N.T.M. t2 (2004) 201-212 0036-6978t04/040201-12 DOI 10.1007/sfX)048-004-0199-6 9 2004 Birkhauser Verlag, Basel
50 Jahre...
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N.T.M. t2 (2004) 201-212 0036-6978t04/040201-12 DOI 10.1007/sfX)048-004-0199-6 9 2004 Birkhauser Verlag, Basel
50 Jahre Grundschicht der Troposph ire Eine Erinnerung an Karl Schneider-Carius und das Geophysikalische lnstitut der Universitiit Leipzig Michael B6rngen, Thomas Foken und Peter H u p f e r
Fifty years ago in Leipzig Die Grundschichtder Troposphiire was published, a book from the early phase of the internationally developing atmospheric boundary layer research at that time. The anniversary is cause for being concerned with living and working of Karl Schneider-Carius, the author of this work. Emphasis is thereby the time in Leipzig, his last, short, but weighty period of life and creative. Request of Schneider-Carius was the co-operation and development of the three main branches of general geophysics in one university institute. He created the maritime observatory in Zingst iat the Baltic Sea, which should provide both courses for students of different universities and research adapted to the local conditions. At the geophysical observatory Collm, he forced its personnel and material development; he promoted the continuation of the seismological investigations and, particularly the creation of an ionosphere-physical branch. In such a way, Schneider-Carius acted in the spirit of his predecessors Vilhelm Bjerknes and Ludwig Weickmann, and he lastingly promoted the geophysics on the whole at the University of Leipzig.
Vorbemerkungen Im Jahr 1953 erschien bei der Akademischen Verlagsgesellschaft Geest & Portig K G in Leipzig als Band 26 der Reihe Probleme der Kosmischen Physik die nur 168 Seiten umfassende Schrift Die Grundschicht der Troposphi~re aus der Feder yon Karl Schneider-Carius, damals B ad Kissingen ([Schneider-Carius, 1953],Abb. 1). Leipzig sollte jedoch nicht nur der Sitz seiner Verleger bleiben, sondern die Stadt wurde nur wenige Jahre sp~iter der Ort seiner letzten, blog kurzen, aber inhaltsreichen Lebensund Schaffensperiode. Das Geophysikalische Ins titut der Universitfit Leipzig wurde 1913 auf Initiative des Physikers Otto Wiener (1862-1927) und des A s t r o n o m e n Heinrich Bruns (1848-1919) gegrtindet. Auf den Lehrstuhl fOr Geophysik und als D i r e k t o r wurde der Norweger Vilhelm Bjerknes (1862-1951) berufen, der kriegsbedingt bereits 1917 das Institut wieder verlieB, nachdem die Fortftihrung der Arbeiten durch R o b e r t Wenger (t886-1922) gesichert war. Nach d e m Kriegsende 1945 war das einst international bekannte Institut nicht nur ausgebombt, sondern auch ohne Ordinarius. D e r letzte Alntsinhaber, der hochangesehene Ludwig Weickmann (1882-1961), der den Lehrstuhl seit 1923 innehatte und sp~iter Mitglied des Akademischen Senats war und hohe Universitfits~imter (Dekan, Prorektor) bekieidete, geh6rte zu den bedeutenden Wissenschaftlern dieser Hochschule, die Ende Juni 1945 yon den abziehen-
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Michael BOrngenet al.
PROBLEME
DIE GRUNDSCttICHT
DER KOSMISCttEN PttYSIK
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Titelblatt der Grundschicht-Monographie
den US-amerikanischen Besatzungstruppen nach Westdeutschland gebracht wurden, wo er spater als Pr~isident des Wetterdienstes in der US-Zone eine seinen fachlichen und administrativen F~ihigkeiten angemessene Position einnahm. In Leipzig wurde das Institut kommissarisch yon Walter Hesse (1915-1980) geleitet und wieder aufgebaut. Die Berufung des bekannten Aerologen Max Robitzsch (188%1952) blieb nur eine Episode, da er kurze Zeit nach seiner Berufung verstarb. (Ausftihrlichere Darstellungen zur friiheren Geschichte des Geophysikalischen Institutes und seiner Observatorien linden sich in den Jubil~iumsb~nden der InstitutsverSffentlichungen [Mildner, 1938, Hesse 1949, Korttim, 1963, Koch, Schminder, 1963, Hupfer, v. Petersson, 1963].) Die innere politische Lage in der DDR war in der Zeit zwischen der Verktindung eines ,,Neuen Kurses" im Frtihsommer 1953 und dem Ende der 1950er Jahre durch Entspannung und sptirbaren Aufbau der Volkswirtschaft gekennzeichnet. An den Hochschulen waren die ersten tiefgreifenden Umgestaltungen schon erfolgto Es wurde nun die materielle Basis gestfirkt, um den steigenden Studentenzahlen gerecht werden zu k6nnen. In dieser Phase der Entwicklung kam es auch noch zu Berufungen westdeutscher Wissenschaftler an die Universit~iten im Osten. Einer davon war im Jahr 1955 Karl Schneider-Carius, dessen Leben und Wirken dieser Beitrag gewidmet ist.
