Yakuza-Rache
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 114 von Jason Dark, erschienen am 11.09.1990, Titelbild: Vicente Balle...
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Yakuza-Rache
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 114 von Jason Dark, erschienen am 11.09.1990, Titelbild: Vicente Ballestar
In Japan entriß man sie dem jahrhundertealten Tod. Sie sollten zurückkehren, sie sollten das Grauen und die Vernichtung bringen und für diejenigen kämpfen, die unter dem Namen Yakuza eine asiatische, mafiaähnliche Organisation bildeten. Zwei Zombie Samurais erschienen in London. Eine unheimliche Magie trieb sie an. Und sie töteten. Ihren Schwertern entkam niemand. Keiner konnte diese Wesen stoppen, bis wir eingriffen und plötzlich erkennen mußten, daß hinter den beiden Samurais eine noch stärkere Macht stand. Die des Dämons Shimada!
Die Männer zogen durch die Nebelschwadon. Ihre muskulösen Körper hielten sie unter Kimonos verborgen. Die dunklen Haare waren rasiermesserscharf geschnitten, und hinter ihnen blieb eine Welt zurück, die aus Macht, Geld, Korruption und Verbrechen bestand, die stärker war als die Mafia und die in Japan mit einem Namen umschrieben wurde, vor dem viele zitterten. Yakuza! Vor ihnen lag das Reich des Todes, der Ort des Vergessens, der Vergänglichkeit. Ein legendenreiches Areal, vom Hauch des Todes umweht, von Geistern und Seelen beschützt und gekennzeichnet durch mehr oder weniger schlichte Gräber. Der Friedhof lag in den Hügeln, in einer ziemlich feuchten Gegend, wo die Sonne es oft nicht schaffte, den Nebel bis zum Mittag aufzulösen. Aus diesem Grunde sah der Friedhof stets aus, als wäre er von Leichentüchern eingehüllt worden. Wer hier begraben lag, der bekam selten Besuch. Die einfachen Menschen aus der Umgebung schlugen einen Bogen um ihn. Wenn mal einer der Bauern an diesem Friedhof vorbeigehen mußte, verhüllte er sein Antlitz, um die Ruhe der Geister und der Götter nicht zu stören. Es war eine unheimliche Gegend, die kaum Vegetation aufwies. Die Ruhe des Todes herrschte in dieser Senke vor. Die Männer gingen schweigend hintereinander her, manchmal schwer atmend, immer mit gesenkten Köpfen, als wollten sie den feuchten Boden absuchen. Dann und wann raschelten die kostbaren Seiden-Kimonos. Sie zeigten Motive wie Drachen oder maskenhaft verzerrte Gesichter, die allesamt Emma-Ho, den Herrn der Hölle, darstellen sollten, diesen Oberteufel, der in verschiedenen Gestalten auftreten konnte und ein Heer von Dienern der schrecklichsten Sorte befehligte. Zurückgelassen hatten die Männer ihre Leibwächter und ihre Limousinen, ausschließlich Karossen aus dem fernen Deutschland, die mit dem Stern. Gepanzert, gesichert und blankpoliert wie Spiegel. Für ihre Vorhaben durfte es keine Zeugen geben, sie waren diejenigen, die etwas durchführen wollten, das seit langer Zeit nicht mehr getan worden war, an dem jedoch kein Weg vorbeiging. Über dem eigentlichen Friedhof lag der Nebel nicht mehr so dick. Es war, als hätte er Mitleid mit denen, die ihn besuchten, um dafür zu sorgen, daß sie ihr Ziel so rasch wie möglich fanden. Keine prunkvollen Gräber warteten auf die drei Yakuza. Schlichte Steine ragten aus dem weichen Untergrund, der zur Mitte hin an Feuchtigkeit zunahm, weil ein schmaler Bach den alten Totenacker teilte. Als die drei Männer auf der alten Holzbrücke über den Bach gingen, lag die unheimlichste Ecke des Friedhofs vor ihnen. Geschützt durch eine
Hecke gegen rauhe Winde, als sollte die Ruhe der Toten auf keinen Fall gestört werden. Auch die zwei Gräber lagen dort. Von beiden Seiten ragten die weichen Arme der Büsche über die grauen Platten hinweg, auf denen keine Namen zu lesen waren, und das mit Absicht. Die drei Männer wußten Bescheid. Am Fußende der Gräber blieben sie stehen und verneigten sich zunächst gemeinsam, dann noch einmal einzeln, um ihre Demut zu zeigen, mit der sie sich dem Ziel genähert hatten. Der Nebel strich an ihren feucht gewordenen C iesii-h-tern vorbei. In der Hecke krallte er sich fest, slieg manchmal aus ihr hoch, um einem leichten Windstoß entgegenzuwallen, damit dieser ihn zerflattern konnte. Das alles kümmerte die Männer nicht, die mit einer besonderen Aufgabe gekommen waren. Die Seide der Kimonos raschelte, als sie vor den Gräbern niederknieten. Ihre Knie verschwanden im nassen Gras. Gemeinsam beugten sie die Körper so weit vor, daß sie mit ihren Stirnen die feuchten Grabsteine berührten. Nichts rührte sich in den Gesichtern. Kein Lächeln umspielte die zusammengepreßten Lippen, als sie die Arme vorstreckten und ihre Handflächen mit den gespreizten Fingern auf das Gestein legten. Keiner von ihnen besaß noch alle Finger. Bei einem fehlte der Ringfinger, bei dem anderen sogar der Mittel-und Ringfinger, beim dritten der Zeigefinger. Sie hatten sich die Finger abgehackt, um die Treue zur Organisation zu dokumentieren. Ein Wahnsinn! So blieben sie sitzen. Stumm, sich anschauend oder die Köpfe senkend, damit sie die beiden Grabplatten ansehen konnten. Minuten des Schweigens entstanden und auch Minuten der Stille, denn keiner von ihnen sprach ein Wort. Keiner rührte sich. Die drei Männer schienen selbst zu Stein geworden zu sein. Sie gaben sich den Erinnerungen an die Personen hin, die in der kalten Erde lagen und für die die Zeit der Totenruhe vorbei sein sollte. Als hätten sie sich gegenseitig abgesprochen, bogen sie die Oberkörper wieder hoch, hielten ihre Augen halb geschlossen und bewegten die Lippen, ohne daß Worte zu hören gewesen wären! Stummes Reden gehörte dazu. Sie beteten, sie beschworen, die waren völlig versunken in eine Trance, die schon magisch angehaucht war, denn ihr Fallen in eine geistige Tiefe wurde bei ihnen von schlimmen Gedanken begleitet. Gedanken an die schrecklichen Totengötter, an diejenigen, die in den anderen Welten herrschten und die es schafften, den Tod zu überwinden. Sie lebten in den tiefen Grüften der Dimensionen, aus denen sie hervorgeholt wurden. Nicht nur durch Worte, auch durch Taten.
Gemeinsam griffen die Yakuza in ihre Seitentaschen und holten dort etwas hervor, das sie aus ihren Fäusten rieseln ließen. Ein sehr feines Pulver, von unterschiedlicher Farbe. Bei einem war es ein schimmerndes Weiß, bei dem zweiten leuchtendes Rot, beim dritten Violett. Gleichmäßig verteilten sie die drei Pulversorten über die beiden Gräber. Die Feuchtigkeit sorgte für farbige Flecken. Auf der grüngrauen Erde hoben sie sich sehr deutlich ab. Es entstanden kleine Seen, die dem Erdboden andere Farben gaben und immer tiefer in ihn hineinsickerten. Der Boden saugte es an. Er schluckte es, er sorgte dafür, daß es in der Erde arbeiten konnte. Die drei Männer warteten. Noch knieten sie, diesmal mit aufgerichteten Oberkörpern und starren, unbewegten Gesichtern, in denen nur die Augen nach unten gerichtet waren, denn sie wollten erkennen können, was mit dem Pulver geschah. Es hatte lange gedauert, um überhaupt an diese magischen Ingredienzien heranzukommen. Es war mit Mühe und Gewalt verbunden gewesen, sie hatten es geschafft, jetzt sollte das magische Totenpulver, aus den getrockneten Körpern von Götzendienern hergestellt, auch seine Wirkung zeigen. Sie warteten, denn es machte ihnen nichts aus, wenn Zeit verging. Jeder von ihnen wußte genau, daß die Zeil für sie arbeitete, je mehr verstrich, um so mehr vergrößerte sich die Chance, daß der Tod überwunden werden konnte. Die drei verschiedenen Pulverarten, fein säuberlich auf beiden Gräbern verteilt, blieben nicht allein als farbige Flecke zurück, sie drangen auch in den Boden ein, wo sie ihre eigentliche Kraft ausbreiten konnten, die Kraft, auf die es ihnen ankam. Die Yakuza wußten nicht, wie lange sie vor den Gräbern hockenbleiben mußten, ohne sich zu rühren. Das konnte Stunden dauern, vielleicht sogar einen halben Tag und noch mehr. In Betracht kam auch das Gegenteil, eine sehr kurze Zeit. Daß sie es schaffen würden, daran zweifelte keiner von ihnen. Und so blieben sie hocken . . . Die Minuten reihten sich zusammen. Der Nebel lok-kerte sich nicht auf, er bedeckte die Szenerie als gespenstischer Begleiter und lag haubenartig über den Köpfen der drei Männer. In den beiden Gräbern jedoch geschah etwas: Aus der Tiefe drang ein widerlicher Geruch hervor, süßlich und penetrant. Es roch nach verfaultem Fleisch und irgendwelchen Kräutern. Hin betörender Duft, der den drei Männern um die Nasen wehte. Dabei trat auf ihre Gesichter ein anderer Ausdruck. Man konnte sich vorstellen, daß eine fremde Macht von den Gangstern Besitz ergriff.
Noch immer taten sie nichts. Sie waren Japaner, und die waren es gewohnt, trotz ihrer Macht zu dienen. Nicht den Menschen, sondern den Kräften, die sie herlocken wollten. Das Aroma blieb, es nahm sogar Gestalt an, denn aus den zahlreichen Lücken und Poren im Grasboden quoll ein Nebel hervor, der die Farben des Pulvers angenommen hatte, mit denen die drei Männer die Gräber bestäubt hatten. Für sie war es eine Bereicherung, denn nun näherten sie sich allmählich dem Ende. Die Augen hielten sie nicht mehr geschlossen. Halbgeöffnet und nach unten gerichtet nahmen sie all das wahr, was sich auf den Gräbern abspielte. Die Erde bekam Risse. Nicht sichtbare Hände wühlten sie von unten her auf. Dem Totenpulver war es gelungen, Kräfte zu wek-ken, die in der Tiefe lauerten, über die Jahrhunderte hinweg, und sie krochen nun geheimnisvoll, dumpf und als eine finstere Botschaft hervor. Vorboten eines noch schlimmeren Ereignisses, eines schaurigen Finales, gespickt mit dem Grauen der uralten Vergangenheit, einer Zeit, die für die Männer jetzt, in der Gegenwart, wichtig geworden war. Die Risse blieben nicht nur, sie bekamen durch die innere Spannkraft auch eine ungewöhnliche Länge und Breite. Die schwere Erde schien losgelöst zu sein. Sie wurde aus der Tiefe hervor aufgerissen. Magie und Kraft bildeten einen Verbund, dem selbst tonnenschwere Erde nichts anhaben konnte. So öffnete sich das erste Grab. Die Kraft aus der Tiefe schob etwas in die Höhe. Umrisse waren zu erkennen. Umrisse eines Menschen! Mit einem Schlag gelang der Durchbruch! Andere wären aufgesprungen und hätten voller Panik die Flucht ergriffen, nicht aber die Yakuza. Sie blieben unbeweglich sitzen, die Blicke auf die Gräber gerichtet, die Lippen zusammengepreßt, und in ihren Gesichtern sah es aus, als würde sich kein Leben mehr dort abzeichnen. Die Männer warteten, und sie hallen nicht umsonst gewartet, denn was dort aus dem Grab stieg, war das Gestalt gewordene Grauen. Eine lebende Leiche! Gelblichbraun das alte, zerfurchte Gesicht, mit schräggestellten, pupillenlosen Augen, einem Mund, dessen Lippen sich kaum mehr abzeichneten, und einer Kleidung, die trotz der langen Zeit unter der Erde noch gut erhalten war. Das grüne Lederwams klebte an ihnen ebenso wie die alten Beinkleider und der dunkelrote Schurz darüber. Gleichzeitig stieg der zweite Untote aus seinem Grab. Keiner der beiden fürchterlichen Gestalten sprach ein Wort. Schweigend kletterten sie aus
ihren Gräbern, aber in den pupillenlosen Augen stand ein Wissen, das erschrecken konnte. Seitmehrais vierhundert Jahren hatten sie in den kalten Gräbern gelegen. Sie waren nicht verwest, nicht von der Erde zerdrückt worden, sie stiegen so aus den Gräbern, wie sie damals begraben worden waren, und sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Auch die Bewaffnung stimmte bei ihnen. Damals waren sie mit ihren beiden Schwertern zu Grabe getragen worden. Noch steckten die Waffen in den alten, hölzernen Scheiden, die aussahen, als wären sie aus Baumrinde gefertigt worden. Ja, es waren Krieger. Sie hatten damals zu den besten gehört, und für die besten gab es einen Namen. Samurai! Die Kämpfer, die keine Übermacht störte, die ihr Leben einsetzten und sich nicht daran störten, als kleine Gruppe gegen kleine Armeen anzugehen. Samurai waren eine Legende und gleichzeitig der Traum vieler Japaner, denn es gab nicht wenige, die davon träumten, ein Samurai zu sein. Vieles von dieser alten Tradition war in das heutige Japan mit hinübergerettet worden, und auch die Yakuza fühlten sich im Prinzip als Samurai. Kämpfen bis zum Tod, niemals aufgeben, vor keiner Macht ducken, fest verwurzelt in Ehre und Tradition, obwohl die Geschäfte zu achtzig Prozent blutig waren. Aber über die Leichen sprach man nicht. Man ließ sie verschwinden. In Japan wurde trotz der räumlichen Enge noch immer viel gebaut, und der noch flüssige Beton hatte schon so manches Yakuza-Opfer geschluckt. Wie zwei Helden aus der Vergangenheit standen sie auf ihren Gräbern, ohne daß sie tief einsanken. Sie schauten auf die Köpfe der mächtigen Syndikatsbosse herab, die es nicht wagten, ihre Blicke zu heben. Für sie waren diese Minuten so etwas wie heilig. Sie wollten keinen stören, sie durften die beiden Gestalten nicht reizen, denn sie wurden gebraucht. Es hatte sehr lange gedauert, bis sich die Männer zu den entsprechenden Entschlüssen durchgerungen hatten, aber sie sahen keine andere Möglichkeit mehr, als zu den alten Mitteln zu greifen. Ein schleifendes Geräusch entstand, als beide Samurai gleichzeitig ihre Kampfschwerter hervorzogen. Blanke Klingen schimmerten in den feuchten Nebelschwaden. Nichts hatte die lange Zeit in den Gräbern den Waffen anhaben können. Sie waren nach wie vor blank, scharf und tödlich. Und die Samurai zeigten ihre Künste.
Auf den Gräbern stehend handhabten sie die Waffen mit einer artistischen Geschwindigkeit. Die große Kunst des Schwertfechtens wurde den knienden Yakuza vorgeführt. Sie bekamen einen Einblick dessen, was Gegner dieser beiden erwartete. Auch als die Klingen um Haaresbreite über ihre Köpfe hinwegfegten, rührten sich die Männer nicht. Es wäre ein Fehler gewesen, Angst zu zeigen, denn so etwas hätte den Tod bedeuten können. Sie blieben sitzen, als wären sie innerlich eingefroren, sie schauten den blitzenden Klingen zu, wenn diese tödlich nah an ihren Gesichtern vorbeihuschten. Sie bemerkten den Luftzug, der über ihre feuchte Haut hinwegglitt, und sie nahmen den Geruch des Todes wahr. Nur wenige Millimeter vor ihnen rammten die beiden Samurai die Schwerter in den weichen Grasboden. Der zweite Teil des Rituals begann, das wußten auch die drei YakuzaChefs. Der erste beugte sich vor und küßte die Klinge, als wollte er ihr Leben einhauchen, dann überließ er dem zweiten das Schwert. Auch dieser Mann reagierte entsprechend und fühlte sich ebenso erleichtert wie sein Partner. Blieb der dritte. Er nahm sich das zweite Schwert vor, um es zu liebkosen. Dabei schloß er die Augen. Durch die Gestalt lief ein Zittern, die Hände zuckten. Bei ihm sah es so aus, als wollte er mit den gespreizten Fingern die Klinge umfassen. Die untoten Samurai rührten sich nicht. Als der dritte Gangster sich zurücksetzte, rissen sie die Schwerter aus der lehmigen Erde und schlugen zu. Das geschah blitzschnell. Ein heimlicher Beobachter hätte nur das Blitzen der Klinge gesehen und das danach aus der Wunde quellende Blut der drei Yakuza, die auf ihren Stirnen und den Wangen das Zeichen der Samurai aufgeprägt bekommen hatten. Lange Schnittwunden. Von den Stirnen beginnend über die Augenbrauen hinweg und erst an den Wangen endend, wo sie allmählich ausliefen in einem feinen Netz aus Blutfäden. Die Yakuza-Bosse rührten sich auch jetzt nicht, sie blieben in ihren demütigen Haltungen, für die Mächtigen war dies etwas Unwahrscheinliches, ein Novum, denn sie waren es gewohnt, daß Tausende von Mitgliedern vor ihnen kuschten und nicht umgekehrt. Hier zahlten sie Tribut, was sie wiederum gern taten, denn sie brauchten die Samurai. Ihre Pläne beschränkten sich nicht allein auf Japan, sie waren viel weiter gesteckt, denn Europa wartete. Dort hatten sie gewisse Aufgaben zu
erledigen, eine fürchterliche Rache, die in einem Meer von Blut enden sollte. Diese Pläne existierten in ihren Köpfen und würden auch in die unheimliche Gedankenwelt der Samurai hineinfahren, um dort so etwas wie einen Befehl auszulösen. An den Klingen der Schwerter klebte noch das Blut der Menschen. Die untoten Krieger sahen dies, hoben die Waffen an und leckten das Blut mit ihren Zungen, die aussahen wie grauen Klumpen, ab. In diesem Augenblick festigte sich ein Band zwischen den YakuzaBossen und den beiden untoten Samurai. Sie waren nun bereit, sich dem Willen derjenigen zu beugen, die durch einen geheimnisvollen Totenzauber für ihre Rückkehr aus den Gräbern gesorgt hatten. Die Japaner standen auf. Trotz des langen Hockens erhoben sie sich mit geschmeidigen Bewegungen. Sie blieben für einen Moment stehen und schauten in die zerklüfteten Gesichter der fast gleich großen Samurai. Darin rührte sich nichts. Sie blieben unbewegt wie zerfurchte Masken. Aber sie ließen es zu, daß Hände sie berührten und an der Haut entlangstreichelten. Die Yakuza ließen den Kontakt mit den Untoten in den nächsten Sekunden nicht abreißen. Sie wußten genau, wie sie das Band dichter zu knüpfen hatten, und sie merkten, daß etwas von ihrem Willen und ihren Plänen in die beiden Gestalten aus den Gräbern hineinsickerte. Die Gedanken der Lebenden wühlte die Leere der Toten auf, erfüllten sie mit Aufträgen, die die Welt das Fürchten lehren sollten. Als der Kontakt zwischen ihnen abbrach, neigten die Samurai die Köpfe. Ein Beweis dafür, daß sie die Gangster als Herren erkannt hatten und für sie kämpfen würden. Danach drehten sie sich um. Die Männer taten es mit abgezirkelten Bewegungen, ohne auf die Krieger zu achten, denn sie gingen davon aus, daß diese ihnen folgen würden. Und sie hatten sich nicht getäuscht. In einer gewissen Entfernung gingen diese hinter ihnen her und tauchten ein in den schwadigen Nebel, der noch immer wie aus feuchten Tüchern zusammenklebte. Ihre Tritte hinterließen auf dem weichen Boden dumpfe Geräusche. Wieder schritten Gestalten hintereinander her, und wieder wirkten die Gesichter wie in den Nebel hineingezeichnet. Der alte Friedhof blieb hinter ihnen zurück. Die Welt des Todes, der Magie, und auch der Nebel lichtete sich, je mehr sie sich ihrem Ziel näherten, der alten Hütte, in der früher einmal die Ernte eines Reisbauern gelagert worden war.
