., Buchholtz, A. K. (2006), S. 74f. Zur Bedeutung der Systematisierung vgl. Jones, T. M., Wicks, A. (1999), S. 206ff. Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 70. Vgl. Jones, T. M. (1995), S. 406. Vgl. Nothardt, F. (2001), S. 86. Vgl. zur Stakeholder-Agency-Theorie Kap. 2.2.2.2.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung (2)
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Die instrumentelle Stakeholder-Theorie befasst sich durch die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Stakeholder-Management und den unterschiedlichen Unternehmenszielen damit, was passiert, wenn sich Manager oder Unternehmen in einer bestimmten Weise verhalten: "The theory […] is used to identify the connections, or lack of connections, between stakeholder management and the achievement of traditional corporate objectives (e.g. profitability, growth)."184 Insgesamt geht es also um die Frage: "What happens if?"185 Vor dem Hintergrund von Unternehmenskrisen und Sanierung ist hier der Ansatz von CORNELL/SHAPIRO hervorzuheben, der den Zusammenhang von Stakeholder-Management und Shareholder Value untersucht.186
(3)
Die normative Stakeholder-Theorie beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen aufgrund ethisch-moralischer oder philosophischer Erwägungen begründen lässt: "The theory is used to interpret the function of the corporation, including the identification of moral or philosophical guidelines for the operation and management of corporations."187 Zusammengefasst geht es also um die Frage: "What should happen?"188 Vor dem Hintergrund einer Unternehmenskrise sind normative Ansprüche zu Gunsten der Sicherung der Unternehmensexistenz jedoch von geringerer Bedeutung und daher werden die Ansätze der normativen Stakeholder-Theorie hier nicht weiter verfolgt.189
Die Kategorisierung von DONALDSON/PRESTON wurde von JONES/WICKS weiterentwickelt. Sie fassen die deskriptive und instrumentelle Theorie zu einem "social sience-based approach" zusammen und bezeichnen die normative Theorie als "ethics-based approach". Auf diese Weise kommen sie zunächst zu zwei etwas umfassenderen Theoriezweigen.190 Anschließend vertreten sie die Ansicht, dass eine hybride Theorie aus den beiden Ansätzen, die sie Convergent-Stakeholder-Theorie nennen, den bisherigen Theorien vorzuziehen sei. Dies charakterisieren sie mit der Forderung nach einer Theorie, für die gilt: "Both normatively sound and practicably viable."191
184 185 186 187 188 189 190 191
Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 71. Vgl. Jones, T. M. (1995), S. 406. Vgl. Nothardt, F. (2001), S. 87. Vgl. zur Financial-Stakeholder-Theorie Kap. 2.2.2.3. Donaldson, T., Preston, L. E. (1995), S. 71. Vgl. Jones, T. M. (1995), S. 406. Vgl. Nothardt, F. (2001), S. 86. Vgl. Jones, T. M., Wicks, A. (1999), S. 207. Jones, T. M., Wicks, A. (1999), S. 217.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Eine ähnliche Ansicht vertritt ELSCHEN, für den die Erklärung einzelner Gesichtspunkte von Agency-Beziehungen wie z.B. die Abhängigkeit der Entlohnung von Managern vom erzielten Unternehmenserfolg bei gleichzeitiger Dividendenkontinuität und die damit verbundene Risikoteilung Gegenstand einer positiven Agency-Theorie ist. Dagegen werden nach ELSCHEN im Rahmen einer normativen Agency-Theorie Optimierungsprobleme wie z.B. die optimale Ausgestaltung von Vorstandstantiemen durch den Aufsichtsrat betrachtet.192 Schwachpunkte des Stakeholder-Ansatzes sind vor allem die hohe Komplexität und der hohe Zeitaufwand, der zur Identifizierung und Bewertung der relevanten Stakeholder sowie zur Erarbeitung von Maßnahmen eines Stakeholder-Managements benötigt wird.193 Obwohl diese Einschränkungen aufgrund des hohen Zeitdrucks in Krisensituationen besonders stark wirken, gibt der Stakeholder-Ansatz dennoch sowohl grundsätzlich als auch in Krisensituationen ein weitgehend konsistentes Bild des Umfelds ab, in dem Unternehmen heute operieren. Daher ist die StakeholderOrientierung zu einem integralen Bestandteil einer erfolgreichen Unternehmensführung geworden. 2.2.2.2 Die Stakeholder-Agency-Theorie nach HILL/JONES Die Stakeholder-Agency-Theorie nach HILL/JONES verknüpft die Principal-AgentTheorie mit der Stakeholder-Theorie.194 Die Beziehung aller Stakeholder zum Unternehmen bzw. Management wird als Principal-Agent-Beziehung modelliert und aufgrund der Betrachtung multilateraler Vertragsbeziehungen kann die StakeholderAgency-Theorie als eine generelle Agency-Theorie ("generalized theory of agency") angesehen werden. Die klassische Principal-Agent-Theorie kann somit als eine spezifische Ausprägung einer Stakeholder-Management-Beziehung interpretiert werden.195 Bei der Stakeholder-Agency-Theorie kommt dem Management eine Sonderrolle zu, da es als einzige Gruppe die direkte Kontrolle über die Entscheidungen im Unternehmen hat und mit allen anderen Stakeholdern in vertraglichen Beziehungen steht.196 Die Parallelen von Stakeholder-Agent-Beziehungen zur klassischen Principal-Agent-Beziehung ergeben sich erstens dadurch, dass Stakeholder-AgentBeziehungen ebenfalls mittels expliziter und impliziter Verträge beschrieben werden
192 193 194 195 196
Vgl. Elschen, R. (1991), S. 1006ff. Vgl. zur Kritik am Stakeholder-Ansatz Carroll, A. B., Buchholtz, A. K. (2006), S. 85. Vgl. zur Stakeholder-Agency-Theorie Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 131ff. Vgl. Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 132. Andere Stakeholder (insb. Kapitalgeber) können eine indirekte Kontrolle über Entscheidungen im Unternehmen haben, vgl. Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 134. Das Management steht im Zentrum des "nexus of contracts" und kann als Agent aller Stakeholder angesehen werden.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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können und zweitens dadurch, dass ebenfalls Governance-Strukturen zu deren Kontrolle existieren.197 Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Stakeholdern nach der Bedeutung bzw. Größe ihres Anteils ("stake in the firm"), die wiederum von den getätigten spezifischen Investitionen abhängt.198 Zentrales Merkmal spezifischer Investitionen ist der (hohe) implizierte Wertverlust der bereits investierten Produktionsfaktoren bei der nächstbesten alternativen Verwendung.199 Stakeholder mit einem bedeutenden bzw. großen Anteil ("stake") werden im Gegensatz zu Stakeholdern mit einem geringen "stake" umfassendere Incentivierungsmechanismen und Governance-Strukturen fordern, um ihr spezifisches Investment abzusichern. Das Risiko für den Prinzipal, das sich aus einer spezifischen Investition bzw. Faktorspezifität in Kombination mit einem möglichen opportunistischen Verhalten des Agenten ergibt, wird als Hold Up bezeichnet. Beim Hold Up nützt der Agent nach Vertragsschluss die Abhängigkeit des Prinzipals aufgrund einer Faktorspezifität aus. Sie liegt dann vor, wenn der Prinzipal z.B. nicht auf andere Vertragspartner ausweichen kann.200 Die Annahmen der Principal-Agent-Theorie bezüglich eines effizienten Markts und eines Gleichgewichtszustands des Marktes werden von der Stakeholder-AgencyTheorie nicht übernommen. Vielmehr befindet sich der Markt in einem dauernden Wandel, d.h. Marktprozesse, die zwar auf ein Gleichgewicht hinarbeiten, ändern laufend ihre Richtung. Deshalb werden für längere Zeit Machtungleichgewichte ("power differentials") zwischen verschiedenen Stakeholdern und dem Management bestehen, wobei "power differentials", sofern sie für die jeweiligen Gruppen günstig sind, von ihnen noch gefördert werden können.201 Diese Machtungleichgewichte – "a condition of unequal dependance between the parties to an exchange" – sind eine wichtige Determinante der Stakeholder-Agent-Verträge sowie der kontrollierenden 197
198
199
200 201
Vgl. Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 134. Unter Governance-Strukturen bzw. Corporate Governance wird der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen verstanden. Regelungen zur Corporate Governance haben grundsätzlich die Aufgabe, durch rechtliche und faktische Arrangements aus Verfügungsrechten und Anreizsystemen die Spielräume und die Motivation der Akteure in Bezug auf opportunistisches Verhalten einzuschränken, vgl. v. Werder, A. (2004), S. 160ff. Vgl. Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 133f. Z.B. haben Mitarbeiter, die als Spezialisten für ein Unternehmen tätig sind, einen hohen Anteil ("stake") in dem Unternehmen, wenn sie ihre spezifischen Fähigkeiten in der nächstbesten Verwendung nicht wieder genauso einsetzen können. Vgl. zu spezifischen Investitionen bzw. zur Faktorspezifität Williamson, O. E. (1985), S. 52ff., der mit der "site specificity" (regionale Spezifität), "physical asset specificity" (physische Spezifität), "human asset specificity" (Wissens-Spezifität) und "dedicated assets" (ausschließliche Spezifität) vier Arten von spezifischen Investitionen unterscheidet. Vgl. Williamson, O. E. (1985), S. 95f. Vgl. Göbel, E. (2002), S. 103. Vgl. zum Problem des Hold Up auch Spremann, K. (1990), S. 568ff. Z.B. durch die Schaffung von Markteintritts- und Austrittsbarrieren seitens des Managements, Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 135f.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Governance-Strukturen und Agency-Konflikte sind Stakeholder-Agency-Beziehungen grundsätzlich inhärent.202 Um die bestehenden Agency-Konflikte zu verringern, werden im Rahmen der Stakeholder-Agency-Theorie drei Arten von Lösungsmöglichkeiten unterschieden:203 (1)
Anreizmechanismen bzw. "credible commitments"204 haben zum Ziel, wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Management und Stakeholdern zu schaffen, um deren Interessen in dieselbe Richtung zu lenken. Als Beispiele können Stock-Option-Programme oder Garantien genannt werden.
(2) Monitoring-Strukturen dienen dazu, die bestehende Informationsasymmetrie und die teure Informationsbeschaffung durch die Stakeholder (vor allem wenn die Stakeholder zersplittert sind) zu verbessern. Dazu dient eine Vielzahl von institutionellen Strukturen, die das Ziel haben, Skaleneffekte bei der Informationsbeschaffung und -auswertung zu erzielen, wie es z.B. bei der Pflicht zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen oder Quartalsberichten der Fall ist. (3) Abschreckungsmechanismen und -strukturen können von Seiten der Stakeholder vor einem Ressourcenaustausch mit dem Management eingesetzt werden, um das Management davon abzuhalten, seinen eigenen Nutzen auf Kosten des Nutzens der Stakeholder zu maximieren. Die Wirkung von Abschreckungsmechanismen und -strukturen hängt von deren Glaubwürdigkeit ab. Beispiele sind der rechtliche und institutionelle Rahmen, die Androhung von Marktaustritten sowie auf Reputation basierenden Mechanismen, die als sehr effektives Mittel der Abschreckung anzusehen sind. 2.2.2.3 Die Financial-Stakeholder-Theorie nach CORNELL/SHAPIRO Obwohl sich die institutionelle Sichtweise von Unternehmen als Vertragszentrum in der Betriebswirtschaft schon seit längerem durchgesetzt hat, konzentrierte sich die traditionelle Forschung zum Thema Corporate Finance bisher vor allem auf die Rolle von Investoren, während die Bedeutung der anderen Stakeholder in diesem Zusammenhang nicht untersucht wurde.205 In ihrer Financial-Stakeholder-Theorie unterscheiden CORNELL/SHAPIRO zwischen Investor-Stakeholdern (EK- und FKGeber) und Non-Investor-Stakeholdern wie Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern, deren Beziehungen zum Unternehmen ebenfalls über explizite und implizite Verträge 202 203 204 205
Vgl. Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 134. Vgl. im Folgenden Hill, C., Jones, T. M. (1992), S. 138ff. Vgl. zu "credible commitments" Williamson, O. E. (1985), S. 167ff. Vgl. zu folgendem Kap. Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 5ff.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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modelliert werden.206 Im Zentrum stehen dabei die Non-Investor-Stakeholder, deren Verträge sowohl explizite Bestandteile (Arbeitsverträge für Mitarbeiter, Garantien für Kunden) als auch implizite Ansprüche (Versprechen zukünftiger Serviceleistungen bzw. Arbeitsplatzsicherheit) enthalten. Da der Wert impliziter Verträge nicht fixiert ist, hängen die Preise, die Stakeholder dafür zu bezahlen bereit sind, von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens einschließlich der gewählten Finanzierungspolitik ab. Typischerweise können Unternehmen in Krisensituationen implizite Verträge verletzen, ohne sich direkt der Gefahr einer Insolvenz bzw. im Extremfall einer Liquidation auszusetzen. Wenn nur explizite Verträge betrachtet werden, spielen Non-Financial Stakeholder im Rahmen von Finanzierungsentscheidungen nur eine untergeordnete Rolle, da ihre Ansprüche (z.B. aus Arbeitsverträgen oder Lieferverträgen) vorrangig zu den Ansprüchen der Investor-Stakeholder bedient werden. Solange keine wirtschaftliche Schieflage des Unternehmens droht, sind ihre Ansprüche relativ sicher und damit ist der Erklärungsgehalt impliziter Verträge für den Unternehmenswert und die Unternehmensfinanzierung zu vernachlässigen.207 Betrachtet man dagegen implizite Verträge, die grundsätzlich mit höherer Unsicherheit behaftet sind, so wird ihr Wert und damit der Unternehmenswert durch Informationen über die wirtschaftliche bzw. finanzielle Lage des Unternehmens beeinflusst. Gehen Stakeholder z.B. davon aus, dass aufgrund einer Unternehmenskrise implizite Verträge eventuell zukünftig nicht mehr erfüllt werden, so sinkt der Preis, zu dem das Unternehmen die impliziten Verträge verkaufen kann. Folglich sinken die Umsätze des Unternehmens, die Kosten steigen und der Unternehmenswert nimmt ab.208 Der Unternehmenswert bemisst sich nach dem Wert, zu dem explizite und implizite Verträge verkauft werden können. Ein Unternehmen schafft in diesem Kontext grundsätzlich dann Wert, wenn es implizite Verträge zu einem Preis verkaufen kann, der durchschnittlich über den Kosten zu deren Erfüllung liegt. CORNELL/SHAPIRO bezeichnen den Marktwert aller zukünftigen impliziten Verträge, die das Unternehmen verkaufen kann (Organizational Capital) abzüglich der Kosten zur Erfüllung der aktuellen und der zukünftigen impliziten Verträge (Organizational Liabilities) als Net Organizational Capital (NOC). Unternehmen können ihr Net Organizational Capital dadurch steigern, dass sie gegenüber den Stakeholdern glaubhaft versichern, zukünftig 206
207
208
Der Staat bzw. die Allgemeinheit als Stakeholder wird bei CORNELL/SHAPIRO nicht genannt. Vgl. zu einer Begründung, der hier nicht weiter gefolgt wird, Nothardt, F. (2001), S. 89. Im Gegensatz zum Ansatz von RAPPAPORT, der auf die Shareholder und den Shareholder Value (Equity Value) abhebt (vgl. Kap. 2.2.1.2), wird bei CORNELL/SHAPIRO auf den Gesamtunternehmenswert (Entity Value) abgestellt. Sinkende Umsätze können sich z.B. dadurch ergeben, dass potenzielle Kunden keine Produkte mehr kaufen, weil sie fürchten, dass aufgrund der Krisensituation bzw. eines hohen Insolvenzrisikos Herstellergarantien wertlos werden. Steigende Kosten können sich z.B. dadurch ergeben, dass aufgrund einer solchen Situation mehr explizite Verträge erforderlich werden.
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Theoretischer Bezugsrahmen
implizite Verträge einzuhalten.209 Dazu werden im Rahmen der Financial-Stakeholder-Theorie Maßnahmen vorgestellt, bei denen das Signaling eine zentrale Rolle spielt. Durch Signaling können Unternehmen gegenüber Stakeholdern ex ante zeigen, dass sie die Fähigkeit besitzen, in Zukunft implizite Verträge zu erfüllen. Entsprechende Maßnahmen sind z.B. hohe Dividendenzahlungen, die Stakeholder grundsätzlich beeindrucken und darüber hinaus finanzielle Stabilität suggerieren, das Vorhalten hoher Kassenbestände bzw. kurzfristig liquidierbarer Wertpapiere und die bevorzugte Finanzierung mit Eigenkapital, wodurch eine stabile Kapitalstruktur demonstriert werden kann. 2.2.3 Wirkungen von Unternehmenskrisen auf Stakeholder Durch die von einer Unternehmenskrise verursachte Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ergeben sich für die jeweiligen Stakeholder viele destruktive sowie (nach erfolgreicher Sanierung) auch einzelne positive Wirkungen.210 Im Extremfall können die destruktiven Wirkungen zum Totalverlust des Engagements der Stakeholder führen und neben negativen finanziellen Folgen treten in der Regel weitere negative Auswirkungen bezüglich Image und Reputation auf. Die wesentlichen destruktiven Wirkungen von Unternehmenskrisen drücken sich dadurch aus, dass dominante Ziele der jeweiligen Stakeholder(-gruppen) verfehlt werden (vgl. Abb. 2.4).211 Unterteilt man die Fremdkapitalgeber weiter nach Fremdkapitalklassen, so werden jeweils unterschiedliche Ziele in einer Sanierung deutlich. Vorrangig bzw. vollständig besicherte Gläubiger (Senior Lenders) haben vor allem das Ziel der Risikoreduzierung und einer schnellen Kredittilgung sowie grundsätzlich ein geringes Interesse, in einer Sanierung ein den Eigenkapitalgebern vergleichbares Risiko zu tragen.212 Nachrangige bzw. ungesicherte Gläubiger (Junior Lenders) erhalten bei einer Insolvenz häufig nur noch einen Bruchteil ihrer Forderungen und präferieren in der Regel eine (risikoreichere) Sanierung des Unternehmens, da sie bei Scheitern einer Sanierung nur noch geringe zusätzliche Verluste erleiden.213 Junior Lenders haben aufgrund von Kreditverträgen typischerweise eine schwächere Machtposition, können aber auch signifikanten Einfluss auf den Sanierungsprozess ausüben.214 209 210 211
212
213 214
Vgl. im Folgenden Cornell, B., Shapiro, A. C. (1987), S. 11. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 72. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 73ff., Franceschetti, A. (1993), S. 98ff., Fischer, T. R. (1999), S. 11ff. Über die dargestellten destruktiven Wirkungen hinaus können aufgrund von Unternehmenskrisen je nach Einzelfall weitere Ziele von Stakeholdern gefährdet sein bzw. verfehlt werden. Vgl. Loftus, W. F., Rogers, J. E. (2004), S. 30. Vgl. zum Konflikt Gläubiger vs. Eigentümer auch Fischer, T. R. (1999), S. 16ff. Vgl. Fischer, T. R. (1999), S. 21ff. Vgl. Loftus, W. F., Rogers, J. E. (2004), S. 30.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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Distressed-Debt-Investoren können z.B. mit einer Loan-to-own-Strategie die Kontrolle über das Krisenunternehmen anstreben oder einen zügigen Verkauf ihrer Positionen beabsichtigen.215 Abb. 2.4: Destruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen auf Stakeholder Destruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen
Stakeholder
Dominante Ziele
Eigenkapitalgeber
• Werterhalt bzw. -steigerung des eingesetzten Kapitals • Angemessene Verzinsung
• Gefahr des vollständigen/teilweisen Verlusts des eingesetzten Kapitals • Keine entnahmefähigen Gewinne für Kapitalverzinsung • Gefahr zusätzlicher Kapitaleinlagen
Fremdkapitalgeber
• Sicherung Kredit(e) bzw. Tilgung • Fristgerechte vertragsgemäße Verzinsung • Erhalt Geschäftsbeziehung
• Nicht fristgerechte Zinszahlung und Tilgung bis hin zu völligem Verlust des gewährten Kredits inkl. der darauf entfallenden Zinsen
Mitarbeiter
• Individuelle Existenzsicherung, d.h. Sicherung d. Arbeitsplatzes und auf Dauer angelegte angemessene Entlohnung
• Abbau von Arbeitsplätzen • Kurzarbeit, Kürzung von (freiwilligen) sozialen Leistungen • Lohnverzichte (i.d.R. zeitl. beschränkt)
Kunden
• Erhalt der Leistung (Qualität und Preis) zum vereinbarten Termin • Sicherung Geschäftsbeziehung und evtl. spez. Investitionen
• Ganz/teilweise eingestellte bzw. nicht fristgerechte Leistungen (Ware, Garantie etc.) • Im Extremfall Gefahr eigener Krise bei zu hoher Abhängigkeit von Lieferanten
Lieferanten & Kreditversicherer
• Rettung v. Forderungen und fristgerechte Bezahlung • Sicherung Geschäftsbeziehung und evtl. spez. Investitionen
• Nicht termingerecht geleistete Zahlungen • Verlust v. Lieferantenkrediten (oder Ware) • Gefahr eigener Krise bei einseitig ausgerichteter Abnehmerstruktur
Allgemeinheit/Staat
• Politische Interessen (wie z.B. Arbeitsplätze, Wettbewerb) • Vereinnahmung von Steuern und Abgaben
• • • •
Gefährdung politischer Interessen Mindereinnahmen Steuern/Abgaben Mehrausgaben für Sozialleistungen Evtl. Notwendigkeit von Bürgschaften
Quelle: Eigene Abbildung
Durch destruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen sind regelmäßig die Mitarbeiter besonders betroffen.216 Für eine erfolgreiche Sanierung spielt daher die Einigung mit den jeweiligen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer eine wichtige Rolle. Nur wenn von vornherein ein ganzheitliches und schlüssiges Sanierungskonzept vorgelegt wird, ist es möglich, den Betriebsrat von der Notwendigkeit eventueller schmerzhafter Einschnitte zu überzeugen. Obwohl der Betriebsrat nicht an den wirtschaftlichen Überlegungen zu einem Sanierungskonzept beteiligt werden muss, kann es sinnvoll sein, ihn frühzeitig in die Konzepterstellung mit einzu-
215 216
Vgl. zum Debt-Equity-Swap Kap. 5.2.6.4. Vgl. im Folgenden Krystek, U. (1987), S. 73f. u. S. 217f. u. Pannen, K., Deuchler, I., Kahlert, G., et al. (2004), S. 36ff.
44
Theoretischer Bezugsrahmen
beziehen. Je nach Einzelfall lassen sich dadurch qualitative Verbesserungen erzielen und das Sanierungskonzept wird in der Regel später besser akzeptiert. Obwohl die destruktiven Wirkungen von Unternehmenskrisen häufig die Existenz der Unternehmen bedrohen, können durch die Umsetzung zukunftsorientierter Sanierungskonzepte bzw. tiefgreifender Veränderungen konstruktive Kräfte freigesetzt werden, die sich nach gelungener Sanierung für die einzelnen Stakeholder positiv auswirken.217 Konstruktive Wirkungen von Unternehmenskrisen äußern sich nach erfolgreicher Sanierung für Anteilseigner bzw. Eigenkapitalgeber hauptsächlich in ausschüttungsfähigen Gewinnen. Für Fremdkapitalgeber und Lieferanten kann sich in diesem Fall nach einer Stabilisierung ggfs. wieder eine Ausweitung ihres Geschäftsvolumens ergeben. Mitarbeiter profitieren im Vergleich zum Zeitraum der akuten Unternehmenskrise von einer höheren Sicherheit ihrer Arbeitsplätze sowie unerwarteten Karrierechancen, die nicht selten die Folge einer Sanierung sind. Für Kunden kann sich als positive Wirkung von überstandenen Unternehmenskrisen ihrer Lieferanten eine bessere Bezugsquellenabsicherung ergeben. Die Allgemeinheit bzw. der Staat wird hinsichtlich seiner Ziele durch eine erfolgreiche Bewältigung von Unternehmenskrisen ebenfalls unterstützt. 2.2.4 Agency-Probleme bei der Erstellung von Sanierungskonzepten Da die Aussagekraft der Principal-Agent-Theorie vor allem dann besonders groß ist, wenn die Beziehungen zwischen den Akteuren z.B. aufgrund stark divergierender individueller Ziele kompliziert sind und eine hohe Unsicherheit herrscht, liefert die Principal-Agent-Theorie eine Vielzahl von aussagekräftigen Erklärungen für Verhaltensweisen bzw. Mechanismen im Zusammenhang mit Sanierungen und der Erstellung von Sanierungskonzepten.218 Stakeholder können in Unternehmenskrisen die Geschäftsbeziehung zum Krisenunternehmen entweder zu gleichen oder modifizierten Konditionen weiterführen und optional Unterstützungsbeiträge zur Fortführung des Krisenunternehmens gewähren oder die Geschäftsbeziehung mit dem Krisenunternehmen beenden. Weil der individuelle Anteil ("stake") aller beteiligten Stakeholder auf dem Spiel steht, werden in Unternehmenskrisen ihre divergierenden Interessen einschließlich ihrer unterschiedlichen Risikoprofile sowie ihre heterogenen Erwartungen besonders deutlich.219 Vor allem Interessenkonflikte zwischen Eigentümern und Gläubigern nehmen in Krisensituationen zu.220 Oft sind zudem die Erfahrungen der Stakeholder verschieden, da eine Unternehmenskrise in der Regel eine neue Situation für das 217 218 219
220
Vgl. zu einer Darstellung der konstruktiven Wirkungen Krystek, U. (1987), S. 84f. Vgl. Eisenhardt, K. (1989a), S. 71. Vgl. auch Weber, P. (1980), S. 31ff. Vgl. zu einer Übersicht möglicher Interessenkonflikte Fischer, T. R. (1999), S. 11ff. Vgl. zur Sanierung Kap. 2.3. Vgl. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 694.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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Management des Krisenunternehmens darstellt. Im Gegensatz zu den übrigen Stakeholdern haben vor allem die Financial Stakeholder eine genaue Vorstellung darüber, was aus ihrer Sicht zu geschehen hat, da sie Unternehmenskrisen nicht zum ersten Mal erleben.221 In Krisensituationen sind Informationsasymmetrien grundsätzlich deutlicher ausgeprägt als im Normalzustand eines Unternehmens. Management und Eigentümer sind in der Regel besser über die gegenwärtige und zukünftige Lage des Krisenunternehmens informiert als Gläubiger oder andere außenstehende Dritte.222 Darüber hinaus ist in Krisensituationen oft eine unzureichende Transparenz bzw. Qualität des verfügbaren Datenmaterials feststellbar,223 die häufig sogar Teil der Krisenursachen ist. Erschwerend kommt aufgrund der höheren Dynamik in Unternehmenskrisen noch hinzu, dass Informationen grundsätzlich schneller veralten. Da die Informationspolitik eines Krisenunternehmens durch die Stakeholder grundsätzlich als opportunistisch eingeschätzt werden kann, sinkt die subjektiv wahrgenommene Informationsqualität. Die Stakeholder werden Risikoabschläge vornehmen, weil aus ihrer Sicht kaum erkennbar ist, ob die zur Verfügung gestellten Informationen vollständig und richtig sind.224 Dabei müssen Gläubiger grundsätzlich befürchten, dass Eigentümer, für die eine Sanierung in aller Regel vorteilhaft ist, die Erfolgsaussichten einer Sanierung positiver als in Wirklichkeit darstellen, um die Gläubiger für die Sanierung zu gewinnen. Vor Verabschiedung des Sanierungskonzepts kann opportunistisches Verhalten des Managements z.B. darin bestehen, die Krise zu verschleiern oder Informationen über Krisenursachen oder zukünftige Entwicklungen zurückzuhalten.225 Darüber hinaus besteht für das Management in Verhandlungen der Anreiz, die bestehenden Gläubiger und potenziellen Investoren zu umfangreicheren Zugeständnissen zu bewegen, als für die geplante Sanierung eigentlich erforderlich wären.226 Wenn Kapitalgeber ein solches Verhalten (Hidden Characteristics) antizipieren, kann es dazu kommen, dass eigentlich unterstützungs-
221 222 223
224
225
226
Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 113f. Vgl. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 700. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 19, Freudenberger, W. B., Lipp, A., Watson, H. J. (1997), S. 167ff., Friedrich, M. G., Flintrop, B. (2003), S. 229, Weber, P. (1980), S. 31ff., Brandstätter, J. (1993), S. 105. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 60. Vgl. grundsätzlich zu Informationsasymmetrien der Sanierungsträger Wegmann, J. (1987b), S. 170f. Vgl. Müller, R. (1986), S. 321, Rieger, C. (2002), S. 268f. Dabei ist opportunistisches Verhalten keinesfalls als Regelfall bei Sanierungsbemühungen zu verstehen, sondern es ist anzunehmen, dass schlechter informierte Akteure mit möglichem opportunistischen Verhalten der besser informierten Akteure rechnen und daher nach Maßnahmen suchen, um sich davor zu schützen. Vgl. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 701.
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Theoretischer Bezugsrahmen
würdige und sanierungsfähige Unternehmen keine ausreichenden StakeholderBeiträge erhalten und Marktversagen auftritt (Adverse Selection).227 Sobald für die Stakeholder eine Unternehmenskrise erkennbar wird, verlieren die impliziten Verträge des Krisenunternehmens an Wert und führen zu negativen Auswirkungen auf Umsatz und Kosten.228 Die Verletzung impliziter Verträge kann einem Krisenunternehmen kurzfristig aber auch Handlungsspielräume zur Erfüllung expliziter Verträge schaffen.229 Allerdings ist es in Krisensituationen auch häufig der Fall, dass explizite Verträge nicht mehr (vollständig) erfüllt werden können. In Sanierungskonzepten gehen Sanierungsmaßnahmen wie z.B. Kürzungen bei Serviceleistungen bzw. Garantien oder das Einstellen von Produkten bzw. Produktgruppen häufig auch zu Lasten impliziter Verträge und müssen daher in ein Gesamtkonzept integriert sein, das von allen Stakeholdern getragen wird. Aufgrund der hohen Komplexität einer Unternehmenskrise können in einem Sanierungskonzept allerdings nicht alle Verhaltensrisiken mittels vertraglicher Regelungen abgedeckt bzw. alle Eventualitäten einer zu überwindenden Krise vertraglich antizipiert werden.230 Opportunistisches Verhalten des Managements nach Verabschiedung des Sanierungskonzepts (Moral Hazard) kann auftreten, wenn das Management durch versteckte Handlungen oder durch Unterlassung bestimmter z.B. im Sanierungskonzept beschlossener Maßnahmen einzelne Stakeholder schädigt (Hidden Action) bzw. die Stakeholder die Handlungen des Managements zwar beobachten, aber nicht beurteilen können (Hidden Information).231 Die im Rahmen der Stakeholder-Agency-Theorie beschriebenen Machtungleichgewichte bestehen bei Sanierungen in besonderer Weise, da sich mit dem steigenden Einfluss von Banken bzw. Kapitalgebern die Machtverhältnisse verschieben und darüber hinaus für die Stakeholder grundsätzlich der Anreiz besteht, Machtungleichgewichte zu fördern bzw. auszunutzen.232 Das Management der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern innerhalb einer Stakeholdergruppe wird immer komplexer, da heute bereits mittelgroße Unternehmen mit einer Kombination verschiedener Finanzierungsarten wie 227
228 229 230
231
232
Vgl. Gilson, S., John, K., Lang, L. (1990), S. 323f. Das Problem der Adverse Selection kann analog auf andere Stakeholder übertragen werden. Vgl. die Financial-Stakeholder-Theorie in Kap. 2.2.2.3. Vgl. Nothardt, F. (2001), S. 108f. Ein Mindestmaß an impliziten Normen ist in Agency-Beziehungen immer zu erwarten, vgl. Elschen, R. (1991), S. 1004. Das Management kann z.B. risikoreichere Investitionen durchführen, als im Sanierungskonzept vorgesehen sind. Vgl. die Stakeholder-Agency-Theorie in Kap. 2.2.2.2.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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klassischer Bankenfinanzierung, Mezzanine-Financing, syndizierten Krediten oder Hochzinsanleihen komplizierte Finanzierungsstrukturen haben.233 Es ist darüber hinaus zu erwarten, dass Informationsasymmetrien und die Möglichkeit des opportunistischen Verhaltens seitens der Eigentümer mit der Anzahl der Gläubiger zunehmen.234 Krisensituationen sind schließlich von einem signifikanten Vertrauensverlust in das Management des Krisenunternehmens und grundsätzlich von hohen Unsicherheiten geprägt, die sich auch aus der Fülle prognostischer Informationen ergeben.235 Speziell für das Management des Krisenunternehmens, aber auch für andere Stakeholder kommt in der Regel die zusätzliche Unsicherheit bezüglich explizit geregelter spezieller rechtlicher Bedingungen hinzu, die im Rahmen von Unternehmenskrisen und Sanierung zu beachten sind.236 2.2.5 Lösungsmechanismen für Agency-Probleme bei Sanierungskonzepten Im Folgenden werden kurz einige wesentliche Mechanismen zur Verringerung von Agency-Problemen vorgestellt, die besonders die Erstellung und Umsetzung von Sanierungskonzepten betreffen. Während es vor Festlegung der Sanierungsstrategie bzw. Verabschiedung des Sanierungskonzepts vor allem darauf ankommt, die Informationsasymmetrien der verschiedenen Stakeholder zu verringern, zielen solche Mechanismen nach Festlegung der Sanierungsstrategie bzw. Verabschiedung des Sanierungskonzepts auf dessen vereinbarungsgemäße Umsetzung ab.237 In der Phase der Erstellung des Sanierungskonzepts bzw. kurz davor wird in der Regel ein Bankenpool gebildet. Dadurch können unter der Führung einer Poolbank die Kräfte auf Bankenseite zum Zwecke der Risikobegrenzung gebündelt sowie die Kosten der Informationsbeschaffung reduziert werden.238 Ex ante können Unternehmen ein dem Gläubigerinteresse konformes Verhalten grundsätzlich durch kapitalstrukturpolitische und/oder vertragliche Maßnahmen signalisieren.239 In einer fortgeschrittenen Unternehmenskrise sind die im Rahmen der Financial-Stakeholder-Theorie vorgeschlagenen kapitalstrukturpolitischen Maßnahmen zum Signaling gegenüber Gläubigern wie z.B. hohe Dividendenzahlungen oder Vorhalten einer hohen Liquidität in der Regel nur selten möglich.240 Daher spielen zum Abbau von Informationsasymmetrien und Entschärfung von Konflikten 233 234 235 236 237 238 239 240
Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 118. Vgl. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 705. Vgl. Kap. 2.3.3. Vgl. Kap. 3.3.1. Vgl. Rieger, C. (2002), S. 269. Vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 937ff., Meyer, R. (2006), S. 917f. Vgl. im Folgenden Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 702. Vgl. zu den vorgeschlagenen Maßnahmen Kap. 2.2.2.3.
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Theoretischer Bezugsrahmen
zwischen Eigentümern und Gläubigern in Krisensituationen vertragliche Zugeständnisse von Management und/oder Eigentümern eine zentrale Rolle. Solche Vereinbarungen sehen regelmäßig die Übertragung von Auskunfts-, Kontroll- und Entscheidungskompetenzen auf die Gläubiger vor. Signaling als Instrument zur Verringerung von Informationsasymmetrien wird von Krisenunternehmen vor allem zum Informationstransfer gegenüber den Stakeholdern Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern eingesetzt,241 während die Financial Stakeholder im Regelfall zu diesem Zeitpunkt bereits in die Krisenbewältigung eingebunden und entsprechend informiert sind. Dabei kann z.B. auf Basis von Auszügen aus dem Sanierungskonzept in Verhandlungen über mögliche individuelle Sanierungsbeiträge mit den einzelnen Stakeholdern die Informationsasymmetrie reduziert werden und durch einen ganzheitlichen Konzeptansatz darüber hinaus die Ernsthaftigkeit des Sanierungsversuchs unterstrichen werden.242 Mit der Erstellung eines Sanierungskonzepts – besonders unter Einschaltung eines renommierten, auf Sanierungen spezialisierten Beratungsunternehmens – kann das Management des Krisenunternehmens gegenüber den übrigen Stakeholdern einen Signaling-Effekt bewirken.243 Auch einzelne Stakeholder-Beiträge wie z.B. ein Debt-Equity-Swap bzw. das Aufrechterhalten der Geschäftsbeziehung mit dem Krisenunternehmen seitens wichtiger Stakeholder können für andere Gläubiger wie auch für Kunden und Lieferanten wie ein Signaling-Effekt wirken.244 Wenn einzelne wichtige Stakeholder die Konditionen der geschäftlichen Zusammenarbeit maßgeblich verschlechtern oder die Geschäftsbeziehung komplett beenden, ergeben sich dagegen in der Regel negative Effekte für das Krisenunternehmen, die sich auch noch gegenseitig verstärken können.245 Beim Signaling ist zu beachten, dass es für Krisenunternehmen nicht immer sinnvoll ist, allen Stakeholdern verifizierte Informationen zur Verfügung zu stellen.246 Erstens fallen durch Informationsverifikation und -übermittlung Kosten an und zweitens sind auch die Auswirkungen externer Effekte zu berücksichtigen. Sie ergeben sich dadurch, dass Informationen über das Krisenunternehmen auch Konkurrenten zugänglich werden, die ihre eigene Strategie ggfs. an die Sanierungsstrategie des 241 242
243
244 245 246
Vgl. Rieger, C. (2002), S. 277. So kann z.B. mit Vermietern über eine (zeitweilige) Verringerung der Miete ("Sanierungsmiete") verhandelt werden. Vermieter stimmen einer solchen Maßnahme eher zu, wenn sie in ein Gesamtkonzept zur Sanierung des Unternehmens eingebunden ist. Vgl. Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 333, der in diesem Zusammenhang auch auf eine erhebliche Verringerung der Kosten der Informationsbeschaffung für die Stakeholder hinweist. Vgl. zum Debt-Equity-Swap Hass, H., Schreiber, S., Tschauner, H. (2006), S. 843. Vgl. dazu auch den Stigma-Effekt bei Sutton, R. I., Callahan, A. L. (1987), S. 405ff. Vgl. dazu Rieger, C. (2002), S. 277. Zur Einschränkung von Nachteilen bietet sich die Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung seitens der Stakeholder an, wobei z.B. Hedgefonds ausschließlich öffentlich zugängliche Informationen fordern können, um Titel des Krisenunternehmens weiterhin handeln zu können, vgl. Aussage der Experten (Interviews I-6, B-5).
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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Krisenunternehmens anpassen und damit den Erfolg der Sanierung gefährden bzw. im Extremfall sogar vereiteln können. Auch der Einsatz des Screening, bei dem z.B. durch das Angebot verschiedener Vertragsgestaltungen die Eigenschaften des Agenten aufgedeckt werden, ist in der Phase der Konzepterstellung denkbar. Dieses Vorgehen könnte z.B. von Lieferanten eines Krisenunternehmens zur Verringerung der Informationsasymmetrien angewendet werden.247 Nach Verabschiedung des Sanierungskonzepts durch die Stakeholder wird zur Unterstützung der konzeptgemäßen Umsetzung der Sanierungsstrategien und -maßnahmen in der Regel eine Umsetzungsorganisation mit Lenkungsausschuss eingerichtet.248 Aufgrund von Vorgaben der Bankenaufsicht müssen Kreditinstitute bei Begleitung einer Sanierung die Umsetzung des Sanierungskonzepts bzw. die Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen überwachen. Dies erfolgt neben speziellen Berichtspflichten des Krisenunternehmens (Bankenreporting) auch dadurch, dass Bankenvertreter an den Lenkungsausschusssitzungen teilnehmen.249 Neben den genannten bankenaufsichtsrechtlichen Regelungen existiert im Rahmen von Unternehmenskrise und Sanierung eine Vielzahl von Verschärfungen der gesetzlichen Governance-Strukturen mit entsprechenden Sanktionsmechanismen.250 Zum einschlägigen Instrumentarium gehören z.B. Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln, Rechnungslegungsvorschriften, Durchgriffsregeln, die Entwicklung von Sicherungsrechten sowie der strategische Einsatz des Insolvenzrechts.251 Da internationale Investoren als Stakeholder in der Sanierung eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, werden vor allem im Zusammenhang mit (Re-)Finanzierungen von Krisenunternehmen vermehrt sogenannte Covenants eingesetzt. Covenants sind vertragliche Vereinbarungen, in denen der Kreditnehmer verpflichtet wird, bestimmte Handlungen durchzuführen bzw. zu unterlassen und/oder definierte Finanzkennzahlen während einer gewissen Laufzeit einzuhalten.252 Mittels Covenants lassen sich die unterschiedlichen Interessen von Kreditgebern und dem Kreditnehmer ausbalancieren.253 Financial Covenants legen bestimmte Finanz-
247 248
249 250 251 252 253
Vgl. Rieger, C. (2002), S. 278. Vgl. Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 64f., Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 36f. Vgl. zu Begriff u. Aufgaben des Lenkungsausschusses Müller, R. (1986), S. 524f. u. Müller, R. (1982), S. 157. Vgl. auch (im Leitfaden) Kap. 5.2.6.5. Zu den Anforderungen des KWG bzw. der BaFin vgl. Kap. 3.3.2. Vgl. dazu auch die rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte in Kap. 3. Vgl. Drukarczyk, J. (2002), S. 423. Vgl. auch Kap. 3.3.1.1. Wöhe, G., Bilstein, J. (2002), S. 204ff. Kreditgeber verfolgen das Ziel, das Kreditausfallrisiko zu minimieren und sich ausreichende Kündigungsrechte offenzuhalten, während Kreditnehmer daran interessiert sind, ihre unternehmerische Freiheit zu erhalten, die Liquidität zu sichern und Kreditkündigungen zu vermeiden.
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Theoretischer Bezugsrahmen
kennzahlen fest, die nicht über- oder unterschritten werden dürfen,254 und reduzieren das zukünftige Verhalten des Kreditnehmers bezüglich Investitionen und Finanzierungs- bzw. Ausschüttungspolitik auf ein bestimmtes, vorab festgelegtes Risikoniveau.255 Der Schuldner hat sich definierten Berichtspflichten und CompliancePrüfungen zu unterwerfen, so dass Verletzungen der Covenants ("covenant breach"), die grundsätzlich Neuverhandlungen bzw. Vertragsanpassungen oder Sanktionen zur Folge haben, zeitnah offenzulegen sind.256 Vor dem Hintergrund des mit einer Krise grundsätzlich zunehmenden Risikos und der gegenwärtig zu beobachtenden steigenden Anzahl unterschiedlicher Gläubiger ist eine Cross-Default-Klausel in Covenants von besonderem Interesse.257 Nach einer solchen Regelung gilt ein "covenant breach" eines mit einem Dritten (eventuell zu einem späteren Zeitpunkt) geschlossenen Kreditvertrags auch für den vorliegenden Kreditvertrag als "covenant breach" mit den entsprechenden Sanktionen. Durch dieses Vorgehen stehen die Vertragsgläubiger dem Schuldner geschlossen gegenüber, was die Sanktionsdrohung erheblich verschärft und zugleich auch den Beginn eines koordinierten Vorgehens seitens der Gläubiger bedeuten kann. Covenants sind allerdings nur für professionalisierte Gläubiger wie Kreditinstitute und ggfs. Versicherer eine Möglichkeit, sowohl Hidden Information als auch Hidden Action zu begrenzen.258 Aus den vorhergehenden Erläuterungen wird deutlich, dass die Stakeholder ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Gelingen einer Sanierung sind.259 SLATTER beschreibt Stakeholder-Management als "like engine oil" bzw. "[…] lubricant without which the project cannot succeed. Therefore needs to be enough of it and must be at the right temperature to work efficiently."260 Die genaue Ausgestaltung des Stakeholder-Managements hängt sowohl von der Anzahl der Stakeholder(-gruppen) als auch von den Beziehungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern ab. Während die bestehenden und neuen Financial Stakeholder über die Entscheidungsgewalt bzgl. der finanziellen Sanierung verfügen, bestimmen andere Stakeholder wie 254 255
256
257 258 259
260
In der Praxis verbreitet sind Debt Service Cover Ratio u. Leverage Ratio, vgl. auch Kap. 5.2.7.2. Vgl. Drukarczyk, J. (2002), S. 431ff. Als Folge von Covenants erwarten Investoren eine bessere Qualität der Planungen von Unternehmen, vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Neben Financial Covenants existieren auch General Covenants (z.B. die Einhaltung von Betriebsgenehmigungen oder eines best. Versicherungsschutzes) und Information Covenants (z.B. Pflichten zur Offenlegung von unternehmensbezogenen Finanzinformationen wie Unterlagen nach § 18 KWG). Vgl. Drukarczyk, J. (2002), S. 431. Zur (teilweise umstrittenen) Wirkungsweise von Covenants und ihrem Verhältnis zur Rechtsprechung, vgl. Drukarczyk, J. (2002), S. 437ff. Unter Compliance versteht man die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und freiwilligen Kodizes in Unternehmen. Vgl. im Folgenden zur Cross-Default-Klausel Drukarczyk, J. (2002), S. 437. Vgl. Drukarczyk, J. (2002), S. 431. Vgl. z.B. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 113, Scherrer, P. S. (2003), S. 71, Krystek, U. (2002), S. 116, Böckenförde, B. (1996), S. 42, Rosenzweig, J. (2006), S. 161ff. Slatter, S., Lovett, D. (1999), S. 182. Vgl. ähnlich Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 113.
Stakeholder in Unternehmenskrise und Sanierung
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Kunden und Mitarbeiter letztlich, ob eine Sanierung gelingt. Wieder andere Stakeholder wie Aufsichts- bzw. Beirat, wichtige Lieferanten, Gewerkschaften sowie die Presse fungieren als notwendige Unterstützung, um den Sanierungsprozess durchzuziehen.261 Basis für ein Stakeholder-Management ist die Analyse der jeweiligen Positionen der Stakeholder, die typischerweise parallel zur Analyse der Ausgangssituation des Krisenunternehmens durchgeführt wird.262 Dazu wird nach Ermittlung der Stakeholder ihre jeweilige Relevanz für das Krisenunternehmen festgestellt, die z.B. in einer Relevanz-Matrix der Stakeholder abgebildet werden kann.263 Daran schließt sich die Gegenüberstellung von Erwartungen und Nutzen an, um im letzten Schritt für die einzelnen Stakeholder Aktions-, Verhandlungs- und Kommunikationspakete zu definieren. Dieses Vorgehen ist vor allem bei Sanierungen kein einmaliger Vorgang, sondern ein laufender und die gesamte Sanierung begleitender Verhandlungsprozess. Genauso stellt das "Verkaufen" eines Sanierungskonzepts in der Sanierungspraxis einen kontinuierlichen Überzeugungsprozess dar, bei dem die Stakeholder in der Regel durch mehrere Präsentationen zu gewinnen sind.264 Es geht bei Sanierungen also darum, nicht nur das Board und die "eigenen Truppen", sondern vor allem die relevanten Stakeholder vom Sanierungskonzept zu überzeugen.265 Daher müssen die Träger der Sanierung die Bedürfnisse des Unternehmens und der Stakeholder verstehen und miteinander in Einklang bringen.266 Es empfiehlt sich eine klare und offene Kommunikation mit allen Stakeholdern und das rechtzeitige Bereitstellen aller relevanten Informationen.267 Dieser Prozess ist nicht einfach und es muss in einer Situation, die von Vorwürfen und Misstrauen geprägt ist, verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden.268
261
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264
265 266 267 268
Zu diesen Stakeholder gehören all diejenigen, die einen negativen Effekt auf die Sanierung ausüben können, vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 113. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 114f. Vgl. ein ähnliches Vorgehen bei Carroll, A. B., Buchholtz, A. K. (2006), S. 75ff. Vgl. zum Vorgehen Müller-Stewens, G., Lechner, C. (2001), S. 127ff. In der Relevanz-Matrix wird auf der Abszisse der Einfluss der Stakeholder und auf der Ordinate die Beeinflussbarkeit der Stakeholder abgetragen. Vgl. auch Rosenzweig, J. (2006), S. 164. Vgl. Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 71. Dabei kann sich der Zweck des ersten Meetings darauf beschränken, aufzuzeigen, dass eine oder mehrere tragfähige Alternativen bzw. ein Grobkonzept vorgestellt werden. In einem zweiten Meeting kann dann die Vorstellung der empfohlenen Alternative, gestützt durch finanzielle Berechnungen und im dritten Meeting die formale Entscheidung bzw. Bestätigung der Entscheidung über das vorgelegte Sanierungskonzept erfolgen. Vgl. Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 70f. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 115. Vgl. auch Bontrup, H. (2002), S. 66. Vgl. Burbank, R. K. (2005), S. 55, Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 40. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 115.
52
Theoretiscer Bezugsrahmen
2.3 Sanierung als Form des Krisenmanagements 2.3.1 Begriffsbestimmung und Grundlagen zum Krisenmanagement Der Begriff Krisenmanagement kommt ursprünglich aus dem politischen Bereich und wurde dort vermutlich erstmalig um 1962 im Zusammenhang mit der Kuba-Krise verwendet.269 Seit den siebziger Jahren wird er in der Betriebswirtschaft angewendet270 und kann grundsätzlich als umfassende Reaktion auf die eingangs definierte Unternehmenskrise angesehen werden. In der Literatur existieren über Inhalt und Aufgaben des Krisenmanagements verschiedene Auffassungen. Sie stellen vor allem auf unterschiedliche Phasen von Unternehmenskrisen ab, auf die mittels Krisenmanagement reagiert werden soll.271 Während der Begriff der Krisenvermeidung weiter auszulegen ist und zeitlich bereits bei potenziellen und latenten Krisen einsetzt, wird der Begriff der Krisenbewältigung erst bei einer akut/beherrschbaren Krise verwendet. Dabei ist strittig, ob die Krisenvorsorge und -vermeidung auch unter den Begriff des Krisenmanagements einzuordnen ist. Nach KRYSTEK ist Krisenmanagement zu verstehen als "[...] besondere Form der Führung von höchster Priorität, deren Aufgabe es ist, alle jene Prozesse der Unternehmung zu vermeiden oder zu bewältigen, die ansonsten in der Lage wären, den Fortbestand der Unternehmung substanziell zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen."272 Gegen diese weite Definition des Krisenmanagements, die auch explizit die Krisenvorsorge und -vermeidung mit einschließt, wird berechtigterweise eingewendet, dass Vorsorge und Vermeidung zukünftiger Krisen originäre Aufgaben des Managements sind und daher die weite Definition ähnlich einer unreflektierten und zu häufigen Verwendung des Begriffs Krise zu einer Aushöhlung des Begriffs Krisenmanagement führen dürfte.273 Befürworter der obigen Definition argumentieren dagegen, dass die weite Definition die Aktionsbreite des Krisenmanagements erheblich vergrößert, und ergänzen aber auch, dass Management umfassender zu verstehen ist als Krisenmanagement.274 Während in der Literatur bezüglich der Anwendung des Begriffs Krisenmanagement bei latenten und
269 270 271
272 273 274
Vgl. v. Raven, W. (1968), S. 33f., David, S. (2001), S. 6. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 138, Schulten, M. F. (1995), S. 21. Vgl. zum Verlauf von Unternehmenskrisen Kap. 2.1.2. Zu verschiedenen Deutungen des Krisenmanagements in der Betriebswirtschaft, vgl. Bergauer, A. (2001), S. 283ff. Krystek, U. (2002), S. 98. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 98, David, S. (2001), S. 27f., Clasen, J. P. (1992), S. 120. Dies lässt sich mit der Formulierung "vielleicht als eine Kombination aus Chancen- und Krisenmanagement" umreißen, vgl. Krystek, U. (2002), S. 97f. Zur Kritik an dieser Abgrenzung vgl. Schulten, M. F. (1995), S. 60f. Zu einer weiteren Unterscheidung in zentrales und dezentrales Krisenmanagement vgl. Staehle, W. (1993a), S. 2463f.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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potenziellen Unternehmenskrisen also keine Einigkeit besteht, wird der Begriff Krisenmanagement unstrittig für den Umgang mit akuten Krisen verwendet.275 Krisenmanagement kann wie Management und Führung grundsätzlich als Prozess, Institution und System verstanden werden.276 Als Prozess bezieht sich Krisenmanagement auf die Identifikation überlebenskritischer Prozesse sowie auf die Planung, Steuerung und Kontrolle von Strategien und Maßnahmen zur Vermeidung und/oder Bewältigung dieser Prozesse.277 Als Institution umfasst Krisenmanagement die Träger dieser Führungsform vom Topmanagement, über Aufsichtsgremien und externe Berater bis hin zu Insolvenzverwaltern im Fall einer gerichtlichen Sanierung. Krisenmanagement als System bezieht sich auf die unterschiedlichen Aktionsfelder und kann in Krisenvermeidung und Krisenbewältigung unterteilt werden. Nach KRYSTEK kann Krisenmanagement in Abhängigkeit von den Phasen der Unternehmenskrise in das aktive Krisenmanagement (Krisenvermeidung) und das reaktive Krisenmanagement (Krisenbewältigung) unterschieden werden. Die Krisenvermeidung kann weiter in antizipatives und präventives und die Krisenbewältigung in repulsives und liquidatives Krisenmanagement unterteilt werden (vgl. Abb. 2.5). Das antizipative Krisenmanagement ist die erste und äußerste Form eines umfassenden Krisenmanagements und setzt bei potenziellen Unternehmenskrisen an. Die wesentliche Aufgabe dabei ist die gedankliche Vorwegnahme möglicher Unternehmenskrisen mittels spezifischer Prognosen und Szenarien sowie die darauf aufbauende Entwicklung von Alternativplänen. Durch diese Alternativpläne kann im Fall eines überraschenden Kriseneintritts ein Zeitgewinn bei der Krisenbewältigung erzielt werden. Zum antizipativen Krisenmanagement zählt auch das sogenannte Risk-Management.278 Das präventive Krisenmanagement bezieht sich auf eine latente Krise und damit auf die zweite Phase des generellen Krisenprozesses. Zentrale Aufgabe ist die Früherkennung verdeckter bereits vorhandener Unternehmenskrisen sowie die Planung und Durchführung präventiver Maßnahmen und Strategien, um den Ausbruch solcher Krisen zu vermeiden. 275 276
277
278
Vgl. Krystek, U. (2002), S. 98. Vgl. auch David, S. (2001), S. 27f., Clasen, J. P. (1992), S. 120. Vgl. zum Krisenmanagement als Prozess, Institution und System im Folgenden Krystek, U. (1987), S. 91ff. u. Krystek, U. (2002), S. 98f. Maßnahmen sind zielorientierte Aktionen, die an Informationen sowie an Sach- und Nominalgütern vollzogen werden können. Strategien sind grundlegende Vorgehensweisen (grundlegende zielorientierte Aktionen/Maßnahmen) zur Gestaltung von Richtung, Ausmaß, Struktur und Trägern der Unternehmensentwicklung, vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 26 u. S. 101. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 101. Unter Risk-Management wird die Risikoreduzierung durch Versichern von Risiken verstanden, vgl. Müller, R. (1986), S. 17. Vgl auch Hahn, D. (1987), S. 139ff.
54
Theoretischer Bezugsrahmen
Abb. 2.5: Krisenphasen und Krisenmanagement
MÜLLER
Strategische Krise Erfolgskrise
KRISENMANAGEMENT
KRYSTEK
Liquiditätskrise/Insolvenz
Potenzielle Krise
Latente Krise Aktiv
Antizipativ
Akut/ beherrschbare Krise
Akut/nicht beherrschbare Krise
Reaktiv Präventiv
Krisenvermeidung
Repulsiv (Sanierung)
Liquidativ
Krisenbewältigung
Quelle: Eigene Abbildung
Ausgangspunkt für das repulsive Krisenmanagement ist eine akute, d.h. bereits eingetretene Unternehmenskrise, die aber noch als beherrschbar angesehen werden kann. Zentrale Aufgabe ist die erfolgreiche Zurückschlagung (Repulsion) der eingetretenen Unternehmenskrise durch Planung, Steuerung und Kontrolle von Sanierungsstrategien und -maßnahmen. Repulsives Krisenmanagement umfasst nicht nur die Bewältigung von Unternehmenskrisen außerhalb der Insolvenz, sondern bezieht auch Formen der unternehmenserhaltenden Krisenbewältigung im Rahmen gerichtlicher Verfahren mit ein.279 Da sich beim repulsiven Krisenmanagement der Schwerpunkt von der Problematik der Identifikation einer Krise auf ihre unmittelbare Beherrschung verlagert, ist das repulsive Krisenmanagement als Sonderform des normalen unternehmensspezifischen Geschehens anzusehen und zeitlich begrenzt.280 Für viele Autoren ist das repulsive Krisenmanagement die Form des Managements überlebenskritischer Prozesse schlechthin. Für die Bewältigung von akuten beherrschbaren Unternehmenskrisen ist anstelle des Begriffs reaktives bzw. repulsives Krisenmanagement der Begriff Sanierung vielfach gebräuchlicher, der im nächsten Kapitel erläutert wird. 281 Das liquidative Krisenmanagement setzt ebenfalls an einer akuten Unternehmenskrise an, wobei dem Unternehmen allerdings keine Überlebenschancen mehr eingeräumt werden. Zentrale Aufgabe des liquidativen Krisenmanagements ist es 279 280 281
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 107. Vgl. Krystek, U. (1980), S. 69f., Krystek, U. (1987), S. 218. Vgl. Müller, R. (1986), S. 16.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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daher, eine freiwillige oder zwangsweise angeordnete Liquidation des Krisenunternehmens zu planen und durchzuführen, um die Stakeholder vor noch größeren Vermögensverlusten zu schützen und ihnen eine bestmögliche Befriedigung ihrer Ansprüche zu ermöglichen. 2.3.2 Sanierung zur Bewältigung von Unternehmenskrisen 2.3.2.1 Begriffsbestimmung zur Sanierung Etymologisch stammt der Begriff Sanierung vom lateinischen "sanare" ab und bedeutet Heilung bzw. Schaffung gesunder und leistungsfähiger Zustände.282 Obwohl die Sanierung auch in der Rechtswissenschaft eine wichtige Rolle spielt, gibt es keine allgemeine rechtliche Begriffsbestimmung. Die juristische Literatur hält sich an die betriebswirtschaftliche Definition oder greift auf die steuerrechtliche Definition des inzwischen abgeschafften Sanierungsprivilegs gemäß dem § 3 Nr. 66 EStG a.F. bzw. auf den Sanierungserlass der Finanzverwaltung vom 27.3.2003 zurück. Als Tatbestandsmerkmal einer Sanierung ist danach die Bewahrung eines Unternehmens vor dem drohenden finanziellen Zusammenbruch und die nachhaltige Wiederherstellung seiner Ertragsfähigkeit zu verstehen.283 Übertragen auf die Betriebwirtschaft wird unter einer Sanierung allgemein die Rettung eines Unternehmens aus der Krise bzw. die Wiederherstellung der nachhaltigen Ertragskraft eines Krisenunternehmens verstanden.284 Die betriebswirtschaftliche Literatur unterscheidet nach Art und Umfang zwischen der Sanierung im engeren und der Sanierung im weiteren Sinne:285 •
Sanierung i.e.S.: Die enge Definition der Sanierung umfasst nur finanzwirtschaftliche Maßnahmen zur Gesundung eines Krisenunternehmens.
•
Sanierung i.w.S.: Die weite Definition bezieht die Summe aller aus ganzheitlicher strategischer Perspektive entstammender, führungsorientierter, organisatorischer, finanz-, leistungs- und sozialwirtschaftlicher Maßnahmen, die zur Rettung eines Krisenunternehmens führen können, mit ein.286
282 283
284 285
286
Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2879, Böckenförde, B. (1996), S. 7, Gless, E. S. (1996), S. 44f. Vgl. Gawaz, K. D. (1997), S. 7, Brandstätter, J. (1993), S. 7. Vgl. Bundesministerium für Finanzen (2003), S. 1. Der Sanierungserlass bedeutet keine Wiedereinführung des § 3 Nr. 66 EStG a. F., da die grundsätzliche Steuerpflicht von Sanierungsgewinnen unangetastet bleibt und vorrangig zu einem vollständigen Abbau vorhandener Verlustvorträge führt, vgl. Pannen, K., Deuchler, I., Kahlert, G., et al. (2004), S. 187. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 10, Krystek, U. (1992), S. 2879. Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2879, Brandstätter, J. (1993), S. 9, Böckenförde, B. (1996), S. 7, Gless, E. S. (1996), S. 44f., Staehle, W. (1993b), S. 4380. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 7.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Die weite Definition der Sanierung bringt zum Ausdruck, dass eine rein finanzwirtschaftliche Sanierung zwar die Zahlungsfähigkeit wieder herstellen bzw. eine Überschuldung vermeiden, kaum aber ein Unternehmen nachhaltig aus einer existenziellen Krise retten kann. Vielmehr ist für eine nachhaltige Sanierung ein ganzheitlicher Ansatz gemäß der Sanierung i.w.S. erforderlich. Daher hat sich in der Betriebswirtschaft die Definition der Sanierung i.w.S. durchgesetzt, die auch hier zu Grunde gelegt wird.287 Ein Unternehmen zu sanieren bedeutet, das Erfolgspotenzial der betroffenen Gesellschaft durch geeignete leistungswirtschaftliche, finanzwirtschaftliche und rechtlich-organisatorische Maßnahmen wieder aufzubauen und eine existenzerhaltende Rentabilität zu erreichen.288 Die Sanierung setzt im akut/beherrschbaren Krisenstadium ein, umfasst wie das reaktive Krisenmanagement ausschließlich den Prozess der Krisenbewältigung und kann daher zum reaktiven bzw. repulsiven Krisenmanagement synonym verwendet werden.289 In der vorliegenden Arbeit wird primär die freie bzw. außergerichtliche Sanierung ("out of court") betrachtet.290 Die Sanierung ist vor allem von der Restrukturierung und dem Turnaround als Begriffen mit teils ähnlicher bzw. synonymer Verwendung abzugrenzen. Zum Begriff der Restrukturierung existieren in der Literatur viele Definitionen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Reorganisationsforschung und kennzeichnet allgemein alle Formen eines geplanten tiefgreifenden Wandlungsprozesses in Unternehmen.291 Dabei handelt es sich grundsätzlich um einen sehr weit gefassten Begriff, der die Bandbreite von einfachen Umorganisationen bis hin zu schwerwiegenden finanziellen Restrukturierungen im Sinne einer Sanierung der Kapitalverhältnisse umfasst.292 Die Maßnahmen, die im Rahmen einer Restrukturierung ergriffen werden, zielen vor allem auf eine Anpassung der Unternehmensstruktur und -aktivitäten an veränderte Marktgegebenheiten.293 Schwerpunkte der Restrukturierung sind nach einigen Autoren rein operative, also leistungswirtschaftliche
287
288 289
290
291
292 293
Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2879, Gless, E. S. (1996), S. 44, Gunzenhauser, P. (1994), S. 10f., Feldbauer-Durstmüller, B. (2003), S. 129, die zusätzlich in formelle und materielle Sanierung unterscheidet. Vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1997), S. 1179, Krystek, U. (1985), S. 584. Vgl. Bergauer, A. (2001), S. 11, Krystek, U. (2002), S. 116. Vgl. auch Krystek, U. (1987), S. 219, Gless, E. S. (1996), S. 44, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 111, Müller, R. (1986), S. 16. Eine Sanierung kann grundsätzlich auch innerhalb bzw. aus der Insolvenz erfolgen. Zu den Vorund Nachteilen einer gerichtlichen bzw. außergerichtlichen Sanierung, vgl. Uhlenbruck, W. (2001), S. 1643ff. bzw. Uhlenbruck, W. (2006), S. 612ff. Vgl. auch Vogt, M. A. (1999), S. 96ff. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 9. Vgl. ähnlich Finsterer, H. (1999), S. 10ff., Kieser, A., Bomke, P. (1995), S. 1829, Krüger, W. (2006), S. 53. Vgl. Burtscher, J. G. (1996), S. 61, Hess, W. (1990), S. 319f. Vgl. Clasen, J. P. (1992), S. 144f.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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Aktivitäten,294 während andere Quellen auch finanzielle und bilanzielle Maßnahmen einbeziehen.295 Die Restrukturierung ist im Gegensatz zu einer Sanierung nach herrschender Meinung nicht zwingend an eine Unternehmenskrise bzw. an eine akut oder latent vorhandene Existenzgefährdung als Ausgangspunkt gekoppelt.296 Nach manchen Autoren wird der Begriff der Restrukturierung hauptsächlich in der Schweiz und Österreich verwendet und ist als Synonym zum Turnaround zu verstehen.297 In Deutschland wird der Begriff Restrukturierung im Gegensatz zum sehr seltenen Gebrauch in der Literatur von Praktikern bzw. in der Praxis relativ häufig als Synonym zur Sanierung bzw. auch zum Turnaround verwendet.298 In der US-amerikanischen Literatur wird der Begriff "restructuring" ebenfalls sehr umfassend definiert.299 Im Gegensatz zur deutschen hat die amerikanische Literatur als Sonderfall des "restructuring" den Begriff des "distressed restructuring" eingeführt, der dann verwendet wird, wenn es speziell darum geht, eine Insolvenz zu vermeiden.300 Der angelsächsische Begriff Turnaround bedeutet Kursänderung oder Umschwung und wird auch mit Herumreißen im Sinne von "das Steuer herumreißen" übersetzt.301 Der Begriff Turnaround hat sich in den letzten Jahren auch im deutschen Sprachgebrauch verbreitet302 und so wird z.B. statt Sanierungskonzepten in der Praxis teilweise auch von Turnaround-Konzepten gesprochen.303 Inhaltlich umfasst ein Turnaround nach der amerikanischen Literatur grundsätzlich ein umfassendes Maßnahmenpaket wie bei einer Sanierung im weiteren Sinne.304 Bezüglich des Bedrohungsgrads der vorliegenden Unternehmenskrise (sogenannte "TurnaroundSituation") bestehen jedoch unterschiedliche Auffassungen.305 Sowohl in der amerikanischen als auch in der deutschen Literatur gibt es Autoren, die einen Turnaround wie die Sanierung an einer akuten Existenzgefährdung des Krisenunter294 295 296
297 298
299
300
301 302 303 304 305
Vgl. Clasen, J. P. (1992), S. 144f. Vgl. Hess, W. (1990), S. 325. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 50, Burtscher, J. G. (1996), S. 62, Finsterer, H. (1999), S. 11. Eine andere Meinung findet sich bei CLASEN, der als Ausgangspunkt einer Restrukturierung eine nicht bzw. (nur) intern erkannte Unternehmenskrise setzt, vgl. Clasen, J. P. (1992), S.144. Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2880. Vgl. z.B. Lüthy, M. (1988), S. 27. Vgl. z.B. Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 49ff., Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 111, Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 178. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 49, Gilson, S. C. (1997), S. 1, Altman, E. I., Hotchkiss, E. (2006), S. 122. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 50f. Zu einer Unterteilung in Portfolio Restructuring, Organizational Restructuring und Financial Restructuring, vgl. Bowman, E. H., Sing, H. (1993), S. 6ff. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 8, Kall, T. (1999), S. 6. Vgl. ähnlich Vogt, M. A. (1999), S. 48. Vgl. z.B. Kall, T. (1999), S. 83, Kolb, S. (2007), S. 158ff. Vgl. Schendel, D. E., Patton, G. R., Riggs, J. (1976), S. 8ff., Slatter, S., Lovett, D. (1999), S. 75ff. Vgl. die Übersichten verschiedener Definitionen zur Turnaround-Situation bei Nothardt, F. (2001), S. 147 bzw. Robbins, D. K., Pearce II, J. A. (1993), S. 629. Vgl. auch Schendel, D. E., Patton, G. R., Riggs, J. (1976), S. 3, Bibeault, D. B. (1998), S. 8, Slatter, S. (1984), S. 19, Sloma, R. S. (2000), S. 20. Vgl. zu Turnaround-Symptomen Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 16ff.
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Theoretischer Bezugsrahmen
nehmens festmachen.306 Andere Autoren vertreten die Meinung, dass keine akute Krisensituation als Ausgangspunkt für einen Turnaround vorliegen muss und es ausreicht, wenn der Geschäftserfolg ein bestimmtes Mindestniveau unterschreitet.307 Als Abgrenzung zur Sanierung wird hier der in der deutschen Literatur vorherrschenden Meinung gefolgt, dass bei einem Turnaround keine Krise und damit keine Existenzbedrohung vorliegen muss, sondern als Auslöser bereits eine Situation genügt, in der der Geschäftserfolg unter ein minimal akzeptiertes Niveau sinkt. Die uneinheitliche Definition und Verwendung der Begriffe Sanierung, Restrukturierung und Turnaround in der deutschen Literatur und Praxis wird teilweise damit begründet, dass Restrukturierung und Turnaround oftmals bewusst verwendet werden, um den negativ belegten Begriff der Sanierung zu vermeiden.308 Aufgrund der fortschreitenden Internationalisierung und dem stärkerem Einfluss angloamerikanischer Investoren ist mit einer weiteren Verbreitung des Begriffs Turnaround zu rechnen. Wegen der definitorischen Unschärfe der Begriffe Restrukturierung und Turnaround wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der Sanierung (i.w.S.) zur Bewältigung der in Kapitel 2.1 definierten Unternehmenskrise verwendet.309 2.3.2.2 Träger der Sanierung Die Träger der Sanierung sind die treibende Kraft der Krisenbewältigung und planen, steuern, kontrollieren sowie verantworten den Sanierungsprozess.310 Damit stellen sie für die Dauer der Bewältigung der Unternehmenskrise faktisch die Führung des Krisenunternehmens. Aufgrund der typischen Merkmale einer Krisensituation wie Existenzbedrohung, Zeitdruck, Intransparenz und Neuartigkeit der Problemstellung, Verunsicherung, Vertrauensschwund, Widerstand in der Belegschaft und Ambivalenz des Ausgangs ist die Zuteilung der Aufgaben auf die Sanierungsträger und deren Koordination ein wesentlicher Erfolgsfaktor einer Sanierung.311 Zum Sanierungsmanagement zählen zunächst die Träger der regulären Unternehmensführung312 und damit die oberste interne Unternehmensführung einschließlich des mittleren und unteren Managements sowie die Aufsichtsgremien des Krisenunternehmens (z.B. Aufsichtsrat oder Beirat) und Sanierungsberater (externe 306
307
308
309 310 311 312
Vgl. Bibeault, D. B. (1998), S. 81, Slatter, S. (1984), S. 13f., Kall, T. (1999), S. 9, Kolb, S. (2007), S. 41. Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2880, David, S. (2001), S. 30, Böckenförde, B. (1996), S. 8, Sloma, R. S. (2000), S. 13, Pandit, N. R. (2000), S. 34, Hoffmann, R. (1989), S. 48, Schendel, D. E., Patton, G. R., Riggs, J. (1976), S. 3, Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 4. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 50 mit weiteren Quellen. Zur Feststellung, dass der Begriff Sanierung zu einem Reizwort geworden ist, vgl. Krystek, U. (1991), S. 331. Wenn im Folgenden von Sanierung gesprochen wird, ist damit die Sanierung i.w.S. gemeint. Vgl. zu diesem Kapitel Krystek, U. (1987), S. 97ff., Böckenförde, B. (1996), S. 103ff. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 63. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 98. Vgl. zur Unternehmensführung als Institution Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 28ff.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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Führung). Darüber hinaus ergeben sich in einer Unternehmenskrise zusätzliche Einflussmöglichkeiten für einzelne Stakeholder wie z.B. bestehende aber auch zukünftige Kapitalgeber (Gläubiger, Investoren) und Mitarbeiter, die damit in der Krise ggf. selbst zu Planungsträgern werden.313 Im Fall der Sanierung in der Insolvenz kommt der Insolvenzverwalter als gesetzlich eingesetzter Träger der Sanierung hinzu bzw. ersetzt oben genannte Sanierungsträger.314 Das Sanierungsmanagement kann somit sowohl aus dem Unternehmen kommen (interne Träger) als auch von außerhalb des Unternehmens (externe Träger) stammen. Die jeweiligen Träger haben aufgrund rechtlicher Kodifizierung sowie der für eine Krisensituation typischen Verlagerung von Verfügungsrechten unterschiedliche Einflussmöglichkeiten auf die Ausarbeitung des Sanierungskonzepts bzw. den Sanierungsprozess.315 In der Praxis kann eine Sanierung sowohl durch einen der oben genannten Träger allein erfolgen als auch durch eine Kombination verschiedener externer und interner Träger.316 Für die Kombination der Träger spricht, dass dadurch in der Regel die Effizienz der Krisenbewältigung gesteigert wird.317 Die Zusammensetzung des Sanierungsmanagements ist im jeweiligen Einzelfall z.B. von Krisenart und -stadium, der Eignung des bisherigen Managements sowie den Machtverhältnissen bzw. der Verteilung der Anteilsrechte abhängig.318 Interne Träger Zu den internen Trägern einer Sanierung gehören die oberste reguläre Unternehmensführung, das mittlere und untere Management und die Aufsichts- bzw. Kontrollorgane des Unternehmens, die im Einzelfall durch weitere Träger wie z.B. Spezialisten auf bestimmten Gebieten oder den Betriebsrat ergänzt werden können.319 Grundsätzlich kommt als interner Träger einer Sanierung aufgrund der hierarchischen Machtposition, des hohen Informationsstands und der Führungserfahrung das Topmanagement in Betracht. In der Praxis wird das Topmanagement in Krisensituationen aber recht häufig zumindest teilweise abgelöst. Das ist vor allem dann der Fall, wenn dem Topmanagement die Verursachung der Krise anzulasten ist oder wenn es mit der Krisenbewältigung überfordert ist bzw. im Kreis der Stakeholder das für eine erfolgreiche Sanierung absolut erforderliche Vertrauen verloren hat.320 Das mittlere und untere Management wirkt im Rahmen einer Sanierung bzw. der Erstellung eines Sanierungskonzepts an Analysetätigkeiten, Entwicklung und Detail313 314 315 316 317 318 319 320
Vgl. Sieben, G., Russ, W. (1989), S. 1765, Müller, R. (1985), S. 44, Krystek, U. (1987), S. 224. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 103. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 46. Vgl. auch Altman, E. I., Hotchkiss, E. (2006), S. 219. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 104, Böckenförde, B. (1996), S. 124. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 104. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 64. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 103ff. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 98. Vgl. auch Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 104.
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Theoretischer Bezugsrahmen
lierung von Sanierungsmaßnahmen sowie deren Umsetzung und Kontrolle mit. Die Aufsichtsorgane sind selten Träger der Krisenbewältigung, sondern spielen bei der Identifikation der Krise, der Auswahl des Sanierungsmanagements sowie bei der Beauftragung Dritter zur Erstellung eines Sanierungskonzepts bzw. bei der offiziellen Verabschiedung des Sanierungskonzepts eine wesentliche Rolle.321 Externe Träger Traditionell zählen zu den externen Trägern einer außergerichtlichen Sanierung vor allem Banken und Sanierungsberater bzw. Krisenmanager.322 In letzter Zeit treten zudem vermehrt vornehmlich angloamerikanische Turnaround-Investoren auf, die z.B. in das Eigenkapital von Krisenunternehmen investieren oder Banken durch den Kauf ihrer Kreditforderungen ggü. dem Krisenunternehmen als Träger des Sanierungsmanagements ablösen. Darüber hinaus kommen als weitere externe Träger Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte und ggf. Kammern und Verbände in Betracht.323 Banken sind aufgrund ihres finanziellen Engagements oftmals bestrebt, an einer Sanierung mitzuwirken. Zudem sind sie gemäß der Bankenaufsicht verpflichtet, sich bei Begleitung einer Sanierung ein Sanierungskonzept vorlegen zu lassen und dessen Umsetzung zu überwachen.324 Um Haftungsrisiken zu beschränken, vermeiden Banken in der Regel eine aktive Beteiligung an einer Sanierung z.B. in Form von Entscheidungen oder Entwicklung von Sanierungsmaßnahmen und beschränken sich auf die Beratung in speziellen Finanzierungsfragen.325 Neben diesem klassischen Vorgehen nutzen Banken in letzter Zeit vor dem Hintergrund von bankinternem Portfolio-Management auch immer mehr die Möglichkeit, Kredite von Krisenunternehmen (distressed debt) an spezielle Finanzinvestoren zu verkaufen.326 Dieses Vorgehen von Seiten der Banken ist mittlerweile "hoffähig" geworden und dementsprechend enthalten heutige Kreditverträge in der Regel entsprechende Transferklauseln. Externe Sanierungsberater werden in Krisenfällen vielfach im Auftrag von Banken, des Aufsichtsrats und seltener der Unternehmensleitung direkt327 sowie in jüngerer Zeit auch vermehrt im Auftrag von internationalen Investoren tätig. Externe 321 322 323 324 325 326
327
Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 109, Müller, R. (1986), S. 438. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 110ff. Vgl. David, S. (2001), S. 264ff., Vallendar, H. (2006), S. 1. Vgl. Kap. 3.3.2. Vgl. Kap. 3.3.2.4. Vgl. auch Böckenförde, B. (1996), S. 112f., Gless, E. S. (1996), S. 64. Distressed debt bezeichnet notleidende Kredite, d.h. Kredite, bei denen überhaupt nicht mehr mit planmäßigem Kapitaldienst (Zinsen, Tilgung, Provisionen) gerechnet werden kann (non-performing loans) oder deren Rückführung ins Stocken geraten ist (sub-performing loans), vgl. Aldenhoff, H.-H., Kalisch, I. (2006), S. 878. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 114.
