Stefan Calefice 20 Jahre Begrüßungsgeld
Stefan Calefice
20 Jahre Begrüßungsgeld 100 Mark auf Zeitreise – Was ist darau...
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Stefan Calefice 20 Jahre Begrüßungsgeld
Stefan Calefice
20 Jahre Begrüßungsgeld 100 Mark auf Zeitreise – Was ist daraus geworden?
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Guido Notthoff Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-1718-8
Geleitwort
Kennen Sie das Gefühl, wenn ein Kindheitstraum wahr wird? Ein Gefühl von Erfüllung, Euphorie, Zufriedenheit... So oder ähnlich muss es auch meinem langjährigen Weggefährten und Autoren dieses Buches, Stefan Calefice, ergangen sein, als der Gabler Verlag ihm die Möglichkeit gab, dieses Werk hier zu schreiben. „20 Jahre Begrüßungsgeld“ – dieser Titel zog ihn in seinen Bann. Konnte er sich doch mit der Verfassung dieses Buches auf seine ganz persönliche Zeitreise begeben. Eine Zeitreise durch Wirtschaft, Politik und Finanzen, die im Jahr 1989 beginnt - dem Jahr, in dem das Begrüßungsgeld für DDR-Bürger zum letzten Mal ausgezahlt wurde – und bis in das Jahr 2009 reicht. Nach der Wende siedelte Stefan Calefice im Oktober 1990 vom Rheinland nach Berlin über – der Stadt, in der er wie in keiner anderen in den nächsten 17 Jahren das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten erleben konnte. Mauerabriss, Überbauung des Potsdamer Platzes, Regierungsumzug - um nur einige Höhepunkte dieser spannenden Zeit zu nennen. Beruflich in der Wertpapier- und Vermögensverwaltung tätig, ist er eng verbunden mit den Geschehnissen an den Kapitalmärkten, der Geld- und Wirtschaftspolitik. Diese Kombination aus beruflich und privat versetzt ihn in die Lage, die jüngste deutsche Geschichte eindrucksvoll zu beleuchten. Seine Zeitreise teilt Stefan Calefice in Jahresscheiben auf. Jahr für Jahr beschreibt er die wichtigsten Ereignisse aus Wirtschaft, Politik und Finanzen und zeigt dabei Entwicklungen Geleitwort
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und Trends auf. Seine eigenen Erfahrungen lässt er mit Hilfe der drei Protagonisten Peggy, Maik und Sirko lebendig werden drei Ostberliner, die 1989 ihr Begrüßungsgeld in Höhe von 100 DM erhalten und an den Kapitalmärkten angelegt haben. Zum Ende eines jeden Jahres wird Bilanz gezogen, wie sich ihr eingesetztes Kapital entwickelt hat. Wünsche und Träume werden in einigen Fällen Wirklichkeit – manche platzen auch. Ein Werk, welches den Leser durch 20 Jahre deutsche Wiedervereinigungs-, Wirtschafts- und Finanzgeschichte führt – komprimiert und sachlich, aber auch mit einer persönlichen Note. Ingo Klamroth, Bad Homburg im August 2009
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Geleitwort
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort________________________________________________________ 5 Inhaltsverzeichnis ______________________________________________ 7 Teil 1 – Einleitung________________________________________________ 9 Geschichtlicher Hintergrund, Phasen der Wiedervereinigung ________________________________ 11 Von der Lebensmittelschlange zur Bankschlange ____________ 13 Wo kommt all das Bargeld her? Entwicklung der Geldmenge. Keine Angst vor Inflation! _____ 15 Erst einmal konsumieren! ______________________________________ 18 Kapitalmärkte im Jahr 1989 ____________________________________ 20 Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession (1990 bis 1994)__________________________________________________ 25 1990 ______________________________________________________________ 25 1991_______________________________________________________________ 37 1992 ______________________________________________________________ 45 1993 ______________________________________________________________ 54 1994 ______________________________________________________________68 Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter (1995 bis 1999) __________________________________________________ 77 1995 ______________________________________________________________ 77 Inhaltsverzeichnis
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1996 ______________________________________________________________85 1997 ______________________________________________________________ 92 1998 _____________________________________________________________105 1999 _____________________________________________________________ 114 Teil 4 – Platzen der Träume (2000 bis 2004) _________________ 123 2000_____________________________________________________________ 123 2001 _____________________________________________________________ 135 2002 _____________________________________________________________142 2003 _____________________________________________________________ 152 2004 _____________________________________________________________160 Teil 5 – Globalisierung und die Folgen (2005 bis 2009)______ 173 2005 _____________________________________________________________ 173 2006 _____________________________________________________________ 182 2007 _____________________________________________________________ 193 2008_____________________________________________________________202 2009 _____________________________________________________________ 217
Der Autor ______________________________________________________229 Danksagung __________________________________________________ 230
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Inhaltsverzeichnis
Teil 1 – Einleitung
Im November 1989 ist die Berliner Mauer, die nicht nur die Stadt Berlin, sondern 28 Jahre lang ein ganzes Volk trennte, geöffnet worden. Euphorisch feierten die Menschen beider Staaten die Annäherung. An den Grenzpunkten lagen sich Bürger aus Ost und West in den Armen. Es war auch der sichtbare Beginn des Wiedervereinigungsprozesses. Millionen Menschen besuchten den jeweils anderen Teil des Landes. Die Besucher aus dem Osten wurden mit dem Begrüßungsgeld empfangen, das bis zum 31. Dezember 1989 ausgezahlt wurde. 20 Jahre danach soll dieses Buch hypothetisch darstellen, was aus dem Begrüßungsgeld geworden wäre. Dieses Buch ist ein Rückblick auf zwei Dekaden Wirtschaft-, Finanz- und Geldpolitik. Die Kapitalmärkte haben sich in diesen 20 Jahren rasant weiterentwickelt. Dem Investor bot sich eine steigende Zahl an Investitionsmöglichkeiten, die zwangsläufig auch das Anlegerverhalten veränderten. Dieser Entwicklung soll im Buch ebenfalls eine besondere Beachtung beigemessen werden. „Hypothetisch“ deshalb, weil bestimmte Grundannahmen getroffen werden müssen. Wir begleiten drei Investoren während dieser Zeit. Die drei dargestellten Probanden übten mit den erhaltenen 100 DM während der Zeit Konsumverzicht. Peggy war 1989 gerade 22 Jahre alt und bezeichnete sich selbst als sehr konservativ. Sie investierte ihre 100 DM in Bundesschatzbriefe, nach jeder Fälligkeit erfolgte die Reinvestition in die dann aktuelle Serie. Maik (21 Jahre) war 1989 überzeugt, dass mit der Marktwirtschaft der Wohlstand eng verbunden sei. Er glaubte an die Mechanismen der freien Marktwirtschaft und investierTeil 1 – Einleitung
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te ausnahmslos in Aktien. Da Deutschland der Mittelpunkt der Ost-West-Annäherung war und sich hier der Fall des Eisernen Vorhangs auch plastisch mit dem Fall der Mauer manifestierte, sollte die deutsche Wirtschaft auch einer der Hauptprofiteure dieser Entwicklung sein. In seinem Anlagestil flexibel konnte Sirko bezeichnet werden. Sein Ziel war es, immer gerade in das zu investieren, was „läuft“. Dazu investierte er immer zu Jahresbeginn in den bestperformenden Markt des Vorjahres. Die Investitionen erfolgen bei den Aktien- und Rentenanlagen in den Index des jeweiligen Marktes. Kosten und Gebühren wurden für alle drei Jungkapitalisten nicht berücksichtigt. Ebenso wird die steuerliche Behandlung nur am Rande erwähnt, ohne dass sie das Ergebnis beeinflusst. In den ersten Monaten nach der Maueröffnung mussten sich die drei Investoren erst einmal mit dem neuen System und der Funktionsweise der Kapitalmärkte vertraut machen. Sie entwickelten ihre persönliche Strategie und eröffneten bei einer Bank ein Konto und Depot. Die ersten Investitionen erfolgten dann zum Jahreswechsel 1990. Die in diesem Buch beschriebenen Fakten sind zwar sorgfältig recherchiert, dennoch wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Bevor die drei auf die Kapitalmärkte losgelassen werden, sollen die ersten Kapitel als Einstimmung für den Leser auf die Wendezeit dienen und ihn mit den Rahmenbedingen vor 20 Jahren vertraut machen.
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Teil 1 – Einleitung
Geschichtlicher Hintergrund, Phasen der Wiedervereinigung Das Bild ist noch sehr präsent. In den Nachrichten überwiegen die Farben Schwarz, Rot, Gold. Es zeigt eine Menschenmenge am Berliner Checkpoint Charlie, jubelnd wartend auf den ersten Trabbi im freien Grenzverkehr. Es werden Fahnen geschwenkt, Sektkorken knallen. Unter den Wartenden sind vereinzelnd Menschen mit Bananen zu sehen. Der Trabbi ist mit mindestens fünf Personen gefüllt, die Fenster heruntergekurbelt und händewinkend strecken die Insassen ihre Köpfe aus den Fenstern des Fahrzeuges. Was war passiert? 1989 war das Jahr, in dem die Deutsche Demokratische Republik den 40. Jahrestag ihrer Staatsgründung feierte. Bunte Aufmärsche und pompöse Festakte wurden in allen Teilen der Republik abgehalten. Die kommunistische Staatengemeinschaft feierte sich ein letztes Mal. Das war der Schein und Glanz, der nach außen transportiert werden sollte. Das Land und vor allem das Volk der DDR wollte den in anderen Brüderstaaten längst praktizierten Wandel auch für sich beanspruchen. Im Spätsommer nahm die Fluchtwelle über die deutschen Botschaften in der CSSR, Polen und Ungarn dramatische Ausmaße an. Bis zum Fall der Mauer flüchteten auf diesem Wege mehr als 200.000 Bürger in den Westen. In Berlin, Dresden, Leipzig und anderen Städten gingen die Menschen auf die Straße. Brachten ihr Freiheitsbegehren und ihren Willen für eine demokratische Grundordnung zum Ausdruck. Noch wurden Demonstrationen mit aller Kraft der Staatsmacht bekämpft und unterbunden. Es war die Geburtsstunde des friedlichen Widerstandes. Das Volk versammelte sich schwerpunktmäßig in Gotteshäusern. Die friedlichen Proteste in und um die Nikolaikirche in Leipzig und die Geschichtlicher Hintergrund ...
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Mahnwache in der Gethsemanekirche in Berlin können als Meilensteine im Prozess des Wandels festgemacht werden. Der Spruch „Wir sind das Volk“ beschrieb die Gefühle der Menschen dieser Zeit. Ebenso hat sich der Ausspruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, den Michail Gorbatschow, der damalige Staatschef der Sowjetunion, anlässlich seines Besuches in Berlin am 7. Oktober 1989 gesagt haben soll, fest in diese Epoche eingeprägt. Gorbatschow selbst leitete 1986 mit „Perestroika“ und „Glasnost“ den Wandel und die Modernisierung der kommunistischen Staats- und Gesellschaftsform ein. Die DDR unter Erich Honecker verschloss sich bis zuletzt dieser Entwicklung, während ringsum ein Staat nach dem anderen Reformen anschob. So lockerte Ungarn die Grenzbestimmungen zu seinem westlichen Nachbarn Österreich über Nacht. Da es zwischen der DDR und den Staaten der CSSR und Ungarn kein besonders strenges Grenzabkommen gab, setzte der schon zuvor beschriebene Exodus in Richtung Westen ein. Die deutschen Botschaften in Budapest, Warschau und Prag glichen bis zum Bersten gefüllte Auffanglager, in deren Gärten ausreisewillige DDR-Bürger wild campierten. Den diplomatischen Bemühungen des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher ist es zu verdanken, dass sich Ende September Sonderzüge aus Prag, Warschau und Budapest in Bewegung setzten und rund 7.000 Flüchtlinge in die Bundesrepublik brachten. Besondere Brisanz sollte diese Aktion dadurch bekommen, dass die Züge über das Territorium der DDR in Richtung Westen rollten. An den Durchgangsbahnhöfen bildeten sich denn auch Demonstrationen. Dringend war die Regierung der DDR gefordert, den Flüchtlingsstrom zu bremsen. So gestattete sie ab dem 4. November die Ausreise über die CSSR. In den ersten beiden Tagen nutzten dies rund 23.000 DDR-Bürger zur Ausreise. Auch über Ungarn riss der Flüchtlingsstrom nicht ab. In einer Pressekon12
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Teil 1 – Einleitung
ferenz verkündete am frühen Abend des 9. November 1989 der gerade erst ernannte Sekretär des Zentralkomitees der SED für Informationswesen, Günter Schabowski, gewollt oder ungewollt die absolute Reisefreiheit der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Der Bundestag unterbrach seine Sitzung und stimmte die Nationalhymne an. Die Nachrichten überschlugen sich. Die Flüchtlingswelle ebbte tatsächlich schlagartig ab. Dafür bildeten sich Schlangen an den innerdeutschen Grenzen. Auch die Grenzer hatten noch kein klares Bild von der Lage. Sollten sie sich dem Volke entgegenstellen oder den Schlagbaum freigeben? Letzteres erfolgte und so kam es zu dem eingangs beschriebenen Bild.
Von der Lebensmittelschlange zur Bankschlange Im Sommer 1987 beschloss der Bundestag die Erhöhung des sogenannten Begrüßungsgeldes für DDR-Bürger, die die Bundesrepublik Deutschland besuchten, von 30 DM auf 100 DM. Die Erhöhung erfolgte als Ausgleich für die Herabsetzung des möglichen Devisenumtausches in der DDR von 70 auf 15 Mark der DDR, die im Verhältnis 1:1 in DM getauscht werden konnten. Die Auszahlung wurde durch die Kommunen vorgenommen und jeder Besucher hatte einmal pro Jahr das Recht, den Betrag zu empfangen. Mit dem Begrüßungsgeld erhielt der Besucher einen Betrag an Devisen, über den er frei verfügen konnte. 1988 kamen so rund 280 Millionen DM zur Auszahlung. Dieser Betrag wurde auch für 1989 in den Haushalt der Bundesrepublik eingestellt. Mit dem Mauerfall brachen die Besucherströme auf die Bundesrepublik und insbesondere auf Berlin ein. Der Von der Lebensmittelschlange zur Bankschlange
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Kurfürstendamm war mit Trabbis und Wartburgs verstopft, es ging nicht vor und nicht zurück. Allein im November machten mehr als neun Millionen DDR-Bürger von ihrem Besuchsrecht Gebrauch. Rund 1,6 Milliarden DM wurden im November als Begrüßungsgeld ausgezahlt. Die Bundesregierung rechnete für den Dezember mit einer ähnlichen Größenordnung. Obwohl die Auszahlung des Begrüßungsgeldes in den Ausweis des Empfängers eingetragen wurde, lässt sich leicht ermitteln, dass es bei einer Bevölkerung von circa 16,4 Millionen Menschen in der damaligen DDR zu Mehrfachinanspruchnahmen gekommen sein muss. Was als gastfreundschaftliche Geste gedacht war, entwickelte sich zur lukrativen Einnahmequelle für den Besucher. Zurück in der DDR konnte er die übriggebliebenen DM im Verhältnis von bis zu 1:20 wieder in DDR-Mark tauschen. Damit konnte beispielsweise eine Familie mit zwei Kindern das Äquivalent zu mehreren Monatsgehältern erhalten. Die Bundesregierung reagierte und schaffte zum 31. Dezember 1989 die Zahlung des Begrüßungsgeldes ab. Noch in der Nacht zum 10. November 1989 verfügte Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper, dass die Auszahlung des Begrüßungsgeldes nicht mehr allein von den Bezirksämtern, sondern auch von allen Banken und Sparkassen erfolgen sollte. An den folgenden Tagen bildeten sich an einigen Banken und Sparkassen endlose Schlangen. Mit Bussen wurden Wartende zu anderen Filialen gebracht. Die Geduld der Besucher wurde auf eine harte Probe gestellt. Der Wunsch nach Westwaren war geprägt durch Schlangestehen an den Grenzübergängen, durch Schlangestehen an der Auszahlungsstelle für das Begrüßungsgeld und durch Schlangestehen im nächsten Supermarkt.
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Teil 1 – Einleitung
Wo kommt all das Bargeld her? Entwicklung der Geldmenge. Keine Angst vor Inflation! In den Jahren vor der Maueröffnung befand sich die Wirtschaft der Bundesrepublik in der Hochkonjunktur. Das Wirtschaftswachstum erreichte 1988 mit 3,7 Prozent seinen vorläufigen Höhepunkt. Im internationalem Kontext hatte die Bundesbank in den Jahren von 1986 bis 1988 mit einer stark expandierenden Geldmenge zu kämpfen. Infolge der enormen Exportleistung stand die DM unter permanentem Aufwertungsdruck. Die Inflation war in dieser Phase nahe Null, so dass die Geldpolitik auch von niedrigen Leitzinsen geprägt war. Bis Mitte 1988 betrug der Diskontsatz der Deutschen Bundesbank 2,5 Prozent. Infolge der Abgabenerhöhungen auf Benzin, Heizöl, Gas und Tabakwaren kletterten 1989 die Preise erstmalig. Während in anderen Volkswirtschaften wie den USA und Großbritannien bereits die Wachstumsdynamik nachließ, glänzte die deutsche Wirtschaft immer noch mit guten Daten. Die Wirtschaft hatte genügend Spielraum für Preisaufschläge insbesondere in der Automobil-, Stahl- und Chemieindustrie. Die Inflation kehrte mit einer Steigerungsrate von circa 2,8 Prozent zurück. Weiteren Druck auf die Geldwertstabilität, dem obersten Ziel der Bundesbankpolitik, gab es von ganz anderer Seite. 1989 wurde die Quellensteuer auf inländische Zinserträge eingeführt. Schon im Vorfeld sorgte die Ankündigung für eine massive Kapitalflucht und erhöhte Bargeldnachfrage. Laut Protokoll des Deutschen Bundestages wurden infolge der geplanten Quellensteuer rund 85 Milliarden DM an langfristigem Kapital „exportiert“. Die Geldvermögensbildung der inländischen Privatanleger fand zu 44 Prozent im Ausland statt. Die Bundesregierung attestierte, dass die Steuer eine Belastung des KapiWo kommt all das Bargeld her?
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talmarktes auslöste, welche sich nachhaltig auf den Wert der DM auswirke. Durch die Abschaffung der Erhebung dieser Steuer nach nur sechs Monaten zum 30. Juni 1989 wolle man dieser Entwicklung Rechnung tragen. Die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank stand 1989 ganz im Zeichen der Inflationskontrolle und führte zu einer zunehmend restriktiven Haltung. Sie erhöhte die Diskont- und Lombardsätze in vier Schritten von 3,5 auf 6 Prozent bzw. von 5,5 auf 8 Prozent. Die Maßnahmen griffen und tatsächlich überstieg das Geldmengenwachstum die anvisierte Marke von etwa 5 Prozent in diesem Jahr nicht.
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DiskontsatzderDeutschenBundesbank/StandamMonatsende
LombardsatzderDeutschenBundesbank/StandamMonatsende
Abbildung 1: Leitzinsen der Deutschen Bundesbank 1989
Quelle: Deutsche Bundesbank
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Erst einmal konsumieren! Einhergehend mit der neuen Reisefreiheit stellte sich beim gewöhnlichen DDR-Bürger auch das Verlangen nach Befriedigung der neuen Konsumlust ein. Die Abschottungspolitik des DDR-Regimes erzeugte über Jahrzehnte der Mangelwirtschaft einen Unterdruck, den es nun auszugleichen galt. So wirkte die Öffnung der Mauer wie das Öffnen eines Ventils. Doch was stand im Fokus der Konsumlust? Alles, was im Westen populär war! Natürlich fing es mit dem Kaffee an. Aber schnell weitete sich das Bedürfnis nach Unterhaltungselektronik und einem neuen Automobil aus. Infolge des Konsumverzichts hatte sich bei einigen Haushalten ein nicht unerhebliches Barvermögen angesammelt. Zunächst musste jedoch das Ersparte in eine frei konvertierbare Währung transformiert werden. Die DDR-Mark war eine sogenannte Binnenwährung. Im Außenhandel war sie nicht gegen „Westwährungen“ konvertierbar. Die Verrechnung im Außenhandel fand gegen Valutaeinheiten statt. So wurden Exportunternehmen in der DDR für jede erlöste DM ein Betrag von 4,40 DDR-Mark gutgeschrieben. Auf der anderen Seite mussten Besucher aus dem Westen an der Grenze 25 DM im Verhältnis 1:1 gegen die DDR-Mark eintauschen. Nach dem Fall der Mauer stieg der Bedarf an Westgeld sprunghaft an. Der Umtauschkurs für die DM stieg auf dem Schwarzmarkt bis auf 1:20. Das bedeutete, dass für 1.000 DM bis zu 20.000 Mark der DDR aufgebracht werden mussten. Später pendelte sich das Umtauschverhältnis auf etwa 1:7 ein und im Zuge der zwischen beiden deutschen Staaten vereinbarten Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war dann der offizielle Umtauschkurs bis zum Inkrafttreten der Währungsunion 1:3. Der Umtauschkurs bei der Einführung der DM als offizielles Zahlungsmittel in der DDR am 1.Juli 1990 betrug 1:2. Privat18
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Teil 1 – Einleitung
personen konnten, gestaffelt nach Alter, bis zu 6.000 Mark der DDR im Verhältnis 1:1 in DM tauschen. Die Höhe des fairen Umtauschkurses lässt sich nur schwer ermitteln. War der kurzzeitige Schwarzmarktkurs von 1:20 sicherlich zu niedrig, erscheint jedoch der Umtauschkurs zur offiziellen Einführung der DM als Zahlungsmittel in der DDR eher politisch motiviert. Zurück zur Konsumlust. Die inoffizielle Preisbildung beim Tausch der Währung zeigte den Konsumbedarf. Ein anderer Indikator in dieser Zeit war der Blick auf den Parkplatz für Gebrauchtwagen beim Autohändler. Binnen weniger Wochen waren die Parkplätze leergefegt. In „Westdeutschland“ gab es de facto keinen Gebrauchtwagenmarkt mehr. Die Automobile wurden sofort in Richtung Osten verbracht und zu Höchstpreisen verkauft. Nicht selten wurde das Doppelte der einschlägigen Listenpreise für „Gebrauchte“ aufgerufen und bezahlt. Wie schon erwähnt, der „Gebrauchte“ war ein knappes Gut. Im Gegenzug ging die Nachfrage nach einheimischen Gütern schlagartig zurück. Selbst die Güter der Grundversorgung wurden lieber im Westen nachgefragt. Zuvor ging der Bundestag im Zusammenhang mit der Beantwortung einer Anfrage zur Währungsunion und Geldpolitik auf die möglichen Auswirkungen ein. Danach rechnete die Bundesregierung damit, dass die privaten Haushalte in Ostdeutschland auch nach der Währungsumstellung Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs nachfragen würden, die zum großen Teil in der DDR selbst hergestellt wurden. Jedoch konnten die heimischen Waren nicht mit dem enormen Werbebudget der Westprodukte mithalten. Umgekehrt tat sich für die westlichen Unternehmen ein enormer Absatzmarkt im Osten auf. Der verhandelte Wechselkurs wirkte sich auf den Konsum positiv aus. Für die Produktion in der DDR war er eher das Todesurteil, da die Qualität und Güte im Missverhältnis zu
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den Produktionskosten standen. So war es klar, dass der Konsum nur aus dem Westen heraus befriedigt werden konnte.
Kapitalmärkte im Jahr 1989 Für die internationalen Aktienmärkte war 1989 ein HausseJahr. Die führenden Aktienmarktindices legten kräftig zu. Der japanische Nikkei stieg von 30.159 Punkten um 29 Prozent auf 38.916 Punkte, ein historischer Höchststand. Die US-Börse legte, gemessen am S&P 500, von 277 auf 353 Punkte um 27,5 Prozent zu. Die deutschen Aktien legten in der Wiedervereinigungseuphorie um satte 34,8 Prozent zu. Das Börsenbarometer DAX (Deutscher Aktienindex) stieg von 1.327 auf 1.790 Punkte. Doch viele Privatanleger hatten in diesem Jahr kein Geld mit ihren Unternehmensanteilen verdienen können. Sie wurden im Oktober regelrecht aus dem Markt gespült. Am 16. Oktober 1989 verlor der Dax an nur einem Tag 12,8 Prozent an Wert. Dies ist bis heute der höchste Tagesverlust, den das Aktienbarometer verzeichnen musste. Auslöser waren damals fehlgeschlagene Spekulationen um eine Junkbondemission zur Übernahme der US-Fluggesellschaft United Airlines. Die Anleihe konnte nicht ausreichend platziert werden und die Übernahme platzte. Binnen weniger Stunden korrigierte die US-Börse. Japan verlor im frühen Handel ebenfalls und in der Folge erlebten die Börsenteilnehmer in Deutschland ein wahres Gemetzel. Es waren primär die Kleinaktionäre, die infolge der Erinnerung an den 87er Börsencrash panikartig ihre Aktien zum Verkauf gaben. Der Versuch seitens Banken und Börsen, in Deutschland eine private Aktionärskultur zu etablieren, geriet kräftig ins Stocken. 20
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JapanNikkei225sharepriceindex;Veränderungsrategg.Jahresende
VereinigteStaatenS&P500sharepriceindex;1941Ͳ43=10;Veränderungsrategg.Jahresende
DeutschlandDAXshareperformanceindex;1987.12.30=1000;Veränderungsrategg.Jahresende
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Abbildung 2: Wichtige Aktienindizes 1989
Quelle: Feri Finance AG
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Dabei war die deutsche Wirtschaft mächtig in Bewegung. Der Europäische Binnenmarkt stand 1992 vor der Tür und die Unternehmen waren damit beschäftigt, sich entsprechend vorzubereiten. Schließlich bedeutete die Öffnung der Märkte nicht nur die Möglichkeit neue Absatzmärkte zu erschließen, sondern auch eine neue Konkurrenzsituation auf dem heimischen Markt. Vom Automobilkonzern zum Industriekonglomerat wollte Edzard Reuter den Daimler-Benz-Konzern umbauen. Nach der Übernahme der AEG stand die Fusion mit Deutschlands Luft- und Raumfahrtkonzern MBB an. Daimler-Benz baute somit Autos, Lastkraftwagen, Flugzeuge und Schienenfahrzeuge nicht nur zur zivilen Nutzung. Daimler-Benz war auch Deutschlands bedeutendster Rüstungskonzern. Diversifikation hatte sich auch ein anderer deutscher Konzern auf die Fahnen geschrieben. In diesem Jahr erhielt der Mannesmann-Konzern von Postminister Schwarz-Schilling die erste private Mobilfunklizenz. Zunächst sollten zwei miteinander konkurrierende Mobilfunknetze in Deutschland aufgebaut werden. Die Deutsche Post hielt die eine Lizenz (D1) und Mannesmann bekam den Zuschlag für die zweite Lizenz. Zwei Jahre sollte der Aufbau des D2 Netzes dauern, bevor 1991 beide Konkurrenten um Marktanteile kämpfen sollten. Die Strategie der Mannesmann AG, den Wandel von einem Montanunternehmen zum Technologiekonzern zu vollziehen, wurde von der Börse mit steigenden Kursen gefeiert. Einem früheren Aufsteiger erging es in diesem Jahr dagegen nicht ganz so gut. Die Nixdorf AG, Deutschlands führender Computerhersteller, war nach Jahren des Rekordwachstums angeschlagen und suchte auf Drängen der Hausbank einen Partner. Wunschkandidat für die vermittelnde Bank war der Mannesmann-Konzern. Ein weiterer Riese geriet in diesem Jahr ebenfalls ins Wanken. Die Handelskette Co-op war vollkommend überschuldet und drohte zum Sanierungsfall 22
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Teil 1 – Einleitung
zu werden. Die Gläubigerbanken mussten die für damalige Zeiten unvorstellbare Summe von 1,2 Milliarden DM abschreiben. Ging es um strategische Entscheidungen in deutschen Industrieunternehmen, saß einer immer am Tisch: Die Deutsche Bank. Dank der Kapitalverflechtungen mit den großen Unternehmen wie beispielsweise der Daimler-Benz AG (die Deutsche Bank AG hielt zu diesem Zeitpunkt gut 28 Prozent der DaimlerBenz Aktien) genossen die Kreditinstitute einen enormen Einfluss auf die Wirtschafts- und Industriepolitik. 1989 war es der Lenker der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, der unter anderem die Fusion Daimler-MBB und die Weichenstellung im Mannesmann-Konzern beeinflusste. Mit der politischen Führung auf „Du & Du“ beriet er diese in Fragen der Wirtschaftspolitik und begleitete Regierungsvertreter in wirtschaftlicher Mission ins Ausland. Alfred Herrhausen war wohl der bedeutendste Unternehmenslenker dieser Zeit. Auch deshalb geriet er ins Visier der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF). Am 30. November 1989 fiel er einem Bombenattentat in seinem Wohnort Bad Homburg zum Opfer. International war die Schuldenlast der Entwicklungsländer ein bestimmendes Thema 1989. Viele Staaten litten unter der enormen Schuldenlast, die über Jahrzehnte aufgetürmt wurde. Die niedrigen Wachstumsraten in diesen Länder reichten häufig nicht für die Zinszahlungen. Auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds referierte der US-Finanzminister Brady über Möglichkeiten zur Überwindung der Schuldenkrise der Entwicklungsländer. Sein Vorschlag: Die Schulden werden nach einem Abschlag in Anleihen verbrieft und diese durch eine zweite Anleihe besichert. Dieser Vorschlag sollte der Durchbruch beim Schuldenmanagement werden. Danach emittierten die Schuldnerländer eine US-Dollaranleihe, die bei den Gläubigerbanken platziert wurde. Zur Besicherung der Rückzahlung Kapitalmärkte im Jahr 1989
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mussten die Entwicklungsländer sogenannte Zerobonds (Nullkuponanleihen) mit gleicher Laufzeit und gleichem Nennwert erwerben. Da bei den Nullkuponanleihen keine laufende Verzinsung gezahlt wird, sondern der Zins für die gesamte Laufzeit vom Kurs abgeschlagen wird, brauchten die Schuldnerländer nur einen Bruchteil des Vermögens zur Sicherung der Rückzahlung der eigenen Anleihe aufbringen. Die so emittierten Schwellenländerbonds wurden später auch Bradybonds genannt. Infolge der in diesem Jahr anziehenden Inflation schwenkten die Notenbanken wieder in eine restriktivere Geldpolitik um. Die Deutsche Bundesbank erhöhte die Leitzinsen 1989 in vier Schritten. Damit einhergehend stiegen auch die Renditen an den Kapitalmärkten. Die Umlaufrendite stieg von 6,2 auf 7,8 Prozent.
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Teil 1 – Einleitung
Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession (1990 bis 1994)
1990 Die Ausgangssituation ist für unsere Junginvestoren allesamt die Gleiche. Jeder hat 100 DM auf seinem Konto und möchte dieses Kapital gewinnbringend investieren. Das ist nicht so einfach. Es gibt keinen Einheitszins mehr. Die neue Vielfalt der Geldanlage muss erst erlernt werden. Peggy ist eher risikoscheu und möchte wissen, wie viel Ertrag am Ende des Jahres zu ihren Gunsten verbucht wird. Nach der Beratung in ihrer Bank entscheidet sie sich das Geld in Bundesschatzbriefe des Typs B anzulegen. Für das erste Jahr erhält sie 6,5 Prozent Zinsen, diese steigen von Jahr zu Jahr bis auf 8 Prozent. Sie hat gehört, dass im vergangenen Jahr die Zinsen kräftig gestiegen sind und möchte sich dieses Zinsniveau für die nächsten Jahre sichern. Außerdem hat sie nicht soviel Ahnung von der Wirtschaft und möchte sich auch nicht damit beschäftigen. Maik findet die neue Situation fantastisch. Er hat davon gehört, dass sich nun jeder an Unternehmen beteiligen kann und aus den Nachrichten weiß er, dass insbesondere die deutsche Wirtschaft infolge der Grenzöffnung boomt. Er möchte Aktionär werden. Aber welches Unternehmen soll er kaufen? Er entscheidet sich, sein Geld in einen Aktienfonds zu investieren, der ausnahmslos in deutsche Unternehmen investiert. 1990
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Sirko hat sich eine flexible Strategie überlegt, sein Geld zu investieren. Er legt sich nicht auf eine Anlageklasse fest, sondern investiert getreu dem Motto „was gut läuft, wird auch weiter laufen“. Für ihn kommen sowohl Aktienanlagen als auch festverzinsliche Wertpapiere in Betracht. Nach dem Studium der Zeitungen zum Jahreswechsel, weiß er, dass es der deutschen Wirtschaft besonders gut geht. Während in den USA schon erste Anzeichen einer Abkühlung sichtbar sind, können deutsche Unternehmen Rekordgewinne erzielen. Außerdem hat die deutsche Börse gemessen am Index im vergangenen Jahr am besten abgeschnitten. So investiert er zunächst in den gleichen Aktienfonds wie Maik.
Tatsächlich boomte die Konjunktur auch zu Beginn des Jahres 1990. Im Vorjahr überstieg die Wachstumsrate der Bundesrepublik mit 3,9 Prozent die der US-Konjunktur, die mit 3,5 Prozent wuchs. Auch wenn im vierten Quartal des Vorjahres das Wachstum in den USA merklich zurückging, so zeigten die Daten für das erste Quartal 1990 mit 4,1 Prozent Wachstum wieder einen robusten Verlauf. Hierzulande zog sich das Wachstum durch alle Branchen. Insbesondere die Automobilindustrie meldete Rekordabsätze, aber auch andere Bereiche wie Stahl, Chemie und Maschinenbau freuten sich über volle Auftragsbücher. Die Bauindustrie lebte von der Phantasie des Wiederaufbaus im Osten. Es waren aber nicht nur die Staaten des ehemaligen Ostblockes, die nach deren Öffnung der Märkte den westlichen Industrienationen neue Absatzmärkte bescherten. In Europa ist mit den Vorbereitungen zum europäischen Binnenmarkt, der 1992 die Grenzen für den gemeinsamen Wirtschaftsraum schmelzen lassen sollte, ein riesiger Investitionsprozess angestoßen worden. Die Unternehmen mussten sich durch Erneuerung ihrer Produktionsstätten fit machen für die neue Zeit. Es schien das konjunkturelle Auf und Ab endgültig überwun26
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
den worden zu sein. Schon seit sieben Jahren wuchs die Wirtschaftsleistung kontinuierlich. Und nun stand auch noch der innerdeutsche Einigungsprozess an. Mit dem Jahreswechsel trat der feste Wechselkurs zwischen DDR-Mark und DM von 3:1 in Kraft. Zwar wurden die strengen Devisenbeschränkungen seitens der DDR noch nicht aufgehoben, aber dennoch konnten nun die DDR-Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen und bis zu 100 DM im Verhältnis 1:1 tauschen und weitere 100 DM im Verhältnis 5:1. Das bedeutete für 600 DDR-Mark mussten 200 DM aufgewendet werden, also 600:200 oder wie schon erwähnt 3:1. Die „feste“ Währungsparität vermochte jedoch nicht den Strom derer zu stoppen, die die neue Freiheit nutzten, um in den Westen überzusiedeln. Allein im Januar wurden rund 60.000 Übersiedler registriert. Für das Gesamtjahr wurde die Zahl von 500.000 Übersiedlern geschätzt. Auf dem Wohnungsmarkt kam es zu ersten Engpässen und die „Wessis“ fürchteten um ihren Arbeitsplatz wegen der „billigen“ Konkurrenz aus dem Osten. Mit der angestrebten Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion versuchte die Politik der Entwicklung Rechnung zu tragen. Schon bald wurde jedoch gewiss, dass das Ziel die Einheit beider Staaten sein musste, um die großen Aufgaben gemeinsam bewältigen zu können. Der damalige Kanzler Helmut Kohl und sein Vize und Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatten das Ziel schon früh formuliert. Nur ohne die Zustimmung der Siegermächte USA, Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion gab es nichts zu verhandeln. Erst als Michail Gorbatschow im Februar verkündete, dass er nicht mehr die Forderung aufrechterhalte, dass ein geeintes Deutschland militärisch neutral sein müsse, war der Weg frei zu weiteren Verhandlungen. Die „2+4“ Gespräche wurden ins Leben gerufen. Hier saßen beide deutsche Staaten mit den Vertretern der Siegermächte an ei1990
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nem Tisch und handelten die Modalitäten aus, wie Deutschland zur Wiedervereinigung kommen sollte. Uneinigkeit bestand noch über den Zeitplan; jedoch war der Druck durch den zunehmenden Verfall der DDR-Wirtschaft und den Übersiedlerstrom gen Westen auf die DDR-Regierung zu groß, als dass eine starke Verhandlungsposition hätte eingenommen werden können. Die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 sollten dann einen weiteren Meilenstein im Einigungsprozess markieren. Das Bündnis der konservativen Allianz unter der Führung von Lothar de Maizière erreichte eine überwältigende Mehrheit. Damit wurden beide Staaten mit konservativer Mehrheit geführt und das Ziel der deutschen Einheit konnte ohne größere Widerstände vorangetrieben werden. In Frankfurt am Main wurde am 26. Januar 1990 die Deutsche Termin Börse (DTB) eröffnet. An der DTB konnten Optionsgeschäfte auf deutsche Aktien vollelektronisch gehandelt und abgewickelt werden. Damit verfügte der Börsenstandort Frankfurt über eine der ersten und modernsten Computerbörsen der Welt. Sie sollte den Standort als europäische Finanzmetropole aufwerten. Zunächst wurde der standardisierte Handel mit Optionen auf 14 Aktienwerte eingeführt, später im Sommer sollte das Programm um jeweils einen Future auf Bundesanleihen und einen Future auf den Deutschen Aktienmarkt Index (DAX) erweitert werden. Optionen konnten zuvor nur als OTCGeschäft (Over-the-Counter) abgeschlossen werden. Hier mittelten die Broker direkt zwischen Käufer und Verkäufer. An der DTB wurden die Regeln und Bedingungen dieser Geschäfte spezifiziert und standardisiert. Hinsichtlich Kontraktspezifikation und Fälligkeitsdaten waren die zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte austauschbar. Käufer und Verkäufer mussten sich nicht mehr über die Ausgestaltung ihrer Optionsgeschäfte ver-
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
ständigen, sondern konnten ihre Optionen aus dem Sortiment der DTB frei wählen und handeln. Der Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren fand im sogenannten Präsenzhandel auf dem Börsenparkett statt. Wertpapieranlagen an sich fristeten in Deutschland jedoch eher ein Schattendasein. Die Deutschen investierten nur rund fünf Prozent ihres Vermögens in börsengehandelte Wertpapiere. Auch die andere Seite, die Kapitalnehmer, machte nur wenig Gebrauch davon, sich an den Kapitalmärkten zu refinanzieren. Nur etwa 450 deutsche Aktiengesellschaften hatten ihre Aktien an den Börsen zum Handel registrieren lassen. Eine Reihe weiterer Maßnahmen sollte die Börse für die Kapitalmarktteilnehmer interessanter machen. So wurde die Handelszeit der Präsenzbörsen in Deutschland mit Jahresbeginn 1990 um eine Stunde von 10.30 Uhr bis 13.30 Uhr auf drei Stunden ausgedehnt. Die Großbanken wollten noch weiter gehen und vereinbarten mit dem IBIS (Inter Banken Informationssystem) den Start einer zweiten Computerbörse. Hier sollten außerhalb der Präsenzbörsenzeiten und dank der internationalen Anbindung europaweit Aktienwerte gehandelt werden können. Die Regionalbörsen, acht an der Zahl, fürchteten den massiven Verlust von Marktanteilen. Die Länderbörsen bzw. deren Träger, die jeweilige Industrie- und Handelskammer, versuchten denn auch die Wirtschaftsminister der jeweiligen Bundesländer zu mobilisieren und die Computerbörse IBIS zu verhindern. Die Deutsche Aktienbörse schloss das erste Quartal 1990 gemessen am Aktienindex DAX mit einem neuen historischen Höchststand von 1968 Punkten ab. Damit konnte das Aktienbarometer in den ersten drei Monaten des neuen Jahres knapp zehn Prozent zulegen. Die deutsche Börse wurde von der hohen Auslandsnachfrage zu immer neuen Höhen getrieben. Auch international hatten sich die Wiedervereinigungsphantasie und 1990
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die guten Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft herumgesprochen. Mit positivem Vorzeichen hatten deutsche Werte jedoch weltweit ein Alleinstellungsmerkmal. Die internationalen Aktienbörsen verzeichneten teilweise hohe Wertverluste. Der amerikanische Aktienindex S&P 500 verlor bis Ende März knapp 5 Prozent, die japanische Aktienbörse brach erdrutschartig um mehr als 22 Prozent ein. Damit haben Sirko und Maik zu Beginn des Jahres auf das richtige Pferd gesetzt und freuen sich über 9,9 Prozent Wertzuwachs. Sirko nimmt die Entwicklung der internationalen Aktienmärkte wahr und macht sich Sorgen über die zukünftige Entwicklung der heimischen Börse. Ihm reicht der bisherige Erfolg und er möchte das einmal erreichte nicht gleich wieder hergeben. Er schichtet sein Investment um und kauft für den Gegenwert von 109,90 DM Bundesanleihen, da er das Renditeniveau von knapp 8,5 Prozent für sehr interessant erachtet und er so einen möglichen Rückgang am Aktienmarkt gut überstehen kann. Peggy hat nach dem ersten Quartal 1,635 Prozent anteiligen Wertzuwachs mit ihren Bundesschatzbriefen erreicht.
Nach dem Zusammenschluss von Daimler Benz und MBB im Vorjahr meldete die Deutsche Wirtschaft im Januar 1990 eine weitere Großübernahme. Der Elektroriese Siemens übernahm 51 Prozent der angeschlagenen Nixdorf AG. Siemens bündelte seine Computeraktivitäten in dem Gemeinschaftsunternehmen Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG und verdrängte so den Computerkonzern IBM von seiner Vormachtstellung in Deutschland. Zunächst war der Mannesmann-Konzern mit seinen Computeraktivitäten noch als Käufer gehandelt worden. Nach dem missglückten Versuch änderte Mannesmann die Expansionsstrategie auf diesem Gebiet und suchte später selbst 30
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
einen Käufer für seine Aktivitäten im Computerbereich, die in der Tochter Mannesmann Kienzle gebündelt waren. Auf der politischen Bühne schritt der Deutsch-Deutsche Einigungsprozess weiter voran. Die Verträge zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurden im Mai von den beiden Finanzministern Theo Waigel und Walter Romberg unterzeichnet. Mit Inkrafttreten am 1. Juli 1990 wurde als sichtbares Zeichen die DM als Zahlungsmittel in der DDR eingeführt. Gleichzeitig übergab die DDR die Hoheit über die Finanz- und Geldpolitik an die Bundesrepublik. In den 2+4 Gesprächen wurde seitens der Regierungschefs der UDSSR und der USA dem geeinten Deutschland volle Souveränität und freie Wahl der Bündniszugehörigkeit in Aussicht gestellt. Am 17. Juni 1990 verabschiedete die Volkskammer der DDR das Treuhandgesetz zur Privatisierung und Reorganisation der Volkseigenen Betriebe (VEB). Nach Maßgabe des Gesetzes wurde die Treuhandanstalt Inhaber der Anteile der Kapitalgesellschaften, die aus der Umwandlung der VEBs entstanden. Zweck der Treuhandanstalt war die Privatisierung des volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. In erster Linie sollten die Erlöse aus der Privatisierung für Strukturanpassungen in den Unternehmen verwendet werden. Das Gesetz sah jedoch auch vor, dass daneben die Sanierung des Staatshaushaltes Teil des Auftrages war. Rund 8.000 Betriebe und mehr als 30.000 Einzelhandelsgeschäfte, Hotels und Gaststätten, landwirtschaftliche Nutzflächen und Liegenschaften sollten unter dem Dach der Treuhandanstalt wettbewerbsfähig gemacht und privatisiert oder stillgelegt werden. Die Treuhandanstalt unterstand bis zur Wiedervereinigung dem Ministerrat. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt wurde der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Hoesch AG, Detlev Karsten Rohwedder, bestellt, der später auch das Amt des Präsidenten der Treu1990
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handanstalt übernahm. Nach dem 3. Oktober wurde die Treuhandanstalt dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Am 23. August beschloss die Volkskammer mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit, dass die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum 3. Oktober beitritt. Der ausgehandelte Einigungsvertrag, der Zweite Staatsvertrag, sah den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vor und mit dem Beschluss der Volksklammer war die Voraussetzung zur Umsetzung des Vertrages geschaffen worden. Beide Parlamente verabschiedeten den Vertrag am 20. September und so konnte die Wiedervereinigung am 3. Oktober vollzogen werden. Zuvor unterzeichneten die vier Außenminister der ehemaligen Siegermächte und die Außenminister der beiden deutschen Staaten am 12. September in Moskau als Ergebnis der 2+4 Verhandlungen den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland. Die alliierten Hoheitsrechte wurden mit Wirkung zum 3. Oktober ausgesetzt und Deutschland als souveräner Staat anerkannt. Am 2. Dezember wählte das vereinigte Deutschland erstmalig sein Parlament. Die CDU/CSU gewann die Wahl mit 43,8 Prozent der Stimmen vor der SPD, die 33,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die FDP lag mit 11 Prozent auf dem dritten Platz. Die Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Aufgrund der besonderen Wahlstatuten zogen die PDS und das Bündnis 90 in das Parlament ein, obwohl auch sie die Fünf-Prozent-Hürde auf die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen nicht erreichten. Für sie zählte als Hürde nur die in den neuen Bundesländern abgegebenen Stimmen. Der erste gesamtdeutsche Kanzler hieß Helmut Kohl, er führte die Koalition zwischen CDU/CSU und FDP. Während in Europa die Zeichen auf Entspannung und Annäherung standen, tat sich an anderer Stelle in der Welt eine 32
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
ganz neue Konfliktregion hervor. Anfang August marschierten irakische Truppen in das kleine Nachbarland, das Scheichtum Kuwait, ein. Der Einmarsch wurde umgehend von der internationalen Staatengemeinschaft (UN) als Akt der Aggression verurteilt und mit weitreichenden Handelssanktionen belegt. Zwar hatten die USA dem kleinen Scheichtum ihre Unterstützung zugesagt, jedoch waren die Truppenverbände der USA, die im Persischen Golf zusammengezogen wurden, noch nicht in der Stärke vorhanden, die ein Gegenschlag erfordert hätte. Weitere Truppen mussten abgesandt werden. An den Weltbörsen sorgte der Golfkonflikt für einen Schock. Der Ölpreis schnellte binnen weniger Tage von 20 auf knapp 30 US-Dollar je Barrel hoch. Die Aktienmärkte verloren im August zwischen 9,4 (S&P 500) und 16,3 Prozent (Nikkei). Der DAX büßte im August gut 15 Prozent seines Wertes ein. Im September verschärfte sich der Abschwung dramatisch. Die Aktienbörsen verloren noch einmal in den USA gemessen am S&P 500 Index 5,1 Prozent. Der DAX in Frankfurt verlor 18 Prozent und der Nikkei in Japan 19,2 Prozent. Nun mag der Golfkonflikt der Auslöser der Kurskorrektur gewesen sein, jedoch zeigte die Aktienmarktbewertung einmal mehr den Spiegel der wirtschaftlichen Entwicklung. Die amerikanische Wirtschaft schwächte sich 1990 von Quartal zu Quartal ab. Insgesamt wurde die Wachstumsrate mit 1,9 Prozent für das Jahr festgelstellt. Doch für das letzte Quartal stand mit einer Wachstumsrate von minus drei Prozent erstmalig seit 1982 wieder ein negatives Vorzeichen vor dem Wert. Die USA schlidderte gradewegs in eine Rezession. Dabei litt die US-Wirtschaft unter dem hohen Ölpreis, der wachsenden Inflation und dem hohen Haushaltsdefizit, welches den Spielraum für die aktive Wirtschaftspolitik erheblich einschränkte. Japan hatte sich in den Achtzigerjahren zur Wirtschaftsmacht Nummer 1 emporgeschwungen. In vielen Sekto1990
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ren wie der Elektro- und Unterhaltungsgeräteindustrie verfügte Japan über die Technologieführerschaft. Niedrige Zinsen und hohe Staatsausgaben waren der Schmierstoff für den Wohlstandsmotor Wirtschaft. Die überschüssige Liquidität sorgte jedoch auch für eine sogenannte Blasenbildung in verschiedenen Anlageklassen. Sichtbar einerseits am Aktienmarkt und andererseits am Immobilienmarkt. Immer weiter steigende Preise für Aktien und Immobilien ließen ein gutes Wohlstandsklima gedeihen. Banken waren mit der Kreditvergabe großzügig, da die als Sicherheit hinterlegten Aktien bzw. Immobilien im Wert kontinuierlich hohe Zuwächse verzeichneten. Als jedoch die Notenbank einen Kurswechsel vollzog, indem sie den Leitzins anzuheben begann und den Banken die Kreditvergabe erschwerte, kam es zu ersten Wertabschlägen. Die japanische Aktienbörse verlor 1990 gemessen am Nikkei 38,7 Prozent. Insgesamt war 1990 entgegen den zu Jahresbeginn hohen Erwartungen kein Jahr für Aktieninvestoren. Das deutsche Börsenbarometer lag am Jahresende mit einem Minus von 21,9 Prozent bei 1.398 Punkten und der amerikanische Aktienmarkt verlor bis zum Jahresende knapp 6,3 Prozent an Wert. Hinzu kam aber noch die massive Abschwächung des US-Dollars gegen über der DM. Die amerikanische Währung verlor im Jahresverlauf rund 12 Prozent gegen die DM. Zum Jahresende kostete ein US-Dollar nur noch 1,49 DM, am Jahresanfang mussten noch 1,698 DM je US-Dollar bezahlt werden. Die Zinsen in Deutschland markierten im Oktober, gemessen an der Umlaufrendite mit 9,2 Prozent ihren Höchststand. Zu Beginn des Jahres lagen sie noch bei 7,8 Prozent. Hier wurde der enorme Finanzierungsbedarf zur Deckung der Kosten der Wiedervereinigung bereits deutlich, zumal seitens der Politik zu diesem Zeitpunkt Steuererhöhungen kategorisch abgelehnt wurden.