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Lebensstationen
Karl Schneider-Carius wurde 1896 in der Kleinstadt Bardowick bei Ltineburg in der Familie eines Postbeamten im gehobenen Dienst geboren. Seine Mutter war eine geborene Carius. Diesen Namen ftigte er spfiter (1938) dem Familiennamen hinzu. Er studierte ab 1914 in Berlin, u. a. bei Max Planck (1858-1947), Mathematik, Physik, Meteorologie und Geographie. Das Studium wurde durch die Einberufung in das Iteer unterbrochen, in dem er wShrend der z-weiten H~ilfte des 1.Weltkrieges vornehmlich meteorologische T~itigkeiten bei der Flieger- und Luftschiffertruppe ausfahrte. Danach beendete er sein Studium und wurde unter der Betreuung yon Gustav Hellmann (1854-1939) mit der Arbeit Ober eineAnomalie desjdhrlichen Temperaturganges in Nordeuropa im Jahr 1921 promoviert. Der junge Meteorologe arbeitete dann am Aeronautischen Observatoriurn in Lindenberg (b. Beeskow). Bis 1925 war er als praktischer Aerologe tStig, und filhrte - oft zusammen mit Kurt Wegener (1878-1964) - zahlreiche Wetterflt~ge yon den Berliner Flugh~ifen Adlershof und Staaken durch, die ihm eine direkte Beobachtung atmosph~irischer Prozesse erm6glichten, wodurch er sich einen immensen Erfahrungsschatz aneignete, (und ihm den gern gebrauchten Spitznamen ,,Schneider-Ikarus" einbrachten, unter dem er oft mehr als unter seinem eigenen Namen bekannt war). In dieser Zeit formte sich bei ihm die Vorstellung der Existenz einer ,,Grundschicht" und ihrer Eigenschaften, die er spfiter wissenschaftlich darlegte. Zwischen 1925 und 1935 war Schneider-Carius Vorstand der Thfiringischen landeswetterwarte inWeimar bzw. Jena. Dort lehrte er Meteorotogie an der UniversitM und habilitierte sich 1930 im Fach Meteorologie mit der Arbeit Darstellung typischer Wetterlagen zur Klimatographie Tharingens, ein Beitrag zu der damals aufkommenden dynamischen Klimatologie. Im Jahr 1931 erfolgte die Ernennung zum Professor. Wie Prof. Julius Grober (1875-1971), Physikalisch-therapeutisches Institut der Universit~it Jena, der ihn seit jener Zeit kannte, im spSteren BerufungsgutachtenI schrieb, waren seine Vorlesungen gut besucht und wurden, besonders von den Geographen, geriihmt. Zwischen 1932 und 1934 war er ,,Entwicklungshelfer" in der T(irkei, indem er als Experte und Lehrer ffir Wetterdienst im Tfirkischen Verteidigungsministerium in Ankara wirkte. Nach der Bildung des Reichswetterdienstes und der damit verbundenen Aufl6sung der Landeswetterwarten wurde Schneider-Carius 1935 Leiter der Flugwetterwarte M(inchen-Oberwiesenfeld, und im Jahr 1938 avancierte er zum Luftgaumeteorologen (Luftgau XII/XIII) in Wiesbaden, eine Funktion, die er wghrend des 2.Weltkrieges auch in Paris, Bukarest und zuletzt in Wien bekleidete. Er hat die akademische Lehre dabei nicht aus den Augen verloren. Sowohl in Mt~nchen als auch ab 1939 in Frankfurt a. M. bekleidete er a. o. Professuren. W~ihrend des Krieges wurde ihm zus~itzlich noch ein Lehrauftrag an der Universit~it Heidelberg erteilt. Nach dem Krieg trat Schneider-Carius in den Deutschen Wetterdienst in der US-Zone ein, wo er ab 1946 Gruppenleiter und ab 1953 Leiter der Abteilung Klimatologie war.
