Das neue Abenteuer 450
Otto Emersleben: Am Rande des Wassers Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
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Das neue Abenteuer 450
Otto Emersleben: Am Rande des Wassers Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Illustrationen: Günther Lück © Verlag Neues Leben, Berlin 1984 Lizenz Nr. 303 (305/83/84) LSV 7503 Umschlag: Günther Lück Typografie: Walter Leipold Schrift: 10p Times Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 643 671 5 00025
Der Wind schwieg. Über dem weitgeschwungenen Strand reckten sich dicht an dicht die gefiederten Stelzen der Kokosbäume. Sie schienen aus der Ferne zu einem gewaltigen Staketenzaun erstarrt, der jedem Fremdling ein Vordringen in das Inselparadies verwehrte. Strahlend weiß grüßte der Gipfel des Mauna Loa herab in die Bucht. Bis er sich wieder in Wolken hüllte, würden noch ein paar Stunden vergehen. Dann hätte die Abendbrise längst die Palmwedel zum Rauschen gebracht, und laut schreiende Seevögel irrten umher auf der Suche nach einem Schlafplatz. Plötzlich zerbrach ein Kanonenschuß die Stille über Wasser und Ufersaum. Vor dem Geschützdeck eines der beiden dreimastigen Schiffe, die weit draußen, zwischen den felsigen Zangenklauen der Bucht, ankerten, stand die Wolke aus Pulverdampf fast unbewegt. Wie in einem Spiegel erschien nun neben dem anderen Segler eine ebensolche Wolke und da dröhnte auch schon der Echoschuß. Die Schaluppen Resolution und Discovery Seiner Britischen Majestät lagen mit gekreuzten Rahen, die Flaggen auf Halbmast. An Deck waren Mannschaften und Offiziere zu feierlichem Gebete angetreten. Die Kanonenschüsse löste ein verhalten prasselnder Trommelwirbel ab, minutenlang. Dann glitt aus einer Klappe auf dem Vorschiff der Resolution eine Kiste ins Wasser, war im Zusehen versunken. Die Geschütze verstummten; Kommandos ertönten. Schlaff stiegen die Fahnen in den windstillen Himmel. Die dritte Weltumseglung, zu welcher die Seelords der Britischen Admiralität Commander James Cook im Juli
1776 ausgesandt hatten, war ein ehrgeiziges und doch wohlerwogenes Unternehmen. Der Plan zu der Reise beruhte in weiten Teilen auf den Erkenntnissen, welche Cook auf seinen vorhergehenden Fahrten in der Südsee gesammelt hatte. Aber auch die Absichten dieser Lords hinsichtlich einer Ausbreitung der britischen Seemacht in der Südsee spielten eine nicht unwesentliche Rolle. Allerdings sahen sie dieses Gebiet stets nur als Teil - als einen wichtigen, aber doch eben nur als Teil - eines britischen Weltreichs an. So gingen die Absichten und Aufgaben, welche Commander Cook für diese neuerliche Weltreise anvertraut worden waren, auch über das Gebiet der Südsee hinaus, betrafen vielmehr Ziele und Vorhaben, die bislang bereits andere Seemächte erfolglos anvisiert hatten. Eins davon war die Erkundung einer Möglichkeit, vom Stillen Ozean um Amerikas Norden herum in den Atlantik zu segeln sozusagen im Gegenzug zu der von Magellan für Spanien aufgefundenen Passage im Süden der Neuen Welt. Warum sollte das, was Spanien recht war, Britannien nicht billig sein? Bis zur Entdeckung der Sandwich-Inseln - von ihren Bewohnern Hawaii genannt - knapp unter dem nördlichen Wendekreis war alles nach den Plänen der Seelords verlaufen, dann aber hatte Cook die Nordpassage vergeblich angesteuert, das Eis ohne Ergebnis berannt und war schließlich umgekehrt, um auf Hawaii mit seiner Mannschaft neue Kraft für das kommende Jahr zu schöpfen. Auf der Rückfahrt - der letzten Etappe des Weges zu den Inseln - mußten sie einen schweren Sturm bestehen. Einen Sturm, wie er so plötzlich und mit so ungehemmter Wucht nur in den tropischen Breiten der Südsee ausbre-
chen konnte. Im Kampf der Schiffe gegen das Unwetter hatte Cook die Discovery bald aus den Augen verloren und schließlich nur noch zugesehen, soviel Tuch wie irgend möglich bergen oder doch reffen zu lassen. Aber am Fockmast waren die Leute nicht schnell genug, der Sturm hatte Bram- und Marssegel zerfetzt, beide Stengen waren gesplittert. Als die Sicht wieder gut und die See ruhig war, hatte der Captain beilegen lassen und auf die Discovery gewartet. Nach noch einmal zwei Tagen Bangigkeit war sie endlich in Sicht gekommen. Cook hatte hinübergegeben, Kapitän Clerke möge auf die Resolution kommen, um das Weitere zu beraten. "Wir müssen unter Land, und zwar sofort. Noch ein solches Orgelkonzert, und mir bricht auch der Großmast", hatte er Clerke eröffnet. Der, froh darüber, noch einmal davongekommen zu sein, fragte nur: "Wie viele Boote . ich meine, sollen wir Wasserholen befehlen und die Beiboote bemannen?" Aber Cook hatte darauf bestanden, sofort einen ruhigen Ankerplatz für die beiden Schaluppen zu suchen, um seinen Fockmast in Ordnung zu bringen. "Und wo, Commander, meinen Sie, wäre ein solcher .?" "Einen ruhigeren Ankerplatz als die Bucht, die wir im vergangenen Frühjahr verlassen haben, werden wir schwerlich finden. Dort wird sich alles regeln lassen. Der Mast muß an Land, Holz brauchen wir und Nahrung für den zweiten Vorstoß nach Norden. Die Inselbewohner werden uns helfen." "Die Wilden werden uns ., den letzten Nagel werden sie uns aus den Schiffsplanken ziehen und dann .", hatte Clerke mit einem unfertigen Satz erwidert, wie es seine
Art war, sobald die Aufregung von ihm Besitz ergriff. Aber in seiner Erinnerung an dieses Gespräch mit dem Commander hatte sich dann ein Satz Captain Cooks festgesetzt, der den ganzen Mann zu umschreiben schien: "Sollte ich nicht das Glück haben, über den Nordpol heimzukehren, so hoffe ich doch, wenigstens festzustellen, ob eine solche Durchfahrt überhaupt möglich ist." Sollte ich nicht das Glück haben, über den Nordpol heimzukehren . Das konnte schließlich alles bedeuten.
