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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 10
'Zauberträume' ist eine kos...
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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Fantasy Spezial
Zauberträume 10
'Zauberträume' ist eine kostenlose Fantasy Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Zauberträume 10 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Inhalt Cover von Sylvia Polster Whizzler
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von Antje Grüger Es ist nicht leicht, Gehilfe von Zauberer Merlinius zu sein! Aber manchmal hilft ein Glühwürmchen weiter!
Wanda
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von Angelika Genkin Ein Leuchten in der Einsamkeit. Vom Zauber einer wundersamen Begegnung.
Der Zwergenmagier
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von Maria Zocchetti Gorwin, der Zwerg, will Magier werden. Ein ungewöhnliches Unterfangen...
Alle Menschen sind Zauberer
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von Josephine Günther Mit einer Handvoll Mondwasser gegen den Zerstörer! - Das Kind und die geheimnisvolle Frau.
Traum der 10
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von Maria Donner Es beginnt als ein Traum. Und es endet als etwas, das niemand zu hoffen gewagt hatte...
Drachenschatz
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von Waldläufer Den Drachen treibt der Hunger in die Welt hinaus. Und schon bald muss er um seinen kostbarsten Besitz bangen...
Die Heimkehr
39
von Magdalena Pfaffl Der alte Mann hat sein ganzes Leben lang gekämpft. Nun geht er an den Ort zurück, an dem alles begann...
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Whizzler von Antje Grüger
Es ist nicht leicht, Gehilfe von Zauberer Merlinius zu sein! Aber manchmal hilft ein Glühwürmchen weiter!
„Hey, Whizzler, wo bleibst du denn, du alter Faulpelz? Es wird gleich dunkel. Beeil dich gefälligst!“ Die hochaufgerichtet auf dem schwarzen glänzenden Hengst sitzende Gestalt, welche dem höchst ehrwürdigen und erhabenen Zauberer Merlinius gehörte, hatte sich ungeduldig umgedreht und einen vernichtenden Blick auf Whizzler, seinen Gehilfen, geworfen. Hätten sie beide aufrecht nebeneinander gestanden, wären sie ungefähr gleich groß gewesen, allerdings trug der spitze und hohe Zauberhut, den Whizzler morgens und abends bürsten und polieren durfte, sowie das edle Streitross, auf dem der Zauberer saß, nichts dazu bei, diese Tatsache besonders hervorzuheben, besonders, da Whizzlers, der einen großen Ledersack mit der persönlichen Habe des Zauberers auf seinem Rücken trug, mit seiner Nase fast den Straßenstaub berührte. Nur seine besonders wertvollen Zaubertränke und speziellen Zauberstäbe trug Merlinius an einem kleinen Sack neben sich auf dem Sattel, alles andere wäre eine zu große Belastung für sein edles Roß gewesen. Dennoch durfte Whizzler die Zauberstäbe mehrmals täglich einwachsen und die Flaschen abstauben, schließlich legte Merlinius besonderen Wert auf seinen Ruf als höchst ehrwürdiger und berühmter Wandermagier. Heute war ihm eine besondere Ehre zuteil geworden: Er war an den Hof des edlen Sir Ravenicus gerufen worden, bei dem er diesen Abend einer seiner speziellen Darbietungen anlässlich der 19. Geburtstages seiner reizenden Tochter Prinzessin Dulcinea präsentieren sollte. Das Gasthaus „Zum goldenen Eber“, in dem sie auf das Erscheinen der Wache Sir Ravenicus warten sollten, die sie zu ihrem Auftraggeber bringen würde, war nur noch wenige Meter entfernt, und Whizzler merkte, wie ihm vor Anstrengung der Schweiß den Rücken herunterlief. Zu allem Überfluss flog ihm die ganze Zeit ein aufdringliches Glühwürmchen um seinen Kopf herum. „Ja, Meister, ich komme schon, Meister“, ächzte er. Verfluchter Tyrann, eines Tages werde ich es dir schon zeigen. Ich werde es euch allen zeigen, dass ich mehr bin als ein mickriger Lastenträger. Nachdem sie den Gasthof schließlich erreicht hatten, und Whizzler gerade dabei war, die Kleidungsstücke des Zauberers ordentlich gefaltet in den Schrank zu legen, während Merlinius auf dem Bett saß und mit der einen Hand einen Bronzespiegel festhielt, während er mit der anderen seinen Bart in kunstvolle Locken legte, klopfte es an der Tür. Als Whizzler auf einen ungeduldigen Wink von Merlinius öffnete, stand bereits der Wirt vor der Tür und teilte ihm mit, dass die Wache von Ravenicus bereits eingetroffen sei. Mit einem gemurmelten „schon gut, wir kommen gleich,“ schloss Whizzler die Tür wieder und drehte sich um. „Meister, es ist soweit, wir...“, er stockte mitten im Satz, als sein Blick auf den Zauberer fiel. „Alles in Ordnung, Meister?“ Merlinius saß seltsam starr auf dem Bett, den Spiegel noch immer in der Hand vor sich ausgestreckt. Es sah so aus, als wenn er zu Stein erstarrt wäre. Als Whizzler ihn berührte, schien es tatsächlich der Fall zu sein, denn sein Meister gab weder ein Wort von sich, noch bewegte er sich. Whizzler lief der kalte Schweiß den Rücken herunter. Was sollte er jetzt tun? Draußen wartete die Wache darauf, dass der Magier mit ihm kommen würde, um das Festtagsprogramm in seinem gewohnten festlichen Rahmen ablaufen zu lassen. Er hatte bereits von den drakonischen Strafen Ravenicus gehört, wenn ihm irgendetwas bei seinen Festen nicht passte. „Verfluchter Käfer!“ brummte er und schlug wütend nach dem Glühwürmchen, das ihm sogar bis hierher ins Zimmer gefolgt war. 4
„Jetzt ist doch deine Chance gekommen, zeig es ihnen!“ „Wie? Was?“ Es dauerte einige Augenblicke, bis Whizzler merkte, dass das Glühwürmchen mit ihm gesprochen hatte. „Zieh den Mantel da an, du hast ungefähr die gleiche Größe wie Merlinius. Aus dem Teppichfransen da kannst du dir einen Bart machen. Du nimmst das Zauberbuch mit, ich schlüpfe in den Lederbeutel und lese dir die Zaubersprüche vor. Dann kann nichts mehr schief gehen. Sei froh, dass ich im Dunkeln lesen kann.“ Whizzler überlegte einen Augenblick. Vielleicht wäre jetzt wirklich seine Chance gekommen. Er hatte keine Ahnung, was mit seinem Meister geschehen war, aber sobald er erst Ravenicus beeindruckt hatte, würde er selbst Ruhm und Ansehen ernten, das war gewiss. Es war ihm auch vollkommen schleierhaft, wie er plötzlich mit einem Glühwürmchen sprechen konnte, aber was machte das schon. „In Ordnung! Einverstanden!“ Voller Begeisterung machte er sich daran, seine „Zauberausrüstung“ zusammenzustellen. Als er sich schließlich im Spiegel betrachtete, musste er mit Befriedigung feststellen, dass er tatsächlich eine stattliche Figur abgab. Er hatte seinen Meister ja schließlich schon oft bei der Ausübung seiner Tätigkeit zugesehen, und wußte, dass vieles der Zaubertricks, die er vollführte, eigentlich recht einfach und trotzdem wirkungsvoll waren, aber dennoch die Massen in höchstem Maße beeindruckten. Showbusiness eben. Merlinius wusste die Zaubersprüche natürlich auswendig, aber wenn das Glühwürmchen ihm sie zuflüstern würde... Das würde schon gehen. Dennoch zitterten ihm die Knie ein wenig, als er sich schließlich mit der Wache zum Hof des höchst ehrwürdigen und edlen Sir Ravenicus aufmachte. „Ganz schön warm hier drin“, brummte das Glühwürmchen, woraufhin Whizzler die Öffnung in dem Sack etwas vergrößerte. Das fehlte ja grade noch, wenn das Glühwürmchen ersticken würde. Die Burghalle war bereits festlich geschmückt und die ersten in prunkvolle Festgewänder gehüllte Gäste waren eingetroffen. Whizzler versuchte sich etwas zu orientieren und ließ seinen Blick über die Gäste schweifen. Plötzlich stockte ihm der Atem. Ob das Dulcinea war? Diese wunderschöne, schlanke Gestalt mit dem honigfarbenen Haar, der zarten Pfirsichhaut und den kirschroten Lippen? Ob sie ihn bemerkt hatte? Wenn nicht, würde er dafür gleich sorgen. Er konnte jedoch nicht leugnen, dass ihm das Herz bis zum Hals klopfte, als der Haushofmeister schließlich mit seinem Stock auf die Erde klopfte und den „höchst ehrenwerten und edlen Merlinius, den berühmten Wandermagier zur Unterhaltung der Gäste des edlen Sir Ravenicus“ ankündigte. Wenn jetzt nur nichts schief ginge... „Ich bin hochgeehrt, vor so einem erlauchten Publikum eine kleine Kostprobe meiner bescheidenen Künste vorführen zu dürfen“, sagte Whizzller mit zuerst zitternder und dann immer festerer Stimme, während er versuchte sich an das zu erinnern, was sein Meister bei derartigen Anlässen zu tun pflegte. „Los, lies den ersten Zauberspruch vor in dem Kapitel „Unterhaltung bei Feierlichkeiten“, flüsterte Whizzler dem Glühwürmchen zu, während er einige Äpfel und Birnen kreisförmig vor sich hinlegte. „Yngwid wyrddhin phyrrgyd“ kam es zurück. „Oh, bei den Göttern, ich dachte nicht, dass die Wörter so kompliziert auszusprechen seien“, murmelte Whizzler. Er wusste, dass eine falsche Betonung eines Wortes unter Umständen verheerende Auswirkungen haben könnte. Doch obwohl er das Wort „phyrrgyd“ offensichtlich etwas falsch ausgesprochen hatte, mit dem Ergebnis, dass die Äpfel und Birnen nicht im Walzertakt sondern in einem viel moderneren Rhythmus durch die Luft tanzten, erntete er dennoch angemessenen Beifall. Die Angelegenheit fing an ihm richtig Spaß zu machen, und er fing an, einige Worte mit Absicht falsch auszusprechen, die das Glühwürmchen ihm zuflüsterte, so dass er den Gästen schließlich ein ganz neues und 5
faszinierenderes Programm bot als es sein Meister je getan hatte. Die Bälle, die er in die Luft warf, verwandelten sich nicht wie sonst in Hasen, die er mit seinem Zauberhut wieder einfing, sondern regneten in einem Schauer aus roten Rosen direkt in den Schoß der wunderschönen Dulcinea, die ihm ein reizendes Lächeln zuwarf. Das Pulver, das er in die Luft blies, formte sich nicht wie bei seinem Meister zu langweiligen Kreisen und Sternen, sondern bildete ein riesiges Herz, das direkt über dem Kopf der Prinzessin anfing zu leuchten und zu blinken. Er zauberte aus den Ärmeln seiner Zuschauer keine Kupfermünzen sondern zog zartschmelzendes Konfekt aus dem tiefausgeschnittenen Dekolleté des jungen Mädchens, das ihm immer fröhlichere und begeistertere Blicke zuwarf. Schließlich schwenkte er einmal seine Ärmel und es kam ein Schwarm schneeweißer Tauben herausgeflattert, die in anmutigen Kreisen um das Geburtstagskind flogen und einen Regen aus Goldstaub auf sie hernieder rieseln ließen. Mit strahlenden Augen erhob sie sich und sprach zu ihm: „Oh, so eine wundervolle Vorführung hat es bisher noch nie bei meinem Geburtstag gegeben. Oh, lieber Vater, ich bitte dich, mache doch Merlinius zu unserem Hofmagier.“ Sie lächelte ihn mit so einem verführerischen Lächeln an, während sich ihr enges Gewand um ihren wohlgeformten Körper schmiegte, das es Whizzler ganz warm ums Herz wurde und sich seine Männlichkeit unter seinem weiten Zauberumhang deutlich zu regen begann. „Ja, ich habe es geschafft! Meine Träume sind wahr geworden! Ich habe der Welt gezeigt, was wirklich in mir steckt“, dachte Whizzler, auch wenn es das Glühwürmchen war, das ihm die Zaubersprüche vorgeflüstert hatte und er sie manchmal anders betont hatte. Ravenicus wollte gerade etwas darauf erwidern, und Whizzler hatte den Eindruck, dass es durchaus eine zustimmende Antwort sein würde, als sich plötzlich eine Gestalt am Rande des Saales erhob. Mit seinen dunklen Augenbrauen und der Hakennase zwischen den schrägliegenden dämonisch aussehenden Augen war er eine düstere Erscheinung. „Schön und gut, eure Vorstellung ist wirklich beeindruckend, aber ich habe schon bessere gesehen, ganz zu schweigen davon, welche Zaubereien ich selber zu vollbringen vermag.“ Ein Raunen ging durch die Menge über diese ungeheuerliche Einmischung in das Festtagsprogramm. Ravenicus runzelte zuerst die Stirn, doch dann fing er offensichtlich an, Vergnügen an der Angelegenheit zu bekommen. „Nun, dann sagt mir doch zuerst einmal, wer ihr seid und was ihr zu bieten habt.“ „Mein Name tut erst einmal nichts zur Sache, aber könnt ihr vielleicht auch das?“ Er zeichnete mit seinen langen knochigen Fingern einige geheimnisvolle Zeichen in die Luft, so dass sich zuerst eine dunkle Wolke bildete, aus der schließlich eine große von Feuerzungen umflammte Gestalt heraustrat. „Könnt ihr mit den Geistern sprechen und ihnen befehlen?“ Jetzt war es Whizzler doch etwas mulmig geworden und er flüsterte besorgt zu dem Glühwürmchen in dem Lederbeutel: „Los hilf mir! Sieh unter „Geisterbeschwörung“ nach!“ Doch es kam nur ein schwaches Seufzen und Piepsen aus dem Beutel. „Hiiiier ist es viiel zu heiß, ich ersticke...“ „Oh! Jetzt nur nicht schlapp machen!“ flüsterte Whizzler aufgeregt zurück und öffnete besorgt den Lederbeutel einen Spalt. Doch ihm blieb fast das Herz stehen, als er sah, daß das Glühwürmchen offensichtlich wirklich kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen. Dennoch war es ihm gelungen, die Seite mit der „Geisterbeschwörung“ zu öffnen und es flüsterte Whizzler einen Spruch zu, bevor es endgültig in Ohnmacht fiel. Whizzler war sich überhaupt nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben, dennoch sprach er ihn mit soviel Würde aus wie er vermochte. Tatsächlich bildete sich eine kleine rotgoldene Wolke, die immer großer wurde, bis sie sich schließlich zu einer Schlange formte, die um den Feuerdämon herumtanzte. Die beiden fingen an sich zu umkreisen. Zuerst sah es aus, als wenn die Schlange unterliegen würde, weil sie in den Pranken des Dämons hin und hergeschleudert wurde, doch dann wurde sie immer kleiner bis schließlich ein Wasserstrahl aus ihrem Maul drang, der die Flammen 6
des Dämons löschte, bis dieser schließlich nur noch ein kleiner nackter Kobold war, der schnellstmöglichst das Weite suchte. Die Menge raste und klatschte wie wild und Dulcinea warf Whizzler eine begeisterte Kußhand zu. „Ja, jetzt habe ich es sogar diesem mächtigen Magier gezeigt! Ich habe meine Schicksalsketten durchbrochen! Endlich habe ich meine Los selbst in die Hand genommen!“ Whizzlers Gesicht überzog ein seliges Lächeln, als er seine Hand ausstreckte und auf Dulcinea zuging, die ihm bereits ihre eigene Hand zum Kuss entgegengestreckt hatte. „Ha! Du meinst, das wäre alles? Du weißt wohl nicht wer ich bin?“ Der fremde Magier hatte sich jetzt zu seiner vollen Größe aufgerichtet und richtete seinen langen Zauberstab direkt auf Whizzler. „Ich bin ein mächtiger Magier der 35. Stufe und du bist ein Niemand! Deine Astralenergie ist auf ein Nichts zusammengeschrumpft, während ich meine Punkte für bessere Zwecke aufgespart habe!“ Bei diesen Worten schoss eine mächtige Feuerlanze aus dem Zauberstab direkt auf Whizzler zu. Robert legte seine kaltgewordene Pizza wieder zurück auf den Teller und klappte seinen Mund wieder zu. „Jetzt verrate mir mal, wie du das gemacht hast, Michael. Bisher ist Whizzler bei diesem Spiel immer nur als Lastenträger aufgetreten. Er hatte überhaupt keine Identität. Sobald ich mit der Maustaste auf ihn geklickt habe, hat sich nur das Inventar geöffnet mit den Gegenständen, die Merlinius besitzt. Wieso hat er jetzt plötzlich diesen Zauberwettstreit am Hof von Ravenicus fast gewonnen?“ Michael grinste: „Tja, offensichtlich hast du noch nicht alle Möglichkeiten ausprobiert. Aber vielleicht war es ja auch nur ein Programmfehler, als sich Merlinius plötzlich nicht mehr bewegen ließ wie sonst immer. Doch offensichtlich gibt es noch andere Möglichkeiten um weiterzukommen. Aber mir macht es immer wieder Spaß, den Zauberern das Handwerk zu legen. Es geht doch nichts über eine gutentwickelte Spielfigur, die mächtiger ist als alle anderen.“ Teuflisch grinsend bewegte er mit seiner Maustaste auf seinem Bildschirm den fremden Magier über die Asche von Whizzler direkt auf den Tisch der Prinzessin Dulcinea zu. „Dieser Dame würde ich im real life auch gerne einmal gegenüberstehen, nur schade, dass das nicht möglich ist,“ lachte Michael und biss herzhaft in seine Pizza.
ENDE
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Wanda von Angelika Genkin
Ein Leuchten in der Einsamkeit. Vom Zauber einer wundersamen Begegnung.