Seit einiger Zeit diente die Hütte als Treffpunkt der Yakuza, wo sie sich zusammenhockten und finstere Pläne schmiedeten. Von außen sah man ihr nicht an, wie sie eingerichtet worden war. Mit Holz verkleidet und mit elektronischen Geräten versehen, bildete sie etwas wie die Filiale eines Hauptquartiers. In ihr warteten die Leibwächter. Um einen niedrigen Tisch herum hockten die mus-kelbepacktcn Männer mit den schweren Waffen unter ihren schwarzen maßgeschneiderten Jacketts. Sie alle gehörten zu den trainierten Kämpfern. Ihre Körper zeigten kunstvolle Tätowierungen, der Beweis, daß sie zur oberen Kaste der Bande gehörten. Bei ihnen fehlten keine Finger, denn das wäre beim Schießen hinderlich gewesen. Sie waren zu sechst. Zwei für jeden der Bosse, und sie erhoben sich, als die Bosse eintraten. Nach dem Verbeugen und dem Hochheben der Köpfe starrten sie auf die beiden Besucher. Nichts regte sich in ihren Gesichtern, sie waren zu gut trainiert, um sich eine Blöße zu geben, aber in den Augen blitzte es schon auf, denn mit diesen beiden Ankömmlingen hatten sie nicht gerechnet. Man hatte sie nicht tief in die Pläne eingeweiht. Es war nur bekannt, daß jemand kommen würde, doch sie hatten bereits erkannt, um wen es sich handelte, denn die japanische Historie war ihnen nicht fremd. Kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt. Das Schweigen stand wie eine Mauer. So lange, bis sich einer der Bosse bewegte. Er streckte seinen Daumen aus. Dessen Nagel zielte auf den links außen stehenden Leibwächter. Der Mann mit dem lackschwarzen gescheitelten Haar nickte und hörte seinem Auftrag zu. »Geh und warte zehn Schritte vor der Hütte!« Wieder verbeugte sich der Mann, bevor er dem Befehl nachkam. Er wußte nicht, was sein Boß vorhatte. Es spielte bei ihm auch keine Rolle, er wäre für ihn auch durch die Hölle und in den Tod gegangen. Und der genau sollte ihn ereilen! *** Die zehn Schritte waren exakt abgemessen worden und kein einziger zuviel. Der Leibwächter hatte sich gedreht. Wer jetzt aus der Hütte trat, dem wandte er sein Gesicht zu. Die Yakuza-Bosse verließen sie zuerst. Sie sprachen nicht miteinander, auch schweigend wußte jeder von ihnen, was zu tun war. In ihren mit
Blut verschmierten Gesichtern rührte sich nichts, als sie eine bestimmte Stelle einnahmen. Sie warteten auf die Samurai. Und die verließen Sekunden später die alte Hütte. Schwerfällig und doch geschmeidig gingen sie. Obwohl ihre Füße auf den Boden drückten, sah es beinahe so aus, als würden sie darüber hinwegschweben. Sie sahen das knappe Nicken der Bosse, drehten sich und schauten den Leibwächter an. Der Mann stand wie ein Pfahl! In diesem Augenblick hatte er sein Denken ausgeschaltet. Er war bereit, alles in sich aufzunehmen, er würde nichts und gar nichts Widerstand entgegensetzen. Die Untoten bewegten sich. Es war wie bei den Gräbern, als sie die Schwerter gezogen hatten. Nur griffen sie diesmal zu anderen Waffen, die sie in den Falten ihrer Kleidung versteckt gehalten hatten. In den Händen waren die gefährlichen Waffen kaum zu sehen; erst als sie die Arme hoben und die Fäuste öffneten, blitzte es auf. Das Blitzen bekam Fahrt, es raste auf den Mann zu und traf an zwei Stellen seinen Körper. Hoch oben in den Schulterbogen. Zur Hälfte noch schauten die gezackten Sterne hervor, die von den Untoten mit ungemein starker Kraft geschleudert worden waren. Wurfsterne, auch Churiken genannt! Sie hatten dort getroffen, wie sie es haben wollten. Der Leibwächter, auf das Aushalten von Schmerzen trainiert, verschluckte seinen Schrei. Durch seine Gestalt rann ein Zittern. Wie das Fauchen einer alten Dampflok drang der Atem aus dem Mund. Plötzlich lag der Schweiß dick auf seiner Stirn. Dann passierte das Unwahrscheinliche! Der Mann leuchtete von innen her auf. Sein Körper strahlte, als bestünden seine Adern aus langen, feinen Leuchtfäden. Einen Moment später brüllte er auf, bevor er zusammensackte. Nicht als Mensch, als Staub fiel er zu Boden und bildete einen kleinen Hügel. Die drei Bosse nickten sich mit unbewegten Gesichtern zu. Triumph war nicht zu erkennen, aber das feine Lächeln glich einem Wissen und zeigte Zufriedenheit. Die Mörder gingen zu den Resten und hoben die magischen Wurfsterne auf, bevor sie die beiden Waffen blitzschnell wieder einsteckten. Sie hatten ihren Auftrag erfüllt. Die Bosse bewegten sich aufeinander zu, steckten 'In' Köpfe zusammen und besprachen leise ihre Pläne Sie sahen sehr zufrieden aus, und einer von ihnen, der größte und breiteste, flüsterte den zwei Samurai etwas
zu. Er sprach nicht laut, seine Stimme glich dem Säuseln des Windes, aber die Killer wußten Bescheid. Sie hoben gleichzeitig ihre rechten Arme und zeichneten Kreise in die Luft, einmal, zweimal. Beim drittenmal umflorte sie ein großer, dunkelrot schimmernder Kreis. Und er saugte sie auf wie ein Trichter. Von einem Augenblick zum anderen waren sie verschwunden. Erst jetzt zeigten die Yakuza-Bosse so etwas wie Freude. Sie fielen sich zwar nicht um den Hals, verbeugten sich aber voreinander, eine Geste des Respekts und ein Zeichen, daß sie zufrieden waren. Einer von ihnen sprach aus, was die anderen beiden dachten. »Europa, jetzt nimm dich in acht!« Gemeinsames Nicken, dann wurden die Leibwächter geholt. Es waren nur mehr fünf. Keiner stellte eine Frage, das waren sie nicht gewohnt. Auch den Aschehügel bedachten sie kaum mit einem Blick. Sie gingen einfach weiter und hielten dort an, wo die schweren Limousinen aus Deutschland standen. Wie immer öffneten sie ihren Bossen die Türen, die sich noch einmal zum Abschied verneigten. Im Abstand von jeweils zehn Sekunden rollten die Limousinen davon, als wäre nichts geschehen... *** Beine — er sah nur Beine! Man nannte ihn Köbes, weil er vor Jahren einmal in einem Lokal in der Altstadt gekellnert hatte, aber das war lange her. Eine Schlägerei mit einem Gast hatte ihn einen Arm gekostet. Den Beruf als Kellner konnte er nicht mehr ausüben. Deshalb hatte Köbes umgesattelt und war etwas anderes geworden — nämlich Bettler oder Schnorrer. Er bettelte nicht irgendwo, sondern dort, wo Düsseldorf am elegantesten, am feinsten und auch am hochnäsigsten war. Auf der Königsallee, kurz Kö genannt! Dort hockte er zwischen einer Einkaufspassage und einem Kino, spielte hin und wieder auf seiner Mundharmonika und genoß die warmen Strahlen der Aprilsonne, die wenige Tage vor dem Monatswechsel schon kräftig schien. Er saß auf seiner alten braunen Decke, auf der auch Platz für seinen verbeulten Hut war, und konnte mit der bisherigen Einnahme zufrieden sein. Das Wetter machte die Leute high. Es törnte sie an, es lockerte ihre Laune, es beschleunigte ihren Kreislauf. Jetzt gaben sie auch lieber und befanden sich in einer swingenden Laune, wie sie Köbes eigentlich nur
aus der Vorweihnachtszeit her kannte. Da wollten dann einige Menschen ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Beine, nichts als Beine! Nylons, Stretchröcke, manche davon verboten kurz, aber mit einem tollen Inhalt. Köbes konnte bereits am Gang der Menschen erkennen, wer oder was sie waren. Wenn sie daherschaukelten und nur hin und wieder einen Blick in die teuren Auslagen der Geschäfte warfen, gehörten sie bestimmt zu den mit Bussen angekarrten Touristen, die zumeist aus den nahegelegenen Niederlanden kamen und einmal den Hauch der Kö einatmen wollten. Die gaben nichts, die hatten auch kaum einen Blick für den Bettler, nicht einmal einen der Vei achtung. Dann gab es noch die Beine der Männer. Umhüllt von teurem Tuch oder einem engen Jeansstoff. Es kam darauf an, wer sie waren oder was sie vorgaben. Die Banker und Geschäftsleute hatten es immer eilig. Sie schritten schnell aus, wobei der Hosenstoff oft fah-nenhaft um ihre Beine flatterte. Anders die Jeansträger. Sie swingten über die Kö, gaben sich locker, sie hatten Zeit. Dann gab es noch die Beaus, die >beautiful people<, die ihre neuen Leinenhosen aus den Schränken geholt hatten und umherstolzierten wie gestylte Dressmen aus den Katalogen, die überall in den teuren Geschäften verteilt wurden. Wenn Köbes hoch in ihre Gesichter blickte, las er nichts anderes als Verachtung für ihn, der weniger hatte und vom Schicksal arg gebeutelt worden war. Aber die hatte er schon in seinem Job als Kellner kennengelernt. Die Sonne blieb über Düsseldorf. Es sah aus, als wollte sie es gerade mit der Kö besonders gut meinen, und ihre Strahlen spiegelten sich auf dem Lack der teuren Automobile wider, die am Straßenrand abgestellt worden waren. Hin und wieder fielen die Münzen klimpernd in den Hut. Diejenigen, die öfter gaben, brauchten sich nicht erst zu bücken. Sie hatten bereits das Zielen gelernt, wie dieser ältere Herr, der stets im Nadelstreifen-Anzug über die Kö schritt und Direktor einer Bank war. Er gehörte zu denjenigen, die Köbes sogar begrüßten wie einen alten Freund und sich schon bei ihm erkundigt hatten, wie es ihm ging, wenn er mal während des schlechten Wetters nicht an seinem Platz gewesen war. Nur war dieser Mann kein Deutscher, sondern Japaner! Und Japaner gehörten zum Düsseldorfer Straßenbild wie die Niederländer während der Ferienzeit auf den Autobahnen. Köbes hatte nichts gegen Japaner, er hatte überhaupt nichts gegen Ausländer, sie
aber waren eine Gruppe, die sehr geschlossen, beinahe schon enklaven-haft lebte, dabei immer eine freundliche Distanz wahrten und sich nie mit den Deutschen zu stark verbrüderte. , Man hatte sie akzeptiert, zudem verdienten sie bei ihren großen Konzernen nicht schlecht, denn sämtliche mächtigen Firmen besaßen in Düsseldorf Niederlassungen. Am frühen Morgen schon war der Japaner erschienen und hatte fünf Mark in den Hut des Bettlers geworfen. Jetzt, fast fünf Stunden später, sah Köbes ihn wieder. Er stand nicht weit entfernt auf dem Gehsteig und sprach mit zwei Landsleuten, die ebenso distinguiert gekleidet waren wie er. Die Männer redeten leise miteinander, manchmal aber gestenreich. Köbes interessierte das Gespräch. Zudem hatte er den Eindruck, als wäre sein Japaner nicht richtig bei der Sache. Er schaute sich öfter um, als es normal gewesen wäre, blickte mal in die Sonne oder drückte seine Brille einige Male mit nervösen Bewegungen zurück. Da stimmte etwas nicht. . . Nie zuvor hatte er den Mann so nervös gesehen. Er sprach zwar nicht lauter, aber seine Gestik sprach Bände. Die beiden anderen kümmerten sich nicht darum. Sie redeten unaufhörlich auf ihn ein und unterstrichen ihre Worte oft durch die entsprechenden Handbewegungen. Köbes wartete. Er hatte Zeit, die Japaner nicht. Zwei von ihnen schauten fast gemeinsam auf die Uhr und ließen den dritten schließlich stehen, der sich etwas verloren vorkommen mußte, sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn abtupfte und zusah, wie ihn der Strom der nicht abreißenden Menschenmasse umging. Mittags herrschte auf der Kö Hochbetrieb. Da platzten auch die Cafes und Restaurants aus den Nähten, denn die zahlreichen Gäste wollten auch verpflegt sein. Es dauerte eine Weile, bis sich der Mann aus Japan entschloß, seinen Platz zu verlassen. Er schlenderte zur Frontseite der Häuser. »Wenn Sie nicht achtgeben, stolpern Sie über meine Beine!« meldete sich Köbes vom Boden her. Der Japaner schrak zusammen. »Sorry, ich bitte um .. .« »Schon vergessen.« Lächelnd blieb der andere neben der Decke stehen. Er kam Köbes vor wie jemand, der Rat brauchte, sich aber nicht traute, mit einem Menschen darüber zu reden. »Sie haben Sorgen.« Der Mann aus Japan lächelte kantig. »Bitte, Sie können ruhig mit mir reden. Manchmal sind Menschen wie wir . . .«
»Das hat damit nichts zu tun«, hörte Köbes die schnelle Antwort. »Ich akzeptiere jedes Lebewesen und würde mich auch nie über einen Bettler stellen.« »Da haben Sie nicht gelogen, mein Herr, das sieht man. Oder ich bekomme es mit.« »Natürlich.« »Und Ihr Problem?« »Darüber kann ich nicht reden. Es gibt Dinge, die gehen nur uns etwas an, wenn Sie verstehen.« Köbes war ehrlich und schüttelte den Kopf. »Nein, verstehe ich nicht.« Ihn und den Japaner störten auch nicht die verwunderten Blicke der anderen Passanten, die nicht darüber hinwegkamen, daß sich ein derart elegant gekleideter Mann mit einem Bettler unterhielt. »Ich meine damit, daß diese Dinge nur Japaner angehen.« »Also intern.« »Sehr richtig.« Köbes hob die Schultern. »Schade, ich hätte Ihnen gern geholfen. Was nicht ist, kann vielleicht noch werden! Später einmal.. .« »Das glaube ich kaum«, murmelte der Mann und erweckte damit die Neugierde des Bettlers. »Wieso nicht?« »Ich werde bald nicht mehr hier sein.« »Ach. Gehen Sie weg?« »So kann man es auch nennen.« Köbes nickte betrübt. »Das ist aber schade. Ich denke da nicht an das Geld, das ich von Ihnen bekam, nein, Sie waren mir sympathisch, wenn Sie verstehen.« »Danke sehr.« »Es ist so. Ich kenne viele arrogante Menschen. Sie aber gehören nicht dazu.« »Es hängt wohl mit der Erziehung und Einstellung zusammen. Ich habe gelernt, die Lebewesen so zu akzeptieren, wie sie sind. Aber das hat mit meinem Weggang nichts zu tun.« »Wann fliegen Sie denn?« Der Japaner überlegte. »Nein, ich fliege nicht. Ich werde auch mein Land nicht wiedersehen.« Köbes bekam große Augen. Er strich über seine Bartstoppeln. Was früher verächtlich angeschaut worden war, konnte heute als normal angesehen werden, ein Drei-Tage-Bart. »Das hört sich aber irgendwo gefähr lieh und so endgültig an.« »Stimmt.« »Ich will ja nicht weiterreden oder weiterfragen«, sagte Köbes nach einem tiefen Luftholen, »aber . ..« »Kein Aber, mein Lieber. Denken Sie immer daran, daß ein Mensch den Weg gehen muß, der ihm vorgezeichnet ist. Sie, ich, die anderen auch.
Man kann sich nicht dagegenstemmen. Es gibt einen Begriff, der Schicksal, heißt, und dieses Schicksal schlägt irgendwann zu. Den einen trifft es früher, den anderen später.« »Ja, das stimmt«, murmelte der Bettler. »Trotzdem machen mir Ihre Worte angst. Noch einmal: Wenn ich Ihnen helfen kann, dann werde ich es gern tun.« Der Japaner lächelte. »Das weiß ich zu schätzen, das glaube ich Ihnen sogar, aber auch Sie gehören zu den Menschen, die das Schicksal nicht aufhalten können.« »Ist Ihres denn so schlimm?« »Wie man es nimmt.. .« »Hören Sie, Mann. Sie sind geachtet, Sie sind ein Mensch, der weiß, worauf es ankommt. Sie haben sicherlich einen tollen Job, verdienen viel Geld. Ihnen geht es besser als mir. Trotzdem verspüre ich nicht die Angst wie Sie.« »Richtig.« »Also Angst. Sind Sie krank?« »So kann man es auch nennen.« »Dann gehen Sie zu einem Arzt.« Der Fremde lächelte. »Körperlich fehlt mir nichts. Es ist eine andere Krankheit. Ich müßte zu einem Seelendoktor gehen, obwohl mir der auch nicht helfen kann. Diese Angst steckt tief in mir. Sie ist lebensbedrohend.« »Dann gehen Sie.« Auf dem glatten Gesicht des alterslos wirkenden Japaners verzog sich der Mund zu einem Lächeln. »Wohin soll ich gehen? Ls gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich sicher bin.« »Ich wüßte schon einen.« »Haben Sie . . .?« »In meiner Bude, zum Beispiel. Das ist ein Zimmer am Hafen. Ohne Komfort, ist klar. Aber da könnte ich Sie für eine Weile verstecken. Es würde mir nichts ausmachen, nur Sie müßten Ihre Ansprüche um einiges runterschrauben.« »Das ist nett gesagt, wirklich, aber ich kann es nicht annehmen. Nicht weil ich nicht wollte, sondern . . .« Der Mann aus Japan sprach die Worte nicht mehr aus, denn ein gewaltiger Schrei, aus zahlreichen Kehlen ausgestoßen, zitterte in diesem Moment über die Kö. Die Menschen, die sich sonst in Bewegung befunden hatten, standen vor Grauen starr. Mitten auf dem breiten Gehsteig hatte sich aus dem Nichts das Grauen materialisiert. Umhüllt von einem roten Kreis standen dort zwei Gestalten, die aussahen, als wären sie aus einer fremden Welt gekommen.
Die beiden untoten Samurai! *** Es gab zahlreiche Zeugen dieses Vorfalls, und die Menschen standen auf dem Gehsteig wie Salzsäulen. Keiner traute sich, anzugreifen, dieses unerwartete und plötzliche Auftauchen hatte sie in ihrer Bewegungsfreiheit gelähmt. Auch der Schrei war verebbt. Eine unheimliche Stille breitete sich aus, nur überlagert von den über die Fahrbahn rollenden Automobilen und der wilden Musik, die aus Eckläden drang. Der Japaner war leichenblaß geworden. Sein Gesicht sah aus wie das eines Toten. Der Bettler hatte längst begriffen. »Das gilt Ihnen?« »Ja«, nickte der Japaner. »Es wird Zeit, daß wir verschwinden, Mister, wir...« »Nein, zu spät!« Er hatte die beiden Samurai nicht aus den Augen gelassen, sah ihre Bewegungen und das Blitzen der Wurfsteine in den Händen. Im nächsten Moment rasten sie auf ihn zu. Sie durchdrangen den Stoff an den Schultern wie nichts, sägten in Fleisch und Muskeln. Der Japaner, der noch einen röhrenden Schrei ausstieß, konnte nichts mehr tun. Neben Köbes brach er zusammen! Nicht als normaler Mensch, sondern als Staubfahne, die auf dem teuren Pflaster der Kö einen grauen Hügel zurückließ. Das war einmal ein Mensch gewesen. Köbes, sonst nicht auf den Mund gefallen, konnte nichts mehr sagen. Er hockte auf seiner Decke wie jemand, der eingefroren war. Seine nähere Umgebung nahm er wie durch einen dicken Schleier wahr, und er achtete auch so gut wie nicht auf die beiden Samurai, die neben ihm erschienen, sich bückten und die Wurfsterne wieder an sich nahmen. Dann warfen sie sich mit gewaltigen Sprüngen zurück, tauchten wieder ein in den roten Kreis, der sich fauchend um sie zusammenzog, so daß sie in der nächsten Sekunde nicht mehr zu sehen waren. Sie nicht und der Kreis ebenfalls nicht! Der Spuk war gekommen, der Spuk hatte gemordet, der Spuk war wieder verschwunden. Und das unter zahlreichen Zeugen! Es war nicht zu fassen, es war unmöglich, es war unheimlich, und die Kö erlebte plötzlich eine Panik. Erst jetzt war die Erstarrung vorbei. Es gab kaum jemand, der noch in der unmittelbaren Nähe des furchtbaren Geschehens stehenblieb. Die Menschen spritzten nach allen Richtungen weg. Keiner nahm dabei Rücksicht auf den anderen. Man
rannte sich gegenseitig um, man lief auf die Fahrbahn, wo die Fahrer gezwungen waren, auf die Bremspedale zu treten. Dabei gabes nur einen leichten Auffahrunfall. Das alles sah Köbes, aber er nahm es nicht richtig wahr. Es drang nicht bis unter seine Haut, es glitt an ihm vorbei, und er schüttelte einige Male den Kopf, als wollte er die Bilder der Erinnerung so aus dem Gedächtnis löschen. Dann schaute er nach rechts! Genau dort hatte der Mann aus Japan gestanden, zum Greifen nahe. Und was war zurückgeblieben? Staub, grauer Staub, ein paar Kleiderfetzen und sonst nur Asche, von deren Spitze der Wind eine blasse Fahne holte und sie über den Gehsteig wehte. In der Kehle des Bettlers hatte sich eine Wüste festgesetzt. Es kratzte dort, er wollte etwas sagen, seine Furcht hinausschreien, selbst das gelang ihm nicht. Statt dessen fing er an zu lachen. Erst leise, kratzig und gleichzeitig kichernd. Dann immer lauter, schriller. Zuletzt brandete das Gelächter völlig unmotiviert über den Gehsteig hinweg, auf dem die Passanten noch immer standen und nichts begriffen hatten. Zumindest einige Mutige von ihnen. Die meisten waren geflohen. Auf der Fahrbahn war der Verkehr zum Erliegen gekommen. Wild diskutierende Menschen liefen umher, um dann ruhiger zu werden, als sie das Jaulen der Sirenen hörten. Die Polizei kam. Für Köbes kein Freund und Helfer. Er wäre am liebsten verschwunden. Statt dessen aber blieb er hocken, drehte seinen Hut um, ließ das Geld in seine Handfläche klimpern und stülpte die Kopfbedekkung über die Asche. Dann blieb er hocken, wischte über seine Augen, mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und ließ diesen furchtbaren Vorfall noch einmal Revue passieren. Es war nicht zu fassen, nicht erklärbar, unbegreiflich. Aber er wußte, was ihn erwartete, und er brauchte nicht mehr lange so hocken zu bleiben, denn zwei Uniformierte kamen auf ihn zu. Köbes beobachtete, wie sie gingen. Ihm gefielen diese Bewegungen nicht. Zu arrogant, aber so waren viele der Bullen — leider. Nicht bei allen Leuten, aber er hatte so seine Erfahrungen mit ihnen gemacht. Die älteren, die er besser kannte, mit denen konnte man noch reden, die hatten auch Verständnis, aber die jungen Kerle, die karrieregeilen, die wollten alles zweihundertprozentig machen. Sie tippten gegen ihre Mützenschirme und nickten ihm dann aus der Höhe zu. »Wir hörten, daß Sie Zeuge waren.« »Ja.« »Dann erzählen Sie mal.« »Nein, nicht euch!«
Die Gesichter der Beamten liefen rot an. Einer legte seine Hand an das linke Ohr. »Sollten wir uns da etwa verhört haben, Meister?« Köbes schüttelte den Kopf. »Das habt ihr nicht. Aber ich will nicht mit euch sprechen. Nehmt es nicht persönlich. Was ich zu sagen habe, muß ein Oberbulle wissen.« »Hören Sie .. .« »Ich rede nur mit einem von den Kriminalen! Und davon auch nur mit einem Obermotz.« Es dauerte fünf Minuten, bis die beiden Beamten begriffen hatten, daß der Bettler nicht umzustimmen war. Einer von ihnen wandte sich ab. In der Bewegung noch sprach erKöbesan. »Wenn Sie Misterzahlt haben, können Sie was erleben.« »Das habe ich nicht.« »Okay, wir werden sehen.« Er ging weg, der zweite blieb zurück. Seine Kollegen hatten mittlerweile einen bestimmten Teil des Gehsteigs abgesperrt, standen hinter der rotweißen Grenze und befragten die Zeugen. Dabei wunderten sie sich, daß sie immer die gleiche Antwort bekamen. Es gab keinen Menschen, der etwas anderes sagte. Sie sprachen von einem roten Kreis, von zwei unheimlichen Gestalten, die etwas geworfen hatten und von einem Mann, der neben dem Bettler gestanden hatte und verschwunden war. Sie wiesen auch stets darauf hin, daß der Bettler dies bestätigen könnte. Der aber hielt den Mund und drehte sich mit zitternden Fingern eine Zigarette. So leicht ließ sich der Schock nicht abschütteln. Es dauerte mehr als zwanzig Minuten, als von einer Nebenstraße, der Königstraße, ein Wagen kam und zwei Männer entließ, die den Bettler direkt ansteuerten. Der eine von ihnen trug einen Staubmantel und erinnerte Köbes an einen amerikanischen Serienhelden, dessen Name ihm momentan nicht einfiel. Der andere trug eine grüne Lederjacke und sah mehr aus wie ein Leibwächter. Dementsprechend war sein scharfer Blick. Der Mann im Mantel stellte sich als Kommissar Gütgen vor. Auch Köbes sagte seinen Namen. »Und Sie wollten mich sprechen?« Der Bettler lachte. »Ich weiß nicht, ob ich gerade Sie sprechen wollte, aber gehören Sie zu den oberen Kriminalen?« »So ähnlich.« »Gut, ich glaube Ihnen.« »Dann möchte ich Ihre Geschichte hören.« Köbes rauchte zwei Züge und drückte die Kippe aus, sonst hätte sie ihm die Finger verbrannt. »Also gut, Kommissar. Was ich Ihnen jetzt sage, klingt unwahrscheinlich und grauenhaft. Es ist aber wahr, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
»Wir hören.« Sie hörten nicht nur zu, sie machten sich auch Notizen. Je länger Köbes redete, um so länger wurden auch ihre Gesichter. Synchron schüttelten sie die Köpfe, als könnten sie kein Wort von dem glauben, was Köbes ihnen da berichtete. »Hören Sie, das kann nicht stimmen. Das ist unmöglich.« Der Bettler lachte. »Haben Sie eine Ahnung. Fragen Sie die anderen, die müssen das gleiche gesehen haben wie ich.« Er hatte laut gesprochen und war auch von anderen Zeugen gehört worden, die tatsächlich nickten und ihm recht gaben. Gütgen kam sich in die Enge gedrängt vor. »Haben Sie denn auch Beweise?« Er fragte es wie nebenbei und bekam Telleraugen, als Köbes seinen alten Hut hochnahm. »Was ist das denn?« »Staub, Herr Kommissar. Oder Asche. Die Überreste des Japaners, der von diesen Dingern getroffen wurde.« Auch der zweite Polizist konnte es nicht fassen. Er stand da und schüttelte den Kopf. »Ein Witz — oder?« »Kein Witz, Meister.« »Aber das kann doch nicht.. .« »Doch, es kann. Er ist neben mir zu Staub verfallen, wenn ich Ihnen das sage.« »Geht das denn, Heinz?« Gütgen hob die Schultern. »Ich glaube es nicht. Ich kann es einfach nicht glauben.« »Sie können ja die Asche untersuchen«, schlug Köbes vor. »Keine Sorge, das werden wir auch.« Gütgen winkte einen Beamten heran, erklärte ihm das Problem, der Mann verschwand und kehrte sehr bald mit einer Plastiktüte zurück und einem schmalen Löffel. Sehr vorsichtig schaufelte er die Asche in die Tüte. »Es ist kein Knochen mehr dabei«, flüsterte der Kommissar. »Stimmt«, bestätigte Köbes. »Es ist alles wie weggeblasen. Der fiel innerhalb einer Sekunde zusammen. Wenn man einem Ballon die Luft herausläßt, geht das langsamer.« »Tja«, murmelte Gütgen, »was machen wir denn da?« »Wir lassen es untersuchen, und zwar sofort.« Gütgens Kollege nahm die Tüte mit, als er ging. Der Kommissar stellte noch einige Fragen. Ihn interessierten die beiden Männer, mit denen der Mann kurz vor seinem Ende gesprochen hatte. Da mußte der Bettler lachen. »Das waren Japaner, Herr Kommissar. Können Sie die auseinanderhalten?« »Nein.« »Ich auch nicht. Das ist für mich zu schwer. Die könnten mich umrennen, ich würde sie nicht erkennen. Zudem waren sie fast gleich angezogen. Diese feinen Anzüge, verstehen Sie?«
»Ja, ich begreife schon.« Gütgen hob die Augenbrauen. Tatsächlich begriff er nur, daß er einen Zeugen vor sich hocken hatte, dessen Aussage protokolliert werden mußten. »Sie begleiten mich aufs Präsidium. Dort werden wir alles fein säuberlich festhalten.« »Typisch Beamte.« »Das muß aber sein. Stehen Sie bitte auf.« Köbes erhob sich ächzend. »Mann, daß Sie einem alten Knaben wie mir so etwas antun.« »Nichts mehr gewohnt, wie?« meckerte Gütgen. »Wenn Sie arbeiten würden, dann . ..« Der Bettler lachte. »Mensch, Kommissar. Sie sitzen auf Ihrem Beamtenstuhl und haben keinen Arm verloren.« Köbes präsentierte ihm seinen Stumpf. »Reicht das?« »Ja, schon gut. 'tschuldigung.« Der Beamte nickte. »Kommen Sie, wir fahren zum Präsidium. Bevor Köbes folgte, schlug er noch seinen Hut aus. Der Staub, der aus den Rändern quoll, stammte nicht von der Asche des Toten. Er hatte schon seit Wochen im Stoff gehangen. Da Gütgens Assistent mit dem Wagen des Kommissars davongebraust war, stiegen sie in einen Streifenwagen. Köbes lachte, als er sich hinsetzte. »Ist schon lange her, daß ich die Ehre hatte, in einem solchen Wagen zu sitzen. Ich glaube, ich lasse nach oder werde tatsächlich alt.« Der Kommissar gab keine Antwort. Dafür ließ er den Fahrer anrollen. Vorbei an den Zeugen, in deren Gesichtern sich noch immer der Schrecken widerspiegelte. Köbes mußte immer wieder an den Japaner denken. Es tat ihm so verdammt leid, daß der Mann auf diese schreckliche Art und Weise gestorben war. Das hatte er nicht verdient gehabt. Der Bettler fragte sich weiter, was dahintersteckte. Mit dem Verstand war das nicht mehr zu erklären. So, wie der Japaner zu Tode gekommen war, gab es nur eine Erklärung. Da mußten Kräfte dahinterstecken, die aus einer anderen Welt stammten. Er hatte mal darüber gehört. Ein alter Kollege von ihm glaubte an Geister und Gespenster. Oft hatte er davon erzählt, von seinen Begegnungen der gruseligen Art, wie er immer gesagt hatte. Ihm war nur nie geglaubt worden. Jetzt dachte Köbes anders darüber. Im Büro des Kommissars war es zu warm. Gütgen ließ das Faltrollo runter, nahm Platz und streckte die Beine aus. Köbes hatte sich auf den Besucherstuhl gesetzt. »Da habe ich es besser«, meinte er. »Wieso?« »Ich kann an der frischen Luft arbeiten.« Der Kommissar verzog das Gesicht. »Arbeiten ist gut, aber das mit der frischen Luft stimmt.« Er wollte die Schreibmaschine auf seinen Tisch
stellen, als die Tür wuchtig aufgestoßen wurde und der Kollege des Kommissars den Raum betrat. »Verdammt«, sagte er nur. »Der Bettler hat nicht gelogen. Die Asche stammt tatsächlich von einem Menschen.« »Bist du sicher?« »Hundertprozentig.« Köbes konnte sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. »Was habe ich Ihnen gesagt?« Gütgen winkte ab. »Schon gut. Wissen Sie denn noch mehr? Ist Ihnen was eingefallen?« »Klar.« »Dann raus damit.« »Das sind Geister gewesen, Kommissar, die so etwas getan haben. Richtige Geister.« Gütgen sagte nichts. Er lachte nicht einmal, und sein Kollege schaute betreten zu Boden. Er wurde von Gütgen angesprochen. »Was machen wir? Sollen wir nach Geistern fahnden?« »Nicht allein wir. Ich würde ein Fernschreiben aufsetzen. An Interpol, an die anderen Polizeidienststellen in Europa.« Der Kommissar lachte. »Glauben Sie nicht, daß wir uns damit lächerlich machen?« »Kann sein. Immer noch besser, als nichts zu tun. Ich habe das Gefühl, als würde hierein großes Ding laufen. Seit sich bei uns in Deutschland einiges verändert hat und jeder von der Vereinigung spricht, stehen die Japaner Gewehr bei Fuß, um in den neuen Wirtschaftsmarkt einzufallen.« Gütgen schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Aber nicht mit derartigen Methoden.« »Kennst du die Japaner?« »Nein.« »Eben. Dann wäre ich vorsichtig.« Der Kommissar atmete tief durch, schaute auch Köbes an, der nur die Schultern hob und zusah, wie Gütgen abwinkte. »Okay, ich gebe das Fernschreiben auf...« *** In den letzten Wochen hatten wir einiges an neuen Dingen erfahren, und zwar auch speziell über Japan und eine Dämonenart, die sich Tengu nannte. Es waren im Prinzip Wesen, die wir weder stoppen noch töten konnten, deshalb dachte mein Freund und Kollege Suko auch sofort an einen Tengu, als er von einem Mann namens Jack Osiku angerufen und um ein Treffen gebeten wurde. Er hatte natürlich hinterfragt, denn er wollte wissen, wer dieser Osiku überhaupt war.