Nachdem sie auf Hawaii Kraft geschöpft hatten, würde der neue Sommer vielleicht neues Glück bringen, dachte Kapitän Clerke nun. Immerhin ., die Umsicht, mit der Cook auch diese Reise vorbereitet hatte, war nicht umsonst gewesen. Keine Skorbutopfer, keine größeren Händel mit den Indianern . Wenn der Commander gegen diese Wilden nur nicht so nachsichtig wäre. Sprach er von der neuen Zeit, die sie großspurig Aufklärung nannten, glaubte er damit alles erklärt und entschuldigt, was er an Nachsicht und - so meinte Clerke - auch an Schwäche gegen die Insulaner hier und anderswo zeigte. Als seien aus Wilden inzwischen gute Wilde geworden . Dann lief die Discovery im Kielwasser des Flaggschiffs in jene Bucht ein, die sie schon vom Vorjahr her kannten. Clerke hatte anderes zu tun, als sich Gedanken über die Moralprinzipien des Commanders machen. Er stellte einen seiner Seekadetten auf die Back der Dis covery, um einen günstigen Ankerplatz auszuspähen. Günstig, so hatte er es dem Midshipman eingeschärft, hieß auch und vor allem in möglichst großer Entfernung zum Ufer - vielleicht hielt das die Wilden davon ab, scharen-
weise an Bord zu kommen wie auf anderen Inseln, die sie besucht hatten und wie hier im Vorjahr auch. Hoffentlich aber schreckte es wenigstens die Indianerinnen. Schließlich war sein Schiff kein Bordell. Dann kamen die Kanus doch. Zwar nicht so viele und nicht so überladen, wie die Engländer es bisher erlebt hatten. Aber Clerke traute seinen Augen nicht, als er in einem der Boote, die auf die Discovery zuhielten, einen alten Bekannten entdeckte: den Oberpriester der Insel, den die Männer an Bord im Scherz Bischof riefen und der auf diesen Ruf gehört hatte wie ein Seemann auf den Pfiff für die tägliche Rumration. Der Bischof . Immer war er zu Cook gefahren, dem Erono, wie die Indianer einen Commander nennen, und sie waren, sooft dieser Name fiel, in Ehrfurcht erstarrt wie vor einem ihrer Götzen. Und nun kommt er zu mir auf die Discovery, dachte Clerke. Da stand der Mann auch schon vor ihm, ein breites Lachen auf seinem gebräunten Gesicht, den Bart gelockt und die langen dunklen Haare mit Öl geglättet. Wies auf die Ferkel, die Bananenstauden und die Körbe mit Kokosnüssen, welche seine Leute an Bord hievten. Der Bischof auf der Discovery . Aber Clerke hatte für all das, was da gebracht wurde, keine Augen. Für diese Geschenke würden die Wilden sich wieder Gegengeschenke nehmen, Nägel und Werkzeug und andere nützliche Dinge. Und er würde ihnen wieder die Marines hinterherhetzen müssen - der alte Trott. Und wenn er das Ding beim Namen nannte und zu Captain Cook von Diebstahl sprach, bekam er noch einen Rüffel . War das der Geist der neuen Zeit: daß man die Dinge nicht mehr beim Namen nennen durfte? All das tauchte jetzt jedoch nur am Rande auf, wie eine flüchtige Erinne-
rung. Clerke bekam seinen Blick nicht los von dem Federkleid, das der Zauberer über Schultern, Rücken und Brust trug. Diesen unglaublich bunten Umhang hatte er doch . Ja, es gab keinen Zweifel: Das war der Umhang, den der Priester bei seinem ersten Besuch an Bord der Resolution getragen hatte, beim Erono. Beim Erono, der sich huldigen ließ durch die Wilden; und der wie zum Dank dafür seinen eigenen Leuten sogar das Wort Wilde verbot und selbst Indianer hier auf den Inseln nicht gelten ließ. Clerke spürte den Neid auf seinen erfolgreichen Vorgesetzten nicht, der in ihm mitschwang bei dieser unguten Erinnerung. Lächelnd legte er jetzt seine Hände auf die weichen, flauschigen Schultern des Insulaners. Und plötzlich wechselten seine Gedanken. Dieser Mantel würde ihm gehören. Cook, dem das festliche Kleid zum Geschenk angeboten worden war damals, hatte abgelehnt, aus welchen Gründen auch immer. Einem Kapitän Clerke brauchte ein solches Prachtkleid nicht erst angeboten zu werden . "Wieviel willst du für deinen Staatsrock haben, Bischof, fragte er immer noch lächelnd. Natürlich verstand der Indianer ihn nicht, und so machte Clerke die Geste des Tauschens, indem er seine Hände von den Schultern des Mannes nahm und die Handrücken gegeneinander rieb. Da aber hob der Wilde abwehrend die Arme, wies dann fragend mit ihnen an seinem Federrock abwärts. Clerke beeilte sich, bestätigend zu nicken. "Wieviel?" Er sah dem Bischof fest in die Augen dabei. Hatte er ihn doch endlich soweit . Der Commander würde nicht wenig staunen, wenn er plötzlich ihn, Clerke, im Besitz dieses prachtvollen Rockes sah. Der Priester griff mit der Rechten unter den Mantel, zog
sie sofort wieder hervor, und nun war es an Clerke, verständnislos dreinzuschauen: Die Hand hielt eins der Hartholzmesser umklammert, mit denen sie Fleisch und Früchte zerteilten und selbst das poröse Vulkangestein am Strand bearbeiteten.
Aus Clerkes Verständnislosigkeit wurde Angst. Was hatte der Zauberer mit seinem Messer vor? Clerke griff nach dem Degen, ließ aber seine Hand sofort wieder sinken, als der Insulaner, der inzwischen auch seine Linke unter den Federmantel geführt hatte, ein Stück Eisen zum Vorschein brachte, irgendeinen Beschlag. Wo nur hatte er den gestohlen? Nun sah Clerke doch genauer hin und erkannte ein Scharnier, zu einer beliebigen Kiste, englische Arbeit, unzweifelhaft hier an Bord gestohlen vor einem Jahr . Leicht mit Rost überzogen war das Ding inzwischen.
Beschwörend hob der Mann nun beide Arme, und über seinem Kopf hielt er das Holzmesser und das Scharnier fest gegeneinandergepreßt. Dazu murmelte er ein Wort in seiner Sprache, von dem Clerke wußte, daß es die Zahl Fünf bedeutete. Nun begriff er, wiederholte die Zahl, rieb noch einmal die Handrücken gegeneinander und rief nach dem Schmied. "Die fünf eisernen Dolche für diesen Gentleman", befahl der Kapitän, "haben zum Abend fertig zu sein!" Dann eilte Clerke nach achtern, von wo girrendes Frauenlachen zu hören war.
Auf der Resolution war man ohne Verzug an die Arbeit gegangen. Cook ließ die Marsrah des beschädigten Mastes am Großmast als Kranarm ansetzen und damit die gesplitterten Fockstengen ausheben. Ein Kranz neugieriger Zuschauer in Doppelrumpfkanus und kleineren Booten hatte sich um die Schaluppe gelegt. Erst als die Stengen im Wasser waren und von zwei schwimmenden Zimmerleuten gegeneinandergeschnürt wurden, bemerkte der Captain unter den Neugierigen auch Häuptling Terriobo. Er beeilte sich, ihn an Bord zu bitten. Das war der richtige Mann, den Zimmerleuten die Arbeit an Land zu gestatten. Terriobo gestattete. Und er setzte ein wichtiges Wort hinzu, dessen Zauberkraft sich schon mehrfach erwiesen hatte: Tabu. Kein Eingeborener würde den Platz, der mit diesem Bannspruch belegt war, betreten. Das war ihr Gesetz. Es gab noch dies und das zu bereden - mit den bescheidenen Mitteln der Zeichen und der wenigen gemein-
samen Worte, hawaiischen wie englischen, über die sie beide verfügten. Cook war zufrieden, mit seinem gezausten Schiff in diese gastfreundliche Bucht zurückgekehrt zu sein. Am Rande des Wassers auf Freunde zu treffen, war schon eine Entdeckung für sich - noch wertvoller wohl als manch neu gefundenes Vorgebirge oder ein zufällig bemerkter Meeresarm. Zum Abschied schenkte er Terriobo eine Schüssel aus grünem Glas. Der Häuptling war noch nicht von Bord, als plötzlich der Master der Resolution vor Cook stand. Er war erregt, sein Gesicht zorngerötet. "Die Wilden haben den Zimmerleuten ein Beil gestohlen", stieß er hervor. "Warum sprecht Ihr nicht endlich in der einzigen Sprache mit ihnen, die sie verstehen?" "Und was wäre das für eine Sprache?" entgegnete Cook ruhig, obwohl auch er das Verschwinden des Beiles als schweren Zwischenfall ansah - zumal jetzt, da sie jede Zimmermannshand nötig hatten. "Zeigt ihnen endlich, wer die Kanonen hat. Und die Musketen." Der Master hatte fordernd die Fäuste geballt, schüttelte sie im Takt seiner Worte. Der Kapitän blickte ihm in die Augen. Da ließ er, als er geendet hatte, die Hände sinken. Wie oft hatte Cook solche Ausbrüche schon erlebt. Würden diese Leute denn niemals verstehen, daß es nicht darum ging, den Wilden ihre Überlegenheit vorzuführen - eine im übrigen äußerst fragwürdige Überlegenheit. "Kugeln und Kanonaden haben sich an vielen Ufern als untaugliche Worte erwiesen", sagte er und ließ seinen Master stehen. Er eilte nach Backbord, dorthin, wo Terriobo zurück in
sein Kanu gestiegen war. Aber der Häuptling war schon ein paar Bootslängen entfernt. Cook winkte ihm. Terriobo verstand und ließ umkehren. Ein Beil. Mein Gott, ein Beil. Die ganze Welt schien auf dessen scharfer Schneide zu stehen: für den eingeborenen Insulaner, den das glänzende, unbekannte Material anzog oder der vielleicht sogar beobachtet hatte, was damit alles zu machen war, aber auch für den Zimmermann, der nun untätig bleiben mußte, obwohl sie doch keinen Tag zu verschenken hatten. Im Norden, an der Grenze des Eises, würde sich jede Verzögerung rächen. Ohne zu wissen, wonach er Ausschau hielt, blickte Kapitän Cook sich um. Aber da hatte er schon, was er suchte, rief einen der Zimmerleute an, ihm seine Axt zuzuwerfen, und erwischte den wirbelnden Stiel mit festem Griff. Er beugte sich außenbords. Terriobos Kanu lag, von seinen Ruderern an den Strickleitern der Resolution gehalten, mittschiffs. Der Captain schwenkte das Beil und machte, mit der freien Hand in seine Armbeuge schlagend, die Geste der Flucht. Dann winkte er den "Flüchtling" mit weit ausholendem, bedächtigem Schwingen des Arms wieder heran. Er hielt erst ein, als der Häuptling nickte. Das Kanu legte ab. Aus dem Gesicht des Zimmermanns, der die ganze Zeit neben Cook gestanden hatte, las der Captain schlecht verborgene Skepsis. Wann würden sie endlich begreifen .? Terriobo brachte das Beil zurück, bevor noch der Abendschuß von Bord des Flaggschiffs den Sonnenuntergang anzeigte. Triumphierend zeigte Cook es seinem Master, der gab es stumm zurück. Aber der Captain blieb hartnäkkig, reichte dem Master noch einmal das wiedergewonne-
ne Werkzeug und sagte: "Seht genau hin ob es wohl das Stück ist, das wir suchen." Der Master, stumm mit dem Kopf schüttelnd, griff nicht zu. Da fuhr Cook fort: "Wer weiß, vielleicht haben sie inzwischen selbst Eisen zu schmelzen gelernt und schieben uns ein falsches Beil unter, ein nachgemachtes." Er lachte. "Es geht auch ohne die einzige Sprache, die Ihr beherrscht, Master." Der Angesprochene, noch immer stumm, wandte sich ab. Verhielt dann doch, drehte sich um und sagte: "Trotzdem, Captain - Ihr laßt sie uns auf der Nase tanzen."