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Die Bilanz des ersten Jahres sah für die Junginvestoren wie folgt aus: Sirko hat Ende März seine Aktien in Staatsanleihen getauscht. Damit konnte er die Aktiengewinne des ersten Quartals sichern und noch einen hohen Zuwachs durch die Zinseinnahmen erzielen. Sein Kontostand zum Jahresende beträgt 114,64 DM. Peggy hat mit ihrem Bundesschatzbrief knapp 6,7 Prozent Rendite erzielt und verfügt zum Jahresende über einen Kontostand von 106,69 DM. Maik setzte auf die Kraft der Wirtschaft und blieb während des Jahres seinem Aktieninvestment treu. Das bescherte ihm einen Wertverlust von fast 22 Prozent. Er belegt zunächst Platz drei und hat einen Kontostand von 78,10 DM.
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Sirko 1990
Peggy Ͳ25,0%
Ͳ20,0%
Ͳ15,0%
Ͳ10,0%
Ͳ5 0% Ͳ5,0%
6 7% 6,7% 0,0%
5,0%
10,0%
15,0%
20,0%
Quelle: eigene Berechnung
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Maik
Ͳ21,9% 2 9%
Anlageergebnis
14,6%
Abbildung 3: Anlageergebnisse zum Jahresende 1990
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1991 Die wirtschaftlichen Aussichten für 1991 waren alles andere als gut. Die USA steuerte mit Volldampf in eine Rezession. Das Finanzsystem in den USA geriet ins Wanken, als die zuvor allzu großzügig vergebenen Kredite für kostspielige Firmenübernahmen und Immobilienfinanzierungen in Folge der sich abschwächenden Konjunktur notleidend wurden. Mit der Bank of New England verzeichnete die USA die drittgrößte Bankenpleite in ihrer bisherigen Geschichte. Der Zusammenbruch kostete die staatliche Einlagenversicherung 2,3 Milliarden US-Dollar. Auch die großen Häuser wie Citibank und Chase Manhattan verbuchten Quartalsverluste in dreistelliger Millionenhöhe. Noch stärker als die Geschäftsbanken waren die Spar- und Darlehenskassen von der Krise betroffen. Um den totalen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern, musste die US-Regierung mit circa 500 Milliarden US-Dollar die angeschlagenen Institute unterstützen. Fallende Immobilienpreise, eine rückläufige Industrieproduktion und steigende Arbeitslosenzahlen kennzeichneten die tiefste wirtschaftliche Krise, in die die USA seit dem Ende des zweiten Weltkrieges steuerte. Ob nun der starke Ölpreisanstieg oder das enorme Haushaltsdefizit der Auslöser für die Abkühlung war, kann nicht abschließend beurteilt werden. Tatsache war jedoch, dass die Regierung und die Notenbank in ihrem Handlungsspielraum wegen der aufkommenden Inflation und des angesprochenen Haushaltsdefizits extrem eingeschränkt waren. Die Krise zog eine in der Geschichte beispiellose Pleitewelle nach sich, welche eine weitere Abschreibungswelle bei den Banken und Versicherungen nach sich zog. Die Bilanzen der Institute waren voll mit den hochrentierlichen „Junk Bonds“, die gern zu Übernahmefinanzierung begeben wurden und deren Rückzahlung nun zweifelhaft war. 1991
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Hierzulande bekam die Regierung die Belastungen der Wiedervereinigung zu spüren. Den Betrieben im Osten der Republik brachen mit dem Zusammenfall der Sowjetunion und des gesamten Ostblockes die Absatzmärkte weg. Für den Westen waren die Betriebe einfach nicht konkurrenzfähig. Die Produktionsstätten waren veraltet und die Produkte für den internationalen Wettbewerb technologisch rückständig. Der Westen konnte die im Zusammenhang mit der sich abschwächenden Weltkonjunktur rückläufigen Absatzerfolge durch Zuwächse im innerdeutschen Handel kompensieren. Die deutsche Wirtschaft wuchs 1990 noch mit 5,3 Prozent und konnte sich damit von der allgemein schwächeren Verfassung der Weltwirtschaft merklich abkoppeln. Der Wachstumsschub konnte natürlich dem Wiedervereinigungsboom zugeschrieben werden. Erkauft wurde er durch rapide ansteigende Staatsausgaben. Schon bald änderte sich die Sprache der Bundesregierung. Sollte zunächst die Wiedervereinigung ohne Steuererhöhungen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden, war nun von gleichmäßiger Verteilung der Lasten die Rede und am Ende stand ein Abgabenund Steuererhöhungspaket, wie es Deutschland zuvor noch nie gesehen hatte. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stiegen um fast 50 Prozent von 4,3 Prozent auf 6,3 Prozent, die Mineralölsteuer wurde je Liter zwischen 10 (Diesel) und 25 Pfennige (Super) angehoben. Ebenso stieg die Tabaksteuer. Und der Beschluss, die Mehrwertsteuer im Zuge der EG-Harmonisierung 1993 zu erhöhen, wurde auch schon verabschiedet. Darüber hinaus wurde eine befristete Ergänzungsabgabe zur Finanzierung des „Aufbau Ost“ beschlossen. Für ein Jahr vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992 sollte von jedem Steuerpflichtigen 7,5 Prozent seiner Steuerschuld zusätzlich erhoben werden. Das war die Geburtsstunde des Solidaritätszuschlages. Da die Frist der Erhebung auf jeweils sechs Monate in 1991 und 1992 fielen, soll38
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te der Solidaritätsbeitrag mit 3,5 Prozent auf die jeweilige Steuerschuld der Jahre 1991 und 1992 berechnet werden. Die Kapitalmärkte wurden zu Beginn des Jahres 1991 von dem Fortschreiten der Golfkrise beeinflusst. Mit dem Beginn der Offensive der Alliierten unter der Führung der USA am 17. Januar stiegen die Kurse an den Aktienbörsen weltweit. Der DAX legte an diesem Tag 7,5 Prozent an Wert zu, die amerikanische Börse stieg um 3,7 Prozent und der Nikkei folgte einen Tag später mit einem Plus von knapp 4,5 Prozent. Bis zum Ende des Krieges am 5. März 1991 stiegen die Börsen um gut 17 Prozent. In den Medien wurde teilweise von unmoralischen Kriegsgewinnen gesprochen. Das war nur die halbe Wahrheit, denn seit Kriegsbeginn mit dem Einmarsch irakischer Truppen und der Annektierung Kuwaits im August 1990 standen die Aktienbörsen mehrheitlich immer noch im Minus. Der US-Dollar konnte sich von seinem Jahresendwert auf 1,71 DM je US-Dollar um fast 15 Prozent erholen. Nach der Entwicklung des ersten Quartals ist Maik etwas beruhigt. Sein Kontostand hat sich erholt und beträgt zum 31. März 1991 85,06 DM. Peggy hat zum 1. Februar ihre Bundesschatzbriefe in die neue Serie getauscht. Diese ist in Folge der gestiegenen Renditen höherverzinslich. Gegenüber der alten Serie hat sie einen Zinsvorteil in diesem Jahr von 0,25 Prozent, der jedoch im folgenden Jahr auf 1 Prozent ansteigt. Zum 31. März 1991 weist ihr Konto einen Stand von 108,68 DM auf. Sirko, immer noch in Anleihen investiert, verfügt zu diesem Zeitpunkt über ein Guthaben von 119,01 DM. Die Anleihen waren die Gewinner 1990. Deshalb bleibt Sirko vorerst in diesem Segment investiert.
Der Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, fiel am 1. April 1991 in seiner Wohnung in Düsseldorf ei1991
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nem Mordanschlag zum Opfer. Das Attentat wurde nach Fund eines Bekennerschreibens einer Gruppe von RAF-Terroristen zugeschrieben. Die Nachfolge Rohwedders im Amt des Präsidenten der Treuhandanstalt trat Birgit Breuel an. Sie übernahm das schwere Erbe, die ehemaligen Betriebe der DDR nach marktwirtschaftlichen Maßgaben fit zu machen und zu privatisieren. Schwer auch deshalb, weil viele Privatisierungsbemühungen durch schwebende Rückübertragungsansprüche aus Zwangsenteignung während der Zeit der DDR blockiert wurden. Der Einigungsvertrag sah vor, dass alle Enteigneten, die durch das DDR-Regime ab 1949 Grund und Boden und Betriebe verloren hatten, einen Anspruch auf Rückübertragung haben. In der Folge wurden über eine Millionen Anträge auf Rückübertragung gestellt. Diese mussten erst geklärt werden, bevor die Treuhandanstalt die betroffenen Betriebe privatisieren konnte. Gleichzeitig wirkten die vielseitig ungeklärten Eigentumsfragen auch investitionshemmend für Unternehmer und Konzerne, die sich aktiv am Aufbau Ost beteiligten wollten. Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern litt nicht nur unter ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Den Betrieben im Osten brachen die alten Absatzwege im Ostblock vollends weg. Wie eine Vollbremsung wirkte der Zusammenbruch des Ostblocks auf die Auftragsbücher einer planwirtschaftlich organisierten arbeitsteiligen Welt. Um rund 85 Prozent brachen die Bestellungen aus dem ehemaligen Wirtschaftsverbund der Ostblockstaaten bei den ostdeutschen Betrieben ein. Die gesamte Sowjetunion befand sich in Auflösung. Immer mehr Teilrepubliken erklärten ihre Unabhängigkeit. In Russland wurde Boris Jelzin zum Präsidenten der Teilrepublik Russland gewählt. Als im August 1991 eine Gruppe konservativer Kräfte um den damaligen Vizepräsidenten Janajew zum Staatsstreich ansetzte und Gorbatschow unter Arrest stellte, war 40
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es Boris Jelzin, der in seiner Rede auf einem Panzer vor dem Weißen Haus, dem Sitz der russischen Regierung, zum passiven Widerstand der Bevölkerung und die Armee zum Ungehorsam aufrief. Tatsächlich stellte sich die Armee auf die Seite Jelzins und der Staatsstreich war nach wenigen Tagen beendet. Michail Gorbatschow wurde nicht entmachtet, der Reformprozess konnte nicht mehr gestoppt werden. Im Dezember wurde die Gemeinschaft unabhängiger Staaten von den Regierungschefs der Ukraine, Weißrussland und Russland sowie dem Präsidenten der Sowjetunion gegründet. Kurz zuvor beschlossen Gorbatschow und Jelzin die Auflösung der UdSSR zum 21. Dezember des Jahres. Zu diesem Termin wurde Russland nach Anerkennung durch die USA und der Europäischen Gemeinschaft Rechtsnachfolger der Sowjetunion.
In Europa schritt der Einigungsprozess indes weiter voran. In Maastricht beschlossen im Dezember die Staats- und Regierungschefs der zwölf EG-Mitgliedsstaaten den Vertrag über die Europäische Union. Neben der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Zusammenarbeit im Bereich Justiz, sah der Vertrag die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion vor. Mit dem Ziel die Preisstabilität zu wahren, wurden die Konvergenzkriterien für die Einführung einer gemeinsamen Währung festgelegt. Danach durfte die Gesamtverschuldung eines Staates 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes nicht übersteigen. Ebenso wurde die Grenze für die Neuverschuldung eines Staates, der der Gemeinschaftswährung beitreten wollte, auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes festgelegt. Schrittweise, über mehrere Stufen hinweg sollte die Kursschwankungsbreite der Währungen der Teilnehmerländer eingeengt werden und 1997, spätestens jedoch 1999,
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mit der Einführung der Gemeinschaftswährung ganz aufgegeben werden. Die Konjunktur in Deutschland wuchs 1991 erstaunlich robust. Festzustellen war jedoch, dass die Exportüberschüsse wegen der starken Konjunkturrückgänge in den USA, Großbritannien und anderen europäischen Ländern stark zurückgingen, sodass Deutschland erstmalig seit zehn Jahren einen negativen Außenhandelsbeitrag erwirtschaftet hatte. Diese Zahl war von den stark gestiegenen Importen beeinflusst. So war ablesbar, dass nicht nur die Binnenkonjunktur an der Konsumbefriedigung in den östlichen Bundesländern beteiligt war, sondern auch die europäischen Nachstaaten vom Aufbau Ost profitierten. Deutschlands Wirtschaftsleistung wuchs 1991 noch einmal kräftig mit rund fünf Prozent (Westdeutschland). Verantwortlich dafür waren wie schon erwähnt der ungebremste Konsumrausch der Deutschen, verbunden mit der hohen Staatsquote, die in Folge von Transferleistungen für die Sanierung der neuen Bundesländer aufgebracht werden musste. Mit dem Ziel den Geldwert zu stabilisieren, sprich die drohende Inflation im Zaume zu halten, erhöhte die Bundesbank 1991 gleich im Februar die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt. Der Diskontsatz lag nun bei 6,5 Prozent und der Lombardsatz bei 9 Prozent. Im Jahresverlauf folgten zwei weitere Zinsschritte, die den Diskontsatz auf 8 Prozent und den Lombardsatz auf 9,75 Prozent führten. Teilweise übten die Notenbanker, deren Präsident seit dem Sommer 1991 Helmut Schlesinger hieß, offene Kritik an der Ausgabenpolitik der Bundesregierung. Die Transferzahlungen von West nach Ost betrugen rund 150 Milliarden DM, das entsprach rund zwei Dritteln des ostdeutschen Sozialproduktes. Die Neuverschuldung drohte auf über 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzusteigen. Eine Lohn-/Preisspirale kön-
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ne losgetreten werden, die in hoher Inflation münden und die Preisstabilität gefährden würde. Die Kapitalmärkte entwickelten sich trotz des schwierigen Umfeldes positiv. Die Aktienmärkte stiegen bis auf Japan, das rund 3,6 Prozent verlor, mit zweistelligen Raten. Der deutsche Aktienmarkt erholte sich im Jahresverlauf weiter und wies gemessen am DAX eine Jahressteigerung von 12,9 Prozent auf. Noch stärker stieg das amerikanische Börsenbarometer. Der S&P 500 verzeichnete einen Anstieg von 25,5 Prozent. Der Kurswechsel der US-Notenbank, die Mitte des Jahres zur Wiederbelebung der eigenen Konjunktur die Leitzinssätze zu senken begann, ließ zwar die Aktienkurse nach oben schnellen, führte jedoch zu einer kräftigen Abschwächung des US-Dollars gegenüber der DM. Bis Mitte des Jahres erreichte der US-Dollar noch Stände bis 1,87 zur DM. Mit den Leitzinssenkungen fiel der Wert der Währung jedoch wieder, sodass zum Jahresende die Dollar-Aufwertung nur noch knapp 1,5 Prozent ausmachte.
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1,4
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1,6
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Wechselkurs1USD=xDEM
DevisenkursederFrankfurterBörse/1USD=...DM/VereinigteStaaten
Abbildung 4: Wechselkurs USD/DM (Januar 1990 bis Oktober 1991)
Quelle: Deutsche Bundesbank
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Am deutschen Rentenmarkt konnten hohe Gewinne erzielt werden. Der Rentenmarktindex REXP legte 1991 um 11,2 Prozent zu. Bei diesem Index werden der Kupon und die Kursbewegung bei der Berechnung berücksichtigt. Wie haben sich zum Jahresende die Kontostände der drei Investoren entwickelt? Das Vermögen von Maik beträgt zum 31.12.1991 88,14 DM. Peggy freut sich über einen Kontostand von 114,72 DM, im nächsten Jahr verzinst sich ihr Bundesschatzbrief mit 8,5 Prozent. Sirko hatte sein Kapital das ganze Jahr über in Staatsanleihen angelegt. Leicht zurückgehende Renditen, die Umlaufrendite verringerte sich im Jahresverlauf von 9 Prozent auf 8,7 Prozent und der hohe Kupon sorgen für gutes Ergebnis. Sein Konto liegt mit 127,44 DM weit in Führung. Er wechselt zum Jahresende die Anlageform und investiert sein Vermögen in amerikanische Aktien.
1992 Die Inflation machte den obersten Währungshütern in Deutschland 1992 besonders zu schaffen. Die Teuerungsrate stieg auf 5,1 Prozent, damit hatte Deutschland die rote Laterne unter den führenden Wirtschaftsnationen. Die Bundesbank hatte die Leitzinsen schon seit 1989 kontinuierlich erhöht. Doch konnten die höheren Zinsen ordnungspolitisch kaum eine Wirkung entfalten. Denn billiges Geld gab es zu Hauf von der Bundesregierung. Der Steuerzahler musste für eine Reihe von Einrichtungen aufkommen: die Schattenhaushalte für die Treuhandhandanstalt, den Kreditabwicklungsfonds, der die Auslandsschulden der DDR und die Kosten der Währungsumstellung, den sogenannten Ausgleichsfonds, beinhaltete, sowie 1992
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den Schattenhaushalt für „Ost-Post und Bahn“. Da wundert es nicht, dass die Staatsschulden explodierten und den Betrag von 1,3 Billionen DM überstiegen. Die Transferleistungen, die aus dem Staatssäckel zum Aufbau von Infrastruktur und der Sanierung der ostdeutschen Bundesländer aufgebracht werden mussten, wurden auf jährlich zwischen 100 und 160 Milliarden DM bis zur Jahrtausendwende geschätzt. So wurde trotz aller Beteuerungen der Politik, eine Beschränkung der Neuverschuldung anzustreben, eine Schuldenspirale ausgelöst, die die Geldwertstabilität nachhaltig zu gefährden drohte. Im ersten Jahr nach Verabschiedung der strengen Konvergenzkriterien, die insbesondere auf Verlangen der deutschen Verhandlungsseite in den „Maastricht-Vertrag“ aufgenommen wurden, hätte der damalige Finanzminister Theo Waigel diese gleich im ersten Jahr nicht erfüllen können. Die Nettoneuverschuldung sollte auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wachsen und die Drei-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages signifikant überschreiten. Nur gut, dass der Vertrag erst ein Jahr später in Kraft treten sollte. Dennoch löste die deutsche Schuldenpolitik nicht nur bei den europäischen Nachbarstaaten, sondern auch bei den Währungshütern jenseits des Atlantiks Kritik aus. Der größte Kritiker saß jedoch im eigenen Land. Die Bundesbank rügte die Haushaltspolitik der Bundesregierung bei nahezu jeder Sitzung des Zentralbankrates. Die ausufernde Inflation und die Hochzinspolitik hatten noch einen Nebeneffekt. Sie bedrohten den sozialen Frieden in der Republik. Die Gewerkschaften in Deutschland wollten für ihr Klientel ein gehöriges Stück vom Kuchen abhaben. Die Forderungen für Lohnanpassungen überstiegen die Zehn-ProzentMarke. Die Bankbediensteten und der öffentliche Dienst begaben sich medienwirksam in den Arbeitskampf. Im öffentlichen Dienst war dies die erste flächendeckende Arbeitsniederlegung 46
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seit 1974. Am Ende einigten sich die Tarifparteien im öffentlichen Dienst auf 5,4 Prozent und im Bankengewerbe auf rund 6 Prozent Lohnsteigerungen.
Q1/92 Q3/91 Q1/91 0,0
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DeutschlandConsumerprice;2005=100;Veränderungsrategg.Vj.
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Abbildung 5: Inflation in Deutschland (1990 bis 1992)
Quelle: Feri Finance AG
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Im Juli 1992 sah sich die Bundesbank zu einem weiteren Zinsschritt gezwungen. Sie hob den Diskontsatz von 8 Prozent auf 8,75 Prozent an. Dies war der höchste Satz seit 1931. Mit diesem Schritt dokumentierte die Bundesbank ihren Willen zur Sicherung der Geldwertstabilität. An den Aktienbörsen sorgte die Aktion für fallende Kurse. Die Investmentprofis hatten zu Beginn des Jahres noch auf deutsche Dividendenwerte gesetzt. Dabei spekulierten sie auf eine Lockerung der Zinspolitik seitens der Zentralbanker. Denn der Ifo-Geschäftsklimaindex, ein wichtiges Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft, signalisierte eine starke Abschwächung der Wirtschaft, die nach Ansicht der Investoren durch Zinssenkungen bekämpft werden sollte. Mit der straffen Zinspolitik wurde der wirtschaftliche Abschwung weiter beschleunigt, gleichzeitig wuchsen die Spannungen im europäischen Währungsverbund. Denn obwohl die heimische Wirtschaft vielerorts bereits rezessive Tendenzen aufwies, waren die europäischen Notenbanken an die heimliche Leitwährung DM und der Politik deren Währungshüter gebunden. In der Folge kam es zu erheblichen Spannungen im europäischen Währungsverbund (EWS). Als die Bundesbank 15. September 1992 nach 13 Zinsanhebungen in Folge einen Kurswechsel vollzog und den Diskontsatz um 0,75 Prozentpunkte auf 8 Prozent senkte, folgte die später als Wirbelsturm bezeichnete Katastrophe an den europäischen Devisenmärkten. Die Spekulationen gegen das EWS bekämpften die Notenbanken der Länder mit drastischen Maßnahmen. Die britische Regierung aktivierte den Mindestausleihesatz und setzte diesen auf 15 Prozent fest. Die Notenbank setzte rund ein Drittel ihrer Devisenreserven zur Stützung des Pfund Sterling ein. In Schweden erhöhte die Reichsbank den Leitzins von 7 Prozent auf 500 Prozent. Dahingegen senkten die Notenbanken der Niederlande und Belgien ihre Zinssätze nach deutschem Vorbild. Die ita48
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
lienische Lira wertete gegenüber der DM stärker ab, als es das Währungsband vorsah. Einen Tag später verkündete die Konferenz des EG-Währungsausschusses die Abkopplung des britischen Pfundes und der italienischen Lira vom EWS. Portugal und Spanien blieben zunächst im Währungsverbund. Die Vision der gemeinsamen Währung war vorerst kräftig beschädigt. Die Exportnation Deutschland hatte mit der allgemeinen Wirtschaftsflaute zu kämpfen, die durch die Hochzinspolitik der Bundesbank und die daraus resultierende Stärke der DM noch verschärft wurde. Die Exportchancen litten unter dem hohen Wert der DM, da dieser die deutschen Waren für ausländische Kunden teurer machte. Nahezu alle Branchen, jedoch besonders die Schlüsselindustrien Automobil- und Maschinenbau, hatten unter hohen Rückgängen in ihren Auftragsbüchern zu leiden. Daraus verschärfte sich in diesem Jahr auch die Situation für die deutsche Stahlindustrie. Eine dringende Anpassung der Kapazitäten schien erforderlich. Während in den Nachbarländern der Konzentrationsprozess bereits vollzogen wurde, bestanden in Deutschland immer noch große Stahlkonzerne nebeneinander. Krupp, Hoesch, Thyssen, Klöckner und Salzgitter (Preussag) waren die großen Namen der Branche. Die Krise forderte ihr Opfer. Die hochverschuldeten Klöckner-Werke mussten beim Amtsgericht Vergleich anmelden. Zuvor scheiterten die Bemühungen des Konzernvorstandes, die Stahlsparte des Unternehmens durch Kooperationen mit Konkurrenzunternehmen zu retten. Auch die Anteilseigner VIAG und Bayernwerk versagten dem Unternehmen frisches Kapital und die Banken, allen voran die Hausbank Deutsche Bank, kündigten die Kreditlinien bzw. verlängerten sie nicht. Der Schuldenberg von 2,7 Milliarden DM konnte nicht mehr bedient werden und so blieb nur noch der Weg zum Amtsgericht.
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Die Mitbewerber lehnten gemeinsame Rettungsmaßnahmen allesamt ab, hatten sie doch selbst unter der Krise zu leiden. Nachlassende Nachfrage und Billigstahl aus Osteuropa bedingten tiefgreifende Kapazitätsanpassungen in der deutschen Stahlproduktion. Viele tausend Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Gerhard Cromme, Chef des Krupp-Konzerns, setzte seine Vision, die Nummer 1 der Stahlbranche zu werden, in dieser Zeit kompromisslos durch. Über Monate hinweg und vom Markt unbemerkt kauften ausländische Banken im Namen Krupps die Aktien des Konkurrenten Hoesch auf. 500 bis 600 Millionen DM musste Krupp dafür aufbringen. Als Krupp die notwendige Mehrheit zusammen gekauft hatte, leitete Konzernchef Cromme die Fusion beider Unternehmen ein. Es entstand die Krupp Hoesch AG. Die Krise nutzte Konzernlenker Cromme, um die Fusion in rekordverdächtiger Zeit abzuschließen. Dieser Vorgang der sogenannten „feindlichen Übernahme“ war bis dahin in der deutschen Industrielandschaft ein absolutes Novum. Selbst die in der Industrie exzellent verzahnte Deutsche Bank soll von diesem Coup nichts mitbekommen haben. Der Daimler-Benz-Konzern unter der Führung von Konzernlenker Edzard Reuter wollte über Diversifikation der Krise Herr werden. Die Automobilindustrie, ein sehr zyklischer Industriezweig, war das Hauptstandbein des Konzerns. Eben diese Konjunkturabhängigkeit wollte Reuter durch den Umbau von Daimler-Benz zum Technologiekonzern, der neben dem Automobilbau in den Geschäftsfeldern Luft- und Raumfahrt sowie Elektrotechnik und Dienstleistungen aktiv war, reduzieren. Die Luft- und Raumfahrtaktivitäten der Konzerntöchter MTU, MBB und Dornier wurden in der DASA (Deutsche Aerospace) zusammengefasst, deren Vorsitzender Jürgen Schrempp war. 1992 erwarb der Konzern 51 Prozent der Aktien des niederländischen Flugzeugbauers Fokker. Mit der Übernahme kam Schrempp 50
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
seinem Ziel näher, die DASA zum führenden Flugzeugbauer Europas zu entwickeln. Die Strategie, mittels Diversifikation konjunkturresistenter zu werden, zahlte sich in diesem Jahr für Daimler indes nicht aus. Die Erlöse im Automobilbereich schmolzen dahin und die DASA hatte mit der möglichen Absage des „Jäger 90“-Projektes seitens der Bundesregierung, die ihrerseits den Rüstungsetat reorganisieren musste und dabei das Prestigeprojekt des neuen Kampfjets in Frage stellte, hart zu kämpfen. Die DASA war zu über 50 Prozent von staatlichen Aufträgen abhängig. Auch dies sollte durch die Fokker-Beteiligung reduziert werden. Der Elektronikbereich um die AEG schrieb tiefrote Zahlen. Als Folge musste die Sparte Büro und Kommunikation (AEG-Olympia) aufgegeben werden. Auch im Bereich der Bahnsysteme agierte die AEG wenig erfolgreich. Sie war zu klein, um allein den wachsenden Wettbewerb unter den Herstellern von Antriebs- und Systemtechnik zu überleben. Deshalb sollten die Bahnaktivitäten der AEG mit denen vom Konkurrenten Siemens zusammengelegt werden. Auch die Mannesmann AG musste sich in dieser Krise die Frage stellen, ob die Strategie des Konzernumbaus vom Stahlund Maschinenproduzenten zum Technologie- und Telekommunikationsunternehmen die richtige Strategie gewesen ist. Seit 1989 wurden bereits mehr als 1,8 Milliarden DM in den Aufbau des Mobilfunknetzes D2 investiert, doch der Start des Betriebes verzögerte sich schon mehrere Monate. So wurde in den Führungsetagen offen über einen möglichen Verkauf der Sparte gesprochen. 2,5 Milliarden DM hätte der Konzern mit dem Verkauf der Mobilfunkaktivitäten erzielen können. Sorge über einen möglichen Geschäftserfolg im Mobilfunk machten auch die Bestrebungen der Bundespost, ein moderneres System auszuschreiben und die Vergabe weiterer Mobilfunklizenzen. Doch auch wenn die Erträge spärlicher und mit Verzögerung anfal1992
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len sollten, verblieb die Mobilfunksparte zunächst im Mannesmann-Konzern. Jenseits des Atlantiks begann die Konjunktur langsam wieder Tritt zu fassen. Durch eine expansive Geldpolitik hat Notenbankchef Alan Greenspan die Wirtschaft mit reichlich Liquidität versorgt. Dafür senkte er den Leitzins, die FederalFunds-Rate, auf den bis dahin historisch tiefsten Stand von 3 Prozent. Nach dem Negativwachstum von -0,2 Prozent im Jahr 1991 wuchs die US-Ökonomie 1992 wieder mit einer Rate von 3,3 Prozent. 1992 stand aber noch unter einem anderen Stern, denn in den USA wurde in diesem Jahr ein neuer Präsident gewählt. Nach zwölfjähriger republikanischer Regierung (Reagan und Bush) folgte nun der Demokrat Bill Clinton. Clinton profitierte im Wahlkampf vom ausufernden Staatsdefizit, auch die Wirtschaftskrise wurde seinem Vorgänger angelastet. Seinen Wahlkampf führte er mit dem Wort „Change“ (Wandel) und so stand Clinton, der mit 42 Jahren der drittjüngste Präsident der Vereinigten Staaten war, für eine neue Generation von Amerikanern. Er machte sich stark für Minderheiten und Randgruppen und ihm wurde zugetraut, die USA aus der Krise zu führen und die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA in der Welt wieder herzustellen. Bis in den Mai stieg das deutsche Aktienbarometer DAX von 1.578 auf 1.811 Punkte um 14,8 Prozent, getrieben von den schon beschriebenen Zinssenkungshoffnungen. Als diese dann im Juli vollends enttäuscht wurden, gab der Aktienmarkt in der Breite um mehr als 15 Prozent wieder nach. Der Tiefststand wurde am 6. Oktober mit 1.420,30 Punkten festgestellt, also knapp 10 Prozent unter dem Jahresanfangsniveau bzw. rund 21 Prozent unter den Höchstständen vom Mai. Von da an erholte sich der DAX wieder und schloss das Jahr mit 1.545 Punkten ab, was auf Jahressicht ein Minus von 2 Prozent bedeutete. Schlimmer hatte es die 52
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
japanische Börse erwischt. Bis August verlor der Nikkei rund 37 Prozent seines Wertes und markierte den Tiefpunkt mit 14.309 Punkten. Die japanische Regierung legte ein umgerechnet 120 Milliarden DM schweres Konjunkturprogramm auf, um die Wirtschaft und damit auch die Börsen wieder in Schwung zu bringen. Die Aktienwerte in Tokio erholten sich in der Folge sprunghaft, jedoch nur vorübergehend. Das Jahr 1992 beschloss der Nikkei mit einem Minus von 26,4 Prozent und einem Stand von 16.925 Punkten. Von der negativen Aktienmarktstimmung konnte sich die US-Börse abkoppeln. Bis zur Präsidentschaftswahl im November tendierten die US-Aktien um die Null-Linie. Der Wahlausgang sorgte zwar nicht für eine Hysterie unter den Marktteilnehmern, dennoch war er für rund 5,7 Prozent Wertanstieg gut. Der S&P 500 Index schloss mit 438,8 Punkten 5,7 Prozent im Plus. Die amerikanische Währung verteuerte sich um 6,5 Prozent gegenüber der DM von 1,516 auf 1,614 DM je US-Dollar. Die Umlaufrendite aller öffentlichen Anleihen in Deutschland ging von 8,7 Prozent deutlich auf 7,4 Prozent zurück. Das bescherte dem Rentenmarktindex RexP ein Plus von 11,8 Prozent. Sirko ist mit dem Jahr sehr zufrieden. Er hat auf die richtige Anlageklasse gesetzt. Sein Kontostand steigt dank der Kursgewinne der Aktien und der Währung um 12,6 Prozent auf 143,43 DM. Er ändert für 1993 nichts an seiner Anlagestrategie und bleibt in US-Aktien investiert. Das Konto von Peggy zeigt einen Stand von 124,38 DM. Sie denkt, dass die Renditen weiter fallen werden, doch dank der Ausgestaltung des Bundesschatzbriefes steigt ihre Verzinsung im nächsten Jahr auf 8,75 Prozent. Maiks Konto kommt nicht richtig in Schwung. Er verliert rund 2 Prozent, sein Kontostand ermäßigt sich auf 86,30 DM. Zwar macht er sich Sorgen, da die Wirtschaft in Deutschland wohl in eine Rezession gerät, dennoch bleibt er seinem Anlagestil treu und in deutschen Aktien investiert. 1992
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1993 Am 1. Januar 1993 trat der Europäische Binnenmarkt in Kraft. Die damals zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsunion (Deutschland, Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Belgien, Italien, Spanien, Griechenland, Dänemark, Großbritannien, Irland und Portugal) bildeten damit einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, in dem, so der Wortlaut der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet war. Die wichtigsten Maßnahmen waren der Wegfall von Waren- und Personenkontrollen innerhalb des Binnenmarktes. Gleichzeitig wurde auch die Anerkennung bzw. Harmonisierung von Produktnormen und Lebensmittelstandards sowie die Beseitigung steuerlicher Schranken, die durch unterschiedliche Verbrauchs- bzw. Mehrwertsteuersätze zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führten zum Ziel erkoren. Öffentliche Aufträge mussten nun, wenn sie einen Wert von zehn Millionen DM überschritten, EG-weit ausgeschrieben werden. Ein weiteres Ziel war es, die Staatsmonopole wie beispielsweise Post und Bahn zu beseitigen. Märkte, die zuvor durch Gesetze und Normen abgeschottet waren, wie beispielsweise das Versicherungsund Transportwesen, sollten harmonisiert werden. Neben dem Binnenmarkt, trat in Deutschland mit dem Jahreswechsel eine wichtige steuerliche Änderung in Kraft. Die sogenannte Zinsabschlagsteuer wurde ab sofort auf Zins- und Dividendenerträge erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hatte bei der Besteuerung von Kapitalerträgen eine Ungleichbehandlung festgestellt und forderte deshalb die Bundesregierung auf, diese zu beseitigen. Denn während Aktieninvestoren auf einen Teil der Dividende durch Abzug der Kapitalertragsteuer verzichten mussten, konnten Anleiheinvestoren und Sparer ihre 54
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
Zinseinnahmen voll vereinnahmen. Anstatt nun aber die Dividendenbesteuerung abzuschaffen, wurde die Idee der Zinsbesteuerung nach dem gescheiterten Versuch 1989 (Quellensteuer) wiederbelebt. Fortan wurden 30 Prozent der Zinseinkünfte von den Banken einbehalten und an den Fiskus abgeführt. Der Steuerpflichtige konnte sich durch einen Freistellungsauftrag, den er bei seiner Bank bzw. depotführenden Stelle abgab, dem Steuerabzug entziehen. Denn der Bund hatte die Freibeträge für Kapitaleinkünfte kräftig angehoben. 6.000 DM plus 100 DM Werbungskosten betrug nunmehr der Freibetrag für einen Ledigen, der doppelte Betrag stand Verheirateten zur Verfügung. Der Freistellungsauftrag galt auch für Einkünfte aus Dividenden. Hier wurde dem Investor, wenn er einen entsprechenden Freistellungsauftrag erteilte, neben der Ausschüttung der Bruttodividende, auch die Körperschaftsteuer anteilig erstattet. Dadurch wurde die Attraktivität der Aktienanlage für den „Kleinsparer“ erheblich erhöht. Die Zinsabschlagsteuer galt als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer, das bedeutete, dass der Anleger die Kapitaleinkünfte nach wie vor in seiner Einkommensteuererklärung deklarieren musste und im Falle der Überschreitung der Freibeträge wurden die Einkünfte mit dem persönlichen Steuersatz veranlagt. Da die Steuer nur bei inländischen Kreditinstituten und Wertpapierverwahrstellen als Voraussteuer abgezogen wurde, setzte schon im Vorfeld eine massive Kapitalflucht deutscher Anleger ins benachbarte Ausland ein. Profiteur war der Finanzplatz Luxemburg. Nahezu alle deutschen Kreditinstitute hatten bereits Dependancen in dem Großherzogtum eröffnet und dank des freien Kapitalverkehrs war es relativ einfach möglich, von der heimischen Bankfiliale aus ein Konto und ein Depot in Luxemburg zu eröffnen. Anstatt den Kunden ziehen zu lassen, konnten die Banken ohne Einschränkung des persönlichen Services den Kunden mit An1993
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geboten der Auslandsfiliale bedienen. Das Geld war im Ausland und somit der Zinsabschlagsteuer entzogen, aber dennoch in den Konzernbankbilanzen enthalten. Die deutschen Ableger der Fondsindustrie legten ebenfalls Investmentsondervermögen nach Luxemburger Recht auf. Meist wurden diese als sogenannte thesaurierende Anteilsklassen aufgelegt. Diese waren ebenfalls nicht von dem unschönen Zinsabzug betroffen. Wurden die Anteile zu einem späteren Zeitpunkt verkauft, konnte der Investor den Gewinn als Kursgewinn steuerfrei vereinnahmen. Das hier noch Nachbesserung beim Gesetz erforderlich war, war offensichtlich. Nun, unsere drei Investoren stört die neue Zinsabschlagsteuer nicht, da zum einen die investierten Summen innerhalb der Freibeträge liegen und zum anderen wie eingangs beschrieben, die steuerliche Behandlung der Investitionen bei der Berechnung des Erfolges in diesem Buch nicht berücksichtigt wird. Viel entscheidender ist die Entwicklung an den Kapitalmärkten.
Die Aktienmärkte starteten mit Verlusten in das Jahr 1993, aber schon Mitte Januar setzten die Börsen in Europa und den USA zum Aufschwung an. Ende Februar stand der DAX schon mit 10 Prozent im Plus. Dabei waren die wirtschaftlichen Grundlagen keineswegs als rosig zu interpretieren. Der Ifo-Geschäftsklimaindex markierte im Februar seinen vorläufigen Tiefststand mit 84,9 Punkten. Der Index wird aus einer regelmäßigen Umfrage vom Ifo-Institut zur Geschäftsbeurteilung und zur Geschäftserwartung bei Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels in Deutschland gebildet. Interessant zu diesem Zeitpunkt war, dass die Geschäftserwartungen seitens der Be56
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fragen schon seit November 1992 besser beurteilt wurden, hingegen die Beurteilung der aktuellen Situation nach wie vor von Monat zu Monat als schlechter empfunden wurde. Tatsächlich sollte sich die deutsche Wirtschaft 1993 mit -0,8 Prozent erstmals seit 1982 abschwächen.
Geschäftserwartungen Geschäftsbeurteilung Geschäftsklima
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105,0
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Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai. Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb. Mrz. 92 92 92 92 92 92 92 92 92 92 92 92 93 93 93
Abbildung 6: ifo Geschäftsklima für die Gewerbliche Wirtschaft (Januar 1992 bis März 1993)
Quelle: CESifo Group Munich
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Deutschland litt weiter unter dem Umbau der ostdeutschen Wirtschaft. Hinzu kam, dass die westdeutsche Industrie wegen einer Sonderkonjunktur infolge der Wiedervereinigung nötige Kapazitätsanpassungen verschlief. Die Weltwirtschaft durchschritt schon ein bis zwei Jahre zuvor das Konjunkturtal und hatte entsprechende Kapazitätsanpassungen längst in die Wege geleitet. Wegen des Sonderbooms verschliefen die Konzerne in Westdeutschland diese Entwicklung. Im Gegenteil, es wurden Kapazitäten unter der Annahme der Fortschreibung der überhöhten Wachstumsraten 1990 und 1991 weiter erhalten bzw. noch ausgebaut. Produktivitätskennziffern wurden missachtet, die Konkurrenz aus Europa, Fernost und den USA konnte die deutschen Anbieter überholen. 1993 wurde der deutschen Wirtschaft offenbar, dass der Produktionsstandort Deutschland beim Preiskampf um Massenerzeugnisse nicht mithalten konnte. Die Produktionen in Fernost und auch Osteuropa waren längst schon in den Startlöchern, um den Rest der Welt billig mit Stahl, Textilien, Unterhaltungselektronikgeräten und Grundstoffen zu überschwemmen. So setzte 1993 in Deutschland ein Arbeitsplatzabbau in den Kernindustrien ein. Zu Zehntausenden wurden Arbeitsplätze in der Chemie, Elektroindustrie, Stahl und Automobilindustrie abgebaut. Die offizielle Arbeitslosenquote stieg von 8,9 Prozent im Dezember 1992 auf 10,5 Prozent im Dezember 1993. Die Sanierung im Osten verzögerte sich abermals. Hier nahm die Anzahl der Stellen, die nach der Wiedervereinigung dem Rotstift zum Opfer fielen auf nahezu 4 Millionen zu. Das bedeutete, dass rund 40 Prozent der Arbeitsplätze innerhalb von drei Jahren abgebaut wurden. Im Gegenzug konnte diese Zahl nicht annähernd durch neue Stellen kompensiert werden. Die offizielle Arbeitslosenquote betrug für die neuen Bundesländer zum Jahresanfang 1993 noch 13,7 Prozent und stieg im Jahresverlauf auf 15,7 Prozent. Insgesamt 58
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
waren zum Jahresende in Deutschland knapp 3,7 Millionen erwerbsfähige Menschen arbeitslos. Der industrielle Kahlschlag im Osten sorgte für eine wachsende Politikverdrossenheit und drohte das geeinte Land sozial zu spalten. Im Westen ging es den Menschen noch gut, jedoch spürten auch hier die Arbeitnehmer und die Konzerne den konjunkturellen Gegenwind. Deutschland drohte den Anschluss an die Weltspitze verpasst zu haben. Die Konzentration auf den Aufbau Ost und die Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf einen Boom in den europäischen Staaten in der nächsten Dekade zog eine tiefe strukturelle Krise nach sich. Viele Konzerne in Deutschland standen nach ihren Expansionsaktivitäten vor dem Problem, ihre neu gewonnene Größe vor dem Hintergrund der sich abschwächenden Konjunktur zu managen. Vielfach mussten Milliardenkredite pünktlich mit Zinszahlungen bedient werden. Das bedeutete, dass die Unternehmen nun selbst aktiv und schnell handeln und nach der kräftigen Expansion eine Konzentrationsphase einläuten mussten. Die Stahlkrise forderte weitere Opfer. Die Saarstahl AG stand ebenso vor dem Aus wie die Maxhütte. Die Sanierung der ostdeutschen Eko-Stahl wurde mit Hinweis auf die Überkapazitäten in Europa von der EG-Kommission abgelehnt. Die zuvor schon beschriebene Fusion der beiden Stahlkonzerne Krupp und Hoesch zur Krupp Hoesch Stahl AG führte dazu, dass der Konzern unter einer Schuldenlast von rund 6 Milliarden DM erdrückt wurde. Ein Jahr nach der Fusion addierten sich die Verluste allein aus der Stahlsparte auf rund eine Milliarde DM. Die jährliche Zinslast von rund 400 Millionen DM konnte der Konzern nicht erwirtschaften. Neben dem Schuldenabbau mussten auch dringende Kapazitätsanpassungen vorgenommen werden. Gerhard Cromme, der Vorstandschef der Krupp Hoesch Stahl AG, stand vor der Entscheidung, ganze Werke stillzule1993
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gen. So wurde das Werk Rheinhausen das erste Opfer des Abbaus von Produktionskapazitäten und unter massiven Protesten der Belegschaft und der Gewerkschaft geschlossen. Auch der einstige Branchenprimus Thyssen litt unter der Krise. Ein Verlust von 500 Millionen DM zwang auch hier die Konzernleitung zum Handeln. Über 8.000 Stellen sollten kurzfristig abgebaut werden. Die Krise ließ die Konzerne enger zusammenrücken. Nur gemeinsam konnte am Standort Deutschland die Stahlproduktion gesichert werden. Neben Thyssen und Krupp Hoesch gesellte sich auch der Dritte im Bunde, die Preussag AG (Salzgitter), zu dem „Kartell“. Gemeinsam engagierten sie sich bei der Lösung im Vergleichsverfahren Klöckner. So konnte die hochmoderne Produktionsstätte in Bremen erhalten und im Gegenzug Kapazitäten an anderen Standorten gestrichen werden. Als Nebeneffekt hielten sie sich die lästige Konkurrenz aus dem Ausland fern. Später boten sie auch für das Eko-Werk in Eisenhüttenstatt. Hier hatte sich die italienische RIVA um eine 51-prozentige Beteiligung beworben. Krupp Hoesch war der Schwächste in diesem Dreierbund und stand schon fast mit dem Rücken zur Wand. Weitere Anpassungen waren nötig. Zum Jahresende verhandelten dann Thyssen und Krupp Hoesch darüber, ganze Sparten der Stahlproduktion miteinander zu tauschen. Thyssen wollte seine Edelstahlproduktion an Krupp, den Marktführer in diesen Bereich, übertragen und im Gegenzug wollte Krupp seine gesamten Aktivitäten in der Weißblechproduktion an Thyssen abgeben. Kosteneinsparungen in zweistelliger Millionenhöhe waren das Ziel. Mehrere tausend Arbeitsplätze sollten gestrichen werden. Auch Daimler schrieb in diesem Jahr Milliardenverluste. 40.000 Stellen sollten abgebaut werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Allein die Autosparte machte rund eine Milliarde DM Verlust. In der Kritik stand Daimler wegen seiner verfehl60
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ten Modellpolitik. Der Konzern setzte zu lange auf die Oberklasse. Die neue S-Klasse war zwar technisch unschlagbar, doch zu schwer, zu groß und zu teuer für die Krise. Edzard Reuter hatte den Autokonzern zum Technologiekonzern umbauen wollen, um in der Krise nicht allein vom Autoabsatz abhängig zu sein. Doch auch die neuen Bereiche wie Luft- und Raumfahrt sowie Elektronik schrieben hohe operative Verluste. Die Integration und Sanierung der Konzerntochter AEG schlug acht Jahre nach Übernahme durch Daimler fehl. Mehr als fünf Milliarden DM soll Daimler während dieser Zeit in die marode Tochter investiert haben. Gewinne konnte die AEG im Gegenzug nur spärlich zurück überweisen. Eine radikale Schrumpfung durch Teilverkäufe war geplant. Für die Übernahme der Bahnaktivitäten wurde mit Siemens verhandelt, die Haushaltsgeräte sollten mehrheitlich an den schwedischen Mitbewerber Electrolux gehen. Für den Bereich der Automatisierungstechnik interessierte sich die amerikanische General Electric (GE). Rund 57.000 Arbeitnehmer bangten um ihre Zukunft. Mit Verlusten kämpfte auch der Düsseldorfer MannesmannKonzern. Der Umbau vom Stahl- zum Technologiekonzern ging nur zaghaft voran. Die Aufträge in den traditionellen Bereichen brachen um Veränderungsraten im zweistelligen Bereich ein, und die Telekomaktivitäten sollten auf Jahre noch Verluste schreiben. Dennoch wurden 1993 schon über 300.000 Kunden für den neuen mobilen Telefonservice gewonnen. Auch wenn die Prognosen somit weit übertroffen wurden, war der Weg in die Gewinnzone lang. Mittlerweile bereitete sich ein weiterer Konkurrent auf diesen Zukunftsmarkt vor: Ein Konsortium von Thyssen und Veba erhielt von der Post eine Lizenz für den Mobilfunknetzbetrieb. Das E-Netz sollte bis 1994 ausgebaut werden, um an den Start zu gehen.