Es gab kein Dossier über ihn. Ich war dabei, als Glenda ihm die Nachricht überbrachte. »Nichts, mein Lieber. Der ist nicht registriert.« Ich hörte nicht hin, ich schaute nur hin, denn Glenda ging heute als Blume. Vorausgesetzt, man konzentrierte sich auf die untere Hälfte ihres Oberkörpers, wo ein im Grundmuster schwarzer, allerdings mit vielen bunten Sommerblumen bedruckter Stoff zur Hose geschneidert war, die sehr eng saß und die Beine genau nachzeichnete. Bis zum Bund reichte die taillierte Bluse in einem warmen Gelbton, die an den Schultern zusätzlich mit Straß bedeckt war und etwas Uniformhaftes besaß. »Was ist?« fragte sie mich. »Hast du noch nie eine Frau gesehen wie mich?« »Schon ...« »Aber?« »Nicht so verpackt.« »Wieso?« »Unten Blume, oben Feldwebel, geile Mischung.« Sie tippte gegen ihre Stirn. »Ab morgen kannst du in die Nähfabrik gehen und noch mehr dummes Zeug spinnen.« »Aber nur mit dir.« »Von wegen.« Sie verließ das Büro, denn auf sie wartete Arbeit. Ich wandte mich meinem Freund zu. »Willst du dich mit Osiku treffen?« »Kann sein.« »Und wo?« »Wenn ich das wüßte.« Ich schüttelte den Kopf. »Hat er nicht gesagt, wo er zu erreichen ist?« »Nein, aber er will noch einmal anrufen.« Suko starrte vor sich hin. Wenn er diese Haltung einnahm, dachte er meist intensiv nach. »Seine Stimme, John, hat geklungen wie die eines Mannes, der Furcht hat.« »Vor einem Tengu!« »Das ist nicht sicher. Ich kann es auch nicht so recht glauben, nein, ich denke da anders.« »Wovor denn sonst?« »Wenn ich das wüßte«, murmelte Suko. Er hob die Schultern. »Ich muß auf den zweiten Anruf warten.« »Wann kommt er?« »Keine Ahnung.« »Andere Frage. Soll ich dabeisein, wenn du dich mit ihm triffst?« »Als Rückendeckung höchstens. Du weißt ja, wir sind etwas schwierig, wir Asiaten, und haben oft nur zu den Menschen mehr Vertrauen, die auch aus Ostasien stammen. Da spielt es keine Rolle, ob es ein Chinese oder ein Japaner ist.« »Das wird sich wohl nie ändern — oder?« »Nein.« Ich reckte mich. »Du kannst mir ja Bescheid sagen, wenn er wieder angerufen hat.« Suko bekam große Augen. »Gehst du weg?« »Ja.« »Wohin?« Ich war schon an der Tür und drehte mich um. »Zum Klo, wenn es beliebt.«
»Okay, mach für mich mit.« Ich drohte mit der Faust. »Aber wehe, du mußt nicht!« Dann verschwand ich schnell und passierte die an der Schreibmaschine sitzende und eifrig tippende Blume. Glenda sagte nichts mehr. Wahrscheinlich hatte ich sie beleidigt. Inzwischen wurden Sukos Sorgenfalten immer dichter. Wenn nur nicht dieses verdammte Gefühl gewesen wäre, das sich einfach nicht vertreiben ließ. Er ahnte nicht nur, nein, er wußte, daß da eine gefährliche Lawine auf ihn zurollte und daß er ohne eine Chance war, sie zu stoppen. Das ärgerte ihn maßlos. Wieder meldete sich das Telefon. Er hatte den Hörer kaum an sein Ohr gedrückt, vernahm er schon die flüsternde Stimme. »Hier ist Jack Osiku.« »Das wurde auch Zeit. Sagen Sie, was . ..« »Keine langen Fragen jetzt. Sind Sie bereit, sich mit mir zu treffen, Suko?« »Sicher.« »Dann nehmen wir die Tower Bridge!« »Was?« rief Suko. »Können Sie sich keinen besseren Treffpunkt aussuchen? Dort herrscht verdammt viel Verkehr, hinzu kommen die Touristen, die nach London strömen und den Schatz im Tower besichtigen wollen. Da ist. ..« »Um Mitternacht nicht mehr viel Verkehr.« Suko stimmte zu. »Also gut, um Mitternacht. Und wo dort genau?« »Auf der Brücke. Warten Sie dort auf mich. Ich werde mit dem Wagen kommen.« »Sie dürfen dort nicht anhalten.« »Unsinn. Ich werde dort nur kurz stoppen, und Sie steigen ein.« »Darf ich fragen, wohin wir fahren?« »Ich weiß es noch nicht. In diesem Fall muß ich mich innerhalb kürzester Zeit entscheiden! Quasi aus dem Bauch heraus.« »Hören Sie, Osiku, wer sind Sie eigentlich?« »Das werde ich Ihnen später sagen. Und kommen Sie allein! Klar? Nicht Ihr Freund.« »Was haben Sie gegen den?« Eine Antwort bekam Suko nicht, denn der Anrufer hatte bereits aufgelegt. Suko blieb nachdenklich auf seinem Platz sitzen und hockte noch in der gleichen Haltung dort, als ich eintrat, ihn ansah, grinste und sagte: »Du hast mich auf den Arm genommen.« »Wieso?« »Du mußtest gar nicht.« »Ach ja?« Die Antwort und Sukos Gesichtsausdruck sagten mir genug. Wahrscheinlich hatte sich der Unbekannte wieder gemeldet, und ich sprach meinen Freund darauf an. »Ja, das stimmt.«
»Und wie hast du reagiert?« Suko legte die Hände gegeneinander. »Ich werde ihn treffen, John.« »Von mir sprichst du nicht?« Er grinste. »Was soll ich auch von dir reden? Er hatte ausdrücklich verlangt, daß ich ohne dich komme.« Ich verzog die Lippen. »Verdammt, so etwas kenne ich doch. Du hättest gesagt, das ist eine Talle und .. .« »Ich weiß nicht, ob es eine Falle ist. Jack Osiku klang mir ehrlich, da verlasse ich mich auf mein Gefühl. Deshalb werde ich auch fahren und um Mitternacht an der Tower Bridge sein. Alles andere muß warten.« »Danke.« Ich saß wieder. »Darf ich fragen, welchen Part du für mich ausgesucht hast?« »Keinen. Du bleibst hier.« »Einfach so?« »Richtig.« Ich schaute Suko an, als hätte ich einen Geisteskranken vor mir. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.« »Weshalb nicht?« »Nun ja, weil wir das niemals durchexerziert haben. Ich will dir eines sagen. Ich werde zwar offiziell nicht erscheinen, als Rückendeckung bleibe ich da.« »Und wenn es auffällt?« »Suko, was ist los?« Ich schüttelte den Kopf. »Du hast doch sonst nicht einen so großen Bammel davor.« Er nickte. »Das stimmt schon, Alter. In diesem Fall ist es wirklich gefährlich. Ich weiß nicht, was dahintersteckt, kann mich nur auf mein Gefühl verlassen, und das sagt mir nichts Gutes. Okay, du kannst mit, aber halte dich bitte zurück. Ich schätze, daß es eine innerasiatische Angelegenheit ist.« »Hier in London, mitten in Europa?« »Genau.« Ich verzog den Mund. »Das gefällt mir alles nicht, Alter.« Er stand auf. »Denkst du mir? Ich weiß nichts über einen Jack Osiku, die Fahndung kennt den Namen nicht, dennoch habe ich das Gefühl, daß er in der Branche ein Großer ist.« Ich schnippte mit den Fingern. »Du hast das richtige Wort erwähnt. Branche.« »Ja.« »Was meinst du damit?« »Ich denke dabei nicht an die Tengus, sondern an eine Organisation, die in Asien wesentlich mächtiger ist als die Mafia. Yakuza, John. Ist eine Theorie von mir.« »Ja, mehr auch nicht.« Mein Nicken sagte ihm alles. »Mit Shao könnte das nichts zu tun haben?« »Keine Ahnung.«
Es hatte wirklich keinen Sinn, daß wir hier die großen Diskussionen führten. Herauskommen würde dabei nichts. »Okay, Alter, belassen wir es dabei. Du fährst um Mitternacht auf die Tower Bridge und erwartest diesen Jack Osiku.« »Genau. Aber was machst du?« Ich zwinkerte ihm zu. »Das sage ich dir doch nicht. Vielleicht pappe ich mir Flügel an und spiel' deinen Schutzengel...« *** Die Themse kam Suko vor wie ein grauer fließender Teppich, auf dessen Oberfläche hin und wieder helle Lichtreflexe schimmerten, als wären dort in verschiedenen Abständen Lampen an- und wieder ausgeschaltet worden. Sie wälzte sich durch das Bett mit ihren schmatzenden, gurgelnden Geräuschen, die in der Dunkelheit noch lauter klangen als am Tage. Wie für die Ewigkeit gebaut ragte das mächtige Gebilde der Tower Bridge in den Himmel. Suko kannte die Brücke, er kannte auch die nähere Umgebung sowie den Tower. Vor nicht allzu langer Zeit hatten er und sein Freund John Sinclair das Gespenst vom Tower gejagt und dabei auch die Umgebung näher in Augenschein nehmen können. Tagsüber rollte der Verkehr ohne Unterlaß über die Brücke, auch am Abend riß der Strom kaum ab. Anders war es in der Nacht. Da gab es die entsprechenden Ruhezeiten, die sich besonders ab Mitternacht einstellten. An diesem Abend allerdings wunderte sich Suko über den Verkehr, der trotz der späten Stunde noch von einem Ufer zum anderen rollte, als wollten die Wagen allein Suko ärgern und seine Mission erschweren. Er wartete im Schatten des Tower Hotels, eines alten Kastens, der meist von Touristen frequentiert wurde. Hier jedenfalls hatte Suko einen Parkplatz finden können. Wie immer war er früher gekommen. Erstieg aus und nahm den fauligen Geruch wahr, den der Wind herbeiwehte. Die Nacht war nicht sehr kalt. Anscheinend wollte der Frühlung in diesem Jahr auch die Stadt London nicht übergehen und hatte wegen der wärmeren Temperaturen mehr Menschen ins Freie gelockt als üblich. Begeistert war Suko nicht davon. Falls es zu irgendwelchen Auseinandersetzungen kam, sollten nicht noch Zeugen hineingerissen werden. Auch um diese Zeit war es nicht ruhig. Vom Hotel her hörte er das Singen der Gäste. Die Lieder kannte Suko nicht, sie mußten aber aus Germany stammen, denn das Wort Rhein kam besonders oft vor.
Ihn störte die Schreierei nicht. Wichtig war nur, daß er sein Ziel erreichte, wobei er zunächst im Schatten des hochaufragenden Brückenturms stehenblieb. Bis zum vereinbarten Treffpunkt blieb ihm noch eine Viertelstunde, und der Weg auf die Fahrbahn war schnell zurückgelegt. Wo sich John Sinclair aufhielt, wußte er nicht. Trotz intensiver Fragen hatte es ihm der Geisterjäger nicht sagen wollen! Er glaubte allerdings nicht daran, daß er auf einem der patrouillierenden Polizeiboote sein Versteck gefunden hatte, dann wäre er doch zu weit vom Ort des Geschehens entfernt gewesen. Auf dem Wasser herrschte zwar weniger Betrieb, aber es gab einige Boote, die noch unterwegs waren! Ausflügler, die ein solches Schiff gechartert hatten und ihre Touren fuhren. Ein Wirrwarr aus Musikfetzen und Stimmen wehte Suko entgegen und verklang, je größer die Distanz wurde, die das Schiff zwischen sich und dem Lauscher brachte. Suko hielt natürlich nach Beobachtern Ausschau, weil er davon ausging, daß er unter Kontrolle gehalten wurde. Wer immer etwas von ihm wollte, ging bestimmt auf Nummer Sicher, um über all seine Schritte informiert zu sein. Er hatte nichts entdecken können, und so machte er sich auf den Weg zur Brücke. Rechts und links der Fahrbahn gab es Gehwege für Fußgänger. Nicht sehr breit, mehr Sicherheitsstege. Suko hoffte, daß nicht auch andere auf die Idee gekommen waren, um diese Zeit auf der Brücke einen kleinen Spaziergang abzuhalten. Verboten war es ja nicht. Vom Wasser brachte der Nachtwind Kühle mit, die gegen Sukos Gesicht streichelten. Der Himmel zeigte sich bedeckt. Nur dort, wo er aufgerissen war, schaute der Halbmond hervor und war umkränzt von funkelnden Sternen, die wie kostbare Edelsteine blitzten. Nicht nur die Frische des Themsewassers mischte sich in den Wind, er brachte auch Abgase mit, die die vorbeifahrenden Wagen hinterließen. Sie strömten aus den Auspuffrohren und krochen wie Nebel über den Asphalt. Suko bewegte sich am Rand des mächtigen Geländers entlang. Er schaute sich dabei des öfteren um und kam sich vor wie jemand mit schlechtem Gewissen. Kein Wagen hielt. Sie alle fuhren vorbei, schoben ihre Lichtstreifen vor sich her, die auch Suko streiften. Noch zwei Minuten bis zur Tageswende. Wenn dieser Jack Osiku pünktlich war, mußte er sich jetzt schon auf einer der Zufahrtsstraßen befinden.
Etwa auf der Brückenmitte blieb Suko stehen. Sein Rücken zeigte zum Wasser. Der Wagen kam. Er rollte flüsternd heran, bis der Fahrer das Fernlicht einschaltete. Der Inspektor war es nicht gewohnt, derartig geblendet zu werden, er tauchte nicht weg, denn im letzten Augenblick hatte er erkannt, daß es sich um einen Streifenwagen handelte, der herangefahren war. Die uniformierten Kollegen stiegen aus. Ihnen war der einsame Wanderer auf der Tower Bridge suspekt gewesen. Einer blieb am Wagen, der andere verlangte Sukos Ausweis. Natürlich ärgerte sich der Inspektor über die Kontrolle um diese Zeit und hoffte nur, daß sie so schnell wie möglich vorbei war. Die Männer bekamen starre Gesichter. »Reicht Ihnen das?« fragte Suko. »Natürlich. Wir wußten nicht, daß Sie im Dienst sind und . . .« »Fahren Sie bitte.« »Falls wir Ihnen behilflich sein können, dann . . .« »Bitte, fahren Sie!« drängte der Inspektor. »Sie sind mir behilflich, wenn ich Sienichtsehe. Verstehen Sie?« »Natürlich, Sir.« Suko war egal, was die Männer von ihm hielten. Er hatte einfach unhöflich sein müssen. So schaute er den Heckleuchten des Fahrzeugs hinterher und konnte auch auf seine Uhr sehen. Mitternacht war vorbei! Es ärgerte ihn, daß er aufgehalten worden war. Wenn ihn der Unbekannte beobachtet hatte, würde er sicherlich das Falsche denken. Dabei hatte Suko überhaupt nicht vorgehabt, ihm eine Falle zu stellen. Er ging einige Yards weiter, hielt wieder an und schaute auf das Wasser. Er wußte nicht, ob es Zufall war, jedenfalls entdeckte er wieder ein Polizeiboot. »John«, flüsterte er, »Wenn du hier angefangen hast, ein Netz der Überwachung zu spannen, kündige ich dir die Freundschaft.« Er hatte die letzte Silbe kaum ausgesprochen, als ihn abermals der Schleier des Fernlichts umhüllte. Allerdings nur kurz, dann leuchtete das Licht wieder normal. Für Suko war es eine Botschaft. Er wußte, daß es der Mann war, den er treffen sollte, und hob kurz die Hand. Ein Wagen rollte näher. Es war ein Mercedes der oberen Preisklasse. Dicht neben Suko stoppte das Fahrzeug. Die Fondtür schwang auf, es wurde nicht hell im Innenraum. Aus dem Dunkel drang die etwas kratzige Stimme, die Suko als die des Anrufers identifizierte. »Steigen Sie ein, Suko.« »Wo fahren wir hin?« »Steigen Sie ein, schnell.«
»Gut.« Er nahm das Risiko an und drückte sich in den Fond. Die Tür hatte er kaum zugezogen, als der Wagen wieder anfuhr. Selbst das Nummernschild hatte Suko vor dem Einsteigen nicht erkennen können. Er warf einen Blick nach rechts. Der Mann, der dort hockte, mußte Jack Osiku sein. Ein gedrungen wirkender Japaner mit einem kleinen Kopf, auf dem nur wenige graue Haare wuchsen. An den kurzen Fingern schimmerten einige Ringe. Bis zum anderen Ende der Brücke fuhr der Wagen, verließ etwas später die Fahrbahn, schlug einen Bogen und fuhr wieder zurück, allerdings auf eine freie Fläche dicht am Flußufer, die auch als Parkplatz benutzt werden konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Mann kein Wort gesprochen! Erst als das Fahrzeug stand, ergriff er das Wort. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Suko.« »Sie vielleicht, ich weniger.« »Warten Sie es ab.« Suko hatte gesehen, daß sich zwischen dem Fahrer und dem Fond eine Trennscheibe befand. Der Mann vorn konnte nicht hören, was die beiden sprachen. So ganz koscher kam Suko dieser Jack Osiku nicht vor. Er hielt ihn für einen Gangster der oberen Sorte, für einen Mann, der die Fäden in der Hand hielt. »Wollen Sie rauchen?« fragte Osiku. »Nein.« »Darf ich?« »Bitte.« Mit etwas umständlichen Bewegungen holte Osiku ein ledernes Etui aus der Innentasche. Sorgfältig wählte er unter den drei Zigarren aus und nahm die mit der hellsten Farbe. Gleichzeitig schaltete er eine Sauganlage ein, damit der Rauch nicht zu stark störte. Einige Züge paffte er und nickte zufrieden. Suko schaute nach draußen. Der Wagen war so geparkt worden, daß sein Blick auf die Tower Bridge fallen konnte. FürSuko interessierte ersieh nicht, und der Inspektor wollte ihm noch zehn Sekunden geben. So lange brauchte er nicht zu warten, denn Osiku begannn zu sprechen. »Sie wissen nichts, wie?« »Nein.« »Was haben Sie sich denn gedacht?« »Bisher nichts.« »Kommen Sie, Inspektor, Sie werden doch Erkundigungen über mich eingezogen haben.« »Das stimmt.« »Was kam dabei heraus?« »Nichts.« Osiku lachte. Es war mehr ein Glucksen, als würde er sich darüber freuen, daß es so gekommen war. »Ich bin ein Niemand, ich bin jemand, der gar nicht auffällt.« »Das will ich nicht unbedingt sagen. Sie scheinen sich nur gut getarnt zu haben.«
Der Japaner drehte den Kopf. Die Zigarre hatte er jetzt zwischen seine Zähne gesteckt, wo sie hervorschaute wie ein Pfahl. »Gut, Suko, wirklich gut.« »Was wollen Sie?« »Okay, kommen wir zur Sache. Sie wollen nichts sagen, ich werde Sie deshalb fragen. Sie kennen die Tengus?« Suko schluckte, sagte nichts und dachte nur daran, daß er sich doch geirrt hatte. Er blieb bei seiner Antwort vorsichtig. »Das könnte durchaus sein.« »Reden Sie nicht, Sie kennen die Tengus. Ich weiß, was hier vor einiger Zeit passiert ist und daß Sie es wohl kaum schaffen werden, dieser Plage Herr zu werden.« »Bitte — und weiter?« »Um die Tengus geht es nicht. Sie können sich selbst auf die Schulter klopfen.« »Dazu besteht für mich kein Grund. Sie werden nicht gekommen sein, um mir Märchen zu erzählen.« »Das nicht.« »Weshalb sitze ich hier?« »Schwer zu sagen, Inspektor. Sie sind zwar Chinese, ich hätte mich besser an einen Landsmann von mir wenden sollen, aber ich kenne keinen, der hier eine so exponierte Position ausfüllt wie Sie. Verstehen Sie mich, Inspektor?« »Schon, nur weiß ich nicht, was das soll. Wollen Sie mir Honig aufs Butterbrot schmieren?« »Bestimmt nicht.« »Was dann?« »Ich möchte Sie vor einer verdammten Gefahr warnen, die wie eine Seuche in diese Stadt eindringen wird.« »Und wie heißt die Seuche?« »Yakuza!« Suko saß unbeweglich und stellte fest, daß in seinem Innern eine Alarmglocke anschlug. Er hatte bisher nicht viel mit den Yakuza zu tun gehabt, wußte aber genug über die große Verbrecher-Organisation Japans, die einen Umsatz machte, der sich auf zweistellige Milliardensummen bezifferte und für die es zwei Werte gab: Macht und Geld. Dabei setzten sie rücksichtslos jedes Mittel ein! Sie saßen überall an den Schaltstellen, auf sie hörten Polizisten ebenso wie Politiker. Vom normalen Volk einmal ganz zu schweigen. Ein Heer von Killern arbeitete für sie, dabei hinterließen sie kaum Spuren, denn ihre Gegner verschwanden spurlos. Jedes Mitglied dieser Bande war kunstvoll tätowiert oder schlug sich, zum Zeichen der Ergebenheit, den einen oder anderen Finger ab. Disziplin hieß das eherne Grundgesetz dieser Organisation, die von drei Bossen geleitet wurde, deren Namen in Japan
bekannt waren und die zudem auch ehrenwerten Geschäften nachgingen, aber die brachten nur zwanzig Prozent des Umsatzes. Wer der Organisation angehörte, der biß sich lieber die Zunge ab, als etwas darüber zu verraten. Die meisten hatten sich oft genug von unten her hochgedient und mußten als Novizen Tag und Nacht die teuersten Mercedes-Wagen ihrer Bosse wienern. Drogen, Glücksspiel, Erpressung, Prostitution, das alles zählte zu ihrem großen Geschäft. »Sie denken über meine Worte nach?« »Stimmt.« Der Japaner rauchte und lachte. »Ja, es ist ein Problem geworden, das will ich Ihnen sagen.« »Okay, ich wüßte nur nicht, was ich mit dieser Organisation zu tun haben soll.« Osiku nickte. »Noch nichts. Es wird kommen, deshalb will ich Sie warnen.« »Gehören Sie selbst dazu?« Suko bekam auf diese Frage keine Antort. »In Düsseldorf wurde ein Bruder von mir getötet.« »War es ein echter Bruder?« »Ja, wir waren Geschwister.« »Und weshalb wenden Sie sich da an mich? Ist die deutsche Polizei nicht zuständig?« Jack Osiku lachte leise. »Im Prinzip haben Sie recht. Mir geht es mehr um die Umstände des Todes. Sie kennen die berühmte Königsallee, auch Kö genannt?« »Natürlich.« »Dort erwischte es meinen Bruder. Es sind die Umstände seines Todes, die mich zu Ihnen geführt haben. Er starb von einer Sekunde zur anderen, zerfiel zu Staub.« Suko räusperte sich, denn diese Eröffnung hatte ihn mehr als überrascht. »Sie glauben mir nicht?« »Das habe ich nicht gesagt. Ich wundere mich nur, daß das möglich ist. Daß es in . ..« »Hören Sie, Inspektor. Mein Bruder wurde getötet, er wird nicht der einzige Tote bleiben, das kann ich Ihnen versichern. Die Yakuza haben ihre Killer nach Europa geschickt, und es sind keine normalen Mörder gewesen. Ich habe mit den Polizisten sprechen können. Ein Zeuge war in der Lage, die Killer zu beschreiben.« »Dann ist ja alles gut.« »Nichts ist gut, Inspektor. Es waren Samurai. Haben Sie gehört, Samurai?« »Und weiter?« »Sie trugen eine Kleidung, wie man sie vor einigen Jahrhunderten getragen hat. Als sie erschienen, passierte Folgendes . . .« In den
nächsten Minuten erfuhr Suko Einzelheiten des Attentats, und er mußte zugeben, daß sie ihn erschreckten. »Was sagen Sie jetzt, Inspektor?« »Stimmt es?« »Würde ich Ihnen das sonst erzählen?« »Da haben Sie wohl recht. Dann darf ich davon ausgehen, daß Sie ebenfalls zu den Yakuza zählen.« Jack Osiku fiel es nicht leicht, dies zuzugeben. Er paffte und schaute dem Rauch nach, dessen Wolken in Richtung Decke trieben, wo sie abgesaugt wurden. »Wenn ich etwas für Sie tun soll, sollten Sie Vertrauen haben, Mr. Osiku.« »Ich weiß.« Er nickte. »Ja, ich gehöre dazu. Mein Bruder und ich haben den europäischen Markt beobachten sollen, aber wir machten Fehler und wurden auf die Liste gesetzt.« »Fehler welcher Art?« »Interne Fehler. Die sind für Sie uninteressant, Inspektor. Jedenfalls will man hier aufräumen.« »Und hat zwei Killer geschickt.« Osikus dicke Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Was heißt hier, Killer geschickt. So einfach ist das nicht, Inspektor. Das sind keine normalen Killer. Sie setzten Waffen ein, die ihre Gegner nicht nur töten, sondern sie direkt in Staub verwandeln. Das müssen Sie einfach bedenken, Suko.« »Haben Sie eine Erklärung?« »Die habe ich in der Tat. Die Yakuza verlassen sich nicht mehr auf ihre alten Tötungsmethoden, sie haben sich derer erinnert, die es auch schon gab. Das Killen durch die Samurai. Aber es sind nicht irgendwelche, sondern zwei Mörder, die eigentlich schon lange tot sein müßten, Zombie-Samurai, verstehen Sie?« »Ja, ich habe begriffen.« »Dann ist es Ihr Job, Inspektor.« Fast wütend stopfte der Mann die Zigarre in den Ascher. »Bisher habe ich nichts davon gesehen. Ich muß mich auf Ihre Worte verlassen.« Jack Osiku zuckte zusammen. Er reinigte seine Fingerspitzen mit einem Tuch, weil Asche an der Haut geklebt hatte. Mit wesentlich schärferer Stimme fragte er: »Glauben Sie mir etwa nicht? Meinen Sie, ich hätte mir das alles aus den Fingern gesaugt? Nein, Suko, das darf nicht wahr sein. Wir kennen uns nicht, aber wir sind beide Asiaten und besitzen eine andere Mentalität als die Europäer. Es tut mir leid, denken Sie an Ihre Herkunft und denken Sie auch daran, daß man die Yakuza nicht verrät, es sei denn, man ist lebensmüde. Mein Bruder und ich haben Fehler gemacht, ihn erwischte es zuerst, jetzt ist die Jagd auf mich eröffnet. Sie können jeden Moment erscheinen, denn sie kommen aus
