Alles wird wieder zu Staub und Asche Provozierende, zum Nachdenken gedachte Erzählungen von Reiner Vial
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Alles wird wieder zu Staub und Asche Provozierende, zum Nachdenken gedachte Erzählungen von Reiner Vial
Alles wird wieder zu Staub und Asche © 2003 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diese Erzählungen auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Diese dürfen, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor!
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Titel der Erzählungen sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der die gewünschte Erzählung beginnt. Alles wird wieder zu Staub und Asche - Vorwort Auf Erden gibt es nichts Unsterbliches und Unvergängliches
Der Krieg der seelenlosen Erben Vom sinnlosen Ansammeln von Vermögen am Leben vorbei und dem gnadenlosen Kampf der Erben
Lasst die Moschee ruhig brennen Vorurteile und Fremdenhass unter dem Mäntelchen „Verteidigung christlicher Werte und Kultur“
Aus Spaß keine Zeit zum Leben Vom Verdrängen des wirklichen Lebens in der Geld- und Spaßgesellschaft
Stirb wenn du nicht mehr kannst Wie die egoistischen Süchte nach Wohlstand und Luxus die Generationsverträge zum Platzen bringen
Ihr sollt töten und sterben Warum es keinen gerechten Krieg gibt
Einmal nur Lust und einmal Liebe Ist die eheliche Treue ein Auslaufmodell?
Die Margarine wird vom Brot gekratzt Sozialabbau auf der einen und Steuerhinterziehung auf der anderen Seite
Wer will schon die Wahrheit hören Unwahrheiten, Verleumdung und üble Nachrede, die Waffen im Kampf um Macht und Einfluss
Sieger im Bett der Nachbarin Ist im Streben um den größten Besitz jedes Mittel recht?
Na, ist Ihnen was aufgefallen? Eine Zwischenbemerkung, die man auch als vorgezogenes Nachwort lesen kann
Wo geht es hier zur Hölle? Schweigen Kirchen und Religionsgemeinschaften zu den Problem der Welt und halten sie im Gegenzug die Menschen mit mittelalterlichen Bildnissen dumm?
Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Alles wird wieder zu Staub und Asche – Vorwort Wenn wir geboren werden steht fest, dass wir sterben müssen; dem können wir nicht entrinnen. Das Einzigste was zum Zeitpunkt unserer Geburt noch nicht feststeht ist das Wann, also wann wir diese Erde wieder verlassen müssen. Dem einen Menschenkind ereilt der Tod bereits im Säuglingsalter und nur wenige Ausnahmen kommen auf hundert oder mehr Jahre. Da scheint es doch mehr als vernünftig, dass wir uns dieses Leben und den dazugehörigen Raum ausgestalten um diesen zu erleben und zu genießen. Aber was machen wir wirklich? Die Einen jagen süchtig von einem vermeintlichen Spaß zum anderen und kriegen von dem Leben, was sie in Wirklichkeit nur verdrängen und betäuben, nichts mit und die Anderen gestalten dieses so aus als wollten sie dadurch die Unsterblichkeit gewinnen und kämpfen, wie Don Quichotte gegen die Windmühlenflügel, gegen die Vergänglichkeit an. Dabei vergessen sie ganz zu leben. Eines Tages wird ein Geistlicher an ihrem Grab stehen und sagen: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“ und ihr ungelebtes Leben wird am Meisten oder gar ganz alleine trauern, denn Freunde, die um sie trauern könnten, findet man nur im Leben, an dem sie ja nicht teilgenommen haben. Was hat man denn davon, wenn man alle Zeit, die einem zur Verfügung steht, und alle Energie, die einen zueigen ist, zum Sammeln von irdischen Gütern aufwendet, insbesondere dann, wenn man dabei kalt und herzlos wird? Wenn der Nächste nur der böse Mitbewerber, der uns den ersten Platz streitig machen will, oder der soziale Abfall, der unsere manischen Gewinnsucht durch Sozialabgaben zur Psychose werden lässt, ist wird es bedenklich. Freunde haben wir dann kaum oder gar nicht aber dafür sehr viele Neider und Feinde. Dann müssen wir uns hinter hohen Mauern und starken Bodyguards verschanzen. Dann werden wir bereit unsere Freiheit für vermeintliche Sicherheit zu opfern und „blöken“ nach einer überzogenen „inneren Sicherheit“, natürlich auf Kosten der Allgemeinheit. Von all den Dingen, die das Leben lebenswert machen, wie wahres Glück, Zufriedenheit und Liebe, bekommen wir nichts mit. Wie sagte doch einst Aristoteles Onassis, der zu seiner Zeit der reichste Mann der Welt war: „Ein reicher Mann ist in Wirklichkeit nur ein armer Mann mit viel Geld.“. Eines Tages, wird erstens der Schätzehorter verwest und zweitens sein Vermögen bedeutungslos geworden sein. Da muss man noch nicht einmal warten bis auch diese Erde wieder zu Staub und Asche geworden ist sondern dafür sorgen nicht selten schon die Erbschleicher, die nicht selten am Grab des „armen“ Reichen Trauer heucheln aber sich in Wirklichkeit nur darüber freuen jetzt endlich selbst am Zuge zu sein. Wie ist das mit dem Streben nach Ruhm? Was ist Ruhm denn anderes als seinen Namen unsterblich machen zu wollen? Warum eigentlich, was hat man davon? Da setzen sich die Leute auf verschiedenen Gebieten, wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Show, Sport und anderen, immer wieder in Szene damit man von ihnen spricht und ihr Name an die folgenden Generationen weitergegeben wird. Sie nehmen alle möglichen Strapazen auf sich, geben ihre Würde auf und machen sich zum Hampelmann, nur damit man von ihnen spricht. Diese Leute geben ihre Privatsphäre auf um sich vor den Kameras der Medien zu exhibitionieren. Und was haben sie davon? Wie viel Milliarden Menschen, die auch von Ruhm und Ehre träumten, haben schon auf diesem Planeten gelebt und wie winzig klein ist dagegen die Zahl der Leute, die sich einen langlebigen Namen erworben haben. Und was haben der Makedonier Alexander der Große, der Römer Cajus Julius Cäsar, der Franke Karl der Große oder der Preuße Friedrich der Große davon, dass man heute ihre Namen noch kennt? Die meisten vermeintlich großen Leute werden schon zu ihren Lebzeiten vergessen. Was glauben Sie, wie viele noch lebende Persönlichkeiten ich hier aufzählen könnte mit denen ich dann den Ausspruch „Ach ja, von dem – oder der – hört man ja gar nichts mehr“ provozieren würde. Insbesondere nach deren Tod gelangen sie mit der Zeit immer mehr in Vergessenheit. Auch Namen verfallen wieder im Staub des Zeitgeschehens ... und dafür opfert man alles was das Leben wertvoll macht. Erscheint es nicht gerade pervers, dass man bei dem Bisschen irdischen Leben, was man hat, es noch Menschen gibt die für so abstrakte Dinge wie Nation oder irgendwelche obstrusen Werte ihr Leben lassen. Ist Krieg nicht ausschließlich nur die Folge minderintelligenten, krankhaft abstrakten Denkens der Menschen. Auch Nationen und die hochgejubelten Werte der westlichen Welt sind vergänglich. Wo sind sie den geblieben die früheren Weltreiche wie das der Makedonier, der Römer, das Reich Karl V., das osmanische Reich und andere? Ganz aktuell: Was ist denn aus der „großen Sowjetunion“ geworden? Alle „Weltreiche“ hat man mordend und plündern, sprich kriegerisch, errichtet und heute reichern sie nur noch den Geschichtsunterricht an; diese Reiche sind allesamt in Asche und Staub verfallen ... und wie viele Leute haben dafür mit Schmerz, Leid, Krankheit und Tod bezahlt. Alles nur für eine irdische Illusion, die später in Staub und Asche verfiel. Ich bin mir sicher, dass es heutigen Weltreichen wie den USA langläufig genauso geht wie allen seinen Vorgängern. Und für so etwas, was sowieso eines Tages wieder zu Staub und Asche wird, vergessen wir das wahre Leben. Für mich gibt es nur Eines, was ewig bestehen wird: Das Wort unseres Gottes und seine unermessliche Liebe zu uns Menschen. Ihn, den Geist und das Bewusstsein, sowie das Chaos, Energie und Materie, gab es schon seit
aller Ewigkeit und alles wird wieder zu dem werden, was es ein mal war. Die Welt wird wieder in Staub und Asche verfallen, das heißt zum Chaos werden. Nur unser Leben, das heißt der Geist und das Bewusstsein, wird wenn wir bewusst gelebt haben, so wie Er geworden sein und ewig leben. So jedenfalls die Verheißung der Bibel, dessen Jahr wir ja gerade jetzt 2003 begehen. Aber so paradox wie es klingt gibt es auch auf diesem Gebiet Menschen die mit diesem Hintergrund auf wahres Leben verzichten. Sie hüllen sich in Kutten oder Talare und verschanzen sich hinter Kloster- und Kirchenmauer und verwerfen das wahre Leben. Diese Menschen handeln nur umgekehrt wie die Angehörigen der Spaßgesellschaft, auch sie stehen dann, wenn mal alles in Staub und Asche gefallen ist mit leeren Händen da, dass Leben, von dem sie eine Ewigkeit zehren wollen, haben sie nicht zur Kenntnis genommen. Also, die Hände in den Schoß legen und auf das Himmelreich warten ist auch nicht das, was man Leben nennen kann. Wenn wir alles aus der Sicht des Glaubens sehen, dann heißt Leben: Den Segen Gottes weitergeben. Und Segen selbst heißt: bebauen, behüten und bewahren. Wir müssen uns schon einbringen und alles mitgestalten aber auch alles mitnehmen, was uns geschenkt wird. Ach, was soll diese Theoretisierei? Ich will doch hier kein Sachbuch schreiben, weder ein philosophisches noch ein theologisches und erst recht kein ideologisches. Mein Anliegen war es stets und wird es immer sein Geschichten mit gesellschaftskritischen Hintergrund zu erzählen um damit auf unterhaltsame Weise zum Denken anzuregen. Stopp, „anzuregen“ ist zu harmlos gesagt. Ich will provozieren ... und dieses nicht nur zum Denken sondern um Diskussionen auszulösen. In diesem eBook geht es also um das Leben und Handeln der Menschen im Hinblick darauf, dass wirklich alles mal wieder zu Staub und Asche wird. In dem Zusammenhang, das alles wieder vergeht, frage ich in jeder Erzählung auch nach dem Sinn von Gewalt, Rache und Vergeltung. So wie ich es sehe beschwört jede Gewalt, gleichgültig ob diese von Einzelpersonen gegen Einzelpersonen oder unter Staaten, also im Krieg, ausgeübt wird, gleichgültig ob das eigene Anliegen gerecht oder ungerecht ist, immer wieder neue, sich stetig eskalierende Gewalt herauf. Krieg und Gewalt haben noch nie Lösungen sondern immer wieder neue Probleme gebracht. Wer Gewalt als Lösungsansatz sieht ist ein Versager, denn ihm fehlt das geistige Vermögen an wirklicher und nachhaltiger Problembewältigung mitwirken zu können. Und dieses alles bei dem Hintergrund, dass alles irdisches sowieso irgendwann wieder vergeht. Tod und Leiden für Vergängliches, was früher oder später ohnehin in Staub und Asche verfällt. Man sollte Rache und Vergeltung nicht mit Gerechtigkeit verwechseln. Insbesondere Opfer werden durch Rache- und Vergeltungsgedanken geschädigt, denn in diesem Fall lässt sie das Geschehen nicht mehr los und sie opfern viel von ihrer, von vornherein knapp bemessen Lebenszeit der Krake Rache und Vergeltung. Jetzt nenne ich nur noch Stichworte wie USA und Irak und jeder weiß welches aktuelles Geschehen mich zu meinen fiktiven Erzählungen inspirierte. Schon von vornherein mache ich keinen Hehl aus meiner christlichcalvinistischen und grundsätzlich pazifistischen Einstellung. So, jetzt habe ich „fast“ alles gesagt, was es voran zustellen gilt. Es fehlt nur noch der Hinweis, dass ich mich in meinen Geschichten grundsätzlich am wahren Leben, tatsächlich existierenden Menschen orientiere aber nie Geschehnisse, die es wirklich gegeben hat, wieder gebe. Mit anderen Worten: Meine Geschichten könnten tatsächlich geschehen sein, sind aber von A bis Z frei erfunden. Das durch Zufall mal etwas genau so passiert sein könnte, wie ich es hier niedergeschrieben habe, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß und jede Menge Aufregung beim Lesen meiner Erzählungen. Nachrodt-Wiblingwerde, im Mai 2003
Zur ersten Erzählung
Zum Inhaltsverzeichnis
Der Krieg der seelenlosen Erben Ja, ich bin ein echter Looser und wenn ich es mir heute recht überlege, bin ich darüber so gar noch richtig froh. Ich sitze hier am Fuße des Olymps und hatte in diesen fünf Jahren, die ich nun hier in Griechenland, in der Nähe der Stadt Leptokaria, wohne, erstmalig die Chance richtig zu leben. In den vorangegangen 48 Jahren habe ich nur existiert und mir war gar nicht bewusst, dass das wahre Leben an mir nur vorüber zog. Wenn jetzt jemand sagt „Aha, wieder so ein Aussteiger“, dann muss ich mit dem Kopf schütteln und „No, no, no“ sagen. Ich bin in einem Krieg, den ich mit meinen Schwestern und Schwägern führte, praktisch zu meinem Glück gezwungen worden. Meine „Kapitulationsurkunde“ habe ich im Sommer 1998, als ich hier im Hotel Alexander, einem kleinen Familienhotel, was früher nicht meine Kategorie war, Urlaub machte, unterschrieben. Urlaub ist auch ein falsches Wort, denn ich hatte mich hierher geflüchtet und wurde von Astrid, meiner ältesten Schwester, hier aufgespürt. Astrid hatte mich hier aufgespürt und mir handfest klar zumachen versucht, dass ich, wenn ich nicht aufgebe, Deutschland wohl nicht mehr lebend wieder sehen würde. Meine jetzige Frau, die Tochter eines deutschen reformierten Pfarrers gewährte mir erst, als ich zu flüchten versuchte, Unterschlupf und machte mir dann die Vorteile einer Kapitulation klar. Na ja, dann kapitulierte ich dann erstens doch, blieb zweitens hier, heiratet drittens meine Asylgeberin und ließ mich viertens von ihr zu einen Christen bekehren. Na, das, was ich gerade schrieb, ist doch alles sehr verwirrend – oder? Ich sollte mal chronologisch alles schön der Reihe nach, Eins nach dem Anderen, erzählen. Dann fange ich am Besten mal mit meinen Eltern an. Mein Vater war, so wie ich es heute sehe, eine perfekte humanoide Existenz, an der man menschliche Eigenschaften mit der Lupe suchen musste. Er war immer geschniegelt, wie eine Schaufensterpuppe, und war der absolute Herrscher über alle Bewegungen seines Körpers. Nichts an ihm erweckte den Eindruck von menschlicher Natürlichkeit, auch seine Sprache nicht. Dieses gilt sowohl für den Ausdruck wie für die Inhalte. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass er jemals scherzte oder dass er nur mal etwas, was nur mal nett rüberkommen sollte, sagte. Wahrscheinlich war er ein Abbild meines Opas, eines ehemaligen Großbankchefs, den ich allerdings nur aus Erzählungen kenne. Mein Großvater verstarb als ich gerade ein Jahr alt war. Wenn ich mir überlege in welcher Zeit mein Großvater der Big Bankfiosi war kann mir vorstellen, wes braunen Geistes Kind er war. Aber zurück zu meinem Vater, der mal in die Fußstapfen meines Herrn Großvater treten sollte. Nach dem Abitur studierte er erst mal Jura bevor er in die Bankerlaufbahn einsteigen sollte. Aber es kam erst einmal ganz anders als ursprünglich gedacht. So etwas ist ja bekanntlich der übliche Lauf der Dinge. Nur höchst selten verläuft ein Leben exakt nach einem Plan ab, immer wieder kommen größere oder kleinere Dinge dazwischen. Das Erste was meinem Vater dazwischen kam war meine Mutter, eine Tochter eines Immobilienlöwen und Spekulanten der 30er-Jahre. Wie sich die Beiden kennen gelernt haben war nie zu erfahren, so dass die Mutmaßung, dass meine Großväter die Ehe ihrer Kinder ausgehandelt haben, wohl nicht von ungefähr kommt. Statt ins Bankgeschäft stieg mein Vater in das artverwandte Immobilien- und Anlagegeschäft ein. Dort hatte er gerade den Fuß in die Tür gestellt, da gab es ein Ereignis, was wohl allen Angehörigen seiner Generation zunächst einen dicken Strich durch die Rechnung machte. Er musste sich erst einmal an dem katastrophalen Unfug, der sich zweiter Weltkrieg nannte, beteiligen. Nach dem Krieg fing er dort, wo er vor diesem aufhören musste, wieder an. Nur bitte, bitte fragen Sie mich nicht, wie er das in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg, als Deutschland in Schutt und Asche lag, angestellt hat. Ich weiß es beim besten Willen nicht; ich weiß nur, dass bereits in den 50er-Jahre sein Aufstieg zum Berufsreichen begann. Kein Mensch, auch ich, der ich lange Jahre unter seiner Knute wirkte, nicht, wusste wo er alle seine Finger drin hatte. Er sammelte Immobilien, Aktien und Firmenbeteiligungen wie andere Briefmarken. Auf seinem Nachruf hätte man in Abwandlung auf so einen Standardvers „Nur Spekulationen waren sein Leben. Nie dachte er an sich. Stets für seine Konten streben war seine höchste Pflicht“ schreiben können. Meine Mutter dagegen hatte offensichtlich nur die Aufgabe, das Vermögen ihres Vaters in die Verfügung meines Vaters zu bringen und darüber hinaus einen Erben zu gebären. Eine andere nützliche Aufgabe hatte sie während unserer Lebzeit wohl nie. Im Haus stand ihr eine Hausangestelltenschar so zur Seite, dass sie eigentlich nichts mehr tun musste, und außerhalb des Hauses wurde sie anfänglich nur von meinem Vater vorgeführt. Später kam sie nicht mehr aus dem goldenen Käfig heraus. Na ja, mit einer ständig angetrunkenen oder betrunkenen Frau würde ich mich auch nicht gerne sehen lassen. Und wer will es meiner Mutter verdenken, dass sie bei der Haltung an der Psyche und an dem Alkohol erkrankte. 1975 setzte sie ihrem Leben ein Ende und eine Nachfolgerin in deren Bett hat es nie gegeben. Ich glaube, dass mein Vater mit dem Sex auf Kriegsfuss stand. Es gibt zwar das Gerücht, dass er etwas mit unserem Kindermädchen hatte aber selbst das halte ich für ein Gerücht. Im Hirn meines Vaters gab es nur den Gott Mammon und sonst nichts; auch kein Sex.
Meine Eltern erscheinen mir auch heute noch als sexuelle Neutren. Wie sie die Zeugung von meinen beiden Schwestern und von mir hingekriegt haben wird mir immer ein Rätsel bleiben. Nun, wenn es mit mir auf Anhieb geklappt hätte wären meine Schwestern gar nicht geboren worden. Aber die fixe Idee meines Vaters war, dass er unbedingt einen Erben vom „eigenen Fleisch und Blut“ haben musste. Da machte ihm der „liebe Gott“ aber zunächst einen Strich durch die Rechnung. Erst kam 1948 Astrid und dann 1949 Brigitte auf die Welt. Nach Ansicht meines Vaters waren weibliche Wesen nur zum verheiraten und „zum kalben“, wie er wörtlich sagte, da. So musste er dann noch ein drittes Mal, dem ihm offensichtlich lästigen Geschlechtsverkehr zum Zwecke der Erbenzeugung nachkommen. Dann funkte es aber. Am 14. September 1950 erblickte ich, Gerhard Höpfner, der vermeintliche Erbe, das Licht der Welt. Danach muss wohl bei unseren Eltern endgültig Schluss mit dem HoppeHoppe-Reiter gewesen sein. Mein Vater hatte fortan nur noch Zeit für seine Geschäfte. Man kann sagen, dass er das ganze Jahr über, an sieben Tagen der Woche, jeweils mindestens 12 Stunden mit seinem Geschäftskram verbrachte. Urlaub kannte er nicht und selbst an Feiertagen wie Weihnachten kümmerte er sich nach kurzen Familienaudienzen immer nur um seine Geschäfte. So kommt es, dass ich meinen eigenen Vater, obwohl ich aus einer offiziell intakten Familie stammte, erst im Erwachsenenalter ein Wenig kennen lernte. Den meisten Kontakt während meiner Kindheit hatte ich zu Fräulein Babara, unserem Kindermädchen, die mir als stockkonservative alternde Jungfrau in Erinnerung geblieben ist. Natürlich habe ich nie einen Kindergarten von Innen erlebt, denn es war ja aus der Sicht meines Vaters ein unmögliches Ansinnen, mich mit den „verlausten Kindern von Hans und Schwanz“ zusammenzustecken. Heute erscheint es mir schon ein Wunder, dass ich überhaupt vier Jahre auf die Albert-Schweitzer-Volksschule gehen konnte. Das war der einzigste Zeitraum wo ich mit Kindern normaler Menschen zusammen kam, die mir dann das Leben schwer machten. Die anderen durften nach der Schule miteinander spielen und das Leben erfahren. Ich dagegen wurde immer von Fräulein Babara von der öffentlichen Volksschule abgeholt und musste dann unsere häusliche Privatschule besuchen. Schließlich sollte ja aus mir mal ein würdiger Erbe meines Vaters werden. Mit Beginn des fünften Schuljahres war ich dann von der Last mitzukriegen was sich im wahren Leben abspielt befreit, da kam ich auf ein Schickimicki-Internat in der Schweiz. Durch eigenes Erleben kann ich jetzt nachvollziehen, warum so Spitzensportler und andere, denen man Kindheit und Jugend geraubt hat, immer erklären, dass es so, wie es war, gut gewesen sei und sie deshalb glücklich seien. Die wissen ja gar nicht, was sie alles von dem, was da draußen läuft, versäumt haben. Was ich nicht kenne regt mich weder auf noch macht es mich glücklich, das kann ich gar nicht beurteilen. So ist es mein ganzes Leben gewesen. Erst nach dem ich vor fünf Jahren abgeschossen worden bin wurde mir dank Katharina, meiner jetzigen Frau, erst bewusst was alles an mir vorbeizog ohne dass ich es kannte. So gesehen, kann ich meinem Vater, der auch selbst außer Krieg nichts vom wirklichen Leben erfuhr, keinen Vorwurf machen, dass er die Existenz, die er durchfunktionierte, für ein erstrebenswertes vorbildliches Leben hielt und die Leute, die wirklich lebten, alle für Tagediebe, für die die Mitglieder der Leistungsgesellschaft mitarbeiten müssten, hielt. Der Standort war für ihn die oberste Maxime, die der Mensch zu dienen habe, und der Lebensraum war für ihn die Spielwiese alternativer Spinner. Und so wie er es sah habe ich es bis 1998 auch gesehen; ich wusste es einfach nicht anders. Das Internat war natürlich auch nicht der Ort wo mir wahres Leben bewusst werden konnte, denn ich befand mich ja unter meines Gleichen. Alle meine Mitschüler stammten wie ich aus humanitären Existenzen, die sich ausschließlich durch den Besitz größerer Vermögen auszeichneten aber vom Leben auf dieser schönen Welt keine Ahnung hatten. Das ich zum Zwecke des Internataufenthaltes in die Schweiz verbracht wurde hatte seinen Grund darin, dass alle entsprechenden Institute in deutschen Landen, die mein Vater für adäquat hielt, unter der Fuchtel, sprich Trägerschaft, der katholischen Kirche standen. Nach meines Vaters Meinung verführt die Religion zu einer wirtschaftsschädlichen Sozialdusselei. Nach seinen Worten hatten die Menschen Gott aus Angst vor dem Nichts, aus Angst davor, dass mal eines Tages alles vorbei sei, erfunden. Einen gewissen Jesus hielt er für einen Vorgänger von Karl Marx, dem es darauf ankam, die Vermögen so umzuverteilen, dass der Mob sie aufbrauchen könnte. Nach seiner Empfehlung war das beste Mittel gegen diese unheimliche Angst, dass man eines Tages den Löffel abgeben muss und dann zu Asche verbrannt wird, die Arbeit. Wer alles darein setzt, dass es mit uns vorangeht, hat keine Zeit über mystische Träumereien nachzudenken. Aber in dem Internat wo ich war, stand ich mit dieser väterlichen Meinung nicht allein sondern fast alle meine Mitschüler waren entsprechend geimpft worden. Rechtzeitig zur Hochzeit meiner Schwester Astrid kam ich mit dem Abitur in der Tasche wieder nach Hause. Vater hatte ihr einen, nach seinen Geschmack, ganz tollen Kerl ausgesucht. Henk van Bourg, der Sohn eines holländischen Börsenmaklers, hatte mir gegenüber einen Vorteil: Er war schon das, was ich erst noch werden sollte. Meine Schwester war damals am stolzesten auf ihren neuen Familiennamen. Astrid van Bourg klingt doch ganz anders wie Astrid Höpfner, zumal man bei „van“ sehr leicht auf Adel schließen kann. Aber wer sich ein Bisschen auskennt weiß ja, dass da nichts dran ist, denn das holländische Adelsprädikat ist „de“ und nicht „van“. Henk de Bourg wäre ein Adeliger gewesen aber mit dem „van“ ist er so bürgerlich wie wir auch. Unserem Vater
war jedoch der Name eigentlich egal sondern der interessierte sich mehr für die Spekulantenfähigkeiten und das eigene Vermögen, das Henk einbringen konnte. Auch für mich hatte das Auftreten meines Schwagers ein entscheidenden Hintergrund. Bislang zählte in den Zukunftsplanungen meines Vaters nur der Sohn, also ich, eine Rolle. Ursprünglich sollten ja meine Schwestern nur gut verheiratet werden und dann mit einer dicken Abfindung von der Erbschaft ausgeschlossen werden. Die Weiterführung seines Lebenswerk konnte nach meines Vaters Glauben nur einem Mann anvertraut werden. Mit Henk hatte ich einen Konkurrenten bekommen und zumindest Astrid kam nun auch als Nachlassnehmerin ins Gespräch. Darüber habe ich mir zur damaligen Zeit überhaupt keine Gedanken gemacht, denn mir wurde erst einmal ein Jurastudium verordnet. Während meiner Studienzeit kam dann auch Brigitte ins Rennen um die Erbschaft. Auch ihr wurde ein Wonneproppen nach Vaters Willen verpasst. Ludwig Scheuerle, so heißt der Brigitte zugeordnete Knabe, hatte bei weitem nicht die Fähigkeiten eines Henk von Bourg aber dafür bedeutend mehr Vermögen, dass er in die gemeinsamen Unternehmungen einbringen konnte. Ludwig hatte bereits zum Zeitpunkt der Hochzeit beträchtliche Aktienpakte, alles Beteiligungen an namhaften Unternehmen geerbt. Jetzt war auch Brigitte im Rennen um unsere Erbschaft. Vater plante um: Sein Sohn und seine beiden Schwiegersöhne sollten bis zu dem Tag, wo er abtreten muss, unter seiner Feldherrenschaft der Vermögensgruppe dienen. Sobald er nicht mehr so richtig kann sollten wir die Geschäfte als Troika weiter führen und nach seinem Tode sollten wir, also Astrid, Brigitte und ich, alles zu gleichen Teilen erben. Damit auch alles schön zusammenbleibt erklärte er Henk, den nach seiner Ansicht fähigsten Spekulanten, zum Kopf der Troika. Mir sollte es nicht besser gehen wie meinen Schwestern, auch mir wurde die Ehefrau ausgesucht. Ilka hätte ein paar Kaufhäuser und Supermärkte ins Imperium einbringen können. Aber da kam es besonders dick anders als gedacht. Ilkas Vater machte mit seiner Handelskette Pleite und außerdem wurde unsere kinderlose Ehe nach sieben Jahren geschieden. Ich konnte Ilka von Anfang an nicht leiden, sie war einfach nicht mein Typ. Auch sexuell bewegte „die Dicke“ recht wenig bei mir. Ich hatte es lieber mit der eigenen Hand als mit ihr. Aus dieser Aussage kann man ersehen, dass bei mir, im Gegensatz zu meinem Vater und meinen Schwägern, die offensichtlich auch Sexmuffel sind, noch nichts abgestorben war. So musste es mir dann auch mit der Sekretärin Christa Wilke passieren, dass wir dann einen Erbschaftsberechtigten in die Welt setzten. Na ja, Christa war erst mein Scheidungsgrund und dann meine Frau. Das ich diese Dame aus Habenichtskreisen heiratete, lag auch ganz im Sinne meines Vaters. Für ihn war es unvorstellbar, dass mal etwas von dem, was er angehäufelt hatte, irgendwo in „fremde“ Hände fiel. Christa bekam dann allerdings einen Ehevertrag, der sich gewaschen hatte, aufgebrummt. Wäre der zum Tragen gekommen, wäre die arme Frau praktisch mit nichts und nackt vor die Tür gesetzt worden. Intelligenz und Vermögen liegen aber meist nicht in den gleichen Händen, auch wenn die Besitzer großer Geldhaufen so tun nicht. Christa, die sich gar schon nach drei Jahren von mir scheiden ließ, trickste uns doch glatt aus. Sie ließ von einem Gericht feststellen, dass der Ehevertrag, den mein Vater diktiert hatte, sittenwidrig war und ließ diesen für von Anfang an ungültig erklären. Dann machte sie uns ganz eindeutig klar, dass ich satt für meinen Sohn Ullrich Unterhalt zahlen müsste und das dieser später einmal hinsichtlich seines Pflichtteils bei mir vorstellig werden würde. Na ja, Vater zahlte ihr dann eine stolze Abfindung, mit der sie und Ullrich, wenn sie sinnvoll damit umgehen, bis an ihr Lebensende glücklich sein können. Nach den Verhandlungen besaß Christa eine Menge Hochachtung bei unserem Alten. Sie war die härteste Verhandlungspartnerin, die jemals seinen Lebensweg gekreuzt hatte. Die Summe, die Christa erhielt, sollte später bei meiner Kapitulation noch eine große Rolle spielen – aber warten wir es ab. Ich habe nach meiner Ehe mit Christa zu Lebzeiten meines Vaters nicht mehr geheiratet. Damit mir kein zweites Malheur dieser Art passierte ließ ich mir die Samenleiter durchtrennen, denn auf dieses oder jenes Höpserchen wollte ich nun doch nicht verzichten. Ansonsten lebte ich jetzt, umgeben vom goldenen Käfig, in der Welt der Moneten und Spekulationen. Mich unterschied nun nichts mehr von meinem Vater und meinen beiden Schwägern. In dieser Welt der langweiligen Zahlen und der verbohrten Ideologie ums Goldene Kalb könnte ich heute, nachdem ich am Leben geschnuppert habe, nicht mehr existieren ... ich würde eingehen. Nun, wir Sechs, also mein Vater, meine Geschwisterpaare und ich, kamen dank erheblicher Distanz ganz gut miteinander aus. Persönlich, von Mensch zu Mensch, spielte sich allerdings so gut wie nichts bei uns ab. Ich hatte zu meinen Schwägern sogar engeren Kontakt wie zu meinen Schwestern. Schließlich war ich ja mit den Männern fast jeden Tag zusammen und meine Schwestern bekam ich nur gelegentlich, und dann fast immer im Beisein meiner Schwäger, zu Gesicht. Wenn Sie mich fragen, was wir so die ganze Zeit gemacht haben, kann ich Ihnen nur sagen, dass wir uns mit Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen in allen möglichen Anwendungsvarianten beschäftigt haben und ansonsten nicht wussten was wir taten. Heute weiß ich, dass ab einer Größenordnung alles fiktiv wird. Praktisch weiß man gar nicht worüber man da entscheidet und befindet. So kommt es wahrscheinlich auch zustande, dass Leute unseres Schlages die kläglichen Summen, die man Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und der Mehrheit der
Rentner zukommen lässt, als zu hoch bemessen ansehen. Die betreffenden Menschen sind halt auch nur Faktoren, die in Summe etwas ausmachen. Wenn man so fern des wahren Lebens agiert verkümmert alles zu einem bloßen Zahlenspiel, zu so einer Art großem Monopoly mit realem Hintergrund. Dass von den einzelnen Spielzügen auch Menschen, die zum Beispiel ihren Arbeitsplatz verlieren und gegebenenfalls in existenzielle Nöte geraten, betroffen sind nimmt man in der Regel bestenfalls am Rande wahr. Man tröstet sich damit, dass die Leute ja von dem sowieso zu engmaschigen Netz aufgefangen werden. Eines kann ich sogar bis heute noch nicht: Ich kann mich nicht richtig in die Existenzängste und –nöte vieler Menschen versetzen. Katharina berichtet mir zwar immer davon aber aus eigener Anschauung ist mir so etwas so fremd wie den Ureinwohnern von Papua-Neuguinea der Piccadilly Circus in London. Ja, so rann die Zeit, ohne dass ich wirklich lebte, bis 1996 dahin. Unser Vater war nun körperlich nicht mehr der Kräftigste und häufig bettlägerig aber die Zügel hielt er noch immer fest in der Hand. Selbst im Bett funktionierte er immer noch als perfekter biologischer Computer, als der Herr der Zahlen. Dann eines Nachmittags fanden Henk und ich ihn, nach dem ihn zuvor Astrid und Brigitte besucht hatten, Tod in seinem Bett. Er hatte sich mit einer Überdosis eines Schlafmittels, das wir zuvor bei ihm noch nicht gesehen hatten, aus dem Leben geschlichen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die beiden Schwestern da wohl mächtig nachgeholfen haben. Dieser Verdacht erhärtet sich schon allein daraus, dass Vater eigentlich unheimliche Angst vor dem Sterben hatte und sich bis dahin mit aller Macht an das Bisschen „beschissene“ Leben, was er hatte, klammerte. Aber untersucht worden ist nichts und nach Außen wurde nur bekannt gegeben, dass er an einem Herzinfarkt gestorben sei. Wer fragt schon nach, wenn Ärzte „richtige“ Totenscheine ausstellen, nach eventuellen „unnatürlichen“ Todesursachen. Und mit ausreichend Geld kann man ja auch bei einem Totenschein in die richtige Richtung nachhelfen; auch Ärzte sind nur Menschen. Und beweisen konnte man eine Woche später, als unser Vater eingeäschert war, ja auch nichts mehr. Und was hat unser Alte nun von seinem Leben, in dem er auf so gut wie alles, zu Gunsten seiner Arbeit verzichtet hat, gehabt. Der wurde zu Asche und zurück blieb irgendein Vermögen, dass uns die seelenlosen Erben in einen erbitterten Krieg führte. Nun, das Wort „seelenlos“ habe ich nicht von ungefähr gebraucht, denn schon am Tage seiner Einäscherung war deutlich zu spüren, wie kalt und herzlos wir Kinder des Verstorbenen geworden waren. Alle Drei haben wir uns gestanden, das uns der Tod des Alten irgendwo kalt ließ. Wir bekundeten uns gegenseitig sogar, dass wir jetzt froh seien, nicht mehr von ihm bestimmt zu werden. Und dann war es vorbei mit den gegenseitigen Geständnissen. Nach dem Brigitte die Aufteilung des Nachlasses angesprochen hatte wurde gleich das Kriegsbeil ausgegraben. Wir stellten nämlich fest, dass keiner von uns einen genauen Überblick davon hatte, was wir überhaupt besaßen. Der Alte hatte immer nur seine Finger in fast allem, was mit Geldgeschäft zutun hatte und auf das, was er da trieb, hatte er ja niemanden einen richtigen Durchblick gegeben, auch Henk, Ludwig und mir nicht. Wir hatten in Vaters Auftrag diverse Transaktionen durchgeführt, die durch sein späteres Handeln für uns vollkommen unrelevant geworden waren. So kam es, dass wir Geld und Besitz an Stellen vermuteten, wo schon lange nichts mehr war. Da wir uns zu Lebzeiten des Davongegangenen nie abgestimmt hatten und immer auf seine Anordnung hin handelten, blieb es jetzt nicht aus, dass wir uns gegenseitig beschuldigten, größere Summen klammheimlich beiseite geschafft zu haben. Am Abend der Einäscherung gab es dann in der Villa, in der ich mit meinen Vater gewohnt hatte, einen fürchterlichen Streit, bei dem ich erstmalig meine Schwestern beschuldigte unseren Vater umgebracht zu haben. Der „kalte Krieg“ unter den Geschwistern Höpfner war ausgebrochen. Jeder verdächtigte jeden. Jeder Schritt der jeweils Anderen wurde mit großen Misstrauen beäugt und die Schuldvorwürfe, bis hin zu angeblichen Straftaten, gingen Hin und Her. Alle Drei nahmen wir uns Anwälte um erstens unsere Rechte gegenüber den Anderen zu wahren und um zweitens den anderen ordentlich Schlamm, juristisch verpackt, vor die Tür zu schütten. Heute frage ich mich warum wir des eigentlich gemacht haben. Es war doch mehr als genug für uns alle da. Von Vaters Vermögen hätten noch ein paar Leute mehr als nur wir drei Geschwister mit den beiden Ehemännern „selig“ werden können. Er hatte ja fast jede Minute seines Lebens immer nur gescharrt und gehäufelt. Vater konnte ja immer noch sagen, dass er alles für seine Nachfahren, seine Kinder, tun würde. Aber wir? Der Einzigste, der überhaupt Nachwuchs hatte, das war ich. Aber Ullrich war ja mit einer großzügigen Abfindung aus dem Nachfolgerennen ausgeschieden. Meine Schwestern waren bis jetzt kinderlos und da wir nun allesamt der Fünfzig entgegenstreben ist auch mit keiner Änderung zu rechnen. Brigitte hatte es zwar versucht aber nach zwei Fehlgeburten aufgegeben und Astrid wollte sich zu keinem Zeitpunkt mit einem Erziehungsaufwand belasten. Wofür also dieser Familienkrieg, wenn wir doch eines Tages alle zu Asche werden und wir bis dahin mit Sicherheit nichts Vernünftiges damit gemacht haben. Das wir es für den Fortschritt der Gesellschaft machten konnten wir auch nicht behaupten. Dafür interessierte sich schon unser Vater nicht. Der machte alles nur zu eigenem Nutzen und Frommen, die Gesellschaft war ihm dabei völlig egal. Ganz im Gegenteil: Wenn es ihm persönlich einen Vorteil brachte dann setzte er alles daran die Gesellschaft zu schädigen. Das Einzigste was ihm zum Beispiel an der steigenden Arbeitslosigkeit störte waren die mitsteigenden Sozialkosten, die die Lohnnebenkosten hoch treiben und damit die Gewinne kürzen.
Und wir waren allesamt Kinder seines Geistes. Erst kam bei uns der Eigennutz und der Gemeinnutz galt nur dann, wenn es uns absolut unvermeidbar erschien. Darüber, dass so etwas über kurz oder lang zum Zusammenbruch der Gesellschaft und der Wirtschaft führt und das wir dann selbst in das Loch fallen, haben wir nie nachgedacht. Man muss sich doch überlegen, dass Geld, gleichgültig ob es Mark, Dollar oder Euro heißt, keinen eigenen Wert hat. Geld ist lediglich ein Tauschhilfsmittel, dass den Austausch von Gütern und Leistungen ermöglichen soll. Grundsätzlich ist das Geld soviel wert, wie ich diesem an Gütern und Leistungen zu messe. Wenn ich diese Tauschhilfsmittel an einer Stelle häufle entziehe ich diese dem Wirtschaftsverkehr, sprich dem Tauschhandel. Dann haben diese Haufen nur noch Zahlenwerte und sind nicht mehr durch wirkliche Werte abgedeckt. Zu irgendeinem Zeitpunkt muss dann auch der Geldsammler feststellen, dass seinen fiktiven Zahlen keine wahren Werte gegenüber stehen ... und dann macht es plumps. Siehe „Schwarzer Freitag“, Mexiko-, Ostasien- und Südamerikakrise. Ganz aktuell können wir nach Argentinien blicken. Auch die Schwierigkeiten die unsre Bundesrepublik Deutschland mit dem Staatshaushalt hat hängt damit zusammen. Billionen befinden sich auf Privatkonten und der Binnenmarkt lahmt mangels Kaufkraft und in dessen Folge nimmt die Zahl der Arbeitslosen und Insolvenzen zu. Und wo nicht gehandelt wird kann der Staat auch keine Steuern einnehmen. Wenn sich so etwas noch ein Wenig eskaliert bricht die Binnenwirtschaft letztlich ganz zusammen und damit werden auch die großen Tauschmittelhaufen zu Staub und Asche. Also lange Rede kurzer Sinn: Wir, alle Höpfner-Erben, handelten wie unser Erblasser nur aus puren Egoismus und nirgendwo im Interesse der Allgemeinheit. So gesellte sich mitten in unserem kalten Erbenkrieg noch ein gemeinsamer Feind hinzu: Der gute Papa Staat wollte doch tatsächlich Erbschaftssteuer haben. Da bildet sich doch auch noch eine sonderbare Allianz: Wir Kriegsgegner schlossen uns einträchtig im Kampf gegen Sankt Fiskus zusammen. Dieser gemeinsame Kampf, in dem wir gemeinsam alles mögliche vor den Augen der Fiskalritter zu verschleiern versuchten, eröffnete uns dann Schlachtfelder in dem Krieg untereinander, denn das Eine oder Andere, was wir vor den anderen abdrücken wollten, wurde offenbar und ließ uns dann aufeinander losgehen. Ludwig war dann im Sommer 1997 der Erste, der aussteigen wollte. Er unterbreitete den Vorschlag, dass Henk die Geschäfte alleine weiterführen sollte und uns eine, allerdings saftige, jährliche Apanage zukommen lassen sollte. Seiner Meinung war es in einem solchen Fall egal, wem letztlich was gehöre. Dieser Vorschlag gefiel ausschließlich Astrid, die dann nur noch die Apanage runterhandeln wollte. Aber insbesondere Brigitte, der eigentlichen Miterbin - Ludwig hatte zwar seinen eingebrachten Anteil aber ansonsten nichts geerbt - missfiel Ludwigs Vorschlag mehr als nur sehr. Dadurch sollte der Krieg dann heiß werden. Das Ehepaar Brigitte und Ludwig Scheuerle fuhr in diesem Sommer zu einem Urlaub nach Österreich. Bei einer Bergwanderung stürzte er auf mysteriöse Weise ab. Der Absturz verlief für ihn tödlich. Brigitte war zwar zu diesem Zeitpunkt nicht bei ihm, aber Astrid und ich waren der festen Überzeugung, dass sie irgendwie, möglicher Weise über einen bezahlten „Killer“, den Absturz herbeigeführt habe. Aber ganz vehement setzte sich Astrid bei mir dafür ein, dass ich diesen Verdacht an keiner Stelle äußern sollte. Dieser Ansatz weckte bei mir dann wieder den Verdacht, dass die beiden Schwestern gemeinsam den Tod unseres Vaters herbeigeführt hätten. Und das sagte ich dann auch. Nun, aufgrund meiner Aussage lag ich dann wieder tief im Krieg mit Astrid. Und als ein paar Wochen darauf Brigitte vor meiner Tür stand dachte ich gleich an eine weitere Schlacht. Ausnahmsweise hatte ich anstelle meines Hausmädchens selbst geöffnet. Etwas mürrisch machte ich sie an: „Was willst du denn hier? Wolltest du mich umlegen?“. Sie schaute mich schwesterlich familiär und ein Wenig traurig an und sagte: „Ach Gerhard, ich habe furchtbare Angst. Bitte höre mich an.“. Na ja, ich ließ sie eintreten und im kleinen Wohnzimmer Platz nehmen. Als sie eben saß brach sie in Tränen aus und versuchte trotzdem zu sprechen: „Astrid ist eine Verbrecherin und wird uns alle umbringen ... oder umbringen lassen. Sie hat auch Vater dazu gebracht sich umzubringen. Sie weiß irgendetwas Schlimmes aus seinem Vorleben. Ich glaube, dass dieses unseren Alten für den Rest seines Lebens hinter Schloss und Riegel gebracht hätte. Was es auch sei, er hat das mehr gefürchtet als sterben zu müssen ... und du weißt selbst was er davor für eine panische Angst hatte. An dem Tag als er sich das Leben nahm rief sie mich an ob ich mit ihr eine Runde Erbschleichen gehen wollte. Sie meinte dass wir dafür wohl nicht mehr lange Zeit haben würden, denn der baue derzeitig mächtig ab und es sei doch schade, wenn unser Brüderchen alles alleine absahnen würde. Dieses auch im Hinblick darauf, dass deine Extussi, wie sie sagte als sie Christa meinte, schon massig von unserem Erbe abgesahnt habe.“. Jetzt überschlug sie sich bei ihrer Heulerei und ich musste sie erst einmal beruhigen. Etwas gefasster fuhr sie fort: „Also, das war ein kurzer Besuch bei Vater. Sie sagte ihm ganz dreist, dass ich alles wissen würde ... obwohl das überhaupt nicht stimmte – und er müsse jetzt seine Konsequenzen ziehen; am Nachmittag sollte es zu spät sein, weil sie dann handeln würde. Du weißt, der Alte hat die Konsequenz gezogen. Er sagte ihr sogar, dass er sich vorbereitet habe und zeigte uns die Schlaftabletten, die er sich inzwischen besorgt hatte. Als wir draußen waren habe ich ihr ob ihrer Behauptungen und dass sie mich offensichtlich missbrauchen wolle angemacht. Ich bekam von ihr mächtig Prügel, so wie sie mich damals, als du im Internat warst, immer
rann nahm. Schon vor Vaters Beerdigung sprach sie mich an, dass ich mit ihr an einen Strick ziehen müsse um dich wie einen räudigen Köter davon zujagen ansonsten würde sie mir zuerst das Garaus machen. Ich sprach darauf mit Ludwig und er war der Meinung, dass bange machen nicht gelte und wir uns nicht die Margarine vom Brot streichen lassen sollten.“. Jetzt legte sie eine Pause ein in deren Anschluss sie seufzte: „Ich hätte mich vielleicht dich anvertrauen sollen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen und Ludwig noch am Leben. Aber du musst mir schon verzeihen, dass ich dich damals verdächtigte mit Astrid unter einer Decke zu stecken. Schließlich warst du ja gerade kurz vorher mit Henk in den USA gewesen und ihr wolltet Ludwig nicht sagen um was es ging.“. Tatsächlich war ich kurz vor Vaters Tod mit meinem Schwager Henk in den USA unterwegs. Die Sache war aber absolut harmlos. Amerikanische Anleger wollten in Deutschland insbesondere in Telekommunikations- und anderen High-Tech-Werten investieren. Vermittlung und Durchführung von Anlagegeschäften war ja neben unseren eigenen Anlagen und Spekulationen unser Unternehmenszweck. So war es also nichts außergewöhnliches das uns der Alte ins „gelobte Land“ schickte um Kunden anzuheuern. Als wir los fuhren war Ludwig ein Wenig sauer weil er auch einmal gerne dienstlich über den „großen Teich“ wollte aber stattdessen das Alltagsgeschäft übernehmen musste. Na ja, auch Geldmenschen erlauben sich hier und da im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu scherzen und so haben wir Ludwig den Bären aufgebunden, dass wir in streng geheimer Mission unterwegs wären und selbst ihm nichts davon sagen dürften. Jetzt war es leider die Grundlage von Brigittes Verdacht. Als sie bei mir war klärte ich sie dann auf aber ob sie mir geglaubt weiß ich nicht, denn schließlich hatten wir alle diese geschäftsmäßige Verlogenheit mit der Muttermilch gesogen. Übrigens: Aus allen Geschäften, die Henk und ich damals anleierten, wurde nichts. Wir waren mit unserem Erbkrieg so beschäftigt, dass wir diesen, für unsere Unternehmung wohl wichtigeren Dingen, nicht im ausreichenden Maße nachgingen und da sahen sich die Amerikaner eben halt nach aufmerksameren Partnern um. Nach diesem USA-Intermezzo fuhr Brigitte, jetzt deutlich ruhiger und gefasster, fort: „Na, ich brauche dir ja nicht zu erzählen wie wir uns dann gestritten haben ... du hast ja fleißig mitgemischt. Dann vor ein paar Wochen erschien auf einmal so ein komischer Kerl, so eine Mischung aus ungepflegten Körper und eleganten Anzug, bei uns. Er war eindeutig ein Osteuropäer; ich schätze Rumäne. Ganz hämisch sagte er uns, dass es für uns besser sei aus dem Höpfner-Geschäft auszusteigen. Wenn wir seiner Empfehlung folgten wäre uns eine angemessene Abfindung gewiss und wenn nicht, könnten wir uns als Engelchen mit Vater zum Skat treffen. Ludwig war davon überzeugt, dass der es ernst meinte und dass er entweder von dir oder von Astrid angeheuert worden sei. Auch ich hatte schon davon gehört, dass ehemalige Mitglieder des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes heute solcherlei Aufträge erledigen. Ludwig hatte eine solche Angst, dass er gleich das nächste Mal diese Geschichte mit der Apanage vorschlug.“. Jetzt musste ich doch einmal erstaunt unterbrechen: „Entschuldige mal Brigitte. Der Auftraggeber des Rumänen konnte sowohl Astrid wie auch ich sein. Ludwigs Vorschlag hörte sich aber so an, als wolle er Astrid und Henk zu Kreuze kriechen. Da müsst ihr mich doch schon von der Liste der Verdächtigen gestrichen haben.“. „Hatten wir auch.“, erwiderte Brigitte, „Nicht etwa weil wir dir das nicht zugetraut hätten. Schließlich sind wir drei Höpfner-Kinder alle die gleichen seelenlosen Wesen wie unser Vater. Aber dein Kampf um unser Erbe sieht doch insgesamt nach Verteidigung aus ... du willst deinen Anteil sichern. Aber bei Astrid und Henk ist ganz eindeutig, dass sie alles wollen. Um deinen Anteil zu sichern wäre das Anheuern eines solchen Kerls nicht gerade sinnvoll gewesen, denn du hättest ja anschließend mit den beiden Anderen trotz allem noch weiter arbeiten müssen. Astrid, unterstützt durch Henk, greift aber immer an ... die will alles. Ich war mit Ludwigs Vorschlag überhaupt nicht einverstanden; ich wollte nicht gegenüber meiner Schwester kapitulieren. Im Übrigen glaubte ich nicht, dass Astrid, obwohl sie ja ganz eindeutig unseren Vater in den Selbstmord getrieben hat, mich umbringen würde. Also lehnte ich, genau wie du und Astrid, Ludwigs Vorschlag ab. Wir waren uns einig darüber, dass wir nach dem ganzen Wirrwarr ziemlich durchgedreht gewesen seien und wollten uns ein paar Tage zum Refreshing unserer Gedanken gönnen. Deshalb sind wir dann nach Österreich gefahren. Dort haben wir uns aber dann immer nur gezankt ohne uns aufeinander zu zu bewegen. Ludwig wollte aufgeben und ich weitermachen. So gingen wir dann auch meist getrennte Wege. So auch an dem Unglückstag: Ludwig schloss sich einer Bergwanderung an und ich ging zum Shopping ins Örtchen. Da stand plötzlich dieser unheimliche Kerl vor mir und sagte: ‚Frau Scheuerle, sie hätten besser auf ihren Mann hören sollen. Jetzt wird er sie erst einmal verlassen und wenn sie auch dann noch nicht klug geworden sind, dann müssen sie ihm schon in Kürze folgen’. Etwa eine Stunde später hörte ich dann von Ludwigs Absturz.“. Jetzt begann Brigitte erst einmal wieder zu weinen. Irgendwie spürte ich jetzt etwas, was es möglicher Weise in meinem Inneren schon immer gab aber mir noch nie bewusst geworden war: Ich konnte mich in meine Schwester versetzen und mit ihr empfinden. Ich glaube dass es sich um das, was man Mitgefühl nennt, handelt. Ich strich ihr mit meiner flachen Hand über die Haare und versuchte ihr etwas tröstliches, an was ich mich heute nicht erinnern kann, zu sagen. Nach dem sich Brigitte ein Wenig beruhigt hatte fragte ich sie: „War Ludwig denn allein in den Bergen oder hat jemand gesehen wie man
ihn darunter gestoßen hat?“. „Er war nicht allein und ihn hat niemand gestoßen.“, erwiderte Brigitte, „Das ist ja das seltsame. Er soll sich, als die Wandergruppe losging, fast eine Viertelstunde mit einem Herrn, der nach der Beschreibung dieser komische Kerl gewesen sein könnte, erregt unterhalten haben. Danach habe er auf der ganzen Wanderung richtig abwesend gewirkt haben. Dann passierte es: Ludwig war, entgegen den Anweisungen des Wanderführers, ein Wenig abseits des Weges gegangen, dort ohne erkennbaren Grund gestolpert und abgestürzt. ... Glaubst du, dass es Hypnose gewesen sein könnte?“. Nachdenklich antwortete ich ihr: „Nein, das geht nur in trivialen Schmökern. Aber denkbar wäre, dass dieser Kerl Ludwig etwas angedroht hat, dass er es vorzog lieber freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Etwa so wie es, ... nach meiner Mutmaßung aufgrund deiner Erzählung, - Astrid mit unserem Vater gemacht hat. Das würde dann zugleich seinen abwesenden Eindruck und das unerklärliche Stolpern erklären. Er hat offensichtlich darüber immer wieder nachgedacht und dann das Stolpern vorgetäuscht um sich in die Tiefe zu stürzen. ... Wer will in einem solchen Fall was beweisen?“. „Das ist das Problem.“, setzte Brigitte wieder an, „Ich bin mir sicher, dass Astrid die perfekte Mörderin ist. Aber wie willst du ihr den Mord an Vater beweisen? Außer wie sie mich darein gezogen hat weiß ich absolut nichts. Wenn ich das jetzt der Staatsanwaltschaft antragen würde, würde Astrid doch prompt behaupten ich wolle mich mit falschen Anschuldigungen, dadurch dass ich sie ausschalte, an ihrem Erbteil bereichern. Und wem wird dann der Staatsanwalt glauben ... mir oder Astrid? Anders wäre es, wenn ich wüsste, womit Astrid Vater in den Tod genötigt hat? Ich weiß es aber nicht und du mit Sicherheit auch nicht. Dann diese Sache mit dem unheimlichen Kerl. Da fällt es überhaupt schon schwer dessen Existenz nachzuweisen. Und wenn, dann beweis ihm ob er uns überhaupt kennt. Bevor du nichts Handfestes hast, kannst du aber auch keinen Personenschutz beantragen. Zwar ist dann, wenn du ihn anzeigst, eine Chance gegeben, dass man ihn danach fasst. Aber was hast du davon, wenn du dabei deine Gesundheit oder gar dein Leben gelassen hast? Von Rache habe ich nichts, ich will leben. ... Deshalb bin ich jetzt auch bei dir. Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Wenn du mir das Gleiche wie damals deiner Christa gibst, dann kriegst du meinen Erbteil einschließlich das was ich von Ludwig erbe im Zuge der Schenkung. Also von dem ganzen Kram brauchst du mir nur so viel wie deiner Ex lassen ... und dann bin ich weg. Bis jetzt habe ich ja noch gar nicht richtig gelebt. Nun will ich erst mal weg von hier und dann leben.“. Von ihrem Ansinnen wurde ich jetzt völlig überrascht, zumal ich ihrem Gedankengang damals in keiner Weise folgen konnte. Warum wollte sie bis auf eine Abfindung, von der man, wenn man keine Superansprüche stellt, allerdings gut leben kann, auf alles verzichten? Und warum zu meinen Gunsten? Natürlich fragte ich sie jetzt danach und bekam eine plausible Erklärung, die mir aber damals aber gar nicht so vor kam: „Ach, nach Ludwigs Tod habe ich Christa, deine Ex besucht. Sie hat mir dabei den Mund richtig wässerig gemacht. Sie erzählte mir wie schön das Leben sein kann. ... Von dem Besuch sollte ich dir übrigens nichts erzählen, da sie dir immer noch übel nimmt, dass du ursprünglich für deinen Ullrich nicht aufkommen wolltest und du noch nie versucht hast mal Verbindung mit deinem Sohn aufzunehmen. Sie sagte, dass sich daran auch was ändern könnte aber du müsstest erst einmal Mensch werden. Sie hat aber Zweifel ob das jemals passiert. Danach habe ich viel darüber nachgedacht, warum ich das alles mache und was ich davon habe. Immer wieder dachte ich daran, dass das Leben doch so schön sein könnte. Ich dachte daran, wie schön es verschiedene Leute finden im Wald spazieren zu gehen ... Das habe ich selbst noch nie gemacht. Wie schön wäre es, wenn man sich mal mit Leuten unterhalten könnte ohne das dabei ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. ... Und noch was: Ich hoffe immer mehr, dass es wirklich einen Gott gibt, der mich liebt und glücklich machen will. Ich will fromm werden. Auch Christa glaubt an ihn und sie ist viel glücklicher wie wir. Kurz: Ich will jetzt aussteigen und endlich leben. Aber jetzt will ich nicht aus dem goldenen Käfig auf die Straße gesetzt werden. Ich möchte noch so viel haben, dass ich so wie Christa leben kann. Jetzt will ich aber Astrid nicht den Eindruck vermitteln, dass sich Verbrechen lohnt ... Und deshalb möchte ich alles mit dir abwickeln.“. Jetzt war ich in einer für mich seltsamen Situation. Dieses Mitgefühl, was mir während Brigittes Besuch aufgekommen war, hatte sich verstärkt. Ich glaube zum ersten Mal seit unserer Kindheit nahm ich jetzt den Menschen in meiner Schwester wahr. Irgendwo waren da auch immer die Blitzgedanken, es ihr gleich zutun. Auf der anderen Seite wuchs in mir der Hass auf unsere ältere Schwester und der Wunsch es ihr zu zeigen. Ich dachte daran, dass ich, wenn ich auch über Brigittes Anteile und dem, was Ludwig eingebracht hat, verfüge, es ihr zeigen zu können. Der heimliche Wunsch, jetzt Astrid auszubooten, begann in mir zu brennen. Na ja, daraufhin machte ich dann mit Brigitte diesen Kuhhandel. Ich wollte ihr sogar deutlich mehr wie Christa geben aber sie wollte tatsächlich nur soviel wie meine Ex und nicht mehr. Brigitte hatte bereits alles soweit vorbereitet, dass wir zwei Tage darauf zum Notar schreiten konnten. Dieser eröffnete die Vertrags-UnterzeichnungsZeremonie mit seinen Bedenken und empfahl uns, uns doch erst einmal mit einem einschlägigen Anwalt zu unterhalten, da wir auf diese Art und Weise doch Väterchen Staat eine Menge Steuern zuspielen würden; das ginge auch anders. Aber Brigitte war wild entschlossen und wollte es hinter sich bringen. So ging diese Geschichte also wie eine Blitzaktion über die Bühne.
Astrid erfuhr von der ganzen Angelegenheit erst als schon praktisch alles gelaufen war. Na was soll ich sagen: Die Stimmung wurde teuflisch. Brigitte allerdings war raus aus dem Geschäft. Sie kaufte sich in dem gleichen sauerländischen Ort, in dem auch Christa ansässig war, ein Haus. Die beiden Frauen freundeten sich richtig an. Nicht nur die Frauen. Brigitte hat ein Jahr später den Bruder von Christas zweiten Mann, einem Lehrer, geheiratet. Beide Brüder haben den gleichen Beruf und sind sehr religiös und dadurch wurde dann auch Brigitte die erste Christin in der Familie Höpfner. Heute habe ich mit beiden Frauen regelmäßigen schriftlichen Kontakt und ab und an telefonieren wir auch miteinander. Immer wieder höre ich wie glücklich die Beiden geworden sind und auf keinen Fall wieder zurück wollten. Letzten Sommer hat uns Ullrich mit seiner Verlobten hier an der olympischen Riviera in Nordgriechenland drei Wochen lang besucht. Ach, was war ich glücklich. Ich kann sagen, dass wir heute richtig nette familiäre Beziehungen haben, die natürlich nicht zustande gekommen wären, wenn ich der alte Gerhard Höpfner geblieben wäre. Aber damals, im Jahre 1997, war ich noch nicht so weit wie die Frauen, da musste ich erst noch mal durch die Hölle. Was sich da bei uns, das heißt bei Astrid, Henk und mir, abspielte kann man zunächst als Chaos pur bezeichnen. Das Erste was es zu „bemängeln“ gibt, ist das Astrid ohne einen Funken Ahnung im Geschäft kräftig und eigenmächtig mitmischte. Der zweite, sogar noch ärgere Mangel war, dass alles was von der einen Seite aufgebaut wurde von der anderen postwendend wieder umgeschmissen wurde. Unsere Kommunikation hatte nichts mit dem Geschäft sondern nur mit Verbalbeleidigungen zu tun. Auch körperlich agierten wir „nett“ miteinander. Wenn es eine Chance gab dem Anderen eine Tür vor den Kopf zu schlagen, dann ließen wir diese Gelegenheit nicht ungenutzt vorüberziehen. Man brauch gar nicht geschäftlich vorgebildet zu sein um auf Anhieb zu sehen, dass so etwas nicht funktionieren kann. Wir schossen einen Flop, das heißt derben Verlust, nach dem anderen. Nun, ich habe bisher immer von dem „großen Vermögen“, was unser Vater zusammengerafft hat, geschrieben. Jetzt muss ich zunächst mal einschränken, das „großes Vermögen“ ein sehr relativer Begriff ist. Wir waren zwar die begüterste Familie in unserem Örtchen aber von solchen Geldgrößen wie Bill Gates oder die Gebrüder Albrecht waren wir doch meilenweit entfernt. Gegenüber den genannten Leuten waren wir dann doch arme Schlucker. Da gingen unsere Geschäftsgebaren doch reichlich an die Substanz. Ich schätze mal, dass wir in 1997 und 98 rund ein Drittel des ererbten Vermögens verspielt haben. Der Verlust müsste eigentlich noch höher beziffert werden, denn wir arbeiteten ja überwiegend mit dem Kapital anderer Leute und bei denen haben wir das Vertrauen, was sich unser Vater bei denen aufgebaut hatte, verspielt. Mögliche Umsätze, die wir mit denen hätten erzielen können, waren in Folge dann an uns vorüber gezogen. Hätten wir so noch ein Jährchen weiter gemacht, wäre aus Vaters plus das von den Schwiegersöhnen eingebrachte Kapital schon damals nur noch Schutt und Asche geworden. Das Astrid mich zum alleinigen Sündenbock für das gesamte Schlamassel erklärte brauch ich wohl nicht extra zu erwähnen, da das für jedermann klar gewesen sein dürfte. Aber das war gar nichts gegen das, was mir persönlich im Dunkeln angetan wurde. Kurz vor Weihnachten lernte ich dann auch diesen Rumänen kennen. Ich weiß nicht wie er reingekommen war aber plötzlich stand er neben meinem Sessel im Kaminzimmer. Es war ein großer breitschultriger Mann etwa in meinem Alter. Sein eleganter Anzug, es könnte sogar ein Designeranzug gewesen sein passte gar nicht zu seinem Schwerarbeitergesicht mit dem Fünftagebart. Auch seine dunklen, mit mächtigen grauen Strähnen durchgezogenen Haare hätten sich bestimmt über einen Frisörbesuch gefreut. Mit recht lässigem Ton sagte er: „Verzeihung Herr Höpfner, ich will nicht lange stören. Sie können mich Schacko, den Engel der Gerechtigkeit nennen. Ich habe gehört, sie seien gar nicht gerecht gegenüber ihrer Schwester. Sie sollen sich fleißig bemühen alles kaputt zu machen, was nur ihr zusteht. Ich glaube, sie sollten besser das Feld räumen und ihr mal alles zurücklassen. Entweder machen sie es freiwillig oder wir müssen ein Wenig nachhelfen ... Ihre Schwester ist doch ihre Erbin. Apropos, sie sollten keine Dummheit machen und so unnütze Leute wie Polizisten oder Staatsanwälte einschalten, denn dann ...“. Sorry, was er dann sagte schreibe ich lieber nicht. Ich verrate nur, dass es mit Steuerhinterziehung, Schwarzgeld und in gewisser Weise mit Geldwäsche zutun hat. Na ja, dahingehend kann man mir persönlich eigentlich mit strafrechtlichen Mitteln nichts anhaben aber die „angesehenen“ und besser positionierten Leute, denen ich da mehr unbewusst auf dem Leim gegangen bin, könnten verdammt unangenehm für mich werden. Praktisch bin ich da Mitwisser eines mittleren Politskandals. Im Gegensatz zu mir steckte aber unser Vater tief in der Geschichte drin. Sollte es das gewesen sein, womit Astrid Vater in den Selbstmord genötigt hat? Nun, jetzt könnte ich eine längere Geschichte abfassen und von allen, ich glaube insgesamt 15 Auftritten dieses Schacko bis Mitte Juli 1998 berichten. Alle Auftritte, nicht nur in meiner Villa, waren sehr kurz und zunehmend schmerzhafter für mich. Der Kerl kannte so allerlei Trickse aus des Teufels Folterkiste. Was ich nachträglich selbst nicht verstehen kann, ist warum ich trotz allem verbissen nicht aufgeben und weiter machen wollte und warum ich keine Anzeige erstattet habe. Ich hatte doch dahingehend nicht zu verlieren, dass es für mich doch gar nicht mehr schlimmer werden konnte – nur noch das Leben hatte ich zu verlieren. Wozu kann Geldversessenheit nur alles führen? Handelten wir nicht wie unbeseelte Lebewesen? Im Geschäft mischte ich in dieser Zeit nicht mit, ich überließ immer alles kommentarlos Henk. Wenn er aber für irgendetwas meine Unterschrift benötigte,
und das war des öfteren Mal der Fall, kam mein überstures Nein. So lief es zwar ein Wenig besser wie im Vorjahr aber auf Dauer hätte der Laden auch dieses nicht überlebt. Bei seinem letzten Auftritt in meiner Villa konnte mich Schacko davon überzeugen, dass er mich beim nächsten Mal auf schmerzhafte Art umbringen würde. In meiner panischen Angst fiel mir nichts besseres ein als bei einem Reisebüro anzurufen, ob sie mir noch für den gleichen Tag eine Urlaubsreise für mindestens 14 Tage vermitteln könnten. Ich suchte also ein echtes Last-Minute-Angebot und hatte tatsächlich Superglück. In diesem Reisebüro hatte sich kurz vorher eine Frau gemeldet, die eigentlich mit ihrem Mann am gleichen Tag, um 18:00 Uhr, ab Düsseldorf nach Griechenland fliegen wollte. Der Mann hatte am Morgen einen Herzinfarkt erlitten und lag jetzt auf einer Intensivstation. Ich konnte diesen Leuten die Reise abkaufen und das Reisebüro sorgte dann noch dafür, dass die Reise in letzter Minute auf meinen Namen umgebucht wurde. Schnell packte ich meine Koffer, bestellte mir ein Taxi und ab ging es nach Düsseldorf. Erst als ich am Abend im Flugzeug saß begann ich mich langsam sicher zu fühlen, zumindestens vorerst. Aber was ich eigentlich machen könnte, wusste ich beim besten Willen nicht. Letzteres, also was ich machen und wie es weiter gehen könnte, beschäftigte mich während der ersten Zeit meines Urlaubs in jeder wachen Minute. Und von wachen Minuten hatte ich mehr als genug, da ich des Nachts reichlich unruhig schlief, so dass ich immer das Gefühl hatte ich hätte die ganze Nacht wach gelegen. Mir war bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte. Jetzt konnte ich mir ja nicht auch so eine Type, bei dem die Biologie die Vernunft durch Gewaltbereitschaft ersetzt hat, zulegen. Gewalt gegen Gewalt bringt keine Lösung. Immer nur einstecken konnte ich aber eben so wenig wie immer nur fliehen. Wer immer davon läuft wird seine Probleme nicht los sondern dieser wird immer wieder von diesen eingeholt. Und ganz aktuell: Ich fühlte mich jetzt im Hotel Alexander an der olympischen Riviera doch sehr sicher aber dauerhaft konnte ich hier ja nicht bleiben. Schon in wenigen Tagen würde es mich nach Deutschland zurückführen. Nur an eine Sache dachte ich nicht: Einfach aussteigen und stattdessen zu leben, richtig zu leben. So richtig Spaß fand ich an diesem Urlaub auch nicht. Ich war immer rastlos unterwegs; immer am Strand entlang. Mal führten mich meine Wege in südliche Richtung, vorbei an der Kaserne am Strand bis zur Ortschaft Leptokaria und mal in nördliche Richtung, wo es am Strand immer unbelebter wurde. Die meisten Menschen knubeln sich am Meisten in der Nähe ihrer Hotels und nur wenige bevorzugen individuelle Freiheit und ein Abseits von der Masse. Da das Hotel Alexander entlang des Strandes das nördlichste, zu Leptokaria zählende Hotel ist, wird es, wenn man gen Norden spaziert immer stiller. Nur einmal trifft man noch auf einen zum Campingplatz gehörenden Menschenhaufen. Der Leckerschmecker in mir bevorzugte zwar den Weg in Richtung Süden, da es dort immer reichlich wohlgeformte Teilchen von Oben-ohne-Touristinnen zusehen gab aber mein allgemeines Empfinden trieb mich in die andere Richtung. Aber genau das sollte mir genau in der Mitte meines „Urlaubes“ zum Verhängnis werden. Ich ging, nur meinen Gedanken nachgehend, schlendernd am Rande des Meeres, dort wo die längsten Wellen wieder zurückschlagen, entlang. Mal schaute ich hinaus aufs Wasser und mal nur so vor mich hin. Da standen sie plötzlich vor mir – Schacko und ein Gesell, ein ebenso unsymphatischer aber doch deutlich schlechter gekleidete Typ wie er. Schacko grunzte: „Na Höpfnerlein, glaubtest wohl du könntest mir entkommen. Aber dieser alte Herr, namens Gott, und Schacko finden ihre Schäflein immer wieder. Na ja, genieß mal noch die paar Tage bis ich dich zu diesem alten Herrn da Oben schicke. Hier unterm Olymp passiert dir jetzt weiter nichts aber wenn du es dir nicht richtig überlegst, dann kommst du nicht mehr in der Heimat der keulenschwingenden und über Äcker jagenden Germanen an.“. Mehr sagte er nicht aber dafür schlug sein Geselle drei Mal sehr kräftig zu: Einmal in die Genitalien, einmal in den Magen und einmal unter das Kinn – und dann hörte ich nur noch die Englein singen. Als ich die Augen wieder aufschlug, hockte eines von denen, die ich eben noch singen hörte, vor mir. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Engel, den mir unser aller Vater da geschickt hatte, denn innerhalb der nächsten 24 Stunden sollte sich mein Leben grundlegend zum Positiven wandeln. Diese gutgebaute Dame, die offensichtlich nur mit einem Strandkleid aus Frottee, das ihr bis zur Mitte ihrer Schenkel ging, bekleidet war entpuppte sich mir gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes als ein Bote des Himmels. Wie sie jetzt situationsbedingt etwas ungeschickt vor mir hockte, konnte ich zwischen ihren Schenkeln erkennen, das sich unter dem Frottee tatsächlich nur pure Natur befand. In einer anderen Situation wäre so etwas für mich natürlich höchst pikant gewesen. Die Dame sagte ein paar griechische Worte zu mir worauf ich ihr bekundete, dass ich sie leider nicht verstehen könnte. Sie lachte ein wenig und sagte jetzt: „Ich glaube, dass sie mich jetzt bestimmt ganz gut verstehen können – oder? Kann ich ihnen helfen? Soll ich die Polizei rufen?“. „Ich glaube, dass mir die Polizei nicht helfen kann.“, gab ich ihr zur Erwiderung, „Man trachtet mir nach dem Leben weil man mir das, was ich von meinem Vater geerbt habe, abnehmen will. Da bin ich hierher nach Griechenland geflüchtet aber man hat mich auch hier gefunden. ... Ich habe furchtbare Angst.“. Die Frau legte mir, der sich inzwischen mit dem Oberkörper aufgerichtet hatte, die Hand auf die Schulter und sagte ruhig: „Kommen sie erst mal mit in mein Haus. Sie sind ja vollkommen fertig. ... Soll ich ihnen helfen?“. Ich nickte nur mit dem Kopf und sie half mir
beim aufstehen um anschließend meinen rechten Arm über ihre Schultern zu legen – was bei einer so netten Frau sicher eine sehr angenehme Sache ist. In ihrem Haus, ein orttypischer Bungalow neueren Baujahres, das direkt am Strand liegt, bot sie mir erst einmal Platz und einen Ouzo an. Scheinbar hatte sie den Eindruck, dass ich noch weitere Ouzos brauchte, denn sie ließ die Flasche, als sie mir gegenüber Platz nahm, erst einmal auf dem Tisch stehen. Da erlaubte ich mir das Kompliment, dass sie sehr gut Deutsch spreche. Nach einem kurzen, netten Lacher klärte sie mich auf: „Ach entschuldigen sie, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Katharina Vassiliou. Aber Vassiliou heiße ich erst seitdem ich verheiratet bin. Vorher hatte ich den in meinem Heimatland wohl sehr gebräuchlichen schlichten Familienname Meier. Wie sie sehen sind wir Landsleute. Mein Vater war reformierter Pastor in Ostfriesland. Die Liebe hat mich also hierher gebracht und ich bin, nachdem mein Mann vor zwei Jahren tödlich verunglückt ist, hier geblieben. Das unter anderem, weil unsere beiden Töchter Anna und Lena ... das sind Zwillinge – hier geboren sind und natürlich auch hier zur Schule gehen. Konstantin und ich hatten uns ursprünglich ein Mädchen gewünscht, dass Anna-Lena heißen sollte. Als es dann zwei auf einmal wurden, haben wir den Doppelnamen halt aufgeteilt. Die Mädchen sind übers Wochenende bei ihrer Tante in Thessaloniki. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mir als Dolmetscherin. Außer meiner Muttersprache Deutsch und Griechisch kann ich auch noch ganz gut Englisch und Französisch. Das kann man hier beim Im- und Export sowie im Tourismus ganz gut gebrauchen – und so habe ich mein gutes Auskommen. ... So, das soll erst einmal reichen, jetzt sind sie dran.“. Ja, ich stellte mich ihr dann nicht nur so vor, wie sie es eben getan hatte sondern ich redete und redete und redete. Ich erzählte ihr die ganze Geschichte, wie ich sie hier bis jetzt niedergeschrieben habe. So nach etwa einer Stunde gab es dann mal eine Unterbrechung. Katharina berichtete mir, dass sie zuvor auf ihrem Balkon ein Wenig hüllenlos Sonnengebadet habe. Da habe sie plötzlich meinen Schrei gehört und sich dann das Frotteekleid übergezogen. Da habe sie mich da liegen und die beiden „Herren“ auf einen auf dem Strand stehenden Landrover zugehen sehen. Sofort ist sie zu mir geeilt und jetzt würde sie die Kühle des Hauses spüren und wolle sich jetzt erst einmal anziehen. Sie entschuldigte sich für fünf Minuten und war auch pünktlich wieder da. Danach redete ich weiter und sie hörte mir aufmerksam und geduldig zu. Ach, was tat das gut. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich mich gegenüber einem anderen Menschen aussprechen; offen und ehrlich wie es wirklich war. Gerade beim letzten Teil meiner Erzählung sagte ich immer wieder, dass ich fürchterliche Angst hätte. Als ich geendet hatte schaute mich Katharina an und begann „Ach Herr Höpfner, sie brauchen erst mal keine Angst zu haben. Sie können hier bei mir bleiben wo sie sicher sind. Dann sollten sie aber überlegen ob sie es nicht wie ihre jüngere Schwester machen sollten. Sehen sie mal das Leben ist so schön, was kann einen das alles geben. Und was ist dagegen der schnöde Mammon. Er bringt nur Leid und Schmerz. Wenn man von diesem geblendet ist, sieht man nicht das Leben und verliert es letztlich gänzlich. Unser Herr Jesus Christ sagt in der Bergpredigt: ‚Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.’. Der Mammon ist irdisch und vergänglich. Gott aber ist das Leben und ewiglich. Machen sie es wie ihre Schwester und wählen sie das Leben.“. „Ach,“, erwiderte ich ihr, „diese christlichen Worte hören sich immer so gut an aber wir können doch nicht alle die Hände in den Schoß legen und uns auf ein ewiges Leben freuen. Wie soll denn alles hier auf Erden funktionieren?“. Sie schüttelte mit dem Kopf und erklärte: „Das ist ein Missverständnis, das hat der Herr auch gar nicht gesagt. Unsere Aufgabe ist es den Segen Gottes weiter zugeben. Und Segen heißt: Bebauen, behüten und bewahren. Dazu es ist selbstverständlich notwendig Kapital zu ‚sammeln’ und damit zu arbeiten. Aber wir dürfen unser Herz nicht an dieses hängen und es nicht zum Ziel aller Dinge machen. Dann verlieren wir unser Leben, dann schließen wir den tödlichen Packt mit Mephisto. Wir dürfen nicht zu erst nach dem besten Standort für unser Geld fragen sondern ausschließlich nach dem Lebensraum. Sehen sie mal, der biblische Urvater Abraham und andere Personen in der Bibel waren auch nicht arm sondern das Gegenteil. Sie waren gottgefällig weil ihr Herz nicht an dem Besitz hing sondern es Gott, dem Leben, gewidmet hatten. Wenn sie wie ihre Schwester Brigitte dem Gott Mammon abschwören werden sie dafür mit dem Leben belohnt.“. Irgendwie rührte mich Atheisten diese „Predigt“ richtig an. Ich glaube an diesem Tag wurde der Grundstein für meinen heutigen christlichen Glauben gelegt. Ich bin mir heute sicher, dass Katharina an diesem Tag für mich ein von Gott gesandter Engel war. Ab diesem Moment begann ich wirklich zu überlegen ob ich den gleichen Schritt wie Brigitte gehen sollte. Auf einmal erschien mir dieses nicht nur als Ausweg sondern als der Weg. An diesem Tag sprachen wir allerdings darüber nicht mehr. Ich hatte ja auch noch ein paar Mal bei dem Ouzo zugelangt und hatte auch ein gewisse Bettschwere. Katharina wies mir dann erst einmal das Zimmer ihrer Töchter zu und ich schlief auch zunächst ein. In der Nacht wurde ich wach und Katharina stand im kurzen durchsichtigen Nachthemd vor meinem Bett und hielt mich am Arm. Als sie merkte dass ich wach war sagte sie: „Meine Güte Herr Höpfner, sie werden ja von Alpträumen geschüttelt. Jetzt haben sie schon das dritte Mal
geschrieen, dass es mir durch Mark und Bein ging. Kommen sie mit in mein Schlafzimmer, dann sind sie nicht so allein. Dann können sie vielleicht ruhig schlafen.“. „Ach Frau Vassiliou,“, antwortete ich, „sie sind eine ganze bezaubernde Frau, die mir nicht ganz gleichgültig bleiben kann. Haben sie denn keine Angst vor mir.“. Sie fasste ihr Nachthemd und zog es über den Kopf. Dann setzte sie sich auf mein Bettrand und sagte: „Wie sie sehen nein, eher das Gegenteil. Sehen sie mal Gott ist die Liebe und die Liebe ist der wesentliche Bestandteil des Lebens. Die Sexualität ist die Verkörperlichung dieser Liebe und auch ich brauche sie.“. Jetzt könnte man annehmen, das meine Alpträumerei nur ein Vorwand Katharinas gewesen sein könnten. Aber an meinem völlig durchschwitzten Körper konnte ich abmessen, dass es tatsächlich so wie sie sagte gewesen sein musste. Daher bat ich erst einmal unter die Dusche gehen zu dürfen und ging dann zu ihr ins Bett. Was wir dort erst machten, gehört nur Katharina und mir und daher werde ich das hier nicht groß ausbreiten. Für unsere Geschichte interessant ist, was etwa eine Stunde später, als wir vollkommen relaxt nebeneinander lagen, passierte. Sie schaute mich von der Seite an: „Gerhard, kannst du dir nicht vorstellen, dass du für immer bei mir bleibst und wir gemeinsam das Leben genießen?“. Das erschien mir in diesem Moment viel mehr wert und reizvoller zu sein als das ererbte Vermögen und ich antwortete: „Wenn du das wirklich willst, wenn du es mit mir wagen willst, dann rufe ich morgen (gemeint war natürlich der inzwischen angebrochene neue Tag) meine Schwester Astrid an und schlage ihr das Gleiche vor wie ich mit Brigitte übereingekommen bin. ... Nur was ist, wenn sie sich nicht darauf einlässt?“. „Dann verzichtest du eben auf alles.“, kam jetzt unbekümmert von Katharina, „Wir kommen schon durch. Wie sagte Jesus: ‚Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.’ Sieh mal, was brauchen wir denn noch. Ich habe hier das Haus und von meinen Übersetzungen könnten wir beide leben. Sicher findet sich, wenn du willst, auch noch etwas für dich. Es ist doch wirklich so leicht ohne Sorgen zu leben.“. Darauf antwortete ich erst mal nichts und kurz darauf schliefen wir auch ein. Ich brauch es jetzt nicht mehr spannend zu machen, denn ich habe ja schon im ersten Absatz geschrieben, dass Katharina meine jetzige Frau, mit der ich hier in Griechenland lebe, ist. Beide haben wir die Absicht gemeinsam alt zu werden um unser scheinbar nun anhaltendes Glück zu genießen. Sicher kann man sagen, dass das, was an jenem Tag an der olympischen Riviera geschah, eine Steigerung von Liebe auf dem ersten Blick darstellte. Schon am Morgen nach unserer ersten Nacht hatte ich – und wie sie mir sagt, Katharina auch – das Gefühl ein zusammengehöriges Paar zu sein. Katharina führt dieses auf Gottes Prädestination, das heißt Vorbestimmung, zurück und ich kann nicht anders als zu sagen: „Ich denke, dass das stimmt.“. Das Gefühl hatte ich auch besonders stark am Abend des folgenden Tages, einen Sonntag. Da kamen die beiden Mädchen aus Thessaloniki zurück und Katharina stellte mich vor: „Das ist Gerhard Höpfner. ... Könnt ihr euch vorstellen, dass der euer Stiefvater sein könnte.“. Darauf antwortete Anna oder Lena, so genau weiß ich das nicht weil ich erst einmal lernen musste, die damals 15jährigen Zwillinge zu unterscheiden: „Hei Papa, dann willkommen in unserer Familie“ und die andere stimmte mit den Worten „Genau das wollte ich gerade sagen“ zu. Dann wollten sie doch von ihrer Mutter näheres wissen. Was sie dann erfuhren weiß ich nicht, denn das Gespräch wurde auf Griechisch geführt und Katharina hat mir nur gesagt um was es ging. Aber an den freundlichen Gesichtern der Drei konnte ich merken, dass doch alles positiv war. Und die ganze Geschichte hatte Katharina damals auch nicht offenbart, denn dieses, für mich unverständliche Gespräch dauerte nur knapp fünf Minuten und danach behandelten mich auch die Mädchen so als gehöre ich wirklich schon seit jeher dazu. Jetzt habe ich der Einfachheit halber den Samstagnachmittag erst einmal übersprungen. Vom Morgen an hatte ich immer überlegt was mache ich jetzt nur wie. Ab Mittag half Katharina nach, in dem sie öfters fragte: „Wann willst du denn deine Schwester anrufen?“. Na ja, dann ging ich gegen halb Vier dann doch ans Telefon und wählte Astrids Nummer in Deutschland. Am anderen Ende meldete sich aber nicht meine Schwester sondern Henk. Nachdem ich mich zu erkennen gegeben hatte, tönte er hämisch: „Ach, der Davongelaufene möchte seine große Schwester zu Hilfe rufen.“. „Nö,“, begann ich mich lockernd gebend, „ich möchte nur anlässlich meiner Verlobung meiner Schwester ein Geschenk machen. Ich wollte mir jetzt den Betrag, den ich schon Christa und Brigitte gegeben habe, nehmen und den ganzen Rest Astrid, die sich bestimmt darüber freut, schenken. Ich werde in Kürze wieder eine Familie haben und kann mich nicht mehr mit so Lappalien wie Aktien, Immobilien und diverse Fonds beschäftigen.“. „Sag mal, willst du mich verarschen?“, fragte Henk entrüstet klingend zurück. „Och, beim besten Willen nicht.“, tönte ich, mich belustigt gebend, zurück, „Ich kann dir mal meine Braut geben, die kannst du ja mal befragen.“. Ich nahm den Hörer ein Wenig beiseite und rief: „Katharina, kannst du mal kommen und unserem Schwager sagen, dass wir keine Zeit mehr für Geschäfte haben.“. Ich hätte jetzt gar nicht zu rufen brauchen, denn Katharina befand sich, nur ein Meter von mir entfernt, im gleichen Raum. Sie hatte auch sofort verstanden und spielte mit. Sie drehte sich in die, dem Telefon abgekehrte Richtung, so dass der Eindruck, als wäre sie in einem anderen Raum wäre, entstehen konnte und sprach laut: „Schatz muss das sein? Mach mal lieber hin, dass wir ein Bisschen rausgehen können. Es ist ja schrecklich den ganzen Tag im Haus zu kleben.“. Henk meldete sich daraufhin von der anderen Seite: „Okay, okay, du bist mit einer Frau zusammen aber das es deine Braut ist glaube ich dir so oder so nicht. Aber ist auch egal. Du willst
jetzt also mit einer Abfindung aussteigen. Ich glaube, dass ist sogar das Beste für uns alle. So wie es jetzt läuft wirtschaften wir uns ja doch nur in den Ruin. Aber wolltest du tatsächlich nur soviel haben, wie du Brigitte zugestanden hast?“. Nachdem ich ihm „Haargenau das Gleiche, keinen Pfennig mehr aber auch keinen weniger“ geantwortet hatte kommentierte er: „Na gut, das ist ja nicht die Welt. Wann kommst du denn zurück, dass wir das Ganze abwickeln können? ... Brauchst keine Angst zu haben, du kommst schon heile an.“. Mit Letzterem hatte er mir dann durch die Blume signalisiert, dass er diesen Schacko zurückpfeifen würde. Ich nannte ihm dann den Termin, der als Rückflug vorgesehen war und er bot mir darauf sogar noch an, mich persönlich vom Düsseldorfer Flughafen abzuholen. Dahingehend bat er mich noch, ihm die genaue Ankunftszeit meines Fliegers mitzuteilen. Das tat ich dann auch später tatsächlich und es lief ab da praktisch alles reibungslos. Ich kehrte etwas über eine Woche später noch einmal für vier Wochen nach Deutschland zurück. Es gab keine weiteren Verhandlungen mehr und ich bekam das, was ich gefordert hatte. Ich überführte alles in Festanlagen mit jährlicher Zinsauszahlung. Alle Wirtschaftsexperten und die sich für solche halten, werden jetzt in Anbetracht meiner früheren Tätigkeit über meinen Umgang mit meinem Kapital den Kopf schütteln. Aber was soll’s, das Ganze bringt mir nach Abzug von Steuern und Gebühren etwas über 70.000 € im Jahr, also fast 6.000 € netto im Monat, ein. Damit kann man doch ganz gut leben. Bald 80 Prozent unserer Bevölkerung müssen mit deutlich weniger auskommen. Neben diesem Geldgeschäft kümmerte ich mich auch um die Haushaltsauflösung in der Villa, die jetzt auch von Astrid übernommen wurde. Meine Sachen, die ich auch in Zukunft behalten wollte, verfrachtete ich nach Griechenland. Und dann war der Zeitpunkt gekommen, dass ich mich ohne Abschied aus meinem Heimatland, in dass ich bis zum heutigen Tag noch nicht wieder zurückgekehrt bin, abmeldete. Im Januar 1999 haben dann Katharina und ich geheiratet. Aus Anlass unserer Hochzeit habe ich dann erfolgreich Kontakt zu Brigitte und meinem Sohn Michael gesucht. Das Ergebnis habe ich ja schon bereits etwas früher erwähnt. Katharina und ich leben heute noch in dem kleinen Haus, welches sie mit ihrem ersten Mann erbaut hat und sind sehr glücklich. Sie arbeitet immer noch als Übersetzerin und ich betätige mich hin und wieder mit der Überprüfung und/oder Überarbeitung deutschsprachiger Verträge, die Unternehmen hier in der Gegend mit deutschen Partnern schließen wollen. Dieses ist so ein Bisschen Hand in Hand Arbeit mit meiner Frau, denn diese sind dann grundsätzlich ins Griechische, einer Sprache, die ich nach fünf Jahren immer noch nicht kann, zu übersetzen. Anna und Lena studieren jetzt in Athen und sind immer nur gelegentlich im Haus. Und was soll ich sagen: Wir sind sehr glücklich. Es ist doch alles so wunderbar. In diesem richtigen Leben habe ich auch viel Freude am Wandern, einer Beschäftigung, die mir früher im Traum nicht eingefallen wäre, gefunden. Zusammen mit Katharina bin ich wohl schon einige hundert Kilometer durch den Olymp – das ist ja ein Bergmassiv und nicht wie die meisten Leute glauben nur ein einzelner Berg – gewandert. Jedes Jahr treibt es uns aber auch immer einmal hinauf auf den Mitikas, den mit 2917 Meter höchsten Berg des Olymps, auf dem Zeus gethront haben soll. Na ja, wenn man schon am Strand wohnt, dann dürfte klar sein, dass wir auch reichlich baden oder nur einfach auf dem Strand rumtollen. Praktisch habe ich so seit fünf Jahren Dauerurlaub und ich glaube, dass dieser in meinem Leben nicht mehr enden wird. Anders verlief das Schicksal von Astrid und Henk. Genaues kann ich davon allerdings davon nicht berichten, denn davon bekomme ich hier im griechischen Makedonien auf normalen Wege so gut wie nichts mit. Solche weltbewegenden Promis waren wir ja nun allesamt nicht. Daher weiß ich natürlich nur das, was mir meist Brigitte aber auch Ullrich davon berichteten. Sie entsinnen sich doch sicherlich an den Aktienboom Ende der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der zunächst durch die Ausgabe der T-Aktien ausgelöst wurde. Laut Ullrich soll es damals in Deutschland ja ganz toll gewesen sein. Kneipensparer sollen ihre Sparkästen von der Wirtshauswand genommen haben und auf Aktien umgestiegen sein. Im Fernsehen sollen die DAX-perten, die inzwischen wieder in der Versenkung verschwunden sind, Hochkonjunktur gehabt haben. In den Talkshows soll man die „jungen Wilden“, die von nichts, außer von Illusionen, Ahnungen hatten als die Leute der Zukunft vorgeführt haben. Die schafften es Visionen und jede Menge heiße Luft zu Mondkursen zu verkaufen. Junge Eltern schenkten ihrem eben geborenen Nachwuchs Aktien und waren dann noch stolz darauf. Um bestimmte Werte gerade den Kleinanlegern aufzuschwatzen wurden Bankenkofferträger, die sich Analysten nannten, zu fantastischen Romanciers. Man hatte vollkommen den Boden der Realität verloren. Kein Mensch sprach mehr von Produktivität oder Wertschöpfung und anderen, für die Wertpapierbeurteilung wichtigen Faktoren. Viele „Experten“ hatten da noch nicht einmal von gehört aber mischten fröhlich mit. Das Aktien Unternehmensbeteiligungen und somit Risikopapiere sind, schien aus dem Bewusstsein der Leute gelöscht worden zu sein. Ich habe jetzt mal ein eBook aus dem Internet gelesen. Es heißt „Der Schwiegersohn auf Baluway“, in dem der Autor Reiner Vial schon 1999 unter anderem auf so etwas hinwies. Ich glaube diese Herrn Vial hat wohl damals ein jeder für einen Spinner gehalten. Aber nehmen Sie ruhig mal diesen Tipp, dass sie mal auf www.reinervial.de nachschlagen, von mir. In dieser Zeit ist wohl mein Schwager Henk völlig ausgerastet – Astrid hatte von so etwas ja noch nie viel Ahnung. Er arbeitet jetzt kaum noch als Anlage- und Vermögensberater für Dritte sondern spekulierte fast
ausschließlich mit dem „eigenen“ Vermögen. Solide Anlagen und Handfestes, wie Immobilien, löste er auf und transferierte die Erlöse in sehr heiße, hochspekulative Werte. Insbesondere am Neuen Markt soll er auf „Zukunftswerte“ aus dem IT-Bereich gesetzt haben. Na ja, wir wissen ja alle, was mit diesen Werten, die meist von den jungen Wildgewordenen in die Welt gesetzt wurden, geworden ist. Allesamt sind sie zu Pennystocks verkümmert oder gar vom Bankrottgeier gefressen worden. Insbesondere nach dem berüchtigten 11. September 2001 ging es ja steil bergab. Der DAX, der ihn besten Illusionszeiten mal zwischen 7.500 und 8.000 Punkten turnte krebst nun an der 3.000-Punkte-Grenze herum. Der letzte Stand, den ich dieser Tage mal durch Zufall mitbekam – seit meinen Abgang nach Griechenland habe ich nicht mehr gesondert auf den DAX und andere Werte geschaut – lag bei etwas über 2.800 Punkte. Die Auswirkung auf das Ehepaar Henk und Astrid van Bourg war, dass sie inzwischen so gut wie Pleite sind. Hinzu kommt noch, dass die Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung, Untreue und Betruges gegen Henk ermittelt. Dieser Tage rief mich mal Brigitte an um mir die neueste Kunde, die sie unbedingt loswerden musste, zu berichten: Astrid will sich von ihrem Henk scheiden lassen. So ist der „wunderbare“ Tauschmittelhaufen, den schon unser Großvater und insbesondere unser Vater zusammengerafft haben zu Staub und Asche geworden. Dafür haben sie auf all die großen Dinge die uns im Leben geschenkt werden, wie Liebe, Glück, Zufriedenheit, Freunde und so weiter verzichtet. Sie haben sich nur an Zahlenwerten berauscht, die nachträglich überhaupt keinen Sinn ergeben. Sicherlich wir konnten uns mit allerlei Luxus umgeben und stetig zeigen, dass wir „größer“ als andere waren aber alles hat uns weder Liebe noch Freunde gebracht sondern nur Neider und Feinde. Letztlich wurden wir sogar noch als seelenlose Erben untereinander zu Erzfeinden, die sich sogar nach dem Leben trachteten. Und nun ist der „Teufelslohn“ zu Staub und Asche geworden. Meine sehr fromme Frau Katharina, die mich inzwischen mit ihrem Glauben ganz in ihren Bann gezogen hat, ist der Meinung, dass es vor der Schöpfung nur Gott und das Chaos gegeben habe. Gott sei das Bewusstsein und das Leben und das Chaos sei Energie und Materie. Die Schöpfung habe nur den Sinn das Bewusstsein und das Leben zu mehren. Zu diesem Zweck habe sich Gott selbst mit dem Chaos verbunden. So besteht der Mensch aus dem Körper – Materie und Energie – und der Seele – Bewusstsein und Leben. Der Sinn dieser Verbindung ist es, dass sich durch Lebenserfahrung, wozu auch die Leiden, die uns Gott vorbestimmt hat, unser Bewusstsein ausbildet. Eines Tages wird alles wieder zu dem aus was es geworden ist und wird so ewig bestehen. Alles auf Erden wird wieder zu Staub, Asche und zu Geist. Wenn Körper und Seele wieder getrennt sind, kann sich das Bewusstsein nicht mehr ändern und formen, dann muss sie ohne Ende mit dem auskommen, mit der sie sich auf Erden angereichert hat. Besteht unser Bewusstsein aus Liebe, Glück, Zufriedenheit kann man es damit eine Ewigkeit aushalten und es wird herrlich sein. Was ist aber, wenn wir unser Bewusstsein nur mit irdischen Dingen, die wieder zu Staub und Asche geworden sind, angereichert haben? Sollten wir uns da nicht besser an dem orientieren, was er uns selbst gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir“. Und ist nicht der Mammon, wenn wir ihn zum Lebensinhalt und –zweck machen ein solch anderer Gott? Sicher hat Katharina mit ihrer Ansicht recht aber ich möchte das Ganze noch viel einfacher, viel irdischer sehen. Seitdem ich mit Katharina zusammen bin habe ich eigentlich keine nennenswerte Sorgen mehr. Ich habe ein Auge für die wunderbare Natur, für andere Menschen. Ich kann mich mächtig über „putzige“ Kinder freuen und genieße es nette Worte zu empfangen und teile die auch gerne aus. Der kleinste Sonnenschein weckt in mir die Lebensgeister und dem Rauschen des Meeres zuzuhören empfinde ich als Erholung. Gerne schaue ich den Tieren, wie Hunden, Katzen und Vögel zu und kann mich an denen eigenen Anmut und Eigenarten ergötzen. Immer wenn ich mit Katharina zusammen bin ist es für mich ein Erlebnis was mir kein Megastar bieten kann. Und alles das ist umsonst, es kostet keinen müden Cent. Früher hatte ich immer das Gefühl ich könne was versäumen oder falsch machen. Heute weiß ich, dass ich gar nichts versäumen kann, denn wenn ich bei einem Highlight nicht dabei war, dann war ich eben woanders und habe was erlebt. Und Erleben kann man bei Highlights noch nicht einmal als gegeben ansehen – meist ist man ja nur einfach dabei. Früher hatte ich auch, wie mein Vater, eine panische Todesangst, die Angst vor dem Aus und dem plötzlichen Nichts. Ich musste sie immer verdrängen. Und jetzt? Sie ist weg. Warum sollte ich mich damit belasten? Es ist mir doch vorbestimmt, dass mein Körper mal wieder zu Staub und Asche wird, den kann ich doch nicht entrinnen. Was nützt es mir, wenn ich mich, weil ich Angst vor Terroranschlägen habe, einigle und dann doch an einem Herzinfarkt sterbe? Was soll es, wenn ich aus Angst vor tödlichen Krankheiten nur unschmackhaftes Zeug meinem Körper zu führe und dann bei einem Autounfall ums Leben komme. Einigeln und schlecht schmeckendes aber scheinbar gesundes essen bringen mir doch nichts erlebenswertes. Wenn ich das Leben, so wie es mir geschenkt wurde, erfahre hat der Tod alle seine Stacheln verloren.