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Sanierungsberater können entweder zur Lösung von Spezialproblemen eingesetzt werden oder der Unternehmensführung als generelle Berater zur Seite stehen bzw. diese im Extremfall sogar zeitweise ersetzen.328 Sanierungsberater verfügen über eine breite Erfahrung und erprobte Methoden zur Analyse komplexer Aufgabenstellungen, die sie zur schnellen Erarbeitung eines Sanierungskonzepts bzw. der Entwicklung von Sanierungsmaßnahmen befähigen.329 Durch ihre Sachkunde und persönliche Integrität sowie aufgrund ihrer unvorbelasteten neutralen Stellung können sie unangenehme und einschneidende Maßnahmen oft leichter durchsetzen.330 Externe Krisenmanager sind überwiegend selbstständige oder von Beratungsgesellschaften freigestellte Berater, die über eine hohe Reputation und große Sanierungserfahrung verfügen und das vorhandene Management zeitweise ersetzen.331 In diesem Zusammenhang wird in jüngerer Zeit, beeinflusst durch die Sanierungspraxis in den USA, vom Chief Restructuring Officer (CRO) gesprochen, der mit der Stabilisierung der Krisensituation, dem Stakeholder-Management sowie der finanziellen Sanierung beauftragt ist.332 Dabei ist die Übernahme von Organ- und damit Haftungsverantwortung charakteristisches Merkmal eines CRO.333 Neben Unternehmensberatern sind auch Wirtschaftsprüfer mit der Erstellung und vor allem der Begutachtung von Sanierungskonzepten befasst.334 Mit den IDW-Grundsätzen zur Erstellung von Sanierungskonzepten sowie den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 bzw. den Sanierungsansätzen von Beratungsgesellschaften äußern sich vor allem externe Träger der Sanierung zu den betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte.335 Dies ergibt sich daraus, dass Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer regelmäßig mit der Erstellung bzw. Begutachtung von Sanierungskonzepten beauftragt werden. Sowohl für Wirtschaftsprüfer als auch für Unternehmensberater dienen die jeweiligen Anforderungen einerseits dazu, rechtliche Risiken zu minimieren, und andererseits 328 329 330 331 332
333
334
335
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 100f. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 107, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 104. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 111ff., Vallendar, H. (2006), S. 1. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 117f. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 3, Altman, E. I., Hotchkiss, E. (2006), S. 294, Krüger, W. (2006), S. 163. Vgl. zum CRO im deutschen Restrukturierungsmarkt Völpel, M., Bach, N., Pantaleon, F., et al. (2006), S. 6ff. Im WP-Handbuch wird die Erstellung von Sanierungskonzepten primär als Aufgabe von Beratern und die Begutachtung von Sanierungskonzepten als Aufgabe von Wirtschaftsprüfern bezeichnet, vgl. IDW (2002), S. 329. Nach GRABOW wird das Votum eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers von Banken nicht so hoch eingeschätzt wie das eines Sanierungsberaters, vgl. Grabow, H. J. (1997), S. 5. Der Fokus der klassischen Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern liegt primär auf (vergangenheitsorientierten) Analysen des Ist-Zustands, vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 116. Vgl. auch (Stichwort Sanierungsprüfung) Kap. 2.3.3.1. Vgl. Kap. 3. Auch bei der Sanierungstätigkeit der Treuhandanstalt haben sowohl Wirtschaftsprüfer als auch Unternehmensberater mitgewirkt, wobei die Konzepterstellung in erster Linie von Unternehmensberatungen durchgeführt wurde, vgl. Gless, E. S. (1996), S. 167.
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Theoretischer Bezugsrahmen
werden sie auch verwendet, um eigene betriebswirtschaftliche Standards zu etablieren. 2.3.2.3 Prozess der Sanierung In der Literatur wird der Sanierungsprozess durch viele unterschiedliche Phasenmodelle beschrieben, die sich häufig am generellen Führungsprozess orientieren.336 Der Prozess einer Sanierung unterscheidet sich vom regulären Führungsprozess grundsätzlich dadurch, dass eine Unternehmenskrise mit ihren spezifischen Merkmalen vorliegt.337 Dabei erfordern speziell der im Krisenverlauf abnehmende Handlungsspielraum und ein außergewöhnlich hoher Zeitdruck ein krisenspezifisches Vorgehen.338 Als grundsätzliche Regeln für die erfolgreiche Durchführung von Sanierungsprozessen werden in der Literatur genannt:339 (1)
(2)
Gemeinsame Problemdefinition anstelle unreflektierter Zentralisation:340 Dadurch können die häufig sehr einschneidenden Sanierungsmaßnahmen allgemein besser verständlich und akzeptierbar gemacht werden. Errichtung von organisatorischen Strukturen speziell für den Krisenfall: Bei einer Sanierung lassen sich dadurch destruktive Verhaltenstendenzen vermeiden.
(3)
(4)
Offene Führung der Krise: Statt Festhalten an bestehenden Entscheidungsroutinen hat sich in Krisensituationen die Öffnung für ungewöhnliche Perspektiven und die Stärkung von Eigeninitiative bewährt. Antizipieren, offene Diskussion, konstruktives Nutzen von Konflikten: Krisensituationen sind grundsätzlich Konfliktsituationen, da verschiedene Interessen aufeinanderprallen, Besitzstände bedroht sind und Ressourcen neu verteilt werden. Eine Unterdrückung der Konflikte verschärft eher die Krisensituation und ein zu starker Konformitätsdruck schwächt die Motivation, an der Bewältigung der Krise mitzuwirken.
Um den komplexen Sanierungsprozess überschaubar und handhabbar zu machen, kann er in einzelne Phasen zerlegt werden, die jedoch nicht als strenge zeitliche Abfolge anzusehen sind. Diese Phasen bilden eine logische Ordnung für ein 336
337 338 339
340
Vgl. z.B. Krystek, U. (1987), S. 91ff., Krystek, U. (1981), S. 98ff., Gunzenhauser, P. (1994), S. 21ff., Müller, R. (1986), S. 317ff., Stadlbauer, K. (1991), S. 117, Gless, E. S. (1996), S. 130ff., Böckenförde, B. (1996), S. 52ff. Vgl. Kap. 2.1.1. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 48f. Vgl. Schreyögg, G. (2004), S. 30f., Watkins, M. D., Bazerman, M. H. (2003), S. 72ff., Smart, C., Vertinsky, I. (1977), S. 641ff. In Krisen lässt sich häufig eine Tendenz zur Zentralisation von Entscheidungen und damit verbunden die Einengung von Alternativen beobachten, vgl. Smart, C., Vertinsky, I. (1977), S. 641ff.
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planvolles Vorgehen bei einer Sanierung und können sich gegenseitig überlappen und ggfs. mehrmals durchlaufen werden.341 Die Intensität und Dauer der einzelnen Phasen sowie die Rückkopplungen zwischen den Phasen werden je nach Einzelfall durch Intensität und Dauer der spezifischen Krisenmerkmale bestimmt.342 Trotz ihrer Vielzahl sind sich die Phasenmodelle relativ ähnlich. In der vorliegenden Arbeit wird das Phasenmodell von GUNZENHAUSER zu Grunde gelegt (vgl. Abb. 2.6), da er die Phase der Erstellung des Sanierungskonzepts besonders detailliert beschreibt.343 Abb. 2.6: Phasenmodell des Sanierungsprozesses 1
2
3
4
5
6
7
Sanierungskonzept
Krisenerkennung
Initiierung Grobder Sanieanalyse rung
Sofortmaßnahmen
Vorläufige Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit
Detailanalyse: Ausgangssituation Krisenursachen Markt und Wettbewerb
Konzept i.e.S.: Sanierungsziele, -strategien und -maßnahmen sowie Businessplanung
Implementierung u. Detaillierung
Kontrolle
Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Gunzenhauser, P. (1994), S. 22
Phase 1: Krisenerkennung Ausgangspunkt jeder Sanierungstätigkeit ist das Erkennen der Unternehmenskrise.344 Allerdings werden Unternehmenskrisen auch heute noch häufig zu spät festgestellt, was sich neben unzureichenden Informationssystemen345 dadurch erklärt, dass es durch feste individuelle oder kollektive Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensmuster erschwert wird, eine Krise zu erkennen.346 Letztlich stellt die Identifikation einer Krise ein Problem der Informationsgewinnung und -bewertung sowie ein Kommunikationsproblem dar.347 In der Literatur wird eine Reihe von Krisenindikatoren bzw. -symptomen beschrieben, die auf eine Unternehmenskrise hindeuten. Diese Indikatoren bzw. Symptome und ihre Intensität hängen von der jeweiligen Krisenart ab.348 Strategische Krisen sind in der Regel schwieriger zu 341 342 343
344 345 346
347
348
Vgl. Müller, R. (1986), S. 317ff. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 130f. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 22ff. Vgl. auch Stadlbauer, K. (1991), S. 117ff. u. Moldenhauer, R. (2004), S. 31ff. zur Verwendung dieses Modells. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 91. Vgl. Freudenberger, W. B., Lipp, A., Watson, H. J. (1997), S. 171, Bibeault, D. B. (1998), S. 217f. Vgl. Kall, T. (1999), S. 72f., Staehle, W. (1993a), S. 2453f. Vgl. zu spezifischen Situationsmerkmalen, die eine Krisenerkennung erschweren Krystek, U. (2002), S. 114. Vgl. Kötzle, A. (1993), S. 23 u. 35f., Schreyögg, G. (2004), S. 27. Zur strategischen Frühaufklärung, vgl. Krystek, U., Müller-Stewens, G. (2006), S. 175ff. Vgl. Müller, R. (1986), S. 320f., Hutzschenreuter, T. (2006), S. 13.
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Theoretischer Bezugsrahmen
erkennen als Ergebnis- oder Liquiditätskrisen, da mit zunehmender Beeinflussung der Erfolgs- und Liquiditätssituation die Bedrohung offenkundiger wird.349 Interpretationsspielräume bleiben jedoch grundsätzlich bestehen, da die Verschlechterung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen vielfältige Ursachen haben kann. Erst die drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung können als eindeutige Krisenindikatoren angesehen werden.350 In der Phase der Krisenerkennung werden weder die Krisenursachen als konkretes Problem angesehen noch existiert ein Ansatz zur Krisenbewältigung.351 Phase 2: Initiierung der Sanierung Wird eine Unternehmenskrise erkannt, dann folgt nicht zwangsläufig die sofortige Einleitung einer Sanierung zur Krisenbewältigung, da Unternehmenskrisen vom Management oft falsch eingeschätzt, verdrängt oder auch bewusst verschleiert werden.352 Dieses Vorgehen ist verständlich, da Managementfehler als eine der Hauptursachen für Unternehmenskrisen angesehen werden können und da Krisen in der Regel schwerwiegende – auch personelle – Konsequenzen nach sich ziehen.353 Aus diesem Grund geht die Initiierung der Sanierung oft von externen Stakeholdern wie z.B. Kapitalgebern, Kunden, Lieferanten oder von Kontrollorganen wie dem Aufsichtsrat oder Beirat des Krisenunternehmens aus.354 Die Forderung, eine Sanierung möglichst frühzeitig zu beginnen, begründet sich durch den größeren Handlungsspielraum in frühen Krisenstadien, die zunehmende Einflussnahme externer Stakeholder im Krisenverlauf und den notwendigen Zeitbedarf zur Planung und Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen.355 Die Initiierung einer Sanierung lässt sich nach KALL anhand der beiden Dimensionen Reaktionsstärke und Anlass beschreiben.356 Die Reaktionsstärke als erste Dimension bezieht sich darauf, dass Aktivitäten des Managements zur konkreten Einleitung und Organisation des Sanierungsprozesses eingeleitet werden. Als Beispiele für solche Aktivitäten nennt KALL Veränderungen im Topmanagement, die Einführung einer Projektorganisation sowie den verstärkten Einsatz von Krisenmanagern und Beratern.357 Neben diesen Aktivitäten kann aber auch die Vergabe eines Auftrags zur Erstellung eines Sanierungskonzepts an einen Sanierungsberater als Anzeichen zur 349 350 351 352 353 354
355 356 357
Vgl. Müller, R. (1986), S. 321, Gunzenhauser, P. (1994), S. 23. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 24, vgl. ähnlich Böckenförde, B. (1996), S. 54. Vgl. Kall, T. (1999), S. 74. Vgl. Müller, R. (1986), S. 321f., Krystek, U. (2002), S. 114, Stadlbauer, K. (1991), S. 223. Vgl. zu den Krisenursachen Kap. 2.1.2.3. Vgl. auch Gunzenhauser, P. (1994), S. 24. Vgl. Müller, R. (1986), S. 324, Krystek, U. (2002), S. 114, Stadlbauer, K. (1991), S. 232f. Zum Stakeholder-Ansatz vgl. Kap. 2.2. Vgl. Kall, T. (1999), S. 74 mit vielen weiteren Quellen. Vgl. dazu im Folgenden Kall, T. (1999), S. 74f. Vgl. zu den Trägern der Sanierung Kap. 2.3.2.2.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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Initiierung einer Sanierung angesehen werden. Der Anlass als zweite Dimension zur Initiierung einer Sanierung ist von der Qualität des Informationssystems, der Intensität der Bedrohung sowie dem Einfluss der Entscheidungsträger abhängig.358 Phase 3: Grobanalyse Nach Initiierung der Sanierung ist es das Ziel der Grobanalyse, einen schnellen Überblick über die wirtschaftliche Situation des Krisenunternehmens und eine erste hinreichend verlässliche Abschätzung des Potenzials zur Bewältigung der Unternehmenskrise zu erhalten.359 Durch die Grobanalyse werden das grundsätzliche Vorgehen einer Sanierung festgelegt und mögliche Fehlallokationen von Ressourcen vermieden.360 Da der bestehende Zeit- und Entscheidungsdruck eine umfassende Analyse erschwert, sollte sich die Grobanalyse in Abhängigkeit von der akuten Existenzbedrohung auf folgende Schwerpunkte konzentrieren:361 •
Identifikation von Krisenart und wesentlichen Krisenursachen einschließlich Beurteilung der Auswirkungen der Krise auf das Unternehmen
•
Einschätzung des weiteren Krisenverlaufs ohne Einleitung von Gegenmaßnahmen
•
Bestimmung der Stärken und Schwächen des Unternehmens
•
Prognose der zukünftigen Erfolgschancen des Unternehmens zur Bestimmung der Zweckmäßigkeit einer Sanierung und des verbleibenden Handlungsspielraums zur Krisenbewältigung
•
Schaffung einer Entscheidungsgrundlage für Sofortmaßnahmen
Als Grundlage für die Grobanalyse kommen zunächst Daten aus dem Rechnungswesen des Krisenunternehmens in Betracht, die allerdings gerade bei Krisenunternehmen oft unzureichend bzw. fehlerhaft sind. Daher müssen ergänzend weitere Informationsquellen wie z.B. Gespräche mit Mitarbeitern, aber auch mit externen Stakeholdern wie Banken, Verbänden, Konkurrenten, Lieferanten sowie Kunden herangezogen werden.362 Die Ergebnisse der Grobanalyse bilden die Grundlage für eine erste bzw. vorläufige Entscheidung über Fortführung oder Liquidation des Krisenunternehmens und dessen Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit.363
358 359 360 361 362
363
Vgl. Kall, T. (1999), S. 74ff. Vgl. auch Kötzle, A. (1993), S. 290. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 591, Müller, R. (1986), S. 419. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 25, Krystek, U. (2002), S. 114f. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 25. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S.2 5f., Groß, P. J. (1988), S. 34ff., Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 23ff. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 29, Krystek, U. (2002), S. 114f. Zur Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit vgl. Kap. 2.3.3.2.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Phase 4: Sofortmaßnahmen Die Einleitung von Sofortmaßnahmen dient der umgehenden Stabilisierung des Krisenunternehmens, d.h. der Sicherung des kurzfristigen Überlebens und der Verhinderung einer weiteren Verschlechterung der Situation.364 Die Sofortmaßnahmen werden parallel oder teilweise sogar bereits vor der Vorentscheidung über Fortführung oder Liquidation des Krisenunternehmens eingeleitet und schaffen häufig erst die notwendige "Atempause" zur Planung und Realisierung von Sanierungsstrategien und -maßnahmen.365 Sofortmaßnahmen werden häufig entsprechend ihrer Zielsetzung bzw. Wirkungsweise in liquiditäts- oder ergebnisverbessernde Maßnahmen eingeteilt,366 können aber auch die Führungsorganisation sowie die Kommunikations- und Informationspolitik betreffen.367 Teilweise wird in der Praxis auch von einem "Crash-Programm" gesprochen, das Maßnahmen auf allen Ebenen des Unternehmens umfasst.368 Sofortmaßnahmen haben häufig defensiven Charakter, da sie auf eine Konsolidierung und Konzentration der Aktivitäten des Unternehmens zielen.369 Aus der Literatur lässt sich zwar keine klare Empfehlung über Art, Umfang und Kombination von Sofortmaßnahmen ableiten, aber es existieren umfassende Zusammenstellungen möglicher Sofortmaßnahmen.370 Sofortmaßnahmen stehen nicht selten in einem Zielkonflikt mit den (zeitlich späteren) Sanierungszielen und -strategien.371 Um den Handlungsspielraum einer Sanierung nicht unnötig einzuschränken, sollten Sofortmaßnahmen Teil einer durchdachten Konzeption sein.372 Die besondere Relevanz von Sofortmaßnahmen für eine Sanierung bzw. einen Sanierungsversuch ergibt sich aus zwei Überlegungen. Erstens sind ausreichende liquiditätsverbessernde Maßnahmen dazu geeignet, eine eventuell drohende Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden bzw. zu vermindern. Dazu kommt, dass Kapitalgeber kaum bereit sind, weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen, wenn nicht wenigstens ein grobes Sanierungskonzept vorliegt.373 Zweitens wirken Sofortmaßnahmen grundsätzlich vertrauensbildend374 und können vor dem Hintergrund der Forderung des BGH, dass für einen ernsthaften Sanierungsversuch Sanierungsmaßnahmen 364 365 366 367 368
369 370
371 372 373 374
Vgl. Lüthy, M. (1988), S. 82f., Clasen, J. P. (1992), S. 235. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 115. Vgl. auch Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 20. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 29, Stadlbauer, K. (1991), S. 87. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 145. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 29f., Müller, R. (1986), S. 351 Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 106. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 31, Töpfer, A. (1990a), S. 329. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 31. Zu einer Übersicht für Sofortmaßnahmen vgl. Krystek, U. (1985), S. 604 u. Müller, R. (1986), S. 353. Vgl. bzgl. Banken Buchalik, R. (1998), S. 27f. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 115, Böckenförde, B. (1996), S. 67, Müller, R. (1986), S. 353. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 68. Vgl. zur drohenden Zahlungsunfähigkeit als Insolvenztatbestand Kap. 3.3.1.1. Vgl. Stadlbauer, K. (1991), S. 87ff.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
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fachkundig eingeleitet werden sollten und mindestens in den Anfängen bereits umgesetzt sein müssen, eine wichtige Rolle spielen.375 Phase 5: Sanierungskonzept Die Sicherung der Überlebensfähigkeit und die Wiederherstellung der mittel- bis langfristigen Leistungsfähigkeit eines Krisenunternehmens erfordern Sanierungsmaßnahmen, die in ein ganzheitliches und realistisches Sanierungskonzept eingebunden sind und über kurzfristig wirkende Sofortmaßnahmen hinausgehen.376 Das Sanierungskonzept ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren einer Sanierung und bildet den Rahmen für die Krisenbewältigung.377 Es steht daher mit den an ein solches Konzept zu stellenden rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen im Zentrum der vorliegenden Arbeit.378 Ausgehend von einer Detailanalyse mit den Bestandteilen Analyse der Ausgangssituation, Analyse der Krisenursachen und –symptome und einer Markt- und Wettbewerbsanalyse werden Sanierungsziele und -strategien sowie Sanierungsmaßnahmen entwickelt (Sanierungskonzept i.e.S.) und anschließend in einem Businessplan rechnerisch zusammengeführt.379 Der Hauptbestandteil eines Sanierungskonzepts ist auf der Grundlage einer detaillierten Umwelt- und Unternehmensanalyse bzw. -prognose die Entwicklung eines Lösungswegs aus der Krise.380 Auf der Basis des Sanierungskonzepts wird die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit des Krisenunternehmens beurteilt und nach Fertigstellung des Konzepts wird es durch die Stakeholder (vor allem Gesellschafter und Fremdkapitalgeber) z.B. in einer Bankenrunde offiziell verabschiedet.381 Phase 6: Implementierung und Detaillierung Nach Verabschiedung des Konzepts sind die darin formulierten Strategien und Maßnahmen umzusetzen und ggf. noch weiter zu detaillieren.382 Der Erfolg eines Sanierungsversuchs hängt neben der Qualität und der Machbarkeit der Maßnahmen von der schnellen Umsetzung und der breiten Akzeptanz des Sanierungskonzepts 375 376 377
378
379
380 381
382
Vgl. zu den rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte Kap. 3.3.1.2. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 32, Schimke, E. (1985), S. 29. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 146. Die Bedeutung eines Sanierungskonzepts für eine Sanierung lässt sich in Analogie zur Bedeutung des Businessplans bei einer Unternehmensgründung erklären, vgl dazu, Kolb, S. (2007), S. 158ff. Vgl. zum Sanierungskonzept Kap. 2.3.3 und zu den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen Kap. 3. Vgl. zur Gliederung bzw. den Elementen von Sanierungskonzepten Kap. 2.3.3.3. Zu Besonderheiten der Planung in der Sanierung vgl. Kap. 2.3.2.4. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 146, Gless, E. S. (1996), S. 133. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 113. Vor der offiziellen Verabschiedung sollte das Konzept mit den wesentlichen Stakeholdern abgestimmt werden, vgl. Buchalik, R. (1998), S. 34. Eine besondere Rolle spielt dabei die Einschaltung des Betriebsrats bzw. des Wirtschaftsausschusses, vgl. Kap. 2.2.3. Vgl. zu folgendem Absatz Gunzenhauser, P. (1994), S. 51.
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Theoretischer Bezugsrahmen
seitens der Mitarbeiter ab.383 Die Umsetzung von Sanierungskonzepten trifft in der Praxis jedoch häufig auf Widerstände, die den Sanierungsprozess verzögern oder sogar den Erfolg der Sanierung beeinträchtigen können. Werden Sanierungsmaßnahmen nur teilweise oder mit Verzögerung umgesetzt, so besteht die Gefahr, dass der im Konzept hinterlegte Businessplan nicht erreicht wird. Neben fachlichen Problemen werden vor allem bestehende psychologische Barrieren als Gründe für eine nur teilweise vollzogene Umsetzung bzw. einen Verzug bei der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen genannt.384 Als Lösungsmöglichkeiten bieten sich für die fachlichen Probleme Schulungen oder die Einschaltung externer Unterstützung an. Zur Überwindung der psychologischen Barrieren wird dagegen ein der speziellen Krisensituation angepasster Führungsstil als unverzichtbar angesehen,385 wobei die Empfehlungen bezüglich dieses Führungsstils in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert werden. Grundsätzlich ist das volle Commitment des Vorstands bzw. der Geschäftsführung zum Sanierungskonzept erforderlich und den Mitarbeitern vorzuleben.386 Parallel zur Implementierung wird das Sanierungskonzept weiter ausgearbeitet und in operative Teilprojekte gegliedert. Dabei ist jedes Teilprojekt in ein detailliertes Maßnahmenprogramm mit Aufgaben bzw. Einzelschritten umzusetzen und es sind Termine, Verantwortliche und Effekte zuzuordnen.387 Phase 7: Kontrolle Das Ziel von Kontrolle als notwendiger Ergänzung zur Planung ist es, durch den Vergleich von Soll-Größen (Entscheidungsresultaten) mit Ist-Größen (Durchführungsresultaten) den Erfolg des Handelns zu ermitteln.388 Bezogen auf die Sanierung ist auf Grundlage des Sanierungskonzepts zu prüfen, ob die Sanierungsziele sowie die geplanten Effekte der Sanierungsmaßnahmen erreicht wurden.389 Etwaige Abweichungen sind zu analysieren und im Fall negativer Abweichungen sind kurzfristig Gegenmaßnahmen einzuleiten oder ist die Planung entsprechend der neuen Situation anzupassen.390 Mögliche Gründe für negative Planabweichungen sind:391
383 384 385 386 387 388 389 390 391
Vgl. zur Akzeptanz durch die Mitarbeiter Krystek, U. (1991), S. 337. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 51, Böckenförde, B. (1996), S. 93ff. Vgl. Krystek, U. (1987), 244ff. Vgl. Kraus, G., Becker-Kolle, C., Fischer, T. (2004), S. 168f., Müller, R. (1986), S. 381 u. 621. Vgl. Müller, R. (1986), S. 396ff., Böckenförde, B. (1996), S. 90. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 47. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 52f. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 52f., Böckenförde, B. (1996), S. 97f. Vgl. Müller, R. (1986), S. 407f., Böckenförde, B. (1996), S. 98f.
Sanierung als Form des Krisenmanagements •
Zwischenzeitliche Veränderung der Rahmen- bzw. Umweltbedingungen
•
Falscher oder ungenügender Ressourceneinsatz
•
Mangelnde Effektivität und Effizienz bei der Umsetzung
•
Unvorhergesehene interne Widerstände gegen das Sanierungskonzept
•
Mängel bei der Planung (Konstruktionsfehler des Sanierungskonzepts)
69
Da Sanierungskonzepte in der Phase der Realisierung häufig zu modifizieren sind, ist eine aussagefähige Kontrolle für das Sanierungsmanagement ein wichtiges Steuerungsinstrument.392 In der Literatur wird angeführt, dass Aufgaben und Tätigkeiten der Kontrolle in der Sanierung mit denen eines gesunden Unternehmens vergleichbar sind.393 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen, wobei sich die Kontrolle im Rahmen einer Sanierung in einem kurzfristigen Zyklus mit regelmäßigen Sitzungen besonders auf die Liquidität und das Ergebnis sowie auf die Maßnahmenkontrolle konzentriert. Zur Beurteilung der Nachhaltigkeit ist darüber hinaus die Veränderung der strategischen Erfolgspotenziale zu kontrollieren.394 2.3.2.4 Planung in der Sanierung Planung ist das Fällen von Führungsentscheidungen auf Basis systematischer Entscheidungsvorbereitung zur Bestimmung künftigen Geschehens.395 Planung umfasst mit den Phasen Problemstellung, Suche, Beurteilung und Bewertung sowie Entscheidung die ersten vier Phasen des sechsphasigen Führungsprozesses und stellt als Prozess der Willensbildung die Kernaufgabe der Unternehmensführung dar. An die Willensbildung schließt sich die Willensdurchsetzung mit der Realisationsund Kontrollphase an. Als Hauptfunktionen der Planung zur Sicherung von Effektivität und Effizienz der Unternehmensführung werden in der Literatur genannt:396 •
Zielorientierung, Integration und Koordination des Unternehmensgeschehens
•
Erkennung und Verringerung von Risiken
•
Reduzierung von Komplexität
•
Erhöhung von Flexibilität bzw. Verminderung von Zeitdruck
In Zeiten steigender bzw. auf hohem Niveau verharrender Unternehmensinsolvenzen sind diese Hauptfunktionen der Planung vor dem Hintergrund der dominant
392 393 394
395 396
Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 52f. Vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 52. Vgl. ähnlich Kall, T. (1999), S. 99f. Vgl. zu strategischen Erfolgspotenzialen Gälweiler, A. (1987), S. 26 u. Fn. 94. Vgl. zu diesem Absatz Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 45ff. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 47.
70
Theoretischer Bezugsrahmen
werdenden Zukunftssicherung von Unternehmen besonders wichtig.397 Von großer Bedeutung ist Unternehmensplanung immer dann, wenn komplexe Wirkungszusammenhänge zwischen Zielen und Handlungsmöglichkeiten bestehen und wenn sich die den Handlungserfolg determinierenden Einflussgrößen im Zeitablauf ändern.398 Zu den zentralen Aufgaben einer Unternehmensplanung gehören sowohl die gedankliche Vorwegnahme zukünftiger Ziele (Zielplanung) als auch die Ableitung zukunftsorientierter Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele (Zielerreichungsplanung).399 Aufgrund der hohen Komplexität der Planungsaufgabe wird die Unternehmensplanung in spezifische Einzelaufgaben zerlegt, die als Ergebnis einzelne Teilplanungen erzeugen. Dadurch ergibt sich allerdings der Bedarf einer wirkungsvollen Koordination der einzelnen Teilplanungen im Rahmen eines Planungssystems, da sie bezüglich Zielsetzung und/oder Maßnahmengestaltung konkurrieren bzw. sich in Detaillierungsgrad und Zeitraum unterscheiden können.400 Ein Planungssystem ist eine geordnete und integrierte Gesamtheit verschiedener Teilplanungen, die zur Erfüllung ihrer jeweiligen Ziele nach einheitlichen Kriterien aufgebaut und miteinander verknüpft sind.401 In Literatur und Praxis existiert eine Vielzahl von Planungssystemen, die sich auf das Planungssystem von HAHN zurückführen lassen oder darin ihre systematische Ergänzung finden.402 Dieses Planungssystem umfasst die folgenden vier Teilplanungskomplexe (Abb. 2.7).
1
Generelle Zielplanung
2
Strategische Planung
3
Operative Planung
Projektplanung (aperiodisch)
Abb. 2.7: Planungssystem nach HAHN 4
Ergebnisund Finanzplanung
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 103
397 398 399 400 401 402
Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1161. Vgl. auch Krystek, U. (1987), S. 112. Vgl. Wild, J. (1974), S. 17. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 109. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 109 mit weiteren Quellen. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 111, Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 77f., Wild, J. (1974), S. 153. Vgl. im Folgenden Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 96ff., Krystek, U. (1987), S. 110f.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
71
Generelle Zielplanung Das Hauptziel der Erhaltung und erfolgreichen Weiterentwicklung des Unternehmens wird durch eine Vision bzw. ein Leitbild präzisiert und ist für die jeweiligen Stakeholder so lange gültig, wie sie darin die Chance zur Realisierung ihrer Individualziele sehen. Die generelle Zielplanung legt bezogen auf das Unternehmen als Ganzes die Unternehmenskonzeption und die wichtigsten Sach-, Wert- und Sozialziele fest. Diese generellen Unternehmensziele können als Originärplanung autonom gesetzt oder als Derivativplanung systematisch abgeleitet werden und sind von den Wertvorstellungen der am Zielbildungsprozess beteiligten Planungsträger abhängig. Während durch generelle Sachziele Tätigkeitsbereiche, Branchenzugehörigkeit, angestrebte Leistungen und ggfs. Kundengruppen beschrieben werden, beziehen sich generelle Wertziele auf Vorgaben hinsichtlich Ergebnis und Liquidität. Generelle Sozialziele legen angestrebte Zustände und Verhaltensweisen gegenüber Mitarbeitern, Kapitalgebern, den übrigen Stakeholdern und der natürlichen Umwelt fest. Strategische Planung Als spezifische Zielerreichungsplanung403 ist die strategische Planung von zentraler Bedeutung für das Gesamtunternehmen und hat mittel- bis langfristigen Charakter. Sie umfasst als marktorientierte Programm- und Potenzialstrukturplanung zum einen die Geschäftsfeldstrategie- bzw. Geschäftsfeldplanung als (langfristige) Produkt- und Produktprogrammplanung mit dazugehöriger Investitions- und Desinvestitionsplanung und zum anderen die Planung der Aufbauorganisation und der Informationssysteme sowie die Führungskräfteplanung.404 Die generelle Zielplanung und die strategische Planung werden auch als strategische Planung i.w.S. bezeichnet.405 Operative Planung Die operative Planung als Programm- und Aktionsplanung ist ebenfalls eine Zielerreichungsplanung. Sie baut auf der generellen Zielplanung sowie der strategischen Planung auf und hat kurz- bis mittelfristigen Charakter. Die operative Planung bezieht
403
404
405
Zielerreichungsplanungen dienen der planerischen Umsetzung zukünftig angestrebter Ziele in Strategien und in detaillierte Maßnahmen, vgl. Krystek, U. (1987), S. 93. Die Geschäftsfeldstrategieplanung definiert grundsätzliche Vorgehensweisen in den Geschäftsfeldern, während die Festlegung der Geschäftsfelder einschließlich ihrer Priorisierung durch die Geschäftsfeldplanung erfolgt, vgl. Hahn, D. (2006b), S. 366. Die Begriffe strategisches Geschäftsfeld und strategische Geschäftseinheit werden häufig synonym verwendet, vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 113. Strategische Geschäftsfelder haben in klarer Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern eine Marktaufgabe weitgehend selbstständig zu erfüllen, vgl. Hahn, D. (2006b), S. 215. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 108.
72
Theoretischer Bezugsrahmen
sich auf die kurzfristige Programmplanung sowie die Planung von Funktionsbereichen und wird zum Teil auch aperiodisch als Projektplanung durchgeführt.406 Ergebnis- und Finanzplanung Die (gesamtunternehmensbezogene) Ergebnis- und Finanzplanung ist als derivative Planung die wertmäßige Abbildung und rechnerische Integration der vorherigen Teilplanungen. Sie ist als mehrperiodige Planungsrechnung aufgebaut und dient zur Darstellung der generellen Wertziele sowie der monetären Auswirkungen von Strategien und Maßnahmen. Als originäre Planung dient sie grundsätzlich vor allem zur Planung der Bilanz und der Außenfinanzierung. Gerade in Sanierungen spielt sie als originäre Planung eine bedeutende Rolle, da sie zur Planung der finanziellen Sanierung dient und strategischen und/oder operativen Charakter hat.407 Mit steigender Größe und Komplexität eines Unternehmens sowie mit zunehmender Dynamik der Umwelt wird die zielorientierte Koordination der einzelnen Teilplanungskomplexe schwieriger. Sie gelingt nur, wenn eine sinnvolle inhaltliche und zeitliche Integration aller Teilplanungen gewährleistet ist.408 Die inhaltliche Integration der Aufgaben und Aufgabenträger wird dadurch erreicht, dass sich Aufbauorganisation und Planungssystem decken. Die von den jeweiligen Führungskräften für ihre Aufgabenbereiche zu erstellenden Teilplanungen müssen untereinander inhaltlich horizontal und vertikal, teilweise auch diagonal abgestimmt und jeweils zur nächsthöheren Führungsstufe verdichtet werden. Bei der zeitlichen Integration geht es um die Koordination der periodischen und aperiodischen Teilplanungen. Die inhaltliche und zeitliche Integration aller Teilplanungen kann sukzessiv oder simultan erfolgen, wobei die Erstellung der gesamten Unternehmensplanung als Simultanplanung praktisch unmöglich ist. In diesem Zusammenhang sei noch auf die besondere Bedeutung von Planungsprämissen hingewiesen, die als "Hypothesen mit Vermutungscharakter" die Qualität der Planung erheblich beeinflussen und bei Änderungen der zu Grunde liegenden Sachverhalte in der Regel angepasst werden müssen.409 Aufgrund der allgemeinen
406
407 408
409
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 111. Grundsätzlich können im jedem Teilplanungskomplex oder teilplanungskomplexübergreifend aperiodische Projektplanungen erforderlich werden, vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 103f. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 606. Vgl. zu folgendem Absatz Hahn, D. (1989), S. 770ff. u. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 81f. Unter Integration versteht man allgemein die spezifische Verknüpfung von Elementen (Teilen) zu einer Gesamtheit (System). Vgl. Schäffer, U. , Willbauer, B (2003), S. 17ff. In der Praxis ist allerdings zu beobachten, dass die Prämissen von einigen Adressaten vernachlässigt werden, vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-1).
Sanierung als Form des Krisenmanagements
73
Umstände und der hohen Dynamik von Unternehmenskrisen spielen Prämissen vor allem bei Planungen in der Sanierung eine besondere Rolle. Obwohl eine "gute" Planung als Erfolgsfaktor für Unternehmen angesehen werden kann und erforderlich sowie sinnvoll ist, kommt in der Praxis ein erheblicher Teil der Unternehmen dem Gebot der Planung nicht nach.410 Das ist umso verwunderlicher, da eine Unternehmensplanung einerseits zur Vermeidung von Krisen geeignet ist und andererseits eine wichtige Grundlage für die Bewältigung von Krisen darstellt.411 Mit dem KonTraG wurde eine Ergänzung des § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG vorgenommen und die Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat um grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung erweitert.412 Auch wenn im Gesetzestext in Bezug auf die Planungsinhalte nur einzelne Teilplanungen (insbesondere Finanz-, Investitions- und Personalplanung) exemplarisch aufgezählt werden, ist damit unzweifelhaft eine umfassende Informationspflicht des Vorstands über die wesentlichen strategischen und operativen Teilplanungen aus einem geschlossenen Planungssystem gemeint.413 Allerdings besteht per Gesetz keine konkrete Verpflichtung zur Planung – zumindest nicht für alle Rechtsformen – und verbindliche Mindestanforderungen bezüglich der Ausgestaltung einer Planung fehlen ebenfalls.414 Auch aus der derzeitigen Fassung des § 18 Kreditwesengesetz (KWG) lässt sich keine allgemeine Pflicht zur Unternehmensplanung ableiten. Dagegen verlangen die Anforderungen der BaFin (MaRisk) für Kreditengagements, die der Intensivbetreuung unterliegen, dass sich Kreditinstitute bei Begleitung einer Sanierung ein Sanierungskonzept vorlegen lassen, das grundsätzlich eine Planung enthält.415 In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass auch im Fall einer Sanierung Planung absolut erforderlich ist und unkoordiniertes "firefighting" nicht zum Ziel führt.416 Dem stimmt auch der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer zu, der eine Unternehmensplanung als zentrale Grundlage der Sanierungsprüfung bezeichnet.417 Die Sanierungsplanung folgt in ihrem Ablauf grundsätzlich den Phasen des oben erläuterten generellen Planungsprozesses418 und kann als Spezialfall der allgemeinen betriebswirtschaftlichen Planung angesehen werden.419 Planung in der Sanierung bedeutet, Lösungsmöglichkeiten für Krisenunternehmen zu suchen, diese 410 411 412 413 414 415
416 417 418 419
Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1162. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1162f., Krystek, U. (1987), S. 121f. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1161. Vgl. Krystek, U. (1999), S. 147. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1162ff. u. 1169f. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1166, vgl. auch Kap. 3.3.2. Darüber hinaus ist die Umsetzung zu kontrollieren, was neben einer Planung einen Plan-Ist-Vergleich voraussetzt. Vgl. Müller, R. (1985), S. 39, Krystek, U. (1987), S. 109, Bibeault, D. B. (1998), S. 231ff. Vgl. IDW (2002), S. 400. Zum Begriff Sanierungsprüfung vgl. Kap. 2.3.3.1. Vgl. Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 179f., Vogt, M. A. (1999), S. 78. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 583, Maus, K. H. (1991), S. 1133, Gunzenhauser, P. (1994), S. 33.
74
Theoretischer Bezugsrahmen
vorausschauend und zielorientiert zu bedenken und zu beurteilen sowie anschließend zwischen den Alternativen auszuwählen.420 In Krisensituationen besteht allerdings der Zwang, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge bei der Suche nach Lösungen viel intensiver zu durchdenken als bei "normalen Fragestellungen."421 Im Mittelpunkt der Sanierungsplanung steht die Planung von Sanierungszielen, -strategien und -maßnahmen sowie deren Konkretisierung in einem absatz-, produktions-, finanzwirtschaftlichen sowie organisatorischen und personellen Konzept.422 Zusammenfassend unterscheidet sich die Sanierungsplanung von der generellen Unternehmensplanung durch folgende wesentliche Besonderheiten:423 •
Stärkere Trennung von Planungserstellung und offizieller Konzeptverabschiedung, da unterschiedliche Personengruppen an Erstellung und Verabschiedung beteiligt sind und zusätzliche Einflusspositionen beteiligter Stakeholder mit ihren jeweils individuellen Zielen existieren.424
•
Sanierungsmaßnahmen können nicht nur bloße Detaillierungen der Sanierungsstrategien sein, sondern als originäre Planungen direkte Zielerreichungsplanungen und damit eigenständige Sanierungsaktionen darstellen.425
•
Während grundsätzlich die Finanzplanung als derivative Planung der leistungswirtschaftlichen Planung zu betrachten ist, ist sie im Fall einer Sanierung in der Regel eine originäre Planung, da in den Verhandlungen über Sanierungsbeiträge mit den Stakeholdern die endgültige Kapitalstruktur erst festgelegt wird.
•
Vorliegen einer Fülle von Rechtsnormen, die überwiegend den Planungsspielraum einengen.426
•
Ungewöhnlich risikobehaftete und einschneidende Auswirkungen der zu treffenden Entscheidungen.
•
In der Regel hoher Zeitdruck. In der Literatur wird der Zeitraum zur Erstellung eines Sanierungskonzepts auf zwei bis sechs Wochen veranschlagt.427
In Bezug auf die reguläre Unternehmensplanung hat das Krisenmanagement grundsätzlich eine Ergänzungsfunktion. Dabei können in Abhängigkeit von den jeweiligen 420 421 422 423 424
425 426 427
Vgl. Sieben, G., Russ, W. (1989), S. 1765. Vgl. Reutner, F. (1990), S. 307. Vgl. Wegmann, J. (1987a), S. 1902f. Vgl. Krystek, U. (1999), S. 147., Sieben, G., Russ, W. (1989), S. 1766. In der Originalquelle auf die Sanierungsplanung in der Insolvenz bezogen, vgl. Krystek, U. (1999), S. 150. Diese Feststellung gilt in abgeschwächter Form auch für die freie Sanierung. Vgl. auch Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 325. Vgl. zu den Zielen der Stakeholder Kap. 2.2.3. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 239, Krystek, U. (2002), S. 121. Vgl. zu den rechtlichen Anforderungen Kap. 3. bzw. Kap. 3.3. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 106, Blatz, M., Haghani, S. (2006), S. 6.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
75
Krisenphasen und der anzuwendenden Form des Krisenmanagements zwei Erscheinungsformen unterschieden werden.428 Einerseits kann aktives Krisenmanagement als speziell auf Unternehmenskrisen ausgerichtetes Element der Unternehmensplanung auftreten. Dabei stellt es einen Teil der regulären Unternehmensplanung dar und kann durch die Integration von Teilplänen des Krisenmanagements in die reguläre Unternehmensplanung spätere Aktionen eines reaktiven Krisenmanagements überflüssig werden lassen. Andererseits kann reaktives Krisenmanagement auch als selbstständiges und von der regulären Unternehmensplanung losgelöstes Führungsinstrument erforderlich werden, das die Ergebnisse der regulären Unternehmensplanung unter dem Aspekt der vorliegenden Unternehmenskrise materiell verändert bzw. ersetzt. Repulsiv- bzw. Sanierungsplanungen ergänzen oder ersetzen reguläre Planungen und sind nicht Teil der regulären Unternehmensplanung.429 Sie unterscheiden sich von den Alternativ- bzw. Präventivplanungen des aktiven Krisenmanagements vor allem durch ihre informationelle Basis, ihren zeitlichen Abstand zum Planungsgegenstand sowie durch ihren Inhalt430 und werden regelmäßig in einem Sanierungskonzept, auf das im Folgenden detailliert eingegangen wird, zusammengefasst. 2.3.3 Das Sanierungskonzept 2.3.3.1 Begriffsbestimmung zum Sanierungskonzept Ein Sanierungskonzept ist nach BRAUN eine schriftliche Handlungs- und Verfahrensanweisung, von der der Verfasser des Konzepts glaubt und behauptet, dass bei folgerichtiger und sachgerechter Anwendung die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Krisenunternehmens nachhaltig überwunden werden können.431 An diese Begriffsbestimmung lehnen sich auch PEEMÖLLER/WEIGERT an, die ein Sanierungskonzept relativ umfassend definieren als die schriftliche Festlegung und Darstellung aller aus ganzheitlicher, strategischer Perspektive entstammender, führungsorientierter, organisatorischer, finanz-, leistungs- und sozialwirtschaftlicher Maßnahmen, durch die der Ersteller glaubt und behauptet, bei folgerichtiger und sachgerechter Anwendung die zeitraumbezogene Illiquidität zu beseitigen und die leistungserhaltende Rentabilität, Innovationskraft und Produktivität wieder herstellen zu können, so dass mittel- bis langfristig die Leistungsfähigkeit bzw. die Überlebens-
428 429 430 431
Vgl. zu folgendem Absatz Krystek, U. (1981), S. 90ff., Krystek, U. (1987), S. 113f. Vgl. Krystek, U. (1981), S. 228. Vgl. Krystek, U. (1981), S. 228. Vgl. Braun, E. (1989), S. 684. Vgl. zur Begriffsbestimmung der Sanierung Kap. 2.3.2.1. Konzept (von lat. concipere erfassen, in sich aufnehmen) bedeutet (stichwortartiger) Entwurf bzw. erste Fassung einer Rede sowie Plan bzw. Programm, vgl. Duden (1990), S. 429.
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Theoretischer Bezugsrahmen
fähigkeit des Unternehmens gegeben ist.432 KRYSTEK versteht unter einem Sanierungsprogramm die Gesamtheit aller Sanierungsstrategien und -maßnahmen einschließlich noch nicht abgeschlossener Sofortmaßnahmen, wobei das Sanierungsprogramm zwingend von der obersten Führung beschlossen, verkündet und überwacht werden muss.433 Wenn man die informationelle Basis von Management als Prozess betrachtet, so wird der zur Planung bzw. Konzepterstellung notwendige Informationsbedarf grundsätzlich durch Analysen und Prognosen abgedeckt.434 Allgemein versteht man unter Prognosen – im Gegensatz zur Prophetie als unbegründeter Aussage – Aussagen über zukünftige Tatbestände, die einen gewissen Grad an Rationalität für sich beanspruchen können, weil sie sich auf bewährtes Erfahrungswissen stützen.435 Da die Unternehmenskrise als ein Wahrnehmungs- und Zukunftsproblem angesehen werden kann, spielt die "Welt von Erwartungs-, Planungs- und Entscheidungsdaten" bzw. Prognosen bei der Erarbeitung von Sanierungskonzepten eine wesentliche Rolle.436 Die Erstellung eines Konzepts basiert auf Kreativität, erfolgt unter Anwendung des gesamten betriebswirtschaftlichen Instrumentariums437 und erfordert den höchsten Ressourceneinsatz im Prozess der Krisenbewältigung.438
432
433 434
435
436 437 438
Vgl. Peemöller, V., Weigert, S. J. (1995), S. 2311. Die verwendete Definition der Sanierung stammt von BÖCKENFÖRDE, vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 7. Vgl. Krystek, U. (1991), S. 334. Vgl. Krystek, U. (2000), S. 146. Zu verschiedenen Prognoseverfahren vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 81f. Vgl. Hagest, J., Kellinghusen, G. (1977), S. 407. Vgl. auch Krystek, U. (2000), S. 146, der die Szenariotechnik als "demütige Prognose" bezeichnet, da dort der Anspruch aufgegeben wird, genau die eine Zukunft vorhersagen zu können. Vgl. Hauschildt, J. (2005), S. 1. Vgl. Reutner, F. (1990), S. 303, Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 178. Vgl. Müller, R. (1986), S. 318.
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Aus den obigen Ausführungen können die folgenden fünf wesentlichen Eigenschaften von Sanierungskonzepten herausgearbeitet werden: (1) (2)
(3) (4) (5)
Bei einem Sanierungskonzept handelt es sich um ein schriftliches Dokument bzw. eine Konzeptpräsentation.439 Bei einem Sanierungskonzept stehen Handlungs- und Verfahrensanweisungen bzw. Maßnahmen im Mittelpunkt. In der Praxis wird das Sanierungskonzept häufig zunächst als Grobkonzept ausgelegt.440 Ein Sanierungskonzept hat die nachhaltige wirtschaftliche Gesundung unter Ausschluss bzw. Beseitigung der Insolvenzgründe zum Ziel. Ein Sanierungskonzept muss von allen an der Sanierung beteiligten Stakeholdern getragen werden. Ein Sanierungskonzept enthält eine Prognoseaussage. Besonders bedeutend ist die Prognose der zukünftigen Marktentwicklung, bei der häufig die Szenario-Technik angewendet wird.441
Ein Sanierungskonzept ist von einem Sanierungsplan als einer Form des Insolvenzplans442 sowie von einem Sanierungsgutachten zu unterscheiden. Nach BRAUN ist der materielle Gehalt eines Sanierungskonzepts mit dem eines Sanierungsplans identisch und der Unterschied zwischen einem Sanierungskonzept und einem Sanierungsplan besteht ausschließlich darin, dass ein Sanierungskonzept "[...] frei von verfahrensrechtlichen Einschränkungen oder besonderen Bedingungen ist [...]"443, während ein Sanierungsplan als spezielle Variante des Insolvenzplans eben solchen Einschränkungen bzw. besonderen Bedingungen unterliegt.444 Allerdings gewinnen mit dem Eintritt in die Insolvenz rechtliche Überlegungen zunehmend an Bedeutung und es können in der Insolvenz ggü. der freien Sanierung z.B. spezielle insolvenzrechtliche Maßnahmen im Konzept vorgesehen werden. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen einem Sanierungskonzept und einem Sanierungsplan ist aber, dass mit einem Sanierungskonzept das Krisenunternehmen gerade unter Vermeidung bzw. Beseitigung der Insolvenzgründe saniert werden soll, während der Sanierungsplan das Ziel der Erhaltung und Weiterführung des Krisenunternehmens aus der Insolvenz verfolgt. Während dem Insolvenzverwalter für die 439
440 441 442 443 444
Vgl. auch Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 352, Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 328, Bibeault, D. B. (1998), S. 97, Seefelder, G. (2003), S. 90. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 27ff., Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 316. Vgl. Kap. 5.2.5.2. Vgl. Braun, E. (1989), S. 684. Braun, E. (1989), S. 684. Vgl. Braun, E. (1989), S. 684. Vgl. auch Sandfort, F. (1997), S. 36f. Andere Varianten eines Insolvenzplans sind z.B. Übertragungsplan, Liquidationsplan und Mischformen, vgl. Eidenmüller, H. (2002), § 217 InsO Rn. 160ff.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Erstellung des Sanierungsplans und dessen Vorlage bei Gericht gesetzlich gemäß § 218 Abs. 2 InsO eine angemessene Frist zur Verfügung steht, die in der Literatur je nach Unternehmensgröße auf ein bis drei Monate veranschlagt wird, stehen die Verfasser von Sanierungskonzepten unter erheblichem Zeitdruck, da die Dreiwochenfrist gemäß § 92 Abs. 2 AktG bzw. § 64 Abs. 1 GmbHG beachtet werden muss bzw. im Extremfall bereits läuft.445 Ein Sanierungsplan ist also eine besondere Variante eines Sanierungskonzepts und muss die Anforderungen an Sanierungskonzepte grundsätzlich erfüllen.446 Dagegen lassen sich grundsätzlich die Anforderungen an Insolvenzpläne gemäß §§ 217ff. InsO nicht auf ein Sanierungskonzept übertragen, weil der Insolvenzplan als universelles Instrument zur Masseverwertung konzipiert wurde447 und das Insolvenzverfahren die Erhaltung von Unternehmen oder Betrieben nicht als eigenständiges Ziel ansieht.448 In der vorliegenden Arbeit wird die freie bzw. außergerichtliche Sanierung behandelt und daher werden Insolvenzpläne gemäß der Insolvenzordnung und ihre Anforderungen nicht weiter untersucht. In der Literatur werden die Begriffe Sanierungskonzept und Sanierungsgutachten häufig synonym verwendet, während in der Praxis das Sanierungskonzept vom Sanierungsgutachten unterschieden wird.449 Nach LEFFSON gibt es vier Arten von Beurteilungsaufgaben für ökonomische Sachverhalte, die sich in Beurteilungsaufgaben mit und ohne vorgegebene Normen untergliedern lassen.450 Zu den Beurteilungsaufgaben unter Anwendung vorgegebener Normen zählen die Feststellung und die Prüfung. Unter einer Prüfung ist die systematische Beurteilung eines vom Prüfer hergestellten Soll-Objekts im Vergleich mit dem Ist-Objekt zu verstehen. Zu den Beurteilungsaufgaben, deren Kriterien im Wesentlichen vom Prüfer selbst zu entwickeln sind, gehören die Begutachtung und die Beratung. In der Praxis ist die Abgrenzung der einzelnen Beurteilungsaufgaben wegen ihrer häufigen Verbundenheit nicht einfach, zumal ein von einem Dritten erteilter Auftrag mehrere Beurteilungsaufgaben auf einmal umfassen kann. Für die Abgrenzung zwischen Sanierungs445
446 447 448
449
450
Vgl. Eidenmüller, H. (2002), § 218 InsO Rn. 21. Darüber hinaus kann bei einer freien Sanierung ein Unternehmen selbst dann als sanierungswürdig eingeschätzt werden, wenn der Barwert der Fortführung geringer ist, als der Barwert der Liquidation und damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Liquidation vorteilhafter wäre. Das ist im Insolvenzverfahren nicht möglich, da sonst gegen den Minderheitenschutz des § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO (kein Gläubiger darf schlechter gestellt werden, als er ohne Plan stünde) verstoßen würde, vgl. Sinz, R. (2002), § 251 InsO Rn. 1ff., IDW (2002), S. 340f., Groß, P. J. (1991), S. 1573. Vgl. Braun, E. (1989), S. 684. Vgl. auch Buth, A. K., Hermanns, M. (1997), S. 1178ff. Vgl. Eidenmüller, H. (2002), § 217 InsO Rn. 3. Vgl. Uhlenbruck, W. (2007), S. 259. Vgl. auch Braun, E., Uhlenbruck, W. (1997), S. 37ff. Damit übereinstimmend integriert das IDW die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 in seinen Standard IDW S 2 "Anforderungen an Insolvenzpläne", vgl. IDW (2000), S. 285. Vgl. Groß, P. J. (1997), S. 70. Zur synonymen Verwendung vgl. z.B. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 351ff. Vgl. zu folgendem Absatz Grünfeld, K.-P. (1972), S. 14f.
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konzept und Sanierungsgutachten ist vor allem die Unterscheidung von Beratung und Begutachtung relevant. Hinsichtlich Methodik und Schwierigkeitsgrad gibt es zwischen Beratung und Begutachtung prinzipiell keinen Unterschied, da in beiden Fällen die besondere Herausforderung in der sachkundigen Problemanalyse und der Erarbeitung angemessener Kriterien zur Urteilsfindung liegt.451 Die Beratung orientiert sich aber grundsätzlich an individuellen Bedürfnissen bzw. der Interessenlage des Auftraggebers und zweckmäßigerweise wird in gemeinsamer Arbeit und intensivem Kontakt zwischen Auftraggeber und Berater eine Empfehlung für sachgemäßes Vorgehen erarbeitet. Dagegen ist ein Gutachten die unabhängige Erörterung eines Fachkundigen, die das Ziel hat, ein neutrales Urteil abzugeben, ohne dass die individuelle Interessenlage des Auftraggebers berücksichtigt wird und ohne dass intensiver Kontakt zwischen Auftraggeber und Gutachter besteht. Allerdings werden für Begutachtung und Beratung häufig Begriffe wie "Bericht", "Untersuchung" oder ähnliche Bezeichnungen synonym verwendet.452 Durch diese Ausführungen wird deutlich, dass bei Sanierungskonzepten in der Regel eine Kombination verschiedener Beurteilungsaufgaben vorliegt und Sanierungskonzepte auch gutachterliche Elemente enthalten. Das liegt daran, dass der Zweck eines Sanierungskonzepts mit der Beurteilung der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit über die Empfehlung einer "normalen" Beratung hinausgeht.453 Die gutachterlichen Elemente in einem Sanierungskonzept haben prognostischen und parteigutachterlichen Charakter, da das Sanierungskonzept als informative Grundlage zur Beeinflussung von Entscheidungen Dritter wie z.B bestehender oder potenzieller Eigen- oder Fremdkapitalgeber verwendet wird.454 Im Wirtschaftsprüfer-Handbuch (WP-Handbuch) wird ein Sanierungskonzept von einem Sanierungsgutachten anhand der Anzahl der zu untersuchenden Optionen und dem Detaillierungsgrad abgegrenzt.455 Während ein Sanierungsgutachten die "[...] umfassende Ableitung und Darstellung der Wege, die das Unternehmen aus der Krise führen sollen [...]"456 enthält, soll ein Sanierungskonzept einen objektiv gangbaren und zielführenden Weg aus der Krise beschreiben.457 Das bedeutet, dass bei einem Gutachten alle denkbaren Lösungsansätze aufgezeigt und diskutiert werden müssen, während ein Sanierungskonzept nur die wichtigsten Eckpfeiler der Sanierung enthält.458 Um dieser Anforderung nachzukommen, müssen nach dem 451 452 453 454 455 456 457 458
Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 18. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 19. Vgl. für die engl. Literatur Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 110. Vgl. zur Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit Kap. 2.3.3.2. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 39. Vgl. S. 41 zu den verschiedenen Arten von Gutachten. Vgl. IDW (2002), S. 357 und detaillierter Groß, P. J. (1997), S. 69f. IDW (2002), S. 357. Vgl. IDW (2002), S. 357 u. Groß, P. J. (1997), S. 62 und 69ff. Vgl. IDW (2002), S. 357f.
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Theoretischer Bezugsrahmen
WP-Handbuch in einem Sanierungskonzept die Daten zur Situation des Unternehmens und zu seinen Stärken und Schwächen nur insoweit angegeben werden, als das "[...] zur Information eines größeren, vielfach anonymen Kreises von am Unternehmen Interessierten unbedingt erforderlich ist."459 Bei dieser Formulierung bleibt jedoch unklar, wie mit den anderen Inhalten eines Sanierungskonzepts zu verfahren ist, die wie z.B. die Sanierungsmaßnahmen oder die Businessplanung im Vergleich zur Situation des Unternehmens bzw. zu Stärken und Schwächen vielfach noch sensiblere Daten enthalten und daher ebenfalls nicht für einen größeren und anonymen Adressatenkreis geeignet sind. Ein Sanierungskonzept hat ohnehin weniger das Ziel, den vom IDW benannten "größeren, vielfach anonymen Kreis von am Unternehmen Interessierten" zu informieren. Als Grundlage für die Beurteilung von Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit dient es vielmehr dazu, die wesentlichen Stakeholder zu informieren und von der Sanierung zu überzeugen.460 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass zur Sanierung eines Unternehmens mit Erkennung der Krise bzw. Initiierung der Krisenbewältigung zunächst ein Sanierungskonzept erstellt wird, um einen gangbaren Weg aus der Krise zu entwickeln und die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit zu beurteilen. Bei komplexen und rechtlich brisanten Krisenfällen kann es vorkommen, dass außer dem Ersteller des Konzepts zusätzlich ein unabhängiger Sachverständiger mit einem neutralen Gutachten über die Fortführungsfähigkeit (sogenannte Fortbestehensprognose)461 beauftragt wird.462 Eine solche gutachterliche Stellungnahme mit klarer Prognoseaussage ist nach GROSS u.a. zur Vergabe von Sanierungskrediten erforderlich, vor allem wenn der Konzeptersteller im Sanierungskonzept keine Aussage zu den Überlebensaussichten des Unternehmens macht. Dem ist sicherlich zuzustimmen, wenn mit dem Sanierungskonzept tatsächlich keine Äußerung zum Fortbestehen und 459 460
461
462
IDW (2002), S. 357f. Vgl. zur Information Dritter mittels eines Sanierungskonzepts z.B. Häger, M. (2002), S. 46. Es ist darüber hinaus möglich, dass für Verhandlungen mit bestimmten Stakeholdern wie z.B. Vermietern nur Auszüge aus einem Sanierungskonzept verwendet werden. Der Begriff der Fortbestehensprognose kommt aus der Rechtsprechung. Eine positive Fortbestehensprognose ist "[...] das qualitative, wertende Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft [...]" und setzt dessen Fortführungsfähigkeit voraus, Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 433 bzw. Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 226. Es geht also um die Prognose der Sanierungsfähigkeit eines Krisenunternehmens, vgl. Krystek, U. (1985), S. 585. Ausgangspunkt einer Fortbestehensprognose ist ein aussagefähiges Konzept, vgl. Müller, H.-F. (2004), § 19 InsO Rn. 38, Uhlenbruck, W. (2006), S. 609. Liegt ein Sanierungskonzept (ohne Aussage zum Fortbestehen) vor, so wird die Fortbestehensprognose auf Grundlage des Konzepts inkl. der Finanzplanung erstellt. Wird das Sanierungskonzept noch erarbeitet, so ist sie integraler Konzeptbestandteil, vgl. IDW (2002), S. 327. Vgl. Groß, P. J. (2003), S. 134. u. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 351. Vgl. zur Aufgabenverteilung im Rahmen der Sanierungsprüfung gemäß dem WP-Handbuch, nach der die Erstellung eines Sanierungskonzepts als Berateraufgabe und die Prüfung/Begutachtung als Aufgabe von Wirtschaftsprüfern bezeichnet wird, IDW (2002), S. 328ff.
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zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit gemacht wurde. Grundsätzlich ist eine Fortbestehensprognose und damit eine Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit aber integraler Bestandteil eines jeden Sanierungskonzepts.463 Darüber hinaus kann ein Gutachten im Gegensatz zu einem Konzept auch ex post erstellt werden, um z.B. für eine Bank nachträglich zu bestätigen, dass zum Zeitpunkt einer Kreditgewährung die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit des Krisenunternehmens gegeben war.464 Zusammenfassend werden die wesentlichen Unterschiede zwischen Sanierungsgutachten und Sanierungskonzept in Abb. 2.8 dargestellt. Abb. 2.8: Sanierungsgutachten vs. Sanierungskonzept Kriterium
Sanierungsgutachten
Sanierungskonzept
Detaillierungsgrad/Inhalt
• "Umfassende Ableitung und Darstellung der Wege aus der Krise"
• Ein objektiv gangbarer Weg – nur die "wichtigsten Eckpfeiler" der Sanierung ("Grobkonzept")
Zeitpunkt der Erstellung
• Nach Erstellung des Konzepts, in oder nach der Krise
• In der Krise, unter hohem Zeitdruck
Basis
• Ein bereits bestehendes Sanierungskonzept
• I.d.R. Neuerstellung, aber auch Aufsetzen auf bereits bestehenden Konzeptbestandteilen möglich
Neutralität (Be- • Streng neutral, kaum Berücksichtigung individueller Bedürfnisse des Auftragdürfnisse des gebers Auftraggebers) Kontakt mit Auftraggeber
• Wenig intensiver Kontakt
• Neutral, aber teilweise auch Berücksichtigung individueller Bedürfnisse des Auftraggebers • Zweckmäßigerweise intensiver Kontakt
Quelle: Eigene Abbildung
In diesem Zusammenhang ist es interessant, den Begriff Sanierungsprüfung zu erläutern, der vor allem vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer verwendet wird und dort bei der Prüfung bzw. Begutachtung, aber auch bei der Erstellung von Sanierungskonzepten eine wichtige Rolle spielt.465 Eine Sanierungsprüfung als betriebswirtschaftliche Prüfung ist im Gegensatz zu den Abschlussprüfungen den Sonderprüfungen zuzuordnen.466 Unter einer Sonderprüfung ist eine einmalig anfallende bzw. zeitlich unregelmäßig wiederkehrende Prüfung zu verstehen, die aufgrund eines besonderen Anlasses und ohne zwangsläufige Periodizität durch463 464
465
466
Vgl. IDW (2002), S. 327, Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 433ff. Vgl. Schäffler, F. (2006), S. 59 u. Schlager, J. (2002), S. 788, der betont, dass sich der Gutachter bei Ex-post-Gutachten in die Umstände zum Zeitpunkt der Konzepterstellung hineinversetzen muss. Vgl. z.B. Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 305. Nach SCHMIEDEL wird der Begriff vor allem in der Literatur verwendet und ist in der Praxis weniger geläufig, vgl. Schmiedel, E. (1984), S. 761. Vgl. im Folgenden Wegmann, J. (1987b), S. 60ff. u. Ruhl, S. (2000), S. 31f.
82
Theoretischer Bezugsrahmen
geführt wird. Sonderprüfungen können ihrerseits wieder in gesetzlich vorgeschriebene, gesetzlich vorgesehene und freie Sonderprüfungen unterschieden werden. Sanierungsprüfungen können entweder als gesetzlich vorgesehene oder als freiwillige bzw. aufgrund vertraglicher Verpflichtungen durchgeführte Sonderprüfungen angesehen werden. Da unter einer Prüfung im betriebswirtschaftlichen Sinn ein SollIst-Vergleich verstanden wird, kann im Fall der Sanierungsprüfung zwar das Krisenunternehmen als das Ist-Objekt betrachtet werden, aber die Sanierungsprüfung im eigentlichen Sinn scheitert daran, dass kein Soll-Objekt vorhanden ist. Weil der Fokus der Sanierungsprüfung allerdings auf der Zukunft bzw. auf einer Prognoseaussage liegt, handelt es sich streng genommen nicht um eine Prüfung, sondern es ist allenfalls eine Beurteilung der Sanierungsaussichten möglich.467 Das Besondere und Gefürchtete an der Sanierungsprüfung ist die Zukunftsorientierung.468 Ob eine Prognoseaussage richtig ist, ist für sich allein ex ante nicht prüfbar, denn die empirische Wahrheit einer Prognose lässt sich erst ex post ermitteln. Allerdings kann geprüft werden, ob eine Prognose wohlbegründet hergeleitet wurde und in logischer Hinsicht kann sie auf Widerspruchsfreiheit und Begründetheit geprüft werden, wobei die Willkürfreiheit jedoch nicht völlig sichergestellt ist.469 Nach dem WP-Handbuch sind mit der Sanierungsprüfung i.e.S. und i.w.S. zwei Arten der Sanierungsprüfung zu unterscheiden.470 Wenn die Sanierungsprüfung im Rahmen der Konzepterstellung erfolgt, spricht man von Sanierungsprüfung i.w.S. Demgegenüber bezeichnet die Sanierungsprüfung i.e.S. die Prüfung eines bereits erstellten Sanierungskonzeptes. Das Sanierungskonzept ist also bei der Sanierungsprüfung i.w.S. Ergebnis und bei der Sanierungsprüfung i.e.S. Objekt der Prüfung und damit zugleich Gegenstand und Ausgangssituation der Sanierungsprüfung.471 In der Praxis liegen die Aufträge zur Erstellung bzw. Prüfung von Sanierungskonzepten in der Regel zwischen der reinen Erstellung und reinen Begutachtung. So umfasst z.B. ein Auftrag zur Sanierungsprüfung eines bereits bestehenden Konzepts oft noch die Ermittlung zusätzlicher Potenziale.472 Bei einem Auftrag zur Konzepterstellung kann ggfs. auf bereits im Unternehmen durchgeführte Vorarbeiten zurückgegriffen werden, die häufig noch weiterzuentwickeln sind, um dann schließlich in das Gesamtkonzept integriert zu werden. Zwangsläufig werden die Ersteller eines Sanierungskonzepts bei der Erarbeitung von Sanierungsmaßnahmen mit der Frage konfrontiert, ob das Unternehmen mit Umsetzung des Konzepts sanierungsfähig ist. Also sind die 467 468 469 470 471
472
Vgl. IDW (2002), S. 325f. Vgl. Schedlbauer, H. (1993), S. 219. Vgl. Hagest, J., Kellinghusen, G. (1977), S. 415. Vgl. zu folgendem Absatz IDW (2002), S. 326ff. Vgl. auch Gless, E. S. (1996), S. 51. Gleichzeitig wird mit dem Sanierungskonzept das Ist- und Soll-Objekt der Sanierungsprüfung beschrieben. Vgl. Ruhl, S. (2000), S. 43. Vgl. IDW (2002), S. 326.
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Erstellung und Prüfung bzw. Begutachtung eines Sanierungskonzepts sachlogisch miteinander verbunden.473 Ein wesentlicher Unterschied der beiden Sanierungsprüfungsbegriffe liegt in der Quantität und Qualität der Vorarbeiten, die vom Krisenunternehmen bereits durchgeführt wurden. In der Literatur werden wegen der oben erläuterten sachlogischen Verknüpfung die Sanierungsprüfung i.e.S. (Begutachtung) und die Sanierungsprüfung i.w.S. (Konzepterstellung) oft nicht voneinander getrennt.474 Diesem Vorgehen kann grundsätzlich zwar zugestimmt werden, es ist aber vor dem Hintergrund der Anforderungen an Sanierungskonzepte kritisch zu bewerten. Einerseits sollen sich gemäß dem WPHandbuch Sanierungskonzepte und -gutachten durch den Detaillierungsgrad und die Anzahl der dargestellten Lösungswege unterscheiden und andererseits sollen für Gutachten und Konzept dieselben Anforderungen gelten.475 In der vorliegenden Arbeit wird daher der Begriff Sanierungsprüfung vermieden und primär die Erstellung von Sanierungskonzepten direkt in der Krise betrachtet. 2.3.3.2 Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit Auf der Grundlage eines Sanierungskonzepts wird die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit beurteilt.476 Dabei besteht hinsichtlich der Definition der beiden Begriffe in Literatur und Praxis keineswegs Einigkeit.477 Die Begriffe Sanierungswürdigkeit und Sanierungsfähigkeit lassen sich in den Prozess einer Sanierung folgendermaßen einordnen. Nach der Problemerkennung (Sanierungsbedürftigkeit) erfolgt frei von der Interessenlage der Stakeholder die Analyse und Prognose der Unternehmenssituation nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten (Sanierungsfähigkeit), die dann von den jeweiligen Stakeholdern vor dem Hintergrund ihrer individuellen Risikoneigung und Renditeerwartung beurteilt wird (Sanierungswürdigkeit).478
473
474
475 476
477
478
Andere Autoren befürworten eine klare Trennung von Konzepterstellung und Prüfung, für deren Durchführung ein bereits erstelltes Sanierungskonzept vorliegen muss. Vgl. Sandfort, F. (1997), S. 34ff., Brandstätter, J. (1993), S. 247ff., Schmiedel, E. (1984), S. 771. Vgl. z.B. Groß, P. J. (1997), S. 62ff., Gless, E. S. (1996), S. 51, Feldbauer-Durstmüller, B. (2002), S. 455, Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 305. Eine teilweise Trennung findet im WPHandbuch statt, indem die Relevanz der einzelnen Kapitel jeweils für die Sanierungsprüfung i.w.S u. i.e.S. angegeben wird, vgl. IDW (2002), S. 328. Vgl. Kap. 2.3.3.1 u. Kap. 3.4.3.2. Vgl. Maus, K. H. (1991), S. 1133, Groß, P. J. (1997), S. 61f., Brandstätter, J. (1993), S 156, Feldbauer-Durstmüller, B. (2002), S. 478. Vgl. die Übersichten bei Becker, R. (1986), S. 52ff. u. Ruhl, S. (2000), S. 40ff. Vgl. auch Krystek, U. (1992), S. 2880, Friedrich, M. G., Flintrop, B. (2003), S. 224, Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 313, der als Beispiel einer synonymen Verwendung der beiden Begriffe die MaK bzw. MaRisk anführt. Zu einer Differenzierung in eine hinreichende operative und eine notwendige strategische Sanierungsfähigkeit, vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 356 u. Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 178f. Vgl. Becker, R. (1986), S. 40, Brandstätter, J. (1993), S. 7f. Sanierungsbedürftigkeit liegt bei krisenhafter Entwicklung eines Unternehmens vor, vgl. Schmiedel, E. (1984), S. 763, Staehle, W.
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Theoretischer Bezugsrahmen
Ausgehend von dem obersten Unternehmensziel – der Erhaltung und erfolgreichen Weiterentwicklung des Unternehmens479 – kann als Mindestvoraussetzung für die Sanierungsfähigkeit die rechtliche Lebensfähigkeit und damit der Ausschluss bzw. die Beseitigung der Insolvenzgründe angesehen werden.480 In der Literatur ist die Frage, ob zur Bejahung der Sanierungsfähigkeit bereits ein Gewinn bzw. eine angemessene Rentabilität erforderlich ist, strittig.481 BRANDSTÄTTER argumentiert, dass die Problematik einer angemessenen Rentabilität eine Frage der Sanierungswürdigkeit sei, da die Stakeholder die erforderliche Rentabilität aus ihrer Sicht jeweils aufgrund ihrer individuellen Interessenlage und subjektiven Risikoneigung festlegen. Dem ist zwar zuzustimmen, dennoch kann für die nachhaltige Erhaltung und Weiterentwicklung des Unternehmens bzw. das eigenständige Behaupten des Unternehmens am Markt die Erzielung mindestens der Marktrendite als erforderlich angesehen werden, so dass eine angemessene Marktrendite als Voraussetzung der Sanierungsfähigkeit zu befürworten ist.482 Die Sanierungsfähigkeit ist also gegeben, wenn mit zweckmäßigen Sanierungsmaßnahmen die Zahlungsschwierigkeiten beseitigt und eine angemessene Rentabilität erreicht werden kann.483 Dabei ist auch die objektive Erwartung einer erfolgreichen Durchsetzung und Umsetzung des Sanierungskonzepts einschließlich der notwendigen Koordination zu beurteilen.484 Ausgangspunkt der Beurteilung der Sanierungswürdigkeit ist die Einbeziehung der individuellen Interessen der Stakeholder, weshalb die Sanierungswürdigkeit von den jeweiligen Stakeholdern auch unterschiedlich eingeschätzt werden kann.485 Die Beurteilung der Sanierungswürdigkeit ist komplexer als die der Sanierungsfähigkeit und es geht um die Frage, ob ein Sanierungsengagement auch nach der persönlichen Interessenlage der Stakeholder gerechtfertigt ist, wobei auch außeröko-
479
480 481
482
483
484
485
(1993b), S. 4380 u. Brandstätter, J. (1993), S. 33f., für den Sanierungsbedürftigkeit bei einer strategischen Krise (noch) nicht, sondern erst bei einer Ergebnis- oder Liquiditätskrise gegeben ist. Vgl. zur Erhaltung und erfolgreichen Weiterentwicklung als Hauptziel eines Unternehmens und der daraus abgeleiteten obersten monetären Ziele Ergebnisstreben und Liquiditätssicherung Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 99 u. 341ff. Dieser Ansatz wurde vom IDW genau so übernommen, vgl. IDW (2002), S. 345f. Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 8, Groß, P. J. (1991), S. 1572. Vgl. auch Kap. 3.3.1.1. Vgl. Ruhl, S. (2000), S. 42. Nach BRANDSTÄTTER ist grundsätzlich kein Gewinn bzw. keine Rendite erforderlich, außer zur Verteidigung der Marktstellung und zum Ausgleich der Geldentwertung, vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 8f. Anderen Autoren zufolge ist eine angemessene Rentabilität erforderlich, vgl. z.B. Wegmann, J. (1987a), S. 1903, Groß, P. J. (1988), S. 24, Schedlbauer, H. (1993), S. 221, Groß, P. J. (1997), S. 64, Staehle, W. (1993b), S. 4385, IDW (2002), S. 340. Vgl. dazu Rappaport, A. (1999), S. 154ff., Porter, M. E. (1999), S. 25ff. KRYSTEK, bezeichnet einen Gewinn als "Motor einer zukünftig stabilen Entwicklung", vgl. Krystek, U. (1985), S. 598. Vgl. Groß, P. J. (1988), S. 24, BRAUN ergänzt, dass auch die Überschuldung ausgeschlossen sein muss, vgl. Braun, E. (1990), S. 98. Vgl. auch Harz, M., Hub, H. G., Schlarb, E. (1996), S. 31, Häger, M. (2002), S. 45. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 443ff., Groß, P. J. (2003), S. 138ff., Friedrich, M. G., Flintrop, B. (2003), S. 229. Vgl. Wegmann, J. (1987a), S. 1902, Schmiedel, E. (1984), S. 761, Staehle, W. (1993b), S. 4387ff.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
85
nomische Kriterien eine Rolle spielen (vgl. Abb. 2.9).486 Aus Sicht der Stakeholder kann die Frage der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit als Investitionsentscheidung angesehen und unter zusätzlicher Berücksichtigung der genannten außerökonomischen Motive mittels eines Barwertvergleichs beurteilt werden. Dabei wird der Barwert des Zahlungsstroms bei Fortführung gemäß dem Sanierungskonzept dem Barwert des Zahlungsstroms bei Liquidation gegenübergestellt.487 Abb. 2.9: Kriterien der Stakeholder für die Sanierungswürdigkeit Stakeholder Management
Ökonomische • Sicherung Einkommen
Kriterien
Außerökonomische
• Sicherung Arbeitsplatz • Erfolgreiche Lösung heraus• Sicherung Einfluss fordernder Problem• Sicherung Position stellungen
EK-Geber • Vermeidung Vermögens- • Sicherung Einfluss (Gesellschafter, verluste Investoren) • Sicherung Vermögenszuwächse
• Erhalt Lebenswerk, Familienerbe • Prestige
FK-Geber
• Erhalt Geschäfts• Minimierung Verluste beziehung • Erwirtschaftung Rendite
• Vermeidung negativer Öffentlichkeitswirkung
Mitarbeiter
• Erhalt Einkommen
Kunden & Lieferanten
• Lieferanten: Begleichung • Stabilität GeschäftsForderungen beziehung • Kunden: Vermeidung Lieferausfall
• Vermeidung negativer Öffentlichkeitswirkung
Staat/ Allgemeinheit
• Erhalt bzw. Steigerung Steueraufkommen, Sozialbeiträge
• Stabilisierung wirtschaftl. Rahmenbedingungen
• Sicherung Arbeitsplatz • Stabilisierung oder Veränderung Arbeitsumfeld
• Erhalt Arbeitsplätze
Quelle: Eigene Abbildung
Aus den obigen Erläuterungen ergibt sich, dass Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit eng miteinander verbunden sind und eine isolierte Betrachtung kaum möglich ist.488 Daher wird in der Praxis häufig von der Beurteilung bzw. Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit oder vielfach von der Beurteilung bzw. Prüfung eines Sanierungskonzepts gesprochen.489 Die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit wird formal entweder direkt im Sanierungskonzept oder mittels einer gesonderten Bescheinigung ("Reliance Letter") bestätigt. 486 487
488
489
Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2880, Groß, P. J. (1988), S. 26, Seefelder, G. (2003), S. 23. Die Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit kann auch auf Grundlage der Unternehmensbewertung durchgeführt werden, vgl. Schedlbauer, H. (1993), S. 221, Wegmann, J. (1988), S. 801ff., Vogt, M. A. (1999), S. 162ff. Vgl. Krystek, U. (1992), S. 2880, Häger, M. (2002), S. 45, Harz, M., Hub, H. G., Schlarb, E. (1996), S. 32f. Vgl. Schmiedel, E. (1984), S. 761. Zur Formulierung der BaFin vgl. Kap. 3.3.2.2.