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Dennoch war das Thema Expansion noch nicht erledigt. Der Bremer Vulkan mauserte sich durch kreditfinanzierte Zukäufe zum Weltkonzern der Schiffbauindustrie. Neben Werften wurden auch verwandte Industrieunternehmen wie die MSG Marine- und Sondertechnik von Daimler und die Atlas Elektronik von Krupp übernommen. Dahinter stand immer der Stadtstadt, der durch diese Übernahmepolitik Industrie- und Beschäftigungspolitik in der Region betrieb. Der Konzern war längst hoch verschuldet. Schiffsbauaufträge kamen häufig von der konzerneigenen Reederei, der Senator Line, die die gebauten Schiffe gern zu hohen Charterraten übernahm. Mit Vorstand Friedrich Hennemann expandierte der Konzern in die neuen Bundesländer. Hier übernahm der Bremer Vulkan die MTW-Werft in Wismut von der Treuhand. Ein schöner Nebeneffekt war, dass die OstWerft mit rund 560 Millionen DM aus der Staatskasse saniert und wettbewerbsfähig gemacht werden sollte. Das entlastete auch die angespannte Finanzsituation der neuen Mutter. Währungspolitisch waren die Turbulenzen des Herbstes 1992 noch nicht verkraftet, da traten erneut Spannungen im Währungsverbund EWS auf. Am Ende musste Notenbankchef Helmut Schlesinger seine harte Haltung aufgeben und die Leitzinsen anpassen. Schon länger hatte die Politik von der Notenbank Unterstützung durch niedrige Zinsen für die Wirtschaft gefordert. Doch der Notenbankchef blieb standhaft wie ein Fels in der Brandung. Im Februar lenkte die Deutsche Bundesbank dann doch ein und ergab sich dem Druck der Devisenmärkte und der Politik. Eine Phase der Zinssenkungen wurde eingeläutet und der Diskontsatz bis zum Sommer in drei Schritten von 8,25 Prozent auf 6,75 Prozent gesenkt. Doch die Währungsspannungen lösten sich nicht. So sahen sich im August die Finanzminister und Notenbankchefs der Europäischen Gemeinschaft veranlasst, die Bandbreite der Währungsrelationen von 4,5 Pro62
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zent auf 30 Prozent anzuheben. De facto bedeutete dies, dass die europäischen Währungen untereinander quasi frei schwanken konnten. Damit war das EWS praktisch aufgelöst und die Realisierung einer gemeinsamen Währung mit einem großen Fragezeichen versehen. Im Oktober wurde Hans Tietmeyer zum Nachfolger des scheidenden Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger bestellt. Tietmeyer galt als Vertrauter von Kanzler Kohl und damit wurde die Hoffnung verbunden, dass der neue Notenbankchef die Politik in Bonn durch die Notenbankpolitik unterstützen würde. Tatsächlich senkte Tietmeyer gleich zum Einstand den Diskontsatz auf 5,75 Prozent. Der Lombardsatz verringerte sich im Jahresverlauf von 9,5 Prozent auf 6,75 Prozent ebenfalls. Im November einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft auf Frankfurt am Main als Sitz des neuen Europäischen Wahrungsinstitutes (EWI). Das EWI war der Vorläufer der im Maastricht-Vertrag beschlossenen Europäischen Zentralbank. Jedoch waren die Kompetenzen, die das neue Institut hatte, zunächst auf Koordinationsfunktionen zwischen den einzelnen Notenbanken und die Vorbereitungen für die Einführung einer gemeinsamen Währung begrenzt. Für den Standort Frankfurt bedeutete die Entscheidung eine klare Aufwertung zu einer Finanzmetropole Europas. Fallende Zinsen und angestoßene Restrukturierungsbemühungen der Unternehmen waren der Schmierstoff für die deutschen Aktienmärkte. Der DAX legte 1993 trotz Rezession um 46,7 Prozent zu. Insbesondere die Nachfrage aus dem Ausland verhalf den deutschen Aktienwerten zum Höhenflug. Die Unternehmen waren im internationalen Vergleich niedrig bewertet und die starke Währung bescherte den ausländischen Investoren zusätzliche Gewinne. Die Hoffnung der Anleger, dass die Rezession bald überwunden werden sollte, stützte sich zum ei1993
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nen auf die Wirtschaftsdaten anderer Länder. Beispielsweise wuchs die US-Wirtschaft um 2,7 Prozent. Zum anderen gaben auch die Unternehmen einen erfreulicheren Ausblick auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Der Ifo-Geschäftsklima-Index erholte sich von seinem Tief im Februar von 84,9 auf 90,8. Deutschland war mit einem gewissen Nachlauf in die Rezession geraten, aber anscheinend sollte auch die Erholung mit diesem Nachlauf beginnen. Auch die japanische Börse konnte sich bis Mitte Oktober mit einem Zuwachs von rund 20 Prozent gut erholen. Allerdings gab der Aktienmarkt die Gewinne bis zum Jahresende fast vollständig wieder ab. Der Nikkei beendete das Jahr mit einem Plus von 2,9 Prozent. Die US-Börse legte gemessen am S&P 500 im Jahr 1993 um 6,8 Prozent zu. Der USDollar verteuerte sich gegenüber der DM um etwa 7 Prozent. Bei den Zinsen reduzierte sich die Umlaufrendite in Deutschland 1993 von 7,4 auf 5,6 Prozent.
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Abbildung 7: Umlaufrendite in Deutschland (Januar 1990 bis Juli 1993)
Quelle: Deutsche Bundesbank
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Gemessen am Rentenmarktindex REXP konnten Investoren 1993 mit deutschen Anleihen 14,7 Prozent verdienen. Investoren versuchten durch ihre Entscheidungen, Aktien zu handeln, ihr Vermögen zu mehren. Doch entwickeln sich die Aktienmärkte oft eigenwillig entgegen der herrschenden Meinung. Wie schon erwähnt: Im Jahr der Rezession stiegen die deutschen Dividendenpapiere um fast 47 Prozent. Fundierte Analysetätigkeit oder das Bauchgefühl bilden oftmals die Entscheidungsparameter. Manchmal ist es aber auch der Wissensvorsprung, den man aufgrund seiner Position gegenüber anderen Marktteilnehmern erlangen konnte, ausschlaggebend für ein lukratives Börsengeschäft. So wurde dem Vorsitzenden der IG Metall, Franz Steinkühler, vorgeworfen, sein Wissen, das er als Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat bei der Daimler-Benz AG erlangte, gewinnbringend in Börsenspekulationen umgesetzt zu haben. Für rund eine Million DM kaufte er Aktien der Mercedes Automobil Holding AG, denn er wusste, so die Gerüchte, dass die Aktionäre kurze Zeit später von der Daimler-Benz AG ein Angebot zur Übernahme erhalten sollten. Der Kurs der Aktien reagierte sofort und stieg um rund 10 Prozent. Steinkühler strich angeblich rund 100.000 DM fast risikolos ein. Als die Sache aufflog, war seine Karriere zwar beendet, Franz Steinkühler legte seine Ämter nieder, strafrechtlich konnte er jedoch nicht belangt werden. Erst zum Ende des Jahres einigte sich die Regierung auf die Inhalte des sogenannten Insider-Gesetzes. Danach mussten Unternehmen alle kursbeeinflussenden Nachrichten adhoc, also ohne Verzögerung, veröffentlichen. Personen, die über sogenanntes Insiderwissen verfügen, durften fortan nicht mehr in den betreffenden Papieren spekulieren. Verstöße konnten mit Gefängnisstrafe geahndet werden. Weiter wurden Unternehmen verpflichtet, ihre Anteile an anderen Unternehmen offenzulegen, sofern sie 5 Prozent des Kapitals überstiegen. 66
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Ein bewegtes Jahr liegt hinter unseren drei Geldanlegern. Alle beenden das Jahr mit einem Gewinn. Das Aktiendepot von Maik legt knapp 47 Prozent zu und liegt nun erstmalig im Plus mit 126,60 DM. Sirkos Aktien in den USA gewannen knapp 7 Prozent und über die Währung hat er noch einmal rund 7 Prozent gewonnen. Sein Konto entwickelt sich auf 163,83 DM. Peggy vereinnahmt 1993 Zinsen von 8,75 Prozent, ihr Kontostand steigt auf 135,34 DM. Sirko ist beeindruckt von den deutschen Dividendenpapieren. Er erwartet für das Jahr 1994 eine weitere Aufwertung infolge eines einsetzenden Aufschwungs. Er schichtet sein Vermögen zum Jahreswechsel in deutsche Aktien um.
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Abbildung 8: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, den USA und Japan (1992 bis 1994)
Quelle: Feri Finance AG
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
Die US-Wirtschaft hatte bereits 1992 wieder auf Wachstumspfad zurück gefunden, während in Deutschland erst 1993 mit einem negativem Wachstum von -0,8 Prozent und zweijähriger Verzögerung der Tiefpunkt der Konjunktur erreicht wurde. Mit dem Aufschwung der Weltkonjunktur sollten auch die Exportnationen Japan und Deutschland in positives Fahrwasser gelangen. Die Stimmung in der Wirtschaft verbesserte sich 1994 merklich. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg schon seit dem ersten Quartal 1993 und auch die Teilkomponente, in der die befragten Unternehmen die aktuelle Geschäftslage beurteilen, hellte sich seit dem Jahreswechsel 1993/1994 wieder auf. In den USA brummte die Wirtschaft schon wieder so stark, dass die US-Notenbank im Februar den Leitzins, die Federal-Funds-Rate, in einem ersten Schritt von 3 auf 3,25 Prozent anhob. Die Bundesbank hingegen reduzierte ihrerseits den Diskontsatz von 5,75 auf 5,25 Prozent um einen halben Prozentpunkt. Diese Diskrepanz in der Zinspolitik war wohl auch der Grund für die Verunsicherung, die im Jahresverlauf an den Kapitalmärkten einsetzte. Denn entgegen der Entwicklung der Notenbankzinsen begannen die Renditen für Anleihen in Deutschland zu steigen. Ausländische Investoren beurteilten die deutschen Zinspapiere kritischer und sorgten in den ersten Monaten des Jahres für enormen Abgabedruck. Die Umlaufrendite aller öffentlichen Anleihen in Deutschland stieg in den ersten Monaten des Jahres 1994 um einen halben Prozentpunkt. Das bedeutete, dass die Kurse der Zinstitel fielen. Der Rentenmarktindex RexP wertete bis zum Mai 1994 gegenüber dem Vorjahresende um 3,1 Prozent ab. Für die deutschen Kreditinstitute bedeutete dies enorme Kursverluste ihres Anleihebestandes. Rund 14 Prozent ihrer Bilanzsumme hielten die deutschen Banken in festverzinslichen Anleihen, die nun die Ergebnisse der Banken durch Kursverluste zu belasten drohten. Die Gewinnprognosen für Banken 1994
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mussten nach unten revidiert werden. Damit gerieten auch die Aktienkurse der Institute unter Druck. Auf einmal beurteilten die ausländischen Investoren auch deutsche Dividendenpapiere kritischer. Der Aktienindex DAX verlor in den ersten beiden Monaten des Jahres gut 10 Prozent seines Wertes. Einerseits litt die Performance der Bankaktien in Deutschland unter den beschriebenen Kursverlusten bei festverzinslichen Anleihen. Eine viel größere Wirkung auf die Kursentwicklung der Bankaktien sollte 1994 aber ein ganz anderer Fall von Vertrauensverlust haben. Im April wurde das Ausmaß des bis dahin wohl größten Falls von Betrug bekannt. Rund 5,5 Milliarden DM hatte sich der Immobilienspekulant Jürgen Schneider von Banken als Kredite ergaunert. Über viele Jahre hinweg kaufte er Immobilien in erstklassigen Innenstadtlagen zu Höchstpreisen. Für die Beschaffung der notwendigen Finanzierungen fälschte er Mietflächenberechnungen und Mietverträge, so dass die Beleihungswerte, die für die Finanzierung maßgeblich waren, höher ausfielen als sie in Realität eigentlich waren. Die Immobilien wurden unter verschiedenen Gesellschaften, die allesamt selbst zum Schneider-Imperium gehörten, hin und her verkauft, immer mit einem entsprechenden Aufschlag. So sorgte er selbst für entsprechende Preissteigerungen am Immobilienmarkt, was ebenfalls wieder die Beleihungsgrenzen erhöhte. Teilweise reichte er bei den Banken Baupläne ein, die gar nicht existierende Geschosse in den Gebäuden zeigten. Die Banken finanzierten gern, denn das lukrative Geschäft mit Jürgen Schneider wollte sich keiner entgehen lassen. Nur mit der Prüfung der Kreditunterlagen hatten es die Banken nicht so genau genommen. Eine einfache Prüfung, wie zum Beispiel das Zählen der Stockwerke oder die Berechnung der Mietfläche, hätte die Tricks des Jürgen Schneiders aufdecken können. Erst als Schneider in Folge der anhaltenden Immobilienflaute 70
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
wohl selbst den Überblick über seine über 170 Immobilien zu verlieren drohte und er sich mit einigen Millionen DM ins Ausland absetzte, flog der Schwindel auf. Enorme Wertberichtigungen bei den Banken folgten, denn die tatsächlichen Werte der Immobilien machten nur einen Bruchteil der herausgelegten Kredite aus. In einem späteren Gerichtsverfahren wegen Kredit- und Konkursbetruges attestierten die Richter den Banken dann auch eine Mitschuld. Allzu leichtfertig hatten sie den Finanzierungswünschen des Herrn Schneiders ohne die notwendigen und sorgfältigen Prüfungen entsprochen. Im Zusammenhang mit der Schneider-Pleite ist ein Ausspruch des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper in die Geschichtsbücher eingegangen. Die offenen Handwerkerrechnungen von etwa 50 Millionen DM im Konkursfall Schneider betitelte Kopper im Vergleich zu den Milliardenkrediten, die bei den Banken wertberichtigt werden mussten, als „Peanuts“. Nicht nur die selbst von der Pleite betroffenen Handwerker empörten sich. Die ganze Republik war von der augenscheinlichen Arroganz der Großbank erschüttert. Die Bankaktien zählten dann auch zu den Verlierern des Jahres. Beispielsweise reduzierte sich der Kurs der Deutsche-Bank-Aktie von 886,50 DM am 31.12.1993 auf 720 DM am 31.12.1994. Das ist ein Verlust von mehr als 18 Prozent. Politisch bleibt 1994 als Wahljahr in Erinnerung. Am 23. Mai wurde Roman Herzog als Nachfolger von Richard von Weizsäkker zum Bundespräsidenten gewählt und bei der Wahl zum Deutschen Bundestag am 16. Oktober gewann die CDU/CSU 41,5 Prozent der Stimmen. Die Koalition mit der FDP, die auf 6,9 Prozent der Stimmen kam, konnte unter Bundeskanzler Helmut Kohl fortgeführt werden. Die SPD erreichte 36,4 Prozent, Bündnis 90/ Die Grünen 7,3 Prozent der Stimmen. Die PDS verfehlte mit 4,4 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde, konnte aber dennoch mit vier gewonnenen Direktmandaten in den Bundestag einziehen. 1994
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Mit Blick auf die Maastrichtkriterien verfolgte die gerade im Amt bestätigte Regierung einen rigorosen Sparkurs. Die Staatsausgaben durften für die nächsten Jahre um nicht mehr als 3 Prozent jährlich steigen und sollten rund 2 Prozent unter dem geschätzten Wirtschaftswachstum liegen. Nur so könnte die Staatsverschuldung bis 1998 unterhalb der 60-ProzentGrenze aus dem Maastricht-Vertrag gedrückt werden. Gleichzeitig sollte die Einnahmeseite durch die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlages ab 1995 um jährlich rund 27 Milliarden DM verbessert werden. Dass diese Maßnahmen infolge des Konsumverzichtes durch Staat und Privathaushalte die gerade wiederbelebte Konjunktur gefährden könnte, wurde ausreichend berücksichtigt. Die Wachstumsraten sollten sich in den Folgejahren laut Prognose im Durchschnitt bei 3 Prozent einpendeln. Motor für die Konjunktur war der florierende Export. Die deutschen Unternehmen hatten die Krise genutzt, überfällige Strukturanpassungen in die Wege zu leiten. So profitierten sie einerseits von den Kostensenkungen und andererseits von der anziehenden Nachfrage nach ihren Gütern. Da die Inflation merklich nachließ, konnte die Notenbank ihre Zinssenkungspolitik weiter fortsetzen. Bis zum Jahresende senkte sie den Diskontsatz auf 4,5 Prozent und den Lombardsatz auf 6 Prozent. Die amerikanische Notenbank hatte bereits damit begonnen, eine restriktivere Geldpolitik zu verfolgen. Die Fed erhöhte ihren Leitzins bis zum Jahresende auf 5,5 Prozent. Die Zinsdifferenz zwischen den USA und Deutschland sollte eigentlich zur Folge haben, dass der US-Dollar gegenüber der DM an Attraktivität gewinnt. Allerdings trat eine genau gegenläufige Entwicklung ein. Die US-Währung verbilligte sich zur Mark um 17 Pfennige bzw. 10,3 Prozent. Rückblickend betrachtet passte die Wechselkursbewegung nicht zur Zinspolitik, die Aktienmarktbewegung nicht zur Konjunktur und die steigenden Renditen 72
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
nicht zur Inflation. 1994 war ein Jahr, welches viele Anleger auf dem falschen Fuße erwischte. Im Zuge der Binnenmarktharmonisierung wurden europaweit die Weichen für die Privatisierung von Staatsbetrieben gestellt. In Deutschland wurde zu Beginn des Jahres aus der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn die Deutsche Bahn AG. Zum Jahresende wurde dann die Deutsche Post in drei Teilunternehmen aufgeteilt. Als Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG sollten sich die nun privatrechtlich organisierten Unternehmen dem Wettbewerb stellen. Gleichzeitig sollte dies der erste Schritt zum Verkauf des Bundesvermögens sein. Als erstes Unternehmen sollte die Deutsche Telekom AG an die Börse gebracht werden. Bevor dies jedoch geschehen konnte, musste das Unternehmen fit gemacht werden. Die Teilunternehmen agierten in abgeschotteten Märkten und wurden bürokratisch von Beamten geführt. Bis sich die Unternehmen dem Markt stellen konnten, bedurfte es noch etwas Zeit. Die ersten fünf Jahre nach dem Mauerfall gehen zu Ende. Es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Diese Periode war wirtschaftlich von der Überwindung der Rezession geprägt, die als 90er-Rezession in die Geschichtsbücher einging. Deutschland durchlebte dank der Wiedervereinigung eine Sonderkonjunktur zu Beginn der 90er, musste jedoch später selbst die Konjunkturflaute durchlaufen. Politisch wurden in dieser Zeit die Weichen auf Globalisierung gestellt. In Europa fiel nicht nur der eiserne Vorhang, auch die Grenzen und Handelshemmnisse zwischen den EU-Mitgliedstaaten verschwanden. Die EU-Mitglieder verabschiedeten einen Fahrplan, der über die gemeinsame Wirtschaftspolitik zu einer gemeinsamen Währung führen sollte. Auch interkontinental schien dies der Weg zu einem konstanten Wachstumspfad zu sein. In den GATT-Verhandlun1994
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gen erreichten die USA und Europa eine Einigung zum freien Welthandel. Einfuhrbeschränkungen und Strafzölle wurden für viele Handelsbereiche und selbst für den hart umkämpften Agrarmarkt reduziert und multilateral geregelt. Die Organisation, die dies überwachen sollte, hieß World Trade Organisation (WTO) und wurde mit Sitz in der Schweiz gegründet. 1994 war für Kapitalinvestoren kein gutes Jahr. Die Aktienmärkte in den USA und Deutschland verzeichneten ein Minus von währungsbereinigt 12 bzw. 7 Prozent. Allein der japanische Aktienmarkt konnte sich dieser Entwicklung entziehen und legte gut 14 Prozent zu. Der deutsche Rentenmarkt verlor trotz expansiver Geldpolitik der Notenbank gemessen am RexP 2,5 Prozent seines Wertes. Das bedeutet, dass der Anleiheinvestor neben dem Kupon von über 5 Prozent auch noch im Kurs der Anleihen verlor. Die Umlaufrendite stieg von 5,6 Prozent zu Jahresbeginn auf 7,4 Prozent zum Jahresende 1994. Unsere Junginvestoren haben ihre ersten Erfahrungen mit den Kapitalmärkten sammeln können. Trotz Rezession, verzeichneten die unterschiedlichen Anlagestrategien über den Gesamtzeitraum Zugewinne. Das Jahr 1994 bescherte den beiden Aktieninvestoren Maik und Sirko Verluste. Beide waren 1994 in deutschen Aktienwerten investiert. Sie müssen ein Minus von rund 7 Prozent verkraften. Der Kontostand von Maik reduziert sich auf 117,66 DM und Sirkos Konto zeigt zum Jahresende einen Bestand von 152,26 DM. Peggy kann dank ihrer Strategie, in Bundesschatzbriefe zu investieren, ohne Kursrisiko jedes Jahr den vereinbarten Zins vereinnahmen. Das bedeutet, dass sie trotz der Kursverluste am Rentenmarkt ihren Zins ohne Kursabschlag gutgeschrieben bekommt. Ihr Konto wächst auf 147,08 DM. Nach fünf Jahren hat Sirko mit 152,26 DM die Nase vorn. Mit 147,08 DM liegt Peggy nur knapp dahinter. Maik ist wegen der negativen Jahre
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
zu Beginn der Periode mit 117,66 DM noch abgeschlagen. Sirko hat 1994 Verluste realisiert, das schmeckt ihm gar nicht. Der einzige Gewinner 1994 waren japanische Aktien. Vielleicht hat Japan nun die Börsenkrise überwunden und schließt nach Jahren der Verluste endlich wieder an die Entwicklung der Weltbörsen auf. Sirko beschließt für 1995 sein Vermögen in japanische Aktien umzuschichten.
1994
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1991 1990 1989 70%
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Quelle: eigene Berechnung
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Teil 2 – Wiedervereinigungsboom und Rezession
Sirko Peggy
Maik
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1994
Abbildung 9: Anlageergebnisse 1989 bis 1994 indexiert.
Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter (1995 bis 1999)
1995 Mit dem 1. Januar wird in Deutschland der Solidaritätszuschlag wieder eingeführt. Die zusätzliche Steuer beträgt 7,5 Prozent der jeweiligen Lohn- und Einkommensteuerschuld des Steuerpflichtigen. Zur Jahreswende 1994/1995 wurden die internationalen Devisen- und Kreditmärkte mächtig durchgeschüttelt. Lateinamerika war der Unruheherd, genauer gesagt Mexiko. Lange Zeit hatte das Land zur Bekämpfung der Inflation die eigene Währung an den US-Dollar gekoppelt. Dadurch konnte die Inflation eingedämmt werden und die Wirtschaft wuchs mit hohen Wachstumsraten, jedoch baute sich im Zeitablauf eine enorme Überbewertung des mexikanischen Pesos gegenüber dem US-Dollar auf. So musste das mexikanische Finanzministerium zur Stützung der eigenen Währung innerhalb weniger Wochen nahezu 75 Prozent der Währungsreserven einsetzen. Mexiko war Mitglied der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA), die 1994 gegründet wurde. Diese Anbindung verhalf Mexiko zu einem starken Wirtschaftsaufschwung, davon profitierte die gesamte Region in Lateinamerika und dank der Währungsanbindung wurde ausländisches Kapital angezogen. Dies bedeutete aber auch, dass das Leistungsbilanzdefizit permanent negativ war. Sprich: Das Wachstum wurde durch Auslandsschulden fi1995
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nanziert. Dem reduzierten Stand der Devisenreserven von rund 6,1 Milliarden US-Dollar zum Jahresende stand für 1995 allein ein Schuldendienst für fällige Zinsen und Kredite in ausländischer Währung von etwa 41 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das Finanzministerium sah sich gezwungen, die feste Währungsanbindung aufzugeben und eine freie Kursbildung (sogenannter free float) zuzulassen. Der Peso verlor quasi über Nacht 40 Prozent seines Wertes. Panik brach aus und ausländische Investoren zogen ihr Kapital ab. Die Krise drohte auch auf die Nachbarstaaten überzuschwappen. Gut zehn Jahre zuvor stürzte Mexiko die Nachbarländer, insbesondere Argentinien und Brasilien, in eine tiefe, lang anhaltende Krise. Diese Kettenreaktion wurde als Tequila-Effekt bezeichnet. Zur Vermeidung eines Flächenbrandes mussten Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Insgesamt wurde unter der Führung der USA ein internationales Stützungspaket von rund 50 Milliarden US-Dollar geschnürt. In der Folge konnten die Devisenmärkte tatsächlich stabilisiert werden. Die mexikanische Notenbank wendet ihre Währungspolitik seither erfolgreich primär zur Inflationsbekämpfung ohne ein feste Parität zum US-Dollar an. Ein weiteres Beben erschütterte die Finanzmärkte, als im Februar 1995 die britische Barings Bank unter Zwangsverwaltung gestellt werden musste. Das Traditionshaus mit 200-jähriger Geschichte wurde infolge von Fehlspekulationen an den Terminmärkten in den Ruin getrieben. In der Singapurdependance trieb Nick Leeson sein Spiel. Er spekulierte für die Bank an den internationalen Terminmärkten in Aktien- und Währungskontrakten. Bei einem sogenannten Termingeschäft erwirbt der Anleger das Recht, zu einem späteren Zeitpunkt (sogenannter Erfüllungszeitpunkt) zu einem festgesetzten Preis die vereinbarte Ware zu liefern oder abzunehmen. Im Gegensatz zu den üblichen Kassamärkten fällt somit das anfängliche Verpflich78
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
tungsgeschäft zeitlich nicht mit dem späteren Erfüllungsgeschäft zusammen. Da erst bei der Erfüllung auch der Kaufpreis fällig wird, brauchen die Kontraktpartner bei Abschluss des Geschäftes noch kein Kapital einzusetzen. Leeson konnte solche Geschäfte, die zunächst immer mit entsprechenden Gegengeschäften gesichert waren, faktisch im Alleingang tätigen. Er handelte die riskanten Positionen und kontrollierte sie anschließend selbst. Bei seinen Geschäften setzte er auf Bewertungsdifferenzen an Aktien- und Devisenmärkten. Da diese im Einzelnen eher gering waren, musste er entsprechend hohe Beträge einsetzen, um einen entsprechenden Profit einstreichen zu können. Leeson entwickelte sich zum Starhändler des Hauses. Scheinbar vollkommen unbehelligt von Aufsichtsgremien und Kontrollen häufte der damals 28-jährige Händler so Verluste von rund 1,4 Milliarden DM an. Anfangsverluste wurden durch noch größere Geschäfte zunächst überdeckt. Doch insbesondere die Spekulationen auf steigende Aktienkurse in Japan brachten das Kartenhaus zum Einsturz. Denn in Japan fielen die Kurse insbesondere nach dem schweren Erdbeben von Kobe zweistellig. Als die Verluste zu Tage traten, war das Eigenkapital der Bank schnell aufgezehrt. Nick Leeson flüchtete, wurde jedoch kurze Zeit später am Frankfurter Flughafen festgenommen. Eine neue Ära brach 1995 bei Daimler-Benz an. Jürgen Schrempp, bis dahin Chef der Daimler-Benz Aerospace (Dasa), trat im Frühsommer die Nachfolge von Edzard Reuter als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG an. Gleich nach Aufnahme der Amtsgeschäfte musste Schrempp eine Hiobsbotschaft verkünden. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte drohte dem Konzern ein Milliardenverlust. Der Expansionskurs vom Automobilbauer zum Technologiekonzern geriet in Stocken. Die Automobilsparte erholte sich langsam von der Konjunkturflaute und erwirtschaftete schon wieder Milliardengewinne, 1995
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doch diese wurden im Konzern von den anderen Aktivitäten, allen voran im Bereich der Luft- und Raumfahrt, mehr als aufgezehrt. Die gerade erst erworbene Beteiligung am niederländischen Flugzeugbauer Fokker geriet zum Fass ohne Boden. Auch die AEG war nach wie vor ein Sanierungsfall, der jährlich Unsummen verschlang. Zwar musste Schrempp sich aufgrund seiner Tätigkeit als Dasa-Vorstand einen Teil der Schieflage selbst auf die Fahne schreiben, dennoch gelang es ihm, die Hauptverantwortung der Fehlentwicklung seinem Vorgänger anzulasten. Schrempp nutzte das Ergebnis, um sämtliche Ergebnisrisiken zu heben und einen klaren Schnitt zu machen. Zukünftig wollte er den Automobilbereich wieder mehr in den Vordergrund der geschäftlichen Aktivitäten rücken. Dazu wurden die Bahnaktivitäten der AEG mit denen der ABB fusioniert, nachdem das Bundeskartellamt dem Zusammenschluss der Bahntechnik mit der Bahn-Sparte von Siemens einen Riegel vorgeschoben hatte. Daraufhin gab er die Börsennotierung auf (sogenanntes Delisting) und machte den verbleibenden freien Aktionären ein Angebot zur Übernahme der AEG-Anteile. Damit wurde das Ende eines der ehemals größten Elektronikunternehmen der Welt mit über 100-jähriger Tradition beschlossen. Während die Industriekonzerne in Deutschland sich mehrheitlich in Restrukturierungsphasen befanden, ging ein neuer Stern am Börsenhimmel auf. Die SAP wurde in den Deutschen Aktienindex aufgenommen. Seit 1988 notierten die Vorzugsaktien an den deutschen Aktienmärkten. Die SAP setzte seit der Unternehmensgründung 1972 auf die Entwicklung von Standardprogrammen zur Abwicklung ganzer Geschäftsprozesse, wie beispielsweise Buchhaltung, Personal und Logistik für Unternehmen. Während in der Industrie bis dahin hauptsächlich maßgeschneiderte Programmlösungen, die von Operatoren installiert und gewartet werden mussten, zum Einsatz kamen, 80
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
setzte SAP auf Standardanwendungen, die vorkonfektioniert geliefert wurden und sich durch bedienerfreundliche Wartung auszeichneten. Die technologische Weiterentwicklung der Computerprozessoren, deren Leistungen sich in den Achtzigerjahren vervielfachten, gab SAP einen enormen Wachstumsschub. Das Wachstum wurde durch den Börsengang im Jahr 1988 finanziert. Gleichzeitig bewahrte sich das Unternehmen mit dem Börsengang die Unabhängigkeit. Die Aktien des Unternehmens erfreuten sich zunehmender Beliebtheit, so führte die steigende Marktkapitalisierung dazu, dass die SAP-Aktie das Papier des Maschinenbauers Deutsche Babcock 1995 im DAX ersetzte. Der deutsche Aktienmarkt legte 1995 rund 7 Prozent im Wert zu. Während er im ersten Quartal um gut 10 Prozent verlor, setzte in der Folge eine kontinuierliche Erholung ein. Auch der japanische Aktienmarkt erholte sich zum Jahresende. Jedoch blieb hier nach den Anfangsverlusten von über 25 Prozent bis zur Jahresmitte nur das Erreichen der Nulllinie. Unter Hinzurechnung der Wechselkursänderung reduzierte sich die Entwicklung auf ein Minus von knapp 10,5 Prozent. Die japanische Volkswirtschaft steckte weiterhin tief in der Krise. Insbesondere war das Finanzsystem infolge des Platzens der Immobilien- und Aktienblase seit 1989 immer noch angeschlagen. Die Restrukturierung wurde nur halbherzig und langsam vorangetrieben. Den bürokratischen Filz zwischen Politik und Wirtschaft, welcher lange Zeit der Erfolgsgarant für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes war, stellte sich in der Sanierungsphase als Bremsklotz dar. Es wurde weiter gemauschelt und getuschelt und erst an die Öffentlichkeit gegangen, als es gar keinen anderen Ausweg mehr gab. So verging ein weiteres Jahr der Börsentristesse in Japan. Ganz anders zeigte sich das Börsenbarometer in den USA. Die Wirtschaft brummte und der Aktienmarkt stieg um mehr als 30 Prozent. Währungsbereinigt blieb dem deutschen 1995
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Investor immer noch ein Plus von 24 Prozent. Die Bundesbank lockerte die Geldpolitik durch drei weitere Zinssenkungen. Der Diskontsatz wurde von 4,5 auf 3 Prozent gesenkt und den Lombardsatz reduzierten die Währungshüter von 6 auf 5 Prozent. Steigende Preise konnten auch an den Rentenmärkten beobachtet werden, was sich in einem Rückgang der Umlaufrendite aller öffentlichen Anleihen in Deutschland von 7,4 auf 5,5 Prozent niederschlug. Indes verlangsamte sich das Wachstum der deutschen Wirtschaft auf 1,9 Prozent. Auch die Stimmung unter den Unternehmen verschlechterte sich gemessen am Ifo-Geschäftsklimaindex von 100,5 auf 91 Punkte. Drohte die nächste Flaute? Auch in den USA schwächte sich das Wachstum ab. Die US-Konjunktur legte 2,5 Prozent im Jahr 1995 zu, nachdem sie ein Jahr zuvor noch um 4 Prozent wuchs. Entsprechend passte die US-Notenbank ihre Zinspolitik während des Jahres an. Nach einem Zinsschritt von 5,5 auf 6 Prozent zu Beginn des Jahres senkte sie ab dem Sommer den Zins in zwei Schritten von 6 auf 5,5 Prozent.
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Ͳ
2,00
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Jan92
Jan93 FedFundRate
1995
Jan94 DiskontsatzDBK
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Jan95
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Abbildung 10: Notenbankzinsen (Januar 1992 bis Januar 1996)
Quelle: Feri Finance AG
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Nach den Kriterien des Maastricht-Vertrages hätte die gemeinsame Währung frühestens zum 1. Januar 1997 eingeführt werden können. In der gemeinsamen Sitzung der EU-Finanzminister am 19. Juni 1995 sprachen sich alle Finanzminister für eine spätere Einführung aus. Der Maastricht-Vertrag sah hierführ den Termin 1. Januar 1999 vor, was eine zweijährige Verzögerung bedeutete. Damit wurde die Einführung der Gemeinschaftswährung um zwei Jahre verschoben. Andererseits hatten die Teilnehmerstaaten zwei Jahre länger Zeit, ihre Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen und die Beitrittskriterien zu erfüllen. Die EU-Mitgliedstaaten einigten sich auf die Bezeichnung der gemeinsamen Währung. Sie sollte EURO heißen. Unter unseren Junginvestoren gab es Führungswechsel. Sirko ist mit seinem Engagement in japanischen Aktien ins Hintertreffen geraten. Sein Vermögen hat 1995 ein Minus von 10,45 Prozent zu verkraften. Der Kontostand reduziert sich auf 136,35 DM. Maiks Dividendenpapiere warfen eine Rendite von 6,99 Prozent ab. Der Kontostand erholt sich auf 125,89 DM. Fallende Zinsen und schwächelnde Aktienmärkte machen Peggy nicht aus. Die Verzinsung ihres Bundesschatzbriefes liegt in diesem Jahr bei 9 Prozent. Damit setzt sich Peggy an die Spitze der Dreiergruppe. Ihr Konto weist einen Bestand von 160,29 DM auf. Auch im nächsten Jahr erhält Peggy 9 Prozent Zinsen. So sicher können die beiden Konkurrenten nicht planen. Maik bleibt bei seinen deutschen Aktien, während Sirko frustriert sein Geld aus Japan abzieht und wieder in US-Dividendentitel investiert.
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
1996 Sparen für Europa. Nahezu jede Regierung in Europa setzte sich 1996 intensiv mit der Konsolidierung der eigenen Staatsfinanzen auseinander. Die 1992 vereinbarten Kriterien zur Teilnahme an der Gemeinschaftswährung, die seinerzeit klar die Handschrift der Deutschen Bundesbank trugen und ihrem obersten Ziel der Geldwertstabilität entsprachen, erwiesen sich in den Jahren vor der Realisation der Währungsunion als eine enorme Herausforderung. Zu schwach und wenig nachhaltig waren die Wachstumsraten nach der Rezession Anfang der Neunzigerjahre. Die Erholung währte nur ein Jahr. Danach hatte insbesondere Deutschland wieder mit einem Abflauen des Wirtschaftswachstum zu kämpfen. Erhoffte Steuermehreinnahmen blieben aus und die Sozialkosten stiegen infolge wachsender Arbeitslosenzahlen. So bestand die Aufgabenstellung für die Regierung in Bonn einerseits darin, die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen und andererseits den Arbeitsmarkt zu beleben. Der Arbeitsmarkt litt unter den Produktivitätsverlusten, die als Folge hoher Lohnabschlüsse und der steigenden Abgabenlast den Faktor Arbeit für deutsche Unternehmen extrem teuer machten. Seit 1990 wurde der Preis für den Faktor Arbeit durch mehrfache Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge und die Einführung des Solidaritätszuschlages kontinuierlich erhöht. Ergänzt durch die hohen Lohnsteigerungen, die die Gewerkschaften Anfang der Neunzigerjahre noch relativ einfach durchsetzen konnten, sank die relative Attraktivität einer deutschen Arbeitsstunde nicht nur gegenüber den europäischen Mitbewerbern. Nahezu konkurrenzlos billig waren die Arbeitskosten in den osteuropäischen Nachbarstaaten oder gar in der neuen Boomregion in Asien. So wurde die Welle der Verlagerung der Produktionsstätten deutscher Unterneh1996
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men ins Ausland stark durch den Wettbewerb der Kosten für den Faktor Arbeit motiviert. Deutsche Unternehmen waren Exportweltmeister, aber nicht nur Waren wurden exportiert, sondern zunehmend waren es auch Arbeitsplätze, die ins Ausland verlagert wurden. Als Folge stieg die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf über vier Millionen bzw. auf eine Quote von 11,1 Prozent. Weitere zwei Millionen Menschen, die in Beschäftigungs- oder Umschulungsmaßnahmen steckten, erhöhten die Zahl der Menschen ohne einen festen Arbeitsplatz auf nahezu sechs Millionen. Die hohen Arbeitslosenzahlen bedeuteten für den Staat wachsende Mehrausgaben. Schwächere Einnahmen einerseits und höhere Ausgaben andererseits bedeuteten für die Haushaltspolitik nur eins: Auf die Bremse treten! Die Regierung war gefordert, ihren Haushalt in den Griff zu bekommen, damit die Lohnnebenkosten nachhaltig gesenkt werden konnten und damit der Abbau von Arbeitsplätzen bzw. deren Verlagerung ins Ausland nachhaltig gestoppt werden konnte. Im Kanzleramt wurden radikale Pläne diskutiert. Die Lohnnebenkosten sollten auf eine Quote von unter 40 Prozent der Lohnkosten begrenzt werden, das Steuersystem sollte reformiert und vereinfacht werden, ebenso stand eine Unternehmensteuerreform im Raum, die für Unternehmen Investitionen in Deutschland wieder attraktiver machen sollte. Im Gegenzug sollten die Mehrwertsteuer erhöht und Subventionen für den Bergbau und die Agrarwirtschaft gesenkt werden. Doch die Pläne wurden schon in der Koalition zerredet und hatten selbst abgemildert kaum eine Chance, durch den vom politischen Gegner dominierten Bundesrat zu kommen. So blieb 1996 von den ursprünglichen Zielen eine einfache Streichliste, in der Etats der einzelnen Ministerien und der Bundesanstalt für Arbeit nach dem Gießkannenprinzip zusammengestrichen wurden, bis die gewünschten Einsparungen beisammen waren. 86
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Die internationalen Kapitalmärkte starteten freundlich in das Jahr 1996. Die US-Notenbank senkte zur Unterstützung der Wirtschaft Ende Januar abermals die Federal-Funds-Rate von 5,5 auf 5,25 Prozent. Die US-Börse legte gemessen am S&P 500 Index um knapp 5 Prozent zu und der japanische Börsenindex Nikkei 225 stieg um über 7 Prozent bis zum Ende des ersten Quartals. Die Führung übernahm in den ersten Monaten des Jahres das deutsche Börsenbarometer. Mit Kursgewinnen von über 10 Prozent starteten die deutschen Dividendentitel in das Jahr. Zwar beurteilten die Unternehmen in Deutschland die wirtschaftliche Lage noch negativ, jedoch zeigten die Umfrageergebnisse des Ifo-Instituts, dass die Erwartungen an die zukünftige Entwicklung positiver wurden. Da die Inflationsdaten keine Anzeichen von überhöhten Preissteigerungen aufwiesen, konnte auch die Bundesbank ihre Leitzinssätze im April ein weiteres Mal zurücknehmen. Der Diskontsatz wurde auf 2,5 Prozent und der Lombardsatz auf 4,5 Prozent gesenkt. Somit waren die Impulse für die Volkswirtschaft durchweg positiv. Der Deutschen Telekom präsentierte sich ein ideales Umfeld für den geplanten Börsengang, der im November 1996 erfolgen sollte. Bereits Anfang des Jahres begann die Werbekampagne zur Börseneinführung. Prominenter Werbebotschafter ist der Schauspieler Manfred Krug. Die Bildschirmpräsenz der Werbung für die neue Aktie ist bis dahin einmalig. Das Handzeichen für T bzw. im sportlichen für Timeout (Unterbrechung) wird zum Symbol der Aktie. Rund 100 Millionen DM ließ sich der Konzern die Werbung für die neue „Volksaktie“ kosten. Die Zielgruppe ist klar definiert: Der Kleinanleger und Sparer soll angesprochen werden. Die Manager priesen die Aktie unter anderem als Rentenersatz. Zwar begann das Jahr mit einigen technischen Pannen, als Millionen Telekomkunden mit falschen Tarifen abgerechnet wurden und Meldungen zu Absichten er1996
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schienen, zehntausende Stellen bei dem Nochmonopolisten würden gestrichen. Doch dank der beispiellosen Werbekampagne avancierte das Unternehmen tatsächlich noch vor der Börseneinführung zum Star. Zu diesem Zeitpunkt war die Telekom eine ehemalige Behörde mit 220.000 Mitarbeitern, die zum größten Teil noch verbeamtet waren. Das Unternehmen hatte seine Monopolstellung verloren und musste sich im Zuge der Deregulierung dem internationalen Wettbewerb stellen. Um im neuen Marktumfeld bestehen zu können, bedurfte es im Unternehmen einer Reihe von Weichenstellungen. Noch drückte eine Schuldenlast von rund 100 Milliarden DM den Gestaltungsspielraum der Managerriege. Doch die bis dahin größte Börseneinführung Europas mit einem avisierten Verkaufserlös von 15 Milliarden DM sollte die Bilanzkennzahlen erheblich verbessern. Die Emission sollte die Summe aller Börsengänge des Vorjahres um fast 100 Prozent übersteigen. 1995 sammelten 40 Unternehmen in Deutschland durch den Gang an die Börse rund 8,3 Milliarden DM ein. Tatsächlich herrschte eine wahre Euphorie während der Zeichnungsphase und als einige Wochen vor der Börseneinführung die Preispanne von 25 bis 30 DM je Aktie bekannt gegeben wurde, löste dies einen regelrechten Ansturm auf die Bankschalter aus. Jeder wollte dabei sein und so wurde die Emission fünffach überzeichnet. Die 500 Millionen Aktien wurden am 18. November zu 28,50 DM zugeteilt. Der erste offiziell an der Börse festgestellte Kurs betrug 33,90 DM, also gut 18 Prozent mehr als der Zuteilungskurs. Der Börsengang der Telekom hatte alle Erwartungen übertroffen und bescherte Deutschland ein Heer an Jungaktionären. Ein weiteres Ereignis begleitete den deutschen Aktienmarkt 1996: eine Großfusion unter den deutschen Handelshäusern. Unter dem Dach der neuen Holding Metro AG schlossen sich die Asko AG, Deutsche SB-Kauf AG, die Kaufhof Holding AG 88
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
und die Cash & Carry Sparte der Metro Holding zusammen. Der neue Handelsriese mit einem Jahresumsatz von rund 65 Milliarden DM und 185.000 Beschäftigen sollte ein Jahresergebnis von über einer Milliarde DM erwirtschaften. Die neue Metro AG zählte zu den größten Handelsgesellschaften weltweit. Die Unternehmensstrategen wollten so das Unternehmen auf internationalen Expansionskurs bringen. Weniger erfreulich waren die Entwicklungen beim Bremer Vulkan, dem ehemals größten europäischen Werftenverbund. Das Unternehmen musste Anfang des Jahres einen Vergleich verkünden, der schließlich im Konkurs enden sollte. Während des Vergleichs avancierte der Fall zum Wirtschaftskrimi. Bei Aufbau des maritimen Technologiekonzerns bediente sich die Bremer Vulkan mit einem tiefen Griff in die Staatskasse. Chronisch litt das Unternehmen an Liquiditätsmangel, was auf die hohen Kosten beim Schiffsbau und die dabei anfallenden Vorleistungen zurückzuführen war. Zudem war der Schiffsmarkt durch die aufstrebende Konkurrenz aus Fernost einem harten Preiswettbewerb ausgesetzt. An deutschen Standorten konnte wegen der hohen Arbeitskosten kaum gewinnbringend produziert werden. Vorübergehend schien es, als ob Vulkan-Chef Friedrich Hennemann dies gelang. Doch es klaffte eine riesige Liquiditätslücke in den Büchern des Werftenkonzerns, obwohl viele Schiffe bei der Bremer Vulkan vom Stapel liefen und zu überhöhten Raten an die eigene Reederei verchartert wurden. Da kam es Hennemann gut zu Pass, dass die ostdeutschen Werftbetriebe zur Privatisierung standen. Mit rund 1,3 Milliarden DM an Subventionsgeldern für Aus- und Umbau von Staatsseite ausgestattet, waren die Werften in Stralsund und Wismar zum Objekt der Begierde für den liquiditätshungrigen Hennemann geworden. Er bekam 1992 den Zuschlag, vier Jahre später sind über 700 Millionen DM von den Ostwerften im Cashma1996
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nagementsystem des Konzerns verschwunden. Der Bremer Vulkan hatte zum besseren Liquiditätsmanagement die Konten der Untergesellschaften in einem zentralen Cashmanagementsystem zusammengefasst. So wurde die Liquidität der Ostwerften zum Ausgleich für die Engpässe der Westwerften missbraucht. Genutzt hat dies allerdings zum Schluss doch nichts, denn der Vulkan musste wegen mangelnder Liquidität beim Amtsgericht einen Vergleich anmelden. Später ermittelten Staatsanwälte gegen Hennemann und die Bremer Vulkan. Ähnlich ausgefeilt, jedoch mit weniger Schaden für die Gesamtwirtschaft, stellte sich die Schieflage beim Anlagebauer Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) dar. Die Konzerntochter Humboldt Wedag hatte systematisch die Bilanz sowie die Gewinnund Verlustrechnung manipuliert. Der auf die schlüsselfertige Errichtung von Zementwerken spezialisierte Anlagenbauer hatte eine Art Schneeballsystem entwickelt. Zu Dumpingpreisen bot er in internationalen Ausschreibungen für den Bau von Zementfabriken. Die Konkurrenz wurde jedes Mal ausgebootet und die Auftragsbücher bei Humboldt Wedag waren gut gefüllt. Die Auftraggeber mussten relativ hohe Anzahlungen leisten, welche dazu verwendet wurden, die Löcher aus den vorangegangenen Verlustgeschäften zu stopfen. Das Spiel ging solange gut, bis die notwendigen Neuaufträge nicht mehr reingeholt wurden. Zum Schluss fehlten rund 650 Millionen DM und die Existenz des gesamten Konzerns stand auf des Messers Schneide. Die KHD wurde zum wiederholten Male zum Sanierungsfall. Vom internationalen politischen Parkett gab es zu berichten, dass sich in der ersten freien Wahl des Staatsoberhauptes nach 1917 Boris Jelzin gegen seinen Widersacher aus dem kommunistischen Lager, Gennadij Sjuganow, in der Stichwahl mit 55,83 Prozent durchsetzte. Russlands Wirtschaft stand am Scheideweg. Das Haushaltsdefizit betrug rund 12 Prozent. Die Staats90
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
kasse war leer, so dass Löhne und Gehälter, der Sold fürs Militär und die Renten nur sporadisch ausgezahlt werden konnten. Wegen der hohen Defizite drohte eine galoppierende Inflation. Dennoch waren erste Verbesserungen bereits bemerkbar. Der Konsum stieg um 4 Prozent und der Außenhandel legte in den beiden letzten Jahren um 35 Prozent zu. Die Devisenreserven der Zentralbank waren auf rund 28 Milliarden US-Dollar angewachsen und die klare Ausrichtung auf eine marktwirtschaftliche Ordnung sollte ausländisches Kapital anlocken. In den USA wurde Bill Clinton bei der Präsidentschaftswahl im Amt bestätigt. Zum Jahresende zeigten sich die Aktienmärkte in Deutschland und den USA robust. Der DAX legte um 28 Prozent zu und der amerikanische S&P 500 Index konnte sich 1996 um 22,7 Prozent verbessern. Der US-Dollar erholte sich um rund 10 Prozent gegenüber der DM. Damit stieg der amerikanische Aktienmarkt währungsbereinigt um fast 33 Prozent. In Japan konnte der Aktienmarkt abermals kein positives Ergebnis erzielen. Die Aktien verloren — gemessen am Nikkei 225 Index — 2,5 Prozent und währungsbereinigt knapp 6 Prozent. Damit hat Sirko seine Spitzenposition der drei Investoren zurück erobert. Amerikanische Aktien waren die richtige Wahl. Sein Kontostand steigt zum Jahresende auf 181,12 DM. Auch Maik hat gut verdient. Um 28,17 Prozent steigt der Wert seiner Anlagen, das Konto steht nun bei 161,35 DM. Dennoch kann sich Peggy auf dem zweiten Platz behaupten. Am Jahresende zeigt ihr Konto einen Stand von 174,72 DM. Für 1997 bleiben alle Investoren ihrer Strategie treu.