1 Alle Ausfiihrungen t~ber Gutachten statzen sich auf die Akte PA 1709 des Universitfitsarchivs Leipzig.
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Schwierigkeiten und Umstiinde der Berufung nach Leipzig Es kann angenommen werden, dass Schneider-Carius von seinem frtiheren und dann auch Leipziger Mitarbeiter Hans Koch (1910-1981), der 1954 yon West- nach Ostdeutschland ttberwechselte, tiber die Situation am Leipziger Institut informiert wurde. Im Herbst 1954 kam es zu Berufungsvorbereitungen durch den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakult~it der Universitgt Leipzig, Waldemar Ilberg (1901-!967), denen offenba r Kontakte des damaligen Staatssekretariats far Hochschulwesen (Staatsse~ret~ir: Gerhard Harig, 1902-1966)mit Schneider-Carius schon vorausgegangen waren. Die Fakult~it hatte zun~ichst die Absicht, Schneider-Carius als Professor mit vollem Lehrauftrag ffir Meteorologie zu berufen (seinerzeit gab es die Stufen ,,Professor mit Lehrauftrag', ,,Professor mit vollem Lehrauftrag" und ,,Professor mit Lehrstuhl", die sich in der Vergtitung erheblich voneinander unterschieden). Ein diesbeztiglicher Antrag an das Staatssekretariat vom 1.12.1954 sttitzte sich auf die ausnahmslos positiven Gutachten der Professoren Julius Grober (Jena, s. o.) und Willi K6nig (1884-1955, Potsdam). Besonders letztgenannter setzte sich sehr ftir diese Berufung ein, da die Meteorologenschaft der D D R an ftihrenden Pers6nlichkeiten arm sei und die Ausrichtung des meteorologischen Studiums gegenw~irtig einen Mangel an Praxisorientierung aufweise, dem durch Schneider-Carius sicher abzuhelfen sei. Anzunehmen, wenn auch nicht nachweisbar ist, dass auf eine Einflussnahme von Sehneider-Carius hin das Staatssekretariat auf den gestellten Antrag mit der Mitteilung reagierte, dass aus seiner Sicht die Berufung von Schneider-Carius auf den vakanten Lehrstuhl ftir Geophysik, verbunden mit dem Direktorat des Instituts und des Geophysikalischen Observatoriums Collm, vorzuziehen sei. Darauf reagierte die Fakultfit zunfichst mit der Bitte um Gutachten von Hans Ertel (t904-1972), Horst Philipps (1905-1962) und Ludwig Weickmann. Damit waren die ftihrenden Pers6nlichkeiten der Meteorologie der D D R sowie der verst~ndlicherweise noch an ,,seinem Institut und Observatorium" h/ingende vorausgehende Lehrstuhlinhaber auf den Plan gerufen. Ertel war der Direktor des Instituts for Meteorologie und Geophysik der Humboldt-Universit~it zu Berlin und Vizepr~isident der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Philipps war Direktor des damaligen Meteorologischen und Hydrologischen Dienstes der DDR. Grundaussage alter drei Gutachter war, dass sie Schneider-Carius zwar positive Leistungen ftir die Meteorologie bescheinigten, es aber - mit allerlei boshaft anmutenden Spitzen durchsetzt - ablehnten, ihn als Nachfolger von Bjerknes und Weickmann auf dem Leipziger Lehrstuhl zu akzeptieren. Weickmann unterstreicht die integrative Bedeutung der Geophysik und urteilt tiber Sehneider-Carius, dass er zu wenig Physiker und Mathematiker ftir diese Aufgabe sei, best~itigt ihm aber gleichzeitig eine erhebliche Produktivit~it und die erkannte Bedeutung des Schichtungsgedankens ftir die Probleme