86
Theoretischer Bezugsrahmen
2.3.3.3 Gliederung eines Sanierungskonzepts In der wissenschaftlichen Literatur zur Sanierung werden selten direkt die Gliederungselemente bzw. Kapitel von Sanierungskonzepten,490 sondern eher Verläufe bzw. Verlaufsmodelle von Sanierungen beschrieben.491 Daraus können aber Rückschlüsse auf die Gliederungselemente bzw. Kapitel von Sanierungskonzepten gezogen werden, weil ein Sanierungskonzept grundsätzlich vor allem dann schlüssig ist, wenn Aufbau und Inhalt den zeitlichen Ablauf widerspiegeln, wie ein Unternehmen in die Krise geraten ist und wie der Weg aus der Krise aussehen soll.492 In der vorliegenden Arbeit werden daher die Kapitel Ausgangssituation, Krisenursachen und -symptome, Markt und Wettbewerb, Sanierungskonzept i.e.S. mit Sanierungszielen, -strategien und -maßnahmen sowie Businessplanung zu Grunde gelegt. 493 Die Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Ausgangssituation des Krisenunternehmens durch Zusammenstellung und Auswertung interner und externer Daten ist die absolut notwendige Basis eines jeden Sanierungskonzepts.494 Wichtig ist dabei eine zielgerichtete Analyse495 und die schonungslose Offenlegung der aktuellen Situation, um bei den Stakeholdern wieder Vertrauen zu schaffen.496 In die Analyse ist auch die bisherige "Competitive Strategy" einzubeziehen.497 An die Ausgangssituation schließt sich das Kapitel Krisenursachen und -symptome an, in dem auf der Grundlage der Vorarbeiten zur Ausgangssituation die wesentlichen Krisenursachen zusammenfassend dargestellt werden. Dabei ist für eine erfolgreiche Sanierung neben der Wahrnehmung der Krise eine systematische Analyse der exogenen und endogenen Krisenursachen entscheidend.498 Das Verständnis der Krisenursachen ist eine unabdingbare Grundvoraussetzung für die Entwicklung von erfolgversprechenden Sanierungsstrategien und -maßnahmen.499 Obwohl die Analyse der Krisenursachen je nach Einzelfall sehr aufwendig und
490
491
492 493 494
495 496 497
498
499
Vgl. z.B. die (knappe und unvollständige) Checkliste für die Erstellung von Sanierungskonzepten bei Seefelder, G. (2003), S. 93f. Weit verbreitet in der amerikanischen Literatur ist das Turnaround-Verlaufsmodell von BIBEAULT, vgl. Bibeault, D. B. (1998), S. 92ff. bzw. zur Verwendung z.B. ACTP/TMA (1996), Management Teil V: "The stages of the turnaround process" und Burbank, R. K. (2005), S. 53ff. Vgl. Groß, P. J. (1991), S. 1572f., Hommel, U., Knecht, T., Wohlenberg, H. (2006), S. 50f. Die Reihenfolge der Kapitel variiert in der Praxis, vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1997), S. 1180. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 27, Burbank, R. K. (2005), S. 56, Slatter, S. (1984), S. 141, Hofer, C. W. (1980), S. 21, Groß, P. J. (1991), S. 1573. Vgl. Wegmann, J. (1987a), S. 1903. Vgl. Risak, J. (2003), S. 136, vgl. auch Groß, P. J. (1997), S. 65 u. Miles, R. H. (1997), S. 8f. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 29 u. Bibeault, D. B. (1998), S. 219ff., der auch die Marktpositionierung u. Marketingorganisation nennt. Vgl. auch Hinterhuber, H. H. (1996), S. 113. Vgl. Schreyögg, G. (2004), S. 21f., Bibeault, D. B. (1998), S. 96, Müller, R. (1985), S. 39, O'Neill, H. M. (1986), S. 86, Burbank, R. K. (2005), S. 54, Braun, E. (1990), S. 129, Finkin, E. F. (1992), S. 56, Hoffmann, R. (1989), S. 66, Groß, P. J. (1991), S. 1573. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 32f., Groß, P. J. (1988), S. 27, Müller, R. (1986), S. 344, Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 41.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
87
umfangreich sein kann, ist die Darstellung der wesentlichen Krisenursachen in Sanierungskonzepten nicht allzu umfangreich. Im Kapitel Markt und Wettbewerb wird das Markt- und Wettbewerbsumfeld systematisch analysiert sowie prognostiziert Dabei werden der Markt bzw. die Marktentwicklung, die Branchenstruktur, die Erfolgsfaktoren im Wettbewerb und die Positionierung des Krisenunternehmens betrachtet.500 Das Kapitel Sanierungskonzept i.e.S. stellt mit dem Kapitel Businessplanung die eigentliche Planung dar und lehnt sich in seiner Struktur an die charakteristischen Teilplanungskomplexe einer regulären Unternehmensplanung an.501 Aufbauend auf der Planung der Sanierungsziele erfolgt die Planung der Sanierungsstrategien und -maßnahmen und anschließend eine gesamtunternehmensbezogene integrierte Ergebnis- und Finanzplanung. Ausgehend von dem obersten Ziel der Erhaltung und erfolgreichen Weiterentwicklung des Unternehmens, das im Falle einer Sanierung in einem ersten Schritt durch die Mindestanforderung des Ausschlusses bzw. der Beseitigung der Insolvenzgründe konkretisiert werden kann, sind für eine Sanierung eine Sanierungsvision sowie spezifische operationale Ziele zu erarbeiten.502 Dabei ist es für eine qualifizierte Krisenbewältigung von entscheidender Bedeutung, dass die Ziele realistisch definiert werden und der erforderliche Anpassungsbedarf inkl. dynamischer Komponenten wie z.B. dem jährlichen Rationalisierungsdruck präzise ermittelt wird.503 Die Quantifizierung des Veränderungsbedarfs wird allerdings in der Krisenliteratur oft vernachlässigt.504 Wie bei der regulären Unternehmensplanung werden anschließend die Strategien sowie die operativen und finanziellen Maßnahmen geplant.505 Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die Effekte der Sanierungsmaßnahmen (GuV-, Cash-, Bilanzeffekte, inkl. zeitlicher Wirkung) detailliert ermittelt werden, sowie dass alle Teilplanungen aufeinander abgestimmt sind und sich im Sanierungskonzept wiederfinden.506 Abschließend werden die Erkenntnisse aus der Analyse von Markt und Wettbewerb sowie die Sanierungsziele, -strategien und -maßnahmen in einer integrierten Businessplanung mit einer detaillierten Umsatzplanung (z.B. nach Produkten oder Bereichen) sowie einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), einem PlanCashflow-Statement, einer Plan-Bilanz sowie wesentlichen Kennzahlen zusammen500
501 502 503 504 505
506
Vgl. Groß, P. J. (1997), S. 81, Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 182, Sandfort, F. (1997), S. 69ff. HOFER betont, dass Branchenstrukturen nicht immer konstant sind und in Zeiten strategischer Veränderungen einer Branche Verbesserungen der Marktposition eines Krisenunternehmens eher realisierbar sind, vgl. Hofer, C. W. (1980), S. 31. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 595. Vgl. auch Kap. 2.3.2.4. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 595ff., Müller, R. (1985), S. 39, Bibeault, D. B. (1998), S. 234. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 116f., Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 147. Vgl. Kall, T. (1999), S. 82. Dabei kann die Finanzplanung operativen und strategischen sowie derivativen oder originären Charakter haben, vgl. Krystek, U. (1985), S. 599ff. u. Krystek, U., Barry, A. B. (1999), S. 357f. Vgl. Wegmann, J. (1987a), S. 1906, Vogt, M. A. (1999), S. 88f.
88
Theoretischer Bezugsrahmen
fassend zahlenmäßig dargestellt.507 Die für Planungsrechnungen erforderliche problemorientierte und konzentrierte Aussagekraft ist durch Verwendung von Kennzahlen als quantitativen Verdichtungen betriebswirtschaftlich relevanter Informationen sicherzustellen.508 In der Businessplanung werden alle Effekte vollständig erfasst und damit ihre Auswirkungen auf Cashflow bzw. Liquidität, Ergebnis bzw. Eigenkapital und auf die Bilanz transparent gemacht. Die Businessplanung stellt somit die quantitative Hinterlegung der Sanierungsziele, -strategien und -maßnahmen dar.509 Sie ist zugleich die Grundlage für eine zeitnahe, ergebnis-, cash- und maßnahmenorientierte Kontrolle des Sanierungsprozesses.510 Auf fünf zentrale Punkte reduziert, sollte ein Grobkonzept zur Sanierung nach KRAUS/GLESS grundsätzlich folgende Fragen beantworten:511 (1) (2) (3) (4)
Wo liegen die wesentlichen Schwachstellen im Unternehmen? Wie hoch ist der Veränderungsbedarf für Liquidität, Ergebnis und Kapital? Ist das Unternehmen sanierungsfähig bzw. sanierungswürdig? Welches sind die Eckpunkte der geplanten Sanierung? • Strategische, strukturelle und operative Eckpunkte
(5)
• Finanzielle Eckpunkte bzw. Beiträge der Stakeholder512 Wie spiegeln sich diese Eckpunkte in der Businessplanung wider? • Zeitpunkt des Turnarounds513 • GuV, Cashflow, Bilanz und Finanzplan
507 508 509 510 511 512 513
Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 513ff., Blatz, M., Haghani, S. (2006), S. 8. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 80. Vgl. Wlecke, U., Harenberg, G. (2004), S. 51. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 134. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 29, zitiert auch in Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 344. Vgl. zu den Stakeholdern in der Sanierung Kap. 2.2. Vgl. zum Begriff des Turnarounds Kap. 2.3.2.1.
Sanierung als Form des Krisenmanagements
89
2.3.3.4 Das Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage der Stakeholder Zunächst hat ein Sanierungskonzept die gleichen Funktionen wie die reguläre Unternehmensplanung und leistet somit allgemein durch Steigerung von Effektivität und Effizienz des Unternehmensgeschehens einen Beitrag zur Sicherung des Unternehmenserfolges.514 Konkret dient es im Rahmen einer Sanierung für alle beteiligten Stakeholder als Entscheidungsgrundlage zur Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit und zur Bestimmung von individuellen Sanierungsbeiträgen.515 Der durch eine Sanierung angestrebte Mehrwert wird durch ein Sanierungskonzept und seine Umsetzung nicht nur geschaffen, sondern letztlich auch unter den beteiligten Stakeholdern verteilt.516 Aufgrund der speziellen Situation der Unternehmenskrise ist ein geprüftes bzw. in Zusammenarbeit mit Sanierungsberatern erstelltes Sanierungskonzept vor dem rechtlichen Hintergrund besonders für das Management und die Kreditinstitute, aber auch für Gewerkschaften bzw. Betriebsräte, Gläubiger und staatliche Institutionen bedeutsam.517 Darüber hinaus hat das Sanierungskonzept bzw. seine Erstellung eine Informationsund Argumentationsfunktion primär nach außen sowie eine Kreativitäts- und Motivationsfunktion primär nach innen.518 Neben der reinen Verbesserung des Informationsstands über die Krisensituation und der Dokumentation der Sanierungsbeiträge der jeweiligen Stakeholder kommt dem Sanierungskonzept in der Regel eine Argumentationsfunktion zu.519 Durch ein ganzheitliches und schlüssiges Sanierungskonzept kann das Krisenunternehmen seine Verhandlungsposition gegenüber verschiedenen Stakeholdern stärken und sie für eine Beteiligung an der Sanierung gewinnen, obwohl von ihnen dazu in der Regel entsprechende Sanierungsbeiträge gefordert werden. Dabei kann dem Sanierungskonzept auch eine symbolische Funktion zugesprochen werden, da es den Stakeholdern ein geplantes und konsequentes Vorgehen signalisiert und somit um verlorenes Vertrauen wirbt.520 Angesichts der bedeutenden Rolle von Vertrauen im Sanierungs514 515
516
517 518 519
520
Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 91, Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1161ff. Vgl. auch Kap. 2.3.2.4. Vgl. Friedrich, M. G., Flintrop, B. (2003), S. 224, Kall, T. (1999), S. 88. Individuelle Sanierungsbeiträge einzelner Stakeholder werden bereits während der Konzepterstellung ausgehandelt. Vgl. Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 333. Die Verteilung kann z.B. durch Dividendenzahlungen oder Kurssteigerungen (an die Eigentümer), Besserungsscheine (an die Kreditgeber) oder Sanierungsboni (an die Mitarbeiter) erfolgen. Zu den relevanten Stakeholder in der Sanierung vgl. Kap. 2.2.1.3. Vgl. Sandfort, F. (1997), S. 32. Vgl. Kap. 3.3. Vgl. im Folgenden Vogt, M. A. (1999), S. 91ff. Für Investoren kann ein Sanierungskonzept auch eine "disziplinarische" Funktion haben, da eine Investitionsentscheidung zu treffen ist und nicht nach und nach kleinere Beträge investiert werden können, vgl. Aussage der Experten (Interview I-5). Vgl. Kap. 2.2.5.
90
Theoretischer Bezugsrahmen
prozess macht es einen gewichtigen Unterschied, ob ein Sanierungskonzept von einem Beteiligten mit spezifischen Interessen oder von einem neutralen Dritten wie z.B. einem Sanierungsberater federführend erstellt wurde.521 Neben dem speziellen Know-how und zusätzlichen Ressourcen eines erfahrenen Sanierungsberaters ist dabei auch das "Rollenprivileg" eines Externen bedeutsam.522 Die Kreativitäts- und Motivationsfunktion kann durch Einbeziehung verschiedener Führungskräfte in den Planungsprozess erreicht werden. Häufig macht sich in der Praxis bei den Mitarbeitern dann Erleichterung breit, wenn ein klares und überzeugendes Sanierungskonzept vorgestellt und glaubwürdig kommuniziert wird. Im Fall einer geplanten Veräußerung des Krisenunternehmens kann ein Sanierungskonzept dazu dienen, den Kaufpreis zu erhöhen bzw. die in der Regel von potenziellen Interessenten vorgenommenen Kaufpreisabschläge z.B. für Restrukturierungskosten zu verringern. Um eine Sanierungskonzept vorzulegen, beim dem alle Stakeholder einen adäquaten Sanierungsbeitrag liefern und im Erfolgsfall angemessen von der Sanierung profitieren sowie insgesamt eine ausgewogene Chancen- und Risikoverteilung für alle Stakeholder erreicht wird, ist sehr viel Fingerspitzengefühl und Sanierungserfahrung erforderlich.523
521 522
523
Vgl. Burger, A., Ulbrich, P. (2006), S. 333. Vgl. zum Prinzip des Signaling Kap. 2.2.1.2. Vgl. Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 310. Zum Rollenprivileg eines Externen vgl. Görres, A. (2003), S. 145. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 520.
3
Anforderungen an Sanierungskonzepte
3.1 Begriffsbestimmung und Kategorisierung Die genaue Art und Weise der Ausgestaltung von rechtlichen Rahmenbedingungen ist international von den Rechtstraditionen der jeweiligen Länder abhängig.524 In Deutschland erlässt der Gesetzgeber rechtlich verbindliche Vorschriften unmittelbar durch Gesetze und mittelbar durch Verordnungen hoheitlich legitimierter Instanzen wie z.B. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).525 Auch im hier interessierenden Zusammenhang macht er von diesen beiden Möglichkeiten Gebrauch und gibt mit den gesetzlichen Grundlagen sowie den konkretisierenden Rundschreiben der BaFin bzw. anderer Institutionen die allgemeinverbindlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erstellung von Sanierungskonzepten vor.526 Neben der Gesetzgebung existiert die einschlägige Rechtsprechung zum Themenbereich Sanierung und Insolvenz, die ebenfalls als rechtliche Anforderung an Sanierungskonzepte zu berücksichtigen ist.527 In Einzelfällen können zudem europarechtliche Vorschriften wie z.B. das Europäische Beihilferecht einschlägig sein.528 Mit den rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte geht der Gesetzgeber über die Anforderungen an die reguläre Unternehmensplanung hinaus.529 Neben den rechtlichen Anforderungen existieren verschiedene betriebswirtschaftliche Anforderungen, die sowohl die rechtlichen Anforderungen operationalisieren als auch originär betriebswirtschaftliche Anforderungen enthalten.530 In der vorliegenden Arbeit werden als betriebswirtschaftliche Anforderungen die Grundsätze zur 524
525
526
527 528 529
530
In den USA gehört das Gesellschaftsrecht z.B. zur Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Bundesstaaten. Angelsächsische Länder bevorzugen z.B. im Zusammenhang mit der Ausgestaltung von Anforderungen an das Risikomanagement weiches Recht ("soft law") in Verbindung mit einer Kontrolle durch die Kapitalmärkte, vgl. dazu Kajüter, P. (2004), S. 21. Vgl. Kajüter, P. (2004), S. 13. Die BaFin ist eine selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts und unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Die aktuellste Fassung ist das Rundschreiben 18/2005: Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), vgl. BaFin (2005). Ein weiteres normenkonkretisierendes Schreiben ist z.B. das Rundschreiben des Bundesfinanzministeriums zur ertragssteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen, vgl. Bundesministerium für Finanzen (2003). Vgl. Kap. 3.3.1.2. Vgl. dazu Kap. 3.3.3. Der Gesetzgeber hat derzeit keine konkrete Verpflichtung zur Unternehmensplanung (zumindest nicht für alle Rechtsformen) gesetzlich vorgeschrieben und es existieren auch keine Mindestanforderungen zu deren Ausgestaltung, vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1162ff. Zu unterschiedlichen Standpunkten bzgl. der rechtlichen Ausgestaltung vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 170f. Zu rechtl. Anforderungen an Sanierungskonzepte vgl. Kap. 3.3. Vgl. zu normativen Anforderungen der BWL als fachspezifische Wertung Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 161f. Solche betriebswirtschaftlichen Anforderungen werden teilweise (vor allem im Zusammenhang mit Corporate-Governance-Kodizes) auch als weiches Recht ("soft law") bezeichnet, vgl. Kajüter, P. (2004), S. 13.
92
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW, die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91, der Leitfaden der Treuhandanstalt (THA) für die Ausgestaltung von Sanierungskonzepten sowie die Anforderungen des Sanierungsansatzes von Roland Berger Strategy Consultants (RBSC) betrachtet.531 Diese Auswahl ist dadurch begründet, dass die Anforderungen des IDW (IDW-Grundsätze und FAR 1/91) in Deutschland weit verbreitet und bekannt sind. Der Leitfaden der THA wurde im Rahmen der Sanierung der Portfoliounternehmen der THA für mehr als 8.000 Unternehmen angewandt und kann als Ursprung vieler Anforderungen an Sanierungskonzepte angesehen werden.532 Der RBSC-Sanierungsansatz schließlich wurde aufgrund der Erfahrung von über 1.500 Sanierungsprojekten entwickelt.533 Die rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte können nach inhaltlicher Präzision, Gültigkeit534 sowie Folgen bei Verstößen wie folgt systematisiert werden (vgl. Abb. 3.1).
Folgen
Gültigkeit Präzision
Anforderung
Abb. 3.1: Systematisierung der Anforderungen an Sanierungskonzepte 1. Rechtliche Anforderungen
2. Betriebswirtschaftliche Anforderungen Grundsätze
Gesetzgeber: Gesetze
Hoheitliche Instanzen (BaFin): MaRisk (BTO 1.2.5)
Rechtsprechung Niedrig bis hoch, je nach rechtlicher Anforderung
Alle Verfasser
Finanzinstitute
Rechtlich verbindlich (MUSS) Rechtliche Folgen ergeben sich aus Gesetz und Rechtsprechung
IDWGrundsätze (1992)
Niedrig, d.h. auslegungsbedürfig
Konkrete Anforderungen Leitfaden der THA (1990)
IDW FAR 1/91 (1991/2003)
RBSCAnsatz (seit 1990)
Hoch, d.h. detaillierte Checklisten mit inhaltlichen Elementen und Erläuterungen
WP
Damalige Verfasser
WP
RBSCBerater
MUSS
SOLL
MUSS
MUSS
Keine direkten rechtlichen Folgen Negative Auswirkungen im Verhältnis zum Verfasser Ggfs. Indizienwirkung bei rechtlicher Bewertung
Quelle: Eigene Abbildung
531
532 533
534
In die Analyse wird auch der Abschnitt F aus dem WP-Handbuch 2002 und der ISA 810 (Prüfung zukunftsorientierter Informationen) mit einbezogen. Vgl. zu diesen Ansätzen IDW (2002), S. 325517 u. Wirtschaftsprüferkammer (2003), S. 689-707. Vgl. zur Anwendung des Leitfadens der THA Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 355. Vgl. Blatz, M., Haghani, S. (2006), S. 6. Darüber hinaus existieren weitere teilweise vergleichbare Ansätze anderer Beratungsgesellschaften. Vgl. z.B. den Baseline-Ansatz und das V-Konzept von McKinsey & Company bei Meffert, J., Bernhard, E. M. (2006), S. 254ff. u. Kluge, J., Stein, L., Krubasik, E., et al. (1994), S. 25ff. oder den Ansatz der Boston Consulting Group für Banken bei Wieandt, P., Heuwing, R. (2003), S. 150ff., zitiert auch bei Grape, C. (2006), S. 44. Teilweise auch als Richtlinienkompetenz bzw. Verpflichtungsgrad bezeichnet, vgl. FischerWinkelmann, W. F. (2003), S. 88.
Begriffsbestimmung und Kategorisierung
93
Während die inhaltliche Präzision bei den rechtlichen Anforderungen je nach Anforderung variiert,535 können bei den betriebswirtschaftlichen Anforderungen die wenig konkreten und auslegungsbedürftigen Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW von den übrigen konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen abgegrenzt werden.536 Die rechtlichen Anforderungen sind als allgemeingültige Rahmenbedingungen für alle Verfasser von Sanierungskonzepten rechtlich verbindlich. Da sie durch verfassungskräftig institutionalisierte und demokratisch legitimierte Rechtsetzungsorgane (Gesetzgeber und Rechtsprechung) erlassen wurden, ergeben sich bei ihrer Nichtbeachtung entsprechende rechtliche Folgen.537 Mögliche rechtliche Folgen im Zusammenhang mit der Erstellung von Sanierungskonzepten sind für die an Sanierungen Beteiligten vor allem Haftungstatbestände z.B. aufgrund von Gläubigerbenachteiligung oder Insolvenzverschleppung. Die Rundschreiben der BaFin bzw. die MaRisk wenden sich an Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute und konkretisieren die rechtlichen Anforderungen.538 Die betriebswirtschaftlichen Anforderungen richten sich als Muss- bzw. Soll-Anforderung ohne direkte allgemeine rechtliche Bindungswirkung jeweils an spezielle Adressaten. Handelt es sich bei den betriebswirtschaftlichen Anforderungen um eine Muss-Vorgabe, so ist vom Verfasser der Anforderung die Anwendung der Vorgabe für die Adressaten verbindlich vorgeschrieben. Bei einer Nichtbeachtung können sich Strafsanktionen des Verfassers für die Adressaten ergeben. Unter einer Soll-Anforderung ist dahingegen eine Empfehlung für die jeweiligen Adressaten zu verstehen, der im Regelfall zu folgen ist.539 Bei den betriebswirtschaftlichen Anforderungen stellen die Anforderungen des IDW (IDW-Grundsätze und IDW FAR 1/91) für Wirtschaftsprüfer eine Muss-Anforderung dar,540 während der Leitfaden der Treuhandanstalt für die damaligen Ersteller von Sanierungskonzepten als Soll-Vorgabe gedacht war.541 Die Anforderungen des
535 536
537
538 539
540
541
Vgl. Kap. 3.3. Zur Unterscheidung zwischen grundsätzlichen und speziell den Inhalt von Sanierungskonzepten betreffenden Sachverhalten vgl. auch Ruhl, S. (2000), S. 44. Zur Befugnis der Aufstellung rechtlich verbindlicher Vorgaben (im Original: "Sollenssätze") vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 153. Vgl. Kap. 3.3.2.2. Im Zusammenhang mit den GoB wird unter einer Soll-Vorgabe eine Vorschrift verstanden, die im Regelfall zu erfüllen ist, wobei von ihr abgewichen werden darf, wenn z.B. andere gesetzliche Vorschriften ein Abweichen von der Soll-Vorgabe nahelegen. Es gilt also das Motto: "Sollen heißt müssen, wenn können!", vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 118. Von IDW-Vorgaben kann im Einzelfall abgewichen werden. Es ist dann eine schriftliche Begründung, die an geeigneter Stelle zu erläutern ist, erforderlich. Vgl. im Detail Kap. 3.4.3. Von Sanktionen bei Nichtbeachtung ist hier nicht die Rede, vgl. im Detail Kap. 3.4.2.
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Anforderungen an Sanierungskonzepte
RBSC-Sanierungsansatzes können für Berater von Roland Berger Strategy Consultants ebenfalls als Muss-Vorgabe angesehen werden. Die Gültigkeit der betriebswirtschaftlichen Anforderungen über den jeweiligen Adressatenkreis hinaus ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen und kann teilweise aus dem Zusammenhang abgeleitet werden. So können die IDWGrundsätze aufgrund ihrer Allgemeinverbindlichkeit für die übrigen Ersteller von Sanierungskonzepten als Soll-Vorgabe (Empfehlung) angesehen werden, während die konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen über ihren eigentlichen Adressatenkreis hinaus als Kann-Vorgaben zu interpretieren sind.542 Rechtliche Folgen wie z.B. Haftungssanktionen können sich bei Verstößen gegen die rechtlichen Anforderungen ergeben. Dagegen ziehen Verstöße gegen rein betriebswirtschaftliche Anforderungen außerhalb der kaufmännischen Sorgfaltspflicht543 direkt keine rechtlichen Folgen nach sich, sondern können im Rahmen einer rechtlichen Bewertung ggf. eine Indizienwirkung entfalten. Darüber hinaus können Verstöße gegen betriebswirtschaftliche Anforderungen negative Auswirkungen im Verhältnis zu berufsständischen Institutionen bzw. zu den Verfassern der Anforderung haben. Ein Verstoß gegen die IDW-Anforderungen kann, wenn keine gewichtigen Gründe dafür vorliegen, in Regressfällen sowie Verfahren der Berufsaufsicht oder in Strafverfahren zum Nachteil von Wirtschaftsprüfern ausgelegt werden und zum Ausschluss aus dem IDW führen.544
542 543
544
Vgl. im Detail Kap. 3.4. Die kaufmännische Sorgfaltspflicht ist die allgemeine Pflicht eines Kaufmanns, seine Geschäfte ordentlich zu führen (vgl. § 347 Abs. 1 HGB). Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht kann zu Schadensersatzansprüchen führen. Spezielle Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten von Vorstandsmitgliedern regelt der § 93 AktG. Vgl. Rückle, D. (1996), S. 113, Fischer-Winkelmann, W. F. (2006), S. 159, IDW (2006a), S. 852.
Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen
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3.2 Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen Die rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte stehen in einer gegenseitigen Wechselbeziehung. Grundsätzlich interessiert den Ökonomen, in welche rechtlichen Rahmenbedingungen seine betriebswirtschaftlichen Überlegungen und Handlungen eingebunden sind, und der Jurist muss im Zuge der Ausfüllung von Rechtsbegriffen immer wieder auf Erkenntnisse der Betriebswirtschaft zurückgreifen.545 Im Fall einer Unternehmenskrise bzw. Sanierung dominieren vor einer Insolvenz ökonomische Überlegungen, während in der Insolvenz zunächst juristische Überlegungen eine Rolle spielen.546 Darüber hinaus kann eine Insolvenz als Drohpotenzial eingesetzt werden, da als Alternative zur außergerichtlichen Sanierung immer noch die gerichtliche Lösung bleibt, wenn außergerichtlich kein besseres Ergebnis zu erzielen ist.547 In beiden Fällen sind Ökonomen und Juristen aber aufeinander angewiesen, da sie jeweils auf den Fundamenten des anderen aufbauen.548 Eine gemeinsame "Sprachbasis" sowie zusammenhängende Grundkenntnisse sowohl auf betriebswirtschaftlichem als auch auf juristischem Gebiet sind erforderlich.549 Grundsätzlich sind bei den Anforderungen an Sanierungskonzepte jedoch allein die rechtlichen Anforderungen rechtlich verbindlich, da die ausschließliche Befugnis zur Aufstellung rechtlich verbindlicher Vorgaben beim Gesetzgeber und der Rechtsprechung liegt.550 In Bezug auf die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen gilt, dass sofern sie angerufen werden, letztlich Gerichte darüber befinden, wie die Rechtsbegriffe zu konkretisieren und zu verstehen sind.551 Damit können die Verlautbarungen des IDW in Form von Fachgutachten und Stellungnahmen, die zwar teilweise als rechtssatzähnliche Normen bezeichnet werden, weder die gerichtliche Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift ersetzen noch besitzen sie rechtliche Verbindlichkeit.552 Außerdem sind Regelwerke von privaten bzw. institutionalisierten 545
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549 550 551
552
Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 152, Tipke, K. (1986), S. 2. Zur juristischen Entscheidungsfindung ohne Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, vgl. Bork, R. (2000), S. 1712f. RISSE spricht grundsätzlich von einem "Primat der Betriebswirtschaftslehre und der Unternehmensführung bei der Sanierung", vgl. Risse, W. (2001), S. 1136 und 1132f. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-6). Vgl. Heintzen, M., Kruschwitz, L. (2004), S. 11, Braun, E. (1990), S. 105f., Picot, G. (1998), Rn. 77. Zu Aufgabenschwerpunkten in der Insolvenz vgl. Groß, P. J. (2003), S. 137f. Vgl. Hommel, U., Knecht, T., Wohlenberg, H. (2006), S. 31. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 153 mit weiteren Quellen. Alle Rechtsbegriffe sind mehr oder weniger unbestimmt und damit auslegungsfähig u. -bedürftig, vor allem aber die, die nicht bloß mehrdeutig, sondern auch vage sind, vgl. Tipke, K. (1986), S. 1f. Vgl. auch (im Zusammenhang mit den GoB) Taupitz, J. (1990), S. 2369. Vgl. Rückle, D. (1996), S. 116, Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 88ff, Taupitz, J. (1990), S. 2369ff., Hirsch, H.-J. (1990), S. 123. Vgl. die Stellungnahmen des Amtsgerichts Duisburg im Urteil v. 31.12.1993 in Amtsgericht Duisburg (1994), S. 466.
96
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Sachverständigengremien wie z.B. DIN-Normen oder VDE-Richtlinien keine Rechtsnormen im Sinne rechtlich verbindlicher Verhaltensanweisungen.553 Aus dem gleichen Grund sind private Regelwerke grundsätzlich auch keine authentischen Interpretationshilfen für gesetzliche Vorschriften. Authentisch interpretieren kann das Gesetz nur der Gesetzgeber, der davon mittels Legaldefinitionen hin und wieder Gebrauch macht.554 Darüber hinaus ist die Auslegung des Rechts den dazu legitimierten Staatsorganen – also den Gerichten – vorbehalten.555 Speziell in Bezug auf Sanierungskonzepte wird den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 in der Praxis dennoch teilweise eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit zugesprochen. Nach GROSS haben die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 eine "Leitfunktion" nicht nur für Unternehmensberater, Banken und Gewerkschaften, sondern auch für gesetzliche Vertreter erlangt.556 Rechtlich explizit geregelte Maßnahmen stehen allerdings im Normalfall nicht im Fokus des Topmanagements bei der Erfüllung seiner eigentlichen unternehmerischen Aufgabe, der Führung von Unternehmen.557 Die Forderung, dass das Management die geltende Rechtsordnung zu berücksichtigen hat, ist unbestritten. Deren Befolgung ist jedoch in der Praxis nicht immer unproblematisch, da einerseits eine Fülle einschlägiger Rechtsnormen existiert und andererseits Auslegungsschwierigkeiten die Einhaltung von Rechtsnormen nicht unerheblich erschweren können.558 Diese Feststellung gilt in verstärktem Maße für Krisensituationen.559 Grundsätzlich verlangt die allgemeingültige Forderung nach rechtlicher Zulässigkeit, dass alle betriebswirtschaftlichen Aktivitäten ausnahmslos rechtsnormenkonform gestaltet werden. Dabei erkennt die (auch juristische) Literatur an, dass sich 553
554
555 556
557 558 559
Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 152. Obwohl DIN-Normen bis zum Beweis des Gegenteils als Stand der Technik angesehen werden können, liegt die Feststellung des Stands der Technik letztlich bei Gericht, vgl. Borges, G. (2003), S. 520 mit weiteren Quellen. Auch die Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes macht deutlich, dass der Gesetzgeber die inhaltliche Ausfüllung der Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung (GoA) nicht dem IDW oder der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) überlassen wollte. Den ausdrücklichen Wunsch des IDW, die Formulierung "Die Prüfung hat den Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung zu entsprechen." in den Gesetzestext aufzunehmen, hat der Gesetzgeber abgelehnt, vgl. Rückle, D. (1992), S. 753 u. Rückle, D. (1996), S. 115f. Im Gegensatz zum IDW ist die WPK eine staatlicherseits errichtete berufsständische Organisation in Form einer Körperschaft öffentlichen Rechts, der alle nach der WPO bestellten oder anerkannten Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer im Rahmen einer Zwangsmitgliedschaft angehören, vgl. Taupitz, J. (1990), S. 2368 u. Hirsch, H.-J. (1990), S. 62f. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 152f. Vgl. z.B. § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG zur Legaldefinition der Unternehmenskrise. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 153. Zur Auslegung vgl. auch Tipke, K. (1986), S. 5ff. Vgl. Groß, P. J. (2007a), Editorial. In der Literatur wird zum Teil auch von "quasi gesetzlichen Normen", gesprochen vgl. Taupitz, J. (1990), S. 2368 mit weiteren Quellen. Es gibt z.B. kaum Rechtsnormen bzgl. Strategieentscheidungen, vgl. v. Werder, A. (1996a), S 38. Vgl. v. Werder, A. (1996a), S. 36f. Vgl. ähnlich (für die AG) Reuter, A. (2003), S. 1797ff.
Interdependenzen rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen
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betriebswirtschaftliche Aktivitäten im Nachhinein als Fehlschlag und damit als unzweckmäßig herausstellen können, ohne dass zwangsläufig eine Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Eine Ex-post-Bewertung der Zweckmäßigkeit betriebswirtschaftlichen Handelns darf es nicht geben, entscheidend ist vielmehr die Ex-ante-Betrachtung.560 Die Übernahme betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in die Rechtsanwendung, also die Übernahme externen Sachverstands durch die Rechtsanwender als staatlich legitimierte Organe, hat ihre Grenzen.561 Eine betriebswirtschaftliche Bewertung darf nicht unbesehen in eine rechtliche transformiert werden und es ist möglich, dass ein Verhalten, das aus betriebswirtschaftlicher Sicht erforderlich bzw. ausreichend ist, rechtlich als nicht erforderlich bzw. nicht ausreichend gewertet werden kann.562 Im Rahmen des Beweisrechts sind die Gerichte zur Entscheidungsfindung auf die Mitwirkung von Sachverständigen angewiesen.563 Ein Sachverständigengutachten ist dann erforderlich, wenn mittels besonderer Fachkunde aus feststehenden Tatsachen Schlussfolgerungen gezogen werden sollen, um das Gericht in einem streitigen Sachverhalt zu überzeugen.564 Um Erkenntnissen institutionalisierter Gremien, die fachlich von erheblichem Gewicht sind und deren persönliche Einbeziehung als Sachverständige in einen Prozess gemäß den Vorschriften der Prozessordnung nicht möglich ist, Eingang in die Rechtsfindung zu verschaffen, wurde die Rechtsfigur des "antizipierten Sachverständigengutachtens" entwickelt.565 Das bedeutet, dass bestimmte Regelwerke im Prozess wie Aussagen von Sachverständigen behandelt werden können, und zwar nicht erst aufgrund einer förmlichen Bestellung durch das Prozessgericht, sondern bereits im Voraus ("antizipiert"). Die Gerichte sind dann zwar nicht an diese Regelwerke gebunden, müssen sie aber bei ihrer Beweiswürdigung berücksichtigen.566 An ein "antizipiertes Sachverständigengutachten" werden hohe Anforderungen hinsichtlich Sachkunde, Objektivität und Neutralität gestellt.567 Sachkunde ist z.B. dadurch zu erreichen, dass die wesentlichen einschlägigen Fachdisziplinen sowie
560 561 562 563 564 565
566
567
Vgl. v. Werder, A. (1996a), S. 38f. Vgl. auch Kap. 3.3.1. Vgl. zu diesem Absatz Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 168ff. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 169. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 155. Vgl. Greger, R. (2005), Rn. 6b. Das antizipierte Sachverständigengutachten (in der Quelle heißt es "antezipiertes" Sachverständigengutachten) ist ursprünglich im technischen Sicherheitsrecht entwickelt worden, könnte aber auch als Ansatz für die Betriebswirtschaftslehre weiterentwickelt werden, vgl. dazu Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 167. Vgl. auch Müller, K. (1988), S. 31 u. Hirsch, H.-J. (1990), S. 184ff. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 166f. Vgl. zur Distanz ggü. Sachverständigengutachten im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch Foerste, U. (1999), Rn. 11. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 173.
98
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Vertreter aus Theorie und Praxis im Gremium vertreten sind.568 Objektivität und Neutralität sollen durch eine ausgewogene Besetzung des Gremiums erreicht werden, wobei etwaige Interessenverbindungen offenzulegen sind. Schließlich ist die vom Gremium verlautbarte Erkenntnis zu begründen, ihr Zustandekommen zu dokumentieren und es ist zu vermerken, inwieweit juristische Bewertungen eingeflossen sind. Diese hohen Voraussetzungen sind im Falle der im Rahmen der vorliegenden Arbeit betrachteten betriebswirtschaftlichen Anforderungen Sanierungskonzepte grundsätzlich sehr kritisch zu bewerten.569
an
Es kann festgehalten werden, dass die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte grundsätzlich weder rechtlich verbindlich noch authentische Interpretationshilfen sind. Diese Schlussfolgerung spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass der BGH in seinen einschlägigen Urteilen im Zusammenhang mit Sanierungsversuchen bzw. -konzepten die in dieser Arbeit betrachteten betriebswirtschaftlichen Anforderungen bisher nicht bei der Urteilsfindung herangezogen hat.570 Dass betriebswirtschaftliche Sachverhalte nicht automatisch rechtliche Wirkung entfalten, zeigt auch ein Fall aus dem Jahr 2005. Hier hat das Landgericht Bonn klargestellt, dass es sich bei der rechtlichen Beurteilung der Tauglichkeit ergriffener Sanierungsmaßnahmen um einen Sachverhalt handelt, der nicht anhand eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens, sondern durch ein Gericht zu entscheiden ist.571 Rechtlich verbindliche Anforderungen existieren erst dann, wenn sie von der Rechtsprechung in Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften anerkannt wurden. Um eine rechtliche Bewertung vornehmen zu können, muss der Jurist jedoch die fachspezifische Begründung der von Betriebswirten aufgestellten Anforderungen kennen. Je unabweisbarer und begründeter die betriebswirtschaftlichen Anforderungen ausgestaltet sind, umso näher liegt es für den Juristen, die betriebswirtschaftliche Bewertung unverändert in eine rechtliche zu übernehmen.572 Die Glaubhaftigkeit eines Sanierungskonzepts lässt sich durch professionelle, 568
569
570
571
572
Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 173 bzw. Vieweg, K. (1982), S. 2473 u. 2475. Dort wird sogar von sämtlichen einschlägigen Fachdisziplinen gesprochen. Vgl. zur Analyse der betriebswirtschaftlichen Anforderungen im Detail Kap. 3.4. Auch IDW-Fachgutachten erfüllen die Voraussetzungen für antizipierte Sachverständigengutachten nicht, vgl. dazu Hirsch, H.-J. (1990), S. 185ff. Eine explizite Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Anforderungen ist jedenfalls den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vgl. ähnlich (Berücksichtigung von IDW-Fachgutachten bei Haftpflichtprozessen etc.) Hirsch, H.-J. (1990), S. 33ff. u. Aussage der Experten (Interview WP/RA-5). Vgl. LG Bonn (2005), Rn. 70. Die Entscheidung ist in der Revision beim OLG Köln und ist noch nicht rechtskräftig. Vgl. Hommelhoff, P., Schwab, M. (1996), S. 172. Zur Übernahme konkreter betriebswirtschaftlicher Minimalvoraussetzungen in die Rechtsprechung, vgl. auch Gawaz, K. D. (1997), S. 173.
Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
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planvolle, kontrollierte und engagierte Vorgehensweise bei der Erstellung erarbeiten.573 Aufgrund der beschriebenen Charakteristika rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Anforderungen stehen die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte im Fokus der vorliegenden Arbeit, wobei Wechselwirkungen mit rechtlichen Anforderungen ebenfalls berücksichtigt werden.
3.3 Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte 3.3.1 Generelle Anforderungen aus Gesetz und Rechtsprechung 3.3.1.1 Ausschluss bzw. Beseitigung der Insolvenzgründe Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann als Mindestvoraussetzung für eine außergerichtliche Sanierung der Ausschluss bzw. die Beseitigung der Insolvenzgründe angesehen werden.574 Nach der Insolvenzordnung existieren mit der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) drei Insolvenztatbestände.575 Bei den beiden letztgenannten hat der Gesetzgeber prognostische Elemente eingefügt und damit Krisenunternehmen einen gewissen Gestaltungsspielraum eingeräumt (vgl. Abb. 3.2).576 Die Insolvenztatbestände können als Terminierungsregeln mit der Funktion angesehen werden, die Übereinstimmung von Haftung und Entscheidungsrechten wiederherzustellen, wenn sich Unternehmen in Situationen befinden, in denen die vertraglich festgeschriebenen Positionen von Gläubigern erheblich gefährdet sind.577 Damit in solchen Situationen keine Entscheidungen mehr getroffen werden, die weitere Risiken auf die Gläubiger verlagern, gehen mit der Einleitung des Insolvenzverfahrens die Entscheidungsrechte auf die Gläubiger über. Dabei fungiert nach deutschem Recht ein Insolvenzverwalter als Agent der Gläubiger. Durch die Einbeziehung eines Insolvenzverwalters und des Insolvenzgerichts trägt der Gesetzgeber
573 574
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Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 349. Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 8, Groß, P. J. (1997), S. 64, IDW (2002), S. 339. Vgl. auch Kap. 2.3.2.1 und die Aussage der Experten (Interview WP/RA-2). Diese Feststellung ergibt sich daraus, dass bei Vorliegen der Insolvenzgründe grundsätzlich ein Insolvenzverfahren einzuleiten ist. Dadurch dass der Gesetzgeber die Regelung der Insolvenztatbestände aus dem Gesellschaftsrecht in die Insolvenzordnung übernommen hat, gelten für alle Gesellschaftsformen des Handelsrechts einheitliche Definitionen der Insolvenzgründe, vgl. Uhlenbruck, W. (2006), S. 599. Vgl. Drukarczyk, J. (2004), S. 7. Die Auslösungspflichten betreffen den Vorstand einer AG (§ 92 Abs. 2 AktG), einer Genossenschaft (§ 99 Abs. 1 GenG), eines Vereins (§ 42 Abs. 2 BGB), einer Stiftung (§§ 86, 42 Abs. 2 BGB) und den oder die Geschäftsführer bzw. Abwickler einer GmbH (§§ 64 Abs. 1, 71 Abs. 4 GmbHG) sowie den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA (§§ 283 Nr. 14, 92 Abs. 2 AktG), vgl. Uhlenbruck, W. (2007), S. 260f. Vgl. Drukarczyk, J. (2004), S. 6f.
100
Anforderungen an Sanierungskonzepte
der besonderen Bedeutung von Informationsasymmetrien und Principal-AgentKonflikten (Eigentümer vs. Gläubiger) Rechnung.578 Abb. 3.2: Übersicht Insolvenztatbestände der Insolvenzordnung Insolvenztatbestand
Zahlungsunfähigkeit
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Überschuldung
Regelung in
• § 17 InsO
• § 18 InsO
• § 19 InsO
• Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen
• Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen
• Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt • Der Wertansatz des Vermögens ergibt sich aufgrund einer Fortbestehensprognose
Auslösung d. Schuldner
• Pflicht
• Recht
• Pflicht
Auslösung d. Gläubiger
• Recht
• Kein Recht
• Recht
Definition
Quelle: Drukarczyk, J. (2004), S. 7
Die Zahlungsunfähigkeit ist von der vorübergehenden Zahlungsstockung abzugrenzen, die nach dem Gesetz keine Insolvenzantragspflicht begründet.579 Diese Abgrenzung erfordert grundsätzlich eine Prognoserechnung und führt in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten.580 Nach Ansicht des BGH ist als Zahlungsstockung eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen.581 Diesen Zeitraum setzt der BGH auf drei Wochen fest.582
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581 582
Vgl. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 703. Zu Principal-Agent-Konflikten bei der Erstellung von Sanierungskonzepten und deren Lösungsmöglichkeiten vgl. auch Kap. 2.2.4 und 2.2.5. Vgl. zur Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit ggü. der Zahlungsstockung Uhlenbruck, W. (2006), S. 600ff. Eine Zahlungsstockung kann nur dann vorliegen, wenn ein Schuldner (unabhängig von Rechtsform und branchenabhängigen Geschäftsspezifika) nicht in der Lage ist, weniger als 5% seiner fälligen Forderungen innerhalb einer Frist von zwei Wochen bis zu einem Monat zu erfüllen. Vgl. dazu im Detail mit weiteren Quellen Uhlenbruck, W. (2006), S. 600ff. Vgl. BGH (2005), Leitsatz. Vgl. BGH (2005), Leitsatz. Davon abweichend spricht das IDW von drei Monaten, was aus Sicht der Rechtsprechung zu lange ist. Vgl. IDW (1999), S. 251 und Uhlenbruck, W. (2006), S. 603.
Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
101
Geschäftsführer und Vorstände haben die Verpflichtung, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu verfolgen und sich bei Anzeichen einer Krise durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand des Unternehmens zu verschaffen.583 Die Entscheidung, ob ein Insolvenzantrag zu stellen ist, haben sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters zu treffen.584 Ergibt sich bei der Aufstellung des Vermögensstatus unter Ansatz von Liquidationswerten eine rechnerische Überschuldung, muss geprüft werden, ob für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose besteht.585 Fällt die Fortbestehensprognose positiv aus, so ist die rechnerische Überschuldung unter Berücksichtigung von Fortführungswerten zu korrigieren. Liegt trotz der Korrektur noch immer eine rechnerische Überschuldung vor, so ist aus insolvenzrechtlicher Sicht eine rechtliche Überschuldung gegeben. Fällt die Fortbestehensprognose negativ aus, kann es im Einzelfall erforderlich sein, Liquidationswerte auf Zerschlagungswerte zu korrigieren.586 Wenn feststeht, dass eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, so ist es nach Ansicht des BGH allerdings Sache der Geschäftsführer, Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen.587 Damit wird Geschäftsführern bei dieser Fragestellung also ein gewisser Ermessensspielraum zugebilligt. 3.3.1.2 Ernsthaftigkeit von Sanierungskonzept bzw. -versuch Neben dem Ausschluss bzw. der Beseitigung der Insolvenzgründe können weitere rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte aus der einschlägigen Rechtsprechung vor allem zu Haftungstatbeständen im Zusammenhang mit Sanierung und Insolvenz (z.B. Gläubigerbenachteiligung, Insolvenzverschleppung) und zum Eigenkapitalersatz in Verbindung mit dem Sanierungsprivileg abgeleitet werden. Darüber hinaus müssen die einzelnen Sanierungsmaßnahmen eines Konzepts rechtlich umsetzbar sein.588 In diesem Zusammenhang sind vor allem die einschlägigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen des BetrVG zu berücksichtigen, die z.B. unterschiedlich intensive Beteiligungsrechte (Information, Mitsprache, Mitbestimmung) des 583
584 585
586 587 588
Vgl. BGH (1994), Rn. 32, Schmidt, K. (1988b), § 64 Rn. 28 u. Picot, G. (1998), S. Rn. 59. Diese Pflicht wird teilweise auch als einer der Grundsätze ordnungsmäßiger Geschäftsführung bezeichnet, vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 352. Vgl. BGH (1994), Rn. 33 u. BAG (1999), Rn. 35. Zur Aufstellung des Überschuldungsstatus vgl. Uhlenbruck, W. (2006), S. 606ff. Zur Durchführung der Überschuldungsprüfung gibt es zahlreiche Beiträge in der Literatur. Vgl. dazu z.B. Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 229f., Drukarczyk, J., Schüler, A. (2003), S. 57ff., Groß, P. J., Amen, M. (2003a), S. 67ff., Drukarczyk, J. (2004), S. 8ff. Vgl. auch BGH (1994), Rn. 32 und Schüppen, M. (1994), S. 197 u. 199. Vgl. Uhlenbruck, W. (2006), S. 608. Vgl. BGH (1994), Rn. 33, BGH (1999), Rn. 35, Neuhof, R. (1998), S. 3228. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-2).
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Anforderungen an Sanierungskonzepte
Betriebsrats bei Sanierungen regeln. Außerdem ist das KSchG zu beachten und bei Sanierungen kann auch der § 613a BGB eine Rolle spielen, der bei einem Betriebsübergang die Übertragung der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Inhaber regelt.589 In der Rechtsprechung steht zwar nicht die explizite Aufstellung von rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte im Fokus, sondern die einschlägigen Urteile beschäftigen sich damit, was von Seiten potenzieller Sanierer getan werden muss, um die Erfolgsaussichten eines Sanierungsversuchs beurteilen zu können. Das, was zur Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Sanierungsversuchs zu unternehmen ist, stellt jedoch einen Teil der Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit sowie der Erstellung eines Sanierungskonzepts dar, so dass die einschlägige Rechtsprechung im Sinne rechtlicher Anforderungen an Sanierungskonzepte interpretiert werden kann.590 Von der Haftungsproblematik z.B. wegen Gläubigerbenachteiligung oder Insolvenzverschleppung sind Geschäftsführer bzw. Vorstände von Krisenunternehmen besonders betroffen, aber auch für Banken ist dieser Aspekt wichtig.591 Welches Maß an Erfolgsaussichten ein Sanierungsversuch aufweisen muss, um einen Aufschub bei der Stellung des Insolvenzantrags innerhalb der Dreiwochenfrist zu rechtfertigen, ist nicht allgemein, sondern nur von Fall zu Fall zu entscheiden.592 Nach der Rechtsprechung des BGH ist für eine positive Fortbestehensprognose grundsätzlich ein Sanierungskonzept erforderlich, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, mindestens in sich schlüssig und nicht offensichtlich undurchführbar ist.593 Es muss sich also um einen ernsthaften Sanierungsversuch handeln, den der BGH in seinen Urteilen wie folgt noch weiter charakterisiert: •
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Das Sanierungskonzept muss die wirtschaftliche Lage des Krisenunternehmens im Rahmen seiner Branche analysieren und die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfassen.594
Die rechtlichen Anforderungen zur Durchsetzung einzelner Sanierungsmaßnahmen bzw. bezüglich des gesamten Sanierungsprozesses werden hier nicht weiter vertieft. Vgl. Gawaz, K. D. (1997), S. 172. Die einschlägige Rechtsprechung befasst sich dabei i. W. mit den Rechtsformen der AG und der GmbH. Vgl. dazu Kap. 3.3.2.4. Vgl. BGH (1979), Rn. 41. Aus der Eigenschaft der Dreiwochenfrist als zeitliche Höchstgrenze folgt, dass die Frist nicht ohne triftige Gründe ausgeschöpft werden darf, vgl. BGH (1979), Rn. 40. Für die Bewertung der ermittelten tatsächlichen Ausgangslage und der Prognose der Durchführbarkeit des Sanierungskonzepts ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen branchenkundigen Fachmannes abzustellen, der nicht notwendigerweise unbeteiligt sein muss und dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. Vgl. BGH (1998a), Rn. 28, dort auch genannt BGH (1995), Rn. 1ff. Vgl. auch BGH (2006), Rn. 15. Vgl. BGH (1998a), Rn. 28.
Rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
103
•
Das Sanierungskonzept muss – jedenfalls in Anfängen – schon umgesetzt sein und daher ernsthafte und begründete Aussichten auf Erfolg haben.595
•
Der Sanierungsversuch sollte fachgerecht eingeleitet werden, da sich laut BGH daraus Rückschlüsse auf dessen Ernsthaftigkeit ziehen lassen.596
•
Für einen ernsthaften Sanierungsversuch ist es unschädlich, wenn zunächst ein Grobkonzept erarbeitet und parallel zur Konzeptdetaillierung bereits mit der Umsetzung der Maßnahmen des Grobkonzepts begonnen wird. Ein lediglich "noch fertig zu stellendes" Sanierungskonzept, das bereits umsetzbare Maßnahmen enthält, reicht aus.597
•
Planrechnungen in einem Sanierungskonzept können nicht allein deshalb als ungeeignet angesehen werden, weil sie auf rechnerischen und mit tatsächlichen Unsicherheiten behafteten Annahmen beruhen. Solche Ungewissheiten, die mit jeder Prognoseentscheidung verbunden sind, besagen für sich allein noch nichts über die Eignung eines Sanierungskonzeptes.598
•
Die reine Hoffnung eines Schuldners, sein Unternehmen retten zu können, genügt für einen ernsthaften Sanierungsversuch grundsätzlich nicht, wenn der Sanierungsversuch über die Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten nicht hinausgekommen ist.599
•
Zudem ist es für eine nachhaltige Sanierungsfähigkeit nach Ansicht des BGH erforderlich, dass die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht.600 Nach herrschender Meinung umfasst der geforderte mittelfristige Prognosezeitraum üblicherweise das aktuelle und folgende Geschäftsjahr bzw. einen Zeitraum von zwei Jahren.601
595 596 597
598 599 600
601
Vgl. BGH (1993), dort genannt auch BGH (1984), Rn. 1ff. Vgl. BGH (1998a), Rn. 30 u. Eidenmüller, H. (2002), § 133 Rn. 37. Vgl. LG Bonn (2005), Rn. 72. Zur Beurteilung, ob überhaupt Sanierungsaussichten bestehen, sind von Anfang an genaue Feststellungen über die eigene Vermögens- und Liquiditätslage (und die verbundener Unternehmen) sowie über die Krisenursachen erforderlich. Darauf aufbauend ist dann, wenigstens im Groben, ein Sanierungskonzept zu entwerfen und sind dessen Risiken und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die vorhandenen oder zu erwartenden Finanzierungsmöglichkeiten zunächst überschlägig zu bewerten, vgl. BGH (1979), Rn. 41. Vgl. BGH (1993), Rn. 33. Vgl. BGH (1993), Rn. 60 u. Eidenmüller, H. (2002), § 133 Rn. 37. Vgl. BGH (1992), Rn. 15 u. BGH (2001), Rn. 30. Der Begriff der "überwiegenden Wahrscheinlichkeit" wurde vom Gesetzgeber zwar in die InsO (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO) übernommen, aber soweit ersichtlich bisher nicht weiter konkretisiert. Zur betriebswirtschaftlichen Operationalisierung gibt es verschiedene Literaturmeinungen, vgl. Quellen in Fußnote 585. Vgl. Müller, H.-F. (2004), § 19 InsO Rn. 37 m.w. Nachweisen, Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 232, IDW (2002), S. 341, Drukarczyk, J. (2004), S. 11. SELCHERT fordert einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten als Richtwert, der im Einzelfall (z.B. bei Unternehmensgründung oder in der Baubranche) angepasst bzw. verlängert werden muss, vgl. Selchert, F. W. (1990), S. 747.
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Anforderungen an Sanierungskonzepte
Für die Bewertung der Ernsthaftigkeit eines Sanierungsversuchs bzw. -konzepts spielen die maßgebliche Betrachtungsweise und der anzusetzende Maßstab der Beurteilung eine wesentliche Rolle. Nach der Rechtsprechung ist es nicht zulässig, die tatsächliche Eignung eines Sanierungskonzepts aus einer Ex-post-Sicht zu beurteilen. Zwar fordert die Rechtsprechung im Fall des Sanierungsprivilegs die Feststellung der "objektiven Sanierungstauglichkeit der Gesellschaft" und der "objektiven Tauglichkeit der beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen", aber beide Anforderungen sind aus der Ex-ante-Sicht eines ordentlichen Geschäftsmanns zu beurteilen.602 Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass der ordentliche Geschäftsmann ein eigenes schriftliches Sanierungskonzept erarbeitet.603 Die in der Praxis immer wieder auftretende unzulässige Ex-post-Betrachtung durch die Gerichte bringt für Personen, die an Sanierungen beteiligt sind, erhebliche Risiken mit sich.604 In Bezug auf den anzusetzenden Beurteilungsmaßstab kann nach Auffassung der Rechtsprechung für die Ernsthaftigkeit eines Sanierungsversuchs nicht verlangt werden, dass ein Sanierungskonzept Umstände aufzeigt, die die Überzeugung rechtfertigen, die Sanierung werde gelingen.605 Wenn ein Sanierer vom Erfolg seines Sanierungsversuchs überzeugt sein darf, ist es nach Ansicht der Rechtsprechung in der Regel offensichtlich, dass er nicht die Absicht hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Darüber hinaus handelt er nur dann vorsätzlich, wenn er nicht nur die Möglichkeit der Benachteiligung seiner Gläubiger erkennt – was regelmäßig gegeben ist, wenn ihm das mit der Kreditsicherung verbundene Risiko bewusst ist – sondern diese auch billigend in Kauf nimmt.606 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der BGH-Rechtsprechung, dass ein ernsthafter Sanierungsversuch unter Umständen eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung objektiv sogar dann ausschließen kann, wenn er letztlich scheitert.607 Nach BGH-Rechtsprechung enthält der Begriff des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes ein "Element persönlicher Unlauterkeit",608 das 602 603 604 605
606 607 608
Vgl. OLG Düsseldorf (2004), Rn. 36ff., LG Bonn (2005), Rn. 65 mit Verweis auf OLG Düsseldorf. Vgl. LG Bonn (2005), Rn. 74. Vgl. Wallner, C., Neuenhahn, S. (2006), S. 556. Vgl. BGH (1993), Rn. 31. Eine derart hohe Anforderung an Sanierungskonzepte hätte zur Folge, dass ein Anfechtungsgegner bei Ansprüchen wegen Gewährung inkongruenter Sicherheiten ein gegen ihn sprechendes Beweisanzeichen praktisch nur durch den vollen Gegenbeweis seiner Gutgläubigkeit entkräften könnte, obwohl der Insolvenzverwalter den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zu beweisen hat, vgl. BGH (1993), Rn. 31. Das in Gewährung einer inkongruenten Deckung (§ 133 Abs. 1 S. 1 InsO) liegende Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht ist bereits dann entkräftet, wenn aufgrund eines Sanierungskonzepts Umstände feststehen, die den Benachteiligungswillen in Frage stellen, vgl. BGH (1993), Rn. 31 u. Eidenmüller, H. (2002), § 133 Rn. 37. Außerdem ist das Beweisanzeichen in der Regel weit weniger bedeutungsvoll, wenn die Inkongruenz nur in geringem Umfang besteht, vgl. BGH (1993), Rn. 29. Vgl. BGH (1993), Rn. 31. Vgl. BGH (1998a), Rn. 28. BGH (1993), Rn. 31.
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schon dann fehlt, wenn der Sanierungsversuch für den Gemeinschuldner zwar erkennbar mit Risiken belastet ist, die Bemühungen um eine Rettung des Unternehmens jedoch ganz im Vordergrund stehen und aufgrund konkret benennbarer Umstände eine positive Prognose nachvollziehbar und vertretbar erscheint.609 Beteiligte, die ernsthaft und mit aus ihrer Sicht tauglichen Mitteln eine Sanierung anstreben, handeln subjektiv redlich, d.h. sie wollen den Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung typischerweise gerade vermeiden und nehmen sie also durchweg nicht in Kauf.610 Im Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppung hat der BGH klargestellt, dass der Versuch, ein Krisenunternehmen zu retten, nicht allein schon deshalb sittenwidrig ist, weil ein solcher Versuch die Möglichkeit des Misslingens und damit einer Schädigung nicht informierter Geschäftspartner einschließt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Krise den Umständen nach als überwindbar gilt und daher Bemühungen zu ihrer Behebung als lohnend angesehen werden. Erst wenn ernste Zweifel am Gelingen eines Sanierungsversuchs bestehen und damit zu rechnen ist, dass der Zusammenbruch des Unternehmens allenfalls zu verzögern, aber nicht auf Dauer zu verhindern ist, kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns zum Schaden der Gläubiger berechtigt sein, vor allem dann, wenn der Sanierungsversuch auf eigensüchtigen Beweggründen beruht.611 Durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz (KonTraG) wurde der § 32a GmbHG erweitert und damit das sogenannte Sanierungsprivileg eingeführt. Das Sanierungsprivileg besagt, dass der Erwerb von Geschäftsanteilen durch einen Darlehensgeber in der Krise der Gesellschaft zum Zwecke der Überwindung der Krise für seine bestehenden oder neu gewährten Kredite nicht zur Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz führt.612 Darüber hinaus ist die sogenannte Kleinanteilsschwelle zu beachten, nach der die Regeln über den Eigenkapitalersatz für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der mit 10% oder weniger am Stammkapital einer GmbH beteiligt ist, ebenfalls nicht gelten. 613
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613
Vgl. BGH (1998a), Rn. 31. Vgl. BGH (1998a), Rn. 30 u. Eidenmüller, H. (2002), § 133 Rn. 37. Vgl. BGH (1979), Rn. 51. Analog kann der ernsthafte Sanierungsversuch seitens einer Bank nicht allein deshalb gegen die guten Sitten verstoßen, weil er auch fehlschlagen kann und dabei die Möglichkeit einer Schädigung anderer Gläubiger besteht, vgl. BGH (1986), Rn. 14. Mit der GmbH-Reform (MoMiG) wird das Sanierungsprivileg modifiziert und in die Insolvenzordnung übernommen, vgl. Flesner, P. (2006), S. 646f. u. Noack, U. (2006), S. 1480. Vgl. Neuhof, R. (1998), S. 3233, BGH (1984), S. 1893. Bei einer AG gilt eine 25%-Grenze. Nach der GmbH-Reform soll die 10%-Grenze auch für AGs gelten, vgl. Flesner, P. (2006), S. 647.
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Im Zusammenhang mit der Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit bei der Vergabe von Krediten leiten Autoren aus dem BGH-Urteil vom 9.7.1953 vereinzelt ab, dass die Prüfung durch einen externen Dritten zu erfolgen hat.614 Schon bei der Veröffentlichung dieses Urteils wurden Befürchtungen laut, dass die "objektive Prüfung durch einen branchenkundigen Wirtschaftsfachmann" zu sehr verallgemeinert werden könnte und doch Kreditbanken selbst imstande wären, sich ein Urteil über die Lage und die Zukunft einer bestimmten Branche zu bilden.615 Nach Ansicht von BARKHAUSEN wurde bereits 1955 die Forderung einer externen Prüfung wieder abgeschwächt,616 wobei sich dadurch nicht grundsätzlich auf eine Abkehr der Rechtsprechung von der Notwendigkeit einer neutralen Begutachtung schließen lässt.617 Nach OBERMÜLLER ist das Erfordernis, einen neutralen Dritten einzuschalten, anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden.618 Zusammenfassend gilt, dass die Beauftragung eines externen Sachverständigen zwar nicht zwingend erforderlich ist,619 aber von verschiedenster Seite dringend empfohlen wird, um der gebotenen Sorgfaltspflicht gewissenhaft nachzukommen.620 3.3.1.3 Kritische Würdigung der generellen Anforderungen aus Gesetz und Rechtsprechung Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland geben ausreichend Freiheitsgrade für Sanierungen. Daher unterbleiben erfolgversprechende Sanierungsversuche wegen zu hoher rechtlicher Risiken in der Regel nicht.621 Allerdings sind bei Sanierungen besondere rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten, die sich von den Verhältnissen in anderen europäischen Ländern unterscheiden.622 Der "schmale Grat" ist grundsätzlich gangbar, wenn Sanierungen in dem gegebenen rechtlichen
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Vgl. z.B. Hennings, D., Czaplinsky, E. (1998), S. 10, Hennings, D., Czaplinsky, E. (1997), S. 33. Zum Urteil vgl. BGH (1953), S. 1665. Laut GAWAZ folgt die Anforderung einer externen Prüfung erst aus dem nicht veröffentlichten Teil des Urteils, vgl. dazu Gawaz, K. D. (1997), S. 54 u. 113. Vgl. auch Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 239, Wallner, C., Neuenhahn, S. (2006), S. 556f. Vgl. Barkhausen, W. (1953), S. 1665, der zudem fordert, den Nachweis zur Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns grundsätzlich dem Kreditgeber zu überlassen. Vgl. Barkhausen, W. (1955), S. 1272. Vgl. Neuhof, R. (1998), S. 3230, der als Begründung die Verschärfung der inhaltlichen Anforderungen nennt. Vgl. auch Gawaz, K. D. (1997), S. 113ff. Vgl. Obermüller, M. (2002), Rn. 5-131. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 435, Bork, R. (2000), S. 1712. Bzgl. des Sanierungsprivilegs heißt es allerdings in einem Urteil aus dem Jahr 2005, dass es auf die "pflichtgemäße Einschätzung eines objektiven Dritten" ankomme, vgl. BGH (2006), Rn. 14. Vgl. aus rechtlicher Sicht Neuhof, R. (1998), S. 3232, Wallner, C., Neuenhahn, S. (2006), S. 557, für Banken vgl. Gawaz, K. D. (1997), S. 223 u. Theewen, E. M., Schlemminger, R., Fröhlich, J. (2005), S. 82, für Berater vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 102, für Wirtschaftsprüfer vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 435. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, WP/RA-1, B-4). Vgl. auch BGH (1994), Rn. 32. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-4).
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Rahmen richtig durchführt werden.623 Zu den besonderen rechtlichen Vorgaben in Deutschland gehört auch die Tatsache, dass es im Zusammenhang mit Sanierung und Insolvenz strafrechtliche Haftungsrisiken gibt, die z.B. in Großbritannien nicht existieren.624 Rechtliche Streitigkeiten ergeben sich in erster Linie immer dann, wenn Sanierungen scheitern. In diesen Fällen ist zu beobachten, dass Insolvenzverwalter ihre rechtlichen Möglichkeiten zur Vermehrung der Masse heute konsequenter verfolgen.625 Grundsätzlich kann ein Sanierungskonzept im Rahmen der Beweisführung bei Haftungsfragen eine entscheidende Rolle spielen. Gelingt z.B. einem Gläubiger der Nachweis, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, muss der Insolvenzantragspflichtige darlegen, dass es aus damaliger Sicht zu rechtfertigen war, das Unternehmen fortzuführen. Dazu ist ein umfangreicher und detaillierter Sachvortrag erforderlich, der in seinem Inhalt und Umfang mit einem qualifizierten Sanierungskonzept vergleichbar ist. Der geforderten Darlegungslast kann also nur entsprechen, wer ein solches detailliertes Konzept oder im Fall der Eigenprüfung vergleichbare Unterlagen vorlegen kann. Die bloße Erinnerung von Zeugen an Überlegungen und Berechnungen, die zu Beginn eines Sanierungsversuchs durchgeführt wurden, reicht dagegen im Normalfall nicht aus.626 Der BGH hat die generellen rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte – in Form der Rechtsprechung zu ernsthaften Sanierungsversuchen – bewusst als Leitlinien aufgestellt, die unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls anzuwenden sind.627 Bei seinen Urteilsfindungen hat er konsequenterweise konkrete betriebswirtschaftliche Anforderungen bisher nicht herangezogen. Die generellen rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte können wie folgt zusammengefasst werden: •
Das Sanierungskonzept muss von den erkannten und erkennbaren Gegebenheiten ausgehen, muss in sich schlüssig und darf nicht offensichtlich undurchführbar sein.
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Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-4, WP/RA-4, WP/RA-5). Solche Haftungsrisiken können sich z.B. aus § 84 Abs. 1 Ziff. 2 GmbHG bzw. § 401 Abs. 1 Ziff. 2 AktG, § 283a, b, c StGB und § 266a StGB ergeben. Zu strafrechtlichen Risiken vgl. auch Uhlenbruck, W. (2006), S. 591ff. Die Gefahr, dass sich ein seriöser Geschäftsführer durch die drohende Haftung von erfolgversprechenden Sanierungsbemühungen abhalten lässt, ist nicht zu befürchten, da für vertretbare Sanierungsversuche die Dreiwochenfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG gilt, vgl. dazu Schmidt, K. (1988b), § 64 Rn. 15. Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-1, B-3, WP/RA-5). Im Fall der Gläubigerbenachteiligung handelt die Bank in der Regel sogar sittenwidrig, wenn sie auf die Einholung eines externen Gutachtens verzichtet. Im Prozess muss sie dann andere Beweismittel zu ihrer Entlastung vorbringen, vgl. Neuhof, R. (1998), S. 3230f. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-3, ähnlich Interview B-3).
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•
Das Sanierungskonzept muss die wirtschaftliche Lage des Krisenunternehmens in seiner Branche und die Krisenursachen analysieren.628
•
Im Sanierungskonzept ist die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens darzustellen – das Sanierungskonzept muss einen mittelfristigen Finanzplan (aktuelles Jahr und Folgejahr bzw. zwei Jahre) enthalten.
•
Es müssen Sanierungsmaßnahmen vorgesehen sein. Für einen ernsthaften Sanierungsversuch sollten darüber hinaus die Sanierungsmaßnahmen fachkundig eingeleitet werden und müssen mindestens in den Anfängen bereits umgesetzt sein.629
•
Ein Grobkonzept bzw. ein "noch fertig zu stellendes" Sanierungskonzept, das bereits umsetzbare Maßnahmen enthält, reicht aus.
Die Umsetzung der BGH-Forderung eines "mittelfristigen Zeitraums" in einen Planungszeitraum, der das aktuelle und das folgende Jahr bzw. einen Zeitraum von zwei Jahren umfasst, ist nicht nur aus Gründen der Praktikabilität und Justitiabilität sinnvoll,630 sondern auch deshalb, weil Sanierungsmaßnahmen ihre Full-YearWirkung erst im ersten vollständigen Jahr nach ihrer Planung und Umsetzung entfalten.631 Der gesetzgeberische Zweck des Sanierungsprivilegs ist es, erfolgversprechende Sanierungsversuche nicht durch die Regeln des Eigenkapitalersatzes zu verhindern. Daher ist das Gesetz so auszulegen, dass keine übertrieben harten Anforderungen an die Voraussetzungen für das Sanierungsprivileg geknüpft werden, weil sonst der gesetzgeberische Wille ins Leere läuft.632 Allerdings ist, da die Privilegierung eines Sanierungsgesellschafters die Risiken einer Sanierung im Wesentlichen auf die anderen Gläubiger des Krisenunternehmens verschiebt, ein alleiniges Abstellen auf das subjektive Kriterium des Sanierungswillens nicht ausreichend.633 Zum Schutz der anderen Gläubiger sind vielmehr objektive Kriterien vonnöten. Ziel kann nur sein, für seriöse Sanierungsvorhaben einen attraktiven rechtlichen Rahmen zu schaffen und unseriöse Sanierungsvorhaben vom Sanierungsprivileg auszuschließen. Dafür ist es 628
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Das Ausmaß der Prüfung kann dem Umfang des Unternehmens sowie der verfügbaren Zeit angepasst werden, vgl. BGH (1998a), Rn. 28. Das in einer inkongruenten Deckung liegende Beweisanzeichen ist entkräftet, wenn die angefochtene Rechtshandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Sanierungskonzept steht, das mindestens in den Anfängen schon umgesetzt ist und ernsthafte Aussichten auf Erfolg begründet, vgl. BGH (1993), Leitsatz. Vgl. auch Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 357. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 232 mit weiteren Quellen. Ggfs. ist der Zeitraum je nach Branche auch auf einen deutlich längeren Zeitraum auszudehnen, vgl. Selchert, F. W. (1990), § 252 HGB, Rn. 36. Vgl. zur Unterscheidung in Full-Year- und Current-Year-Effekte bei Maßnahmen Kap. 5.2.6.5. Vgl. Pentz, A. (1999), S. 437 u. 449 u. BGH (2004), Rn. 39. Vgl. zum gesamten Absatz LG Bonn (2005), Rn. 66.
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bei der Beurteilung der objektiven Sanierungstauglichkeit der Gesellschaft und der objektiven Tauglichkeit der ergriffenen Sanierungsmaßnahmen besonders wichtig, auf die Ex-ante-Sicht eines ordentlichen Geschäftsmanns abzustellen. Dieser Maßstab stellt sicher, dass die Privilegierung für erkennbar ungeeignete Sanierungsvorhaben nicht gilt. Außerdem befreit dieser Maßstab zugleich den seriösen Sanierer von Risiken einer Sanierung, die er ex ante nicht vorhersehen kann. Das Sanierungsprivileg hat die Möglichkeit von Eigen- und Fremdkapitalzufuhr an Krisenunternehmen einerseits erleichtert, enthält aber andererseits weiterhin Beschränkungen bzw. Unsicherheiten. Erstens ist es nach herrschender Meinung auf die Dauer der Krise beschränkt634 und zweitens ist die Anwendung des Sanierungsprivilegs ausgeschlossen, wenn der neue Gesellschafter bei Scheitern der Sanierung die Eignung der Sanierungsmaßnahmen zur Überwindung der Krise nicht beweisen kann.635 Durch die GmbH-Reform wird das Sanierungsprivileg dahingehend modifiziert, dass es bezüglich des Zeitraums statt wie bisher "in der Krise" nun "bis zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit" angewendet werden kann.636 Zudem wird das modifizierte Sanierungsprivileg in die Insolvenzordnung übernommen, was grundsätzlich zu begrüßen ist.637 Abschließend ist festzuhalten, dass von einem sorgfältig handelnden Geschäftsmann grundsätzlich nicht mehr erwartet werden kann, als sich an einem von einer renommierten Wirtschaftsberatungsgesellschaft erarbeiteten Sanierungskonzept zu orientieren. Ob ein solches Konzept seinerseits von zutreffenden Voraussetzungen ausgeht und inhaltlich richtig ist, ist für den Geschäftsmann zur Wahrung seiner Sorgfaltspflichten grundsätzlich unerheblich, weil er von der Richtigkeit des von einem Fachmann erstellten Konzepts ausgehen darf, sofern er keine konkreten Anhaltspunkte für seine Unrichtigkeit hat.638 Bei anderer Bewertung könnte sich kein Sanierer annähernd sicher sein, dass seine Sanierungsbemühungen im Nachhinein nicht als unzulänglich eingestuft werden.639
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Die Dauer des Privilegs ist umstritten, wobei sich grundsätzlich abzeichnet, dass das Privileg nur bis zum Ende einer Krise gilt und Finanzierungsleistungen nicht für immer von den Regeln des Eigenkapitalersatzes ausgenommen sein sollen, vgl. Schmidt, K. (2003), S. 183f., Hass, H., Schreiber, S., Tschauner, H. (2006), S. 855. Vgl. Lutter, M., Hommelhoff, P. (2000), §§ 32a/b Rn. 84. Dies ist jedoch ebenfalls strittig, vgl. dazu Schmidt, K. (2003), S. 184 u. Schmidt, K. (1988a), §§ 32a/b Rn. 120. Vgl. Flesner, P. (2006), S. 647, der die zeitliche Begrenzung als Widerspruch zum Zweck des Sanierungsprivilegs bemängelt. Zu der gleichen Ansicht vgl. Noack, U. (2006), S. 1480f. Vgl. Flesner, P. (2006), S. 647. Das gilt grundsätzlich auch für Kreditinstitute, vgl. OLG Düsseldorf (1983), S. 786. Vgl. zum gesamten Absatz LG Bonn (2005), Rn. 70.