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1997 Die Haushaltslage der Bundesrepublik wurde auch 1997 kaum besser. Die Regierung war in Bezug auf die Haushaltsdisziplin und die steigenden Kosten der sozialen Sicherungssysteme Gefangener der Maastrichtkriterien, der Verschuldungspolitik und der eigenen Versprechungen gegenüber den Wählern und Nachbarstaaten. Das Heer der Arbeitslosen wuchs im Jahr 1997 auf durchschnittlich 4,4 Millionen an, die Arbeitslosenquote stieg zwischenzeitlich auf 12,2 Prozent. Dazu musste im Haushalt ein enormer Betrag für die Zinszahlungen auf die Staatsschulden vorgehalten werden. Die Staatsverschuldung stieg seit 1989 von knapp einer Billionen DM auf 2,1 Billionen DM zu Beginn des Jahres 1997. Laut Maastrichtkriterien darf das Staatsdefizit (die Neuverschuldung) 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes nicht übersteigen. Da Deutschland zu einem der Kandidaten für die erste Runde der neuen Gemeinschaftswährung erkoren wurde, war die Einhaltung der Kriterien oberste Priorität. Deutschland wollte als Musterknabe gelten und unter keinen Umständen die Kriterien verfehlen. Zwar konnten auch Länder an der Gemeinschaftswährung teilnehmen, die die Kriterien verletzten, solange sie den klaren Willen und die Tendenz erkennen ließen, auf die Erfüllung der Beitrittskriterien hinzuarbeiten. Aber wie schon erwähnt, wollte Kanzler Kohl als Vertreter der größten Volkswirtschaft im geplanten Währungsverbund mit gutem Beispiel voran gehen. Erneute Steuererhöhungen waren tabu, der damalige Koalitionspartner, die FDP, machte da nicht mit. Auch die Ausgabenseite konnte kaum noch weitere Einsparungen verkraften. Zeit für eine grundlegende strukturelle Änderung der Haushaltspolitik war ebenso wenig vorhanden wie die politische Handlungsfähigkeit, diese durchzuführen. Die Stimmenmehrheit der Regierungskoaliti92
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
on im Bundestag war mit zwölf Stimmen nicht besonders komfortabel und der Bundesrat, der mögliche Gesetzesänderungen mitentscheiden musste, wurde ohnehin von der SPD dominiert. Also musste die Einnahmeseite kurzfristig verbessert werden. Der Plan, die Goldreserven der Bundesbank neu zu bewerten und so stille Reserven zu heben, die dann wiederum als Bundesbankgewinn an die Regierung überwiesen werden konnten, entfachte eine Grundsatzdiskussion zwischen Regierung und Zentralbankern über die Souveränität der Bundesbank. Am Ende setzte sich die Bundesbank durch und Finanzminister Theo Waigel musste seine Pläne begraben, indirekt auf die Goldreserven zuzugreifen, um den Haushalt auszugleichen. Ein anderer Kunstgriff musste herhalten, um die Haushaltslücke zu schließen. Das Zauberwort hieß Privatisierung. Der Börsengang der Telekom hatte gezeigt, dass sich große Kapitalströme über die Börse realisieren ließen. Der Erlös des ersten Börsenganges der Telekom resultierte allerdings aus der Emission neuer Aktien und diente zur Stärkung der Kapitalbasis der Deutschen Telekom AG. Der Bund hatte seinerzeit aus dem Börsengang keinen Liquiditätszufluss. Im Gegenteil verpflichtete er sich, zur Schonung des Aktienkurses keine Anteile der Deutschen Telekom bis zum Jahr 2000 über die Börse zu verkaufen. Zudem hätte es mehrere Jahre gedauert, durch die Privatisierung eines Staatsunternehmens Gewinne zu erzielen.Es war also äußerst schwierig, einen Kapitalstrom aus Privatisierung haushaltstechnisch zu berücksichtigen. Doch drückten die Lücken im Haushalt 1997 so extrem, dass eine Option zur schnelleren Realisierung von Privatisierungserlösen gefunden werden musste. Bei der Privatisierung der restlichen, sich noch im Staatsbesitz befindlichen Lufthansa-Anteile wurde erstmalig diese Option genutzt. Da der Bund aufgrund von EU-Recht und zahlreicher bilateral geschlossener Luftverkehrsabkommen sicherstellen 1997
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musste, dass die Beteiligungsstruktur an der Deutschen Lufthansa AG von inländischen Anteilseignern dominiert wird, verabschiedete sie Anfang 1997 das Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz. Dem Gesetz nach musste nun die Gesellschaft die Aktionärsstruktur überwachen. Dies konnte durch Ausgabe von vinkulierten Namensaktien erfolgen. Die Käufer dieser Anteilsscheine wurden namentlich auf den Urkunden erfasst. Das bedeutete, dass die Aktien nicht wie üblich kostengünstig in der Sammelverwahrung verwahrt werden konnten, sondern für jeden Aktionär ein sogenanntes Streifbanddepot geführt werden musste. Da aber auch hier im Jahr 1997 eine Neuerung eintrat, die die Fungibilität der vinkulierten Namensaktien erhöhte, war der verwaltungstechnische Nachteil praktisch behoben. Im März wurde das CARGO (Central Application for Registered Shares Online) eingeführt. Damit konnten nun auch Namensaktien in die kostengünstige Girosammelverwahrung einbezogen werden. Die effektive Lieferung der Namensaktien entfiel fortan. Der Aktionärsnachweis wurde zentral geführt. Also stand der Umwandlung der Lufthansa-Inhaberaktien in vinkulierte Namensaktien kein Hindernis mehr im Wege, der Börsengang konnte noch im Jahr 1997 erfolgen. Damit ein Teil der Erlöse aus der Privatisierung schon 1996 haushaltstechnisch wirksam wurde, übertrug der Finanzminister die Anteilsscheine 1996 an eine bundeseigene Bank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), gegen eine Zahlung von 2,1 Milliarden DM. Das Geld floss 1996 in den Bundeshaushalt. Diesen innovativen Weg, Privatisierungserlöse unabhängig von langen Vorlaufzeiten für Börsengänge vorzuziehen, wollte Finanzminister Waigel für die Haushalte 1997 und 1998 in ganz anderen Dimensionen nutzen. Er wollte in zwei Tranchen Anteile der Deutschen Telekom im Wert von über 20 Milliarden DM bei der KfW zwischenparken. Damit konnte er die Stabilitätskriterien gemäß 94
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Maastricht-Vertrag erfüllen. Die Opposition witterte hier die Kreierung eines weiteren Schattenhaushaltes. Denn die KfW müsste zur Finanzierung der Anteilsübernahme in entsprechender Höhe selbst Kredite aufnehmen beziehungsweise Anleihen emittieren. Somit würde die Verschuldung vom Staat auf die staatseigene Bank verlagert werden. Nichtsdestotrotz wurde das Geschäft gemacht. Im Haushalt 1997 wurden Privatisierungseinnahmen in der Höhe von 12,7 Milliarden DM geplant. Diese Summe sollte sämtliche Privatisierungseinnahmen der letzten zehn Jahre deutlich übersteigen. In den Jahren von 1986 bis 1996 wurden zusammen 10,3 Milliarden DM aus Privatisierungen realisiert. Das Haushaltsdefizit blieb 1997 im Rahmen der Maastrichtkriterien unterhalb der Drei-Prozent-Grenze und betrug 2,5 Prozent. Die Verschuldungsquote erfüllte mit 59,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) ebenfalls das Kriterium, dass die Staatsverschuldung 60 Prozent des BIP nicht übersteigen solle.
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Quelle: Feri Finance AG
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StaatsverschuldunginMilliardenEuro(linkeSkala)
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Abbildung 11: Staatsverschuldung und Maastrichtkriterium (1991 bis 1997)
Die Deutsche Börse AG startete am 10. März das Segment Neuer Markt. Nach dem Vorbild der Nasdaq in New York sollten in diesem Segment Aktien von jungen und wachstumsstarken Unternehmen gelistet werden, die hier den Zugang zum Risikokapital finden, das für das Wachstum erforderlich ist. Die ersten Unternehmen, die in dieses Segment aufgenommen wurden, waren die Bertrandt AG und die MobilCom AG. Die Zugangsvoraussetzungen waren jedoch relativ hoch, denn um an das Risikokapital meist angelsächsischer Investoren zu gelangen mussten die Unternehmen ihre Bilanz nach internationalem Standard erstellen. Für die Besteuerung der Unternehmen war jedoch nach wie vor die Erstellung der Bilanz nach deutschem Recht (HGB) erforderlich. Das bedeutete, dass die Unternehmen parallel zwei Buchführungen vorhalten mussten. Dieser Umstand erklärte zunächst die Zurückhaltung der jungen Unternehmen, sich im Segment Neuer Markt der Deutschen Börse listen zu lassen. Die Deutsche Terminbörse (DTB) und die Swiss Options and Financial Futures Exchange (Soffex) vereinbarten, beide Unternehmen zu fusionieren. Die neue Börse hieß Eurex und bis Mitte 1998 sollten die Handels- und Clearingaktivitäten beider Märkte auf die neue Börse verschmolzen werden. Durch die Zusammenführung entstand ein wesentliches Gegengewicht zum Marktführer, der London International Financial Futures and Options Exchange (Liffe). Eine weitere Neuerung veränderte die Börsenlandschaft im Herbst 1997. Am 28. November ging das vollelektronische Handelssystem Xetra an den Start. Gegenüber dem Vorgänger IBIS, werden im Xetra-System Wertpapiertransaktionen automatisch generiert. Im IBIS-System wurden Wertpapieraufträge von Banken erfasst und an Präsenzbörsen zur Ausführung geroutet. Der Händler konnte aber auch die Ausführung des Auftrages im IBIS-System generieren. Allerdings waren hier immer 1997
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manuelle Eingaben erforderlich. Das Xetra-System führt automatisch Kauf- und Verkaufaufträge zusammen, berechnet die Kurse und generiert das Geschäft. Der Parketthandel verlor in der Folge weiter an Bedeutung. Der Berufsstand des amtlichen Kursmaklers wurde durch den Computerhandel mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Zunächst konnten über das Xetra-System 109 Dividendentitel gehandelt werden, 1.300 Händler aus acht Ländern waren beim Start des Systems angeschlossen. Im Revier sorgte der Versuch einer feindlichen Übernahme des Thyssen-Konzerns durch den Konkurrenten Krupp im März für große Aufruhr. Unter dem Codenamen „Hammer und Thor“ bereitet der Krupp-Konzern unter Beratung der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs den Deal zur Übernahme vor. Die Finanzierung sollte durch die Deutsche Bank und die Dresdner Bank erfolgen. Kurz bevor das Geschäft ablaufen sollte, kamen jedoch Details aus unbekannter Quelle an die Öffentlichkeit. Proteste der Arbeitnehmer und der Politik kratzten am Renommee der beteiligten Banken und des Krupp-Konzerns. Krupp-Chef Cromme wollte durch die Übernahme einen Konzern schaffen, der mit einem Umsatz von über 62 Milliarden DM zur Nummer fünf in der Weltliga der Stahlproduzenten aufsteigen sollte. In einer globalisierten Welt war eine kritische Masse nötig, um international bestehen zu können. Es machte durchaus Sinn, die beiden Konzerne zusammenzuführen, jedoch war die Überrumpelungstaktik Crommes wohl das falsche Zeichen. Krupps chronische Finanzschwäche sorgte für eine schwache Verhandlungsposition. Nach nur wenigen Tagen war der größte Übernahmecoup der deutschen Wirtschaft gescheitert. Krupp erklärte das Übernahmeangebot für gegenstandslos und verpflichtete sich, auch zukünftig kein Übernahmeangebot für Thyssen abzugeben. Diese Erklärung hatte sich 98
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Thyssen-Chef Vogel ausbedungen und als Voraussetzung für die Fortsetzung der Verhandlungen über die Zusammenlegung der Stahlaktivitäten beider Konzerne gefordert. Tatsächlich einigten sich beide Parteien auf ein Gemeinschaftsunternehmen, die ThyssenKrupp Stahl AG, die im September 1997 realisiert wurde. Die Anteile an der neuen Gesellschaft wurden mit 60 zu 40 zwischen Thyssen und Krupp aufgeteilt. Die neue Gesellschaft nahm ihre Geschäfte auf und nur wenig später setzte sich die Einsicht bei den einstigen Konkurrenten Cromme und Vogel durch, dass in der Gesamtfusion der beiden Konzerne zu einem weltweit führenden Industriekonglomerat mit 190.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über 62 Milliarden DM die einzige zukunftsfähige Lösung bestand. Bis zum November einigten sich die Beteiligten auf die Fusion, die 1998 zu Stande kommen sollte. Beide Vorstandsvorsitzenden, Gerhard Cromme und auch Dieter Vogel, beanspruchten die Führungsposition im neuen Konzern. Zuletzt einigte man sich auf eine Doppelspitze, jedoch wurde sie nicht durch Vogel besetzt. An seine Stelle traten Ekkehard Schulz, der bis dahin den Vorsitz der Thyssen Krupp Stahl AG inne hatte, und Gerhard Cromme. Die Fusion der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank mit der Bayerischen Vereinsbank weitete den Konzentrationsprozess auch auf den Finanzsektor aus. Die neue Bank würde in Deutschland zur Nummer zwei des Bankgewerbes hinter der Deutschen Bank aufsteigen und die Dresdner Bank von ihrem angestammten Platz verdrängen. Die Verkündung der Fusion löste an den Aktienmärkten eine Euphorie für Bank- und Versicherungsaktien aus. Denn in globalen Dimensionen gedacht waren nahezu alle deutschen Institute und Versicherungen zu klein, um eigenständig im internationalen Konzert mitspielen zu können. Die Investoren vermuteten deshalb, die angekündigte Fusion sei erst der Beginn eines Konzentrationsprozesses 1997
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und möglicher Übernahmen deutscher Banken und Versicherungen. Weitere Kurssteigerungen waren vorprogrammiert. Im August 1997 schnürten der Internationale Währungsfonds (IWF), Japan und andere asiatische Nationen ein 16 Milliarden US-Dollar umfassendes Rettungspaket für Thailand. Infolge schwindender Devisenreserven hob die thailändische Regierung im Juli die Dollaranbindung der eigenen Währung auf. Der Baht wurde um rund 20 Prozent abgewertet, das Haushaltsdefizit indes jedoch nicht beseitigt. Thailand erstickte an den rund 30 Milliarden US-Dollar schweren Auslandsschulden und dem hohen Staatsdefizit. Mit dem Stützungspaket sollte die Lage stabilisiert und Thailand in die Lage versetzt werden, die Devisenreserven wieder aufzufüllen. Bedingung war jedoch ein Reformkurs in Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik des Landes. Die Währungsverspannung in Thailand war nur der Anfang einer Krise, die sich in den folgenden Monaten auf nahezu alle Tigerstaaten ausweitete. Devisenspekulationen gegen die Währungen der asiatischen Staaten ließen die Devisenreserven der Zentralbanken schmelzen, die Währungskrise weitete sich zu einer Finanzkrise aus. Immer mehr Banken gerieten in Schieflage und der Staat stütze die Institutionen mit Geld aus der eigenen Kasse. Dies führte zu neuen Schieflagen, denn die Banken brauchten kein Risikomanagement zu betreiben. Nach der Reihe zog dieser Wirbelsturm durch Thailand, Malaysia, Indonesien und zuletzt durch Südkorea. Wie schon in Thailand musste der IWF zur Stützung des Systems eingreifen. 20 Milliarden US-Dollar umfasste das Hilfspaket. Der rasante Wachstumspfad der aufstrebenden Nationen in Fernost wurde durch Auslandsinvestitionen und durch Staatsverschuldung finanziert. Die Staatshaushalte waren von hohen Defiziten geprägt. Zum Jahresende wurden die Bonitäten der Staaten Thailand, Indonesien Malaysia und Südkorea von den führen100
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den Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s heruntergestuft. Dies engte den Finanzierungsspielraum der betroffenen Regierungen weiter ein. Bis zur Jahresmitte erlebten die internationalen Aktienmärkte eine positive Entwicklung. Der DAX stieg um rund 30 Prozent und hangelte sich von einem Höchststand zum nächsten. Die amerikanischen Aktienwerte stiegen um gut 20 Prozent und selbst die japanische Börse lag leicht im Plus. In der zweiten Jahreshälfte bestimmte dann die Währungskrise in Asien das Geschehen. Der japanische Aktienindex Nikkei 225 fiel auf 15.259 Punkte zum Jahresende, das bedeutete einen Verlust auf Jahressicht von 21 Prozent. Die japanische Währung stieg 1997 leicht gegenüber der DM, während der US-Dollar gegen die DM kräftig anstieg. Ein US-Dollar kostete zum Jahresende 1,79 DM. Der DAX erreichte am 31. Juli mit 4438 den Jahreshöchststand. Die Asien-Krise zog auch das deutsche Börsenbarometer zeitweise um 18 Prozent bis auf rund 3640 Punkte nach unten. Zum Jahresende schloss der DAX jedoch mit einem Jahresgewinn von 47 Prozent sein erfolgreichstes Börsenjahr ab. Die Leitzinsen blieben in Deutschland unverändert, während die amerikanische Notenbank die Federal-Funds-Rate im Februar um 0,25 Prozent erstmalig nach zwei Jahren anhob. Die Renditen in Deutschland reduzierten sich leicht. Die Umlaufrendite lag zum Jahresende bei 5,1 Prozent. Das waren 0,4 Prozentpunkte weniger als der Wert, der zum Anfang des Jahres festgestellt wurde.
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Quelle: Feri Finance AG
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1995 JapanNikkei225Index
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Abbildung 12: Jahresveränderungen der Aktienmärkte in Prozent (1989 bis 1997)
Für die Akteure Peggy, Maik und Sirko war 1997 ein tolles Jahr. Peggys Bundesschatzbriefe verzinsten sich mit 9,5 Prozent. Ihr Konto zeigt ein Guthaben von 191,25 DM. Die großen Gewinner sind aber die beiden Aktieninvestoren Maik und Sirko. Maik freut sich über den Rekordzuwachs von über 47 Prozent. Sein Kontostand steigt auf 237,36 DM und damit überholt er erstmalig Peggy. Zwar sind die Aktien von Sirko nur um 28,7 Prozent gestiegen, aber dazu verbucht er noch einen Währungsgewinn von knapp 20 Prozent. Das führt dazu, dass er den größten Jahresgewinn verbuchen kann. Sein Konto erhöht sich um 48,4 Prozent auf 268,85 DM.
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Maik
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Peggy
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Quelle: eigene Berechnung
Sirko
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Abbildung 13: Anlageergebnisse 1989 bis 1997 (indexiert)
1998 Die asiatischen Volkswirtschaften kamen nicht zur Ruhe. Die Krise, die ihren Anfang mit der Entkoppelung des thailändischen Baht vom US-Dollar im Juli 1997 nahm, löste einen Flächenbrand in der gesamten ostasiatischen Region aus. Die Aktienmärkte der sogenannten Tigerstaaten, Hongkong, Singapur, Südkorea, Indonesien, Thailand und Malaysia brachen um mehr als 50 Prozent ein. Später wurde das asiatische Modell als Ursache für die Krise ausgemacht. Die aufstrebenden asiatischen Staaten hatten den Aufstieg Japans zur Industrienation zum Vorbild. Mit einer Mischung aus Marktwirtschaft und Sozialismus eroberte Japans Wirtschaft die Welt. Dabei wurde der heimische Markt weitgehend abgeschottet und der Konsumwille der Bevölkerung begrenzt. Die Wirtschaft wurde als Bündnis der Politik, der Finanzwirtschaft und der Industrie verwaltet mit dem Ziel, die ausländischen Märkte mit den eigenen Waren zu überschwemmen. Gemessen an den klassischen Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit hatten die asiatischen Nationen, was den Faktor Arbeit angeht, klare Kostenvorteile gegenüber den westlichen Industrienationen. Auch der Faktor Boden war in ausreichendem Maße vorhanden. Ausländisches Kapital finanzierte den Aufschwung. Daher war ein freundliches Investitionsklima notwendig. Dies gelang auch durch die Schaffung einer stabilen Währung. Diese Stabilität wurde normalerweise durch eine entsprechende Finanz- und Geldpolitik erreicht. Die asiatischen Länder nutzten einen anderen Mechanismus, sie koppelten ihre Währung an den US-Dollar. Nun konnten ausländische Investoren ohne Sorge um Währungsverluste investieren. Wie schon erwähnt, wurde der Markt nach dem Modell gegen allzu große Einflussnahme abgeschottet, in der Regel geschah dies dadurch, dass Kapitalbeteiligungen an 1998
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inländischen Unternehmen nur als Minderheitsbeteiligungen zugelassen wurden. Dennoch musste das Wachstum finanziert werden. Zu diesem Zweck gründeten beispielsweise die koreanischen Industriekonglomerate wie Daewoo, Kia oder Hyundai Finanzierungsgesellschaften, die auf den internationalen Kapitalmärkten Anleihen begaben. Die Staaten verschuldeten sich ebenfalls international in den Hartwährungen US-Dollar oder auch DM. Nun begann die Spirale zu wirken. Da die Qualität der Volkswirtschaft mit denen der entwickelten Industrienationen auseinanderklafft, hätte der Ausgleich über die Währungsrelation erfolgen müssen. Dieser Mechanismus wurde jedoch wegen der festen Ankopplung an die Hartwährung außer Kraft gesetzt. Die Produktivität und damit die Exporterfolge der aufstrebenden Nationen fielen zurück. Aber auch in der Produktion fand kein Anpassungsprozess statt. Mit Hilfe des Staates wurden weiter Kapazitäten aufgebaut und erhalten. Finanzierte der Staat nicht direkt, dann leitete er zumindest die Kredite der Banken in die richtige Richtung. Da die Kreditinstitute bei der Vergabe der Kredite wirtschaftliche Aspekte gegenüber den „sozialen“ Aspekten zurückstellten, belasteten sie ihre Bilanzen mit faulen Krediten. Die gesamte Kette Staat, Banken und Industrie handelte nicht nach dem Prinzip der Marktwirtschaft, in der sich Angebot und Nachfrage ausgleichen bzw. der Preis als ausgleichender Faktor frei bestimmt wird. Solange die Exporterlöse die Zahlungsbilanz ausglichen, funktionierte das Modell. Doch Mitte des Jahres 1997 kam Sand ins Getriebe. Die thailändische Maßnahme, die Anbindung des Baht an den USDollar aufzugeben, löste eine starke Verunsicherung der internationalen Kapitalgeber aus. Die Folge war, dass ausländische Investoren ihr Geld abzogen. Hinzu kamen Spekulanten, die auf eine Abwertung der schwachen Währungen setzten und massiv Währungen verkauften. Der betroffene Staat musste seine De106
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visenreserven einsetzen, um dieser Spekulation entgegenzuwirken. Um einen Staatsbankrott zu vermeiden, wurde die Währung schließlich freigegeben, die Abwertung führte die in ausländischer Währung verschuldete Industrie an den Rand des Ruins und das Finanzsystem brach unter der Last der faulen Kredite der Industrie zusammen. In Südostasien zog der beschriebene Mechanismus wie ein Taifun von Land zu Land. Der Quasibankrott trug bizarre Früchte. Beispielsweise rief Korea das Volk auf, im Privatbesitz befindliches Gold an den Staat zu übergeben. Tatsächlich wurden so 40 Tonnen Gold gesammelt, die der Staat zur Devisenbeschaffung und Entschuldung nutzen konnte. Auch Malaysia und Indonesien gingen ähnliche Wege. Bis dahin wurde die Krise in Asien noch als regionales und für die Weltwirtschaft irrelevantes Ereignis angesehen. Die Wirtschaft in den USA und Europa schien weiterhin gut zu laufen. Entsprechend zeigten auch die Börsenbarometer steil bergauf. Bis zum Sommer hielt dieser Trend an. Der DAX übersprang im Juli sogar die Marke von 6000 Punkten, ein Plus von über 40 Prozent gegenüber dem Schlussstand des Vorjahres. Der japanische Aktienmarkt sendete bereits anders lautende Signale aus. Er konnte bis in den Juni hinein kaum Kursgewinne aufweisen. Die Vernetzung der japanischen Wirtschaft mit der krisengeschüttelten Region war zu stark, um ohne Einfluss zu bleiben. Zudem litt die japanische Wirtschaft immer noch unter den Spätfolgen des Platzens der Spekulationsblase zu Beginn der Neunzigerjahre. Die Sanierung des in die Schieflage geratenen Bankensystems wurde nur halbherzig angegangen. Die Regierung legte zwar ein Konjunkturpaket nach dem anderen auf. Da jedoch ein funktionierendes Finanzsystem fehlte, in dem die Banken ihre Transmissionsfunktion für das Kapital wahrnehmen und für einen funktionierenden Kreditmarkt sorgen, verfehlten die Konjunkturpakete ihre Wirkung. Nun verschärfte 1998
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die Asien-Krise Japans Probleme zusätzlich. Japans Banken waren die größten Kreditgeber in der Region, nun drohte die Rückzahlung eben dieser Kredite zweifelhaft zu werden. Und nicht nur die Finanzwirtschaft war mit der Region eng verknüpft, sondern auch die Exportwirtschaft. Zu gut 40 Prozent gingen Japans Produkte meist als Vorprodukte für die Endmontage in die aufstrebenden Volkswirtschaften Südostasiens. Der Taifun drohte auf Japan überzuspringen. Japan rutschte in die Rezession. Dem Finanzsystem drohte der Kollaps. Nach Schätzungen schlummerten in Japans Bankbilanzen faule Kredite im Gegenwert von rund 1.000 Milliarden DM. Die Spekulation gegen den Yen nahm ihren Lauf. Wirksame Maßnahmen mussten ergriffen werden. Ende Juni verkündete Japans Regierung den Rettungsplan für die Banken. Demnach sollten vom Konkurs bedrohte Banken unter staatliche Aufsicht gestellt und abgewickelt werden. Eine Überbrückungsbank, die die faulen Kredite aufnimmt, sollte zu genau diesem Zweck gegründet werden. Innerhalb der nächsten Monate wollte die Regierung die 19 größten Institute auf Herz und Nieren prüfen und entsprechende Maßnahmen zur Sanierung einleiten. Gleichzeitig kündigte die Regierung massive Steuersenkungen an, um die Binnennachfrage zu stimulieren. Die Märkte honorierten die Bemühungen nur kurzzeitig, bis zum Herbst fiel der Nikkei unter 13.000 Punkte. Europa wurde von der Krise erst erfasst, als der Wirbelsturm Osteuropa erreichte. Mit aller Wucht wurde Russland vom Sturm überrollt. Das Muster war das Gleiche. Die Währung war an den US-Dollar gekoppelt, um ausländische Investoren anzulocken. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass im ehemaligen Musterstaat des Sozialismus nun die Marktwirtschaft in ihrer frühkapitalistischen Ausprägung herrschte. Die Privatisierung der Staatsbetriebe erfolgte zunächst nach dem Muster, dass die im Unternehmen werktätigen Personen alle die gleiche 108
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Anzahl an Anteilsscheinen am Unternehmen erhielten. Die Anteilsscheine besaßen jedoch für die arbeitende Bevölkerung keinen Wert, da die Sorge eher der Versorgung der Familie mit den Gütern des täglichen Bedarfs galt, denn die Gehälter wurden schon seit Monaten nicht mehr bezahlt. So gaben die Arbeiter in großem Umfang ihre Anteilsscheine am Unternehmen für ein paar Rubel oder im Tausch gegen Naturalien bereitwillig ab. So entstand das Oligarchentum, mitunter waren es von Regierungsbeamten eingesetzte Strohmänner, die die Aktien körbeweise einsammelten und später beherrschende Anteile an den Unternehmen besaßen. Bald kontrollierten wenige Akteure große Teile der industriellen Kernbetriebe inklusive der Rohstoffreserven des Landes. Der Staat konnte mangels eines funktionierenden Steuersystems kaum Gewinne abschöpfen. Die Rohstoffpreise waren im Zuge der Asien-Krise ebenfalls stark gefallen, so dass auch hier die Einnahmequelle zu versiegen drohte. Und nun begann die Spekulation gegen die Währung. Innerhalb weniger Wochen waren die Devisenreserven erschöpft. Im Sommer erfolgte schließlich die Freigabe der Währung. Der Rubel verlor 50 Prozent seines Wertes quasi über Nacht. Am 17. August erklärte die Regierung ein Zahlungsmemorandum für ihre Auslandsschulden. Der Staat war pleite. Nun erfasste die Krise doch die westliche Welt. Der DAX stürzte von seinem Höchststand von 6065 Punkten am 21. Juli 1998 auf 3896 Punkte am 8. Oktober 1998 ab. Dies war ein Fall um 35 Prozent. In Deutschland hatte Russland erst im März eine DMAnleihe herausgegeben. Mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einer Verzinsung von 9,375 Prozent pro Jahr wurden 1,25 Milliarden DM emittiert. Die Anleihe war Ende August nur noch ein Drittel des Ausgabepreises wert. Ähnlich verhielt es sich mit der Ukraine-Anleihe, die im ersten Quartal 1998 mit einer Laufzeit von drei Jahren und einem Kupon von 16 Prozent ausgestat1998
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tet war. Der Konsortialführer, die Commerzbank, stockte die Anleihe von 750 Millionen DM wegen der hohen Nachfrage auf 1 Milliarden DM auf. Der Ausgabepreis betrug damals 101 bzw. 102 Prozent. Auch diese Anleihen wollte im August kein Investor mehr haben. Sofern überhaupt ein handelbarer Kurs zustande kam, bedeutete dies für den Verkäufer der Anleihen empfindliche Kursverluste.
Das Kapital kannte nur einen Weg: Flucht in Qualität! US-Staatsanleihen und insbesondere deutsche Staatsanleihen waren von den Anlegern gesucht. Diese Bewegung wurde einem prominenten Hedgefonds zum Verhängnis. Der von John Meriwether 1994 gegründete Hedgefonds „Long Term Capital Management“ spekulierte primär in sogenannte Fixed-IncomeArbitrage. Dabei wurde auf den Ausgleich von Fehlbewertungen gesetzt. Beispielsweise sollte sich im Zuge der Euro-Einführung das Zinsniveau der Teilnehmerländer angleichen. Da jedoch für italienische Anleihen ein höherer Zins als für deutsche Anleihen verlangt wurde, kaufte Meriwether die Italien-Bonds und verkaufte im gleichen Gegenwert deutsche Staatspapiere. Im Falle der Zinsangleichung wären die deutschen Papiere im Kurs gefallen und die italienischen Anleihen im Kurs gestiegen. Beim Aufspüren solcher Bewertungsdifferenzen verließ sich Meriwether aber nicht nur auf sein eigenes Gespür. Er hatte noch zwei prominente Mitstreiter im Direktorium des Fonds. Mit Myron Samuel Scholes und Robert C. Merton saßen zwei Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler mit am Steuer, denen 1997 für ihre Ausarbeitung zur mathematischen Bestimmung von Optionsprämien der Nobelpreis verliehen wurde. In den Jahren bis 1998 erzielte der Fonds Jahresrenditen von 30 bis 40 Prozent. Dies gelang nur, weil der Fonds einen hohen Anteil seiner Investitionen über Kredit finanzierte. Die relativ 110
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
geringen Gewinne aus den einzelnen Geschäften wurden mit einem Vielfachen des Eigenkapitals durch Kredit gehebelt. Zu Beginn 1998 verfügte der Fonds über ein Eigenkapital von rund 4,7 Milliarden US-Dollar, dem standen Investitionen von rund 125 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das Eigenkapital wurde also um mehr als das 25-Fache gehebelt. Nur so konnten relative geringe Gewinnmargen auf eine ordentliche Rendite hochgepuscht werden. Auf der anderen Seite sorgten relative geringe Verluste, wenn die eingegangenen Wetten nicht aufgehen sollten, für eine schnelle Abschmelzung des Eigenkapitals. So geschah es im August 1998 als die Flucht in Qualität einsetzte und die in dem Beispiel angesprochenen Anleihen aus Deutschland im Kurs stiegen und die Italienanleihen im Kurs fielen. Allein im August wurde das Eigenkapital um 44 Prozent aufgezehrt und bis zum 24. September war es bis auf 600 Millionen US-Dollar zusammengeschmolzen. Die kreditgebenden Banken hätten ihre Forderungen komplett abschreiben können und in den USA vermuteten Notenbanker im Falle eines Zusammenbruchs des Fonds gravierende Auswirkungen auf das Bankensystem und die Kapitalmärkte. Deshalb stellten auf Vermittlung der US-Notenbank die 15 Gläubigerbanken ein Stützungspaket von 3,75 Milliarden US-Dollar zur Rekapitalisierung des Fonds zusammen. Meriwether und Co. mussten das Board verlassen und der Fonds wurde kapitalmarktschonend abgewickelt. Daraufhin beruhigten sich die internationalen Kapitalmärkte. Die Aktienbörsen erholten sich von ihren Tiefstständen und die USBörse beschloss das Jahr sogar mit neuen Höchstständen. Im Industriesektor stand die Fusion von Daimler-Benz mit Chrysler im Zentrum des Marktgeschehens. Im Mai kündigten Daimler-Chef Jürgen Schrempp und Chrysler-Chef Robert Eaton den Zusammenschluss beider Konzerne zum Jahresende an. Als eine Fusion unter Gleichen sollten die Anteile beider 1998
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Unternehmen in die neue DailmerChrysler AG eingebracht werden. Der Anteil ehemaliger Daimler-Benz Aktionäre würde rund 57 Prozent der von Chrysler-Aktieninhabern entsprechend bei 43 Prozent liegen. Für die Fusion wurde eigens eine neue AG nach deutschem Recht gegründet, auf der die Unternehmen verschmolzen werden sollten. Die Abwicklung übernahm das Bankhaus Sal. Oppenheim. Die neue AG trug zunächst dann auch den Namen Oppenheim AG, der später dann auf DaimlerChrysler AG umfirmiert werden würde. Mit einer Marktkapitalisierung von 166 Milliarden DM war dies die größte Fusion der Industriegeschichte. Der neue Konzern verfügte über einen Umsatz von 257 Milliarden DM, 441.500 Beschäftigte und einem Konzernjahresüberschuss von 9,4 Milliarden DM. Schrempp und Eaton begründeten diesen Schritt mit dem seit Jahren anhaltenden Konsolidierungsprozess auf dem Automobilmarkt. Daimler wolle so seine führende Rolle auf dem Weltmarkt ausbauen. Auch die Deutsche Bank AG strebte nach neuer Größe. Sie unterschrieb am 30. November 1998 den Vertrag zur Übernahme der amerikanischen Bankers Trust Inc., des achtgrößten amerikanischen Kreditinstituts. Durch die Akquisition erhielt die Deutsche Bank neben ihrer führenden Stellung in Europa auch ein gewichtiges Standbein in den USA. Die Bankers Trust war insbesondere im Bereich Investment Banking stark aufgestellt. Die Bank bot in über 50 Ländern ihren privaten und institutionellen Kunden umfassende Dienstleistungen in den Bereichen Investment Banking und Asset Management Services. Die Börsen in Frankfurt, Zürich und Paris führen die Aktienindexfamilie Stoxx ein. Der Dow Jones Euro Stoxx umfasste die Werte der Euro-Teilnahmestaaten und Dow Jones Stoxx schloss alle westeuropäischen Länder ein. Damit rückten die europäischen Aktienmärkte schon zehn Monate vor der Euro-Einführung einen wesentlichen Schritt zusammen. 112
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 wurde die amtierende Bundesregierung abgewählt. Die SPD erlangte 40,9 Prozent der Stimmen und damit 5,8 Prozent mehr als die bisher stärkste Partei, die CDU/CSU, die mit 35,1 Prozent den zweiten Platz belegte. Bündnis 90/Die Grünen erhielt 6,7 Prozent der Stimmen und bildete zusammen unter der Führung der SPD die neue Regierungskoalition. Die FDP erzielte 6,2 Prozent und die PDS 5,1 Prozent der Stimmen. Neuer Bundeskanzler wurde Gerhard Schröder (SPD), Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) wurde Außenminister und Vizekanzler. Unruhige Zeiten für unsere Investoren. Indirekt haben auch sie die Krisen in Asien und Russland zu spüren bekommen. Peggys Bundesschatzbrief lief im Februar aus. Zuletzt verzinste sich dieser mit 9,5 Prozent. Der neue Bundesschatzbrief bietet im ersten Jahr nur noch spärliche 3,25 Prozent. Dieser Zinssatz wird in den kommenden Jahre zwar auf 5,5 Prozent ansteigen, aber damit liegt er immer noch unter den Zinssätzen vergangener Tage. Dafür kann Peggy aber ruhig schlafen, die Schwankungen der Aktienmärkte könnte sie nicht aushalten. Ihr Konto steigt auf 198,38 DM im Jahr 1998. Wieder ist Sirko der Jahresgewinner. US-Aktien legen 26,9 Prozent zu, der DAX gewinnt nur 17,7 Prozent. Das Ergebnis von Sirko muss aber noch um die Währungsschwankung bereinigt werden. Danach bleibt ihm aber immer noch ein Gewinn von 18,5 Prozent. Sein Konto wächst auf einen Stand von 318,48 DM. Maik kann sich über einen Kontostand von 279,43 DM freuen. Aktien scheinen sich in der Langfristbetrachtung gegenüber verzinslichen Titeln durchzusetzen.
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1999 Am 1. Januar 1999 wurde in elf Staaten der Euro eingeführt. Zunächst gab es die neue Währung allerdings nur als Buchgeld. Die Einführung als bares Zahlungsmittel sollte erst drei Jahre später zum 1. Januar 2002 erfolgen. Der offizielle Umtauschkurs der DM lautete 1,95583. Das bedeutete, dass ein Euro 1,95583 DM kostete. An den Börsen der Teilnehmerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Spanien, Portugal, Irland, Österreich und Finnland wurden die Kursnotizen auf Euro umgestellt. Die nationalen Notenbanken übertrugen ihre Währungshoheit auf die Europäische Zentralbank (EZB). Fortan war die EZB für die Gewährleistung der Geldwertstabilität der Einheitswährung verantwortlich. Der Diskont- und Lombardzinssatz der Bundesbank wurde durch den Zinssatz der EZB für Hauptrefinanzierungsgeschäfte abgelöst und zur Euro-Einführung auf 3 Prozent festgesetzt. Beim EU-Währungs-Sondergipfel im Mai 1998 wurde bereits der Niederländer Wim Duisenberg als erster Präsident der Europäischen Zentralbank gekürt. Die Europäische Zentralbank war die Nachfolgeorganisation des Europäischen Währungsinstituts, dessen Vorsitz bisher ebenfalls Wim Duisenberg innehatte. Nicht nur die Kursnotiz der Aktien und Anleihen wurde auf den Euro umgestellt, auch die Berechnung der Devisenkurse erfolgte mit der Euro-Einführung nach einem neuen Muster. Im Gegensatz zur bisherigen Preisfeststellung wurden die festgestellten Werte nicht mehr als sogenannte Preisnotiz festgestellt, sondern als Mengennotiz ermittelt. Während früher der Kurs des US-Dollars zur DM immer ausgedrückt hatte, wie viel DM ein US-Dollar kostete, drückte zukünftig der Kurs aus, wie viel US-Dollar ein Euro kostete. Beispielsweise kostete zum Jahresende ein US-Dollar 1,67 DM, am 4. Januar lautete die gleiche Notiz: 1 Euro kostet 1,17 US-Dollar. 114
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Im internationalen Kontext bildete der Euro die Währung für den europäischen Wirtschaftsraum, der neben den USA und Japan einer der drei wichtigsten Wirtschaftsräume darstellte. Für die europäischen Unternehmen wurde über Nacht ein stabiler Währungsraum geschaffen. Die deutschen Exporte gingen zu immerhin gut 40 Prozent ins benachbarte Ausland. Währungsrisiken entfielen und auch die für die deutsche Wirtschaft hinderlichen Abwertungsrunden von italienischer Lira und spanischer Peseta gehörten der Vergangenheit an. Mit dieser Erfahrung und der jüngsten Geschichte der Asien- und Russlandkrise plädierte Deutschlands neuer Finanzminister Oskar Lafontaine für ein internationales System kontrollierter Wechselkurse. Insgesamt wollte er die internationalen Finanzmärkte stärker regulieren und so ausufernde Spekulationen insbesondere in den Währungsmärkten begrenzen. Wie könnte so ein System aussehen? Analog dem Europäischen Wahrungssystem (EWS) sollten für die Hauptwährungen Euro, US-Dollar und Yen feste Bandbreiten (+/- 10 Prozent) formuliert werden, innerhalb derer die Währungen untereinander Schwanken durften. Bewegten sich die Währungsrelationen einmal außerhalb dieser Bandbreiten, sollten die Notenbanken in einem abgestuften Prozess zunächst verbal intervenieren. Sollte dies die Spekulationen nicht aus dem Markt beseitigen, wären die Notenbanken verpflichtet, monetär gegen zu steuern. „Managing the Impact of Globalization“ hieß das Thema des Gipfels in Davos im Jahr 1999, bei dem sich alljährlich die internationalen Eliten aus Wirtschaft und Politik austauschen. Die Bundesregierung nutzte dieses Forum zur Vorstellung ihrer fundamentalen Neuordnung des Weltfinanzsystems. Allerdings stießen die Ausführungen auf geteilte Gegenliebe. Selbst in den eigenen Reihen baute sich eine Front gegen die Vorstöße Lafontaines auf. Immer häufiger traten die Konflikte zwischen Finanzminister und Bundeskanzler offen zu 1999
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Tage. Da auch bei den Vorstellungen zur Steuerreform im eigenen Land der Widerstand schier unüberwindlich erschien, gab Lafontaine am 11. März das Amt des Finanzministers auf. Ebenfalls legte er sein Bundestagsmandat nieder und stellte das Amt des Parteivorsitzenden zur Verfügung. Hans Eichel (SPD) wurde als Nachfolger von Oskar Lafontaine zum Finanzminister bestellt. Noch im gleichen Jahr brachte er die Unternehmensteuerreform auf den Weg. Danach sollte die Belastung der Unternehmensgewinne durch Steuern in mehreren Stufen auf 35 Prozent sinken. Insbesondere sollten Beteiligungsverkäufe von der Besteuerung befreit werden. Diese Maßnahmen sollten die Attraktivität des Standorts Deutschland für Unternehmen und Investoren erhöhen. Am 23. Mai wurde Johannes Rau von der Bundesversammlung zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Er folgte Roman Herzog im Amt. Während sich in Davos die Eliten noch den Kopf über die Verarbeitung der Asien- und Russlandkrise zerbrachen, wurde ein neuer Trend gefestigt. Der Internet- und Multimediaboom war längst ausgebrochen. 1999 fanden über 160 Unternehmen in Deutschland den Weg an die Börse. Allein 131 wurden im Segment Neuer Markt gelistet. Die Neuemissionen erfreuten sich steigender Beliebtheit unter den Aktionären, denn mit der Zeichnung und der Zuteilung waren in der Regel am ersten Handelstag Gewinne in hohen zweistelligen Prozentsätzen zu verzeichnen. Rund ein Fünftel der Emissionen im Jahr 1999 konnte in der Erstnotiz seinen Emissionspreis verdoppeln. Die Emissionen waren stets um ein Vielfaches überzeichnet und die Anleger bekamen nur Bruchteile ihrer Zeichnungswünsche erfüllt. So kauften sie mehr oder weniger blind die Stücke am Markt nach und trieben die Kurse entsprechend weiter in die Höhe. Im Sommer wurde von der Deutschen Börse ein neuer Index einge116
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
führt. Der bisherige Neuer Markt Index wurde in Nemax all cap umbenannt und der Nemax 50 als Blue-Chip-Index, der die größten 50 Unternehmen des Marktsegmentes abbilden sollte, eingeführt. Der Internetboom war der Kern der sogenannten New Economy. Wirtschaftswissenschaftler sahen in diesem Trend schon die alten Konjunkturmechanismen besiegt. Die New Economy sorgte für einen Wachstumsschub der Konjunktur, der einerseits durch die neuen Online-Medien mit verantwortet wurden, jedoch im Wesentlichen mit der Deregulierung und dem Aufbrechen der zuvor monopolistisch und unter Staatskontrolle geführten Telekommunikationsmärkte ihren Ursprung fand. Insofern bestand in diesen Bereichen ein wahres Investitionsvakuum, welches nun in exzessiver Weise Gelder aufsaugte. Der Markt, der schnell wuchs und sich nicht kontinuierlich entwikkelte, war die Spielwiese kreativer Geschäftsideenentwickler. Über Nacht konnte aus einer Schnapsidee ein millionenschwerer Börsengang entstehen. Die Angst der Investoren, den nächsten Börsenstar à la Microsoft und Mannesmann zu verpassen, senkte die Hemmschwelle, Geschäftsmodelle auf ihre Wirtschaftlichkeit zu hinterfragen. Wie schon erwähnt, agierten die Kapitalgeber im blinden Eifer. Die TMT-Blase (TMT = Technologie, Medien, Telekom) war längst geboren. Der DAX legte 1999 abermals kräftig zu und stieg um 39,1 Prozent. In welche Richtung die Reise ging, zeigt ein Blick auf die Hitliste der DAX-Unternehmen. Die Deutsche Telekom stieg um 145,5 Prozent, Mannesmann um 142,2 Prozent, Siemens legte um 125 Prozent zu. Abgeschlagen, aber immer noch kräftig im Plus lag die Deutsche Bank mit 71,2 Prozent, gefolgt von einer Reihe von Aktien mit Wertsteigerungen um die 40 Prozent. Am Ende der Hitliste lagen die Metro mit einem Minus von 20 Prozent, auch Henkel, Adidas-Salomon und VW verloren um die 18 Prozent. Die Musik spielte in TMT-Werten. Gesamtwirtschaftlich schien es, als 1999
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sei die Weltwirtschaft dank der modernen Technologien in eine Phase von inflationsfreiem Wachstum gelangt. Dank der permanenten und rapiden Entwicklung gab es keinen Preisdruck aus diesem Wachstumssegment und die sogenannte Old Economy, die rohstoffintensive Güterproduktion betrieb, rückte gemessen am Wachstumsanteil vollends in den Hintergrund. Zum Jahresende begann die Übernahmeschlacht von Mannesmann und Vodafone. Die täglichen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen wurden auf ganzseitigen Anzeigen durch die Tagespresse in die Öffentlichkeit getragen. Am 14. November gab Vodafone Air Touch das erste Angebot an die Aktionäre der Mannesmann AG zur Übernahme des Konzerns ab. Vorstandchef Klaus Esser lehnte das Angebot als unangemessen ab. Daraufhin bessert Vodafone-Chef Chris Gent mehrmals nach. Die Übernahme sollte durch Aktientausch erfolgen. Der Mannesmann Aktienkurs explodiert förmlich und stieg erstmalig auf über 200 Euro. Die Deutsche Telekom übernahm im August den britischen Mobilfunkanbieter One-2-One für rund 20 Milliarden DM. Damit hatte sie einen Fuß im britischen Telekommunikationsmarkt und einen Schritt zum Global Player vollzogen. Der Kaufpreis wurde allgemein unter Berücksichtigung der Wachstumsperspektiven als angemessen erachtet. Zuvor wurden in einer zweiten Tranche am 28. Juni 1999 weitere Stücke der T-Aktie emittiert. Die Papiere kamen zu einem Preis von 39,50 Euro an den Markt. Über eine weitere Großfusion gab es im Herbst zu berichten. Die DaimlerChrysler Aerospace (DASA) verhandelte noch mit der spanischen CASA über einen Zusammenschluss, als die DASA und der französische Aerospatiale-Matra ihre jeweiligen Anteile in ein Gemeinschaftsunternehmen einbrachten. Das neue Unternehmen hieß European Aeronautic, Defense and Space Company (EADS) und sollte seinen Sitz aus steuerlichen Gründen in den Niederlanden
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
haben. Drei der vier Mitglieder im Airbus-Konsortium waren damit unter einem Dach zusammengeschlossen.