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Lasst die Moschee ruhig brennen Dieses Rupert ist ein Dörfchen, dass zur Stadt Romansthal gehört. Dort bin ich mal vor 56 Jahren geboren. Dort bin ich aufgewachsen, zur Schule gegangen und dort habe ich meine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht. Nach dem Abschluss der Realschule habe ich den Beruf des Industriekaufmannes erlernt, den ich auch ein Weilchen bei der Romansthaler Firma Schroer, Witte & Co. ausgeübt habe. Dieses praktisch bis zum Beginn meines 25. Lebensjahr. Stopp, eine Unterbrechung gab es doch dabei. Der aus meiner heutigen Weltanschauung größte Fehler meines Lebens war, dass ich mich 18. Monate zu des Bundes überflüssigsteten Haufen, der Bundeswehr, ziehen ließ. Aus diesem Anlass verschlug es mich dann zu den Panzerschützen nach Hildesheim. Wie es ist, wenn man am hiesigen Osterberg im Dreck suhlt, weiß ich bis heute nicht aber dafür weiß ich um so besser, wie man sich dabei auf dem gleichnamigen Berg im Hildesheimer Ortsteil Himmelstür fühlt. Aber das war, wie geschrieben, die einzigste Unterbrechung meiner ersten 25-jährigen Zeit in Romansthal. Dann wurde mir hier die Welt zu klein und mich zog es hinaus in die sogenannte große weite Welt, genau gesagt nach Berlin. Ehrlich gesagt war der Grund dafür nicht, dass es mir in der Heimat zu klein geworden war sondern es war die Liebe. Im Urlaub hatte ich die Berlinerin Heidi Bracht kennen gelernt und bei ihr ein Souvenir, das neun Monate später Jens Krüger hieß, hinterlassen. Jens heißt deshalb mit Nachnamen Krüger, weil ich Martin Krüger und Heidi drei Monate vor seiner Geburt im Berliner Bezirksamt Tempelhof standesamtlich geheiratet hatten. Die kirchliche Trauung wollten wir dann nach seiner Geburt in der Dorfkirche Marienfelde, Heidis Heimatvorort, nachholen – aber dabei ist es letztendlich geblieben. In Berlin arbeitete ich erst in einem Kreuzberger Unternehmen und dann, nach fünf Jahren machte ich mich mit einer Handelsvertretung, die ihren Sitz in Neukölln, nahe der Karl-Marx-Straße, hatte, selbstständig. Zwei Jahre nach unserer Hochzeit bekam Jens noch ein Schwesterchen, der wir den Namen Severin gaben. Und dann vor sechs Jahren war wieder alles vorbei. Mit meiner Handelsvertretung hatte ich mir mit dem OstWest-Handel eine golden aussehende Nase verdient. Nachdem am 9. November 1989 die Mauer gefallen war lief diese Geschichte langsam aus und bis 1997, also vor sechs Jahren, hatte ich dann einen Haufen Schulden angesammelt, so dass ich eine Pleite mit Pauken und Trompeten hinlegen konnte. Zuvor schon hatte sich meine Heidi „umorientiert“. Unser große Glück war ohnehin nur von kürzerer Dauer. Als wir etwa fünf Jahre verheiratet waren begann es, dass wir immer mehr nur freundschaftlich nebeneinander her lebten und dann auch gegenseitig unsere gelegentlichen Seitensprünge tolerierten. In den letzten vier oder fünf Jahren unserer Ehe hatte Heidi dann eine feste Beziehung zu einem ebenfalls verheirateten Mann aus Lankwitz. Die Frau meines „Nebenbuhlers“ beabsichtigte so eine Art „ehrenhaften Partnertausch“; sie war hinter mir her. Aber sie war nicht mein Typ und als mein Pleite dann sichtbar war wollte sie mich auch nicht mehr. Na ja, als Jens und Severin dann aus dem Haus waren statteten wir der Scheidungsrichterin einen Besuch ab und machten dann auch amtlich das wir kein Paar mehr waren. Als dann im Zuge meiner Pleite meine Eigentumswohnung unter den Hammer kommen sollte gab es für mich keinen Grund mehr in Berlin zu bleiben. Dort hatte ich zum damaligen Zeitpunkt zwar genau die Hälfte meines Lebens verbracht aber wohlgefühlt habe ich mich dort eigentlich nie. So kam ich dann wieder zurück nach Rupert; der verlorene Sohn kehrte heim. Das konnte man erst wörtlich nehmen, denn ich nistete mich zunächst einmal bei meiner Mutter in ihrer 65-Quadratmeter-Wohnung ein. Da mein Vater zwei Jahre vorher gestorben war, war sie zunächst recht glücklich, dass sie in dieser nicht mehr alleine war. Aber gut gehen konnte das mit uns so auch nicht. Die bald 80-jährige Frau sah in mir immer noch ihren kleinen Sohn, den sie bemuttern wollte. Na, das war zwar alles lieb gemeint aber ich war doch recht froh als ich von der hiesigen Bau- und Wohngenossenschaft ein kleines 1½-Zimmer-Appartement bekommen konnte. Eine Arbeit fand ich auch. Reimund Witte, ein Urenkel eines Mitbegründers meines früheren Brötchengeber, hatte einen Internethandel aufgemacht und dort durfte ich dann das Einmannbüro schmeißen. Obwohl mein Gehalt auf der untersten Stufe angesetzt war, konnte ich damit zufrieden sein, denn schon bei dem kleinen Betrag bekam ich mein Nettogehalt nicht vollständig in die Finger; immer nur das, was unterhalb der Pfändungsfreigrenze übrig blieb, was aber auf jeden Fall besser als Stütze ist. Aber was soll’s, vorbei ist vorbei und die Hauptsache ist das man lebt. Nun bin ich also wieder Bürger der Kleinstadt Romansthal. Von den zirka 22.500 Bürger, die hier gezählt sind, wohnen gut 1.500 in dem Dörfchen Rupert, welches bis zur kommunalen Neuordnung zusammen mit den beiden, etwa gleichgroßen Nachbardörfern Holleröde und Wiesenthal selbstständig war. Bis zu diesem Zeitpunkt hieß die Ortschaft offiziell Amt Rupert. Vom „Hauptort“ des gleichnamigen Städtchens Romansthal, mit etwa, 12.500 Einwohner, sind wir etwa sechs Kilometer entfernt. Irgendwie ist im Dorf relativ wenig von der
Zugehörigkeit zu Romansthal zu spüren. Es scheint so, als wären wir hier ein eigenes Völkchen geblieben. Nur die beiden großen Romansthaler Ratsfraktionen, die hier so gut wie überall CDU und SPD heißen, haben Mitglieder hier im Dorf wohnen. Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was die Einen von den Anderen unterscheidet. Allesamt sind plump rechtslastig und ihre Einstellungen entsprechen den Ideologien, die wohl nicht nur hier die Tresen- und Stammtischhoheit haben. Paradoxer Weise erscheinen mir die beiden „roten“ Ratsherrn, die hier wohnen, noch rechtsdralliger wie ihre schwarzen Kollegen, von denen es hier gleich vier gibt. Eines haben noch alle sechs gemeinsam: Sie spielen sich hier auch als die Hauptmatadoren in der evangelischen Kirchengemeinde und im CVJM auf. Ohne sie läuft da nichts. Ich persönlich halte mich nicht für unchristlich und stehe eigentlich auch nicht in Kirchenferne. Im Gegenteil, trotz der Belastungen mit meiner Handelsvertretung, auch in Zeiten des Niederganges, fand ich doch mit gewisser Regelmäßigkeit den Weg zum Gottesdienst. Aber jetzt hier in Ruppert muss ich leider „Nein danke“ sagen. Hier spielt sich Opas Kirche pur ab. Nicht die Verkündigung des Wortes, also der Predigt, steht im Mittelpunkt des Gottesdienst, wie es, insbesondere in evangelischen Gemeinden, eigentlich der Fall sein sollte sondern das ganze Bimbamborium ringsherum. Bei uns dauert eine Predigt in der Regel so etwa fünf oder sechs Minuten und wenn sie mal ausnahmsweise zehn Minuten gedauert hat, stöhnen die Kirchenbesucher, die jüngsten falls, abgesehen von den Konfirmanden für die das eine Pflichtübung ist, Fünfzig plus sind, dass der Pastor mal wieder keine Ende gefunden habe. In diesen paar Minuten ist natürlich nur das Vorlesen der Geschichten aus der Bibel, die man wie ein orthodoxes Erzählbuch behandelt, und deren Erklärung in einem kindhaftnaiven Sinne möglich. Ansonsten befleißigt man sich im Absingen von Uraltliedern in einem viel zu langsamen Rhythmus; so richtig schön trauerfeierlich, echt zum Schütteln. Dann unternimmt man viele Stehaufmännchenübungen, während dem Vorlesen beziehungsweise Nachplappern von gereimten Gebeten in altdeutscher, heute kaum noch verständlicher Sprache. Kein Wunder, dass die jungen Leute, nachdem sie bei der Konfirmation ihre Familie abgesahnt haben, auf Nimmerwiedersehen aus dem kirchlichen Bereich verschwinden. Es gab mal so einen Spruch in der kirchlichen Jugendarbeit, der besagte: „Ohne uns seht ihr alt aus“ und unsere Kirchengemeinde sieht sehr, sehr alt aus. Natürlich ist das alles im Sinne unserer verknöchert konservativen „Dorfoberen“ – oder sollte ich besser „Ruperter Vortänzer“ sagen. So demonstriert man Kirche von Oben. Selbst wenn er nicht auf der Kanzel steht schwebt der Pastor als Vorturner und Vorleierer über dem gemeinen Volk, um sie dumm zu halten. Wie sagte doch einst der Fürst zum Bischof: „Halt du sie dumm, dann werde ich sie ausnehmen und wir können gemeinsam herrschen.“. Dazu passt dann auch das naive Geschichtenerzählen anstelle der Predigt. Da kommt dann kein Bezug zum heutigen Leben auf, da nimmt man alles was in Politik und Wirtschaft an unchristlichen Dingen getrieben wird für gegeben oder gar noch für christlich. Da werden keine Vorurteile abgebaut, weil niemand den Leuten sagt, dass unser Gott unser aller Schöpfer ist und alle Menschen liebt – auch Juden, Moslems und sogar Heiden. So findet auch keine Mission, die uns der Herr befohlen hat, statt denn man erreicht den heutigen Menschen mit seinen Zweifeln, Problemen und Sorgen gar nicht, denn alles was man von der Kanzel hört ist ja alles soweit weg, in einer fernen Gesellschaft, die es vor 2.000 Jahren mal gab. Den Oberen kann es recht sein, denn dann lässt sich eine Politik im Dienste des Gottes Mammon treiben und diese dann noch mit dem hohen C unserem Herrn zu schreiben. Hier muss ich sogar die Roten noch ein wenig in Schutz nehmen, denn sie missbrauchen zumindestens in dieser Sichtweise nicht entgegen dem 2. Gebot den Namen des Herrn. Aus diesem Grunde habe ich persönlich auch noch nie die CDU gewählt. Die Verbindung von falscher Politik und falscher Religion ist hier im Dorf ja sehr stark gegeben. Wo es in einer evangelischen Kirchengemeinde lang geht wird ja vom Presbyterium bestimmt. Und in diesem Gremium sitzen hier gleich drei unserer schwarzen Ratsherrn und auch die Roten sind mit einem Mann dort vertreten. Wes Geistes Kind sie sind sieht man schon an ihrer Einstellung gegenüber dem „Sozialbunker“, ihr Wort für ein Wohnblock mit 32 Mietparteien, in dem ich bis vor Kurzem auch wohnte. Dort hatte ich mein erwähntes Appartement. Und dabei haben sie an der Entstehung dieser „Einrichtung“ großen Anteil. Sie entsinnen sich doch an die Zeit, als um 1990 der Ostblock zusammenbrach. Da kamen dann zuhauf die Leute, die „als Deutsche unter Deutschen“ leben wollten. Ich habe mir jetzt mal das eBook „Königin von Salein“ von der Homepage www.reiner-vial.de gezogen. Da hat der Gesellschaftskritiker Reiner Vial eine ähnliche Einrichtung wie die unserige beschrieben. Ich habe ihn dann mal per E-Mail gefragt, was er denn von diesen Deutschen halte. Er schrieb mir zurück, dass er selbst aus einer Hugenottenfamilie stamme. Sein Vorfahre Jean Jacques Piere Vial wäre 1689 nach Deutschland emigriert. Und dann hätten im hessischen Wiesenfeld, im heutigen Kreis WaldeckFrankenberg, immer nur Hugenotten untereinander geheiratet. Diese wäre so ja praktisch eine ethnisch reine französische Familie gewesen. Erst seine Mutter stammte aus einer nicht französischen Familie. Er würde mal gerne sehen, was man sagen würde wenn er als „Franzose unter Franzosen“ leben wolle. Für ihn wären die Spätaussiedler Russen so wie er Deutscher sei. Das man den deutschstämmigen Russen zur Zeit der sowjetischen Diktatur hier, als sie verfolgt wurden, Zuflucht gewährte, geht aus seiner christlichen Sicht aber voll in Ordnung.
Aber zurück zu unserem Wohnblock in der Ruperter Waldstraße. Dieses ist Übrigens eine sehr schöne Lage, am Waldrand am Fuße des Osterberg. Na ja, als der Bau beschlossen wurde stand der treudeutsche Spruch „Deutsche unter Deutschen“ sehr hoch in Kurs, auch bei unseren lokalen Hobbypolitikern. Aber irgendwo musste man die Leutchen ja unterbringen; man konnte sie doch nicht dauerhaft in Übergangslager „verstauchen“. Na ja, da flossen dann vom Bund und Land reichlich Subventionen, dass man für diese deutschstämmigen Zuwanderer Wohnungen baute. Das gab damals in der Öffentlichkeit reichlich Verdruss, denn damals sah es auf dem Wohnungsmarkt, auch in ländlichen Regionen wie hier, recht eng aus. Weitere Verärgerung gab es dann noch aus dem Grunde weil man für die Spätaussiedler alles nur vom Feinsten baute. So waren dann die Subventionen zum Beispiel an solche Auflagen wie Kommunikationsräume für die entwurzelten Leute, die der deutschen Sprache noch nicht richtig mächtig waren, gebunden. Da sieht man, wie sich innerhalb eines Jahrzehnts die Ansichten ändern können, denn vor Kurzem entschied ein Gericht, dass nur noch Leute, die der deutschen Sprache mächtig sind, die Anerkennung als Spätaussiedler erhalten können. Aber bei uns mussten diese Kommunikationsräume gebaut werden. In unserem Block sind das ein Partyraum und eine Sauna. Letztere wurde nie genutzt, sie ist bis heute noch nicht einmal voll ausgebaut, und den Partyraum hat die Genossenschaft, nach dem Jugendliche diesen mit mächtig ruhestörenden Lärm missbrauchten, geschlossen. Aber wie gesagt, diese Sozialwohnungen sind insgesamt besser ausgestattet wie manche mit „Luxusaufschlag“ privat vermietete Wohnung. So etwas schlägt sich natürlich auch in der Kostenmiete und den Nebenkosten nieder, so dass hier der Bruttomietpreis teilweise deutlich über den freivermieteter Wohnungen, so wie diese im Mietspiegel ausgewiesen sind, liegen. Paradoxer Weise muss man, wenn man diese Wohnungen mieten will, einen WBS (Wohn-Berechtigungs-Schein) vorlegen und wenn dann das Einkommen leicht ansteigt, noch Fehlbelegungsabgabe bezahlen. Diese Sache führte dann 1994, als es aus diversen Gründen nicht mehr genug Russen für diesen Wohnblock gab, zu einem Problem. Die Leute, die solche Wohnungen aus eigenen Mittel hätten bezahlen können, konnten erstens nicht einziehen, weil ihr Einkommen das Ausstellen eines WBS nicht zuließ und sie zweitens auch nicht zusammen mit Russen in einem Sozialbunker wohnen wollten. Stützeempfänger wollten weder die Stadt noch die Genossenschaft in diesem Wohnblock, da alle in Romansthal ansässigen Sozialhilfeempfänger zum Zeitpunkt der Fertigstellung der zusammengebauten vier Häuser in angemessenen Wohnraum saßen und man auf diese Weise dann noch zusätzlich Leute aus dieser untersten sozialen Schicht aus den Nachbarngemeinden „hereingeholt“ hätte. Da blieb dann nur eins: Man vermietete an kinderreiche türkische beziehungsweise türkischstämmige Familie, die bereit waren mit ihrer Kinderschar in eigentlich für ihre Familienverhältnisse viel zu kleine Wohnungen zuziehen. So kommt es, dass hier nur eine „deutsche“ Familie und in den vier Apartments – in jedem Haus eins – je eine „deutsche“ Einzelperson wohnt, alle anderen Wohnungen sind zur Hälfte von „Russen“ oder „Türken“ bewohnt. Jetzt habe ich soeben die Worte „deutsche“, „Türken“ und „Russen“ in Anführungsstriche gesetzt. Dafür habe ich auch einen plausiblen Grund, denn bis auf eine Familie haben alle Bewohner, wie mir mal der Geschäftsführer der Genossenschaft sagte, die deutsche Staatsangehörigkeit. Nur eine einzige Familie ist auch laut Pass türkisch. Aber was soll’s, alle sind Menschen wie du und ich. Einzig, dass die Volksgruppen, das heißt deutschstämmige Russen und türkischstämmige Deutschen, immer nach Volksgruppen zusammenglucken und sich dann ausschließlich auf Russisch beziehungsweise auf Türkisch unterhalten, wäre zu bemängeln. Dadurch ist auch die Sprache der Kinder, Jugendlichen und der türkischen Hausfrauen stark beeinträchtigt. Obwohl die russischen Kinder und Jugendlichen schon über 10 Jahre hier sind, also praktisch hier aufgewachsen sind, und bei den Türken ist es noch viel Ärger, da die jungen Leute alle hier geboren sind, radebrechen diese die deutsche Sprache. Dadurch fallen sie überall auf und sind für mancherlei Tätigkeiten nicht qualifiziert. Und damit besteht ein mächtiges Integrationshemmnis. Aber das sollte man auch nicht überwerten. Der Gesellschaftskritiker Reiner Vial schrieb mir mal in einer E-Mail, dass die Hugenotten, deren Deutschsein heute niemand bezweifelt, über 200 Jahre brauchten bis sie integriert waren. Vial hält aber gerade daher die Sprache für ein wichtiges Integrationsmittel, denn seine Vorfahren hätten bis hin zu seinem Urgroßvater immer nur französisch gesprochen. Erst unter äußeren Druck, sprich die zu Zeit der Preußenkaiser bedrohlich werdenden „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich, habe sich da was daran geändert. Seit seinem Großvater, der auch statt Piere nur schlicht Peter hieß, hätte man die französische Sprache gemieden. Selbst im Reich der braunen Horden des Wiener Stadtstreichers Hitler habe man an das Deutschsein der Vials nicht bezweifelt. Aber nicht nur durch die Sprache sind unsere Nachbarn auffällig. Die „russischen“ Jugendlichen lungern gerne wie tagestehlende Wegelagerer in der Gegend herum. Zur Zeit ist deren beliebtester Versammlungsort der Parkplatz einer vor zwei Jahren in die Insolvenz gegangenen Spedition kurz vor dem Ruperter Ortseingang. Da treffen sie sich mit ihren bastelgestylten Blechkarossen, dessen wichtigste Attribute nutzlose, sehr tief liegende Spoiler und im Kofferraum eingebaute Saallautsprecher sind. Mit den Lautsprechern beschallen sie dann, je nach Windrichtung, das ganze Dörfchen Rupert. Das Einzige was bei den Leuten gewiss ist, ist dass sie, wenn sie mal an die Dreißig sind, alle mal mit einem Tinitus durch die Gegend laufen und dass sie mal in absehbarer Zeit dem Beruf des Hörgeräteakustiker einen goldenen Boden verschaffen werden. Die Türkengruppe macht sich
insbesondere durch deren Damen, dem Kopftuchgeschwader, auffällig. Ich verstehe nicht, dass man in der türkischen Öffentlichkeit kaum Kopftuchträgerinnen sieht und hier beherrschen sie das Stadtbild. Bei der Hausverteilung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen speist man in unserem Wohnblock neben dem allgemeinen Kabelprogrammen, wie man sie hier überall im Lande ins Haus geliefert kriegt, noch weitere sechs türkische Programme, die man über Schüssel einfängt, ein. Immer wenn ich da mal durchschalte sehe ich wohl türkische Moderatorinnen in körperbetonter Sexybekleidung aber kaum mal eine Kopftuchträgerin. Und hier? Aber ansonsten haben wir es tatsächlich mit Leuten wie du und ich, mit identischen Macken aber auch Vorteilen zutun. Alle sind wir nur Menschen und sind aus dem gleichen „biologischen Holz“ geschnitzt, da gibt es keine erste und zweite Wahl. Warum sollten wir Deutschen, die im Herzen Europas im Laufe der Geschichte vielfältigen kulturellen und ethnischen Einflüssen unterlagen auch besser sein, wie Menschen aus Völkern die sich ethnisch und kulturell etwas gleichförmiger entwickelt haben. Hätten die Türken nicht Wien belagert würden wir unser Nationalgetränk Kaffee vielleicht heute noch nicht kennen. Für unsere Superchristen, insbesondere die mit dem C-Parteibuch, waren die Bewohner des Sozialbunkers die Wurzel allen Übels. Die roten Vortänzer quakten an Stammtischen genauso wie ihre schwarzen Kumpane aber ihre öffentlichen Äußerungen im Rat und in der Presse waren doch eher eines kultivierten Demokraten würdig. Hier war mal jemand ausgezogen und hatte Sperrmüll an die Straße gestellt. Wie sich später rausstellte hatte er den Müll auch ordnungsgemäß bei der Stadtverwaltung zur Abfuhr angemeldet. Nur zwischen Auszug und Abfuhr lagen fünf Tage. Wie es in unserer Gesellschaft so üblich ist haben da einige Leutchen dann ihren Müll, genau gesagt Zeitungen, Kisten und sogar einen Autoreifen, dazu gepackt. Dieses ließen die Müllwerker dann stehen. Das Zeug lag dann da noch drei Tage bis es von Mitarbeitern der Stadtwerke dort abgeholt wurde. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Romansthal, der Ruperter Werner Schleich, musste daraus gleich eine große Show machen. Er holte die Lokalpressefritzen vor Ort und führte praktisch die „Schmutzfinken aus der Waldstraße“ vor. Mit am Meisten habe ich mich über seine Äußerung hinsichtlich des Stapels Zeitungen, der dort lag, geärgert. Laut Zeitung sagte er: „Scheinbar können die Leute deutsche Zeitungen lesen. Dann sollten sie sich doch mal eine Lektüre über deutsche Ordnung und Sauberkeit besorgen.“. Was mir die Galle dabei am Meisten kochen ließ war die Tatsache, dass ich gesehen hatte, dass der Zeitungsstapel von einen Parteifreund Schleichs dazu gepackt worden ist. Na ja, der Schleich hat ein großes Maul und ist in Wirklichkeit ein übeler Geselle. Er ist ein Musterbeispiel für einen Rassisten und neonazistischen Eiferer. Mit Recht und Ordnung sowie mit unserer verteidigungswürdigen christlichen Kultur hat er es an den Stammtischen und in Leserbriefen ganz groß aber in der Familie war er das, was er den Mitbürgen nichtdeutscher Herkunft unterstellte. Die Vergangenheitsform, die ich eben verwandte, ist zutreffend, denn momentan ist er, auch auf Grund meines Zutuns .... Stopp, jetzt kommen wir zur eigentlichen Geschichte, die sich mit der Kenntnis des bisher geschriebenen doch besser verstehen lässt. Und jetzt berichte ich nicht mehr von anderen sondern ich erzähle meine ureigene Geschichte in der Werner Schleich und seine Frau Rosemarie eine Hauptrolle spielen. ... Jetzt reicht es aber wirklich mit den Andeutungen, jetzt wird die Story chronologisch erzählt. Ende 2001 gab es eine Änderung in meinem Alltag. Mein Boss Reimund Witte brachte seine Internethandelsgesellschaft in den Elektro- und Elektronik-Großhandel Kämper, von denen auch fast alle Artikel, die er im Internet vertrieb, kamen, ein. Er verhielt sich sozial und hat mich gleich mit bei Kämper eingebracht. Das heißt, dass ich die bisherige Arbeit abgesehen vom internen Ablauf fast unverändert weiter machen konnte. Allerdings wurde meine Ein-Mann-Büro-Idylle im Romansthaler Gründerzentrum beendet und ich musste mich zu den anderen kaufmännischen Mitarbeitern der Firma Kämper auf die „grüne Wiese“ bei Holleröde begeben. Und dort wurde ich jetzt in einem Zwei-Personen-Büro einquartiert. Hinsichtlich der Mitarbeiterin, mit der ich mir ein Büro teilen musste, hatte ich vor meinem dortigen Dienstantritt reichlich Bammel. Erstens war diese Frau nach meinem Geschmack; ein richtiges Superweib, was meine Hormone doch mächtig in Wallung brachte – oder besser gesagt immer noch bringt. Sie ist zwar zehn Jahre jünger als ich aber was heißt das schon. Und zweitens schüttelte mich mit Grausen, dass sie die gleiche Gesinnung wie ihr Gatte haben könnte. Denn eigentlich kann das nicht gut gehen, wenn man seinen Arbeitstag in einem Raum mit einer Frau verbringen muss, die man auf der einen Seite gerne flach legen möchte und die man auf der anderen Seite wegen ihrer Gesinnung in der Luft zerreißen könnte. Sie werden sicherlich erraten haben, dass es sich bei meiner Kollegin um Rosemarie Schleich, der Frau dieses rechten Knabens, von den ich eben berichtete, handelte. Nun, ich kann ja noch mal etwas vorab nehmen: Es ging natürlich nicht gut – aber auf eine ganz andere Weise wie ich es befürchtete. Sicherlich kannte ich Rosi bereits aus dem Dorf aber ansonsten hatte ich noch nie mit ihr zutun. Als ich meinen ersten Dienst antrat, kam sie mir erst einmal freundlich entgegen und reichte mir mit einem Lächeln ihre Hand: „Herzlich willkommen. Groß vorstellen brauchen wir uns ja nicht aber ich glaube, dass das Du unter Kollegen besser klingt als die Siezerei. Also ich bin die Rosi und du bist, wenn ich mich nicht täusche, der Martin. ... Möchtest du einen Kaffee?“. So etwas ist ja Grunde nicht ungewöhnlich obwohl ein vertrautes Kollegenverhältnis von Anfang an nicht gerade empfehlenswert ist, da doch einige Schranken fallen.
Und so etwas wiegt dann um so schwerer bei Kolleginnen, denen man in Gedanken immer schon mal gerne an die Wäsche gegangen wäre. Aber zwischen Rosi und mir standen ja, so wie ich glaubte, immer noch die weit von einander gelegenen weltanschaulichen Standpunkte. Aber im Laufe des ersten Tages wurde mir dieser Zahn auch gezogen. Rosi erzählte mir locker, dass ihr Mann einen Knall habe und ein echter Populist sei. Als sie ihn in den 70er-Jahren kennen gelernt hätte, wäre er auf der äußert linken Spur gefahren. Am ehesten hätte er zu den damaligen außerparlamentarischen Grünen gepasst. Zu ihrem Leidwesen habe er sich damals überzeugt atheistisch gegeben, da sie eigentlich aus einem christlichen Elternhaus stamme. Nach dem „82er-LambsdorfPutsch“, wie sie es bezeichnete, habe er dann an den Stammtischen die sittlich-moralische Wende eines Herrn Kohl im Sturzflug nachvollzogen. Dabei sei er leider ein bisschen zu tief in den braunen Sumpf gestürzt. Plötzlich habe er sich dann auch als Frömmler, der die Bibel so lange interpretiert bis passt, dargestellt. Sie stände da in einem ganz andern Lager und wüsste eigentlich gar nicht warum sie noch nicht geschieden wäre. Sicherlich hätte ihre jetzt 20-jährige Tochter Steffi diesen Schritt mitvollzogen. Als Rosi mir dieses berichtete hatte ich das Gefühl, dass sie recht froh war sich in Bezug auf ihre Ehe mal aussprechen zu können. Nach ihrer „Erzählung“ wirkte sie richtig erleichtert. Das sie geistig mehr in meinem Lager als in dem ihres Mannes zuhause war, ließ meine ehebrecherischen Gelüste ihr gegenüber erst recht erwachen. Schon 14 Tage darauf gab es dann auf der Personalweihnachtsfeier einen deutlichen Schritt in diese Richtung. Zu dieser Feier waren alle Mitarbeiter mit ihren Partnerinnen und Partnern eingeladen. Ich hatte keine und Rosis Mann hatte „Wichtigeres“ zutun und daher schlossen wir uns für diese Abend zusammen. Am Tisch saßen ja noch andere bei uns und es blieb dort alles harmlos. Aber auf der Tanzfläche ... . Wir bevorzugten die Tänze, bei denen man eng aneinander tanzen konnte und ich hielt sie dabei auch nicht so ganz keusch wie in der Tanzschule. Zu etwas vorgerückter Stunde „flüsterte“ ich ihr dann bei einer solchen Gelegenheit zu: „Wir haben doch vor 14 Tagen das Du vereinbart. Normaler Weise gehört doch ein Bruderschaftskuss dazu.“. Sie schaute mich mit netten Augen an und erwiderte: „Nicht hier auf der Tanzfläche. Aber ich wollte ohnehin zwischendurch mal ein Bisschen Luft schnappen. Wenn du mich nach Draußen begleitest können wir das dort gerne nachholen. Der Tanz war gerade zuende als wir uns schnurstracks von der Gesellschaft ins Freie entfernten. Natürlich gingen wir um das Gaststättengebäude herum um im Dunkeln ein größeres Geknutsche zu starten. Dabei erlaubte ich mir dann auch ihre Busen zu begrabschen. „Findest du das schön?“, fragte sie mich und fügte gleich an: „Davon kannst du noch viel mehr haben, du musst mich nur auf einen Kaffee auf deine Bude einladen.“. Ich muss jetzt noch dabei sagen, dass der Alkohol in dieser Geschichte kaum eine Rolle spielte. Da ich als Neuling nicht auffallen wollte habe ich mich hinsichtlich der Getränke an Rosi gehalten und wir hatten uns eine Flasche Wein geteilt. Das ist ja noch keine Menge nach der der Verstand wegen Vernebelung abgeschaltet wird. Nachdem ich sofort Feuer und Flamme war gingen wir zum Zwecke unseres Abganges wieder hinein. Rosi stellte sich leidend und behauptete ihr sei fürchterlich schlecht geworden und bedankte sich bei mir, dass ich sie bei dem Gang ins Freie begleitet habe. Jetzt wünschte sie aber nach Hause zufahren. Dabei konnten wir uns nun die Tatsache, dass nur wir beide in Rupert wohnten zu nutze machen. Ich schlug ihr vor, dass wir uns ein Taxi teilen sollten. Rosi ist wirklich eine gute Schauspielerin und tat das erst einmal mit dem Argument ab, dass sie mir doch nicht den weiteren Abend verderben wollte. Na ja, wir hatten ja ein gemeinsames Ziel vereinbart und so gelang es mir dann auch sehr schnell Rosi davon zu „überzeugen“, dass ich sie begleiten würde. Ich glaube dank ihrer Schauspielkunst haben uns die Anderen an diesem Abend sogar geglaubt. Mit dem Taxi fuhren wir direkt in die Ruperter Waldstraße und ich hatte die Tür meines Apartments gerade geschlossen als Rosi sich in Windeseile völlig entkleidete. Nun, dass ich ein solches Vergnügen hatte war auch schon lange her. Seit Heidi, meine erste Frau, sich umorientiert hatte habe ich nur einmal im einem Bordell etwas diesbezügliches erfahren ansonsten diente nur meine eigene Hand als Partnerinnenersatz. Also sah ich auch blitzschnell zu ins Schöpfungsgewand zu kommen und ruppdizupp war auch eine schnelle Nummer vorbei. Oh, was war mir das peinlich und um mich ein Wenig zu entlasten gestand ich Rosi meine, inzwischen schon Jahre lange, Enthaltsamkeit, worauf sie mir im Gegenzug dann offenbarte, dass sie fast eben so lange auf dem Trocknen gesessen hätte. Ihr Werner würde mit allen möglichen Weibern vögeln, nur nicht mit ihr. Dafür bekäme sie von ihm ab und an, wenn er besoffen wäre, eine anständige Tracht Prügel. Wie schon öfters im Büro beteuerte sie mir auch jetzt, dass sie selbst nicht wisse, warum sie noch nicht die Scheidung begehrt hätte. Na ja, wir haben dann richtig schön miteinander geschmust und später klappte es dann richtig. Es war sehr schön und beide waren wir sehr, sehr glücklich. Das war der Anfang unserer Beziehung, die wir in Folge auch regelmäßig pflegten. So etwa alle 14 Tage fuhren wir am Wochenende dann mal in diese und mal in jene Stadt um in einem Hotel eine Liebesnacht zu verbringen. Schon nach unserem ersten Wochenende berichtete mir Rosi im Büro, dass sie ihrem Mann unser Verhältnis gestanden habe. In der Sache hätte er das Ganze gelassen aufgenommen. Er lege nur fürchterlichen Wert darauf, dass davon in Romansthal nichts bekannt würde, da er seinen Ruf, dem er seine exponierte Stellung im Rat und in der Kirche zu verdanken habe, erhalten wissen möchte. Wir sollten uns ein Beispiel an ihm nehmen, dessen Seitensprünge, mit denen er dann noch in Machomanier vor Rosi prahlte, ja auch nicht ruchbar würden. Dieses
war offensichtlich eine vollkommende Fehleinschätzung der Romansthaler Gerüchtekühe, denn auch mir war schon einiges von Werner Schleichs Eskapaden zu Ohren gekommen. Aber Alles in Allem konnte uns Schleichs Meinung recht sein, denn dadurch hatten wir Defakto den Segen von Rosis Ehemann für unsere „heimliche“ Liebe. Auch die Schleich-Tochter Steffi billigte aus „fraulicher“ Sicht das Vorgehen ihrer Mutter, bemängelte aber, dass sie sich einen Opa, immerhin bin ich zehn Jahre älter als Rosi, auserkoren habe. Aber dazu stand dann aber Rosi. Laut ihren Worten war ich der Mann, den sie sich immer gewünscht habe. Ich sei die Liebe ihres Lebens. Ich konnte ihr im Gegenzug bestätigen, dass ich ihr gegenüber genau das Gleiche empfände wie sie zu mir. Mit einer solchen Art von Koexistenz hätten wir ja eine längere Zeit ganz gut leben können. Rosemarie und Werner Schleich führten eine Papierehe, so wie ich diese einstmals auch mit meiner Heidi geführt habe, und Rosi und ich waren zu einem glücklichen Liebespaar geworden. Aber sogenanntes lokalpolitische Geschehen sollte unsere Beziehungen in dramatischer Weise so belasten, dass es letztendlich eigentlich nur Verlierer gab. Aber wie es nun bei Niederlagen ist, kann man da auch mit neuen Perspektiven heraus hervorgehen und letztlich doch noch ein Gewinner sein. Eu, da habe ich mal wieder in rätselhafter Sprache vorgegriffen; ich sollte mich doch an den chronologischen Ablauf halten. Es begann damit, dass der deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft Mehmet Özdemir in der Romansthaler Straße „Im Alten Dorf“ gleich fünf nebeneinanderstehende Häuser, die zwischen 1900 und 1912 erbaut wurden und nicht mehr im besten baulichen Zustand waren, kaufte. Özdemir wollte hier ein kleines türkische Zentrum, das im Volksmund gleich Klein-Istanbul hieß, errichten. Zum Einen wollte er mit seinem türkischen Supermarkt, der bisher im Romansthaler Gewerbegebiet lag, hierher umziehen und zusätzlich noch ein Döner-Kebab-Imbiss einrichten. Sein Bruder, seines Zeichens Frisör-Meister, wollte sich dort mit einem eigenen Geschäft dort selbstständig machen. Letztlich wollte sein Schwager auch an dem Ort ein Reisebüro einrichten. Da die Straße „Im Alten Dorf“ bei den Romansthaler Bürgern ohnehin keinen hohen Kurswert besaß und dort ohnehin schon mehr türkischstämmige als andere Menschen wohnten ging die Sache bis hierher fast reibungslos über die Bühne. Natürlich palaverten rechtsdrallige Stammtischbrüder abwertend über diese Angelegenheit; aber das war schon alles. Aber als sich Mehmet Özdemir für seinen türkisch-islamischen Kulturverein um die Baugenehmigungen zum Zwecke des Umbaues einer seiner Häuser in eine Moschee bemühte, da begann ein Teufelstanz. Der Mann meiner Geliebten, also Werner Schleich, hing die Angelegenheit, nach dem er in einer Gesprächsrunde der Fraktionsvorsitzenden mit dem Bürgermeister davon erfahren hatte, gleich an die große Glocke. Er suchte das Gespräch mit dem zuständigen Lokalredakteur unserer Tageszeitung und malte dabei den Untergang des christlichen Abendlandes an die Wand. Er setzte alle Leute muslimischen Glaubens gleich den militanten Islamisten. Er erzählte etwas von der Islamisierung unserer Gesellschaft und verkündete etwas von der Christenpflicht unsere Grundordnung gegen die „eindringenden“ muslimischen Völker zu verteidigen. Er fragte, wo wir hinkämen, wenn überall Minarette gebaut würden – wovon eigentlich nirgendwo die Rede war – und sich dann die Imame darauf stellen würden um dann mit ihren markerschütternden mittelalterlichen Jaulgesängen unsere Kinder zu verschrecken. Mit ihm würde es keine Moschee in Romansthal geben. Damit löste Schleich eine vierzehntägige Leserbriefschlacht in der Lokalpresse aus. Auch wenn die Geister in Romansthal überwiegend im rechten Populismus beheimatet sind, gibt es aber immer noch genügend aufgeklärte, vernünftige und tolerante Bürger. Einer von diesen widersprach in einem Leserbrief der eigentlich unchristlichen rechten Sudelei des Werner Schleich. Er wies daraufhin, dass wir unsere türkischen Mitbürger vor 25 Jahren selbst als Arbeitskräfte gerufen hätten. Keiner von denen wäre gekommen um unsere Kultur und Gesellschaftsordnung zu unterwandern. Als man sie gerufen habe, hätte ihnen niemand gesagt, dass sie, wenn sie hierher kämen ihrem Glauben abschwören müssten. Wir sollten uns ein Beispiel an dem „Alten Fritz“ nehmen, der sagte: „Wenn die Moslems zu uns kommen wollen, werde ich ihnen die Moscheen bauen.“. Eigentlich sollten wir froh sein, wenn ordentliche islamische Kulturvereine, die mit christlichen Gemeinden vergleichbar seien, öffentlich zugängliche Moscheen bauen würden, denn dann würden deren jungen Leute nicht von den Hinterhof-Koranschulen, in denen islamitischer Extremismus aber keine islamische Religion vermittelt würden, angezogen. Wahre Christen würden keine Moscheen verhindern oder bekämpfen wollen sondern sie würden sich an den Missionsbefehl, den leider viele Klerikale inzwischen in Taufbefehl unbenannt hätten, halten. Danach ging es dann aber bei den schreibenden Lesern richtig zur Sache. Da kam dann all der Unfug wie Überfremdung, Schuld an der Arbeitslosigkeit und Ausländerkriminalität zur Sprache. Und Werner Schleich mischte fröhlich mit seinen Stammtischparolen mit. Immer deutlicher wurde es, dass viele Leute mit Halbwissen oder gar Unwissen bei dieser Populistenschlacht mitmischten. Die tollsten „Räuberpistolen“ über das, was im Koran stehen sollte, wurden in die Welt gesetzt. Da setzte sich Mehmet Özdemir mit dem katholischen Pastor von Romansthal und dessen drei evangelischen Amtsbrüdern im Stadtgebiet in Verbindung um mit diesen eine öffentliche Veranstaltung zur Versachlichung zu inszenieren. Er argumentierte, aus meiner Sicht zu Recht, damit
dass wir, gleichgültig ob Juden, Christen oder Moslems, den einen gleichen einzigen Gott verehren und dass die 10 Gebote, die er Moses gegeben habe, für uns alle gelten würden. Der Islam sei genau so friedfertig wie das Christum und verirrte Fanatiker auf islamischer Seite legten die Worte des Korans ebenso aggressiv aus wie diese auf christlicher Seite es mit den Worten der Bibel machten. Man dürfe nicht die Gläubigen, die im Islam ständen, mit den Extremisten, die man hier Islamisten nennt, gleichstellen. Das könne man genauso wenig wie man die Mitglieder der IRA mit den gläubigen Katholiken vergleichen könne. Er, Özdemir, wollte nun mit Information zur Versachlichung beitragen und bat die christlichen Geistlichen um Unterstützung, da er den Verdacht Information zu sagen und Mission zu meinen gar nicht erst aufkommen lassen wollte. Aber bei den hiesigen christlichen Geistlichen stieß Özdemir auf wenig Gegenliebe und deshalb wandte er sich mit seinem Anliegen an den evangelischen Kirchenkreis. Im Grunde hätte er eine solche Öffentlichkeitsarbeit gar nicht nötig gehabt, denn gegen die Einrichtung eines Versammlungsraums in einem seiner Häuser hätte man allenfalls baurechtliche aber keine generellen Einwände vorbringen können. Mehr wie ein Versammlungsraum sollte diese Moschee auch gar nicht darstellen. Anders wäre das wirklich gewesen, wenn er hätte dort ein Minarett errichten wollen, was aber zu keinem Zeitpunkt vorgesehen war. Beim Kirchenkreis fand Özdemir dann mehr offene Ohren wie auf lokaler Ebene. Man sprach miteinander über die Absichten und den Ablauf einer solchen Veranstaltung. Mit Sicherheit hätte sich auch der Kirchenkreis gesperrt wenn es dabei in irgendeiner Weise um Mission gegangen wäre aber laut Zeitungsnotiz ging es um gegenseitiges Verstehen und Miteinander. Aber auch gegenüber dem Kirchenkreis blieben die örtlichen Kirchengemeinde stur und keine von ihnen wollte zu diesem Zweck ihr Gemeindehaus zur Verfügung stellen und so miete Özdemir den Städtischen Saalbau für eine Veranstaltung an. Diese Angelegenheit sollte eine gewaltige Wende in der Beziehung zwischen mir und Rosi einleiten. Seit diese Diskussion entbrannt war hatte sich Rosi aus reinen Interesse mit dem Islam und den Koran beschäftigt. Erst brannte sie darauf was wirklich im Koran stünde. Deshalb bestellte sie sich bei ihrem Bücherclub den Koran in der deutschen Übersetzung von Max Henning in der Bearbeitung von Murad Wilfried Hofmann. Interessant fand sie gleich auf Anhieb, dass es sich bei den Moslem Hofmann um einen ehemaligen bundesdeutschen Diplomat, zuletzt in Algerien und Marokko, handelte. Als nächstes staunte sie darüber, dass Jesus nicht, wie vielfach behauptet, nur ein kleiner Nebenprophet war sondern Mohamed stützt sich auf das Gesetz, das ihr von Moses habt, und das Evangelium, das ihr von Jesus habt. Auch mich überraschte es, als Rosi in der dritten Sure (Das Haus Imram) die folgenden Verse 45 bis 47 fand: Als die Engel sprachen: „O Maria! Wahrlich, Allah verkündet dir frohe Botschaft durch ein Wort von ihm: einen Sohn, sein Name ist Messias, Jesus der Sohn der Maria, angesehen in dieser Welt und im Jenseits, einer der Allah Nahestehenden.“. ... Sie sagte mein Herr, wie soll ich einen Sohn bekommen, wo mich doch kein Mann berührte?“ Es war für uns recht erstaunlich, dass die Moslems an die jungfräuliche Geburt von Jesus und daran, dass er der Messias ist, glauben. Möglicherweise hätte sich Mohamed auch „keinen Zacken aus der Krone gebrochen“ wenn er anerkannt hätte, dass Jesus Gottes Sohn ist. Er konnte die Trinität, die Dreieinigkeit, wohl wegen des Heiligen Geistes, der in uns lebt und regiert bis in alle Ewigkeit, nicht stehen lassen. Schließlich versteht sich Mohamed als das siebte Siegel Allahs. Sieben ist die Zahl der Vollendung. Laut Koran, die eine Offenbarung, die Mohamed von dem Erzengel Gabriel erhalten haben will, sein soll, spricht hier Gott zum letzten Mal zu den Menschen. Mohamed zementiert also die Religion ein, macht sie starr und unbeweglich. Das Gott immer wieder zu den Menschen spricht und sich diesen immer wieder offenbart wird schlicht und einfach geleugnet. Dann ist der Islam eine auf mosaische Gesetze beruhende Tatenreligion und ist in seinen Grundfesten sehr stark mit dem Judentum verwandt. Der Islam ist also genauso aggressiv und genauso friedfertig wie das Judentum, in denen ja das Christentum wurzelt. Alle drei monotoistischen Weltreligion berufen sich auf die gleichen Ursprünge und Quellen. So weit die „Erkenntnisse“, die Rosi und mir gekommen waren, als wir uns mit diesem Thema mal etwas näher beschäftigten. Im Grunde ist das ganz was anderes als der oberflächliche „Journalismus“ den Menschen vermittelt und was an den Stammtischen gedröhnt wird. Deshalb interessierten wir uns sehr für die Veranstaltung, zu der Mehmet Özdemir und der evangelische Kirchenkreis eingeladen hatten. Rosi schlug mir vor, dass wir dort gemeinsam hingehen sollten: „Was ist schon dabei wenn Arbeitskollegen eine Veranstaltung, für die sie sich beide interessieren, gemeinsam besuchen. Und Werner wird da sowieso nicht hingehen; der lässt doch nicht an seinen Vorurteilen kratzen.“. Aber wie sollte es anders sein, sie hatte sich getäuscht – ihr Werner war da. Sofort steuerte er auf uns zu: „Was soll das denn? Habe ich dir, Rosemarie, nicht gesagt, dass ich es dir durchaus gönne, dass du für den Pleitemann aus dem Sozialbunker die Beine breit machst aber wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass du mit deinem Lover hier nicht öffentlich auftrittst. Ich habe einen guten Ruf zu verlieren.“. In mir kochte es und am Liebsten hätte ich ihm eine reingeschlagen obwohl ich das noch nie gemacht habe. Rosi reagierte aber recht trotzig, hakte sich bei mir ein und forderte mich in so einer Art Befehlston auf, sie vor ihrem Mann und der „Öffentlichkeit“ zu küssen. Als ich es nicht tat, machte sie es halt. Nach diesem wirklich
kräftigen Kuss wandte sie sich wieder an ihren Mann: „Siehst du Arschloch was jetzt Sache ist? Diese Woche gehe ich zu einer Anwältin und werde die Scheidung beantragen. Du weist doch wohl noch in deinem Spatzenhirn, dass ich mein Haus von meinem Vater geerbt habe. Deshalb kannst du dir vorstellen, dass du jetzt ausziehen musst. Falls du friedlich bleibst gebe ich dir einen Monat Zeit und falls nicht, lasse ich dich als gewalttätigen Ehemann sofort aus der Wohnung holen.“. Man konnte richtig sehen, wie sich durch unbewusste Steuerung seine Hände zur Faust zusammenkrallten und sich seine Pupillen zu einem aggressiven Stierblick weiteten. Es gelang ihm jedoch sich zu beherrschen und öffentliches Aufsehen zu vermeiden. Er verließ uns um sich auf der anderen Seite des Saales zu platzieren. Rosi blieb bei mir eingehakt und dicht an mich geschmiegt, womit sie aller Welt demonstrierte, was jetzt in der Familie Schleich anstand. Zu Beginn der Veranstaltung sprach erst einmal der Superintendent Dr. Posch. Er referierte über das Wesen des Islams, etwa in dem Sinne, wie ich es ein paar Absätze zuvor hier niederschrieb. Özdemir hatte Dr. Posch hierum gebeten und gab dazu selbst keinen Kommentar ab. In der Tat wollte er alles was nach Mission aussah vermeiden. Auch bei seinem folgenden eigenen Referat ging er mit keinem Wort auf religiöse Inhalte ein sondern er schilderte das, was sich innerhalb des türkisch-islamischen Vereins abspielt und berichtete von einigen Mitgliedern in diesem Verein, die man in Romansthal als Menschen wie du und ich kennt. Er war sehr bemüht, alles das was uns geheimnisvoll und fremd erscheint gut verstehbar und nachvollziehbar zu erläutern. Ich glaube, dass diese Veranstaltung, wenn sie besser besucht gewesen wäre, sicherlich ein guter Beitrag zur Toleranz und zum Verständnis gewesen wäre. Aus den Reaktionen der wenigen Besucher konnte man schließen, dass sich hier die sowieso schon aufgeschlossenen Bürger versammelt hatten. Nach den beiden „Hauptreferaten“ gab es noch zwei weitere aus dem „Plenum“. Zuerst meldete sich Werner Schleich zu Wort und rasselte noch einmal sein ganzes Repertoire von rechtspopulistischen Stammtischparolen ab. Dann meldete sich Rosi zu einer Generalabrechnung mit ihrem Mann zu Wort: „Werner, dir ist wohl nicht aufgegangen, dass du vollkommen am Thema vorbei geredet hast. Aber Zuhören war ja noch nie deine Stärke. Und nun zu deinen Phrasen und insbesondere zu dem, was du damit erreichen willst. Ich kenne dich sehr gut, schließlich sind wir ja über zwanzig Jahren miteinander verheiratet gewesen. Gewesen ist das richtige Wort, weil ich mich, da ich mit einem Menschen wie dich nicht weiter zusammenleben kann, scheiden lasse.“. An dieser Stelle wurde sie erst einmal von Özdemir unterbrochen, der sie freundlich darauf hinwies, dass diese Versammlung wohl der ungeeignete Ort für Eheauseinandersetzungen sei. Rosi entschuldigte sich und fuhr eigentlich unverändert fort: „Werner, dir ist es nie um die Sache gegangen sondern immer nur um deinen Namen. Du nennst dich Christ, weil du so der Fraktionsvorsitzende der CDU sein kannst und die evangelische Kirchengemeinde in Rupert in deinem Sinne gängeln kannst. Aber Christ bist du nicht. Statt deinen Nächsten zu lieben sprühst du Hass gegen alle die dir nicht passen. Statt dem Hilfesuchenden zu helfen stößt du sie weg. Ich denke da an Asylbewerber, Sozialhilfeempfänger und an alle, die deiner Meinung nicht deutsch aussehen. Du machst alles, damit du die Stimmen des Mobs, der leider Denken für überflüssig hält, hinter dich bringst. Auch was die Moschee anbelangt geht es dir nicht, wie du vorgibst, um die Verteidigung christlicher Werte sondern nur um die Wortführerschaft an den Stammtischen. Schamlos missbrauchst du dabei den Namen des Herrn. Kennst du nicht das 2. Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“. Nach diesem Zitat aus dem 2. Buch Moses, Kapitel 20, Vers 7, bekam Rosi sowohl vom Superintendenten wie auch von Özdemir das Wort endgültig entzogen. Werner Schleich musste da allerdings noch einen darauf setzen und redete sich jetzt um Kopf und Kragen: „Es ist allgemein bekannt, dass der Islam eine gefährliche Religion ist. Da kann man hier reden was man will. Ich glaube, dass es hinsichtlich euerer Moschee eine Gottesurteil geben wird. Wartet mal ab, dann werdet ihr sehen wie die zu Staub und Asche wird. Und ich kann hier nur dazu aufrufen, dann nicht in Gottes Wirken einzugreifen. Wenn es Feuer gibt, lasst die Moschee ruhig brennen.“. An dieser Stelle wurde ihm nicht nur das Wort entzogen sondern er wurde des Saales verwiesen. Auch Rosi hatte für einen solchen derben Ausreißer ihres Mannes keine Erklärung. Bisher war bei ihm so etwas allenfalls mal gefallen, wenn er, volkstümlich gesagt, stockbesoffen war. Aber den Eindruck machte er an diesem Abend beim besten Willen nicht. Sollte ihn die Ankündigung der Scheidung so benebelt haben? Nach der Veranstaltung wandte sich Rosi an mich: „Du Martin, komm doch bitte mit mir nach Hause, ich habe jetzt mordsmäßig Angst.“. „Ich glaube nicht, dass ich dir eine große Hilfe bin.“, antwortete ich ihr, „Wenn ich meinen Körperbau mit dem deines Mannes vergleiche, habe ich im Falle einer gewaltmäßigen Auseinandersetzung dem gegenüber verdammt schlechte Karten. Komm doch lieber mit zu mir.“. Sie schüttelte verneinend mit dem Kopf und erwiderte: „Wenn ich jetzt das Feld räume und mit zu dir gehe muss ich anschließend darum kämpfen in mein eigenes Haus zu kommen. Werner wird sich die Wohnung zur Bastion ausbauen. Ich muss also auf jeden Fall nach Hause ... und außerdem ist da ja auch noch Steffi. Aber du brauchst eigentlich keine Angst zu haben, denn bei Werner gibt es nur zwei Zustände: Entweder ist er nüchtern oder
besoffen. Wenn er nüchtern ist reißt er sich zusammen. Dann würde er mich niemals in deiner Gegenwart verprügeln sondern dann spielt er den Überlegenen. Da ist es sogar möglich, dass er freiwillig einen Koffer packt um vorrübergehend ins Hotel Posthorn in Romansthal zuziehen. Und wenn er besoffen ist, ist er äußerst wackelig auf den Beinen; dann kannst du ihn sicherlich in Schach halten. Sicher ist ein Risiko dabei ... aber lass mich bitte nicht allein. Vor diese Situation wären wir ohnehin gestellt worden, auch wenn der heutige Abend nicht gewesen wäre. Irgendwann hätte ich ihm ja sowieso sagen müssen, dass ich mich scheiden lassen und ihn rausschmeißen will. Ob das nun so theatralisch wie heute oder unter vier Augen, wenn er den Brief von meiner Anwältin angekommen ist, passiert ist eigentlich egal. Wenn das nicht wäre, hätte ich schon längst meine Konsequenz gezogen. Heute ist nur alles in mir explodiert. Ich habe mich in letzter Zeit immer mehr über seine böse Gesinnung aufgeregt und heute ist das furchtbar in mir hochgespult, dass es, als er da plötzlich im Foyer vor uns stand, knallte. ... Also, ich habe jetzt beim besten Willen nicht auf deinen ‚starken’ Arm spekuliert sondern ich habe auch fürchterlich Angst um dich und Steffi. ... Aber verzeih mir bitte und lass mich bitte, bitte nicht allein.“. Mit ebenfalls großer Angst sagte ich zu. Jedoch ist mir die Entscheidung nicht schwer gefallen sondern ich habe sie als selbstverständlich verstanden. Ich sagte mir: „Da müssen wir früher oder später sowieso durch; also bringen wir es hinter uns“. Da wir beide mit unseren eigenen Wagen, sofern man meine bald 20 Jahre alte Molli als solchen bezeichnen kann, angefahren waren, mussten wir uns auf getrennten Wegen beziehungsweise hintereinander nach Rupert zurück begeben. Wir hatten abgemacht, dass wir erst zur Waldstraße fahren damit ich meine Molli dort parken konnte und dann wollten wir gemeinsam in ihrem Wagen zu ihrem Haus in der Pastor-Langhals-Straße fahren. Während ich allein in meiner Rostlaube saß merkte ich, dass ich vor noch etwas Bammel hatte: Vor dem Zusammentreffen mit Steffi. Diese junge Dame kannte ich wohl von Begegnungen im Dorf oder der Romansthaler Innenstadt, wo sie mich auch immer freundlich begrüßte. Aber ansonsten hatte ich noch nie richtig mit ihr zutun. Außer Grußformeln hatte ich noch kein Wort mit ihr gewechselt. Wie würde sie mir jetzt begegnen? Auch wenn sie ihrer Mutter schon wiederholt die Scheidung angeraten hat, ist damit immer noch nicht gesagt, dass sie, wenn ich plötzlich auf der Matte stehe, dann doch Partei für ihren Vater ergreift. Ist sie überhaupt allein? Ich wusste, das ihr Freund bei der Bundeswehr ist und meistens am Freitag – dieser Tag war ein Freitag – zum Wochenende erst bei ihr erscheint. Na ja, Bundeswehr und rechtes Gedankengut sind keine unmögliche Kombination. Was macht der denn in diesem Fall? Als ich in Rosis Wagen umgestiegen war berichtete ich ihr auch von diesen gemischten Gefühlen. Rosi lächelte ein Wenig und sagte: „Von Jürgen (Steffis Freund) hast du nichts zu befürchten. Das ist ein hundertprozentiger Juso und Werner ist für ihn ein rotes Tuch. Er sagt öfters im Scherz zu Steffi: ‚Wenn deine Mutter deinen Vater rausschmeißt mache ich dir sofort einen Heiratsantrag’. Außerdem kommt er dieses Wochenende nicht nach Hause; die haben Manöver. Und was Steffi anbelangt, hat die sich schon längst darauf eingestellt, dass du mal ihr Stiefvater sein wirst. Sie hat ausschließlich Bedenken wegen unseres Altersunterschied. Aber dahingehend ist sie tolerant und überlässt das mir. Ansonsten meint sie, dass du für ‚dein Alter’ super aussehen würdest und aus dem, was ich ihr erzählt habe, findet sie schon, dass du der Richtige wärest. Irgendwie muss sie vom Ausgang des heutigen Tages was geahnt haben, denn heute Nachmittag fragte sie mich, ob sie dich, zum Zeichen dass sie dich akzeptiert, von vornherein duzen solle oder ob sie besser erst beim Sie bleiben solle.“. „Und, was hast du ihr empfohlen?“, fragte ich zurück und bekam die Antwort: „Ich habe ihr gesagt, dass sie auf dich zugehen sollte und ‚Ich bin Steffi’ sagen sollte und dich dann fragen sollte, wie du es gerne hättest.“. „Na ja, Martin; ist doch klar.“, konnte ich jetzt aus ehrlicher Überzeugung antworten. Jetzt war ich gut präpariert und trotzdem verlief die Begegnung sehr überraschend. Als wir kamen war Steffi allein im Haus und lag im Wohnzimmer auf der Couch unter einer Decke vor dem Fernseher. Als wir eintraten lachte sie uns beide an und sagte zunächst einmal nur „Hei“. Dann schlug sie die Decke bei Seite und darunter kam eine, nur mit einem doch sehr durchsichtigen Nachthemd bekleidete junge Dame zum Vorschein. So kam sie tatsächlich auf mich zu, reichte mir ihre Hand und sagte: „Ich bin also bekannter Weise die Steffi. Soll ich jetzt Martin, Vater oder Herr Krüger sagen.“. Da schaltete sich dann erst mal Rosi dazwischen: „Steffi Maus, ist dir bewusst, dass du fast nackt bist. Zumindestens bleibt Martin nichts verborgen.“. Keck konterte die Tochter: „Warst nicht du es, der mich liberal und tolerant erzogen hat. Und Nacktheit war doch bei uns innerhalb der Familie nie ein Thema. Und da Martin ja jetzt praktisch eher als Vati dazugehört brauche ich mich nun doch nicht umstellen. ... Aber sei beruhigt ich gehe jetzt um mir was überzuziehen.“. Damit hatte mir Steffi gleich mehrere Dinge signalisiert. Erstens betrachtete sie mich ab sofort als Mitglied ihrer Familie; ich war ihr also willkommen. Zweitens gedachte sie die bisherigen familiären Gepflogenheiten, auch in dieser Beziehung, nicht zu ändern; ich war also aus ihrer Sicht auch kein Fremdkörper in dieser Familie. Drittens hat sie im reinen Redefluss bekundet, dass sie mich gerne mit Martin anreden wollte. Insgesamt reagierte ich jetzt darauf: „Also Steffi, ich weiß nicht ob es in deinem Alter noch angebracht ist wenn du zu mir Vater sagst aber Martin wäre mir schon ganz lieb. Was deine leichte Bekleidung angeht würde ich dir sagen, dass du es ruhig so handhaben kannst als sei ich wirklich dein Vater. Aber denkst du auch daran, dass ich nur ein Mann bin. Hast du da keine Angst.“. „Nö,“, kam jetzt locker aus ihr heraus, „so wie Mutti dich beschrieben hat, bist du grundsolide und anständig. Du
würdest es Mutti niemals antun, dass du dich zur Tochter verirrst. Deine Liebe zu Mutti schützt mich vor Übergriffen deinerseits, denn es geht dir nicht um deine Lust sondern um Partnerschaft. Da unterscheidest du dich sehr stark von meinen Vater, der ein Egomane ist.“. Damit hatte mir Steffi auch verraten, welche hohe Meinung Rosi von mir hatte und in welch schönen Farben sie mich gegenüber ihrer Tochter dargestellt hatte. Aber Alles in Allem wurde dadurch ein seltsames Gefühl von Geborgenheit in mir geweckt, dass mir mächtig Mut für die Begegnung mit Werner Schleich einflösste. Nach dieser kurzen aber alles sagenden Unterhaltung verschwand Steffi erst einmal auf ihr Zimmer um sich etwas überzuziehen. Sie war eben draußen da sagte Rosi ironisch: „Du musst der Kurzen alles glauben, die kann nämlich nichts beschönigen. So ein ganz lockerer, wie sie das eben darstellte, geht es bei uns auch nicht zu. Ganz im Gegenteil: Gegenüber ihrem Vater zeigt sich Steffi seit ihrer Pubertät sogar äußerst verklemmt. Aber jeder Mensch hat irgendwo noch eine Macke und das scheint bei ihr ein exhibitionistischer Tick insbesondere gegenüber älteren Männern zu sein. Das merkt man auch im Urlaub, wenn sie sich am Strand Oben ohne und im Tangahöschen präsentiert ... Natürlich immer nur dann, wenn Werner nicht in Reichweite war, was allerdings nicht selten vorkam, da der lieber die Gastronomie testet. Dann merkte man richtig, wie sie auf sich aufmerksam machte wenn ältere Herrn in der Nähe waren. Richtig lustvoll hat sie dann immer beobachtet wie diese reagierten. Ich glaube das wollte sie jetzt auch dir gegenüber ausleben. ... Ach, wenn sonst nichts ist, soll sie ruhig – wir haben ja auch unsere Macken.“, „Stoi,“, musste ich jetzt kontern, „das würde voraussetzen, dass Steffi wusste, dass ich jetzt mit dir erscheinen würde. Sie war ja bereits ausgezogen als wir ins Haus kamen. Woher wusste sie denn, dass es sich nicht ihr Vater war?“. „Stimmt.“, stutzte Rose und fügte noch „Na warte Schwarte“ hinzu. Steffi kam „ordentlich“ gekleidet zurück. Das Wort „ordentlich“ habe ich deshalb in Anführungsstrichen gesetzt, da es sich um ein körperbetontes kurzes Stretchkleid mit tiefen Dekollete und einen breiten, eng um die Taille geschnallten Gürtel handelte. „Wolltest du Martin verführen?“, wurde sie auch gleich von Rosi angesprochen, „Das Kleid ziehst du doch sonst nur für Jürgen an.“. „Bist du etwa eifersüchtig?“, konterte die Tochter jetzt ganz keck. Jetzt kam Rosi zur Sache: „Kannst ruhig die Wahrheit sagen, denn so wie ich dir vieles von Martin erzählt habe, habe ich auch ihm viel von dir erzählt. Unter anderen habe ich ihm erzählt wie prüde du gegenüber deinem eigenen Vater bist und wie es dir Freude macht, Männer, die dein Vater sein könnten, anzuspitzen. Allerdings konnte ich, als ich das erzählte, nicht ahnen, dass du auch vor Martin kein Halt machen würdest.“. Steffi, die bei der Ansprache ihrer Mutter richtig rot geworden war, verriet sich jetzt: „Ach deshalb hat Martin gar nicht richtig hingeschaut und ich hatte mir das so schön ausgemalt.“. „Wie konntest du dir denn was ausmalen, wo du doch gar nicht wusstest, das er kommt?“, fragte jetzt Rosi und war damit auf den Kern unseres Anliegens gekommen. Na ja, jetzt beichtete uns Steffi das sie schon eine ganze Menge wusste. Schleich war nach seinem Rauswurf aus der Veranstaltung erst einmal direkt nach Hause gefahren und hatte seiner Tochter berichtet, das seine „Schlampe“ auf der „Ölaugen-Veranstaltung“ öffentlich verkündet habe, dass sie die „eheliche Treue“ aufkündigen und ihn „auf die Straße setzen“ wolle. Er beabsichtige jetzt einen „Zug durch die Gemeinde“ zu machen um mal zu „checken“ wo er sein „müdes Haupt hinlegen“ könne. Er war sich sicher, dass Rosi mich anschließend „als ihren Bodyguard anschleppen“ würde und er wäre der „Klügere“ und wolle erst einmal nicht mit dem „Sozial-Bunker-Behauser“ zusammentreffen. Deshalb wollte er nur an der „Haushaltskasse tanken“ und sich dann wieder davon machen. Alles was wörtlich von Schleich gekommen sein soll, habe ich in Anführungsstriche gesetzt. Steffi, die mit ihm die Überzeugung teilte, dass ich Rosi begleiten würde, hatte ihm viel Glück bei der Asylsuche gewünscht. Darauf wurde sie gefragt ob sie es auch nicht abwarten könne ihn los zu sein. Steffi hatte ihrem Vater gestanden, dass ihrer Ansicht sein Auszug längst überfällig sei. Danach hat Schleich dann seine Bargeldbestände aufgefrischt und sich türknallender Weise davon gemacht. Für Steffi stand, nach dem ihr Vater wieder abgedüst war, fest, dass einerseits ich mit ihrer Mutter erscheinen würde und andererseits mit ihrem Vater nicht vor Mitternacht zu rechnen sei. Da sie die Toleranz ihrer Mutter gut kannte, konnte sie ihr das, sie erregende erotische Spielchen treiben. Auch wir konnten jetzt davon ausgehen, dass der „Hausherr“ frühestens dann, wenn man schon vom Samstag sprechen kann, zu erwarten war. Aber was dann, was stand uns in dieser Nacht noch bevor? Rosi und ich trauten uns auf jeden Fall nicht ins Bett – wäre mir, wo doch der Ehemann noch zu erwarten war, auch dann, wenn nichts zu befürchten gewesen wäre, unsympathisch gewesen – und Steffi leistete uns solidarisch Gesellschaft. So etwas kann, insbesondere wenn die Angst gegen die Müdigkeit kämpft, ganz schön strapaziös sein. Die Zeit schlich dahin und wir schraken richtig gehend zusammen, als es Viertel nach Drei schellte. Als „Kavalier“ begab ich mich zur Tür um mich zunächst zu vergewissern, wer in einer solchen Nachstunde vor der Tür stand. Ich sah zunächst einen grünweißen Dienstwagen vor dem Tor und dann zwei Herren in grüner Uniform vor der Tür stehen. Na ja, für die Herren, die man im Volksmund Bullen nennt, kann man ja ruhig öffnen. Ich hatte gerade die Tür aufgemacht als die beiden gleich zufassten und einer von den beiden fragte: „Sind sie Herr Schleich?“. Die Antwort übernahm Rosi, die hinter mir herbei geeilt war, für mich: „Nein, das ist nicht mein Mann ... noch nicht. Was ist denn los?“. Na, da war eine ganze Menge los: In den Kellerräumen des Hauses, in dem Özdemir eine Moschee einrichten wollte, hatte es gebrannt. Natürlich ist dann derjenige, der am Vorabend öffentlich „Lasst die Moschee ruhig brennen“
getönt hat, immer als erster in Verdacht. Als die Polizisten erfahren hatten, dass ich Martin Krüger hieße, ließen sie mich wieder los aber verlangten dann doch von mir, dass ich ihnen mittels Ausweis meine Identität bewiese. Dann wollten sie wissen, wann wir Schleich das letzte Mal gesehen hätten. Wir konnten ihm kein Alibi ausstellen, denn Rosi und ich hatten ihn letztmalig auf der Veranstaltung und Steffi kurz danach gesehen. Na denn, als die Polizisten gegangen waren, stand zumindestens fest, dass er für diese Nacht eine Bleibe haben würde: Eine Polizeizelle. Da konnten wir uns ja auch schlafen legen – aber mit ins Ehebett bin ich trotz allem nicht gegangen. An diesem Samstag fand im Hause der Rosemarie Schleich das Frühstück erst am Mittag statt – man kann es sicherlich verstehen. Während dieser verspäteten Morgenmahlzeit und danach drehten sich unsere Gespräche ausschließlich um das Thema „Wie soll es weitergehen?“. Mutter und Tochter Schleich sahen kein Hindernis für einen sofortigen Einzug meinerseits aber mir widerstrebt vor dem Auszug des Ehemanns dieses Vorhaben. Na ja, wir waren bisher ohne gemeinsamen Hausstand ausgekommen und brauchten jetzt nichts zu überstürzen. Auf der anderen Seite wollten Rosi und Steffi auch nicht alleine im Haus bleiben, was man auch wiederum verstehen kann. Eine Lösungen fanden wir nicht aber wie so oft im Leben löste sich auch in diesem Fall mal wieder (fast) alles von alleine. Kurz nach Zwei fuhr ein älterer Daimler vor, der eine, nicht typisch deutsch sondern eher mediterran aussehende Dame entstieg. Sie kam an die Haustür und schellte an. Als Rosi öffnete stellte sie sich vor: „Guten Tag Frau Schleich, meine Name ist Wesna Radosevic aus Neuheim.“. Sie senkte den Kopf und fuhr fort: „Jetzt sind sie mir bestimmt nicht mehr böse, wenn ich ihnen gestehe, dass ich schon seit über zwei Jahren die Geliebte ihres Mannes bin.“. Diese Offenbarung haute uns fast um: Dieser rassistische Ausländerfeind und Deutschtümler Werner Schleich hat eine Jugoslawien, Kroatin oder Serbin, als Geliebte. Ein weiteres Mal hatte er sich als Populist entlarvt. Ganz eindeutig hatte er sich, ohne das es für ihn von Bedeutung war, zum Wortführer des Pöbels gemacht, um mit deren Hilfe seine Pöstchen zuhalten und auszubauen. Frau Radosevic hat, wie wir später erfuhren, mit ihrem Sohn ein gepflegtes und gutgehendes Balkan-Restaurant und Steakhouse in Neuheim. Jetzt war sie mit ihren Geliebten, den sie bei sich aufnehmen wollte, gekommen weil er das Feld in der Ruperter Pastor-Langhals-Straße räumen wollte. Er wollte alles zusammenpacken, die wichtigsten persönlichen Dinge gleich mitnehmen und alles andere im Laufe der Woche abholen lassen. Ganz offensichtlich wollte er jetzt in Frieden und „Anstand“ ausziehen. Deshalb war er zweihundert Meter vor dem Haus erst einmal ausgestiegen und hatte seine Wesna vorgeschickt. Sie sollte Rosi erst einmal um Erlaubnis fragen und dann mitteilen, dass er schwöre sich gesittet zu benehmen. So wie die Bitte und der Schwur vorgetragen wurde konnte das Anliegen nicht abgelehnt werden – und er hielt sich auch an seinen Schwur. Während er nicht nur im Beisein von Rosi und Frau Radosevic sondern auch mit deren aktiven Unterstützung ausräumte erzählte er auch sachlich von den Vorgängen der vergangenen Nacht. Der Brandstifter konnte er nicht sein, denn für die Tatzeit hatte er ein mehr als bombenfestes Alibi: Die Neuheimer Polizei hatte ihn ins dortige Krankenhaus gebracht, damit man dort feststellen sollte wie viel Alkohol sich in sein Blut verirrt hatte. Nachdem er Zuhause mit Steffi gesprochen hatte war er direkt in das Restaurant nach Neuheim zu seiner Wesna gefahren. Nach dem er ihr erzählt hatte was passiert war versuchte sie ihn davon zu überzeugen, dass es für alle Seiten besser sei wenn er einer Scheidung zustimmte und zu ihr zöge. Sie machte es ihm auch dadurch schmackhaft, dass sie ihn heiraten und an dem Restaurant beteiligen wolle. Für Schleich hing aber eine ganze Menge mehr daran: Wenn er nicht mehr in Romansthal-Rupert wohnt, muss er alle Pöstchen in Partei und Rat, die an einer Bürgerschaft gekoppelt sind, dran geben – er muss von allem zurücktreten. Auch in der evangelischen Kirchengemeinde Rupert kann er nicht mehr der richtungsweisende Kommandeur sein. Da ist es verständlich, dass die Beiden lange diskutierten und während dessen griff Schleich immer wieder zum Bierglas. Kurz nach Mitternacht hatte Frau Radosevic es geschafft: Schleich wollte seine Zelte in Romansthal abbrechen und zu seiner Partnerin nach Neuheim ziehen. Jetzt hatte die gute Frau das nächste Problem: Schleich wollte postwendend nach Hause fahren, dort erst einmal ausschlafen und am nächsten Tag mit seinen Sachen wiederkommen. Nach Ansicht seiner Zukünftigen sollte er aber erst in Neuheim schlafen und sich dann ordentlich bei seiner Frau zur Wohnungsräumung anmelden. Aber diesmal gelang ihr die Überzeugungsarbeit nicht, Schleich fuhr los. Unterwegs, auf der Landstraße von Neuheim nach Romansthal, spürte er einen gewissen Druck auf seiner Blase und fuhr, um diese zu entleeren, einen Wanderparkplatz an. So erleichtert setzte er sich wieder in den Wagen um weiter zu fahren. Das gelang zunächst nur für ein paar Meter, denn da fuhr er auf einen parkenden Wagen, in dem ein Liebespaar sich ein paar glückliche Minuten machte, mit erheblicher Wucht auf. Die liebende Dame wurde dabei leicht verletzt. Na ja, Schleich setzte zurück um dann mit Karamba in Richtung Romansthal davon zu brausen. Weit kam er aber nicht. Nach etwa einem Kilometer fiel einer Polizeistreife der vorne erheblich demolierte Wagen auf. Sie folgten ihm und hielten ihn an. Dieses muss gerade zu der Tatzeit bei der Moschee gewesen sein. Der Täter konnte er nicht gewesen sein. Später stellte sich auch heraus, dass die Übeltäter, die im Keller von
Özdemirs Haus Feuer gelegt hatten, zwei betrunkene Jugendliche, die dort auch gewaltmäßig eindrangen, waren. Sie hatten in der Kneipe von Schleichs Aufruf „Lasst die Moschee ruhig brennen“ gehört und wollten jetzt bei dieser Sache behilflich sein. Allerdings ganz ab von der Sache war Schleich nun auch nicht, denn die Staatsanwaltschaft prüfte ob gegen ihn ein Verfahren wegen Aufrufs zu einer Straftat mit rassistischen Hintergrund eröffnet werden konnte. Wenn Sie mich jetzt aber fragen, was dabei heraus gekommen ist, muss ich leider die Achsel zucken, denn ich habe davon bis jetzt nichts mehr gehört. Als Schleich mit Frau Radosevic wieder davon gefahren war, saßen wir im Wohnzimmer beieinander und diskutierten den Fall. Dabei sagte Steffi nachdenklich: „Eigentlich könnte man Vater bedauern. Alles was ihm heilig war, ist auf einen Schlag zu Schutt und Asche geworden. Seine Familie ist für ihn jetzt zerbrochen, seine politischen Ämter muss er abgeben, seinen Führerschein ist er auch erst einmal los und obendrein wartet ein Strafverfahren wegen Fahrerflucht auf ihn. So gesehen bin ich ja recht froh, dass er bei seiner Jugoslawin nicht ins Leere fällt. Für uns allerdings wird jetzt offensichtlich alles einfacher und wie es aussieht auch besser ... Martin ziehst du auch noch heute um?“. Bevor ich ihr antworten konnte meldete sich aber erst Rosi einmal zu Wort: „Steffi, du sagtest eben, dass für Vater auf einen Schlag alles zu Schutt und Asche geworden sei. Vielleicht ist das sogar sein Glück. Vielleicht merkt er dadurch, dass tatsächlich alles mal zu Staub und Asche wird. Diese Welt wird mal wieder vergehen, da sind sich Naturwissenschaftler und Theologen einig. Eines Tages bleibt mal von unseren Großtaten, von Deutschland, von den Werten der westlichen Welt und all den materiellen Dingen, die wir geschaffen haben, nichts mehr über. Auch wir Menschen, gleichgültig ob wir auf Sozialhilfe angewiesen sind, gleichgültig ob wir namenslose Angestellte oder gleichgültig ob wir große berühmte Persönlichkeiten sind, werden schon nach kurzer Zeit, längstenfalls nach knapp über hundert Jahren wieder zu Staub und Asche. Wie schade wenn wir das bisschen Leben, was wir zur Verfügung hatten, diesen vergänglichen Werten und Dingen geopfert haben, wenn wir dafür unser Rückgrat und unsere Persönlichkeit aufgegeben haben. Sollten wir nicht stattdessen besser leben? Aber leben heißt, lieben und miteinander auskommen. Warum wollen wir uns nicht diese Erde gemeinsam als Lebens- und Erlebensraum zu nutze machen? Warum streiten wir uns über selbstkonstruierte Werte wie Staaten, Staatsangehörigkeit, Grenzen, Ressourcen und so weiter. Würden wir statt darüber zu streiten ... es wird ja sowieso alles wieder zu Asche und Staub – uns diese teilen und miteinander nutzen könnten wir alle glücklich sein ... und deshalb leben wir doch eigentlich.“. Ich finde, dass Rosi damit ein sehr schönes Schlusswort gesprochen hat und deshalb will ich es jetzt dabei belassen um zu berichten, was aus uns allen geworden ist – sofern man dieses nach nicht einmal einem Jahr sagen kann. Also vorab: Özdemir konnte inzwischen in seinem Haus eine Moschee einrichten. Dieses war seit jenem denkwürdigen Tag überhaupt nicht mehr in der öffentlichen Diskussion. Auch als es vor dem Jugendgericht um die Brandstifter ging, war immer nur die Rede von einem Haus „Im Alten Dorf“. Insgesamt ist es hier in Romansthal nach dem Rücktritt von Werner Schleich aus allen seinen Positionen ruhiger und sachlicher geworden. Offenbar wirkte er als der Scharfmacher und Eintänzer. Aber auch er selbst ist ruhiger und sachlicher geworden. Seinen Arbeitsplatz in Romansthal hat er aufgekündigt und ist jetzt in dem Restaurant in Neuheim tätig. Man erzählte uns, dass er dort sogar seine Sache gut machen würde. Es scheint als sei aus einem Ausländerfeind das Gegenteil geworden. Er ist jetzt viel bei Jugoslawen, Griechen und Türken anzutreffen. Rosi erzählte mir, nachdem sie mit ihm bei ihrer Anwältin zusammengetroffen war, dass er sogar zur Zeit mit Mehmet Özdemir als Frischwarenlieferant für das Restaurant im Gespräch sei. Die Scheidung des Ehepaar Schleich ist angeleiert. Es sieht so aus, als würde daraus keine RosenkriegSchlammschlacht werden, da sich beide einvernehmlich scheiden lassen wollen. Schließlich will Schleich seine Wesna und Rosi mich heiraten. Werner Schleich hat sogar auf das Hinzuziehen eines eigenen Anwaltes verzichtet und will stattdessen auf Rosis Anwältin als Moderatorin zurückgreifen. Das Problem wo sich die beiden derzeitig mit beschäftigen ist der Zugewinnsausgleich. Dabei verhandeln sie sogar weniger um die zukünftige Rente sondern um die Entschädigung Schleichs für all das, was er im Lauf der Ehe in Rosis Haus gesteckt hatte. Laut Rosi sieht aber derzeitig alles nach einem vernünftigen Kompromiss, den sie tragen kann, aus. Wenn Rosi und ihr Nochehemann zusammentreffen, sprechen sie vernünftig und der Situation angemessen freundlich miteinander. Schleich hat uns sogar zu einem Besuch des Restaurants eingeladen, wovon wir, wenn alles gelaufen ist, auch Gebrauch machen wollen. Steffi ist mit ihrem Jürgen schon zwei Mal da gewesen und die beiden waren sehr zufrieden, denn erstens soll das Haus empfehlenswert sein – eine Superküche und Properservice, wie Steffi sagte – und zweitens hat sie sich während der Zeit mit ihrem Vater ganz gut verstanden. Nun, Steffi wohnt zwar noch hier im Haus aber nicht mehr in unserer Wohnung. Sie hat mit ihrem Jürgen die Einliegerwohnung in Tiefparterre, sprich im Keller, bezogen. Durch die straßenseitige Hanglage ist diese kleinere Wohnung mit der Südterrasse wirklich sehr schön. Jürgen, der inzwischen seine Zeit als Wehrpflichtiger hinter sich gebracht hat, hat auch ein freundschaftliches Verhältnis sowohl zu Rosi wie auch zu mir aufgebaut. Steffi und Jürgen hatten auch schon mal beabsichtigt am 03.03.03 die Hochzeitsglocken läuten zu lassen aber sind dann doch erst einmal dazu übergegangen noch zu warten bis sie beide ihre Ausbildung hinter sich gebracht haben.
Na, und ich selbst. Ich habe an dem fraglichen Samstag auch erst einmal meine wichtigsten persönlichen Sachen von der Waldstraße in die Pastor-Langhals-Straße gebracht und eine Woche darauf bin ich dann vollendens umgezogen. Seitdem lebe ich hier glücklich mit meiner von mir sehr geliebten Rosi. Ich glaube ich war noch nie in meinem bisherigen Leben so glücklich wie jetzt. Wenn die Scheidung über die Bühne ist wollen wir uns Gedanken um einen Hochzeitstermin machen. Wir beabsichtigen ganz alleine in einem sauerländischen Dorf standesamtlich zu heiraten. Na, das ließt sich doch wohl alles wie ein Happy End – und dabei sollte ich es jetzt auch wirklich belassen.
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Aus Spaß keine Zeit zum Leben Es gibt ja eine Reihe von Schickimickis die damit prahlen sie wären Aussteiger. Ich dagegen bin so ein Typ der behaupten kann nie ein Einsteiger gewesen zu sein. Ich bin immer nach der Devise „leben und leben lassen“ vorgegangen. Niemals hat es mich gelüstet mal ein reicher und/oder berühmter Mann zu werden. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass ich der geborene Tagedieb bin. So habe ich nach Abschluss der Realschule nacheinander gleich zwei Berufe erlernt. Eigentlich wäre ich ja von vornherein gerne Elektriker geworden aber mein kinderloser Onkel hatte meinen Eltern in Aussicht gestellt, dass ich mal sein Sanitärgeschäft übernehmen könnte. Also erlernte ich bei ihm den Beruf des Klempners und Installateurs. Kurz vor dem Ziel, sprich vor meinem Lehrabschluss, ging Onkel Gustav die Luft aus – sprich: Er machte Pleite. Auf Vermittlung der Handwerkskammer konnte ich in einem Betrieb in Neustadt meine Lehre zuende führen. Danach wollte ich dann aber meinen Traumberuf ergreifen und begann noch einmal eine Lehre als Elektroinstallateur. Als ich meine zweite Lehre abgeschlossen hatte war die Bundesrepublik Deutschland der Meinung, dass ich nun meinen Zivildienst antreten müsse. In dieser Zeit bekam ich dann praktisch noch eine dritte Berufsausbildung, denn diesen Dienst leistete ich in einer Einrichtung für geistig Behinderte des Diakonischen Werkes, welche in einem ehemaligen Gutshof etabliert war. Unsere „Schützlinge“ wurden natürlich mit ihnen zumutbaren Arbeiten, unter anderem mit Garten- und Landschaftsarbeiten, beschäftigt. Ich wurde als „Hilfsbetreuer“ einer Gruppe von sechs, überwiegend im Garten arbeitenden Behinderten zugeteilt. Natürlich arbeitete ich unter der Anleitung des eigentlichen Betreuers mit unseren Leuten zusammen und wurde so auch in den zwei Jahren, die man damals noch Zivildienst leisten musste, zum „Spezialisten für Hof und Garten“. Jetzt raten Sie mal wozu ich mich durch diese Ausbildungen exzellent qualifiziert habe. Natürlich zum Hausmeister – und das wurde ich dann 1975 auch, und zwar an der Gustav-Heinemann-Hauptschule in Woppert. Zuvor hatte ich mich, der zu diesem Zeitpunkt schon 29 Jahre diese Erde bevölkerte, natürlich in meinem Traumberuf Elektriker getummelt. Das ich den Job als Schulhausmeister bekam hatte noch einen weiteren Vorteil: Ich hatte gerade geheiratet und brauchte eine Wohnung und die Dienstwohnung, in einem neugebauten Bungalow neben der Schule, erfüllte alle Träume des Ehepaars Mathilde und Horst Günther, also die von meiner Frau und mir. Jetzt habe ich in kurzen Zügen alles bemerkenswerte aus meinem Leben erzählt. Vielleicht sollte ich noch sagen das Mathilde und ich zwei Kinder bekamen und groß zogen. Sascha wurde 1976 und Frauke 1977 geboren. Als Frauke in die Schule kam nahm auch Mathilde wieder eine Stellung in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin im nahegelegenen evangelischen Kindergarten an. Jetzt könnte ich sagen, dass jetzt aber wirklich alle Höhepunkte meines Lebens erzählt seien. Wir liebten, lebten und waren dabei glücklich. Des Sonntags gingen wir in die Kirche und in den großen Ferien fuhren wir in Urlaub, mal nach Spanien, mal nach Jugoslawien, mal nach Dänemark, mal nach Holland aber auch bei jedem zweiten Mal an einen schönen Ort innerhalb Deutschlands. Sicher hatten wir mit unseren Kindern auch mal diesen oder jenen Ärger aber im Großen und Ganzen sind wir mit unseren Kindern so zufrieden wie die mit ihren Eltern. Ich kann es kurz fassen: Das Leben der Familie Günther war „stinknormal“ und wenn ich daraus eine längere Story schreiben wollte, würde ich mir die Arbeit besser nicht machen, denn eventuelle Leserinnen und Leser würden mich fragen, ob ich sie mit dem langweiligen Zeugs veräppeln wolle. So, jetzt mache ich eine Zäsur und schreibe, dass alles vorher Gesagtes bis vor zwei Jahren, also bis in das Jahr 2001 galt, denn nach den Sommerferien gab es größere Veränderungen in unserem Leben und wir konnten mal richtig aufregendes miterleben. „Miterleben“ ist das richtige Wort, denn auch in der Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzählen möchte waren wir nur die Randfiguren – Gott sei dank. Es begann mit einem Umbruch in unserem Leben, der eigentlich aber auch unter „normal“ abgehakt werden kann. Der inzwischen 25-jährige Sascha hatte geheiratet und war damit aus dem Haus. Die nur ein Jahr jüngere Frauke war zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht verheiratet aber hatte mit ihrem Bräutigam, den sie in 2002 heiratete, eine eigene Wohnung. Kurz: Ich war jetzt mit Mathilde alleine im Hausmeisterbungalow, der uns jetzt doch ein Wenig zu groß vorkam. Dann kam hinzu, dass der Schuldienst heute nicht mehr das ist, was er mal war. Nach meinem Eindruck ist die heutige Jugend nicht schlechter aber auf keinen Fall besser als frühere Generationen. Aber bei uns allen, in der gesamten Gesellschaft, geht das Einsichtsvermögen und das Gemeinschaftsdenken immer mehr zurück. Und so etwas äußert sich am Meisten im Wandalismus und im fehlenden Mein-Dein-Verständnis. Graffitis, Zerstörungen, entwendetes oder einfach irgendwo stehen gebliebenes Material sind an der Tagesordnung. Müll und Dinge, die man nicht mehr zu benötigen gedenkt lässt man dort fallen und liegen wo man gerade steht. Für Hausmeister bedeutet so etwas zunehmende Arbeit und Ärger. Da schien mir mal einen Wechsel geboten; also begab ich mich auf die Suche. Im Neuen Testament steht sowohl bei Matthäus (Mt 7,7) wie bei Lukas (Lk 11,9) die Aussage: Suchet so werdet ihr finden. Dieses mag in dem
Sinne wie es in der 2. Chronik des Alten Testaments (2 Chr 15,) heißt – wen ihr ihn (Gott) suchet, so wird er sich von euch finden lassen – richtig sein, aber auf den Arbeitsmarkt lässt sich so etwas nicht Eins zu Eins übertragen. Wo es keine Arbeitsplätze gibt kann man lange suchen und wird nichts finden. Aber ich hatte Glück. Heinz Hermann von Ludloff, ein Geldmensch hier aus Woppert suchte einen Haushandwerker für seine, in einem kleinen, von hohen Mauern umgebenen, Park gelegene klotzige Jugendstilvilla. Nun, das Wort Jugendstil ist nur die halbe Wahrheit, denn was Außen danach aussah war Innen ein hypermodernes Wohnsystem mit allem, zum Teil überflüssigen Schnickschnack. Da gehörten eine größere Bar, eine Sauna und eine Riesenterasse mit Swimmingpool in einem Wintergarten wie selbstverständlich dazu. Alles war auf dem ersten Blick sehr imponierend aber dauerhaft hätte ich in diesem Klotz nicht leben wollen. Ich hatte den Eindruck, dass es für Ludloff nur wichtig war, dass alles sehr teuer war und das er damit imponieren konnte. Aus meiner Sicht hätte er da genügend Sparpotential gehabt und hätte nicht immer jammerlotzig die Senkung der „hohen“ Lohnnebenkosten anmahnen müssen. Es ist ja direkt fürchterlich wie gewisse Leute auf der einen Seite prassen und protzen und auf der anderen Seite die Schwachen, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben, für ihre derzeitig „schlechte“ Lage verantwortlich machen. Aber was soll’s, ich bekam bei diesen Typ, den ich persönlich nicht als lebenden Menschen sondern als existierenden Humanoiden ansah, einen Job, der mir auf dem ersten Blick geruhsamer als der des Schulhausmeisters aussah. Auch das Auffinden einer Wohnung, die für Mathilde und für mich den richtigen Zuschnitt hatte, stellte zu jenem Zeitpunkt für uns kein Problem da. In der Großkopfstraße, die im Wopperter Neubaugebiet Erlengrund liegt, wurde ein neues 6-Familien-Haus gebaut. Im Dachgeschoss befinden sich rechts und links zwei zauberhafte 2½-Zimmer-Wohnungen – und eine davon, die rechte, bekamen wir. Unter den schrägen Wänden ist es so richtig urig gemütlich. Unser „viertes Zimmer“, eine 3,5 mal 5 Meter große Dachterrasse, ist für Mathilde die Erfüllung aller Wohnträume. Sommertags sitzen wir auf dieser, uns nett unterhaltend, bei einem Fläschen Wein oder einem Kännchen Kaffee bis abends um Zehn. Diese Terrasse ist auf der Südseite des Hauses gelegen und im Süden befinden sich hier bis ins Tal hinunter nur noch Felder und Wälder. Wie ist das herrlich, so das Leben zu genießen. Die Wohnung haben wir im Juli, kurz vor Beginn der Sommerferien, bezogen. Am letzten Tag vor den Ferien wurde ich offiziell nach knapp über 25-jährigen Dienst als Hausmeister von der Schule verabschiedet. Danach machten wir erst einmal vierzehn Tage Urlaub im istrischen Rovinij und ab 1. September 2001 stand ich dann offiziell auf der Gehaltsliste von Heinz Hermann von Ludloff. Meinen ersten Arbeitstag hatte ich allerdings erst am 3. September, denn der Erste war ein dienstfreier Samstag. Eine Woche und einen Tag nach meinem Dienstbeginn sollte der Anfang vom Ende im Hause der von Ludloffs eingeleitet werden. Sie werden es ahnen, das dieser Niedergang mit dem Terroranschlag auf das WTC vom 11. September 2001 in New York zusammenhing. Als die beiden Monumentaltempel des Liberalismus in sich zusammenbrachen und zur Staub und Asche wurden gab es auch auf den Kapitalmärkten erhebliche Abstürze und davon muss von Ludloff besonders stark betroffen gewesen sein. Die letzten Worte klingen nach Mutmaßung – und das sind sie auch. Ich kann überhaupt nur mutmaßen, was dieser Herr von Ludloff eigentlich so machte und woher er sein Geld hatte. Ich weiß es beim besten Willen nicht und es interessiert mich im Grunde auch nicht, denn ich möchte bei aller Lebensfreude nicht so leben – oder besser gesagt existieren – wie er. Ich konnte diese Type weder leiden noch hatte ich Gründe ihn zu hassen. Wäre er nicht mein Boss gewesen, wäre er mir sogar vollkommen gleichgültig geblieben. Ich hatte mit dieser geschniegelten Kunsttype, an dem nichts den Eindruck von Zufall und Natürlichkeit erweckte, fast nichts zutun. Alles was er von mir wollte erfuhr ich über seinen Oberlakaien, einen gewissen Herrn Krüger. Dieser junge Schlipssoldat, so eine Art von perfekten „Arschkriecher“, hatte mich auch eingestellt. Krüger war so eine Art Ludloffscher Statthalter in Woppert und Umgebung. Er „kommandierte“ das gesamte Hauspersonal, das, außer mir, aus einer Köchin, zwei Hausmädchen, einem Fahrer und einem Gärtner bestand. Was er außerhalb der Villa zu erledigen hatte entzieht sich meiner Kenntnis. Die anderen Mitglieder der Mannschaft, zu denen ich sehr schnell guten Kontakt hatte, wussten genau so wenig wie ich – sowohl was diesen Krüger wie von Ludloff, dem Mann mit der angeborenen Maske, selbst anbelangte. Da ich als Haushandwerker eine geregelte Arbeitszeit von Montag bis Freitag hatte, bekam ich meinen Chef auch nur höchst selten zu sehen, denn in dieser Zeit trieb er immer sein Unwesen irgendwo auf dieser Welt. Auf irgendeine Art und Weise muss dieser Herr von Ludloff unter einem Verfolgungswahn gelitten haben, denn meine Arbeit bestand zu 60 bis 70 Prozent aus dem Kontrollieren, Warten, Reparieren und Ergänzen von Sicherheitseinrichtungen, in die ich jetzt der Einfachheit halber auch die umfassende Videoüberwachungsanlage mit einbezogen habe. Letztere hätte Orson Wells, dem Autor des Buches „1994“, und seiner Hauptfigur, dem Big Brother, alle Ehre gemacht. Es gab in dem Haus wohl kein Zimmer, nicht mal eine Besenkammer, in die man nicht jederzeit Dank dieser Anlage hätte Einblick nehmen können. Und auch im Park war wohl jeder Winkel von irgendwelchen Minikameras ausgeleuchtet. Mittels einer handyartigen Fernbedienung konnten die elektronischen Ausschnüffler abgeschaltet werden. Natürlich verfügte nur der Hausherr ständig und sein Lakai
Krüger gelegentlich über dieses Instrument. Also, ich habe mich bis zu Letzt nicht daran gewöhnen können, dass ich einen ganzen Arbeitstag lang so auf Schritt und Tritt beobachtet werden konnte. Eine Intims- oder Privatsphäre gab es in diesem Haus nicht. Ehrlich gesagt, persönlich empfand ich diese Horroranlage als Frechheit – oder mehr noch als kriminellen Akt – gegenüber Personal, Besuchern und den anderen Ludloffschen Familienangehörigen. Es kann doch nicht angehen, dass man für so ein Bisschen vermeintlicher Sicherheit sein letztes Stück Freiheit opfert. Woher kommt nur dieses suchtartige Streben nach Sicherheit, die es natürlich niemals hundertprozentig geben kann, das man dafür bereit ist eines der wichtigsten Lebensgüter, die Freiheit, zu opfern bereit ist? Diese High-Tech-Festung war der goldene Käfig für Maria Theresa von Ludloff, der Frau diese Villenimperators. Da habe ich mir mal von der Homepage www.reiner-vial.de ein eBook mit dem Namen „Und das soll Leben sein“ gezogen. In diesem Buch geht es auch um so eine Frau wie es diese Frau von Ludloff ist. Nur im Gegensatz zur Romanfigur Marianne Berghoff-Klettner unternahm meine Chefin, außer Saufen, so gut wie nichts gegen ihr Schicksal. Die war einfach immer nur anwesend. Wenn man ihr des Morgens vor Zehn begegnete, konnte einen Frau von Ludloff einen gehörigen Schrecken einjagen. In meiner Jugendzeit kannten wir unter uns Jungens so einen flotten Spruch wie „Sie sehen gut aus Fräulein. Haben sie schon gekotzt?“. In dieser Phrase brauch man nur das Wort Fräulein gegen Frau von Ludloff austauschen und man weiß, was ich empfand, wenn ich diese Dame am früheren Vormittag zusehen bekam. Na ja, danach machte sie nach zwei oder drei kräftigen Schlucken Weinbrand erst einmal Morgentoilette. Woher ich das mit dem Frühstückstanken weiß? Nun ja, ich hatte doch wohl oft genug an dem Videoüberwachungssystem, das noch nicht einmal vor den Privaträumen der Hausherrin halt machte, zu tun. Aber keine Angst, ich bin kein professioneller Spanner aber zwangsläufig bekam ich während meiner Arbeit dieses oder jenes zusehen und einen Wegsehzwang habe ich mir deshalb nicht auferlegt. Nach vollendeter Creme- und Salbenmodellation sowie längerfristige Haarbehandlung hatte sich unser Morgenschreck in eine doch recht attraktive Dame verwandelt und man hatte Anlass anzunehmen, dass sie mal in früheren Jahren auch ohne Gemäldemittel der Kosmetikindustrie eine hübsche, ansehnliche Frau war. Im Laufe des Tages kam es dann auch immer mal wieder zum Austausch von ein paar Worten zwischen ihr und uns, dem Personal. Sie sprach zwar immer sehr von Oben herab aber nie abfällig oder unhöflich. Ab und an kam es auch vor, dass sie uns mal zur Beteiligung bei ihrer Dauerbeschäftigung, dem Trinken, einlud. Na ja, wenn sie mir ein Bier oder einen Wein angeboten hätte, hätte ich auch mal, statt ihr immer einen Korb zugeben, zugelangt aber Weinbrand, Cherry oder Aquavit ist nicht gerade das, wonach meine Geschmacksnerven üblicher Weise verlangen. Ausschließlich bei Horst Schreiber, dem Gärtner, hatte sie bei ihren Einladungen mehr Erfolg – aber gerade der hatte am wenigsten im Hause, in dem sich Frau von Ludloff ausschließlich aufhielt, zu tun. Was die Dame des Abends und am Wochenende machte kann ich aus eigenem Erleben nicht erzählen, denn da war ich nie im Hause. Die Hausmädchen, die schichtweise arbeiteten, berichteten, dass die Chefin des Abends wie am Tage bis zum Umfallen weitertrinkt. Des Abends soll es zeitweilig „Stunk“ zwischen dieser Dame und der Tochter des Hauses von Ludloff gegeben haben. Wie geschrieben kann ich wegen meiner ständigen abendlichen Abwesenheit nichts davon berichten. So wie ich es sehe kann es für diese Streitigkeiten drei Gründe gegeben haben. Einmal kann es die Trunksucht der Mutter gewesen sein, zum Anderen kann es um das Budget der Tochter, welches sie immer für zu knapp bemessen erachtete, auf der Tagesordnung gestanden haben und zum Dritten kam der nichtsnutze Lebenswandel der jungen Dame für einen Streit in Frage. Darum drehten sich auch die meisten weniger streitbaren Gespräche der beiden Frauen, auch in unserer Gegenwart. Ausgegangen sind die Gespräche – und wahrscheinlich auch die Streitereien – immer von Ilka Vanessa von Ludloff, der Tochter. Entweder sprach sie ihre Mutter darauf an, dass sie mal eine Therapie hinsichtlich ihres Alkoholismus in Anspruch nehmen sollte oder sie wollte Beträge aus dem Budget der Mutter in das ihrige umgelenkt sehen. Frau von Ludloff kontert dann grundsätzlich damit, dass die Tochter endlich mal eine Lebensplanung aufnehmen müsse, denn seit sie das Abitur im zweiten Anlauf mit Ach und Krach gemacht habe lebe sie nur noch in den Tag hinein. Nun, Intelligenzbestien schien kein Mitglied der Familie zu sein. Das dürfte nicht nur der Hauptmakel der Tochter gewesen sein. Es ist sicherlich recht naiv vom Kontostand auf den Intelligenzquotienten zu schließen. Zu Geld kann man auch ohne viel Grips kommen. Man kann zum Beispiel einen dicken Haufen, den Vorfahren zusammengerafft haben, erben. Der Zufall, den man oft fälschlicher Weise Glück nennt, und die gerade passenden Berater können dann dafür sorgen, dass aus einem dicken ein superdicker Haufen wird. Als nächstes kann man Väter haben, die die richtigen Leute kennen um dümmliche Söhne und Töchter in die richtige Position zusetzen. Es gibt sogar böse Gerüchte, dass man auf diese Art und Weise sogar Präsident einer Weltmacht werden könnte. Gut gebaute weibliche Wesen haben ja noch die altbekannte Chance, dadurch zu viel Geld zu kommen, in dem sie sich breitbeinig in das richtige Bett legen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von den begüterten Familienclans für die Aufzucht von Erben für geeignet gehalten werden.
