Zeit zu leben – Zeit zu lieben Peggy Webb Bianca 1260 11/1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Monika B.
PROLOG...
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Zeit zu leben – Zeit zu lieben Peggy Webb Bianca 1260 11/1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Monika B.
PROLOG Unser größter Feind ist der, den wir nicht sehen können. Steve starrte auf die Zeile, die er gerade eingetippt hatte. Es war eine gute Einleitung. Verdammt gut. Sein Chefredakteur würde erfreut sein. Er schlug die kalten Hände zusammen, um den Kreislauf anzuregen. Dann fuhr er mit seinem Bericht fort. Er musste den Redaktionsschluss einhalten, die Washington Post nahm keine Entschuldigungen an. Nicht, dass er sich beim Chefredakteur jemals hätte entschuldigen müssen. Er hatte noch nie unter zu großem Arbeitsanfall gestöhnt. Sein Motto war: Je mehr, desto besser. "Mach nur weiter so", hatte Mac ihm gesagt, "und dir ist noch ein Pulitzerpreis sicher." Steve hauchte auf seine eiskalten Fingerspitzen, ehe er weitertippte. Warum sollte er sich auch beschweren? Dort draußen in der Kampfzone waren junge Männer, die ihre Wollsocken als Handschuhe nahmen. Die größte Angst haben die Soldaten der Bodentruppe der Operation Desert Storm vor einem chemischen Angriff - ein geräuschloser tödlicher Feind, der ohne Warnung zuschlägt. Gasmasken und Schutzausrüstung sind schwer, aber die Soldaten tragen sie mit sich, ohne sich darüber zu beschweren,
weil sie sonst einen langsamen und qualvollen Tod riskieren durch einen Feind, den sie nicht einmal sehen können. Der stetige Lauf des Cursors und das schnelle Rattatat der Tasten heizten Steves Eifer an. Er liebte seine Arbeit, liebte das Reisen, liebte die Erregung, liebte sogar das Risiko der Scheidung von Emily, falls sie erfahren sollte, welchen Gefahren er sich aussetzte, um genau das richtige Foto zu seinen Berichten zu bekommen. Steve hörte kurz zu tippen auf, um dem Foto auf der Ecke seines Behelfsschreibtisches eine Kusshand zuzuwerfen. Der Schnappschuss zeigte seine Frau und die vierjährige Tochter, wie sie lachend aus einem Swimmingpool stiegen. Er hatte sie im vergangenen Sommer geknipst. "Denk nicht an Sommer", hielt er sich vor. Trotz der zwei Paar Socken fühlten sich seine Zehen wie Eiszapfen an. Steve fing wieder an zu tippen. Das Leben an der Front... Sergeant Barry Wilkes unterbrach ihn mitten im Satz. "Hey, Thunderhorse. Du hast einen Anruf von zu Hause. Die sagten, es sei dringend." Geplatzte Reifen waren dringend für Emily. Wahrscheinlich wollte sie wissen, an welche Reparaturwerkstatt sie sich wenden sollte. Trotz der schlechten Verbindung vernahm Steve die Nachricht von zu Hause. Nachdem er aufgelegt hatte, wäre er bereitwillig ohne Schutzausrüstung in den Kampf gezogen. Bereitwillig hätte er sich dem Kugelhagel ausgesetzt oder das todbringende Gas eingeatmet. Mit gefrorenen Tränen auf seinem Gesicht erkannte er die volle Wahrheit: Die größte Qual war nicht zu sterben - sondern zu leben.
1. KAPITEL Es war einer dieser goldenen Herbsttage, der in Angela Mercer den Wunsch aufkommen ließ, draußen zu sein und barfuß durch die trockenen Blätter zu laufen ... was mit ein Grund war, warum sie so gern in Missis sippi lebte. Wo hatte man das schon, dass man sogar im Herbst barfuß herumlaufen konnte, wenn einem danach war? Es musste ein wunderbares Gefühl sein, die Erde unter den bloßen Füßen zu spüren, die Zehen in den Berg von abgefallenen Blättern zu graben. Es drängte sie, der Natur hautnah zu sein. Und da sie dem Drang nicht widerstehen konnte, kickte sie die Schuhe von den Füßen. Sie hatte sich halb aus ihrem Schreibtischsessel erhoben, als der grüne Cursor anfing zu blinken. Gehorsam sank sie in den Sessel zurück. Wenn sie jedem wilden Drängen, das sie überkam, nachgab, würde sie mit ihrem neuen Buch niemals in Gang kommen. Kapitel eins, tippte sie, und dann saß sie da und starrte auf den Bildschirm, als ob ihr völlig entfallen wäre, wer die zentrale Gestalt war oder worum es in dem Roman gehen sollte. Angela seufzte. Manchmal wünschte sie sich, dass sie noch immer die unkomplizierten kleinen Krimis schreiben könnte über Susan und ihre Katze mit dem Namen Fox, die nichts weiter taten als gelegentlich einen Gauner aufzuspüren ... wie den Dieb, der eine seltene Ausgabe aus dem Buchbestand der Mulberry-Bücherei mitgehen ließ. Ihre Verkaufszahlen waren
damals annehmbar gewesen, ihr Einkommen bescheiden und die Erwartungen nicht allzu groß. Angela hatte aus ihrer Haustür treten und zum Supermarkt gehen können, um Tomaten zu kaufen, ohne dass auch nur eine Seele sie aufgehalten und sie um ein Autogramm gebeten hätte. Sie hatte Kräcker mit Erdnussbutter auf ihrer Vorderveranda essen können, ohne dass jemand stehen geblieben wäre, um sie blöde anzuglotzen. Niemand außer Mabel von dem hiesigen Tagesblättchen Oxford Courier hatte jemals ein Interview von ihr haben wollen, und keiner hatte den Weg von Minnesota hierher gemacht, um vor ihrer Tür zu campen und auf ein Wunder zu warten. Doch das war, bevor sie Muriel erschaffen hatte, den frechsten weiblichen Engel diesseits des Himmels, dessen Vorliebe für Wunder nur durch seine Vorliebe fürs Schnüffeln übertroffen wurde. Über Nacht ein großer Erfolg, hatte die Presse berichtet, nachdem das erste Muriel-Buch herausgekommen war. Den Reportern schien es gleichgültig zu sein, dass sie sich mit ihrem Schreibtalent jahrelang hatte durchbeißen müssen und dass sie bereits acht Kriminalfälle aufgeklärt hatte - natürlich in Büchern. Susan und Fox erfreuten sich eines kurzen Wiederauflebens im Fahrwasser von Muriel, dann gerieten sie in Vergessenheit, nachdem die letzten Exemplare vergriffen waren. Allein aus Prinzip löschte Angela Kapitel eins und tippte es von neuem ein. Sie hielt es gewöhnlich so, um einen neuen frischen Start zu haben. Sie hoffte, dass ihre Muse ihr nun beistehen würde. "Angela ..." Ihr Dad steckte den Kopf zur Tür herein. "Ich möchte dich nicht stören, Liebes." "Du bist keine Störung, Dad, du bist mir eine willkommene Unterbrechung." Sie rollte mit dem Sessel ein Stück vom Schreibtisch zurück. "Komm, setz dich." "Ich habe mir gerade Gedanken über den Benefizabend gemacht. "
Ihr Dad war in der geöffneten Tür stehen geblieben, ein silberhaariger Mann, dem man den Geschichtsprofessor ansah, der er vor seiner Pensionierung gewesen war. Noch heute war es ihm nicht möglich, den Marktplatz von Oxford zu überqueren, ohne von einem halben Dutzend früherer Studenten angehalten zu werden. Nur wenn er ging, konnte man ihm seine schlechte Gesundheit ansehen. Nach einem leichten Schlaganfall, den er wegen seiner jahrelangen Diabetes erlitten hatte, hinkte er ein wenig. Er setzte sich in den Sessel auf der anderen Seite ihres Schreibtisches und lächelte Angela an. "Du siehst heute besonders hübsch aus, Sweetheart." "Und du siehst heute ganz schön verwegen aus." Angela erhob sich, um sich neben ihn zu stellen und ihm das Haar zu zerzausen. "Was ist mit dem Benefizabend?" "Du kennst Kaki. Sie wird wieder alle kopfscheu machen mit der Anweisung, in Abendkleid und Smoking anzutanzen." Angela lachte. Sie wusste, auch ohne ihre Assistentin und Sekretärin befragt zu haben, dass ihr Dad bei Kakis Idee, wie die alljährliche Benefizveranstaltung eröffnet werden sollte, sich nicht gerade begeistert zeigte. Kaki war der konventionelle Typ. Obwohl Angela sie darauf hingewiesen hatte, dass sie in Shorts oder Jeans und sogar barfuss zur Arbeit kommen könne, wenn sie es wünschte, erschien Kaki immer pünktlich um acht im Kostüm mit passenden Pumps und passender Tasche. Ihr Haar war zu einem Chignon geschlungen, und sie wirkte eher wie sechzig als fünfzig - ihr wirkliches Alter. Angela kannte die Meinung ihres Vaters über Kaki. Er fand, dass Kaki jemand an ihrer Seite brauchte, der ihr versicherte, dass sie schön sei. Und um seine Meinung zu bekräftigen, hatte er es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, für Kaki einen Mann zu finden. Natürlich heimlich und auf eine durchtriebene Weise. Kaki durfte das niemals erfahren. "Ich wünschte, du würdest mit ihr reden", sagte Carl Mercer mit einem Seufzer. "Sie will ja nicht auf mich hören."
"Ich weiß was Besseres. Ich sag ihr, dass wir dir in diesem Jahr die Pläne für die Party überlassen, da du ja der Ehrengast bist. Dann kannst du den Abend gestalten, wie du ihn haben willst. Als einen Zirkus mit Manege, wenn es dir gefällt." Carl war über den Vorschlag so erfreut, dass Angela sich fragte, warum sie die Jahre vorher nicht auf diesen Gedanken gekommen war. Ihr Dad war ein hervorragender Organisator, der leider nie recht zum Zuge kam. Wenn er sich mit dem Benefizabend beschäftigte, würde er vielleicht nicht mehr so oft zum Friedhof gehen, um mit seiner verstorbenen Frau Zwiegespräche zu halten. Angela hatte ihre Mutter auch geliebt, aber diese extreme Anhänglichkeit über den Tod hinaus schien ihr übertrieben zu sein. "Ja, vielleicht sollte ich das tun." Carl tätschelte ihre Hand. "Ich habe Tee gemacht. Möchtest du davon etwas haben?" "Mit Zitrone?" "Wenn du möchtest. Wir könnten uns auf die Veranda setzen. Es weht eine leichte Brise, und ich habe vorhin BlaukehlHüttensänger im Hickorybaum entdeckt." Angela folgte ihrem Dad in die Küche und dann mit dem Glas Tee auf die Veranda, wo sie sich neben ihn in die Schaukel setzte. Sie sagten eine Weile nichts, ließen einfach die friedliche Ruhe auf sich wirken. Die Gehwege waren glücklicherweise frei von Fans. "Ich könnte hier stundenlang sitzen", sagte Angela. "Tut mir schrecklich Leid, dass ich dich davon abhalten muss." Kakis Stimme kam durch die Fliegentür. Und dann stand sie da, ganz die Lady im rosa Leinenkostüm und rosa Pumps. "Jenny ist am Telefon." Angela verließ die Schaukel. "Hier, meine Tasse. Du kannst dich auf meinen Platz setzen. Aber ich will ihn wieder zurückhaben." "Rosa steht Ihnen, Kaki", hörte sie ihren Dad sagen, bevor sie im Haus verschwand. "Sie sollten diese Farbe öfter tragen."
Angela lächelte. "Hallo", meldete sie sich am Telefon, dann lächelte sie breit, als Jenny Cordova von der Agentur anfing, die Besprechungen von Angelas gerade neu herausgekommenem Buch Engel in Sicht vorzulesen. Wie sonst auch üblich hatte Jenny die Buchbesprechungen zensiert und nur die Lobeshymnen vorgelesen. "Was hat Lucy dazu gesagt?" "Lucrezia Borgia? Diese Hexe!" Jennys Worte drückten genau das aus, was sie von der viel beachteten Buchkritikerin aus Los Angeles hielt, die eine wahre Lästerzunge war. Über die Jahre hinweg hatte sie Angela heruntergeputzt, hatte sie als einfallslose Autorin hingestellt, der es an Stil mangelte. Für diese Lucy spielte es absolut keine Rolle, dass die Bücher, die sie so zerriss, ganz oben auf der Bestsellerliste der New York Times standen. "Sag's lieber nicht. Ohne noch eine Beleidigung ist mir wohler." "Bist du beleidigt, Angela? Schütte dein Herz Mutter Jenny aus." Angela schnaubte. "Ha, Mutter Jenny ... Wer's glaubt wird selig." Jenny Cordova war die am wenigsten mütterliche Person, die Angela jemals gekannt hatte. Mit ihrer Vorliebe für Aufsehen erregende Ohrringe und eigenwillige Kleidung, ganz zu schweigen von ihrer ungezähmten Mähne von flammend rotem Haar, war sie der Inbegriff einer unkonventionellen Künstlerin. Trotz all dieser Äußerlichkeiten war sie eine der besten Zuhörerinnen und Angelas allerbeste Freundin. "Ich habe Schwierigkeiten mit dem neuen Buch. Ich komm nicht richtig rein." "Du meine Güte, du hast es gar nicht nötig, dich gleich kopfüber in eine neue Geschichte hineinzustürzen. Warum ruhst
du dich nicht einmal aus? Mach Urlaub. Irgendwo. Nach Möglichkeit mit einem sagenhaften Mann." "Britt hat mir angeboten, mich auf die Bahamas mitzunehmen." Britt Ace der aufregendste Nachrichtensprecher der Welt, jedenfalls der Meinungsumfrage nach - war Angelas Exverlobter. "Ich habe sagenhaft gesagt, Darling." Jenny machte kein Geheimnis daraus, dass sie Britt nicht mochte. Sie fand ihn aufgeblasen und falsch, und sie hatte es ihm ins Gesicht gesagt. Umgekehrt ärgerte er sie mit der Frage, wo sie ihren Besen parke. Manchmal lachte Angela über die Spottpfeile, die die beiden fliegen ließen. Meistens jedoch fragte sie sich, wie ihr Leben wohl aus sehen würde, wenn sie tatsächlich zu einem Mann Ja gesagt hätte, der sich mit ihrer besten Freundin nicht vertragen konnte. "Nun, nun, Jenny ... Britt mag als Verlobter ein bisschen anmaßend sein, aber als Freund ist er schwer zu schlagen." "Ein bisschen? Jeder Diktator sieht neben ihm blass aus. Hat er dich wieder zu diesen scheußlichen Fernseh-Sonderbeiträgen zu überreden versucht?" "Nicht in letzter Zeit." "Dem Himmel sei Dank für kleine Geschenke." Angela war froh, als Jenny das Thema fallen ließ. "Doch deswegen hab ich dich nicht angerufen, Süße. Ich habe drei Studios, die Interesse an der Verfilmung von Engel in Camelot zeigen, und alle drei Hauptsender, die um ein Interview zetern." Genau in diesem Moment platzte Carl durch die Eingangstür herein mit einer böse dreinblickenden Kaki hinter sich. "Eine Wagenladung Texaner, beladen mit Fotoapparaten, ist vorgefahren und trampelt über deine Petunienbeete", sagte Kaki und folgte Carl in die Küche. "Nicht einmal Tee kann man hier in Frieden trinken."
"Du meine Güte!" Angela ließ sich auf den Boden sinken, wo sie sitzen blieb mit angezogenen Knien und den Hörer dicht an ihr Ohr gepresst. "Angela? Hey, Angela, was ist los, Süße?" "Ich glaube, ich drehe bald durch, Jenny." Es gab eine lange Pause am anderen Ende der Leitung. Dann sagte Jenny: "Es wird Zeit, dass du ausspannst, Liebes. Fahr irgendwohin, wo keiner weiß, wer du bist." Aus ihrer Stimme klang echte Besorgnis. "Eigentlich hab ich schon daran gedacht, mit einem Wohnwagen den Westen zu durchqueren." "Um Himmels willen! Mit all den Klapperschlangen und Vipern?" "Sagtest du nicht, ich sollte dahin fahren, wo mich keiner kennt?" "Ja, aber ich meinte irgendwo, wo es Zimmerservice gibt und Kellner, die sich darum reißen, jedem deiner Wünsche nachzukommen." "Ich muss es tun, Jenny. Ich brauche Alleinsein." Das lange Schweigen am anderen Ende war viel sagend. "Angela, du brauchst jemanden, der auf dich Acht gibt." Jenny nahm an, dass Angela immer noch mit Britt zusammen wäre, wenn er nicht so auffällig versucht hätte, sie zu beherrschen. Sogar Kaki war der Meinung, dass Angela einen Aufpasser brauchte, obwohl sie es nie so deutlich aussprechen würde. So waren halt die Menschen. Mach du einen Fehler, und die lassen es dich nie vergessen. Natürlich konnte Angela es auch nicht vergessen. Sie war zweiundzwanzig gewesen, hatte gerade den Collegeabschluss in der Tasche und war nun auf der Suche nach einem Job. Das Leben lag vor ihr, und sie war neugierig darauf. Und da tauchte Dan Calloway auf. Der Traum eines jeden Mädchens ... der Albtraum eines jeden Mädchens. Gut aussehend, charmant und nicht auf den Mund gefallen. Er versprach Angela
immerwährende Liebe und eine Ranch in Texas. Bekommen hatte sie eine zweiräumige Hütte fünfzig Meilen von der Zivilisation entfernt und einen Mann, dessen Vorstellung von einem Ehemann darauf beruhte, seine ihm angetraute Frau praktisch als Gefangene zu halten. "Gefangene der Liebe", hatte er ihr geschmeichelt, ihr liebevoll über das Haar gestrichen und ihr währenddessen verboten, das Auto zu benutzen und sogar das Telefon. Die sechs Monate waren die reinste Hölle gewesen. In ihrer Verzweiflung hatte Angela es schließlich geschafft, von einer Tankstelle an der Interstate 10 aus ihren Vater anzurufen. Er war mit zwei Privatdetektiven angerückt, um sie abzuholen. Doch trotz des ganzen Schlamassels, den ihr Vater wieder in Ordnung bringen musste, war er der einzige Mensch in Angelas Leben, der ihr zutraute, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte. Manchmal, wenn Angela sich niedergeschlagen fühlte, sagte er: "Du bist eine Kämpfernatur, Sweetheart, und vergiss das ja nicht!" Also sagte sie jetzt zu Jenny: "Ich bin eine Kämpfernatur, Jenny, und vergiss das ja nicht!" Carl ging mit Angela einen Wohnwagen kaufen... aus zweiter Hand, damit keiner auf den Gedanken käme, dass er für sie sei. Danach saß sie mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, Landkarten lagen ausgebreitet um sie herum, und der Entschluss wurde fest in ihr gen Westen zu fahren. "Arizona", sagte sie zu ihrem Dad. Wenn sie sich an die Nordroute hielt, könnte sie Texas umfahren, und sie hatte es nötig, Texas zu meiden. Sie war schon immer vom Westen fasziniert gewesen, vor allem von der Geschichte des Alten Westens.
Ihr Interesse ging teilweise auf ihren Vater zurück, der als Historiker in ihr schon während der Schulzeit die Liebe zur frühen Geschichte ihres Landes geweckt hatte. "Komm mit mir, Dad." Er schüttelte den Kopf. "Diesmal nicht, Liebes. Was würde Frances denken, wenn ich sie zu dieser Zeit im Jahr allein ließe?" "Dad", tadelte Angela sanft. Nicht, dass sie sich Sorgen machte. Carl Mercer war viel zu vernünftig und intelligent, um sich nicht aus dem Trübsinn herauszuholen. Aber es machte ihr zu schaffen, dass ihr Vater drei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter sich noch immer nicht innerlich befreit hatte. Ihre Eltern hatten im Herbst geheiratet, und er brachte an ihrem Hochzeitstag immer Blumen zu ihrem Grab. "Ich fühle mich gut, Sweetheart. Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen." "Ich mache mir keine Sorgen, Dad. Ich dachte nur, es würde Spaß bringen, wenn wir beide durch den Westen kutschierten." Die Standuhr im Eingangsflur schlug zehn an, und Carl erhob sich gähnend. "Schlafenszeit für alte Leute." Er küsste seine Tochter auf den Kopf. "Du wirst Spaß haben, Liebes, und vergiss nicht, die Landkarten griffbereit zu halten und dich nach deinem Kompass zu richten. Ich möchte nicht, dass meine Tochter im Wilden Westen verloren geht." "Das ist nicht drin, Dad. Außerdem kann ich immer noch anhalten und nach der Richtung fragen." Was sich als schwerer herausstellte, als Angela angenommen hatte. Sie kletterte aus ihrem Wohnwagen neben der Benzinpumpe und schlenderte auf das verwitterte Gebäude zu mit dem riesigen Schild gleich davor, auf dem Welcome to Broken Arrow stand.
Zerbrochener Pfeil? Wie konnte man nur einem Ort diesen Namen geben? Zwei Männer im mittleren Alter standen gegen den Ladentisch gelehnt, aßen Schokoladenriegel und redeten mit einem älteren Mann, der hinter der Kasse saß. Das Gespräch verstummte, als Angela eintrat. Sie wartete auf den Aufschrei, dass man sie erkannt hatte, aber nichts erfolgte. Sie fühlte sich mächtig ermutigt, verspürte sogar so etwas wie Triumph. "Wo lang geht es nach Arizona?" erkundigte sie sich. Die drei Männer lachten, dass ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Angela fand nicht, dass ihre Frage so komisch sei. Außerdem hatte sie es nicht so gern, dass Fremde sie auslachten. Überdies war sie müde und hungrig und nicht gerade in bester Stimmung. Fünf Tage auf der Straße taten das einer Frau an. "Dieser Scherz war gratis", höhnte sie. "Das nächste Mal fordere ich einen Eintrittspreis." Damit wirbelte sie herum, fest entschlossen, diesen Ort, der nicht größer war als eine Briefmarke, auf dem schnellsten Weg zu verlassen und in Zukunft die Landkarte besser zu enträtseln. Aber eine Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück. "Bleiben Sie, Miss. Wir machen uns nicht lustig über Sie. Wir fanden nur Ihre Frage zum Lachen, das ist alles." Der Mann klang aufrichtig und freundlich, und Angela wollte wirklich nicht weg. Sie wollte lieber einen extra langen Schokoladenriegel mit Mandeln haben. Und vielleicht ein Steak als Beilage. Wenn sie nur wüsste, wo sie so etwas bekommen könnte. "Ich wollte mich nicht so aufgeblasen aufführen. Ich bin nur müde und hungrig." "Sind Sie schon lange unterwegs, Miss?" wollte der Mann hinter dem Ladentisch wissen. Wenn sie ihn so näher betrachtete, sah er ihrem Vater recht ähnlich. "Ganz von Oxford, Mississippi."
"Und Sie sind auf dem Wege nach Arizona?" "Nun, das hab ich angeno mmen. Frage ist, ob ich jemals dahin finden werde." Er lachte in sich hinein. "Sie sind in Arizona." Angela lachte mit ihm. Vor allem aus Erleichterung. Sie hatte das Fahren satt, und nun konnte sie anhalten. Sie war an ihrem Ziel angelangt. Britt würde ga nz schön überrascht sein ... falls sie überhaupt mit ihm sprechen würde. Noch bevor sie gestartet war, hatte er die Unverfrorenheit besessen, ihr vorzuschlagen, den Wohnwagen aufzugeben und stattdessen zu fliegen oder zumindest ihn fahren zu lassen. "Ich kann es mir nicht vorstellen, dass du allein auf dich gestellt mit allem fertig wirst. Du wirst dich verfahren, und im Augenblick habe ich zu viel zu tun, um zu deiner Rettung zu eilen." Britt traute ihr einfach nichts zu ... außer dass sie eine gute Schriftstellerin war. "Ich habe den Instinkt einer Brieftaube", hatte Angela ihm erklärt. "Nur zu deiner Information: Ich brauche deine Rettung nicht." Aber natürlich war es genau das, was sie brauchte. Sie befand sich in Arizona und wusste es nicht einmal. Das würde sie niemals Britt oder Jenny oder Kaki erzählen. Sie würde ihnen auch niemals erzählen, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, durch Texas zu fahren. Sie hatte den Umweg über Arkansas, Oklahoma, Kansas und Colorado gemacht, um den Staat, in dem der Ort lag, den sie niemals vergessen würde, zu meiden. "Oh, gut, dann ist ja die Sache geklärt. Dann kann ich aufhören weiterzufahren. Ich denke, ich hätte gern eine extra große Schokoladentafel, die von Hershey." Angela hatte schon immer die Gabe gehabt, sich mit ganz Fremden gut unterhalten
zu können. Und so stellte sie sich ungezwungen zu den Männern und aß ihre Schokolade. "Können Sie mir ein gutes Motel empfehlen?" fragte sie ihre neu gefundenen Freunde - Ben hinter der Kasse, Luke, der an seinem Milchschokoriegel und Jim, der an dem mit ganzen Haselnüssen kaute. Das Bad in ihrem Wohnwagen hatte die Größe einer Telefonzelle, und sie sehnte sich nach einem heißen Vollbad. "Das nächste liegt etwa hundert Meilen entfernt", teilte ihr Ben mit. Angela ließ es sich nicht anmerken, was ihr diese Nachricht antat. "Aber ein Stück diese Straße hinauf, da liegt ein Campingplatz". Angela wünschte sich, dass sie Ben genauer ausgefragt hätte, was er unter ein Stück diese Straße hinauf gemeint hatte. "Warum gelingt es mir, in meinen Büchern Wunder zu vollbringen, im wirklichen Leben aber nicht?" fragte sie sich verzweifelt. Und wie aus dem Nichts war plötzlich das Schild da: BrokenArrow-Campingplatz, links, drei Meilen. Und gleich darunter die Ankündigung: WILD-WEST-SHOW, in der Hauptrolle THUNDERHORSE, links, eine Meile. Angela stieß einen Jubelschrei aus. Sie war im Westen, endlich! Sie könnte jetzt eigentlich gleich den riesigen Cowboyhut aufsetzen, den sie sich in Arkansas gekauft hatte, und herausfinden, ob sie auf Thunderhorse - oder was immer auch dieses Donnerpferd sein mochte - reiten könnte.
2. KAPITEL Die Zahl der Zuschauer war heute eher gering. Meistens waren es Kinder mit ein oder zwei Erwachsenen als Begleiter. Der Mann, der den Vorhang vom Eingang der Manege ein wenig zur Seite schob, um zu den Zuschauerbänken hinüberzuspähen, war zufrieden. Am meisten mochte er an seiner Arbeit, dass er den Kids Teile aus der Geschichte der Ureinwohner dieses Landes lebendig machen konnte. Heute würde er mit seiner Sitting- Bull- Geschichte anfangen. Das fesselte gewöhnlich die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Und er wusste aus Erfahrung, dass wenn er im ersten Akt die Fantasie der Kids angeregt hatte, es bis zum Schluss der Show so bleiben würde. Er ließ den Vorhang fallen und ging zurück in seine provisorische Garderobe. Während er sein Kostüm überzog, rüttelte eine Brise leicht am Segeltuch des Zeltes und erinnerte ihn daran, wie schnell die Jahrszeiten wechselten. Die letzten neun Jahre waren an ihm wie verschwommen vorübergeeilt, und das war gut so. Er hatte ein einfaches, schlichtes Leben gelebt, voller Frieden und Freude an der Natur - die Sonne auf seinem Gesicht, die Erde unter seinen Füßen und den Wind in seinem Rücken. Er hatte nur wenig besessen, seine Freiheit war aber unbegrenzt. Er reiste, wenn ihn das Bedürfnis nach Gesellschaft überkam, aber gewöhnlich währte es nur kurz.
Und wenn er sich nach Einsamkeit sehnte, dann zog er sich auf seine Ranch in der Nähe von Sedona zurück. Thunderhorse kehrte zum Eingang zurück. Einige Nachzügler nahmen Platz. Er hob das Gesicht zum Himmel und bat den Großen Geist, ihm dabei zu helfen, seinen mächtigen Vorfahren aus dem Stamm der Sioux Ehre anzutun. Dann, gekleidet in perlverzierte Leggings aus Wildleder, mit einem Vorderlader in der Hand, marschierte er in die Manege als Sitting Bull. "Guten Tag. Ich bin Thunderhorse." Angela war erstaunt, wie übermütig, ja leicht verrückt sie sich fühlte. Nicht allein, dass der Mann in der Manege so göttlich anzusehen war, sie erinnerte sich auch, recht lebhaft sogar, was sie gedacht hatte, als ihr Blick auf das Schild gefallen war. Thunderhorse - Donnerpferd. Offensichtlich war dies ein Pferd der anderen Zucht ... ein Sioux, um genau zu sein. Zumindest stellte er sich dem Publikum als Sioux vor, und Angela hatte keinen Grund, es zu bezweifeln. Er hatte die hohen Wangenknochen, das lange schwarze Haar, die bronzefarbene Haut, was ihn einwandfrei als nordamerikanischen Ureinwohner auszeichnete. Reinblütiger Indianer, wie er gerade verkündete. Er hatte großartige Beine. Lang und unsagbar muskulös, die sich in der Wildlederleggings wunderbar hervortaten. Was hatte er gerade von Sitting Bull gesagt? Angela sammelte ihre abschweifenden Gedanken, die um seinen herrlichen Körper kreisten, und versuchte, sich auf die Show zu konzentrieren. "Sitting Bull war der letzte der großen Sioux-Häuptlinge, der sich der U.S.-Regierung ergab, als sie damit begann, die Ureinwohner auf Reservate zu verteilen. Er floh nach Kanada mit seiner treuen Gefolgschaft, wo er einige wenige Jahre blieb. Und als er dann in die Staaten zurückkehrte, war er ein Volksheld geworden."
Die Kids um ihn herum waren hingerissen ... und Angela auch. Der Mann war faszinierend. Nicht nur seiner Stimme wegen, die zweifellos beeindruckend war - tief und volltönend. Auch nicht wegen der Kleidung, obwohl sie echt war, wie Angela vermutete, und kein Indianeroutfit, wie man es in den Reservaten billig erstehen konnte. Und nicht einmal wegen seiner Erscheinung, obwohl sie zweifellos imponierend war. Etwas Mystisches haftete Thunderhorse an, so als ob er aus einer unbekannten Quelle heraus Selbstsicherheit und Unwiderstehlichkeit schöpfte. Während er redete, stand er ruhig da und beeindruckte durch seine stolze Haltung. "Im Jahre 1883, als die Northern Pacific Railroad die letzte Strecke der Eisenbahnlinie fertig gestellt hatte, haben die Amtsträger den großen Sioux-Häuptling zur Zeremonie eingeladen und ihn gebeten, die Eröffnungsrede zu halten. Natürlich kannten nur wenige die Sprache des Sioux-Stammes. Also hatte Sitting Bull einen jungen Offizier der Armee, der ihm beim Aufsetzen der Rede geholfen hatte, beauftragt, sie später den Anwesenden zu dolmetschen. ... Wer von euch hat in den Geschichtsbüchern gelesen, dass Sitting Bull die Rede gehalten hat?" Aus dem Publikum kamen überall Hände hoch. Einige riefen: "Ich! Ich hab's gelesen!" Angesteckt von der Begeisterung hob auch Angela die Hand. "Stand in den Geschichtsbüchern, was Sitting Bull gesagt hat?" "Nein", schallte es ihm entgegen. Thunderhorse lächelte und wartete. "Ich werde euch heute die Rede halten, genau so wie Sitting Bull sie im Jahre 1883 in Bismarck, North Dakota, gehalten hatte." Thunderhorse stellte sich in die Mitte der Manege, und als der Scheinwerfer ihn voll anstrahlte, ging ein Laut des
Erstaunens durch das Publikum. Er hatte sich einen alten Armeehut aufgesetzt und war zum Sitting Bull geworden. "Ihr habt uns das Land weggenommen und aus uns Ausgestoßene gemacht", verkündete er. Es wurde still im Publikum. Sie bekamen jetzt eine Geschichtslektion, die die Kids niemals vergessen würden. Auch Angela nicht. Sie lauschte gespannt. "Ist es falsch, dass ich das liebe, was mir gehört? Bin ich böse, weil meine Haut rotbraun ist? Weil ich ein Sioux bin? Weil ich da geboren bin, wo mein Vater lebte? Weil ich sterben würde für mein Volk und mein Land?" Thunderhorse hielt inne, und die Kids klatschten begeistert Beifall. Dann nickte er und verbeugte sich leicht, um dann mit seiner Rede fortzufahren. "Wenn der Große Geist es gewollt hätte, dass ich ein weißer Mann bin, dann hätte er mich zu einem Weißen gemacht. In jedes unserer Herzen hat er gewisse Wünsche und Pläne gelegt. So hat er auch in mein Herz Sehnsüchte gelegt, die sich von denen der anderen unterscheiden." Der Beifall wollte kein Ende nehmen. Thunderhorse nahm ihn mit Würde entgegen. "Vor dem Großen Geist ist jeder Mensch gut." Dieser Satz war ein Schlagwort und war direkt an die Herzen seines Publikums gerichtet. "Es ist nicht nötig, dass Adler Krähen sind. Jetzt sind wir arm, aber wir sind frei. Kein weißer Mann überwacht unsere Schritte. Wenn wir sterben müssen, dann sterben wir für die Verteidigung unserer Rechte." Thunderhorse winkte und verbeugte sich und lächelte, und die Kids klatschten wie wild und jubelten ihm zu. "Was glaubt ihr geschah, nachdem Sitting Bull seine Rede beendet hatte?" fragte er die jungen Zuhörer. "Keiner hat ihn verstanden", rief ein kleines blondes Mädchen.
"Komm hierher zu mir." Das Mädchen kam aus der zweiten Sitzreihe heraus, und Thunderhorse legte ein mit bunten kleinen Perlen besticktes Halsband in ihre Hand. "Sag uns deinen Namen und woher du kommst." "Ich bin Carolyn Withers, und ich bin aus Texas!" Ihre Freunde schrieen und jubelten. Angela grinste. Die kleine Miss Carolyn Withers war entweder ein Cheerleader, oder sie bekam einen frühen Start, um sich als Miss America aufstellen zu lassen. "Miss Carolyn Withers aus Texas, du hast es erfasst. Die einzige Person, die Sitting Bull verstanden hat, war sein Dolmetscher. Die Anwesenden klatschten Beifall und schrieen Hurra, während Sitting Bull lächelte. Er hatte sie beleidigt, und sie haben es nicht begriffen. Der Dolmetscher gab anschließend eine solch blumige Auslegung der Rede, dass die Eisenbahnfunktionäre Sitting Bull einluden, die Ansprache in St. Paul, Minnesota, zu wiederholen." Das Scheinwerferlicht folgte den beiden, als Thunderhorse die Kleine zurück zu ihrem Sitz begleitete und eine Weile stehen blieb, um mit den Kids zu plaudern. Während er so das Publikum ablenkte, kam hinter dem Vo rhang des Manegeneingangs ein Pferd hervor und bewegte sich unbemerkt zur Mitte der Reitbahn. Der Klang von Trommeln erfüllte das Zelt, und das Scheinwerferlicht schwang zur Mitte und überstrahlte das Pferd. Ein weißer Hengst warf seinen Kopf und stampfte mit den Hufen auf den Boden, und die Kids schlugen sich die Hände halb wund. Begleitet von dem leiser werdenden Trommelwirbel erzählte Thunderhorse, wie Sitting Bull sich mit Buffalo Bill in Codys Wild-West-Show zusammengetan hatte und durch Europa gewandert war, wo er einen weißen Sombrero aufgehabt und ein weißes Pferd geritten hatte.