der Aerologie der Troposph~ire. Gerade dieses Gutachten ist so abgefasst, dass leicht Ausziage zitiert werden k6nnen, die eine vorgefasste Meinung sttitzen [Schminder, 1997]. Philipps kommt in restimierender Betrachtung der Bedeutung von Bjerknes und seiner Nachfolger zu dem Schluss, dass die die Meteorologie allein voran bringende physikalische Arbeitsweise bei der Berufung von Schneider-Carius nicht gegeben sei, da dieser mit seiner Schwerpunktsetzung auf dem Gebiet der Klimatologie und beobachtenden Aerologie dem Bjerknes'schen Programm keine neuen Impulse verleihen
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kOnnte. Er irrte allerdings in der Behauptung, dass Schneider-Carius seit mindestens 20 Jahren keine HochschultStigkeit ausgetibt h~itte. Zusfitzlich betonte er, dass ohnehin schon zu viel Meteorologen ausgebildet w~irden, so class die Besetzung des Lehrstuhls eigentlich gar nicht erforderlich sei. Es sei darauf hingewiesen, dass hier bereits ein Bestreben hervortritt, dessen Realisierung die sp~itere 3. Hochschulreform in der D D R Vorschul5 leistete und das darin bestand, nur noch an einem Institut (in Berlin) eine Meteorologieausbildung durchzuf/ihren. Ertel ~iuf3ert sich zur Berufung im Kern fihnlich, indem er Schneider-Carius die F~ihigkeit zur Fortfiihrung des Bjerknes'schen Programms abspricht. Bei der Bewertung der Gutachten daft jedoch nicht unberiicksichtigt bleiben, dass maf3geblich Ertel und Philipps im Gegensatz zu Schneider-Carius Vertreter einer vorwiegend theoretischen Richtung der Meteorologie waren. Der Staatssekretgr Harig reagierte auf diese Situation sehr schnell, indem je ein Lehrstuhl ftir Meteorologie und fiir Oeophysik eingerichtet wurde. Letzterer wurde spater durch Gerhard Fanselau (1904-1982) im Nebenamt besetzt. Bereits am 21.1.1955 teilte der Staatssekret~ir dem Dekan mit, dass Schneider-Carius mit Wirkung..vom 1.2.1955 auf den Lehrstuhl far Meteorologie berufen wird, verbunden mit der Ubernahme des Direktorats des lnstituts und des Oeophysikalischen Observatoriums Collm. Dieses Verfahren war nur bei neu eingerichteten Lehrstiihlen m6glich. Die.Entscheidung wurde Schneider-Carius am 9.3.1955 mitgeteilt. Noch war aber die Ubernahme des Amtes nicht m6glich.Aus Krankheitsgranden und zur Regelung seiner Pensionierung als Beamter im Wetterdienst verblieb Schneider-Carius vorerst in Bad Kissingen und nahm seine Amter erst im Mai 1956 in Leipzig auf. Bis dahin vertrat ihn der Oberassistent Dietrich Sonntag. Aus dem skizzierten Verlauf des Berufungsverfahrens geht hervor, dass Schneider-Carius eine reibungslose und unvoreingenommene Zusammenarbeit weder mit den damaligen Spitzen der Meteorolo~e in der D D R noch mit seiner Fakultfit erwarten konnte.Auch politische Vorbehalte k6nnen nicht ausgeschlossen werden in einer Zeit, in der viele den umgekehrten Weg gingen. Ibm blieben 42 Monate aktiver T~itigkeit als Direktor des Geophysikalischen Instituts, eheer im 63. Lebensjahr im dichten Nebel des 1. Dezember 1959 vor dem Leipziger Hauptbahnhof einen Schlaganfall erlitt, an dessen Folgen er im Krankenhaus verstarb. Auf seinen Lehrstuhl wurde Horst Philipps im Nebenamt berufen, dessen Leben aber ebenfalls viel zu friih endete.