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Abbildung 14: Umlaufrendite in Deutschland (Januar 1994 bis Juli 1999)
Quelle: Deutsche Bundesbank
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Die Europäische Zentralbank senkte im April den Hauptrefinanzierungssatz deutlich von 3 Prozent auf 2,5 Prozent. Die Inflation in Deutschland lag 1999 bei nur 0,6 Prozent. Die Anleiherendite stieg infolge der Entspannung nach der Asienund Russlandkrise. Die Umlaufrendite lag zum Jahresende bei 5,1 Prozent während sie zu Jahresbeginn noch 3,8 Prozent ausmachte. So sank denn auch der Index für den deutschen Rentenmarkt RexP im Jahresverlauf um 1,9 Prozent. Freundlich tendierten die Aktienmärkte. Der DAX stieg wie schon erwähnt um 39,1 Prozent, die amerikanische Börse legte um 19,1 Prozent zu und der japanische Nikkei stieg um 36,8 Prozent. Die Währungsgewinne von US-Dollar und Yen gegenüber dem Euro von 14 Prozent beziehungsweise 22 Prozent ließen die Auslandsaktien gegenüber den Euro-Anlagen mit plus 38,6 Prozent für USAktien und 76,6 Prozent für japanische Anteilsscheine nach oben schnellen. Insbesondere Japan gelang es, das Vertrauen der Investoren zurück zu erobern. Umfangreiche Reformen zur Restrukturierung des Bankensektors, die dazu führten, dass die Kreditinstitute ihre faulen Kredite an eigens dafür geschaffene Übergangsbanken abgeben konnten und der Staat die Banken im Gegenzug mit neuem Kapital versorgte, ließen die Hoffnung auf eine nachhaltige Wirtschaftserholung unter den internationalen Investoren aufkeimen. Da insbesondere die institutionellen Anlageprofis in den vergangenen Jahren wegen der strukturellen Probleme der japanischen Wirtschaft ihren Anteil an japanischen Aktien auf ein Minimum reduziert hatten, bestand nun in der Phase, in der sich Aktienmarkt zu erholen begann, ein entsprechend hoher Nachholeffekt. Die gesteigerte Auslandsnachfrage nach japanischen Aktien sorgte auch für eine gesteigerte Nachfrage nach der japanischen Währung. So lockten Aktienkursgewinne und Währungsgewinne immer mehr Gelder in das Reich der aufgehenden Sonne. 120
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Für unsere Investoren Peggy, Maik und Sirko endet das erste Jahrzehnt ihrer Börsenaktivitäten. Sie haben Erfahrung mit Konjunkturaufschwung und Rezession, mit Marktverwerfungen, Notenbankpolitik und Unternehmenspleiten machen können. Alle drei haben in den ersten zehn Jahren erfolgreich gewirtschaftet, obwohl sie eine unterschiedliche Risikoneigung an den Tag legten. Peggy ist mit ihren Bundesschatzbriefen zu jeder Marktphase auf der sicheren Seite gewesen. Zinsturbulenzen und Aktienmarktkapriolen lassen sie ruhig. Ihr Kapital hat sich in den ersten zehn Jahren nach dem Fall der Mauer verdoppelt. Das Konto weist einen Betrag von 206,65 DM bzw. 105,65 Euro aus. Das bedeutet, dass Peggy mit der Investition in Bundesschatzbriefe eine Rendite von 7,53 Prozent pro Jahr erzielt hat. Maik erzielt mit der Investition in deutsche Aktien einen Ertrag von 288,64 Prozent bzw. eine jährliche Rendite von 14,54 Prozent. Sein Konto stieg auf 388,64 DM bzw. 198,71 Euro. Sirko hat seine 100 DM nach 10 Jahren sogar vervierfacht, sein Konto steht bei 441,47 DM bzw. 225,72 Euro. Die Wertsteigerung entspricht einer jährlichen Rendite von 16 Prozent. Wie wird es weitergehen? Peggy erhält im nächsten Jahr 4,25 Prozent Zinsen für ihre Bundesschatzbriefe. Maik bleibt bei den deutschen Dividendenwerten und Sirko wechselt von den amerikanischen Aktien zu den japanischen Werten, dort scheint nun endlich der Knoten geplatzt zu sein. Bevor die drei Anlagespezialisten ins neue Jahr starten, wird jedoch erst einmal Silvester gefeiert. Das Millennium steht vor der Tür. Übrigens haben sich die Befürchtungen, dass die Computersysteme in der Welt reihenweise verrückt spielen werden, weil sie die zahlenmäßige Veränderung von 99 auf 00 nicht verarbeiten könnten, nicht bewahrheitet.
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Quelle: eigene Berechnung
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Teil 3 – Fit für den Euro – ein neues Zeitalter
Sirko Peggy
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Abbildung 15: Anlageergebnisse jährlich in Prozent (1990 bis 1999)
Teil 4 – Platzen der Träume (2000 bis 2004)
2000 Die Übernahmeschlacht von Vodafone und Mannesmann endete Anfang Februar mit der Einigung beider Parteien. Am Ende musste sich Klaus Esser beugen, jedoch räumte er das Schlachtfeld nicht als Verlierer. Es gab nur Gewinner, so schien es. Vodafone war am Ziel und schuf das weltgrößte Telekommunikationsunternehmen. Mannesmann und Vodafone verfügten zusammen über 42 Millionen Kunden in über 25 Ländern. Die Börsenkapitalisierung der neuen Gesellschaft betrug rund 700 Milliarden DM. Damit rangierte der Konzern hinter Microsoft, General Electric, und Cisco Systems auf Rang vier der weltgrößten Unternehmen gemessen an ihrer Börsenkapitalisierung. Auch wenn Mannesmann am Ende nach einer dreimonatigen Schlammschlacht die Eigenständigkeit verlor, konnten sich die Aktionäre über das Geschäft freuen. Umgerechnet machte das Umtauschangebot rund 350 Euro je Mannesmann-Aktie aus, damit war der Kurs der Aktie durch die Übernahmeschlacht um rund 90 Prozent gestiegen. Die Übernahme kostete Vodafone zum Schluss rund 190 Milliarden Euro. Damit war dies die größte Übernahme in der deutschen Geschichte. Auch Klaus Esser zählte zum Schluss zu den Gewinnern. Er schied kurz nach der Fusion beider Konzerne mit einer Abfindung von rund 31 Millionen Euro aus. Das war die bis dahin höchste Abfindung, die ein deutscher Manager erhalten hatte. Sie löste später einen 2000
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Rechtsstreit über Managerentlohnung aus, der gerichtlich aufgearbeitet werden sollte. Während im Fall Mannesmann/Vodafone der Übernahmekampf mit harten Bandagen geführt wurde, schien bei der geplanten Megafusion zwischen Deutscher Bank und Dresdner Bank alles harmonisch und gut vorbereitet zu sein. Im Geschäftsbericht der Deutschen Bank für das Jahr 1999, der im Frühjahr 2000 erschien, waren dem Aktionäre schon die Vorzüge der Fusion schmackhaft gemacht worden. Doch Ende März platzten die Fusionsgespräche am Streitpunkt über die Fortführung der Investmenttöchter innerhalb des Konzerns. Wie beide Töchter, die Deutsche Asset Management (vormals Deutsche Morgan Grenfell) und die Dresdner Kleinwort Benson, nebeneinander im Konzern bestehen sollten, war der Knackpunkt, der die Gemüter bis ins Unerträgliche erhitzte. Zunächst war das Versprechen von Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer, ein Verkauf der Dresdner Kleinwort Benson käme nicht in Frage, zum Beginn der Fusionsverhandlungen bindend. Doch während der Gespräche wurde der Druck der eigenen Investmentsparte größer und Breuer musste hier Zugeständnisse machen. Denn nach der Übernahme der Bankers Trust ein Jahr zuvor waren die Integrationsarbeiten gerade erst abgeschlossen und die Investmenteinheit schlank aufgestellt. Gezielt wurden Gerüchte gestreut, dass Kleinwort Benson zumindest teilweise zum Verkauf stünde. DresdnerBank-Chef Bernhard Walter ermahnte Breuer, Wort zu halten. Die Börse schien den Vorteil einer Fusion ebenfalls nicht zu erkennen, beide Aktienwerte fielen in dieser Zeit um rund 25 Prozent. Aus der erzwungenen Harmonie drohte Stress zu werden. In der Öffentlichkeit sorgte eine weitere Äußerung für große Verunsicherung. Das Massengeschäft mit den Privatkunden sollte in der Deutsche Bank24 zusammengefasst werden, in der die Allianz als zukünftiger Mehrheitsaktionär das Sagen haben sollte. 124
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Teil 4 – Platzen der Träume
In einer Pressenotiz ließ die Dresdner Bank verlauten, dass zukünftig alle Kunden, die weniger als 200.000 DM Depotvolumen besaßen, an die Bank24 übergeben werden. Ein enormer Protest seitens der Kundschaft ließ die Bank später zurückrudern. So sollte jeder Kunde selbst entscheiden, ob er seine Konten bei der Deutsche Bank24 oder bei der neuen Deutschen Bank führen lassen wollte. Das behagte der Allianz wiederum nicht, denn das Sanierungskonzept des Filialbetriebes, an dem sich die Allianz beteiligen sollte, sah vor, dass jede Deutsche Bank24 Filiale auf eine Kundenzahl von rund 5.000 bis 6.000 käme. Das hätte jedoch eine Verdoppelung der durchschnittlichen Kundenzahlen bedeutet. Nur dann hätte sich aus Vertriebssicht der Versicherung der Aufwand gelohnt. Auf der einen Seite stand nun der Streit um die Investmentsparten und auf der anderen Seite kämpften nun beide Institute darum, den Reputationsschaden zu verringern, der dadurch entstanden war, dass eine Zweiklassenkundensegmentierung propagiert wurde. Am 5. April gaben die Vorstandsvorsitzenden die Beendigung der Fusionsbemühungen bekannt. Die Kurse beider Aktien stiegen an diesem Tage um rund 5 Prozent. Die Aktie der Deutschen Telekom AG erreichte am 6. März 2000 mit 103,50 Euro ihren historischen Höchststand. Der DAX notierte erstmalig über 8000 Punkten. Auch die Wachstumsbörse Nemax markierte ihr Allzeithoch in dieser Woche. Im Jahr 2000 kamen noch mehr als 130 Neuemissionen in Deutschland an den Markt, doch ab März schlug die Zeichnungseuphorie schlagartig in Ernüchterung um. Mit Lycos Europe wurde eine großvolumige Emission platziert und erstmalig konnten Erstzeichner keinen Emissionsgewinn einstreichen. Andere Emissionen hatten sogar schon mit dem ersten Handel Verluste auf den Emissionspreis zu verbuchen. Die Anleger wurden zunehmend skeptischer. Ein Artikel der amerikanischen Finanzzeitung Barron‘s veröffentlichte eine Studie, nach der rund 50 der 2000
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untersuchten 200 Internetunternehmen das nächste Jahr nicht überleben sollten. Die deutsche Presse nahm die als Todesliste bekannt gewordene Analyse gern auf und überschwemmte den deutschen Markt mit ähnlichen Analysen. Das Anlegervertrauen schwand dahin und zum ersten Mal mussten die Marktteilnehmer mit Verkaufsdruck in dem noch jungen Segment Nemax klar kommen. Der Index verlor von seinem Höchststand bis Ende April rund 30 Prozent. Der DAX entwickelte sich im gleichen Zeitraum mit minus 9 Prozent relativ moderat. Die Deutsche Telekom AG brachte im April Aktien ihrer Tochter T-Online an die Börse. Der ursprüngliche Preis sollte um die 50 Euro liegen, tatsächlich wurde die Aktie in dem schwierigen Umfeld mit 27 Euro emittiert. Der Bund brachte im Juni beim dritten Börsengang der T-Aktie Anteilsscheine im Wert von rund 15,3 Milliarden Euro an den Markt. Dies war der höchste jemals erzielte Erlös aus einer Privatisierung. Die Zeichner zahlten 66,50 Euro je Aktie. Zu dieser Zeit befand sich das Papier bereits im freien Fall. Diesen Emissionskurs sollte die Aktie nie wieder erreichen. Der Kauf des amerikanischen Mobilfunkanbieters Voicestream kostete rund 50 Milliarden US-Dollar und wurde von den Analysten mit geteilter Meinung beurteilt. Das Mobilfunkzeitalter entfachte unter den Anbietern einen starken Kampf um Kunden, Verbindungsentgelte, Technologien, Telefonbauer und Lizenzen. Beim Kampf um Kunden wurde mit subventionierten Endgeräten und immer weiter fallenden Verbindungspreisen gefeilscht. Wer die neuesten Geräte zum Vertrag als kostenlose Beigabe lieferte hatte die große Chance den Kunden zu gewinnen. Die Unternehmen strebten nach Größe. Die Deutsche Telekom hatte mit dem Kauf der Voicestream zwar ein Standbein im lukrativen US-Markt erhalten. Doch spiegelt der Kaufpreis von 50,7 Milliarden US-Dollar ins Verhältnis zur Kundenanzahl gesetzt einen Preis je Kunden von 18.700 126
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Teil 4 – Platzen der Träume
US-Dollar wider. Offensichtlich konnte die Investition auf Jahre hinaus auf das eingesetzte Kapital keine Rendite erwirtschaften. Nun, es ging um Größe und Umsatz, nicht primär um Ertrag und Wirtschaftlichkeit. Nur wer technologisch die Nase vorn hatte, konnte im Konzert mitspielen. Technologisch wartete die nächste Generation des Mobilfunks auf die Vermarktung. Der UMTS-Standard bot 200 mal schnellere Datenübertragungsraten als der bisherige Standard. Damit sollten schon bald Nutzungsmöglichkeiten wie Internet und Online-Banking über Handy möglich sein. Doch zunächst mussten die Lizenzen für die neuen Frequenzen verteilt werden. Der Bund entschied sich für das Versteigungsverfahren, welches in Großbritannien zuvor Rekordeinnahmen für den Schatzminister gebracht hatte. Bundesfinanzminister Hans Eichel hatte einen Erlös von rund 20 Milliarden DM für den Haushalt eingeplant. Anfang August war es dann soweit. Zwölf Frequenzblöcke zum Aufbau von maximal sechs UMTS-Netzen wurden versteigert. Die Bieter mussten ihre Gebote innerhalb einer 40-minütigen Bieterrunde abgeben. Nach 173 Bieterrunden wurde die Auktion am 17. August mit der Rekordsumme von 98,8 Milliarden DM beendet. Sechs Bietergruppen ersteigerten jeweils zum Preis von über 16 Milliarden DM zwei Frequenzblöcke. Zuletzt trieben Mannesmann Mobilfunk und die Deutsche Telekom die Preise nach oben, sie wollten dadurch einen oder zwei Mitbewerber aus dem Rennen drängen. Doch die Aussicht, die nächste Wachstumsphase zu verpassen, erhöhte nur den Willen der kleineren Konkurrenten, sich ein Stück vom Kuchen abschneiden zu wollen. Neben den 16 Milliarden DM für die Lizenz mussten noch einmal rund 8 Milliarden in den Aufbau des Netzes investiert werden. Diese enormen Summen mussten am Kapitalmarkt refinanziert werden. Die Zins- und Tilgungsbelastung würde die Bilanzen der Anbieter über Jahrzehnte belasten. Die Börse quittierte diesen 2000
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Irrsinn dann auch mit fallenden Aktienkursen der Telekomunternehmen Vodafone, Deutsche Telekom, Mobilcom und auch der ausländischen Bieter, die bis zum Jahresende mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren.
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Teil 4 – Platzen der Träume
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Quelle: Feri Finance AG
DeutschlandSurplus/deficit(Ͳ);Maastrichtconcept;%ofnominalGDP;
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Abbildung 16: Haushaltsdefizit in Prozent vom BIP (1995 bis 2000)
Die Versteigerungserlöse erfreuten den Finanzminister. Erstmals seit dem Wirtschaftswunder in den Fünfziger- und Sechzigerjahren konnte ein Überschuss im Bundeshaushalt präsentiert werden. Rund 80 Milliarden DM Mehreinnahmen durch die UMTS-Lizenzversteigerung ließen die Kasse klingeln. Das Haushaltsplus betrug 1,3 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Wenngleich die einzelnen Ressorts im Kabinett schon hofften, den zusätzlichen Geldsegen für sich beanspruchen zu können, stand für Finanzminister Eichel der Schuldenabbau an oberster Stelle. Insgesamt setzte die Regierung in den ersten Jahren ihrer Amtszeit zahlreiche Maßnahmen zur Belebung des Wirtschaftsstandorts Deutschland um. Besonders erwähnenswert ist die Steuerreform, die in diesem Jahr verabschiedet wurde. Primär sollte die Steuerlast der Kapitalgesellschaften nachhaltig gesenkt werden. Als einheitlicher Körperschaftsteuersatz wurden 25 Prozent vereinbart, egal ob die Gewinne ausgeschüttet wurden oder im Unternehmen verblieben. Bisher wurden ausgeschüttete Gewinne mit 30 Prozent und thesaurierte Gewinne mit 40 Prozent besteuert. Die Gewerbesteuer und der Solidaritätszuschlag blieben unverändert. Insgesamt sollte so die Gesamtsteuerlast der Kapitalgesellschaften von über 50 Prozent auf rund 38 Prozent gesenkt werden. Dies wäre im internationalen Vergleich ein guter Mittelwert. Zuvor belegte Deutschland hier einen Spitzenplatz. Der Nachteil der Gewinnthesaurierung sollte so aufgehoben und Unternehmen dazu animiert werden, ihre Gewinne zu reinvestieren beziehungsweise die Eigenkapitalquote zu stärken. Um eine Doppelbesteuerung bei ausgeschütteten Gewinnen zu vermeiden, wurde gleichzeitig das sogenannte Halbeinkünfteverfahren verabschiedet. Da die Dividendeneinnahmen auf der Ebene des Empfängers als Einkünfte steuerwirksam werden, konnten Anteilseigner bisher zuvor bereits abgeführte Steuern im An2000
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rechnungsverfahren auf ihre Einkommensteuerschuld anrechnen lassen. Mit der Reform sollte diese Möglichkeit abgeschafft werden. Um dennoch keine Benachteiligung der Aktionäre und Anteilseigner aufkommen zu lassen und eine doppelte Besteuerung auf Unternehmens- und Eignerseite zu verhindern, trat das Halbeinkünfteverfahren in Kraft. Danach werden Ausschüttungen nur noch zur Hälfte beim Anteilseigner besteuert. Neben der Körperschaftsteuer werden ausgeschüttete Gewinne noch einmal zur Hälfte mit dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners besteuert. Bei einem Spitzensteuersatz, der ebenfalls von 45 Prozent auf 42 Prozent in mehreren Schritten reduziert werden sollte, ergab sich theoretisch eine maximale Steuerlast von 47,5 Prozent für ausgeschüttete Gewinne. Kleinaktionäre konnten auf der anderen Seite doppelt so viel Dividende wie Zinsen kassieren, da die Dividenden nur zur Hälfte ihren Freistellungsbetrag belasten würden, der mittlerweile von 6.000 DM auf 3.000 DM reduziert wurde. Die Überraschung gelang der Regierung mit ihrem Vorhaben, die Erlöse aus Beteiligungsverkäufen für Kapitalgesellschaften steuerfrei zu stellen. Damit sollte der Anreiz geschaffen werden, die Verkrustungen der Beteiligungsgeflechte deutscher Konzerne aufzulösen. Unternehmen konnte so ihre stillen Reserven, die in ihren Beteiligungsportfolios in den Bilanzen schlummerten, steuerfrei heben. Auf der internationalen politischen Bühne trat mit Wladimir Putin als Präsident der Russischen Föderation und Nachfolger von Boris Jelzin zum Jahreswechsel 1999/2000 ein bis dahin weitgehend unbekannter Mann ins Rampenlicht der Weltpolitik. In der Silvesternacht trat Boris Jelzin von seinem Amt zurück und präsentierte Putin als seinen Nachfolger. Zunächst übernahm Putin nur geschäftsführend das Amt des Präsidenten, bis er durch die Wahl, die am 26. März 2000 durchgeführt 130
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Teil 4 – Platzen der Träume
werden sollte, von Volkes Stimme bestätigt werden würde. Die Probleme des Landes waren enorm, die Wirtschaft lag am Boden, Russland war abhängig von der Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft und des Internationalen Währungsfonds, drei Viertel der Bevölkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze, die Privatisierung der Staatsbetriebe führte zu frühkapitalistischen Ausprägungen, in denen der Reichtum auf wenige konzentriert wurde, es herrschte Korruption und die Oligarchen handelten in einem quasi rechtsfreien Raum. Jelzins Familie wurde eine tiefe Verstrickung in diesen Sumpf nachgesagt und gesundheitlich stark angeschlagen war er nicht mehr in der Lage, das russische Reich zu regieren. Mit Putin erfolgte auch ein Generationenwechsel im Kreml. Putin wurden die Attribute jungendlich, sportlich, gebildet und weltoffen zugestanden. Als Chef des KGB-Nachfolgers FSB wurde ihm später nachgesagt, selbst die Machtübernahme mit organisiert zu haben. Wie dem auch sei, bei der im März durchgeführten Präsidentenwahl errang er 52,7 Prozent der abgegebenen Stimmen und war damit im Amt durch das Volk legitimiert. Seinem Vorgänger gewährte er volle Immunität, was bedeutete, dass weder gegen Jelzin noch gegen seine Familie strafrechtlich wegen Korruption oder anderer Straftaten ermittelt werden durfte. Putin bekräftigte, dass Russland in der kritischen Situation eine starke Staatsgewalt benötige, die auf Gesetze gegründet ist, um Korruption zu beseitigen und um Fortschritt und Wohlstand für das Land zu festigen. Dazu gehöre auch, dass Rede- und Pressefreiheit sowie das Recht auf Eigentum als grundlegende Elemente einer zivilen Gesellschaft vom Staat geschützt würden. Putin gab dem Land die nötige Zuversicht und im Volk wurde er schnell als Hoffnungsträger populär. Auch die USA wählten in diesem Jahr einen neuen Präsidenten. Bill Clinton konnte nach zwei Amtszeiten nicht wieder kan2000
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didieren. Für die Demokraten trat Al Gore als Präsidentschaftskandidat an. Der Herausforderer auf Seiten der Republikaner hieß George W. Bush, Sohn des ehemaligen Präsidenten George Bush. Die Wahl ging denkbar knapp aus. Ungereimtheiten bei der Stimmenauszählung sorgten noch Wochen nach der Wahl für Diskussionen. Am Ende wurde George W. Bush zum Wahlsieger erklärt und zum Präsidenten der USA vereidigt. Die Wirtschaft wuchs im Jahr 2000 schwungvoll. In den USA betrug das Wirtschaftswachstum 3,7 Prozent, auch Deutschland zeigte mit einer Wachstumsrate von 3,2 Prozent eine kräftige Konjunktur. Japans Wirtschaftsleistung legte 2000 mit 2,6 Prozent nach drei Jahren mit negativen Raten erstmals wieder zu. Die Notenbanken versuchten durch restriktive Geldpolitik eine Überhitzung der Konjunktur zu vermeiden. Die Federal Reserve erhöhte den Leitzins von 5,5 Prozent im Dezember 1999 auf 6,5 Prozent zum Jahresende 2000. Auch die Europäische Zentralbank erhöhte den Refinanzierungssatz von 3 Prozent in sechs Schritten auf 4,75 Prozent. Die Umlaufrendite aller öffentlichen Anleihen veränderte sich im Jahresdurchschnitt nicht und blieb bei 5,1 Prozent. Der Index für deutsche Anleihen RexP stieg um 6,9 Prozent, während das Aktienmarktbarometer DAX von 6958 Punkten auf 6433 Punkte um 7,5 Prozent verlor. Amerikanische Dividendenpapiere verloren im Jahresverlauf 9,85 Prozent und Japans Aktienwerte verloren mehr als 27 Prozent. Um die jeweiligen Währungseinflüsse bereinigt, reduzierte sich das Minus für US-Aktien auf rund 3,9 Prozent während das Ergebnis japanischer Aktien durch den schwächeren Yen auf minus 30,7 Prozent erhöht wurde. Trotzt der robusten Konjunktur, beendeten die Aktienmärkte das Börsenjahr im Minus. Die TMT-Euphorie schien zunächst gebremst, teilweise verloren die Telekom- und Internetwerte mehr als die Hälfte ihres Wertes.
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Sirko glaubt seinen Augen nicht. Seine japanischen Aktien verloren gut 30 Prozent. Die Reformen des Vorjahres sorgten zwar für Wachstum, jedoch spiegelten die Börsen schon ein anderes, düsteres Szenario wider. Der Kontostand von Sirko reduziert sich von 225,26 Euro auf 156,19 Euro bzw. 305,49 DM. Damit übernimmt Maik vorübergehend die Führung. Auch er muss einen Verlust verarbeiten. Seine Anlagen verlieren 198,70 Euro auf 183,73 Euro bzw. 359,35 rund 7 Prozent und damit weit weniger als Sirkos Aktiengeschäfte. Nur Peggy kann in diesem Jahr einen Gewinn verbuchen. Um 4,75 Prozent legte ihr Vermögen auf 110,63 Euro bzw. 216,38 DM zu. Sirko entscheidet sich zum Jahresende, seine Aktien zu verkaufen und das Geld in deutsche Anleihen zu investieren.
2000
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Quelle: eigene Berechnung
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Peggy
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Abbildung 17: Anlageergebnisse 1989 bis 2000 indexiert
2001 Das Jahr begann mit einem zinspolitischen Paukenschlag. Am zweiten Handelstag des Jahres senkte Alan Greenspan überraschend die Federal-Funds-Rate um einen halben Prozentpunkt von 6,5 auf 6 Prozent. Frühzeitig wollte er den konjunkturellen Abschwung durch eine expansive Geldpolitik stoppen. Ende Januar folgte der zweite Zinsschritt abermals um einen halben Prozentpunkt auf 5,5 Prozent. Zwar reagierte der Aktienmarkt kurzzeitig mit steigenden Kursen, dennoch wurde die Euphorie bald durch die negativen Konjunkturdaten gebremst. Im ersten Quartal fielen die Aktienkurse weltweit zwischen 10 und 15 Prozent. Die US-Wirtschaft verlor gegenüber dem Vorquartal 0,5 Prozent an Wachstumskraft. Auch in Deutschland signalisierte der Ifo-Geschäftsklima-Index eine konjunkturelle Abschwächung. Nachdem der Erwartungswert schon seit November 2000 korrigierte, verringerte sich nun auch der Wert für die Beurteilung der aktuellen Lage von 101,3 im Januar auf 97,3 im März. Im Mai lag der Wert schon bei 94,4, als die EZB erstmalig seit Bestehen den Hauptrefinanzierungssatz um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent senkte. Die Wirtschaft nahm ein normales Verlaufsmuster an. Nach sieben Jahren Aufschwung war eine Konsolidierung überfällig, der Traum vom immerwährenden Wachstum schien zu Ende geträumt. Aber die Notenbankpolitik sollte die Märkte beruhigen und mit einer gewissen Verzögerung auch die Wirtschaft stimulieren können. Die Fed senkte bis zur Jahresmitte weitere drei Mal den Leitzins bis auf 3,75 Prozent. Und tatsächlich schöpften die Aktienmärkte neuen Mut. Von den temporären Tiefstständen im März erholten sie sich kräftig und tendierten zum Ende des zweiten Halbjahres bei rund minus 5 Prozent. Anscheinend zeigte die Notenbankpolitik wieder einmal Wirkung. Sollte im zweiten Halbjahr die 2001
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Konjunkturflaute überwunden werden und die Aktienmärkte die seit März (Europa) bzw. August (USA) andauernde Schwächephase überwunden haben. Der 11. September 2001 machte alle Träume eines normalen Konjunkturzyklus zunichte. Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington änderten innerhalb weniger Stunden die Weltordnung. Die Zwillingstürme im New Yorker Finanzdistrikt symbolisierten den amerikanischen Traum von Freiheit, Überlegenheit und der Macht des Geldes. Am Dienstag, dem 11. September 2001, wurden durch Terroranschläge diese Symbole zum Einsturz gebracht. Die Welt war am Abend des 11. Septembers eine andere. Nicht nur Amerika befand sich im Krieg, die internationale Staatengemeinschaft erklärte sich solidarisch. Der Anschlag traf die USA in einer Phase, in der die Wirtschaft konsolidierte. Die Hoffnung auf eine baldige Erholung schwand von einem Augenblick zum anderen. An den Aktienmärkten herrschte Panik, die US-Börsen blieben in Folge der Anschläge für vier Tage geschlossen. Am Montag, dem 17. September, senkten fünf Zentralbanken nacheinander ihre Referenzzinsen. Die Federal Reserve und die EZB senkten jeweils um einen halben Prozentpunkt ihre Leitzinsen, die Notenbanken Kanadas, Schweden und der Schweiz folgten dem Zinsschritt. Dennoch verloren die Hauptmärkte bis zum Ende der Handelswoche nach der Zinssenkung zwischen 6 Prozent in Japan, 11,6 Prozent in den USA und 19 Prozent in Deutschland gegenüber ihren Werten vor den Anschlägen. Infolge der Anschläge kam der Welthandel zum Erliegen, insbesondere die Exportnation Deutschland bekam dies zu spüren. In Zeiten der Unsicherheit werden Aufträge und Investitionen zurückgestellt. Die entscheidende Frage war jedoch, wie sich das Konsumverhalten der US-Haushalte verändern würde. Der Wirtschaftsmotor USA hängt zu 70 Prozent am Konsumverhalten der Privathaushalte. Also galt es, Panik bei Konsumenten 136
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zu vermeiden. Die Zinssenkungen der Notenbanken signalisierten die Entschlossenheit der Währungshüter, den Geldkreislauf aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig war es auch ein Signal an die Wirtschaft, dass geldpolitisch alles getan werde, damit die Wirtschaft weiter funktionieren konnte. Die internationalen Regierungschefs zeigte ebenfalls Entschlossenheit und unterstützten George W. Bush als dieser am 20. September in seiner Rede vor den Kammern des Kongresses die Terrororganisation al-Qaida für die Anschläge verantwortlich machte und Afghanistan, dem mutmaßlichen Aufenthaltsort von al-Qaida Führer Osama Bin Laden, zur Auslieferung des Terroristenführers aufforderte. Dass der amerikanische Präsident in den Tagen nach der Tragödie relativ besonnen reagierte und die US-Märkte nach der Wiedereröffnung nicht ins Bodenlose stürzten, sorgte für eine Beruhigung an den internationalen Kapitalmärkten. Insbesondere die europäischen Börsen konnten in der Folge einen großen Teil ihrer Verluste wieder wett machen. Lag der deutsche Aktienmarkt am 24. September noch mit rund 40 Prozent gegenüber dem Jahresanfangswert im Minus, so betrug der Kursverlust am Ende des Jahres nur noch 19,8 Prozent. Der amerikanische Aktienindex S&P 500 verlor im Jahresverlauf vergleichsweise wenig mit minus 12 Prozent, da der US-Dollar sich gegenüber dem Euro erneut verteuerte, machte der Verlust für den Euroinvestor nur 6,5 Prozent aus. Japan bildete ein weiteres Mal das Schlusslicht unter den beobachteten Aktienmärkten. Der Nikkei verlor 2001 gut 23 Prozent, die sich inklusive der Währungsverluste auf 29,3 Prozent erhöhten. Die Notenbanken unterstrichen durch weitere Zinssenkungen ihre unterstützende Geldpolitik. Der US-Leitzins lag zum Jahresende bei 1,75 Prozent und der EZB Refinanzierungssatz wurde bis auf 3,25 Prozent gesenkt. Die Anleihemärkte profitierten von der Flucht in Qualität. Die Umlaufrendite in Deutschland verringerte sich im Jahresverlauf 2001
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von 5,1 auf 4,6 Prozent. Das bescherte den Anleihen zusätzliche Kursgewinne. Der Rentenmarktindex RexP gewann 5,6 Prozent bis zum Jahresende.
Quelle: Feri Finance AG
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Ͳ
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, 5,00
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RefisatzEZB FedFundRate
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Abbildung 18: Notenbankzinsen (Januar 1999 bis Oktober 2001)
Dass es trotz der Krise am Neuen Markt erfolgreiche Neuemissionen gab, bewies der Börsengang der Deutschen Börse AG im Februar 2001. Mit einem Volumen von fast einer Milliarden Euro war dies die größte Emission in diesem Jahr. Die Emission war 23-fach überzeichnet, was bedeutete, dass die Kaufwünsche 23-mal höher waren als die zur Verfügung stehende Anzahl an Aktien. Der Zuteilungspreis von 335 Euro befand sich dann auch am oberen Ende der Preisspanne. Dennoch konnten die Aktien am ersten Handelstag, am 5. Februar 2001 um gut 11 Prozent auf 372 Euro zulegen. Die Deutsche Börse AG stärkte mit dem Börsengang die Eigenkapitalbasis, um für das internationale Wachstum gerüstet zu sein. Das Börsengeschäft war längst kein auf den Heimatmarkt beschränktes Geschäft mehr. Die Börsen standen auch in Folge der Globalisierung und des Zusammenwachsens Europas im internationalen Wettbewerb. In Europa konkurrierte die Deutsche Börse mit der London Stock Exchange (LSE) und der Euronext, einem Zusammenschluss der Börsen Paris, Amsterdam und Brüssel. Die Deutsche Börsen AG sah sich mit den elektronischen Handelsplattformen Xetra und der Terminbörse Eurex gut gerüstet. Die Tochter Clearstream gehörte zu den größten Abwicklern in der Branche. Dennoch verfolgte Werner G. Seifert, Vorstandschef der Deutschen Börse AG, mit dem eingeworbenen Kapital eine Fortführung der Expansionsstrategie. Er wollte die Deutsche Börse zum wichtigen Spieler beim Zusammenwachsen der Kapitalmärkte machen. Nach den gescheiterten Fusionsbemühungen von der Dresdner Bank und der Deutsche Bank im Jahr 2000 leitete die Allianz AG im Mai die Übernahme der Dresdner Bank AG ein. Ohnehin war die Allianz schon der größte Einzelaktionär der Bank und die Vision, Deutschlands größter Finanzdienstleister zu werden, führte die Führungsriege der Versicherung zu diesem Schritt. Dem Kunden Versicherungs- und Bankdienstleistun2001
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gen aus einer Hand über den mobilen Vertriebsweg der Versicherung und den stationären Filialbetrieb der Bank zu offerieren, sollte den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. Die Allianz war damit Deutschlands größte Versicherung, größter Vermögensverwalter und einer der größten Anbieter für Bankdienstleistungen. Das Potenzial der Synergien, welches die Zusammenführung beider Unternehmen mit sich brachte, wurde auf mehrere Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre geschätzt. Solange sollte der Integrationsprozess beider Unternehmenskulturen benötigen. Die Allianz bot den Aktionären der Dresdner Bank für zehn Dresdner Bank Aktien eine Allianz Aktie und 200 Euro Barausgleich an. Zum Jahresende sorgte die Enron-Pleite für eine Schockwelle unter den Kapitalmarktteilnehmern. Enron war der größte Energie-Konzern der USA. Mit einem Marktkapital von 70 Milliarden US-Dollar gehörte der Konzern in den USA zu den zehn größten Börsenunternehmen und zählte als sogenannter Blue Chip (Synonym für erstklassiges Unternehmen). Bei einer Untersuchung der amerikanischen Börsenaufsicht SEC traten Bilanzmanipulationen in großem Umfang zu Tage. Systematisch wurden Gewinne um rund 1,2 Milliarden US-Dollar zu hoch ausgewiesen, indem Erlöse aus Rohstoff-Terminverkäufen als Ertrag bilanziert wurden, während die Gegengeschäfte bilanztechnisch nicht erfasst wurden. Weiter hatte der Konzern ein undurchsichtiges Geflecht von Unternehmen aufgebaut, innerhalb dessen Geschäfte getätigt wurden, die ebenfalls nur auf der Ertragsseite gebucht wurden. Die Aufwandsseite bei den Tochterunternehmen wurde in der Konzernbilanz nicht konsolidiert. Das gesamte Konglomerat war derart überschuldet, dass es letztendlich in sich zusammenbrach. Kurz vor dem Zusammenbruch genehmigte sich die ehemalige Führungsriege noch Abfindungen im dreistelligen Millionenbereich. So soll 140
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der Firmengründer Kenneth Lay bei seinem Ausscheiden kurz vor dem Kollaps eine Abfindung von 300 Millionen US-Dollar erhalten haben. Später beschäftigten sich die Gerichte mit dem Fall und die Konzernlenker wurden mit Gefängnisstrafen zwischen 5 und 24 Jahren und hohen Geldstrafen belegt. Argentinien schritt mit großen Schritten in die Zahlungsunfähigkeit. Bis dahin galt das Land eher als Musterschüler unter den Schwellenländern. Im Jahr 1991 hatte Argentinien eine feste Währungskoppelung an den US-Dollar und einen strikten Sparkurs eingeschlagen. Die Verschuldungsquote lag mit rund 45 Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt relativ niedrig und auch das Haushaltsdefizit mit rund 2,5 Prozent galt als erträglich. Dennoch geriet Argentinien in den Strudel, da die eigene Finanzkraft nicht ausreichte, um die Zyklen der Wirtschaft und damit den Druck auf die Währung auszugleichen. Argentinien befand sich mittlerweile im dritten Rezessionsjahr und entgegen der Meinung der heimischen Wirtschaftslenker, behielt die Regierung den Sparkurs bei, denn für konjunkturbelebende Programme war kein Geld vorhanden. Mit dem Platzten der TMT-Blase und der damit einhergehenden weltweiten Konjunkturabschwächung, versiegten die Einnahmequellen des Staates. Gleichzeitig stieg die Risikoaversion der Geldgeber, so dass diese höhere Zinsen oder gar die Rückführung der Kredite verlangten. Automatisch geriet die Währung unter Druck. Eine Abkopplung vom Dollar wäre richtig gewesen, hätte aber dazu geführt, dass die einheimischen Unternehmen und Privathaushalte, die in Dollar verschuldet waren, in die Pleite getrieben worden wären. Das wollte der Staat dadurch verhindern, dass er die Auslandsschulden unter ein Memorandum stellte. Sprich: Die Zahlungen für Zins und Tilgung wurden eingestellt und über die Fortführung der Kredite, zu denen auch Euro-Anleihen im Volumen von rund 40 Milliarden Euro zählten, musste 2001
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neu verhandelt werden. Um den Peso nicht abwerten zu müssen, wurden auch Überlegungen angestellt, neben dem Peso eine zweite Währung, den Argentino, einzuführen, der gegenüber dem US-Dollar frei schwanken sollte. Allerdings käme dies unter volkswirtschaftlichen Aspekten einer Abwertung gleich. Die Euro-Anleihen verloren in dieser Zeit im Wert mehr als 50 Prozent und die Rückzahlung erschient mehr als fragwürdig. Die Aktienmärkte beendeten das Jahr auf breiter Front im Minus, die Folgen der Terroranschläge ließen die Hoffnungen auf einen baldigen Aufschwung schwinden. Große Unternehmenspleiten und die Argentinienkrise hielten die Marktteilnehmer in Atem. Für unsere Börsenprofis zeigte sich ein gemischtes Bild. Maik, den deutschen Aktien treu verbunden, verliert knapp 20 Prozent seines Vermögens. Sein Kontostand sinkt auf 147,36 Euro (288,21 DM). Peggy kann sich über 5 Prozent Verzinsung freuen, ihr Kontostand steigt auf 116,15 Euro (227,16 DM). Sirko hat zu Beginn des Jahres die richtige Entscheidung getroffen und sein Kapital in festverzinsliche Anleihen umgeschichtet. 5,6 Prozent gewinnt er dazu, sein Konto steigt auf 164,98 Euro (322,67 DM). Er übernimmt wieder die Führung unter den drei Investoren. Da die Aktienmärkte allesamt negativ tendierten, bleibt er zunächst in Anleihen investiert.