Thunderhorse feuerte sein Gewehr ab, und der Hengst stieg hoch, bis er nur noch auf den Hinterläufen stand. Thunderhorse feuerte ein zweites Mal, und der Hengst galoppierte ringsherum im äußeren Kreis der Bahn. Der Rhythmus der Trommeln steigerte sich, und Thunderhorse spannte sich an und sprang auf den Rücken des galoppierenden Hengstes. Das Pferd bäumte sich, während der Trommelwirbel wieder schwächer wurde und dann abgelöst wurde von den Tönen eines Walzers. Pferd und Reiter wurden zu einem anmutigen Wesen, das sich im Dreivierteltakt bewegte. Dann verließ der weiße Hengst den äußeren Kreis, immer noch tänzelnd zum Rhythmus der Musik. Auf einmal stand dieses prächtige Tier vor Angelas Sitz, und sein Reiter lächelte auf sie herunter. "Dürfte ich Sie zum Tanz bitten?" fragte Thunderhorse. "O ja!" Angela sprang vom Sitz auf, begierig wie ein Kind. Aber ihre Gefühle waren kein bisschen kindlich, als Thunderhorse sich herabbeugte und sie vor sich auf den Hengst schwang. Ganz einfach, dachte Angela, ich bin gestorben und geradewegs in den Himmel gekommen. Die Frau vor ihm auf dem Hengst war weich und duftete süß und war aus der Nähe sogar noch hübscher. Angela Mercer. Thunderhorse hatte sie sofort erkannt. Man konnte in keine Buchhandlung marschieren, ohne nicht ihr Foto auf der Titelseite des Schutzumschlags ihrer zahlreichen Bücher zu sehen. Er hatte es sonderbar gefunden, dass sie in seinem großen Zelt hier mitten in Arizona saß, ohne Begleitung, ohne einen Menschen, der sie beschützte. Und sie hatte Schutz nötig. Ihre Verletzlichkeit zeigte sich auf den ersten Blick. Man musste nicht einmal richtig hingucken. Er hatte es jedenfalls sofort gesehen - in den blauen Augen. Angela Mercer hatte unglaublich blaue Augen. Wie Veilchen nach einem Regenschauer.
Steve Thunderhorse hatte seit Jahren keine Gedichte mehr geschrieben. Hatte seit Jahren überhaupt nichts geschrieben. Hatte es auch nicht gewollt. Nicht einmal, wenn er die Tageszeitungen in die Hand nahm und die Reportagen der Berichterstatter aus irgendwelchen Krisengebieten überflog. Lass andere über Krieg und Terrorismus berichten. Lass andere das Opfer bringen. Lass andere den schrecklichen Preis zahlen. Er zügelte seine abschweifenden Gedanken, obwohl seine nächste Nummer keine große Konzentration erforderte. Er und sein Hengst hatten sie Hunderte Male vorgeführt. Das Pferd musste von ihm nicht geführt werden. Dank dem Großen Geist. Was hatte ihn nur dazu getrieben, die einzige Person aus dem Publikum zu wählen, die die Macht hatte, ihm unter die Haut zu gehen? Warum hatte er nicht die kleine alte Lady in der ersten Reihe gebeten? Die mit der großen Tasche und dem dauergewellten gelblichen Haar. Ganz sicher hätte sie sich lachend auf das tänzelnde Pferd setzen und dann lachend sich von ihm herunterhelfen lassen. Er hätte sie zum Sitz begleitet und sie schnell vergessen. "Oh, ist das nicht wunderbar?" seufzte Angela und lehnte sich mit dem Rücken an ihn. Anschmiegen würde eigentlich der richtigere Ausdruck sein. So gegen ihn gelehnt fühlte sie sich total nachgiebig - und zerbrechlich an. Thunderhorse wahrte Würde, was ihm nur mit der größten Disziplin gelang. Angela drehte sich halb zu ihm um. Ihr weiches Haar streifte seine Wange. "Das muss man sich nur einmal vorstellen - ein tanzendes Pferd. Ich könnte immerfort so tanzen." Das könnte auch Thunderhorse. Seine Arme zitterten bei seinem Bemühen, diese ungemein reizvolle Frau mit den weichen Formen nicht eng an sich zu
ziehen, während weiterhin die Walzermelodie erklang. Er glaubte, die Musik würde niemals enden. Angela wollte nicht, dass die Musik endete. Sie war sehr enttäuscht, als die letzten Töne verklangen. Thunderhorse schwieg, als er sie auf dem Hengst zu ihrem Platz zurückbrachte. Er sagte auch kein Wort, als er ihr half abzusitzen. Hatte sie etwas falsch gemacht? Erwartete man von ihr, das sie sich verbeugte oder winkte oder das Pferd tätschelte? Oder den Pferdebesitzer tätschelte? Nun, das war ein Gedanke, der es wert war, weiterverfolgt zu werden. Angela könnte sich ein Dutzend Varianten vorstellen, Thunderhorse zu tätscheln, und dabei war sie, was das anging, eine ziemliche Anfängerin. Er beugte sich zu ihr herunter und sah ihr tief in die Augen. Und Angela verwechselte wieder einmal die Wirklichkeit mit ihren Romanen und fing an zu spinnen. War das nicht der Moment, wo der Mann sein Mädchen küssen sollte? Geschah das nicht auch immer in den Spätabendfilmen? Beifall rauschte auf, und Angela fühlte sich hilflos seinem eindringlichen Blick ausgeliefert. Hilfe! Wo blieben die Worte, die sie brauchte? Etwas flackerte in den Tiefen seiner schwarzen Augen auf, und er wendete das Pferd und ritt von ihr weg. Dann... dann hörte die Welt auf sich zu drehen. Er kam tatsächlich wieder auf sie zugeritten, glitt vom Pferd und fuhr mit dem Finger über ihre Lippen ... so schnell, dass keiner es mitbekam, so federleicht, dass sie davon nur geträumt haben könnte. Aus reinem Entzücken öffnete Angela die Lippen. Für einen verrückten Moment erwartete sie ein Feuerwerk, das in der Luft zerbarst, einen Blitz, der über den Himmel zuckte. Und das alles in einem eher schäbigen Zelt mitten im Wilden Westen.
Dann war Thunderhorse weg von ihr, war zurück in der Mitte der Manege, wo er einige Reiterkunststücke auf seinem Pferd vorführte. Angela saß auf ihrem Platz, kämpfte gegen eine Erregung an, die sie seit Jahren nicht verspürt hatte, und überlegte, ob es noch eine zweite Show gebe. Und ob Thunderhorse es mitbekommen würde, wenn sie bliebe.
3. KAPITEL Der Campingplatz lag tief in einer Gebirgsschlucht, umgeben von Pappeln und roten Felsen, die bis hinauf in den Himmel ragten. Jedenfalls schien es so. Die untergehende Sonne malte leuchtende Farben quer über das Land der Hochwüste und zauberte purpurrote Schatten, über die man endlos meditieren könnte. Friede lag in jedem Säuseln der Blätter der hoch gewachsenen Pappeln, im Ruf des einsamen Adlers, der sich hinauf in die Lüfte bis zu den Berggipfeln schwang, im Rascheln des Unterholzes, in dem sich das Wüstengetier tummelte. Thunderhorse lehnte sich in seinem Campingstuhl zurück, nippte an seinem Becher mit Kaffee und ließ die Abendstille bis hinein in seine Seele auf sich wirken. Er hatte ein Dach über seinem Kopf, Essen in seinem Bauch und unbegrenzte Freiheit. Was brauchte ein Mann noch mehr? Die Sommerferien waren vorüber, und die Kids kehrten wieder auf die Schulbank zurück. Der Campingplatz war um diese Zeit im Jahr leer bis auf seinen Caravan und noch einen Wohnwagen, der auf der anderen Seite des Platzes stand und dem Campingplatzwart gehörte. Thunderhorse fand, dass er Glück habe. So viel Freude ihm auch das Publikum machte, besonders die Kids, so hatte er die Einsamkeit doch lieber. Es war an der Zeit, die Show zu beenden, das Zelt zusammenzupacken und zu seiner Ranch
zurückzukehren, wo er sich dem gesegneten Alleinsein wieder überlassen konnte. Außerdem würde Lucas Gray Wolf allmählich zappelig werden. Er war es jedes Jahr wieder während des Mondes der Fallenden Blätter. Sobald die ersten Blä tter sich rot färbten, saß Lucas auf seinem Motorrad, tauschte den Stetson gegen den Helm ein, der seinen harten Schädel bei einem seiner vielen rätselhaften Abenteuer beschützen würde. Nach Hause zurückzukehren war das Mindeste, was Thunderhorse tun konnte, um seinen Partner in die Freiheit zu entlassen. Er war Lucas das - und noch so viel mehr - schuldig. Wenn es seinen Freund nicht gegeben hätte, wäre er heute noch in einer Rehaklinik irgendwo in Columbia - oder in der Gosse geendet. Plötzlich hielt der Adler in seinem trägen Flug inne und segelte aus der Sicht. Auch das Rascheln im Unterholz verstummte. Jemand näherte sich. Und in diesem Augenblick hörte Thunderhorse auch das Tuckern eines Motors, und gleich darauf sah er auch den Wohnwagen. Enttäuschung kam in ihm auf. Er hatte angefangen, sich fast wie der Besitzer der ganzen Felsschlucht zu fühlen. Glücklicherweise war genug Raum auf dem Campingplatz. Dass der Wohnwagen hier herauffuhr bedeutete nicht, dass er, Thunderhorse, mit irgendjemand groß reden müsse. Der Fahrer hielt bei der Einfahrt an, unterhielt sich kurz mit dem Platzwart und steuerte geradewegs auf den Platz gleich neben Thunderhorses Caravan zu. Thunderhorse verfolgte einen Moment lang ungläubig das ganze Manöver, dann stand er vom Campingstuhl auf und ging zu seinem Caravan. Hin war seine Einsamkeit. Natürlich könnte er seinen Caravan auf einen anderen Platz stellen, aber dann müsste er auch die Zuschaltungen wechseln. Und er wollte in ein paar Tagen sowieso von hier weg. Und natürlich könnte er auch den Nachbarn von nebenan so lange
erdulden. Vielleicht würde er ja das Glück haben, dass dieser Mensch zu den zurückhaltenden Typen gehörte. Könnte auch sein, dass er frühmorgens von hier verschwand, um auf Besichtigungstour zu gehen, und nicht vor Schlafenszeit wieder zurückkam. Wenn er seine Karten richtig ausspielte, könnte er ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Aus seinem Fenster beobachtete er, wie der Wohnwagen rückwärts auf den Platz neben seinem Caravan fuhr. Gutnachbarlich wäre es, hinauszutreten und dem Mann wegen der Anschlüsse Hilfe anzubieten. Überlass das dem Platzwart, dachte Thunderhorse. Er fühlte sich nicht gutnachbarlich. Stattdessen nahm er ein Buch und setzte sich in den Sessel in seinem Caravan, um sich ins Lesen zu vertiefen. Ein lautes Krachen, gefolgt von einem Knirschen von Metall gegen Metall zerstörte seinen Frieden. "Was, zum Teufel...?" Sein ganzer Caravan schwankte, als Metall sich wieder an Metall rieb. Thunderhorse sprang aus dem Sessel und marschierte zur Tür. Er war mit seinem Caravan fast hunderttausend Meilen ohne auch nur die kleinste Panne herumkutschiert, und hier saß er friedlich in seinem eigenen Wohnzimmer und las ein Buch, während irgend so ein Idiot in ihn hineinfuhr. Das würde dieser Kerl schwer büßen müssen. Thunderhorse schaute sich den Wohnwagen an, der seinen Caravan gerammt hatte. Zweifellos ein Gebrauchtwagen, der offensichtlich bessere Tage gesehen hatte. War es nicht immer wieder das Gleiche? Er ging jede Wette ein, dass die Versicherung des Eigentümers keinen Heller wert war. Er sah böse zur Fahrerseite hin, hatte vor, den Trottel mit seinem wütenden Blick zu durchbohren, aber der Fahrer war bereits ausgestiegen und kam um den Wagen herum.
"Ach, du meine Güte!" Eindeutig weiblich die Stimme. "Das sind ja Sie!" Angela Mercer stand zwei Meter von ihm entfernt, ihre großen blauen Augen voller Tränen, und Thunderhorse hätte seinen finsteren Blick nicht beibehalten können und wenn sein Leben davon abgehangen hätte. Warum ich? fragte er sich. Es war das zweite Mal an einem Tag, dass er diesem Engel begegnete. Hatte sich das Schicksal gegen ihn verschworen? "Es tut mir so schrecklich Leid", jammerte sie. "Ich bin wohl keine gute Fahrerin." "Unsinn. Jeder kann einen Fehler machen." Hatte er das etwa gesagt? Er konnte es nicht glauben. Nicht genug damit, dass er sie tröstete, er hatte sogar vor, ihr zu helfen. Er musste den Verstand verloren haben. "Warum setzen Sie sich nicht in meinen Campingstuhl und lassen mich nachsehen, was wir tun können?" schlug Thunderhorse vor. Das Gute war, dass er nicht um die Versicherung bangen musste, was jedoch im Moment zu seinen kleinsten Sorgen gehörte. Das eigentliche Problem lag darin, dass ihn niemand gegen blonde, blauäugige Engel versichert hatte, die in Tränen aufgelöst plötzlich vor seiner Tür auftauchten. Es schien, als ob Angela nicht aufhören konnte zu weinen. Nicht weil sie sich vielleicht daran stieß, für den Schaden aufkommen zu müssen. Das tat sie mit links. Pah, sie könnte ihm einen funkelnagelneuen Caravan kaufen. Es kümmerte sie auch nicht, dass er von ihr denken könnte, sie habe keinen blassen Schimmer vom Fahren. Nein, der Grund, warum sie nicht aufhören konnte zu weinen, lag einzig und allein darin, dass es Thunderhorse war, dessen Caravan sie halb demoliert hatte. Ausgerechnet Thunderhorse. Der Mann, der sie alles vergessen ließ, was wichtig für ihr
Leben war, einschließlich ihr Streben nach Unabhängigkeit. Schlimmer noch, er hatte sich als ein echter Gentleman erwiesen, als ein feinfühliger Mann, der mit einem einzigen Blick erfasst hatte, was sie wirklich brauchte, einschließlich Freundlichkeit. Sie wischte sich mit dem Handrücken über das tränenfeuchte Gesicht, setzte sich in den Campingstuhl und schloss die Augen. Nach fünf Tagen auf der Achse war es die reinste Erleichterung, einfach zu sitzen und jemand anderen auf sich Acht geben zu lassen. Sie war so müde, dass sie einfach nicht mehr weiterwusste. Morgen würde sie sich wieder um sich selbst kümmern. Morgen würde sie damit aufhören, hilfsbedürftig zu sein. Thunderhorse befand sich irgendwo hinten zwischen ihrem Wohnwagen und seinem Caravan, und als er auftauchte, fuhr Angela zusammen. "Es ist nicht so schlimm", stellte er fest. "Nichts, was ein wenig Farbe und ein tüchtiger Schlag mit dem Holzhammer nicht wieder in Ordnung bringen kann." "Da fühle ich mich aber erleichtert. Natürlich nehme ich die Kosten auf mich. Es war meine Schuld." "Mein Caravan stand Ihnen einfach im Wege, das ist alles." Er sagte es mit ausdrucksloser Stimme, aber seine Augenwinkel zogen sich zusammen. Angela freute sich. Sie mochte Männer mit Sinn für Humor. "Ich habe mich Ihnen noch nicht vorgestellt. Ich bin Angela Mercer." "Ich weiß, wer Sie sind." "Oh?" "Ich hab's gelesen." Damit verschwand er wieder zwischen den beiden Wohnwagen, und Angela blieb mit der Frage zurück, was er damit wohl gemeint hatte. Sollte das heißen, er habe ihre Bücher
gelesen? Und wenn ja, gefielen sie ihm? Oder gefielen sie ihm nicht? Angela seufzte. Es sah ihr wieder einmal ähnlich, in jedem Wort nach einem tieferen Beweggrund und einer versteckten Bedeutung zu suchen. Meine Güte, sie war im Urlaub! Konnte sie die Dinge nicht einfach laufen lassen? Konnte sie sich nicht einfach vom Geschehen treiben lassen, ohne sich zu sorgen, wohin es sie führte und wie es enden würde? Das war ihr Leben und nicht irgendein Komplott, das sie für einen ihrer Romane ausbrütete. Sie holte tief Luft, drückte die Schultern durch und stand auf. "Brauchen Sie Hilfe?" "Nein." . Der Mann redete nicht viel. Das konnte gut sein, aber auch nicht so gut. Bedeutete das, ihm war nicht daran gelegen, sich mit ihr zu unterhalten? Oder bedeutete das, er gehörte zu den mundfaulen Typen? "Sie könnten sich dort drüben hinstellen und mich anweisen, während ich Ihren Wohnwagen herausfa hre", sagte Thunderhorse. "In Ordnung." Angela setzte sich in Bewegung. "Bereit?" rief er. "Ich bin immer bereit", antwortete sie. Diesmal verbarg er sein Grinsen nicht. "Bereit für jeden Notfall", fügte sie schnell hinzu. "Natürlich", sagte er und setzte sich hinter das Steuer ihres Wohnwagens. Angela wünschte sich, sie hätte sein Gesicht sehen können. Bedeutete das, dass er ihr zustimmte? Oder machte er einen Witz auf ihre Kosten? Thunderhorse steckte den Kopf aus dem Seitenfenster. "Na, wie mach ich das?" "Großartig! Wirklich großartig!"
Wie macht er was? Ihren Wohnwagen frei machen? In gerader Linie fahren? Ihr Herz stehlen? Du meine Güte? Wie war sie nur darauf gekommen? Sie litt einwandfrei an Erschöpfung. Sobald er ihren Wohnwagen ordentlich geparkt hatte, würde sie sofort zu Bett gehen und zwölf Stunden schlafen. "Das sollte gut genug sein", sagte er. "Danke." Thunderhorse stand so dicht neben ihr, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht sehen zu können. "Ich merke es Ihnen an, dass Sie hungrig sind", sagte er. "Ich habe gerade vorhin vorgehabt, zu dem Imbiss ein gutes Stück die Straße runter zu fahren. Die haben das beste Steak diesseits vom Mississippi. Hätten Sie Lust mitzukommen?" "Natürlich. Sehr gern sogar." Am liebsten hätte Angela aufgejubelt.
4. KAPITEL Es war die Zeit am Abend, wenn der Himmel noch immer matt von den letzten Strahlen einer dahinschwindenden Sonne leuchtete. Die Farben wurden weicher. Leichte Winde kamen auf. Schweigen legte sich auf das Land. Für Thunderhorse war der Abend die perfekteste Zeit des Tages. Und er fuhr mit der perfektesten Frau, um ihn zu genießen. Angela Mercer versuchte nicht, das Schweigen durch nutzloses Geplapper zu füllen. Sie zappelte nicht herum oder drehte den Kopf wie ein Tourist von einer Seite zur anderen, rief auch nicht begeistert aus, wie wunderschön sie das alles fand, was sie da im Vorbeifahren zu sehen bekam. Sie saß entspannt da, ein Lächeln spielte um ihre Lippen, was für ihn ein Hinweis war, dass sie die Fahrt genoss. Ein Mann könnte sich daran gewöhnen, eine solche Frau um sich zu haben. Angela lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und schloss die Augen. Ihr blondes Haar hob sich gegen das dunkle Leder ab. Thunderhorse zwang sich, den Blick wieder auf die Straße vor ihm zu richten. "So könnte es meinetwegen lange und lange weitergehen", murmelte sie. "Etwas Ähnliches haben Sie heute Nachmittag über das Tanzen gesagt."
Angela öffnete die Augen und lächelte ihn an. "Sie erinnern sich?" "Ja." Thunderhorse erinnerte sich an jede winzige Einzelheit. Wie ihr Haar sich an seiner Wange angefühlt hatte. Wie ihr weicher Körper sich an seinen harten schmiegte. Wie sie duftete - wie Geißblätter im Tau des Morgens. Wie ihre Augen sich verdunkelten, wenn sie glücklich war. Er erinnerte sich an vieles ... An zu vieles für einen Mann, der entschlossen war, den Rest seines Lebens ohne Bindung zu verbringen. "Ist es noch weit?" fragte sie, dann: "Ich hoffe es." Thunderhorse lächelte. Wie hatte Angela Mercer es fertig gebracht, trotz all des Medienrummels so schlicht und unkompliziert zu bleiben? "Wir können herumfahren, solange Sie mögen, bis Sie wirklich hungrig sind." "Ich komme fast um vor Hunger, aber ich schaue mir lieber die Landschaft an. Dieses Land erfüllt die Seele." "Ja, das tut es." Irgendwie rechnete er es sich selber an, dass Angela so schnell das Herz seines Heimatlandes erkannt hatte. "Ich könnte als Reiseführer dienen und Sie auf das eine oder andere hinweisen, oder Sie können einfach nur schauen. Was immer Sie vorziehen." "Ich möchte nur alles in mich aufnehmen, einfach so." Thunderhorse lächelte. Dass Angela Mercer das sagen würde, hatte er irgendwie gewusst. Schriftsteller sammelten Tatsachen durch viel Lesen und viele Gespräche mit Menschen, aber ihre Eingebunge n kamen von neuen Eindrücken und der Atmosphäre. Die Dinge voll zu erfassen, das war wohl das Geheimnis. Einmal, vor einer ganzen Ewigkeit...
Thunderhorse verbannte den Gedanken aus seinem Kopf und bog in eine gewundene, von Felsen eingeengte Straße. Er betrachtete Angela aus den Augenwinkeln, und es gefiel ihm, wie das schwindende Licht und der Schatten über ihr Gesicht spielten, wie sie gelegentlich lächelte, wenn ihr etwas Besonderes gefallen hatte. Nach einer Kurve lag vor ihnen der Verde River. Auf beiden Seiten des Flussbettes standen lange Reihen von Trauerweiden, und das Gras war gemäht. Der Herbst hatte die Natur mit den Farben Gold, Rot und Orange herausgeputzt. "Oh, würden Sie hier halten?" bat Angela. "Ja." Thunderhorse fragte nicht, warum. Etwas hatte ihre Seele berührt. Wahrscheinlich fühlte sie das, was auch er immer empfand, wenn er den Fluss durch die Hochwüste dahintreiben sah. Es war die uralte Anziehungskraft der Natur, die Gewissheit, dass solange es diese Schönheit, diese Formen, diese Ordnung gab, die Erde ganz gewiss bestehen würde. Thunderhorse fuhr über die Brücke und parkte neben einer Pappel. Ein Angler, der auf einen späten Fang vor Einbruch der Dunkelheit hoffte, entdeckte sie beide und winkte ihnen zu. Angela winkte zurück und rief zu ihm hinüber: "Irgendwas gefangen?" So als ob er der Nachbar von nebenan wäre oder jemand, den sie seit der ersten Schulklasse kannte. Der Mann zog seine Angel aus dem Wasser, hielt sie hoch, damit sie sie sehen konnte, und schüttelte den Kopf. Angela lächelte. Dann spazierte sie weiter am Fluss entlang an einer Gruppe von Touristen aus Japan vorbei, die ihre Kameras auf den Fluss und die schöne Umgebung gerichtet hielten. Thunderhorse, der neben ihr herschlenderte, fühlte sich zufrieden, was selten bei ihm war, zugleich aber auch ungewöhnlich rastlos. Er blieb dicht an Angelas Seite, falls sie
einen falschen Tritt machte und von der festen Uferstraße ins Wasser fiel. Jedenfalls sagte er sich das. Er wollte sie nur beschützen. Über sie wachen. Es überrieselte ihn plötzlich kalt, und er setzte sich auf einen großen Stein, während Angela langsam hinunter zum Flussufer ging. Sie hatte es ohne ihn nach Arizona geschafft, oder etwa nicht? Sie hatte es bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr - so alt war sie wohl - ohne ihn geschafft, oder etwa nicht? Sie zum Essen einzuladen, war nicht sehr klug gewesen. Jetzt einen Rückzieher zu machen, war zu spät. Aber er würde es so schnell wie möglich hinter sich bringen, sie dann zum Campingplatz zurückfahren - und sie vergessen. "Wie wunderschön!" rief sie ihm zu und strahlte wie ein Weihnachtsbaum, als sie neben dem Fluss in die Hocke ging und einen Stein aufhob. Dann, lächelnd wie ein Kind mit einem neuen Welpen, kam sie zurück zu ihm und hielt ihm den Stein zur Begutachtung hin. "Geformt wie ein Herz", sagte sie. "Perfekter kann es nicht sein." Und das war der Stein auch - von Wind und Wasser und der Zeit gemeißelt - dunkelrot mit weichen rosa Schattierungen. Der Stein schien zu leben, so als ob Angela ein schlagendes Herz auf ihrer Handfläche liegen hätte. "Ja, das sehe ich", sagte Thunderhorse einsilbig, auch wenn er wusste, dass Angela mehr Begeisterung von ihm erwartete. Doch zu mehr war er nicht bereit, weder jetzt noch morgen oder übermorgen oder an allen folgenden Ta gen. Er war verbraucht, verschlossen, abgeschirmt und gefeit gegen Engel. Jedenfalls gegen lebende. Angela war enttäuscht, das zeigte sich in ihrem Gesicht, aber sie verbarg es schnell. Sie steckte den Stein in ihre Tasche und lächelte. "Wir sollten jetzt essen gehen", sagte sie. "Ich bin hungrig."
Als sie wieder sicher im Wagen saßen, fühlte sich Thunderhorse erleichtert. Von seiner Qual war er so gut wie befreit. Sie würden essen, dann würde er in die Sicherheit seines Caravans zurückkehren, wo er sich wieder einigeln konnte. Während der Fahrt schwieg Angela. Die innere Ruhe und der Friede, die sie am Fluss gefunden hatte, hatten sie noch nicht verlassen. "Ist das Restaurant, wo wir jetzt hinfahren, gut bekannt?" fragte sie auf einmal besorgt. "Nur die Hiesigen kennen es." Angela schien eine Weile darüber nachzudenken. "Werden viele Gäste da sein?" fragte sie dann mit angespannter Stimme. Auf einmal wusste Thunderhorse, was sie beunruhigte. Sie war berühmt, und berühmte Leute wurden als Gemeingut angesehen. Jeder schien ein Recht auf sie zu haben. Man würde mit ihr reden wollen, von ihr Autogramme haben wollen, sie sogar berühren wollen. Er stellte es sich vor, welche Wirkung das auf sie haben musste ... eine kleine zerbrechliche Frau eingefangen von der Presse und von einem Haufen sich drängender Fans. Er bemerkte, wie Angela nervös ihre Hände aneinander rieb. Fast hätte er seine Hand ausgestreckt, um sie auf ihre Hände zu legen. In letzter Minute rettete ihn ein Anfall von gesundem Menschenverstand. "Ich werde auf Sie Acht geben." Er sagte das mit angespannter Stimme, seine Augen hielt er fest auf die Straße vor ihm gerichtet. "Ich danke Ihnen." "Gern geschehen." Die Lichter von Montezuma Mama durchdrangen die Nacht. Thunderhorse fuhr langsam über den Parkplatz, prüfte die Autoschilder, sah aber keine aus den anderen Staaten. Die Jahre hindurch hatte er es noch niemals erlebt, dass einer der Einheimischen sich groß für die Fremden interessierte. Leben
und leben lassen schien das Motto hier zu sein, und er selbst fand, dass es ein verdammt gutes Motto war. "Sieht aus, als ob wir nichts zu befürchten hätten", verkündete er. "Gut." Das gefiel Thunderhorse an ihr. Eine Frau der wenigen Worte. Er lächelte über die Ironie. Gedruckt war Angela Mercer eine Frau der Millionen Wörter. Aber war das nicht immer so mit den Schriftstellern? Sie verbrauchten so viel Energie, um Worte in ihre Bücher hineinströmen zu lassen, dass sie manchmal nichts anderes wollten, als sich in die Schweigsamkeit zu verkriechen, wenn sie sich in die reale Welt begaben. Sie betraten das Restaurant. Thunderhorse blieb dicht an ihrer Seite, war sehr darauf bedacht, sie nicht zu berühren, aber bereit, ihr sofort zu Hilfe zu kommen, wenn es nötig war. Er bemerkte, dass sie ihm nur knapp bis zur Schulter reichte und dass, wenn er sie in den Armen hielte, er sein Kinn bequem auf ihrem Kopf ruhen lassen könnte. Sie hatten es fast bis zu ihrem angewiesenen Tisch geschafft, als plötzlich ein Paar im mittleren Alter von seinem Tisch aufsprang. Zweifellos hatten die beiden vor, sich auf Angela zu stürzen. Thunderhorse erkannte das an dem gewissen Funkeln in ihren Augen. "Achtung", flüsterte er Angela zu. "Bleiben Sie ruhig!" Sie hob den Kopf, und der Blick aus ihren tiefblauen Augen war so ungewöhnlich ausdrucksvoll, dass Thunderhorse abrupt stehen blieb. Kein Wunder, dass die Fans nicht genug von ihr bekommen konnten. Auch er würde nicht genug von ihr bekommen ... falls er sich etwas aus ihr machen würde ... falls sie ihm gehörte. Der Mann hatte bereits die Kamera im Anschlag, und die Frau wedelte mit der Hand, deren Finger überladen waren mit
fünfkarätigen Diamanten. "Huhu!" rief sie. "Angela Mercer ... hierher bitte, kommen Sie hierher." Blitzlicht zuckte auf, und sie wirbelte zu ihrem Ehemann herum. "Nicht jetzt gleich, du Trottel. Warte, bis sie hier ist." "Ich glaube, das halte ich nicht durch", flüsterte Angela. Sie sah flehend zu Thunderhorse hoch. Es war der Instinkt eines Mannes, der eine Frau beschützen wollte, der Thunderhorse dazu brachte, Angela auf seine Arme zu schwingen und mit ihr zurück zur Eingangstür zu eilen. Köpfe drehten sich ihnen zu. Alle starrten ihnen hinterher. Die mit Diamanten behängte Matrone schrie: "Schnell, Harold, knips! Knips die beiden!" Angela barg das Gesicht an seiner Brust. Ein Blitzlicht folgte dem anderen. Jemand stürzte aus der Küche und rief: "Hey, ist das wirklich Angela Mercer?" Thunderhorse kickte die Tür auf und marschierte mit Angela auf den Armen zu seinem Wagen. "Die haben Fotos von uns gemacht", flüsterte sie. "Das ist schon in Ordnung." "Sie können mich jetzt runterlassen." Thunderhorse riss die Tür auf und ließ Angela mit mehr Nachdruck, als nötig gewesen wäre, auf den Sitz plumpsen. Dann umrundete er den Wagen, glitt hinter das Lenkrad und ließ den Motor an. "Danke", sagte sie. "Ich wollte Sie nicht kränken." "Ist schon gut." Ein seltsames Gefühl überkam ihn, so als ob er etwas Wohltuendes verloren hätte ... die Vertrautheit unter Freunden, wie er es am frühen Abend empfunden hatte, das Ausbleiben ihres Lächelns, den Verlust all der Dinge, die er nicht wagte zu benennen. Über fünf Meilen sagte keiner von ihnen ein Wort. "Sind Sie immer noch hungrig?" fragte Thunderhorse schließlich. "Ja."
"Ich wüsste einen Ort, wo man die besten Omeletts diesseits vom Mississippi bekommt." "Wo?" Skepsis klang aus ihrer Stimme. Und auch Angst. "Bei mir." Er warf einen Blick auf ihr Profil. "Es sei denn, Sie möchten es nicht." Ihr Schweigen war deutlich. Sie war wie ein kleiner Vogel, der gefangen im Käfig saß, wie ein verlorenes Kätzchen, das in einem Hinterhof verloren herumstrich, wie eine schöne Frau, die nicht wusste, wo sie sich verstecken konnte. "Ich mache das Omelett und bringe es Ihnen in Ihren Wagen", sagte Thunderhorse schärfer, als er vorgehabt hatte. Er fühlte sich zurückgewiesen und mehr als nur ein wenig durcheinander. "Nein. Es ist in Ordnung. Ich wollte Sie wirklich nicht kränken." "Ist schon gut." Thunderhorse fühlte ihre Hand, die sich auf seine legte - ein Tautropfen, ein Engelsflügel, ein Schmetterlingskuss. "Tut mir Leid", flüsterte sie. "Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Mir gehen nur diese schrecklichen Leute vorhin im Restaurant nicht aus dem Kopf." "Auf dem Parkplatz stand kein Wagen mit einer auswärtigen Plakette. Es müssen Besucher von Verwandten sein." Schweigen. Angela drehte das Gesicht zum Seitenfenster. Das Mondlicht schimmerte in ihrem blonden Haar. Unglaublich blond. Unglaublich weich und seidig. Thunderhorse wollte sie berühren. Er wollte das mehr, als er jemals etwas gewollt hatte in seinem Leben. Er umgriff das Lenkrad fester. "Danke für die Einladung." Ihre Stimme war so leise, er musste sich ein wenig zu ihr herüberbeugen, um sie zu hören. "Ich komme zu Ihnen - wegen der Omeletts." Der Campingplatz lag unmittelbar vor ihnen.
"Ich möchte mich zuerst umziehen", sagte sie, "wenn Sie nichts dagegen haben." "Hab ich nicht." Während Angela in ihrem Wohnwagen war, nahm Thunderhorse ein Paar Stiefel auf, die mitten im Raum lagen, und warf sie in den Schrank. Dann entdeckte er ein Hemd, das über der Stuhllehne hing, ein Paar Socken unter dem Tisch, eine schmutzige Kaffeetasse und Kaffeeflecke auf dem Tisch. Er wurde allmählich zur Drecksau. Er sollte etwas dagegen tun. Das war die Gefahr, wenn man alleine lebte. Alleine lebte. Er würde jetzt nicht anfangen, darüber groß nachzudenken - und über all das, was das Alleinsein mit sich brachte. Als es an seine Tür klopfte, rief er: "Kommen Sie herein." Und dann stand Angela vor ihm, ganz in Weiß gekleidet, und Thunderhorse vergaß zu atmen. Das knöchellange Kleid war eher altmodisch, mit einem kleinen runden Kragen, aus einem anschmiegsamen hauchdünnen Stoff, der irgendwie bauschig wirkte. Wie Wolken, dachte er. Gütiger Himmel, er konnte ihre Beine durch den Stoff sehen, unglaublich lange, schlanke Beine. Ihre Taille war zierlich, und ihre Brüste zeichneten sich unter dem hauchdünnen Stoff höchst reizvoll ab, was einem Mann den Kopf verdrehen - und die Sprache verschlagen könnte. "Ich habe großen Hunger", flüsterte sie. "Das habe ich auch", sagte er, aber nichts lag ihm ferner als essen. Thunderhorse sah Angela auf eine Weise an, die sie scheu machte, ihr aber auch das Gefühl gab, weiblich und schön zu sein - und begehrenswert. Ihre Wangen hatten sich gerötet. Ihre Großmutter würde gesagt haben, sie seien von einem rosa Hauch überzogen. "Ladys aus den Südstaaten werden nicht rot", hätte sie hinzugesetzt. "Denk daran. Und vergiss nie, eine Lady zu sein."