Wenn Ihr irgendwann einmal von Wirijna nach Worinow wandert, und wer könnte schon sagen, dass Ihr das nicht tun werdet eines Tages, und falls Ihr dann Rast macht, da wo der Weg sich teilt zwischen dem großen Wald und der weiten Steppe, so werdet Ihr vielleicht einem alten Mann begegnen und dann werdet Ihr wissen, dass dieser Tag ein Freitag ist und dass er sich bald seinem Ende zuneigt. Auch ich habe an dem Tag, von dem ich euch heute erzählen will, dort gewartet auf den Wladimir. Wie von selbst führte mich mein Schritt immer wieder an diesen Ort. Von hier aus, den wilden Wodic im Rücken, erstreckt sich nach Osten hin in endloser Weite die ganze gewaltige Schönheit des Waidlandes. Der wilde Wodic, der ja eigentlich WugWodic heißt, wird von jedem hier nur „der Wilde“ genannt. Er ist der erhabenste Punkt der weitläufigen Hochebene. Sagenumwoben ist der und geheimnisvoll anzusehen. Von unten, von den Dörfern aus wirkt die dicht bewaldete grüne Kuppe tiefschwarz vor der früh untergehenden Sonne. Den Winter über schläft er, weiß leuchtend bis weit in den März hinein. Früher erzählte man, hier sei die Welt zu Ende und dass der Wald bis in die Ewigkeit hinein reichen würde, bevölkert von Geistern und dem Großen Nichts, dass dort auf jeden lauert der nicht erwartet wird. An so etwas glaubt man natürlich heute nicht mehr. Heute weiß man, dass hinter dem Berg irgendwo im Wald die Grenze verläuft und dass jenseits der Grenze auch Menschen leben. Die, die da leben sollen, sprechen eine andere Sprache, ansonsten besteht der einzige Unterschied darin, dass drüben die Sonne hinter dem Berg auf statt untergeht. Das weiß man heute und doch traf ich hier oben eigentlich immer nur den Wladimir, wenn die Sonne sich langsam dem Berg zuneigte und die Waidlandleute lieber den längeren Weg durchs Tal wählten um von Wirijna nach Worrinow zu kommen. Ungeachtet der Tatsache, dass gerade der Weg über die Hochebene am Waldrand entlang in den Nachmittagsstunden besonders schön ist. Wie ein helles Band windet sich zwischen Wiesen und Weiden hindurch ins Tal hinab, wo er sich mit dem anderen durch das Tal fließenden flachen Weg trifft, sich mit ihm vereint, während die späte Sonne warme weiche Farben in die Landschaft zeichnet , bevor sie hinter den Felsen des Wodic versinkt. Auch der Wladimir nimmt den Höhenweg nicht nur weil er der kürzere ist. Ihr dürft nicht vergessen, er ist trotzdem der Schwerere. Doch das macht ihm nichts aus, dem Wladimir und das ist schon erstaunlich. Ja, ja der Wladimir ‘der die Wunder trägt’ von Wirijna nach Worrinow, und von Worrinow weiter zum nächsten Ort, und weiter und weiter, und zuletzt wieder nach Wirijna und ... nach Worrinow. Über die Wunder müsst Ihr Euch nicht wundern, so groß sind sie nicht. Wunderlich sind sie mitunter, nicht mehr und nicht weniger. Das wunderbare liegt nicht in den Dingen, es liegt in den Augen der Menschen und ganz besonders liegt es in den Augen der Kinder. Und bei den Kindern habe ich es auch immer wieder gehört, in Wirijna, in Worrinow, oder anderswo. Am Mittwoch, am Donnerstag, oder wann auch immer der richtige Tag und der richtige Ort zusammenfielen, da konnte und da kann man es hören, das aufgeregte rufen. Bald, morgen, ja morgen, da kommt er wieder, der Wladimir ‘der die Wunder trägt’ von Ort zu Ort. Seine Wunder, die trägt er auf dem Rücken. Seine Wunder, das sind die Waren, die er in die Dörfer bringt, in die Häuser, zu den Menschen weitab der großen Welt. Viele nützliche Dinge für den Haushalt und für das Feld, aber auch ‘unnütze’ Sachen, die nur da sind für die Freude. Die werden bestaunt und noch lange redet man von ihnen. Gekauft werden sie selten, an Weihnachten manchmal oder für Hochzeiten zum Beispiel. Doch das ist nichts was die Leute traurig machen könnte, auch nicht den Wladimir. Das ist eben so, hier im Waidland. 8
Ihr werdet euch fragen woher ich das alles weiß. Ich lebte doch, zu dieser Zeit, benahe ein Jahr lang. Aus der Stadt war ich gekommen, ganz genau wie einige ‘Wunder’ des Wladimir. Geflüchtet war ich, vor einem widrigen Schicksal, vor den Menschen dort, die hier noch so ganz anders zu sein schienen, und ... aber das wusste ich damals noch nicht ... zuallererst vor mir selbst. Ich hatte ein altes Bauernhaus gemietet, dessen Bewohner vor langer Zeit gestorben waren. Einen Sohn gab es wohl noch, aber den kannte keiner, der lebte irgendwo in einem fremden Land. Die Äcker und Wiesen waren verpachtet und das Haus, ja von diesem Haus hatte ich durch einen glücklichen Zufall erfahren, und ich hatte mich seiner Einsamkeit angenommen. In diesem Haus lebte ich nun und von da aus unternahm ich meine langen Wanderungen kreuz und quer durchs Land. Zuweilen kehrte ich irgendwo ein, in Wirijna, in Worrinow, oder anderswo, weil der Tag zu schnell fortgeschritten und der Weg zurück zu lang geworden war. Doch ich blieb für mich und war selbst nach einem Jahr noch der Fremde vom Pachthof. Die Waidlandbauern sind freundlich und hilfsbereit, aber sie bleiben zurückhaltend und scheu. Das ist kein Misstrauen wie wir es kennen. Die Leute hier haben Zeit und die nehmen sie sich, auch für Freundschaft und für Feindschaft. Diese Muße ist uns verloren gegangen. Mir war es gerade recht so. Ich hatte nichts mehr im Sinn mit alledem. Das was ich euch erzählen kann von den Leuten und vom Leben im Waidbauernland, alles was ich darüber weiß, das habe ich von den Kindern, die sind überall gleich, oder sollten es zumindest doch sein. Das was ich wusste, wusste ich also von ihnen und vom Wladimir. Der hatte mir so überraschend schnell die Hand gereicht und mit ihr das Gefühl willkommen zu sein und obwohl es mir damals nicht wirklich wichtig war drängte es mich seither immer wieder danach ihn zu treffen. Und wenn auch nur um ein Stück des Weges zusammen mit ihm zu gehen. Und damit sind wir wirklich wieder da angekommen wo wir begonnen hatten. An der Stelle nämlich, an der der Weg sich teilt zwischen dem großen Wald und der weiten Steppe. Wenn Ihr also irgendwann einmal wartet auf den Wladimir, an einem Freitag Nachmittag und wenn er nicht kommt, obwohl sich die Sonne gen Westen neigt, dann packt Euer Bündel und sputet euch, falls es euch davor graut die Nacht im Feien zu verbringen, denn dann ist Windweih. An Windweih geht niemand, wirklich niemand diesen Weg. Selbst nicht der Wladimir. Von der Windweih hatte mir keiner erzählt und so kam es, dass ich am Waldrand blieb und wartete um den alten Mann zu treffen. Ich war recht früh und die Sonne stand noch hoch am Himmel. Mir war nicht wohl gewesen, seit heute morgen schon, und obwohl ich keine weite Strecke gegangen war fühlte ich mich müde und schwach. Also stieg ich ein Stück waldwärts den Hang hinauf. Von hier aus konnte ich den Weg gut übersehen. Ich packte mein Bündel aus und legte mich in die Wiese. Der Boden hielt noch die Wärme des Tages, obzwar das Jahr langsam seinem Ende entgegen ging. In meine Gedanken mischte sich eine fremd gewordene Wehmut und sie trug das Bild des alten Wladimir. Schnell schob ich es fort und begann die Wolken zu zählen. Leer und leicht zogen sie dahin im endlos gewölbten Blau. Wie lange ich sinnend und zählend gelegen hatte, das weiß ich nicht mehr. Ganz plötzlich fiel ich aus dem Schlummer. Es war inzwischen kalt geworden und wo vordem die weit verstreute Herde ihr himmelblaues Äthergras geweidet hat, da schwamm statt dessen eine rosafarbene Flamingoschar in einem violetten Meer. Erschreckt erwachte ich nun ganz. Die Sonne war bereits hinter der dichten dunklen Wand des Waldes versunken. Was nun? In völliger Dunkelheit würde ich den Weg nach Worrinow nicht finden können und die Stecke war bei weitem zu lang um sie in der kurzen Zeit der Dämmerung zu bewältigen. Würde ich es jetzt noch wagen aufzubrechen, so fände ich mich am nächsten Morgen wahrscheinlich weit ab von meinem Ziel wieder, was wahrlich nicht das Schlimmste wäre. Ebenso gut könnte ich auf die Woogweide geraten. Schon in den ersten 9
Tagen hatte man mir flüsternd von denen erzählt, die dort nächtens verschwunden waren und niemals wiederkehrten. Wenn auch nur die Hälfte davon stimmte, so wäre das schon genug. Da wollte ich doch lieber warten auf den Tag und meinen Weg im Morgengrauen frisch und ausgeschlafen neu beginnen. Alles was ich brauchte zu diesem Zweck, das hatte ich stets bei mir, wie sich’s gehört um Wind und Wetter zu trotzen. Wie sich’s gehört für Einen, der mehr draußen als drinnen zu Hause ist. Auf der Wiese allerdings würde ich nicht bleiben können. Schon stieg der Nebel und die Nächte sind kalt und feucht in dieser Jahreszeit. Im Wald würde es besser sein. Dorthin wo die Bäume dicht zusammen standen, wollte der Nebel nicht vordringen. Also machte ich mich auf um mir im Wald ein Lager zu bereiten. Eilig bracht die Dunkelheit herein und als ich schließlich atemlos unter den ersten Bäumen stand, baute sich vor mir eine undurchschaubare schwarze Wand auf. Widerwillig tastete ich mich hinein in die Finsternis, Meter für Meter, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Plötzlich schlang sich etwas um meinen Schuh und ich fiel. Schützend nahm ich die Arme vor mein Gesicht und landete so auf allen Vieren in einem Wirrwarr von Wurzeln. In alle Richtungen krochen sie, dickbäuchigen Würmern gleich, durch Erde, Reisig und Tannennadeln. Über eine dieser wulstig herausragenden Wurzeln war ich gestolpert. Das hatte meinem Weg ein vorläufiges Ende gesetzt. Ich tastete mich an diesem sich windenden Strang entlang. Er wurde dicker und dicker, bis er zuletzt in seinen Ursprung überging. Ich richtete mich auf und stand an einem Baum. Ein Riese von einem Baum. Sehen konnte ich ihn nicht, konnte ich kaum die Hand vor meinen Augen erkennen, aber ich fühlte ihn. Seine rissige Rinde, die urwüchsige Kraft, die von ihm ausging und erneut stieg diese verbannte Wehmut in mir auf. Würziger Harzgeruch drang in meine Nase, als ich meine Wange an ihm rieb. Ich versuchte ihn zu umfassen. Ein vergebliches Unterfangen. Mit weit ausgebreiteten Armen lehnte ich an einer sich sanft wölbenden Mauer. Wie groß und mächtig musste er sein? Den Kopf weit in den Nacken gelegt späte ich nach einem Wipfel, den ich nur ahnen konnte. Eine geraume Weile stand ich so an ihn gelehnt, doch dann wehrte ich mich entschieden gegen das was geschah. Nein, wehleidig war ich nie gewesen. Schon als Kind nicht, und das war lange her. Kein wirklicher Junge wollte so sein, wehrlos und schwach, das hatte ich schnell und gründlich begriffen. Ach was, welch Unsinn in nächtlicher Stunde. Rechtschaffen müde war ich und sonst nichts. Eilig beugte ich mich nieder zur Erde um mir einen Schlafplatz zu ertasten. Und welch Glück ich stand schon auf ihm. Ich befand mich genau zwischen zwei seltsam geformten Wurzeln, die eine Art Kuhle bildeten, weich und moosbedeckt und als Schlafstelle durchaus geeignet. Halb liegend an den Baum gelehnt bot sich dieses Lager beinahe wohnlich dar. Zuletzt breitete ich meine alte Militärdecke über mir aus und noch ehe ich einen weiteren Gedanken fassen konnte, war ich auch schon eingeschlafen. Was mich dann weckte weiß ich nicht. Was es ein Lichtschein, der unvermutet durch meine Lieder drang? War es ein fremder Laut, der in mein Bewusstsein stieg? War es ein wundersamer Geruch nach Lebkuchen und Bratäpfeln, der weder zu diesem Ort noch in diese Zeit passen konnte. War da ein weicher Hauch gewesen, der mein Gesicht berührt? Oder war es ein wenig von allem und von allem ein wenig? Ich weiß es nicht. Aus traumlosem Schlaf kam ich zurück in eine Wirklichkeit, die weitaus unwirklicher erschien als jeder Traum es je gewesen war. Noch bevor ich die Augen öffnete hatte ich die Gewissheit nicht mehr allein zu sein. Sollte ich mich nicht fürchten? Müsste ich nicht an Räuber oder wilde Tiere denken, an Wölfe gar? Doch nichts von alledem. Ich konnte mich einfach nicht dazu entschließen Angst zu haben, ich hatte nicht einmal das Gefühl überhaupt etwas haben oder tun zu müssen. Und dann kam es plötzlich wieder. Ich hatte mich also nicht getäuscht. Ein sanftes Licht, das 10
rötlich schimmernd durch die Lieder dringt. Ich wende den Kopf, öffne die Augen um sie gleich und sofort wieder zu schließen, das Gleißen macht mich blind. Langsam, vorsichtig blinzelnd versuche ich es erneut. Sie steht da, ich reibe mir den Schlaf aus den Augen, aber sie steht noch immer da, obwohl ich nun, weiß Gott, hellwach bin. Sie steht wirklich da, ruhig und still, ganz dicht neben mir, aber wachsam ist sie auch. Sie hält eine Art Laterne über mein Gesicht und sieht mich an. Staunend betrachte ich das winzige Wesen mit dem wilden wallenden Haar. ‘Ich kann es nicht glauben, nein, ich glaube das einfach nicht’. Buchstaben lösen sich aus dem Chaos meiner Gedanken und beginnen zu tanzen, einen Walzer, hinter meiner Stirn. Sie legt den Kopf schief, ganz leicht nur, so als lausche sie auf diese Gedanken. ‘Ich glaube es nicht, glaube nichts, nichts mehr’. Die Worte formen sich fremd und frei von meinem Willen. ‘Glauben und Lieben, irgendwo, unterwegs, hoffen, irgendwann, unterwegs, verloren, verlorenverlorenverlorenverloren’. Ich weiß nicht wer das alles denkt. Es denkt sich von alleine. Traurig, ist ihr Blick und es sieht aus als würde sie weinen wollen. Warum sollte sie weinen wollen? ‘Weinenwollen - weinenwollen’. Tränen laufen über meine Wangen, fremde, alte, uralte fremde Tränen. Unaufhaltsam laufen sie, ohne mein Zutun. Sie steht da, unbewegt bewegt, die Lippen sanft geschlossen und doch höre ich ihre Stimme, wohltuend und warm. Es ist ein Singsang ... WEINE WEINE UND ERWACHE WERDE WEHRLOS WIE EIN KIND WILL DIE WEISE WUNDER WIRKEN WAGE WEGE WO SIE SIND WEICHE WELLEN WILL ICH WINDEN WEBEN WILL ICH ÜBERS JAHR WACHSE LIEBE GLAUBE HOFFNUNG WIE WAWANDAS WURZELHAAR ... ein Singsang ist es und der wogt auf und ab, gliedert sich ein in den wilden Reigen hinter meiner Stirn, wiegt sie sanft und lässt sie ineinander schwingen. Ihre Worte und meinen Gedanken. Gut fühlt es sich an wie sie tanzen, in einer fremden, nie gekannten Harmonie. Ihre Gedanken und meine Worte. Gut fühlt es sich an wie sie sich verbinden zu neuen Bildern. Und gut fühlt es sich an wo sie wirken und wachsen und sich vermehren. Ich beobachte sie, die Gedanken, die Worte und Wanda. Ich sehe ihr Gesicht, sehe wie es heller wird und heller und ich sehe wie sie lacht. Wunderschön sieht sie aus, wie sie so lacht. Ich möchte sie berühren, ihr Haar, ihr Wildes und ich möchte, möchte. Da schüttelt sie den Kopf, hebt die Hand, wehrt mich ab. Ergeben lehne ich mich zurück an die Stärke des Baumes und warte. Sie stellt die Laterne auf den Boden und das Licht fällt ein Stück weit unter die Wurzel in den Weg auf dem sie gekommen war. Sie tritt näher, ganz dicht zu mir, eine Siluette im Gegenlicht, legt die Hand, die winzig Kleine, auf meine Brust und es ist gerade so als hätte sich eine Hummel verirrt, mitten in mein Herz. Als ich erwachte war es Tag und ich lag ... auf der Wiese nahe der Stelle, an der der Weg sich teilt zwischen dem großen Wald und der weiten Steppe. Die Hummel hatte mich verlassen, aber das summen und vibrieren war geblieben. Später als sich die Sonne bereits neigte gen Westen, stand ich noch immer dort wo ich gelegen hatte als ich erwachte und ich konnte nicht finden wohin ich gehen sollte. Da sah ich ihn, hoch im Norden über den Kamm kommen und meine Füße setzten sich in Bewegung, fast wie von selbst und liefen ihm entgegen. ‘Wladimir, Wladimir’, rief ich von Weitem, ‘heute ist Sonnabend, nicht wahr und ich freue mich so Dich zu sehn’, als ich dann vor ihm stand, völlig außer Atem, ‘einsam ist es, so ganz allein auf der Wanderschaft ..und.. Wladimir .. lass’ mich Dein Freund sein’. Dann komm, mein Sohn, sagte der alte weise Mann, so als hätte er schon immer alles gewusst. Hier wäre die Geschichte eigentlich zu Ende. Um aber Eure Frage vorweg zu nehmen, natürlich habe ich versucht den besagten Baum wiederzufinden. Nicht gleich, der früh hereinbrechende Winter, der mit Schnee und Eis von der Hochebene Besitz ergriffen hatte hielt mich zurück, und eine seltsame Scheu. Es dauerte lange, das alte Jahr war inzwischen zu Ende gegangen, das neue Jahr war vor Monaten bereits eingezogen, aber der Frühling ließ noch immer auf sich warten. Doch eines morgens war er plötzlich da und 11
stürmte in wildem Galopp über das Land hinweg, ohne Halt bis hinauf an den Waldrand. An diesem Morgen machte auch ich mich auf um den Baum zu suchen. Das würde nicht schwer sein, hatte ich gedacht, denn wie sollte es schwer sein so einen Baum zu finden. Ich suchte von Mittag an bis in die Dämmerung hinein und auch die Nacht habe ich wieder im Wald verbracht. Aber, wie Ihr sicher schon ahnt, war es vergeblich. Einen zweiten Versuch habe ich nicht mehr unternommen und es war auch nicht nötig. Nein wirklich, es war nicht mehr nötig. Falls aber irgendwann einmal einer von Euch es will und muss, dann wird er sie auch finden, die Wanda mit dem Wurzelhaar, da bin ich ganz sicher.
