George Romero Susanna Sparrow
Horror-Roman Nach einem Drehbuch von George Romero
Wilhelm Goldmann Verlag
Titel der ...
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George Romero Susanna Sparrow
Horror-Roman Nach einem Drehbuch von George Romero
Wilhelm Goldmann Verlag
Titel der Originalausgabe: Dawn of the Dead Originalverlag: St. Martin's Press Inc., New York Aus dem Amerikanischen übertragen von Frank N. Stein
Made in Germany • 8/79 • 1. Auflage • l .-15. Tsd. © der Originalausgabe 1978 bei Dawn Associates © der deutschen Ausgabe 1979 beim Wilhelm Goldmann Verlag, München Umsdilagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München Fotos: Neue Constantin Film GmbH, München Satz und Druck: Presse-Druck Augsburg Verlagsnummer: 3895 Lektorat; Doris von Kornatzki • Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-03895-2
Das Einschlafen fiel Francine Parker schwer. Jeden Abend war es eine Anstrengung, die Ereignisse des Tages und die Erinnerungen an die Vergangenheit zu verdrängen, die ihr Gemüt belasteten. Jetzt, als sie schlief, zeigte ihre gequälte Miene, daß sie selbst im Traum nicht davon verschont blieb. Mit dreiundzwanzig Jahren war sie schlank und sehr attraktiv. Nach ihrer Scheidung hatte sie ihre Brille mit Kontaktlinsen vertauscht, ihr brünettes Haar silberblond gebleicht und elf Kilogramm Übergewicht, verursacht durch Spaghetti, Schokoladekuchen und Häuslichkeit, binnen kurzern abgehungert. Es war eigentlich ein komischer Traum, der sie jetzt heimsuchte. Wäre sie wach gewesen, sie hätte über seine Symbolik vielleicht gelacht - sie war an das Spülbecken in der Küche gefesselt, die Arme bis zu den Ellenbogen in Seifenschaum, und ihr Exehemann Charlie küßte sie auf den Nacken. Endlich setzten sich die summenden Geräusche von Stimmen, Elektronikanlagen und dem allgemeinen Durcheinander eines wildgewordenen Fernsehstudios angesichts einer landesweiten Katastrophe gegen die lächerliche Misere einer Hausfrau durch, und Francine kam langsam zu sich. In ihrer Ver-
wirrung wußte sie nicht, wo sie war - und dann fiel es ihr ein; sie war Mrs. Francine Parker, zweite Sendeleiterin der Fernsehstation WGON, Sie war nicht mehr Mrs. Charles Parker, mit neunzehn Hausfrau, mit einundzwanzig zu Tode gelangweilt. In den zwei Jahren seit ihrer Scheidung hatte sie wirklich viel erreicht, aber dies war nicht der Augenblick für Selbstbelobigung, nicht angesichts eines nationalen Notstandes. Fran taumelte. Ihr langes Haar hing in fettigen Strähnen S
um ihr verschwitztes Gesicht. Jeans und Bluse, die sie nun schon tagelang anhatte, waren zerknittert und klebten ihr am Leib. Sie hatte an der Wand gesessen, mit einem alten Mantel zugedeckt. »Alles okay?« fragte eine Stimme aus dem Nebel, der sie umgab. Fran starrte den jungen Mann, der sie aufgefangen hatte, an und wußte im ersten Augenblick nicht, wo sie ihn hintun sollte. »Jetzt sitzen wir erst richtig m der Scheiße«, sagte der junge Mann, den sie endlich erkannte - Tony, der Redaktionsbote. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, seine olivfarbene Haut von Schmutz- und Schweißspuren gezeichnet. Trotzdem ging er ruhig zu den anderen Schläfern am Boden und weckte sie so vorsichtig, wie er es bei Fran getan hatte. Das Stimmengewirr wurde lauter und wurde unterscheidbar. Fran erkannte, daß die Geräusche von einem Monitor kamen. Noch immer unfähig, den unsinnigen Traum abzuschütteln, schaute sie sich um. Am anderen Ende des Raumes gab es Gedränge um den Monitor. Kleine Figuren, die sich ungeschickt wie Strichmännchen bewegten, diskutierten heftig miteinander. Ringsum waren die Menschen erschöpft und aufgelöst, und trotzdem liefen sie wie wild durcheinander. »Woher das kommt? Was, zum Teufel, spielt das für eine Rolle, woher das kommt?« sagte Sidney Berman erbost, während sein zerzauster schwarzhaariger Kopf rhythmisch auf und ab wippte. Sein Gesicht war gerötet. Hier ging es nicht um Banales, wie oft in seiner viel gesehenen vormittäglichen Talkshow. Hier ging es um Leben und Tod. Was für Einschaltquoten! dachte er. »Ja, aber das ist . . .« sagte Dr. James Foster ruhig, während die Augen hinter seiner Brille glitzerten. Sein schütteres, blondes Haar war unter dem heißen Scheinwerferlicht feucht vor Schweiß. »Das ist eine ganz andere Untersuchung«, unterbrach Der-
Francine Parker, dreiundzwanzig Jahre alt, zweite Sendeleiterin bei der Fernsehstation WGON. (Gaylen Ross.)
man. »Sie versuchen -« »Aber wenn wir das wüßten, könnten wir . . .« Dr. Foster schob sich auf die Stuhlkante vor und gestikulierte. »Das wissen wir nicht«, gab Berman zurück. »Wir wissen es nicht. Wir müssen von dem ausgehen, was wir wissen.« Francines Blick wanderte von der Diskussion auf dem Bildschirm zu dem wilden Durcheinander im Raum. Redakteure hetzten mit Fernschreiben in den Händen hin und her, Sekretärinnen ordneten die Stapel von Meldungen in die einzelnen Fächer für die Reporter, überall rannten Leute, stolperten über Kabel, behinderten einander. »Ich träume immer noch«, sagte eine Stimme, und einen Augenblick lang glaubte Francine in ihrer Schläfrigkeit, es wäre ihre eigene. Dann begriff,sie, daß es eine Männerstimme gewesen war. Sie wandte sich ihr zu. Es war ein junger Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, jemand, der von Tony bei seiner Runde geweckt worden war. »Nein, das tun Sie nicht«, sagte Francine leise. »Ich bin dran mit dem Mantel«, sagte eine junge Frau, die Francine als Kunstredakteurin erkannte. Die Frau hielt ihr im Tausch für den dicken Mantel, der Fran als Decke gedient hatte, eine Tasse Kaffee hin. Fran griff dankbar danach. »Die Jungs von der Technik schnappen über«, sagte die Frau vertraulich zu Fran. »Eine ganze Reihe hat schon das Weite gesucht. Ich weiß nicht, wie lange wir noch senden können.« Die Frau wickelte sich in den Mantel und machte es sich für ein Nickerchen bequem. Fran wankte hinüber zu den Schaltpulten. Die Techniker schienen unter dem Druck von Verwirrung und Chaos zusammenzubrechen. »Achtung, Kamera z w e i . . , Wer ist an Kamera zwei, verdammt noch mal - ein Blinder?« schrie jemand. »Bildfeld halten . . . Bildfeld halten . . .« lallte ein anderer, wie zu sich selbst gewandt. »Noch einmal die Rettungsstationen.« 8
»Wir haben eine Meldung, daß die Hälfte der Rettungsstationen ausgefallen ist«, sagte der erste. »Ich brauche eine neue Liste.« »Klar«, sagte sein Partner erbost. »Ich zieh' sie mir aus den Rippen.« Wie eine Schlafwandlerin stand Fran erstarrt mitten im Redaktionsraum, von der Tollhausatmosphäre hypnotisiert. Sie fühlte sich völlig hilflos, als ihr die Aussichtslosigkeit der Lage zum Bewußtsein kam. Ihr Blick richtete sich wieder auf den Monitor.
Sidney Berman lockerte seine Krawatte und warf sich in Positur. »Das glaube ich nicht, Doktor Foster, und ich glaube nicht. ..« »Glauben Sie, daß die Toten ins Leben zurückkehren?« fragte Fester mit Betonung. Seine Worte lösten in der ganzen Redaktion einen Schock aus. Gelesen hatte man das den ganzen Tag, aber es zu hören, schuf eine neue Wirklichkeit. »Glauben Sie, daß die Toten ins Leben zurückkehren und die Lebenden angreifen?« wiederholte Foster. »Ich bin mir einfach nicht klar darüber, was ich glauben
soll!« Im Studio, einige Türen von der Redaktion entfernt, machte sich unter den Technikern Panik breit. Man hörte aufgeregtes Gemurmel. Das war keine Fernsehserie - das war das wirkliche Leben! »Alles, was wir erfahren, ist, was Ihresgleichen uns erzählt«, schrie Berman. »Und es fällt schwer genug, das zu glauben . . . Es fällt schwer genug, auch ohne Ihr Auftreten und Ihre Behauptung, wir müßten alle menschliche Würde vergessen und . , .« Berman wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
»Menschliche Wür- . . . Sie können doch nicht -« brauste Foster auf.
»Alle menschliche Würde vergessen«, wiederholte Berman. »Sie halten hier keine Talkshow ab, Mr. Berman«, sagte Foster empört. »Sie können es sich sparen, den Zuhörern moralischen Quark vorzusetzen.« »Sie sprechen davon, jeden menschlichen Verhaltenskodex aufzugeben, und es gibt viele von uns, die dazu nicht bereit sind, Doktor Foster . . .« Die Erregung unter den Technikern und Bühnenarbeitern wuchs. Ein Schrei der Zustimmung gellte. Die Brille rutschte Foster von der Nase. Das Einverständnis von Zuschauern und Technikern mit dem Moderator brachte ihn aus der Fassung. Arbeiter und Kameraleute verließen ihre Posten und drangen mit emporgereckten Fäusten auf ihn ein, fluchten und beschimpften ihn. Polizeiwachen versuchten, das Getümmel unter Kontrolle zu bringen und zu verhindern, daß Leute vom Flur hereinstürmten. Fran starrte dumpf auf Schaltpult und Monitor. »Frannie«, rief ein Mann, »kümmern Sie sich um die neue Liste der Rettungsstationen. Charlie hört die Notfrequenzen ab.« Fran gelang es, sich von der Wahnsinnsszene auf dem Pultmonitor loszureißen. Sie kämpfte sich durch das Gedränge und gelangte zu Charlie, der ein Notfunkgerät bediente. »Wiederholen . . . kann Sie nicht verstehen«, sagte Charlie. »Rettungsstationen?« sagte Fran und blätterte in dem Papierwust auf Charlies Schreibtisch. »Die Hälfte ist schon nicht mehr in Betrieb«, sagte er, wahrend er Notizen zu machen versuchte. »Ich gebe mir Mühe, wenigstens für die unmittelbare Umgebung etwas zu bekommen. Seit zwölf Stunden senden wir überholte Informationen.« »Das sind Rettungsstationen«, sagte Fran besorgt. »Wir können die Leute doch nicht zu stillgelegten -« »Wiederholen, New Hope . . .« sagte Charlie ins Mikrofon. Er reichte Fran die Zettel und sagte zu ihr: »Ich tue, was ich ro
kann. Die sind ab jetzt gültig. Skip und Dusty sind auch am Funk. Viel Glück.« Er tätschelte sie am Gesäß, als sie die Listen zusammenraffte und davoneilte. Am Pult blieb sie stehen und sagte zu dem Studiotechniker: »Ich storniere die alten Rettungsstationen. Die neuen liefere ich, sobald ich kann.« »Givens will sie beibehalten«, sagte der dickbäuchige, grauhaarige Mann barsch. Fran hatte stets Ärger mit ihm gehabt. Er ließ sich von hübschen jungen Damen nicht gerne Anweisungen geben. »Wir schicken die Leute zu Stationen, die schon geschlossen sind«, sagte sie wütend. »Ich storniere die alte Liste.« Als sie zum anderen Regieraum ging, hielt ein bewaffneter Polizist sie auf. Sie versuchte sich vorbeizudrängen in der Meinung, er hätte sie ungewollt behindert. »He, die ist in Ordnung«, sagte Tony im Vorbeilaufen. »Wo ist Ihre Marke?« fragte der Beamte scharf. Fran griff nach dem Revers ihrer Bluse und stellte überrascht fest, daß die Marke fehlte. Dabei war sie überzeugt, sie heute morgen gut befestigt zu haben - oder war das gestern früh gewesen? Tage, Stunden, Minuten gingen in dem unüberschaubaren Wirbel einfach unter. Sie wußte, sie würde in Panik geraten, wenn sie sich Zeit zum Nachdenken nahm. »Herrgott«, schrie sie. »Sie ist in Ordnung«, sagte einer der Reporter im Vorbeigehen. »Ich hatte sie vorhin noch«, versuchte Fran den Polizisten zu überzeugen. »Ich habe da drüben geschlafen . . .« Sie wies auf die an der anderen Wand lehnenden Gestalten. »Jemand hat sie gestohlen«, sagte der Reporter. »Es sind schon viele verschwunden.« Er wandte sich dem Beamten zu. »Sie gehört dazu. Lassen Sie sie durch.« Der Beamte trat widerwillig zur Seite und starrte sie alle beide erbost an.
Sie gingen durch den überfüllten Korridor zu einem kleinen Kameraraum. Es war wie zur Stoßzeit in der U-Bahn. »Ich glaube das einfach nicht«, sagte Fran, als sie sich durch das Gedränge zu schieben versuchten. »So eine kleine Marke kann viele Türen öffnen. Sie ersparen sich viel Ärger, wenn Sie eine Plakette haben - irgendeine.« »Jetzt geht wirklich alles drunter und drüber«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem jungen Mann, als sie eine kleine Kameraanlage erreichten. Die Kamera war auf eine Maschine gerichtet, wo eine Liste der Rettungsstationen abrollte. Die Liste lief über den gesendeten Live-Auf nahmen nach draußen. Ein rothaariger Kameramann drehte sich um, als Fran hereinkam. »Haben Sie neue?« »Muß sie erst tippen. Nehmen Sie die alten weg.« »Givens will, daß sie -« »Nehmen Sie sie weg, Dick. Givens soll zu mir kommen!« sagte sie scharf. Entscheidungen waren ihre Sache. Der Mann schaltete die Kamera ab, griff nach seinen Zigaretten und verließ das Pult. Fran ging weiter zum Studio. Als die Liste der Rettungsstationen vom Monitor verschwand, sah sie, daß die Diskussion zwischen Berman und Foster noch immer im Gange war. Fran ging durch den Mittelgang und fand am Ende der fünften Reihe vom Podium einen freien Platz. Sie brach auf dem Sitz beinahe zusammen, spürte zum erstenmal, wie geschwächt sie körperlich war. Der Arzt hatte ihr erklärt, daß sie sich müde fühlen würde, aber in den letzten zwei Tagen hatte sie nicht viel darüber nachgedacht. Das einzige, was sie immer wieder daran erinnerte, war die ständige Übelkeit. »Tja, ich glaube nicht an Gespenster, Doktor Foster«, sagte Berman gerade. »Das sind keine Gespenster. Es sind auch keine Menschen! n
Es sind Leichen. Jede nicht begrabene menschliche Leichen, deren Gehirn intakt ist, wird sich wieder in Bewegung setzen. Und es liegt gerade an solchen verantwortungslosen Leuten wie Ihnen, daß die Öffentlichkeit in derart unverantwortlicher Weise auf die Situation reagiert!« Die Zuschauer und Techniker erhoben erneut ihr Protestgeschrei. »Sie haben nicht zugehört«, versuchte Foster den Lärm zu überbrüllen. »Sie haben drei Wochen lang nicht zugehört ... Was ist erforderlich ... was braucht es, damit die Menschen begreifen?« Fran atmete tief ein, erhob sich und ging nach vorn zum Aufnahmebereich, der von den Kabeln und Makros und Geräten der Live-Technik umgeben war. Das Geschrei wurde ohrenbetäubend. Fran starrte die beiden Sprecher an, als wären sie Marionetten. »Die Situation ist beherrschbar«, sagte Dr. Foster mit flehender Stimme und streckte die Hand aus, als wolle er ein Friedensangebot machen. »Die Menschen müssen sich darauf einstellen. Es ist außerordentlich schwierig ... bei Freunden . . . bei Angehörigen .. . aber ein Toter muß deaktiviert werden, indem entweder das Gehirn zerstört oder vom Rest des Körpers abgetrennt wird.« Ein neuer Ausbruch erschütterte das Studio. Dr. Foster versuchte, sich über das Geschrei hinweg verständlich zu machen. »Die Lage muß unter Kontrolle gebracht werden ... bevor es zu spät ist ... Sie vermehren sich zu schnell. . .« Fran konnte es nicht mehr ertragen, wie der arme, hilflose Mann einen Haufen brüllender und durcheinanderwogender Wahnsinniger zu überzeugen versuchte. Sie ging durch den überfüllten Raum zu einer zweiten Notfunkanlage. Skip und Dusty saßen dort und kritzelten hastig mit, was durchgegeben wurde. »Einsatzbereite Rettungsstationen?«
»Sie kippen um wie die Fliegen«, sagte Dusty. »Hier sind ein paar. Ich glaube, Foster hat recht, wissen Sie, Ich glaube, wir verlieren den Krieg.« »Ja, aber nicht an den Gegner«, sagte Fran stoisch. »Wir machen uns selbst kaputt.« Sie hielt den beiden den Rest ihres lauwarmen Kaffees hin. »Nicht mehr viel drin, aber laßt es euch schmecken.« Dusty und Skip waren für einen Schluck Kaffee dankbar. Fran eilte zu einem Drucker für das optische Souffliergerät. Über dem allgemeinen Lärm war die Stimme des Moderators immer noch zu vernehmen. »Die Menschen sind nicht bereit, Ihre Lösungen zu akzeptieren, Doktor Foster«, sagte Berman leidenschaftlich. »Und ich kann es ihnen nicht verdenken.« »Jeder Tote, der nicht vernichtet wird, gesellt sich zu ihnen! Er steht auf und tötet! Die Mensdaen, die er tötet, stehen auf und töten!« Die Haare Fosters waren zerzaust, sein Blick zuckte hin und her. Es war ein aussichtsloses Unterfangen. Das Publikum und Berman wollten einfach nicht begreifen. Sie wollten verhätschelt werden, sie wollten glauben, daß es dem Staat auf wundersame Weise gelingen würde, >die Bösen< zu verjagen, und am nächsten Morgen, in den Nachrichten alles wieder so wie früher sein mußte: ein bißchen Politik, ein bißchen Crime, Sportergebnisse und sonniges Wetter. Aber so würde es einfach nicht mehr sein, jedenfalls sehr lange nicht mehr. Fran gab die Liste einsatzbereiter Rettungsstationen an die Schreiberin vor dem Soufflierdrucker und lief zurück in den Regieraum. Um die Monitorpulte herrschte Chaos, das der wutentbrannte Dan Givens, der Sendeleiter, noch zu steigern schien. »Niemand hat die Befugnis dazu. Ich verlange .. .«, schrie er zornig. Als Fran um die Ecke kam, entdeckte er sie, brüllte aber weiter: »Garrett, wer hat Sie angewiesen, die Liste weg14
zulassen?« »Niemand«, mischte Fran sich ein. »Das war ich. Sie sind überholt«, sagte sie schlicht, um ihre Nerven zu schonen. »Ich wünsche, daß sie ständig weiterlaufen«, schrie Givens, während sein gerötetes Gesicht sich noch dunkler färbte. »Wollen Sie die Leute in den Tod schicken, wenn Sie ihnen Stationen nennen, die geschlossen sind?« fuhr ihn Fran an. »Wenn die Rettungsstationen nicht dauernd auf dem Bildschirm sind, gucken die Leute nicht mehr hin. Sie schalten auf einen anderen Kanal!« Fran starrte den hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann fassungslos an. In einem solchen Augenblick dachte er an etwas so Unsinniges wie Einschaltquoten. »Ich wünsche die Liste im Bild, solange wir senden«, wiederholte Givens. Bevor Fran jedoch eine zornige Antwort geben konnte, stand einer der Techniker, der Givens zugehört hatte, auf und verließ das Schaltpult. Der Sendeleiter geriet außer sich. »Lucas ... Lucas, was, zum Teufel, machen Sie da? Setzen Sie sich an Ihren Platz. Lucas... wir sind auf Sendung!« Der stämmige, ältere Mann warf lediglich einen Blick über die Schulter und rief in das Durcheinander: »Kann ich jemand mitnehmen?« Zwei Männer auf der anderen Seite der Schaltanlage griffen nach ihren Aktentaschen und folgten dem Techniker zur Tür. Die Tür wurde von demselben Beamten bewacht, der vorher Fran angehalten hatte. Die ständige Belastung begann sich jedoch auf ihn auszuwirken, und er sah die drei Männer nervös an, »Officer, Officer«, schrie Givens, »halten Sie sie auf. Halten Sie die Leute auf. Lucas, kommen Sie sofort zurück . . . « Der Geräuschpegel nahm zu. Leute begannen hin- und herzustürmen, und über dem Lärm war die Stimme der Regie aus den Lautsprechern zu hören: »Was ist denn bei euch los, ver-
dämmt noch mal? Umschalten ... Umschalten ... Wo ist die Bildmischung?... Wir verlieren das Bild,« Givens brüllte immer noch, »Officer, die Leute aufhalten . . .« Der junge Beamte starrte die Männer an, als sie auf ihn zutraten. Dann packte er seinen Karabiner fester, öffnete die Tür und ließ sie hinaus. Ohne einen Blick auf den kreischenden Givens zu werfen, schloß er sich ihnen an. »Holt einen her, der mit dem Ding umgehen kann«, schrie Givens und sprang ans Pult. Er versuchte verzweifelt, die komplexe Anlage zu bedienen. »Los, wer damit umgehen kann, dem zahle ich das Dreifache . .. das Dreifache. Wir bleiben auf Sendung!« Der letzte Satz klang wie eine Drohung. Fran schüttelte nur ungläubig den Kopf und ging langsam in Richtung Studio davon. In dem großen Saal herrschte nach wie vor höchste Anspannung. Redaktionsangehörige versuchten, ihre Arbeit korrekt zu verrichten, aber ihre Gesichter wirkten versteinert. Es war, als müßte jeder weitere Hinweis auf eine Krise ihre scheinbare Gelassenheit zerstören. »Sie töten aus einem Grund«, sagte Dr. Foster wie in Trance. Er hatte das Jackett ausgezogen und wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn. »Sie töten, um sich zu ernähren! Sie essen ihre Opfer! Verstehen Sie, Mr. Berman?« fragte er gedehnt, als spräche er zu einem Kind. »Das ist es, was sie aufrechterhält.« Fran wurde von einer Welle von Übelkeit erfaßt und mußte sich an die Korridorwand lehnen. Unablässig stürzten Leute an ihr vorbei, als müßten sie in letzter Sekunde einen Zug erreichen. Sie versuchte zur Ruhe zu kommen und verfolgte die Diskussion, während Angestellte des Hauses angewidert das Studio verließen. »Wenn wir aufgepaßt hätten. Wenn wir richtig auf die Erscheinung reagiert hätten ... ohne Emotionen ... ohne ... 16
Emotionen. Es wäre nicht so weit gekommen!« sagte Dr. Fester drängend zu seinem schrumpfenden Publikum. Er wischte sich mit dem schmutzigen, feuchten Taschentuch erneut die Stirn, lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Kragenknopf. Der sonst so ruhige, gelassene Mann war ein Nervenbündel geworden, verzweifelt, zitternd vor Zorn und Enttäuschung. Fran hatte noch bei keinem Menschen einen so radikalen Wandel erlebt. »In Philadelphia wie in allen anderen großen Städten des Landes herrscht Kriegsrecht«, fuhr Foster mit heiserer, krächzender Stimme fort. »Die Bürger müssen die schauderhaften . , . schauderhaften Konsequenzen dieser Erscheinung begreifen. Sollten wir nicht fähig sein, die Ausbreitung zu verhindern . . . infolge der von Gefühlen gesteuerten Haltung der Bevölkerung ... gegenüber ... diesen ... Fragen der Moral.« Er war aufgestanden, hielt sich mit einer Hand am Stuhl fest und hob die andere: »Auf Anweisung der Bundesregierung, des Präsidenten der Vereinigten Staaten . . . dürfen Bürger sich nicht mehr in Privatwohnungen aufhalten. Gleichgültig, wie gut sie geschützt sein mögen, wie groß die Vorräte . . .« Das Stimmengewirr im Studio schwoll an. Eine Frau stieß einen gellenden Schrei aus und sank zu Boden, ein Mann schrie immer wieder: »Luft, Luft, ich bekomme keine L u f t . . . « Foster versuchte das Geschrei zu übertönen, aber seine Stimme klang brüchig, und er war kaum zu verstehen. »Die Bevölkerung wird in zentralen Bereichen der Stadt zusammengeführt...«, schrie er den Technikern zu, die ihre Posten verließen, die Kopfhörer zu Boden warfen und zur Tür stürzten. Eine Kamera begann zu rotieren, und auf den Monitoren war nur noch verschwommenes Wirbeln zu sehen. Fran hastete auf die unbesetzte Kamera zu. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was Givens ihr für den Einsatz in einem Notfall erklärt hatte, aber ihr Gehirn schien leer zu sein. Sie richtete die Kamera auf Foster, starrte m den Sucher und 17
traute ihren Augen nicht. Foster stand auf dem Tisch, sein Hemd hing aus der Hose, seine Augen waren die eines Irren. Seine Stimme überschlug sich. Er glich einem alten Propheten, der ungläubigen Barbaren Unheil voraussagt; »Die Leichen werden Trupps der Nationalgarde mit Spezialausrüstung zur geordneten Beseitigung übergeben .. .« Plötzlich brach ein Mann aus der vordrängenden Menge und lief schnell auf Fran zu. Sie zuckte zusammen, als die Gestalt im Suchbild erschien. »Frannie«, rief der Mann, den sie plötzlich erkannte - es war Steve -, »komm um neun Uhr aufs Dach. Wir verschwinden.« »Steve... ich kann das einfach nicht fassen. - Was...« »Wir hauen ab. Mit dem Hubschrauber.« Ein anderer Techniker kam heran und übernahm Frans Kamera. Steve zog sie mit sich, außer Hörweite des Mannes, und sagte mit leiserer Stimme: »Neun Uhr. In Ordnung?« »Steve, das geht n i c h t . . . wir müssen -« »Wir müssen gar nichts, Fran«, sagte Steve unbeirrt. »Wir müssen überleben.« Sie blickte in die braunen Augen des Mannes, den sie liebte. Seine schwarzen Haare standen wirr durcheinander, sein Anzug war zerknittert. »Irgend jemand muß überleben«, sagte er, »Du bist um neun Uhr oben. Daß ich dich ja nicht holen muß.« Er drehte sich um und verschwand m der Menge. Fran schaute sich nervös nach dem Kameramann um, ein wenig schuldbewußt ihrer Pläne wegen. Als der Saal sich leerte, wurden Fosters und Bermans Stimmen immer lauter. »Nur zu«, sagte der Kameramann ruhig zu Fran. »Bis Mitternacht senden wir ohnehin nicht mehr. Es werden Notsender eingerichtet. Unsere Aufgabe ist ... beendet, fürchte ich.« Wie in Trance ging Fran zu der Ecke, wo sie Handtasche
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Steve Andrews, Hubschrauberpilot bei der Verkehrsüberwachungsabteilung der Fernsehstation WGON, versucht, sich und seine Freunde in Sicherheit zu bringen. (David Emge.)
und Mantel zurückgelassen hatte. Nun brauchte sie nur noch die vierzig Minuten zu warten, bis es neun Uhr war. Und. was dann? Wie sollte es weitergehen? Der Gedanke ließ sie schaudern.
Verglichen mit der sirrenden Erregung im Sender, war es sonst im dunkelnden Philadelphia ruhig. Die Gebäude der weitläufigen Wohnsiedlung, verbunden durch Fußwege und Spielplätze, standen da wie Grabsteine, als die ersten Sterne sich am düsteren, luftverseuchten, dunkelblauen Himmel hervorwagten. Plötzlich war an der Dachkante das Funkeln eines Greifhakens zu sehen. Lautlose Gestalten kletterten wie Balletttänzer am Gebäude hinauf. Männer mit den schußsicheren Westen der Bereitschaftspolizei, die modernsten Spezialwaffen an die Brust gedrückt, bezogen Stellung auf den Dächern und in den dunklen Ecken der Siedlung. Am Zugang zu einer der Feuertreppen des Hauses kauernd, spürte Roger DeMarco einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Ohne sich aufzurichten, versuchte er das schmerzende Bein auszustrecken, um den Krampf loszuwerden. Drei Kollegen kauerten stumm neben ihm. Die Stille täuschte. Es hatte gar nicht den Anschein, als sei dies die nationale Katastrophe, über die Politiker sich seit Monaten ereiferten. Die Bevölkerung hatte eher das Gefühl, daß der Staat ihnen etwas vormachte. Niemand, schon gar nicht die Ungebildeten, die Abergläubischen und die streng Religiösen, glaubte an die Erklärung der Behörden über die Rückkehr der Toten ins Leben. Niemand wollte glauben, daß der Ehemann, die Ehefrau, das Kind oder die Eltern, die man eben verloren hatte, zurückkehren sollten, um Angst und 20
Bereitschaftspolizist Roger DeMarco kämpft gegen die Zombies in einem Wohnblock. (Scott H. Reiniger.)
Schrecken zu verbreiten und Menschenfleisch zu verschlingen. Selbst Roger, der politisch nicht sehr viel verstand, begriff, daß die am Ruder befindlichen Kräfte nicht das Vertrauen der Bevölkerung besaßen. Der Aktienindex war unter den Tiefpunkt der Carter-Administration gefallen, die Arbeitslosigkeit hatte zugenommen, die Inflation wütete. Da eine Präsidentenwahl bevorstand, glaubten die meisten Menschen, das Ganze sei nur ein Manöver mehr, um zu erreichen, daß sich das Land hinter den Kandidaten der herrschenden Mehrheit stellte. Roger schaute auf die Uhr. Die Gestalten neben ihm überprüften ihre Waffen. Der Sekundenzeiger an Rogers Uhr erreichte die Zwölf. »Licht«, murmelte Roger. Wie aufs Stichwort flammten Scheinwerfer auf und erfaßten das Haus. »Martinez«, ertönte eine körperlose Stimme hinter einem großen Lastwagen. Es war der Abteilungskommandeur, der ein Megaphon mit elektronischer Verstärkung benutzte. »Martinez, wir haben aufgepaßt«, sprach er, an den puertorikanischen Anführer des Bewohneraufstands gewandt, weiter: »Sie wissen, daß das Haus umstellt i s t . . . « Die Bewohner hatten sich geweigert, das Gebäude zu verlassen, und sich im Keller ihren eigenen Friedhof eingerichtet. Alle Lichter, die in der Siedlung noch gebrannt hatten, erloschen der Reihe nach. »Der kleine Saukerl hat sie alle in ein Gebäude geschafft . . . doofer Kerl«, sagte der Kommandeur zum Sergeanten neben sich. »Sieht so aus, als wollten sie sich wehren«, erwiderte der Sergeant. Der Kommandeur griff wieder nach dem Megaphon. »Martinez ... für die Leute hier in der Siedlung tragen Sie die Verantwortung. Wir wollen nicht, daß irgend jemandem
etwas passiert, und Sie wollen es auch nicht.« Roger lauschte auf eine Antwort, aber sie blieb aus. »Ich gebe Ihnen drei Minuten Zeit, Martinez«, schrie die Megaphonstimme. »Legen Sie Ihre Waffen nieder und kommen Sie heraus«, fuhr der Kommandeur fort, ein drahtiger, grauhaariger Mann um die Fünfzig. »Es wird weder gegen Sie noch gegen Ihre Leute etwas unternommen . . .« »Jetzt nicht«, murmelte Roger. »Drei Minuten, Martinez«, dröhnte die verstärkte Stimme über die Betontürme, die verlassenen Spielplätze, die mit rostenden Autos aus zweiter Hand vollgestellten Parkplätze. Roger blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. »Die Uhr läuft. . .« Die Siedlung glich einem Standfoto. »Los, Martinez!« sagte Roger drängend. Eine der kauernden Gestalten stolperte plötzlich auf Roger zu. »Ja, los, Martinez«, zischte Wooley bösartig. »Zeig deinen dreckigen Hintern . . . damit ich ihn dir wegknallen kann.« Roger sah besorgt zu dem großen Mann hinüber, der in seiner Wut die Deckung verlassen hatte und Heckenschützen eine ideale Zielscheibe bot. »Ich knalle ihnen allen den Hintern weg«, tobte er. »Drekkiges Pack. Knallt den Puertorikanern und Niggern die Ärsche weg . . . « Roger konnte sehen, daß der Mann aus Alabama, ein Söldnertyp, die Beherrschung zu verlieren begann. Überdies machte er sich Sorgen um den Rekruten neben Wooley. Der Blick des jungen Mannes zuckte nervös hin und her. »Nur ruhig bleiben«, warnte Roger leise. »Nicht einfach losballern, wenn wir reingehen.« Der Junge nickte dankbar. Roger war froh darüber, in all diesem Wirrwarr und Schrecken eine Spur Menschlichkeit beweisen zu können. Wenn Louise ihn nur so sehen könnte,
dachte er. Obwohl sie schon seit zwei Jahren geschieden waren, hätte er sie auf der Stelle wieder geheiratet, nur um diesen Schlamassel nicht mehr miterleben zu müssen. »Warum stecken wir das Dreckspack überhaupt in solche Hotels?« erregte sich Wooley. »Scheiße, Mensch. So gut hab' ich's nicht zu Hause. Mit eurem Gerede lockt ihr die nicht heraus. Ihr müßt sie rausballern. Knallt ihnen die Ärsche weg!« Der Junge hörte mit aschfahlem Gesicht zu. »Kommst du zurecht?« fragte Roger. Der Junge nickte mühsam. »Fangt doch endlich an«, fauchte Wooley und ging auf und ab wie ein Tier im Käfig. »Das ist doch nur Zeitverschwendung!« Schlagartig, ohne Ankündigung, wurde die Metalltür zur Feuertreppe aufgerissen, und mehrere Gestalten stürzten aus dem Dunkel. Geschoßbahnen von Handfeuerwaffen kreuzten sich in der Nacht. Eine Kugel fetzte durch den Schädel des Rekruten. Er starb mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht und kippte gegen Roger. Es knallte an allen Ecken, und die Soldaten warfen sich zu Boden. Nur Wooley stand ungedeckt und arrogant und feuerte eine Salve aus seinem Sturmgewehr. Auf der Straße schrie der Kommandeur ins Megaphon: »Vorgehen ... vorgehen. Verdammt noch mal!« »Alle Trupps, alle Trupps!« brüllte der Sergeant ins Funksprechgerät. »Alle Trupps, voller Einsatz!« Mit einem Gefühl des Abscheus, gemischt mit Trauer, schob Roger die tote Last des jungen Soldaten weg. Seine M 16 war zwischen der Dachinnenkante und dem Toten eingeklemmt. Wahllos fielen Schüsse, so daß Roger Schwierigkeiten hatte, die Leiche wegzuschieben und in Deckung zu bleiben. Eine kleine Gruppe von farbigen und puertorikanischen jungen Männern schwärmte auf dem Dach aus, wie im Spiel. Plötzlich tauchte hinter einem Aufzuggehäuse eine Patrouille M
auf, die Waffen im Anschlag. Eine Salve, und die zurückweichenden jungen Zivilisten mußten über die Leuten ihrer gefallenen Kameraden steigen, die in ihrer Hast niedergemäht worden waren. Ein zweites Geschoß traf den Rücken des toten Rekruten. Eine Sekunde danach, als Roger sich endlich befreit hatte, wurde er an der Brust getroffen, aber die Panzerweste dämpfte den Aufprall zum Glück. Roger verlor das Gleichgewicht und rang nach Luft, während seine Waffe über den Boden rutschte. Roger hechtete hinterher, aber bevor er sie erreichte, schnitt ihm einer der Farbigen den Weg ab. Der Junge hatte eine Pistole in der Hand und schien damit umgehen zu können. Roger erstarrte. Der junge Mann zielte sorgfältig, wie in Zeitlupe. Gerade als er den Abzug durchziehen wollte, fetzte eine Salve in seinen Rücken, und er stürzte.auf das Flachdach, während unter ihm eine Blutlache entstand. Roger schaute sich hastig um. Er konnte noch nicht recht glauben, daß er davongekommen war. Am liebsten hatte er sich bekreuzigt, was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. »Los, ihr blöden Kerle .. . laßt euch abknallen«, schrie Wooley, dem gar nicht aufgefallen war, daß er Roger gerade das Leben gerettet hatte. Roger schauderte bei dem Gedanken, daß Wooley ebensogut auf seinen, Rogers eigenen Schatten hätte feuern können. Wie ein aufgezogener Spielzeugsoldat gab Wooley eine Salve nach der anderen ab, obwohl das Gefecht zu Ende ging. Roger sah seine Waffe mitten auf dem Dach liegen. Er sah aber auch, daß hinter dem Sturmgewehr ein Aufbau der Müllverbrennungsanlage hochragte, und er hetzte hinüber, riß die Waffe an sich und warf sich hinter das Gehäuse. Im Schatten verbarg sich eine Gestalt, ein junger Zivilist, der gerade zu laden versuchte. Als Roger sich zu Boden warf, sprang der
Mit Tränengas treiben die Polizisten die Bewohner aus ihren Häusern.
Junge erschrocken davon. »He, halt...«, schrie Roger. Der Junge erstarrte für einen Augenblick, dann traf er seine Entscheidung und ranntt über das Dach. »Halt, Kleiner ... Nicht da hinaus!« brüllte Roger, aber bevor er ausgesprochen hatte, wurde die zierliche Gestalt von einer Salve niedergemäht. Roger sank an die Wand. Das war schlimmer als in Vietnam. Das war seine Heimatstadt, sein Land, und sie kämpften nicht gegen Asiaten, sondern gegen ihre Mitmenschen.
Er hängte sich den Karabiner um und ging mit der Handvoll Überlebender die Treppe hinunter ins Gebäude. Im Haus herrschte heller Aufruhr. Polizeitrupps und Einheiten der Nationalgarde stürmten durch die Gänge und brachen Türen auf. Die Menschen wurden wie Vieh zusammengetrieben und mit vorgehaltenen W äffen in Schach gehalten. Manche der Zivilisten, bewaffnet mit Pistolen, Flinten, Reifenhebern, Klappmessern, einer sogar mit Pfeil und Bogen, ergaben sich verzweifelt, andere versuchten erfolglos, sich zu wehren. In jedem Stockwerk entbrannten kleine Gefechte. »Masken«, schrie der Kommandeur ins Megaphon. »Gasmasken .., Gasmasken .,.«, gab der Sergeant über Funk weiter. Ein Regen von Tränengaskanistern krachte durch die Fenster, und in den Korridoren quollen Gaswolken empor. Viele Zivilisten, die sich schon in den Gängen aufhielten, stürmten zu den anderen hinaus, und es bildete sich eine dichte Masse hustender, keuchender Flüchtlinge. Manche versuchten, sich den Weg freizuschießen, konnten aber mit ihren tränenden Augen nicht zielen, und die Geschosse surrten als Querschläger von Wanden und Türstöcken zurück und verwundeten Unbeteiligte, die aus ihren Wohnungen stürzten. Immer mehr Überlebende des Gefechts auf dem Dach schlos-
sen sich den Trupps an, die alle Gänge durchkämmten. 28
»Weiter zu den unteren Etagen«, befahl einer der Offiziere. Seine Stimme drang hinter der Gasmaske hervor, mit der er aussah wie ein prähistorisches Untier. »Ein Stockwerk nach dem anderen. Treibt sie in den Fluren zusammen, bis wir sie die Treppen hinunterführen können.« Roger, Wooley und die anderen legten ihre bizarren Masken an. Wooley schien sich etwas beruhigt zu haben. Roger hatte beinahe den Eindruck, als sei er zu ruhig, zu friedlich. Das Gesicht des riesenhaften Mannes war grellrot, der Schweiß tropfte von seiner Stirn. Als er die Gasmaske anlegte, wirkte
er so unheimlich wie die hundert anderen Soldaten und Polizisten. Ein Trupp fand im obersten Stockwerk eine Tür verschlossen. Sie wurde aufgebrochen. Ein altes puertorikanisches Paar kniete betend vor einem kleinen Altar. Ein schmächtiger Mann um die Dreißig, offenbar ihr Sohn, seine Frau und vier kleine Kinder drängten sich in einer Ecke zusammen. Der junge Mann lieferte seine Schußwaffe ab. Roger schaute dumpf zu, als die Familie hinausgeführt wurde. Das kleinste Kind umklammerte ein Stoffhäschen. Im Korridor schien es halbwegs ruhig zu sein. Aber plötzlich stürzte ein junger Farbiger aus einer der Wohnungen, eine Frau erschien unter der Tür und kreischte, er solle stehenbleiben. Als er durch die Gaswolke stolperte, richtete Wooley sich auf und feuerte. Der Farbige stürzte krachend zu Boden, und die Frau warf sich hysterisch schreiend über ihn. Wooley, der wieder außer sich zu sein schien, trat die Tür einer anderen Wohnung ein und feuerte blindlings ins Innere. Die geordnete Reihe der Zivilisten geriet plötzlich in Auflösung, alles lief durcheinander. Die jüngeren Leute, von Panik erfaßt, versuchten zu fliehen, während die Älteren niederknieten oder sich zu Boden warfen. Ihre Gebete blieben unerhört, als Wooley seinen Wahnsinnstanz fortsetzte. »Wooley ist übergeschnappt, Scheißspiel.. .« sagte einer 19
der Uniformierten. »Wooley«, brüllte Roger, aber der andere trat schon die nächste Wohnungstür ein. Roger warf sich auf ihn und packte ihn an den Schultern. Wooley versuchte sich loszureißen. Seine Waffe ratterte los, die Geschosse peitschten wild durch die Gegend. »Mensch ... helft mir doch«, keuchte Roger. Aus dem Tränengasnebel tauchte eine uniformierte Gestalt auf, so groß und breit wie Wooley, den Roger allein nicht zu bändigen vermochte. »Treten Sie zurück«, sagte der Mann. »Helfen Sie mir doch«, stieß Roger hervor. Wooley warf sich plötzlich herum und schleuderte Roger an die Wand. Roger vermochte ihn wieder festzuhalten, als er die Mündung seiner Waffe auf die offene Tür richtete. »Verdammt, Sie - müssen - zupacken«, keuchte Roger. »Weg von ihm«, dröhnte die Stimme. Roger war so verblüfft, daß sein Griff um Wooley sich kurz lockerte, so daß Wooley sich losreißen und Roger wegstoßen konnte. Mehr brauchte der andere Hüne nicht. Er legte die Waffe an und schoß Wooley in den Kopf. Der Mann aus Alabama, brach zusammen und blieb regungslos liegen. Der Hüne drehte sich um und lief durch den Flur. Ein paar Offiziere starrten ihn drohend an, aber niemand versuchte ihn aufzuhalten. Er verschwand im Gasnebel, während die anderen sich daranmachten, wieder Ruhe unter den Zivilisten herzustellen. Roger war noch immer völlig betäubt. Die kaltblütige Art des Hünen jagte ihm Schrecken ein und faszinierte ihn gleichzeitig. Ein gellender Schrei riß Roger aus seiner Versunkenheit. Eine Hand schob sich aus dem Nebel und half Roger auf die Beine. Die Augen weit aufgerissen und durch die Insektenlinsen seiner Gasmaske starrend, erkannte Roger endlich, was 30
Wooley in den Wahnsinn getrieben hatte. In der dunklen Wohnung, deren Tür Wooley eingetreten hatte, lagen in einer Blutlache die Überreste eines menschlichen Körpers. Er war in Stücke gerissen worden und sah aus wie ein Klumpen Fleisch, auf den sich ein Rudel hungriger Wölfe gestürzt hatte, Roger rang nach Luft. Er wankte an die Tür und lehnte sich an den Rahmen. Sein Begleiter, ein großer, schlanker Mann mit blonden Haaren, offenbar Ende Zwanzig, betrat die Wohnung, Auf der anderen Seite der Überreste lag noch eine Leiche, ebenfalls verstümmelt. Ein Bein fehlte, ein Arm war zerfleischt. Die Leiche versuchte vorwartszukriechen - auf die Soldaten zu! Wieder gellte ein Schrei. Als Roger entsetzt herumfuhr, sah er, daß die Frau im Korridor das grauenhafte Schauspiel bemerkt hatte. Vielleicht war es ein Verwandter, ein Nachbar von ihr gewesen. Jetzt war es nur noch ein Klumpen blutigen Fleischs. Die Frau rannte kreischend durch den Flur, und die von den Soldaten zusammengetriebenen Zivilisten gerieten wieder in Aufruhr.