Natürlich war Angela im Moment nicht sehr darauf bedacht, eine Lady zu sein ... nicht mit dem unglaublich sexy Sioux in ihrer Nähe, der sie mit seinem hungrigen Blick nicht aus den Augen ließ. Wenn ihre Großmutter wüsste, welche Gefühle er in ihrer Enkelin hervorrief, würde sie sich im Grab umdrehen. Es waren Empfindungen, die Angela noch nie zuvor gehabt hatte ... und, o Himmel, waren die sinnlich und erregend! Ihr war, als ob sie schwebte. Als ob der Himmel voller Sterne wäre, obwohl sie sich ja drinnen im Wohnwagen befand. Als ob sie Weihnachten feierte. Vielleicht lag es an ihrem weißen Kleid. Sie hatte es in einer kleinen Boutique an der Ostküste gekauft, hauptsächlich weil es sie an die Kleider ihrer schönen Großmutter erinnerte, die sie getragen hatte, wenn sie am Strand entlang spazieren ging - mit dem Sand zwischen ihren Zehen und dem Wind in ihrem Haar. Es erinnerte Angela an eine freundlichere Zeit, die nicht so rastlos war wie die jetzige. Eine Zeit, als man auf der Vorderveranda saß und sich am Sonnenuntergang freute, wo man Muße hatte, sich beim Abendessen ausgiebig zu unterhalten und anschließend bei einem kleinen Rundgang mit den Nachbarn einen Plausch zu halten. "Du bist ein altmodisches Mädchen", hatte ihr Vater ihr immer gesagt, und er hatte wohl Recht damit. Ganz tief in ihrem Inneren wollte Angela nur das eine - lieben und geliebt werden. So einfach war es. Und so unmöglich in der Wirklichkeit. Dan hatte ihr gesagt, dass er sie liebe, und auch Britt hatte es gesagt. Aber Angela hatte es niemals über sich bringen können, ihnen das Gleiche zu sagen. Sie hatte es nicht einmal über sich gebracht, es in Gedanken auszusprechen. Und jetzt mitten in Arizona, im Wohnwagen dieses Mannes wüsste sie auf einmal, warum es ihr nicht möglich gewesen war. Sie hatte weder Dan noch Britt geliebt. Doch sie war auf beide hereingefallen, und das sehr schnell. Ihre Vergangenheit war wieder lebendig, quälte sie und füllte sie
mit Traurigkeit. Durfte sie ihren Freunden trauen? Brauchte sie tatsächlich einen Aufpasser? Als Thunderhorse sagte: "Wollen Sie sich nicht setzen?" wählte Angela einen Stuhl so weit wie möglich von ihm entfernt. Nicht, dass sich irgendetwas an der Situation änderte. Er blieb überwältigend, ob sie nun einen Schritt oder zwei Schritte von ihm entfernt saß. Würde sie den Abend überstehen können, ohne etwas so Dummes zu tun, wie sein Hemd aufknöpfen und mit den Händen über seine sagenhaft muskulöse Brust streichen? Angela zweifelte keine Sekunde daran, dass seine Brust hart und muskulös war. Thunderhorse beobachtete sie immer noch, und sie hielt den Atem an - und wartete. "Fürchten Sie sich, Angela?" fragte er schließlich. Wovor sollte sie sich furchten? Dass er sie berühren würde? Dass er sie nicht berühren würde? "Nein." "Gut." Diese schwarzen Augen mit dem verzehrenden Blick ... Angela erschauerte. Thunderhorse wandte sich von ihr ab und machte sich am Herd zu schaffen. Er blieb auch weiterhin schweigsam, genau wie sie. Etwas spielte sich zwischen ihnen ab, das Worte überflüssig machte. Die Luft war wie geladen. Bald füllte der köstliche Duft von Zwiebeln und roter Paprika den Wohnwagen, und Angela musste die Hand auf ihren Bauch legen, um den knurrenden Magen zu beruhigen. Vorhin in ihrem Wohnwagen, während sie sich umgezogen hatte, hatte sie geglaubt, sie sei zu müde, um zu essen. Aber sie war ausgehungert... und hellwach. "So, wir können anfangen", sagte Thunderhorse früher, als Angela erwartet hatte.
Er servierte die Omeletts auf Steinguttellern mit einem Design, das charakteristisch war für die Indianer Nordamerikas. Sie saßen einander gegenüber, zu nahe, um entspannt zu sein. Ihre Knie berührten sich fast, aber es ging nicht anders. Immerhin aßen sie im Wohnwagen, wo alles, was man für das Herumreisen brauchte, auf das Notwendigste eingeschränkt werden musste. "Hm, köstlich", sagte sie und sah Thunderhorse an. "Das freut mich", erwiderte er und ließ sie nicht aus den Augen. Wie war es möglich, dass von einem Mann so viel Kraft und Stärke und unglaublicher Sex-Appeal ausgehen konnte? Ihre Haut prickelte. Bekam er mit, wie es um sie stand? Angela blickte schnell auf ihren Teller. Sie sollte sich mit dem Essen beeilen und von hier verschwinden. Und als sie fertig war, bot sie an: "Ich helfe Ihnen beim Geschirrwaschen." "Nein. Das mach ich später." Beide standen im selben Moment auf. Dir Kleid streifte über sein Bein, und mit dem Arm stieß er versehentlich gegen ihre Brust. Angela war versucht - sehr versucht - sich einfach an ihn zu lehnen. "Es ist nicht meine Art, nach dem Essen gleich zu gehen. Aber ich bin fünf Tage unterwegs gewesen, und auf einmal bin ich sehr müde." "Das ist schon in Ordnung." "Danke für das Omelett. Es hat sehr gut geschmeckt." "Ich habe Ihnen zu danken." Wofür zu danken? Fürs Kommen? Dafür, dass sie das Omelett gegessen hatte? Dafür, dass sie sich so früh zurückzog und er nicht mehr den Retter für sie spielen brauchte? Oh Himmel, sie wurde schon ganz wirr im Kopf. Es wurde wirklich Zeit, dass sie verschwand.
Thunderhorse sah sie an wie ein Mann, der eine Frau küssen wollte. Da war Angela sich sicher. Und sie wollte, dass er sie küsste. Sie wollte es mehr, als sie jemals etwas im Leben gewollt hatte. Jedenfalls soweit sie sich erinnern konnte. Und dabei kannte sie ihn kaum. Hatte sie ihre scheußliche Vergangenheit wieder einmal vergessen? Sie hatte keinen Grund, ihn zu küssen, aber tausend Gründe, sich sofort zurückzuziehen. Sie hielt ihm die Hand hin. "Gute Nacht. Und danke für alles." "Gern geschehen." Sein Händedruck war kurz und unpersönlich. Er konnte es kaum erwarten, dass sie ging. Das war nicht zu verkennen. Thunderhorse wollte sie weg aus seinem Wohnwagen. Wahrscheinlich weg aus seinem Leben. Immerhin hatte sie ihm bis jetzt nur Probleme bereitet. Bevor Angela aus der Tür trat, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. "Ich stelle Ihnen morgen einen Scheck aus, um den Schaden zu decken." Thunderhorse nickte. Sollte es ein Ja sein? Ein Nein? Eine Abfuhr? Angela war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Morgen war früh genug, um sich damit zu beschäftigen. Thunderhorse saß im Dunkeln und starrte zu Angelas Wohnwagen hinüber. Sie hatte ein Nachtlicht angelassen. Wenn er sich sehr darum bemühte, könnte er sich einbilden, dass er sie auf dem Bett ausgestreckt liegen sah, einen Arm über den Kopf geschlungen, ihr goldblondes Haar fächerförmig ausgebreitet auf dem Kissen, ein schlankes Bein unter dem weißen Betttuch hervorgestreckt. Aus dem heutigen Tag wurde er beim besten Willen nicht schlau, überhaupt nicht. In weniger als zwölf Stunden hatte das bloße Missgeschick einer Frau das zunichte gemacht, was ihn
neun Jahre gekostet hatte, um es aufzubauen: eine Schutzmauer um sich selbst. Angela Mercer würde niemals den Preis für den Schaden bezahlen können. Der Schaden war bereits angerichtet. Und Thunderhorse war nicht sicher, ob er jemals behoben werden könnte.
5. KAPITEL Als Angela aufwachte, war Thunderhorse bereits weg. Sie wusste es sofort, ohne nachzusehen, ob sein Auto dastand. Ein Gefühl des Verlorenseins überkam sie, so ähnlich wie sie es immer dann hatte, wenn sie aus ihrem Arbeitszimmer herauskam und das Haus leer fand. Dann war ihr, als ob Kaki und ihr Vater sie im Stich gelassen hätten. Manchmal waren die beiden nur im Garten oder schlenderten Arm in Arm zur Universitätsbibliothek, um in den Büchern zu blättern, oder auch nur zum Supermarkt, um sich Käse und Kräcker zu kaufen. Aber immer wusste Angela dann, dass sie alleine war. Genauso wie sie es jetzt wusste. Trotzdem schaute sie noch einmal zum Fenster hinaus, nur um sicher zu sein. Sein Caravan stand da, aber nicht sein Auto. Sie aß einen Löffel voll Müsli mit Banane, dann fand sie ein Telefon bei der Einfahrt zum Campingplatz. Sie hatte lange geschlafen. Es war bereits zehn Uhr in Mississippi, elf Uhr in New York. Zuerst rief sie zu Hause an. "Kaki, hier ist Angela." "Wo bist du?" "Broken Arrow, Arizona." "Du hast es also geschafft." "Hast du etwa daran gezweifelt?" Es klang herausfordernd. Statt darauf zu antworten, fragte Kaki: "Wie geht es dir?" "Fein."
Das war die erste glatte Lüge zu Kaki. Seit sie Thunderhorse begegnet war, würde sie sich womöglich nie wieder fein fühlen. "Hier läuft alles seinen alten Gang", berichtete Kaki. "Mach dir also keine überflüssigen Sorgen. Lass es dir nur gut gehen." "Irgendwelche wichtigen Nachrichten?" "Nur Britt. Er hat drei Mal angerufen, wollte wissen, wo er dich erreichen kann. Soll ich ihm die Nummer geben?" "Nein." War ihre Antwort zu schnell gekommen? Zu abrupt? "Sag ihm, dass ich die Zeit für mich allein brauche, Kaki." "Er wird das nicht mögen. Du weißt, wie er sich um dich Sorgen macht." "Ich habe keine Zweifel, dass du mit ihm fertig wirst, Kaki. Wie steht es um diese Benefizsache? Macht Dad dich damit verrückt?" Kaki lachte. "Fast. Während der letzten drei Tage war er entschlossen, einen Zirkus mit Manege und allem Drum und Dran zu engagieren, die Aida aufführen zu lassen mit anschließendem Tanz bis zum frühen Morgen." "Was machen wir nur mit ihm?" "Verwöhnen." Kaki hörte sich fast weich an. "Gib ihn mir", bat Angela. "Wie geht es meinem Sweetheart?" Ihr Dad klang munter. "Gut. Du klingst auch gesund und munter. Gibst du auf dich Acht?" "Kaki hat mich zu einem Training überredet, das ein Zwanzigjähriger nicht bewältigen würde." "Hört sich an, als ob du genau das brauchst." "Ich muss zugeben, dass die frühmorgendlichen Spaziergänge mir ganz schön Schwung gegeben haben. Und du, Darling? Genießt du den weiten und wilden Westen?" "Er ist fantastisch. Und, Dad, ich habe eine richtige WildWest-Show gesehen. Ich wünschte, du könntest sie auch sehen." "Das werde ich ganz sicher noch. Mach's gut, Darling." "Du auch, Dad."
Als Nächstes rief Angela ihre Agentin an. "Wie kommt es, dass du mich anrufst?" rief Jenny. "Du solltest dich vom Alltag erholen." "Das tue ich auch." "Warum also verschwendest du deine Zeit mit Telefonieren? Vergnüge dich und komm gesund zurück!" "Jenny, jemand hat gestern Abend in einem Restaurant Fotos von mir gemacht." "War es jemand, den du kennst? Womöglich dieser Idiot von der Tribüne, der um dich herumschleicht?" "Nein. Es war ein Paar, und sie wirkten wie ganz gewöhnliche Touristen." "Wahrscheinlich waren sie es auch. Denk nicht mehr daran. Außerdem würde zum ersten Mal ein nicht bewilligtes Foto von dir in den Medien erscheinen." "Es geht hier nicht um mich." "Du bist mit jemand zusammen gewesen?" "Nicht genau." "Nicht genau? Was soll das bedeuten?" "Nun, sagen wir mal so. Ich war nicht mit irgendjemand zusammen. Ich war mit Thunderhorse zusammen." "Wow. Was für ein sagenhafter Name! Irgendwie klingt er bekannt. Oder hast du dir das ausgedacht?" "Nein. Es ist wirklich so. Ihn gibt es wirklich." "Du solltest den Namen in deinem nächsten Buch verwenden." "Jenny ... Mir ist es ernst damit." "Okay. Sollte ich von unrechtmäßigen Fotos von dir und diesem Thunderhorse Wind bekommen, werde ich dem Unfug ein Ende bereiten. Was hast du auf diesen Fotos überhaupt getan?" "Nichts. Ich meine, nichts Absichtliches. Ich habe diese Leute gesehen und bin ausgeflippt, und er hat mich auf die Arme genommen und mich hinausgetragen."
"Wow!" "Jenny, habe ich dir jemals klargemacht, dass du nur einen geringen Wortschatz hast?" "Viele Male, Darling. Und das ist mir auch völlig schnurz. Solange wir einander reich machen, bin ich glücklich." "Du bist ganz schön habgierig." "Jaaa. Bin ich nicht unmöglich? Bye, Darling, und amüsier dich. Aber genau das tust du ja mit diesem Thunderhorse. Hm, ich kann ihn mir so ganz genau vorstellen." "Jenny..." Angelas Protest fiel auf taube Ohren. Die Leitung war tot. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war fast die Zeit für Thunderhorses Vormittagsshow. Nicht, dass sie dahin gehen würde. Sie hatte eine Menge zu tun ... sich in Museen umschauen, sich nach Kunstgalerien umtun, Ruinen erkunden und eine Geisterstadt finden. Der Westen war voll von aufregenden Plätzen. Angela saß nicht im Publikum. Thunderhorse überflog noch einmal prüfend die Menge, suchte nach seidig glänzendem blonden Haar, nach einem Paar der blauesten Augen diesseits des Himmels, nach einem Lächeln, wie er es noch nicht zuvor gesehen hatte. So schlimm hatte es ihn noch nicht einmal bei Emily erwischt, auch nicht am Anfang ihrer Beziehung. Für einen kurzen Moment tauchte Emily vor ihm auf ... dunkle große Augen, Lippen, die sich so gern zum Lachen verzogen. Schmerz überfiel ihn, aber er verbannte die Erinnerungen. Er hatte eine Show, musste ein Publikum unterhalten, ein Pferd reiten. Er gab Shadow das Zeichen für den Auftritt, und gerade, als der weiße Hengst in die Manege trabte, betrat Angela Mercer das Zelt. Auf einmal gab es nichts außer Angela, keine Show, kein Publikum, kein Pferd, nichts außer dieser einzigartigen Frau in
einem anderen durchscheinenden Kleid, das Thunderhorse an Gaslampen und Pferdekutschen denken ließ und weiße Blumen, die die mondbeschienene Luft mit ihrem Duft erfüllten. Ihr Kleid war rosa, die Farbe von süßem Fruchteis, so weich wie lichte Wolken am Sommerhimmel. Zögernd stand sie im Eingang mit der Sonne im Rücken, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, ein zartes Rot auf den Wangen, einen Strohhut mit Band um den Arm gehängt. Es war Zeit für die Musik, Zeit für den Tanz. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, gab Thunderhorse das Signal für die Musik. Die Klänge waren anders diesmal, passend zur Stimmung. Als Gershwins sehnsuchtsvolle Liebesmelodie Embraceable You das Zelt füllte, bestieg Thunderhorse seinen weißen Hengst und ritt geradewegs auf Angela zu. "Dürfte ich Sie zu diesem Tanz bitten?" "Ja." Er lehnte sich hinunter und hob Angela hinauf zu sich auf das Pferd, und die Menge klatschte wie wild. Er schloss die Arme um Angela, zog sie mit dem Rücken eng an sich. Ihr Duft machte ihn verrückt, und er beugte den Kopf und küsste sie aufs Haar. "Oh", flüsterte Angela. Fast klang es wie ein Seufzer. "Ja", sagte Thunderhorse. Fast klang es wie eine Bestätigung. Shadow fing an, seine Tanzschritte vorzuführen. Das Publikum jubelte. Die Musik spielte weiter. "Nicht einmal im Traum hätte ich mir das vorstellen können", flüsterte Angela. Thunderhorse ging es ebenso. Sein Herz hämmerte, sein Blut war wie Feuer in den Adern. Verlangen - heiß, heftig - setzte sich über den Verstand hinweg. Thunderhorse blickte zur Kontrollkabine hinüber und hob die Hand als Zeichen für das Ende. Wayne Gatlin, seine rechte Hand, zog erstaunt die Augenbrauen hoch, aber er wusste, es war besser, dem Boss keine Fragen zu stellen. Er dämpfte die
Lichter und ließ die Musik ausklingen, während Thunderhorse und sein Engel aus dem Zelt galoppierten. Angela wandte ihm das Gesicht zu. "Was ist mit der Show?" "Die Show ist zu Ende." "Darüber bin ich froh", sagte sie, dann rutschte sie mit dem Rücken noch dichter an ihn heran, als ob sie sich darauf einstellte, mit einem leicht verrückt gewordenen Sioux in einem wilden Ritt aus dem Zelt hinaus in die Felsschluchten zu jagen. Thunderhorse lenkte den Hengst am Parkplatz vorbei, vorbei an den Autos, überquerte die Einfahrt zum Highway und ritt weiter seinem entlegenen Ziel zu - einem roten Gipfel, dessen Lagen für Lagen von Gestein über Jahrhunderte hinweg von Sonne und Wind und Regen geformt worden waren. Shadows Hufe klapperten über den steinigen Boden, als sie die Zivilisation hinter sich ließen. Während das Pferd sie quer durch die Hochwüste trug, verschwendete Thunderhorse keinen Gedanken an gestern, heute oder morgen. Er gab sich dem Augenblick hin. Wie seine Vorfahren vor ihm, war er eins mit der Natur geworden. In ihm brannte ein loderndes Feuer, während er mit Angela tief in die Felsschluchten ritt, durch enge Pässe, steile Berghänge hinauf, Serpentinen entlang. Es war eine wilde, primitive Welt für Angela und ihr völlig unbekannt. Und doch fragte sie nie nach, spannte sich nie an. Sie fühlte sich total gelöst. Als sie tiefer in die Felsschluchten hineinritten und blanke Steinwände sich um sie herum türmten, vernahmen sie in der Ferne das Donnern eines Wasserfalles. "Schau hinauf, Angela." Thunderhorse zügelte Shadow, damit sie einen guten Ausblick hatte. Zweihundert Fuß hoch, oben auf einer der Bergspitzen, war ein Adlernest. Darüber kreiste ein Adler, der sich mit weit gespreizten Flügeln kühn in die Lüfte schwang - der prächtigste Anblick im Land der Hochwüste.
Angela beschattete die Augen, und als sie den Adler entdeckte, hielt sie den Atem an. "Er wirkt so - frei." "Er ist es." "Es muss wunderbar sein." Der sehnsüchtige Ton in ihrer Stimme riss an seinem Herz, und Thunderhorse fragte sich, welchen Preis Angela für ihren Ruhm zahlen müsse. Er selbst hatte diesen Preis einmal zahlen müssen, und der Preis war viel, viel zu hoch gewesen. Mit dem Druck seiner Knie und dem leichten Schlagen der Zügel in seiner Hand lenkte er das Pferd noch weiter in die Felsschlucht, bis das Getöse des Wasserfalls das Aufschlagen der Hufe auf steinigem Boden übertönte. Kurz bevor sie die letzte steile Kurve und den engen Durchgang erreichten, stieg Thunderhorse ab. Nicht aus Gründen der Sicherheit, sondern weil er Angela ins Gesicht sehen wollte. Auch sie wollte absteigen, aber er legte die Hand auf ihr Bein. "Bleib. Mach dir keine Sorgen. Ich führe dich sicher." Das Du kam ihm leicht über die Lippen. "Ich vertraue dir." "Schließ die Augen." "Ja." Sie kamen durch einen Zugang aus Stein, und es war, als ob sie einen Schritt in die Vorzeit gemacht hätten. Wie auch sonst blieb Thunderhorse einen Moment lang in scheuer Ehrfurcht stehen. Wie in einer gotischen Kathedrale erhoben sich die glatten Steine in all ihrer Pracht, und die Sonne bildete ein Muster von Licht und Schatten, dass es wirkte, als ob sie mit ihren Strahlen die Grotte segnen wollte. Wasser stürzte im freien Fall über die Steine, donnerte in einen Flusslauf auf der Sohle. Einheimische Pflanzen konnten hier üppig gedeihen, wurden in dieser uralten Gebirgsschlucht von den Menschen nicht erbarmungslos niedergetrampelt.
Angela legte überwältigt die Hand über ihr Herz. Tränen glitzerten in ihren Augen. "So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen." Thunderhorse fühlte eine so große Freude in sich, dass er schlucken musste. "Ich wollte dir die Welt geben." Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und lief ihr über die Wange. "Das hast du getan. Ich danke dir." Er streckte die Arme aus und hob Angela vom Pferd. Eine Brise verfing sich in ihrem Haar, und ihr Kleid bauschte sich gegen seine Beine. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen, aber sie ließ Thunderhorse nicht los, behielt die Arme auf seinen Schultern. Die letzten vierundzwanzig Stunden verschmolzen zu einem Moment, und als sie sich küssten, gab es keine Zeit, keine Wirklichkeit, kein Universum mehr. Nur sie zwei. Das machtvolle Getöse des Wasserfalls, die Hitze der Sonne und das tiefe Grün des Stroms waren wie ein Versprechen der Erde, dass sie bestehen bleibe. Aber nicht einmal die unverfälschte Natur kümmerte Angela. Sie küssten sich, bis sie außer Atem waren, und dann blieben sie im Arm des anderen, wiegten sich im Rhythmus, der so alt war wie die Zeit, so vielsagend wie ein erotischer Tanz. Thunderhorse konnte ihren Herzschlag spüren, die Röte auf ihren Wangen sehen, ihr Parfum, das sich mit dem Duft ihrer erhitzten Haut vermischte, riechen. "Ich möchte niemals wieder von hier fort", flüsterte sie ihm ins Ohr. "Ich auch nicht." Er nahm sie bei der Hand und führte sie zum Fluss. Und Angela zog die Schuhe aus und watete durch das hüfthohe Wasser, achtete nicht darauf, dass der Rock ihres Kleides und die Bänder ihres Hutes völlig durchnässt hinter ihr herschleiften. Thunderhorse lachte und kam in Mokassins und Hose auf sie zu. Und als Angela ihn mit Wasser bespritzte, versuchte er, sie
einzufangen. Sie spielten Fangen wie zwei übermütige Kinder. Er packte sie schließlich und küsste sie. Dann, weil die Sonne erbarmungslos brannte, nahm er Angela den Hut ab, den sie an den Bändern über den Arm gestreift trug, und setzte ihn zärtlich auf ihr goldblondes Haar. Sie drehte seine Hand um und drückte einen Kuss auf die Handfläche. "Du bist süß", sagte sie leise. "Ich mag vieles sein, aber süß bin ich ganz sicher nicht." "Doch das bist du. Du bist sehr süß und zärtlich." Fast glaubte Thunderhorse ihr. "Du kennst mich nicht." "Ich kenne dich. Man braucht nicht lange, um in die Seele eines Menschen zu sehen." "Deine Arglosigkeit trübt dir die Sicht." "Ich bin nicht arglos." "Doch, du bist es." Angela lehnte sich zurück, um Thunderhorse ins Gesicht zu sehen. "Ist das unser erster Streit?" Er lachte. "Nein. Ich werde mich nicht an dem Tag streiten, wo ich dir die Welt geschenkt habe." Angela stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn, dann planschte sie durch das Wasser zum Ufer. "Im Film stehen die Liebenden hinter dem Wasserfall", rief sie. "Ist das möglich?" "Manchmal." "Hier? Jetzt?" fragte sie eifrig wie ein Kind. "Ja." Thunderhorse nahm Angela an die Hand. "Halte dich an mir fest." "Ich lass dich nicht los." Er wollte auch nicht, dass Angela ihn losließ. Niemals. Ihm war, als ob sein Herz weich geworden wäre, als ob ein Zauber sich in sein Herz hineingestohlen hätte. Und für einen Moment glaubte er an die Möglichkeit, dass eine ganz besondere Frau Wände einreißen und Wunder vollbringen könnte. Sie wateten durch das Wasser, und als es Angela bis zur Brust reichte, nahm Thunderhorse sie auf die Arme und trug sie
sicher zum Wasserfall, der wie ein dichter Vorhang zur Sohle niederdonnerte. Angela streckte die Zunge vor, um die Tropfen aufzufangen. "Das Wasser ist wild, und so schmeckt es auch", rief sie laut, um das Donnern zu übertönen. Sie hatte das Wesentliche dieser Felsschluchten erfasst. Wild. Es war ein wildes, ursprüngliches Land, das einem Menschen innere Freiheit schenkte. Thunderhorse kletterte die Steigung mit ihren naturbehauenen Stufen hoch, die sie hinter den Wasserfall führten. Durch den kristallenen Vorhang erschien die Welt weicher, die Farben gedämpfter, und Regenbogen schossen vom Himmel nieder - doppelt, dann dreifach, bis die Grotte in allen Farben schimmerte. Mit angeklatschtem Haar, durchnässter Kleidung sahen sie einander glücklich an. "Ich glaube, ich habe den Himmel gefunden", rief Angela. Heute hatte ihm das Universum ein Geschenk gemacht, und gegen alles bessere Wissen nahm er es an. Thunderhorse zog sie dicht an sich. "Das habe ich auch."
6. KAPITEL Das Getöse des Wasserfalls füllte die Felsschlucht. Angela blickte auf zu Thunderhorse, während sie seine Hand ergriff. Es schien ihr so natürlich, seine Hand zu halten. Sie vertraute ihm. Ich werde nicht darüber grübeln, warum ich ihm vertraue. Ich werde nicht über die Vergangenheit nachdenken und warum ich noch nie zuvor so gefühlt habe wie jetzt. Ich werde es einfach zulassen, dass es so ist. Es war kühl hinter dem Wasservorhang, und als Angela anfing zu zittern, nahm Thunderhorse sie sofort auf die Arme und trug sie zu dem Platz, wo sie das Pferd angebunden zurückgelassen hatten. Dann, ohne ein Wort, holte er die Satteldecke und breitete sie auf dem Boden für Angela aus. Sie lächelte ihm zu, setzte sich, schlang die Arme um ihre angezogenen Beine, lehnte mit geschlossenen Augen den Kopf zurück und hielt das Gesicht der Sonne entgegen. Sie spürte, wie Thunderhorse sich neben sie setzte, spürte die Hitze seines Körpers, seine beruhigende Anwesenheit. War es so für ihre Eltern gewesen? Als Kind hatte Angela sie oft auf der Verandaschaukel sitzen sehen. Manchmal unterhielten sie sich murmelnd, immer freuten sie sich an der Nähe des anderen und an der friedlichen Abendruhe. Angela war immer enttäuscht, wenn sie dieses gewisse Etwas, das sie bei ihren Eltern erlebt hatte, in ihren Büchern nicht einfangen konnte, so sehr sie sich auch darum bemühte.
Und nun hatte sie es gefunden. Hier. Jetzt. In den Felsschluchten des fernen Arizona mit einem schweigsamen Mann an ihrer Seite, der fast ein Fremder für sie war. Fast. "Du bist hellhäutig. Du holst dir schnell einen Sonnenbrand." Sogar sitzend wirkte er groß - und verlässlich. "Du bist ein sanfter Riese, weißt du das?" "Nur zwei Menschen haben mich sanft genannt." "Und wer waren diese zwei Menschen?" Thunderhorse verschloss sich. Nur so konnte Angela es beschreiben. Hier saß er neben ihr, Herz und Seele ihr zugewandt, und schlagartig sperrte er sich von ihr ab. "Das war eine neugierige Frage", sagte sie. "Ich ziehe sie zurück." "Wir müssen zurückkehren. Ich habe heute noch ein Show." Der Ritt aus der Felsschlucht unterschied sich sehr von dem Ritt zuvor. Zum einen schien das Schweigen beredter zu sein als Worte. Es war erfüllt mit Hunderten von Fragen. Zum anderen fühlte Angela sich gehemmt. Jetzt vor ihm auf dem Pferd zu sitzen war, als ob sie sich mit dem Rücken gegen einen Sack voller Sprengstoff lehnte. Sie hatte dumm und unverantwortlich gehandelt. Immerhin, was wusste sie von diesem Mann? Er könnte ein Schwindler sein. Schlimmer noch, er könnte ein Gangster sein. Da war sie nun, eine Berühmtheit, nicht aus freier Wahl, aber trotzdem eine Berühmtheit. Die ganze Welt wusste, was sie wert war, dank der Medien. Das Gefühl des Verlustes überkam Angela, und sie warf einen Blick über die Schulter, um noch einmal die Felsschlucht zu sehen. Doch alles was sie sah, waren Salbeisträucher und einen Wüstenhasen. Angela seufzte. Es war nicht leicht, das Paradies zu verlieren.
Das Zelt kam in Sicht, und Thunderhorse lenkte den Hengst zum Parkplatz. Er stieg nicht ab, um Angela herunterzuhelfen. Sie glitt vom Pferd. "Danke für einen reizenden Tag." Sie hielt ihm die Hand hin, und als er sich zu ihr herunterbeugte, glaubte sie für den Bruchteil einer Sekunde, er würde sie küssen. Doch dann drückte Thunderhorse ihre Hand nur und sagte: "Gern geschehen", wendete den Hengst und ritt in Richtung seiner Wild-West-Show, ohne auch nur einmal einen Blick zurückzuwerfen. "Er hat mich nicht einmal darum gebeten, mir seine Show anzusehen", sagte Angela zu niemandem. Tränen brannten in ihren Augen, als sie sich hinter das Lenkrad setzte. Während sie davonfuhr, überlegte sie, wen Thunderhorse wohl als Tanzpartnerin wählen würde und ob er dem Tonmeister signalisieren würde, Gershwins Embraceable You zu spielen. "Ich hoffe, sie hat schiefe Zähne und einen schlechten Mundgeruch." Nachdem Angela diesen Wunsch laut ausgesprochen hatte, wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und fuhr in Richtung Stadt. Jedenfalls hoffte sie, dass es die Richtung sei. Sie würde durch das Einkaufszentrum bummeln, und sie würde Unsummen ausgeben. "Es ist die beste Kur gegen Trübsinn", sagte Jenny immer. Angela wollte es ausprobieren. Thunderhorse war in einer miesen Laune. Er hatte kaum das Zelt betreten, als er Wayne Gatlin verkündete: "Ich lasse Shadows Tanz für die Nachmittagsvorstellung aus." "Hat der Hengst ein Problem?" "Nein." Wayne ließ sich gewöhnlich auf keinen Wortwechsel mit Thunderhorse ein. Aber heute machte er eine Ausnahme. "Dann
weiß ich nicht, warum du diese Nummer nicht bringst. Sie ist beim Publikum am beliebtesten." "Ich werde einige Lassotricks hinzufügen." Wayne wollte wieder protestieren, aber ein Blick in Thunderhorses Gesicht brachte ihn davon ab. "Was immer du sagst." "Sind die Plätze voll besetzt?" "Eher mäßig." "Gut. Das wird unsere letzte Show sein." "Ich dachte, du wolltest die nächste Woche noch durchziehen." "Der Winter kommt dieses Jahr früh. Es ist Zeit, die Show zu schließen und nach Hause zu fahren." "Dagegen hätte ich absolut nichts einzuwenden. Ich werde froh sein, auf die Ranch zurückzukehren. Willst du heute Abend schon aufbrechen?" Thunderhorse dachte an Angela, die allein auf dem Campingplatz sein würde. "Nein." "Wenn du nichts dagegen hast, mache ich mich auf den Weg nach Haus, sobald das Zelt abgebaut ist und die Geräte eingepackt sind." "Ich kümmere mich darum. Fahr nach der Show gleich los, und wenn du auf der Ranch bist, sag Lucas, dass ich in wenigen Tagen nachkomme." Nicht dass es nötig wäre, Lucas Gray Wolf so etwas mitzuteilen. Er war nicht nur der beste Rancher in Arizona, er war der beste Freund, den ein Mann sich nur wünschen konnte. Thunderhorse würde sein Leben Lucas anvertrauen. Und einmal hatte er es auch getan. Aber das war eine Geschichte, die Thunderhorse zu vergessen versuchte - zusammen mit tausend anderen Erinnerungen. Heute hatte er noch eine hinzugefügt. Angela. Die Berührung ihrer Lippen würde ihn für immer verfolgen.
Er schnappte sich sein Kostüm und verwandelte sich in Sitting Bull. Er wünschte, er könnte sich auch innerlich so schnell verwandeln wie äußerlich. Angela kam spät auf den Campingplatz zurück. Thunderhorse lief rastlos hin und her und blickte aus dem Fenster jedes Mal, wenn er vorbeikam. Es war bereits dunkel. Wo konnte sie stecken? "Das geht dich verdammt noch mal nichts an", hielt er sich vor, drehte sich zu seinem Herd, um sich ein richtig gutes Eintopfgericht zu kochen. Er hätte sich gleich heute Nachmittag auf den Weg nach Haus machen sollen, wie Wayne es getan hatte. Aber Wayne war auch ein Mann mit einem gesunden Menschenverstand. Das Eintopfgericht brodelte, und Thunderhorse blickte wieder einmal besorgt zum Fenster hinaus. Wenn sie nun wieder auf ein Problem gestoßen war? Er hatte es ja miterlebt, wie schnell nervige Fans sich zu einem hysterischen Pöbel entwickeln konnten. "Idiot." Er riss aus dem Geschirrschrank eine Porzellanschüssel. Wie kam er darauf, ihr Beschützer zu sein? In der Rolle hatte er schon einmal Schiffbruch erlitten. Hatte er seine Lektion noch immer nicht gelernt? Die Scheinwerfer ihres Wohnwagens schnitten durch die Dunkelheit. Thunderhorse füllte seine Schüssel mit der dicken Suppe, dann setzte er sich an den Tisch, um zu essen. Was Angela Mercer tat, war nicht seine Sache. Sie sang, als sie aus dem Wohnwagen stieg, um sich um die Anschlüsse zu kümmern. Angela hatte einen klaren Sopran. Es klang gut. Thunderhorse spitzte die Ohren - und verschluckte sich fast an der Suppe. Das Lied war Embraceable You.
Erinnerte sich Angela auch? Er war froh, als die Tür hinter ihr zufiel. Vo n ihm aus konnte sie jetzt singen wie ein Vogel, das war ihm egal. Die Hauptsache, er hörte es nicht. Morgen würde er endgültig nach Hause fahren. Früh. Gleich nach dem Sonnenaufgang. Vielleicht noch vor Sonnenaufgang. Bevor Angela wach wurde. Er spülte die Schüssel, blieb eisern dabei, keinen Blick aus dem Fenster zu werfen. Dann nahm er den neuesten Krimi auf und setzte sich, um ihn zu lesen. Das sollte ihn davon abhalten, an seine Nachbarin zu denken. Auf Seite fünfundzwanzig glaubte er, etwas Verbranntes zu riechen. Auf Seite fünfunddreißig zweifelte er nicht mehr. Er legte das Buch auf den Tisch, hob den Kopf und schnupperte. Verbranntes Steak. Nur das konnte es sein. Angela ließ ihr Essen verbrennen. Er öffnete wieder das Buch, aber die Seite sechsunddreißig ergab keinen Sinn. Er las sie dreimal, ehe er aufgab. Der Geruch, der von einem Wohnwagen zum anderen drang, wurde stechender. Und nicht nur das ... Rauch zog an seinem Fenster vorbei. Thunderhorse musste nachsehen. Das wäre er der Sache schuldig. Ein weiterer Blick aus seinem Fenster bewies ihm, dass Angela hinter ihrem geöffneten Fenster stand und mit einem Geschirrtuch den Rauch aus dem Wohnwagen fächelte. "Brauchst du Hilfe?" lag ihm bereits auf der Zunge. Er verbiss sich die Frage in letzter Minute. Wie zum Teufel kam er dazu, ihr Hilfe anzubieten? Er setzte sich wieder und holte die Gitarre. Er hatte sich das Gitarrespielen selbst beigebracht. Er war nicht sehr gut darin, aber das Üben einiger neuer Akkorde würde ihn davon abhalten, sich mit der Frau von nebenan übermäßig zu beschäftigen. Er zupfte die Saiten auf gut Glück, traf den einen oder anderen Misston. Sein Gewissen quälte ihn. Hier saß er nun, satt
und gemütlich, mit einer großen Portion von übrig gebliebenem Eintopf, während Angela ganz offensichtlich ihr Essen verbrannt, und wenn er sie richtig einschätzte, nichts anderes mehr zu essen hatte. "Nicht meine Sache", brummte er, und diese selbstsüchtige Haltung dauerte genau drei Minuten an. Ehe Thunderhorse sich dessen bewusst war, füllte er eine Porzellanschüssel mit Eintopf und klopfte an Angelas Tür. Er war absolut sicher, dass er dies sein Leben lang bedauern würde.