ENDE
12
Der Zwergenmagier von Maria Zocchetti
Gorwin, der Zwerg, will Magier werden. Ein ungewöhnliches Unterfangen...
Gorwin stapfte durchs Unterholz. Er gab sich gar nicht erst Mühe zu schleichen oder vorsichtig zu sein, wohlwissend, die Elfen hatten ihn ohnehin schon lange bemerkt. Er hörte sie nicht und sah sie nicht, aber er spürte, er wurde beobachtet. Sie würden ihm nichts tun, schließlich kannten sie ihn alle. Eine Verwechslung seiner Person war mit Sicherheit auszuschließen. Welcher Zwerg sonst rannte mit einer bodenlangen Robe herum, über die er gleichgültig wie es aussah ein Kettenhemd trug? Welcher Zwerg sonst hatte vor seiner Brust ein halbes Dutzend magische oder pseudomagische Amulette baumeln? Und vor allem, welcher Zwerg hatte sein rotes Haar inklusive Bart mit allerlei Bleichmitteln versucht weiß zu färben, was nicht so ganz gelungen war. Und so hing sein langer prächtiger Bart mit einem Hauch rosé über seinem feisten Wams. „Hallo? Ich weiß genau, daß ihr mich beobachtet! Also macht’s nicht so spannend. Bringt mich zu Leenda! Oder wollt ihr mich noch lange durch euren Wald latschen lassen? Ich finde euer Dorf auch so! Hab’s schon oft gefunden!“ schimpfte Gorwin. Selbstverständlich würde er die Elfensiedlung finden. Es würde nur ungleich länger dauern, aber das hätte er nie laut zugegeben. Er lief noch gut eine halbe Stunde wütend durch den Wald, wobei er immer wieder mit seiner mächtigen Axt auf totes Holz einhieb. Nur auf totes Holz. Hätte er sich an einem Baum aus dem Elfenwald vergriffen, dann hätte ihm das großen Ärger einbringen können, was er natürlich nie zugegeben hätte. „Gorwin! Lange nicht gesehen.“ tauchte eine Stimme aus dem Nichts auf. Leenda hatte sich völlig unbemerkt angeschlichen. „Na endlich!“ Innerlich war Gorwin zusammengezuckt, aber nur innerlich, als er die blonde hochgewachsene Gestalt direkt neben sich hatte auftauchen sehen. „Wie geht es Dir? Gut siehst Du aus! Schick! Und dieses modische ro...“ Leenda brach ab und verbiss sich ein Lachen, als Gorwin prüfend seine Axt schwenkte. Unter Leendas Führung waren sie binnen weniger Minuten im Elfendorf angelangt. Einige Elfen warfen dem Zwergen missmutige Blicke zu, aber niemand kümmerte sich wirklich um ihn. Schließlich war er bekannt, wie ein bunter Hund, oder wie ein rosabärtiger Zwerg. Er und Leenda kannten sich schon seit Jahren und manchmal bestanden sie sogar zusammen Abenteuer. Meistens dann, wenn Gorwin unvermittelt im Elfenwald auftauchte. Jetzt saßen sie in Leendas Haus zusammen. Seine Frau, Mareehn, servierte Elfenwein, den Gorwin grummelnd in sich hinein goss, konnte man ja nicht ablehnen, er wusste was sich gehörte. „Nun, du bist bestimmt nicht hergekommen um mir von deinen Heldentaten zu berichten.“ forschte Leenda. „Hmm. Nein, nicht nur, wobei ich natürlich davon ausgehe, dass du meine Taten schätzt und mich um meinen Mut und meine Kampfkraft beneidest!“ mampfte Gorwin, der inzwischen den zweiten Teller Kekse verputzt hatte und der Mareehn das äußerste eines Zwergenlächelns schenkte, in der Hoffnung auf mehr. „Natürlich.“ bestätigte der Elf und deutete während er seine Frau ansah auf das Nachbarhaus, was soviel bedeutete wie: Frag beim Nachbarn, ob der noch Kekse hat. „Also....ich brauche deine Unterstützung“ offenbarte der Zwerg. „Meine Hilfe.“ „Deine Unterstützung! Wir wollen es ja nicht übertreiben.“ dann an Mareehn gewandt „Euer Wein ist lange nicht so gut wie unser Bier. Doch die Kekse! Alle Achtung! Kompliment!“ „Es freut mich, dass es dir schmeckt. Ich muss mal kurz weg.“ 13
Mareehn schnappte sich eine große Tragekiste und entschwand. „Nenn es wie du willst! Sag mir worum es geht!“ verlangte Leenda. „Nun, ich habe einen Magier gefunden, der bereit ist, mich auszubilden.“ begann Gorwin „Nein!“ unterbrach ihn Leenda „das glaub ich nicht! Das kann nicht sein. Kein Elf und kein Mensch würde einen Zwergen zum Magier ausbilden. Zwerge haben kein bisschen magische Begabung!“ „Doch, haben sie wohl! Jedenfalls ich verfüge über ein enormes magisches Potential. Ich spüre es! Ich weiß es! Ich will Magier werden!“ „Es gibt keine Zwergenmagier!“ „Doch! Jedenfalls wird es bald einen geben. Mich!“ vor Aufregung versprühte er Kekskrümel über den Tisch, die Leenda eilig wegwischte. „Es gibt sogar Zwerge, die mit Elfen befreundet sind.“ Nach kurzem Nachdenken fügte Gorwin noch ergänzend hinzu „nicht, dass das hieße, wir beiden wären Freunde!“ „Nein, natürlich nicht. Nehmen wir mal an, ein Zwerg, also explizit DU, könnte Magier werden. Wie kann ich dir dabei helfen?“ fragte Leenda und untermalte seine Worte mit einem Kopfschütteln. „Dieser Magier, also der, der mich zum Lehrling nehmen wird, der hat nur eine kleine Bedingung gestellt. Er benötigt ein Buch, ein lange verschollenes Zauberbuch. Es ist wertvoll, sein Einband reich verziert mit Gold und Edelsteinen und sein Inhalt ist von unermesslichem Wert“ schwärmte Gorwin. „Aha, und er hat herausgefunden, wo es sein könnte. Lass mich raten, es ist ungeheuer gefährlich! Es befindet sich an einem gefährlichen Platz, bewacht von gefährlichen Wesen. Und da kommt man nur unter Einsatz seines Lebens hin, dann muss man nur noch die Monstren töten und....dann wirst Du Magier. Und ich soll Dir dabei helfen?“ Gorwin nickte schlicht, was seinen Bart würdevolle rosa Wellen schlagen ließ. „Warum sollte ich Dir helfen?“ „Du bist mein Freund...also nicht direkt, aber wenn du kein Elf wärst, dann wärst du sogar mein bester Freund.“ Vier Stunden später befanden sich die Freunde auf dem Weg in Richtung der Finsterwälder. Sie hatten beschlossen zum nächsten Ort zu wandern und von dort aus eine Kutsche zu nehmen. Nach drei Mal umsteigen und zwei Wochen Reisezeit waren sie dann im Gebiet der Finsterwälder. Die Gegend dort hieß nicht umsonst Finsterwälder. Die riesigen Wälder, die sich dort gegenseitig den Platz streitig machten, waren so dicht bewachsen, dass sich die Finsternis in ihrem Inneren sogar auf das umliegende Land ausdehnte. Man benötigte achtzehn Tagesmärsche, um sie zu umrunden, sie zu durchqueren hatte noch niemand gewagt. Die Kutsche spie sie vor einem Gasthaus aus. Der Eindruck des Speiens entstand dadurch, dass Gorwin und Leenda die Kutsche während der Fahrt verlassen mussten. Der Kutscher hatte einen kleinen Umweg gemacht, um die beiden Reisenden möglichst nahe an den Finsterwäldern ausladen zu können. Nicht etwa um ihnen einen Gefallen zu tun, sondern vielmehr um sich und den anderen Mitreisenden die alltäglichen Geschichten von heldenhaften Zwergenkämpfen und die allabendlichen Gesänge eines angetrunkenen Zwerges zu ersparen. „Letztes Wirtshaus vor den Finsterwäldern“ verkündete ein großes Kupferschild. „Ah, mein Reisefässchen ist auch schon fast leer, musste mich die letzten Abende schon einschränken.“ Fröhlich stolzierte Gorwin auf die Eingangstür zu. Sein Reisefässchen, wie er es nannte, Riesenfässchen, wie Leenda es nannte, hatte er auf den Rücken geschnallt. Die anwesenden Gäste bestaunten das seltsame Paar das da eintrat. Wann sah man schon mal einen Elfen und einen Zwergen, noch dazu einen mit einem zartrosa Bart, zusammen in friedlichem Einvernehmen, ja sogar Freundschaft, wie es für die ahnungslosen Anwesenden aussah, beieinander sitzen? 14
„Was kann ich Euch bringen?“ fragte der Wirt. „Zwei Krüge Bier. Und etwas anständiges, zünftiges zu Essen, Braten mit Erdäpfeln und viel guter Soße, extra viel Soße. Habt ihr Zwergenportionen?“ Gorwin schaffte es trotz seines stolzen Bauches einen ausgehungerten Gesichtsausdruck hinzukriegen. Zwergenportionen waren nicht, wie man annehmen sollte besonders kleine Portionen, nein, das genaue Gegenteil war der Fall. „Ja, haben wir....also können wir machen. Kosten aber extra“ gab der geschäftstüchtige Wirt Auskunft. „Kosten extra! Diskriminierend ist das! Aber was will man machen. Also, zwei Zwergenportionen!“ Der Wirt wollte sich gerade umdrehen, als Leenda ihm nachrief „Hallo! Herr Wirt! Bitte, ich möchte auch etwas bestellen!“ Der Wirt runzelte die Stirn, dann dämmerte es ihm. „Bringt mir von eurem besten Wein, einen kleinen Krug und dann.....habt ihr Geflügel?“ „Geflügel?“ „Alles was fliegt“ erläuterte Gorwin dem Wirt und an Leenda gewandt „Wir sind hier in der Nähe des Finsterwald, nicht des Wienerwald!“ „Des was?“ fragte der Wirt. „Nun also habt ihr etwas das Fliegen kann? Und das entweder gegrillt oder gedünstet ist?“ fragte Leenda. „Ja, ich könnte der Frau Wirtin sagen, daß sie Hühnchen machen soll. Das kost aber extra.“ „Ja, schon gut“ nickte Leenda. „Auch mit Erdäpfeln?“ „Ja, bitte!“ „Und Soße?“ „Nein, danke!“ „Gut und welchen Wein möchtet ihr denn jetzt?“ „Wie gesagt, den besten den ihr habt!“ Leenda wurde langsam ungeduldig. „Wir haben hier ZWEI gute Weine im Angebot.“ Leenda schöpfte Hoffnung. Sollte es sich hier möglicherweise um einen Geheimtipp handeln? Ein Provinzwirtshaus, fernab jeglicher Zivilisation, in dem die Auswahl an Weinen so groß war, dass man gleich über ZWEI gute Weine verfügte. Als der Wirt dann auf sein erstauntes Gesicht hin erläuterte „Ja, also wir haben weißen und roten.“ (und dies tat er nicht ohne eine gehörige Portion Stolz) wusste Leenda, dass sich seine Definition und die des Wirtes von gutem Wein doch erheblich voneinander unterschied. Nach dem Essen und nach zwölf weiteren Bieren schwand die anfängliche Scheu der anderen Anwesenden und man lauschte den Geschichten und den Liedern des Zwerges. Wenn man sie nicht täglich hören musste, konnten sie recht unterhaltsam sein. Leenda ging früh zu Bett. Am nächsten morgen, kurz nach Sonnenaufgang und einem ausgiebigen Frühstück, Gorwin hatte wieder Braten mit extra viel Soße, die er sich noch eine halbe Stunde später genüsslich aus seinem Bart leckte, machten sie sich den Warnungen des Wirtes zum Trotz, in Richtung Finsterwälder auf. Als die zunehmende Dunkelheit am hellichten Tag das Näherkommen an die Finsterwälder ankündigte, begann Leenda daran zu zweifeln, ob ihm der Zwerg wirklich die Wahrheit gesagt hatte. „Gorwin, Du hast gesagt, wir müssten zu den Finsterwäldern. Wie nah müssen wir denn heran? Es wird immer dunkler, das gefällt mir nicht!“ „Schon noch ein Stück.“ Gorwin beschleunigte seinen Schritt, wobei das frisch aufgefüllte Reisefässchen auf seinem Rücken ins Hüpfen geriet. „Wie viel näher? Ich kann schon die ersten Bäume sehen.“ Man konnte dunkle Konturen erkennen. „Also...wir müssen schon ein Stückchen hinein. Nur ein kleines Stückchen.“ „Wie klein ist das Stückchen?“ 15
„Äh....ich versteh die Frage nicht.“ „Gorwin! Müssen wir eine Stunde hinein? Einen Tagesmarsch? Oder wie lange?“ „Das kann niemand genau sagen, wie lange....weil....noch niemand sich bis in die Mitte der Finsterwälder vorgewagt hat.“ „In die Mitte?“ schrie Leenda. „Ja, da soll ne Lichtung sein und da ist es auch nicht mehr so dunkel und überhaupt, auch in den Finsterwäldern....wenn sich unsere Augen erst einmal angepasst haben, an die Dunkelheit, dann werden wir viel besser sehen. Paß auf, das kommt uns gleich ganz hell vor. Du wirst sehen...Leenda?“ Der Elf war stehen geblieben. „Leenda? Möchtest Du rasten? Das ist eine ausgezeichnete Idee. Ich habe noch ein paar von diesen leckeren Würsten von dem Wirt mitgenommen. Ich gebe Dir gerne eines ab.“ Leenda wurde durch dieses Angebot der Ernst der Lage bewusst. Zwerge teilten ihr Essen nie. Wenn er ihm jetzt noch ein Bier anbot... „Möchtest Du vielleicht auch ein Bier?“ Leenda atmete tief ein und setzte sich zu dem Zwerg. „Du willst da wirklich rein! Gut! Erzähl mir die ganze Geschichte. Ich meine, ich konnte mir denken, daß ‘wir müssen in die Nähe der Finsterwälder und dort von einer nicht unbedingt kooperativen Person das Zauberbuch abholen’ nicht ganz der Wahrheit entspricht, aber jetzt sag mir bitte, wie weit es von der Wahrheit entfernt ist! Und lüge mich nicht an!“ „Würd ich nie tun! Wir müssen also mitten hinein, dort gibt es eine Lichtung und dort gibt es auch eine Höhle und darin ist das Buch.“ Gorwin kraulte seinen Bart, wobei er noch etwas Soße entdeckte, geräuschvoll schleckte er sie vom Finger, hielt mittendrin inne und bot sogar von dieser Köstlichkeit seinem Freund etwas an. „Solltest Du wirklich mal probieren! Ich glaub das ist der letzte Rest.“ „Danke! Aber danke Nein! Wirklich nicht.“ Ich wollte die Soße nicht einmal frisch aus dem Topf, geschweige denn aus deinem rosa Bart, aber diesen Teil dachte Leenda sich nur. „Wer wohnt in dieser Höhle?“ Der Elf versuchte die Frage beiläufig klingen zu lassen. Ebenso beiläufig antwortete der Zwerg „Der momentane Besitzer des Buches.“ Leenda sprang geräuschlos auf. „Hör auf ständig um den heißen Brei herum zu reden! Sag mir die Wahrheit!“ „Ein Drache.“ „Ich möchte daß Du mir komplett die ganze Wahr...Was? Was hast Du gesagt?“ „Ein Drache. Im Prinzip nichts anderes als Geflügel!“ Leenda sank zu Boden, als Elf schaffte er es sogar geräuschlos zu plumpsen. „Ein Drache! Was für ein Drache? Nicht dass es eine besondere Rolle spielen würde. Drache ist Drache. Und die sind alle gleich tödlich. Egal ob blauer Drache, roter Drache. Gut, silberne und goldene gelten als besonders boshaft, aber mehr als töten können sie einen auch nicht! Also was für ein Drache?“ „Ein silberner Drache.“ Leenda legte sich flach auf den Rücken und begann irrsinnig zu lachen. Blaue Drachen hatten einen Giftatem, rote Drachen einen Feueratem, schwarze Drachen einen Pestatem und silbernen Drachen verfügten über all diese Fähigkeiten, ferner waren sie auch noch besonders Weise und man sagte ihnen extremen Hochmut gegenüber jedweder anderen Kreatur nach. Als er sich wieder im Griff hatte, schaute er seinen Freund lange an, dann sagte er: „Du meinst es wirklich ernst. Es geht dir nicht um eine Belohnung oder um ein magisches Artefakt, niemand würde sich wegen so etwas mit einem silbernen Drachen anlegen. Du glaubst tatsächlich daran, dass Du Magier werden kannst.“ „Natürlich kann ich Magier werden!“ „Jetzt hör mir mal zu! Es gibt keine Zwergenmagier. So etwas ist unmöglich. Zwerge können 16