»Um Gottes willen, um Gottes willen«, stammelte der Soldat neben Roger. Ein Offizier kam heran. Der blonde Soldat wies auf die sich am Boden windende Leiche. »Schießen«, zischte der Soldat. »Durch den Kopf - schießen.« Der junge Offizier war wie festgebannt. Seine ganze Ausbildung hatte ihn auf Derartiges nicht vorbereitet. Er zog langsam seine Pistole heraus. Bevor er jedoch abdrücken konnte, stürzte sich aus dem Dunkel eine gespenstische Erscheinung auf ihn. Es war eine Frau mit wirr abstehenden Haaren, die ihn ansprang und in die Arme zu beißen versuchte. Der Offizier wollte sie beruhigen, dann entdeckte er, daß ihr ganzer
Körper von blutenden Wunden übersät war. Sie gehörte zu den wandelnden Toten! Der Offizier ließ die Pistole fallen und versuchte, sich aus dem eisernen Griff der eigentlich eher schwächlich wirkenden Frau zu befreien. Roger stürzte herbei, um ihm zu helfen. Unter der Schlafzimmertür tauchte plötzlich noch eine Gestalt auf. Der blonde Soldat, der endlich zu sich gekommen war und seine Pistole ziehen wollte, bemerkte sie nicht. Plötzlich fühlte er an seinem Bein etwas Kaltes, Klebriges. Er blickte hinunter und sah zu seinem grenzenlosen Entsetzen, daß die verstümmelte Leiche seinen Knöchel umklammerte und sich mit aufgerissenem Mund näher heranzog. Der junge Mann versuchte sich loszureißen, stürzte aber zu Boden und riß einen Tisch und eine Lampe mit. Er versuchte davonzukriechen, aber das Gewicht der Leiche, die ihn festhielt, verhinderte sein Entkommen. Er schleppte den Untoten mit, während er die Pistole herauszureißen versuchte. Roger und der Offizier, ein älterer Mann mit Stirnglatze und dunklem Bartschatten, rangen mit der weiblichen Untoten. Sie flog wie an einem Gummiband gegen die Wand und mit derselben irren Kraft wieder zurück. Der Offizier zielte auf die Brust der Frau und drückte ab. Das Geschoß traf, brachte sie aber nicht zum Stehen. Er gab den nächsten Schuß auf ihren Hals ab, und sie drang weiter auf ihn ein, während das Blut aus den Wunden an Hals und Brust über Hauskleid und Schürze rann. Es gelang dem blonden Soldaten endlich, seine Pistole herauszuziehen und einen Schuß auf das grauenhafte Wesen abzugeben, das immer näher herankroch und den jungen Mann ins Bein zu beißen versuchte. Der Schuß, aus solcher Nähe abgegeben, klatschte den Kopf der Kreatur ringsum an die Wand und über seine Hose. Der Junge, der am ganzen Körper zitterte, war jedoch darüber, daß das Ungeheuer ihn losgelassen hatte, so erleichtert, daß er nicht bemerkte, wie be-
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sudelt er war. Er konnte sich aus seinem Schockzustand nicht befreien, hob den Arm und feuerte seine Waffe immer wieder an die Decke ab, bis der Offizier sie ihm aus der Hand schlug und ihm eine schallende Ohrfeige gab. »Es ist einer von ihnen . . . Mein Gott, es ist einer von ihnen«, schrie ein anderer Offizier, als der männliche Untote
im Korridor erschien. Die anderen Soldaten versuchten die panikerfüllte Menge zu beruhigen, »Auf den Kopf feuern«, schrie ein anderer. Eine junge, schwarzhaarige Frau kam auf sie zugestürzt. »Nein! Nein!« schrie sie und schlang die Arme um den Zombie, ohne sich von den Soldaten abhalten zu lassen. »Miguel . . . Dios mio . . . Miguelito . . .« Der Untote starrte sie mit leeren Augen an. Sie umkrallte ihn fester.
»Miguel... mi vida ... Miguelito .. .« »Packt sie, schafft sie weg hier«, schrie der Offizier, der den Untoten als erster entdeckt hatte. Er richtete seine Waffe auf das Unwesen, aber die Frau lockerte ihren Griff nicht. Der Untote packte sie nun und versuchte, seine Zähne in ihren Hals, in ihre Arme zu schlagen. Das Gesicht der Frau verzerrte sich unter der gräßlichen Erkenntnis, daß das nicht mehr ihr Ehemann war, sondern ein furchtbares Ungeheuer. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er wieder zubiß, und versuchte sich loszureißen, aber der Untote war nicht abzuschütteln. Ein Soldat wollte sich von hinten auf ihn stürzen und ihn wegreißen, während ein zweiter sich bemühte, die Frau aus dem Griff des teuflischen Wesens zu befreien. Aber der Untote riß erneut einen Fleischfetzen aus dem Arm der Frau, und sie kreischte wie von Sinnen, wahrend ihre Augen sich verdrehten. »Weg da ... um Himmels willen, weg!« schrie der Offizier, der immer noch versuchte, freie Schußbahn zu bekommen. Roger verfolgte entsetzt, wie der junge Soldat langsam wie33
der zu sich kam und sich von den Überresten des zerschossenen Zombies zu befreien versuchte. Plötzlich stürzte sich das weibliche Ungeheuer auf den anderen Uniformierten, und die beiden krachten zu Boden. Roger warf sich auf sie und riß sie von dem Offizier los, dann schleuderte er sie an die Wand. Wieder prallte sie ab und kam auf ihn zu. Diesmal hob Roger die Waffe, und gerade, als sie nach ihm greifen wollte, drückte er ab, die Mündung auf ihre Stirn gerichtet. Das Geschoß brachte sie endlich zum Stillstand. Draußen auf dem Flur ließ ein Soldat seinen Gewehrkolben auf den Schädel des Untoten niedersausen. Das Wesen lockerte den Griff um die tobende, kreischende Frau. Der Uniformierte, der nach ihr gegriffen hatte, zerrte sie weg. Und der Offizier, der auf den Untoten gezielt hatte, konnte endlich abdrücken. Die erste Kugel durchschlug die Schulter des Zombies, die zweite seinen Hals, die dritte seinen Schädel. Mit einem qualvollen Aufstöhnen stürzte der Untote zu Boden.
Eine Sekunde lang herrschte Stille, als die Menschen erleichtert aufatmeten. Ein paar Leute murmelten halblaut Gebete, dann hörte man ein Schlurfen, als Bewachte und Bewacher betäubt durch den sich verziehenden Tränengasnebel gingen.
Roger und der Offizier sahen einander stumm an und tappten hinaus in den Korridor. Roger trat zur Seite, als der Offizier in die dahinziehende Menge erschöpfter, verwirrter Menschen stapfte. Roger, der am Türrahmen lehnte, duckte sich und fuhr herum, als ein Schuß fiel. In der Wohnung bot sich ihm ein furchtbarer Anblick. Der blonde junge Soldat hatte sich in den Kopf geschossen. Er lag halb auf dem weiblichen Zombie, mit ihr im Tod vereint. Roger wankte blindlings gegen den Strom der Menschen zur Nottreppe. Er warf sich durch die Metalltür und stürzte würgend an das Geländer. Da er seit über zwölf Stunden
nichts gegessen hatte, brachte sein Magen nichts herauf. Im stillen Treppenhaus klang sein Keuchen unnatürlich laut. Er 34
versuchte, sich mit tiefen, bedächtigen Atemzügen zu beruhigen, nahm die Gasmaske ab und hustete. »Du bist nicht allein, Bruder«, dröhnte eine Stimme. Roger spannte die Muskeln an und griff nach seiner Waffe. Im Schatten konnte er den Ort des Sprechers jedoch nicht ausmachen. Als er den Kopf hob, entdeckte er den Uniformierten, der Wooley niedergeschossen hatte. Er saß, die Gasmaske noch angelegt, auf der Stufe über ihm und zielte mit seinem Sturmgewehr auf Rogers Kopf. »Du warst in Wooleys Einheit«, sagte er drohend. »cIh hab nichts gesehen«, stammelte Roger und hängte sich den Karabiner über, um seine friedlichen Absichten zu bezeugen. Der andere ließ die Waffe sinken. Als er die Maske abnahm, sah Roger, daß er ein Neger war. »Laufen Sie weg?« fragte Roger. Der Hüne zuckte die Achseln und schüttelte unentschlossen den Kopf. »Ich meine nicht wegen Wooley«, fuhr Roger fort. »Ich
meine nur, weil...« Er stockte. »Ja, ich weiß.« »Viele laufen weg«, sagte Roger. »Ich könnte es auch tun.« Er starrte den Neger an, dessen Miene grimmig wirkte. »Ich könnte es heute nacht noch tun.« Der Farbige starrte Roger an. Der Blick eines kaltblütigen Killers, dachte Roger, aber auch der eines Mannes, der alles gesehen, alles getan und einfach nicht die Geduld oder die Zeit hat, Angst in sich aufkommen zu lassen. »Ein Freund von mir hat einen Hubschrauber«, sagte Roger. »Er fliegt für WGON. Er will mit dem Helikopter abhauen, und ich soll mitkommen,« Roger spürte die schweren Schläge seines Herzens, als er unaufgefordert dieses Geständnis ablegte, aber der Farbige lächelte nur.
»Halten Sie es für richtig, wenn man abhaut?« fragte Roger,
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kam sich aber gleich darauf albern vor. Mein Gott, dachte er, jetzt werde ich ihn gleich noch fragen, ob ich pinkeln gehen darf. Das Lächeln verschwand, die breiten Schultern hoben und senkten sich. Der Neger richtete sich zu seiner vollen Größe von über einsneunzig auf und stieg die Treppe hinunter, vorbei an Roger, der ihm folgte wie ein treuer Hund. Roger fühlte sich von dem Hünen, von der Stärke, die er ausstrahlte, magisch angezogen. Als sie die Stufen hinuntergingen, hörten sie einige Etagen unter sich ein Geräusch. Sie erstarrten. Das Geräusch wurde lauter. Roger und der Farbige legten ihre Karabiner an. Das Geräusch kam näher. Das leise Scharren und Poltern schien von müden, schleppenden Schritten zu kommen. Roger hoffte, daß es keiner von den wandelnden Toten war. Er besaß nicht die Kraft, noch einmal einem dieser Wesen gegenüberzutreten. Trotzdem wußte er, daß er seine Pflicht würde tun müssen. Keuchende Atemzüge wurden neben den Schritten hörbar. Roger starrte in die Dunkelheit und sah aus den Schatten eine Gestalt auftauchen. Sie sank unten an die Mauer, und die beiden Männer hielten das für ein Zeichen, daß das Wesen sich zur Attacke bereitmachte. Ihre Finger krümmten sich um die Abzüge ihrer Waffen, Die Gestalt löste sich von der Wand, tauchte aus dem Nebel auf, zeigte sich als geisterhafter Umriß im schwarzen, langen Gewand. »Senores«, sagte eine schwache Stimme. »Darf ich vorbei?« Die Gestalt sank auf eine Treppenstufe und begann zu husten. Eine kraftlose, knochige Hand klammerte sich an das Geländer. Roger erkannte den alten Pfarrer aus der Gegend hier. Seine Gemeinde bestand in der Hauptsache aus Puertorikanern, die in dieser Siedlung lebten. Roger beugte sich zu dem erschöpften alten Mann hinunter, der nach Atem rang. Sein bleiches 36
Der alte Pfarrer der Puertorikaner berichtet Schauerliches: Die Bewohner des Hauses verstecken ihre lebenden Toten in einem Keller.
Gesicht und die leeren, wäßrigen Augen brachten Roger auf den Gedanken, daß dieser Mann wohl nicht mehr lange leben würde. Der alte Priester preßte die Hand auf die Brust, umklammerte das Kruzifix, das er trug. »Bringen wir ihn zu den Sanitätern«, flüsterte Roger dem Farbigen zu. »Nein . . . nein . . . nein, bitte, lassen Sie mich. .. nur vorbei«, keuchte der alte Mann. »Meine Schwester ... ich muß in den siebten Stock . . . meine Schwester suchen . . .« »Sie holen alle herunter«, sagte Roger. »Wahrscheinlich haben sie sie schon heruntergeschafft. Kommen Sie.« »Meine Schwester«, sagte der alte Pfarrer beharrlich. »Sie ist tot . . . hieß es. Die Toten bringen sie nicht hinunter.« Roger und der Neger sahen einander an. Der Priester versuchte mühsam, wieder auf die Beine zu kommen. »Lassen Sie mich vorbei. Martinez ist tot. Die Leute hier werden jetzt tun, was Sie verlangen. Es sind einfache Leute, aber stark. Sie haben wenig, und sie geben es nicht ohne Gegenwehr auf. Und ihre Toten schon gar nicht!« ereiferte er sich, aber der Ausbruch war mehr, als sein geschwächter Zustand zu ertragen vermochte. Er sank hustend und nach Luft ringend in sich zusammen. Roger trat einen Schritt auf ihn zu, aber der alte Mann hob abwehrend die Hand. »In den letzten Wochen sind viele auf den Straßen gestorben. Im Keller dieses Gebäudes finden Sie sie ,. .« : Die beiden Soldaten starrten einander entsetzt an. »Ich habe ihnen die Sterbesakramente gespendet«, sagte der Priester, als er sich erneut aufraffte. »Tun Sie jetzt, was Sie wollen .. .« Als der alte Mann die Treppe hinaufstieg, wollte Roger ihm helfen, aber der Farbige streckte seine riesengroße Hand aus.
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»Ihr seid stärker als wir«, sagte der Geistliche über die Schulter, während er in den Nebel hinaufwankte. »Aber ich glaube, sie werden bald stärker sein als ihr.« Sein Husten verklang auf der Treppe über ihnen. »Die Toten stehen auf, Senores«, hallte seine Stimme noch einmal aus dem Dunkel. »Wir müssen aufhören zu töten ... oder der Kampf ist verloren . . . « Roger sah seinen Begleiter an. Sie hängten sich wortlos die Karabiner über und begannen mit dem langen Abstieg zum Keller des Gebäudes. Die Schritte des alten Priesters waren kaum noch zu hören. Als sie im Kellergeschoß ankamen, waren Soldaten schon damit beschäftigt, die Bretter herauszureißen, mit denen man den Zugang vernagelt hatte. Die Mieter hatten in ihrer Hast nach allem gegriffen, was sich angeboten hatte - alte Stuhllehnen, die Rückwand eines Basketballkorbs, mehrere Sperrholzplatten dienten dazu, den Zugang von beiden Seiten zu versperren. Die übrigen Soldaten standen m Bereitschaft, die Karabiner und Flammenwerfer erhoben. Ihre Blicke wirkten dumpf und leer; sie hatten in den letzten vierundzwanzig Stunden mehr durchgemacht, als einem Menschen zugemutet werden durfte. Bis auf das Knarren und Quietschen, das die Nägel beim Herausziehen verursachten, war es still. Die Männer schauten teilnahmslos zu, als die Bretter entfernt wurden. Ein kreischender, nervenzerreibender Laut ließ sie zusammenzucken. Die letzten Bretter flogen heraus, als tobe ein Sturmwind durch, die Kellerräume, die Tür wurde aus den Angeln gerissen, und eine Flut von Untoten ergoß sich in den Flur. Die meisten farbigen und puertorikanischen Bewohner waren nun grauenhafte Zombies, die Augen weit aufgerissen. Von jedem Alter, jeder Größe und Gestalt, strömten sie in einer
Mit sch u ß bereiten Waffen erwarten Peter Washington und Roger DeMarco die lebenden Toten. {Ken Foree und Scott H. Reiniger.)
wogenden, ausdruckslosen Masse auf die wie betäubt dastehenden Soldaten zu. Die Männer vermochten nicht rechtzeitig zu reagieren, und der unaufhaltsame Strom der Untoten hinderte sie, sich frei zu bewegen und zu schießen. Sie versuchten tapfer, sich zu wehren und die anrückenden Kreaturen niederzuringen. Die Zombies krallten und bissen, wo sich ein Arm, ein Bein, ein Hals zeigte. Klauen schlossen sich um Handgelenke und Arme. Einige Soldaten wurden im Gewühl niedergetrampelt. Der fassungslose Kommandeur riß seinen Blick von den wütenden Untoten los und schrie: »Zurück ... zurück ... ausschwärmen ...« Die hinteren Reihen konnten sich in den größeren Vorraum zurückziehen, und als die miteinander ringenden Gestalten Platz fanden, gelang es vielen Soldaten, die Waffen anzulegen
und zu feuern. Diejenigen, die dazu nicht imstande waren, wurden von den Untoten überrannt. Roger und der Neger trafen in dem Augenblick ein, als die Attacke begann, und sie kämpften mitten im Getümmel Seite an Seite. Mehrere Kreaturen griffen gleichzeitig an, und während Roger mit seinem Gewehrkolben zuschlug, schoß der Farbige sie der Reihe nach nieder. Im dunklen Vorraum und in den Gängen wogte der Kampf hin und her. Die gut ausgebildeten Soldaten wurden auseinandergetrieben und sahen sich dem wilden Ansturm der Untoten hilflos gegenüber. Der Kommandeur, der in Korea und Vietnam Frontdienst gemacht hatte, verlor die Übersicht und zog sich fassungslos in eine Ecke zurück, wo ein Zombie die Finger in seine Uniform krallte. Als die Mehrheit der Untoten in die Gänge strömte, rückten die Mutigeren unter den Soldaten vor. Hier, in dem düsteren, muffigen Lagerkeller, zwischen Kinderwagen, Fahrrädern, großen Koffern, Schachteln in allen
Größen, alten Betten und anderem Mobiliar, lagen Überreste zerstückelter Leichen. Obwohl viele von ihnen zerfressen waren, bewegten sie sich noch. Ihre Köpfe waren unversehrt. Zwei von den Soldaten wichen zurück, von Übelkeit geschüttelt. Von den feuchten, schmutzigen Wänden hallten die Schüsse und das Geschrei von draußen wider. Roger verfolgte entgeistert, wie der hünenhafte Farbige ruhig in den Raum trat. Er ging gelassen auf die sich windenden Wesen zu und schoß sie der Reihe nach in die Köpfe. Roger mußte zweimal hinsehen, bevor er erkannte, daß dem Neger die Tränen über das Gesicht Hefen. Ein junger, schwarzer Untoter bewegte sich mit einem Arm über den Boden auf den Hünen zu. Dieser zielte und drückte ab. Roger hörte nur ein metallisches Klicken. Er geriet in Panik und wollte auf den Hünen zulaufen, der ruhig und beherrscht nachlud. Roger beobachtete entsetzt, wie der Untote immer näherrückte, sein Mund ein klaffendes Loch. Der farbige Hüne zuckte nicht mit der Wimper und rief auch nicht nach Unterstützung, obwohl Roger nur wenige Schritte entfernt stand. Roger kam plötzlich zu sich, trat hinter den Hünen heran und feuerte auf den Kopf des Zombies. Das Wesen wand sich, zuckte, blieb still liegen, aber der Farbige wischte sich nur die Tränen aus den Augen und lud seine Pistole. Er hob nicht einmal den Kopf, um zu bestätigen, daß Roger ihm das Leben gerettet hatte. Roger lief auf die andere Seite des Kellers und begann der Reihe nach, die Wesen in den Kopf zu schießen. In einer Ecke lagen mehrere übereinander. Manche regten sich nicht, andere wanden und krümmten sich. Roger schoß wie ein Wahnsinniger, von Abscheu geschüttelt. Die Wesen hoben nie die Köpfe, bemerkten ihn nicht e i n m a l . , Ein lautes Knarren lenkte Rogers Aufmerksamkeit an die Decke. Eine doppelte Ladetür war geöffnet worden, und einige Soldaten starrten hinab in den Lagerkeller. »Jesus Christus«, stieß einer von ihnen ungläubig hervor. 42
Im Keller hocken die Zombies .
Sie ernähren sich von Menschenfleisch
Er richtete seine Lampe auf Roger. »Seid ihr okay da unten?« Roger nickte dumpf. »Das muß der Ort sein, wo man sie hineingeworfen hat«, sagte der Soldat mit der Lampe. Roger blickte auf den Leichenhaufen unter der Öffnung. Er war zu betäubt, um registrieren zu können, was in der letzten halben Stunde geschehen war. »Braucht ihr mehr Leute?« fragte der Soldat, und Roger schüttelte den Kopf. Draußen wurde der Kampflärm wieder lauter und erinnerte die beiden Männer daran, daß noch nicht alles vorbei war. Der farbige Hüne, der seine Pistole geladen hatte, trat einige Schritte vor und entdeckte eine Leiche, die in ein Bettlaken gehüllt und mit einem Strick umwickelt war. Sie sah aus wie eine Mumie. Sie versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien. Der Neger schoß ihr unbeirrt in den Kopf. In der Nähe wand sich die Leiche eines kleinen Kindes, aber dort, am Ende des Leichentuchs, wo die Füße des Kindes hätten sein müssen, war blutiges, zerfetztes Fleisch. Der Neger zerschoß dem kleinen Untoten den Schädel. »Sie.,. fallen übereinander her«, sagte Roger stockend, als
er zu dem Farbigen trat,
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»Nur über die frischen Leichen . . . bevor sie wieder aufstehen«, sagte der Neger leise. »Warum haben die Leute sie hier untergebracht?« fragte Roger. »Warum liefern sie sie nicht ab ... oder ... oder vernichten sie selbst? Es ist "Wahnsinn . . . Warum tun sie das?« »Weil sie immer noch glauben, daß das Sterben etwas mit Würde zu tun hat«, sagte der Neger, als er auf den Kopf eines anderen sich aufbäumenden Zombies schoß. Die beiden Männer gingen hinaus in den Korridor, wo ihre Kameraden immer noch von dem scheinbar endlosen Strom der wandelnden Toten überrollt wurden. Andere, die Glückliche-
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ren, vermochten die Schädel angreifender Zombies zu zerschießen. Die Einheiten versuchten die Stellung zu halten, auch ohne die Hilfe ihres überforderten Kommandeurs, aber die Attacken kamen so wahllos, so hirnlos, daß Vernunft, Taktik und Zusammenarbeit sinnlos blieben.
Philadelphia, die Stadt der brüderlichen Liebe, war übersät mit den Leichen ihrer Bürger. Mondschein lag über der verwüsteten Stadt und beleuchtete das makabre Schauspiel. In den frühen Morgenstunden spiegelten sich die wenigen noch brennenden Lichter im Wasser des Delaware. Die Stille wurde durchbrochen nur vom Klatschen der Wellen und dem gelegentlichen Knarren der hölzernen Schwimmdocks. Das Schild mit der Aufschrift »Stadt Philadelphia - Polizei Kein Zutritt«, das sonst unerwünschte Besucher vom Bootshafen fernhielt, war nur noch an einer Seite befestigt und klirrte gegen den Metallpfosten. Die wenigen großen Polizeiboote, die noch hierlagen, schwankten lautlos im Wasser. In der Mitte des langen Kais saß die Leiche eines Uniformierten an einem Funkgerät. Steve Andrews saß im Cockpit des WGON-Hubschraubers und starrte angestrengt hinaus auf das Schwimmdock mit der großen quadratischen Landemarkierung. Es war ein Düsenturbinen-Hubschrauber mit einer Motorleistung von etwa 420 PS. Er wußte, daß die Maschine maximal vier Personen befördern konnte, den Piloten eingeschlossen. Der Helikopter hatte eine Reisegeschwindigkeit von ungefähr 200 km/h, und der volle Tank reichte für eine Flugdauer von rund drei Stunden. Da die Maschine auch für den Nachtflug ausgerüstet war und über eine starke Funkanlage verfügte, 47
hatte Steve großes Zutrauen zu ihr. Er wußte, daß der Hubschrauber sie an einen sicheren Ort bringen würde. Francine Parker saß teilnahmslos neben ihm. Ihr Schweigen sagte mehr aus, als alle Worte es gekonnt hätten. Sie starrten voller Entsetzen auf das, was aus ihrer Stadt geworden war. Steve ließ den Hubschrauber herabsinken und landete genau in der Mitte der Landemarkierung auf den Kufen. Neben dem Dock schwamm angekettet ein kleiner Treibstoffleichter mit Pumpen und Schläuchen für das Auftanken der Polizeihubschrauber und -boote. Während die Rotorblätter sich noch fauchend drehten, sprang Steve aus der Kanzel. Als Schatten in der Ferne sah er zwei Leichen auf schwimmenden Flößen liegen. Eine Glokkenboje schrillte, aber seit dem frühen Abend waren keine Schiffe oder Boote eingetroffen. »Komm«, rief Steve zu Fran hinauf. »Ich brauche dich.« Fran Öffnete ihren Sicherheitsgurt und sprang heraus. Steve lief zur anderen Seite des Hubschraubers hinüber, duckte sich unter den Rotorblättern, ergriff ihre Hand und zog sie zur Treibstoff pumpe. »Ich sehe Roger nicht«, sagte Steve, als er sich umsah. »Wir geben ihm noch zehn Minuten.« »O Gott!« schrie Fran auf. Sie war wie angewurzelt stehengeblieben und starrte die zwei verstümmelten Leichen in der Nähe der Pumpen an. »Du bist überhaupt nicht draußen gewesen, sagte Steve mitfühlend. »Es fällt schwer, sich daran zu gewöhnen.« Er sagte es wie ein erfahrener alter Kämpfer, aber nur wenige Stunden zuvor war er genauso angstgeschüttelt und entsetzt gewesen wieErsie. wollte sie weiterzerren, aber die Leiche eines Zivilisten
lag im Weg, und Fran rührte sich nicht von der Stelle. Irgend etwas hinderte sie daran, über den Toten hinwegzusteigen. Steve ließ ihre Hand los, lief zu den Pumpen, betätigte den 48
Hebelmechanismus, prüfte den Tankinhalt und rannte zurück zu Fran. Dabei zog er den langen, schweren Schlauch über das Gesicht des zivilen Opfers, das von einem großkalibrigen Geschoß zerfetzt worden war. Er unterdrückte die Übelkeit, um Fran kein schlechtes Beispiel zu geben, sprang über die Leiche und hastete zum Hubschrauber, gefolgt von Fran. Während die Rotorblätter sich immer noch drehten, stieß Steve die Schlauchdüse in den Tankstutzen. Fran stand wieder regungslos. Ihr Blick ging in die Runde. Sie fühlte sich noch immer bedroht. Steve packte plötzlich ihre Hand und legte sie um die Schlauchdüse. »Genau so«, erklärte er ruhig. »Wie beim Auto.« Fran legte die Finger um den Mechanismus und betätigte den Drücker. »Richtig. So festhalten, bis es rausspritzt.« Steve lief zurück zum Wachschuppen. Die rotierenden Drehflügel wisperten unheimlich über Frans Kopf. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, ihre Ohren an die Stille, vermochte sie anderes wahrzunehmen. Sie hörte das sanfte, rhythmische Geräusch der an die Flöße schlagenden Wellen, das Knarren der alten Holzplattformen. Aber alles erschien ihr zu still, zu friedlich. Im Wachhaus schien ein Orkan gewütet zu haben. Der Funker saß zusammengesunken in seinem Sessel. Steve hörte das Klacken von Morsezeichen. Er hatte auf dem College auch Morsen gelernt, was sich jetzt als nützlich erwies. Die Sendetaste lag unter der Leiche, und Steve mußte den Toten wegziehen und im Sessel aufrichten. Er entdeckte im Hinterkopf des Funkers ein kleines Einschußloch, aber als er den Toten zurückbog, sah er, daß das Geschoß beim Austritt das Gesicht zerfetzt hatte. Das Blut war noch nicht geronnen. Steve wurde von Übelkeit erfaßt, aber er erholte sich schnell und schaltete auf Sendung, um hinauszumorsen: >FUN-
KER TOT .. . POSTEN VERLASSEN.< 49
Dann setzte er sich in einen leeren Sessel und preßte die Hände an die Schläfen. Gerade jetzt durfte er nicht die Nerven verlieren. Nicht, wenn Francine sich nur noch mit Mühe aufrecht hielt. Auf dem Treibstoffdock begann Francines Arm zu erlahmen. Sie wurde immer nervöser und sehnte sich nach Steves Rückkehr. Ein Schatten huschte über die Leiche auf dem schwankenden Dock. Fran konnte über dem Rauschen der Rotorblätter Motorengeräusch hören. Sie schaute zum Ufer hinüber und sah die Scheinwerfer eines sich nähernden Fahrzeugs. Steve wurde durch das Motorengeräusch aus seiner Versunkenheit gerissen. Er trat unter die Tür und schaute zum Dock hinüber. »Ich hoffe, das ist Roger«, rief er Fran zu, mehr, um sich zu vergewissern, daß sie noch da war, als um irgendeine Mitteilung zu machen. »Was treibst du?« fragte sie gepreßt. »Ich komme gleich.« Er lief ins Haus, griff nach einem ErsteHilfe-Kasten und warf ihn in einen Rucksack, den er mitgebracht hatte. Er blickte sich im Halbdunkel um, fand noch einen Werkzeugkasten, den er ebenfalls mitnahm. Er stand auf und ging rückwärts hinaus, um sich noch einmal zu vergewissern, daß er nichts Wertvolles zurückgelassen hatte. Plötzlich spürte er etwas Hartes im Rücken. Er zuckte zusammen und fuhr herum, sah sich einer hochgewachsenen, schattenhaften Gestalt gegenüber. Steve wußte nicht, wie lange er schon beobachtet worden war. Die Gestalt trat vor, und im Licht der Lampen am Kai erkannte Steve die Uniform eines Polizeioffiziers. Steves Blick glitt vom grimmig-entschlossenen Gesicht des Mannes zu dem Gewehr, das der Polizist auf ihn richtete. Aus der Dunkelheit trat ein zweiter Polizeibeamter heran. Er zielte mit einer Pistole auf Steve, der sich in der Falle wußte. Er fragte sich, 50
ob es noch mehr Uniformierte gab, und ob sie Fran überwältigt
hatten. Frans Aufmerksamkeit galt nicht mehr dem Treibstoffschlauch, aus dem das Benzin ins Wasser rann, weil sie die Düse nicht direkt in den Tankstutzen hielt. Sie strengte die Augen an, um das sich nähernde Fahrzeug zu beobachten. Sie hoffte, daß es Roger war, damit sie endlich abfliegen konnten. Sie kannte ihn nicht näher und wußte nur, daß Steve sich vor einiger Zeit mit ihm angefreundet hatte, nachdem sie in einer Bar in der Nachbarschaft Bekanntschaft geschlossen hatten. Eines Abends waren sie Übereingekommen, zusammenzuhalten, wenn es einmal gefährlich werden sollte. Aus dem Augenwinkel nahm Fran plötzlich etwas wahr — ein Polizeifahrzeug, von dem sie nicht wußte, ob es schon die ganze Zeit dortgestanden hatte. Heranfahren hatte sie es nicht hören können. Die Türen waren weit aufgerissen, und nun bewegte sich eine der Hecktüren. Sie wünschte sich, daß Steve zurückkommen möge. Sie hatte seit einer Viertelstunde nichts mehr von ihm gehört. Dann begriff Fran, daß sie keiner Halluzination erlegen war, Sie konnte eine Gestalt erkennen, die einen großen Pappkarton trug. Sie stellte erleichtert fest, daß die Gestalt Polizeiuniform trug und sich zwei Karabiner umgehängt hatte. Sie lief auf das Startfloß zu. »Ganz ruhig bleiben«, sagte plötzlich eine Stimme aus dem Dunkel. Fran fuhr entsetzt herum und ließ den Schlauch fallen. Sie starrte in die Mündung eines Gewehrs. »Wenn Sie sterben, ist das Ihre eigene Schuld«, sagte der Polizeibeamte drohend. Fran blieb fassungslos stehen, und im nächsten Augenblick schrie der Uniformierte mit dem Karton unterm Arm zum Wachhaus hinüber: »Los, Chef. Da kommen Freunde von denen.«
Im Wachhaus wurde Steve von dem Mann mit dem Karabiner in Schach gehalten, während der mit der Pistole das herankommende Auto beobachtete. Die Scheinwerfer näherten sich rasch. »Wer sind Sie?« fragte der Offizier mit dem Karabiner. »Wir gehören zu WGON, Sie wissen schon, die Fernsehstation. Wir ~« . Der andere Mann unterbrach ihn. »Noch etwa eineinhalb Minuten«, meldete er. Der Mann mit dem Gewehr gab Steve einen Stoß, daß dieser hinausstolperte. Steve hob den Kopf und sah, daß das Auto auf den langen, schmalen Kai einbog. Die beiden Offiziere führten Steve zum Hubschrauber, wo Fran zitternd vor Angst wartete. Der erste Offizier griff in die Kanzel und zog Steves Gewehr heraus. »Augenblick mal«, schrie Steve. »Wir sind nur hier, um aufzutanken. Die Männer waren schon tot. Sie sind hiergewesen. Sie wissen es. Offenbar wollte jemand an die Boote heran. Wir hatten nichts damit zu tun -« Einer der Offiziere, die im Wachhaus gewesen waren, bemerkte die Kennzeichnung auf der Maschine. »Oh, WGON-Verkehrsüberwachung ... Steve Andrews«, sagte er belustigt. »Richtig, das bin ich«, sagte Steve. »Was Sie nicht sagen«, erwiderte der andere. »Mit dem Vogel kamen wir viel weiter, Chef«, sagte der Mann, der Fran überfallen hatte. Er saß zufrieden auf dem Pilotensitz. Der Mann mit dem Karton stürmte auf das Dock, nachdem er seine Last in einem der Boote untergebracht hatte. »Paßt nicht alles rein«, sagte er. »Wie viele Leute passen in das Ding da?« fragte der Mann, der sich nach Steves Identität erkundigt hatte. Für Steve stand inzwischen fest, daß das keine Polizeibeamten sein konnten,
daß sie sich die Uniformen einfach Irgendwo angeeignet hatten und nun das Weite suchen wollten. »Ich setz´ mich aber nirgends rein, wo ich nicht selbst steuern kann«, sagte der Mann, der Steve mit dem Gewehr bedroht hatte. »Das ist wahr«, meinte der andere, der zum Fahrzeug zurückgegangen war und den nächsten Karton holte. »Wenn ihm etwas zustößt, sitzen wir da. Bleiben wir beim Motorboot.« »Mit dem Vogel kommen wir viel weiter«, erklärte der erste wieder. Plötzlich war über den Scheinwerfern des herankommenden Autos ein rotes Blinklicht zu erkennen. »Mensch, das ist ein Streifenwagen«, sagte der Mann mit dem Gewehr. Im nächsten Augenblick heulte eine Sirene auf. Der Mann im Hubschrauber, der immer noch die Pistole auf Fran gerichtet hielt, sagte: »Sie haben uns gesehen!« »Keine Sorge«, sagte der Chef gelassen. »Wir sind von der Polizei.« Der Mann, der das Boot belud, warf seinen Karton auf den Dockrand und nahm sein Gewehr vom Rücken. »Na und!« schrie er seinen drei Komplizen zu. »Nichts wie ins Boot!« Der Anführer starrte Steve scharf an, richtete den Blick auf den Streifenwagen und wieder auf den jungen Piloten. . . »Du haust ab, was, Flieger?« Steve blieb stumm. Er hatte Angst wie nie zuvor in seinem Leben. Er war froh darüber, Fran bei sich zu haben, weil er sich vor ihr nicht gehenlassen durfte. »Du und deine Freundin, ihr haut mit dem Verkehrsvogel von WGON ab ...« höhnte der andere. »Regt euch ab«, sagte er zu seinen Genossen. »Die ziehen auch Leine.« Nach einer Ewigkeit, wie es Fran und Steve erschien, hielt der Streifenwagen am Dock. Steve wollte darauf zugehen, um
festzustellen, ob Roger darin saß, aber der Mann mit dem Gewehr hielt ihn zurück. Der Wagen hielt, und zwei bewaffenete Soldaten sprangen heraus. Steve sah erleichtert, daß einer davon Roger war. Den hochgewachsenen Neger, den er bei sich hatte, kannte er nicht. »Was ist los, Officer?« fragte Roger unschuldig. Er ließ sich nicht einmal mit einem Seitenblick anmerken, daß er Steve kannte. »Hab' Ihre Freunde hier erwischt beim Benzinklauen«, sagte der Mann mit dem Karabiner. »Was meinen Sie mit >Freunde
leichtert in die Arme. Roger sah sie und kam heran. »Alles in Ordnung mit euch?« fragte er. Steve nickte. »Wer ist das?« fragte er und zeigte auf den Neger. »Er heißt Peter Washington. Er ist ganz in Ordnung«, sagte Roger knapp und ging auf den Hubschrauber zu, »Beeilen wir uns«, meinte er, als Fran und Steve ihm folgten. Peter hatte die mitgebrachten Vorräte säuberlich an der Rückseite der Kanzel verstaut. Der starke Benzingeruch störte ihn, und er sah den Schlauch am Boden liegen. Er schob die Düse in den Füllstutzen und hielt ihn fest, bis der Tank gefüllt war. Unten am Dock trugen die anderen Männer ihre Kisten und Schachteln zum Boot. »Seht lieber zu, daß ihr fortkommt«, rief Roger. »Über Funk ist durchgegeben worden, daß der Bootshafen überfallen worden sei.« Fran, Steve und Roger erreichten die Kanzel, die Peter inzwischen mit Vorräten vollgestopft hatte. »Bist du sicher, daß uns das Ding alle trägt?« sagte Fran, als sie einstieg und sich hinten in der Kanzel auf den Boden kauerte. »Kostet mehr Treibstoff, aber es geht schon«, versicherte Steve. Als Peter sich mühsam hineinzwängte, kam einer der anderen Männer auf Roger zu. »He, habt ihr Zigaretten?« fragte er, als er den letzten Karton abstellte. Roger sah die anderen mit merkwürdiger Miene an. Fran schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er knapp und lief auf die andere Seite des Hubschraubers hinüber. »Wohin wollt ihr?« fragte Steve vom Pilotensitz aus.
»Flußabwärts. Vielleicht kommen wir bis zu den Inseln.« »Zu welchen Inseln?«
»Zu irgendeiner. Und ihr? Wohin geht es bei euch?« »Aufwärts«, sagte Steve mit einem Lächeln, als die Rotoren den Hubschrauber emportrugen. Die drei Männer am Boden eilten davon. Als sie die Leinen eines der Motorboote lösten, surrte der WGON-Hubschrauber über sie hinweg. Das Polizeiboot glitt hinaus auf den dunklen Fluß, und zurück blieben nur die Leichen und der durchdringende Benzingeruch am knarrenden Kai. Steve steuerte den Helikopter hinaus über die Stadt. Niemand wußte, wann oder ob sie jemals zurückkommen würden. Sie flogen über das Museum für Kunst, dessen Steintreppe von Scheinwerfern angestrahlt wurde. Das Rodin-Museum lag nur einige hundert Meter entfernt. Steve fragte sich, ob die wandelnden Toten die Stadt bald gänzlich unbewohnbar machen würden. Vielleicht entdeckte in ein paar tausend Jahren ein Archäologe die Metropole mit ihren Kunstschätzen und stellte sich die Frage, welche Katastrophe alle ihre Bewohner zur Flucht veranlaßt haben mochte. Bis zur Morgendämmerung würden noch ein, zwei Stunden vergehen, und die Stadt wirkte wie ausgestorben. Die Independence Hall, Betsy Ross' Haus mit der ersten amerikanischen Flagge - alle Denkmäler einer großen Zivilisation waren dem Zugriff des sich anbahnenden Desasters ausgesetzt. Fran zündete sich eine Zigarette an. Roger folgte ihrem Beispiel, Peter verzog den Mund. Er lehnte sich zurück, aber die Enge ließ nicht zu, daß er die Beine ausstreckte. Er schaute hinunter auf die Stadt. »Läßt von euch jemand Angehörige zurück?« fragte er unvermittelt. »Einen Exehemann«, sagte Fran ohne Bedauern. »Eine Exehefrau«, sagte Roger nachdenklich. »Und Sie, Peter?« fragte Steve, ohne den Kopf zu drehen.
»Brüder«, sagte der Farbige kurz und abschließend. Als der Helikopter Richtung Westen weiterflog, wurden die Lichter unter ihm spärlicher. Roger war auf dem Sitz neben dem Piloten eingeschlafen. Fran und Peter saßen eng zusammengedrängt dahinter. Peter starrte zum Fenster hinaus, aber Fran spürte, daß sein Blick keinem bestimmten Ziel galt. »Richtige Brüder?« sagte sie, das Gespräch dort fortsetzend, wo es vor fast einer Stunde aufgehört hatte. Er sah sie an. »Richtige Brüder oder solche von der Straße?« setzte sie sich. »Beides.« »Wie viele richtige?« »Zwei. Einer sitzt im Gefängnis. Der andere ist BaseballProfi. Aber von Zeit zu Zeit kommen wir zusammen.« Er drehte den Kopf zur Seite. Fran hatte das Gefühl, daß er jeden menschlichen Kontakt abzulehnen schien, aber Peter Washington hatte sich abgesandt, damit sie die Tränen nicht sah, die ihm in die Augen itiegen. Wie konnte er einfach davonlaufen und sie im Stich assen? Aber es gab ja nichts, was er tun konnte. Sammy saß im Knast, und wofür? Weil er sich aus dem Wucher-Schnapsgeschäft im Getto ein paar Dollar geholt hatte, von einem Kerl, der den Leuten seit Jahren überhöhte Preise abverlangte. Und Tommy? Er war ein Sportstar geworden. Irgendwo unterwegs. Vielleicht im Mittelwesten. Die beiden würden wenigstens einigermaßen sicher sein. Peter wandte sich der schlanken, blonden Frau wieder zu. Er wies mit dem Kinn auf den Piloten und sagte: »Ist das jetzt ihr Freund?« Sie lächelte schwach. »Kann man sagen. Ja.« »Möchte nur wissen, wer zu wem gehört«, meinte Peter und
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lächelte zum erstenmal seit langer Zeit ungekünstelt. »Ja, ich auch«, sagte sie und rutschte tiefer in den Sitz. Während es am Horizont endlich hell wurde, knatterte der kleine Hubschrauber einem unbekannten Ziel entgegen.
Das helle Morgenlicht flutete in die Hubschrauberkanzel. Peter bedeckte die Augen mit der Hand. Er hatte keinen Augenblick geschlafen. Seine Augen waren gerötet und brannten noch immer von den Nachwirkungen des Tränengases. Fran schlief noch, an die Kanzelwand gepreßt. Sie wirkte ganz friedlich. Und Roger schnarchte zufrieden. Peter schüttelte ein wenig den Kopf. Soviel er erkennen konnte, waren sie irgendwo hinter Har-
risburg. Seit sie Philadelphia hinter sich gelassen hatten, flogen sie direkt nach Westen. Er hatte das Piedmont-Plateau von Lancaster erkannt. Er fragte- sich, was die Amish-Sekte von den Ereignissen hielt, sobald sie erfuhr, was sich zugetragen hatte. Vielleicht glaubte sie, wie viele Menschen, daß das eine Strafe für die Sünden des modernen Lebens sei. Sie hatten die üppigen Taler von Lebanon und Cumberland überflogen, wo der mächtige Susquehanna dahinströmte. Soweit Peter das nach seinen Geographiekenntnissen beurteilen konnte, näherten sie sich dem Appalachen-Gebirge. Von dort würde es zum AIlegheny-Gebirge gehen und weiter nach Johnstown und Pittsburgh. Als Steves Kopf kurz zuckte, begriff Peter, daß der Pilot im Begriff stand einzunicken. Peter stieß ihn an. Steve schaute sich erstaunt um und lächelte, aber Peter sah ihn nur kalt an. Komischer Kauz, dachte Steve. Möchte nur wissen, warum Roger ihn mitgebracht hat?