Häuptling Terriobo hatte noch etwas mitgebracht: die Einladung zu einem Fest an Land. Beim Aufbruch dorthin vermißte Cook seinen Master. Er hatte befohlen, ohne Waffen zu fahren. Einzige Ausnahme bildeten ein Halbdutzend Seesoldaten mit ihren Musketen, die die Boote bewachen sollten. Mißmutig drängten sich die Marines in dem Kutter nach achtern. Die Leute von der Discovery waren schon auf dem Tanzplatz oberhalb des Dorfes, als der Commander eintraf. "Wo ist Kapitän Clerke?" fragte Cook, denn auch ihn sah er nicht. Dann zögerte er, blickte unsicher in die Runde. Sollte er diese Einladung, nur von ein paar Neugierigen aus der Mannschaft und den Leutnants begleitet, überhaupt wahrnehmen? Den verschmitzten Blicken der Umstehenden folgend, die er nach Clerke gefragt hatte, entdeckte der Captain diesen dann doch: in jenem bunten Federkleid, das einst dem Oberpriester gehört hatte. Ja, jetzt erinnerte sich der Captain. Clerke schritt auf Cook zu, mit gekünstelt kurzen
Schritten. Unverhohlen freute ihn die gelungene Überraschung. "Erono, hier bin ich - stets zu Ihren Diensten", sagte er, sich vor dem Commander verbeugend. Aber Cook war für solche Spaße nicht aufgelegt, noch dazu vor den Augen der Eingeborenen. "Was soll diese Maskerade?" fragte der Commander unwirsch. Clerke verstand, daß er zu weit gegangen war. Dann blieb keine Zeit mehr. Terriobo wies ihnen die Plätze zu und klatschte in die Hände: Das Tanzspiel konnte beginnen. Zunächst ließ ein Männerreigen die Erde erbeben. Die geölten Körper - ein bewegliches Flechtwerk aus Rümpfen, Armen, stampfenden Beinen - neigten sich schreiend aufeinander zu, kippten dann nach hinten über. Der Kreis zog sich auseinander, verengte sich wieder. Ein einzelner Flötenspieler bestimmte den Takt, in welchem dies alles geschehen sollte, Zusammenkauern, Sprünge, jetzt neuerliches Stampfen und Schreien. Dann plötzliches Schweigen. Die Hände gekreuzt vor der Brust anstelle einer Verbeugung. Und endlich die Frauen: in ihrer grazilen Nacktheit ganz ohne Scham, das lange, blumengeschmückte Haar bei jeder Rumpfbeugung aufschüttelnd. Sie sangen, verdrängten die Flötentöne, dann wieder tanzten sie stumm und gelöst, ohne jede Verbissenheit. Cook sah sich um zu seinen Leuten. Woran mochten sie denken? Daran, daß sie nun, da der Captain von Bord war, ein Liebesfest im Mannschaftslogis versäumten? Dabei war er, wie er sich hatte sagen lassen, in dieser Beziehung noch immer weniger streng als Kapitän Clerke. Ließ den Frauenbesuch an Bord durchgehen, weil er hoffen durfte, dann vor dem Mast ausgeglichenere Leute zu haben. Frei
nicht nur von Skorbut, sondern auch von den Sehnsüchten des Alleinseins. Oder holten sie sich hier, bei diesen anmutig und doch auch - zugegeben - aufreizend bewegten Körpern nur um so größeren Appetit; von dem sie dann keine noch so harte Arbeit in Wanten und Rahen, ja, nicht einmal die Kälte des Eismeeres würde befreien können? Cook kam nicht dazu, diese Gedanken zu Ende zu bringen. Plötzlich lag die Bucht in glutrotes Licht getaucht. Ein leuchtender Punkt stieg in den Himmel, das Wasser glitzerte auf, man sah nun auch den feinsten Wellenzug. Die Lavafelsen warfen bizarre Schatten. Es ist etwas vorgefallen an Bord, wir müssen sofort zurück - das war Cooks erster Reflex. Da riefen die anderen auch schon: "Eine Rakete!" Der Leuchtfleck erreichte den Scheitelpunkt, die Bahn kippte zur Erde zurück, ganz allmählich verringerte sich das Leuchten. Aber schon war ein neuer leuchtender Punkt unterwegs, ein zweiter, dritter. Wieder rot erst, dann glühte die Nacht grün auf. Neue Raketen machten sich auf den Weg - waagerecht über das Wasser, schräg in weitreichender Flugbahn aufs Land zu, schließlich in alle Richtungen. Und nun flammte im Großtopp der Resolution eine garbensprühende Feuersonne auf. Cook strengte sein Ohr an, aber das Fauchen war nicht zu vernehmen. Was er jedoch hören konnte, waren die Äußerungen der Angst bei den Tänzerinnen und den anderen Eingeborenen. Jetzt, da die Erstarrung des ersten Schrecks vorüber war, riefen sie und stöhnten, die Frauen warfen sich auf die Erde und schrien gequält auf. Einige trommelten mit ihren Fäusten gegen den Boden, so, als führten sie ihren Tanz nur in anderer Pose weiter. Ringsum war Fluchtlärm und Kopflosigkeit.