Wissenschaftliche Leistung, Pers6nlichkeit und Leipziger Impulse Schneider-Carius hinterlieB mehr als 100 Ver6ffentlichungen aus verschiedenen Gebieten der Meteorologie (Verzeichnis in [B6er, 1960] und [H~insel, 1959/60]). Seine bedeutendste Leistung liegt sicher auf dem Gebiet der Aerologie, auf dem er auf Grundlage seiner zahlreichen Wetterfltige sein Grundschicht-Konzept entwickelt hat. Darauf wird im n~chsten Abschnitt ausftihrlicher eingegangen. Stets galt sein Interesse auch der Klimatolo#e. Hier sind seine Untersuchungen tiber die statistische Bearbeitung yon Niederschlagsdaten yon grunds~tzlicher Bedeutung (z.T. mit Oskar Esscnwanger). Ftir dieses Interesse spricht auch sein unvollendetes Vorhaben einer Monographie tiber Passate und Monsune, wichtige Glieder der allgemei-
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Abb. 2 Karl Schneider-Carius im Jahr 1959 (Foto: Archiv Hupfer) nen atmosph~irischen Zirkulation. D e r e n Entstehung und Rolle wurden gerade in den 1950er Jahren einer grundlegenden Revision unterzogen. Erw~ihnt sei auch die postum erschienene Schrift Das Ktima, seine Definition und Darstellung; zwei Grundsatzfragen der Klimatologie [Schneider-Carius, 1961], die auch aus heutiger Sicht modern anmutet, lesenswert ist und yon den profunden Kenntnissen des Verfassers zeugt. Grol3es Interesse und Sachkenntnis hatte er auf dem Gebiet der Geschichte der Meteorologie, yon denen nicht nur sein international bekanntes Werk [Schneider-Carius,'1955, 1975], das er mit Untersttitzung von Alfred Schulze (1912-1976) und Adolf Rug verfasst hat, oder das umfangreiche historische Kapitel im ,,LinkeBaur" [Schneider-Carius, 1962] zeugen, sondern auch seine Schriften tiber Goethe und die Meteorologie sowie seine Beitr~ige zum Humboldt-Jahr 1959. Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden in Ost und West gewtirdigt [Faust, 1960, H~insel, 1959/60, Hfinsel, Lauterbach, 1983, Schulze, 1966]. Far die Studenten, die seine Vorlesungen h0rten, ist er bestimmt unvergesslich geblieben, wenn er - unabh~ingig vom eigentlichen Thema - in seinen Ausftihrungen oft wieder bei der Grundschicht landete. Das theoretische Niveau der Lehrveranstaltungen war eher flach, aber durch zahlreiche praktische Erfahrungen und Kenntnisse angereichert. Nicht unerw~ihnt bleiben daft sein Einsatz far die gesellschaftliche Anerkennung der Meteorologen. Ihm schwebte eine geschlossene und geeinte Meteorologenschaft vor, und so reifte in der Aufbauphase nach dem Krieg der Plan zur Grttndung eines ,,Verbandes der Deutschen Meteorologen" (Grtindungsversammlung des V D M im Juli 1950). Es ging ibm um die Pflege des Berufsethos und um eine effektive Interessenvertretung des Standes. Dadurch stand er in gewisser Opposition zu Ludwig Weickmann, der PrSsident des Wetterdienstes in der US-Zone war, zu dem er mit dem Verband ein Gegengewicht bildete. In einer 1951 gehattenen Ansprache fOhrte Schneider-Carius aus: ,,...Was wir wolten ist ganz Mar! Wir wollen Stellung nehmen, wenn Fragen unserer Berufsgestaltung zur Debatte stehen; wir wollen das unemgeschr~inkteRecht haben, unsere Meinung sagen zu dtirfen. Als demokratische Staatsbtirger haben wir aber auch die Hoffnung, dab man ...die Meinung der Deutschen Meteorolgenschaft ... entsprechend der Tatsache in Rechnung stellt, dab wir Meteorologcn nicht nur die Tr~igerder meteorologischen Wissenschaft, sondern zugleich die der Wetterdienstpraxis sind..." [Schutze, t966].
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Auch in die 1957 gegrfindete Meteorotogische Gesellschaft in der DDR brachte sich Schneider-Carius ein; er wurde zu ihrem zweiten Vorsitzenden und zum Vorsitzenden der Sektion Sad dieser Gesellschaft gewfihlt [B6er, 1960]. Schneider-Carius war sehr gebildet, er schaute fiber die Grenzen seines Fachgebietes hinaus. In Leipzig betfitigte er sich im Kulturbund und war aktives Mitglied der Goethe-Gesellschaft. Er war gesellig, fiihlte sich in Diskussionsrunden wohl und steckte immer roller neuer Ideen. Er hatte das Vorlesen und Besprechen lyrischer Gedichte gern. Das wirkte auf Studenten und unvoreingenommene Mitarbeiter sehr attraktiv. Denen war er ein wohlwollender Lehrer und Vorgesetzter. AUerdings hat er gerade die, mit denen er es gut meinte, hart gefordert. Doch hinter seinem aufbrausend-poltrigen, mitunter aber auch fr6hlichen Benehmen verbarg sich ein Wesenszug, den man