dem Nichts. Sie beherrschen die alte Kreismagie, die ihnen so etwas erlaubt. Ob Sie es wollen oder nicht, Inspektor, es wird Ihr Fall werden.« »Das befürchte ich leider auch.« »Und was bitte wollen Sie konkret dagegen tun?« »Noch nichts, ich müßte sie sehen.« »Dann wird es zu spät sein.« »Haben Sie Vorschläge, Osiku?« Der Japaner senkte den Kopf. Er überlegte, doch eine Antwort konnte er nicht mehr geben. Plötzlich zitterte ein Schrei durch den Wagen. Der Fahrer hatte ihn ausgestoßen, und er war trotz der Trennscheibe zu hören gewesen. Suko sah, wie sich der Mann auf dem Sitz bewegte und in eine bestimmte Richtung zeigte, zur Brücke hin. Auch Suko drehte den Kopf. Noch Sekunden zuvor hatte er von Beweisen gesprochen und sie gefordert. Jetzt bekam er sie geliefert, denn auf der Brücke zeichnete sich ein dunkelroter Kreis ab. Und in ihm standen, ihre Schwerter schwingend, die beiden mörderischen Samurai. Das Schreien des Fahrers war verstummt, dafür gab Jack Osiku einen Kommentar ab. »Ich gebe nicht mal eine Minute, dann sind wir tot!« *** Jack Osiku mochte es so sehen, Suko nicht. Er war ein Mensch, der nicht so rasch aufgab, der kämpfen konnte, der kämpfen würde, das hatte er sich fest vorgenommen. Noch taten die beiden Samurai nichts. Der einzige, der sich bewegte, war der Fahrer. Er stieß die Tür auf, wollte dem Wagen entwischen, doch Osiku holte ihn zurück. »Bleib!« Neben dem Fahrzeug blieb der Mann stehen. In seinen Augen lauerte ein irrer Blick. Er schwitzte vor Angst, wollte etwas sagen, brachte aber nichts über die Lippen, und im gleichen Moment waren weder der Kreis noch die beiden Samurai zu sehen. Sie hatten sich aufgelöst, so schnell, wie sie erschienen waren. Nur die normale Brücke lag vor ihnen. Auch Suko stieg aus. Die Kühle streichelte sein Gesicht. Er vernahm das Rauschen des Flusses und suchte den Parkplatz ab, auf dem nur wenige Wagen standen. Geträumt hatte er die Szene nicht, davon ging er aus. Aber wo, zum Henker, waren die beiden Killer verschwunden? Suko entfernte sich von dem Mercedes, blieb stehen, drehte sich, um dabei in alle Richtungen zu schauen. Keiner von ihnen ... Langsam ging er wieder zurück. Osiku hatte den Wagen nicht verlassen, der Fahrer stand noch daneben mit einem Gesicht, das Bände sprach. In ihn mußte eine höllische Angst gekrochen sein. Dabei sah er nicht so
aus wie jemand, der sich fürchtete. Breit und kompakt gebaut, mit mächtigen Fäusten. Der Ringfinger seiner linken Hand fehlte. Er war der Organisation treu ergeben. Sein Gesicht bestand nur aus dicken Speckfalten, die aufeinandergedrückt waren, und er fuhr Suko mit einer sich überschlagenden Stimme an, von der dieser kein Wort verstand. »Reiß dich zusammen, Junge!« »Samurai, Samurai!« Mit hektischen Bewegungen deutete der Leibwächter zur Brücke hin. »Sie sind weg!« »Ich möchte fahren!« meldete sich Osiku. Er hatte den Mercedes noch immer nicht verlassen. »Wohin?« Suko legte seinen Arm auf den Türholm. »Wo sind Sie sicher, Meister?« »Nirgends! Aber Sie werden bei mir bleiben. Vielleicht schaffen Sie es, die Samurai zu stoppen. Sie haben sich schließlich auch mit den Tengus angelegt.« Suko konnte sich eine zynische Bemerkung nicht verkneifen. »Und ich dachte immer, daß Yakuza keine Angst haben! Sie aber belehren mich eines Besseren, Osiku.« Er winkte heftig ab. »Hören Sie auf! Ich pfeife hier auf Traditionen und Rituale. Diese beiden Killer haben damit nichts mehr zu tun! Es sind lebende Tote, das ist ihr Job.« Er hat so verdammt recht, dachte Suko und überlegte, wie er sich verhalten sollte. Bei seinem Schützling bleiben? Mit ihm losfahren? »Wo wohnen Sie?« »Etwas außerhalb, in einem kleinen Haus. Die Organisation hat es für mich gekauft.« »Ihnen ist klar, daß Sie auch dort nicht sicher sind.« Osiku senkte den Kopf. »Da bliebe noch die Schutzhaft.« »Wo? Bei Ihnen?« »Ja, die Keller des Yard sind gut gesichert.« Der Japaner lachte schrill. »Was heißt hier gut gesichert. Für die Untoten gibt es keine Mauern und Wände, die kommen überall durch. Begreifen Sie das doch!« »Ich habe es begriffen. Wenn das so ist, dann bin ich leider überfragt.« Osiku nickte. »Ich glaube, daß es nur eine Möglichkeit für mich gibt. Ich muß den Weg der Ehre gehen.« »Harakiri?« »So ist es.« »Lassen Sie das bleiben!« warnte Suko. Jack Osiku lächelte. »Ich trage den Dolch immer bei mir, und ich werde es machen, wenn ich keine andere Chance mehr sehe. Durch Harakiri zu sterben, ist ein ehrenvoller Tod, sogar die Yakuza erkennt ihn an.«
»Ich aber nicht«, entschied der Inspektor. Osiku gestattete sich ein Lächeln. »Die Antwort hört sich an, als hätten Sie einen Entschluß gefaßt.« »Stimmt, wir fahren.« »Wohin?« »Zu . . .« Der Fahrer unterbrach Suko schon nach dem ersten Wort. Er fuhr herum und gestikulierte mit beiden Armen, bevor er rasch auf seinen Chef einsprach. Suko verstand nichts, weil beide Männer einfach zu schnell sprachen. Schließlich ballte Osiku seine rechte Hand zur Faust und stieß sie in die Tiefe. Der Fahrer schwieg und ging langsam zurück. Suko wandte sich an Osiku. »Was hat er gesagt?« »Er glaubt nicht, daß wir verschwinden können. Davon ist er fest überzeugt.« »Ach ja?!« »Er spürt das Grauen, das sich festgesetzt hat. Er merkt, daß etwas nicht stimmt. Wir . . wir sind nicht mehr sicher. Der Anblick der beiden Samurai hat auch ihn . . .« Blitzschnell packte Suko zu und zerrte den Mann zurück. Er stopfte den überraschten Japaner förmlich in den Wagen, und auch der Fahrer hechtete hinter das Lenkrad. Nur er und Suko hatten den roten Schatten gesehen, der durch die Dunkelheit gehuscht war. Er hatte sich noch nicht manifestiert, das würde nicht mehr lange dauern, und die Zeit wollte Suko nutzen. Die Trennscheibe senkte sich, als der Fahrer einen Kontakt berührte. »Fahren Sie!« brüllte Suko ihn an. »Los, fahren Sie hier weg!« »Nein, nicht!« Die Stimme des Mannes überschlug sich, und neben Suko gab der Japaner einen Laut ab, der sich anhörte, als würde Dampf aus einem Ventil zischen. Plötzlich stand der Kreis vor ihnen, als hätte ihn eine gewaltige Hand gemalt. Und aus ihm heraus sprangen zwei Gestalten mit einem bestimmten Ziel. Es war der Mercedes . .. Ich hatte mich geduckt, peilte über den Rand der Seitenscheibe hinweg und mußte einfach lächeln, als ich Sukos Wut sah, obwohl ich ihn verstehen konnte. Er redete mit den beiden Polizisten, die den Streifenwagen verlassen hatten, ihren Gast aber, mich, zurückließen, damit ich die Szene beobachten konnte. Es war mein Plan gewesen, mich zu verstecken, und ich hatte dabei auf Nummer Sicher gehen wollen. Zudem wollte ich sehen, wie sich mein Freund verhielt. Die Polizisten spielten großartig mit. Obwohl sie von mir eingeweiht worden waren, verhielten sie sich völlig natürlich.
Beim Einsteigen flüsterte der Fahrer: »Ihr Kollege, Sir, war sauer auf uns. Das haben wir gemerkt.« »Macht nichts.« »Sollen wir starten?« »Klar, er darf keinen Verdacht schöpfen.« Langsam rollten wir an, ich tauchte so tief in den Fond wie eben möglich und glaubte auch nicht, daß mich mein Freund entdeckt hatte. Ich richtete mich erst wieder auf, als wir die Brücke hinter uns gelassen hatten. »Wohin sollen wir jetzt fahren, Sir?« Mein Plan stand längst fest. »Bringen Sie mich dorthin, wo ich meinen Wagen abgestellt habe.« »Gut.« Sie waren zuvor informiert worden. Natürlich stand der Rover nahe der Brücke, denn ich wollte nach Möglichkeit alles unter meiner Kontrolle haben. Bisher war mir nichts Verdächtiges aufgefallen. Ich war gespannt, ob sich der oder die Killer überhaupt zeigten. Bei den Kollegen bedankte ich mich, als sie mich nahe des Ufers aus dem Fahrzeug ließen, und versprach ihnen, mich erkenntlich zu zeigen. Für die nächste Polizeifete wollte ich einen Kasten Bier spendieren. Dann verschwanden sie, ich blieb allein in der Dunkelheit zurück und kam mir ein wenig überflüssig vor, denn in meiner Umgebung tat sich nichts. Ich entdeckte keinen Schatten, keinen Killer. Niemand führte Regie und schickte mir irgendwelche gefährlichen Typen auf den Hals. Wichtig war die Brücke. Ich hatte mich so aufgestellt, daß ich sie im Blick behalten konnte. Auf Fotos sieht sie immer relativ klein aus. Stand jemand in unmittelbarer Nähe, wirkte das Bild anders. Da war sie ein futuristisches und gleichzeitig denkmalhaftes Gebilde aus Stahl und Stein. Daß Suko sich auf der Brücke aufhielt, war von meinem Standort aus nicht zu erkennen. In der Höhe und von unten her betrachtet, verringerte sich der Mensch zu einer zwergenhaften Größe. Ich kam mir, wenn ich näher darüber nachdachte, eigentlich überflüssig vor. Falls sich die Gegner auf Suko konzentrierten, war ich viel zu weit von ihm entfernt, um eingreifen zu können. Wenn Fahrzeuge über die Brücke huschten, schoben sie einen bleichen Schleier vor sich her. Ich hatte nicht mitbekommen, daß ein Wagen angehalten hatte, um meinen Freund aufzunehmen. Dann entdeckte ich etwas anderes. Es entstand blitzschnell und wie aus dem Nichts. Ein roter Kreis, sehr groß, schon übergroß. Und in ihm standen zwei Menschen.
Leider war die Entfernung zu groß, um sie genau erkennen zu können, aber sie sahen mir nicht so aus, als gehörten sie zu den normalen Bewohnern der Millionenstadt London. Mit einem Fernglas hätte ich mehr erkennen können, so aber mußte ich mich auf meine normalen Augen verlassen, und die bewiesen mir, daß dabei einiges schiefgelaufen war. Die beiden Männer trugen eine Kleidung, wie man sie einfach nicht anzog, für meinen Geschmack paßten sie mehr auf die Bretter einer Bühne. Sie wirkte wie ein Kostüm und wurde vom roten Widerschein des Lichtes umspielt. Sekunden nur blieb das Bild auf der Brücke. Dann war es weg. Blitzschnell und einfach so, als hätte es jemand in die Finsternis hineingeblasen. Leer lag die Tower Bridge vor meinen Blicken. Ich wischte mir über die Stirn, die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Was man mir da gezeigt hatte, war einlach verrückt, leider auch eine Tatsache, verbunden mit einem Hauch von Gefahr. Für mich stand fest, daß der Anrufer Suko nicht grundlos auf die Brücke gelockt hatte. Nur war er nicht zu sehen gewesen. Ich stand an einem Platz, von dem aus ich hätte in das Wasser der Themse spucken können. Der Strom wälzte sich durch das Bett. Ich hörte die klatschenden Geräusche, der Wind wehte gegen mein Gesicht, hinter mir rollte der nächtliche Verkehr, ich aber war eingehüllt in ein inselhaftes Dasein. Dieses Gefühl konnte ich schlecht erklären. Es war einfach vorhanden, eine Mischung aus Warnung und Gespanntheit. Die beiden Gestalten innerhalb des Kreises waren nicht grundlos aufgetaucht, vielleicht hatten sie sich als erste Warnung gezeigt, um irgendwann wieder zu erscheinen. Wer konnte das wissen? Natürlich wollte ich herausfinden, ob eines der Fahrzeuge von der Brücke her einen ungewöhnlichen Weg nahm. Dann wäre ich davon ausgegangen, daß Suko... Meine Gedanken stoppten von allein. Etwas stimmte nicht, ich spürte es genau. Steif blieb ich stehen. Bisher war ich mir ziemlich allein vorgekommen, das hatte sich nun geändert. Jemand mußte sich in meiner Nähe befinden, eine Person, die ich bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Wo sie sich aufhielt, konnte ich nicht feststellen und wußte auch nicht, ob es sich dabei um einen Menschen handelte. Es war ein Mensch, denn ich hörte eine weibliche Stimme, die mir eine Frage stellte. »Warten Sie auch auf die Samurai?« Ich flirrte nicht herum, überlegte mir die Antwort und sprach ins Leere hinein. »Wie meinen Sie das?« »Sie müssen sie gesehen haben.« Nach diesen Worten vernahm ich die Schritte, die auf mich zukamen. Jetzt erst drehte ich mich.
Die Frau war kleiner als ich, vom Körperbau her zierlich zu nennen! Sie trug dunkle Kleidung, auch das Stirnband, das ihre lange Haare festhielt, war dunkel. Im ersten Moment hatte ich an Shao gedacht, dann fiel mir auf, daß ihr Gesicht japanische Züge besaß, im Gegensatz zu dem der Chinesin Shao. Die Frau bewegte sich kraftvoll und grazil, wobei die enge Kleidung mit ihrem Körper verwachsen zu sein schien. Sie trug einen dunklen, sehr breiten Gürtel, der nicht zu ihr passen wollte. Sicherlich hatte sie einen Grund gehabt, um ihn umzuschnallen. Ich nickte ihr zu. »Es scheint mir, als hätten Sie mich gesucht, Miß . . .« »Ja.« »Dann kennen Sie mich?« »Sie sind John Sinclair.« »Gut gemacht. Und wer sind Sie?« »Ich heiße Sariana, Mr. Sinclair. Wie Sie sehen, bin ich Japanerin.« »Natürlich.« Ich lächelte. »Um Japan geht es in diesem Fall, wobei ich allerdings nicht viel mehr weiß, da müssen Sie mich schon entschuldigen.« Ihr helles Gesicht nahm für einen Moment einen nachdenklichen Ausdruck an. »Es ist gut, wenn die Mitwisser begrenzt bleiben, Mr. Sinclair. Es ist wirklich besser.« »Sie scheinen mehr zu wissen ajs ich ...« »Haben Sie den roten Kreis gesehen?« »Sicher. Ich konnte nicht vorbeischauen.« »Es war die alte Kreismagie.« »Gut, das nehme ich hin.« Ich nickte. »Aber es muß weitergehen, Sariana. Sie sprachen vorhin von zwei Samurai, wenn ich mich nicht getäuscht habe.« »Das ist richtig.« »Wo kommen sie her?« Ich bekam keine direkte Antwort. Sie schaute mich an, und auf ihren Lippen erschien ein Lächeln, als sie sagte: »Ich weiß, daß Sie das Unmögliche akzeptieren. So werden Sie auch meine Antwort nicht als Lüge hinnehmen wollen! Sie kamen aus der Vergangenheit. Man hat sie in die Gegenwart geholt.« Ich runzelte die Stirn. »Wenn sie aus der Vergangenheit gekommen sind und sich trotzdem bewegen, bleibt nur eine Möglichkeit. SamuraiZombies. Habe ich recht?« »Sie irren nicht.« Ich holte tief Luft. Es gefiel mir überhaupt nicht, zwei untote Samurai in London zu wissen. Ich selbst kannte die Samurai, ich wußte genau, wie sie kämpfen konnten. Auch als Untote hatten sie nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren. »Weshalb kamen die beiden nach London?« »Rache!« »Für wen?«
»Sie wollen diejenigen bestrafen, die alte Gesetze gebrochen haben! Die zu Verrätern an einer bestimmten Sache wurden! Das ist gewissermaßen die Lösung.« Ich hatte meine Zweifel. »Ist das tatsächlich so einfach, Sariana. Oder steckt mehr dahinter?« »Für Sie muß es einfach sein.« »Okay. Das akzeptiere ich alles. Ich möchte nur wissen, weshalb Sie hier erschienen sind?« »Vielleicht möchte ich Sie unterstützen.« »Sie sind gegen die Samurai?« »Ja, Mr. Sinclair. Ich will nicht, daß es passiert.« Sie strich durch ihr lackschwarzes Haar. »Daß ich mich dabei in eine tödliche Gefahr begebe, weiß ich selbst, aber es gibt Momente im Leben eines Menschen, wo man sich zusammenreißen muß, um gewisse Grenzen zu überspringen.« »Das verstehe ich. Weshalb gerade Sie?« »Sagen Sie nur nicht, daß ich nur eine Frau bin.« »Nein, um Himmels willen, daran habe ich nicht im Traum gedacht. Ich dachte tatsächlich nur an die Gefahr, die von den beiden Killern aus der Vergangenheit ausgeht. Ich kann mir vorstellen, daß sie sehr gut bewaffnet sind.« »Sie beherrschen ihre Schwerter perfekt. Natürlich auch die Wurfsterne und Würgeketten. Die alten Waffen gegen die hochgezüchtete Technik. Sie werden bald erkennen, wer Sieger ist.« Mich beeindruckte die Sicherheit der Frau. Sie stand vor mir wie eine Person, die genau wußte, wo es herging, und dich sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. »Hassen Sie die Samurai?« fragte ich. »Ich werde sie bekämpfen müssen.« »Weshalb?« »Über die Gründe möchte ich nicht reden. Nehmen Sie einfach hin, daß sie zu meinen Feinden gehören.« »Gegen die Sie Unterstützung suchen.« »So ist es. Sie und Ihr Freund werden es sehr schwer haben, falls es überhaupt zu schaffen ist. Ich will Ihnen etwas sagen. Wir sollten uns zusammentun. Diese Mörder brechen in den europäischen Kulturkreis ein und werden keine Rücksicht kennen. Sie kämpfen nach den uralten Regeln. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird getötet. Sie räumen jedes Hindernis zur Seite, wenn Sie verstehen.« »Ich weiß. Auch Suko?« »Das versuchen Sie.« »Wie stehen Sie zu Osiku?« »Ich kenne ihn.« »Mehr nicht? Haben Sie keine persönliche Beziehung zu ihm?« »Nein, aber ich weiß, wer er ist.« »Und?«
»Ein Yakuza!« Sie stieß die beiden Worte scharf hervor. Damit hatte sie mich allerdings nicht überrascht, weil ich mit Ähnlichem gerechnet hatte. Zudem wußte ich über die Yakuza Bescheid. Größer und mächtiger als die Mafia versuchte sie allmählich, ihren Einfluß auch in Europa auszubreiten. Dabei bedienten sie sich gefährlicher, rücksichtsloser und auch unmenschlicher Methoden! Für mich war die Yakuza ein Verein aus kriminellen Traditionalisten, die sich zusammengetan hatten, um ihre Ziele durchzusetzen, und dabei Methoden einsetzten, mit denen schon ihre Ahnen erfolgreich gewesen waren. »Ist dieser Begriff für Sie Motivation genug, um sich auf meine Seite zu schlagen?« fragte Sariana. »Er ist es.« »Dann kommen Sie mit.« »Darf ich fragen, wohin Sie mich bringen wollen?« Aus großen Augen und mit halb geöffnetem Mund schaute mich die junge Japanerin an. »Wissen Sie das nicht? Oder tun Sie nur so ahnungslos?« »Ich bin überfragt. Mein Partner hat mir so gut wie nichts gesagt. Er ist derjenige, an den sich Osiku wandte.« »Sie kennen den Parkplatz an der Brücke?« »Ja, hier in der Nähe.« »Dort müssen wir hin. Ich weiß, daß man Suko auf diesem Platz erwartet. Er bietet die günstigste Gelegenheiten, das können Sie mir glauben! Wo steht Ihr /Wagen?« Mir blieb in meiner Lage nichts anderes übrig, als der Frau Vertrauen zu schenken. »Kommen Sie mit!« Nach wenigen Schritten schon hatte ich den Rover erreicht und öffnete die Türen. Geschmeidig schwang sich Sariana auf den Beifahrersitz und flüsterte: »Wir können nur hoffen, daß wir nicht zu spät kommen.« »Mal sehen.« Ich gab Gas und schaute dabei nach links, weil sich die Frau bewegt hatte. Ihren Gürtel hatte sie aufgeklappt und eine Waffe hervorgeholt. Es war ein sehr dünner Stab, zu vergleichen mit einer Stricknadel und an den Seiten leicht angesägt. »Was ist das?« fragte ich. Sariana lächelte nur. »Ich habe den Umgang mit dieser Waffe lange geübt und hoffe, damit auch die lebenden Toten stoppen zu können.« Mehr fügte sie nicht hinzu. Ich aber fuhr an! *** Der Fahrer hatte zwei Möglichkeiten. Er konnte abbremsen oder voll auf die beiden unheimlichen Krieger halten, die schattenhaft über den Asphalt hinweghuschten.
Er fuhr auf die Krieger zu. Die Samurai wuchsen vor uns in die Höhe. Nur trafen sie keinerlei Anstalten, aus dem Weg zu gehen. Sie wollten den Kampf, bekamen ihn Sekunden später, als sie mit ihren Schwertern zuschlugen, die breite Motorhaube erwischten, das Blech dort zerschnitten und die Waffe tief in die Seele des Fahrzeuges hineinbohrten. Gleichzeitig erfaßte sie der Kühlergrill. Wie Puppen wurden sie in die Höhe geschleudert. Einer flog nach rechts weg, der andere aber klammerte sich trotzdem noch fest, hing plötzlich an der Fahrerseite, wo hinter der Scheibe sein rindenartiges furchtbares Gesicht erschien und er mit einem Kopfstoß das Glas zerbrach. Das alles war sehr schnell gegangen, Suko hatte es auch hingenommen und sich um seinen Schützling gekümmert. Jack Osiku klemmte zwischen den Sitzen, wo er am sichersten war. Der Fahrer fuhr Schlangenlinie. Er wußte nicht, wo sich der Samurai festgeklammert hatte, er wollte ihn nur loswerden, was ein Wunsch blieb, denn der andere war einfach zu stark. Endlich hatte Suko seine Beretta hervorgezogen! Er zielte und schoß. Kein Treffer, denn durch die Schleuderfahrt hatte auch er den Halt verloren und flog nach rechts, eng gegen die Innenverkleidung der Tür. Der Fahrer aber wollte nicht mehr. Der Anblick dieser beiden Samurai hatte ihn wild werden lassen. Plötzlich stieß er während der Fahrt die Tür auf. Suko wollte ihm etwas zuschreien, das Wort blieb ihm im Hals stecken. Der Fahrer wirbelte bereits über den Asphalt, wo er sich mehrere Male überschlug wie eine Puppe. Ob sich einer der Killer um ihn kümmerte, konnte Suko nicht sehen. Zudem mußte er versuchen nach vorn zu gelangen, um den Wagen zu stoppen. Der Krieger hing noch immer fest, dann ließ er plötzlich los, sein Gesicht verschwand, während Suko sich aufrichtete, weil er auf den Fahrersitz klettern wollte. Vor ihm tanzte der bleiche Lichtteppich der Scheinwerfer von einer Seite auf die andere. Das schwere Fahrzeug schleuderte noch immer, und dann geschah es. Im Licht tauchte etwas Breites, Dunkles auf: eine Mauer. Und der Mercedes raste genau darauf zu. Suko warf sich zurück. Dem Aufprall konnten sie nicht entgehen. Mit beinahe unverminderter Geschwindigkeit erwischte der breite Kühlergrill die Mauer. Furchtbare Geräusche umtobten sie. Ein Knirschen und Splittern, dazwischen Töne, als würde jemand schreien. Blech bog sich unter dem ungeheueren Druck zusammen, das Sicherheitsglas zerbröselte. Die einzelnen Stücke tanzten wie Schneeflocken, und die Kühlerhaube des Fahrzeuges veränderte sich zu einer Ziehharmonika.