»Noch Wasser da?« fragte Steve, rieb sich heftig das Gesicht und zerrte an seinen Unterlidern. Peter griff hinter sich und zog eine Plastikflasche heraus. Steve trank einen großen Schluck, bekam aber sofort Skrupel. Mit größerer Vorsicht spritzte er sich etwas Wasser ins Gesicht, um frischer zu werden. Er wußte nicht mehr genau, wie lange er schon auf den Beinen war, aber es mußten mindestens vierundzwanzig Stunden sein. Er reichte Peter die Flasche zurück. Der Farbige nahm ebenfalls einen Schluck. Plötzlich erstarrte Fran und zuckte aus dem Schlaf hoch, wie um einem Alptraum zu entfliehen. Einen Augenblick lang wußte sie nicht, wer der Neger neben ihr war, oder auch nur, wo sie sich befand. Dann kehrte die Erinnerung zurück, und mit ihr die Niedergeschlagenheit. »Wissen Sie, wo wir sind?« sagte Peter zu Steve. »Ich weiß genau, wo wir sind«, erwiderte Steve aggressiv. Die Einstellung des Farbigen zu ihm gefiel ihm nicht, außerdem war ihm aufgefallen, daß er zu Fran betont freundlich war. »Harrisburg?« sagte Peter lauernd. »Haben wir schon seit einer Stunde hinter uns.« Beide sprachen laut, um das Motorengeräusch zu übertönen. Sie weckten Roger, der sich herumdrehte, als Steve zu den anderen sagte: »Mit dem Sprit wird es knapp. Ich warte nur, bis
es ganz hell wird, damit wir sehen, wo wir landen.« Die drei anderen blickten hinunter auf die Erde und konnten mehrere große Brände erkennen, vermutlich Lagerhäuser und Fabriken. Auf einer Landstraße rollten die erbsengrünen Lastwagen einer Einheit der Nationalgarde. Als die Sonne hoher stieg, war unten immer mehr Geschäftigkeit wahrzunehmen. Trupps aus Polizeibeamten, Soldaten und zivilen Freiwilligen durchstreiften die Gegend. Ab und zu konnte man einen vereinzelten Untoten über ein Feld wanken
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oder zwischen Bäumen dahintorkeln sehen. Immer wieder fielen Schüsse, stürzten Zombies. »Mein Gott«, sagte Roger und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Das ist überall so.« »Wir haben nicht mehr weit nach Johnstown«, sagte Steve. »Es ist besser, wenn wir uns von Großstädten fernhalten. Auf der Karte hier ist ein kleiner Flugplatz bei Beaverdale eingezeichnet. Ich versuche, dort zu landen und aufzutanken.« Als sie sich dem Landeplatz näherten, der still in der Morgensonne lag, war kein Lebenszeichen zu entdecken. Ein paar Privatflugzeuge standen auf dem Vorfeld, aber der kleine Tower schwieg. Der Helikopter surrte an ihm vorbei. Als der Kopter in der Nähe der Tankanlage aufsetzte, wirbelte der Rotorwind riesige Staubwolken hoch. Alte Zeitungen und Abfälle flogen durch die Luft. Der Platz lag so verlassen, als hätte eine Atombombe die Umgebung verwüstet. Ein Zeitungsfetzen wehte an ein Fenster in einem der Schuppen, wo Schneeräumgeräte und andere 'Wartungsmaschinen untergebracht waren. Das Blatt haftete kurz an der Scheibe, wie dort festgeklebt, dann flatterte es auf den Boden, Mit starren Augen verfolgte ein Untoter mit narbenübersätem Gesicht den Weg des Fetzens. Der Hubschrauber landete an den Pumpen, und die Passagiere stiegen aus, froh, sich die Beine vertreten zu können. Steve lief sofort zu den Pumpen. »Scheiße. Fast leer.« »In einer Landbaugegend wie hier gibt es viele Privatflugzeuge«, meinte Roger, schwang die Arme und machte Kniebeugen, um den Kreislauf anzuregen. »Sie haben sicher alle aufgetankt und sind davongeflogen.« »Wohin?« fragte Steve, als er den Schlauch zum Helikopter schleppte, um die spärlichen Benzinreste in seinen Tank zu füllen. »Wo, zum Teufel, können sie hin?« »Wo gehen wir denn hin?« fragte Peter.
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Statt zu antworten, ging Steve zur zweiten Pumpe, warf einen Blick auf die Anzeige und griff nach dem Schlauch. Hier strömte der Treibstoff kräftiger. »Da ist noch einiges zu holen«, sagte er, als er den Schlauch zum Hubschrauber zog. »Verdammt, er ist zu kurz.« Er sprang in die Maschine und hob ab, Fran, die dabeigestanden hatte, war die Feindseligkeit zwischen den beiden Männern aufgefallen. Männer! dachte sie. Jetzt war nicht die Zeit, sich zu bestätigen. Sie mußten zusammenhalten. Sie ging langsam zu einem kleinen Hangarbereich. Die meisten schon etwas baufälligen Hallen standen offen und leer. Die Besitzer der Maschinen hatten es offensichtlich sehr eilig gehabt und wohl auch nicht damit gerechnet, daß sie wiederkommen würden. Es war erschreckend. Wohin wollten sie? Wenn die lebenden Toten schon in dieser abgelegenen Gegend ein Chaos verursacht hatten, wo konnte man dann noch Sicherheit erwarten? Das eine oder andere Doppeltor war geschlossen und mit Ketten und Vorhangscblössern abgesperrt. Vielleicht standen dahinter die Flugzeuge derjenigen, die nicht mehr das Glück gehabt hatten, fliehen zu können. Vielleicht aber auch von jenen, die sich entschlossen hatten, hierzubleiben und gegen die Zombies zu kämpfen. Oder vielleicht waren die Besitzer jetzt selbst Untote! Der Wind von den Rotorblättern ließ Frans Haare flattern, Abfall und Staub wirbelten hoch bis zu ihren Schultern. Sie versuchte, Augen und Nase vor dem Staub zu schützen. Auf der anderen Seite des Flugfelds stieß Peter die Tür zur Flugleitung auf. Durch die halb geöffneten Fenster war Staub hereingeweht worden, der alle glatten Flächen bedeckte. Um einen alten Holztisch standen ein paar Stühle herum. Mehrere halbleere Kaffeetassen standen auf zerknitterten Navigationskarten und hatten braune Ringe hinterlassen. Auf einem
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angebissenen Sandwich tummelten sich Fliegen. Eine alte, schmutzige Jalousie klapperte im Wind. Peter hielt seine Waffe im Anschlag, zog die Jalousie herunter und ließ sie hochschnellen. Er seufzte erleichtert. Draußen setzte der Hubschrauber wieder auf, und Roger lief mit dem Tankschlauch darauf zu. Steve sprang aus dem Cockpit und schrie: »Ich sehe nach, was in den Hangars zurückgeblieben ist.« Er drehte sich um, bevor Roger etwas erwidern konnte, und trabte Fran nach, Inzwischen gab Peter im Büro der Flugleitung einer alten Kaffeemaschine am Ende des Raumes einen Tritt. Die Maschine ratterte laut und spuckte zu Peters Überraschung eine Tasse aus. Während der Kaffee hineinrann, warf Peter einen Blick auf das Schwarze Brett. Es war übersät mit Zetteln, denen man ansah, in welcher Hast sie bekritzelt worden waren: >LUCY- BIN IN JOHNSTOWN«. >Charles, ich habe die Kinder. Ben ist dabei. Mama ist tot.< >Konnte nicht mehr warten. Unterwegs nach Erie - Jack Foster.< Die ganze Wand war mit solchen Botschaften bepflastert, und Peter fragte sich, wer von den Adressaten sie wirklich gelesen hatte. Er schlürfte nachdenklich seinen Kaffee. Eine plötzliche Bewegung an der Schranktür gegenüber erregte seine Aufmerksamkeit. Sie schien abgesperrt zu sein, klapperte aber zweimal, nicht im Takt mit den Windstößen. Peter ging vorsichtig darauf zu. Die Tür krachte plötzlich in den Fugen. Peter stellte die Tasse ab und packte sein Gewehr fester. Wieder klapperte die Tür, und der Schlüssel fiel klirrend aus dem Schloß auf den Boden. Peters Blick blieb auf dem getrockneten Blut am Linoleum haften. Wieder krachte es, dann war das unverwechselbare Gurgeln eines Untoten zu hören. Er versuchte sich zu befreien! Peter hob seine M 16 und zielte ungefähr in Kopfhöhe auf
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die Tür. Das Sturmgewehr ratterte ohrenbetäubend in dem kleinen Zimmer, und in der alten Holztür erschienen zerfetzte Einschußlöcher. Fran und Steve hörten die Schüsse und zuckten zusammen. Fran hatte am Eingang eines kleinen Hangars gestanden, während Steve im Inneren das Cockpit einer alten Cessna betrachtete. Er stürzte sofort hinaus und packte Frans Hand. Als sie um die Ecke bogen und die Steigung zum Hubschrauber hinauflaufen wollten, standen sie vor zwei Untoten. Die Zombies wankten langsam auf sie zu, aus der Staubwolke auftauchend, die von den Rotorblättern aufgewirbelt wurde. Fran wurde von Panik ergriffen. Sie waren unbewaffnet, hilflos. Sie kreischte. Steve packte ihren Arm fester. »Roger, Roger«, schrie er, aber der andere hörte ihn nicht und tankte weiter den Hubschrauber auf, ohne zu ahnen, in welcher Gefahr seine Freunde schwebten. Ein dritter Untoter wankte auf den Hubschrauber zu. Im Büro starrte Peter die Schranktür an. Es blieb einen Augenblick still, dann begann die Tür wieder zu scheppern, und das Stöhnen wurde lauter. Peter zielte sorgfältig und feuerte, links unten und rechts oben neben den bisherigen Treffern. Gab eine zusätzliche
Salve ab. Sekundenlang blieb es totenstill, dann krachte es, daß die Wände zitterten. Die Tür platzte auf, und zwei kleine Kinder, ein Mädchen und ein Junge, stürzten heraus. Selbst für Peters abgestumpften, zynischen Blick waren sie grauenhaft anzusehen: das kleine Mädchen hatte keinen linken Arm mehr, der Junge blutete aus einer riesigen Wunde an der Seite des Körpers. Einen Augenblick lang empfand Peter Mitleid für die armseligen Wesen, aber dann erinnerte er sich, daß sie Tote waren - wandelnde Tote! Die beiden jungen Zombies liefen auf Peter zu, und ihre ge63
ringe Grüße lieferte die Erklärung dafür, warum die in Kopfhöhe abgegebenen Salven wirkungslos geblieben waren. Peter starrte die Kreaturen wie gelähmt an, und erst als er ihren klammen Zugriff spürte, setzte seine Reaktion wieder ein. Aus solcher Nähe konnte er nicht schießen; er hieb mit der Waffe wild auf sie ein. Das kaum achtjährige Mädchen flog an eine Wand, der Junge, um die zehn Jahre alt, krallte sich an Peters Arm fest und versuchte die Zähne hineinzuschlagen. Peter packte ihn und stieß ihn weg, aber im nächsten Augenblick fiel ihn das Mädchen von hinten an. Er schleuderte es über die Schulter, und es prallte mit dem Jungen zusammen. Die Kinder trugen Overalls, waren blond und blauäugig. Wahrscheinlich die Kinder irgendeines Farmers, dachte Peter, als er die Waffe hob. Wahrscheinlich Geschwister. Als die Kinder sich aufraffen wollten, gab der Farbige mehrere Schüsse ab. Zuerst stürzte das kleine Mädchen hin, dann der Junge. Peter feuerte noch immer, lange nachdem die Kinder erschlafft waren. Seine Augen waren trocken - vor Verzweiflung und Ekel weit aufgerissen. Das metallische Klicken der Waffe zeigte endlich an, daß das Magazin leergeschossen war. Peter war schweißüberströmt und atmete keuchend und stoßweise. Inzwischen näherten sich die beiden Wesen Fran und Steve. »Lauf«, schrie Steve Fran zu, die wie versteinert dastand. Sie drehte den Kopf und blickte hinter sich, aber die Hangars versperrten den Rückweg. »Lauf an ihnen vorbei«, sagte Steve gepreßt. »Um sie herum. So schnell sind sie n i c h t . Sie zögerte, und ihre Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen, als die Zombies immer näherrückten. Steve begann hysterisch zu schreien. »Lauf, Fran. Verdammt noch mal, ich bin doch dabei. Wir werden fertig mit i h n e n . 64
Fran schüttelte sich und begann die Steigung hinaufzuhetzen. Sie lief rechts an den Wesen vorbei, und sie drehten sich herum und streckten die Arme nach ihr aus. Fran zuckte entsetzt zurück. »Renn, Fran!« kreischte Steve. »Los!« Fran starrte in die leeren, dumpfen Augen des ersten Untoten. Der unverwandte Blick des Wesens hypnotisierte sie beinahe. Im allerletzten Augenblick gewann sie ihre Fassung zurück und stürzte an den Ungeheuern vorbei. Oben auf der Anhöhe blieb sie stehen und drehte sich um. Ihr Herz drohte zu zerspringen, sie zitterte am ganzen Körper. Es kam ihr vor, als gäbe es keine Fluchtwege mehr, als könnte sie die Untoten nur kurze Zeit hinhalten, bevor ihr Schicksal besiegelt war. Sie war sich nicht im klaren darüber, daß sie nicht mehr dachten wie Menschen, nicht einmal wie reaktionsschnelle Tiere handelten, sondern lediglich herumwankten und ohne Unterscheidungsvermögen gegen Menschen und Sachen prallten. Einer der Untoten war umgekehrt und ging ihr nach. Das andere Wesen näherte sich Steve, der plötzlich herumfuhr und in den offenen Hangar schlüpfte. Die dünnen Sonnenstrahlen, die zwischen den Brettern hereindrangen, warfen ein Streifenmuster auf den Boden. In der Mitte des Hangars bemerkte Steve einen Haufen Ölverschmierter Werkzeuge. Er wühlte darin, bis er einen riesengroßen Vorschlaghammer fand. Er packte ihn und lief hinaus, schlug einen Haken um den ersten der Untoten, der wie eine aufgezogene Spielzeugfigur torkelte und weiterwankte, selbst als Steve die Richtung gewechselt hatte. Steve hetzte die Steigung hinauf, den Hammerstiel umklammernd, erreichte den Untoten, schwang den Hammer hoch und ließ den schweren Stahlklotz mit aller Kraft auf den Schädel des Wesens niedersausen. Der Zombie wankte noch ein paar Schritte dahin, sein Schädel eine blutige Masse, dann stürzte er auf die Knie und fiel vornüber in den Staub. Das Blut quoll in Strömen heraus
Zombies kann man nur vernichten, indem man ihnen das Gehirn zerstört
und versickerte im Sand. Steve packte Fran bei der Hand und raste mit ihr zum Hubschrauber. Der andere Untote am Hangar schien jetzt begriffen zu haben, daß sein Opfer davongestürzt war. Er drehte sich um und ging die Anhöhe hinauf, die Hände zu Krallen gekrümmt, die herausquellenden Augen starr nach vorne gerichtet. Roger, der von den Vorgängen nichts wahrgenommen hatte, pumpte die letzten Tropfen aus dem Schlauch in seinen Tank. Er drehte sich um und sah fassungslos die wildverzerr-
ten Gesichter Frans und Steves, als sie wie Wahnsinnige auf den Helikopter zustürzten. Steve sah den Untoten hinter Roger herankommen. Er schrie und wedelte mit dem freien Arm. Roger fuhr herum. Das wankende Wesen hatte ihn fast erreicht. Es hob die Arme wie zu einem makabren Gruß. Roger ließ das Schlauchende fallen und wollte davonstürmen, sah sich aber eingeklemmt.
Er hatte das Gewehr nicht bei sich und mußte verzweifelt am Gürtelhalfter zerren, bevor er bewaffnet war. Plötzlich flammte das leere Gesicht des Zombies rot auf. Roger sah voller Entsetzen, daß das Wesen geradewegs in den
kreisenden Rotor gelaufen war. Mit einer Mischung von Abscheu und Erleichterung verfolgte er, wie die Leiche noch ein, zwei Schritte vorwärtstaumelte und dann zusammenbrach. Steve und Fran hatten den Hubschrauber inzwischen erreicht. Steve ließ Frans Hand los und seinen blutbeschmierten Hammer fallen. Er warf sich ins Cockpit und packte sein Gewehr. Der Zombie, der die Steigung hinauftaumelte, geriet ins Stolpern, fand sein Gleichgewicht wieder und näherte sich unbeirrt dem Hubschrauber. Fran wurde plötzlich von heftiger Übelkeit und Schwäche erfaßt, stürzte auf die Knie, krallte die Hände in die Magengegend und begann zu würgen. Sie schien unfähig zu sein, sich
vor dem Untoten in Sicherheit zu bringen. Steve brachte seine Waffe in Anschlag, zielte auf das Wesen, drückte ab. Das Geschoß streifte nur das Gesicht des Zombies. Er geriet stärker ins Wanken, fiel aber nicht zu Boden. Inzwischen hatte Roger sein Gewehr aus dem Hubschrauber geholt und kam Steve zu Hilfe. Steve hatte noch zwei Schüsse abgegeben, einmal daneben, mit dem anderen den Arm des Wesens gestreift, das völlig unberührt blieb. Gerade als Steve erneut abdrücken wollte, legte Roger ihm die Hand auf den Arm, dann legte er an, zielte und jagte dem Untoten eine Kugel durchs Gehirn. Der Zombie stürzte, und eine Zeitung wehte heran und deckte ihn zu wie ein Leichentuch. Die ganze Zeit über hatte Peter die kleinen, von Einschußlöchern übersäten Leichen angestarrt. Endlich riß er sich zusammen und begann seine Waffe zu laden, während er langsam rückwärts aus dem kleinen Gebäude ging. Hinter ihm, als Silhouette vor dem sonnengleißenden Eingang, kam wieder ein Zombie heran und wankte vorwärts, als Peter sich umdrehte. Entgeistert versuchte Peter, seine Waffe durchzuladen. Das Wesen streckte die Arme nach ihm aus, und Peter starrte ihm in die Augen. Dann erschien hinter dem Zombie plötzlich Steve, siebzig, achtzig Meter entfernt. Peter konnte ihn über die Schulter des Untoten erkennen. Steve legte an und zielte auf das Wesen. Peter hatte den Eindruck, als sei die Mündung auf ihn selbst gerichtet, und er warf sich instinktiv zur Seite. Der Schuß krachte, das Geschoß verfehlte den Untoten und prallte an der Kaffeemaschine ab. Der nächste Schuß zersplitterte die Fensterscheibe. Peter wußte nicht, vor wem er sich zuerst retten sollte - vor dem Zombie oder vor Steves unkontrollierten Schüssen. Am Boden kauernd, füllte Peter sein Magazin. Ein drittes Geschoß Steves traf die Schulter des Untoten, aber er blieb auf den Beinen. Langsam wandte er sich dem Kauernden zu. Peter kroch 68
unter den Tisch, als die nächste Kugel in die Kaffeetassen
fetzte. Wenn der Kerl nicht blind ist, muß er mich hier doch sehen, dachte Peter. Er will mich wohl auch gleich abknallen! Gerade zur rechten Zelt trat Roger wieder zu Steve heran, zielte erneut sorgfältig mit dem Zielfernrohr und gab einen einzigen Schuß ab. Als Peter das Magazin hineinstieß, stürzte der Untote über den Tisch zu Boden. Fran, von Staub und Abfall umwirbelt, lag noch immer am Boden und wurde von Übelkeitskrämpfen geschüttelt. Sie wußte, daß es an der Aufregung lag, kannte aber auch den anderen Grund, und sie schauderte, wenn sie daran dachte, was aus ihr werden sollte, wenn die ganze Umwelt im Chaos unterzugehen drohte. Fran zuckte zusammen, als sie eine plötzliche Bewegung wahrnahm, dann sah sie erleichtert Steve auf sich zustürzen. »Peter«, schrie Roger in das Büro hinein. Der Farbige tauchte unter der Tür auf, sein Gesicht eine grimmige Maske. Fran begann zu husten und nach Luft zu ringen. Steve griff nach ihren Schultern und versuchte ihr zu helfen, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. Peter kam mit weit ausholenden Schritten auf das Paar zu, und Steve spürte schon aus größerer Entfernung, daß der Farbige vor Wut kochte. Peter blieb stehen und richtete den Lauf seiner Waffe auf ihn. Steve versuchte sich aufzurichten, aber seine Knie knickten ein, und er kippte um. Peter trat noch zwei Schritte heran. »Nein ... mein Gott! Was tun Sie denn . . . nicht!« schrie Fran. »Daß Sie ja nie mehr auf irgend jemand zielen, Mister«, zischte Peter. »Macht einem Angst, nicht wahr?« Er stieß Steve mit seiner Mündung an. Steve starrte fassungslos zu ihm hinauf. Er hatte geglaubt, in dem Büro jemanden gesehen zu haben, war seiner Sache aber
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nicht sicher gewesen, und hatte nur den einen Gedanken gehabt, den Untoten niederzuschießen. Peter ließ den Lauf sinken und streckte die Hand aus, um Steve auf die Beine zu helfen. Roger zog den Schlauch vor den Kufen des Hubschraubers weg. Peter kletterte in die Kanzel und ließ sich wortlos auf dem Rücksitz nieder. Er konnte die beiden Kinder nicht vergessen und den Blick in Steves Augen, als er das Gewehr auf ihn gerichtet hatte. Roger half inzwischen der entkräfteten jungen Frau ins Cockpit, während Steve um die Maschine herumging und mit erzwungener Ruhe hineinkletterte, um sich ans Steuer zu setzen. Roger stieg hinter Fran ein, die sich neben Peter hineinzwängte. Der Farbige bot ihr einen Schluck Wasser an, als wolle er sagen: Gegen dich habe ich nichts, nur gegen Steve. Sie trank und ließ den Kopf zurücksinken. »Wir müssen Treibstoff finden«, sagte Steve gepreßt. Er warf einen Blick auf seine Karten. »Nein, von den großen Städten müssen wir uns fernhalten«, sagte Roger. Wenn es überall so ist wie in Philadelphia, kommen wir nicht lebend davon.« »Wir kommen vielleicht nirgends lebend davon«, sagte Peter feindselig. »Wir hätten es hier beinahe nicht geschafft.« »Hier haben wir uns doch ganz gut gehalten«, meinte Roger, bemüht, den Frieden wiederherzustellen. Er fühlte sich verantwortlich dafür, Steve und Peter zusammengebracht zu haben, hatte allerdings nicht wissen können, daß sich ein so gespanntes Verhältnis entwickeln würde. »Solange es nicht zu viele von diesen Wesen werden, kommen wir leicht zurecht.« »Sicher«, sagte Peter. »Es war auch nicht eins von den Wesen, das mich beinahe weggeputzt hätte.« Steve stieg die Galle hoch. Er wollte sich umdrehen und eine passende Antwort geben, aber Roger kam ihm zuvor. »Wir müssen in der Provinz bleiben«, sagte er ernsthaft. 70
»Weiter westlich gibt es sicher noch mehr Privatflugplätze.« »Am Allegheny gibt es die Schleusen«, sagte Steve und beugte sich wieder über seine Karten. »Mit privaten und staatlichen Tankstellen.« »Wahrscheinlich sind da noch Leute«, erwiderte Roger. »Wir dürfen uns auf nichts einlassen.« »Man ist doch bloß hinter Plünderern her«, sagte Steve. »A - ach«, sagte Peter. »Haben Sie etwa die Papiere für den Bus hier?« »Ich habe einen Ausweis von WGON, und Fran hat auch einen«, fuhr Steve auf. »Richtig«, sagte Peter scharf, »und wir sind hier und machen Verkehrsüberwachung? Wachen Sie doch auf, Mann. Wir sind Diebe und Räuber, das sind wir. Und wir müssen uns auf eigene Faust durchschlagen.« Die anderen sahen sich betroffen an. Peter hatte recht. Sie waren nicht besser als die Plünderer, die durch das Land zogen. Aber welche Wahl blieb ihnen sonst? Die Rotorblätter drehten sich, aber die Maschine hob nicht ab. Die Männer starrten einander an. Peter griff schließlich nach der Plastikflasche und trank einen Schluck Wasser. »Mein Gott«, sagte Fran leise. »Wir wissen nicht einmal, wohin wir wollen. Wir haben kein Radio. Unser Wasser geht zur Neige. Wir brauchen Nahrung . . . « Sie sah die Männer der Reihe nach an, deren Gesichter eingefallen und angespannt waren. Am schlimmsten schien es Steve erwischt zu haben. »Steve«, sagte sie, »du brauchst Schlaf.« Er sah sie kurz an, dann drehte er den Kopf nach vorn und betätigte den Gashebel. Der Hubschrauber stieg empor und wirbelte eine gewaltige Staubwolke auf, die sich wie ein Leichentuch über die Szene legte. Peter warf noch einen Blick auf das Büro und wischte sich 71
die Stirn. Er brauchte auch Schlaf, bei Gott, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß er je wieder ein Auge würde zutun
können.
5 Der kleine Helikopter knatterte nach Nordwesten davon. Er flog über die verlassene Landschaft, und seine einsamen Insassen glichen Noah in seiner Arche. Ungefähr sechzig Meilen nördlich von Pittsburgh sprangen ihnen die weitreichenden Fühler eines riesigen Bauwerks ins Auge. Ein halbes Dutzend Straßen führte auf einen Parkplatz von der Größe einiger Fußballfelder zu, auf dem ein Aderngeflecht von gelben Linien und Pfeilen zu sehen war. Es war ein riesiges Einkaufszentrum - >Kunden-Paradies< stand auf dem gewaltigen Schild -, aus dem felsigen Gelände der Zechengegend aufragend. Man hatte es entworfen» um eine großstädtische Atmosphäre zu schaffen. Die Außenmauern waren aus Beton und ragten beinahe drei Stockwerke hoch, verliehen dem Ganzen etwas Festungsartiges. Es gab vier Haupteingänge - im Norden, Süden, Westen und Osten, im Inneren eine Vielzahl von Läden, die alle Bedürfnisse der Kunden aus der Umgebung befriedigen konnten: Nahrung, Kleidung,
Unterbringung
und Vergnügen. Ein
hochmodernes System von Lüftungsschächten und Klimaanlagen ließ Außenfenster entbehrlich werden. Als der Hubschrauber darauf zuflog, sahen die Insassen, daß die wenigen Autos auf dem Parkplatz wahllos durcheinanderstanden, die meisten mit weit aufgerissenen Türen. Die kleine Maschine landete auf dem flachen Dach des Bauwerks. Der Motor hustete und spuckte, und die Rotorblätter drehten sich langsamer. Fran, die sich sehr schlecht fühlte, mit einem flauen Gefühl 72
im Magen und pochenden Kopfschmerzen, schaute sich entsetzt um. Auf dem Parkplatz liefen zwischen den aufgegebenen Autos - wie Kunden an einem typischen Einkaufssamstag - Horden von Untoten herum. Man hätte sie für normale Menschen halten mögen, wäre nicht ihr wankender Gang gewesen. Am nördlichen Eingang war die gläserne Drehtür zwischen zwei Panoramafenstern und mehreren gewöhnlichen Türen von einer Anzahl Zombies umdrängt. Einigen von ihnen war es gelungen, die normalen Türen zu benützen und in das Einkaufszentrum einzudringen, andere prallten von den Fenstern zurück und scharrten hilflos mit den Händen an den Scheiben. Ein Wesen war in die Drehtür geraten und rotierte endlos. Die Kreaturen liefen, wie es ihre Gewohnheit war, ziellos herum. Selbst das Surren des Hubschraubers ließen sie unbeachtet. »Oh, mein Gott!« schrie Fran angeekelt, als sie die grauenhafte Parade vom Dach aus beobachtete. Steve lief zu ihr. Er starrte auf die Wesen hinunter, die fast alle auf das Gebäude zugingen. »Keine Chance«, sagte er und machte sich auf den Rückweg zum Hubschrauber. »Können wir vergessen. Nichts wie weg hier.« Roger trat zu Fran und schaute sich auf dem Parkplatz um. »Augenblick mal, warte«, sagte er zu Steve. »Hier herauf können sie nicht.« »Mag sein. Und wir können nicht hinunter.« »Das muß sich erst erweisen«, gab Roger zurück. Er drehte sich nach Peter um. »Die meisten Gitter sind heruntergelassen«, sagte Peter, der durch eine der Plexiglaskuppeln in das Innere des Bauwerks blickte. Roger trat zu ihm. »Ich glaube nicht, daß sie in die Geschäfte eindringen können«, sagte Peter zu ihm.
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Vom Dach eines riesigen Kaufhauses, auf dem sie mit ihrem Hubschrauber gelandet sind, beobachten Francine, Steve und Roger das ziellose Herumirren der Untoten. (Gaylen Ross, David Emge und Scott H. Reiniger.)
Von hier aus konnten die beiden nur einen kleinen Ausschnitt des Inneren überblicken. Es war ein quadratischer Innenhof mit Garten unter dem Sonnendach der durchsichtigen Kuppeln. Der Garten lag nur zwei Etagen unter ihnen. Von dort aus führten, angeordnet wie Radspeichen, Wege zu den einzelnen Geschäften. Bis auf eines waren die schweren Eisengitter vor den Laden heruntergelassen. Roger konnte nur drei oder vier Untote umhertorkeln sehen. Sie prallten von den Gittern ab und mußten irgendwann an den ungeschützten Laden geraten. Roger beugte sich weiter vor und konnte erkennen, daß m halber Hohe der Innenwand eine Galerie um den ganzen Raum führte. Dort gab es eine zweite Geschäftsetage, wo die Läden ebenfalls durch Gitter gesichert waren. Soviel Roger sehen konnte, hatte keines der toten Wesen den Weg zur Galerie entdeckt - bislang. , - • . . Fran und Steve sahen einander an und gingen zu den beiden Männern. »Im Obergeschoß habe ich keinen von ihnen gesehen«, sagte Roger zu Peter. »Die großen Kaufhäuser dehnen sich meist über zwei Etagen aus. Vermutlich gibt es Rolltreppen.« »Wenn wir oben hineinkönnten -« sagte Roger, aber Peter hatte sich schon entfernt und lief plötzlich auf eine Anzahl von Aufbauten am Dach zu. Roger folgte ihm neugierig. Fran war von der Szene unter der Plastikkuppel immer noch gebannt. »Was machen sie hier?« fragte sie Steve. »Warum kommen sie hierher?« »Irgendein Instinkt«, mutmaßte Steve. »Die Erinnerung an das, was sie früher getan haben.« Mit beinahe krankhafter Faszination beobachteten sie die Zombies, die ziellos durch den Innenhof gingen. Ein paar versuchten die Gitter hochzuziehen, was nicht gelang. Eine Frau
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irrte umher und strebte dann dem einzigen offenen Laden zu, einem Elektrogeschäft. Sie kam wieder heraus und zog am Kabel einen Toaster hinter sich her. Peter und Roger erreichten eine Anlage von großen Reflektoren auf einem Metallgerüst, das sich über einen großen Bereich des Dachs erstreckte. Hinter dem Gerüst konnte man einen großen Generator erkennen. »Solarzellen«, sagte Peter. Er starrte nachdenklich vor sich hin. »Kann nicht genügen, um das alles mit Strom zu versorgen.« »Vielleicht ein Notsystem.« »Im Inneren ist alles hell beleuchtet.« »In dieser Gegend scheint die Stromversorgung nicht ausge-
fallen zu sein«, meinte Peter, als Roger sich aufrichtete und zu einem anderen Dachaufbau strebte. »In Philadelphia haben auch noch viele Lampen gebrannt. Könnte Atomstrom sein.« Aber Roger hörte nicht zu. Er hatte etwas Aufregendes gefunden. »He, seht euch das an«, rief er den anderen zu. Er starrte durch ein Drahtglas-Oberlicht hinunter, von denen es auf dem Dach mehrere gab. Er trat an ein anderes, während Peter sich über das erste beugte. Fran und Steve liefen auf die beiden zu. »Die führen nicht hinunter in das Einkaufszentrum«, sagte
Roger. »Was, zum Teufel, ist das denn?« Fran und Steve starrten in die Dunkelheit hinab und sahen sich verständnislos an. Sie wollten nichts anderes, als wieder in den Hubschrauber steigen und fortfliegen, diese unheimliche Szenerie hinter sich lassen. Sie rechneten jeden Augenblick damit, daß die Zombies auf das Dach stürmten und über sie herfielen. Jede Sekunde, die sie vergeudeten, war kostbar. Sie wollten das Tageslicht nutzen, solange es ging, und nach
Kanada gelangen, wo die Lage vielleicht völlig anders oder wenigstens erträglicher sein konnte. 77
Peter zog eine Stablampe aus seinem Gürtel. Er trug noch immer volle Uniform, während Roger bis auf Munitionsgürtel und Pistolenhalfter alles Militärische abgelegt hatte. Peter leuchtete durch das Oberlicht ins Innere. Der Boden schien nur etwa zwei Meter unter der Glasscheibe zu sein. »Verdammt«, sagte Peter, als er sah, daß man außer einem hellgrauen Boden und den hellgrauen Wänden nichts erkennen konnte. »He, hier bei mir«, rief Roger an einem anderen Oberlicht. »Da ist etwas.« Peter lief zu ihm und leuchtete hinein. Sie sahen endlose Stapel von Pappkartons. »Lagerräume?« meinte Roger. »Zivilschutz«, vermutete Peter, während er den Lichtstrahl kreisen ließ und eine Anzahl großer Metallfässer erfaßte. Auf jedem Faß war das vertraute Symbol von Dreieck im Kreis zu sehen, darunter die Buchstaben >2S<. »Und Kisten mit Büchsennahrung!« rief Roger begeistert, wie ein kleines Kind, das Spielzeug entdeckt hat. »Wie kommen wir da hinunter?« fragte Steve. Er wollte vom Dach herunter, entweder zurück in den Hubschrauber oder ins Innere des Gebäudes. Peter hob den Kopf und sah Steve geringschätzig an, dann ließ er den Gewehrkolben auf das Glas niedersausen und starrte Steve ins Gesicht, als die geborstene Scheibe hinunterfiel. Sie starrten verwundert in den riesigen Raum hinab. An manchen Stellen wurde die Dunkelheit von einzelnen Sonnenstrahlen unterbrochen, die durch die Oberlichter hineindrangen. Peter hängte sich das Gewehr um, steckte die Stablampe in den Gürtel und sprang hinunter. Er blieb einen Augenblick in der Sonne stehen und schien zu wittern wie ein Tier. Dann brachte er die Waffe in Anschlag und schaute sich um. »Okay«, rief er halblaut, und Roger sprang mit katzenhafter 78
Gewandtheit hinunter. Die beiden Männer hängten sich die Gewehre um und traten zu den Kartons mit Nahrungsmitteln. Sie hatten vereinbart, die großen Schachteln unter das offene Oberlicht zu tragen, damit Steve und Fran leichter hinuntersteigen konnten. Nach wenigen Augenblicken hatten sie aus den Kartons eine Pyramide gebaut, wie eine Treppe zum Himmel - nur führte diese Treppe eher in eine Hölle, hinab zu den eintönig durcheinanderwankenden Untoten. Wenn die Wesen etwas für sich hatten, dann war es die Zeit. Fran klammerte sich an Steves Arm, als er ihr half, auf die Schachteln zu steigen. Dann griff sie nach Rogers ausgestreckter Hand, und er geleitete sie ganz hinunter. Steve folgte ihr. Peter hatte nicht auf-die beiden gewartet, sondern war schon unterwegs. Für die beiden >ZiviIisten< brachte er keine Geduld auf. Steve hatte er bereits als Schwächling abgeschrieben, der zwar einen Hubschrauber steuern konnte, auf festem Boden aber nichts taugte, und Fran war, wenngleich nicht feige, eine Frau, nach seiner Einschätzung also zu sehr dem Gefühl verhaftet. Peter konnte in dem riesigen Raum nur Zwei Türen ausmachen, die einander gegenüberlagen. Er ging auf eine davon zu, gefolgt von Roger, der seine Waffe bereithielt. Peter drehte den Türknopf. Ein Klicken verriet ihm, daß die Tür nicht abgesperrt war, und er nickte Roger zu. Roger trat ein paar Schritte zurück, das Gewehr im Anschlag. Peter riß die Tür mit einem Ruck auf und sprang sofort daneben an die Wand. Rogers Finger krümmte sich um den Abzug, aber es tat sich nichts.
Roger fröstelte ein wenig und atmete tief ein. Er hatte nicht einmal wahrgenommen, daß er den Atem angehalten hatte. Er sah zu Peter hinüber. Es war ihm nicht entgangen, daß der Farbige keine Geduld mit Steve und Fran mehr hatte. Roger war sich jedoch im klaren darüber, daß sie ohne Peter kaum be79
stehen konnten, und so versuchte er alles zu tun, um Peters Achtung zu erwerben. Die Tür Öffnete sich in einen anderen riesigen Raum, in dem ebenfalls Zivilschutzvorräte gelagert waren. Sie traten vorsichtig hinein. Auch hier war niemand zu sehen. Die schrägen Sonnenstrahlen wirkten in der Dunkelheit wie gekippte Pfeiler. Es war totenstill. Am anderen Ende des Raumes war wieder eine Tür zu erkennen. »Himmel Herrgott«, rief Roger. »Kostenlose Speisung, was?« Im Raum hinter ihm hatte Steve einen der Kartons geöffnet. »Dosenfleisch!« sagte Fran enttäuscht. »Habt ihr einen Büchsenöffner mitgebracht?« fragte Roger, als er zu ihnen zurückging. »Oh.« Fran sah ihn betroffen an.
»Dann sagen Sie nichts gegen Dosenfleisch«, meinte Roger. »Da ist nämlich der Schlüssel dabei.« Fran drehte die Dose um und sah den kleinen Öffner. Inzwischen war Peter an der kleinen Gruppe vorbeigegangen, als existiere sie nicht für ihn. Seine Miene verriet angestrengte Konzentration. Er ging auf die Tür am Ende des zweiten Raumes zu, und Roger zuckte kurz die Achseln, bevor er ihm folgte. Auch an dieser Tür gab Roger dem anderen Deckung, während Peter sie öffnete. Dahinter befand sich ein ganz kleiner Raum, und zu Rogers Erleichterung schien auch hier keine unmittelbare Gefahr zu drohen.
Als sie hinaustraten, bemerkten die beiden, daß sie sich auf dem obersten Absatz einer Nottreppe befanden. Roger erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Peter in einer ähnlichen Umgebung. Obwohl das erst vierundzwanzig Stunden zurück-
lag, schien es eine Ewigkeit her zu sein. Es war eng hier, keine Fenster, muffige, verbrauchte Luft. 80
Von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne, aber schon der nächste Treppenabsatz darunter lag völlig im Dunkeln. »Was meinen Sie?« sagte er unsicher zu Peter. Der Farbige starrte in die Dunkelheit und warf einen Blick nach hinten. »Das ist der einzige Weg hier herauf«, meinte Roger und lauschte dem Widerhall seiner Stimme. »Was meinen Sie?« Der andere starrte in die Leere hinunter, dann drehte er sieh um und ging in den großen Raum zurück, wo Fran und Steve angstvoll warteten. Roger blieb einen Augenblick stehen, bevor er dem Hünen folgte. Er wurde nicht ganz klug aus Peters Verhalten. Roger betrat den großen Raum. Als er durch die Tür getreten war, warf Peter die Tür zur Treppe zu und drehte den Schlüssel herum. Ohne die drei anderen zu beachten, begann er die großen Kartons an der Tür aufzustapeln, als eine Barrikade gegen das Unbekannte.
Die vier Flüchtlinge saßen auf dem Boden unter dem offenen Oberlicht, in der Nähe der Pyramide. Sie hatten sich voll Heißhunger auf das Dosenfleisch gestürzt, und die leeren Büchsen lagen überall herum. Steve schlief unruhig, den Kopf auf Frans Schoß. Von Zeit zu Zeit strich sie ihm Über die Haare. Es war das erstemal seit Philadelphia, daß er schlafen konnte. Rager lehnte an der Pyramide und beobachtete Peter, der im Schneidersitz am Boden saß, den Karabiner quer auf den Beinen. Seit einer ganzen Stunde hatte Peter den Blick von der Tür zur Treppe nicht abgewandt. Roger ließ Wasser aus einem der Aluminiumfässer in einer leergegessenen Dose kreisen. »Sie sollten lieber auch schlafen«, sagte er zu Peter. »Da unten gibt es verdammt viel Zeug, das wir gebrauchen könnten, Bruder«, sagte Peter leise. »Weiß ich.« »Da unten laufen sie nicht massiert herum«, fuhr Peter fort.
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»Die Anlage ist groß. Ich glaube, wir sind schneller als sie.« »Hin und weg«, sagte Roger, ohne zu bemerken, daß Fran aufmerksam zuhörte und zornig zu werden begann. »Hin und weg .. . vielleicht finden wir ein Radiogerät. Fran konnte es nicht mehr ertragen. Was war los mit den beiden? Begriffen sie nicht, daß sie sich nicht anders verhielten als gewöhnliche Kriminelle? »Ihr seid verrückt geworden!« stieß sie hervor. Sie schob sich unter dem Schlafenden hervor und ging auf die beiden zu.
»Das hier könnte eine Goldgrube sein«, sagte Roger, überprüfte seine Waffe und ging zur Tür, um mit dem Abräumen der Barrikade zu beginnen. »Wir müssen uns zumindest umsehen.« »Genau davon wollten wir uns fernhalten«, sagte Fran zu Peter, der Gewehr und Pistole untersuchte. »Denken Sie an das, was auf dem Flugplatz passiert ist...« »Das einzige Problem auf dem Flugplatz waren verirrte Kugeln«, sagte Peter aufgebracht. »Mit diesen Figuren werden wir spielend fertig.« Fran lief auf Steve zu und schüttelte ihn, aber der erschöpfte Pilot war nicht wach zu bekommen. »Lassen Sie ihn«, sagte Peter, als er aufstand. »Wir machen das selbst.« Er bückte sich und hob Steves Gewehr auf. Er legte den 'Sicherungshebel um, lud durch und reichte Fran die Waffe. »Sie brauchen nur noch abzudrücken«, sagte er halblaut. »Seien Sie vorsichtig.« Fran hielt die Waffe so, als müßte sie jeden Augenblick explodieren. »Der Abzug laßt sich ganz leicht durchziehen, aber der Rückstoß ist ziemlich stark«, erklärte Peter. »Stellen Sie sich darauf ein.« »Augenblick mal, ich - « »Wenn jemand die Treppe heraufkommt, haut ihr mit dem Hubschrauber ab. Wir versuchen, uns zum Parkplatz durchzu82
kämpfen. Da könnt ihr uns aufnehmen.« Fran starrte den Farbigen verzweifelt an. Sie wußte, 'daß ihre Argumente nutzlos waren. »Wenn wir nach einigen Minuten nicht auftauchen ... schließen wir spater auf. Verstanden?« Seine Stimme klang tonlos. Fran brachte kein Wort heraus und nickte nur. Roger und Peter gingen mit steinernen Mienen zur Feuertreppe. Sie Öffneten die Tür, traten langsam hinaus und starrten in die Dunkelheit hinunter. Dann stiegen sie lautlos die Stufen hinab, ohne sich noch einmal nach Fran umzusehen. Plötzlich blieb Peter stehen, drehte den Kopf ein wenig und sagte: »Wahrscheinlich hören Sie Schüsse. Nur keine Panik, okay?« Fran vermochte nur zu seufzen. »Euch kann nichts passieren. Das Risiko liegt bei uns.« Fran blieb auf dem Absatz stehen, bis sie die beiden Männer nicht mehr sehen, nur noch ihre Schritte auf der schmalen Eisentreppe hören konnte.