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3.3.2 Spezielle Anforderungen des KWG und der BaFin/MaRisk 3.3.2.1 Offenlegungspflicht im Kreditgeschäft gemäß § 18 KWG Die Anforderungen an die Kreditüberwachung der Banken ergeben sich aus dem Kreditwesengesetz (KWG), das durch die Rundschreiben der BaFin konkretisiert wird. Durch den § 18 KWG hat der Gesetzgeber die Kreditinstitute verpflichtet, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Kreditnehmer zu informieren, um Kreditausfälle zu vermeiden.640 Der Gesetzgeber schreibt bei Gewährung von Krediten, die insgesamt 750 TEUR oder 10% des haftenden Eigenkapitals eines Kreditinstituts überschreiten, vor, dass sich das Kreditinstitut die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers besonders durch Vorlage der Jahresabschlüsse offenlegen lässt.641 Diese Offenlegungspflicht gilt regelmäßig, d.h. vor der ersten Kreditgewährung über die gesamte Laufzeit des Kredits, sofern das Verlangen nach Offenlegung nicht offensichtlich unbegründet ist.642 Im § 18 KWG kommt der bankkaufmännische Grundsatz zum Ausdruck, Kredite nur nach umfassender und sorgfältiger Bonitätsprüfung zu vergeben und bei bestehenden Kreditverhältnissen die Bonität des Kreditnehmers laufend zu überwachen. Diese Regelung hält die Kreditinstitute durch die vorgeschriebene Kreditwürdigkeitsprüfung zu einer risikobewussten Kreditvergabe an und dient dem Schutz der einzelnen Kreditinstitute und ihrer Einleger.643 Mit dem Schreiben vom 9.5.2005 hat die BaFin sämtliche bisher zur Konkretisierung der Offenlegungspflicht gemäß § 18 KWG veröffentlichten Schreiben und Rundschreiben mit sofortiger Wirkung aufgehoben.644 Damit wurde die durch eine Vielzahl verschiedener Rundschreiben sehr unübersichtlich gewordene Rechtslage grundlegend geändert und gleichzeitig die Eigenverantwortung der Kreditinstitute in Bezug auf Auslegungsfragen zu § 18 KWG gestärkt. Die Kreditinstitute sind nun angehalten, in ihren internen Organisationsrichtlinien vor allem die Intensität und Frequenz der Beurteilung sowie die dafür einzufordernden Unterlagen unter Berücksichtigung von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der betreffenden Geschäfte festzulegen.645 Grundsätzlich ist aus Sicht der Kreditinstitute die zeitnahe Einreichung von fundierten Unterlagen über die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers unerlässlich. Die Vorlage von Unterlagen war auch nicht Gegenstand von Einwänden, die 640 641 642
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644 645
Vgl. Wittig, A. (2003a), S. 61. Vgl. § 18 Satz 1 KWG. Vgl. Wittig, A. (2003a), S. 61. Unbegründetheit liegt vor, wenn genügend Sicherheiten gestellt wurden oder ausreichend Mitverpflichtete (z.B. Bürgen) vorhanden sind, vgl. § 18 Satz 2 KWG. Vgl. auch BaFin (1998), Teil I. Einer im Einzelfall nicht risikofreien Kreditvergabe steht die Vorschrift des § 18 KWG nicht entgegen, sofern sich das Kreditinstitut über die Risiken aus der Kreditvergabe ein klares Bild verschafft hat und sie für vertretbar hält. Vgl. zu diesem Absatz Clausen, P. (2005), S. 1534f. Vgl. auch BaFin (2005b), S. 1. Vgl. BaFin (2005b), S. 1.
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teilweise gegen die Auslegungsbestimmungen zu § 18 KWG vorgebracht wurden, sondern es standen vielmehr die zum Teil sehr formellen Anforderungen ohne wirtschaftlichen Mehrwert in der Kritik. In den neuerdings aufgehobenen Rundschreiben war vorgesehen, dass die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch Vorlage der Unterlagen (Jahresabschlüsse) sowie deren Auswertung und Dokumentation zu erfolgen hatte.646 Die Offenlegung beschränkte sich dabei nicht nur auf die zeitnahe Vorlage, sondern erforderte zudem eine Auswertung der entsprechenden Unterlagen durch das Kreditinstitut. Erst nach erfolgter Auswertung und der Feststellung, dass auf die Anforderung weiterer Unterlagen verzichtet werden konnte, lagen dem Kreditinstitut die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers offen.647 Wenn die jeweils geltenden Fristen zur Vorlage nicht eingehalten wurden, hatte das Kreditinstitut weitere Unterlagen zu Liquidität, Substanz und Erfolg des Kreditnehmers auszuwerten, um sich zeitnah ein hinreichend verlässliches Bild über dessen wirtschaftliche Situation zu machen.648 Selbst bei Vorlage von testierten bzw. geprüften Jahresabschlüssen hatte das Kreditinstitut weitere Unterlagen heranzuziehen, wenn es sich basierend auf den Jahresabschlüssen kein klares und hinreichend verlässliches Urteil über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers bilden konnte.649 Generell dürften sich mit der Aufhebung der Rundschreiben zu § 18 KWG in Bezug auf Art und Umfang der einzufordernden Unterlagen aber kaum Änderungen ergeben und die Kreditinstitute werden sich diesbezüglich auch weiterhin an den bisherigen Ausführungsbestimmungen orientieren.650 Grundsätzlich wird die voraussichtliche zukünftige Entwicklung von Kreditnehmern als Basis für Kreditentscheidungen immer bedeutsamer. Das spiegelt sich bereits darin wider, dass die dynamische Betrachtung von Jahresabschlüssen die statische Betrachtung und damit das frühere Vorgehen mehr und mehr verdrängt.651 Diese stärkere Ausrichtung auf zukunfts646 647
648
649 650 651
Vgl. BaFin (1998), Teil III. Die Offenlegung musste tatsächlich erfolgen. Das bloße, auch nachdrückliche Verlangen reichte nicht aus. Die Begründung der Kreditentscheidung musste in den Kreditakten festgehalten werden, so dass jederzeit die Vertretbarkeit der Kreditgewährung beurteilbar u. die Beachtung des § 18 KWG nachvollziehbar war. Vgl. BaFin (1998), Teil III. Vgl. BaFin (1999), Änderung z. Abschnitt III.1.a. Als weitere Unterlagen werden genannt: Nachweise über Auftragsbestände, Umsatzzahlen, betriebswirtschaftliche Auswertungen, Umsatzsteueranmeldungen, Erfolgs- und Liquiditätspläne, Einkommensnachweise u. Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu finanzierender Vorhaben. Vgl. BaFin (1999), Änderung zu Abschnitt III.1.a. Vgl. Clausen, P. (2005), S. 1535. Vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 624f. Qualitative Kriterien wie die Marktpositionierung und die Qualität des Managements beeinflussen massiv die zukünftige Kapitaldienstfähigkeit von Unternehmen und werden derzeit in bankinterne Ratingsysteme integriert, vgl. Müller, A. (2005), S. 433.
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gerichtete Informationen wird auch durch die Vorgaben von Basel II und durch das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) gefördert.652 Die besondere Bedeutung zukunftsgerichteter Informationen gilt in verstärktem Maße für Kreditentscheidungen im Zusammenhang mit Krisensituationen eines Kreditnehmers, da in diesen Fällen ein gravierender Bruch zwischen Vergangenheit und zukünftiger Entwicklung besteht.653 3.3.2.2 Anforderungen bei Problemkrediten gemäß BaFin/MaRisk Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) aus dem Jahr 2005 haben als ein zentraler Baustein der neuen qualitativen Bankenaufsicht654 die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft (MaK) von 2002 abgelöst. Die MaRisk haben vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in Bezug auf die besonderen organisatorischen Pflichten von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten normenkonkretisierenden Charakter.655 Sie sind qualitative Standards der Bankenaufsicht, in denen Eckpunkte einer angemessenen organisatorischen Umsetzung der Anforderungen des § 25a Abs. 1 KWG bezogen auf die Organisation und Überwachung der Risiken im Kreditgeschäft festgelegt werden.656 Die MaRisk gliedern sich in einen allgemeinen Teil AT und einen besonderen Teil BT, der wiederum in die Anforderungen an das interne Kontrollsystem (BT 1) und an die Ausgestaltung der internen Revision (BT 2) unterteilt ist. Die Anforderungen zur Behandlung von Problemkrediten finden sich im besonderen Teil (BT 1) bei den Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation des Kreditgeschäfts (BTO).657 Gemäß den MaRisk haben Kreditinstitute Kriterien für die Einschaltung und Übergabe eines Kreditengagements an spezielle Sanierungs- bzw. Abwicklungsbereiche festzulegen.658 Wenn diese Kriterien erfüllt sind, ist die Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit des Kreditnehmers durchzuführen. Für den Prozess zur Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit enthalten die MaRisk keine speziellen Vorgaben, so dass Kreditinstitute in eindeutigen Fällen mit einer kurzen Begründung von einer Sanierung abzusehen können.659 Entscheidet sich ein Kreditinstitut für die Begleitung einer Sanierung, hat es sich ein Sanierungskonzept 652 653
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Vgl. Bähr, G., Meier, M. (2003), S. 26, Paetzmann, K. (2005), S. 270. Vgl. ähnlich Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 665ff. u. Braun, E. (1989), S. 685f. Vgl. zum Informationsbedürfnis der Kreditinstitute in Krisensituationen Grabow, H. J. (1997), S. 4f. Vgl. BaFin (2005a), Rs. 18/2005: Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk). Es wurde bewusst ein Paradigmenwechsel von der traditionell regelbasierten zu einer prinzipienorientierten Aufsicht eingeläutet, vgl. BaFin (2005a), Anschreiben, IV. Umsetzung der MaRisk. Vgl. Fülbier, A. (2000), § 6 Tz. 22. Zum hier verwendeten Begriff des Instituts vgl. § 1 KWG. Vgl. Hanenberg, L., Kreische, K., Schneider, A. (2003), S. 398 u. 408. Vgl. zum gesamten Absatz BaFin (2005a), BTO 1.2.5 Tz. 1-5. Solche Kriterien sind z.B. interne Ratings sowie Signale wie Unterbilanz, drohende Poolbildung, Rückzug von Banken, Zahlungsverzögerungen, Überziehungen, vgl. Meyer, R. (2006), S. 911f. Das ist z.B. der Fall, wenn bereits ein Insolvenzantrag gestellt wurde, vgl. Hannemann, R. (2003), S. 29.
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vorlegen zu lassen und dessen Umsetzung sowie die Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen zu überwachen.660 Dazu müssen die zuständigen Geschäftsleiter der Kreditinstitute in bedeutenden Fällen regelmäßig über den Stand der Sanierung informiert werden. Im Sanierungsprozess können Kreditinstitute, falls erforderlich, auf externe Spezialisten zurückgreifen.661 3.3.2.3 Weitere Anforderungen der Kreditwirtschaft In einschlägigen Handbüchern der Kreditwirtschaft finden sich Anforderungen an Sanierungskonzepte, die im Vergleich zu den MaRisk wesentlich detaillierter sind. 662 Dort wird die Erstellung eines betriebswirtschaftlichen Sanierungskonzepts mit einer umfassenden Schwachstellenanalyse, einem Maßnahmenkatalog zur Beseitigung der Schwachstellen (teilweise mit Einschätzung ihrer Beeinflussbarkeit) und mit einer Stärken-Schwächen-Analyse des Unternehmens hinsichtlich Markt, Management, Ertragskraft, Finanzkraft sowie sonstigen Risiken gefordert.663 Weiterhin wird verlangt, das betriebswirtschaftliche Sanierungskonzept in eine Planung umzusetzen, die neben dem Zeitbedarf und den außerordentlichen Aufwendungen der Maßnahmen auch in der Zwischenzeit eventuell noch weiter entstehende Verluste zu berücksichtigen hat. Der Zeithorizont der Planung wird mit dem "Erreichen einer angemessenen Rentabilität" allerdings nur sehr grob umschrieben.664 Die Finanzierbarkeit der Planung muss erkennbar sein, was in der Regel Gläubigerbeiträge erfordert. Dabei werden die Zumutbarkeit und Ausgewogenheit sowie eine relativ kurzfristig erreichbare Risikominderung für die stillhaltenden Gläubiger verlangt.665 Bezüglich der Ertragskraft wird gefordert, dass sie kurzfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend sein muss, um den laufenden Geschäftsbetrieb aus eigenen Mitteln zu finanzieren und einen ggf. reduzierten Kapitaldienst zu leisten, während es langfristig gilt, alle (auch kalkulatorische) Kosten zu decken, das Unternehmen in betriebswirtschaftlich angemessenem Zeitraum zu entschulden und Eigenkapital zu bilden.666 Besondere Bedeutung wird auf die Darlegung der Planungsprämissen, vor allem der Prämissen, die das Umfeld und die Märkte betreffen, gelegt. Zudem werden von Kreditinstituten zuverlässige Planungen gefordert, wobei vor allem aussagekräftige Sparten- bzw. Produktrechnungen, der Einsatz von Teilkostenrechnungen und konsistente Liquiditätsplanungen verlangt werden.667 660 661
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Für eine Abwicklung ist ein Abwicklungskonzept zu erstellen, vgl. BaFin (2005a), BTO 1.2.5 Tz. 5. Vgl. BaFin (2005a), BTO 1.2.5 Tz. 4. Die Einbeziehung von spezialisierten Beratern wird vielfach gefordert und stellt in der Praxis den Regelfall dar, vgl. Fn. 620. Vgl. zum folgenden Absatz Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 685. Vgl. Totzek, A. (2003), S. 97. Das kann u.U. mehrere Jahre dauern, vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 685. Vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 690. Vgl. Totzek, A. (2003), S. 98. Vgl. KPMG (1999), S. 9.
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3.3.2.4 Kritische Würdigung der Anforderungen des KWG und der BaFin/MaRisk Die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß dem KWG und den Rundschreiben der BaFin (MaRisk) erfreuen sich zwar großer Bekanntheit in der Sanierungspraxis, werden allerdings für die Erstellung von Sanierungskonzepten überwiegend als wenig hilfreich eingeschätzt.668 Für internationale Investoren spielen die Anforderungen der BaFin in Form der MaRisk weniger im eigentlichen Zusammenhang mit der Behandlung von Problemkrediten, sondern vor allem in Bezug auf die Problematik des Eigenkapitalersatzes sowie darüber hinaus im Fall börsennotierter Unternehmen auch im Zusammenhang mit der Befreiung von der Veröffentlichung und dem Pflichtangebot gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG eine Rolle.669 Letztlich hat die BaFin mit den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß den MaRisk bzw. MaK im Wesentlichen das in der Praxis bereits weit verbreitete Vorgehen nachgezeichnet.670 Bei den Anforderungen des KWG und der MaRisk handelt es sich im Vergleich zu den übrigen im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Anforderungen um besonders wenig konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung von Sanierungskonzepten. Ohne jegliche Begriffsklärung und weitere Detaillierung wird in den MaRisk lediglich die Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit und die Vorlage eines Sanierungskonzeptes gefordert. Beim Vergleich der Anforderungen zur Behandlung von Problemkrediten der MaRisk mit den MaK sind nur geringfügige Änderungen festzustellen.671 Gemäß den MaK (Tz. 60) konnte sich ein Kreditinstitut sowohl für die Durchführung als auch für die Begleitung einer Sanierung entscheiden und von den an der Sanierung Beteiligten wurde gefordert, ein Konzept zu erstellen und umzusetzen. In den MaRisk (BTO 1.2.5 Tz. 3) heißt es nur noch, dass sich Kreditinstitute bei Begleitung einer
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Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-4, WP/RA-2, WP/RA-3, WP/RA-4). Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-4, I-5, B-4). Eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG kann durch die BaFin insb. auch im Zusammenhang mit einer Sanierung der Zielgesellschaft erteilt werden. Dazu ist ein schriftlicher Antrag erforderlich, der unter anderem Name, Firma und (Wohn)sitz des Antragstellers, Firma, Sitz und Rechtsform der Zielgesellschaft sowie die den Antrag begründenden Tatsachen enthalten muss, vgl. BaFin (2006), § 8ff. Allerdings gibt es keine festgelegte Anforderung, wie z.B. der Nachweis über die Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit gegenüber der BaFin im Zusammenhang mit § 37 WpÜG Abs. 1 zu führen ist. In manchen Fällen ist ein 2-seitiger Brief ausreichend, in anderen Fällen werden Sanierungskonzepte von Beratungsgesellschaften bis ins Detail diskutiert, vgl. Aussage der Experten (Interviews WP/RA-1, WP/RA3). Vgl. Aussage der Experten (Interview B-3). Vgl. BaFin (2002), 4.3.5, Tz. 58-62 im Vergleich zu BaFin (2005a), BTO 1.2.5, Tz. 1-5. Vgl. auch Theileis, U., Althoff, F., Hörlin, S. (2006), S. 326f.
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Sanierung ein Sanierungskonzept vorlegen zu lassen haben.672 Die Klarstellung, dass ein Sanierungskonzept von den an der Sanierung Beteiligten vorzulegen ist, kann an dieser Stelle entfallen, da sich die Textziffer in den MaRisk nur noch auf die Begleitung und nicht mehr auf die Begleitung oder Durchführung seitens der Kreditinstitute bezieht. Daher kann die Anforderung zur aktiven Mitarbeit an Kreditinstitute aus den MaRisk nicht mehr abgeleitet werden. Die Formulierung der MaRisk entspricht jetzt eher dem in der Praxis verbreiteten Vorgehen, dass Banken auf Basis eines vom Kreditnehmer bzw. Berater erstellten Konzepts ihre Entscheidung für oder gegen eine Sanierung treffen.673 In einer ganzen Reihe von Ländern existieren einschlägige Vorgaben, die mit den Regelungen der BaFin vergleichbar sind. Dabei sind die US-amerikanischen, kanadischen oder britischen Vorgaben im Vergleich zu den Rundschreiben der BaFin sogar stellenweise deutlich umfangreicher und detaillierter.674 In Bezug auf Problemkredite bzw. Sanierungen beschränken sich die US-amerikanischen Regelungen im OCC-Handbook "Loan Portfolio Management" jedoch auf Ausführungen zur organisatorischen Umsetzung von Work-Out-Abteilungen und es sind keine speziellen Anforderungen an Sanierungskonzepte ersichtlich.675 Die OCC-Regelungen betreffen in erster Linie bankinterne Themengebiete wie z.B. die ausreichende Hinterlegung von Krediten mit Eigenkapital und spielen bei Sanierungen keine Rolle.676 In Großbritannien macht die Financial Services Authority (FSA) ebenfalls keine den Anforderungen der BaFin vergleichbaren Vorgaben zur Prüfung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit. Allerdings sind nach britischem Gesellschafts- und Insolvenzrecht für besicherte Gläubiger, die zugleich in größerem Umfang Shareholder sind, bestimmte Auflagen zu beachten bzw. ist in einigen Fällen die Zustimmung der britischen Regulierungsbehörde für Pensionen erforderlich.677 Da die einschlägige Rechtsprechung im Vergleich zu den MaRisk in Bezug auf Kreditinstitute zum Teil detailliertere Anforderungen an Sanierungskonzepte enthält, sollen hierzu im Folgenden noch einige relevante Punkte betrachtet werden. Im Fall einer Unternehmenskrise verfügen Kreditinstitute grundsätzlich über die Handlungs672
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676 677
Gemäß den MaK wurden Kreditinstitute als Beteiligte angesehen, wenn sie sich für die Durchführung oder Begleitung einer Sanierung entschieden hatten. Vgl. Hannemann, R. (2003), S. 29. Vgl. Hanenberg, L., Kreische, K., Schneider, A. (2003), S. 399. Vgl. Office of the Comptroller of the Currency (OCC) - Administrator of National Banks (1998), S. 34ff. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-6, B-5). Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-3). Eine Zustimmung des britischen Pensionsfonds kann insbesondere dann erforderlich werden, wenn Gläubiger zusätzliche Sicherheiten bestellen möchten oder Assets zur Befriedigung der Gläubiger veräußert werden sollen.
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möglichkeiten "Stillhalten", Vergabe eines Sanierungskredits oder Kündigung des Engagements.678 Grundsätzlich ist das "Stillhalten", also der Verzicht auf ein gesetzliches oder vertragliches Kündigungsrecht, für Kreditinstitute rechtlich unbedenklich679 und es bleibt ihnen auch überlassen, ob sie den Anstoß zur Insolvenz eines Krisenunternehmens geben.680 Erhebliche rechtliche Risiken können für Kreditinstitute aber immer dann auftreten, wenn sie sich an einem Sanierungsversuch aktiv beteiligen, vor allem dann, wenn er – aus welchen Gründen auch immer – scheitert.681 Von Relevanz im Zusammenhang mit Sanierungskonzepten sind dabei vor allem Haftungskonstellationen, die den Zeitraum vor Umsetzung des Sanierungskonzepts betreffen, nämlich die Insolvenzverschleppung, die Gläubigerbenachteiligung und die Problematik des Eigenkapitalersatzes im Zusammenhang mit dem Sanierungsprivileg.682 Das Problem der Kreditinstitute bezüglich der möglichen Haftungstatbestände ist die Abgrenzung zwischen rechtlich unbedenklicher Neukreditvergabe und haftungsauslösender Insolvenzverschleppung bzw. Gläubigerbenachteiligung.683 Rechtlich unbedenklich und grundsätzlich von Sanierungskrediten zu unterscheiden sind Überbrückungskredite, die zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit nur für die Dauer der Konzepterstellung gewährt werden.684 Die Regelungen des Eigenkapitalersatzes waren in der Vergangenheit für Banken, die sich an Krisenunternehmen beteiligen wollten, eine nahezu unüberwindliche rechtliche Hürde.685 Mit Einführung des Sanierungsprivilegs bleiben bestehende und neue Darlehen von den Regelungen des Eigenkapitalersatzes ausgenommen, sofern
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Vgl. Obermüller, M. (2002), Rn. 5-17ff. Vgl. auch Gawaz, K. D. (1997), S. 30 und Wallner, C., Neuenhahn, S. (2006), S. 553. Rechtlich unbedenklich ist auch die Festschreibung einer zeitweise geduldeten Überziehungspraxis und die Wiedereröffnung einer gesperrten oder gekündigten Kreditlinie, vgl. Schäffler, F. (2006), S. 58. Vgl. auch Neuhof, R. (1998), S. 3226 u. Obermüller, M. (2002), Rn. 5-18ff. Vgl. BGH (1970), S. 400. Banken bevorzugen ggü. einer ordentlichen meist eine außerordentliche Kündigung, die nach Nr. 19 Abs. 3 Banken-AGB z.B. bereits bei drohender wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse bzw. der Werthaltigkeit von Sicherheiten möglich ist. Vgl. Neuhof, R. (1998), S. 3225f. Risiken in der Sanierungsphase können sich aufgrund der Anmaßung von Gesellschafterbefugnissen, dem Vorwurf der Schuldknebelung und nach den Regelungen des qualifiziert faktischen Konzerns ergeben, vgl. Neuhof, R. (1998), S. 3226. Vgl. auch David, S. (2001), S. 79ff., Schäffler, F. (2006), S. 56ff., Buchalik, R. (1998), S. 37ff., Wittig, A. (2003b), S. 224ff. Obwohl teilweise in der Literatur vertreten, führt die Weigerung der Vergabe von Krediten nach h.M. nicht zu einer möglichen Haftung der Bank, vgl. Schäffler, F. (2006), S. 56 u. Neuhof, R. (1998), S. 3326. Vgl. Schäffler, F. (2006), S. 58, Buchalik, R. (1998), S. 37ff., Groß, P. J., Amen, M. (2002b), S. 228. Vgl. Buchalik, R. (1998), S. 37f., Gawaz, K. D. (1997), S. 17. Ein Überbrückungskredit ist auch bei negativ ausfallendem Sanierungskonzept rechtlich unbedenklich, vgl. Schäffler, F. (2006), S. 58. Vgl. Finsterer, H. (1999), S. 188.
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das Kreditinstitut nicht bereits bei Eintritt der Krise mit mehr als 10% an einer GmbH bzw. mit mehr als 25% an einer AG beteiligt war.686 Weder die Rechtsprechung noch die MaRisk verlangen zwingend die Vorlage eines durch externe Dritte erstellten Konzepts, aber aus Beweisgründen empfiehlt es sich gerade auch für Banken, einen spezialisierten und kompetenten Dritten einzuschalten.687 Zudem beurteilen viele Kreditinstitute die durch die Schuldner zur Verfügung gestellten Informationen als unvollständig und unplausibel, was ebenfalls für den Einsatz externer Berater spricht.688 Bezüglich der fehlenden Konkretisierung der Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß KWG und MaRisk bleibt festzustellen, dass bisher nicht erkennbar ist, dass die Kreditwirtschaft insgesamt einen Standard analog den betriebswirtschaftlichen Anforderungen entwickelt hat. Innerhalb der Kreditinstitute existieren allerdings entsprechende bankinterne Standards bzw. Richtlinien. Dennoch gibt es Stimmen aus den Reihen der Kreditwirtschaft, die besagen, dass "[...] im Einzelfall noch zu wenig qualifiziert vorgegangen wird."689 Die Kreditwirtschaft ist – ohne dass die MaRisk hierzu Näheres vorschreiben – aufgefordert, Instrumente zur Intensiv- und Problemkreditbetreuung wie z.B. Kriterienkataloge, Bestandsaufnahmebögen, Analysechecklisten zur Prüfung der Krisenursachen und Checklisten, mit deren Hilfe Sanierungskonzepte auf Schlüssigkeit untersucht werden können, weiterzuentwickeln.690 Abschließend lässt sich festhalten, dass für Kreditinstitute im Fall der Begleitung einer Sanierung die Vorlage eines Sanierungskonzeptes gemäß den Anforderungen der BaFin bzw. MaRisk zwingend erforderlich ist. Darüber hinaus stellt ein detailliertes und überzeugendes Sanierungskonzept inkl. Maßnahmen- und Zeitplan sowie Finanz- und Liquiditätsplan aus Sicht der Kreditwirtschaft ein Hauptkriterium bei der Entscheidungsfindung dar.691 Dabei wird für Kreditentscheidungen in Krisensituationen grundsätzlich ein Mix aus internen und externen Informationsquellen herangezogen.692 3.3.3 Spezielle Anforderungen des Europäischen Beihilferechts Das Europäische Beihilferecht in Form der Artikel 87 bis 89 des EG-Vertrags (EGV) sowie zahlreicher Verordnungen, Leitlinien, Entscheidungen und Mitteilungen der 686 687
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Vgl. Finsterer, H. (1999), S. 188f. Vgl. Buchalik, R. (1998), S. 39, Theewen, E. M., Schlemminger, R., Fröhlich, J. (2005), S. 82. Vgl. auch Fn. 620. Vgl. KPMG (1999), S. 7 u. 12. Theewen, E. M., Schlemminger, R., Fröhlich, J. (2005), S. 62. Vgl. ähnlich Theewen, E. M., Schlemminger, R., Fröhlich, J. (2005), S. 62f. Vgl. Grabow, H. J. (1997), S. 5f. Vgl. KPMG (1999), S. 11.
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Europäischen Kommission rückt im Zusammenhang mit der Unternehmenssanierung teilweise wieder verstärkt ins Blickfeld.693 Die Vorschriften des Europäischen Beihilferechts sind keine nationalen, sondern originär europarechtliche Rechtsnormen mit unmittelbarer Geltungswirkung in den Mitgliedstaaten. Gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV ist die Gewährung staatlicher Beihilfen grundsätzlich verboten. Unternehmen sollen von der öffentlichen Hand grundsätzlich keine Vorteile erhalten, die den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beinträchtigen. Da es von diesem grundsätzlichen Verbot gemäß Art 87 Abs. 3 EGV Ausnahmen gibt, gestaltet sich eine beihilferechtliche Prüfung zweistufig. In der ersten Stufe ist zu prüfen, ob es sich bei einer staatlichen Maßnahme um eine Beihilfe handelt. Ist das der Fall, so ist in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob die Beihilfe eine zulässige Ausnahme gemäß Art. 87 Abs. 3 EGV darstellt. Unter einer Beilhilfe ist die Gewährung einer Begünstigung aus staatlichen Mitteln zu verstehen, die nur bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige betrifft, die den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt.694 Da der Beihilfebegriff im EGV nicht weitergehend definiert wird, muss er auf nationaler Ebene erst noch aus den genannten Merkmalen erschlossen werden. Dabei ist die bisherige Auslegung durch den EuGH zu beachten, der in zahlreichen Fällen entschieden hat, dass keine Beihilfe vorliegt, wenn das Kriterium des "privaten Kapitalgebers" erfüllt ist. Existiert für ein Krisenunternehmen ein tragfähiges und erfolgversprechendes Sanierungskonzept, kann das Vorliegen einer Beihilfe verneint werden, wenn das Verhalten der öffentlichen Hand z.B. durch Stundungen oder Verzicht auf Forderungen dem Verhalten der anderen privaten Gläubiger bzw. Kapitalgeber entspricht.695 Wenn die öffentliche Hand davon ausgeht, dass es sich bei einer geplanten Maßnahme um eine staatliche Beihilfe handelt, kann diese grundsätzlich erst nach Prüfung und Genehmigung der Kommission (Notifizierung) umgesetzt werden.696 Von diesem Durchführungsverbot ausgenommen sind Beihilfen, die die Kommission von der Pflicht zur Vorlage und Genehmigung freigestellt hat und bei denen sich die Kommission auf eine nachträgliche Kontrolle bzw. Überwachung beschränkt.697 Bei einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot ist der einer Beihilfe zu Grunde 693
694
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Vgl. zu folgendem Absatz Siafarikas, J. (2005), S. 20ff., Grof, A. (2002), S. 1015ff, Pannen, K., Deuchler, I., Kahlert, G., et al. (2004), S. 233f. Für ein Prüfraster zum Auffinden relevanter EGBeihilfebestimmungen, vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (2005), S. 1-7. Vgl. Art. 87 Abs. 1 EGV. Als Beihilfen kommen z.B. Darlehen, Bürgschaften oder Forderungsverzichte in Betracht. Eine Beihilfe kann auch in der Gewährung von Steuervergünstigungen (wie z.B. durch das Sanierungsprivileg) bestehen, vgl. Strüber, M., v. Donat, C. (2003), S. 2040ff. Ob das Kriterium des privaten Kapitalgebers erfüllt ist, kann die öffentliche Hand selbst prüfen, oder sich gutachterlich bestätigen lassen. Vgl. zum Notifizierungsverfahren Kriszeleit (2006), S. 1031. Ausnahmen sind z.B. "De-minimis-Beihilfen" an kleine und mittlere Unternehmen, die maximal 100.000 EUR in drei Jahren betragen dürfen, vgl. Siafarikas, J. (2005), S. 21.
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liegende Vertrag nichtig. Das kann bedeuten, dass eine Sanierungsvereinbarung, die unter Beteiligung der öffentlichen Hand abgeschlossen wurde, insgesamt nichtig wird. Im Fall von Krisenunternehmen sind Beihilfen auf der Grundlage der Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen genehmigungsfähig,698 wenn unabhängig von der Unternehmensgröße z.B. bei einer GmbH ein Verlust von mehr als der Hälfte des gezeichneten Kapitals eingetreten ist und dabei mehr als ein Viertel des Kapitals während der letzten zwölf Monate verzehrt wurde oder wenn rechtsformunabhängig die Voraussetzungen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß nationalem Recht erfüllt sind. Als Rettungsbeihilfen kommen z.B. marktüblich verzinste Darlehen mit einer Laufzeit von maximal sechs Monaten in Betracht. Zur Sicherung und Erhaltung der langfristigen Überlebensfähigkeit können Umstrukturierungsbeihilfen, für die besonders strenge Voraussetzungen gelten, eingesetzt werden. Solche Beihilfen sind der Kommission unter Verwendung bestimmter Formblätter zur Genehmigung vorzulegen. Davon wiederum ausgenommen sind Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, wenn die Beihilfegewährung im Rahmen einer von der Kommission genehmigten Beihilferegelung geschieht, die es für einige Bundesländer gibt. Zur Regelung von Bürgschaften verfügen die Bundesländer über spezielle Bürgschaftsrichtlinien. So wird z.B. in der Richtlinie des Landes Niedersachsen neben der Kreditwürdigkeit eine dauernde und nicht nur vorübergehende Sanierung gefordert. Darüber hinaus ist nach dieser Richtlinie die Vorlage eines schlüssigen Sanierungskonzeptes vorgeschrieben, ohne dass jedoch konkrete Anforderungen an ein solches Konzept genannt werden.699 Falls Beihilfen der öffentlichen Hand als Sanierungsmaßnahmen vorgesehen sind,700 ist also nach Europäischem Beihilferecht bzw. gemäß den Anforderungen der Bürgschaftsrichtlinien einzelner Bundesländer ein schlüssiges, tragfähiges und erfolgversprechendes Sanierungskonzept erforderlich.701 Außerdem sind auf europarechtlicher Ebene das Durchführungsverbot und die beihilferechtliche Verfahrensordnung zu beachten. Falls erforderlich kann die Beurteilung eines Sachverhalts bezüglich einer Beihilfe zunächst auf mitgliedstaatlicher Ebene erfolgen. Da eine solche mitgliedstaatliche Feststellung auf europäischer Ebene keine bindende Wirkung
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701
hat,
ist
absolute
Rechtssicherheit
nur
durch
eine
rechtskräftige
Vgl. Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, EU (2004), S. 2ff. Vgl. Finanzministerium Niedersachsen (2004), Pkt. 5 (Kreditwürdigkeit) und Pkt. 7 (Sanierung). Staatliche Beihilfen spielen bei Sanierungen abgesehen von speziellen Ausnahmen eine untergeordnete Rolle, vgl. Grof, A. (2002), S. 1024. Vgl. auch Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 161. Für das Bundesland Hessen vgl. Kriszeleit (2006), S. 1030f.
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Entscheidung der Europäischen Kommission zu erhalten.702 Das Hauptproblem bei der Verwendung staatlicher Beihilfen im Rahmen einer Sanierung ist die Tatsache, dass, wenn die Dreiwochenfrist bereits läuft, in der Regel nicht mehr abschließend geklärt werden kann, ob eine geplante Beihilfe genehmigungsfähig ist oder nicht.703
3.4 Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte 3.4.1 Generelle Anforderungen 3.4.1.1 Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW Bei der Erstellung von Sanierungskonzepten sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht übergreifend die Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW zu beachten.704 Dies sind im Einzelnen die Grundsätze der Wesentlichkeit, Vollständigkeit, Richtigkeit sowie der Klarheit und Übersichtlichkeit, wobei vereinzelt zusätzlich der Grundsatz der Vorsicht genannt wird.705 Die IDW-Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten decken sich weitgehend mit den Rahmenvorgaben der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), die die grundlegenden Anforderungen an die Wiedergabe des wirtschaftlichen Geschehens in Buchführung und Jahresabschluss enthalten.706 Die IDW-Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten reihen sich in eine Vielzahl betriebswirtschaftlicher Grundsätze ein und tauchen teilweise bereits 1989 bei BRAUN als "generelle abstrakte Anforderungen" an Sanierungskonzepte auf.707 Grundsätze lassen sich als überindividuelle Verhaltensnormen bzw. -maximen, -regeln oder -vorschriften definieren, die zum Ziel haben, das Verhalten der
702
703 704 705 706
707
Vgl. Siafarikas, J. (2005), S. 21. Die Kontrolle staatlicher Maßnahmen durch die Kommission ist jederzeit möglich. Die Frist zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen beträgt 10 Jahre. Vgl. Bilstein, J. (2007), S. 244. Vgl. IDW (2002), S. 470ff., Wegmann, J. (1987a), S. 1904, Gless, E. S. (1996), S. 135. Vgl. Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 327 u. Aussage der Experten (Interview WP/RA-2). Vgl. Baetge, J. (1993), S. 865f. u. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 115ff. Die Rahmengrundsätze umfassen die Richtigkeit, die Vergleichbarkeit, die Klarheit und Übersichtlichkeit, die Vollständigkeit und die Wirtschaftlichkeit. Bei den Grundsätzen des IDW für die Erstellung von Sanierungskonzepten taucht lediglich der Grundsatz der Vergleichbarkeit nicht auf. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit kann in Anlehnung an den amerikanischen Grundsatz der Materiality mit Wesentlichkeit umschrieben werden. Das Vorsichtsprinzip als einer der Kapitalerhaltungsgrundsätze ist im System der GoB immer dann heranzuziehen, wenn unsichere Erwartungen in Bezug auf zukünftige Sachverhalte vorliegen. Vgl. Braun, E. (1989), S. 689, Leffson, U. (1970), S. 93ff. u. Baetge, J. (1993), S. 860ff. (GoB), Grünfeld, K.-P. (1972), S. 25 (sachgerechte Beurteilung), Hagest, J., Kellinghusen, G. (1977), S. 413ff. (ordnungsmäßige Prognosebildung). Vgl. zu anderen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen Bönkhoff, F. (1983), S. 40ff. (Kreditwürdigkeitsprüfung), Groß, P. J., Amen, M. (2003b), S. 1176f. (Unternehmensplanung), Rückle, D. (1992), S. 752ff. (Abschlussprüfung) u. v. Werder, A. (1996b), S. 8ff. (Unternehmensführung).
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Adressaten zu steuern.708 Einerseits müssen Grundsätze gemäß den Anforderungen der Normlogik (sog. deontische Logik) operabel und konsistent formuliert sein, so dass jeder Adressat bzw. Dritter in einer konkreten Situation anhand der vorgegebenen Grundsätze zu jedem Zeitpunkt in der Lage ist, zweifelsfrei zwischen gebotenem und verbotenem Vorgehen zu unterscheiden. Dabei dürfen Grundsätze keine normativen Leerformen, also Normen ohne echten Normgehalt sein. Denn eine Verhaltensnorm, die in einer konkreten Situation mit jedem Verhalten vereinbar ist oder sowieso nur das verbietet, was dem Adressaten faktisch unmöglich ist, schränkt den Handlungsspielraum nicht ein und ist damit ohne regulativen bzw. normierenden Gehalt. Andererseits sind Grundsätze als normative und wertausfüllungsbedürftige Begriffe bzw. unbestimmte Rechtsbegriffe in der Regel offen und ermöglichen im konkreten Zusammenhang eine der Situation angepasste Auslegung.709 Durch Grundsätze lässt sich eine Vielfalt von Sachverhalten zumindest mittels unbestimmter Rechtsbegriffe regeln, die durch Detailregelungen nicht zu erfassen ist.710 Dadurch können Grundsätze auch Wandel bzw. Veränderungen im Wirtschaftsleben berücksichtigen. Grundsatz der Vollständigkeit Der Grundsatz der Vollständigkeit soll gewährleisten, dass in Sanierungskonzepten alle relevanten Sachverhalte vollständig erfasst und berücksichtigt werden.711 Dadurch soll verhindert werden, dass ein Sanierungskonzept zwar folgerichtig, aber auf Basis unvollständiger oder außer Acht gelassener Informationen entwickelt wird.712 Die im Sanierungskonzept enthaltenen Angaben zur Ausgangslage und zukünftigen Entwicklung müssen dem Adressaten eine realistische Gesamtbeurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen. Dabei ist eine quellenbezogene und detaillierte Darstellung aller Informationen, die zu Grunde gelegt und für die Entscheidungsfindung und Entwicklung von Maßnahmen herangezogen werden, zu beachten.713 Eine schlichte Aufzählung von Fakten oder Ergebnissen reicht genauso wenig aus, wie z.B. eine ad hoc vorgenommene Auswahl von Sachverhalten, die am plausibelsten erscheinen, und auf denen dann eine Argumentationskette aufgebaut wird.714
708 709 710 711 712 713 714
Vgl. Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 84ff. Vgl. auch Hirsch, H.-J. (1990), S. 44. Vgl. Tipke, K. (1986), S. 3. Vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 104. Vgl. IDW (2002), S. 471. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 29, IDW (2002), S. 471. Vgl. Braun, E. (1989), S. 689, Peemöller, V., Weigert, S. J. (1995), S. 2312. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 29.
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Anforderungen an Sanierungskonzepte
Grundsatz der Wesentlichkeit Mit dem Grundsatz der Wesentlichkeit wird der Grundsatz der Vollständigkeit wieder eingeschränkt.715 Nur die Sachverhalte sollen erfasst und berücksichtigt werden, die für die Erstellung eines Sanierungskonzepts und für die Aussage zur Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit wesentlich sind. Wesentlich ist ein Sachverhalt, wenn er als solcher oder in der Art seiner Darstellung unter Berücksichtigung aller zum gegebenen Zeitpunkt maßgeblichen Umstände dazu geeignet ist, das Urteil und die Schlussfolgerungen einer vernünftigen Person zu beeinflussen, oder wenn er von dieser Person überhaupt als bedeutsam angesehen wird.716 Da es kaum eine strategische Fragestellung gibt, die nicht mehrere Dimensionen hat, muss man sich zur Lösung auf die wesentlichen Elemente konzentrieren, da nur das Wesentliche überschaubar und damit einer Lösung zugänglich ist.717 In einem Sanierungskonzept kann auf Aussagen verzichtet werden, die weder für die Objektivierung von Ergebnissen noch für die Verbesserung der Informationsbasis einen brauchbaren Beitrag leisten.718 Durch den Grundsatz der Wesentlichkeit, der sowohl eine Maximal- wie auch Minimal-Anforderung darstellt719 und nicht nur unter quantitativen, sondern auch unter qualitativen Gesichtspunkten zu beurteilen ist,720 lässt sich die erforderliche Menge an Informationen zielgerichtet verringern.721 Grundsatz der Richtigkeit Der Grundsatz der Richtigkeit fordert, dass ein Sanierungskonzept unter Angabe aller Prämissen eine sachlich korrekte Darstellung und eine lückenlose logische Argumentationskette enthält.722 Je nach der Art der in einem Sanierungskonzept verarbeiteten Aussagen kann der Grundsatz der Richtigkeit weiter detailliert werden. Tatsachen müssen zutreffend beschrieben werden. Das bedeutet, dass sie richtig zu erfassen und korrekt bzw. sinnvoll zu verwenden sind. Annahmen müssen plausibel und glaubhaft sein und dürfen zu anderen Sachverhalten nicht in erkennbaren Widersprüchen stehen. Folgerungen müssen schlüssig sein, d.h. sie müssen aus Tatsachen und Annahmen rechnerisch und sachlich richtig entwickelt werden. Als Maßstab zur Beurteilung der Richtigkeit ist auf die Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Geschäftsführers abzustellen. 715 716 717 718
719 720 721 722
Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 135. Vgl. Grady, P. (1965), S. 40. Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 142. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 33. Brauchbar bzw. im Original "ökonomisch brauchbar" ist eine Information im Zusammenhang mit einer zu treffenden Entscheidung dann, wenn die Entscheidung besser mit dieser Information als ohne sie getroffen werden kann. Vgl. Bönkhoff, F. (1983), S. 45, Ossadnik, W. (1993), S. 617. Vgl. IDW (2003b), S. 944. Vgl. IDW (2002), S. 472. Vgl. zu folgendem Absatz IDW (2002), S. 472f.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
123
Grundsätze der Klarheit und Übersichtlichkeit Die Grundsätze der Klarheit und Übersichtlichkeit (formale Klarheit)723 betreffen zunächst die inhaltliche und formale Darstellung der Sachverhalte eines Sanierungskonzepts.724 Die Klarheit fordert dabei eine eindeutige, durch graphische Darstellungen angereicherte und verständliche Darstellung, so dass ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit in der Lage ist, die Informationen zur Kenntnis zu nehmen, zu würdigen und sich abschließend ein Urteil zu bilden.725 Von mehrdeutiger und damit irreführender Informationsvermittlung ist abzusehen. Ebenso dürfen die Aussagen in Sanierungskonzepten weder vage oder ausschweifend sein noch dürfen bereits an anderer Stelle getroffene Aussagen wieder relativiert werden.726 Von der Darstellung abgesehen bezieht sich der Grundsatz der Klarheit auch auf die Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit, die in der Sanierungspraxis vielfach an einen Prämissenkatalog z.B. bezüglich Businessplan, Umsetzung des Konzepts, personellen Maßnahmen auf Ebene des Topmanagements und der Sicherung der Finanzierung geknüpft wird.727 Als Mindestvoraussetzung ist in diesem Fall die eindeutige und unmissverständliche Darstellung der ausschlaggebenden Prämissen zu gewährleisten.728 Nach GROSS/AMEN widerspricht obiges Vorgehen jedoch dem Grundsatz der Klarheit, da die Sanierungsfähigkeit entweder zu bejahen oder zu verneinen ist. GROSS/AMEN fordern, dass bezüglich der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit ein "eindeutiges mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartetes Prognoseergebnis" und keine "Wenn-Dann-Aussage" zu machen ist.729 Andere Autoren sehen dagegen erfahrungswissenschaftliche Hypothesen, die mittels "WennDann-Aussagen" logische Schlüsse zulassen, grundsätzlich als wesentlichen Bestandteil begründeter und plausibler Prognosen an.730 Da sich die Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit zumindest teilweise auf menschliches Handeln bezieht, folgt aus der menschlichen Handlungsfreiheit, dass eine solche Prognose höchstens "probabilistisch" sein kann.731 In der Praxis hängt die Realisierbarkeit eines Sanierungskonzepts und damit die Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit in der Regel von der Zustimmung bereits vorhandener und zukünftiger 723 724 725 726 727 728 729
730
731
Die Übersichtlichkeit wird auch als formale Klarheit bezeichnet, vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 32. Vgl. Peemöller, V., Weigert, S. J. (1995), S. 2313. Vgl. Braun, E. (1989), S. 689, Ebenroth, C. T. (1986), S. 265, IDW (2002), S. 473. Vgl. IDW (2002), S. 473. Vgl. zu Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit Kap. 2.3.3.2. Vgl. Peemöller, V., Weigert, S. J. (1995), S. 2317. Vgl. Groß, P. J., Amen, M. (2002a), S. 447, Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 355f., Groß, P. J. (2003), S. 135. Vgl. auch Schmiedel, E. (1984), S. 761. Vgl. Arbeitskreis "Externe und Interne Überwachung der Unternehmung" der SchmalenbachGesellschaft (2003), S. 106. Vgl. Rückle, D. (1981), S. 433. Allerdings richten sich Prognosen auch auf zukünftiges Handeln des Erstellers der Prognose, das zumindest teilweise als herbeiführbar angesehen werden kann.
124
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Stakeholder ab, so dass eine Bestätigung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit oft nur unter explizit formulierten Prämissen abgegeben werden kann.732 Der Grundsatz der Übersichtlichkeit bzw. der formalen Klarheit bezieht sich auch auf die äußere Form des Sanierungskonzepts und unterstützt durch eine klare Gliederung und einen übersichtlichen formalen Aufbau die inhaltliche Klarheit der Ausführungen. Darüber hinaus ist nach dem Grundsatz der Übersichtlichkeit sicherzustellen, dass die Adressaten des Sanierungskonzepts die verschiedenen Arten von Aussagen, also Tatsachen, Annahmen und Schlussfolgerungen unterscheiden können.733 3.4.1.2 Kritische Würdigung der IDW-Grundsätze Die Grundsätze des IDW für die Erstellung von Sanierungskonzepten sind in der Sanierungspraxis weitgehend bekannt. Sie besitzen für die Praxis aufgrund ihres abstrakten und allgemeingültigen Charakters allerdings kaum spezifische Relevanz.734 Diese Feststellung gilt vor allem aus Sicht von internationalen Investoren, aber auch von Banken. Dagegen werden die IDW-Grundsätze aus dem Blickwinkel von Wirtschaftsprüfern teilweise als hilfreich bzw. abwägenswert eingestuft.735 Diese Einschätzung beruht darauf, dass die IDW-Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten für Wirtschaftsprüfer eine Muss-Anforderung darstellen.736 Für andere Ersteller von Sanierungskonzepten können sie aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrads und damit ihrer Allgemeinverbindlichkeit dagegen als SollVorgaben angesehen werden.737 In Bezug auf die Anforderungen der Normlogik ist festzuhalten, dass die IDWGrundsätze die Handlungsmöglichkeiten für alle Adressaten bzw. Dritte wohl nicht zu jedem Zeitpunkt völlig zweifelsfrei in einen gebotenen und einen verbotenen Handlungsspielraum unterteilen, aber dennoch eine gewisse Steuerungsfunktion besitzen. Die IDW-Grundsätze sind auslegungsbedürftig und die Beurteilung ihrer Einhaltung ist eine Ermessensentscheidung, die nur im konkreten Einzelfall unter Würdigung aller relevanten Umstände getroffen werden kann. Das spielt besonders beim Grundsatz der Wesentlichkeit eine Rolle und ist mit den zu Grunde liegenden Betrachtungsobjekten und unterschiedlichen Informationsinteressen der Auftrag-
732
733 734 735 736 737
Vgl. Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 328, Wlecke, U. (2006), S. 518. Vgl. auch Meyer, R. (2006), S. 914, der aus Bankensicht von "erfüllbaren Voraussetzungen" spricht. Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 32, IDW (2002), S. 473. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, I-2, B-4, WP/RA-1). Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-2, ähnlich Interview WP/RA-4). Vgl. IDW (2002), S. 359 bzw. S. 470. Vgl. Kap. 3.1.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
125
geber zu begründen.738 In dieser Arbeit stellen Sanierungskonzepte und ihre inhaltlichen Elemente die Betrachtungsobjekte dar und die unterschiedlichen Informationsinteressen beziehen sich auf das Informationsbedürfnis der Stakeholder bei Sanierungen bzw. in Bezug auf Sanierungskonzepte.739 Ferner soll mit den bereitgestellten Informationen die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit beurteilt werden, die betrachteten Unternehmen befinden sich in Krisensituationen und es gelten besondere rechtliche und aufsichtsbehördliche Anforderungen. Damit ist abgesehen von der unstrittigen Tatsache, dass jede Sanierung einen Einzelfall darstellt, eine erste hinreichende Konkretisierung für die Beurteilung der Wesentlichkeit im hier interessierenden Zusammenhang von Sanierungskonzepten und ihren Anforderungen gegeben. Außerdem ist die Bewertung der Wesentlichkeit vom Einfluss der zu beurteilenden Informationen und der Lage des betrachteten Unternehmens einschließlich seines wirtschaftlichen Umfelds sowie von gesetzlichen und aufsichtsbehördlichen Anforderungen abhängig.740 Das bedeutet, dass die Frage der Wesentlichkeit eines Sachverhalts in einer Unternehmenskrise anders zu beurteilen ist als in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten.741 Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Maßstab der Wesentlichkeit, den Wirtschaftsprüfer im Zusammenhang mit der Abschlussprüfung anwenden, nicht unverändert auf Sanierungskonzepte übertragen werden kann. 3.4.1.3 Verwendung der IDW-Grundsätze zur qualitativen Bewertung der speziellen betriebswirtschaftlichen Anforderungen Wie bereits in Kap. 1.3.1 Methodik der Arbeit erläutert, werden die konkreten bzw. speziellen betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte in der vorliegenden Arbeit mittels einer zweistufigen Bewertungsmethodik nach der strukturierten Inhaltsanalyse beurteilt.742 Für die zweite Stufe der entwickelten Bewertungsmethodik wird dabei auf die IDW-Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten zurückgegriffen. Da in dieser Arbeit nicht Sanierungskonzepte, sondern deren Anforderungen bewertet werden, kann der Grundsatz der Richtigkeit nicht sinnvoll beurteilt werden. Die qualitative Bewertung erfolgt daher ausschließlich anhand der Grundsätze der Vollständigkeit, Wesentlichkeit sowie der Klarheit/Übersichtlichkeit, die jeweils anhand von vier Kriterien operationalisiert und beurteilt werden (vgl. Abb. 3.3). 738
739
740 741 742
Vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 33, Bönkhoff, F. (1983), S. 47. Vgl. auch zur Interpretation der Wesentlichkeit ("materiality") in der Rechnungslegung Ossadnik, W. (1993), S. 617ff. Vgl. zu Agency-Problemen und Lösungsmechanismen im Zusammenhang mit Sanierungskonzepten Kap. 2.2.4 und 2.2.5. Vgl. IDW (2003b), S. 945. Vgl. Leffson, U. (1986), S. 442. Vgl. zur Bewertungsmethodik für die konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen auch Kap. 1.3.1.
126
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Abb. 3.3: Qualitative Bewertung (Bewertung anhand der IDW-Grundsätze) 2 Qualitative Bewertung (Bewertung anhand der IDW-Grundsätze) • Vollständigkeit – Vollständigkeit der Ausgangslage – Vollständigkeit von konzeptionellen Elementen/Strategie – Art und Umfang der Checklisten – Szenarien mit Best-, Worst-Case-Betrachtungen • Wesentlichkeit – Verhältnis Wesentlichkeit vs. Vollständigkeit – Verwendung von Kennzahlen – Maßnahmenorientierung – Targeting und Ermittlung des Veränderungsbedarfs • Klarheit/Übersichtlichkeit – Klarheit der Gliederung – Darstellung des Wegs in die und aus der Krise – Klarheit der Informationsvermittlung – Darstellung der Prämissen für die Businessplanung
Gewichtung
Jeweils 25%
Visualisierung Von
25% Jeweils 25% Bis Jeweils 25%
100%
Quelle: Eigene Abbildung
Die Vollständigkeit wird dabei sowohl für die Ausgangssituation als auch für die konzeptionellen Elemente beurteilt. Darüber hinaus werden die Checklisten nach Art und Umfang bewertet sowie überprüft, ob in den jeweiligen Anforderungen alternative Szenarien gefordert werden. Beim Grundsatz der Wesentlichkeit werden das Verhältnis von Wesentlichkeit zu Vollständigkeit, die Verwendung von Kennzahlen, die Maßnahmenorientierung sowie die Vorgaben für ein Targeting743 bzw. für die Ermittlung des Veränderungsbedarfs beurteilt. Zur Bewertung der Klarheit/Übersichtlichkeit wird die Klarheit hinsichtlich der Gliederung und der Informationsvermittlung bewertet. Darüber hinaus wird beurteilt, ob gemäß der untersuchten Anforderung der Weg des Unternehmens in und aus der Krise darzustellen ist sowie, ob die Prämissen der Businessplanung anzugeben sind. Mittels eines einfachen Scoring-Modells wird die qualitative Bewertung der jeweils vier Kriterien zu einem Gesamturteil pro IDW-Grundsatz verdichtet.744 Anschließend wird die Bewertung pro IDW-Grundsatz anhand eines Strukturdiagramms in Kreisform visualisiert.745
743
744
745
Unter einem Targeting ist das Ableiten von Zielen auf Basis eines Benchmarking mit anderen Branchen oder Unternehmen zu verstehen. Die abgeleiteten Targets (Ziele) sind sowohl bei der Erstellung des Konzepts einschließlich der Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit als auch bei der Umsetzung von Bedeutung, vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 25. Scoring-Modelle (Punktwertverfahren) existieren in einer Vielzahl von Ausprägungen, vgl. Adam, D. (1996), S. 412ff. Im vorliegenden Fall wurden die Gewichtungsfaktoren der Kriterien jeweils mit 25% und die möglichen Kriteriumsausprägungen mit Werten zwischen 0 und 1 festgelegt. Strukturdiagramme in Kreisform eignen sich besonders zur Visualisierung von Teilen eines Ganzen, vgl. Zelazny, G. (1999), S. 38, Meyer, J.-A. (1999), S. 47.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
127
3.4.2 Spezielle Anforderungen der Treuhandanstalt (THA) 3.4.2.1 Leitfaden der THA für die Ausgestaltung von Sanierungskonzepten Der Leitfaden der Treuhandanstalt (THA) stammt aus dem Jahr 1990 und war einerseits als Hilfestellung zur Erstellung von Sanierungskonzepten für das Management der Portfolio-Unternehmen der THA sowie andererseits zur Standardisierung der Sanierungskonzepte gedacht.746 Er war als Soll-Vorgabe konzipiert und sollte den damaligen Erstellern Hinweise sowie einen groben Rahmen für die Gestaltung von Sanierungskonzepten geben. Im Jahr 1993 wurde er wegen ständig veränderter Rahmenbedingungen für die Aufstellung und Überarbeitung der Konzepte aktualisiert. Für die Beurteilung der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit wurden die erstellten Sanierungskonzepte durch einen Leitungsausschuss inhaltlich bewertet und auch daraufhin geprüft, ob bereits Maßnahmen eingeleitet worden waren.747 Der Leitfaden der THA gliedert sich in einen Teil A "Allgemeine Angaben" und einen Teil B "Sanierungskonzept". Im Teil A waren Angaben zu Rechtsform bzw. gesellschaftsrechtlicher Struktur, Management, Produktpalette, Hauptkunden, Betriebsstätten und -mitteln, Mitarbeitern, Lieferverpflichtungen mit RGW-Ländern,748 Risiken aus Altlasten und zu Art und Anzahl von Kooperationen zu machen.749 Teil B bestand aus dem Produktkonzept (B.1), dem Produktionskonzept (B.2), dem Mitarbeiterkonzept (B.3) und dem Geschäfts-/Liquiditätsplan (B.4), wobei die Teile B.1-B.3 jeweils in "Zentrale Fragestellungen" und "Beschreibung des Konzepts" unterteilt waren.750 Im Produktkonzept sollten die Leistungen bzw. Produkte in maximal acht Geschäftsfelder zusammengefasst und bewertet sowie Marktwachstum und -volumen abgeschätzt werden.751 Darüber hinaus waren die eigene Wettbewerbsposition ggü. dem relevanten Wettbewerb zu bestimmen und pro Produktgruppe Maßnahmen zur Verbesserung, speziell durch Produktinnovationen sowie durch den Aufbau eines
746
747
748
749 750 751
Vgl. BvS (2003), S. 35, Gunzenhauser, P. (1994), S. 93 und Aussage der Experten (Interview WP/RA-1). Vgl. Treuhandanstalt (1994), S. 8, Lichtblau, K. (1993), S. 32 u. Aussage der Experten (Interview B-2). Bei der Beurteilung der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit unterschied sich das angewandte Verfahren von der sonst üblichen Trennung in objektive betriebswirtschaftliche Kriterien (Sanierungsfähigkeit) und individuelle subjektive Bewertung (Sanierungswürdigkeit), vgl. Gunzenhauser, P. (1994), S. 99. Vgl. auch Kap. 2.3.3.2. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde 1949 als Antwort auf den Marshallplan von der UdSSR, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei gegründet. Die DDR wurde 1950 Vollmitglied. Vgl. Treuhandanstalt (1990), Teil A. Vgl. zu folgendem Ansatz Treuhandanstalt (1990), Teil B. Dabei sollten rd. 80% des Umsatzes abgedeckt werden.
128
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Vertriebssystems, zu entwickeln.752 Im Produktionskonzept sollte ausgehend von der Beurteilung der technologischen Position im Vergleich zu den westdeutschen Wettbewerbern die zukünftige Konzentration der Fertigungsstandorte festgelegt werden.753 Vorgesehene Maßnahmen zur Kostensenkung oder Steigerung der Produktivität waren in investive und nichtinvestive Maßnahmen zu unterteilen, wobei die investiven Maßnahmen nach Bereichen aufzuteilen und unter Angabe ihrer zeitlichen Wirkung zu priorisieren waren. Zudem sollten interne und externe Finanzierungsquellen aufgezeigt und als Alternative zur Eigenproduktion die Möglichkeit einer Lohnfertigung erörtert werden. Im Mitarbeiterkonzept sollte anhand der Kennzahl Mitarbeiterproduktivität (Umsatz/Mitarbeiter) eine Top-down-Dimensionierung auf das branchenübliche Niveau vorgenommen und im Fall eines erforderlichen Personalabbaus sollten Maßnahmen zu dessen Durchführung angegeben werden. Darüber hinaus waren Maßnamen zur Sicherung bzw. Verbesserung des Qualitätsniveaus der Mitarbeiter und zur Schließung von Führungslücken zu entwickeln. Abschließend war eine Personalplanung auf drei Jahre nach Funktionen und unter Berücksichtigung des Mitarbeiterabbaus nach den definierten Personalmaßnahmen aufzustellen. Im Geschäfts- bzw. Liquiditätsplan war neben einem Gesamtplan für die jeweiligen Produktgruppen bzw., wenn vorhanden, auch für eine Lohnfertigung eine auf drei Jahre ausgelegte Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) unter Angabe von Auftragsbestand, Produktionskapazitäten, Auslastung und Mitarbeitern zu planen. Darüber hinaus war eine Liquiditätsplanung auf Jahresebene unter Berücksichtigung von operativen und außerordentlichen Effekten sowie unter Berücksichtigung der Veränderung des Working Capital zu erstellen.754 Nach den Vorgaben der überarbeiteten Version des Leitfadens, die Anfang 1993 vom Leitungsausschuss entwickelt wurde, war unter anderem explizit darzulegen, mit welchen Annahmen geplant wurde und welche zukünftigen Risiken vorhanden waren.755 Darüber hinaus waren die notwendigen Maßnahmen zu kategorisieren und eine Terminplanung zu erstellen sowie ein Privatisierungskonzept vorzulegen. 3.4.2.2 Kritische Würdigung des Leitfadens der THA Der Leitfaden der Treuhandanstalt war als Soll-Vorgabe für die damalige Praxis sehr bedeutsam und wurde aufgrund seiner nützlichen Hinweise zur Erstellung von
752
753 754
755
Die Betonung dieses Schwerpunkts erklärt sich dadurch, dass die ostdeutschen Unternehmen in der Regel weder über marktfähige Produkte und Technologien noch über die notwendigen Vertriebswege und Verkaufsstrategien verfügten, vgl. Lichtblau, K. (1993), S. 51. Vgl. BvS (2003), S. 35. Das Working Capital bezeichnet den Überschuss aus kurzfristigen Aktiva zu kurzfristigen Passiva, d.h. Bestände + Forderungen aus LuL - Verbindlichkeiten aus LuL, vgl. Dichtl, E., Issing, O. (1987), S. 2119. Vgl. Treuhandanstalt (1994), S. 5f.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
129
Sanierungskonzepten als durchaus beachtenswert beurteilt.756 In der heutigen Sanierungspraxis spielt der Leitfaden der THA allerdings keine Rolle mehr und ist Praktikern in der Regel nur noch bekannt, wenn sie schon länger im SanierungsBusiness in Deutschland tätig sind oder selbst Berührungspunkte mit der Treuhandanstalt hatten.757 Dennoch kann der Leitfaden der THA in Bezug auf die inhaltlichen Elemente und das Vorgehen zur Konzepterstellung als Ursprung vieler Anforderungen an Sanierungskonzepte angesehen werden. Insgesamt erfasst der Leitfaden der THA ohne den Teil Geschäfts-/Liquiditätsplan rd. 120 inhaltliche Elemente, wobei davon rd. 30 die Ausgangslage, rd. 40 das Produktkonzept, rd. 30 das Produktionskonzept und rd. 20 das Mitarbeiterkonzept betreffen. Ordnet man für eine quantitative Bewertung diese Elemente den Kapiteln analog der hier verwendeten Gliederung eines Sanierungskonzepts zu, ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei der Gewichtung mittels der Seiten des Leitfadens (vgl. Abb. 3.4).758 Abb. 3.4: Leitfaden der THA: Quantitative Bewertung (Gewichtung) Gewichtung (nach Seiten, %) Ausgangssituation
Gewichtung (nach Elementen, %) 25%
2
26%
31
Krisenursachen und -symptome
0,75
9%
16
13%
Markt und Wettbewerb
0,75
9%
15
12%
Sanierungskonzept (i.e.S.)
3,5
Businessplanung
1
Summe
8
44%
57%
13% 100%
49%
59
-
121
49%
0% 100%
Konzeptionelle Elemente
Quelle: Eigene Abbildung
Die Krisenursachen und -symptome sowie die Darstellung von Markt und Wettbewerb spielen im Leitfaden der THA mit einem Anteil von jeweils etwa 10% nur eine untergeordnete Rolle, während der Fokus mit rd. 44% bis 49% ganz klar auf dem eigentlichen Sanierungskonzept liegt. Diese Gewichtung der einzelnen Kapitel ist vor dem Hintergrund der Sanierung der ehemaligen ostdeutschen Betriebe zu erklären, da sich die Unternehmen in der Regel zusammengebrochenen Märkten (vor allem 756
757 758
Vgl. Schedlbauer, H. (1993), S. 221, Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 354 u. Treuhandanstalt (1994), S. 5. Vgl. auch Kap. 3.1. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1,I-2, B-4, WP/RA-4). Die Gewichtung anhand der Seiten erfolgte unter Berücksichtigung der unterschiedlichen "Inhaltsdichte" der Seiten (vor allem "Zentrale Fragestellungen" vs. "Beschreibung der Konzepte").
130
Anforderungen an Sanierungskonzepte
bei Konsumgütern) und in allen Belangen übermächtigen westdeutschen Wettbewerbern gegenüber sahen.759 Die ostdeutschen Unternehmen hatten damals nicht nur weitgehend ihren Binnenmarkt, sondern auch große Teile ihres Exportmarkts verloren.760 Abb. 3.5: Leitfaden der THA: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) Grundsatz
Begründung
Vollständigkeit
• Knapper und begrenzter Umfang der Ausgangssituation • Knapper Umfang bei Strategie bzw. Strategie teilw. in Ansätzen, Fokussierung auf konzeptionelle Elemente, keine Bilanzplanung • Checklisten decken i.W. alle Kapitel ab, aber begrenzter Umfang • Keine Szenarien mit Best- und Worst-Case-Betrachtung gefordert
0,25 0,5
25% 25%
0,25 0
25% 25%
• Fokussierung auf die Wesentlichkeit, z.B. Analyse der Produkte bis 80% des Umsatzes • Maßnahmenorientierung (Kategorisierung und Termine) erst in Aktualisierung von 1993 • Kennzahlen: Umsatz/Mitarbeiter • Targeting über Umsatz/Mitarbeiter in Ansätzen, keine Ermittlung des Veränderungsbedarfs
1,0
25%
0,5
25%
0,25 0,5
25% 25%
1,0 0,25 1,0 0,5
25% 25% 25% 25%
Wesentlichkeit
Klarheit/ Übersichtlichkeit
• • • •
Klare Gliederung mit integrierten Checklisten Gliederung nicht an Darstellung des Wegs in und aus der Krise orientiert Klare und widerspruchsfreie Informationsvermittlung, graph. Darstellung Darstellung der Prämissen für Planung erst in Aktualisierung (1993)
Bewertung/Gewichtung
25%
56%
69%
Quelle: Eigene Abbildung
Bei der qualitativen Bewertung der Vorgaben der THA (vgl. Abb. 3.5) fällt bezüglich der Vollständigkeit auf, dass der Umfang des Leitfadens relativ knapp ist und dass wichtige Elemente wie z.B. eine Bilanzplanung und Angaben zu (bereinigten) Gewinngrößen fehlen. Konzeptionelle Elemente stehen im Vordergrund und Aussagen zur Strategie und zum Markt- und Wettbewerbsumfeld sind in Ansätzen enthalten. Die Erstellung von Szenarien mit einer Best- und Worst-Case-Betrachtung wird nicht gefordert. Der Fokus des Leitfadens liegt auf der Wesentlichkeit, was vor dem Hintergrund der damaligen Situation gut nachvollziehbar ist. Eine Maßnahmenorientierung mit Kategorisierung der Maßnahmen und Erstellung einer Terminplanung findet sich erst in der Aktualisierung von 1993. Unter Verwendung der Kennzahl Umsatz/Mitarbeiter wird in Ansätzen ein Targeting zur Mitarbeiterdimensionierung gefordert, während die Ermittlung des Veränderungsbedarfs gemäß dem Leitfaden der THA nicht vorgesehen ist. Bei der Beurteilung von Klarheit bzw. Übersichtlichkeit ist die klare Gliederung mit den in die Kapitel integrierten Checklisten sowie die klare und widerspruchsfreie Informationsvermittlung hervor759
760
Die damaligen ostdeutschen Betriebe hatten eine Produktivität von 30-40% des Westniveaus und nur 1/3 der Produkte hatte annähernd Weltmarktniveau, vgl. BvS (2003), S. 31ff., Töpfer, A. (1990b), S. 410. Vgl. zu Krisenart und -ursachen der ostdeutschen Betriebe auch Gunzenhauser, P. (1994), S. 65ff. Vgl. auch Aussage der Experten (Interviews WP/RA-1, WP/RA-2). Vgl. Lichtblau, K. (1993), S. 51.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
131
zuheben. Die Gliederung des Leitfadens orientiert sich allerdings nicht an der für die intersubjektive Nachvollziehbarkeit geforderten Darstellung des Weges, wie das Unternehmen in die Krise geraten ist und wie der Weg aus der Krise aussehen soll. Die Darstellung der Planungsprämissen wird erst in der aktualisierten Version des Leitfadens im Jahr 1993 gefordert. 3.4.3 Spezielle Anforderungen des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer 3.4.3.1 Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 Die Anforderungen an Sanierungskonzepte des IDW Fachausschusses Recht (IDW FAR 1/91) stammen als Entwurf aus dem Jahr 1991 und wurden 1992 in der ein Jahr zuvor veröffentlichten Fassung als IDW-Verlautbarung verabschiedet.761 Im Jahr 2003 erschien eine Neuauflage ohne erkennbare wesentliche inhaltliche Änderungen. Die aktuellste Fassung kann über die Internetseite des IDW-Verlags als Download bezogen werden. Dort heißt es: "[...] Mehrere Jahre alt, aber in Inhalt und Aussage immer noch aktuell: Die Stellungnahme des Fachausschusses Recht: Anforderungen an Sanierungskonzepte (FAR 1/1991) bietet einen ausführlichen Einstieg in die Ursachenanalyse einer Unternehmenskrise und Hinweise zur Lagebeurteilung und (zu) Sanierungsmaßnahmen, außerdem Hinweise zur Planverprobungsrechnung."762 Die Verlautbarungen bzw. Standards des IDW beschreiben, was der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer für sachgerecht hält, und geben größtenteils die tatsächliche Berufspraxis von Wirtschaftsprüfern wieder.763 Wirtschaftsprüfer müssen IDWVerlautbarungen, deren Beachtung außerdem Satzungsverpflichtung für alle Mitglieder des IDW ist, befolgen und etwaige Abweichungen schriftlich und an geeigneter Stelle begründen (Muss-Anforderung).764 Die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 sind sowohl bei der Erstellung als auch bei der Beurteilung fremder Sanierungskonzepte zu beachten.765 Die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 gliedern sich in die Vorbemerkungen, die eigentlichen Anforderungen mit den fünf Teilen Beschreibung des Unternehmens, Analyse des Unternehmens, Leitbild des sanierten Unter761
762 763 764
765
Vgl. IDW (1991), S. 319ff. u. IDW (1992), S. 75. I.d.R. werden während der Einspruchsfrist nur sehr wenige schriftliche Veränderungsvorschläge für IDW-Fachgutachten eingereicht. Diese geringe Resonanz darf jedoch nicht als stillschweigende Zustimmung gewertet werden, vgl. Hirsch, H.-J. (1990), S. 81f. IDW (2006b), Wortlaut der Produktdetailbeschreibung im Online-Shop. Vgl. Braun, E. (2002), Rn. 9 bzw. Rückle, D. (1992), S. 758. Eine Begründung ist auch erforderlich, wenn als Grund für eine Abweichung höchstrichterliche Rechtsprechung angeführt wird, vgl. IDW (2006c), S. 2473 u. IDW (2006a), S. 852. Vgl. auch Kap. 2.3.3.1.
132
Anforderungen an Sanierungskonzepte
nehmens, Maßnahmen zur Sanierung und Planverprobungsrechnung sowie die Anlagen. In den Anlagen finden sich teilweise sehr umfangreiche Checklisten zur Vermittlung einer vollständigen Informationsbasis (Anlage 1), zur Detaillierung des Leitbilds (Anlage 2) sowie eine Liste mit möglichen Sanierungsmaßnahmen (Anlage 3) und eine Vollständigkeitserklärung (Anlage 4).766 Beschreibung des Unternehmens Als Grundlage eines Sanierungskonzepts werden die Anforderungen an eine vollständige Erfassung und Zusammenstellung der wesentlichen Daten beschrieben, die in die fünf Bereiche bisherige Unternehmensentwicklung, rechtliche, finanz- und leistungswirtschaftliche Verhältnisse sowie organisatorische Grundlagen untergliedert werden. Zur weiteren Detaillierung wird auf die mit viereinhalb Seiten äußerst umfangreiche Anlage 1 verwiesen, die bis zu vier Gliederungsebenen mit auf unterster Ebene bis zu sechs Unterpunkten enthält. Die fünf genannten Bereiche sind in einem Sanierungskonzept auf jeden Fall darzustellen, aber innerhalb der Bereiche können je nach Einzelfall Streichungen oder Ergänzungen vorgenommen werden. Ferner wird von Wirtschaftsprüfern gefordert, sich den Zugang zu allen Geschäftsunterlagen und ein umfassendes Auskunftsrecht zu sichern und eine Vollständigkeitserklärung in die Auftragsbedingungen aufzunehmen. Die Anforderungen an die Beschreibung des Unternehmens enden mit einem kurzen Verweis auf die IDW-Grundsätze der Klarheit/Übersichtlichkeit und Vollständigkeit als Voraussetzung für die Richtigkeit. Auffällig ist, dass der Grundsatz der Wesentlichkeit hier nicht genannt wird, während andere Autoren gerade in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die Berücksichtigung der Wesentlichkeit hinweisen.767 Analyse des Unternehmens Die Analyse des Unternehmens, d.h. das Aufdecken von Sachverhalten und Zusammenhängen, die sich aus der reinen Darstellung nicht ergeben, wird nach IDW FAR 1/91 strikt von der Darstellung (Beschreibung des Unternehmens) getrennt. Der Teil über die Analyse des Unternehmens, zu dem es keine Checkliste als Anlage gibt, ist in eine Krisenursachenanalyse und eine Lagebeurteilung untergliedert. Bei der Krisenursachenanalyse, in die auch das Management einzubeziehen ist, sollen die Zusammenhänge der in der Regel multikausalen Ursachen von Unternehmenskrisen detailliert aufgedeckt werden. In die Lagebeurteilung ist das Unternehmen als Ganzes einzubeziehen und seine Stärken und Schwächen sowie die Chancen und
766 767
Vgl. zu folgendem Abschnitt IDW (1991), S. 319ff. bzw. IDW (2003a). Vgl. innerhalb einer Darstellung zu IDW FAR 1/91 Maus, K. H. (1991), S. 1134. Vgl. auch Klein, W., Paarsch, A. (1994), S. 182 u. Groß, P. J. (1988), S. 25.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
133
Risiken sollen aufgezeigt werden. Dafür wird eine Analyse der globalen Umwelt, der Branche und der unternehmensinternen Situation als erforderlich angesehen. Leitbild des sanierten Unternehmens Unter dem Leitbild ist gemäß IDW FAR 1/91 die zukünftige Sollstruktur des sanierten Unternehmens zu verstehen, die in ihren Eckpunkten genau zu beschreiben ist. Zur Operationalisierung der Zielvorstellung eines gesunden Unternehmens dient der vom IDW geprägte Begriff des Leitbilds vor dem Hintergrund der Prüfbarkeit als Umschreibung für das Soll-Objekt.768 Für das Leitbild sind vor allem die Vorgehensweisen und Potenziale der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit herauszustellen. Das Leitbild wird gemäß IDW FAR 1/91 in die strategischen Bereiche Corporate Identity, Entwicklung der Tätigkeitsgebiete und Marktstrategien, Ausrichtung der Funktionen, künftige gesellschaftsrechtliche Struktur und Beziehungen zu Kapitalgebern unterteilt. Die pro strategischem Bereich anzugebenden Informationen sind in der Anlage 2 zusammengestellt, wobei der Fokus auf der Entwicklung der Tätigkeitsgebiete und Marktstrategien sowie auf der Ausrichtung der Funktionen liegt. Hinsichtlich der Entwicklung von Tätigkeitsgebieten und Marktstrategien sind das Produkt- und Leistungskonzept, die strategischen Geschäftseinheiten zu beschreiben sowie Wettbewerbsstrategien zu bestimmen. In Bezug auf die Ausrichtung der Funktionen sind produkt- und marktbezogene sowie funktionale Erfolgspotenziale anzugeben. Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens Der Teil zu den Sanierungsmaßnahmen nimmt nur ca. eine Viertel Seite ein, wird aber noch durch die Anlage 3, die ca. zwei Seiten umfasst, ergänzt. Es wird darauf hingewiesen, dass die einzelnen Maßnahmen im Konzept zu beschreiben, ihre beabsichtigten Auswirkungen und die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie ggf. die Verantwortlichkeiten darzustellen sind. In der Anlage 3 werden mögliche Sanierungsmaßnahmen in finanzwirtschaftliche und leistungswirtschaftliche Maßnahmen unterteilt, wobei die finanzwirtschaftlichen nach Stakeholdern (Gesellschafter, Lieferanten, Banken, staatliche Institutionen)769 und die leistungswirtschaftlichen nach Funktionen (Personal, Produktion, Entwicklung, Materialbereich, Vertrieb, Management) untergegliedert werden.