Suko und sein Schützling waren zwischen den Sitzen eingeklemmt. Ihr Glück, denn so gelang es den Polstern, die Kräfte abzufangen, so daß ihnen nichts passierte. Plötzlich wurde es still. Es war eine lähmende Ruhe. Suko sah das schweißnase Gesicht des Yakuza dicht vor sich. Sogar die Frage zeichnete sich auf dessen Zügen ab. »Wir müssen raus! Es kann sein, daß der Tank beschädigt ist, das Benzin Feuer fängt und .. .« »Aber draußen lauern sie!« »So werden Sie auch gekillt. Dort haben wir noch eine geringe Chance zur Flucht!« Osiku fluchte in seiner Heimatsprache und überließ Suko gern den Vortritt, der die Tür an seiner Seite aufstieß. Sie ließ sich normal öffnen und hatte sich nicht verzogen. Kühle Luft strömte ihm entgegen. Auch er merkte, daß er leicht zitterte, aber er gehörte zu den Menschen, die ihre Nerven auch in extremen Lagen behielten. Wie ein Wiesel huschte er aus dem demolierten Wagen, blieb im Freien hocken, drehte sich in dieser Haltung und suchte nach einem der beiden Untoten. Er sah sie nicht. Dafür krabbelte Osiku aus dem Fahrzeug. Suko winkte ihn zu sich heran. Noch befanden sie sich in Deckung des zerstörten Wagens. Vor ihnen bildete die Mauer ein Hindernis. Sie reichte ihnen ungefähr bis zur Brust. Dahinter konnte sich einer der Samurai schon verstecken. Suko umgab ein ungutes Gefühl. So einsam die Umgebung auch schien, der Tod lauerte in der Nähe, davon war er fest überzeugt, ebenso wie Jack Osiku, dessen heftiges Atmen ihn störte. Der Mann lebte mit seiner Angst, er würde es nicht schaffen, sie zu überwinden. Dabei waren Yakuza darauf trainiert, nie die Nerven zu verlieren, bei ihm allerdings lagen sie bloß. »Was sollen wir tun?« hauchte er. »Es gibt eine Chance. Wir...« Suko hörte auf zu sprechen, weil der andere keuchend lachte. »Nein, ich sehe keine Chance. Verdammt, da kommen wir nicht durch.« Sein Gesicht glänzte mondhell, nur die beiden Augen schimmerten darin dunkel. »Ich habe noch einen Wagen. Er parkt ebenfalls in der Nähe. Bis zu ihm müssen wir uns durchschlagen.« »Die halten uns unter Kontrolle.« »Lassen Sie es uns versuchen.« »Und wo steht das Auto?« »Auf einem Platz im Schatten des Brückenturms. Sie bleiben immer dicht hinter mir. Sollten die Samurai erscheinen, überlassen Sie sie mir.« »Zwei gegen einen! Und die sind bewaffnet.«
»Bin ich auch.« Bevor Suko aufstehen konnte, hielt der Japaner ihn fest. »Denken Sie daran, Inspektor. Man hat meinen Bruder mit einem Wurfstern getötet. Als dieser ihn traf, zerfiel er zu Staub. Das sollten Sie sich immer vor Augen halten.« »Keine Sorge, ich werde es nicht vergessen.« Suko drückte sich so weit hoch, daß er über das Dach des Mercedes blicken konnte und den relativ freien Platz vor sich liegen sah. Deckung hätten den beiden Samurai-Zombies eigentlich nur die wenigen abgestellten Wagen bieten können. In deren Nähe tat sich nichts. Suko entdeckte auch nicht den Fahrer. Er drückte ihm nur die Daumen, daß er mit dem Leben davongekommen war. Suko konnte nicht zu lange warten. Schon nach dem ersten Rundblick hatte er nichts Verdächtiges gesehen. Wenn die untoten Samurai noch in der Nähe waren, dann hockten sie in einer Lauerstellung und guter Dek-kung. Er gab dem Japaner das Zeichen. Osiku kam nur mühsam hoch. Er atmete schnell und hastig. Bei ihm vermischte sich der Schweißgeruch mit dem eines Deos. Flüsternd gab ihm Suko die Richtung an, die sie zu laufen hatten. Osiku hörte gespannt zu. Durch Nicken zeigte er, daß er alles verstanden hatte. »Sie bleiben immer an meiner Seite, auch wenn die beiden erscheinen.« »Klar.« Der Fluß lag links von ihnen, und der Wind brachte nicht nur den Geruch des Wassers mit, er wehte auch die Nebelschwaden heran. Allerdings war der Nebel nicht so dicht, als daß er den beiden Flüchtlingen hätte Deckung geben können! Sie kamen sich schon vor wie auf dem Präsentierteller, als sie mit möglichst lautlosen Schritten über die freie Fläche huschten. Sie kamen auch gut voran, wurden nicht attackiert und entdeckten den dunklen Umriß so spät, daß sie fast gegen ihn gelaufen wären. »Das ist mein Fahrer!« Osiku hatte sich nicht geirrt. Suko bückte sich und sah sofort, daß der Mann nicht mehr lebte. Die Klinge des Samurai-Schwertes hatte ihn getötet. Suko richtete sich wieder auf. Der Japaner war bleich geworden! Mit einer Hand fuhr er an seinem Hals entlang. Er hatte Angst, daß es ihm ebenso ergehen würde wie dem Fahrer. »Ich habe Ihnen gesagt, Inspektor, die kennen keine Gnade. Sie räumen alles aus dem Weg.« »Ich weiß.« Suko zerrte seinen Schützling weiter. Auch ihm war nicht wohl zumute. Er fragte sich, ob es ihm gelang, die beiden mit der Dämonenpeitsche zu stoppen! Sicherheitshalber ließ Suko die drei Riemen ausfahren, bevor er sie angriffsbereit in seinen Gürtel steckte.
Osiku hatte zugeschaut, sich eines Kommentars allerdings enthalten. Mit eingezogenem Kopf schritt er neben dem Inspektor her, der seine unmittelbare Umgebung nicht aus den Augen ließ. Die Zombies blieben in ihren Verstecken. Auch der rote Kreis war nicht zu sehen. Unangefochten konnten sie einen guten Teil der Strecke hinter sich lassen. Zudem schien der Mauercrash weder gehört noch gesehen worden zu sein, jedenfalls ließ sich kein Zeuge oder Neugieriger blikken. Schwarz wie Teer lag die Fläche vor ihnen. Manchmal zerbrachen kleinere Steine knirschend unter dem Druck ihrer Schuhsohlen. Die Geräusche wiederum gefielen Suko nicht. Plötzlich blieb Osiku stehen. Einen Grund für dieses Verhalten sah Suko nicht. Er war schon zwei Schritte vorgelaufen, als er ebenfalls hielt und sich drehte. »»Was haben Sie?« »Ich . . . ich glaube, daß sie da sind.« »Und wo?« »In der Nähe, Inspektor. Ich . . . ich kann sie nicht sehen, aber ich spüre sie deutlich.« Suko ließ den Mann in Ruhe. Dieser streckte die Arme aus und ging wie ein Mondsüchtiger weiter. In einem Abstand von einer Armlänge passierte er Suko. Dem war das Verhalten des Mannes völlig fremd. Er fragte nicht mehr nach den Gründen und sah, daß Osiku zitterte, als hätte ihm jemand kaltes Wasser über den Körper gegossen. »Osiku, verdammt, was haben Sie?« Der Japaner schüttelte nur unwillig den Kopf. Dann ging er weiter. Suko wollte ihm folgen, als es geschah. Wieder passierte das Unheimliche innerhalb eines Sekundenbruchteils. Aus der Finsternis und so, als hätte jemand mit einer rasenden Geschwindigkeit den Kreis gezeichnet, stand er vor ihnen. Zwei Samurai in der Mitte. Und Osiku schritt direkt auf sie zu! *** Suko riß die Peitsche aus dem Gürtel. Zum Spaß waren die beiden Samurai nicht erschienen, sie wollten auch den zweiten Teil ihrer Aufgabe erledigen. Schneller als Suko waren ihre Schwerter. Wie ein Selbstmörder lief Osiku direkt in die beiden Klingen hinein, die sofort aus seinem Körper wieder hervorgezogen wurden, und gleichzeitig verschwanden der Kreis und die Killer.
Suko kam sich wie ein Denkmal vor, den rechten Arm mit der Peitsche hielt er noch immer halb erhoben, nur war er nicht dazu gekommen, einzugreifen. Die Samurai gab es nicht mehr. Der Kreis hatte sie blitzschnell weggeschafft. Es gab noch Osiku! Für Suko kam es einem kleinen Wunder gleich, daß der Mann sich noch halten konnte. Erstand da, als hätte man seine Fußsohlen mit einer dicken Leimschicht beschmiert. Dann fiel er. Sacht kippte er zurück, in die auffangbereiten Arme des Inspektors, der sich verdammt hilf- und wertlos vorkam, weil er es nicht geschafft hatte, den Mann zu retten. Suko hielt einen Sterbenden fest. Er beugte sich über Osiku, als er sah, daß sich dessen Lippen bewegten. Der Mann wollte ihm noch etwas mitteilen. »Geschafft ... sie haben es geschafft . . . Sariana . . . achten Sie auf Sariana. Sie weiß . . .« Nicht nur aus den beiden Wunden quoll Blut, jetzt drang es auch über die Unterlippen, beschmierte das Kinn und danach den Hals. Gleichzeitig wurde der Blick des Mannes starr. Suko stand sekundenlang regungslos, obwohl in seinem Innern eine Hölle tobte. Er empfand den Tod des Mannes als eine persönliche Niederlage und dachte auch über den Fahrer ebenso. Die Samurai waren erschienen, hatten Rache genommen und würden ihren Weg weitergehen. Wie sagte Osiku noch? Die Yakuza waren bereit, ihre Felder auszuweiten und in Europa Fuß zu fassen. Dazu bedienten sie sich der alten magischen Traditionen, gingen brutal vor, würden auch andere Menschen umbringen, die sich ihnen in den Weg stellten, verließen sich dabei auf die Kreismagie, und Suko schätzte die Samurai in diesem Moment als ebenso stark ein wie die Tengus. Er legte den Toten auf den Rücken und drückte ihm die Augen zu. Mehr konnte er nicht für ihn tun, denn er mußte auch an seine eigene Sicherheit denken. Wie gefährdet war er noch? Suko gehörte zu den Mitwissern und ging davon aus, daß die Samurai auch ihn auf ihre Killerliste gesetzt hatten. Schlimm daran war, daß sie erschienen, töteten und blitzschnell wieder verschwanden. Suko wollte zurück zu seinem BMW und die Kollegen alarmieren. Er hatte auch den Namen behalten, dem ihm der Sterbende noch mitteilen konnte. Sariana!
Wer war diese Person? Eine Frau? So jedenfalls hatte sich der Name angehört. Steckte sie mit den Samurai unter einer Decke, oder arbeitete sie auf eigene Rechnung? Über die Brücke fuhren die Wagen, hinter ihm rauschte der Fluß. Das Leben lief weiter, als wäre nichts gewesen, aber Suko war unmittelbar mit dem Tod konfrontiert worden, und dieses Gefühl steckte in seinem Körper wie Blei. Etwas streifte ihn. Ein Hauch, mehr nicht, ein Wind, vielleicht ein Gefühl, aber Suko blieb stehen. Der Kreis entstand. Nicht vor ihm, in seinem Rücken. Er erkannte es nur anhand des Lichts, das rötlich über den Boden leckte, bevor es vom grauen Asphalt verschluckt wurde. Suko sprang zur Seite und drehte sich mitten im Sprung um. Da schleuderte der erste Samurai den Wurfstern! *** Wäre Suko stehengeblieben und hätte sich auf der Stelle gedreht, diese gemeine Waffe hätte seinen Hals erwischt. So aber zischte sie an ihm vorbei und landete irgendwo. Der zweite Wurfstern befand sich bereits auf der Reise. Suko prellte zu Boden, zog den Rücken ein, überkugelte sich, hörte das Klirren und war auch dem zweiten entwischt. Er schnellte hoch, zog die Beretta und sah den ersten mitten im Sprung. Sein Schwert hielt der untote Krieger in der Hand, als Sukos Silbergeschoß ihn erwischte. Es platzte mitten in die Brust hinein und hinterließ dort eine tulpenartige Wunde. Natürlich hatte Suko gehofft, den Killer stoppen zu können, der aber sprang weiter, denn sein schützender Lederpanzer hatte die Silberkugel abgefangen. Nur knapp entging Suko dem Hieb, drehte sich und sah, daß der zweite Samurai nach einem Wurfstern gegriffen hatte. Bevor er diesen werfen konnte, rammte Suko den ersten. Der Stoß schleuderte ihn in die Wurfbahn des Sterns. Treffer! Er sägte in den Lederpanzer am Rücken des Zombies, anstatt Suko zu erwischen, der in diesem Augenblick Fersengeld gab, weil er eine Deckung finden mußte. Und sie gab ihm ein abgestelltes Fahrzeug. Es war ein Fiat Croma, dunkel in der Farbe, der für Suko wie auf dem Präsentierteller stand. Mit einem Sprung rutschte er bäuchlings über die Motorhaube, kippte dann vornüber und kauerte sich neben dem Vorderrad zusammen.
Es war klar, daß erden Kampf auf die Dauer verlieren mußte. Seine einzige Chance bestand möglicherweise darin, daß er seinen Stab einsetzte, das magische Wort rief und die Zeit für fünf Sekunden anhielt. Dann konnte er möglicherweise die beiden Untoten entwaffnen. Aber sie hielten sich zurück. Die Distanz zwischen ihnen und Suko war einfach zu groß. Wenn er jetzt rief, verlor er zuviel Zeit, bis er sie erreicht hatte. Sie standen in einer Höhe. Gute fünf Yard freier Raum lag zwischen ihnen. Wenn sie so blieben, war es gut, und Suko hob seinen rechten Arm leicht an, bevor er die Hand mit der Beretta auf die Kühlerhaube legte. Diesmal zielte er nicht auf die Brust des Zombies, sondern auf das alte Leichengesicht. Wenn er die Stirn traf, konnte dieser Unhold vielleicht vernichtet werden. Es war schwer, wenn nicht unmöglich, bei diesen Lichtverhältnissen einen gezielten Schuß anzusetzen. Die Gesichter waren nicht mehr als eine dunkle Fläche vor dem ebenso dunklen Hintergrund. Selbst die Augen boten kein Ziel, an dem Suko sich hätte orientieren können. Schießen oder nicht? Sie kamen näher. Gemeinsam schritten sie vor, die Samurai-Schwerter festhaltend, und Suko lächelte kantig, als sich die Distanz zwischen ihnen und ihm stetig verkürzte. »Ja«, flüsterte er, »kommt nur weiter, kommt heran, dann schaffe ich es ...« Sie mußten seine Worte beinahe gehört haben, den sie trafen keinerlei Anstalten, ihre Bewegungen zu unterbrechen. Suko hatte sich den rechten Samurai vorgenommen und dessen Stirn genau im Visier. Zuerst ihn, dann den anderen. Einen Schritt noch, und ... So weit kam es nicht. Den Schritt gingen sie. Suko zog auch schon den Stecher der Waffe zurück, als es geschah. Der Kreis war da! Aus dem Nichts und so schnell, daß ein menschliches Auge nicht folgen konnte, stand er nicht nur in der Schwärze, er rahmte die beiden Untoten gleichzeitig ein. Da schnellte Suko hoch. Er hatte nicht geschossen, er wollte es anders versuchen. Über seine Lippen drang laut und deutlich der Schrei, aber es war ein Wort. »Topar!« Für die Dauer von fünf Sekunden sollte und mußte die Zeit stillstehen. Außer Suko konnte sich niemand bewegen. Er hoffte, daß er damit auch bei den Zombies
Glück hatte. Um sie jedoch zu entwaffnen, mußte er in den Kreis. Daß dies auch gefährlich sein konnte, darüber machte er sich keine Gedanken. Suko dachte nur daran, wie schnell die Zeit vorbei war, und so stürmte er auf den Kreis zu. Er sprang hinein, drehte sich noch, als es geschah. Von einem Lidschlag zum anderen war der Kreis verschwunden. Mit ihm die beiden Zombie-Samurai und Suko... *** Ich fuhr und ich nahm keine Rücksicht. Einmal schon hatten wir den roten Kreis in der Ferne gesehen. Diesmal nicht auf der Brücke, dafür in unserer Höhe, praktisch dort, wo wir hinwollten. Sariana hatte die freie Linke zur Faust geballt. »Sie sind da!« keuchte die junge Frau. »Verdammt, sie haben sie gefunden. Ihre Chance ist gleich null. Da kommen sie nicht weg!« Ich fuhr noch schneller. Leider auch über feuchtes Kopfsteinpflaster, so daß ich mir vorkam wie auf einer Rutschbahn, und nicht zum erstenmal schleuderte der Wagen von einer Seite auf die andere. Dann war der Kreis wieder verschwunden! Ich gab keinen Kommentar, auch Sariana hielt den Mund, aber beide dachten wir wohl das gleiche. Wir schlidderten in eine Kurve, ich lenkte gegen, weil der Wagen einen Drall nach außen bekam, und holte ihn zurück in die Spur. »Da ist er wieder!« Diesmal stand er in der Nähe. Ich schaltete das Fernlicht ein. Ein Mann rannte auf den mit den beiden Samurai besetzten Kreis zu. So wie er sich bewegte, konnte es nur Suko sein. Und er schaffte es! Wir sahen, wie er eintauchte, wie er sich bewegte — und verschwunden war. Ich nagelte das Bremspedal nach unten. Wir hörten das Jaulen er Reifen, als der Wagen über die schlechte Wegstrecke schlidderte. Wir rutschten von rechts nach links, aber wir schafften es, den Rover dort halten zu lassen, wo sich auch der Kreis befunden hatte. Ich stürmte aus dem Fahrzeug, um eine Sekunde später stehenzubleiben und ins Leere zu starren. Da war nichts mehr, nur die Dunkelheit und die Leere des Parkplatzes. Die wenigen abgestellten Autos zählte ich nicht mit. Wie ein alter Mann ging ich vor, drehte einen Kreis, um anschließend mit einem hilflos anmutenden Schulterheben zu Sariana zurückzukehren, die ebenfalls ausgestiegen war und neben dem Fahrzeug wartete. »Nichts«, flüsterte ich. »Es gibt keine Spuren, verdammt. Sie haben sich aufgelöst.«
Ich schaute bei meinen Worten in ihr Gesicht, weil ich dort die Antwort lesen wollte. Die Japanerin senkte den Kopf, bevor sie nickte. »Ich habe es mir gedacht«, hauchte sie. »Ich habe genau gewußt, daß wir zu spät kommen. Wenn sie die Regie übernehmen, sind wir Menschen immer im Nachteil.« Wütend schlug ich mit der flachen Hand auf das Roverdach. »Verflixt noch mal, die müssen irgendwo geblieben sein. Sie können sich nicht in Luft aufgelöst haben. Ich sah, wie Suko in den Kreis hineinlief und dann mit den Zombies verschwand.« »Na und?« »Was heißt hier na und? Wo ist die Erklärung? Wo stecken mein Freund und die Samurai?« »In der Jigoku!« »Wo bitte? In der Hölle?« »Ja, das ist möglich! Das ist alles möglich. Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit.« »Okay — welche?« »In der Festung. In der düsteren, in der blauen Festung, die einem mächtigen Dämon gehört...« »Shimada!« schrie ich lauter, als ich es eigentlich wollte, und fühlte mich gleichzeitig in eine Schauer gehüllt. »Du kennst ihn?« »O verdammt, und ob ich ihn kenne. Ich kenne auch seine Festung, mit der er durch die Zeiten reist und die sich von einem Augenblick zum anderen verändern kann.« »Ja — das stimmt!» Sie blinzelte. »Woher wissen Sie.. .?« »Bleib beim Du.« »Woher weißt du das?« Ich winkte ab. »Um dir das zu erzählen, reicht die Zeit nicht aus. Kümmern wir uns lieber um das, was hier geschehen ist.« »Es gab Tote.« »Hast du . ..?« »Schau dahin, wo der heile Scheinwerferstreifen ausläuft. Dort zeichnet sich eine Gestalt ab.« Sie hatte recht. Ich lief mit langen Schritte hin, blieb neben dem Mann stehen und ging in die Knie. Gesehen hatte ich ihn noch nie zuvor. Es war ein Japaner, der einen dunklen Anzug trug. Der Stoff auf der Brust zeigte frische Blutflecken. Zweimal war er von den Stichwaffen getroffen worden. Das erkannte ich anhand der Wunden. »Was sagst du, John?« »Ist er das?« Ich schaute hoch zu Sariana, die neben mir stehengeblieben war. »Das ist er. Jack Osiku.« »Okay, ihm ist nicht mehr zu helfen. Wir haben versagt. Sowohl Suko als auch ich.« »Nein, so darfst du das nicht sehen.« Sie zerrte an meinem Arm. »Komm mit, bitte.«
»Wohin denn?« »Es gab noch einen Fahrer.« Ihn fanden wir nicht einmal dreißig Sekunden später. Auch ihn hatte die Samurai-Klinge erwischt. Zwischen Kinn und Brust, genau an der Kehle. Sariana gab den Kommentar. »Sie kennen kein Pardon. Sie sind so brutal wie schon vor Jahrhunderten. Ich sage dir, John, man kann sie kaum stoppen.« »Ja«, stöhnte ich, »das Gefühl habe ich auch. Und einer, der möglicherweise Bescheid weiß, ist verschwunden.« Ich schüttelte den Kopf. Jetzt wünschte ich mir den verdammten Kreis zurück. Ich wäre gern in ihn hineingelaufen, um in Shimadas Festung aufzuräumen, aber das blieb ein Wunsch. Statt dessen überfiel mich ein anderer Gedanke. Ich legte meine Hand auf Sarianas Schulter. »Jetzt kommen wir mal zu dir, Mädchen. Wer bist du?« »Ich lebe hier in London.« »Das glaube ich dir gern. Als was?« »Ich arbeite in einer Bar. Dort bin ich nicht nur die Geschäftsführerin, ich tanze auch. Es ist eine rein japanische Bar. Sie erstreckt sich über zwei Stockwerke. Du kannst dir ein Mädchen aussuchen, aber auch dem Programm auf der Bühne zuschauen.« »Tatsächlich in London?« »Ja.« »Und der Name?« »Nippon.« Ich runzelte die Stirn. »Sorry, davon habe ich bisher nichts gehört.« »Das kann ich mir denken. Sie ist auch nur Eingeweihten bekannt, wenn du verstehst. Europäer finden sich kaum unter den Gästen. Es sei denn, einer der Stammgäste bringt einen Freund oder Geschäftsmann mit. Irgendwo müssen sich meine Landsleute ja vergnügen.« Ich nickte. »Da hast du recht, Mädchen. Mich würde aber trotzdem interessieren, ob die Bar unter einer bestimmten Kontrolle steht. Ich denke an die Yakuza.« Sariana wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. Zunächst lächelte sie. »Sag es!« »Vielleicht.« »Also ja.« »Möglich.« Ich schaute ihr direkt ins Gesicht. »Ich glaube dir vieles, aber nicht alles. Du magst zwar eine Tänzerin sein, aber ich rechne damit, daß du noch einen anderen Job hast. Sind denn alle kleinen Tänzerinnen so mutig wie du?«
Die Frage hatte sie in Verlegenheit gebracht, ich hörte es aus ihrer Antwort. »Das . .. das weiß ich nicht. ..« »Du hast noch einen Zweitjob?« »Bitte, John, ich ...« »Raus mit der Sprache!« »Nun ja, ich beziehe ein Gehalt von unserer Regierung, nicht von den Yakuza.« »Aha, das hört sich schon besser an.« »Nein, John, nicht. ..« »Geheimdienst. Ist es der Kempetai?« »Er hat damit zu tun, aber ich gehöre einer Sondergruppe an. Wir wollen die Yakuza unter Kontrolle halten.« »Und deine Tarnung ist bisher nicht aufgedeckt worden?« »Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Es hat gewisse Vorfälle gegeben, die mich schwankend werden ließen. Man sprach mich mitbestimmten Sätzen an und kritisierte mich auch. Aber das ist meine Sache. Ich möchte nicht darüber reden.« »Wenn ich über deine Worte nachdenke, kann ich davon ausgehen, daß in der Nippon-Bar auch Yakuza verkehren.« »Ich denke schon.« »Jetzt laß uns mal weiter forschen. Wenn sich dort Yakuza aufhalten, wäre es doch ein Ort, wo wir den beiden Samurai begegnen könnten, oder nicht?« »Möglich.« Ich wollte mich nicht hinhalten lassen. »Du weißt mehr, als du zugibst. Raus damit!« Sariana tat sich schwer. »Ja, ich weiß mehr, aber es ist unsere Sache, verstehst du?« »Nein, nicht mehr. Schließlich hat sich Jack Osiku an uns gewandt. Gehörte er zu den Yakuza? Wenn ja, weshalb wurde er trotzdem ermordet?« »Er folgte seinem Bruder, den es in Düsseldorf traf. Soviel mir bekannt ist, haben beide die Organisation verraten. Das mußt du mir glauben, John. Es ist das einzige, was ich weiß.« »Und die Yakuza steht hinter diesen untoten Samurai?« »Davon müssen wir jetzt ausgehen. Es hat ihnen nicht mehr gereicht, die normalen Killer zu schicken, sie haben es auch geschafft, in die magischen Traditionen unseres Volkes hineinzudringen und sie für ihre Zwecke einzuspannen.« »Das wird es sein«, flüstertete ich und fuhr mit dem Zeigefinger zwischen Hemdkragen und Haut entlang. Wohl war mir persönlich nicht bei dieser Angelegenheit. »Sind es nur die beiden?« fragte ich. »Das kann ich dir nicht sagen, John. Aber du solltest Shimada nicht vergessen.« »Keine Angst.« Ich ging zu meinem Rover und hörte die Frage der Japanerin.