fast weich nennen kann [Faust, 1960]. Es ist tiberliefert, dass er oft spontan und ftir seine Umgebung fiberraschend handelte. So kam der 121bergang nach Leipzig ftir seine Mitarbeiter und Kollegen v61lig unerwarte.t [Flohn, 19921]. Konnte man sich als Aufmfipfiger und Bonvivant in der DDR fiberhaupt wohlfiihlen? Hier war er jedoch als ,,bfirgerlicher Wissenschaftler" willkommen, und es wurden ihm Sonderkonditionen gew~ihrt, die es ihm erlaubten, seinen Ansprfichen entsprechend zu leben. Sein Wesen hatte neben den positiven Seiten auch den Nachteil, dass es rasch zu einem gespannten Verhfiltnis zu vielen Kollegen und Personen kam, die seinen Weg kreuzten. Es kam ihm nicht darauf an, sich mit Leuten anzulegen, auch in der Verwaltung, Fakult~it usw. Das gilt im gegenseitigen Verhfiltnis zu Ludwig Weickmann, aber auch zu seinem Kissinger Amtsvorgfinger Karl Knoch (1883-1972). Er war schon tiber 60, als er in Leipzig seine T~tigkeit aufnahm. Er litt an Diabetes. Das hat sich nattMich auch auf die F~ihigkeit zum kontinuierlichen wissenschaftlichen Arbeiten ausgewirkt. Umso h6her ist die Leistung einzusch~itzen, die er far die Leipziger Geophysik insgesamt erbracht hat. Sein Konzept war kahn und nachhaltig, zum Teil wirkt es his heute nach. Ihm schwebte die Zusammenarbeit und Entwicklung der drei Hauptzweige der allgemeinen Geophysik an einem Universitgtsinstitut vor, um zu einer erneuten Blfite des Geopyhsikalischen Instituts zu kommen. Er grfindete zusammen mit dem Ozeanographen Erich Bruns (1900-1978) das Maritime Observatorium in Zingst an der Ostsee [Brosin, 2001]. Das war damals insofern berechtigt, da auf dem Gebiet der DDR keine akademische Pflegestfitte far Ozeanographie und maritime Meteorologie bestand. In bescheidenem Umfang gehalten [Hupfer, v. Petersson, 1963], sollte das Observatorium der Lehre ffir interessierte Studieng~nge verschiedener Hochschulen und einer den 6rtlichen Bedingungen angepassten Forschung dienen. An den kfistennahen Universitfiten gab es damals keine geeignete Tr~igereinrichtung f~r ein solches Observatorium.Weiterhin riss er das von Weickmann gegrfindete Geophysikalische Observatorium Collm aus einer Art Dornr6schenschlaf und forcierte dessen personelte und materielle Entwicklung. Er f6rderte besonders die Einrichtung einer ionosph~irenphysikalischenArbeitsrichtung, die dann das Profil des Hauses wesentlich bestimmte [Schminder, 1992]. Am Leipziger Institut selbst hat er darauf gedrungen, die Lehre einschliel31ich der Praktika zu verbessern und den modernen Erfordernissen anzupassen. Er initiierte Arbeiten, die in Richtung einer Weiterentwicklung seiner Grundschicht-Konzeption gingen. Im Bestreben, den Studenten eine ausgewogene Ausbildung zwischen Theorie und Praxis zu bieten, hat
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Schneider-Carius in Zusammenarbeit mit der TU Dresden Flugstunden fiir Studenten organisiert. Hervorzuheben ist die F6rderung des Nachwuchses, aber auch die Schaffung einer wissenschaftlichen Atmosphfire am Institut, die gepr~igt war durch viele Besuche und Vortrfige bekannter Meteorologen aus dem In- und Ausland, durch Aktivitfiten aus Anlass des Internationalen Geophysikalischen Jahres, u. a. seine Untersttitzung der beginnenden glaziologischen Forschungen der D D R [Foken, 1999], und nicht zuletzt durch die Aufnahme der wissenschaftlichen Kooperation mit ausl~indischen Instituten, insbesondere aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Ungarn. Das Grundschicht-Konzept aus heutiger Sicht
Schneider-Carius hat in den Jahren nach dem Krieg seine reichen Erfahrungen tiber die Zust~inde und Prozesse in der untersten Atmosph~ire, verbunden mit der Auswertung aerologischer Messungen, in dem Buch Die Grundschicht der Troposphdre [Schneider-Carius, 1953] zusammengefasst und systematisiert. Dabei ginger rein induktiv-ph~inomenologisch vor und verzichtete auf quantitative Betrachtungen, mOglicherweise wegen sein.er Skepsis gegentiber Radiosondendaten [SchneiderCarius, 1953, S. 1]. Dies und vor allem der Umstand, dass sein Werk nur in deutscher Sprache erschien,verhinderte eine gebtlhrende Beachtung dieses Konzeptes im Rahmen der sich damals international entwickelnden atmosph~irischen Grenzschichtforschung. Die Rezensionen des Buches waren im deutschsprachigen Raum durchaus positiv [K6nig, 1953, Steinhauser, 1953,Flohn, 1954] und der schon seit 1945 