Unbewegt, zwischen Cook und Clerke, saß Terriobo. Er wandte nur ab und an den Kopf, folgte dem Flug einzelner Raketen mit ungebrochener Aufmerksamkeit. Offenbar genoß er das schaurig grandiose Spektakel. Unter den britischen Seeleuten herrschte als Reaktion auf das unerwartete Feuerwerk fröhliche Zufriedenheit vor. Sie wiesen sich gegenseitig mit viel lautem "Oh!" und "Ah!" auf die schönsten Figuren und Farben hin, kommentierten schenkelklatschend eine zu früh abgeknickte Leuchtspur. Daß die Eingeborenen inzwischen fast alle verschwunden waren, störte sie nicht - für sie war das grellbunte Schauspiel am Nachthimmel eine direkte Fortsetzung der Tanzdarbietungen und das Ganze ein rundum gelungener Abend. Cook hatte, als er verstand, daß dies kein Notsignal,
sondern eine pyrotechnische Orgie war, zunächst nicht an seinen Master gedacht bei der Suche nach dem Verantwortlichen. Der Waffenmeister, die Kanoniere, die sowieso meist besoffen waren, solange es nichts zu tun gab für sie - so viele waren an Bord geblieben, und aus der Ferne war schließlich jeder verdächtig. Aber dann, als sich Geschützdonner - vereinzelt erst, dann in zornig grollenden Salven - über das Knallen der Feuerwerkskörper legte, fiel ihm endlich der Master ein und dessen Vorhaltung, die Wilden seien nur mit Kanonen ansprechbar und sonst gar nicht, und er, der Captain, zögere viel zu lange, sie endlich für ihre Diebereien zu strafen! Allerdings konnte wohl einer allein - und sei er noch so betrunken - die vielen Raketen nicht gleichzeitig zünden und all die Kanonen laden und abschießen. Der Master aber wäre der Mann, all das zu koordinieren . Der Geschützdonner hatte auch Terriobo unruhig gemacht. Er zuckte bei jedem Knall zusammen, und als schließlich die Kanonade dicht wie ein tropischer Regen prasselte, sprang er auf, schrie etwas und stürzte, den letzten seiner fliehenden Landsleute nach, ins Dunkel. Nun sah auch Kapitän Cook keinen Grund, noch länger zu bleiben. Er befahl sofortigen Aufbruch und schrie gegen den Lärm des Schießens an: "Kapitän Clerke, Ihr sichert mit Euren Leuten den Abschluß unserer Gruppe." Als er Clerke dabei ansah, schien es, als habe er dessen Kostümierung ganz vergessen und staune nun von neuem darüber. Es drängte Cook zu den Booten, die sie bald schon von dem schmalen Pfad her am Ufer ausmachen konnten. Noch immer waren Himmel, Strand und Felsen in wechselndes buntes Licht getaucht. Die Häufigkeit der Ab-
schüsse nahm jedoch endlich ab. Drohend wie ausgefahrene riesige Krallen reckten sich die dunklen Silhouetten der Kokospalmen empor. Cook beließ es, nachdem sein schlimmster Zorn verraucht war, dann bei einer Verwarnung des Masters und der Drohung, die Sache werde in England ein Nachspiel haben. Den Mann schon hier und jetzt, unmittelbar vor Antritt der entscheidenden Etappe ihrer Weltreise, zu bestrafen - dazu konnte er sich nicht entschließen, obwohl er sonst weder mit Auspeitschen noch mit Arrest zimperlich war. Cook glaubte, die ungebrochene Autorität des Masters bei der Suche nach einer Durchfahrt im Eis noch nötig zu haben. Daß sein eigenes Ansehen sowohl bei Kapitän Clerke als auch bei den Leutnants, den Midshipmen und der Mannschaft durch stillschweigendes Übergehen des eigenmächtigen Feuerwerks leiden könnte, nahm er in Kauf. Unmißverständlich machte er dem Vermahnten jedoch unter vier Augen klar, daß er sich von niemandem auf der Nase herumtanzen ließe - weder von seinem eigenen Segelmeister noch von den Eingeborenen dieser Insel. Zum Beweis schickte er einen Leutnant mit einem Dutzend Marines Verstärkung an Land, als die Wache am tabuisierten Werkplatz der Zimmerleute aus dem Wald heraus mit Steinen beworfen wurde. Der Commander gab uneingeschränkten Schießbefehl, falls sich solche Vorfälle wiederholen sollten. Seit dem schreckenbringenden Feuerregen hatte Terriobo das Tabu, mit dem er die Fremden an Land umgab, offenbar auch auf ihre Schiffe draußen in der Bucht ausgedehnt. Zwar sah man die Boote der Inselfischer zum Fang auslaufen, die nächste Umgebung der Schaluppen jedoch mieden
sie. Nur die an Bord verbliebenen Frauen erinnerten noch an den früher so guten Kontakt zur Inselbevölkerung. Sie waren halt da wie immer - ohne dazu gezwungen worden zu sein. Kehrten die Fischerboote zurück, brachten sie jedoch nicht wie sonst einen Teil ihres Fanges auf die Dis covery oder die Resolution, und auch von Land her blieben mit den Gästen die Nahrungsgaben aus. Einzig diejenigen unter den Briten, die das Wort von den "diebischen Indianern" so gern und laut im Mund geführt hatten, waren zufrieden, endlich in Ruhe gelassen zu werden. Wo nichts zu bezahlen war, gab es natürlich auch keinen Streit um den Preis. Was die Frauen für ihre Liebesdienste bekamen, brauchten sie sich nicht selbst zu nehmen, und außerdem galten dafür feste Sätze. Bunte Stoffe und Glasperlen, aber auch eiserne Nägel waren die Währungseinheiten. Eine Folge des Ausbleibens der Nahrungsversorgung durch die Insulaner war nicht nur, daß die an Bord befindlichen Vorräte für die weitere Reise nicht mehr aufgestockt werden konnten, sie mußten vielmehr schon jetzt angegriffen werden. Ein späterer Zeitverlust durch nochmaliges Bunkern an einer anderen Insel war somit unvermeidlich geworden. Hatte nicht Terriobos Tabu zwei Gesichter? Es schützte sie und verweigerte ihnen die Nahrung. Aber selbst diese Verweigerung, dachte der Commander nun, hatte etwas Gutes: Es ließ ihn erkennen, wie unaufschiebbar ihre Abreise war. Cook drängte zur Eile. Er ließ sich, begleitet von einem Leutnant und einer Zehnerschaft Seesoldaten, an Land rudern. Nach Inspektion des Stands bei den Reparaturarbeiten legte er fest, daß die Mastteile am übernächsten Tag an Bord geflößt, dort sofort montiert und dann ohne Ver-
zug die Segel gesetzt werden sollten. Sie waren nicht dafür um die halbe Erde gesegelt, daß ihren Schiffen hier in dieser verdammt einsam gewordenen Bucht Tangbärte wuchsen. An Bord der Resolution zurückgekehrt, ordnete der Commander seine Unterlagen, sichtete noch einmal das im Vorjahr an den nördlichsten Küsten Asiens und Amerikas gewonnene Material und erwog anhand seiner Aufzeichnungen die künftig einzuschlagenden Kurse. Cook war froh, der Deckswache ausdrücklich befohlen zu haben, niemanden vorzulassen. Wenn ihn die Leidenschaft des Reisens mit Zirkel und Karte fortriß, wollte er ungestört sein. Der Mensch ist nur dann ein Mensch, wenn er unterwegs ist. Er würde selbst dann, wenn das Schicksal ihm eine Heimkehr durch die Nordpassage verweigerte, Klarheit über das Vorhandensein dieser Durchfahrt schaffen. Um Amerikas Nordküsten herum von einem Ozean in den anderen zu segeln - das war auch der Traum von wohl einem halben Hundert Forschungsreisenden vor ihm gewesen. Daß dieser Traum sich nicht erfüllt hatte, brauchte nicht daran zu liegen, daß all diese fünfzig Männer mit ihren Leuten etwas falsch gemacht hatten. Es konnte auch sein, daß er sich nicht erfüllen ließ, weil die gesuchte Durchfahrt nicht existierte oder unpassierbar war. Der Captain maß, rechnete, konstruierte, verwarf, zeichnete erneut. Passage oder Nichtpassage, er würde dieses Rätsel mit der doppelt gültigen Lösung schon zu zwingen wissen. Die andere große Frage der Erdkunde - nach der Existenz eines riesigen Südkontinents - war seit seiner zweiten Weltumseglung auch keine Frage mehr: Es gab diesen Kontinent nicht, die rätselhafte Terra australis incognita. Und was es nicht gab, konnte auch niemand
entdecken. Hier, an Bord dieser Resolution, zu Beginn ihrer gemeinsamen Fahrenszeit, war ihm der Beweis dafür gelungen. Vielleicht war es überhaupt seine Bestimmung, Unentdeckbarkeiten nachzuweisen. Anders als Kolumbus fügte er auf dem Globus nicht einen neuen Kontinent zum Bild der Erde hinzu, sondern wischte vielmehr einen Erdteil hinweg, den manche Kartographen und Globenzeichner schon recht detailgetreu zu kennen glaubten. Das unbekannte Südland hatte sich als nichtexistierendes Südland entpuppt. Möglich, daß es auch diesmal sein Schicksal war, einen solchen Beweis zu führen. Sollte ich nicht das Glück haben, über den Nordpol heimzukehren . Das konnte vieles bedeuten. Aber festgestellt zu haben, ob eine Passage überhaupt existierte diesen Ruhm würde er sich von niemandem streitig machen lassen. Alles andere, auch die kleinlichen Sorgen an Bord und mit den Eingeborenen von Hawaii, hatte vor dieser bedeutsamen Frage zurückzutreten. Im selben Augenblick wurde hart an die Tür der Kajüte geklopft. Ärgerlich sah James Cook auf von seinen Papieren. Es war der Wachhabende. Ohne ein Zeichen abzuwarten stürzte der Mann herein. "Flegel! Ich habe dir doch ." Aber nicht einmal ausreden ließ die Wache den Captain. "Die verdammten Indianer haben vor einer Stunde Kapitän Clerkes Kutter gestohlen!" Cook setzte sofort zur Discovery über. Es gab keine Zeit zu verlieren, denn es war zu befürchten, die Insulaner würden den Kutter zur Gewinnung von Nägeln und anderen Eisenteilen zerstören. Als Seefahrzeug brauchten sie ihn ganz bestimmt nicht: Jedes ihrer schnittigen Segelka-
nus fuhr dem schwerfälligen Zweimaster ohne Mühe davon. Die Briten aber waren für Aufklärungsfahrten und Landgänge während des weiteren Verlaufs der Reise auf dieses Boot angewiesen. Cook hatte an Bord der Discovery Aufregung und verwirrte Ratlosigkeit erwartet. Als er nun an Deck stand, war niemand zu sehen - nicht einmal die Wache. Diese unverhoffte Ruhe wirkte ernüchternd. Bald aber merkte der Commander, daß dies eine trügerische Ruhe war. Vom Vorschiff her war das Klatschen von Schlägen zu hören, dann Schreie - gedämpft zunächst, schließlich laut und ungewohnt hell. Die Luke über der Vorpiek war aufgesprungen, aus der Tiefe ließ sich donnernd Clerkes Stimme vernehmen: "Ihr könnt euch verkriechen, wohin ihr wollt für eure Schweinereien - ich finde euch doch!"