Eine Fähigkeit muss man, wenn man reich werden oder bleiben will, aber von Hause her mitbringen: Entweder muss die Fähigkeit mitzufühlen erst gar nicht vorhanden sein oder man muss diese problemlos unterdrücken können. Sozialdusselei führt zwar nicht automatisch zum Vermögensschwund aber die Mitbewerber um das Tauschhilfsmittel Geld nutzen die „soziale Schlappe“ des Einzelnen um erstens an ihm vorbeizuziehen und zweitens um ihn dann vollendens zu erledigen. Sozialkompetente Menschen sind auf den Führungsetagen der Wirtschaft nicht gefragt. Aber gerade diese Sozialkompetenz heißt „Einsicht in Gesamtzusammenhänge“ und die hat wiederum mit Intelligenz zu tun. Na ja, in der Familie von Ludloff war so etwas unbekannt. Dabei kann man noch nicht einmal sagen, diese Familie wäre bösartig gewesen. Nee, das war reine Unwissenheit. Die lebten ja so in ihrer Welt, dass sie gar nichts vom wahren Leben, dass sich um sie herum abspielte, mitbekamen. Wie sollte man auch, wo man sich doch in dieser High-Tech-Luxus-Villa hinter hohen Mauern eingeigelt hatte und nur mit Leuten, die es genauso wie sie machten, verkehrte. Wo soll denn da die Vorstellung, dass diverse Leute einen ganzen Monat mit dem Geld, was Ilka Vanessa an einem Abend verjuxt, leben müssen, herkommen? Wie kann man das Leben eigentlich verstehen wenn man selber gar nicht lebt? Oder soll das Leben sein was Heinz Hermann von Ludloff da treibt? Der fuhr des Morgens aus dem Haus zu Konferenzen, Besprechungen, Entscheidungen, Planungen, Tagungen und, und, und. Die einzigsten Abwechselungen die es in seinem doch recht tristen Leben gab, waren gelegentliche Empfänge für Schickimickis, zu denen er in jüngeren Jahren seine Frau als Ausstellungspüppchen mitnahm. Die „Frau an seiner Seite“ macht sich bei jüngeren Managern und Politikern ja immer ganz gut. Warum eigentlich? Na ja, heutzutage klappt das mit Maria Theresa von Ludloff auch nicht mehr. Die hat zwar eine enorme Standfestigkeit aber an irgendeinem Punkt kippt auch der besttrainierteste Kampftrinker mal um. So lebt sie also in ihrem goldenen Käfig tagein und tagaus. Wenn sie aufsteht beginnt sie mit dem Trinken und wenn sie spürt, dass sie bald umkippt, legt sie sich ins Bett. Dazwischen beschäftigt sie sich mal mit Rausputzen und mal mit Klunkerzählen. Aber ist das Leben? Ilka Vanessa von Ludloff liefert uns die dritte Variante vom am Leben vorbei existieren. Sie hastete von Date zu Date und jedes Date war ein besonderer Fun. Jetzt habe ich in denglischer Sprache, die ich eigentlich gar nicht so mag – auch jetzt nicht wo dieses Denglisch durch die Hartz-Illusionen hoffähig gemacht worden ist – ausgedrückt was die junge Dame unter Leben verstand. Sie raste von Sause zur Sause und kam dabei zwischendurch mit ihrer Clique dann auch mal in der väterlichen Festung vorbei. Bei solchen Gelegenheiten bekam ich dann auch was von den eintönigen Abläufen mit. Alkohol in Mengen spielte natürlich immer eine Hauptrolle. So gesehen war Ilka hundertprozentig auf den Spuren ihrer Mutter. Auch Dröhnmusik, mal von CDs und mal von Live-Dröhnern aber immer aus übersteuerten Lautsprechern, gehörte zu ihrem uniformen Lebensstandard. Ansonsten veranstalten die Leute nur „Ringelpiez mit Anfassen“ wobei meist auch alle Hüllen fielen – es gab also auch reichlich Frischfleisch zu sehen. Ab und zu kam es sogar ganz deftig, dann wurde fröhlich und öffentlich gebumst. Das anwesende Personal störte die jungen Damen und Herren, die offensichtlich alle dieser höheren Gesellschaftsschicht entstammten, so gut wie überhaupt nicht. So, nachdem ich jetzt das Leben auf der von Ludloffschen Titanic beschrieben habe kann ich ja jetzt mit der Erzählung von deren Untergang beginnen. Wie ich schon mal kurz andeutete war der Crash, der den Untergang einleitete, am 11. September 2001. Von dem fürchterlichen Geschehen im Pentagon in Washington und im WTC in New York bekam ich erst etwas mit als ich von der Arbeit nach Hause gekommen war. Für mich völlig ungewohnt saß Mathilde um diese Zeit vor der Glotze und sie war dann die Erste, die mir schilderte was los war. Viel Zeit hatten wir Zwei an diesem Spätnachmittag nicht zusammen, denn ich mag wohl gerade eine halbe Stunde zu Hause gewesen sein als ich telefonisch zu Überstunden gerufen wurde. Der Zufall wollte es, dass Ilka Vanessa ausgerechnet an diesem Tag ihren 22. Geburtstag feierte. Da sollte es eigentlich eine „coole Fete“ in irgendeiner teueren Disco geben. Dazu hatte man extra einen sogenannten Star aus der Dröhn-Mucke-Szene engagiert. Ich kann jetzt nicht sagen wer das war, denn ich kann mir diese verdenglischten Namen aus der Jugendszene nicht merken. Warum auch? Die kommen und gehen und in zwei Jahren spricht keiner mehr von denen. Super- und Megastars leuchten in unserer schnelllebigen Zeit nicht lange. Na ja, als die Fun-Leute so ringsherum mitbekamen, dass man aus Pietätgründen alle Veranstaltungen, außer Fußball, absagte, bekamen auch sie kalte Füße. Alles abblasen wollten sie nicht, denn laut Ilka hat man im Leben ja nur einmal seinen 22. Geburtstag, womit sie streng genommen sogar recht hatte. Aber aus der Öffentlichkeit wollte man raus und deshalb hatte man die Verlegung von der Disco in die von Ludloffsche Luxusfestung beschlossen. Jetzt brauchten sie einen Fachmann, den sie für den Aufbau der Anlagen für Bedröhnung, Licht und Effekte heranziehen konnten. Probleme hatte ich damit nicht, denn so etwas kannte ich von diversen Schulfeten. Diesmal war es sogar viel einfacher wie in der Schule. Die Leute, die die Anlagen stellten, wussten schon wie sie aufbauen sollten, ihnen lief lediglich die Zeit davon und waren daher froh eine fachkundige Hilfe dazu gestellt zu bekommen. Mit Beaufsichtigung, Bedienung und Wiederabbau der Anlagen, für die ich in der Schule auch zuständig war, wurde ich an jenem 11. September nicht betraut. Bei den, in der Schule verwendeten Anlagen hätte ich den Aufbau in der vorgegebenen Zeit auch alleine geschafft. Diese private Anlage war nur um den Faktor X gewaltiger als die schulischen. Trotz und alledem hatte ich an diesem Tag so gegen halb Acht am
Abend endgültig Feierabend und ich konnte mich in meine vier Wände zurückziehen. Da hatte ich es doch besser als die Köchin und die beiden Haushälterinnen, die verstärkt, durch das Diskothekenpersonal, bis zum nächsten Morgen um Vier haben durch werkeln müssen. Wenn man mich fragt wie der 11. September 2001 in der von Ludloffschen Villa verlief, dann muss ich sagen, dass, wenn nicht Ilka Vanessa Geburtstag gehabt hätte, es bestimmt ein Tag wie jeder andere gewesen wäre. Das dieser 11. September auch der Schicksalstag der Familie von Ludloff war, hat außer dem Familienoberhaupt, kein Mensch gemerkt – und ob es das Familienoberhaupt zu diesem Zeitpunkt selbst gemerkt hat, kann auch noch als fraglich bezeichnet werden. Danach ging es im Alltagstrott über ein halbes Jahr weiter ohne das was „Großartiges“ passierte. Die einzigsten Nachwehen des Tages, den die Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Wort (Begriff) des Jahres 2001 gekürt hat, war, dass die überzogenen Sicherheitsmaßnahmen in der Villa, von denen ich bereits berichtete, noch um einiges verschärft wurden. Jetzt wurden auch die letzten Freiheitsräume der Sicherheit geopfert. Aber damit lag von Ludloff ja auch ganz im allgemeinen Trend. Denken Sie doch nur mal an den Sicherheits-Horror-Katalog der nach dem 11. September aus Schilys Innenministerium kam. Wenn man mal ein Wenig darüber nachdenkt merkt man wie unsinnig dieses „Sicherheit über alles“ ist. Können wir Menschen den überhaupt dem Tod entrinnen? Diese Frage muss absolut verneint werden; eines Tages, früher oder später, müssen wir alle sterben. Die Risiken lauern überall: im Haushalt, im Straßenverkehr auf der Arbeitsstelle. Alles sowohl durch Unfall wie durch Verbrechen. Und dann die gesundheitlichen Risiken: Herzinfarkt, Krebs, Aids und, und, ... und wenn es letztlich nur einfach Altersschwäche ist. Was wollen wir denn mit unserem Sicherheitswahn erreichen? Kämpfen wir da nicht wie Don Quichotte gegen Windmühlenflügge? Könnten wir nicht ein Optimum an Sicherheit auf Erden verwirklichen, wenn wir uns um weitgehendste Gerechtigkeit, sozialen Frieden und um ein Gemeinwesen, mit dem wir uns alle identifizieren können, engagieren würde. Die Gefolgschaft von Diktatoren und Toppterroristen rekrutiert sich ja nicht aus kriminellen Psychopaten – so wie man es immer gerne darstellen möchte – sondern aus benachteiligten oder gar geschundenen Mitmenschen, die das Leiden unter unserer Gesellschaft in die Fänge der Rattenfänger getrieben hat. Zufriedene und glückliche Menschen sind als Revolutionäre ungeeignet. Und ohne Massenanhängerschaft gibt es keine Diktatoren und Toppterroristen, denn einzelne Kriminelle können allenfalls begrenzte Schäden anrichten aber keine ganzen Länder zu „Schurkenstaaten“ machen. An einem Morgen im März 2002 war, als ich zur Arbeit kam, in der von Ludloffschen Villa der Teufel los. Auf der Straße vor dem Tor hat sich ein größer Mob von Medienheinis mit Kameras und Mikrofonen gebildet. Das Straßenbild wurde von grüner und weißer Farbe geprägt. Mühsam musste ich mich bis zum Tor durchkämpfen und mich dort sowohl ausweisen wie erklären, was ich im Inneren wollte. Na ja, der mich kontrollierende Beamte konnte über sein Funksprechgerät, was wie ein überdimensioniertes Handy wirkte, erfahren, dass man auf mich, den Haushandwerker schon warte, da ich wahrscheinlich derjenige sei, der sich im Inneren am Besten auskenne. Im Inneren der Villa traf ich dann auf ein ganzes Geschwader von staatsanwaltlichen Mitarbeitern. Die einen höflich und zu vorkommend und die anderen arrogant, wie echte Obrigkeitsvasallen. Das erste bekannte Gesicht was ich zusehen bekam war die morgendliche Schreckgestalt der Hausherrin, die sich bei den Durchsuchern den Zugriff zu ihrem Alkoholdepot erbat. Als ich dagegen die schnippische Ilka erstmalig erblickte hatte ich den Eindruck als fasse sie die ganze Sache noch als einen abwechselnden Spaß auf. Was war geschehen? Der „gute“ Heinz Hermann von Ludloff hatte in der Vergangenheit einige krumme Touren geritten. So böse Worte wie Korruption, Bestechung, Untreue, Geldwäsche und Steuerhinterziehung waren da im Gespräch. So lange er im Falle eines Falles immer wieder alles mit entsprechenden Kontobewegungen unter die Decke des Stillschweigens schieben konnte wäre kein Staatsanwalt mal auf den Gedanken gekommen da näher hinzusehen. Aber nicht weil auch diese bestechlich wären sondern weil die Wächter über Recht und Ordnung schlicht und einfach ahnungslos waren. Vögelchen, die gerade gefüttert werden, können nicht gleichzeitig singen. Das änderte sich aber als der Baumillionär und Großspekulant Osama Bin Laden seine zum Selbstmord bereiten Vasallen in die Tower des World Trade Centers fliegen ließ. Damit wurde nicht nur dieses MonumentalBauwerk zu Staub und Asche sondern auch die Börsenkurse, die zuvor schon den Mond umkreisten, rauschten herab in schon eher reale Sphären. Von Ludloff hatte zuvor hoch und risikoreich spekuliert. So ging er mit den Kursen, vielleicht noch mehr als andere, in den Sturzflug. Unter den Reichen war er zu einem Armen geworden. Aber wie geschrieben, war er nur unter den Reichen arm, mit Sicherheit hatte er immer noch mehr als Mathilde und ich im ganzen Leben einnehmen werden. Entscheidend war jetzt, dass er sein Kapital zu realen Geschäften in seinen Unternehmungen und Beteiligungen einsetzen musste um seinen privatwirtschaftlichen Abwärtstrend entgegenzusteuern. Da hatte er, wahrscheinlich aus seiner Sicht vorrübergehend, keine „freien Möpse“ für krumme Geschäfte und für Singvögelfutter. Na ja, und so wurde die Staatsanwaltschaft immer mehr mit Spickzetteln versorgt, bis diese genug hatte um aufgrund von begründeten Verdächten bei dem Richter einen Durchsuchungsbefehl für seine Büros und seine Villa sowie einen Haftbefehl gegen ihn selbst zu erwirken. In der Zeitung las ich später, dass die aufgestellten Schadenersatzforderungen und die Steuernachforderungen, abgesehen von eventuellen Strafen, das von Ludloffsche
Restvermögen deutlich überstiegen hätte. Das kann möglich sein oder auch nicht, denn Presseleute erwecken gerne den Eindruck als wüssten sie mehr als der liebe Gott. Aber richtig ist auf jeden Fall, dass das Reich der von Ludloffschen Tauschhilfsmittel wohl ziemlich zusammen gebrochen war; vielleicht war es wirklich schon zu Staub und Asche geworden. In meiner lockeren Art würde ich sagen: Was soll’s, irgendwann wird alles mal zu Schutt und Asche; nur das Leben geht erst mal weiter. Letzteres traf auf Heinz Hermann von Ludloff nicht zu. Im Laufe des Tages, als die Durchsucher noch am Werk waren, traf seine Todesnachricht ein. Irgendjemand hatte ihn am frühen Morgen von der bevorstehenden Durchsuchungsaktion in Kenntnis gesetzt und daraufhin hatte er sich gleich auf den Weg gemacht um sich abzusetzen. Auf dem bei Woppert gelegenen Sportflugplatz Geilecke hatte er ein viersitziges Privatflugzeug, ich glaube es war eine Piper, stehen. Allerdings konnte er diese nicht selber fliegen, vor lauter Geschäftemacherei hatte er natürlich keine Zeit für etwas anderes – auch nicht für eine Sportfliegerausbildung. Also hatte er sich „seinen Piloten“ dorthin bestellt und beide starteten Richtung Süden. Das angemeldete Flugziel hieß München. Aber da sind die Beiden nie angekommen. In der Nähe von Ingolstadt stürzte das Flugzeug aus zunächst unbekannten Gründen ab. Später stellte man fest, dass es, vermutlich aufgrund mangelnder Wartung, einen Maschinendefekt gegeben hat, der gepaart mit einem Pilotenfehler zum Absturz geführt hat. Auf jeden Fall scheidet jede selbstmörderische Absicht aus. Merkwürdig erschien es mir wie die Frauen des Hauses von Ludloff die Todesnachricht des Familienoberhauptes aufgenommen haben. Bei der Gelegenheit war ich zufällig anwesend. Ich war zuvor in das „Schlafzimmer des Herrn“ gerufen worden weil sich dort in einer Art Sicherungskasten umfangreiche Schaltvorrichtungen befanden, die ich nun einen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft soweit wie möglich erklären sollte. Wie so diese für die Ermittlungen wichtig waren weiß ich nicht aber es ist ja auch nicht meine Aufgabe mir hierüber Gedanken zu machen. Als ich in diesem Raum kam waren Mutter und Tochter dort bereits anwesend und auch hier entzieht sich das Weshalb meiner Kenntnis. Kurz nachdem erschien eine ältere, sehr seriös wirkende Beamtin und sprach beide Frauen an: „Meine Damen ich habe ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen. ... Nehmen sie doch bitte erst einmal Platz.“. Als die Frauen auf der Bettkante Platz gefunden hatten setzte sie mit der, vorsichtig vorgetragenen Unglücksnachricht fort. Mutter von Ludloff erstarrte erst einmal und schaute wie versteinert drein. Dann sagte sie leise: „Vielleicht ist es besser so.“. Anders die Tochter. Sie lachte erst hysterisch auf und fragte dann: „Ja, wie soll es denn hier weitergehen?“. Von richtigem Entsetzen oder Trauer war eigentlich bei beiden Frauen nichts zu merken. Die Frage, die Ilka Vanessa gestellt hatte entwickelte sich zu dem Riesenproblem der Folgezeit. Von Ludloff war sein Leben lang so eine Art Eigenbrödler und so gab es eigentlich keinen einzigen Menschen der einen umfassenden Überblick über alle seine Aktivitäten, Beteiligungen und Unternehmungen hatte. Einzig nur in die Dinge, die im unmittelbaren Umfeld seines Sitzes in Woppert geschahen, war einheitlich eine Person, sein Oberlakai Krüger, miteinbezogen? Was gehörte denn von Ludloff alles? Mit welchen Banken in welchen Ländern und Städten hatte er Beziehungen? Wie war das mit den gegen von Ludloff ausgesprochenen Verdächtigungen? Reicht das aus um sein Vermögen oder zumindestens Teile davon zu beschlagnahmen? Was ist dann mit den hinterbliebenen Frauen und dem Personal? Und so weiter und so fort. Fragen über Fragen, die anschließend in mühsamer Kleinarbeit beantwortet werden mussten. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich mit der Puzzle-Arbeit so gut wie nichts zutun hatte. Trotzdem gab es für mich persönlich noch ein paar Fragen: Wer ist jetzt eigentlich mein Brötchengeber, etwa Frau Maria Theresa von Ludloff und/oder ihre Tochter? Woher sollte denn mein Lohn kommen und musste ich überhaupt noch meinem Dienst nachkommen? Das waren Fragen, die mir auf Anhieb auch keiner beantworten konnte. Mutter und Tochter von Ludloff ließen wohl alle Fragen kalt; die machten einfach so weiter wie bisher. Das heißt die Mutter soff weiter von morgens bis abends und die Tochter hechelte weiter von Spaß zu Spaß. Lediglich die Villa kam nun nicht mehr für Fundates in Frage und daher erlebte man Ilka immer nur beim Zuhause-Vorbei-Rauschen. Für mich gab es jedoch eine Menge von Änderungen in meinem Berufsalltag. Ich bekam überhaupt keine Anweisungen mehr und musste mir meine Arbeit förmlich selbst suchen. Bei keiner Erledigung konnte ich mir selbst bestätigen, dass das was ich gemacht habe sinnvoll und nützlich war. So konnte ich auch massenweise mit dem gesamten anderen Personal plauschen. So viel, wie wir jetzt an einem Tag redeten, hatten wir die ganze Zeit vorher nicht miteinander zutun. Von unserer Plauderbereitschaft profitierte jetzt auch unsere Chefin. Sie konnte uns alle mal zu einem Plausch bei ihr bewegen. Um uns was anbieten zu können ließ sie jetzt auch Bier, Cola und Orangensaft heranschaffen und bereitstellen. So saß ich dann auch mal über zwei Stunden mit ihr zusammen und war anschließend davon überzeugt ihr einen großen Dienst erwiesen zu haben. Auf jeden Fall hatte ich den Eindruck, dass sie sich nach unserem Plausch besser fühlte. Sie hatte mich gerufen weil eine Kerzenlampe in ihrem Deckenfluter seinen Geist aufgegeben hatte. Zuvor hat sie wohl in Erinnerung geschwelgt, denn vor ihr auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum. Nachdem ich die Lampe ausgetauscht hatte fragte sie mich vornehmen ob sie mir ein Glas Bier
anbieten dürfe. Der Frage folgte eine Bemerkung, die ich ihr eigentlich nicht zugetraut hätte: „Oder ist es ihnen unangenehm mit einer fettleibigen und dazu noch trunksüchtigen abgetakelten Dame zusammenzusitzen?“. Weil mir nichts anderes einfiel antwortete ich mich nett stellend: „Hören sie mal, wie können sie so ihr Licht unter den Scheffel stellen. Sie sind doch ganz attraktiv.“. „Ja, solange der Putz drauf ist dürfte es möglich sein, dass man mich ansehen kann aber wenn der mal runter ist ... Ach, sie wissen es ja selbst.“. Ganz offensichtlich hatte sie einen Moralischen, bei dem sie ihren jungen Jahren nachtrauerte. Dafür sprach ja auch das Album, auf dass ich jetzt einen spontanen Blick warf. Sie bemerkte wohin mein Blick fiel und fuhr gleich fort: „Ja, ich war auch mal ganz gut gebaut. Bei allen Gelegenheiten scharrten sich nicht nur jüngere Männer um mich ... und dabei wollte ich gar nichts von ihnen.“. Sie reichte mir das aufgeschlagene Album rüber während ich ihre letzten Aussage mit einem „Wieso.“ konterte. In der Tat konnte ich sie auf den Bildern als eine begehrenswerte schlanke Frau ausmachen. Auf meine Frage fuhr sie jetzt so fort als wäre das, was sie jetzt sagte, die normalste Sache, die man einem Angestellten erzählt: „Mir wären Frauen lieber gewesen. Ich bin einhundertprozentig lesbisch. Männer, auch mein verstorbener Gatte, haben mich noch nie angerührt. Es ist unschicklich aus dem Schlafzimmer plaudern aber damit, dass mein Mann früher immer sagte mit mir wäre es im Bett wie mit einem Brett, drücke ich wohl genug aus. Daher war nach Vanessa Zeugung auch Schluss mit den ehelichen Beziehungen. Seitdem haben wir getrennte Schlafzimmer und uns nie in das des anderen verirrt. Er trieb es gelegentlich mit Flittchen und Dirnen und ich lebte fortan wie eine Nonne.“. „Da haben sie aber viel vom Leben verpasst“, rutschte mir so raus. Sie lachte mühsam und stöhnte: „Was heißt vom Leben verpasst? Ich habe noch nie gelebt. In jungen Jahren wollte ich immer nur mein Vergnügen und meinen Spaß haben. Ich war früher genauso wie Vanessa heute ... nur das es zu meiner Zeit kultivierter, nicht so ordinär wie bei den jungen Leuten, zu ging. Aus Spaß hatte ich keine Zeit zum Leben. Es ist ja alles so an mir vorbeigerauscht. Wären nicht die Bilder dort im Album, mit denen ich einzelne Fragmente wachrufen könnte, hätte ich kaum Erinnerungen an diese Zeit. Es flog alles nur an mir vorbei ohne dass sich etwas bei mir verinnerlichte. Selbst am Anfang unserer Ehe lief das oberflächliche Leben so weiter wie in meiner ‚Mädchenzeit’. Ich musste auf allen möglichen Empfängen repräsentieren und stand in deren Mittelpunkt. So schleichend wurde die dabei übliche Trinkerei bei mir zur Sucht und ich wurde damit immer auffälliger. Da hat mich Heinz dann aus dem Verkehr gezogen. Zu meinem Leidwesen musste ich dann feststellen, dass ich noch gar nicht gelebt hatte und ich inzwischen dazu nicht mehr in der Lage war und bin. Ich zog mich immer mehr zurück und warte jetzt praktisch schon über ein Jahrzehnt darauf, dass der Alkohol mein ungelebtes Leben auslöscht.“. „Meine Güte, es ist doch nie zu spät.“, gab ich meine Überzeugung kund, „Sie sollten mal eine Therapie machen und danach sollten sie Anteil am richtigen Leben nehmen. Das ist doch so schön und man brauch dazu so wenig. Was meinen sie wie herrlich Waldspaziergänge, sogar bei Regen, sein können. Die Natur zu genießen, die Vögel zwitschern hören, zusehen wie sich Gräser im Wind bewegen, und, und ... einfach nur die Seele baumeln lassen. Gibt es was schöneres als ein lachendes Kind oder wenn man ihm, wenn es traurig ist, die Tränen trocknen kann. Wie schön ist es wenn man mit anderen Menschen diskutieren oder plaudern kann ohne das man damit irgendetwas zu bezwecken gedenkt. Es gibt auf dieser Erde immer wieder etwas Neues zu entdecken. Das absolute Hoch der Gefühle ist es, wenn man liebt und spürt das man wieder geliebt wird. ... Alles das ist Leben und dafür ist es nie zu spät. Sie sollten einfach damit anfangen.“. Sie schaute mich mit gläsernen Augen, der man doch die Traurigkeit entnehmen konnte, an und sagte nachdenklich: „Schon zwei Mal habe ich mich in Therapie begeben. Was es gebracht hat können sie sehen. Aus lauter Spaß und Vergnügen habe ich meine ganze Lebensenergie verschossen und danach fehlte sie mir. Ich habe den Inhalt meines Akkus aufgebraucht und jede Möglichkeit es wieder aufzuladen ausgeschlagen. Mein Mann hat hier im Haus mal so eine Art ‚Runder Tisch’ veranstaltet. Es ging um seine These, dass wir es uns in dieser globalisierenden Welt auf Dauer nicht leisten könnten, teuere Produktionsmittel aus religiöser Sentimentalität nicht voll auszulasten. Er forderte eine ersatzlose Streichung des sonntäglichen Arbeitsverbot sowie die ebenfalls ersatzlose Aufgabe des Ladenschlussgesetzes. Zu diesem Gespräch erschien auch ein jüngerer Mann als Vertreter der Kirche ... ich glaube der evangelischen. Was er sagte, ist dauerhaft in mir sitzen geblieben. Er sagte nämlich, dass das Feiertagsgebot kein willkürliches religiöse Gesetz sondern eine zwingende Notwendigkeit zum Selbsterhalt und dem Bestand der Schöpfung sei. Wenn die Menschen immer nur ohne Rast arbeiten würden, würden ihre geistigen und spirituellen Fähigkeiten veröden. Sie würden immer mehr ihre kreativen Fähigkeiten und ihre sozialen Kompetenzen verlieren, da sie ihr intellektuelles Gesichtsfeld immer weiter einschränkten. Man müsse in bestimmten Abständen ab- und ausspannen um meditativ und mental wieder aufzutanken. Er hielt das Sechs-zu-Eins-Verhältnis des dritten Gebotes für ein vernünftiges Maß. Was er da in Bezug auf Arbeit meinte gilt aus meiner jetzigen Sicht auch in Bezug auf Spaß und natürlich auch für die Mischung aus Spaß und Arbeit. Und sehen sie, dieses dritte Gebot hat hier im Hause von Ludloff niemand beachtet und deshalb sind wir schon zu Lebzeiten gestorben. Zurück blieben unsere mehr oder weniger unnützen biologischen Existenzen, die nun ihr Tribut an das ungelebte Leben zahlen müssen.“.
Das hatte ich nicht erwartet, dass mir Frau von Ludloff ihre Lebensmisere mit der Missachtung des dritten Gebotes, welches im Originaltext „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle diene Werke verrichten; aber am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun“ (2 Mo 20, 9-10) lautet, begründen würde. Dabei hatte sie mir eine, auch mir bisher unbekannte Sichtweise gegeben. Im Grunde geht es nicht um ein, nur in religiöser Verehrung zu begründenden Gebot sondern um eine arterhaltende Notwendigkeit. Der Mensch ist keine Maschine die ohne Rast und Ruhe funktionieren kann sondern er muss regelmäßig geistige und körperliche Energie auftanken ansonsten erkaltet der Geist und der Körper erschlafft bis er letztlich verfällt. Naturwissenschaftler können uns bestimmt dazu auch biochemische beziehungsweise –physikalische Erklärungen liefern. Der Mensch stirbt obwohl er noch lebt. Arbeiten, im wörtlichen Sinne, traf wohl auf den verstorbenen von Ludloff zu aber den Spaß, das heißt das Konsumieren der Nebensächlichkeiten das Lebens, den Mutter und Tochter nachjagten, können wir wohl auch problemlos in diesem Sinne dem 3. Gebot zuordnen. Austoben kann man hier also beruhigt dem Begriff Arbeit zuordnen. Heutzutage herrscht offensichtlich die Auffassung, dass man an fünf Tagen tagsüber arbeiten sollte und des Nachts und an den übrigen Tagen es mit Austoben versuchen sollte. Das führt aber genauso ins Aus wie das Durcharbeiten. Aber verlassen wir jetzt mal meinen kleinen philosophischen Ausflug und kehren zurück zu meinem Plausch mit meiner Chefin. Meine Frage ob sie religiös sei, kam wohl an dieser Stelle nicht von ungefähr. Ihre Stimme klang bei ihrer Antwort nachdenklich: „Nein, ich glaube beim besten Willen nicht. Ich habe wohl erst die Thesen meines Vaters übernommen, der die biblischen Geschichten für Märchen, die für Leute, die sich mit der Realität, dass es eines Tages für immer aus ist, nicht abfinden wollen, erfunden wurden. Er führte immer gern die Schöpfungsgeschichte, die er aus der Sicht des heutigen Wissens für einen Lacher und Kracher hielt, an. Dann sprach er gern von dem Unfug der Geisterbefruchtung und jungfräulichen Geburt und über die Wundergeschichten wie Totenerweckung und erzaubern von 5.000 aus 5 Broten. Als Kind und Jugendliche hatte ich oft Momente, wo ich gern geglaubt hätte. Dann kam in mir immer die unheimliche, unerklärliche Angst vor dem absoluten Nichts, die Angst davor das mal alles zu Staub und Asche wird, auf. Da hätte ich mich gern mit Religion getröstet. Später, in meinen wilden Jahren hatte ich überhaupt keine Zeit über so etwas nachzudenken. Der massenhafte Spaß verdrängte jeden Gedanken an das Sein und dessen Sinn. Und heute, wo ich ein Wrack bin schreckt mich der Gedanke ewig leben zu müssen sogar. Irgendwie bin ich froh, wenn es vorbei ist. Leben ist für mich Leiden.“. Damit hat sie den Missionar in mir geweckt. Ich versuchte ihr klarzumachen, dass die Bibel bestimmt kein vom Himmel gefallenes Buch, was man wie einen Roman lesen könne, sei. Darin hätten Menschen, den sich Gott geoffenbart hätte, in tiefer Gläubigkeit geschrieben. Sie hätten alles so niedergeschrieben wie sie und insbesondere die anderen Menschen ihrer Zeit es verstehen konnten. Dabei hätten sie sich der, auch den Hebräern und Juden zueignen Erzählkunst bedient und in Bildern und Gleichnissen geschrieben. Wichtig sei die klare, immer gleiche Aussage, der Konsens, die auch durch die aufgeklärte, wissenschaftliche Brille bestand habe. Aus meiner Sicht sei es unwichtig ob sich die Geschichten, so wie sie in der Bibel stehen, tatsächlich so zugetragen hätten oder nicht sondern es käme darauf an, was uns mit diesen gesagt werden sollte. Ich berichtete ihr, dass ich beim Glaubensbekenntnis im Gottesdienst die Passage, die sich auf die jungfräuliche Geburt bezieht, nicht mitbeten würde weil ich da auch nicht daran glauben würde. Unbestreitbar sei aber für mich, dass dieser Jesus aus Nazareth Gottes Sohn sei. Ich sprach von meiner Überzeugung, dass Gott die Welt durch die Verbindung des Chaos – Materie und Energie – mit seinem Wesen – Geist und Leben – geschaffen habe. Eines Tages, so glaube ich, wird alles wieder zu dem aus was es geworden ist. Der Körper verfällt, wie alles andere, wieder in Staub und Asche aber die Seele, die aus dem Wesen Gottes geworden ist, wird wie er ewig leben. Jetzt käme alles darauf an womit die Seele angereichert worden sei. Wenn sie nur mit vergänglichen irdischen Gütern und Vergnügen angereichert ist, dann dürfte die Ewigkeit die Hölle sein. Ist sie aber mit Liebe, Glück und Zufriedenheit angereicht, dann ist die Ewigkeit unbeschreiblich wunderbar, dann brauch einen der Gedanken an die Ewigkeit nicht zu schrecken. Frau von Ludloff hörte mir geduldig zu. Sie vergaß dabei sogar das „Nachtanken“ und stellte auch mal diese oder jene Zwischenfrage. Von da an, bat sie sich mich täglich zu einem längeren Gespräch zu sich und immer wieder brachte sie dabei von sich aus das Gespräch auf die Religion. Jetzt kann ich natürlich nicht sagen ob ich in ihr etwas bewegt habe, denn äußerlich änderte sich nichts bei ihr. Sie soff weiterhin von morgens, wenn sie ihren umfangreichen „Morgenputz“ machte, bis abends, wenn sie förmlich aus den Pantoffeln kippte. Aber Glaube ist ja etwas, was sich in unserem tiefsten Inneren abspielt und von anderen Menschen nicht beurteilt werden kann. Während unserer Unterhaltungen erfuhr ich dann auch, dass Frau von Ludloff schwer krebskrank war und ihr Arzt, der sie zwei Mal die Woche besuchte, ihre Lebenszeit nur noch auf ein halbes bis höchstens ein ganzes Jahr einschätzte. Sie erzählte mir, dass sie stets und ständig unter starken Schmerzen leide und sich diese auch nicht mit Alkohol betäuben ließen. So war ich das erste Mitglied des Personals, der erfuhr, dass sie auf einen freien Platz in einem bestimmten Sanatorium warte und sie wüsste, dass sie dieses nicht mehr lebend verlassen
würde. Wenn es soweit sei, wäre es natürlich auch mit dem bisherigen Leben in der Villa vorbei. Ilka Vanessa, die sich letztlich nicht einmal mehr zu Hause blicken ließ, würde daran überhaupt kein Interesse haben. Außerdem sei unklar, ob sie diese, wenn die Geschichte ihres Vaters aufgearbeitet ist, überhaupt behalten und insbesondere unterhalten kann. Ich erfuhr, dass Krüger, auch auf gerichtliche Anordnung, beauftragt sei für die Villa einen Käufer zufinden und dass dieser praktisch die vorsorgliche Kündigung des Personals verschlafen habe. Letzteres war Frau von Ludloff im Grunde ganz recht, da sie glaubte, dass in der derzeitigen Situation ein verlassenes Haus, in dem sie alleine hauste, für sie eine vorgezogene Hölle gewesen sei. Vierzehn Tage nachdem sie mir dieses berichtet hatte war es dann Ende April soweit: Frau von Ludloff kam in ein bayerisches Sanatorium, in dem sie im November letzten Jahres verstarb. Weder von ihr noch von ihrer Tochter Ilka Vanessa habe ich seit jenem Tag noch mal etwas gehört. In meinen Erinnerungen werden Mutter und Tochter die Menschen, die aus Spaß keine Zeit zum Leben hatten, bleiben. Gleich an dem Tag, der dem folgte, als Frau von Ludloff das Haus verließ, erhielten wir alle unsere Kündigung zum 30. Juni 2002 und wurden umgehend von der Arbeit freigestellt. Offiziell war ich nur ein dreiviertel Jahr – in Wirklichkeit war es ja noch kürzer – in der Villa tätig und habe dabei mehr erlebt als in über 25 Jahren Schuldienst zuvor. Zum Schluss gab es noch ein weiteres neues Erlebnis für mich: Die Arbeitslosigkeit. Ein paar Mal habe ich mich gefragt, ob ich nicht ein Superdepp gewesen bin als ich mich aus der sicheren Beschäftigungs-Hängematte des öffentlichen Dienstes auf die freie Wildbahn begab. Aber was soll’s, überbelastet hat mich diese Frage nicht. Schließlich arbeite ich um zu leben und ich lebe nicht um zu arbeiten. Inzwischen brauche ich mir aber auch dahingehend keine Gedanken mehr zu machen, denn im April 2003 tritt die Küsterin unserer Kirchengemeinde in den Ruhestand und das Presbyterium hat sich inzwischen für mich als ihren Nachfolger entschieden. Ich verdiene zwar einiges weniger als zuvor aber zum Leben reichst – und das ist das Wichtigste für Mathilde und für mich.
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Stirb wenn du nicht mehr kannst Alle guten Dinge sind Drei. Das ist so ein salopper Spruch aus dem Volksmund, der, wie alle Aussagen dieser Genre, mal zutrifft und meistens nicht. Was die Zahl der Ehen anbelangt werde ich diesen kommenden Mittwoch, dem 5. März 2003, also am Aschermittwoch, in die Tat umgesetzt haben. Und dieses obwohl ich bestimmt keine gute Partie bin. Nicht nur das zwei Scheidungen hinter mir liegen; nein, ich bin auch noch ein Pleitier mit einer Minirente, die ohne meiner Zukünftigen durch die Stütze aufgestockt werden müsste. Das ich, der in die Pleite gegangene Exbauunternehmer Bernd Grimmer, mit meinen stolzen 60 Jahren noch mal eine Arbeit finden würde, ist doch eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Aber nicht das man jetzt glaubt, dass ich mir die sechs Jahre jüngere Witwe Regina Stolz zu meiner Altersversorgung an Land gezogen hätte. Es war umgekehrt, Regina hat sich mich, trotz aller negativen Vorzeichen, geangelt und will mich ganz aus freien Stücken – oder sagen wir es mit ihren Worten: aus Liebe – unterhalten. Na ja, meine Romanze mit Regina möchte ich hier erzählen und so kommt gleich alles schön der Reihe nach. Bevor es aber mit meiner Lovestory losgeht sollte ich zum besseren Verständnis erst einmal meinen Lebenslauf und dann auch noch kurz die Geschichte des Bauunternehmens, welches ich von meinem Vater erbte, loswerden. Also, am 17. Juni 1942 erblickte ich in dem kleinen Städtchen Neuholzhausen das Licht der Welt. In dem Jahr, als die „gute alte D-Mark“ im Umlauf gebracht wurde, also 1948, wurde ich in die Evangelische Volksschule zu Neuholzhausen, wie könnte es anders sein, eingeschult. Zur Halbzeit, also nach dem vierten Schuljahr, wechselte ich dann zur Realschule in unserer Nachbarstadt Elbers, um diese dann 1958 mit der sogenannten „Mittleren Reife“ wieder zu verlassen. Bei einem Kollegen meines Vaters in Elbers ging ich dann in die Maurerlehre. 1961 trat ich als inzwischen 19-jähriger dann in das Unternehmen meines Vaters ein. Dort war ich wohl der Sohn des Chefs aber ich bekam dort gegenüber den anderen Maurern keine Extrawurst gebraten. Der Junior, wie man ihn in Unternehmenskreisen versteht, war ich eigentlich erst nachdem ich 1966 meine Maurermeisterprüfung abgelegt hatte. Im gleichen Jahr, also Anno 66, habe ich auch das erste Mal geheiratet. Karin, meine erste Frau, war die Tochter meines Lehrherrn und daher kann man schon ahnen, dass unsere Väter bei unserer Verbindung auch, allerdings gut gemeint, mitmischten. In dem wilden Jahr, von dem so manch ehemaliger Alternative, heute noch verklärt träumt und das bürgerlich konservative Zeitgenossen heute noch für die Entfesselung eines Kulturchaos erachten, also 1968, wurde unser Sohn Thomas geboren. Auch das Jahr 68 ist in meiner Lebenschronik doppelt besetzt. Da lagen Glück – die Geburt unseres Sohnes – und Leid – der Tod meines Vaters – nahe beieinander. Zwei Monate nach der Geburt unseres Sohnes verstarb mein Vater und ich wurde der Boss im Bauunternehmen. Ab da ging es auch mit unserem Eheglück langsam bergab. Karin und ich lebten, eigentlich sogar harmonisch, nebeneinander her. 1975 hatte sie was Besseres wie mich gefunden und wünschte die Scheidung, die 1976 ausgesprochen wurde. Ein Rosenkrieg, wie er bei solchen Gelegenheiten üblich erscheint, hat bei uns allerdings nicht stattgefunden. Jetzt dauerte es zehn Jahre bis auch ich mich das zweite Mal unter die Haube traute. Zwischen 1976 und 86 hatte ich drei, allerdings nur kurzfristige Partnerschaften. Die längste dauerte knapp ein halbes Jahr. Aber dann war es wieder soweit, ich heiratete Cornelia, meine Zweite, die ich über eine Kontaktanzeige kennen gelernt hatte. Man sollte sich die Frauen, mit denen man sich für immer binden will, doch näher anschauen. Cornelia war auf der einen Seite immer nett und eine Wucht im Bett aber auf der anderen verlogen und manisch verschwenderisch. Was die in den drei Jahren, in denen wir verheiratet waren, an Schulden anhäufte lässt mir heute noch die Augen überlaufen. Aber jetzt keinen falscher Schluss: Daran ist das Bauunternehmen nicht unter die Pleitegeier gefallen, das hatte ganz andere Gründe. Auf jeden Fall wurde 1989 Cornelias vierte und meine zweite Ehe wieder geschieden – und da nach hatte ich die Nase voll; ich wollte nicht mehr. Nun ja, bis zu meinem Pleite im Jahre 1999 habe ich mir zwar dieses oder jenes Liebesabenteuer gegönnt, aber zu mehr wie zu einem Abenteuer kam es nie, bis ... Warten wir es ab, das ist ja dass, was ich erzählen will. Dann will ich jetzt wie versprochen erst einmal die Geschichte des Bauunternehmens Grimmer erzählen. Diese Geschichte bringt uns gleich nahtlos zu unserer eigentlichen Story. Also dieses Unternehmen hatte mein Vater, der, genau wie mein Großvater und auch ich, Maurermeister war, in den 50er-Jahren aufgebaut. Mein Vater war kein Unternehmertyp wie man dieses heutzutage so gerne lobt und daher ist der „Laden“ auch immer klein geblieben. In dem Unternehmen, was sich ausschließlich mit Eigenheimbau beschäftigte, waren immer so zirka zwanzig Leute beschäftigt. Alle Mitarbeiter arbeiteten lange Zeit in dem Betrieb, in dem stets ein gutes Betriebsklima herrschte. Mein Vater arbeitete stets gut mit dem Architekt Ernst Schulte, der gerne von Siedlern beauftragt wurde, zusammen. Warum sollte ich, nachdem ich das Geschäft 1968 übernommen hatte, daran was ändern und so habe auch mit Schulte, bis er 1972 in den Ruhestand trat, zusammengearbeitet.
Schultes Sohn Horst hatte eine Bauträger-Gesellschaft gegründet und von dem bekam ich dann meine Aufträge und es verlief weiter famos bis 1993. In jenem Jahr 93 kam Horst bei einem tragischen Autounfall ums Leben. Seine Bauträger-Gesellschaft wurde von Horsts Erben – seine Frau und Kinder – an den Juristen Frank Scheuermann verkauft und das war für mein Unternehmen der Anfang vom Ende. Scheuermann war und ist in meinen Augen ein echtes Ekel. Das ist so ein aalglatter Schlipssoldat, der den Hals von Geld nicht voll kriegen kann. Vor der Auftragsvergabe versuchte er immer ein Unternehmen gegen das andere auszuspielen. So war es ihm gelungen einen Keil zwischen meinem Exschwager, mit dem ich, obwohl ich schon lange von Karin geschieden war, immer einen guten Kontakt hatte, zu schieben. Na ja, diesen Zwist konnten wir letztlich doch wieder ausräumen aber schön war es trotzdem nicht. Das Schlimmste an der Type war aber seine Einstellung zum Zahlungsverkehr. Seine Kunden, also die Häuselbauer, setzte er permanent unter Druck und zockte denen oft schon das Geld ab bevor überhaupt geleistet wurde. Wenn er aber zahlen sollte, dann lief das extrem gegensätzlich ab. Erst handelte er mit, teilweise enorm konstruierten Mängelrügen unsere Forderungen runter und auch dann zahlte er nur Teilbeträge nach der dritten Mahnung beziehungsweise nach einem Mahnbescheid. Das ging enorm an die Potenz des Unternehmens. Schließlich hatten wir ja einiges vorfinanziert: Baumaterial, Löhne und so weiter. Ich glaube mein Beschluss, von Scheuermann keine Aufträge mehr anzunehmen, war richtig sonst wäre ich schon 1995 über die Wupper gegangen. Ich hatte es ohnehin schon zu lange laufen lassen, denn wir waren schon enorm finanziell angeschlagen. Man könnte wirklich sagen: Besser keinen Auftrag als einen von Scheuermann. Genau das war dann zunehmenst mein Problem. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre wurden Bauaufträge immer knapper – und wenn, gingen sie an Dumper, die nur Untertarifsklaven beschäftigen. So ging es kontinuierlich bergab bis ich Ende 1999 nur noch Schüttelschecks ausstellen konnte. Sie kennen doch Schüttelschecks? Das sind diejenigen, die man gelassen ausstellen kann, denn der Bankfiosi, den sie diesen vorlegen, schüttelt sowieso nur verneinend den Kopf. Allerdings betraf das auch mich, den Aussteller selbst. Ich bekam nichts mehr von meiner Bank. Ich war zahlungsunfähig – oder sagen wir es lateinisch: insolvent. Das sagt sich alles so locker, insbesondere im Hinblick darauf, dass das Unternehmen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, kurz GmbH, war. Da tönen doch oft die Leutchen ganz naiv daher, dass eine solche Gesellschaft nur mit ihrem Stammkapital haften würde. Aber gehen Sie mal mit einer solchen Einstellung zur Bank und erzählen dem Bankfiosi, dass Sie einen Kredit haben wollen. Da bekommt ein Alleingesellschafter einer GmbH auch nur dann einen müden Euro wenn er diesen entweder mit Vermögensgegenständen in dem Laden oder mit seinem Privatvermögen absichert. So waren mein privates Häuschen sowie meine Anlagen und Versicherungen, die ursprünglich eigentlich als Alterssicherung gedacht waren, schon etwas längere Zeit in den Sicherungsklauen der beiden Hausbanken. Wenn immer unmittelbar gehandelt würde, hätte ich am Tage, wo ich die Insolvenz angemeldet habe, mit dem Koffer in der Hand, ohne eine schlappe Mark – den Euro hatten wir damals noch nicht als Zahlungsmittel – in der Tasche, auf der Straße gestanden. Zum Glück schießt Santa Justitia nicht so schnell. Ich habe noch zirka ein halbes Jahr in meinem ehemaligen Haus, das erst etwa ein Jahr später erstmalig unter dem Hammer kam, gewohnt. Na ja, Einkünfte hatte ich dann in diesem halben Jahr auch noch, da mich der Insolvenz-Verwalter als abwickelnden Betriebsleiter beschäftigte. Unser letzter Auftraggeber, ein Bauherr eines kleinen Zweifamilienhauses, hatte Glück. Mit Zustimmung meiner Gläubiger konnte dieser Auftrag vom Insolvenzverwalter an meinem Exschwager, der auch später für eventuelle Gewährleistungsansprüche gerade stehen wollte, übergeben werden. Leider haben die meisten Bauherren nicht ein solches Glück und werden dadurch in den Sog der Pleite des Bauunternehmens gezogen. Natürlich hielt der Insolvenzverwalter Ausschau nach jemanden, der das Unternehmen insgesamt übernehmen wollte aber darauf hat auch niemand „Hier“ gerufen. Letztlich kam später alles in Einzelteilen unter dem Hammer. Das Lebenswerk meines Vaters, und in Folge auch meins, löste sich so also in Einzelteile auf. Aber was soll’s, schließlich wird ja früher oder später alles wieder zu Staub und Asche. Wichtiger war mir in dieser Zeit die Frage wie es mit mir weitergehen sollte. Ich hatte keine Rücklagen, auf die ich hätte zurückgreifen können, mehr. Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung hatte ich als Exselbstständiger natürlich auch nicht. Jemand, der mir hätte Unterhalt zahlen können, sah ich damals auch nicht. In diesem Punkte sollte ich mich allerdings getäuscht haben, was dann später, als ich beim Sozialamt war, für ein Wenig Spannung sorgte. Rente musste erst beantragt und bewilligt werden und im Übrigen konnte da nicht viel herauskommen, da ich offiziell nur 10 Jahre, von 1958 bis 1968, einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgekommen bin und davon auch noch 3 Jahre als Ausfallzeit gewertete Ausbildungszeit waren. Das sogenannte „Lehrgeld“, was wir damals erhielten, war ja nicht in der Höhe, dass davon Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden mussten. Ja, und meine privaten Rücklagen für meine Alterssicherung hatte der Geier gefressen, das heißt, dass sie in den Händen meiner Gläubiger waren. Ob sich unsere Sozialpolitiker und Kommissionsprofessoren, wie Hartz und Rürupp, mit ihren beamtensicheren Einkommen überlegt haben, wenn sie das Heil in privater Vorsorge und Ich-AGs suchen oder wenn sie diese 325-Euro-Loddelchen, die sie jetzt auf 400 € aufgestockt haben, propagieren? Wer, zum Beispiel als zuverdienender Hausmann oder –frau ein arbeitslebenlang diesen 325-Euro-Loddelchen nachkommt hat später keinen eigenen Rentenanspruch. Wenn mit dem selbstständigen oder freiberuflichen Ehepartner etwas passiert, kann
man nur rufen „Sozialamt die Türe auf, Arbeitsmarktsklaven kommen im Dauerlauf“. Private Vorsorge haben ja auch den Riesenvorteil, dass regelmäßig Prämien gezahlt werden müssen. Was ist, wenn diese von einem Betroffenen nicht mehr aufgebracht werden können? Was ist, wenn so eine Ich-AG – übrigens das Unwort des Jahres 2002 – nach längerer Zeit in die Hose geht? Passiert das Unglück schon nach kurzer Zeit, ist es ja halb so schlimm, denn dann ist halt außer Schulden nichts gewesen. Mein Fall ist sicher ein Einzelfall aber er ist gar nicht so selten. Zur Zeit kann man nur noch bei Beamten von einer hohen Wahrscheinlichkeit für einen geradlinigen beruflichen Lebenslauf ausgehen aber alle Expertenberechnungen gehen von dieser Gradlinigkeit aus. Das kann letztlich auch volkswirtschaftlich ganz schön in die Hosen gehen, denn alle, bei denen es schief geht, landen, wenn sie der Empfehlung „Stirb wenn du nicht mehr kannst“ nicht nachkommen, bei der Stütze. Im schlimmsten Fall haben wir dann dank niedriger Sozialversicherungsbeiträge, die man letztlich noch ganz auf die Arbeitnehmer abdrücken kann, ein weltmarktfähiges „Lohnnebenkostenniveau“ und bankrotte öffentliche Haushalte, da Sozialhilfeleistungen und Beamtenpension alles auffressen. Dann können wir auch im Hinblick auf unseren Staat sagen, dass alles mal wieder zu Staub und Asche wird. Aber lassen wir das mal alles, ich bin ja kein Politikus, der zum Sozialversicherungsexperten berufen wurde – ich setze stattdessen lieber nur meinen gesunden Menschenverstand ein. Ich hatte damals ja auch ganz andere Probleme zu lösen. Ich brauchte ein Dach über den Kopf, also führten mich meine Wege zum Wohnungsamt und zur Neuholzhausener Wohnungsgenossenschaft. Das Problem war schnell gelöst. Ich bekam zum 1. Februar 2000 ein 1½-Zimmer-Appartement in der Adenauerstraße 29 – natürlich sozialer Wohnungsbau. Danach trat ich beim Sozialversicherungssamt hinsichtlich eines Rentenantrages an. Da wurde dann eine längere Geschichte raus, bei der es zu weit führen würde, wenn ich diese jetzt hier erzählen würde. Auf jeden Fall bekomme ich seit Mitte 2001 eine Rente, die ich von der Höhe her früher als Taschengeld bezeichnet hätte. Des weiteren standen Arbeitsamt und die Stütze für mich an. Dass das Arbeitsamt nichts für mich tun konnte, war mir schon klar bevor ich hinging. Aber einerseits ist ja die Dokumentation, dass man eine Arbeit aufnehmen möchte, eine Voraussetzung um Hilfe zum Lebensunterhalt zu bekommen und andererseits musste ja der Nachweis, dass ich nicht mehr vermittelbar sei, für das „vorgezogene Altersruhegeld“ amtlich erbracht werden. Mein Gang zur Stütze sollte dann zu dem führen, was ich hier für erzählenswert halte. Als ich im April 2000 beim Sozialamt, bei der für mich zuständigen Sachbearbeiterin, vorsprach erlebte ich erst eine Überraschung und dann machte sich eine Art innere Enttäuschung breit. Da saß eine Dame, die ich aus der Adenauerstraße kannte. Sie wohnte ein paar Häuser weiter wie unser Wohnblock und dort hatte ich sie schon ein paar Mal gesehen und bewundert. Unser Hausmeister erzählte mir, dass diese Dame erstens die Besitzerin des Zweifamilienhauses in der Adenauerstraße 41 sei, zweitens das sie Witwe sei und drittens bei der Stadt arbeitete, wovon ich mich ja jetzt überzeugen konnte. Diese jugendlich wirkende Anfangfünfzigerin hat wirklich eine tolle Figur. In der Regel trägt sie Röcke oder Kleider, was man bei ihrem Fahrgestell, dass selbst jüngeren Mädchen zur Ehre gereicht hätte, auch nachvollziehen kann. Wäre doch zuschade, wenn diese Beine in Hosen versteckt würden. Ihre langen mittelblonden Haare trägt sie locker und lässt sie mit ihrer Bewegung schwingen. Das sie hübsche blaue Augen in ihrem klaren Gesicht hat, konnte ich erst beim Besuch im Amt feststellen. Die Fachangestellte händigte mir nicht, wie auf den Ämter allgemein üblich, die einschlägigen Formulare mit der Bitte um Ausfüllung aus sondern machte sich gleich daran, diese verbunden mit einem Frage- und Antwortspiel auszufüllen. Natürlich hatte sie zuvor gefragt ob mir dieses recht sei. Das war mir schon aus dem Grunde, dass sich dadurch die Zeit, die ich bei ihr sein konnte, verlängerte, mehr als recht. Zu meinem „Erstaunen“ schrieb sie meine Anschrift automatisch, lediglich nur mit der Frage ob ich außer Bernd noch weitere Vornamen habe, auf. Währenddessen schaute sie mich lächelnd an und ich fragte: „Sie scheinen mich ja gut zu kennen“. „Sicher, Herr Grimmer,“, antwortete sie, „wer kennt in Neuholzhauen den Bauunternehmer Bernd Grimmer nicht. Und dass sie bei uns in der Straße im Haus 29 eingezogen sind, ist mir auch nicht entgangen. ... Und ich bin ihnen sicherlich auch nicht entgangen, denn sie schauen ja gerne hinter mir her.“. „Oh, entschuldigen Sie,“, fuhr ich erschrocken fort, „ich will sie bestimmt nicht belästigen. Aber ich finde sie sehr nett und das zieht meine Augen magnetisch an. Da brauchen sie aber nichts zu befürchten, denn ich weiß was sich gehört.“. Mit „Ach, sie brauchen sich nicht entschuldigen. Welche Frau sieht es schon ungern, wenn sie eine solche Aufmerksamkeit erregen kann?“ schloss sie das kurze private Intermezzo ab und ging mit mir das Formular weiter durch. Ihre konstante Freundlichkeit und das eben beschriebene Intermezzo weckten die zuvor bereits erwähnte innere Enttäuschung. Wie gerne hätte ich mit dieser Frau angebändelt. Aber welche Frau ist schon von einem Stütze empfangenden Pleitier begeistert? Warum sollte sie sich von einen Bewohner eines Sozialbunkers anlachen lassen? Mensch, was wäre das schön gewesen, wenn sie mir, als ich noch Bauunternehmer war, begegnet wäre. Jetzt dürfte ich wohl null Chancen haben. Aus diesen Gedanken wurde ich jäh gerissen, als sie nach Namen und Anschrift meiner Kinder fragte. „Warum denn solches?“, fragte ich entsetzt zurück. „Ja, laut Bürgerlichen Gesetzbuch § 1601 und folgende sind Eltern und Kinder zeitlebens gegeneinander unterhaltspflichtig. Jetzt müssen wir ihren Kindern eine sogenannte Wahrungsanzeige schicken und prüfen ob die nicht in der Lage sind ihren Unterhalt zu gewährleisten.“. „Ach,“, erwiderte ich ihr, „ich bin seit 1976 von meiner Frau geschieden. Da
kann es doch nicht angehen, dass unser Thomas für mich Unterhalt zahlen muss.“. Sie schaute mich an und fragte: „Haben sie denn für ihren Sohn immer den Unterhalt gezahlt?“. „Ja natürlich,“ antwortete ich, „sogar bis 1993 ... Da hatte er ausstudiert und seinen ersten Job angetreten.“. „Das ist es eben.“, erwiderte die Sachbearbeiterin, „Der Generationsvertrag gilt in beide Richtungen. Sowohl nach Unten wie auch nach Oben. Eltern müssen für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern sorgen. Nur wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen wären brauchte auch ihr Sohn nicht zu zahlen weil man dann Undank im Sinne des BGB unterstellen könnte.“. „Ach du Schitt,“, rutschte es mir heraus, „wie komme ich da nur wieder raus?“. Lächelnd sah sie mich an: „Sie müssen eben wieder heiraten. Dann gehen die Ansprüche von ihrem Sohn auf ihre Frau über. Wir sind doch emanzipiert. Wenn ein Mann für seine Frau sorgen kann, kann die das doch auch umgekehrt.“. „Würden sie mich denn heiraten?“, fragte ich jetzt etwas erstaunt und erhielt die Antwort: „Warum denn nicht? Es kommt doch auf den Menschen und nicht auf den sozialen Status, in den man auch noch ohne Schuld gerutscht ist, an.“. Da dachte ich mir, dass sich so etwas leicht theoretisch aussprechen lässt aber leider praktisch alles anders aussähe. Mein Besuch beim Sozialamt fand an einem Freitag statt. Am Samstagmorgen begegnete ich der Sachbearbeiterin wieder. Ich war gerade auf dem Weg zu ALDI, um mir Dinge für meinen täglichen Bedarf zu besorgen, als ein hellblauer Polo neben mir stoppte und mich die Fahrerin fragte: „Herr Grimmer, wenn sie einkaufen wollen, dann können wir uns zusammentun. Sie brauchen dann nicht zu laufen und ich habe jemand der mir helfen könnte. Ich will mir nämlich aus dem Supermarkt einen Fernseher mitbringen und beim Transport könnte ich ganz gut männliche Hilfe gebrauchen.“. Ich ließ mich überreden und stieg zu der Sachbearbeiterin in den Wagen. Oh, was war das für mich ein schönes Gefühl, dass von der Fahrerin durch ihre Bemerkungen noch gesteigert wurde: „Herr Grimmer, ich hatte ihnen doch gestern gesagt, dass mir aufgefallen sei, dass sie mir gerne nachschauen. Was meinen sie, warum mir das aufgefallen ist? ... Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen gebe ich ihnen gleich die Antwort: Ich bin, ganz ehrlich gesagt, auch hinter ihnen her. Seien sie mir bitte nicht böse aber ich bin des Alleinseins satt und sie gefallen mir sehr. Ich kenne sie vom Ansehen ja schon länger aber als ich sie bei ihrem Einzug in der Adenauerstraße sah machte es plötzlich klick. Sind sie mir jetzt böse?“. Wie kann man nach einer solchen Aussage böse sein? Da konnte ich jetzt auch vorpreschen: „Ach Frau Stolz, ich hatte gestern, als ich bei ihnen war ein Riesenproblem. Als ich zu ihnen ins Büro kam, stellte ich fest, dass sie die Frau waren, bei der es bei mir vor Kurzem ebenfalls Klick gemacht hatte. Gerne hätte ich sie erobert musste aber einsehen, dass sie bestimmt nicht auf mich armen Schlucker gewartet haben.“ „Schön wäre es ja“, stöhnte ich noch hinter her. Inzwischen waren wir auch schon auf dem ALDI-Parkplatz angekommen aber Frau Stolz machte noch keine Anstalten um auszusteigen: „Wir sind doch keine Kinder mehr und daher können wir doch ruhig ein offenes Wort miteinander reden. Mein Mann verstarb vor vier Jahren, ausgerechnet auf meinem 48. Geburtstag, an einem plötzlichen Herztod. Er hat mir das Haus und auch noch ein kleines Vermögen hinterlassen. Da brauche ich bei den Männern nicht aufs Portemonnaie zuschauen, insbesondere da ich mit BAT V c ja auch selbst nicht schlecht verdiene. Da kann ich mir eigentlich den ‚Kerl’ aussuchen der mir gefällt. Und sie sind derjenige, der mir gefällt. Wollen wir nicht Partner werden? ... Sagen sie bitte ja, dann bin ich nicht mehr so allein und kann auch mal wieder Liebe verspüren.“. Bei den letzten Worten sah sie mich richtig flehend an. Ich war fast im Begriff sie zu küssen aber da fiel mir doch mein Unbehagen wegen der Öffentlichkeit auf dem Parkplatz auf. Und deshalb sagte ich: „Beinahe hätte ich dich geküsst. Daraus kannst du schließen, dass ich Ja sage. ... Mir geht es übrigens wie dir. Ich möchte auch gerne dem Alleinsein entfliehen und etwas Liebe empfinden. ... Wie heißt du eigentlich mit Vornamen?“. „Regina“, sagte sie nett mit einem Lächeln und fuhr fort: „Dann lass uns jetzt erst mal einkaufen. Danach kommst du mit mir nach Hause und dann sehen wir weiter.“. Jetzt griff sie zum Türgriff aber wandte sich mir noch einmal zu: „Kauf aber fürs Wochenende nicht zuviel ein, denn ich möchte dich einladen.“. Das war alles ein Bisschen schnell gegangen aber ich muss sagen, dass es mich sehr, sehr glücklich machte. Schließlich war es schon fast nicht mehr wahr, dass ich jemals eine Partnerin hatte. In dem bis jetzt vorgelegten Tempo sollte es noch ein Weilchen weitergehen. Nach dem Einkauf ließ mich Regina vor dem Haus 29 aussteigen damit ich meine Sachen raufbringen konnte. Sie bat mich aber dass ich danach gleich zu ihr käme, insbesondere um ihr den Fernseher vom Auto ins Wohnzimmer zu transportieren, den ich dann dort auch gleich aufstellen sollte. Das tat ich dann auch prompt und als ich den Fernseher auf das vorbestimmte Tischen gestellt hatte fragte sie ob sie uns erst einen Kaffee machen solle und ob ich ihr den Fernseher anschließend gleich einstellen könnte. Während ich mich mit dem Bedienhandbuch auf der Couch niederließ entschwand sie in die Küche um uns den Kaffee zu kochen. Nachdem sie die Kaffeemaschine angeschmissen hatte, kam sie erst mal mit zwei Tassen und den dazugehörigen Untertassen wieder um sie nebeneinander auf der Couchseite des Tisches aufzustellen. Dabei schaute sie mich freundlich an und fragte: „Wolltest Du mich nicht auf dem ALDI-Parkplatz küssen? Hier gibt es keine Öffentlichkeit. ... Also, was hindert dich jetzt noch daran?“. Sie hatte noch nicht ausgesprochen als sie sich dicht zu mir auf die Couch setzte. Ich ließ mir diese Sache nicht zwei Mal sagen und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit konnte ich mal wieder verspüren, wie wohlig es ist mit einer netten Partnerin einen Zungenduell auszutragen. Das kann wohl jeder
Mann nachvollziehen, dass dabei zwangsläufig die Wünsche nach mehr hochkochen. Möglicherweise ist das bei Frauen genauso, aber das kann ich, weil ich noch nie mit der Seele einer Frau empfunden habe, nicht behaupten. Auf jeden Fall machten sich meine Arme und Hände selbstständig und begannen damit Regina zu entkleiden. Ihren Oberkörper und damit ihre wohlgeformten, immer noch sehr strammen Busen hatte ich bereits freigelegt als Regina erst einmal von der Ratio eingeholt wurde. Das heißt mit anderer Worten, dass sie sich nun erst einmal um den Kaffee kümmern wollte. Oben ohne entschwand sie erst einmal in die Küche, um mit dem Kaffee und ganz ohne wieder zu erscheinen. Jetzt sollte aber des Schreiberlings Höfflichkeit zum Schweigen zwingen. Ich wollte ja auch nur etwas von dem Tempo, wie Regina und ich zusammengeprasselt sind, wiedergeben. So etwas ist eigentlich typisch für ein schnelles Abenteuer aber für uns war es der Beginn einer dauerhaften Beziehung, die, wie ich schon anfangs schrieb, nächsten Mittwoch in meiner dritten Ehe münden soll. Und diesmal habe ich das Gefühl, .... nein, Gefühl ist falsch denn ich bin der Überzeugung – dass es diesmal wirklich hält, bis das der Tod uns scheidet. Diese Gewissheit beziehe ich daraus, dass ich noch nie im Leben soviel Übereinstimmung und Harmonie, wie dieses mit Regina der Fall ist, empfunden habe. Nachträglich muss ich auch sagen, dass Reginas Vorpreschen anstelle einer romantischen Entwicklung der Beziehung absolut richtig war. Ich glaube, dass ich, wenn es nicht so wie ein Orkan über mich gekommen wäre, hinsichtlich meiner doch kläglichen sozialen Situation einen Rückzieher gemacht hätte. Regina beteuert mir immer wieder, dass ihr meine Lage völlig egal sei. Für sie sei der Mann, den sie für sich vorbestimmt hält, das einzig entscheidende Kriterium. Wenn es nach Regina gegangen wäre, hätte ich schon an diesem Samstag von der Adenauerstraße 29 in das Haus 41 umziehen können. Und am darauffolgenden Montag hätte ich beim Sozialamt erscheinen können um meinen Antrag zurückzuziehen, da die zuständige Sachbearbeiterin für meinen Unterhalt aufkommen wolle. Das war mir dann doch etwas zu schnell, bei dem Tempo hätten mir doch die Knie allzu sehr geschlockert. So „wohnte“ ich dann regelmäßig ab Freitagsabends bis zum späten Sonntagabend bei ihr und während der Woche war ich dann der Bewohner meines Strohwitwer-Appartements. Das heißt nicht, dass wir „nur“ eine Wochenendpartnerschaft führten sondern wir waren Tag für Tag zusammen. Wir besuchten uns gegenseitig und gingen auch hin und wieder gemeinsam aus; mal in ein Restaurant, mal ins Kino oder Theater oder auch mal zum Tanzen in ein Etablissement für die reifere Jugend. Selbst wenn Regina am Abend mal andere Verpflichtungen hatte, zum Beispiel beim Verkehrsverein, wo sie immer noch sehr engagiert ist, kam sie nach dem Dienst zumindestens auf einen Sprung bei mir vorbei. Da wollte ich natürlich auch meine „wirtschaftliche Unabhängigkeit“ wahren und ließ meinen Sozialhilfeantrag weiter laufen. So war es unvermeidbar, dass Thomas eine sogenannte Wahrungsanzeige erhielt. Krumme Touren gab und gibt es bei Regina nicht. Auch wenn ich ihr Traummann war – und offensichtlich immer noch bin – verfuhr sie mit meinem Antrag so als sei ich irgendein anderer Bürger, der für sie privat nichts bedeutet. So rief sie dann von Amtswegen Thomas bei mir auf den Plan. Anfänglich nach der Scheidung hatte ich Monat für Monat das Vergnügen, dass mich unser Sohn besuchte. Sicher kam er ganz gerne zu mir, denn ich hielt auch immer diese oder jene Unternehmung für ihn bereit. Mit zunehmenden Alter gab es dann immer mehr Unregelmäßigkeiten bei seinen Besuchen. Das konnte ich noch nicht einmal als böse ansehen, denn auch in intakten Familien wollen ja junge Leute keine ganzen Tage an „Papas oder Mamas Händchen“ verbringen. Na ja, ab und an, also sporadisch, ließ er sich dann doch noch für ein bis zwei Stunden bei mir blicken. Irgendwie mochte er mich, seinen leiblichen Vater, doch sehr gerne und das muss ich rühmend an Karin lassen: Sie hat zu keinem Zeitpunkt versucht unserem Jungen seinen Vater auszureden. So etwas geschieht ja leider sehr oft wenn Ehen zu Bruch gehen. Aus meiner Sicht steht dahinter immer ein ungerechtfertigtes Besitzdenken aber kein Mensch gehört einem anderen sondern nur sich selbst. Seit er mit Svenja, die er vor drei Jahren heiratete, zusammen ist – und das ist seit etwa 5 Jahren der Fall – kam er dann nur einmal im Jahr, immer am 17. Juni, zu mir. Man wird es erahnen, er stattete mir immer noch regelmäßig einen Geburttagsbesuch ab. Jetzt hatten wir nicht den 17. Juni sondern erst Ende April oder Anfang Mai als er bei mir zu einem Besuch antrat. Erstmalig besuchte er mich in meiner kleinen Sozialwohnung. Diesmal sollte es auch kein reiner Freundschaftsbesuch sein sondern er kam weil die Wahrungsanzeige bei ihm das Gegenteil von Begeisterung ausgelöst hatte. Vorsichtig näherte er sich dem Thema: „Vati, ich weiß, dass du nichts dafür kannst. Auch Onkel Wolfgang (mein Exschwager) stöhnt darüber, dass es auf Dauer nicht so weiter gehen kann. Er glaubt nur großes Glück zu haben aber auf Dauer nur mithalten kann. ... Also beim besten Willen will ich dir keine Vorwürfe machen.“. An dieser Stelle unterbrach ich ihn: „Ach Junge, du brauchst doch nicht wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen. Auch mir hätte es gestunken, wenn die Stütze bei mir angetanzt wäre und mir erzählt hätte, mein Alter sei Pleite und sie wollten mal sehen, was ich zu seinem Unterhalt beitragen könnte. Dieses finde ich auch nicht schön, insbesondere auch aus dem Grund, dass deine Mutti und ich ja schon bald 25 Jahre geschieden sind, - die Mutti und dein Stiefvater feiern ja sogar schon bald Silberhochzeit. Ich hätte ja viel lieber auf die Dinge zurückgegriffen, die ich mir als Alterssicherung angelegt habe. Aber die hat der Geier gefressen.“
„Kann man denn einfach auf so etwas zugreifen?“, fragte jetzt Thomas dazwischen und ich konnte ihm leider nur antworten: „Aber sicher doch. Wenn du mit Schulden baden gehst, ist es doch, auch nach langläufiger ‚moralischer’ Auffassung, mehr als gerechtfertigt, dass deine Gläubiger ihren Schaden durch Verwertung deines Vermögens mindern. Kapitalversicherung, Aktien, Fonds und Immobilien sind doch unbestreitbar Vermögen. Es wäre ja auch recht paradox, wenn derjenige, der dir Geld gegeben hat oder irgendetwas vorgeleistet hat, selbst Pleite ginge weil sein Geld nicht eintreibbar ist und derjenige, der es ihm schuldet, dank seiner guten Altersvorsorge ein flottes Leben führen kann. Private Vorsorge ist nicht ganz ohne Risiko. Da gibt es Fälle wie meinen. Aber auch bei den Anlagen kann was passieren. Lass nur mal die Aktien kräftig in den Keller rauschen, dann wackeln private Altersvorsorgen an allen Ecken und Enden. Dann hast du hinterher deutlich mehr eingezahlt als du rausbekommst – und dafür hast du dir die Prämien mühsam von deinem verfügbaren Einkommen abgezwackt. Du kannst mir sagen was du willst, eine allgemeine soziale Rentenversicherung ist immer noch der beste Weg.“. Jetzt gab es eine Unterbrechung, da es vor der Wohnungstür geschellt hatte. Natürlich hatten sich die Kinder aus dem Haus mal wieder die Haustüre aufgelassen und so hätten Klingenputzer, Zeugen Jehovas und andere ungern gesehene Gäste wieder ungehindert weitgehensten Zugang verschaffen können. Durch den Spion sah ich dann aber, dass es sich um keinen Belästiger handelte, sondern um Regina, die an diesem Tag etwas früher als vorgesehen vom Dienst kam. Dadurch entfiel natürlich die Zeit, die sie von der Haus- bis zur Wohnungstüre gebraucht hätte, weg. Diesen Zeitraum hätte ich ansonsten natürlich genutzt um Thomas auf Regina, von der er bis jetzt noch nichts wusste, vorzubereiten. Na, was soll’s, ich ließ Regina herein und begrüßte sie mit einem Kuss und dann machte ich meine Besucher miteinander bekannt. Regina erlaubte sich einen Scherz zur Auflockerung: „Sie sind doch bestimmt wegen des Briefes, den ich ihnen schreiben musste, zu ihrem Vater gekommen. Dann habe ich ja mal wieder zu einer Familienzusammenführung beigetragen.“. Mit einem vergleichbaren scherzhaften Ton antwortete Thomas: „Ach, dass sieht meinem Vater ähnlich. Er holt sich Sozialhilfe und weil ihm das nicht reicht, bringt er die Beamtin gleich mit. Hat jetzt den Vorteil, dass wir das Thema nicht wechseln brauchen.“. „Schätze mal, dass sie gerade dabei waren, ihrem Vater zu erklären, dass es ihnen unmöglich ist, für ihn Unterhalt zu zahlen.“, preschte Regina jetzt vor und fuhr fort: „Da brauchen sie auch wirklich nichts zu befürchten. Von ihrem Einkommen müssen erst einmal sie und ihre Familie leben. Dazu steht ihnen selbstverständlich deutlich mehr wie der Regelsatz, den die Leute, die Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen, zu. Dann sind alle ihre Verpflichtungen zu berücksichtigen, auch Schulden. Dabei spielt es keine Rolle ob die Schulden entstanden sind in dem sie in nützliche Dinge investiert haben oder ob sie diese in Luxusgüter verkonsumiert haben. Das darf man bei dem Bedarf von Sozialhilfeempfängern natürlich nicht berücksichtigen, denn man kann doch vom Steuerzahler nicht verlangen, dass er den Konsumrausch Einzelner subventioniert. Auch muss man bei ihnen jede beliebige Miete, die sie zahlen, akzeptieren, gleichgültig ob man diese, wie bei den Sozialhilfeempfänger, für angemessen hält oder nicht. Nur wenn nach alledem etwas übrigbleibt müssen sie etwas für ihren Vater zahlen. Und sie haben die Aussicht, dass dieses nur für eine kurze Zeit ist. Wenn ihr Vater wieder heiratet gehen ihre Verpflichtungen auf seine Frau über ... natürlich vorausgesetzt sie kann das. Und wie es aussieht kann ich das sogar. Wenn es nach mir gegangen wäre hätte mein Bernd gar nicht erst den Antrag stellen brauchen; ich würde ihn schon durchbringen.“. Reginas Worte waren irgendwie gekonnt, denn jetzt fühlte sich Thomas bei seiner Ehre gepackt: „Ach nee, Frau Stolz, so war das gar nicht gemeint. Natürlich erfülle ich meine Pflicht gegenüber meinem Vater. Es ist zwar richtig, dass ich wegen der Sache hergekommen bin. Ich wollte da mit meinem Vater mal drüber sprechen. Das ich im Moment für ihn zahlen werde ist doch eigentlich selbstverständlich. Aber Vati ist gerade 58 und ich bin gerade 32. Wenn mein Vater Hundert oder älter wird, - was ihm natürlich auch zu wünschen ist – könnte ich letztlich als Opa von mehr als 74 Jahren gegebenenfalls immer noch für meinen Vater zahlen. Das kann doch aus meiner Sicht keine Lösung sein und nur darüber wollte ich mit ihm reden. ... Aber soweit waren wir noch gar nicht. Wir hatten uns bis jetzt nur allgemein über die Rentenversicherung unterhalten. Als sie eben schellten hatte mein Vater gerade ein Plädoyer für die allgemeine Rentenversicherung gehalten und sich gegen Privatversicherungen ausgesprochen. Ich wollte ihm gerade sagen, dass ich da ganz anderer Meinung bin. Ich halte die allgemeine Versicherung im Hinblick auf die höhere Lebenserwartung der Menschen und die dadurch entstehenden Beitragssätze für eine Ungerechtigkeit gegenüber der jüngeren Generation. Wir jungen Leute müssen da deutlich mehr einzahlen als frühere Generation und bekommen dafür später deutlich weniger wie die heutigen Rentner. ... Und zum anderen: Was nützt das bei Selbstständigen und Unternehmern wenn sie Pleite machen? Das ist ja bei Vati der Fall.“. Jetzt lernte ich Regina auch von einer neuen, politisch sehr interessierten Seite kennen. Sie ergriff das Wort: „Da muss ich ihnen erst einmal widersprechen Herr Grimmer. Die jüngere Generation hat keinen Grund sich über Ungerechtigkeit zu beschweren. Die Problematik ist nämlich nicht die steigende Lebenserwartung, die man langläufig den Superleistungen der Medizin zuschreibt, als viel mehr auf die logische Auswirkung von 55 Jahren
Frieden auf die Statistik zurückzuführen. Natürlich werden die Leute, wenn sie sich nicht auf Kriegsschauplätzen ermeuchelt werden und wenn sie nicht an Kriegsfolgen leiden, im Durchschnitt älter. Wenn ich da verschiedene Wirrköpfe, die wider besseres Wissen behaupten Politiker zu sein, höre wird sich da bestimmt auch mittelfristig wieder etwas daran ändern, denn viele Politiker sind in Wirklichkeit politische Tiefflieger, die Mord und Massenzerstörung im Krieg für gerecht und ehrenhaft halten. Es hat noch nie eine Rechtfertigung für einen Krieg gegeben und die wird es auch nie geben. ... Aber das ist ja jetzt nicht unser Thema, deshalb komme ich mal wieder zurück auf die Generationsgerechtigkeit. Das Entscheidende ist, das von Unten nichts nachkommt. Die jüngere Generation will sich ja lieber selbst verwirklichen und viel Geld verdienen als Kinder in die Welt zu setzen. Um das demografische Gleichgewicht in Deutschland zu halten müsste jede Frau 2,2 Kinder haben und in Wirklichkeit sind es zur Zeit 1,4 Kinder pro Frau. Der Trend ist weiter fallend. Damit wird nach und nach die Bevölkerungspyramide auf den Kopf gestellt. Dann muss in absehbarer Zeit jeder Arbeitnehmer für je einen Rentner aufkommen und irgendwann kommen dann auf jeden Arbeitnehmer zwei Rentner. Das geht natürlich nicht, da muss man erst einmal Gerechtigkeit bei der jüngeren Generation einklagen. Die müssen erst einmal wie ihre Vorfahren ihre Pflicht für und gegenüber der nachfolgenden Generation erfüllen. Mehr Bereitschaft Kinder zu zeugen und großzuziehen muss als erstes eingefordert werden. Wir müssen Familien deutlich besser als kinderlose Paare und die wieder besser als Singles stellen.“. Jetzt wurde sie von Thomas unterbrochen: „Das kann ja auch nicht die Lösung sein, dass man in Zeiten von wirtschaftlicher Unsicherheit und ständig steigender Arbeitslosigkeit die Leute animiert mehr Kinder in die Welt zusetzen.“. Regina ließ sich aber nicht beirren: „Man muss nicht den Teufel mit dem Beelzebul (der neutestamentliche oberste Dämon, z.B. Matthäus 10,25 oder Markus 3,22) austreiben. Die wirtschaftlichen Unsicherheiten und die Arbeitslosigkeit beruhen auch auf den Bevölkerungsrückgang. Es sind immer weniger Konsumenten vorhanden. Immer weniger, die Kühlschränke, Waschmaschinen und Fernseher brauchen. Und was man nicht braucht wird auch nicht produziert. Wenn nicht produziert wird, brauch man auch keine Arbeitnehmer und kann die Leute entlassen. Die Entlassenen, sprich die Arbeitslosen, haben selbst weniger Geld und beuteln so die Sozialversicherung, in die sie dann nicht einzahlen. Optisch wird das Ganze dadurch kaschiert, das Leute, die genügend Geld, was ja nur Tauschhilfsmittel ohne eigenen Wert sind, haben damit an der Börse herumzocken und einen nur als Kurswert vorhanden wachsenden Wohlstand visualisieren ... in Wirklichkeit fährt die Wirtschaft immer weiter runter weil den Mondkursen keine realen, eintauschbaren Werte gegenüber stehen. Mehr Kinder heißt in Zukunft mehr Konsumenten und mehr Konsumenten bedeuten mehr Arbeit. Ja, und letztlich wenn mehr Leute arbeiten fällt es dem Einzelnen auch leichter seine sozialen Pflichten auch gegenüber der älteren Generation zu erfüllen.“. Da war Thomas aber ein ganz anderen Ansicht: „Wir können doch nicht mit althergebrachten Rezepten auf eine Überbevölkerung der Erde zu steuern. Dann wird es uns letztlich an Raum und insbesondere an der Ernährungsgrundlage für alle mangeln. Da halte es ich für besser, wenn wir vom Generationsvertrag abkommen und mehr auf Eigenverantwortung und private Vorsorge setzen.“. „Weil das erstens gefährlich und zweitens erst recht ungerecht gegenüber der jüngeren Generation wäre.“, fuhr Regina fort, „Gefährlich ist das wegen der diversen Lebensrisiken. Da kann jemand, der seine Altersvorsorge auf Immobilien aufbaut in die Schuldenfalle geraten; gleichgültig ob selbst verschuldet oder schuldlos. Dann kommt sein Häuschen unter den Hammer und er steht ohne Altersvorsorge da. Wenn jemand in Aktien oder Fonds angelegt hat, kann er sich nach einem Börsencrash oder einer Megapleite einer Aktiengesellschaft, in die er sich eingekauft hat, einer Altersarmut entgegensehen. Kapital- und Lebensversicherung müssen das Geld der Anleger auch mit allen Risiken anlegen oder es mit Umlage auf Gegenseitigkeit, wie auch die allgemeine Rentenversicherung, machen. Im letzteren Fall sehe ich überhaupt keinen Unterschied zwischen privater oder öffentlicher Versicherung, außer dass man mit den Prämien an die Privaten auch noch deren Gewinne mitfinanzieren muss. Nein, sicher kann nur eine allgemeine Rentenversicherung sein. Man muss nur einiges an Gehirnschmalz hinsichtlich deren Finanzierung aufbringen.“. Jetzt schaute sie Thomas ernst ins Gesicht und setzte ihren Gedanken fort: „Und von wegen Gerechtigkeit. Die jungen Leute dürfen nicht übersehen, dass sie jede Reform in Richtung der sogenannten Eigenverantwortung zu eigenen Lasten unternehmen. Bei den jetzigen Rentnern und bei den Leuten, die in den nächsten 10 Jahren in die Rente kommen, kann man jetzt keine großartigen Änderungen vornehmen, da sie keine Chance hätten ausreichende Anlagen zu schaffen. Denen könnte man nur sagen: ‚Stirb wenn du nicht mehr kannst oder wenn man dich nicht mehr lässt’. Also muss die jüngere Generation weiter für die mitsorgen, aber dann in Hinsicht auf die Tatsache, dass sie später von ihrer eigenen Vorsorge leben müssen, ihre eigene Altersversorgung ansparen. Für sie wird später niemand mehr einzahlen. Auch wenn man die Rentenversicherung sofort ‚platt macht’, muss die jüngere Generation den daraus entstehenden Schaden zahlen. Denn wenn wir die jetzigen Rentner nicht zum Selbstmord bewegen können und sie auch nicht einer Alterseuthanasie zuführen wollen, müssen wir ihnen bei Ausfall der Rentenversicherung Sozialhilfe gewähren – und die bezahlt die jüngere Generation, die im Beruf steht, über die Steuern. Ihre Generation, Herr Grimmer, müsste gleich drei Mal bezahlen: Erstens für die Älteren, zweitens müsste sie ihre eigenen Anlagen sorgen und drittens, wenn sie ihre Einlagen nicht auf Grund eines sterbenden Volkes einbüssen wollen – wo niemand mehr arbeitet funktionieren weder private noch öffentliche
Vorsorgesysteme – auch noch für die Jüngsten, also für ihre eigene Nachfolgegeneration. Bei der Debatte über Generationsgerechtigkeit dürfen die Leute nicht vergessen, dass sie alles für sich selbst tun. Nur die Wirtschaft kann von der Umstellung auf private Vorsorge profitieren. Bei Wegfall der Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung entfallen auch die entsprechenden Lohnnebenkosten und die Gewinne beziehungsweise Dividenden steigen. So etwas ergibt aber nur einen Sinn, wenn man der Wirtschaft nur einen Eigensinn gibt. Meines Erachtens hat aber die Wirtschaft den Menschen zu dienen. Und wenn sie das nicht will, kann sie mir gestohlen bleiben.“. Thomas stutzte ein Wenig und bekundete: „Was sie, Frau Stolz, da vortragen sind ganz neue Aspekte über die ich erst einmal nachdenken muss. So ganz unrecht haben sie aus meiner Sicht gar nicht. Alles in Allem kann ja jede Reform die Älteren gar nicht anbelangen. Dieses schon aus dem Grunde, dass sie ein Leben lang an die Rentenversicherung gezahlt haben. Denen kann man doch jetzt nicht ‚verarscht, verarscht’ sagen. Also müsste meine Generation doppelt zahlen: Ein Mal an die Senioren, gleichgültig ob über die Rentenversicherung oder das Sozialamt und ein weiteres Mal für sich in die eigenverantwortliche Altersvorsorge. So habe ich das bis jetzt noch gar nicht gesehen.“. Regina legte einen kurzen Lacher auf und erwiderte: „Na, so neu ist die Erkenntnis, das man alles das, was man den Alten zugedenkt sich selbst in einem viel schlimmeren Maße antut, auch nicht. Da gibt es ein Märchen der Gebrüder Grimm. Das handelt von einem alten Mann, der schlecht sehen und hören kann und zudem noch reichlich zittert. Am Tisch sabbert er regelmäßig so dass sich der Sohn und seine Frau davor ekeln. Als er dann noch sein ‚irdenes’ Schüsselchen fallen lässt, kauft ihm die Frau ein Holzschüsselchen und damit wird er zum Essen hinter den Offen. Eines Morgens sitz der Enkel mit einem Brett auf der Erde. Als ihn der Vater fragt was der Kleine da mache, bekommt er zur Antwort: ‚Ich mache ein Tröglein. Daraus sollt ihr essen, wenn ich groß bin’. ... Sie sehen Herr Grimmer: Alles was man seinen Vorgängern zugedenkt, bekommt man, wenn man selbst so weit ist, in derberer Form zurück. Aber soweit denken unsere heutigen Politiker wohl nicht.“ Diese Geschichte stimmte sowohl Thomas wie auch mich etwas nachdenklich aber Regina hatte noch nicht genug: „Ist euch schon aufgefallen, dass das vierte Gebot das einzigste ist, was eine Verheißung enthält. Es heißt doch im 20. Kapitel des 2. Buches Moses im Vers 12: ‚Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, dass dir der Herr, dein Gott geben wird.’ Da wird in keiner Weise eingeschränkt. Da steht nirgendwo so etwas wie ‚wenn sie gut zu dir gewesen sind’. Uns wird geboten unsere Eltern zu ehren, gleichgültig ob sie gut oder schlecht gewesen sind. Und von diesem ehren ist es abhängig ob man lange auf dieser Erde lebt. Das ergibt in dem Sinne, dass wir unseren Kindern durch die Behandlung unserer Eltern vorgeben, wie sie uns später behandeln sollen, einen Zusammenhang. Die Schöpfung beruht darauf, dass wir fruchtbar sind und uns mehren aber gleichzeitig denen, den wir unser Leben zu verdanken haben, ihren Lebensabend gönnen. Wenn wir befürchten müssten, dass man uns, wenn wir nicht mehr können, verkommen und vorzeitig sterben lassen würde, würde unser ganzes Gesellschaftssystem nicht mehr funktionieren. Warum sollten wir uns für etwas anstrengen, was schon unter unseren Hände wieder zu Schutt und Asche wird.“. Wer jetzt erwartet, dass ich schreiben würde, dass ich einen weiteren neuen Zug, nämlich den christlichen, an Regina entdeckt habe, der hat sich getäuscht. Sie ist sehr religiös und gläubig und macht auch keinen Hehl daraus. Das ihre Tochter Susanne, die in diesem Jahr 27 Jahre alt wurde, angehende evangelische Pastorin ist, dürfte doch wohl ein eindeutiger Beleg für ihre wertebezogene Lebensauffassung sein. Selbst die Tatsache, das ihre Zwillinge Stefanie und Christina als sie 10 Jahre alt waren, von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und tödlich verletzt wurden, konnte ihren Glauben nicht erschüttern; genauso wenig wie der frühe Tod ihres Mannes. Da sie aber Alles in Allem eine sehr moderne und stets fröhliche Frau ist, straft sie das Vorurteil, das fromme Menschen prüde und etwas kauzig sind, lügen. Sie hatte mir schon an unserem ersten Samstag einige Belege ihrer christlichen Einstellung geliefert und mich auch am nächsten Morgen zum Besuch des Gottesdienstes eingeladen. Natürlich hatte ich die Einladung angenommen. Dieses nur so zwischendurch, weil wir gerade an einem passenden Punkt angekommen waren. Jetzt aber zunächst noch einmal zurück zu dem Besuch meines Sohnes Thomas, von dem es doch noch ein interessantes Detail zu berichten gibt. Ich war ja schon eine ganze Zeit der große Zuhörer und deshalb musste ich mich jetzt auch einmal in die Rentendebatte einschalten: „Wir unterhalten uns jetzt schon die ganze Zeit über die Vorteile der öffentlichen Rentenkasse. Aber nach meinem Gefühl schießen wir da ein Bisschen an der eigentlichen aktuellen Sache vorbei. Ich war lediglich bis zu meinem 26. Lebensjahr pflichtversicherter Arbeitnehmer. Danach war ich Unternehmer eines, ganze drei Jahrzehnte gut laufenden, Unternehmens. Den Schuh, dass ich an der Pleite meines Unternehmens selbst Schuld sei, ziehe ich mir nicht an. Schließlich sind auch ganz andere von der Krise am Baumarkt und von der schlechten Zahlungsmoral der Baukunden betroffen. Na ja, da ist meine Alterssicherung, die ich mir fleißig aufgebaut habe, mit hops gegangen. Einzig wenn ich nach wie vor in der LVA versichert gewesen wäre, könnte ich auch ohne Stütze, Sohn oder Frau durchkommen. Irgendwo klemmt da was im System.“.
Aber auch darauf hatte Regina eine Antwort parat: „Ja, je mehr ich darüber nachdenke komme ich zu dem Schluss, dass wir eine steuerfinanzierte Grundsicherung benötigen. Diese könnte die Sozialhilfe im Alter total ersetzen. Was die Leute an Grundsicherung erhalten brauch die Rentenkasse nicht zu zahlen und damit wäre diese um Milliarden entlastet. Da die Sache aus Steuermitteln käme, wäre es auch möglich die Grundrente mit anderen höheren Einkünften, zum Beispiel aus Kapitalerträgen, zu verrechnen. Ein besitzstandswahrender Leistungsanspruch, wie bei einer Versicherung besteht ja nicht ... es kommt ja aus dem Steuertopf. Dann wären auch solche Fälle, wie deiner, sozial abgefedert. Ich weiß nicht, warum das niemand ernsthaft durchrechnen will.“. Thomas schaute auf einmal schockiert zur Uhr und stellte fest: „Eu, jetzt habe ich mich dank des interessanten Themas verquasselt und stehe zuhause bestimmt schon auf der Verlustliste. Um noch mal klarzustellen was ich eigentlich wollte: Mir geht es nicht darum, dass ich jetzt für meinen Vater aufkomme ... das ist für mich Ehrensache. Ich hätte, wie gesagt, darin allerdings keine dauerhafte Lösung gesehen und deshalb wollte ich nur anregen, dass wir Beide uns mal zusammensetzen und nach einer nachhaltigen Lösung suchen sollten.“. Jetzt wurde er von Regina unterbrochen: „Ach Herr Grimmer setzen sie sich lieber mit ihren Vater zu einer gemütlichen Vater-Sohn-Runde zusammen. In dieser Angelegenheit dürfte die Lösung schon gefunden sein. Ich erzähle dem Kerl ständig, dass er hier seine Zelte abbrechen soll und zu mir ziehen soll. Nicht nur das, ich will meinen Zukünftigen auch unterhalten. Was ich mir in den Kopf gesetzt habe, das setze ich auch mit Gottes Hilfe durch. Was sie jetzt noch für uns alle tun können ist, dass sie ihren Vater klar machen, dass er sich jetzt nicht mehr länger ziert und sich dem Unvermeidbaren beugt.“. Thomas stimmte in Reginas freundliches Lachen ein und gab „Vati, du hörst es, hör auf deine Braut. Meinen Segen habt ihr ... und das schon aus dem Grunde weil ein Vater wohl zehn Kinder ernähren kann aber ein Sohn keinen einzigen Vater.“ zum Besten. Jetzt stutzte er ein Wenig nachdenklich und fuhr fort: „Pfui, jetzt schäme ich mich vor mir selbst. Das könnte so aussehen als wolle ich meinen Vater verkuppeln weil ich nicht zu meinen Unterhaltspflichten stehen will. ... So war das allerdings nicht gemeint.“. Sowohl Regina wie auch ich konnten ihm anschließend bekunden, dass wir ihn schon richtig verstanden hatten. Nachdem uns Thomas ein paar Minuten später verlassen hatte flachste Regina: „Siehst du Bernd, den Segen deines Sohnes hast du. Jetzt kannst du ruhig zusammenpacken und ein paar Häuser weiter ziehen. Soll ich dir beim Packen helfen?“ „Und wie ist das mit dem Segen deiner Tochter?“, konterte ich zurück, „Schließlich trete ich ja an um ihr Erbe aufzubrauchen.“. Ich weiß nicht ob Regina dieses ernst genommen hat; auf jeden Fall gab sie entrüstet kund, dass es ja noch schöner wäre, wenn wir, die Eltern, kurz vor Eintritt in den Seniorenstand, unsere Kinder um ihre Erlaubnis für Entscheidungen in unserer Lebensplanung fragen müssten. Hinsichtlich des Themas „Erben“, welches ich angeschnitten hatte, meinte sie: „Für Susanne dürfte die Möglichkeit einmal erben zu können wohl keine Rolle spielen. Günter (Reginas verstorbener Mann) und ich haben immer die Auffassung vertreten, dass alles was wir schaffen zunächst einmal für uns und unser Leben bestimmt ist. Und nur das, was wir bis zu unserem Ende nicht verbraucht haben, geht eine Etage, sprich an Susi, weiter. Genauso wenig wie es uns darauf ankam möglichst viel zusammenzuraffen sollte es uns darauf ankommen alles wieder zu verprassen. Was da ist, ist da und was weg ist, ist weg. Und via Erziehung haben wir das auch an unsere Tochter weiter gegeben. Du brauchst jetzt keine Angst zu haben, denn Susanne wird wohl nie empfinden, dass du ihr etwas weg nimmst.“. „Du sprichst das so locker aus, als sei diese Auffassung die normalste Sache auf der Welt,“, erlaubte ich mir darauf zu erwidern, „aber leider sieht es im täglichen Leben anders aus. Dieses ist auch so eine Sache, die man zum Thema ‚Generationsgerechtigkeit’ sagen kann. Die modernen jungen Menschen wollen möglichst nichts zum Unterhalt der älteren Generation beitragen aber im Gegenzug dazu das große Los beim Nachlass ziehen. Ich habe es echt schon erlebt, wie sich Menschen darüber aufgeregt haben, dass sich ihre Eltern zu großzügig an dem Vermögen, was sie sich selbst geschaffen haben, bedient haben. Sie befürchteten allesamt, dass dadurch ihre Grabbeute, wenn ich die Erbschaft mal so bezeichnen darf, geschmälert würde. Ich habe das Gefühl, dass die modernen Menschen es am Liebsten sehen würden, wenn ihre Eltern so lange raffen bis sie nicht mehr können und sich dann den Gnadenschuss verpassen.“. „So makaber wie das klingt, so wirklichkeitsnah scheint es mir zu sein.“, hing Regina nachdenklich an, „Wenn doch die Leute immer einen Schritt weiter denken würden, dann würden sie auf jeden Fall merken, dass sie ausschließlich an dem Ast sägen, auf dem sie selbst sitzen. Einmal, wenn sie alles das, was sie sich ausgedacht haben, durchgesetzt haben, werden sie selbst in dem Alter, dass sie immer bekämpft haben, sein.“. Sie legte eine kleine Pause, in der sie vom ernsten Gesichtsausdruck auf ihr, von mir so geliebten, freundlichen Lächeln wechselte und fuhr fort: „Also dahingehend ist unsere Susanne aber kein moderner Mensch - so hätte sie wohl auch ihren Beruf verfehlt. Obwohl Pastorinnen ganz normale Menschen sind, die fallen auch nicht vom Himmel. In dem Berufsstand gibt es genauso Erbschleicher und Raffgeier wie anderswo auch. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie ihre Tätigkeit als Berufung und nicht als Job auffasst. ... Aber du wirst sie ja bald kennen lernen. Sie hat uns vom 1. Juni, das ist Himmelfahrt, bis zum 12. Juni, das ist der Pfingstmontag, nach
Rosenweiler eingeladen. Andreas (Reginas Schwiegersohn) und Susi haben da unwahrscheinliches Glück. Er hat die ausgeschriebene volle Pfarrstelle und sie zudem eine halbe erhalten. Jetzt wollen sie uns ihre Gemeinde zeigen und dabei gleichzeitig dich näher kennen lernen. Als Bauunternehmer kennt dich Susi ja schon vom Ansehen. Sie hat mich heute im Büro angerufen und die Geschichte mit mir ausgehandelt. Da habe ich dann von der Gleitzeitregelung gebrauch gemacht, um dir das brühwarm zu berichten. Zur Feier des Tages wollte ich dich heute auch ins thailändische Restaurant in Elbers einladen. Also fang schon mal an dich fertig zu machen. ... Ach, da ist mir gerade etwas eingefallen: Du wolltest doch Susis Segen zu unserer Partnerschaft haben. Jetzt treffe ich mit dir dahingehend eine verbindliche Absprache. Wenn du Susis Gefallen findest, wovon ich überzeugt bin, gibst du sofort deinen Widerstand auf und zu deinem Geburtstag feiern wir den Beginn unserer Lebenspartnerschaft im gemeinsamen Hausstand. Und denk dir, jetzt dulde ich keine Ausreden mehr.“. Na ja, was blieb mir anderes, ich beugte mich der Macht der Liebe. Erst fuhr ich mit Regina nach Rosenweiler und stieß dort auf eine Menge Zustimmung bei meiner „Stieftochter“. Sie ist übrigens das perfekte Abbild ihrer Mutter: Die gleichen mittelblonden Haare, die gleichen blauen Augen, die gleiche Superfigur und das gleiche Spitzenfahrgestell. Nur halt etwa halb so alt. Wenn die predigt kommt bestimmt manch junger Mann auf Gedanken, die nicht direkt etwas mit den Inhalten der Bibel zutun haben. Aber auch im Wesen schien sie mir das Abbild der Mutter sein. So wie Susanne heute ist muss Regina vor 25 Jahren auch mal gewesen sein. Schade, dass sie mir nicht schon damals über den Weg gelaufen ist. Aber wer weiß ... Auf jeden Fall fand ich sofort die Zustimmung bei meiner zukünftigen Stieftochter. Nicht nur das. Sie unternahm alles, um mich davon zu überzeugen, dass ich unbedingt das Singledasein ihrer Mutter in ihrer Wohnung beenden müsse und dort die Füße unter den Tisch zustellen habe. Regina hatte tatsächlich recht gehabt: Susi verschwendete keinen Gedanken daran, dass ich etwas von ihrer Erbschaft abknabbern könnte. Für sie war wichtig, dass ihre Mutter wieder glücklich wurde. Regina wurde auch kontinuierlich von ihrer Tochter darin bestärkt, dass ich der richtige Kerl sei. In dem Seemannslied vom Hamburger Viermaster heißt es „In der Heimat angekommen fängt ein neues Leben an“. Dieses galt jetzt auch für mich. Regina ließ aus Spaß Ernst werden und bestand darauf, dass ich mein Wort, dass ich, wenn ich Susannes Zustimmung finden würde, endgültig zu ihr übersiedeln wollte, einhielte. Nicht nur das. Ich musste auch am darauffolgenden Mittwoch beim Sozialamt erscheinen und erklären, dass sich meine Sozialhilfeangelegenheit erledigt habe, da meine Lebenspartnerin für mich aufkommen wolle. Können Sie sich vorstellen wie komisch das ist, wenn Sachbearbeiterin und Lebenspartnerin ein und dieselbe Person ist? Natürlich bin ich sehr, sehr glücklich über die Dinge wie sie gelaufen sind. Und ich bin unserem Gott sehr dankbar dafür, wie reichlich er mich mit seiner Vorbestimmung beglückt hat. Wie anfangs geschrieben wandelt sich unsere Lebenspartnerschaft, die mit meinen Gang zur Stütze im Jahre 2000 begann, jetzt kommenden Mittwoch, dem 5. März 2003, in eine Ehe, die nach meiner Überzeugung bis an unser Lebensende halten wird. Was ich als allererstes schrieb – Alle guten Dinge sind Drei – ist tatsächlich für mich zur Wahrheit geworden. Trotzdem möchte ich nicht von einem Happy End sprechen, denn ein bisschen Wehmut darüber, dass es mir nicht gelang, das Lebenswerk meines Vaters weiter zu führen und das alles verloren ist, was ich einst mal erworben habe, wird wohl immer bleiben. Regina versucht mich immer damit zu trösten, dass sowieso alles mal wieder zur Staub und Asche wird. Nur das, was wir in unserer Seele angesammelt haben, wird in aller Ewigkeit bleiben. Eine andere Sache stellt für mich ein noch größeren Wermutstropfen da: Dass ich mich mal von einer Frau aushalten lassen würde, habe ich mir niemals träumen lassen. Was wäre alles gewesen, wenn alles so gelaufen wäre wie ich mir das einstmals gedacht habe? Aber bei wem ist schon alles so gelaufen, wie er sich das gedacht hat? Der Gesellschaftskritiker Reiner Vial, der seine eBooks auf seiner Homepage www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download anbietet, beschreibt in seinem neuesten Roman „Die Schwiegertochter des Tagedieb“ ja auch einen Mann, dem das Leben ständig die Gradlinigkeit durchkreuzt. Auch er bemängelt, dass Politikusse in ihren „Planspielen“ immer von dieser Gradlinigkeit, die es weder im Leben eines Menschen noch in der Wirtschaft gibt, ausgehen. Es wäre doch wirklich besser, wenn man sich ernsthaft um Lösungen bemühte, die die Versorgung der Menschen auch in dem Fall, dass es im Leben und/oder der Wirtschaft mal daneben geht, sicherstellt. Dann müssen wir uns nur von den ständigen Gedanken an die Besitzstandswahrung trennen – und das sollte uns leicht fallen, denn es wird früher oder später alles wieder zu Schutt und Asche. Auf dieser Erde hat es noch nichts vom ewigen Bestand gegeben. Und wenn schon, schon nach einem, im Anblick der Weltgeschichte kurzem Leben werden wir selbst zu Staub und Asche geworden sein. Erde zu Erde, Asche zu Asche. Soweit jetzt meine kleine Niederschrift, die ich mal soeben vor dem Beginn meiner dritten Ehe loswerden wollte. Ehrlich gesagt, lag meine Motivation dazu in einer Art Selbstentschuldigung. Ich wollte für mich die Frage klären, wie ein Mann, der es nicht geschafft und Pleite gemacht hat, sich in die Arme einer Frau, die ihn ernährt, stürzen kann. Ich wollte mir die Frage beantworten ob dieses recht sein kann. Nun, Regina ist der Meinung das es recht wäre. Für sie ist das Wichtigste im Leben, dass wir Glück, Liebe und Zufriedenheit empfinden und das wir dieses nicht in irdischen vergänglichen Gütern und Wohlstand finden sondern nur im
Miteinander der Menschen. Nur wer gibt, dem wird auch selbst gegeben. Statt alles auf Horten von Vermögen und Besitzstandswahrung auszurichten sollten wir lieber die Dinge, die uns das Leben hat zukommen lassen, so verwenden, dass wir alle in Harmonie auf dieser Erde leben können. Aber leider sieht es so aus als ginge der Trend zu besitzstandswahrenden Bastionen auch unter den Generationen. Leider, leider denken alle nur an sich und übersehen dabei gänzlich, dass auch sie ganz schnell in die Situation des Anderen kommen können oder kommen. Das soll aber jetzt der Schlusssatz, dem ich nichts mehr hinzufügen möchte, außer Tschüss und Adele, sein.