7. KAPITEL Angela war so böse, als sie Thunderhorse vor ihrer Tür stehen sah, dass sie ihm am liebsten das Geschirrtuch links und rechts um die Ohren gehauen hätte. Was bildete er sich nur ein, sie wie ein Haufen schmutziger Wäsche abzutun und dann mir nichts dir nichts vor der Tür aufzutauchen? Dachte er, er sei der Prinz von Wales? "Hallo", sagte er, so als ob er sie am Nachmittag nicht stürmisch geküsst hätte, um sie dann auf dem Parkplatz stehen zu lassen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. "Was willst du?" Thunderhorse war betroffen über ihren scharfen Ton. Nun ja, er hatte es nicht anders verdient. Trotzdem war es gut, dass er sich aufgerafft hatte, um hierher zu kommen. Rauch quoll aus ihrer Küche. Sie hatte nichts gegessen, und ganz offensichtlich hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihren Wohnwagen in Flammen gesetzt. Sie hatte ein Recht, gereizt zu sein. "Ich dachte, dass du vielleicht von meinem Eintopf etwas haben möchtest." Ein köstlicher Duft entströmte der Porzellanschüssel, die er unter ihre Nase hielt. Glücklicherweise konnte sie sich beherrschen. "Nein, danke", sagte Angela so höflich, wie es ihr möglich war. Immerhin war sie nicht umsonst eine geborene
Südstaatlerin. Die Mädchen aus den Südstaaten hatten Manieren. Jedenfalls meistens. Es machte sie glücklich, dass sie es geschafft hatte, Thunderhorse wieder sprachlos zu machen. Hinzu kam, dass er ausgesprochen peinlich berührt wirkte ... ein solch "großer Mann mit einer solch kleinen Porzellanschüssel. Gut. Sie hoffte, er würde es die ganze Nacht über bleiben. Sie hoffte, er würde kein bisschen Schlaf bekommen. Das würde ihm recht geschehen. "Ich denke, ich lasse den Eintopf hier, falls du es dir doch noch überlegen solltest." "Wenn du willst." Angela hielt die Tür geöffnet, trat so weit wie es ging zurück. Auf keinen Fall würde sie ihn berühren ... oder seine Schüssel. Thunderhorse setzte die Schüssel auf den Tisch. Dann stand er eine Sekunde da, ließ sich den Rauch um den Kopf wirbeln und den Gestank von verbranntem Steak in die Nase ziehen. Dann, ohne Angela zu fragen, stieß er das Fenster weit auf und schaltete den Dunstabzug über dem Herd ein. "Ich wollte das gerade tun." Angela war wütend, dass sie nicht selbst daran gedacht hatte und wahrscheinlich nie darauf gekommen wäre. Schriftsteller gehörten nicht in eine Welt der Apparate, die an- und ausgedreht, ein- und ausgeknipst, getippt und ein- und ausgeloggt werden mussten. "Danke für deine Hilfe." Sie würde nicht ihre Erziehung vergessen, und wenn sie an den höflichen Floskeln ersticken sollte. "Bin ich damit entlassen?" "Ich habe mich bedankt... oder etwa nicht?" "Nicht was du gesagt hast, sondern wie du es gesagt hast, finde ich seltsam. Du schlägst einen Ton an, den ich von dir nicht erwartet hätte."
"Um was geht es dir? Hast du ganz plötzlich entdeckt, dass es so etwas wie Manieren gibt?" Thunderhorse sah sie nur an ... Und wie er sie ansah! Es war ein Blick, mit tausend unausgesprochenen Gedanken beladen. Ein Blick, der Angela zwang zu reden, obwohl sie sich geschworen hatte, unnahbar und stumm zu bleiben. "Wenn ich von einem Mann irgendwohin begleitet werde, rechne ich nicht damit, auf einem heißen Parkplatz abgesetzt zu werden ohne ein Goodbye, danke für den netten Tag, wir werden uns irgendwann mal wieder sehen. Du hast mich einfach wie eine Last abgeladen und bist davon geritten wie irgend so eine Sioux-Sphinx." "Eine Sioux-Sphinx?" Ihre Augen funkelten, und seine Mundwinkel zuckten. "Wenn du mich jetzt auslachst, dann schmeiß ich dir etwas an den Kopf." "Ich lach dich nicht aus." Thunderhorse schloss die Entfernung zwischen ihnen, noch ehe Angela mitbekam, dass er sich überhaupt bewegt hatte. Und plötzlich küsste er sie. Und wie! Es war die Art von Kuss, die Berge bewegte, die den Regen herabrief und die Sonne in ihrer Bahn anhielt. Angela hatte das Gefühl, dass sie gefangen war in der Mitte eines Hurrikans. Alles was sie tun konnt e war, sich an seinem Wildlederhemd festzuhalten. Sie klammerte sich an ihn, als ob sie am Ertrinken wäre. Sein Körper war so kräftig, so männlich. Er fühlte sich so gut an. Angela hätte bis zum nächsten Jahrhundert in seinen Armen bleiben können. Als der Kuss endete, umschmiegte Thunderhorse ihr Gesicht und sah ihr in die Augen. "Gute Nacht, Angela. Danke für einen netten Tag. Wir werden uns irgendwann wieder sehen." An der
Tür drehte er sich um. "Iss den Eintopf. Du musst dich bei Kräften halten." Was hatte er nun damit gemeint? Dass sie Kraft brauchte, um rabiate Fans abzuwehren? Um ihn abzuwehren? Um ihn zu lieben? Durch das geöffnete Fenster hörte sie, wie er die Melodie zu Embraceable You pfiff. Sie würde nie wieder diese GershwinMelodie hören können, ohne an Thunderhorse und seinen schönen weißen Hengst zu denken. Und als er anfing, diese Melodie auf der Gitarre zu zupfen, stellte Angela sich ans Fenster und überließ sich ihren sinnlichen Fantasien. Der Nachtwind kühlte ihre heißen Wangen, und sie schloss ihr Fenster. Morgen würde sie früh aufstehen und Rührei machen. Mit Eiern konnte sie nicht viel verderben. Dann würde sie bei Thunderhorse anklopfen und ihn zum Frühstück einladen. Immerhin kannte sie noch immer nicht seinen Vornamen. Thunderhorse hatte vorgehabt, sehr früh am Morgen loszufahren. Aber wie könnte er von hier fort, wenn Angela hinter dem Fenster ihres Wohnwagens stand und ein rosa Band im Haar trug? Morgen war früh genug, um nach Hause zurückzukehren. Vielleicht auch erst übermorgen. Er pfiff Gershwins Melodie, die er nicht aus dem Kopf bekam, vor sich hin, holte eine Pfanne hervor und wollte sich gerade ein paar Eier braten, als ein Wagen durch den Eingang zum Campingplatz dröhnte. Es war ein schwarzer Mustang. Die Cabrio-Version. Ein Mann saß hinter dem Steuer. Allein. Und er fuhr geradewegs auf Angelas Wohnwagen zu. Ganz sicher irgend so ein aufdringlicher Fan oder ebenso aufdringlicher Reporter. Er würde sofort rübergehen und ihn hinauswerfen. Konnten diese Idioten Angela nicht allein lassen?
Wie jeder andere normale Mensch verdiente sie, ihren Urlaub in Ruhe zu verbringen. Thunderhorse hatte fast die Tür erreicht, als der Mann ausstieg. Es war kein anderer als Britt Ace. Britt Ace nahm die Sonnenbrille ab und enthüllte seine berühmten blauen Augen. Angeblich geriet jede Frau, die er mit diesen blauen Augen ansah, in Verzückung. Mit seinem blonden, wie poliert wirkenden Haar und dem tiefen Grübchen im Kinn wirkte er mehr wie ein Filmidol als der Fernsehmoderator einer Nachrichtenshow mit den höchsten Einschaltquoten. Ganz sicher würde ein Mann von seinem Kaliber nicht den ganzen Weg bis nach Arizona zurücklegen, um Angela zu sehen, es sei denn, er hatte mit ihr ein Treffen verabredet. Trotzdem, heutzutage wusste man es bei diesen Presseleuten nie so genau. Vor neun Jahren war es anders gewesen. Schnell verdrängte Thunderhorse diese Überlegung. Dann wartete er und beobachtete. Als Angela zur Tür kam, blieb ihr tatsächlich buchstäblich der Mund vor Überraschung offen stehen. Genug davon! Er würde den Eindringling - wer immer er auch war - ganz schnell wieder auf den Weg bringen. Er hatte die Hand bereits ausgestreckt, um seine Tür aufzureißen, als der Herzensbrecher von der Late-Night-Show Amerikas Bestsellerautorin in die Arme riss. "Überrascht, Sweatheart?" Sweetheart? Thunderhorse hatte genug gesehen. Er hatte genug gehört. Mehr wollte er nicht sehen und auch nicht hören. Er zog sich in seinen Caravan zurück. Sein Appetit war dahin. Er stellte die Pfanne in den Hängeschrank zurück. Dann zog er seine Stiefel aus und warf sie in den Raum. Er nahm die Zeitung und öffnete sie ruckartig. Ein Mann hatte das Recht, sich über das Weltgeschehen zu informieren - oder etwa nicht? Und es spielte keine Rolle, was gerade unter seiner Nase geschah.
Und noch eins kam hinzu. Er würde verdammt sein, wenn er es zuließ, dass Britt Ace ihn vertrieb. Er würde auf diesem Campingplatz bleiben, bis er selbst entschied, wann er von hier verschwinden sollte. Angela wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Einerseits war Britt ihr eine willkommene Ablenkung. Thunderhorse hatte ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt. Ihre Großmutter hätte zu diesem Zustand gesagt, sie wisse nicht, ob sie kam oder ging. Andererseits aber war Britt ein Mann, der alles beherrschen wollte. Und dass er sich absichtlich über ihre Wünsche hinweggesetzt hatte, war nur allzu bezeichnend für ihn. "Ich habe dich ausdrücklich gebeten, nicht zu kommen", warf Angela ihm vor. "Ich nehme keine Befehle an, Angela, und du weißt das", erwiderte er leichthin. Was immer Britt auch sagte oder tat, er gab sich so, als ob er vor der Kamera stünde. Seine Liebenswürdigkeit machte Angela wütend. "Was muss man tun, um dich richtig zu ärgern, Britt?" "Ich bin nicht aus der Ruhe zu bringen, Liebes. Das gehört mit zu meinem Charme. Du hast es mir selbst einmal gesagt." "Ich habe schon vor langer Zeit meine Meinung über deinen Charme geändert. Wie hast du mich überhaupt gefunden?" "Ich habe den Nachtflug nach Phoenix genommen, dort habe ich den protzigsten Leihwagen auf dem Platz gemietet, und hier bin ich nun. In Ton und Farbe - ganz lebendig." Das eine Gute an Britt war, dass er sie leicht zum Lachen bringen konnte. Wahrscheinlich waren sie deshalb Freunde geblieben, nachdem sie die Verlobung gelöst hatte. "Das hab ich nicht gemeint, und du weißt es", sagte sie. "Jenny hat es mir verraten." "Also steckt ihr beide jetzt unter einer Decke." "Lieber würde ich mit einem Grizzlybär unter einer Decke stecken. Jenny hat sich Sorgen um dich gemacht, das ist alles.
Als sie mir von dem Foto erzählte, entschied ich, dass es besser sei, hierher zu kommen, um mich persönlich um die Dinge zu kümmern. " "Um die Dinge kümmern? Was genau meinst du damit?" "Dir dabei zu helfen, jemand zu finden, der diesen Schrott von einem Wohnwagen nach Hause fährt. Du kannst mit mir zurückfliegen. Ich wollte sowieso deinen Vater wieder sehen. Wie geht es ihm übrigens?" "Wechsle nicht das Thema! Zu deiner Information: Ich bin im Urlaub, und ich habe nicht vor, ihn abzubrechen - und schon ganz und gar nicht mit dir." "Wenn ich nicht ein so netter Bursche wäre, würde ich das persönlich nehmen." "Nimm es persönlich, Britt. Du weißt, warum ich die Verlobung gelöst habe, und warum Mae es mir zwei Jahre später nachgemacht hat, und warum jedes andere Mädchen, mit dem du dich triffst, es genauso tun wird." Seine Antwort war ein leichtes Hochziehen seiner perfekt gestriegelten Augenbrauen. Angela hasste das an ihm. "Weil du einfach ein alles und jeden beherrschender Typ bist, darum." "Bedeutet das, dass du nicht mit mir zurückfliegen willst?" "Hast du mir denn überhaupt nicht zugehört? Lies es mir von den Lippen ab, Britt. Ich ... will... noch ... nicht... zurück." Britt betrachtete seine perfekt manikürten Fingernägel, ehe er den Blick seiner blauen Augen wie La serstrahlen auf Angela richtete. "Hat deine Entscheidung etwas mit dem Mann auf dem Foto zu tun, von dem Jenny mir erzählte?" Britt hatte schon immer eine gute Nase für die Wahrheit gehabt. Und doch war Thunderhorse nicht ganz der Grund, warum sie blieb. Sie wollte bleiben, um sich durchzusetzen, um sich zu behaupten, um sich selbst und den anderen zu beweisen, dass sie eine eigenständige Person war.
"Es hat nichts mit ihm zu tun", antwortete Angela. "Ich kenne nicht einmal seinen Vornamen." Britt lachte. "Angela, du bist eine totale Niete, wenn es um Ausflüchte geht, Was übrigens einer der Gründe ist, warum ich dich anbete." Er küsste sie auf die Nasenspitze. "Nun gut. Mein Flug ist für morgen früh angesetzt. Bis dahin spiele ich den Touristen und du die Re iseführerin." "Es gibt hier in der Nähe einige wirklich gute Höhlenzeichnungen." "Dann setz den Hut auf, Sweetheart. Du weißt, wie leicht du in der Sonne verbrennst." Angela musste schlucken. Ein anderer Mann hatte das gesagt, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Während sie sich neben Britt in sein Cabrio setzte, warf sie einen verstohlenen Blick auf den benachbarten Caravan. Thunderhorse war nirgendwo zu sehen.
8. KAPITEL Thunderhorses Gefühle waren im Aufruhr, und man brauchte kein Genie zu sein, um herauszufinden, warum. Auch als er den schicken Sportswagen wegfahren hörte, auch als er Angela winkend in der Tür stehen sah, auch als er nun wusste, dass Britt Ace ohne sie aufbrach, änderte es nichts an der Tatsache, dass Britt Ace mit Angela die Nacht verbracht hatte. Das einzig Vernünftige wäre, vom Campingplatz abzuschwirren. Sofort. Das Zelt war abgebaut. Er hatte es gestern getan. Es gab nichts, was ihn davon abhalten könnte, ohne einen Blick zurück von hier zu verschwinden. Nichts außer Angela. Er fuhr in sein Hemd und seine Hose, und noch ehe er es sich überlegen konnte, stand er vor ihrem Wohnwagen und klopfte an die Tür. Angela war noch immer im Morgenmantel, als sie das Klopfen an ihrer Tür hörte. Sie wurde rot, als sie sah, wer es war. "Entschuldige, dass ich dich so früh am Morgen störe", sagte Thunderhorse so höflich wie zu einer Fremden, so höflich, als ob sie niemals zusammen hinter einem Wasserfall gestanden und sich geküsst hätten. "Ist schon gut. Ich war sowieso auf." "Darf ich?"
Angela trat zur Seite, um ihn hereinzulassen. "Natürlich. Komm herein." Es war schon merkwürdig, wie einige Männer sich in einem Raum einfach nur aufhielten und andere ihn füllten. Bei Thunderhorse schien es, dass der Raum schrumpfte und es keinen Platz gab, sich umzudrehen, ohne ihn zu streifen. "Kaffee?" fragte sie. Glücklicherweise hatte Britt für Kaffee gesorgt, bevor er sich auf den Weg machte. "Du tust immer zu viel Kaffee in die Kanne", hatte er gesagt. Und da er geradezu ein Muster an Takt gewesen war, nachdem ihm klar geworden war, dass sie hier bleiben würde, hatte sie ihm die Bemerkung durchgehen lassen. Thunderhorse machte einen rastlosen Eindruck. Angela hatte ihn so noch nicht erlebt. Er blickte sich ständig im Wohnwagen um, als ob er damit rechnete, dass kleine Kobolde sich unter den Möbeln versteckten. Sie reichte ihm die Tasse. "Möchtest du dich nicht setzen?" Sie atmete auf, als er Platz nahm, und blieb hinter dem winzigen Tresen stehen, der die winzige Küche vom winzigen Wohnbereic h trennte. "Ich wollte dir nur sagen, dass ich noch heute Morgen von hier verschwinde." Angela konnte nur hoffen, dass ihre Enttäuschung sich nicht allzu deutlich zeigte. "Nun ja, dann ... Ich hol dir deine Porzellanschüssel. Sie ist sauber. Ich hab sie gestern Abend abgewaschen." "Der Kaffee schmeckt gut." "Britt hat ihn gemacht." Thunderhorse setzte die Tasse ab. Eigentlich war hinknallen ein besseres Wort. An seinem Gesicht konnte Angela erkennen, das er keinen weiteren Tropfen mehr trinken würde., "Er ist beim Fernsehen Nachrichtenmoderator", sagte sie. "Ich weiß, wer er ist."
Die Stille war eisig, die Luft geladen. Angela hatte noch nie langes Schweigen ertragen können, und sie hasste das Misstrauen, das plötzlich im Raum stand. Nicht, dass die Dinge zwischen ihnen großartig gelaufen wären, trotzdem musste sie ihm eine Erklärung geben. "Ich bin einmal mit ihm verlobt gewesen, aber jetzt sind wir gute Freunde." Sein Schweigen war schrecklicher als Schreien. Warum war es für eine Autorin so viel leichter, Wörter aufs Papier zu bringen, als sie auszusprechen? "Hör mal, ich weiß, was du denkst, und es ist absolut nicht wahr." "Das geht mich nichts an", sagte er schroff. Jetzt reicht's mir aber, dachte Angela. Wenn sie etwas verabscheute, dann war es, behandelt zu werden, als ob es ziemlich einerlei sei, was sie sagte. Sie kam hinter dem Tresen hervor mit zu Fäusten geballten Händen. "Du hast verdammt Recht, es geht dich nichts an. Ich habe eine Menge Freunde, unter ihnen sind Frauen und Männer. Und ich behandle sie alle gleich.. Zu deiner Information: Ich habe im Bett geschlafen, und er hat auf der Couch geschlafen." "Ich hab dich nicht gefragt." "O doch, das hast du getan. Du bist hier hereingeschossen, und deine schwarzen Augen sind nur so hin und her gezuckt, neugierig und ... und eifersüchtig." "Eifersüchtig?" Seine Stimme klang gefährlich leise, aber Angela nahm keine Notiz von dem warnenden Signal. So war es schon immer gewesen. Zum Teufel mit den Torpedos, und mit vollem Tempo voran! Das war ihr Motto. Es hatte sie in größere Schwierigkeiten gebracht, als sie wahrhaben wollte. "Jawohl, das hab ich gesagt. Ei- fer-süch-tig. Weil du mich einmal geküsst hast, meinst du nun, dass du mich besitzt. Zu
deiner Information: Mich kann niemand besitzen, und ich nehme keine Befehle an." "Einmal?" Angela kam immer mehr in Rage. Thunderhorse auch, wenn seine Miene ein Hinweis sein sollte. Sie strich das Haar aus ihrem erröteten Gesicht. "Nun gut, vielleicht mehr als einmal." Es war wunderbar und schrecklich - die Art, wie Thunderhorse sich aus dem für ihn zu kleinen Sessel langsam herauswand. Und als er steifbeinig auf sie zukam, hatte Angela das Gefühl, mitten in einem Erdbeben zu sein. Sie ergriff die Lehne des nächsten Stuhles und hielt sich daran fest. Aber sie wich nicht zurück. Sie hatte nicht vor, zurückzuweichen. "Und hier ist einer, den du nicht vergessen wirst", sagte Thunderhorse. Er wusste, dass das, was er vorhatte, tollkühn war. Aber er konnte sich nicht zügeln. Als er Angela am Arm packte, versteifte sie sich. Diese Andeutung von Abwehr erhitzte sein Blut. Er brach ihren Widerstand mit genau der gleichen Wildheit, wie seine Vorfahren die Festungen der Weißen erstürmt hatten. In dem Moment, wo seine Lippen ihre berührten, schmolz Angela dahin, wurde willenlos, und Thunderhorse wusste, dass er niemals davonfahren und sie zurücklassen könnte. Niemals. Er musste sie haben, sie ganz besitzen. Herz, Verstand, Körper und Seele. Gleichgültig, was es ihn kosten würde. Angela hatte sich ergeben, er hörte es aus ihrem weichen Seufzer, und er hob sie von den Füßen, drückte sie fest an sich und küsste sie. Seine Leidenschaft war entfesselt. Er wollte sie, wie er noch niemals eine Frau gewollt hatte. Er wollte sie ganz besitzen. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Angela war sein Engel. Mit ihr würde sein Leben perfekt sein.
Als er sie losließ, lehnte sie ihre Stirn an seine Brust und seufzte. "Komm mit mir", sagte er. "Ja." Sie fragte noch nicht einmal, wohin.
9. KAPITEL Die Paradise Ranch lag inmitten von Sandsteinerhebungen und roten Felsen und grenzte an den Coconino-Nationalpark. Die Schönheit der Umgebung raubte Angela den Atem. "Wir sind daheim", sagte Thunderhorse, und Angela wusste, dass es tatsächlich so war. Daheim. Noch nie war sie an einem Ort gewesen, der ihre Seele so tief berührt hatte. Noch nie war sie an einem Ort gewesen, bei dem sie das Gefühl hatte, ihn schon immer gekannt zu haben. Thunderhorse nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. "Willkommen daheim, Angela." Sie war von Glück erfüllt. Mit diesen zwei Worten hatte Thunderhorse ihr alles gegeben, was sie sich jemals gewünscht hatte - Liebe, Sicherheit, Versprechen und ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Sie war froh, dass sie sich von ihm hatte überreden lassen, mit ihm zu kommen, froh, dass er ihr gesagt hatte, dass jemand ihren Wohnwagen später holen würde, froh, dass sie ihrem Herzen gefolgt war statt ihrem Verstand. Licht und Schatten spielten an den Steinwänden der Felsen, als Thunderhorse ihr aus seinem Caravan half. Eine fahle Mondsichel stand am dunkel werdenden Himmel, und die Venus war strahlend hell. Er trug Angela über die Türschwelle. Das feierliche Versprechen, das sie sich gegeben hatten, als er sagte: Komm
mit mir, und sie ihm mit Ja geantwortet hatte, band sie aneinander. Eine Lampe brannte in der Eingangshalle, und nur flüchtig erfasste Angela die dunkle Holzverkleidung, die kostbaren Teppiche und den schimmernden Eichenfußboden, die wertvollen Antiquitäten und die schweren mit Leder bezogenen Sitzmöbel. Die breite Wendeltreppe führte ins obere Stockwerk, das nur vom Mond und den Sternen beleuchtet wurde, deren Schein durch die weiten Fenster hereinfiel. Sogar des Nachts schaffte der Ausblick durch das viele Glas die Illusion, draußen zu sein. Thunderhorse stieß eine schwere Tür mit Holzschnitzerei auf und trug Angela zu einem Bett, das riesig war. Die plüschige Tagesdecke war silbergrau, und Angela seufzte wohlig auf, als Thunderhorse sie darauf niederließ. "Du bist so schön." Er lehnte sich über sie und betrachtete sie mit vor Verlangen verhangenen Augen. Sie hob ihm die Arme entgegen. Es war eine Einladung, ein Versprechen. Und er legte sich auf sie, vorsichtig, mit den Ellbogen zu ihren beiden Seiten, um sie mit seinem Gewicht nicht zu erdrücken. "Ich möchte dir nicht wehtun", flüsterte Thunderhorse. "Niemals." "Das tust du nicht." Angela wirkte so zerbrechlich, wie sie dalag in dem riesigen Bett. Für einen Moment stieg in ihm wie ein böser Geist seine Vergangenheit vor ihm auf, und er zitterte innerlich vor Furcht. Wenn er nun bei Angela versagte? Das durfte er nicht. Bei Angela versagen, würde nichts anderes bedeuten, als sich zu zerstören - und auch sie. Die Worte, die er vor neun Jahren geschrieben hatte, verfolgten ihn: Die größte Qual ist nicht zu sterben, sondern zu leben.
Qual. Er hatte sie erleiden müssen, sie durchstehen müssen. Sie hatte ihn gelähmt, und nur mit aller Kraft hatte er sich von ihr befreien können. Angela berührte zärtlich sein Gesicht. "Thunderhorse ..." "Ja?" "Ich weiß nicht einmal deinen Vornamen." Vertrauen schimmerte in ihren blauen Augen. Und noch etwas, das er nur als Liebe bezeichnen konnte. "Steve", antwortete er. "Mein Vorname ist Steve." "Dann komm zu mir, Steve", flüsterte sie. Glühende Sehnsucht ergriff Steve mit aller Macht, und er fing an, ihr Kleid am Hals aufzuknöpfen. Sein ganzer Körper war angespannt, als er Angela köstlich langsam entkleidete. Ihre Haut schimmerte hell im Mondlicht, als er ihre Schultern entblößte. Sie trug Weiß, Kleid und Unterwäsche in jungfräulichem Weiß, und er war froh darüber. Es war symbolisch. Er würde ihr erster, ihr einziger Liebhaber sein, und sie würde ihm gehören. Als Angela nackt auf seinem Bett lag, verwöhnte er sie mit Lippen und Zunge, jeden Zentimeter von ihr, angefangen bei ihrem schlanken Hals bis hinunter zu den rosa lackierten Zehennägeln. Ihre Haut duftete nach Rosen. Steve fand den Duft so wunderbar altmodisch. Ihr Körper war angespannt und lebendig unter ihm, und Steve konnte nicht genug von ihr bekommen. "Ich will dich, Steve", flüsterte sie. "Ich will dich ganz." Sie schlang Arme und Beine um ihn, umgab ihn mit all ihrer Liebe. Und als er sich mit ihr vereinigte, fand er endlich Frieden - und Hoffnung. Und eine Freude, wie er sie noch nie gekannt hatte. Es war wie ein Emporschwingen, dieses Nehmen und Geben, sich verschenken und spüren, wie Angela sich ihm ganz hingab. Sie war hinreißend in ihrer Leidenschaft, und Steve wollte es im Höhepunkt herausschreien: Ich liebe dich. Ich liebe dich. Immer
und immer wieder ... Doch er konnte es nicht. Er konnte es nicht aussprechen. Er konnte es einfach nicht. Zu gestehen, dass man liebte, machte einen verletzlich. Zu gestehen, dass man liebte, bedeutete, tiefen Schmerz zu riskieren. Er hatte neun Jahre gebraucht, um da herauszukommen. Also würde er die Worte nic ht zu Angela sagen. Aber er würde es ihr beweisen, dass er sie liebte. Oh, und wie er es ihr beweisen würde! Angela schlief noch, als Steve am nächsten Morgen das Bett verließ. Vorsichtig, damit sie nicht wach wurde, drückte er einen zärtlichen Kuss auf ihre Stirn. Dann zog er sich an und stahl sich aus dem Zimmer. Er fand Lucas im Stall, der das zweijährige Füllen mit dem Namen Blazing Star striegelte. Lucas warf einen Blick auf Steve und grinste. "Brauch wohl nicht zu fragen, was dich so lange aufgehalten hat." "Nein." "Hab deinen Caravan vorhin gesehen." "Fein." Steve nahm Lucas den Striegel aus der Hand und striegelte nun selbst das Fohlen. "Nur eine Frau kriegt es fertig, dich bis zum späten Morgen im Bett zu halten." "Es ist erst sechs." "Jemand, den ich kenne?" "Nein." "Willst wohl, dass ich es aus dir herausquetsche, was?" "Ja." Lucas zog eine Pfeife heraus und stopfte sie mit Tabak ... ein deutliches Zeichen, das er nicht bereit war aufzugeben. "Okay, wer ist sie und wo hast du sie getroffen und wie wichtig ist sie dir?" Steve hatte vor Lucas keine Geheimnisse, und er würde sie auch nie haben. "Es ist Angela Mercer."
"Angela Mercer!" , "Ja, genau die. Ich bin ihr bei der Wild-West-Show begegnet, und sie ist mir sehr wichtig. Zu wichtig." . Lucas paffte eine Weile schweigsam vor sich hin. Dann legte er die Hand auf Steves Schulter und drückte sie. "Bin froh", sagte er. "Machte mir schon Sorgen, dass es nie passiert." "Mir ging das genauso. Nun ist's passiert, und mir ist ganz schön mulmig dabei." "Ich bin der Letzte, der bei Herzensdingen Ratschläge gibt. Ist mir ein zu tückisches Gelände. Das eine will ich dir aber sagen. Du bist jeder Aufgabe gewachsen, Steve. Jeder Aufgabe. Und vergiss das ja nicht." Lucas nahm nun Steve den Striegel aus der Hand und setzte seine unterbrochene Arbeit fort. Und Steve wusste, dass das Thema beendet war. Lucas würde keine weiteren Fragen mehr stellen. Er würde nicht neugierig sein, er würde nicht herumschnüffeln, aber Lucas Gray Wolf würde sich immer als ein treuer Freund erweisen. Als Angela die Augen aufschlug, sah sie als Erstes das strahlende Sonnenlicht, gegen das sie anblinzeln musste. Als Nächstes erblickte sie Steve, der auf dem Bettrand saß und ein Tablett auf dem Schoß hatte. "Guten Morgen, Schlafmütze." Er küsste sie zärtlich. "Gut geschlafen?" "Mm, wie nie zuvor." Sie streckte sich, dann schaute sie auf das Tablett. "Du verwöhnst mich." "Beschwerst du dich?" "Nein!" Sie setzte sich auf, nahm das Glas mit Orangensaft und trank einen großen Schluck. "Ich könnte mich an so was gewöhnen." "Das darfst du." Er legte eine weiße Leinenserviette über ihren Schoß, dann ließ er sie den Toast mit Butter und Honig abbeißen, zwischendurch küsste er die Krümel weg.
"Ich kann mich selbst füttern." "Weiß ich. Aber ich habe Spaß daran. Du auch?" "Na klar." Sie verputzte den Toast, putzte den Orangensaft weg und schaute auf die kleine Schüssel mit Erdbeeren. "Ich glaube nicht, dass ich das auch noch schaffe." "Die sind für mich." Ganz unschuldig setzte Steve das Tablett zur Seite, dann faltete er die Serviette und stellte die Schüssel mit den Erdbeeren aufs Bett. "Ich hab schon immer Lust auf einen spätmorgendlichen Happen gehabt." "Ich meine, sie sehen köstlich aus." Angela wollte sich eine holen, aber Steve schlug ihr leicht auf die Finger. "Das sind sie, glaub mir, das sind sie." Er sah Angela auf eine Weise an, dass sie rot wurde. "Bekomme ich nichts ab?" "Doch." Er zog die leichte Decke langsam von ihr. "Und wenn du schon fragst ... du wirst der köstlichste spätmorgendliche Happen sein." Er wählte die reifste Erdbeere aus der Schüssel. "Öffne den Mund weit", sagte er. Er steckte ihr die Erdbeere halb in den Mund, und als Angela hineinbiss, lief ihr der Saft über das Kinn. Steve beugte sich über sie und leckte genüsslich den Saft weg. Dann, ganz langsam, fing er an, am anderen Ende der Erdbeere zu knabbern. Steve duftete nach Sonnenschein und Wind und Heu, und er sah aus wie eine dieser herrlichen Statuen aus Bronze, die sie in den Museen für Frühkunst und Geschichte der nordamerikanischen Indianer gesehen hatte. "Wirklich köstlich", murmelte er, als seine Lippen sanft nach ihren tasteten. Der Kuss wurde heftiger, und Steve drückte Angela auf das Bett zurück. Sie mussten sich trennen, um nach Luft zu schnappen, sahen dann einander tief in die Augen.
Schnell zog Steve sich aus. Angela zitterte vor Erwartung und öffnete weit die Arme. "Ich ergebe mich", flüsterte sie. Ihre Stimme, klang so weich, wie ihr Körper sich anfühlte. Wie eingetaucht in eine erotische Stimmung liebkosten sie einander, gaben sich zärtlich, anschmiegsam, ließen die Leidenschaft langsam anwachsen, bis sie vor Lust vergingen und die Liebkosungen ihnen nicht mehr genügten und sie vor Verlangen glaubten sterben zu müssen. Angela zog Steve fest an sich, öffnete sich ihm, als er mit ihr verschmolz. Nichts hatte mehr Geltung, nichts, nur die Empfindungen, die unbeschreiblich waren. Beim Höhepunkt klammerte Angela sich an Steve, glücklich und befriedigt. Er lächelte auf sie herunter. "Hat dir das Frühstück im Bett gefallen? " "Mm." "Gut. Das war nur zum Appetit anregen." "Du machst mich unersättlich", murmelte Angela an seinen Nacken. Sein tiefes Lachen war so sexy wie der Rest von ihm. "Gut." Die nächste Reise führte sie auf verschlungene Pfade, die genüsslich waren und den ganzen Morgen andauerten. Und als sie erschöpft und wunschlos einander in den Armen lagen, strich Steve ihr das verschwitzte Haar aus der Stirn. "Ich denke, ich halte dich als Sklavin der Liebe in meinem Bett", sagte er rau. "Ich möchte nirgendwo lieber sein", murmelte sie und meinte es auch so aus tiefstem Herzen.
10. KAPITEL Angela fühlte sich regelrecht schamlos, als sie um zwei Uhr nachmittags aufstand. Sie duschte und schlüpfte in den Bademantel, den sie im Badezimmer an einem Haken gefunden hatte. Ihr nasses Haar hatte sie mit einem Band zurückgebunden. So ging sie auf die Suche nach Steve. Sie fand ihn eine Treppe tiefer in der Küche. "Bist du jemals geritten?" fragte er sie. "Ja. Aber nicht ohne Sattel." "Ich möchte dir am Nachmittag die Ranch zeigen. Wir machen ein Picknick." "Irgendwas riecht hier gut." "Brathähnchen nach einem Südstaatenrezept. Dachte mir, dann fühlst du dich zu Hause." Steve küsste sie auf die Nasenspitze. "Hol dir Papiertücher und hilf mir hierbei." Mit Angelas Hilfe holte er das Hähnchen aus der Pfanne und packte es zusammen mit einer Plastikschüssel Kartoffelsalat und einer großen Thermosflasche Kaffee in den Picknickkorb. "Sobald die Sonne untergeht, wird es um diese Jahreszeit hier in der Hochwüste kalt", erklärte er. "Was soll ich anziehen?" "Während du noch im Bett warst, kam dein Wohnwagen an. Ich hol dir, was du brauchst. Hast du eine warme Jacke mitgebracht?" "Nein. Aber einen Baumwollsweater."