Sie drehte sich langsam um, das Gewehr in den Armen wie ein Kind. Sie schloß die Tür hinter sich und sperrte sie ab. Dann schleppte sie einige der schweren Kisten heran und verbarrikadierte die Tür. Sie warf einen Blick auf Steve. Wie er bei alledem schlafen konnte, war ihr ein Rätsel. Sie konnte nur hoffen, daß die beiden anderen bald zurückkommen würden, und sie endlich das Weite suchen konnten. Inzwischen hatten die beiden Männer zwei Treppenabsätze hinter sich 'gebracht. Von der einzelnen Glühbirne über ihnen drang kaum noch Licht zu ihnen. Roger knipste seine Taschenlampe an und ließ den Lichtstrahl im Kreis gehen. Er sah, daß sie sich in einem engen Betonschacht befanden. Die Treppe führte nicht mehr weiter, und es gab nur eine einzige Tür. »Das ist der einzige Weg hier herauf«, sagte Roger zum zweitenmal, als Peter die letzten Stufen hinabgestiegen war. Sie zogen langsam die Tür auf und entdeckten, daß sie vor einem zweiten betonierten Raum standen, der auch sehr klein 83
war, aber hell beleuchtet. Sie traten vorsichtig hinein und blickten in einen langen, engen Korridor. Unmittelbar gegenüber befanden sich zwei offene Räume, wo es nach Reinigungsmittel und Ammoniak roch. Eimer mit großen Wringwalzen und Mops standen an einem Ausgußbecken. Ihre Blicke glitten an den Wänden entlang. Auf der einen Seite gab es ungefähr ein Dutzend Türen, manche offen, andere geschlossen. Die andere Wand war nackt. Das Ende des Flurs, fast hundert Meter entfernt, führte in die zweite Etage des eigentlichen Einkaufszentrums. Die beiden Männer sahen einander an, dann gingen sie durch den Korridor. Die beiden ersten Türen waren abgesperrt, aber die dritte stand weit offen. Roger huschte geduckt in den Raum, das Sturmgewehr erhoben. Es war ein großes Verwaltungsbüro mit Reihen von Schreibtischen, Tischen mit Schreib- und Rechenmaschinen. Oberall lagen Akten verstreut und umgekippte Stühle. Peter ging zur nächsten Tür, die geschlossen, aber unversperrt war. Er stieß die Tür auf und stürmte in einen Raum, der spartanischer eingerichtet war, mit zwei Stahlschreibtischen und einigen Stühlen. Auf dem Tisch standen mehrere Telefonapparate, an den Wänden hingen ein paar Pin-up-Aufnahmen und eine große Grundrißkarte des Einkaufszentrums. Am anderen Ende des Raumes gab es eine große elektronische Schalttafel mit Überstromschaltern und einer ganzen Reihe von Steuerhebeln. An der Wand hinter Peter hing eine große, schwarze Tafel zwischen zwei Stahlschränken. Der offene enthielt eine Vielzahl von Werkzeugen, mechanische und elektrische. Es gab Spannungsprüfer, Funksprechgeräte und mehrere riesige Ringe mit Hunderten von Schlüsseln, alle mit Nummern und Farbpunkten, wie die Steuerhebel an der Tafel. »Die Schlüssel zum Königreich«, sagte Roger staunend, als er
zu Peter trat. Sie eilten zurück in den Korridor. Roger hatte einen Schlüsselring mitgenommen und probierte einige davon am Schloß des Büros aus, das die Ecke einnahm. Die Tür öffnete sich in einen eleganten Vorraum mit Mahagonitäfelung und dicken Teppichen, von dem aus es in die Direktorenbüros zu gehen schien. Das Labyrinth der ineinander übergehenden Arbeitszimmer prahlte mit einer Einrichtung aus Chrom und Leder und teuren Hölzern. Peter und Roger wanderten umher und kamen schließlich in einem Raum wieder zusammen, der nicht durch die Korridortüren zu erreichen war. Auf einem Messingschild stand: >C. J. Porter- Präsident«. Die beiden Männer kehrten auf Umwegen in den Flur zurück. Sie begriffen, daß sie sich in einem Zentrum der Macht befanden, aber nicht, welcher Macht. Porter war der Aufsichtsratsvorsitzende eines Großkonzerns, und die Einkaufszentren waren nur ein kleiner Teil der vielfach verschachtelten Unternehmen im ganzen Land. Daß der Milliardär sich dieses abgelegene Riesenzentrum als sein Hauptquartier ausgesucht hatte, mochte als Zeichen seiner exzentrischen Haltung gelten. Peter und Roger standen am Geländer der Galerie. Auf der anderen Seite waren nur zwei Geschäfte zu erkennen, beide durch Gitter gesichert. Die Männer setzten sich in Bewegung, geduckt, die Waffen im Anschlag, kaum anders als bei einem Stoßtruppunternehmen. Sie erreichten das eigentliche Einkaufszentrum und blickten um die Ecken. Sie konnten von ihren Plätzen aus sehen, daß die Galerie um das ganze riesige Innere des Gebäudes führte. An mehreren Stellen wölbten sich Brücken. Wie auf einem Marktplatz lagen viele kleine Läden nebeneinander an der Galerie. An jedem Ende gab es einen eindrucksvollen Eingangsbogen zu einem großen Kaufhaus, Tore zu den Tempeln des Überflusses. Beide
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Kaufhäuser - Porter's und Stacey's - gehörten natürlich dem Großkonzern Amalgamated.
Die meisten Läden waren durch Gitter gesichert, aber einige schienen offen zu sein. Die Eingänge zu den Kaufhäusern waren jedoch vergittert. Hier und dort ragten hohe Bäume bis zu den Oberlichtern hinauf. Die lebenden Toten glänzten durch Abwesenheit. Kein einzi-
ger von ihnen tauchte auf der Galerie auf, obwohl die Männer ihre Nähe zu spüren vermeinten.
Peter und Roger schlichen lautlos an das Geländer und duckten sich, um hinunterzuspähen. Der Anblick unter ihnen war noch spektakulärer.
Es war ein Wunderland für Konsumenten: Geschäfte aller Art offerierten, was Auge und Herz erfreute. Es gab Bekleidung, Elektrogeräte, Fotoausrüstung, Hi-Fi- und VideoAnlagen, sogar ein Sportartikelgeschäft mit einem Waffenschaufenster. Neben einem modernen Supermarkt lagen Feinkostgeschäfte und Reformhäuser. Buchhandlungen, Schallplat-
tengeschäfte, Grundstücksmakler, Bank, Souvenirs. Alle Geschäfte waren funkelnd neu und schienen den Kunden anzufle-
hen, stehenzubleiben und sich umzuschauen. An beiden Enden standen, wie im Obergeschoß, gleich Hauptaltären in einer Kathedrale, die mammutartigen Eingangsbogen von zwei Kaufhäusern. In der Mitte der gigantischen Halle, auf dem Marmorboden, gab es kleine Stände, die Tabakwaren anboten, billigen Schmuck - ein kleines Fotostudio. Und es gab Restaurants und Snackbars für die erschöpften und hungrigen Kunden, wo sie Energie tanken konnten, um noch mehr zu kaufen. Es gab eine Arkade mit Münzautomaten, die vom Kinderspielzeug bis zu Blutdruckmessungen alles anboten. Auf einer großen Drehscheibe stand ein schimmerndes Auto neuester Konstruktion. Andere Drehscheiben präsentierten futuristisch anmutende Haushaltsgeräte.
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Für Roger und Peter, die sonst nicht zu philosophischen Überlegungen neigten, war das Ganze wie eine archäologische Entdeckung, die Götter und Gebräuche einer Zivilisation symbolisierend, die es längst nicht mehr gab. Aber wie fast jede Zivilisation hatte auch diese Überreste hinterlassen, die Aufschluß über sie gaben. Als die beiden Männer auf die Schatzkammern zugingen, ahnten sie nichts davon, daß zwanzig leere, glotzende Augenpaare sie beobachteten.
6 »Da unten ist Weihnachten«, sagte Roger staunend. »Alles da, Bruder. Wie machen wir es?« »Wir gehen in die Kaufhäuser, Sie haben bestimmt ihre eigenen Rolltreppen.« »Sehen wir uns die Schlüssel an«, schlug Peter vor. Zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden Männer nur ein eng begrenztes Ziel - so viele Vorräte zu beschaffen, wie nur möglich. Sie dachten nicht darüber nach, wieviel in den kleinen Hubschrauber hineinpassen würde, der kaum seine Insassen zu tragen vermochte. Als sie die Galerie verließen, wankte ein Untoter aus einem der offenen Geschäfte, wenige Meter von der Stelle entfernt, wo sie zuletzt gewesen waren, gefolgt von einem zweiten Zombie, einer einarmigen Frau. Peter und Roger waren in die Steuerzentrale zurückgekehrt und verglichen die Farben der Schlüssel mit dem Kode auf der Karte. »Zweiundsiebzig... U und D«, sagte Roger. »Hier ...« Peter fand die richtigen Schlüssel und hielt sie Roger hin. »Hoffen wir, daß das stimmt«, meinte Roger. »Sehen Sie her«, sagte Peter. »Diese Nummern hier müssen 87
alle Schlösser sein. Vorne an der Seite, draußen, das sind Verladerampen. Aber was ist das?« Er deutete auf einige numerierte Stellen. »Waschräume?« fragte Roger. »Geräte? Keine Ahnung.« Er
trat an die Steuertafel. »Das müssen wohl die Eingänge sein«, murmelte Peter. Roger drehte sich mit einem Lächeln nach Peter um. »Wie war's mit ein bißchen Musik?« »Was?« fragte Peter entgeistert. Er trat zu idem blonden
Mann. Eine Taste war mit >Bandmusik< bezeichnet. Der Hauptschalter stand auf >Aus<. Ein anderer Schalter trug die Aufschrift > Rolltreppen«. Es gab Dutzende davon, alle abgeschaltet. »Die Musik könnte übertönen, was wir machen«, meinte Roger. »Wir betätigen sie alle«, sagte Peter. »Wer weiß, was wir alles brauchen können?«
Roger betätigte alle Schalter der Reihe nach. Im ganzen Einkaufszentrum drang leise Hintergrundmusik aus den Lautsprechern. Fran hörte es oben im Lagerraum. Sie riß erschrocken die Waffe hoch und sah betroffen, wie ihre Hände zitterten. Sie trat hinaus auf die Nottreppe und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Die leise Musik drang zu ihr herauf. »Steve«, rief sie in den großen Raum. »Steve!« Steve bewegte sich schläfrig. Zuerst glaubte er, die Musik und Frans Schreie geträumt zu haben. Er öffnete die Augen und wußte sekundenlang nicht, wo er sich befand. Dann fiel es ihm ein, und er sprang auf, um Fran zu suchen. Er fand sie an der Tür zur Treppe, die Waffe an die Brust gepreßt. Sie bebte vor Angst. Steve führte sie in den großen Raum zurück und schloß die Tür. »Wo sind die anderen?« fragte er und rieb sich die Augen. »Was ist eigentlich los hier?« Fran hatte sich so weit beruhigt, daß sie berichten konnte,
Das Kaufhaus ist in der Hand der lebenden Tölen. Sie sind überall: Männer, Frauen und Kinder.
was geschehen war. »Du meinst, sie wollen sich wirklich im Kaufhaus bedienen? Was wollen sie mit dem Zeug von dort anfangen?« »Das ist es ja«, sagte sie gepreßt. »Sie scheinen den Blick für das Reale verloren zu haben. Wir wollten hier nur Pause machen, um etwas zu essen und uns auszuruhen, das dachte ich jedenfalls. Aber sie führen sich auf, als führten sie einen Geheimauftrag aus. Wie die Kinder, wenn sie Räuber und Gendarmspielen!« Steve zog Fran an sich. »Mach dir keine Gedanken«, sagte er beruhigend. »So verrückt werden sie schon nicht sein.« »Was sollen wir dann tun? Sie sagten, wenn sie nicht zurückkommen, sollen wir ohne sie abfliegen . . . wie lange sollen wir denn warten?« Sie sank in sich zusammen und begann zu weinen. Inzwischen sah es im Einkaufszentrum so aus, als hätte eine Riesenhand ihr mechanisches Spielzeug aufgezogen. Aber es war kein Spielzeug, sondern ein ganzes Einkaufszentrum. Die Drehscheibe mit dem Auto begann zu rotieren, die langen Rolltreppen setzten sich in Bewegung. Zwei von den lebenden Toten, die gerade eine Rolltreppe hatten hinaufsteigen wollen, fielen herunter. Überall blinkten Lampen, mechanisierte Schaufensterdekorationen gerieten in Bewegung. Die Untoten schienen von Musik und Farbenspiel beunruhigt zu sein und liefen verwirrter durcheinander. Andere schlugen wirkungslos auf die beweglichen Anlagen ein.
Die tropischen Vögel in den Volieren wurden wach, zirpten und schrillten und verlangten nach Futter. In einem Zoogeschäft wimmelten kleine Hunde und Kätzchen durcheinander, verängstigt von Lärm, Bewegung und den torkelnden Gestalten. Eine Sprecherstimme sagte: ». . . und für einen Preis, den 90
jeder sich leisten kann, wohnen Sie in diesen neuen Häusern von Brandon. Voll ausgestattet, Zentralheizung . . . « Die Zombies liefen hastig durcheinander, prallten miteinander zusammen, stießen gegen Schaufenster. Manche versuchten hinauszugelangen, glitten aber von den Glasscheiben ab. Der Untote, der in der Drehtür rotiert hatte, war zu Boden gestürzt, und sein Kopf war zwischen Tür und Rahmen eingeklemmt, so daß niemand hinein oder heraus konnte. Peter und Roger hatten sich in der Zentrale vorbereitet, der Farbige befestigte den wichtigsten Schlüssel an seinem Gürtel, und sie machten sich auf den Weg. Rogers Gedanken schweiften ab, als er auf den Flur hinaustrat. Er dachte nur an alle die wunderschönen Sachen, die im Untergeschoß auf ihn warteten. Auf die Begegnung mit einem der Untoten war er völlig unvorbereitet. Er wich zurück in den Raum. Der Zombie griff blindlings ins Leere. Peter hob die Waffe und schoß dem Wesen in den Kopf. Oben auf der Feuertreppe zuckte Fran zusammen, als die Schüsse durch das Gebäude hallten. »Mein Gott«, schrie Steve und riß ihr das Gewehr aus der Hand. »Sie sind übergeschnappt,« Er starrte Fran an und debattierte mit sich selbst, ob er bei ihr bleiben oder die Treppe hinunterstürzen sollte, um festzustellen, was dort unten vor sich ging. Fran brauchte Schutz, aber er mußte ihr, sich und den beiden Supermännern dort unten auch beweisen, daß er keine Angst hatte, sich ins Gefecht zu stürzen. Fran sah seine Unentschlossenheit. »Steve, geh nicht hinunter«, flehte sie. »Bitte, Steve!« »Schon gut, keine Sorge«, sagte er ruhig und stieg die Stufen hinunter. Im Korridor unter ihm stiegen Roger und Peter über die Leiche. »Was meinen Sie?« 'fragte Roger, als das zweite Ungeheuer, die einarmige Frau, auftauchte. Er schoß, und die Untote brach 91
zusammen. So, als sei nicht das geringste geschehen, sprach er weiter. »Packen wir's?« »Einverstanden«, sagte Peter. Die beiden Männer liefen durch den Korridor, als gälte es, einen Sturmangriff zu unternehmen. Alles, was fehlte, waren schmetternde Trompetensignale. Der Feind lief im Untergeschoß herum, verwirrt von den vielen Geräuschen, die so plötzlich über sein stilles Reich hereingebrochen waren. Mit ziellosen, taumelnden Schritten liefen die wandelnden Toten hierhin und dorthin, mit leerem, stumpfem Blick vorbei an den Geschäften und Läden mit ihrer glitzernden Pracht. Manche von den Zombies gingen zu den Rolltreppen, die sie im Stillstand mühelos bewältigt hatten, von denen sie aber nun hierhin und dorthin geschleudert wurden. Einige versuchten, die abwärts gleitenden Rolltreppen hinaufzusteigen, während andere auf den emporführenden wie Kegel durcheinanderstürzten. Einer der Untoten wurde im Liegen hinaufgetragen, ein anderer hielt sich mühsam am Handlauf fest. Peter und Roger ahnten nicht, daß mehrere Wesen die Stufen einer gewöhnlichen Treppe zum Obergeschoß hinaufstiegen, die sich am anderen Ende des Einkaufszentrums befand. Inzwischen tappte Steve schwitzend und nervös die Nottreppe hinunter, während Fran oben stand und ihm angstvoll nachstarrte. Einige hundert Meter entfernt liefen Roger und Peter auf das riesige Gitter vor dem Kaufhaus >Porter's< zu und prallten zurück, als vier oder fünf Untote aus einem Seitengang heraustorkelten. Sie waren etwa hundert Meter entfernt. Roger hielt die M 16 auf die Wesen gerichtet, während Peter mit den Schlüsseln am Schloß in der Mitte des großen Rollgitters hantierte. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen, als er der Reihe nach mit fliegenden Händen die Schlüssel aus-
probierte und endlich den richtigen fand. Als der Schlüssel hineinglitt und sich drehte, seufzte Peter erleichtert auf. »Es klappt!« schrie er seinem Freund zu. Währenddessen rutschte der lebende Leichnam auf sie zu, der auf der Rolltreppe hingestürzt war. Sein aufrecht geblichener Begleiter folgte ihm. Roger sah entgeistert den Kopf des stehenden Untoten auftaudien. Er hob die Waffe und zielte auf die Stirn des Wesens. Peter versuchte das Gitter hochzuziehen, aber es rührte sidi nicht. »Gottverdammter Mist!« kreischte Peter auf. »Was ist?« fragte Roger, den Bück auf die heraufkommenden Untoten gerichtet/ »Noch immer abgesperrt, . . hier an der Seite«, sagte Peter. Er stürmte hinüber. Derselbe Schlüssel paßte. Roger vermochte seine Freude nicht zu teilen, da seine Aufmerksamkeit allein dem Zombie auf der Rolltreppe galt. Gerade als er abdrücken wollte, kippten die am Boden liegenden Untoten, die bis dahin nicht sichtbar gewesen waren, oben von der Rolltreppe. Roger begann zu feuern, aber seine Hände zitterten so stark, daß an ein genaues Zielen nicht zu denken war. Das Geschoß traf den stehenden Untoten im Hals und riß ihm die halbe Kehle weg. Das Wesen verlor das Gleichgewicht und fiel die Rolltreppe hinunter, kam aber zum Stillstand und wurde von den Stufen wieder hinaufgetragen. Er war noch keineswegs ausgeschaltet. Auf der Galerie rafften zwei andere wandelnde Tote sich auf. Roger warf einen Blick auf sie und drehte dann den Kopf nach hinten. Zu seinem Entsetzen sah er die Zombies aus dem Seitengang immer näher kommen. Peter drehte den Schlüssel im Schloß, aber das Gitter rührte sich immer noch nicht. Er rüttelte daran und spürte eine schwa-
che Bewegung, sah, daß es sich in der Mitte und ganz rechts 93
außen gehoben hatte, und daß ganz links außen noch ein drittes Sdiloß angebracht war. Er hetzte hinüber. Die anderen Kreaturen im Untergeschoß schienen zu spüren, daß über ihnen etwas vorging, und machten sich gleichfalls auf den Weg dorthin. Peter und Roger waren auf allen Seiten von Untoten umstellt. Diejenigen, denen es gelungen war, die stationäre Treppe zu erklimmen, hatten das Obergeschoß erreicht, waren aber noch weit von der Hauptgalerie entfernt.. Roger drückte erneut ab, und einer der nahen Untoten brach zusammen. Er fühlte neue Zuversicht und hielt nach anderen lebenden Leichen Ausschau. »Herrgott noch mal, Steve«, schrie inzwischen Fran zu Steve hinunter, als sie Rogers Schuß hörte. »Komm zurück aufs Dach...« Steve starrte in die Dunkelheit hinunter. Immer wieder fielen Schüsse. Er war hin- und hergerissen; ein Teil von ihm wollte zu Fran hinauf und mit dem Hubschrauber fliehen, ein anderer hinuntergehen und den anderen helfen. »Schon gut«, rief er hinauf, bemüht, auch sich selbst zu überzeugen. »Die Wesen sind nicht schnell genug, um uns einzuholen.« Seine letzten Worte gingen unter im ratternden Gewehrfeuer. Das große Gitter Öffnete sich endlich knarrend und rollte hinauf. Peter duckte sich und schlüpfte hindurch. Der Schwung des schweren Metallgitters riß Peter die Unterkante aus der Hand, sie schnellte hinauf und ein kleines Stück zurück, aber Peter konnte sie nicht erreichen. Zum erstenmal wurde Peter von Panik erfaßt. Er fuhr herum und sah die Untoten herankommen. Roger hatte gerade einen davon mit einem glatten Kopfdurchschuß niedergestreckt und wich dann zurück in den Kaufhauseingang. Peter sah sich verzweifelt nach irgendeinem Gegenstand um, auf den er hinaufsteigen konnte, um das Gitter 94
wieder herunterzuziehen. Die Untoten kamen immer näher. Peter packte einen kleinen Tisch, auf dem Schuhe lagen, aber er war schwerer, als er angenommen hatte. »Roger ... schnell...« schrie er. Roger mußte seinen strategisch wichtigen Posten verlassen, um Peter zu helfen. Sie zerrten den Tisch zum offenen Gitter, und Peter sprang hinauf. Im selben Augenblick kam ein Untoter um die Ecke und packte Peters Fußgelenk. Peter stieß mit dem anderen Fuß wild zu, verlor das Gleichgewicht und fiel herunter. Er landete zwar auf den Beinen, befand sich aber außerhalb des Eingangs. Roger Hieb dem Wesen den Gewehrkolben auf den Schädel, daß es zurücktaumelte, aber es lebte immer noch. Ein paar andere Zombies waren ganz nah an Peter herangekommen; sein Gewehr lag auf dem kleinen Tisch im Kaufhauseingang. Roger legte an, konnte aber nicht abdrücken, weil Peter in der Schußlinie stand. Peter schlug plötzlich links und rechts einen Haken, hechtete auf eines der Wesen zu und riß es mit in das Kaufhaus. Roger feuerte inzwischen unablässig auf die heranrückenden Untoten und streckte einen nach dem anderen nieder. »Hinter dir, hinter dir«, schrie Peter Roger zu, als er wieder auf den Tisch sprang. Das in den Eingang mitgerissene Wesen hatte ein paar Stände mit Kosmetika umgerissen, und Lippenstifte, Puderdosen, Lidschattendöschen und Augenbrauenstifte purzelten durcheinander. Das Wesen prallte gegen eine Glasvitrine und vermochte sich aufzurichten. Roger war herumgefahren und schoß sofort. Das Wesen brach zusammen. Peter bekam inzwischen das Gitter zu fassen und zog es herunter. Mehrere wandelnde Leichen hatten sich im Eingangsbogen versammelt. Sie streckten ihre Krallenhände aus. Eine von ihnen 95
Mit der Faust muß sich Peter eines weiblichen Zombies erwehren. (Ken Foree.}
stand genau unter dem Gitter und verhinderte das Schließen. Roger zielte sorgfältig und schoß dem Zombie, der den Eingang blockierte, mitten in die Stirn. Er wurde zurückgeschleudert und prallte gegen ein paar von seinen Genossen, Als das Gitter herabrollte, reckten sich die Klauen der Untoten hinaus und schienen Roger erdrosseln zu wollen. Roger warf das Gewehr hin und stürzte zu Peter, um beim Herabziehen des Gitters zu helfen. Peter sprang vom Tisch, um eine bessere Hebelwirkung zu erzielen. Die beiden Männer waren schweißüberströmt. Große, dunkle Flecken breiteten sich an Achseln und Rücken aus. Sie mühten sich ab, das Gitter zu schließen. Es war nur noch gut einen Meter vom Boden entfernt, aber die Wesen, die keinen Schmerz zu kennen schienen, warfen sich unter das herabrollende Gitter. Eines von ihnen versuchte hindurchzukriechen und hatte sich mit dem Oberkörper durchgeschoben, als das Gitter herunter-
prallte. Die Arme griffen nach Peters Füßen, der Mund klaffte weit. Roger ließ das Gitter los, das Peter gegen die andringenden Untoten festzuhalten versuchte. Die Kräfte der beiden Männer erlahmten, aber sie nahmen noch einmal ihre ganze Energie zusammen. Roger zerschmetterte mit dem Gewehrkolben den Schädel des am Boden liegenden Zombies. Der erschlaffte, und Roger versuchte ihn hinauszuschieben, aber der Körper war eingeklemmt. »Etwas höher ... höher«, stieß er keuchend hervor. Peter ließ das Gitter ein wenig hinaufrollen. Inzwischen tauchten immer mehr Untote auf, um sich dort festzuklammern. Die Öffnungen waren nur groß genug für ihre Finger; mit den ganzen Händen konnten sie nicht hindurchlangen, aber der gemeinsame Druck trieb das Gitter immer weiter nach oben. Roger konnte den toten Zombie hinausschieben, aber ein Arm lag immer noch über der Verriegelung. Plötzlich packte
eine Hand von draußen Rogers Waffe. 98
»Los... los doch«, schrie Peter. Es fiel ihm zunehmend schwerer, das Gitter festzuhalten. Roger hielt es für besser, das Gewehr loszulassen, und der Untote prallte damit zurück in die Menge und schwenkte seine Beute. Roger griff nach dem Gitter und versuchte es zusammen mit Peter zu schließen. »Der Arm . . . der Arm ist im Weg«, zischte Peter. Roger bückte sich und stieß den Arm des toten Zombies hin-
aus, packte wieder das Gitter, und gemeinsam zogen sie es herunter. Im letzten Augenblick schob sich unten wieder ein Arm dazwischen, aber als das Gitter herabprallte, wurde er zurückgerissen. Endlich, und keinen Augenblick zu früh, rastete das Gitter in seinen Verriegelungen ein. Die beiden Männer traten zurück und sanken an eine Glasvitrine. Sie versuchten zu Atem zu kommen und beobachteten dumpf, wie die wandelnden Toten stöhnend und gurgelnd sich gegen das Gitter warfen. Ihre Finger krallten sich in das Metall,
aber es hielt stand. »Also . . . wir sind drinnen. Wie, zum Teufel, kommen wir wieder heraus?* fragte Roger. »Zuerst gehen wir einkaufen«, sagte Peter ruhig. Sie machten sich auf den Weg durch das Kaufhausgeschoß, während die unheimlichen Wesen noch immer am Gitter rüttelten. Der Untote, der Rogers Waffe erbeutet hatte, besaß den Instinkt, sie als Knüppel zu benützen, aber er richtete auch damit nichts aus. Steve Öffnete inzwischen mit zitternden Händen die Tür zum Büroflur. Überall im Flur lagen Untote. Er konnte das andere Ende des Korridors sehen, und dort schien sich nichts zu rühren. Sein Blick glitt an den Türen entlang. Seine Atemzüge wirkten unnatürlich laut, er konnte das Pulsieren seines Bluts hören. Langsam trat er in den Korridor und ließ die Feuertür hinter sich zufallen. Fran, die auf den Lichtstrahl von Steves Lampe hinunter-
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gestarrt hatte, bis Ihre Augen schmerzten, ächzte unwillkürlich, als das Licht plötzlich erlosch. »Steve . . , um Gottes willen . . .« stieß sie hervor und wich zurück. Sie hastete auf die Pyramide aus Kartons zu und sank in sich zusammen. Die Stille war unerträglich. Und jedes Geräusch, ein Knarren irgendwo im Haus, der Wind draußen, schien um ein Vielfaches
verstärkt zu sein. Inzwischen fuhr Roger im Kaufhaus eine Rolltreppe hinunter, einen Rucksack umgehängt, der schon mit allen möglichen Waren vollgestopft war. Als er unten absprang, hörte die Musik auf. Unheimliche Stille umgab ihn, während die Bandmaschine zurückspulte. Er ging durch die Kleiderabteilung, starrte eine Lederjacke an, griff schließlich nach einer Windjacke, knotete sie sich um den Leib und hastete zwischen den Schaufensterpuppen mit ihren leeren, toten Augen davon, um Peter zu suchen. Der Farbige hatte ein Radiogerät unter den Arm geklemmt und griff gerade nach einem kleinen Fernsehempfänger. »He, Mensch, wir können den ganzen Scheiß doch gar nicht tragen ...« protestierte Roger. Peter beachtete ihn nicht und bog um eine Ecke, wo er die Geräte irgendwo hineinstopfte. Als Roger ihn erreichte, sah er, daß Peter einen großen Karren mit Waren vollgeladen hatte. »Ah, wir fahren einfach an ihnen vorbei!« meinte Roger sarkastisch. »Wir versuchen es, Bruder«, sagte Peter grimmig. »Wir werden das alles noch brauchen können.« Roger preßte die Lippen zusammen, und sie hasteten durch die Werkzeugabteilung, warfen Elektrokabel, Stablampen und Batterien in den Karren. Auf der anderen Seite des Gebäudes betrachtete Steve Stockwerksgrundrisse und Schalttafeln in der Steuerzentrale. Er kramte in einem der Schreibtische und fragte sich, wo Roger und 100
Peter sein mochten. Seit ungefähr einer Viertelstunde waren keine Schüsse mehr gefallen. Ob sie das Weite gesucht hatten? Aber wie weit würden sie zu Fuß kommen? Am anderen Ende des Korridors tappten Untote vorbei, unterwegs zum Kaufhauseingang, wo die Wesen sich um das Gitter drängten und es einzudrücken versuchten. Einige von ihnen entfernten sich von dort bereits wieder und liefen ziellos herum, bogen in den Büroflur ein. Inzwischen hatte Steve in einer Schublade einen großen Aktenhefter gefunden, der alle Pläne für das Einkaufszentrum enthielt. Er lächelte vor sich hin und empfand größere Zuversicht. Vielleicht würde es ihm und Fran doch gelingen, zu entkommen und ein neues Leben aufzubauen, eine Familie zu gründen. Irgendein Teil des nordamerikanisdien Kontinents mußte frei von diesen entsetzlichen Vorgängen sein. Vielleicht konnten sie nach Kanada entkommen - möglichst ohne die beiden anderen Männer. Der Treibstoff würde viel länger reichen, wenn sie nur zu zweit wären. Er stieß die Schublade zu. Lifttüren öffneten sich zischend, und die beiden Uniformierten schoben ihren Wagen hinaus in den Oberstock des Kaufhauses. Sie warfen einen Blick auf die am Gitter zusammengedrängten Untoten und gingen auf sie zu. Bei ihrem Anblick begannen die Zombies wieder zu stöhnen und am Gitter zu rütteln. Die beiden Männer ließen den Wagen stehen, hetzten zur Innen-Rolltreppe und liefen durch das Untergeschoß, bis sie die untere Hälfte des Gitters sehen konnten. Hier war es ruhiger geworden, ein Großteil der Untoten hatte sich entfernt. »Los, Bruder«, sagte Peter. Sie traten an das Gitter. »He, Frankenstein«, rief Roger einem Untoten zu, der vorbeiwankte. Das Wesen drehte sich langsam um, brüllte auf und näherte sich dem Gitter. Der klaffende Mund und die Klauenhände stießen auf die beiden Männer zu, und Roger zuckte unwillkürlich zurück. 101
»Machen wir ein bißchen Aufruhr . . . hey . , . hey«, schrie Peter. »Hierher«, rief Roger. »Alles herkommen.« Die Wesen wurden wieder aufmerksam und tappten der Reihe nach auf den Eingang zu, begannen erneut am Gitter zu rütteln. Roger war bleidi geworden. »Nur die Ruhe«, sagte Peter beruhigend. »Lassen wir uns Zeit.« Das runde Dutzend Untote über ihnen wurde von dem Auflauf im Erdgeschoß angezogen. Sie entfernten sich vom Eingang und machten sich auf den Weg über die Galerie zum Treppenhaus und zu den Rolltreppen. In der Zentrale öffnete Steve eine andere Schublade, kramte in alten Teebeuteln, Bleistiftstummeln, Schnüren und Gummibändern, alten Formularen und Putzlappen, fand eine geladene Pistole und steckte sie in den Gürtel. Dann trat er an die großen Schränke mit den Funksprechgeräten und Schlüsseln. Draußen im Flur näherten sich einzelne Zombies, wankten in Büros hinein und wieder heraus. Steve griff nach dem Hefter mit den Plänen und wollte das Büro verlassen. Er hatte die Absicht, zu Fran hinaufzugehen und mit ihr alle Ein- und Ausgänge zu überprüfen, damit sie sich zurechtfinden konnten. Als er um die Ecke blickte, sah er einen Untoten herankommen. Das Wesen streckte sofort die Arme nach ihm aus. Es war sechs, sieben Meter von ihm entfernt. Er zuckte zurück und warf die Tür zu. Sein Herz hämmerte wild. Er wußte noch nicht, daß hinter dem ersten Untoten noch zwei andere auf dem Weg hierher waren. Steve sah, daß die Metalltür nur mit einem Schlüssel abgesperrt werden konnte, der nicht steckte. Er stürzte zum Schlüsselschrank und geriet in Panik, als er sah, daß es buchstäblich Hunderte von Schlüsseln gab. Er starrte auf die Lagepläne an der Wand, aber vor seinen Augen schien alles zu verschwimmen. 102
Grauenhaft ist der Anblick der Untoten
Draußen prallte das erste Wesen an die Tür, scharrte mit den Händen, verfehlte den Türknopf, begann wild gegen die Tür zu hämmern. Steves Angst wuchs. Er starrte wie gebannt auf den Lageplan, bemüht, in dem Gewirr von Zahlen einen Sinn zu entdecken. Inzwischen hatte der zweite Untote die Tür erreicht und begann ebenfalls an ihr zu scharren. Das dritte Wesen näherte sich langsam. Steve wühlte verzweifelt unter den klirrenden Schlüsseln. Er sah, daß der Türknopf sich zu bewegen begann, und warf sich entsetzt gegen die Tür. Der Knopf drehte sich langsam. Steve
warf die Schlüssel hin und packte seine Waffe. Während er das Eindringen der Zombies zu verhindern versuchte, stolperten andere die Rolltreppen hinauf, um zum Kaufhauseingang zu gelangen, tauchten Untote aus verschiedenen Richtungen auf, um zum Gitter zu gelangen. »Okay«, sagte Peter. »Sie kommen . . .« Er zog die Antenne
eines Funksprechgeräts heraus. »Geh hinauf«, sagte er zu Roger. »Laß dich nicht sehen, aber gib mir Bescheid, wenn die Luft halbwegs rein ist.« Roger preßte sein Walkie-Talkie an sich und verschwand zwischen den Verkaufstischen, während Peter versuchte, die Aufmerksamkeit der Kreaturen am Gitter auf sich zu lenken. »Nur her zu mir«, höhnte er. »Hier ist was los . . . ihr Scheißkerle, ihr blöden. Blöd seid ihr, blöd.« Roger erreichte keuchend den Lift an der Rückseite und seufzte erleichtert, als die Türen sich schlossen. Er drückte auf den Fahrtknopf, stieg oben aus und huschte hinaus. »Ich glaube, wir können den Wagen hinausschaffen«, sagte er in sein Funksprechgerät. »Alles klar?« »Nicht ganz, aber sie haben sich ziemlich verlaufen. Ich glaube, wir können es riskieren.« Gerade als Peter antworten wollte, warfen sich ein paar Un104
tote gegen das Gitter im Erdgeschoß, aber es hielt stand. Er starrte die Wesen an, während er das Sprechgerät sinken ließ. Oben blickte Roger hinter einem Verkaufstisch hervor und sah, daß das obere Gitter unbedrängt war. Auf der Galerie liefen noch einige Zombies ziellos herum, aber die meisten waren auf dem Weg nach unten. Peter klemmte das Funksprechgerät an seinen Gürtel, drehte sich um und hetzte davon. Geduckt jagte er um eine Zwischenwand und erreichte den Lift. Er lehnte sich keuchend an die Kabinenwand, drückte auf den Knopf und fuhr hinauf. Währenddessen polterten die Untoten gegen die Tür, die Steve mit aller Kraft zudrückte. Seine Schuhsohlen glitten auf dem Linoleum ab, und die Tür wurde langsam aufgedrückt. Er bekreuzigte sich, sprang plötzlich in das Zimmer zurück und riß das Gewehr hoch. Die Tür flog krachend auf, und die drei Untoten drangen herein. Mit einer Ruhe, die ihn selbst überraschte, zielte Stephen auf den ersten Zombie und schoß. Als die Lifttüren im Obergeschoß aufgingen, hörte Peter einen Schuß. Er zögerte kurz, dann lief er zum Eingang. Roger beschäftigte sich mit den Verriegelungen des Gitters. Auch er erstarrte, als er den Schuß hörte, und sah Peter fragend an. Die Zombies auf der Galerie schienen durch den Knall in Unruhe zu geraten. »Wer war das?« sagte Peter scharf. »Vielleicht Bullen?« »Oder unser Pilotenheini«, meinte der Neger unwirsch. »Wo kann das gewesen sein?« »Keine Ahnung«, sagte Roger und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er hatte die ganze Zeit über nicht mehr an Steve und Fran gedacht und machte sich jetzt den Vorwurf, sie im Stich gelassen zu haben. Sie waren einfach nicht darauf eingerichtet, mit derart grauenhaften Dingen fertig zu werden.
»Los, los«, sagte Peter ungeduldig. »Mach schon auf.«
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»Vielleicht sollten wir erst einmal nachsehen, was sich tut«, meinte Roger schuldbewußt. Peter ging auf sein Argument nicht ein. »Mach schon auf. Ich hole den Wagen. Wenn es Steve war, soll er sich doch zu uns durchschlagen.« Roger ging zur zweiten Verriegelung, verstört von Peters Antwort. Wieder fiel ein Schuß. Peter legte sein Gewehr auf den Boden. »Gib mir Deckung, ja?« Roger trat an die dritte Verriegelung, als Peter sich aufrichtete und nach dem Wagen griff. Zu Steves großer Überraschung stürzte ein Zomble tot zu Boden, mit durchschossenem Kopf. Daneben lag die zweite Gestalt, nun wirklich eine Leiche. Als das dritte Wesen hereintappte, war Steve bereit. Er hielt das Gewehr im Anschlag, und als der Untote auf die Mündung zuging, krümmte sich Steves Finger um den Abzug. Der lebende Leichnam war jedoch zu schnell für ihn. Bevor Steve abdrücken konnte, stürzte der Zombie vor und umklammerte den Lauf. Steve feuerte zwar, aber das Geschoß zerfetzte die Brust des Untoten, was nicht die geringste Wirkung auf ihn hatte. Steve versuchte den Gewehrlauf hochzureißen. Wieder löste sich ein Schuß und streifte den Hals des Wesens. Der wandelnde Tote war blutüberströmt, eine so grauenhafte Erscheinung, daß Steve zu tun hatte, um sich nicht zu erbrechen. Das Wesen entriß ihm plötzlich die Waffe, schleuderte sie durch 'das Zimmer und wankte auf Steve zu. Es trieb ihn an die Wand, neben den Schlüsselschrank. Steve vermochte den Blick nicht vom Gesicht des Zombies abzuwenden, griff aber mit der Hand hinter sich, nach irgendeiner Waffe tastend. Seine Hand schloß sich um einen Hammer. Der Zombie wollte gerade zupacken, als Steve den Hammer herauszog. Der Schrank kippte um, aber der Zombie stürzte nicht zu Boden. Steve riß den Hammer hoch, um dem Untoten den Schädel
einzuschlagen, ließ ihn niedersausen, verfehlte, und der Untote packte seinen Arm, um ihn zu zerfleischen. Steve riß sich mit einem gewaltigen Ruck los, verlor das Gleichgewicht und stürzte zusammen mit dem Untoten zu Boden, Das Wesen krallte die Finger in seine Beine, die Zähne gebleckt wie ein Tier. Steve stieß wild mit den Füßen um sich und traf den Zombie im Gesicht. Wieder stürzte sich das Wesen auf ihn, und Steve ließ den Hammer auf das Kinn des Gegners sausen, so daß er davonkriechen konnte. Der lebende Leichnam gab jedoch nicht auf. Steve erreichte den Schreibtisch, riß sein Gewehr an sich und feuerte. Auf der Stirn des Wesens und zwischen seinen Augen erschienen Einschußlöcher, es wand sich noch einmal, dann blieb es liegen. Das Gitter im Obergeschoß glitt rasselnd hinauf, und Peter stürmte mit seinem Wagen voll Geräten hinaus. Mehrere Untote, die noch auf der Galerie herumstapften, wurden aufmerksam und drehten sich um. Als Peter um die Ecke bog, prallte er mit einem der Wesen beinahe zusammen. Der Wagen drohte umzukippen, aber Peter konnte ihn im letzten Augenblick geraderichten und weiterlaufen, so schnell es ging, in Richtung des Verwaltungstrakts, Roger ließ diesmal das Gitter nicht zu weit hinaufschnellen. Er hielt es fest und blieb auf seinem Posten, Peters Gewehr im Anschlag. Mehrere Untote näherten sich aus der entgegengesetzten Richtung. Roger feuerte auf den ersten, der krachend zu Boden stürzte. Er hob die Waffe, um auf die nachfolgenden zu schießen, aber sie waren noch zu weit entfernt, als daß er sich eines Treffers sicher sein konnte. Er wußte, daß sie die Munition noch brauchen würden. Steve stieg währenddessen über die Leichen im Büro und griff wieder nach dem Buch mit den Plänen. Er lief hinaus in den Korridor, in der Hoffnung, nicht noch mehr unwillkommenen Besuchern zu begegnen. Zu seinem Entsetzen kamen
schon wieder drei Zombies auf ihn zu. Zuerst erstarrte er, dann wich er mit erhobenem Gewehr in Richtung Nottreppe zurück. Peter rannte inzwischen mit dem Wagen weiter. Als er den Flur schon beinahe erreicht hatte, trat plötzlich ein Untoter aus einem Nebenkorridor. Peter rammte ihn mit dem Wagen, und der Untote stürzte auf die Geräte. Der Farbige knallte die ganze Ladung gegen die Wand. Bevor der Zombie sich aufraffen konnte, griff Peter zu und packte ihn an den Rockaufschlägen, um ihn mit voller Wucht gegen das Geländer zu schleudern. Das Wesen kippte mit dem Oberkörper über die Brüstung, stürzte aber nicht hinab. Es ruderte mit Armen und Beinen, aber bevor es sich wieder aufrichten konnte, eilte Peter darauf zu und kippte es hinunter. Es stürzte lautlos und prallte auf den Marmorboden. Im Obergeschoß-EJngang feuerte Roger auf einen Untoten, der gefährlich nah herangekommen war. Wieder wurden seine Genossen aufmerksam und strömten zum Eingang, gleichsam unterwegs zu einem besonders günstigen Angebot. Als Peter den Wagen in den Korridor schob, sah er am anderen Ende Steve von drei Zombies bedrängt. »Halt, Steve!« brüllte Peter. »Nicht in den Treppenschacht!« Steve schaute sich verzweifelt um. Die Wesen drangen auf ihn ein, und Peters Ratschlag schien ihm jeden Fluchtweg zu versperren. »Mach die Tür nicht auf, Kleiner. Du ziehst sie sonst hinter
dir her.« Steve war der Panik nah. Die Zombies waren nur noch drei Meter entfernt, und er sah keinen Ausweg aus der Falle. »Lauf«, brüllte Peter. »Lauf hierher!« Die Untoten kamen immer näher. Steve glaubte schon ihren stinkenden Atem zu spüren. »Los, Mann«, rief Peter. »Lauf hierher. Du kannst mitten 108
durch sie hindurchlaufen. Wir müssen sie von dort ablenken!« Steve atmete tief ein.
»Los, Flieger-As. Du schaffst es. Mach schon!« Steve spannte die Muskeln an und stürmte los. Am ersten Zombie kam er mühelos vorbei. Der zweite griff nach ihm, aber Steve blieb auf den Beinen, obwohl er mit der Schulter an die Wand prallte. Er lief weiter. Er wußte, daß es den sicheren Tod bedeutete, wenn er stehenblieb.
Der dritte Untote versperrte ihm den Weg. Steve senkte den Kopf wie ein wütender Stier und rammte die Brust des lebenden Leichnams. Das Wesen wurde an die Wand zurückgeschleudert. Steve fiel ebenfalls hin und rollte über den Boden. Er raffte sich auf, als die Wesen kehrtmachten, um die Verfolgung aufzunehmen. »Und jetzt zum Kaufhaus ... los!« rief Peter, als er auf ihn zuhetzte. Die beiden Männer stürmten gemeinsam über die, Galerie und stießen zwei Zombies beiseite, die vergeblich nach ihnen griffen. Steve folgte Peter dorthin, wo Roger erneut auf eines der Wesen feuerte, das zu nah herangekommen war. Es stürzte unter den Eingangsbogen, Andere Zombies näherten sich, aber Steve und Peter sprangen rechtzeitig hinein und konnten das Gitter zu dritt mühelos herunterziehen. Die Untoten strebten wie vorher aus allen Richtungen auf den Eingang zu, zerrten und rüttelten am Sperrgitter, aber
es hielt allen Attacken stand. Die drei Männer wichen keuchend zurück. »Wieder hinunter«, sagte Peter, nachdem sie sich ein wenig erholt hatten. »Noch einmal von vorn.« Sie liefen zwischen den Verkaufstischen nach hinten und fuhren mit dem Lift hinunter. »Was sollen wir tun?« fragte Steve dumpf, als sie das Untergeschoß erreichten und zum Gitter stürmten. 109
»Ihnen klarmachen, daß wir hier sind«, sagte Roger. Er begann zu schreien. »Wuuoi-huuu ... hier-her ... Hüüi-aaaaaah!« Steve begann zu lachen, vor Erleichterung und auch deshalb, weil die Situation so komisch wirkte. Peter lächelte ihn zum erstenmal an. »Hast du diesmal gut gemacht, Kleiner!« Steve lachte wieder. Der neue Junge war in der Nachbarschaft akzeptiert worden, und er kam sich wieder vor wie in seiner Jugend. Sie umarmten einander vor Freude über ihren Sieg. Ein zeitweiliger Sieg war besser als gar keiner.
Nachdem sie einige Minuten lang gebrüllt und gejuchzt hatten, kam Steve plötzlich zu sich. Er schaute sich ernüchtert um und spürte eine Schwäche in den Knien. An der Wirklichkeit hatte sich nichts geändert. Die Untoten drängten sich vor dem Gitter, angelockt durch das Geschrei und Gehopse der drei Männer. Die wandelnden Toten, in jedem Alter, in jeder Größe durch die Gänge taumelnd, hatten alles Individuelle ihrer Menschlichkeit verloren. Manche zeigten noch die furchtbaren Wunden, die ihren Tod hervorgerufen hatten. Es gab einen älteren, grauhaarigen Mann im Straßenanzug, eine Hausfrau, um die Vierzig, mit Schürze, eine gutgekleidete junge Frau, früher einmal gewiß attraktiv, blond, in Rock und Pullover, vielleicht eine Büroangestellte. Es gab Kinder zwischen zehn und dreizehn Jahren, einen Bauarbeiter mit Bart, einen jungen Farbigen mit Afro-Frisur und Nickelbrille, eine Großmutter mit grauem Dutt. Dazu trieben sich noch einige Männer in Arbeitskleidung vor dem Eingang herum, aber es kam nicht mehr darauf an, was sie im Leben gewesen waren, sie sahen alle grauenhaft aus, teilweise schon in Verwesung 110
begriffen, und ihre Stärke hatte mit ihrem Aussehen nichts zu tun. Die Jüngsten wirkten oft am abstoßendsten, weil viele durch Gewalt gestorben waren, nicht an den Folgen hohen Alters.