Aus der Luke tauchte der Kopf einer Frau auf, das Gesicht schmerzverzerrt, das lange dunkle Haar übel gezaust. Kaum war der ganze nackte Körper an Deck, brach er zusammen. Nun polterte Clerke herauf. "Uns ausspionieren und ." Er wollte mit dem Fuß nach der Frau stoßen, da entdeckte er Cook. "Weiß man denn, was sie uns als nächstes stehlen!" sagte er, und es sollte entschuldigend klingen. Ein Seemann zog sich ohne Schwung aus der Luke, stand dann schuldbewußt hinter Clerke. Der drehte sich kurz um und sagte: "Wir sprechen uns noch! Schaff sie inzwischen von Bord!" Mit einem Kopfnicken wies er dabei auf die Frau. Dann war er bei seinem Commander. "Die anderen sind auch nicht besser. Ich habe viel zu viel durchgehen lassen in letzter Zeit!" Cook verstand genau, was Clerke meinte. Aber nun war auch er gewillt, die Zügel im Umgang mit den Insulanern straffer zu halten. Er ließ sich von Clerke die zerschnittenen Taue zeigen, an denen der Kutter gelegen hatte. Die beiden Kapitäne wurden sich ohne viel Worte einig: Einen solch frechen Handstreich durften sie sich nicht bieten lassen. Schwiegen sie zu dem Verlust des Bootes, wären neue Übergriffe möglicherweise die Folge. "Nun, da sie wissen, wie schön es knallt, werden uns die Indianer noch das Pulver aus den Kanonen stehlen." Cook nahm Clerkes Worte hin, ohne ihn auch nur mit einem Blick wegen der Indianerin zu rügen. So sehr bestürmten ihn jetzt die Gedanken. Es war nicht vorstellbar, an einer unübersichtlichen Küste oder gar am Rande des Eises ohne Beiboote auszukommen. Andererseits aber durfte keine Strafaktion we-
gen des Kutterdiebstahls die Arbeit der Zimmerleute an Land gefährden - zumal so kurz vor ihrem Abschluß. Auch dies schien plötzlich eine Ausweitung von Terriobos Tabu zu sein, das nämlich nicht nur die Fremden schützte, sondern auch die Insulaner vor ihnen . "Um heute noch etwas gegen die Diebe zu unternehmen, ist es sowieso schon zu spät." Nun war es plötzlich Clerke, der zur Besonnenheit mahnte. "Das einzige, was wir vor Anbrach der Dunkelheit tun können, ist, die Bucht abzusperren, damit der Kutter uns nicht nach draußen entwischt. Wenn er nicht schon längst ." "Meint Ihr, für eine nächtliche Blockade der Bucht reichen die verbleibenden Boote?" "Morgen ist Vollmond, Commander - da sieht man jeden Möwenschwanz auf dem Wasser. Und ich werde wohl meinen Kutter erkennen." "Ihr wollt selbst mit auf Wache ziehen?" "Aber ich werde doch nicht meinen Leuten ." Nun, da Cook wie gewohnt alles, was Clerke sagte, fragend in Zweifel zog, flüchtete der Kapitän der Discovery wieder in seine gewohnten Halbsätze. Beide verabredeten, bei jeder Schaluppe nur eine Ruderpinasse zu ihrer persönlichen Verfügung zu belassen, alle anderen Boote sollten unter Clerkes Kommando zwischen Nord- und Südpunkt der Bucht Posten beziehen. Blutvergießen sollte, darauf bestand Cook ausdrücklich, vermieden werden. Plötzlich waren von Land kurz hintereinander drei Flintenschüsse zu hören - das vereinbarte Signal für den Beginn des Rückzugs vom Mastbauplatz. Ging nun alles gut, konnte die Resolution morgen früh
um dieselbe Zeit wieder voll aufgetakelt sein. Die Zeit drängte. Sobald das Floß im Schlepp eines Bootes die Hälfte des Weges hinter sich hatte, legten die Kapitänspinassen von den Schaluppen ab. Clerke mit dem Auftrag, den Blockadering enger zu ziehen, die Siedlung der Eingeborenen in die Mitte zu nehmen; Cook in der Absicht, ins Dorf vorzustoßen und mit Terriobo eine Einigung zu versuchen. Gewalt sollte nur im äußersten Notfall angewandt werden, der Commander hatte es allen Beteiligten noch einmal eingeschärft. Für diesen Notfall allerdings waren die Bootsbesatzungen mit Pistolen, Musketen und reichlichen Schießvorräten gerüstet. Sollte der Kutter nicht durch Verhandlungen in die Hände der Briten zurückgebracht werden können, so würde Cook den Häuptling als Geisel mitnehmen und ihn an Bord der Resolution bringen. Dann hieß es eben warten und auf der Hut sein. Cook hatte sich mit einer Muskete und einer doppelläufigen Pistole bewaffnet, und da er noch immer vor dem Letzten zurückschreckte, war nur der eine Pistolenlauf mit einer Kugel geladen - der andere und das Gewehr mit Schrot. In seinem Boot saßen neun Seesoldaten unter dem Kommando eines Leutnants. Die Marines ruderten angestrengt mit gekrümmten Rükken. Hohl klang der Wellenschlag gegen den Bug der Pinasse. Beim Verlassen des Bootes wurden die Fremden von Kindern neugierig umringt. Die Kanus der Eingeborenen lagen abseits, weit hinaufgezogen auf den sandigen Strand. Mit einem Blick zurück überschaute Cook die in Bewegung geratene Kette der Blockadeboote, dann fragte
er einen der Jungen nach dem Haus Terriobos. Mit einer knappen Handbewegung wurde ihm die Richtung gewiesen - den Weg ins Dorf hinein kannte der Captain ja. Die Kinder stürmten voraus, riefen übermütig den Namen ihres Häuptlings. Und immer wieder ertönte der Ruf, mit dem die Eingeborenen Cook zuletzt bei jenem Tanzfest begrüßt hatten: "Erono, Erono ." Die flachen Holzhütten duckten sich unter den üppig wuchernden Bäumen. Cook hatte nur zwei Mann der ihn begleitenden Zehnerschaft bei der Pinasse gelassen. Als er sich nun, die Muskete in der Hand, inmitten des Dorfes sah, erkannte er, daß selbst doppelte oder dreifache Mannschaftsstärke ihnen in diesem Augenblick keine Überlegenheit bringen würde - trotz der Handfeuerwaffen und trotz des Grimms, der ihnen in so unterschiedlichem Maße in den Knochen saß. Wer sich hier nicht auskannte, war inmitten des unüberschaubaren Gewirrs aus Wänden und Flechtzäunen, Hecken und tief herabgezogenen Blätterdächern verloren. Ihm bliebe nicht einmal die Flucht, sollten sich aus den schwarz starrenden Türhöhlungen plötzlich alle Bewohner auf die Fremdlinge werfen. Aber das Dorf lag öde - selbst die Rufe der Kinder hatten hier offenbar niemanden stutzig gemacht: Zu oft war man sich inzwischen begegnet - Insulaner und weiße Ankömmlinge. Und was die ungewohnten Waffen in den Händen der fremden Gäste betraf, so vermochte wohl kein heimlicher Beobachter unter den Inselbewohnern einen Zusammenhang zwischen diesen und dem Donnerkrachen über den Schiffen zu sehen, das ihnen neulich so viel Schrecken und Angst eingeflößt hatte. Noch gab es keinen Anlaß, einen solchen Zusammenhang herzustellen .