2002 In Deutschland wurde der Euro als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. Am 1. Januar wurden an den Bankschaltern und Geldautomaten nur noch Münzen und Scheine der neuen Wäh142
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rung ausgegeben. In den Geschäften konnte noch für eine Übergangsfrist mit der alten Währung bezahlt werden. Innerhalb der ersten drei Monate des Jahres stellten alle zwölf Euro-Staaten ihre Währung um und führten den Euro als Zahlungsmittel ein. Neben den elf Ländern der ersten Runde gehörten, die 1999 den Euro bereits als Buchgeld eingeführt hatten, gesellte sich Griechenland zur Bargeldeinführung 2002 dazu. 2001 wurde Griechenland in den Bund der Euroländer aufgenommen. Mit der Bargeldeinführung war der Euro eine handfeste Währung geworden. Die führenden Politiker und die Wirtschaftselite bestärkte die Hoffnung, dass der Euro sich nun als stabile Weltwährung neben dem US-Dollar und dem japanischen Yen etablieren könne. Seit der Euro-Einführung als Buchgeld im Jahr 1999 verlor die Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar rund 25 Prozent ihres Wertes. Daran gemessen war das Vertrauen in den Euro international noch nicht gewachsen. Auch in der Bevölkerung musste sich der Euro erst noch bewähren. In Deutschland war die Sorge groß, dass nun die D-Mark als Symbol der Stabilität gegen eine Gemeinschaftswährung getauscht wurde, der auch die einstigen Weichwährungsländer wie Italien, Spanien und Griechenland angehörten. Die Befürchtungen, dass mit der neuen Währung versteckte Preissteigerungen verbunden seien, brachten dem Euro den Beinamen „Teuro“ ein. Die Argentinien-Krise spitzte sich weiter zu. Die Regierung sah sich veranlasst, zur Vermeidung einer breiten Kapitalflucht die Bankguthaben von Privathaushalten und Unternehmen einzufrieren. Danach erklärte Argentinien sich für zahlungsunfähig und löste später die Peso-Anbindung an den US-Dollar. Argentinien hatte rund 145 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft. Rund 40 Milliarden waren durch Euro-Auslandsanleihen finanziert. Die Anleihegläubiger bekamen zunächst weder Zinszahlungen noch Tilgungsleistungen. Die argentinische Re2002
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gierung verhandelt mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über neue Kreditzusagen. Der IWF knüpfte die mögliche Kreditunterstützung jedoch an harte Zusagen hinsichtlich Reformen in Wirtschafts-, Haushalts- und Geldpolitik, die die damalige Regierung nicht beziehungsweise nur teilweise erfüllen konnte. Es wurde seinerzeit viel diskutiert, inwieweit Institutionen wie den IWF eine Mitschuld an der Misere Argentiniens traf. Denn die Politik des IWF war es meist, für Länder in Zahlungsschwierigkeiten eine währungspolitische Feuerwehr zu spielen. Die Krisen in Mexiko, Asien sowie Russland und Osteuropa zeigten, dass als Antwort auf eine Krise immer der Geldhahn aufgedreht wurde. Natürlich waren stets Auflagen mit der Kreditvergabe verbunden. Diese zielten in ihrer Wirkung jedoch meist auf kurzfristige Ziele wie Geldwertstabilität und weniger auf die strukturelle Anpassung der Politik und der Wirtschaft zur Schaffung der Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum. In Argentinien beispielsweise wurde die Hyperinflation der Achtzigerjahre durch die gesetzliche Bindung des Peso an den US-Dollar 1991 bekämpft. Die feste Währungsanbindung sorgte dafür, dass die Inflation tatsächlich eingedämmt wurde. In der Folge lockte die stabile Währung ausländisches Kapital an. Die Wirtschaft wuchs mit hohen Wachstumsraten. Allerdings verpasste die Regierung weitere strukturelle Anpassung des Finanzsystems und der Wirtschaft. Die inländische Kreditvergabe funktionierte nicht. Die Verschuldung der Haushalte erfolgte in US-Dollar, das Haushaltseinkommen jedoch in Peso. Die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft entsprach nicht dem durch die feste Währungsanbindung nach außen dargestellten Wert. Exporte gingen zurück, die Importe, die umgekehrt zu billig erschienen, erhöhten sich. Das daraus entstehende Defizit wurde durch Auslandskredite finanziert. Dann kam die Asien-Krise, die für alle Schwellenländer die Erhöhung der 144
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Zinsaufschläge zur Folge hatte. Die Staaten mussten nun Großteile des Haushaltes für Zinszahlungen verwenden. Eine nötige Währungsanpassung erfolgte nicht, da zum einen die Geldwertstabilität zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit eine Hauptrolle spielte und zum anderen die inländischen Haushalte in hohem Maße in Fremdwährung verschuldet waren. Eine Abwertung der heimischen Währung hätte den massenhaften Ruin der Haushalte und Unternehmen zur Folge gehabt, die Arbeitslosigkeit wäre sprunghaft angestiegen und soziale Unruhen wären wahrscheinlich gewesen. Also war es für die Regierungen zur Bewahrung des sozialen Friedens wichtig, die Rückzahlung der Auslandsschulden auszusetzen. In Argentinien verschärfte sich die Situation dadurch, dass Brasilien bereits frühzeitig die eigene Währung gegen den US-Dollar abwertete und damit gegenüber Argentinien enorme Wettbewerbsvorteile erworben hatte. Nach der Asien-Krise befand sich Argentinien in einer tiefen Rezession, die die Wirtschaftsleistung des Landes um mehr als 20 Prozent einbrechen ließ. Viel früher hätte die Regierung den Peso vom Dollar lösen müssen, da nahezu alle Schwellenländer in Folge der Asien-Krise Währungsanpassungen vornahmen. Und hier setzte die Kritik am IWF an. Er betrieb keine vorausschauende Politik, sondern bekämpfte die Krisenherde immer erst bei Ausbruch des Brandes. Oftmals, so wurde kritisiert, wurde mit dem Prinzip der Gießkanne versucht, die Krisen mit neuen Krediten zu ersticken. Nun befand sich Argentinien in eben dieser Schuldenfalle und verlangte nach dem alten Muster nach neuen Krediten. Diesmal blieb der IWF jedoch hart und knüpfte grundlegende Reformen an die Bedingung der Hilfe. Argentinien wurde zur Konsolidierung gezwungen, Finanzsystem, Wechselkurspolitik, Wirtschafts- und Haushaltspolitik mussten umgebaut werden. Die Gefahr, dass die Argentinien-Krise auf die Nachbarstaaten ausstrahlte, war sehr hoch. Die Zinsaufschlä2002
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ge für Anleihen aus Ecuador, Uruguay, Venezuela und Brasilien schnellten in die Höhe. In Brasilien schien die Gefahr am Größten, das Land war ebenso überschuldet und bei den für Oktober angesetzten Präsidentschaftswahlen schien sich der Linkspopulist Luiz Inacio Lula da Silva gegen den konservativen Amtsträger durchsetzen zu können. Die Renditedifferenzen von Brasilienanleihen zu US-Staatsanleihen sprangen auf 17 Prozent. Nach Argentinien war dies der zweithöchste Wert unter den Schwellenländeranleihen und signalisierte eine erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeit. Als Lula da Silva tatsächlich ins Amt des Präsidenten gewählt wurde, beruhigte sich die Lage jedoch schnell, da die befürchteten radikalen Maßnahmen zur Umverteilung des Privatvermögens ausblieben. Lula da Silva respektierte Privateigentum und sorgte für sozialen Frieden. Damit war eine der Voraussetzungen für die nachhaltige Entwicklung Brasiliens geschaffen. Mitte des Jahres sorgte der größte amerikanische Telekomkonzern MCI Worldcom für ein Beben an den Kapitalmärkten. Die Vorjahresbilanz und das Quartalsergebnis waren mit Luftbuchungen von mehr al 3,5 Milliarden US-Dollar geschönt. Der Konzern musste den Jahresabschluss und den Quartalsabschluss neu erstellen und schon türmten sich Milliardenverluste auf. Die Aktie fiel um 75 Prozent und löste weltweit die nächste Abwärtswelle aus. Panikartig wurden Aktienwerte, insbesondere Aktien aus den Bereichen Telekom, Technologie und Banken, körbeweise auf den Markt geworfen. Das restliche Vertrauen der Anleger war nach der Enron-Pleite nun vollends zerstört. Gegen betrügerische Absichten kann auch eine gutorganisierte Börsenaufsicht wie die SEC in New York nur wenig ausrichten. Nach dem Worldcom-Fall wurden aufsichtsrechtlichen Gesetze um das Sarbanes-Oxley-Act ergänzt. Das neue Gesetz nahm die Konzernlenker stärker in die Verantwortung, was 146
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die Richtigkeit und Vollständigkeit der Bilanzen angeht. So beinhaltete das Gesetz auch die Schaffung einer Überwachungsbehörde für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und sah umfangreiche interne Kontrollen bei der Bilanzerstellung vor. Ebenso wurden die Strafmaße bei Verstößen gegen das Gesetz mit Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren extrem hoch angesetzt. Das Gesetz galt nicht nur für einheimische Unternehmen, sondern für alle Unternehmen, deren Aktien an einer amerikanischen Börse zum Handel zugelassen waren. Die anhaltende Wirtschaftsflaute führte in Deutschland zu einer tiefen Bankenkrise. In den vergangenen Jahren waren die Geldhäuser dem Ruf des schnellen Geldes gefolgt und hatten ihre angestammten Geschäftsfelder vernachlässigt. Nach angelsächsischem Vorbild bauten die deutschen Institute ihre Handelsabteilungen und die Sparte Investment Banking aus. Der Börsenboom Ende der Neunzigerjahre führten dazu, dass diese Bereiche für den Ertrag der Banken an Bedeutung gewannen. Bei Deutscher Bank, Dresdner Bank und Commerzbank machten die Ergebnisbeiträge aus diesen Bereichen über zwei Drittel des Geschäftserfolges aus. Mit Aktienhandel, Neuemissionen und Großfusionen fanden die Institute zu neuem Wachstum. Die Bilanzen und Gewinne explodierten. Das traditionelle Kreditgeschäft und das mit geringen Margen behaftete Privatkundengeschäft verloren an Bedeutung. Um am Markt im Investment Banking bestehen zu können, wurden Teams zu Traumgehältern angeworben. Dann war der Zauber vorüber, die Internetblase platzte, die Börsen krachten und die Bilanzskandale fegten das letzte Vertrauen der Anleger weg. Die Ergebnisse der Banken brachen ein, infolge der konjunkturellen Krise wurden viele Kredite notleidend und mussten wertberichtigt werden. Ebenso waren hohe Abschreibungen auf Beteiligungsportfolios nötig, denn hier tummelten sich noch die Bestände 2002
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an Aktien von Internet- und Neue-Markt-Unternehmen, die zunehmend unverkäuflich wurden. Auch die Aktienpakete, die die großen Banken an den Unternehmen der sogenannten Old Economy hielten, waren infolge der anhaltenden Börsenflaute nur noch die Hälfte wert. Kleinere Bankhäuser wie beispielsweise die Schmidtbank, das Bankhaus Partin oder die Gontard & MetallBank mussten aufgeben. Die großen Institute litten nun darunter, strukturelle Anpassungen im Filialbanksystem immer wieder hinausgezögert zu haben. Nun drohte eine massive Entlassungswelle. Rund 50.000 Arbeitsplätze wurden gestrichen. Die erst ein Jahr zuvor übernommene Dresdner Bank bescherte der neuen Mutter Allianz allein im zweiten Quartal 2002 einen Verlust von rund einer Milliarde Euro. Die Bank musste in dem folgenden Sanierungskonzept rund ein Fünftel der Belegschaft entlassen. Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle, der die Übernahme letztendlich zu verantworten hatte und dessen Ansehen durch das miserable Ergebnis angekratzt war, quittierte seinen Posten und überließ seinem Nachfolger Michael Dieckmann die Aufgabe der Sanierung. Bei der Deutschen Bank hatte im Mai Josef Ackermann das Ruder übernommen, zuvor war er im Vorstand für das Ressort Investment Banking verantwortlich, nun war es seine erste Aufgabe als Vorstandschef, seine Qualitäten als Sanierer unter Beweis zu stellen. Auch die Deutsche Bank hatte mit milliardenschweren Wertberichtigungen zu kämpfen. Selbst Institute, die den Hype Investment Banking nicht mitmachten, wie die HypoVereinsbank, gerieten in Schieflage. Die hohen Kreditausfälle und Wertberichtigungen auf die Beteiligungen führten auch bei der HypoVereinsbank zu Abschreibungen in Milliardenhöhe. Die Krise wurde jedoch erst wirklich offenkundig, als die Zahlungsfähigkeit der Commerzbank AG, immerhin die Nummer drei des deutschen Kreditgewerbes, am Londoner Finanzmarkt in Frage gestellt wurde. Ob 148
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nun unbegründet lanciert oder durch Fakten belegt, der Reputationsschaden war immens. Die Zinsaufschläge für Bankanleihen vervielfachten sich und Nachrangkapital in Form von Genussscheinen wurde mit hohen Kursabschlägen versehen. Genussscheine von Banken waren bis dahin ein beliebtes Anlageinstrument bei den deutschen Privatanlegern. Sie boten eine hohe Verzinsung und gegenüber festverzinslichen Anleihen steuerliche Vorteile. Nun drohten Genussscheine, Eigenkapitalcharakter zugeschrieben zu bekommen und wie solches auch bewertet zu werden. Auch zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung hängt der Osten Deutschlands immer noch am Tropf der Transferleistungen. Rund eine Billion Euro sind in den zwölf Jahren zum Aufbau Ost in die neuen Länder geflossen. Eine selbsttragende Wirtschaft hat sich jedoch nicht entwickelt. Die Wachstumsraten konnten nicht einmal mit den auch schon niedrigen Zahlen der westlichen Bundesländer mithalten. Das Heer der Arbeitslosen wuchs auf über 1,4 Millionen Menschen. Rechnete man noch die Personen dazu, die durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulung vorübergehend aus der Statistik fielen, erhöhte sich die Zahl der Menschen ohne festen Arbeitsplatz signifikant. Die Strukturpolitik der letzten Jahre wurde in Zweifel gestellt. Neuere Konzepte sahen vor, zukünftige Fördergelder nicht mehr flächendeckend einzusetzen, sondern regionale Wachstumszentren zu schaffen. Um diese Wachstumszentren sollte sich ein Speckgürtel bilden, der dann auch in der Fläche wachstumsfördernd wirken sollte. Der Solidarpakt wurde von Bund und Ländern vorsorglich bis 2019 verlängert. Solange würde der Osten zur Angleichung des Lebensstandards an das Westniveau benötigen. Die wirtschaftliche Krise ließ auch die Staatsfinanzen aus dem Ruder laufen. Der Bund musste infolge von Steuerausfällen mit Mindereinnahmen in Milliarden2002
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höhe rechnen. Das Haushaltsdefizit überstieg mit 3,7 Prozent deutlich die Drei-Prozent-Grenze, wie sie im Maastricht-Vertrag formuliert war. Im November mahnte die EU-Kommission die Bundesregierung mit einem Blauen Brief zur Haushaltskonsolidierung. Neben Deutschland wurden auch gegen Italien, Belgien und Griechenland das laut Maastricht-Vertrag vorgesehene Sanktionsverfahren eingeleitet. Die Staaten wurden angehalten, ihre Pläne zur kurzfristigen Absenkung des Defizits und Begrenzung des Schuldenstandes bei der Kommission einzureichen. In Deutschland war Wahljahr, also der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, über Sparmaßnahmen zu diskutieren oder Steuererhöhungen zu proklamieren. Die Regierung hatte noch wenige Wochen vor der Wahl mit einem Stimmungstief zu kämpfen. Der Herausforderer von der CDU/CSU, Edmund Stoiber, lag in den Umfragen weit vor Kanzler Gerhard Schröder. Und der Regierungskoalition fehlten zu diesem Zeitpunkt Konzepte zur Lösung der dringendsten Probleme wie Arbeitslosigkeit, Konjunkturbelebung und Haushaltskonsolidierung. Erst als die sogenannte Jahrhundertflut die Deiche entlang von Elbe und Mulde bersten ließ, konnte die Regierungsmannschaft durch ihr konsequentes und kompetentes Katastrophenmanagement die Wählerherzen zurück erobern. Die Bundeswehr wurde eingesetzt, um die Deiche zu festigen und nach der Flut Aufräumarbeiten zu leisten. Unbürokratische Soforthilfe wurde allen Hochwassergeschädigten in Aussicht gestellt und eine Hilfsaktion, die Gelder für die Opfer sammelte, eingerichtet. Das war der Wahlkampf 2002. Hinzu kam noch die klare Opposition der Bundesregierung gegen die Kriegspläne von US-Präsident Bush, der gegen den Irak ins Feld ziehen wollte. Gemeinsam mit den Regierungen Frankreichs und Russlands entzog die Bundesregierung der USA die bedingungslose Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus, die nach den Terror150
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anschlägen des 11. Septembers 2001 ausgesprochen wurde. Am Ende reichte es zum überraschenden Wahlsieg. Die SPD und die CDU/CSU errangen bei der Bundestagswahl jeweils 38,5 Prozent der Stimmen, Bündnis 90/Die Grünen bekamen 8,6 Prozent der Stimmen und die FDP 7,4 Prozent. Damit verfügte die Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen über die notwendige Mehrheit zur Regierungsbildung und Gerhard Schröder wurde im Amt des Bundeskanzlers bestätigt. Für die Aktienmärkte war 2002 ein Katastrophenjahr. Der DAX verlor 43,8 Prozent, der S&P 500 in den USA 24,3 Prozent und der japanische Nikkei Index büßte 18,6 Prozent ein. Da der Euro sich gegenüber US-Dollar und Yen im Wert verteuerte, addierten sich zu den Kursverlusten der Aktienbörsen auch Währungsverluste. So verloren US-Aktien in Euro gerechnet rund 36 Prozent des Wertes und japanische Dividendentitel reduzierten sich um 23,5 Prozent. Die Deutsche Börse stellte 2002 ihre Indexfamilie um. Im neuen TecDax bildete man die Entwicklung von 30 Aktien aus dem Technologiebereich ab und ersetzte den Nemax50, der wegen der Abschaffung des Segmentes Neuer Markt wegfiel. Die Notenbanken EZB und Federal Reserve behielten ihre expansive Geldpolitik 2002 bei und senkte gegen Jahresende ihre Leitzinssätze jeweils um einen halben Prozentpunkt auf 2,75 Prozent bzw. 1,25 Prozent. Auch die Umlaufrendite in Deutschland reduzierte sich in diesem Jahr von 4,6 auf 4,1 Prozent, so konnte der Rentenmarktindex RexP um 9 Prozent zulegen. Maik ist enttäuscht vom Ergebnis seiner Anlage im Jahr 2002. Er verliert fast 44 Prozent und sein Kontostand reduziert sich von 147,36 Euro auf nur noch 82,61 Euro. Damit übernimmt er die rote Laterne unter unseren Investoren. Peggy erhält in diesem Jahr 5,25 Prozent Zinsen und hat zum Jahresende einen Kontostand von 2002
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122,22 Euro. Sirkos Anleihen haben schon im zweiten Jahr hintereinander als beste Anlageklasse abgeschnitten. So wächst sein Vermögen 2002 um 9 Prozent auf 179,86 Euro. Auch wenn die Aktienmärkte nach dem Absturz günstig erscheinen, nimmt er keine Änderungen bei seiner Anlage vor.
2003 Die Stimmung in der Wirtschaft in Deutschland könnte nicht schlechter sein. Nachdem die Banken 2002 in die Schieflage gerieten, kamen nun die Lebensversicherer unter Druck. Fallende Rendite und das Schmelzen der stillen Reserven infolge der Aktienmarktbaisse und auf der anderen Seite die Auszahlungsverpflichtungen belasteten die Ergebnisse der Versicherungen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) führte bei den Lebensversicherungen einen Stresstest durch. Die Folge war, dass viele Versicherungen ihre Aktienbestände, die ohnehin schon auf ein Minimum zusammengeschrumpft waren, noch weiter reduzieren mussten. Das bedeutete für den Aktienmarkt, dass eine erneute Verkaufswelle ausgelöst wurde und insbesondere der deutsche Aktienmarkt noch einmal tiefrote Kursveränderungen aufwies. Am 12. März verbuchte das deutsche Aktienbarometer DAX mit Werten unter 2.200 Punkten den tiefsten Stand seit 1995. Die Umfrage unter Unternehmen des Ifo-Institutes zur Lage und zum Ausblick der Wirtschaft fiel entsprechend aus. Die Beurteilung der aktuellen Lage war so schlecht wie seit dem letzten Rezessionsjahr 1993 nicht mehr. Auch der Ausblick auf die zukünftige Entwicklung verhieß wenig Hoffnung. Deutschland litt unter den strukturellen Problemen, wie den hohen Lohnnebenkosten und den hohen 152
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Teil 4 – Platzen der Träume
Kosten für das Wohlfahrtssystem. Hinzu kam die hohe Staatsverschuldung, die ebenfalls kaum Spielraum für eine aktive Wirtschaftspolitik zuließ. Die geopolitische Lage um den bevorstehenden Irak-Krieg sorgte ebenfalls für Unsicherheit unter den Unternehmen und auf den Kapitalmärkten. Der März sollte dann aber die entscheidenden Wendepunkte setzen. Am 14. März stellte Kanzler Schröder in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag die umfangreichen Strukturreformen unter dem Titel „Agenda 2010“ vor. Mit dem Ziel, die Attraktivität des Standorts Deutschland zu erhöhen und das deutsche Sozialsystem zukunftssicher zu machen, beinhaltete die Agenda 2010 Reformen des Arbeitsmarktes, des Gesundheitswesens und des Steuerrechts. Am gravierendsten wurden die Maßnahmen der Arbeitsmarktreform in der Öffentlichkeit diskutiert. So sollte die Unterstützung für Arbeitslose von maximal 33 Monate auf 12 Monate beziehungsweise 18 Monate für Erwerbspersonen, die älter sind als 55 Jahre, begrenzt werden. Die anschließende Arbeitslosenhilfe sollte mit der Sozialhilfe zusammengelegt werden und dem niedrigeren Niveau der Sozialhilfe entsprechen. Große Einschnitte waren auch für das Gesundheitssystem vorgesehen, aus denen später die Praxisgebühr als sichtbare Veränderung hervorging. Den Arbeitsmarkt wollte die Regierung mit der Überarbeitung der Handwerksordnung und Flexibilisierung des Kündigungsschutzes wiederbeleben. Rund 4,7 Millionen Menschen waren in Deutschland ohne Arbeit, inklusive Umschulung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen betrug das Heer der Arbeitssuchenden rund 7 Millionen. Den Erwerbstätigen versprach die Regierung, die zweite Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Die Eingangssteuersätze sollten auf 16 Prozent und der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent abgesenkt werden. Im Gegenzug sollten Arbeitnehmerpauschale von 1.044 auf 920 Euro und der Sparerfreibetrag von 1.550 auf 2003
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1.370 Euro gesenkt werden. Die Steuerreform sollte die Steuerzahler um rund 9 Milliarden Euro entlasten. International erntete Schröder für seine Reformbemühungen große Anerkennung, im Inland konnte er jedoch weder das Arbeitgeber- noch das Arbeitnehmerlager für die Reformen begeistern. Die Gewerkschaften kündigten einen heißen Herbst an und forderten insbesondere bei der Arbeitslosenunterstützung Nachbesserung. Auch in den eigenen Reihen wuchs die Kritik am Kanzler, der viele seiner Entscheidungen offensichtlich im Hauruck-Verfahren eigenwillig durchzuboxen schien. Die Reformen konnte die Bundesregierung nicht gegen die Opposition, die im Bundesrat die entscheidende Mehrheit besaß, durchziehen und so folgten Monate, in denen um einem Konsens gerungen wurde. Im November passierten dann die Reformen den Vermittlungsausschuss und Regierung und Opposition konnten für sich verbuchen, Deutschland durch Reformen gestärkt zu haben. Das zweite Ereignis, welches im März einen Wendepunkt markierte, war der Beginn des Irak-Krieges. In der Nacht vom 19. auf den 20. März begann die Offensive der „Koalition der Willigen“ wie US-Präsident Bush die Staatengemeinschaft nannte, die unter der Befehlsführung der US-Armee die Befreiung des irakischen Volkes vornehmen sollte. Der Krieg wurde mit der Kapitulation der irakischen Streitkräfte Ende April für beendet erklärt. Doch erst Monate später wurde der Ex-Diktator Saddam Hussein in seinem Versteck aufgegriffen und unter Arrest genommen. Wie schon beim Irakfeldzug 1990/1991 setzte mit Ausbruch der Kampfhandlungen eine Erholung der internationalen Aktienmärkte ein. Der März markierte den Wendepunkt des seit 2000 andauernden Abwärtstrends an den Aktienbörsen. Der DAX markierte mit den Tiefstständen im März gegenüber dem Jahresanfangsstand noch einen Verlust von mehr als 25 Prozent. Zum Jahres154
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ende beschloss der DAX das Jahr mit einem Plus von 37 Prozent. Auch die US-Börse, gemessen am S&P 500 Index, stieg auf 1.109 Punkte an, ein Gewinn von satten 26 Prozent! Und selbst der Nikkei in Japan beendete das Jahr mit plus 24 Prozent. Auch der Euro konnte sich gegenüber US-Dollar und Yen um rund 20 Prozent verfestigen, was den Gewinn der Auslandsbörsen für den Euro-Anleger allerdings auf einstellige Wachstumsraten schmälerte. Auch im Jahr 2003 verfehlte die Bundesregierung die Maastrichtkriterien. Das Defizit schnellte auf 4 Prozent und die Verschuldungsquote erreichte 63,8 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Der Regierung wurden die Reformbemühungen jedoch positiv ausgelegt und so blieben Sanktionen aus, wie sie der Maastricht-Vertrag vorsah. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte 2003 um 0,2 Prozent und stagnierte nun schon das zweite Jahr in Folge.
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QuotederVerschuldungin%nachMaastrichtkriterien(rechteSkala)
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StaatsverschuldunginMilliardenEuro(linkeSkala)
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Abbildung 19: Staatsverschuldung und Maastrichtkriterium (1999 bis 2003)
Deutschland
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VereinigteStaaten
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Abbildung 20: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, den USA und Japan (2000 bis 2003)
Quelle: Feri Finance AG
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Die Bundesregierung brachte ein Reformprogramm auf den Weg, welches das Wirtschaftswachstum fördern und die Arbeitslosigkeit bekämpfen sollte. Die Unternehmen taten ihr übriges. Bei der Deutschen Telekom schlug der neue Vorstandschef Kai-Uwe Ricke einen Sparkurs ein, um den Konzern von seiner Schuldenlast von über 61 Milliarden Euro zu befreien. Sein Ziel war es, die Schulden binnen Jahresfrist auf 50 Milliarden zu reduzieren. Die Aktienanleger beurteilten den Kurs mit Skepsis, der Wert der Aktie stieg 2003 mit 11,5 Prozent nur unterdurchschnittlich. Bei den Banken war ebenfalls ein erheblicher Sanierungsbedarf festzustellen. Offen wurden Fusionen aller Farben diskutiert. Mal sollte die Commerzbank mit der Hypo-Vereinsbank zusammen gehen, ein anderes Mal war die Deutsche Bank an der Commerzbank interessiert. Bis zum Jahresende blieb es jedoch ruhig und keine der erdachten Lösungen wurde Realität. Dennoch gab es Rationalisierungsbemühungen und so verabredeten die Deutsche Bank und die Dresdner Bank beispielsweise, ihren Zahlungsverkehr zukünftig über die Systeme der Postbank abzuwickeln. Auch bei der Abwicklung der Wertpapiergeschäfte taten sich Banken zusammen, um die Prozesse zu rationalisieren. Eine grundlegende Restrukturierung vollzog die HypoVereinsbank. Sie gliederte ihr gewerbliches Immobiliengeschäft in die neue Hypo Real Estate (HRE) aus. Rund 90 Milliarden Kreditvolumen, welches die Konzernbilanz belastete, wurde so verlagert. Im Oktober wurde die Hypo Real Estate an der Börse platziert. Für vier HypoVereinsbank Aktien erhielt der Altaktionär eine Aktie der HRE. Die erste Notiz des neuen Unternehmens erfolgte am 6. Oktober 2003 zu 11,25 Euro. Zwar übernahm die HypoVereinsbank noch Garantien für das ausgegliederte Kreditportfolio, jedoch war die Bilanz von der milliardenschweren Kreditlast befreit. 158
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An den Kapitalmärkten explodierten die Aktienkurse. Von unseren Investoren profitierte nur Maik davon, allerdings hatte er auch in den Jahren zuvor als einziger die Baisse in der vollen Kraft zu spüren bekommen. Seine Aktien legen um 37 Prozent zu und sein Kontostand wächst auf 113,24 Euro. Damit belegt er zwar immer noch den letzten Platz, doch hat sich der Abstand zu Peggy erheblich verringert. Sie verfügt zum Jahresende über ein Guthaben von 128,91 Euro. Sirko verdient in der Jahresabrechnung mit 4,1 Prozent weniger als Peggy und Maik. Das macht ihm jedoch nichts aus, er führt die Investorenliste bei einem Vermögen von 187,21 Euro mit komfortablem Vorsprung an. Die Aktienmärkte haben die Wende vollzogen und so schichtet Sirko sein Vermögen wieder in Deutsche Aktien um.
In der Weihnachtszeit hatte Italiens Wirtschaft noch ihren Bilanzskandal. Der weltweit größte Milchkonzern Parmalat stellte sich unter Gläubigerschutz, nachdem die jahrelangen Bilanzmanipulationen bekannt wurden. Weit verschachtelt über Auslandstöchter und Finanzierungsgesellschaften hatte der Konzern systematisch die tatsächliche finanzielle Situation verschleiert. Erst als die Bank of America bekannt gab, dass ein in der Bilanz der Tochtergesellschaft Bonlat geführtes Guthabenkonto mit einem Bestand von vier Milliarden Euro gar nicht existierte, flog der Schwindel auf. Auch waren Positionen mit eigenen Anleihen von rund drei Milliarden Euro nur eine Luftbuchung. Kurz zuvor musste der Firmengründer und Vorstandschef Calisto Tanzi auf Druck der Banken seinen Posten räumen. Der neue Chef Enrico Bondi sollte das Unternehmen eigentlich sanieren. Doch in Anbetracht der aufgedeckten desolaten Situation des Konzerns mit einem Schuldenberg von mehr als zehn Milliarden Euro blieb ihm nur der Gang in die Insolvenz. Die Aktien des Unternehmens waren quasi wertlos 2003
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und wurden 2004 vom Handel an der Börse genommen. Tanzi wurde wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und wegen Betruges verhaftet und später zu zehn Jahren Haft verurteilt.
2004 Der amerikanische Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer sorgte durch seine Enthüllungen um die Geschäftspraktiken von Fondsgesellschaften für die bisher höchste Vergleichszahlung in der Finanzbranche. Die Fondsgesellschaften der Bank of America und der Fleet Boston mussten zusammen rund 515 Millionen US-Dollar an geschädigte Anleger zahlen. Spitzer hatte aufgedeckt, dass die Fondsgesellschaften mit Großinvestoren und Hedgefonds unzulässige Absprachen getroffen hatten, dass diese bei größeren Kursbewegungen an der Börse kurzfristig Fondsanteile kaufen bzw. verkaufen konnten. Diese Geschäfte waren unter den Begriffen Market Timing oder Late Trading bekannt. Da die Fondspreise in der Regel erst nach Börsenschluss errechnet wurden, konnten die Großinvestoren die Marktbewegung nachvollziehen und völlig risikolos Gewinne verbuchen. Wenn beispielsweise der Aktienmarkt an einem Tag stark stieg, kauften die Investoren an diesem Tag die Fondsanteile zum Tagespreis, der auf Basis der Kurse vom Vortag berechnet wurde. Am nächsten Tag verkauften sie die Anteile wieder zum dann gültigen Tagespreis, welcher die Kurssteigerungen des Vortages widerspiegelte. Umgekehrt ging es genauso. Da die Investoren mit hohen Summen dieses Geschäft durchzogen, ging das Abschöpfen der Kursdifferenzen immer zu Lasten der bestehenden Anleger. Die Kursentwicklung des Fonds wurde so verwässert und letztlich hatten die Kleinanleger im Fonds den 160
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Nachteil zu tragen. Spitzer deckte in der Folge eine Reihe weiterer Fondsgesellschaften auf, die so ihre Stammanleger systematisch schröpften. Auch hierzulande war dieses Vorgehen zu beobachten. Als Folge wurden die Fondsgesellschaften verpflichtet, das sogenannte Forward Pricing umzusetzen. Fondskäufe oder -verkäufe wurden fortan mit mindestens einem Tag Verzögerung nach Auftragserteilung abgerechnet. Damit war gewährleistet, dass die Marktbewegung, die der Kauf- oder Verkaufsentscheidung zugrunde lag, im Abrechnungspreis des Fonds enthalten war. Im März 2004 sorgten die Terroranschläge von Madrid für Turbulenzen an den Aktienmärkten. Der DAX verlor in den Tagen nach den Bombenanschlägen auf die Vorortzüge mehr als 10 Prozent. In den Morgenstunden, als zehntausende Pendler in die Stadt strömten, detonierten mehrere Bomben in den vollbesetzten Zügen und mehr als 190 Menschen wurden getötet. Die Erinnerung an die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 und den dann folgenden Abschwung an den Börsen, veranlasste die Aktienanleger, ihre Positionen kurzfristig abzubauen. Die Kurse konnten sich jedoch schnell erholen, allerdings mehrten sich Befürchtungen, dass die US-Notenbank nach vier Jahren erstmalig wieder den Leitzins anheben könnte, was die Wirtschaft, die mittlerweile gute Wachstumsraten aufzeigte, bremsen könnte. Das raubte den Aktienkursen die Phantasie auf weitere Kurssteigerungen. Noch viel stärker als an den Börsen der führenden Industrienationen, sorgten sich die Anleger in Asien über ein abruptes Bremsmanöver der chinesischen Führung. Chinas Wirtschaft wuchs bereits seit 2002 mit jährlichen Wachstumsraten von mehr als neun Prozent. Die Regierung befürchtete die Überhitzung der Wirtschaft und fror viele öffentliche Investitionsprojekte ein. Man erhoffte sich ein kontrolliertes Abbremsen des Wirtschaftswachstums und damit 2004
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auch gemäßigte Inflationsdaten. Die Aktienbörsen reagierten insbesondere in Asien mit starken Kursrückgängen. Der Hangseng-Index in Hong Kong verlor von März bis Mitte Mai mehr als 20 Prozent. Gerade die asiatischen Nationen befürchteten, dass ihre Exporte ins Reich des Drachen infolge der drastischen Maßnahmen von Chinas Planungsbehörde zusammenbrechen könnte. Die Bremsmanöver zeigten jedoch nur wenig Einfluss auf die Wirtschaftsleistung und China wuchs auch 2004 um mehr als neun Prozent. An den Aktienmärkten der asiatischen Schwellenländer setzte von Mai eine Rallye mit hohen zweistelligen Zuwachsraten an. Einzig die chinesische Börse fristete ein Schattendasein. Sie vermochte wegen der starken Reglementierung noch nicht die wirtschaftliche Stärke Chinas abzubilden. Der heimische Aktienmarkt war in unterschiedliche Segmente aufgeteilt. Für ausländische Investoren blieb der chinesische Aktienmarkt lange Zeit verschlossen. Nur Inländer konnten die A-Shares kaufen. Sie wurden in der chinesischen Währung Yuan gehandelt. Für Ausländer waren die B-Shares vorgesehen, die in US-Dollar notierten. Der Handel in diesen Papieren war jedoch sehr gering. Für das ausländische Kapital waren die sogenannten H-Shares interessanter. Das waren Aktien von chinesischen Firmen, die ihren Sitz in China hatten und deren Aktien an der Hong Kong Stock Exchange gehandelt wurden. Chinesen hatten wiederum keinen Zugang zu diesen Aktien. Dann gab es noch die Redchips, das waren die Aktien, von chinesischen Firmen, die ihren Sitz in Hong Kong und dort auch ihre Aktien an der Börse zum Handel zugelassen hatten. Die China-Story wurde zunächst also nur über die in Hong Kong notierten Werte gespielt. Insgesamt war die Zeit nach der Jahrtausendwende vom Erwachen der Schwellenländer geprägt (die im Englischen „Emerging Markets“ genannt werden). Brasilien schien die Krise überwunden zu haben und wuchs 2004 mit über fünf Pro162
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zent, Russland legte ebenfalls über sieben Prozent zu und Indiens Wirtschaft wuchs mit über acht Prozent. Der unbändige Rohstoffhunger Chinas sorgte für steigende Preise für Öl, Kupfer, Stahl und Co. Davon profitierten gerade die Rohstoffexporteure Russland und Brasilien. Indiens Wirtschaft profitierte von der Dienstleistungswirtschaft. Softwareentwicklung und Call Center wurden wegen der geringen Lohnkosten und des guten Ausbildungsniveaus vorzugsweise von westlichen Firmen nach Indien verlegt. Das Riesenreich am Ganges profitierte von der britischen Kolonialzeit. Das Bildungsniveau war ausgesprochen hoch und nahezu jeder beherrschte die englische Sprache. Goldman Sachs veröffentlichte eine vielbeachtete Studie über die wirtschaftliche Bedeutung dieser Staaten, projeziert auf die nächsten Jahrzehnte und kam zu dem Schluss, dass sich die Weltwirtschaft grundlegend verändern würde. Die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) würden innerhalb der nächsten 40 Jahre die westlichen Industrienationen von ihrer weltwirtschaftlichen Vormachtstellung verdrängen.
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Quelle: Feri Finance AG
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Abbildung 21: Jährliches Wachstum (in Prozent) des Bruttoinlandsproduktes in den BRIC-Staaten (2000 bis 2004)
In Europa wurden am 1. Mai in einem feierlichen Akt Estland, Lettland und Litauen, Polen, Tschechien und die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta als neue Mitglieder der Europäischen Union aufgenommen. Damit wurden knapp 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erstmalig Staaten des ehemaligen Ostblockes in das Bündnis aufgenommenen. Einerseits gab es viele Stimmen, die die Integration der Ostblockländer als verfrüht ansahen, da der politische Einigungsprozess und die Harmonisierung der Wirtschaftsräume der alten Mitgliedstaaten noch in der Entwicklungsstufe war. Insbesondere fürchteten die bisherigen Empfängerländer, ihren Staus zu verlieren und ihre Wirtschaft vom Wachstumspfad zu entkoppeln. Ebenso bestand die Sorge, dass der Arbeitsmarkt von den neuen Mitgliedern überschwemmt werden würde und ein Lohndumping westliche Arbeitnehmer in Bedrängnis bringen würde. Dem wurde vorgebeugt, indem die Mitgliedschaft mit entsprechenden Einschränkungen beziehungsweise mit Übergangsfristen belegt war. Insbesondere war die Arbeitnehmerfreizügigkeit, nach der jeder Bürger innerhalb der Europäischen Union seinen Arbeitsstandort frei wählen konnte, für die Neumitglieder, ausgenommen für Zypern und Malta, suspendiert. Wirtschaftlich gesehen machte die Erweiterung durchaus Sinn, denn längst waren Unternehmen aus dem Westen durch Kooperationen oder Standortverlagerung in den neuen Ländern aktiv geworden. Letztlich folgte die Politik den durch die wirtschaftliche Verflechtung geschaffenen Fakten und konnte so zumindest regulierend aktiv werden. Weiter sollte durch die Osterweiterung in den Beitrittsländern aufgrund ihres wirtschaftlichen Aufholprozesses eine Sonderkonjunktur entstehen, von der insbesondere die EU-Mitgliedstaaten durch verstärkten Handel mit den Neumitgliedern profitierten sollten. Durch die Erweiterung wuchs die Bevölkerung der EU um 75 Millionen auf 2004
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über 375 Millionen Menschen. Das Sozialprodukt stieg jedoch nur um fünf Prozent, das machte das wirtschaftliche Potenzial aus, welches die Angleichung des wirtschaftlichen Gefälles bewirken sollte. Am 23. Mai wurde Horst Köhler zum Bundespräsidenten gewählt. Horst Köhler war zuvor als Direktor an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) tätig. Auch im Einigungsprozess der EU und bei der Verhandlung über die Verträge von Maastricht war er einer der engsten Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Ihm wurde Kompetenz in der Außenpolitik und internationalen Wirtschaftsfragen zugesprochen. In der Bevölkerung war er zu diesem Zeitpunkt eher unbekannt und nach der Wahl zum Bundespräsidenten titelten einige Zeitschriften „Wer ist Horst Köhler?“ In Deutschland trugen die Restrukturierungsmaßnahmen der Konzerne und Unternehmen erste Früchte. Die Gewinne der 30 DAX-Unternehmen stiegen um durchschnittlich 60 Prozent. Auch die immer noch unter der Absatzschwäche leidende deutsche Automobilindustrie machte Fortschritte. Der Durchbruch kam insbesondere bei den Tarifverhandlungen im VW-Konzern zur Schau. Der Konzern, dessen Aktien zu 20 Prozent beim Land Niedersachsen lagen, war in der Vergangenheit oftmals politischer Spielball. Das Land setzte zusammen mit den Arbeitnehmervertretern gern eine aktive Beschäftigungspolitik bei VW durch. Insbesondere der ausgehandelte Haustarifvertrag sorgte dafür, dass die Lohnkosten bei VW rund 10 Prozent über dem Branchendurchschnitt und sogar über 20 Prozent über dem gültigen Flächentarifvertrag lagen. Die Gewerkschaften verhandelten meist zunächst bei VW den Haustarifvertrag, um dann gestärkt und mit hoher Erwartungshaltung für die Branche zu verhandeln. In den vorangegangenen Krisen schwand jedoch die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften und in der Brei166
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te konnten die Abschlüsse des Haustarifvertrages nicht umgesetzt werden. So hat sich der Lohnkostennachteil von VW von Tarifvertrag zu Tarifvertrag nach oben geschaukelt. In den nun anstehenden Verhandlungen mussten die Gewerkschaften radikale Einschnitte hinnehmen, da ansonsten VW massenweise Arbeitsplätze ins Ausland verlagert hätte. Anfang der Neunzigerjahre hatte der Konzern durch die Einführung der 35-Stunden-Woche bei gleichzeitigem 15-prozentigen Lohnverzicht Arbeitsplätze sichern und die Lohnkosten im gewünschten Umfang senken konnte. Später entwickelte VW das 5.000 x 5.000 Modell. Für die Fertigung des VW Turan in Deutschland wurde eine Beschäftigungsgesellschaft gegründet, die „Auto 5.000 GmbH“. Damals wurden 5.000 Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitnehmer erhielten 5.000 DM Gehalt für eine Wochenarbeitszeit von bis zu 42 Stunden. Nun konnten die Verhandlungsführer von VW den Haustarifvertrag weitgehend aufweichen. Am Vorbild der Auto 5.000 GmbH sollte sich die Entlohnung aller zukünftigen Arbeitnehmer am Lohnniveau der Flächentarifverträge orientieren, die 35-Stunden-Woche wurde zunächst aufrecht erhalten. Gleichzeitig vereinbarten die Parteien eine Einmalzahlung von 1.000 Euro für jeden Mitarbeiter, allerdings wurde die jährliche Prämie von 1.500 Euro einmalig gestrichen. So konnte VW die Lohnkosten für die nächsten Jahre um rund eine Milliarde Euro senken. Im Gegenzug sprach der Konzern eine Beschäftigungsgarantie bis 2011 für die bestehenden Arbeitsplätze aus. Allerdings konnte diese Klausel für den Fall von verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt werden. Der Tarifvertrag wurde branchenweit als Durchbruch bezeichnet und VW konnte sich gegenüber der Allianz von Mehrheitsaktionär und Gewerkschaft behaupten. Jürgen Schrempp, der Vorstandvorsitzende der DaimlerChrysler AG verkündete 2004 den Ausstieg aus der Beteiligung 2004
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am japanischen Autobauer Mitsubishi Motors. Erst 2000 hatte DaimlerChrysler mit 2,5 Milliarden Euro bei dem Japaner einen 37,5-prozentigen Anteil erworben. Schrempp verfolgte mit dem Erwerb die Strategie einer „Welt AG“, die auf allen Kontinenten mit guten Marken vertreten war. Insbesondere war der asiatische Wachstumsmarkt für den Stuttgarter Autobauer interessant. Da Mercedes als Marke in der Boomregion nicht allein das Wachstum nachvollziehen konnte, sollte mit der Mitsubishi-Beteiligung und deren Produktpalette der Absatzmarkt erschlossen werden. Jedoch produzierte die Marke Mitsubishi seit der Beteiligung nur Verluste und Jahr für Jahr war die Mutter gefordert, Milliardenbeträge nach Fernost zu überweisen. Die neuerliche Sanierung von Mitsubishi Motors hätte noch einmal einen mittleren Milliardenbetrag verschlungen. Die Beteiligung gefährdete die Bonität der Konzernmutter und so wurde abgewogen, ob die Sanierung durchgeführt oder die Beteiligung abgestoßen werden sollte. Zweites wurde verabschiedet. Damit brach der Traum von der „Welt AG“ zusammen. Auch Chrysler befand sich in der Sanierungsphase und hatte auf die Allianz mit Mitsubishi bei der Entwicklung neuer Modelle gesetzt. Nur durch die gemeinsame Produktentwicklung konnten Synergien gehoben und Kosten gesenkt werden. Damit war die Auflösung der Beteiligung gerade für Chrysler problematisch. Gemäß Fusionsvertrag konnte Chrysler nicht auf die Entwicklungen von Mercedes zurückgreifen, sondern nun wieder auf sich allein gestellt Entwicklung und Forschung betreiben. Bei den Präsidentschaftswahlen in Russland setzte sich Präsident Putin mit 72 Prozent der Stimmen gegen die Herausforderer durch. Seit Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, ging es mit der russischen Wirtschaft wieder bergauf. Ob nun seine Politik oder die gestiegenen Rohstoffpreise dafür verantwortlich waren, bleibt zu klären. Tatsächlich war Putin bei der Bevölke168
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rung extrem populär und es schien, als führe die gemäßigtere Version der Markwirtschaft, durch Putin verkörpert, zu mehr Wohlstand in der Breite der Bevölkerung. International hatte Putins Ansehen Schaden genommen, als der Oligarch Michail Chodorkowski wegen Steuerhinterziehung, Korruption und Betrug verhaftet und letztlich enteignet wurde. Es wurde offen darüber diskutiert, dass Chodorkowski, mittlerweile gewandelt vom Raubtierkapitalisten zum gemäßigtem Konzernlenker nach westlichem Vorbild, ein vollkommen anderes Demokratieverständnis als der Präsident hatte. Putin ließ sich von den Oligarchen nicht als Marionette führen und mit der Verhaftung Chodorkowski ging eine eindeutige Warnung an die Oligarchen-Riege raus, die politische Führung doch dem Kreml-Regenten zu überlassen. Trotz der internationalen Proteste verteidigte Putin das Vorgehen der Regierung und Staatsorgane im Fall Chordorkowski. Putin stand für die gelenkte Demokratie, wie er seinen Stil beschrieb, und vielleicht war es tatsächlich die richtige Art, den Flächenstaat zu führen. Wie schon erwähnt, der Bevölkerung gefiel es und die Wirtschaftsleistung des Landes befand sich schon im vierten Jahr des Aufschwungs. Auch die Staatsfinanzen entwickelten sich positiv. Nach dem Quasibankrott 1998 entwickelte sich Russland unter Putin von einem Nettoschuldnerland zum Nettogläubigerland. Und dank der Rohstoffexporte stiegen die Devisenreserven sprunghaft an. Auf der anderen Seite des Pazifiks setzte sich bei den US-Präsidentschaftswahlen Amtsinhaber George W. Bush gegen John Kerry durch und trat seine zweite Amtszeit an. Der deutsche Aktienmarkt legte im Jahr 2004 um 7,3 Prozent zu und stieg von 3.965 auf 4.256 Punkte. Die japanische Börse stieg um 7,6 Prozent ähnlich stark wie die deutschen Aktienwerte, die US-Börse konnte gemessen am S&P 500 Index sogar um knapp 9,4 Prozent zulegen. Gegenüber dem Euro verteuerte 2004
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sich die japanische Währung Yen um gut 2 Prozent, während der US-Dollar gegen den Euro rund 9 Prozent abwertete. So wären für den international ausgerichteten Euro-Investor japanische Aktien währungsbereinigt um mehr als 9 Prozent gestiegen, wohingegen die US-Aktiengewinne durch Währungsverluste nahezu voll aufgezehrt wurden. Die Renditen für Bundesanleihen fielen gemessen an der Umlaufrendite von 4 Prozent zu Jahresbeginn auf 3,3 Prozent im Dezember 2004. Der Rentenmarktindex konnte 2004 dann auch um 6,7 Prozent von 284,7 auf 303,8 Punkte zulegen. Insgesamt war 2004 ein freundliches Jahr für die Kapitalanleger. Seit 15 Jahren machen Peggy, Maik und Sirko ihre Erfahrungen an den Kapitalmärkten. Zeit für eine Zwischenbilanz. Doch zunächst können sich Sirko und Maik als Jahressieger freuen. Ihre Investition in deutsche Aktien ist um 7,3 Prozent gestiegen. Maiks Kontostand steigt auf 121,55 Euro und Sirko knackt die 200 Euro-Grenze. Sein Guthaben vermehrt sich auf 200,94 Euro. Damit führt er immer noch die Gesamtwertung an. Peggy erhält im Jahr 2004 noch 5,5 Prozent Zinsen, ihr Kontostand erhöht sich auf 136,00 Euro. Im Februar des nächsten Jahres läuft die Zinsbindung aus, dann wird sie zu erheblich niedrigeren Zinsen ihr Kapital investieren müssen. Die guten Zinsjahre scheinen vorüber zu gehen. In den letzten fünf Jahren haben die drei Investoren folgende Durchschnittsrenditen erzielen können: Peggy erzielte mit Bundesschatzbriefen eine durchschnittliche Rendite von 5,18 Prozent pro Jahr. Während der ersten zehn Jahre betrug die jährliche Rendite noch 7,53 Prozent. Für den gesamten Zeitraum von 1990 bis 2004 betrug Peggys Rendite 6,74 Prozent pro Jahr. 170
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Maik verlor mit deutschen Aktien in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 9,36 Prozent pro Jahr und in der Gesamtrechnung legten deutsche Aktien um durchschnittlich knapp 6 Prozent zu, also weniger als Peggys Bundesschatzbriefe. Sirko hat durch seinen flexiblen Anlagestil zwar große Verlustperioden am Aktienmarkt vermeiden können, doch auch sein Vermögen weist für die letzten fünf Jahre einen durchschnittlichen Verlust von 2,3 Prozent auf. Dank der guten ersten zehn Jahre liegt seine erzielte Rendite für die 15 Jahre bei 9,55 Prozent. Er führt für den Gesamtzeitraum vor Peggy und Maik. Die letzte Periode seit 1999 konnte jedoch nur Peggy positiv abschließen, da führt sie die Rangliste mit großem Vorsprung an. Fürs neue Jahr entscheidet sich Sirko für japanische Aktien. Sie könnten von dem Boom in Asien mehr als andere Industrienationen profitieren.
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen (2005 bis 2009)
2005 Mit Beginn des Jahres trat die nächste Stufe der Arbeitsmarktreform, besser bekannt als Hartz IV, in Kraft. Benannt nach Peter Hartz, dem damaligen Personalvorstand der Volkswagen AG und Mitglied der von der Bundesregierung 2002 eingesetzten Kommission für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt, sollte die Reform Strategien erarbeiten, wie die Arbeitsmarktpolitik effizienter zu gestalten wäre. Insbesondere sollte die Arbeit der Arbeitsämter effizienter und die Arbeitslosigkeit reduziert werden. Die vierte Stufe beinhaltete die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe auf die Sätze der niedrigeren Leistungen aus der Sozialhilfe. Arbeitslose sollten ermuntert werden, durch die Leistungskürzung mehr Eigeninitiative bei der Arbeitssuche zu entwickeln. Gleichzeitig sollten die Kosten für die Sozialkassen reduziert werden. Die Einführung von Hartz IV war auch Bestandteil der von Bundeskanzler Schröder propagierten Reform-Agenda 2010. Die Einführung von Hartz IV löste Massenproteste seitens der Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände aus. Die vor der Wiedervereinigung 1989 stattgefundenen Montagsdemonstrationen von Leipzig bis Berlin wurden wiederbelebt, empfanden doch insbesondere die Bürger der neuen Bundesländer Hartz IV als Sozialraubbau. Die Stim2005
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mung im Lande war bis aufs Äußerste gereizt. Dennoch musste die Regierung in irgendeiner Form handeln.