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Ihr sollt töten und sterben So wie es aussieht ist unser schöner Stammtisch „IG FuS“ wohl endgültig gestorben. Bisher haben wir auf unserem Herrenabend über Gott und die Welt diskutiert. Dabei ging es auch nicht selten recht kontroverse zu. Aber nichts hat unserer IG FuS schaden können aber dann kam der drohende Irak-Krieg auf die Tagesordnung und dann ging es sogar richtig ins Persönliche. Da wurden in unserem 5-köpfigen Kreis aus Freunden dann Feinde. Ich habe dabei sogar für mich negativen Kontakt mit der Staatsanwaltschaft und einiges an Ärger mit meinem Dienstherrn bekommen. Dabei handelt es sich um eine Angelegenheit bei der wir Fünf ohnehin nur ohnmächtig zuschauen können. Aber bevor ich von dieser Sache berichte sollte ich die Geschichte der IG FuS und unsere illustere Runde erst einmal vorstellen. Fangen wir dabei gleich mit mir an. Ich bin also der 1946 geborene Gerhard Kramer, der einstmals hier in Neudorf den Beruf des Schriftsetzers erlernte. Ich war also ein Jünger der Schwarzen Kunst, die auf Johannes Gänzfleisch zur Nieden genannt zum Gutenberg, langläufig kurz Gutenberg genannt, zurückzuführen ist. Na ja, erst kam der Fotosatz und dann der Computer, der uns Bleisetzern das Garaus machte. Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts war es endgültig vorbei mit der Letterpickerei und ich stieg dann nicht auf Fotosatz oder dem Computer um sondern ich ging in die Verwaltung. Meine Rathauskarriere begann als Hilfswilliger in der Poststelle und führte mich über den A1- und A2-Schein in die Sachbearbeitung unseres Ordnungsamtes. Als junger Erwachsener, genau gesagt ab 1967, war ich in meinem Heimatstädtchen Neudorf als Weltverbesserer bekannt. Ich hatte mich zu den Jungsozialisten gesellt und wollte mit ihnen den politischen Olymp erstürmen. Von 1968 bis 1972 war ich der örtliche Vorsitzende dieser sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft. Mein wackerster Mitstreiter war damals Willi Brand. Nein, nein, nicht der Architekt der deutschen Einheit, also nicht der ehemalige Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger. Der beendet seinen Vornamen auch mit y und nicht mit i wie mein Willi, der seinen Kosenamen Williken trotz seinen jetzigen Jungseniorenalters nicht los geworden ist. Mit Willi und mir begann eigentlich unsere IG FuS. Damals kamen wir Jusos alle 14 Tage des Dienstags im kleinen Gesellschaftszimmer des „Hotels zur Post“ zusammen. Nun, die Juso-Zeiten sind längst vorbei und unsere Leute sind inzwischen in alle Winde zerstreut. Nur Willi und ich sind uns eigentlich recht treu geblieben. Nach wie vor trafen wir uns im zweiwöchigen Rhythmus zu ein paar Gläsern Bier, auch noch als wir verheiratet und Familienväter waren. Willi brachte mich auch auf den Gedanken, ein Verwaltungsmensch wie er selbst zu werden. Er war ja von Anfang an, also direkt nach der Realschule, dabei und schaukelt schon ein paar Jahrzehnte im versorgungssicheren Beamtennetz. Willi, der wie ich in einem Eigenheim in der Neudorfer Feldstraße wohnt, und ich hatten einstmals neben unseren Juso-Aktivitäten noch eine Gemeinsamkeit in unserer Jugendzeit. Wir waren beide dem CVJM „entsprungen“. Erst waren wir in der Jungschar und dann in der Jungenschaft. Den „Christlichen Verein junger Männer“, wie er damals noch hieß, haben wir zur gleichen Zeit den Rücken gekehrt. Das war als wir altersmäßig von der Jungenschaft in den Jungmännerkreis wechseln sollten. Da war es vorbei mit den Aktivitäten wie Fahrten, Geländespiele und so weiter, wie man sie auch von den Pfadfindern kennt. Da gab es dann praktisch nur noch Bibelarbeit, Andacht und Gebetskreise. Ich halte Willi und mich durchaus für gläubig, was sich auch bis heute nicht geändert hat, aber alles nur auf ein vergeistigtes Leben auszurichten hielten und halten wir doch für zuviel des Guten; das grenzt schon an Taten- und Showchristentum und hat mit wahren Glauben und Mission nichts gemein. Zumindestens glauben wir das. Das sieht Horst Greil, heute Niederlassungsleiter der hiesigen Sparkasse und ansonsten Berufsfrömmler, aber ganz anders. Hotte, so wie er allgemein genannt wird, war erst Bestandteil unseres scheinbar untrennbaren Kinder- und Jugendtrios. Als Williken und ich dann aktiv bei den Jusos einstiegen wurden wir Hottes ideologischen Erzfeinde. Sozis waren für ihn die Partner des Teufels. 1997, als Willi und ich wegen des, „Neue Mitte“ genannten, neoliberalen Kurses der SPD wieder aus der Partei ausgetreten waren, stieß Hotte wieder zu uns. Der Grund war aber nicht unsere „Bekehrung“ sondern nur reiner Zufall. Auch als es unseren 2-wöchigen Dienstagskreis nicht mehr gab und sich die einzelnen Leutchen in alle Himmelsrichtungen verstreut hatten blieben Williken und ich unserer alten Gewohnheit treu und trafen uns im gleichen Rhythmus zu einem gemeinsamen Imbiss, wie Zigeunerschnitzel, Wiener Schnitzel, Curry Wurst und so weiter, und natürlich auf ein paar Glas Bier. Allerdings blieb das „Hotel zur Post“, dass es übrigens heute nicht mehr gibt, nicht unser Stammlokal sondern wir nahmen doch diesen oder jenen Ortswechsel vor. Als wir uns dann die „Alte Schänke“, die in der verkehrsberuhigten Zone, direkt neben der Sparkassenniederlassung, zu finden ist, auserkoren hatten begab es sich, dass wir dort auf Hotte stießen. Nachdem wir über alte Zeiten geplauscht hatten, schloss sich Hotte uns wieder an und war seitdem wieder regelmäßig des Dienstags
mit dabei. Indirekt haben wir Hotte den Namen unseres Stammtisches zu verdanken. Im Jahre 2001 hatte er im Internet die Homepage www.reiner-vial.de entdeckt. Auf dieser bietet ein Gesellschaftskritiker namens Reiner Vial seine Romane zum kostenlosen Download an. Hotte ließ an diesem Vial kein gutes Blatt. Er hält ihn für einen trivialen Erzähler, der sich selbst für eine Mischung aus Jesus und Marx hielte. Damit hatte er uns neugierig gemacht und wir sahen uns dort selbst einmal um. Unser Urteil war „natürlich“ genau das Gegenteil von dem, was Hotte empfand. In Vials Roman „Der Schwiegersohn auf Baluway“, der 1999 entstand, war auch von einem Stammtisch, der viel Ähnlichkeit mit dem unserigen hatte, beschrieben. Auch in dieser Geschichte sind zwei Exjusos ihrem Stammtisch treu geblieben. In Anlehnung an die herkömmlichen Namen der DGBGewerkschaften nannten die Romanfiguren ihren Stammtisch „IG FuS“, was aber unabgekürzt „InteressenGemeinschaft Fressen und Saufen“ heißen sollte. Natürlich haben wir ebenso wenig wie die Romanfiguren nicht gesoffen und gefressen sondern immer nur ein Imbiss gegessen und dazu ein paar Bier getrunken aber den Namen fanden wir so nett, dass wir ihn gleich adaptiert haben. Leute, deren Lebenszweck das Geld ist, gesellen sich gerne zueinander. Und so haben wir unserem sparkassenleitenden Hotte das vierte Mitglied unseres Stammtisches zu verdanken. Der Unternehmer Gerd Günter Schrieber stieß über Hotte zu uns. Normalerweise wird Schrieber von seinen Freunden mit seinen ersten Vornamen angesprochen. Da aber Gerd auch eine Kurzform von Gerhard ist und dieser daher durch mich besetzt war, redeten wir ihn in unserer Runde mit seinem zweiten Vornamen an. Was Geld und Wirtschaft anbelangt sind sich Günter und Hotte einig aber was Glauben und Religion angeht saßen die Beiden in zwei grundverschiedenen Booten. Günter ist durch die Bank ein atheistischer Materialist – zumindestens gibt er das immer vor. Was den Glauben anbelangt liegt er auf der gleichen Linie wie Willis Schwager Henning Roth, der dann noch als Fünftes zu uns stieß. Henning, von Beruf EDEKA-Einzelhändler, brachte dann auch noch eine weitere politische Nuance in unsere IG FuS: Er zählt sich zu den Kreisen in der SPD, die sich selbst Modernisierer nennen. Weltanschauliche hatte sich da eine ganz illustere Runde gebildet. Da saßen drei Christen zwei Atheisten gegenüber, und das in verschiedenen Abstufungen. Williken ist ein sehr liberaler Christ; wohl nach dem Motto „glauben und glauben lassen“. Dagegen ist Hotte in seiner Freizeit, also wenn er nicht gerade Bankfiosi ist, ein echter fanatischer Berufsfrömmler. Und ich liege mit meiner calvinistischen Auffassung zwischen den Beiden. Vielfach ist mir Willikens Auffassung doch erheblich zu lasch während ich dem Jesus-Gehabe Hottes auf keinen Fall folgen kann. Aber im Hinblick auf das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ nehme ich es von allen am strengsten. Williken und Hotte sind im Gegensatz zu mir Militärbefürworter. Auch bei unseren beiden Atheisten gibt es Nuancen. Während Henning jede Religion für Opium fürs Volk, mit dem es unterdrückt und ausgebeutet werden soll, ist spricht Günter den Religionen, insbesondere der christlichen einen hohen kulturellen Stellenwert zu. Die überlieferten Werte zählen für ihn auch als Richtschnur. Nur für Günter gibt es keinen Gott und kein ewiges Leben. Nach seiner Meinung wird für uns Menschen eines Tages alles mal vorbei sein und alles zu Staub und Asche werden. Da widerspreche ich ihm, hier auch im Gegensatz zu meinen „Mitchristen“, nicht. Nach meiner Auffassung wird mal alles wieder zu dem, aus was es geworden ist. Alles entstand mal aus dem Chaos, also aus Energie und Materie, und dem Geist, sprich Gott. Unser Körper ist dem Chaos zuzuordnen, wird also, wie meines Erachtens Günter richtig sagt, wieder zu Staub und Asche, aber unsere Seele, unser Bewusstsein bleibt für ewig das was sie ist: Geist. Nach Auffassung von Williken werden wir eines Tages als neues Wesen auferstehen und Hotte glaubt, dass Gott den Körper der Seinen wiedererwecken würde. Ich frage mich nur welchen: den des Babys, den des Jungens, den des Mannes oder den des Greises? Und was ist mit den Leuten, dessen Körper „verunstaltet“ ist; sollen die damit ewig leben? So divers sind auch unsere Ansicht wenn es um die Wirtschaft geht. Für Hotte, Günter und auch für Henning ist eine florierende Wirtschaft und eine liberale Wirtschaftsordnung gleichbedeutend mit Freiheit und Demokratie. Für sie sind Börsenkurse und Unternehmensgewinne einerseits und Marktwert und Kaufkraft der Währung die Maxime dafür ob es einem Volk gut oder schlecht geht. Für Williken und für mich hat aber die Wirtschaft dem Leben der Menschen und deren Lebensraum zu dienen. Wie es der Wirtschaft geht, messen wir an der Anzahl der Sozialschwachen und wie die Wirtschaft ein soziales Netz tragen und stützen kann und will. Wegen unserer können wir in der Rangfolge der Industrieunternehmen an zwanzigster oder dreißigster Stelle stehen, wenn wir in der Rangfolge der Sozialstaaten ganz oben geführt werden. Natürlich sind wir nicht so blauäugig, dass wir nicht sehen, dass es zwischen den beiden genannten Rangfolgen eine Abhängigkeit gibt und das sich nur der Staat ein funktionierendes soziales Netz leisten kann, der sich auch in der Wohlstandsstatistik oben befindet. Aber die Opferung des Sozialstaat zu Gunsten von Unternehmensgewinnen und Investitionsanreizen kommt für uns nicht in Frage. Politisch stehen wir auch alle in einem anderen Lager. Hotte bekennt sich zur CDU. Oft habe ich das Gefühl, dass er da mal wegen des davor stehenden hohen C dazu gestoßen ist und in Wechselwirkung deren Ansichten hinsichtlich Deutschland, dessen Verteidigung und Wirtschaft sein Denken beeinflusst hat. Die Mitgliedschaft in
einer Partei ist schon meinungsbildend, das haben Williken und ich auch gemerkt als wir noch in der SPD aktiv waren. Man bekommt alle seine Informationen immer aus einer bestimmten Richtung und ist im Nu dabei diese, gleichgültig ob richtig oder falsch, als seine eigene zu übernehmen. So etwas ist natürlich und stellt das dar, was man Stallgeruch nennt. Der neoliberale Günter ist zwar kein Mitglied in der F.D.P. aber auf örtlicher Ebene deren großer Sponsor und man könnte darüber streiten ob die lokale F.D.P. ihre Ansichten von Günter oder umgekehrt Günter seine von der Partei hat. Auf jeden Fall sind die Meinungen miteinander konform. Nach meiner Interpretation steht Günter für die ungezügelte Entfaltung des Einzelnen, auch wenn dabei die Schwachen auf der Strecke bleiben. Den Staat würde er gerne so verschlanken, dass er letztendlich nur noch der Dienstleister für die Starken – „Leister“ wie er sagt – ist. Williken und ich waren nun mal in der Partei, der Henning heute immer noch angehört. Nehmen wir die Klassifikation des SPD-Häuptlings Schröder und seiner Freunde sind Williken und ich die Traditionalisten und Henning der Modernisierer. Während für Williken und mich Oskar Lafontaine der letzte führende Sozialdemokrat war, ist er für Henning der Parteischädiger Nummer Eins. Die Niederlagen, die die SPD nach der Wahl 1998 erlitt schrieb er allesamt „unserem“ Oskar zu. Momentan ist er allerdings in Schwierigkeiten wenn wir ihn fragen, wem er jetzt die Niederlagen nach der Bundestagswahl 2002 zuschreibt. Mir scheint, dass die SPD-Wähler überwiegend Traditionalisten sind und nach 1998 der Partei die Quittung für das Wegmobben von Lafontaine und ihr jetzt die Quittung für konzeptlose Politik gaben. Auch beim Thema Sport gehen unsere Ansicht weit auseinander. Für Hotte und für mich ist der Profisport ausgeufert. Das was Rundendreher, wie Schummi, und Balltreter verdienen steht nach unserer Ansicht in keinem realen Verhältnis zu deren Leistung und schon gar nicht zu den Einkommen in anderen Berufsgruppen. Hotte regt sich dann auch immer über gotteslästerliche Bezeichnungen wie Fußballgott und so weiter auf. Unrecht hat er ja nicht. Für Williken und Henning ist der Leistungssport ein wichtiges Element in unserer Gesellschaft, der auf der einen Seite zum Aggressionsabbau und auf der anderen Seite zur gesellschaftlichen Identifikation beiträgt. Nach ihrer Ansicht trägt der Leistungssport durch seine Vorbildfunktion zur Förderung des Breitensports bei. Während Hotte und ich glauben, dass er die Leute immer mehr zur Passivität verführt; die Leute schauen lieber den Stars zu statt selber Sport zu treiben. Günter betrachtet alles durch die Brille eines Wirtschaftsmenschen. Er rechnet uns immer vor wie viel Kaufkraft eine Profisportart in eine Region pumpt und welche Anstöße bei Spitzensportveranstaltungen hinsichtlich öffentlicher und privater Investitionen erfolgen. Auch im Fantum unterscheiden wir uns. Günter hat es mit den exklusiveren Sportarten Golf und Tennis. Williken ist einmal Schummi-Fan und dann noch, genau wie Henning Fußballfan. Williken ist ganz auf BlauWeiß eingestellt, seine Vereine sind Schalke 04 und Herta BSC. Henning hält es mit den Großverdienern Bayern München und Borussia Dortmund. Hotte und mir ist es letztendlich egal wer gewinnt oder verliert. Ich finde es sogar langweilig, dass man immer die gleichen Namen oben findet. Ich würde es direkt als spannungsbelebend finden, wenn mal Bayern München absteigen würde. Entsprechend sage ich immer, dass ich mich auch vors Fernsehen setzen könnte, wenn Schummi in der Formel 1 mal immer hinter dem Spitzenfeld herfahren würde. Was die Ansichten zu Ehe und Familie sowie zum Thema Nummer Eins anbelangt fasse ich in einem Abschnitt zusammen. Es ist ja auch ganz logisch, denn die Auffassung zur Sexualität bestimmt im Grunde die Auffassung zur Ehe und Familie und umgekehrt. Vielleicht kann man aus dem, was ich bisher geschrieben habe auch schließen, wer von uns die diesbezüglich extremste Auffassung, zumindestens in Richtung Prüderie und Puritanismus, hatte und hat. Natürlich das ist Hotte. Für ihn ist die Ehe heilig und alles was sich daneben abspielt eine Todsünde. Nacktheit in der Öffentlichkeit ist für ihn Riesenschweinerei und ein Seitensprung hat bei ihm den Rang eines Kapitalverbrechens. Allerdings hatten wir von ihm den Eindruck der Scheinheiligkeit. Wenn mal Zoten erzählt wurden, was bei Herrenabenden bekanntlich nicht ausbleibt, gab er sich immer reichlich Mühe sein Mitlachen zu verbergen. Wurden mal Magazine oder Illustrierte mit Nackedeis auf dem Tisch gelegt, dann protestierte er energisch – aber erst nach reichlichem Volltanken seines Bildspeichers. Er hält seine Ehe für mustergültig, was ich aber nach meinem Geschmack nicht bestätigen möchten. Er geht von dem alttestamentlichen Grundsatz, dass die Frau dem Manne untertan sein solle aus und hält seine Elvira praktisch wie eine bessere Sklavin. Das wissen wir aus seinen eigenen Worten und das haben wir auch schon miterlebt, wenn wir mal aus irgendeinem Anlass, zum Beispiel anlässlich seines Geburtstages, bei ihm zuhause waren. Das seine Frau „Nurhausfrau“ ist, kann man allerdings bei den fünf Kinder, die die Beiden miteinander haben, allerdings nachvollziehen. Seine Kinder sind allerdings bereits erwachsen oder stehen kurz vor dem Erwachsensein. Die Kinder sind Hottes familiäre Probleme, denn jetzt wo sie ihre eigenen Wege gehen können kehren sie mehr oder weniger der Berufsfrömmelei den Rücken. Was die Einstellung zur Ehefrau anbelangt können sich Hotte und Günter die Hände reichen. Günter betreibt dieses Machowesen aber aus einer anderen Motivation. Er ist der Herr im Haus und in seiner Firma und bestimmt autoritär die Richtung. Widerspruch, insbesondere von Claudia, seiner Frau, lässt er nicht zu. Die Beiden haben auch nur einen Sohn. Ein Erbe genügte Günter. Ansonsten ist er kein Kind von Traurigkeit. Hier in Neudorf putzt er den vornehmen und feinen Mann heraus und deshalb begibt er sich zum Besuch von einschlägigen Etablissements in etwas entferntere Ortschaften. Mal treibt er es mit Gewerblichen und mal mit
„ganz normalen“ Frauen. Ein Seitensprung, den er aber im Gegensatz seiner Frau nicht zubilligt, gehört für ihn einfach zum Leben eines Mannes. Aber so schlimm wie Williken treibt er es bei Weitem nicht. Willi hat führt nach seinen eigenen Worten eine „offene Ehe“. Mit Regelmäßigkeit legt er sich eine andere „Zweitfrau“ zu, mit der er es dann eine Zeit lang treibt. Zu Silke, seiner Frau, hat er jedoch ein partnerschaftliches Verhältnis und sie führen eine gleichberechtigte, kinderlose Ehe. Hintergrund mag da auch Silkes lesbische Veranlagung sein. Williken toleriert ihre Partnerschaft mit einer anderen Frau und sie im Gegenzug seine regelmäßigen Seitensprünge. Willi erzählte mir mal, dass Silke und er von Anfang an sehr gute Freunde gewesen seien. Er habe von seinem „Bedürfnis nach Abwechselung“ und sie von ihrer lesbischen Veranlagung nie einen Hehl gemacht. Da sich beide aber Kinder gewünscht hätten, sei bei ihnen der Entschluss gekommen eine Ehe unter Freunden, in der Kinder eine richtige Familie finden sollten, zu führen. Das mit den Kindern habe aber nicht geklappt aber trotzdem wollten sie sich „treu“ bleiben. Die Gleichgeschlechtlichkeit teilt sich Willikens Frau mit ihrem Bruder. Henning ist hochgradig schwul. Er lebt auch treu in einer Partnerschaft mit einem anderen Mann. Darüber, warum er seinen Lebenspartner nie mit zu unserem Herrenabend brachte, hat er sich nie geäußert und wir haben ihn auch nie danach gefragt. Letztes Jahr im August ist Henning mit seinem Freund eine offizielle Lebenspartnerschaft eingegangen. Für Hotte war das ein Beitrag zum Untergang des Abendlandes. Er sah, wie seine Partei, den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie durch die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften gefährdet. Warum eigentlich? Wenn man jemanden Rechte zugesteht greift man dadurch doch in keiner Weise in bestehende Rechte anderer ein. Aus seiner, mir doch ein wenig suspekten christlichen Auffassung, hält er die Homosexualität nicht für eine Veranlagung, die als solches ja auf den Schöpfer zurückzuführen ist, sondern für eine Todsünde. Nach langläufiger Auffassung scheine ich wohl unter uns Fünfen der normalste zu sein. Beate und ich sind jetzt 28 Jahre verheiratet und wir haben zwei, inzwischen erwachsene und außer Haus befindliche Kinder, Sabine und Michael, groß gezogen. Zu meiner Ehre oder meiner Schande, je nach eigener Einstellung, muss ich gestehen, dass ich während unserer Ehe nie einen Seitensprung unternommen habe. Ein Kind von Traurigkeit bin ich allerdings nicht. Wo es hübsche Nackedeis zu erblicken gibt bin ich dabei. Um Gemeinschaftssaunen oder FKKStrände haben Beate und ich nie einen Bogen gemacht sondern im Gegenteil bewusst aufgesucht – und das, ehrlich gesagt, auch aus erotischer Motivation. Spaßhalber beschreibe ich meine Einstellung immer mit: „Appetit darf man sich holen aber gegessen wird zu Hause.“. Soweit also die ausführliche Vorstellung unserer IG FuS. Danach dürfte für jedermann klar sein, dass wir bei so unterschiedlichen Auffassungen und Charakteren so gut wie nie einer Meinung waren. Auch Fraktionen gab es unter uns nicht, da man je nach Thema mal mit diesem und mal mit jenem konform ging. Trotzdem freuten wir uns immer wieder auf unseren Abend und waren, auch wenn es fast unwahrscheinlich aussieht, im Grunde gute Freunde. Erstmalig richtig strittig und ärgerlich ging es bei uns am Dienstag, dem 11. September 2001 zu. Sicherlich weiß eine Jede und ein Jeder was an diesem Tag in Washington und New York passierte und muss jetzt hier nicht erst ausführlich geschildert werden. Der Zufall wollte es, dass dieser Tag auch der Termin für unseren turnusmäßigen Herrenabend gewesen wäre. Des Nachmittags, nach dem wir von dieser Geschichte gehört hatten, waren wir allesamt, wie wir uns am Abend gegenseitig bestätigen konnten, ein wenig am schwimmen. Von uns aus sprach nichts dagegen, dass wir uns auch an diesem Abend treffen würden. Aber was würden die Leute sagen, wenn sich der Sparkassenleiter, ein Unternehmer, ein Einzelhändler und zwei nicht unbekannte Mitarbeiter der Stadtverwaltung sich da zu einer „fröhlichen“ Runde treffen. Nun, Williken und mir war die diesbezügliche öffentliche Meinung eigentlich recht schnuppe aber den drei anderen Herren war diese „Vox populare“ (Stimme des Volkes) keineswegs gleichgültig. Mit Willi hatte ich schon überlegt, dass wir die Anderen anrufen und ihnen vorschlagen sollten, unsere IG FuS mal ausfallen zu lassen. Da nahm uns aber ein Anruf seitens Günters sowohl die Zweifel wie die „Arbeit des Anrufens“ ab. Günter lud uns in sein Haus ein. Dieses Haus kann man zwar noch nicht als Villa bezeichnen aber mehr als ein durchschnittliches Eigenheim ist es schon. Im Keller hat er sich eine Bar, die sich sehen lassen kann, und eine Sauna eingerichtet. In diese hatte er uns schon mal mit unseren Gemahlinnen eingeladen. Williken und ich waren davon ganz begeistert aber Hotte schrie soviel Mordio, dass auch Willi und ich ausgeladen wurden. Warum Hotte demgegenüber in diesem Sinne nichts gegen die Bar hat ist meines Erachtens ein weiteres Indiz seiner Scheinheiligkeit. Da Günter nämlich ein großes Aktgemälde, welches Claudia, seine Frau, als Venus zeigt, aufgehangen hat. Allerdings waren sie, als das Bild gemalt wurde, 20 Jahre jünger und das Bild ist auch kunsthandwerklich gut gemacht. Aber das war für Hotte Kunst und stand auf einem anderen Blatt wie gutgemachte Aktfotos in den Illustrierten. Na ja, ich vermag aber in der Hinsicht keine Unterschiede erkennen. Das Wesentliche hier ist, dass in diesem Fall nichts gegen eine IG FuS in der Schrieber Bar sprach. Für das leibliche Wohl war auch gesorgt. Die Speise servierte uns das „Aktmodell“ und für die Getränke sorgte der Hausherr selbst.
Das die Terroranschläge auf das Pentagon und das World Trade Center das Thema des Abends waren versteht sich von selbst. Natürlich waren wir uns darüber einig, dass dieses schreckliche, durch nichts zu rechtfertigende Verbrechen waren. Durch einen Einwand Hottes wurde die Diskussion dann aber eingeheizt. Er trug vor: „Der Islam ist eine gefährliche aggressive Religion, der wir unbedingt Einhalt gebieten müssen.“. „Willst du den Kulturkampf, einen Kreuzzug, ausrufen?“, fragte Williken zurück und fuhr fort: „Ich glaube, dass wir dann an der Sache vorbeihandeln würden. Religion ist immer nur ein Vorwand für unpolitisches, kriegerisches Vorgehen gewesen. Die wahren Gründe liegen wohl mehr in der ungerechten Verteilung der Güter auf dieser Erde. Überlegt euch mal das 6 Prozent der Weltbevölkerung 59% des gesamten Weltreichtums besitzen aber 80 Prozent keine ausreichenden Wohnverhältnisse haben. 70 Prozent sind mangels ausreichender Schulen Analphabeten und 50 Prozent der Menschen sind unterernährt. Mit anderen Worten 6 Prozent aller Menschen sind wahnsinnig reich und leben in Saus und Braus während gleichzeitig 50 bis 80 Prozent der Leute existenzielle Not leiden. Könnt ihr euch vorstellen, dass die Not die Menschen in die Klauen der Rattenfänger, die mit terroristischen Mitteln diese Ungerechtigkeit beenden zu wollen vorgeben, treibt? Wenn wir solche Fälle in Zukunft vermeiden wollen, müssen wir uns massiv für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt engagieren.“. „Das ist ja unerhört“, entrüstete sich Hotte, „du kannst doch nicht mit diesem islamitischen Verbrecherpack paktieren und die Opfer ... und das ist unsere gesamte westliche Welt mit ihren Werten – als die Übeltäter darstellen.“. „Das hat Williken auch gar nicht gemacht.“, mischte ich mich ein, „Er hat nur auf die Ursachen, die dazu führen, dass die drahtziehenden Verbrecher massenweise Zulauf bekommen, hingewiesen und dort den Ansatzpunkt für eine dauerhaft friedliche Lösung gesehen. Auch meiner Ansicht nach wird sich die Zahl der terrorwilligen Menschen, die in diesem Sinne selbst Opfer sind, sprunghaft mehren, wenn wir nicht einsichtig werden und uns nicht daran machen, eine neue gerechtere Weltordnung zu schaffen. ... Und im Übrigen hast du Unrecht, wenn du den Islam als aggressivste Religion bezeichnest. Der Islam ist genauso friedfertig wie das Christentum. Wenn man von einer aggressiven Religion sprechen kann, dann ist das auf Grund des Ausschließlichkeitsanspruch ... auserwähltes Volk –, des Alleinbesitzanspruches auf das gelobte Land und der auf Vergeltung ausgerichteten mosaischen Gesetze das Judentum. Das darf man als Deutscher aber leider nicht laut sagen, sonst wirft man dir Antisemitismus und Rassismus vor. Das liegt mir natürlich fern. Es ist für mich ausschließlich ein Grund der EKD, die keine Judenmission mehr betreiben will, zu widersprechen. Und damit man mich nicht verkehrt versteht: In der Aggressivität der jüdischen Religion sehe ich überhaupt keine Gefährdung von anderen Religionen oder gar für den Weltfrieden. Deren Aggressivität bezieht ausschließlich darauf, dass sie die göttliche Verheißung für sich, den Nachfahren Abrahams, haben wollen.“. Nach meinen Worten gingen Günter, Hotte und Henning gleichzeitig auf die Barrikaden. Sie warfen mir prompt Antiamerikanismus und Antisemitismus sowie Sympathien zu den Islamisten vor. Sie bezeichneten mich als Feind unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der im Öffentlichen Dienst nichts zu suchen habe. So etwas, dass man die persönliche Integrität eines „Stammtischbruders“ in Frage stellte, hatten wir in der Geschichte der IG FuS noch nicht gehabt. Ich fühlte mich in meiner Ehre verletzt. Darauf unternahm Henning dann doch den Versuch die Situation zu retten: „Leute macht doch keinen Quatsch und zieht Meinungsäußerungen ins Persönliche. Gerd hat sich, meines Erachtens aus seiner christlichen Auffassung, nur etwas blöd ausgedrückt. Was er in Bezug auf die Juden mit ihrem Anspruch das auserwählte Volk zu sein gesagt hat, halte ich auch für richtig. Aber gerade deshalb sind die Moslems und Christen wesentlich gefährlicher. Wenn du den Juden ihren Alleinanspruch lässt tun die niemanden etwas. Aber die beiden anderen wollen Mission betreiben. Sie leiden unter der Zwangspsychose alle Menschen nach ihrer Fasson selig machen zu müssen und wenn sie es mit Argumenten nicht schaffen versuchen sie es mit Waffen. Ich glaube, das die Kreuzzüge und die Inquisition früher nichts anderes waren als das, was die Islamisten heute machen.“. Darauf musste aber unser Superchrist Hotte einschreiten: „Man kann es nicht wegleugnen, dass im Namen unseres Herrn auch viel Unrecht geschehen ist. Das liegt aber daran, dass Machtmenschen das Wort Gottes sich so zurecht interpretierten bis sie die naiven und ungebildeten Menschen in früheren Jahrhunderten damit für ihre Zwecke, sprich Erweiterung ihres Machtbereiches und zur Mehrung ihres Reichtums gewinnen und missbrauchen konnten.“. „Schieb es nicht so weit weg in frühere Jahrhunderte,“, warf Henning zwischendurch ein, „auch heute noch nehmen Rattenfänger gerne die Bibel zur Hand. Auch nach dem heutigen Tage würde es mich nicht wundern, wenn der amerikanische Präsident mit der Bibel in der Hand zum Vergeltungsschlag, den er dann Kreuzzug nennt, aufruft.“. Hotte ließ sich aber nicht beirren und fuhr fort: „Was aber bei den Moslems anders als bei den Christen ist: Der Koran ruft sie praktisch zum Mord an den Ungläubigen auf und verspricht noch den Mördern, dass sie, wenn sie dabei selbst ums Leben kommen, noch am gleichen Tage im Paradiese bei Allah sein würden. So ist der Islam tatsächlich die aggressivste Religion.“. „Hast du überhaupt schon mal den Koran gelesen oder redest du nur das, was Propagandisten wider besseres Wissen plappern, nach?“, hinterfragte Williken und fuhr fort: „Ich habe zuhause den Koran in der deutschen Übersetzung von Max Henning und überarbeitet von Murad Wilfried Hofmann. Den kann ich dir gerne einmal leihen. Dann wirst du feststellen, dass es sich anders verhält wie du eben sagtest. Da empfehle ich dir
insbesondere die 48. Sure ... al-fath, der Sieg, weil sie dem, was du sagtest am Nähesten kommt. Da ließt du zwar die klare Aufforderung, dass sich die Leute, die im Islam sind, sich, wenn sie nicht lahm oder krank sind, den Kampf stellen müssen, wenn sie Allah dazu ruft. Da findest du auch die Verheißung für die Kämpfer, von der du eben sprachst. Aber bitte sage mir nach dem Lesen, wo da etwas davon steht, dass sie angreifen und töten sollen. Verteidigung dürfte wohl die treffendere Interpretation sein. Und an diversen Stellen im Koran findest du, das Allah das Töten verboten habe. In der Tendenz und im Konsens sind sich diesbezüglich das Alte Testament und der Koran gleich. Aus meiner Sicht ist der Islam nicht mehr und nicht weniger aggressiv wie das Judenoder Christentum.“. Mittlerweile durch die Diskussion in meinem Beleidigsein etwas besänftigt warf ich ein: „Wir sprechen jetzt so über die Ereignisse in Amerika als sei ein Religionskrieg ausgebrochen. In Wirklichkeit sind dort aber fürchterliche Verbrechen geschehen, die sich mit keiner Religion auf der Welt begründen und rechtfertigen lassen. Statt darüber nachzudenken was Bibel- und/oder Koraninterpretierer ihren Mitläufern ... Täter und Opfer zugleich – da zusammenfabuliert haben, sollte man zu allererst darüber nachdenken, wo die Gründe liegen, dass diese Rattenfänger überhaupt Gehör gefunden haben und warum ihnen Menschen gefolgt sind. Einer allein ist immer machtlos. Er kann zwar gewöhnliche, immer nur einzelne Menschen treffende Verbrechen begehen aber für ein solches Verbrechen wie heute oder gar für die Errichtung von Gewaltregime brauch man immer viele willfährige Helfer und Mitläufer. Verfolgt mal in der Geschichte die Entstehung von Gewaltregimen. Immer das Gleiche: Zu erst steht da das Elend der Massen. Dann kommen die Rattenempfänger, mal mit nationalen Phrasen, mal mit zurecht gelegten religiösen Parolen und sehr oft mit beiden. Aufgrund des legitimen Wunsches der Menschen dem Elend zu entkommen bekommen spätere Dispute massenweise Zulauf. So etwas lässt sich nur ändern, wenn die Menschen bereit sind, sich die Ressourcen dieser Welt zu teilen und miteinander fair wirtschaften wollen. Ich glaube, dass man sich nicht zufällig das World Trade Center ausgesucht hat. Es steht für die meisten Menschen auf dieser Erde als Symbol für die sogenannte globalisierte Welt, in der einige wenige Besitzende alles für sich in Anspruch nehmen wollen, während die Mehrheit am oder unter dem Existenzminimum vegetiert beziehungsweise verhungert. Der Reichtum des Einen wird immer durch die Armut der Anderen finanziert.“. Damit hatte ich das Trio Günter, Hotte und Henning wieder gegen mich in Front gebracht und auf meiner Seite stritt dann Williken munter mit. So lief es dann für den Rest des Abends; ins Persönliche ging es dann jedoch nicht mehr. Dieses Thema zog sich jetzt wie ein roter Pfaden durch die nächsten Treffen der IG FuS, die dann auch immer wieder im Gasthaus „Posthorn“, das sich an der Stelle des ehemaligen „Hotel zur Post“ befindet, stattfand. Klar, das zunehmend Namen wie Osama Bin Laden, El Kaida, Taliban und Afghanistan mehr und mehr Einzug in unserem Kreis hielten. Kontinuierlich standen bei uns die Fronten aus Günter, Hotte und Henning auf der einen Seite und Williken und meiner „Wenigkeit“ auf der anderen. Immer mehr ging damals die Tendenz in Richtung Afghanistan-Krieg. Williken und ich sahen Krieg gegen ein Volk als absolut ungeeignetes Mittel zur Terrorbekämpfung an. Immer wieder vertraten wir die Ansicht, dass Terroristen Verbrecher seien und die mit polizeilichen Mitteln und gezieltes Vorgehen gegen diese bekämpft werden müssten. Die einzigste sinnvolle Vorbeugung gegen weitere, bestimmt noch schrecklichere Verbrechen, sahen wir Zwei in der Schaffung einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung, in der alle ihre gerechte Chance bekommen. Heiß umstritten in unserer Stammtischrunde war der Horrorkatalog zur inneren Sicherheit, wie ihn unser Bundesinnenminister Schily auf den Tisch legte. Nach Willis und meiner Ansicht kann es doch nicht „Sicherheit über alles“ heißen, zumal eine absolute Sicherheit nie gewährleistet werden kann. Das sollten uns doch die Erfahrungen aus den Polizeistaaten lehren. Aber mit diesem irrealen Sicherheitswahn greift man tief in die persönlichen Freiheiten und in die Privatsphäre der einzelnen Menschen ein. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die wir als das höchste und verteidigungswerteste Gut ansehen, wird durch übertriebene Maßnahmen zu inneren Sicherheit erstickt. Williken und ich waren der Meinung, dass wir optimale Sicherheit nur dadurch erreichen können, dass wir den Sumpf, in dem Verbrechen und Terrorismus entstehen, austrocknen und zwar durch soziales Engagement, durch den Einsatz für eine gerechte Ordnung, die allen Menschen das Leben ermöglicht. Die Einschränkungen der persönlichen Freiheiten zugunsten einer ominösen Sicherheit hielten wir sogar für kontraproduktiv, denn nur derjenige, der sich frei entfalten kann, wird auch Gerechtigkeit empfinden und Identifikationsmöglichkeiten mit der Gesellschaftsordnung finden. Natürlich standen wir mit unseren Ansichten im Widerspruch zu unseren anderen drei Stammtischbrüdern. Ins Persönliche ging es in dieser Zeit zunächst nicht mehr. Das war erst Anfang Dezember, als es um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ging. Sie entsinnen sich doch sicherlich noch daran, wie damals der Bundeskanzler Gerhard Schröder, in einer meiner Ansicht nach unzulässigen Weise, eine Gewissensfrage – Bundeswehr-Einsatz – mit einer Machtfrage – Vertrauensfrage – verknüpfte. Die Abstimmung im Bundestag fand an einem Freitag statt und just an dem vorrausgehenden Dienstag war wieder eine IG FuS angesagt. Auch diese Runde fand wieder im Hause unseres Stammtischbruders Günter Schrieber statt. Dieses mal jedoch nicht aus Angst sondern aus einem netten pikanten Grund. Günter hatte sich eine neue, noch tollere Sauna in seine
„Hütte“, wie er selbst zu sagen pflegt, einbauen lassen. Da hatte er uns dann zur Einweihung zu einem Saunagang eingeladen. Allesamt waren wir erschienen und nur Hotte hätte gerne protestierend gekniffen, denn aus diesem besonderen Anlass wurde unser Fünf-Herren-Kreis um eine Dame erweitert. Günter hatte seine Frau miteinbezogen. Mir war es recht, denn Claudia ist nach wie vor eine fesche Frau, die man gerne mal im Evaskostüm sieht. Sie selbst scheint auch eine entsprechende exhibitionistische Ader zu haben, was man auch aufgrund des Aktgemäldes in der Bar vermuten kann, und diese Sache zu genießen. Günter hatte uns vorher allerdings nicht von der Teilnahme seiner Frau unterrichtet. Ihm dürfte bekannt gewesen sein, dass dann Hotte, dem man sein Unmut richtig ansah, und vielleicht auch Henning nicht gekommen wären. An diesem Abend outete Hotte auch wieder seine Scheinheiligkeit. Er demonstrierte zwar wortlosen Unmut aber kein anderer hat so wie er die nackte Claudia mit den Augen abgegrabscht. Während der Saunagänge führten wir nur lockere Gespräche, die ich nach der vergangenen Zeit auch nicht mehr wiedergeben kann. Zur Sache ging es erst spät, so gegen Zehn. Da saßen wir wieder, wie am 11. September 2001, in der Bar zusammen. Ausnahmsweise waren wir alle, außer Henning, der Meinung, dass das Vorgehen des Bundeskanzlers, die Frage nach dem Bundeswehreinsatz mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen, unzulässig sei. Allerdings aus unterschiedlichen Beweggründen. Günter und Hotte sahen darin eine politische Erpressung mit der Schröder eine breite Zustimmung im Parlament, also auch die Zustimmung der Opposition, verspielen würde. Williken und ich dagegen sind heute noch der Ansicht, dass die Frage nach einem Militäreinsatz eine Gewissensfrage sei, die mit nichts anderem verknüpft werden dürfte. Williken wies auf Artikel 38, Absatz 1, des Grundgesetzes hin: „... Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden (auch nicht an Weisungen von Regierungen und Parteivorständen) und nur ihrem Gewissen unterworfen.“. Gemeinsam mit mir war er der Meinung, dass der üblicher Weise bei uns ausgeübte Fraktionszwang verfassungswidrig sei. Und in diesem Fall, so meinte Willi, würde der Fraktionszwang durch Nötigung ausgeübt. Nur Henning hielt „seinem“ Kanzler die Stange. Er vermochte auch in der Frage des Bundeswehreinsatzes keine Gewissensfrage sehen. Das rief mich dann auf den Plan: „Ich habe mich vor 40 Jahren mal als Kriegsdienstverweigerer anerkennen lassen. Damals musste ich noch vor einem Untersuchungsausschuss erscheinen und meine ehrliche und aufrichtige Gesinnung prüfen lassen. Ich bin anerkannt worden, weil ich zuhause streng im calvinistischen Sinne erzogen worden bin. Der Reformator Calvin lehrte uns, dass wir unserem Gott absoluten Gehorsam schulden. Da sehe ich in erster Linie die Gebote, die mir zu befolgen auferlegt wurden. Das fünfte Gebot lautet ohne Wenn und Aber: Du sollst nicht töten. Dazu gibt es für mich keinerlei Ausnahme. Da uns Jesus eindeutig ermahnte, dass wir Gott mehr als den Menschen gehorchen müssen, kann ich eine Zustimmung zu einem Militäreinsatz, gleichgültig aus welchen Gründen, nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Säße ich jetzt für die SPD oder die Grünen im Bundestag wäre ich jetzt gezwungen, wenn ich meinen Gott nicht heucheln wollte und meine damalige Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nicht lügen strafen wollte, dem Kanzler mein Misstrauen aussprechen. Sicherlich würden die Parteiimperatoren wie Müntefering oder Fischer dafür sorgen, dass ich dort kein Bein mehr auf die Erde bekommen würde. Ich würde mich aus Treue zu unserem Gott meines Jobs und meiner Einfluss- beziehungsweise Teilnahme berauben. Das auch, wenn ich in allen anderen Punkten voll auf Regierungslinie läge. Das nenne ich Gewissensnötigung. Durch die Verknüpfung einer schwerwiegenden Gewissensfrage mit einer Machtfrage sind SPD und Grüne für mich unwählbar geworden. Da die anderen für mich schon immer unwählbar waren, bleibe ich bei der nächsten Wahl zu Hause.“. Lassen Sie mich, liebe Leserin, lieber Leser, hier gleich anmerken, dass ich im September 2002 nicht Zuhause geblieben bin sondern ich habe Urlaub in Griechenland gemacht ohne vorher eine Briefwahl zu machen. Ich habe also Wort gehalten und bin Nichtwähler geworden. Auf meine kleine Rede meldet sich dann unser Superchrist Hotte zu Wort: „Gerd, du weißt genau, dass Luther einen Übersetzungsfehler gemacht hat und es nicht ‚töten’ sondern ‚morden’ heißt.“. „Falsch, Luther hat richtig übersetzt.“, konterte ich, „Die Hebräer kannten die juristischen Spitzfindigkeiten Tötung, Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag oder Mord noch gar nicht. Sie unterschieden lediglich zwischen dem Töten von Tieren und dem Morden von Menschen. Wie weit du das nehmen muss sagt uns Jesus in der Bergpredigt: ‚Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: «Du sollst nicht töten»; ... oder sagen wir ruhig morden ... wer aber tötet/mordet, der wird dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka! der wird dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: Du Narr! der wird dem höllischen Feuer verfallen sein. (Mt. 5, 21 + 22)’. Also schon die Absicht oder die Bereitschaft seinem Nächsten etwas zuzufügen ist in den Augen des Herrn töten – oder wenn du es in Vokabelübersetzung haben willst morden. Alle Rechtfertigung von Menschentötungen, also von Mord im Sinne der Hebräer, die die 10 Gebote niedergeschrieben haben, sind nur verkehrende Interpretationen des Konsens der Bibel ... und auch des Korans. Damit muss ich auch dem Tucholsky-Zitat ‚Alle Soldaten sind Mörder’ recht geben. Damit ihr mir jetzt nichts unterstellt ...“. Weiter kam ich nicht, denn es brach ein Riesentohuwawo aus. Ich hatte, als ich unterbrochen wurde, noch klarstellen wollen, dass ich nicht die Soldaten der Bundeswehr beleidigen wollte, sondern im Grundsatz die
gesamten Soldateska meinte. Im Sinne Jesu sind alle Soldaten und ihre Helfer Mörder, gleichgültig ob Deutsche, Amerikaner, Israelis oder Taliban, auch gleichgültig ob sie für Disputen oder für die Befreiung von Völkern kämpfen. Hätte man mich aussprechen lassen, wäre es sicherlich nicht zu dem Riesenwirbel in der IG FuS gekommen, denn es wurde mit die Straftat der Beleidigung der Bundeswehrsoldaten unterstellt. Auch jetzt wurde gesagt, dass ich nichts im Öffentlichen Dienst zusuchen hätte. Günter ergriff die Konsequenz mich rauszuschmeißen. Das hätte er gar nicht tun brauchen, denn ich wollte schon von mir aus den Heimweg antreten. Da ich aber zwischenzeitig nicht zu Wort gekommen war, konnte Günter allerdings den Triumph eines Rausschmisses kosten. Auch Williken erhob sich und zog mit mir von dannen. Nicht etwa aus alter Treue sondern aus Überzeugung. Er ist der gleichen Ansicht wie ich. Damit war unsere IG FuS zunächst einmal gestorben. Es gab jetzt zwei „Stammtischrunden“. Wie in den Zeiten, als Hotte noch nicht wieder zu uns gestoßen war, setzten sich Willigen und ich uns im 14-tägigen Rhythmus auf einen Imbiss und ein paar Gläsern Bier zusammen; mit den Anderen hatten wir abgeschlossen. Hotte und Günter trafen sich jetzt wöchentlich zu einer Saunarunde. Was mich später dann hinsichtlich Hotte wunderte war, dass er jetzt auch seine Elvira zu der Gemeinschaftssauna für zwei Pärchen mitbrachte. Henning nahm weder an der einen noch der anderen Gruppe teil. Auf der einen Seite fühlte er sich bei den Saunafreunden und seiner schwulen Veranlagung nicht wohl und auf der anderen Seite war er der Meinung seinem Schwager nicht in den Rücken fallen zu können. Bei uns mochte er wegen unserer erheblichen politischen und weltanschaulichen Differenzen aber auch nicht teilnehmen. Nach der, etwa ein halbes Jahr später stattgefundenen, Wiedervereinigung der IG FuS ließ er sich auch nicht bewegen, wieder zu uns zu stoßen. Bis zum Zeitpunkt der Versöhnung waren wir uns in den beiden Lagern spinnefeind; wir haben uns nicht einmal mehr auf der Straße gegrüßt. Da waren Williken und ich dann Anfang Juni 2002 förmlich überrascht als sich plötzlich und unerwartet Hotte zu uns gesellte. Er hatte mit Günter Krach bekommen. Irgendetwas hatte dieser Krach mit den Saunagängen und den dabei anwesenden Frauen zu tun. Genaues haben wir allerdings nie erfahren. Hotte war der Gang auf uns zu nicht leicht gefallen. Er kam an den Tisch, an dem Williken und ich saßen und fragte: „Wollen wir nicht vergessen was gewesen ist. Wir waren ja immer schon ganz gute Freunde ... wir haben nur unterschiedliche Auffassungen.“. Willi reagierte prompt: „Dann setzt dich ... aber kein Wort über die Sache von vor einem halben Jahr.“. Irgendwie schien dieses das gewesen zu sein, was Hotte erhoffte und dieser erste Abend im neuerlichen Trio verlief dann ausgesprochen nett. Einen Monat später war auch Günter wieder mit von der Partie. Er hatte sich mit Hotte und Frau ausgesprochen und Hotte hatte ihn dann zum nächsten Treff mitgebracht. Das war dann das Quartett, was jetzt vor Kurzen wohl für immer auseinander gebrochen ist. Unsere Gespräche zwischen Juli und dem Zeitpunkt, wo ich im September in den Urlaub flog, drehten sich alle nur um ein Thema: „Wahlkampf 2002“. Ich weiß nicht ob ich mich vielleicht täusche aber ich habe den Eindruck, als sei dieser von der Bevölkerung wesentlich weniger als frühere wahrgenommen worden und durch die Konzentration auf den Medienrummel höchstgradig unpolitisch geworden. Alles achtete auf Personen und ihre Medienwirkung und politische Inhalte wurden kaum diskutiert. Auch wir sprachen mehr über Schröder, Stoiber, Merkel, Möllemann, Westerwelle und Co. als über brennende politische Angelegenheiten. Die beiden großen Parteien hatten in einer Grundgesetz verkehrenden Weise ihren Wahlk(r)ampf so aufgezogen als gäbe es in Deutschland eine Direktwahl des Kanzlers. Schröder oder Stoiber schien die Alternative zu lauten. Merkte da niemand, dass die beiden Vortänzer für die Bevölkerung gar nicht zur Wahl standen. Laut Grundgesetz wählen die Bürger die Mitglieder des Deutschen Bundestag und die wählen aus ihrer Mitte den Bundeskanzler. Na ja, die Amerikaner wählen ihren Präsidenten direkt und wenn man den US-Medienklamauk Eins zu Eins nachahmen will, dann muss man den Deutschen halt vorgaukeln, sie hätten die Chance ihren Kanzler direkt zu wählen. Die Sache hat nur einen Haken: Wenn sich in späteren Koalitionsverhandlungen herausstellt, dass weder der Eine noch der Andere vom jeweiligen Koalitionspartner akzeptiert wird, müssen die Parteien erklären „Ätsch bätsch, war alles nur ein Geck, richtig ist was im Grundgesetz steht.“. In dieser Zeit, wo man in Deutschland ein Medienpalaver um einträgliche Regierungs- und Bundestagessitze veranstaltete, begann auf der weltpolitischen Bühne das Drama, was dann unsere IG FuS endgültig aufspalten sollte. Die, der Energie- und Öllobby entspringende, Bush-Administration hatte die Welt in Gut und Böse aufgeteilt und begehrte nun den Krieg gegen die Achse des Bösen. Als ersten und ärgsten Erzfeind hat sich Cowboy Georg mit dem Dabbelju das Land ausgesucht, was schon seinem Väterchen irgendwo quer lag: den Irak. Angeblich sollte der Irak mit seinem Disputen Saddam Hussein über riesige Mengen Massenvernichtungswaffen, mit der er die USA bedrohe, verfügen. Das Bush „sein Land verteidigen“ wollte scheint mir sogar der größte Propaganda-Hohn, den ich jemals gehört habe, zu sein. Was allerdings das Jahr 2002 in der IG FuS anbelangt kann ich nur ein müdes „Was soll’s“ anmerken, denn wir haben damals zwar hart und kontrovers diskutiert, sind damals aber immer als gute Stammtischbrüder auseinander gegangen und so auch wieder zusammen gekommen.
Das änderte sich erst im Januar dieses Jahres, also Anfang 2003. Ausgerechnet in dieser Zeit schienen sich bei den UN-Inspektionen im Irak Erfolge abzuzeichnen. Die Irakies wurden gegenüber den Leuten von Hans Blix, dem Chefinspektor, kooperativer; wenn auch zögerlich aber immerhin. Ich glaube, dass dieses den Amerikaner, die auf jeden Fall losschlagen wollten, gar nicht in den Kram passte. Jeder, der ein Wenig logisch denken kann, kommt schnell dahinter, warum die Amerikaner den finalen Krieg auf jeden Fall haben wollten. Die komplette Bush-Administration war und ist bei den großen Öl- und Energiekonzernen beheimatet. Wenn wir weiterhin so rücksichtslos Energie verschwenden, dann weiteten sich nicht nur die lebensvernichtenden Ozonlöcher in der Atmosphäre aus sondern dann werden die Energiequellen, wie zum Beispiel die Erdölvorkommen, radikal ausgebeutet. Die Vernunftlösung heißt also Energie sparen, sparen und nochmals sparen. Wie sieht dieses dann für die Erträge von Energienkonzernen aus? Schließlich erzielen diese ihre Gewinne ausschließlich aus der Ressourcenverschwendung. Energie, die man nicht verprasst brauch man auch bei keinem Energiemulti zu kaufen. Deshalb blockiert die Bush-Administration auch das Kyoto-Abkommen. Die Devise lautet augenscheinlich: „Verprasst die Güter der Erde damit ihr uns bereichert und nach uns die Sintflut.“. Wenn sich jetzt die Amerikaner mit dem begnügen, was sie unter eigner Kontrolle haben, könnten schon in der Mitte dieses Jahrhunderts die Lichter ausgehen. Deshalb ist deren bestreben alles unter ihre Kontrolle zu kriegen. Dabei dürften sie sich nicht nur auf den Irak, wo sie schon mal den Anfang machen wollen, begnügen. Ich schätze das Bush und Freunde auch schon auf andere Gebiete, wie dem Iran, Libyen und so weiter, schielen. Knallhart sagte ich während einer Diskussion innerhalb der IG FuS: „Blut für Öl und Öl für die Konten der Großaktionäre der Energiegiganten.“. Au weia, da hatte ich bei Günter und Hotte ins Schwarze getroffen. Solch niedrige Beweggründe für die USA und Großbritannien, den Mutterländern unserer Demokratie, die uns Deutsche im zweiten Weltkrieg von der braunen Tyrannei befreit hatten, wollten sie nicht gelten lassen. Hierauf gedachte Williken zu kontern: „Glaubt ihr im Ernst, dass es jemals einen Krieg gegeben hat und geben wird, bei dem nicht wirtschaftliche Belange den Hauptgrund darstellen. Aber man kann ja schlecht sagen ‚Ihr sollt töten und sterben, damit wir noch mehr Schätze auf Erden sammeln können.’. Da muss man schon den Kriegsanlass schön reden. Da wird dann von Religion, von Humanität, von höheren Werten und, und, und ... gesprochen. Das war auch beim zweiten Weltkrieg so. Denkt doch nur mal an das ganze amerikanische Kapital was damals in Deutschland steckte. Wie hat die amerikanische Großindustrie, Ford, Opel (GM), IBM, und, und, und ... dem Hitlerregime bei der Vorbereitung und Durchführung des Krieges geholfen. Die gleichen Kreise waren es ja auch, der die Taliban gegen die Russen, die irakische Bathpartei, Osama Bin Laden und Saddam Hussein groß gemacht haben. Wer hat den totalitären Regime in Lateinamerika geholfen. Es scheint ein amerikanisches Schicksal zu sein, dass aus deren ursprünglichen Freunden immer Feinde werden.“. „Das hört sich jetzt so an als wolltest Du den Amerikaner die Schuld an allen Übeln dieser Welt geben.“, wurde er jetzt von Günter unterbrochen, „Und wenn es so wäre, ist es doch nicht von der Hand zu weisen, dass die Amerikaner doch letztendlich immer für Menschenrechte und Demokratie eingestanden sind und dafür reichlich Blutzoll gezahlt haben.“ Williken ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Na, immer dann wenn sich das Blatt wendet und dabei amerikanische Wirtschaftsinteressen gefährdet aussahen, spulten sie sich zu Vorkämpfern für Freiheit und Demokratie auf. Eines der letzten Beispiele dafür ist doch Kuwait. Das ölreiche Kuwait wurde von den Irakies aber nicht von dem korrupten, menschenrechtsverletzenden eigenem Regime befreit. Damals im zweiten Weltkrieg wurde man ja auch erst aktiv als man auf Jalta die wirtschaftlichen Interessenssphären abgesteckt und danach die Welt aufgeteilt hatte. Ich habe mal gelesen, dass es in den USA ursprünglich mal Pläne gab auf Seiten Hitler-Deutschland in den Krieg einzugreifen. Das wäre der Fall gewesen, wenn es den Russen zuvor nicht gelungen wäre den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten zu wenden. Da bestand dann die Gefahr, dass die Sowjets nicht an der Elbe stehen geblieben wären sondern bis zum Atlantik durchmarschiert wären. Das wäre doch ein derber Schlag für die Dollar-Fürsten gewesen.“. Nachdem ich Williken bekräftigend zur Seite gesprungen war teilte sich unsere Stammtischrunde in zwei sich während der Diskussion sich immer mehr verhärtende Fronten auf. Auf der einen Seite standen Günter und Hotte, die in Kriegsgelüsten noch Notwendigkeiten und auch was Edles sahen und auf der anderen Seite Williken und ich, die wir hartnäckig bestritten, dass es gerechte Kriege, die man, außer mit wirtschaftlichen Nicht-Satt-Werdens-Können, begründen könne, nicht gäbe. Im Verlauf des Streites – von Diskussion konnte man jetzt nicht mehr sprechen – mussten Willi und ich uns sagen lassen, dass aus uns der Antiamerikanismus und Klassenkampf sprechen würde. Wir unsererseits hielten insbesondere Hotte die Jesu Worte aus der Bergpredigt vor: „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; auf dass ihr Kinder eures Vaters im Himmel seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Tun nicht die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden ebenso? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer himmlischer Vater vollkommen ist! (Matthäus 5,44-48)“. Wir fanden es unverständlich, dass ein Christ überhaupt eine befürwortende Stellung zum Krieg, gleichgültig aus welchem Grunde haben könnte.
Das führte dann in unserer Runde zur Spaltung der Pro-Kriegs-Front. Der atheistische Günter nahm unsere Aussagen zum Anlass zu sagen warum er Religion für Opium fürs Volk hielt. Dadurch, dass die Pazifisten in den 30er-Jahren, insbesondere in Frankreich, den Leuten einen „solchen Schrott“, wie wir eben, eingeredet hätten, wäre es zum Völkermord und dem von Deutschland ausgehenden Angriffskrieg gekommen. Durch diese Aussagen geriet Hotte zwischen die Fronten. Die Mär, dass die Pazifisten den zweiten Weltkrieg maßgeblich mitverschuldet hätten, passte in seine Fasson. Das aber Religion Opium fürs Volk sei wollte er aber nicht stehen lassen. Und so gab es erst einmal eine Diskussion über das Für und Wider der christlichen Religion zwischen Hotte und Günter. Dadurch „entspannte“ sich die Zwei-Fronten-Atmosphäre erst einmal wieder sonst wäre, so schätze ich, die „gute“ IG FuS wahrscheinlich schon an diesem Abend auseinander gebrochen. Die Diskussion – und so konnte man den weiteren Verlauf ruhig nennen – kam dann etwas vom aktuellen Thema ab und ging dann mehr ins Allgemeine. Ich stellte die These auf, dass, wenn man nach dem ersten Weltkrieg politisch weniger nach Vergeltung und Reparation geschielt hätte, die Entwicklungen in Deutschland, die dann zum zweiten Weltkrieg führten, verhindert hätte. Dabei fand ich dann allgemeine Zustimmung, als ich behauptete, dass es einen Krieg nur nach einem totalen Versagen der Politik gäbe. Günter wandte ein, dass das politische Versagen aber nicht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbruch eines Krieges stehen muss. So wie das Versagen der Politik früher unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg lag, läge es heute in den 80er-Jahren. Mit Saddam Hussein und seiner Bathpartei hätte man auf den falschen Mann gesetzt und hätte nicht beim IranIrak-Krieg zusehen dürfen sondern aktiv politische Mittel nutzen müssen. Irgendwann sei es, so die Ansicht Günters, aber zu spät um noch mit politischen Mitteln handeln zu können, da müsse man schon bereit sein für die richtige Sache zu streiten und dürfe sich dann nicht mehr feige hinter dem Pazifismus verstecken. Das fand dann wieder Hottes Zuspruch und unsere „Gegenwehr“. Zu einem erneuten Streit kam es, vermutlich auch wegen der fortgeschrittenen Stunde, aber nicht mehr. Die nächsten beiden Male lief es dann in der IG FuS friedlich ab. Beim ersten Mal lag das wohl am Fehlen Hottes; er war auf einer Fortbildung für Banker. Die Gelegenheit nutzten wir um das Thema Nummer Eins auf die Tagesordnung zu setzen. Es wurden Zoten gedroschen und Pikanterien erzählt. Ein paar Tage vor unserer zweiten Zusammenkunft hatte ein Neudorfer Landschaftsbau-Unternehmen mit fast 100 Beschäftigten Insolvenz angemeldet. Und das just zu einem Zeitpunkt als ein Korruptionsverdacht gegen das Unternehmen lauter geäußert wurde. Die Firma „Bauer, Garten- und Landschaftsbau“, hatte so gut wie alle entsprechenden öffentlichen Aufträge, sowohl für die Stadt Neudorf, wie für die Nachbargemeinden und auch dem Kreis, ausgeführt. Bei der Auftragsvergabe soll es jedoch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Trotz des immer näher rückenden Krieges stand dann dieses lokale Thema auf der Tagesordnung. Na ja, das Hemd ist dem Kopf immer näher als die Hose. Dann sollte es aber in unserem Kreis reichlich rumsen. Der Kriegswahnsinn war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Gange aber es war eindeutig sichtbar, dass die Hau-Drauf-Garden um Bush und Blair und ihre spanischen, italienischen sowie dänischen Vasallen kaum noch zur politischen Vernunft kommen würden. Immer mehr wurde deutlich, dass die Bush-Administration letztlich auf ein Votum des Sicherheitsrates, in dem die Mehrheit mehr oder weniger eindeutig gegen deren kriegslüsternen Plänen war, „pfeifen“ würde. Was mag die CDUChefin Merkel dabei gedacht haben, als sie wider besseres Wissen behauptete, Deutschland würde sich, wenn es nicht der amerikanischen Führung in den Allerwertesten kriegt, international isolieren? Schließlich lag die Mehrheit der Völker auf der Linie von Frankreich, Deutschland und Russland, die nicht müde werden wollten doch noch eine politische Lösung zu finden. Aber eine friedliche Lösung hätte ja die irakischen Ölfelder nicht unter die Kontrolle der Cowboys und ihrer „Arschkriecher“ gebracht. Nach meiner Meinung gab es für Bush und Freunde zu keinem Zeitpunkt eine Alternative zum Krieg.. Aus meiner Sicht, riefen sie aus ihren sicheren Sesseln den jungen Leuten ihrer Völker zu: „Ihr sollt töten und sterben, damit unsere Sponsoren, die uns auf unsere Pöstchen propagiert haben, zu ihren Milliarden noch ein paar dazu kriegen. Euren Eltern, Frauen und Kindern werden wir erzählen ihr wäret Helden. ... Gibt es einen schöneren Dank?“. Mit Sicherheit macht die Kriegslüsternheit der Öldurstigen auch nicht nach dem Fall des Iraks halt, denn es gibt ja noch den Iran, Syrien, Libyen und andere Länder mit größeren Erdölvorkommen. Wenn es nicht gelingt, Leute wie Bush, Blair, Rumsfeld, Powell und Co. das Handwerk zu legen und diese zur menschlichen Vernunft zu bringen steht uns noch einiges bevor. Als ich diese Thesen in unserer IG FuS geäußert hatte schlug mir aggressive Opposition seitens Günter und Hotte entgegen. Sie fanden es unerhört, wie ich den bisher größten Freund Deutschland, der uns von der NaziBarbarei befreit habe, so diffamieren könne. Die USA und Großbritannien seien ja große demokratische Länder mit langer Tradition und deren Führer seien durch demokratische Wahlen auf ihre verantwortungsvollen Posten gekommen. Da hakte dann erst einmal Williken ein: „Wenn du die Maschinen-Manipulations-Wahl, die dann mit Unterstützung parteiischer, sprich republikanischer, Richter Little Bush an die Macht jubelte, demokratisch nennst, hast du vollkommen recht. Ich verstehe unter Demokratie etwas anderes. Und im Übrigen ist der Präsident der Vereinigten Staaten, genau wie der Papst oder unser Bundeskanzler, kein Übermensch, der mit
besonderen göttlichen Gaben ausgestattet ist, sondern ein Mensch wie du und ich. Wenn er was sagt, dann sagt das George W. Bush und nicht das amerikanische Volk. Und wenn das, was er sagt, falsch ist, dann muss in der Demokratie die Kritik daran erlaubt sein. Ich verstehe euere Aufregung beim besten Willen nicht.“. Da musste Günter doch Protest einlegen: „Denk mal daran, was wir alles den Amerikaner zu verdanken haben. Sie haben uns vom Nazi-Regime befreit und haben uns anschließend über den Marshall-Plan die großzügigste Entwicklungshilfe, die es jemals gab, gewährt. Dadurch fanden wir wieder Zugang zu den wohlhabenden Industriestaaten. In der Zeit des Kalten Krieges haben sie ihr Schutzschild über uns ausgebreitet. Da kannst Du doch jetzt nicht hingehen und deren Präsident auf die gleiche Stufe wie Dispute, die über einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind, stellen.“. Da musste ich dann doch auch noch meine Meinung dagegen stellen: „Also ganz so euphorisch wie Du sehe ich das deutsch-amerikanische Verhältnis in meinen kühnsten Träumen nicht. Dahinter standen, wie auch heute, handfeste amerikanische Wirtschaftsinteressen. Die Amerikaner sind schon mal bereit dem Gott Mammon Menschenopfer zu bringen. Aber zur Dankbarkeit: Wenn mir jemand das Leben rettet, bin ich ihm dafür natürlich sehr dankbar. Diese Dankbarkeit hindert mich aber nicht daran ihn, wenn er später meine Frau vergewaltigt, anzuzeigen. Umgekehrt ... das würde jetzt auf Israel zutreffen - : Wenn ich jemand in krimineller Weise verletzt habe, dann halte ich es für selbstverständlich, dass mich diese Tat reut und ich Buße tun muss. Wenn aber mein früheres Opfer dann unsere Sabine (unsere Tochter) schändet zeige ich ihn genauso wie jeden anderen an. Warum sollen das, was wir da für normal halten, nicht auch in Politik gelten lassen. Ich bleibe dabei: Wenn die USA und Großbritannien ohne UN-Mandat den Irak angreifen ist das ein Verbrechen im völkerrechtlichen Sinne und im christlichen Sinne ist es auch mit UN-Mandat ein Verbrechen.“. Nun glaubte auch Hotte etwas dazu sagen zu müssen: „Gerd, du weißt genau, das ein Angriff auf Saddam Hussein durch die UN-Resolution 1441 abgedeckt ist. Da sind doch nur Frankreich und Deutschland die noch eine weitere Entscheidung des Sicherheitsrates darein interpretieren. Daher wäre ein Irakkrieg bestimmt kein Verbrechen im völkerrechtlichen Sinne. Das du den Völkern das Recht auf Verteidigung absprichst ist hier in der Runde ja bekannt. Ich habe dir aber schon ein paar mal erläutert, dass du dich in falscher Weise zu sehr in Matthäus 5, in die Bergpredigt, verbohrst. In der Bibel findest du diverse Stellen, dass Gott die Selbstverteidigung und die Verteidigung deines Nächsten nicht nur billigt sondern sogar von dir fordert. ... Wie hätte sonst das Volk Israel überleben können. Denke zum Beispiel an David wie er Goliath erlegt. Auch Jesus selbst griff zur Gewalt als er den Tempel, das Haus seines Vaters, verteidigte ... Er hat ja die Händler nicht mit guten Worten aus dem Tempel komplimentiert sondern er hat sie vertrieben. Schreibt nicht der Apostel Paulus, dass jede Obrigkeit von Gott sei und wir den Untertan sein sollen? Ich glaube, dass du dahingehend deine Äußerung ‚Verbrechen’ zurückziehen müsstest.“. Darauf musste ich natürlich antworten: „Jetzt hast du eine ganze Menge gebracht, die ich dir jetzt erst einmal Stückchen für Stückchen widerlegen muss. Erstens sprachst du von einem Angriff auf Saddam Hussein. Mit kriegerischen Mitteln kann man keine Einzelperson, keine Toppterroristen wie Osama Bin Laden und keine Disputen wie Hitler oder Saddam Hussein angreifen; mit kriegerischen Mitteln kann man nur Völker, das heißt auch Greise, Frauen und Kinder angreifen. Bevor du den einzelnen ‚Verbrecher’ kriegst werden erst viele unschuldige Menschen geopfert – „Kolateralschäden“ im sarkastischen Nato-Ton. Nicht Saddam Hussein wird angegriffen sondern das irakische Volk. Die Leute werden getötet um sie zu befreien. Das Land wird frei doch die Bewohner sind tot. Und jetzt zur Resolution 1441. In der Tat lässt diese Konsequenzen, in dem Falle, wenn der Irak nicht abrüstet, zu. Aber die Entscheidung ob der Irak die Auflagen erfüllt und ob zu Konsequenzen geschritten werden soll liegt ausschließlich beim Sicherheitsrat und nicht bei Herrn Bush. Die Resolution gibt niemanden einen Freibrief. Wenn die USA ohne UN-Entscheid gegen den Irak vorgeht ist und bleibt dies ein Kriegsverbrechen. Und nun zur ...“. Bevor ich auf den religiösen Teil von Hottes Einwand kommen konnte, wurde ich erst einmal von Günter unterbrochen, der mir zunächst Bush Auslegung der 1441 als die seinige ausgab. Aber ich ließ es mir nicht nehmen, auf meine Sache zurückzukommen: „Mein lieber Hotte, ich möchte doch noch meine Ausführungen von vorhin fortsetzen. Es ging um Krieg und Gottes Willen. Du weißt genau wie ich, dass die Bibel kein vom Himmel gefallenes Buch ist. In diesem „Buch der Bücher“ haben sehr gläubige Menschen niedergelegt wie sich ihnen Gott offenbart hat. Sie schrieben es mit den Worten wie sie es in ihrer Zeit verstanden. Mit „sie“ meine ich den Schreiber selbst aber insbesondere die Menschen ihrer Zeit. Wenn du jetzt auf alttestamentliche Stellen zurückgreifst, muss du als Christ ... also als derjenige, den sich Jesus Christus als Gottes Sohn offenbart hat – immer einen Abgleich mit neutestamentlichen Aussagen machen. Jesus stellte nämlich klar, wo Hebräer beziehungsweise Israelis ‚falsch’ interpretierten. Da ist für mich der allererste Maßstab die Bergpredigt und das Markus-Evangelium, das offensichtlich zum Geschehen zeitnächste Evangelium. Da wird uns eindeutig gesagt, das Strafen allein Gottes Angelegenheit ist und wir unsere Nächsten, wozu laut Jesu insbesondere auch unsere Feinde gehören, lieben sollen. Laut Bergpredigt darfst du niemanden töten, auch deinen Feind nicht. Jesus fordert von denjenigen, die ihm nachfolgen wollen, konsequenten Pazifismus.“.
„Und wie verhält es sich dann mit der Tempelaustreibung und dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit?“, wurde ich von unserem Atheisten Günter unterbrochen. „Warte es ab, das kommt jetzt.“, fuhr ich fort, „Die Tempelaustreibung können wir doch wohl in diesem Zusammenhang vergessen. Jesus hat zwar die Händler aus dem Tempel getrieben aber nirgendwo steht, wie er das gemacht hat. Mit Sicherheit hat er dabei niemand verletzt und getötet schon gar nicht. Er hat ihnen, ebenfalls mit Sicherheit, nichts abgenommen und nichts von dem, was denen gehörte, zerstört. Also, nach meiner Überzeugung hat er nichts getan was mit einer kriegerischen Handlung im Entferntesten vergleichbar wäre. Und jetzt zur Geschichte mit der Untertänigkeit zur Obrigkeit. Heißt es da nicht, dass jeder seiner Obrigkeit untertan sein sollte? Das heißt doch auch, dass die Deutschen im Dritten Reich den Nazis untertan sein mussten und heute die Irakies einem Saddam Hussein. So gesehen müssen wir doch sagen, dass da etwas nicht stimmen kann. Es stimmt aber. Wir sollen uns nicht gegen die Obrigkeit erheben sondern ihn untertan sein. Das heißt aber nicht, dass wir ihnen bedingungslos gehorchen und dienen müssen. Es heißt in der Bergpredigt: ‚Niemand kann zwei Herren dienen ... Du sollst Gott und nicht den Menschen gehorchen.’. Aus diesem Gesichtspunkt müssten heute die jungen Amerikaner sagen: ‚Mein lieber Herr Bush, ich bin dir untertan aber Gott sagt mir, dass ich nicht töten soll. Ihm habe ich zu gehorchen und deshalb ziehe ich nicht mit in den Krieg. Ich will nicht für dich töten und sterben.’“. „Das ist ja unerhört,“, entrüstete sich Günter, „da ruft doch ein Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes zum Ungehorsam gegenüber dem Staat auf.“. „Da hast du aber etwas in den falschen Kanal bekommen.“, mischte sich jetzt Williken ein, „Das Wort ‚Ungehorsam’ habe ich an keiner Stelle von Gerd gehört. Auch Gerd bestätigte aus seiner christlichen Sicht dass wir der Obrigkeit, in einer Demokratie ist dies das Volk, untertan sein müssen. Nach meiner Auffassung hat er nur das legitime Recht auf Befehlsverweigerung aus Gewissengründen gemeint und dieses für den Fall eines Aufrufes zur Beteiligung an einem Krieg als seine Christenpflicht erachtet. Da stimme ich ihm voll zu. Die Differenz zwischen uns beiden liegt lediglich darin, dass Gerd dieses auf jede Art von Krieg, also sowohl auf den Angriffs- wie auf den Verteidigungskrieg bezieht und ich dagegen die Verteidigung für legitim halte. Gerd ist Pazifist und ich bin gegen Angriffskriege oder dem Mitmischen außerhalb des zu verteidigenden Territoriums, zum Beispiel im Kosovo, Montenegro und Afghanistan. Mit meinem Gewissen kann ich ausschließlich die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland mittragen.“. „Dann bist du also NATO-Gegner?“, konterte jetzt Hotte, „Du bist also nicht der Meinung, dass Deutschland befreundeten Ländern bei ihrer Verteidigung helfen darf oder bedrohten Völkern beistehen darf. Dann muss du aber im Gegenzug auch in Kauf nehmen, dass die anderen so etwas für Deutschland auch nicht tun wollen. Da sind wir bei dem Punkt, was jetzt die deutsche und die französische Regierung treibt: Purer Egoismus. Am 11. September 2001 sind die USA vom islamistischen Weltterrorismus angegriffen worden und die Gefahr ist noch nicht beseitigt. Vielleicht kann es uns Morgen selbst treffen. Da ist es meines Erachtens ein Verteidigungsakt wenn man gegen die Drahtzieher, die so etwas fördern und inszenieren, vorgeht. Zuerst muss man da selbstverständlich gegen solche Leute wie Saddam Hussein, der ja über Massenvernichtungswaffen, verfügt, vorgehen.“. „Stoi.“, meldete ich mich wieder zu Wort, „Ich habe schon vorhin gesagt, dass man nicht Kriege gegen Einzelne sondern immer nur gegen Völker führen kann. Es geht also nicht gegen Saddam Hussein sondern gegen das irakische Volk, gegen Frauen, Kinder und Greise. Und wie ich jetzt die perversen Denkstrukturen der Bush-Administration kennen gelernt habe, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Anschläge vom 11. September vom CIA inszeniert wurden um einen Vorwand für die Eroberung der Ölfelder in Nahost zu haben.“. An dieser Stelle reißt bei mir der, für eine chronologische Darstellung notwendige Faden. Jetzt ging es kreuz und quer. Emotionen und Aggressionen kochten hoch und es wurde immer lauter. Dabei ging es dann auch noch um die biblische Begründung, dass alle Soldaten Mörder seien. Es ging letztlich so „lebhaft“ zu, dass uns der Wirt energisch hinaus komplimentirren musste. Auf der Straße bekundeten wir uns gegenseitig, dass es nun endgültig mit unseren Beziehungen vorbei sei. Nun, dass es zwei Lager – einmal Günter und Hotte und einmal Williken und ich – gab ist schon mal klar, aber auch in den Lagern hatten wir uns untereinander zerstritten. Günter und Hotte hatten sich in der Wolle weil Günter den christlichen Glauben als staatsstörrisches Unwesen bezeichnet hatte. Und Williken und ich hatten uns hinsichtlich der Legalität von Verteidigungsmaßnahmen bekriegt. Wenn die Wogen hochgehen bleibt es in der Regel auch nicht bei Sachtthemen sondern es kommen zunehmendst persönliche Beleidigungen in die Auseinandersetzung. So war es natürlich auch bei uns. Nur Willi hatte mir gegenüber und ich ihm gegenüber keine Beleidigung ausgesprochen, ansonsten ließen wir an den anderen (ehemaligen) Stammtischbrüdern kein grünes Blatt. Aufgrund der Tatsache, dass Willi und ich uns nicht beleidigt hatten, konnten wir am nächsten Tag auch wieder aufeinander zugehen und uns wieder versöhnen. Das wir mit den anderen Beiden noch einmal zusammen kommen könnten können wir uns allerdings nicht vorstellen, zumal die ganze Angelegenheit nicht unter uns geblieben ist. Hotte hatte mich wegen der „Soldaten-Mörder-Aussage“ bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und Günter hatte uns wegen unserer Auffassung zur „Staatstreue“ bei unseren Dienstherrn angeschwärzt. Na ja,
inzwischen weiß ich, dass beide Angelegenheiten aus meiner Sicht nicht gerecht aber glimpflich abgelaufen sind. Williken und ich bekamen als disziplinarische Maßnahme eine Verwarnung und der Staatsanwalt hat das Verfahren gegen mich gegen Zahlung einer Geldbuße inzwischen eingestellt. Hotte und Günter haben in der Zwischenzeit auch nicht wieder zusammen gefunden sondern im Gegenteil: Wie ich von Elvira, Hottes Frau, erfuhr setzen die sich pausenlos schriftlich auseinander wobei sie frühere Auseinandersetzungen, die sie miteinander hatten, kontinuierlich wieder hoch kochen. Dieser Tage sagte Williken aus Scherz zu mir: „Bush zerstört nicht nur den Irak sondern er hat auch unsere IG FuS zerstört.“. Williken und ich hatten es uns trotz allem nicht nehmen lassen uns im zweiwöchigen Rhythmus zusammen zu setzen. Wir haben unseren Kreis auch postwendend wieder auf Vier erweitert. Wir haben unsere Frauen Silke und Beate in unsere Runde aufgenommen. Das erwies sich schon aus dem Grunde als zweckmäßig, weil wir uns jetzt immer freitags wechselseitig in unseren eigenen vier Wänden aufsuchen. Also ein Freitag bei Willi und Silke und den anderen dann bei Beate und bei mir. Die Sache war nicht nur zweckmäßig sondern auch ultimativ vorteilhaft. Einmal ließen sich die Frauen immer was anderes Nettes für unsere Gaumen einfallen und zum anderen sorgten sie auch für die Erweiterung unseres Themenkatalogs. Jetzt ging es nicht mehr ausschließlich um Politik, Wirtschaft, Sport und so weiter sondern jetzt kommen auch Boulevardthemen, Urlaub und Urlaubsträume sowie allerlei Alltägliches dazu. Williken und ich waren direkt überrascht wie unerwartet gut und engagiert auch die Frauen auf die Themen, die wir für unsere Domäne hielten, mitziehen. Auch das Thema „Nummer Eins“ steht im Gegensatz zu früher auch regelmäßig auf dem Plan. Und, man sollte es nicht für möglich halten, es geht meistens von den Frauen aus, die bei den erotischen Themen auch nicht mit ihren eigenen Reizen geizen. Aber bitte kein falscher Verdacht: Es geht alles nur bis zu einer gewissen Grenze bis zu der man noch von „Sitte und Anstand“ sprechen kann. Wenn Beate oder ich dabei auf Appetit kommen, müssen wir warten bis unsere Gäste gegangen sind beziehungsweise wir wieder Zuhause sind. Jetzt, letzten Freitag – der Krieg im Irak wütet nun schon mehr als 14 Tage –, kamen wir auch in diesem Kreis auf das Thema „Sinn und Unsinn des Krieges“. In diesem Fall nicht einmal speziell und aktuell auf das, in meinen Augen, amerikanisch-britische Kriegsverbrechen sondern es ging allgemein um Angriff und Verteidigung. Nach wie vor halte ich aus christlicher Sicht jeden Krieg, gleichgültig ob Angriffs-, Verteidigungs- oder Beistandskrieg für absolut unzulässig und Williken dagegen ist der Meinung, dass Beistand und Verteidigung auch Christen erlaubt sei. Zu meiner Freude ergriffen unsere Frauen auf meiner Seite Partei. Beate brachte alles auf einen Nenner: „Ich verstehe überhaupt nicht warum Menschen Krieg führen müssen, weder das sie sich verteidigen und noch viel weniger, um andere zu überfallen. Man kann es doch drehen und wenden wie man will, jeder Angriffskrieg ist doch ein Überfall. Nichts Irdisches ist von ewigen Bestand, alles wird wieder zu Staub und Asche. Diese Erde wird eines Tages wieder vergehen. Das sagen übereinstimmend Naturwissenschaftler wie Theologen. Nur Eines wird ewig bestehen: Unsere Seelen. Die werden ewig leben auch wenn der Mensch stirbt und selbst auch zu Staub und Asche verfällt. Aber dieses ewige Leben können wir verwirken, wenn wir unseren Gott nicht über alle Dinge lieben und ihm nicht bedingungslos gehorchen. Und Gott hat uns geboten: ‚Du sollst nicht töten’. Das gilt auch für das, von den Menschen legalisierte Morden wie die Todesstrafe über den sogenannten „finalen Rettungsschuss“ bis hin zu jeder Art von gewaltmäßiger Auseinandersetzung von der Schlägerei mit Todesfolge und natürlich bis zu den Kriegen. Alles sind nur Maßnahmen, die wir ergreifen, wenn wir zu faul oder zu unfähig sind, unsere Angelegenheiten zu lösen. Das ist so als wenn ein Mensch der seinen PC nicht bedienen kann, ihn deshalb total zertrümmert, damit er ihn in der Restmülltonne entwerten kann. In Kriegen geht es um Macht und um Geld und das ist im Hinblick darauf, dass sowieso alles wieder zu Staub und Asche wird minderwertig und bedeutungslos. Jeder Krieg ist also im Grunde nur Mord und Zerstörung für nichts.“ Ich glaube, das meine bessere Hälfte da ein sehr gutes Schlusswort zu meiner Erzählung über unseren Stammtisch „IG FuS“, der an einer Auseinandersetzung über einen US-Angriffskrieg, mit dem nicht nur der Irak sondern wahrscheinlich auch die UNO und der Glaube an ein besseres Morgen zerstört wird, zerbrach. Aus meiner Sicht bringt der Irak-Krieg keine Lösung. Es ist kein Ende sondern erst der Anfang; man hat nur die Lunte angezündet. Ein „US-Sieg“, der bei der amerikanischen waffentechnischen Überlegenheit der einzig mögliche Ausgang ist, wird weitere Begehrlichkeiten der Wirtschaft, zu dessen Knechte sich die westlichen Politiker gemacht haben, führen. Auf der anderen Seite, bei den Völkern die außen vorstehen – nicht nur in den arabischen Staaten – wächst die Verbitterung, die in puren Hass umschlägt. Ich kann mir vorstellen, dass die Amerikaner sich als nächstes den Iran, Syrien und/oder Libyen vorknöpfen wollen und das im gleichen Zuge immer mehr die Bereitschaft zur terroristischen Gewalttaten wächst. Der Frieden dürfte vorerst verloren haben. Aber Leute, ich möchte noch einmal an Beates Worte anschließen und sagen: „Wo doch auf natürlichem Wege alles wieder zu Staub und Asche wird brauchen wir Menschen doch da nicht nachzuhelfen. Was uns fehlt ist das Engagement für eine gerechte und lebenswerte Weltordnung.“.
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Einmal nur Lust und einmal Liebe Kennen Sie das Ehepaar Brigitte und Jürgen Neuhoff aus Friedthal? Außerhalb der Friedthaler Umgebung ist das allerdings höchst unwahrscheinlich, denn wir zählen zur Gattung der Liesels und Ottos Normalbürger, deren Ruf nicht weit über unser Umfeld hinausgedrungen ist. Na ja, die Bezeichnung „Normalbürger“ muss ich anscheinend doch etwas einschränken, denn sonst hätte ich Ihnen hier nicht viel zu erzählen. Oder sind wir doch Normalbürger und die Anderen reden nur nicht darüber? Aber jetzt Schluss mit der rätselhaften Fragerei. Ich denke es ist angebracht, alles in verständlicher Folge, alles hübsch der Reihe nach, zu erzählen. Am Besten ich stelle uns zunächst einmal vor. Also ich bin der 1956 hier in Friedthal geborene Jürgen Neuhoff, der nach Abschluss der Realschule den Beruf des Industriekaufmannes erlernte. Beruflich habe ich nichts Aufregendes hinter mich gebracht. Ich bin immer noch als Industriekaufmann tätig und als solcher habe ich es bis zum Verkaufsleiter Inland und Handlungsbevollmächtigter in der Metallwarenfirma Schneider & Wimmer in unserer Nachbarstadt Rörerde gebracht. Im Moment zittere ich ein wenig um dieses Pöstchen, denn mein Brötchengeber muss derzeitig eine finanzielle Schieflage durchstehen. Brigitte, die als Mädchen mit dem höchstseltenen Namen Meier ausgestattet war, ist sieben Jahre jünger als ich und wir sind seit 1987 eine Ehepaar. Vier Monate vor der Geburt unseres Sohnes Sascha haben wir vor dem Standesamt von Brigittes Heimatort Rörerde – also dort wo ich arbeite – uns das Ja-Wort gegeben. Genau 14 Monate nach Saschas Geburt komplettierte Tanja unsere Familie. Brigitte, die ich nur kurz Gitte nenne, ist ursprünglich von Beruf Frisöse. Von 1987 bis 1995, also in der Zeit wo unsere Kinder noch nicht in die Grundschule aufgenommen waren, betätigte sie sich als „Nurhausfrau“. 1995, wo sie wieder außer Haus tätig werden wollte hatte sie großes Glück. Sie konnte hier in Friedthal bei dem damals bereits 63-jährigen Damenund Herrenfrisör, sorry Friseur – darauf legt er wert – Ludwig Kramer anfangen. Kramer komplimentierte Gitte erst auf einem Meisterlehrgang der Handwerkskammer und übergab ihr dann, nach bestandener Prüfung im Jahre 1999, sein Geschäft, welches seit jenem Tag „Salon Brigitte“ heißt. Die Familie Neuhoff hat auch ein „schönes Nest am Arsch der Welt“. Mein Großvater gehörte zur einstmals ehrenhaften Garde der Bauern – heute würde man sagen Kleinlandwirt sagen. Den Hof hatte mein Onkel geerbt und der besteht heute nicht mehr. Die Ländereien wurden zu Bauland – dort steht heute die Siedlung Braunsiepen – und der Hof selbst wurde zu einem schmucken Anwesen für die Familie meines Onkels, der seine Brötchen mit seinem Elektroinstallationsgeschäft verdiente; jetzt ist er Rentner. Mein Vater bekam ein, damals zum Hof gehörendes Fachwerkhaus das, etwa 600 Meter vom Ortsrand entfernt, an einem ausgebauten Waldweg liegt. Dieses Häuschen, wurde im Laufe der Jahre immer wieder modernisiert. Als wir 1987 heirateten kauften sich meine Eltern eine Eigentumswohnung in der „Citynähe“ von Friedthal und überließen uns ihr „Haus im Wald“. Dieses ist natürlich ein idyllische Fleckchen an dem in der Regel immer nur ein paar Ausflügler vorbei ziehen. Das bedeutet für uns jede Menge individuelle Freiheit und sehr viel Ruhe. Nur immer im Winter, wenn mal ein paar Schneeflocken mehr gefallen sind, haben wir ein paar Problemchen mit unserer Außenlage, da wir vom Winterdienst nicht berücksichtigt werden. Aber das ist ja kein Grund, dieses „Paradies“ aufzugeben. Alles in Allem könnte man sagen, dass wir echte Normalbürger, die auf der Sonnenseite leben, seien über die sich kein lesenswerter Bericht schreiben ließe. Ja, das triefe zu, wenn Brigitte und ich nicht diverse Lustbegierden, die wir uns aus unserer bisherigen Sicht nicht unter uns befriedigen können, hätten. Schon sehr früh, als wir noch jung verheiratet waren, haben wir eine „gemäßigte offene Ehe“ vereinbart. Gitte war der Meinung, dass es auf der einen Seite nur Lust, ohne weitergehende emotionale Bindung, gäbe und auf der anderen Seite die Liebe, zu der viel mehr gehöre als nur Bumsen. Übereinstimmend waren wir der Auffassung, dass eine Ehe, die nur auf Lust aufgebaut ist, schon sehr schnell langweilig würde, und keinen längeren Bestand habe. Womit wir auch zweifelsfrei Recht haben. Von unserer Ehe glaubten wir, dass diese, obwohl wir uns in der Lust gefunden haben, auf Liebe aufgebaut sei und unerschütterlich sei. Da kamen wir zu dem Schluss, dass wir uns ab und zu einen Seitensprung leisten könnten ohne unsere, doch sehr innige Partnerschaft zu gefährden. Wir wollten uns nur, wenn es mal dazu kam, diese Eheauszeiten gegenzeitig umgehend beichten. Gittes ersten Exkursionen taten mir danach doch etwas weh. Da schwang immer mit, dass sie sich etwas von anderen Männern hole, was sie von mir nicht kriegen kann. Außerdem steckt wohl in jedem Menschen so eine Art Besitzdenken drin und dieses wurde durch den Gedanken „meine Frau mit einem Anderen“ mächtig angekratzt. Bei meinen eigenen Seitensprüngen dachte ich natürlich nicht daran, dass Gitte wohl ebenso denken könnte wie ich. Das hat sie aber, wie sie mir später mal gestand. Nun diese Geschichten waren in unseren jungen
Ehejahren doch recht häufig. Irgendwo zwischen 5 bis 10 „Abenteuer“ pro Jahr lag die Wahrheit. Mit der Zeit wurden diese jedoch immer weniger. Na ja, man wird auch immer älter und da dünnt der „Markt“ langsam aus. Meine Blickrichtung liegt nach wie vor in der Altersklasse von 25 bis 35 Jahren und die tollen Frauen, die es nur zum Spaß mal mit einem über 40-jährigen treiben wollen, sind nicht im ausreichende Maße vorhanden. Die attraktiven Frauen in meiner Altersklassen, teils Geschiedene und teils Ex-Profi-Singles, die inzwischen gemerkt haben, dass die Weiterführung ihres ehemaligen Lebensziel in die Einsamkeit führen, wollen alle mehr als nur ein Abenteuer. Und das wollte ich nicht, denn ich war immer noch der Meinung in Gitte die Frau meines Lebens gefunden zu haben, bei der ich bleiben wollte, bis das der Tod uns scheidet. Am Liebsten wäre ich ja schon gerne aus dem Projekt „offene Ehe“ ausgestiegen aber alle Andeutungen meinerseits in diese Richtung wurden von Gitte bereits im Ansatz abgewürgt. Nun, sie ist halt 7 Jahre jünger und, auch für jüngere Männer, sehr attraktiv. Bei ihr läuft es halt noch besser wie bei mir. Diesbezüglich gab es dann bei mir einen gewissen Neid auf meine Frau, der mich dann wiederum anstachelte doch noch nicht aufzugeben. Dieses war dann der Hintergrund wieso dunkle Wolken über unsere Ehe, die trotz unserer Macken bisher super verlief, aufzogen. Und diese Geschichte, die mich derzeitig noch stark belastet, möchte ich mir mit dieser Niederschrift vom Halse schreiben. Es begann im letzten Sommer als Brigitte und ich in Kroatien, genau gesagt im istrischen Örtchen Rovinij, Urlaub machten. 14 Tage wollten wir Vorort bleiben, von denen die ersten drei Tage normal und reibungslos verliefen. Des Morgens gingen wir nach dem Frühstück an den Strand, sofern in Rovinij überhaupt von einem Strand gesprochen werden kann. Natürlich begaben wir uns immer dorthin, wo ein paar Menschen versammelt waren. Schließlich wollte Gitte gerne in prickelnder Weise zeigen was an ihr dran war. Natürlich hätten wir zur Insel St. Katharina, im alten Jugoslawien hieß die mal Rote Insel, „schippern“ können um uns dort unter die FKKler zu gesellen. Aber nur mit einem „Strick durch den Po“ an einem „Normalstrand“ empfand meine mir Angetraute wesentlicher prickelnder. Mit diesem „Strick“ ist natürlich ein knappes Tangahöschen gemeint. Na ja, dass bei solchen Gelegenheiten wie dort meine Frau von den Augen der Anderen begrabscht wird löst bei mir auch so ein wohliges Kribbeln aus und daher war mir das Ganze natürlich nicht unrecht. Kurz vor Mittag machten wir uns jedoch immer wieder auf den Weg ins Hotel, denn wir haben doch beide eine, ein Wenig empfindliche Haut, die von der Mittagssonne doch ganz schön verbrannt werden könnte. Im Hotel wurde dann geduscht und wir machten uns fertig für die Aktivitäten für den Rest des Tages. Diese Aktivitäten könnte man unter Spaziergehen, Ansehen und Einkehren zusammenfassen. Am ersten Tag sahen wir uns unter anderem das Aquarium in Rovinij an und am zweiten Tag machten wir eine Exkursion mit einem Boot, welches mit einem gläsernen Boden ausgestattet war. Allerdings hatte ich mir von dieser Bootstour etwas mehr versprochen als uns geboten wurde. Am Abend des dritten Tages kehrten wir in einem Grillrestaurant, das an der holprigen Straße, die vom Zollhafen durch die Altstadt hinauf zu der Kathedrale führt, liegt, ein. Und hier kam es dann zu einem Zusammentreffen, durch welches das große Abenteuer, welches uns bis vor ein paar Tagen ausfüllte, eingeleitet wurde. Das Restaurant war als wir herein kamen ziemlich überfüllt. Alle Tische waren besetzt. Etwas ratlos blickten wir in die Runde und wollten schon wieder gehen. Da winkte uns ein Pärchen freundlich und aufgeregt zu sich an den Tisch. Es waren Rainer und Annegret Grün aus Rörerde, dem Geburtsort von Gitte. Grüns, ein Ehepaar in Gittes Alter, wohnt im gleichen Mietshaus wie meine Schwiegereltern. Gittes Eltern und Grüns haben einen guten Draht zueinander und so sind sie uns auch immer begegnet, wenn wir mal in Rörerde waren – aber hier in Istrien hätte ich sie nicht erwartet. Da sieht man es mal wieder: Die Welt ist klein. Grüns saßen nicht allein am Tisch. Mit dabei war eine Dame, so etwa Mitte Dreißig, die so haarscharf auf meiner Geschmackslinie liegt. Sofort dachte ich daran, dass sie wohl die Richtige für mein nächstes Abenteuer sei. Annegret Grün stellte sie uns als ihre jüngere Schwester Heidi Konz, die seit Kurzem geschieden sei, vor. Wir erfuhren, nachdem wir uns zu dem Trio an den Tisch gesetzt hatten, dass sie zu Dritt in dem Nudistencamp Koversada bei Vrsar, in der Nähe von Rovinij, in einem Ferienbungalow ihr Urlaubsdomizil aufgeschlagen hatten. Sie erzählten uns, das sie schon lange FKK-Anhänger wären und sie vor dem Balkan-Krieg aus diesem Grunde immer in Jugoslawien, vornehmlich hier in Istrien, Urlaub gemacht hätten. Als der Krieg im alten Jugoslawien wütete hätten sie sich die nudistischen Zentren der ehemaligen DDR an der Ostsee auserkoren. Dort wäre aber der Trend für Nackedeis rückläufig und das Schlimmste wäre, dass es dort immer teuerer geworden sei. Nun wäre es passiert, dass sich Rainer aus dem Internet das eBook „Und das soll Leben sein“ von der Homepage www.reiner-vial.de gezogen habe und gelesen hätte. Darin würde ein Kapitel auch in Rovinij und Koversada handeln. Dieses hätte sie dann auf die Idee gebracht, wieder zu ihrer alten Vorliebe zurückzukehren. Dieser Bericht verwunderte mich ein wenig, denn ich kannte Annegret in Bezug auf Nacktheit eigentlich nur als etwas prüde. Ich hatte sie bisher nur, zwar chic und weiblich, aber nie körperbezogen und/oder Einblick gewährend gekleidet gesehen. Das hatte in mir schon öfters den Wunsch geweckt doch einen weiteren und ausführlicheren Zublick auf ihren offensichtlich doch ganz gut gebauten Körper zu erhalten. Jetzt saßen sie und ihre Schwester zwar etwas lockerer – ihr T-Shirt ließ die Busenform erkennen und der Rock endete
ausnahmsweise ein Hand breit über dem Knie – uns gegenüber aber in Sachen Freizügigkeit legte meine Gitte auch an diesem Abend doch ein Bisschen mehr vor. Von Heidi Konz erfuhren wir im Laufe des Gesprächs, dass die übliche, doch etwas prüdere Bekleidungsordnung der Frauen wohl erziehungsbedingt sei, denn die beiden Schwestern entstammten einem evangelischen, calvinistisch geprägtem Pfarrhaus. Sie habe nach der Ankunft in Koversada erhebliche Schwierigkeiten gehabt sich auszuziehen und sich nackt zu zeigen. Sie gestand ein, dass sie sich, auch nach über einer Woche Aufenthalt immer noch schäme. Sie meinte, dass, wenn die Leute ehrlich wären, die Erotik doch wohl die Triebfeder zum Nacktbaden sei. Im Gegensatz zu ihrer Schwester habe sie diesbezüglich doch eher die Ansichten ihres Vaters übernommen. Sie habe erst auch gar nicht mitfahren wollen. Da sie sich aber nach ihrer Scheidung stark mitgenommen fühlte, habe sie sich letztlich doch von Annegret überreden lassen. Wir anderen gestanden jetzt ein, dass das Nacktsein für uns mit erotischen Wohlgefühlen, die wir allerdings nicht missen wollten, zutun habe und dieses eigentlich unsere Triebfeder sei. Darauf kam dann die berechtigte Frage Rainers, warum wir uns denn nicht in einem Nudistencamp aufhielten und warum wir denn nicht von den Rovinij umgebenden FKK-Angeboten Gebrauch machen würden. Gitte gab daraufhin zu, dass wir uns, wie es bei Pauschis üblich ist, das Hotel aus einem Katalog ausgesucht hätten. Natürlich könnten wir jetzt die Möglichkeit nutzen und mit dem Boot zur Insel St. Katharina rüberzufahren und dort FKK machen. Aber sich so gut wie nackt – also nur mit ihrem Tangahöschen – an einer normalen Badegelegenheit, die auch für Versteckerixe geeignet ist, zu zeigen würde sie doch um einige Grade mehr sexuell einheizen. „Wie ist das denn bei dir, wenn du nackt vor nackten Bekannten stehst?“, fragte Rainer jetzt lachend. „Du möchtest mich wohl ohne Hemd und Höschen sehen und mir dafür deinen Dödel zeigen.“, konterte Gitte, ebenso lachend zurück, „Eu, eu, das würde mich auch ganz heiß machen.“, ergänzte ich dann noch. „Warum eigentlich nicht?“, fuhr jetzt Rainer im ernsteren Ton fort, „Ihr seid ja mit dem Flieger und ohne Auto hier. Da könnten wir euch doch Morgen, so gegen Neun, vom Hotel abholen und ihr verbringt mal einen Tag in Koversada. Bevor Heidi oder ich etwas sagen konnten antworten Annegret und Gitte, fast synchron: „Okay, abgemacht.“. Danach hatte ich den Eindruck, dass diese Verabredung von vier Fünftel der Leute an unserem Tisch gut und als spannend empfunden wurde. Nur Heidi schaute etwas verdattert drein. Sie schaute im ersten Moment mich an und dann ganz verschrocken wirkend nach Unten auf ihren Teller. Ich kämpfte mit mir ob ich sie höflich fragen sollte ob ihr das recht sei oder sie bedenken habe. Falls sie sich entsprechend des zweiten Teils der Frage geäußert hätte, wäre mir aus Höflichkeit wohl nichts anderes übrig geblieben als die ganze Sache abzublasen. Das war aber beim besten Willen nicht in meinem Sinne, den gerade auf sie im Evaskostüm glaubte ich scharf zu sein. Daher beließ ich es lieber bei unserer Verabredung und Heidis Verlegenheit. Wieder einmal hatte mein erotischer Egoismus über meine Vernunft gesiegt. Als ich später, als wir im Bett lagen, darüber nachdachte, kam mir die Erkenntnis, dass es immer wieder mein purer Egoismus war, der mein sexuelles Handeln steuerte. Aber sagt man nicht, dass der Egoismus der Todfeind einer Partnerschaft sei? Lebt eine Partnerschaft nicht vom Geben und vom Nehmen? Bringt es nicht mehr, wenn man seine eigenen Bedürfnisse und Begierden hinten anstellt und sich daran orientiert was man dem Anderen zu bieten hat? In dieser Hinsicht schien es mir in diesem Moment, wie schon öfters, doch wie ein Wunder, das wir nun schon mehr als 15 Jahre zusammenhalten. Erstmals kam mir jetzt aber der Gedanke, dass wir beide aus einem solchen Egoismus handeln und bisher alles nur zu glatt über die Bühne gegangen sei. Dann wäre es möglich, dass uns der leichteste Windhauch aus der Bahn schmeißen könnte. Nachträglich gesehen halte ich diesen Gedanken für eine Art Vorahnung. Am nächsten Tag holten uns Annegret und Rainer wie verabredet ab und in weniger als einer halben Stunde befanden wir uns in dem Nudistencamp. Innerhalb des Bungalows, den Grüns angemietet hatten, erwartete uns Heidi. Das muss ihr eine Menge Überwindung gekostet haben, das sie uns in der hiesigen standesgemäßen Uniform, nämlich im Evaskostüm, empfing. In diesem Moment war sie ja die einzigste Nackte unter ansonsten angezogenen. Ich muss sagen, dass sie wunderschön ist – nach meinem Empfinden schöner als meine Gitte. Am ganzen Körper hat sie eine makellose Haut. Sie ist sehr schlank aber keine der Frauen auszeichnenden Rundungen fehlt bei ihr. Ihre Busen sind nicht sehr groß aber wohlgeformt und stramm. Die wunderbare Erscheinung wurde in diesem Moment abgerundet von ihrem mädchenhaft verlegenen Gesichtsausdruck. Es versteht sich von selbst, dass wir, die noch nicht nudistenfähigen, uns flugs in den campgemäßen Zustand versetzen, sprich das wir uns auszogen. Jetzt war ich es, der in Schwierigkeiten geraten war. Der Anblick Heidis hatte bei mir etwas stramm werden lassen und diesbezüglich wollte ich mich nicht outen. Gitte hat scheinbar meine Not erkannt und tönte: „Mensch Jürgen, du bist heute wieder langweilig. Ich glaube wir gehen schon mal hinaus in die Sonne, die wir ja eigentlich anbeten wollen.“. An den Gesichtszügen von Rainer und Annegret konnte ich sehen, dass diese richtig interpretierten und so war ich es jetzt, der in eine Verlegenheit geraten war und diese Verlegenheit sorgte dann doch für meine Befreiung, so dass ich auch schnell meine Hose runterlassen konnte um mit der gesamten Gesellschaft das Haus zu verlassen. Scheinbar war ich rehabilitiert. Diesem Startvorfall folgte ein normaler Vormittag. Normal im Sinne des Alltags in einem Nudistencamp. Dieser Alltag unterscheidet sich von dem Leben an anderen Touristenstränden und –camps tatsächlich nur durch die
völlige Textilfreiheit. Diese Freiheit hat aber einen ungeheueren Nachteil, denn jeder Schutz vor schädigenden UV-Strahlen gilt ja in Nackedeikreisen als unschicklich. Und das wurde mir kurz nach Mittag, just zu einem Zeitpunkt als wir uns auf ein schattiges Plätzchen zurückgezogen hatten, zum Verhängnis. Po und Rücken färbten sich rötlich und ich konnte die Oberflächenhitze meiner Haut wahrnehmen. Eines stand fest: Ich musste raus aus der Sonne und rein in die Hütte. Jetzt geschah etwas in meinen Augen wunderbares. Heidi erklärte Gitte sie könne, wenn sie wolle, erst noch mal bleiben, da sie mich erst einmal verarzten wolle. Sie habe eine Salbe auf Zitronenbasis, die erstens kühlt und zweitens den Brand rausziehen würde. Gitte war das in diesem Augenblick ganz recht, denn sie befand sich in einer angeregten Diskussion mit Annegret. So kam es dann zum ersten Mal seitdem ich Heidi kannte, sprich seit dem Vorabend, dazu, dass ich mit ihr alleine war – und das noch im völlig nacktem Zustand. Na, na, jetzt nicht gleich sonst etwas vermuten. Heidi reichte mir die Salbe, ein französisches Fabrikat, und war mir lediglich beim Eincremen der Schulterblätter behilflich. Sicherlich hätte es mir eine Riesenfreude gemacht, wenn sie auch die tieferliegenden Zonen, zum Beispiel meinen Po, mit zarter Hand bearbeitet hätte, aber da hieß die ausschließliche Devise selbst ist der Mann. Was nur absolut erwähnenswert ist, das ist, dass Heidi erstmalig nicht wie ein schamiges Mädchen sondern wie eine gelöste lebensfrohe Frau wirkte. Irgendwie kam das Gefühl, dass ich sie unbedingt haben müsste, in mir hoch. Dieses Begehren machte es mir schwer ein unverbindliches Gespräch zu führen. Zu meinem Glück plauderte Heidi jetzt munter und unbekümmert. Dabei wirkte sie jetzt auf einmal als sei für sie die Nacktheit die natürlichste Sache von der Welt. Jetzt erfuhr ich, dass sie 36 Jahre alt ist, also genau 10 Jahre jünger als ich, und das sie Mutter von 2 Töchtern im Alter von 9 und 10 Jahren ist. Ihre Mädchen waren zu der Zeit, wie auch der Sohn der Grüns, mit den christlichen Pfadfindern in einem Ferienlager in der Nähe von Dresden. Dann erfuhr ich, dass Heidi in Waldheim, ein kleinem Dörfchen welches zu Rörerde gehört, eine physiotherapeutische Praxis betreibt. Da sah ich dann eine Chance näher an sie heranzukommen. Ich berichtete ihr von meinen ständigen Schmerzen im Bereich der Hüfte und der Schulterblätter, so etwas wie Hexenschuss, und fragte sie ob sie da etwas für mich tun könne. Bescheiden antwortet sie mir, dass sie nicht wisse, ob sie wirklich was für mich tun könne aber Massagen, Rückgymnastik und diverse Bäder, die sie auch anbietet, wären in der Regel empfehlenswerte Maßnahmen, die eine Linderung bewirken könnten. Allerdings wäre das nicht gerade billig, denn die Kassen würden solcherlei Sachen heutzutage nur zögerlich und meist gar nicht mehr mittragen. Für mich stand in diesem Augenblick fest, was ich nach dem Urlaub zu unternehmen gedachte ich wollte mir etwas gönnen. Ab dieser Stelle wird es ein Wenig müßig, wenn ich weiter detailliert von unserem Urlaub berichte. Ich kann es kurz machen: Gegen zwei hatte es dann auch meine Gitte erwischt und auch sie musste sich mit Heidis Salbe behandeln lassen. Man sollte es nicht unerwähnt lassen, dass die Salbe wirklich half. Wo wir noch am Mittag glaubten uns jetzt auf ein urlaubstypische Sonnenbrandleiden einstellen zu müssen war schon am Abend außer einem unangenehmen Jucken nichts mehr zu spüren. Natürlich waren wir nicht so dumm dann weiter mit dem Risiko einer verbrannten Haut zu spielen und kehrten in diesem Urlaub nicht mehr nach Koversada zurück. Ganz konsequent entblößten wir uns ab dem übernächsten Tag immer nur des Morgens für genau anderthalb Stunden und die Entblößung machte an einem letzten Stück Textil, nämlich an Gittes Tangahöschen und an meiner Badehose, halt. Mit Grüns und Heidi haben wir uns noch zwei Mal des Abends in Rovinij getroffen. Sie zog es ohnehin an dem Samstag unserer ersten Woche zurück in heimische Gefilde und wir traten noch die zweite Hälfte unseres Aufenthaltes an. Was ich vom Resturlaub zu berichten habe kann sich jeder Pauschi aus eigenem Erleben leicht selbst berichten; da bedarf es nicht unbedingt meiner Tastaturquälerei. Da gehe ich dann lieber gleich auf meine „Erlebnisse“ zwei Wochen nach unserer Rückkehr ein. Sicher kann sich jetzt jeder denken, dass ich unmittelbar nach unserer Heimkehr Massagetermine bei Heidi vereinbarte. Allerdings muss ich jetzt die zuhörenden oder lesenden Zeitgenossen, die jetzt eine Schilderung, ähnlich den Abläufen in thailändischen Etablissements, die sich auch Massagesalons nennen, erwarten, enttäuschen. Die Physiotherapie-Praxis Heidi Konz ist ein ordentliches und seriöses Unternehmen. Ich wurde noch nicht einmal, so wie ich es gerne gesehen hätte, von der Chefin selbst massiert sondern eine etwas stabilere Mitarbeiterin des Hauses knetete mich richtig durch. Aber schließlich bin ich auch soweit Realist, dass ich mir zuvor auch keine erotischen Massage-Abenteuer versprochen hatte. Wichtiger war es mir eine Gelegenheit zu haben bei der ich die Frau meiner Begierde bezirzen konnte. Permanent bemühte ich mich Heidi zu einem Restaurantbesuch oder besser noch zu einem Ausflug einzuladen. Dabei war ich zunächst gar nicht so erfolgreich. Nach der fünften Sitzung war ich immer noch so weit wie vor der ersten. Die sechste Sitzung wurde dann zur „sexten“. Nach der Massage bat mich Heidi in ihr Büro. Noch hatte ich keine neue Einladung ausgesprochen. Heidi begann mit einem freundlichen lächelnden Gesicht: „Also mein lieber Jürgen, jetzt wollen wir mal ‚Tackles’ reden. Du willst gerne mit mir schlafen ... oder warum versuchst du mich stetig einzuladen?“. Jetzt war ich ganz schön in Verlegenheit geraten und hätte mich gerne da elegant rausgewunden; zu mal ich jetzt befürchtete sie würde mir jetzt eine andere Physiotherapie empfehlen. Aber immer wenn man dringend Einfälle braucht kommen sie nicht und deshalb bejahte ich Heidis Frage kleinlaut.