"Der genügt nicht. Ich gebe dir eine meiner Jacken." Dafür, dass Angela losgezogen war, um sich und anderen zu beweisen, wie selbstständig sie sein konnte, fühlte sie sich jetzt ganz schön zufrieden, von Steve Befehle anzunehmen. Keine Befehle, verbesserte sie sich - Anweisungen. Immerhin war sie ja Gast auf seiner Ranch. Steve hatte das Gefühl, ins Paradies gestolpert zu sein. Vorsicht, ermahnte er sich. Wenn etwas zu gut schien, um wahr zu sein, dann war es gewöhnlich auch so. Er blieb einen halben Schritt hinter Angela, während sie zum Stall ging, und achtete darauf, wie sie auf die Umgebung reagierte. Diese Ranch war sein Zufluchtsort. Eine Frau, die sich hier nicht wohl fühlen könnte, wäre nicht die richtige Frau für ihn. Sie kamen an einer Stelle vorbei, die Steve besonders liebte. Angela blieb stehen. "Es ist so schö n hier, dass ich weinen könnte. Diese Felsspitze dort drüben, ist sie nicht eindrucksvoll!" "Ja, das ist sie. Der Adlergipfel. Wenn du lange genug hier verweilst, dann kannst du fast immer den Adler sehen." Steve hob leicht ihr Gesicht an. "Schau auf den Gipfel. Dort ist der Adlerhorst. Und schau, da ist der Adler." Und Angela beobachtete diesen großartigen Vogel mit Tränen in den Augen. Steve zog sie in die Arme, legte das Kinn auf ihr seidiges Haar und stand mit ihr lange so. Fast konnte er an eine Zukunft glauben. "Ich muss dir etwas sagen." Ihre Stimme klang gedämpft an seiner Brust. "Sag es mir." Sie hob das Gesicht und sah ihn an. "Ich liebe dich, Steve Thunderhorse." Er war zu überwältigt, um ein Wort herauszubringen, und presste sie so dicht an sich, dass sie seinen Herzschlag spüren
konnte. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie in den Stall. Lucas lag unter einem Traktor. Das Einzige, was von ihm sichtbar war, waren ein Paar verdreckte Stiefel. "Lucas, komm hervor. Hier ist jemand, die du kennen lernen sollst." Steve musste sich ein Lächeln verkneifen, als Lucas unter dem Traktor hervorkroch und Angela zum ersten Mal sah. Er musterte sie von Kopf bis zu den Zehen auf eine Weise, die sogar Männer befangen machen würde. Doch Angela stand völlig ungezwungen da und ließ sich von ihm abschätzen, ohne mit der Wimper zu zucken. Lucas war kein Mann, der seine Gefühle verbarg. Sein ganzes Gesicht verzog sich in einem breiten Lächeln. Im Nu war er auf den Füßen und zog Angela an seine breite Brust. "Willkommen im Paradies." Angela errötete, und Lucas lachte. "Das ist der Name dieser Ranch. Ganz schön kitschig, was?" "* "Nein. Ich finde ihn hübsch - und angemessen." Steve liebte ihre rosigen Wangen, liebte den weichen Blick ihrer Augen, liebte es, wie sie nach seiner Hand griff. Lucas lachte wieder unbekümmert, dann klopfte er Steve auf die Schulter. "Wollt ihr zwei reiten?" "Ja", antwortete Steve. "Dann bring sie zum Sunset Rock. Ich denk mal, dass ihr zum Abendessen nicht zurück sein werdet." "Nein." Lucas zwinkerte Angela zu. "Er ist ein Mann der wenigen Worte, unser Steve." "Dann passen wir ja zusammen. Ich bin eine Frau der vielen Worte." Lucas umarmte sie wieder. "Du gefällst mir, Angela. Wenn ich mich nach einem Mädchen umschauen würde, dann wärst du
die Richtige. Amüsiert euch, ihr zwei." Es gefiel Angela, dass er gleich zum Du überging. Es passte zu ihm. Steve sattelte für Angela die sanfteste Stute in seinem Stall. Ihr Name war Molly, aber er und Lucas riefen sie Slowpoke, weil sie alles was schneller war als ein leichtes Traben geradezu hasste. Sie war nicht schreckhaft, einer ihrer großen Vorzüge, und sie kannte jeden Winkel auf der Ranch. Slowpoke war gerade das richtige Pferd für Angela. "Willst du wirklich, dass ich auf ihr reite?" Angela musterte Molly etwas misstrauisch. "Sie macht einen etwas trägen Eindruck auf mich." "Sie ist verlässlich." Angela ließ es dabei bewenden, und Steve war dankbar dafür. Er brachte Shadow nach draußen und warf ihm eine Satteldecke über den Rücken. Und dann ritten sie zusammen zum Haus zurück, um all das, was sie für den Ausflug brauchten, abzuholen. Vorsichtshalber blieb Steve ein Stück hinter Angela, um sich ein Bild von ihren Reitkünsten zu machen. Sie saß sicher im Sattel, hatte die Zügel fest in der Hand. Offensichtlich wusste sie, was sie tat. Erleichtert ritt er seinen Hengst neben ihre Stute. "Als Erstes zeige ich dir die Pferdeweiden." Er hätte Angelas Reaktion voraussagen können. Jeder, der zur Paradise Ranch kam, war von den Pferdeweiden beeindruckt. Pferde fast jeder Rasse tummelten sich frisch und munter da herum. Er und Lucas hatten den Ruf, die besten Züchter und Trainer im Westen zu sein. "Ich habe noch nie so viele schöne Pferde gesehen", sagte Angela. "Pferdezucht ist meine Hauptarbeit. Lucas hilft mir dabei. Bei der Wild-West-Show geht es mir nur darum, ein wenig von meinem Sioux-Erbe vor allem an die Kids weiterzugeben. Die Indianer sind das Urvolk unseres Landes. Das sollte nicht vergessen werden."
"Hast du die Show schon immer abgehalten?" Ihre Frage war unschuldig, doch die Wirkung auf Steve war so unvermittelt, dass es ihn verwirrte. Erinnerungen tauchten auf. Redaktionsschluss, die Sitzungen, die sich bis spät in die Nacht hinzogen mit nichts mehr als einer Tasse Kaffee nach der anderen und dem fahlgrünen Leuchten des Computers vor sich. Die Faszination, die Erregung, wenn man genau den richtigen Geistesblitz für seinen Bericht hatte, das Gefühl, wieder einmal etwas geleistet zu haben, wenn man unter den Artikel die Verfasserangabe setzte: Thunderhorse. Er dachte an die Auszeichnungen, deren Urkunden abgelegt in einem der Aktenschränke verstaut waren. Oh ja, er hatte Erfolg gehabt. Doch zu welchem Preis? Angela wartete auf seine Antwort, sah ihn auf ihre ruhige Art an. "Nein", sagte er schließlich. "Die Show hab ich nicht immer gemacht." "Was hast du dann zuvor getan?" Die Nachfrage war natürlich, aber Steve war auf sie nicht vorbereitet gewesen. "Nichts von Bedeutung." Und das stimmte auch. Zum Schluss war alles, worum er gerungen hatte, alles, was er erreicht hatte, bedeutungslos. Erfolg des Erfolges wegen war leer. Es war niemand da gewesen, mit dem er seine Freude über den Erfolg hätte teilen können. Manchmal hielt Steve sich für einen Feigling. Er kapselte sich ein, ließ außer Lucas niemand an sich heran ... und das nur, weil er Angst hatte, den errungenen inneren Frieden wieder zu verlieren. Und doch, hier war Angela. Hatte er in ihr die Frau gefunden, der er erlauben konnte, die Schranke zu durchbrechen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass sie ihm im Augenblick so unerlässlich war wie die Luft zum Atmen.
"Bist du bereit, Angela? Wir müssen vor der Dunkelheit noch eine ganz schön weite Strecke zurücklegen." Wie es sich aber herausstellte, waren sie nicht weit gekommen. Sie waren zu beschäftigt damit gewesen, ihre Herzen zu erforschen. Auf einer Hochfläche aus Sandstein, Sunset Rock genannt, breitete Steve eine Decke aus. Von hier aus hatten sie einen guten Blick auf das Ranchhaus und konnten beobachten, wie die Sonne ihre Aufsehen erregende Abendshow abhielt. Dann verzehrten sie das Brathähnchen und liebten sich. "Ich liebe dich, Steve", sagte Angela, und Steve fragte sich, ob es Wunder gebe. Er fragte sich auch, ob die Vergangenheit so leicht wegzuwischen wäre mit Hilfe eines blondhaarigen, blauäugigen Engels. Am nächsten Morgen weckte Steve Angela mit einem Kuss. Sie blinzelte zu ihm auf. Er war bereits angezogen, und die Sonne strahlte durch die Fenster. "Guten Morgen, Schlafmütze." "Wie spät ist es?" "Zehn." "Im Bett herumlümmeln wird mir allmählich zur Gewohnheit." "Beschwere ich mich darüber?" Steve strich ihr das Haar zurück und küsste sie auf die nackte Schulter. "Mm, köstlich. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit." Angela fühlte sich enttäuscht. "Du hast keine Zeit?" "In Phoenix findet ein großer Pferdemarkt statt. Lucas und ich wollen sechs der Zweijährigen hinbringen." Angela lag auf der Zunge zu fragen: "Darf ich mit?" Aber da Steve bereits angezogen war und offensichtlich in Eile, verbiss sie es sich. Außerdem könnte sie ein langes Schaumbad nehmen und sich an jede Einzelheit von letzter Nacht erinnern angefangen bei all den lustvollen Liebkosungen auf dem Sunset
Rock und endend mit noch mehr erotischen Zärtlichkeiten im Bett. Lächelnd umschmiegte sie sein Gesicht und küsste ihn sanft. "Viel Spaß in Phoenix." "Ich denke, dass du alles hier im Haus finden kannst, was du brauchst. Wenn nicht, so frag Wayne. Du findest ihn ganz sicher in einem der Ställe. Er hat den Befehl bekommen, auf dich aufzupassen." Angela küsste ihn wieder. "Ich warte auf dich." "Gut." Er zerzauste ihr Haar. "Bleib brav." Sie lächelte spitzbübisch. "Ha, das wäre was." Steve drehte sich noch einmal an der Tür zu ihr um. Dann war er fort. Und Angela tappte barfuss ins Badezimmer, um sich so richtig durchweichen zu lassen. Danach rief sie Jenny an, ihre liebste Freundin ... der Mensch, mit dem sie ihre Freude teilen wollte. "Du wirst nie darauf kommen, wo ich bin." "Sag's mir nicht, lass mich raten." "Fang damit an." Jenny führte eine ganze Liste von Möglichkeiten auf, und sie beide lachten. Dann erzählte Angela ihr von Thunderhorse. "Ich hab mich in ihn verliebt, Jenny." "Aha." "Aha ... Was für eine Reaktion soll das sein? Ich habe dir soeben gesagt, dass ich den Mann gefunden habe, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Und alles, was du dazu zu sagen hast, ist Aha, und das in einem Ton, der einen Eskimo erfrieren ließe." "Was ich von dir nicht zu hören bekam, ist, dass er dich liebt und dir alles was dein Herz begehrt verspricht, einschließlich einem Mond aus grünem Käse. Hat er dir das oder etwas Ähnliches gesagt?" Angela schwieg. "Dachte ich es mir doch. Außerdem, was tust du auf dieser hinterwäldlerischen Ranch, außer natürlich ... na, du weißt schon?"
"Das ist nicht fair, Jenny." "Süße, ich versuche es nicht einmal, fair zu sein. Ich bin brutal ehrlich. Mit dem, was ich soeben gehört habe, hast du Texas beschrieben, wie es typischer nicht sein kann." "Steve ist nicht Dan, und dies ist nicht Texas. Ich bin keine Gefangene hier. Ich kann tun und lassen, was immer ich will." Schweigen am anderen Ende. "Hast du mit Britt gesprochen?" "Er hat es erwähnt, dass er bei der Wild-West-Show mal kurz reingeschaut hat. Er sagte, es sei eher ein Flohzirkus." Angela war zu wütend, um darauf einzugehen. Sie umfasste den Hörer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. "Wie gut kennst du diesen Mann überhaupt?" "Gut genug, Jenny. Ich kenne ihn gut genug." "Okay, okay. Ich will mich über all dieses nicht mehr auslassen. Vergiss nur den Weg zurück nach Haus nicht, Angela. Und, Liebes, ruf mich an, wenn du mich brauchst. Jederzeit, auch nachts. Mutter Jenny kennt keinen Schlaf." Angela war so zornig, dass sie sich vornahm, Jenny nie wieder anzurufen. Traute ihr denn keiner einen gesunden Menschenverstand zu? Sie wanderte durch das Haus, hielt sich in einem kleinen sonnendurchfluteten Raum etwas länger auf. Sie könnte hier arbeiten. Der Raum war so freundlich, so licht, wie geschaffen für hübsche Einfalle für ihr neues Buch. Sie würde sich vor die Terrassentür setzen und vor sich die Bäume und die sattgrünen Weiden mit den Pferden haben. Doch Jennys Worte verfolgten sie. Texas, wie es typischer nicht sein kann. Das war lächerlich. Sie war keine Gefangene im Paradies. Sklavin der Liebe. Steves Worte kamen ungebeten, und sie rannte den ganzen Weg zu den Ställen, um sie loszuwerden. Als sie dort ankam, war sie so außer Atem, dass sie nicht sprechen konnte. Wayne musste sie für verrückt halten. "Hi", sagte er. "Ich bin Wayne."
Sie brauchte eine volle Minute, ehe sie ihm antworten konnte. "Ich würde gern ausreiten", sagte sie schließlich. "Der Boss hat das angenommen. Ich sattle Slowpoke." Angela war immer noch so wütend über das Telefongespräch mit Jenny, dass sie rebellierte. "Nicht Slowpoke. Lieber ein Pferd mit mehr Feuer." Wayne lachte verlegen. "Ich weiß nicht, ob ich das darf. Thunderhorse hatte ausdrücklich gesagt, dass Sie Slowpoke reiten sollen." "Ich nehme die Verantwortung auf mich." Wayne kratzte sich am Kopf. "Er wird es nicht mögen." "Hören Sie, ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Alles, was ich will, ist ein anständiges Reitpferd." "Nun gut. Er sagte, dass Sie eine gute Reiterin sind." "Das hat er gesagt?" Wayne nickte, überlegte dann kurz und wählte eine hübsche Kreolenstute. "Ja, das hat er gesagt, und er ist kein Mann, der dumme Schmeicheleien hersagt." Angela war so erfreut, als ob ihr jemand einen Preis für gutes Reiten übergeben hätte. "Danke, Wayne", sagte sie ein wenig versöhnt. "Ich wollte Ihnen wirklich keine Mühe machen." "Schon gut. Lucas hat gesagt, dass Sie eine feine Lady sind." "Lebt Lucas auch in diesem Haus?" fragte Angela. Sie war nie dazu gekommen, sich bei Steve danach zu erkundigen. "Gray Wolf?" Wayne lachte schallend. "Nein, Ma'am. Lucas würde nie in etwas ziehen, das einem Haus nur entfernt ähnelt, selbst wenn sein Leben davon abhinge." "Wo wohnt er dann, wenn nicht in einem Haus?" "Während der Winterzeit bringt er seine Habe in der Scheune unter und schläft in einer Koje, und im Sommer rollt Gray Wolf seinen Schlafsack aus und schläft unt er den Sternen. Er sagt immer, dass ein Mann nicht mehr besitzen soll, wie er auf seinem Rücken tragen kann. Tja, so ist er, Lucas Gray Wolf."
Wayne drehte sich Angela zu, lächelte jetzt, nachdem er seine erste Scheu abgelegt hatte. "Ihr Pferd ist bereit, Ma'am. Ihr Name ist Stargaze, und sie ist verlässlich. Drehen Sie erst einmal eine kleine Runde mit ihr hier im Hof, so dass Sie sie besser kennen lernen." Angela folgte dem Vorschlag. Sie wollte sich nicht den Ruf einhandeln, dass sie schwierig sei. Sie ließ die junge Stute um den Hof herum trotten. Als sie wieder auf die Ställe zuritt, hatte Wayne seinen Hut bis zu den Augen gezogen und saß auf einem wunderschönen schwarzen Hengst. "Wohin soll's gehen, Ma'am?" "Sie können mich Angela nennen, und ich reite einfach hinauf zum Sunset Rock und zurück. Allein." Bei seinem beunruhigten Blick setzte sie hinzu: "Ich kenne den Weg." "Das darf ich nicht zulassen, Ma'am. Thunderhorse würde mir das Fell über die Ohren ziehen." "Ich will mich nicht streiten, Wayne, aber ich reite allein. Sagen Sie Thunderhorse, wenn er vorhat, jemand das Fell über die Ohren zu ziehen, dann soll er es an mir tun." "Ma'am ..." "Keine Sorge, Wayne, ich bin zurück, noch ehe er eintrifft. Und ich werde ihm erzählen, was ich getan habe." Sie konnte Wayne ansehen, dass er sich nicht überzeugen ließ. Also versuchte sie es andersherum. "Ich weiß, dass Sie Arbeit zu verrichten haben, und bis zum Sunset Rock ist es nur ein Zwanzigminutenritt. An den Pferdeweiden vorbei, nach links in Richtung Deadman's Draw, dann südwärts den Thunder Creek entlang. Stimmt's?" Wayne nickte ein wenig besänftigt. Angelas Gewissen zwickte sie nur einen Moment, und dann ließ sie die Stute zu den Weiden galoppieren, der Wind in ihrem Haar und jubelnde Freude in ihrem Herzen. Es war ein wunderbarer Tag, und wenn Steve zurückkam, würde es ein noch wunderbarerer Abend werden.
Die Vergangenheit war vergangen, und morgen war ein neuer Tag, früh genug, um an die Zukunft zu denken.
11. KAPITEL Der Lärm im Speiselokal war ohrenbetäubend. Käufer und Verkäufer, einige in Hochstimmung über den Gewinn des Tages, andere enttäuscht, drängten sich in den Nischen, verschlangen gierig Hackbraten mit Kartoffelpüree und wärmten jede Einzelheit der Geschäfte, die sie gemacht hatten, von neuem auf. Steve aß schweigsam, er wollte so schnell wie möglich nach Haus. Aber Lucas war zu überdreht, um zu essen. Der jährliche Pferdemarkt in Phoenix gehörte zu den besten im Lande, und er war hierbei ganz in seinem Element... die Parade der Pferde, der hohe Einsatz beim Bieten, das Feilschen hinter den Kulissen. Er blickte ringsherum auf das Gedränge, betrachtete die Kellnerin, die sich zu den sitzenden Männern heruntergebeugt hatte, um die Bestellung aufzunehmen, und ein Paar ganz anständige Beine zeigte. Neben dem alten Kauz mit dem Knäuel Tabak in der Backe saß ein feiner Stadtmensch, der seinen Kaffee trank und dabei die Zeitung las. Plötzlich stach Lucas eine Riesenschlagzeile ins Auge: ANGELA MERCER BETRITT SCHMUTZIGE GASSEN. Und unter dem Titel war ein Bild von Thunderhorse, der Angela aus dem Restaurant Montezuma Mama trug. Der Zeitungsständer war vor dem Gebäude, und wie Lucas sehen konnte, hatte jede Zeitung, ob aus Phoenix, Tucson oder Flagstaff, Angela Mercer 'auf der Titelseite.
Lucas steckte die Münzen in den Schlitz und zog die Zeitungen heraus. DIE AUTORIN UND DER RUINIERTE TRICKREITER tönte die Zeitung aus Phoenix. ANGELA AUF ABWEGEN dramatisierte die Tucsoner Zeitung. Doch die Zeitung aus Flagstaff überbot beide noch und brachte Lucas so in Wallung, dass er mit den Zähnen knirschte: ENGEL DER BARMHERZIGKEIT? war die sensationelle Überschrift, und unter dem Bild der Untertitel: DIE LETZTE CHANCE EINES ALKOHOLIKERS? Lucas überflog die Artikel. Sie enthielten jedes schäbige, schmutzige Detail aus Steves Vergangenheit, einschließlich die verletzenden Äußerungen seiner Exfrau Emily. Was kann man schon von einem Mann erwarten, der seine eigene Frau dem Verfall überließ? hatte sie dem Reporter aus Phoenix gesagt. Natürlich sieht mein Exmann seinen letzten Ausweg als Goldgräber. Um einem so starken Hang zum Alkohol wie bei ihm nachzugeben, braucht man viel Geld. "Es ist verdammt gut, dass du in Washington bist, Emily, sonst würde ich dir deinen hübschen Hals umdrehen", stieß Lucas zornig hervor. Die Reporter hatten die Hintergrundgeschichte recht gut herausgearbeitet, aber das Einzige, was sie ausgelassen hatten, waren die positiven Dinge ... die Auszeichnungen, die Thunderhorse erhalten hatte, das Ansehen und den Respekt, den er sich als Fotojournalist verdient hatte, die anerkannte journalistische Arbeit, die er getan hatte. Nicht einer dieser Reporter hatte sich die Mühe gemacht, zu erwähnen, dass Thunderhorse seit acht Jahren keinen Alkohol angerührt hatte, dass er tatsächlich ein erfolgreicher und vermögender Pferdezüchter und Trainer war. Lucas füllte die Schlitze mit Münzen und kaufte jede Zeitung im Ständer, dann trug er sie in die Herrentoilette und warf sie in den Abfalleimer. Er wusste, dass er das Unausweichliche nur
hinauszögerte. Dieser Tag zumindest sollte für Steve nicht ruiniert werden. Nicht wenn Angela zu Hause auf ihn wartete. Angela hatte sich verirrt. Sie hatte überhaupt keine Schwierigkeiten gehabt, den Sunset Rock zu finden. Und es war so friedlich auf dem Plateau gewesen, und die Zeit war so schnell vergangen. Sie hatte sich wohl zu lange hier aufgehalten, denn es sah so anders aus mit den Schatten überall. Panik überkam sie. Sie hätte mindestens schon vor einer Stunde zurück sein müssen. Sie hatte davon gehört, dass Leute in Gegenden wie diesen sich verirrt hatten. Manchmal wurden sie nie gefunden. Natürlich würde Steve sie suchen - wütend wie eine Hornisse. Armer Wayne. Sie mochte gar nicht an den Zorn denken, den er auf sich laden musste. "Reiß dich zusammen", sagte sie sich laut und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Sie hatte sich in diesen Schlamassel hineingebracht, sie würde sich wieder herausbringen. Basta. Ende der Diskussion. Sie zog die Zügel leicht an, und Stargaze blieb stehen. Eine Weile saß Angela ganz ruhig, schaute in die Runde, versuchte sich zu erinnern. Dort in der Ferne ... war das nicht eine Ansammlung von Bäumen? Und wuchsen Bäume nicht am Wasser? Wenn sie den kleinen Bach fand, dann könnte sie zum Ranchhaus finden. Angela ritt in Richtung der Bäume. "Sie ist wo?" Steves Stimme war trügerisch ruhig. Wayne war zu Tode erschrocken. Nicht weil Thunderhorse ihm etwas antun könnte. Ein jeder wusste, dass Thunder - Donner -, der erste Teil seines Namens, an ihm verschwendet war. Es war die Angst um Angela, die Wayne im Nacken saß.
Steve war so beklommen zu Mute, dass er kaum atmen konnte. Lucas legte die Hand auf Steves Schulter in einer stummen Geste des Mitgefühls. "Sie kann nicht weit weg sein, Steve. Wir finden sie." Steve schaute hinauf zum Himmel. In einer halben Stunde würde die Dunkelheit einsetzen, vielleicht sogar noch früher. Dann setzte auch die Gefahr ein für eine Frau allein. "Lasst uns die Pferde satteln", sagte er und wunderte sich, dass er sich so ruhig anhörte. "Wayne, du reitest zu den Felsschluchten, Lucas, du durchstreifst die West Range, und ich mache mich auf zum Sunset Rock." Wayne hatte bereits sein Pferd gesattelt. Er half Steve bei seinem Hengst. "Slowpoke hätte sie mittlerweile sicher nach Hause gebracht", sagte Steve. "Ihr Abendfutter ließ sie sich nie entgehen." "Angela kann sehr überzeugend sein", bemerkte Lucas. Das wusste Steve nur zu gut. "Gib Wayne nicht die Schuld." "Ich gebe Wayne nicht die Schuld. Schuld gebe ich mir." Lucas schwang sich auf seinen schwarzen Hengst, dann warf er Steve einen seiner tödlichen Blicke zu. "Das war vor neun Jahren, Steve. Es ist vorbei." Sie ritten in entgegengesetzte Richtungen, ließen ihre Pferde so schnell galoppieren, wie es die Abendschatten erlaubten. Angela war stolz auf sich selbst. Die Bäume hatten tatsächlich Wasser bedeutet. "Wer sagt, dass ich nicht auf mich selbst aufpassen kann? Stimmt's, Stargaze?" Von hier aus würde sie sich nun zurechtfinden können. Sie entdeckte Deadman's Draw in dem Augenblick, als Steve plötzlich auf seinem Pferd vor ihr auftauchte. "Angela!" schrie er.
Bevor ihr bewusst wurde, was geschah, war er mit seinem Hengst an ihrer Seite und hatte sie von Stargaze auf sein Pferd gezogen und das alles in vollem Galopp. Er hielt sie so gepackt, dass sie kaum Luft bekam. "Eins steht fest", sagte sie, als er Shadow zum Halten brachte. "Du bist nicht umsonst ein Kunstreiter." "Ich weiß nicht, ob ich dich küssen oder umbringen sollte." "Küss mich zuerst." Und das tat er auch. Es war ein wilder, besitzergreifender Kuss, der so lange andauerte, dass es Angela ganz schwindelig vor Mangel an Sauerstoff wurde. Nicht, dass sie sich beschwerte. Kein bisschen. Als er Angela losließ, sagte sie: "Bitte noch mal." Darauf ließ Steve sich erst einmal nicht ein. "Warum bist du allein von der Ranch geritten?" "Du hörst dich an, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte." "Ich habe Wayne angeordnet, dich zu begleiten, falls du ausreiten wolltest." "Es war meine Schuld, nicht Waynes." "Trotzdem, er hat meine Anordnung nicht befolgt." Angela wurde allmählich wütend. "Geht es dir allein um deine Anordnung?" "Nein, dies hat etwas mit Sicherheit zu tun. Du kennst diese Ranch nicht, nicht einmal das Land, Angela. Es war nicht klug, allein auszureiten." Steve hatte ja Recht, aber Angela hatte nicht vor, das zuzugeben. "Ich bin in Sicherheit gewesen. Ich war auf dem Weg zum Haus, als du plötzlich wie aus dem Nichts angerast kommst und mich von meinem Pferd reißt. Lass mich sofort zurück auf Stargaze. Ich reite den selben Weg zur Ranch zurück, den ich gekommen bin - ohne deine Hufe." "Du reitest mit mir zurück." Steve hatte nicht nur den Griff um sie verstärkt, er hatte auch Stargazes Zügel eingefangen und führte sie neben seinem Pferd.
Angela stieß mit den Ellbogen gegen seine Brust. "Lass mich runter. Ich muss nicht gerettet werden." "Ich lass dich runter, wenn wir nach Hause kommen. Bis dahin verhalte dich ruhig. Du erschreckst die Pferde." Eigentlich wollte Angela vor Wut schnauben und sich wehren, aber es fühlte sich zu gut an, vor Steve zu sitzen und seinen Arm um sich zu haben. Sie würde den Streit auf später vertagen. Jetzt würde sie den Ritt genießen. Als sie die Veranda erreichten, ließ Steve sie vom Pferd gleiten. "Warte hier." "Warum?" "Ich muss die Männer zurückrufen, die auf der Suche nach dir sind. Dass du dich ja nicht von hier entfernst!" Hatte man eine groß angelegte Suche nach ihr gestartet? Angela fühlte sich auf einmal beschämt. Armer Wayne und Lucas. Morgen würde sie sich bei beiden entschuldigen. Der Schall eines Gongs hallte über die Ranch hinaus. Angela saß verdrossen auf der Veranda und wartete auf Steve. Nach einer, wie es ihr schien, halben Ewigkeit kam er zurück. Als er sich neben sie auf die Verandatreppe setzte und den Arm um sie legte, sagte er: "Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, Angela. Ich musste mich zuerst um die Pferde kümmern." "Ich weiß." Die Tränen, die in ihrer Kehle festsaßen, traten zu ihrem eigenen Entsetzen in die Augen. Steve wischte sie mit den Fingern zärtlich weg. "Weine nicht, Angela", flüsterte er und zog sie eng an sich. "Alles wird wieder gut." Dann nahm er sie auf die Arme und trug sie ins Haus. Erst als sie im Schlafzimmer waren, wurden Angela seine Worte bewusst. Alles wird wieder gut... Warum hatte er nicht gesagt: Alles ist gut? Doch ihr blieb keine Zeit, über die Frage zu grübeln, weil Steve sich über sie beugte und ihre Bluse aufknöpfte. Er nahm
eine rosige Knospe in den Mund, und Angela vergaß alles bis auf Thunderhorse und die köstliche Lust, die nur er allein ihr geben konnte. "Ich kann nicht genug von dir bekommen", murmelte er. "Ich möchte nicht, dass du genug bekommst." Dies ist alles, dachte sie. Sie liebten sich süß und wild, bis der Mond sich verzog. "Du bist unglaublich", flüsterte sie. "Wir sind unglaublich - zusammen." Angela versuchte, das Gefühl wieder einzufangen, dass dies, was sie miteinander teilten, alles sei. Es war nicht alles. Die körperliche Liebe war äußerst wichtig, das wusste sie, aber es gab noch mehr, was man mit einbeziehen musste. "Steve, wir müssen miteinander reden." Er küsste sie zärtlich. "Später, Angela. Nicht jetzt." War das das Telefon? Es klingelte wieder. "Steve?" Immer noch vom Schlaf benommen drehte Angela sich zu seiner Bettseite um. Sie war leer. Sie stieß die verhedderte Decke zurück und setzte sich auf. Durch das hartnäckige Läuten des Telefons hörte sie das Geräusch von fließendem Wasser. Steve stand wohl unter der Dusche. Sie nahm den Hörer auf. "Paradise Ranch", meldete sie sich. "Angela?" Es war Jenny. "Wie hast du diese Nummer bekommen?" "Leg nicht auf. Es ist ein dringender Fall." "Dad?" "Nein. Stell den Fernseher an." "Was kann um Himmels willen so dringend ...?" "Keine Widerrede. Tu es. Sofort!" "Welches Programm?" "Es spielt keine Rolle. Du findest es auf jedem Kanal." Angela fand die Fernbedienung und stellte den erstbesten Kanal an. Plötzlich erstarrte sie. Gerade wurde ein Großfoto von
Thunderhorse gezeigt, wie er sie aus dem Restaurant trug. Eine weibliche Stimme gab den Off-Kommentar, enthüllte offensichtlich mit großem Behagen die pikanten Details der Beziehung. "Angela Mercer, die bekannte Autorin der viel gelesenen Krimireihe mit dem Engel Muriel als Stardetektiv hat eine neue Quelle für Inspiration gefunden ... in Steve Thunderhorse, einem Mann, der gegenwärtig seine Zeit mit Kunstreiten in einer WildWest-Show verbringt." Angela stöhnte auf. "Einstmals ein Journalist, der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, verschwand Thunderhorse vor neun Jahren nach einem brutalen Mord an seiner Tochter Sunny aus dem Blickfeld." Angela wurde leichenblass, und sie presste die Hand auf ihr Herz, um den Schmerz zurückzuhalten. Ein Kind zu verlieren musste der härteste Schlag sein, den man im Leben erleiden konnte. Die Begleitstimme fuhr fort. "Thunderhorse war für einen Kommentar zu seinem Liebesverhältnis mit Angela Mercer nicht zu erreichen. Aber wir haben ein Interview mit seiner Exfrau Emily." Emily war eine hoch gewachsene Brünette, die einmal hübsch gewesen sein musste. Ihre nach unten gezogenen Mundwinkel wiesen auf tiefe Unzufriedenheit hin und die verquollenen Augen auf schlaflose Nächte. Und vielleicht sogar auf mehr. "Emily, könnten Sie uns etwas zur Liaison Ihres Exmannes mit Angela Mercer sagen?" "Mich hat er wegen meines Geldes geheiratet, und nun ist er hinter ihrem her. Als Alkoholiker braucht man Geld." "Emily, stimmt es, das Sie und Steve Thunderhorse eine Therapie in der Drogen- und Alkohol-Rehaklinik in Richmond bekommen haben?"
"Ja." Emily starrte wütend in die Kamera. "Was würden Sie tun, wenn jemand Ihr Kind ermordet und Ihr Ehemann Sie verlässt?" Angela war starr vor Entsetzen, und langsam wandte sie den Blick dem Badezimmer zu. Steve stand in der offenen Tür, ein Badetuch hatte er um die Taille geknüpft. "Steve ..." Sie wollte zu ihm gehen, aber sein Gesichtsausdruck hielt sie davon ab. "Hast du genug gehört?" "Oh ..." Ihr Herz krampfte sich so sehr zusammen, dass sie nicht sprechen konnte. Sie nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Die Stille im Zimmer war beklemmend. Steve stand steif in der Tür, und Angela saß steif auf dem Bettrand. Der Grand Canyon trennte sie ... der Pazifik ... der Mount Everest. Und ihr fiel nichts ein, was sie sagen könnte, um die Kluft zu überbrücken. Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Wie ... wie lange stehst du schon da?" "Lang genug." Steve warf das Badetuch in das Badezimmer, dann ging er mit großen Schritten zur Kommode, riss frische Unterwäsche und ein Hemd heraus und zog sie ruckartig an. Ein Knopf sprang ab und rollte über den Boden. Angela starrte auf den Knopf, bis er vor ihren Augen verschwamm. Sie blinzelte die Tränen weg, verließ das Bett und legte ihre Hand auf Steves Arm. Er wurde steif wie ein Brett, wie eine Statue, wie ein Eisblock. "Es war schrecklich, Steve. Alles, was die gesagt haben, war schrecklich." "Ja, es war schrecklich." Bei seiner Stimme überlief Angela ein kalter Schauer, und sie legte die Arme um sich. "Die haben nur Unsinn von sich gegeben ... Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." Sie blickte zu Steve herüber. Seine
schwarzen Augen wirkten wie gefroren in seinem maskenhaften Gesicht. "Was genau hast du nicht verstanden, Angela? Den Teil über meine Alkoholabhängigkeit? Den Teil, dass ich meine Frau böswillig verlassen habe? Oder den Teil, dass ich ein ruinierter Kunstreiter bin?" "O, Steve." Sie legte die Arme um ihn. Es war, als ob sie einen Baum umarmte. "Nichts davon ist wahr. Ich weiß, dass es nicht so ist." Er machte sich frei von ihr. Mit einer Hand packte er Angela bei den Handgelenken und öffnete ihre Finger. "Hast du darum die Hände zu Fäusten geballt? Hast du darum die Fingernägel in die Handflächen gepresst? Weil du kein Wort von dem glaubst, was du gehört hast?" "Nicht deswegen, sondern weil es mich deinetwegen schmerzt, Steve. Was musst du gelitten haben, als Sun..." Seine Stimme, mit der er sie unterbrach, war schneidend. "Sag es nicht. Sag nicht ihren Namen." Er hielt ihre Handgelenke mit einem so eisernen Griff fest, dass die Haut weiß wurde. Es gab sicher tausend Dinge, die gesagt werden mussten, aber Angela konnte nur an eins denken. "Es tut mir so sehr Leid, Steve", flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme. "So sehr Leid." Er starrte auf einen Punkt hinter ihr, nicht auf das Bild an der Wand, nicht auf die Pappel, die man durchs Fenster sehen konnte, nicht auf das rote Dach der Ställe, sondern auf eine ferne Zeit, einen fernen Ort, wo eine unsägliche Tragödie für immer den Lauf seines Lebens verändert hatte. Gleichgültig, wie sehr Angela es auch versuchen würde, seine Vergangenheit würde für sie immer dunkel bleiben. Sie würde niemals den Mann, der er einmal gewesen war, kennen, niemals seinen furchtbaren Schmerz nachfühlen, niemals sein herzzerreißendes Leid mit ihm teilen können. Mitgefühl hatte
seine Grenzen. Mit Einfühlung würde sie nur einen Bruchteil seines inneren Aufruhrs begreifen. "Ich weiß, dass nichts, was ich dir sagen kann, deinen Schmerz lindern könnte, aber ich will ihn herzlich gern mit dir teilen, wenn du dich aussprechen möchtest..." Sein maskenhafter Gesichtsausdruck blieb unverändert, aber der Griff um ihre Handgelenke löste sich. "Was immer geschehen ist, was immer geschehen wird, ich liebe dich, Steve." Angela hielt ein Aufschluchzen zurück. Sie würde nicht weinen, nicht jetzt, nicht wenn Steve sie stark brauchte. "Ich liebe dich." Sie beugte den Kopf und küsste die Innenseite seiner Handgelenke. Seine Erschütterung ließ nach. Es zeigte sich in seinem Blick, der nicht mehr so verstört wirkte, an seinem Gesicht, das nicht mehr so aschfahl und maskenhaft war, und in seinem Griff, der sich lockerte. Angela schöpfte neue Hoffnung. Alles würde wieder gut werden. Steve hob ihre Hände mit den Handflächen nach außen an seine Lippen und küsste sie mit einer so großen Zärtlichkeit und Traurigkeit, dass ihr Herz sich zusammenzog. Sein Gesicht verschloss sich wieder, und als er Angela losließ, wurde ihr bange zu Mute. "Du kannst hier bleiben, solange du möchtest", sagte er. "Wie meinst du das? Wohin gehst du?" "Ich muss die Pferde vom nördlichen Weideland hierher treiben. Es wird Winter." Angela fröstelte. Der Winter war bereits da. Ein bitterkalter Winter in ihrem Herzen. "Geh nicht, Steve. Nicht so." "Es gibt nichts mehr zu sagen, Angela." "Es gibt eine Menge zu sagen. Ich liebe dich, Steve."