keine Magier werden und der Typ, der dir das erzählt hat, der wollte Dich entweder los werden oder er geht davon aus, dass Du das Buch sowieso nie in die Finger....“ „Ich will Magier werden! Und ich kann Magier werden!“ Gorwin stampfte wild auf dem Erdboden herum. „Du willst Magier werden. Und kleine Feuerdrachen wollen Feuerwehrmänner werden.“ platzte es aus Leenda heraus. „Egal, ob Du mitkommst oder nicht! Ich gehe! Ich gehe auch allein! Es ist mir egal. Ich will dieses Buch bekommen! Ich will Magier werden!“ Gorwin stapfte los und hielt auf die dunklen Baumsilhouetten zu. Leenda wusste, er war die einzige Chance des Zwerges überhaupt lebendig durch den Wald zu kommen, schließlich war er ein Waldelf und ob finster oder nicht, Wald war mehr oder weniger Wald. Wie sich im Laufe ihres Marsches herausstellte eher weniger. Sie begegneten fürchterlichen Monstern, die sie noch nie gesehen hatten, und die nur darauf aus zu sein schienen ihnen den Gar aus zu machen. Am Ende ihrer Kräfte und mit etlichen Wunden übersät erreichten sie nach einigen Tagen eine Lichtung. Sie war so groß, dass einige riesige Felsen dort Platz gefunden hatten. Gorwin hatte einen ‘gelobtes Land’ Ausdruck im Gesicht und Leenda wurde klar, sie waren am Ende ihres Weges und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch am Ende ihres Lebens angekommen. Riesige Spuren führten sie zum Eingang einer Höhle. „Du willst wirklich da rein?“ flüsterte der Elf. „Ja!“ „Warum verspiele ich hier meine Unsterblichkeit?“ „Weil ich das gleiche für Dich tun würde“ raunte der Zwerg, umarmte den Elfen und ging hinein. Angerührt von dieser Geste folgte ihm Leenda, ohne nachzudenken. Dann, als seine Rührung aufgrund der Angst nachließ, fiel ihm ein, dass Zwerge nicht einmal annähernd über so etwas wie Unsterblichkeit verfügten. Und er selbst verfügte auch nicht mehr darüber, wenn ihm kein anderer seiner Rasse half. Seine Selbstheilungskräfte waren erschöpft und der letzte Rest Heiltrank war nach dem Kampf gegen die letzte Kreatur der Finsternis, die sie kurz vor ihrem Ziel heimgesucht hatte, aufgebraucht. Sie gingen eine gute Stunde, die den beiden Freunden ewig vorkam, durch den breiten Höhlengang, als dieser plötzlich einen neunzig Grad Knick machte und den Blick auf eine riesige Halle freigab. Die Säulen, die von der Decke herabhingen, oder zu ihr emporwuchsen stützten dieselbe, alles erstrahlte in einem matten Glanz, von oben drang goldenes Tageslicht hinein. Golden! Überhaupt war es hier golden. Der Boden war stellenweise Zentimeterhoch mit Gold, Silber und Edelsteinen bedeckt. Das machte nun auch eine geräuschlose Fortbewegung für den Elfen unmöglich, was aber ohnehin völlig gleichgültig war, da die Oh’s und Ah’s des Zwerges nicht zu überhören waren. Ein leichtes Rascheln, wie von Wildseide, war aus einer Ecke zu vernehmen. Auch dort schillerte es silbern. Der Glanz war so atemberaubend, wie es der von einfachem Silber nie hätte sein könnte. Dann blickten die zwei Freunde in ein strahlend blaues Augenpaar, blauer als ein Sommerhimmel es je sein könnte. Anmutig hob sich der Kopf des Drachens. „Er ist.....wunderschön...“ hauchte Leenda atemlos „Und gar nicht so groß! Vielleicht drei Meter, vom Kopf bis zur Schwanzspitze“ ergänzte Gorwin, zwar etwas nüchterner, aber auch nicht ganz ohne Faszination. Der Drache beäugte sie neugierig. „Es ist ein Drachenbaby! Es ist ein Baby!“ stellte Leenda fest. Als der kleine Drache sich aufsetzte, erkannte man unter ihm ein reich verziertes Buch. „Das ist es! Es entspricht genau der Beschreibung! Ich erkenne es! Das ist es!“ „Dann hol es dir!“ sagte Leenda. Gorwin schritt mutig bis auf Armeslänge heran und beugte sich dann nach dem Buch, woraufhin der kleine Drache eher spielerisch als ärgerlich nach seinem Arm schnappte. Schnell zog Gorwin ihn zurück. Bei einem erneuten Versuch wurde das Schnappen ärgerlicher. „Hm! Er lässt mich nicht! Was soll ich machen?“ „Du solltest Dich beeilen. Wir müssen hier weg, bevor seine Mutter zurückkommt. Wir haben 17
unglaubliches Glück, dass sie nicht hier ist und das sollten wir nicht überstrapazieren.“ „Ja, aber er lässt mich nicht.“ „Du wirst es erschlagen müssen!“ „Wen? Das Baby?“ „Ja, es wird dich nicht ans Buch lassen. Es wird dir eher den Arm abbeißen.“ Gorwin betrachtete das ausgeprägte Gebiss des kleinen Drachen und zweifelte keinen Moment an Leendas Worten, dann zog er seine Axt. Neugierig schaute der kleine Silberdrache erst auf seine Axt, dann in sein Gesicht. Gorwin holte aus und ließ die Axt wieder sinken. „Ich kann es nicht! Es geht nicht. Ich kann doch kein Baby töten... und er ist wirklich imposant... ich kann es nicht. Mach Du es! Bitte!“ „Oh nein! Bei aller nichtvorhandenen Freundschaft, ich könnte niemals ein so wunderschönes Wesen töten! Niemals!“ „Auch nicht, wenn es uns angreift?“ „Erstens greift es uns nicht an und selbst wenn....Nein, ich könnte es nicht! Lieber würde ich selber sterben. Und es wäre eines Elfen würdig. Wenn ein Elf sterben muss, dann durch eine so wunderschöne Kreatur.“ Leenda ging zu dem Drachenbaby und kniete vor ihm nieder. Es zeigte jedoch keinen Appetit auf Elfenfleisch, sondern lediglich gesunde Neugier die sich in ausgiebigem Beschnüffeln des Elfen äußerte. „Okay, sterben muss ich jetzt nich wegen seiner Schönheit, hm, aber töten kann ich es auch nich.“ Gorwin steckte seine Waffe weg und rüttelte seinen Freund an der Schulter „Los, komm! Bevor seine Mutter auftaucht.“ „Und was ist mit dem Buch?“ „Hm. Natürlich würde ich gerne Magier werden, aber ich kann dafür kein Baby töten. Lass uns gehen!“ Als Sie sich umdrehten blieben ihre Herzen stehn und ihre Glieder wurden zu Stein. Ein riesiger silberner Drache von noch größerer Schönheit füllte mit seinen enormen Ausmaßen, fast den gesamten Teil der Halle hinter ihnen aus. „Ihr hattet keine Sekunde auch nur den Hauch einer Chance mein Kind zu töten!“ vernahmen sie eine überaus wohlklingende Stimme. „Du sprichst unsere Sprache.“ krächzte Leenda. „Ja!“ „Äh!“ sagte nun auch Gorwin, weil er auch etwas sagen wollte, dann dachte er sich, er hätte besser nichts sagen sollen, weil ‘äh’ keine besonders schönen letzten Worte waren. Es waren ja nicht mal letzte Worte, es war nur ein letztes Wort. „Ich könnte euch mit einem einzigen Atemstoß töten!“ Das könnte ließ in Gorwin eine wage Hoffnung aufkeimen. Vielleicht musste er sich doch keine Gedanken um sein letztes beschämendes Wort machen. Leenda war zu fasziniert um auf solche Kleinigkeiten zu achten. Er kniete sich abermals hin und verkündete „Es ist mir eine Ehre durch ein so wunderbares Wesen wie euch meine Unsterblichkeit zu verlieren!“ „Warum sollte ich euch töten? Ihr seid mutig, sonst hättet ihr es nicht durch die Finsterwälder geschafft und ihr habt ein Herz, das über eure Habgier gesiegt hat. Was wollt ihr mit dem Buch? Erhofft ihr euch Reichtum?“ Gorwin druckste etwas herum, dann erzählte er von seinem Abkommen mit dem Zauberer. Leendas Unwissen über Drachen wurde noch weiter bereinigt. Nämlich dahingehend, dass Drachen doch lächeln können. „Guter Zwerg! Dieser Magier hat euch belogen. Ihr verfügt über kein bisschen magische Begabung und kein Elfenmagier oder Menschenmagier vermag daran etwas zu ändern. Er wollte nur das Buch!“ 18
Gorwins Gesicht verfinsterte sich. Wenn Zwerge die Möglichkeit haben würden zu weinen, dann hätte er es getan. Leenda war so taktvoll nicht vorwurfsvoll zu sagen Ach? Dem glaubst du? „Nun, schau nicht so traurig!“ sagte die Drachenmutter. Auch das Drachenbaby fühlte die tiefe Trauer des Zwergen und schubste ihn sanft von hinten an. „Meinst du wir sollten ihm helfen, Sanasar?“ fragte die Drachenmutter mit unglaublicher Zärtlichkeit in der Stimme. Dann wandte sie sich an die beiden Freunde. „Versprecht mir, niemandem von unserer Begegnung zu berichten!“ Nachdem sie es getan hatten, richtete sich der große Drache auf, umschloss den Zwerg mit seinen riesigen Schwingen und steckte seinen Kopf dazwischen. Nach einer kurzen Weile sank Gorwin ohnmächtig zu Boden. Desgleichen tat sie mit Leenda. Gorwin und Leenda erwachten auf einer grünen Wiese. Sie kam ihnen außergewöhnlich grün vor. Sie rieben sich die Augen und fanden heraus, es lag daran, dass sie sich außerhalb der Finsterwälder befanden. „Dein Bart! Dein Bart!“ stammelte Leenda „er ist weiß!“ Gorwin schaute an sich herunter und grinste. „Ja, er ist weiß“ stimmte er zu, dann legte er seine Hand auf Leendas Arm und die schwere Wunde dort verschloss sich binnen weniger Sekunden.
ENDE
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Alle Menschen sind Zauberer von Josephine Günther
Mit einer Handvoll Mondwasser gegen den Zerstörer! - Das Kind und die geheimnisvolle Frau.
Das Kind rannte, seine Schritte, wie das Knacken von Eis, sein Atem eine gefrorene Fahne aus Kohlendioxid. Es war entsetzlich kalt. Das Rennen machte es nur noch schlimmer. Die Straßenlichter am Ende der Stadt waren verschwommen, starr gefroren. Das Kind rannte, immer weiter ins unendliche Dunkel. Ihm war kalt, alles war kalt, alles. Erst als das neue Wohngebiet hinter ihm lag, wurde ihm langsam wärmer. Das lag wohl an den Menschen. Hier war niemand, ganz allein war das Kind. Trotzdem hörte es nicht auf zu rennen, als würde die Kälte es verfolgen. Es bog in das große Raps - Feld an der Straße ein. Die Blumen rochen stark, betörend nach Sommer und Wärme. Das Kind lief immer noch, doch schon langsamer. Die Pflanzen wiegten sich leicht im Nachtwind, als wollten sie den fremden Besucher durchlassen, um sich selbst zu schützen. Und das Kind lief weiter, dankbar für jedes beseitigte Hindernis. Es wusste nicht wovor es davon rannte. Da waren nur die Menschen, die Menschen und diese unglaubliche Kälte. Es erreichte den Rand des dichten Waldes. Der aufgehende Vollmond verjagte die Schatten in den Ästen der Bäume. Zweige knackten unter den Füßen des Kindes, als es durch das Dickicht rannte. Zweige wühlten in seinem schwarzen Haar. Plötzlich war es nicht mehr allein. Es spürte die Kälte, die sich ihren Weg durch die Kehle hinunter zum Herzen fror, um es zu ersticken. Es war, wie jedes Mal, wenn es Menschen begegnete. Das Kind blieb stehen, lauschte auf Schritte. Hinter ihm knackten Zweige. Ihr erfrorenes Herz schlug bis zum Hals, im letzten Todeskampf. Es überlegte nicht und rannte los. In seinen Ohren rauschte das kalte Blut. „Er folgt mir“, dachte das Kind. Vor ihm lag eine mondbeschienene Lichtung. „Vielleicht kann ich mich an den Rändern irgendwo verstecken, dort wo es dunkel ist.“, überlegte das Kind panisch. Als es die große Eiche in der Mitte der Lichtung passierte, wirbelte vor seinen Augen etwas auf, verdunkelte plötzlich alles. Samtener Stoff umfasste es und warme Arme bremsten seinen Lauf. Keine Zeit, sich zu wehren. Alles roch nach frischen Blumen. Keine Kälte, stille Wärme. Das Kind stand wie erstarrt. „Stell‘ dir vor, du bist unsichtbar.“ wisperte eine federleichte Frauenstimme neben ihrem Ohr. Das Kind schloss die Augen. Es hörte in einiger Entfernung die Schritte seines Verfolgers, seine Kälte, die immer näher kam. Plötzlich stoppten die Schritte. Heiserer, tiefgekühlter Atem nur einen Schritt entfernt. Das Herz des Kindes klopfte, bereit zu zerspringen. Es zitterte. „Ich bin unsichtbar. Ich bin unsichtbar. Er kann mich nicht sehen. Ich bin unsichtbar.“ Die Worte schallten in seinem Kopf, verwandelten sich in Schritte, die sich wieder von ihm entfernten. Zurück blieb ein Hauch von Eis. Nur langsam entwich der angehaltene Atem über die blauen Lippen des Kindes. Langsam verschwand die Kälte, obwohl die fremden Arme immer noch um seine Schultern lagen. Wie war das möglich? Keine Kälte in Gegenwart eines Menschen? Der Stoff strich sanft über seine Wangen und es stand wieder auf der Lichtung. Elfenbeinartig leuchtete im Mondlicht die weiße Haut der Frau, die vor ihm stand, die Hände immer noch auf die schmalen Schultern gelegt. Der Wind hatte der grünen Kapuze eine rote, lockige Haarsträhne entrissen und spielte mit ihr. Ihr langes Kleid, bestehend aus Mantel und Kapuze, war aus grünem Samt, grün, wie ihre Augen, geheimnisvoll leuchtend im Mondlicht. Sie schauten das Kind an, durchdrangen seine braunen Augen und schauten bis zum Grund seiner Seele, wo der große Eiswürfel zu schmelzen begann. 20
„Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“ sprach die Frau mit leichter Stimme. „Wer sind sie?“ stammelte das Kind unsicher. „Wovor bist du davon gelaufen?“ fragte die Frau, als hätte sie die Frage nicht gehört. Das Kind zuckte mit den Schultern. „Vor den Menschen, der Kälte.“ antwortete es schüchtern. „Was machen sie hier mitten in der Nacht?“ fragte es zurück, diesmal lauter, damit es nicht zu überhören war. Auf dem Gesicht der Frau erschien ein leichtes Lächeln. „Das selbe könnte ich dich fragen.“ Der Wind fuhr durch die Baumkronen und streifte ihre Kapuze zurück. Sie ließ es geschehen. Die roten Locken quellten über ihre Schultern. „Soll ich dir was Schönes zeigen?“ fragte sie plötzlich und nahm die Hände von den Schultern des Kindes. Das nickte vorsichtig. Besser, als die Kälte. „Folge mir.“ Die Frau nahm seine Hand. Ihre Hand war warm und weich. Das Kind folgte ihr, weg von der Lichtung, hinein in den grauen Wald, der alle Bedrohlichkeit verloren hatte, denn auch auf ihm lag silberner Mondschimmer. Irgendwo in den Kronen sang ein Vogel, ein Solokünstler mit der schönsten Melodie, die das Kind je gehört hatte. „Hörst du die Nachtigall?“ fragte die Frau leise lächelnd. Das Kind nickte. „Wunderschön.“ Eine Eule gesellte sich dazu. Alles schien auf einmal zu leben, jetzt wo diese Frau hier entlang ging. Die Nacht war nicht der Tod, wie das Kind es immer geglaubt hatte. Aus dem Gras stiegen Glühwürmchen auf. Kein Ast knackte unter ihren Füßen, kein Laub raschelte, es war als schwebten sie über dem Boden. Alles wirkte so geheimnisvoll. Wer war diese Frau, die solche Wunder erzeugen konnte? Oder waren sie schon immer da gewesen, diese Wunder? Langsam lichteten sich die Bäume und eine weitere Lichtung erstreckte sich vor ihnen, erhellt vom Mondlicht, in ihrer Mitte ein See aus Mondmilch. Das Kind wollte staunend weiter laufen, aber die Frau hielt es zurück. „Warte noch.“ flüsterte sie. Wie auf ein Zeichen lösten sich Schatten aus dem dunklen Rand. Auf dem Gesicht der Frau entzauberte sich ein Lächeln, kostbar wie ein Schatz. Es waren Rehe, fünf, nein sechs mit weißen Stummelschwänzen. Ihr braunes Fell glitzerte. Ohne Scheu trabten sie auf den See zu, senkten ihre Köpfe und tranken Mondmilch. Die Frau ließ die Hand des Kindes los und näherte sich den Tieren langsam, schwebend. Das Kind folgte ihr zögernd. Die Frau hatte das Ufer des Sees erreicht. Sie kniete sich zwischen die trinkenden Tiere und begann sie zu streicheln. Ihre Lippen bewegten sich, flüsterten fremde Worte. Das Kind blieb abseits. Es wollte diese friedliche Gesellschaft nicht stören, hatte es doch sonst nur gestört. Doch mit einer stummen Geste winkte es die Frau zu sich. Stockend folgte das Kind. „Komm her zu mir.“, sagte die Frau, deren Gesicht auf einmal so vollkommen war, so glücklich, so erleichtert. Das Kind kniete sich neben sie und sah ihr fahles Gesicht im milchigen Spiegel vor ihr. Wie konnte man nur so glücklich aussehen? Hatte sie überhaupt schon mal gelacht in ihrem Leben? „Hast du schon mal versucht, den Mond zu trinken?“ fragte die Frau immer noch lächelnd. Das Kind schüttelte stumm den Kopf. „Dann versuch‘ es.“ Ihr Lächelnd war ansteckend. Ob sie den Mond getrunken hatte? Das Kind blickte wieder auf sein Spiegelbild. Dann tauchte es seine Hände in das milchige Etwas. Der Schimmer brach in tausend Wellen. In der kleinen Pfütze seiner Handflächen schwamm ein kleiner Mond. Das Kind blickte zu der Frau, zögernd. Sie nickte nur, das elfenhafte Lächeln verführerisch. Das Kind trank. Alles um sie herum begann zu glitzern, auf der Haut zu krabbeln, im Inneren zu sprudeln. Wärme rann die Kehle hinab, Wärme überall, wie der Glanz eines Schatzes, dessen Truhe gerade geöffnet worden war. Und die Freude von tausend Kinderlachen. Unendlich. Magisch. Unfassbar. Alles schwang in einem Atem, atmete mit Wärme und Leben. Dann war es vorbei. Die Rehe waren verschwunden, der See lag dunkel in Samt. Nur die Frau stand noch da, in ihrem grünen Samtkleid, die roten, lockigen Haare geöffnet. Sie lächelte immer noch von innen heraus, doch in ihren Augen Spuren von Trauer. 21