Peter hatte Steve davor gewarnt, weich zu werden, wenn ein Kind oder eine alte Frau sich ihm näherten. Sie waren alle gleich gefährlich. Draußen im Innenhof Hefen einige Untote ziellos herum, aber die meisten strebten dem Kaufhauseingang zu, wo die drei Männer sich alle Mühe gaben, Aufsehen zu erregen. Auf der Galerie waren die Wesen, die sich dort eingefunden hatten, erneut unterwegs zu Stiegen und Rolltreppen. Die drei wandelnden Toten, denen Steve im Verwaltungstrakt entkommen war, wankten hinaus in die große Halle. Zwei betraten die Galerie, der dritte tappte in ein offenes Büro, taumelte wieder hinaus und strebte dem Notausgang zu. Fran, die fast eine Stunde auf Steves Rückkehr gewartet hatte, hörte aus weiter Ferne das Geschrei der Männer, als sie zu der Treppenhaustür ging, die noch offen stand. Sie konnte sich nicht vorstellen, was das Gebrüll bezwecken sollte. Es hörte sich an, als jubelten die drei, und dann kam der erschreckende Gedanke: Was, wenn sie durch die seelische Belastung den Verstand verloren hatten? Oder wenn Steve tot war und Peter und Roger das auf irre Weise feierten? Sie schob diese unsinnigen Gedanken von sich. Sie trat hinaus auf den Absatz und starrte den dunklen Treppenschacht hinunter. Das Geschrei verstummte plötzlich. Die Stille war noch unerträglicher, und ihre Angst wuchs immer mehr. Sie begann zu zittern, kehrte unschlüssig um, trat wieder hinaus. Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Wo trieben die drei Männer sich herum? Wie kamen sie dazu, Fran hier oben ganz allein zu lassen? Sie war kein Kind, sie konnte von Nutzen sein, aber die drei dachten nur ans Soldatenspielen.
»Verdammter Mist«, kreischte sie wütend. Sie stieg ein paar Stufen hinunter. Im Dunkeln schien sich etwas zu bewegen. Sie erstarrte, dann fuhr sie herum und stürzte wieder hinauf. »Scheißdreck, verdammter!« Das Schreien schien zu helfen, ihre Nerven zu beruhigen. Wenigstens hörte sie eine menschliche Stimme, auch wenn es nur ihre eigene war. Wieder stieg sie ein paar Stufen hinunter. Sie wollte sehen, was sich abspielte, aber sie hatte keine Waffe. Im 'Flur unter ihr torkelte das Wesen in ein anderes Bürozimmer, kehrte um und ging wieder hinaus, als treibe es mit sich selbst ein bizarres Spiel. »Wir müssen noch warten, bevor wir anfangen«, sagte Roger zu den anderen. Sie kauerten zwischen den Verkaufstischen. Die Untoten krachten wie eine riesige Welle an das Gitter. Es hielt. »Nein. Es könnte sein, daß oben welche zurückbleiben«, widersprach Peter. »Ja, aber mit denen werden wir fertig«, sagte Roger. »Wir können durchstoßen.« ' »Wenn sie uns hören oder sehen, laufen sie uns einfach nach. Das hat keinen Zweck.« »Wir sind doch viel schneller als sie ... wir nehmen mit, was wir schleppen können, und verschwinden.« Der Farbige überlegte, dann sagte er ernsthaft: »Ich glaube, wir haben es hier recht gut getroffen. Vielleicht sollten wir es nicht »A-ach, so eilig Mann haben, . . . «zusagte verschwinden Roger enttäuscht. ,..« »Wenn wir wieder hinaufkommen, ohne daß sie uns erwischen, könnten wir uns eine Weile verbarrikadieren. Jedenfalls solange, bis wir uns gründlich ausgeruht haben. Radio hören, damit wir erfahren, was los i s t . . . « »Mensch, ich weiß nicht -« Steve kroch zu den beiden hinüber. »Über den Läden gibt es einen Gang«, sagte er. »Ich weiß
nicht, ob das ein Heizungskanal ist oder was. Ich habe das auf einem Plan gesehen.« ' »Also hinauf«, sagte Peter. »Los.« Sie schlichen durch die Halle und bogen um die Ecke. Die Untoten klammerten sich an das Gitter und stöhnten. Im Verwaltungstrakt stolperte der einzelne Zombie über den dicken Aktenhefter, dann stolperte er in ein anderes Zimmer, ohne den Hefter oder die Leichen im Flur zu beachten. Fran war bis zur Mitte der Nottreppe gekommen. Plötzlich
wurde ihr übel. Sie preßte die Hände auf den Magen und würgte. Auf ihrer Stirn standen kalte Schweißtropfen, und sie fühlte sich schwindlig. Sie sank auf eine Stufe und ließ den Kopf an die Wand sinken. Sie konnte das Salz ihrer Tränen schmecken. So elend war es ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht ergangen. Und was würde aus dem Leben in ihr werden? Welche Zukunft gab es für das Kind, das in ihr wuchs?
»Vorsicht . . , daß sie euch nicht sehen«, warnte Peter die beiden anderen, als sie im Obergeschoß den Aufzug verließen. Am Gitter selbst standen keine wandelnden Leichen, aber draußen auf der Galerie tappten zwei von ihnen vorbei.
Die drei Männer huschten durch die Gänge. Über ihnen in der Decke gab es eine Reihe großer Gitterflächen. Peter leuchtete mit seiner Lampe hinein. »Scheint groß genug zu sein, um hindurchzukriechen«,
meinte Roger, als sie zu der etwa vier Meter hohen Decke hinaufstarrten. Der Lichtstrahl zeigte über dem Gitter einen ziemlich großen leeren Raum. »Sie sind abgesperrt«, sagte Peter. »Verdammt, das waren die anderen Schloßnummern, die wir auf dem Lageplan gesehen haben.« »Warum abgesperrt?« fragte Steve. »Weil man vom anderen Teil des Gebäudes auf diese Weise leicht herübergelangen kann«, erwiderte Peter.
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»Kommt mal her«, rief Steve. Er hatte entdeckt, daß eines der Deckengitter unmittelbar an den Aufzug anschloß. Peter starrte hinein. »Der Liftschacht!« sagte er. Er lief hin und drückte auf den Knopf. »Aufhalten«, sagte Peter. Roger trat auf die Schwelle, damit die Aufzugtüren sich nicht schließen konnten. Peter stieg auf die Geländerstange der Kabine und griff zu der Notluke hinauf, die von vier Bolzen festgehalten wurde. Er schraubte die Bolzen heraus, öffnete den Lukendeckel und reichte ihn Roger hinunter. Dann schob er den Kopf durch die Öffnung. »Okay.« Seine Stimme klang dumpf. Er leuchtete mit der Lampe in die Dunkelheit. An der Schachtwand konnte er ein Gitter erkennen. »Holt einen Schraubenzieher und irgendwas, wo ich mich draufstellen kann.« »Ich weiß, wo das Werkzeug ist«, sagte Roger. »Hol du einen von den Tischen«, wies er Steve an. Roger eilte davon, und Steve holte aus der nahen Möbelabteilung einen kleinen Lampentisch. Die Aufzugtüren schlossen sich wie Haifischkiefer. Er mußte auf den Knopf drücken und warten, bis sie sich wieder Öffneten. Peter hatte sich schon hinaufgestemmt und kletterte aus der Kabine in den Schacht. Steve klemmte den Tisch zwischen den Türen ein und holte einen zweiten. Er stellte ihn unter die Öffnung im Kabinendach und den anderen, kleineren Tisch darauf. Dann stieg er hinauf und schob den Kopf durch die Luke. Die Türen schlossen sich wieder, und es wurde dunkel. »Alles klar«, sagte Peter, der das Wandgitter mit seiner Lampe untersuchte. Dahinter waren Kabel und elektrische Anlagen zu sehen. »Du hast das Richtige gefunden, Kleiner.« Seine Stimme hallte unheimlich durch den engen Schacht. Die Türen gingen auf, und Steve schaute hinunter. Roger kam mit einem Schraubenzieher und einer Kneifzange zurück. In der anderen Han-d hielt er eine Einkaufstüte mit anderem 114
Werkzeug. »Einkaufen leichtgemacht«, sagte er fröhlich. »Alles, was man braucht, an einem Ort.« Steve reichte das Werkzeug zu Peter hinauf, der die Schrauben am Wandgitter zu lösen begann. Die Lampe gab er Steve zum Halten, damit er die Hände frei hatte. Die Männer arbeiteten stumm und mit sparsamen Bewegungen. Fran saß auf der Nottreppe. Die Übelkeit hatte nachgelassen, aber sie konnte sich noch immer nicht aufraffen. Sie biß sich in die Hand, um nicht laut aufzuschluchzen. An ihrem Hals, in den Hand- und Fußgelenken schien das Blut hämmernd zu pulsieren. In der Stille hörte sie ein leises Klicken und spürte eine Welle der Erleichterung. Das mußte Steve sein. Sie starrte hinunter, Es polterte, und Fran begriff, daß ihre Hoffnungen verfrüht waren. Das waren nicht die schnellen Schritte Steves oder eines der beiden anderen Männer, das war das hilflose Herumtappen eines wandelnden Toten! Fran stand langsam auf, während sich ein Schrei in ihrer Kehle hochquetschte, den Blick auf die Tür unter sich geheftet. »Steve!« stieß sie hervor. Die Tür ging langsam auf. Der Lichtspalt wurde breiter. Die stapfende, von eckigen Bewegungen gekennzeichnete Gestalt des Untoten tauchte auf. Das Licht aus dem Flur fiel von hinten auf die Erscheinung und vergrößerte sie ins Riesenhafte. Der gigantische Schatten glitt über die Wand. Fran fuhr herum und stürzte die Treppe hinauf. Sie konnte die schweren, schleppenden Schritte nachkommen hören. Von Zeit zu Zeit prallte der lebende Leichnam an die Wand oder stolperte über eine Stufe. Fran kam keuchend, nach Luft ringend, oben an, hetzte in den Lagerraum und warf die Tür zu. Einen Augenblick wkh sie noch zurück, nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, dann nahm sie sich zusammen und begann die großen Schachteln zur Tür zu zerren, um eine Barrikade aufzurichten.
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Die Kanons waren jedoch außerordentlich schwer und groß, und eine besonders schwere glitt ihr aus den Händen. Sie konnte die Schritte des Wesens auf dem Mittelabsatz hören und geriet in Panik. Mit einer ungeheuren Anstrengung stieß sie den Karton zur Tür und holte den nächsten. Sie fühlte sich schwach und schwindlig.
Bevor sie die nächste Schachtel hinübertragen konnte, bewegte sich die Tür ein wenig. Sie warf sich dagegen, mit aller Kraft ihrer 52 Kilogramm, aber sie wußte, daß das nicht reichen würde. Sie mußte sich über den großen Karton beugen und bekam auf dem glatten Boden keinen Halt. Wie in Zeitlupe ging die Tür Millimeter um Millimeter auf. Die verletzte und blutige Hand des Wesens schob sich durch den Spalt. Die zerfetzten Finger umklammerten die Türkante. Fran zuckte entsetzt zurück und hetzte zur Pyramide unter dem Oberlicht. Dort drehte sie sich um. Das Wesen stemmte sich gegen das Gewicht des Kartons. Es hatte beide Hände durch den Spalt geschoben. Der Karton rutschte ein Stück davon. Nun war der Kopf des Untoten zu sehen, als er sich durch den breiter gewordenen Spalt zu zwängen versuchte. Frans Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, hypnotisch gebannt von dem eindringenden Untoten. Sie schaute sich verzweifelt nach irgendeinem Gegenstand um, der als Waffe dienen konnte, aber abgesehen von den Vorratsstapeln war der Raum nahezu leer. Sie wollte schon die Pyramide hinaufsteigen, um aufs Dach zu entkommen, als sie im Halbdunkel Rogers Kleidersack erspähte. Sie stürzte darauf zu, als das Wesen, die schwere Schachtel wegstoßend, in den Raum trat. Mit fliegender Hast wühlte Fran in dem Stoffsack. Zu ihrem Entsetzen schien nichts dazusein, was sich als Waffe eignete. Sie kippte den Inhalt auf den Boden: Munition, Tränengasdosen, Batterien, Signalbomben .. . Ihr Herz zuckte, als sie die 116
zylindrischen Behälter sah, und sie packte einen davon und versuchte die Verpackung abzureißen. Der Untote stöhnte, als er näherkam. Er schritt schwankend auf die Pyramide zu. Fran riß die Hülle ab und brach den Zylinder an der majrkierten Stelle auseinander. Sie drehte sich um und sah, daß der Untote sich nun zwischen ihr und der Pyramide befand. Der Fluchtweg aufs Dach war versperrt. Die tappenden Schritte kamen immer näher. Fran wich zurück, während sie den Kopf der Signalbombe an dem kleinen Schlagbolzen zu entzünden versuchte. Es wollte nicht gehen . . . sie versuchte es noch einmal . . . und noch einmal. Der Zombie hatte den Kleidersack erreicht und stolperte über den verstreuten Inhalt. Endlich entzündete sich die Leuchtbombe und begann ohrenbetäubend laut zu zischen. Die grelle, hochzuckende Flamme erschreckte Fran ebenso wie das Wesen. Der Untote riß die Augen auf und hob die Arme. Die blendend weiße Flamme warf ein unheimliches Licht auf das Wesen, ließ seinen kolossalen Schatten über Kartons und Wand tanzen. Der Untote wich ein paar Schritte zurück.
Frans Furcht war plötzlich verflogen. Sie hatte ein Ziel, und solange sie nicht darüber nachdachte, was geschah, ging es ihr gut. 'Sie wagte sich einige Schritte vor und hob noch zwei Zylinder blitzschnell vom Boden auf. Dann lief sie in weitem Bogen um den Untoten herum. Das Wesen peitschte mit den Armen die Luft, hielt aber Abstand. Fran überlegte, ob sie zur Feuertreppe laufen sollte, aber es bestand die Gefahr, daß weitere lebende Leichname heraufkamen, und sie wollte dieses Versteck nicht noch weiteren Eindringlingen ausliefern. So entschied sie sich nun doch dazu, die Pyramide hinaufzuklettern und sich auf das Dach zu retten. Sie erreichte eine Stelle hinter dem stöhnenden Zombie, lief zu den Kartons und begann hinaufzuklettern, verlor aber
den Halt, weil sie die Leuchtsignale mit beiden Händen umklammerte, und stürzte gegen den obersten Karton, der davonrutschte, ohne daß Fran es verhindern konnte. Die schwere Kiste kippte auf den Boden hinunter und prallte beinahe gegen den Untoten. Er streckte die Arme aus und scharrte an der Pyramide. Da der oberste Karton nun fehlte, konnte Fran den Rand des Oberlichts nur mit den Händen erreichen, aber sie besaß nicht die Kraft in den Armen, sich hochzuziehen. Zwei von den Signalbomben entglitten ihr, auch die brennende. Sie fielen hinter den aufgetürmten Stapel, und das gleißende Licht konnte den Untoten nicht mehr stören. Das Wesen begann hinaufzusteigen. Fran steckte den letzten Zylinder in den Mund und griff mit beiden Händen zum Oberlicht hinauf. Sie spannte ihre Muskeln an, aber sie besaßen nicht die Kraft, sie hinaufzuziehen. Sie versuchte, die Füße wieder auf den Stapel zu stellen, aber durch die Kletterversuche des Untoten geriet die ganze Pyramide ins Wanken. Das Wesen kam vorwärts und konnte schon beinahe Frans Fuß berühren. Während Fran in höchster Gefahr schwebte, bewegten die Männer sich durch den Schleichgang in der Decke. Der Kabelkanal schien durch das ganze Einkaufszentrum zu führen. Roger schaute durch ein Gitter in das Innere eines Sportartikelgeschäfts hinunter. »Menschenskind!« rief er, als er an einer Wand ein ganzes Arsenal von Sportwaffen entdeckte. »Schon gesehen«, sagte Peter. »Weiter!« Sie bewegten sich so leise, wie es nur ging. Von ihrem Gang aus zweigten mehrere Seitenkanäle ab. Steve erreichte wieder ein Deckengitter und konnte ein Fachgeschäft für Radio- und Elektronikgeräte sehen. »Hoffentlich weißt du, wo du hinwillst«, sagte Roger zu Peter, der die Führung übernommen haue. 118
In einem schmalen Gang findet Peter vorübergehend Ruhe vor den Zornbies. (Ken Foree.)
»Da sind wir. Los.« Er öffnete das Deckengitter und sprang in ein vornehm eingerichtetes Büro hinunter. Rogers Beine erschienen in der Öffnung, dann hangelte auch er sich hinunter und sprang. Plötzlich spürten die beiden Männer, daß noch jemand im Raum war. Roger fuhr herum und sah betroffen eine zusammengesunkene Gestalt im Sessel hinter dem Schreibtisch. Er zog seine Waffe. Peter glotzte den Toten im Sessel an. Sie befanden sich offenbar in Porters Büro. An den Wänden hingen Fotografien von Porter mit Präsidenten und hohen Regierungsbeamten. Einige Tage zuvor mußte Porter sich das Leben genommen haben, vielleicht angesichts der Schreckensmeldungen, die ihn Über Fernschreiber erreicht hatten. Das erklärte auch, warum die Tür versperrt gewesen war, als Roger und Peter vorher die Chefbüros besichtigt hatten. »Los«, sagte Peter, aus seiner Versunkenheit auftauchend. Steves Beine hampelten über ihnen. »Einfach springen, nur zu«, sagte Peter. »Ich kann nicht... ich ...«, tönte es dumpf herunter. »Der Schreibtisch«, sagte Roger. »Hilf mir.« Die beiden Männer packten Porters Schreibtisch und schoben ihn unter 'die Öffnung in der Decke. Steves Zehen baumelten über der Schreibtischplatte. Er geriet ins Wanken, wobei er die Fotos von Frau und Kindern Porters umstieß. Das Glas zerbrach. »Los doch«, drängte Peter. Steve gelang es endlich, sich herunterzulassen. Er starrte den Toten im Sessel an und schüttelte betäubt den Kopf. Peter war schon an der Tür und sperrte sie auf, damit sie in den Korridor hinaustreten konnten. Er öffnete sie einen Spalt und schaute hinaus. Der Korridor war leer, abgesehen von den toten Zombies. Am Ende des Flurs konnte er den Wagen mit ihrem Beutegut sehen. I2O
Als die anderen hinter ihm herankamen, öffnete Peter leise die Tür und schlüpfte hinaus. Er ging lautlos auf den Wagen zu, während seine Begleiter, wie verabredet, auf die Nottreppe zueilten. Roger stieß die Leichen mit dem Fuß beiseite, um für den Wagen Platz zu schaffen. Peter packte die Griffstange des Wagens und zog ihn rückwärts durch den Flur, damit er beobachten konnte, was sich am anderen Ende des Korridors abspielte. Steve hatte inzwischen den Hefter aufgehoben, über den der Untote vorher gestolpert war.
Peter ging langsam rückwärts. Die Räder des Wagens quietschten, und Peter biß sich betroffen auf die Unterlippe. Roger stieß die letzte Leiche an die Wand. Plötzlich entdeckte Steve, daß die Tür zur Nottreppe weit offen stand. »Um Gottes willen«, schrie er auf und stürmte darauf zu. Roger fuhr herum, von Steves Ausbruch überrascht. Peter drehte sich ebenfalls um und sah, was Steve so aus der Fassung gebracht hatte. Er zerrte den Wagen schneller hinter sich her. »Los, los . . . beeil dich«, rief Roger. Steve lief die Stufen hinauf. Als Peter den Wagen in den Treppenschacht gezerrt hatte, hetzte Roger hinterher. Steve stürzte in 'den Lagerraum und ließ den Hefter fallen. »Fran!« Sie drehte sich zu ihm herum und wagte ihren Augen nicht zu trauen. Der Untote, der sie schon fast erreicht hatte, wedelte mit den Händen abwehrend vor der Signalbombe, die Fran hatte entzünden können, und schlug sie ihr aus der Hand. Fran glaubte, der Kartonstapel stürze ein, und hielt sich mit beiden Händen fest. Der Untote griff nach ihren Füßen. Steve hob das Gewehr und zielte. Hinter ihm raste Roger herein. »Nicht schießen , . . die hören dich . . .« Er lief zusammen mit Steve auf die Pyramide zu. Das Wesen versuchte Fran festzuhalten. Sie stieß wild mit 121
den Beinen um sich, dann packte Roger den Untoten von hinten an der Kleidung. Das Wesen stürzte vom Stapel auf den Boden. Als es sich aufrichten wollte, ließ Steve seinen Gewehrkolben wie einen Baseballschläger niedersausen und zerschmetterte dem Ding den Schädel. Er ließ sein Gewehr fallen und lief auf Fran zu. Sie fiel, auf einmal völlig entkräftet, vom Stapel in seine Arme, schluchzend und zitternd. »Fran«, sagte Steve mit brüchiger Stimme. »Alles in Ordnung? ... Bist du okay, Fran? He ...« Sie lallte, vom Schluchzen geschüttelt, die Hände auf den Bauch gepreßt. Peter tauchte unter der Tür auf, mit dem Fernsehgerät und ein paar anderen Gegenständen. Er legte die Sachen auf den Boden und warf nur einen kurzen Blick auf Fran. »Holen wir das Zeug herauf, ja?« sagte er zu Roger. Roger zerrte den toten Zombie zur Tür, und Peter half ihm. Fran begann sich zu übergeben. Steve gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen. Er holte Wasser in einer leeren Dose. »Fran ... es ist schon gut. . . Schau, es ist ja. wieder gut. Hast du dir wehgetan, Liebes? Fran . . . « Sie sah ihn mit tränenüberströmtem Gesicht an. Es schien, als könne sie nie mehr aufhören zu weinen. Die ganze Angst, das Grauen brachen sich Bahn in ihr. Inzwischen war Peter wieder hinuntergelaufen. Er schaute zur Tür hinaus und blickte zum offenen Korridorende. Die Luft war rein. Er und Roger trugen die Leiche schnell in die Halle und kippten sie auf den Boden, dann zogen sie sich in den Nottreppenschacht zurück. Peter hielt die Tür noch einen Spalt geöffnet und beobachtete kurze Zeit die Szene vor sich. »Ich glaube, wir sind okay, Bruder«, sagte er zu Roger, überzeugt davon, daß sie nicht entdeckt worden waren. Er schloß die Tür leise. Sie nahmen Geräte aus dem Wagen und trugen sie hinauf. 122
»Wir sind okay ... wir sind alle okay«, versicherte Steve der weinenden Frau, um sie zu trösten. »Wir haben allerhand besorgt .. . viele Sachen.« Hinter ihnen brachten Peter und Roger die Beutestücke herein und stellten sie auf dem Boden ab, kehrten um und liefen wieder hinunter. »Das ist ideal hier, Fran«, sagte Steve und wischte ihr den Schweiß von der Stirn. Sie schluchzte immer noch und würgte. »Etwas Besseres könnten wir uns gar nicht wünschen.« Wieder wurde die hohe Barrikade aus schweren Kartons vor der Tür errichtet. In die kleine Festung kehrte Ruhe ein, die Stille durchbrochen nur von raschelndem Papier und Kaugeräuschen, als die vier aßen. Im Hintergrund war ein elektronisches Pfeifen zu hören. Sie saßen in der Nähe der Pyramide auf dem Boden. Peter schien im Sitzen eingeschlafen zu sein. Roger probierte die Delikatessen, die sie aus dem Kaufhaus mitgebracht hatten. Ringsum verstreut lag wie beim Weihnachtsfest ihre Beute. Roger blätterte beim Essen in den Lageplänen, so behaglich, als studiere er die" Sonntagszeitung. Dabei wußten sie nicht einmal, welcher Tag heute war; selbst die genaue Zeit war nicht festzustellen, weil keiner seine Uhr aufgezogen hatte. In der Nähe lag Werkzeug neben Elektrorasierern, Kleidung, einschließlich der Lederjacke, die Roger sich doch noch geholt hatte, das Radio, mit dem man auch Kassetten abspielen konnte. Dazu gab es Seifen, Toilettesachen, Füllhalter, Bleistifte und Notizbücher, Taschenlampen, Zigaretten und mehrere Spiele, Karten mit einer großen Schachtel Spielmarken. Die Gestalten hockten im blauen Lichtschein des Fernsehbildschirms, den Steve eingeschaltet hatte. Das Kabel war an die Drähte einer Lampenfassung an der Decke angeschlossen. Fran schlief hinter ein paar Kartons; ihr Weinen hatte endlich aufgehört, und sie war vor Erschöpfung eingeschlafen. »Wie spät ist es überhaupt?« sagte Roger, verärgert darüber, daß auf dem Bildschirm nichts zu sehen war.
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»Gegen neun Uhr«, meinte Steve. »Und nichts?« sagte Roger mit einer Handbewegung zum Gerät. Das einzige, was aus dem Gerät kam, war das schrille Heulen. der Zivilschutzzentrale, und auf dem Schirm war nur das Symbol Dreieck im Kreis zu sehen. »Solange das da ist, wissen wir, daß sie noch senden«, sagte Steve. Roger schaltete das große, batteriebetriebene Radiogerät ein. Er betätigte den Sendersuchlauf, aber außer einem Rauschen war nichts zu hören. Endlich kam eine Stimme, weit entfernt, von einem Pfeifton überlagert. Steve schaltete das Fernsehgerät aus, damit sie den Sprecher besser verstehen konnten. ».. . Meldungen, daß die Verbindungen mit Detroit, Atlanta und Boston abgerissen sind, ferner mit einigen Stadtteilen Philadelphias und New Yorks ...« »Philadelphia«, sagte Roger vor sich hin. »WGON ist ausgefallen, das steht fest«, meinte Steve. »Das ist ein Tollhaus dort . . . die Leute schnappen über . . . wenn sie sich nur zusammenschließen würden. Die totale Verwirrung. Man kann nicht glauben, daß es so schlimm geworden ist. Man kann nicht glauben, daß man damit nicht fertig wird.« Er; schaute sich um. »Sieh uns an. Überleg dir, was wir heute geschafft haben.« Peter, der noch immer an der Pyramide lehnte, öffnete schläfrig die Augen. Er hörte aufmerksam zu. »Wir haben sie fertiggemacht, und sie konnten uns nicht das geringste anhaben«, prahlte Steve. »Jedenfalls nichts Ernstliches«, fügte er ruhiger hinzu.
»Wir sind nur knapp davongekommen«, tönte Peters Baß"Stimme herüber. »Wir können von Glück sagen, daß wir entwischt sind, vergeßt das nicht.« Die beiden Männer sahen Peter an. Steve fühlte, wie sein Gesicht warm wurde. Er wußte, daß er zu dem Erfolg dieses 124
Tages kaum etwas beigetragen hatte. »Wenn man diese Kerle unterschätzt, hat man ausgespielt, versteht ihr!« sagte Peter. »Sie haben einen großen Vorteil uns gegenüber. Sie denken nicht. Sie tun, was sie tun müssen. Keine Gefühle. Und der Haufen dort draußen? Noch sind es wenige, aber jeden Tag werden es mehr. Jeden Tag sterben ein paar hunderttausend Leute an natürlichen Ursachen. Und mit dem Gemetzel, das dauernd stattfindet, wird sich das noch verdreifachen. Sagen wir, jeder von denen kommt zurück und bringt zwei um, und jeder von denen wieder zwei . . . kennt ihr die Geschichte von dem Kaiser und der Belohnung?« Die beiden Männer schüttelten stumm die Kopfe. »Der Kaiser sagt zu einem: >Ich gebe dir alles, was du willst, verlang du, was dir einfällt.< Der andere legt ein Schachbrett hin und sagt: >Gib mir ein Reiskorn auf dem ersten Feld, zwei auf dem zweiten, vier auf-dem dritten, acht . . . also auf jedem Feld das Doppelte von vorher. Der Kerl hat den ganzen Reis im Reich bekommen. Der Kaiser war bankrott.« »Schön«, sagte Steve. »Aber man kann solchen Dingen doch Einhalt gebieten . - . wenn die Leute nur hören würden . . .
wenn sie begreifen, was getan werden m u ß . Peter richtete sich auf und sah Steve an. »Also, wie ist es, Kleiner? Angenommen, die Süße nebenan kommt ums Leben. Bist du dann fähig, ihr den Kopf abzuhakken?« Steve starrte den Farbigen mit offenem Mund an. Er wollte schon mit Ja antworten, stockte dann aber. Er glotzte Peter an. Fran, die inzwischen aufgewacht war, öffnete weit die Augen, als sie das Gespräch verfolgte. Als Steve nicht antwortete, setzte sie sich auf und lauschte, aber es blieb still, abgesehen vom Gemurmel aus dem Radio. Sie griff nach ihren Zigaretten und zündete sich eine an. Sie war von Steve sehr enttäuscht. Er ließ sich von dem HÜI2S
nen immer wieder einschüchtern. Vorher war er stets so zuversichtlich und verläßlich gewesen. Das hatte sie angezogen. Ihr Exehemann hatte sich vor seinem eigenen Schatten gefürchtet, zu Hause aber den großen Mann gespielt. Steve hatte sich von niemandem einschüchtern lassen, aber bei Peter genügte oft ein einziger Blick. Die Stimme des Radiosprechers tönte dumpf herüber. Er sagte gerade: ». . . Gase oder gewisse Gifte, die bei den Wesen Wirkung zeigen könnten. Experimente mit Halluzinogenen sind in Haverford in Angriff genommen worden, mit der Hoffnung, ein Mittel herstellen zu können, das auf die Gehirne wirkt und die motorische Koordination des Körpers unterbindet. Die Wissenschaftler fürchten jedoch, daß die Wesen auf einer unbewußten, instinktiven Ebene funktionieren, und daß solche Drogen wenig oder keine Wirkung haben werden. In Nevada hatten Chemikalien, die von Flugzeugen aus versprüht wurden, eine schädlichere Wirkung auf die menschliche Bevölkerung als auf die wandelnden Leichen . ..« Peter sah Steve ruhig an und fragte: »Wie geht es ihr? Sie sah völlig erledigt aus.« »Was hast du erwartet?« sagte Roger ein wenig verärgert, weil ihm nicht gefiel, wie Peter mit Steve umging.
»Nein, ich meine, sie sah wirklich krank aus . . . körperlich krank.« Steve sah ihn lange scharf an. Der Neger war schwer einzu-
schätzen. Er konnte von einem Augenblick zum anderen ein völlig gewandelter Mensch sein. »Sie ist schwanger«, sagte er leise. Es blieb lange Zeit still. Nur die Stimme des Radiosprechers murmelte monoton. Peter seufzte und schloß die Augen. »Wie weit schon?« fragte Roger. »Dreieinhalb - vier Monate ...« »Mensch, Steve«, sagte Roger. »Vielleicht sollten wir wirklich versuchen, von hier fortzukommen
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»Wir schaffen das schon«, sagte Peter mit geschlossenen Augen. »Ja, aber was ist, wenn sie einen Arzt braucht oder -« »Wir werden fertig damit!« sagte Peter scharf. »Das ändert gar nichts.« Er öffnete die Augen und sah Steve durchdringend an. »Wollt ihr es loswerden?« »Was?« sagte Steve entsetzt. Es ist auch gar nicht meine Entscheidung, dachte er dumpf. Peter Jieß sich nicht beirren. »Wollt ihr es abtreiben?« wiederholte er. »Es ist noch nicht zu spät. Ich kenne mich aus damit.« Fran liefen die Tränen über das Gesicht. Man sollte den Kerl zusammenschlagen, dachte sie. Wie kann er so etwas sagen? Und warum gibt ihm Steve nicht die richtige Antwort? Sie lauschte angestrengt. Nach einer Weile kam Steve zu ihr und schien überrascht zu sein, als er sie sitzen sah. Sie hatte eine der neuen Decken aus dem Kaufhaus ausgebreitet und benützte eine zweite zusammengerollte als Kissen. Sie wischte sich die Tränen ab, eine brennende Zigarette in der Hand. »Hey«, sagte Steve und kniete nieder. »Bist du okay?« »Hast du alle deine Entscheidungen getroffen?« fragte sie. Er starrte sie stumm an. »Willst du e s . . . abtreiben?« »Du?« Sie schwieg, drehte den Kopf zur Seite und sog an ihrer Zigarette! Steve setzte sich zu ihr und legte die Hand auf ihre Schulter. Sie sah ihm in die Augen. »Wir vergessen Kanada also?« »Mein Gott, Fran«, sagte er und nahm sie in die Arme. »Das hier ist einfach ein Glücksfund. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir sperren die Tür zur Treppe ab ... kein Mensch kommt je dahinter, daß wir hier oben sind. So etwas finden wir nicht 127
wieder...« »Undauf meine Stimme kommt es nicht an, wie?« »Na komm1, Fran. Ich dachte, du schläfst.« Sie löste sich von ihm. »Was ist aus dem Gemüseanbau und dem Fischen geworden? Was aus der Idee, in die freie Natur hinauszugehen . . . Hunderte von Meilen fort von der Zivilisation? Steve, ich habe Angst. Ihr seid ganz fasziniert von dem Ort hier. Alles ist so praktisch und verlockend, daß ihr nicht seht . . . nicht seht . . .« Sie beugte sich vor. »Steve, nehmen wir uns doch nur, was wir unbedingt brauchen, und ziehen weiter.« »Mit der kleinen Maschine können wir ja kaum etwas transportieren«, sagte er ausweichend. »Was willst du?« sagte sie schrill. »Neue Möbel, eine Tiefkühltruhe, eine Stereoanlage? Was wir brauchen, können wir mitnehmen. Was wir zum Überleben brauchen!« Peter riß die Augen auf und sprang hoch. »Den Kasten abschalten!« Er schien ein überscharfes Gehör zu besitzen. Und zu schlafen schien er nie, nur die Augen zu schließen. Roger schaltete das Radio aus, und sie lauschten. Von der Nottreppe drangen leise Geräusche herüber. Der bläuliche Lichtschein des wieder laufenden Fernsehgeräts tauchte die Szene in gespenstisches Licht. Roger robbte hinüber und schaltete das Gerät ab. Es war totenstill. Steve trat hinter dem Kartonstapel hervor, gefolgt von Fran, die sich auf Händen und Knien um die Pyramide herumschob. Wieder ein Geräusch, wie das schwache Quietschen der Tür am Fuß der Feuertreppe. Schritte auf den Stufen. Schleppende, schlurfende Schritte ... Die Gesichter der vier Flüchtlinge verzerrten sich. Peter und Roger griffen nach ihren Gewehren. Alle versuchten den Atem anzuhalten, durch kein Geräusch zu verraten, daß es sie gab. 128
Ein Poltern draußen, Fran griff nach Steves.Hand. Er ging in die Hocke und legte den Arm um sie. Die Geräusche schienen immer näher zu kommen. Die Tür hinter der Barrikade klickte, bewegte sich aber nicht. Dann ein Pochen, zuerst schwach, dann immer stärker. Es hielt ein paar Minuten an, aber für die vier Menschen schien eine Ewigkeit zu vergehen. Dann Stille. Peter sah die anderen warnend an. Nach einer Weile tappten die Schritte wieder die Stufen hinunter. »In Zukunft muß stets einer Wache halten«, sagte Peter, und die anderen nickten. »Hier kommen sie nie durch«, sagte Roger, wie um sich selbst zu bestätigen. »Es sind viele«, gab Peter zurück. »Und wir haben nicht nur an sie zu denken. Der Hubschrauber auf dem Dach könnte uns verraten, wenn irgend jemand auftaucht.« »Was könnte man dann schon tun?« meinte Roger. »Einen Piloten absetzen, damit er ihn wegfliegt? Mit einem so kleinen Ding gibt sich keiner ab. Jeder hat mit sich selbst genug zu tun. In Philadelphia lag mitten auf dem Independence-Platz ein Boot. Jemand wollte es wohl zum Fluß tragen und hat es nicht geschafft. Es lag tagelang herum.« »Aber geholt hat es dann doch einer«, sagte Peter. Er lehnte sein Gewehr an die Kartons und zündete sich eine Zigarette an. »Es kommt immer darauf an, wie groß der Wert im Augenblick ist.« Fran ließ sich auf ihre Decke zurücksinken und griff nach der nächsten Zigarette. Eigentlich wollte ich das Rauchen aufgeben, dachte sie dumpf. Steve setzte sich zu ihr. »So hör doch, Fran«, sagte er ernsthaft. »Kannst du dir vorstellen, wie oft wir zum Auftanken zwischenlanden müßten?
Die Wesen sind überall. Und wo es noch Behörden gibt, würden wir die größten Schwierigkeiten bekommen. Hier sind wir si129
eher, Fran. Wir haben hier alles, was wir braudien.« Er legte sich neben sie und streckte die Arme aus. »Komm ... schlaf ein bißchen.« Sie regte sich nicht. »Komm, Fran.« Sie drückte ihre Zigarette am Betonboden aus. Steve legte seinen Arm um sie, begann mit seiner Hand ihren Körper zu erforschen, griff in ihre Bluse. Sie blieb zunächst starr, aber Steves Beharrlichkeit setzte sich durch. Sie legte einen Arm um seinen Hals. »Ich bin wirklich nicht eigensinnig«, flüsterte er, während seine Hand ihre Brust streichelte. »Ich halte das hier wirklich für besser.« Sie blickte über seine Schulter auf die Kartons. Im Verwaltungstrakt war alles ruhig. Ein paar verirrte Zombies stolperten zwischen den Leichen am Boden herum. Ein großer Untoter mit klaffenden Wunden kam aus dem Treppenschacht, vermutlich jener, der oben an die Tür gehämmert hatte. Ein weiblicher Zombie m Jeans und Pullover, Anfang Zwanzig, kauerte vor einer der Leichen im Flur. Sie hob den Arm des Toten und führte ihn an den Mund, aber er war kalt, und sie ließ ihn fallen. Sie beugte sich vor und griff nach einer anderen Leiche. Auch diese war kalt. Enttäuscht stand der Zombie auf und schlurfte zur großen Halle. Langsam verließen die Untoten den Korridor und traten hinaus auf die Galerie. Im Innenhof lagen die Leichen verstreut. Hier und dort kauerten einige Zombies und beendeten ihr Mahl. Inzwischen drang oben im Speicher das monotone Gemurmel des Radiosprechers aus dem Lautsprecher und schläferte die Flüchtlinge ein. ». . . nicht eigentlich Kannibalismus . . . Kannibalismus im wahren Sinn des Wortes bezeichnet ein Verhalten innerhalb der eigenen Gattung . . . Diese Wesen können nicht als menschlich 130
betrachtet werden . .. Sie suchen sich Menschen als Beute, nicht ihresgleichen . ..«
Unten auf der Galerie zogen die Zombies an den Schaufenstern vorbei, wie bei einem Einkaufsbummel. Einige stiegen die Stufen zum Erdgeschoß hinunter. Mehr und mehr Untote kamen aus den Orten in der Umgebung, als wollten sie ihr normales Dasein fortsetzen. Schulen, Bürogebäude und Einkaufszentren zogen die Zombies besonders an. Steve und Fran lagen eng umschlungen hinter dem Stapel. Roger lag in einem Schlafsack. Nur Peter schlief im Sitzen, die Waffe auf dem Schoß. »Sie greifen an und . . . nähren sich . . . nur von warmem Menschenfleisch«, tönte es aus dem Radio. Intelligenz? Scheinbar wenig. Was an Grundfähigkeiten bleibt, ist erinnertes Verhalten aus.. . dem normalen Leben. Es gibt Meldungen, daß die Wesen Werkzeug ergriffen haben, aber selbst dergleichen bleibt auf primitivster Ebene . . . der Gebrauch von Gegenständen als Knüppel.« Am Haupteingang des Einkaufszentrums traten Zombies in die Nacht hinaus, während andere in das Gebäude hineinwankten. Einige Wesen rüttelten noch immer am Sperrgitter des Kaufhauses. Die starren, leblosen Augen der Schaufensterpuppen schienen die Zombies vor dem Gitter zu beobachten. Das Rattern des Gitters vermischte sich mit dem verklingenden Gedudel der Lautsprechermusik.