Darauf fuhr sie dann fort: „Wenn du jetzt nein gesagt oder eine Ausrede gebraucht hättest, dann hätte ich dich glatt der Lüge bezichtigt. So kann ich aber jetzt auch ehrlich sein – bei mir brennt der Libido durch. Seit zwei Jahren haben ich außer mit meinen eigenen Händen mit niemanden etwas gehabt. Bei mir ist jedoch noch nichts zugewachsen oder ausgetrocknet ... also ich brauchte mal wieder etwas. Du wärest eigentlich der Richtige für mich. Schon in Istrien habe ich festgestellt, dass du den richtigen Zuschnitt für mich hast. Dein Manko ist aber, dass du verheiratet bist und ich so ‚altmodisch’ bin, dass ich nicht zur Ehebrecherin werden will. Außerdem haben wir beide je zwei Kinder, die so etwas ganz anders sehen. So lebe ich jetzt im Konflikt mit meinen Begierden und meiner ethischen Vernunft. So leicht wie ihr euch das mit einmal nur Lust und einmal Liebe macht, vermag ich es leider nicht sehen. Ach, nicht das du erschrocken bist, das mit Lust und Liebe weiß ich schon seit Istrien von Brigitte, die hatte mir das erzählt als du dich ganz intensiv mit Rainer und Annegret über das Ja oder Nein hinsichtlich eines Ausfluges nach Venedig, die Stadt, die du für eine riesige stinkende Kloake hältst, unterhieltest. Damit hat mich Brigitte im Grunde scharf gemacht und ich musste schon bei der Sonnenbrand-Bekämpfung mit meiner inneren Schweinehündin kämpfen damit ich nicht auf ordinäre Weise einen Schritt zu weit ging.“. „Wenn du alles weißt,“, unterbrach ich sie, „warum lässt du mich denn so zappeln. Dadurch hast du erreicht, dass es mir inzwischen weniger um Lust als um dich geht. Ich habe das Gefühl, dass ich dich liebe. Ich möchte mehr von dir als nur bumsen. Dadurch, dass du mich praktisch immer abgewiesen hast, hast du das Feuer geschürt.“. In diesem Moment wich das Lächeln aus Heidis Gesicht und ihre Augen feuchteten sich: „Scheiße, warum lässt mich unser Gott, der alles vorbestimmt hat, gleich zwei Mal hintereinander zur Ehebrecherin werden? An meiner Scheidung bin ich nämlich nicht schuldlos und jetzt sieht es so aus, dass ich deine Ehe kaputt machen werde. Ich kann meine Begierden nämlich nicht mehr länger unterdrücken. Ich will dich voll und ganz.“. „Bin ich dir denn nicht zu alt?“, unterbrach ich sie und bekam zur Antwort: „Nein, du bist ja sogar noch zwei Jahre jünger als mein Ex. ... Ich glaube wir haben nur noch eine Chance: Du gehst jetzt auf Nimmerwiedersehen und vergisst mich oder wir sind verloren.“. Einen Moment dachte ich darüber nach und kam zu dem Schluss, dass ich schon zu weit gegangen sei und eigentlich nicht mehr zurück könne. Mit gesenkten Kopf bekannte ich: „Ich kann nicht mehr einfach nur gehen und dich vergessen. Du hast mich schon zu sehr in Besitz genommen. Ich möchte nur dich und keine Andere mehr. Jahre lang habe ich mit dem Feuer gespielt und jetzt ist es passiert.“. Heidi schloss unsere Unterredung mit: „Es ist vorbei ... ich kann nicht mehr. Inka und Arnika fahren am Wochenende mit Annegret zu Verwandten nach Bayern – dann komm zu mir.“. Jetzt hatte ich erreicht was ich wollte und war gar nicht glücklich. Irgendwie wusste ich jetzt, dass es Schmerzen geben würde. Über 15 Jahre hatte ich mit dem Feuer gespielt und nie etwas gemerkt. Jetzt war alles anders. Alle Frauen die ich bisher hatte waren für mich mehr oder weniger Seitensprung-Objekte – Ex und Hopp. Heidi war die erste Frau, die ich als Mensch wahr genommen habe. Alle anderen waren nur für die Lust. Wenn ich mein Vergnügen hatte haben diese ihre Pflicht und Schuldigkeit getan. Erstmalig war mir klar, dass ich bisher die Würde der Frauen, die ich mir zur Gespielin ausgesucht hatte, verletzt habe. Nie habe ich in ihnen Menschen weiblichen Geschlechts sondern immer nur Lustobjekte gesehen. Und ich gehe mal davon aus, dass ich für diese im Gegenzug dann auch nur ein Muster ohne Wert war. Jetzt wo ich den Menschen in einer Frau entdeckt habe wird es „heiß“. Unweigerlich stehe ich jetzt zwischen Gitte und Heidi. Für eine muss ich mich entscheiden und dabei einer von Beiden wehtun. Entscheide ich mich für Heidi zerstöre ich in einem kurzen Moment doch alles was mir in 15 Jahren wichtig war. Und dann sind da die Kinder. Was zerstöre ich alles in denen. Für Sascha und Tanja stand ich ja auf einem gewissen Sockel und nun bin ich im Begriff mich selbst darunter zuschmeißen. Ich ahnte irgendwo dass ich, wenn ich entscheiden muss, Heidi den Vorzug geben würde. Mein Gefühl sagte mir, dass jetzt der Anfang vom Ende gekommen sei. Mit meinen Ahnungen und Gefühlen stand ich nicht alleine. Wie bei uns üblich gestand ich Gitte noch am gleichen Abend meine Seitensprungabsicht aber ohne einen Namen zu nennen. Die Partneranonymität hatten wir in unseren jungen Ehejahren, als wir die fixe Idee von der offenen Ehe hatten, so vereinbart. Im Grunde hielten wir es für besser, wenn wir nicht wussten, mit wem es die andere Seite trieb. An diesem Tag war es aber anders. Gitte fragte spontan zurück „Hat Heidi es geschafft?“. Ich reagierte mit einer Gegenfrage: „Wie kommst du denn darauf?“. Gitte schaute mich etwas blass geworden mit traurigen Augen an: „Ach mein Schatz, schon in Kroatien ahnte ich, dass das auf uns zukommen würde. Vielleicht hast du gemerkt, dass Heidi ein Papamädchen ist. Sie brauch einen Mann, an dem sie sich genau wie an ihrem Vater klammern kann. Und da bist du der richtige Typ. Auch ich habe immer das Väterliche an dir so geliebt ... das liebe ich ja immer noch. Daraus ist ja wahrscheinlich auch der Altersunterschied zwischen uns beiden zu erklären. Das haben Heidi und ich offensichtlich gemeinsam – und gerade das ist ja das Gefährliche für mich. Heidi hat es von Anfang an auf dich abgesehen und ist taktisch ganz klug vorgegangen. Sie machte dich auf der einen Seite richtig heiß und auf der anderen hielt sie dich ein Wenig auf Distanz. Du solltest nicht nach einem kurzen Abenteuer wieder ‚Tschüss’ und ‚Ade’ sagen. Um sie abzuschrecken, habe ich ihr schon am Nackedei-Strand von unserer Auffassung von Ehe erzählt. Aber ich habe dabei wohl offensichtlich das Gegenteil erreicht, ich habe ihr zur richtigen Taktik verholfen. ... Das tut mir jetzt irgendwie weh aber ich bin es ja selbst in Schuld. Warum musste ich mir damals
auch so einen blödsinnigen Oswald-Kolle-Splin zu Nutze machen und warum konnte ich nicht aufhören als es dir danach war, warum habe ich deine diesbezüglichen Andeutungen immer im Ansatz abgewürgt?“. Jetzt konnte ich feststellen, dass Gitte doch besser beobachtete als ich bisher glaubte. Nur eins wollte ich nicht stehen lassen, dass Heidi mit einer Taktik handeln würde und dabei verriet ich Gitte, das, was sie ohnehin schon wusste: „Ach was, Heidi ist nicht so, die hat nicht berechnend gehandelt. Ganz im Gegenteil: Sie ist calvinistisch angehaucht, das heißt, dass sie sehr puritanisch und prüde eingestellt ist. Die würde niemals eine Taktik anwenden um gegen das sechste Gebot ‚Du sollst nicht ehebrechen’ zu verstoßen.“. „Wenn sie auch gläubig ist, eine Heilige ist sie noch nicht.“, bekam ich jetzt von meiner Frau zu hören. Bis heute weiß ich nicht ob es Taktik, wie Gitte sagte, war oder ob es sich so verhielt wie mir Heidi gesagt hatte. Nur das ich zu diesem Zeitpunkt an einem Scheideweg stand, war mir mehr als klar. Diesem Leser oder jener Leserin wird es jetzt paradox vorkommen, dass ich am Freitagabend, bevor ich zu Heidi ging, noch tatkräftig von meiner Ehefrau unterstützt worden bin. Sie hatte mir meine Reisetasche mit den wichtigsten Utensilien für das Wochenende gepackt. Dabei flossen bei Gitte immer wieder mal ein paar Tränen aber gesagt hat sie nichts. Dabei wurde ich einem Wechselbad der Gefühle unterworfen. Ich hatte doch Gitte noch so gerne aber ob ich sie noch liebte, konnte ich nicht beantworten. Und dann war da Heidi, auf die ich mich so sehr freute. Diese Vorfreude war ganz anders als sonst, wo ich mich nur darauf freute eine Frau entblättern zu können um dann mit wollüstige Empfindungen zu haben. Jetzt freute ich mich auf eine Frau, auf ihr Wesen und ihre Art; ich freute mich mit ihr zusammen sein zu können. Irgendwie glaubte ich, dass es mich sogar glücklich machen würde wenn sie mir jetzt noch das Bett verweigern würde. So stand ich dann mit allerlei Herzklopfen bei meiner Angebeteten vor der Tür. Sie öffnete mir und ich war hingerissen. Sie stand vor mir in einem tiefdekolletiertem schwarzem Kleid dessen weiter Rock eine Hand breit über dem Knie endete. Um die Hüften hatten sie einen breiten, enggezogenen Gürtel. Ihre Beine waren bedeckt von dunkelgetönten Strümpfen. Da ging schon ein mächtiges Rühren durch meinen Körper als dieses wunderbare sehr femine Wesen vor mir stand. Graziös streckte sie mir ihre Hand entgegen und sagte zärtlich „Komm rein.“. Als ich ihr meine Hand gereicht hatte ließ sie diese nicht wieder los und zog mich an dieser ganz nah an sich heran. Als sie mit der anderen, noch freien Hand die Tür zugestoßen hatte hauchte sie zärtlich: „Warum hast du mich noch nie geküsst.“. Das ließ ich mir nicht zwei mal sagen und riss sie dicht an meinen Körper und führte meinen Mund zu dem ihrigen. Und dann küssten wir uns so innig, das wir wohl kaum gemerkt hätten, wenn neben uns etwas umgefallen wäre. Als ich ihren Mund wieder freigegeben hatte vernahm ich ihren angenehmen natürlichen Duft und glaubte mich daran berauschen zu können. Jetzt will ich hier nicht jedes Detail dieses wunderbaren Wochenendes preisgeben, denn schließlich gehören dieses Momente nur uns beiden, Heidi und mir. Nun, es war kein Wochenende im Bett und wir haben uns nicht einmal überwiegend in der Wohnung aufgehalten sondern sind sehr viel an den beiden Spätsommertagen, Samstag und Sonntag, im nahegelegenen Wald spazieren gegangen. Natürlich meist eng umschlungen und sehr oft haben wir uns geküsst. Wenn uns nicht gerade das Küssen daran hinderte, haben wir miteinander kommuniziert. Mal war es nur Geplauder, mal eine Erörterung, mal eine Diskussion und mal nur eine Erzählung, einmal von Heidi und einmal von mir. Wir sprachen und sprachen. Das war etwas, was es in unseren jungen Jahren auch stets und ständig zwischen mir und Gitte gab aber mit der Zeit wurde es immer weniger. Es war nicht mehr sehr viel was sich Gitte und ich zu sagen hatten. Natürlich will ich meine lüsterne Leserschaft nicht enttäuschen und auch etwas aus dem Bett berichten. Mit Heidi war alles anders als ich bisher erlebt hatte. Sie war so sinnig anschmiegsam und zärtlich, so dass ich ein unbeschreibliches Knistern verspürte. Sofort merkte ich, dass sie im Gegenzug diese Zärtlichkeit auch von mir erwartete. Und mir gefiel alles viel besser als die tollste und wildeste Sexpraktik. Ich weiß nicht wieso aber bei Heidi empfand ich den Koitus und den Orgasmus lediglich als Beiwerk, auf den es nicht in erster Linie ankommt. Ergebnis des Wochenendes war, dass ich Heidi verfallen war und nicht mehr zurück konnte. In der Folgezeit änderte sich einiges in meinem Leben. Im vierzehntägigen Rhythmus verbrachte ich das Wochenende bei meiner Geliebten. Nicht nur das, auch zwischendurch trafen wir uns immer häufiger zu gemeinsamen abendlichen Unternehmungen. Mal gingen wir ins Theater, mal ins Kino und mal kehrten wir in einem feinen Restaurant ein. Das die Leute über uns redeten störte uns wenig, was aber Gitte und meine Kinder anders sahen. Gitte stellte jetzt anhand des Klatsches fest, dass die Leute in der Vergangenheit mehr mitbekommen hatten als wir geglaubt hatten. Die Leute wussten von einigen Seitensprüngen meiner Frau zu berichten und zeigten jetzt Verständnis für mich. In der netten Frau (Heidi) hatte ich jetzt endlich jemand gefunden, den ich verdiente. Ich weiß nicht wieso, aber meine Seitensprünge schienen im Gegensatz zu Gittes unbemerkt geblieben oder vergessen zu sein. Das machte die arme Gitte natürlich vollkommen fertig. Oft weinte sie und fragte: „Warum habe ich das alles nur gemacht? Warum konnte ich mich nicht damit begnügen einen netten Mann und meine Kinder zu haben? Wenn ich könnte würde ich alles ungeschehen machen und noch einmal ganz von Vorne anfangen.“. Bei der Gelegenheit gestand sie mir immer, dass sie mich immer noch liebe
aber sie nun keine Chance mehr sähe, mich für sich zu behalten. Sie würde ja gerne um mich kämpfen aber sie wüsste nicht, wie sie das machen solle. In den Augen meiner Kinder wurde ich immer mehr zum Monster. Sie warfen mir alles Mögliche, teilweise arg Konstruiertes, vor. In der Tat ich war vor ihren Augen vom Sockel gefallen. Während Gitte und ich alles unternahmen um einen Rosenkrieg zu vermeiden und möglichst gütlich zu regeln, schürten unsere Kinder das Feuer und provozierten fortlaufend neue Zwistigkeiten. So hing dann doch der Haussegen bei uns immer mehr und letztlich täglich schief. Und so kam es dann doch mehr und mehr zu Schlammschlachten, die mich dann im November 2002 dazu veranlassten aus dem eigenen Haus, ich hatte es ja von meinem Vater, auszuziehen und zu Heidi, die auch ein Haus ihr eigen nannte, zu ziehen. Gitte und ich wollten erst einmal ein Vierteljahr übers Land ziehen lassen und uns dann in Ruhe über eine bevorstehende Scheidung unterhalten. Eines hatte ich aber klar gestellt: Ich wollte meiner Familie ein Wohnrecht, zumindestens bis die Kinder aus dem Haus sind, in meiner Hütte einräumen – ich hatte ja ein Dach über dem Kopf. Durch meinen Einzug in Heidis Reich änderte sich auch unsere Beziehung zueinander. Bisher hatten wir ja nur jedes zweite Wochenende und diverse Abende miteinander verbracht und jetzt waren wir Tag für Tag und Nacht für Nacht beieinander. Man könnte sagen, dass ein rosa Zeitraum vom Alltag abgelöst wurde. Da ändern sich doch verschiedene Dinge. Jetzt lernte ich Heidis penetranten Putzteufel, der doch fürchterlich nerven kann, kennen. Häufig steht sie des Morgens um Fünf auf um diesen oder jenen Raum beziehungsweise die Fenster noch vor ihrem Dienstbeginn zu putzen. Da ich ohnehin ein ziemlicher Morgenmuffel bin, führte ihre Art doch zu manchen Tagesbeginn mit schlechter Laune. Für Verdruss bei mir sorgte auch ihre Art stets und ständig hinter den Kindern und mir herzuräumen. Wäre ich nicht stets des Abends mit ihrer Zärtlichkeit, die ich so wundersam empfand, entlohnt worden, hätte der Putzteufel in Heidi bestimmt schon für eine Art Rosenkrieg, bevor die eigentliche Partnerschaft begann, gesorgt. Was mir in der Rosazeit mein Ego stärkte – ihre Art sich anzulehnen und führen zu lassen – wurde mir im Alltag zusehendst lästig. Ich bekam das Gefühl, das Heidi nichts selbst entschied und aus eigenem Antrieb nichts unternahm. Zu diesen Empfindungen kam dann noch eine stark ablehnende Haltung von Inka und Arnika. Die beiden Mädchen ließen keine Gelegenheit aus mir Eins auszuwischen. Stets und ständig erklärten sie mir, was ihr Papa besser und anders gemacht habe. Na ja, da musste ich einsehen, dass ich wohl im Begriff war einen schlechten Tausch zu machen. Nach und nach stärkte sich in mir das Gefühl, dass Gitte doch die richtige Frau für mich sei. Ich dürfte wohl einen gravierenden Fehler gemacht haben und wusste da nicht wieder rauszukommen. Was sollte ich Heidi sagen? Sie würde das Ganze wohl nicht verstehen und möglicher Weise daran zerbrechen. Kann ich das verantworten? Ausschließlich Inka und Arnika würden ein Wiederauszug meinerseits begrüßen aber was hatte ich inzwischen in deren kindlichen Seelen angerichtet? Wie würden meine Drei, also Gitte, Sascha und Tanja, die Sache aufnehmen; können die mir verzeihen? Natürlich hätte ich für meine Rückkehr durch den Besitz des Hauses Nachdruck schaffen können aber ist das ein Fundament für ein weiteres Zusammenleben? Ich saß ganz schön in der Patsche. Mitte Januar dieses Jahres riss ich mich zusammen und suchte die Aussprache mit Heidi. Ich nutzte die Gelegenheit als die beiden Mädchen bei ihrer Tante Annegret waren und sprach sie an: „Heidi, ich muss ein ernstes Wort mit dir reden ... Es geht um uns beide.“. Sie wurde ganz bleich im Gesicht und bekam traurige, feuchte Augen. Wie ein artiges Mädchen setzte sie sich auf die Couch und bat mich neben ihr Platz zu nehmen. Dann begann sie aber zu sprechen und ich wunderte mich, wie schnell sie erfasst hatte, um was es ging: „Schatzi, ich habe dir bis heute nicht gebeichtet, wie es zu meiner Scheidung kam. Ich hatte mit Gerd laufend, jeden Tag, Streit, der im Laufe der Zeit immer heftiger wurde. Und das ging praktisch schon los als wir gerade verheiratet waren. Immer ging es um meinen Putzfimmel, wie Gerd es nannte. Dann eines Tages sagte er zu mir, dass er es mit mir nicht mehr aushalten könne und er ausziehen wolle. Er sagte es und zog zu seiner alten Mutter. Um ihn dann eifersüchtig zu machen und um ihn damit zurückzuholen habe ich mir einen ‚Kerl’ in meinem Alter angelacht. Gerd reagierte aber anders als ich mir das gedacht hatte: Er war für mich nicht mehr ansprechbar und reichte die Scheidung, der ich bis zuletzt nicht zustimmen wollte, ein. Im Trennungsjahr habe ich mich ihm gegenüber benommen wie eine Bekloppte aber es war nichts zu machen ... wir wurden geschieden. Übrigens der Kerl hat mich auch wieder verlassen, weil sich zwischen uns nichts abspielte. Ich liebte Gerd und er war nur als Waffe gedacht und deshalb ließ ich ihn nicht an mich heran. Ich denke, jetzt holt mich meine Vergangenheit wieder ein ... Du willst doch wohl wegen meines Putzfimmels mit mir reden. Ich glaube nicht nur das, du willst mich deshalb bestimmt wieder verlassen. ... Aber dieses ausgerechnet jetzt.“. „Also, beim Dich-Verlassen bin ich noch nicht,“, antwortete ich ihr, „aber ansonsten vermutest du richtig. Dein Putztick belastet mich schwer, so schwer, dass auch ich schon glaube es nicht aushalten zu können. Was mich jetzt interessiert ist warum du ‚dieses ausgerechnet jetzt’ gesagt hast.“. Sie legte ihre Arme um meinen Hals und begann zu weinen: „Schatzi ich bin schwanger, wir bekommen ein gemeinsames Kind.“. Jetzt bekam ich aber ein Schock aber nicht weil ich so erfuhr Vater zu werden sondern hinsichtlich Heidis Alter. Schließlich ist sie
keine Fünfundzwanzig mehr sondern immerhin wird sie schon bald 37 Jahre. Für mich stand in diesem Augenblick fest, dass ich vorerst Heidi nicht verlassen könne. In meinem Kopf drehte sich jetzt alles um das Thema wie ich ihren Putztick doch auf ein für mich erträgliches Maß reduzieren könne. In dieser Angelegenheit kam mir dann Heidi entgegen, in dem sie schluchzend sagte: „Ich weiß doch Schatzi, dass ich alles verkehrt mache. Mit meiner blöden Eigenart habe ich meine Ehe zerstört. Ich habe Gerd verjagt. Dann zerstöre ich deine Ehe und verjage dich dann auch auf die gleiche Art und Weise wie meinen Mann wieder. Das tut mir sehr leid und auch weh. Ich will mich bessern und fortan nicht mehr so sein. Bitte gebe mir noch eine Chance und helfe mir gegen meine Putzsucht anzukämpfen. Ich glaube, dass, wenn du mich, wenn ich mal wieder ausraste, an das heutige Gespräch erinnerst, werde ich wohl vernünftig sein. Das wird dann so eine Art Schocktherapie sein, denn ich habe fürchterlich Angst dich auch noch zu verlieren.“. In diesem Augenblick blieb mir, auch in Hinblick auf unser werdendes Kind, nicht anderes als ihr das Versprechen abzunehmen und es dabei bewenden zu lassen. Danach lief es auch besser und die Erinnerung wirkte tatsächlich so wie erhofft. Nun war ich doch glücklich und zufrieden. Es schien so als wäre in unserer Partnerschaft das rosa Licht angeknüpft worden. Da zogen doch wieder dunkle, so gar pechschwarze Wolken über meinem Glück auf. Einen Nachmittag, als ich nach Hause kam, saß da ein Herr – etwa mein Alter und Typ – ,der von Inka und Arnika freudig umschwirrt wurde. Ihm gegenüber saß Heidi mit verheulten Gesicht. Den Herrn brauchte man mir nicht vorzustellen, denn anhand aller Anzeichen wusste ich sofort, dass dieses nur Gerd Konz, Heidis Exmann, sein konnte. Freundlich sprach er mich an: „Guten Tag Herr Neuhoff, ich bin Gerd Konz. Kommen sie doch ruhig rein und nehmen sie Platz.“. Nachdem die Kinder hinaus komplimentiert waren berichtete er mir dann ruhig und etwas traurig klingend, dass er nicht mehr Ein oder Aus wüsste. Heidi sei die einzigste Frau seines Lebens. Außer einem Jugendabenteuer habe er vor ihr keine gehabt und nach ihr bis jetzt auch nicht. Er würde sie lieben und glaubte ohne sie nicht leben zu können. Er bat mich flehentlich Heidi freizugeben. Das sie von mir schwanger war wusste und akzeptierte er und versprach mir auch unserem Kind ein guter Vater zu sein. Konz hatte mich an der für ihn richtigen Stelle getroffen. Ich bekam ein Schuldbewusstsein und damit wuchs in mir die Bereitschaft Heidi wieder freizugeben. Ich wollte sie doch dazu hören und fragte sie: „Heidi, jetzt nehme bitte keine Rücksicht, weder auf mich noch auf deinen Mann, und sage ganz ehrlich, wie du darüber denkst.“. Sie schaute mich an und begann wieder zu weinen: „Ach Schatz, sei mir bitte, bitte nicht böse. Ich glaube ich habe einen Riesenfehler gemacht. Ich denke ich gehöre zu Gerd, den ich immer noch über alles liebe. Bitte verzeih mir.“. Mehr konnte sie nicht sagen, denn vor lauter heulen bekam sie kein Wort mehr raus. Ich wandte mich dann an Gerd Konz: „Gehen sie zu Heidi und nehmen sie in den Arm und trösten sie. Ich werde dann gleich meine Sachen packen und gehen. ... Aber erlauben sie mir bitte die Frage, ob ich ab und an als Freund mal vorbei kommen kann und so auch mal unser Kind sehen kann.“. Da raffte sich Heidi zusammen und sagte: „Ich danke dir Schatz. Sicher darfst du öfters bei uns vorbeikommen. Unser Mädchen ... das weiß ich vom Ultraschall – wird von Anfang an erfahren, dass du der Vater bist. Da Inka und Arnika es wissen, kann ich es unserer Tochter ja nicht verheimlichen. Gerd Mausilein, du wirst doch nichts dagegen haben?“. Freudig sagte er nur: „Du sprichst mir aus der Seele Goldi.“. Darauf ließ ich die Beiden erst einmal allein. Auf dem Flur sprangen mir Inka und Arnika entgegen und fragten ob ich jetzt wieder abhauen wolle. Als ich diese Frage in ihrem Sinne positiv beantwortete, hüpften die Zwei freudig ins Wohnzimmer zu ihren Eltern. Nachdem ich alles zusammen gepackt hatte ging ich ins Wohnzimmer um mich zu verabschieden. Heidi war inzwischen wieder allein. Sie umarmte und küsste mich und sagte: „Ach Schatz, glaube mir es tut mir alles so leid für dich aber ich bin nur eine schwache Frau und kann nicht anders. Ich möchte zum Abschied noch einmal mit dir schlafen.“. „Ich glaube es ist besser wenn ich jetzt gehe,“, antwortete ich ihr, „wer weiß was in uns vorgeht, wenn wir miteinander schlafen. Da ist es besser, wenn wir einen radikalen Schlussstrich ziehen. ... Aber eins noch: Ich bin dir nicht böse und werde dich bis zu meinem Lebensende im Herzen behalten. Wenn unsere Tochter auf der Welt ist komme ich wieder vorbei ... aber nur, wenn dein Mann auch anwesend ist.“. Darauf wollte Heidi noch wissen, was ich jetzt machen wolle und ich antwortete ihr darauf, dass ich das konkret nicht wüsste, ich würde erst einmal zu meinen Eltern in Friedthal ziehen. Bleiben könnte ich da nicht, denn die Eigentumswohnung wäre zu klein aber auf keinen Fall wolle ich meine Familie aus meinem Häuschen schmeißen. In der Tat konnte ich nicht lange bei meinen alten Eltern, die mir selbstverständlich Asyl gewährten, bleiben. Mehr noch als die bescheidene Größe der Wohnung war es meine Mutter, die mich schon am ersten Abend einen baldigen Wiederauszug wünschen ließ. Meine Güte, was musste ich mir von der alles sagen lassen. Sie warf mir mein, aber auch Gittes, Lotterleben vor. Wir hätten unsere Strafe ja verdient aber dass ihre „lieben“ Enkelkinder damit reingezogen worden wären wollte sie nicht akzeptieren. Mutter bekundete mir, dass sie das schon immer hat kommen sehen und das sie sich direkt wundere, warum alles so lange gut gegangen sei. Für mich schlimm war, dass ich in der Sache gar nicht widersprechen konnte, sie hatte ja so recht. Aber die Art wie meine Mutter diese Dinge mir gegenüber rüberbrachte, konnte ich beim besten Willen so nicht „verknusen“. Da legte ich mir eine neuerliche Angewohnheit zu: Erstens löste ich mich schwerlich von meinem Arbeitsplatz; gegenüber
frührer legte ich täglich ein bis zwei Stunden drauf. Dann fuhr ich „nach Hause“ und ließ mir das Abendessen servieren. Bei dieser Gelegenheit las mir dann Mutter immer die Leviten. Und anschließend ging ich dann auf einige Biere, so drei bis acht Glas á 0,2 Liter waren es dann schon täglich, in die nahegelegene Gaststätte „Bei Tante Else“, auch um am Tresen ein Wenig zu palavern. Dadurch wurde ich doch von den quälenden Gedanken, die mich fortwährend bewegten, abgelenkt. Und danach kehrte ich heim und machte mir mit den Worten dass ich müde sei mein Bett auf der Couch fertig. Natürlich musste ich mir dabei auch Mutters Kommentar, dass es so nicht weiter gehen könne, anhören. Am Wochenende unternahm ich dann Fahrten ins Blaue. Rastlos zog es mich von einen in den anderen Ort ohne dabei nur ein Bisschen Lust zum Verweilen aufbringen zu können. Hauptsache für mich war es, nicht zuhause sein zu müssen. Von diesem Wochenende gab es dann zum Glück nur ein Einziges, denn am Freitag der folgenden Woche gab es dann eine erneute Wende in meinem Schicksal. Ich war gerade wieder einmal bei „Tante Else“. Es dürfte wohl eine halbe Stunde her sein, dass ich gekommen war. Mir wurde gerade das zweite Bier serviert als mir jemand sanft auf die Schulter klopfte und eine mir wohl bekannte Stimme fragte mich: „Willst du nicht endlich nach Hause kommen. Wir brauchen dich.“. Das konnte nicht wahr sein: Hinter mir stand meine Gitte mit einem einerseits lächelnden und anderseits ängstlichem Gesicht. Ach, ich kann heute nicht mehr schildern was in diesem Moment in mir vorging. Spontan nahm ich sie in den Arm und drückte sie ganz fest an mich. Ich musste furchtbar mit mir kämpfen, dass ich nicht in der Kneipe, vor den anderen Leuten, los heulte. Ganz erregt fragte ich Gitte: „Darf ich denn wieder nach Hause kommen?“. „Ja, wenn nicht wäre ich bestimmt nicht hier“, gab mir Gitte ebenso aufgeregt zurück. „Darf ich denn auch nach Hause kommen, wenn Heidi ein Kind von mir erwartet?“, fragte ich jetzt noch zur Sicherheit. Gitte lächelte mich an: „Ich weiß doch alles. Heidi war heute morgen bei mir und wir haben uns ausgesprochen. Deshalb bin ich auch zu deinen Eltern gefahren um dich zu holen. Vati hat mir dann gesagt, dass du hier bist.“. Daraufhin bezahlte ich, nahm meine Frau in den Arm und wir verließen gemeinsam die Gaststätte. Auf dem Wege von der Kneipe zur Wohnung meiner Eltern berichtete mir Gitte, dass auch die Kinder der Meinung seien, dass es gut sei wenn ich wieder zuhause wäre. Sie wünschten sich so sehr, dass alles wieder in Ordnung sei. Danach wechselte Gitte das Thema und kam auf sich zu sprechen. Einerseits etwas schuldbewusst und andererseits stolz verkündete sie mir, dass sie zwischenzeitig kein Abenteuer gesucht habe und in Zukunft auch keines mehr suchen wolle. Nun sei sie ein für alle mal kuriert. Ab sofort gäbe es für sie nur noch einen Mann für den sie bereit sei und dieser sei der Beste – und das wäre ich. Inzwischen standen wir schon vor dem Haus, in dem meine Eltern ihre Eigentumswohnung hatten. Wir blieben noch einen Moment draußen stehen um noch ein paar Worte unter vier Augen zu sprechen, denn Gitte hatte etwas für mich erstaunliches gesagt: „Ich danke Gott, dass er meine Gebete erhört hat und wir wieder zusammen sind. Ich fühle mich durch die Worte Jesu, die er zu der Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte, sagte ‚Gehe hin und sündige fortan nicht mehr’ angesprochen. Ich will wirklich nicht mehr sündigen, denn dadurch schädige ich mich letztlich selbst.“. Was mich an den Worten wunderte war, dass wir alle beide zwar nicht ungläubig aber auf keinem Fall stark religiös eingestellt waren. Und dann diese Worte, die doch von tieferer Gläubigkeit zeugten. „Versteh mich jetzt bitte nicht falsch aber ich wundere mich, dass du auf einmal fromm geworden bist“, sagte ich ihr fragender Weise. Mit ernster Miene antwortete sie mir: „Als das mit Heidi und dir passierte war ich furchtbar entsetzt und das bereitete mir ungeheuere seelische Schmerzen. Mir war bewusst, dass ich voll und ganz schuldig bin und dir keine Schuld zuweisen kann. Mit unserem leichtfertigen Leben nach der Devise einmal nur Lust und einmal Liebe, haben wir beide in gleicher Weise die Situation herauf beschworen. Dann war da der Punkt gekommen, wo du ganz offensichtlich aussteigen wolltest. Das habe ich gemerkt und bewusst habe ich dir immer dahingehend das Wort abgeschnitten, denn ich wollte mit dem wilden Leben nicht aufhören. Damit habe ich dich dann, eigentlich gegen deinen Willen, zum Weitersündigen ermuntert und angehalten. Und das ist meine große Schuld, die mich belastet. Als dann der Punkt, der irgendwann zwangsläufig kommen musste, gekommen war wusste ich nicht mehr ein noch aus. Da habe ich mich entsonnen, das mir als Kind und junges Mädchen in solchen Situationen ein Gebet immer Erleichterung verschaffte und dann auch immer ein Ausweg sichtbar wurde. Also betete ich wieder und wie damals empfand ich Erleichterung und konnte das Ganze bis hier und jetzt tragen. Und gerade das, dass ich es ertragen konnte machte es möglich, dass ich heute auf dich zugehen konnte ... und nun wird alles wieder gut. Du kannst mir sagen was du willst aber beten hilft und nützt. Daher möchte ich auch nicht mehr vom Gebet lassen. ... Übrigens: Ich habe nicht nur das Beten wieder entdeckt, seit einigen Wochen gehe ich auch regelmäßig des Sonntags zur Kirche und ich möchte dich einladen mitzukommen. Durch den Gottesdienstbesuch bekommst du zwar keinen Fahrschein in den Himmel aber ich persönlich empfinde an keinem anderen Ort wie in der Kirche, dass ich auf dieser Welt nie allein und verlassen bin ... und das tut sehr gut.“. „Seltsam“, begann ich meine Anschlussbemerkung, „auch mit Heidi habe ich viel über Gott und den Glauben gesprochen und immer hatte ich das Gefühl, dass ich dieses brauchen würde. Sicherlich werde ich dich jetzt sonntags auch in die Kirche begleiten. Nicht weil ich dir damit einen Gefallen zutun gedenke sondern weil ich
glaube, dass ich das selber benötige. ... Aber jetzt lass uns rauf gehen, damit ich endlich wieder nach Haus komme.“. Diesem auffordernden Wunsch kam Gitte gerne nach, den sie konnte es, wie sie mir darauf sagte, kaum noch erwarten mich wieder zu Hause zu haben. Na ja, ganz so schnell wie wir uns dieses gedacht hatten, ging es dann doch nicht, denn meine alte Mutter glaubte uns doch noch etwas mit auf dem Weg geben zu müssen. Ja, was soll man da machen? Man kann so alt werden wie Methusalem, man bleibt, wenn seine Mutter noch lebt, immer das Kind für die sie glaubt mitverantwortlich zu sein. Das ist bei meiner Mutter nicht anders wie bei Gittes. Natürlich mischen die sich in der Regel nicht in unsere Angelegenheiten ein aber wenn wir uns in bestimmten Angelegenheiten, wie in diesem Fall, freiwillig in die Höhle des Löwens begeben, bleibt es nicht aus, dass wir eine als guten Rat getarnte Standpauke erhalten. Seltsam, jetzt wo Gitte da war erhielt sie von meiner Mutter den Status eines Engels und ich war der Übeltäter. Das ließ aber Gitte nicht so stehen und sie startete ihr Contrareferat: „Entschuldigung Mutti, das siehst du glaube ich ein Wenig falsch. Dein Junge ist schon in Ordnung. Er hat weniger Blödsinn gebaut wie ich und er war es der mit dem Treiben aufhören wollte. Aber ich habe weitergemacht bis es dann knallte. Natürlich ist es nicht schön, dass wir es neben unserer Ehe flott mit anderen getrieben haben. ... Siehst du, ich nenne es beim Namen was du so sorgsam umschreibst. Sicherlich hatten wir dabei vermeintlichen oberflächlichen Spaß aber auch immer argen Katzenjammer gehabt. Immer nach einer Nacht mit einem anderen Mann war mir so elend weil ich mal wieder irgendjemanden an mein Intimstes gelassen habe, weil ich mir wie ein Objekt zur Befriedigung männlicher Lust vorkam. Dieses war insbesondere dann der Fall, wenn der Mann nicht das brachte, was ich mir davon versprach ... was bei der überwiegenden Zahl meiner Seitensprünge der Fall war. Aber immer habe ich die Stimme meines Gewissens in Blitzaktionen verdrängt bis es knallte. Jürgen und Heidi haben eben nicht die Lustobjekte im jeweils anderen gesehen und da kam eben das, was man Liebe nennt. Ich bin davon überzeugt das die Beiden sich immer noch lieben aber erkannt haben, dass niemand zwei Herren dienen kann und haben sich dann, auch zu meinem Glück, für ihre ursprünglichen Partner entschieden. Also, lass Jürgen in Ruhe, er ist das Opfer und ich die Täterin.“. Jetzt waren da gleich Zwei, die auf Gittes niederschmetternde und selbstbekennende Rede etwas sagen wollten. Einmal war dieses meine Mutter, die Gittes Worte arg unter der Gürtellinie liegend erachtete. Laut ihren Worten hat man früher noch nicht einmal gewagt so etwas zu denken. Na ja, nach meiner Überzeugung sah das an der konservativ prüden Oberfläche so aus aber unten drunter sah es wohl früher nicht besser aus wie heute. Man könnte meiner Mutter entgegensetzen, dass man früher eine schwer verlogene Moral für chic hielt und nach 1968 da in positiver Weise viel ehrlicher geworden ist. An Dingen, über die gesprochen wird, kann ich auch was verändern aber was tot gelogen wird gärt im Sumpf über die Reife hinaus zur Fäulnis. Der Zweite der Gitte etwas erwidern musste war ich: „Gitte Maus, du musst dich nicht runterputzen und mich reinwaschen. Wir waren es beide und zu erforschen wer mehr und wer weniger Schuld hat, ist erstens müßig, zweitens ungebracht und drittens überflüssig. Was hat man von so einem Geblubber, dass der Eine 70 Prozent und der Andere die Restschuld hat. Wichtig ist, dass wir den falschen Weg und unser unrechtes Handeln erkannt haben, dazu stehen und dadurch zur Überzeugung gekommen sind, dieses nicht mehr machen zu wollen. Dieses nicht aus Moralvorgaben heraus sondern weil wir erkannt haben, dass wir mit unserem Handeln in erster Linie uns selbst schaden. Und was das Schlimmste ist: Wir schädigen nicht nur uns selbst sondern wir reißen andere Unschuldige, zum Beispiel unsere Kinder mit rein.“. Nun, diese meine Worte gefielen auch meiner Mutter und wir konnten nun ungehemmt dazu übergehen meine sieben Sachen zusammenzupacken. Viel war da nicht zu schaffen, da ich ja noch nicht richtig ausgepackt hatte und seit meinen Einzug aus dem Koffer gelebt hatte. So dauerte es keine Viertelstunde bis wir uns im Konvoi in Richtung Friedthaler Waldesrand auf dem Weg machten. Der Konvoi war natürlich deshalb notwendig weil Gitte mit ihrem Wagen angereist war und ich den meinigen nicht bei meinen Eltern stehen lassen wollte. Zum Glück war ich ja beim Eintreffen von Gitte noch nicht lange bei „Tante Else“ und hatte gerade ein Glas Bier getrunken. Das zweite Glas, welches ich bestellt und bezahlt hatte, habe ich vor lauter Aufregung vergessen zu trinken. Ein etwas schwummeriges Gefühl hatte ich bei dieser Heimfahrt schon: Wie würden unsere beiden inzwischen jugendlichen Kinder auf meine Rückkehr reagieren? Ich hatte denen gegenüber doch ein etwas größeres Schuldgefühl und war der Meinung, dass ich eventuellen Vorwürfen nicht entgegen setzen zu können. Endlich wieder daheim wurden meine Bedenken, die ich während der Fahrt hatte, jedoch zerstreut. Sascha begrüßte mich auf seine Art: „Tag Papa, es wurde aber auch langsam Zeit, dass du wieder nach Hause kommst“ und ging dann zur Tagesordnung über. So gelesen klingt es nach nichts Besonderem – das ist seine Art - aber wenn man unseren Jungen kennt und diese Szene miterlebt hat, muss man „Donnerwetter“ sagen. Sein Gesicht strahlte ungewöhnlich glücklich und seiner Körpersprache merkte man seine freudige Erregung an. Auch das „zur Tagesordnung übergehen“ kann ich nicht so stehen lassen. In der Regel heißt das, dass er von dannen zieht, zum Beispiel sich wieder an seinen PC setzt. An diesem Tage setzte er sich aber, ganz offensichtlich Geselligkeit erwartend, auf die Couch. Tanja, die in der Regel lebhafter reagiert, war bei meiner Ankunft auf ihrem Zimmer. Sie kam angestürmt und fiel mir um den Hals, drückte mich und tönte „Paps, was bin ich glücklich, dass du
wieder da bist. Ich habe dich so vermisst. Wir brauchen dich doch.“. Unsere Kinder werden in diesem Jahr 16 und 15 Jahre alt und ihre Reaktion zeigten mir, dass Scheidungen der Eltern auch an Kindern, sorry Jugendlichen, ihres Alters nicht spurlos vorüber ziehen. Nicht nur kleinere Kinder leiden unter einer Trennung ihrer Eltern, die größeren haben nur ausgefeiltere Techniken, mit denen sie ihr Gefühlsleben vor Dritten verbergen oder kaschieren können, entwickelt. Da offensichtlich alle erst einmal ein Wenig das wiedererstandene Zusammenleben genießen wollten, setzten wir uns anschließend für noch fast zwei Stunden zusammen. Gitte nahm sich eine 0,7-Liter-Flasche Wein, von der auch Tanja ausnahmsweise zwei Gläser abbekam. Für mich hatte Gitte auf dem Wege zu meinen Eltern, wo sie mich abholen wollte, einen 6er-Pack mit 0,3-Liter-Flaschen Bier, vom dem Sascha, auch ausnahmsweise, zwei Flaschen abbekam, besorgt. Meine Rückkehr war also ein Anlass für einen Umtrunk; dieses jedoch im bei uns üblichen kontrollierten Maße. Für Gelage haben Gitte eigentlich nichts übrig. Natürlich gab es nun eine Menge zu erzählen. Die Kinder berichteten mir von den Dingen, die sich in der Schule ereignet hatten und von denen ich noch nichts wusste. Sascha verpetzte seine Schwester, dass sie sich jetzt einen zwei Jahre älteren „Lover“ zugelegt hätte. Schon einmal verpetzt bekundete uns Tanja, dass ihr Björn sehr nett wäre und sie uns diesen am kommenden Wochenende vorstellen wollte. Gitte sprach über dies und das, genau wie ich, denn wir konnten uns ja unsere gegenseitigen Berichte für eine spätere zweisame Zeit aufbewahren. Nur eins gab es nicht: Es kamen keine Vorwürfe oder sonst etwas. Während der ganzen Zeit hatten wir die unliebsamen Vorgänge zwischen unserem Urlaub in Kroatien und meiner Heimkehr behutsam ausgeklammert. Je länger wir zusammen saßen um so deutlicher klebten meine Augen an meiner Frau. Es war so als würde ich sie ganz neu entdecken. Dabei wurde ich immer hungriger auf die eigene Frau, die ich immer bezaubernder empfand. Damit stieg auch die freudige Erwartung auf das Ins-Bett-Gehen. Später erfuhr ich von Gitte, dass in ihrem Inneren kompatible Vorgänge wie bei mir abgelaufen sind. Der Unterschied dürfte eigentlich nur in unserem Geschlecht und seinen Merkmalen gelegen haben. Als die Schlafzimmertür hinter uns geschlossen war kam es mir wie beim ersten Mal vor; in einer solch spannenden Erwartung befand ich mich – und wie ich schätze Gitte auch. Trotzdem ließen wir uns nicht, wie in früheren Drauf-Und-Kaputt-Zeiten, zu einer Blitzentkleidung hinreißen. Wir zogen uns gegenseitig, langsam und genüsslich, Stück für Stück, aus. Zwischendurch tauschten wir immer wieder Zärtlichkeiten aus. Als wir beide splitternackt waren legten wir uns auf das Bett und ich begann Gitte am ganzen Körper sowohl mit den Fingern wie mit dem Kussmund abzutasten. Zärtlichkeiten so wie ich sie bei Heidi lieben kennen gelernt hatte. Sinnig wurde mein Vorgehen von Gitte in gleicher Weise erwidert. So hatten wir es noch nie miteinander gehabt aber wir fanden es so herrlich, dass wir es seitdem regelmäßig, man kann sogar sagen häufig, so miteinander machen. Obwohl wir nun bald 15 Jahre verheiratet sind, fühlen wir uns dabei und danach immer wie ein frisch verliebtes Paar. Recht seltsam: Zuvor strebten wir immer direkt die Vereinigung und den Höhepunkt an und jetzt spielt dieses für uns eine absolut untergeordnete Rolle. In drei von vier Fällen kommen wir nach längerem Beisammensein auf Grund zärtlicher Manipulation zum Orgasmus und dann ist uns gar nicht nach einem Koitus – und trotzdem befriedigt uns dieses mehr wie früher. Dadurch sind wir sehr, sehr glücklich geworden. Dieser Tage sagte Gitte mal nach einem zärtlichen Stündchen: „Im Markus-Evangelium steht: ‚Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und die Beiden werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch (Mk 10, 7 und 8).’ Wir haben schon vor langen Jahren unsere Eltern verlassen, du hast zwei Kinder gezeugt, die ich geboren habe aber ein Fleisch sind wir erst jetzt geworden. Jetzt sind wir in der Art ein Fleisch, dass ich nicht mehr von dir los komme, ich kann jetzt einfach gar nicht mehr ehebrechen. Früher waren wir beide der Meinung, dass es einmal nur die Lust und einmal die Liebe gäbe. Das war ein großer Irrtum. Die Lust gehört zur Liebe und die Liebe gehört zur Lust – ein Fleisch. Und das empfinde ich wunderbar. Ich möchte nie mehr zurück in die alten Zeiten sondern mit dir alt werden und gleichzeitig ein Fleisch mit dir bleiben. Wenn mal wieder alles zu Staub und Asche wird, wie es die Bibel eigentlich verheißt – Himmel und Erde werden vergehen – und wie die Naturwissenschaftler prognostizieren, dann werden unsere Seelen, wie uns unser Herr verheißen hat, weiter leben. Und auch dann werden wir beisammen sein, denn wir sind ein Fleisch und eine Seele geworden. ... Und das wird herrlich sein. Du, ... weißt du was ich festgestellt habe? Die Gebote sind eigentlich kein strenges Diktat Gottes sondern es sind die Hinweise wie wir glücklich werden können ... und das schon zu unseren irdischen Lebzeiten. Wie dumm war ich, als ich mich dem sechsten Gebot ‚Du sollst nicht ehebrechen’ widersetzte.“. Diese Aussage Gittes, an der man auch sieht, wie gläubig sie inzwischen geworden ist, stellt nach meiner Auffassung ein sehr schönes Schlusswort für meine Geschichte dar. Ich sollte aber noch ein zweites Schlusswort geliefert bekommen. Und davon erfahren Sie, wenn ich noch nachtrage, wie es im Leben Heidis, die ja keine unwesentliche Rolle in meiner Erzählung spielte, weiterging. Letzte Woche haben Gitte und ich sie im Krankenhaus besucht. Sie hat leider ihr Baby verloren. Jetzt könnte man leichtfertig sagen, dass dieses in Anbetracht der Umstände gut sei. Aber zu Viert, auch Heidis Mann, den sie im Herbst, am Tage ihrer ersten Eheschließung, wieder heiraten will, waren darüber sehr traurig. Auch Svenja, wie das Mädchen heißen sollte, wäre ja ein Kind der Liebe gewesen; wenn auch nicht gerade der in moralischer Hinsicht richtigen. Aber Heidi
wird auch schnell darüber hinweg kommen, da auch im Hause Konz, wie bei uns, endlich das große Glück eingezogen ist. Heidi, die ja, wie ich beschrieben habe, ihre Frömmigkeit aus ihrem pastoralen Elternhaus mitbekommen hat, stellte fest: „Wen Gott liebt, den ‚beschenkt’ er mit Prüfungen und Leiden. Auch der Apostel Paulus sagte, dass er sich seiner Leiden rühme weil diese Standhaftigkeit bringen. Sie bringen uns nicht nur Standhaftigkeit sondern sie lassen uns auch wahres Glück erfassen und bewahren. Gott hat alles vorbestimmt, das Gute wie das Böse. Uns beiden Ehepaaren hat er wahre Liebe und Glück vorbestimmt und deshalb musste alles das geschehen. Wichtig ist das, was sich an unserem letzten Tag in unserer Seele befindet – damit werden wir in die Ewigkeit eingehen. Unsere Sünden wird Gott uns nicht anrechnen, auch unsere Ehebrüche nicht, denn für unsere Sünden ist schließlich unser Herr ans Kreuz geschlagen worden. Das Einzigste, was wir jetzt machen müssen ist dieses Glück auch halten. Wie wir das machen können hat er uns selbst gesagt ‚Gehe hin und sündige fortan nicht mehr’. Er sagte dieses zur Ehebrecherin, also zu uns.“. Na ja, wenn ich jetzt noch berichte, dass Heidi, laut ihrer eigenen Worte und die ihres Mannes, im Begriff ist ihren, zuvor so zerstörerischen Putzteufel in den Griff zu kriegen, dann ist das Happy End abgerundet. Im Leben enden die meisten Geschichten nicht so glücklich und daher kann man nur den Tipp geben, dass man nicht einmal nur in Lust und einmal in Liebe aufteilen sollte sondern von Anfang an sich darum mühen sollte ein Fleisch und eine Seele zu werden. Aber was soll’s, dieses ist der berüchtigte moralische Zeigefinger, dem man eigentlich nichts Gutes nachsagen kann. Dann mache ich doch lieber Schluss. Tschüss und Aus.
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Zum Inhaltsverzeichnis
Die Margarine wird vom Brot gekratzt Vom „alten Knigge“ haben wir gelernt, dass man nirgendwo mit „Hoppla, da bin ich“ reinplatzen soll sondern man soll sich zuerst immer höfflich vorstellen. Also, dann halte ich mich mal daran und beginne mit: Gestatten, mein Name ist Rolf Lemmer und ich bin am 11. September 1946 als Sohn des Schweizer Degens Alfred Lemmer und seiner Frau Berta in Altholzhausen geboren. Wie bitte, Sie wissen nicht was ein Schweizer Degen ist? Ganz einfach, das ist ein Mensch, der die beiden artverwandten Berufe Schriftsetzer und Buchdrucker gelernt hat. Nun, das bin sowohl ich wie mein Bruder Klaus dann auch geworden. Der Grund für des Einsteigen in Vaters Schuh war ganz einfach: Unser alter Herr hatte eine Druckerei und die sollten Klaus und ich mal gemeinsam übernehmen. Übernommen und nach zwei Jahren verkauft haben wir sie, aber das war alles was wir gemeinsam machten. Anschließend ging jeder von uns seinen eigenen Weg und zwar in zwei recht extrem voneinander abweichende Richtungen. Ich machte 1973, nach dem Verkauf der Druckerei, zusammen mit meinem späteren Schwager Norbert Reiber, einem Profifotografen, ein Studio für Typografie, Fotografie und Design, man könnte auch kurz Werbeatelier sagen, auf. Kurz und gut, wir gestalteten beziehungsweise gestalten, denn der „Laden“ existiert immer noch, alles mögliche, vom geschäftlichen Briefpapier über Faltblätter – Flyer, wie es neuerdings so schön auf denglisch heißt – bis hin zu Katalogen. Dieses machen wir einerseits für die heimische Wirtschaft wie andererseits für die Kommunen. Bis Anfang der 90er-Jahre wurde fast alles, was wir machten, auf Papier gedruckt aber der Bereich ist enorm zurückgegangen. Das Auftragsvolumen auf diesem Gebiet hat sich so gut wie halbiert. Trotzdem sind wir noch genau so „groß“ wie in den Gründerjahren, denn was uns im Printbereich entgangen ist, kam im internetten Bereich, in dem wir schon früh eingestiegen sind, wieder hinzu. Also wir sind auch als Webdesigner tätig. Aber damit habe ich gerade auch verraten, dass wir nicht nennenswert gewachsen ist. Immer noch ist unser Geschäft ein kleiner Laden, der unsere Familien doch recht gut ernähren kann, geblieben. Den Familien Norbert Reiber und Rolf Lemmer geht es wohl eindeutig besser als den Durchschnittsfamilien, aber zu den Reichen oder gar zu den Superreichen können wir uns beim besten Willen nicht zählen. Das ist bei meinem Bruder aber ganz anders. Nachdem wir die Druckerei los waren, ging er unter die Beteiliger und Spekulanten. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen wo Klaus, der übrigens fast genau ein Jahr älter ist als ich, er ist nämlich am 13. September 1945 geboren, überall seine Finger drin stecken hat. Auf jeden Fall ging es mal damit los, dass er sich bei einem großen Medienkonzern, 1973 waren es allerdings nur Zeitungen und Zeitschriften, einkaufte. Ist ja mir eigentlich auch egal womit er seine Konten hochpflegt; tauschen möchte ich mit ihm sowieso nicht. Ich glaube ich kann sagen, dass meine Familie und ich bisher bedeutend mehr vom Leben gehabt haben als mein Bruder mit seinen Angehörigen. Er hat sein Leben damit vertan Geld zu scheffeln während ich ganz einfach gelebt habe. Für Klaus ist Arbeiten, also das was er für sich dafür hält, fast ausschließlicher Lebenszweck und –sinn, dem er alles andere unterordnet. Für mich ist die Arbeit eine Notwendigkeit – der Schornstein muss ja schließlich rauchen – auf die ich, wenn ich könnte, auch gerne verzichten würde. Schließlich lebe ich ja nicht um zu arbeiten sondern arbeite um zu leben. Wir sind nicht geboren der Wirtschaft zu dienen sondern der einzigste Zweck der Wirtschaft ist meiner Ansicht nach den Menschen das Leben zu ermöglichen. Auch was das Thema Familie anbelangt sind wir ganz unterschiedlicher Auffassung. Klaus hat seine Regina wegen der guten Mitgift, mit der sie von ihrem reichen Vater ausgestattet wurde, geheiratet. Ihr Vater war hier in der Gegend so ein kleiner Immobilien-Mogul und meine, in meinen Augen etwas dümmliche Schwägerin seine einzigste Erbin. Ob Klaus und Regina glücklich waren kann ich nicht sagen. Im Moment sieht es allerdings so aus, dass sie es nicht mehr sind. Aber nichts desto trotz sind die Beiden auch schon über 25 Jahren miteinander verheiratet. Klaus und Regina haben einen Sohn, denn ein Erbe musste es schon sein. Ich glaube, dass es Klaus Ärgernis ist, dass sein Sohn Reimund Alexander in Punkto Intelligenz auf seine Mutter gekommen ist. Man könnte schon sagen, dass mein Neffe seine Mutter noch an Dümmlichkeit übertrifft. Aber was soll’s, wer reich ist kann ruhig dumm sein. Sehr viele Superreiche scheinen mir nun wirklich nicht auch noch zur Intelligenz-Elite zu gehören und trotzdem werden sie deshalb nicht ärmer. Im Moment sieht es allerdings so aus als habe Reimund das Pech sich nicht mehr auf den Thron seines Vaters setzen zu können, denn ... . Na ja, ich möchte jetzt nicht vorgreifen, denn das, was ich soeben andeutete ist ja der Hintergrund der Geschichte, die ich hier erzählen möchte. Auch Sabine und ich sind jetzt schon bald 28 Jahre verheiratet – und immer noch sehr glücklich miteinander. Ich habe sie über ihren Bruder und meinen Kompagnon kennen gelernt. Gleich am ersten Abend, es war Norberts
Geburtstag, hatte es mächtig zwischen uns beiden gefunkt. So was nennt man Liebe auf den ersten Blick. Wir haben vier Kinder miteinander. Der Älteste, Hendrik, ist 1978 geboren, 1980 folgte ihm Stefanie und wieder zwei Jahre weiter kamen unsere Zwillinge Anna Lena und Katharina zur Welt. Am Rande der Altholzhausener Siedlung Steinhaus haben wir uns ein kleines Häuschen, das unser Glück abrundet, gebaut. Es klingt vielleicht sonderbar wenn ich jetzt erzähle, dass Sabine und ich mit dem was wir haben glücklich sind und mein Bruder Klaus offensichtlich noch nie glücklich gewesen ist. Scheinbar ist da doch etwas dran, wenn man sagt, das Geld nicht glücklich mache. Allzu großen Kontakt haben beziehungsweise hatten Sabine und ich nicht zu Klaus und Regina. Schließlich sind wir, obwohl Klaus und ich Brüder sind, doch zu unterschiedlich. Als unsere Eltern noch lebten trafen wir uns regelmäßig zu deren Geburtstage und jetzt nur noch zu besonderen Anlässen wie runde Geburtstage oder Silberhochzeit, das letzte Mal also vor fast drei Jahren aus Anlass unserer Silberhochzeit. Nach so einer Zusammenkunft war ich immer ziemlich geschafft. Die Art meines Bruders und insbesondere die meiner Schwägerin nervte mich doch kolossal. Sie glaubten so wichtig zu sein, dass sie niemand anderes zu Wort kommen ließen. Und das bei dem Hintergrund, dass sie grundsätzlich auf den gleichen Themen rumritten und wenn man mal dagegen etwas sagte waren sie eingeschnappt. Reginas Thema war immer der „soziale Abschaum“, wie sie es selbst bezeichnete. Unter dem abschätzigen Begriff fasste sie Sozialhilfe-Empfänger, Arbeitslose, Minirentner und sogar pauschal Mieter von Sozialwohnungen zusammen. Das auch viele Häuselbauer, also Eigenheimbesitzer, ihr Haus im sozialen Wohnungsbau errichtet haben und das für die die gleichen Kriterien wie für Mieter, sprich den sogenannten WBS (Wohn-Berechtigungs-Schein), gelten ignorierte sie oder sie kapierte es nicht. Ansonsten hätte sie keinen Widerspruch darin gesehen, dass auch Mieter oder Selbstnutzer von Eigentumswohnung ohne weiteres Mittelklassewagen fahren können oder sich auch mal was Besseres leisten können. Erstens ist ja die Einkommensgrenze zum sozialen Wohnungsbau nicht an der Sozialhilfegrenze festgelegt sondern deutlich höher und zum Zweiten haben viele Leute, als sie die Wohnung oder ihr Häuschen bezogen, zwar unter oder an der WBS-Grenze verdient aber ihr Einkommen hat sich inzwischen deutlich verbessert – und sei es nur, weil auch die Frau eine Arbeit gefunden hat. Diese Leute zahlen dann die sogenannte Fehlbelegungsabgabe. Schließlich kriegt man ja im sozialen Wohnungsbau auch nichts geschenkt sondern man zahlt Kostenmiete oder trägt die Gelder, die man auf sein Häuschen aufgenommen hat, ab. Der Staat fördert den sozialen Wohnungsbau ja dadurch, dass er durch öffentliche Kredite die Tilgung der Wohnbauschulden bis auf maximal 30 Jahre streckt. Das geht zum Beispiel so, dass der Hausbesitzer, wenn er 3.000 € an eine Hypobank zahlen muss, von einer öffentlichen Bank, zum Beispiel Bank für Wiederaufbau, 1.500 € dazu bekommt und dann, wenn die Hypobank nach 10 oder 15 Jahren ihr Geld hat, müssen die Gelder, die die Bank für Wiederaufbau gegeben hat, auch wieder in 10 bis 15 Jahren zurück gezahlt werden. Für Regina waren aber der Lebensstil von Sozialmietern ein Beweis dafür was sich Tagediebe alles an staatlichen Leistungen, die vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen, erschleichen und wie sehr die „Asozialen“ ihre Kassen durch schwarze Geschäfte und Schwarzarbeit aufbessern. Dieses trifft ihrer Meinung in erster Linie für diejenigen, von denen sie glaubt, dass sie Sozialhilfe beziehen, zu. Dann bringt sie immer nette Beispiele wie Sozialhilfeempfänger monatlich Beträge zwischen 3 und 10 Tausend Euro einstreichen. Sorry, jetzt übertreibe ich, denn als ich mir diesen Stuss das letzte Mal anhören musste hatten wir noch die „gute alte“ D-Mark, aber 10.000 DEM, genau 5.010,45 €, sind ja auch ein stolzes Sümmchen. Wenn man dann mit dem Argument kommt, dass, wenn das wahr wäre, in unserem Amtsstuben nur Schwachköpfe sitzen müssten, die vorbei an gesetzlichen Grundlagen den Leuten, die nichts tun, mehr bewilligen als sie selbst verdienen, ist Regina eingeschnappt. Soweit, dass zu jedem Nehmer ein Geber - und das sind stellvertretend bei der Bewilligung halt Beamte oder Angestellte im Dienste der Kommunen – gehört hat sie offensichtlich noch nie gedacht. Insbesondere wenn man sie dann auf das Bundes-Sozialhilfe-Gesetz und die Regelsätze verweist, rastet sie bald aus weil man ihr Geschwätz als Dummlall enttarnt hat. Nun ja, Regina ist keine Ausnahme, denn öfters habe ich den Eindruck das unser Volk von reichlich Schwafelschwätzern durchsetzt ist. Wenn meine holde Schwägerin auf die Arbeitslosen, die nach ihrer Meinung alle nur zu faul zum Arbeiten sind, kam schaffte sie die Steilvorlage für Klaus großen Part. Er schwätzte dann das ganze Dummzeug, was heute auch von unseren Politikern papageienhaft gebetet wird. Ich frage mich wieso Politiker, Journalisten und sogenannte Wissenschaftler der Wirtschaft so nach dem Maul reden obwohl man beim Nachdenken lauter Pferdefüsse entdecken kann. Früher galt in der Volkswirtschaft immer die These, dass der Staat antizyklische Wirtschaftspolitik betreiben müsse. Das heißt, dass, wenn die Konjunktur nach unten geht, muss der Staat seine Leistungen erhöhen und wenn die Konjunktur überschäumt muss der Staat abschöpfen. Leistungen erhöhen heißt Investieren, Investitionszulagen erhöhen, Steuern senken und Sozialleistungen verbessern. Abschöpfen heißt Investitionen zurückhalten, Steuern erhöhen und Zuwächse bei den Sozialleistungen vermeiden. Aber unsere Politiker machen es genau umgekehrt. Als 1990/1991 die Konjunktur aufgrund der Kaufkraftverschiebung von West nach Ost überschäumte, erlaubte sich auch der Staat manchen überflüssigen Luxus; man könnte sagen, dass da Bahnhofsvorplätze vergoldet wurden. Und heute wo die Konjunktur down ist, kommt man in
hyperkoalitionärer Weise auf den Gedanken den Sozialstaat totzuschlagen und das Ganze dann auch noch Reformen zu nennen. Kanzler Schröder schmückt seinen diesbezüglichen Horrorkatalog mit dem werbeträchtigen Namen „Agenda 2010“. Zur Unterstützung bei der Erfindung von Schlachtmaßnahmen am Sozialstaat hat er Leute wie Rürup aus dem Elfenbeinturm der neoliberalen Wirtschafts-Gefälligkeits-Wissenschaft geholt. Das muss mir mal jemand erklären wie das funktionieren soll: Unsere Binnenwirtschaft krankt daran, dass die Kaufkraft soweit abgerutscht ist, dass die Leute wohl bestimmte Konsumgüter gebrauchen können und auch mal in den Urlaub fahren würden aber ihre Einnahmen und ihr ausgeschöpftes Dispositionslimit lassen dieses aber nicht zu. Was keiner braucht oder was keiner kaufen kann brauch also auch nicht produziert werden. Wenn nicht produziert wird sind die Leute arbeitslos, haben noch weniger Einnahmen und eskalieren somit die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben. Wenn der Staat spart und nicht investiert, Sozial- und Versicherungsleistungen kürzt beziehungsweise streicht, dann zieht er ja noch weitere, ohnehin schon knappe Kaufkraft ab. Wie will man denn da die Arbeitslosigkeit abbauen, wo die Logik doch das Gegenteil sagt?. Die neunmalklugen Wirtschaftsleute, zu denen auch mein Bruder Klaus zu zählen ist, palavern von Investitionsanreizen einerseits und zu hohen Arbeitskosten andererseits. Der beste Investitionsanreiz ist aber ein funktionierender Markt. Wenn die Leute kaufen, dann muss produziert werden und wenn produziert wird können die Faktoren Arbeit und insbesondere auch das Kapital verdienen. Es muss also nicht gespart werden sondern es muss Geld unter die Leute gebracht werden damit sie wieder kaufen können. Das Wirtschaftswunder eines Ludwig Erhard wurde seinerzeit durch diese 40-Mark-Kopfgeld gestartet. Mein Bruderherz sah dieses aber alles anders und sang unbeirrbar das hohe Lied der neoliberalen Globalisierer. Er verwies auf die sich immer mehr öffnenden internationalen Märkte und deren Bedingungen, den wir uns durch Reformen endlich anpassen müssten. In Deutschland seien der Staatsanteil (Steuern und Sozialabgaben) zu hoch. Die Lohnnebenkosten hätten nur bei uns astronomische Höhen und demgegenüber würde viel zu wenig gearbeitet. Bei uns fielen zuviel Krankheits- und Urlaubstage an und wir hätten eine deutlich zu kurze Lebensarbeitszeit. Damit seien wir auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Er fordert dann, wenn er bei diesen Theorien um das Goldene Kalb ist, immer drastische Steuersenkung; ein Höchststeuersatz von 30% hielt er für gerade noch angemessen. Es müsste Schluss sein mit den Bonifikationen und Gratifikation. Seiner Meinung nach muss die Eigenverantwortung der Menschen in unserem Land gefordert werden. Im Zuge dieser Dinge forderte er die Absenkung der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Renten. Mehr Selbstbeteiligung der Arbeitnehmer an den Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen waren für Klaus unverzichtbare Forderungen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wollte er auf höchstens 70% und maximal vier Wochen begrenzt sehen. Die Lebensarbeitszeit, also das Rentenalter, müsse auf stolze 70 Jahre heraufgesetzt werden. Er verspricht sich davon, dass unsere Produkte auf dem Weltmarkt preisgünstiger und damit wettbewerbsfähiger werden. Außerdem verspricht er sich von gesenkten Kosten erhebliche Investitionsanreize. Seiner Meinung nach wird nur dort investiert wo das Kapital auch Junge kriegt. Und Investitionen schaffen Arbeitsplätze. Aus meiner Sicht hat er nur mit Letzterem recht aber wer investiert schon der Investitionen halber. In mir fand Klaus immer den großen Gegenredner. Ich vermag nämlich gar nicht sehen, dass die Verbesserungen der Kapitalerträge auch gleichzeitig im Lande zu Investitionen führt. Meiner Meinung nach muss dazu erst ein neuer Mensch geboren werden. Außerdem ist es wohl schizophren bei sinkender Massenkaufkraft, was ja beim Runterschlagen der Sozialleistungen eine logische Folge ist, zu investieren, da lässt man doch lieber freigeschaufeltes Kapital spekulierend um den Globus kreisen. Nicht nur reduzierte Sozialleistungen schröpfen die Kaufkraft sondern die vielgerühmte Eigenverantwortung sorgt durch hohe, an die Privatversicherer zu leistende Prämien beziehungsweise an Ärzte und/oder Apotheker zu zahlende Eigenbeteiligung dafür, dass Umlaufkapital erst einmal aus dem Verkehr gezogen, also der Kaufkraft entzogen, wird. Wozu will man in Arbeitsplätze investieren wenn es nichts zu produzieren gibt, sprich die Nachfrage mangels Masse ausbleibt. Meines Erachtens liegt das einzige Heil darin, wenn man die Nettoeinkommen der breiten Masse, sprich der unteren und mittleren Einkommen, freischaufelt und Sozialleistungen zu mindestens unangetastet lässt. Reinholen soll sich der Staat das benötigte Kapital bei den Banditen, die ihr Geld schwarz in Steueroasen schleusen. Nach meiner Schätzung lassen sich bei der Demontage des Sozialstaates bestenfalls Peanuts einsparen, zu mal die Gelder dann nicht als Kaufkraft zur Verfügung stehen. Die dicken Brocken lassen sich bei den Verbrechern im Nadelstreifenanzug eintreiben aber die haben sich ja mittlerweile den Staat untertan gemacht. Politiker und Journalisten sind ja inzwischen nichts anderes als deren Erfüllungsgehilfen. Nicht umsonst halten nur noch 3% der Bevölkerung Politiker und ihre Parteien für kompetent, 57% der Leute geben sogar an, dass Politiker und Parteien ausschließlich schlechte und unqualifizierte Arbeit leisten. Man beachte die McKinsey-Umfrage „Perspektive Deutschland 2003“ an der mehr als 356.000 Menschen teilnahmen. Bei der Menge der Befragten kann man doch wohl trotz Internet- und Teilnehmerverzerrung von einem repräsentativen Querschnitt ausgehen. Ich kann mir vorstellen, dass es sich bei den 3%, die noch eine gute Meinung von den Politikussen haben, um die Angehörigen der politischen Kaste handelt, also nur überhebliche Selbsteinschätzung.
Letzteres konnte ich allerdings damals noch nicht sagen, denn die Ergebnisse der „Perspektive Deutschland“ sind ja erst seit April 2003 bekannt. Aber das was ich damals schon sagen konnte reichte meinen Bruder Klaus um einen Mordsstreit zu veranstalten. Dann waren innerhalb kürzester Zeit Familienfeste ihrem Ende zugeführt. Für meine Schwägerin Regina war sofort klar, dass nur ich der Verursacher der Streitigkeiten war. Nach ihrer Ansicht spricht aus mir nur purer Neid des Erfolglosen. Jetzt brauchte ich auch gar nicht mit der Wahrheit argumentieren, die hätte weder bei ihr noch bei meinem Bruder Verständnis gefunden. Die können nämlich nicht verstehen, dass ich mit unserer Agentur, dem Häuschen und meiner doch sehr harmonischen Familie sehr glücklich bin und gar nicht mehr haben will. Es ist doch viel schöner angenehm zu leben als erfolgreich zu arbeiten. Regina meint, dass ich gegenüber der nächsten Generation recht bloß dastehen würde. Ihr Klaus hätte dagegen ja was geschaffen, was er an Reimund Alexander weitergeben könnte. Wenn aber meine Habe durch vier geteilt werden müsse, bliebe wohl nichts mehr Sehenswertes für die einzelnen Kinder über. Na ja, rein rechnerisch hatte sie ja recht aber Sabine und ich sind der Meinung, dass wir erst einmal für unser Leben schaffen. Dazu gehört natürlich aber auch, dass wir unseren Vieren ein angenehmes Zuhause geben und auch eine bestmögliche Ausbildung ermöglichen aber den Rest müssen sie alleine für sich selbst schaffen. Na ja, eine ansehnliche Starthilfe können wir jedem unserer vier Kinder jedoch auch mitgeben; da haben wir schon für Rücklagen gesorgt. Aber später um das Erbe prügeln sollen sie sich nach unserem Willen nicht. Das wollte damals unser Vater auch nicht und deshalb hatte er uns die Druckerei als er in den Ruhestand ging formal verkauft und uns geraten, dass wir, wenn wir uns nicht vertrügen, den Laden verkaufen und den Erlös unter uns aufteilen sollten. Ich hatte ja schon geschrieben, dass wir diesen Rat befolgt haben. Für mich war es sogar ein Vorteil: Ich musste nicht unbedingt in Vaters Schuhe schlüpfen und konnte das machen, was mir wirklich Freude machte. Wir sollten bedenken, dass wir alle mal sterben müssen. Der Tod ist das Einzigste im Leben was allen Menschen sicher ist. Dann heißt es Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Aber auch alle Dinge auf dieser Welt werden irgendwann wieder zu Staub und Asche. Nichts auf dieser Welt ist beständig und von ewiger Natur. Was hat man dann davon, wenn man das Bisschen vergängliches Leben dafür aufwendet, Dinge, die eines Tages auch Schutt und Asche sind, zu schaffen? Besonders schlimm ist dieses wenn man dabei das richtige Leben, das heißt Kommunikation und Erfahrung mit den Mitmenschen, insbesondere der eigenen Familie, das Genießen von Natur und Umwelt sowie das Seele baumeln lassen, vergessen hat. Natürlich soll man nicht wie Hans Tagedieb im Paradies durchs Leben baseln sondern man muss schon was tun aber man sollte aus dem Zweck keinen ausschließlichen Sinn machen. Wie arm ist doch mein Bruder und seine Familie mit ihrer Raffgier bei der sie inzwischen schon den letzten Funken von Menschlichkeit verloren haben. Wie unsinnig ist doch das politische Handeln, welches den Standort über alles setzt. Wir brauchen keinen Superstandort sondern einen Lebensraum. Wo wir in der Rangfolge der Wirtschaftsnationen stehen ist mir mehr als egal, mich interessiert nur, wie es sich in Deutschland leben lässt. Erst müssen wir fragen wie es den Menschen geht und dann noch lange nicht wie es dem Wirtschaftsstandort Deutschland geht. Weniger dürfte in diesem Fall tatsächlich mehr sein. So wie ich das für unser Land sehe, sehe ich es selbstverständlich in erster Linie auch auf dem privaten Sektor und daher bin ich, im Gegensatz zu meinem Bruder glücklich und zufrieden. Der steinreiche griechische Reeder Onassis sagte mal: „Ein reicher Mann ist in Wirklichkeit ein armer Mann mit viel Geld.“. So, jetzt habe ich ja groß und breit die Unterschiede in der Lebensweise und dem Denken in der beiden Familien Lemmer, einmal die Familie Rolf Lemmer und einmal die Familie Klaus Lemmer, erklärt und kann jetzt zu der eigentlichen Geschichte, die sich aus der Sichtweise meines Bruders erklärt, übergehen. Das ganze Theater begann „plötzlich und unerwartet“ im August des vergangenen Jahres. Am 13. August 2002, einem Dienstag, war ich des Morgens wie an Werktagen üblich, in meinem Büro in der Altholzhausener Adenauerstraße erschienen. Eine Woche früher und ich hätte von der ganzen Sache noch nichts mitgekriegt, denn da war ich mit Sabine und den Zwillingen – Hendrik und Steffi bevorzugen inzwischen eigene Wege – noch am Dollart in Ostfriesland, wo wir in einer Ferienwohnung Urlaub gemacht haben. Wenn nicht ein „Schnellschuss“ dazwischen gekommen wäre, hätte mein Schwager Norbert Reiber in dieser Woche die aufregende Aktion verpasst. Ein heimischer Sauna- und Solarienlieferant hatte sich kurzfristig entschlossen auf einer Messe Ende September für einen in Insolvenz gegangenen Kollegen einzuspringen. Da wollte er noch einen werbewirksamen Prospekt erstellt haben. Norbert wollte noch, bevor er selbst in den Urlaub fährt, die Fotos machen. Den Rest, also Textüberarbeitung und Layout, waren dann meine Aufgabe. Für die Fotos waren eine potemkinsche Sauna und ein Solarium bei uns im Studio aufgebaut. Von einer in Häusern installierten Sauna oder einem solchen Solarium kann man, weil diese vorne abgeschlossen sind und weil man diese in der Regel schlecht ausleuchten kann, keine überzeugenden Werbefotos machen. Natürlich sollte nach dem Willen unsers Auftragsgebers auch ein Blickfang auf die Bilder. Genau gesagt sollte ein nacktes Pärchen in einer der Saunen und unter einem Solarium eine nackte Frau zu sehen sein. Nun, ich bin auch ein kleiner Leckerschmecker und halte mich bei solchen Gelegenheiten zwischendurch gerne mal im Studio auf. So auch in diesem Moment als die Sache losging. Ein nackter junger Mann lag bauchwärts auf der obersten Bank der Attrappensauna und darunter saß eine, ebenfalls nackte, gutgebaute junge Frau lediglich ein Badetuch über
ihren Schoß ziehend. Norbert stand hinter der Kamera und gab einer Mitarbeiterin Anweisungen hinsichtlich der Einrichtung der Scheinwerfer. Ich stand, mit einem Vorgang in der Hand, neben Norbert und hatte eben noch gesagt, dass er ruhig seine Einrichtungsarbeit erst einmal zuende führen könne und mir dann eine Unterschrift geben sollte. Natürlich geht bei solchen Sachen Norbert darauf ein, weil er genau weiß, warum ich ausgerechnet jetzt die Unterschrift, die eigentlich warten könnte, haben wollte. Unter uns sagte er bei solchen Anlässen immer, dass er mir solche Appetithäppchen gönne aber essen solle ich zuhause bei seiner Schwester. Was für mich eigentlich auch klar ist. Just in diesem Moment „flog“ die Türe auf und drei Herren wollten augenscheinlich in das Studio hinein. Norbert, der mit dem Rücken zu Tür stand, schaute nur einmal kurz nach hinten und brüllte barsch: „Raus, aber schnell. Hier ist Zutritt für Unbefugte verboten.“. Einer der Herren tönte „Entschuldigung, wir sind von der Staatsanwaltschaft. Wir haben einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss.“. Obwohl sich Norbert und ich keinerlei Schuld bewusst waren, fuhr uns doch der Schock in die Glieder. Während wir beide etwas starr da standen war umgekehrt in unsere Modelle, also sowohl in die junge Frau wie in den jungen Mann, Bewegung gekommen. Sie hatten sich erhoben, die Saunaattrappe verlassen und hatten ihre Bademäntel, die dort abgelegt waren, übergestreift. Na ja, damit war die ganze Arbeit die Norbert an diesem Morgen „erledigt“ hatte hinfällig und wir konnten uns den amtlichen Eindringlingen widmen. Nun erfuhren wir, dass gegen Herrn Klaus Lemmer, also meinem werten Bruder, wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ermittelt würde und gleichzeitig an sieben Orten, darunter auch bei mir zuhause wie in Klaus Villa zur gleichen Zeit eine Durchsuchung durchgeführt würde. Nun ja, meinem Bruder traue ich ja allerhand zu aber die Frage, was wir damit zu tun hätten, konnte ich mir selbst beim besten Willen selbst nicht beantworten und deshalb sprudelte diese auch postwendend aus mir heraus. Nachdem sich die Herrn ausgewiesen hatten und ich feststellen konnte, das mit ihnen noch ein paar mehr Personen zum „Überfall“ erschienen waren erhielt ich dann Aufklärung: „Herr Lemmer, es besteht der begründete Verdacht, dass sie ihrem Bruder beim Waschen und Verschieben erheblicher Schwarzgelder aktiv geholfen haben. Darüber möchte ich mich jetzt ganz gerne mit ihnen unterhalten. Können wir uns dazu in ihr Büro zurückziehen?“. Da funkte erst Norbert mal dazwischen. Er bat darum, dass man das Studio zuerst „besichtige“ damit er anschließend weiterarbeiten könne. Erstens befände er sich unter Zeitdruck und zweitens wären ja die Modellkosten nicht unerheblich. Seinem Wunsch wurde entsprochen und tatsächlich konnte er eine Stunde später zum zweiten Male an diesem Tag ans Werk gehen. Ich begab mich dann mit dem Herrn – ich glaube er hieß Schmelzer –, der offensichtlich die ganze Truppe leitete, in mein Büro. Dort waren wir noch richtig eingetreten als ich durchs Bimmeln des Telefons an das selbige gerufen wurde. Sabine war am anderen Ende und teilte mir mit, dass in unserem Häuschen ein vergleichbarer staatsanwaltlicher „Überfall“ stattgefunden habe und jetzt dort die Aktion Wühlmaus ablaufe. Als ich den Hörer aufgelegt und mich auf meinem Sessel „geschwungen“ hatte konnte das Verhör gestartet werden. Zuerst wollte mein Besucher wissen was mir die Orte Larissa, Limassol und Vaduz sagen. Ohne viel nachzudenken sagte ich: „Vaduz ist das Hauptdorf des Fürstentum Liechtenstein, Limassol ist glaube ich eine Stadt auf Zypern und Larissa sagt mir gar nichts.“. „Da besagen meine Informationen aber was anderes.“, erwiderte Herr Schmelzer, „Danach sollen sie mehrfach in Larissa, einer Stadt in Nordgriechenland in der Nähe des Olymps, gewesen sein und in den meisten Fällen sind sie dann von Thessaloniki nach Limassol geflogen. Zurück flogen sie dann immer nach München und von dort aus sind sie dann erst mit einem Leihwagen nach Vaduz gefahren. Und erst nachdem sie den Leihwagen abgeben hatten begaben sie sich mit der Bahn zurück in die Heimat.“. Vollkommen verblüfft gab ich kund: „Beim besten Willen nein. ... Was soll ich da denn gemacht haben?“. „Das wüsste ich ja gerne von ihnen.“, erwiderte mein Gesprächspartner, „Wir haben Belege, dass sie in besagten Orten waren. In Larissa und in Vaduz haben sie Bankkonten auf den Namen Sabine Reiber, ... das ist doch der Mädchenname ihrer Frau. Und in Limassol haben sie sich mit ‚Geschäftsfreunden’ aus den arabischen Emiraten getroffen.“. An dieser Stelle sollte ich mit der ausführlichen Schilderung aufhören sonst sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gleich genauso verwirrt wie ich an diesem Tag. Auf jeden Fall nannte mir Herr Schmelzer einige Termine wo ich an den jeweiligen Orten gewesen sein sollte. Da kam mir ein Tick meinerseits zur Hilfe: Ich sammle die Terminkalender von abgelaufenen Kalenderjahren. Dieses nur just for fun. Anhand dieser konnte ich alle Termine, bis auf einen, aufklären. Immer war ich in Altholzhausen vor Ort und immer gab es nachvollziehbare Angelegenheiten, die mir jetzt die Alibis ausstellten. Ein paar Tage darauf bekam ich dann die Auflösung geliefert: Nicht ich und Sabine sondern Klaus und Regina waren zur fraglichen Zeit an diesen Orten und haben sich dort in den Hotels und den Banken als Rolf Lemmer und Sabine Reiber ausgegeben. Mir ist allerdings bis heute noch nicht bekannt, ob und wie sie sich ausgewiesen haben. Auf jeden Fall haben sie dort Scheingeschäfte angebahnt und abgewickelt. Über die liefen dann stolze Summen am Finanzamt vorbei im Kreis. Obwohl Klaus jede Menge Provision an seine Helfershelfer zahlen musste, machte er ein gutes Geschäft mit dem Geldkarussell. Ehrlich Steuern zahlen wäre ihm auf jeden Fall erheblich teuerer gekommen.
Ich bitte hier mal um Entschuldigung, dass ich das „Wie er es gemacht hat“ nicht genau beschreiben kann, denn erstens hat man mich natürlich nicht detailliert aufgeklärt, zweitens sind solche Geschäfte für mich so eine Art „böhmische Dörfer“, die ich nicht so ohne Weiteres kapiere, und drittens würde ich, wenn ich Näheres wüsste, dieses nicht als Anleitung für Nachahmer niederschreiben. Der Presse entnahm ich später, dass da Unsummen gekreiselt haben müssen, denn allein die hinterzogenen Steuern wurden auf zwei bis drei Millionen Euro geschätzt. Jedoch nicht nur die Verwendung meines Namens beziehungsweise des Mädchennamens meiner Frau ergab einen begründeten Verdacht, dass der Richter einem Durchsuchungsbeschluss in unserer Firma und Häuschen zustimmte, sondern Klaus hat auch allerlei Geschäfte mit unserer Familie und der Firma „Studio für Typografie, Fotografie und Design, Lemmer & Reiber oHG“ ‚abgewickelt’. Natürlich wussten wir davon nichts und das Büro Sonnborn, das in einem Dörfchen im Bayerischen Wald nahe der tschechischen Grenze liegt war uns eine absolut unbekannte Größe. Was ist nun das Büro Sonnborn schon wieder? Ganz einfach eine Briefkastenfirma, die meinem Bruder gehörte. Sonnborn war der Mädchenname unserer Mutter. Laut Papier betrieb das Büro Marketingberatung – und zwar ausschließlich für die Unternehmungen die meinem Bruder gehörten oder an denen er beteiligt war. Und diese vergab „fröhlich“ Aufträge an unser Studio, wurde beliefert und zahlte prompt. Schade, das kein einziges Geschäft tatsächlich körperlich abgelaufen ist, denn das hätte uns eine Umsatzgröße beschert, dass wir uns, zumindestens hier in der Gegend, zu einen der Größten in unserer Branche aufgeschwungen hätten. Der Gag war ganz simpel: Die Marketingaufträge, die das Büro Sonneborn erhielt, schlugen sich ja als Betriebsausgaben beim Auftraggeber nieder. Geld was man ausgegeben hat kann nicht als Gewinn versteuert werden. Wäre jetzt das Geld bei Sonneborn geblieben hätte man ja ausschließlich die Zuständigkeit des Finanzamtes verschoben aber es wäre bei der Versteuerung geblieben. Also arbeitete das Büro unwirtschaftlich. Es vergab Aufträge an Druckereien und Werbeagenturen, darunter wir, und bezahlte dafür mehr als man von seinen eigenen Kunden einnahm. Auf dem Papier hatte man sich einfach verkalkuliert. Jetzt war das Geld steuerfrei gewaschen und konnte auf Klaus Geldkarussell eine Runde drehen. Der keine Ort in Bayern war bewusst gewählt, denn ein Abgleich zwischen Finanzämtern in unterschiedlichen Bundesländern gibt es in der Regel immer nur dann, wenn etwas nicht so korrekt erscheint. „Nicht so korrekt“ ist die konkrete Aussage, denn es müssen nicht immer spektakuläre Dinge in Richtung Steuerhinterziehungen sein sondern überwiegend handelt es sich schlicht nur um Fehler, die Steuerzahler unterlaufen. Zum Beispiel wenn sich jemand an einem Immobilienfond beteiligt und bei der Einkommenssteuererklärung hierfür die Werbungskosten geltend macht. Dann ist es möglich, dass er die Firma, die den Immobilenfond betreut, zuvor zur Geltendmachung seiner Werbungskosten bevollmächtigt hat und der Steuervorteil seinem Konto gutgeschrieben wurde. Dann würde Heinzchen Pfiffig zweimal kassieren: Zuhause und beim Sitz des Immobilenfonds. So etwas geschieht vielfach aus Unwissen und dahinter steckt dann keine kriminelle Energie und trotzdem ist in solchen Fällen ein Abgleich der Finanzämter angebracht. Klaus glaubte aber sich sicher zu sein. Seine, allein in dem Büro Sonnborn tätige Angestellte, eine Cousine von uns, erstellte wirklich eine astreine Buchhaltung und lieferte augenscheinlich korrekte Steuererklärung ab. Dass das Büro aber gar nicht aufs Trapez kam und pausenlose nur kräftige Verluste machte wurde Klaus zum Verhängnis. Das bayerische Finanzamt prüfte und entdeckte die reinen Luftgeschäfte. Damit kam dann der Stein ins Rollen. Das ging einerseits langsam und andererseits schnell. Mitte Juli war das Büro Sonnborn „aufgeflogen“ und schon am 13. August fanden die Hausdurchsuchungen statt. Was die Finanzämter und Staatsanwaltschaft in der kurzen Zeit alles aufdeckten war schon allerhand. Das sich Klaus, der sofort von den Vorgängen in Bayern erfuhr, sich mit Familie erst einmal absetzen konnte begründet die Aussage, dass es zu langsam ging. Niemand wusste also wo mein Bruder steckte. Am Abend des 13. August 2002, als ich mich mit Sabine über den aufregenden Tag unterhielt, fragte sie: „Was hat denn Klaus nun davon gehabt? Er ist jetzt sicherlich mit einem größeren Batzen Geld an einem schönen Ort wo er sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen könnte, wenn er das überhaupt will. Aber er läuft doch ständig Gefahr durch einen blöden Zufall erkannt und entdeckt zu werden. Er muss sich pausenlos verstecken. Das sorgt ja auch nicht gerade für Ausgeglichenheit und seelische Gleichgewicht. So abgebrüht, dass man so etwas über die Schulter abtut ist doch kein Mensch. Uns belastet doch schon das was heute hier passiert ist obwohl wir beide hundertprozentig wissen, das wir nichts damit zutun haben und man schon in Kürze die Ermittlungen einstellen wird.“. Ich dachte einen kurzen Moment nach und erwiderte: „Ich weiß nicht wie abgebrüht mein Bruder inzwischen schon ist und ob er überhaupt noch solche Empfindungen aufbringen kann. Was ihm aber mehr als das permanente Versteckspiel zu schaffen machen dürfte ist, dass nicht all sein Vermögen auf krumme Touren beruht. Das meiste dürfte er doch, zumindestens nach dem Wortlaut der Gesetze, auf legale Weise erworben haben. ... Ob das, was er da treibt, in moralischethischer oder religiöser Hinsicht okay ist steht auf einem ganz anderen Blatt und nach so etwas wird ja heute in unserer säkularisierten und wertelosen Welt kaum noch gefragt. Wir sind halt eine ansonsten wertelose Spaß-
und Geldgesellschaft geworden. Wenn Klaus abgetaucht ist kann er kaum gefahrlos auf sein legales Vermögen zugreifen. Und wie will er irgendwann mal die Vermögensübergabe an seinen Reimund Alexander bewerkstelligen. Sicher, Klaus hat sich dann ins Jenseits verabschiedet und kann nicht mehr verhaftet werden – zu Lebzeiten dürfte mein Bruder ohnehin nichts abgeben – aber wie soll der Junge eine offiziell nicht vorhandene, also eine durch Ableben aufblühende Schwarzgeld-Erbschaft als seine legale Habe ausweisen können. Nee, nee, dauerhaft abtauchen ist nicht das, was sich Klaus erträumt hat. Ich tippe mal darauf, dass der schon in Kürze freiwillig wieder auftaucht. Denk doch auch mal an die wichtigtuerische Regina, die mit Sicherheit im Untergrund verkümmert, schon die wird bewusst oder mehr noch unbewusst für ein baldiges Wiederauftauchen sorgen.“. Sabine kam dann noch auf das Ungleichgewicht im Denken ihres Schwagerpaares zu sprechen: „Komische Leute, die auf der einen Seite fordern dass man den Sozialschwachen die Margarine vom Brot kratzt und auf der anderen Seite die Allgemeinheit hemmungslos bestehlen. Eine Gesellschaft kann doch nur existieren wenn jedes einzelne Mitglied entsprechend seiner Leistungsfähigkeit dazu seinen Beitrag leistet. Man kann doch nicht alle Lasten den Anderen, insbesondere den Schwachen, aufbürden und alles andere was man in die Finger bekommt als sein ‚heiliges’ Eigentum betrachten. Viele Dinge können wir doch nur gemeinsam leisten. Dazu gehören Straßen, Schulen und alle anderen öffentlichen Einrichtungen sowie alles das, was man unter dem Stichwort Innere Sicherheit zusammenfasst. Was ist das denn für ein Unsinn wenn man vom Staat alles mögliche, was die Wirtschaft und die Vermögenden fördert, fordert und auf der anderen Seite keine Steuern zahlen will. Ist es nicht schrecklich, wenn es Leute gibt, die glauben im Luxus leben zu müssen und dafür die Schwachen – Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Alte und Kranke – nur mit dem Allernotwendigsten versorgen wollen. Immer wenn Regina los krakelte hatte ich den Eindruck, dass es ihr am Liebsten gewesen wäre, wenn man alle, die nicht oder nicht mehr aktiv am Sozialprodukt mitwirken können, standrechtlich erschossen hätte. Für mich ist Steuerhinterziehung schwerer Diebstahl ... oder schlimmer noch: Raub. Was sind das für Lakell, wie dieser Bankboss, der da mal sagte man solle die Steuerhinterzieher nicht kriminalisieren. In meinen Augen sind solche Leute aber Hochkriminelle, die muss man gar nicht erst kriminalisieren. Das sage ich auch, wenn aus derzeitiger Sicht mein eigener Schwager zu diesem asozialen Pack gehört. Oft wird es so da gestellt als seien die Sozialschwachen automatisch asozial. In Wirklichkeit ist es aber anders: Die Asozialen, also diejenigen die aus eigennützigen Gründen gegen die Gemeinschaft wirken, sitzen mit ihren Designeranzügen in den Ledersesseln der Vorstandsetagen.“. Bei diesen Aussagen hatte sich meine gute Sabine richtiggehend emotional aufgeregt. „Na Mädchen, rege dich doch nicht so sehr auf.“, setzte ich jetzt das Gespräch fort, „Wir können an der Misere allein so und so nichts ändern. Uns bleibt nur die Möglichkeit bei allen sich bietenden Gelegenheit auf die Missstände hinzuweisen um auch die anderen Menschen mal zum Nachdenken anzuregen. Und selbst dabei müssen wir solange unser Laden noch besteht vorsichtig sein, denn auch unsere Kunden sind in der überwiegenden Zahl Mitschwimmer im großen populistischen Strom. Für viele Menschen ist das richtig was alle sagen und wenn es der größte Unfug ist. Gerne plappert man das nach, was jemand mit viel Geld zu nutzen und frommen seiner selbst und seines Gleichen, mit Hilfe willfähriger Wissenschaftler-Spieler als unumstößliche Weisheit in die Welt gesetzt hat. Journalisten sind dumme Spatzen, die das Lied derer, die ihnen die Brosamen hinwerfen, singen und letztlich unsere Politikusse sind die Hampelmänner ihrer Wahlkrampffinanzierer. Leute, die nach- und weiterdenken werden von den Mobführern für dumm, schädlich und gefährlich erklärt. Unsere Kunden haben nicht selten viel Geld und halten sich selbst für wichtig aber in ihrer Denkweise unterscheiden sie sich nur unwesentlich von der Putze Lieschen Müller mit Sonderschulabschluss. Und wer gibt schon einen vermeintlich dummen, schädlichen und gefährlichen Zeitgenossen einen Auftrag. Da muss man schon vorsichtig sein und mitunter Kleinhirnen und Hohlbirnen wider besseres Wissen recht geben. Im Moment mache ich mir auch ein Wenig Sorgen wie unternehmensschädlich die heutigen Aktionen auf uns wirken. Warum musste mein dusseliger Bruder auch unsere Namen missbrauchen und uns so damit reinziehen. Na ja, Regina hätte ich die Einfallslosigkeit Namen von Familienangehörigen zu nehmen zugetraut aber bei Klaus hätte ich tatsächlich mehr Einfallsreichtum erwartet.“. „So dumm, wie du meinst, war das von Klaus gar nicht.“, bekundete Sabine darauf, „Hätte er Namen von freierfundenen Personen und Firmen benutzt wäre er sehr schnell hops gegangen. Schon ein harmloser Blick ins Telefon- oder ein Branchenbuch lässt doch dann, wenn dort nichts zufinden ist, selbst einfache Leute stutzig werden. Dann muss doch nur einer noch genauer hinschauen und schon ist es geschehen: alles aufgeflogen. Da ist es schon besser Tätigkeiten mit tatsächlich existierenden Personen vorzutäuschen. Aber dann bist du auch schnell dran, wenn die keine Ahnung haben und dich gar nicht kennen. Das macht doch hellhörig, wenn man nach einem Klaus Lemmer, mit dem man gute Geschäftsbeziehungen hat, gefragt wird und diesen überhaupt nicht kennt. Wenn du aber den Leuten Ahnung verschaffst, das heißt wenn du sie einweihst, musst du mit ihnen teilen sonst sind die die Ersten, die dich ans Messer liefern. Jetzt hat Klaus dich, seinen Bruder, als Pseudonym und Phantom auserwählt. Falls du nach ihn gefragt worden wärest, konnte er sicher sein, dass du zugeben würdest, dass du ihn kennst und mit ihm zutun hast. Da endet dann die Neugierde der meisten Menschen, es sei denn die würden bereits ganz etwas konkretes verfolgen. Und wenn jemand einen solchen Grund zum
Weiterfragen hat ist es ja ohnehin, auch wenn der Befragte eingeweiht ist, zu spät. Der eigene Bruder ist im schmutzigen Geschäft immer der unverdächtigste Partner. Bei deiner und Norberts Art ist er auch keine Gefahr gelaufen aus dem Grunde, dass man gegen euch was haben könnte, durch Zufall mit aufzufliegen. Also Klaus dürfte dich wohlweislich als ahnungslosen ‚Mittäter’ ausgewählt zu haben.“. Nach ein kleinen Pause hing sie noch an: „Hoffentlich kommen wir da nur schnell wieder raus ... schließlich haben wir ja nichts getan.“. Ihr Wunsch sollte sich erfüllen. Schon eine Woche später teilte man uns mündlich mit, dass man alle Ermittlungen gegen uns einstellen wolle da wir mit der ganzen Sache offensichtlich nichts zutun hätten. Eine weitere Woche später bekamen wir diese dann auch offiziell mitgeteilt und der zuständige Staatsanwalt entschuldigte sich sogar persönlich bei uns für die Unannehmlichkeiten, die man uns hätte bereiten müsste. Er bat noch einmal um unser Verständnis für die Notwendigkeit der Maßnahmen. Nun, die hatten wir schon aber trotzdem waren wir einigermaßen sauer, denn das Ganze war ja nicht unbemerkt an der Öffentlichkeit vorüber gezogen und aus unserer Sicht waren rückschlägige Auswirkungen auf unser Geschäft nicht auszuschließen. So etwas kann man in der Regel schon nicht gebrauchen und in Zeiten wo das Geld knapp ist erst recht nicht. Na ja, heute, mehr fast ein Dreivierteljahr später kann ich sagen, dass sich das Ganze kaum auf unser Geschäft ausgewirkt hat. Das liegt wohl eher daran, dass wir nur ein kleiner, ausschließlich in der Region tätiger Laden sind. So gut wie alle unserer Kunden kennen sowohl meine wie Norberts Familie persönlich. Die Leute kennen nicht nur uns sondern auch die Familie meines Bruders. Während man Norbert und mich in der Regel für solide und integer einschätzt, hält man Klaus für einen windigen unsympathischen Zeitgenossen. Das hat uns dann auch geholfen, die Nachwirkungen des 13. August 2002 fast schadlos zu überstehen. Das Verschwinden meines Bruders klärte sich jedoch nicht so schnell auf. Bis Weihnachten letzten Jahres wusste niemand wo er steckte. Dann führten Reginas Dummheit und der berühmte Kommissar Zufall dazu, dass man den Gesuchten fand und festnehmen konnte. Eu je, wo hat man Klaus alles vermutet: In der Karibik, in Südamerika, in Indonesien und auch die USA sowie Kanada wurden erwähnt. Aber nichts dergleichen; er hatte Europa nicht einmal verlassen. Reginas Cousine Anita hatte vor Jahren einen betuchteren Franzosen geheiratet. Und dieser Jean Jacques Gauloises – er hieß mit Nachnamen also Gallier, wie die berühmte französische Zigarettenmarke – besaß in der Bretagne ein Haus, zu dem man fast Schloss sagen könnte. Und dort fand die Familie Klaus Lemmer Asyl. Was die Drei dort in der Zeit von August bis Weihnachten dort gemacht haben entzieht sich meiner Kenntnis. Ich nehme mal an, dass sie das, von hohen Mauern umgebene Haus, nicht verlassen haben. Oder doch? Ich weiß es nicht. Eines ist nur sicher: Das Domizil hatte Klaus nicht zufällig und auch nicht spontan gewählt. Die große Summe Geld, die er unbemerkt beiseite geschafft hatte, befand sich auf Konten, auf die er von Banken in der Bretagne zugreifen konnte. Außerdem hatte er schon lange bevor er sich auf die Flucht begeben musste, einen Flügel dieses „Schlosses“ nach seinem persönlichen Geschmack und Bedürfnissen einrichten lassen. Ganz offenbar hatte Klaus immer damit gerechnet, dass sein Tun mal auffliegen könnte. Vielleicht hätte es noch sehr lange Zeit gedauert bis man ihn gefunden hätte, wenn sich Regina nicht am Morgen des Heilig Abend 2002 ausgesprochen dämlich verhalten hätte. Ihr angeheirateter Vetter war mit ihrer Cousine über Weihnachten und Neujahr ins sonnigere Florida gereist. Familie Lemmer war also allein im großen Haus. Der einzigste aber große Haken bei dieser Idylle war, dass sie sich alleine versorgen mussten. Im Haus war zwar eine Köchin beschäftigt, diese aber hatte um Weihnachtsurlaub ersucht und bewilligt bekommen. Obwohl Regina im heimischen Altholzhausen trotz des vielen Geldes den Haushalt selbst versorgte wollte sie unbedingt das Festtagsmenü von einem chicen Restaurant geliefert und serviert bekommen. Schon dieses kann man in der Situation, in der sie sich auf der Flucht vor den Gesetzeshütern befanden, als einen Fehler bezeichnen. Aber es sollte noch dicker kommen. Sie wollte zu diesem Restaurant fahren und mit dem Chef die Angelegenheit persönlich durchsprechen – und dieses, obwohl sie kein Wort Französisch spricht und in diesem Ort, der nicht zu den Touristenhochburgen zählt, kaum zu erwarten ist, dass jemand Deutsch spricht. Jetzt hatte Regina die Möglichkeit mit dem Wagen ihrer Cousine zu fahren – aber der war ihr wohl nicht chic genug und so fuhr sie mit dem eigenen Wagen los. Im Restaurant, dass zu einem Hotel gehört, hatte sie Glück. Der Chef konnte zwar im Gegenzug zu Regina kein Deutsch aber eine Zimmerfrau, die zu Reginas Glück auch gerade Dienst hatte, war vor ihrer Scheidung zehn Jahre mit einem Deutschen verheiratet und hatte mit diesem in der Nähe von Köln gewohnt. Daher sprach diese ganz gut Deutsch und Regina konnte ihre Bestellung mit Hilfe dieser Dolmetscherin erledigen. Da das Ganze ja angeliefert und vor Ort serviert werden musste, gab sie auch einerseits zwangsläufig und andererseits freimütig ihre Asyladresse an. Anschließend setzte sie sich in ihren Wagen und machte sich auf den Heimweg. Sie kam zunächst nicht sehr weit, denn etwa zwei Straßen weiter schnitt ihr ein unachtsamer Autofahrer die Vorfahrt und es kam zu einer Karambolage mit sehr geringem Blechschaden. Die beiden Unfallgegner konnten sich zunächst aus sprachlichen Hemmnissen nicht einigen. Irgendwie hat es aber Regina geschafft, die Zimmerfrau des Hotels zu einer weiteren Dolmetschertätigkeit herrufen zu lassen. Aber auch mit Dolmetscherin wurden sich die Unfallgegner nicht einig. Der Verursacher hatte Regina einen bestimmten Eurobetrag angeboten, der ihr deutlich zu niedrig erschien – und mehr wollte ihr Widersacher freiwillig auch nicht geben.