yon Schneider-Carius verbreitete Begriff der ,,Grundschicht" land auch Eingang in das HandwOrterbuch der Meteorologie [Keil, 1950]. In der Folgezeit war die Resonanz zurtickhaltend und nicht frei yon Ressentiments. So schreibt Hermann Flohn (1912-1997) in seinen Erinnerungen: .....Ferner sotlte in diesem Zusammenhangauch der Begriffder Grundschichterw~ihntwetden, den Schneider-Carius nach dem Krieg propagierte. Dieser Begriffbezeichnet so etwas wie die planetarische Grenzschicht.Schneider-Cariushat aber nur eine subjektive Klassifikation durchgeftihrt,die rein deskriptiv blieb. Er ging (zum allgemeinenErstaunen) etwa 1953 nach Leipzig,da er selbst~indigsein wotlte.Nach seinemfrtihenTod envies sich dieser Begriff ats nicht sehr zukunftsweisend..."[hlohn, 1992]. Unter diesen Umst~inden konnten die gegebenen fachlichen Impulse kaum aufgenommen werden. Dabei ist es unbestreitbar, dass Schneider-Carius die atmosphfirische (planetarische) Grenzschicht in ihrer heutigen Bedeutung bereits klar erkannt und herausgearbeitet hatte. Uber die unten erwfihnten Arbeiten zur Untermauerung und Weiterentwicklung des Grundschichtkonzeptes hinaus erfuhr die von Schneider-Carius vorgenommene Erweiterung der Grenzschicht um die nicht permanente Konvektionsschicht zur Grundschicht keine weitere Beachtung. Mit dieser Schicht wurde die sich unter bestimmten Stabilit~itsbedingungen nahe der Erdoberfl~iche und bis in gr6gere HOhenbereiche der TropospMre entwickelnde Konvektion berticksichtigt. Es ist das Verdienst von Karl-Heinz Bernhardt und seinen Schtilern, dass die yon Schneider-Carius gegebenen Impulse weiter entwickelt und in die Grenzschicht-
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forschung der D D R einbezogen wurden [Bernhardt, 1967, 1969, 1984,1997]. Diese Forschungen waren yon vornherein wesentlich st~irker physikalisch-mathematisch angelegt ats es Schneider-Carius m6glich gewesen war. Beispielsweise zeigen die Arbeiten zum Schmidt'schen Paradoxon [Bernhardt, 1969], dass der am Tag yore Boden ausgehende turbulente Austausch h~iufig nicht die gesamte Grenzschicht erfasst, so dass damit die heute so bezeichnete Restschicht (residual layer [Stull, 1988]), die eine gealterte Mischungsschicht des Vortages darstellt, erkannt wurde. Allerdings wurde die Bedeutung der Entrainment-Schicht [B all,-1960] nach Vorliegen ihrer ersten Beschreibung untersch~itzt, obwohl die Arbeiten bekannt waren [Bernhardt, 1969]. Dessen ungeachtet erfuhren die Arbeiten aus dem Leipziger Institut und spater der Humboldt-Universitfit zu Berlin internationale Anerkennung. Die Ergebnisse flossen zum Beispiel in eine yon der WMO herausgegebenen zusammenfassenden Darstellung zum Stand der atmosphfirischen Grenzschichtforschung ein [McBean et al., 1979]. Des weiteren basierte ein Schwerpunkt der Grenzschichtforschung osteurop/iischer Staaten ab 1981 auf den Arbeiten yon Schneider-Carius zur Peplopauseninversion [Foken, Bernhardt, 1994]. Aus heutiger Sicht besteht der entscheidende Mangel des Grundschicht-Begriffes, der eine weitere Verwendung nicht sinnvoll erscheinen lfisst, in der starken Ausrichtung auf den nicht permanent vorhandenen Konvektionsraum und die Peplopause (etwa ,,Mantelgrenze") als seine obere Begrenzung. Dadurch w~ire es zu dieser Zeit nicht m6glich gewesen, geschlossene mathematische Formulierungen zu finden und die Grundschicht in ihrer Gesamtheit zeitlich kontinuierlich zu modellieren. Die eigentliche Grenzschicht und ihre Begrenzung durch die EntrainmentSchicht h~itten bei einer ausschliel31ichen ,,Grundschichtbetrachtung" nicht herausgearbeitet werden k6nnen. Diese, wie auch die zeitweise Zweiteitung der oberen Grenzschicht in Mischungsschicht und Restschicht, lassen sich nicht mit dem Grundschichtbegriff vereinbaren. Die Kritik an der geringen mathematischen Durchdringung der diesbeztiglichen Arbeiten yon Schneider-Carius muss dagegen relativiert werden, denn zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches war u. a. die Ahnlichkeitstbeorie ftir die Bodenschicht [Monin, Obukhov, 1954] tiberhaupt noch nicht formuliert. Ebenso liegen erste geschlossene Ansfitze far die Grenzschicht noch fast 10 Jahre auf sich warten.Von ungeschmglertem Wert ist auf alte Ffille seine Monographie [Schneider-Carius, 1953] sehr sorgfaltig ausgewerteter aerologischer Untersuchungen und Beobachtungen der Grenzschicht, die ihresgleichen suchen.