»Was willst du jetzt machen?« »Ich rufe die Mordkommission an, das ist alles. Ich werde den Leuten erklären, daß wir zu spät gekommen sind, daß ich nicht fähig gewesen bin, den Job richtig auszuüben.« »John, bitte. Du kannst nichts dafür. Die Yakuza sind nicht mit normalen Maßstäben zu messen.« »Schon gut.« Wer hatte mal wieder in dieser Nacht Dienst? Mein alter Freund Chiefinspector Tanner, der nahezu aufheulte, als er meine Stimme vernahm. »Privat oder dienstlich, John Sinclair?« Ich erklärte es ihm. »Es sind zwei Leichen, Tanner. Umgebracht durch Samurai-Schwerter.« »Auch das noch. Geht dieser alte Mist jetzt hier in London los?« »Es sieht so aus.« »Und du steckst mal wieder mit beiden Beinen tief drin.« »Bis gleich, Tanner.« Ich legte auf, holte eine Zigarette aus der Schachtel und qualmte sie neben dem Rover stehend. Sariana streichelte meinen Arm. »Du hast keine guten Gefühle, John, das spüre ich.« Ich warf den Kopf zurück. »Soll ich lachen oder hier ein Tänzchen machen?« »Nein, das nicht.« Ich drehte mich. »Hör zu, Mädchen. Wir sind hier verdammt reingelegt worden. Wer immer die Fäden zieht, vielleicht sogar Shimada, weiß genau, was er tut. Ich weiß nicht, wie es die Yakuza geschafft haben, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber es muß ihnen gelungen sein.« »Sie sind zu dritt«, sagte Sariana. »Was heißt das?« »Ganz einfach. Drei große Führer teilen sich die Macht in Japan. Drei obere Yakuza-Bosse. Sie und ihre Bande erwirtschaften — so schwer mir der Begriff auch fällt — einen Umsatz von zweistelligen Milliardensum-men. Das mußt du dir mal vorstellen. So was schaffen nicht einmal Konzerne. Daß sie nach neuen Wegen suchen, liegt auf der Hand, denn es regt sich Widerstand im Land. Es gibt Gruppen, die diesen unterschwelligen Terror nicht mehr dulden wollen.« »Das kann ich mir vorstellen.« »Damit die japanische Mafia nicht an Boden verliert, beschreitet sie neue Wege, die tatsächlich die alten sind. Man hat sich nur wieder daran erinnert.« »Was weißt du noch?« »Über die Yakuza viel, aber. ..« »Ich denke eher an die anderen Wege.« »Nichts, John. Es gibt nur Vermutungen, keine Beweise. Wenn etwas passiert, müssen wir es hinnehmen oder versuchen, uns dagegen anzustemmen.«
»Das zweite wäre mir lieber.« Ich trat die Kippe aus und schaute ins Leere. Meine Gedanken drehten sich einzig und allein um Suko. Er war von den beiden Zombie-Samurai mitgenommen worden, hineingezerrt in eine Welt, in der möglicherweise Shimada regierte. Shimada — der Dämon mit den kalten, grausamen, stahlblauen Augen. Allein beim Aussprechen des Namens bekamen viele Menschen eine Gänsehaut, und mir erging es ebenso. Er lebte in seiner Festung, in einem schwarzblauen Gemäuer, das durch die Zeit reiste, das Grenzen überwand, von einer Dimension in die andere gelangte, ohne daß dabei überhaupt eine meßbare Zeit verstrichen wäre. Ich hatte es am eigenen Leibe erleben können und war mit viel Glück dieser Festung entwischt. Shimada schaffte es auch, seine Festung zu verändern! Sie besaß nicht nur die pagodenähnliche Form, manchmal sah sie aus wie ein Tempel, dann wiederum wie ein düsteres Schloß aus den Karpaten. Es war für uns Menschen von Vorteil, daß er sich die meiste Zeit über in anderen Dimensionen aufhielt und die normale Welt ziemlich in Ruhe ließ. Wehe aber, er wurde gerufen, dann sah es bitter aus. Und genau das schienen die Yakuza getan zu haben. »Du denkst an ihn, nicht wahr, John?« Ich nickte. »Wenn du Shimada meinst, hast du recht. Aber ich beschäftige mich auch mit dem Verschwinden meines Freundes. Verdammt noch mal, weshalb hat sich Osiku so angestellt? Warum hat er nur Suko ins Vertrauen gezogen?« »Er ist Asiate!« lautete die leise Antwort. »Ja, ich weiß. Ich bin auch darüber informiert, daß Asiaten zusammenhalten, besonders die aus dem Osten. Aber es will mir nicht in den Kopf, daß es noch immer diese alten Grenzen gibt.« »Sie werden bleiben, John.« »Wahrscheinlich«, stöhnte ich und ging der Kette der Scheinwerfer entgegen, die sich näherte. Die Mordkommission fuhr mit großer Besetzung an, geleitet von Chiefinspector Tanner, einem alten Freund und Spezie von mir, dem Mann mit dem Hut. Ohne seinen verbeulten Filz konnte ihn sich niemand vorstellen. Auch jetzt warf ich einen ersten Blick auf den Hut. »Hast du was?« fragte Tanner. »Ich wollte nur schauen, ob es noch immer der gleiche ist.« »Keine Sorge, John. So reich, um mir laufend neue Hüte kaufen zu können, bin ich nicht. Du als Junggeselle wirst darüber lachen, aber ich habe Familie.« Er schaute Sariana an. »Wer ist das?« Ich stellte sie vor.
»Hat sie etwas mit dem Fall zu tun?« »Sie brachte mich auf die Spur.« »Gut, wir reden gleich.« Brummig zog er ab und schaute zu, wie seine Leute die Scheinwerfer rund um die beiden Toten aufbauten. Zwei helle Inseln waren entstanden und zogen sogar um diese Zeit Gaffer an, während die eigentlichen Aktionen unbeobachtet geblieben waren. »Der ist aber komisch«, sagte die junge Frau. Ich mußte lachen. »Tanner? Das ist unser bester Mann. Ein äußerst fähiger Beamter, das versichere ich dir! Er ist derjenige, vor denen sich einige fürchten. Was Tanner anpackt, bringt er auch zu Ende.« »Ein Schrecken der Unterwelt, wie?« »So ähnlich.« Die Japanerin ging ein paar Schritte, beugte den Oberkörper zurück und holte tief Luft. »Aber der Fall selbst, John, der bleibt in deiner Hand, nehme ich an.« »So ist es.« »Weißt du schon, was du machen willst?« »Nein, nicht direkt. Aber ich habe dich.« Sie fuhr herum. »Mich — wieso?« »Die Nippon Bar. Ich werde den Eindruck nicht los, daß wir dort eine neue Spur aufnehmen können oder eine alte reaktivieren. Wie stehst du dazu?« »Ich bin nur eine Tänzerin.« »Klar, ich weiß. Aber geheimdienstlich ausgebildet und friedlich wie ein Frosch.« »Wie kommst du darauf, daß es gerade in der Nippon Bar weitergehen wird?« »Weil ich dort sein werde.« »Na und . ..?« Mein Lächeln war wissend und hinterlistig zugleich. »Gesetzt den Fall, Shimada zieht tatsächlich seine Fäden und hat Suko in seine Gewalt bekommen, dann wird er sich an mich erinnern, denn er weiß genau, daß Suko und ich ein Team bilden. Wenn er einen hat, möchte er auch den zweiten haben und wird alles daransetzen, mich in die Festung zu bekommen. Er wird sich auf die Suche nach mir machen. Damit er nicht zu lange zu suchen braucht, begebe ich mich freiwillig in die Höhle des Löwen. Dort werde ich mich ihm stellen und seinen untoten Samurai, falls er es vorzieht, sie zu schicken und nicht selbst zu erscheinen.« »Und was ist mit deinem Freund?« »Den hole ich heraus. Tot oder lebendig.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann deinen Optimismus nur bewundern, John. Oder ist es mehr eine Selbstüberschätzung?« »Keine Ahnung. Jedenfalls will ich gewinnen.«
»Das will ich auch«, sagte Tanner, der meine letzten Worte mitbekommen hatte. Er setzte sich auf die Kühlerhaube des Rover und nickte uns zu. »Eine Erklärung hätte ich schon gern.« »Okay.« Ich schlug ihm auf die Schulter und redete direkt in das aufnahmebereite Band, das Tanner in seiner Hand hielt. Zwischenfragen stellte er nach dem mündlichen Protokoll. »Untote also?« »Davon gehe ich aus.« »Demnach ist es dein Job.« »Sicher. Du mußt die Leichen nur . . .« Er winkte ab. »Das bin ich gewohnt, John. Wir sind sozusagen die Müllhalde der beiden Geisterjäger. Und welch eine Rolle spielen Sie, Miß Sariana?« »Sie gab mir einen Hinweis.« »Hängen Sie mit drin?« »Ich arbeite als Tänzerin in der Nippon Bar!« Tanner schob seinen Filz zurück, eine für ihn typische Geste. »Wo ist die denn?« »An der Grenze zu Soho. Ein Etablissement nur für Japaner, Mr. Tanner.« »Etablissement ist gut.« »Moment, wir stehen nicht auf der Liste. Dort findet japanisches Theater statt, da können sich unsere Landsleute entspannen.« »Auch das noch.« Tanner hatte heute seine sarkastische Nacht. Bei seinem Job kein Wunder. Er fragte mich: »Können wir noch was für dich tun, John. Daß Suko verschwunden ist, tut mir leid. Du weißt, daß ich alle Hebel in Bewegung setzen werde, um ihn zu finden.« »Das ist mir klar. Aber es wird nichts nutzen. Wenn Suko in den Klauen des Dämons Shimada steckt, kann ich höchstens etwas versuchen! Die Betonung liegt dabei auf dem letzten Wort.« »Das heißt, du bist dir nicht sicher.« »Richtig.« Als ich auf die Uhr schaute, beschwerte sich Tanner. »Ja, fahr schon in deine Bude und lege dich lang. Ich schicke dir einen Bericht zu. Und Sie werden ja auch in London bleiben — oder?« Sariana nickte. »Das ist selbstverständlich.« Ich verabschiedete mich von Tanner. Gemeinsam gingen die Japanerin und ich zum Wagen, stiegen ein, und Sariana schüttelte den Kopf, bevor ich noch einen Vorschlag hatte machen können. »Ich weiß, daß du zur Bar willst, aber es lohnt sich nicht.« »Weshalb nicht?« »Zu spät oder zu früh. Es ist bereits geschlossen, daran kann ich nichts ändern.« »Das ist schlecht.« »Wir öffnen am Abend.«
»Was? Ich soll fast einen ganzen Tag warten?« »Das mußt du wohl oder übel.« Ich schlug gegen den Lenkradring. »Es muß doch noch andere Spuren geben, denen wir nachgehen können.« »Nicht hier in London. Die Drahtzieher sitzen in Japan, John, an die kommst du nicht heran.« Da hatte sie ein wahres Wort gelassen ausgesprochen. An die Bosse kam ich auch nicht heran, und ich ärgerte mich darüber. »Wo soll ich dich hinbringen?« »Ich wohne südlich von Paddington. Du kannst mich zu meinem Wagen fahren. Er steht hier in der Nähe.« Es war ein kleiner Toyota. Mit gutem Gewissen ließ ich sie nicht laufen. Zum Abschied reichte sie mir die Hand. »Man wird dich morgen einlassen, John, dafür sorge ich. Ansonsten ist man Europäern gegenüber stets etwas skeptisch.« »Danke.« Sie schlug die Tür laut zu und startete. Ich schaute ihr nach. Einerseits müde, andererseits wie unter Strom stehend. In meinem Innern trafen sich mehrere Gefühle. Wie es weitergehen würde, wußte ich nicht. Schlimm war nur Sukos Entführung. Dann passierte es. Der Wagen hatte in einer schmalen Straße gestanden. Um diese Zeit war sie menschenleer. Zugleich düster, denn nur einige Laternen gaben ihren Schein ab. Ich sah das rote Licht, einen Ring, und ich sah die beiden tödlichen Samurai-Zombies. Aber ich sah noch mehr! Zwischen und genau über ihnen zeichnete sich ein kaltes, blaues, grausames Augenpaar ab, Augen, die dem Dämon gehörten, der im Hintergrund die Fäden zog. Shimada! *** Suko sah ich nicht. In diesem verdammten Kreis zeichneten sich nur die Augen und die beiden Zombies ab, die zwar ihre Schwerter gezückt hatten, den Kreis aber nicht verließen. Das Gefühl des kalten Grauens überspülte mich und drang wie ein Gift ein in mein Bewußtsein. Es umfaßte meinen Magen, stieg hoch bis zur Kehle und klammerte sich in meinem Gehirn fest, um mirzu sagen, wiechan-cenlos ich war. Tatsächlich ohne? Die Entfernung zwischen mir und dem Kreis betrug höchstens zehn Schritte. Gut genug für einen Pistolenschuß. Nicht einmal schnell holte
ich die Beretta hervor, ich zog sie langsam aus dem Halfter, zielte — und ließ sie wieder sinken. Etwas geschah mit diesem Kreis. Bisher hatte er nur an den Rändern Farbe gezeigt. Ein tiefes Rot, das anziehend sein und Furcht einflößen konnte. Im Kreis standen die beiden Samurai, darüber die Augen, so blau, kalt und grausam. Die Bläue verstärkte sich. Sie ballte sich auf, eine geheimnisvolle Kraft war dabei, sie zu intensivieren, so dicht, daß sie schon beinahe einen schwarzen Farbton bekam. Ich kannte die Farbe. In Shimadas Festung hatte ich sie erlebt. Sie dokumentierte seine Kraft. Die geheimnisvollen Wände und Mauern in seiner Festung bestanden aus diesem Blau, das so gefährlich war, denn die Wände ließen sich verschieben. Von einer Sekunde zur anderen konnten sie verschwunden sein. War das die Festung? Ich stand noch immer da, die Beretta in der Hand. Ich zielte, doch ich schoß nicht. Die Festung zeigte ihre Macht. Shimada wollte wieder einmal beweisen, wie mächtig und großartig er war. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Dann schoß ich! Der Abschußknall wetterte entlang der Hauswände, die sich auf kurzer Distanz gegenüberstanden! Er toste in meinen Ohren, und gleichzeitig sprühte etwas davon. Meine Kugel! Aus geweihtem Silber gegossen, zu Silberstaub geworden! Eine Tat, mit der Shimada mich verhöhnen wollte. Dann zog er sich zurück. Kein Fauchen, kein Windstoß fegte mir ins Gesicht, als sich der Kreis und seine intensive innere Bläue auflösten. Er war weg. Mein rechter Arm sank nach unten. Ich merkte, daß ich die Waffe wieder einsteckte. Für einen Moment schloß ich die Augen, kam mir vor wie auf einem schwankenden Floß. Ich war allein, keine Spur von dieser unheimlichen Magie. Dafür riß über mir jemand ein Fenster auf. »Verdammt, was soll der Krach?« Der Mann starrte böse auf mich herab. »Sorry.« Ich winkte ihm zu, stieg in den Wagen und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich wußte nicht einmal, wohin ich fahren sollte. In diesen Augenblicken kam ich mir vor wie jemand, der in einem Film mitspielt und sich selbst dabei als Zuschauer sieht. Meine Sorge um Suko wuchs.
Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte mir, daß die vierte Morgenstunde angebrochen war. Ich wollte Sir James, unseren Chef, nicht stören. Was zu sagen war, konnte ich ihm auch einige Stunden später mitteilen. Dann führ ich an. Irgendwann ließ ich den Rover in die Tiefgarage rollen. Erst in dieser kalten Atmosphäre erwachte meine Wachsamkeit wieder. Unnötig. Niemand war da, um mich anzugreifen. Ich fuhr in die Wohnung hoch, nahm eine Dusche. Das Bett lockte. Ich fiel hinein wie ein gekipptes Brett. Tatsächlich schlief ich ein. Durch meine Träume aber geisterte eine blaue Festung, die über einer Bühne schwebte, auf der blaßgeschminkte Theaterfiguren standen. Marionetten, alle bewaffnet, und sie schnitten sich gegenseitig die Kehlen durch oder die Köpfe ab. Danach sah ich mich inmitten einer gewaltigen Blutlache liegen. *** Es ist eine Falle! Dieser Ruf, dieses Wissen schrillte durch Sukos Hirn, aber er konnte nichts dagegen tun. Plötzlich fand er sich in einer Welt wieder, die nicht zu i hm gehörte. Es war eine völlig andere, eine Welt der Finsternis und des Bösen. Seine rechte Hand hatte sich um etwas verkrampft. Zunächst wußte Suko nicht Bescheid, bis er feststellte, daß er den Stab, der ihn eigentlich hatte retten sollen, umklammerte. War er wertlos gewesen? Diese Frage schoß wie ein Nadelstich durch den Kopf des Inspektors. Er bekam Herzrasen, wenn ersieh vorstellte, daß der Stab nicht mehr einsatzbereit war, daß es der anderen Magie gelungen war, ihm die Kraft zu neh men? Nie zuvor war so etwas geschehen. Suko hatte bisher alles stoppen und sich damit vom Leibe halten können. Über seinen Rücken kroch der kalte Schauer, obwohl er schwitzte. Den Mund hielt er offen, er atmete eine warme Luft, die etwas beißend schmeckte, als würde der Duft von Gewürzen sie schwängern. Die Erinnerung kehrte zurück. Namen purzelten durch seine Gedanken. Ihm fiel ein, daß er zwei Menschen nicht hatte retten können. Jack Osiku und dessen Fahrer. Dann war der Kreis erschienen, die beiden Zombies in der Mitte und das kalte Augenpaar. Shimada! Suko wollte den Namen aussprechen, doch erbrachte es nicht fertig. Zu stark lasteten der Druck und das Wis-
sen auf ihm. Er und sein Freund John Sinclair gehörten zu den wenigen Menschen, die wußten, welch eine Macht Shimada besaß. Sie waren seine Todfeinde, ebenso wie Yakup Yal-cinkaya, der sich nach dem Tod seines Schützlings Ali zurückgezogen und nichts mehr von sich hatte hören lassen. Shimada und die Samurai! Beide paßten zusammen, obwohl sich der Dämon auch mit mörderischen Ninja umgab. Doch er nahm beides in kauf, er war nicht zu stoppen, wenn es darum ging, das Grauen zu verbreiten. Shimada, das Grauen, die Festung! Die drei Dinge gehörten zusammen, und Suko, der die Augen weit geöffnet hatte, konnte nichts erkennen. Er starrte nur hinein in die Finsternis, die ihm nicht vorkam wie die Farbe der Nacht. Es war zwar dunkel, aber anders, ganz anders. Bläulicher? Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich — bläulicher, ein dunkles, wattiges Blau, beinahe schon schwarz, aber ein Synonoym für den Dämon. Du steckst in der Festung! Dieser eine Satz hämmerte durch Sukos Kopf. Er war nicht mehr aus dem Gedächtnis zu löschen, er steckte tatsächlich in dieser verfluchten Festung, ohne je die Chance zu haben, aus ihr herauskommen zu können. Nicht aus eigenen Kräften, und Shimada würde einen Teufel tun, ihm den Weg zu weisen. Lag oder schwebte er? Suko tastete mit den Handflächen durch die unmittelbare Umgebung, weil er nach etwas Festem suchte. Es war nichts vorhanden — Leere und dennoch Härte. Der Gedanke bereitete ihm keine Furcht, er zeigte ihm nur, wie manipulierbar er in Shimadas Klauen war. Dieser Mächtige konnte mit ihm spielen, er konnte pfeifen, Suko würde tanzen. Auch sein Freund John hatte etwas Ähnliches erlebt. Liegenbleiben, sich erheben? Suko dachte an die Leere und die gleichzeitige Härte des Untergrunds. Er riskierte es, drehte sich zur Seite und stand auf. Nichts befand sich unter seinen Füßen, dennoch verlor er nicht den Halt und sackte nicht ab. Er blieb stehen. Wohin sollte er sich wenden? Nach vorn, rechts oder links? Iis würde egal sein. Die blaue Watte war überall. Beinahe sehnte ersieh die beiden Samurai herbei. Da sah er wenigstens einen konkreten Gegner vor sich, aber so . ..? Er ließ seinen Stab wieder verschwinden und fühlte nach der Beretta. Sie war ebenso vorhanden wie die Dämonenpeitsche. Man hatte ihm die Waffen gelassen, in seiner Welt fühlte sich Shimada sicher.
Leicht zog er sie aus dem Gürtel, schlug die drei Riemen in die tiefe Bläue hinein — und erlebte eine Reaktion. Plötzlich umtosten ihn gewaltige Wirbel. Als er einen Schritt nach vorn ging, verlor er den Widerstand. Er kippte, streckte noch die Arme aus, aber nichts war vorhanden, um ihm den nötigen Halt geben zu können. Kopf- und vornüber segelte Suko in eine Tiefe hinein, die kein Ende zu nehmen schien. Er wußte, daß sich die Festung innerhalb einer Sekunde verändern konnte. Auch jetzt war ihm so. Sein Gefühl war nicht zu beschreiben. Die Leere fraß ihn wie ein Trichter, der rasende Fall beschleunigte sich noch mehr, und Suko konnte nicht einmal die Beine anziehen oder seine Richtung verändern. Mit dem Kopf voran raste er in die Tiefe, einem neuen Ziel zu, das diffus zunächst vor ihm erschien. Zwei Augen! Kalte, tiefblaue Augen. Erfüllt von einem grausamen Blick. Pupillen wie die Oberfläche von Seen, die alles an sich reißen wollten, was auf sie zu raste. Wie er! Shimada zeigte sich. Er bewies, daß er der Herr in dieser verdammten Umgebung war, und er stoppte auch Sukos rasenden Fall, aber er drehte den Körper nicht, so daß Suko weiterhin kopfüber hing und auf die Augen starrte. Das Blut stieg ihm in den Schädel. Es hämmerte hinter den Schläfen, ein bedrückendes Gefühl. Allmählich breiteten sich Schmerzen aus. Sie glichen kleinen Explosionen und wollten seinen Kopf sprengen. Ein anderer hätte geschrien, wäre durchgedreht, Suko aber riß sich zusammen! Er konnte das, sein langes Training kam ihm in diesem Fall zugute. Und er wollte sich Shimada gegenüber diese Blöße nicht geben. Der Dämon sprach mit ihm. Nicht laut, Suko hörte dessen Stimmenklang in seinem Gehirn. »Dich habe ich, dich habe ich in meiner Festung. Man muß zuschlagen können, wenn es keiner erwartet. Ich habe mir Zeit gelassen, denn ich wußte um die neuen Entwicklungen. Bestimmte Menschen beschäftigen sich wieder mit den magischen Ritualen. Ich habe mich auf die Menschen verlassen, ich habe mich ihnen offenbart und dafür Sorge getragen, daß die Samurai erwachten. Der Kampf gegen die Sonnengöttin Amate-rasu wurde von mir zurückgedrängt, jetzt sind andere Dinge wichtiger.« »Die Yakuza?« »Richtig.« »Es sind Menschen. Du wirst mit ihnen nicht zurech tkom m en.« »Sie kamen mit mir zurecht, ich habe sie nicht abgewiesen, hast du gehört?« »Das sah ich.«
»Und meine Festung wird dich zermalmen. Ich wünsche eine gute Reise, Chinese!« Suko wollte noch Zeit herausschinden und schrie eine Frage nach unten. »Wie willst du es machen, Shimada? Wie soll mich deine Festung zermalmen? Bricht sie endlich zusammen?« Was er nicht zu hoffen gewagt hatte, trat ein. Shimada verschwand nicht. Er ließ sich auf eine Diskussion mit Suko ein. Vielleicht ärgerte es ihn auch, daß seine Festung beleidigt worden war. »Zusammenbrechen?« schrie er hallend. »Nichts wird zusammenbrechen. Die Festung bleibt, sie steht, sie ist ewig. Sie zeigt sich nur immer anders und wird neue Wege finden. Ich will es dir sagen, Chinese, hör gut zu. Du wirst sterben, du wirst Mittelpunkt eines Rituals sein. Ich werde meine Festung auf die Reise schicken, sie verändern, um dich dann an dein Ende zu führen.« Shimada wollte nicht mehr reden. Für ihn war die Sache erledigt, und er bewies abermals, wie stark er war. Jetzt verschwanden die kalten, blauen Augen. Von der eigentlichen Gestalt des Dämons bekam Suko auch jetzt nichts zu sehen. Shimada tauchte kurzerhand in seine Welt hinein und ließ sich von ihr schlucken. Noch immer hing Suko mit dem Kopf nach unten in das Leere hinein. Bei der auf geistiger Ebene geführten Unterhaltung mit Shimada hatte er sich nicht auf die Schmerzen konzentrieren können. Jetzt aber spürte er sie wieder. Als hätte jemand einen Bohrer angesetzt, so kehrten sie zurück. Sie waren grausam, sie tuckerten hinter seiner Stirn, bis es den plötzlichen Ruck gab. Davon war selbst Suko überrascht worden, obwohl er damit hätte eigentlich rechnen müssen. Wieder raste er in die Tiefe. Er drehte sich nicht, er blieb in dieser gestreckten Haltung, spürte nicht einmal einen Windzug, der bei dieser rasenden Geschwindigkeit ihn eigentlich hätte erfassen müssen. Es war der Weg ins Verderben! Bilder platzten vor seinen Augen auf. Er sah sich mit zerschmettertem Schädel irgendwo in der Tiefe der Festung liegen, denn einen Schädelbruch überlebte kein Mensch. Trotz der nagenden Furcht schaffte es Suko, seine Augen offenzuhalten. Vielleicht gelang es ihm, etwas zu erkennen. Umrisse, Schatten, die seinen Weg begleiteten, und nicht nur dieses verdammte dunkle Blau. Nichts von dem trat ein! Aber er stoppte. Auch so überraschend und ungewöhnlich, daß Suko es in den ersten Sekunden nicht wahrnahm. Er hatte den Eindruck noch immer in die Tiefe zu rasen.
Das stimmte nicht. Sein Körper bewegte sich langsam zur Seite. Er kippte, er drehte sich, und plötzlich bekam der Inspektor wieder einen Kontakt mit dem normalen Untergrund. Auf den Füßen blieb Suko stehen. Zwar in den Kniekehlen zitternd und dementsprechend wacklig, aber er hatte es geschafft, atmete tief durch und spürte, wie seine Benommenheit allmählich wich und er sich wieder erholte. Geschafft? Er wußte es nicht, er rechnete auch nicht damit, denn Shimadas Festung verbarg die schlimmsten Überraschungen. Sie konnte sich von einem Moment zum anderen ändern, zu einem Areal des Schreckens werden und einer tödlichen Falle. Suko tastete sich ab. Er wollte feststellen, wo sich seine Waffen befanden. Die Beretta war ihm nicht aus der Halfter gerutscht, auch die Peitsche steckte noch im Gürtel, selbst den Stab hatte er retten können. So schlimm war es nicht. Wenn plötzlich Feinde vor ihm erschienen, würde er wissen, was er zu tun hatte. Suko tastete wieder einmal seine Umgebung ab. Und diesmal spürte er die Mauern. Sie setzten ihm ihren harten Widerstand entgegen. Hart und trotzdem irgendwie nachgiebig, wie Gummi, und der Begriff der Zelle kam ihm in den Sinn. Ein gewisser Hauch traf seinen Nacken. Da er ihn von oben her erwischt hatte, schaute Suko in die Höhe. Dort sah er die Augen wieder. Kalt und grausam blickte Shimada auf ihn herab, und abermals drang seine Stimme als geheimnisvolles Flüstern in Sukos Hirn. »Noch mußt du warten, Chinese, aber bald, sehr bald schon wirst du eine der Hauptpersonen sein. Ich habe ein neues Ziel für meine Festung und werde an einem bestimmten Platz Regie führen! Kennst du die Kampfspiele, die jedes Volk besitzt und auf die es stolz ist?« »Möglich.« »Auch ich kenne mich da aus. Ich werde dich zum Mittelpunkt eines Kampfspiels machen, und du wirst zeigen können, zu was du in der Lage bist.« »Gegen wen soll ich kämpfen?« »Die beiden Samurai warten auf dich. Aber auch ich würde mich freuen, Chinese, auch ich .. .« Suko vernahm noch ein scharfes, höhnisches Lachen, das nach kurzer Zeit versickerte. Dann war er allein! ***
Hatte ich geschlafen? Ja, ich hatte, und ich brauchte nur an meine Traume zu denken, die mich quälten. Nur fühlte ich mich wie jemand, der kein Auge zugemacht hatte. Gerädert, zerschlagen, mit Blei in den Knochen und Muskelschmer-zen. Wie ein Greis schlich ich in Richtung Dusche und nannte mich selbst einen alten Gruftie. Die vergangene Nacht war schlimm gewesen, und sie steckte mir stärker in den Knochen, als ich zugeben wollte. Ich hatte verloren, ich hatte auch Suko verloren, und das war das Schlimme daran. Ich wußte, wer dahintersteckte, das war eben grausam, denn ein Dämon wie Shimada kannte kein Pardon. Wir hatten lange nichts mehr von ihm gehört, ihn schon fast abgeschrieben, doch nun war er wieder erschienen und hatte uns bewiesen, wie stark er wieder war. Er und die Yakuza! Eine Union, die mir überhaupt nicht gefiel, die mir Furcht einjagte und in Alpträumen endete. Wenn sich grausame Menschen und grausame Dämonen zusammenschlossen, konnte sich die Gewalt leicht potenzieren, und das wollte ich verhindern. Nach der fünfminütigen Dusche fühlte ich mich zwar besser, aber längst nicht fit. Zum Frühstück aß ich Rührei, trank Kaffee und Orangensaft. Mehr bekam ich nicht in den Magen. Früher als gewöhnlich startete ich in Richtung Yard. Nicht mit der U-Bahn, ich hatte den Rover genommen, aber der Verkehr in London war auch um diese Zeit knüppeldick. Mehrmals steckte ich fest und erreichte mein Ziel um die normale Zeit, so viel hatte ich verloren. Glenda war schon da. Sie sah mir meinen Zustand an, unterließ jedoch einen spöttischen Kommentar. »Wo ist Suko?« fragte sie nach dem knappen Morgengruß. »Wenn ich das wüßte, ginge es mir besser. Ich will dir nur sagen, daß Shimada zugeschlagen hat.« »Nein!« »Doch. Ihm ist Suko in die Falle gelaufen.« Sie schluckte, zwinkerte mit den Augen und sagte leise: »Sir James ist bereits da.« »Gut, ich bin bei ihm.« Der Superintendent saß hinter seinem Schreibtisch und trank sein stilles Wässerchen. Auch er besaß einen Blick für Menschen, und die Frage las ich in seinen Augen. »Die andere Seite hat es geschafft, Sir. Sie schlug zu. Ich konnte nichts daran ändern.« »Berichten Sie.« Mit einer müden Bewegung ließ ich mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Zwischendurch kam Glenda und brachte frischen Kaffee. Sie wußte genau, was mir fehlte.