Wie es auch in deutschen Landen an der Tagesordnung ist, wurde daraufhin die Polizei gerufen. Auch bei der französischen Polizei ist es üblich, dass man sich mit der Aufnahme von Bagatelleunfällen nicht lange aufhält. Die längste Zeit nimmt bekanntlich die Aufnahme der Personalien in Anspruch. Regina wies sich treu und brav mit ihren echten Originalpapieren aus. Schön und gut, die Sache war gelaufen und sie kehrte auf ihr Fluchtschloss zurück. Eine Stunde später bekamen die flüchtigen Lemmers unausweichlichen Besuch. Die Polizisten hatten nach der Rückkehr in ihre Dienststelle festgestellt, dass Klaus und Regina Lemmer aus Altholzhausen auf einer internationalen Fandungsliste standen. Jetzt brauchte man nur noch die dolmetschende Zimmerfrau befragen und schon wusste man wo sich die bösen Flüchtlinge aufhielten. Handschellen als Weihnachtsüberraschung ist ja mal was anderes. In der ersten Januarwoche dieses Jahres wurden dann unsere Ausreißer „heimgekehrt“. Erstaunlicherweise ging es in unserem Umfeld mit den Fragen neugieriger Zeitgenossen nun erst los. Damals nach den Hausdurchsuchungen und in der Zeit wo Klaus mit seiner Familie untergetaucht war sind wir so gut wie gar nicht auf die Übeltaten meines Bruders angesprochen worden. Aber jetzt, wo er wieder im Lande war gab es kaum jemand im Kundenkreis, in der Nachbarschaft oder unter den sonstigen Bekannten, der oder die nichts Näheres wissen wollten. Ich konnte dabei feststellen, dass ich die Leute in drei Gruppen einteilen konnte. Da waren erstens die Voyeure, dann die Beifallklatscher und letztlich die Nachdenker. Na ja, andere würden den Gruppen je nach eigenem Standort und Zugehörigkeit bestimmt andere Namen geben; es ist halt meine Interpretation. Deshalb sollte ich doch zu jeder Gruppe mal ein paar Worte verlieren. Die Gruppe der Voyeure ist am schnellsten beschrieben. Das waren all die Leute, die eigentlich nichts zur Sache aber sehr viel zum Täter und die Dinge um ihn herum wissen wollten. Diese erwarteten dann Live-Berichte wie sich jemand, der zuvor nur in scheinbar bester Umgebung lebte, sich hinter schwedischen Gardinen fühlt. Dazu konnte ich natürlich nichts sagen, denn die Verhaftung meines Bruders war für mich noch lange kein Grund jetzt plötzlich ein auf Familie zu machen; hinsichtlich wie er uns reingerissen hat dachte ich doch wohl eher umgekehrt. Dann interessierten sich die Voyeure dafür ob Klaus schon früher kriminelle Neigung gezeigt hätte und was er in seinem Vorleben alles ausgefressen habe. Nun, auch auf diese Frage konnte ich den Leuten keine gewünschte Antworten geben. Für mich stellte sich mein Bruder nie anders wie andere vom Geld besessene aber als ehrenhaft geltende Zeitgenossen da. Kein Unterschied also zu bekannten Managern und Bankbossen. Aber gesondert Kriminelles habe ich an meinem Bruder nie entdecken können – das ist er aus meiner Sicht auch nicht. Und so ging es weiter. Bei allen Voyeur-Fragen handelte es sich nur um Dinge, die in irgendeiner Art die sadistische Sensationsgier des Fragenden hätte befriedigt können aber hinsichtlich der Sache waren alle diese mehr als bedeutungslos. Zu dieser Gruppe der Voyeure gehörten auch Profis. Das waren die Medienfritzen, die ich als ein besonders lästigem, aufdringlichem und belästigendes Völkchen kennen lernte. Gegen diese unangenehmen Typen habe ich schon seit jeher etwas aus ideellen Gründen: Einerseits füllen sie mit dem Blödsinn, der die Menschheit keinen Schritt weiter bringt, den Informationsspeicher der Leute derartig, dass da kein Platz mehr für wirklich wichtige und bedeutende Sachen ist und zum anderen verbreiten sie hemmungslos alles was sie irgendwo auffangen, gleichgültig ob wahr oder unwahr. Dabei ruinieren sie nicht selten die Ehre ungescholtener Leute, dessen Wiederherstellung sie am Liebsten aus Gründen ihrer Pseudoglaubwürdigkeit verhindern möchten. Ich habe mir jetzt vor Kurzem mal ein eBook mit dem Titel „Und das soll Leben sein“ von der Homepage des Autors Reiner Vial ( www.reiner-vial.de ) gezogen. Darin wird unter anderem auch negativ, aber lebensnah über Ansinnen und Vorgehen solcher Profi-Voyeure geschrieben. Der Mob hält diese Leute für Stars und ich halte sie für Knechte einer zunehmendst verblödenden Mediengesellschaft. So wenig wie die Voyeure mag ich die Beifallsklatscher leiden. Letztere waren und sind die, in der Regel etwas besser gestellten Sympathisanten meines Bruders und seiner Artgenossen. Dieses stöhnen einen dann etwas von der ungeheueren Abgabenlast in diesem Staat, der einen die Lust an der Leistung und zu Investitionen nimmt, vor. Diese äußern dann ihre Achtung vor Leuten, die ihr sauer verdientes Geld vor den „Raubrittern vom Finanzamt“ in Sicherheit bringen. Der Staat würde ja nur das gute Geld unter den arbeitsunwilligen Leuten in der sozialen Hängematte verteilen. Ihrer Meinung nach haben wir nur aus dem Grund, weil es zu viel Arbeitslosengeld und Sozialleistungen gibt, über vier Millionen Arbeitslose. Ihrer Meinung nach bedarf es dringend Reformen an unserem überversorgenden sozialen Netz. Sie sagen zwar Reform meinen dieses aber nicht in der Bedeutung des Wortes (Neuerung) sondern sie fordern den Abbau unseres Sozialstaates, dem sie im Grunde ihre eigene Sicherheit und inneren Frieden zu verdanken haben. Schließlich müssen sich nach ihrer Meinung Investitionen wieder lohnen, sprich die Kaptalerträge müssen noch mehr ins Unermessliche verbessert werden. Ihrer Meinung nach müssen dringend die Kosten für Arbeit gesenkt werden und deshalb wollen sie private Vorsorge statt gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung, Kostenbeteiligung bei Arzt- und Arzneikosten, die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitslosengeldbezugzeit, die Reduzierung der Lohnfortzahlung sowohl zeitlich wie in der Bezugshöhe und
andere Zugriffe auf die Taschen der Kranken und Schwachen. Ihre Devise lautet wohl: Die Margarine wird vom Brot gekratzt, damit wir unsere Konten summenmäßig schönen. Das sollte natürlich nach ihrer Auffassung alles bei gleichzeitiger deutlicher Absenkung des Spitzensteuersatzes geschehen. Working-pur-Jobs, denn Arbeit macht frei, wie es einstmals zynisch über den Eingängen der Konzentrationslager stand. Alle Macht der Wirtschaft; wer nicht mitpokern kann soll das sein, zu dem er geboren wurde: ein Kuli. Ich finde die derzeitig gültige Gesellschaftsmeinung schlicht und einfach pervers. Diese Leute bringen, wie geschrieben, vollstes Verständnis für die Handlungsweise meines Bruders auf und halten die Amnestie für Steuerhinterzieher und -flüchtlinge für die einzig gerechte Lösung. Mit diesen Leuten gerate ich mir meistens ein Wenig in die Haare. Natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze, denn schließlich bin ich ja selbst Unternehmer und bin auf die Aufträge auch neoliberaler Diffusdenker angewiesen. Als solcher ist mir aus betriebswirtschaftlicher Sicht klar, dass ich bei gesenkten Kosten und gleichbleibenden Einnahmen größere Sprünge machen kann. Auch bei uns sind die Personalkosten der größte Faktor in der Kalkulation, was ja erst recht aus dem Grunde, das wir als Werbungsmacher ein Dienstleister sind, gilt. Bei gesenkten Personalkosten könnten wir entweder die Preise senken, um bei geringerem Umsatz zum gleichen Ergebnis zukommen, oder weitere Leute einstellen. Auf Letzteres spekulieren ja unsere, in meinen Augen etwas weltfremden Politikusse. Der Denkfehler dabei ist aber, dass wir nur Leute einstellen können, wenn wir für die auch Arbeit haben. Das heißt nichts anderes, dass sich höhere Auftragseingänge als Voraussetzung für weitere Einstellungen darstellen. Wenn ich aber berechne ob mir die Maßnahmen, wie sie jetzt in der Agenda 2010 vorgesehen sind, höhere Auftragseingänge bringen, komme ich nicht mit der Betriebswirtschaft weiter sondern ich muss die Volkswirtschaft heranziehen. Da gibt es eine Größe, die sich Kaufkraft nennt und die muss gestärkt werden, wenn sich die Wirtschaftslage bessern soll. Dieses geht zwar auch durch eine allgemeine Absenkung des Preisniveaus aber das setzt voraus, dass sich nicht gleichzeitig das verfügbare Einkommen der Leute absenkt. Besonders wichtig ist dabei das Einkommen des Durchschnittskonsumenten, denn der kommt für all die Dinge des allgemeinen Bedarfes sowie für Kühlschränke, Fernseher, Handys, PCs, Urlaub und so weiter in Frage. Auch Reiche und Superreiche brauchen diese Dinge, aber alle immer nur einmal. Wenn man den auch Dinge zum x-fachen Preis andrehen kann bleibt es quantitativ immer bei dem jeweils einen Stück. Bekanntlich brauch man für Werkstücke der höheren Preisklasse in der Regel genau so viel Leute wie für Werkstücke aus dem unteren Preisbereich. Also: Wenn es unserer Binnenwirtschaft besser gehen soll, müssen wir das Nettoeinkommen des Durchschnittsverdieners verbessern. Aber wird durch Sozialabbau, so wie sich das zum Beispiel ein gewisser Bundeskanzler Gerhard Schröder das mit seiner Agenda 2010 denkt, die Massenkaufkraft gestärkt? Beim besten Willen nein, denn alle Risiken, die bisher durch die gesetzliche Solidarversicherung abgedeckt waren werden einseitig auf den Arbeitnehmer, der sich dagegen zu höheren Preisen privat versichern soll, abgewälzt. Im Endeffekt wird so das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer durch private Versicherungen und Kostenbeteiligungen gesenkt. Gleichzeitig greift man noch denjenigen, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben, sprich Kranken, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen und Rentnern, recht tief in die Tasche was zu einer weiteren Absenkung der Massenkaufkraft in Milliardenhöhe führt. Alle Maßnahmen führen also zur weiteren Einschränkung der Binnenkaufkraft. Der Konjunkturmotor im Inneren kann selbstverständlich nicht abspringen. Wenn keiner Konsumgüter kauft brauch man diese auch nicht zu produzieren, was dann auf der einen Seite auch dazu führt, das man dafür keine Produktionsstätten und Maschinen und andererseits keine Mitarbeiter brauch. Also sind die geplanten Maßnahmen nicht zum Abbau sondern zur Förderung der Arbeitslosigkeit geeignet. Letztlich geht der schlaffe Binnenmarkt auch an die Potenz der kleinen und mittleren Betriebe, was dann die steigende Zahl der Insolvenzen erklärt. Da tönen die neuweisen Wirtschaftler im Dienste ihrer Herren, dass man am Binnenmarkt Abstriche machen müsse, damit wir am Weltmarkt konkurrenzfähig mithalten könnten – der Export wäre unser Konjunkturmotor. Ich frage mich nur was das soll. Wollen wir uns auf das Niveau von Sklavenlohnländern herunterschrauben und dann trotzdem abhängig von der Binnenkonjunktur unserer ebenfalls industriellen Partnerländer sein? Wir müssen doch gar nicht erst auf die sogenannte dritte Welt schauen sondern wir können uns doch nicht einmal auf das Niveau von Portugal, Tschechien oder die Slowakei runterschrauben und diese unterbieten. Da kann man rechnen wie man will und beliebig viele Kahlschläge, die wir mit dem Wort Reform schönen, durchführen, schaffen werden wir das nie. Wir können das Rad nicht mehr ins 19. Jahrhundert zurückdrehen. Alle Versuche in diese Richtung bringen uns auf dem Wege nach Weimar kräftig voran. Der einzigste Weg nach Vorne heißt meines Erachtens nur Belebung des Binnenmarktes durch öffentliche Investitionen, Freischaufeln der unteren und mittleren Nettoeinkommen und Beibehaltung des Standards bei den Sozialleistungen. Wenn es beitragsfinanziert nicht mehr klappt muss man sich halt überlegen ob man das Ganze nicht durch Steuerfinanzierung auf breitere Beine stellt. Das Geld muss sich der Staat durch konsequentes Eintreiben dessen was ihm zusteht – harte Gangart gegen das Verbrechen der Steuerhinterziehung muss erste Priorität kriegen –,
Streichung aller Steuerprivilegien, die nicht der Förderung von Familien und der Bildung dienen, Überprüfung aller Subventionen und Einstellung des ausnahmslos nicht ausreichenden aber teueren Gieskannenprinzip, radikale Einsparungen im repräsentativen und administrativen Bereich, auch bei den Politikereinkommen sowie durch Steuermehreinnahmen insbesondere bei den Vermögenden, wenn sie nicht investieren, einerseits und auf dem belebten Binnenmarkt andererseits reinholen. Diese Thesen werden in Varianten durch die Bank auch von der, leider sehr kleinen Gruppe der Nachdenker vertreten. Diese sind auch diejenigen, die in dem Vorgehen meines Bruders ein schweres Verbrechen sehen. Im Hinblick auf den Schaden den sie anrichten sind Autodiebe oder gar Bankräuber gegenüber Steuerhinterzieher harmlose Täter. Da habe ich doch gelesen, dass man die Schäden, die von Steuerhinterziehern und –betrügen angerichtet werden auf jährlich mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr schätzt. Würden diese Summen als staatliche Investitionen und Sozialleistungen im Umlauf gebracht, würde das zu einem solchen Kaufkraftschub führen, dass wir innerhalb kürzester Zeit die Arbeitslosigkeit halbiert hätten. Niedrige Arbeitslosenquoten oder noch besser Vollbeschäftigung sind der größtmöglichste Reduzierer von Lohnnebenkosten. Je weniger Arbeitslose um so geringer die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – das ist schon mal logisch. Je mehr Leute in Arbeit sind auf soviel mehr Schultern können die Kosten für Krankheit und für die Renten verteilt werden. Dadurch kommen wir hinsichtlich des Weltmarktes eher auf ein konkurrenzfähiges Niveau wie durch einen sozialen Kahlschlag. Na ja, solange aber noch die Steuerverbrecher die Bimbesgeber der politischen Parteien sind wird uns wohl auch künftig der Weg nach Weimar als futuristische Reform verkauft werden. Zu den Nachdenkern zähle ich auch unseren Pastor, der auch unseren Klaus ganz gut kennt. Für ihn ist Steuerhinterziehung das Bestehlen der Armen. Er zitiert in diesem Zusammenhang immer gerne Matthäus 25, 40: „Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, habt ihr es mir getan!“. Dieses gilt nach seiner Meinung auch für die Politiker, die sich auf der einen Seite scheuen den Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen und auf der anderen Seite Sozialabbau als unausweichlich und sogar noch dreister Weise als soziale Gerechtigkeit darstellen. Sie alle wollen stehlender Weise den Ärmsten die Margarine vom Brot kratzen um diese in ihren Kammern zu horten. Nicht umsonst heißt das 7. Gebot „Du sollst nicht stehlen.“. Wer anderer Leute Eigentum zu dem Seinigen macht säht Unfrieden unter dem er letztlich auch selbst zu leiden hat – in sehr vielen Fällen sogar mehr als die Bestohlenen. Wie leiden doch diese reichen „Träger unserer Leistungsgesellschaft“ unter ihrer Sucht nach immer mehr Geld und ihrer Unzufriedenheit mit Gott und der Welt. Sie finden keine Zeit und Neigung zum wahren Leben mehr. Ihr einzigstes Streben ist mehr, noch mehr und noch viel mehr. Sie sind dann schon tot obgleich sie noch leben und an ihrem Grab wird mal ihr ungelebtes Leben am meisten von allen trauern. Das was in ihnen gestorben ist, ist aber das einzigste was ewigen Bestand haben könnte. Alles Materielle, aller Reichtum und alle irdischen Mächte werden früher oder später wieder zur Staub und Asche, nur unsere Seele, dass Bewusstsein, hat laut Verheißung ewigen Bestand. Aber jetzt lassen wir mal die ganzen gesellschaftlichen Theorien, die ich, ehrlich gestanden, mal loswerden wollte, beiseite und erzählen die Geschichte von meinem Bruder, durch die ich eigentlich auf das Thema gekommen bin, zuende. Bekanntlich gehört Steuerhinterziehung nicht zu den Verbrechen, weshalb man vor der Verurteilung in jedem Fall in eine U-Haft muss obwohl die Höchststrafe dafür sogar bei 15 Jahren liegt. Das ist eigentlich eine Sache wo ich auch nicht mitkomme: Auf Kindesmissbrauch, Körperverletzung, Vergewaltigung und so weiter stehen geringere Strafandrohungen wie auf schwere Eigentumsdelikte, vorsätzlichen Bankrott oder Steuerhinterziehung, wie hier in unserem Fall. Da könnte man glatt den Eindruck gewinnen, dass eine Sache, der Mammon, mehr zählt als der Mensch. Aber lassen wir das mal links oder rechts liegen und gleiten nicht gleich in die nächste privatphilosophische Überlegung ab – ich wollte ja die Geschichte zuende bringen. Wichtig ist die Aussage, dass Klaus und/oder Regina bevor sie verurteilt waren nicht unbedingt hinter schwedische Gardinen gemusst hätten. In einem solchen Fall wird Haft nur bei Flucht- und Verdunkelungsgefahr angeordnet. Na ja, die dreiköpfige Familie ist aber klammheimlich nach Frankreich abgedüst und wenn das keine Fluchtgefahr ist, weiß ich nicht, was man als solche bezeichnen sollte. Damit habe ich jetzt gesagt, dass es für Klaus und Regina zunächst erst mal mit der Freiheit vorbei war. Raimund Alexander ist zwar volljährig aber der kann ja wohl schlecht für die Sünden seiner Eltern in Sippenhaft genommen werden. Für eine Mittäterschaft meines Neffens gab es keinerlei Hinweise. Das hätte ich auch dem „dummen“ Jungen nicht zugetraut. Folglich konnte er, während seine Eltern in die Staatspension kamen, ins Elternhaus heimkehren. Ich habe gehört, dass er das auch voll auskosten soll. Man spricht von flotten Partys die junge Erwachsene aus seinem Freundeskreis in der Villa Lemmer feiern sollen. Natürlich bemühte sich Klaus Anwalt darum ihn und Regina gegen Zahlung einer Kaution wieder vor die Gefängnistore zu holen. Was Klaus anbelangte ließ sich der zuständige Richter anfangs in keiner Weise bewegen aber gegenüber Regina, der er wohl ohne ihren Mann, nichts zutraute zeigte er sich wohlgesonnen. Regina kam nach nicht ganz drei Wochen U-Haft erst einmal auf freien Fuß. Aber was macht die Intelligenzbestie? Sie düst wieder ab nach Frankreich. Von dort kam sie auch postwendend zurück und gleich wieder in Gewahrsam. Ihr werter angeheirateter Cousin hatte nichts bessere zutun als sofort bei ihrer Ankunft die Behörden zu
verständigen. Dieses kann man ja auch verstehen, denn in dem Moment wo die Familie Klaus Lemmer bei denen „aufgefunden“ wurde starteten die französischen Behörden auch gleich eine Suchaktion ob bei Jean Jacques Gauloises auch etwas derartiges zufinden sei. Eine entsprechende Mutmaßung ist auch beim besten Willen nicht von der Hand zuweisen. Meines Wissens hat man bei ihm aber nichts gefunden. Sollte er wirklich eine weitgehendst reine Wäsche haben oder ist er nur deutlich raffinierter wie mein Brüderchen? Im Zusammenhang mit Klaus kann man ja auch vermuten, dass Jean Jacques ihm aktiv geholfen hat. Ich glaube die Juristen nennen so etwas Beihilfe. In der Zeitung habe ich gelesen, dass der Franzose angibt schon vor ein paar Jahren einen Flügel seines großen Hauses an seinen deutschen Vetter als Ferien- und Altersdomizil verkauft zu haben und ansonsten von nichts gewusst zu haben. Über den plötzlichen Daueraufenthalt seiner deutschen Verwandten habe er nicht nachgedacht. Ich weiß nicht, ganz kann ich das nicht glauben und den Behörden wird es wahrscheinlich genauso gehen wie mir. Aber was will man machen? Anklagen kann man ihn erst, wenn man davon überzeugt ist, dass es gegen ihn einen begründeten Verdacht gibt – und den gibt es bis jetzt nicht. Aufgrund von Mutmaßungen kann man weder in Deutschland noch in Frankreich angeklagt und verurteilt werden. Eigentlich sollte der Grundsatz in allen Rechtsstaaten gelten aber zum Beispiel wird man durch das, was man von der US-amerikanischen Justiz hört, eines Besseren belehrt. Aber dafür lasse ich mich beim besten Willen nicht kreuzigen, denn unsere Medien setzen manches in die Welt was nicht so ist, wie es von denen behauptet wird ... aber Amerikaner traue ich nach dem Wahlmaschinen-Spektakel bei der letzten Präsidentenwahl, den an Grobunfug grenzenden Schadenersatzurteilen und dem letzten Irakkrieg, in den offensichtlich nur mit Mutmaßungen gepeitscht wurde, mittlerweile alles zu. Anfang März bekam Klaus dann eine gewaltige Krise. Er flippte aus und wollte zunächst nicht mehr leben. Zu jenem Zeitpunkt entsann er sich dann auch daran, dass er noch einen Bruder hatte und schrieb mir einen langen Brief. Er war inzwischen selbst zur Erkenntnis gekommen, dass er mit seiner Sucht nach immer mehr sich selbst die Lebensfreude genommen habe. Er bekannte mir, dass er mich beneide, da ich das wäre was er gerne geworden wäre: glücklich. Er beklagte, dass er im Laufe der Jahre zu einem knallharten Geschäftsmann geworden sei und darauf noch stolz gewesen wäre. Nach seiner Meinung hatte sein Gewissen versagt, denn in seinem Begehren der ganz Große zu werden habe er nie danach gefragt, wie die Menschen empfinden, auf dessen Kosten er sich bereichert habe. Immer wäre er davon ausgegangen, dass die Leute ihm bewundert hätten und er viele wichtige einflussreiche Freunde gehabt hätte. Jetzt würde er mitbekommen, dass dieses mit dem Bewundern nicht so wäre wie er sich das gedacht hätte. Und von Freunden sei nichts zu sehen. Die meisten Leute, mit denen er früher zutun gehabt habe, wollten heute nichts mehr von ihm wissen. Jetzt merke er, dass er sehr einsam wäre und vom Leben eigentlich nichts, außer Trugbildern, gehabt habe. Er bat mich ihn auf keinen Fall zu besuchen, da er nicht als armes Würstchen vor mir stehen wolle aber er würde sich freuen, wenn ich ihm ehrlich mitteilen würde, dass ich dazu stehen würde, dass er mein Bruder sei. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch keine Neigung gehabt hätte ihn zu besuchen. Also fiel mir die Erfüllung dieser Bitte bestimmt nicht schwer. Aber auch dem anderen Teil der Bitte konnte ich entsprechen und schrieb ihm, dass ich keinen Grund sähe meinen Bruder zu verleugnen. Ich betonte aber gleichzeitig, dass das zum Bruder stehen nicht automatisch ein Gutheißen der Sachen, die er getan hätte, wäre. Er wüsste ja selbst, dass ich in gesellschaftlichen und sozialen Angelegenheit grundsätzlich der entgegen gesetzten Meinung gewesen wäre wie er. Meine Meinung habe sich durch die Vorfälle nicht geändert sondern eher verstärkt. Ich machte auch Klaus gegenüber keinen Hehl daraus, dass ich über den Missbrauch meines Namens und unseres Firmennamens sehr verärgert wäre und dieses nicht verzeihen könne, zumindestens zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht. Kurz, um nicht wie ein Moralist zu wirken, empfahl ich ihm wörtlich: „Wenn ich an Deiner Stelle wäre, würde ich reinen Tisch machen, mir anschließend, wenn alles vorüber ist, das nehmen was übrig geblieben ist – das dürfte doch noch Einiges sein - und endlich das Leben genießen. Es ist doch so schön und wir sind doch noch relativ jung.“. Er antwortete mir und bedankte sich für meine Worte, die ihn in dem was er vorhätte bestärkt hätten und bat um Entschuldigung für alles, was er uns angetan hätte. Das war der einzigste und vorerst letzte Kontakt, den wir miteinander hatten. Na ja, vielleicht ändert sich, wenn er sich mal wieder als freier Bürger bezeichnen kann, auch das Verhältnis zwischen uns noch mal in positiver Weise. Er muss in den Monaten Februar und März dieses Jahres wirklich eine tiefgreifende moralische Krise gehabt haben, denn er änderte auch plötzlich seine gesamte bisherige Verhaltensweise – und davon bekam man auch öffentlich was mit. Er wurde plötzlich gegenüber den Ermittlungsbehörden sehr kooperativ und wirkte aktiv an der Aufklärung der ganzen Sache mit. Er selbst brachte die Staatsanwaltschaft auf ein paar Dinge, die wahrscheinlich trotz allem unentdeckt geblieben wären. Über seinen Anwalt bot er an auf freiwilliger Basis die gesamten hinterzogenen Steuern nachzuzahlen und noch mal die gleiche Summe bis nach dem Prozess zu hinterlegen. Aus der Zeitung war zu entnehmen, dass dieses sogar ziemlich an seine Potenz gehen würde und er zur Erfüllung dieser Angelegenheit den größten Teil seines Vermögens kapitalisieren, sprich seine Beteiligungen und Besitztümer veräußern, müsse. In einem Kommentar las ich, dass Klaus möglicher Weise nach Abschluss des Verfahrens insolvent sei. Die angebotene Kaution kam nicht von ungefähr, denn diese entspricht der
üblichen Strafe, die bei Steuerhinterziehung fällig wird. Ein befreundeter Anwalt sagte mir jetzt kürzlich, dass Klaus aufgrund seiner tätigen Reue berechtigte Hoffnung auf eine geringere Haftstrafe, die er womöglich sogar im offenen Vollzug absitzen könne, haben könnte. Nun ja, auf ihn selbst hatte das keine sofortige Auswirkung aber Regina kam bereits Ende März zum zweiten Mal aus der U-Haft frei. Aber ganz augenscheinlich hat sich in ihrem Inneren noch kein solcher Wandel wie bei Klaus vollzogen. Gegenüber von Boulevardblättern kündigte sie an, dass sie die Scheidung einreichen wolle und eine „angemessene“ Abfindung aus Klaus Restvermögen erwarte. Na ja, alles was sie davon sich gegeben hatte war alles ein Wenig von Links nach Schräg gedacht – typisch Regina – aber ich habe keine Zweifel, dass sie das, was sie sagte, tatsächlich ernst gemeint hat. Mir ist jetzt zu Ohren gekommen, dass sie auch einen bedeutenden Disput mit Reimund Alexander habe, da dieser erstens seine Partytime nicht beenden will und zweitens soll der Sohn sehr auf Seiten des Vaters Position bezogen haben. Na ja, dann wäre Regina, die mit Vorliebe Schwächeren die Margarine vom Brot kratzt halt, allein. Und dann? Sie selbst kann doch keinen Eimer Wasser umwerfen. Um Klaus ist es inzwischen in der Öffentlichkeit ruhig geworden. Der voyeuristische Mob hat inzwischen andere Leutchen, an den sie ihr sadistische Mütchen kühlen können, gefunden. Derzeitig befindet er sich immer noch in Untersuchungshaft und man hört auch gar nicht, dass sich sein Anwalt um eine entsprechende Freilassung bemüht. Na ja, die angebotene Kautionssumme konnte ja auch noch nicht hinterlegt werden, denn Beteiligung lassen sich auch nicht so schnell veräußern. Das Letzte was ich gehört habe ist, dass jetzt die Ermittlungen zügig abgeschlossen werden können und das es wahrscheinlich schon innerhalb des nächsten halben Jahres zum Verfahren kommen würde. Ich habe mir überlegt, dass ich, wenn ich gleich diesen Bericht abgeschlossen habe, meinem Bruder einen Brief schreiben werde, in dem ich ihn ermuntern möchte, den jetzt eingeschlagenen Weg nicht mehr zu verlassen. Als Letztes möchte ich hier noch einen Gedanken, über den Sabine und ich in letzter Zeit viel sprechen, loswerden. Ganz eindeutig ist Steuerhinterziehung Diebstahl. Man eignet sich das an, was einem nicht gehört. Der Gedanke, dass sich der Staat mittels Steuern an dem Eigentum des Einzelnen vergreift, ist paradox. Ein ehrliches Geschäft ist beidseitig. Der Staat liefert uns die Infrastruktur, ein Bildungssystem und Sozialsysteme, die es den Einzelnen überhaupt erst ermöglichen, das zuwerden was er ist. Wer nimmt muss auch geben wollen, sprich er muss bezahlen. Wenn ich meinen Beitrag, den ich Zug um Zug zu zahlen verpflichtet bin, zu meinen Gunsten in dunkle Kanäle verschwinden lasse, dann ist das nichts anderes wie der Griff in den Tresor meines Nachbars. Im siebten Gebot heißt es „Du sollst nicht stehlen“. Gott, für den irdisches Geld und Reichtum nicht zählt, wollte, als er Moses dieses Gebot übergab, mit Sicherheit keine Besitzstände und Eigentumsrechte schützen. Sein Anliegen gilt jedem einzelnen Menschen persönlich. Er will das wir nicht zuschaden kommen. Das Beispiel Klaus hat uns gezeigt, dass bei Diebstahl zu allererst der Dieb zu schaden kommt. Aus meinem ehemals hagestolzen Bruder ist im Grunde ein vereinsamtes Wrack, der dem nachtrauert, was er im Leben versäumt hat, geworden. Und davor will uns Gott schützen wenn er uns gebietet: „Du sollst nicht stehlen.“.
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Wer will schon die Wahrheit hören In einem Schlager heißt es „Einer ist immer der Looser“, was aus einer bestimmten Logik heraus auch stimmt. Überall wo es einen Wettbewerb gibt, gibt es auch einen Winner und einen Looser. Aber derjenige, der aus solchen Sprüchen assoziiert, dass immer der Gleiche der Verlierer sein muss, ist entweder schlecht informiert oder ein Egozentriker. Eu, ein hartes Wort für die Typen, die da gerne „Warum gerade immer ich“ jammern. Aber wenn man genau hinsieht, dann stellt man fest, dass diese Leute sich gerne in den Mittelpunkt stellen. Mit ihrem Gejammer möchten sie die Aufmerksamkeit und das Mitleid der Leute in ihrer Umgebung auf sich lenken; sie möchten ihr Ego im Zentrum sehen. Die Wahrheit ist natürlich, dass es im Leben auf und ab geht und jeder mal Gewinner und mal Verlierer ist. Betrachten Sie doch einfach mal ihr eigenes Leben. Wie oft hatten Sie Glück – mit der Familie, der Wohnung, der Jobsuche, mit dem Urlaub, mit der von ihnen erledigten Arbeit, im Sport und, und, und ... . Es wäre jedoch direkt unnatürlich, wenn sie nicht ab und zu, teilweise auch recht kräftig, auf die Nase gefallen wären. Das ist halt das Leben und alles andere ist unnatürlich. Ein weitere Motivation von Mister Jammerlotz ist das kontinuierliche Abwälzen von Verantwortung und Schuld auf andere oder auf das sogenannte Schicksal. Das scheinbar unabwendbare anonyme Schicksal hat ihn eben zum geborenen Looser erklärt und er kann machen was er will, immer trifft es ihm. Obwohl er ein Engelchen ist wollen ihm alle anderen ans Leder. Auf den Gedanken, dass er mal darüber nachdenken sollte, wie er zu dem, was geschehen ist, beigetragen hat, kommt er nicht. Nichts auf der Welt ist einseitig, immer hat man an allem Geschehen um einen herum einen größeren oder kleineren Anteil. Und sei es nur, dass man einen unverschuldeten Autounfall durch höhere Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Na ja, fairer Weise muss ich einschränken, dass es natürlich unvorhersehbare und daher unvermeidbare Unglücke gibt, die aber zum Glück sehr selten sind. Die kommen uns nur aus dem Grunde, dass solcherlei Dinge von den Medien immer groß verbreitet werden, so häufig vor. Rechnet man das Ganze aber proportional nach den Schema „pro Kopf der Bevölkerung“ um, stellen wir fest wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, ahnungslos und plötzlich in ein Unglücksgeschehen zu geraten. So nüchtern gesehen, gibt es keinen Grund für Hysterien hinsichtlich BSE, SARS, Aids, Flugzeugabstürzen, Innerer Sicherheit oder anderen tragischen Ereignissen, mit denen uns die Medien haufenweise und sensationsheischend überschütten. Wenn wir aber wegen der geringen Wahrscheinlichkeit alle Risiken in den Wind schlagen, dann ist dieses genau das, was ich eben schrieb: Der Eigenanteil am Unglück. Leute, die mich aus meiner Umgebung kennen, werden jetzt spontan sagen: „Da hör sich doch einer mal den Günter Berger an, wie der jetzt tönt. Gehörte er nicht vor Kurzem noch zu den Jammerlotzen, der ‚Immer ich, warum nur’ stöhnte? War er nicht selbst der Meinung, dass alle Anderen an sein unschuldiges Lammfell wollten?“. Ich hätte dieses natürlich nicht geschrieben, wenn ich dieses jetzt pauschal abstreiten wollte. Drei Mal in meinem Leben kam es so knüppeldick, dass ich tatsächlich das, was ich eben als irrational beschrieb, empfand als sei es wahr und richtig. Aber auch das ist menschlich, dass man wenn es weh tut auch mal „Aua“ sagt. Das erste Mal als ich mich in einer großen Unglücksphase befand war in meiner Jugendzeit, als mir mein Gewissen sagte, dass ich nicht zur Bundeswehr gehen dürfe aber der Untersuchungsausschuss, dem man sich damals noch stellen musste, wollte dieses nicht anerkennen. Statt sachlich um mein „Recht“ zu kämpfen, habe ich dann einige Zicken gebaut. Dazu kamen dann Liebeskummer, Schwierigkeiten im Beruf und ein schwerer Autounfall, den ich selbst verschuldet hatte. Im Zuge des ganzen Theaters habe ich mich damals auch mit meinen Eltern vorrübergehend überworfen. Wenn ich nachträglich darüber nachdenke habe ich auch eine Erklärung dafür, warum man oft das Gefühl hat, dass immer alles auf einmal kommt. Immer gibt es einen Auslöser und alles andere folgert dann daraus. Bei mir war dieses meine nicht anerkannte Gewissensnot hinsichtlich der Bundeswehr. Initiator dieser Sache war natürlich ich erst mal selber. Ich war so klug und wollte mich nicht beraten lassen. Schon in meinem Antrag schoss ich einen Riesenbock. Statt korrekter Weise den Kriegsdienst generell zu verweigern beantragte ich dieses bezüglich des Wehrdienstes. Obwohl man mich im Untersuchungsausschuss sofort auf den großen Unterschied aufmerksam machte blieb ich bockig bei dem Wort Wehrdienstverweigerung. Ich hatte religiöse Gründe angegeben aber mich mit den biblischen Begründungen, insbesondere die aus der Bergpredigt, so wenig beschäftigt, dass ich auf jede Fangfrage des Ausschusses gleich hereinfiel. Meine Nichtanerkennung war eine logische Folge und ich reagierte darauf mit allerlei Theater, die mich beinahe sogar vor den Strafrichter gebracht hätten. Im Laufe des ganzen Wirbels vernachlässigte ich meine damalige Freundin und auch meine Arbeit. Nicht nur das, ich habe mich Marion und meinem Arbeitgeber gegenüber auch ungehörig benommen. Marion verließ mich und mein Arbeitgeber kündigte mir. Alles zusammen förderte meine Aggressivität, die ich da beim Fahren mit meinem Opel Kadett ausließ, was dann zu einem bösen Crash führte. Zuhause konnten es meine Eltern nicht
mehr mit mir aushalten und ich flog erst einmal raus. Bei meiner Oma fand ich dann erst einmal Asyl. Meine fromme Großmutter hatte auch guten Kontakt zu unserem damaligen Pastor. Nachdem dieser sich meiner angenommen hatte, wurde dann auch der Teufelskreis durchbrochen. Erst kam ich mit meinen Eltern wieder ins Reine und durfte wieder ins Elternhaus einziehen. Ich fand eine neue Arbeitsstelle, bei der ich dann anschließend über zehn Jahre auf der Gehaltsliste stand. Auch als Kriegdienstverweigerer wurde ich dann doch noch anerkannt. Nur Marion und meinen, inzwischen verschrotteten Kadett konnte ich nicht wieder zurückgewinnen. Diese „Krise“ war eigentlich der Lehrmeister, den ich aus persönlicher Sicht meine eingangs erwähnten Theorien zu verdanken habe. Das zweite Mal, als ich mich unter die nun mehrfach erwähnten Jammerlotze begab, war vor 18 Jahren, also 1985. Damals machte ich mit meiner Firma, die ich vier Jahre zuvor gegründet hatte pleite – und zwar recht deftig. Nun, mein ursprünglicher Geld gebender Partner war ersten zu großspurig, er verschoss unnötiger Weise eine Unsumme im repräsentativ Bereich, dann spekulierte er gerne und erwies sich letztlich als Abschreibungskünstler, was aber den Betriebsprüfer des Finanzamtes für ihn, sprich Väterchen Staat, erfolgreich auf den Plan rief. Das brachte meinem Partner zur „Unlust“ und er stieg bei mir aus. Sein Ausstieg war für unsere Hausbank dann der Anlass mir den Hahn zuzudrehen. Mit 1,2 Millionen D-Mark (etwa 613.550 €) minus schoss ich dann über den Jordan. Jetzt könnte derjenige, der meinen einführenden Ausführungen aufmerksam gefolgt ist, sagen: „Mein lieber Günter, du hast doch behauptet, dass man an allem was geschieht irgendwie beteiligt ist. Jetzt stellst du das so da, als wäre das Übel nur dein Partner gewesen. Wie verträgt sich das denn miteinander?“. Na ja, warum habe ich ihn frei schalten und walten lassen? Ich hätte ihn nicht nur über die Schultern schauen können sondern ich habe diese sogar getan. Es gab immer Auseinandersetzungen aber warum habe ich nie die Konsequenzen gezogen? Sicher er drohte mir immer mit seinem Ausstieg und damit, dass er sein eingebrachtes Geld von mir zurückfordern würde. Er berief sich dabei immer auf die zwischen uns bestehenden Verträge. Aber warum habe ich nicht einen erfahrenen Anwalt nach Möglichkeiten und Rechten gefragt? Warum habe ich mich nicht schon im Vorhinein, vor Abschluss der Verträge, von kompetenter juristischer Seite beraten lassen? Also, meine These stimmt generell schon. Auch vor 18 Jahren gab es allerlei zusätzliches Theater. Unter anderem bin ich da mal besoffen Auto gefahren und durfte anschließend, nach dem ich mit meinem Wagen in einen Graben gefahren war, ein Jahr unter die Fußgänger gehen. Unser Sohn baute in der Schule Bockmist, so dass er beinahe vom Gymnasium auf die Hauptschule hätte wechseln müssen. Und für mich am Schlimmsten: Ich zettelte mit meiner Frau ein letztendlich unkittbaren Rosenkrieg an, in Folge dessen, Karin die Scheidung, die ein Jahr später ausgesprochen wurde, beantragte. Karin wollte ja zu mir stehen und halten aber mit meinem Verhalten habe ich es ihr sehr schwer gemacht. Ich wurde für sie unerträglich. Im Gegensatz zu meinem Trouble zur Jugendzeit 1965, wo drei von fünf Anlässen zum Besseren gewendet werden konnten, ließ sich 20 Jahre später nichts wieder gerade biegen. Aus der zweiten Riesenkrise resultiert meine heutige Lebenssituation: Immer noch werde ich von Inkassogeiern verfolgt und von der Summe her besteht, wenn ich nicht zum Einkommen eines Bundeskanzlers komme, kaum eine Chance da mal wieder runter zukommen. Rechnen Sie doch nur mal nach: Wenn ich auf 636.000 € „nur“ 6% Zinsen zahlen muss, dann macht das alleine 38.100 € im Jahr oder 3.175 € im Monat aus ohne das ich bei der Summe nur einen einzigen Cent getilgt habe. Zinseszinsen habe ich jetzt bei meiner Rechnung gar nicht erst berücksichtigt. Wenn ich damals gleich mit der Tilgung angefangen wäre und bis zum Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren, ich bin jetzt 57, davon ab sein wollte, hätte ich in diesen 26 Jahren kontinuierlich pro Jahr 24.462 € (= zirka 2.039 € im Monat) plus der Zinsen und Gebühren – im ersten Jahr mindestens 38.100 Euro - auf den Tisch der Inkassogeier blättern müssen. Neben diesen fast 6.000 € im Monat hätte ich noch meinen Lebensunterhalt von meinem Nettoeinkommen abzwacken müssen. Aber nur relativ wenig Bundesbürger haben ein Einkommen in der Höhe und was habe ich davon, wenn ich zum Start des Rentenalters sagen kann, dass ich schuldenfrei wäre. Und wenn dann während der Tilgungszeit was dazwischen gekommen wäre, hätte ich tatsächlich nur mit Zitronen gehandelt gehabt. Selbst der Rechtsanwalt, der nach meinem Konkursantrag – das heutige Insolvenzrecht gab es ja damals noch nicht – mit meiner Angelegenheit betraut wurde, sah da absolut keine Möglichkeit dort irgendwie wieder heraus zu kommen und empfahl mir kurz und bündig: „Leben sie“. Na ja, das hätte ich ja noch viel besser gekonnt, wenn ich Karin nicht vergrault hätte. Nach der Scheidung sagte sie mir: „Wie dumm bist du eigentlich gewesen. Ich habe dich geliebt und ich hätte zu dir gestanden. Du hättest des Morgens aufstehen können und „Guten Morgen Feierabend“ sagen können. Das was ich verdiene hätte für uns Vier ausgereicht. Du hättest dich offiziell Hausmann nennen können ... Sorry, nicht nur nennen sondern ich hätte von dir erwartet, dass du diesen Beruf auch ausgeübt hättest. Aber das ist auch schon alles. Warum musstest du nur einen solchen Affen abziehen, dass all meine Liebe und Zuneigung zu dir irgendwie abgestorben erscheint und ich mich inzwischen anders orientiert habe. Das tut mir alles so leid. Wenn ich mich nicht auf Wernfried orientiert hätte, hättest du immer noch eine Chance ... aber jetzt ... Ich kann mich ja nicht zwischen die Betten legen.“.
Jetzt blieb mir nichts anderes als weiterhin zu arbeiten. Unterhalt bekam ich ja von Karin nicht sondern im Gegenteil, ich hätte für unsere beiden Kinder einen solchen zahlen müssen. Aber Karin, der ich auch heute noch ab und an nachtrauere, hat mich diesbezüglich nie in Anspruch genommen. Ja, es war eine sehr gute Frau ... Warum musste ich nur all mein Frust aus dem Bankrottgeschäft, dass, wenn ich ein Wenig wacher gewesen wäre, gar nicht notwendig war, über sie auslassen? Jetzt kommen wir aber zum Thema Arbeiten. Es ist sicherlich nachvollziehbar, dass es mich in keiner Weise nach einem Job, bei dem ich deutlich über der Pfändungsfreigrenze verdient hätte, gelüstete. Da dürfte es wohl keinen Menschen geben, der genügend mentalen Schub hat, um für eine nie abtragbare Schuld zu „ackern“. Selbst wenn man mich zu einer solchen gezwungen hätte wäre da nicht viel bei heraus gekommen, denn ich hätte doch alles recht lustlos angepackt und jede Gelegenheit sich zudrücken hätte ich mit Sicherheit auch konsequent genutzt. Dieses sollten sich die Polittraumtänzer, die mit Working-pur-Jobs diverse Leute aus der Arbeitslosenversicherung oder der Sozialhilfe katapultieren wollen, auch mal überlegen. Arbeit der Arbeit willen ergibt keinen Sinn aber anders herum kann man es in der Tat nicht gut heißen, wenn sich Leute mit Hilfe der Stütze in den Rang des Tagedieb schaukeln. Ach, beim Stichwort Tagedieb fällt mir zwischendurch etwas ein. Da gibt es im Internet ein eBook mit dem Titel „Die Schwiegertochter des Tagedieb“. Das ist der neueste Roman von Reiner Vial, den man von dessen Homepage ( www.reiner-vial.de ) kostenlos downloaden kann. Der Autor vertritt in diesem Buch unter anderem auch meine eingangs aufgeführte These, das zwar immer einer aber nicht immer der selbe der Looser sein muss. Er bringt bezüglich der Leute, die glauben sie wären der geborene ewige Looser, einen weiteren Aspekt hinzu. Nach seiner Ansicht überwiegen die vielen kleinen Glücksmomente im Leben eines Menschen, die dann als normal, als Alltag, hingenommen werden. Demgegenüber stellt das Unglück das Außergewöhnliche, längerfristig registrierbare dar. Seiner Ansicht nach sind die ewigen Looser nur nicht in der Lage die Normalität zu beachten und zu würdigen. Na ja, der Held dieses Buches hatte ja besonderes Glück, denn seine, durch die Schwängerung seiner Schwiegertochter arg belastete Ehe konnte gerettet werden. Das Glück hatte ich damals nicht: Ich war Karin und die Kinder, meine Firma und meine Eigentumswohnung auf einmal los. Nur meinen Führerschein habe ich nach Ablauf der Sperrfrist wieder bekommen. In den Jahren 1985 bis 1987 war ich also der echte Superlooser. Ich musste damals einen vollkommenen Neustart in Angriff nehmen. Ich brauchte eine, auch von einem Pleitier bezahlbare Wohnung und dann einen Job, bei dem ich bei angemessenen Aufwand so in etwa an der Pfändungsfreigrenze verdiene. Dieses mit dem angemessenen Aufwand habe ich geschrieben weil ich mir trotz meiner Totalverschuldung doch noch als Sklave zuschade war. Auch Schuldner haben ein Recht auf die Achtung ihrer Menschenwürde, was sich offensichtlich auch noch nicht bis zu den Inkassogeiern, die mich heute noch in stark entwürdigender Weise verfolgen, rumgesprochen hat. Neben dem Dach über dem Kopf und einem Job glaubte ich auch was besonderes zu benötigen: eine Frau. Dabei kommt es mir noch nicht einmal in erster Linie auf meine sexuellen Bedürfnisse an sondern ich bin ein Typ, der nicht fürs Alleinsein geschaffen worden ist. Ich brauche jemanden mit dem ich „quatschen“ kann, mit dem ich Sorgen und Nöte sowie Glück und Freude austauschen kann. Ich brauchte also kein Betthäschen sondern eine Partnerin. Da jemand zu finden ist, so wie ich glaubte, für einen Pleitekönig gar nicht so einfach. Da ist erst einmal die Frage, welche Frau freiwillig an die Seite eines Herrn, der einen nur eine wirtschaftlich ungesicherte Zukunft bieten kann, geht und andererseits musste ich mich fragen ob ich es verantworten kann, einer Frau eine im Verhältnis zum Umfeld bescheidene Zukunft anzubieten. Aber da ging es wieder los mit meinem Glück und ich fand auf einmal alles auf einen Schlag. Zunächst war ich ja ein armes Männeken und in der Tat auf die Stütze angewiesen. Gewohnt habe ich auf einer mickrigen aber möblierten Dachbude. Das Arbeitsamt, von denen ich aufgrund meiner vorhergehenden Tätigkeit nach einer Sperrzeit noch kurzfristig Arbeitslosengeld zu erwarten hatte, konnte mir, wie es bei dieser Missstandsverwaltung auch heute noch üblich ist, bei der Jobsuche nicht helfen. Mutig machte ich mich auf zur Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft Nordreich um mit meinem Wohnberechtigungsschein, kurz WBS, dort ein Einraum-Appartement zu bekommen. Zur damaligen Zeit waren, auch hier in Nordreich, die Wohnungen, insbesondere die bezahlbaren, recht knapp. Aber ich hatte Glück und bekam bei der Gemeinnützigen nicht nur eine 1½-Zimmer-Wohnung sondern auch einen Job. Diese Wohnung lag in der Tiefparterre des Hauses Rosenstraße 10b. Dieses Haus ist eines von 12 Häusern mit je 6 Familienwohnungen und in 4 Häusern befanden sich zusätzlich in der Tiefparterre je 2 Appartements; eins davon war also meine neue Wohnung. Für diesen Wohnkomplex mit also 80 Wohneinheiten suchte die Genossenschaft einen Hausmeister; am Besten einen Rentner, der so etwas „hauptamtlich“ machen konnte. Natürlich wird ein solcher Job nicht gerade bombig bezahlt, sie boten nicht ganz 200 Mark über der für mich geltenden Pfändungsfreigrenze. Das war für mich genau das Richtige und ich bekam Job und Wohnung. In diesem Haus wohnte im zweiten Stock auch Bettina Stöcker mit ihrer damals 15-jährigen Tochter Susanne, die auch heute noch von allen Freunden und Bekannten Susi genannt wird. Die in meinen Augen super aussehende Bettina war 1946 geboren, also ein Jahr jünger wie ich, und befand sich in einer ähnlichen Situation
wie ich. Bettina hatte von ihrem frühverstorbenen Vater ein größeres Elektroinstallationsgeschäft geerbt. Die damals junge Kauffrau hätte dieses Handwerksgeschäft mangels Meisterprüfung nicht weiterführen können und die Einstellung eines solchen schien ihr damals auf Grund der betriebswirtschaftlichen Lage nicht möglich zu sein. Sie stand nun vor der Alternative verkaufen oder ... . Sie entschied sich für das, was dem „oder ...“ folgt und wandte sich mit der Suche nach einem Elektroinstallateurmeister an ein Eheinstitut. Sie hatte damals in dreifacher Hinsicht Glück: In Klaus Stöcker fand sie erstens einen entsprechenden Meister, zweitens jemand der von zu Hause her noch Geld mitbrachte, was er in das Geschäft steckte und drittens auch noch einen lieben netten Mann, den sie dann auch tatsächlich noch aus überzeugter Liebe heiraten konnte. Was zu Beginn das große Glück war entwickelte sich zu einem schleichenden Unglück. Drei Mal hintereinander ereilte sie das Schicksal, dass kurz bevor ein größeres Objekt beendet werden konnte, die Auftraggeber deftig in die Pleite gingen. Die Verluste die die Stöckers dabei erlitten konnten sie nie wettmachen und so rutschten sie mit ihrem Geschäft immer tiefer in den wirtschaftlichen Sumpf. Heinz Stöcker konnte es schlecht ertragen und flüchtete sich in den Suff. Volltrunken ist er dann 1981 vor ein Auto gelaufen und zwei Tage darauf an den Folgen seiner Verletzungen gestorben. Bettina stand dann mit ihrer Tochter und einen Riesenhaufen Schulden alleine da. Jetzt hatte sie den gleichen Status wie ich. Auch sie wurde von Inkassogeiern verfolgt und musste von dem, was sie als kaufmännische Angestellte oberhalb der Pfändungsfreigrenze verdiente reichlich für untilgbare Schulden abdrücken. Für die Leutchen, die bisher noch nichts mit Gehaltspfändung zutun hatten, muss ich noch etwas erklären. Bis zur Pfändungsfreigrenze, deren Höhe von der Zahl der unterhaltsberechtigten Angehörigen abhängt, kann man sein Nettogehalt für sich behalten. Da Karin, sich selbst und unsere beiden Kinder unterhält heißt das für mich, dass ich null Angehörige geltend machen kann. Das bedeutet jetzt, also 2003, dass ich Netto bis 939 € ohne Pfändungszugriff verdienen kann und für je 10 €, die ich darüber verdiene, müsste ich 7 € in den Pfändungstopf geben. Bettina hatte aber Susi als unterhaltsberechtigte Angehörige. Das würde in diesem Jahr heißen, dass sie bis 1.299 € zugriffsfrei verdienen könnte und für je 10 € darüber jeweils 5 € abgeben müsste. Ab 2.851 € aufwärts muss man den gesamten Mehrverdienst abgeben. Diese Angaben von 2003 sind natürlich theoretisch, denn erstens weiß ich die damaligen Sätze heute nicht mehr, zweitens ist Susi heute schon über Dreißig, verheiratet und hat selbst zwei Kinder sowie drittens sind Bettina und ich heute miteinander verheiratet. Mit „drittens“ habe ich verraten was 1987 geschah. Bettina und ich waren uns von Anfang an sympathisch und dann haben wir uns sogar richtig ineinander verliebt. Aus ihrer eigenen Situation heraus störte es Bettina nicht, dass ich ein Pleitier war und umgekehrt galt das Gleiche. Den ersten Vorteil, den wir für den Fall, dass wir unsere Habe zusammenpackten entdeckten, war dass wir die Miete für meine Wohnung einsparen konnten und ich konnte das, was mir nach der Pfändung blieb, in die gemeinsame Kasse einbringen. So kamen wir beide ein Stück weiter. So gingen wir erst einmal eine Lebenspartnerschaft miteinander ein. Dann hatten wir ausgerechnet, dass ich mit Lohnsteuerklasse V mit einem Nettogehalt vollkommen unter die Pfändungsfreigrenze rutschen würde und sich die Freigrenze von Bettina bei nun zwei unterhaltsberechtigten Angehörigen deutlich erhöhen würde. Nach heutigem Stand hieße das eine Erhöhung von 1.299 € auf 1.469 € und statt 5 € für je 10 € darüber bräuchte sie nur 4 € abdrücken. Außerdem würde Bettina dank Steuerklasse III ein höheres Nettoeinkommen haben. Durch Heirat würde sich also unser zusammengeworfenes verfügbares Einkommen deutlich erhöhen und wenn wir zusammenhalten, können wir später auch unsere Renten zusammenschmeißen, wodurch wir auch ein Auskommen in unserem Seniorendasein hätten. Und was machten wir? Natürlich wir heirateten am Donnerstag, dem 15. September 1988. Auch nachdem Susi 1993 mit eigenem Einkommen das Haus verlassen hatte, standen wir zusammen deutlich besser als wie jeder einzeln, da. Das Letzte liest sich so, als hätten Bettina, die ich Tina zu nennen pflege, und ich nur aus einer Wirtschaftlichkeitsberechnung heraus geheiratet. Das stimmt aber nur in soweit, dass wir, wenn sich für uns noch weitere Nachteile ergeben hätten, auf den Trauschein verzichtet hätten. Aber ansonsten haben wir uns geliebt und lieben uns immer noch. In der Tat war es wirklich eine Liebesheirat. Des Öfteren fragen wir uns, ob wir auch dann zueinander gefunden hätten, wenn nur einer von uns vom Unternehmerschicksal betroffen gewesen wäre. Grundsätzlich geben wir uns die eindeutige Antwort „Ja“. Ob das aber stimmt, - wer weiß das schon. Auf jeden Fall sind wir nunmehr bereits 16 Jahre, davon 15 Jahre als Mann und Frau, glücklich miteinander. Allerdings gab es im letzten Jahr eine massive Eintrübung unserer „Traumpartnerschaft“. Das ist die dritte Krise von der ich hier berichten will. Mit anderen Worten: Ich möchte mir hiermit, die letzte Situation, in der ich glaubte immer der Looser zu sein, von der Seele schreiben. Ich hätte mit dieser gleich losgelegt, wenn nicht die beiden vorhergehenden „Katastrophen“ in der dritten eine Rolle gespielt hätten. Unser Schuldnerdasein hatte bei uns nicht dazu geführt, dass wir uns aus dem gesellschaftlichen Leben zurück gezogen haben obwohl einige besser- oder wichtigtuende „Normalbürger“ uns dabei geringschätzig über die Schultern ansahen. Bettina engagierte sich nach wie vor im Schwimmverein Nordreich 09 und im Heimat- und Verkehrsverein. Bei mir war es der TSV Nordreich 1877, dem ich schon seit meiner Kindheit angehöre, und der Modelleisenbahnclub. Im Zuge unsere Partnerschaft trat Bettina dann auch dem Modelleisenbahnclub und im Gegenzug ich dem Heimat- und Verkehrsverein bei. Zu den Schwimmern beziehungsweise zu den Turnern
begleiteten wir uns als Partner beziehungsweise Partnerin. Paradoxer Weise wurde Bettina Geschäftsführerin im Modelleisenbahnclub und ich wurde Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsverein. Nur zu unseren politischen Aktivitäten mussten wir bis vor 1½ Jahren getrennte Wege gehen, denn Bettina hat sich nach ihrer Pleite von einer F.D.P.lerin zur Grünen gewandelt. Auch ich vollzog zu Beginn unserer Ehe einen Wandel von der SPD weg aber nicht zu den Grünen sondern zu den Unabhängigen. Uns beiden gelang schon bei der vorletzten Kommunalwahl der Sprung in den Rat der Stadt Nordreich. Vor 9 Jahren waren wir jeweils eine beziehungsweise einer von zwei Mitgliedern unserer Partei im Rat. Seit der letzten Wahl war Bettina eine Sologrüne und wir von der UWG kamen auf fünf Sitze und erhielten damit Fraktionsstatut. Wie es nun einmal im politischen Leben ist überwarf sich Bettina auf Grund der Joschka-Fischer-Politik im Bund mit ihrer Partei, trat aus dieser aus und kam zu uns. Jetzt sind wir im gleichen Haufen und können immer noch nicht zusammen zur Ratssitzung gehen, es sei denn sie wolle bei einer öffentlichen Sitzung zuschauen. Aber Bettina war eben bei uns, als es in unserem Lager zu einer Zerreißprobe, mit der meine dritte Looser-Time begann, kommen sollte. Schon von jeher teilte sich die UWG in einer rot-grün nahen und einer schwarz-gelb nahen Hälfte auf, was bislang sich aber eher positiv wie negativ auswirkte. Man kann sich denken, zu welcher Hälfte Bettina und ich von unserer Herkunft her gehörten. Allerdings sollte man so etwas im Bereich der Kommunalpolitik nicht überbewerten, denn bei den Lokalpolitikussen kommt es meistens nur darauf an Hüh zu sagen, wenn die Anderen Hott sagen, was nur selten überhaupt etwas mit der von den Bundeshäuptlingen der jeweiligen Partei vorgegebenen Marschrichtung zutun hat. Daher war es für mich schon in Ordnung, dass für uns in der Unabhängigen Wähler-Gemeinschaft die örtliche gleichzeitig die oberste Ebene war. Ein Gewerbegebiet, welches die rote Fraktion und der eine grüne Mann im Rat durchpeitschen wollten, brachte dann Zwist in unseren, bis dahin eigentlich harmonischen Haufen, denn ausgerechnet unsere rot-grün angehauchten Mitglieder sprachen sich dafür aus, den SPD-Antrag mit Hilfe der CDU und des einen F.D.P.-Menschen abzuschmettern. Daraus wurde in unserer UWG eine solche Glaubensfrage, dass wir mit persönlichen Anfeindungen begannen. Unser Fraktionsvorsitzende Hannsfrieder Knauer rastete dabei so aus, dass er UWG und Rat verließ. Jetzt wollte das eine „innerparteiliche“ Lager, dass ich den Fraktionsvorsitz übernehme und die anderen wollten Karl Gustav Neuhoff, unseren Senior, auf dem Posten sehen. Jetzt muss ich noch erzählen, dass Karl Gustav, wie ich ihn damals noch nannte, in Nordreich als ein verkappter rechter Vogel verschrieen war. Klar, dass der meine Jugendgeschichte mit meiner Kriegsdienstverweigerung ausgrub um mich aus dem Rennen zu diffamieren. Er beließ es nicht dabei, zu behaupten, dass ich ein Drückeberger sei, der gegenüber unserem Staat eine Antistellung habe, sondern er wärmte alles mit auf, was damals um diese Geschichte geschehen war. Das traf mich schon sehr hart aber ich wollte mich nicht als Mimose geben und diese Angelegenheit im internen UWGKreis wegstecken. Zumal sich abzeichnete, das er, der eigentlich zuvor der chancenreichere Kandidat war, sich damit selbst aus dem Rennen warf. Vielleicht war das der Grund, warum er seine Schmutzkampagne in Form von Interviews mit den Lokalredakteuren auch in die Öffentlichkeit trug. Da nicht nur das, sondern er warf mir meine Pleite, zu der es dank meiner Unfähigkeit gekommen wäre, vor und stellte meine Schulden und den Umgang damit, als Zeichen meiner moralischen und gesellschaftlichen Unzulässigkeit dar. Das traf mich dann allerdings in meinem persönlichen Ehrgefühl auf das Härteste. Gemeinsam mit Bettina suchte ich ihn auf um ihn zur Rede zu stellen. Tina war mitgekommen, um mich, wenn ich Gefahr lief auszurasten, zu besänftigen. Nun, ich gebe zu, dass ich im Jähzorn schon mal zu vulgären Verbalbeleidigungen neige – und das konnte ich in dieser Situation am Wenigsten gebrauchen. Als wir bei ihm waren, wollte er wohl Tina einlassen um mit ihr zu sprechen aber mir verweigerte er den Zutritt. Nach etwa dreiminütigen Hin und Her sagte Tina zu mir: „Güni, lass mal, ich werde jetzt mit Karl Gustav reden und es wäre doch gelacht, wenn wir unter gestandenen Leuten nicht zu einer vernünftigen Lösung kämen.“. Ich weiß nicht aber irgendwie war ich sogar froh darüber, dass es Bettina übernehmen wollte, die Wogen zu glätten und zog mich deshalb in unseren alten Golf zurück um auf die Rückkehr meiner Frau zu warten. Über eine Stunde saß ich da wie bestellt und nicht abgeholt. Als Tina dann zurückkam waren die Wogen nicht geglättet sondern zu Sturmflutwellen aufgetürmt. Schon als sie über dem Gehweg zum Wagen zurückkam sah ich, dass meine Frau hochgradig verärgert war. An ihren kurzen und patzigen Worten, die sie, während sie sich auf den Beifahrersitz setzte, von sich gab merkte ich, dass sie nicht über Neuhoff sondern über mich verärgert war. Sie deutete mir an, dass sie zuhause ein ernstes Wort mit mir reden müsse und während der Fahrt nichts von mir hören wolle. Dadurch war ich vollkommen durcheinander, denn ich konnte mir keinen Reim auf diesen Sinneswandel machen. Ich sah, dass diese Sache nun zu eskalieren begann. Und warum nur? Was ist denn an dem Fraktionsvorsitz im Rat einer Kleinstadt so besonderes, dass man deshalb einen Vernichtungskrieg gegen einen Kandidaten für diesen Posten ausruft? Was mich während der Fahrt auch ziemlich beschäftigte war die Frage, was Karl Gustav Neuhoff meiner Bettina gesagt haben könnte. Tina und ich waren ja inzwischen so lange zusammen und haben viel und ehrlich miteinander kommuniziert. Wir kennen fast alle dunklen Flecken in unseren jeweiligen Vorleben. Wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, dass die Zeit einige Dinge aus unserer Vergangenheit mit dem Nebel des Vergessens
zugedeckt hätte, könnte ich sogar das „fast“ weglassen. Aber solche Dinge, die man im Laufe des Lebens selbst vergisst, sind wohl nicht von dem Ausmaß, dass man sie für einen harten Fight heraufbeschwören könnte. Also aus meiner Vergangenheit kann Tina nichts Neues erfahren haben. Und irgendetwas Kommunalpolitisches kann zwischen Tina und mir wohl zur heißen gegensätzlichen Sachdiskussion aber nie zum Streit führen. Jetzt jedoch standen alle Signale auf Ehestreit. Immer mehr schwankte ich zwischen böser Ahnung und gespannter Neugierde. Wieder in den eigenen vier Wänden angekommen deutete mir Tina an, dass ich gleich im Wohnzimmer zu einem ernsten Gespräch Platz nehmen sollte. Dann startete sie mit einem aggressiv klingenden Ton: „Sag mal, du kennst doch die Enkeltochter von Neuhoff? Was hast du mir dazu zu erzählen?“. Ich muss wohl recht verdutzt drein geschaut haben, weil ich nun vollkommen unerwartet nach einer mir vollkommen unbekannten Enkeltochter gefragt worden bin. „Beim besten Willen kenne ich diese ominöse Enkeltochter nicht. Ich wusste gar nicht, das Karl Gustav eine Enkeltochter hat. Ich habe zwar politisch viel mit ihm zutun gehabt aber von Mensch zu Mensch ist er mir schon seit jeher unsympathisch gewesen und daher habe ich kaum privaten Kontakt mit ihm gehabt.“, gab ich ehrlicher Weise zur Antwort. Immer noch barsch ergriff nun Bettina wieder das Wort: „Ich glaube dass ich dein Erinnerungsvermögen etwas auffrischen muss. Du weißt offensichtlich nicht, dass Sabrina Schmöckel die Enkelin von Neuhoff ist.“. Ich war immer noch nicht schlauer wie zuvor und bekundet das mit: „Auch der Name sagt mir nichts. Ich habe zwar den Namen Schmöckel schon mal irgendwo gehört aber das ist auch schon alles.“. „Dein Heucheln bringt mich immer mehr darauf, dass Neuhoff recht hat.“, fuhr Bettina grimmig fort, „Ich hatte so gehofft, dass du mir jetzt gesagt hättest was los war und dann Neuhoffs Hauptvorwurf entkräftet hättest. Dem kommt es nämlich gar nicht auf den Fraktionsvorsitz an sondern der hat wegen seiner Enkelin, die du vergewaltigt hast, so ein Brasst auf dich, dass er dich vernichten will.“. Vielleicht kann diese oder jener nachvollziehen, wie ich mich jetzt fühlte. Ich sollte ein mir unbekanntes Mädchen vergewaltigt haben und deshalb wollte man mich fertig machen. „Jetzt reicht’s,“, polterte ich los, „diese fiese Ratte (gemeint war Neuhoff) zeige ich jetzt postwendend an.“. „Na ja,“ erwiderte Tina schnippisch, „das kannst du dann erledigen, wenn dich die Kripo oder die Staatsanwaltschaft vorlädt erledigen, denn Schmöckels haben dich heute wegen dieser Sache angezeigt.“. Das haute jetzt dem Fass den Boden aus und ich konnte nur noch vulgäre Aussprüche ausspucken. Bettina begann zu weinen und legte mir mit der Frage „Und was sagst du nun?“ ein Bild vor. Es zeigte mich ausgehfähig angezogen, mit dem Rücken zur Kamera, auf zwei Oben-ohne-Mädchen zugehen. Die eine blond und die andere dunkelhaarig. Am Hintergrund, einen Strand, erkannte ich, dass dieses Bild im Juni, als wir mit der Jazz-Tanzgruppe unseres TSV zu einem Festival in Holland waren, entstanden sein muss. Ich war damals kurzfristig als Betreuer eingesprungen, da es in der Familie des Ehepaares, dass die Gruppe eigentlich begleiten sollte, einen Tag vor der Abreise einen Todesfall in der Familie gegeben hatten. Tina konnte wegen eines Wanderseminars des Heimat- und Verkehrsvereins, an dessen Ausrichtung sie beteiligt war, nicht mitkommen. An die konkrete Situation bei der dieses Foto entstand konnte ich mich allerdings nicht erinnern. Vom Ansehen erkannte ich die beiden Mädchen als Mitglieder dieser Tanzgruppe. Einzig wo ich mich noch daran erinnern kann ist, dass über die Hälfte der Mädchen bei einem Strandbesuch Oben ohne kokettierte und mir das im Hinblick auf Ärger mit konservativ-prüden Eltern gar nicht so recht war. Ich kann mich auch noch entsinnen, dass ich auf einige Mädchen zugegangen bin und ihn erklärt habe, dass sie im privaten Umfeld machen könnten was sie für richtig halten aber ich sie jetzt bitten würde ihre Oberteile anzulegen. Befolgt hatten das damals aber nur einige Mädchen und ich gab dann letztlich auch auf. Bei einer solchen Gelegenheit muss dieses Bild auch entstanden sein. „Und“, setzte ich nun wieder an, „jetzt weiß ich immer noch nicht wer diese Sabrina Schmöckel ist ... Und vergewaltigt habe ich bis heute keine einzige Frau und Mädchen, an denen ja eigentlich noch nichts dran ist, erst recht nicht.“. Nachdenklich, unter Tränen, sagte Tina jetzt: „Schön wenn ich dir das glauben könnte. Das wichtigste Indiz, dass die Mädchen ... die eine, die dunkelhaarige auf dem Bild, bezeugt diese Sache, denn du hast es vor deren Augen gemacht. Also das wichtigste Indiz für mich ist, dass die beiden Mädchen wissen, dass du beschnitten bist, was ja bei einem Christen nicht normal ist. Das ist doch der Grund warum du so penibel bist. Du gehst nicht in die Sauna, in deiner Jedermann-Riege im TSV findest du jede Ausrede um nicht gemeinschaftlich zu duschen. Obwohl deine Art Blödsinn ist, denn du bist doch bestimmt nicht der einzigste Mann in Deutschland, der als Kind eine Vorhautverwachsung hatte und deshalb auch als Christ beschnitten ist behältst du das als dein große Geheimnis und ich habe da auch mit niemanden drüber gesprochen. ... Also woher kennen die beiden 16-jährigen Mädchen dein streng gehütetes Geheimnis?“. Da konnte ich natürlich nichts drauf sagen, denn es war mir absolut schleierhaft, woher die Mädchen zu dieser intimen Kenntnis gekommen waren. Das Einzigste was ich jetzt wusste, dass es sich bei der Blonden um Sabrina Schmöckel handelte – ausgerechnet die von den Beiden, die noch am Wenigsten zur Frau entwickelt war. Tina ließ sich von meinen Unschuldsbeteuerungen nicht überzeugen. Sie packte ihre Sachen und zog zu ihrer Tochter Susi. Ursprünglich hatte sie überlegt mich rauszuschmeißen, wovon sie aber aus dem Grunde weil ich der Hausmeister war abgesehen hat. Es war ein schwerer Schlag für sie, den sie liebte mich nach wie vor und
wollte mich eigentlich nicht verlieren. Aber alle Indizien sprachen gegen mich und sie wollte Abstand gewinnen. Susi, die mich nie an Stelle des Vaters angenommen hatte aber mich immer voll und ganz als den Mann ihrer Mutter akzeptiert hatte – also wir hatten immer ein freundschaftliches aber nie familiäres Verhältnis zueinander – war dann die Einzigste, die für mich Stellung bezog. Sie konnte beim besten Willen nicht glauben, dass ich das, was man mir vorwirft, getan haben könnte. Sie berichtete Susi ihrer Mutter, dass sie in ihrer Jugendzeit öfters versucht hätte mich aus einem jugendlichen Exhibitionismus heraus zu provozieren, öfters sprang sie aus der Motivation absolut nackt vor mir rum, aber zu ihrem Verdruss hätte ich darauf immer so reagiert als wäre sie noch ein kleines Mädchen, an dem noch nichts dran ist. Erstmalig hätte ich sie als sie schon Zwanzig war, mit den Augen eines Mannes angeschaut. Das wäre bei einer Gelegenheit, als sie nur mit einem Handtuch um die Hüfte aus dem Bad kam, gewesen. Aber auch bei der Gelegenheit gab es keinerlei Anzeichen, dass ich ihr an die Wäsche gewollt hätte. Selbstbewusst verkündete Susi, dass an ihr in ihrer Jugendzeit wohl mehr dran gewesen sei wie an dieser Göre. So konnte sie sicht nicht vorstellen, dass ich damit was zutun haben könnte. Dieses überzeugte Tina schon ein Wenig und daher ist während der Krise auch nie davon die Rede gewesen, dass sie sich scheiden lassen wollte oder dass sie endgültig den gemeinsamen Hausstand aufkündigen wollte. Einzig das Wissen der Mädchen über die Beschaffenheit meines Penis, von dem selbst Susi, da sie mich an dieser diversen Stelle noch nie entblößt gesehen hatte, nichts wusste, hielt Tina davon ab zu mir zu kommen und mir zu sagen, dass sie mir mehr als allen anderen glaube. Noch am gleichen Tag, an dem Tina auszog, erhielt ich einen Anruf von der Kripo, mit dem ich zu einem „Gespräch“ geladen wurde. Erstmalig erhielt ich nun Kenntnis vom vollen Umfang der Vorwürfe. Tatsächlich soll sich die Geschichte während des Festivals in Holland zugetragen haben. Nachmittags am Strand hätte ich die Mädchen schon angemacht. Da hätte ich ihnen selbstgedrehte Zigaretten, die offensichtlich Haschisch gewesen wären, „angedreht“. Danach wären sie sich richtig bekifft vorgekommen und in dem Zustand hätte ich sie überredet ihre Bikini-Oberteile abzulegen. Letztlich hätte ich sie für des Abends zu mir auf das Zimmer zu einem Gläschen Genever eingeladen. Sie hätten noch nie zuvor Alkohol getrunken und hätten auch nicht zu mir kommen wollen. Aber Steffi Görgens, das dunkelhaarige Mädchen von dem Bild, hätte so ein Verlangen nach einer weiteren selbstgedrehten Zigarette verspürt und deshalb hätten sie meiner Einladung Folge geleistet. Ich hätte ihnen die Tür im Bademantel aufgemacht und diese nach ihrem Eintreten verschlossen. Danach hätte ich dann den Bademantel abgelegt und nackt vor ihnen gestanden und ich hätte die Mädchen aufgefordert, sich selbst auszuziehen. Als sie sich geweigert hätten, hätte ich ihnen damit gedroht ihren Eltern davon zu berichten, dass sie Rauschgift genommen hätten. Das würde ich auch machen, wenn sie Dritten etwas von den Geschehnissen berichten würden. Unmittelbar danach hätte ich Sabrina aufgefordert sich hinzulegen und die Beine breit zu machen.. Und, ... na ja. Als Grund, weshalb sie sich erst jetzt, im September 2002, meldeten, hatten sie angegeben, dass sie ja keine Beweise gehabt hätten und man wahrscheinlich einen erwachsenen Ratsherren eher glaubt als ihnen. Aber dieser Tage hätten sie von einer Schulkameradin, die auch in der JazzTanzgruppe ist, ein Bild erhalten, was die Sache zumindestens in dem Punkt „Strand“ beweise, erhalten. Da sie die ganze Sache seitdem schwer belaste seien sie nun gekommen Das Bild, von dem es inzwischen augenscheinlich mehrere Abzüge gibt, lag der Kripo auch vor. Was konnte ich da anderes machen als zu beteuern, dass es sich um eine freierfundene Geschichte handele und ich unschuldig sei. Normaler Weise gelangen solche Angelegenheiten in diesem Stadium noch nicht an die Öffentlichkeit aber in diesem Fall hatte dann Karl Gustav Neuhoff nachgeholfen. Und für mich, dem vermeintlichen Mädchenvergewaltiger, begann dann ein Spießrutenlauf in der Öffentlichkeit. Es gab wohl niemand in Nordreich der nicht abfällig hinter mir her sah. Nicht wenige Leute machten „dumme“ Bemerkungen wenn sie an mir vorüber zogen. Es gab auch ein paar Zeitgenossen, die mir auf dem Kopf zu sagten, dass so etwas wie ich aufgehängt werden müsse. Ich empfand es fürchterlich und hatte richtig Angst mich in die Öffentlichkeit zu begeben. Mit Tränen in den Augen setzte ich mich hin und schrieb eine Reihe von Briefen. Ich schrieb an alle Vereine wo ich Mitglied war, der UWG, dem Verkehrsverein, dem Modelleisenbahnclub, dem TSV und dem Bürgermeister als Vorsitzenden Rat, einen Brief. Darin beteuerte ich zunächst meine Unschuld und dann erklärte ich sowohl meinen Rücktritt von allen Ämtern wie meinen Austritt. Da war ich jahrelang überaus gesellschaftlich engagiert gewesen und jetzt war alles zu Staub und Asche geworden. Meine Frau hatte mich verlassen und ich war ein absoluter Nobody. Oh, wie weh mir das alles tat. Ich hatte dann auch Schwierigkeiten bei meiner Tätigkeit als Hausmeister, da ich mich auch vor den Nachbarn an den Pranger gestellt fühlte. So kam es nicht von ungefähr, dass ich auch daran dachte, meinen Job zu schmeißen. In meiner Not beschäftigte ich mich letztlich nur noch mit eins: mit Beten. Immer wieder setzte ich mich hin, faltete die Hände und flehte: „Gott, mein Vater, sei mir gnädig und helfe mir.“. Nach einem solchen Gebet geschah etwas, was ich dann als Wunder, welches auf meine innigen Gebete zurückzuführen sei, auslegte. Die Wohnungstür wurde von außen aufgeschlossen und zwei Damen, die mir sehr am Herzen liegen, traten ein. Bettina kam mit gesenkten Kopf und feuchten Augen begleitet von ihrer Tochter Susi, die mich freundlich anlächelte, hereinspaziert. Nach diesem etwas über einen Monat hatte Tina immer noch die Wohnungsschlüssel so in ihrer Tasche gehabt als wolle sie jeden Moment wieder nach Hause gehen und die meisten persönlichen
Sachen meiner Frau befanden sich ebenfalls noch in unserer ehelichen Wohnung. So wusste ich nicht ob ihr Besuch nun mir oder ihren Sachen galt und daher stand ich etwas ratlos da und wusste auch nicht wie ich mich verhalten sollte. Plötzlich setzte sich Tina ruckartig in Bewegung und fiel mir um den Hals. Schluchzend sagte sie: „Ach Güni, mein Schatz, wie doof habe ich mich verhalten. Ich bin doch deine Frau und weiß doch, dass du so etwas, was man dir vorwirft, nicht macht’s, da ist auch Susi felsenfest von überzeugt. Da darf ich dich doch nicht einfach in Stich lassen sondern da muss ich dir doch helfen, die Wahrheit aufzudecken.“. Ich konnte gar nichts sagen, ich musste jetzt auch weinen. Nachträglich muss ich sagen, dass es ein unwahrscheinliches Glücksgefühl ist, wenn man feststellt, dass es doch Menschen gibt, die einen trotz aller gegensätzlicher Indizien glauben und vertrauen. Anschließend setzten wir uns noch fast über eine Stunde im Wohnzimmer zusammen. Dabei erfuhr ich auch wie Susi die Sache sah und davon, ich habe es ja bereits geschrieben, hat sich jetzt auch Bettina überzeugen lassen. Nach Tinas Gefühl konnte es auch gar nicht anders sein. Dann kam Susi zur Sache: „Also Günter, du kannst es doch nicht einfach laufen lassen während die anderen handeln. Ich habe mir überlegt, dass wir rauskriegen müssen, wer diese maßgebliche Aufnahme in Holland gemacht hat. Den oder die brauchst du als Zeugen. Du musst dich hinsetzen und in deinem Gedächtnis kramen, um im Detail nachvollziehen, was du zu der fraglichen Zeit in Holland wirklich gemacht hast und wer das gegebenenfalls bezeugen kann. Dann ist es nicht weniger wichtig zu erfahren, wer von deinem Vorhaut freien Schwänzchen weiß und wie die beiden Mädchen daran gekommen sind. Also wir müssen ein wenig Detektivarbeiten leisten – Hendrik (Susis Mann) und ich wollen dir dabei helfen.“. „Und ich erst recht, denn ich bin ja deine Frau“, fügte Tina seufzend klingend an. Plötzlich durchschoss mich ein Geistesblitz und spontan sagte ich „Karin“. Verwundert schauten mich Tina und Susi an. „Oh, entschuldigt,“, begann ich jetzt meine Erklärung, „mir ist gerade eingefallen, dass meine erste Frau jetzt Görgens heißt, genau wie dieses Mädchen, was dabei gewesen sein will. Und Karin kennt meinen Penis ja genau so gut wie du Tina ... Wo sollten denn unsere beiden Kinder herkommen. Aber das Karin so etwas ausplaudert oder gar zu einer solchen bösen Sache animiert kann ich nicht glauben. Trotz allem muss ich sagen, dass sie eine liebe und vernünftige Frau war und sicher auch noch ist. Und nach all den Jahren hat die auch bestimmt keine Rachegelüste mehr gegen mich. Aber der Schlüssel zur Lösung könnte bei ihr liegen.“. „Weiß du was,“, gab Tina jetzt entschlossen von sich, „ich rufe jetzt mal meine Vorgängerin in deinem Bett an und bitte sie um ein Gespräch von Frau zu Frau. Ich gebe vor, dass ich das Gefühl hätte, dass wir gemeinsam dir helfen könnten und frage sie ob sie zur Mithilfe bereit wäre.“. Dieses war mir gar nicht so recht aber Tina wollte sich nicht abhalten lassen. Da schaltete sich Susi dann ein: „Bei eueren Überlegungen geht ihr davon aus, dass Günters erste Frau genau den gleichen Wissenstand habt wie ihr. Sollte das tatsächlich der Fall sein, hätte sie, wenn sie wollte, schon längst reagiert oder diese Sache ist ganz in ihrem Sinne ... was wir aber nicht glauben. Ich gehe mal davon aus, dass sie wohl von den Vorwürfen weiß, aber nicht das diese Steffi Görgens, was vermutlich ihre Nichte ist, die Hauptbelastungszeugin ist und das Hauptindiz Günters, immer gut verstecktes Pimmelchen ist – Das stand auch nirgendwo. Diese Steffi kann ihr Wissen über Günters Schwänzchen, was ich auch mit großer Wahrscheinlichkeit annehme, eigentlich nur von deiner ersten Frau haben. Das ist der springende Punkt, warum ich dein Vorgehen, so wie du es vorhast, Mutti, nicht richtig finde. Diese Karin wird, wenn du kommst und ihr gesagt hast warum es geht, doch annehmen, dass du ihr das Ausplaudern von Intimitäten oder gar Anstiftung vorwerfen willst. Dann überleg dir, wie du in einem solchen Fall reagieren würdest. Anders, wenn man ihr die fehlenden Informationen zuspielt, vielleicht reagiert sie dann sogar von selbst. Wir müssen jetzt also Frau Görgens die ihr fehlenden Informationen zuspielen und mal sehen was passiert. Da habe ich eine Idee: Du Günter hast doch ab und zu Kontakt mit deinem Sohn. Kannst du dem nicht mal in der Hoffnung, dass es bei seiner Mutter ankommt, dein Leid klagen?“. So recht war mir dieses zwar auch nicht aber ich sah momentan keinen anderen Weg. Bei diesem Weg konnte ich mir ja noch etwas zunutze machen: Sicherlich brauche ich in der Angelegenheit einen Rechtsanwalt, den ich bisher nicht eingeschaltet hatte. Mein Sohn Bernd ist ein solcher. Aber den hätte ich, weil mir so etwas überpeinlich ist, nicht eingeschaltet. Jetzt änderte ich, allerdings unter schweren Kämpfen mit meiner Scham, meine Absicht und vereinbarte gleich am nächsten Morgen einen Termin, den ich auch gleich am selben Tag, des Nachmittags, bekam. Nachdem ich, trotz mehrer Klöße im Hals, Bernd die ganze Geschichte erzählt hatte, kam auch gleich postwendend die große Wende. Bernd sagte sofort nach meinem Bericht: „Mensch Papa, ich glaube da bist du durch meine, von Mama angeheiratete Cousine im jugendlichen Leichtsinn in eine böse Sache geschossen worden. Übrigens, die Mama glaubt auch nicht an deine Schuld. Sie meint immer, dass sie dir alles mögliche zutrauen würde aber so etwas nicht, schon aus dem Grund deiner übersteigerten Prüderie. Du wärst noch prüder wie ihr Schwager – Steffis Vater –, welcher ein konservativer baptistischer Prediger ist. Das ist also der Pastor der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde, die ja ohnehin schon als sehr prüde gelten. Thomas Görgens hat etwas ganz entscheidendes mit dir gemeinsam. Auch bei ihm ist, als er Kind war, eine Phimose operativ beseitigt worden. Aber im Gegensatz zu dir spricht er aber offen darüber. Natürlich geht er damit nicht hausieren aber bei passenden Gelegenheiten und Anlässen kommt er schon damit heraus. Zum Beispiel auf
Mamas letzten Geburtstag haben wir über das Buch ‚Hitlerjunge Salomon’ gesprochen. Da fiel das zum Beispiel. Bei dieser Gelegenheit hat Mama dann auch gesagt, dass du damit so umgehen würdest als wären wir immer noch im Dritten Reich und du Angst hättest mit einem Juden verwechselt zu werden. Da war auch Steffi dabei ... die werden ich mir jetzt mal vorknüpfen.“. Eine Woche später gab es dann die große entscheidende Wende. Ich war in den Außenanlagen unseres Wohnblocks beschäftigt. Es war allerhand zutun, denn in den vier Wochen wo Tina bei Susi war, ist doch einiges liegen geblieben. Hätte mich Bettina nicht kontinuierlich aufgerüstet, wäre ich da jetzt immer noch nicht dran gegangen, denn nach wie vor war ich für die Nachbarn der Sittenstrolch und ich musste unter ihren Blicken Spießruten laufen. Während ich so vor mir hinwerkelt kam Tina zu mir um mir mitzuteilen, dass wir Besuch hätten und ich bitte mal kommen sollte. Der Besuch war wahrlich eine Überraschung. Da saß meine ehemalige Frau Karin bei uns im Wohnzimmer und bei ihr ein heulendes Mädchen. „Guten Tag Günter,“, eröffnet Karin, „ich habe dir jemand mitgebracht der dir, und dann auch ihren Vater, was zusagen hat. Steffi hat mich gebeten, sie zu beiden Gesprächen zu begleiten. ... Und jetzt los Steffi.“. Sicher ahnt jetzt jeder, was ich zuhören bekam. Steffi Görgens gab, von Schluchzen unterbrochen zu, dass die ganze Geschichte freierfunden wäre und sie zu ihrer Aussage erpresst worden sei. Aus Übermut hatte sich Steffi am Oben-ohne-Baden in Holland beteiligt. Davon hatte dann eine Klassenkameradin mit Sabrinas Apparat eine Aufnahme geschossen. Dieses just in dem Moment, als ich sie bat ihre Oberteile wieder anzulegen, weil ich keinen eventuellen Ärger mit ihren Eltern haben wollte. Mehr ist in der Tat unter meiner Mitwirkung in Holland nichts geschehen. Allerdings haben Sabrina und Steffi meiner Bitte keine Folge geleistet und Steffi hat darauf bekundet, dass ich aufgrund meiner abgeschnitten Vorhaut ein prüder Hund sei. Dieses Wissen hatte sie tatsächlich von Karins Geburtstag, was ja auch von Bernd vermutete wurde. Als dann die Holland-Bilder aus Sabrinas Kamera fertig waren bekam sie einen Mordsschock und erklärte, dass ihr Vater von der Oben-ohne-Geschichte nie erfahren dürfe, denn dann wäre es bei ihr aus. Jetzt vor zirka fünf Wochen war Sabrina mit mehreren Abzügen von dem fraglichen Bild bei ihr aufgetaucht und hatte ihr mitgeteilt, dass ihr Vater dieses jetzt auf jeden Fall zusehen bekäme, entweder mit der Wahrheit oder mit der Geschichte, die sich Sabrina ausgedacht hatte. Sie entschied sich aus Angst vor ihrem Vater für die Lüge. Steffis Vater setzte sich mit Sabrinas Eltern in Verbindung und war mit diesen der Meinung, dass die Sache angezeigt werden müsste. Damit begann für Steffi die Hölle, denn die Konsequenzen hatte sie nicht bedacht und gewollt. Jetzt war sie heil froh, dass Bernd und Karin ihr angeboten hatten, ihr bei der Bereinigung zu helfen. Nachdem Steffi ihre Beichte beendet hatte, merkte Karin noch an: „Mensch Günter, du bist immer noch ... ich meine es jetzt nett ... der kleine dumme Junge geblieben. Du wusstest doch, dass ich jetzt Görgens heiße und dieser Name in Nordreich nicht häufig vorkommt. Warum hast du mich nicht gleich angesprochen. Ich hätte doch dir und sicher auch Steffi geholfen. Ich hätte dir auch noch einen weiteren Tipp geben können: Weißt du, dass Schmöckel, Sabrinas Vater, ein total verschuldeter Landwirt ist und das Mühlenfeld, was Gewerbegebiet werden soll, sein Hof ist. Du warst der erbitterteste Gegner des Gewerbegebietes, mit dem sich Schmöckel, wenn es durchgesetzt wird, sanieren will. Die Landwirtschaft will keiner haben und andererseits erzielt man für Grund in Gewerbegebiete doch deutlich bessere Preise wie für Wiesen, Felder und Äcker. Da könnte eine Motivation liegen, dich fertig zu machen. Ich habe mit Bernd gesprochen und der will jetzt in dieser Richtung mal recherchieren. Also, sollte noch mal so etwas sein, komm gleich zu mir. Wir sind zwar geschieden aber wenn ich dir helfen kann, mache ich das ohne Wenn und Aber ... Was du mit Sicherheit auch im umgekehrten Fall tun würdest. Übrigens: Ich habe von Anfang an nicht geglaubt, dass du das getan haben könntest ... du bist einfach nicht der Typ dafür.“. Nach ihren Worten erhob sich Karin um sich zu verabschieden und prompt brach bei Steffi ein lautes Heulen und Jammern aus. Das Mädchen sackte in sich zusammen und zitterte am ganzen Körper. Dieses Häufchen Elend tat uns drei Erwachsenen aufrichtig leid; selbst auch mir, den sie mit ihrem falschen Zeugnis fast vernichtet hättet. Karin ging vor dem Sessel, in dem Steffi saß, in die Hocke, legte ihre rechte Hand auf ihre Schenkel und fragte: „Was ist denn, Kleines?“. Mit lauten Geschluchze stieß Steffi aus: „Vati ... ich will nicht zu Vati gehen ... ich will überhaupt nicht mehr nach Hause. Wenn mich Vati sowieso rausschmeißt, brauche ich mich doch gar nicht erst von dem halbtot schlagen zu lassen. Was meinst du, wie der mich schon zusammengeschlagen hat.“. Jetzt schauten sich Karin, Tina und ich uns entsetzt an, hatte sich das Mädchen doch aus Angst vor ihrem gewalttätigen Vater, der sich nach außen als der große Moralist darstellt, selbst zu einer Straftat hinreißen lassen. Sicherlich ist es, wenn man einen anderen eines Verbrechens beschuldigt, selbst eine schwerwiegende Straftat, der sich Steffi auch später vor dem Richter verantworten musste. Was sich da offensichtlich abspielte war mit Sicherheit das Gegenteil von Erziehung. Eigentlich sollten sich so etwas die Leute, die für drakonische Strafen als „Abschreckung“ sind, hinter die Ohren schreiben: Harte Strafen lassen nicht selten aus Fehltritten Verbrechen erblühen. Schon zur Zeiten Drakons im alten Griechenland war klar: Wer hart durchgreift potenziert im Gegensatz zu seiner Absicht das Verbrechen. Hier bei Steffi hatten wir ein simples Beispiel: Aus Angst vor der Schläge des Vaters wegen aus seiner Sicht „unmoralischen Verhaltens“ ließ sich das
Mädchen lieber zu einem Verbrechen, verleiten, unter dem sie selbst wohl fast genau so schlimm gelitten hat wie ich. Letztlich fasste mich dann doch das Mitleid mit dem Mädchen und ich wandte mich an Karin: „Geh doch bitte alleine zu deinem Schwager und lass das Mädchen hier. Bringe ihm das Ganze schonend bei und erinnere ihn an das Vater unser ‚vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben unseren Sündigern’, schließlich ist er ja so eine Art Pastor. Erzähle ihm, dass selbst ich, der eigentliche Betroffene dem entsprechend gehandelt hätte. Stimmt doch sogar, ich glaube, dass ich Steffi verziehen habe obwohl ich aufgrund ihrer Tat viel gelitten und verloren habe. Alle Aufgaben, an denen ich so gehangen habe bin ich los, beinahe hätte ich dabei auch noch Tina verloren und trotzdem habe ich ihr verziehen. Wenn du ihn damit überzeugen kannst, komme mit ihm hierher und dann werden wir weiter sehen. Ich glaube, das ist das Beste was wir in diesem Fall machen können.“. Mein Vorschlag wurde angenommen und Karin setzte sich auf dem Weg zu ihrem Schwager während sich das Mädchen ganz langsam beruhigte. Nachdem Karin schon eine Weile gegangen war, ich hatte zwischenzeitig sogar schon meinen letzten Arbeitsplatz aufgeräumt und war in die Wohnung zurück gekommen, taute Steffi auf: „Ach, das geschieht mir ja alles zu recht. Hätte ich, nachdem ich den Blödsinn mit dem Oben ohne gemacht habe, das gleich meinem Vater gestanden, dann hätte ich eine Tracht Prügel gekriegt ... oder vielleicht auch nur eine Woche Stubenarrest aber dann wäre alles in Ordnung gewesen. Stattdessen habe ich gegen Gottes Gebot verstoßen. Das 8. Gebot lautet: ‚Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinem Nächsten’. Ich habe gelernt, dass Gott die Gebote nicht erlassen hat um uns zu disziplinieren sondern er gab uns diese um uns zu schützen. Wenn ich ein falsches Zeugnis über einen anderen ablege, muss ich doch nicht nur damit rechnen, dass ich diesem einen schweren Schaden zuführe sondern auch, dass sich der Betroffene zurecht wehrt. Siegen tut zu letzt immer die Wahrheit, denn einer Lüge kann man nicht unendlich weitere plausible Ausschmückungen hinzufügen. Dann schlägt alles auf einen zurück ... und das ist für die Lügnerin sehr schlimm. Hätte ich doch nicht gegen Gottes Gebot verstoßen.“. Ich glaube, dass das von keinem Pastor hätte besser formuliert werden können. Nach etwas mehr als zwei Stunden kam auch Karin zurück. Sie wirkte niedergeschlagen und schwer enttäuscht. Steffis Vater hat sauer reagiert, wollte keine Gnade walten lassen und hat seiner Tochter die elterliche Heimstatt aufgekündigt. Karin hatte zwei Koffer und eine Reisetasche mit Steffis Sachen im Auto und beabsichtigte eigentlich der Nichte ihres Mannes Asyl zu gewähren. Da unterbreitete Bettina einen anderen Vorschlag: „Wissen sie Frau Görgens, wir haben hier ja auch Platz. Unser kleines Zimmer, wie wir immer sagen, war ja früher mal das Zimmer meiner Susi. Eine Schlafcouch steht da auch. Da könnte sich doch Steffi ... natürlich nur wenn sie will, einrichten. Natürlich habe ich dabei auch einen Hintergedanken: Wenn Steffi doch freiwillig zu uns zieht, also keine Angst vor Güni hat, müsste das doch für die Leute der Beweis sein, dass an der Sache wirklich nichts dran war außer einer Jugendsünde der Mädchen und wir können für Steffi den Beweis erbringen, dass wir beziehungsweise Güni ihr verziehen hat und sie sich deshalb in Zukunft nicht mehr ihr Gewissen belasten muss.“. „Tante Karin, das würde ich sehr gerne machen.“, wandte sich Steffi an meine Exfrau, „Ich glaube, dass man so etwas als Täter-Opfer-Ausgleich bezeichnen kann und es ist mehr als ich verdiene. Und vor ihnen, Herr Berger, habe ich wirklich keine Angst, denn sie sind so, wie ich mir meinen Vater gewünscht hätte.“. Darauf bestätigten die beiden Frauen zu meiner Rührung noch, dass ich ein wirklich feiner Kerl wäre und die Sache war beschlossen. Auf dem ersten Blick erscheint einem spontan öfters mal so großartig was sich dann im realen Ablauf dann als nüchtern und simpel darstellt. Im Grunde hatte ich mir das Asyl für die junge Sünderin diesbezüglich großartig vorgestellt. Nach meinen Vorstellungen sollten die Nachbarn fragen und dann von der Reumütigen erfahren, dass ich kein Verbrecher sondern ein Edelmann bin. Dann wäre ich rehabilitiert und könnte wieder aufrechten Hauptes unter die Nachbarn treten. Aber denkste, kein Mensch interessierte sich für das Mädchen, das in die Wohnung des vermeintlichen Sittenstrolches eingezogen war. Bettina versuchte sogar mit allerlei Tricks auf diese Wendeerscheinung im Fall Günter Berger aufmerksam zu machen aber offensichtlich wollte keiner die Wahrheit hören, eine Sensation live erleben ist scheinbar viel interessanter als die Wahrheit nüchtern wahrzunehmen. Auch für Steffi war der Unterschlupf bei uns nicht das, was sie sich davon versprochen hatte. Einerseits waren wir für sie, auch wenn sich Tina rührig um sie kümmerte, unverändert Fremde und in der Situation, in der sich befand, brauch man doch mehr Vertraute, mit denen man sich aussprechen kann. Da waren wir am dritten Tage von Steffis Aufenthalt, recht froh als ihr Vater in Begleitung von Karin erschien um jetzt geläutert seine Tochter wieder heimzuholen. Herr Görgens fühlte sich uns gegenüber auch nicht ganz wohl in seiner Haut. Er, der als Superchrist und großer Moralist auftritt, war ja uns gegenüber als gewalttätiger Familienvater enttarnt worden. Jetzt musste er noch bekennen, dass man ihm im Familien- und Verwandtenkreis doch gehörig den Kopf gewaschen hatte. Er hatte sich den Vorwurf gefallen lassen müssen durch seine harte und aus der Sicht fast aller Anderen weltfremden Haltung das ganze Theater heraufbeschworen zu haben. Dieses sah er inzwischen auch ein und zeigte sich bußfertig. Seine Reue schien echt gewesen zu sein, denn sie wurde ihm von seiner Tochter mit Freudentränen abgenommen. Sicherlich wäre sie die Erste gewesen, die geheuchelte
Zweckreue bei ihrem Vater durchschaut hätte, denn wer kennt sich schon besser als Familienangehörige untereinander. Ich kann mir vorstellen, dass Vater und Tochter recht froh waren, schnell – nach etwa 20 Minuten – unser Haus verlassen zu können. Karin hatte ihre Mission beendet und blieb aber zunächst einmal bei uns. Daraus wurden dann geschlagene zwei Stunden. Wir unterhielten uns über die durch die Sache entstandene, für uns komische Situation. Da saßen wir nun zu Dritt und beide Frauen hatte ich mal aus Liebe geheiratet. Karin bezeichnete unser Auseinandergehen als ein Geschehen aufgrund einer schweren, uns umgebenden Situation, die aber nichts mit erloschener Liebe zutun habe. Sie würde auch heute noch oft etwas wehmütig an mich zurückdenken. Mit ihrem zweiten Mann habe sie aber auch eine große Liebe gefunden und möchte eigentlich nicht zurück. Ihren jetzigen Mann bezeichnete sie als absolutes Gegenteil seines Bruders. Der wäre lebensfroh, weltoffen, tolerant und sehr sanftmütig. Tina meinte darauf, dass, abgesehen von meinem Jähzorn, die Beschreibung auch auf mich zutreffen würde. Darauf erwiderte Karin: „Ach, mein Männe ist auch jähzornig. Ich glaube, dass es sich für uns Frauen nicht lohnt sich scheiden zu lassen, denn wir fallen ja sowieso wieder auf die gleiche Type rein. Pass mal schön ... oh sorry, passen sie ...“, An dieser Stelle wurde sie dann von Tina unterbrochen: „Wir sollten es beim Du belassen. Ich bin die Bettina und nach all’ den Jahren kennen wir doch die Position wo wir jetzt hingehören, da könnten wir durchaus sogar Freundinnen werden.“. Ich glaube nun, Mai 2003, dass dieser Fall tatsächlich eingetreten ist: Bettina und Karin sind, man kann schon sagen dicke Freundinnen geworden und wir haben des Öfteren Kontakt miteinander, was auch zu einem erweiterten Kontakt zu meinen „Kindern“ führte – auch zu Tanja, meiner Tochter, die nach der Scheidung doch auf Distanz gegangen war, mehr noch: sie wollte seitdem nichts mehr von mir wissen. So hatte die letzte böse Zeit in meinem Leben doch etwas Gutes, was ich als positive Fügung wahrgenommen habe. Heute würde ich mich keine Minute mehr scheuen meinen eigenen Sohn als meine anwaltliche Vertretung zu wählen. Meinen damaligen Fall hatte er in der Hauptsache innerhalb weniger Tage außergerichtlich gelöst. Nachdem Steffi zur Wahrheit gefunden hatte, bat er auch Sabrina zu einem Gespräch, dem sie ohne das Wissen ihrer Eltern und ihres Großvaters nachkam. Auch sie fiel gleich, nachdem Bernd sie auf die eventuellen Konsequenzen für sie aufmerksam gemacht und sie davon unterrichtet hatte, das Steffi ausgepackt habe, um. Das Tollste, was sie aus meiner Sicht Bernd gestand, war dass sie es noch nie mit einem Mann oder besser gesagt einem Jungen zutun gehabt hätte. Sie bot Bernd für den Fall, dass ihr Vater und insbesondere ihr Großvater Schwierigkeiten machten, ein frauenärztliches Attest, dass da nichts gewesen sein konnte, an. Das war nun erstaunlich. Sabrina gestand ein, dass sie von ihrem Großvater zu diesem falschen Zeugnis gegenüber mich gezwungen worden sei. Er setzte sie damit unter Druck, dass ich die Existenz ihrer Familie vernichten könnte und wenn sie nicht mitspiele, die ganzen Schmökels und Neuhoffs demnächst am Hungertuch nagen müssten. Damit ist jetzt auch raus, das Karin mit ihrer Mutmaßung, dass der Hintergrund das zum Gewerbegebiet erkorene Mühlenfeld im Besitze des total überschuldeten Schmöckel war, recht hatte. Da wird jetzt mancher sagen, dass das kein Grund sei, einen Anderen eines Verbrechens, welches er nicht begangen hat zu beschuldigen. Nun, ich habe mir aber sagen lassen, dass so etwas gar nicht so selten sei. Des schnöden Mammons Willen sind Mensch zu vielen, bis hin zum Mord, bereit. Das geht ja bis zur kriegerischen Politik. Denken Sie doch nur einmal an den letzten Irakkrieg. Da fällt doch auf dem ersten Blick auf, dass die komplette Bush-Administration den Öl- und Energiekonzernen entstammt. Ihr privates Vermögen beruht darauf, dass die Leute Energie verprassen. Energie sparen ist nicht im Sinne der Lieferanten. Deshalb versperrt sich die USA ja auch dem Kioto-Abkommen, mit dem man eigentlich die lebenserhaltene Funktion unserer Atmosphäre erhalten möchte. Die primären Rohstoffe, aus denen man Energie erzeugen kann – und hier insbesondere das Öl, werden immer knapper und da müssen, die, die sich mit der Energieverschwendung unsinnig reich zocken, schon zusehen, dass sie alle noch vorhandenen Ressourcen unter ihre Kontrolle bringen. Na ja, da waren dann BushCowboys auch mal bereit Blut zu opfern. Sie malten das Horrorgespinst von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein, mit denen er sogar die USA bedrohe, an die Wand und starteten damit ihren Raubfeldzug. Bis jetzt hat man diese Massenvernichtungswaffen nicht gefunden und ich schätze, dass man da, wenn sie nicht vom CIA dahin geschafft werden, auch nie welche finden wird. Wahrscheinlich alles nur Lügen im Dienste des Gottes Mammon; der amerikanische Tanz ums Goldene Kalb. Aber wer will schon die Wahrheit hören? Sabrina, die übrigens nach dem Einschreiten Bernds zusammen mit Steffi zur Kripo ging und die Sache richtig stellte, konnte die Beweggründe, warum ihr Großvater sie in die Sache getrieben hat, natürlich nicht erklären. Für sie, die ihren Großvater mal sehr geliebt hatte, brach übrigens eine Welt zusammen und aus Liebe wurde Hass. Auch Neuhoff packte nicht gleich aus sondern ließ sich alles nach und nach aus der Nase ziehen. Erst jetzt, über ein halbes Jahr später, kann man sich die Geschichte in logischer Folge zusammenreimen. Schmöckel wirtschaftete etwas glücklos auf seinem Hof und wurde dabei noch von einigen Rückschlägen, zum Beispiel einem BSE-Verdacht in Folge dessen seine 15 Kühe gekeult wurden, getroffen. Im Verhältnis dazu führte er ein etwas zu großspuriges Leben. So geriet er immer tiefer in die Schuldenkrise. Da kam in der Verwaltung ohne sein
Beitun und auch ohne Nachhilfe seines Schwiegervaters die Idee von dem Gewerbegebiet, was Nordreich nach Ansicht des Bürgermeister zur längerfristigen Haushaltssicherung unbedingt gebrauchte, auf. Da sahen Neuhoff und Schmöckel Licht am Horizont und sie glaubten sich schon gerettet. Das Gewerbegebiet fand aber nur in der SPD, der Partei, der auch der Bürgermeister angehört, und in deren Geleitzug bei den Grünen, seine Gegenliebe. CDU und F.D.P. favorisierten da ein größeres Gelände, welches sie mit der Nachbarkommune als Gewerbegebiet erschließen wollten. In der UWG, die im Rat das Zünglein an der Waage darstellt, zeigte sich die Tendenz, dass man beide Gewerbegebiete ablehnen wollte, da es nach unserer Ansicht nicht angehen konnte, dass man aus kommunaler haushaltstechnischer Eigenbrödelei die Landschaft zersiedelt und sie so für die Nachwelt zerstört. Außerdem sahen wir hinsichtlich der Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft erhebliche Risiken bei der Ausweisung von Gewerbe- und Neubaugebieten. Bei uns gab es nur einen, der sich wild entschlossen für das Gewerbegebiet Mühlenfeld einsetzte: Karl Gustav Neuhoff. Seine persönlichen Gründen sind, wenn wir die Geschichte kennen, nachvollziehbar und verständlich. Er eröffnete innerhalb unserer Gemeinschaft einen wilden Kampf um unsere Zustimmung zum SPD-Antrag durchzudrücken. Ich, mit meinen linken Ansichten, war ihm schon von jeher ein Dorn im Auge und so schoss er sich auf mich ein. Er kannte mich ja schon von Kindesbeinen an und wusste von meiner Kriegsdienstverweigerung und wollte mit diesem Wissen, zuerst nur in der UWG, gegen mich, dem ärgsten Gewerbegebietgegner, punkten. Er hatte aber die rechte Gesinnung bei unseren Leuten überschätzt, es wollte ihm keiner folgen und so gelang es ihm nicht mich kaltzustellen. Ganz im Gegenteil nominierten mich unsere Leute zum Fraktionsvorsitzenden. Allerdings hatte es zu diesem Zeitpunkt schon reichlich Scherben wegen des Gewerbegebietes gegeben, was ja auch der Hintergrund für den Rück- und Austritt unseres damaligen Fraktionsvorsitzenden Hannsfrieder Knauer war. Neuhoff beschloss gegen mich zu kandidieren und zog da auch die Zicken, die sich um meine Kriegsdienstverweigerung rankten, sowie meine Pleite gegen mich aus dem Hut. Als er merkte, dass er damit fraktionsintern das Gegenteil erwirkte ging er mit seiner Schlammkanone auch in die Öffentlichkeit. Damals war ich wild entschlossen mich der Sache zu stellen. Gleichgültig ob ich Fraktionsvorsitzender geworden wäre oder nicht, wollte ich im Rat das Gewerbegebiet ablehnen. In dieser Zeit, genau gesagt einen Tag bevor ich ihn zusammen mit Tina Neuhoff zur Rede stellen wollte, besuchte Sabrina ihren Großvater und die beiden haben sich über strenggläubige Zeitgenossen unterhalten. Was ja zunächst mit der Sache nichts zutun hatte. Dabei kamen sie unter anderem auf die Mitglieder der evangelischfreikirchlichen Gemeinde und in diesem Fall besonders auf Sabrinas Klassenkameradin Steffi Görgens zu sprechen. Sabrina zeigte ihrem Großvater die beiden Abzüge von dem berüchtigten Bild – ein Abzug war ursprünglich für sie selber und einer ursprünglich für Steffi bestimmt – und kommentierte, dass so etwas doch heute ziemlich normal sei. Oben ohne sei doch heute nichts besonderes mehr, das bekäme man doch mittlerweile an allen Stränden und in vielen Freibädern zusehen. Trotzdem hätte Steffi furchtbar Angst, das ihr Vater diese zusehen bekäme, da ihr Vater, ein Glaubensfanatiker, ihr sonst die Hölle bereiten würde. Neuhoff sah sich eines der beiden Bilder genau an und fragte Sabrina, wer denn der Mann, den man da nur mit dem Rücken sehen könnte, wäre. Bereitwillig gab Sabrina Auskunft und erzählte auch wie sie reagiert haben. Dabei sagte sie dann auch, dass ihr Steffi in dem Zusammenhang sagte, dass ich wohl aus dem Grunde, dass ich Phimose gehabt habe, ein Wenig prüde wäre. In diesem Moment wurde in dem alten Neuhoff ein böser dunkler Plan zum Leben erweckt. Er kam auf die angespannte wirtschaftliche Lage von Sabrinas Familie zu sprechen und stellte ihr eine düstere Zukunft in Armut in Aussicht. Die „vernünftige“ Umwandlung des Mühlenfeldes in ein Gewerbegebiet könne ihnen aber helfen, da wieder herauszukommen. Da war aber nach Neuhoffs Ansicht diese wichtigtuerische Type von Günter Berger, der auf dem besten Wege wäre dieses zu verhindern. Jetzt unterbreitete er dem, inzwischen von Existenzängsten beherrschten Mädchen das was man mir wie unterstellen sollte. Dadurch würde ich vernichtet und der Weg zur Rettung der Familie Schmöckel wäre frei. Auch die Erpressung Steffis hatte sich Neuhoff ausgedacht. Eines der beiden Bilder behielt er und dieses landet ja dann in Tinas Händen und das andere landet mit dieser üblen Story bei Görgens und von dort gelangte es dann zur Kripo. Görgens und Schmöckel müssen in etwa zur gleichen Zeit, wo ich mit Tina bei Neuhoff war, bei der Kripo gewesen sein. Nachdem Steffi und Sabrina gestanden hatten war Neuhoff isoliert. Sowohl sein Schwiegersohn wie seine Tochter hatten trotz ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage kein Verständnis für das Vorgehen des Alten. Sie schrieben mir einen, doch sehr netten Brief in dem sie sich für alles das, was man mir angetan habe, entschuldigten. Sie vergewisserten mir, dass sie von den wahren Vorgängen nichts gewusst hätten und dass diese Dinge, die da geschehen waren, auf keinem Fall in ihrem Sinne gewesen wären. Sabrina entwickelte, so wie ich schon schrieb, immer mehr Hassgefühle gegenüber ihren Großvater, von dem sie heute nichts mehr wissen will. Gegen Neuhoff und gegen die beiden Mädchen leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein. Die beiden Mädchen ließen sich von Bernd anwaltlich vertreten. Das Verfahren ist inzwischen beim Amtsgericht gelaufen und die Mädchen kamen, wahrscheinlich dank der Hilfe Bernds und meiner für sie günstigen Aussage mit einem
blauen Auge davon. Um nicht zur Nachahmung anzureizen unterlasse ich es lieber den, für Sabrina und Steffi, sehr milden Ausgang hier zu „verraten“. Neuhoff hat sich allerdings ein paar Monate in ein einer Pension namens „Justizvollzugsanstalt“ eingehandelt. Er hat gegen das Urteil allerdings Berufung eingelegt. Bernd meint dazu, dass es sogar für ihn noch schlimmer werden kann, da das Urteil des Amtsgerichts, und hier im Hinblick auf die beiden minderjährigen Mädchen das Jugendgericht, in Hinsicht auf sein höheres Alter und aufgrund der Tatsache, dass er bisher straffrei durchs Leben gegangen war, auch noch milde ausgefallen sei. Dem müsse das Landgericht nicht unbedingt folgen und ein Jugendgericht wird es auch nicht sein, da die Mädchen ihr Urteil angenommen haben und so aus der Sache raus sind. Für die Leute, die sich dafür interessieren, was denn aus der eigentlichen, kommunalpolitischen Sache in der UWG und im Rat geworden ist, will ich auch dieses, bevor ich zum persönlichen Finale komme, hier auch noch kurz berichten. Innerhalb der UWG führte die Auseinandersetzung letztendlich zur Selbstauflösung. Drei der fünf Ratsmitglieder, darunter derjenige, der für mich nachgerückt war, wechselten zur SPD und einer zur CDU. Karl Gustav Neuhoff blieb zunächst als Parteiloser im Rat. Mit knapper Mehrheit fiel im Rat die Entscheidung für das Gewerbegebiet Mühlenfeld und im Moment läuft das Verfahren um auch von der Bezirksregierung dafür grünes Licht zubekommen. Die Zeichen dafür stehen allerdings nicht sehr günstig. Ob das der Familie Schmöckel hilft oder schon geholfen hat, kann ich nicht sagen, davon weiß ich wirklich nichts. Warum sollten die mich auch in ihre privaten wirtschaftlichen Angelegenheiten einweihen und in der Öffentlichkeit haben solche Dinge ohnehin nichts verloren. Auf jeden Fall bewirtschaften sie den Hof derzeitig noch wie eh und je. Jetzt könnte man sagen: Ende gut, alles gut. Der Fall ist aufgeklärt und die Bösen sind bestraft. So leicht kann ich es mir aber nicht machen. Abgesehen, dass ich meine Ämter und Mitgliedschaften, um die ich mich allerdings danach nicht mehr bemüht habe, los war, blieb doch eine ganze Menge an mir hängen. Nach der Aufklärung des Falles hoffte ich auf meine Rehabilitation aber kein Mensch interessierte sich für den Ausgang des Falles. Zuvor hatte man mich vorab verurteilt und als Sittenstrolch diffamiert. Als der Verdacht gegen mich aufkam wurde auch groß auf den Lokalseiten der beiden hier erscheinenden Zeitungen darüber berichtet, schließlich war ich ja ein bekannter Ratsherr und Vereinsmeier. Als die Sache aufgeklärt war erschien nur eine kleine Randnotiz, dass das Verfahren gegen mich wegen erwiesener Unschuld eingestellt worden ist – und mehr nicht. Das wurde natürlich nur von sehr wenigen Zeitungslesern beachtet und zum Tagesgespräch wurde es in Nordreich auch nicht. Das Ganze war wohl zu wenig sensationell für unsere voyeuristische Gesellschaft. Natürlich, wenn die Geschichte mit Neuhoff und den Mädchen an die große Glocke gekommen wäre, hätte diese Sensation die vorhergehende reingewaschen. Dann wäre ich in den Augen meiner sensationsbewussten Mitmenschen wohl als das arme Opfer von Leumund und Intrige groß rausgekommen. Aber woher sollte die Öffentlichkeit davon auch groß erfahren. Sicherlich ist es gut und vernünftig für die beiden Übeltätermädchen und deren Familie wenn die Geschichte nicht an die große Glocke gehangen wird. Deshalb habe ich, obwohl es mir persönlich genutzt hätte, darauf verzichtet die Presse mit Informationen zu spicken. Neuhoff zog sich, nach dem die Geschichte aufgeflogen war, diskret aus der Öffentlichkeit zurück. Er gab Gesundheitsgründe vor, trat aus dem Rat zurück und zog sich ins Privatleben zurück. Öffentlich ist er seitdem nicht mehr in Erscheinung getreten. Selbst als er vor dem Kadi stand, wurde hiervon öffentlich nichts erwähnt. Das kann sich vielleicht noch ändern, wenn das Verfahren vor dem Landgericht läuft. Aber wer weiß das schon. Alle Leute wollen möglichst viel Sensationen erfahren aber wer will schon die Wahrheit, die meistens langweilig erscheint, hören. Na ja, so werde ich nach wie vor den abwertenden Blicken und dem Gerede der Leute verfolgt. Meine verlorene Ehre lässt sich wohl nicht so schnell wiederfinden. Aber ich habe es Tinas unermüdlichen Beistand zu verdanken, dass ich das immer noch bestehende Spießrutenlaufen mittlerweile ertragen kann. Meine bessere Hälfte machte mir klar, dass das, was in den Köpfen der Masse vorgeht, vollkommen uninteressant sei. Wichtig sei das, was die Leute, die mich unmittelbar umgeben von mir denken würden. Da würde es doch für sie so aussehen, dass ich der beste Mann der Welt, den sie mit keinen anderen eintauschen möchte, sei. Mit mir, und nur mit mir, möchte sie alt werden. Selbst meine geschiedene Frau würde trotz allem noch eine hohe Meinung von mir haben. Meine eigenen Kinder würden darauf stolz sein, dass ich ihr Vater sei. Das gälte jetzt auch für Tanja, die mich, weil ich ihre Mutter verlassen habe, bislang ablehnte. Und für die Kinder meiner Kinder wäre ich genau so wie für Steffis Kinder, der Opa, den sie gerne haben. An mich würde sich niemand wegen meines Geldes wenden – das hätte ich nämlich nicht – sondern immer nur wegen des Menschen, der Person, die sie gerne hätten. Mit der Rede, die sie häufiger hielt und hält, stimmte sie mich immer sehr rührselig aber auf der anderen Seite auch stolz ... und das gab mir enorm Kraft um den abfälligen Blicken der Bürger, die nach wie vor, in mir den Sittenstrolch sahen, begegnen zu können. Tina meinte, den Leuten könnte ich erzählen was ich wollte aber die Wahrheit wollten die bestimmt nicht hören. Die beiden Übeltäterinnen Sabrina Schmöckel und Steffi Görgens sind, wenn sie mir auf der Straße begegnen betont freundlich. Sie blieben auch bei jeder Begegnung stehen um mit mir nach einem Handschlag ein paar freundliche Worte zu wechseln. Allerdings habe ich dann immer den Eindruck, dass ihnen dabei nicht so ganz
wohl in ihrer Haut ist, was ich allerdings verstehen kann. Für mich stellt dieses aber immer einen wohltuenden Augenblick dar, da ich ihnen dann immer wieder beweisen kann, dass ich ihnen aufrichtig vergeben habe. Und auch so etwas ist ein erhebendes aufbauendes Gefühl. Wenn ich so an frühere Anlässe denke, bei dem es mir innerlich nicht möglich war zu vergeben, fallen mir immer meine eigenen inneren Schmerzen, die durch Hassund Rachegefühle hervorgerufen wurden, ein. Da ist es schon so, wie es heute ist, wunderbar. Übrigens, auch die Eltern der beiden Mädchen lassen es sich bei einer Begegnung nicht nehmen, zu einem kurzen Gruß und der Frage nach dem Befinden stehen zu bleiben. Auch Karl Gustav Neuhoff begegne ich ab und mal auf der Straße, was ja in kleineren Städten wie Nordreich nicht ausbleibt. Aber der sucht dann sehr schnell die Flucht vor mir. Wenn ich es mir recht überlege ist er wohl der große Verlierer in der Geschichte. Das falsche Zeugnis wider seinem Nächsten war in sehr schwerer Weise auf ihn zurück gefallen. Nach diesem Vorfall stehe ich, wie berichtet, ohne ein gesellschaftliches Engagement da. Nirgendwo bin ich in Amt und würden, ich bin heute noch nicht einmal mehr Mitglied in einem Verein. Damit stehe ich jedoch nicht allein. Auch Bettina ist aus Solidarität zu mir überall ausgetreten. Mittlerweile streben wir auch nichts mehr in diese Richtung an. Was soll es auch. Eines Tages wird ohnehin alles zu Staub und Asche und nur unsere Seelen, unser Bewusstsein, wird ewig leben. Davon bin ich aufgrund meines christlichen Glaubens felsenfest überzeugt. Dann wird es darauf ankommen wie fit diese für das ewige Leben sind und womit wir unser Bewusstsein angereichert haben. Da zählt nicht mehr Reichtum, Ruhm Macht, Ehre und Geltung sondern nur das, was wir im wahrsten Sinne des Wortes erlebt haben. Und worum geht es bei der ganzen Vereinsmeiereien oder bei dem Parteisoldatentum im Grunde eigentlich? Sicherlich man engagiert sich für den Erhalt und Fortbestand der Umwelt und des Umfeldes; sagen wir ruhig auch der Schöpfung. Aber ist das die wahre Motivation oder ist es wirklich nur unser Streben uns aus der Masse heraus zuheben, also das Streben nach Reichtum, Ruhm Macht, Ehre und Geltung. Das merkt man dann erst recht, wenn mit solchen Bandagen, wie in unserer Geschichte, gekämpft wird. Wenn man sich nicht scheut, einen Mitmensche zu verletzen und in seiner Würde herabzusetzen. Ja, nicht nur das sondern wenn man sogar bereit ist einen Anderen zu vernichten. Sicher, diesmal war ich das Opfer. Aber können wir uns davon freisprechen auch mal der Täter zu sein? Sicher ist Neuhoff nicht mit dem Vorsatz mich zu vernichten in die Runde gegangen sondern er wollte doch nur den Besitz und die Existenz seines Schwiegersohnes und dessen Familie retten. Dabei hat er sich dann letztlich so verrannt, wie ich es geschildert habe. Das war bestimmt nicht seine Absicht. Wenn ich jetzt an mein Gefühlsleben, damals in der Zeit, als ich die tolle Pleite hinlegte, zurückdenke, kann ich mir vorstellen, dass auch ich auf eine solche schiefe Bahn hätte geraten können. Also, man sollte, bevor man mit Steinen auf die Anderen wirft, immer bedenken, dass wir alle aus einem „Holz geschnitzt“ sind und niemand der geborene Kriminelle ist. Dank dieser Einstellung, die mir auch in Gesprächen mit meiner Tina gewachsen sind, empfinde ich eigentlich keinen Hass gegen Neuhoff und es gelüstet mich auch nicht nach Rache ... und das tut mir sehr gut. Aber alles in Allem wollte ich mir mit diesem Aufsatz diese Geschichte mal ganz von der Seele schreiben. Das habe ich jetzt erledigt und ich kann aufatmen und leben. Ich werde mich jetzt ganz auf Bettina und die Menschen, die es gut mit mir meinen und die auch ich im Gegenzug so sehr mag, konzentrieren und leben, leben, leben, ... . Dass ich mit einer solchen Einstellung noch mal in ein solches Loch geraten könnte, halte ich für ausgeschlossen. Und dafür, dass ich diese Einstellung bewahre, will ich streben. Und damit komme ich zum Schluss, ich muss nur noch einen Punkt dahinter setzen – was hiermit geschieht.