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Abbildung 22: Arbeitslosenquote in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen (Januar 2000 bis Januar 2005)
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
Das Heer der Arbeitslosen überstieg im Januar erstmals die Grenze von 5 Millionen Menschen. Insgesamt lag die Arbeitslosenrate bei 12,7 Prozent, in den östlichen Bundesländern überstieg sie sogar die 20-Prozent-Marke. Das bedeutete, dass in den neuen Bundesländern jeder fünfte Erwerbsfähige ohne Job war. Schröder hatte sich bei seiner Wiederwahl 2002 noch an seinem Wort messen lassen wollen, als er angesichts von vier Millionen Arbeitslosen die Halbierung zum Ziel seiner zweiten Amtszeit erkoren hatte. Nun schien eher die Zahl von 6 Millionen realistischer als die von 2 Millionen. Die Regierungsparteien verloren die anstehenden Landtagswahlen der Reihe nach und als auch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen, eigentlich eine SPD-Hochburg, im Mai verloren ging und der innerparteiliche Druck immer größer wurde, sprach sich die SPD-Führung für Neuwahlen zum Deutschen Bundestag noch im Jahr 2005 aus. Schröder bemerkte in seiner Rede dazu, dass sich Deutschland in einem tiefen Veränderungsprozess befände und sich auf die Erfordernisse des 21. Jahrhundert einrichten müsse. Deshalb bedürfe es tiefgreifender Reformen, wie er sie in der Agenda 2010 angekündigt hatte, um die Sozialsysteme zukunftsfähig zu machen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der globalisierten Welt zu stärken. Durch die Neuwahl stellte Schröder sein Programm auf den Prüfstand. Das Wählervotum sollte seinen Reformkurs bestätigen. Der Termin für die vorgezogenen Neuwahlen wurde von Bundespräsident Horst Köhler auf den 18. September 2005 angesetzt. Mit der Jahreswende 2004/2005 wurde für die Nutzung deutscher Autobahnen die Lkw-Maut eingeführt. Mit einer Verzögerung von mehr als einem Jahr wurde das satellitengestützte Lkw-Mautsystem in Betrieb genommen. Das Konsortium, zu dem mehrheitlich die DailmerChrysler AG und die Deutsche Telekom AG mit je 45 Prozent Anteil gehörten, firmierte 2005
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unter dem Namen Toll Collect. Die Toll Collect sollte das MautSystem aufbauen und betreiben sowie die Maut einziehen und an den Staat abführen. Das satellitengestützte System entwikkelte sich zu einem Prestigeprojekt deutscher Technologieleistung. Der ursprüngliche Start des Systems war bereits viel früher vorgesehen, doch zahlreiche technische Pannen sorgten für die Verzögerung. Das Toll Collect System war das weltweit erste satellitengestützte System seiner Art. Mittels GPS-Technologie werden Lkw geortet und auf ihrem Weg über die Bundesautobahnen verfolgt. Die Abrechnung der Maut erfolgt danach vollautomatisch. Dazu müssen die Lkw mit einer sogenannten On Bord Unit (OBU) ausgestattet sein. Wahlweise können jedoch auch die Streckenbuchung und Bezahlung per Internet oder an einem zumeist an Raststätten aufgestellten Terminals erfolgen. Zur Überprüfung werden die Lkw von an den Autobahnen installierten Kontrollpunkten fotografiert und die Daten mit denen des Zentralrechners abgeglichen. Rund drei Milliarden Euro flossen 2005 aus den Maut-Einnahmen in den Bundeshaushalt. Das Betreiberkonsortium erhoffte sich nach der erfolgreichen Inbetriebnahme, das System auch in andere Länder zu exportieren. Im Frühjahr schockte Alan Greenspan, der amerikanische Notenbankchef, die Märkte mit seiner Warnung einer konjunkturellen Schwäche infolge steigender Inflationszahlen. Das Problem war weniger, dass die Wirtschaft nach einer bereits drei Jahre andauernden Wachstumsphase Spuren einer nachlassenden Dynamik aufwies. Vielmehr musste sich der Notenbank-Chef, bevor sich die Konjunktur abschwächen würde, den notwendigen zinspolitischen Handlungsspielraum schaffen. Lange hatte Greenspan den Leitzinssatz, die Federal-FundsRate, auf dem historisch niedrigen Stand von einem Prozent belassen. Für die Geldwirtschaft bedeutete dies eine negative 176
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
Realverzinsung, der Zinssatz lag unterhalb der Inflationsrate, und einen extremen Stimulus für die Wirtschaft. Das Wachstum setzte ein, die Zinsen blieben jedoch auf dem niedrigen Stand. Nun mehrten sich die Sorgen um eine ansteigende Inflation infolge der hohen Rohstoffkosten. Der Preis für ein Barrel Öl, 159 Liter, war erstmalig über 50 US-Dollar gestiegen und die US-Verbraucher, die wichtigste Säule der US-Konjunktur, begannen, ihr Konsumverhalten zu ändern. So war Greenspan in der Zwickmühle: Im Falle, dass die Konjunktur tatsächlich die Dynamik verlieren würde, hätte die US-Notenbank wegen der niedrigen Zinsen keinen Spielraum, durch weitere Zinssenkungen die Konjunktur zu beleben. Also blieb Greenspan nur die Möglichkeit, den Notenbankzins anzuheben. Um die Wirtschaft nicht zusätzlich durch die restriktivere Geldpolitik abzuwürgen, hob Greenspan während des Jahres 2005 die Federal-Funds-Rate kontinuierlich in acht Schritten von 2,25 auf 4,25 Prozent an. Die veränderte Geldpolitik führte auch zu einer Aufwertung der Währung, des US-Dollars. Kostete zu Jahresbeginn ein Euro noch 1,36 US-Dollar, so reduzierte sich der Wert des Euro gegenüber der US-Währung zum Jahresende auf 1,18 US-Dollar je Euro. Der gestiegene US-Dollar sorgte nun in den Entwicklungsländern, die immer noch einen Großteil ihrer Anleihen in US-Dollar emittierten, für höhere Refinanzierungskosten und belastete die Haushalte. Kurzzeitig korrigierten die Aktienkurse an den Weltmärkten im April infolge der Konjunktursorgen um bis zu 10 Prozent. Das war jedoch die einzige Delle, welche die Aktienmärkte 2005 zu verkraften hatten. Nach dem Ausstieg bei Mitsubishi Motors war die Vision von Konzern-Lenker Jürgen Schrempp verschwommen. Er selbst geriet wegen der Milliarden, die das Engagement beim japanischen Autobauer gekostet hatte, in die Kritik. So zog er die Konsequenzen und trat von seinem Posten als Vorstandsvorsitzen2005
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der der DaimlerChrysler AG zurück. Sein Nachfolger wurde der bisherige Mercedes-Chef Dieter Zetsche. Während DaimlerChrysler seine Beteiligungen kritisch auf den Prüfstand stellte, setzte ein anderer Autobauer eine Aufsehen erregende Kapitalbeteiligung um. Der Sportwagenhersteller Porsche stockte seine Beteiligung an der Volkswagen AG auf rund 20 Prozent auf. Aufsehen erregend war die Nachricht deshalb, weil Porsche der kleinere Partner bei diesem Geschäft war. Für Volkswagen war das Porsche-Engagement sehr willkommen, denn die Sorge war groß, dass sich ausländische Investorengruppen wegen der geringen Marktkapitalisierung von VW in das Unternehmen einkaufen könnten und im schlimmsten Fall eine Zerschlagung des Konzerns erwirken würden. An der Börse wurde die Volkswagen AG gerade mal mit rund 20 Milliarden Euro bewertet. Eine Zerschlagung und Verkauf der Einzelunternehmen, wie beispielsweise Audi, Skoda und die anderen Automarken, hätte ein Vielfaches des Kapitaleinsatzes gebracht. Mit dem Land Niedersachsen, welches knapp 20 Prozent der VW Aktien hielt, und der 20-prozentigen PorscheBeteiligung verfügte VW über eine sichere Aktionärsstruktur und fühlte sich vor feindlichen Übernahmen geschützt. Auch für Porsche war die Beteiligung durchaus sinnvoll. Traditionell sind beide Unternehmen eng verbunden. Nicht nur war Ferdinand Porsche der Entwickler des VW-Käfers, sondern in vielen Gemeinschaftsentwicklungen, wie zuletzt dem Porsche Cayenne und dem VW Tuareg, die beide auf der von Porsche entwickelten Plattform basierten und deren Karossen im VW-Werk in Bratislava zusammengeschweißt und lackiert wurden, dokumentierten die beiden Unternehmen ihre Nähe zueinander. Und schließlich saß mit Ferdinand Piëch der Vertreter eines Familienzweiges der Porscheinhaber im Aufsichtsrat von VW und be-
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
kleidete lange Jahre den Posten des Vorstandschefs beim Wolfsburger Unternehmen. Am japanischen Aktienmarkt wurde 2005 ein Kursfeuerwerk gezündet. Die Dividendenpapiere schossen um über 40 Prozent in die Höhe. Das war der höchste Kursanstieg seit 1986. Der Grund für die Kursbewegung war eng mit den Erfolgen der Strukturreformen verbunden, die Ministerpräsident Junichiro Koizumi verantwortete. Unter seiner Führung wurde das japanische Finanzsystem von den faulen Krediten befreit und wiederbelebt. Das war der Schlüssel für das Überwinden der tiefen Wirtschaftskrise, die von Deflation und Stagnation geprägt wurde. Erstmalig erreichte Japan ein Wachstum, welches von der Belebung der Inlandsnachfrage und nicht durch den Export und Staatsausgaben getragen wurde. Das Investitionsklima in Japan verbesserte sich zusehends. Viele große Konzerne, wie Canon oder Matsushita (Panasonic), investierten wieder im Heimatland und bauten Produktionsstätten auf. Insbesondere wollten die Technologiekonzerne sicherstellen, dass ihr geistiges Eigentum in den Schlüsseltechnologien im eigenen Land blieb. Aber auch die Kapitalinvestoren sorgten für die Kursanstiege an Japans Börse. So waren indexorientierte Investoren in den vergangenen Jahren stets unterinvestiert und da die japanischen Aktienwerte in der Regel geringere Wertzuwächse aufwiesen als die Aktien der anderen Hauptbörsen in Europa und den USA, konnten sie so einen Mehrertrag erzielen. Als sich jedoch 2005 die japanischen Aktienwerte besser als der Rest der Welt zu entwickeln begannen, sprangen viele Investoren auf den fahrenden Zug auf und verstärkten den Trend zusätzlich. Junichiro Koizumi setzte in der zweiten Jahreshälfte Neuwahlen an, bei denen er im Amt bestätigt wurde und eine große Zustimmung für die Fortsetzung seines Reformkurses erhielt.
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So ähnlich musste sich auch Gerhard Schröder seine Zukunft in Deutschland vorgestellt haben. Er brachte das größte Reformprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg und scheute dabei nicht, auch die sensiblen Themen wie das Renten- und Sozialsystem anzufassen. Als die eigene Parteibasis und die Bevölkerung rebellierten, sprach er sich für Neuwahlen aus. Sie fanden am 18. September 2005 statt. Die Umfrageergebnisse sprachen im Vorfeld eine eindeutige Sprache. Die Regierungskoalition würde vom Wahlvolk abgestraft und die CDU/CSU sollte den Umfragen nach mit deutlichem Vorsprung mit der nächsten Regierungsbildung beauftragt werden. Am Wahlabend wurde es dennoch spannend. Die SPD errang 34,2 Prozent der Stimmen und lag nur knapp hinter der CDU/CSU, die 35,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die FDP erzielte 9,8 Prozent, die Linkspartei/PDS 8,7 Prozent und Bündnis 90/Die Grünen 8,1 Prozent. Damit reichte die Mehrheit weder für eine Koalition von CDU/CSU und FDP noch für die bisherige Regierungskoalition. Nach zähen Verhandlungsrunden näherten sich die beiden großen Parteien an und vereinbarten eine große Koalition unter der Führung der CDU. Damit wurde Angela Merkel zur ersten deutschen Kanzlerin gewählt. Peggy, Maik und Sirko haben folgende Ergebnisse erzielt. Sirko hat einen Volltreffer gelandet. Er ist in japanischen Aktien investiert und die legten um satte 40 Prozent zu. Sein Vermögen steigt auf 283,89 Euro. Um 27 Prozent legt Maiks Kapital zu, sein Konto weist einen Bestand von 154,45 Euro aus. Mit 138,79 Euro liegt nun Peggy wieder auf dem dritten Platz der drei Investoren. Ihr Schatzbrief verzinst sich nur mit mageren 1,75 Prozent. Für das neue Jahr bleiben alle Investoren ihrer Strategie treu.
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Quelle: eigene Berechnung
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2006 Lange Zeit galten offene Immobilienfonds als besonders sichere Anlageform. Die Wertentwicklung war stetig und stabil. Der Grund liegt nahe. Das Fondsvermögen wird nicht in Wertpapiere, sondern schwerpunktmäßig in Immobilien investiert. Diese werden nicht jeden Tag an der Börse neu bewertet und liefern eine hohe Rendite. Die Rendite wird durch Mieterträge der im Fonds befindlichen Immobilien generiert und durch Wertsteigerungen der Immobilien angereichert. Die Wertsteigerungen werden in der Regel einmal jährlich durch einen Sachverständigenrat ermittelt. Die Anlageform genoss bei den Anlegern einen hohen Stellenwert, da sie die eigentlich illiquide Immobilieninvestition täglich verfügbar machte. Denn für die Anteilscheine des Immobilienfonds wurde seitens der Fondsgesellschaft täglich ein Wert ermittelt und die Rückgabe der Fondsanteile zu dem ermittelten Wert ermöglicht. Hohe Erträge, keine Kursschwankungen und tägliche Verfügbarkeit. Die Traumkonstellation für jeden Investor. Sie erklärte auch die wachsende Beliebtheit unter den Anlegern. Seit 2000 hat sich das Volumen der offenen Immobilienfonds in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 87 Milliarden Euro verwalteten die Fondsgesellschaften in dieser Anlageklasse 2005. Ihren ersten Dämpfer erhielt die Anlageklasse im Dezember 2005, als die Deutsche Bank Tochter DB Real Estate ankündigte, die Immobilien ihres Fonds Grundbesitz neu bewerten zu lassen. Anleger fürchteten Kursabschläge und zogen massenweise ihre Gelder aus dem Fonds ab. Die enormen Mittelabflüsse sorgten für einen Liquiditätsengpass im Fonds und so beschloss die Fondsgesellschaft in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Anteilsrücknahme für drei Monate auszusetzen. Das Image der soliden und sta182
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
bilen Anlageklasse „offene Immobilienfonds“ hatte einen Kratzer bekommen. Die eigentliche Krise begann jedoch erst im Januar, als eine weitere Fondsgesellschaft ihre Immobilienfonds für Anteilsrückgaben schließen musste. Die Ratingagentur Scope gab Anlegern die Empfehlung, Anteile an den Immobilienfonds der KanAm wegen eines bevorstehenden Liquiditätsengpasses zurückzugeben. Insbesondere, dem in US-Immobilien investierenden KanAm US-Grundinvest drohe wegen der hohen Fremdfinanzierungsquote bald die Liquidität auszugehen. Hinzu kämen Schwierigkeiten mit einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Entwicklungsgesellschaft für amerikanische Immobilienprojekte, mit der KanAm zwei Immobilienprojekte für den US-Grundinvest betreibe. Solche Nachrichten sind Gift für einen offenen Immobilienfonds. Der Fluss neuer Gelder ebbt ab und verunsicherte Anleger ziehen ihr Kapital aus dem Fonds. Und tatsächlich folgt dann der von der Ratingagentur heraufbeschworene Liquiditätsengpass. Die Barreserven waren schnell erschöpft und die KanAm beschloss am 19. Januar den Stopp der Anteilsrücknahme für den KanAm US-Grundinvest. Das war der kleinere Fonds, der in US-Immobilien investierte, der größere weltweit agierende KanAm Grundinvest blieb zunächst geöffnet. Doch nur wenige Tage später musste die Investmentgesellschaft auch diesen Fonds für die Anteilsrückgabe schließen. Innerhalb von nur 24 Stunden seien Anteilsrückgaben von rund 700 Millionen Euro an die Gesellschaft herangetragen worden. Bei 3,2 Milliarden Euro Fondsvolumen, stand fest, dass die Barreserven nicht ausreichen würden. Die Schließungen wurden für jeweils drei Monate ausgesprochen. In dieser Zeit hatten die Fondsgesellschaften die Ruhe, ihr Immobilienportfolio zu überprüfen und gegebenenfalls Objekte zu veräußern, um das Liquiditätspolster wieder aufzufrischen oder aber neue Investoren einzuwerben. Beim Deutsche-Bank-Fonds Grundbesitz2006
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Invest entlud sich ein Sturm der Entrüstung, weil die Deutsche Bank als Konzernmutter dem eigenen Fonds zunächst Stützungsmaßnahmen verwehrte. Als der Fonds am 3. März wieder öffnete, ergab die Neubewertung der Immobilien einen Wertberichtigungsbedarf von 2,4 Prozent, das war weit weniger als ursprünglich von Experten erwartet worden war. Angesichts des niedrigen Korrekturwertes war die durch die Maßnahme der DB Real Estate ausgelöste Panik ein hoher Preis für die die gesamte Branche. Dem massiven Protest der Anleger nachgebend sicherte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann jedem geschädigtem Anleger der Grundbesitz-Invest eine Entschädigung zu, um das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Die KanAm konnte zur Liquiditätsverbesserung Immobilien mit einem unerwarteten Gewinn verkaufen. Der Anteilspreis stieg dadurch während der Phase der Schließung erfreulich und neue Investoren führten dem Fonds frische Gelder zu. So war auch für KanAm Anfang April die Krise vorüber und beide Immobilienfonds wurden wieder geöffnet. Im Dezember und Januar wurden rund sieben Milliarden Euro aus den offenen Immobilienfonds abgezogen, dass entsprach knapp 9 Prozent des gesamten Volumens, welches Anleger in diese Anlageform investiert hatten. Neben KanAm und der DB Real Esate waren nahezu alle Anbieter betroffen. In den meisten Fällen sprangen die Konzernmütter als Retter ein und kauften dem Fonds Immobilien ab oder zeichneten Anteile des Fonds und führten so Liquidität zu. Die Zunft der offenen Immobilienfonds hatte die Krise gemeistert. Doch Lehren zog sie daraus nicht. Die DaimlerChrysler AG präsentierte zum 1. Januar ihren neuen Konzernvorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche. Zetsche galt als Daimler-Urgewächs. In seiner Karriere hatte er in allen Fahrzeugsparten des Konzerns bereits gewirkt. Zuletzt war er mit der Sanierung von Chrysler betraut worden. Er führte den 184
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US-Autobauer wieder in die Gewinnzone und qualifizierte sich nicht zuletzt damit für höhere Aufgaben. Er sah seine Aufgabe darin, den Konzern insgesamt profitabler zu machen, denn unter den deutschen Autobauern im Segment der gehobenen Mittelklasse und Luxusklasse war BMW zuletzt, was Qualität, Absatz und Profit angeht, an Daimler vorbeigezogen. Der neue Vorstandvorsitzende hatte das selbsterklärte Ziel, die Strukturen im Daimler-Konzern durch ein neues Managementmodell zu modernisieren. Der Verwaltungsapparat sollte schlanker, Entscheidungshierarchien auf den Prüfstand gestellt werden. Dabei untersuchte und analysierte DaimlerChrysler jede Tätigkeit und Entscheidung darauf hin, ob sie an anderer Stelle nicht schneller und günstiger ausgeführt werden könne. Verwaltungseinheiten wurden zusammengelegt und rund 6.000 Arbeitsplätze freigesetzt. Dann wurde ebenso die Produktion analysiert. Der Profit je verkauftem Auto sollte gesteigert werden, denn die Analyse dieser Kennzahl ergab, dass Daimler zu aufwendig und zu teuer produzierte. Ebenso gab Dieter Zetsche die Marschroute vor, sich als DaimlerChrysler wieder auf die Wurzel, den Automobilbau, zu konzentrieren. Der neue Vorstandvorsitzende der DaimlerChrysler AG stand in der deutschen Industrie nicht allein da. Es war die Zeit der Sparprogramme und der Besinnung auf Kerngeschäftsfelder. Ziel war es dabei, den sogenannten Shareholder Value (den Aktienwert) zu erhöhen. Es galt also, die Konzentration auf Gewinnoptimierung zu legen und unprofitable Unternehmensbereiche zu sanieren, zu schließen oder zu verkaufen. Auch die Konzentration auf Kernbereiche ist eine typische Ausprägung dieses Managementansatzes. Warum in Deutschlands Konzernen eine derartige Revolution ausgebrochen war, hängt mit der Auflösung der sogenannten Deutschland AG zusammen. Die deutschen Konzerne waren über Jahrzehnte eng miteinander verflochten. Die großen 2006
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Banken und Versicherungen hielten wesentliche Kapitalbeteiligungen an nahezu jedem deutschen Konzern. Der Konzern war einerseits so dem Wohl und Wehe der Bank oder Versicherung ausgesetzt, auf der anderen Seite jedoch gegenüber ausländischen Anteilseignern, die Einfluss ausüben wollten, relativ gut abgeschirmt. Nachdem die Steuergesetzgebung Anfang des Jahrtausends die Entflechtung, sprich den Verkauf der Aktienbeteiligungen, steuerfrei stellte, begannen die Banken und Versicherungen, ihre Beteiligungsportfolios zu entrümpeln. Gleichzeitig zog es die Konzerne zur Kapitalbeschaffung an die Börsen der Welt. Das führte dazu, dass die Aktionärsstruktur internationaler wurde, die Unternehmen gemäß internationalen Standards viel weitreichender über ihre Zahlen und Strategien berichten mussten. Mit dem veränderten Aktionärskreis änderte sich auch das Interesse der Aktionäre. Sprach man den Banken früher zu, dass sie weniger Interesse am Aktienwert als an der Kreditbeziehung der Konzerne hatten, stand heute eben der Aktienwert im Vordergrund des Interesse der Aktionäre. Über direkte Beteiligungen, Hedgefonds oder Private-Equity-Unternehmen übten sie Einfluss auf das Management der Konzerne aus, an denen sie beteiligt waren. Nicht nur die Internationalisierung des Aktionärskreises erforderte einen veränderten Managementansatz. Der Wettbewerb insgesamt ist im Zuge der Globalisierung internationaler und härter geworden. Nur die Unternehmen, die in Qualität, Produktivität und Innovation die Nase vorn hatten, konnten im Wettbewerb bestehen. So war auch im Bayer-Konzern die Straffung der Geschäftsbereiche und die Konzentration auf Kernbereiche zu beobachten. Der Geschäftsbereich Massenchemie und Kunststoffe wurde durch einen Spin-off aus der Bayer AG herausgelöst und unter dem Namen Lanxess AG als eigenständiges Unternehmen im Jahr 2005 an die Börse gebracht. Die Bayer AG konzentrier186
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te sich auf die Geschäftsbereiche Pharma und Agro-Chemie. Als Mitte März 2006 das Darmstädter Pharmaunternehmen Merck zur feindlichen Übernahme der Berliner Schering AG den Schering-Aktionären ein Angebot von 77 Euro je Aktie unterbreitete, geriet die Pharmabranche in Aufregung. Der Scheringvorstand fürchtete durch die Übernahme die Zerschlagung des Berliner Traditionsunternehmens und suchte nach anderen Lösungen. Die Bayer AG auf der anderen Seite sah durch die drohende Liaison von Merck und Schering die eigene Position im Pharmageschäft gefährdet und so bot sie der Führung von Schering ihrerseits eine Übernahme an. Danach sollten die Aktionäre mit 86 Euro je Aktie abgefunden werden. Der Scheringvorstand willigte ein, doch in der anschließenden Umtauschfrist entschieden sich nicht genügend Aktionäre dafür, das Angebot anzunehmen und die Bayer AG schien nicht die erforderlichen 75 Prozent der Anteile zusammen zu bekommen. Heimlich kauften die Darmstädter die Aktien am Markt, dabei erwarben sie große Pakete von Fondsgesellschaften und Banken. Erst kurz vor dem Ende der Frist des Bayer-Angebotes boten sie die Aktien der Bayer AG zum Kauf. Um die Übernahme durchziehen zu können, kaufte Bayer die von der Merck gehaltenen Scheringaktien für 89 Euro pro Stück ab. Merck machte aus diesem Geschäft rund 400 Millionen Euro außerordentlichen Gewinn und hatte den Großen der Branche mächtig geärgert. Die Schering AG wurde in Bayer Schering Pharma AG umbenannt und gehörte fortan zur Bayer Health Care AG. Die Übernahme kostete Bayer rund 17 Milliarden Euro. Einen Teil finanzierte sie durch den Verkauf der eigenen Diagnostic-Sparte, die für rund 4,2 Milliarden Euro an die Siemens AG ging. Erst im Jahr 2000 hatte die Deutsche Telekom ihre Internetaktivitäten durch den Börsengang der T-Online ausgegliedert. Die technologische Weiterentwicklung mit Breitband2006
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DSL zeigte jedoch, dass Telefonie und Internet mehr und mehr zusammenwuchsen. Die Telekom wollte durch die Bündelung der Telefon- und Internetservices am Markt ein schlagfertiges Rundum-Dienstleistungsangebot etablieren. Deshalb bot die Telekom den T-Online-Aktionären bereits im Herbst 2004 den Rückkauf der T-Online-Aktien zu 8,99 Euro an. Der Emissionskurs im Jahr 2000 hatte jedoch 27 Euro betragen und die Aktionäre sollten auf rund zwei Drittel ihres Kapitaleinsatzes verzichten. Es begann eine lange Protest- und Prozesswelle. In letzter Instanz verwarf der Bundesgerichtshof (BGH) im Juni 2006 die Klagen von Aktionärsvertretern gegen die Verschmelzung der T-Online in den Telekomkonzern. Damit war der Weg für die Wiedereingliederung für die Deutsche Telekom frei. Die Aktionäre erhielten für 25 T-Online-Aktien 13 Telekom-Aktien. Die Globalisierung trug dazu bei, dass die Industrienationen neue Absatzmärkte erschlossen und damit ihr Wachstum aufrechterhalten konnten. Dennoch waren die Wachstumsraten zu gering um auch den Wohlstand sichern zu können. Deutschland wuchs nach der Rezession 2003 mit Wachstumsraten von 1,2 Prozent im Jahr 2004 und 0,8 Prozent 2005. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenzahl auf über 5,2 Millionen Menschen. Das entsprach einer Arbeitslosenquote von 12,7 Prozent. Auch dies war eine Auswirkung der Globalisierung, denn effiziente Produktionstechnologien und die konsequente Umsetzung einer internationalen, arbeitsteiligen Welt bedeutete insbesondere für den Industriestandort Deutschland, arbeitsintensive Produktionen wegen der hohen Kosten für den Faktor Arbeit ins Ausland zu verlagern beziehungsweise durch automatisierte Produktionsabläufe kostengünstiger zu gestalten. Die aufstrebenden Nationen wie China und Indien profitierten im Gegenzug von dieser Entwicklung. China entwickelte sich mehr und mehr zum Produktionsstandort für die Gebrauchsgü188
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terindustrie der Welt. Elektroartikel, Textilien und Spielwaren wurden unter Lizenz in China produziert und in die Welt verschickt. In Indien entwickelten sich Dienstleistungszentren, die für Weltkonzerne, Software entwickelten und Call Center führten. Damit einhergehend wuchs der Wohlstandhunger der Bevölkerung in den aufstrebenden Nationen. Die Bevölkerung zog es zu Millionen in die Städte und Wirtschaftszentren. Dort musste die Infrastruktur (Stromversorgung, Straßen- und Schienenverkehr und Wohnraum) entsprechend entwickelt werden. Das sorgte für eine enorme Nachfrage nach Rohstoffen, die wiederum in den Rohstoffexportnationen wie Brasilien und Russland einen wirtschaftlichen Boom auslösten. Nun machten diese Länder ebenfalls diese Entwicklung durch. Es entstand Wohlstand, der ein entsprechendes Nachfrageverhalten auslöste. Augenscheinlich hatte sich der weltweite Wachstumsmotor in Richtung der beschriebenen Entwicklungsländer verschoben. Davon profitierte wiederum die „alte“ Welt. Der Export von Investitionsgüterausrüstung und Automobilen bescherte Deutschland ein robustes Wirtschaftswachstum von 3 Prozent im Jahr 2006. Konjunkturbelebend wirkte auch die für den 1. Januar 2007 beschlossene Mehrwertsteuererhöhung. Private Anschaffungen wurden vorgezogen und so meldete auch der Konsum im Jahr 2006 gute Zahlen. Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen trafen sich regelmäßig zu den sogenannten G7-Gipfeln, um Entwicklungen, Strategien und Regelungen des Miteinanders zu verabreden. 2006 fand dieser Gipfel erstmalig unter der Einbeziehung Russlands in St. Petersburg in Russland als G8Gipfel statt. Präsident Putin sah sein Land zurück im Reigen der führenden Industriemächte und sprach auf dem Gipfel die aktive Rolle Russlands im Konzert der Großen an. Dank des Rohstoffbooms hatte Russland den Anschluss an die Weltspitze ge2006
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schafft. Offen sprach die russische Regierung über die Wachstumsverschiebung in der globalen Welt und zweifelte an, dass den USA und Europa die alleinige Führungsrolle in der Welt zustünde. Im Vorfeld des Gipfels sprach Putin auch seine Bedenken über die Stellung des US-Dollars als alleinige Reservewährung an. Kurz zuvor hatte Russland den Rubel für frei konvertierbar erklärt und Stimmen wurden geäußert, neben dem US-Dollar auch andere Währungen als Reservestandard zu etablieren. Die westlichen Industrienationen waren nicht begeistert von den forschen Vorschlägen Russlands, jedoch ging es beim G8-Gipfel in erster Linie um die Sicherstellung der weltweiten Energieversorgung und dabei spielte das Land mit den größten Rohstoffreserven der Erde eine zentrale Rolle. Dieser Umstand sorgte dann auch für Aufmerksamkeit bei den Führern der westlichen Welt. In Deutschland arbeitete die Regierung im Jahr 2006 weiter an den Rahmenbedingungen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Sie brachte die nächste Steuerreform auf den Weg. Die Unternehmen sollten weiter entlastet werden. Die Steuerlast der Unternehmen sollte demnach von rund 38 auf 29,8 Prozent gesenkt werden. Ebenso sollten Personengesellschaften, die bisher nach dem Einkommensteuertarif besteuert wurden, in diese Regelung einbezogen werden, wenn sie ihren Gewinn im Unternehmen beließen. Ebenso regelte der Gesetzesentwurf die Besteuerung von Kapitalerträgen neu. Demnach sollte eine einheitliche Abgeltungsteuer die Zinsabschlagsteuer und die Spekulationsteuer ersetzen. Danach würden alle Kapitalerträge, egal ob durch Zinserträge, Dividenden oder Kursgewinne angefallen, mit einem 25-prozentigen Steuerabschlag belegt werden.
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Die Stimmung in der Wirtschaft war hervorragend. Im Dezember erreichte der Ifo-Geschäftsklima-Index mit 109,1 Punkten den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Und auch am Arbeitsmarkt schlugen sich die positiven Zahlen nieder. Mit einer Arbeitslosenquote von erstmalig unter 10 Prozent seit dem Jahr 2002 schien die lange Wachstumskrise überwunden. Im Dezember 2006 waren rund 4 Millionen Menschen ohne Arbeit, also bereits 1,2 Millionen weniger als noch 20 Monate zuvor. Die deutsche Wirtschaft war Profiteur des weltweiten Wirtschaftswachstums und die Strukturreformen der vorangegangenen Jahre in der Wirtschafts- sowie der Steuer- und Sozialpolitik schienen zu greifen. Infolge der guten Wirtschaftsdaten setzten die Notenbanken ihre restriktivere Geldpolitik fort. Die EZB erhöhte den Referenzzins in fünf Schritten von 2,25 auf 3,5 Prozent. Die amerikanische Fed setzte ihren Leitzins auch aus Sorge vor steigenden Inflationszahlen von 4,25 auf 5,25 Prozent hoch. Der amerikanischen Notenbank sitzt seit Februar 2006 Ben Bernanke vor. Er löste nach 18 Jahren Alan Greenspan ab und trat damit das Erbe des weltweit wichtigsten Notenbankers an. Alan Greenspan hatte durch seine Politik wie kein anderer eine Machtfülle auf die Kapitalmarktakteure ausgestrahlt, dass selbst wenige Worte von Greenspan und deren Deutung immer die Kraft hatten, Märkte zu bewegen. Vor dem Hintergrund steigender Notenbankzinsen entwikkelten sich auch die Anleiherenditen nach oben. Die Umlaufrendite deutscher Staatspapiere erhöhte sich von 3,3 auf 3,9 Prozent zum Jahresende.
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Quelle: Feri Finance AG
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Abbildung 24: Notenbankzinsen (Januar 2002 bis Juli 2006)
Die Aktienbörsen setzten im Jahr 2006 ihren Aufwärtstrend fort. Allen voran legte der DAX von 5.408 auf 6.596 Punkte um knapp 22 Prozent zu. Der S&P 500, der amerikanische Aktienindex, stieg um rund 14 Prozent und der Nikkei in Tokio gewann noch rund 7 Prozent. Allerdings zehrte der starke Euro die Gewinne an den Auslandbörsen nahezu vollständig auf. Nach Einrechnung der Währungseinflüsse reduzierte sich der Aktiengewinn in den USA auf nur noch 1,9 Prozent, Japan rutschte sogar mit 5 Prozent ins Minus. Mitte des Jahres hat Peggy das erhöhte Zinsniveau genutzt und ihren Schatzbrief in die neue Serie getauscht. 2,75 Prozent Zinsen erhält sie dafür im ersten Jahr, danach steigt der Zins stufenweise auf 4,75 Prozent. Am Ende des Jahres stehen 142,22 Euro auf ihrem Konto. Sirko hat mit japanischen Aktien und in Folge der schwachen japanischen Währung 5 Prozent seines Vermögens verloren. Dennoch führt er mit einem Kontostand von 269,53 Euro die Dreierriege an. Maik kann für sich den Titel Jahresgewinner verbuchen. Mit plus 22 Prozent und einem Kontostand von 188,39 Euro liegt er in der Gesamtwertung auf Rang 2. Sirko wechselt für das neue Jahr wieder die Pferde und schichtet sein Vermögen in deutsche Aktien um.
2007 Bereits Anfang des Jahres wurden Gerüchte um die mögliche Trennung von Daimler und Chrysler diskutiert. Nachdem der US-Autobauer Chrysler wieder tief in die roten Zahlen gerutscht war, schloss Vorstandschef Zetsche den Verkauf von Chrysler nicht mehr aus. Zunächst sollte jedoch ein einschnei2007
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dendes Sanierungsprogramm den US-Autobauer noch einmal flott machen. Dazu sollten 13.000 Stellen in den USA und Kanada gestrichen und so die Kapazitäten an die gesunkene Nachfrage angepasst werden. Im Mai wurde dann tatsächlich der Verkauf von Chrysler bekannt gegeben. Der US-Finanzinvestor Cerberus übernahm für 5,5 Milliarden Euro 80,1 Prozent der Anteile an Chrysler. Bei der Fusion von Daimler und Chrysler 1998 hatte der Wert noch über 30 Milliarden Euro ausgemacht. Allerdings gab Daimler auch die hohen Pensionsverpflichtungen von rund 18 Milliarden an Chrysler ab. Tatsächlich wanderte von dem Kaufpreis nur rund eine Milliarde in die Bücher von Daimler, der Rest war zur Stärkung der Eigenkapitalquote an die wieder selbstständige Chrysler gegangen. Das war das endgültige Ende vom Traum eines weltumspannenden Automobilkonzerns. Die Börse honorierte diesen Schritt, der Aktienkurs der DailmerChrysler AG stieg von seinem Tiefstwert im Januar von 46,30 Euro auf über 68 Euro bis Ende Mai. Im weiteren Jahresverlauf konnte der Wert sogar auf knapp 78 Euro zulegen. Der Verkauf von Chrysler wirkte wie ein Befreiungsschlag für die Daimler AG - so hieß nun das Unternehmen nach Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung im Oktober. Die deutsche Wirtschaft partizipierte am weltweiten Aufschwung. Wirtschaftsforscher und Kapitalmarktakteure waren überrascht von der Dynamik, die das Konjunkturwachstum zeigte. In den vorangegangenen Perioden hatte Deutschland längst nicht einen so großen Anteil am weltweiten Wachstum und nun lief die deutsche Wirtschaft eins zu eins mit der Weltwirtschaft. Im Nachhinein wurden mehrere Faktoren ausgemacht, die die deutsche Wirtschaft stimulierten. Zum einen wuchs die Weltwirtschaft seit fünf Jahren kontinuierlich mit hohen Raten. Es etablierte sich die wirtschaftliche Verzahnung, in der die USA der Verbrauchermarkt waren, dessen Konsumbedarf durch die 194
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Warenproduktion in den Billiglohnländern wie beispielsweise China bedient wurde. Den Rohstoffbedarf deckten die aufstrebenden Länder wie Russland und Brasilien ab. Diese Produktionskette ließ den Welthandel explodieren. Die Leistungsbilanzen der Volkswirtschaften hatten ein großes Ungleichgewicht. In den USA herrschte ein kontinuierlicher Import- und in China, Brasilien und Russland ein entsprechender Exportüberschuss. Nun mussten die Rohstoff- und Produktionsländer in Ausrüstung, sprich Maschinen und Technologien, investieren und an dieser Stelle hatte Deutschland seinen Platz. Die heimische Maschinen- und Ausrüstungs- sowie Grundstoffindustrie versorgte die Konsumgüterproduzenten in Asien. In den aufstrebenden Nationen wuchs ein neues Wohlstandsgefühl, eine Mittelschicht entstand, die ihrerseits die Nachfrage nach Infrastruktur und Konsum ankurbelte. Hier hatte die deutsche Wirtschaft mit ihrer starken Automobilindustrie ebenfalls einen festen Platz in der Leistungskette. Sprich: Durch die Art des Aufschwungs wurden eben genau die deutschen Kernkompetenzen angesprochen. Der zweite Faktor waren die Maßnahmen der Regierungen, die Unternehmen von Abgaben zu entlasten. Die Steuer- und Abgabenlast der Unternehmen wurde seit 2000 um rund 40 Prozent gesenkt, gleichzeitig wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert. Der Kündigungsschutz wurde aufgeweicht, der Markt für Arbeitsvermittlung wurde dereguliert und die Eigenverantwortung der Arbeitssuchenden verstärkt. Der Ballast des verkrusteten Arbeitsmarktes und die übermächtige Stellung der Arbeitnehmerrechte der vergangenen Jahrzehnte waren abgelegt. Der deutsche Arbeitsmarkt war wieder konkurrenzfähig. Der dritte Faktor waren die Arbeitskosten. Nicht nur, dass die Regularien der Arbeit liberalisiert wurden. Mäßige Lohnrunden und Verzicht der Arbeitnehmer auf Lohnerhöhungen beziehungsweise sogar die Inkaufnahme von Gehaltskürzungen ließen die durch2007
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schnittlichen Arbeitskosten in Deutschland auf europäisches Mittelmaß fallen. So trugen letztlich alle Beteiligten, Unternehmen und Regierungen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften und sicherlich auch die gute Weltkonjunktur zum Erfolg der deutschen Wirtschaft bei. In der Folge wurde Deutschland nicht nur Exportweltmeister, sondern auch zum Vorbild, was die Anpassungsfähigkeit einer Volkswirtschaft an die veränderten Rahmenbedingung in der globalisierten Wirtschaftswelt angeht. Die Effekte auf den Arbeitsmarkt waren enorm. Die Arbeitslosenzahl fiel auf deutlich unter 4 Millionen, rund 2 Millionen weniger als im März 2005. Allein in einem Jahr wurden rund 900.000 neue Stellen geschaffen und während in der Anfangsphase eher Geringverdiener eine Anstellung fanden, wurden dann auch mehr sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs geschaffen. Das entlastete den Bundeshaushalt überdurchschnittlich. Denn einerseits sprudelten die Steuereinnahmen und andererseits sanken die Bundeszuschüsse für die Sozialversicherungsträger. Im Jahr 2006 betrug die Nettoneuverschuldung noch 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes, im Folgejahr 2007 sank die Kennzahl auf 0,2 Prozent. Der Finanzminister träumte schon von einem ausgeglichenen Haushalt und langfristig sogar von Überschüssen, die zum Schuldenabbau führen könnten. Der Schuldenstand lag nun schon seit dem Jahr 2005 relativ konstant bei rund 1,6 Billionen Euro, bei wachsender Wirtschaftsleistung verbesserte sich auch die Kennzahl des Verschuldungsgrades zum Bruttoinlandsprodukt. Von knapp 68 Prozent im Jahr 2005 auf rund 65 Prozent 2007. Im Vertrag von Maastricht war die Grenze von 60 Prozent ausgesprochen worden. Deutschland war auf einem guten Weg, auch dieses Kriterium bald wieder erfüllen zu können. Wie schon erwähnt, basierte der Aufschwung auf dem Konsumgüterbedarf der US-Wirtschaft. Dafür wiederum war das ungebremste Konsumverhalten der amerikanischen Haushalte 196
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
verantwortlich. Der US-Konsument wurde seit dem Platzen der Aktienmarktblase der Jahre 2000 bis 2003 mit niedrigen Zinsen beziehungsweise einer daraus resultierenden Geldschwemme bei Laune gehalten. Die Geldschwemme sorgte für eine neue Blasenbildung, diesmal in der Anlageklasse Immobilien. Die Immobilienpreise stiegen kontinuierlich. Ein theoretisch erhöhter Hauspreis schaffte die Illusion eines gestiegenen Wohlstands und diente als Sicherung für neue Konsumentenkredite. Die Finanzindustrie nutzte und verstärkte diesen Effekt. Durch Bündelung von Krediten und anschließender Verbriefung wurde beispielsweise aus einem Kredit für einen Hauskauf ein Wertpapier, welches an den internationalen Kapitalmärkten gehandelt wurde. In Mortgage Backed Securities (MBS) oder Asset Backed Securities (ABS) wurden Kredite gebündelt und wieder geteilt. Die Bündelung sorgte für eine Risikodiversifikation. Sollte einmal ein Kreditnehmer seine Schuld nicht begleichen, gerät der Kreditpool nicht in große Mitleidenschaft. In einem weiteren Schritt wurden die sogenannten Kreditstrukturen in unterschiedliche Ratingklassen unterteilt. Die oberste Klasse war die AAA-Tranche. Hier war ein Zahlungsausfall theoretisch unmöglich. Erst wenn alle Forderungen der Kreditstruktur ausfielen, würde auf die AAA-Klasse zurückgegriffen. Ausfälle wurden zunächst der untersten Klasse, der (eigenkapitalähnlichen) Equity-Tranche belastet. Die Risikoaufschläge, also die Mehrrendite gegenüber Staatsanleihen, waren bei der Equity-Tranche am höchsten, während die AAA-Tranche nur mit einem geringen Aufschlag gegenüber Staatsanleihen notierte. Nicht nur die Kredite von Hausbesitzern, sondern nahezu alle Forderungsarten, wie beispielsweise Autoleasingraten oder Kreditkartenabrechnungen, aber auch Unternehmensfinanzierungen, wurden gebündelt, neuverpackt, in Tranchen geteilt und an den Kapitalmärkten weltweit platziert. Investoren für die2007
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se Kreditstrukturen waren meist institutionelle Investoren wie Banken und Versicherungen. Diese nutzten diese Wertpapiere, um ihr Forderungsportfolio zu diversifizieren. So konnten zum Beispiel Regionalbanken ihr einseitiges, auf eine Region bezogenes Kreditgeschäft mit Wertpapieren so gezielt anreichern, dass ihre Branchen- und Länderrisiken breiter gestreut wurden. Dadurch erreichte die Bank eine bessere oder stabilere Beurteilung durch die Ratingagenturen, was wiederum ihre Refinanzierungsmöglichkeiten günstiger gestaltete. Als in Folge der gestiegenen Zinsen immer mehr US-Häuslebauer ihre fälligen Hypotheken nicht bedienen konnten, setzte eine Kettenreaktion ein. Solange die Zinsen niedrig waren und die Risikoaufschläge weiter zurückgingen, funktionierte der Kreislauf reibungslos. Der Ausfall der ersten Kreditschuldner sorgte dafür, dass die Risikoaufschläge überdacht und nach oben angepasst wurden. Das sorgte wiederum bei den Wertpapierhaltern für Abschreibungsbedarf. Je nach dem, welche Tranche sich in den Beständen befand, waren Abschreibungen von bis zu 50 Prozent erforderlich. Schon zu Beginn des Jahres deutete sich die Kreditkrise an. Kleinere Hypothekenbanken und Baufinanzierer gerieten in Schieflage. Die schlechten Hypotheken wollte niemand mehr haben. Die Risikoaufschläge für diese Kreditschulden stiegen sprunghaft an. Bei den Banken entstand Wertberichtigungsbedarf. Oftmals hatten Banken ihre Investments in solchen Kreditpapieren in Finanzierungsgesellschaften, die ihren Sitz außerhalb des Wirkungskreises der deutschen Bankenaufsicht und Steuergesetzgebung hatten, ausgelagert. Da die heimische Bank nur über Garantien mit dieser Gesellschaft verbunden war, tauchten die Positionen auch nicht in der Bankbilanz auf. Nun mussten die Banken jedoch das Finanzierungsvehikel vor den Abschreibungen schützten, sprich mit ausreichend Kapital versorgen. Das schlug auf die 198
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
Bilanz direkt durch. Als erstes deutsches Institut erwischte es Ende Juli die Industriekreditbank AG (IKB). Noch wenige Tage zuvor hatte die Firmenleitung Gerüchte dementiert, nach denen sie massiv von der US-Hypothekenkrise betroffen sei. Mit einem Mal summierten sich jedoch die Risiken auf über 7,5 Milliarden Euro. Rund eine Milliarde Euro in den eigenen Büchern wurde mit Liquiditätslinien für die Finanzierungsgesellschaft Rhineland Funding über rund 6,5 Milliarden Euro angereichert. Als wiederum andere Banken die Kreditlinien für die IKB reduzierten, geriet das Institut in eine existenzbedrohende Lage. Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) war zu dem Zeitpunkt größter Aktionär der IKB. Sie war nun gefordert, ein entsprechendes Stützungspaket zu schnüren. Insgesamt wurde ein Rettungsschirm aus Bürgschaften und Garantien von 3,5 Milliarden aufgespannt, von denen die KfW für rund 70 Prozent gerade stand. Die restlichen 30 Prozent wurden von den Mitgliedsinstituten des Bundesverbandes Deutscher Banken getragen. Die Lage entspannte sich jedoch nur bedingt. Es wurde eine Sonderprüfung der IKB eingeleitet. Dabei stellte sich heraus, dass die Bank erneute Hilfe in Höhe von 350 Millionen Euro benötigte, ebenso wurde festgestellt, dass der noch nicht verabschiedete Konzernabschluss per 31. März 2007 neuerstellt werden musste. Dabei wurden die Finanzierungsgesellschaften erstmalig mit konsolidiert. Neben der IKB gerieten auch die Landesbanken WestLB und SachsenLB in Schieflage. Bei der SachsenLB waren rund 40 Milliarden Euro über zwei Finanzierungsgesellschaften in verbriefte Kreditstrukturen investiert. Auch hier trat quasi über Nacht der Notstand ein. Im August musste die Sparkassen-Organisation Liquiditätsgarantien von rund 17 Milliarden Euro stellen. Um den Zusammenbruch des Institutes zu vermeiden, wurde die SachsenLB von der Badenwürttembergischen Landesbank übernommen. 2007
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Die Geschäftsbanken in Deutschland blieben nicht unverschont, jedoch konnten sie die Wertberichtigungen aus eigener Kraft tragen. Zwar schwand auch bei den Banken untereinander das Vertrauen, doch sorgte die EZB ab August durch ihre monetären Impulse für ausreichende Liquidität am Geldmarkt. Wie ernst die Lage tatsächlich war, konnte an dem Verhalten der EZB abgelesen werden. Die geldpolitischen Maßnahmen, mit denen sie den Geldmarkt belebte, waren in ihrer Wirkung rund doppelt so hoch wie die Maßnahmen nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001. Einerseits musste sie aufkommenden Inflationssorgen wegen der hohen Rohstoffpreise und der guten Konjunkturlage durch ihre Zinspolitik begegnen und auf der anderen Seite den Interbankenmarkt vor dem Austrocknen durch Geldmengenausweitung bewahren. Die bereits angekündigte Zinserhöhung stellte sie zunächst zurück. In der ersten Jahreshälfte hatte die EZB den Refinanzierungssatz um 0,5 auf 4 Prozent erhöht. Die US-Notenbank beließ zunächst die Federal-Funds-Rate bei 5,25 Prozent. Im Spätsommer reagierte sie dann durch Zinssenkung auf die sich verschärfende Krise am Kreditmarkt mit drei Zinssenkungen. Der Leitzins wurde von 5,25 auf 4,25 Prozent gesenkt. Die globalen Aktienmärkte reagierten im Sommer ebenfalls auf die Hypothekenkrise mit nachgebenden Kursen. Allerdings markierten sie im Sommer noch ihre teilweise historischen Höchststände. Der DAX erreichte Notierungen von über 8.000 Punkten und lag in der Spitze nur knapp unter seinem historischen Höchststand von 8.126 Punkten. Während Japan bis zum Jahresende sogar noch kräftig ins Minus rutschte und die USBörsen gemessen an S&P 500 rund die Hälfte des Jahresgewinnes wieder abgaben, schloss die deutsche Börse gemessen am DAX mit 8.067 Punkten fast auf Jahreshöchststand. Der Euro zeigte sich auch 2007 äußerst stark. Gegenüber dem US-Dollar 200
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
gewann der Euro 11,5 Prozent und gegenüber dem Yen gut 5 Prozent, damit rutschen auch die US-Aktien für den Euroinvestor ins Minus.