„Du bist eine Zauberin, nicht? Eine Hexe, stimmt’s?“ fragte das Kind aufgeregt. Es hatte immer gewusst, dass es sie irgendwo gab. Nicht unbedingt hier, aber irgendwo weit weg, in einem anderen Land. Aber jetzt war eine von ihnen hier. Die Frau zuckte mit den Schultern. „Nenn‘, wie du es willst.“ „Und warum bist du hier, Zauberin?“ fragte das Kind und seine Stimme zitterte bei diesem Wort. Es gab sie wirklich. Das Gesicht der Frau verhärtete sich. Ihre Augen wanderten auf den See hinaus. „Vielleicht um diesen Wald zu beschützen. Vielleicht um dich zu retten. Wer kennt schon sein Schicksal?“ Ihre Stimme klang abwesend. „Du kennst also die Kälte?“ fragte das Kind mit leiser Stimme. Seine Augen tasteten über das Gesicht der Frau und stießen auf Stein. „Ich kenne sie gut.“, antwortete die Frau ebenso leise, fast erstickt, „ Sie ist schon so alltäglich geworden, dass sie kaum noch jemand wahrnimmt.“ Die Worte schienen zwischen ihnen zu gefrieren. Das Kind schwieg betroffen. Es hatte auch versucht die Kälte zu ignorieren, versucht zu sein, wie die anderen, aber manchmal wurde es unerträglich und es funktionierte nicht wirklich. Das Zittern ließ sich nicht abstellen. Und dann versuchte es davon zu rennen, irgendwo hin, weg von der Kälte, einfach nur rennen zum Horizont. Doch dafür reichten seine Kräfte nicht. „Aber kannst du sie nicht bekämpfen, die Kälte, mit deiner Magie. Du bist doch eine Zauberin, oder?“ Die Frau blickte in die großen, unwissenden Kinderaugen und ein trauriges Lächeln streifte ihre schmalen Lippen. „Alle Menschen sind Zauberer, weißt du. Sie haben es nur vergessen oder ...“ Das Gesicht der Frau wurde schlagartig hart, ihre Augen groß und ohne Glanz. „Sie kommen.“ hauchte sie. Auch das Kind bemerkte die Kälte, die so schlagartig zurück kehrte, dass es zusammenzuckte. „Sie wollen mich holen.“ flüsterte es mit erstickter Stimme. Für einen Moment regte sich keiner von beiden. Erst als die ersten Zweige knackten, die hellen Augen der Laternen durch das dunkle Dickicht leuchteten, löste sich das Kind aus seiner Starre. „Wir müssen uns verstecken.“ rief es der Frau zu und wollte schon zum anderen Ende der Lichtung laufen. Die Frau bewegte sich nicht. „Ich habe mich mein ganzes Leben versteckt.“ flüsterte sie so leise, dass selbst das Kind Mühe hatte sie zu verstehen. Zerrissen blieb das Kind stehen, gefangen in dem Drang, wegzurennen und dem Wunsch, der Frau vertrauen zu können. Das Kind lief zurück, legte seine Hände um die Hüfte der Frau. „Dann machen wir uns unsichtbar, wie vorhin.“ schlug es panisch vor. Seine Hände begannen zu zittern. Die Luft begann zu gefrieren, das Geschrei der Männer, ihr Getrampel wurde immer lauter. Zweige knackten wie Eis. Die Frau zögerte. In den Augen des Kindes blitzten Tränen. „Bitte, wir können es schaffen.“ flehte es. Die Augen der Frau waren dunkler geworden. „Und dann?“ fragte sie tonlos zurück. Ein Herzschlag waren sie noch entfernt, nur ein paar Bäume trennten sie von der Lichtung, nur ein paar Schritte, nur ein Atemzug, dann war die Kälte dar. Der grüne Mantel rauschte vorbei und ließ alles in weiches Dunkel verschwinden. Das Kind fühlte das Herz der Frau an ihrem schlagen. Nur ein Gedanke kreiste durch seinen leeren Kopf. „Wir sind unsichtbar, wir sind unsichtbar ....“ Der Gedanke ballte sich zum Wort, zum Gebet, zur Zauberformel, floss flüsternd über kalte Lippen. Der Boden erzitterte unter den schweren Schritten, die auf die Lichtung stürmten. Schwerer, kalter Atem streifte durch das Gras, versuchte durch den grünen Mantel zu schlüpfen und die Schuldigen zu entlarven. Die Schritte suchten die Lichtung ab, leises Flüstern, Berichterstattung. Und plötzlich diese laute Stimme. „Sie müssen aber hier sein.“ Ein Schrei, der klirrend zwischen den Bäumen hin und her sauste. Die Frau begann zu zittern. 22
Sie kannte diese Stimme gut. „Ich weiß, dass du hier bist, du Möchtegern-Hexe, du Möchtegern-Zauberin.“ rief sie wieder und der Mann, zu dem sie gehörte, schickte ein scheußliches Lachen hinterher. „Wer ist das?“ flüsterte das Kind, ohne die Zauberformel im Kopf zu vernachlässigen. „Der Zerstörer. Ein großer Zauberer der Kälte, vielleicht der größte.“ flüsterte die Frau zitternd zurück. In der Kehle des Kindes gefror die Zauberformel. Es spürte schon allein an seiner Stimme, dass kein Mensch kälter als dieser Mann sein kann. Der Zerstörer. Sie hatten keine Chance, sie waren zu schwach. Selbst die Frau zitterte in seiner Gegenwart. Aufgeben, aufgeben ...., dann blieben sie vielleicht am Leben. Das Kind schüttelte den Kopf. „Wir sind unsichtbar, wir sind unsichtbar ...“ wiederholte es lauter. Noch hatte er sie nicht entdeckt. Noch waren sie geschützt durch ihren eigenen Willen. Sie konnten es schaffen. Die Kälte schien ziellos umher zu schleichen. Dann wieder diese Stimme: „Hey, Kind!“ ,schallte es umher, „Weißt du, dass die Frau bei dir eine Schwindlerin ist, ein Scharlatan?“ Kalt bohrten sich die Worte in die kleine Brust. Das Kind hielt sich die Ohren zu, aber seine Stimme schien aus ihrem Kopf zu kommen. Er lachte wieder, ohrenbetäubend. „Sie ist nämlich keine Zauberin, nein. Sie ist eine Geistesgestörte, eine arme Irre, die glaubt zaubern zu können.“ Irre. Geistesgestörte. Verrückte. Alles kreiste um die Zauberformel und versuchte sie zu verdrängen. „Glaub‘ ihm nicht.“ flüsterte die Frau kaum hörbar. Sie zitterte immer stärker. Die Angst wühlte in der Brust des Kindes. Er war so stark. Er sprach nur und sie beide zitterten schon wie Espenlaub. Und er schrie schon wieder, schickte seine Stimme wie tödliche Pfeile in alle Richtungen. „Und weißt du, was sie noch ist?“ Die Kälte zitterte in Erwartung. „Ein Feigling ist sie. Eine feige Irre, die sich vor ihrem Schicksal versteckt, noch nicht mal den Mut hat davon zu rennen.“ Sein Lachen war voller Hohn. Das Kind spürte, wie warme Tränen auf seinen Handrücken tropften. So still, wie die Frau lachen konnte, so still weinte sie jetzt. Die Kälte konzentrierte sich jetzt, hatte sie fast umkreist. „Wenn ich „jetzt“ sage, dann rennst du davon, ja?“ flüsterte die Frau mit belegter Stimme. Bevor das Kind widersprechen konnte, kam das abgesprochene Signal, der grüne Mantel flatterte hoch in die Kronen und stürzte wie ein großer Adler mit breiten Schwingen auf einen Teil der Angreifer hinunter und das Kind begann zu rennen, in die Richtung, wo keine Kälte war, wo der tödliche Kreis noch nicht geschlossen war. Es rannte, die Zauberformel immer noch im Kopf, das Herz bei der Frau, die allein im Kreis der Angreifer stand. „Lasst sie laufen.“ kam die Stimme des Zerstörers hinter ihr her, blieb aber auf Distanz. Bis zur anderen Seite der Lichtung schaffte es das Kind. Dann waren die Zweifel so groß, dass sich ihre Beine weigerten, noch weitere Schritte zu machen. Es drehte sich um und sah auf die gefrorene Szene auf der anderen Seite zurück. Alle Bewegungen schienen wie in Zeitlupe abzulaufen, nur die Stimmen waren klar und nah, kamen immer noch aus ihrem Kopf. „So sieht man sich wieder.“ Die Stimme des Zerstörers schnitt wie ein Messer durch die gefrorene Luft. Die Frau hatte den Kopf zu Boden gesenkt. „Du hast es ja drauf angelegt.“ erwiderte sie mit kalter, klarer Stimme. Sie hob den Kopf und fixierte ihn mit ihren grünen Augen. „Das soll wohl ein Bluff sein? Uuhh, ich hab‘ schon Angst.“ „Das solltest du auch.“ sagte die Frau ruhig und stand langsam auf. In dem fahlen Gesicht des Zerstörers zuckte ein Muskel. „Was willst du für eine Show abziehen? Nur wegen dieser Rotznase?“ Er deutete zum anderem Ende der Lichtung. In den Augen der Frau flackerte es kurz. „Früher oder später wird sie auch zu uns gehören. Kein Kind glaubt heute noch an den Weihnachtsmann oder an Hexen.“ fügte der Zerstörer mit 23
lakonischem Lächeln hinzu. Die Frau begann vor ihm hin und her zu spazieren, den Blick von ihm abgewandt. Seine eisblauen Augen folgten ihr aufmerksam. „Du bist dann wohl überflüssig.“ Die Frau blieb ruckartig stehen. „Das werden wir ja sehen.“ Demonstrativ kreuzte sie die Arme vor ihrer Brust und schloss die Augen. „He, Rotznase!“, plärrte der Zerstörer zu dem Kind hinüber, „ Sieh‘ dir das Versagen deiner Freundin gut an, denn danach wirst du sie nie wieder sehen.“ Die Frau reagierte nicht. Sie schien tief in sich versunken zu sein. „Hörst du mich, Kind?“ Der Gedanke erschien so plötzlich und klar in dem Kopf des Kindes, dass es zusammen zuckte. Ohne nach zu denken, woher die Stimme kam, flüsterte es zurück „Ja, ich höre dich.“ „Glaubst du an mich?“ war der nächste Gedanke und das Kind zögerte bei der Beantwortung. War sie nun eine Zauberin? Konnte man an sie glauben? Der nächste Gedanke durchschnitt seine eigenen Fragen: „Wenn du an mich glaubst, dann kann ich ihn besiegen. Du musst glauben. Vertraue deiner eigenen Phantasie.“ „Ich glaube an dich.“ flüsterte das Kind zurück. Die gewaltige Stimme des Zerstörers brach die Verbindung ab. „Siehst du es, Rotznase! Sie kann nicht zaubern. Es gibt keine Zauberei, keine Hexen, nichts von all dem. Alles ist Schwindel, der Wahn von Verrückten. Du bist doch nicht verrückt, oder? Oder sollen das alle von dir denken?“ Das Kind verbannte die Stimme aus seinem Kopf, summte eine Melodie, die es schon lange nicht mehr gehört hatte, schloss die Augen und dachte an den Sommer, an Blumen, die vom Himmel regneten, all die Kälte zudeckten. „Was ist denn das?“ schallte die Stimme des Zerstörers zwischen den Bäumen hervor. Das Kind öffnete kurz die Augen und staunte. Es regnete wirklich Blumen auf die Lichtung. Die Männer schlugen mit den Händen um sich, wie als würden sie Mücken jagen. Sommerlicher Duft lag in der Luft, der Duft vom Raps - Feld. Es funktionierte! „Meinst du, diese Kinderei wird dich retten?“ schrie der Zerstörer die Frau an. Diese schwankte kurz unter der Gewalt der Stimme. Mit einem Handschlag ließ er alle Blumen in der Luft erfrieren. Sie zerbrachen klirrend, als sie auf dem Boden aufschlugen. Doch das Kind hatte schon eine neue Idee. Es schloss die Augen und hauchte in seine kalten Hände. Der Wind nahm auf einmal zu, nur dass er sich deutlich erwärmt hatte. Die Männer schrien plötzlich auf. „Jetzt heizen wir euch ein.“ dachte das Kind und öffnete lächelnd die Augen. Aber es war nicht nur der warme Wind, der See leuchtete auf einmal wieder. „Das war ich aber nicht.“ dachte das Kind fast schuldbewusst. Es fühlte auf einmal wieder die Wärme, die sie vorhin gespürt hatte, das Kribbeln auf der Haut. Sie spürte, wie der Mond in ihrem Magen schwamm und glühte. Das Licht des Sees flackerte. Der Zerstörer hatte eingegriffen. Das Kind sah, wie sich die Frau am Ufer des Sees niederkniete. Sie Hände voll Mondwasser, schritt sie auf den Zerstörer zu. Das Kind sendete alle Wärme zu ihren Händen. Der Zerstörer richtete seine Hände nun gegen die Frau, doch sie war stärker. „Willst du nicht ein bisschen Mond trinken?“ schrie sie ihn an, ihre Stimme zitterte vor Anstrengung. Dann durchbrach sie mit einer Hand seine Barriere und schleuderte ihm die Mondmilch ins Gesicht. Er schrie auf, unmenschlich schrill. Alle Kälte sammelte sich in diesem Schrei, so geballt, dass es plötzlich wieder kälter wurde, aber nur um in einer Kaskade von Hitze zu zerplatzen. Das Wasser des Sees begann zu kochen, die Luft zu flimmern. Das Kind warf sich zu Boden und verbarg sein Gesicht in den Händen. Der Schrei riss plötzlich ab, wie als hätte etwas ihn aufgesaugt. Die Temperatur wurde schlagartig angenehmer. Das Kind rappelte sich vom Boden auf. Der See war dunkel, die Lichtung lag friedlich erhellt vor ihnen, der Wald wartete 24
dunkel im Hintergrund. Der Zerstörer war verschwunden, ebenso seine Leute. Niemand war mehr da, es war ganz alleine. Wo war die Frau? Das Kind rannte zur anderen Seite der Lichtung. Da lag sie, auf dem versengten Gras, das Gesicht mit Ruß beschmiert. Das Kind kniete neben ihr nieder. Sie schlug die Augen auf. „Ist es vorbei?“ Das Kind nickte. „Wir haben es geschafft.“ Die Frau lächelte mit Anstrengung. „Nur mit deiner Hilfe.“ fügte sie hinzu. Das Kind lächelte zurück mit einer Priese Stolz. „Und du bist doch eine Zauberin. Wenn ich das in der Schule erzähle.“ „Was erzählst du für einen Quatsch? Ich bin keine Zauberin. So etwas gibt’s doch nicht. Ihr glaubt doch nicht mal mehr an den Weihnachtsmann.“ protestierte die Frau. „Gut.“ ,erklärte das Kind, "Dann bin ich eben die Zauberin, wenn du nicht willst." Die Frau winkte ab. „Glaub‘ doch was, du willst.“ Aber ein elfenhaftes Lächeln blieb auf ihren Lippen haften und in ihren Augen glühte es geheimnisvoll.
ENDE
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Traum der 10 von Maria Donner
Es beginnt als ein Traum. Und es endet als etwas, das niemand zu hoffen gewagt hatte...