Dann standen die Briten vor Terriobos Haus. Es war eine Hütte wie die der anderen Familien, vielleicht war der Haufen der Küchenabfälle ein wenig höher als bei den Nachbarn. Die Schweine wühlten darin mit zufriedenem Grunzen, stießen einander, quiekten kurz auf und wühlten weiter. Die Dorfkinder hielten respektvoll Abstand zur Hütte des Häuptlings. Laut riefen sie: "Erono, Erono!" Aber zunächst rührte sich nichts. Und doch fühlte Cook sich beobachtet, nicht nur aus Terriobos Hütte, sondern auch von der Nachbarschaft. Er befahl seinem Leutnant, den Vorplatz der Häuptlingsbehausung nach allen Seiten zu sichern - man hatte mit jeder Eventualität zu rechnen, kam man doch selbst in verborgener Absicht. Da erschien in dem Vorhang aus muschelbehängten Schnüren, der den Eingang zur Hütte verschloß, plötzlich ein Kindergesicht und dann sofort noch ein zweites. Cook kannte Terriobos Söhne von den Besuchen an Bord der Resolution, und einen Augenblick lang mußte er an seine eigenen Kinder denken, daheim in England, die ihn so lange schon entbehrten und auch noch lange würden entbehren müssen. Dieser kurze Gedanke hätte ihn unter anderen Umständen möglicherweise veranlaßt, seine Pläne nochmals zu überprüfen - kam er doch, auch diesen Jungen den Vater zu entführen. So aber war er nicht nur den Notwendigkeiten des eigenen Ehrgeizes ausgeliefert, alles zu tun, um den Erfolg dieser Reise zu sichern. Er handelte auch unter dem Druck seiner Reisegefährten, von denen manch einer lieber eher als später die Wilden demütigen würde, und so hütete Cook sich, etwas von dem mit Clerke vereinbarten Vorgehen zu unterlassen. Verhalten klirrten die Muscheln in den Schnüren, als der
Captain die Kinder heranwinkte und sie durch den Vorhang traten. Arglos standen sie vor ihm. Cook legte beiden die Hände auf, sagte auch etwas, ohne dafür die Worte besonders zu wählen, sie verstünden ohnehin nichts. Von ihrem Vater war die Rede, dem großen Häuptling, und daß sie ihn holen sollten. Die beiden Jungen verstanden sofort. Der eine - der ältere wohl - legte daraufhin seinen Kopf waagerecht auf die zusammengefalteten Hände: der Vater schliefe. Aber Cook ließ sich nicht abweisen. Er schickte sie zurück ins Haus, sie sollten ihn wecken. Wieder klirrten die Muscheln in den Türschnüren. Dann lag Stille über der Szene. Cooks Blick suchte den Leutnant, fand ihn, wie er einen der Misthaufen abseits von Terriobos Anwesen mit dem Degen durchstocherte. Sind wir denn wirklich nicht anders als die hauerbewehrten Schweine? Dieser Gedanke, nun doch, setzte sich fest. Haben die halbe Welt umsegelt und nun nichts anderes im Sinn, als für unsere Bäuche Fressen und für unsere Rüssel Gruben zu suchen, in denen sie stöbern können. Und stört uns jemand dabei, so lassen wir ihn unsere Stoßzähne spüren oder drohen doch zumindest damit. Dann begegnete sein Blick dem des Leutnants. Dieser sah, eher überrascht, als beschämt, zur Seite, wandte sich schließlich ganz ab. Mit der Rechten hielt er verkrampft die Muskete. Und stört uns jemand, so lassen wir ihn unsere Hauer spüren . Da klirrte wieder der Muschelvorhang. Terriobos Jungen traten laut lachend heraus. Der Vater käme sofort, nickten
sie. Als Cook sie jedoch erneut zu sich heranwinkte, sprangen sie übermütig kichernd zu ihren Spielkameraden.
Über dem Wasser hatten sich inzwischen drohende Wolken zusammengezogen. Daß die einheimischen Fischer die Absperrung ihrer Bucht über so viele Stunden nicht hinnehmen würden, war Clerke von Anfang an klar gewesen. Mußten sie darin doch eine Brüskierung der Terriobo allein zustehenden Verhängung oder Aufhebung des TabuGesetzes sehen. Für den Fall eines Blockadedurchbruchs hatte er Anweisung gegeben, zunächst nicht zu schießen, sondern das betreffende Kanu zu rammen und zur Umkehr zu zwingen. Das Schweigen der Männer auf den Booten empfand er nun als Warnung dafür, wie begrenzt ihre Geduld mit den Wilden war. Der Gedanke an den verlorengegangenen Kutter war schon in den Hintergrund getreten. Jetzt zählte vor allem die Absicht, den Indianern zu zeigen, wer hier der Stärkere war. Hatten sie das erst einmal handgreiflich vorgeführt bekommen, würden sie sich - so überlegten die Seeleute - weitere Übergriffe und Diebstähle schon verkneifen. Und Clerke dachte noch schärfer darüber: Wer das Recht auf Eigentum nicht achtete in seiner Wildheit, dem mußte man zeigen, daß die Vertreter einer zivilisierten Nation wie der englischen Mittel und Wege kannten, diesem Recht Achtung zu ertrotzen! Da könnte ja jeder kommen und sich nehmen, was ihm nicht gehörte . Als die Fischer dann auszulaufen versuchten, waren es wohl gleichzeitig ein Dutzend Boote oder sogar noch mehr. Clerke bemerkte die Absicht der Insulaner erst, als sie ihre Kanus schon durch die Brandung geschoben und die Segel gesetzt hatten.
Verdammt . Mit einem Boot allein wäre leicht fertig zu werden. Aber so . Wie ein Möwenschwarm glitten die schlanken Fahrzeuge übers Wasser, hielten auf den großen Kutter der Reso lution zu, der die innerste Position im Blockadering hielt. Jetzt noch alle englischen Boote zu koordiniertem Vorgehen gegen den unerwarteten Ansturm zu bringen, blieb Clerke keine Zeit mehr. Er ließ auf seiner Pinasse die Ruderer sich in die Riemen legen und pullen, was das Zeug hielt, direkt auf den Bootsschwarm zu. Offenbar hatten die Insulaner so lange mit der Ausfahrt gewartet, bis die Brise auf Süd drehte und sie nun auf Halbwindkurs schnelle Fahrt machen konnten. Waren sie erst aus der Abdeckung des südlichen Ufers der Bucht heraus, würden sie noch schneller sein - unerreichbar für die weit im Bogen verteilten britischen Boote. Ehe die Indianer aber das offene Meer erreichten, mußten sie an dem Wachkutter vorbei. Clerke sah voll Genugtuung, wie der Zweimaster sich in den Wind stellte, indem er achtern den Anker aufholte. Dann flogen killend die Segel empor. Clerkes Pinasse jagte auf den Kutter zu, als sei dieser das verschwundene Boot und mit seinem Erreichen schon alles gewonnen. Aber dann nahm der britische Zweimaster Fahrt auf und war für die kämpfenden Ruderer auf der Pinasse kein Ziel mehr. Eine kurze Verschnaufpause nur gönnte Clerke seinen Leuten. Dann schlug er einen neuen Kurs ein - auf eigene Faust den Fischerbooten entgegen. Und wenn er nur eins von ihnen rammen und am Auslaufen hindern konnte . Sie würden es sich überlegen, noch einmal Eronos Tabu zu durchbrechen. Als er dies dachte, war keine gekränkte Eitelkeit in Cler-
ke übriggeblieben, sondern nur sachliches, scharfes Kalkül. Nur ein einziges ihrer Kanus rammen . Doch selbst das mißlang. Der Schwärm der Kanus flatterte auseinander, ehe sie die Höhe des Kutters erreicht hatten. Die Segelmanöver waren so flink und ihre Boote gehorchten ihnen so behend und präzise, daß die Insulaner für einen Augenblick Clerkes Bewunderung hatten. An ein Abdrängen oder gar ein Rammen war weder durch den Kutter der Resolution noch durch sein, Clerkes, Boot zu denken. Kapitän Charles Clerke resignierte jedoch nicht, als er dies begriffen hatte. Er befahl seinen Ruderern, die Riemen einzuziehen und sagte: "Wir haben etwas, was doch schneller ist als sie." Die erste Musketensalve erreichte das Clerke am nächsten dahineilende Kanu. Die Kugeln rissen Löcher in sein Segel, aber das Boot verlor kaum an Fahrt. Da hatte der Kapitän schon nachgeladen und sandte noch einen einzelnen wohlgezielten Schuß hinterher. Er setzte die Waffe ab und sah den Mann an der Schot des Kanus zusammenbrechen.