8 »Diese Wesen sind nichts als reiner, motorischer Instinkt . . .« sagte eine rauhe Stimme zu ihr. Sie schüttelte den Kopf und schaute sich nach der Person um, zu der die körperlose Stimme gehörte, dann begriff sie, daß sie eingeschlafen war, und die
Stimme, die sie geweckt hatte, aus dem Fernsehgerät kam. Ihr Körper war steif von dem Liegen auf der dünnen Decke über dem Betonboden. Hätten diese klugen Köpfe nicht eine Matratze mitbringen können? dachte sie, während sie sich den Rücken massierte. Durch das Oberlicht fielen die Strahlen der Morgensonne herein. Fran setzte sich auf und schaute sich um. Das Fernsehgerät hatte keine Zuschauer, Die Männer waren irgendwo unterwegs. Auf dem Bildschirm verlas ein gehetzt aussehender Mann in einem Notstudio Meldungen und Berichte. »Ihr einziger Antrieb gilt der Nahrung, die sie aufrechterhält. Wir dürfen uns nicht von dem Gedanken einlullen lassen, das seien unsere Angehörigen oder Freunde. Auf solche Empfindungen reagieren sie nicht. Sie müssen vernichtet werden, wo man sie trifft. .,« Fran vergewisserte sich hastig, daß die Barrikade an der Tür noch vorhanden war. Wenigstens waren sie nicht so unvernünftig gewesen, erneut zu einem Raubzug aufzubrechen, dachte sie. Sie hob den Kopf und begriff, daß die Männer durch das offene Oberlicht auf das Dach gestiegen sein mußten. An der Dachkante starrte Peter durch ein Fernglas. In einer Entfernung von einer Viertelmeile sah er das große Lagerhaus eines Nahrungsmittelkonzerns. Wahrscheinlich auch Eigentum Porters, dachte Peter beiläufig. Im Hof und in den großen, offenen Garagen des Zentrums stand eine Flotte von riesigen Lastzügen in Reihen nebeneinander. In Peter entwickelte sich ein Plan. Er hatte beim Frühstück - lauwarmer Kaffee und Dosenfleisch - Steve und Roger schon eingeweiht. »Ob wir mit den Dingern umgehen können?« hatte Steve gefragt. »Du wirst dich wundern«, warf Roger ein. Es war eine Spezialität von ihrn, alle möglichen Fahrzeuge steuern zu können, vor allem Sattelzüge. Sein Vater war Fernfahrer gewesen. 132
»Also, dann wollen wir mal«, knurrte Peter. »Um diese Zeit sind noch nicht so viele von ihnen unterwegs«, fuhr er fort, während er zum Parkplatz hinunterstarrte, wo die Zombies wahllos durcheinandertappten. Die drei Männer gingen zum Oberlicht. Fran beugte sich unten über die Lagepläne. »Hallo, Fran«, sagte Roger zur Begrüßung, als sie hinunterkletterten. »Ich hatte gern Frühstück gemacht, aber mir fehlt das Geschirr«, sagte sie bitter. »Darf ich etwas sagen?« »Klar. Worum geht es?« meinte Steve. Sie sah die drei Männer der Reihe nach an. »Es tut mir leid, daß ihr von meiner Schwangerschaft erfahren habt, weil ich nicht will, 'daß ihr mich anders behandelt als vorher.« Steve schoß das Blut ins Gesicht. Sie warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Und ich will erfahren, was vorgeht, und will an den Plänen beteiligt werden. Wir sind vier, ja?« »Herrgott, Fran -« fuhr Steve auf. »Einverstanden!« sagte Peter mit einem schwachen Lächeln. Steve sah ihn verwundert an. »Also - was habt ihr vor?« fragte Fran. »Wir wollen hinaus«, sagte Peter. Seine Miene war wieder ernst geworden. Als Fran etwas einwenden wollte, schnitt er ihr das Wort ab. » . . . und du kommst nicht mit.« Fran wollte aufbegehren, aber Peter hob die Hand. »Du kommst erst dann mit, wenn du mit einer Schußwaffe umgehen kannst und dich zu verteidigen verstehst.« Er -wandte sich ab und stieg die Pyramide hinauf. Roger folgte ihm mit gesenktem Kopf. »Noch etwas«, sagte Fran scharf. Die Männer drehten sich nach ihr um. »Ich weiß nicht, was ihr beiden denkt, aber ich will lernen, den Hubschrauber zu fliegen.« Steves Unterkiefer klappte herunter, und er starrte sie unI33
gläubig an. »Wenn irgend etwas passiert, müssen wir in der Lage sein, von hier fortzukommen«, sagte Fran leise. Steve war sprachlos. Nicht nur war sie imstande, ihn vor den beiden anderen zu demütigen, sie unterstellte auch, daß er überflüssig sein könnte. Er starrte die beiden Männer an. »Sie hat recht, Kleiner«, sagte Peter. »Los, wir gehen.« »Und eine Kanone laßt ihr mir auch da.« Steve wollte etwas einwenden, schüttelte den Kopf und legte sein Gewehr auf den Stapel. Aus der Hosentasche holte er eine Handvoll Patronen und legte sie dazu. Roger und Peter waren hinausgeklettert. Steve stand wie angewurzelt neben der Pyramide und starrte auf den Boden. »Es tut mir leid, Steve«, sagte Fran, aber ihre Stimme verriet, daß sie sich nicht entschuldigen wollte. »Ich weiß, ich weiß. Schon gut.« Er begann, die Kartons hinaufzuklettern. »Steve«, sagte sie leise. »Ja?« Er drehte den Kopf und sah sie dumpf an. Sie zuckte die Achseln und seufzte. »Sei vorsichtig«, sagte sie tonlos. »Ja, ja, keine Sorge.« Er verschwand durch die Öffnung. Fran blickte auf das Gewehr, dann trat sie zum Fernsehgerät und schaltete es ab. Steve ließ sich auf dem Pilotensitz nieder, startete den Hubschrauber und schnitt eine Grimasse. Er schien den Lärm nicht mehr gewöhnt zu sein. Roger und Peter liefen heran, duckten sich unter die Rotorblätter und stiegen ein. Langsam hob sich die Maschine vom Dach. Steve sollte die beiden anderen zum Ladehof fliegen und sie dort absetzen. Roger gedachte die Zündung der großen Fernlastzüge kurzzuschließen, sie zu
den verschiedenen Eingängen des Einkaufszentrums zu steuern und unmittelbar vor den Türen abzustellen, damit von außen keine Zombies mehr eindringen und die im Gebäude befindli134
dien nicht mehr heraus konnten. Während Steve mit dem Hubschrauber auf der Stelle schwebte, machte Roger sich unter dem Armaturenbrett eines der Sattelzüge an die Arbeit. Peter saß im Führerhaus eines Sattelschleppers, dessen Motor Roger bereits angelassen hatte. Er betätigte die Gangschaltung und lenkte das Fahrzeug hinaus. Neben der Zugmaschine, in der Roger am Werke war, hielt er kurz an. »Alles klar?« schrie er, um das Dröhnen des Motors zu übertönen. »Bin gleich soweit«, rief Roger. Peter schaute sich auf dem Parkplatz um und bückte zum Einkaufszentrum hinüber. Hier und dort waren kleine Gruppen von Untoten zu erkennen, aber sie schienen keine unmittelbare Gefahr darzustellen. Roger richtete sich auf, und der Sattelschlepper begann zu vibrieren. »Dann mal los!« schrie er. Die mächtigen Fahrzeuge setzten sich in Bewegung, rollten durch den Ladehof und eine Rampe hinunter zur Straße. Steve flog als eine Art Begleitschutz mit. Fran stand auf dem Dach des Gebäudes, 'das Gewehr unter dem Arm. Sie konnte unten die Lastzüge verfolgen, als sie eine Steigung hinaufbrausten, über ihnen der Hubschrauber. Auf der Straße versuchten einige Zombies, den Fahrzeugen nachzuwanken, eingehüllt m Staubwolken. Die Lastzüge bogen auf die Zufahrtsstraße zum Parkplatz ein und fuhren dröhnend auf das Gebäude zu. An einem der Eingänge gingen Untote wie Roboter aus und ein. Andere liefen auf dem Parkgelände herum. Mit der Zeit schienen immer mehr wandelnde Tote zusammenzuströmen. Als Peter mit seinem Wagen einen weiten Bogen beschrieb, lenkte Roger den seinen zum nächsten Eingang, holperte über den Randstein und brachte das lange Gefährt nur Zentimeter
von der Fassade entfernt quer zum Stillstand. Einige der Wesen wurden niedergestoßen und zerquetscht wie die Fliegen. Der Anhänger blockierte den Eingang völlig. Mehrere Untote, die im Inneren festsaßen, versuchten die Glastüren zu öffnen. Sie bewegten sich nur Zentimeter, und der Spalt war nicht groß genug, daß irgendein Zombie sich hätte hinauszwängen können. Die vereinzelten Wesen rund um das Fahrzeug begannen, an die Seitenwände zu hämmern. Roger stellte den Motor ab und griff nach seiner Waffe, Andere Zombies krallten sich an den Führerhausfenstern fest. Roger sah, wie sich ihre Gesichter an die Scheiben preßten. Ihre Fingernägel kratzten über das Glas. , , Peter lenkte seinen Lastzug nebenan heran, so daß seine Beifahrertür der Fahrertür des anderen Wagens unmittelbar gegenüberlag. Auch Peters Fahrzeug hatte einige der Wesen überfahren. Als Roger seine Tür aufstieß und ins andere Fahrerhaus hinübersprang, packte einer der Zombies sein Fußgelenk. Roger konnte das Wesen gerade noch wegstoßen, als Peter Gas gab und davonbrauste. Der Hubschrauber stieg empor und flog über das Dach hinweg, wo Fran die Vorgänge beobachtete. Die Uhrwerkspräzision, mit der Roger und Peter zu Werke gingen, faszinierte sie und stieß sie gleichzeitig ab. Als sie zur anderen Seite des Daches lief, peitschte der Wind der Rotoren ihr Haar. Der Hubschrauber wendete und wartete auf den heranrollenden Lastzug, dann begleitete er ihn zurück zum Lagerhaus. Im Fahrerhaus hüpfte Roger auf seinem Sitz wie ein kleiner Junge auf und ab und brüllte vor Freude. Sie hielten neben einem der anderen Fahrzeuge. »Immer mit der Ruhe«, sagte Peter. »Noch drei, Freund.« »Klappt doch bestens, was?« schrie Roger. Er kletterte in das Fahrerhaus des nächsten Lastzugs und machte sich an die Arbeit. 136
Steve versucht, eine Gruppe von Untoten mit dem Hubschrauber anzugreifen.
Steve sah von oben, daß sich am Lagerhaus etwas bewegte. Er flog einen kleinen Kreisbogen und sah eine Gruppe von Untoten aus der großen Garage auf Rogers Lastzug zugehen. Alle trugen Jeans und Arbeitsstiefel, und sie machten den Eindruck, als seien sie erheblich schneller als die auf dem Parkplatz umherstolpernden Wesen.
Steve fegte mit dem Hubschrauber hinunter, um Roger aufmerksam zu machen, der aber so in seine Arbeit vertieft war, daß er nicht aufsah. Die Zombies kamen näher. Sie waren nicht mehr weit vom Fahrerhaus entfernt. Steve flog Roger noch einmal an, ohne Erfolg. Peter hatte inzwischen in weitem Bogen gewendet. Als er den Kopf hob, sah er den Hubschrauber auf sich zufliegen. Im ersten Augenblick nahm er an, Steve sei verrückt geworden, dann kam ihm zum Bewußtsein, daß der Pilot ein Signal zu geben versuchte. Peter schaute zu dem anderen Fahrzeug hinüber und sah die Zombies. Er versuchte den Gang einzulegen, und das Getriebe krachte. Einer der Untoten erreichte Rogers Kabine und hieb mit der Hand gegen das Seitenfenster. Roger erschrak und versuchte unter dem Armaturenbrett heraufzutauchen. Einen entsetzlichen Augenblick lang war er eingeklemmt. Andere Wesen erschienen auf der Beifahrerseite, wo die Tür offenstand. Einer der Zombies griff nach Rogers Bein. Er stieß wild um sich, stürzte tiefer, eingeklemmt zwischen Schaltung und Armaturenbrett. Peters Lastzug setzte sich ruckartig in Bewegung. Steve versuchte, die lebenden Leichen durch Tiefflüge zu erschrecken, aber sie beachteten seinen Hubschrauber nicht einmal, sondern stürzten sich mit doppelter Heftigkeit auf Roger, der ihnen hilflos ausgeliefert war. Er trat mit den Füßen nach ihnen, warf sich herum, konnte aber in der Enge keine gezielten Tritte austeilen. Blindlings tastete er nach seinem Gewehr auf dem 138
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Fahrersitz. Seine Finger berührten ungewollt den Abzug, und ein Geschoß fetzte durch die Brust des vordersten Zombies, Die Untoten blieben auch dadurch unbeeindruckt. Endlich vermochte Peter einen Gang höherzuschalten, und sein Lastzug rollte schneller. Verzweifelt steuerte er auf Rogers Fahrerhaus zu. Steve hatte inzwischen begriffen, daß er im fliegenden Hubschrauber nicht von Nutzen sein konnte, und schwebte nahebei, um verfolgen zu können, was vorging. Er konnte sehen, daß Roger sein Gewehr ergriffen hatte, es aber wegen der Schaltstangen nicht herumdrehen konnte. Entsetzt beobachtete Steve, daß der erste Untote in das Fahrerhaus geklettert war und sich auf Roger stürzte. Gerade als ein zweites Wesen sich hineinzwängte, lenkte Peter seinen Zug heran und rammte damit Rogers Sattelschlepper. Blut spritzte über die Motorhaube und rann auf den Bo-
den herab. Inzwischen war Roger verzweifelt bemüht, sich gegen das Gebiß des Ungeheuers zu wehren. Der klaffende Mund war voller verfaulter, schwarzer Zahne. Die beiden Gestalten rangen miteinander. Obwohl der Zombie der schwächere der beiden war, blieb Roger durch seine eingeklemmte Lage im Nachteil. t Peter legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zurück, richtete die Kühlerhaube genau auf die offene Tür von Rogers Fahrerhaus. Er hob das Gewehr und zielte, hatte aber keine freie Schußbahn. Der Zombie hatte Roger an das Lenkrad gepreßt, und Rogers Kopf lag vor dem des Untoten, »Reiß ihm den Kopf hoch . . . den Kopf hoch«, kreischte Peter, um den Lärm von Lastzug und Hubschrauber zu übertönen. - Roger horte ihn brüllen, während er mit dem Wesen rang, und ließ sein Gewehr fallen. Es gelang ihm, den Hals des Zombies in den Würgegriff Zu nehmen. Er stemmte sich mit aller Kraft hoch, aber der Untote war nicht abzuschütteln. Die
Hände des Zombies krallten sich m Rogers Gesicht, die Finger drohten die Augäpfel hineinzudrücken. Peter sah für den Bruchteil einer Sekunde Gelegenheit zu feuern. Er drückte ab, und der Kopf des Zombies flog auseinander. Roger wischte sich das Gesicht ab, während der Untote zusammensackte und Roger einklemmte. Verzweifelt versuchte Roger sich zu befreien. Er bäumte sich mit letzter Kraft auf und stieß den schweren, leblosen Körper hinaus. Er spürte, daß er am ganzen Körper zitterte. Ein berstendes Krachen brachte ihn zu sich. Einer der Zombies hatte die Seitenscheibe mit einer Eisenstange zerschlagen. Roger warf sich zu Boden, um sein Gewehr zu packen. »Bleib unten«, schrie Peter, das Gewehr im Anschlag, aber er wagte nicht abzudrücken, um Roger nicht zu gefährden. Roger setzte sich auf und feuerte selbst. Das Geschoß fetzte durch die geborstene Scheibe und zerschmetterte dem Wesen den Schädel. Roger wurde von nervösen Krämpfen geschüttelt. »Ihr Teufel . . . ihr Teufel . . .« lallte er mit glasigem Blick. Plötzlich schien er zu sich zu kommen. Er starrte zu Peter hinüber und schrie: »Wir haben sie erwischt . . . wir haben sie erwischt!« »Reg dich ab, Mensch«, fauchte Peter. »Komm zu dir.« Er hatte das in Vietnam und auf den Straßen von Philadelphia oft genug erlebt. Wenn ein Soldat etwas tat, das seinen größten Abscheu erregte, obwohl er sich dazu gezwungen sah, es zu tun, schien im Gehirn etwas auszusetzen. Manchmal war das Erlebnis so tiefgreifend, daß der Betreffende sich nie wieder davon erholte. »Wir machen sie hin . . , wir machen sie alle hin!« brüllte Roger in der Fahrerkabine, schweißüberströmt auf- und abhüpfend. Er tauchte wieder unter das Armaturenbrett. »He, Rog«, sagte Peter ruhig. »Komm zu dir, Mann. L o s . , .
wir haben viel zu tun, Roger?« 140
Es blieb kurze Zeit still, dann tauchte, gerade als Peter sidi umschaute und aussteigen wollte, Rogers Kopf wieder auf, und der Motor der Sattelzugmaschine lief. Roger grinste Peter an. »Los, Baby«, sagte er, als sei nichts Besonderes passiert. »Nummer zwei -« »Alles in Ordnung?« »Klar, Baby . . . klar!« sagte Roger, gab Gas und lenkte den Lastzug aus dem Ladehof. Peter folgte ihm mit zusammengezogenen Brauen. Als die beiden Fahrzeuge hinausbrummten und zum Einkaufszentrum fuhren, folgte ihnen der Hubschrauber. Steve hatte noch immer nicht verdaut, was sich vor seinen Augen abgespielt hatte. Er empfand für Roger und Peter nahezu grenzenlose Bewunderung. Er konnte sich vorstellen, daß er in einer solchen Lage sofort die Nerven verloren hätte. Die Lastzüge rollten eine Steigung hinauf. Plötzlich tauchten vor ihnen einige Zombies auf. Rogers Augen weiteten sich vor Zorn, und er steuerte sein Fahrzeug direkt auf sie zu. Der Kühler erfaßte zwei von ihnen. Einer wurde unter den Rädern zerquetscht, der andere weit durch die Luft geschleudert. Auch Fran hatte voller Entsetzen zugesehen, wenngleich ihr die meisten Einzelheiten wegen der Entfernung verborgen geblieben waren. Sie sah die Lastzüge die Steigung überwinden und in den Parkplatz einbiegen, begleitet von Steves Hubschrauber, der im nächsten Augenblick wieder über das Dach hinwegfegte. Fran lief zur anderen Seite, um zu beobachten, was auf dem Parkplatz vorging. Die Lastzüge brausten auf den zweiten Eingang zu. Roger lenkte das mächtige Fahrzeug breitseits an die Türen, rammte erneut mehrere Zombies und schrammte an der Fassade entlang. Diesmal waren mehr Untote unversehrt geblieben, und sie stürzten sich auf die Türen des Fahrerhauses. 141
Fran starrte hinunter und beschloß einzugreifen. Der Mut, den Roger und Peter bewiesen hatten, schien sie anzuspornen. Als die Wesen sich auf das Fahrzeug stürzten, legte sie das Gewehr an. Bevor sie feuerte, schob sich Peters Lastzug nah neben Rogers Fahrzeug heran. Peters Zugmaschine stieß mehrere Zombies zu Boden. Einer von ihnen, den ein Vorderrad erfaßt hatte, wand sich und ruderte mit den Armen, Einige Untote sprangen auf Peters Seite das Trittbrett hinauf. Roger ergriff sein Gewehr und wollte hinaus, aber die Züge standen zu nah beieinander, so daß er die Tür nicht richtig öffnen konnte. Er kurbelte das Fenster herunter und schrie: »Das Fenster ... mach dein Fenster auf!« Peter hatte bemerkt, daß die Türen nicht aufgingen, und wollte wieder anfahren, als er Rogers wilde Gesten sah. Er warf sich auf die andere Seite und kurbelte das Fenster herunter. Roger beugte sich auf seiner Seite hinaus und versuchte, mit dem Gewehr zu zielen. Ein, zwei Zombies zwängten sich zwischen den Fahrzeugen hindurch und hatten Roger schon beinahe erreicht, als er abdrückte und dem ersten Untoten den Schädel zerschoß. Andere wandelnde Tote Hefen um Rogers Fahrerhaus herum und versuchten ihn zu packen. Fran kauerte auf der Dachkante und versuchte zu zielen, aber der Wind blies ihr immer wieder die Haare ins Gesicht. »Roger, vorne«, kreischte sie. »Vorne, Roger, vorne!« Roger feuerte wieder und wieder in den schmalen Zwischenraum, der die Lastzüge noch voneinander trennte. Wieder kippte ein Untoter um. Die Leichen lagen auf dem Parkplatz verstreut wie Papierfetzen. Roger schwebte nicht mehr in unmittelbarer Gefahr, feuerte aber unverdrossen weiter. »Verdammt noch mal, hör auf!« brüllte Peter. Aber Roger war wie ein Wahnsinniger, Er beugte sich aus
dem Fenster und stieß ein Triumphgeheul aus, wenn er wieder einen Untoten niedergeschossen hatte.
Plötzlich packte ihn ein Zombie, der sich unbemerkt angeschlichen hatte, von hinten, und er kippte beinahe aus dem Fenster. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, um nicht hinausgezogen zu werden. Peter schob sich hinaus und versuchte abzudrücken, aber die Schußbahn war nicht frei. Roger hielt sich an Peters Türrahmen fest und versuchte sich hochzuziehen. Ein zweites Wesen packte ihn. »Monster, Monster«, stammelte Fran. Sie drückte ab. Das Geschoß knallte in das Pflaster, eines der Ungeheuer knapp verfehlend. Sie schoß ein zweitesmal und traf die Schulter eines Zombies, aber dadurch war er nicht aufzuhalten. Der Hubschrauber sank tief hinunter. Staub und Müll wurden hochgewirbelt. Peter wagte immer noch nicht abzudrükken. Er schaute erbost zu Steve hinauf. Roger schwang seinen Gewehrkolben und traf einen der Zombies, der zurückwankte und die anderen mitriß. Dann warf Roger sich mit größter Anstrengung hinüber in Peters Fahrerhaus. Rogers Beine hingen noch zum Fenster hinaus, als Peter losfuhr. Die Zombies versuchten, Rogers Fußgelenke zu packen, und einer klammerte sich daran fest, als der Lastzug schneller wurde. Fran feuerte unablässig, wie im Taumel. Ein Geschoß traf den Untoten, der sich an Roger festhielt. Seine Hände glitten ab, und er stürzte auf das Pflaster, überschlug sich, schob sich auf die Knie. Fran zielte und drückte ab. Diesmal traf sie den Hals des Wesens. Der nächste Schuß erwischte den Zombie in der Schulter, der dritte zerschmetterte seinen Kopf. Der Hubschrauber flog über sie hinweg. Steve hatte entgeistert verfolgt, wie Fran den Untoten erledigt hatte. »Mensch«, rief Roger plötzlich. »Was ist denn?« sagte Peter. »Meine Scheißtasche«, sagte er. »Ich habe meine Scheißtasche in der Kabine liegengelassen!«
Peter bremste. »Vollidiot!« zischte er. »Du spielst nicht bloß mit deinem Leben, Mann!« Er packte Roger am Kragen. Die beiden Männer starrten einander keuchend an. »Also, reiß dich zusammen, ja!« sagte Peter scharf. Er ließ den anderen los, löste die Bremse und gab Gas, um im weiten Bogen auf den Parkplatz zurückzufahren. Fran konnte den Lastzug zurückkommen sehen. Steve war mit dem Hubschrauber über das Dach hinweggeflogen und wunderte sich, daß das Fahrzeug nicht auf der Straße auftauchte. Fran drehte sich um und schwenkte ihre Waffe. Er bemerkte das Signal und flog näher heran. Sie deutete hinter sich, und Steve flog zurück zum Parkplatz. Fran kniete an der Dachkante nieder und begann ihr Gewehr nachzuladen, während Peters Lastzug zum Eingang zurückbrauste, Als das Fahrzeug hielt, sprang Roger hinaus und kletterte auf der Fahrerseite des abgestellten Zuges hinein. Er riß seine Tasche und Werkzeug an sich, das auf dem Sitz verstreut lag. Währenddessen strebten die Untoten wieder auf die Stelle zu, wo sich etwas tat. Fran lud fieberhaft, während der Hubschrauber über sie hinwegsurrte. Als Roger in Peters Fahrerhaus zurückkletterte, ließ er die Tasche fallen. Er sprang hinunter und sah sich plötzlich zwei Untoten gegenüber. Er stemmte sich an den beiden Türen hoch und ließ die Beine vorschnellen. Die Wesen stürzten zu Boden. Er bückte sich, um seine Tasche aufzuheben, und wurde von hinten gepackt. Erneut versuchte Peter zu schießen, aber wieder hatte er keine freie Schußbahn. Fran wagte nicht abzudrücken, weil sie ihrer Zielsicherheit nicht traute und Roger nicht gefährden wollte. Roger blieb ruhig und warf den Sack mit dem Werkzeug in Peters Fahrerhaus. Das Wesen, das sich an Roger festgeklam144
mert hatte, schlug die Zahne in seinen Arm. Roger riß sich los, aber aus der Wunde drang Blut. Roger holte aus und hieb dem Wesen seine Rechte ans Kinn. Es wurde zurückgerissen und prallte mit den Untoten hinter sich zusammen. Roger sprang auf das Trittbrett. Inzwischen hatten sich die Zombies, die Roger umgestoßen hatte, wieder aufgerafft und griffen erneut an. Roger versuchte, sich an der Tür festzuhalten und rutschte ab. Peter ließ sein Gewehr fallen und packte Rogers Hand, aber er konnte nicht mehr verhindern, daß Roger wieder hinunterstürzte. Peter zog seine Pistole heraus und richtete sich auf, um zu sehen, wo Roger hingefallen war. Roger sprang erneut hoch und hielt sich am Fensterrahmen fest. Die Zombies krallten nach seinen Armen und Beinen. Er schwang die Beine hoch und stieß die Wesen weg. Diesmal konnte er festen Stand auf dem Trittbrett finden, und Peter packte mit einer Hand seinen Arm, aber ein Untoter zerrte an Rogers Hemd, ein anderer packte seine Beine. Peter zielte sorgfältig mit der Pistole und feuerte aus nächster Nähe auf einen der Zombies. Das Monster wurde zurückgerissen, und Roger konnte sich hoher hinaufziehen. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Er stemmte den Oberkörper durch das Fenster hinein, als ihn wieder ein Wesen zu fassen bekam. Da Roger das ganze Fenster ausfüllte, konnte Peter nicht schießen, so daß er die Pistole fallen ließ und Roger hereinzuzerren versuchte. Zum zweitenmal hing Roger mit dem Unterkörper aus dem Fahrerhaus und stieß wild mit den Beinen um sich. Peter fuhr an, und als der Lastzug rollte, krallte sich wieder einer der lebenden Leichname an Rogers Bein fest, riß den Mund weit auf und biß heftig in die Wade. Das Blut schoß heraus, und das Wesen, biß ein zweitesmal zu, riß Hautfetzen und Stoff von Rogers Bein.
Roger stieß einen gellenden Schrei aus und warf sich verzweifelt herum. Der Lastwagen beschleunigte, und der Untote wurde zu Boden gerissen. Das Wesen rollte ein Stück auf dem Pflaster dahin, dann setzte es sich gebückt auf, den Klumpen aus Stoff und Fleisch noch im Mund. Ein Geschoß fetzte vorbei, ohne daß der Untote sich hätte beirren lassen. Eine zweite Kugel schlug in seiner Schulter ein. Fran, von der die Schüsse stammten, biß die Zahne zusammen. Erst mit dem dritten Schuß gelang es ihr, den Kopf des Wesens zu treffen, so daß es umkippte. Der Hubschrauber eskortierte inzwischen den Lastzug zum drittenmal zum Lagerhaus zurück. Roger war damit beschäftigt, sein verletztes Bein abzubinden. Er benützte seinen Gürtel dazu. »Jetzt haben wir den Dreck«, sagte Peter, als er hörte, wie Roger schmerz gepeinigt die Luft einsog. »Wir müssen uns um das Bein kümmern.« »Das mache ich . . . ich mache es doch schon! Wenn wir uns Zeit lassen, kann ich überhaupt nicht mehr laufen.« »Kannst du jetzt laufen?« fuhr ihn Peter an. »Und ob ich das kann . .. verlaß dich drauf!« zischte Roger. »Wenn es nicht mehr geht«, stieß er keuchend hervor, »wenn ich gar nicht mehr laufen kann . . . sieht es düster aus . . . wir müssen noch viel tun . . . bevor ihr euch leisten könnt . . . auf mich zu . . , verzichten . ..« Peter starrte ihn an und schüttelte den Kopf.
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Auf den Parkplatz hatte sich unheimliche Stille gesenkt. Vor jedem der vier Haupteingänge zum Einkaufszentrum stand jetzt ein riesiger Lastzug, so nah, daß sie die Fassaden beinahe berührten. Hier und dort konnte man die Glastüren einen Spalt Öffnen, aber nicht so weit, daß die Zombies sich hätten hindurchzwängen können. Nach einiger Zeit wurde die Stille von der sich vergrößernden Menge von Untoten durchbrochen, die in das Gebäude zu gelangen versuchten. Sie drängten sich um die Lastfahrzeuge, verwirrt und ratlos. Einige versuchten, auf die Fahrerhäuser zu klettern, während andere an den Ladetüren der Anhänger rüttelten. Einigen Wesen war es sogar gelungen, unter die Fahrzeuge zu kriechen, wo sie die Köpfe nach den Eingängen verrenkten, aber es gelang ihnen nicht, auf der anderen Seite aufzustehen, weil der Abstand zur Fassade zu gering war. Einem der Untoten gelang es, unter einem Anhänger durchzurobben und eine der Glastüren aufzustoßen, hinter der sich seine Genossen drängten. Er kroch zwischen den Beinen der anderen Wesen hindurch. Die Drehtür bot den Zombies noch am ehesten Gelegenheit, in das Zentrum zu gelangen. Obwohl die Aufgabe schier unlösbar erschien, krochen zwei von den Wesen unter einem der Lastzüge durch, und einem von ihnen gelang es, die Drehtür zu betätigen und ins Innere zu gelangen. »Es kommt ganz darauf an, wie viele von ihnen noch im Gebäude .sind«, sagte Peter zu Steve, als sie über den Lageplänen kauerten. Sie hatten wieder Zuflucht im Lagerraum gefunden und die Barrikade an der Feuertür 'noch verstärkt. »Der Weg zwischen den Eingängen ist lang.« »Hm. Wenn wir noch Signalbomben finden . . , oder vielleicht Propangasflaschen...« 147
»Zuerst Waffen. Waffen und Munition«, sagte Peter entschieden. Roger, der in der Nahe lag, stöhnte vor Schmerzen. Fran kniete vor ihm und verband seine Wunde, nachdem sie aus dem Sanitätskasten Jod genommen und sie gereinigt hatte. »Bist du sicher, daß du es schaffst?« sagte Peter. »Beeilt euch, verdammt!« fauchte Roger. Er wollte vor Pe-
ter keine Schwäche zeigen. Seine Wunde beunruhigte ihn aufs stärkste, und er hätte sich am liebsten irgendwo verkrochen. Es gab auch keine wirksamen Schmerzmittel. Er mußte die Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Sein Gesicht verzerrte sich, als wieder eine Schmerzwelle sein Bein durchflutete. Er sah, wie Peter Steve in eine Ecke winkte. Der ernste Aus- . druck auf Peters Gesicht verriet, daß er wieder einen Raubzug plante. Steves Angst war unverkennbar. Er wechselte noch einige Worte mit Peter, dann hastete er zu Fran und flüsterte mit ihr. Wofür halten die mich? dachte Roger. Bin ich ein
Baby? Fran explodierte plötzlich. »Was denkst du dir eigentlich?« fuhr sie Steve wild an. Er versuchte sie zu beruhigen, aber sie drehte sich auf dem Absatz um und zog sich in eine Ecke zurück.
Ein Deckengitter klappte herunter, und eine hochgewachsene Gestalt sprang herab. Sie landete auf dem Boden des Sportartikelgeschäfts. Es war Peter, ein Gewehr über der Schulter, einen leeren Rucksack auf dem Rücken. Er hatte einen Schlüsselring aus der Zentrale am Gürtel befestigt. Ein Untoter, der die Bewegung wahrgenommen hatte, setzte sich sofort in Bewegung. Der Zugang zu diesem Laden war zur Galerie hin offen. Ein zweites Totenwesen wurde aufmerksam, schloß sich dem ersten an, und sie drangen in das Geschäft ein. Eine Sekunde danach ließ sich Steve in das halbdunkle Innere des Ladens hinab. Er hatte sich alles, was er brauchte, um148
gehängt. Sein Bück fiel auf den ersten Untoten. Peter hatte noch nichts bemerkt und war gerade dabei, sein Gewehr von der Schulter zu nehmen. Steve ließ sich herunterfallen, überschlug sich und rammte einen Schaukasten, dessen Inhalt durch die Gegend flog. Peter fuhr herum, legte an und feuerte ohne jedes Zögern auf das herankommende Wesen. Steve raffte sich vom Boden auf und sah den zweiten Zombie heranstürzen. Steve packte eine große Armbrust in seiner Nähe, spannte sie und drückte ab. Die Saite surrte. Der kleine Bolzen durchschlug den Schädel des Zombies, und das Wesen taumelte noch ein paar Schritte weit, bevor es zusammenbrach. Steve starrte es entgeistert an. Peter schlug ihm auf die Schulter, und er kam zu sich. Sie liefen gemeinsam zum Eingang. Peter sprang auf eine Theke, vermochte die Unterkante des Zuggitters zu fassen und sie herunterzuziehen. Steve griff unten zu und rammte es in die Verriegelung, gerade als der nächste Untote stöhnend dagegenprallte. Steve riß sein Gewehr von der Schulter und wollte feuern, als Peter von der Theke sprang und ihn zurückhielt. »Nicht durchs Gitter. Wenn du danebenschießt, surren die Querschläger hier im Laden herum.« Ein Zombie krachte mit voller Wucht gegen das Gitter, und Steve zuckte zusammen. »Er kann nicht herein«, sagte Peter beruhigend. »Los.« Sie hetzten zurück durch den Laden, und Peter griff nach einer Hochleistungswaffe mit Zielfernrohr. »Ha«, sagte er, »der einzige, der mit so einem Superding danebenschießt, wäre der Kerl, der Geld genug hat, es sich zu kaufen.« Steve war hinter die Theke gehastet und zog Schachteln mit Pistolen und Revolvern heraus. Inzwischen fand Peter Lederhalfter und Munitionsgürtel. Er nahm noch einige Gewehre aus dem Gestell. 149
»Wartet nur, ihr da draußen«, schrie Peter den Zombies plötzlich zu. »"Wir kommen . . . und diesmal sind wir vorbereitet!« Bis Peter und Steve wieder in den Kabelkanal hinaufgestiegen waren, hatte Fran mit Roger über die Pläne gesprochen, die sie unsinnig fand, aber Roger war voll und ganz dafür. Sie legten alle Gürtel mit zwei Halftern an, in denen Pistolen oder Revolver steckten. Jeder hatte ein Gewehr umgehängt und trug ein zweites in der Hand. Um die Hüften hatten sie Munitionsgürtel geschlungen, und sie trugen Rucksäcke mit Vorräten. Sie hoben Roger in den großen Wagen, mit dem Peter das erste Beutegut herangekarrt hatte. Peter drängte die anderen zur Eile, während er Roger vor sich herschob. Als sie die Galerie erreichten, stellten sie fest, daß nur wenige der Wesen zu sehen waren. Die lebenden Toten drehten sich verwirrt nach ihnen um. Roger, der die Hände frei hatte, feuerte mehrmals auf die in der Nahe befindlichen Untoten.
Die Wesen aus der Haupthalle darunter begannen zu den Treppen zu streben, während die verwesenden Leichen der bei früheren Kämpfen ausgeschalteten Zombies überall herumlagen. Fran und Steve erreichten den Eingang zum Kaufhaus als erste. Steve machte sich sofort über die Gitterverriegelungen her. Peter brachte den Wagen mit seinen Gummirädern zum Stehen und drehte ihn um hundertachtzig Grad, damit Roger freie Sicht auf den Eingang hatte. Während Steve am zweiten Schloß arbeitete, trat Peter den vereinzelten Zombies gegenüber, die sich auf der Galerie herumtrieben. Er hob seine neue Waffe und starrte durch das Zielfernrohr. Ein Schuß löste sich, und eines der Wesen fiel um, genau in die Stirn getroffen. Peter grinste schief, legte wieder an und erzielte einen zweiten und dritten Kopfschuß. Inzwischen feuerte auch Roger, 150
wenngleich nicht mit solcher Treffsicherheit. Während Fran bereitstand, öffnete Steve das letzte Schloß. Sie drückte das Gitter nach oben. Steve half Ihr, achtete aber darauf, daß ihm das Gitter nicht entglitt. Peter hatte ihnen genaue Anweisungen gegeben, und es kam ihnen nicht nur darauf an, den Zombies zu entwischen, sie wollten bei Peter auch einen guten Eindruck machen. Fran trat ins Kaufhaus, gefolgt von Peter, der den Wagen hinter sich herzog. Dann zogen Peter, Steve und Fran das Gitter wieder herunter, lange, bevor eines der untoten Wesen ihnen folgen konnte. Wieder hämmerten die Zombies an das geschlossene Gitter, aber die vier liefen bereits zwischen den Verkaufstischen dahin und nahmen das Getöse nur undeutlich wahr. »Wie ist die Fahrt?« sagte Peter zu Roger, als er ihn in den Lift schob und auf den Knopf drückte. Die Türen schlossen sich, und der Aufzug fuhr hinunter. »Bißchen holperig«, sagte Roger leichthin, aber Peter spürte, daß er große Schmerzen litt. Er legte kurz die Hand auf die Schulter des anderen. »Hör mal. . .« sagte er mit brüchiger Stimme. Roger sah ihn verlegen an. »Ich weiß, ich weiß .. . schon gut«, sagte er. Sie hatten beide viel durchgemacht, und es fiel nicht leicht, in Worte zu kleiden, was sie fühlten. Die Aufzugtüren öffneten sich, und Peter schob den Wagen hinaus ins Untergeschoß. Seine Miene ließ nichts von dem erkennen, was ihn Augenblicke zuvor bewegt hatte. Fran und Steve liefen die Rolltreppe hinunter und stürmten in die Eisenwarenabteilung, wo Steve ein paar Propangasbrenner an sich riß und Fran Ersatzflaschen in ihren Rucksack stopfte. Fran hielt zwei Brenner in der Hand, und Steve zündete sie an. Ein gewaltiges Zischen, und eine der Gasdüsen spie eine
weißglühende Flamme hinaus. Peter schob den Wagen zum unteren Eingang. Mehrere Wesen vor dem Gitter schienen in Tobsucht zu geraten, als sie die Menschen sahen. Sie warfen sich gegen die Absperrung, daß sie schwankte, aber sie gab nicht nach. »Das mittlere Schloß zuletzt«, befahl Peter. Steve machte sich mit seinen Schlüsseln Über das rechte Schloß zuerst her. Seine Hände zitterten, als er den Atem der Zombies spürte. Fran hielt einen der glühenden Brenner ganz nah ins Gitter, und die Wesen wichen zurück und bedeckten ihre Augen. Endlich fand Steve den passenden Schlüssel und drehte ihn herum. Er lief hinüber zur anderen Seite, und die Untoten folgten ihm, magnetisch angezogen. Fran hielt mit dem flammenden Brenner Wache. Sie zuckte nicht mehr zurück, wenn die Untoten sich näherten. »Gut«, sagte Peter hinter Steve. »Das Schwierigste wird sein, an denen hier vorbeizukommen . ..« Das zweite Schloß schnappte auf. Die Zombies rüttelten unaufhörlich am Gitter, 'das nun stärker nachgab, weil es nur noch in der Mitte verriegelt war. »Der Weg zum Ausgang ist weit«, sagte Steve, als er an das Mittelschloß trat. Peter verrenkte den Hals, um an den Zombies vorbei durch die Halle blicken zu können. Aus verschiedenen Richtungen näherten sich Untote, von der Aktivität am Eingang angelockt. »Wir schaffen es schon«, meinte Peter, den Blick auf einen der Lastzüge gerichtet. »Es ist zu weit!« rief Fran plötzlich in Panik. »Wir können jetzt nicht umkehren«, sagte Peter beharrlich. »Wir müssen die Türen absperren!« »Wir schaffen es nie bei allen vier«, gab Fran zurück, bemüht, ihre Fassung wiederzugewinnen. »Das Risiko ist einfach zu groß.« 152
»Du bleibst hier und machst uns auf, wenn wir zurückkommen«, sagte Steve beruhigend. Ihre Augen begannen plötzlich zu funkeln. »Der Wagen!« »Was?« sagte Peter erstaunt. »Der Wagen!« Sie wies auf die rotierende Drehscheibe mit dem neuen Auto. Es war ein sportlicher Mustang, der schnell und wendig wirkte. Peter begriff sofort, was Fran meinte. Er sah Roger an, der in den letzten Minuten sehr still geworden war. »Kannst du den Motor anlassen?« fragte er. Roger biß mit schmerzverzerrter Miene die Zähne zusammen, nickte aber und griff nach seinem Rucksack. Die Zombies warfen sich mit größerer Heftigkeit gegen das Gitter. An den unverriegelten Seiten gab es ein wenig nach, aber die Monster vermochten nicht einzudringen. Fran näherte sich dem Eingang und schwenkte drohend den Schweißbrenner. Die Wesen stöhnten auf und wichen zurück. Mit einer Drehung des Handgelenks sperrte Steve das letzte Schloß auf. »Achtung, es geht los«, sagte er warnend. Das Gitter fuhr krachend in die Höhe. Die Zombies stürzten vor, aber Frans Brenner trieb sie zurück. Steve packte mit der einen Hand einen der Propangasbehälter, mit der anderen eine Pistole. Fran zog ebenfalls eine Handfeuerwaffe, und sie feuerten beide in das Rudel von Untoten. Einige von ihnen brachen am Eingang zusammen und warfen einen ParfümSchaukasten um. Andere versuchten näherzukommen, wurden aber von den fauchenden Flammen abgeschreckt. Peter erkannte die Gelegenheit, mit dem Wagen durchzustoßen und stürmte hinaus. Roger umklammerte die Seitenwände des kleinen Fahrzeugs, aschfahl im Gesicht. Peter steuerte ihn durch das Gedränge der Zombies, sie rammten sich hindurch, daß die Wesen links und
rechts umstürzten wie die Kegel. Sie rollten direkt auf das
Auto zu. »Gitter schließen .. . Gitter schließen«, schrie Peter über seine Schulter, während er auf das rotierende Auto zuhetzte. Steve packte das Gitter und zog es herunter. Fran stand daneben, einen der Brenner hoch erhoben, wie eine Karikatur der Freiheitsstatue. »Die Schlüssel, Stephen«, sagte sie plötzlich, als das Gitter herunterrollte. »Die Schlüssel!« Steve hechtete auf das Gitter zu, aber im nächsten Augenblick war es krachend eingerastet. »Um Gottes willen!« sagte Fran, entsetzt von Steves Ungeschicklichkeit. Peter blieb wie angewurzelt stehen, als er Fran aufschreien hörte. Er schaute sich um, aber mehrere Untote waren ihm gefolgt und versperrten ihm die Sicht. Andere Wesen waren vor Steve stehengeblieben, und sie näherten sich, als er durch die kleine Öffnung im Gitter die
Schlüssel hineinzuschieben versuchte. Aber der Ring war zu groß. »Scheißdreck!« schrie Steve wutentbrannt. »Behalt sie ... behalt sie«, kreischte Fran verzweifelt. »Paß auf l« Die Zombies näherten sich Steve von hinten und wollten sich auf ihn stürzen. Er richtete den Brenner auf sie. Sie wichen ein kleines Stück zurück. »Los, Mann! Beeil dich doch!« brüllte Peter, als die Wesen in der Halle näherrückten. Roger feuerte trotz seiner Schmerzen, traf aber nur einen einzigen Zombie. »Steve«, schrie Fran. »Um Himmels willen . . .« Sie riß ihren Schweißbrenner hoch. Steve duckte sich und versuchte, den Schlüssel in das Schloß auf der rechten Seite zu stecken. Die Zombies griffen erneut an. 154
Peter sah sich in einer Zwickmühle. Er begann den Wagen wieder zu schieben und konnte um zwei kleine Gruppen von Zombies herumschlüpfen, während sich aus verschiedenen Richtungen andere näherten. Eines der Wesen packte Steve plötzlich von hinten. Fran stieß die Hand mit dem Brenner nach vorn und konnte den Untoten für einen Augenblick abdrängen. Steve warf sich nach hinten und rammte die Zombies, dann hob er das Gitter einen Spalt (hoch und stieß die Schlüssel hinein. Die Untoten drängten nun heran und stürzten sich auf ihn. Einer umschlang ihn mit den Armen und riß ihm den Brenner aus der Hand. Das Gerät fiel klirrend zu Boden. Steve vermochte es nicht zu erreichen. Verzweifelt versuchte Fran mit der Pistole zu zielen. Durch das Gitter konnte sie jedoch nicht schießen. Sie verfolgte entsetzt, wie Steve am Boden hin- und herrollte, um sich dem Ansturm der Untoten zu erwehren. Die Zombies warfen sich zu viert über ihn. Er rollte sich auf den Rücken, zog die Beine an und stieß zwei von ihnen weg, schob sich auf einen Ellenbogen und schoß mit der Pistole einen Zombie nieder. Dann kroch er zum Brenner hin und packte ihn mit der freien Hand, wahrend die Wesen sich an seiner Hose, an seinem Hemd festklammerten. Sie gingen nach keinem System vor, sondern ergriffen einfach, was sich gerade anbot, und sie waren so viele, daß Steve das Gleichgewicht verlor. Trotzdem konnte er die Flamme hochreißen und die Zombies damit versengen. Sie zuckten für Augenblicke zurück, und er vermochte davonzukriechen, sich aufzuraffen und durch die Halle zum Auto zu stürzen. Vor dem Ausstellungsstück brachte Peter den Wagen zum Stehen, obwohl zwei von den wandelnden Toten ihn fast schon erreicht hatten. Er fuhr herum, legte das Gewehr an und feuerte. Roger nahm seine ganze Kraft zusammen und zog sich aus dem Wagen. Er hinkte zu dem neuen Auto, wahrend Peter
zwei Volltreffer erzielte. Die Drehscheibe rotierte langsam, aber Roger verlor, geschwächt durch seine Verletzung, das Gleichgewicht, stürzte und rollte gegen das Auto. Die Drehscheibe trug ihn einem anderen Zombie entgegen. Hilflos, vergeblich die Arme nach der Fahrertür des Mustang ausgestreckt, besaß er nicht einmal mehr die Kraft, aufzuschreien. »Vorsicht, Roger«, schrie Steve, der herangelaufen kam. »Roger!« Roger drehte den Kopf und sah den Untoten im letzten Augenblick, bevor dieser ihn packen konnte. Die Hände des Ungeheuers krallten sich an Rogers Verband fest und zerrten daran. Das Blut lief über die gekrümmten Finger, und Roger schrie vor Schmerzen auf. Peter sprang auf die Drehscheibe und beugte sich über die Kühlerhaube. Er feuerte einen Schuß in den Schädel des Wesens ab, das wie von einer Riesenfaust nach hinten geschleudert wurde. Peter hetzte zu Roger und versuchte ihm aufzuhelfen. Gemeinsam öffneten sie die Fahrertür, und er schob seinen Freund vorsichtig auf den Sitz. Roger machte sich sofort an die Arbeit, obwohl er nur halb bei Sinnen zu sein schien. »Einsteigen!« rief Peter, als er Steve herankommen sah, verfolgt von den Zombies. Wie auf einen Schlachtruf hin strömten die Wesen aus allen Richtungen in die Halle. Steve sprang auf die Plattform und hechtete zusammen mit Peter in das Auto. Sie warfen die Türen zu und vergewisserten sich, daß sie verriegelt waren. Roger mühte sich am Armaturenbrett immer noch ab. Der Schweiß tropfte ihm von Stirn und Hals, und in seinem Gesicht zuckte es unaufhörlich. Die Anführer der verschiedenen Zombiegruppen erreichten die Drehscheibe. Einige stürzten, als sie hinaufzusteigen versuchten, aber andere hatten Erfolg und wankten hinüber zum
Mustang. Sie hieben mit den Fäusten auf die Fensterscheiben
ein. Für Fran war es ein alptraumhafter Anblick: die Männer kauerten in dem schimmernd neuen, langsam rotierenden Automobil, umgeben von den lebenden Toten, die auf das Fahrzeug einhieben und die Türen aufzureißen versuchten. Sie sperrte das Seitenschloß des Gitters wieder ab, das Steve geöffnet hatte, um die Schlüssel hineinstoßen zu können, richtete sich auf und versuchte zu erkennen, was am Auto vor sich ging, aber das Gedränge der Zombies versperrte ihr die Sicht. Sie konnte nur das Stöhnen der Untoten und ihr dumpfes Hämmern auf dem Autoblech hören. Mit einem Seufzen der Hoffnungslosigkeit stellte sie den Brenner ab. »Ich fahre . . .« rief Steve, als der Motor ansprang. Roger lächelte schwach. »Es geht schon«, sagte er dumpf. Er biß die Zähne zusammen, als er sich hinter dem Lenkrad aufrichtete. Sein ganzer Körper zitterte, aber er biß sich auf die Unterlippe und legte den Gang ein. Mindestens acht Zombies krochen wie Ungeziefer auf dem Fahrzeug herum, und immer mehr näherten sich aus der Umgebung. Roger wartete geduldig, bis die Drehscheibe eine günstige Position erreichte. Als der Bug genau auf die Halle zielte, gab er Gas, und der Wagen rollte hinunter. Die Männer auf dem Rücksitz starrten entsetzt hinaus, als die Zombies unbeirrt auf den Fenstern herumhieben und sich an die Scheiben preßten. Die Vorderräder rollten von der Plattform und hüpften auf den Hallenboden, aber der Rahmen der Karosserie blieb hinten einen Augenblick lang hängen. Die Drehscheibe rotierte weiter und nahm das Heck mit. Roger trat stärker auf das Gaspedal, die Hinterräder drehten durch und faßten endlich. Der Wagen schoß hinaus in die Halle. Einige Zombies hielten sich immer noch fest, fielen der Reihe nach aber alle herunter, um schnell wieder aufzustehen und dem Fahrzeug zu folgen, während der Auspuff dicke Wolken in ihre Gesichter blies.