2007 USAS&P500Index
2005 2004 2003 2002
DeutschlandDAXPerformanceIndex
Ͳ50,00
Ͳ40,00
Ͳ30,00
Ͳ20,00
Ͳ10,00
0,00
10,00
20,00 20 00
30,00
40,00
50,00
1999
2000
2001
JapanNikkei225Index
2006
22,29
3,53
Ͳ11,13
Abbildung 25: Jahresveränderung der Aktienmärkte in Prozent (1999 bis 2007)
Quelle: Feri Finance AG
2007
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Trotz der aufkeimenden Kreditkrise überstehen unsere drei Investoren das Jahr 2007 ohne Schrammen. Die deutschen Aktien waren wieder Jahresgewinner mit plus 22,3 Prozent. So entwickeln sich die Vermögenswerte von Maik von 188,39 Euro auf 230,39 Euro und von Sirko von 269,53 Euro auf 329,61 Euro. Angesichts der hohen zweistelligen Rendite der Aktieninvestoren erscheinen Peggys Bundesschatzbriefe extrem langweilig. 2,75 Prozent sind nicht gerade viel, aber dafür sicher. So freut sich Peggy über einen Kontostand zum Jahresende von 146,32 Euro.
2008 Im Januar sackten die Aktienbörsen weltweit im Gleichschritt mit zweistelligen Prozentzahlen ins Minus. Die anhaltende Finanzkrise und der hohe Abschreibungsbedarf bei den Kreditinstituten raubte dem Markt jegliche Phantasie. Dann stellte die Societé General in Paris nach dem Bekanntwerden von Eigenhandelsverlusten in Aktienmarktfutures die gesamte Position glatt. 4,9 Milliarden verlor die Bank in nur wenigen Tagen. Der DAX verlor in nur drei Handelstagen vom 21. bis zum 23. Januar über 12 Prozent seines Wertes. Seit Jahresanfang belief sich der Verlust bereits auf über 21 Prozent. Das war der negativste Jahresauftakt seit Berechnung des Börsenbarometers. Die Entwicklung an den anderen Börsenplätzen war ähnlich. Mehr und mehr setzte sich das Szenario durch, dass es in Folge der Hypothekenkrise zu einer Schwächung der Konsumtätigkeit der US-Haushalte kommen würde, was wiederum das Wirtschaftswachstum in den USA stark beeinträchtigen würde. In einer außerordentlichen Zusammenkunft per Telefonkonferenz entschied die Federal Reserve, den Leitzins in einem kräftigen 202
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Schritt von 0,75 Prozentpunkten auf 3,5 Prozent zu senken. Die Notenbank begründete diesen ungewöhnlichen Schritt mit den zunehmenden Wachstumsrisiken und der hartnäckigen Finanzkrise. Am Markt wurde gegen die Banken gewettet. Täglich müssen sich Kreditinstitute am Markt refinanzieren, das geschieht im Interbankenhandel. Dort leihen sich Kreditinstitute untereinander überschüssige Liquidität aus. Mit den ausgeliehenen Mitteln werden die Forderungen der Banken, wie Wertpapiere oder Kundenkredite, finanziert. Im Zuge der Finanzkrise entstand ein enormer Abschreibungsbedarf auf den Wertpapierbestand und das Kreditportfolio von Banken. Nun wurde gegen Banken spekuliert, die ein ungünstiges Refinanzierungsverhältnis hatten, beziehungsweise, bei denen ein Wertpapierbestand mit faulen Krediten vermutet wurde. Besonders anfällig waren hier zunächst die Investmentbanken. Da diese, anders als die Universalbanken, kein Einlagengeschäft betreiben, findet die Refinanzierung zu 100 Prozent über die Wertpapiermärkte und den Interbankenmarkt statt. Auf der anderen Seite bestand das Geschäftsmodell der Investmentbanken zu einem Großteil aus der Strukturierung und Verbriefung von Kreditportfolios. Diese waren im Zuge der Finanzkrise zunehmend illiquide geworden und es reichte auf der Refinanzierungsseite schon das Gerücht aus, dass die Bank auf einem solchen Kreditpaket sitzen geblieben ist, um die Liquiditätszufuhr für dieses Institut über den Interbankenmarkt zu stoppen. So geschah es im März 2008, als Bear Stearns, die fünftgrößte Investmentbank in den USA, vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Nur durch ein Notprogramm der Federal Reserve, bei dem die Notenbank die Risiken aus faulen Wertpapieren in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar übernahm und über die JPMorgan frische Liquidität zur Verfügung stellte, konnte der Bankrott verhindert werden. JPMorgan machte dann ein Übernahmeangebot zu 2008
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2 US-Dollar je Aktie. Nur wenige Tage zuvor wurde die Aktie noch mit über 50 US-Dollar gehandelt. Ende Mai übernahm JPMorgan dann Bear Stearns komplett. Die Altaktionäre erhielten für eine Bear-Stearns-Aktie 0,217 Aktien von JPMorgan. Das entsprach rund 10 US-Dollar Abfindung. Die Märkte fanden indes nicht zur Ruhe. Bereits ein paar Wochen nach der Übernahme Bear Stearns wurden Milliardenlöcher bei den beiden führenden Hypothekeninstituten Freddie Mac und Fanny Mae entdeckt. Die beiden Institute wickelten rund 80 Prozent des gesamten amerikanischen Hypothekenmarktes ab. Dabei kauften sie den Banken Hypotheken ab, bündeln diese zu Mortgage Backed Securities und platzierten sie an den internationalen Kapitalmärkten. Das Geschäftsvolumen wurde auf rund 6.000 Milliarden US-Dollar geschätzt. Damit gehörten die beiden Institute zu den weltweit größten Schuldnern. Ein Zusammenbrechen der Institute käme einer Kernschmelze im Finanzsystem gleich. Die volkswirtschaftlichen Folgen wären nicht zu reparieren. So blieb der US-Regierung gar nichts anderes übrig, als durch Kredite und Aktienkäufe in Milliardenhöhe die Institute zu stützen. Später, im September, übernahm der Staat die Kontrolle bei beiden Unternehmen, was einer Quasiverstaatlichung gleichkam. Wenige Tage später ereilte der zweitgrößten Investmentbank in den USA, der Lehman Brothers Inc., das Schicksal der Insolvenz. Zwei Kapitalerhöhungen über rund 7 Milliarden US-Dollar hatte Lehman 2008 bereits durchgeführt, im September musste der Vorstand bekannt geben, dass erneut ein Quartalsverlust von rund 3,9 Milliarden US-Dollar drohe. Zum Ausgleich wollte die Firmenführung Unternehmensteile und den Immobilienbesitz verkaufen. Als jedoch die Verkaufsverhandlungen scheiterten, meldete Lehman Insolvenz an. Die US-Regierung verweigerte ihre Unterstützung und auch die Notenbank stand nicht zur Verfügung. Lehman wurde anders als Bear 204
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
Stearns, Freddie Mac und Fannie Mae nicht gerettet. Nahezu gleichzeitig brach die weltweit größte Versicherung AIG zusammen. Nicht mit dem ureigenen Versicherungsgeschäft hatte sich der Konzern verhoben, sondern mit Kreditversicherungen und anderen Finanzgeschäften. AIG wurde im Gegensatz zu Lehman als systemrelevant von der US-Regierung eingestuft und so flossen die Milliarden zum Auffang des Versicherungsgiganten. Mehr als 150 Milliarden US-Dollar wurden bis zum Jahresende zur Stützung der AIG bereitgestellt. Im Gegenzug erhielt der Staat die Aktienmehrheit. Nach der Lehman-Pleite bebten die Kapitalmärkte weltweit. Lehman hatte zwar kein nennenswertes Geschäft mit den Endverbrauchern, aber dafür spielte das Institut an den internationalen Kapitalmärkten eine führende Rolle. Bei unzähligen Sicherungsgeschäften war Lehman Brothers Vertragspartner von Banken und Versicherungen. Nun ist der Vertragspartner ausgefallen und die Sicherung wertlos. Das Finanzsystem wurde in Frage gestellt. Banken misstrauten nun untereinander derart, dass das gesamte globale Finanzsystem zusammenzubrechen drohte. Ende September geriet die deutsche Hypo Real Estate (HRE) in eine existenzbedrohende Schieflage. Dabei kamen die Probleme von der erst ein Jahr zuvor für rund fünf Milliarden Euro gekauften Depfa (ehemals Deutsche Pfandbriefanstalt). Die Depfa finanziert Kommunen und Staaten, beziehungsweise deren Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen wie beispielsweise Straßen, Brükken und Schulen. Zu einem Teil begibt die Depfa zur Finanzierung öffentliche Pfandbriefe. Diese Papiere galten in der Vergangenheit als ebenso sicher wie Staatsanleihen. Infrastrukturfinanzierungen waren naturgemäß langfristig gebunden. Um die Zinsdifferenz zwischen langer und kurzer Zinsbindung auszunutzen, refinanzierte die Depfa einen Teil kurzfristig am Interbankenmarkt. Als dieser nach der Lehman-Pleite 2008
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zum Erliegen kam, versuchte die Depfa gerade, circa 50 Milliarden Euro kurzfristig bei Banken auszuleihen. Als das nicht funktionierte, musste die Mutter, die HRE, dafür einstehen. Diese Summe übertraf jedoch auch ihre Möglichkeiten. Derweil fing der Markt an, gegen Depfa und HRE zu spekulieren. Ein Teufelskreis begann und der Kapitalmarkt war für die HREGruppe nicht mehr verfügbar. In einer ersten Rettungsaktion stellten unter der Mitwirkung der Bundesbank die Bundesregierung und ein Bankenkonsortium Bürgschaften und Kredite über rund 35 Milliarden Euro zusammen. Der Fall der HRE beendete jede Illusion, dass die Finanzkrise ein regional auf ein Segment beschränktes Problem darstellte. Aus Angst vor Panikreaktionen spannten Staaten und Zentralbanken Schutzschirme auf. Die US-Regierung und die US-Notenbank schmiedeten ein 700 Milliarden US-Dollar schweres Rettungsprogramm, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Irland sprach Staatsgarantien für die Einlagen aus- und inländischer Investoren auf der grünen Insel aus, die rund 400 Milliarden Euro umfassten. Die britische Regierung legte ein 500 Milliarden britische Pfund umfassendes Stützungspaket für das Bankwesen auf. Dieses sah, wie auch das US-Paket, die direkte Kapitalbeteiligung des Staates bei Banken vor. Das Vertrauen der Bundesbürger in das deutsche Banksystem war zutiefst erschüttert. Die Anleger fürchteten um ihr Erspartes. Um den Kollaps zu vermeiden, entschied sich die Bundesregierung, für alle Spareinlagen von inund ausländischen Privatanlegern bei deutschen Kreditinstituten beziehungsweise deutsche Anleger ausländischer Banken Staatsgarantien auszusprechen. Jetzt waren die Einlagen praktisch per Staatsgarantie gesichert. Was war mit den anderen Anlageformen? Die Anleger handelten rational. Sie zogen Geld aus allen anderen Anlageformen ab und legten es in Festgeldern an. Geldmarkt- und Rentenfonds verloren Milliarden an 206
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Kapital. Das führte dazu, dass die Fondsmanager selbst Liquidität beschaffen mussten, um die Auszahlungswünsche befriedigen zu können. Mit ihren Wertpapierverkäufen stießen die Fondsmanager auf einen ausgetrockneten Markt. Nur mit hohen Kursabschlägen konnten die Papiere, wenn überhaupt, noch verkauft werden. Segmente wie Unternehmensanleihen und Genussscheine brachen vollends zusammen. Den Fondsgesellschaften blieb nichts anderes übrig, als ihre Fonds für weitere Anteilsrückgaben zu schließen. Ebenso traf es die Immobilienfondsanbieter. Innerhalb einer Woche schlossen nahezu alle Anbieter ihre Fonds. Längst hatte sich aus der US-Hypothekenkrise eine globale Finanzsystemkrise entwickelt. Das blieb nicht ohne Folgen für die Realwirtschaft. Praktisch über Nacht stoppte der Welthandel. Aufträge bei den Industrieunternehmen wurden storniert. Investitionen in und aus den aufstrebenden Ländern wurden vertagt, Aufträge für Maschinenbau und Industrieanlagen wurden storniert. Damit wurden nicht nur die großen Konzerne getroffen, sondern auch viele mittelständischen Zulieferer. Die Auftragsbücher leerten sich quasi von einem auf den anderen Tag. Sah die wirtschaftliche Entwicklung zu Beginn des Jahres noch positiv aus, so verzeichneten die Volkswirtschaften insbesondere im vierten Quartal einen extremen Einbruch der Wirtschaftsleistung. Der Ifo-Geschäftsklima-Index brach von Werten über 100 im Juni auf den Stand von 82,7 im Dezember ein. Die Stimmung unter den Unternehmen und die Indikatoren der Wirtschaft deuteten eine der tiefsten Rezessionen seit 80 Jahren an. Die Kapitalmärkte signalisierten mit den schärfsten Kurseinbrüchen seit dem Börsencrash 1929/1931 ebenfalls Weltuntergangsstimmung. Allein in der Woche vom 3. bis zum 10. Oktober rutschen die Aktienmärkte in den USA, Europa und Japan um mehr als 25 Prozent. Die Rettungsaktionen für die Hypo Real Estate Ende September reich2008
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ten nicht lange aus, später musste der Bund noch einmal Garantien für 30 Milliarden Euro aussprechen. Im Oktober richtete der Bund den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) ein. Dieser Fonds umfasste ein Paket von 480 Milliarden Euro. Rund 400 Milliarden Euro sollten für Garantien und Bürgschaften für Bankverbindlichkeiten bereitstehen und circa 80 Milliarden Euro für Eigenkapitalmaßnahmen von Banken. Im Gegensatz zu den Rettungspaketen der USA und Großbritanniens sieht der Fonds eine freiwillige Inanspruchnahme durch die Kreditinstitute vor. In den USA und Großbritannien mussten Banken zwangsweise Kapitalbeteiligungen des Staates zulassen. In Deutschland waren die Landesbanken und die HRE die ersten Banken, die den Fonds in Anspruch genommen haben. Neben den Rettungsaktionen der Staaten fluteten die Notenbanken die Märkte mit Liquidität. Bis zum Jahresende wurden weltweit mehr als eine Billionen US-Dollar an Liquidität durch die Notenbanken zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurden die Leitzinsen auf historische Tiefstständen gesenkt. Die USNotenbank senkte die Federal-Funds-Rate auf 0,25 Prozent, die EZB reduzierte den Refinanzierungssatz auf 2,5 Prozent bis zum Jahresende. Die Aktienmärkte beendeten das Jahr mit hohen Verlusten. Der DAX verlor 40,4 Prozent, der S&P 500 büßte 38,3 Prozent ein und in Japan gab der Nikkei 41,1 Prozent ab. Die Emerging Marktes verloren teilweise über 60 Prozent ihres Marktwerts. Die europäischen Bankaktien beendeten das Jahr mit durchschnittlich minus 60 Prozent.
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Ͳ
1,00
2,00
3,00
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6,00
Jan07
Apr07
Jul07
2008 FedFundRate
Okt07
RefisatzEZB
Jan08
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Jul08
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Abbildung 26: Notenbankenzinsen (Januar 2007 bis Oktober 2008)
Quelle: Feri Finance AG
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Sieben von 30 DAX-Unternehmen waren 2008 an Übernahmen und Fusionen beteiligt. Im Bankensektor übernahm die Commerzbank AG die Anteile der Dresdner Bank AG von der Allianz AG. Dabei vereinbarten die Parteien die Übernahme in zwei Schritten. Das Gesamtvolumen der Transaktion wurde mit circa 9,8 Milliarden Euro beziffert. Im ersten Schritt erhielt die Allianz Commerzbank Aktien im Wert von rund 3,4 Milliarden Euro, zusätzlich einen Barausgleich von rund 1,6 Milliarden Euro, eine Risikoabdeckung von rund einer Milliarden Euro und die Investmenttochter Cominvest, deren Wert mit rund 700 Millionen Euro in die Transaktion einbezogen wurde. Im Gegenzug erhielt die Commerzbank 60 Prozent der Dresdner-Bank-Aktien. Die Transaktion fiel genau in den Höhepunkt der Finanzkrise im September und Oktober 2008. Noch Anfang September führte die Commerzbank eine Kapitalerhöhung durch, um den Barausgleich der Dresdner-Bank-Transaktion begleichen zu können. Vier Wochen später waren die Kapitalmärkte für solche Transaktionen nicht mehr zugänglich. Auch die Commerzbank wurde in den Strudel der Finanzkrise gezogen und geriet auch wegen der Belastung durch die Übernahme in Bedrängnis. So wurde Ende September die Übernahme nachverhandelt. Danach übernahm die Commerzbank die Dresdner Bank in einem Schritt. Rechtlich sollte die Transaktion zum 1. Januar 2009 abgewickelt werden. Das Gesamtvolumen machte nun nur noch rund 5,1 Milliarden Euro aus. 3,2 Milliarden Euro flossen in bar, das Aktienpaket der Commerzbank war nun deutlich weniger wert, wurde aber nicht aufgestockt. Die Allianz erhielt rund 18,4 Prozent des Kapitals der Commerzbank. Die ursprünglich vorgesehene zweite Tranche, die dazu geführt hätte, dass die Allianz-Beteiligung an der Commerzbank auf 30 Prozent gestiegen wäre, wurde gestrichen. Die Cominvest wurde nach wie vor mit rund 700 Millionen Euro bewertet und ging an die Allianz. 210
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
Die Risikoabschirmung wurde ebenfalls gestrichen. Zur Finanzierung des Geschäftes und zur Stärkung des Eigenkapitals im Zuge der Finanzkrise benötigte die Commerzbank weiteres Kapital. So war die Commerzbank die erste Universalbank, die im November vom staatlichen Rettungsfonds SoFFin eine Eigenkapitalhilfe in Anspruch nahm. Der Fonds stützte die Commerzbank mit 8,2 Milliarden Euro Kapital und beteiligte sich in Form einer stillen Beteiligung an dem Kreditinstitut. Das entsprach rund 30 Prozent des gesamten Eigenkapitals, allerdings verfügte der Rettungsfonds über kein direktes Mitspracherecht bei Managemententscheidungen der Bank. Mit der Übernahme der Dresdner Bank festigte die Commerzbank ihren zweiten Rang unter Deutschlands größten Kreditinstituten. Der Branchenprimus, die Deutsche Bank, sah in der Krise ebenfalls den Bedarf, durch eine Übernahme seine Position zu stärken. Insbesondere wollte Konzernchef Ackermann das Privatkundengeschäft stärken, welches innerhalb des Konzernes den Ergebnissen des Investmentbankings in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung verlor. Die Deutsche Bank liebäugelte schon länger mit der Übernahme der Postbank AG. Mit rund 14 Millionen Kunden rangierte die Postbank sogar vor dem Branchenprimus, der rund 9 Millionen Kunden zählte. Im Jahr 2008 war es dann soweit, zunächst unterschrieb die Deutsche Bank den Vertrag zur Übernahme von rund 30 Prozent der Aktien der Postbank. Dafür wurde die Zahlung von rund 2,8 Milliarden Euro an den Alteigentümer, der Deutschen Post AG, vereinbart. Das entsprach 57,25 Euro je Aktie. Weitere 20 Prozent sicherte sich die Deutsche Bank von der deutschen Post über Optionsgeschäfte. Insgesamt sollte die Transaktion im ersten Quartal 2009 vollzogen werden. Nachdem die Kapitalmärkte im Oktober zusammenbrachen und insbesondere die Finanztitel mit starken Kursabschlägen bestraft wurden, geriet der Deal ins Wanken. Für die 2008
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vereinbarten 2,8 Milliarden Euro hätte die Deutsche Bank nun die Postbank komplett übernehmen können, da sich der Aktienkurs der Postbank AG an der Börse gedrittelt hatte. Hinzu kam, dass die Deutsche Bank mittlerweile selbst die Auswirkungen der Krise in der eigenen Bilanz zu spüren bekam und Milliardenverluste produzierte. Die anderen beiden Übernahmeversuche fanden im Automobilsektor statt. Porsche hatte bereits 2005 den Einstieg bei der Volkswagen AG verkündet. Zunächst hatte der Familienbetrieb rund 18 Prozent des Aktienkapitals zusammengekauft. In den Folgejahren stockte Porsche den Anteil auf gut 30 Prozent auf und machte den freien Aktionären ein Angebot zur Übernahme weiterer Aktien. Dieses Angebot hatte jedoch mehr rechtliche Hintergründe, denn so entzog sich Porsche weiterer Meldepflichten für weitere Zukäufe. Erst im September 2008 gab Porsche bekannt, dass die Beteiligung die 35-Prozent-Marke überschritten hatte und VW nun als Tochterunternehmen in die Holdingstruktur der Porsche Automobilholding SE aufgenommen wurden. Die Porsche Automobilholding wurde 2007 als europäische Aktiengesellschaft gegründet, um die operativen Tätigkeiten von der Beteiligungsverwaltung zu trennen. Die Porsche AG war eine 100-prozentige Tochter der Holding und VW wurde mit der Beteiligungsquote ebenfalls als Tochterunternehmen unter der Holding geführt. Gleichzeitig verkündete die Holding, dass sie sich weitere Anteile über Optionen gesichert hatte und die Beteiligung so 2009 auf über 70 Prozent erhöhen wolle. Da praktisch 55 Prozent der VW Aktien in festen Händen lagen (20 Prozent beim Land Niedersachsen und 35 Prozent bei der Porsche Automobilholding), darüber hinaus die Holding sich weitere 40 Prozent über Optionen gesichert hatte, waren faktisch nur knapp 5 Prozent der Aktien am Markt frei verfügbar. Dieser Umstand heizte im Oktober 2008 212
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die Spekulationen derart an, dass die VW-Aktie zeitweise auf Kurse von über 1.000 Euro sprang. An einem Tag verdoppelte sich der Wert der Aktie. Damit war VW nach dem Wert des Aktienkapitals für wenige Stunden das größte Unternehmen der Welt. Im DAX sorgte der Kurssprung ebenfalls für große Verwerfungen. Da nahezu alle anderen DAX-Werte unter starken Kursverlusten litten, veränderte sich die rechnerische Gewichtung der VW-Aktie am DAX auf rund 30 Prozent. Diese Quote war jedoch am Markt gar nicht verfügbar, so dass sich die Marktteilnehmer nicht analog der DAX-Gewichtung positionieren konnten. Ohne VW hätte der DAX in diesen Tagen die Tiefststände von 2003 erreicht. So verzeichneten die deutschen Aktienfonds gegenüber dem Index eine extreme Minderentwicklung. Die Deutsche Börse AG reagierte erst einige Tage später mit der außerplanmäßigen Adjustierung der Index-Gewichtungen und der Begrenzung des VW-Anteil auf maximal 10 Prozent. Porsche schien der einzige Profiteur der Kurssprünge bei der VW-Aktie gewesen zu sein. Es wurde berichtet, dass Porsche das Kunststück fertigbrachte, dank der Options- und Aktiengewinne im Konzern mehr Gewinn als Umsatz produziert zu haben. Der familiengeführte fränkische Automobilzulieferer Schaeffler schickte sich Anfang des Jahres an, den viel größeren Mitbewerber Continental zu übernehmen. Ähnlich wie Porsche bei der Übernahme von VW sicherte sich die SchaefflerGruppe über Options- und Swap-Geschäfte einen Anteil von rund 28 Prozent der Aktien an der Continental AG. Zuvor hatte das Unternehmen bereits knapp 8 Prozent der Aktien am Markt gekauft. Als das Familienunternehmen im Sommer dann ein Übernahmeangebot an die freien Aktionäre von knapp 70 Euro je Aktie bekannt gab, entbrannte eine Übernahmeschlacht, bei der sich die beteiligten Parteien im August darauf einigten, dass Schaeffler nicht mehr als 49,9 Prozent des Kapitals über2008
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nehmen würde, gleichzeitig wurde das Abfindungsangebot auf 75 Euro erhöht. Bis zum 16. September wurden Schaeffler jedoch mehr als 80 Prozent der Aktien angeboten. Zusammen mit den eigenen Aktien besaß die Schaeffler-Gruppe nun rund 90 Prozent des Grundkapitals von Continental. Vereinbarungsgemäß musste Schaeffler den die 49,9-Prozent-Grenze übersteigenden Anteil an ein Bankenkonsortium weiterreichen. Nach Ablauf der Übernahmeofferte folgte der Kurs der ContinentalAktien der allgemeinen Börsentendenz und verlor kräftig. Nun musste Schaeffler den über 10 Milliarden Euro teuren Deal finanzieren. Zwar sicherte sich Schaeffler entsprechende Kreditlinien, jedoch fielen die zur Sicherheit hinterlegten Aktien im Wert und die Schaeffler-Gruppe musste die Differenz ausgleichen. Schnell waren die eigenen Mittel ausgeschöpft, sodass Schaeffler nun selbst in Finanznöte geriet. Das Bankenkonsortium verlängerte die Kreditlinien nur mit strengen Auflagen. Danach musste Schaeffler die in Anspruch genommenen Kreditlinien in mehreren Stufen bis zum Sommer 2009 auf rund 7,5 Milliarden Euro zurückführen. Da das eigene Geschäft infolge der Finanzmarktkrise, die mittlerweile auch die Realwirtschaft erfasst hatte, stark belastet wurde, war die Diskussion entfacht, ob Schaeffler sich mit der Übernahme nicht selbst verhoben hatte. Die Entwicklung der Krise von der Hypothekenkrise, zur Bankenkrise, zur Finanzmarktkrise bis zur Weltwirtschaftskrise entfaltete ihre volle Wirkung. Nicht nur die Aktienmärkte brachen zusammen, voran gegangen war der Zusammenbruch der Kreditmärkte und damit wurde eine Vertrauenskrise ausgelöst, die das Weltfinanzsystem als Hauptschlagader der Weltwirtschaft an den Rand des Ruins führte. Als ob ein Schalter umgelegt wurde, stoppte in der zweiten Jahreshälfte der globale Handel. Nur durch massive Eingriffe seitens der Notenban214
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Teil 5 – Globalisierung und die Folgen
ken und der internationalen Staatengemeinschaft konnte das Überleben des Systems vorläufig gesichert werden. Ob und wie das internationale Finanzsystem seine Funktion innerhalb der Wirtschaftsordnung wieder ausfüllen würde, war die große Frage zum Jahresende. Das Jahr lief nur für Peggy zufriedenstellend. Sie erhält 3,5 Prozent Zinsen und ihr Kontostand steigt auf 151,08 Euro. Maik und Sirko mussten Verluste von über 40 Prozent hinnehmen. Sirko verliert 133,08 Euro. Am Ende des Jahres zeigt sein Konto einen Bestand von 196,53 Euro. Maik verliert fast 100 Euro und fällt mit einem Kontostand von 137,36 Euro auf den dritten Platz unter den drei Investoren zurück. Sirko tauscht sein Aktieninvestment am Jahresende in Bundesanleihen und hofft so die Krise zu überwinden.
2008
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Quelle: eigene Berechnung
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70%
170%
270%
370%
470%
570%
670%
770%
1989
1990
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1992
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1994
1995
1996
1997 Peggy
1999 Maik
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Sirko
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2002
2003
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2008
Abbildung 27: Anlageergebnisse 1989 bis 2008 indexiert
2009 Auf der politischen Bühne betrat Barack Obama das Rampenlicht. Im Vorwahlkampf zur Präsidentenwahl setzte sich der Kandidat gegen die populäre ehemalige First Lady Hillary Clinton durch und im November 2008 errang er gegen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain einen beeindruckenden Wahlsieg. Damit war der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wieder ein Demokrat. Gleichzeitig war er auch der erste Farbige, der das höchste politische Amt in den USA innehatte. Barack Obama hat es in seinem Wahlkampf geschafft, das Volk in der Krise zu einen und mit einem neuen „Wir“-Gefühl auszustatten. Mit dem Slogan „Yes, we can“ brachte er die Wählerschaft hinter sich. Als Obama im Januar 2009 vereidigt wurde, glich das Spektakel, das weltweit über das Fernsehen ausgestrahlt wurde, einer Krönungszeremonie. Gleichzeitig wurde mit der Vereidigung die Hoffnung verbunden, dass Barack Obama nicht nur Amerika den Weg aus der Krise weist. Weltweit ist er zum Sympathieträger und zum Symbol des neuen Amerikas geworden. Noch ein Amerikaner machte zur Jahreswende von sich reden. Allerdings sorgte er für negative Schlagzeilen. Bernard Madoff schuf den größten Anlegerbetrugsfall der Geschichte. Madoff war einst der Chef der New Yorker Technologiebörse Nadaq, bevor er Geld von Anlegern verwaltete. Ihm wurde zugetraut, dass er sich in den Märkten auskannte, in die er investierte. Aktien und Optionen kaufte und verkaufte er so, dass immer ein ansehnlicher Gewinn übrig blieb. 10 Prozent Rendite im Durchschnitt und das relativ stabil. Weder die Krise von 1998, noch das Platzen der Technologieblase 2000 vermochten seinem Fonds einen Kratzer zuzufügen. Diese Stabilität locke institutionelle und besonders vermögende Investoren aus der ganzen 2009
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Welt in Bernie Madoffs Fonds. In vielen Ländern wurden sogenannte Feederfonds aufgelegt, die wiederum in den Hauptfonds investierten beziehungsweise über Swap-Konstruktionen 1:1 an der Wertentwicklung des Hauptfonds partizipierten. So wurden die Künste des Meisters auch für Kleinanleger und Vermögensverwalter zugänglich gemacht. Im Dezember platzte der Traum von den quasi risikolosen Renditen. Als Bernie Madoff das Geheimnis seiner Kunst seinen Söhnen anvertraute, gingen sie zur Polizei und erstatteten Anzeige. Tatsächlich hatte Madoff neue Kundengelder zur Bedienung alter Renditeversprechen veruntreut. Das ganze Konzept seines Fonds war ein Schneeballsystem, das solange funktioniert, wie neue Gelder eingeworben wurden. Insgesamt waren über 65 Milliarden US-Dollar in Madoff-Fonds investiert. Als der Schwindel aufflog, verflüchtigte sich das Kapital über Nacht. Die Investoren konnten ihr Kapital zu 100 Prozent abschreiben. Die Hedgefondsbranche, die ohnehin schon nach den Kapitalmarktverwerfungen von 2008 zu kämpfen hatte, verlor weiter an Glaubwürdigkeit. Schnell waren die Kämpfer für mehr Transparenz auf der Bühne und verurteilten das Versagen der Finanzmarktaufsicht. Doch gegen Betrug, dass zeigte die Geschichte, ist auch die beste Aufsicht nicht gefeit. Bernie Madoff wurde im Juni vor einem New Yorker Gericht zu einer Haftstrafe von 150 Jahren verurteilt. Er geht als der größte Betrüger in die Geschichte ein.
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VereinigteStaaten
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Deutschland
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Abbildung 28: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, den USA und Japan (2004 bis 2008)
Quelle: Feri Finance Ag
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Der sich im vierten Quartal 2008 andeutende konjunkturelle Absturz verstetigte sich im ersten Quartal des Jahres 2009. Beispielhaft für den Kollaps im Welthandel war der Einbruch der japanischen Exportleistung. Von März 2008 bis März 2009 brach die Exportrate um mehr als 45 Prozent ein. Das war mehr als das Dreifache früherer Rezessionen. Das gleiche Schicksal ereilte auch andere Exportnationen, in Deutschland ging beispielsweise der Auftragseingang im gleichen Zeitraum um rund 35 Prozent zurück. In der Folge mussten die Wachstumsprognosen radikal nach unten angepasst werden. Nach den ersten Daten fürs erste Quartal, wonach die deutsche Wirtschaft um 2,8 Prozent schrumpfte, wurden die Prognosen auf minus 6 Prozent für das Gesamtjahr revidiert. Ähnlich, wenngleich nicht in dieser dramatischen Höhe, sah es auch jenseits des Atlantiks aus. In den USA schnellte die Arbeitslosenquote auf rund 9 Prozent hoch, längst bemühte sich der Staat nicht nur als Retter des Finanzsystems, sondern auch als Schutzpatron für die Realwirtschaft. Wegen der traditionell ohnehin schwachen Bilanzstruktur gerieten die US-Autobauer in die existenzbedrohende Notlage. Chrysler, gerade erst von Daimler wieder abgespalten, stellte sich als erster der großen drei Autobauer Ford, General Motors (GM) und Chrysler unter Gläubigerschutz nach Chapter 11, was in Deutschland dem Insolvenzverfahren gleichkommt. Als nächstes erwischte es GM, dem ehemals weltweit größten Autokonzern. Hierzulande wurde die GM-Tochter Opel mit in den Strudel gezogen. In der Bundesregierung entfachte der Streit, ob die Regierung zur Rettung der heimischen Arbeitsplätze als Retter von Opel aktiv werden sollte. Die Stimmung bei den Bürgern war eindeutig. Wenn der Staat mit Milliarden die Verursacher der Krise, die Banken, stützte, könne man nicht dem produzierenden Gewerbe die Hilfe verweigern. Tatsächlich setzte sich die Regierung für die 220
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Rettung von Opel aktiv ein und verhandelte mit potenziellen Investoren über staatliche Milliardenhilfen. Erst als die Konzernmutter GM alle Rechte, Fabriken und Patente auf Opel zurückübertrug, konnte der Fortbestand des deutschen Autobauers geplant werden. Dennoch lag die Entscheidung, wie und mit welchen Partner es bei Opel weiterging, nicht bei der Bundesregierung. Die Entscheidung wurde in den USA bei GM getroffen, denn die Aktienmehrheit lag immer noch bei den Amerikanern. Zuletzt sah es so aus, als könne sich das kanadisch-österreichische-russische Bieterkonsortium um den Automobilzulieferer Magna durchsetzen. Wie ging es nun weiter mit dem deutschen Automobilzulieferer Schaeffler, der sich augenscheinlich mit der Übernahme von Continental übernommen hatte? Vergeblich mühte sich die Inhaberfamilie um Staatshilfe, denn durch die Aktienübernahme wuchs der Kreditberg auf über elf Milliarden Euro und drohte das Unternehmen zu erdrücken. Bis zum Sommer 2009 sollten die Kredite auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden, ansonsten würden die Gläubigerbanken ihre Sicherheiten verwerten. Zwischendurch sah es so aus, als könne Continental nun die Automobilsparte von Schaeffler übernehmen, doch blieb es zunächst bei den Gerüchten. Sollte die Familie keine Investoren finden, werden die Banken wohl versuchen die Kredite in Eigenkapital umzuwandeln. Das würde das Ende des Einflusses der Familie Schaeffler auf ihr Unternehmen bedeuteten. Auch Porsche litt unter der finanziellen Belastung der Übernahme der Aktienmehrheit bei Volkswagen. Hier drückten ebenfalls über zehn Milliarden Euro Schulden und auch Porsche bemühte sich vergeblich um Staatshilfen. Ein Staatsfonds aus Katar war potenzieller Interessent für eine Beteiligung an Porsche im Gespräch. Die Finanzierungsklemme bei der Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank wurde zu Be2009
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ginn des Jahres elegant durch einen Aktientausch beseitigt. Zunächst hatte die Deutsche Bank rund 30 Prozent der Aktien von dem Alteigentümer der Deutschen Post zu einem Preis von rund 2,8 Milliarden Euro übernehmen wollen. Später sollten weitere Aktien an die Deutsche Bank gehen. Als die Finanzkrise dann die Aktienkurse fallen ließ, war das Geschäft in Gefahr. Die Deutsche Bank dachte wohl auch über die Option nach, die Übernahme gänzlich abzusagen. Dann einigten sich jedoch die Geschäftsparteien. Nun sollte die Deutsche Post ihre Anteile komplett in drei Schritten an die Deutsche Bank übergeben. Rund 23 Prozent des Postbankkapitals gingen durch einen Aktientausch auf die Deutsche Bank über. Die Deutsche Post erhielt im Gegenzug 8 Prozent des Aktienkapitals der Deutschen Bank. Weitere 27,4 Prozent des Postbankkapitals würden durch eine Anleihe, die einen Pflichtumtausch in Aktien der Postbank AG enthielt, an die Deutsche Bank übergehen und über weitere 12 Prozent erhielt die Deutsche Bank Optionen zum Kauf. Insgesamt reduzierte sich das Gesamtvolumen der Transaktion auf rund 4,9 Milliarden Euro, von denen knapp zwei Milliarden liquiditätsschonend über einen Aktientausch finanziert wurden. Im Frühjahr wurde der Rettungsplan für die schwer angeschlagene Hypo Real Estate (HRE) verabschiedet. Danach machte der Finanzmarktstabilisierungsfonds (Soffin) den Altaktionären ein Angebot zur Übernahme der Aktien an der HRE. Je Aktie erhielten abgabewillige Aktionäre 1,39 Euro. Bis zum Ende der Angebotsfrist wurden so rund 38,6 Prozent der Aktien der HRE an den Sonderfonds übertragen. Mit den bereits gehaltenen Aktien besaß der Fonds nun rund 47,3 Prozent des Kapitals der HRE. Im nächsten Schritt sollte nun eine Kapitalerhöhung erfolgen, die das Eigenkapital der Bank um rund 5,6 Milliarden Euro erhöhen würde. Der Soffin übernimmt die neu222
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en Aktien komplett und verfügt dann nach der Kapitalerhöhung über rund 90 Prozent des Aktienkapitals. Die noch verbleibenden freien Aktionäre, darunter auch der US-Finanzinvestor J. C. Flowers, sollen dann mittels eines sogenannten Squeeze-outVerfahrens abgefunden werden. Wäre die Übernahme der Aktienmehrheit nicht wie zuvor beschrieben zustande gekommen, hätte der Staat die HRE verstaatlichen und die Aktionäre enteignen können. Dazu wurde eigens im Bundestag ein Gesetz verabschiedet. Das Agieren der Regierungen und Notenbanken zur Bekämpfung der globalen Wirtschaftskrise wirkte bis zum Frühjahr noch unkoordiniert und teilweise planlos. Das Finanzsystem war noch lange nicht saniert und auch an den internationalen Kapitalmärkten spiegelte sich die Hoffnungslosigkeit wider. Die Aktienmärkte markierten im März ihre vorläufigen Tiefststände. Um mehr als 20 Prozent verloren sie gegenüber den Jahresanfangsständen an Wert. Die Notenbanken hatten schon alle Geldhähne aufgedreht und die Regierungen Milliardenhilfe für die Wirtschaft angekündigt, doch das Vertrauen in die Märkte wurde noch nicht wiederbelebt. Die Konjunkturdaten deuteten auf einen gigantischen Absturz der Wirtschaft. Für die Wende an den Kapitalmärkten und auch bei der Stimmung der Wirtschaftsakteure sorgte wohl der Anfang April in London stattfindende Weltwirtschaftsgipfel. Bei dem Treffen in London einigten sich die Staats- und Regierungschefs sowie deren Finanzminister und Notenbankchefs der 20 führenden Industrienationen und Entwicklungsstaaten auf ein gemeinsames Vorgehen zur Bekämpfung der Krise. Zwar wurden die bisherigen Konjunkturprogramme und Staatshilfen im Abschlusskommuniqué mit aufsummiert, jedoch war die Botschaft geglückt, dass gemeinsam und entschlossen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die Krise zu überwinden. Neu war, dass 2009
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der IWF mit zusätzlichen Finanzmitteln in Höhe von 750 Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung der Krise ausgestattet wurde. Insgesamt addieren sich die internationalen Hilfspakete auf eine Summe von mehr als 4,5 Billionen US-Dollar. Diese allein sorgen in diesem und in den nächsten Jahren für einen Wachstumsschub, der rund 4 Prozent des Welt-Bruttoinlandproduktes entspricht. Die Aktienbörsen haben seit den Tiefpunkten im März gut 35 Prozent zulegen können. Die Stimmungsindikatoren konnten sich seither ebenfalls beleben und auch die gestiegenen Rohstoffpreise lassen die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Wirtschaftskrise wachsen. Am 30. Juni 2009 wird die Schlussbilanz der drei Investoren gezogen. Mittlerweile sind Sirko und Maik Familienväter im Alter von Anfang 40. Auch Peggy, heute 42 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern, steht mitten im Berufsleben. Aufregende Zeiten haben sie alle drei erlebt, in Deutschland mitten in Europa. Sie lernten die Wirtschaft und das Börsenleben kennen und haben viel über heimische Unternehmen erfahren. Spannend war die Zeit als die Mauer fiel und der Startschuss für eine neue Epoche ausgelöst wurde. Die Weltwirtschaft wurde globalisiert und Europa vereint. Sie haben mit der Kapitalanlage begonnen, als die DM eingeführt wurde, später folgte der Euro. Alle drei haben positive Anlageergebnisse erreicht. Peggy setzte dabei auf Bundesschatzbriefe und erzielte, dank der guten Verzinsung zu Beginn der Anlage, über den Zeitraum von fast 20 Jahren eine jährliche Rendite von 5,81 Prozent. In den letzten viereinhalb Jahren reduzierte sich die Rendite auf 2,75 Prozent. Ihr Konto zeigt einen Endstand von 153,67 Euro. Maik erzielte mit der Anlage in Deutsche Aktien ein Ergebnis von 5,2 Prozent jährlicher Rendite seit Beginn der Investition. In der letzten Periode seit Ende 2004 stehen mit 2,75 Prozent jährlicher Rendite der gleiche Erfolg wie
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bei Peggys Anlage zu Buche. Der Kontostand beträgt am 30. Juni 2009 137,33 Euro. Damit belegt Maik den dritten Platz. Sirko schichtete seine Anlage Anfang des Jahre in Anleihen um. Er verdient damit bis zum Stichtag 2 Prozent. Sein Vermögen wächst auf 200,49 Euro. Das bedeutet eine jährliche Rendite seit Beginn von 7,26 Prozent. Die letzte Periode beschließt er als einziger mit einer negativen jährlichen Rendite von 0,05 Prozent. Das bedeutet, dass er mit einem deutlichen Vorsprung der Sieger des Wettbewerbs ist, obwohl er in der letzten Periode nicht mehr Punkten konnte.
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Quelle: eigene Berechnung
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Abbildung 29: Anlageergebnisse jährlich in Prozent (2006 bis 30.06.2009)
Die entscheidende Frage, wie die Wirtschaftswelt nach der Krise aussehen wird, ist noch nicht beantwortet. Tatsächlich hat es in der jüngsten Geschichte kein vergleichbares Szenario gegeben. Die Globalisierung, die in den letzten 20 Jahren den langen Wachstumsschub bescherte, hat zur internationalen Vernetzung von Handel, Produktion und der Finanzindustrie geführt. Kaum eine Volkswirtschaft kann heute autark wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, die einseitig nur den eigenen Interessen dienen. Damit ist auch die Lösung der Krise kein autarkes, regional begrenztes Ereignis. Die Globalisierung hat Ungleichgewichte aufgebaut und gefördert, die zur Krise geführt haben. Nur gemeinsam können die Herausforderungen der Zukunft gemeistert werden. Die Neuordnung des Finanzsystems scheint eine der dringendsten Aufgaben. Ob und wie viele Reglementierungen nötig sein werden, wird gerade debattiert. In jedem Falle wird versucht werden, dass exzessive Kreditwachstum zukünftig strengeren Regeln zu unterwerfen, doch zunächst muss die Kreditvergabe erst einmal wieder angeschoben werden, um den Wirtschaftskreislauf zu beleben. Wie die Rolle Europas in der zukünftigen Wirtschaftsordnung aussieht, ist noch nicht gewiss. Vermutlich wird dank des Wachstums in den Entwicklungsländern der Einfluss Europas weiter zurückgehen, dennoch muss vermerkt werden, dass auch Europa und insbesondere Deutschland in der Weltwirtschaft eine gewichtige Rolle zuteil wird. In Schlüsselindustrien wie Automobil, Maschinenbau, Chemie und Umwelttechnologie besitzen deutsche Unternehmen die Marktführerschaft. Zwar leidet die Exportwirtschaft extrem unter der Wirtschaftskrise, jedoch kommt insbesondere der deutschen Wirtschaft zugute, dass nach dem Wiedervereinigungsprozess ein grundlegender Strukturwandel vollzogen wurde. Die deutsche Wirtschaft hatte zwei Jahrzehnte mit niedrigen Wachstumsraten 2009
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zu kämpfen und dabei gelernt die Produktivität und Effizienz auch in schwierigem Umfeld zu erhöhen, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Weiter wirken heute die Reformen am Arbeitsmarkt entlastend für die Wirtschaft, so dass flexible Anpassungen an die veränderte Umwelt schnell vorgenommen werden können. Europa an sich bildet neben den USA den größten Wirtschaftsraum. Die Wirtschaftsleistung in Europa ist jedoch im Gegensatz zu der in den USA wesentlich diversifizierter und ausgewogener. Der europäische Einigungsprozess und der gemeinsame Währungsraum schützen die Mitgliedstaaten vor Währungsverwerfungen und Protektionismus. Die strengen Maastrichtkriterien, die nicht immer und gerade heute nicht eingehalten werden, haben in der Vergangenheit haushaltspolitische Exzesse begrenzt. Auch wenn die Staatsverschuldungen in dieser Krise massiv ausgeweitet werden, ist das System stabil und die Politik handlungsfähig. Der Weg aus der Krise scheint aus heutiger Sicht beschwerlicher und länger zu sein als bei früheren Krisen. Die Ausgangsposition Europas und insbesondere Deutschlands ist keine schlechte. Das System der sozialen Marktwirtschaft wird vielerorts in der aktuellen Situation als beispielhaft angesehen und könnte sich in der Krise als positiv bewähren. Wirtschaftliche Anpassungsfähigkeit und soziale Ausgewogenheit, damit könnte Deutschland und Europa am Ende zu den Gewinnern der Krisenbewältigung zählen.
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Der Autor
Stefan Calefice, geboren 1968 in Anrath (Nordrhein-Westfahlen), schloss im Januar 1990 seine Ausbildung zum Bankkaufmann in Krefeld ab. Kurze Zeit später siedelte er nach Berlin um und war zunächst in Potsdam in seinem Beruf tätig. Das Studium an der Bankakademie in Berlin legte er berufsbegleitend ab und entwickelte sich in der Folge zum ausgewiesenen Experten für das Wertpapier- und Vermögensverwaltungsgeschäft. Seine beruflichen Stationen führten ihn über die BfG Bank AG, Grundkreditbank Berlin eG, Gries & Heissel Bankiers Berlin und die Berliner Weberbank Privatbankiers Actiengesellschaft im Jahr 2005 zum Bad Homburger Vermögensverwalter Feri Family Trust GmbH. Dort verantwortet er den Geschäftsbereich Portfoliomanagement. Privat engagiert sich Stefan Calefice sozial- und gesellschaftspolitisch für die Belange der Ost-West-Beziehungen. In dieser Funktion stand er von 1998 bis 2007 dem Verein Nadjeschda e. V. vor, der sich die Pflege und Förderung der Kontakte zwischen Spandau und Wolgograd (Russland) zur Aufgabe machte. Ebenso gehörte er lange Jahre dem Vorstand des Bundesverbandes deutscher West-Ost-Gesellschaften an. Für sein ehrenamtliches Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet. 2004 wurde ihm die Spandauer Ehrennadel verliehen. Heute lebt Stefan Calefice in Frankfurt am Main. Der Autor |
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Danksagung
An erster Stelle danke ich dem Gabler Verlag, der die Initialzündung mit seiner Buchanfrage gegeben hatte und in der Folge mir mit seinem Lektorat Finanzdienstleistungen bei der Erstellung zur Seite stand. Bedanken möchte ich mich bei meinem langjährigen Freund und Berufskollegen Ingo Klamroth, mit dem ich mich in der Entstehungsphase des Buches oftmals und lange gedanklich austauschen konnte. Bei Marco Willner, ebenfalls ein Kollege, bedanke ich mich fürs Korrekturlesen und der Feri Finance AG für die Bereitstellung des Datenmaterials. Ganz besonderen Dank möchte ich meiner Lebensgefährtin Inna und meinem Sohn Kilian aussprechen, die mir die Kraft und die nötige Ruhe für dieses Buch gegeben haben. Stefan Calefice
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