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Sieger im Bett der Nachbarin Dank der Tatsache, dass ich mich nie in meinem Leben mit dem zufrieden gegeben habe was ich hatte, musste ich jetzt einen mordsmäßigen Dämpfer einstecken, den ich mir erst einmal von der Seele schreiben muss. Nicht das Sie jetzt glauben, ich wolle, jetzt eine Denkschrift gegen den Ehrgeiz insgesamt schreiben. In diesem Fall haben Sie sich wirklich geirrt. Ständige Unzufriedenheit mit dem Erreichten und gesunder Ehrgeiz sind zwei Paar Schuhe, die man nicht verwechseln sollte. Ehrgeiz bezieht sich immer auf das Geben wollen und die eigene Person und die ständige Unzufriedenheit bezieht sich immer auf das Nehmen wollen und auf das was andere haben und/oder sind. Ein Mensch mit gesundem Ehrgeiz will alles Geben was in ihm ist, er will alles aus sich herausholen. Das er dann auch die Früchte seines Strebens ernten möchte, darf beruhigt nicht als legitim und selbstverständlich angesehen werden. Dem Unzufriedenen ist immer alles Erreichte und Erworbene zu wenig, er begehrt immer mehr und insbesondere das was andere haben. Das geht sowohl nach Unten wie nach Oben. Im Extremfall missgönnt er den Schwachen das Wenige was sie haben weil er auch diese Aufwendungen für das Dürftigste in seinen Taschen besser aufgehoben sieht. Und die andere Richtung, dass er am Liebsten Bill Gates oder mindestens Theo Albrecht wäre ist ohnehin klar. In der Regel sieht es dann auch so aus, dass diejenigen, die Nehmen wollen in Wirklichkeit wenig Bereitschaft zeigen hierfür auch etwas zu leisten. Sie halten es lieber mit Taktik und Strategie. Mit anderen Worten: Sie wollen das, was andere haben, mit Tricksereien oder gar üblen Vorgehen in den eigenen Besitz umleiten. Wenn ich, Hans Peter Birgel, etwas ehrgeiziger und weniger begehrender gewesen wäre, hätte ich es so gut haben können. Ich hatte eine gute Ausgangslage und beste Voraussetzungen. Mein Vater war hier in Bergstatt, einem größeren Dörfchen mit heute zirka 3.400 Einwohnern, das seit 1975 zur Stadt Friedeau gehört, der einzigste Arzt. Andere hatten hier im Dorf aufgrund seiner Beliebtheitsquote keine Niederlassungschance gegenüber ihm. Ich hatte, wie man sich das sicher denken kann, die Chance, seine Praxis zu übernehmen, was ich mir schon mit meiner schulischen Karriere, die von Faulheit geprägt war, verdorben habe. Ich packte das Abitur nicht und musste mich mit einer Fachhochschul-Reife um einen anderen Berufsweg kümmern. Ich wurde dann, im Hinblick auf ein eventuelles Ingenieurstudium Maschinenbauer. Nach der Ausbildung habe ich auch studiert aber ein Ingenieur ist aus mir nicht geworden. Statt mit Studieren hielt ich es lieber mit den „Weibern“. Ich war hier in der Gegend der berühmteste „Ausspanner“. Wer von meinen Freunden eine tolle Braut hatte durfte mir mit dieser nicht unter die Augen kommen – sonst war sie ausgespannt. Manche Freundschaft habe ich mir damit kaputt gemacht. Na ja, trotz allem konnte ich eine Karriere starten – aber, wie man es sich vielleicht denken kann, nicht aus meiner Leistung heraus. Michaela Rau, die Tochter des Friedeauer Spediteurs Heinrich Rau, war in mich verknallt und ich ließ mich von ihr einfangen. Allerdings fand ich erst nicht den Zuspruch meines etwas konservativen Schwiegervaters. Mein Ruf als ausspannender Betthupfer hatte sich hier in der kleinstädtischen, ländlichen geprägten Gegend nicht gerade zu meinen Gunsten herum gesprochen. Da musste ich anno 1981 erst einmal unseren Kevin zeugen um für ihn als Schwiegersohn in Betracht zu kommen. Als Papa davon, dass ich ihn zum Opa machen würde, erfuhr musste dann Ruckzuck auch auf Wunsch meiner, auf Familienruf bedachten Schwiegermutter geheiratet werden und ich musste anschließend dann noch eine Ausbildung zum Speditionskaufmann machen. Aber allen Unkenrufen zum Trotz wurden Michaela, Kevin und ich eine an und für sich glückliche Familie und mein Schwiegervater baute mich zum Juniorchef in seinem Unternehmen auf. Auch eine nicht zu verachtende Bleibe erhielt die junge Familie Birgel. In der Bergstätter Straße „Am Waldsee“, der allerbesten Wohngegend nicht nur im Dorf sondern in ganz Friedeau, baute uns der „Schwiegerolle“ auf 3.000 Quadratmeter Grund ein schickes Häuschen mit schlappen 185 Quadratmeter Wohnfläche. Hinter unserm Grundstück beginnt der Wald und auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Ufer des Waldsees, der der Straße den Namen gegeben hat. Der Geschäftsverlauf des Speditionsunternehmens war zu allen Zeiten bis heute immer so, dass wir davon echt gut leben konnten. Ich glaube als Arzt hätte ich wirtschaftlich keinen besseren Schnitt gemacht. Nun, was sagen Sie: Kann man damit zufrieden sein? Natürlich gab es auch dunkle Tage in unserem Leben, die gehören wohl dazu. Einer war zum Beispiel 1989 als mein Schwiegervater seiner zwei Jahre vorher gestorbenen Gattin ins Grab folgte. Michaela, das einzigste Kind aus dem Hause Rau, erbte in folge dessen alles was ihr Vater aufgebaut und zusammengebracht hat. Jetzt aber von einem weiteren Glücksfall zu sprechen ist nicht nur makaber sondern sogar falsch. Abgesehen, dass Heinrich Rau ein feiner Kerl war, den ich sehr gerne gehabt habe, hinterließ er uns doch eine Menge Arbeit und Verantwortung für die Spedition. Bis zu seinem Tod hatte ich eine geregelte Arbeitszeit, fast wie ein echter Angestellter und wir konnten auch Jahr für Jahr für zwei bis drei Wochen zwecks Urlaub in sonnige Gefilde reisen. Damit war es jetzt vorbei; nun ich musste ran und was tun. Das Arbeit nicht so meine Sache ist, habe ich ja schon ein Stückchen weiter vorne angedeutet. Dazu kam, dass es in der Spedition unter meiner Leitung anfangs sowohl innerbetrieblich, also mit dem Personal, wie im Kundenkreis nicht so lief wie zuvor bei meinem
Schwiegervater. Vieles hing halt von seiner starken Persönlichkeit ab. Aber was soll ich klagen, denn letztlich haben wir es geschafft und es ging uns nicht schlechter wie zuvor; also es ging uns nach wie vor gut. Zehn Jahre später, also 1999, traf es mich dann so hart, dass es mich beinahe aus der Bahn geworfen hätte. Im Alter von nur 42 Jahren starb Michaela an Krebs. So wie ich durch sie einstmals Halt gefunden hatte war ich nach ihrem Tod im Begriff diesen wieder zu verlieren. Auch unseren Kevin, der sehr an seiner Mutter gehangen hat, traf es sehr schwer. Er, der im Gegensatz zu seinem Vater immer ein Musterschüler war, folgte beim Abitur meinem Beispiel und schmiss dieses. Sowohl auf meinen väterlichen Rat wie auch auf seinen eigenen Wunsch ging er zu einem befreundeten Kollegen nach Süddeutschland um sich in alles, was einer Speditionsunternehmer wissen muss, einweihen zu lassen, sprich auch er erlernte den Beruf des Speditionskaufmann. Na ja, da ist der Junge dann auch hängen geblieben; die wirklich hübsche Tochter meines Kollegen hat ihn den Kopf verdreht. Seit dem 12. Juni des vergangenen Jahr sind die Beiden miteinander verheiratet und ich habe bis vor Kurzem mit Kevins Schwiegervater verhandelt, wie wir unsere Unternehmen auch enger aneinander an einander binden oder eventuell sogar miteinander verheiraten können. Da nun Kevin in Süddeutschland war konnte sich hier vor Ort das alte Leben des Hans Peter Birgel wieder neu entwickeln. Ich begab mich erneut auf die Ausspanner-Tour und vernachlässigte doch einiges an meiner eigentlichen Aufgabe des Speditionsunternehmers. Nun, vom Ausspanner konnte man eigentlich nicht mehr reden, denn bei den Frauen handelte es sich jetzt nicht mehr um die Bräute der Freunde sondern um lustwandelnde Ehefrauen, die ich dann, wenn ich meinen Spaß mit ihnen gehabt habe gerne wieder in Richtung ihrer Ehemänner entließ. Also „Ausleiher“ wäre wohl der treffendere Ausdruck wie „Ausspanner“ gewesen. Das die Firma nicht unter dem ausschweifenden Leben seines Chefs litt habe ich wohl meinem besten Mann Horst Krüger zu verdanken. An dem erfahrenen Krüger merke ich, wie gut es ist nicht im Jugendlichkeitswahn auf gute ältere Arbeitnehmer zu verzichten. Krüger, der Ende dieses Jahres schon 62 wird, war immer ehrgeizig und engagiert und seine Erfahrungen kann man mit dem besten Studium nicht wieder wettmachen. Gegenüber Jüngeren hat er noch den Vorteil, dass er nun außer einem schönen Rentnerdasein nichts anderes mehr anstrebt. Bei ihm lief ich nicht Gefahr, dass er meine Schwäche für seine Karriere oder seinem eigenen Besitzstand missbraucht hätte. Eine durchaus menschliche Eigenschaft, die bei jüngeren Mitarbeitern nie auszuschließen ist. Also kurz: Dank Krüger lief der Laden auch in meiner Sturm- und Drangzeit nach dem Tode meiner Frau unverändert gut. Letztes Jahr im Frühjahr kam in mir dann doch der Gedanke auf wieder einmal zum echten Ausspannen überzugehen. Das Ziel meiner Begierde war Christina Weißmann, die 40-jährige Frau meines Nachbarn. Wenn es nur darum gegangen wäre, dass es sich um eine wirklich supersexy Frau handelt, hätte man dieses nachvollziehen und unter Normal abhaken können. Das sich bei „jungen“ Witwern, zu denen ich mich mit meinen 47 Jahren zähle, in dieser Richtung hormonell was bewegt ist doch eigentlich nicht auszuschließen. Aber trotz ihres Formates, was bei mir auch immer etwas anwachsen lässt, hätte ich, wenn nichts anderes gewesen wäre, wegen ihr oft zickigen und eingebildet überheblichen Art, wie ich aus meinen Beobachtungen schloss, die Finger von ihr gelassen. Das Andere, was mich anlockte war das, gegenüber meinem Anwesen mehr als doppelt so große Grundstück und Haus mit einem Swimmingpool, der hier im Dorf glatt als Freibad dienen könnte. Das Tollste daran: Es gehörte ihr, ihr ganz alleine. Sie war nicht, wie es oft der Fall ist, das Anhängsel ihres Mannes sondern es verhielt sich umgekehrt. Christina stammte aus der Industriellenfamilie von Brauckmann. Sie hat für Geld, das in ihren Kreisen von ganz alleine Junge kriegt, nie arbeiten müssen. Im Von-Brauckmann-Imperium sorgen ihre beiden Brüder dafür, dass der Dukatenesel immer wieder auf den goldenen Haufen scheißt. Ihr Mann, Holger Weißmann, ist ein an und für sich recht guter Opernsänger, der sich aber mit einer Anstellung beim Stadttheater einer nahegelegenen Großstadt begnügt. Warum sollte er auch bei dem Vermögen, mit dem ihn seine Frau aushalten kann, sich mehr ins Zeug legen. Andererseits müsste er, wenn er höher hinaus wollte, einen Ortswechsel vornehmen. Aber erstens war er an diesem Stadttheater der erste Mann und zweitens wäre die Frau mit so viel Geld auch für mich ein Grund gewesen, im Lande zu bleiben. Ich dachte, das was der Opernsängern kann, das kann ich auch. Natürlich meine ich das jetzt nicht in Richtung Gesang, da kann ich ja nicht einmal bei dem einfachen Kinderliedchen „Alle meine Enten“ Melodie und Takt halten, sondern ich meine jetzt beim Aushalten lassen. Eine tolle Villa, viel Geld und mittendrin eine Frau, die die männliche Fantasie zum Überschäumen bringen lassen kann, das war auch was für meines Vaters Sohn. Aber Ausspannen ist leichter gesagt wie getan. Ich musste ja erst einmal an die Frau, mit der ich bislang außer nachbarschaftliche Grüße nichts ausgetauscht hatte, ran kommen. Ein Kind von Traurigkeit schien diese Frau Weißmann ja nicht zu sein. Schon Michaela regte sich zu ihren Lebzeiten immer darüber auf, wenn ich von unserem Schlafzimmerfenster, von dem man einen guten Blick auf den Swimmingpool im Nebenhaus hat, nach Christina und ihren Besucherrinnen spannte. Offensichtlich verträgt die Umwälzanlage des Pools keine Textilfasern, denn alles, was sich in und um das Becken tummelte, tat diese in der, von der Geburt mitgegebenen Bekleidungsordnung. Auf jeden Fall sieht man so was „push up“ und was echt ist. Bei Christina war – oder ist immer noch – alles letzteres.
Aber ihr Mann war, wie ich von meinen Poolbeobachtungen wusste, von der sexuellen Proportion auch nicht gerade von schlechten Eltern. Ganz offensichtlich führte das kinderlose Ehepaar Weißmann ein tolerant flottes Leben. Sehr oft sah man sie, wenn mal gerade der oder die Andere nicht da zu sein schien, mit wechselnden Gästen, die dem jeweils anderen Geschlecht angehörten, vertraut in und um den Pool „rumtollen“. Na ja, da ließe sich vielleicht was machen, denn erstens habe ich auch ein Bisschen mehr als die durchschnittlichen 15 Zentimeter zu bieten und zweitens bin ich im Anmachen nicht ganz ohne Übung. Aber was habe ich davon? Ich will ja nicht nur mal mit meiner Nachbarin – Sie wissen schon was - sondern ich möchte mich in ihrer Villa einnisten und mir auf ihre Kosten ein schönes Leben machen. Die Spedition, die ich in zu jenem Zeitpunkt ganz in das süddeutsche Unternehmen einzubringen gedachte, hätte dann für den Fall der Fälle mein zweites Standbein sein können und ansonsten mit der Zeit in Kevins alleiniger Obhut übergehen können. Also sagen wir es mal ganz nüchtern: Nicht nur Sexus Lustus war meine eigentliche Triebfeder zur Nachbarin sondern ein Haufen schnöden Mammons, von dem ich mir ein lustiges Leben versprach. Mit dem „Bisschen“ was ich hatte war ich halt nicht zufrieden. Für den Fall, dass ich diese Geschichte mal vorlesen sollte, füge ich noch an, dass ich eben das Wort „Bisschen“ in Anführungsstriche gesetzt habe. An Realitätsverlust leide ich, zum Zeitpunkt dieser Niederschrift nun nicht mehr; was ich übrigens vor einem Jahr nicht so keck von mir hätte behaupten können. Aber alles schön der Reihe nach. Zunächst musste ich strategische Überlegungen anstellen. Womit sollte ich diese Frau rumkriegen, und zwar so, dass ich mich in das Bett ihres Mannes legen kann? Ich bin ein gar nicht armer Spediteur aber darüber kann die reiche Frau Weißmann nur lachen, ihr gegenüber bin ich ein armer Schlucker. Arm und reich ist eben relativ, es kommt immer nur auf die eigene Ausgangssituation an. Außerdem war ja der Reichtum der Weißmann der Ausgangspunkt meiner Bemühungen. Dann gibt es noch die Möglichkeit der potentere Mann zu sein. Aber entsprechend meines Eindrucks, den ich mir spannender Weise von Außen machen konnte, schien ihr Mann mir dahingehend zumindestens ebenbürtig zu sein. Ja, mit der Untreue ihres Mannes brauchte ich der Dame auch nicht zu kommen, denn sie trieben es ja beide gerne mal mit einem Zeitvertreib dieser Art. Komme ich überhaupt als Nachbar auf diese Art und Weise an sie heran? Dem Nachbarn kann man ja wohl schlecht sagen, dass er nach dem Tetache möglichst weit Leine ziehen soll, der bleibt einen, vielleicht sogar dauerhaft, in unmittelbarer Nähe erhalten. Nachbarn sind halt keine idealen Partner für einen Seitensprung. Ich konnte überlegen wie ich wollte, vorwärts und rückwärts, ich fand keine Lösung. Mir blieb nur eins: Ich musste es darauf ankommen lassen und von Fall zu Fall situationsbedingt entscheiden. Aber auch das sagt sich so leicht dahin, denn ich musste ja erst einmal an sie herankommen. Diese „wilden“ Überlegungen beschäftigten mich eine Zeit lang wo ich ging und stand. Selbst im Büro war ich mit den Gedanken statt bei der Arbeit bei meiner Nachbarin. Darauf sagte mir Horst Krüger besorgt, dass ich wohl ein Bisschen viel überarbeitete sei und empfahl mir mal wieder richtig Urlaub zu machen. Just in diesem Moment kam mir dann unverhofft der Zufall zur Hilfe. Im Büro erhielt ich einen Anruf von Frau Weißmann, dem Objekt meiner Begierde. Sie entschuldigte sich, dass sie mich bei der Arbeit störe aber sie habe gerade Besuch von Herrn Löwe, dem Chef vom gleichnamigen Garten- und Landschafts-Bau-Centrum. Dieses Unternehmen pflegen wir beide hinsichtlich der Arbeiten in unseren Garten- und Außenanlagen zu beauftragen. Sie wollte mal den Streifen zu unserer Grundstücksgrenze, ein damals auf jeder Seite etwa zwei Meter breiter „Urwald“, durchforsten lassen. Da wäre doch einiges was Dreck macht, zum Beispiel Lärchen, und mittlerweile würde dieser Streifen ihr in den Nachmittagsstunden und auch abends gehörig Licht wegnehmen. Herr Löwe hatte vorgeschlagen, dass sie mich darauf anspreche ob wir nicht gemeinsame Aktion machen wollten. Im Falle meiner Zustimmung wollte er gegebenenfalls am Spätnachmittag noch mal wiederkommen um die Angelegenheit mit uns gemeinsam durchzusprechen. Mensch, nach dieser Gelegenheit hatte ich so lange gesucht, da wollte ich nicht bis zum Vorabend warten und verkündete, dass ich ohnehin gerade nach Haus wolle, da mir das Büro irgendwie auf den Kopf falle, es müsse wohl die Frühjahrsmüdigkeit sein. Löwe sollte warten und ich düste gleich ab. Zunächst entschuldigte sie sich nach meinem Eintreffen dafür, dass der Gartenbauer so einen Druck gemacht habe. Aber das sei notwendig gewesen, da es eigentlich jetzt schon für solche Aktionen zu spät sei. Wenn wir nicht bis zum Herbst warten wollten müssten Löwes Leute schon am nächsten Morgen loslegen. Nach dieser einführenden Erklärung schritten wir dann zu Dritt durch unseren Grenzurwald. Wenn ich mir es nachträglich überlege hätten wir uns diese einstündige Aktion eigentlich sparen können, denn sowohl Christina Weißmann wie auch ich hörten uns nur jeden Vorschlag Löwes an, fanden ihn gut und stimmten ihm in Form einer Auftragsvergabe zu. Es ist jedoch gut, dass wir uns diese Stunde nicht gespart haben, denn noch nie war ich dieser Frau, deren Geld ehrlich gesagt das Ziel meiner Begierde war, so nahe wie jetzt. Noch nie hatte ich ihren Vollfrauduft so bewusst wahrnehmen können wie jetzt. Erstmalig konnte ich ihre charmante Art kennen lernen. Jetzt stellte ich fest wie anmutig sie sich bewegt und wie sie damit Männerherzen höher schlagen lassen kann. Für eine Frau hat sie eine recht tiefe Stimme, die aber durch ihre Art und ihr Äußeres einen richtigen erotischen Touch erhält. Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass ich diese Frau auch ohne ihr Geld begehren würde. Irgendwie bekam ich auch das
Gefühl, dass ich diese Frau nicht mit plumpe Anmache rumkriegen könnte. Ich glaubte, dass man bei ihr eleganter und intelligenter vorgehen müsse. Im Hinblick auf diese Überlegung empfand ich es schon als großen Erfolg, dass sie mich nach der erfolgreichen „Besprechung“ zu einem Drink in ihr, an der Terrasse gelegenem Cocktailzimmer einlud. Bei anderen Frauen hätte ich jetzt versucht direkt auf mein Thema loszusteuern aber hier wertete ich, wie ich gerade schon schrieb, es schon als großen Erfolg, dass wir auf ihren Vorschlag beschlossen ab sofort die nachbarschaftlichen Beziehungen intensiver zu pflegen. Ihrer Meinung nach liefen wir immer aneinander vorbei als wären wir uns zuvor noch nie begegnet und dabei wären wir gute Nachbarn, die sich nicht im Klinsch lägen. Das wäre in der heutigen Zeit gar nicht so selbstverständlich, da man vielerorts offensichtlich Nachbarschaftsstreit als unerlässlich betrachte. Mehr in die gewünschte Richtung brachte dieser Nachmittag nicht aber ich hatte ein Packende gefunden. Damit begann jetzt in meinem Hirn die Suche nach einer Gelegenheit, zu der ich sie zur Pflege der Nachbarschaft einladen könne. Des weiteren überlegte ich hin und her, ob ich sie erst einmal in Begleitung ihres Gatten oder gleich alleine einladen sollte. Letzteres könnte zur Folge haben, dass sie die ganze Sache durchschaut und dann könnte die „Schlacht“ verloren sein bevor sie überhaupt begonnen hat. Ein zweites Mal kam mir dann in dieser Angelegenheit der Zufall zur Hilfe. Nachdem die Löwe-Leute ihre Arbeit abgeschlossen hatten, inspizierten wir wieder zu Dritt den neugestalteten Grünstreifen an unserer gemeinsamen Grenze. Während dieser viertelstündigen Inspektion merkte ich, wie meine verehrte Nachbarin mehrfach nachdenklich, teilweise verlegen, von Links nach Rechts schaute. Ich konnte mir schon vorstellen um was es ging: Jetzt konnte nicht nur mehr Licht durchfallen sondern auch die Blicke gingen jetzt vollkommen ungehindert durch. Der vermeintlich undurchdringliche Sichtschutz war gefallen und es dürfte Frau Weißmann klar geworden sein, dass ich jetzt dem Treiben an ihrem Swimmingpool zuschauen konnte. Das bereits vorher schon von meinem Schlafzimmerfenster eine solche Möglichkeit bestand wusste sie augenscheinlich nicht. Nachdem Löwe gegangen war wollte sie mich wieder zu einem Drink einladen aber dieses mal kehrte ich den Spieß um und lud sie zu mir ein. Auf meine Gegeneinladung tönte sie: „Herr Birgel, wenn sie mir anstelle eines Drinks auch einen Kaffee anbieten können, dann sage ich gerne ja. Ich bin eine alte Kaffeetante und habe heute noch keinen gehabt.“. „Ich kann ihnen sogar mehr als einen Kaffee anbieten.“, erwiderte ich, „Ich habe in der Küche eine Kaffeemaschine, wie sie ansonsten nur in entsprechenden Restaurants zu finden ist. Mit der kann ich ihnen im Handumdrehen normalen Kaffee, Mocca, Espresso oder Capuccino mit Knopfdruck herstellen.“. Darauf bekam ich dann zur Antwort, dass, wenn ich in der Küche Sitzgelegenheiten hätte wir doch gleich dort Platz nehmen könnten. Na, ich hatte dort Platz und wir ließen dann am vorgeschlagenen Ort für über eine Stunde nieder. Als die erste Tasse mit frischem Kaffee vor sie stand begann sie etwas verlegen klingend: „Herr Birgel, ich wollte da noch etwas mit ihnen besprechen. ... Sie haben doch sicherlich schon unseren Pool bemerkt?“. Jetzt übernahm ich das Wort: „Nun, verehrte Frau Weißmann, der ist mir nicht neu. Ich konnte immer schon von meinem Schlafzimmer trotz des Baumbestandes einen Blick darauf werfen. Seien sie mir bitte nicht böse ... Ich bin auch bestimmt kein Spanner aber ab und zu fiel mein Blick aufgrund dieses oder jenen Zufalls mal darauf. Wenn sie mich jetzt darauf ansprechen wollen, dass es bei ihnen oft üblich ist, dass sie auf die Badekleidung verzichten, dann kann ich sie beruhigen. Ich habe bis heute noch keinen Anstoß daran genommen. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.“. „Oh je,“, begann sie jetzt wieder, „dass sie etwas sehen könnten habe ich noch nie in Erwägung gezogen. Aber was soll’s, ich glaube dass ich mich durchaus sehen lassen kann. Und gleiches gilt sicherlich auch für unsere Freunde.“. Sie versuchte danach ein wenig zu lachen, was ihr aber zunächst misslang. Ich konnte ihr dann hinsichtlich ihres Körpers einige Komplimente, die ich auch recht vorsichtig und charmant formulierte, unterbreiten und damit war der Weg frei für ein nettes „anregendes“ Gespräch. Mehr geschah an diesem Tag allerdings noch nicht aber fortan kam es doch zu häufigen, fast täglichen Gesprächen miteinander. Nach und nach schienen bei mir die Gedanken, an dem Vermögen der Frau zu partizipieren, immer mehr verdrängt zu sein. Immer mehr stand die Frau, die ich mittlerweile zu lieben dachte, im Mittelpunkt meines Denkens. Dann an einem Samstagmorgen Anfang Juni 2002 passierte es: Ich gestand ihr meine Liebe und dass ich langsam glaubte ohne sie nicht mehr leben zu können. Sie schaute ein Wenig verlegen drein und sagte: „Ich habe befürchtet, das so etwas passieren kann. Deshalb habe ich bis vor Kurzem auch auf sichere Distanz gehalten, da man sich als Nachbarn nicht ständig aus dem Wege gehen kann. Normalerweise lassen sich solcherlei Probleme dadurch lösen, dass man sich eine Weile oder vielleicht auch dauerhaft aus dem Wege geht ... Aber wie soll so etwas bei Nachbarn funktionieren? Ich möchte mein Heim nicht in Stich lassen und sie umgekehrt doch sicherlich auch nicht. Das mal ein Funke von Mann auf Frau oder umgekehrt überspringt ist ja absolut menschlich und lässt sich wohl nicht vermeiden. Auch ich fand sie, nachdem ich mal mit ihnen gesprochen hatte, erst einmal sehr nett. Mittlerweile ist auch bei mir deutlich mehr daraus geworden. Ich weiß nicht, ob es schon Liebe ist, was ich für sie empfinde ... aber weit entfernt davon befinde ich mich mit meinen Gefühlen nicht.“. Jetzt entstand erst einmal eine Pause weil ich nicht wusste was ich ihr darauf antworten sollte und dann lud sie sich selbst zu einem Kaffee in meiner Küche ein.
Auch dieses mal wartete sie bis die Tasse Kaffee vor ihr stand und dann sagte sie mit einem verführerischen Lächeln: „Frau Weißmann ... Herr Birgel ... ist das nicht ein Bisschen komisch wenn man kurz vor dem Miteinanderschlafen steht. Also ich bin Christina oder besser noch Chrissie, wie alle meine Freunde sagen, und erwartet jetzt von dir Hans ... Hansi ... Peter oder Pepe – wie hättest du es gern. Also ich erwarte jetzt einen anständigen Kuss von dir.“. Bevor ich ihr ihren Wunsch erfüllte verriet ich ihr noch, dass mich meine Freunde immer Hansi genannt hätten. Nachdem Kuss, der für das erste Mal recht deftig ausfiel, kam ich auf ihre vorhergehenden Worte zurück: „Habe ich dich richtig verstanden, dass wir kurz vor dem Miteinanderschlafen ständen? Wie kurz? Sollen wir uns, wenn wir den Kaffee ausgetrunken haben gleich nach Oben ins Schlafzimmer begeben?“. „Jetzt gehst du aber auf einmal ran,“, erwiderte sie freundlich ironisch, „da kann ich mich kaum zurück halten. Aber ich mag es immer ein Bisschen spannend und deshalb hätte ich gerne nach diesem Kaffee noch einen Capuccino. Und beide trinke ich gaaannnz langsam aus.“. Damit hatte sie mir auch verraten, wie sie es auch sonst gerne hätte. Sie war kein Typ für Drauf und Fertig. So erlaubte ich mir dann nach dem halbstündigen Kaffeetrinken sie wie eine Prinzessin nach Oben ins Schlafzimmer zu tragen. Dabei stellte ich fest, was für ein leichtes Persönchen sie ist. Bei einer Größe von etwas über 1,60 Meter wiegt sie nur knapp 50 Kilo. Natürlich ich bin auch kein Brecher, ich bin 1,75 Meter groß und bringe etwas über 70 Kilo auf die Waage. Da kann man sich vorstellen, dass das Hinauftragen für mich trotz ihres Leichtgewichts auch kein Zuckerschlecken war und dass ich, als wir endlich Oben waren, ziemlich außer Puste war. Sie strich mir über die Haare, küsste mir zärtlich auf die Stirn und sagte verführerisch klingend: „Ich finde das toll, wie du dich für mich ins Zeug gelegt hast. ... Danke schön.“. Danach begann sie langsam und bedächtig mein Oberhemd aufzuknöpfen während ich ihr mit beiden Händen über die, immer noch von ihrem Rock bedeckten Pobacken strich. So langsam, wie sie das Hemd aufgeknöpft hatte zog sie mir dieses nun aus. Jetzt war ich an der Reihe. Ich öffnet sehr bedächtig den Gürtel ihres Rockes, den ich dann zentimeterweiße nach Unten zog. Und so ging es wechselweise Stück für Stück bis wir letztlich beide ganz nackt waren. Zwischendurch küssten wir uns immer zärtlich auf eine gerade freigelegte Hautstelle. Auch nach dieser ausgedehnten Entkleidungszeremonie ging es nicht gleich zur Sache. Zärtlich befingerten wir uns gegenseitig am ganzen Körper. Zwischendurch küsste ich ihre Brustwarzen und sie zwischen den Schenkeln während sie zärtlich meinen reichlich erektierten Penis küsste. Nun, bei der Prozedur blieb es nicht aus, dass ich ejakulierte. Damit war diese Angelegenheit aber noch lange nicht erledigt. Unser zärtliches Petting trieben wir dann noch fast eine Dreiviertelstunde und erst dann kam wir zur Sache. Chrissie war überglücklich. So schön hatte sie es, wie sie sagte, noch nicht erlebt. Damit stand fest, dass ich der Sieger im Bett der Nachbarin war. Und mit diesem Gedanken wurde auch meine ursprüngliche Zielprojektion wieder wach: Chrissies Vermögen. Jetzt versuchte ich diese Hirngespinste aber zu bekämpfen, denn ich wollte tatsächlich zu diesem Zeitpunkt mit dieser wunderbaren Frau nur glücklich sein. An das Vermögen dachte ich jetzt also wieder und versuchte dieses Denken zu verdrängen aber das Chrissie eine verheirate Frau, dessen Mann zwischen uns stehen würde, war kam mir damals nicht in den Sinn. Das Eis war gebrochen und ab jenem Samstag trafen wir uns dann recht häufig zu einem Schäferstündchen. Mit wenigen Ausnahmen war es mindestens einmal pro Woche. Sie machte mich glücklich und ich offensichtlich sie. Wir trafen uns immer, wenn ihr Mann durch Proben oder Vorstellungen an sein Theater gebunden war. In diesem Sommer gab es dann auch keine diesbezüglichen nudistische Aktionen am Pool. Mit mir wollte sie nicht vor den Augen des Hauspersonals auftreten. Als ich darüber nachdachte, drängte sich mir doch eine Frage auf, die ich vor einem unserer Schäferstündchen unbedingt los werden wollte: „Sag mal Mäuschen, du sagest doch öfters, dass du nicht mit mir vor den Augen deines Personals am oder im Pool herumtollen möchtest. Waren die früher denn immer dabei?“. „Ja natürlich,“, antwortete sie als sei es die normalste Sache der Welt, „da ist doch weiter nichts dabei. In der Regel waren das Holgers Kollegen und Kolleginnen von Oper und Schauspiel. Einige von ihnen haben sich auch schon für Film oder Fernsehen entblättert und sind daher abgebrüht. Und unser, durch die Bank langjähriges Personal hat da auch keine Probleme mit.“. Das machte mich doch ein Wenig stutzig und ich fragte: „Da kann sich aber dann auch nicht mehr abgespielt haben als ich sehen konnte?“. „Natürlich nicht,“, sagte sie entrüstet, „meinst du ich treibe es vor den Augen des Personals oder schlimmer noch vor Holgers Augen mit anderen Männern? Das war immer alles ganz harmlos“. Da hatte ich aber einen anderen Eindruck. Hatte ich sie doch allein mit anderen Männern und umgekehrt ihn mit anderen Frauen beobachtet. Als ich sie diesbezüglich fragte lachte sie und hatte eine natürliche Erklärung: „Das ist ganz einfach zu erklären. Holger hat so eine Art weibliche Besucherin zu einem Bad zu überreden und ist dann auch immer sehr schnell dabei. Jetzt kam es natürlich immer darauf an, welche Männer in Begleitung unserer Besucherrinnen erschienen waren. Nicht vor jedem Männerauge ist es mir recht mich zu zeigen. So kam es häufig vor, dass mich die Herren im angezogenen Zustand im Haus umschwirrten während sich Holger mit den nackten Damen amüsierte. Anders herum bin ich auch nicht ohne und bekundete, wenn mir mal danach war, meine Lust nach Nacktbaden und dann waren prompt die Kerls dabei. Da du nur einen Ausschnitt des Pools sehen konntest, hast du offensichtlich einen falschen Eindruck gewonnen. Jetzt wo unsere Grundstücksgrenze
gelichtet ist, könntest du die ganze Wahrheit erkunden. ... Aber gerade das, deine Einsichtmöglichkeit ist es, warum in diesem Jahr noch nichts stattfand. Holger ist es jetzt auch nicht mehr wohl dabei.“. Ein bisschen Baff war ich über diese Erklärung schon aber ich hatte keinen Grund an dem Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu zweifeln. Das Chrissie ehrbarer war als ich angenommen hatte, polte mein Verlangen in eine jetzt neue Richtung: Ich musste diese Frau ihrem Mann ausspannen, wobei dieses jetzt in meinen grauen Zellen wieder unabhängig von ihrem Vermögen war. Ich glaube, dass ich sie jetzt auch hätte haben wollen, wenn sie aus unteren Einkommensschichten gekommen wäre. Es ging mir jetzt nur noch darum diese zauberhafte Frau für mich alleine zu haben. Jetzt wusste ich: Ich liebe sie wirklich. Und auch sie liebte mich und hatte damit ungeheuere Probleme, die sie mir gestand: „Ach Schatz, warum muss alles nur so schwer sein. Ich liebe dich ... heiß und inniglich. Ich habe nie geglaubt, dass man zwei Männer gleichzeitig lieben kann. Ich komme von Holger nicht los. Ich liebe ihn genau so heiß und inniglich. ... Immer noch so wie am ersten Tag. Die Liebe zu Holger ist nicht erloschen als meine Familie gegen den dahergelaufenen Schauspieler wetterte. Meine Eltern hätten lieber einen Schwiegersohn gehabt, der auch in die Familie was eingebracht hätte ... als ob wir nicht schon genug gehabt hätten. Ich habe Holger trotzdem geheiratet. Unsere Liebe ist nicht erloschen, als man bei der Geburt unserer Liane feststellte, dass meine Eierstöcke voller Geschwülste waren und entfernt werden mussten obwohl wir beide, so seltsam wie das bei meiner Herkunft klingt, von vier oder fünf Kindern träumten. Vor noch eine härtere Probe wurden wir gestellt, als dann 9 Monate später Liane am plötzlichen Kindstod starb. Unsere Liebe hat gehalten. Und jetzt, ... jetzt liebe ich dich und die Liebe zu Holger hält immer noch. Das kann nicht gut gehen ... aber was mache ich nur?“ Ja, wenn ich jetzt ein anständiger Kerl gewesen wäre hätte ich diese Frau von ihren Gewissenqualen befreit und hätte mich zugunsten ihres Mannes zurückgezogen. Wahre Liebe heißt auch die eigene Person hinter dem Wohl des Anderen zurückzustellen. Wer wirklich liebt verzichtet, wenn der Andere unter seinem Anspruch leidet. Dahingehend machte ich aber keine Anstalten. Mein Ego ist doch stark dominierend und auch das Ursprungsteufelchen meldete sich in meinem Bewusstsein zurück. Jetzt war mir wieder bewusst, dass ich Sieger im Bett der Nachbarin werden wollte, weil ich mir von ihrem Vermögen die Eintrittskarte ins Schlaraffenland versprochen habe. Jetzt sah ich mich meinem Ziel so nahe wie noch nie; jetzt wollte ich nicht mehr aufgeben. Also trieben wir unser böses Tun munter weiter. Klar dass das nicht dauerhaft verborgen bleiben konnte. Schließlich war Chrissies Personal nicht von Blindheit geschlagen und/oder von der Ahnungslosigkeit infiziert. Da ist doch mehr als auffällig, wenn die Herrin ein bis zwei Mal die Woche für anderthalb bis drei Stunden zum Nachbarn verschwindet und mit glänzenden Augen zurückkommt. Was bei der Nachbarschaftsvisite abgelaufen ist kann doch wohl ein jeder an fünf Fingern abzählen. Der Einzigste, der wirklich ahnungslos schien, war Holger Weißmann, der Ehemann meiner Geliebten. Jetzt muss ich gestehen, dass ich praktisch erwünschte, dass der gehörnte Ehemann davon erfahren würde. Dadurch kommt es dann doch zwangsläufig zum Rosenkrieg, der mir die Chance gab für mich zu punkten. Das es umgekehrt hätte sein können hielt ich für ausgeschlossen, da nicht er sondern sie die Herrscherin über ein Vermögen war. Wäre er der Mann des Geldes gewesen, hätte er sie mit der Drohung des Rausschmisses an sich binden und mich ausschalten können. Aber in diesem Fall wäre es ja gar nicht zu der Situation gekommen, denn ich hatte ja ursprünglich nicht die Frau sondern ihr Geld gesucht. Ende Oktober war es dann soweit: Holger Weißmann erwischte uns in Flagranti. Wegen einer plötzlichen Erkrankung des Regisseurs war eine Probe kurzfristig abgesagt. Weißmann wurde davon über Handy, als er noch nicht weit von zuhause entfernt war, verständigt. Er wendete bei der nächsten Gelegenheit und kehrte heim. Chrissie war inzwischen, als er gerade das Haus verlassen hatte, zu mir herübergehuscht. Als er nach Hause kam und seine Frau nicht antraf erkundigte er sich nach deren Verbleib beim Personal. Ausgerechnet fragte er eine schon ohnehin tratschsüchtige Putzfrau, sorry Reinigungskraft – heutzutage sieht man ja die Diskriminierung überall lauern. Diese Putze verriet ihrem Herrn nicht nur dass sie bei mir sei sondern auch dass sie stets die bei solchen Gelegenheiten unverschlossene Terrassentür als Zugang benutzte. Diese Information ließ den guten Holger zum Privatdetektiv in eigener Sache werden. Wie ein Dieb in der Nacht drang er klammheimlich, auf dem gleichen Wege wie zuvor seine Frau, in mein Haus ein. Schnurstracks konnte er nicht ins Schlafzimmer gelangen, denn er kannte sich in dem Haus ja nicht aus und bei intimen Zärtlichkeiten machen wir ja kein Klamauk. So etwas gibt es nur bei 0190-Stöhnerinnen, schließlich ist das ja der Grund warum der abgezockte Depp anruft. Also, den Stimmen konnte er nicht folgen, er musste schon suchen. Wer suchet, der findet. Das steht schon in der Bibel. So stand er dann urplötzlich in meinem Schlafzimmer und auf dem Bett vor ihm lagen zwei splitternackte Personen: seine Frau und ich. Chrissie zuckte zusammen und stieß ein entsetzte „Holger“ aus. Er tat gelassen und holte zum Beleidigungsschlag gegen mich aus: „Na, liebe Christina was bezahlst du dem Hengst denn für einen Natursprung?“. Eu, damit hatte er mich getroffen und ich wäre ihm gerne in meinem Jähzorn an dem Hals gesprungen. In diesem Moment verkehrte sich bei mir die Realität und ich sah nicht in mir sondern in ihm den Übeltäter. So fauchte ich ihn an: „Was erlauben sie sich
eigentlich. Sie können doch nicht einfach hier einbrechen. Das ist Hausfriedensbruch. Verlassen sie sofort mein Haus.“. „Langsam Freundchen,“, knurrte Weißmann mich an, „das hier ist wohl ihr Knusperhäuschen aber die Frau in ihrem Bett ist meine. Bevor sie Lüstling das Wort Hausfriedensbruch in den Mund nehmen sollten sie sich mal überlegen was sie gemacht haben ... ich glaube das ist ein Bisschen mehr als Friedensbruch.“. Durch sein Tonfall erschien der Eindruck, dass es jetzt jeden Moment heiß werden könnte. Seine Stimme klang sehr bedrohlich. „Mensch Kerls, bleibt doch bitte vernünftig,“, mischte sich jetzt Chrissie ein, „es genügt doch wenn eine Scheiße baut. Okay, ich habe Mist gebaut und wenn ich sage, dass es mir leid täte, wäre das im Moment sogar gelogen, denn ich liebe euch Beide und eigentlich wollte ich keinen von euch verlieren. Jetzt lasst uns doch bitte zur Vernunft kommen.“. Weißmann schaute kurz zur Seite, sah Chrissies ordentlich abgelegt Sachen auf der Ablage, griff diese und sagte: „Die nehme ich schon mal mit. Du kommst doch gleich nach.“. Nach diesen Worten verschwand er und Chrissie war schon im Begriff ihm im Evas Kostüm nachzulaufen. Ich hielt sie nur kurz auf um ihr meinem weißen Bademantel zur Abdeckung ihrer Blöße zu überlassen. Danach ging sie dann wortlos von dannen und zuende war mein vorläufig letztes Rendezvous mit dieser Traumfrau. Ob es sogar das allerletzte war möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Als Chrissie in ihre eigenen vier Wände zurück gekehrt war gab es, wie könnte es anders sein, erst einmal einen Ehekrach. Wer aber glaubt, dass es dabei „zünftig“ zuging hat sich jedoch getäuscht. Wie ich später erfuhr war nach zehn bis fünfzehn Minuten schon alles vorbei. Der Opernsänger packte sich einen Koffer fürs erste und kündigte an, dass er im Lauf der Folgewoche seine komplette Habe abholen wolle. Zu dem Zweck wolle er sich einen Lieferwagen mieten. Er wolle bevor er kommt aber anrufen, damit seine Frau, die er nicht mehr sehen wolle, vorrübergehend das Feld räumen könne. Er schlug ihr dazu sogar vor, sie könne ja in dieser Zeit zu mir ins Bett steigen. Das war dann schon alles. Er fuhr davon um bei einer Kollegin einzuziehen. Nun ja, daraus kann man schließen, dass auch er nicht so ganz unschuldig war. Er kannte schon sein Ziel und wusste wo ein für ihn bereitetes Bett stand. Von ungefähr kommt so etwas beim besten Willen nicht. Als ich dieses, was ich gerade schrieb, von der Putzfrau, die auch uns verraten hatte, erfuhr, glaubte ich schon der endgültige Sieger im Bett der Nachbarin sein zu können. Holger Weißmann hatte ja aus meiner Sicht selbst das Feld geräumt und sich für seine Kollegin entschieden. Ich hatte meine Rechnung nur ohne die Hauptperson gemacht. Chrissie wollte ihren Holger nicht verlieren und um ihn kämpfen. Klar, dass ich in dieser Zeit für sie abgemeldet war. Sie ging mir förmlich aus dem Wege. Ich glaube, wir hatten in dieser Zeit weniger Kontakt miteinander als in der Zeit als wir nur freundliche Nachbarschaftsgrüße austauschten. Von der Klatsch- und Putzfrau konnte ich auch nichts mehr erfahren. Chrissie hatte sie zur Rede gestellt, da sie glaubte die Reinigungskraft habe da arbeitsvertragswidrig ihr Vertrauen verletzt. Na ja, die Frau zog selbst ihre Konsequenz und kündigte von sich aus. Ihre Chefin, vielmehr jetzt Exchefin, zahlte ihr noch den Lohn bis Ende des Jahres und dann konnte sie für immer gehen. Leicht heulend kam sie mir auf der Straße entgegen und daher beziehe ich auch mein soeben kundgegebenes Wissen. Danach erfuhr ich längere Zeit nichts mehr aus dem Hause der begehrten Nachbarin. Jeder Kontakt war je abgebrochen und jeder Verbindungsaufnahme meinerseits, sei es telefonisch oder persönlich vor der Haustür, wich Chrissie durch Verleugnen lassen aus. Dieser Schwebezustand dauerte etwas mehr als vier Wochen an. Dann konnte ich Beobachtungen machen, die mir dann das Gefühl gaben doch nicht der Sieger sondern der Verlierer zu sein. Als ich vom Büro, wo ich inzwischen wieder meiner Arbeit wie eh und je nachkam, nach Hause kam stand Weißmanns Auto an dem Platz wo es früher immer gestanden hatte. Ich weiß nicht, aber ich hatte in diesem Augenblick irgendwie das Gefühl, dass dieses sogar recht gut sei. Den Traum von der Made im Speck, das heißt vom Partizipieren an Chrissies Vermögen, hatte ich inzwischen doch irgendwie gänzlich ausgeträumt. Was hätte ich auch davon gehabt? Irgendwann werde ich mal den Löffel schmeißen und wieder, wie alles andere auch einmal, zu Staub und Asche werden. Und dieses gleichgültig ob ich dann von meinem eigenen, auch nicht zu knapp bemessenen, Geld oder von den Millionen meiner Nachbarin gelebt hatte. Was würde sich denn in meinem Leben ändern, wenn die Summe die ich dafür zur Verfügung hätte, unmäßig höher wäre? Erfülle ich mir nicht schon jetzt jeden normalen Wunsch? Was will ich denn noch mehr? Etwa nicht mehr arbeiten? Selbst das könnte ich mir, wenn die Verhandlungen mit dem Unternehmen von Kevins Schwiegervater positiv verlaufen, auch ohne Chrissies Vermögen ermöglichen. Aber da hatte ich schon vorher mal beschlossen, dass das auch kein Leben für mich wäre. Nun erschien mir das, worum es mir ursprünglich ging, ausschließlich als unsinniges Begehren, was mir allerdings die Tür zu einer sehr schönen Zeit mit einer wunderbaren Frau aufgeschlossen hat. Und da sind wir bei dem Punkt, warum ich noch nicht wieder zur Tagesordnung übergehen konnte: Diese zauberhafte Frau und die überschönen Stunden, die ich mit ihr erleben durfte. Diese würde ich in der Tat sehr vermissen. Aber ich begann einzusehen, dass es wohl so, wie es jetzt wieder zu sein schien, am Besten sei, weil es das war, was Chrissie glücklich macht. So beschloss ich in meinem Oberstübchen, dass ich mir eine hübsche und in etwa so intelligente Frau, wie es Michaela war und Chrissie ist, suchen sollte und mich dann meines
Lebens, so wie es nun mal ist, erfreuen sollte. Es ist doch, wie ich schon mehrfach schrieb gar nicht so schlecht. Wie man sieht, hatte ich in jenen Tagen im November 2002 einen Punkt erreicht, der nach einem Happy End in einer harmlosen Liebesgeschichte aussah. Da ich aber meine Erzählung hier nicht beende, kann man sich denken, dass es so schlicht und einfach wie es aussieht nicht zuende geht – es folgt also noch etwas. Eine Woche, nach dem ich die Rückkehr von Holger Weißmann hatte feststellen können, hatte ich seit dem unrühmlichen Vorfall zum ersten Mal wieder ausführlichen Kontakt mit meiner Exgeliebten. Sie sprach mich vor dem Haus nett und freundlich an und informierte mich darüber, dass ihr Mann zurück gekommen sei und sie darüber sehr glücklich wäre. Sie berichtete mir, dass sie mit ihrem Holger der Meinung wäre, dass er mit seiner Kollegin und beide zusammen mit mir, den Nachbarn, wohl noch länger auskommen müssten. Daher wolle sie uns beide zu einem bereinigenden, freundschaftlichen Gespräch in ihr Haus einladen. Lachend betonte sie: „Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht als Freunde aus dieser Geschichte heraus kommen könnten.“. Einer so netten Einladung kann man wohl kaum widerstehen und ich sagte zu. An einem Freitag, ich glaube es war der 15. November 2002, trafen wir uns dann im Kaminzimmer der Villa Weißmann. Zu meinem Erstaunen trat Holger Weißmann mir gegenüber äußerst nett und zuvorkommend auf. Seine Kollegin Sonja Greiner war auch erschienen. Diese Frau, die ebenso wie Chrissie 40 Jahre alt ist, mit einer enormen sexuellen Ausstrahlung wirkte aber zu Beginn des Abends verschüchtert und irgendwie schamvoll schuldbewusst. Außer den üblichen Formeln wie „Freud mich“, „Ja, danke“ und „Nein, danke“ war zunächst nicht viel von ihr zu hören. Persönlich überraschte es mich in meinem Inneren, dass der Sexus dieser Sonja meine Hormone mehr in Schwingung brachte wie Chrissies Ausstrahlung, die mich auf den Pfad der Sünde gelockt hatte. Holger Weißmann begann mit einem Bekenntnis: Er hatte tatsächlich schon längere Zeit ein Verhältnis mit dieser Kollegin. Dieses sogar schon eine Zeit länger als mein „Abenteuer“ mit Chrissie. Auch er hatte laut seinen Worten das höchst sonderbare Gefühl, zur gleichen Zeit zwei Frauen aufrichtig zu lieben. So könne er auch nachempfinden was seine Frau gefühlt habe. Er stellte alles aber als einen großen Fehler, den wir alle begangen hätten, dar. Wir hätten uns jedoch gegenseitig nichts vorzuwerfen und wir sollten uns in Zukunft doch stets als gute Freunde begegnen. Ich muss sagen, dass alles ganz in meinem Sinne lag. Inzwischen hatte ich doch einige schwere Gewissensbisse hinsichtlich meiner früheren Begierden und meines Handelns verspürt. Nach den Grundsatzworten ihres Mannes übernahm Chrissie die Moderation des Abends und leitete dabei geschickt auf einen recht geselligen Abend über. Dabei taute auch Sonja Greiner immer mehr auf und meine Aufmerksamkeit ging mehr und mehr auf sie über. Ich glaube dass, wenn wir nicht im Kreis der Sünder zusammen gesessen hätten, sich an diesem Abend bestimmt etwas zwischen uns beiden abgespielt hätte. So versuchte ich immer zwischendurch, ganz versteckt durch die Blume, etwas über die Interessen und bevorzugte Aufenthalte Sonjas herauszubekommen, damit ich Ansätze erhielt, wo ich mich später an sie heranmachen könnte. Ob das Interesse beidseitig war konnte ich an diesem Abend nicht allerdings feststellen, denn es war für Sonja kein Ort und keine Gelegenheit sich zu entfalten, was aber so auch für mich galt. Ganz wohl fühlte sich augenscheinlich niemand von uns Vieren. Das was wir miteinander erlebt hatten erschien uns allen auf irgendeine Weise peinlich und der Sinn unseres Treffens war wohl die Begründung einer Basis auf der wir künftig, ohne Wiederholungsversuche, nebeneinander leben können. Durch unsere Immobilien, auch Sonja hatte gemeinsam mit ihrem vor zwei Jahren tödlich verunglückten Ehemann ein Haus erbaut, waren wir alle ortsgebunden. Dabei saßen Weißmanns und ich sogar auch noch direkt nebeneinander und Sonja konnte aus beruflichen Gründen auch Weißmann nicht ausweichen, denn Opernhäuser gibt es in einem weiteren Umkreis nur eins, eben diese Stadttheater an dem die Beiden beschäftigt waren. Und warum sollte wegen einer solchen Affäre aus einer Sopranistin eine Putzfrau werden? Gegen 23:00 Uhr endet dieser Abend. Es war auch bestimmt kein Anlass gewesen, eine Nacht durchzumachen. Für mich stand da erstens fest, dass ich in Zukunft mit Chrissie wohl nicht mehr zutun haben würde, als wie es bei guten Nachbarn, die mal am Gartenzaun oder auf der Straße zusammen plauschen aber ansonsten nichts privat miteinander haben. Des weiteren stand bei mir der Entschluss mich hinsichtlich dieser Sonja zu interessieren fest. Ihr Körperbau hatte doch meine erotische Fantasie ziemlich angeregt. Aber ich wollte von ihr nicht nur ein Abenteuer sondern ich glaubte, dass, wenn sich ihre nette Art, wie sie an diesem Abend zum Vorschein kam, sich als beständig und nicht situationsbedingt erscheinen sollte, sie die Richtige für mein künftiges Leben wäre. Ich wollte auch nicht lange warten sondern gleich am nächsten Tag zur Attacke übergehen. Im Laufe unseres Bereinigungsgespräches war gefallen, das Sonja, des Samstags, wenn des Abends keine Vorstellung ist, immer ab Mittag für zirka zwei Stunden in ein bestimmtes Hallenbad zufinden sei und sie dann anschließend in einem, unmittelbar neben dem Bad liegenden chinesischen Restaurant einkehrt. Meine Devise lautet also: Nichts wie hin. Als ich im Hallenbad erschien zog sie bereits ihre Runden im Wasser. Als sie mich erblickte schwamm sie auf mich zu und sagte leicht lachend: „Herr Birgel, wollen sie mir jetzt den Bären aufbinden, dass sie rein zufällig hier sind oder geben sie ehrlich zu, dass sie mir nachsteigen?“. „Sind sie mir denn böse wenn ich die Wahrheit
sage?“, fragte ich darauf zurück und bekam eine für mich interessante Antwort: „Welche Frau ist schon böse wenn sich gutaussehende Männer für sie interessieren. Sie sind übrigens ein schlechter Schauspieler und daher war ich mir gestern Abend schon fast sicher, dass sie heute hier auftauchen. Es war doch zu auffällig wie sie sich für meine Angewohnheiten interessierten. Da ich aber selbst ein Interesse daran hatte sie kennen zu lernen habe ich bewusst recht deutlich davon erzählt wo sie mich heute finden können. Dabei habe ich sie beobachtet und es war mir klar ... Na ja, das sagte ich ja schon: Das sie hier heute erscheinen würden.“. Danach schwammen wir, uns nett unterhalten, unsere Bahnen im Bad und anschließend konnte ich sie dann auch zu dem Chinesen einladen. Selbst danach war noch nicht Schluss, denn ich bekam noch eine Stadtrundfahrt im eigenen Auto mit einer hervorragenden Stadtführerin namens Sonja auf dem Beifahrersitz präsentiert. Diese Rundfahrt wurde dann letztlich noch durch einen gemeinsamen Cafébesuch abgeschlossen. Wer jetzt aber erwartet, dass ich davon berichte, dass sie mich zu sich nach Hause eingeladen hätte und wir dann schnell oder langsam ins Bett verschwanden, der hat sich gewaltig getäuscht. Ich ließ Sonja auf dem Parkplatz des Hallenbades, wo ihr eigener Kleinwagen stehen geblieben war, aussteigen und fuhr dann alleine in heimische Gefilde. Entgegen meinen eigenen Erwartungen ist Sonja keine Ex- und Hoppfrau sondern sie hat noch so etwas, was man als konservative Wertvorstellung bezeichnen könnte. Als Frau für eine Nacht war und ist sie sich zuschade. Sie wollte erst meine Art kennen lernen und meine Ernsthaftigkeit prüfen bevor sie sich auf Intimitäten einlässt. In diesem Zusammenhang ist natürlich interessant wie sie sich bei solchen Einstellungen dann auf den verheirateten Holger Weißmann einlassen konnte. Na ja, der Herr ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht so ganz ohne. Er hatte Sonja weiß machen können, dass seine reiche Frau kein Amüsement anbrennen ließe und es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis sie ihm vor die Tür setze. Dabei hat er dann noch stark auf die Mitleidstube gedrückt. So erschien ihr dann sein Erscheinen am Tage des „großen Knalls“ eigentlich nur folgerichtig und sie nahm den „armen Holger“ zu sich auf. Das seine Frau dann alles daran setzte ihren Mann zurückzugewinnen gab ihr zunächst allerlei Rätsel auf. Die eigentliche Wahrheit hat sie tatsächlich erst am Tage seiner Rückkehr ins eheliche Heim erfahren. Auch da hat er dann noch angemerkt, dass er nur wegen Chrissies Geld, ohne dem er glaube inzwischen nicht mehr zurecht kommen zu können, seiner Frau nachgeben würde. Für Sonja war damit der Fall „Holger Weißmann“ erledigt und zu dem Abend, an dem wir uns kennen lernten, hat sie sich nur mit Chrissies Hartnäckigkeit überreden lassen. Bei mir war jedoch einiges anders. Ich war Witwer und hatte selbst Geld. Das ich ursprünglich aber auch nur auf Chrissies Geld aus war habe ich Sonja zu diesem frühen Zeitpunkt natürlich noch nicht verraten. Für sie war meine Beziehung zu Christina halt eine unglückliche aber große Liebe, wie es im Leben schon mal passieren kann. Zwischen mir und der Opernsängerin begann also Mitte November ein Verhältnis, welches man mit einer altmodischen keuschen Jugendliebe umschreiben könnte. Wir trafen uns immer hübsch artig in der Öffentlichkeit. Aber ich muss sagen, dass so etwas gar nicht so schlecht ist, denn zwischen uns entwickelte sich erstens so etwas wie eine echte Liebe und andererseits wirkten wir während dieser Zeit auf eine Partnerschaft, die diesen Namen wirklich verdient, hin. Natürlich wurde daraus keine unendliche Geschichte. Drei Tage vor Weihnachten, am Samstag, 21. Dezember 2002, war es dann soweit. Nach der Aufführung von Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ durfte ich sie nach Hause begleiten und konnte gleich bis zum Morgen des ersten Weihnachtstages bei ihr bleiben. Da musste ich dann allerdings nach Hause, denn die Familie Kevin Birgel, sprich mein Sohn mit Frau, hatten sich zu einem Weihnachtsbesuch angesagt. Die haben mir übrigens ein ganz tolles Weihnachtsgeschenk, das es zum Nulltarif gibt, überbracht: Ich erfuhr die Kunde, dass ich wahrscheinlich im Juni dieses Jahres Opa werde. Inzwischen weiß ich auch, dass es mal ein Junge, der Lucas heißen soll, wird. Während der Zeit, in der sich eine Partnerschaft zwischen mir und Sonja entwickelte, blieb Holger Weißmann im negativen Sinne nicht unaktiv. Laufend versuchte er sich wieder an seine Exgeliebte heran zu machen. Für Sonja war das eine heikle Angelegenheit. Sie konnte ihm nicht das sagen, was er nach ihrer Meinung hätte hören müssen. Sie befürchtete, dass sie letztlich bei einem Streit im Stadttheater den Kürzeren ziehen würde. Schließlich gibt es einige Sopranistinnen aber nur wenige gute Baritons. Schon aus dem Grunde befürchtet sie, dass sie im Falle einer, für das Haus nicht tragbaren Spannung, ihr „Pöstchen“, an dem sie doch so sehr hing, verlieren könnte. Andererseits ist Holger Weißmann schon des Öfteren mit dem Geld seiner Frau als Sponsor eingesprungen und einen solchen Künstler lässt sich kein Haus freiwillig entgehen. Objektiv muss man wirklich sagen, das Sonja die schlechteren Karten hatte. Also musste sie auf die Belästigungen Weißmanns, so sah sie es inzwischen, mit äußerster Vorsicht taktieren. Aus diesem Grunde wollte sie auch vorerst keine Treffen und Beisammensein in meinem Haus; ich musste mich schon zu ihr bemühen. Seit Weihnachten letzten Jahres herrscht auch eine sehr vertraute Atmosphäre zwischen mir und Sonja. Im Zuge dieser habe ich ihr dann auch alles gestanden, was bei mir zu dieser Affäre geführt hatte. Ich war ehrlich und hatte ungeschönt gestanden, dass erst nur der Traum vom Leben mit Chrissies Vermögen zu meinem Begehren geführt hat. Dann war aber da eine zauberhafte Frau mit einem sehr netten Wesen, was man bei einer Frau in Chrissies Stand gar nicht erwartet, und dadurch spielte dann echte Liebe, wie ich sie empfand, die wesentliche Rolle. Was Sonja dann gerne hörte war, dass bei ihr doch alles anders sei. Sie konnte nichts vorweisen, was
meine Begierden auslösen könnte; bei ihr war es von Anfang an die Person, die Frau, die mich eingefangen hatte. Und da waren es noch nicht einmal ihre männerbetörenden Formen, die den Hauptauslöser darstellten, sondern es war ihr sehr frauliches aber trotzdem selbstbewusstes natürliches Wesen. Dieses gepaart mit ihrer Intelligenz und ihrer stetigen Bereitschaft zu netten Gesprächen haben mich voll gefangen genommen. Dadurch gab es nichts, was mich zu Chrissie hätte zurücklocken können. Jetzt waren alle Voraussetzungen gegeben, dass ich dauerhaft auch ein gutes freundschaftliches Verhältnisse – ohne Nebenabsichten – zu meiner Nachbarin hätte pflegen können. Dieses sah aber im Verhältnis zu Chrissies Mann, sowohl bei Sonja wie bei mir, anders aus. Der trat immer wieder unangenehm in unser Leben. Dann kam der 17. Januar 2003, ein Freitag, an dem die ganze Geschichte noch einmal eskalieren sollte. Ich war so kurz vor Acht vor Sonjas Haus angekommen und befand mich auf dem Wege vom Auto zur Haustür ihres Hauses. Da spürte ich plötzlich einen stechenden und brennenden Schmerz in der Schulter ... und da hört meine chronologisch logische Erinnerung auf. Es ergäbe absolut keinen Sinn, wenn ich so Fetzen die durch mein Gehirn jagen jetzt als Erinnerung ausgeben würde. Aus einem fahrenden Wagen heraus war mir in den Rücken geschossen worden. Zeugen gaben an, dass es sich bei dem Auto um einen metallicfarbenen Volvo gehandelt haben soll, der nach dem Schuss mit hoher Geschwindigkeit von dannen gerauscht sein soll. Na, was meinen Sie wer ein solches Auto fährt. Natürlich: Holger Weißmann. Dieser war ausgerechnet zur Tatzeit mit seinem Wagen unterwegs und hatte für diese Zeit kein Alibi. Erst eine Stunde später war er, wie Chrissie bestätigen konnte, wieder zuhause aufgetaucht. Zwei Tage später gab es noch ein weiteres Indiz auf Holger Weißmann. Einem Polizisten aus Neuweiler, der Nachbarstadt von Friedeau, war seine Dienstwaffe zu Hause abhanden gekommen. Das Kaliber des Geschosses was mich getroffen hatte entsprach dem der Dienstpistolen der Polizei. Dieser Polizist war ausgerechnet der Cousin meines Nachbarn und genau am Tage des Verschwindens der Waffe war Holger Weißmann bei diesem Cousin zu Gast gewesen. Na ja, dass ich ihm vorrübergehend seine Frau und anschließend seine Geliebte ausgespannt habe könnte ein Motiv sein, obwohl ich persönlich von Anfang an bezweifelte, dass ein Mann wie Weißmann wegen solcher Sachen bereit wäre einen Mord zu begehen. Für die Öffentlichkeit, wie auch sogar für die beiden Frauen Christina und Sonja, stand er aber gleich als derjenige, der mich ermorden wollte, festzustehen. Was man in der Öffentlichkeit nicht verstand war die Tatsache, dass der „Mörder“ nicht inhaftiert wurde. Er wurde zwar zwei Tag nach dem Anschlag auf mich verhaftet aber schon am gleichen Abend wieder freigelassen. Das verstand selbst Chrissie nicht und verweigerte ihm Tisch und Bett; er musste in eine Pension ziehen. Dafür erhielt ich von den beiden Damen im Krankenhaus reichlich Besuch. Jetzt war ich auch bei Chrissie wieder der Favorit aber ich beteuerte immer wieder, dass ich mich nun ein für alle mal für Sonja entschieden habe. Dadurch konnte ich erfahren was für ein Kämpfertyp diese reiche Dame ist. Sie ließ nicht locker und versuchte beharrlich meine Gunst wieder zu gewinnen. Ich blieb hart und Sonja treu. Als ich eine Stunde später mit Sonja alleine war und mit ihr diese Sache besprach fragte sie auf einmal: „Du Hansi, bist du eigentlich fromm? Glaubst du an Gott und Jesus Christus?“. Jetzt musste ich einen Moment überlegen um die richtigen, wahrheitsgemäßen Worte zu finden und dann sagte ich: „Wenn du unter fromm verstehst, dass man laufend in die Kirche geht, morgens und abends sowie zu den Mahlzeiten betet oder zu jeder Gelegenheit die Bibel zur Hand nimmt, dann bin ich bestimmt nicht fromm. Wenn dir aber die Überzeugung, das Jesus Christus auch für mich gestorben ist und ich, so lange ich an ihn glaube, zum Ewigen Leben berufen bin, als wahre Frömmigkeit vorkommt, dann bin ich fromm.“. „Ja,“, sagte Sonja jetzt, „wenn du an den dreieinigen Gott glaubst, dann liebst du ihn doch auch. Wenn du an Gott glaubst verstößt du doch nicht gegen seine Gebote. Kennst du nicht: ‚Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses! Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles dessen, was dein Nächster hat!’ (2. Buch Moses 20,17) Dich gelüstete aber nach deines Nächsten Weib mit samt dem Haus, was ihr gehört. Dich gelüstete nach Frau Weißmanns Geld und alles was ihr gehört. Und dadurch ist jetzt Unglück über uns alle gekommen.“. „Du willst mir doch nicht sagen, dass alles, was jetzt geschehen ist, ein Strafe Gottes ist, weil ich sein Gebot missachtet habe.“, fragte ich dazwischen. „Nein,“, fuhr Sonja fort, „Der Herr hat uns die Gebote nicht gegeben damit es ein Gesetz gibt, das für ihn Grundlage ist uns zu belobigen oder bestrafen. Er gab uns die Gebote weil er uns liebt. Er will uns bewahren Schaden zu nehmen. Das gilt sowohl für unsere Seelen wie für unsere irdischen Körper, die, wie alles andere auch, eines Tages wieder zu Staub und Asche werden. Wenn du das begehrst, was einem Anderen gehört oder was er für ihm gehörig hält, dann musst du dir gewiss sein, dass der Andere, wenn er dein Begehren merkt, sich auf seine Weise dagegen wehrt. Dann gibt es Zwietracht, dann sind die Wurzeln für Krieg und Verbrechen gesetzt. Nur das reine Begehren oder Gelüsten, wie es in der Bibel heißt, sind die Ursprünge für Krieg, Mord und Totschlag. Du musst dem Anderen gar nicht erst etwas wegnehmen, das reine Begehren reicht um Mord und Totschlag heraufzubeschwören.“. „Das klingt plausibel“, erwiderte ich ihr, „und ich glaube du hast recht. Auf meine Geschichte übertragen heißt das, dass wenn ich nicht Chrissie begehrt hätte, dann ...“. „Ach Quatsch,“, unterbrach mich Sonja, „das sind alles Hypothesen und das wiederum heißt ja
letztlich, dass du den Willen des Herrn entschlüsseln willst. Ich wollte auf ganz was anderes hinaus. Du schwörst jetzt deinem eigenen Unrecht ab, dich gelüstet nicht mehr nach dem was deines Nächsten ist und dafür wirst du das bekommen was dein ist; was Gott für dich bestimmt hat. Ich werde mich dem nicht widersetzen. Wenn du mich fragst, ob ich deine Frau werden will, dann sage ich ja.“. Das war jetzt ein wirklich tolles und für mich ganz neues Erlebnis. Eine sehr schöne, nette, intelligente und auch fromme – wie ich jetzt feststellen konnte – Frau machte mir über den Umweg über die Gebote einen Heiratsantrag. Was konnte ich denn jetzt anders sagen als „Willst du meine Frau werden? Jetzt brauchst du nicht zu antworten, denn das hast du ja schon ... und ich bin sehr glücklich.“. Und jetzt wurde im Krankenhaus erst mal richtig geknutscht. Am nächsten Tag konnte ich mit der Kunde, dass Sonja und ich noch dieses Jahr heiraten werden, Chrissies Begehren mir „vom Halse halten“. Das tat aber der Besuchsfreude und der Freundschaft von mir zu Christina zunächst keinen Abbruch. Drei Wochen nach dem Vorfall gab es dann eine alles entscheidende Wende. Was der sensationsheischenden Öffentlichkeit entgangen war ist die Tatsache, dass sich die Angelegenheit mit der Dienstwaffe von Weißmanns Cousin schon bevor sie in die Öffentlichkeit kam, geklärt hatte. Die Dienstwaffe hätte normalerweise gar nicht in der Wohnung des Polizisten sein dürfen. Am besagten Tag war ihm nur infolge einer Grippeninfektion im Dienst schlecht geworden und er ist darauf von einem Kollegen, mit dem er zusammen Streife fuhr, nach Hause gebracht worden. Dabei hatte keiner an die Waffe, die dann bei ihm zuhause lagerte, gedacht. Just an diesem Tage wollte ihn sein Vetter Holger Weißmann besuchen. Aber schon an der Haustür brach Weißmann seine Besuchsabsicht ab, da er sich aus verständlichen Gründen nicht mit einer Grippe infizieren wollte. Dabei ist Weißmann offensichtlich von einem Zeugen, der ihn kannte, gesehen worden. Dummerweise war dann hinsichtlich der Waffe etwas schief gelaufen und sie stand dann auf der Verlustliste, wovon dann auch die Lokalpresse auf irgendeine Weise Kenntnis erhalten hatte. Was sich da genau abgespielt hat kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ganz offensichtlich liegt eine polizeiinterne Schlamperei vor, die bekanntlich in der Öffentlichkeit aufgrund des Korpsgeiste unter den Polizisten nicht breitgetreten wird. Aufgrund der Pressenotiz hinsichtlich der vermeintlich verlustigen Waffe meldete sich der Zeuge mit seiner Beobachtung bei der ermittelnden Kripo-Dienststelle, aber nicht nur da sondern er impfte mit seiner „Kenntnis“ auch einen Lokalpressefritzen. Für die Kripo war die Angelegenheit sofort nach einer Rückfrage auf dem Dienstweg vom Tisch aber durch die Öffentlichkeit geisterte die Geschichte weiter. Die Presseente mit der Waffe wurde ausgerechnet an dem Tag, wo man Weißmann vorrübergehend festgenommen hatte, bekannt. Für Chrissie war das der Hauptgrund ihren Mann aus den Haus zuweisen. Ich verstehe nicht, warum trotz diesbezüglichen Dementis der Ermittler diese „Räuberpistole“ weiter durch die Öffentlichkeit geistern konnte. Die eigentliche Wende wurde aber dadurch eingeleitet, dass man auf dem Parkplatz einer nahegelegenen Autobahnraststätte ein in Frankfurt gestohlenen metallicfarbenen Volvo, der dort seit drei Wochen abgestellt war, fand. Im Handschuhfach dieses Wagens fand man ein Bild von Josef Reppel. Dieser junge Mann hat in etwa meine Statur und ist der Sohn der aus Russland stammenden Nachbarsfamilie von Sonja. Da drängt sich doch die Frage auf ob ich nicht vielleicht das Opfer einer Verwechselung geworden bin und Weißmann mit der ganzen Sache überhaupt nichts zutun hatte. Das Einzige, was man gegen Holger Weißmann hatte war das er einen metallicfarbenen Volvo fuhr und möglicherweise einen Grund hatte, mir ans Fell zu gehen. Gerade weil man nicht mehr gegen ihn vortragen konnte, war er, sehr zum Ärger der sogenannten öffentlichen Meinung, nicht verhaftet worden. Man kann immer nur betonen wie vorteilhaft es ist, dass nur auf Grund von bloßen Mutmaßungen in einem Rechtsstaat gegen niemand vorgegangen werden darf. Wenn es allerdings nach Stammtischparolen ginge würde bestimmt das Grundrecht auf ein faires Verfahren abgeschafft und bei scheinbar stichhaltigen Mutmaßungen nach der Methode „Rübe ab“ verfahren. Tragisch wäre so etwas für die vielen Leute, denen es so wie Holger Weißmann ergeht, also das aufgrund unglücklicher einer Zufallskette einige Indizien auf sie zeigen. Weißmann war tatsächlich vollkommen unschuldig. Außer seiner Exfreundin nachzustellen hatte er nichts getan. Was war denn in Wirklichkeit passiert? Josef Reppel, der Nachbarsjunge, hatte sich in ein Mädchen, das wie er aus Russland stammte, verliebt. Der Bruder des Mädchens war einer der Anführer einer Clique, die alles Mögliche, was nicht mit Gesetz und Recht in Einklang zu bringen ist, unternahm. Dieses „alles Mögliche“ war unter anderem Autodiebstahl und –schieberei. Durch seine Freundin erhielt Josef Kenntnis von einigen Dingen, die ihr Bruder auf dem Kerbholz hatte. Als das Mädchen mit Josef Schluss machen wollte, drohte dieser damit ihren Bruder verpfeifen zu wollen. Darauf beantragte der kriminelle Bruder zwei Mitglieder seiner Gang Josef Reppel umzulegen. Die beauftragten „Amateur-Killer“ hatten dann schlicht und einfach sowohl das Haus wie die Person verwechselt. Dieser Verwechselung habe ich dann die Schüsse in den Rücken zu verdanken. Jetzt muss ich zu Ehrenrettung des jungen Mannes, mit dem ich verwechselt worden bin, sagen dass es sich bei ihm auch um keinen Kriminellen handelt. Laut seinen Aussagen hat er dass, was ihm seine Freundin von ihrem Bruder erzählt habe, für wichtigtuerische Spinnerei gehalten. Die Drohung, dass er den Bruder anzeigen wolle, sei aus verschmähter Liebe spontan hochgekommen aber diese habe er zu keiner Zeit ernst gemeint. Der Gedanke, dass
die Schüsse, die mich getroffen hatten, ihm gegolten haben könnten, ist er, laut seinen Aussagen, von alleine nie gekommen. „Na, dann ist ja alles wieder in Ordnung“, könnte man jetzt vorschnell sagen. Das war aber für das Ehepaar Weißmann nicht der Fall. Schließlich hatte Chrissie durch die Vorfälle ja erfahren, dass ihr Mann entgegen seinen Beteuerungen und großen Ehrenworten nicht von Sonja ablassen wollte. So war sie nicht sofort bereit ihn wieder in ihrem Hause aufzunehmen. Sie nahm auch ein paar Mal das Wort „Scheidung“ in den Mund. So kam Weißmann dann auch mal zu Sonja und mir und bat um unsere Unterstützung. Nun, wenn man nett gebeten wird kommt man dem Wunsch auch gerne nach. Allerdings trat ich dann auch gehörig ins Fettnäpfchen. Ich sagte doch prompt zu Chrissie: „Mädchen stell dich doch nicht so an und gebe deinem Mann doch noch eine Chance. Ich bin davon überzeugt, dass er es jetzt ehrlich meint. Öfters muss man selber erst richtig auf die Nase fallen bis man endlich kapiert. Aber das ist nun geschehen.“. Was ich bis jetzt gesagt habe geht wohl in Ordnung und daher hätte ich mir besser den Rest verkneifen sollen: „Pack dir doch auch selbst mal an deine hübsche Nase. Wolltest du nicht auch wieder mit mir anbändeln.“. Das war zuviel und so war Chrissie dann auch mir gegenüber eingeschnappt. Inzwischen haben sich die Wogen doch wieder geglättet und Holger Weißmann ist wieder zuhause. Sonja und ich haben uns inzwischen überlegt, dass es auf Dauer wohl nicht gut wäre, wenn Weißmanns und wir so enge Nachbarn sind. Zwischen uns ist doch ein bisschen viel passiert. Daraufhin haben wir beschlossen, dass ich mein Domizil in Sonjas Haus aufschlagen werde. Mein Haus am Waldsee in Bergstatt werde ich an meinem Sohn Kevin und seine Familie übergeben. Der kommt nämlich im August dieses Jahres wieder „zurück in die Heimat“. Dann gedenke ich ihn hier als Juniorchef aufzubauen. Mehr geht allerdings noch nicht, denn für einen Ruhestand bin ich wohl mit meinen 47 Jahren wirklich noch ein Bisschen zu jung. Mein Unternehmen und das von Kevins Schwiegervater werden zusammen mit einem dritten Unternehmen in Dresden zu einem sehr engen Firmenverbund, in dem jedes Unternehmen aber trotzdem noch seine Eigenständigkeit behält, zusammen geschlossen. Davon versprechen wir uns eine ganze Menge, mehr sogar als von einer Fusion. So gibt es auch einen Sinn, wenn Kevin jetzt an den Standort seines väterlichen Unternehmens zurückkehrt. Ich kann mir vorstellen, dass er den Weißmanns ein besserer und angenehmerer Nachbar sein wird als ich es in Zukunft sein könnte. Dieses gilt obwohl Kevin aufgrund des „Kriminalfalles“ weiß was hier vorgefallen ist. Die Sache war ja mit soviel öffentlichen Spektakel verbunden, dass man es ja wohl kaum verheimlichen konnte. So, das wäre jetzt wohl das Happy End meiner Geschichte gewesen. Mit dieser wollte ich mir, wie ich schon ganz am Anfang schrieb, das, was bei mir an Gewissensbissen hängen geblieben war, von der Seele schreiben. Das ich alles durch mein unsinniges Begehren ausgelöst habe, ist mir doch irgendwo nicht ganz egal. Allerdings hat das Ganze doch letztlich für mich ein großes Glück gebracht: Sonja. Ohne das ganze Geschehen wäre ich wohl nie auf sie gestoßen – und dafür bin ich sehr dankbar. Auf die Idee mir die Sache von der Seele zu schreiben bin ich beim Surfen im Internet gestoßen. Da kam ich jetzt kürzlich auf die Seite www.reiner-vial.de. Da bietet ein Gesellschaftskritiker seine eBooks zum kostenlosen Download an. Ich habe mir dort das Buch „Der dritte Aussteiger“ gedownloadet. Das sprach mich an, weil es darin auch um Spediteure geht. In diesem eBook wird unter anderem auch davon geschrieben, wie gut es tut, wenn man sich Dinge, die einen belasten, von der Seele sprechen oder schreiben kann. Das ganze Buch ist daran aufgehangen, dass sich ein Spediteur namens Walter Heuer alles was ihm aus seinem Leben belastet von der Seele schreibt oder besser gesagt diktiert. Dann wollte ich mal sehen ob das auch bei mir klappt. Offensichtlich ist das wirklich der Fall, denn es geht mir und meinem Gewissen doch schon deutlich besser wie vor dem Beginn meiner Niederschrift. Aber jetzt will ich meine Tastatur nicht länger quälen und mache ganz einfach Schluss. Tschüss, bis dann.