Was bleibt
Die Stfirke von Schneider-Carius war nicht die wissenschaftliche Vertiefung, sondern sein Ideenreichtum und die Anregung seiner Mitarbeiter. In der kurzen Zeit seines Leipziger Wirkens hat damit Schneider-Carius Initialimpulse, besonders tiber seine damals jungen Mitarbeiter, ausgel6st, die zum Teil bis heute noch nachwirken. So existierte bis Anfang der 1990er Jahre das von ibm gegrtindete Maritime Observatorium Zingst, wo im Rahmen einer Arbeitsgruppe Ozeanologie am Fachbereich Geophysik anerkannte Arbeiten zur Forschung auf dem Gebiet der Wechselwirkungen zwischen Atmosph~ire und Meer in unmittelbarer Ktistenn~he
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Michael BOrngen et at.
ebenso wie Studentenkurse durchgefahrt w o r d e n sind (heute ist das Haus eine Auf3enstelle der Universit~it Leipzig). Das Geophysikalische Observatorium Collm hat in den Jahren und Jahrzehnten nach Schneider-Carius mit grof3em Erfolg Forschungen auf den G e b i e t e n der Physik der H o c h a t m o s p h a r e und der Seismologie betrieben und in internationalen P r o g r a m m e n mitgewirkt Das Grundschichtkonzept weiter entwickelnd, w u r d e n zunfichst in Leipzig und sp/~ter an der Humboldt-Universit~t zu Berlin Arbeiten zur Physik der atmosphgrischen Grenz~ schicht durchgefiJhrt, d e r e n Ergebnisse zum Teil auch in Modelle des Wetterdienstes eingegangen sind. Die yon Schneider-Carius immer favorisierte Idee yon der Einheit der Hauptzweige der G e o p h y s i k wurde nach seinem Tod und insbesondere nach der Schliegung des Geophysikalischen Instituts im R a h m e n der 3, Hochschulreform in der D D R im nun gegrtindeten Fachbereich G e o p h y s i k innerhalb der Sektion Physik vor allem dutch das Wirken yon R o b e r t L a u t e r b a c h (1915-1995) mit L e b e n erfiillt. Auf diese Weise hat Schneider-Carius im Geist seiner Leipziger Vorg~inger gehandelt und die Geophysik im Ganzen an der Leipziger Universitgt nachhaltig gefOrdert. Er hat in der kurzen ihm zur Verfiigung gestandenen Zeit damit genau das gemacht, was ihm die Begutachter seiner Bewerbung um den Bjerknes-Weickmann'schen Lehrstuhl nicht zugetraut hatten. War sein Wirken an der Universitat Leipzig auch nur eine Episode, so verdient es der Begrtinder der Grundschicht-Konzeption doch, in Erinnenmg behalten zu werden. Die Verfasser danken Prof. Dr. K.-H. Bernhardt (Berlin), Prof. Dr. H.-J. Brosin (Rostock), M. Carius (Berlin), Prof. Dr. Chr. Hansel (Markkleeberg), Dr. H.-D. Piehl (Ltibben), Prof. H. Schirmer (Offenbach/Main) und Dipl.-Met. L.Weickmann (Starnberg) ftir erganzende Hinweise.
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50 Jahre Grundschicht der Troposphfire
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Korrespondenzadresse:
Dr. Michael B 6 m g e n Institut.fiir Meteorologie der Universit~it Leipzig Stephanstr. 3 D-04103 Leipzig
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