768
769
Vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998a), S. 351f. Eine Prüfung erfolgt durch Gegenüberstellung eines vom Prüfer unabhängigen Ist-Objekts mit einem vorgegebenen oder zu ermittelnden SollObjekt inkl. anschließender Urteilsbildung, vgl. Grünfeld, K.-P. (1972), S. 14. Vgl. zu Stakeholder in der Sanierung Kap. 2.2.1.3.
134
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Planverprobungsrechnung Die Planverprobungsrechnung als "zahlenmäßige Darstellung" des Sanierungsverlaufs dient zur rechnerischen Verprobung und damit zum Nachweis der Finanzierbarkeit des Sanierungskonzepts. Nach IDW FAR 1/91 ist die Planverprobungsrechnung zweigeteilt. Der erste Teil enthält einen detaillierten zahlenmäßigen Sanierungsplan in Form einer Plan-GuV, eines Finanzplans und einer Plan-Bilanz inkl. der betrieblichen Teilplanungen für Absatz, Investitionen und Personal. Die Planungsrechnungen sollen für verschiedene Zeitabschnitte (monatlich, quartalsweise, halbjährlich, jährlich) erfolgen und zur Berücksichtigung von Unsicherheiten wird die Erstellung von Szenarien (Best Case, Worst Case) empfohlen. In den Planungsrechnungen sind auch die außerordentlichen Aufwendungen der Sanierung zu berücksichtigen. Im zweiten Teil der Planverprobungsrechnung sollen die Planvorgaben mit den Ist-Zahlen der Buchführung verglichen werden. Als weiteres Mittel zur Verprobung ist z.B. die Betriebsstatistik heranzuziehen, wobei die Analyse der Planabweichungen und die Planfortschreibung gemäß IDW FAR 1/91 nicht mehr Gegenstand des Sanierungskonzeptes sind. Derzeit beabsichtigt das IDW, die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 grundlegend zu überarbeiten und stärker an den Belangen der Praxis auszurichten.770 Im Zuge dieser Überarbeitung stehen nach den bisher verfügbaren Veröffentlichungen vor allem die folgenden Überlegungen im Mittelpunkt:771 •
Stärkere Betonung, dass Inhalt und Detaillierungsgrad von Sanierungskonzepten von dem jeweiligen Krisenstadium abhängig sind. Danach sind mit zunehmender Insolvenzgefahr schnell wirksame Sofortmaßnahmen einzuleiten, während auf mittlere Sicht die Wiedererlangung der Renditefähigkeit durch ein Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramm im Fokus steht. Zur nachhaltigen Absicherung ist das Krisenunternehmen strategisch und strukturell umzugestalten.
•
Stärkere Betonung der Notwendigkeit zur Aufarbeitung aller durchlaufener Krisenstadien, also nicht nur der Erfolgskrise, sondern vor allem auch der Strategiekrise.
•
Wenn auftragsgemäß nur Teilaspekte wie z.B. ein Programm zur Kostensenkung oder die Entwicklung von Sofortmaßnahmen in einem Sanierungskonzept bearbeitet werden, ist vom Konzeptersteller auf die nicht in den Auftrag
770
771
Vgl. Groß, P. J. (2007a), S. I (Editorial) bzw. Groß, P. J. (2007b), S. 49. Hier wird ein dringender Handlungsbedarf zur grundlegenden Überarbeitung der IDW FAR 1/91 festgestellt. Vgl. im Folgenden Groß, P. J. (2007a), S. I (Editorial) und Groß, P. J. (2007c), S. 37ff.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
135
einbezogenen Bereiche (wie z.B. die strategische Neuausrichtung) ausdrücklich hinzuweisen. •
Stärkere Betonung von Kennzahlen zum Nachweis des Sanierungserfolgs. Als Beispiele werden bisher die Eigenkapitalquote, die Schuldentilgungsdauer, die Eigenkapital- und Gesamtkapitalrentabilität sowie der Cashflow in Prozent vom Umsatz genannt.
•
Überarbeitung und Erweiterung der strategischen Elemente für das Teilkonzept zur strategischen Neuausrichtung um Wettbewerbsvorteile, sogenannte strategische Potenziale (Ressourcen, Marketing, Produkt- und Leistungspotenzial, Belegschafts- und Führungspotenzial, Finanzierung) sowie eine "Stimmigkeits-Organisation" der strategischen Potenziale.772
•
Aufnahme eines Abschnitts zur Schlussaussage, in dem der Auftrag zur Konzepterstellung bzw. -begutachtung dahingehend klar abzugrenzen ist, ob ein Sanierungskonzept erstellt bzw. nachgebessert oder ein bestehendes Sanierungskonzept begutachtet wurde. Außerdem ist anzugeben, ob und inwieweit die vergangenheitsorientierte Datenbasis geprüft wurde.
3.4.3.2 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 Den IDW-Verlautbarungen wird teilweise eine Bedeutung zugesprochen, die über die einer Literaturmeinung hinausgeht.773 Allerdings begründet sich diese Bedeutung nicht mit besonderer fachlicher Qualität, sondern weil den IDW-Verlautbarungen eine "nebulös formulierte besondere Bedeutung" nachgesagt wird.774 Aufgrund guter Öffentlichkeitsarbeit in der Vergangenheit genießt das IDW unter Wirtschaftslaien, Politikern und auch Richtern den Status einer offiziellen Autorität, der dem faktischen rechtlichen Status als Verein zur Interessenvertretung der Wirtschaftsprüfer nicht entspricht. Da in Wissenschaft und Praxis also zum Teil unklare bzw. falsche Vorstellungen zum Status des IDW bestehen, die teilweise auch gezielt gefördert werden,775 sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass alle Verlautbarungen des IDW und damit auch die IDW FAR 1/91 lediglich den Status von Vereinsnachrichten haben und damit keine über die Fachliteratur hinausgehende allgemeine faktische oder rechtliche Bindungswirkung besitzen. Die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 sind innerhalb des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer, aber auch darüber hinaus weit verbreitet und
772 773
774 775
Vgl. Groß, P. J. (2007c), S. 37ff. Vgl. zu diesem Absatz Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 89ff. u. S. 157. Vgl. auch Hirsch, H.J. (1990), S. 17ff. u. 199. Vgl. Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 91 bzw. Hirsch, H.-J. (1990), S. 199. Vgl. Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 91.
136
Anforderungen an Sanierungskonzepte
bekannt.776 Einschränkend sei allerdings hinzugefügt, dass sie bei internationalen Investoren zum Teil auch völlig unbekannt sind.777 Neben einigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften werben auch kleinere Beratungshäuser und teilweise sogar Rechtsanwaltskanzleien in ihren Image-Broschüren mit der Erstellung von Sanierungskonzepten gemäß IDW-Vorgabe. In der Sanierungspraxis haben die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 nicht den Stellenwert, der ihnen in der Literatur zugemessen wird. Sie werden auch nicht in vollem Umfang angewendet, da sie grundsätzlich als sehr formalistisch, bürokratisch und vergangenheitsorientiert eingestuft werden.778 Neben Wirtschaftsprüfern, für die die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 naturgemäß eine wichtigere Rolle spielen und die sich teilweise in ihren Auftragsbedingungen auf IDW FAR 1/91 beziehen, finden sich teilweise auch in der Bankenwelt Befürworter der IDW-Vorgaben.779 Die klare Gliederung des IDW FAR 1/91 trifft in der Sanierungspraxis teilweise auf Zustimmung.780 Bei der Analyse der Gewichtung der Kapitel ist klar erkennbar, dass der Schwerpunkt der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 mit rd. 40% eindeutig auf der Beschreibung des Unternehmens liegt, während die Vorgaben für das eigentliche Konzept nur rd. 34% ausmachen (vgl. Abb. 3.6). Die Darstellung der Krisenursachen und -symptome sowie von Markt und Wettbewerb liegen bei ungefähr 10%. Diese Fokussierung auf die Ausgangssituation ergibt sich auch anhand der Analyse der erfassten inhaltlichen Elemente in den Anlagen 1-3. Insgesamt sind darin 200 Elemente enthalten, wobei 115 (58%) die Ausgangssituation und 85 (42%) das Konzept (i.e.S.) betreffen. Die nach IDW FAR 1/91 zu erfassende Datenbasis ist vor allem hinsichtlich der Ausgangssituation äußerst umfangreich, obwohl im Einzelfall die Streichung oder Ergänzung einzelner Punkte möglich ist. Sie enthält zum Teil Detailangaben, die in den meisten Fällen für Sanierungskonzepte kaum von
776
777 778
779
780
Die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 werden z.B. auch in der 2006 veröffentlichten Literatur zum Thema Sanierung meist ohne kritische Würdigung immer wieder angeführt, vgl. dazu z.B. Hommel, U., Knecht, T., Wohlenberg, H. (2006), S. 52, Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 350, Klein, U. (2006), S. 77ff. Vgl. auch Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 318ff. u. insb. S. 324, die den Vorwurf zu umfangreicher Darstellungen der Vergangenheit sowie der aktuellen Situation als "Fleißarbeit und akademische Übung" grundsätzlich ablehnen. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-4, I-5). Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, I-2, B-3, B-4, WP/RA-1, WP/RA-2, WP/RA-3). Die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 eignen sich, wenn überhaupt, eher zur Begutachtung von Konzepten und weniger zu ihrer Erstellung. Nach Aussage eines Experten wäre die analoge Anwendung des IDW S 1 sinnvoller als die Anwendung von IDW FAR 1/91, vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-1). Vgl. dazu auch Fn. 792. Auf dem 2. Mannheimer Insolvenzrechtstag 2006 wurde jüngst die Erstellung von Sanierungskonzepten nach IDW FAR 1/91 seitens eines Kreditinstituts gefordert, vgl. Hillmer, H.-J. (2006), S. 199. Es existiert aber auch Ablehnung der IDW-Vorgabe in der Bankenwelt. Vgl. Aussage der Experten (Interview B-3, ähnlich Interview WP/RA-4).
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
137
Relevanz sind und damit dem Grundsatz der Wesentlichkeit widersprechen.781 Zudem fehlen auch wichtige Sachverhalte wie z.B. bereinigte Gewinngrößen. Abb. 3.6: IDW FAR 1/91: Quantitative Bewertung (Gewichtung) Gewichtung (nach Seiten, %) Ausgangssituation
4,75
Krisenursachen und -symptome
1,5
Markt und Wettbewerb
0,75
Sanierungskonzept (i.e.S.)
Gewichtung (nach Elementen, %) 40%
13%
7%
4
Businessplanung
0,75
Summe
11,75
6% 100%
58%
115
-
0%
-
0%
34%
85
40%
-
200
42%
42%
0% 100%
Konzeptionelle Elemente
Quelle: Eigene Abbildung
Die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 sind insgesamt stark vergangenheitslastig, was mit dem traditionellen Berufsbild von Wirtschaftsprüfern begründet werden kann.782 Weiterhin werden Beschreibung und Analyse voneinander getrennt,783 was sich vor dem Hintergrund der für Wirtschaftsprüfer besonders relevanten Prüfbarkeit erklären lässt.784 Eine rein tatsachen- und vergangenheitsbezogene Beschreibung ist relativ einfach zu prüfen, während die Prüfung analytischer Überlegungen aufwendiger ist und sich primär auf Nachvollziehbarkeit, Widerspruchsfreiheit und Vereinbarkeit mit anerkannten rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Methoden bezieht.785 Allerdings sollten Überlegungen zur Prüfbarkeit nicht als Argumente zur Bestimmung der erforderlichen Ausgestaltung von Prognosen herangezogen
781
782
783 784
785
Vgl. z.B. Ausbildungs- und Fortbildungsstand des Managements, Bindung an das Unternehmen, komplette Satzung/Gesellschaftsvertrag, Anstellungsverträge v. Organen u. Prokuristen, Stellenbeschreibungen, Stellvertretungsregelungen, vgl. IDW (2003a), Anlage 1. Trotzdem fehlen wichtige Größen wie z.B. (bereinigte) Gewinngrößen. Die zukunftsorientierte Plausibilisierung von Planungen wird eher Unternehmensberatern als Wirtschaftsprüfern zugetraut, da das Berufsbild der Wirtschaftsprüfer den Fokus eher auf die Vergangenheit legt, vgl. Freidank, C. C., Paetzmann, K. (2002), S. 1788, Böckenförde, B. (1996), S. 116. Als Folge der Internationalisierung des Rechnungswesens ändert sich das Berufsbild und auch im externen Rechnungswesen wird die Bedeutung von Cashflow-Größen und Prognosen zunehmen, vgl. Fülbier, R. U., Hirsch, B., Meyer, M. (2006), S. 235f. Vgl. Gliederungspunkt 2 (Analyse des Unternehmens) der IDW FAR 1/91. Vgl. Braun, E. (1989), S. 683ff. In Bezug auf Planungsrechnungen wird an anderer Stelle von "gefürchteten" Prognoseprüfungen gesprochen, vgl. Schedlbauer, H. (1993), S. 219. Vgl. Braun, E. (1989), S. 693.
138
Anforderungen an Sanierungskonzepte
werden.786 Zu Recht wird darüber hinaus an anderer Stelle aus dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer darauf hingewiesen, dass die Ist-Analyse nicht nur als "Fleißarbeit" (Zusammenstellen relevanter Informationen), sondern als anspruchsvolle Denkarbeit zum Verständnis der Zusammenhänge und Abläufe im Unternehmen anzusehen ist.787 In Bezug auf die Vollständigkeit ist positiv zu beurteilen, dass die Entwicklung von Szenarien mit einer Best- und Worst-Case-Betrachtung als zweckmäßig angesehen wird. Die Vollständigkeit der Ausgangssituation ist in den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 vorherrschend und die Wesentlichkeit steht nicht im Fokus. Dabei kommt es bei der Erstellung von Sanierungskonzepten gerade nicht "[...] auf die Detailgenauigkeit einer wirtschaftsprüferlichen Verlässlichkeit an."788 Unter dem Primat der Vollständigkeit werden z.B. Informationen wie die Anzahl von Managern sowie von Angestellten und Arbeitern, die Managementzuständigkeiten und Organisationspläne als einzelne Punkte abgefragt, die in Organigrammen im Zusammenhang besser dargestellt werden könnten und so das Verständnis des Unternehmens bzw. Geschäftsmodells erleichtern würden.789 Bei der Beschreibung und Analyse der finanzwirtschaftlichen Entwicklung werden zum besseren Verständnis des Unternehmens bzw. Geschäftsmodells kaum Kennzahlen verwendet und die für ein Sanierungskonzept notwendige Maßnahmenorientierung ist in den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 nur begrenzt vorhanden. Weder ein Targeting noch die Ermittlung des Veränderungsbedarfs werden gefordert. Mit den Erläuterungen zu den Elementen der Gliederung und den Checklisten im Anhang sind die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 klar gegliedert und die Gliederung orientiert sich an der Darstellung des Wegs von Krisenunternehmen in und aus der Krise. Die Informationsvermittlung erfolgt grundsätzlich widerspruchsfrei. Die Aussage zu den Effekten der Sanierungsmaßnahmen ist allerdings wenig konkret formuliert.790 Eine Darstellung der Prämissen für die Businessplanung wird nicht gefordert. Die qualitative Bewertung der Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 anhand der IDW-Grundsätze ist in zusammenfassend dargestellt.
786 787 788
789
790
Vgl. Rückle, D. (1981), S. 462f. Vgl. Groß, P. J. (1988), S. 37. Griess-Nega, T. (2006), S. 286 (in Bezug auf die Grobanalyse). Diese Feststellung gilt aber grundsätzlich auch für die Erstellung von Sanierungskonzepten. Vgl. ähnlich Wlecke, U. (2004), S. 39, Wolf, T., Doppelbauer, G. (2002), S. 459, die von "bedarfsgerechter Information" sprechen. Vgl. zum Organigramm Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 442. Im Leitfaden der THA wurden Organigramme, sofern vorhanden, gefordert. Es heißt, dass die einzelnen Maßnahmen im Sanierungskonzept hinsichtlich ihrer beabsichtigten Wirkung zu verdeutlichen sowie die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen ggf. auch die Verantwortlichkeiten zu nennen sind, vgl. IDW (2003a), 4. Maßnahmen zur Sanierung.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
139
Abb. 3.7: IDW FAR 1/91: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) Grundsatz
Begründung
Vollständigkeit
• Ausgangssituation sehr umfangreich, aber keine ber. Gewinngrößen • Umfang geringer bei konzeptionellen Elementen, starke Vergangenheitsorientierung • Checklisten sehr umfangreich zur Ausgangssituation, für konzeptionelle Elemente weniger umfangreich • Best-/Worst-Case-Betrachtung als zweckmäßig eingestuft
0,75 0,5
25% 25%
0,5
25%
0,75
25%
• Vollständigkeit der Ausgangssituation ist vorherrschend, Wesentlichkeit nicht im Fokus • Begrenzte Maßnahmenorientierung, keine Kategorien, Verantwortlichkeiten sind nur eventuell zu nennen • Kennzahlen: Umsatz/Mitarbeiter • Kein Targeting und keine Ermittlung des Veränderungsbedarfs
0,25
25%
0,5
25%
0,25 0
25% 25%
• Klare Gliederung mit Checklisten im Anhang • Gliederung an Darstellung des Wegs in und aus der Krise orientiert • Widerspruchsfreie Informationsvermittlung, keine klare Aussage zu Effekten der Maßnahmen, keine graphische Darstellung • Keine Darstellung der Prämissen für Planverprobungsrechnung
1,0 1,0 0,5
25% 25% 25%
0
25%
Wesentlichkeit
Klarheit/ Übersichtlichkeit
Bewertung/Gewichtung
63%
25%
63%
Quelle: Eigene Abbildung
Es ist nicht das erste Mal, dass aus betriebswirtschaftlicher Sicht als Kritik an IDWStandards die Vergangenheitsorientierung bzw. die Orientierung an der Prüfbarkeit genannt wird. KRYSTEK und MÜLLER haben im Zusammenhang mit der Prüfung von Risikofrüherkennungssystemen festgestellt, dass der Standard IDW EPS 340 ebenfalls vornehmlich an der Prüfbarkeit orientiert zu sein scheint, da der Fokus dieser Vorgabe auf der Zuordnung von Verantwortlichkeiten und Aufgaben sowie auf den Dokumentationspflichten liegt.791 Im Fall der IDW-Grundsätze zur Unternehmensbewertung (IDW S 1 bzw. IDW ES 1 n.F.) stellt FISCHER-WINKELMANN als grundsätzliche Kritik die mangelnde Operabilität bzw. in Bezug auf die Neufassung eine "Verschlimmbesserung" der Grundsätze fest.792 Auch den vom IDW erarbeiteten Stellungnahmen zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) haben die anderen beteiligten Kreise keineswegs immer zugestimmt.793 Abschließend sei noch auf einen Widerspruch bzw. eine Unklarheit im System der Anforderungen und Definitionen des IDW zu Sanierungskonzepten und -gutachten hingewiesen. Einerseits sollen gemäß IDW FAR 1/91 an Erstellung und Beurteilung eines Sanierungskonzepts die gleichen Anforderungen gestellt werden und es wird daher bezüglich der Anforderungen nicht zwischen Konzept und Gutachten unter-
791 792
793
Vgl. Krystek, U., Müller, M. (1999), S. 188. Zur einer grundlegenden Kritik der IDW-Grundsätze zur Unternehmensbewertung (IDW S 1) sowie zur "Verschlimmbesserung" durch die Neufassung Fischer-Winkelmann, W. F. (2003), S. 80ff., Fischer-Winkelmann, W. F. (2006), S. 158ff. Vgl. Taupitz, J. (1990), S. 2370.
140
Anforderungen an Sanierungskonzepte
schieden.794 Andererseits ergibt sich aus der unterschiedlichen Definition von Konzept (nur die Eckpfeiler der Sanierung zur Information eines größeren, vielfach anonymen Kreises von am Unternehmen Interessierten)795 und Gutachten (umfassende Ableitung und Darstellung der Wege aus der Krise) trotz der beschriebenen sachlogischen Verknüpfung der Erstellung von Sanierungskonzepten (Sanierungsprüfung i.w.S) und der Begutachtung bereits erstellter Sanierungskonzepte (Sanierungsprüfung i.e.S.) ein inhaltlich signifikanter Unterschied. Dieser inhaltliche Unterschied müsste sich letztlich auch in unterschiedlich detaillierten Anforderungen an Sanierungskonzepte und -gutachten niederschlagen.796 In Bezug auf die angekündigte grundlegende Überarbeitung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 ist positiv zu beurteilen, dass Inhalt und Detaillierungsgrad eines Sanierungskonzepts stärker vom vorliegenden Krisenstadium abhängig sein sollen. Grundsätzlich ist auch positiv zu bewerten, dass im Rahmen einer Schlussaussage angegeben werden soll, ob ein Sanierungskonzept erstellt bzw. nachgebessert oder lediglich im Rahmen eines Gutachtens beurteilt wurde. Zuzustimmen ist auch der geforderten Verwendung weiterer Kennzahlen zum Nachweis des Sanierungserfolgs, wobei Kennzahlen in Sanierungskonzepten grundsätzlich nicht nur zum Nachweis des Sanierungserfolgs, sondern auch zum Verständnis des Geschäftsmodells und zur Ermittlung der Sanierungsziele eingesetzt werden sollten. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der vorgeschlagene Ansatz, je nach Auftrag nur einzelne Teilaspekte in Sanierungskonzepten zu bearbeiten, in der Praxis und bei Kapitalgeber auf breite Zustimmung stößt. Auch in der Literatur werden durchgehend ganzheitliche Sanierungskonzepte zur Überwindung von Unternehmenskrisen gefordert, die sowohl die Lösung strategischer Grundsatzfragen als auch die Entwicklung operativer Maßnahmen umfassen.797 Die Formulierung weiterer Vorgaben für das strategische Teilkonzept erfolgt in den bisher verfügbaren Veröffentlichungen noch auf relativ abstraktem und theoretischem Niveau und es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Überlegungen in konkrete Anforderungen mit einem Mehrwert für die Praxis überführt werden können.
794
795 796
797
Vgl. IDW (2003a), Vorbemerkungen. Dort heißt es, dass Wirtschaftsprüfer die beschriebenen Anforderungen sowohl bei der Erstellung als auch bei der Beurteilung fremder Sanierungskonzepte zu Grunde zu legen haben. Vgl. IDW (2002), S. 357 und detaillierter Groß, P. J. (1997), S. 69f. Vgl. auch Kap. 2.3.3.1. Dabei müsste vor allem auch die zur Erstellung von Konzept bzw. Gutachten verfügbare Zeit und der herrschende Handlungsdruck berücksichtigt werden. Vgl. auch Kap. 2.3.3.1. Vgl. Kap. 2.3.3.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
141
3.4.3.3 Anforderungen gemäß WP-Handbuch 2002 Abschnitt F Im Vergleich zu den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 ist beim Wirtschaftsprüfer-Handbuch (WP-Handbuch) zu beachten, dass es als kommerzielles Produkt des IDW nicht den offiziellen Charakter und die Bindungswirkung einer IDW-Verlautbarung hat. Letztlich handelt es sich um eine Meinungsäußerung der jeweiligen Autoren, die allerdings in der Regel Mitglieder der entsprechenden Fachausschüsse des IDW sind und auch als Meinungsführer innerhalb des IDW angesehen werden können.798 Das WP-Handbuch 2002 Abschnitt F Sanierungsprüfung enthält auf rd. 200 Seiten eine umfassende Darstellung zur Sanierungsprüfung.799 Bezüglich der Anforderungen an Sanierungskonzepte sind besonders die Kapitel V (Das Sanierungskonzept im Fokus der Sanierungsprüfung, Tz. 104-173) und VII (Erhebungs-, Analyse- und Beurteilungsfelder, Tz. 230-529) relevant.800 Ab Kapitel VIII des WPHandbuchs Abschnitt F steht eher die Sanierungsprüfung i.e.S. im Fokus der Ausführungen. Im WP-Handbuch sind einerseits Verweise auf IDW FAR 1/91 und andererseits die teilweise modifizierte Übernahme ganzer Passagen aus IDW FAR 1/91 enthalten.801 Grundsätzlich wird im WP-Handbuch für Sanierungskonzepte die gleiche Gliederung wie nach IDW FAR 1/91 gefordert (Tz. 116) und die Beschreibung des Unternehmens (Tz. 117ff.) orientiert sich ebenfalls im Wesentlichen an IDW FAR 1/91.802 Die finanzwirtschaftlichen Anforderungen wurden ggü. IDW FAR 1/91 um die Kennzahlen Cashflow, Eigenkapitalquote, Verschuldungsgrad, Anlagenintensität und Umschlagshäufigkeiten (z.B. für Vorräte) erweitert (Tz. 250). Die Analyse des Unternehmens (Tz. 119ff.) enthält die wesentlichen Passagen aus IDW FAR 1/91. Bei der Ursachenanalyse werden zusätzlich Ursachenkataloge für exogene und endogene Krisenursachen angeführt803 und die Umwelt- und Unternehmensanalyse sowie die Lagebeurteilung umfangreich dargestellt. Das Thema Leitbild wurde durch eine inhaltliche Einführung und eine Checkliste zur Erarbeitung des Leitbilds ergänzt, wobei die Checkliste zu den strategischen Bereichen aus IDW FAR 1/91 (Anlage 2) in leicht erweiterter Form wieder auftaucht.804 Der Teil zu Sanierungsmaßnahmen, 798 799 800 801
802 803
804
Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-1, ähnlich Interview WP/RA-4). Zum Begriff der Sanierungsprüfung vgl. Kap. 2.3.3.1. Vgl. zur Inhaltsübersicht IDW (2002), S. 328. Vgl. zu Verweisen IDW (2002), Tz. 1, 61 u. 114. Zur Übernahme ganzer Passagen vgl. Tz. 117127 (Inhaltliche Anforderungen, Krisenursachen), Tz. 130-132 (Ausgangslage), Tz. 145-149 (Leitbild), Tz. 167-173 (Planungsrechnung) u. Tz. 471-474 (Maßnahmen der Gläubiger). Vgl. im Folgenden IDW (2002), Tz. 116ff. Vgl. zu den exogenen Krisenursachen Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 71ff. und zu den endogenen Krisenursachen Hauschildt, J. , Grape, C., Schindler, M. (2006), S.12f. Die wesentlichen Ergänzungen sind die Hinzunahme von Unternehmensgrundsätzen bei der Corporate Identity und von Typen möglicher Fortführungsgesellschaften bei der Rechtsform.
142
Anforderungen an Sanierungskonzepte
die jetzt in Sofortmaßnahmen, operative und strategische Maßnahmen unterteilt werden, wurde grundlegend überarbeitet (Tz. 150ff.).805 Zudem findet sich in den Tz. 294ff. eine Art betriebswirtschaftliche Einführung zu den Funktionen, für die Sanierungsmaßnahmen zu entwickeln sind (also Vertrieb, Produktion, Materialwirtschaft, Forschung und Entwicklung, Personal, Management und Organisation) sowie eine Zusammenfassung zum Thema Fortführungsgesellschaften. Die Anforderungen zur Planverprobungsrechnung (Tz. 167ff.) entsprechen denen aus IDW FAR 1/91 mit der Ergänzung, dass die Planungsprämissen (Tz. 539) anzugeben sind und der Planungszeitraum auf drei Jahre festzusetzen ist, wobei an anderer Stelle von einem Planungszeitraum, der das aktuelle sowie das folgende Jahr umfasst, gesprochen wird.806 3.4.3.4 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß WP-Handbuch 2002 Abschnitt F Grundsätzlich setzen die Erweiterungen bzw. Detaillierungen im Abschnitt F des WPHandbuchs 2002 z.B. mit der Hinzunahme weiterer Kennzahlen, der teilweisen Aufgabe der strikten Trennung von Beschreibung und Analyse, den weiteren Detailangaben zur Lagebeurteilung sowie der Kategorisierung und Detaillierung der Sanierungsmaßnahmen an den Schwachstellen der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 an. Allerdings handelt es sich bei dem Abschnitt F des WP-Handbuchs 2002 aufgrund der umfassenden Darstellung, der Vielzahl von Hintergrundinformationen z.B. zu Methoden und auch aufgrund der komplexen Gliederung nicht um eine praxistaugliche Fassung von Anforderungen an Sanierungskonzepte zur Ablösung bzw. Weiterentwicklung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91, sondern um eine Art Kompendium der Sanierungsprüfung. Diese Aussage wird auch dadurch gestützt, dass die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 nach wie vor sowohl unter den gültigen fachlichen Verlautbarungen im WP-Handbuch aufgeführt werden als auch weiterhin auf der Internetseite des IDW mit der Bemerkung "[...] mehrere Jahre alt, aber in Inhalt und Aussage immer noch aktuell"807 vertrieben werden. Wenn man von dem weniger offiziellen Charakter des WP-Handbuchs absieht, erscheint es letztlich nicht ganz klar, ob die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 in ihrer ursprünglichen Fassung oder unter Berücksichtigung der Ergänzungen aus dem WP-Handbuch anzuwenden sind.808
805 806 807 808
Vgl. IDW (2002), S. 372. Vgl. IDW (2002), S. 376 (Tz. 169: 3 Jahre) bzw. S. 431 (Tz. 58: Aktuelles und folgendes Jahr). IDW (2006c), S. 2510 bzw. IDW (2006b), Wortlaut d. Produktdetailbeschreibung im Online-Shop. In Zweifelsfällen werden sich Wirtschaftsprüfer aufgrund des offiziellen Charakters einer Verlautbarung eher an den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 als am WP-Handbuch orientieren.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
143
Bei genauer Betrachtung der Inhaltsübersicht im WP-Handbuch fällt auf, dass die Kapitelnummerierung nicht einwandfrei mit den Kapiteln übereinstimmt.809 Verwunderlich ist auch, dass in der Zusammenstellung der wesentlichen Daten zur Ausgangssituation (Tz. 117) die finanzwirtschaftlichen Verhältnisse fehlen, während sie in den Tz. 230ff., auf die an dieser Stelle verwiesen wird, wieder auftauchen (Tz. 248-250). Bei den Sanierungsmaßnahmen wird in Tz. 161 als Maßnahme zur Liquiditätsverbesserung die Verminderung von Kundenanzahlungen genannt. Das ist insofern irreführend, als unter Kundenanzahlungen in der Regel Vorauszahlungskredite von Kunden verstanden werden.810 Die Liquidität lässt sich durch Erhöhung von Anzahlungen der Kunden (Kundenanzahlungen) und durch die Verringerung eigener Anzahlungen an Lieferanten verbessern. In Bezug auf eine Bewertung des WP-Handbuchs 2002 Abschnitt F als Anforderung an Sanierungskonzepte ist festzuhalten, dass aufgrund der beschriebenen komplexen und mit den anderen Anforderungen nicht vergleichbaren Struktur der Ausführungen eine den anderen Anforderungen vergleichbare quantitative und qualitative Bewertung nicht sinnvoll möglich ist. Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass der Untersuchungsumfang gegenüber IDW FAR 1/91 deutlich erhöht und die Abfassung äußerst ausgiebig ist. Allerdings geht mit der Ausgestaltung des WPHandbuchs als eine Art Kompendium der Sanierungsprüfung die Wesentlichkeit im hier interessierenden Zusammenhang verloren. Während eine Maßnahmenorientierung in Ansätzen eingeführt wird und weitere Kennzahlen hinzugenommen werden, wird nach wie vor weder ein Targeting noch die Ermittlung des Veränderungsbedarfs verlangt. Zudem fallen die komplexe und unübersichtliche Struktur mit ihren vielen Querverweisen und die oben beschriebenen Unklarheiten auf. 3.4.3.5 Anforderungen gemäß ISA 810 Um die Glaubwürdigkeit zukunftsgerichteter Informationen zu gewährleisten, wurden mit den International Standards on Auditing (ISAs) auf internationaler Ebene normierende Grundlagen für die Prüfung zukunftsgerichteter Informationen entwickelt.811 Die von der International Federation of Accountants (IFAC) herausgegebenen ISAs können in zunehmendem Maße als Prüfungsgrundsätze sowie als internationaler Konsens bzgl. der Anforderungen an die Abschlussprüfung angesehen werden.812 Sie sind von Wirtschaftsprüfern außer bei der Prüfung von Abschlüssen z.B. bei 809 810 811
812
Vgl. IDW (2002), S. 328, z.B. bei Kap. V.3 Inhaltliche Anforderungen. Vgl. Perridon, L., Steiner, M. (2004), S. 338. Vgl. Arbeitskreis "Externe und Interne Überwachung der Unternehmung" der SchmalenbachGesellschaft (2003), S. 105. Vgl. Wirtschaftsprüferkammer (2003), S. 5 (Vorwort). Der Gesetzgeber hat bereits im Rahmen des KonTraG internationale Grundsätze berücksichtigt und auf die ISAs abgestellt.
144
Anforderungen an Sanierungskonzepte
gutachterlichen Stellungnahmen zu Unternehmensbewertungen, bei der Prüfung von Finanzplänen zur Analyse der Kreditwürdigkeit, bei Insolvenzprüfungen und bei Prospektprüfungen anzuwenden.813 Der ISA 810 findet sich im Bereich "Spezielle Berichte" der International Standards on Auditing und ist vor allem bei Dokumenten, die der Unterrichtung von Gläubigern dienen und die z.B. eine zukunftsorientierte Kapitalflussrechnung enthalten, einzusetzen. Damit ist er also auch bei Sanierungskonzepten, bei denen grundsätzlich zukunftsorientierte Informationen eine wesentliche Rolle spielen, anwendbar. Aufgrund dieser Überlegungen soll hier die Prüfung zukunftsorientierter Informationen gemäß ISA 810 inklusive der daraus ableitbaren Anforderungen an Sanierungskonzepte dargestellt werden. Um einem Dokument mit zukunftsorientierten Informationen eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, kann ein Wirtschaftsprüfer mit der Prüfung gemäß ISA 810 beauftragt werden. Für Erstellung und Form des zukunftsorientierten Dokuments sowie für Offenlegung der zu Grunde liegenden Prämissen ist das Management des jeweiligen Unternehmens verantwortlich. Gemäß ISA 810 wird bezüglich der Art der zukunftsorientierten Information zwischen bestmöglichen Schätzungen und hypothetischen Annahmen sowie Mischformen aus beiden Arten unterschieden. Bestmögliche Schätzungen basieren auf Annahmen über zukünftige Ereignisse, die das Management erwartet, und auf zukünftigen Handlungen, die das Management plant. Hypothetische Annahmen sind Annahmen über zukünftige Ereignisse und Handlungen des Managements, deren Eintritt nicht notwendigerweise erwartet wird.814 Gemäß ISA 810 werden an Unterlagen mit zukunftsorientierten Informationen die folgenden Anforderungen gestellt: •
Annahmen, die bestmöglichen Schätzungen zu Grunde liegen, dürfen nicht unangemessen sein bzw. im Fall hypothetischer Annahmen müssen die Annahmen mit dem Zweck der Information übereinstimmen und dürfen nicht eindeutig unrealistisch sein.
•
Die zukunftsorientierten Informationen müssen aufgrund der Annahmen sorgfältig und widerspruchsfrei erstellt worden sein.
•
Die zukunftsorientierten Informationen müssen in angemessener, nicht irreführender Form unter Offenlegung aller wesentlichen Annahmen dargestellt werden. Dabei ist auch offenzulegen, ob es sich bei den Annahmen um bestmögliche Schätzungen oder hypothetische Annahmen handelt. Nachweise zur
813 814
Vgl. zu dem gesamten Kapitel Wirtschaftsprüferkammer (2003), S. 687ff. Das kann z.B. in Gründungsphasen oder bei erheblicher Änderung des Geschäftsmodells möglich sein, vgl. Wirtschaftsprüferkammer (2003), S. 691.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
145
Begründung der Annahmen aus externen wie internen Quellen sind anzugeben. •
Die zukunftsorientierten Informationen müssen auf einer mit vergangenheitsbezogenen Abschlüssen übereinstimmenden Grundlage unter Verwendung geeigneter Rechnungslegungsgrundsätze erstellt worden sein bzw. jede Änderung der Rechnungslegung ist zu begründen und ihre Auswirkungen auf die zukunftsorientierten Information sind offenzulegen.
•
Der erfasste Zeitraum der zukunftsorientierten Informationen darf nicht länger angesetzt werden, als dass die getroffenen Annahmen eine sinnvolle Grundlage haben. Dabei sind z.B. Produktionszyklen und die Bedürfnisse der Adressaten zu beachten.
3.4.3.6 Kritische Würdigung der Anforderungen gemäß ISA 810 In der Sanierungspraxis ist der ISA 810 in erster Linie Wirtschaftsprüfern bekannt, die ihm derzeit allerdings keine bedeutsame Rolle im Zusammenhang mit der Erstellung von Sanierungskonzepten zusprechen.815 Positiv hervorzuheben ist, dass mit dem ISA 810 eine internationale Anforderung des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer vorliegt, die sich intensiv mit dem Thema zukunftsbezogener Informationen befasst und grundsätzlich auch auf Sanierungskonzepte anwendbar ist. Der per se spekulative Charakter zukunftsorientierter Informationen bleibt jedoch auch unter Verwendung tatsächlich bestmöglicher bzw. zweckkonformer hypothetischer Annahmen und angemessener Transparenz sowie Beschreibung der Planungsannahmen bestehen und wird mit zunehmendem Prognosezeitraum größer.816 Von der Unterscheidung zukunftsgerichteter Informationen in bestmögliche Schätzungen, hypothetische Annahmen und Mischformen sowie der Forderung einer mit der Vergangenheit übereinstimmenden Grundlage bzw. Rechnungslegung abgesehen, lassen sich im Vergleich zu IDW FAR 1/91 jedoch keine wesentlichen neuen konkreten Anforderungen ableiten. Das hängt auch damit zusammen, dass die Anforderungen gemäß ISA 810 relativ abstrakt formuliert sind.
815 816
Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-4, WP/RA-1, WP/RA-2). Vgl. Arbeitskreis "Externe und Interne Überwachung der Unternehmung" der SchmalenbachGesellschaft (2003), S. 110.
146
Anforderungen an Sanierungskonzepte
3.4.4 Spezielle Anforderungen des RBSC-Sanierungsansatzes 3.4.4.1 RBSC-Sanierungsansatz Der von Roland Berger Strategy Consultants entwickelte Ansatz zur Erstellung von Restrukturierungs- bzw. Sanierungskonzepten (im folgenden RBSC-Sanierungsansatz) geht in seinem Ursprung auf die Sanierungstätigkeit bei den Portfoliounternehmen der Treuhandanstalt zurück. Der RBSC-Sanierungsansatz wird in öffentlich zugänglichen Darstellungen in der Regel im Zusammenhang mit der Erstellung von Sanierungskonzepten vorgestellt. Er hat daher im Vergleich zu den beiden anderen untersuchten konkreten Anforderungen eine eher am Prozess einer Sanierung orientierte Struktur, die z.B. in mehreren über die gesamten Erläuterungen verteilten checklistenartigen Zusammenstellungen zum Ausdruck kommt. Aus diesen Darstellungen lassen sich die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß RBSCSanierungsansatz jedoch sehr gut ableiten. Der klassische RBSC-Sanierungsansatz (vgl. Abb. 3.8) besteht mit einer umfassenden Bestandsaufnahme, der Entwicklung eines Grobkonzepts sowie der Detaillierung und Umsetzung aus drei Stufen, die teilweise parallel abgearbeitet werden.817 Abb. 3.8: RBSC-Sanierungsansatz 1.
Bestandsaufnahme
• Finanzielle Situation – Liquidität, Kapitalstruktur
• Operative Seite – Umsatz, Kosten, Cashflow
• Strategie/Struktur – – – – –
Strategie/Positionierung Produktportfolio Markt/Kunden/Lieferanten Struktur/Prozesse Management/Personal
• Krisenursachen – Symptome, Ursachen
2.
Grobkonzept
3.2.
• Sanierungskonzept
• Weitere Detaillierung des Konzepts • Bottom-up-Planung der Maßnahmen • Verbesserung Prozesse
– Strategisch – Operativ – Finanziell
• Ergebnisverbesserungsbedarf (-ziele) (top-down) für Ergebnis/Kapital Verabschiedung Konzept • Integrierter Businessplan – Maßnahmenhinterlegung
• Projektorganisation – Klare Zuständigkeiten
Konzepterstellung: 4-8 Wochen
• Maßnahmenmanagement – Umsetzungscontrolling – Controlling der Effekte • Change Management
3.1 Umsetzung (Maßnahmenmanagement) • Sofortmaßnahmen – Umsatz, Ergebnis – Liquidität
Konzeptdetaillierung
• Ggf. Taskforces für Einzelthemen
Detaillierung u. Implementierung: 6-24 Monate
Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 56
Die ersten beiden Stufen können zur Konzepterstellung zusammengefasst werden. In der ersten Stufe ist die Bestandsaufnahme einschließlich der Analyse der Krisen817
Vgl. zum RBSC-Sanierungsansatz Blatz, M., Haghani, S. (2006), S. 6ff., Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 55ff., Roland Berger Strategy Consultants (2004), 50ff. Dort wird von Restrukturierungsansatz gesprochen, vgl. dazu. auch Kap. 2.3.2.1.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
147
ursachen und des Markt- und Wettbewerbsumfelds vorgesehen. Auf dieser Grundlage wird in der zweiten Stufe das eigentliche Sanierungskonzept als Grobkonzept entwickelt. Parallel zur Konzepterstellung starten bereits die Umsetzung von Sofortmaßnahmen und der Aufbau einer Projektorganisation mit klaren Zuständigkeiten. In der dritten Stufe, die nach Verabschiedung des Konzepts beginnt, erfolgt parallel zur Konzeptdetaillierung die Konzeptumsetzung mit Maßnahmenmanagement, Change Management und ggf. Taskforces818 zur Bearbeitung von relevanten Einzelthemen. Bestandsaufnahme Bei der Bestandsaufnahme wird durch Zusammenstellung und Analyse externer und interner Daten die notwendige Transparenz bzgl. der aktuellen Situation des Krisenunternehmens im finanziellen und operativen Bereich sowie bezüglich der Unternehmensstrategie und -struktur geschaffen. Bei der finanziellen Situation erfolgt die Analyse der Liquiditätssituation einschließlich Cashflow (operativ, finanziell, investiv), Bankenspiegel und Inanspruchnahme der Kreditlinien sowie die Analyse der Kapitalstruktur einschließlich Eigenkapitalentwicklung und Bilanzrisiken. Zur Schaffung von Transparenz hinsichtlich der operativen Situation werden Umsatz bzw. Rohertrag, die GuV-Struktur mit Ergebnisgrößen inkl. Bereinigungen,819 der operative Cashflow sowie die Mitarbeiterentwicklung im operativen Bereich betrachtet. Die finanz- und ertragswirtschaftliche Situation wird dabei unter Verwendung aussagekräftiger Kennzahlen wie z.B. Umsatzrenditen, Kennzahlen zur GuVStruktur und Mitarbeiterproduktivitäten (Umsatz bzw. Rohertrag pro Mitarbeiter) analysiert. Im Rahmen der Analyse der Unternehmensstrategie und -struktur werden die Unternehmensstrategie und das Geschäftsmodell, die Positionierung im Wettbewerb, das Produktportfolio inklusive der Geschäftsbereiche, Markt, Kunden und Lieferanten, die Struktur und Prozesse sowie das Management und Personal betrachtet. Dabei hat die Markt- und Wettbewerbsanalyse auch das Ziel, die zukünftige Umsatzentwicklung zu plausibilisieren. Bei der Analyse des Gesamtmarkts ist der relevante Markt zu identifizieren, das Marktvolumen zu bestimmen und eine Marktsegmentierung z.B. nach Regionen oder Produktgruppen vorzunehmen. Darüber hinaus sind Wettbewerber mit ihren Marktanteilen zu analysieren sowie die Wettbewerbsintensität und die Erfolgsfaktoren im Markt zu ermitteln. Bei der Analyse der Krisenursachen und -symptome werden zunächst die Krisensymptome anhand von ertrags- und finanzwirtschaftlichen Kennzahlen auf negative Entwicklungen wie z.B. sinkende oder negative Renditen oder Quoten untersucht 818 819
Vgl. zu Begriff und Funktionsweise einer Taskforce Irle, M. (1971), S. 218ff. Die Bereinigungen betreffen außerordentliche und einmalige Effekte wie z.B. Abfindungen, Schadensersatzforderungen und Einmalerlöse.
148
Anforderungen an Sanierungskonzepte
und anschließend die tatsächlichen Krisenursachen herausgearbeitet.820 Die Krisenursachen werden in der Regel in exogene und endogene ("hausgemachte") Ursachen unterteilt. Die Bestandsaufnahme sollte möglichst innerhalb weniger Wochen durchgeführt werden, da Gesellschafter und Gläubiger einen schnellen Überblick über die Sanierungsaussichten sowie das mit der Sanierung verbundene Risiko benötigen. Außerdem sind auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse umgehend Sofortmaßnahmen zu entwickeln und einzuleiten.821 Darüber hinaus dient die Bestandsaufnahme als Grundlage für die Ableitung der Sanierungsziele. Auf Basis der Bestandsaufnahme wird das Grobkonzept zur Sanierung entwickelt, das mit einem strategischen, operativen und finanziellen Teil aus drei Elementen besteht und in einer integrierten Businessplanung zahlenmäßig abgebildet wird. Grobkonzept: Strategisches Konzept Die strategische Sanierung umfasst neben der strategischen Neuausrichtung auch die strukturelle und prozessuale Reorganisation des Unternehmens bzw. seiner Einheiten. Bei der strategischen Neuausrichtung wird das komplette Geschäftsmodell einschließlich Strategie, Geschäftsbereiche, Produktportfolio, Märkten sowie eingesetzten Ressourcen bzw. bestehender Wertschöpfungsstruktur auf den Prüfstand gestellt. Für die verbleibenden Geschäftsbereiche wird eine Marktstrategie mit individuellen Zielvorgaben formuliert, die sowohl Stärken und Schwächen des Geschäftsfelds als auch alle Faktoren des Markts bzw. Wettbewerbs berücksichtigt. Im Zuge der strukturellen und prozessualen Reorganisation wird eine schlanke und schnittstellenarme Unternehmensstruktur geschaffen. Grobkonzept: Operatives Konzept und Ergebnisverbesserungsbedarf Bei der operativen Sanierung werden durch internes und externes Benchmarking822 zunächst die Sanierungsziele für Liquidität, Ergebnis und Rentabilität festgelegt. Die Ziele sind dabei ehrgeizig, aber realistisch zu setzen und in jedem Fall zu quantifizieren. Durch einen Vergleich der festgelegten Ziele mit der bereinigten Ausgangsbasis lassen sich der Ergebnisverbesserungsbedarf sowie der Bedarf zur Verbesserung der Liquidität bzw. der Verringerung der Kapitalbindung ableiten. Anschließend werden top-down Maßnahmen definiert, um die notwendige Ergebnis- bzw. Liquiditätsverbesserung zu erreichen. Dabei liegt der Schwerpunkt der ergebniswirksamen Effekte neben Maßnahmen zur Umsatzsteigerung bzw. -stabilisierung auf der 820 821
822
Vgl. dazu einen Indikatorenkatalog bei Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 61. Sofortmaßnahmen wie z.B. das Einfrieren von Budgets oder ein Einstellungs- oder Investitionsstopp verbessern die Liquiditätslage und demonstrieren Entschlossenheit ggü. den Stakeholdern. Vgl. zum Benchmarking Krystek, U. (2004), S. 79ff. und zu Grenzen dieser Methode Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 110.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
149
Reduzierung des Personal-, Material- und sonstigen betrieblichen Aufwands (SbA). Als operative liquiditätswirksame Maßnahmen kommen die Reduzierung des Net Working Capital mit Bestandsoptimierung, Forderungsmanagement und Zahlungszielmanagement sowie die Reduzierung von Investitionen in Betracht. Grobkonzept: Finanzielles Konzept und Businessplanung Um eine Insolvenz zu verhindern und damit das kurzfristige Überleben des Unternehmens zu gewährleisten, steht zunächst die Sicherung der Liquidität und der Eigenkapitalbasis im Fokus der finanziellen Sanierung. Anschließend ist die strategische und operative Sanierung durch geeignete finanzwirtschaftliche Maßnahmen abzusichern und zu unterstützen. Dabei kommen zur Bereinigung der Bilanzstruktur Maßnahmen wie z.B. Stundungen/Umschuldungen und Forderungsverzichte in Betracht. Als Maßnahmen zur Liquiditätsgenerierung können neben der Zufuhr von Eigenkapital z.B. durch Kapitalerhöhung, Kapitalschnitt mit anschließender Kapitalerhöhung und dem Einstieg neuer Gesellschafter (Private Equity) auch die Zufuhr von Fremdkapital (z.B. Bankkredite oder Gesellschafterdarlehen) sowie liquiditätsgenerierende Desinvestments genannt werden. Die Gläubiger sind zeitnah in den Sanierungsprozess einzubeziehen, da nur durch ein gemeinsames abgestimmtes Vorgehen eine finanzielle Sanierung erreicht werden kann. Alle Maßnahmen, die im Rahmen eines Sanierungskonzepts entwickelt werden, sind mit ihren operativen sowie außerordentlichen Effekten (GuV-, Cash-, Bilanzeffekte) und ihrer zeitlichen Wirkung zu bewerten und werden in einer integrierten Businessplanung zusammengefasst, die einen Zeithorizont von mindestens zwei Jahren abbildet. Die Businessplanung dient mit einer GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung der Verzahnung der drei Teilkonzepte und dient gleichzeitig als Basis für das Umsetzungscontrolling. Aufgrund des hohen Zeitdrucks wird das Sanierungskonzept von Anfang an als Grobkonzept ausgelegt. Dabei ist eine präzise, jedoch nicht zu detaillierte Vorgehensweise entsprechend der 80/20-Regel erforderlich.823 Konzeptdetaillierung und Umsetzung Nach Verabschiedung des Konzepts durch die wesentlichen Stakeholder (vor allem Gesellschafter und Gläubiger) beginnt die letzte Phase. Im Rahmen der Konzeptdetaillierung wird das verabschiedete Grobkonzept laufend weiter detailliert und verbessert. Dabei sind vor allem die Sanierungsmaßnahmen einschließlich ihrer Effekte bottom-up detailliert und kontrollfähig zu hinterlegen, d.h. auf Einzelschritte 823
Die 80/20-Regel besagt, dass 80% eines Ergebnisses bereits mit 20% der Zeit bzw. des Aufwands zu erreichen sind, die für ein 100%-Ergebnis benötigt werden, vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 108. Vgl. zu einer anderen Definition der 80/20-Regel Slatter, S. (1984), S. 141f.
150
Anforderungen an Sanierungskonzepte
mit Effekten, Terminen und Verantwortlichkeiten herunterzubrechen (Maßnahmenorientierung). Zur Umsetzung des Konzepts ist eine schlagkräftige Projektorganisation für ein Maßnahmen- und Change Management und ein zeitnaher Monitoring- bzw. Reportingprozess sowie ggfs. die Einrichtung von Taskforces für die Bearbeitung von Einzelthemen erforderlich. 3.4.4.2 Kritische Würdigung des RBSC-Sanierungsansatzes Der von Roland Berger Strategy Consultants entwickelte Sanierungsansatz beruht auf der Erfahrung von mehr als 1.500 Restrukturierungs- bzw. Sanierungsprojekten und wird laufend weiterentwickelt.824 Er kann vor allem, was die Maßnahmen- und Zukunftsorientierung betrifft, als "praktikabel und konkret umsetzbar" bzw. als "state of the art" im Sanierungs-Business bezeichnet werden.825 Der RBSC-Ansatz schreibt als einzige der hier untersuchten betriebswirtschaftlichen Anforderungen vor, den notwendigen Veränderungsbedarf für Ergebnis bzw. Liquidität und Kapital explizit zu quantifizieren, um darauf aufbauend Maßnahmen zur Schließung dieser Lücke zu entwickeln. Abb. 3.9: RBSC-Sanierungsansatz: Quantitative Bewertung (Gewichtung) Gewichtung (nach Seiten, %) Ausgangssituation Krisenursachen und -symptome Markt und Wettbewerb
15%
10%
20%
Sanierungskonzept (i.e.S.) Businessplanung Summe
40%
55%
15% 100%
Konzeptionelle Elemente
Quelle: Eigene Abbildung
Bezüglich der Gewichtung der Kapitel (vgl. Abb. 3.9) ist klar erkennbar, dass der Schwerpunkt des RBSC-Sanierungsansatzes mit rd. 55% auf konzeptionellen Elementen und besonders auf dem eigentlichen Sanierungskonzept (rd. 40%) liegt, ohne dass jedoch einzelne andere Kapitel unterrepräsentiert sind.826 Im Vergleich zu den beiden anderen analysierten betriebswirtschaftlichen Anforderungen ist hervor824 825 826
Vgl. Blatz, M., Haghani, S. (2006), S. 8. Vgl. Aussage der Experten (Interviews WP/RA-3, WP/RA-4, ähnlich Interview I-5). Eine den anderen Anforderungen vergleichbare Auswertung nach Elementen ist aufgrund der beschriebenen Struktur der Darstellungen des RBSC-Sanierungsansatzes nicht möglich.
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte
151
zuheben, dass das Thema Markt und Wettbewerb mit rd. 20% relativ intensiv bearbeitet wird. Das ist damit zu begründen, dass letztlich durch die Behauptung des Krisenunternehmens am Markt über dessen Fortbestehen entschieden wird. Bei der Bewertung anhand der IDW-Grundsätze (vgl. Abb. 3.10) wird der Grundsatz der Vollständigkeit nur insoweit berücksichtigt, als er für ein Grobkonzept erforderlich ist. Abb. 3.10: RBSC-Sanierungsansatz: Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) Grundsatz
Begründung
Vollständigkeit
• Umfang den Erfordernissen eines Grobkonzepts angepasst • Fokussierung auf konzeptionelle Elemente: Strategisches, operatives und finanzielles Teilkonzept • Checklistenartige Zusammenstellungen nicht im Fokus • Szenarien mit Best-, Worst- und Real-Case-Betrachtung
Wesentlichkeit
Klarheit/ Übersichtlichkeit
Bewertung/Gewichtung 1,0 1,0
25% 25%
0,25 1,0
25% 25%
• Verhältnis von Wesentlichkeit und Vollständigkeit der besonderen Situation von Unternehmenskrisen angepasst, Anwendung der 80/20-Regel • Hohe Maßnahmenorientierung: Maßnahmenkategorien, controllingfähige Maßnahmenstrukturierung mit Effekten und Terminen • Verwendung verschiedenster finanzieller sowie ertrags- und leistungswirtschaftlicher Kennzahlen • Targeting (über Benchmarking) und Ermittlung des Veränderungsbedarfs für Ergebnis bzw. Liquidität und Kapital
1,0
25%
1,0
25%
1,0
25% 100%
1,0
25%
• • • •
0,75 1,0 1,0 1,0
25% 25% 25% 25%
Klare Gliederung, aber Struktur eher am Sanierungsprozess orientiert Gliederung an Darstellung des Wegs in und aus der Krise orientiert Klare und widerspruchsfreie Informationsvermittlung, graphische Darst. Darstellung der Prämissen für Businessplanung
81%
94%
Quelle: Eigene Abbildung
Dieses Vorgehen ist sowohl aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll als auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Anforderungen an einen ernsthaften Sanierungsversuch völlig ausreichend.827 Der RBSC-Ansatz zeichnet sich darüber hinaus durch die Fokussierung auf konzeptionelle Elemente aus. Da der Schwerpunkt der Darstellungen eher auf dem Prozess einer Sanierung und weniger auf Checklisten mit Erläuterungen liegt, sind in Bezug auf die Checklisten gewisse Abstriche zu machen. Positiv ist festzuhalten, dass Szenarien mit Worst-, Best- und Real-CaseBetrachtungen gefordert werden. Das Verhältnis von Wesentlichkeit und Vollständigkeit ist der besonderen Situation einer Unternehmenskrise angepasst und die Anwendung der 80/20-Regel wird empfohlen.828 Außerdem zeichnet sich der RBSC-Ansatz durch eine hohe Maßnahmenorientierung mit einer Kategorisierung sowie der Erarbeitung einer kontrollfähigen Struktur der Maßnahmen aus. Zudem kommen verschiedenste finanz-, ertrags- und leistungswirtschaftliche Kennzahlen zum Einsatz. Darüber hinaus wird
827 828
Vgl. Kap. 3.3. Vgl. Kap. 3.4.1.2.
152
Anforderungen an Sanierungskonzepte
ein Top-down-Targeting bzw. eine Top-down-Dimensionierung angewandt und der notwendige Veränderungsbedarf explizit quantifiziert. Bezüglich der Klarheit und Übersichtlichkeit ist sowohl die klare Gliederung und die widerspruchsfreie Informationsvermittlung wie auch die geforderte Darstellung der Planungsprämissen hervorzuheben.
3.5 Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte Da Sanierungen immer im Zusammenspiel von Betriebswirtschaft und Rechtswissenschaft erfolgen, treffen diese beiden Disziplinen auch bei den Anforderungen an Sanierungskonzepte aufeinander. Letztlich haben dabei allein die verfassungskräftig institutionalisierten und demokratisch legitimierten Rechtsetzungsorgane – also Gesetzgeber und Rechtsprechung – die ausschließliche Befugnis zur Aufstellung rechtlich verbindlicher Anforderungen. Bei der Durchführung der rechtlichen Bewertung kann die Rechtswissenschaft allerdings auf die Betriebswirtschaft zurückgreifen, wobei sie betriebswirtschaftliche Erkenntnisse grundsätzlich einer eigenen rechtlichen Würdigung unterzieht. Die rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte ergeben sich neben europarechtlichen Anforderungen, die im Einzelfall zu berücksichtigen sind, aus Gesetzen wie z.B. dem KWG in Verbindung mit den normenkonkretisierenden Rundschreiben der BaFin sowie aus der einschlägigen Rechtsprechung. Die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte sind sowohl als Operationalisierung der rechtlichen Anforderungen als auch im Sinne originär betriebswirtschaftlicher Anforderungen anzusehen. Bei den betriebswirtschaftlichen Anforderungen sind die Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW als generelle Anforderungen von den speziellen konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen des Leitfadens der THA, den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 und den Anforderungen des RBSC-Sanierungsansatzes klar zu trennen. Die Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW sind in der Sanierungspraxis weitgehend bekannt. Sie besitzen zwar kaum Praxisrelevanz, konnten hier aber zur qualitativen Bewertung der konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen herangezogen werden. Die Frage einer Weiterentwicklung der IDWGrundsätze soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, da sie aufgrund ihres abstrakten Charakters in ihrer bisherigen Form zumindest für den jeweiligen Einzelfall flexibel interpretiert werden können.829
829
Vgl. zu ersten Überlegungen einer möglichen Weiterentwicklung bzw. Konkretisierung der Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten Kap. 6.
Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte
153
Die konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen haben alle einen unterschiedlichen Hintergrund, der zur Begründung ihrer Schwerpunktsetzung und Ausgestaltung herangezogen werden kann. Der Leitfaden der Treuhandanstalt wurde für die zeitlich begrenzte Sanierung der Portfolio-Unternehmen der THA entwickelt. Die beiden anderen betriebswirtschaftlichen Anforderungen stammen ursprünglich zwar auch aus dieser Zeit, sind aber nicht auf eine solche spezifische Konstellation zugeschnitten. Der RBSC-Sanierungsansatz wird laufend weiterentwickelt und auch der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer beschäftigt sich mit aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Sanierungsprüfung. So kann das WPHandbuch in einigen Punkten als Ergänzung bzw. Erweiterung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 angesehen werden, ohne jedoch den offiziellen Status einer IDW-Verlautbarung zu besitzen. Es bleibt abzuwarten, wie die angekündigte grundlegende Überarbeitung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 im Detail aussieht und ob sie auf Zuspruch oder Ablehnung in der Praxis stößt. Mit dem ISA 810 äußert sich der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer auf abstrakter Ebene zum Thema zukunftsgerichteter Informationen bzw. Prognose, ohne dass jedoch diese Überlegungen bisher in die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 aufgenommen wurden. Abb. 3.11: Übersicht zur quantitativen Bewertung (Gewichtung) Quantitative Bewertung (Gewichtung nach Seiten, %) Leitfaden der THA Ausgangssituation
25%
Krisenursachen und -symptome
9%
Markt und Wettbewerb
9%
Sanierungskonzept (i.e.S.) Businessplanung
IDW FAR 1/91 40%
13%
57%
15%
10%
7%
44%
13%
RBSC-Sanierungsansatz
20%
34%
6%
40%
40%
15%
55%
Summe Konzeptionelle Elemente
Quelle: Eigene Abbildung
Bei den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 ist die Fokussierung auf die Vergangenheit mit einer Gewichtung der Ausgangssituation von rd. 40% klar ersichtlich, während sich der Leitfaden der THA und der RBSC-Sanierungsansatz in Bezug auf die Betonung der konzeptionellen Elemente (Gewichtung > 50%) ungefähr entsprechen. Bei den Kapiteln Ausgangssituation, Krisenursachen und -symptome
154
Anforderungen an Sanierungskonzepte
sowie Markt und Wettbewerb unterscheiden sich die Gewichtungen des Leitfadens der THA und des RBSC-Sanierungsansatzes jedoch erheblich, was sich aber vor dem Hintergrund der speziellen Rahmenbedingungen bei der Sanierung der Portfolio-Unternehmen der THA und der heute erforderlichen Ausrichtung an Markt und Wettbewerb plausibel erklären lässt.830 Die qualitative Bewertung der untersuchten Anforderungen bringt vor allem beim Vergleich der Anforderungen des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer (IDW FAR 1/91) mit konzeptionellen Ansätzen zum Ausdruck, dass die jeweiligen Schwerpunkte grundsätzlich anders gesetzt werden und an die Erstellung von Sanierungskonzepten völlig verschieden herangegangen wird. Eine Übersicht zur durchgeführten quantitativen und qualitativen Bewertung der konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen zeigen Abb. 3.11 und Abb. 3.12. Abb. 3.12: Übersicht zur qualitativen Bewertung (IDW-Grundsätze) Qualitative Bewertung (IDW-Grundsätze) Grundsatz
Vollständigkeit
Leitfaden der THA
IDW RBSC-SanierungsFAR 1/91 ansatz
25%
63%
81%
56%
25%
100%
69%
63%
94%
Wesentlichkeit
Klarheit/ Übersichtlichkeit
Quelle: Eigene Abbildung
Die eindeutige Abgrenzung und Zuordnung einzelner Seiten bzw. inhaltlicher Elemente zu Kapiteln sowie die qualitative Bewertung der konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte anhand der IDW-Grundsätze ist keineswegs ein "triviales Unterfangen."831 Bezüglich einzelner Punkte sind sicherlich verschiedene Ansichten denkbar, die jedoch letztlich keinen wesentlichen Einfluss auf die vorgelegte Gesamtaussage zur quantitativen und qualitativen Bewertung haben dürften.832 Darüber hinaus werden die Ergebnisse der durch-
830 831
832
Vgl. Kap. 3.4.2.2 und Kap. 3.4.4.2. Vgl. z.B. zu unterschiedlichen Zählungen der Empfehlungen des Deutschen Corporate-Governance-Kodex v. Werder, A., Talaulicar, T., Kolat, G. (2003), S. 1858. Darüber hinaus eignen sich die verschiedenen Kapitel von Sanierungskonzepten unterschiedlich für eine Strukturierung und Standardisierung, vgl. dazu auch Kap. 5.1.2.
Zusammenfassung zu Anforderungen an Sanierungskonzepte
155
geführten Bewertung weitgehend auch durch die Erkenntnisse aus den durchgeführten Experteninterviews gestützt.833 Bei der Betrachtung von Anforderungen an Sanierungskonzepte bzw. von entsprechenden, mit der Erstellung von Sanierungskonzepten befassten Institutionen im internationalen Kontext sind als Organisationen, die in den USA sehr bekannt sind, vor allem die Turnaround Management Association (TMA) und die Association of Certified Turnaround Professionals (ACTP) zu nennen. 834 Beide Institutionen dehnen ihren Einflussbereich seit jüngerer Zeit auch vermehrt auf Europa aus. Im Lehrplan der ACTP, dem "Body of Knowledge", ist das Schulungsmaterial zusammengestellt, das alle Sanierungspraktiker beherrschen sollten. Um als Certified Turnaround Professional (CTP) zertifiziert zu werden, ist neben anderen Voraussetzungen wie einem Bachelor-Abschluss oder einschlägiger zehnjähriger Berufserfahrung, mehreren Empfehlungsschreiben bzw. eigenen Case-Studies, die Beherrschung des "Body of Knowledge" im Rahmen einer Prüfung nachzuweisen. Der "Body of Knowledge" ist mit den Themenblöcken Accounting & Finance, Law und Management inhaltlich in drei Teile untergliedert.835 Wesentlicher Inhalt des Teils Management ist eine Beschreibung des Verlaufsmodells für Turnarounds nach BIBEAULT.836 Darüber hinaus sind in aggregierter Form checklistenartig Analysen bzw. Maßnahmen enthalten, ohne dabei ein den untersuchten konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen vergleichbares Anforderungsprofil für Sanierungskonzepte vorzugeben. Die TMA bzw. ACTP sind in den USA für die großen im SanierungsBusiness tätigen Unternehmen nur vereinzelt von Bedeutung, sondern spielen vor allem für die fast unüberschaubare Vielzahl von kleineren Beratungs- bzw. InterimsManagement-Unternehmen eine wichtige Rolle.837 In der deutschen Sanierungspraxis sind die TMA bzw. ACTP und der "Body of Knowlegde" erst ansatzweise bekannt bzw. verbreitet, und zwar vor allem bei Praktikern, die einen Bezug zum US-amerikanischen Sanierungs-Business haben. Im November 2006 wurde die Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e.V. als internationale Tochtergesellschaft der Turnaround Management Association (TMA) gegründet. Sie soll als Lobbyverband und Vernetzungsplattform für Unternehmensberater, Interimsmanager, Wirtschaftsprüfer, Insolvenzverwalter, Anwälte sowie 833 834
835 836 837
Vgl. Kap. 3.4 und Kap. 4. Die TMA sponsert die 1993 gegründete ACTP, die nach eigenen Angaben die einzige internationale Organisation ist, die ein Zertifizierungsprogramm für Sanierungspraktiker anbietet. Vgl. im Folgenden http://www.turnaround.org bzw. http://www.actp.org. Tochtergesellschaften existieren in Großbritannien (http://www.tma-uk.org.) und in Deutschland (http://www.tma-deutschland.com). Vgl. ACTP/TMA (1996), Module: Management, Accounting & Finance und Law. Vgl. Bibeault, D. B. (1998), S. 91ff. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-6, B-5, ähnlich Interview B-4).
156
Anforderungen an Sanierungskonzepte
Investoren dienen. Darüber hinaus hat sich die TMA Deutschland zum Ziel gesetzt, auf die Verabschiedung eines "sanierungsfreundlichen" Insolvenzrechts hinzuwirken und einen eigenen TMA-Standard für Sanierungsgutachten bzw. Sanierungskonzepte zu entwickeln.838
838
Vgl. o.V. (2006b), S. 22. Vgl. auch http://www.tma-deutschland.com.
4
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte
Im folgenden Kapitel werden die wesentlichen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte zunächst hinsichtlich ihrer zukünftigen Bedeutung beurteilt und anschließend generelle Trends sowie spezielle zukünftige Anforderungen für Sanierungskonzepte identifiziert.839 Darauf aufbauend wird ein theoretisch fundierter und praxistauglicher betriebswirtschaftlicher Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten entwickelt (vgl. Kap. 5). Das vierte Kapitel beruht im Wesentlichen auf Erkenntnissen aus den durchgeführten Experteninterviews, die stellenweise um Stimmen aus der Literatur sowie die eigene Einschätzung ergänzt wurden. Um der zunehmenden Bedeutung internationaler Investoren als Stakeholder in der Sanierung gerecht zu werden,840 wurden die Interviews dabei nicht nur in Deutschland geführt, sondern auch Vertreter internationaler Investoren aus dem angloamerikanischen Ausland befragt.841
4.1 Zukünftige Bedeutung der untersuchten Anforderungen Rechtlicher Rahmen (1)
Der durch Gesetz und Rechtsprechung vorgegebene rechtliche Rahmen für Sanierungen ist von allen an Sanierungen Beteiligten zu befolgen. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber ein Interesse daran, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass in Deutschland auch zukünftig Sanierungen weiterhin sinnvoll möglich sind. Allerdings bleibt auf europäischer Ebene abzuwarten, wie sich die derzeitige Diskussion um Vorteile einzelner nationaler Rechtssysteme im Zusammenhang mit Insolvenz und Sanierung weiterentwickelt.842
(2)
Die Bedeutung rechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit Sanierungskonzepten bzw. Sanierungsversuchen wird allgemein (weiterhin) zunehmen. Dieser grundsätzliche Trend kann als "Verrechtlichung der Betriebswirtschaft" bezeichnet werden843 und findet sich auch in der Gesetzesbegründung des Rechtsdienstleistungsgesetzes, das seinerseits
839
840 841 842
843
Der Leitfaden der THA wird an dieser Stelle aufgrund seiner untergeordneten Rolle in der heutigen Sanierungspraxis nicht mehr in Bezug auf seine zukünftige Bedeutung beurteilt. Vgl. Kap. 2.2.1.1. Vgl. das Verzeichnis der Interviews und das Verzeichnis der Interviewpartner im Anhang. Vgl. o.V. (2006c), S. 1f. zur Diskussion um die Umfirmierung der Schefenacker AG in eine englische Ltd. oder PLC, wegen des in Großbritannien günstigeren Insolvenz- u. Gesellschaftsrechts. So nehmen z.B. Rechtsnormen auch verstärkt Einfluss auf das Controlling, vgl. Paetzmann, K. (2005), S. 267 mit weiteren Quellen.
158
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte dazu beitragen wird, dass rechtliche Fragestellungen auch für Nicht-Juristen verstärkt in den Blickpunkt rücken.844
(3)
Die Bewertung und Prüfung von Sanierungskonzepten bzw. -gutachten durch Dritte wird grundsätzlich zunehmen.845 Die Anzahl der Stakeholder, die an Sanierungen beteiligt sind, steigt und es ist vor allem in (großen) komplizierten Fällen internationaler Standard, dass jede (größere) Stakeholdergruppe (vor allem die Financial Stakeholder) eigene Berater wie Anwälte, Investmentbanken und Unternehmensberater hinzuzieht.846
BaFin/MaRisk/Regulierung (1)
Die Anforderungen der BaFin/MaRisk werden für Banken in der Zukunft bei der Begleitung von Sanierungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Für den Fall, dass Kreditinstitute ihre Problem-Engagements an spezialisierte Investoren verkaufen, verlieren diese Anforderungen dagegen an Bedeutung. Zudem gibt es auch Anzeichen, dass der Verkauf von Forderungen nicht nur von Banken, sondern auch immer mehr von den Unternehmen selbst angedacht wird, vor allem dann, wenn die Suche nach einem strategischen Partner erfolglos geblieben ist.847
(2)
Für internationale Investoren spielen die Anforderungen der BaFin keine so bedeutsame Rolle wie für deutsche Banken, da die Investoren nicht der Regulierung durch die BaFin unterliegen.848 Allerdings spielt die Bestätigung
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Die zunehmende Verknüpfung rechtlicher und sonstiger wirtschaftlicher Betätigung bedingt auch die Notwendigkeit einer engeren beruflichen Zusammenarbeit zwischen Angehörigen verschiedener Berufe wie z.B. von Anwälten und Wirtschaftswissenschaftlern oder Unternehmensberatern, vgl. Bundesministerium der Justiz (2006), S. 56f. In diesem Zusammenhang führte ein Experte an, dass Sanierungskonzepte in Deutschland stark durch das Management beeinflusst sind. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-4). Vgl. Aussage der Experten (Interview B-4). Wenn es sich nicht um große bzw. komplizierte Fälle handelt, ist eine hohe Anzahl von Prüfungen durch Dritte aus Kostengründen eher wenig sinnvoll. Zum Begriff der Financial Stakeholder vgl. Kap. 2.2.2.3. Vgl. Arons, S. (2006), S. 40, der Heike Munro, Managing Director Global Distressed Products bei der Deutschen Bank zitiert. Mit Forderungen sind hier Kreditforderungen von Banken ggü. dem Krisenunternehmen gemeint. Zum Ablauf einer solchen NPL-Transaktion vgl. Schröer, M., Schuppener, J. (2006), S. 136ff. Das KWG gilt grundsätzlich für alle nicht ausdrücklich ausgenommenen Kreditinstitute, vgl. Rösler, R., Mackenthun, T., Pohl, R. (2002), S. 65. Wer im Geltungsbereich des KWG gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen möchte, bedarf einer schriftlichen Erlaubnis der BaFin, vgl. § 32 KWG. Im internationalen Regulierungskontext ist das Prinzip der Heimatlandkontrolle zu beachten, d.h. die Beaufsichtigung der Finanzinstitute erfolgt grundsätzlich durch die Aufsichtsbehörden des Landes, in dem das Finanzinstitut seinen Hauptsitz hat. Vgl. dazu auch die Sonderbestimmungen in § 53a, b, c KWG.
Zukünftige Bedeutung der untersuchten Anforderungen
159
der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit für internationale Investoren dann wieder ein Rolle, wenn es darum geht, das Sanierungsprivileg (§ 32a GmbHG) durchzusetzen,849 die Besteuerung von Sanierungsgewinnen zu vermeiden850 oder im Fall börsennotierter Krisenunternehmen einen Antrag auf Befreiung (§ 37 WpÜG) von der Pflicht zur Veröffentlichung (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) und zur Abgabe eines Angebotes (§ 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG) zu erreichen.851 Wenn ein Sanierungskonzept vorliegt, sind die Voraussetzungen für einen im Sinne des Sanierungserlasses begünstigten Sanierungsgewinn in der Regel als erfüllt anzusehen.852 (3)
Auf politischer Ebene wird derzeit sowohl in Großbritannien wie auch in Deutschland eine Überarbeitung der Regulierung von Private-Equity- bzw. Private-Capital-Gesellschaften wegen immer teurerer Übernahmen und wachsenden Leverage-Ratios diskutiert.853 Bis Mitte 2007 will die Bundesregierung ein Private-Equity-Gesetz vorlegen, dessen Inkrafttreten für Anfang 2008 geplant ist. Darin sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investoren grundsätzlich verbessert werden, wobei sich unter Umständen in Verbindung mit der Unternehmenssteuerreform aber auch Nachteile wie z.B. eine Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen bei hoher Fremdfinanzierung ergeben können.854
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Zum Sanierungsprivileg und der GmbH-Reform vgl. Kap. 3.3.1.2 u. Kap. 3.3.1.3. Voraussetzung für eine Steuerstundung oder einen Steuererlass sind gemäß dem Sanierungserlass der Finanzverwaltung die Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Krisenunternehmens, die Sanierungseignung des Schulderlasses sowie die Sanierungsabsicht der Gläubiger. Vgl. grundlegend Eichhorn, T., Lawall, L. (2006), S. 988ff. Wenn im Krisenunternehmen Verlustvorträge vorhanden sind, kann die Thematik der Besteuerung von Sanierungsgewinnen eine geringere Rolle spielen. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-1). Teilweise scheuen Investoren die Übernahme börsennotierter Krisenunternehmen in Deutschland aufgrund des WpÜGs. Das WpÜG ist zwar grundsätzlich kein Deal-Breaker, stellt aber eine zusätzliche Hürde dar. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-1). Vgl. Bundesministerium für Finanzen (2003), S. 2. Allerdings werden die Anforderungen, die an ein Sanierungskonzept zu stellen sind, nicht definiert, vgl. Pannen, K., Deuchler, I., Kahlert, G., et al. (2004), S. 184. Nach Sinn und Zweck des BMF-Schreibens ist für die Begünstigung ein Sanierungsplan gemäß §§ 217ff. InsO nicht erforderlich, vgl. Strüber, M., v. Donat, C. (2003), S. 2037. Vgl. Financial Services Authority (2006), S. 3ff. Die Leverages sind im Zeitraum von rd. zwei Jahren von ca. 4x auf 6x gestiegen, vgl. Aussage der Experten (Interview B-4). Vgl. Drost, F. M. (2006), S. 29.