Zur Zwischenbemerkung
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Na, ist Ihnen was aufgefallen? Wenn ich jetzt, wie in meinen Romanen und Erzählungen üblich, erst einmal die Person des (sonst fiktiven) Erzählers vorstellen wollte, müsste ich damit beginnen, dass ich Reiner Vial heiße und am 11. September 1946 in Letmathe/Sauerland, einer Stadt die heute zu Iserlohn gehört, geboren bin. Und dann so weiter und sofort bis zu dem Punkt, dass ich heute zusammen mit meiner Frau Beate, mit der ich seit bald 28 Jahren verheiratet bin, in der Nachbargemeinde meines Geburtsort, nämlich in Nachrodt-Wiblingwerde, lebe. In diesem Fall könnte ich mir den in meinen Erzählungen üblichen Fingerprint durch den Hinweis auf meine Homepage www.reinervial.de, auf der es meine eBooks kostenlos zu downloaden gibt, sparen. Dieses ist jetzt aber keine Erzählung und ich habe es trotzdem fast im alten Stil, nur etwas kürzer gemacht. Mit dieser „seltsamen“ Einleitung wollte ich jetzt klar machen, dass ich das, was in diesem „Kapitel“ steht, sprich meine Gedanken, nicht einer fiktiven Person in den Kopf schieben will sondern ganz real als Gesellschaftskritiker Reiner Vial eine Zwischenbemerkung, die Sie ruhig als vorgezogenes Schlusswort verstehen dürfen, los werden will. Ich setze jetzt mal voraus, dass Sie Erzählung für Erzählung in der chronologischen Folge, wie sie hier im eBook stehen, gelesen haben. Dann kann ich Sie ja gleich ohne weitere Umschweife fragen: „Na, ist Ihnen was aufgefallen?“. Ich bin mir sicher, dass die bibelfesten Leser – schließlich haben wir in 2003 das Jahr der Bibel – jetzt mit „Ja, deine Erzählungen orientieren sich an den 10 Geboten“ antworten und darauf erwidere ich jetzt mit einem langgezogenen „Genau“. Ich persönlich sehe nämlich keinen Sinn darin Religion, Politik und Gesellschaft zu trennen, was aber auf keinen Fall heißt, dass man ein Gottesstaat ausrufen sollte sondern es geht zunächst ausschließlich um die Vorgänge in den Köpfen der Menschen, woraus alles andere dann von alleine folgt. Nach meiner Auffassung ist Politik nicht das Daher strampeln auf das ich mir einen Namen mache, damit ich meiner Herde, wenn sie nicht in der Treue der Lemminge folgen, mit Rücktritt drohen kann sondern gute Politik ist für mich ein in Werte fundiertes Wirken an dem Lebensraum der Menschen heute und morgen. Nicht der Standort, Zuwachs und Börsenkurse sind die Maxime sondern das Leben der Menschen und der Raum, der ihnen dafür von Gott geschenkt wurde Ich schrieb soeben „ein in Werte fundiertes Wirken“. „Na,“, kann man jetzt fragen, „was sind denn Werte?. Sind das etwa eine Milliarde Dollar oder sind das schon eine Million Euro?“. Wer jetzt „Quatsch“ sagt hat mit Sicherheit recht, denn es geht ja um ideelle und nicht materielle Werte. Aber ist es nicht vielfach so, dass die Grenzen zwischen ideellen und materiellen Dingen in den Denkvorgängen der Leute verschwimmen? Sind nicht die von Menschen geschaffenen ideellen Werte auf die Sicherung von Wohlstand und Besitz ausgerichtet? Dagegen könnte man eigentlich noch nicht einmal was sagen, wenn man dabei die Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen nicht auf der Strecke bleibt. Es ist doch ein Unding wenn man mit den Werten der westlichen Welt den Besitzstand milliardenschwerer Industriegiganten vor den Hungernden und Leidenden schützt. Was sind das für Werte, die den ursprünglichen Gedanken, das Staat und Wirtschaft den Menschen zu dienen haben ins Gegenteil verkehren? Und das alles, wo uns die wahre Werteorientierung schon bereits vor bald 3½ Tausend Jahren gegeben worden sind. Auf diesen Werten wurzeln sowohl das Judentum, der Islam und auch das Christentum. Darüber hinaus kennt man diese Gebote auch im Buddhismus wie im Hinduismus. So gesehen, sind die 10 Gebote eine Weltverfassung, der wir unsere menschliche Gesetzgebung unterordnen könnten. Wenn man sich diese Gebote einmal genau ansieht, wird man feststellen, dass es sich um die einzig unumstößlichen Richtlinien zur Organisation unserer Gesellschaft handelt. Es kommt nur darauf an, was wir daraus lesen oder hinein interpretieren. Gehen wir diese doch hier noch einmal kurz durch. Wenn es um das erste Gebot, in dem wir ermahnt werden, dass Gott unser Herr ist und wir keine anderen Götter haben dürfen haben, sind die Damen und Herren auf den Kanzeln und den Missionsbühnen immer ruckzuck bei der Astrologie und dem gesamten esoterischen Klimbim. Sicher, damit haben sie kein Unrecht, denn die Esoterik liefert den Leuten, die sich gegen ein Gottesbewusstsein wehren aber sich ohne diesen verloren fühlen eine GottErsatz-Droge. Aber die Prediger konzentrieren sich, wenn sie sich den Esoterik-Humbuck herauspicken, auf das kleinere Übel und gehen so den Auseinandersetzungen, die geführt werden müssten, bequem und sicher aus dem Wege. Wer will sich schon mit gesellschaftstreuen Kirchgängern und Presbytern anlegen, wo so etwas unter Umständen den sicheren Job in der Organisation Kirche kosten könnte. Unter den von Menschen geschaffenen Göttern ist der Mammon, das Goldene Kalb, der schlimmste und für uns bedrohlichste „Gott“. Die Menschen hängen ihr Herz ans Geld, was ursprünglich nur ein Tauschhilfsmittel ohne eigenen Wert war. Die Lebensziele der Mammonisten sind großer Besitz, Macht und Ruhm. Zum Erreichen dieser Ziele sind sie bereit den Hunger der Anderen, Massenarmut und Umweltzerstörung in Kauf zunehmen. Für dieses Ziel sind sie bereit Morde zu begehen und Kriege zu führen. Für Investitionsanreize entlastet man die großen Tauschhilfsmittelsammler von ihrem Anteil am Gemeinwesen, sprich von der sogenannten Steuerlast, und kompensiert das Ganze durch Sozialraubbau und Ausbeutung der Menschen außerhalb der Industriestaaten. Wenn wir so weiter fahren, kann es auf dieser Welt nie Frieden in Gerechtigkeit geben. Wir müssen uns darauf besinnen, dass alles was wir Menschen geschaffen haben, wie wir selbst auch, früher oder später mal wieder zu Staub und Asche wird. Es ist
doch schade, wenn wir dann im Kampf um und im Dienst des Gottes Mammon das Leben vergessen haben – das Leben und die Welt sind doch so schön um sie so weg zu werfen. Bei der Beachtung der Gebote muss ich noch nicht einmal auf mein Seelenheil schauen, schon im vergänglichen irdischen Leben zeigen sie uns den ultimativen Weg. Nach meiner Überzeugung zielen die Gebote überhaupt nur auf unser irdisches Zusammenleben ab, denn im Hinblick auf unser Seelenheil zählt nur der Glaube und nicht unsere Taten. Auch beim zweiten Gebot mogeln sich Pastöre und Missionare mit den kleineren Übeln um das große herum. Wenn es um den Missbrauch des Namens Gottes geht, dann sind sie, auch hier wieder nicht zu Unrecht, bei den Geschäftemachern, die im Namen Gottes als Zauberer, Wunderheiler oder Wahrsager auftreten. Aber ist das große Übel nicht der Missbrauch von Gottes Namen durch Macht- und Geldmenschen? Ist es nicht erschreckend, wenn sich ein Showbeter vor die laufenden Kameras setzt um anschließend einen Ölraubzug als Kreuzzug gegen ungläubige Dispute zu deklarieren? Was soll man von Politikussen halten, die sich als Anhänger von Jesus Christus ausgeben und dann Wirtschaft und Vermögen vor den hungernden Mitmenschen, die für sie Kostenfaktoren, die sie sich nicht länger leisten wollen, darstellen, schützen wollen? Wie ist das zu verstehen, wenn sich als christlich selbsterhöhende Politiker vor den Anklopfenden, denen sie laut Jesu Worte öffnen sollen, abschotten, weil unser Volk – gemeint ist aber die Wirtschaft – angeblich den Zustrom aus aller Welt nicht länger verkraften kann? Mit der Verwendung des Namens Gottes, gleichgültig ob wir Vater, Sohn, heiliger Geist, Jesus Christus, Jehova oder Allah sagen, gehen wir den Argumenten aus dem Wege. Argumente kommen nur dann wirklich an, wenn ich den Leuten sagen kann, was sie letztlich davon haben, was es für ihr Leben und ihrem Lebensraum bringt. Na ja, dann wird manches, weshalb sich Politikusse feiern lassen, zu einer unsinnigen Dummheit. Aber Politik und Kriege führen wir Menschen immer nur im eigenen Namen, für so etwas können wir Gott nicht ins Boot holen. Für ihn zählen nicht unsere Taten sondern allein der Glaube. Wenn wir aus dieser Sichtweise mit Argumenten Politik betreiben würden, wäre vieles auf dieser Welt besser und gerechter, denn dann würde sich tatsächlich nur das durchsetzen lassen, was durchdacht und fundiert ist. Auch beim zweiten Gebot brauche ich also nicht auf das Seelenheil spekulieren sondern auch dieses ist zunächst mal dazu bestimmt unser irdisches Miteinander besser zu gestalten. Zwischendurch gefragt: Sind die Gebote überhaupt auf ein spirituelles Heil oder sind sie auf das irdische Leben ausgerichtet. Ich glaube, dass unser Schöpfer will das wir leben und das zunächst hier auf der Erde. Und wie wir das können, will er uns mit seinen Geboten sagen. Die Gebote sind nicht zu unserer Disziplinierung sondern zu unserem Wohlergehen gegeben worden. Insbesondere am dritten Gebot lässt sich diese These verdeutlichen. Es ermahnt uns, dass wir sechs Tage arbeiten und einen ruhen sollen. Wir werden daran erinnert, dass wir nicht auf ein angemessenes Maße an Ruhe und Besinnung verzichten sollen. Wenn wir, gleichgültig ob im Beruf oder in der Freizeit, von Date zu Date huschen und uns keine Zeit zur Besinnung und Regeneration gönnen, dann sind nicht nur Stress und erhöhte Aggressionsbereitschaft sondern auch große Verblödung die Folge. An Studien wie P.I.S.A und so weiter können wir die Fortschritte auf diesem Weg ablesen – oder glauben Sie, dass die P.I.S.A.Studie bei der erwachsenen Bevölkerung, einschließlich der Leute die auf Manager- und Regierungssessel sitzen, besser ausgefallen wäre wie bei den Schülern? Halten Sie etwa unsere Manager und Politiker noch für eine geistige Elite? Das glauben doch in der Regel nur die Vortänzer in den Medien, die sich Politiker nennen, nur alleine von sich. Ein wenig Besinnung und etwas Nachdenken, wie es uns das Feiertagsgebot vorgibt, würde wirklich ein Beitrag zur Anhebung des kulturellen und intellektuellen Niveaus darstellen. Dieses tut gerade in Industriestaaten not. Beim vierten Gebot, das uns vorgibt, dass wir unsere Eltern lieben und ehren sollen, neigen wir, sogar die Talarträgerinnen und –träger auf den Kanzeln, dazu den Begriff Eltern sehr eng, nur bezogen auf die eigenen leiblichen Väter und Mütter, zu sehen. Dann sind sehr schnell die Gegenredner mit den Fragen, ob eine Tochter, die von ihrem eigenen Vater vergewaltigt wurde, oder ein Sohn, der von seinen Vater krankenhausreif geschlagen wurde, noch diesen lieben könne, auf der Rednerliste. Nach meiner Überzeugung müssen wir hier Eltern im Plural, also im Sinne von Generation, sehen. Hat nicht die ältere Generation, die Menschen, die jetzt im arbeitsfähigen Alter sind, großgezogen oder haben sich die Leute von Heute von Anfang an selbst ernährt und gekleidet, haben sie sich ihre Bildung und Wissen autodidakt zugelegt? Ist es nicht gerecht, wenn man für die Leistung, die man in der Kindheit und Jugend erhalten hat, dann bezahlt, wenn man selbst im arbeitsfähigen Alter ist? Haben sich die Alten nicht ihre Ruhezeit verdient? Da tönen die Dummlaller von Generationsgerechtigkeit und stellen sie dann zum Beispiel mit Horrorkataloge, wie eine gewisse „Agenda 2010“, im Höchstmaße infrage. Übrigens: Die Rentenanspruchvernichter treffen in erster Linie sich selbst, denn zwangsläufig werden auch sie mal älter. Bei ihrer gleichzeitigen egoistischen Unwilligkeit auch selbst für Nachwuchs zu sorgen sind sie auf einen Weg zu einem Harakiri. Private Vorsorge bricht, wenn die Wirtschaft mangels Konsumenten kollabiert, ebenfalls in sich zusammen. 100 minus 1 kann keine 102 ergeben. Das fünfte Gebot ist das wohl am Meisten zitierte und am Häufigsten passend zurecht interpretierte. Das geht schon damit los, dass, wenn man sagt es hieße „Du sollst nicht töten“, sofort ein „Klugscheißerchen“ vorträgt, dass Luther dort einen Übersetzungsfehler gemacht habe und es richtig „Du sollst nicht morden“ heißen würde.
In der Regel handelt es sich bei den Leuten, die so argumentieren um solche, die vorgeben Christen zu sein und gleichzeitig Kriege als politische Groß- beziehungsweise Edeltaten glorifizieren. Aber diesen Leuten muss man sagen, dass Luther richtig übersetzt hat. Er hat keine Vokabelübertragung, bei der es tatsächlich „morden“ heißt, vorgenommen sondern er hat unter Beachtung des Aussagesinnes übersetzt. Die alten Hebräer unterschieden lediglich das Töten von Tieren und das Morden von Menschen. Bei den biblischen Vätern wurde niemand getötet sondern alle ermordet. Die spitzfindigen, meist juristischen Feinheiten von Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässiger und vorsätzlicher Tötung, Totschlag, Mord und legaler Liquidation kannten die noch gar nicht; bei denen wurde immer nur gemordet, auch im Krieg und bei der Vollstreckung von Todesurteilen. In unserer heutigen Sprache kann man also getrost und zurecht „Du sollst nicht töten“ sagen. Daran sollten wir uns auch auf jeden Fall halten, denn Kriege sind erstens kein Mittel der Politik sondern sie markieren das absolute Scheitern der Politiker. Zweitens werden durch Kriege keine Probleme gelöst sondern es werden die Wurzeln für die nächsten, noch schrecklicheren Kriege gelegt. Drittens ist die Behauptung Menschen durch Kriege zu befreien pervers. Man kann doch nicht Menschenrechtsverletzungen begehen um Menschenrechtsverletzungen zu beenden oder zu verhindern. Was ist das für eine pervers-abstrakte Denkweise, wenn man ein paar hundert Tote durch Kriegseinwirkung gegen ein paar tausend Tote durch Dispute wie Saddam Hussein aufrechnet? Und Kriege sind, gleichgültig wer sie aus welchem Grunde auch immer führt, Menschenrechtsverletzungen. Großtaten, die die Welt veränderten, wurden noch nie von Kriegern begangen sondern immer nur von friedfertigen Menschen. Wir müssen nicht gleich auf Jesus Christus verweisen um Beispiele an der Hand zu haben, nehmen wir doch ganz einfach Mahatma Gandhi oder die Teilnehmer der Montagsgebete in der Leipziger Nicolaikirche. Das sechste Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ wird wohl heutzutage von den Menschen als das antiquierteste angesehen. Ganz locker wird mal geheiratet um vielleicht schon nach weniger als drei Jahren auf den Gerichtsfluren die wiedergewonnene Freiheit mit Sekt zu feiern. Dann gibt es Leute, die gar nicht erst heiraten sondern es gleich bei trauscheinlosen Lebensabschnittspartnerschaften zu belassen. Dann kann man halt nach Abschnittsablauf mal einfacher „Bye, bye“ sagen. Ob man sich für Ehe oder Abschnittspartnerschaften entscheidet hängt vielfach nur mit ökonomischen Überlegungen oder zu erschleichenden Erbschaften zusammen. Vielfach sieht man den Grund für eine Partnerschaft nur in der Versteuerung nach der Splittingtabelle und/oder im Sicherstellen von potenten Hoppelhäschen fürs eigene Bett. Der Mensch, gleichgültig ob Mann oder Frau, verkommt dabei zu austauschbaren Objekten. Anstelle der Würde treten die Qualitäten und Leistungen im Bett. Eine echte Partnerschaft, die eine feste Erlebens-, Freuden- und Leidensgemeinschaft darstellt, in der man sich gegenseitig den vertrauten Ansprechpartner stellt, kann sich nicht entwickeln. Die Folge ist auf die Dauer, insbesondere dann wenn man älter ist und es mit dem von Nest zu Nest hoppeln nicht mehr so klappt, die Vereinsamung. Dann ist da, wenn man dringend jemand benötigt, niemand mehr. Wie wäre es, wenn wir es mal mit so etwas altmodischen wie ehelicher Treue versuchen würden. „Du sollst nicht stehlen“ lautet das 7. Gebot und hier gibt es die meiste Zustimmung, sogar von den Leuten, die von sich behaupten das sie Atheisten seien. Leider vergessen wir aber in diesem Zusammenhang immer sehr viel. Zum Beispiel das Steuerhinterziehung ein sehr schwerer Fall von Diebstahl ist. Der Gemeinschaft, die einen Schulen, Verkehrs- und Versorgungsnetze, Krankenhäuser und, und, und, ... errichtet und bereitgestellt hat, ohne die der Einzelne beim besten Willen nicht das wäre, was er ist, oder ohne die er gar nur ein Nobody darstellen würde, den ihr zustehenden Beitrag vorzuenthalten ist bestimmt kein Kavaliersdelikt. Da dummfasselte doch mal der Chef einer großen deutschen Bank, dass man die Steuerhinterzieher nicht kriminalisieren sollte. Na ja, Hochkriminelle muss man ja gar nicht mehr kriminalisieren, sie sind es ja schon. Besonders schlimm werden die Verbrechen der Steuerhinterziehung, wenn der Staat dann hingeht und sich das, was er von den Gangstern im Designeranzug nicht kriegen kann, bei den Schwachen holt, sprich wenn er Sozialraubbau betreibt. Was die Agenda 2010 am schmutzigsten macht ist die Tatsache, dass deren Bastler nur knapp ein halbes Jahr vorher über eine Amnestie für Steuergangster nachgedacht haben. Das siebte Gebot gilt auch für Bankfiosis, Unternehmer und Manager. Und wenn sich alle daran hielten, sähe unsere Welt viel besser aus. Gerechtigkeit und Frieden zählen wohl mehr als wirtschaftliche Eckdaten und Börsenkurse. Auch beim 8. Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinem Nächsten“ erhält man, wenn es um den einzelnen kleinen Sünder geht immer viel Zuspruch. Aber wie ist es denn wenn es um politische und wirtschaftliche Verhandlungen geht. Dann werden Lügen als ehrenhafte und gekonnte Diplomatie und Strategie dargestellt. Der beste Lügner gilt als clever und fähig. Wenn es um Vorwände für einschneidende Maßnahmen oder Kriege geht, dann haben die besten Lügner einen guten Job gemacht. In Politik und Wirtschaft scheut man sich nicht diejenigen, die anderer Ansicht sind, also sogenannte Mitbewerber, mit Verleumundung und übler Nachrede aus dem Rennen zu werfen. Im Wahlkrampf scheint jedes Mittel, jede verwegene Lüge zum Erreichen des Ziels im Pöstchenlotto zu gewinnen recht zu sein. Und unsere Medienkasper wiederholen jede Lüge, die im Sinne der Medienherren sind, so lange, bis letztlich „alle“ das glauben. Bei nicht genehmen Staaten nennt man so etwas dann wie es richtig heißen müsste: Propaganda. Bei einem Bisschen mehr Wahrheit wäre die Chance gegeben das viel mehr Leute konstruktiv am Fortbestand der Gesellschaft mitwirken könnten.
Letztlich geht es bei den Geboten um Gelüste und Begehrlichkeiten. Also um eine Vorstufe der Taten. So lange man nach etwas, was dem Nächsten gehört, gelüstet hat man ja eigentlich noch nichts gemacht, außer den Nährboden für Misstrauen und Zwietracht gesetzt. Wenn wir glücklich und in Frieden leben wollen, dann müssen wir unsere Begehrlichkeiten bekämpfen und Bescheidenheit üben. Wenn ich mir alles, was ich hier zusammen getragen habe, betrachte komme ich, wie ich schon schrieb, zu dem Schluss, dass sich die zehn Gebote gar nicht so sehr auf unser Seelenheil beziehen als vielmehr auf unser Zusammenleben hier auf Erden. Sie stellen einen Leitfaden für unsere Gesellschaft dar, der nicht einengt sondern im Gegenteil uns befreit. Die Gebote erschweren uns nicht das Leben sondern sie zeigen uns wie wir eine ideale Gesellschaft organisieren können. Seit 3 ½ Tausend Jahren ist das bekannt und immer wieder versuchen die Menschen diese Gebote abzustellen und ihre eigenen selbstsüchtigen Wege zu gehen. Nicht nur Pastöre und Missionare sondern auch wertebezogene Gesellschaftskritiker dürften nie müde werden immer daran zu erinnern. Schon mehrfach schrieb ich hier in diesem eBook, dass wir eines Tages, wie alles auf dieser Erde, wieder zu Staub und Asche werden und wie schade ist es dann, wenn wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht richtig gelebt haben und wie wir richtig leben können, sagen uns die Gebote, die heute noch so aktuell wie in der Zeit, in der sie entstanden sind, sind. So, das könnte jetzt das Nachwort, mit dem ich das vorher geschriebene bekräftigen will, gewesen sein. Aber an dieser Stelle möchte ich Sie noch einmal fragen: „Na, ist Ihnen was aufgefallen?“. Falls nein, dann zählen Sie doch mal die vorstehenden Kapitel. Jetzt fällt mit Sicherheit der Groschen. Alles handelt von 10 Geboten aber wenn man diese in meinem eBook zählt kommt man auf nur 9. Vielleicht sollte ich, bevor ich darauf eingehe, für die Leute, die schon lange keine Bibel in der Hand hatten, die entsprechende Stelle aus der Bibel, an der ich mich orientierte, einmal abschreiben. 2. Moses 20,2
Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause, geführt habe.
2. Moses 20,3
Du sollst keine andern Götter neben mir haben!
2. Moses 20,4
Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder dessen, das oben im Himmel, noch dessen, das unten auf Erden, noch dessen, das in den Wassern, unterhalb der Erde ist.
2. Moses 20,5
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht; denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied derer, die mich hassen,
2. Moses 20,6
und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
2. Moses 20,7
Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht!
2. Moses 20,8
Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest!
2. Moses 20,9
Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten;
2. Moses 20,10
aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun; weder du, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist.
2. Moses 20,11
Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht, und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tag; darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
2. Moses 20,12
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest im Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird!
2. Moses 20,13
Du sollst nicht töten!
2. Moses 20,14
Du sollst nicht ehebrechen!
2. Moses 20,15
Du sollst nicht stehlen!
2. Moses 20,16
Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten!
2. Moses 20,17
Las dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses! Las dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles dessen, was dein Nächster hat!
Wenn wir von den Geboten sprechen ist uns immer die Zählfolge aus Luthers Katechismus im Kopf. Luther fasste die Verse 2 bis 4 im ersten Gebot zusammen und den Inhalt des fünften Verses kombinierte er mit den Vers 17 und machte hieraus in seinem Katechismus das 9. und 10. Gebot. Ab Vers 7 finden wir dann die uns gewohnte Zählfolge auch im Urtext vor. Ich bin aber der Meinung, dass der Vers 4 auch als ein eigenständiges Gebot zu verstehen ist. Wie und warum erfahren Sie gleich wenn sie die letzte Erzählung in diesem eBook lesen. Hätte ich diese Erzählung an der Stelle gebracht, wo das entsprechende Gebot in der Bibel steht, hätte ich möglicherweise für Verwirrung gesorgt, denn dann wäre das zweite Gebot zum dritten und so weiter geworden. Na ja, dann hätte wohl dieser oder jener etwas verwirrt drein geschaut, wenn das „Du sollst nicht töten“ plötzlich an sechster Stelle, wo wir „Du sollst nicht ehebrechen“ erwarten, stehen würde. Daher sah ich eine Zwischenbemerkung als notwendig an und hatte ursprünglich nur diesen Absatz an dieser Stelle hier in meinem eBook vorgesehen. Dann habe ich mir jedoch gesagt, dass ich, wenn ich schon einmal auf diese Weise zwischen die Erzählungen funke, dann auch gleich das Nachwort, in dem ich die Anliegen meiner Erzählungen noch mal bekräftigen und verdeutlichen wollte, damit erledigen könnte. Und so geriet das Nachwort ausnahmsweise mal an die vorletzte Stelle. Da also nach der nächsten Erzählung nichts mehr folgt erlaube ich mir mich schon an dieser Stelle von Ihnen zu verabschieden. Ich hoffe sie provoziert und zum Nachdenken angeregt zu haben und würde mich freuen, wenn Sie mich regelmäßig auf meiner Homepage besuchen um weitere eBooks aus meiner Schreibe zu downloaden. Somit verbleibe ich Ihr
p.S.: Der „Knabe“ auf der Titelzeichnung bin ich tatsächlich selbst.
Zur letzten Erzählung
Zum Inhaltsverzeichnis
Wo geht es hier zur Hölle? Sie kennen doch vielleicht Ewald Pirner, den man das deutsche Maschinengewehr Gottes nennt. „Deutsche“ muss man bei Pirner unbedingt dabei sagen, denn das Copyright für das „Maschinengewehr Gottes“ dürfte wohl bei dem Amerikaner Billy Graham liegen. Ich kenne Ewald schon seit fünfzig Jahren. Ostern 1953 wurden wir beide auf die Evangelische Volksschule zu Goldbach eingeschult – damals waren die Einschulungstermine noch zu Ostern - und auf der Schule haben wir dann zusammen ganze acht Jahre als Klassenkameraden verbracht. Ewald wollte zwar nach dem vierten Schuljahr aufs Gymnasium wechseln aber er hatte die, damals noch notwendige, Aufnahmeprüfung nicht gepackt. Ein Jahr später versuchte er es dann, wie ich in diesem Jahr auch, mit dem Übergang zur Realschule. Da waren wir dann Leidensgenossen, denn er packte die Prüfung wieder nicht und mir ging es nicht besser. Dabei waren wir überhaupt keine schlechten Schüler. Mit unserem Notenschnitt standen wir ganz oben in der Leistungsrangfolge in unserer Klasse. Nachdem uns alles was in Frage kam entweder in Richtung Gymnasium oder Realschule verlassen hatte kämpften wir beide dann um den Titel des Klassenprimus. Aber was soll es, wir haben die restlichen drei Schuljahre als Volksschüler hinter uns gebracht und dann solide Berufe erlernt. Ich wurde Fotograf und Ewald Konditor. Von Evangelist war damals also bei Ewald noch nichts zu spüren. Damals sah es sogar eher umgekehrt aus, also so, als ob ich der Evangelist werden könnte. Im Religions-, Katechumenen- und Konfirmandenunterricht war ich mit ganzer Begeisterung dabei während Ewald das Ganze eher als eine von seinen Eltern auferlegte Pflicht ansah. Wir waren auch zusammen im CVJM. Da sind wir beide, wenn ich es mal ehrlich schreiben soll, wohl aus gleichen nicht religiösen Beweggründen hingegangen. Dieses waren die Gelände- und Gruppenspiele sowie die tollen Fahrten, wie man sie auch bei den Pfadfindern findet. Während ich dann aber auch mit Begeisterung bei den Andachten und Bibelstunden dabei war, entpuppte sich Ewald bei den Gelegenheiten als Störenfried und Gruppenkasper. Dieses gilt zumindestens für die Zeit wo wir in der Jungschar waren. Als wir dann mit 14 in den Jungenschaft kamen seilte sich Ewald gerade wegen der häufiger werdenden Bibelstunden ab. Er meinte so etwas, wo man an jeder Ecke das kleine Jesulein husten höre, wäre nichts für ihn. Nachdem wir ausgelernt hatten zog die Familie Pirner von Goldbach weg. Ewald und ich haben uns dann auch für längere Zeit aus den Augen verloren. Auf einem Klassentreffen Anfang der 70er-Jahre wurde erzählt, dass Ewald, der einer der drei Nichtanwesenden war, unter die Räder gekommen sei. Er würde dem Gott Bacchus aus der griechischen Mythologie anhängen oder mit anderen Worten: Er war unter die Säufer gegangen. Na ja, da habe ich mich nicht länger darum gekümmert, denn ich, Klaus Becker, hatte in den 70ern eine ganze Menge um die Ohren. Erst ging ich abends 2½ Jahre auf die Berufsaufbauschule und holte meine mittlere Reife nach und dann noch einmal 2½ Jahre auf ein sogenanntes Aufbaugymnasium und bastelte auch noch mein Abitur. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen Lehrer zu werden aber dann studierte ich Informatik mit dem Nebenfach WiWi (Wirtschaftswissenschaften). Nach Abschluss meiner Schulausbildung auf dem zweiten Bildungsweg, also nach Abschluss des Aufbaugymnasiums, verließ ich auch erst einmal Goldbach um, wie geschrieben, zu studieren und wiederum danach um mich bei einem großen deutschen Unternehmen in München zu verdingen. Dort lernte ich auch meine Frau Roswitha, die man wegen ihrer wunderschönen naturblonden Haare, auf die ich auch heute noch ganz stolz bin, unter Freunden auch Gold-Rosi nennt, kennen. Meine Gold-Rosi war es dann auch, die dann 1985, als wir nach Goldbach zurückgekommen und waren und ich hier mein „Systemhaus für Handwerk, Handel Gewerbe und Industrie“ eröffnet habe, den Evangelisten Ewald Pirner entdeckte. Nun, ich bin im Erwachsenenleben nicht „unfromm“ geworden. Wir sind kirchlich getraut, unsere beiden Kindern Björn und Heike sind sowohl getauft wie konfirmiert und wir gehen auch ein bis zwei Mal im Monat zur Kirche aber ein Berufsfrömmler, der seine Freizeit in und um die Kirche verbringt, ist aus mir nie geworden. Ich bin immer noch ein eher einfaches Gemeindemitglied ohne Lob und Tadel. Da ist Rosi schon mehr ins Gemeindeleben einbezogen. Nun ja, sie ist Erzieherin und arbeitet im Kindergarten der Evangelischen Kirchengemeinde Goldbach, heute ist sie dort die Leiterin. 1985 war sie das noch nicht, da war sie gerade dort angefangen. Da kam Rosi dann mal vom Kindergarten nach Hause und fragte: „Du Klausi, da habe ich heute im Kindergarten gehört, dass der Evangelist Ewald Pirner hier aus Goldbach stammen soll. Er soll sogar zu unserer Gemeinde gehört haben. Kanntest du den auch?“. „Sagtest du Ewald Pirner?“, fragte ich zurück, „Ich wusste gar nicht, dass der Evangelist geworden ist. Ich dachte der wäre immer noch Konditor. Wir beiden sind zusammen zur Schule gegangen.“. Rosi lachte und fuhr fort: „Der Prophet gilt wohl im eigenen Land am Wenigsten. Ewald Pirner, den man auch das deutsche Maschinengewehr Gottes nennt, ist wohl der prominenteste Vertreter seiner Gattung. Der macht doch mit Massenbekehrung von sich reden. Der war auch schon im Fernsehen.“. „Och, sag bloß,“, erwiderte ich ihr, „was nicht alles aus den Leuten wird. Das letzte Mal als ich von ihm hörte war er unter die Kampftrinker gegangen. Aber dann habe ich nichts mehr von ihm gehört. Mag daran liegen, dass ich mich recht
wenig für Evangelisationen und Evangelisten interessiere. Ich schätze mal, das mein Magerinteresse darin begründet ist, dass ich diese Art von Massensuggestion ablehne. Im Anschluss an die Veranstaltungen singen die ‚bekehrten’ Leute ‚Halleluja’ und spätestens nach vier Wochen sind sie wieder die alten. Aber von Bekehrten kann man wohl auch nicht reden, denn zu solchen Veranstaltungen gehen in der Regel sowieso nur die Leute, die sich auch sonst vor lauter Berufsfrömmelei überschlagen. Das sind so Typen wie Gerd und Ruth Gallert, die Sonntag für Sonntag zur Kirche rasen, im Kirchenchor sind und dann die Woche mit Gruppenleitungen im CVJM und mit Bibelstunden verbringen. Das ist mir alles zu Taten bezogen und ich befürchte, dass da der wahre Glaube auf der Strecke bleibt. Nee, Evangelisationen sind nichts für meines Vaters Sohn und deshalb ist mir wahrscheinlich auch entgangen, dass Ewald unter die Star-Suggestoren gegangen ist.“. Das war also das erste Mal, dass ich wieder von ihm hörte. Begegnet bin ich ihm bis vor einem Jahr dann allerdings nicht. Er hat sein Missionszelt nie hier in Goldbach aufgeschlagen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Ort für ihn zu Wenig Umsatz versprach, obwohl ihn hier alle „Ureinwohner“ kennen und bestimmt hingegangen wären. Aber von der Masse her wären trotzdem nicht so viel wie in größeren Städten zusammen gekommen. Jedoch achtete ich dann ab 1985 schon mal eher darauf, wenn von meinem ehemaligen Klassenkameraden in den Medien die Rede war. Ab und zu schwärmte auch mal unser Pastor in seinen Predigten von ihm. Ich weiß nicht, aber meine negative Meinung über Missions-Show-Veranstaltungen hat sich dadurch allerdings nicht geändert. Ich bin doch der Meinung, dass man Christ in dieser Welt sein muss und wirkliche Mission nur im Alltag stattfindet. Glaube darf nicht indoktriniert werden sondern er muss aus Überzeugung wachsen. Richtigen Kontakt mit Ewald Pirner oder besser gesagt mit seinem Team bekam ich dann erst wieder 1991 oder 92. In meinem Systemhaus beschäftigten wir uns unter anderem auch mit den Vorstufen des Internets. Das heißt mit BTX, dem Bildschirmtext der Deutschen Bundespost – woraus später das T-Online der Deutschen Telekom wurde – und mit Compuserve. Außerdem richteten wir private Mailboxen beziehungsweise BBS (Bulletin Board Systeme) für Firmen ein. Ja, das waren noch tolle Zeiten als man in der DFÜ mit den Wahnsinnsgeschwindigkeiten von maximal 2.400 Baud (zum Vergleich ISDN arbeitet mit 64.000 Baud) durch die Telefonnetze rauschte. In jener Zeit meldet sich auch das Missionswerk Ewald Pirner bei mir und fragte an, was es ihnen kosten würde wenn ich ihnen eine BBS und eine Seite bei BTX oder Compuserve einrichten würde. In der als Brief formulierten Anfrage spielte man gleich darauf an, dass der Evangelist Herr Ewald Pirner ja aus Goldbach stammen würde und mit mir zur Schule gegangen sei. Aus der vorangegangenen Formulierung kann man schon entnehmen, dass Ewald nicht selber sondern eine seiner Mitarbeiterin schrieb. In diesem Brief wurde dann auch auf den Missionsbefehl unseres Herrn und den enormen Kosten, die durch die Missionsarbeit entstehen, hingewiesen. Mir war eigentlich klar worauf das abzielte: Die Leute wollten das Ganze für einen Appel und ’nen Ei oder gar zum Nulltarif haben. Wenn man mir so kommt, bin ich immer etwas taub. Ein Missionswerk ist kein karikatives Unternehmen; eher das Gegenteil. Wenn man sich ansieht was Billy Graham & Co in den USA für Geschäfte machen, wie die große Fernsehstationen unterhalten können und so weiter wünsche ich mir das mein Systemhaus eine ebenso große Goldgrube wäre. Aber nicht nur jenseits des Großen Teichs ist Mission eine lukrative Angelegenheit und einige Evangelisten, insbesondere solche die aus dem Sektenlager kommen, haben sich einen Namen als Steuerhinterzieher gemacht. Na ja, das ist ja schließlich auch so eine Art Mission – nur in die umgehrte Richtung: Leute, die eine distanzierte Haltung zum Christentum haben, werden durch so etwas in ihrer Haltung bestärkt und vom Glauben weggeschreckt. Also, ich machte dem Missionswerk kein besonderes Angebot sondern ich verlangte das, was ich von jedem anderen auch verlangt hätte. Darauf bekam ich dann einen sehr langen Brief. Auch diesmal war dieser nicht von meinem ehemaligen Klassenkameraden persönlich verfasst. Mir wurde erzählt, dass viele berufen aber nur wenige auserwählt seien. Nur wer in die Nachfolge unseres Herrn treten würde wäre auserkoren ewig im Reich des Herrn zu leben. Allen Anderen bliebe nur die Verdammnis. Dann wurden noch Himmel und Hölle so richtig schön beziehungsweise richtig schaurig ausgemalt. Damals habe ich diese gebotswidrigen Bildnisse nur quergelesen und habe dann darüber nicht weiter nachgedacht. Aber über den Rest des Briefes habe ich mich dann fürchterlich geärgert. Da hieß es dann, das „Nachfolge Jesu“ Mission heiße, wo ich eigentlich nicht einmal widersprechen möchte. Dann kam aber die direkte Aufforderung, dass auch ich dazu gerufen wäre meinen Beitrag zu leisten und ich solle hinsichtlich meines Seelenheils mein Angebot noch einmal überdenken. Eine plumpere Aufforderung meine Arbeit zu verschenken war mir noch nicht vorgenommen. Da war für mich die Sache gelaufen. Ich ging auf den Brief nicht ein und ich habe auch von der anderen Seite nichts mehr gehört. Ein paar Jahre später, also Mitte der 90er-Jahre, konnte ich das gleiche Spielchen noch einmal erleben. Inzwischen war ich voll auf die Internetschiene gegangen. Als Provider stelle ich meinen Server insbesondere meinen angestammten Kunden aus dem Systemgeschäft zur Verfügung, natürlich gegen entsprechende Bezahlung. Ich stelle aber nicht nur den Server zur Verfügung sondern ich biete einen kompletten Service von der Beratung über Entwurf und Webdesign bis hin zur Domainbetreuung. Das ursprüngliche Systemgeschäft
habe ich bis heute nicht aufgegeben aber das Internetgeschäft macht heute über 70 Prozent meines Umsatzes, der sich seit Mitte der 90er mehr als verdoppelt hat, aus. Jetzt können Sie sich sicherlich denken, was Ewald Pirner nun von mir wollte. Wieder ging er so vor wie ein paar Jahre zuvor. Diesmal fand er sogar noch ein Anlass um mir meine Zukunft als Höllenbraten auszumalen. Ich habe ja bereits geschrieben, dass ich mal den Beruf des Fotografen gelernt hatte. Da habe ich dann mal zu dem Hobby „Erotikund Aktfotografie“ gefunden. Nun, meiner Gold-Rosi war das ursprünglich gar nicht so recht, weil sie in die gleiche Richtung wie mancher lüsterner Leser – aber solche Leserinnen gibt es natürlich auch – gedacht hat. Natürlich spielt sich während der Aufnahmen eine ganze Menge bei meinen Erotikempfindung ab – das ist ja gerade das schöne daran – aber zur Pornografie habe ich mich nie verleiten lassen. Ich kann mich sogar fürchterlich darüber aufregen, wie pornografischer Schund und Schmutz, sogar im Fernsehen, mit dem Wort Erotik verharmlost wird. Erotik ist und bleibt, zumindestens für mich, was sinnliches, etwas was der Fantasie Flügel gibt. Alles was darüber hinausgeht, sei es ein Silikonbusen pumpendes 0190er-Objekt oder eine Wa(h)reLiebe-Geitling-Vorlage aber auch deutlich weniger, ist für mich eindeutig Pornografie. Meine Bilder zielen allesamt auf Ästhetik ab und ich würde sogar sagen, sie seien jugendfrei. Körperlich habe ich mit keiner meiner Modelle zutun gehabt. Stopp, mit einer hatte ich sogar sehr viel zu tun: mit Rosi. Die fand hinterher meine Arbeit so gut, dass sie sich selbst zur Verfügung stellte und ich konnte sogar die Bilder von ihr ins Internet stellen. Daran hat man noch nicht einmal im Bereich ihrer Arbeit, also im Evangelischen Kindergarten, Anstoß genommen. Erst lief es mit der Pirner-Anfrage hinsichtlich der Internetpräsenz wie damals bei den Onlinediensten beziehungsweise bei der BBS. Also erst die Anfrage mit dem Hinweis auf unsere gemeinsame Vergangenheit und dann wieder ein Himmel-Hölle-Brief, der auch diesmal unbeantwortet blieb. Dann meldet Ewald sich aber selbst und machte mir klar, dass ich mit meinen sündigen Handeln im Dienste der Fleischeslust das Höllenfeuer sicher habe. Er gab vor mir helfen zu wollen und fordert mich zur Umkehr auf. Dann kam er zur Sache und empfahl mir die Erotiksite aus dem Web zu nehmen und anstelle dessen seine Missions-Homepage aufzunehmen. Darauf schrieb ich ihm dann zurück. Ich machte ihm klar, dass sein Vorgehen in meinen Augen das wohl unverfrorenste Schnorrervorgehen, was mir in meinem ganzen Leben vorkommen wäre, gewesen sei. Dann erlaubte mir ich mir, ihn auf zwei Bibelstellen aufmerksam zu machen. Einmal war dieses das 2. Buch Moses, Kapitel 20, Vers 4, in dem es heißt: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder dessen, das oben im Himmel, noch dessen, das unten auf Erden, noch dessen, das in den Wassern, unterhalb der Erde ist.“. Hierzu fragte ich ihn, ob das, was er mir da von Himmel und Hölle schreibe kein Bildnis wäre. Es gäbe in der Bibel keine einzigste Stelle, in der diese Örtlichkeiten beschrieben seien. Die zweite Bibelstelle, die ich zitierte war Matthäus 7, Vers 1 (Bergpredigt): „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“. Hier fragte ich ihn, woher er das Recht nähme, mich wegen meiner Erotikseite zum Höllenfeuer zu richten. Ich warf Ewald Pirner vor, dass es ihm nicht um das Seelenheil seiner Nächsten sondern allein um seinen irdischen Vorteil ginge. Auf mein Schreiben erhielt ich dann im Gegenzug aber keine Antwort mehr. Alles, was ich bis jetzt geschrieben habe, ist die Vorgeschichte zu meinem Urlaubserlebnis des letzten Jahres. Im August 2002 sollte ich dann den Evangelisten Ewald Pirner endlich persönlich kennen lernen. Da wir unsere Kinder groß haben und diese im Übrigen ohnehin ihre eigenen Wege gehen, könnten wir aus familiären Gründen gut und gerne auch außerhalb der Hauptsaison Urlaub machen. Da wäre es dann erstens nicht so überlaufen und zweitens alles deutlich preiswerter. Aber noch steht uns Rosis Beruf im Weg, da müssen wir uns schon in den Kindergartenferien auf die Socken machen. Bisher wollte Rosi ihren Beruf nicht aufgeben obwohl wir von meinem Unternehmen mehr als gut leben können. Im nächsten Jahr hat sie glatte vier Jahrzehnte im Beruf hinter sich, dann zieht sie in Erwägung sich dann doch ins Privatleben zurückzuziehen. Mal sehn, was daraus wird. Im letzten und auch noch in diesem Jahr müssen wir auf jeden Fall wieder unseren Urlaub im großen Rummel verbringen. Wir hatten uns ein schleswig-holsteinisches Örtchen, etwas abgelegen von den Urlaubszentren an der Ostsee, auserkoren. So konnten wir uns nach jeweiliger Laune mal in den Rummel schmeißen und mal in stillere Regionen zurückziehen. Da fielen uns immer wieder Plakate, die in der ganzen Gegend an verschiedenen Orten aufgehangen waren, auf. Für eine Woche sollte eine Evangelisation mit Ewald Pirner just in dem Ort, wo wir uns eine Ferienwohnung genommen hatten, stattfinden. Von den direkt an der Ostsee gelegenen Urlaubsorten sollten Bustransferdienste eingerichtet werden. Rosi und ich rätselten darüber, was das solle, dass sich das deutsche Maschinengewehr Gottes ausgerechnet in der Ferienzeit in einem solchen Dörfchen blicken lässt. Nun, meine Vermutung war und ist, dass er sich von dem Einsammeln der Leute in den Ferienzentren ein volles Haus, sorry volles Zelt, versprach aber dabei den Vergnügungsurlaubern, die in Bierlaune seine Veranstaltung hätten stören könnten, aus dem Wege gehen. Aber was der wirkliche Grund war weiß ich beim besten Willen nicht. Rosi machte den Vorschlag, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten und auch mal dort hingehen sollten. Gesagt und getan und an einem Mittwochabend gingen wir dann zum und ins Zelt. Irgendwie überraschte es mich, dass
das Zelt tatsächlich voll wurde. Ich hätte nie gedacht, dass solcherlei Veranstaltungen das Interesse von vielen Urlaubern finden könnten. Oder sollte es sich nur um die Superfrommen hier aus der Gegend handeln? Auch diese Frage konnte ich nicht mit Gewissheit lösen. Ich hatte ja gehofft, dass ich aus den Unterhaltungen der Menschen und eventuellen Dialekteinschlag auf Urlauber oder Einheimische schließen zu können. Aber es wurde sich gar nicht viel unterhalten. Es herrschte, bevor es losging, eine andächtige Atmosphäre wie in der Kirche. Na ja, so etwas ähnliches sollte das Missionszelt ja auch in Wirklichkeit darstellen. Es gab sogar einige Leute, die, bevor sie sich setzten, die Hände zu einem stillen Gebet falteten. Ach, ich will mal ehrlich sein: In der Kirche lautet mein stilles Gebet immer 21 – 22 – 23 bis 29. Der Grund ist für mich ganz einfach: Ich muss nicht unbedingt zum stillen Gebet die Kirche aufsuchen. Da es aber Tradition ist, will ich nicht aus der Rolle fallen du mich gleich plump hinsetzen. Aber das Heucheln eine stillen Gebetes konnte ich mir im Zelt doch gleich sparen. Natürlich, wenn so etwas dort fast alle getan hätten, wäre ich natürlich auch mit meinem 21 – 22 und so weiter dabei gewesen. Hier waren die stillen Beter jedoch eine verschwindend kleine Minderheit. Vom Gottesdienst in der Kirche bin ich es gewöhnt, dass Punkt 10 Uhr das Glockengeläut, das zum Gottesdienst lädt, verstummt und dann schlagartig die Orgel zum Vorspiel ansetzt. Das war hier ganz anders. Hier setzte ein paar Minuten nach dem offiziellen Veranstaltungsbeginn erst mal ein phänomenales Geläut ein. Es kam von einem Tonträger – CD oder Band – und wurde über eine Superlautsprecheranlage in das Zelt eingespielt. Während des Geläut wurde das Licht im Zelt runter gedimmt. Nach etwa zwei Minuten wurde das Geläut immer leiser und die Bühne erstrahlte zunehmend im Scheinwerferlicht. Von Rechts und Links traten dann Damen, in hellblauen Kleidern, und Herren, alle in den gleichen modischen aber doch sehr seriösen Anzügen, auf die Bühne. Unmittelbar nach dem letzten Glockenschlag rissen die Damen und Herren auf der Bühne ihre Arme jubelnd nach oben und riefen aus voller Brust „Halleluja“. Danach begann dann der Auftritt dieses Chores. Sie brachten Gospels und melodische, mitreißende Schlager mit geistlichen Texten zum Vortrag. Zwischen den einzelnen Liedern während dieses etwas 20-minütigen Auftrittes erfolgte immer wieder ein Halleluja-Jubelruf. Der Chor stand auch nicht still auf der Bühne, so wie man das von Kirchenchören und Gesangsvereinen gewohnt ist, sondern er nutzte den Raum für lebhafte rhythmische Bewegungen. Alles einpeitschende Showeffekte gegen die ich aber nichts sagen möchte. Ganz im Gegenteil ich würde mir wünschen auch in der Kirche so auf den Gottesdienst, der ja eigentlich eine Feier sein soll, eingestimmt zu werden. Nachdem Auftritt der Gruppe kam nicht etwa gleich der Meister sondern ein Herr aus dem Chor trat in den Vordergrund und bat die Besucher mit dem Chor gemeinsam ein Lied zu singen. Die einzelnen Strophen würde der Chor singen und die „Gemeinde“ sollte in den Kehrreim einstimmen. Nach der Ankündigung wurde dann der Text des Kehrreimes „Vater, unser Vater ...“ eingeübt. Insgesamt vier Mal ließ der Vorsänger oder Chorleiter den Text wiederholen bevor dieser dann ein Mal vom Chor vorgetragen wurde. Dann bat der Chorleiter die Anwesenden gleich drei Mal mit dem Chor mitzusingen. Erst dann wurde das Lied, eine sehr schöne musikalische Umsetzung des Vater unser, dann gemeinsam gesungen. Das Lied mit sechs Strophen wurde mit dem Kehrreim, der auch nach jeder Strophe gesungen wurde, eingeleitet. Nach Abschluss des Liedes erfolgte wieder ein Halleluja-Ruf, in dem zu meinem Erstaunen dann auch die meisten Besucher mit einstimmten. Auch Rosi und ich ließen uns dazu hinreißen. Ich muss sagen, dass das Ganze ein wahrlich gekonnter Beginn war. Wenn alle Gottesdienste so beginnen würden sähe die Kirche bestimmt nicht so alt aus wie sie im Großen und Ganzen wirkt. Danach erklangen dann aus der Lautsprecheranlage gewaltige Orgeltöne und auf der Bühne während dort das Licht zurück genommen wurde. Dann blitzte dort ein runder Scheinwerferstrahl an und im Mittelpunkt dieses Lichtes stand der Star: Ewald Pirner. Der brach dann auch gleich in eine überzogene Halleluja-Jubel-Orgie aus. Dann rief er in die Menge: „Brüder und Schwestern lasst uns dankbar über die große Gnade unseres Herrn Jesus Christus sein, dass er unsere Wege heute hier her gelenkt hat um uns aus der Sünde, die uns im Alltag überall umlauert, zu befreien. Er hat uns gerufen um uns seinen Weg ins Heil zu zeigen. Halleluja, Halleluja, Halleluja.“. Bei dieser Halleluja-Häufung musste ich an Karl Valentins Aloysius, dem dieses Frohlocken im Himmelreich gar nicht so gefiel, denken. Na ja, jedes Übermaß löst das Gegenteil vom gewünschten Effekt aus. Ewald bat nun die Leute sich zu erheben und Gott zu loben. Die, immer noch auf der Bühne stehenden, Mitglieder des Chores hoben ihre Arme etwas nach außen versetzt und hielten ihre offenen Handflächen nach Oben. Nicht wenige Leute im Zuschauerraum folgten dem Beispiel. Ewald sprach ein Gebet in einem sehr emotionalen Tonfallen. In dem Gebet kam viel das Wort „Danke“, was er immer überbetonte, vor. Nach einem lauten „Amen“, den sich fast alle Leute im Zelt, gleichgültig ob auf der Bühne oder davor, einstimmten wurde das Ganze durch ein Orgelspiel, das über die Lautsprecheranlage überlaut eingespielt wurde, abgeschlossen. Nach meiner Auffassung ist eine solche Betshow sehr geschmacklos. Ich habe ein Gebet immer für ein intimes Gespräch zwischen mir und Gott gehalten und da sind Elemente wie wir sie zum Beispiel von Popshows kennen unangebracht. Kann man bei einem solchen Auftritt überhaupt noch von Gebet sprechen oder handelt es sich dabei um einen einpeitschenden Auftritt. Schließlich machen es Showstars, die ihr Publikum in Fahrt bringen wollen, genauso wie hier das deutsche Maschinengewehr Gottes. Sicher könnte man sagen, dass der Zweck die
Mittel heiligen würde aber kann so etwas bei den Menschen, wenn sie später zur Besinnung kommen nicht zum Gegenteil führen. Erscheint einen so etwas in einer ruhigen Minute nicht als enormer Hokuspokus, wie er im Showgeschäft zum Füllen der Kassen angewandt wird. Bei mir drängte sich der Eindruck auf, dass auch die Ewald-Pirner-Show dem Zweck der Bereicherung diente aber bis jetzt war noch in keiner Weise auf die Brieftaschen der Besucher geschielt worden. Während die Orgelkonserve dröhnte war Ewald noch einmal abgetreten um danach in einem langen leuchtendweißen Gewand wiederzukehren. In diesem Moment erinnerte er mich an ein eBook, was ich kurz zuvor gelesen hatte. Dieses Buch heißt „Hexenberg“ und kann von der Homepage des Autors www.reinervial.de kostenlos gedownloadet werden. In diesem Werk kommt auch ein ausgeflippter ehemaliger Einzelhändler vor, der sich als so eine Art Prophet in seiner Gegend dem Amüsement der Bevölkerung aussetzte. Nun, bei dem armen Mann aus Hexenberg war alles krankhaft und hier bei Ewald Pirner schien mir alles Berechnung zu sein. Alles was er machte war auf Showwirkung ausgelegt und ich wartete förmlich auf den Moment, wo wir Besucher zur Kasse gebeten werden sollten. Jetzt setzte erst mal eine indirekte Publikumsbeschimpfung an. Ewald wetterte so gut wie gegen alle menschlichen Schwächen wie Trunksucht, Fleischeslust und allerlei diverser menschlicher Begehren. Er diffamierte und verteufelte Schwule, Lesben und andere Minderheiten. Er wetterte gegen Abtreibung und Hurerei. Immer wieder rief er der Menge zu: „Haltet ein und kehrt um“. Nach meinem Empfinden diffamierte er im weiteren Verlauf Andersgläubige und insbesondere Muslime in einer ganz üblen Art. Er stellte den Islam als eine aggressive Religion, die nach Weltherrschaft strebe, dar. Dabei fiel mir auf, dass er sich offensichtlich sehr wenig mit dem beschäftigt hatte, worüber er sprach. Alles was er über die Religion sagte war mehr oder weniger freierfundenes, nur Fremdenhass schürendes Gerede. Ich bezweifle, dass er wusste, das Mohamed nach muslimischen Glauben das siebte Siegel Gottes, der die Gesetze, die die Menschen von Moses haben, und das Evangelium, das der Messias Jesus überbrachte, bestätigte, sein soll. Der Islam ist so friedfertig und so aggressiv wie auch das Christentum. Für mich entscheidend ist beim Islam, dass er entschieden den Heiligen Geist, der in uns lebt und wirkt, leugnet. Dadurch, dass Mohamed das siebte Siegel ist, kann es so auch keine neueren Offenbarungen und somit keinen Fortschritt im Glauben geben. Das ist also der wesentliche Unterschied zwischen Islam und Christentum. Aber ob das ein Ewald Pirner wusste wage ich doch ganz stark zu bezweifeln. Nach seiner Verteufelungskanonade, bei der Redner mit heftiger Gestikulation unentwegt auf der Bühne stetig in Bewegung war, kam er dann auf sich selbst zu sprechen. „Ich muss euch bekennen, dass auch ich ein übler Sünder, ein Verlorener war.“, begann er diesen Part. Er bezichtigte sich selbst mal der Fleischeslust und dem Alkohol verfallen gewesen zu sein. Nachdem, was ich von seiner Biografie kannte, konnte dieses ja sogar stimmen. Er „berichtete“, dass ihm dann eines Nachts Jesus Christus erschienen sei und ihm aufgefordert habe ihm zu folgen. Der Herr habe ihn in ein weites Land, in dem überall glühende Lava geflossen sei, geführt habe. In der heißen Lava habe er viele Menschen gesehen, die fortwährend geheult und gejammert hätten. Pausenlos hätten sie gefleht für immer verbrennen zu dürfen aber der Herr habe sie nicht erhört. Dann habe der Herr zu ihm gesprochen: „Ewald, siehe das ist dein Weg wenn du deinen Sünden nicht abschwörst und mir nicht nachfolgst.“. Im Anschluss habe ihn der Herr in eine anderes weites Land geführt. Überall wäre Licht gewesen, überall habe es geblüht und alle Menschen hätten glücklich ausgesehen. Während das Lavaland mit Menschen überfüllt gewesen sei, wären in diesem Land des Lichts nur wenige gewesen. Der Herr habe ihm gesagt: „Ewald, gehe hin und berichte den Leuten was du gesehen hast, dann ist dieser Ort, der meines Vaters ist, für dich und für die, die auf dich hören, bestimmt. Ich habe jetzt hier eine Kurzfassung seiner Predigt gebracht. Mit dem Ausmalen der beiden „Länder“, dass eine, wo das Grauen wohnt, und das andere, wo Milch und Honig fließen, hat er fast eine halbe Stunde gebraucht. Währendessen formierte sich in meinem Kopf immer mehr der Widerstand gegen diese Worte. Für mich hatte das alles nichts mehr mit dem Christentum zu tun. So wie Ewald, hatten wohl die Volksbetörer im Mittelalter auf die Leute eingewirkt. Damals konnte das einfache Volk nicht lesen und so hatten sie keine Möglichkeit zu überprüfen ob das, was die „Gaukler“ davon sich gaben, auch mit der Wirklichkeit in der Bibel übereinstimmte. Durch die düstere Horrorvision vom Höllenfeuer und durch die Schlaraffenlandmär vom Paradies konnte man sich damals das Volk gefügig machen. Alles hatte nur einen Sinn: „Halt du sie dumm, dann kann ich sie besser ausnehmen“, sagte der Fürst zum Bischof. Biblisch ist das alles nicht, denn da gibt es in der Verheißung nur das ewige Leben oder die ewige Verdammnis. Wie die aber aussehen, dass steht nirgendwo. Ganz im Gegenteil, in den 10 Geboten werden wir ermahnt: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder dessen, das oben im Himmel, noch dessen, das unten auf Erden, noch dessen, das in den Wassern, unterhalb der Erde ist.“. Und dieses Gebot ist beim besten Willen nicht unnütz. Wenn wir diesbezüglich tatsächlich göttliche Allwissenheit besäßen, würden wir Menschen unser irdische Leben ganz auf das, was danach kommt ausrichten. Wir würden uns unseres Lohnes sicher fühlen und das irdische Leben vernachlässigen. Wenn ich mich in einer
ewigen Pracht wieder finden kann, was soll ich mich dann noch lange hier auf Erden quälen. Dann kann ich doch ähnlich palistinänsischer beziehungsweise islamistischer Selbstmordattentäter ein Wenig nachhelfen um schneller zum Ziel zu kommen. Warum hätte Gott diese Welt schaffen sollen, wenn wir statt zu leben uns nur auf das vorbereiten, was danach kommt, wenn mal wieder alles der Verheißung entsprechend zu Staub und Asche geworden ist. Nein, nein, nach meiner Überzeugung hat uns Gott geschaffen, damit sich unsere Seele, die nach seinem Bilde geschaffen worden ist, so ausbilden kann wie er ist. In der Bergpredigt (Matthäus 5,48) heißt es: „Darum sollt ihr vollkommen sein (werden), gleichwie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“. Dazu müssen wir leben, lieben und leiden, damit sich unser Bewusstsein ausbilden kann. Dazu brauchen wir mehr Zweifel wie Gewissheit. Wissen ist kein Glauben aber nur der Glaube und das Vertrauen in Gott lässt uns selig werden. Ich bin davon überzeugt davon, dass das, was Ewald Pirner und seine „Artgenossen“ da machen, einen großen Frevel darstellt. Er missbraucht die Naivität oder gar Dummheit der Menschen um ... . Ja, wahrscheinlich um Geschäfte zu machen. Keine Mission für den dreieinigen Gott sondern ein besonders verwerflicher Tanz ums Goldene Kalb. Bei der Art und Weise wie sich Ewald gab drängten sich mir diverse Vergleiche auf. Da hatte ich im Fernsehen mal so eine Dokumentation über einen Demagogen, der hieß glaube ich Höller, gesehen der den Leuten Erfolg und Reichtum ansuggerierte. Nun, einen Unterschied zu diesem Hohen Priester des Gottes Mammon und Ewald Pirner, dem deutschen Maschinengewehr Gottes, konnte ich beim besten Willen nicht ausmachen. Hüben wie Drüben handelt es sich um massive Suggestion. Das Gott bei solchen Evangelisationen mitwirke halte ich für naiven Quatsch, denn die gleiche Methode klappt ja auch anders herum. Der wohl schlimmste Vergleich, der mir an jenem Abend in den Sinn kam war der Auftritt des braunen Gesellen Göbels im Sportpalast als er die Menge fragte ob sie Butter oder den totalen Krieg wolle. In allen Fällen die gleichen Methoden, die nicht zu unrecht an Gehirnwäsche erinnern. Nach den Himmel- und Höllebildnissen kam Ewald zum Schluss seiner Vortragsshow und dabei zur Sache. Er verkündete, dass er in Gefolgschaft zu Jesus Christus die Aufgabe habe möglichst viele Menschen vor dem Höllenfeuer zu retten. Zu uns, seinem Publikum sagte er, wir könnten durch eine Spende, die während des nächsten Auftritt des Chores eingesammelt werden sollten, dazu beitragen das er noch möglichst viele Menschen erreicht. Außerdem sollten wir uns im Anschluss mit Materialien zur „eigenen Erbauung“ und zur „missionarischen Weitergabe“ eindecken. Na ja, ich habe mich mit keinem einzigsten Stück der angeboten Materialien eingedeckt und kann daher nichts zum inhaltlichen Wert der Schriften und CDs sagen. Ich kann nur Aufmachung, Umfang und technisches Äußeres beurteilen und aus der Sicht muss ich sagen, dass billige Sachen zu stolzen Preisen angeboten wurden. Ja, Ewald war abgetreten und der Chor kam nun wieder auf der inzwischen erneut hellbeleuchteten Bühne zum Einsatz. Nun, das gefiel mir nun wieder: Flott vorgetragene Spirituals und Gospel. Währenddessen liefen flache Teller durch die Zuschauerreihen. Flache Teller sind natürlich die aufdringlichste Art und Weise Spenden einzusammeln. Wie verträgt sich das eigentlich mit der Bergpredigt (Matthäus 6, 2 – 4): „Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht vor dir her posaunen lassen, wie die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gepriesen zu werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber Almosen gibst, so soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut damit dein Almosen im Verborgenen sei. Und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten öffentlich.“. Mit Tellersammlungen kann man auch geschickt Leuten etwas, was sie selber dringend benötigen, abnötigen. Es müssen nur zu Anfang der Reihe drei Leute einen 100-Euro-Schein auf den Teller legen und schon schämen sich die nachfolgenden, wenn sie nur einen 20-Euro-Schein zum Drauflegen zur Hand nehmen können. Bei dieser Methode können ja alle deutlich sehen, was der Nachbar zuvor gegeben hat. Was die Leute geben können ist ja sehr relativ. Wenn der reichste Mann der Welt, ein gewisser Bill Gates, eine Million Dollar gibt, dann ist das nicht mal – man lese und staune – ein Fünfzigtausendstel seines auf über 50 Milliarden geschätzten Einkommens; eine Milliarde sind ja bekanntlich tausend Millionen. Bei Otto Normalverdiener mit 3.000 € im Monat (= 36.000 €/Jahr) entsprechen schlappe 72 Cent der Gatschen Millionen. Wenn dieser Normalverdiener jetzt bei der Ewald-Pirner-Show 100 € gibt, ist dieses 1/30 seines Einkommens für den Sozialhilfeempfänger ist das aber über ein Drittel des monatlichen Regelsatzes. Auch an einem Urlaubsort sind die Gewichte unterschiedlich verteilt. Der Eine kann drei Mal im Jahr Urlaub machen, ohne dass er im Einzelnen groß nachrechnen muss, und der Andere muss wacker sparen, damit er eventuell alle zwei Jahre in den Urlaub kann. Letzterer wird dieses natürlich nicht an die große Glocke hängen sondern er wird es in dieser Urlaubszeit dem Ersteren gleichtun; Armut tritt nicht ins Rampenlicht sondern versteckt sich bekannter Maßen. Daher finde ich die Teller-Sammel-Methode im Missionszelt ja auch so fies. Ich war mit mir am kämpfen ob ich demonstrativ eine 1- oder 2-Euro-Münze auf den Teller legen sollte. Dazu konnte ich aber letztlich dann doch den Mut nicht aufbringen und zückte deshalb einen 10-Euro-Schein. Und selbst dieser brachte mir missfällige Blicke bei den Sitznachbarn, an denen der Teller nach mir vorüber zog, ein. Es kann aber auch sein, dass die
Blicke der links neben mir sitzenden Rosi galten. Die war nämlich noch etwas mutiger als ich und hat nur einen 5-Euro-Schein auf den Teller gelegt. Nach dem Chorauftritt, bei dem die „Honorarsammlung“ stattfand, kam der Starprediger noch einmal auf die Bühne. Sein weißes Gewand, was offensichtlich den Eindruck eines Hyper-Talars erwecken sollte, hatte er zwischenzeitig im Gegensatz zu seinem Halleluja-Gejohle abgelegt. Er forderte die Leute auf sich zum Zeichen ihrer Bekehrung zu erheben und laut zu rufen „Ja Herr ich glaube an dich, erlöse auch mich“. Mit diesem Ruf und natürlich wechselweise mit Halleluja-Geschrei sollten die Leute nach vorne vor die Bühne kommen. Da wurden sie dann von den örtlichen Mitarbeitern der Evangelisation, meist kommen diese von den Baptisten, also der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde, oder vom CVJM, in Empfang genommen. Diese Leute, die nach Vorne gingen, wurden dann noch mal von den lokalen Missionsamateuren in die Mangel genommen. Aber was bei diesen Einzel-Nachgespräche abläuft kann ich beim besten Willen nicht sagen, da ich mich nicht angesprochen fühlte nach Vorne zu gehen. Rosi und ich hatten eigentlich beschlossen nun das Zelt zu verlassen und in einer nahegelegenen Gaststätte noch ein Bier zu trinken. Wir fühlten uns überhaupt von der Art und Weise der Veranstaltung nicht angesprochen sondern im Gegenteil abgestoßen. Würde unser Pastor es im sonntäglichen Gottesdienst so machen wie dieser Showstar in Sachen Himmel und Hölle würde ich bestimmt nicht mehr in die Kirche gehen. Aus unserem Weg in die Kneipe wurde aber nichts, denn wir wurden am Ausgang von dem Evangelisten persönlich abgefangen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten aber Ewald hatte mich erkannt obwohl ich mich in keiner Weise auffällig verhalten hatte und er ja während der ganzen Zeit in Aktion war. Ich schätze mal, dass er während der Chorauftritte hinter der Bühne gestanden hat und sich die Zeltbesucher der Reihe nach und einzeln angesehen hat. So etwas kann ja nie schaden, denn dann kann man ja die Leutchen ausspähen auf die man achten und gegebenenfalls reagieren muss. Gewisse Pappenheimer kennt man ja und andere erkennt man an der Art und Weise wie sie sich vor Veranstaltungen verhalten. Allerdings gehört zum Erkennen der Letztgenannten eine Portion Erfahrung, die aber Ewald Pirner aufgrund seiner langjährigen Praxis als Showevangelist sicherlich hat. Natürlich in großen Hallen geht so etwas nicht aber da kommen diese Typen auch nicht zum Zuge, das ist in Zelten, in die zirka 200 bis 300 Besucher passen, schon etwas anderes. Ich nehme also an, dass Pirner so vorgegangen ist und mich dabei erspäht hat. Auf jeden Fall stand Ewald am Ausgang vom Hauptzelt ins Vorzelt. Ein anderer Ausgang war nicht vorgesehen weil man die Leute ja auch noch durch die „Verkaufsausstellung“ locken wollte. Er kam auf mich zu und streckte mir seine Grußhand entgegen: „Grüß dich Klaus. Es freut mich, dass unser Herr deine Wege auch in unsere Mission geführt hat. Es wundert mich aber, dass dieses hier, fernab von Goldbach, ist. Du hast doch sicherlich Urlaub und daher ist es dir bestimmt möglich noch ein Wenig Zeit für ein kurzes Gespräch von deiner Nachtruhe abzuzweigen. Darf ich dich dann zu einem Gespräch einladen?“. Mir ging es jetzt ganz normal, so wie es einen geht, wenn man nach langen Jahren einen ehemaligen Schulkameraden wiedertrifft. Es macht ja Freude alte gemeinsame Erinnerungen aufzufrischen und zu erfahren, wie es dem Anderen in all den Jahren ergangen ist. Also sagte ich, nachdem ich ihm Rosi vorgestellt hatte, zu. Aber diesem Gespräch, wie ich es mir vorgestellt hatte, wich mein Exschulkamerad immer wieder aus. Ihm war wohl nur an so einem Gespräch, wie es die Helfer der Evangelisation zur gleichen Zeit mit den nach Vorne gelockten Besucher führten, gelegen. Er verabreichte mir nun das, was er vorher allgemein und alle gerichtet hatte, jetzt in einer persönlich zugeschnittenen Einzellektion. Dabei zielte er sehr stark auf meine Erotik-Galerie im Internet und auf meine Weigerung für ihn mit Sonderkonditionen zu arbeiten ab. Dabei sagte er dann: „Mein lieber Klaus, wie ich das sehe bist du auf dem Weg zur Hölle.“. Damit hatte er das Stichwort für meinen Part geliefert: „Dann sage mir mal mein lieber Ewald wo es hier zur Hölle geht. Das müsstest du mir doch eigentlich sagen können wo du doch offensichtlich in Gottes Willen, in seine Urteilen und insgesamt in sein Mysterium eingeweiht bist. Du beschreibst Himmel und Hölle und in der Bibel gibt es keinen Hinweis ob es die überhaupt gibt. Du müsstest doch besser wissen, dass die Verheißung nur von einem ewigen Leben bei Gott und der ewigen Verdammnis in Gottferne spricht. Lediglich in der bildhaften Sprache der Bibel wird die Gottnähe mit dem Himmel, im Sinne von Firmament, gleichgesetzt. Es handelt sich um das alles überspannende Oben woher auch das Licht kommt. Auch der Regen, der alles aufgehen, blühen und gedeihen lässt kommt von diesem Firmament. Aus meiner Sicht ist Himmel ein wirklich treffender Ausdruck für Gottnähe. Aber mehr findest du zum Thema Himmel nicht in der Bibel.“. Er unterbrach mich und fragte ob ich die Auferstehung, einer der Kernpunkte des christlichen Glaubens, in Frage stellen wolle, denn wenn es keinen Himmel gäbe könnte es auch keine Auferstehung geben. Damit konnte er mich aber nicht fangen und ich fuhr fort: „Die Botschaft aus der Auferstehung lautet: ‚Ich lebe und wie ich sollt auch ihr leben’. Damit ist aber noch lange nicht gesagt wie, wann und wo wir leben. Nur das es bei Gott, was ich bildhaft mit Himmel ausdrücken kann, sein wird kann man der Verheißung entnehmen. Alles was ich darüber hinaus behaupte sind Bildnisse und Gleichnisse, die wir uns ja laut Gottes Gebote nicht machen sollen. Aber
schlimmer wie die Bilder vom Himmel sind die von der Hölle. Darauf gibt es in der Bibel überhaupt kein Hinweis. Es ist ja denkbar, dass die ewige Verdammnis daraus besteht, dass dein Licht für immer ausgelöscht wird. Das dann wenn alles mal wieder zu Staub und Asche wird auch deine Seele, die eigentlich laut Verheißung unsterblich ist, den gleichen Weg geht. Aber auch dazu sollst du dir kein Bildnis und kein Gleichnis machen. Du sollst leben, an Gott glauben und ihm vertrauen ... das ist alles.“. „Theoretisch hast du kein Unrecht“, unterbrach mich Ewald erneut, „aber sehe es mal durch die Brille des Missionars. Du musst den Leuten etwas an die Hand geben, woran sie sich halten können. Leben und leben lassen und dabei alle Gebote Gottes mit Füßen treten kann es nicht sein. Das ewige Leben bei unserem Gott kannst du nur erringen wenn du in die Nachfolge unsere Herrn Jesu trittst und seine Gebote achtest. Ansonsten bist du auf den Weg in die Hölle, nach dem du vorhin fragtest.“. „Ich glaube du verstehst einiges falsch und hängst das noch an die große Glocke.“, erwiderte ich ihm, „Das ewige Leben gewinnst du nur dadurch, dass du an Gott glaubst, ihn liebst, fürchtest und vertraust. Deine Taten werden von Gott nicht angesehen. Wie schrieb doch der Apostel Paulus im vierten Kapitel des Römerbriefes: ‚Wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, hat er zwar Ruhm, aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? «Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet».’. Wenn du an Gott glaubst, ihn liebst, fürchtest und vertraust, dann wirst du dich an die Gebote, an seine Richtlinien für unser Leben, halten wollen. Wenn du aber die Gebote achtest und Taten begehst um deinen Lohn, sprich das ewige Leben, den Himmel zu bekommen aber ihn gar nicht richtig liebst, wird dir dieses auch nicht, wie es bei Paulus heißt, zur Gerechtigkeit angerechnet. Ganz im Gegenteil: Wenn du deine, ach so fromm erscheinenden Taten, aus dem Grunde unternimmst um andere zu unterwerfen, damit du selbst zu Ruhm und Reichtum kommst, dürftest du deinen Lohn verspielt haben.“. Jetzt fühlte sich Ewald wohl angesprochen und war richtig entrüstet: „Du willst mir doch kein falsches Ansinnen unterstellen. Du willst doch wohl nicht sagen, dass ich die Mission betreibe um mich zu bereichern.“. Mir kam es so vor als habe ich jetzt bei ihm ins Schwarze getroffen. Ich wollte ihm noch sagen, dass ich das nicht beurteilen könne und dürfe, da uns Gott das urteilen (richten) untersagt habe. Dann wollte ich den Spieß umdrehen und ihm sagen, dass er das bei den Anderen auch nicht dürfe, auch nicht im Hinblick auf meine Erotikseite im Internet. Dazu kam es aber nicht, denn Ewald war so verärgert, dass er uns stehen ließ und von dannen zog. Eigentlich hatte ich mir die Begegnung mit einem Exschulfreund anders vorgestellt. Sicherlich, so lange, dass wir nicht mehr wie vorgesehen in die Gaststätte hätten gehen können, war diese „Plauderei“ auch nun wieder nicht. Aber irgendwie stand jetzt weder Rosi noch mir der Sinn danach. Wir beschlossen noch „eine Runde um den Pudding zu ziehen“, wie meine Mutter immer sagte, und wollten uns danach in unsere Betten zurückziehen. Gesagt und getan. So schlenderten wir dann noch gemütlich durch die Abendluft, die nach einem Gewitter, von dem wir im Zelt nichts mitbekommen haben, recht angenehm war. Dabei ließen wir noch einmal den Abend Revue passieren und diskutierten dann noch ein Wenig darüber, was eigentlich Mission ist. Rosi meinte dazu: „Sicher muss man unterscheiden ob ich jetzt in einer fernen Gegend, zum Beispiel auf Borneo, oder in der islamischen Welt oder im sogenannten christlichen Abendland missionieren will. Ich glaube, jetzt ist aber nur letzteres unser Thema und da heißt Mission mitten im Leben stehen, unter die Menschen. in ihren Alltag gehen und sich offen zu Jesus Christus zu bekennen. Mission erfolgt nicht durch die Menschen sondern durch den Heiligen Geist. Was Pirner aber macht ist die Leute zu überfallen und sie zu indoktrinieren. Nach meiner Auffassung hat das mit Mission nichts zutun. Mich persönlich schrecken solche Machenschaften, die auch Demagogen aus anderen Gebieten, von den Kaufüberredungen bis zur politischen Propaganda, pflegen immer fürchterlich ab.“. Na ja, da war das Ehepaar Becker mal wieder einer Meinung. Der nächste Tag war dann ganz verregnet. Rosi spottete: „Siehst du Schatzi, der liebe Gott bestraft uns dafür, dass wir gestern so aufmüpfig gegen sein Maschinengewehr waren.“. Darauf konnte ich ihr nur „Ich glaube nicht, dass Gott ein Militarist ist und ein Maschinengewehr hat. Vielleicht lässt er jetzt den Himmel weinen, weil ihm gestern dieses so viele Leute unterstellt haben.“ erwidern. Daran sieht man, das uns der Regen den Humor nicht verbiegen kann. Wir nahmen es locker und gönnten uns einen Vormittag im Bett. Wie das bei solchen Gelegenheit ist, kommt man danach nicht so richtig in die Gänge. So war es dann schon so gegen Zwei als wir zum Mittags-Essens-Ausgang bereitstanden. Wir sagten uns: Ach was soll’s, dann gehen wir zu Fuß halt nur bis ins Dorfgasthaus, wo wir schon am Vorabend hin wollten. Da gibt es zwar nur einfache bürgerliche Kost aber dafür reichlich und preiswert. Außerdem können wir dann nach dem Essen noch auf ein paar Bierchen sitzen bleiben und das nachholen, was wir eigentlich schon nach der Evangelisation vorhatten. Gut geplant ist schon halb ausgeführt und so kamen wir zu einem interessanten Nachmittag im Wirtshaus. Wir hatten gemütlich und locker unser Menü „verputzt“ und das erste Bier nach dem Essen bestellt als ein Herr, etwa in unserem Alter aber im Gesicht auf Grund seiner Faltenbildung deutlich älter aussehend zu uns an den Tisch kam: „Entschuldigen sie bitte, darf ich sie mal was fragen?“. Als wir dieses bejahten fuhr er fort: „Sie waren doch gestern Abend im Zelt. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sie Ewald Pirner persönlich kennen. Der ist
nämlich ein Bisschen hochnäsig und spricht nicht mit jedem selbst. Ich weiß das, denn Ewald war lange Jahre mein Lebenspartner ... und deshalb würde ich ganz gerne mit ihnen sprechen.“. Jetzt war ich doch etwas verwundert. Wie hatte mein Exklassenkamerad am Vorabend noch über Schwule gewettert und jetzt hörte sich das aus dem Munde des Herrn so an als sei er selbst dort einzuordnen. Nach Ewalds Worten ist Homosexualität keine von Gott mitgegebene Veranlagung sondern eine Sünde, die Gott unter anderem mit Aids strafe. Das machte mich neugierig und ich bot dem Herrn erst mal Platz an unserem Tisch an und berichtete ihm dann, dass Ewald Pirner und ich zusammen zur Schule gegangen seien. „Ach so,“, sagte der Herr etwas enttäuscht klingend, „ich wollte sie eigentlich fragen ob sie ein gutes Wort für mich einlegen könnten. Aber ihre Schulzeit ist ja schon so lange her.“. Einen Augenblick, nach dem er seinen Satz beendet hatte, setzte er noch mal ruckartig an: „Oh, entschuldigen sie, ich habe mich ja gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Cornelius Grün.“. Darauf stellte ich Rosi und mich vor und hörte zu meinem Erstaunen: „Ach, sie sind der Computermann aus Goldbach, der dem Missionswerk nichts schenken wollte.“. Jetzt lachte er erst einmal freundlich und fuhr dann fort: „Dann können sie bestimmt nichts für mich tun, denn Ewald war noch nie gut auf sie zu sprechen. Dann hat er bestimmt gestern selbst noch mal sein Glück bei ihnen versucht ... und ich nehme an, dass er auch dieses mal bei ihnen abgeblitzt ist. Der Kerl ist halt ein falscher Fünfziger und ich bin froh dass ich von ihm ab bin.“. Das war nun für mich ein böhmisches Dorf: Wir sollten für ihn ein gutes Wort einlegen – vermutlich weil er zu seinem Exfreund zurück wollte – und dann sagt er, dass er froh sei, von dem Kerl ab zu sein. Dementsprechend sagte ich: „Entschuldigen sie, weshalb sollten wir denn ein gutes Wort für sie einlegen – oder möchten sie mir das jetzt nicht mehr sagen?“. „Doch, doch,“, fuhr Herr Grün jetzt fort, „wir haben, seitdem wir uns damals beim Entzug kennen lernten, immer wie Mann und Frau zusammen gelebt. Er war der Herr im Hause und obwohl ich ordentlich arbeiten musste, mehr wie jeder andere im Missionsteam, habe ich nie Lohn erhalten sondern immer nur Taschengeld. Vor einem Jahr hat er sich von mir getrennt, angeblich weil ich ein unbelehrbarer Säufer bin. Das stimmt sogar irgendwo aber es war nicht die Wahrheit weshalb er mich wegstieß, denn er hat jetzt einen jüngeren, besser aussehenden Partner. Er hat mir immer gesagt, dass er mich für alle Fälle in seinem Testament bedenken wolle und für den Fall einer Trennung, gleichgültig aus welchen Grund, wollte er mir Unterhalt gewähren wie es ein heterosexueller Ehemann seiner Ehefrau nach der Scheidung gewähren muss. Als es dann wirklich so kam, hat er keinen Cent rausgerückt und ich muss jetzt von der Stütze leben. Ewald ist halt ein richtiges Schwein.“. „Hat Pirner, denn keine Angst, dass sie an die Öffentlichkeit gehen?“, wollte Rosi wissen und ergänzte: „Ich kann mir vorstellen, dass er, wenn die Menschen die Wahrheit über ihn erfahren, erledigt wäre. Dieses weiß Pirner doch auch und wird dann nachgeben. Das ist zwar Erpressung aber das würde ich mal unter Gauner gegen Gauner abhaken.“. „Sie kennen Ewald schlecht.“, fuhr Grün jetzt fort, „Genau, das was sie jetzt sagen, habe ich versucht. Da hat er mich wegen übler Nachrede angezeigt. Er bestritt jemals eine homosexuelle Beziehung gehabt zu haben und behauptete mich aus Mitleid zu einem Alkoholkranken jahrelang ohne Arbeitsleistung versorgt zu haben. Zuletzt habe er mir mehrfach eine erneute Therapie angeboten aber ich hätte immer abgelehnt. Für diese Lüge bot er gleich drei Zeugen aus seinem Team, dass ich angeblich auch auf eigenen Wunsch verlassen haben soll, auf. Bei seiner Anzeige hat er behauptet glatt, dass es ihm nicht auf meine Bestrafung sondern nur auf den Ruf seines Missionswerk ankäme.“. „Eigentlich Blödsinn,“, unterbrach ich ihn, „denn wenn man mal jemand angezeigt hat, muss die Staatsanwaltschaft die Sache weiter verfolgen Die Staatsanwaltschaft ist nämlich im Sinne der Allgemeinheit verpflichtet jedes ihr bekanntes Verbrechen oder Delikt zu verfolgen. Da spielt es auch keine Rolle ob man die Anzeige zurücknimmt oder nicht, es sei denn es handelt sich um ein Delikt was nur auf Antrag verfolgt wird. ... Aber ich weiß jetzt nicht ob üble Nachrede zu diesen Antragsdelikten gehört.“. „Das spielte wohl in unserem Fall auch keine Rolle.“, erwiderte Grün, „Die Staatsanwaltschaft hat ihm voll und ganz geglaubt und mich als armen Kranken, der wohl schon unter einem Säuferwahn leidet, behandelt. Dann haben sie mir wie einem kleinen Jungen erklärt welche Folgen eine üble Nachrede für mich haben kann und mir dringend geraten, in Zukunft das Maul zu halten. Ja, und dann habe ich bis heute nichts mehr davon gehört. Nach dem Wieso müssen sie den Staatsanwalt fragen.“. Jetzt fragte ich ihn: „Herrn Grün, ich verstehe immer noch nicht ihr Anliegen an uns. Wo konkret sollten wir ihnen helfen.“. „Oh, entschuldigen sie.“, begann Grün jetzt wieder, „Ich weiß nicht ob sie wissen, dass Ewalds zweite Heimat hier ganz in der Nähe, in Lübeck, ist. Dorthin ist er mit seinen Eltern von Goldbach aus hingezogen und dort ist er auch zuerst unter die Räder gekommen. Ich bin von hier und so konnten wir uns auch in der Therapiestätte kennen lernen. Nachdem Ewald mich rausgeschmissen hat, bin ich natürlich wieder in meine alte Heimat gegangen. Jetzt wo Ewald hier ist, gehe ich natürlich Abend für Abend ins Zelt um mit ihm zu sprechen ... auch gestern Abend. Da sah ich, wie sie mit ihm sprachen. Da stellte ich etwas fest, was ich als eine mögliche Chance ansah. Normalerweise ist Ewald bei Gesprächen immer derjenige, der die Anderen von oben
herab abkanzelt. Als sie gestern mit ihm sprachen hatte ich das Gefühl es wäre umgekehrt. Es sah so aus als hielten sie ihm eine Standpauke. Ich dachte schon, sie wären ein Verwandter von ihm, der Einfluss auf ihn ausüben könnte. Ich bin anschließend hinter ihnen hergegangen um sie zu fragen, ob sie ihn nicht bezüglich meines Unterhaltes ins Gewissen reden könnten. Aber dann hatte ich doch nicht die Traute. ... Aber ist auch egal, bei der Meinung, die Ewald von ihnen hat, nützt das ohnehin nichts.“. Die Erklärung war für mich schlüssig und auch die Einschätzung meiner Einflussmöglichkeiten teilte ich mit Herrn Grün. Was mich jetzt jedoch interessierte war, woher mich unser Gesprächspartner so gut kannte. Die Sache mit den beiden Anfragen dürfte doch wohl nicht so bedeutsam gewesen sein, dass sich dadurch mein Name bei dem Lebenspartner so eingeprägt hat. Ich hatte den Eindruck, dass dieser Grün zu uns ehrlich war und wollte es auch ihm gegenüber sein. So fragte ich ihn dann auch ungeschminkt nach dieser Angelegenheit. Die Antwort war für mich erstaunlich: „Mir scheint, Herr Becker, dass sie, nachdem Ewald aus Goldbach weggezogen ist, sich sehr wenig oder sogar gar nicht um Ewalds Lebensweg gekümmert haben. Umgekehrt war das aber ganz anders. Sie sind praktisch, ohne es selbst zu wissen, die Schlüsselfigur in Ewalds Leben. Jetzt frage ich sie erst einmal was ihnen der Name Irmgard Steiner sagt.“. Wieder ein Stutzen meinerseits, denn diese Irmgard Steiner ist oder war, denn ich weiß nicht ob sie noch lebt, eine Cousine meines Vaters. In meinem Leben habe ich sehr wenig mit ihr zutun gehabt und seitdem ich aus dem Haus bin, also seit der Zeit, wo ich meinen, von meinen Eltern unabhängigen Weg gehe, habe ich überhaupt nichts mehr von ihr gehört. Aber bevor ich etwas sagen konnte fuhr Grün fort: „Das ist doch eine Tante von ihnen und ihr Onkel war genauso Evangelist wie Ewald.“. Jetzt unterbrach ich ihn um erstens klarzustellen, dass es sich nicht um eine „echte Tante“ sondern um die Cousine meines Vaters handele und zweitens sagte ich ihm, dass ich ihren Mann und dessen Beruf nicht kennen würde. Darauf bekam ich dann die wahre Ewald-Pirner-Story im Zusammenhang zu hören. Nachdem Pirners nach Lübeck gezogen waren, fand Ewald seinen ersten Partner, einen zehn Jahre älteren Gastwirt. Für die Eltern brach die Welt zusammen, dass ihr Sohn schwul war wollten sie nicht akzeptieren. Ewald hielt es zuhause nicht aus und zog zu seinem Freund in die Kneipe, wo er auch seine Säuferkarriere startete. Nach Grüns Ansicht war Ewald wohl ein Säufer aber nicht alkoholkrank, denn er könne heute noch ganz gut zulangen. Mal kontrolliert und mal richtig über die Strenge schlagen aber er könne auch eine ganze Zeit ohne Sprit auskommen. Das spricht eigentlich nicht für eine Alkoholkrankheit. Vom Beschaffungszwang sei bei Ewald ebenfalls nichts zu spüren. Grün glaubt, dass ihm diese Eigenart Pirners zum Verhängnis geworden sei, denn Ewald habe ihn immer wieder zum Mittrinken animiert, wonach sich dann bei ihm sofort wieder der Beschaffungszwang eingestellt habe. Grün hat insgesamt vier Therapien hinter sich und sieht sich jetzt als hoffnungslosen Fall. Bei seiner ersten Therapie lernte Grün also Ewald Pirner kennen. Der hatte zuvor ein krummes Ding gedreht – was, weiß auch Grün nicht. Ewald bekam aufgrund seiner vermeintlichen Alkoholkrankheit ein milderes Urteil aber auch die Auflage eine Therapie zu machen. Zu der Zeit fand dann eine Zeltmission mit Alfred Steiner in Lübeck statt zu der auch fast alle Therapieteilnehmer gegangen wären. Auch da seien dann, wie es bei Zeltmissionen üblich ist, die Leute aufgefordert worden nach Vorne zu kommen. Ewald sei bei dieser Gelegenheit von Irmgard Steiner in Empfang genommen. Dabei muss dann gefallen sein, das Ewald aus Goldbach kam, mit mir zur Schule gegangen sei und Gitarre spielen könne. Das war für Irmgard dann der Grund dafür zu sorgen, das Ewald ins Missionsteam aufgenommen wurde und Ewald wiederum habe dann dafür gesorgt, das auch Grün eine Anstellung bei Steiner bekam. Die Beiden haben dann im Chor mitgesungen, wo Ewald dann auch Gitarre gespielt hätte. Es habe nicht lange gedauert bis Ewald zu Spinnen begonnen habe. Er erzählte, dass ihm Christus begegnet sei und er seitdem vom Teufel befreit sei. Der Teufel habe ihn zuvor zur Fleischeslust, Alkohol und bösem Tun verführt und davon sei er jetzt frei. Darauf habe ihn Steiner in sein Programm aufgenommen. Ewald erzählte jetzt während der Evangelisationen von seinem Leben – was Grün allerdings für teils überzogen und teils erfunden hielt – und wie ihm dann Jesus begegnet sei. Erst seien das normale Berichte gewesen, die Steiner anschließend in seine Predigt aufgenommen habe. Aber Ewald habe sich immer mehr gesteigert. Statt eines Berichtes sei dann ein „spritziges Feuer“ rübergekommen. Da haben die Steiners daraus die Konsequenz gezogen: Alfred Steiner zog sich auf die Position des Ghostwriters für Ewald zurück und ließ diesen an seiner Stelle auftreten. Alle Werke auf denen der Name Ewald Pirner steht hätte Alfred Steiner verfasst und der hätte auch die Predigten, die Ewald zwar in freier Rede halten würde, konzipiert. Damit ging es für meinen Exklassenkameraden aber auch für Steiners nach Oben. Ewald Pirner wurde als deutsches Maschinengewehr Gottes berühmt und zusammen mit seinen Zieheltern wurde er wohlhabend. In Baden-Württemberg, am Sitz der Missionsgesellschaft Ewald Pirner, bauten sowohl Steiners wie Ewald eine schicke Villa. Grün sagte das er gerne in diesem „Schloss“ gelebt hätte und sich daher auch die Ausbeutung durch seinen Freund habe gefallen lassen. Weder an Kleidung noch an Beköstigung habe es ihm gefehlt und sein Rausschmiss wäre wirklich einer tiefer Sturz von ganz oben nach ganz unten gewesen. Die Mitarbeiter des Teams würden allesamt sehr schlecht bezahlt aber ansonsten wie Sklaven im Luxus gehalten.
Immer wieder wenn Ewald einen Durchhänger gehabt hatte, was nicht selten vorkam, wurde ich ihm von Irmgard Steiner als Vorbild für einen „erfolgreichen Durchbeißer“ präsentiert. Er musste sich dann anhören wie ich mich auf den zweiten Bildungsweg zu „akademischen Ehren“ durchgekämpft habe und wie ich erfolgreich eine eigene Firma aufgebaut habe. Auch meine schöne Frau und meine nette Familie bekam er, der Schwule, aufs Butterbrot geschmiert. Da kann ich nachvollziehen, dass Ewald so im Lauf der Zeit einen Hass auf mich entwickelt hat. Das ist menschlich und es wäre mir sicher genau so gegangen wie ihm. Als das Missionswerk dann Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts online gehen wollte, gaben Steiners Ewald den Auftrag, mich für ihr Missionswerk einzuspannen. Aber er weigerte sich mit dem verhassten Klaus Becker in Kontakt zu treten. Das machte dann an seiner Stelle die Tochter der Steiners. Das gleiche Spielchen dann noch einmal in Hinsicht auf das Internet im nächsten Jahrzehnt. Allerdings konnte Irmgard ihm dann nach meiner erneuten Ablehnung dann dazu bewegen, selbst mit mir Kontakt aufzunehmen um dann auch auf die Erotikseite herumzuhacken. Als dann Alfred Steiner 1999 starb ging es dann auch mit dem Missionswerk langsam bergab; allerdings noch nicht bis ganz unten. Es gab keine neuen Schriften – Broschüren und Bücher – von diesem mehr. Die Inhalte von Ewalds Predigten wurden immer wackliger. Die Kritik daran wurde auch immer lauter. Laut Grün hat Ewald nur noch zwei Themen im Programm. Einmal sind das Himmel und Hölle, von denen er schaurige beziehungsweise verherrlichende Bildnisse malt, und zum anderen schmückt er Dinge aus der Offenbarung des Johannes aus. Jetzt bin ich mal ehrlich: Die Offenbarung des Johannes ist mir selbst sehr suspekt und hat nach meiner Auffassung in der Bibel nichts zu suchen. Ich kann nur schwerlich ein Unterschied zwischen Johannes und Nostradamus ausmachen. Meines Erachtens werden da Bildnisse und Gleichnisse erzeugt um die Menschen mit Schockwirkungen zu indoktrinieren. Statt den Leuten die frohe Botschaft, das Evangelium zu bringen, werden sie mit Gerichts-, Himmel- und Höllebilder in Angst und Zweifel gestürzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas im Sinne Gottes ist. Mit so etwas hilft man nur den Leuten, die die Welt absolut atheistisch säkularisieren wollen. Denen wird es dann leicht gemacht, das Ganze als Humbuck zu enttarnen und damit die gesamte Botschaft der Bibel ins Reich der Fabel zu verdrängen – und dabei bedarf es doch dringend wieder einer fundierten Werteorientierung. Cornelius Grün berichtete uns an jenem verregneten Urlaubsnachmittag über zwei Stunden über seinen Expartner Ewald Pirner. Dabei kam ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass Ewald nicht das strahlende deutsche Maschinengewehr Gottes ist sondern das bedauernswerte Opfer einer Entwicklung, die er wahrscheinlich gar nicht so gewollt hat. Als Auslöser glaubte ich Ewalds Homosexualität zu sehen. Fordert nicht Jesus von uns, dass wir uns einander annehmen? Das heißt doch wohl, dass wir uns so annehmen sollen, wie Gott uns geschaffen hat, also auch mit allen positiven und negativen Eigenschaften und Veranlagungen. Können wir überhaupt beurteilen was positiv oder negativ ist, steht uns das überhaupt an? Der schwule Ewald wurde weder von seinen Eltern noch von seiner Umgebung angenommen und daraus erwuchs ein Trugbild mit dem er zu Ruhm und Geld kam aber menschlich zerbrach. Aufgrund Grüns Erzählungen konnten wir hinter der Fassade des großen Missionars den armen, fremdgesteuerten Menschen erblicken. Nun, an diesem Nachmittag habe ich auch kräftig gesündigt, weshalb ich am Abend auch noch Vorwürfe von Rosi entgegen nehmen musste. Das waren einmal die elf Biere, die ich selber einfuhr aber schlimmer noch, das was ich dem alkoholkrank Mann Cornelius Grün zukommen ließ. Das war wohl nicht das Wahre. Erst hatte ich mir ja einige Gedanken gemacht wie ich ihn behandeln sollte. Irgendetwas in mir sagte mir immer, dass ich einem Alkoholkranken doch kein Bier anbieten könne aber andererseits quälte mich auch die Frage ob sich dieser Mann nicht bevormundet und auf den Schlips getreten fühlen würde, wenn ich ihm etwas alkoholfreies anbieten würde. So half ich mir erst aus der Patsche in dem ich ihn, wenn ich mir - und ab und zu auch Rosi - ein Bier bestellen wollte, fragte was er trinken wolle aber dann ohne zu fackeln auch für ihn ein Bier bestellte. Später habe ich gar nicht mehr gefragt und gleich für ihn mitbestellt. Das war wohl auf keinem Fall korrekt aber es war ja so spannend für mich, was aus dem Leben meines Schulkameraden zu erfahren. Ja, so klein ist der Schritt zum Fehlverhalten und da sollte man sich keinesfalls auf dem hohen Sockel stellen. Vielleicht ist es dieses „auf den Sockel stellen“ weshalb ich mich gestern hinsetzte um mit dem Aufschreiben dieser Geschichte zu beginnen. Meine Schreiberlingsmotivation hat ihren Ursprung in der Veranstaltung „proChrist“, die im März in der Grugahalle in Essen stattfand und live in unser Gemeindehaus übertragen wurde. Die Resonanz war eigentlich sehr gut. Danach kamen ein paar Superfromme in unserer Gemeinde, sie sind alle dem CVJM zuzurechnen, auf den Gedanken bei uns regelmäßig, etwa zwei Mal im Jahr, Evangelisationen durchzuführen. An Ewald Pirner wurde unter anderem dabei auch gedacht. Da kam mir der Gedanke, diese Geschichte mal nieder zu schreiben um zum Nachdenken über solche Demagogie-Veranstaltungen, in denen viel mit unzulässigen, in meinen Augen gebotswidrigen, Gleichnissen gearbeitet wird, anzuregen. Na ja, geschrieben habe ich die Geschichte nun mal aber ob die überhaupt jemand zu lesen bekommt weiß ich jetzt noch nicht. Ich überlege es mir noch mal. Jetzt mache ich aber einfach Schluss und gehe wieder meinen alltäglichen Angelegenheiten nach. Ob man Christ ist zeigt sich im Alltag und nicht in Predigten und Sonntagsreden. Daher
glaube ich auch, dass gelebtes Christentum gegenüber Predigten und Sonntagsreden die weitergehende Mission ist. In diesem Sinne nur noch ein simples Wort: Schluss.
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