Sir James hörte sich meinen Bericht an, wobei er hin und wieder den Kopf schüttelte, als wäre ihm das alles unbegreiflich. »Jetzt sagen Sie mir nur, was dahintersteckt!« »Shimada.« »Nicht die japanische Mafia?« »Die auch, Sir. Eine unheilige Allianz sind die beiden eingegangen. Die Yakuza wollen in Europa Fuß fassen .. .« »Und was sagt unsere Mafia dazu?« Sir James gestattete sich ein Lächeln. »Haben Sie schon Kontakt mit Ihrem Freund Logan Costello aufgenommen und sich bei ihm erkundigt?« Costello war der Mafiafürst in London. In letzer Zeit war es ruhiger um ihn geworden. Vorjahren noch hatte er versucht, mit Hilfe des Teufels sein Machtpotential auszuweiten. Uns aber war es gelungen, ihm einen Strich dur^h die Rechnung zu machen. »Mit ihm habe ich natürlich nicht gesprochen.« Sir James schob die Unterlippe vor. »Ich will Ihnen nichts vorschreiben, John, vielleicht sollten Sie es tun und Costello darauf hinweisen, was da auf ihn zukommt.« »Meinen Sie denn, er würde auf mich hören?« »Ich weiß es nicht, John! Er wird darum bemüht sein, das Reich sauberzuhalten. Leute wie er hören das Klingen der Glocken viel früher als andere. Vielleicht kann er Ihnen einen Tip geben, John. Es wäre auch in seinem Sinne.« »Der geht die Wände hoch, wenn ich ihn anspreche. Schließlich hat er mir einige Dinge nicht verziehen.« »Ich weiß. Noch aber herrscht er über die Unterwelt. Er hat zwar magische Macht verloren, aber keine normale, wenn Sie verstehen.« »Natürlich.« »Andere Frage, John. Wie wollen Sie Suko aus dieser verfluchten Klemme wieder herausholen?« »Sie bekommen eine ehrliche Antwort, Sir. Ich habe leider keine Ahnung, sorry.« »Der Kreis, die beiden Untoten, sie sind erschienen, sie werden bestimmt zurückkehren, denn es ist nicht damit getan, daß sich Suko in ihrer Gewalt befindet, auf Sie kommt es ebenfalls an.« Sir James trank einen Schluck Wasser. »Ich an Ihrer Stelle würde alles versuchen, um die Spur aufnehmen zu können.« »Und wo? Mir bleibt nur Sariana, die Tänzerin oder was immer sie auch sein mag.« »Und diese Nippon Bar?« »Auch.« »Setzen Sie dort den Hebel an. Bei Osiku können Sie es nicht mehr. Und was Sie mir vorhin von Düsseldorf erzählt haben, daß dort jemand
von einem Moment zum anderen umgekommen ist, stimmt tatsächlich. Ich habe eine Meldung auf den Schreibtisch bekommen. Sie können davon ausgehen, daß die andere Seite nicht blufft.« »Das habe ich inzwischen gemerkt, Sir.« Der Superintendent lehnte sich zurück. »Wenn Sie mit Costello reden, möchte ich gern dabeisein.« Er deutete auf das Telefon. »Hier steht der Apparat.« Ich schaute auf meine Uhr. »Um diese Zeit? Der wird noch in den Armen des Schlafgottes liegen.« »Sollen wir darauf Rücksicht nehmen?« Ich grinste. »Eigentlich nicht. Jetzt müßte ich nur wissen, wo ich ihn erreichen kann. Er besitzt ja einige Schlupfwinkel.« Von Glenda ließ ich mir einige Telefonnummern diktieren und begab mich an die Arbeit. Einfach war es nicht. Zweimal wurde aufgehängt, beim drittenmal lachte man mich aus, und nach dem vierten Anruf hörte ich ein verächtliches Schnaufen. Ich war schon sauer geworden. »Wer immer Sie sind«, sagte ich, »holen Sie Ihren Boß an den Apparat, sonst kommt Scotland Yard mit großer Besatzung und zerrt ihn nicht sehr sanft aus dem Schlummer.« »Ich muß erst nachsehen, ob er noch schläft.« Das war ein kleiner Erfolg. Zumindest wußten wir, wo sich Logan Costello aufhielt. Wer immer abgehoben hatte, er mußte sauer sein, denn er schleuderte den Hörer vernehmbar hart für mich neben den Apparat. Sir James hatte einen Bleistift in die Hand genommen und zielte mit der Spitze auf mich. »Wenn er sich verleugnen läßt, räumen wir bei ihm auf, John.« »Was uns in unserem Fall leider nicht weiterbringen wird.« »Mal sehen.« Ich mußte warten. Dabei schaute ich auf die Uhr und verfolgte den Weg des Sekundenzeigers. Nachdem er dreimal seine Runde gemacht hatte, meldete sich wieder der Leibwächter. »Was ist?« fragte ich. »Er kommt.« »Heute noch?« Wieder schnaufte der Knabe. »Auch wenn Sie ein Bulle sind, lasse ich mich nicht verarschen.« »Schon gut.« Costello kam tatsächlich. Seine Stimme klang völlig unnormal. Er mußte eine harte Nacht hinter sich haben. »Sind Sie das wirklich, Sinclair?« »In der Tat.« »Was ist denn? Ich war froh, daß ich von Ihnen nichts gehört habe. Hat man mir einen Strafzettel angehängt?« »Nein, Costello, von mir haben Sie lange nichts gehört. Es geht auch nicht um sie.«
»Wie schön«, krächzte er und hustete zunächst einige Male. »Was sagt Ihnen der Name Yakuza?« »Hä?« Ich runzelte die Stirn. Mein Gesprächspartner war nicht richtig auf dem Damm, deshalb wiederholte ich den Begriff sicherheitshalber noch zweimal. »Ach so, ja. Japanische Gangster. Ich habe darüber gelesen, Sinclair, weiß Bescheid.« »Um die Yakuza geht es mir.« »Gute Reise nach Tokio. Und fahren Sie dort zur Hölle.« »Wenn, dann in London.« Costello saß nicht grundlos oben an der Spitze. Jetzt schaltete er rasch. »Soll das heißen, daß Sie hier in London etwas mit der Yakuza zu tun haben?« »Exakt.« Costello schwieg. Nach der kurzen Pause stellte er eine Frage. »Jetzt wollen Sie von mir wissen, was ich über die Yakuza hier in London erfahren habe.« »So ist es.« »Nichts, überhaupt nichts. Ich weiß nichts. Reicht das als Antwort oder soll ich es noch einmal wiederholen?« »Das brauchen Sie nicht. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß die Yakuza ihre Arme nach Europa ausgestreckt hat. Es könnte sein, daß die Leute versuchen, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen, Costello.« »Weshalb mit mir?« »Unterwelt ist Unterwelt. Nur ist die Yakuza mächtiger als die Mafia. Das nur am Rande. Ich hatte Sie nur warnen wollen, Costello.« »Wie nett von Ihnen. Nur kann ich das nicht glauben. Sie wollten mehr von mir.« »Das gebe ich zu. Es wäre besser, wenn Sie gewisse Informationen an mich weiterleiten würden.« »Und wenn ich sie hätte, Sinclair. Was hat die japanische Mafia mit Ihrem Job zu tun?« »Sie setzt Magie ein. Ich kann mich erinnern, daß auch Sie das getan haben, Costello.« »Ach ja?« »Okay, Costello, Sie wissen Bescheid. Noch können Sie es sich überlegen, ob Sie etwas wissen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Morgenruhe.« »Fahr zur Hölle, Sinclair.« Er legte wütend auf, und ich drehte mich zu Sir James um, der über einen Zweithörer das Gesprach mitbekommen hatte. »Er will es nicht zugeben, John.« »Falls er etwas weiß.«
»Der bestimmt, glauben Sie mir. Costello weiß immer etwas. Er und seine Leute hören die Flöhe husten.« »Was machen wir?« Sir James schaute auf seine Schreibtischplatte. »Costello wird erst reden, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht. Vorher wird er mit uns nicht zusammenarbeiten. Deshalb bleibt es dabei, daß Sie der einzigen Spur nachgehen, die Sie haben.« »Die Nippon Bar.« »Genau.« »Ich bin mir nur nicht über diese japanische junge Frau im klaren. Sie heißt Sariana, und sie arbeitet offiziell als Tänzerin. Indirekt hat sie zugegeben, daß der Geheimdienst sie bezahlt. Könnten sie da mehr herausfinden, Sir?« »Das glaube ich nicht.« Die Antwort bekam ich direkt. »Wenn jemand verschwiegen ist, dann sind es die Japaner. Sie leben in ihrer eigenen Welt, die sie von Japan mitgebracht haben. Man wird mir freundlich entgegenkommen, mich zum Tee einladen, aber man wird mir nichts sagen, John, das weiß ich.« »Stimmt, Sir. Welcher Japaner würde auch die Existenz der Yakuza zugeben?« »Das kommt noch hinzu.« Es sah also nicht gut aus für mich, was mich wiederum ärgerte. Sariana und die Nippon Bar, einen anderen Anlaufpunkt hatte ich nicht. Dabei wußte ich nicht einmal, wo die junge Japanerin wohnte. In der Bar sicherlich nicht. »Holen Sie Suko zurück«, sagte Sir James. »Versuchen Sie alles, John. Er muß aus Shimadas Klauen befreit werden.« »Wem sagen Sie das?!« Ich stand auf und verließ das Büro. Die leere Kaffeetasse nahm ich mit. Glenda hatte ihr Büro verlassen. Ich goß mir die zweite Tasse ein, trat mit ihr ans Fenster und schaute hinaus in das von einer hellen Sonne bestrahlte London. In diesen Augenblicken wünschte ich mir die vergangene Nacht zurück, da war etwas erschienen, gegen das ich kämpfen konnte, aber in dieser Stunde sah ich nichts. Meine Gedanken drehten sich um die Nippon Bar. Ich überlegte, ob ich ihr einen Besuch abstatten sollte. Allein einen Besuch, zunächst ohne die Frau. Glenda kehrte zurück. Als sie mich sah, zuckte ein Lächeln über ihre Lippen. Sie trug auch heute die Hose mit dem grellbunten Blumenmuster, nur die Bluse zeigte jetzt eine weiße Farbe. Sie besaß einen Kragen, auf dem Perlen schimmerten. »Für dich hat jemand angerufen.« »Wer?«
»Eine gewisse Sariana«, erwiderte sie spitz. »Hat eine sehr nette Stimme, die Dame.« »Hör auf. Was wollte sie?« »Dich darum bitten, daß du um achtzehn Uhrvor der Nippon Bar bist.« »Das war alles?« »Leider.« Ich nickte und schaute Glenda Perkins dabei an. »Hoffentlich ist das die Spur zu Shimada und letztendlich auch zu Suko. Sonst sehe ich schwarz für ihn.« »Wo könnte er stecken, John?« »In der Festung, in dieser verdammten Festung.« Nach dieser Antwort verlor auch Glendas Gesicht an Farbe... *** Suko wußte nicht, was ihm geschah. Er hatte alles versucht, nur war es ihm nicht gelungen, einen Ausweg zu finden. Er hing in dieser verdammten Enge fest, kam nicht vor und nicht zurück, spürte manchmal ein Zittern unter seinen Füßen. Unheimliche Vibrationen, die den Boden durchliefen und sich auf den Körper übertrugen. Was war das? Es gab für ihn nur eine Erklärung. Die Festung befand sich auf dem Weg durch die Dimensionen. Sie blieb nicht an einer Stelle, sie jagte weiter, überwand Grenzen, kippte von einer Welt in die andere und würde irgendeinem Ziel entgegensteuern. Verschollen und verloren in andere Dimensionen, daran mußte Suko denken und auch daran, daß er keinen Ausweg mehr finden würde. Es hatte selbst mit der Peitsche nicht geklappt. Einige Male hatte er gegen Wände geschlagen, doch nur den Gummi gespürt, der die drei Kiemen zurückfedern ließ. Luft? Bekam er Luft? Ja, sie war vorhanden, aber sie besaß einen Geschmack, der ihn an Schwefel und Hölle erinnerte. Wieder spürte er den Ruck, diesmal heftiger. Plötzlich riß es ihn um! Suko konnte sich nicht halten. Die Kraft warf ihn nach links. Halbhoch flog er auf die Gummiwand zu — und hindurch! Plötzlich um wirbelte ihn ein gewaltiger Strom. Kräfte zerrten an ihm. Er konnte sich überhaupt nicht halten oder mit seinen Armen lenken. Shimadas Festung schluckte ihn, und sie spie ihn aus. Suko schoß hinein in eine fremde Welt, in derer sich vom ersten Augenblick nicht zurechtfand. Er hörte jedoch einen ihm bekannten Lärm. Zunächst mußte er darüber nachdenken, dann aber wurde ihm klar, um was es sich handelte. Das waren Verkehrsgeräusche . ..
Suko zwinkerte mit den Augen, schüttelte den Kopf, strich über sein Gesicht, das einen staunenden Ausdruck bekommen hatte. Es wollte ihm nicht in den Sinn, er fand dafür keine Erklärung und tat das, was am wichtigsten war. Er schaute sich zunächst einmal um. . . Diesmal sah er etwas. Inmitten einer geheimnisvollen Welt aus grauem Licht stand er eingebettet in ein Netz aus dünnen Spinnweben, umgeben von einer warmen, schleierhaften Luft oder dünnem Glas, das ihm zusätzlich einen Blick freigab auf das, was sich genau vor ihm abspielte. Nein, nicht nur dort, um ihn herum! Suko ging, blieb stehen, schaute, wischte über seine Augen und schaute erneut. Das konnte nicht wahr sein. Der Verkehrslärm, die Bewegungen, die Lichter - das war . . . das war — London! Er befand sich in London! Suko, ein Mensch, der sich fast immer in der Gewalt hatte, konnte nicht anders. Er mußte einfach lachen. Und er lachte laut und deutlich, während er den Kopf schüttelte. Er brauchte nur wenige Schritte zu gehen und stand inmitten der Stadt. Konnte er das wirklich? Suko dachte nach, als die Euphorie der ersten Überraschung vorbei war. Nein, da täuschte man ihn. Er befand sich zwar in London, er konnte die Stadt sehen, doch er glaubte nicht daran, daß ihn die Menschen auch entdeckten. Das graue Licht. . . Wie Nebel lag es in dieser Welt. Er besaß keine sichtbaren Quellen, es war einfach, als gehörte es dazu. Dieses Licht füllte den Raum aus, in dem er sich befand. Eben in der Festung, und die, zum Henker, gehört nun mal dem Dämon Shimada. Innerhalb des Lichts befand sich nichts. Nur eben der ebenfalls graue Boden oder Untergrund, auf dem sich Suko bewegte und so weit gehen konnte, wie er wollte, ohne vor ein Hindernis zu laufen. Die Welt außen blieb. Auch als er zehn und mehr Schritte gegangen war, veränderte sie sich nicht. Er sah Häuser, er sah die Straßen, die Menschen. Sie und die Fahrzeuge kamen auf ihn zu, und sie huschten hindurch, ohne daß sie ihn auch nur gestreift hätten. Da war nicht einmal ein Luftzug zu spüren. Sie glitten durch die Welt, als wäre sie nicht vorhanden. Das stimmte im Prinzip. Nur für Suko war sie existent. Die anderen sahen sie nicht. Da hatten sich Dimensionen überlappt. Es war zu einer Verschiebung gekommen, Shimadas Magie machte es möglich. Nicht
umsonst war er ein Reisender in Sachen Tod und Verderben. Ein raffinierter Plan und eine seelische Folter, die man Suko angedeihen ließ. Die Szenerie draußen wechselte, denn die Festung nahm ihre Wanderschaft wieder auf. Für Suko wirkte es, als würde jemand außen Bilder vorbeischieben. Geisterhaft huschte das Panorama der Stadt vorbei, ähnlich einer Touristenführung, auf die Suko allerdings gern verzichten konnte. Zwei hohe Häuser fielen ihm auf. Er kannte sie gut, den in einem wohnte er selbst. Unwillkürlich hielt der Inspektor den Atem an. Nicht grundlos zeigte ihm Shimada dieses Panorama, seinen direkten Wohnort, der zum Greifen nahe lag, aber denoch Lichtjahre weit entfernt war. Suko unternahm den Versuch trotzdem. Er lief auf die beiden Häuser zu, erreichte sie nie, denn sie wichen immer weiter zurück, oder es war die Welt, die sich hier ausdehnte. Die Äußerlichkeiten erinnerten Suko daran, als wären sie von einer Kamera eingefangen worden, die jetzt eine bestimmte Szene herauspickte und vorschob. Etwas glitt in Nahaufnahme gegen Shimadas Welt. Es war die Zufahrt zur Tiefgarage. Suko ahnte, was dies sollte. Die Folter erreichte allmählich ihren Höhepunkt. Er glotzte in die viereckige Tunnelöffnung und konnte sogar die Umrisse der in der Nähe stehenden Fahrzeuge erkennen. Ein Wagen rollte mit eingeschalteten Scheinwerfer im Halbbogen durch die Garage, um die Ausfahrt zu erreichen. Es war ein Rover! Der Inspektor wußte genau, was folgte. Dennoch überkam ihn eine starke Nervosität. Es war einfach auch die Hilflosigkeit, die an ihm zerrte. Der Rover schob sich aus der Einfahrt, er nahm die Schräge, und Suko erkannte den Mann hinter dem Lenkrad. Es war sein Freund John Sinclair! Und er fuhr durch diese Welt des Shimada, als hätte es sie nie gegeben. Wenigstens nicht für ihn. Suko schloß die Augen. Er öffnete sie auch nicht, als er von irgendwoher das gellende und donnernde Lachen des Dämons Shimada hörte... *** Lange hatte ich versucht, die Adresse der Japanerin herauszufinden. Es war mir nicht gelungen. Ich kannte nur ihren Vornamen, und der war in keinem Telefon - oder Adreßbuch verzeichnet.
Leider... Was blieb mir anderes übrig, als zu warten. Den Vormittag, auch den Nachmittag, den ich in meiner Wohnung verbrachte, weil ich nicht wie ein 'Liger im Büro auf und ab laufen wollte. Immer wieder hatte ich auf die Uhr geschaut und festgestellt, wie quälend langsam die Zeit verrann. Natürlich drehten sich meine Gedanken um Suko, und nicht allein um ihn. Wenn Shimada mit im Spiel war, dann mußte eigentlich auch Shao eingreifen. Sukos verschwundene Partnerin und die letzte in der Ahnenreihe der Sonnengöttin Amaterasu gehörte zu den Personen, die auch Shimada den Kampf angesagt hatten. Er und die Sonnengöttin waren so verschieden wie der Tag und die Nacht. Nur wenn Amaterasu aus dem Dunklen Reich befreit wurde, konnte die Macht des Dämons gebrochen werden. Das war bisher nicht geschehen. Amaterasu war nach wie vor eine Gefangene, und es bestand auch keine Aussicht, daß sie schnell befreit wurde, auch durch Shao nicht. Ich räusperte mich, weil ich wieder einmal in der Kehle den Frosch spürte. Oft genug hatte ich das Telefon angeschaut, weil ich auf einen Anruf der Japanerin wartete. Sie mußte sich doch melden! Am Morgen hatte sie es auch getan. Wenn sie im Büro anrief, würde ihr Glenda sagen, wo ich zu finden war. Da schellte das Telefon. Mit einem Sprung war ich da, riß den Hörer an mich und meldete mich nur mit der ersten Silbe meines Namens, denn ich hörte bereits die Stimme der Japanerin. »John, du bist okay?« »Nein, verdammt, ich bin nicht okay. Erstens wegen Suko und zweitens deinetwegen.« »Oh — was habe ich damit zu tun?« »Verflixt, ich sitze hier auf heißen Kohlen. Ich möchte gern Einzelheiten wissen.« »Die bekommst du früh genug. Noch ist es nicht soweit, John. Wir haben Zeit. Es hat keinen Sinn, zu früh an der Bar zu sein. Du gehörst nicht zum Personal. Man würde dich nicht einlassen, glaube es mir. Deshalb bleibt es bei dem Treffpunkt davor.« 1 »Und weiter?« »Nichts, ich hole dich ab.« »Wie schön.« »John«, sie sprach jetzt mit einer fast mütterlichen Stimme. »Das ist eine fremde Welt, eine andere Kultur. Du kannst dich in ihr nicht benehmen wie der Elefant im Porzellanladen. Auch wenn du die Bar betreten hast, mußt du die normalen Etablissements vergessen. Dort ist eben alles anders, japanisch.«
»Okay, akzeptiert. Eine andere Frage. Welche Rolle spielst du dort genau?« »Ich bin so etwas wie eine Geschäftsführerin. Ich tanze auch, wenn es sein muß.« »Strip ...?« Sie lachte in den Hörer. »Nein, unsere alten traditionellen Tänze. Es gibt natürlich Mädchen in der Bar, keine Geishas, sondern andere. Aber das wirst du selbst erleben.« »Kennen wir uns?« »Zunächst nur flüchtig. Überlasse alles andere mir. Wir treffen uns nur vor dem Haus.« »Alles klar.« Ich legte auf und atmete tief durch. Der Druck im Magen wollte nicht weichen, weil ich den Gedanken an meinen Freund Suko einfach nicht los wurde. Er war derjenige, um den es letztendlich ging. Er befand sich in der verdammten Welt des Shimada, an die ich so schlimme Erinnerungen hatte. Löschen ließen sich diese nicht. Ich dachte über meine Bewaffnung nach. Den Dunklen Gral wollte ich auf keinen Fall mitnehmen, er hätte mir gegen die japanische Magie nicht geholfen. Was blieb noch? Der silberne Bumerang, die magische Banane — ja, sie konnte sehr wertvoll sein. Auch gegen untote Samurai, denn wenn ihre Köpfe abgeschlagen wurden, glaubte ich nicht daran, daß sie noch weiterkämpfen würden. Ich steckte die Waffe ein, verließ die Wohnung und stieg in der Tiefgarage in meinen Wagen. Das große Tor der Ausfahrt stand offen. Ich rollte hindurch und hatte plötzlich das Gefühl, von etwas Fremdem gestreift zu werden, das sich durch meine Gedankenwelt schob. Es war nur für einen Moment und kaum meßbar, aber deutlich zu merken. Ich wollte zuerst auf die Bremse treten, fuhr jedoch weiter, weil die Zeit drängte. Dennoch dachte ich über dieses Phänomen nach, wobei ich sogar zu einem Ergebnis kam. Jemand mußte mich unter Beobachtung halten. Irgendwo am Haus lauerte etwas Fremdes . .. Ich schaute in den Rückspiegel, entdeckte aber nichts, was mich hätte mißtrauisch werden lassen. Alles war normal . .. Du spinnst, Sinclair! sagte ich zu mir selbst. Du spinnst und bist überdreht.