160
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte
Wirtschaftsprüfer: IDW-Grundsätze und IDW FAR 1/91 (1)
(2)
An der geringen praktischen Bedeutung der IDW-Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten wird sich zukünftig kaum etwas ändern. Die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 werden nach Einschätzung der befragten Experten in Zukunft eine geringere Bedeutung haben. Besonders für internationale Investoren spielen sie bereits heute eine untergeordnete Rolle bzw. sind einigen am Markt agierenden Investoren sogar nicht im Detail bekannt.855
(3)
Es bleibt abzuwarten wie die angekündigte Überarbeitung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 im Detail aussieht und wie sie in der Praxis aufgenommen wird.856
(4)
Zudem ist zu erwarten, dass nationale IDW-Standards zukünftig von internationalen Standards wie z.B. den International Standards on Auditing (ISAs) abgelöst werden.857 Im Gegensatz zu den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 geben internationale Standards eher selten konkrete Checklisten, sondern in der Regel abstrakte Leitlinien vor.858
RBSC-Sanierungsansatz/konzeptionelle Anforderungen (1)
Grundsätzlich
werden
konzeptionell
bzw.
inhaltlich
getriebene
Anforderungen wie der RBSC-Sanierungsansatz in Zukunft eine bedeutendere Rolle spielen.859 Dabei verschiebt sich der Fokus vor allem auf zukunftsorientierte und unternehmerische Elemente bzw. Sanierungskonzepte.860
855 856 857 858 859 860
Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-4, I-5). Vgl. zu einer ersten Einschätzung der angekündigten Überarbeitung Kap. 3.4.3.2. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-1). Vgl. z.B. zu einem internationalen Standard (ISA 810) Kap. 3.4.3.5. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, B-4, WP-RA-1, ähnlich Interview B-3 und WP/RA-2). Auch im Rahmen von Basel II gewinnt beim Rating generell das Kriterium der Zukunftsfähigkeit an Bedeutung, vgl. Keitsch, D. (2004), S. 214f.
Generelle Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte
161
4.2 Generelle Trends für Sanierungen und Sanierungskonzepte (1)
Sanierungen in Europa bzw. Deutschland werden grundsätzlich finanzgetriebener und in Sanierungskonzepten wird vermehrt eine stärkere "CashOrientierung" zu beobachten sein.861 Dabei werden die valide Quantifizierung des Liquiditätsbedarfs und die realistische Planung zukünftiger Cashflows an Bedeutung gewinnen.
(2)
Als Folge der gegenwärtig hohen Liquidität im Leveraged-Finance-Markt werden Kredite zunehmend auf mehrere Kreditgeber verteilt sein, die sie im Allgemeinen schneller handeln und dabei ständig bewerten. Darüber hinaus werden Kredite grundsätzlich vermehrt von gut informierten, wirtschaftlich handelnden Playern gehalten, die eine Maximierung ihrer Rückflüsse zum Ziel haben (im Gegensatz zu den klassischen Relationship-Banken).862
(3)
Zukünftig wird sich die Heterogenität der an Sanierungen beteiligten Stakeholder erhöhen.863 Da die Stakeholder zudem verschiedene Mentalitäten haben – z.B. verfolgen kurzfristig orientierte Investoren eher das Ziel einer (weiteren) Refinanzierungsrunde statt der nachhaltigen Sanierung des Unternehmens – wird es verstärkt zu Macht- und Verteilungskämpfen zwischen den verschiedenen Financiers kommen.
(4)
Mit der Beteiligung internationaler Investoren spielt das zukünftige Potenzial von Krisenunternehmen in ihren jeweiligen Märkten bzw. Branchen eine größere Rolle, da Investoren in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit investieren.864 Die internationalen Investoren sind einerseits flexibler und eher zu mehr Risiko bereit. Andererseits müssen die Kosten der höheren Flexibilität bzw. des höheren Risikos von den Krisenunternehmen getragen werden.865 Die Investoren gehen z.B. bei (absehbarem) Scheitern einer
861 862
863 864 865
Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, B-3, WP/RA-1, WP/RA-4). Vgl. Aussage der Experten (Interview I-6). Relationship-Banken sind dezentral organisierte Universal- bzw. Hausbanken, die eine langfristig angelegte und individuelle Beziehung zu ihren Kunden pflegen, vgl. Betsch, O., van Hooven, E., Krupp, G. (1998), S. 45. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-6, B-1). Vgl. auch o.V. (2006a), S. 8. Vgl. Aussage der Experten (I-4, ähnlich WP/RA-2). Höhere Finanzierungskosten können sich für Unternehmen z.B. durch Risikoprämien im Fall eines erhöhten Geschäftsrisikos ergeben. Grundsätzlich entstehen bei jeder Refinanzierungsrunde Kosten, die letztlich das Krisenunternehmen tragen muss, vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-4, B-3).
162
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte außergerichtlichen Sanierung ("out of court") auch eher durch die Insolvenz, die teilweise gedanklich bereits parallel durchgespielt wird.866
(5)
Im Rahmen der Internationalisierung des Sanierungs-Business werden vermehrt US-amerikanische Trends und Anforderungen nach Europa bzw. Deutschland kommen, wobei keine vollständige Übertragung amerikanischer Praktiken, sondern eine Vermischung mit länderspezifischen Gegebenheiten zu erwarten ist.867 Es ist weiterhin davon auszugehen, dass TMA bzw. ACTP versuchen, Certified Turnaround Professionals (CTPs) auch in Europa bzw. Deutschland zu etablieren.868 Es bleibt aber abzuwarten, ob sich die CTPZertifizierung durchsetzen kann, und welchen Stellenwert CTPs in der Sanierungspraxis zukünftig tatsächlich einnehmen.869
(6)
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871
Auch in der Zukunft ist die Kompetenz zur operativen Umsetzung von Sanierungskonzepten ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Sanierungen. Bezüglich der operativen Ausgestaltung werden dabei vor dem Hintergrund des steigenden Einflusses internationaler Investoren zukünftig CROs, die eine Organschaft bei den Krisenunternehmen übernehmen, eine bedeutendere Rolle spielen.870 Da ein CRO bzw. Interimsmanager allein aber noch keine erfolgreiche Sanierung garantieren kann, sollten umfangreiche Sanierungskonzepte auch in der Zukunft stets mit einem erfahrenen Sanierungsteam aus Sanierungs-, Branchen- und Strategieexperten umgesetzt werden.871
Vgl. Aussage der Experten (Interview B-4). Ein Experte sprach in diesem Zusammenhang von der "Amerikanisierung des SanierungsBusiness", vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-4). Vgl. dazu die Gründung der Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e.V. im November 2006, die plant, einen eigenen TMA-Standard für Sanierungsgutachten zu entwickeln, vgl. o.V. (2006b), S. 22. Nach Aussage einiger Experten spielt die CTP-Zertifizierung keine Rolle. vgl. Aussage der Experten (Interviews I-6, B-4, B-5). CROs spielen bereits heute vor allem für Investoren eine bedeutende Rolle, vgl. Aussage der Experten (Interviews I-4, I-5). Zu Thesen bzgl. des CRO-Begriffs und Anforderungen, die an einen CRO zu stellen sind, vgl. Völpel, M., Bach, N., Pantaleon, F., et al. (2006), S. 28f. Vgl. Blatz, M., zu Putlitz, J., Carlsen, C. (2006), S. 2. Vgl. ähnlich Aussage der Experten (Interview WP/RA-1).
Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte
163
4.3 Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte Veränderungen spezieller inhaltlicher Anforderungen betreffen nicht alle Kapitel von Sanierungskonzepten gleichermaßen, sondern sind neben einigen Punkten zum Kapitel Ausgangssituation vor allem für das Kapitel Sanierungskonzept (i.e.S.) und das Kapitel Businessplanung relevant. Ausgangssituation (1)
Bezüglich der Ausgangssituation werden zukünftig je nach Einzelfall (noch) detailliertere Analysen und Beschreibungen der rechtlichen Situation erforderlich.872 Dabei spielen z.B. Punkte wie detaillierte Analysen zu Haftungsverhältnissen (Ergebnisabführungsverträge, Garantien, Bürgschaften, Patronate), zur Verteilung der Entscheidungsgewalt (einschließlich der Frage, wie die Entscheidungsgewalt in der Vergangenheit ausgeübt wurde) und zur rechtlich einwandfreien Bestellung von Sicherheiten sowie die Analyse bzw. Dokumentation der laufenden Überprüfung des Überschuldungsstatus eine Rolle.873
(2)
Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich die größere Finanzlastigkeit der Sanierungskonzepte bei der Ausgangssituation in einer höheren Transparenz zur finanziellen Ausgangssituation z.B. mit einer detaillierten Analyse und Beschreibung der Finanzierungsinstrumente und einer Darstellung vereinbarter bzw. gebrochener Covenants niederschlägt.874
Sanierungskonzept (1)
872 873
874 875
Das Sanierungskonzept (i.e.S.), d.h. die Darstellung der Sanierungsziele, -strategien und -maßnahmen bleibt der Schwerpunkt eines ganzheitlichen Sanierungskonzepts und gewinnt in der Zukunft noch weiter an Bedeutung.875 Unter dem Blickwinkel einer Investitionsentscheidung spielt für internationale Investoren neben weiteren Kriterien die Qualität des Managements
Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-3). Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-3). Zur Ausgestaltung des Überschuldungsstatus existieren grundsätzlich keine detaillierten gesetzlichen Vorgaben. Die Wertansätze der Handelsbilanz sind für die Überschuldungsmessung ungeeignet. Allerdings können das Mengengerüst und die Gliederung der Handelsbilanz als Ausgangsbasis verwendet werden, vgl. Müller, H.-F. (2004), § 19 InsO Rn. 43. Vgl. auch Reuter, A. (2003), S. 1803. Vgl. Aussage der Experten (Interview B-1, ähnlich Interview I-2). Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, B-3, WP/RA-4).
164
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte in Krisenunternehmen eine dominante Rolle.876 Darüber hinaus werden je nach Investor bzw. Einzelfall Sanierungskonzepte auch als Teil der Entscheidungsgrundlage für Investitionsentscheidungen herangezogen.877
(2)
Die erfolgreiche Implementierung immer komplexer werdender Geschäftsmodelle aus der Krise heraus verbunden mit der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen und der Erschließung von Wachstumsfeldern gewinnt in Zukunft gegenüber der reinen Optimierung der Kostenstruktur und der Konzentration auf die Kernkompetenzen verstärkt an Gewicht.878 Die dafür notwendige Finanzierung wird vermehrt von internationalen Investoren zur Verfügung gestellt, die bereit sind, höhere Risiken einzugehen. Daher wird zukünftig die Abwägung von Chancen und Risiken an Bedeutung gewinnen.879
(3)
Bezüglich der Investorenauswahl ist es vor dem Hintergrund der Investitionsstrategie und Anlage- bzw. Haltedauer der Investoren Aufgabe des Krisenunternehmens bzw. seiner Sanierungsberater zu verstehen, welche Investitionsstrategie und welchen Zeithorizont die verschiedenen Investoren haben, um für das jeweilige Krisenunternehmen den bzw. die "richtigen" Investoren zu identifizieren.880
(4)
Es wird bei Sanierungen zukünftig vermehrt zum Einsatz neuer bzw. innovativer Finanzierungsprodukte kommen, wobei Krisenunternehmen diese Produkte in der Regel noch nicht im Detail bekannt sind.881 Das kann sich
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878 879 880 881
Vgl. Aussage der Experten (Interview I-4). Auch im Rahmen von Basel II gewinnen qualitative Kriterien an Bedeutung und es wird für das Rating neben weiteren Kriterien vermehrt die Qualität des Managements eines zu beurteilenden Unternehmens berücksichtigt, vgl. Keitsch, D. (2004), S. 214f. Teilweise wurde in diesem Zusammenhang angeführt, dass Investoren Investitionsentscheidungen grundsätzlich nicht auf Basis von Sanierungskonzepten treffen, sondern bereits bevor ein solches Konzept erstellt wurde, vgl. Aussage der Experten (Interviews I2, B-4). Das Vorhandensein eines Sanierungskonzepts kann für Investitionsentscheidungen aber auch sehr hilfreich sein, vgl. Aussage der Experten (Interview I-1). Vgl. auch Prill, M., Nefjodow, A. (2004), S. 221. Die für Investitionsentscheidungen erforderliche Prüfung eines Krisenunternehmens entspricht weitgehend dem klassischen M&A-Prozess, wobei sie jedoch tiefer ins Detail geht und mit der Erstellung eines Sanierungskonzepts einen klaren konzeptionellen Anspruch hat, vgl. Böttger, A. (2007), S. 285. Vgl. Blatz, M., zu Putlitz, J., Carlsen, C. (2006), S. 39. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-5, WP/RA-3, ähnlich Interview B-3). Vgl. Aussage der Experten (Interview I-5). Wie z.B. Second-Lien-Finanzierungen (nachrangiges Darlehen mit zweitrangiger Besicherung), Pik-Notes (Payment-in-kind-Schuldverschreibungen) oder Mezzanine-Titel wie PREPS (preferred pooled shares), Equinotes oder Heats, vgl. Aussage der Experten (Interview I-2, ähnlich Interview I-4). PREPS werden z.B. in Form von Genussrechten ausgereicht und mittels eines eigenen SPV
Spezielle zukünftige Anforderungen an Sanierungskonzepte
165
vor allem in erneuten Krisensituationen negativ auswirken, da diese Finanzierungsprodukte z.B. bezüglich möglicher Sanierungsbeiträge der Financial Stakeholder gegenüber "klassischen" Finanzierungsprodukten eine geringere Flexibilität aufweisen.882 Darüber hinaus sind derartige Finanzierungsprodukte in der Regel mit aufwendigeren Reportingpflichten verbunden. (5)
Aufgrund des aktuell niedrigen Zinsniveaus wird bei (Re-)Finanzierungen von Krisenunternehmen durch internationale Investoren bzw. Hedgefonds viel Fremdkapital eingesetzt. Bei steigendem Zinsniveau und einer erneuten Krisensituation ist das Potenzial für Debt-Financing der Bilanzen dieser Unternehmen weitgehend beschränkt, so dass eine erneute Refinanzierung schwieriger wird.883 Zur nachhaltigen Sanierung muss in Sanierungskonzepten der Zukunft die Eigenkapitalproblematik gelöst werden, so dass die Unternehmen zukünftige Krisenphasen besser überstehen können.884
(6)
Wenn sich durch eine freie Sanierung eine drohende Insolvenz vermeiden lässt, kann außergerichtlich ("out of court") auch der Pensionssicherungsverein (PSV) mit einem Sanierungsbeitrag in die Sanierung einbezogen werden.885 Dazu gibt es in jüngerer Zeit erste Praxisbeispiele und es bleibt abzuwarten, ob sich dieses Vorgehen zukünftig in weiteren Fällen anwenden lässt.886
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über den Kapitalmarkt refinanziert. Mittels spezieller Finanzierungsprodukte wie credit default swaps (CDS) wetten z.B. Marktteilnehmer auf die Kapitaldienstfähigkeit bzw. Covenant-Brüche von Unternehmen. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Zu den Auswirkungen von CDSs vgl. auch o.V. (2006a), S. 6ff. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-4, B-3). Teilweise werden solche Finanzierungsinstrumente auch in der Literatur bereits als "ticking time bombs" bezeichnet, vgl. dazu Altman, E. I., Hotchkiss, E. (2006), S. 126. Zum Begriff der Financial Stakeholder vgl. Kap. 2.2.2.3. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-6, ähnlich Interview B-3). Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-3, WP/RA-2, WP/RA-4, ähnlich Interview I-2). Vgl. auch Goertz, A. (2006), S. 16f. Ein Beispiel ist die Übernahme von Pensionsverpflichtungen der Deutschen Steinzeug AG durch den PSV außerhalb einer Insolvenz im Rahmen eines ganzheitlichen Sanierungskonzepts. Derzeit gibt es noch viele Unternehmen mit hohen Pensionsverpflichtungen, für die ein Einbeziehen des PSV in eine außergerichtliche Sanierung von Interesse sein könnte. Auf lange Sicht allerdings wird die Bedeutung des PSV als Stakeholder im Rahmen von Sanierungen abnehmen, da Unternehmen heute nur noch in sehr beschränktem Ausmaß die klassische betriebliche Altersvorsorge betreiben, sondern eher andere Modelle wie z.B. Direktversicherungen anbieten.
166
Zukünftige Anforderungen und Trends für Sanierungskonzepte
Businessplanung (1)
Als zentrales Element der Businessplanung sind die Prämissen, die der Planung zu Grunde liegen, darzustellen und zu begründen.887 Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Prämissen zur Entwicklung des marktlichen Umfelds.
(2)
Financial Covenants werden in Zukunft wichtiger.888 Sie werden auf Basis des Businessplans eines Sanierungskonzepts festgelegt.889 Die derzeitig teilweise bei Unternehmen verbreitete Befürchtung, dass Kredite bei einem "covenant breach" sofort fällig gestellt werden, wird sich wieder legen.890
(3)
Als Folge von Financial Covenants ist zu erwarten, dass sich Kapitalgeber und Unternehmen bei Anbahnung krisenhafter Situation früher zusammensetzen und Krisen demnach früher erkannt sowie Sanierungsmaßnahmen auch frühzeitiger eingeleitet werden.891
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890 891
Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-5, WP/RA-1, WP/RA-2, WP/RA-3). Es ist auch darzustellen, welche Prämissen bzw. Parameter anders aussehen können und wie sich das auf die finanziellen Eckwerte auswirkt, vgl. Aussage der Experten (Interview I-5). Vgl. zur Definition und Funktion von Covenants Kap. 2.2.5. Dadurch erhöht sich in der Regel die Qualität der Planung, vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Vgl. Aussage der Experten (Interview I-2).
5
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.1 Vorbemerkungen zum Leitfaden 5.1.1 Konzeption und Funktion des Leitfadens Die Betriebswirtschaftslehre bietet umfassende Erkenntnisse und Methoden zur Sanierung von Krisenunternehmen, die vor allem aus ihren Bereichen Strategie und Unternehmensführung, Planung und Controlling, Organisation, Rechnungswesen, Investitionsrechnung und Finanzierung, Absatz- und Beschaffungswirtschaft sowie Produktionswirtschaft stammen.892 Bei der Planung bzw. Erstellung eines Sanierungskonzepts kommen damit die Verfahren der regulären strategischen Planung zum Einsatz.893 Allerdings ist es in Krisensituationen aufgrund der besonderen Eigenschaften von Unternehmenskrisen in der Regel nicht möglich,894 diese Erkenntnisse und Methoden bzw. Verfahren in vollem Umfang anzuwenden, sondern es kommt vielmehr darauf an, sich auf die wesentlichen Fragestellungen zu konzentrieren.895 Der vorliegende Leitfaden wurde unter Berücksichtigung der Sichtweisen verschiedener relevanter Stakeholder wie Kreditinstitute, internationaler Investoren, Berater und Wirtschaftsprüfer erstellt.896 Darüber hinaus konnten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis berücksichtigt werden. Durch dieses Vorgehen einschließlich der geplanten Veröffentlichung wurde der Leitfaden, soweit im Rahmen einer Promotion möglich, in Anlehnung an die Regeln der Normierungsarbeit konzipiert.897 Der vorliegende Leitfaden hat das Ziel, die wesentlichen inhaltlichen Elemente zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten zu identifizieren und richtet sich an alle Ersteller von Sanierungskonzepten. Als betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlung stellt er notwendigerweise eine betriebswirtschaftliche Per-
892 893 894 895
896 897
Vgl. Groß, P. J. (1988), S. 152. u. Risse, W. (2001), S. 1132f. Vgl. ähnlich Krystek, U. (1985), S. 601. Vgl. zu den zentralen Elementen von Unternehmenskrisen Kap. 2.1.1.1. Vgl. Groß, P. J. (1988), S. 152. Vgl. auch grundsätzlich Hinterhuber, H. H. (1996), S. 142. Vgl. zu den Besonderheiten der Planung in der Sanierung Kap. 2.3.2.4. Vgl. (grundlegend) zu Stakeholdern in der Sanierung Kap. 2.2. Diese Regeln der Normung sehen ein mehrstufiges, demokratisches, am öffentlichen Interesse orientiertes und dem Konsensprinzip folgendes Verfahren unter Einbeziehung aller betroffenen Kreise vor. Das bedeutet vor allem, dass alle wesentlichen Fachkreise an der Erarbeitung der Normentwürfe zu beteiligen sind, alle Normentwürfe einem öffentlichen Einspruchsverfahren zu unterwerfen sind und im Rahmen von Schlichtungs- und Schiedsverfahren gegen Normentwürfe vorgebrachte Einsprüche zu beraten und zu entscheiden sind, vgl. dazu Kiehl, P. (2001), S. 13ff.
168
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
spektive der Anforderungen an Sanierungskonzepte dar.898 Aufgrund der intensiven Wechselwirkungen von betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen soll im vorliegenden Leitfaden durch die Erläuterung von Hintergründen sowie durch aussagekräftige Begründungen auch für die Rechtsanwender eine praxistaugliche Grundlage geschaffen werden. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn juristische Bewertungsfragen unter Hinzuziehung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse zu erörtern sind. 899 Unbestritten ist jede Sanierung ein Einzelfall und es existieren je nach Auftraggeber bzw. genauer Aufgabenstellung und Krisenstadium des Unternehmens unterschiedliche individuelle Anforderungen für das jeweilige Sanierungskonzept. Es ist daher offenkundig, dass es kein Allheilmittel für Sanierungen bzw. für die Erstellung von Sanierungskonzepten gibt. Bei Sanierungen bzw. der Erstellung von Sanierungskonzepten gilt es dennoch, immer wieder die gleichen bzw. ähnliche Punkte zu beachten. Dabei ist grundsätzlich ein planvolles und koordiniertes Vorgehen zu empfehlen.900 Ein solches Vorgehen soll der entwickelte Leitfaden unterstützen, wobei er nicht starr, sondern grundsätzlich unter Abwägung aller relevanten Aspekte des jeweiligen Einzelfalls anzuwenden ist.901 5.1.2 Aufbau des Leitfadens Der vorliegende Leitfaden dient zur Erstellung von Sanierungskonzepten unter hohem Zeitdruck direkt in der Unternehmenskrise.902 Dazu werden zunächst übergeordnete Anforderungen für alle Kapitel eines Sanierungskonzepts sowie einige Vorbemerkungen erläutert, bevor im Detail auf die einzelnen Kapitel eingegangen wird. Pro Kapitel eines Sanierungskonzepts werden dann zunächst die Ziele und Hintergründe beschrieben, bevor detaillierte Checklisten mit zu berücksichtigenden inhaltlichen Elementen dargestellt und erläutert werden. Die Struktur des Leitfadens folgt dabei der im theoretischen Bezugsrahmen entwickelten Kapitelgliederung (vgl. Abb. 5.1).903 In der Praxis verfügen Sanierungskonzepte neben einer Executive Sum-
898
899 900
901
902 903
Auf steuerliche Fragestellungen wird im vorliegenden Leitfaden nicht näher eingegangen. Vgl. dazu z.B. Riotte, M. (2006), S. 725ff., Bilstein, J. (2007), S. 247f. u. Eichhorn, T., Lawall, L. (2006), S. 981ff. Vgl. zu den angesprochenen Wechselwirkungen Kap. 3.1. BIBEAULT bezeichnet ein "proven framework to takle the problem" für Sanierungen als entscheidend, vgl. Bibeault, D. B. (1998), S. 96. Andere Autoren sprechen von "Grundregeln für die Erstellung und den Aufbau" von Sanierungskonzepten, vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 97. In Unternehmen mit mehreren Geschäftsbereichen bzw. Divisionen empfiehlt es sich, einzelne Abschnitte des Leitfadens sowohl auf das Geschäftsbereichslevel als auch auf das CorporateLevel bzw. die Holding anzuwenden, vgl. dazu auch Slatter, S. (1984), S. 142. Vgl. zur Abgrenzung von Sanierungskonzepten ggü. Sanierungsgutachten Kap. 2.3.3.1. Vgl. zur Kapitelgliederung von Sanierungskonzepten Kap. 2.3.3.3.
Vorbemerkungen zum Leitfaden
169
mary904 und einem Haftungsausschluss (Disclaimer) regelmäßig über Anlagen bzw. einen Anhang mit Detailrechnungen und Hintergrundinformationen, die z.B. in Bankensitzungen oder bei Treffen mit Investoren im Fall von Detailfragen zu einzelnen Themen zum Einsatz kommen.905 Auf die Executive Summary, den Haftungsausschluss und die Anlagen wird hier nicht näher eingegangen. Abb. 5.1: Struktur des Leitfadens Vorbemerkungen, Executive Summary A Ausgangssituation • A.1 Unternehmensentwicklung • A.4 Produkt-/Leistungsspektrum und Wertschöpfung
• A.2 Strategie • A.5 Finanzielle Situation
• A.3 Rechtl. Struktur u. Organisation • A.6 Operative Situation
B Krisenursachen und -symptome • B.1 Symptome der Unternehmenskrise • B.2 Ursachen der Unternehmenskrise
C Markt und Wettbewerb • C.2 Branche und Wettbewerb
• C.3 Erfolgsfaktoren im Wettbewerb
• D.1 Zielplanung/Veränderungsbedarf
• D.2 Sanierungsstrategien Strategisches Teilkonzept
• D.3 Operatives Teilkonzept
• D.4 Finanzielles Teilkonzept
• D.5 Maßnahmenplanung
• D.6 Status der Umsetzung
• E.2 Teilplanungen (GuV etc.)
• E.3 Kennzahlen/Covenants
• C.1 Markt/Marktentwicklung • C.4 Positionierung im Wettbewerb
D Sanierungskonzept (i.e.S.)
E Businessplanung • E.1 Prämissen der Businessplanung
Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit (im Konzept oder separat)
Haftungsausschluss (Disclaimer), Anlagen
Quelle: Eigene Abbildung
Der entwickelte Leitfaden umfasst auf rd. 50 Seiten insgesamt rd. 260 inhaltliche Elemente, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf den konzeptionellen Elementen liegt (vgl. Abb. 5.2).906
904
905 906
Vgl. Slatter, S., Lovett, D. (1999), S. 194. Vgl. ähnlich (für die strategische Planung) Hinterhuber, H. H. (1996), S. 217. Die Executive Summary enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen eines Sanierungskonzepts. Vgl. zum Anlagenband auch Wlecke, U. (2006), S. 515. Auf eine qualitative Bewertung wird an dieser Stelle verzichtet, da der vorliegende Leitfaden auf Grundlage der umfangreichen Vorarbeiten in den vorangegangenen Kapiteln und der durchgeführten Experteninterviews sowie unter Berücksichtigung der IDW-Grundsätze entwickelt wurde.
170
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Abb. 5.2: Leitfaden: Quantitative Bewertung (Gewichtung) Gewichtung (nach Elementen, %)
Gewichtung (nach Seiten, %) Ausgangssituation
11
Krisenursachen und -symptome
4
Markt und Wettbewerb
8
Sanierungskonzept (i.e.S.)
22
Businessplanung
5,5
Summe
~50
22%
21%
54
8%
16
16%
6%
21%
54
11% 100%
43%
105
54%
29
41%
52%
11%
258
100%
Konzeptionelle Elemente
Quelle: Eigene Abbildung
Der Leitfaden ist grundsätzlich unabhängig von Branchenzugehörigkeit und Größe bzw. Rechtsform von Krisenunternehmen konzipiert. Zum besseren Verständnis wird jedoch mittels einer Bewertung der Elemente neben der Betonung der besonderen Bedeutung einzelner Elemente auch auf die ausschließliche oder besondere Bedeutung spezieller Elemente in bestimmten Branchen bzw. für bestimmte Unternehmensgrößen sowie auf eine eventuelle besondere zukünftige Bedeutung einzelner Elemente hingewiesen (vgl. Abb. 5.3).907 Diese Bewertung findet sich im Leitfaden in der Spalte Bewertung (Bew.) und erfolgt soweit möglich auf der jeweils untersten Gliederungsebene. Abb. 5.3: Bewertungsmethodik der Elemente im Leitfaden Symbol
Bedeutung
!
Besondere Bedeutung: Element in der Regel erforderlich, unabhängig von Branche und Unternehmensgröße
B!
Branchenabhängigkeit: Element erforderlich bzw. besonders sinnvoll in bestimmten Branchen
K! G!
Z!
Größenabhängigkeit: Element erforderlich bzw. besonders sinnvoll bei bestimmten Unternehmensgrößen: K: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) G: Großunternehmen/Konzerne Besondere zukünftige Bedeutung: Element wird in Zukunft wichtiger
Quelle: Eigene Abbildung 907
Die Bewertung der Elemente basiert sowohl auf der Literaturauswertung als auch auf Erkenntnissen aus der Untersuchung der verschiedenen Anforderungen sowie aus den durchgeführten Experteninterviews.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
171
Aufgrund der Tatsache, dass sich nicht alle Kapitel von Sanierungskonzepten gleichermaßen für eine Standardisierung eignen, da unterschiedliche Sachverhalte zu analysieren bzw. Überlegungen anzustellen und zu dokumentieren sind, spielt die Bewertung in den jeweiligen Kapiteln eine unterschiedliche Rolle. Die Bewertung der Branchenabhängigkeit ist vor allem im Kapitel Markt und Wettbewerb relevant, da grundsätzlich bedeutsame Elemente der Markt- und Wettbewerbsanalyse je nach betrachteter Branche unterschiedlich zu gewichten bzw. zu detaillieren sind. Die Bewertung der Branchenabhängigkeit liefert aber auch für einige Elemente der Ausgangssituation, der Krisenursachen und -symptome sowie des eigentlichen Sanierungskonzepts und der Businessplanung wertvolle Hinweise für die Erstellung von Sanierungskonzepten. Die Größenabhängigkeit betrifft im vorliegenden Leitfaden einzelne relevante Punkte in den Kapiteln Ausgangssituation sowie Krisenursachen und -symptome.908 Die Bewertung einer zukünftig wichtigeren Bedeutung bestimmter Elemente bezieht sich auf alle Kapitel des entwickelten Leitfadens und spiegelt im Wesentlichen Erkenntnisse aus den durchgeführten Experteninterviews wider.
5.2 Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten 5.2.1 Übergeordnete Anforderungen für alle Kapitel Ein Sanierungskonzept wird grundsätzlich unter Anwendung des gesamten betriebswirtschaftlichen Instrumentariums erstellt und ist vor allem dann schlüssig und nachvollziehbar, wenn es den zeitlichen Ablauf der Unternehmensentwicklung wiedergibt.909 Dazu muss ein Sanierungskonzept beschreiben, wie das Unternehmen in die Krise geraten ist und wie der Weg des Unternehmens aus der Krise aussehen soll. Es ist darauf zu achten, dass alle Stakeholder einen angemessenen Sanierungsbeitrag bei einer jeweils ausgewogenen Chancen- und Risikoverteilung leisten. Dabei sind auch die verschiedenen Verhaltensunsicherheiten (Agency-Probleme) bei der Erstellung von Sanierungskonzepten bzw. bei Sanierungen zu beachten und geeignete Lösungen für die jeweiligen Stakeholder zu finden. 910 Trotz ihres abstrakten und allgemeingültigen Charakters sowie ihrer geringen Bedeutung in der Praxis sollten die IDW-Grundsätze der Vollständigkeit, Wesentlichkeit, Richtigkeit, Klarheit und Übersichtlichkeit bei der Erstellung von Sanierungskonzepten als übergeordnete Leitlinien grundsätzlich beachtet werden.911 Dabei ist vor allem das richtige Verhältnis von Vollständigkeit und Wesentlichkeit zu berücksichtigen, d.h. die Menge an Informationen ist so zu einzugrenzen, dass der Umfang 908
909 910 911
Zur Abgrenzung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gegenüber Großunternehmen vgl. z.B. Clasen, J. P. (1992), S. 15ff. u. Kolb, S. (2007), S. 7ff. Vgl. Kap. 2.3.3. Vgl. auch die Gliederung des Leitfadens in Abb. 5.1. Vgl. Kap. 2.2.4 (Agency-Probleme) und Kap. 2.2.5 (Lösungsmöglichkeiten für Agency-Probleme). Vgl. zu den IDW-Grundsätzen Kap. 3.4.1 sowie zu ihrer zukünftigen Bedeutung Kap.4.1.
172
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
der verwendeten Informationen die Grenze ihrer Verwertbarkeit nicht überschreitet (Anwendung der 80/20-Regel).912 Ein Sanierungskonzept muss die Angabe aller Prämissen, eine sachlich korrekte Darstellung sowie eine lückenlose logische Argumentation enthalten. Darüber hinaus ist eine eindeutige, durch graphische Mittel angereicherte und verständliche Darstellung zu wählen, so dass ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit in der Lage ist, die Informationen zur Kenntnis zu nehmen, zu würdigen und sich abschließend ein Urteil zu bilden.913 Auf mehrdeutige und damit irreführende Informationsvermittlung, auf vage oder ausschweifende Aussagen sowie auf die Relativierung bereits getroffener Aussagen ist zu verzichten. Da Sanierungskonzepte als wesentlichen Bestandteil eine Prognoseaussage enthalten und sich jede Prognose aufgrund zum Zeitpunkt ihrer Erstellung nicht vorhersehbarer Umstände im Nachhinein als falsch erweisen kann, ist für eine eventuelle spätere gerichtliche Auseinandersetzung neben einer überzeugenden Argumentationsführung der Prognoseaussage einschließlich einer Erläuterung der Prämissen eine ausführliche schriftliche Dokumentation oberstes Gebot. Das Sanierungskonzept ist dabei ein wesentlicher Bestandteil einer solchen schriftlichen Dokumentation. Grundsätzlich sind alle im Sanierungskonzept verwendeten internen und externen Quellen zu benennen. Bei der Verwendung externer Quellen ist dabei immer das Datum der Veröffentlichung bzw. der Stand anzugeben. Speziell bei Daten zu Markt und Marktentwicklung spielt neben der Verlässlichkeit der Quelle gerade die Aktualität des verwendeten Datenmaterials eine besondere Rolle. Grundsätzlich empfiehlt sich bei internen Quellen ebenso die Angabe des Datums (z.B. Jahresabschluss 2005, Führungskräftetagung Februar 2006), wobei teilweise auch Quellenangaben wie z.B. Controlling oder Vertrieb des Krisenunternehmens ausreichen. 5.2.2 Vorbemerkungen eines Sanierungskonzepts Die Vorbemerkungen eines Sanierungskonzepts enthalten in der Regel die wesentlichen Eckpunkte des Auftrags zur Konzepterstellung, Angaben bezüglich der verwendeten internen Datenquellen einschließlich einer Vollständigkeitserklärung, Informationen zur Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bei der Konzepterstellung sowie eine Erklärung zur Vertraulichkeit. Im Folgenden sind beispielhaft Vorbemerkungen eines Sanierungskonzepts zusammengestellt:914
912
913 914
Wenige, aber prägnante und überschaubare Ergebnisse sind zu bevorzugen, vgl. Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 117. Bei der Erstellung von Sanierungskonzepten liegt der Fokus zunächst ganz klar auf der Wesentlichkeit und 100%-Lösungen können dann später erarbeitet werden, vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Vgl. Braun, E. (1989), S. 689, IDW (2002), S. 473. Die Auswahl stammt aus der Auswertung einiger Sanierungskonzepte.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
173
Wesentliche Eckpunkte des Auftrags zur Konzepterstellung: •
Auftraggeber, Auftragnehmer, Datum der Beauftragung, Gegenstand des Auftrags wie z.B. Grobkonzept zur Sanierung oder Validierung eines bereits erstellten Sanierungskonzepts.
•
Verweis auf die Auftragsgrundlagen wie z.B. die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftragnehmers und die Auftragsbestätigung des Auftraggebers.
•
Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Auftrags wie z.B. Bewertung der aktuellen wirtschaftlichen Situation, Plausibilisierung der Effekte aus Altmaßnahmen, Entwicklung weiterer Sanierungsmaßnahmen, Plausibilisierung der Planung und Abbildung aller Effekte in einer Businessplanung.
•
Ja nach Auftrag eventuell Hinweis, dass es sich bei dem Sanierungskonzept um ein Grobkonzept mit teilweiser Abschätzung der Effekte handelt, das im Zuge der Konzeptumsetzung noch weiter zu detaillieren ist.915
•
Hinweis, dass keine Jahresabschlussprüfung im Sinne des § 317 HGB durchgeführt wurde.
Verwendete interne Datenquellen: •
Daten aus verschiedenen Abteilungen des Krisenunternehmens wie z.B. Rechnungswesen, Controlling oder Vertrieb etc.
•
Daten bzw. Aussagen der Geschäftsführung bzw. des Vorstands und des Topmanagements.
•
Daten aus im Unternehmen durchgeführten Workshops, Interviews und sonstigen Erhebungen.
•
Bestätigung der Vollständigkeit sowie der Richtigkeit der verwendeten Unterlagen durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung.
Angaben zur Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer:916 •
Das Grobkonzept wurde in Zusammenarbeit mit dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung und dem Topmanagement des Krisenunternehmens z.B. innerhalb von sechs Wochen entwickelt.
915
916
Solange es sich um ein umsetzungsfähiges Konzept handelt, ist dieses Vorgehen rechtlich unbedenklich, vgl. Kap. 3.3.1. Durch Einbeziehung des Managements und der Mitarbeiter in die Erstellung eines Sanierungskonzepts wird die spätere Akzeptanz der Sanierungsmaßnahmen erheblich gefördert.
174
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
•
Das Grobkonzept wurde mit dem Vorstand und den Teilprojektleitern in Lenkungsausschusssitzungen, in wöchentlichen Jour-Fixe-Sitzungen sowie in mehreren Gesprächsrunden abgestimmt.
Erklärung zur Vertraulichkeit: •
Das Sanierungskonzept wurde zur ausschließlichen Nutzung für den Klienten erstellt. Es ist ohne die zu Grunde liegenden Detailanalysen und den mündlichen Vortrag nicht vollständig.
•
Hinweis auf die strenge Vertraulichkeit des Sanierungskonzepts und darauf, dass eine Weitergabe an Dritte nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Konzepterstellers gestattet ist. In der Regel wird in diesem Zusammenhang vom Konzeptersteller auch darauf hingewiesen, dass er keine Haftung für die Richtigkeit der gemachten Annahmen übernimmt.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
175
5.2.3 Kapitel A: Ausgangssituation 5.2.3.1 Kapitel A: Ziele und Hintergründe zur Ausgangssituation Gegenstand dieses Kapitels ist die zielgerichtete und schonungslose Schaffung von Transparenz zur Ausgangssituation des Krisenunternehmens.917 Eine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme des Krisenunternehmens in seinem Wettbewerbsumfeld ist eine absolut erforderliche Grundlage für die Erstellung eines Sanierungskonzepts.918 Als Betrachtungszeitraum für die Analyse der Vergangenheit wird in der Regel ein drei- bis fünfjähriger Zeitraum gewählt.919 Auch wenn eine finanzielle Schieflage von Krisenunternehmen in der Regel auf Missstände im leistungswirtschaftlichen Bereich zurückzuführen ist, kann auf die Analyse der Finanzlage bzw. von Finanzkennzahlen nicht verzichtet werden, da der Ausschluss der Insolvenzgründe eine existenzielle Voraussetzung für die Lebensfähigkeit von Krisenunternehmen ist.920 Die finanzwirtschaftliche Analyse erfolgt sowohl zeitpunkt- als auch zeitraumbezogen.921 Wichtig bei der Analyse der Ausgangslage ist die Darstellung von Wirkungszusammenhängen, die nicht nur durch Angabe von Zahlen, sondern zusätzlich durch eine aussagekräftige Beschreibung erläutert werden sollten, da gerade das Abwägen teilweise widersprüchlicher Gesichtspunkte wertvolle Erkenntnisse für den Sanierungsprozess liefern kann.922 Neben der Zahlenwelt sind auch "weiche" Faktoren wie Kultur, Management und Organisation zu analysieren.923 Bei der Analyse der operativen Situation sind operative Effekte von einmaligen außerordentlichen Effekten zu trennen. Das bedeutet, dass vor allem Ergebnisgrößen (EBITDA, EBIT, EGT) um außerordentliche, betriebs- und/oder periodenfremde Aufwendungen und Erträge zu bereinigen sind.924
917
918 919 920 921 922 923 924
Vgl. Kap. 2.3.3.3. Wenn es sich bei dem betrachteten Krisenunternehmen um einen Konzern handelt, so sind alle wesentlichen Tochtergesellschaften und Beteiligungen in die Analyse einzubeziehen (jeweils separat und in konsolidierter Form), vgl. Wlecke, U. (2006), S. 496. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 146. Vgl. auch Kap. 5.2.5 (Markt und Wettbewerb). Vgl. Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 58, Slatter, S. (1984), S. 142. Vgl. Kap. 3.3.1.1. Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 161. Vgl. auch Perridon, L., Steiner, M. (2004), S. 554ff. Vgl. Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 58. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 146, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 106ff. Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 174. Wenn Ergebnisgrößen nicht-operative Effekte enthalten, sind auch die auf diesen Größen aufbauenden Kennzahlen verzerrt. Zur betriebswirtschaftlichen und handelsrechtlichen Erfolgsspaltung vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 612ff.
176
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.2.3.2 Kapitel A: Checkliste zur Ausgangssituation Die Checkliste zur Ausgangssituation stellt die zu berücksichtigenden Elemente zur Beschreibung von Unternehmensentwicklung, Strategie, rechtlicher Struktur (Legalstruktur) und Organisation, des Produkt- und Leistungsspektrums sowie der finanziellen und operativen Situation zusammen (vgl. die folgenden Abbildungen). Abb. 5.4: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.1 bis A.3) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
A
Erläuterungen
Ausgangssituation
A. 1
Unternehmensentwicklung
A. 1.
1
A. 1.
2
A. 1.
3
!
A. 2.
1
!
Unternehmensstrategie/Geschäftsmodell
A. 2.
2
!
Kernkompetenzen
A. 2.
3
!
Stärken und Schwächen
!
Geschäftszweck u. Geschäftstätigkeit Meilensteine der Unternehmensentwicklung
A. 2
Aktuelle wirtschaftliche Situation
Beschreibung Geschäftszweck, -tätigkeit in Verbindung mit aktuellen Zahlen wie Umsätzen, Ergebnissen etc. Z.B. wesentl. Strategien/Strategiewechsel, Entwicklungen im Produkt-/Leistungsangebot, Akquisitionen/Desinvestitionen, Entwicklungen im Management, Veränderungen der Eigentümerstruktur Umsätze, Ergebnisse, Liquidität/Cashflow, Kennzahlen Aktuelles Jahr vs. Plan/FC/VJ
Strategie
A. 3
Strategie sowie Geschäftsmodell inkl. Vision und Kultur Z.B. Premium- vs. Volumenstrategie Ermittlung der Kernkompetenzen, auf denen gegenwärtig Wettbewerbsvorteile beruhen (bzw. früher beruhten) Z.B. Kundenbasis, Standorte, Produkte, Technologien, Marke, Vertriebswege, Mitarbeiter, Key Assets
Rechtliche Struktur und Organisation
A. 3. 1
Rechtliche Struktur (Legalstruktur)
A. 3. 1.
1
A. 3. 1.
2
!/Z!
A. 3. 1.
3
!/G!/Z!
A. 3. 1.
4
!/Z!
Verträge
A. 3. 1.
5
!/Z!
Besondere rechtliche Verhältnisse
A. 3. 2.
1
!
Organigramm
A. 3. 2.
2
!
Standorte im In- und Ausland
A. 3. 2.
3
!
Unterstützende Funktionen
A. 3. 2.
4
K!
A. 3. 2.
5
!
A. 3. 2
Rechtsform und Organe Financial Stakeholder Verbundene Unternehmen und Beteiligungen
Gesellschaftsrechtliche Struktur und rechtliche Verhältnisse Rechtsform Management: Vorstand/Geschäftsführung, Aufsichtsrat/Beirat Eigentümer (Investoren, Freefloat) Banken, FK-Investoren, sonstige Investoren (Mezzanine etc.) Beteiligungen/Tochterunternehmen inkl. Besitzverhältnisse Verträge wie z.B. Ergebnisabführungsverträge, Tarifverträge, Bürgschaften/Patronate etc. Anhängige Rechtsstreitigkeiten, besondere Dauerschuldverhältnisse (z.B. Miete, Leasing), Abnahme-/Lieferverpflichtungen, Patente, besondere steuerliche Sachverhalte
Organisation
Controlling
Prozesse
Topmanagement mit Zuständigkeiten, evtl. mit Umsätzen bzw. Ergebnissen und Anzahl Mitarbeiter Anzahl, Art, Größe: Hauptsitz, Produktion, Verwaltung, Vertrieb (Niederlassungen u. Vertretungen) Personalwirtschaft (HR), Informationstechnologie (IT), Infrastruktur des Unternehmens etc. Existenz und Qualität von Controlling/Rechnungswesen Existenz und Qualität kurzfristiger Erfolgsrechnung Existenz und Qualität kurz- und langfristiger Planung Z.B. Kernprozesse in Produktion und Administration
Quelle: Eigene Abbildung
A.1 Unternehmensentwicklung Die Darstellung der Unternehmensentwicklung dient mit der Beschreibung von Geschäftszweck, Meilensteinen der Unternehmensentwicklung sowie der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Krisenunternehmens zur Schaffung eines Überblicks hinsichtlich der Unternehmenshistorie. Bei der Beschreibung des Geschäftszwecks bzw. der Geschäftstätigkeit kann z.B. durch Angabe von Umsätzen oder Ergebnissen
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
177
pro Geschäftsbereich gleich die Dimension des Krisenunternehmens bzw. seiner Geschäftsbereiche vermittelt werden. Die Darstellung der Meilensteine der Unternehmensentwicklung wie z.B. Strategiewechsel, Veränderungen im Produkt- und Leistungsangebot, Akquisitionen und Desinvestitionen sowie Veränderungen im Management oder der Eigentümerstruktur kann knapp gehalten werden, wenn in den letzten Jahren keine nennenswerten Ereignisse stattgefunden haben. Der Überblick über die aktuelle wirtschaftliche Situation stellt die derzeitige Umsatz-, Ergebnis- und Liquiditätsentwicklung einschließlich relevanter Kennzahlen gegenüber Plan bzw. Forecast und/oder Vorjahr dar. A.2 Strategie Die Analyse der Strategie und des Geschäftsmodells, die die Vision und Unternehmenskultur mit einbezieht, dient zur Schaffung eines klaren Verständnisses von gegenwärtiger Strategie und Geschäftsmodell. Dieses Verständnis ist erforderlich, um später Vergleiche mit neu entwickelten alternativen Strategien durchzuführen sowie das Ausmaß der strategischen Neuorientierung zu erfassen.925 Da Unternehmenskrisen oft auf Defiziten im Kompetenzprofil von Unternehmen beruhen,926 folgt die Analyse der Kernkompetenzen. Kernkompetenzen sind grundsätzlich übergreifender Natur. Das bedeutet, dass sie nicht nur auf einen Markt oder ein Geschäftsfeld bezogen sind, sondern sie bilden ein übergreifendes Potenzial von Fähigkeiten, das den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen in verschiedenen Geschäftsfeldern ermöglicht.927 Als Ausgangsbasis sind daher die Kernkompetenzen zu bestimmen, auf denen die Wettbewerbsvorteile des Krisenunternehmens beruhen.928 Zweck der Analyse von Stärken und Schwächen ist es, zu ermitteln, was das Krisenunternehmen in den relevanten Märkten und hinsichtlich der stärksten Konkurrenten unternehmen kann.929
925 926 927
928 929
Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 113. Vgl. Bea, F. X., Haas, J. (1994), S. 487. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 258. Kernkompetenzen sollten möglichst schwer imitierbar sowie für möglichst viele bestehende und neue Geschäfte nutzbar sein, vgl. Prahalad, C. K. (1997), S. 178. Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 114. Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 121. Stärken und Schwächen werden größtenteils durch innere Faktoren des Unternehmens bestimmt, vgl. Jahns, C. (2004), S. 652. Als relative Größen sind Stärken und Schwächen in Bezug auf das Markt- und Wettbewerbsumfeld bzw. die stärksten Konkurrenten zu bewerten. Daher tauchen Stärken und Schwächen bei der Beschreibung der Positionierung des Krisenunternehmens im Wettbewerb wieder auf, vgl. Kap. 5.2.5.2.
178
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
A.3 Rechtliche Struktur und Organisation Die Analyse der Legalstruktur dient der Erfassung der gesellschaftsrechtlichen Struktur sowie der rechtlichen Verhältnisse und wird nach Aussage der Experten in der Zukunft an Bedeutung gewinnen.930 Bei den Financial Stakeholdern sind zukünftig mit der Verbreitung innovativer Finanzierungsprodukte nicht nur eine größere Anzahl, sondern auch zunehmend heterogene Stakeholder zu berücksichtigen.931 Dabei ist z.B. auch von Interesse, wer die Entscheidungsgewalt über das Krisenunternehmen innehat und wie sie in der Vergangenheit ausgeübt wurde.932 Vor allem im Fall von Großunternehmen bzw. Konzernen, bei denen eine strukturelle Bereinigung der über die Jahre oft sehr unübersichtlich gewordenen Legalstruktur ansteht, ist es aufwendig, aber besonders erforderlich, Transparenz hinsichtlich verbundener Unternehmen und Beteiligungen einschließlich der zwischen diesen Unternehmen bestehenden Verträge wie z.B. Ergebnisabführungsverträge, Bürgschaften und Patronate zu schaffen.933 Bei der Analyse der besonderen rechtlichen Verhältnisse sind neben anhängigen Rechtsstreitigkeiten z.B. lang laufende Dauerschuldverhältnisse wie Miet- und Leasingverträge, eventuell bestehende Abnahme- oder Lieferverpflichtungen, Patente sowie mögliche besondere steuerliche Sachverhalte zu untersuchen. Im Vordergrund steht dabei die Bewertung der Rechtsposition des Krisenunternehmens, die auf der Erfassung der tatsächlichen Sachverhalte aufbaut. Die Beschreibung der Organisation sollte unter Verwendung des bekanntesten Mittels zur Visualisierung von Organisationsstrukturen – dem Organigramm – erfolgen.934 Damit lassen sich Abteilungsstruktur und Autoritätsbeziehungen bzw. Hierarchien darstellen, die in der Regel den wesentlichen Teil des organisatorischen Regelwerks abbilden.935 Soweit möglich sollten Organigramme zur Darstellung der jeweiligen Dimensionen um Umsatz- und/oder Ergebniszahlen sowie Angaben zu Mitarbeitern in den jeweiligen Ressorts ergänzt werden. Unterstützende Funktionen sind diejenigen Aktivitäten, die die primären Aktivitäten der Wertschöpfung dadurch aufrechterhalten, dass sie verschiedene Leistungen wie z.B. Personalwirtschaft, Informationstechnologie sowie die Unternehmensinfrastruktur mit den Funktionen Geschäftsführung, Planung, Finanzen, Rechnungswesen
930 931 932 933 934 935
Vgl. Kap. 4.3. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden. Zum Begriff der Financial Stakeholder vgl. Kap. 2.2.2.3. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-4). Vgl. die Bewertung im Leitfaden. Vgl. zum Organigramm Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 442. Darüber hinaus existieren häufig noch disziplinarische Regelungen, die in einer Betriebsordnung niedergelegt sind, vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 442.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
179
etc. bereitstellen.936 Grundsätzlich ist bei der Betrachtung der unterstützenden Funktionen auch von Interesse, welche Aktivitäten bzw. Funktionen an externe Dienstleister ausgelagert sind. Krisenunternehmen verfügen oft über kein gutes oder auch gar kein Controlling bzw. Rechnungswesen.937 Das gilt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)938 und kann sich z.B. darin äußern, dass keine begleitenden Mit- oder Nachkalkulationen verfügbar sind.939 Die Frage, ob die betrachteten Unternehmen über eine Controllingabteilung bzw. eine Unternehmensplanung verfügen und wie deren Qualität einzuschätzen ist, wurde auch im Rahmen der Experteninterviews als besonders bedeutsam hervorgehoben.940 Je nach Einzelfall können bereits erste Analysen und Darstellungen zu Kernprozessen z.B. in Produktion und Administration sinnvoll sein. A.4 Produkt-/Leistungsspektrum und Wertschöpfung Bei der die Darstellung des Produkt-/Leistungsspektrums und der Wertschöpfung bzw. Wertschöpfungsstruktur (vgl. Abb. 5.5) sind die wesentlichen Geschäftsbereiche sowie Hautproduktgruppen bzw. -produkte mit aussagekräftigen Kennzahlen wie Umsatz, Umsatzanteilen, Segmentergebnissen bzw. Deckungsbeiträgen, und Margen zu beschreiben. Abb. 5.5: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.4) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
A. 4
Erläuterungen
Produkt-/Leistungsspektrum und Wertschöpfung
A. 4. 1
Produkt-/Leistungsspektrum (Geschäftsbereiche) Wesentliche Geschäftsbereiche mit Kennzahlen Hauptproduktgruppen, -produkte/-leistungen mit Kennzahlen
A. 4. 1.
1
!
A. 4. 1.
2
!
A. 4. 1.
3
!
A. 4. 2. A. 4. 2. A. 4. 2.
1 2 3
B! B! B!
Forschung und Entwicklung Einkauf/Beschaffung Produktion
A. 4. 2.
4
B!
Marketing und Vertrieb
A. 4. 2
!
Umsatz, Umsatzanteil, Segmentergebnisse/Deckungsbeiträge, Margen, Organigramme, Mitarbeiter Umsatz, Umsatzanteil, Ergebnis/Deckungsbeiträge, Margen, ABC-Analysen
Portfoliodarstellungen, Positionierung im Produktlebenszyklus Hauptproduktgruppen, -produkte/-leistungen: Analyse nach Marktsegmenten und Stellung im Lebenszyklus Wertschöpfung/Wertschöpfungsstruktur Neue Produkte, Patente und Lizenzen, Grundlagenforschung Wesentliche Lieferanten, Materialwirtschaft/Logistik Produktionsprogramm, Anlagen und Technologie, Kapazitäten, Fertigungstiefe Marketing-/Vertriebskonzept, Vertriebswege, Key Accounts
Quelle: Eigene Abbildung 936 937 938
939 940
Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 67ff. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 502 bzw. zum Rechnungswesen auch Krystek, U. (2002), S. 114. Vgl. Wieselhuber & Partner (2002), S. 7ff, Kihm, A. (2006), S. 66. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 502, Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 66. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Unternehmensindividuelle Planungs- und Kontrollinstrumente gewinnen auch im Rahmen von Basel II beim Rating an Bedeutung, vgl. Keitsch, D. (2004), S. 214f. Vgl. auch die Kriterien des Kreditratingsystems des Genossenschaftsverbands Bayern bei Bähr, G., Meier, M. (2003), S. 49.
180
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Im Fall von Geschäftsbereichen sind zusätzlich Organigramme und Angaben zur Mitarbeiteranzahl sinnvoll. Bei der Analyse des Produkt- und Leistungsspektrums z.B. nach Marktsegmenten oder bezüglich der Stellung im Lebenszyklus werden in der Regel Portfoliokonzepte angewendet.941 Ein Sanierungskonzept muss in jedem Fall Angaben zur Wertschöpfung bzw. Wertschöpfungsstruktur des Krisenunternehmens enthalten, wobei der Umfang und die zu betrachtenden Wertschöpfungsstufen im Einzelfall je nach Unternehmen und Branche stark variieren.942 A.5 Finanzielle Situation Im Zentrum der Analyse zur finanziellen Situation (vgl. Abb. 5.6) steht die Frage nach der Liquidität bzw. die Überprüfung, ob Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die Dreiwochenfrist bereits läuft.943 Abb. 5.6: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.5) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
A. 5
Finanzielle Situation
A. 5. 1
Erläuterungen In der Regel Rückschau über 3 bis 5 Jahre
Liquidität
A. 5. 1. 1
!/Z!
Liquiditätssituation und Cashflow
A. 5. 1. 2
!/Z!
Financial Covenants
A. 5. 1. 3
B!
Liquiditätsspezifika des Geschäftsmodells
A. 5. 1. 4
!/Z!
A. 5. 1. 5
!
A. 5. 1. 6
!
Entwicklung (Cash und Ergebnis), wenn keine Maßnahmen ergriffen werden Bankenspiegel und Inanspruchnahme der Linien Kreditrahmen, Valuta, Ausschöpfungsquote, Tilgungsraten, Fälligkeit und Konditionen; inkl. Kreditversicherer u. Avale Kreditsicherheiten Gestellte Sicherheiten, noch freie Sicherheiten inkl. mögliches Kreditpotenzial
A. 5. 2
Aktuelle Liquidität, Finanzplan (Plan, FC), Kapitalbedarf für operatives Geschäft, Investitionen sowie Zins und Tilgung Darstellung der relevanten Kennzahlen inkl. der Spannbreiten der Covenants Z.B. Anzahlungen, gegebene Garantien, Avale
Voraussichtliche weitere Entwicklung
Bilanz/Bilanzkennzahlen
A. 5. 2. 1
!
Vermögen, Vermögensstruktur
A. 5. 2. 2
!
Kapital, Kapitalstruktur
A. 5. 2. 3
!/Z!
A. 5. 3
Neue bzw. innovative Finanzierungsprodukte
Wesentl. Positionen Anlagevermögen und Umlaufvermögen, stille Reserven, Bilanzrisiken, Bilanzkennzahlen Überschuldungsstatus Wesentliche Positionen: Eigenkapital, Fremdkapital inkl. Rückstellungen, Bilanzrisiken, Bilanzkennzahlen Z.B. 2nd lien, Bonds (Senior und Junior), Mezzanine (z.B. PREPS) etc., inkl. Reportingpflichten
Investitionen und Working Capital
A. 5. 3. 1
!
A. 5. 3. 2 A. 5. 3. 3
B! B!
Investitionen Bestände Forderungen LuL
A. 5. 3. 4
B!
Verbindlichkeiten LuL
Investitionen der Vergangenheit, Ist, Plan und FC Absolut, % v.U., kumuliert über die Jahre Höhe (brutto, netto), Bestandsstruktur, Reichweiten Höhe, Zahlungsmodalitäten, (durchschnittliche) Forderungsausfälle Höhe, Zahlungsmodalitäten
Quelle: Eigene Abbildung 941
942 943
Vgl. Krystek, U. (1985), S. 601. Zu einer Darstellung der in der Wirtschaftspraxis eingesetzten Portfoliokonzepte vgl. Hahn, D. (2006b), S. 218ff. Teilweise wird gefordert, dass die Sortimentsstruktur im Idealfall zu etwa 40-50% Produkte enthalten sollte, die sich in der Reifephase ihres Lebenszyklus befinden, vgl. Aurich, W., Schroeder, H.-U. (1977), S. 129f. u. Brandstätter, J. (1993), S. 196f. Vgl. die Bewertung im Leitfaden. Vgl. zu den Insolvenzgründen Kap. 3.3.1.1.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
181
Bezüglich der Analyse des Kapitalbedarfs ist zu untersuchen, wie sich dieser auf das operative Geschäft sowie auf Investitionen und die Bedienung von Zins und Tilgung aufteilt. Darüber hinaus sind die Financial Covenants zu analysieren und zu ermitteln, ob es bereits Covenant-Verletzungen ("covenant breaches") gab oder ob sie demnächst zu erwarten sind. Außerdem empfiehlt es sich je nach Branche, die Liquiditätsspezifika des Geschäftsmodells genauer zu untersuchen.944 Als Beispiele können Fälle genannt werden, in denen aktuelle Umsätze mit speziellen Garantien "erkauft" wurden oder an den Verkauf von Produkten umfangreiche Rückgaberechte oder kostenfreie aufwendige Nachbesserungs- oder Serviceleistungen geknüpft wurden sowie die teilweise in der Baubranche verbreitete Praxis, dass die mit der Hereinnahme neuer (meist nicht kostendeckender) Aufträge erhaltenen Anzahlungen zum "Stopfen von Liquidtätslöchern" für bestehende Aufträge verwendet werden. Die Darstellung der voraussichtlichen weiteren Entwicklung des Krisenunternehmens bei Ausbleiben von Sanierungsstrategien und -maßnahmen verdeutlicht den Ernst der Lage945 und ist für Investoren besonders aus Cash-Sicht relevant.946 Die meisten Krisenunternehmen verfügen erstaunlicherweise über keinen systematischen Überblick bezüglich ihrer Kreditverbindlichkeiten und ihres Kreditrahmens.947 Die Erstellung eines aussagekräftigen Bankenspiegels mit Angaben zu Kreditrahmen, Valuta, Ausschöpfungsquote, Tilgungsraten, Fälligkeit und Konditionen pro Kreditgeber ist daher unerlässlich.948 In diesen Zusammenhang ist auch die Analyse der Sicherheiten zu nennen, die neben der Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Besicherung auch untersucht, ob die Sicherheiten korrekt bestellt wurden949 und ob eventuell noch freie Sicherheiten vorhanden sind bzw. wie hoch ein zusätzlich mögliches Kreditpotenzial wäre. Auf der Basis von Bankenspiegel und Besicherung lässt sich die Risikoposition der Kapitalgeber darstellen und mögliche Verhandlungsoptionen ableiten.950 Die Analyse des Vermögens bzw. der Vermögensstruktur erstreckt sich auf die Entwicklung der wesentlichen Positionen des Anlage- und Umlaufvermögens einschließlich entsprechender Bilanzkennzahlen.951 Bei der Analyse der wesentlichen Positionen des Eigen- und Fremdkapitals spielen die Eigenkapitalquote sowie
944 945 946 947 948
949 950 951
Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, WP/RA-2). Vgl. Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 43. Bei KALL als "exploratives Szenario" bezeichnet, vgl. Kall, T. (1999), S. 330. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 273. Neben klassischen Kreditlinien sind im Handel Linien von Warenkreditversicherern und im Projekt- bzw. Baugeschäft Avallinien in den Bankenspiegel aufzunehmen. Die korrekte Bestellung von Sicherheiten ist vor allem für Distressed-Debt-Investoren wichtig. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 273. Vgl. grundsätzlich zur Bilanzanalyse Coenenberg, A. G. (2005), S. 949ff.
182
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
die Frage einer möglichen Überschuldung eine wesentliche Rolle.952 Darüber hinaus sind Bilanzrisiken und Kennzahlen wie z.B. Verschuldungsgrad, Nettoverschuldung, Net Working Capital einschließlich Laufzeiten und Umschlagshäufigkeiten zu analysieren. Bei der Analyse der Kapitalstruktur ist zu beachten, dass neue bzw. innovative Finanzierungsprodukten vermehrt an Bedeutung gewinnen.953 Neben den zunehmend komplizierten Konditionen sind sie häufig mit umfangreichen Reportingpflichten verbunden. Die Analyse der Investitionen umfasst die Investitionen der Vergangenheit, die zusätzlich auch kumulativ über die letzten Jahre dargestellt werden können, sowie die aktuellen Investitionen einschließlich eines Investitionsplans bzw. -forecast. Die Schaffung von Transparenz bezüglich der Working-Capital-Positionen gehört grundsätzlich in jedes Sanierungskonzept, wobei sie auch im Zusammenhang mit der Analyse der operativen Situation erfolgen kann. Je nach betrachteter Branche haben die jeweiligen Working-Capital-Positionen eine unterschiedliche Relevanz. 954 Dabei kommen bei der Analyse von Beständen (z.B. Höhe brutto und netto, Struktur, Reichweite) sowie von Forderungen und Verbindlichkeiten aus LuL (z.B. Höhe, Zahlungsmodalitäten, durchschnittliche Forderungsausfälle) Kennzahlen der klassischen Bilanzanalyse zur Anwendung.955 Zusammenfassend kann bezüglich der Analyse der finanziellen Situation festgehalten werden, dass nach Aussage der Experten mit der Liquiditätssituation, den Covenants und den neuen Finanzierungsprodukten vor allem cash-bezogene Elemente in Sanierungskonzepten an Bedeutung gewinnen.956 A.6 Operative Situation Im Fokus der Betrachtungen der Analyse zur operativen Situation steht die GuV. Sowohl nach HGB (§ 275 Abs. 2 u. 3. HGB) als auch nach IFRS (IAS 1.88ff.) kann die GuV im Gesamt- oder im Umsatzkostenverfahren (GKV bzw. UKV) erstellt werden. Der Aussagewert des GKV ist grundsätzlich höher als der des UKV und im GKV bestehen bezüglich der Abgrenzung der Aufwandsarten weniger Ermessensspielräume als im UKV, so dass die einzelnen Aufwandsarten leichter zu vergleichen
952 953 954
955
956
Vgl. zur Überschuldung Kap. 3.3.1.2. Vgl. Kap. 4.3. Während im Versandhandel z.B. Forderungen aus LuL eine wesentliche Rolle spielen, wird im stationären Handel der Großteil des Geschäftvolumens als Bargeschäft abgewickelt und es existieren kaum nennenswerte Forderungen aus LuL. Vgl. zur Bilanzanalyse z.B. Perridon, L., Steiner, M. (2004), S. 551ff. bzw. 582f., Hauschildt, J. (1996), S. 15ff. bzw. S. 131ff. u. Coenenberg, A. G. (2005), S. 949ff. Vgl. Kap. 4.2. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
183
sind.957 Die Analyse der operativen Situation sollte je nach im Krisenunternehmen verwendeten Verfahren durchgeführt werden, wobei in der vorliegenden Arbeit aus den oben erläuterten Gründen das GKV zu Grunde gelegt wird. Abb. 5.7: Checkliste Ausgangssituation (Kap. A.6) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
A. 6
Operative Situation
A. 6. 1
GuV
A. 6. 1. 1
!
Umsatz (inkl. Bestandsveränderungen)
A. 6. 1. 2
!
Materialaufwand
A. 6. 1. 3
!
Rohertrag
A. 6. 1. 4
!
Personalaufwand
Erläuterungen In der Regel Rückschau über 3 bis 5 Jahre Absolut und als GuV-Struktur (% v. U.)
A. 6. 1. 5
!
A. 6. 1. 6
!
Sonstiger betrieblicher Aufwand/Ertrag (SbA/SbE) Abschreibungen
Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Aufschlüsselung nach GB, Vertriebsformaten, Ländern Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Aufschlüsselung nach GB, Vertriebsformaten, Ländern Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Aufschlüsselung nach GB, Vertriebsformaten, Ländern Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Evtl. Aufschlüsselung nach Zentrale vs. operative Einheiten Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Entwicklung wesentlicher Positionen Absolut, % vs. VJ, vs. Plan
A. 6. 1. 7
!
Finanzergebnis/Zinsaufwand
Absolut, % vs. VJ, vs. Plan
A. 6. 1. 8
!
Neutrales/außerordentliches Ergebnis
A. 6. 1. 9
!
Ergebnis gemäß Abschluss
Absolut, % vs. VJ, vs. Plan Summe über die vergangenen Jahre Absolut, % vs. VJ, vs. Plan
A. 6. 1. 10
!
Bereinigung des Ergebnisses
A. 6. 1. 11
!
Bereinigtes Ergebnis
A. 6. 2
Mitarbeiter
A. 6. 2. 1
!
Entwicklung Mitarbeiter/Mitarbeiterstruktur
A. 6. 2. 2
!
Weitere Angaben zur Personalsituation
A. 6. 2. 3
!
Personalaufwand pro MA/MAK
A. 6. 2. 4
!
Umsatz/Rohertrag pro MA/MAK Personalintensität
A. 6. 3
Bereinigung um außerordentliche, nicht betriebliche und/oder periodenfremde Aufwendungen und Erträge Absolut, % vs. VJ, vs. Plan, kum. über die Jahre Aufsatzpunkt für Sanierungskonzept
B!/G!
A. 6. 4
Fixkostenblock
Mitarbeiterkapazitäten (MAK) und Köpfe (MA) Angestellte vs. Arbeiter Kurzarbeit, Fluktuation, Laufzeit Sanierungstarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Qualifikation, Betriebszugehörigkeit etc. Absolut und % vs. VJ, Plan Evtl. Angestellte vs. Arbeiter Absolut und % vs. VJ, Plan Evtl. Angestellte vs. Arbeiter
Absolut und % vs. VJ, Plan Entwicklung wesentlicher Positionen
Kennzahlen (operativ)
A. 6. 4. 1
!
A. 6. 4. 2
!/B!
Kennzahlen zu Rentabilität und Kapitaleinsatz Kennzahlen zum Geschäftsmodell/Branche
ROS (EBITDA, EBIT, EGT) ROCE Z.B. Auftragseingang/-bestand: (Anlagen-)Bau Z.B. Retouren, Flächen(-produktivitäten): (Versand-)Handel Z.B. Kapazitätsauslastung, Ausschuss etc.: Produzierendes Gewerbe
Quelle: Eigene Abbildung
Bei der Analyse der operativen Situation ist zu untersuchen, welche Aufwandspositionen den größten Einfluss auf das Ergebnis haben und auf welche Veränderungen in der Aufwandsstruktur die Ergebnisentwicklung zurückzuführen ist (vgl. Abb. 957
Darüber hinaus ist eine Cashflowanalyse auf Basis einer GuV nach dem UKV komplizierter als nach dem GKV, da im UKV die Liquiditätswirksamkeit der Aufwendungen je Funktionsbereich schwieriger zu beurteilen ist, vgl. Rogler, S. (2006), S. 4 u. 10 sowie Weber, H. K., Rogler, S. (2004), S. 309f. Das GKV eignet sich zudem besser für die Ermittlung von Sanierungszielen und -maßnahmen, vgl. Kap. 5.2.6.
184
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.7).958 Umsatz, Materialaufwand und Rohertrag sind z.B. nach Geschäftsbereichen, Vertriebsformaten oder Ländern weiter aufzuschlüsseln. Beim Personalaufwand kann eine Unterteilung in den Personalaufwand der Zentrale bzw. Holding und denjenigen der operativen Einheiten wichtige Erkenntnisse liefern. In Bezug auf den SbA sollten die wesentlichen Positionen genauer untersucht werden.959 Bezüglich der Entwicklung ausgewiesener operativer Ergebnisse von Krisenunternehmen hat HAUSCHILDT typische Verläufe festgestellt.960 Danach kündigt sich eine Unternehmenskrise zum ersten Mal etwa vier Jahre vor ihrem Bekanntwerden mit einer Verschlechterung des operativen Ergebnisses an, das im Jahr darauf erstaunlicherweise wieder ansteigt. Gründe für diesen Anstieg sind neben der tatsächlichen Realisierung von Einsparungen die Verbuchung hoher außerordentlicher Erträge und ein Zurückfahren der Abschreibungen. In den letzten beiden Jahren vor Bekanntwerden einer Unternehmenskrise sinkt das operative Ergebnis wieder stark ab. Vor diesem Hintergrund ist es zur Erhöhung der Transparenz und für eine saubere operative Ausgangsbasis erforderlich,961 Ergebnisgrößen wie EBITDA, EBIT und EGT um außerordentliche, betriebs- und/oder periodenfremde Aufwendungen und Erträge zu bereinigen.962 Beispiele für solche Bereinigungen sind:963
958
959
960 961
962
963
•
Ausweis außerordentlicher Geschäftsvorfälle wie z.B. Verkäufe von Anlagegütern oder Beteiligungen sowie Auflösung von Rückstellungen als sonstige betriebliche Erträge.
•
Ausweis außerordentlicher Geschäftsvorfälle wie z.B. Verkäufe von Anlagengütern oder Beteiligungen als Umsatz und Ausweis des Buchwertabgangs als Materialaufwand.
•
Ausweis außerordentlicher Personalaufwendungen wie z.B. Aufwendungen für Sozialpläne oder Abfindungen etc. im Personalaufwand.
•
Ausweis außerordentlicher Materialaufwand.
Abschreibungen
oder
Neubewertungen
im
Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 183. Bei der Analyse ist auch der Branchenvergleich zu beachten, da jede Branche über eine bestimme Industriekostenstruktur verfügt. Bei der Analyse des SbA ist zu beachten, dass sich in Positionen der SbE eventuell Gegenpositionen zu Aufwandspositionen des SbA verbergen können wie z.B. Kick-back-Zahlungen aufgrund von Verträgen, bei denen ein bestimmtes Geschäftsvolumen erreicht wurde. Vgl. Hauschildt, J. (1996), S. 136f. Zur Verwendung der operativen Ausgangsbasis für die Ermittlung des Veränderungsbedarfs vgl. Kap. 5.2.6.2. Vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 174, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 21. Vgl. grundlegend auch Coenenberg, A. G. (2005), S. 1046. Zusammenstellung in Anlehnung an Wlecke, U. (2006), S. 499.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
185
Die Bereinigung um außerordentliche, betriebs- und/oder periodenfremde Effekte sollte auch rückwirkend für den analysierten Zeitraum durchgeführt werden.964 In den meisten Fällen zeigt sich dann, dass die tatsächliche Ergebnissituation schlechter ist als offiziell ausgewiesen. Wenn festgestellt wird, dass eigentlich notwendige Abwertungen bzw. Risikovorsorgen nicht durchgeführt wurden, ist dringend zu empfehlen, abweichend von den bisherigen handelsrechtlichen Wertansätzen, zusätzliche Abwertungen und Rückstellungen zu verbuchen.965 Basis für die Transparenz bezüglich der Mitarbeitersituation ist eine Darstellung der Mitarbeiterentwicklung nach Köpfen und Mitarbeiterkapazitäten, wenn sinnvoll, unterteilt nach Angestellten und Arbeitern. Darüber hinaus sind weitere Angaben zur Personalsituation wie z.B. bezüglich Kurzarbeit, Fluktuation, Betriebsvereinbarungen und der Laufzeit von Sanierungstarifverträgen zu machen. Mittels der Analyse des Personalaufwands pro Mitarbeiter lässt sich die Entwicklung der mitarbeiterbezogenen Personalkosten analysieren.966 Zur Bewertung der Produktivität eines Unternehmens werden Kennzahlen wie Umsatz bzw. Rohertrag pro Mitarbeiter und die Personalintensität verwendet.967 Die Personalintensität als Relation von Personalaufwand zu Rohertrag liefert dabei eine um die Mitarbeiteranzahl sowie deren spezifische Kosten Krisenunternehmens.968
bereinigte
Gesamtproduktivität
des
betrachteten
Hintergrund der Analyse der Fixkosten, die vor allem in bestimmten Branchen, aber auch in großen Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen, ist die Überlegung, dass Unternehmen mit höheren Fixkosten unflexibler werden, weil sich die fixen Stückkosten bei einem Absatz- bzw. Beschäftigungsrückgang erhöhen.969 Diese Kosten sind nur schwer abbaubar und müssen im Extremfall über Preissteigerungen zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Produkte gedeckt werden. Abgerundet wird die Beschreibung der operativen Situation mit einer Darstellung von Kennzahlen zu Rentabilität und Kapitaleinsatz sowie speziellen, branchenabhängigen Kennzahlen zum Geschäftsmodell. Zur Berechnung des Return on 964 965
966
967
968 969
Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 498, Wlecke, U. (2004), S. 39. Vgl. Wlecke, U. (2004), S. 40, Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 91. Diese Positionen werden in der Regel möglichst noch in den Abschluss des Vorjahres gebucht. Zur betriebswirtschaftlichen und handelsrechtlichen Erfolgsspaltung vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 612ff. Die Berechnung von Kennzahlen erfolg in der Regel auf Basis von Mitarbeiterkapazitäten, vor allem dann, wenn viele Teilzeitkräfte vorhanden sind. Dabei sind bei Mitarbeitern in der Regel Durchschnittszahlen sinnvoll, vgl. zur Durchschnittsbildung z.B. § 276 Abs. 5 HGB. Diese Kennzahlen können aus der GuV und Angaben zur Mitarbeiteranzahl berechnet werden. Je nach Branche lassen sich weitere spezifische Produktivitätskennzahlen ermitteln. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 370f. Vgl. zu den Fixkosten Brandstätter, J. (1993), S. 208.
186
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Capital Employed (ROCE) sollte im Zähler auf bereinigte Ergebnisgrößen zurückgegriffen werden und ggfs. ist auch das Capital Employed im Nenner zu bereinigen.970 5.2.4 Kapitel B: Krisenursachen und -symptome 5.2.4.1 Kapitel B: Ziele und Hintergründe zu Krisenursachen und -symptomen Das Ziel dieses Kapitels ist es, mittels einer systematischen Analyse der Krisensymptome und -ursachen, die wesentlichen Krisenursachen zu identifizieren und zu verstehen, um darauf aufbauend wirksame Sanierungsstrategien und -maßnahmen zu entwickeln.971 In der Realität entstehen Unternehmenskrisen durch mehrstufige und sich teilweise verstärkende Ursache-Wirkungs-Ketten. Im Endergebnis führen endogene und exogene Krisenursachen jeweils mit unterschiedlichen Anteilen gemeinsam zu den individuellen Krisenursachen des jeweiligen Einzelfalls.972 Die Analyse der Krisenursachen lässt sich nur in geringem Maße standardisieren, 973 da die zeitliche Dauer, das Vorgehen sowie die Untersuchungsbereiche je nach Einzelfall sehr unterschiedlich sind.974 Wichtig ist in diesem Zusammenhang wie beim Kapitel Ausgangssituation, dass neben der Zahlenwelt auch Wirkungszusammenhänge analysiert und dargestellt werden. Auch bei der Analyse der Krisenursachen lassen sich durch aussagekräftige Beschreibungen und das Abwägen teilweise widersprüchlicher Gesichtspunkte wertvolle Erkenntnisse für den Sanierungsprozess gewinnen.975 Die Darstellung der Krisenursachen und -symptome, die auf der Ausgangssituation aufbaut und diese teilweise zusammenfasst, nimmt trotz ihrer besonderen Bedeutung für eine erfolgreiche Sanierung in Sanierungskonzepten keinen allzu großen Umfang ein.976 Das Kapitel Krisenursachen und -symptome bildet mit dem Kapitel Ausgangssituation den ersten Teil der für die Nachvollziehbarkeit eines Sanierungskonzepts geforderten Beschreibung des zeitlichen Ablaufs der Unternehmensentwicklung.