Steve sah sie lange prüfend an, als ob er sich ihre Züge ins Gedächtnis ritzen wollte. Schließlich sprach er. "Das hat auch Sunny getan ... und ich habe sie getötet." Gelähmt vor Schock sah Angela ihm nach. Mit drei großen Schritten hatte er das Zimmer überquert. Er ging am Bett vorbei, ohne einen Blick darauf zu werfen, das Be tt, in dem sie nur kurz zuvor sich bis zur Erschöpfung und Beglückung geliebt hatten. Ihre Träume verwandelten sich in Dunst, und sie war machtlos, um irgendetwas daran zu ändern. Steve war bereits aus der Tür, als sie hinter ihm her rief. "Warte!" Einen Moment lang zögerte er, und sie glaubte schon, er würde sich umwenden und zu ihr zurückkommen. "Steve, bitte", flüsterte sie. Sie würde nicht zu ihm gehen, würde sich nicht wie ein Bettler an ihn hängen. Er musste zu ihr kommen. "Geh nicht. Nicht so." Er blieb im Türrahmen reglos stehen, und mit jeder Sekunde, die verging, wurde Angela zuversichtlicher. Dann, ohne Warnung, versteifte sich sein Rücken, und er entfernte sich. Seine entschlossenen Schritte hallten auf den Treppenstufen und in der Eingangshalle wider. Angela stand mitten im Schlafzimmer, rührte sich nicht, atmete kaum. Sogar als die Eingangstür zuschlug, stand sie reglos da, wartete, dass Steve zurückkam, wollte nicht glauben, dass er sie tatsächlich verließ. Schmerz überwältigte sie, und Angela schlang die Arme um sich, um ihn einzudämmen. In der Entfernung hörte sie das Stampfen von Hufen. Sie rannte zum Fenster und sah den weißen Hengst mit seinem Reiter vorbeigaloppieren. "Steve." Hatte sie seinen Namen gerufen? Geflüstert? Nur gedacht? Ganz sicher hatte er es gehört. Ganz sicher würde er sie nicht verlassen ...
Er ritt an den Ställen vorbei, vorbei an den Pferdeweiden, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Angelas Fingernägel schnitten so tief in ihre Handfläche, dass es blutete. Gleich hinter den Pferdeweiden brachte Steve den Hengst zum Stehen und blickte zum Haus zurück. "Komm zurück", flüsterte Angela. "Bitte, komm zurück." Einen hoffnungsvollen Moment lang dachte sie, er würde es tun. Er ließ das Pferd wenden. Angela presste die Hand auf ihr Herz, wartete. Plötzlich bäumte sich das Pferd auf und galoppierte dann mit seinem Reiter aus Angelas Sicht. Steve war fort, und Angelas Leben würde nie wieder so sein, wie es gewesen war.
12. KAPITEL Angela fand Lucas im Stall. Nachdem sie sich zusammengerissen hatte und durch ein langes heißes Bad wieder zur Ruhe gekommen war, zog sie sich an und ging auf die Suche nach Steves bestem Freund. Er saß auf einem Heuballen gleich hinter dem großen Tor zum großräumigen Pferdestall und rauchte Pfeife. Angela war erleichtert und zeigte es auch. "Ich bin so froh, dass ich Sie gefunden hab", sagte sie und kehrte zum förmlichen Sie zurück. "Dachte mir schon, dass Sie mit mir reden wollen. War schon auf dem Weg ins Haus, dann fand ich, ich sollte lieber hier draußen auf Sie warten." Auch er blieb beim Sie. "Setzen Sie sich." Er wies auf einen Heuballen neben seinem, und Angela setzte sich mit steifem Rücken. Jetzt wo sie hier war, wusste sie nicht, wie sie beginnen sollte. "Atmen Sie ein paar Mal durch, Angela." Lucas paffte regelrechte Rauchwolken aus seiner Pfeife. "So ein Stall hat etwas mächtig Friedliches an sich, wenn man hier länger sitzt und es auf sich einwirken lässt." Seine ruhigen Worte waren Balsam für ihre Seele. Angela hielt ein Schluchzen zurück, das ihr immer noch in der Kehle steckte. Dann schloss sie die Augen und ließ den Geruch von
Heu auf sich wirken, das Schnauben der Pferde und das Gurren der Tauben. Wenn sie lange genug hier so sitzen bliebe, würde Steve zurückkommen? Würde er ihr sagen: Es tut mir Leid, Angela. Lass uns wieder neu anfangen? Würde er ihr sagen: Ich möchte dir alles erzählen, was geschehen ist? "Ich nehme an, Sie möchten was über Steve hören." Angela schluckte den Kloß im Hals herunter. "Bitte denken Sie nicht, dass ich hinter Steves Rücken hier herumschleiche und Sie dazu bringen will, das Vertrauen zu brechen." "Nein, das denke ich nicht. Ich kann Menschen ganz gut beurteilen. Das würde nicht Ihre Art sein." Lucas nahm die Pfeife aus dem Mund. "Vor neun Jahren war Steve der beste Berichterstatter und Fotojournalist im Lande. Er hatte mehr Auszeichnungen erhalten als irgendein anderer Journalist in seinem Alter, einschließlich des Pulitzerpreises." Er sah sie eine Weile prüfend an. "Davon haben Sie wohl schon gehört." "Ja. Heute sehr früh am Morgen - im Fernsehen." "Er wurde respektiert und man schätzte ihn. Er war ein guter Ehemann, ein wunderbarer Vater und ein anständiger Mensch." "Das weiß ich. Hier drin." Angela legte die Hand auf ihr Herz. "Steve Thunderhorse ist einer der großartigsten Menschen, die ich kenne. Wir sind zusammen aufgewachsen, gingen in dieselbe Schule. Die Thunderhorses waren wohlhabend, einige sagten versnobt. Sein Vater war Atomphysiker und seine Mutter Konzertpianistin." Lucas lachte in sich hinein. "Steve hat ihre musikalische Begabung nicht geerbt, obwohl ihn das nicht zurückhält, es immer wieder zu versuchen." Das Bild von Steve, wie er seine Gitarre spielte, stand vor ihren Augen, und ihr Herz zog sich zusammen. "Ich war Waise, also jemand, den die Kids kaum wahrnehmen. Steve war darin anders. Er nahm mich nicht nur wahr, er hat sich bei einer Prügelei auf dem Schulhof sogar für
mich stark gemacht. Wir waren damals sechs, und seitdem sind wir Freunde geblieben. Es gibt nichts, was ich nicht für ihn tun würde, einschließlich dem Versuch, die Frau, die er liebt, davon abzuhalten, dass sie sich gegen ihn stellt." "Er liebt mich?" "Ja, er liebt Sie." "Hat er es Ihnen gesagt?" "Er brauchte es mir nicht zu sagen. Steve redet selten über sich selbst. Ich kenne ihn in- und auswendig." "Warum hat er mich aber dann verlassen?" Sie sah ihn wieder vor sich, wie er im Türrahmen stand ... zornig, kalt und hintergangen ... während die Fernsehreporterin ihr Gift verspritzte. "Er hätte wissen sollen, dass ich diese schrecklichen Dinge, die man über ihn sagte, nicht glauben würde. Meine Güte, sollte ausgerechnet ich darauf hereinfallen? Mir ist nur allzu bekannt, wie Gerüchte und boshafte Anspielungen für Tatsachen ausgegeben werden." "Es hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun, Angela. Steve ging fort, weil er Angst hat, dass er bei Ihnen versagen könnte, genauso wie er glaubt, dass er bei seiner Familie versagt hat." "Bitte, erzählen Sie mir, was passiert ist." "Er war in Saudi-Arabien, um über den Konflikt dort zu berichten. Während seiner Abwesenheit fassten Emily und Sunny eines Tages den Entschluss, Schlittschuh zu laufen. Auf der Fahrt zur Eisbahn entdeckte Sunny, dass sie ihre Schlittschuhe vergessen hatte. Sie fuhren zurück, gingen ins Haus und ertappten einen Einbrecher. Er rannte in Panik aus der Hintertür hinaus, doch nicht bevor er den Videorekorder, den er gerade gepackt hatte, auf sie warf." Ein Schauder überlief Angela. Sie wusste, was als Nächstes kommen würde, und jeder Muskel in ihrem Körper spannte sic h an gegen das, was Lucas sagen würde. "Der Videorekorder traf Sunny an der Schläfe", fuhr Lucas fort. "Sie war bereits tot, als der Notarzt kam."
Tränen liefen Angela die Wange herunter, und Lucas reichte ihr sein Taschentuch. "Der Tod ihres Kindes zerstörte fast beide. Sie suchten Trost bei der Flasche. Steve überwand die Sucht, Emily nicht." "Sie ließen sich scheiden?" "Nach einer Zeit. Emily reichte die Scheidung ein. Es war nur eine Formalität. Ihre Ehe endete an dem Tag, als Sunny starb." Angela saß still da, dachte über das, was sie soeben gehört hatte, nach. Natürlich gab es große Lücken, aber es war nicht allzu schwer, die Lücken zu füllen. Steve verlor sein Kind, während er in einem anderen Teil der Welt seinem Job nachging. Also nahm er die Verant wortung auf sich. Es erklärte vieles. Warum er wollte, dass sie ein Pferd ritt, das sich nicht gern bewegte. Warum er darauf bestand, dass Wayne sie begleitete. Warum er sich immer so beschützend gab, als ob sie aus Glas wäre. Es erklärte auch seine Angst. Seine Vergangenheit verfolgte ihn noch immer. Er hatte die Angst für eine Weile verdrängt, um mit ihr ein kurzes Liebesverhältnis zu haben. Aber sobald die Medien es aufgestöbert hatten, rannte er davon. Und er würde nicht zurückkehren. Die Wahrheit war schwer wie ein Stein. Aber Angela musste sie akzeptieren. Sie erhob sich und klopfte das Heu von der Jeans. "Ich danke Ihnen, Lucas." Er sah aus zusammengekniffenen Augen zu ihr hoch. "Was werden Sie tun?" "Ich fahre nach Mississippi zurück." "Ich wünschte, ich könnte Sie zum Bleiben überreden. Ich wünschte, ich könnte Ihnen glaubhaft machen, dass wenn Steve mit den Pferden zurückkommt, er Zeit genug gehabt hat, alles zu überdenken und einzusehen, dass er nicht versagt hatte." "Das wird nicht geschehen." Der Ausdruck auf seinem Gesicht bestätigte, was sie bereits wusste: Lucas stimmte ihr zu. Sie beide kannten Steve Thunderhorse gut.
Lucas steckte seine mittlerweile ausgebrannte Pfeife in die Hemdtasche. "Ich helfe Ihnen beim Einladen." "Das wäre nett, Lucas." Sie brauchten nur eine Stunde, um ihren Wohnwagen fahrbereit zu machen. Und während dieser Zeit wurde Angela klar, wie ungeheuer wichtig Lucas für Steves Wiederherstellung gewesen war. Seine Gelassenheit und Ehrlichkeit gaben auch ihr das Gefühl, ihm völlig vertrauen und ihm alles sagen zu können, ohne dass er auch nur eine Augenbraue hochzog. Erst als auch ihr letztes Gepäckstück verstaut war, kam er mit der Nachricht heraus, die bei Angela wie eine Bombe einschlug. "Ich geh noch schnell rüber zu Waynes Haus. Steve hat ihm gesagt, er solle Sie nach Hause fahren." "Wayne?" "Steve dachte sich schon, dass Sie von hier fort wollten. Er hat Wayne gebeten, Sie zu fahren." Zorn stieg in Angela auf. "Wayne wird mich nicht nach Hause fahren. Ich bin allein bis hierher gekommen, ich werde allein den Weg zurück nehmen." "Ich hab's Steve bereits gesagt, dass das nicht klappen wird. Aber er ist so verdammt dickköpfig, dass er nicht hinhört, was man ihm sagt." "Er ist nicht der Einzige, der dickköpfig ist." Angela streckte ihr Kinn vor wie eine Bulldogge. Sie hatte es satt, gesagt zu bekommen, was sie zu tun habe. "Ich habe diesen Blick bereits einmal gesehen, und ich weiß deshalb, dass es besser ist, sich nicht groß einzumischen." Sie kletterte in ihren Wohnwagen, und Lucas blickte zu ihr auf. "Es gibt da ein paar ganz schön kurvige Straßen zwischen hier und dem Highway. Lassen Sie mich wenigstens diese Strecke vor Ihnen herfahren." Lucas hatte ja Recht. Sie konnte sich an die Straßen erinnern. Es wäre idiotisch, das Angebot nicht anzunehmen. "In Ordnung", sagte sie. "Und, Lucas ... danke für alles."
"Ist schon gut." Lucas kam nach einer kurzen Weile auf seinem Motorrad zurück, und die nächste Dreiviertelstunde konzentrierte Angela sich einzig darauf, mit seinem Tempo Schritt zu halten. Der Highway tauchte vor ihnen auf. Lucas ging mit dem Tempo runter, dann zog er sein Motorrad auf den Grünstreifen neben der Straße. Angela setzte ein Lächeln auf, dann hob sie die Hand und winkte Lucas zum Abschied zu. Er hob den Daume n und gab ihr so zu verstehen, dass alles in Ordnung kommen würde. In ihrem Rückspiegel sah sie, wie er das Motorrad wendete und zurück nach Hause fuhr. Nach Hause. Einige wenige wunderschöne Tage hatte sie geglaubt, ihr Zuhause sei die Paradise Ranch. Nun musste sie der nackten Wirklichkeit ins Auge sehen. Ihr Zuhause war ein ferner Ort, den sie nach einer langen Reise erreichen würde. Allein. Angela nahm den Highway in östlicher Richtung und fuhr der Sonne entgegen.
13. KAPITEL Wenn das Wetter es zuließ, frühstückten Angela und ihr Vater immer zusammen im Garten hinter dem Haus. Es war ihnen zur lieben Gewohnheit geworden, und Angela freute sich darauf. Es hatte etwas für sich, den Tag so zu beginnen, von der Natur umgeben und in der Gesellscha ft ihres weisen und liebenden Vaters. Manchmal unterhielten sie sich beim Essen, und manchmal schwiegen sie auch, lasen die Morgenzeitung und lauschten den Geräuschen der Natur, den Spottdrosseln, die sich darüber zankten, wer das Vogelbad zuerst nehmen durfte, dem Schwirren der Kolibriflügel, dem Ächzen der Bäume im Wind. An diesem Morgen fehlte die Tageszeitung, was auffallend war. "Ich muss mit dir reden Angela. Bereit zum Zuhören?" Nie fing er eine Unterhaltung so an, es sei denn, die Angelegenheit war ernst. Angela schob ihren Teller zur Seite. "Ich höre, Dad." "Es ist wegen ..." Er hielt inne, räusperte sich und fing wieder an. "Während du weg warst, habe ich eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht." "Dass du ohne mich nicht leben kannst", zog Angela ihn auf. Lächelnd schüttelte er den Kopf. "Das stimmt in etwa, denn du bist die Freude meines Lebens, Angela. Ich weiß nicht, wie ich die letzten drei Jahre ohne dich hätte überstehen können."
"Du hast es dir selbst zu verdanken, Dad. Pass auf, es wird dir immer besser gehen." "Das wird es zweifellos. Und genau darüber möchte ich mit dir reden." Er räusperte sich wieder. "Während du weg gewesen bist", fing er wieder an, "hat Kaki ... Sie ist eine wirkliche feine Lady, Angela." "Das ist sie. Die beste Mitarbeiterin, die ich jemals gehabt habe." "Ich meine nicht ihre beruflichen Qualitäten. Sie ist warmherzig und aufmerksam und freundlich und humorvoll." Carl gingen die Lobpreisungen aus. "Alles in allem eine wirklich feine Frau." Angela lehnte sich verblüfft zurück. Eigentlich sollte es sie nicht überraschen. Aber es war irgendwie schockierend, den Vater so aufgeregt wie einen Schuljungen zu sehen, der seine erste Liebe beschrieb. Noch schockierender war es, ihn nicht mehr allein als ihren Vater, Lehrer, Freund zu sehen, sondern in einer anderen Rolle. Sie hatte es noch nie bei ihm erlebt, dass ihm die Worte ausgegangen wären. Angela fand, dass sie ihn aus der Misere befreien sollte. "Du hast Kaki sehr gut beschrieben, Dad. Du musst ihre Gesellschaft, während ich weg war, richtig genossen haben. Und ich freue mich darüber." "Angela, es ist mehr. Ich habe mich verliebt." Carl nahm die Hand seiner Tochter. "Ich möchte sie heiraten, und ich hoffe, dass du uns deinen Segen gibst." Angela saß eine Weile schweigend da, ließ die Neuigkeit auf sich einwirken. Ihr Dad war offensichtlich in Hochstimmung, und er hatte auch allen Grund dazu. Er hätte keine bessere Frau für sich wählen können. Angela war glücklich für ihn. Natürlich war sie das. Veränderungen waren in einem Leben unvermeidlich. Das einzig Dumme dabei war nur, dass zu viele und zu schnelle
Veränderungen eine Frau ganz schön aus dem inneren Gleichgewicht bringen konnten. "Angela?" Er blickte sie besorgt an. Sie lächelte ihn an und hoffte nur, dass er es nicht beme rkte, was das Lächeln sie kostete. "Ich bin glücklich für dich, Dad. Glücklich für euch beide. Und ich gebe euch nur den Segen, wenn ihr mir die Vorbereitungen für die Verlobungsparty überlasst." "Wir haben darüber gestern Abend schon gesprochen und heute Morgen wieder am Telefon. Aber da wir sowieso den Benefizabend geplant haben, werden wir unsere Absicht zu heiraten auf dieser Party verkünden." "Großartig. Wir haben die Band, wir können ein glanzvolles Tanzfest haben. Wir werden die größte Party haben, die Oxford jemals erlebt hat, Dad." Angela erhob sich und umarmte ihren Vater. "Habt ihr schon entschieden, unter welchem Thema der Abend laufen soll?" "Ja." "Und ...? Willst du damit nicht herausrücken, Dad?" "Kaki und ich wollen es geheim halten. Wir haben uns entschieden, dass es eine zwanglose Sache werden soll, kein Ball oder irgendwas Steifes. Und es soll eine Überraschung für die Teilnehmer werden." "Wunderbar. Ich liebe Überraschungen." Nachdem Angela sich ins Haus zurückgezogen hatte, blieb Carl noch im Garten sitzen, um auf Kaki zu warten. "Du siehst besorgt aus", stellte sie fest, nachdem sie ihn mit einem Kuss begrüßt hatte. Er winkte ab. "Es hat nichts mit uns zu tun, Darling. Angela war erfreut, genau so wie ich es erwartet habe." "Der Benefizabend also?" "Ja. Vielleicht sollten wir es ihr sagen." "Wir haben lang und breit darüber geredet, Carl. Warum sollten wir sie unnötig beunruhigen?"
"Das ist wahr. Angela geht schon sowieso viel zu viel im Kopf herum, jetzt wo sie mit dem neuen Buch angefangen hat. Es ist also nicht nötig, sie für die nächsten zwei Wochen noch mehr zu belasten." Sie saßen schweigend da und hingen ihren Gedanken nach. Schließlich sagte Kaki: "Vielleicht sollte ich noch heute Morgen die Agentur anrufen und absagen. Der große Ta nzball sollte in diesem Jahr genügen." "Nein. Wir haben die Show engagiert. Wir werden auf keinen Fall das Geld zurückerstattet bekommen. Außerdem, Kaki, überleg nur. Es muss Dutzende von Wild-West-Shows geben. Die Chance ist sehr gering, dass es ausgerechnet Thunderhorses Show ist."
14. KAPITEL Steve Thunderhorse hatte sich schon immer die Femsehnachrichten ganz früh am Morgen angesehen, noch bevor er an die Arbeit ging. Und er hatte nicht vor, von dieser Gewohnheit abzurücken. Er wappnete sich innerlich gegen den neuesten Bericht, aber er blieb sitzen. "Die Angela-Mercer-Steve-Thunderhorse-Saga hat ihre Fortsetzung. Wir haben Angela Mercer in ihrem Haus in Mississippi aufgespürt, aber auf die Fragen über ihre Beziehung zum Kunstreiter aus Arizona gab sie kurz und bündig ein Kein Kommentar von sich." Lucas marschierte in die Küche und schaltete den Fernseher aus. "Warum quälst du dich?" fragte er aufgebracht und holte sich einen Teller aus dem Schrank. "Weil ich es so will." "Du bist in einer Scheißlaune." "Ja. Gehört zu meinem vielseitigen Charme." Lucas füllte sich den Teller mit einem Berg von Pfannkuchen mit Ahornsirup, dann zog er sich den Stuhl unter dem Tisch hervor. "Hast sie wohl noch nicht angerufen, was?" "Nein. Will ich auch nicht. Das Thema ist abgeschlossen." Lucas verdrückte seine Pfannkuchen, dann goss er sich Kaffee in den Becher.
"Übrigens, die Agentur hat heute Morgen dein Büro angerufen und an die Show erinnert", sagte er. "Welche Show?" "Hast du denn die Notiz nicht gesehen, die ich in deinen Terminkalender eingetragen habe?" Lucas fing Steves finsteren Blick auf. "Aha, wohl nicht. Du bist ganz schön beschäftigt gewesen. Angela war hier." "Verdammt, Lucas!" Steve schob seinen Stuhl zurück. "Ich will ihren Namen nicht mehr hören. " Lucas war kein Mann, dem man Bange machen konnte. Auch er schob seinen Stuhl zurück und stand Nase an Nase mit Steve. "Du kannst dem nicht immer aus dem Wege gehen, Steve. Wenn du meinst, dass wir nur um dich herumschleichen, um dir ja nicht zu nahe zu treten, dann irrst du dich." Steve fuhr mit den Händen durchs Haar. "Iss den Rest der Pfannkuchen. Ich weiß, dass du scharf drauf bist." "Wohin gehst du?" "Die Show absagen." "Es ist ein Benefizabend, Thunderhorse", sagte sein Agent am Telefon. "Du hast noch nie zuvor Leute von der Wohltätigkeit im Stich gelassen. Du kannst nicht absagen." Steve warf einen Blick auf die Notiz, die Lucas in seinen Kalender eingetragen hatte. 17. Oktober. Wild-West-Show, Oxford, Mississippi. Sein Herz zog sich zusammen. "Wer hat die Show engagiert?" Am anderen Ende der Leitung war Stille, während Rick Brailey von der Agentur in den Unterlagen nachsah. "Eine Mrs. Elliott. Mrs. Kaki Elliott." Ganz sicher gab es keine Verbindung. Oxford war immerhin eine mittelgroße Universitätsstadt. "Hat sie die Show für jemand anders bestellt?" "Das hat sie nicht gesagt. Nur dass es für die alljährliche Benefizveranstaltung des Diabetes-Vereins sei."
Also kam ein Rückzieher nicht infrage. Die Wild-West-Show würde einem noblem Zweck dienen. Doch es würde die allerletzte Show für Steve sein. Das stand fest. "Kein Engagement mehr, Rick." "In diesem Jahr..." "In keinem Jahr." Thunderhorse legte auf und machte sich an die Vorbereitungen für seine letzte Wild-West-Show. Carl und Kaki standen zu ihrem Wort, vom Ablauf des Benefizabends nur das Notwendigste an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Es blieb ein großes Geheimnis, was die Oxforder mächtig neugierig machte. Noch nie zuvor wurden so viele Eintrittskarten verkauft wie in diesem Jahr. Angelas ne u herausgekommenes Buch verkaufte sich gut, und sie hatte überlebt. Sie hatte gelernt, dass gebrochene Herzen wieder heilen, wenn auch langsam. Und sie brach nicht mehr wegen einer Nichtigkeit in Tränen aus. Der wilde Schmerz, den sie um Steve fühlte, war dumpfer geworden. Damit konnte sie leben. Jemand klopfte leicht an ihre Schlafzimmertür. "Komm herein", sagte Angela. Es konnte nur ihr Vater oder Kaki sein. Es war Kaki, die nervös wirkte. Und mit gutem Grund. Der Diamant an ihrem Finger war so groß wie ein Taubenei, und bald würde es jeder Oxforder wissen, von wem sie ihn hatte. Angela knöpfte ihre Bluse zu, dann schnappte sie sich den Stetson und setzte ihn auf. "Was meinst du? Sollte ich ihn morgen tragen? Ich sterbe vor Neugierde. Kannst du mir nicht wenigstens einen Fingerzeig geben, wie die Benefizveranstaltung ablaufen wird?" "Ich kann dir mehr als einen Fingerzeig geben. Setz dich, Angela." Angela blieb, stehen, aber Kaki setzte sich auf den Bettrand, als ob sie das, was sie zu sagen hatte, nicht stehend sagen
könnte. ;,Ich halte es für richtiger, wenn du es vor der Show erfährst." "Was soll ich erfahren?" Angela setzte sich doch lieber neben sie. "Kaki, was ist los? Das hat doch nichts mit dir und Dad zu tun, nicht wahr?" "Nein, absolut nicht." Kaki nahm Angelas Hand zwischen ihre Hände. "Wir haben diese Veranstaltung geplant, noch während du in Arizona warst ... noch bevor der Skandal ausgebrochen ist." "Was genau habt ihr geplant, Kaki?" "Eine Wild-West-Show." Angela war so betroffen, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Das Schweigen war lastend. "Als wir dann davon erfuhren, dass du und ... Nun ja, wir wissen nicht, ob er diese Show machen wird, Angela. Deinetwegen hoffen wir, dass es jemand anders sein wird." "Haben sie das Zelt schon aufgestellt?" "Nein. Die Agentur sagte uns, dass das heute Nachmittag geschieht." Angela dachte lange nach. Sie könnte die Stadt für ein paar Tage verlassen ... Und wenn sie dann zurückkäme, wäre die Wild-West-Show weg. Und mit der Show auch der Mann, der in ihr auftrat. "Du musst nicht hingehen, Angela." Kaki kannte sie gut. Wegrennen war seit Jahren Angelas Stil. Oder sich verstecken. Lass andere sich um die unangenehmen Dinge kümmern. Aber das war vor ihrer Fahrt nach Arizona gewesen. "Nein, Kaki." Angela stand auf. "Ich werde dabei sein." Oxford, Mississippi, wirkte auf Steve so, wie er es sich vorgestellt hatte. Kultiviert, charmant, ein bisschen altmodisch, erfüllt mit reicher literarischer Tradition. Angela Mercer passte perfekt in diese Stadt.
Nachdem er sich um die Bedürfnisse seiner Pferde und seiner Crew gekümmert hatte, machte er einen Spaziergang zur Stadtmitte. An einer Ecke war ein Buchladen, hinter dessen Schaufenster die Exemplare all der Bücher ausgestellt waren, die Angela Mercer geschrieben hatte, mitsamt einem riesigen Foto von ihr. Man war offensichtlich stolz auf eine Hiesige, die es zum literarischen Erfolg gebracht hatte. Steve stand wie gebannt vor dem Schaufenster. Sein Herz tat weh, seine Augen brannten. Dann riss er sich zusammen. Er war hier, um seiner Verpflichtung nachzukommen. Er würde jetzt zurückkehren in seinen Caravan, der ihm vorübergehend als Büro diente, würde mit dieser Ms. Kaki Elliott das Nötige besprechen, dann die Show abziehen und zusehen, dass er von hier so schnell wie möglich abdampfte. Um genau vier Uhr nachmittags klopfte es an seine Tür. Ms. Elliott war pünktlich, das musste Steve ihr lassen. "Herein", sagte er, und Angela Mercer kam durch die Tür. "Du bist es also doch", sagte sie. Geschockt starrte Steve sie an, war hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht, sie zu küssen, und dem Drang, davonzulaufen. Lieber Himmel, eine Frau hatte einfach nicht das Recht, so reizvoll auszusehen. Sie blieb in der geöffneten Tür stehen, ein Bild in Weiß, mit blondem Haar, das ihre Schultern umspielte, mit leicht geöffneten Lippen, mit ihrem Duft, der plötzlich in der Luft hing, mit ihrem ganzen Wesen, das ihn zutiefst berührte. Feigling, der er nun einmal war, flüchtete er sich hinter den Schreibtisch. "Ich würde dich bitten, Platz zu nehmen, aber ich habe um vier Uhr eine Verabredung." "Ich bin deine Verabredung." Angela setzte sich in den Besuchersessel vor dem Schreibtisch, und er setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. Er hoffte, dass er ruhiger wirkte, als er sich fühlte. "Du hast einen Decknamen benutzt."
"Nein. Kaki Elliott ist meine Mitarbeiterin, sie hilft mir bei den Recherchen für meine Bücher. Und sie kümmert sich um all die Einzelheiten dieser jährlichen DiabetesBenefizveranstaltung." Steve hatte keine Ahnung, wie das möglich sein konnte, aber Angela sah liebreizender aus, als er sich erinnerte. "Ich bin gekommen, damit du dir im Klaren bist, dass nicht ich dich hierher nach Oxford gelockt habe", sagte sie. "Das hätte ich mir auch nicht vorstellen können." "Ich habe erst heute Morgen von der Wild-West-Show erfahren." "Und ich habe erst heute Morgen erfahren, dass du die Hauptwohltäterin der Veranstaltung bist. Natürlich hätte ich von selbst darauf kommen sollen." Ihre Blicke begegneten sich, ihre Herzen schlugen wie wild. Schweiß perlte auf seiner Stirn und blieb auf den Augenbrauen hängen, aber er würde verdammt sein, wenn er ihn wegwischte. Es war schon schlimm genug, dass er sein Verlangen kaum zügeln konnte. Hatte Angela es bemerkt? Fühlte sie genau wie er dieses heiße Begehren? Sie fuhr sich mit ihrer rosigen Zungenspitze über die trockenen Lippen. Diese winzige Geste gab ihm fast den Rest. "Ist alles bereit für die Show?" "Ja. Du bekommst deine Show, Angela." Es war das erste Mal, seit sie sein provisorisches Büro betreten hatte, dass Steve ihren Vornamen sagte. Und wie er es sagte! Fast zärtlich und so intim ... Es war mehr, als Angela ertragen konnte. Es war dumm von ihr gewesen, hierher zu kommen, dumm, zu glauben, sie könnte Steve ungezwungen unter die Augen treten, dumm, anzunehmen, sie könnten in geschäftlich ruhigem Ton über seine Show sprechen. Ihr Herz weigerte sich, gebändigt zu werden. Es hämmerte ihr bis zum
Hals. Ihre Glieder fühlten sich auf einmal so zittrig an, dass sie nicht wusste, wie sie hier heil aus dem Raum kommen könnte. Warum hatte sie dieses nicht Kaki überlassen? Oder warum hatte sie Steve nicht einfach von zu Hause angerufen? Weil sie ihn sehen wollte. Die Wahrheit zu leugnen wäre zwecklos. Sie hatte Steve unbedingt wieder sehen wollen, ihn berühren wollen, ihn lieben wollen. O, Himmel, wie sehr sie ihn lieben wollte! Aber natürlich war das unmöglich. Er hatte sie verlassen. Sie durfte das keine Sekunde vergessen. "Ich verzichte auf das Honorar." Steve hielt die Hand hoch, um Angela vom Protestieren abzuhalten. "Ich habe meinen Agenten angewiesen, den Scheck nicht anzunehmen." "Das ist sehr großzügig von dir. Danke. Hast du den genauen Plan der Veranstaltungen?" "Ja." "Du und deine Crew sind zu allen Nebenveranstaltungen eingeladen." "Danke." So steif. So förmlich. So unpersönlich. Wie war es nur in Arizona zwischen ihnen so schnell zu heißen Umarmungen und glühender Leidenschaft gekommen? "Die Show ist nicht wirklich der einzige Grund, warum ich hier bin. Kaki hätte das erledigen können." Steve wartete. Eisig. Selbstbeherrscht. Distanziert. "Wir müssen damit rechnen, dass die Presse sich auf dieses Ereignis stürzen wird", fuhr sie fort. "Die werden ihren Mordsspaß haben", stimmte er ihr zu. "Deshalb bin ich hier. Damit wir uns absprechen, wie wir mit den Leuten umgehen sollen." "Ich habe vor, ihnen aus dem Wege zu gehen, was für dich nicht so leicht sein wird."
"Nein, das wird unmöglich sein. Wenn du aber der Presse gegenüber schweigst, dann wird man endlose Vermutungen anstellen und zu den eigenen Schlüssen kommen, die zumeist falsch sind." War das ein Anflug von einem Lächeln, das Angela sah? Und wenn ja, was hatte es zu bedeuten? "Ich glaube, die falschen Schlüsse sind bereits gezogen, Angela. Mir können die nichts mehr anhaben." Plötzlich wurde Angela wütend. "Und was ist mit mir, Steve? Oder spielt das keine Rolle? Du hast dich so in deinen eigenen Schmerz vergraben, schleppst so an deiner Vergangenheit, dass es dir gleichgültig ist, was mit mir geschieht." Es waren unbedachte Worte, die Ange la am liebsten wieder zurückgenommen hätte. Aber es war zu spät, viel zu spät. Seine blitzenden Augen wurden so schwarz, dass sie wie zwei glühende Kohlen in seinem angespannten Gesicht wirkten. "Es tut mir Leid", flüsterte Angela. "Ich hätte das nicht sagen sollen." Geschmeidig wie ein Panter erhob Steve sich aus seinem Sessel und kam um den Schreibtisch herum zu ihr, dunkel, grübelnd, eindringlich. Als er neben ihr stand, konnte Angela kaum atmen. Er stand da eine kleine Ewigkeit lang, sah auf sie herab mit einem solchen Verlangen in den Augen, dass Angela schlucken musste. Sie wollte weinen. Ihretwegen. Seinetwegen. Wegen der verloren gegangenen Hoffnung. "Mir ist es nicht gleichgültig, Angela." Als seine Hand ihr Haar berührte, glaubte Angela sterben zu müssen. Er beugte den Kopf und küsste sie leicht auf das Haar. "Glaub mir, mir ist es nicht gleichgültig." Angela rührte sich nicht, als er wieder zu seinem Platz zurückkehrte. "Schieß los", sagte er gewollt munter. "Erzähl mir, wie du dich mit der Presse befassen willst."
"Kaki hat eine Pressekonferenz für morgen zehn Uhr angesetzt. In meinem Haus, in meinem Büro." "Ein guter Schachzug. Es auf dem eigenen Grundstück zu tun, gibt dir einen Vorteil." "Ich hätte dich gern dabei." "Nein." "Warum nicht?" "Wie ich schon zuvor sagte, es gibt nichts, was die Presse mir antun kann." "Aber möchtest du die Dinge nicht klarstellen?" "Nein. Ich kümmere mich nicht mehr um die Verleumdungen, schon seit Jahren nicht, Angela. Ich verstehe, warum es für dich wichtig ist, deinen Ruf nicht zu gefährden. Für dich könnte es sich nachteilig auswirken." "Ich dachte nur, wenn wir beide es klarlegen, dass wir keine persönliche Beziehung miteinander haben, es glaubwürdiger wäre, als wenn ich es allein täte." "Das hast du vor, Angela? Zu leugnen, dass wir eine persönliche Beziehung haben?" Hörte sie Schmerz aus seiner Stimme heraus? Verletzter Stolz? Eine kleine Nostalgie vielleicht? "Ja", antwortete sie. Steve schwieg, und Angela hätte viel darum gegeben, zu erfahren, was ihm durch den Kopf ging. "Das stimmt doch, Steve? Wir haben keine persönliche Beziehung." Für den Bruchteil einer Sekunde, ließ er die Maske fallen, und Angela erwischte einen Blick auf seine innere Qual. Dann hatte er seinen Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle, und Angela blieb zurück mit der Frage, ob sie sich das nur eingebildet habe. "Ich finde, dass du genau das der Presse sagen solltest, Angela ... dass wir keine persönliche Beziehung haben."
Der Mann, der so steif in seinem Sessel saß, war ihr auf einmal wie ein Fremder. Wie einer dieser Indianer aus Holz, die vor den Barbierläden in den Kleinstädten Amerikas standen. Sie erhob sich und nahm einen geschäftlichen Ton an, um die Folter zu beenden. "Ich denke, es wäre gut, wenn wir beide während deines Aufenthaltes in Oxford nicht zusammen gesehen werden." Angela hielt inne, wartete auf seine Zustimmung, seinen Widerspruch, seinen Protest, darauf, dass er sie in die Arme nahm und küsste. Auf alles. Alles mit Ausnahme seines kalten Schweigens. Steve starrte sie nur an, mit undurchdringlichem Gesicht. "Danke, dass du nach Oxford gekommen bist, Steve. Ich weiß, dass du aus diesem Benefizabend einen vollen Erfolg machen wirst." "Ich tue es gern." Er hielt ihr die Tür auf. "Leb wohl, Angela." Sie weinte nicht, bis sie zu Hause war. Dann fuhr sie in ihre Einfahrt, ließ die Stirn auf das Lenkrad sinken und weinte sich die Augen aus dem Kopf.