Der Wagen geriet auf dem glatten Boden ins Schleudern. Einen Augenblick lang schien es, als wären Rogers Schmerzen zu stark und er verliere die Kontrolle über das Fahrzeug, steuere geradewegs auf eine Marmorsäule in der Halle zu. Roger gelang es jedoch, das Auto abzufangen und auf den Eingang zuzusteuern. Ein Zombie trat dem dahinfegenden Wagen in den Weg, die Arme ausgestreckt, und wurde mitleidslos zermalmt. Fran konnte das Fahrzeug beobachten, als es um die Ecke bog und direkt auf den Haupteingang zusteuerte, den sie von ihrem Platz aus im Blickfeld hatte. Die Zombies am Eingang waren bereits auf dem Rückweg in die Halle, angelockt von Lärm und Aufruhr. Der Mustang brauste ihnen entgegen und schleuderte die Körper in alle Richtungen. Roger, schweißüberströmt, die Zähne zusammengebissen, riß den Wagen herum, daß die Reifen quietschten, und kam genau vor den Türen zum Stehen. Der schwere Lastzug blockierte den Zugang, aber vereinzelten Untoten war es doch gelungen, Ins Gebäude eirizudringen. Unter dem langen Lastzug krochen einige von ihnen heran, und der erste von ihnen schien es beinahe schon geschafft zu haben. Peter und Steve warfen sich gegen die Tür. Steve richtete seinen Schweißbrenner direkt auf die robbenden Wesen. Das erste zog seinen Arm zurück, aber die anderen wanden und krümmten sich unter dem Fahrzeug. Ein Bild zuckte durch Steves Gehirn - das war beinahe so wie auf einer mittelalterlichen Darstellung des Höllentores. Für den Bruchteil einer Sekunde begann er in Frage zu stellen, was er tat, aber er schob den Gedanken sofort beiseite. Peter lief zum Auto zurück und suchte nach den Schlüsseln. Nach wenigen Sekunden fand er den richtigen heraus und sperrte die Türen ab. 158
»Noch immer nicht hundertprozentig«, sagte er zu Roger, »aber ich glaube nicht, daß sie es jetzt noch schaffen.« »Können sie das Glas nicht zerschlagen?« »Sicherheitsglas . . . ziemlich unempfindlich , . . Unter dem Lastzug können sie nicht ausholen.« Er drehte sich um und betrachtete die Lage. »Gib mir die Alarmgeräte.« Steve kramte in seinem Rucksack und holte zwei tragbare Einbruchsalarmgeräte heraus, die mit Batterien betrieben wurden. Peter schaltete die Anlagen ein und stellte sie an den Fuß der jetzt abgesperrten Türen. Während er dort kauerte, tobten auf der anderen Seite die Zombies, denen der Zugang versperrt war. »Ich hoffe, daß sie gehen, wenn sie dahinterkommen, daß sie nicht hereinkönnen«, sagte er zu Steve, während sie in die Halle zurückblickten, wo sich bereits wieder Untote näherten. Die Männer sprangen schnell wieder in den Mustang, und Roger gab Vollgas. Wieder fetzte das Auto durch die Reihen der anstürmenden Zombies. Sie fielen um wie Pappfiguren und wurden von den Rädern zerquetscht.
Obwohl Fran unmittelbar nichts zu befürchten hatte, war sie vor Angst halb gelähmt, als sie verfolgte, wie der Wagen durch die Halle brauste. Eine dumpfe Stimme tönte aus ihrem Funksprechgerät. »Alles okay«, sagte Steves Stimme. »Wir schaffen es ... keine Sorge.« Sie starrte hinaus durch das Sperrgitter. Die überlebenden Zombies in der Halle wankten dem Fahrzeug kraftlos nach. Fast hundert Leichen lagen verstreut; einige begannen sich wieder zu bewegen, während ihr Blut sich mit Staub und Abfall mischte. Der Mustang raste auf den zweiten Eingang zu und kam schleudernd zum Stillstand. Die Männer sprangen heraus, und auch hier versuchten Zombies, unter dem Lastzug durchzukrie159
Peter hat nur noch den einen Gedanken: so viele Zombies wie möglich zu vernichten. Aber es kommen immer neue ... (Ken Foree.)
chen. Die Männer konnten sie jedoch mühelos fernhalten, die Türen absperren und die Alarmgeräte aufstellen. Sie arbeiteten Hand in Hand, stumm, ohne überflüssige Bewegungen. Als sie fertig waren, drehten sie sich um und starrten in die Halle. Die Wesen schienen sich nicht mehr so eng zusammenzudrängen, aber ihre Zahl hatte sich dem Anschein nach vergrößert. »Was glaubst 'du, wie viele hier sind?« fragte Steve. »Keine Ahnung«, sagte Peter. Er schüttelte den Kopf und streckte die Arme aus. »Allzu viele sind es nicht. Wir erledigen sie auf jeden Fall. Wir sperren alles ab, dann gehen wir auf die Jagd!« Seine Augen glitzerten. Steve spürte einen kalten Hauch am Rücken, als der Farbige das Gewehr hob und in sein Zielfernrohr blickte. Peter richtete die Mündung auf eines der Wesen, das durch die Halle wankte. Das Gesicht wirkte im Fernrohr vergrößert und verzerrt. Peter zog den Abzug durch, und der Schuß löste sich mit ohrenbetäubendem Krachen. Nach dem Einschlag behielt er das Auge am Zielfernrohr und sah zufrieden, wie es dort rot aufquoll. Volltreffer, dachte er triumphierend.
IO
Der Tag war bedeckt und kühl. Die Nacht senkte sich auf die einsame Landschaft herab. Die Untoten auf dem riesigen Parkplatz versammelten sich um die Lastzüge, die den Zugang zu ihrem Unterschlupf versperrten. Im Mondschein glich das Stöhnen und Ächzen der lebenden Leichen dem Geheul von Hunden. Manche der untoten Wesen robbten wieder unter die Fahrzeuge, ohne einen Weg in das Innere des Gebäudes zu finden. Sie schlugen an die Türen, kratzten mit den Fingernägeln an
den Scheiben, aber sie erreichten nichts. In ihren nicht-denkenden Gehirnen hatte irgendein Instinkt den Impuls ausgelöst, sich gegen die Glaswände zu werfen, immer wieder, in monotoner Folge. Im Inneren waren die Geräusche nur gedämpft zu vernehmen. Obwohl die Drehtüren abgesperrt waren, schienen sie die schwächste Stelle zu sein; trotzdem gelang es den herankriechenden Ungeheuern nicht, in das Gebäude einzudringen. Auf der anderen Seite der Fassade bot das Auto zusätzlichen Schutz. Überdies hatte man einige Alarmgeräte auf das Dach des Wagens gestellt, um vor jeder Annäherung gewarnt zu sein. Wie auf einem Schlachtfeld nach einem wütenden Kampf Mann gegen Mann lagen die Leichen der Untoten auf dem Boden der Halle verstreut. Der einzige Unterschied zu anderen Schlachtfeldern bestand darin, daß die Toten alle von der einen Seite stammten. Hier gab es kein Ost gegen West, Nord gegen Süd, Reich gegen Arm, eine Kultur oder Religion gegen die andere. Die vier Menschen waren die Sieger oder sie würden die Opfer sein, und sobald einer von ihnen sein Leben verlor, verminderte sich die Aussicht der anderen davonzukommen erheblich. Es war eine unheimliche Gegenüberstellung - die blutigen, stinkenden Leichen inmitten des glitzernden, jetzt im Dunkel versinkenden Einkaufszentrums. Die zusammengesunkenen, schattenhaften Gestalten lagen dort, wo frohe, fleißige Familien umhergeschlendert waren, um zu erwerben, was die gewaltige Maschinerie von Industrie und Handel für den leicht zu beeinflussenden Verbraucher erzeugte. Nun war aus dem Prachtbasar ein Massengrab geworden. Die Gruppe der vier Menschen tauchte auf der Galerie auf. Sie traten an die Brüstung und blickten hinunter in die riesige Halle. Sie sahen aus wie Guerillakämpfer in einem fremden Land, die Waffen auf den Rücken geschnallt, die Gesichter 162
Überall im Kaufhaus liegen Zombies herum, die von Rogar, Peter und Steve durch Kopfschuß erledigt worden und nun endgültig tot sind.
von Schweiß und Schmutz gezeichnet, die Augen stumpf vor Erschöpfung und dem Grauen, das sie wahrgenommen hatten. Sie hatten den Tempel erobert und betrachteten nun ihre Beute. Selbst Roger schien trotz seiner Qualen zu triumphieren, als er ans Geländer humpelte und sich dort festhielt. Fran blickte mit gemischten Gefühlen auf das schaurige Bild hinunter. Sie sah die vielen Gestalten nicht als Menschen, auch wenn die meisten von ihnen nur kurze Zeit zuvor ihr still verzweifeltes Leben gelebt hatten. Es war ein unerträglicher Gedanke, so sterben zu müssen, und sie konnte nur hoffen, daß es schnell gehen würde, wenn sie an der Reihe war. »Wir ziehen die Wand hier hoch«, sagte Peter zu Steve, als sie in den Lagerraum zurückgekehrt waren. Sein Bleistift zielte auf einen Plan des Verwaltungstrakts. Er zog eine Linie von den Waschräumen am Ende des Flurs bis zur Feuertreppe. »Vom letzten Büro führt keine Tür in das Waschzimmer, also werden wir von dort aus nicht belästigt und können trotzdem jederzeit zu den sanitären Anlagen.«
»Warum verrammeln wir nicht einfach die Treppe?« fragte Steve. »Viel Kraft haben die Wesen ohnehin nicht.« »Die machen mir keine Sorgen«, sagte Peter. Er sah den jüngeren Mann an. »Früher oder später könnte aber eine Militär- oder Polizeistreife vorbeikommen . . , oder auch Plünderer. Ich möchte verhindern, daß irgend jemand vom Vorhandensein der Treppe auch nur etwas ahnt.« Sie blickten alle auf den Lageplan. Auf der einen Seite befanden sich -die Büros, rechts davon die Waschräume, darüber die Kabelkanäle mit den Deckengittern. Der Korridor führte an den Zimmern vorbei zur Nottreppe, den Waschräumen unmittelbar gegenüber. An der Stelle, wo die Wand der Waschräume an die des Flurs anschloß, wollte Peter die Zwischenwand errichten, damit es für jeden, der von innen her kam, so aussah, als sei der Flur dort zu Ende, während die Flüchtlinge über fließendes Wasser und Toiletten verfügen würden.
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»Die Kabelkanäle führen bis in die Waschräume«, erläuterte Peter. »Wir müssen sie als Zugangswege benützen. Alles von größerem Umfang, das wir braudien, schaffen wir herauf, bevor die Wand errichtet wird.« Fran saß bei Roger und machte sich Sorgen um seinen Zustand. Seine Kleidung war naßgeschwitzt, seine Haare klebten an der Stirn, und die Augen zuckten unter den geschlossenen Lidern hin und her. Sie fürchtete, daß er sich im Delirium befand. Seine Haut war brennend heiß. Sie hatte ihm immer wieder feuchte Tücher auf die Stirn gelegt und versucht, es ihm so bequem wie möglich zu machen. Sie wusch ihm Gesicht und Hals, dann merkte sie, daß er fröstelte. Sie wickelte ihn fester in die Decke und tätschelte ihn, später ging sie zu Peter und Steve. »Er scheint zu schlafen«, sagte sie und wies mit dem Kinn auf Roger. »Gut«, sagte Peter leise. Es fiel ihm schwer, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. Das war schon seit seiner Kindheit so gewesen. Bei allem, was ihm nahegegangen war, hatte er versucht, sich zurückzuziehen, Abstand zu gewinnen. Fran ging zu ihrer kleinen Apotheke, die sie auf einem der Kartons aufgebaut hatte. . »Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun'kann . . .« murmelte sie mit einem verstohlenen Blick auf Roger. Steve stand auf, wischte sich den Staub von der Hose und ging zu ihr. »Du tust sehr viel«, sagte er und legte den Arm um ihre Schulter. Fran sah zu ihm auf, Tränenspuren im Gesicht. Ihr Haar hing in Strähnen herab, ihre Haut war fahl, unter den Augen hatte sie dunkle Schatten. Steve wußte, daß er nicht besser aussah. Sie lebten nicht mehr - sie vegetierten nur dahin. Er sehnte sich nach der behaglichen Eintönigkeit seines vergange165
nen Lebens, nach allem, was ihn von diesem Alptraum erlösen konnte. »Sein Bein sieht furchtbar aus«, sagte Fran leise. »Die Infektion breitet sich sehr schnell aus. Können wir ihn nicht mit dem Hubschrauber wegbringen? Er braucht einen Arzt.« Steve sah sie eine Weile nachdenklich an, dann ging er zu Peter zurück.
»Ich habe fünf oder sechs Leute gesehen, die von den Ungeheuern gebissen wurden«, sagte Peter halblaut. »Keiner hat länger gelebt als sechsunddreißig Stunden.« Fran starrte ihn betäubt an. »Peter . . . Peter ... wo bist du?« rief Roger schwach. Peter sah Steve und Fran bedeutungsvoll an und sagte: »Ich bin hier, Kumpel.« Er stand auf und ging hinüber. Roger hatte sich aufgerichtet. Er war noch immer schweißüberströmt und zitterte, und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Fran konnte es nicht mehr aushaken. Sie ging in die andere Ecke und setzte sich auf ein paar Kartons, bedeckte das Gesicht init den Händen. »Wir haben es geschafft, was?« krächzte Roger. »Wir haben sie fertiggemacht.« »Richtig, Rog, das haben wir«, sagte Peter leise. »Nicht wahr?« murmelte Roger müde. »Natürlich. Du hast recht, Roger«, sagte Peter geduldig. »Wir haben sie fertiggemacht, und alles gehört uns!« schrie Roger plötzlich auf. »Alles gehört uns!« Fran, Steve und Peter arbeiteten seit zwei Stunden an der Zwischenwand. Sie hatten einen großen Rahmen aus Balken errichtet und an der Rückseite des Korridors aufgestellt. An den Wänden lehnten Bretter. Steve hieb lange Nägel in das Gerüst. An einer Seite hatten sie bereits Füllplatten eingesetzt, und Peter befestigte den ersten Teil der Außenumkleidung.
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»Das muß für eine Reparatur hingestellt worden sein«, sagte Fran und brachte einen Eimer Farbe aus dem Waschraum mit. Sie stolperte beinahe über das Gewirr von Werkzeugen und Geräten am Boden. . , . Sie hielt den Pinsel mit der Farbe an die Wand. »Paßt ganz genau.« Peter griff nach dem Eimer und stemmte mit dem Schraubenzieher den Deckel auf, tauchte den Finger in die Farbe und schmierte sie an die neue Wand. Er lächelte und nickte Fran zu. »Sonst noch etwas, bevor wir zumachen?« sagte Steve zu ihr. »Nein.« Sie ging durch den Flur zur Haupthalle und dachte an Roger. Vor kurzer Zeit noch war er unten herumgesprungen wie ein kleiner Junge, und nun lag er oben und ging auf entsetzliche Weise zugrunde. Fran schwor sich, nicht denselben Weg zu gehen. Sie konnte die Leichen, die im Flur gelegen hatten, an der Öffnung des Korridors zur Galerie aufgehäuft liegen sehen. »Nein«, flüsterte sie vor sich hin, dann wandte sie sich von dem grauenhaften Anblick ab. Sie trat durch die unfertige Trennwand und lehnte sich an die Mauer. Plötzlich preßte sie die Hand auf den Mund. Steve spürte, daß ihr übel wurde, und er wollte sie stützen, aber sie eilte zum Waschraum. Steve legte besorgt den Hammer hin und folgte ihr. Sie hatte sich wirklich großartig gehalten, das mußte er zugeben. Seit ihrem Ausbruch vor einiger Zeit hatte sie das Kind, das sie trug, nicht mehr erwähnt. Er fragte sich oft, was in ihr vorging, aber er wagte nicht, in sie zu dringen, um sie nicht zu verletzen. Sie kniete am Boden und umklammerte die Schussel, während sie sich erbrach. Er legte die Hand auf ihre Schulter. »Laß mich allein«, sägte sie, ohne den Kopf zu heben. »Das ist mein Problem.« »Fran -« »Geh, Steve. Ich will dich nicht hierhaben.« 167
Steve war einen Augenblick lang wie gelähmt. Er vermochte kein Wort zu erwidern. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. »Ich will nicht, daß du mich so siehst«, stieß sie hervor, bevor sie sich wieder übergeben mußte. »Bitte geh ... ich werde schon fertig damit. Bitte .. .« Er zögerte, dann drehte er sich um und ging hinaus. Fran umklammerte die Schüssel und wartete auf die nächste Ubelkeitswelle, begann erneut zu würgen, aber es waren trokkene, krampfhafte Stöße, aus dem leeren Magen. Sie versuchte zu schlucken und tief einzuatmen, dann sank sie an die Wand und preßte die Hände auf den Bauch. Sie zog an der Wasserspülung, die mit einem häßlichen, rauschenden Gurgeln sie nachzuäffen schien. Sie blickte hinunter auf ihren Bauch, der sich schon zu runden begann. Sie fragte sich bedrückt, welche Auswirkungen all dieses Grauen auf das Ungeborene haben würde. Die seelischen Erschütterungen der Mutter konnten nicht ohne Auswirkung auf das Kind bleiben. Wenn sie lebend davonkommen sollte, würden Kinder die einzige Rettung für diese Welt sein. Vielleicht konnte mit diesem Kind und anderen eine neue Generation entstehen, der das Entsetzen der Älteren fremd war. Steve verließ langsam den Waschraum. »Hier wird es bald grauenhaft stinken, Bruder«, sagte Peter zu ihm. Der Farbige blickte hinunter zu dem Leichenhaufen, »Wir müssen aufräumen.« Er ging, vorbei an den starren Gesichtern der toten Wesen, auf der Galerie in das Büro des Konzernchefs und trat an den riesigen Tresor. Er legte die Hand auf das große Drehrad. »Meist mit einer Zeituhr ausgerüstet«, sagte er zu Steve. »Um neun Uhr auf, um vier Uhr zu. Damit die Bankburschen ehrlich bleiben.« Er drehte das Rad, und die massive Tür öffnete sich. Sie standen vor einem großen Tresorgewölbe. Die Metallwände des Inneren enthielten Depositenfächer und Schränke. 168
An einem Ende des Raumes lagen hohe Stapel von Geldbündeln. Die beiden blieben davor stehen. Sie hatten noch nie in ihrem Leben soviel Geld auf einmal gesehen, Im Grunde eine Ironie des Schicksals, weil das jetzt nicht sehr viel mehr war als wertloses Papier. Sie starrten die Pakete neuer Banknoten an. »Man weiß ja nie«, meinte Peter und stopfte ein paar Bündel in den Rucksack. Steve sah ihn verwundert an. Der Gute schien ihm ein bißchen zu optimistisch zu sein. Aber für den Fall des Falles konnte es vielleicht nicht schaden, einen finanziellen Rückhalt zu haben. Er folgte dem Beispiel des Negers. »Möchte wissen, was sich die Archäologen spater einmal denken«, meinte er und schaute sich im Tresorraum um. »Vielleicht werden sie sich sagen, daß das alles Opfergaben gewesen sind, für irgendwelche Götter . . . wie Grabkammern in einer Pyramide.« »Stimmt ja beinahe auch«, sagte Peter und verließ den Raum. Gemeinsam mit Steve machte er sich daran, die Leichen in den Wagen zu werfen. Sie hatten sich bis zu den Ellenbogen reichende Arbeitshandschuhe besorgt und Taschentücher vor Mund und Nase gebunden, aber trotzdem war der Gestank nahezu unerträglich. Sie schoben eine Wagenladung Leichen durch den Vorraum zum Tresor und kippten sie hinein. Die Toten lagen wirr durcheinander, Arme und Beine in allen Richtungen herausragend. Als die letzte Leiche hineingeschafft war, schlossen sie die dicke Tresortür und verriegelten sie. Sie gingen langsam und stumm zurück zum Korridor. In der Steuerzentrale trat Peter an die Tafel und betätigte den Hebel für die Musikanlage. Steve starrte dumpf vor sich hin. Während Roger unruhig schlief, gingen Fran, Steve und Peter müde durch das verbarrikadierte Gebäude, betraten hier und dort einen Laden und warfen in ihre Einkaufswagen,
was sie brauchten. Das neuartige Gefühl, sich einfach nehmen zu können, was einem gefiel, war verblaßt. Sie wanderten wie Schlafwandler durch die Gänge. Fran schaute sich lustlos in einer Kosmetikabteilung um, Peter stöberte in einer Buchhandlung, griff nach Büchern, legte sie wieder weg. Steve stand vor einem Flippergerät und starrte teilnahmslos auf die hinund herzuckende Kugel. Später winkte Fran den Piloten in eine Ecke des Kaufhauses, wo ein großer Friseurstuhl stand. Sie stutzte ihm stumm die Haare, und sie vermieden es, sich im großen Spiegel anzusehen. Fran bürstete Steve die Haare von den Schultern, und er stand auf. Sie legte die Schere weg und ging zum Zoogeschäft, um mit den kleinen Hunden und Katzen zu spielen. Sie säuberte die Käfige, brachte frisches Wasser und Futter. Mit dem Anflug eines Lächelns sah sie zu, wie die kleinen Tiere sich gierig auf die Schüsseln stürzten. Dann ging sie hinüber zu der Voliere in der Halle und warf den tropischen Vögeln, die darin herumflatterten, Vogelfutter zu. Eine halbe Stunde später versammelten sie sich auf der Galerie. Sie hatten ihre Waffen und das Nötigste zum Überleben dabei, aber Peter trug nun einen breitkrempigen Hut, Fran einen Nerzmantel. Sie starrten dumpf in die leeren Läden hinunter. Leichen waren im Gebäude nicht mehr zu sehen, aber an den Eingängen war immer noch das Poltern und Stöhnen zu hören. Draußen war es ganz durikel, so daß die drei die Untoten nicht sehen konnten, aber ihre Gegenwart war spürbar genug. »Sie sind immer noch da«, sagte Fran tonlos. »Sie sind hinter uns her«, meinte Steve. »Sie wissen, daß wir hier sind.« Peter drehte an der Krempe seines Hutes, der zur Uniform nicht passen wollte. »Sie werden von .dem Ort angezogen«, sagte er zu den bei170
den anderen. »Sie wissen nicht, warum ... sie erinnern sich dunkel . , . und sie wollen hier sein.« »Was, zum Teufel, sind sie bloß?« fragte Fran. Ihre Augen zuckten nervös hin und her. Der Lärm an den Eingängen schien schriller zu werden.
»Sie sind wir, das ist alles«, sagte Peter dumpf. »In der Hölle gibt es keinen Platz mehr.« »Was?« Steve sah ihn entgeistert an. Peter nahm den Hut ab und fuhr mit dem Unterarm über die schweißnasse Stirn. Er lehnte sich an das Geländer und starrte das Paar an. »Mein Großvater hat uns früher solche Geschichten erzählt. Macumba, Wodu. Opa war früher eine Art Priester, in Trinidad. >Wenn in der Holle kein Platz mehr ist, werden die Toten auf der Erde wandeln<, pflegte er immer zu sagen.« Um Roger schien sich alles zu drehen. Er streckte hilflos die Arme aus und fuchtelte in der Luft herum. Er kam sich vor wie in einem rasend rotierenden Riesenrad. Sein Mund Öffnete sich, und er stieß einen gellenden Schrei aus, der tief aus seinem Inneren drang und noch lange nachhallte, nachdem sein Mund sich wieder geschlossen hatte. Er fühlte sich klebrig-feucht, als hätte man ihn in Sirup getaucht und m einen Luftzug gestellt. Sein aschfahles Gesicht verzerrte sich zu einer Schreckensmaske, als die Schmerzfluten durch sein schwarz verfärbtes, angeschwollenes Bein tobten. Sein Arm, verbunden, aber eiternd, war gefühllos. Eine ferne Stimme dröhnte durch seinen pulsierenden Schädel. »Noch mehr Morphium«, sagte Steve, während Fran nach einer der Spritzen griff. In ihrer Hast ließ sie die Ampulle fallen, und sie zerbarst am Boden. In Rogers Ohren klang das wie krachender Donner. »Nimm die nächste ... rasch«, drängte Steve, verzweifelt 171
bemüht, den wild um sich schlagenden Kranken festzuhalten. Nachdem sie die Trennwand im Korridor errichtet hatten, waren sie darangegangen, den großen Lagerraum in verschiedene Zimmer aufzuteilen. In der Mitte gab es einen gemeinsamen Wohnraum, dann drei Schlafzimmer und einen zusätzlichen Raum, in dem Geräte, Arbeitstische, Vorräte und Medikamente untergebracht waren. Es war ihnen gelungen, auch größere Einrichtungsgegenstände heraufzuschleppen, darunter Matratzen, Tische und Stühle, Lampen und ein paar Polsterelemente, die im Wohnzimmer zu einem Sofa zusammengesetzt worden waren. Dazu gab es große Fernsehgeräte, einen Mikrowellenherd und andere elektronische Geräte. Überall lagen zwar noch Kartons verstreut, aber das Ganze begann doch eher wie eine Wohnung auszusehen. Unten überprüfte Peter die Abdeckung an der Unterseite der Trennwand, als er das gellende Schreien hörte. Er lief in ein Bürozimmer und kletterte eine Strickleiter hinauf, die von der Decke herabhing. Er zog sich durch die Gitteröffnung hinein in den Kabelkanal, hievte die Leiter herauf und schloß das Gitter. Er kroch ein Stück durch den Tunnel, erreichte eine andere Öffnung und sprang in den Waschraum hinunter. Dann eilte er an der Rückseite der Abdeckwand vorbei und die Nottreppe hinauf. Während er die Stufen hinaufstürmte, wurden Rogers Schreie immer qualvoller. Peter stürzte in Rogers Zimmer und sah, wie Fran aus Rogers gesundem Arm eine Kanüle zog. Roger strampelte mit den Beinen und fuchtelte mit den Armen herum. Steve versuchte ihn zu bändigen, aber Roger schien trotz seiner Krankheit ungeheure Kräfte zu entwickeln. Peter hastete auf die beiden zu und packte Roger bei den Schultern. Ob es an seiner Kraft lag oder nur an seiner Gegenwart, war nicht zu entscheiden, jedenfalls beruhigte Roger sich. Fran starrte ihn mit verweinten Augen kurze Zeit an, dann ging sie hinaus.
»Geh nur«, sagte Peter zu Steve, nachdem Roger sich hatte zurückfallen lassen. »Ich bleibe bei ihm.« Steve sah ihn hilflos an, zuckte die Achseln und entfernte
sich. Im Wohnzimmer saß Fran in einem aufblasbaren Sessel. Sie fühlte sich wohl darin und suchte oft Zuflucht dort, wenn ihr das, was rings um sie vorging, zuviel wurde. Steve trat hinter sie und legte die Arme um ihren Hals. Sie umfaßte seine Hände und drückte sie. Er schaukelte sie ein wenig hin und her, während sie ins Leere starrte. In Rogers Zimmer war es still geworden. Der Kranke hielt den Atem an und sah zu Peter auf. »Du ... du sorgst für mich, nicht wahr, Peter?« fragte er schwach, beinahe kindlich. Er befeuchtete die Lippen. »Du sorgst für mich . . . wenn ich an der Reihe bin?« Peter starrte an die Wand. »Ja.« »Ich will nicht so herumlaufen wie diese . . . nicht, wenn ich tot bin . . . « Roger versuchte sich aufzurichten, aber Peter drückte ihn sanft nieder. »Ich will nicht so herumtappen müssen . . . « Rogers Augen waren weit aufgerissen und blickten um sich, ohne etwas zu sehen. »Peter? Peter?!« »Ich bin da«, sagte Peter mechanisch. Sein Gesicht war maskenhaft starr geworden. »Du sorgst für mich . . . ich weiß es . . .« sagte Roger flehend. »Ja.« »Peter?«
»Ja, Bruder?« sagte Peter leise. Seine Augen glänzten, seine Lippen hatten sich zusammengepreßt. »Peter, tu es nicht. . . bevor du sicher bist... sicher bist, daß ich ... wiederkomme. Tu es nicht, bis du sicher bist. . . vielleicht komme ich nicht wieder, Peter.« Rogers Stimme wurde schwächer, ein Beben durchlief seinen Körper. »Ich will versu173
dien, nicht...ich will versuchen ... nicht wiederzukommen ...« Sein Körper bäumte sich noch einmal auf, seine Lider zuckten, blieben aber offen. Peter griff über die stille Brust und drückte ihm die Augen zu. Dann blieb er statuenhaft sitzen, während die Tränen über sein staubbedecktes Gesicht liefen. Im Wohnraum drang Mondlicht durch die Dachluke, ein Pfad zum Himmel. Der Weg in die Freiheit durch das Oberlicht war jetzt eine stabile Holzleiter anstelle der Schachtelpyramide. Auf der obersten Sprosse lag eine kleine Pistole. Steve kauerte vor dem großen Farbfernseher, den sie aus dem Kaufhaus heraufgeschleppt hatten. Er hatte eine Drahtantenne gebastelt, die durch das Oberlicht aufs Dach reichte. Er drehte an den Knöpfen, konnte aber nichts Klares finden. In der Nähe stand eine Lampe auf einem Beistelltisch und erhellte den dunklen Kaum ein wenig. Fran stand in der Kochnische. Sie hatten einen massiven Tisch mit vier Stühlen hineingestellt, in der Nähe stand ein Schrank, den sie mit Geschirr und Bestecken gefüllt hatte. Manchmal ertappte sie sich bei dem Gefühl, jung verheiratet zu sein und einen richtigen Haushalt zu fuhren. Sie gab sich große Mühe, nicht an das zu denken, was im Nebenraum vorging. Roger war schon seit geraumer Zeit still, aber weder sie noch Steve besaßen den Mut nachzusehen. Bei jedem Geräusch drehte sie den Kopf, um zu sehen, ob Peter aus dem Zimmer kam. Steve konzentrierte sich auf das Fernsehgerät. Zuerst hatte er es eingeschaltet, um seine Gedanken von Roger abzulenken, aber nun hatte er einen Kanal gefunden, auf dem gesendet wurde, und er hörte den beiden Männern zu, die miteinander sprachen. Einer von ihnen war ein Kommentator, der andere ein Wissenschaftler. Es erstaunte ihn, andere Menschen zu sehen, Menschen, die noch lebten. Die Isolierung hier war so vollkommen. Es war erst drei oder vier Tage her, daß ihr ganzes Dasein auf den Kopf gestellt worden war, aber die Zeit hatte
jede Bedeutung verloren. »Ich muß . .. hier mit meinen Formulierungen . . . vorsichtig sein«, sagte der "Wissenschaftler. Er trug einen Anzug, aber seine Krawatte war zerknittert, sein Kragen offen. Er war unrasiert und sah angespannt aus, mit dunklen Ringen um die Augen. »Wir haben ihre Gewohnheiten nicht studieren können. Wir haben wiederholt verlangt, daß ein Wesen lebend eingefangen wird, damit wir uns gründlich damit befassen können, Wir ... müssen uns über viele Dinge klarwerden, auch über ihre ... Bedürfnisse ...« Der Kommentator trug keine Krawatte. Er sah erschöpft und mitgenommen aus. »Sie meinen ...« »Es geht darum, was sie mengenmäßig als Nahrung brauchen. Wieviel ihnen zur Verfügung steht«, sagte der Wissenschaftler. Er zog seinen Stuhl nach vorn. Im Studio wurde es laut. Der Lärm und das Geschrei erinnerten Steve an die Szenen, die sie bei WGON erlebt hatten. »Lieber Gott«, murmelte er, als er daran dachte, wie fern das schon lag, und wieviel sie inzwischen durchgemacht hatten. Er starrte gebannt auf den Bildschirm. Fran kam hinter ihm herein. »Wir müssen die Wachstumsrate berechnen«, sagte der Wissenschaftler. »Es gibt eine kritische Schwelle. Und was uns zugrunde richtet, ist, strenggenommen, die Verschwendung. Sie nutzen ... sie nutzen vielleicht fünf Prozent des .. . Nahrungspotentials. Wenn die Leiche wiederbelebt wird, ist sie in der Regel noch so intakt, daß sie sehr mobil sein kann. Es besteht ein ökologisches Ungleichgewicht, und sie sind gänzlich unfähig, irgend etwas zu begreifen.« Er wischte sich mit dem Jackenärmel die Stirn. »Was schlagen Sie vor?« Der Kommentator, grauhaarig und unrasiert, starrte seinen Gesprächspartner durchdringend an. Er trug eine randlose Brille, die ihm ständig auf die Nase 175
rutschte. Auch er schwitzte unter den Scheinwerfern. »Wir dürfen uns keine Emotionen leisten«, sagte der andere. »Wir müssen Gegenmaßnahmen ergreifen, oder wir sind alle ... sie können die Wachstums- und Verbrauchsrate nicht steuern. Das müssen wir tun.« »Sie wollen, daß wir ihnen helfen?« sagte der Kommentator entsetzt. »Wenn wir ihnen helfen, retten wir uns selbst. Das ist die einzige Möglichkeit.« Der Wissenschaftler blickte zum Publikum im Studio. Ein Aufschrei beantwortete seine Sätze. Das Bild auf dem Schirm geriet ins Wanken, als stoße jemand gegen die Kamera. »Guter Gott«, sagte Steve erschrocken. Die Worte des Wissenschaftlers drangen hinüber zu Peter. Seine Miene war ausdruckslos und starr. »Ich schlage vor«, fuhr der Wissenschaftler fort, »daß gewisse .. . notwendige Maßnahmen sofort ergriffen werden. Maßnahmen, die für alle Such- und Vernichtungstrupps offizieller Art gelten, solange sie noch aktiv sind ... Krankenhäuser ... Rettungsstationen . . . und für alle , . . Privatpersonen.« Peters Lider zuckten, und er blickte auf das Gewehr, das er auf den Knien liegen hatte. »In Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden sollten die Leichen der frisch Gestorbenen gesammelt und in Kühlfahrzeugen abtransportiert werden ... Man sollte sie köpfen, damit eine Wiederbelebung ausgeschlossen ist . . .« Der Wissenschaftler stieß die letzten Worte hervor, als verursachten sie ihm persönliche Übelkeit. Peters Blick glitt von der Waffe zum Boden, wo Rogers Leiche lag. Sein Gesicht war mit einer Decke zugedeckt. Ein leichter Luftzug vom Ventilator im Wohnraum glitt über die leblose Gestalt und ließ die Decke ein wenig flattern. »Diese Zusammenführung ... diese Zusammenführung«, 176
rief der Wissenschaftler, um den Lärm im Studio zu übertönen. Selbst die Fernsehtechniker schrien auf ihn ein. »Diese ... Zusammenführung könnte ... sie muß erreichen, daß eine Lagerhaltung stattfindet, eine Rationierung... zur Verteilung unter der infizierten Bevölkerung . , ,« Über dem wütenden Geschrei war seine Stimme kaum noch zu vernehmen. »In einem Versuch, in einem Versuch, das sinnlose Gemetzel zu unterbinden ,.. das sinnlose Abschlachten unserer eigenen Gesellschaft ...« Peter blinzelte. Er wollte sich vergewissern, daß er keiner Halluzination erlag. Er wollte Gewißheit haben, daß ihm seine Phantasie keinen Streich spielte, Aber nun wußte er, daß es Wirklichkeit war - Rogers Fuß unter der Decke hatte sich bewegt, es gab keinen Zweifel. Er umklammerte seine Waffe fester, während er sich bemühte, seine Ohren gegen die Worte des Wissenschaftlers zu verschließen. »Die Sezierung... die Sezierung der Leichen k a n n . . . sie kann mit Achtung für die Würde des menschlichen Körpers erfolgen ...« Rogers Arme schienen sich zu bewegen, zu zucken. Die Decke begann über sein Gesicht herabzugleiten. »Die Köpfe ... die Köpfe und die ... Skelette ... können, wo das möglich ist... können identifiziert und in geweihtem Boden ... bestattet werden ...« Im Fernsehstudio brach die Hölle los. Stühle wurden auf das Podium geworfen, und das Bild schwankte heftig. Peter starrte mit einer Mischung von Faszination und Grauen auf Roger, als die Decke weiter herunterglitt. Seine leer starrenden Augen wurden sichtbar ... der schlaff aufklaffende M u n d . . , das ganze grünlich-bleiche Gesicht. Ein durchdringender Gestank erfüllte die Luft. Peter vermochte seinen Augen nicht zu trauen. Die Verwandlung schien jede Fassungskraft zu überfordern. Plötzlich versuchte die Gestalt sich aufzusetzen. Peter kam
mit einem Ruck zu sich und lud durch. Die Leiche setzte sich langsam auf. Sie starrte Peter dumpf an, dann schien sie zu erkennen, wen sie vor sich hatte. Sie schob sich hoch, stand auf. Peter blickte durch das Zielfernrohr auf die Stirn. Auch er stand auf. »Wir müssen emotionslos bleiben ... emotionslos... rational ... logisch . .. wir müssen taktisch denken .,. taktisch!« schrie der Wissenschaftler flehend, während im Studio das Getümmel anhielt. »Sie sind verrückt«, murmelte Steve, den Blick auf den Bildschirm gerichtet. »Sie sind verrückt.« »Es i s t . . . hoffnungslos, nicht wahr? Es ist aus!« sagte Fran stockend. Im anderen Raum fiel plötzlich ein Schuß. Fran zuckte zusammen, verdrehte plötzlich die Augen, schwankte. Steve fing sie auf. Sie kam zu sich, schlang die Arme um ihn und begann hysterisch zu weinen. Steve schloß die Augen, am ganzen Körper zitternd. Augenblicke später wurde das Fernsehgerät abgeschaltet. Steve öffnete die Augen und sah Peter am Apparat stehen, das Gewehr in der Hand. Sein Blick war starr auf den leeren Bildschirm gerichtet. Wortlos löste Steve Frans Arme von seinem Hals und trat auf Peter zu. Er nahm dem Reglosen das Gewehr aus der Hand. Einige Zeit später schafften sie Rogers Leiche in den Tresor hinunter. Sie wechselten kein Wort miteinander. Die Augen des Toten starrten sie mit einem verwirrten Ausdruck an, als sie ihn zu den anderen hineinlegten, Aus der Einschußwunde in der Stirn sickerte Blut. Als die schwere Tresortür sich schloß, betete Peter stumm für Rogers Seele.
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II Zu Anfang fehlte ihnen Roger sehr. Sein Lachen, seine anstekkende Fröhlichkeit hatten als einigendes Band für die kleine Gruppe gewirkt. Immer wieder warteten sie darauf, daß er um eine Ecke biegen würde, durch das Zimmer eilte, voll Lebenskraft und Unerschrockenheit. Nach drei Monaten hatte sich eine Art Normalität herausgebildet. Das Leben ging seinen Gang. Fran lief hinter einem Hündchen her, das unter dem Eßtisch eine Pfütze hinterlassen hatte. »Adam, nicht, nicht!« rief sie, als das Tier durch das Zimmer hetzte und mit dem kleinen Teppich wegrutschte. Sie packte den kleinen Spaniel am Kragen und setzte ihn auf ein paar alte Zeitungen in der Ecke. Als sie sich aufrichtete, wurde sie sich erneut ihres Umfangs bewußt. Niemand konnte mehr übersehen, daß sie schwanger war. Sie wischte sich die Stirn und ging zurück ins Schlafzimmer, das Steve und sie bewohnten. Sie griff nach dem Laken und begann das Bett zu machen. Auf einem kleinen Tisch neben dem Bett stand eine Leselampe, umgeben von den Bestsellern vor vier Monaten, Stapel von alten Zeitschriften und halbleeren Kaffeetassen. Steve und sie hatten sich große Mühe gegeben, das Wohnzimmer behaglich einzurichten. Es gab eine große Couch aus Sitzelementen in braunem Samt, kleine Tische mit Lampen und Aschenbechern und Nippessachen. Der große Fernsehapparat stand zwischen Topfpflanzen, die durch das Oberlicht Sonne bekamen. Der harte Betonboden war mit den schönsten Orientteppichen aus dem Kaufhaus bedeckt. Ein paar Ledersessel vervollständigten die Einrichtung. An den Wänden hingen Poster und Gemälde. Bevor die Zwischenwand geschlossen worden war, hatten sie sogar einen unechten Kamin mit Elektroheizung heraufgebracht. Es sah wahrhaftig wohnlich aus.