970 971
972 973 974 975 976
Z.B. um ABS-Programme (Asset Backed Securities). Die Ermittlung der tatsächlichen Krisenursachen ist für die Entwicklung von Sanierungsstrategien und -maßnahmen unbestritten die wesentliche Grundvoraussetzung, vgl. Kap. 2.3.3.3. Vgl. Kap. 2.1.2.3. Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 197, Wlecke, U. (2006), S. 503. Vgl. Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 40. Vgl. Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 58. Vgl. Kap. 2.3.3.3.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
187
5.2.4.2 Kapitel B: Checkliste zu Krisenursachen und -symptomen Das Kapitel Krisenursachen und -symptome (vgl. Abb. 5.8) ist zweigeteilt und umfasst die Analyse und Darstellung der Krisensymptome sowie der eigentlichen Krisenursachen. Abb. 5.8: Checkliste Krisensymptome und -ursachen (Kap. B) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
B B. 1
Symptome der Unternehmenskrise
B. 1.
1
!
Ertragswirtschaftliche Symptome: Ertragslage und Leistungswirtschaft
B. 1.
2
!
Finanzwirtschaftliche Symptome: Finanz- und Vermögenslage
1. 3 1. 3. 1 1. 3. 2 1. 3. 3
!/G! B! B! B!
B. B. B. B.
Erläuterungen
Krisenursachen und -symptome
B. 2 B. 2.
Identifikation der wesentlichen Krisenursachen !
B. 2. 1. 1. 3
B. 2. 1. 2 B. 2. 1. 2. 1 B. 2. 1. 2. 2
!
3
B. 2. 3. 1 B. 2. 3. 2 B. 2. 3. 3
Exogene (externe) Krisenursachen Globale Umwelt Branche
Wettbewerb
2
B. 2. 2. 1 B. 2. 2. 2
Endogene (interne) Krisenursachen Personengeprägte Krisenursachen Institutionelle Krisenursachen (Strategie, Organisation, Finanzierung) Operative Krisenursachen
B. 2. 1. 2. 3
B. 2.
Ergebnis/Marge, ROS, ROCE, Produktivitäten (z.B. Umsatz/MA, Rohertrag/MA), Laufzeiten Hohe a.o. Erträge, Auflösung stiller Reserven Symptome der Finanz- und Vermögenslage: Cashflow, EKQuote, Verschuldungsgrad, Interest Cover (EBITDA/Zinsen), Probleme bei der Kapitalbeschaffung Evtl. ist die Kostenallokation zu korrigieren Ergebnis, Deckungsbeitrag, Liquiditätsbeitrag Ergebnis, Deckungsbeitrag, Liquiditätsbeitrag Ergebnis, Deckungsbeitrag, Liquiditätsbeitrag
Ursachen der Unternehmenskrise 1
B. 2. 1. 1 B. 2. 1. 1. 1 B. 2. 1. 1. 2
B. 2.
Differenzierung der Verluste: Differenzierung pro Produkt/Produktgruppe Differenzierung pro Filiale/Auftrag Differenzierung pro Kundengruppe, Kunde, Vertriebskanal
Analyse von Renditen, Quoten, Kennzahlen
Z.B. unzureichende Managementqualität Z.B. Strategiedefizite, überteuerte Akquisitionen Z.B. hohe Unternehmenskomplexität, organisatorische Mängel Z.B. unausgewogene Finanzierungsstruktur Z.B. veraltete Produkte, veraltete Technologien Z.B. fehlende operative Effizienz, unzureichende Controllingsysteme Z.B. Naturkatastrophen, Wechselkurse, Rohstoffpreise Z.B. Globalisierung der Wertschöpfung, schrumpfende bzw. gesättigte Märkte, Veränderung der Regulierung, neue Substitutionsprodukte Z.B. hohe Wettbewerbsintensität, Markteintritt neuer Anbieter, Technologiesprünge
Wirkungsausmaß und Wirkungsart der Krisenursachen ! ! !/Z! !/Z!
Wirkungsausmaß Wirkungsart
Stärke/Intensität der Wirkung der Krisenursachen Inhaltliche und zeitliche Abgrenzbarkeit der Krisenursachen
Klassifizierung der Krisenursachen Krisenursachen erster Priorität Krisenursachen zweiter Priorität Krisenursachen dritter Priorität
Beseitigung ist für Lebensfähigkeit des Unternehmens unabdingbar Beseitigung nach Möglichkeit, da Lebensfähigkeit u.U. gefährdet Beseitigung nicht erforderlich, da kein unmittelbares Risiko
Quelle: Eigene Abbildung
B.1 Symptome der Unternehmenskrise Die Beschreibung der Krisensymptome erfolgt im Wesentlichen durch die Analyse negativer bzw. fallender Renditen und Quoten anhand ertrags- und finanzwirtschaftlicher Kennzahlen.977 In diesem Zusammenhang wurde in den Experteninterviews 977
Die klassische Gliederung in Vermögens-, Finanz- und Ertragslage gemäß § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB erweist sich in der Krise als weniger hilfreich, da im Rahmen der Krisendiagnose die Analyse der Ertragslage besonders im Fokus steht, vgl. Hauschildt, J. (2006a), S. 101. Vgl. für zu analysierende Kennzahlen auch Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 18.
188
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
immer wieder auf die besondere Bedeutung einer Differenzierung der Verluste hingewiesen,978 die z.B. anhand einer stufenweisen Deckungsbeitragsrechnung erfolgen kann.979 Die Analyseobjekte für die Differenzierung wie z.B. Produkte, Filialen, Aufträge oder Kunden sind stark branchenabhängig.980 Für einzelne Geschäftsbereiche, Produktgruppen und Gesellschaften kann es erforderlich sein, innerbetriebliche Verrechnungen bzw. Kostenallokationen so zu korrigieren, dass eine marktorientierte und verursachungsgerechte Erfolgsermittlung erreicht wird.981 Stellt sich nach solchen eventuell erforderlichen Korrekturen heraus, dass bereits negative Deckungsbeiträge 1 bzw. 2 vorliegen, so sollte eine entsprechende Straffung des Portfolios angegangen werden.982 Auch bei der Differenzierung der Verluste gilt die 80/20-Regel und eine überschlägige Rechnung kann bereits wichtige Erkenntnisse liefern.983 B.2 Ursachen der Unternehmenskrise Die Gliederung der exogenen Krisenursachen im Leitfaden folgt einer Untersuchung von HAUSCHILDT ergänzt um beispielhafte Ursachen von Unternehmenskrisen.984 Während einzelne Managementfehler der Vergangenheit (wie z.B. zu häufige Strategiewechsel oder kostspielige Akquisitionen) im Rahmen der Darstellung der Krisenursachen in fast jedem Sanierungskonzept zu finden sind, wird in der Regel in Sanierungskonzepten von einem umfassenden schriftlichen Management-Audit abgesehen, obwohl Management- bzw. Führungsfehler als Hauptursache von Unternehmenskrisen anzusehen sind.985 Das hängt damit zusammen, dass die Bewertung von Managementressourcen ein hochsensibles Thema ist, das sich nicht in dem Maße wie Sanierungsstrategien und -maßnahmen für eine schriftliche Darstellung in einem Sanierungskonzept eignet.986 Die an der Sanierung beteiligten Stakeholder werden sich aber im Prozess der Sanierung ein genaues Bild über die Qualität des Managements im Krisenunternehmen machen und ihre Vorstellungen bezüglich Neu- oder Umbesetzungen sowie bezüglich der Unterstützung durch einen
978
979
980
981 982 983 984
985 986
Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, I-2, WP/RA-4). Vgl. auch Peppmeier, K., Meyer, S. (2000), S. 18. Bei einer stufenweisen Deckungsbeitragsrechnung werden nach Abzug der variablen Kosten von den Erlösen stufenweise die Erzeugnis-, Erzeugnisgruppen-, Bereichs- und Unternehmensfixkosten subtrahiert, vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 584. Zudem liefert eine Differenzierung der Verluste vor allem in großen Unternehmen wichtige Erkenntnisse, da dort häufig hohe Overheadkosten vorliegen, vgl. die Bewertung im Leitfaden. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 500ff. Dabei ist die Abbaufähigkeit der Fixkosten zu beachten, vgl. Kilger, W. (1993), S. 88f. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 369f. Vgl. Hauschildt, J. , Grape, C., Schindler, M. (2006), S. 16. Vgl. zu den Beispielen Brühl, V. (2004), S. 6. Vgl. auch Krystek, U. (2006b), S. 57. Vgl. Kap. 2.1.2.3. Vgl. Herrmann, W. (2004), S. 87.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
189
CRO bzw. ein Team aus erfahrenen Sanierungsberatern in den Sanierungsprozess einbringen.987 Bei der Identifikation der exogenen und endogenen Krisenursachen sind vor allem deren Wirkungsausmaß und Wirkungsart festzustellen sowie eine Priorisierung durchzuführen. Die Analyse des Wirkungsausmaßes und der Wirkungsart stellt eine Vorstufe zur anschließenden Priorisierung der Krisenursachen dar. Beim Wirkungsausmaß sind Ursachen mit großer, nachhaltiger und solche mit zunehmender Wirkung als besonders bedrohlich einzustufen.988 Die Wirkungsart gibt an, ob die Krisenursachen zeitlich und/oder inhaltlich begrenzt sind.989 Die verwendete Klassifizierung stammt von BRANDSTÄTTER und priorisiert die Krisenursachen wie folgt:990 •
Krisenursachen erster Priorität, deren Beseitigung für die Lebensfähigkeit des Unternehmens unabdingbar ist.991
•
Krisenursachen zweiter Priorität, die unter bestimmten Umständen die Lebensfähigkeit des Unternehmens gefährden können und daher nach Möglichkeit beseitigt werden sollten.992
•
Krisenursachen dritter Priorität, die zwar den Unternehmenserfolg beeinträchtigen, für das Bestehen des Unternehmens und damit für den Erfolg der Sanierung jedoch kein unmittelbares Risiko bedeuten.
Wie anhand der Bewertung im Leitfaden erkennbar ist, enthält das Kapitel Krisenursachen und -symptome nahezu ausschließlich Elemente, die für Sanierungskonzepte als absolut erforderlich eingestuft wurden. Durch den zunehmenden Einfluss internationaler Investoren wird die Priorisierung und die Beschränkung auf die wesentlichen Krisenursachen zukünftig stärker an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der durchgeführten Experteninterviews wurde dabei als Richtwert teilweise die Fokussierung auf ca. fünf wesentliche Ursachen im Rahmen von Sanierungskonzepten vorgeschlagen.993 987 988 989
990 991
992
993
Vgl. zu den (externen und internen) Trägern einer Sanierung auch Kap. 2.3.2.2. Vgl. Kall, T. (1999), S. 336. Vgl. Kall, T. (1999), S. 336. Vgl. auch Wagenhofer, A. (1993), S. 4381. Es kann z.B. der Fall sein, dass ehemals bedeutsame Faktoren einer krisenhaften Entwicklung zum Analysezeitpunkt nicht mehr wirken, vgl. Groß, P. J. (1991), S. 1574. Vgl. dazu Brandstätter, J. (1993), S. 245f. Als Beispiele für die erste Kategorie werden genannt: Mangelnde Liquidität, Überschuldung, zu hohe Kosten im Vergleich zum Wettbewerb, mangelnde Absetzbarkeit der Produkte bzw. Leistungen und mangelnde Qualität des Managements, vgl. Brandstätter, J. (1993), S. 245f. Krisenursachen zweiter Priorität können unter Umständen (zumindest vorübergehend) toleriert werden, obwohl sich dadurch das Risiko des Scheiterns von Sanierungsversuchen erhöht. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, I-2). Vgl. auch SLATTER, der feststellt: "[…] there are likely to be enumerable problems – a can of worms in every cupboard – but only a few of the problems facing the firm will be critical to its survival." Slatter, S. (1984), S. 142.
190
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.2.5 Kapitel C: Markt- und Wettbewerb 5.2.5.1 Kapitel C: Ziele und Hintergründe zu Markt- und Wettbewerb Die Analyse und Prognose der Unternehmensumwelt bzw. von Markt und Wettbewerb ist deswegen von Bedeutung, da der Wettbewerb die Weichen für Erfolg und Misserfolg von Unternehmen stellt.994 Kein Unternehmen kann letzten Endes gegen den Markt mit seinen Entwicklungen und Tendenzen saniert werden.995 Grundsätzlich ist die Analyse und Prognose der Unternehmensumwelt Ausgangspunkt jeder strategischen Planung.996 Um eine sinnvolle Orientierung bezüglich der in der Regel komplexen Unternehmensumwelt zu gewinnen, empfiehlt sich die Strukturierung in eine Analyse bzw. Prognose der allgemeinen Umweltbedingungen auf der einen und der spezifischen Wettbewerbsbedingungen auf der anderen Seite.997 Aus Sicht eines Krisenunternehmens stellt allerdings die Branche, in der das Krisenunternehmen mit den Wettbewerbern konkurriert, den wesentlichen Teil der Unternehmensumwelt dar.998 Die Markt- und Wettbewerbsanalyse bzw. -prognose erfolgt mit dem Ziel, Transparenz bezüglich des aktuellen und zukünftigen Marktumfelds, der Branche und des Wettbewerbs sowie der Erfolgsfaktoren im Markt zu schaffen und damit die Positionierung des Krisenunternehmens im Markt- bzw. Wettbewerbsumfeld zu ermitteln. Die Bearbeitung der genannten Untersuchungsfelder sollte systematisch erfolgen.999 Die Betriebswirtschaft verfügt für derartige Analysen bzw. Prognosen über einige Methoden wie z.B. die Branchenstrukturanalyse, das Konzept der Kernkompetenzen oder den Ansatz der kritischen Erfolgsfaktoren, auf die auch im vorliegenden Leitfaden zurückgegriffen wird. Gerade in den heutigen Zeiten eines globalen Wettbewerbs, der von strukturellen und konjunkturellen Veränderungen sowie von zunehmend diskontinuierlichen und zu Trendbrüchen neigenden Entwicklungen außerhalb des direkten Einflussbereichs von Unternehmen geprägt ist,1000 spielt die Analyse und Prognose des Markt- und Wettbewerbsumfelds für die Erarbeitung von Sanierungsstrategien und -maßnahmen eine bedeutende Rolle. Die Markt- und Wettbewerbsanalyse bzw. -prognose kann je nach betrachteter Branche bzw. Krisenunternehmen sehr unterschiedlich aufwendig sein.1001 Die Aus994 995
996 997 998 999 1000 1001
Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 25. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 368. Vgl. ähnlich Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 23, die von "Branchenregeln" sprechen. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 176, Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 319. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 177, Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 324ff. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 123. Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 116. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 42. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, WP/RA-2).
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
191
wahl der Untersuchungsfelder sowie die Art und der Tiefgang der Analysen bzw. Prognosen hängen darüber hinaus von der Krisenart und damit der Bedrohung des Krisenunternehmens ab.1002 Daher lässt sich nur unter Berücksichtigung aller spezifischen Umstände entscheiden, welches Maß an Informationen im jeweiligen Einzelfall erforderlich ist.1003 Als Ergebnis der Markt- und Wettbewerbsanalyse bzw. –prognose werden zusammenfassend die Determinanten einer nachhaltig erfolgreichen Wettbewerbsposition im betrachteten Markt- und Wettbewerbsumfeld dargestellt.1004 Wie intensiv die Analyse und Prognose der Unternehmensumwelt auch immer durchgeführt wird, der Informationsstand nach ihrem Abschluss bleibt dennoch prinzipiell lückenhaft, so dass trotz großer analytischer Anstrengungen letztlich gerade auch bei Sanierungen unter Unsicherheit zu handeln ist.1005 5.2.5.2 Kapitel C: Checkliste zu Markt- und Wettbewerb Die Analyse und Prognose von Branche und Wettbewerb (vgl. Abb. 5.9) lässt sich als systematische Sammlung und Auswertung von Informationen über die vergangene, aktuelle sowie zukünftige Situation des unmittelbaren Aktionsfelds eines Unternehmens und seiner Geschäftsfelder definieren.1006 Sie erfolgt je nach Einzelfall für das Gesamtunternehmen oder für die einzelnen Geschäftsbereiche des Krisenunternehmens. C.1 Markt/Marktentwicklung Ausgangspunkt der Analyse ist die Abgrenzung des relevanten Markts. Sie hat eine lange Tradition und ist in der Praxis nicht immer einfach.1007 Bei der Durchführung der Abgrenzung steht die strategische Selbstständigkeit des Markts im Vordergrund, d.h. die Möglichkeit und ggfs. Notwendigkeit, für den betreffenden Markt eine eigenständige Wettbewerbsstrategie mit Zielen und Aktivitäten zu verfolgen. Als mögliche Abgrenzungskriterien für den relevanten Markt werden in der Literatur z.B. Produktmerkmale, unterschiedliche Abnehmer sowie Länder bzw. Regionen genannt.1008
1002 1003 1004
1005
1006 1007 1008
Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 133. Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 117. Vgl. ähnlich Hinterhuber, H. H. (1996), S. 120. Diese Ergebnisse fließen teilweise in die Unternehmensanalyse der Ausgangssituation ein, z.B. zur Bewertung der Stärken und Schwächen. Analyse und Planung helfen, Unsicherheiten zu reduzieren, können sie aber nicht beseitigen. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 176, Hahn, D. (2003), S. 93. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 318ff., Bausch, A. (2006), S. 198f. Vgl. zur Abgrenzung des relevanten Markts Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 189. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 189, Grant, R. M. (2005), S. 123.
192
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Abb. 5.9: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.1) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
C
Erläuterungen
Markt und Wettbewerb
C. 1 C. 1.
Markt/Marktentwicklung 1
!
C. 1. 1. 1
!
Abgrenzung des relevanten Markts
C. C. C. C.
! ! !
Marktvolumen Marktsegmentierung Stellung des Markts im Marktlebenszyklus Marktorganisation
1. 1. 1. 1.
1. 1. 1. 1.
C. 1.
2
2 3 4 5
!
Abgrenzungskriterien z.B. Produktmerkmale (Funktion, Technologie), Abnehmer (Industrie, Handel, öffentliche Hand, Privatkunden) und Länder bzw. Regionen Preise und Mengen Z.B. nach Regionen oder Produktgruppen Wachstum, Reife, Stagnation, Schrumpfung Z.B. Existenz und Einfluss von Verbänden oder faktischen Wettbewerbsbeschränkungen
Globale Einflussfaktoren auf Markt/Marktentwicklung
C. 1. 2. 1
B!
Makroökonomische Umwelt
C. 1. 2. 2
B!
Technologische Umwelt
C. 1. 2. 3
B!
Politisch-rechtliche Umwelt
C. 1. 2. 4
B!
Soziokulturelle Umwelt
C. 1. 2. 5
B!
Natürliche Umwelt
C. 1.
!/Z!
3
Betrachtung für das Gesamtunternehmen oder jeweils für einzelne Geschäftsbereiche
Ausgangssituation Markt
Z.B. Wirtschaftswachstum/BIP, Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosenquote Z.B. technologische Entwicklungen, Verkürzung Produktlebenszyklen Z.B. bestehende Gesetze und Verordnungen, neue Gesetzesvorhaben, Regulierung, Grad der Liberalisierung Z.B. Demographie, Wertemuster, Freizeitverhalten, gesellschaftliche Trends Z.B. ökologische Entwicklungen, Erwartungen und Verpflichtungen
Zukünftige Marktentwicklung
C. 1. 3. 1
!/Z!
Zukünftiges Marktwachstum
C. 1. 3. 2 C. 1. 3. 3
!/Z! !/Z!
Zukünftiges Marktwachstum nach Segmenten Markttrends und -verschiebungen
C. 1. 3. 4 C. 1. 3. 5 C. 1. 3. 6
!/Z! !/Z! !/Z!
Chancen im Markt Risiken im Markt Szenarien zum zukünftigen Marktwachstum
Daten von Verbänden und Institutionen (Marktforschungsinstitute) Evtl. Detaillierung nach Segmenten Z.B. Technologie, Machtverschiebungen, Konsolidierung, Verschiebungen zwischen Vertriebswegen/-formaten Entwicklung von Extremszenarien (Best Case) Entwicklung von Extremszenarien (Worst Case) Mögliche zukünftige Entwicklungen bzw. Real Case
Quelle: Eigene Abbildung
Daten bezüglich Marktvolumen (Preise und Mengen) sowie Marktsegmentierung können durch Auswertung von Marktstudien bzw. Veröffentlichungen von Berufsverbänden sowie von anderen Institutionen gewonnen werden.1009 Die Möglichkeit, verlässliche Marktdaten zu erhalten, ist je nach betrachteter Branche allerdings sehr unterschiedlich.1010 Die Analyse der Stellung des Markts im Marktlebenszyklus ist für die Abschätzung der zukünftigen Marktentwicklung wichtig.1011 Bei Betrachtung der Marktorganisation kann es z.B. von Interesse sein, inwieweit Verbände oder faktische Wettbewerbsbeschränkungen existieren und welchen Einfluss sie ausüben. Bei der Analyse der globalen Einflussfaktoren (allgemeine Umweltbedingungen) hat es sich als zweckmäßig erwiesen, nach fünf Hauptfaktoren zu unterscheiden und die 1009
1010 1011
Vgl. Bähr, G., Meier, M. (2003), S. 44. Mit anderen Institutionen sind z.B. das ifo-Institut, die IHK oder das Statistische Bundesamt gemeint. Vgl. Lubos, G. (2006), S. 368, Herrmann, W. (2004), S. 70. Es macht einen großen Unterschied, ob ein sehr junger oder ein ausgereifter Markt Gegenstand der Betrachtung ist, vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 203. Vgl. auch Reutner, F. (1993), S. 63ff.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
193
Analyse anhand dieser Hauptfaktoren zu strukturieren.1012 Zu untersuchen sind danach die makroökonomische, die technologische, die politisch-rechtliche, die soziokulturelle und die natürliche Umwelt. Das Ausmaß und der Einfluss der untersuchten Hauptfaktoren sowie die tatsächlich zu betrachtenden Einflussfaktoren sind stark von der jeweiligen Branche bzw. dem Krisenunternehmen abhängig.1013 Besonders bedeutend im Kapitel Markt und Wettbewerb ist die Prognose der zukünftigen Marktentwicklung des Gesamtmarkts bzw. einzelner Segmente. Grundsätzlich sind Marktdaten von Verbänden und Institutionen kritisch bezüglich Verlässlichkeit, Aktualität und Prämissen zu hinterfragen, bevor sie in Verbindung mit der eigenen Einschätzung in einem Marktmodell weiterverarbeitet werden. Nach Aussage der Experten sind die der Marktprognose bzw. dem Marktmodell zu Grunde liegenden Annahmen explizit anzugeben.1014 Wenn für bestimmte Märkte bzw. Branchen keine aussagekräftigen Daten vorliegen, kann es erforderlich sein, eine Marktabschätzung basierend auf der Entwicklung von Indikatormärkten durchzuführen.1015 Bezüglich der zukünftigen Marktentwicklung bzw. zur Entwicklung eines Marktmodells in Sanierungskonzepten ist es sinnvoll, die Szenario-Technik anzuwenden.1016 Die Grundidee der Szenario-Technik ist die Abbildung einer (zunehmend größer werdenden) Bandbreite zukünftiger Entwicklungen mit plausiblen Entwicklungspfaden für diese Zukunftsbilder.1017 Sie unterscheidet sich damit grundsätzlich von allen anderen Prognosemethoden, die als Grundannahme von nur einer möglichen zukünftigen Entwicklung ausgehen, die teilweise sogar unter Angabe einer Eintrittswahrscheinlichkeit prognostiziert wird. Darüber hinaus können mittels der Szenariotechnik Best- und Worst-Case-Szenarien entwickelt werden, die durch Berücksichtigung spezifischer Chancen bzw. Risiken mögliche Extremszenarien für die Entwicklung des Krisenunternehmens darstellen. Das ist vor allem deshalb von Interesse, da nach Aussage der Experten die Ermittlung bzw. das Abwägen der Chancen und Risiken in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.1018 Bei der Entwicklung von Szenarien bezüglich des zukünftigen Marktvolumens müssen die wesentlichen Trends im Markt (z.B. Technologie, Machtverschiebungen, Konsolidierung, 1012
1013 1014 1015
1016
1017 1018
Vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 118, Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 177ff. Vgl. auch Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 324ff. u. Grant, R. M. (2005), S. 68. Vgl. die Bewertung im Leitfaden. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-4, B-5, WP/RA-2, WP/RA-3). Vgl. Lubos, G. (2006), S. 368, Herrmann, W. (2004), S. 70 (mit dem Beispiel Dieseleinspritzpumpen für große Schiffsdiesel). Vgl. zur Szenario-Technik als eine Form der kombiniert quantitativen und qualitativen Prognose Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 329 ff. Vgl. auch Hinterhuber, H. H. (1996), S. 215f. u. Welge, M. K., Eulerich, M. (2007), S. 69ff. Vgl. zur Szenario-Technik im Folgenden Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 82ff. Vgl. Kap. 4.3. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden.
194
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
langfristiger Branchentrend vs. kurzfristige Branchenkonjunktur) sowie eventuelle Verschiebungen innerhalb einzelner Marktsegmente berücksichtigt werden.1019 C.2 Branche und Wettbewerb Nach PORTER ist die erste wesentliche Bestimmungsgröße der Rentabilität eines Unternehmens die Branchenattraktivität.1020 Daher muss die Wettbewerbsstrategie grundsätzlich auf der genauen Kenntnis der Wettbewerbsregeln bzw. Wettbewerbskräfte einer Branche basieren. Außerdem ist die durchschnittliche Branchenrentabilität, die für die Rentabilität der einzelnen Unternehmen eine wesentliche Determinante ist, je nach betrachteter Branche unterschiedlich. Ob Unternehmen einer Branche im Durchschnitt Ertragsraten erwirtschaften können, die die Kosten des eingesetzten Kapitals übertreffen, ist nach PORTER von der Gesamtstärke der fünf Wettbewerbskräfte abhängig. Die Analyse der fünf Wettbewerbskräfte betrachtet die Rivalität der Branche, die Bedrohung durch Substitutionsprodukte und durch potenzielle neue Konkurrenten sowie die Verhandlungsmacht von Kunden und Lieferanten. Die Bedeutung bzw. Stärke der Wettbewerbskräfte ist nach PORTER für jede Branche unterschiedlich und kann sich im Zeitverlauf ändern.1021 Im Rahmen der Branchenstrukturanalyse (vgl. Abb. 5.10) werden mittels der fünf Wettbewerbskräfte die Faktoren identifiziert, die die relative Wettbewerbsposition innerhalb einer Branche bestimmen.1022
1019 1020 1021 1022
Vgl. zur Unterscheidung von Branchentrend vs. -konjunktur Groß, P. J., Amen, M. (2006), S. 348f. Vgl. zu diesem Absatz Porter, M. E. (1999), S. 28ff. Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 29. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden. Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 25.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
195
Abb. 5.10: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.2) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
C. 2 C. 2.
1
C. C. C. C. C. C. C. C. C.
2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2.
1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1.
C. 2.
2
!/B! 1 2 3 4 5 6 7 8 9
B! B! B! B! B! B! B! B! B! !/B!
C. 2. 2. 1 C. 2. 2. 2 C. 2. 2. 3 C. 2.
B! B! B!
3
!/B!
C. 2. 3. 1 C. C. C. C. C. C.
2. 2. 2. 2. 2. 2.
3. 3. 3. 3. 3. 3.
C. 2.
4
1. 1. 1. 1. 1. 2
Analyse der Rivalität der Branche Strategische Ziele der Wettbewerber Stärken der Wettbewerber Schwächen der Wettbewerber Branchenrentabilität Struktur der Konkurrenz Struktur der Industriekosten/Wertschöpfung Differenzierungsgrad der Produkte Höhe der Wechselkosten für Kunden Kapazitätsauslastung
Potentielle neue Konkurrenten Markteintrittsbarrieren
B!
Economies of Scale/Kostenvorteile Zugang zu Input-Faktoren Kapital-/Investitionsanforderungen Loyalität und Wechselkosten der Kunden Staatliche Politik/Regulierung Zu erwartende Vergeltungsmaßnahmen
!/B!
Verhandlungsmacht der Kunden
C. 2. 4. 2
B!
Neigung, die zur Verfügung stehende Verhandlungsmacht auszunutzen
!/B!
Z.B. Technologie, Vertriebskanäle Z.B. Markentreue Art und Wirksamkeit der möglichen Vergeltungsmaßnahmen
Kunden
B!
5
Anzahl und Größe der Wettbewerber Top-, Durchschnitts- und Low-Performer
Produktqualität vs. Wettbewerb/mögliche Substitute Relativer Preis und Leistung des Substituts Bereitwilligkeit und Kosten zum Wechseln für Kunden
B! 1 2 3 4 5
Z.B. Produkte, Finanzkraft, Innovationen, Kostenstruktur Z.B. Produkte, Finanzkraft, Innovationen, Kostenstruktur
Bedrohung durch Substitutionsprodukte
C. 2. 4. 1
C. 2.
Erläuterungen
Branche und Wettbewerb
Abnehmerkonzentration (ggü. Konzentration der Unternehmen), Abnehmervolumen, Umstellungskosten der Abnehmer im Vergleich zu denen des Unternehmens, Fähigkeit zur Rückwärtsintegration, Ersatzprodukte, Informationsstand der Abnehmer, Durchhaltevermögen Preis/Gesamtumsätze, Produktunterschiede, Einfluss auf Qualität und Leistung, Markenidentität, Abnehmergewinne, Anreize der Entscheidungsträger
Lieferanten
C. 2. 5. 1
B!
Verhandlungsmacht der Lieferanten
C. 2. 5. 2
B!
Neigung, die zur Verfügung stehende Verhandlungsmacht auszunutzen
Lieferantenkonzentration, Bedeutung des Auftragsvolumens für Lieferanten, Umstellungskosten der Lieferanten und Unternehmen der Branche, Gefahr der Vorwärtsintegration im Vergleich zur Rückwärtsintegration d. Unternehmen der Branche, Ersatz-Inputs Kosten im Verhältnis zu Gesamtumsätzen der Branche, Differenzierungsgrad der Input-Faktoren, Einfluss der InputFaktoren auf Kosten oder Differenzierung
Quelle: Eigene Abbildung
Die Rivalität der Branche ist häufig die am stärksten ausgeprägte Wettbewerbskraft.1023 Die in einer Branche herrschende Rivalität hängt wesentlich von den vorhandenen Wettbewerbern (mit ihren Zielen, Strategien, Stärken und Schwächen), der Branchenrentabilität, der Anzahl von Konkurrenzunternehmen, der Branchenkapazität sowie von der Differenzierungsfähigkeit der Produkte ab. Die Bedrohung durch potenzielle Substitutionsprodukte kann sich nicht nur negativ auf die Absatzmenge einer Branche auswirken, sondern vor allem auch die erzielbaren Absatzpreise begrenzen. Je attraktiver das Preis-Leistungs-Verhältnis der Substitutionsprodukte und je geringer die Bereitwilligkeit sowie die Kosten eines Wechsels für die 1023
Vgl. im Folgenden Bausch, A. (2006), S. 200.
196
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Kunden sind, umso höher ist der Druck auf die Branchenrentabilität.1024 Die Bedrohung durch neue Konkurrenten bezieht sich auf die Gefahr, dass sich die wirtschaftliche Situation etablierter Unternehmen einer Branche durch den Markteintritt neuer Wettbewerber verschlechtert. Das Ausmaß dieser Bedrohung hängt von den vorhandenen Markteintrittsbarrieren (wie z.B. Economies of Scale, Zugang zu Input-Faktoren, Kapitalanforderungen) und den zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen der etablierten Unternehmen ab. Kunden beeinflussen die Branchenrentabilität dadurch, dass sie Preisreduzierungen oder Qualitätssteigerungen durchsetzen und eventuell Wettbewerber gegeneinander ausspielen. PORTER unterscheidet neben der Verhandlungsmacht von Kunden ihre Neigung, die ihnen zur Verfügung stehende Verhandlungsmacht auszuüben.1025 Da die Kunden in der Regel keine homogene Gruppe darstellen, empfiehlt sich eine nach verschiedenen Abnehmern differenzierte Analyse.1026 Ebenso ist es durch spezifische Verhandlungsstärke der Lieferanten möglich, etwa indem höhere Preisen gefordert werden oder die Qualität der Input-Faktoren verringert wird, die Branchenrentabilität unter Druck zu setzen. Da die Bedingungen für die Macht der Lieferanten meist Spiegelbilder der Bedingungen sind, die die Verhandlungsmacht der Kunden begründen,1027 kann auch auf Lieferantenseite die Verhandlungsmacht und die Neigung, diese Macht auszuüben, unterschieden werden. Die pro Wettbewerbskraft im Einzelfall zu betrachtenden Aspekte sind stark branchen- und unternehmensabhängig. C.3 Erfolgsfaktoren im Wettbewerb Das Konzept der kritischen Erfolgsfaktoren geht ursprünglich auf das Massachusetts Institute of Technology (MIT) zurück und wurde dort zur Ermittlung des Informationsbedarfs von Managern entwickelt.1028 Die Grundidee dieses Ansatzes ist, dass es für jedes Unternehmen in der Regel nur einige wenige spezifische Erfolgsfaktoren gibt, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden.1029 Aufgrund der unternehmensindividuell unterschiedlichen Bedeutung der strategischen Erfolgsfaktoren, die in technologische, organisatorische, immaterielle, finanzielle und größenbezogene Erfolgsfaktoren unterteilt werden können, sind die im Einzelfall wesentlichen Erfolgsfaktoren vor dem Hintergrund des Branchen- und Marktumfelds zu bestimmen (vgl. Abb. 5.11).1030 1024
1025
1026 1027 1028 1029 1030
Die Qualität der eigenen Produkte ggü. derjenigen der Wettbewerber wurde auch in den Interviews als bedeutsam genannt, vgl. Aussage der Experten (Interview I-1). Bei den Kunden bezeichnet PORTER die Neigung zur Ausübung der Verhandlungsmacht als Preisempfindlichkeit, vgl. Porter, M. E. (1999), S. 32. Vgl. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2005), S. 198. Z.B. mittels einer ABC-Analyse. Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 61ff. Vgl. dazu Brandstätter, J. (1993), S. 192f., Rockart, J. F. (1979), S. 84ff. Vgl. Rockart, J. F. (1979), S. 85. Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
197
Abb. 5.11: Checkliste Markt und Wettbewerb (Kap. C.3 u. C.4) Gliederung C. 3 C. C. C. C. C.
3. 3. 3. 3. 3.
Bew. Kapitel/Elemente !
1 2 3 4 5
B! B! B! B! B!
C. 4
!
C. 4.
1
C. C. C. C.
4. 4. 4. 4.
1. 1. 1. 1.
C. 4.
2
! 1 2 3 4
B! B! B! B!
C. 4. 2. 1 C. 4. 2. 2 C. 4. 2. 3
B! B! B!
C. 4. 2. 4
B!
C. 4.
3
C. 4. 3. 1 C. 4. 3. 2 C. 4. 3. 3
!
! B! B! B!
Erfolgsfaktoren im Wettbewerb Technologische Erfolgsfaktoren Organisatorische Erfolgsfaktoren Immaterielle Erfolgsfaktoren Finanzielle Erfolgsfaktoren Größenbezogene Erfolgsfaktoren Positionierung im Wettbewerb Marktposition
Erläuterungen Erfolgsfaktoren und Erfüllungsgrad Z.B. Anlagen, Technologien Z.B. Kultur, Motivation, effiziente Prozesse Z.B. Marke, Reputation, Netzwerk, Kundenbasis, Patente Z.B. finanzielle Stärke, Zugang zu finanziellen Mitteln Z.B. Marktanteil, Differenzierung Verdichtung der Ergebnisse in Bezug auf die Branche und den größten Konkurrenten Portfolioanalysen zur Darstellung
Marktanteil(e) des Unternehmens Qualität und Spezifika der Produkte/Leistungen Kernkompetenzen Relativ zu aktuellem und zukünftigen Markt/Wettbewerb Innovationspotenzial der eigenen Produkte Produkt- und Verfahrensinnovationen Konkurrenzsituation Identifizierung/Analyse d. wesentl. Wettbewerber Analyse wesentlicher Wettbewerbsunterschiede Z.B. Kernkompetenzen, Qualität, Image Darstellung mit Portfolioanalysen Positionierung der Produkte/Leistungen im Wettbewerb Relativ zu aktuellem und zukünftigem Markt/Wettbewerb Analyse Stärken und Schwächen vs. Hauptkonkurrenten Kostensituation im Wettbewerb Analyse Kostenstruktur vs. Wettbewerb Analyse Standorte Spezielle relative Kostenvorteile
In der Regel Aufwandsstruktur Z.B. Kosten, Energie- und Rohstoffversorgung, Arbeitskräfte Z.B. Erfahrungsökonomien, Patente, Lizenzen etc.
Quelle: Eigene Abbildung
C.4 Positionierung im Wettbewerb Die Positionierung des Krisenunternehmens im Wettbewerb verdichtet die Ergebnisse der vorangegangenen Analysen und beschreibt die Positionierung, die das Krisenunternehmen aufgrund seiner bisherigen Strategie im Markt- bzw. Wettbewerbsumfeld in Bezug auf die Branche und den größten Konkurrenten einnimmt (vgl. Abb. 5.11).1031 Dazu werden die Marktposition sowie die Konkurrenz- und Kostensituation in Relation zur Branche und den Wettbewerbern zuzüglich der Instrumente, mit denen der Wettbewerb konkret ausgetragen wird (wie z.B. Produkte und Leistungen, Verfahren, Preise), betrachtet. Die Marktposition spiegelt sich z.B. durch den bzw. die jeweiligen Marktanteile, die Qualität und Spezifika von Produkten und Leistungen, die Kernkompetenzen sowie das Innovationspotenzial der eigenen Produkte wider. Die Positionierung gegenüber der Konkurrenz (Konkurrenzsituation) umfasst basierend auf der Identifikation der wesentlichen Wettbewerber die wesentlichen Wettbewerbsunterschiede, die Positionierung der Produkte und Leistungen im Wettbewerb sowie eine wettbewerbsorientierte Analyse der Stärken
1031
Vgl. zur Positionierung Hinterhuber, H. H. (1996), S. 120 u. S. 118f. Da es sich bei der Positionierung um eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse aus den vorangegangenen Analysen handelt, ist die genaue Ausgestaltung ebenfalls stark branchen- bzw. unternehmensabhängig, vgl. die Bewertung im Leitfaden.
198
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
und Schwächen.1032 Sanierungsstrategien sollten grundsätzlich an den Stärken des Krisenunternehmens ausgerichtet werden, da eine ausschließliche Beseitigung der Schwächen keinen nachhaltigen Erfolg verspricht.1033 Die Positionierung der Kostensituation erfolgt durch Analyse der Kostenstruktur gegenüber dem Wettbewerb sowie durch die Analyse der Standorte und spezifischer relevanter Kostenvorteile wie Erfahrungsökonomien, Patente und Lizenzen. 5.2.6 Kapitel D: Sanierungskonzept (i.e.S.) 5.2.6.1 Kapitel D: Ziele und Hintergründe zum Sanierungskonzept (i.e.S.) Gegenstand dieses Kapitels ist die Festlegung der Sanierungsziele sowie der wesentlichen Hebel der geplanten Sanierung. Das Kapitel Sanierungskonzept (i.e.S.) umfasst daher die Darstellung der Sanierungsziele, -strategien und -maßnahmen. Zusammen mit der Businessplanung bildet es den Schwerpunkt eines ganzheitlichen Sanierungskonzepts und wird mit seinen primär konzeptionellen und unternehmerischen Elementen in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen.1034 Dem Ansatz der regulären Unternehmensplanung folgend, unterteilt sich ein Sanierungskonzept (i.e.S.) grundsätzlich in ein strategisches, operatives und finanzielles Teilkonzept und umfasst die qualitative und quantitative Darstellung der Zielsetzung sowie der zur Zielerreichung erforderlichen Sanierungsstrategien und -maßnahmen.1035 Dabei ist für eine erfolgreiche Sanierung vor allem das Zusammenspiel aus strategischem, operativem und finanziellem Teilkonzept von besonderer Bedeutung.1036 Die Lösung strategischer Grundsatzfragen und die Entwicklung operativer Maßnahmen sind dabei nicht als einander ausschließende Alternativen, sondern als verschiedene notwendige Ebenen eines ganzheitlichen Konzepts zu verstehen.1037 Das Sanierungskonzept (i.e.S.) beschreibt den Weg des Krisenunternehmens aus der Krise und bildet zusammen mit der Businessplanung den zweiten Teil der für die Nachvollziehbarkeit eines Konzepts geforderten Darstellung des zeitlichen Verlaufs
1032
1033 1034 1035 1036
1037
Die Darstellung von Kernkompetenzen sowie Stärken und Schwächen ist hier im Gegensatz zur Ausgangssituation stärker relativ zum Wettbewerb zu sehen sowie nicht nur in Bezug auf gegenwärtige, sondern auch auf zukünftige Markt- und Wettbewerbsbedingungen, vgl. Hinterhuber, H. H. (1996), S. 121f. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 153, Stadlbauer, K. (1991), S. 105. Vgl. Kap. 2.3.3. u. Kap. 4.3. Vgl. Kap. 2.3.2.4. Ein Teilkonzept alleine reicht für eine erfolgversprechende Sanierung nicht aus, vgl. Aussage der Experten (Interviews B-1, B-3, WP/RA-2). Vgl. auch Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 17. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 149, Müller, R. (1986), S. 66.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
199
der Unternehmensentwicklung.1038 Bei der Erarbeitung eines Sanierungskonzepts, das in der Praxis häufig zunächst als Grobkonzept ausgelegt wird,1039 ist nach Aussage der Experten keine "Suggestion wissenschaftlicher Genauigkeit" bzw. eine "hohe Scheingenauigkeit" anzustreben.1040 Eine Sanierungsplanung sollte immer als mehrwertige Planung z.B. mit Entwicklung eines Worst-, Real- und Best-CaseSzenarios ausgelegt werden.1041 Da die Bewertung eines Sanierungskonzepts nicht nur anhand monetärer Größen erfolgt, sondern auch qualitative Aspekte berücksichtigt, ist bei der Konzepterstellung auf die Übereinstimmung von Vision und Unternehmensumwelt sowie von Strategien bzw. Maßnahmen mit den Potenzialen des Unternehmens und den identifizierten Krisenursachen zu achten. Darüber hinaus sollte der Zeithorizont zur Sanierung angemessen und das Konzept in sich konsistent und widerspruchsfrei gestaltet sein.1042 Da neben der Qualität eines Sanierungskonzepts vor allem dessen schnelle und konsequente Umsetzung erfolgsentscheidend ist,1043 hat die Maßnahmenorientierung für Sanierungskonzepte eine besondere Bedeutung.1044 Ein Sanierungskonzept ist von Anfang an kontrollfähig zu entwickeln, d.h. den geplanten Maßnahmen sind Verantwortlichkeiten und Effekte (vor allem GuV- und Cash-Effekte, einschließlich ihrer zeitlichen Wirkung) zuzuordnen, um eine spätere Projektkontrolle und die Abbildung des Projektfortschritts aus Maßnahmensicht zu ermöglichen. Im folgenden Kapitel werden Checklisten für das strategische Teilkonzept mit Zielplanung/Veränderungsbedarf und Sanierungsstrategien sowie für das operative und das finanzielle Teilkonzept dargestellt und erläutert. Aufgrund der angesprochenen besonderen Bedeutung der Maßnahmenorientierung in Sanierungskonzepten schließt eine Checkliste zur Maßnahmendefinition das Kapitel Sanierungskonzept (i.e.S.) ab.1045
1038 1039
1040
1041 1042 1043 1044
1045
Vgl. Kap. 2.3.3.1. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 27ff., Andersch, T., Schneider, K. J. (2006), S. 316. Solange es sich um ein umsetzungsfähiges Konzept handelt, ist dieses Vorgehen auch aus rechtlicher Sicht unbedenklich, vgl. Kap. 3.3.1. Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, WP/RA-1). KRAUS/GLESS sprechen von einer präzisen, aber nicht zu detaillierten Vorgehensweise, vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 30. Vgl. Aussage der Experten (Interviews WP/RA-1, WP/RA-4). Vgl. Groß, P. J. (1997), S. 81f. Vgl. z.B. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 102, Reutner, F. (1990), S. 303. Die Bedeutung von Maßnahmen- und Zeitplänen wurde auch in den durchgeführten Experteninterviews hervorgehoben, vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, B-3, WP/RA-1). Vgl. Kap. 5.2.6.5.
200
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.2.6.2 Kapitel D: Checkliste zum strategischen Teilkonzept D.1 Strategisches Teilkonzept – Zielplanung/Veränderungsbedarf Dem im theoretischen Bezugsrahmen vorgestellten Planungsmodell folgend beginnt die strategische Planung (i.w.S.) mit der Festlegung von Sanierungsvision und -zielen.1046 Eine Vision als verbal ausgedrücktes Zielkonzentrat ist die Beschreibung des Zukunftsbilds, das die oberste Unternehmensführung bezüglich der zukünftigen Entwicklung sowie hinsichtlich Zweck, Zielen und Selbstverständnis des Unternehmens hat.1047 Gerade im Rahmen einer Sanierung ist es bedeutsam, für Krisenunternehmen eine Vision sowie konkrete und quantifizierte Sanierungsziele zu entwickeln (vgl. Abb. 5.12).1048 Abb. 5.12: Checkliste strategisches Teilkonzept – Zielplanung (Kap. D.1) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
D
Erläuterungen
Sanierungskonzept (i.e.S.)
D. 1
Strategisches Teilkonzept – Zielplanung/Veränderungsbedarf
D. 1. 1
!
Vision
D. 1. 2
Z!
Strategische Weiterentwicklungen/ Exit-Perspektiven
D. 1. 3
Wertziele/Veränderungsbedarf
D. 1. 3. 1
!
D.. 1. 3. 2
!
D.. 1. 3. 3 D.. 1. 3. 4
!/Z!
Sanierungsziele für Ergebnis/Rendite (bei Zielumsatz) und Kapital/Cash Sanierungsziele für die Kostenarten
Vision als verbales Zielkonzentrat, zentrale Kommunikationsfunktion für Mitarbeiter und Stakeholder Z.B. IPO, Verkauf an strategische Investoren oder Finanzinvestoren Ambitionierte, aber realistische Ziele Ermittlung über internes und externes Benchmarking Z.B. Rendite, Cashflow, Kapitaleinsatz Z.B. Personal- und Sachkostenquote
Sanierungsziele für Working Capital
Z.B. Ziel-Laufzeiten
Verbesserungsbedarf für Ergebnis bzw. Liquidität/Kapital
Präzise Ermittlung unter Berücksichtigung dynamischer Effekte
D. 1.
4
D. D. D. D.
1. 1. 1. 1.
4. 4. 4. 4.
1 2 3 4
! ! ! !
Sachziele Marktstrategien und Geschäftsbereiche Produkt- und Leistungsspektrum Wertschöpfungsstruktur und -tiefe Funktionen, Prozesse
D. D. D. D.
1. 1. 1. 1.
4. 4. 4. 4.
5 6 7 8
! ! ! !
Kunden und Lieferanten Gesellschaftsrechtliche Zielstruktur Organisation Standorte
D. 1.
5
D. 1. 5. 1 D. 1. 5. 2
! !
Humanziele Topmanagement Mitarbeiter
Sachziele zur Verwirklichung der Wertziele Z.B. Reduzierung auf margenstarke Produkte Z.B. Optimierung Wertschöpfungstiefe Unterstützende Funktionen, Prozesse Dimensionierung, Outsourcing Z.B. Fokussierung auf A-,B-Kunden bzw. Lieferanten Beteiligungen/Tochterunternehmen, Zielstruktur EK-/FK-Geber Z.B. Ziel-Organisation/Organigramm Z.B. Produktionsstätten, Verwaltungssitze etc. Humanziele zur Verwirklichung der Wertziele Z.B. Besetzung Führungspositionen und Zuständigkeiten Z.B. Standortgarantien, Abschluss Sozialplan
Quelle: Eigene Abbildung
Der Vision kommt im Rahmen einer Sanierung eine zentrale Kommunikationsfunktion zu, da sie für Mitarbeiter und Stakeholder nicht nur die angestrebte Unter1046 1047
1048
Vgl. Kap. 2.3.2.4. Vgl. grundlegend Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 342, Hahn, D. (1994), S. 81. Eine Vision dient damit der inhaltlichen Konkretisierung des Oberziels von Unternehmen (Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens) und kann in einem Leitbild konkretisiert werden. Vgl. Kall, T. (1999), S. 330, Kolb, S. (2007), S. 159f.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
201
nehmenszukunft konkretisiert, sondern darüber hinaus auch als Begründungsbasis für unpopuläre Maßnahmen dient.1049 Die grundsätzliche Feststellung, dass eine Vision möglichst viele Stakeholder ansprechen sollte, kann in Bezug auf internationale Investoren als Stakeholder in der Sanierung dahingehend erweitert werden, dass eine Vision die Möglichkeit strategischer Weiterentwicklungen bzw. Exit-Perspektiven aufzeigen sollte.1050 Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von internationalen Investoren für die Sanierung von Krisenunternehmen ist nach Aussage der Experten davon auszugehen, dass derartige Überlegungen in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.1051 Dabei ist zu beachten, dass Investoren neben den klassischen Exit-Optionen wie IPO oder Verkauf an einen strategischen Investor oder Finanzinvestor auch über eine Rekapitalisierung aus ihrem Investment aussteigen können.1052 Sanierungsziele stellen das Ergebnis eines Zielbildungsprozesses der beteiligten wesentlichen Stakeholder dar und haben in der Regel Kompromisscharakter.1053 Sie sollten in Form spezifischer Wert-, Sach- und Sozialziele formuliert werden, die anschließend weiter zu operationalisieren sind.1054 Als Wertziele, die grundsätzlich durch die Verwirklichung von Sach- und Humanzielen erreicht werden,1055 sind im Rahmen einer Sanierung Zielergebnis bzw. Zielrendite, Zielumsatz, Zielgrößen für einzelne Kostenarten und das Working Capital sowie Ziele für Liquidität und Kapital festzulegen. Sachziele betreffen das angestrebte Produkt- und Leistungsprogramm für spezifische Märkte. Humanziele, die teilweise gesetzlich fixiert sind, legen angestrebte Verhaltensweisen gegenüber Mitarbeitern und weiteren Stakeholdern fest. Im Rahmen einer Sanierung sind die zukünftigen Produkte bzw. Leistungen sowie die Zielmärkte, Kernprozesse und Sanierungsstrategien klar zu definieren.1056 Die Festlegung von (Wert-)Zielen im Rahmen einer Sanierung erfolgt in der Regel durch Benchmarking entlang der gesamten Wertschöpfungskette.1057 Dabei kommt 1049 1050
1051
1052 1053 1054
1055 1056 1057
Vgl. Vogt, M. A. (1999), S. 220. Vgl. auch grundlegend Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 112. Vgl. ähnlich Vogt, M. A. (1999), S. 220 u. Zwick, A. (1992), S. 115ff. Die Beteiligung eines Finanzinvestors an Krisenunternehmen ist in der Regel zeitlich begrenzt und er wird bereits vor seinem Einstieg Überlegungen zu einem späteren Verkauf anstellen, vgl. Böttger, A., Eberhard, A. (2004), S. 257. Vgl. Aussage der Experten (Interviews B-4, WP/RA-4, ähnlich Interview I-2). Vgl. auch die Bewertung im Leitfaden und Kap. 2.2.1.1. Vgl. Albrecht, H., Füger, R., Danneberg, N. (2006), S. 800. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 116, Krystek, U. (1991), S. 333. Vgl. zu den Stakeholdern Kap. 2.2. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 219f. Vgl. auch Kap. 2.3.2.4. Ziele müssen bedeutsam, sinnvoll, spezifisch, messbar, untereinander konsistent sein sowie eine Herausforderung darstellen und mit den Entgeltsystem des Unternehmens gekoppelt sein, vgl. Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 126f. Vgl. Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 18f. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 41. Vgl. auch Müller, R. (1985), S. 39. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 109, Miles, R. H. (1997), S. 9ff., Arpi, B., Wejke, P. (1999), S. 60.
202
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
grundsätzlich eine Mischung aus externem und internem Benchmarking zum Einsatz. Um am Markt nachhaltig erfolgreich zu sein, ist es bei der Ableitung der Ziele wichtig, sich nicht an mittelmäßigen, sondern an wirklich erfolgreichen Zeiten (internes Benchmarking) bzw. Wettbewerbern (externes Benchmarking) zu orientieren.1058 Bei der Ableitung der Ziele für das Working Capital ist die Werthaltigkeit der bilanziellen Positionen (vor allem Forderungen und Bestände) zu beachten und auf Kennzahlen wie Umschlagshäufigkeiten und Laufzeiten zurückzugreifen, die in ihren jeweiligen Ausprägungen in hohem Maße die Geschäftssystemlogik widerspiegeln.1059 Im Unterschied zu einer regulären Unternehmensplanung ist im Rahmen einer Sanierung der notwendige Veränderungsbedarf explizit zu quantifizieren.1060 Dazu kann auf den bereits gewonnenen Erkenntnissen aus der Analyse zur Ausgangssituation (bereinigte Basis) und von Markt und Wettbewerb aufgesetzt werden.1061 Abb. 5.13: Ermittlung des dynamischen Ergebnisverbesserungsbedarfs Umsatz [Mio. EUR]
500
500
550
ROS
-3%
-5%
7%
Ergebnis Bereini- Ergebnis Dynamische Ergebnis VerbesZiel(t= 0) gungen bereinigt Komponenten Basis serungs- Ergebnis (t= 0) (t = 0) (t = 2) (t = 2) bedarf (dynam.)
Quelle: Eigene Abbildung
Zur Bestimmung des erforderlichen Ergebnisverbesserungsbedarfs (vgl. Abb. 5.13) ist das Delta zwischen dem bereinigten Ergebnis und dem Zielergebnis zu ermitteln, das um dynamische Komponenten wie Tarif- oder sonstige Kostensteigerungen (z.B. für Miete und Energie), aber auch um antizipierte Umsatzrückgänge oder Margenverschlechterungen zu ergänzen ist. In die Ermittlung nicht einzubeziehen sind außerordentliche Aufwendungen der Sanierung, da es sich dabei um einmalige Aufwendungen handelt. Der tatsächliche Verbesserungsbedarf ist aufgrund von erforderlichen Bereinigungen der Ausgangssituation und der Berücksichtigung von 1058 1059 1060 1061
Vgl. Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 57, Wlecke, U. (2006), S. 505. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 159, Kall, T. (1999), S. 126. Vgl. Kap. 2.3.3.3. Vgl. zum Aufsatzpunkt Kap. 5.2.3.2.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
203
dynamischen Komponenten in der Regel meist höher als aufgrund der ausgewiesenen Verluste auf den ersten Blick zu vermuten gewesen wäre.1062 Um eine qualifizierte Krisenbewältigung zu ermöglichen, müssen die Sanierungsziele realistisch definiert und der Veränderungsbedarf präzise ermittelt werden.1063 An die Sanierungszielplanung schließt sich die Planung von Sanierungsstrategien und -maßnahmen an, wobei unter Sanierungsstrategien gesamtunternehmensbezogene potenzialvariierende und langfristige Vorgehensweisen zu verstehen sind.1064 Da Strategien grundsätzlich zur Sicherung des langfristigen Erfolgs von Unternehmen dienen, ist zur Wiederherstellung der Ertragskraft eines Krisenunternehmens ein klares und schlüssiges strategisches Konzept absolut erforderlich (vgl. Abb. 5.14).1065 D.2 Strategisches Teilkonzept – Sanierungsstrategien Die Ableitung von Sanierungsstrategien hat als Zielerreichungsplanung in Form der Geschäftsfeldplanung die marktorientierte Festlegung des Produkt- und Leistungsprogramms sowie der dafür notwendigen Sach- und Humanpotenziale zum Gegenstand.1066 Im Mittelpunkt steht die Geschäftsfeldplanung, die sich bezogen auf das Gesamtunternehmen mit der Optimierung des zukünftigen Geschäftsfeldportfolios (in der Regel spezifische Selektion bzw. Refokussierung) beschäftigt.1067 Dabei gewinnen in Unternehmenskrise und Sanierung solche Strategien an Bedeutung, die z.B. mittels Kooperationen und Joint Ventures eine langfristige Absicherung des Krisenunternehmens zum Ziel haben.1068 Darüber hinaus kann aus strategischen und/oder finanziellen Gründen im Rahmen einer Desinvestitionsstrategie ein Desinvestitionsprogramm aufgelegt werden.1069 Bezogen auf einzelne Geschäftsfelder wird im Rahmen der strategischen Geschäftsfeldplanung die Strategie für das Produktportfolio (in der Regel Sortimentsbereinigung) festgelegt. An die Planung der Geschäftsfelder als Summe aller zukünftigen Produkte und Leistungen mit ihren 1062 1063 1064
1065
1066 1067 1068 1069
Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 507. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 116f. Vgl. Krystek, U. (2002), S. 117, Krystek, U. (1985), S. 603f., Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 177. Vgl. Groß, P. J. (1997), S. 66, Krystek, U. (2002), S. 117, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (1998), S. 111, Hahn, D., Hungenberg, H. (2001), S. 101, Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 17. Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern können unterschiedliche Strategien verfolgen, so dass ein Sanierungskonzept mehrere Einzelstrategien enthalten kann, vgl. Turnheim, G. (1988), S. 36. Vgl. im Folgenden Krystek, U. (1985), S. 599ff., Vogt, M. A. (1999), S. 69. Vgl. auch Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 34f. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 601. Vgl. zu möglichen Desinvestitionsobjekten z.B. Böckenförde, B. (1996), S. 146, Schaaff, W., Schimke, E. (1986), S. 38f. Vgl. auch Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 35. Desinvestitionen als Vermögensumschichtung außerhalb des gewöhnlichen Umsatzprozesses können als Innenfinanzierung betrachtet werden, vgl. Pernsteiner, H. (2006), S. 466.
204
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
jeweiligen Zielmärkten schließt sich die Planung der erforderlichen Potenziale mit Strategien bezüglich Wertschöpfungsstruktur, Prozessen und Funktionen, rechtlicher Struktur und Organisation sowie die Führungskräfteplanung an. Je nach Branche und Krisenunternehmen kommen für die einzelnen Wertschöpfungsstufen unterschiedliche Sanierungsstrategien in Betracht. Für die Produktion können z.B. Werksschließungen und Standortverlagerungen und für den Vertrieb z.B. eine neue Vertriebsstrategie und -organisation verbunden mit der Einführung eines neuen Vergütungssystems vorgesehen werden. Grundsätzlich kann als strategische Option auch ein Outsourcing bestimmter Bereiche angedacht werden.1070 Abb. 5.14: Checkliste strategisches Teilkonzept – Strategien (Kap. D.2) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
D. 2 D. 2.
!
Desinvestitionen Produktportfolio-Strategie
Planung des Produkt-/Leistungsprogramms einschließlich der dazu erforderlichen Potenziale In der Regel spezifische Selektion bzw. Refokussierung zur Optimierung des Geschäftsfeldportfolios Z.B. Kooperationen zur Ergänzung der Geschäftsfelder Z.B. JV für zukunftsträchtige Geschäftsfelder Z.B. aus strategischen oder finanziellen Gründen In der Regel Sortimentsbereinigung
!
Wertschöpfungsstruktur
Strategie für Wertschöpfungsstruktur
1
D. 2. 1. 1
Marktstrategie/Geschäftsfeldplanung !
D. 2. 1. 2 D. 2. 1. 3 D. 2. 1. 4 D. 2. 1. 5
Marktstrategie/Marktstrategien Kooperationen/Joint Ventures (JV)
D. 2. 1. 5. 1 D. 2. 1. 5. 2 D. 2. 1. 5. 3
B! B! B!
Strategie Forschung & Entwicklung Strategie Beschaffung/Einkauf Strategie Produktion
D. 2. 1. 5. 4
B!
Strategie Vertrieb
D. 2. 1. 6 D. 2.
Erläuterungen
Strategisches Teilkonzept – Sanierungsstrategien
Outsourcing bestimmter Bereiche
2
Z.B. Werksschließungen, Standortverlagerungen, Verringerung der Fertigungstiefe Z.B. Vertriebsstrategie u. -organisation, neues Vergütungssystem Z.B. Logistik, Beschaffung, Reinigung, Haustechnik. Sicherheit
Rechtliche Struktur und Organisation
D. 2. 2. 1 D. 2. 2. 2 D. 2. 2. 3
! ! !
D. 2.
!
3
Z.B. Entwicklungspartnerschaft
Rechtsform und Beteiligungsstruktur Aufbauorganisation, Funktionen Ablauforganisation, Prozesse Führungskräfteplanung
Unternehmensbereiche, Beteiligungen Optimierung, z.B. durch Zusammenlegung von Ressorts Z.B. Optimierung Prozesse in Produktion und Administration Beibehaltung oder Veränderung der obersten Führung Z.B. durch CRO- und/oder Beraterunterstützung für Detaillierungs- und Umsetzungsphase
Quelle: Eigene Abbildung
Jede größere Veränderung in der Produktprogramm- bzw. -potenzialstruktur sowie Veränderungen der Besitzverhältnisse ziehen in der Regel Anpassungen der (aufbau-)organisatorischen Struktur nach sich.1071 Da ein Ungleichgewicht zwischen bestehender Struktur bzw. Organisation und (zukünftiger) Programm- und Potenzialstruktur zum Scheitern von ansonsten erfolgversprechenden Sanierungsstrategien führen kann, kommt der Organisationsplanung im Rahmen der Sanierungsplanung
1070
1071
Vgl. zu möglichen Bereichen, die sich im Rahmen einer Sanierung für ein Outsourcing eignen, Blöse, J. (2006), S. 24ff. (genannt werden: Logistik und Lagerhaltung, Dienstreisenorganisation, Einkauf und Beschaffung, Catering, Reinigungsdienst und Haustechnik sowie Sicherheit). Vgl. dazu die These "structure follows strategie" von CHANDLER, Chandler, A. D. (1998), S. 13ff.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
205
eine besondere Bedeutung zu.1072 Dabei sind z.B. durch Zusammenlegung von Ressorts oder Verringerung von Hierarchieebenen schlanke und schnittstellenarme Organisationsstrukturen zu schaffen, die selbstverantwortliches Handeln fördern und Freiräume für unternehmerisches Denken bieten.1073 Darüber hinaus wird es durch Anpassung von rechtlicher Struktur und Aufbauorganisation häufig erst möglich, neue, die bisherigen Strukturen ergänzende oder erweiternde Produktprogrammund Potenzialstrukturen zu erschließen oder zusätzliche Erfolgspotenziale z.B. aus Kooperationen zu sichern.1074 Aufgrund der hohen Anforderungen an die Unternehmensführung in der Sanierung kommt es in der Regel zu Managementwechseln in der Krise. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung angloamerikanischer Sanierungspraktiken gewinnt bei der Führungskräfteplanung in Zukunft der CRO als für eine Sanierung verantwortlicher Interimsmanager an Bedeutung.1075 5.2.6.3 Kapitel D: Checkliste zum operativen Teilkonzept Im Gegensatz zu Sanierungsstrategien gehen Sanierungsmaßnahmen von den bestehenden und im Rahmen der strategischen Planung vorgegebenen Potenzialen aus und gelten auf kurz- bis mittelfristige Sicht.1076 Sie sind nicht zwingend auf das gesamte Unternehmen bezogen, sondern betreffen häufig nur Teilbereiche oder Teilfunktionen eines Krisenunternehmens. Da die operative Sanierungsplanung sowohl derivativen als auch originären Charakter haben kann, erfüllt sie eine spezifische Doppelfunktion. Als derivative Planung dient sie einerseits der Detaillierung der Sanierungsstrategien, während sie andererseits eine direkte Maßnahmen- bzw. Zielerreichungsplanung für vorgegebene Sanierungsziele ist (originäre Planung). Operative originäre Sanierungsmaßnahmen (vgl. Abb. 5.15 und Abb. 5.16) zielen auf die Bewältigung von Erfolgs- und Liquiditätskrisen und haben im Bewusstsein der Träger der Sanierung einen hohen Stellenwert.1077 Im operativen Teilkonzept können ergebnis- und/oder liquiditätswirksame Sofortmaßnahmen (Crash-Programm), die am Anfang des Krisenbewältigungsprozesses zur umgehenden Stabilisierung des Krisenunternehmens eingeleitet wurden, als (teil-
1072 1073 1074 1075
1076 1077
Vgl. Krystek, U. (1985), S. 602. Vgl. ähnlich Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 23. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 35. Vgl. Krystek, U. (1985), S. 601. Vgl. dazu Kap. 2.3.2.2 und zur zukünftigen Bedeutung des CRO Kap. 4.2. Da es für Krisenunternehmen schwierig sein kann, auf Dauer Führungskräfte von außen zu gewinnen, kann ein CRO auch aus diesem Grund eine sinnvolle Lösung sein, vgl. Eisenberg, N. (2006), S. 618. Vgl. im Folgenden Krystek, U. (1985), S. 605. Vgl. Gless, E. S. (1996), S. 323, Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 153.
206
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
weise weiterentwickelte) operative Maßnahmen in das Sanierungskonzept integriert werden.1078 Grundsätzlich können operative Sanierungsmaßnahmen sowohl nach den Funktionsbereichen eines Unternehmens als auch nach Kosten- bzw. Aufwandsarten untergliedert werden. Die Strukturierung der operativen Maßnahmen nach Kosten- bzw. Aufwandsarten ist im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich geeigneter, da dadurch Unterschiede aufgrund verschiedener Wertschöpfungsstrukturen und Branchen weitgehend vermieden werden.1079 Falls zur Strukturierung der operativen (originären) Sanierungsmaßnahmen eine Mischform aus beiden Alternativen verwendet wird, ist darauf zu achten, dass keine Doppelzählungen von Effekten auftreten. Maßnahmen auf der Umsatz- bzw. Rohertragsseite sollten immer mit Maßnahmen auf der Kostenseite verbunden werden, da häufig auf der Kostenseite, die durch Aufgabe unattraktiver bzw. unrentabler Geschäfte entstehenden Umsatzverluste bzw. die daraus resultierenden Rohertragsverluste aufzufangen sind. Abb. 5.15: Checkliste operatives Teilkonzept (Kap. D.3.1 bis D.3.3) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
D. 3 D. 3.
1
D. D. D. D.
1. 1. 1. 1.
3. 3. 3. 3.
D. 3.
2
D. D. D. D.
2. 2. 2. 2.
3. 3. 3. 3.
! 1 2 3 4 ! 1 2 3 4
3
D. 3. 3. 1 D. 3. 3. 1. 1 D. 3. 3. 1. 2 D. 3. 3. 1. 3
Sofortmaßnahmen Maßnahmen zur kurzfr. Umsatzsteigerung Maßnahmen zur kurzfr. Rohertragssteigerung Maßnahmen zur kurzfr. Kostensenkung Maßnahmen zur kurzfr. Liquiditätssicherung bzw.-generierung
Ergebnis- und/oder liquiditätsverbessernde Maßnahmen (CrashProgramm) Z.B. Sonderpreise, Rabatte, Werbeaktionen Z.B. Veränderung Produktmix Z.B. Einstellungsstopp Z.B. Investitionsstopp, Optimierung Cash-Management
Operatives Teilkonzept für Umsatz (Rohertrag) Fokussierung Vertriebskraft Z.B. auf potenzialstarke Kunden oder Regionen Verbesserung Kundenakquisition und -betreuung Verkaufsförderungsevents Z.B. kunden- oder produktspezifisch Vorziehen/Beschleunigung Markteinführung Neuprodukte Cross-Selling/Up-Selling Z.B. Optimierung Produktmix, mehr margenstarke Produkte
D. 3. 1. 5 D. 3.
Erläuterungen
Operatives Teilkonzept
! !
Operatives Teilkonzept für Aufwand/Kosten Maßnahmen Materialaufwand Kaufmännische Maßnahmen Technische Maßnahmen Prozessorientierte Maßnahmen
Z.B. Nachverhandlung, Target-Pricing, Bedarfsbündelung, Systemlieferanten etc. Z.B. Standardisierung, modulare Produktgestaltung Z.B. Optimierung Beschaffungsprozesse, Schnittstellenoptimierung etc.
Quelle: Eigene Abbildung
1078
1079
Zur Definition eines Sanierungsprogramms als Gesamtheit aller Sanierungsstrategien und -maßnahmen einschließlich noch nicht abgeschlossener Sofortmaßnahmen, vgl. Krystek, U. (1991), S. 334. Vgl. auch Kap. 2.3.2.3. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 156. Vgl. ähnlich (Gliederung nach Einzahlungen und Auszahlungen) Krystek, U., Barry, A. B. (1999), S. 360. Vgl. zur Strukturierung nach Funktionen z.B. Krystek, U. (1985), S. 604, Buth, A. K., Hermanns, M. (1997), S. 1181ff. und zur Strukturierung nach GuV-Positionen z.B. Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 58 u. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 33 (inkl. vertriebliche Maßnahmen).
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
207
Als operative (originäre) Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung durch Umsatz- bzw. Rohertragssteigerung kommen je nach Unternehmen und Branche z.B die Fokussierung der Vertriebskraft, die Verbesserung der Kundenakquisition und -betreuung, Verkaufsförderungsevents, das Vorziehen bzw. die Beschleunigung von Markteinführungen sowie Cross- und Up-Selling-Maßnahmen in Betracht.1080 Der Schwerpunkt der Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung liegt allerdings in der Regel auf Kostensenkungen im Personal-, Material- und sonstigem betrieblichen Aufwand.1081 Als operative (originäre) Maßnahmen zur Senkung des Materialaufwands können kaufmännische Maßnahmen (wie z.B. Nachverhandlungen, TargetPricing, Bedarfsbündelung), technische Maßnahmen (wie z.B. Standardisierung oder modulare Produktgestaltung) und prozessorientierte Maßnahmen (wie z.B. Optimierung der Beschaffungsprozesse und/oder Schnittstellen) genannt werden. Der Personalaufwand stellt häufig einen wesentlichen Teil des Gesamtaufwands dar, so dass Sanierungsmaßnahmen im Personalaufwand eine hohe Priorität haben.1082 Dabei können Maßnahmen mit und ohne Personalabbau unterschieden werden (vgl. Abb. 5.16).1083 Ohne Personalabbau lassen sich Einspareffekte z.B. durch den Abbau von Überstunden bzw. die Einführung von Arbeitszeitkonten, durch Kurzarbeit sowie durch die Verringerung bzw. Streichung von freiwilligen sozialen Leistungen erzielen. Darüber hinaus können in Sanierungskonzepten häufig Gehaltsverzichte mit den Mitarbeitern bzw. dem Betriebsrat vereinbart werden, die allerdings in der Regel befristet sind. Als operative Maßnahmen zur Reduzierung des Personalaufwands mit Personalabbau kommen Kapazitätsanpassungen an den Umsatz- bzw. Leistungsrückgang unter Berücksichtigung des Produktivitätsfortschritts sowie unter Reduzierung des Personalkostenniveaus in Betracht. Dagegen können organisatorische Maßnahmen mit Personalabbau durch Veränderungen der Verantwortungszuordnung (z.B. Streichung von Hierarchieebenen oder Zusammenlegung von Abteilungen), durch Prozessoptimierungen, durch Produktivitätssteigerungen und durch eine Flexibilisierung des Kapazitätseinsatzes erreicht werden.1084 Personalanpassungen sind grundsätzlich mit erheblichen Problemen bei den Mitarbeitern wie z.B. Resignation und abnehmender Leistungsbereitschaft verbunden. Daher sind 1080
1081 1082 1083 1084
Cross-Selling umfasst allgemein den Verkauf mehrerer Produkte eines Unternehmens an denselben Kunden, während der Verkauf von höherwertigen (und in der Regel margenstärkeren) Produkten als Up-Selling bezeichnet wird, vgl. Homburg, C., Krohmer, H. (2006), S. 961ff. u. Weitz, B. A., Castleberry, S. B., Tanner, J. F. (2004), S. 387f. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 32. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 157. Vgl. im Folgenden Kall, T. (1999), S. 247. Darüber hinaus kann durch strategische Entscheidungen wie z.B. die Aufgabe bzw. Veräußerung von Sparten, Standorten oder Produkten sowie durch Veränderungen der Wertschöpfungsstruktur ein Personalabbau erzielt werden, vgl. Kall, T. (1999), S. 247.
208
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
vertrauensbildende und motivationssteigernde Maßnahmen zur Überwindung psychologischer bzw. emotionaler Barrieren und zur Reaktivierung der Leistungsbereitschaft erforderlich.1085 Für die Entwicklung von weiteren Maßnahmen auf der Kostenseite empfiehlt es sich, den sonstigen betrieblichen Aufwand (SbA) in einem ersten Schritt in einen beeinflussbaren und einen nicht beeinflussbaren Aufwand zu unterteilen (vgl. Abb. 5.16).1086 In einem zweiten Schritt wird der beeinflussbare SbA weiter in umsatz-, infrastruktur- und personalabhängige Bestandteile sowie den übrigen SbA untergliedert.1087 Dabei ist zu bedenken, dass für die Kostenarten je nach Einzelfall eine unterschiedliche Zuordnung zu den Kategorien Umsatz, Infrastruktur und Personal sowie übrigem betrieblichem Aufwand sinnvoll sein kann und dass die Bedeutung der einzelnen Kostenarten je nach Branche und Krisenunternehmen variiert. Bei der Entwicklung von operativen Maßnahmen zur Senkung des SbA sind bei einzelnen Kostenarten ggfs. Gegenpositionen in den sonstigen betrieblichen Erträgen (SbE) zu beachten. Darüber hinaus sind für die jeweiligen Aufwandsarten neben Effekten aus operativen Maßnahmen auch indirekte Effekte z.B. aus Umsatzreduzierungen oder strukturellen Veränderungen zu berücksichtigen. Je nach Einzelfall können darüber hinaus originäre Maßnahmen für weitere Aufwands- und Ertragsarten (z.B. sonstige betriebliche Erträge, Abschreibungen, Finanzaufwand) entwickelt werden bzw. sind indirekte Effekte aus Investitionen und Desinvestitionen (z.B. bei Abschreibungen) zu beachten.1088 Operative Maßnahmen zur Verringerung des Working Capital zielen auf eine Verbesserung der Liquiditätssituation und können allgemein an Forderungen, Beständen und Lieferantenverbindlichkeiten ansetzen. Zur Verringerung des gebundenen Kapitals in den Forderungen kommen als operative Maßnahmen z.B. die Verbesserung des Forderungsmanagements bzw. des Mahnwesens, eine Verkürzung der Zahlungsziele und ein Inkasso durch externe Dienstleister sowie durch das Topmanagement oder den Vorstand bzw. die Geschäftsführung in Betracht. In Bezug auf die Kreditoren ist grundsätzlich zu prüfen, inwieweit das Kreditorenmanagement verbessert und Zahlungsziele nachverhandelt werden können.1089
1085
1086 1087
1088 1089
Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 157, vgl. Krystek, U. (1991), S. 336f., Krystek, U. (1989a), S. 190ff. Nicht beeinflussbare Aufwendungen sind z.B. Rückstellungen u. periodenfremde Aufwendungen. Mit dieser Gliederung lassen sich auch gut (z.B. durch internes Benchmarking) Kostensenkungsziele pro Aufwandsart ermitteln. Der Finanzaufwand wird i. W. durch das finanzielle Teilkonzept beeinflusst, vgl. Kap. 5.2.6.4. In Krisenzeiten ist die Verlängerung von Zahlungszielen schwer zu verhandeln, vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 158f.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
209
Abb. 5.16: Checkliste operatives Teilkonzept (Kap. D.3.3 Forts.) Gliederung D. 3. 3. 2 D. 3. 3. 2. 1
Bew. Kapitel/Elemente !
Erläuterungen
Maßnahmen Personalaufwand Maßnahmen ohne Personalabbau - Abbau von Überstunden Z.B. Abbau oder Einführung von Arbeitszeitkonten - Kurzarbeit - Abbau von freiwilligen sozialen Leistungen Z.B. Vergünstigungen, Zuschüsse etc. - Gehaltsverzicht In der Regel befristet
D. 3. 3. 2. 2
Maßnahmen mit Personalabbau (operativ) - Anpassung der Kapazitäten
D. 3. 3. 2. 3
Maßnahmen mit Personalabbau (organisator.) - Veränderungen Verantwortungszuordnung Z.B. Streichung v. Hierarchieebenen, Zusammenlegung v. Abtl. - Prozessoptimierung - Produktivitätssteigerung durch veränderten Arbeitsmitteleinsatz - Flexibilisierung des Kapazitätseinsatzes
D. 3. 3. 3 D. 3. 3. 3. 1
!
Maßnahmen Sonstiger betrieblicher Aufwand Maßnahmen umsatzabhängiger SbA - Reisekosten - Messen - Werbung - Transport, Frachten - Fremdleistungen
Anpassung an Umsatz-/Leistungsrückgang
Originäre Maßnahmen und indirekte Effekte
D. 3. 3. 3. 2
Maßnahmen infrastrukturabhängiger SbA - Betriebskosten - Abfallentsorgung - EDV - Miete, Facility Management - Reinigung - Reparaturen - Sicherheit und Bewachung - Versicherungen
D. 3. 3. 3. 3
Maßnahmen personalabhängiger SbA Originäre Maßnahmen und indirekte Effekte - Bewirtungskosten - Betriebs- und Geschäftsausstattung (BGA) - Fortbildung - Geschenke - Kantine - KFZ/Leasing - Bücher/Zeitschriften - Telefon (Festnetz und Mobil) und Internet - Büromaterial
D. 3. 3. 3. 4
Maßnahmen restlicher SbA - Gebühren/Beiträge - Rechts- und Beratungskosten - Spenden - Sonstiger betrieblicher Ertrag
D. 3. 3. 4 D. 3. 3. 5 D. 3. 3. 5. 1
Maßnahmen weitere Aufwands-/Ertragsarten !