15. KAPITEL Steve saß in seinem Caravan, übelst gelaunt nicht nur wegen der Kopfschmerzen, die er mit einer Tasse Kaffee zu kurieren versuchte. Der Fernseher auf seinem Tisch war altertümlich, der Bildschirm so klein, dass er ein Vergrößerungsglas brauchte, um die feineren Einzelheiten auszumachen. Aber der Empfang war gut und das Bild in Farbe. Angela sah in Rot toll aus. Die Farbe der Macht. Die Farbe der Leidenschaft. Er hätte nicht gern mit den Reportern getauscht. Offensichtlich war es leichter, eine Person zum Ziel seiner Lästerung zu machen, wenn sie abwesend war. Aber wenn die Person so verführerisch anwesend war, musste das Vorhaben missglücken. "Kluger Schachzug, Angela", lobte Steve. Er hatte sie schon immer für klug gehalten. Die Kamera brachte die Gesichter von Angela, dann von ihrer Agentin Jenny Cordova heran und schwenkte schließlich in die Zuschauerränge. Steve kannte die Routine. Zuerst kam die vorbereitete Presseerklärung, dann die Fragen und Antworten, die von Jenny Cordova moderiert wurden. Das ging aus dem Vorspann hervor, der über den Bildschirm flackerte. Steve stellte den Ton lauter, als Angela ihre Erklärung zu lesen begann.
"Ich habe Sie heute hierher gebeten, um eine persönliche Angelegenheit zu klären, die kürzlich zu irrigen Vermutungen geführt hatte... manche auch zu boshaften Anspielungen und plumpen Lügen, wie ich hinzufügen möchte." Angela hielt inne, um ungekünstelt in die Kamera zu lächeln. Einen Augenblick saß Steve völlig perplex da. Niemals hätte er eine so starke Erklärung von einer so zerbrechlich wirkenden Frau erwartet. Und er wäre gern jede Wette eingegangen, dass er nicht der Einzige war, der so dachte. "Bravo, Angela", sagte er laut. "Erst vor kurzem", fuhr sie fort, "wurde ich bei einem privaten Essen in einem Restaurant von einer Touristin angesprochen, deren Mann vor mir mit seiner Kamera herumfuchtelte. Wenn die beiden auf mich zugetreten wären und mich höflich gebeten hätten, für ein Foto zu posieren, hätte ich ihnen gern den Gefallen getan. Stattdessen haben die beiden sich an mich herangemacht und das auf eine Weise, die nicht nur zudringlich, sondern auch beängstigend war." Angela machte eine Atempause, damit ihre Worte auch ankamen. Die Kamera brachte ihr Gesicht noch näher heran, und Steve konnte tatsächlich die Spur Angst in ihren Augen sehen. Angela Mercer sah wie ein Kolibri aus, der in einer Falle gefangen war. Steve schloss die Hände zu Fäusten und nannte sich einen Feigling. Er sollte dort bei ihr sein, sie beschützen, ihren Ruf verteidigen. "An jenem Abend bin ich mit einem Freund zusammen gewesen", erklärte Angela. "Einem wahren Gentleman, der in Arizona Pferde züchtet und trainiert. Wenn es jemals einen Mann gegeben hat, der die Bezeichnung Ritter verdient, dann ist es Steve Thunderhorse." "Bitte nein, Angela", flüsterte Steve geschockt. Aber natürlich hörte sie ihn nicht. "Spar dir die Ehrenmedaille."
"Steve Thunderhorse hatte erkannt, dass ich kurz davor stand, hysterisch zu werden, schwang mich auf seine Arme und trug mich aus dem Restaurant. Und das, meine Damen und Herren, ist das Foto, das Schlagzeilen machte ... ein ritterlicher Mann, der eine verängstigte Frau rettete." Die Kamera schwenkte zu Jenny Cordova. "Wir nehmen jetzt Fragen entgegen." Ein allgemeines Stimmengewirr brach aus, und Jenny hielt die Hände hoch. "Eine Minute, bitte." Sie nickte zu Britt Ace hin, der unter den Reportern saß. "Mr. Ace?" "Miss Mercer, wie würden Sie Ihre Beziehung zu Steve Thunderhorse charakterisieren?" "Wir sind Freunde, das ist alles." Ihre Worte waren wie Pfeile, die Steves Herz durchbohrten. Und wieso war dieser Britt Ace da und tat, als ob er für Angela ein Fremder sei? "Übrigens", fuhr Angela fort, "setzt Steve Thunderhorse seine Zeit und sein Talent ein für den Diabetes-Benefiz, dessen Schirmherrin ich bin, und das, ohne einen Cent Gage zu verlangen!" Ein Reporter schrie von der hintersten Reihe: "Ist Thunderhorse bereits hier in Oxford?" Jenny Cordova antwortete mit einem angespannten "Ja", dann: "Nächste Frage ... Mr. Ace?" Es war ungewöhnlich, fand Thunderhorse, dass sie ihm zwei Fragen hintereinander zugestand, vor allem bei den vielen begierigen Reportern. "Sind Sie persönlich vertraut mit seiner Vergangenheit, Miss Mercer, und was haben Sie zu der Stellungnahme seiner Frau zu sagen?" Jenny lächelte. "Das sind zwei Fragen, Mr. Ace." "Tut mir Leid." Doch Britt Ace tat es überhaupt nicht Leid. Der berühmte Nachrichtenmoderator wirkte eher selbstgefällig und mit sich sehr zufrieden. Steve brauchte nicht lange, um zu kapieren, dass
Jenny Cordova und Britt Ace und vielleicht sogar Angela unter einer Decke steckten. Außerdem schien diese Pressekonferenz mehr darauf zu zielen, Thunderhorse zu entlasten, als die Gerüchte abzuwürgen. "Ja, ich weiß um seine Vergangenheit." Angela ergriff wieder das Wort. "Und ich kann mir nichts Tragischeres vorstellen, als ein Kind zu verlieren in einem willkürlichen Akt des Verbrechens." Ohne das Wort Alkoholiker zu gebrauchen, hatte Angela der schlechten Presse eine Wendung gegeben. Man sah das Problem jetzt in einem anderen Licht. Ein schrecklich quälendes Gefühl des Verlustes überwältigte Steve. Er hatte Sunny verloren, hatte Emily verloren und jetzt auch Angela verloren. Er wollte den Sender ausschalten, um die Wahrheit auszusperren, aber er saß wie gebannt da, während Angela weitersprach. "Ich kann Ihnen eins sagen. Steve Thunderhorse ist ein großmütiger, hart arbeitender und nüchterner Mann, der respektiert wird. Er und Emily Thunderhorse haben einen schrecklichen Verlust erlitten, und sie verdienen unser Mitgefühl und nicht eine vernichtende Kritik von der Presse." "Nächste Frage?" sagte Jenny. Sie sah wieder in Britts Richtung, aber eine Reporterin in der ersten Reihe platzte heraus: "Was ist mit Emily Thunderhorses Beschuldigung, dass ihr Exmann ein Goldgräber sei?" Jenny wollte sie gerade übergehen, aber Angela legte mahnend die Hand auf Jennys Arm. "Hochherzige und erfolgreiche Männer geben sich für solche Tätigkeiten nicht hin. Sie haben es nicht nötig." "Aber Emily hat doch ..." Angela unterbrach die Reporterin gewandt. "Emily Thunderhorse verdient es, in Ruhe gelassen zu werden, um ihre Vergangenheit auf ihre Weise bewältigen zu können." Dann
setzte sie ein Megawattlächeln auf und blickte in die Versammlung. "Ich danke, dass Sie gekommen sind. Ich hoffe, dass ich Sie beim Benefiz begrüßen darf, und ich hoffe auch, dass Sie sich großzügig erweisen mit Ihren Spenden und Ihrer Zeit. Es ist für einen wohltätigen Zweck." Reporter schossen verzweifelt Fragen ab von den hinteren Rängen, aber Jenny Cordova ergriff das Wort. "Keine Fragen mehr. Die Pressekonferenz ist beendet." Das planmäßige Programm, ein Gewinnspiel, schaltete sich ein. Ein allzu begeisterter Showmaster und zwei langbeinige blonde Assistentinnen mit falschen Wimpern und falschen Lächeln traten auf, und Steve ließ das Gewinnspiel an. Ihm war es egal, womit die Leere gefüllt werden konnte, nur nicht mit Angela. Ihm war es egal, womit er sich beschäftigte, solange er nicht mit der Wahrheit konfrontiert wurde. Angelas Worte an die Presse, Emily in Ruhe zu lassen, damit sie ihre Vergangenheit auf ihre Weise bewältigen könne, verfolgten ihn. "Du musst dich dem stellen", hatte Lucas ihm schon vor Jahren vorgehalten, als sein Freund nach Washington, D.C., kam und Steve betrunken in einem schmutzigen Bett, das seit Wochen nicht frisch bezogen worden war, vorgefunden hatte. "Sunny ist tot, und ich lasse es nicht zu, dass du auch stirbst." Was hätte Steve ohne Lucas getan? Wäre er noch immer in Washington, D.C.? Würde er noch immer von einer Bar zur anderen torkeln, um seinen Kummer zu ertränken? Und was war mit Emily? In den Interviews hatte sie ihm vorgeworfen, dass er sie verlassen habe, und er hatte ihr vorgeworfen, dass sie bitter und unfair und rachsüchtig sei. Hatte sie Recht? Oder er? Hunderte waren gekommen, um die Wild-West-Show zu sehen. Steve stand mit Wayne in der Kulisse und suchte die Menschenmenge nach Angela ab. Die Logensitze waren für
Angelas Familie und Freunde reserviert, und Kaki, Carl, Jenny und Britt hatten bereits Platz genommen. Wo blieb Angela? "Sieht ganz danach aus, dass wir 'n Haufen zusammengekriegt haben", bemerkte Wayne. "Ja." "Da bin ich froh. Hab schon immer gern die Show für einen guten Zweck gemacht." "Ja." Steve war mit den Gedanken noch immer bei Angela. Wenn sie nun krank war ... Wenn sie die Stadt verlassen hatte ... "Steve!" Wayne legte die Hand auf seine Schulter. "Stimmt etwas nicht?" "Nein, nein." Nichts stimmte. Er hatte von Anfang an falsch gehandelt. Er hatte falsch gehandelt, als er Emily in ihrer Verfassung verließ. Er hatte falsch gehandelt, als er Angela verließ. Falsch gehandelt, als er ihr nicht sagte, dass er sie liebte. Er liebte sie. Immer noch. Es kam ihm wie ein Wunder vor. Er liebte Angela Mercer. Und doch konnte er nichts dabei tun. Noch nicht. Nicht, bis er die Unordnung, die er hinter sich gelassen hatte, wieder beseitigte. Die Band stimmte ihre Instrumente. Heute würden sie Livemusik für die Show haben, und Wayne würde die Beleuchtung bedienen. "Es geht los." Wayne begab sich in die Kontrollkabine und rief Steve noch "Hals- und Beinbruch!" über die Schulter zu. Steve ging nicht darauf ein, weil plötzlich Angela eintraf. Gerade in dem Mome nt, als die Band ihre Fanfare anfing, stand sie im Zelteingang, ganz in Weiß, mit langem blonden Haar, ihr Hut baumelte an einem rosa Band von ihrem Arm. Es war dasselbe Kleid, das er an ihr so liebte. "Trägst du das Kleid für mich?" murmelte er vor sich hin.
Als sie auf ihren Platz in der Loge ganz vorn in der Mitte zuging, pfiff er leise Shadow herbei. Der weiße Hengst schüttelte den Kopf, dass die Mähne flog, und trug dann stolz seinen Reiter in das Scheinwerferlicht. Zum donnernden Applaus tänzelte das Pferd durch die Manege und gewann so auf Anhieb die Herzen des Publikums. Aber Steve hatte nur ein Herz im Sinn. Er schwenkte den Hut zum Publikum, aber seine Augen waren nur auf eine Frau gerichtet. Angela hatte ihren reservierten Platz gefunden, stand vor ihrem Sitz und lächelte ihm zu. Die Menge verblasste wie hinter einer Nebelwand, während sie sich ansahen. Stand die Zeit still, oder schien es ihnen nur so? "Ich liebe dich, Angela", flüsterte Steve. Hatte sie es gehört? Wusste sie es? Der Bandleader hob die Hand, und die Trommeln wirbelten, während die Fanfaren verklangen. Steve und Angela standen allein im Scheinwerferlicht. Die Menge wartete, beobachtete atemlos. Steve ließ Shadow eine tiefe Verbeugung machen vor Angelas Loge, ehrte sie als die Königin des Abends. Angela nahm das rosa Band vom Hut und bewegte sich dann langsam auf Steve zu. "Du bist so wunderschön", murmelte er. Ich liebe dich, sagte er in Gedanken. "Danke", flüsterte sie. Ich liebe dich, fügte sie stumm hinzu. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und reichte ihm das Band. Ohne die Augen von ihr zu lassen, schlang er das rosa Satinband um seinen Ärmel. Ein Ritter aus alten Zeiten, der mit den Farben seiner Lady in die Schlacht reitet. Die Zuschauer waren von den Sitzen gesprungen, applaudierten wie wild, und Angela nahm Platz, während Steve den Hengst in die Mitte der Manege lenkte. Es war Zeit, dass die Show begann.
Der Scheinwerfer folgte Thunderhorse auf dem Hengst. "Ladies and Gentlemen, danke, dass Sie zum jährlichen OxfordDiabetes-Benefiz kamen, das heute zum zehnten Mal gehalten wird", verkündete er. "Ich bin Thunderhorse, und das ist mein Gefährte Shadow. Ich bin glücklich, an diesem Wohltätigkeitsabend teilnehmen zu dürfen und Ihnen die hundertste - und letzte - Wild-West-Show vorzuführen." Thunderhorse ging unmittelbar zu seiner Sitting- BullAufführung über. Angela konnte kaum glauben, was er da gesagt hatte. Seine letzte Show? Warum? Bedeutete es, dass er Arizona verließ? Dass er die Paradise Ranch aufgab? Dass er zum Journalismus zurückkehrte? Dass er nach Washington, D.C., ziehen würde? Thunderhorse erzählte gerade die Geschichte von dem Massaker am Wounded Knee. Das forderte wieder ihre Aufmerksamkeit. Angela lehnte sich vor. In Arizona hatte Steve diese Geschichte nicht vorgebracht. Angela nahm an, dass er den Ablauf in den Shows des Öfteren wechselte. Er stand im Scheinwerferlicht, seine tiefe und doch volltönende Stimme drang ohne Mikrofon bis zur letzten Reihe durch. Das Publikum war gefesselt. Als er von den Leichen berichtete, die auf dem Schnee verstreut lagen, brachte er die Kälte des Winters in die Manege. Als er von der Fahne erzählte, die in der Episkopalkirche, wo die Toten aufgebahrt waren, auf Halbmast gesetzt wurde und auf der „Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind“ stand, brachte er Tränen in die Augen der Zuhörer. Und als er die Ansprache des SiouxHäuptlings zitierte, weinten einige ganz offen. "Hier", sagte Britt, zog sein Taschentuch aus der Hosentasche und gab es Angela. "Das ist die beste Show, die wir gehabt haben", bemerkte Carl und wischte sich die Augen. "Das finde ich auch", sagte Kaki. "Schade, dass es seine letzte ist."
Thunderhorse bekam stürmischen Beifall. Doch sobald das Scheinwerferlicht verblasste, brach um Angela ein munteres Geplapper aus. Nur sie blieb still, schaute nach einem letzten Blick von Steve Thunderhorse aus. Als der zweite Teil der Show begann, kam Shadows Tanz an die Reihe. Aber der Hengst tat es diesmal ohne Reiter. Der Tanz der Geister, hatte Thunderhorse angesagt, und es war der letzte Tanz, den der Hengst tun würde. Es würde keine romantischen Balladen mehr geben, keine Einladung an Angela, sich auf dem Pferd an den Mann, den sie liebte, zurückzulehnen und seine Arme um sich zu spüren, während die Band Embraceable You spielte. Es würde keinen Ritt in den Sonnenaufgang geben. Nach dem letzten Teil wurde das Scheinwerferlicht gelöscht, und auf einmal war Dunkelheit da. "Es ist vorbei", sagte Jenny und meinte damit nicht allein die Show. Nachdem das Zelt abgebaut und alles verstaut war, nahm Steve noch einmal das rosa Satinband in die Hand. Es war das Letzte, was ihm von Angela Mercer verblieben war. Langsam hob er es an die Lippen. Er atmete den Duft von Rosen ein und schloss einen Moment lang die Augen, wünschte sich, dass er träumte. Wayne klopfte an die Tür. "Wir sind bereit, Shadow einzuladen, Steve." "Ich komme." Schnell steckte er das Band in seine Hemdtasche, genau über seinem Herzen. Dann folgte er Wayne hinaus, und zusammen luden sie Shadow in den Transporter und machten sich auf den langen Weg zurück nach Arizona. Der Herbst hielt Einzug auf der Paradise Ranch mit seinen goldenen Blättern, die in der kräftigen Brise durch die Luft segelten, dem süßen Geruch von Heu, das für den Winter
gespeichert wurde und die Scheunen füllte, und den Pferden, die auf der Weide munter herumtollten und das kühlere Wetter genossen. Steve saß hinter seinem Schreibtisch in seinem Büro, während Lucas im Rattansessel saß und am Bleistiftende kaute. "Das ist eine schlechte Gewo hnheit, Lucas. Du brichst dir die Zähne." "Ich bin nervös. Du machst mich nervös, Steve. Seit du aus Mississippi zurückgekommen bist, benimmst du dich seltsam, um es milde auszudrücken." "Ich hab mich entschlossen, nach Washington zurückzukehren." Lucas starrte ihn einen Augenblick mit offenem Mund an. "Du hast was? Was für ein verdammt idiotischer Einfall ist das? Und wer soll die Ranch versorgen? Wie du dich hoffentlich erinnern kannst, ist das für mich die Jahreszeit, wo ich mich auf die Socken mache." "Immer mit der Ruhe! Ich hab mich nicht klar genug ausgedrückt. Ich verlasse nicht die Ranch. Ich fliege nach Washington, um Emily hierher zu bringen." "Halt stopp! Ich kann dir nicht ganz folgen. Was ist mit Angela? Ihretwegen bist du überglücklich gewesen, und leugne es nicht." "Ich leugne es nicht. Ich liebe Angela. Sie ist die einzige Frau gewesen, die ich jemals geliebt habe. Einschließlich Emily." "Nun gut, das mit Emily ist mehr als neun Jahre her." "Emily geht es schlecht. Und ich bin mit dafür verantwortlich." Steve hielt die Hand hoch, um den Protest seines Freundes aufzuhalten. "Ich weiß, es ist nicht voll meine Schuld. Aber ich kann zumindest versuchen, ihr zu helfen." "Das ist anständig von dir. Aber wenn sie deine Hilfe ablehnt? Und Angela? Was wird sie tun, während du dich hier mit Emily einigelst?" "Also ist es okay, dass ich Emily hierher bringe?"
"Du brauchst meine Einwilligung nicht, und das weißt du. Aber ja, ich sehe es ein, dass du zuerst deine Vergangenheit in Ordnung bringen musst, um frei für die Zukunft zu sein." Lucas blickte Steve durchdringend an. "Du hast meine Frage nicht beantwortet, Steve. Hast du Angela gesagt, dass du sie liebst? Hast du sie darum gebeten, auf dich zu warten?" "Nein zu beidem. Es wäre nicht fair, sie darum zu bitten. Sie ist jung und schön und begehrenswert..." "Und sie ist in dich verliebt. Ich denke, du solltest ihr sagen, was du vorhast, Steve." "Ich stehe zu meinem Entschluss." "Viel Glück dann. Ich jedenfalls mache mich auf den Weg." Steve konnte Emily unter der alten Adresse finden. Sie lebte noch immer in ihrem Haus in Georgetown, einem Vorort von Washington. Als das Taxi in die Straße einbog, wurden Erinnerungen in Steve wach ... Sunny im Hinterhof auf der Schaukel, Sunny in der Küche, die Emily beim Kochen zusah, Sunny in ihrem sonnigen Kinderzimmer mit dem Haufen Bilderbücher. Daddy, kann ich den Baum raufklettern? Daddy, ich helfe Mommy beim Kochen. Daddy, lies mir eine Geschichte vor, bitte. Es war schon seltsam, dass die Erinnerungen nicht mehr so schmerzhaft waren ... dass sie ihre scharfen Umrisse, wie hinter einem dichten Nebelschleier, verloren hatten. "Hier, Sir, wir sind angelangt." Der Taxifahrer hielt am Straßenrand, und Steve zahlte ihm die Fahrt. "Möchten Sie, dass ich warte?" "Nein, danke." Steve ging die Haustreppe hoch zur Eingangstür und klingelte. Eine ältere Frau öffnete. "Ich würde gern Emily Thunderhorse sprechen." "Und wer sind Sie, bitte?" "Ich bin Steve Thunderhorse."
Die Frau zögerte, aber nur einen Augenblick. "Ich bin die Haushä lterin. Ich sage Mrs. Thunderhorse, dass Sie hier sind." Die Haushälterin ließ ihn in die Eingangshalle hinein, schloss die Tür und verschwand in einem der Zimmer. Steve hörte leises Murmeln, und dann stand Emily schwankend im Türrahmen zum Wohnzimmer. "Was tust du hier?" Ihre Stimme war undeutlich von zu vielem Trinken und tiefer, als Steve sie in Erinnerung hatte. Neun Jahre an der Flasche hatten nicht nur ihre Stimme verändert, sie hatten ihr Gesicht aufgedunsen und ihr Haar stumpf gemacht. "Ich bin hier, um dir zu helfen, Emily."
16. KAPITEL "Das ist das Beste, was du bis jetzt geschrieben hast, Angela. Ich habe mir beim Lesen die Augen aus dem Kopf geweint." Jennys Stimme klang am Telefon immer noch rau vor Tränen. Angela konnte sie direkt sehen, wie sie in ihrem Sessel zurückgelehnt saß mit dem Blick auf Manhattans 42. Straße zur Linken und ihrer geliebten Lithographie von Salvador Dali zur Rechten. "Du magst es also." "Mögen? Ich bin hellauf begeistert! Ich bin fast gestorben, als Muriel sich entschloss, der Liebe wegen menschlich zu werden, und am Wounded Knee landete." "Ich habe selbst geweint beim Schreiben dieser Szene." "Ich war sicher, dass die beiden in dem Massaker umkommen, dass Muriel sich wieder zum Engel zurückverwandelt und dass du diesen sagenhaft männlichen Sioux-Indianer für die nächsten Folgen dazu bestimmt hast, mit Muriel zusammen als ihr himmlischer Liebhaber aufzutreten." "Es wird keine Folgen mehr geben." "Was redest du hier? Keine Fortsetzung?" Jenny schrie das so laut, das Angela den Hörer vom Ohr abhielt. "Natürlich wird es Folgen geben. Die Murielgeschichte in Fortsetzung schreiben ist das, was du tust."
"Muriel ist seit dieser letzten Folge kein Engel mehr. Sie ist eine glücklich verheiratete Frau, die mit ihrem Black Hawk Babys aufzieht." Ein tödliches Schweigen folgte am anderen Ende der Leitung. Angela wartete geduldig auf die Predigt, die, wie sie wusste, kommen würde. "Angela, wie lange ist es her, seit du Thunderhorse das letzte Mal gesehen hast?" "Zwei Monate." "Und? Hat er während dieser Zeit von sich hören lassen?" "Ich weiß, was du denkst." "Was denke ich?" "Dass ich in Muriel am Wounded Knee das hineinprojiziere, was ich für mich selbst herbeiwünsche ... und dass ich es nie bekommen werde." "Ich möchte nicht grausam sein, Angela, nur realistisch. Thunderhorse hat sich dünne gemacht. Die Sache ist kaputt. Erledigt. Er ist weg vom Fenster." "Soviel weiß auch mein Verstand, aber nicht mein Herz." "Tut mir Leid, Kindchen. Hör mir mal zu. Ich schicke dieses Manuskript per Eilboten zu deinem Lektor, und wir werden erst einmal über eine Fortsetzung nicht reden. In Ordnung? Wir werden nicht einmal daran denken." "Einverstanden ... denn ich bleibe bei meinem Nein und werde meine Meinung auch in Zukunft nicht ändern." "Was machen die Hochzeitsvorbereitungen?" "Du kennst Kaki. Tüchtigkeit ist ihr zweiter Name. Ich darf ihr kein bisschen helfen." "Na wunderbar. Komm hierher nach New York, dann schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe. Du kannst Kaki vom Leibe bleiben, und du kannst mich davor retten, dass ich mir zum Thanksgiving-Festessen eine Dose öffne." "Ich überleg es mir."
"Wir könnten Weihnachtseinkäufe machen, und wir könnten bei der Thanksgiving-Parade persönlich dabei sein!" "Das ist nicht fair!" Jenny wusste genau, wie sehr Angela Paraden mochte. "Wann bin ich fair gewesen? Sag einfach Ja." "Ich denke darüber nach, und mehr verspreche ich nicht."
17. KAPITEL Der Thanksgiving-Kranz an der Tür zu Steves Haus auf der Paradise Ranch war dürftig ... keine Kiefern, keine hübschen selbst gebundenen Schleifen aus bunten Bändern, nur billige Imitation. Aber es war für Steve das Hübscheste, das er je gesehen hatte. Nicht weil er den Kranz selbst hübsch fand, sondern weil ihn Emily aus eigenem Antrieb aufgehängt hatte. Es war nicht nur ein Kranz, sondern ein Zeichen ihrer Gesundung. Der Weg zurück war lang gewesen, der Kampf hart und manchmal bitter, aber schließlich hatte sie es geschafft. Steve bewunderte noch eine Weile den Kranz, dann öffnete er die Eingangstür und rief ihren Namen. "Emily!" Sie kam die Treppe herunter, fast durchsichtig dünn, ihr Haar hatte noch immer nicht seinen Glanz zurückgewonnen, aber es hatte einen hübschen Pagenschnitt, der ihr gut stand. Das Beste von allem war aber, dass sie lächelte. "Ich mag den Kranz", sagte er. Emily lachte. "Ich wollte etwas tun, um dir meine Dankbarkeit zu zeigen." "Übertreib es nur nicht", erwiderte er im neckenden Ton. Sie hatten zu einer Freundschaft gefunden, die ihnen beiden gut tat. "Das werde ich nicht." Auf der untersten Stufe streckte sie ihm die Hände entgegen, und Steve ergriff sie. "Ich bin stolz auf dich, Emily."
"Niemals hätte ich es ohne dich geschafft, Steve." Sie drückte seine Hände. "Ich meine es wirklich so. In all den Jahren bin ich immer wieder in den Entzugskliniken gewesen, aber es war keiner da, der sich um mich gekümmert hat, so wie du es jetzt tust." "Und das werde ich immer tun, solange du mich brauchst, Emily." Er schnupperte. "Etwas riecht hier nach ..." "Verbranntem", beendete sie. "Ich habe wieder einmal das Essen verbrannt." Er hielt sie immer noch bei der Hand, als er sich der Küche zuwandte. "Sieht ganz danach aus, als ob wir uns wieder einmal mein berühmtes Eintopfgericht schmecken lassen müssten." In der Küche setzte Emily sich auf den Barhocker, während Steve die Zutaten heranholte. "Es ist wohl mein Pech, dass ich auf Frauen hereinfalle, die nicht kochen können. Angela ..." Er warf seiner Exfrau einen schuldbewussten Blick zu. "Ist schon gut, Steve. Du musst nicht ihren Namen unterschlagen. Ich weiß, dass du sie immer noch liebst." Steve hatte nicht vor, mit Emily über Angela zu reden. Nicht, dass er Emilys Aufrichtigkeit anzweifelte. Sie hatte sich in dieser relativ kurzen Zeit völlig gewandelt, sowohl psychisch wie physisch. Emily hatte gesagt, dass seine Zuwendung sie wieder aufgerichtet habe, und er nahm an, dass es auch tatsächlich so war. Aber die Ranch hatte auch eine wirksame Heilkraft. Hier lebte man abgeschieden und friedlich und von einer so überwältigend schönen Natur umgeben, die keine Zweifel aufkommen ließ, dass jemand noch Größerer, Mächtigerer darüber wachte, dass der Mensch nur ein Sandkorn war, ein winziger Punkt im Weltgetriebe ... ein unbedeutendes Geschöpf, dem für eine kurze Zeit die Aufsicht über das Land übergeben wurde.
"Ich habe mir Gedanken gemacht, wie ich dir deine Güte vergelten kann, Steve." "Ich brauche kein Entgelt." "Ich wusste, dass du das sagen würdest. Trotzdem, ich möchte etwas tun, etwas, was ausdrückt wie ..." "Das musst du nicht. Ich möchte, dass du dein Problem im Griff hast und dir sicher darüber bist, dass es auch so bleibt, bevor du die Ranch verlässt." "Wie kann ich sicher sein, Steve? Wie kann ich herausfinden, dass ich es geschafft habe, wenn ich verhätschelt und in Watte eingepackt werde? Solange ich hier bin, werde ich es nicht wissen." Sie legte die Arme um sich, als ob ihr fröstelte. "Kalt?" "Ja. Ganz plötzlich." Steve holte eine warme Jacke vom Haken gleich hinter der Küchentür und gab sie Emily. Sie sah ihm schweigend dabei zu, wie er den Eintopf zum Kochen brachte. "Erinnerst du dich, worauf wir uns um diese Zeit herum am meisten freuten?" fragte Emily. "Ja." Steve war nicht in der Stimmung für Erinnerungen an Vergangenes. Etwas in ihm drängte nach Befreiung. Er fühlte ein Sehnen in sich nach etwas, was ihm Emily nicht geben könnte. "Gut, denn ich habe vor, bevor ich nach Georgetown zurückkehre, mit dir noch einmal Thanksgiving so fröhlich zu erleben, wie wir es von früher kannten." Emily lächelte. "Ich habe uns im Algonquin-Hotel - guck nicht so alarmiert drein separate Zimmer reservieren lassen. Wir fliegen nach New York zu der großen Parade, der Macy's Thanksgiving Day Parade", rief sie triumphierend. Steve hatte sich Emilys Vorhaben gefügt. Er hasste Auseinandersetzungen und Unstimmigkeiten. Außerdem wollte er Emily nicht unnötig wehtun, indem er sie zurückwies.
Thanksgiving war während ihrer Ehe immer ein großes Fest gewesen, und er war entschlossen, das Beste daraus zu machen. Doch vorgehabt hatte er das nicht. Wirklich nicht. Als er die ersten Zeichen von Emilys Gesundung bemerkt hatte, hatte er sich den Tag vorgestellt, wo er sie zurück nach Washington bringen könnte, wo er sich in aller Freundschaft und liebevoll von ihr verabschieden würde, um dann gleich anschließend nach Mississippi zu fliegen und die Angelegenheit, die sein Herz und Gemüt seit Monaten belastete, ins Reine zu bringen. Angela. Er hatte vor, ihr zu gestehen, dass er sie liebte, und zu versuchen, sie zurückzugewinnen. Falls es nicht zu spät war. Doch er verdrängte schnell jeden Gedanken, dass es zu spät sein könnte. Emily steckte den Kopf zur Tür herein. Ihr Zimmer grenzte an seines. "Hm, dein Bett ist riesig." "Du kannst es haben. Ich nehme deins, wenn es wirklich kleiner sein sollte." Emily kam in sein Zimmer herein. "Nein, ist schon gut. Du bist zum Ausgang angezogen, darf ich mitkommen?" "Sicher. Ich wollte zu Fuß zum Central Park. Meinst du, dass du es so weit schaffst?" "Klar." Die alte Emily zeigte sich hinter ihrem breiten Lächeln. "Sollte ich es nicht schaffen, kann ich mir ein Taxi nehmen und zum Hotel zurückfahren. Wie findest du das?" "Super." Er legte die Hand unter ihren Ellbogen, um sie durch die Menschenmenge, die auf New Yorks Gehsteigen drängelte und nicht selten schubste, sicher zu führen. Bis sie den Central Park erreicht hatten, war Emily außer Atem. "Schau, Steve, die Pferdekutschen! Lass uns eine Fahrt machen." Die Fahrt in der Pferdekutsche durch den Park hatte Emily sich nie entgehen lassen. Sie hatte schon immer große Freude
daran gehabt. Aber diesmal lehnte sie sich erschöpft in die Polster zurück. Den Alkohol hatte sie überwunden, da war Steve sich sicher. Emily war schon immer eine willensstarke Frau gewesen, die immer das bekam, was sie haben wollte. Doch sie brauchte Zeit, um ganz zu Kräften zu kommen. "Hübsch, nicht?" Sie seufzte wohlig. Steve saß schweigend da, nickte nur. Die Sehnsucht nach Arizona übermannte ihn fast. Sie waren gerade in New York angekommen, aber er hatte das Gefühl, es keinen Tag länger hier aushalten zu können. Vielleicht sollte er wichtige Geschäfte vorgeben, um von hier wegzukommen. Doch er ermahnte sich, sich zu gedulden. Noch zwei, drei Tage, und Emily würde von New York aus direkt nach Washington fliegen. Das war ihr eigener Wunsch gewesen. Der Kutscher ließ seine Pferde im langsamen Trab in eine Seitenstraße einbiegen, und zog bei der Kreuzung die Zügel an, damit sie stehen blieben. Hier hasteten Menschen genauso wie auf den Hauptstraßen vorhin. Geschäftsleute, die zu ihren nächsten Terminen eilten, bedrängte Mütter, die ihre Kids fest an der Hand hielten, um sie nicht zu verlieren, Frauen und Männer mit Tüten und Taschen voller Weihnachtseinkäufe eine zierliche Blondine in einem weinroten Wollcape ... Steve blickte genauer hin. Hatte er einen erstickten Laut von sich gegeben? Ihren Namen gerufen? Sie schaute zu ihm hoch, und er fasste es nicht, aber er sah direkt in die unglaublich blauen Augen von Angela Mercer. "Steve ..." Er hörte sie nicht, sah nur, wie ihre Lippen seinen Namen formten. War es möglich, sich in den Augen eines anderen zu verlieren? Ja, es war möglich. Angela lächelte, und das Herz wollte ihm zerspringen. Die Menschenmenge rempelte sie an, aber sie blieb wie angewurzelt stehen, genauso gebannt wie er. Ein Windstoß
zerzauste ihr das Haar, fuhr unter ihr rotes Cape, dass es sich zu beiden Seiten wie Flügel aufblähte. Die Pferde scheuten, der Kutscher zog die Zügel mit einem Ruck an, damit die Pferde nicht durchgingen. Doch bis er sie wieder in der Gewalt hatte, brach ein Tumult aus. Kids schrieen, Päckchen segelten durch die Luft, landeten auf dem Pflaster. Und Angela war inmitten des Durcheinanders, rührte sich noch immer nicht, starrte Steve nur aus schreckgeweiteten Augen an, als die schwere Kutsche dicht an der Bordsteinkante dahinrollte, auf der sie stand. Steve war mit einem Sprung aus dem Wagen und riss sie zur Seite, gerade als die Kutsche vorbeischlingerte. Er dämpfte Angelas Fall, als sie beide stürzten, und hielt sie fest umschlungen, genoss ihre weichen Formen, die ihm so vertraut waren. "Ist alles in Ordnung mit dir?" Ihr Gesicht war ihm so nahe, dass er die goldene Iris in ihren Augen sehen konnte. Er konnte ihren warmen Atem an seiner Wange spüren. Er konnte den Duft ihrer Haut riechen. Er war im Himmel. Er war in der Hölle, weil Angela in seinen Armen lag und Emily darauf wartete, dass er zu ihr wieder in die Kutsche stieg. "Mir ist nichts geschehen." Sie zog sich nicht von ihm zurück, und Hoffnung kam in ihm auf. Die Sonne schimmerte in ihrem glänzenden Haar, und er barg das Gesicht darin. Wie hätte er widerstehen können? "Angela", murmelte er. "Angela." Ich liebe dich. Die Worte waren in seinem Herzen, lagen ihm auf der Zunge, doch dies war weder die Zeit noch der Ort, um sie auszusprechen. Angela versteifte sich und zog sich zurück. Steve half ihr auf. "Wir müssen miteinander reden, Angela."