Vorwort Heute schreibe ich das auf was mit mir, mit uns im Laufe der letzten 20 Jahre passiert ist. Ich heiße Lisa Martin und bin im Jahre 1966 in Essen (Deutschland, Ruhrgebiet) geboren. Im nächsten Jahr werde ich 60 Jahre alt. Und ich habe spannende, aufregende und produktive Jahre hinter mir, Jahre in denen ich mit den anderen mehr bewirken konnte, mehr verändern konnte als ich mir in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts überhaupt vorstellen konnte. Und alles begann mit meinem / unserem Traum! Aber ich will von Anfang an erzählen. Im Jahr 2005 an meinem 39. Geburtstag am 31. Januar ging ich nach einer schönen ruhigen Geburtstagsfeier, mit meiner Familie und den Freunden und Bekannten, zu Bett. Wir hatten an dem Tag, wie üblich bei solchen Anlässen, viel geredet und gelacht. Alkohol wurde bei dieser Feier nicht getrunken, da im anwesenden Kreis zwei gerade eben trockene Alkoholiker waren. Also in dieser Nacht hatte ich diesen Traum: Ich ging die Straße entlang, unsere Straße. Doch alles wirkte verschwommen. Immer weiter ging ich und langsam klarte sich alles auf. Irgendwie war alles anders, obwohl es eindeutig unsere Straße war. Alles wirkte grüner und frischer, nicht so lieb- und trostlos wie sonst. Ich schaute näher hin: Alle Häuser waren gepflegt, die Fassaden und Dächer waren viel häufiger begrünt. Alles strahlte eine Ruhe und Harmonie aus die ich normalerweise nicht empfand. Die Menschen strahlten mit der Sonne um die Wette, keine brummigen Gesichter waren zu sehen, freundlich grüßend gingen die Menschen weiter. Waren das meine Nachbarn, irgendwie waren auch sie verändert, zufriedener aber irgendwie auch älter. Alles war irgendwie anders. Ich dachte nicht weiter nach und ging die Straße weiter entlang und irgendwie war ich dann ganz woanders. Wo war ich nur hingeraten? Alles war fremd - und doch - irgendwie vertraut! Da waren noch neun Menschen, aber diese sahen fremdländisch aus! Aber ich hatte keine Angst, die ganze Atmosphäre war locker und positiv. Ein Mann sprach mich an: "Hallo ich bin Pedro und komme aus Brasilien. Wo kommen Sie her?" "Von hier, ich bin gerade meine Straße entlang gelaufen und kenne mich jetzt gar nicht mehr aus! Wo sind wir überhaupt?" "Das weiß ich auch nicht so genau, aber wir alle sind gerade unsere Straße entlang gelaufen, ich in Brasilien, Li Ping in China und Jim in Kanada und Ali im Iran. Mit denen die wie Sie etwas später gekommen sind habe ich noch nicht gesprochen. "Es ist alles ein bisschen komisch." sagte Pedro "Und wo kommen Sie her?" "Ich komme aus Deutschland!" antwortete ich. "Aber wie komme ich hier her und wo sind wir überhaupt?" Die Situation war auch wirklich seltsam, an einem so schönen Ort treffen sich zehn Menschen einfach so, jeder ist von einem ganz anderem Land bzw. Erdteil gekommen. Wir stellten uns gegenseitig vor. Es sollte einfach so sein. Irgendwie war die ganze Situation selbstverständlich. Wir verstanden uns, aber ich weiß nicht in welcher Sprache geredet wurde. 26
Zehn Menschen gingen auf ihrer Straße spazieren, jeder empfand seine Straße, seine Umgebung schöner, freundlicher als je zuvor. Alle gingen ihre Straße weiter und kamen an diesem Ort zusammen. Zehn Menschen in einer sehr fremden Situation. Aber dann, wir hatten uns alle recht lange unterhalten über dieses und jenes, unterhalten wie mit guten Bekannten, ja Freunden, tauchte die Frage auf : "Was machen wir hier eigentlich, warum sind gerade wir hier zusammengekommen?" Diese Fragen waren nicht zu klären. Uns allen fiel kein Grund, kein gemeinsames Interesse auf. Aber dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, als ob wir eine Familie waren, das bestand zwischen uns. "Wir wollen uns nicht aus den Augen verlieren, wir wollen uns wieder treffen." Wir alle hatten den starken Wunsch – Es muss möglich sein Kontakt aufzunehmen! – "Ja, aber wir wissen ja nicht einmal wo wir sind" sagte Ines aus Mexiko fast verzweifelt. Wir waren so greifbar, so nah. "Ich hab’s!" rief Ragaonah aus Madagaskar. "Wir inserieren in einer Zeitung, die es überall gibt!" "Nein, so eine Zeitung gibt es nicht. Aber wir können ja jetzt verabreden welche Zeitungen am geeigneten sind und dann inseriert jeder in einer Zeitung eines anderen Landes! Wir haben die Prawda in Russland" sagte Igor "und eine Chinesische Zeitung muss von uns aus erreichbar sein." Li Ping nickte: "Ich kann die Guangming Ribao bekommen! Und mir sollte es möglich sein im Iran in eine Zeitung zu inserieren." "Ja" - Ali stand die Spannung ins Gesicht geschrieben - "bei uns gibt es die Abrar. Und nach Madagaskar sollte es dann auch eine Verbindung geben." Ragaonah lachte: "Inseriere in die Midi- Madagascar; die lese ich jeden Tag! Und in Australien wird es auch eine große Zeitung geben." "Die The Australian kann ich bekommen!" Gill strahlte "Ja und ich werde dann eine Anzeige in Chile aufgeben." "In den La Tercera de la Hora der ist bei uns die wichtigste Zeitung. Und in Brasilien kenne ich die O Globo, wenn es dir recht ist Pedro, inseriere ich darin!" "Klar, die hätte ich auch vorgeschlagen" dieser nickte, " und welche ist die richtige Zeitung für dich, Ines?" "Die Esto, die bekomme ich auch auf dem Lande." Ines schaute Jim fragend an. "Bei uns bekomme ich die Toronto Globe and Mail. Und soviel ich weiß, Lisa, ist die Frankfurter Allgemeine bei Euch überall erhältlich." erklärte Jim. Ich nickte: "Und ich inseriere in die Komsomolskaja Prawda. Dann können wir uns ja gar nicht verpassen. Aber an welchem Tag, und was schreiben wir hinein? Bei diesen Zeitungen finden wir sonst die Anzeige ja nie." "Das ist nicht so einfach." Gill dachte nach. - - - - - - - - - - "Wo sind wir hier, auf der Erde? Zwischen Schlafen und Wachen? In einem Raum weit weg von der Erde? Ich weiß nicht wie ich es definieren soll!" Jim lachte: "Vielleicht ist es ja nur ein Traum!" "Aber können Träume so real, so greifbar sein?" Igor schüttelte den Kopf. "Aber es ist ja jetzt nicht so wichtig, nehmen wir einfach an es ist ein Traum. Hauptsache wir treffen uns in der Realität wieder! Hauptsache wir hören voneinander! Wir sind zehn Personen, warum schreiben wir nicht = Der Traum der 10 = und weiter schreibe ich dann = Li Ping melde dich, Igor = Und dann hat Li Ping die Möglichkeit mir einen Brief zu schreiben mit ihrer Adresse, und so weiter." Li Ping sah nachdenklich aus: "Und in welcher Sprache schreibe ich?" Daran hatte noch keiner gedacht. Welche Sprache wurde zwischen uns gewechselt? Wir sprachen doch einfach, so wie mit einem Nachbar!!!!!!! 27
Um uns herum wurde alles diesig und unklar. Da rief Ali: "Auf jeden Fall soll die Anzeige am 21. Februar in die Zeitung. Und mit der Sprache kann sich ja jed... ... nen....... g...... le...... w.......s..... " Da lag ich nun in meinem Bett. War das ein Traum? War das alles unreal? Gerade stand ich da, mit Freunden und jetzt lag ich hier. Ich stand auf. Das musste ich mir aufschreiben. So lebendig hatte ich noch nie geräumt. Es dauerte einige Zeit bis ich wieder einigermaßen frei denken konnte. Immer wieder las ich das geschriebene durch und ergänzte die Aufzeichnungen. Es war nur ein Traum. Sollte ich wirklich inserieren? Was sollte dabei herauskommen? Und dann in Russland! Im Traum war das selbstverständlich, aber jetzt im wachen Zustand. Irgendwann legte ich mich dann doch noch schlafen. Morgens habe ich dann meiner Familie meinen Traum geschildert. Mein Mann Kurt sagte: "Freue dich einen so angenehmen Traum gehabt zu haben. Und freue dich, dass du noch alles davon weißt. Aber es war nur ein Traum." Meine 15jährigen Zwillinge waren begeistert. Kathrin überlegte: "Ich werde mich erkundigen wie wir am besten die Anzeige in die Prawda bekommen. Nickis Vater arbeitet doch bei der Zeitung, der hilft uns bestimmt!" "Mache nicht noch alle Leute verrückt mit Mamas Traum!" Kurt sah nicht begeistert aus. "Es ist nur ein Traum, merke dir das." "Aber wenn es mehr als ein Traum ist, was dann?" Jens sah seinen Vater böse an. "Das wäre doch toll, Bekannte in der ganzen Welt zu haben, durch einen Traum. Da kann man dann bestimmt tollen Urlaub machen. Mama woher waren diese Leute?" Typisch Jens, immer rein ins Vergnügen. Mit 15 Jahren soll das wohl auch so sein. Ich zählte ihm die Länder auf. Und dann wurde über den Traum nicht mehr geredet. Der Traum war nicht wirklich, er beschäftigte mich, aber ich drängte ihn immer mehr in den Hintergrund. Der normale Alltag hatte mich voll im Griff. Familie, Haushalt und 25 Stunde in der Woche in die Firma, ich war ausgelastet. Dann kam der 21. Februar. Als ich an den Zeitungen vorbeikam kaufte ich mir eine Frankfurter Allgemeine. Ich konnte es nicht fassen, da stand unter den Kleinanzeigen die Verabredete Anzeige =Der Traum der 10 - Lisa bitte melde dich, Jim.= Und dann eine Chiffrenummer. Was jetzt? Habe ich die Chance verpasst? Kann sich der Kreis nicht schließen? Ich war verzweifelt. Was sollte ich jetzt tun? Es war zu spät. Betrübt ging ich nach Hause. Immer überlegte ich, wie ich diesen Fehler wieder gut machen konnte. Ich hatte nicht so recht an die Realität des Traumes geglaubt. Und doch hatte ich die ganze Zeit gefühlt, wie wichtig es wäre nach dem Traum zu handeln. Erst mal verkroch ich mich in meine Ecke. Was sollte ich Jim schreiben? Vielleicht gibt es ja doch noch Wege Igor zu erreichen? Die Gedanken schwirrten nur so durch meinen Kopf. Irgendwann hörte ich Kathrin rufen. Sie muss einige Male gerufen haben, bevor ich es überhaupt registrierte. Und dann stellte sie sich erwartungsvoll vor mir auf. "Mama, heute ist der 21. Februar hast du in der Frankfurter Allgemeine nachgeschaut?" Ich nickte: "Und ich habe keine Anzeige in die Prawda gesetzt. Jetzt kann sich der Kreis nicht schließen." sagte ich traurig. "Aber ich, aber ich, aber ich!" Kathrin jubelte. Hatte ich richtig gehört? "Du hast die Anzeige aufgegeben, wirklich?" Es riss mich aus meinem Sessel hoch. Ich starrte meine Tochter begeistert und entgeistert an. "Wirklich? Richtig? So wie verabredet?" die Gedanken kreisten nur so in meinem Kopf. Hatte ich richtig verstanden? Meine Tochter nickte nur und lachte über das ganze Gesicht. Ich konnte nicht anders, ich drückte sie ganz fest an mich. "Du bist ein Schatz, Kathrin!" 28
"Ja Mama, das habe ich mir vom Taschengeld abgeknapst. Es ließ mir einfach keine Ruhe. Und dann habe ich mit Nickis Vater gesprochen, und der hat dann dafür gesorgt. Das kostet um die 50 Euro. Aber das war es mir wert." Ich war erleichtert, o so erleichtert, als ob mir eine riesige Last von den Schultern genommen wäre. Und nur allmählich kam die Erkenntnis. Es war ein Traum. Die Menschen waren real. Wir können durch diesen Traum Kontakt aufnehmen. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit kann gelebt werden. Hat das Ganze eine weitreichendere Bedeutung? Was kam auf mich zu? Ist es möglich mit allen zusammen ein Treffen zu organisieren? Tausend Fragen, aber noch keine Antwort. Apropos Antwort? Jetzt erst einmal den Brief an Jim fertig machen. Was soll ich schreiben? Von dem Traum? – Ja, aber nur ein bisschen. Wie ich mich gefühlt habe! Alles was ich so mache, von der Familie, dem Beruf, meinen Hobbys. Und in welcher Sprache? Englisch, gut das geht und Kathrin hilft bestimmt. Wozu macht sie sonst den Englisch Leistungskurs. Ich glaube alle haben die verabredeten Anzeigen aufgegeben. Ob selber oder wie bei mir durch andere ist ja völlig egal. Ich vertraue darauf, dass wir uns alle zehn wiedersehen. Und dann habe ich den Brief an Jim abgeschickt. Nachdem ich die Anzeige gesehen habe wusste ich. Jetzt geschieht etwas ganz besonderes, etwas für die ganze Welt. Ich konnte es nicht greifen, nicht benennen, aber ganz sicher spüren. Und Kurt war stolz auf seine Tochter, auch wenn es sich nur um einen Traum handelte, einen wahrgewordenen Traum. Die Kopie meines Briefes und des Briefes aus Madagaskar lege ich diesen Aufzeichnungen bei. Lieber Jim, Ich habe nicht zu hoffen gewagt, dass dieser Traum real wird. Die Anzeige an Igor hatte ich nicht aufgegeben, aber meine Tochter hat das für mich getan. Ich bin so glücklich, Träume können wahr werden. In der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar hatte ich unseren Traum, an meinem 39. Geburtstag. Ich weiß nicht welche Bedeutung der Traum haben soll, aber ich war so glücklich und zufrieden wie noch nie in meinem Leben. Und ich fühle, dieser Traum hat eine Bedeutung. Ich möchte Euch alle wieder sehen. Das was mir am deutlichsten von diesem Traum vorschwebt ist die Harmonie zwischen den 10 völlig fremden Personen und das Sprechen ohne Sprachschwierigkeiten, obwohl wir alle eine andere Sprache sprechen. Und dann das mit der Straße! Es war meine Straße, die Straße an der ich jetzt lebe. Aber so heimelig, harmonisch, grün und angenehm habe ich sie noch nie empfunden. Die Menschen meine Nachbarn sahen zwar alle etwas gealtert aus, aber sie strahlten bedeutend mehr Lebensfreude und Zufriedenheit aus wie im tagtäglichen Leben. Selbst unser Griesgram, ein 50 jähriger Mann aus der Nachbarschaft grüßte freundlich und blieb bei den Nachbarn stehen. An so einen Wandel mag man gar nicht glauben. Ich habe dir unsere Straße jetzt aufgezeichnet und die Veränderungen im Traum. So viele Details habe ich behalten, die mir während des Traums gar nicht bewusst geworden sind. Eine ganz andere Autogeneration stand in den Straßen und insgesamt viel weniger Autos. Es gab auch viel weniger Anzeichen für Luxus, ich kann das aber auch nicht so klar definieren, und es ist ja auch egal, alles war so viel schöner. 29
Und jetzt möchte ich Dir etwas von mir erzählen. Ich lebe in Essen, einer Großstadt im Ruhrgebiet. Mein Mann heißt Kurt und wird 41 Jahre alt. Wir haben ein Zwillingspärchen, Kathrin und Jens, die sind 15 Jahre alt und gehen aufs Gymnasium in die 9. Klasse. In der Woche gehe ich 25 Stunden in einem kleinen Betrieb als Sekretärin arbeiten. Mit meinem Leben war ich bisher zufrieden, aber seit dem Traum will ich mehr. Ich sehe Möglichkeiten und Chancen, ich habe die den Wunsch meine Straße so schön wie im Traum zu machen. Und ich werde die Nachbarn ansprechen. Ihnen die Zeichnungen zeigen, wie die Straße jetzt ist und wie sie sein könnte, wenn wir was verändern. In meinem ganzen Leben bin ich nicht der Mensch gewesen wirklich etwas bewegen zu wollen, ich habe mitgemacht, aber nicht selber angefangen. Nie wollte ich die Welt verbessern, ich sah auch nie eine Chance dazu. Jetzt fange ich an meine Straße, meine Umgebung zu verändern. Und innerlich weiß ich, diesmal werde ich es schaffen und durchhalten. Denn ich habe das Bild vor Augen. Gibt es die Möglichkeit eines Treffens für alle 10 Träumer. Da wir Kontakt aufnehmen können muss es einfach möglich sein. Ich glaube daran. Ich bin auch gerne bereit dieses Treffen hier bei mir in Deutschland zu organisieren. Aber wichtig ist nur das Alle kommen können. Ich fliege auch um die halbe Welt um Euch zu sehen. Ich freue mich auf Deine Antwort und ich hoffe (ich glaube fest daran) das ich Nachricht von Igor bekomme. Ich melde mich sobald ich Nachricht erhalten habe. Auf das Wiedersehen Lisa Martin Diesen Brief habe ich natürlich ins Englische übersetzt nach Kanada zum Jim geschickt. Ragaonah Andrianjaly aus Morondava Lieber Ali, Ich hatte diesen Traum, durch den wir uns kennen gelernt haben am 31. Januar 2005. Hast Du daran geglaubt, dass so ein Traum wahr werden kann. Mein Vater hat die Anzeige in die Australische Zeitung gesetzt für Gill. Irgendwie hat er einen Weg gefunden. Im Traum sah das alles so einfach aus. Hier gibt es so viele Dinge nicht, die in anderen Ländern normal sind. Zum Traum: Er war angenehm und harmonisch. Für mich war der Wunsch, diesen Traum Realität werden zu lassen sehr stark, aber ich habe nicht daran geglaubt, dass so eine Veränderung überhaupt möglich ist. Eine wichtige Veränderung in unserer Straße war: Alle Kinder, die ich nicht kannte, aber der Ähnlichkeit wegen zu uns gehören müssten, hatten ihr Gebiss in Ordnung. Und viele gerade die jüngeren Erwachsenen auch. Alle Menschen waren älter als in der Realität. Mir lief ein Mann über den Weg, so könnte in 15, –20 Jahren mein ältester Sohn aussehen. Eine wichtige äußere Veränderung war, die Hütten meines Dorfes sahen alle stabil aus, und sicher. Ich habe das Glück gehabt als Kind in der Nähe der Stadt zu wohnen, und dass meine Eltern mich zum Lesen und Schreiben lernen gedrängt haben, ebenso wie meine 5 Geschwister. Meine Frau kann noch nicht richtig lesen und schreiben, aber ich bringe ihr was ich kann bei. Ich hoffe wir können uns alle wiedersehen. Aber ich brauche alles Geld um am Leben zu bleiben, deshalb kann ich nicht irgendwo hinkommen. Aber wenn alle wollen, seit ihr alle in unserem Dorf willkommen. Hoffentlich bis bald Ragaonah Andrianjaly
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Und wir haben uns getroffen in Madagaskar. Alle hatten eine Möglichkeit gefunden. Das Geld für die Reise haben wir zusammen gesammelt. Einigen von uns tat das Geld nicht weh, aber andere lebten von der Hand in den Mund. Und da haben wir bei Freunden und Bekannten gesammelt, bis es für alle reichte. Ragaonah hatte in seinem Dorf alle begeistert und so war auch die Aufnahme, als wir am 16. September dort ankamen. In seinem Brief hatte er noch geschrieben wie schlecht die Bedingungen wären, jetzt hatte sich im Dorf eine ganz andere Einstellung breit gemacht. Und diese Erfahrungen hatte jeder von uns Zehn in seiner Umgebung gemacht. Irgendwie war der Traum wie eine ansteckende Krankheit, aber eine die jeder haben will. Ein Umdenken hatte nicht nur bei uns, sondern auch in unserer Umgebung stattgefunden. Aber jetzt zum Treffen. Wir kannten uns, wir erkannten uns, aber wir sahen anders aus als im Traum! Was war anders? Wir schauten uns an und – ja wir sahen jünger aus – bedeutend jünger. Wenn ich mit Jim anschaute – nein dies war kein erwachsener Mann, sondern ein Jugendlicher oder junger Erwachsener. Maximal 20 Jahre? Im Traum hatte es ausgesehen als ob er in meinem Alter wäre. Und diese Altersspanne war bei allen Träumern. So als ob wir uns in 20 Jahren gesehen hätten. Aber das war im ersten Moment nebensächlich. Wir fielen uns in die Arme, freuten uns alle wieder zusammen zu sein. Die ganze Zeit, 14 Tage, ging es uns einfach nur gut. Wir führten Gespräche, mit Händen und Füßen. Denn wir konnten nicht so wie im Traum einfach drauflosreden. Aber wir verstanden uns, immer besser, je länger wir uns miteinander unterhielten. Es gab keine Vorurteile, keine Hindernisse die nicht beseitigt werden konnten. Und mit jedem Gespräch verstanden wir mehr, es war so einfach eine gemeinsame Sprache zu finden, den uns verband etwas, was wir nicht in Worte fassen konnten, uns aber so offen und frei fühlen ließ wie nie zuvor im Leben. Die Erkenntnisse aus diesem Treffen. Wir Zehn fühlen uns freudig verantwortlich, in unserer Umgebung Licht zu bringen, unsere Umgebung liebens- und lebenswerter zu verändern. Wir wollten miteinander Kontakt halten, und wir wollten uns wiedersehen. So oft wie möglich. Und wir wussten wir können ein Band um die ganze Welt spannen. Ein Band der Freundschaft, ein Band das stärker ist als Habgier, Besitzdenken und die Macht über andere zu haben. Jeder hatte seine eigene Umgebung vor Augen, wie sie momentan war, wie sie vor dem Traum war und im Traum. Wir hatten ein Ziel. Die Umgebung sollte so wie im Traum sein. Denn so war sie in unseren Köpfen. Schon ganz fest verankert. Und eigentlich brauchten wir uns keine Gedanken machen, wir wussten dass wir die Veränderung schaffen. Woher wir dieses Selbstverständnis nahmen, ich weiß es nicht aber es war einfach da. Der Abschied fiel uns schwer, aber wir verabredeten eine Informationskette. Jeder schrieb wie bei der Anzeige den nächsten an und sammelte alle Infos aus den anderen Briefen. Aber das wie ist ja nicht so wichtig. Wir hatten miteinander Kontakt, und in den Briefen war neben der Freude voneinander zu 31
hören ein ganz starker Punkt – die Veränderung in der Umgebung eines jeden Träumers. Bei mir wurde alles sauberer, grüner, freundlicher innerhalb eines Jahres. Auch der Griesgram aus unserer Straße, er war nicht wiederzuerkennen. Er war derjenige, der immer als erster aktiv wurde, wenn ich von dem Traum berichtete. Wir lebten alle 10 jetzt in einer harmonischeren Umgebung. Die Entwicklung schritt rasant voran.