Operative Maßnahmen Working Capital Maßnahmen Debitoren
D. 3. 3. 5. 2
Maßnahmen Bestände
D. 3. 3. 5. 3
Maßnahmen Kreditoren
D. 3. 3. 6 D. 3. 3. 6. 1 D. 3. 3. 6. 2
!
Maßnahmen bei Investitionen Reduzierung auf Mindestmaß bzw. Priorisierung der Investitionen Detaillierte Investitionsplanung
Quelle: Eigene Abbildung
Originäre Maßnahmen und indirekte Effekte
Originäre Maßnahmen und indirekte Effekte
Mögliche Gegenpositionen zu SbA-Positionen zu beachten Z.B. Abschreibungen, SbE, Finanzaufwand
Verbesserung Forderungsmanagement, Verkürzung Zahlungsziele, Inkasso durch Topmanagement oder Vorstand/Geschäftsführung Verringerung Sicherheitsbestände, Verbesserung Prozesse, Aussonderung Ladenhüter Verbesserung Kreditorenmanagement
Priorisierung z.B. nach Projekten, Produktgruppen, Filialen, evtl. Investitionsstopp (befristet) Z.B. nach Projekten, Objekten, Erhaltung und Erweiterung etc.
210
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Mittelfristig ist allerdings zu beachten, dass keine Probleme mit Lieferanten bezüglich der Materialversorgung auftreten.1090 Eine Verringerung der Bestände kann in der Regel nur in Kombination mit einer Verbesserung von Distribution und Logistik sowie einer veränderten Sortimentspolitik erreicht werden.1091 Zur Vermeidung von Liquiditätsbelastungen aus Investitionen empfiehlt sich (zumindest zeitweise) eine Reduzierung der Investitionen auf ein Mindestmaß1092 bzw. ihre Priorisierung und die Erstellung einer detaillierten Investitionsplanung. Dabei sind auch eventuelle Investitionsbedarfe für geplante Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen.1093 5.2.6.4 Kapitel D: Checkliste zum finanziellen Teilkonzept Grundsätzlich dient eine Finanzplanung einerseits zur Erfassung und Prognose der monetären Auswirkungen von Sanierungsstrategien und -maßnahmen (derivative Planung) und andererseits zur Entwicklung von finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen (originäre Planung).1094 Das finanzielle Teilkonzept umfasst die Finanzstrategie sowie die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen, die strategischen und/oder operativen Charakter haben können. Finanzielle Sanierungsmaßnahmen zielen primär auf die Verhinderung bzw. Überwindung von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, wobei teilweise auch eine kombinierte Wirkung erreicht werden kann.1095 Sie stellen insgesamt allerdings keine Lösung zur Beseitigung von Verlustquellen dar, die ihre Ursachen regelmäßig im strategischen und/oder operativen bzw. leistungswirtschaftlichen Bereich haben.1096 Finanzielle Sanierungsmaßnahmen sind aber häufig eine notwendige Voraussetzung, um den Handlungsspielraum bei einer Sanierung zu vergrößern.1097 In der Literatur gibt es eine Vielzahl von Systematisierungen der verschiedenen originären finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen.1098 Vor dem Hintergrund der Erstellung von Sanierungskonzepten werden die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen im vorliegenden Leitfaden in autonome und heteronome Maßnahmen, jeweils zur Bilanzbereinigung sowie zur Liquiditätsgenerierung unterschieden. 1090 1091
1092 1093
1094 1095 1096
1097 1098
Vgl. Schaaff, W., Schimke, E. (1986), S. 40. Vgl. Mehl, L. G. (1986), S. 46ff, Böckenförde, B. (1996), S. 142, Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 122f. Vgl. Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 33. Vgl. auch Lüthy, M. (1988), S. 168. Vgl. auch den Leitfaden der THA, bei dem die Maßnahmen in investive und nichtinvestive Maßnahmen zu untergliedern und die investiven Maßnahmen zu priorisieren waren. Vgl. Kap. 3.4.2.1. Vgl. Kap. 2.3.2.4. Vgl. Lüthy, M. (1988), S. 152, Gless, E. S. (1996), S. 81. Vgl. die in dieser Arbeit verwendete Definition der Sanierung in Kap. 2.3.2.1. Vgl. auch Gless, E. S. (1996), S. 81 u. Hommel, U., Schneider, H. (2006), S. 693. Vgl. Kall, T. (1999), S. 125. Vgl. z.B. Krystek, U. (1985), S. 607, Lüthy, M. (1988), S. 151ff., Böckenförde, B. (1996), S. 138ff.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
211
Autonome Sanierungsmaßnahmen können von Krisenunternehmen bzw. den jeweiligen Eigentümern eigenständig beschlossen und durchgeführt werden, wobei ggfs. die Zustimmung von Aufsichts- und Kontrollgremien erforderlich sein kann.1099 Heteronome finanzwirtschaftliche Maßnahmen können nur durch Zustimmung bzw. Mitwirkung Dritter beschlossen und umgesetzt werden.1100 Daher werden im Verlauf einer Sanierung in der Regel zunächst autonome finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen angewandt. Diese sind neben anderen Faktoren regelmäßig Voraussetzung für ein zusätzliches (finanzielles) Engagement der jeweiligen Stakeholder in Form heteronomer finanzwirtschaftlicher Maßnahmen. Speziell bei den heteronomen Sanierungsmaßnahmen spielen internationale Investoren als Stakeholder in der Sanierung eine zunehmend bedeutende Rolle. Das finanzielle Teilkonzept beginnt mit der Finanzstrategie bzw. den wesentlichen Eckpunkten des Finanzierungskonzepts (vgl. Abb. 5.17). In der Praxis werden finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen, da sie sich oft gegenseitig bedingen, nur in den seltensten Fällen alleine bzw. unabhängig voneinander, sondern meistens in Kombination miteinander eingesetzt.1101 Im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung internationaler Investoren wurde in Bezug auf die Finanzstrategie im Rahmen der durchgeführten Experteninterviews darauf hingewiesen, dass es Aufgabe der Krisenunternehmen und ihrer jeweiligen Berater ist, zu verstehen, welchen Anlagehorizont und welche Anlagestrategie etwaige potenzielle Investoren haben.1102 Als autonome finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen zur Bilanzbereinigung kommen im Wesentlichen die Auflösung von Rücklagen sowie die Kapitalherabsetzung in Frage.1103 Bilanzbereinigende Maßnahmen sind buchungstechnische Vorgänge zur Stärkung des Eigenkapitals bzw. zur Vermeidung einer bilanziellen Überschuldung ohne direkten Einfluss auf die Liquiditätssituation des Unternehmens.1104 Bei der Auflösung von Rücklagen wird zwischen der Auflösung stiller Reserven und der Auflösung offener Rücklagen unterschieden. Stille Reserven, die nicht in der Bilanz erscheinen, entstehen durch eine Unterbewertung von Aktiva oder eine Überbewertung von Passiva. Die Auflösung stiller Reserven und offener Rücklagen führt im Allgemeinen zu sonstigen betrieblichen Erträgen, die zur Deckung bzw. Minderung von Verlusten verwendet werden können.1105 Während gesetzliche 1099
1100 1101 1102 1103 1104 1105
Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 139, Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 117, Fechner, D., Kober, B. (2004), S. 151. Vgl. Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 161, Böckenförde, B. (1996), S. 158. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 138. Vgl. Kap. 4.3. Vgl. im Folgenden Böckenförde, B. (1996), S. 151ff. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 151. Daher werden stille Reserven zum Teil auch als "Puffer für Managementfehler" bezeichnet. Sie können in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten angesammelt werden, um in schlechten Zeiten rück-
212
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
und satzungsmäßige bzw. gesellschaftsvertragliche Rücklagen in einem gewissen Rahmen nur zweckbestimmt aufgelöst werden dürfen, kann über die Verwendung der anderen offenen Rücklagen frei entschieden werden.1106 Die Bedeutung der Auflösung von Rücklagen ist bei einer fortgeschrittenen Unternehmenskrise jedoch als gering einzustufen, da Rücklagen in der Regel bereits aufgebraucht sind und Krisenunternehmen häufig sogar über überbewertete Aktiva und unterbewertete Passiva verfügen.1107 Abb. 5.17: Checkliste finanzielles Teilkonzept (Kap. D.4) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
D. 4 D. 4.
1
!/Z!
D. 4.
2
!
D. 4. 2. 1 D. 4. 2. 2
Finanzstrategie bzw. Eckpunkte Finanzierungskonzept Autonome finanzielle Maßnahmen zur Bilanzbereinigung Auflösung von Rücklagen Kapitalherabsetzung
D. 4. 3. 1
Autonome finanzielle Maßnahmen mit unmittelbarer Liquiditätswirkung Veräußerung von Aktiva (Anlagevermögen)
D. 4. 3. 2
Veräußerung von Aktiva (Umlaufvermögen)
D. 4.
Erläuterungen
Finanzielles Teilkonzept
3
!
Kombination versch. finanzw. Maßnahmen Verständnis v. Anlagehorizont und -strategie potent. Investoren
Stille Reserven und offene Rücklagen Bei AGs vor allem vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229-236 AktG)
D. 4. 3. 3
Zuführung von EK durch Gesellschafter
Veräußerung (nicht) betriebsnotwendigen Vermögens Sale-and-Lease-Back vor allem bei betriebsnotwendigem Vermögen Z.B. Veräußerung v. Finanzanlagen Factoring (Forderungen LuL) Vor allem bei beschränktem Gesellschafterkreis, d.h. z.B. bei
D. 4. 3. 4
Zuführung von FK durch Gesellschafter
Familienunternehmen und Unternehmen im Konzernverbund
D. 4.
4
!
D. 4. 4. 1 D. 4. 4. 2 D. 4. 4. 3 D. 4.
5
! Z!
D. 4. 5. 1. 1 D. 4. 5. 1. 2 D. 4. 5. 1. 3
Z!
D. D. D. D.
4. 4. 4. 4.
5. 5. 5. 5.
2. 1 2. 2 2. 3 3
In erster Linie Beiträge der Kreditgläubiger
Gängigste Beteiligungsmethode für Distressed-Debt-Investoren außerhalb des Insolvenzverfahrens
Forderungsverzicht
D. 4. 5. 1
D. 4. 5. 2
Heteronome finanzielle Maßnahmen zur Bilanzbereinigung Rangrücktritt Debt-Equity-Swap
Z!
Heteronome finanzielle Maßnahmen mit unmittelbarer Liquiditätswirkung Kapitalzuführung (durch Gläubiger oder Dritte) - EK durch Gläubiger oder Dritte - FK durch Gläubiger oder Dritte - Mezzanine-Kapital/innov. Finanzierungsprodukte durch Gläubiger oder Dritte Sonstige Maßnahmen Kredit- und Lieferantengläubiger - Anpassung Konditionen - Stundung von Forderungen - Umschuldung Sonstige Maßnahmen Staat
Zukünftig verstärkt neuartige Finanzierungsprodukte mit entsprechenden Reportingpflichten
Vor allem Nachrangdarlehen, stille Gesellschaften
Z. B. Sanierungszins, spezielle Tilgungspläne Z.B. Zins, Tilgung, Forderungen LuL Z.B. kurzfristiges in mittel-/langfristiges FK Z.B. Sicherheitsleistungen, Beihilfen/Zuschüsse etc.
Quelle: Eigene Abbildung
1106
1107
läufige Ergebnisse optisch aufzubessern, vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 152. Vgl. auch Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 138 u. 468. Vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 491ff. Die offenen Rücklagen können aufgrund ihrer unterschiedlichen handelsrechtlichen Behandlung in gesetzliche, satzungsmäßige bzw. gesellschaftsvertragliche und andere Rücklagen unterschieden werden. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 153, Hess, H., Fechner, D. (1987), S. 91, Kall, T. (1999), S. 126.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
213
Durch eine Kapitalherabsetzung kann im Rahmen einer Sanierung eine rein buchmäßige Herabsetzung des Grund- bzw. Stammkapitals zur Beseitigung eines Verlusts bzw. einer Unterbilanz erreicht werden.1108 Bei Kapitalgesellschaften ist für eine Kapitalherabsetzung grundsätzlich die Zustimmung der Anteilseigner erforderlich.1109 Durch eine Kapitalherabsetzung, die in der Regel durch Herabsetzung des Nennbetrags oder durch Zusammenlegung von Aktien erfolgt,1110 wird eine Anpassung an die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse erreicht.1111 Eine Kapitalherabsetzung kann grundsätzlich als wichtige formelle Sanierungsmaßnahme zur Bereinigung der finanziellen Verhältnisse (Unterbilanz) angesehen werden und erleichtert dadurch die Suche nach zukünftigen Kapitalgebern.1112 Als autonome Maßnahmen zur Liquiditätsgenerierung kommen die Veräußerung von Aktiva und die Zuführung von Eigen- bzw. Fremdkapital durch die Gesellschafter in Betracht.1113 Die Veräußerung von Aktiva bildet eine wichtige Komponente der autonomen Liquiditätsgenerierung,1114 wobei Umfang und Intensität der Maßnahmen vom jeweiligen Liquiditätsbedarf und der Veräußerbarkeit der vorhandenen Aktiva abhängig sind.1115 Für die Veräußerung von Aktiva eignet sich primär das nicht betriebsnotwendige Vermögen, das neben Gütern, die nicht dem betrieblichen Hauptzweck dienen, auch Güter enthält, die aufgrund der entwickelten Sanierungsstrategie in Zukunft nicht mehr benötigt werden.1116 Bei einer geplanten Liquiditätsgenerierung durch Veräußerung von Aktiva ist allerdings zu beachten, dass materielle Vermögensgegenstände häufig zur Besicherung von Krediten dienen und eine 1108
1109
1110 1111
1112 1113
1114 1115
1116
Vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 486ff. Darüber hinaus kann mittels einer Kapitalherabsetzung in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten überschüssiges Kapital an die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Dazu ist bei einer AG eine Dreiviertelmehrheit des auf der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals (§ 222 Abs. 1 AktG) bzw. bei einer GmbH eine Dreiviertelmehrheit der in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen (§ 58 GmbHG i.V.m. § 52 Abs. 2 GmbHG) erforderlich, wobei die Satzung bzw. der Gesellschaftsvertrag auch eine größere erforderliche Mehrheit vorschreiben kann. Vgl. Baetge, J., Kirsch, W., Thiele, S. (2005), S. 487. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 154ff. In einem zweiten Schritt erfolgt im Rahmen einer Sanierung häufig eine Kapitalerhöhung. Für Aktiengesellschaften bestehen mit der ordentlichen (§§ 222-228 AktG), der vereinfachten (§§ 229-236 AktG) und der Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§§ 237-239 AktG) grundsätzlich drei Arten der Kapitalherabsetzung, wobei die vereinfachte Kapitalherabsetzung speziell auf den Sanierungsfall zugeschnitten ist. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 157. Autonome Maßnahmen im Working Capital und bei Investitionen wurde bereits beim operativen Teilkonzept erläutert, vgl. Kap. 5.2.6.3. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 140. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 159. In der Liquiditätskrise hat die Erhaltung der Liquidität i.d.R. Vorrang vor Rentabilitätszielen. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 145. Die Veräußerung betriebsnotwendiger Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich nur nach kritischer Überprüfung in Ausnahmesituation sinnvoll, vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 146, Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 240.
214
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
eigenständige Verwertung nicht ohne weiteres möglich ist bzw. ein erzielbarer Verkaufserlös zur Rückführung von Fremdmitteln zu verwenden ist.1117 Darüber hinaus können Buchverluste auftreten, die im Eigenkapital zu verkraften sind.1118 Zur Liquiditätsgenerierung aus betriebsnotwendigem Vermögen bieten sich Saleand-Lease-Back-Transaktionen an. Bei einer solchen Transaktion werden Gegenstände des Anlagevermögens nach Verkauf an einen Leasinggeber sofort wieder zurückgemietet und stehen damit dem Leasingnehmer (Krisenunternehmen) weiterhin zur Verfügung.1119 Allerdings wird der kurzfristige Liquiditätszufluss mit zukünftigen Liquiditätsbelastungen erkauft.1120 Im Umlaufvermögen ist zwar grundsätzlich die Liquidation von Finanzanlagen denkbar, allerdings sind solche Liquiditätsreserven in einer existenziellen Unternehmenskrise in der Regel nicht mehr vorhanden.1121 In Bezug auf die Forderungen aus LuL besteht neben den im operativen Teilkonzept genannten Ansätzen als finanzwirtschaftliche Maßnahme die Möglichkeit der Liquiditätsgenerierung durch Factoring.1122 Ob im Einzelfall eine Zuführung von Eigenkapital durch Gesellschafter als finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahme umsetzbar ist, hängt vor allem vom Gesellschafterkreis des Krisenunternehmens ab. Grundsätzlich wird diese Maßnahme eher bei Unternehmen mit einem beschränkten Anteilseignerkreis, also etwa Familienunternehmen und Unternehmen im Konzernverbund anzutreffen sein.1123 Bei Aktiengesellschaften bestehen mit der ordentlichen (§§ 182-191 AktG), der bedingten (§§ 192-201 AktG) und der genehmigten Kapitalerhöhung (§§ 202-206 AktG) grundsätzlich drei Arten einer Kapitalerhöhung mit Liquiditätszufluss.1124 Da der Aktienkurs von Krisenunternehmen in der Regel unter pari notiert und gemäß § 9 AktG die Ausgabe von Aktien unter Nennbetrag (unter pari) verboten ist, erfolgt in Sanierungsfällen in der Regel keine alleinige Kapitalerhöhung, sondern eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung. Die Kapitalerhöhung gilt grundsätzlich als wichtiges finanzielles Sanierungsinstrument, da die Verbesserung der Kapitalstruktur durch Stärkung des Eigenkapitals eine gute Basis für weitere
1117 1118
1119 1120 1121 1122
1123 1124
Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 146, Schaaff, W., Schimke, E. (1986), S. 39. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 159. Buchwertverluste entstehen, wenn der Buchwert eines Assets den Verkaufserlös übersteigt. Vgl. Krystek, U., Moldenhauer, R. (2007), S. 159, Böckenförde, B. (1996), S. 146. Vgl. Pernsteiner, H. (2006), S. 467. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 140f. Vgl. zu den operativen Maßnahmen im Working Capital Kap. 5.2.6.3. Unter Factoring versteht man den vertraglich festgelegten laufenden Ankauf von Forderungen aus LuL (meist vor Fälligkeit) durch ein spezielles Finanzierungsinstitut unter Übernahme bestimmter Servicefunktionen und häufig auch des Ausfallrisikos, vgl. Perridon, L., Steiner, M. (2004), S. 452. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 147. Vgl. im Folgenden Böckenförde, B. (1996), S. 148ff. Die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207-220 AktG) ist eine reine Umbuchung ohne Zufluss liquider Mittel.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
215
Sanierungsmaßnahmen ist1125 und zusätzlich das Vertrauen der Stakeholder in das Sanierungskonzept des Krisenunternehmens signalisiert.1126 Bei der Zuführung von Fremdkapital durch Gesellschafter, die den übrigen Stakeholdern grundsätzlich weniger Vertrauen der Gesellschafter in das Sanierungskonzept signalisiert, sind die Regelungen der Kapitalerhaltung und das Sanierungsprivileg zu beachten.1127 Die Zuführung von Fremdkapital ist als isolierte Maßnahme in der Regel nicht ausreichend, sondern sollte in ein Maßnahmenpaket der Gesellschafter zur Sanierung eingebunden sein.1128 Als heteronome finanzwirtschaftliche Maßnahmen zur Bilanzbereinigung kommen in erster Linie Beiträge der wesentlichen Gläubiger (insbesondere der Kreditgläubiger) wie Rangrücktritt, Debt-Equity-Swap und Forderungsverzichte in Frage. Diese Maßnahmen verlangen zunächst keine Zuführung neuer liquider Mittel ("fresh money") und stellen daher häufig einen ersten Sanierungsbeitrag seitens der Gläubiger dar. Bei einem Rangrücktritt erklären ein oder mehrere Gläubiger, dass sie mit ihren Forderungen hinter die Ansprüche der übrigen Gläubiger zurücktreten.1129 Diese Maßnahme wird vorwiegend eingesetzt, um eine vorübergehende Überschuldung zu überbrücken und damit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu verhindern. Bei einem Debt-Equity-Swap wird Fremdkapital in Eigenkapital gewandelt und damit das bilanzielle Eigenkapital bei gleichzeitiger Reduzierung des Fremdkapitals gestärkt.1130 Obwohl Krisenunternehmen durch diesen Passivtausch keine neuen liquiden Mittel zufließen, verbessert sich die Liquiditätssituation, da die Gläubiger auf ihre festen Zins- und Tilgungsansprüche zu Gunsten möglicher zukünftiger Kursgewinne und Ausschüttungen verzichten.1131 Beim Debt-Equity-Swap sind rechtliche Auswirkungen in Form einer Klassifizierung von bereits bestehenden Krediten als eigenkapitalersetzende Darlehen und die Problematik einer möglichen Differenzhaftung bei der Verrechnung von Fremdkapital mit Einlageverpflichtungen zu beachten.1132 Eine drohende oder bereits eingetretene Überschuldung lässt sich am einfachsten durch einen vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht einzelner oder aller 1125 1126
1127 1128 1129
1130 1131 1132
Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 150. Vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 224. Vgl. ähnlich Kap. 2.2.1.2 (Signaling als Mechanismus zur Reduzierung von Informationsasymmetrien bzw. Agency-Problemen). Vgl. dazu Kap. 2.1.1.2 und Kap. 3.3.1.2. Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 151. Vgl. Lüthy, M. (1988), S. 193ff., Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 233f. Die Verbindlichkeit bleibt mit dem Rangrücktritt bestehen, wird jedoch bei der Aufstellung des Überschuldungsstatus nicht als Fremdkapital berücksichtigt. Vgl. Lüthy, M. (1988), S. 195f, Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 238f. Vgl. zum Signaling-Effekt eines Debt-Equity-Swaps Kap. 2.2.5. Vgl. Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 238f., Picot, G., Aleth, F. (1999), S. 160f., Hass, H., Schreiber, S., Tschauner, H. (2006), S. 845ff.
216
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Gläubiger beseitigen.1133 Beim Forderungsverzicht handelt es sich um einen gegenseitigen Erlassvertrag gemäß § 397 BGB. Dazu lassen sich besonders die Gläubiger motivieren, die nachhaltig an einer weiteren Geschäftsbeziehung interessiert sind oder deren Forderungen mangels adäquater Sicherheiten nicht mehr werthaltig sind. Da Gläubiger sich in der Regel zumindest die Chance einer späteren Befriedigung erhalten wollen, werden Forderungsverzichte in der Praxis meist mit einer Besserungsvereinbarung verknüpft. Für internationale Investoren als neue Stakeholder in der Sanierung spielt von den genannten finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen zur Bilanzbereinigung vor allem der Debt-Equity-Swap in Verbindung mit einem Forderungsverzicht eine Rolle. Ein Debt-Equity-Swap ist für Distressed-Debt-Investoren die gängigste Methode außerhalb des Insolvenzverfahrens, um sich an Krisenunternehmen zu beteiligen.1134 Rechtlich wird ein solcher Debt-Equity-Swap als Kapitalerhöhung mit Sacheinlage umgesetzt. Dazu ist bei einer außergerichtlichen Sanierung gemäß den Vorschriften zur Durchführung einer Sachkapitalerhöhung die Zustimmung der Eigentümer erforderlich und es kommt in der Regel zu einem Forderungsverzicht des Investors, da für die Sacheinlage der wirtschaftliche Wert der Forderung anzusetzen ist.1135 Die Bereitstellung neuer finanzieller Mittel für Krisenunternehmen als heteronome finanzwirtschaftliche Maßnahme mit unmittelbarer Liquiditätswirkung ist sowohl für Gläubiger als auch für andere Dritte grundsätzlich riskant, da immer die Gefahr eines Verlusts des eingesetzten Kapitals besteht.1136 Während Gläubiger aufgrund bereits vorhandener Geschäftsbeziehungen und ausstehender Forderungen ein natürliches Interesse am Fortbestand des Krisenunternehmens haben, erwarten potenzielle neue Kapitalgeber eine dem hohen Risiko angemessene Rendite. Die Zuführung von Eigenkapital versorgt das Krisenunternehmen mit neuen liquiden Mitteln und verbessert gleichzeitig die Bilanzrelationen. Häufig bringen neue Gesellschafter zusätzliches Know-how mit, das sich positiv für das Krisenunternehmen auswirken kann.1137 Als Möglichkeit einer Zuführung von Fremdkapital hat vor allem der Sanierungskredit seitens bestehender Kreditgläubiger eine wichtige Rolle gespielt, wobei die in der Vergangenheit im Markt beobachtbare Selbstverständlichkeit der Versorgung mit
1133
1134 1135 1136 1137
Vgl. im Folgenden Picot, G., Aleth, F. (1999), S. 159f., Buth, A. K., Hermanns, M. (1998b), S. 237f. Vgl. im Folgenden Aldenhoff, H.-H., Kalisch, I. (2006), S. 883. Vgl. Toth-Feher, G. M., Schick, O. (2004), S. 495ff. Vgl. im Folgenden Böckenförde, B. (1996), S. 181. Vgl. Schaaff, W., Schimke, E. (1986), S. 42.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
217
Fremdkapital heute sicherlich vorüber ist.1138 Zudem hat sich seit einiger Zeit ein Markt für notleidende Kredite etabliert, so dass sich Banken auch durch einen Verkauf kurzfristig von ihren Problemkrediten (NPL) trennen können.1139 Aufgrund der bekannten Eigenkapitalschwäche von Krisenunternehmen speziell in Deutschland und des bei steigendem Zinsniveau begrenzten Potenzials für Debt-Financing rückt zur nachhaltigen Sanierung die Lösung der Eigenkapitalproblematik zukünftig verstärkt in den Blickpunkt.1140 Neben den genannten Instrumenten der Finanzierung in der Sanierung werden mit dem verstärkten Auftreten internationaler Investoren zukünftig zunehmend neuartige Finanzierungsprodukte bedeutender. Im Rahmen mezzaniner Finanzierungsinstrumente spielen in der Praxis vor allem stille Beteiligungen, Nachrangdarlehen sowie Genussrechte eine Rolle, wobei speziell Nachrangdarlehen und stille Gesellschaften bei entsprechender Gestaltung ein geeignetes Mittel zur kurzfristigen Beseitigung einer Überschuldung und/oder drohender Zahlungsunfähigkeit sein können.1141 Mezzanine-Kapital ist eine ökonomische Mischform aus Eigen- und Fremdkapital, die trotz rechtlich eindeutiger Zuordnungsmöglichkeit zu Eigen- oder Fremdkapital stets auch Merkmale der jeweils anderen Art aufweist. Durch eine entsprechende vertragliche Gestaltung kann einerseits Eigenkapital geschaffen werden, das mit festen Zinsen, festem Rückzahlungsbetrag und einer Laufzeitbegrenzung ökonomisch alle für Fremdkapital typischen Merkmale besitzt und andererseits lässt sich Fremdkapital schaffen, das z.B. mit Entscheidungsbefugnissen sowie Dividendenanspruch ökonomische Merkmale von Eigenkapital aufweist.1142 Durch Kombination unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente lassen sich die verschiedensten Zins- und Tilgungskonditionen abbilden.1143 Für die Gewährung tilgungsfreier Zeiträume am Anfang von Sanierungen eignen sich z.B. endfällige Darlehen (bullets). Darüber hinaus kann die Zinslast gegen steigende Zinsen abgesichert werden (hedging). Um Rückflüsse an Eigen- und Fremdkapitalgeber zu steuern, kann z.B. vereinbart werden, dass Fremdkapitalgeber im Fall der Ausschüttung einer Dividende eine Sondertilgung in einer festgelegten Höhe erhalten.
1138 1139 1140 1141 1142 1143
Vgl. Meyer, R. (2006), S. 922. Vgl. zu den spez. Anforderungen der BaFin/MaRisk Kap. 3.3.2. Vgl. auch Kap. 4.1. Vgl. Kap. 4.3. Vgl. im Folgenden v. Tippelskirch, A. (2006), S. 964ff. u. 975. Vgl. v. Tippelskirch, A. (2006), S. 964. Vgl. im Folgenden Aussage der Experten (Interview I-2).
218
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Als sonstige liquiditätsfördernde Maßnahmen kommen weitere Beiträge der Stakeholder Kredit- und Lieferantengläubiger sowie des Staats in Betracht.1144 Im Fall der Gläubiger sind die Anpassung von Konditionen, die Stundung von Forderungen (Zins, Tilgung, Forderungen aus LuL) sowie die Umschuldung von kurz- in mittel- bis langfristiges Kapital zu nennen. Der Staat kann z.B. durch Sicherheitsleistungen oder Beihilfen und Zuschüsse liquiditätsfördernde Sanierungsbeiträge leisten. Alle Sanierungsanstrengungen sind letztlich vergebliche Mühe, wenn das Geschäftsmodell des Krisenunternehmens nicht ausreichend liquide Mittel generiert, um die vorhandene Kapitalstruktur zu bedienen.1145 In einer Reihe von Fällen ist die komplette finanzielle Sanierung nicht Teil des originären Sanierungskonzepts, sondern nach erfolgreicher strategischer und operativer Sanierung kann eine suboptimale Finanzierungs- bzw. Bilanzstruktur mit Hilfe eines nachgelagerten Rekapitalisierungskonzepts auf profitables Wachstum ausgerichtet werden.1146 5.2.6.5 Kapitel D: Maßnahmenplanung und Status der Umsetzung D.5 Maßnahmenplanung Der Erfolg von Sanierungsmaßnahmen ist letztlich am Erreichen der geplanten Ziele zu messen.1147 Daher sollten Sanierungskonzepte in jedem Fall eine Maßnahmenplanung mit detaillierten Sanierungsmaßnahmen einschließlich der geplanten Effekte sowie Verantwortlichkeiten, Termine und Zeitpläne enthalten (vgl. Abb. 5.18).1148 In der Praxis erfolgt die Detaillierung und Hinterlegung von Sanierungszielen bzw. dem ermittelten Veränderungsbedarf in den folgenden vier Schritten: (1) Aufspalten der Sanierungsziele bzw. des Veränderungsbedarfs in Teilprojekte (2) Aufspalten der Teilprojekte in Maßnahmenpakete1149 (3) Aufspalten der Maßnahmepakete in Maßnahmen (4) Aufspalten der Maßnahmen in Einzelschritte
1144
1145 1146 1147 1148
1149
Vgl. Böckenförde, B. (1996), S. 159ff. Dort werden auch noch Beiträge der Stakeholder Mitarbeiter genannt, die hier bereits im operativen Teilkonzept betrachtet wurden, vgl. Kap. 5.2.6.3. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 197. Vgl. Evertz, D. (2004), S. 107. Vgl. auch Brunke, B., Klein, J. (2005), S. 61. Vgl. Krystek, U. (1987), S. 219. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 41. Auch in den durchgeführten Experteninterviews wurde die große Bedeutung von Maßnahmenplänen betont, vgl. Aussage der Experten (Interviews I-2, I-4, B-1, B-3, WP/RA-2, WP/RA-3, WP/RA-4). Maßnahmenpakete können strategisch oder operativ sein. Strategische Maßnahmenpakete verändern die gesamte Unternehmensstruktur. während operative Maßnahmenpakete innerhalb bestehender Strukturen wirken, vgl. Wlecke, U. (2006), S. 510.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
219
Da die Durchführung einer Sanierung zur Bewältigung von Unternehmenskrisen einen Sonderfall im unternehmensspezifischen Geschehen darstellt und zeitlich begrenzt ist, erfolgt sie organisatorisch in der Regel mittels einer Projektorganisation,1150 die parallel zur Linienorganisation arbeitet und durch einen Lenkungsausschuss geführt wird.1151 Im Lenkungsausschuss sollten alle wesentlichen Stakeholder vertreten sein, um durch eine hohe Informationstransparenz der Entscheider Verhaltensunsicherheiten (Agency-Probleme) möglichst auszuschließen.1152 Die Projektorganisation hat in der Phase der Implementierung vor allem die Aufgabe, die Sanierungsziele bottom-up zu hinterlegen sowie die Umsetzung der Sanierung voranzutreiben. Als operative Leitzentrale bzw. zentrale Koordinationsstelle der einzelnen Teilprojekte einer Sanierung kommt dabei dem Projektcontrolling eine besonders wichtige Funktion zu.1153 Abb. 5.18: Checkliste Maßnahmenpläne/Umsetzungsstatus (Kap. D.5 u. D.6) Gliederung D. 5
Bew. Kapitel/Elemente !
Erläuterungen
Maßnahmenpläne
D. 5.
1
!
Detaillierung der Maßnahmen
Teilprojekte, Maßnahmenpakete, Maßnahmen, Einzelschritte
D. 5.
2
!
Quantifizierung Effekte
GuV-, Cash-, Bilanzeffekte, zeitliche Wirkung
D. 5.
3
!
Zuordnung Termine und Verantwortlichkeiten
D. 6
!
Status der Umsetzung
D. 6.
1
!
Festlegung einer Struktur für das Maßnahmencontrolling (Härtegradlogik)
Target (Ziel), Hinterlegt, Umgesetzt, GuV-/Cash-wirksam
D. 6.
2
!
Status Maßnahmenumsetzung und -hinterlegung
Status zum Zeitpunkt der Vorlage des Grobkonzepts
D. 6.
3
!
Status aktuelle wirtschaftliche Situation vs. Aufsatzpunkt
Aktuelle Situation (Vorlage des Konzepts) vs. Aufsatzpunkt der Sanierungsplanung
Quelle: Eigene Abbildung
Während die Festlegung der Sanierungsziele top-down durchgeführt wird, erfolgt die Hinterlegung mit Maßnahmen bottom-up.1154 Dazu ist die Einbindung der jeweils verantwortlichen Führungskräfte z.B. mittels Workshops und Diskussionsrunden erforderlich.1155 Die Hinterlegung mit Maßnahmen bottom-up wurde im Rahmen der durchgeführten Experteninterviews als eine der wesentlichen Aufgaben und Leistungen von externen Sanierungsberatern bezeichnet.1156 Jedem Einzelschritt, der einen klar definierten Start- und Endtermin hat, wird eine verantwortliche Person bzw. Personen zugeordnet. Darüber hinaus erfolgt die Quantifizierung der Effekte (GuV- und Cash-Effekt) sowie der zeitlichen Wirkung ebenfalls auf der Ebene der Einzelschritte. Bei der Detaillierung der monetären 1150 1151 1152 1153 1154 1155 1156
Vgl. Krystek, U. (1987), S. 277ff. Vgl. im Folgenden Kraus, K.-J., Gless, E. S. (2004), S. 36f. Vgl. auch Kap. 2.2.5. Vgl. Kap. 2.2.1.2 (Agency-Probleme) und Kap. 2.2.5. Das Projektcontrolling wird in der Regel durch leistungsstarke Softwaretools unterstützt. Dieses Methodik entspricht dem sog. Gegenstromverfahren, vgl. Horvath, P. (1989), S. 643. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 509. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-2).
220
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
Effekte ist zu unterscheiden zwischen Effekten, die noch im laufenden Jahr erfolgswirksam werden (Current-Year-Effekte), und Effekten, die sich auf das nächste volle Jahr beziehen (Full-Year-Effekte).1157 Mit einer derartigen Maßnahmenplanung, die bereits mit der Erstellung eines Sanierungskonzepts begonnen wird, kann innerhalb weniger Monate ein sehr detaillierter aktionsorientierter Maßnahmenplan zur Sanierung entwickelt werden. D.6 Status der Umsetzung Darüber hinaus ist in einem Sanierungskonzept festzulegen, wie das Umsetzungscontrolling der Sanierung ausgestaltet wird.1158 Für die Maßnahmenkontrolle hat sich in der Praxis die Definition einer Härtegradlogik z.B. mit den Härtegraden "Target" (Ziel), "Hinterlegt", "Umgesetzt" und "GuV-wirksam" bewährt.1159 Eine solche Härtegradlogik ist für Kapitalgeber bzw. internationale Investoren häufig ein maßgebliches Controllinginstrument, da die Fortschritte bei der Maßnahmendefinition verfolgt werden können, noch bevor die Effekte der Maßnahmen in der GuV sichtbar werden.1160 Zum Zeitpunkt der Vorlage des Grobkonzepts sollten je nach Einzelfall zwischen 10 und 40% der Ziele bzw. des Veränderungsbedarfs mit konkreten Maßnahmen bzw. Einzelschritten hinterlegt sein.1161 In den durchgeführten Experteninterviews wurde vielfach gefordert, dass bei Vorlage des Sanierungskonzepts sowohl der aktuelle Status der Maßnahmendefinition als auch die aktuelle wirtschaftliche Situation im Vergleich zum Aufsatzpunkt der Sanierung darzulegen ist.1162
1157
1158 1159
1160 1161
1162
Vgl. Evertz, D. (2004), S. 107. Wird z.B. ein Dienstleistungsvertrag über 100 TEUR p.a. zur Mitte eines Jahres gekündigt, so ist der Einspareffekt dieser Maßnahmen im laufenden Jahr 50 TEUR (Current-Year-Effekt), während auf Basis eines vollen Jahres ein Einspareffekt von 100 TEUR erzielt wird (Full-Year-Effekt). Vgl. Steffan, B. (2003), S. 152. Härtegrad ist hier im Sinn einer Klassifizierung der Ziel- bzw. Effekterreichung zu verstehen und nicht im Sinn von Härtefällen (also bei strenger Auslegung bzw. Einhaltung von Vorschriften eintretende Fälle von besonderer sozialer Belastung oder Ungerechtigkeit). Vgl. eine ähnliche Härtegradlogik bei Meffert, J., Bernhard, E. M. (2006), S. 268. Vgl. Meffert, J., Bernhard, E. M. (2006), S. 268. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 512. Die große Spanne von 10-40% ist auch vor dem Hintergrund der zur Erstellung des Grobkonzepts verfügbaren Zeit zu sehen. Nach 6 Monaten sollten 80% des Ziels durch detaillierte Maßnahmen/Einzelschritte hinterlegt sein (40-50% umgesetzt) und nach 12 Monaten sollten 100% hinterlegt (80% umgesetzt) sein, vgl. Wlecke, U. (2004), S. 63. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-4).
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
221
5.2.7 Kapitel E: Integrierte Businessplanung 5.2.7.1 Kapitel E: Ziele und Hintergründe zur Businessplanung Das letzte Kapitel eines Sanierungskonzepts dient zur Zusammenführung und Verdichtung des gesamten Sanierungsvorhabens in einer integrierten Businessplanung.1163 Das Ziel der Businessplanung ist es, die finanzwirtschaftlichen Auswirkungen von Sanierungszielen, -strategien und -maßnahmen durch zahlenmäßige Abbildung zu veranschaulichen.1164 Der Businessplan schafft damit durch Verzahnung von operativem, strategischem und finanziellem Teilkonzept (einschließlich der Ergebniskomponenten) die zahlenmäßige Grundlage zur Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit.1165 Darüber hinaus bildet die Businessplanung zusammen mit der Maßnahmendefinition die Basis für das Umsetzungscontrolling. Der Planungszeitraum einer Businessplanung in einem Sanierungskonzept sollte grundsätzlich ca. zwei bis drei Jahre umfassen, um der rechtlichen Anforderung eines mittelfristigen Zeitraums zu entsprechen.1166 Allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die einen abweichenden (in der Regel längeren) Planungszeitraum erforderlich machen.1167 SLATTER betont, dass für das erste Jahr eine detaillierte finanzielle Planung erforderlich ist, während für die folgenden Jahre Planungen auf einem höheren Aggregationsniveau ausreichen.1168 Neben der Prognoserechnung sollte der Businessplan eine Hochrechnung des laufenden Jahres sowie möglichst eine Darstellung der drei vorangegangenen Jahre in vergleichbarer Struktur und auf bereinigter Basis enthalten.1169 Von besonderer Bedeutung für die Businessplanung eines Sanierungskonzepts ist die Integration der Effekte aus den Sanierungsmaßnahmen, die entsprechend ihrem zeitlichen Anfall in den jeweiligen Teilplanungen zu berücksichtigen sind. Zur Erstellung eines belastbaren Businessplans ist aus diesem Grund die saubere Dokumentation der Ausgangslage sowie der Quantifizierung und Terminierung von Zielen und Maßnahmen zu beachten. 1170
1163
1164
1165 1166 1167 1168 1169 1170
Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 513. Neben der inhaltlichen und zeitlichen Integration ist auch auf die rechnerische Integration zu achten, vgl. zur integrierten Planung Kap. 2.3.2.4. Dazu sind ggfs. Planungen auf Gesellschaftsebene zu verschiedenen Teilkonzernen bzw. zu einem Konzern zu konsolidieren. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 516. Vgl. Kap. 3.3.1.3. Vgl. die Einflussfaktoren auf den Planungszeitraum bei Wolf, T., Doppelbauer, G. (2002), S. 571f. Vgl. Slatter, S., Lovett, D., Barlow, L. (2006), S. 41. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 516. Vgl. zur Maßnahmendefinition Kap. 5.2.6.5.
222
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
5.2.7.2 Kapitel E: Checkliste zur Businessplanung Die Businessplanung umfasst neben der Darstellung der Planungsprämissen die Plan-GuV, die Mitarbeiterplanung, die Planung des Sanierungsaufwands sowie die Plan-Bilanz und die Liquiditäts-/Cashflow-Planung (vgl. Abb. 5.19). Abb. 5.19: Checkliste Businessplanung (Kap. E.1 u. E.2) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
E
Erläuterungen
Businessplanung
E. 1
!/Z!
E. 2 E. 2.
Prämissen der Businessplanung
Berücksichtigung verschiedener Szenarien, Fokussierung auf Prämissen zu Markt/Wettbewerb bzw. mit großem Hebel
Teilplanungen 1
!
Plan-GuV
E. 2. 1. 1
!
E. 2. 1. 2
!
E. 2. 1. 3
!
Umsatzplanung (inkl. Bestandsveränderungen) Detaillierung n. Geschäftsbereichen, Produkten bzw. -gruppen Mengengerüst und Preise Detaillierung n. Geschäftsbereichen, Produkten bzw. -gruppen Mengengerüst und Preise Aufwandspositionen Integration Sanierungsmaßnahmen und gegenläufiger Effekte
E. 2. 1. 4
!
Ergebnisgrößen
E. 2.
!
Mitarbeiterplanung
2
5. 2. 2. 1 5. 2. 2. 2 E. 2.
3
Rohertragsplanung
Angestellte inkl. Führungskräfte Arbeiter !
Planung des Sanierungsaufwands
E. 2. 3. 1 E. 2. 3. 2 E. 2. 3. 3
Abfindungen Ablösekosten Sonstige Kosten
E. 2. 3. 4 E. 2. 3. 5
Rechts-/Beratungskosten Sonderabschreibungen
E. 2.
4
E. E. E. E.
4. 4. 4. 4.
2. 2. 2. 2.
! 1 2 3 4
Z!
E. 2. 4. 5 E. 2.
5
E. E. E. E.
5. 5. 5. 5.
2. 2. 2. 2.
!/Z! 1 2 3 4
EBITDA, EBIT, EBT etc. Überleitung Sanierungsbasis zu Ergebnisziel
Nach Funktionen, Bereichen etc. Nach Funktionen, Bereichen etc. GuV-, Cash- und Bilanzeffekte Z.B. Mietverträge, sonstige lang laufende Verträge Für Schließungen, Rückbau und Umbau bei Anpassung Infrastruktur (Standorte, Flächen, Filialen) Sonderabschreibungen im Zusammenhang mit der Sanierung: Bestände, Forderungen, Unternehmensbeteiligungen
Bilanzplanung Anlagevermögen Umlaufvermögen Eigenkapital Mezzanine-Kapital bzw. innovative Finanzierungsprodukte Fremdkapital Liquiditäts-/Cashflow-Planung Operativer Cashflow (lauf. Geschäftstätigkeit) Cashflow aus Investitionstätigkeit Cashflow aus Finanzierungstätigkeit Cashflow aus Sanierungstätigkeit
Transparenz hinsichtlich Finanzierungsprodukten und Reportingpflichten Zur operativen Steuerung im aktuellen/ersten Jahr wöchentlich (bzw. sogar tägliche) Planung Cashflow aus Leistungserstellung: Produktion, Verkauf, Service Cashflow aus Kauf/Verkauf von Ressourcen Cashflow aus Finanzierung d. betrieblichen Leistungserstellung Cashflow aus Einmalkosten der Sanierung
Quelle: Eigene Abbildung
E.1 Prämissen der Businessplanung Eine zentrale Rolle bei der Businessplanung spielt die Festlegung und Dokumentation der wesentlichen Planungsprämissen.1171 Im Rahmen der durchgeführten Experteninterviews wurde besonders die Bedeutung der Prämissen zum Markt- und Wettbewerbsumfeld betont.1172 Dabei ist es bedeutsam, die Prämissen der jeweiligen 1171 1172
Vgl. Kap. 2.3.2.4. Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-2, ähnlich Interview I-5).
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
223
Szenarien (Worst, Real und Best Case) verständlich zu machen und darzustellen, welche wesentlichen Prämissen auch anders hätten aussehen können und was das für wirtschaftliche Auswirkungen zur Folge gehabt hätte.1173 Die Prämissen sind konservativ und realistisch festzulegen, damit das Sanierungskonzept auf Basis eines fair gerechneten Worst Case legitimiert werden kann.1174 E.2 Teilplanungen Die Gliederungstiefe der Plan-GuV sollte sich mindestens an den Rechnungslegungsvorschriften zum Jahresabschluss (HGB oder IFRS) orientieren, wobei bei einigen Positionen einzelfallabhängig eine weitere Untergliederung durchzuführen ist.1175 Wird im Krisenunternehmen das UKV angewandt, kann es zur Entwicklung der Sanierungsziele und -maßnahmen sinnvoll sein, in eine GKV-Struktur zu wechseln, die später wieder in eine UKV-Struktur überführt werden kann.1176 Vor allem auf der Umsatz- bzw. Rohertragsseite sollte eine sinnvolle Detaillierung verwendet werden. Auch auf der Aufwandsseite sollten die Positionen mittels aussagekräftiger Kostenarten detailliert dargestellt werden.1177 Bei der Integration der Effekte der Sanierungsmaßnahmen sind ggfs. gegenläufige Wirkungen zu berücksichtigen.1178 Für das laufende Jahr und das erste Planjahr sollte die Plan-GuV auf Monatsbasis erstellt werden,1179 während für die folgenden Jahre je nach Einzelfall eine quartalsweise oder jährliche Planung ausreichend ist. Um die Hebel der Ergebnisverbesserung darzustellen, empfiehlt es sich, eine Überleitung vom Ergebnis des Basisjahres (Aufsatzpunkt der Sanierung) zum geplanten Zielergebnis aufgeschlüsselt nach Aufwands- bzw. Ertragspositionen zu erstellen.1180 Grundsätzlich sollten Sanierungskonzepte eine Mitarbeiterplanung enthalten, die die Mitarbeiterentwicklung im Planungszeitraum unter Berücksichtigung der geplanten Sanierungsmaßnahmen im Personalbereich aufzeigt. Von den Effekten der Sanierungsmaßnahmen ist der Sanierungsaufwand zu unterscheiden. Einmalaufwendungen wie z.B. für Abfindungen oder Ablösekosten sowie Rechts- und Beratungskosten mindern zwar des Ergebnis eines Geschäftsjahres, sind aber nicht dem eigentlichen operativen Ergebnis zuzurechnen, da sie nicht 1173 1174 1175 1176 1177 1178 1179 1180
Vgl. Aussage der Experten (Interview I-5). Vgl. Aussage der Experten (Interview WP/RA-4, ähnlich Interview WP/RA-2). Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 514.Vgl. auch § 275 HGB bzw. IAS 1.81ff. Vgl. auch Kap. 5.2.3.2. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 514. Vgl. zur Detaillierung der Umsatzseite auch Kap. 5.2.5.2. Vgl. zur Ermittlung des dynamischen Ergebnisverbesserungsbedarfs Kap. 2.3.3.3. Vgl. ähnlich Wlecke, U. (2006), S. 516. Auf der Umsatzseite empfiehlt sich dabei die Aufspaltung der Rohertragseffekte nach Effekten aus Umsatzveränderung und aus Margenverbesserung.
224
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
nachhaltig sind.1181 Bei der Planung der Sanierungsaufwendungen ist allerdings sicherzustellen, dass sie sowohl im Eigenkapital als auch liquiditätsmäßig verkraftet werden können. Während Sanierungsaufwendungen ergebnisseitig nach Möglichkeit vollständig zurückgestellt werden sollten, um eine Belastung des Ergebnisses in den folgenden Jahren zu verhindern, sind sie als zukünftige Mittelabflüsse vor allem in der Liquiditätsplanung zu berücksichtigen. Die Bilanzplanung, die im Rahmen einer Sanierung nicht nur derivativen, sondern auch originären Charakter hat,1182 gibt die Auswirkungen der Sanierungsstrategien und -maßnahmen auf die Vermögens- und Kapitalsituation des Krisenunternehmens wieder.1183 Die Gliederungstiefe der Plan-Bilanz sollte sich ebenfalls an den Rechnungslegungsvorschriften zum Jahresabschluss (HGB oder IFRS) orientieren.1184 In der Regel können die Planungseinheiten der Plan-Bilanz im Vergleich zur Plan-GuV und zur Cashflow-Planung etwas gröber gewählt werden, wobei für eine monatliche Liquiditäts- bzw. Cashflow-Planung die Veränderungen bestimmter Bilanzpositionen auf Monatsebene zu planen sind. Bei der Bilanzplanung im Rahmen einer Sanierung sind besonders die Positionen Eigenkapital, Verschuldung und Liquidität von besonderer Bedeutung.1185 Die Liquiditätsplanung dient als integraler Bestandteil eines Sanierungskonzepts einerseits zur Darstellung, inwieweit liquide Mittel zur Umsetzung der betrieblichen Aktivitäten und des Sanierungskonzepts zur Verfügung stehen und andererseits zur operativen Steuerung der Zahlungsflüsse in der Sanierung. Speziell zur Steuerung ist die Liquiditätsplanung für das laufende Jahr (und später für das erste Planjahr) auf eine monatliche (in Einzelfällen sogar tägliche) rollierende Planung herunterzubrechen, da gerade in der Anfangsphase einer Sanierung die Liquidität besonders zu beachten ist.1186 Die Liquiditätsplanung in einem Sanierungskonzept orientiert sich an den definierten Standards der Kapitalflussrechnung und daher ist der Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit (operativer Cashflow), aus Investitionstätigkeit und aus Finanzierungstätigkeit sowie der Cashflow aus Sanierungstätigkeit zu planen.1187 Der
1181 1182 1183 1184 1185
1186
1187
Vgl. zum Sanierungsaufwand Wlecke, U. (2006), S. 513f. Vgl. Kap. 2.3.2.4. Dabei ist in der Regel auch ein Anlagenspiegel zu planen. Vgl. § 266 HGB bzw. IAS 1.68ff. Vgl. Wlecke, U. (2006), S. 515. Darüber hinaus haben Vorstände und Geschäftsführer die Verpflichtung, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu verfolgen und ggf. einen Überschuldungsstatus zu erstellen, vgl. Kap. 3.3.1.1. Vgl. zu den Insolvenztatbeständen und der Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung Kap. 3.3.1.1. Vgl. Knecht, T. (2006), S. 756ff. Vgl. zur Kapitalflussrechnung nach dem Aktivitätsformat in Staffelform Coenenberg, A. G. (2005), S. 758ff.
Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
225
Cashflow aus Sanierungstätigkeit leitet sich aus der Planung des Sanierungsaufwands ab und berücksichtigt die zahlungswirksamen sanierungsbedingten Vorgänge. E.3 Kennzahlen/Financial Covenants Abschließend sind wesentliche Aspekte des Sanierungskonzepts anhand aussagekräftiger ertrags- und finanzwirtschaftlicher sowie branchenbezogener Kennzahlen verdichtet darzustellen (vgl. Abb. 5.20).1188 Abb. 5.20: Checkliste Businessplanung (Kap. E.3 u. E.4) Gliederung
Bew. Kapitel/Elemente
E. 3 E. 3.
!
Abbildung wesentlicher Kennzahlen
E. 3. 1. 1 E. 3. 1. 2
! !/Z!
Ertragswirtschaftliche Kennzahlen Finanzwirtschaftliche Kennzahlen
E. 3. 1. 3
!/B!
E. 3.
Erläuterungen
Kennzahlen/Financial Covenants 1
2
Z!
E. 3. 2. 1
E. 4
Covenants Financial Covenants
E. 3. 2. 2 E. 3. 2. 3
Branchenbezogene Kennzahlen
Information Covenants B! !
Für die jeweiligen Szenarien, Aufzeigen von Korridoren Z.B. EBITDA, EBIT, EGT, ROS, Fixkostendeckungsgrad Z. B. Cashflow, Capex absolut u. % v.U., Leverage, Debt Capacity, Linien mit Headroom, wertorientierte Kennzahlen Z. B. Durchlaufzeiten, Auslastung, Flächenproduktivitäten etc.
Sonstige Covenants
Z.B. Debt Service Cover Ratio, Leverage Ratio, EBITDA Interest Cover, Capex Limit Informationspflichten ("Banken- bzw. Investorenreporting") Z.B. General Covenants: Einhaltung Betriebsgenehmigungen, Versicherungsschutz
Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit
E. 4.
1
Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit Formale Bestätigung entweder direkt im Sanierungskonzept oder mittels einer gesonderten Bescheinigung ("Reliance Letter")
E. 4.
2
Begründung und Erläuterung der Prämissen
Quelle: Eigene Abbildung
Für internationale Investoren sind dabei nach Aussage der Experten vor allem finanzwirtschaftliche Kennzahlen zur Cash- bzw. Liquiditätssituation, das bereinigte EBITDA, der EBITDA-Multiple sowie Kennzahlen zum Working Capital von Interesse.1189 Grundsätzlich ist es das Ziel internationaler Investoren, den Leverage zu reduzieren und zwar nicht unbedingt durch Rückführung der Kredite, sondern vor allem durch Steigerung der operativen Performance, also durch Verbesserung des EBITDA.1190 Nach ALBRECHT, FÜGER und DANNEBERG kann bei einem EBITDA-Multiple von unter 3 in der Regel eine Rekapitalisierung durchgeführt und damit ein substanzieller Teil der Investition an die Investoren ausgeschüttet werden. Bei einem Multiple von unter 2 kann von einer erfolgreichen Transaktion ausgegangen werden, da sich
1188
1189 1190
Vgl. zu Kennzahlen auch Kap. 2.3.3.3. "Capex" bzw. "Capital expenditures" bezeichnen die Investitionen und unter "Headroom" versteht man die freie Linie. Vgl. Aussage der Experten (Interview I-2). Vgl. Aussage der Experten (Interviews I-1, I-4). Vgl. auch Albrecht, H., Füger, R., Danneberg, N. (2006), S. 795.
226
Zukünftige Ausgestaltung von Sanierungskonzepten
praktisch jedes Unternehmen zu einem EBITDA-Multiple größer 2 veräußern lässt oder eine Rekapitalisierung eine positive Rendite für den Investor bedeutet.1191 Mittels Covenants können die unterschiedlichen Interessen von Kapitalgebern und Kapitalnehmern ausbalanciert werden.1192 Während Financial Covenants vor allem zulässige Spannbreiten für Debt Service Cover Ratio (DSCR, Schuldendienstdeckungsgrad), Leverage Ratio (Nettoverschuldungsgrad), EBITDA Interest Cover (Zinsdeckungsgrad) und Capex Limit (Investitionslimit) festlegen,1193 schreiben Information Covenants spezielle Reportingpflichten und sonstige Covenants je nach Branche und Einzelfall weitere spezielle Bedingungen vor (vgl. Abb. 5.20). E.4 Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit Die formale Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit, die in der Praxis immer an bestimmte Prämissen geknüpft wird,1194 kann entweder im Konzept (z.B. am Ende des Kapitels Businessplanung) oder separat in einem "Reliance Letter" erfolgen. Die Prämissen, die der Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit zu Grunde liegen, sind in jedem Fall detailliert zu erläutern und zu begründen. Darüber hinaus kann ggf. im Nachgang zum Sanierungskonzept die Forderung aufkommen, die Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit unter Berücksichtigung zwischenzeitlich neu eingetretener Umstände erneut zu beurteilen bzw. zu bestätigen.
1191 1192 1193
1194
Vgl. Albrecht, H., Füger, R., Danneberg, N. (2006), S. 795. Vgl. zu Covenants Kap. 2.2.5. und zu ihrer zukünftigen Bedeutung Kap. 4.3. Das DSCR (auch Fixed Charge Cover oder Cashflow Cover) errechnet sich aus der Division des zum Schuldendienst verfügbaren Cashflows durch die Schuldentilgung und Zinsen. Das Leverage Ratio entspricht Net Debt geteilt durch das EBITDA. Das EBITDA Interest Cover berechnet sich aus EBITDA geteilt durch den Zinsaufwand und das Capex Limit (Investitionslimit) legt eine absolute kumulierte Obergrenze für Investitionen fest, vgl. Blatz, M., Haghani, S., Schönfeld, R. (2006), S. 8. Vgl. Kap. 2.3.3.2 u. Kap. 3.4.1.1 (Grundsatz der Klarheit bei der Aussage zur Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit).
6
Zusammenfassung und Ausblick
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist die Erkenntnis, dass es das Sanierungskonzept als Normanforderung bzw. als klare gesetzlich fixierte Grundlage nicht gibt.1195 Darüber hinaus existieren in der betriebswirtschaftlichen Forschung weder eine umfassende Beschreibung einschließlich einer Systematisierung noch eine detaillierte Bewertung der verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte. Diese Feststellung gewinnt allgemein vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen für Sanierungen und speziell durch das verstärkte Auftreten internationaler Investoren als Stakeholder in der Sanierung zusätzlich an Bedeutung. Aufgrund der fortschreitenden Internationalisierung, der sich stärker an Marktmechanismen ausrichtenden Sanierungspraxis und der zunehmenden Professionalisierung des Sanierungs-Business ergeben sich neue Anforderungen an Sanierungskonzepte sowie an alle Personen, die an Sanierungen beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Arbeit Forschungsfragen sowohl zu bestehenden Anforderungen an Sanierungskonzepte als auch zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten formuliert. Zur Beantwortung dieser Fragen wird ein theoretischer Bezugsrahmen aus der Forschung zu Unternehmenskrisen, zur Sanierung sowie zum Stakeholder-Ansatz entwickelt.1196 Darüber hinaus wurde eine persönliche Expertenbefragung im In- und Ausland durchgeführt. Sie hat vor allem den Zweck, zusätzliche Erkenntnisse zu generellen Trends sowie zu zukünftigen Anforderungen und zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten zu gewinnen. Im Rahmen der Forschungsfragen zu bestehenden Anforderungen an Sanierungskonzepte wird in dieser Arbeit untersucht, welche verschiedenen Anforderungen an Sanierungskonzepte heute existieren, wie sie sich kategorisieren lassen, was es für Interdependenzen gibt und wie die jeweiligen Anforderungen zu bewerten sind. Im Rahmen der Systematisierung wird zwischen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen unterschieden, die sich jeweils weiter in generelle und spezielle Anforderungen unterteilen lassen.1197 Als rechtliche Anforderungen an Sanierungskonzepte werden die generellen Vorgaben aus Gesetz und Rechtsprechung sowie die speziellen Anforderungen des KWG bzw. der BaFin/MaRisk und des Europäischen Beihilferechts betrachtet. Als betriebswirtschaftliche Anforderungen an Sanierungskonzepte werden die Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten des IDW sowie die speziellen Anforderungen an Sanierungskonzepte des Leitfadens der THA, des Berufsstands der 1195 1196 1197
Vgl. im Folgenden Kap. 1. Vgl. Kap. 2. Vgl. im Folgenden Kap. 3.
228
Zusammenfassung und Ausblick
Wirtschaftsprüfer (IDW FAR 1/91, WP-Handbuch 2002 Abschnitt F, ISA 810) und des Sanierungsansatzes von Roland Berger Strategy Consultants untersucht. Weiterhin werden die Wechselwirkungen zwischen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen detailliert herausgearbeitet. Rechtliche Verbindlichkeit haben letzten Endes ausschließlich die rechtlichen Anforderungen an Sanierungskonzepte. Eine Missachtung betriebswirtschaftlicher Anforderungen zieht direkt keine rechtlichen Folgen nach sich, sondern kann im Rahmen einer rechtlichen Bewertung ggf. eine Indizienwirkung entfalten. Allerdings kann die Rechtswissenschaft bei rechtlichen Bewertungen auf die Betriebswirtschaft zurückgreifen. Dabei unterzieht sie die betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse bzw. Anforderungen einer eigenen juristischen Würdigung. Je unabweisbarer und begründeter die betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse bzw. Anforderungen sind, umso näher liegt es für den Juristen, die betriebswirtschaftliche Bewertung unverändert in eine rechtliche zu überführen. Diese Wechselwirkungen sind besonders deshalb von Relevanz, weil die Bedeutung rechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit Sanierungen in Zukunft grundsätzlich zunimmt. Außerdem sind zukünftig mehr Bewertungen bzw. Prüfungen von Sanierungskonzepten durch Dritte zu erwarten. Im Rahmen der Analyse der speziellen betriebswirtschaftlichen Anforderungen ist besonders die notwendige, aber in der Literatur bisher vernachlässigte, kritische Auseinandersetzung mit den Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 hervorzuheben.1198 In Bezug auf die Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91, die gerade grundlegend überarbeitet werden, bleibt festzuhalten, dass sie in der Praxis nicht den hohen Stellenwert besitzen, der ihnen in der Literatur zugesprochen wird. Vielmehr werden sie als stark vergangenheitslastig, formalistisch und bürokratisch eingestuft und daher in der Praxis auch nicht in vollem Umfang angewendet. Der Leitfaden der Treuhandanstalt sowie der Sanierungsansatz von Roland Berger Strategy Consultants zeichnen sich im Gegensatz dazu vor allem durch zukunftsorientierte und konzeptionelle Elemente aus.1199 Diese Einschätzung ergibt sich sowohl aus den Experteninterviews als auch anhand der hier vorgelegten quantitativen und qualitativen Bewertung der konkreten betriebswirtschaftlichen Anforderungen. Darüber hinaus bestehen in Wissenschaft und Praxis teilweise unklare bzw. falsche Vorstellungen zum Status des IDW. Es bleibt festzuhalten, dass die Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 grundsätzlich keine über die Fachliteratur hinausgehende allgemeine rechtliche oder faktische Bindungswirkung besitzen. Dennoch wird teilweise die Ansicht vertreten, dass 1198 1199
Vgl. im Folgenden Kap. 3.4.3.2. In der heutigen Sanierungspraxis spielt der Leitfaden der THA allerdings keine Rolle mehr, vgl. Kap. 3.4.2.2.
Zusammenfassung und Ausblick
229
speziell den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 eine "Leitfunktion" zukommt, die auch für gesetzliche Vertreter gelten soll. Durch das verstärkte Auftreten internationaler Investoren als Stakeholder in der Sanierung und durch die damit einhergehende Ablösung des traditionell auf Konsens beruhenden und bankenbasierten Vorgehens der Sanierung gewinnt in Deutschland zunehmend eine internationale und auf Marktmechanismen beruhende Sanierungspraxis an Bedeutung. Um die Auswirkungen dieser Veränderungen auf Sanierungskonzepte sowie auf deren Anforderungen zu untersuchen, wurden in dieser Arbeit Experteninterviews nicht nur in Deutschland, sondern auch mit Vertretern internationaler Investoren im angloamerikanischen Ausland durchgeführt. Im Rahmen der Forschungsfragen zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten wird untersucht, welche Rolle die analysierten Anforderungen in der Zukunft spielen und was für generelle Trends und spezielle zukünftige Anforderungen existieren, um darauf aufbauend einen Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten zu entwickeln. Neben der Bewertung der Anforderungen hinsichtlich ihrer zukünftigen Bedeutung1200 konnten in den Experteninterviews vor allem wertvolle Erkenntnisse zu generellen Trends sowie zu zukünftigen speziellen Anforderungen und zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten gewonnen werden. Als genereller übergeordneter Trend für Sanierungen und die Erstellung von Sanierungskonzepten ist die mit dem verstärkten Einfluss internationaler Investoren zunehmende Finanz- bzw. Cash-Orientierung hervorzuheben, die weitere Veränderungen nach sich zieht.1201 Dabei gewinnt die erfolgreiche Implementierung immer komplexer werdender Geschäftsmodelle aus der Krise heraus verbunden mit der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen und der Erschließung neuer Wachstumsfelder ggü. der reinen Optimierung der Kostenstruktur und Konzentration auf die Kernkompetenzen an Bedeutung. Die Finanzierung derartiger unternehmerischer Sanierungsansätze, die eine umfassende Abwägung der Chancen und Risiken des Unternehmens im jeweiligen Markt voraussetzen, wird zukünftig häufig von internationalen Investoren bereitgestellt. Dabei kommen vermehrt neuartige Finanzierungsinstrumente zum Einsatz, die den Krisenunternehmen in der Regel noch nicht im Detail bekannt sind. Aufgrund der geringeren Flexibilität dieser neuartigen Finanzierungsprodukte kann es in einer erneuten Krise schwieriger werden, weitere Stakeholderbeiträge zu mobilisieren. Zur nachhaltigen Sanierung muss daher in Zukunft die Eigenkapital-
1200 1201
Vgl. Kap.4.1. Vgl. im Folgenden Kap. 4.2 und 4.3.
230
Zusammenfassung und Ausblick
problematik gelöst werden, damit die Unternehmen zukünftige Krisenphasen besser überstehen können. In der vorliegenden Arbeit wurde als spezielle zukünftige Anforderungen für Sanierungskonzepte zunächst eine höhere Transparenz bezüglich der rechtlichen und finanziellen Ausgangssituation identifiziert. Die Entwicklung von Sanierungszielen, -strategien und -maßnahmen (Sanierungskonzept i.e.S.) bildet auch weiterhin den Schwerpunkt von ganzheitlichen Sanierungskonzepten. Im Rahmen der Businessplanung wird es schließlich zukünftig wichtiger, die Planungsprämissen für die jeweiligen Szenarien detailliert darzustellen sowie etwaige Financial Covenants abzubilden. Insgesamt spielen für die Erstellung von Sanierungskonzepten in Zukunft grundsätzlich konzeptionell und inhaltlich getriebene Sanierungsansätze eine bedeutendere Rolle.1202 Diesen Veränderungen wird der in dieser Arbeit entwickelte theoretisch fundierte und praxistaugliche Leitfaden sowohl durch seine Schwerpunktsetzung als auch durch die besondere Betonung der in Zukunft bedeutender werdenden Elemente gerecht.1203 Darüber hinaus werden im Leitfaden Hinweise zur besonderen Bedeutung einzelner Elemente in Abhängigkeit von der Branchenzugehörigkeit sowie der Größe von Krisenunternehmen gegeben. Mit einem gemäß dem Leitfaden gestalteten Sanierungskonzept sind die Träger einer Sanierung in der Lage, bestehenden Stakeholdern sowie potenziellen weiteren Interessenten einen Überblick über die geplante Sanierung sowie eine valide Grundlage für die Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit des Krisenunternehmens zu geben. Neben einem rechtlich einwandfreien und betriebswirtschaftlich erfolgversprechenden ganzheitlichen Sanierungskonzept, das von allen wesentlichen Stakeholdern mitgetragen wird, sind für eine erfolgreiche Sanierung die schnelle und konsequente Umsetzung des Sanierungskonzepts sowie eine der Krisensituation angepasste Führung einschließlich der geeigneten Führungspersönlichkeiten von entscheidender Bedeutung.1204 Zwar kann die schnelle und konsequente Umsetzung durch die Gestaltung des Sanierungskonzepts und besonders durch die im Leitfaden beschriebene Maßnahmenorientierung begünstigt werden, sie lässt sich aber dennoch nicht garantieren.1205 Da Managementfehler die häufigste Krisenursache sind, werden internationale Investoren und Banken sowie letzten Endes alle Stakeholder ihre Beurteilung der Sanierungswürdigkeit bzw. -fähigkeit eines Krisenunternehmens neben der Einschätzung des Sanierungskonzepts immer auch von der 1202 1203 1204 1205
Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Kap. 5. Vgl. Kap. 2. Vgl. zur Maßnahmenorientierung im Leitfaden Kap. 5.2.6.5.
Zusammenfassung und Ausblick
231
Qualität des Managements, das die Sanierung durchführen soll, abhängig machen.1206 Ansätze eines Meinungsumschwungs bezüglich der Bewertung der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 sind derzeit auch beim IDW zu beobachten.1207 Im Frühjahr 2007 wurde vom IDW eine grundlegende Überarbeitung der Anforderungen an Sanierungskonzepte gemäß IDW FAR 1/91 angekündigt. Neben einigen positiv zu bewertenden geplanten Veränderungen ist allerdings vor allem die angedachte Möglichkeit, je nach Auftrag nur einzelne Teilaspekte in Sanierungskonzepten zu bearbeiten, sowohl aus Sicht der Wissenschaft als auch aus praktischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig. Darüber hinaus ist noch offen, wie die zusätzlichen Anforderungen an das strategische Teilkonzept, die bisher nur auf relativ abstraktem und theoretischem Niveau vorliegen, in konkrete Anforderungen mit einem Mehrwert für die Praxis überführt werden können. Insgesamt ist fraglich, ob die angekündigte grundlegende Überarbeitung sich vollständig von der Vergangenheitsorientierung und Praxisferne der bestehenden Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 löst. Die im November 2006 gegründete TMA Deutschland hat ebenfalls angekündigt, einen Standard für Sanierungsgutachten bzw. -konzepte entwickeln zu wollen.1208 Dieser TMA-Standard soll sich im Vergleich zu den Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91 stärker an der Zukunft orientieren. Das Vorhaben der TMA Deutschland, einen zukunftsorientierten Standard für Sanierungskonzepte zu entwickeln, sowie die angekündigte grundlegende Überarbeitung der Anforderung gemäß IDW FAR 1/91 durch das IDW sind grundsätzlich sehr zu begrüßen. Aufgrund der inhaltlichen Schwachpunkte der Anforderungen gemäß IDW FAR 1/91, die mit der Ankündigung der erforderlichen Überarbeitung von Seiten des IDW zumindest indirekt eingeräumt werden, ist es dringend notwendig, dass eine Institution wie z.B. die TMA eine betriebswirtschaftlich valide, zukunftsorientierte und konzeptionelle Vorgabe für Sanierungskonzepte entwickelt. Ein derartiger Standard einer berufsständischen Institution hat im Rahmen der Würdigung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse bei juristischen Bewertungsfragen mehr Gewicht als z.B. der Leitfaden der Treuhandanstalt oder betriebswirtschaftliche Vorgaben von Sanierungsberatern. Sowohl für die TMA Deutschland als auch für das IDW kann die im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Systematisierung und Bewertung der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen einschließlich der herausgearbeiteten Interdepen1206 1207 1208
Vgl. Kap. 4.3. Vgl. im Folgenden Kap. 3.4.3.1 und Kap. 3.4.3.2. Vgl. Kap. 3.5.
232
Zusammenfassung und Ausblick
denzen als wertvolle Grundlage dienen. Darüber hinaus bietet der entwickelte Leitfaden zur zukünftigen Ausgestaltung von Sanierungskonzepten für beide Institutionen sowie für alle Ersteller von Sanierungskonzepten eine umfassende Hilfestellung. Die Handlungsempfehlungen des entwickelten Leitfadens können in einer allgemein akzeptierten Norm bzw. einem entsprechenden Standard teilweise oder komplett aufgehen oder im Fall häufiger Anwendung bzw. breiter Akzeptanz auch selbst zu einer De-facto-Norm bzw. einem De-facto-Standard werden. Somit leistet der entwickelte Leitfaden in beiden Fällen einen Beitrag zu einem allgemein anerkannten betriebswirtschaftlichen Standard.1209 Für die Zukunft sind laufend die sich verändernden rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verfolgen und ihre Auswirkungen bei der Erstellung von Sanierungskonzepten zu berücksichtigen. Was die IDW-Grundsätze zur Erstellung von Sanierungskonzepten betrifft, so ist zu überlegen, wie die identifizierten generellen Trends auch in den Grundsätzen stärker zum Ausdruck gebracht werden könnten. Dies wäre z.B. durch die Erweiterung bzw. Konkretisierung der IDW-Grundsätze um einen Grundsatz der Zukunftsbezogenheit und einen Grundsatz der Quantifizierung von Sanierungszielen bzw. des Veränderungsbedarfs sowie um einen Grundsatz der Maßnahmenorientierung denkbar. In Bezug auf die geplante Überarbeitung bzw. Neuentwicklung von Anforderungen an Sanierungskonzepte seitens des IDW bzw. der TMA Deutschland bleibt abzuwarten, wie die Anforderungen im Detail ausgestaltet sind. Um sie zu beurteilen und mit den bisherigen Anforderungen zu vergleichen, können diese Vorgaben für Sanierungskonzepte mit dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten zweistufigen Bewertungsverfahren analysiert werden. Es bleibt zu wünschen, dass sich die betriebswirtschaftlich validere, zukunftsorientierte und unternehmerischere Vorgabe für Sanierungskonzepte letzten Endes nicht nur unter Betriebswirten, sondern auch bei Juristen durchsetzt.
1209
"De facto" bedeutet "in Wahrheit", "tatsächlich bestehend" bzw. "den Tatsachen nach", gleichgültig ob diese rechtlich ("de jure") begründet sind und wird häufig im Gegensatz zu "de jure" verwendet, vgl. Schulz, H., Basler, O. (1999), S. 71f. Der Begriff De-facto- oder Industriestandard beschreibt ein pragmatisches Regelwerk, das sich im Laufe der Zeit, ohne dass ein Normungsverfahren durchgeführt wurde, durch die Praxis vieler Anwender bzw. verschiedener Hersteller bei einer gewissen Problemstellung als (technisch) nützlich und richtig erwiesen hat.
Anhang: Verzeichnis der Interviews
Interviewkennung
Status
Datum
Art
Weitere Dokumente
I-1 I-2 I-3 I-4 I-5 I-6
Investor Investor Investor Investor Investor Investor
21.09.06 05.10.06 10.10.06 11.11.06 11.11.06 01.12.06
persönlich persönlich schriftlich persönlich persönlich persönlich
ja nein nein nein nein ja
B-1 B-2 B-3 B-4 B-5
Berater/Sonstige Berater/Sonstige Berater/Sonstige Berater/Sonstige Berater/Sonstige
27.10.05 09.12.05 10.10.06 11.10.06 29.11.06
persönlich persönlich persönlich persönlich persönlich
ja ja ja nein nein
WP-RA-1 WP-RA-2 WP-RA-3 WP-RA-4 WP-RA-5
WP/Rechtsanwalt WP/Rechtsanwalt WP/Rechtsanwalt WP/Rechtsanwalt WP/Rechtsanwalt
28.09.06 10.10.06 11.10.06 24.10.06 25.10.06
persönlich persönlich persönlich persönlich persönlich
ja ja ja ja ja
234
Anhang
Anhang: Verzeichnis der Interviewpartner
Bierbaum, Patrick F.: Silver Point Principal Finance Eulenburg, Richard Graf zu: Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) Gondert, Heinz-Günter: Partner, Clifford Chance Häger, Michael: Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Warth & Klein GmbH – Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Kehren, Oliver: Executive Director, Morgan Stanley Koolmann, Joachim: Senior Managing Director, Bear Stearns Special Situations Group Linse, Michael: Executive Director, Goldman Sachs European Special Situations Group Minuth, Dr. Peter: Rechtsanwalt, Piepenburg – Gerling Rechtsanwälte Newman, Arthur: Senior Managing Director, The Blackstone Group Seagon, Christopher: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Wellensiek Rechtsanwälte Sprayregen, James H. M.: Managing Director, Goldman Sachs Voss, Reinhard: Direktor, Commerzbank AG Zwick, Dr. Ansgar: Managing Director, Houlihan Lokey Howard & Zukin
Die Auflistung der Interviewpartner erfolgt hier in alphabetischer Reihenfolge. Drei Interviewpartner wollten nicht namentlich in das Verzeichnis der Interviewpartner aufgenommen werden. Neben den Experteninterviews fand eine Vielzahl informeller Gespräche und Diskussionen mit weiteren Personen statt, die hier nicht namentlich erwähnt werden.
Anhang
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Anhang: Interviewleitfaden Interviewleitfaden1210
1210
Für die Interviews mit amerikanischen Interviewpartern wurde ein auf dem deutschen Interviewleitfaden aufbauender etwas verkürzter Leitfaden in Englisch verwendet.
236
Anhang
Anhang
237
238
Anhang
Anhang
239
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