In diesem Moment näherte Emily sich ihnen, hob ein grüngoldenes Päckchen vom Boden auf und gab es Angela. "Das hier haben Sie verloren", sagte sie und musterte Steve und Angela neugierig. "Danke", sagte Angela mit einem etwas angespannten Lächeln. Emily hakte Sich bei Steve unter. „Können wir jetzt ins Hotel zurückkehren, Steve? Ich bin müde“ Angela wirbelte herum und rannte davon. "Angela, warte!" rief Steve hinter ihr her. Doch sie ließ sich nicht aufhalten, drehte sich nicht einmal um. "Bezahl den Kutscher, und wir nehmen ein Taxi", sagte Emily. Er blickte Angela hinterher, bis sie aus der Sicht war. "Ja", antwortete er zerstreut. "Wir nehmen ein Taxi." Angela stand in Jennys sonniger Küche und hatte die Arme um sich geschlungen. "Du zitterst noch immer", sagte Jenny. "Ich war in einer ganz schön gefährlichen Situation." "O ja. Die Gefahr drohte dir nicht so sehr von den Pferden, wie sich herausstellte, sondern von Thunderhorse." Angela wusste nicht, ob es Liebesschmerz oder reiner Zorn war, der in ihr tobte. "Hab ich dir gesagt, dass sie zusammen in einem Hotel sind?" "Zwei Mal hast du es mir gesagt." Es klang geduldig. Dafür waren Freunde ja da, dass sie sich die Schimpfkanonaden anhörten und ihre Schulter zum Ausweinen Liehen. "Sie sah besser aus als bei diesem Interview, das sie vor der Kamera gegeben hatte." "Das ist schlimm." Angela fühlte sich wie eine Hexe, weil sie Emily Böses wünschte, seit sie Emily mit Steve zusammen in der Pferdekutsche sitzen sah, seit sie wusste, dass Emily mit ihm
sich in einem Hotel aufhielt, seit es zweifellos feststand, dass Emily und Steve wieder zusammen waren. "Er sagte, wir müssten miteinander reden. Warum sollte ich das? Er hat mich zwei Mal verlassen." "Vergiss es ja nicht." "Warum sollte es mich kümmern, was er mir sagen will?" "Verdammt richtig." Angela fing zu weinen an. Der Summer meldete sich, und Jenny wies den Hausportier an, dass er Britt raufschicken sollte. Mit einem Blick hatte Britt die Sachlage sofort erfasst, reichte Angela sein Taschentuch und griff nach der Kaffeekanne. "Wie ich sehe, wird dies wohl ein langer Abend werden." Er fasste Jenny zärtlich am Kinn und blickte zu Angela herüber. "Was meinst du, mein Engel?" Angelas Tränenfluss war in ein heftiges Schluchzen übergegangen. "Ich meine, dass ich ausnahmsweise mal froh bin, dich zu sehen." Emily saß neben Steve im Fond des Taxis, den Kopf hatte sie gegen den Sitz gelehnt, die nervliche Belastung zeigte sich in ihrem Gesicht. "Bist du nun wütend auf mich?" fragte sie. "Nein. Eher verwirrt." "Weil ich ihr das Päckchen zurückgegeben habe? Weil ich müde bin?" Emilys Stimme klang gereizt. Sie war streitlustig. "Das Taxi ist nicht gerade für eine Aussprache geschaffen", entgegnete er, aber Emily ließ sich nicht abhalten. "Nun gut, ich gebe es zu. Ich habe mich wie eine besitzergreifende Ehefrau verhalten." "Können wir uns das ersparen?" "Bis wir zurück im Hotel sind? Ich denke nein. Lass uns jetzt die Sache klären." "Wenn du es unbedingt so haben willst." "Nun, die ach so perfekte Miss Ang..." "Sprich's nicht aus."
Emily wandte das Gesicht zum Seitenfenster, und als sie Steve wieder ansah, hatte sie Tränen in den Augen. "Es tut mir Leid", sagte sie. "Ich weiß nicht, warum ich mich so verhalten habe. Vielleicht lag es daran, dass du so gut mir gegenüber gewesen bist, und dieser Ausflug nach New York hatte so viele Erinnerungen zurückgebracht. Ich glaubte wohl, wir hätten noch eine letzte Chance verdient. Wir waren einst ein gutes Paar. Das waren wir doch, oder?" "Ja, das waren wir, aber mehr aus Gewohnheit als aus Liebe. Nach Sunnys Tod wäre mit uns nicht das passiert, was passiert ist, wenn wir uns aufrichtig geliebt hätten. Dann hätten wir aneinander Kraft und Trost gefunden. " "Du liebst sie wirklich, nicht wahr?" "Ja." Das Algonquin-Hotel tauchte vor ihnen auf. "Ich werde allein zu Abend essen, Steve", sagte Emily entschieden. "Warum gehst du nicht auf dein Zimmer und tust, was du glaubst tun zu müssen." Sie ergriff seine Hand und drückte sie. "Sie bekommt einen guten Mann. Sag ihr das von mir." Das gelbe Taxi fuhr mit Emily davon, und Steve raste die Treppe nach oben und ans Telefon.
18. KAPITEL Nach der dritten Tasse Kaffee fühlte Angela sich wieder klar im Kopf, nach der fünften Tasse Kaffee wurde ihr schwindelig vom vielen Koffein. "Genug", sagte sie. "Ich werde kein Auge zutun." "Du wirst kein Auge zutun nach dem, was heute passiert ist", entgegnete Jenny. "Ich kenne dich. Du willst den Rest der Nacht aufbleiben und reden." Sie schenkte sich noch eine Tasse ein. "Ich weiß nicht, wie es um dich steht, aber ich möchte hellwach sein, wenn ich zuhöre." "Seit wann hörst du zu, Jenny?" fragte Britt. "Du bist zu sehr beschäftigt, Ratschläge auszuteilen." Sie warf ein Kissen nach ihm. "Wenn du dich nicht beträgst, dann nehme ich dich mit zu einem dieser superfeinen Einladungen zum Dinner." "Untersteh dich. Außerdem sollst du wissen, dass ich ein sehr empfindsamer Mann bin, und du hast mich verletzt." Ihr Wortgeplänkel brachte Angela zum Lachen, was genau das war, was die beiden vorgehabt hatten. Und mittendrin fing Jennys Telefon an zu klingeln. "Hallo", meldete sie sich und blickte auf einmal finster drein. "Sie ist nicht hier." Angela versteifte sich. "Thunderhorse?" flüsterte sie. "Ja", formte Jenny mit den Lippen. Angela riss ihr fast den Hörer aus der Hand. "Ich bin hier."
"Hallo, Angela." Steves Stimme ging ihr durch und durch, und sie musste sich setzen, weil ihr plötzlich die Knie weich wurden. "Wie hast du mich gefunden?" "Ich habe deinen Dad angerufen." "Und Dad hat es dir gesagt?" "Nicht bevor ich ihn von meinen ehrlichen Absichten überzeugt habe." Angela zitterte, und Jenny und Britt behielten sie wachsam im Auge wie eine Henne ihr einziges Küken. "Guckt nicht so", sagte Angela. "Verschwindet und holt Brötchen." "Brötchen?" wiederholte Steve verwirrt. "Nicht du. Jenny und Britt." "Sind beide da?" "Jetzt nicht mehr. Sie sind gerade zur Tür hinaus"" "Ich mach mich auf den Weg und bin gleich bei dir." "Nein, Steve, warte!" protestierte sie, aber er hatte bereits aufgelegt. Steve war auf dem Wege hierher, um sie zu sehen. Um mit ihr zu sprechen, wie er es vorgehabt hatte. In Angelas Kopf wirbelten die Gedanken herum. Sollte sie sich für ihn hübsch machen? Na klar, ohne Frage! Sie raste ins Gästezimmer und zog sich auf dem Weg dahin aus. Was sollte sie anziehen? Nicht Weiß, nicht etwas Hauchdünnes oder Altmodisches. Das wäre zu offensichtlich. Sie wollte nicht, dass Steve auf den Gedanken kam, sie habe sich für ihn herausgeschmückt. Angela saß auf ihrer Bettkante. Sie wusste auf einmal nicht, was sie wollte. Ihr Verstand sagte ihr das eine, und ihr Herz sagte ihr das andere. Sie wusste nur so viel, dass wenn Steve sie wirklich wollte, es diesmal für immer sein musste. Einen neuen Kummer könnte sie nicht verkraften.
Angela wählte einen schwarzen fast knöchellangen Rock und einen blauen Kaschmirsweater. Sie hatte sich gerade das Haar fertig gebürstet, als der Portier sich über den Summer meldete. Steve war hier. Der Sweater hatte genau die Farbe ihrer Augen. Das war das Erste, was Steve bemerkte. Als Nächstes, dass Angela blass war, so als ob sie viel geweint hätte. "Hallo, Angela", sagte er so förmlich, als ob sie sich fremd wären. "Möchtest du hereinkommen?" sagte sie so höflich, als ob sie nie eng zusammen in seinem großen Bett gelegen hätten. Jetzt wo Steve vor ihr stand, war er nervös wie ein Teenager. Dabei hätte er Angela am liebsten über die Schulter geworfen und wäre so schnell wie möglich mit ihr nach Arizona gerannt, zurück auf die Ranch, wo er sein Schicksal selbst bestimmen konnte, wo er sich in seiner eigenen Haut wohl fühlte, wo die Worte ihm leichter über die Lippen kamen. Es hatte eine Zeit gegeben, wo er sich in den Großstädten so zu Hause fühlte wie in der weit offenen Natur. Aber das lag ein ganzes Leben zurück. Hier war er nicht in seinem Element, und darüber war er froh. Freunde, Kollegen, Vorgesetzte hatten ihm vorgehalten, dass er sein Talent wegwerfe, als er den Journalismus an den Nagel gehängt hatte und gen Westen gezogen war. Es hatte Leute gegeben, die ihm sagten, dass er sich vergrabe. Was sie allesamt nicht wussten, war, dass er sich tatsächlich befreit hatte. Er hatte ein einfaches Leben gewählt, das erfüllt war von einfachen Freuden. Er hatte Ruhm und Wohlstand hingeworfen und seine Seele gefunden. Und jetzt hatte er auch Liebe gefunden. Aber wie sollte er das ausdrücken? Wie konnte er das Angela klarmachen? "Kaffee?" fragte sie. "Ja."
Wenn er eine Tasse in der Hand hielt, würde ihm das sicherlich die Befangenheit nehmen. Als Angela ihm die Tasse reichte, nahm er ihre Hand. "Angela, es tut mir unendlich Leid, wenn ich dir wehgetan habe." Sie entzog ihm die Hand und setzte sich so weit wie möglich von ihm weg. Es gab keine Zweifel, sie würde es ihm nicht leicht machen. "Nun, das hast du, Steve. Du hast mir schrecklich wehgetan. Nicht nur einmal, sondern zweimal." "Das lag nicht in meiner Absicht. Bitte, glaube mir." Angela betrachtete ihn eine Weile, ehe sie ihm antwortete. "Ich glaube dir. Aber das ändert nichts." "Ich möchte dir erklären, was du im Park gesehen hast", sagte Steve. "Es war Emily." "Ich habe sie erkannt, von den Fotos in den Zeitungen und vom Fernsehen." "Sie ist meine Frau gewesen, die Mutter meines Kindes. Ich habe endlich das getan, was ich vor neun Jahren hätte tun sollen. Ich habe sie auf die Ranch gebracht, damit ich ihr helfen kann. Nichts mehr." "Wie geht es ihr?" "Ich glaube, dass sie über den Berg ist. Wir haben viel miteinander geredet. Wir haben eine Menge Probleme gelöst, viele offen stehende Fragen geklärt, denen ich zu lange schon ausgewichen bin." Angela schwieg, ihre Hände hatte sie im Schoß gefaltet, ihre Augen waren wachsam auf ihn gerichtet. "Emily kehrt nach Washington zurück, nach der Thanksgiving-Parade", fügte er hinzu. "Allein." Steve hörte sich an wie ein Fernsehreporter, sogar in seinen eigenen Ohren. Unpersönlich. Gefühllos. Nur die Fakten. Angela war ihm so entfernt wie der Gipfel des Mount Everest.
Zum Teufel damit! dachte er. Er saß auf dem Sofa wie irgend so ein überzivilisierter Fatzke, während die Frau, die er liebte, keine anderthalb Meter von ihm entfernt war. Sitting Bull würde sich seiner schämen. Seine Sioux-Vorfahren würden ihn verstoßen. Das Blut der Krieger kochte in seinen Adern. Das Herz der starken Prärieindianer schlug in seiner Brust. Steve erhob sich wie umgewandelt von der Couch. Angelas Augen wurden groß, und sie wollte sich aus dem Sessel erheben, aber er kam ihr zuvor und zog sie in die Arme. "Ich habe dich küssen wollen, seit ich durch die Tür gekommen bin." Er presste seinen Mund auf ihre Lippen, wie ein Kämpfer, der die Festung erstürmte - wie ein tapferer Sioux, der seinen Anspruch geltend machte. Angela wehrte sich wie eine Wildkatze, aber nur kurz. Ihr Widerstand ließ schnell nach. Sie schmolz dahin, als Steve sie so dicht an sich drückte, dass ihr der Atem wegblieb. "Ich habe nicht vor, dich von mir zu lassen, Angela. Nicht jetzt, nicht später." Wenn er mit einem leichten Sieg gerechnet hatte, so hatte er sich geirrt. Ihre Wangen waren rot, und ihre Augen blitzten. Steve war entschlossen, sie für sich zu gewinnen, aber sie war ebenso entschlossen, dagegen anzugehen. "Lass mich los", forderte sie. "Warum? Damit du wieder steif im Sessel sitzt, es leugnest, dass du mich genauso willst wie ich dich?" Er küsste sie wieder, hart. So hart, dass Angela nach Luft schnappte, als Steve sich zurückzog. "Denkst du, dass ich irgend so eine ... so eine Puppe bin, die du auf einem Jahrmarkt gewinnen kannst?" "Nein, ich denke, dass du die reizvollste Frau bist, der ich jemals begegnet bin. Und ich will dich mehr, als ich jemals eine Frau in meinem Leben gewollt habe."
"Na toll. Freut mich für dich." Angela riss sich von ihm los und marschierte zum Fenster, wo sie sich ihm wieder zuwandte. Wenn ihre Haltung ein Hinweis war, so mussten ihre Gedanken so böse sein wie ihre Laune. Er hatte den falschen Anlauf genommen, so viel stand fest. Was hatte er erwartet? Ihm fehlten neun Jahre an Praxis. Er hatte einfach kein Gespür mehr, wie man eine Frau für sich gewann. "Glaubst du, du könntest hier einfach antanzen nach all diesen Monaten und mich so ... so roh ... ja, roh behandeln, weil du es so haben willst?" "Du verstehst das alles falsch." "Oh, ich bin es also, die alles falsch versteht. Das ist ja großartig, Steve! Wirklich großartig. Du lässt mich in Arizona sitzen ohne auch nur ein Lebewohl, du redest kaum mit mir in Mississippi, und nun auf einmal soll ich wieder in dein Bett fallen?" "Du bist ganz schön bissig, Angela. Das hab ich nicht erwartet." "Es gibt vieles, was du nicht erwartet hast, Steve. Zum Beispiel, dass ich ein Herz habe. Und dass Herzen leicht gebrochen werden können und nicht so leicht wieder heilen." "Du hast eine ganz schön freche Zunge ... da bin ich aber platt. Vielleicht sollte ich sie zähmen." Er war mit zwei Schritten bei ihr, zog sie an sich, legte die Hand unter ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. "Hab ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe, Angela?" "Das nehme ich dir nicht ab. Ein Mann wird alles sagen, um seinen Willen zu bekommen." "Hab ich dir gesagt, dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen möchte?" "Hier? In Jennys Apartment? Vielleicht drunten in Mississippi, wo es so heiß ist, dass sogar deine Pferde schwitzen? Oder würde das auf der Paradise Ranch sein?"
Steve lachte in sich hinein. "Wo du auch sein möchtest." "Oh, da schau einer her. Der Mann, der sich nicht einmal neben mich setzen wollte, um eine einfache Erklärung bei der Pressekonferenz abzugeben, ist auf einmal willens, sein Haus einer Frau zu öffnen, die ihm kurz zuvor völlig bedeutungslos war." "Wie lange hast du noch vor, wütend zu sein?" "Warum willst du das wissen?" "Weil ich sterbe, wenn ich dich nicht gleich wieder küssen darf." Er nahm sie einfach in die Arme und küsste sie. Und sie küsste ihn zurück. Ihre Arme legten sich wie von selbst um seinen Nacken, ihre Finger vergruben sich in seinem Haar, und sie gab wohlige Laute von sich, die nichts anderes bedeuten konnten, als dass sie mit dem, was er tat, mehr als einverstanden war. Steve glaubte schon, er habe Angela herumbekommen, doch es erwies sich wieder als falsch. "Die Antwort ist Nein, Steve. Ich werde dir nicht nach Arizona folgen und mir von dir bestimmen lassen, welches Pferd ich reiten darf, wann ich reiten darf und wohin ich reiten darf. Ich werde mich nicht zu etwas formen lassen, was ich einfach nicht bin und nur weil du mich so haben willst." "Wie passt Liebe in all dies hinein?" "Dies hat nichts mit Liebe zu tun, Steve. Es hat etwas mit Macht zu tun. Ich lasse mich von keinem beherrschen. Niemals wieder." Sie nahm die Kaffeetassen auf und marschierte in die Küche. Steve hoffte, dass das Porzellan nicht zu zerbrechlich sei. Er stellte sich ans Fenster, blickte hinaus und versuchte, nicht zu besorgt zu sein. Versuchte sich einzureden, dass er Angela nicht verlieren könnte, dass er sie in nur wenigen Minuten besiegen würde. Vielleicht war die Sitting- Bull-Annäherung
doch nicht das Wahre. Vielleicht klappte sie ohne Pferd nicht so gut. Er würde Angela die Zeit zugestehen, um sich abzukühlen. Wenn sie dann wieder ins Wohnzimmer zurückkam, würden sie sich setzen und wie zivilisierte Erwachsene miteinander reden. Angela war noch immer aufgebracht, als sie zurückkam. Er konnte es an ihren funkelnden Augen sehen. Steve beobachtete sie bewundernd. Angela zeigte sich von einer Seite, die er bisher an ihr noch nicht gesehen hatte, zeigte Mumm, Temperament, Charakter ... Anlagen, die sie an ihre Kinder vererben würde. Kinder? Wie kam er auf diesen Gedanken? Er hatte noch nie an Kinder gedacht. Jedenfalls nicht nach Sunny. Und doch war er hier, nicht nur allein um die Frau, die er liebte, für sich zu gewinnen, sondern er plante eine voll entwickelte Zukunft mit ihr, eine, die Kinder einschloss und all die Risiken, die damit verbunden waren. Steve wartete auf das Zurückschrecken, diesen inneren Widerstand, die Verantwortung für ein kleines, hilfloses menschliches Wesen zu übernehmen, das er nicht immer vor dem Allerschlimmsten beschützen könnte. Doch nichts geschah, bis auf die Gewissheit, dass er liebte, und dass diese Liebe das Risiko wert sei. "Ich will dich nicht kontrollieren, Angela. Ich will dich einfach nur lieben, ein Heim mit dir haben, Kinder mit dir haben und ..." "Kinder?" "Du willst keine Kinder?" "Doch, aber ..." Angela war völlig verwirrt. "Das ist doch nicht das Thema. Und es ist völlig überflüssig sowieso. Ich will dir nicht einmal nach Arizona folgen, geschweige denn Kinder mit dir haben." Die rosa angehauchten Wangen widerlegten ihre Worte.
"Warum sollte ich mir Kinder wünschen mit einem Mann, der sich davonmacht, sobald es für ihn brenzlig wird, und das, ohne sein Verhalten der Frau zu erklären, der er beteuert, dass er sie liebt." "Ich hab es dir erklärt, warum ich mich so verhielt, Angela. Es gab Dinge, die ich zuerst in Ordnung bringen musste." "Hättest du es mir nicht zuvor sagen können? Du hättest mir sagen können: Angela, da gibt es Dinge, um die ich mich kümmern muss. Ich komme aber zurück." "Ich hielt es nicht für fair, dich warten zu lassen." "Siehst du es jetzt ein, Steve? Du triffst alle Entscheidungen. Warum hast du mich nicht gefragt, ob ich es für fair halte? Warum hast du mich nicht zumindest in einige deiner Pläne eingeweiht?" "Gewohnheit. Stolz. Angst." Steve drückte sie in den Sessel, kniete sich neben sie und nahm ihre Hand. "Angela, ich liebe dich. Welche Probleme wir auch haben, wir können sie lösen. Zusammen." Tränen traten ihr in die Augen. Sie strich ihm das Haar aus der Stirn. "Ich wünschte, ich hätte Muriels Gabe", flüsterte sie. "Ich wünschte, ich könnte in die Zukunft sehen." "Du brauchst Muriels Gabe nicht. Ich zeige dir die Zukunft." Er ließ Angela los und zog das zerdrückte rosa Satinband aus seiner Brusttasche. Angela gab einen überraschten Laut von sich. "Ich habe dein Band an meinem Herzen getragen seit dem Tag, an dem ich dich in Mississippi verlassen habe. Manchmal in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte, weil ich an dich gedacht habe, habe ich das Band mit mir ins Bett genommen, um zumindest ein bisschen von dir bei mir zu haben." Er nahm ihre Hände, drehte sie um und drückte einen zärtlichen Kuss auf jede Handfläche. "Heirate mich, Angela." "Ich glaube, ich muss weinen."
"Du tust es ja schon." Er wischte mit den Daumen ihre Tränen weg. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", flüsterte sie. "Du musst nichts sagen. Nicht jetzt." Steve küsste sie auf die Nasenspitze. "Ich möchte, dass du zu mir aus freiem Willen kommst, ohne Druck und ohne Vorbehalte." "Steve ..." "Pst." Er fuhr mit der Fingerspitze zart über ihre Lippen. "Wenn du so weit bist, lass es mich wissen, wie du dich entschieden hast. Bis dahin werde ich auf deine Antwort warten." Er beugte sich über sie, steckte ihr ein Notizblatt in die Hand mit der Telefonnummer des Hotels, dann küsste er sie zärtlich. Er verließ das Apartment schnell, ehe er sich anders besinnen konnte.
19. KAPITEL Der Teppich in Steves Hotelzimmer hatte bereits einen Trampelpfad vom vielen Hin- und Herlaufen. Um Angelas Anruf nicht zu verpassen, versäumte er die Parade, die er eigentlich sowieso nicht wirklich hatte sehen wollen. Er nahm seine Mahlzeiten im Zimmer ein. Emily steckte den Kopf zur Tür herein. "Wann geht dein Flugzeug?" "Weiß ich nicht." Wie konnte er New York verlassen, wenn Angela hier war? "Du musst nicht gleich brummig werden." "Entschuldigung. Mir geht so vieles im Kopf herum ... Worüber lachst du?" "Über dich. Seitdem du deine Selbstbeherrschung verloren hast, hast du dich in einen Grizzlybär verwandelt." Steht es so schlimm um mich? fragte sich Steve. Wahrscheinlich. Er hatte noch nie seine Selbstbeherrschung verloren. Aber sein ganzes Ich drängte ihn, in Jennys Apartment zu stürmen, Angela über die Schulter zu werfen und geradewegs den nächsten Friedensrichter anzusteuern, um die Heiratslizenz zu bekommen. Aber wenn er das täte, würde er niemals erfahren, ob er ihr Herz gewonnen oder nur einen Sieg errungen habe. Eigentlich gab es nur eins, was er tun sollte: Das Flugzeug besteigen, nach Hause fliegen und dort warten.
"Bist du fertig?" fragte er Emily. "Ja. Die Koffer sind gepackt und stehen in der Halle." "Ich ruf dir ein Taxi." "Steve, warte. Ich möchte dir noch etwas sagen. Ich wünsche dir ganz aufrichtig das Allerbeste." "Das wünsche ich dir auch." Er umarmte sie, fühlte, wie dünn sie war und zerbrechlich. "Bleib gesund, Emily. Und wenn du mich brauchst, ganz gleich wofür, ruf mich an. Tag und Nacht. Ich werde für dich immer da sein." "Das weiß ich. Aber soll ich dir was erzählen, Steve? Ich schaffe es allein. Frauen sind nämlich stark, musst du wissen. Versuch, es nicht zu vergessen." Sein Lächeln misslang ihm, es war eher kläglich. "Ich will's versuchen. " Das zerdrückte rosa Satinband war für Angela eine ständige Mahnung an all das, was Steve gesagt hatte, all das, was er versprochen hatte. Aber erst bei der Hochzeit ihres Vaters zeigte es Wirkung. Ihr Dad hatte Kaki versprochen, sie zu lieben, sie zu ehren und für den Rest seiner Tage sie hoch zu schätzen. Angela wusste, welche Konsequenz das für sie selbst haben würde. Ihr Dad würde nicht mehr ausschließlich für sie da sein, sondern für eine andere Frau. Sie könnte also tun und lassen, was immer sie wollte. Jederzeit. Keiner würde über sie bestimmen. Nicht, dass ihr Dad es jemals getan hätte. Aber sie würde allein in diesem großen Haus leben, allein essen, zu keinen bestimmten Tageszeiten, wenn ihr danach war. Kurz, sie konnte nach ihrer Fasson selig werden. Ihr Herz wurde ihr auf einmal schwer. Und ihr war auf einmal klar, dass sie gar nicht nach ihrer eigenen Fasson selig werden wollte. Hatte in einem solchen Leben die Liebe Platz? Aber wie sollte sie das alles Thunderhorse sagen? Ein Telefonat war zu nüchtern. Eine Liebe, die so stürmisch,
leidenschaftlich und groß war wie ihre, verdiente eine großartigere Geste. "Angela!" Jenny rief sie. "Was?" "Pass auf, Kaki wirft gleich den Blumenstrauß." "Willst du etwa den Strauß fangen?" "Warum nicht?" Jenny wurde rot, wohl zum ersten Mal. Hatte das etwas mit Britt zu tun? Angela wäre nicht überrascht. "Es geschehen noch Zeichen und Wunder." Angela hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, als der Hochzeitsstrauß in ihre Richtung segelte und, zack, in ihren Armen landete. "Und ich hab es nicht einmal versucht", sagte Angela verdutzt. Aber natürlich hatte sie es versucht, unbewusst, denn jede Südstaatlerin, die etwas auf sich hielt, wusste, dass das Auffangen eines Brautstraußes ein Zeichen für Glück war. Angela brauchte Glück und viel davon. Kaki und ihr Dad kamen zu ihr, umarmten sie und verabschiedeten sich auch gleich von ihr. Zwei Wochen Europa war für ihre Flitterwochen vorgesehen. "Auf Wiedersehen, Sweetheart", sagte Carl. "Pass gut auf dich auf. Wir rufen dich an. Wir schreiben dir." "Unterlass es. Ich wünsche dir viel Freude." "Ich habe vor, dafür zu sorgen, dass er viel Freude hat", sagte Kaki lachend. Britt fuhr das frisch getraute Ehepaar zum Flughafen, und Angela fuhr nach Hause, um mit Jenny ihre Pläne zu besprechen. Nachdem sie damit fertig war, schniefte Jenny und putzte sich die Nase. "Ich hab mir nicht vorstellen können, dass du die Nachricht so schlimm aufnimmst." "Ich nehme die Nachricht nicht so schlimm auf. Happy Ends bringen mich immer zum Weinen."
"Du glaubst also, dass es ein Happy End sein wird?" Jenny lächelte. "Ja, das glaube ich, Angela. Für uns alle." Lucas war mit seinem Motorrad unterwegs, nur der Himmel allein wusste, wohin es ihn zog, und Wayne war weggegangen, um den größten Baum zu kaufen, den er finden konnte. Und dann schleppte er ihn durch die Hintertür ins Haus hinein und grinste wie ein Idiot. "Was soll ich mit dem Ding?" fuhr Steve ihn an. Er hörte sich schlimmer als ein fauchender Löwe an, aber es war ihm egal. Genauso fühlte er sich auch. Drei Wochen und kein einziges Wort von Angela. Es war genug, um ihn um den Verstand zu bringen. "Es ist ein Weihnachtsbaum. Für Weihnachten ... schon vergessen? Weihnachtsglocken, Klingelingeling, der Weihnachtsmann kommt und all dieser Quatsch." Wayne blickte betrübt drein. Und leidend. Seit Lucas fort war, hatte er die ganze Hauptlast von Steves scheußlicher Laune ertragen müssen. "Wo soll ich ihn aufstellen?" "Wie wär's im Stall?" "Sehr komisch. " Wayne zog den verdammten Baum in die Halle, während Steve den Fernseher anstellte, um die Nachrichten zu sehen. Vielleicht würde das Weltgeschehen ihn ja von den Gedanken an Angela abbringen. "Ist noch was, was du brauchst, ehe ich mich verdrücke, Steve?" "Nein, danke." Steve fühlte sich wie ein Scheusal. "Danke für den Baum, Wayne. Bestell Martha und den Kindern Weihnachtsgrüße von mir", setzte er schnell hinzu. "Mach ich. Hoffe, dass es auch für dich ein gutes Fest wird, Steve." Wie konnte es gut sein mit Angela in Mississippi und ihm in Arizona? Wenn sie nicht bald von sich hören ließ, dann würde er ...
"Nichts tun", sagte er angewidert von sich selbst. "Ich werde absolut nichts tun, nur warten." Angela wollte ihn, oder sie wollte ihn nicht. Entweder sie liebte ihn, oder sie liebte ihn nicht. Die Nachrichten waren zu Ende, und Steve hatte keine Ahnung, was gesagt worden war. Er wollte gerade auf den Ausknopf drücken, als eine Ankündigung ihn davon abhielt. Ein Sonderbeitrag, las er im Vorspann. Weihnachten mit Angela Mercer. Sein Herz machte einen Extraschlag. Der Vorspann blendete aus, und ein albernes Ratespiel fing an. Steve schnappte sich das Fernsehheft und blätterte es wie wild durch. Hier war es! Zwanzig Uhr. Er hatte noch gerade Zeit zu Abend zu essen vor der Show. Er ließ den Fernseher so laut wie möglich an, damit er ihn in der Küche hören konnte, raste zum Kühlschrank und schöpfte das übrig gebliebene Eintopfgericht in den Teller. Wenn er sich nun versehen hatte? Wenn es um zwanzig Uhr an der Ostküste war? Oder Mittlerer Westen? Er riss die Schublade auf, schnappte sich eine Gabel, eilte zum Arbeitszimmer zurück und setzte sich vor den Fernseher mit dem kalten Eintopf. Eine Ewigkeit später war sie da. Angela füllte den Bildschirm, ihr schönes Lächeln wirkte irgendwie versonnen. Sie trug Rosa, etwas, das altmodisch war und anmutig um ihre Beine glitt, wenn sie sich bewegte. Die Kamera folgte ihr, als sie durch ihr Haus ging von der großen hellen Eingangshalle mit der gewundenen Treppe zu den oberen Räumen. Dann schwenkte die Kamera zum Wohnzimmer, wo ein riesiger Weihnachtsbaum links vom großen Fenster stand. Angela setzte sich in einen Armsessel neben dem Baum und erzählte von den Weihnachtsfesten aus ihrer Kindheit.
"Jedes Jahr bastelten Mutter und Dad Weihnachtsschmuck" erzählte sie. "Als ich sechs Jahre alt war, machte ich diesen Engel aus Hefeteig." Die Kamera brachte in Nahaufnahme den etwas schief geratenen Engel. "Sogar schon damals zeigten Sie Ihre kreativen Talente." Britt Ace war der Interviewer. Wer sonst? Er war gut darin. Nahm sich zurück und ließ Angela gelten, zu der er eine besonders harmonische Beziehung zu haben schien. Steve lehnte sich vor, ließ sich kein einziges Wort entgehen. "Sie haben eine wunderbare Kindheit gehabt, nicht wahr?" fragte Britt sie. "Eine glückliche, ausgeglichene, von Liebe erfüllte Kindheit." "Ja, die hab ich gehabt." Angela lächelte. "Ich möchte das an meine Kinder weitergeben." Ihre Kinder? Steve stellte den Ton noch lauter. "Vergesst es nicht, Leute, ihr habt es bei ABS gehört!" Britt grinste in die Kamera. "Kurz vor der Sendung hat uns Miss Mercer zu verstehen gegeben, dass sie Neuigkeiten habe, was ihre Karriere angeht, und dass sie sie uns bei dieser Sendung verraten will. Angela, was sind nun diese Neuigkeiten?" "Ich nehme einen längeren Urlaub vom Schreiben." Steve beugte sich weit vor, um jedes Wort von Angela in sich aufzunehmen. "Bedeutet das, dass es keine Geschichten mehr von dem heiß geliebten weiblichen Engel Muriel geben soll?" "Zuerst einmal habe ich keine Pläne für eine Fortsetzung." "Wollen Sie damit sagen, dass es in der Zukunft möglicherweise doch eine geben könnte?" "Alles ist möglich. Wirklich alles." "Hat Ihre Entscheidung, das Schreiben auszusetzen, etwas mit einem Mann namens Thunderhorse zu tun?" Steve vergaß zu atmen.
"Liebe ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt." Angela lächelte, während die Kamera nahe an sie heranfuhr und das mittlerweile etwas ramponierte rosa Satinband ins Bild brachte.
20. KAPITEL Es war drei Tage her, seit die Sendung im Fernsehen ausgestrahlt worden war, und Steve hatte noch immer nicht angerufen. Angela stand vor ihrem Weihnachtsbaum, starrte auf die Lichter, als ob sie Kristallkugeln wären, aus denen sie ihre Zukunft lesen könnte. Wenn er nun die Sendung nicht gesehen hatte? Und wenn er sie gesehen hatte, aber sich nicht weiter darum kümmerte? Diese Gedanken machten Angela noch ganz krank. Morgen würde sie ihn anrufen. Basta. Sie würde sich auf die gute altmodische Weise mit ihm in Verbindung setzen. Per Telefon. "Steve", würde sie sagen, "meine Antwort ist Ja. Falls du mich noch immer haben willst, heirate ich dich." Wenn er nun nicht zu Hause war? Wenn er Nein sagte? Angela lief im Zimmer unruhig auf und ab und sorgte sich und überlegte hin und her. Ein goldener Strahl fiel durch das Fenster und blendete sie fast. Sie ging zum Fenster, um das Rollo gegen die untergehende Sonne zu richten, und da sah sie, wie eine Blaskapelle sich auf ihrem Rasen aufstellte. Was sollte das? Ein bizarrer Fanclub, der ihr Weihnachtsgrüße schickte? Der Streich eines irren Typs? Sie stimmten ihre Instrumente, und wenn das Quietschen und Trompeten ein Hinweis war, dann stand ihr ein unsanftes Erwachen bevor. Außerdem zertraten sie wahrscheinlich ihre Blumenbeete.
"Ich rufe die Polizei." Sie streckte die Hand nach dem Hörer aus, als die Kapelle anfing zu spielen. Die Musik war wunderschön, unvergesslich, vertraut. Angela wirbelte herum und rannte mit weit ausgestreckten Armen auf die Tür zu. Die Melodie, die sie spielten, war Embraceable You. Und da war Steve Thunderhorse, ganz in Wildleder mit perlbestickten Mokassins an den Füßen, und er kam im donnernden Galopp auf seinem schönen weißen Hengst auf sie zu. Angela schirmte die Augen gegen die rotgoldene Sonne ab. Als Steve bei ihr angelangt war, brachte er das Pferd zum Stehen. "Hast du den letzten Tanz für mich aufgehoben, Angela?" "Ja", flüsterte sie. Er schwang sie auf den weißen Hengst, und während die Kapelle ihr Lied spielte, führte Shadow seinen Tanz auf. "Du tanzt wunderbar, solange du es vom Pferd aus tust", neckte sie Steve. "Ich tue auch anderes wunderbar." "Auf dem Pferd?" "Ohne Pferd. Möchtest du, dass ich es dir zeige?" "Hier? Jetzt?" "Ich habe einen anderen Ort im Sinn. Einen Ort mit dem Namen Paradise. Würdest du mir gern dorthin folgen?" "Ja. Jetzt und für immer." Und als die letzten Töne ihres Liedes verklangen, wussten sie beide, dass sie, noch ehe sie zur Paradise Ranch zurückkehrten, ihr Paradies bereits hier gefunden hatten. Angela hätte kein besseres Happy End für sich selbst schreiben können.
-ENDE-