Und dann hatte ich wieder Geburtstag, wir feierten mit den Nachbarn und Freunden, nur das jetzt viel mehr gemeinsam feierten. Wir feierten auch den Traum vor einem Jahr und natürlich die Veränderung in der Umgebung (inzwischen dehnte sich dieses Gebiet schon auf den ganzen Stadtteil aus). Und dann in der Nacht hatte ich wieder diesen Traum. Aber irgendwie anders. Ich kannte die Situation die anderen nicht. Auch war ich zuerst im Traum! Ich ging durch die jetzt schon veränderte Umgebung, und doch es veränderte sich noch mehr als beim 1. Mal. Dann war ich am Ziel. Als ERSTE. Am gleichen Ort wie vor einem Jahr. Dann kamen Personen auf mich zu, mit wachen neugierigen, offenen Augen. Aber nicht die Freunde vom Traum, nein, fremde und doch irgendwie vertraute Gesichter. Zuerst kam ein etwa 50jähriger Mann. Der fragte: "Wo bin ich hier, es ist so anders. Gerade war ich noch zu Hause?" Wie selbstverständlich erklärte ich ihm die Situation. Und auch das ich das Gleiche schon vor einem Jahr erlebt hatte und das ich durch diesen Traum angefangen habe ganz anders zu leben. Die anderen Personen kamen langsam dazu, sie hörten erstaunt meine Geschichte. Dann unterhielten wir uns über alles was uns einfiel, wie beim letzten Mal war eine große Harmonie zu spüren. Und der Wunsch seine häusliche Umgebung zu verändern – und zwar so wie sie sich im Traum veränderte. Insgesamt waren 10 Personen zum ersten Mal in diesem Traum. Warum war ich dabei und wo waren meine Freunde aus dem Traum? Diese Gedanken kamen in mir hoch, aber ich spürte hier bin ich nicht einer von 10 Träumern, die alle genau so wenig wissen. Hier war ich der Ansprechpartner für diese 10 Personen die genau wie meine Gruppe über den ganzen Erdball verstreut zu Hause ist. Alle 10 neuen Träumer wollten sich genau wie wir vor einem Jahr nicht aus den Augen verlieren, und auch sie wollten sich mit Anzeigen wiederfinden. Und auch sie wählten denselben Weg wie wir vor einem Jahr, das Datum der Anzeigen sollte der 17. Mai sein. Ich wusste die Zeitung aus Österreich die würde ich für diesen Tag besorgen. Denn dann konnte auch ich Kontakt aufnehmen. Und so verschwand wie vor einem Jahr dieser Ort im Nebel und ich fand mich in meinem Bett wieder. Auch dieses Mal wurde ich wach und schrieb alles auf. Und ich rief Li Ping in China an. Dankbar für die Zeitverschiebung. Und Li Ping hatte den gleichen Traum. Nur mit anderen Personen. Und im Laufe des Tages stellte sich heraus, alle 10 Träumer hatten 10 neue Träumer kennen gelernt. Menschen die jetzt von demselben Ziel begeistert waren, wie wir. Jetzt waren wir 110 Träumer. Nach einem Jahr und wenn wir genau überlegten, waren die Menschen in unseren Umgebungen auch schon begeistert. Und die waren schon aktiv. 32
Jeder von uns traf sich mit seinen 10 neuen Träumern. Die Harmonie, die Lebensfreude und das Bedürfnis, die eigene Umgebung harmonischer zu gestalten war bei allen vorhanden. Alles entwickelte sich wie von selbst. Die Träumer der einzelnen Gruppen hatten regen Kontakt untereinander. Und es bildeten sich regionalere Gruppen. Gruppen pro Kontinent. Jeder Träumer veränderte alleine durch seine Erzählung des Traumes die Bedürfnisse in seinem Umfeld. Und auch im weiten Umfeld wurden Verbesserungsmöglichkeiten gesehen. Und langsam entwickelten sich überall kleine Gruppen die sich von den Träumern anstecken ließen. Nach einem weiteren Jahr war schon viel passiert und 3 Jahre nach dem 1. Traum träumten alle Träumer mit je 10 neuen Träumern. Und so gab es im Jahr 2008 schon 1210 Träumer, in fast jedem Land waren so Inseln der Hoffnung entstanden, Inseln der Umwandlung. Und keiner wehrte sich. Es gab keine Proteste, keine Kundgebungen und Demonstrationen. Die Menschen aus der Umgebung der Träumer begeisterten sich an den Träumen. Und der Wunsch die eigene Umgebung so zu ändern war stark. Und weitere 4 Jahre später träumte jeder Träumer wieder mit 10 neuen Träumern. Im Jahr 2012 trafen sich 13310 Träumer Und 2020 dann 146410. Die Welt hatte sich verändert. Über die ganze Erde verstreut gab es Freunde. Menschen die begeistert ihre Umgebung lebenswerter gestalteten, weil sie geträumt hatten oder einen der Träumer kennen gelernt hatten. Kriege waren eigentlich nicht mehr vorhanden. Das Bedürfnis nach einer schönen Umgebung galt nicht nur für den engeren Bereich. Nein überall wo man hinkam, sollte das Leben lebenswert sein. Das ganze Denken auf der Erde hatte sich verändert, natürlich nicht alle Menschen waren begeistert. Aber die Begeisterten waren in der Überzahl. Und sie waren stark und sie setzten sich für alle Menschen ein. Unter den Träumern waren ja die Probleme bekannt, denn unsere Freunde waren über den ganzen Erdball verteilt. Ragaonah berichtete das in Madagaskar die Zahnkrankheiten und der Hunger kaum noch ein Thema seine. Das Land war nicht auf einmal reich geworden, nein, aber die Menschen konnten jetzt leben und zwar gut leben. sie wurden satt, und brauchten nicht mehr die wichtigsten Lebensmittel wegtransportieren. Denn so viele Menschen wollten für alle Menschen eine Welt schaffen in der es sich zu leben lohnt. Wenn der nächste Traum folgt bin ich schon eine alte Frau, aber ich weiß meine Kinder und meine Enkelkinder leben. Sie leben wirklich. Bevor ich den ersten Traum hatte sah die Welt nicht danach aus als ob für meine Enkelkinder noch Platz zum Atmen sein würde. Ich weiß, jetzt ist dieser Platz zum Atmen reichlich vorhanden. Und für die nächsten Generationen auch. Ich weiß nicht warum ich auserwählt war diesen Weg als Eine der Ersten mit zu gestalten. Aber ich bin dankbar dafür. Und letzte Woche haben wir uns getroffen, nach 20 Jahren und wir sahen alle so aus wie beim ersten Traum der Zehn. Dieser Traum hat dem Leben wieder eine Zukunft gegeben, eine Zukunft in die man mit Freuden blicken kann. Diese Aufzeichnungen werde ich versuchen in die Vergangenheit zu schicken. Und ich hoffe sie gehen nicht verloren. Denn die Menschen sollen so früh wie möglich wissen, dass es Hoffnung für uns Menschen gibt. 33
Ich grüße alle Menschen Lisa Martin Essen den 30.03.2025
Nachwort Jetzt ist die ganze Geschichte geschrieben, die Geschichte von Lisa Martin und Ihren Träumern. Ja, aber wie kam es zu dieser Geschichte? Anfang September 2002 fand ich in meinem Briefkasten, diese Aufzeichnungen. Woher? Warum ich? Ich weiß es nicht! Ich gehe davon aus dass die Namen verändert wurden, ebenso die Städtenamen. Aber ich glaube, dass sich so etwas in der Zukunft abspielen kann und irgendwie auch abspielen wird. Und ich hoffe das es genug Menschen gibt die wieder richtig leben wollen. Menschen denen der Zusammenhalt und das gemeinsame Erleben über Luxus geht. Menschen die füreinander da sind und gerade stehen, aufeinander zugehen und nicht anonym aneinander vorbei. Die Autorin Und alle die diesen Traum leben wollen, können sich im Forum treffen. Denn wir können uns verständigen. www.traumder10.de
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Drachenschatz von Waldläufer
Den Drachen treibt der Hunger in die Welt hinaus. Und schon bald muss er um seinen kostbarsten Besitz bangen...
In Ariphei, einer fernen Welt, hauste einst ein Drache. In einer Höhle, deren Eingang sich dicht über dem Fuße eines Berges befand. Vor diesem lag eine weite, grüne Fläche, und eine Quelle fand sich in der Nähe. Der Drache hatte unglaubliche Schätze angehäuft, tief im Inneren seines Horstes. Dort schlummerte er seit langer Zeit. Ein Auge geschlossen, hob er seinen Kopf, und blickte in der Dunkelheit umher. Er meinte ein Geräusch gehört zu haben. Mit einem Feuerschweif erleuchtete er den Raum, als auch seine Schätze. Nichts ungewöhnliches war zu sehen. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, dass er sich zuletzt in die Lüfte begeben hatte? fragte er sich. Hundert Jahre? Auf den Gedanken gebracht, ließen ihn Gefühle vergangener Flüge nicht los. Er spürte den Wind, wie er seinen Schuppenpanzer umwehte, und roch die Wälder, über die er sich einst bewegt hatte. Seine letzte Beute, einen Ork, sah er direkt vor sich. Und schmeckte das bittere Fleisch. Für einen Moment grollte es. Des Drachen Magen meldete sich zu Wort. Seine Gedanken versuchte er wieder auf den Reichtum lenken, der sich um ihn fand. Aber das Hungergefühl ließ sich nicht unterdrücken. Er schnaubte Feuer, denn es behagte ihm gar nicht, aufzustehen und seinen Schlafplatz zu verlassen. Jetzt, da er gerade so gemütlich war, wie keine zweihundert Jahre zuvor. Doch er konnte es nicht verdrängen, und stemmte seinen gewaltigen Körper in die Höhe. Die Knochen fühlten sich steif an; vielleicht hatte er etwas Bewegung nötig, überlegte er. Er stapfte voran, durch die Dunkelheit. Einen Moment später, sah er den blauen Himmel über sich. Die Sonne erstrahlte seine Schuppen in blauem Glanz, und der Wind sammelte sich in seinen Schwingen, als er sie streckte. Für einen Moment verharrte er in dieser Position und genoss den Atem der Natur, als auch deren Anblick. Die Ebene vor ihm, war mit saftigem Grün bewachsen und er konnte einen Bären erkennen, der sich schnell entfernte. Das Sprudeln der klaren Quelle drang an sein Ohr, ebenso wie das Zwitschern eines Vogels. Der Himmel rief den Drachen zu sich hinauf. Zunächst langsam bewegend, dann einen kräftigen Schlag folgend, erhob sich der Drache in die Lüfte. Während er die Welt mit ihren bunten Wäldern von oben betrachtete, spürte er die Frische des Windes. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt. Noch immer knurrte sein Magen. Seine Blicke huschten über die Erde. Alsbald hatte er sein erstes Opfer ausgemacht. Der Troll lief schnellen Schrittes durch die Büsche. Er wollte seine Gefährten einholen, die bereits vorausgegangen waren, um die Gegend zu erkunden. Als er sie erreichte, waren jene dabei, ein Reh zu verschlingen, das sie gerade erlegt hatten. Durch ein Grunzen beschwerte er sich, nichts von der Beute übrig gelassen bekommen zu haben. Aber das interessierte die anderen nicht. Sogleich schlichen sie weiter durch das Unterholz. Die Sonne verdunkelte sich für einen Moment. Neugierig blickten sie zum Himmel hinauf, konnten aber nichts erkennen, außer spärlich gesäten Wolken. Sie gingen voran, als plötzlich ein Hirsch hinter einem Baum hervor schoss. Der erste Troll fasste sofort nach ihm, griff daneben und gab den anderen Zeichen, hinterher zu jagen, was sie auch ohne seine Anweisung bereits taten. Der Hirsch war flink und hüpfte über jedes Hindernis hinweg. Die Trolle versuchten es mit brachialer Gewalt. Sie räumten alles aus dem Weg, was sie hinderte. Sie traten auf eine Lichtung. Dort graste das Tier, und 35
glaubte sich in Sicherheit; seine Verfolger abgehängt. Sie gaben einander Zeichen, sich aufzuteilen, um von drei Seiten an es heran zu kommen. Das taten sie zügig und sahen die Beute direkt vor ihren Augen - als sich die Sonne erneut verdunkelte. Sie ließen sich nicht beirren, so kurz vor dem Ziel; der Hunger hatte Überhand gewonnen. Mit ausgestreckten Pranken, rannten sie auf das Tier zu, welches sofort zu entkommen versuchte. Im letzten Moment fand es zwischen ihnen eine Lücke. Die Trolle schnaubten, um ihrem Frust feien Lauf zu lassen. Ein jeder machte den anderen für dieses ‘Missgeschick‘ verantwortlich. Da bemerkten sie den Schatten auf der Lichtung. Sie blickten nach oben – neugierig. Ein gewaltiges Maul verschlang den ersten. Der zweite wurde von einer Klaue erdrückt, und den dritten brutzelte ein Feuerschweif nieder. Ein modriger Geruch lag in der Luft. Der Hunger des Drachen hatte ihn vergessen lassen, welch bitteren Geschmack Trolle doch haben, und jetzt lag ihm dieser auf der Zunge. Schnell wollte er deshalb weitere Beute finden, ein Reh oder Goblin wäre ihm genehm. So trug der Wind ihn erneut hinauf, dem Horizont entgegen. Seine Blicke durchforsteten die Wälder unter ihm – kein Wesen konnte sich verbergen. Er flog hinaus, auf´s Meer, das er geschwind überqueren wollte, um nach Mahlzeiten, in den entfernteren Ländern, zu suchen, von denen er glaubte, sie dort zahlreich zu finden. Sein Magen knurrte. Eine Insel lag unter ihm. Das Gestein war schroff, und es fand sich kaum Vegetation auf ihr. Er wollte seine Blicke nach vorne richten, aber etwas zog ihn an sich. Er glitt hinab und betrachtete vor sich, die Frucht, aus Gold, einem Apfel ähnlich, die an einem Baum hing. Die Faszination erfüllte seinen Blick. Für einen Moment hielt er sie fixiert. Dann überkam es ihn und er schnappte nach ihr. Doch als er sie mit seiner Schnauze berührte, verliefen seine Bewegungen in Zeitlupe. Die Müdigkeit hatte sich auf seine Augenlieder gelegt – ganz plötzlich. Er ruhte, lange Zeit, während die Wellen aufbrausten und sich legten. Als er die Augen öffnete, suchte er nach der Frucht. Sie war verschwunden. Sein Magen hatte das Knurren aufgegeben und er glaubte, sie verschluckt zu haben. So machte er sich auf den Weg zurück. Als der Drache den Berg erblickte, in dem seine Höhle lag, war er sehr überrascht. Er schwebte herab, um sich zu vergewissern, nicht von einem Zauber getäuscht zu sein, aber konnte keinerlei Magie spüren. Auf der grünen Ebene, die einst vor dem Eingang seiner Höhle lag, fand sich eine Stadt. Sie wirkte imposant in ihrer Größe, ebenso beeindruckte die Stadtmauer, aus weißem Stein erbaut. In ihrem Rücken nutzte sie den Berg, als Barriere - vielleicht vor Feinden. Türme ragten zum Himmel empor. Der Drache überlegte, was dies zu bedeuten hatte, als er über die Stadt hinweg schwebte. Er sah keine Menschen, die er als Bewohner vermutet hatte, sondern nur leere Gassen. Zu tief wollte er nicht hinab fliegen. Schon oft hatte sein Schuppenpanzer Schaden davon getragen, als Waffen sich in sein Fleisch zu bohren versuchten. Da erkannte er den Eingang seiner Höhle. Er war von einer Kletterpflanze zugewachsen. Der Drache wusste, dass mehr als hundert Jahre von Nöten waren, bis sich diese Pflanze soweit ausbreiten konnte. Was war geschehen? Er flog auf sie zu, mit der Absicht, sie niederzubrennen, um in seine Höhle zu gelangen. Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz im rechten Flügel. Mit Mühe konnte er sein Gleichgewicht halten, um nicht hinab zu stürzen, als eine Stimme an sein Ohr drang. „Lindwurm, verschwinde von dieser Stadt! Du wirst ihr keinen Schaden zufügen!“ - Der Drache blickte verwirrt nach unten, auf die Gebäude, die Türme, aber konnte er niemanden erkennen. Alles schien verlassen. „Hinfort mit dir!“ hallte es. Da sah er auf der Stadtmauer ein Wesen, in ein weißes Gewand gekleidet. Es war ein Mensch. Dieser entsandte einen leuchtenden Strahl. Er traf ihn am Rücken. 36