Captain Cook blickte erschrocken auf, als er die Schüsse hörte. Er sah hinaus auf das Wasser. Waren sie denn dort von allen guten Geistern verlassen? Aber es blieb ihm keine Zeit, die möglichen Konsequenzen des Flintengeknalls zu durchdenken. Der Vorhang in Terriobos Türöffnung teilte sich und der Häuptling trat Cook entgegen. Die Arme zunächst freudig ausgebreitet, ließ er plötzlich die Rechte sinken und deutete mit der Linken zum Wasser hin, wo eben die Schüsse verhallt waren. Das Lachen schwand dabei nicht aus seinem Ge-
sicht. Er schien das Ganze für eine Fortsetzung des fröhlichen Feuerwerks zu halten, bei dem er von all seinen Stammesgenossen am längsten ausgeharrt hatte. Und es schien auch jetzt nicht seine Absicht zu sein, sich von dem Geballer einschüchtern zu lassen. "Erono!" Wieder breitete Terriobo beide Arme aus, als hätten sie sich lange schon nicht mehr gesehen und schritt auf Cook zu. Der Captain erwiderte Terriobos Gefühlsausbruch. Voll ungekünstelter Freundlichkeit schloß er den Häuptling in seine Arme. Dabei war er gekommen, diesen Mann als Geisel an Bord zu entführen . Der Gedanke kam Cook plötzlich und unvorbereitet. Er verwirrte ihn nur einen Atemzug lang. Dann hatte er sich aus der Umarmung mit Terriobo gelöst. Nun galt es, alle Sprachgewandtheit und alle verfügbare Mimik und Gestik zusammenzunehmen. Der Captain sah gefaßt und ruhig auf Terriobo. "Ich bin gekommen, dich an Bord meines Schiffes zu bitten." Die verfänglichen Worte gingen Cook leicht über die Lippen. Er deutete mit der Hand auf die Bucht und der Häuptling nickte verstehend. "Du wirst so lange bei mir bleiben, bis deine Leute unser Boot zurückgeben - und zwar unbeschädigt." Wieder nickte Terriobo. Er winkte einen der Jungen herbei und sagte ihm etwas, mit den Händen das Pullen der Riemen andeutend, wie nur der Kutter sie hatte und nicht die Boote der Insulaner. Auch der Häuptling machte eine entschuldigende Bewegung gegen Cook und trat zurück in die Hütte.
Geduldig wartete der Captain. Auf einem fremden Stern konnte die Begegnung mit lebenden Wesen nicht komplizierter sein als ein Zusammentreffen mit Menschen auf dieser bislang unbekannten Insel. In seinen Staatsmantel gekleidet trat Terriobo wieder hervor. Der Rock war nicht weniger prächtig als jenes Federkleid, das Kapitän Clerke offenbar dem Zaubermann abgehandelt hatte. Oder hatte er es sich schenken lassen und wunderte sich nun, daß sie den Kutter als Draufpreis nahmen? Kaum war Cook dieser Gedanke gekommen, hatte er ihn auch schon wieder verworfen. Er winkte seinem Leutnant, der die Wachen einzog und sie gingen los - voran die Kinder, wie sie gekommen waren. Der Zug hatte das Ufer erreicht. Der Leutnant verständigte sich aus der Ferne mit den Leuten am Boot: Es schien alles in Ordnung zu sein. Da brach über dem Wasser neues Flintenfeuer auf; nicht nur von einem der draußen liegenden Boote, sondern an mehreren Punkten gleichzeitig. Commander Cook stockte im Gehen. Der Häuptling Terriobo aber beschleunigte seine Schritte. Er wies auf die ans Ufer gezogene Pinasse und sah dann, beschwörend lächelnd, auf Cook. Er schien nichts dringender zu wünschen, als endlich dorthin gebracht zu werden, wo es so nachhaltig knallte. Wer kannte sich schon aus in all der Sprachlosigkeit? Plötzlich kam ein einzelner Insulaner, mit roten Bändern und Federn behangen und einem Speer in der Hand, über den Strand gelaufen. Neben der Tätowierung prangten auf seinem Gesicht und den nackten Armen blutrote Schlangenlinien.
Woher kam der Mann und was war seine Absicht? Cook hatte kein Boot landen sehen, vielleicht auch die Aufmerksamkeit nicht richtig verteilt in den letzten Marschminuten. Jedenfalls stellte er keine Beziehung her zu dem Geschehen draußen auf dem Wasser der Bucht. Der Eingeborene fiel vor seinem Häuptling nieder, berührte den Sand mit der Stirn und erhob sich dann wieder. Schlug sich mit der freien Hand an die Brust und ließ einen gewaltigen Wortschwall los, unter dem das Lächeln aus Terriobos Gesicht verschwand. Was hatte all das zu bedeuten? Cook ahnte Schlimmes. Als der Ankömmling mit seinem Speer eine weithin ausholende Gebärde gegen die Bucht vollführte, dorthin, wo britische Boote und die Schiffe der Eingeborenen offenbar in einen Kampf verfilzt durcheinanderfuhren und von woher noch immer Musketenschüsse zu hören waren, reimte der Captain sich seinen Teil zusammen. Er rief den Leutnant zur Eile an. Sie mußten fort, ehe Terriobo anderen Sinnes wurde. Die Kinder waren schon bis zur Pinasse gelangt. Die beiden Häuptlingssöhne sprangen, von der Wache unbehelligt, hinein. Cook überlegte einen Atemzug, ob er auch sie an Bord der Resolution entführen und damit der Geiselnahme noch mehr Nachdruck verleihen sollte. Die Inselbewohner mußten doch wissen, daß nun, da der Mast repariert und wieder an Bord war, ihre Abreise unmittelbar bevorstand. Würden sie ihren Häuptling und auch noch dessen Söhne mit den Fremden davonfahren lassen? Davonfahren, einem unbekannten Schicksal entgegen - nur wegen einiger Eisenbeschläge und der Nägel eines Segelkutters?
Cook kam nicht dazu, sich diese Frage zu beantworten. Denn kaum hatte der Speerträger seine Botschaft überbracht, da hob Terriobo an, sich an die Brust zu schlagen und schreiend auf das Wasser hinauszudeuten. Nach einem letzten Aufschrei ließ er sich auf den Boden nieder, sein Federkleid um sich breitend als schützenden bunten Ring. Captain Cook brauchte der hawaiischen Sprache nicht mächtig zu sein, um zu verstehen, daß er nun Gewalt anwenden müßte, wollte er noch immer Terriobo auf der Resolution festsetzen.
Ja, nicht einmal die wenigen Schritte bis zur Pinasse würde der Häuptling jetzt noch freiwillig gehen. Cook trat neben den Sitzenden, berührte ihn an der Schulter und sprach auf ihn ein, als sei der Häuptling ein störrisches Kind, das es sich plötzlich anders überlegt hatte und nicht mehr mitspielen wollte.