Im Eßbereich gab es einen Mikrowellenherd, einen Kühlschrank und anderes. Inzwischen lief Steve im Kaufhaus herum. Er besah sich eine Rechenmaschine und Spiele für Erwachsene. In dieser geschlossenen Umwelt hatte er eine Besessenheit für Spielgeräte entwickelt. Jeden Tag schlenderte er im Kaufhaus herum und probierte alles aus, was ihm unter die Finger kam. Er war sehr in sich gekehrt und verheimlichte manches vor Peter und Fran. Auf dem Dach spielte Peter im hellen Sonnenschein des frühen Morgens Tennis gegen die Wand einer der Aufbauten. Er trug einen Trainingsanzug und Turnschuhe. Sein Aluminiumschläger hieb leuchtorangefarbene Bälle an die Mauer. Sein Gesicht war verzerrt. Das war die einzige Möglichkeit für ihn, seine innere Anspannung loszuwerden. Selbst nach drei Monaten stand Rogers Gesicht mit seinem verwirrten Ausdruck noch immer vor seinem inneren Auge. Peter schnitt einen Ball zu stark an, und er flog über den Aufbau und zur Dachkante, rollte hinüber und auf den Parkplatz hinunter. Er sprang ein paarmal auf und nieder, bevor er zwischen den Beinen der Zombies ausrollte, die noch immer hierhin und dorthin wanderten. Ihre Zahl hatte sich nie wesentlich vermindert, weil immer neue von den Toten auferstandene Wesen verwaiste Plätze einnahmen. Die Wesen drängten sich um die Lastwagen an den Haupteingängen, stöhnten und gurgelten, während ihre Hände nach der Fassade krallten. Es waren Hunderte von lebenden Toten verschiedenen Alters, Geschlechts und Körperbaus. Manche waren angezogen, wie sie aus ihren Häusern gekommen waren, andere nackt, mit blutenden, klaffenden Wunden. Fran ging schwerfällig in der Küche herum und bereitete das Mittagessen für die beiden Männer zu. Sie spielten auf einem Tisch im Wohnraum Karten. In der Tischmitte lagen Hundertdollarscheine. »Mittagessen«, rief sie müde, und die Männer schoben ihre 1'8o
Stühle zurück und gingen zum Eßtisch. Er war gedeckt mit dem Besten an Linnen, Silber, Porzellan und Kristall, was das Kaufhaus zu bieten hatte. Nach einem Essen, das aus Rindfleischeintopf aus Dosen, Gemüse aus Dosen und altem Kuchen bestand, servierte Fran Kaffee. »Seit drei Tagen hat es keine Sendung mehr gegeben«, sagte sie und zeigte auf das Fernsehgerät, das eingeschaltet war. Nur grauer Schnee war auf dem Bildschirm zu sehen, und aus dem Lautsprecher drang ein Zischen. »Warum gibst du nicht auf?« »Vielleicht kommen sie wieder«, sagte Steve mürrisch und starrte in seine Tasse. Peter saß stumm am Tisch. Er hatte seine Portion kaum angerührt. Fran geriet plötzlich in Wut. Sie warf ihre Schürze hin und eilte zum Fernsehapparat, um ihn abzuschalten. Der blaue Lichtschein erlosch, das Zischen verklang. Sie kam an den Tisch zurück. Steve stand auf und ging hinüber. Ohne Fran oder Peter anzusehen, schaltete er das Gerät wieder ein. Peter beobachtete die beiden mit leerem Blick. Die Szene war ihm vertraut. Aus Langeweile und Enttäuschung spielten sie dergleichen jeden Tag. »Was haben wir mit uns gemacht?« fragte Fran tonlos. Steve
kauerte vor dem Apparat und drehte an den Knöpfen. Fran begann den Tisch abzuräumen. Peter berührte ihre Hand. Sie sah ihn an. Seine Augen waren voller Tränen. Am nächsten Morgen fuhr Fran aus dem Schlaf hoch. Sie hatte beschlossen, daß dieser Tag anders sein sollte als die letzten drei Monate. Sie beugte sich über Steve und rüttelte ihn wach. »Steh auf. Du hast es versprochen.« ' Er öffnete ein Auge und drehte sich um. Sie gab ihm einen Stoß. . »Nach dem Frühstück?«
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»Okay, aber steh' endlich auf.« Sie mühte sich von der Matratze. Mit ihrem ständig wachsenden Bauch wurde es immer schwerer, sich zu bewegen. Nach dem Frühstück stiegen die beiden die Leiter hinauf und traten auf dem Dach in grelles Sonnenlicht. Sie kletterten in den Hubschrauber, Fran diesmal auf den Pilotensitz. Steve beugte sich herüber und erklärte Hebel und Knöpfe. Kurze Zeit später begann das ohrenbetäubende Knattern. Die Maschine stieg hoch und schwebte über dem Dach. »Okay, jetzt ganz vorsichtig herunter . . . ruhig . . . ganz vorsichtig«, sagte Steve. Fran war nervös, aber sie kannte sich mit der Steuerung nun schon gut aus. Sie hatte keinen anderen Gedanken mehr, als den Hubschrauber fliegen zu lernen. Sie hatte das Gefühl, daß sie alle verknöcherten, sich zu sehr in sich selbst zurückzogen, und daß es Zeit wurde, auf das Selbstmitleid zu verzichten und einen neuen Antrieb zu finden. Wer konnte es wissen, vielleicht würde im Fernsehen eines Tages die Mitteilung kommen, daß das Schlimmste überwunden war, daß sie in die Zivilisation zurückkehren konnten. Sie wollte sich darauf vorbereiten. In den letzten Monaten hatte sie viel gelernt, vor allem aber das eine: Wenn man überleben wollte, mußte man sich auf sich selbst verlassen können. Sie hatte auch Bücher über natürliche Geburt gelesen und war überzeugt davon, im Notfall ihr Kind allein auf die Welt bringen zu können. Das hatten andere Mütter getan, nicht zuletzt bei den Indianern, und sie würde es auch können. »Ruhig - jetzt stabilisieren«, sagte Steve. »Genau.« Er sah sie an. »So ist es richtig ,.. genau . . . du hast es!« Die Kufen berührten den Boden, und der Hubschrauber sank herab. Sie warf voll Freude die Arme um Steves Hals. Es war seit zwei Wochen das erste Mal, daß sie ihn berührt hatte. »Du hast es geschafft, Schatz, du hast es geschafft«, sagte er. »Gratuliere!«
Sie preßte ihn an sich und küßte ihn mit der Freude einer Zehnjährigen. Es war der schönste Augenblick für sie, seitdem sie sich in das Einkaufszentrum zurückgezogen hatten. Aus der Ferne sah der Hubschrauber auf dem Dach winzig klein aus, das Surren der Rotorblätter war kaum zu hören, aber zwei scharfe Augen hatten alles beobachtet. Ihr Besitzer ließ das Fernglas sinken und wandte sich seinem Begleiter zu. Der erste Mann hieß Thor. Er war gekleidet wie ein Wikinger, komplett mit Pelzjacke, Sandalen, zwei Schwertern mit vergoldeten Griffen an einem breiten Ledergürtel, und langen, strähnigen Haaren, die hinten mit einem, Lederband zusammengehalten wurden. Sein Begleiter trug den Namen Hatchet, seiner Begeisterung für Schmiedehämmer, Beile und Macheten wegen. Er trug hautenge, ausgewaschene Jeans und eine kurze Leinenjacke über dem nackten Oberkörper. Seine Brust war mit einer Schlange tätowiert, die sich am Bein einer Frau hinaufringelte. Die Frau war nackt und enthauptet, ihr Kopf lag zu ihren Füßen. Hatchet trug auf einer Seite eine Augenklappe. Sein Kopf war völlig kahl geschoren, eines seiner Ohren fehlte. Im anderen baumelte ein goldener Ohrring. Die dritte Person, die bei ihnen stand, starrte in die andere Richtung. Es war ein älterer Mann mit langem, weißem Bart, gekleidet in Rot und Weiß, Er sah aus wie ein Weihnachtsmann und wurde auch Jolly Old Saint Nick genannt. »Sie müssen durch das Dach hineinsteigen«, sagte Thor und hob das Fernglas wieder an die Augen. »Menschenskind!« sagte Hatchet. »Vor allen Eingängen stehen Lastzüge.« »Und?« »Was meinst du?« Thor sah ihn an. »Packen wir gleich zu oder warten wir bis heute abend?« »Heute abend!« sagten Hatchet und Old Nick im Chor.
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Nach dem Essen saßen Fran, Steve und Peter im Wohnzimmer und lasen, als eine Stimme aus dem Lautsprecher des Kurzwellenradios ertönte, das sie aufgestellt hatten. »Wir wissen, daß ihr da seid«, krächzte die Stimme. »Wir haben den Vogel auf dem Dach gesehen.« Fran stand auf und trat an das Gerät. Peter setzte sich vor das Mikrofon, zögerte aber. Er war sich nicht klar, ob er antworten sollte oder nicht, Steve kam ebenfalls herüber. »He, ihr . . .« fuhr die Stimme fort. »Könnt ihr Gesellschaft gebrauchen?« Steve öffnete den Mund, aber Peter winkte energisch ab. »Wir sind nur auf der Vorbeifahrt. . . wir könnten einiges gebrauchen ... Wie sieht es aus damit? Können wir reinkommen und uns ausrüsten?« Peter lauschte angestrengt. »Wie viele seid ihr überhaupt?« fuhr die Stimme fort. »Wir sind zu dritt. Könnt ihr nicht noch drei gebrauchen, die schießen können?« »Plünderer«, sagte Peter leise. Niemand würde so dumm sein zu verraten, aus wie vielen Leuten die Gruppe bestand, wenn nicht die Taktik dahintersteckte, aus den anderen ähnliche Informationen herauszulocken. »Na ja, sie wissen, daß wir hier sind«, meinte Fran. »Vielleicht ist es das Beste . . .« »Kommt nicht in Frage«, sagte Peter sofort. Der kleine Hund kroch auf Fran zu, und sie hob ihn hoch und streichelte ihn. »Na, wenn es nur drei sind —« »Wer sagt das?« fuhr Peter sie an. Er schien plötzlich wieder der Alte zu sein, herrisch und kalt. In den vergangenen Wochen war er melancholisch und mürrisch gewesen. Es blieb lange Zeit still. Im Lautsprecher knisterte es. Undeutlich waren Stimmen zu hören, als halte jemand eine Hand über das Mikrofon. Steve wollte etwas sagen. 184
»Psst! Still doch!« fauchte Peter. »Ich bin trotzdem der Meinung -« sagte Fran. Peter sah sie scharf an. »Halt dein Maul und hör zu!« zischte er. Aus dem Lautsprecher klang dumpfes Lachen. Steve starrte Peter an, der den Blick kalt erwiderte. »He, ihr da drinnen«, sagte die Stimme. »Ihr habt euch ordentlich in die Nesseln gesetzt. Wir haben nichts übrig für Leute, die nicht teilen wollen!« Peter stand plötzlich auf, zog seinen Trainingsanzug aus und seine Uniform an. Er schlüpfte in die Kampfstiefel, griff nach seinen Waffen und legte den Gürtel um. Er blickte auf seine Hände hinunter und nahm die teure Elektronikuhr und die Ringe ab. »Los, Mann«, sagte er kalt zu Steve. »Mach dich ran.« Steve zuckte zusammen, dann hastete er davon, um seine Waffen zu holen. Fran stand wie angewurzelt und preßte die Hände auf den Bauch. Der kleine Hund winselte sie an, aber sie beachtete ihn nicht. Die Bande der Plünderer stammte aus einer Großstadt. Ratten, die in den U-Bahn-Tunnels und Abwasserkanälen überlebt hatten, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, ohne Skrupel, ohne irgendeine Spur von Empfindung. Selbst füreinander fühlten sie nicht viel mehr als Verachtung. Sie zogen durch das Land, plünderten, stahlen, sengten und vergewaltigten. Die Frauen, die keinen Widerstand leisteten, wurden mitgenommen. Alle Kinder blieben zurück und konnten sehen, wie sie zurechtkamen. Neben Thor, Hatchet und Old Nick gab es noch andere. Einer sah aus wie ein mexikanischer Bandit, komplett mit großem Sombrero und gekreuzten Patronengurten. In einem Kastenwagen kauerten mehrere Männer und 185
Frauen. Thor stellte das Mikrofon auf das Funkgerät und grinste. Im Fahrzeug lag alles unordentlich durcheinander: leere Konservendosen, ein Arsenal von Waffen, einschließlich aller vorstellbaren Schußwaffen, Beile, Messer und Dynamitstangen. Die Mehrheit der Männer und einige der Frauen waren mit Motorradbanden unterwegs gewesen. Sie besaßen alle schwere Motorräder, verchromt und mit übergroßen Tanks ausgestattet. Sie stiegen jetzt auf die großen Maschinen, Hände schlossen sich um Gasgriffe, Füße traten auf Anlasser. Selbst Thor hatte sich wie die anderen entschlossen, für diese Fahrt Stiefel zu
tragen. Die Motoren brüllten auf, und das Dröhnen drang bis zu Steve und Peter, die bewaffnet über das Dach liefen. Staubund Auspuffwolken wirbelten hoch, als die Maschinen anrollten. Die beiden Männer erreichten die Dachkante und starrten zum Horizont. Zu sehen war nichts, aber der Boden schien zu vibrieren. Peter griff nach dem Fernglas. Durch das Glas konnte er In der Dunkelheit undeutlich Umrisse erkennen. Der Motorenlärm kam näher, und er vermochte die Gestalten auf den Maschinen zu erkennen. Er zählte sie, als sie die Steigung hinaufbrausten. Zwei schwere Motorräder ... noch einmal drei.. . wieder drei . . . insgesamt mußten es mindestens fünfzehn sein. Sie wurden begleitet von zwei Kastenwagen. »Nur drei, wie?« schrie Peter, um den Lärm zu übertönen. Steve traute kaum seinen Augen. »Verdammte Scheiße!« »Sie kommen herein. Sie brauchen nur die Lastzüge wegzufahren«, sagte Peter sachlich. »Unten sind Hunderte Zombies«, sagte Steve kleinlaut. »Hör mal, das ist eine ganze Armee von Profis«, widersprach Peter. »Wenn die Kerle sich die ganze Zeit halten konnten ... Herrgott! Wie viele von den Laden sind offen?« 186
»Ich weiß nicht - einige ...« »Na, machen wir es ihnen nicht zu leicht. Komm!« Sie hetzten über das Dach und stiegen die Leiter hinunter. Das Dröhnen der schweren Motoren war sogar im Wohnzimmer zu hören. Fran sah den beiden verzweifelt nach. Sie warfen ihr nicht einmal einen Blick zu. Fran hielt Steve am Arm fest. »Was ist los?« »Es sind fünfzehn oder zwanzig«, sagte Steve keuchend. »Wir lassen die Gitter herunter.« »Stephen!« »Mehr nicht, keine Sorge!« versicherte er. »Hier oben finden sie uns nie.« Er verschwand durch die Tür zur Feuertreppe, und der kleine Hund hetzte hinter ihm her, mit wedelndem Schwanz und fliegenden Ohren. Fran wollte dem Hund nacheilen, ging dann aber statt dessen zum Vorratsraum, um ihre Waffen zu holen und mit entschlossener Miene zu laden. Vor dem Gebäude fegte der Motorradtrupp auf einen der Lastzüge zu. Im Dunkeln griffen die Untoten nach den vorbeihuschenden Krädern. Die Plünderer stießen ihr Kriegsgeschrei aus, feuerten wie die Wilden und schössen mehrere Zombies nieder. Auf das Getöse hin strömten die wandelnden Toten zusammen und bildeten eine schier undurchdringliche Mauer. Thor riß eines seiner Schwerter hoch, und auf das Signal hin wendeten die schweren Maschinen und brausten zurück über den Parkplatz. Einige Fahrer verloren das Gleichgewicht. Thor hielt auf der anderen Seite der Parkfläche. »Sie werden ausschwärmen und uns verfolgen«, sagte er zu Hatchet und Nick, »und dann rücken wir mit dem Kastenwagen an ...« Die anderen Motorradfahrer scharten sich um ihren An187
führer. Ein grellbunt bemalter Lieferwagen kam herangefegt, und zwei Männer ließen ihre Maschinen stehen und sprangen daran hoch. Thors Freundin Chickie, die er bei einem Überfall in der Nähe von Pittsburgh gefunden hatte, setzte sich ans Steuer des Kastenwagens und ließ den Motor aufheulen. Die Zombies, von dem Lärm angelockt, machten sich auf den Weg zu der Kradbande. Das Gedränge am Haupteingang des Einkaufszentrums begann sich aufzulösen. Im Gebäude sprang Peter durch eine, der Deckenöffnungen in ein Büro, stürmte hinaus und in den Korridor des Verwaltungstrakts. »Zuerst hinunter«, schrie er über die Schulter. »Okay«, keuchte Steve. »Hast du dein Sprechgerät?« »Ja.« »Immer bereithalten.« Draußen fuhr der buntbemalte Wagen mit seinen übergroßen Reifen und einem frisierten Motor heulend auf den Eingang zu. Die Motorradfahrer warteten auf der anderen Seite des Parkplatzes, ihre Motoren im Leerlauf, und feuerten die Insassen des Kastenwagens brüllend an. Das Fahrzeug brach durch die Reihen der anrückenden Zombies. Chickies blondes, strähniges Haar flatterte. Sie war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet und hatte am Gürtel ein langes Klappmesser befestigt. Sie brachte den Wagen neben dem Lastzug zum Stehen, hinten sprangen drei Männer heraus und kletterten in das Fahrerhaus. Die Zombies in der Nähe versuchten sie zu packen, und die Männer mußten sich den Weg freikämpfen. Chickie ließ den Motor aufheulen, während die Untoten wild an die Scheiben hämmerten, riß das Steuer herum und brauste zurück zum Motorradpulk. Die Zombies auf der Parkfläche näherten sich den Maschinen, waren aber noch ein gutes Stück entfernt. Die Bande
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machte sich keine Sorgen. Sie eröffnete das Feuer mit Schußwaffen aller Art und Größe, und das Sperrfeuer war ebenso ohrenbetäubend wie wirksam. Im Kugelhagel stürzten mehrere Untote hin. Andere, zunächst nur verwundete Zombies wankten weiter, um Augenblicke später niedergemäht zu werden. Der Kastenwagen hielt hinter den Maschinen, während die Männer johlend und brüllend ihr Scheibenschießen auf wankende Untote veranstalteten.
Im Untergeschoß des Einkaufszentrums hetzten Peter und Steve von einem Laden zum anderen, um die noch offenen Gitter herunterzulassen. Im Hintergrund war das Dröhnen und Bellen der Schußwaffen zu hören. Sie ließen den Eingang zu Porters Kaufhaus bis zuletzt offen, um notfalls dort nach oben gelangen zu können. Einer der Kradfahrer hielt am Sauelschlepper Wache und schoß die Zombies nieder, die zur Beifahrertür gelangen woll-
ten. Inzwischen versuchte einer seiner Genossen die Zündung kurzzuschließen und stellte zu seiner Überraschung fest, daß der Motor sofort ansprang. »Mensch«, sagte er staunend, als er auf das Gaspedal trat und den Motor aufheulen ließ. »Wie bestellt!« Als der Lastzug anrollte, stürzten die Zombies sich stöhnend und gurgelnd auf die Seitenwände. Im Inneren des Gebäudes hob Steve den Kopf, als er den Lastzug anfahren hörte. Er preßte die Lippen zusammen und hetzte Peter nach, der gerade das Gitter vor der Apotheke herrunterrasseln ließ. Peter lief weiter zum Kaufhaus, rannte
die Rolltreppe hinauf und stürmte in das Obergeschoß, während Steve das Eisenwarengeschäft absperrte. Inzwischen rollte der schwere Lastzug vor dem Eingang davon. Die Motorradfahrer auf dem Parkplatz stießen ein Triumphgeheul aus. Die Untoten unternahmen keinen Versuch, in das Gebäude einzudringen; ihre ganze Aufmerksam189
keit galt den Plünderern. Von allen anderen Haupteingängen her strebten Zombies zum Parkplatz. Auf der anderen Seite der Parkfläche ließen die Bandenmitglieder die schweren Motoren aufheulen. Die drei Männer sprangen aus dem Führerhaus und liefen auf die Türen zu, im Laufen auf die Zombies feuernd. Einige Untote stürzten hin, andere griffen nach den vorbeistürmenden Männern. Ein Plünderer in Drillichuniform wurde von einem hünenhaften Zombie niedergerissen, aber seine Kameraden achteten nicht darauf. Sie liefen weiter zum Eingang. Der erste erreichte ihn und warf sich gegen die Tür, die verschlossen war. Er packte seine Maschinenpistole und zerschoß die Scheiben. Die Männer drängten hinein. Die kleinen Alarmgeräte wurden umgerannt und begannen schrill zu heulen. Die schweren Stiefel der Angreifer zertrampelten sie. Peter riß die Sperrgitter im Obergeschoß herunter, als er das Alarmgeheul hörte. Er stürzte über die Galerie. Einer der Angreifer hörte das Gitter rasseln und sah Peter am Geländer. Er eröffnete das Feuer mit seiner MP. Die Salve verfehlte Peter npr knapp, und er warf sich zu Boden und kroch weiter. Inzwischen hatte Steve das Gitter am Eisenwarenladen heruntergelassen und stürzte wie ein Wahnsinniger zum Kaufhaus. Die Angreifer entdecken auch ihn und schössen. Steve hetzte im Zickzack weiter und hechtete in den Eingang, wo er sich in den Schatten warf. Peter sprang hinter dem Galeriegeländer hoch, zielte und drückte ab. Einer der Banditen brach zusammen, eine große Einschußwunde in der Brust. Der letzte Angreifer, es war Thor, warf sich hinter eine Säule, um Deckung zu finden. Steve erkannte seine Gelegenheit, das Sperrgitter zu schließen. Er stürmte hinüber, packte es und riß es herunter. Inzwischen brauste der Pulk auf das Gebäude zu. Jeder Zombie, der sich in den Weg stellte, wurde niedergerissen. 190
Plünderer sind gekommen. Auf ihren schweren Motorrädern preschen sie durch das Kaufhaus. Und hinler ihnen jagen die Zombies her. ..
^ Als die Gruppe das Gebäude erreichte, war Thor schon an den Türen und hatte sie aufgerissen. Das ganze Geschwader fegte mit brüllenden Motoren in die Halle. Die tropischen Vögel in der Voliere kreischten vor Angst. Steve stand am Sperrgitter und starrte mit weit aufgerissenen Augen hinaus. Die schweren Maschinen rasten durch die Halle, die wie bei einem schweren Erdbeben zu erzittern schien. Die Zombies» viele davon verwundet und blutend, wankten ihnen nach. Einer der Banditen an der Tür wurde von den Zombies gepackt und niedergerissen. Steve feuerte hinunter und schoß die Untoten ebenso nieder wie den Plünderer. Der Haupttrupp der Banditen horte die Schüsse und bog in eine Nebenhalle ein. Steve mußte in das Innere des Kaufhauses zurückweichen, um nicht bemerkt zu werden. -. Peter wechselte die Stellung. Die Zombies kamen in das Gebäude zurückgeströmt, und Peter sah verbissen zu, wie seine ganze Mühe zunichte gemacht wurde. Ganz oben unter dem Dach hörte Fran die Schießerei. Sie zitterte vor Angst. Für sie stand fest, daß die beiden Männer nicht die Banditen und die Untoten gleichzeitig abwehren konnten. Sie stand oben an der Feuertreppe, zwei Pistolen im Gürtel, der kaum ihren Bauch zu umschließen vermochte, ein geladenes Gewehr in der Hand. Auf dem Treppenabsatz darunter hüpfte der kleine Spaniel aufgeregt hin und her. »Also«, sagte Thor zu seinen Anhängern, während einige Motorräder auf das Kaufhaus zufuhren. »Zwei von euch halten die Zombies in Schach. Mad Charlie? Ran ans Gitter! Wir müssen den Heckenschützen erwischen.« Thor rollte an, und die übrigen folgten. Peter hatte sie beobachtet und eröffnete das Feuer. Hatchet wurde am Bein getroffen, stürzte, und seine Maschine fegte führerlos in die Reihen der herankommenden Untoten. Die Zombies stürzten sich auf ihre hilflose Beute.
Das Durcheinander war zu groß, als daß Steve und Peter den Überblick hätten behalten können. Beide vermochten nicht die gesamte Halle zu überblicken. Steve konnte Thor hinter einer Säulenreihe halten sehen, wo einige seiner Anhänger abstiegen und die Treppe hinaufliefen. »Sie kommen rauf, Peter«, sagte Steve in das Funksprechgerät. »Sie benutzen die Treppe.« Peter hastete zu einer anderen Stelle auf der Galerie. Plötzlich feuerten die Banditen am Kaufhauseingang mit einer Maschinenpistole auf die Schlösser des Sperrgitters. Zwei flogen auseinander. Steve rannte tiefer in die Verkaufsetage, zwischen Tischen mit Uhren, Brillantringen und Elektronenrechnern. Er drehte sich um. Die Banditen waren nicht zu sehen, aber ihre Schritte konnte er deutlich hören. Steve wurde schlagartig von ungeheurer Wut erfaßt. Er wollte die Rolltreppe hinaufstürmen, überlegte es sich anders und stürzte zum Lift. Er hieb die Faust auf den Knopf, die Türen gingen zu, und die Kabine fuhr hinauf. Peter feuerte immer wieder auf die Männer, die auf die Galerie zu gelangen versuchten. Einer der Banditen brach zusammen, und die anderen suchten Deckung. Als Peter hinaustreten wollte, um die Stellung zu wechseln, erlosch plötzlich alles Licht, die Rolltreppen kamen zum Stillstand. Es herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Die gesamte Stromversorgung war lahmgelegt. Oben stand Fran entsetzt allein im Dunkeln. Sie hörte den Spaniel japsen und tastete sich hinunter.. »Peter, Peter«, sagte Steve in sein Funkgerät. Er tastete im Dunkeln in der steckengebliebenen Kabine herum. Peter stürmte durch das Dunkel und tastete sich vor in den Verwaltungstrakt, lehnte sich an die Wand und lauschte. Das Krächzen seines Funksprechgeräts beachtete er nicht. Die Banditen huschten auf die Galerie und schlichen an den Wänden entlang. Immer mehr ihrer Genossen drangen inzwi-
schen in das Kaufhaus ein, stürzten sich auf die Verkaufstische und nahmen mit, was sie tragen konnten, stopften ihre Rucksäcke voll. Andere nahmen sich die einzelnen Laden vor und zerschossen die Schlösser der Sperrgitter. Die letzten Waffen aus dem Sportartikelgeschäft fanden ihre Abnehmer. Dem Hauptrudel der Banditen gelang es, die heranflutenden Zombies vorübergehend abzuwehren, aber die Untoten erlahmten nicht, während die Banditen zu ermüden begannen. Die Wesen stürzten sich auf sie, rissen hier und dort einen der Banditen nieder, zerfetzten mit Zähnen und Krallen das warme Fleisch. Die qualvollen Schreie der Männer wurden vom Gebrüll der Motoren übertönt, als ihre glücklicheren Genossen in die aufgebrochenen Läden brausten. Chickie hielt mit dem Wagen vor dem Eingang, und zwei von den Motorradfahrern kamen heran und begannen Vorräte zu verladen. Die Zombies waren überall, aber die Banditen gaben sich unbekümmert, bespritzten sie mit Rasierschaum, bewarfen sie mit Spielzeugpistolen und hüpften und sprangen herum wie Irre. Mehrere der wandelnden Leichen folgten den Banditen auf die Galerie. Ein Zombie warf sich über die Leiche des Mannes, den Peter niedergeschossen hatte. Er begann den Toten zu zerfleischen. Ein zweiter Untoter balgte sich mit ihm um die Überreste. Andere Zombies schlichen über die Galerie, nahezu lautlos. Am Zugang zum Korridor tauchten einige Banditen auf, und Peter feuerte sofort. Er tötete einen der Angreifer mit einem Herzdurchschuß, und der Mann wurde an das Geländer zurückgeschleudert, daß die um seinen Körper gewickelten Fahrradketten klirrten. Er kippte hinunter und fiel auf den Marmorboden der Haupthalle. Augenblicklich stürzten sich einige Untote auf ihn. Peter hetzte in die Steuerzentrale und riß den Hebel für die Notstromversorgung herunter. Im ganzen Einkaufszentrum 194
ging die Notbeleuchtung an. Steve, der inzwischen durch die Deckenluke auf das Dach der Aufzugskabine gestiegen war, spürte, wie der Aufzug sich in Bewegung setzte. Er versuchte sich an den Kabeln festzuhalten, aber seine Hand glitt am Schmierfett ab. Sein Gewehr fiel zwischen Schachtwand und Kabine hinunter und klemmte sich ein. Plötzlich kam die Kabine wieder zum Stehen, und Steve blickte durch die Luke hinunter. Licht strömte herein, als die Aufzugtüren aufgingen. Gerade als er hinunterspringen wollte, um sich in Sicherheit zu bringen, horte er die Stimmen von Banditen unter sich. Zwei breitschultrige Männer sprangen herein, brüllten durcheinander und deuteten auf die offene
Notluke. Steve preßte sich an die Schachtwand, um nicht bemerkt zu werden. Einer der Banditen, ein Mann mit langen, fettigen
Haaren, schaute hinauf. »Los, Mann«, sagte der andere - er hatte einen gezwirbelten Schnurrbart und trug eine Jacke mit aufgenähtem Haken-
kreuz - und gab ihm einen Stoß. »Sind bloß deine Nerven. Los...« Sein Genösse ließ sich nicht beirren, hob die Maschinen-
pistole und feuerte eine Salve durch die offene Luke in den Auf zugschacht. »Das macht die Kerle bestimmt fertig«, schrie Rattern verklungen war. Die Geschosse surrten Schacht und prallten von den Wänden ab. Steve einem Querschläger gestreift, zuckte zusammen, nicht auf.
er, als das durch den wurde von schrie aber
Die beiden Banditen drehten sich um und liefen wieder hinaus. Die übrigen Plünderer bedienten sich inzwischen im Kaufhaus, nahmen Waffen und Munition mit, Werkzeuge, Kleidung, Nahrungsmittel. Gelegentlich spielten sie einigen Zom-
bies übel mit, sperrten sie in den Tiefkühlraum oder hackten ihnen mit einem Beil die Köpfe ab. Chickie überwachte inzwischen das Verladen der Beute, unterstützt von einer zweiten Frau. Zombies versudlten in das Fahrzeug einzudringen, aber die beiden Frauen hielten die Pistolen zum Fenster hinaus und schössen die aufdringlichsten von ihnen nieder. In der Halle wurde ein Bandit von einigen Untoten niedergerissen. Seine Genossen lachten nur und zeigten mit Fin-
gern auf die rasenden Zombies, die ihre Zähne in den kreischenden Mann schlugen. Im Kaufhaus liefen einige Untote herum, die durch den jetzt offenen Eingang im Obergeschoß hereingekommen waren. Sie tappten zwischen den Verkaufstischen dahin, prallten gegen die Schaukästen und stießen sie um. Ein Zombie packte eine Schaufensterpuppe im Badeanzug und starrte dumpf vor sich hin, als seine Zähne die harte Oberfläche nicht zu durchdringen vermochten. Er warf die Puppe weg und huschte den anderen nach. Auf der Galerie wurde Old Nick von einigen Zombies angegriffen. Er lief durch den Korridor und stürmte in die
Zentrale. Peter war nirgends zu sehen. Der Bandit stürmte hinaus und erreichte die Zwischenwand. Als er umkehren wollte, hörte er dahinter einen Hund jaulen. Er wurde argwöhnisch, hieb auf die Wand, tastete an den Fugen herum, spürte, wie die Wand nachgab. Gerade als er mit dem Fuß ausholte, hörte er im Flur ein Geräusch. Er drehte sich um und sah zu seinem Entsetzen drei wandelnde Leichen herankommen. Er hob die Waffe, schoß die Wesen der Reihe nach nieder, dann hetzte er auf die Galerie hinaus. Er hielt den Atem an, als er sah, was sich in der Haupthalle abspielte. Überall liefen Untote herum, dazwischen fegten Motorräder durch die Gänge. Nick wollte hinunterstürmen, als er wieder ein Geräusch wahrnahm. Er fuhr herum und 196
schaute hinauf. Ein dunkler Schatten richtete sich auf, schob sich aus einer Deckenöffnung, ein Schuß krachte, und Nick wurde über das Geländer in die Halle hinuntergekippt, Unten versammelte sich die kleine Gruppe der Banditen, die überlebt hatte. Die Motorräder fuhren einzeln hinaus auf
den Parkplatz. Einer der Banditen wurde im letzten Augen- ' blick von einem Zombie aus dem Sattel gerissen.
Chickie trat auf das Gaspedal, als die letzten Beutestücke verladen wurden. Sie kurbelte das Fenster herunter und schoß noch einmal auf die Köpfe der Wesen, die versucht hatten, in das Fahrzeug einzudringen.
Die letzten Nachzügler der Banditen versuchten, durch den Zombies drängten sich draußen um die Motorräder, und die Kaufhauseingang im Untergeschoß hinaus zu gelangen. Die Männer mußten sich zu ihren Maschinen durchkämpfen. Einer wurde niedergerissen, aber drei andere konnten ihre Fahr-
zeuge besteigen. Die Motoren brüllten auf, und die Maschinen fegten hinaus, um den Kastenwagen einzuholen, der bereits
über den Parkplatz raste. Peter war durch den Kabelkanal gekrochen und konnte das letzte Motorrad durch die Halle rollen sehen, als er eines
der Gitter öffnete. Er zielte, das Auge am Fernrohr, und konnte einen der Banditen aus dem Sattel schießen. Zwei andere fuhren in Schlangenlinien und rasten durch den Ausgang hinaus auf den Parkplatz. Die Bande sammelte sich auf der Parkfläche um den Kastenwagen. Wo es zwanzig oder mehr hätten sein müssen, standen jetzt nur noch sieben oder acht, die beiden Frauen eingeschlossen.
Thor, der Deckung gesucht hatte, als Peter zu feuern begann, gab nun Gas und brauste durch die Halle. Es war, als sei er der General einer siegreichen Truppe auf dem Weg zur Ehrung. Er wich einigen am Boden liegenden Zombies aus
und rollte zum Ausgang. Kurz vor den Türen warf er den
Kopf zurück und brüllte triumphierend auf. Peter beugte sich aus der Gitteröffnung. Das Fadenkreuz seines Zielfernrohrs erfaßte den Hinterkopf Thors. Als der Bandit durch den Ausgang rollte und zu seinen Genossen brausen wollte, zog Peter den Abzug durch, und einen Sekundenbruchteil später wurde Thor aus dem Sattel gerissen und durch die Luft geschleudert. Ein Rudel gieriger Zombies erwartete ihn. Zu seinem Pech war er nicht tot. Als er über den Betonboden rollte, sah er zu seinem Entsetzen, wie die Untoten sich auf ihn stürzten, um ihn in Stücke zu reißen. Er stieß einen grauenhaften Schrei aus. Ohne sich nach ihrem Ex-Anführer auch nur umzusehen, brausten die anderen Banditen in die Nacht davon, und das Röhren der Motoren verklang. Die Stille lastete auf Fran wie Blei. Sogar der kleine Hund hatte aufgehört zu bellen. Sie starrte hinunter in die Dunkelheit, die Finger um das Gewehr gekrallt. Auf dem Parkplatz und in der Haupthalle des Einkaufszentrums liefen die Untoten unbehindert umher, wie vor dem Erscheinen der Flüchtlinge. Sie rauften sich um die Überreste der Banditen, und in der Halle war nichts zu hören als ihr Schmatzen. Peter kroch weiter durch den Tunnel. Er starrte durch die Gitter hinunter auf die Höllenszene. Einige der Banditen wurden inzwischen selbst zu Zombies. Plötzlich hörte er ein Summen in seinem Sprechgerät. Er drückte auf den Knopf. »Peter!« gellte es aus dem Lautsprecher. »Wo bist du?« knurrte Peter. »Im Aufzug!« »Paß auf«, sagte Peter. »Die Wesen sind überall. Steig auf das Dach ... ich hole dich durch das Gitter im Schacht heraus. Ich komme.« Im Aufzug drückte Steve auf den Fahrtknopf, und die Ka-
bine schwebte hinauf. Er stieg auf die Geländerstange und zog sich nach oben. Er packte den Rand der Luke und schob Kopf und Schultern durch die Öffnung. Als er sich mit den Füßen abstoßen wollte, kam der Aufzug zum Stehen. Die Türen öffneten sich, und Steve schaute noch einmal kurz hinunter. Im nächsten Augenblick waren einige Zombies in die Kabine gestürmt. Sie packten Steve an den Beinen und zerrten ihn herunter. Er kreischte und hieb verzweifelt um sich, aber gegen die Kraft der toten Wesen kam er nicht an. Im Kabelkanal hörte Peter die gellenden Schreie. Er lauschte angestrengt. Alles wurde still. Seine Bedrückung wuchs. Er nahm sich zusammen und schob sich durch den Kanal zum Verwaltungstrakt. Im Aufzug wehrte Steve sich mit verzweifelter Anstrengung. Die Wesen hatten alle Mühe, ihn festzuhalten, aber schließlich gelang es ihnen, ihn hinauszuzerren. Ein Zombie riß Steve einen Fleischklumpen aus dem Arm, ein anderer aus dem Hals. Er warf sich herum, versuchte seine Pistole herauszureißen. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, bekam die Waffe zu fassen, drückte ab ... schoß noch einmal.. . Peter sprang aus der Deckenluke in den Waschraum, als er die Schüsse hörte. Bestürzt blieb er stehen. Er war einem entsetzlichen Irrtum erlegen, als er angenommen hatte, Steve sei tot. Es sei denn, einer der verwundeten Banditen hatte mit letzter Kraft abgedrückt. Er wollte wieder hinaufklettern, zögerte plötzlich. Was konnte er noch ausrichten? Das waren die letzten Zuckungen eines Sterbenden gewesen. Verwirrt, wütend auf sich selbst, völlig ausgelaugt, hieb er mit der Faust an die Wand. Wieder bellte die Pistole, und das Geschoß fetzte durch den Schädel eines Zombies. Der Untote kippte um. Steve kroch wieder in den Aufzug. Andere Wesen hasteten heran. Steve schoß noch einmal, und der Zombie, der zwischen den Aufzugtüren eingeklemmt gewesen war, fiel um.
Peter hält Francine zurück, die Steve zu Hilfe eilen will. Peter ahnt, was bei dem Kampf im Kaufhaus passiert i s t . . . (Gaylen Ross und Ken Force.)
Die Türen schlossen sich. Steve konnte die Zombies mit den Fäusten an die Kabine hämmern hören. Sie scharrten und kratzten, und nicht einer wußte, daß man nur auf den Knopf zu drücken brauchte, um die Türen zu öffnen. Steve krümmte sich am Boden. Die Wunde an seinem Hals troff vor Blut. Er starrte seine Pistole an. Das Atmen fiel immer schwerer. Peter tauchte unten an der Feuertreppe auf. Der kleine Hund lief jaulend auf ihn zu, dahinter kam Fran herabgestürmt. Sie sah, daß Peter den Kopf hängen ließ. »Nein . . . nein!« schrie sie auf. Alles begann sich um sie zu drehen. Sie stürzte die letzten Stufen hinunter, und Peter fing sie auf, hielt sie zurück, als sie hinausstürmen wollte. Er umklammerte sie mit seinen Armen. »Ich habe ihn schießen hören . .. vielleicht kommt er durch.
Wir warten. Wir warten noch ...« Am östlichen Himmel erschien ein bläulicher Lichtschimmer. Das Gebäude stand still im Morgengrauen, verriet nach außen nichts von der Katastrophe, die sich nachts in seinem Inneren zugetragen hatte. Scharen von Untoten, Verstärkung für die Verwundeten und Getöteten, liefen unbehindert aus und ein. Sie strömten durch die Gänge und Hallen, wankten durch die Läden und Kaufhallen. Mehrere Wesen scharrten an den geschlossenen Türen des Aufzugs. Während sie sich durcheinanderschoben, berührte
einer von ihnen ohne Absicht mit der Schulter den Rufknopf. Die Türen glitten auf, und in der Kabine stand Steve. Das Blut an seinem Körper war geronnen, seine Augen blickten leer, aus seinen Mundwinkeln rann Speichel. Er trat hinaus.
Die anderen Wesen strebten auseinander, ohne ihn anzufallen. Er gehörte jetzt zu ihnen, war keine Beute mehr, sondern einer 201
der wandelnden Toten, Er wankte in das Kaufhaus und zwischen den Verkaufstischen dahin. Die Zombies beachteten ihn nicht mehr. Im Dachgeschoß packte Fran mit roten, verweinten Augen die notwendigsten Dinge in einen Rucksack. Ihre Bewegungen waren schwerfällig und träge,
Peter stand oben auf der Treppe, den Blick auf den unteren Absatz gerichtet.
Fran schleppte den vollen Rucksack zu den anderen Gepäckstücken am Fuß der Leiter unter dem Dach. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß Steve noch lebte und daß
sie für ihn und das Kind die Flucht vorbereitete. Ab und zu kam ihr blitzartig die Erkenntnis, daß jede Hoffnung vergebens war, aber sie verdrängte sie immer wieder.
Ein taumelnder Zombie ging durch den Korridor im Verwaltungstrakt, mit einer Entschlossenheit, als kenne er den Weg. Er kannte ihn - es war Steve. Andere Zombies Irrten an ihm vorbei. Er richtete den Bück auf die eingefügte Zwischenwand. In seinem untoten Gehirn regte sich etwas. »Es ist fast hell geworden«, sagte Fran zu Peter. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, seitdem er heraufgekommen war. »Gehen wir.«
Er sah sie stumm an, das Gesicht eingefallen und grau. »Er meldet sich über Funk nicht. Es sind Stunden.« Sie war nun doch bereit, sich mit dem Schlimmsten zu befassen, und eine innere Kraft, von deren Vorhandensein sie nichts geahnt hatte, schien sie aufrechtzuerhalten, »Peter, bitte«, sagte sie weinend. »Komm jetzt, denn wenn ich nachdenken muß, gehe ich einfach hinunter und lasse mich ... lasse mich . . .« Der Spaniel begann zu knurren und lief zwischen Peters Füßen die Treppe hinunter.
Im Flur hatte Steve die dünne Wand erreicht und hämmerte dagegen, Die anderen Zombies kamen heran. 202
Steve ist ein Zombie geworden. Gefolgt von vielen Untoten, bricht er in sein früheres Versteck ein, wo sich noch Francine und Peter befinden. {David Emge.)
Oben hörte Peter das Poltern, blieb aber unbeirrt stehen und starrte hinunter. Der Spaniel bellte aufgeregt.
»Was ist das?« sagte Fran entsetzt. »Sie kommen herauf!« sagte Peter. »Vielleicht ist Steve bei ihnen.« Die Zwischenwand brach krachend auseinander. Das Rudel von Untoten, angeführt von Steve, stolperte über das Gewirr von Holzteilen und wankte die Treppe hinauf. Peter warf die Tür zu, während der Hund auf Fran zulief. Sie hob ihn auf.
»Nur zu«, sagte Peter tonlos. »Sieh zu, daß du fortkommst.« »Peter...«
»Ich sagte, du sollst gehen.« Sein Gesicht war zur Maske erstarrt. Fran geriet in Panik. Sie wußte, daß er von seinem Entschluß nicht abzubringen war, aber sie fürchtete sich davor, ohne ihn zu gehen.
»Um Gottes willen, Peter ... bitte ...« »Ich will nicht mehr«, sagte er dumpf. »Ich will wirklich nicht mehr ... verstehst du? Ich will nicht mehr.« Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und die ersten Wesen wankten herein. Fran begann zu schreien. Der Hund jaulte schrill. »Steve, Steve . . .« kreischte sie und wollte auf ihn zulaufen, aber Peter hob sein Gewehr, ein schwaches rätselhaftes Lächeln um die Mundwinkel, und schoß dem Zombie in den Kopf. Als Steve niederstürzte, kam Fran zu sich. »Los jetzt«, sagte Peter und trieb sie zur Leiter. Sie griff nach dem Rucksack, hielt den Hund fest, und stieg hinauf. Peter reichte ihr das andere Gepäck hinauf. Auf dem Dach stürzte Fran zum Hubschrauber und warf das Gepäck hinein, sperrte den Hund in einen Korb, den sie vorher hinter den Sitzen befestigt hatte. Sie setzte sich ans Steuer und starrte auf die Armaturen. Dann gab sie sich einen Ruck und startete den Hubschrauber. 204
Peter kehrte in sein Zimmer zurück, verfolgt von den Zombies. Er warf die Tür vor ihnen zu. Er hatte die kleine Pistole mitgenommen, die auf der Leiter gelegen hatte, und hob sie nun an den Kopf. Plötzlich tauchte das Bild Frans auf, die allein im Hubschrauber saß. Er starrte die Waffe in seiner Hand an, schüttelte verwirrt den Kopf, trat an die Tür und stieß sie mit voller Wucht auf. Selbstmord war für ihn kein Ausweg. Die Zombies taumelten zurück, und Peter hatte freie Bahn zur Leiter, Er hetzte hinauf und warf sie von der Luke
aus um. Fran hatte geduldig am Knüppel gesessen und den Motor laufen lassen. Es waren jedoch so viele Minuten vergangen, daß sie das Gefühl hatte, Peter würde nicht mehr kommen. Sie griff nach den Hebeln, und der Hubschrauber erhob sich langsam in die Luft. Der Spaniel hinter ihr bellte. Fran nahm aus dem Augenwinkel unter sich plötzlich eine Bewegung wahr. Sie wagte ihren Augen nicht zu trauen. Peter war auf das Dach gestürzt und zu den Kufen des Hubschraubers hinaufgesprungen. Er baumelte unter der Maschine, zog sich langsam hoch, kletterte auf den Beifahrersitz. Fran geriet vor Freude fast außer sich, als er sich in den Hubschrauber zwängte und sie die Maschine hochzog. Der kleine Helikopter schwankte, als er sich auf den Sitz fallen ließ. »Haben wir genug Sprit?« fragte er und blickte hinunter auf den Parkplatz, wo die Zombies zum Himmel hinaufstarrten. »Sehr wenig«, sagte Fran, als sie in die Morgendämmerung hineinflogen, die sie mit offenen Armen aufzunehmen schien.
Die Toten stehen auf... Sie kehren zurück, um Angst und Schrecken zu verbreiten, die Zombies, wandelnden Toten zu stoppen In ihrem Blutrausch nur dadurch, daß
man ihr Gehirn zerstört oder vom Körper trennt. Jeder, den sie töten, wird selbst zum lebenden Leichnam, steht auf und tötet!
In den großen amerikanischen Städten verbarrikadieren sich die Bewohner. Das Kriegsrecht herrscht. Soldaten, in kugelsicheren Westen und mit den modernsten Waffen ausgerüstet, beziehen an den Straßenkreuzungen und auf den Dächern der Häuser Stellung. Die Zombies greifen an, und es kommt zu einem Gemetzel ohnegleichen. Vier Menschen überleben es: Francine Parker, Sendeleiterin bei einer Fernsehstation, und ihre Freunde Steve, Roger und Peter. Doch die Zukunft der vier wird zum Alptraum...
Das Buch zu >Zombie<, dem Filmschocker von George Romero.
Ein Goldmann-Taschenbuch ISBN 3-442-03895-2
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