„Dieser Stadt wirst du keinen Schaden zufügen!“ Dem Drachen fiel es schwer, sich in der Luft zu halten. Er strauchelte und streifte einen Turm, der ins Wanken geriet. Er schleppte sich durch die Luft, während er weiter attackiert wurde. Nicht einmal zum Gegenangriff konnte er ausholen, mit solcher Kraft drückte es ihn zu Boden. In Sichtweite zur Stadt, weit genug von möglichen Schlägen entfernt, hatte er sich niedergelassen, um seine Kräfte zu sammeln - und nachzudenken. Er schloss die Augen. Das Gold funkelte, die Diamanten strahlten. Waffen vergangener Zeiten, Vernichtungsmittel derjenigen, die er einst im Kampfe auslöschte, verzierten die Wände. Ein jedes Stück rief Erinnerungen wach, die er noch einmal gerne selbst erlebt hätte. Vergangen waren die Zeiten. Eine Stimme verlangte nach ihm; aus einer Truhe rief sie. Langsam öffnete sie sich und sichtbar wurde ein Amulett. Der Drache erinnerte sich. Einst gehörte es einer Prinzessin, eines fernen Landes. Sie war hinausgezogen, in die Wälder – alleine -, als er sie überraschte. Vom Himmel hatte er sich herab gestürzt in der Absicht sie zu verschlingen; verbunden mit dem Gefühl der Freude, solch leichte Beute entdeckt zu haben. Aber berührte ihn der Anblick dieser Gestalt, ganz unverhofft. Sie war jung, ihr Haar glich Gold, die Haut so zart. Er blickte tief in ihre grünen Augen. Von diesem Tag an, trug er sie hoch hinauf in die Lüfte, zeigte ihr die Welt, wie sie diese noch nie zuvor erblickt hatte. Sie genossen die Zeit. Und das Gefühl der Verbundenheit. Das taten sie viele Jahre lang. Doch das Alter eines Menschen, ist nur ein Bruchteil des eines Drachen, und so kam der Tag, an dem sie zum letzten Mal hinauf flogen. Ein Band der Ewigkeit war gewoben. Zum Abschied gab sie ihm ein Amulett aus Gold, mit Edelsteinen versehen. Ein kleiner Drache aus Silber hing an ihm. Sie verließ ihn mit den Worten: „Nimm dies, und versprich mir es zu bewahren, bis ich wieder komme!“ So tat der Drache und nahm es mit in seine Höhle. Seit dieser Zeit, hatte er die Prinzessin nicht wiedergesehen. Doch stets hatte er über das Amulett gewacht. Ein Gefühl der Sehnsucht kam unvermittelt in ihm auf, als er den Kopf hob, und den Berg hinter der Stadt erblickte. Dort ruhte, was er hüten sollte. Seine Glieder waren noch schwach, aber raffte er sich auf, um in die Höhe zu gleiten. Die Vorstellung, jemand sei in seinen Horst eingedrungen, ließ ihn nicht ruhen; zerstört, geplündert, sah er seine Höhle vor sich. Das Amulett entwendet oder gar entzwei gebrochen. Sein Flug wurde schneller, die Stärke in ihm war zurückgekehrt. Rauch stieß aus seiner Schnauze hinaus, die Schwingen peitschten den Wind und seine Augen waren auf den Höhleneingang fixiert. Er flog über die Stadtmauer, als ein Kribbeln seinen Bauch durchdrang. Ein Schlag brachte ihn aus der Flugbahn. Eine Blitz traf seinen Kopf. Er prallte gegen eine Turmspitze, riss sich seinen Panzer ein – ihm wurde schwarz vor Augen. Doch schon unzählige Schlachten hatte er überlebt und viele Erfahrungen gesammelt. Meter um Meter hob er sich hinauf und ging nun selbst zum Angriff über. Eine Fontäne, heißen Feuers, ergoss sich über den Magier. Dieser schirmte sich mit einem Kältezauber gegen die Hitze ab und entsandte einen Blitz hinauf. Der Drache wich aus, in letzter Sekunde. Er suchte den Magier, der plötzlich verschwunden war. Als er hinunter blickte, sah er ihn stehen, direkt unter sich. „Dein Ende ist nahe, Lindwurm“, hallte die Stimme. Die Möglichkeit schien für den Drachen gekommen, sich hinab zu lassen und den Menschen zu ergreifen, aber eine Kälte durchzog seinen Körper. Der Flügelschlag wurde schwerer. Er konnte ihn vernichten, wenn er sich jetzt fallen ließe, überlegte er. Aber dann wäre er immer noch weit entfernt von seinem Horst. 37
Er drehte seinen Körper, zum Berg hin, dirigierte mit letzter Kraft den Wind, ihn zum Eingang zu tragen. Er gab den letzten heißen Atem von sich, um den Weg frei zu machen und schaffte es. Der Tunnel war dunkel und feucht. Er schleppte sich voran und betrat die Höhle. Alles lag, wie er es einst verlassen hatte. Sein Atem erhellte den Raum, worauf es funkelte und blitzte. Er bewegte sich auf eine Truhe zu, die sich, wie von Geisterhand, öffnete. Der kleine, silberne Drache am Amulett leuchtete hell auf. Erleichterung machte sich in seinen Gedanken breit. Die Erde bebte. Der Tunnel fiel in sich zusammen. Verwirrt blickte der Drache um sich, erkannte, dass ihm der einzige Weg nach draußen, versperrt war. Er schloss die Augen. Die Menschen jubelten, als der Magier seinen Stab senkte. „Er wird in diesem Berg, der vom heuten Tag an, Drachenberg heißen soll, in Ewigkeit verweilen“, rief er. „Der Lindwurm ist geschlagen!“ So wartet der Drache noch heute, auf jemanden, der ihn aus seinem Gefängnis befreit. Er ruht und wacht über einen Schatz, der ihm Hoffnung gibt.
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Die Heimkehr von Magdalena Pfaffl
Der alte Mann hat sein ganzes Leben lang gekämpft. Nun geht er an den Ort zurück, an dem alles begann...
Sein Haar war schon längst ergraut und seine Gesichtszüge müde, sich sehnend nach dem ewigen Schlaf. Sein Gang war nicht länger leicht noch federn sondern langsam, fast schlurfend. Müde betrachtete er den alten Grabstein und nur die ungeweinten Tränen zauberten einen Glanz in seine grauen Augen. Die Welt schien ihm grau und leer. Sie war es immer gewesen, seit so vielen Jahren schon sah er keine Sonne mehr. Selbst die tiefroten Wildrosen, die den Grabstein bewuchsen, und ihre schönste Blüte zeigten, konnten ihm nicht schön erscheinen. „Hallo!“ Er erschrak, doch keine Hand fuhr an sein Schwert. Müdigkeit lähmte seine Glieder. Der Tod hatte längst schon seinen Schrecken verloren. „Hallo“, erwiderte er einfach, ohne sich auch nur nach der Quelle des Grußes umzudrehen. Der Störenfried näherte sich ermutigt dem Alten an dem Grab. Er war noch sehr jung, mochte kaum mehr als sieben Sommer zählen. Sein Haar war dunkelblond und wirr. Irgendetwas an dem Jungen war ihm so vertraut, doch er vermochte nicht zu bestimmen, was es war. War zu müde, auch nur darüber nachzudenken. „Ich habe Euch noch nie hier gesehen“, stellte die junge Stimme sachlich fest, dann erst erinnerte er sich an die guten Manieren, die man ihm dereinst beigebracht hatte. „Mein Name ist Gustav. Ich wohne dort unten im Dorf.“ Seine junge Hand zeigte den Hang hinab zu der losen Ansammlung von Häusern, aus der nur der Kirchturm hervorragte. Dort hatte alles begonnen, vor all den Jahren. Doch der Alten Mann nickte nur, ohne in die ihm gewiesene Richtung zu sehen. „Ich weiß“, erwiderte er nur mit seiner müden, tiefen Stimme. Gustavs Blick schweifte indes zu dem Schwert, dass den Alten als Mann von edler Abstammung auswies. Er war verwirrt. Jenes Schwert war ohne Zweifel die Arbeit eines Meisters und der Griff zeigte Spuren von häufiger Nutzung. Wer auch immer der Fremde war, jene Waffe trug er nicht zur Zierde. Der Alte spürte die Neugierde und Verwirrung des Jungen, nahm sie zur Kenntnis und vergaß sie. „Wenn ihr meine Neugierde verzeiht: Was macht ihr in diesem Dorf? Stammt ihr von hier? Es gibt ein altes Gutshaus hier in der Nähe, doch es wird schon seit einer Generation nicht mehr bewohnt.“ Irgendetwas an der unschuldigen Naivität, mit der der Junge seine Frage stellte, holte den Alten ein wenig in die Realität zurück. „Ich war früher oft in jenem Dorf. Als ich noch beinahe ein Junge war.“ Ein eisiger Wind wehte durch des Altens ergrautes Haar und der Junge deutete auf den alten Grabstein. „Kanntet ihr sie?“, fragte er mit ehrfürchtiger Stimme. Der Alte nickte. „Ja, ich kannte sie.“ Gustavs Augen leuchteten voll unzähmbarer Neugierde und die Worte flossen nur so aus seinem Mund: „Sie starb lange vor meiner Geburt,“ erzählte er. Der Alte bestätigte mit einem Nicken und eine Träne floss über die von einem Leben in Wanderschaft gezeichneten Wangen. Der Junge jedoch war nicht zu bremsen: „War sie wirklich so schön, wie man sich erzählt?“, wollte er wissen. Ein traurigen Lächeln und ein Blick in dem sich die Erinnerung an lang vergangenes Glück erahnen ließ erfüllten das Gesicht des Alten für einen Moment. 39
„Ja, das war sie“, antwortete er. Die Stimme als Zeuge dass sein Geist, irgendwo in der Vergangenheit schwelgte, „Ich habe niemals wieder jemanden wie sie getroffen.“ Und – bei Gott – ich habe gesucht, fügte er wortlos hinzu. Der Junge starrte nervös auf seine Fußspitzen, doch ein Bisschen seines Lebens war in den alten Mann zurückgekehrt. „Was erzählt man über sie?“, wollte er wissen. Sein Blick war weiterhin wie durch einen magischen Bannspruch mit dem Grabstein verbunden. „Das kommt immer darauf an, wen man fragt“, erwiderte der Junge, „Tante Amalie sagt nur immer wieder, dass sie ein gutes Mädchen gewesen sei, tief gläubig. Sie sei jetzt im Himmel beim lieben Gott.“ Ein weiteres Lächeln glitt über des Alten Gesicht und forderte Gustav still auf, weiter zu sprechen. „Andere – wie der alte Tomas – erzählen, sie sei mitten in der Nacht mit einem adeligen Liebhaber von höherem Alter davongelaufen und habe später bei einem Überfall den Tod gefunden.“ Ein weiterer Windstoß rüttelte den alten Rosenstock und eine kleine Steinfigur kam hinter einer zur Seite gewehten Ranke zum Vorschein. Der Alte kniete ehrfürchtig nieder und seine Hand sank gen Boden. Erst berührte er die Erde, unter der sie ruhte sanft, dann ließ er seine Hand zu der Figur gleiten, umfasste sie und hob sie von dem Platz, an dem sie all die Jahre gestanden hatte. Des Jungens Augen folgten der Bewegung neugierig. Der Alte betrachtete den Talisman lange und mit einem Blick voll Liebe und Trauer zugleich. „Ich habe sie geliebt!“, brach aus einem Herzen empor. Eine Träne bannte sich ihren Weg und ging auf der Erde ihres Grabes nieder. Der Wind wurde kälter und rüttelte an beiden mit eisiger Hand. Keiner sprach und Schweigen erfüllte die Luft. Die Zeit verrann wie in Zeitlupe. Er war heim gekehrt. Es war der Junge der zuerst wieder sprach. „Es wird bald dunkel. Wir sollten ins Dorf hinunter gehen. Wenn ihr noch keine Bleibe für die Nacht habt, werden wir bestimmt einen warmen Platz finden“, bot er an. Der Alte sah ihn eine Weile lang ganz verwundert an, dann stimmte er zu und ließ sich von dem Jungen wortlos ins Tal führen, wo das Dorf lag. Ein Maibaum stand im Zentrum des Dorfes, er sah genauso aus wie damals. Die bunten Bänder flatterten im Wind und dem Alten schien es, als könne er ihr Haar sehen, wie es mit den Bändern um die Wette flog, so wie es das an jenem ersten Tag ihres Glückes getan hatte. Der Junge führte ihn zum Pfarrhaus und als sie vor der alten Holztür standen, konnte der Alte nicht anders, als sich an ihr fest zu halten, hätte er auch sonst den Halt verloren und hätte sich ganz der Schwärze um ihn ergeben. Hätte seiner Seele erlaubt, einfach davon zu driften, um sich ihr im Himmel anzuschließen. Für einen Moment sah er sie tatsächlich an der Himmelspforte stehen und ihm die Hand entgegen strecken. Keinen Tag gealtert und schön wie eh und je lächelte sie ihn an. Ein Mann, etwa in des Alten Alter öffnete ihnen. „Was gibt es, Gustav?“, fragte eine mürrische und doch freundliche Stimme mit einer fast väterlichen Wärme in ihr. „Dieser Fremde braucht eine Bleibe für die Nacht. Habt ihr ihm vielleicht ein warmes Plätzchen anzubieten?“, fragte der Junge und der Pfarrer nickte, dann führte er den Alten herein, nachdem er sich von Gustav verabschiedet und ihm Grüße an seine Mutter aufgetragen hatte. Am Tisch in der Stube war noch warme Suppe, fast als habe der Pfarrer seinen Besuch 40
erwartet. Die alten Männer setzten sich schweigend und nur das Knacken des Feuerholzes sorgte für einen Kontrast zur Stille. Erst als die Suppe gegessen und das Feuer niedergebrannt war, sprach der Pfarrer. „So bist du nun doch heim gekehrt, nach all den Jahren. Die Kunde hat uns ereilt, du kämpftest in fernen Ländern mit fremden Kreaturen.“ Er musterte die zusammengesunkene Gestalt seines Gegenübers, „doch du wirkst nicht wie der große Theodor von Rabenfels, von dem man mir berichtete.“ Theodor schüttelte den Kopf und das graue Haar flog gegen seinen Nacken. „Ich bin alt geworden, Paul, niemand bleibt ewig jung.“ Doch Paul lachte nur über diesen Satz. „Du vergisst, dass ich dich schon immer kannte. Du bist nur her gekommen um zu sterben.“ Theodor zuckte müde mit den Schultern. „Wer lebt schon ewig?“, wollte er wissen. Paul musterte seinen alten Freund lange, in seinen Augen lag echtes Mitgefühl. Sein Blick blieb auf der Narbe hängen, die entlang des Halsansatzes verlief und vom grauen Haar beinahe verdeckt wurde. Wie viele Kämpfe mochte sein Freund geschlagen haben? Und doch, trotz all des Ruhmes, den er gefunden hatte, saß er nun hier und schien kaum mehr der Junge zu sein, der die schöne Katrin dereinst im Tanze seiner Liebe eroberte. „Dann stimmt es, was meine Frau dereinst prophezeite? Dass es dein Schicksal sei, auf ewig rastlos durch die Länder zu ziehen? Immer auf der Suche nach etwas, das Katrins Platz auffüllen konnte ...“ Theodor antwortete nicht und sein Blick wurde eins mit den lodernden Flammen im Kaminfeuer. „Katrin und Anne sind tot, Paul, was spielt es noch für eine Rolle, was Anne vorhersah?“ „Keine, mein Freund,“ antwortete Paul und legte seine Hand auf die des Alten, „denn bald werden auch wir vergangen sein, und wer bleibt dann noch, sich Katrins zu erinnern?“ Die alten Männer lehnten sich auf der Holzbank zurück und versanken ganz in ihren Gedanken, ihr Blick aber galt noch lange nur den lodernden Flammen die sie wärmten. „Meinst du, sie warten dort oben schon auf uns?“ fragte Theodor schließlich. Sein Freund, der alte Pfarrer nickte. Er sah den Langgereisten an und zum ersten Mal seit so vielen Jahren war wahre Zufriedenheit im Lächeln des Alten.
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