Unwillig schüttelte Terriobo die Hand des Captains ab. Da stand der Krieger, welcher nach seiner Meldung zur Seite getreten war, auf einmal wieder neben ihnen und hielt drohend die Lanze zwischen den Häuptling und Cook. Als der Leutnant mit zwei Marines hinzuspringen wollte, winkte der Captain ab. "Wir müssen es im Guten versuchen, trotzdem", sagte er und befahl, mit seinen Leuten bei der Pinasse Stellung zu beziehen. Er konnte warten. Wenn doch nur das Schießen bei den Booten aufhörte . Kurz entschlossen setzte sich Cook, nur wenige Schritte von Terriobo entfernt, in den Sand. Der Knauf seiner Pistole drückte in den Magen. Die Muskete des Captains, auf den Boden gestützt, und der Speer des hawaiischen Kriegers gaben eine sonderbare Symbolik ab für diesen Augenblick scheinbaren Friedens. Aber dieser Augenblick währte nicht lange. Vom Weg aus dem Dorf waren erregte Stimmen zu hören, einzelne und auch solche, die im Chor etwas riefen, was Cook nicht verstand. Terriobo wandte den Kopf. Da waren die Rufer auch schon heran, Männer und Frauen, Arme schwingend, aber auch Keulen und Speere. Allen voran erkannte Cook den Oberpriester, der sich das Gesicht mit Ruß beschmiert hatte. Cook sprang auf. Auch Terriobo erhob sich. Doch ehe sie noch auf den Beinen waren, hatte die Menge sie schon umringt, laut schreiend und drohend die Waffen schwingend. Entsetzt sah Cook, wie auf der Pinasse die Musketen in Anschlag gingen. "Um Himmels willen - nicht schießen, Leutnant! Seid Ihr denn des Teufels ." rief er herüber, aber er war nicht einmal sicher, ob man ihn in dem Trubel
verstehen konnte. Was war nur geschehen? Entschlossen griff der Captain den Lauf seiner Muskete, aber es war eher, um in dem Gedränge einen festen Stand zu haben, als daß er sich hätte wehren wollen. Wenn er sein Ziel, Terriobo auf die Schaluppe zu bringen, nicht unerreicht lassen wollte, mußte er jetzt sofort handeln. Cook überragte die meisten der Insulaner um Haupteslänge. Er stemmte sich mit der Schulter gegen die nackten Körper und versuchte, an die Seite des Häuptlings vorzudringen. Aber er schaffte es nicht. Wie eine Wand stellten sich die Insulaner vor Terriobo. Andere schnitten den Weg zur Pinasse ab. Da erkannte Cook, daß er nun selbst eine Geisel war. -
Die Nachricht vom Tod des Fischers war ins Dorf eingefallen wie ein verheerender Sturmwirbel. Der Zauberer erfuhr als erster davon, denn zu ihm brachten sie die Verwundeten von den inzwischen an Land zurückgekehrten Kanus. Er hatte die Verletzungen mit Palmöl und Blattkompressen versorgt - in Eile, denn immer noch war das Knallen jener Zauberkeulen zu hören, von denen die Fischer sagten, sie spien nicht nur Donner und Blitz, sondern auch Schmerz und den Tod. Zunächst konnte der Zauberer sich keinen Reim darauf machen, was die Männer da sagten - der Tod kam stets leise, er war der Anfang einer großen Stille. Außer im Sturm, draußen, wenn er die Fischer holte . Nun aber hatte der Tod durch die Hand der Fremden mit viel Lärm zugeschlagen, und es war zu befürchten, daß er sich auch auf den anderen Booten noch Opfer holte.
Aufgeschreckt von diesem Gedanken, war der Oberpriester zu Terriobos Hütte gestürzt. "Wo ist dein Mann?" hatte er die Frau angeherrscht, worauf diese in wenigen Worten berichtete, wie Erono der Häuptling der Fremden - mit einigen seiner Leute gekommen und Terriobo mitgegangen sei. Da hatte der Zauberer laut seinen Zorn über die Unbedachtsamkeit des Häuptlings herausgeschrien, war zurück in sein Haus geeilt an die Feuerstelle, um sein Gesicht zu schwärzen. Den Wartenden hatte er befohlen, ihm zum Strand zu folgen. Seinen Gürtel bewaffnete er indessen mit einem der eisernen Dolche, die Clerke für ihn hatte fertigen lassen. Der Sturmwirbel der Todesnachricht hatte inzwischen das Dorf durchzogen. Die Menschen waren aus ihren Hütten getreten, wer im Garten arbeitete, ließ den Grabstock stehen und trat zu den anderen. Der Zug der entrüsteten Inselbewohner formierte sich hastig. Sie folgten dem Zauberer und nahmen die Rufe auf, die er in seinem Zorn ausstieß: "Terriobo - bleib an Land!" und "Folge den Fremden nicht, Häuptling ." Als sie den Gesuchten dann neben dem Oberhaupt der Fremden im Ufersand hockend fanden, wurden auch Rufe an Cooks Adresse laut: "Erono, verlaß unsere Insel!" und "Wir haben euch als Gäste empfangen. Ist Töten eure Art, Dank zu sagen?" Aber von wem diese Rufe stammten, war nicht auszumachen. Der Zauberpriester hatte sofort die donnernde Keule in Eronos Hand bemerkt. Sollte der Fremdling sich ihrer bedienen, so wußte er, was er tun mußte. Zunächst jedoch galt es, Terriobo zu schützen . Schnell war der Häuptling von Cook abgedrängt und
Erono selbst von den aufgebrachten Inselbewohnern in die Mitte genommen. Auch sie spürten, daß sich nun das Blatt gewendet hatte. "Sag deinen Leuten, sie sollen das Töten einstellen!" riefen sie. Und wie zum Beweis der Sinnlosigkeit ihres Verlangens rollte in diesem Augenblick ein Schuß aus einem der Vierpfünder der Resolution über das Wasser. Der Zauberer blickte dem Grollen nach und sah, wie eins ihrer Boote draußen in Stücke zerfetzt durch die Luft flog. Einen lauten Tod brachten die Fremden an dieses Ufer. Nun war die Menge nicht mehr zu halten. Bisher hatten sie Cook nur bedrängt und von Terriobo ferngehalten. Nun stießen sie ihn zu Boden. Andere stürzten auf das Kanu der Fremden zu, wurden aber von den Marines mit Musketenfeuer empfangen. Zwei der Angreifer fielen. Auch Cook wollte schießen, um sich den Weg zurück zur Pinasse freizumachen. Aber er fand seine Flinte nicht, bei dem Sturz war sie ihm wohl aus der Hand geglitten. Er reckte sich auf, zog seine Pistole und schoß aus nächster Nähe auf die Eingeborenen zunächst das Schrot und dann aus dem anderen Lauf die Kugel. Er sah nicht, ob er getroffen hatte - nur zurück jetzt, zurück! Atemlos hastend erreichte er die Uferlinie. Da streckte ihn ein Keulenhieb zu Boden. Cook war noch bei Bewußtsein, als sein schwerer Körper hinschlug. Die Hände vorgestreckt bis ins Wasser, als klammere er sich an das Element seines Lebens . Er spürte, wie jemand sich über ihn beugte. Mit einer gewaltigen Anstrengung hob er den Kopf und erkannte den Zauberpriester, einen eisernen Dolch in der Hand. Wenn sie doch endlich zu schießen aufhörten, war Cooks letzter Gedanke.
Der Wind schwieg. Über dem weiten Strand mit seinen Kokospalmen und Brotbäumen prangte in strahlendem Schneeweiß der Gipfel des Mauna Loa. Kapitän Charles Clerke, der auch das Kommando an Bord der Resolution übernommen hatte, senkte den Degen. Die Schüsse des Trauersaluts krachten - abwechselnd von beiden Schiffen. Ein verhalten prasselnder Trommelwirbel setzte ein. Er hatte weiß Gott nicht aus nacktem Ehrgeiz den Streit mit den Insulanern vom Zaun gebrochen, und doch fühlte er sich in dieser Stunde nicht frei von Schuld am Tod ihres Commanders. Aber stärker noch bohrte ihn ihm die Beschämung, die er von Kapitän James Cook nach dessen Tod hatte hinnehmen müssen. Zur Sühne für die Ermordung des Captains ließ er das ganze Dorf niederbrennen. Der Kutter aber, an dessen Verschwinden der Streit sich entzündet hatte, blieb unauffindbar. Vor einem solchen Ausgang hatte Cook stets gewarnt. Nun stand er am Ruder des Flaggschiffs ihrer Expedition. Mit aller Verantwortung. Und wie viele Riffe und Bänke und Eisfelder noch an ihrem Weg lagen, wußte er nicht. Clerke hob den Degen. "In Gottes Namen", sagte er. Die Kiste glitt von der Back ins Wasser. Der neue Commander befahl Flaggenhissen. Schlaff stiegen die Fahnen in den windstillen Himmel. Wieviele Riffe und Bänke und Eisfelder . Auch Kapitän Clerke sollte die Rückkehr der beiden Schaluppen nach England nicht mehr erleben. Er starb während des zweiten Vorstoßes nach dem äußersten Nor-
den Amerikas und wurde auf Kamtschatka beerdigt. Das Kommando übernahm nun James King, ein Leutnant von der Resolution. Die Reise aber ging in die Geschichte der Entdeckungen ein als Unternehmung des Mannes, der ihr geistiger Vater gewesen und der dann eins ihrer Opfer geworden war: als die dritte Weltreise des Captain James Cook.
Heft 451 Anatoli Malachow Das goldene Idol
Von einem Expeditionslager tief in Sibirien, wo Wissenschaftler nach Bodenschätzen forschen, macht der Geologe Lexejitsch einen Abstecher flußabwärts in ein unzugängliches Waldgebiet. Wie die Legende sagt, sollen hier unermeßliche Goldschätze lagern. Plötzlich stößt er auf einen Menschenstamm, dessen Lebensweise auf das 10. Jahrhundert hindeutet, und erfährt, daß vor Urzeiten außerirdische Besucher hier gewesen sein sollen.