Zum Glück fühlte ich mich besser als am Morgen. Es mochte auch daran liegen, daß ich wieder Land sah, denn es würde vorangehen, das war sicher. Ob positiv oder negativ mußte sich noch herausstellen. London fraß mich mit seinem spätnachmittäglichen Verkehr. Ich wohnte am Rande von Soho, die Nippon Bar befand sich ebenfalls in diesem Stadtteil, ich hätte besser mit der U-Bahn fahren sollen, aber ich mußte mobil sein. So nahm ich die Tortur auf mich und gelangte erst nach über einer halben Stunde an mein Ziel. Natürlich bekam ich vor der Bar keinen Parkplatz. So rollte ich erst an ihr vorbei, hinein in eine Nebenstraße, wo die Wagen ebenfalls dicht an dicht standen. Schließlich wurde ein Platz frei, und ich rangierte den Rover rasch in diese Lücke. Ziemlich geschafft stieg ich aus. Die Sonne meinte es an diesem Tag gut. Eigentlich war es schon zu warm geworden. Ich streifte mein Jackett über und ging den Weg zurück. Vorbei an Geschäften, kleinen Kneipen, Restaurants zwei japanische sah ich auch — und blieb vor dem Gebäude stehen, wo die Nippon Bar eingerichtet worden war. Wenn mich jemand fragt, ob ich London kenne, werde ich die Frage immer bejahen. Diese Bar allerdings war mir noch nicht aufgefallen, und sie paßte zu den Japanern, die alles wollten — nur nicht auffallen. Schmuckloser und grauer konnte eine Hausfassade gar nicht sein wie die, vor der ich stand. Nur die Tür war neu. Sie besaß ein Guckloch, so daß jeder Gast, der die Bar betreten wollte, genau unter die Lupe genommen werden konnte. Ich suchte vergeblich nach Sariana, wollte auch nicht unbedingt auffallen und ging ein paar Schritte zur Seite, wo ich vor dem Schaufenster eines Trödelladens stehenblieb. Sariana hatte mich etwas versetzt, denn es war bereits fünf Minuten über die Zeit. Dann kam sie doch, und sie fiel auf, weil sie einen hellen Staubmantel trug. Lächelnd blieb sie vor mir stehen. Diesmal roch sie nach Puder und Schminke. Ihr Haar war frisch gegelt, und goldene Fäden liefen durch die dunkle Pracht. Die weiße Puderschicht auf den Wangen gab ihrem Gesicht etwas Puppenhaftes, das Lächeln der hellrot geschminkten Lippen wirkte leicht künstlich. »Was schaust du mich an?« »So kenne ich dich nicht.« »Ich trage bereits meine Berufskleidung.« »Wäre das nicht eine Waffe oder der Gegenstand, den ich gestern bei dir sah?«
Sie winkte ab. »Lassen wir das Thema.« »Okay, wie geht es weiter?« »Wir werden die Bar nicht gemeinsam betreten. Ich habe vorgefühlt, man hat nichts dagegen, daß auch Einheimische ihren Drink nehmen. Du mußt dich nur entsprechend verhalten.« »Und wie?« »Lächeln, John, nur lächeln.« »Das fällt mir schwer.« »Weiß ich.« Sie preßte für einen Moment einen Finger gegen die Stirn. »Da wäre noch etwas, John. An diesem Abend haben wir auch Programm. Du wirst ein Theaterstück zu sehen bekommen.« »Machst du auch mit?« »Ja.« »Und was spielst du?« »Eine Fee, die versucht, das Böse zu vertreiben. Es ist auch hier das alte Rollenspiel: Gut gegen Böse.« »Ist es auch eine Chance für Shimada?« Ihr Blick verdüsterte sich. »Bitte john, male den Teufel nicht an die Wand.« »Das befürchtest du auch?« »Sagen wir so: Ich schließe es nicht aus. Durch ihn werden die Yakuza Einfluß zu gewinnen versuchen. Rechnen müssen wir mit allem. Bis gleich dann.« Bevor ich noch eine Frage stellen konnte, war sie verschwunden. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Nippon Bar zu betreten... *** Das Gelächter war verstummt, aber die Umgebung blieb. Suko befand sich immer in London und war trotzdem meilenweit von seiner Stadt entfernt. Er sah Soho, mal unter, dann neben sich. Alles wirkte wie mit Grauschleier überschüttet. Durch die Stadt fuhren die Autos, gingen die Menschen, doch sie produzierten keine Geräusche. Alles rollte an Suko in einer nahezu beklemmenden Stille vorbei. Er hatte Shimada nicht gesehen, er hatte nur sein Gelächter gehört. Zudem wartete er auf die beiden untoten Samurai, denn er ging davon aus, daß es sich um Henker handelte, die ihn vom Leben in den Tod befördern sollten. Es gab in dieser Welt so gut wie keine Temperatur. Alles war anders, so lau, nicht fest, nicht hart, nicht fühlbar oder widerstandsfähig. Ein durchsichtiges Gefängnis, dennoch ausbruchsicher, wie Suko festgestellt hatte. Seine Reise ging weiter. Er huschte durch die Stadt, durch Soho, wo sich der Trubel gegen Abend hin verdichtete.
Einheimische, Touristen, Geschäftsleute, jugendliche und auch Stromer bildeten ein Sammelsurium von Menschen, die Suko allesamt erkennen konnte, nur er wurde von ihnen nicht gesehen. Er hatte es zwar schon versucht, diesmal jedoch nahm er wieder die Peitsche, denn irgendwo mußte die Grenze doch aufzubrechen sein. Es gelang ihm nicht. Erschlug ins Leere hinein, obwohl er die graue Wand genau gesehen hatte. Aber die Reise wurde unterbrochen, durch die Schläge, oder hatte es einen anderen Grund? Suko wartete ab. Er befand sich noch immer in Soho, und zwar in seinem Zentrum, innerhalb der sehr engen Straßen, wo die zahlreichen schmalbrüstigen Häuser standen mit den Geschäften, Kneipen und winzigen Wohnungen. Hatten sie das Ziel erreicht? Suko rechnete damit, aber er wurde abgelenkt, denn seine Aufmerksamkeit wandte sich anderen Dingen zu. Der Kreis erschien! Suko hatte nicht erkennen können, woher er so plötzlich gekommen war, auf einmal stand er wie ein Denkmal in der Welt, und es hatte sich nichts verändert. Die beiden untoten Killer waren ebenso vorhanden wie auch die kalten, grausamen Augen des Dämons Shimada. Suko merkte genau, daß die Reise nicht mehr fortgeführt wurde. Sie hatten das Ende erreicht, und es lag inmitten von Soho. Ein Unding, wenn er daran dachte, daß er praktisch zu Hause war und trotzdem gegen die andere Kraft nichts unternehmen konnte. Shimada starrte ihn an. Suko spürte genau, welch ein Grauen aus diesem Blick abstrahlte. Er nahm es auf und empfand es als eine Folter auf der Haut. Shimada sagte kein Wort. Er starrte Suko nur an, und unter seinem Blick spürte der Inspektor, wie sein Widerstand allmählich zusammensank. Es fing im Kopf an, wo es ihm nicht mehr möglich war, die Gedanken zu ordnen. Sie streuten weg, er kam nicht einmal darauf, an Widerstand zu denken, sein Blick blieb starr, und er spürte, wie das Fremde messerartig sein Gehirn überflutete und an verschiedenen Stellen den eigenen Widerstand ausschaltete. Über den Blick dieser grausamen blauen Augen hatte er oft genug mit seinem Freund John Sinclair gesprochen. Jetzt merkte Suko zum erstenmal die Praxis und wie dieser Blick die Kontrolle über ihn, sein Denken, und seinen Körper bekam. »Du bist in meiner Gewalt!« erklärte Shimada auf telepathischem Weg. »Es gibt kein Zurück mehr.« Normalerweise hätte ihm Suko widersprochen, in diesem Fall war es unmöglich geworden, denn die Kraft des Dämons war einfach zu stark.
Und er lachte Suko aus, bevor er damit begann, ihm zu erklären, wo sie sich befanden. »In der Nippon Bar!« Suko hörte den Begriff, allein er interessierte ihn nicht. Er stand da, schaukelte, starrte dem Kreis entgegen, wo die beiden untoten Samurai lauerten, als wollten sie im nächsten Augenblick den Kopf vom Rumpf des Inspektors schlagen. Doch Shimada hielt sie zurück. Er behielt Suko unter Kontrolle und ließ ihn vorgehen. Und der Inspektor konnte nicht anders. Mit schwankenden Schritten wanderte er seinem Ziel entgegen, eben diesen beiden Augen, die alles beherrschten. Selten zuvor hatte es ihn derartig erwischt. Wie ein Hammerschlag war diese geisterhafte Gewalt über ihn gekommen und hatte ihn voll in ihren Bann geschlagen. Vor ihm erschien der Kreis, noch immer so groß, daß er auch hineingehen konnte. »Komm!« lockte ihn die Stimme des Samurai. »Komm in den Kreis, steige zu uns in das magische Zentrum, denn nur von dort aus kannst du die Festung verlassen und wieder zurückkehren in deine Welt. Das willst du doch — oder?« »Ja, das will ich.« Die Augen erschienen Suko plötzlich um das Doppelte geweitet. Sie waren wie Sonden, die Botschaften ausstrahlten, die ihm allein galten, die ihn umgarnten. Als die zwei untoten Samurai ihm die freien Hände entgegenstreckten, griff Suko zu und ließ sich von den hilfsbereiten Händen hineinziehen in den Kreis. Und in seine Zeit... *** Die kleine Japanerin an der Garderobe lächelte mich so herzerfrischend an, als wäre ich ein besonderer Gast und der Laden nur für mich persönlich geöffnet worden. Keine Spur von Überraschung, daß ich nicht zu den Asiaten gehörte. »Was darf ich Ihnen abnehmen, Sir?« »Nichts.« »Keine Garderobe?« »Auch nicht.« Die Kleine lächelte weiter und verneigte sich dabei. »Ich darf Ihnen noch einen wunderschönen Abend bei uns wünschen.« »Danke.« »Und Sie kennen sich aus?« »Immer.« Ich spielte hier den Unbekümmerten. Wo ich hinzugehen hatte, wußte ich schon. Es gab kein anderes Ziel als die dunkelrot
lackierte Doppeltür, deren rechte Hälfte ich aufdrückte, überrascht mit den Augen blinzelte, weil ich das Gefühl hatte, meinen Fuß in eine fremde Welt gesetzt zu haben. Japan in London! Etwas kitschig für meinen Geschmack, aber immerhin. Natürlich fehlte nicht das Bild vom Fudschijama, dem sagenumwobenen höchsten Bergs Japans. Jeder Eintretende blickte auf ihn, weil er als breite Fotografie die gegenüberliegende Wand einnahm. Vasen mit frischen Kirschblütenzweigen verteilten sich im Raum und bildeten kleine frühlingshafte Inseln. Die Bilder an den Wänden — zumeist Federzeichnungen — waren kleine Kunstwerke für sich. Es gab eine Bar, das hatte man übernommen. Das Holz zeigte eine dunkelrote Lackierung, die im Licht der sehr kleinen künstlerisch interessanten Lampen schimmerte, weil sie an bestimmten Stellen reflexartige Blitze zurückschleuderte. Wer nicht an dieser Theke saß, konnte an den sehr niedrigen Tischen seinen Platz finden. Matten bildeten die Unterlage, man mußte sich schon im Schneidersitz niederhocken. Sechs dieser Tische zählte ich. Sie standen so weit auseinander, daß kein Gast den anderen am Nebentisch störte. Es war eine ruhige Welt, keine Barhektik, wie ich sie kannte. Wände im Hintergrund bestanden aus dickem Pergament. Licht an der anderen Seite schimmerte durch und füllte die Wände aus wie eine breite, blasse Sonne. Man kümmerte sich nicht um mich. Die wenigen Gäste waren in ihre Gespräche vertieft. Die meisten von ihnen trugen europäische Kleidung, die anderen hatten die traditionelle vorgezogen. Kimonos flössen weich um ihre Körper und schillerten, wenn sich die Leute bewegten. Sariana sah ich nicht. Überhaupt mußte ich die Mädchen suchen. Dafür fiel mein Blick auf die Bühne an der rechten Seite, wo ein grüner Vorhang bis zum Boden hing. Selbst die Decke zeigte Figuren aus der japanischen Mystik und Geschichte. Ineinander verkrallte Monstren und Tiere, die sich um eine Kugel stritten, die den Erdball darstellen sollte. Die leise fremde Musik im Hintergrund begleitete meinen Weg bis zurTheke, wo ich mich auf einem weichen Hocker niederließ, und zwar so, daß ich die Bühne im Auge behalten konnte. Ich saß zudem nicht weit vom Durchgang zu den anderen Räumen entfernt. Dort mußten sich die Saunen oder die Baderäume befinden. Wahrscheinlich versüßten die Mädchen den Herren dort hinten die Stunden, im Lokal hielten sie sich zurück. Der Keeper trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd mit Rüschen. Erlächelte mirzu. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen, Sir?« Ich nickte. »Ja, vielleicht ein Wasser.«
»Sehr wohl, ein stilles?« — Ich nickte. Wir hatten beide leise gesprochen. In dieser Atmosphäre traute ich mich nicht, laut zu sprechen. In diesem Club ging alles sehr vornehm zu. Ich bekam mein Wasser. Soweit ich hatte feststellen können, war ich der einzige Europäerin dieser illustren Runde. Ich trank und nahm etwas von dem Salzgebäck, das vor mir stand. »Gefällt es Ihnen bei uns, Sir?« »Sehr nett.« Ich lächelte. »Wie man es mir erzählt hatte . . .« »Sie kamen auf Empfehlung?« »Eine Bekannte.« »Ah so. Kenne ich sie?« So fragte man Leute aus, dachte ich, machte das Spiel aber mit und gab lässig die Antwort. »Ja, das ist eine junge Frau, Sariana. Sie sollten sie kennen.« »Natürlich.« Auf dem glatten Gesicht des Keepers regte sich kein Muskel. »Sie ist mir bekannt.« »Und wo finde ich sie heute abend?« »Oh, sie hat gleich ihren Auftritt. Sie wissen ja selbst, was sie hier tut.« »Klar, sie tritt auf.« »Genau. Sariana gehört zur Spitze. Sie ist gut. Selbst in Tokio stünde sie ganz oben! Sie haben einen guten Geschmack, Sir, wenn ich das mal so sagen darf.« »Danke sehr.« Zwei neue Gäste betraten die Bar. Sie waren älter als ich, dickbäuchig und grinsten auf eine widerliche und impertinente Art und Weise. Die Bar steuerten sie nicht an, gingen an ihr vorbei und nickten dem Keeper zu. Der nickte zurück. Sekunden später waren die beiden Männer hinter der in meiner Nähe liegenden Tür verschwunden. Ich trank einen Schluck Wasser, schaute dem Mann hinter der Bar zu, wie er Gläser mit Tee füllte und die Getränke servierte. Es ging sehr gelassen zu, nichts wies in diesem Raum darauf hin, daß etwas falsch laufen oder nicht in Ordnung sein konnte. Trotzdem war ich mißtrauisch. Hier kratzte ich nur an der Oberfläche, die Tatsachen lagen tiefer. Der Keeper unterhielt sich wieder mit mir. Er sprach von seiner Heimat Japan, die er lange nicht mehr gesehen hatte. »Fühlen Sie sich denn in London trotzdem wohl?« »Ich weiß es nicht. Es ist nicht die Heimat.« Mein Lächeln fiel breit aus. »Aber Sie arbeiten hier in einem Stück Japan, oder nicht?« »Kann sein.« »Ich würde gern dorthin gehen, wo auch die beiden Gentlemen verschwunden sind.« »So?« Seine glatten Augenbrauen hoben sich und zeichneten Halbkreise auf die Stirn.
»Ist das schlimm.« »Es ist nicht erlaubt, Sir, leider.« Ich kniff ein Auge zu. »Yakuza?« fragte ich. Er gab mir keine Antwort, starrte zu Boden, drehte sich um und machte sich an den Flaschen zu schaffen. Mich würdigte er keines Blickes mehr, wobei ich es als nicht einmal schlimm empfand und die Lage als günstig einstufte. Die Tür war normal zu öffnen. Man brauchte keine Codekarte einzuschieben, um in die anderen Räume zu gelangen. Da der Mann durch die Aufnahme von Bestellungen beschäftigt war, rutschte ich vom Hocker und huschte mit zwei langen Schritten auf die Tür zu. Ich drückte sie auf und war durch. Hinter mir schwang sie zurück und schnappte ins Schloß. Ich hatte mich schon gedreht und schaute in einen Gang, von dem nur eine Tür abzweigte. Die gehörte zu einem Lift! Allmählich steigerte sich meine Spannung. Ein Lift konnte in beide Richtungen führen. Nach oben und nach unten. Und ich wurde den Eindruck nicht los, daß dieses Haus noch einige Überraschungen mehr beinhaltete. Wenn hier gespielt wurde, falls es auch Prostitution gab, dann sicherlich in den unteren Gemächern. Vor der Lifttür blieb ich stehen. Es gab nur einen Knopf, den ich drückte. Der Pfeil auf dem Knopf zeigte mit der Spitze nach unten. Diese Richtung also. Ich wartete wenige Sekunden und hoffte nur, daß mir der Keeper nicht nachkam und dumme Fragen stellte. Ohne Schwierigkeiten gelangte ich in die Kabine. Sie war ausgestattet wie in einem Hotel der Luxusklasse. Seidentapeten kleideten sie aus, sogar zwei kleine Sitzbänke standen sich gegenüber. In der Luft lag der Geruch von frischem Lavendel. Sogar leise Musik drang aus einem Lautsprecher. Seidenweich brachte mich die Kabine in den Keller. Dort mußte ich die Tür aufdrücken und fand mich abermals in einer anderen Atmosphäre wieder. Ich hatte angenommen, in einen Gang hineinschreiten zu können, das passierte nicht. Vor mir lag ein unterirdisches Gelände, bestehend aus mehreren Landschaften. Große Glastüren und auch Wände aus Glas trennten die einzelnen Bereiche. Wer sich mit den Mädchen vergnügen wollte, konnte das unter den Augen der anderen tun. Es gab auch Männer, die um einen Spieltisch herumhockten und sich mit japanischen Brettspielen vergnügten. Andere lagen aufweichen Liegen und ließen sich von flinken Händen massieren.
Ich schüttelte den Kopf, denn hier war alles sehr offen. Nur mußte ich mich entscheiden, welchen der Räume ich besuchen wollte. Das wiederum fiel mir schwer. Manche Mädchen trugen die Kluft der Geishas. Sie saßen bei den Spielern, brachten ihnen hin und wieder Getränke oder tupften ihnen mit seidenen Tüchlein Schweißtropfen von den Gesichtern. Die Welt war fremdartig, ich sah sie hinter Glas, aber ich stellte auch fest, daß ich keinen der Räume betreten konnte. Um hineinzugelangen, benötigte man eine Codekarte, die in einen Schlitz am Türschloß geschoben werden mußte. Ich besaß keine .. . Langsam ging ich weiter. Ich hatte mich nach rechts gewandt, bewegte mich zwischen Glasfront und Mauer. Unter der Decke hingen latemenförmige Lampions, die ihr weiches Licht abstrahlten, das mich auf Schritt und Tritt begleitete. Dann sah ich doch eine Tür. Diesmal normal, nicht aus Glas und auch ohne Codekarte zu öffnen. Ich schaute gegen die Klinke, wollte sie drücken, als ich blitzschnell zurücksprang, denn sie wurde von der anderen Seite her geöffnet. Eine Frau erschien. Es war Sariana, die mich anstarrte, den Kopf zweimal schüttelte und dann sagte: »Komm!« Bevor ich protestieren konnte, hatte sie mich schon durch die Tür gezogen, hinein in ein Halbdunkel, in dem es nach Puder, Schminke und menschlichen Ausdünstungen roch. »Bist du denn verrückt?« »Wieso? Ich wollte mich umschauen.« »Daß du den Weg genommen hast, kommt fast einem Todesurteil gleich, John.« »So einfach ist das nicht.« »Warte.« Sie faßte nach meiner Hand. Bevor sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, zog sie mich schon weiter. Unter meinen Füßen spürte ich den Holzboden und hörte auch die leicht dumpf klingenden Echos der Schritte. Wo wir hinschritten, war mir unbekannt. Ich vertraute Sariana einfach, zudem blieb mir nichts anderes übrig. Trotzdem wollte ich wissen, wo wir uns befanden, deshalb fragte ich. »Auf der Bühne«, war die Antwort. Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. »Ist die nicht oben, eine Etage höher?« »Auch.« Ich stemmte mich gegen ihren Zug, denn ich wollte wissen, was hier gespielt wurde. »Moment mal, oben oder unten?« »Beides. Sie ist hydraulisch. Man kann sie in die Höhe ziehen. Komm endlich mit.« »Wohin?«
Sie gab mir keine Antwort mehr. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, und ich mußte ihr einfach das nötige Vertrauen entgegenbringen. Auf der Bühne war bereits die Dekoration errichtet worden. Was sie zeigte, konnte ich nicht erkennen. Die Umrisse verwischten die breiten Schatten. Eine Tür quietschte in den Angeln, als Sariana sie aufzog. Die Beschaffenheit des Untergrunds änderte sich. Wir schritten über Stein und auch hinein in eine kühle Luft. Das waren wohl die normalen Kellerräume. Wenig später drückte sie mich in eine winzige Garderobe mit sehr kahlen Wänden, einem kleinen Tisch, auf dem Schminktöpfe und Tiegel standen, mit einem Spiegel dahinter. Auf einem Stuhl lagen Kleidungsstücke. Die meisten dienten als Kostüme. Sie selbst trug einen langen, weißen Kimono, der um die Taille herum verknotet war. Es konnte auch ein Hausmantel sein. Das Haar hatte sie anders gekämmt, und zwar so, daß eine Perücke auf den Kopf paßte, die in der Nähe lag. Es klickte, als sie den Schalter einer Tischlampe drückte und milchiges Licht die Garderobe erhellte. »Du bist wahnsinnig, du bist lebensmüde«, fuhr sie mich scharf an. »Wie kann man nur . . .« »Moment mal, Mädchen. Ich suche nicht nur einen gefährlichen Dämon, sondern auch meinen Partner.« »Und die Yakuza — oder?« »Vergiß die beiden untoten Samurai nicht.« Sariana schüttelte nur den Kopf. Sie kam damit nicht zurecht, schlug sich gegen die Stirn und fragte: »Weißt du eigentlich, daß du uns beide in große Gefahr gebracht hast. Natürlich ist es aufgefallen, daß hier jemand eingedrungen ist, der nicht zu uns gehört. Man hat dich längst gesehen, wartet aber ab.« »Und dann?« »Wird man dich nicht mehr hinausgehen lassen. Wenigstens nicht lebend. Du hast etwas gesehen, was gefährlich ist.« »Die Separees hier unten?« »Schlimmer sind die Personen. Es handelt sich um Menschen, die etwas zu sagen haben. Nicht nur um Wirtschaftsbosse, auch andere sind versammelt.« »Yakuza?« »Das hast du gesagt.« »Aber dich hat man geschickt, um einiges über sie herauszufinden, oder nicht?« Sariana setzte sich auf den Stuhl mit der Kleidung. Es störte sie nicht, daß die Kostüme zusammengedrückt wurden. Sie schüttelte den Kopf, schlug die Beine übereinander und der Kimono klaffte auf. Viel konnte sie darunter nicht tragen. »Ich weiß jetzt nicht mehr, John, wie ich dir noch heraushelfen soll.«
»Das schaffe ich schon allein.« »Niemals. Sie lassen sich von einem Fremden nicht ins Handwerk pfuschen, das weißt du selbst.« »Was ist mit den Samurai? Was ist mit Shimada? Wo steckt mein Partner? Mehr will ich nicht wissen.« »Ich kann es dir nicht sagen, John. Dabei habe ich versucht, eine Spur zu finden, ohne Erfolg. Wir sind allein, verdammt allein, John.« »Hat niemand davon gesprochen?« »Nicht in meiner Gegenwart.« »Okay. Wer hat hier das Sagen? Wer ist der Boß von dem Laden? So einen muß es geben.« Sie starrte gegen die Lichtquelle. »Der Mann heißt Tawina. Er ist aus Tokio gekommen, um die Filiale aufzubauen.« »Dann weiß er also mehr?« »Bestimmt, nur wirst du kaum an ihn herankommen. Er ist gut geschützt.« Sie stöhnte auf. »Wir sitzen in der Falle und können daran nichts ändern, John.« Wie aufs Stichwort wurde außen gegen die Tür geklopft. Sariana saß starr, ich huschte zur Seite und preßte mich mit dem Rücken gegen die Wand, in den toten Winkel. Dabei achtete ich darauf, daß mein Körper keinen Schatten warf. »Wer ist da?« Eine Männerstimme antwortete in japanisch, und Sariana verlor plötzlich an Farbe. Ihre Augen weiteten sich, zu erklären brauchte sie nichts, ich verstand auch so. Ohne daß sie eine Aufforderung gegeben hätte, drückte jemand die Tür auf und schob sich in die Garderobe. Ich sah nur seinen Rücken und den breiten Specknacken. Dieser Typ erinnerte mich an einen Sumo-Ringer, er war massig und mächtig, konnte vor Kraft kaum laufen und bewegte sich breitbeinig. Geduckt stand er da und sprach auf das Mädchen ein. Sariana antwortete ihm und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Der andere glaubte ihr nicht, er wollte es mit Gewalt versuchen und hob den rechten Arm. Seine Hand mit den kurzen Fingern konnte man nur als fette Pranke bezeichnen. Allerdings kam er nicht mehr dazu, sie gegen den Kopf der Frau zu schlagen, denn plötzlich spürte er in seinem Specknacken etwas Kaltes, Rundes. Diese Geste, dieser Druck waren international. Er wurde auch ohne Worte verstanden. »Rühr dich nicht, sonst sägt dir die Kugel durch den Hals!« flüsterte ich scharf und stieß sofort auf Protest. »Das hättest du nicht tun sollen, John! Ich wäre mit ihm schon fertig geworden.«
»Gestattest du, daß ich da meine Zweifel anmelde? Wer ist dieser komische Mensch?« »Einer von Tawinas direkten Leibwächtern.« »Wunderbar, dann kann er mich zu seinem Boß führen.« Sie verdrehte die Augen. »John, sei nicht naiv. Du hast es hier nicht mit englischen Gangstern zu tun. Du kannst nur verlieren, wenn du den direkten Weg gehst.« »Der hat mir bisher immer geholfen.« »John, darin sehe ich keinen Sinn. Bitte, du kannst es nicht tun. Schlag ihn nieder und versuche zu verschwinden. Es ist unsere einzige Chance, wirklich.« Es gibt Situationen, wo ich mich uneinsichtig zeigte. So eine war hier eingetreten. Ich wollte meinen Weg gehen, das klappte nur über diesen Tawina, denn er war derjenige, der mir den Weg zu Shimada und dessen Magie zeigen konnte. Davon ließ ich mich einfach nicht abbringen. Zwischen den Yakuza und den anderen mußte es eine Verbindung geben. Mit der freien Hand klopfte ich den Kerl nach Waffen ab, fand keine, nicht einmal eine Kanone. Ich trat zurück. »Du kannst dich aufrichten, Fettsack! Aber keine Dummheiten.« Er drückte seinen mächtigen Rücken durch. Mir kam er vor wie eine Kugel auf zwei Beinen. Ich dirigierte ihn auf die Tür zu und konnte dabei gegen sein Profil schauen. Es war flach, die Nase stand kaum vor, auch das Kinn fiel nach unten hin ab, als wollte es fliehen. »Wo residiert denn der Chef?« fragte ich Sariana. »Auch hier unten?« »Ja.« »Danke.« Ich hörte sie heftig atmen. Wahrscheinlich wollte sie noch etwas sagen, schluckte die Bemerkung jedoch herunter und senkte den Kopf, während der Dicke sich durch die Tür quetschte und sich nach rechts wandte, wo wir die Bühne erreichen konnten. Schaukelnd ging er vor mir her. Wie halbe Reifen pendelten seine Arme rechts und links des bulligen Körpers und gerieten bei jedem Schritt in Schwingungen. Diese Männer waren perfekt ausgebildet. Mit ihren Körpern stellten sie sich allem in den Weg. Selbst Kugeln fingen sie auf. Für ihre Bosse gingen sie zuerst durchs Feuer, bis sie schließlich in der Hölle landeten. Sehr schnell erreichten wir die Bühne. Wenn der Dicke seine Beine aufsetzte, erklang vom Boden her ein leichtes Dröhnen. Ich konzentrierte mich zu sehr auf den Mann und achtete weniger auf die Umgebung, was ein Fehler war, denn sie hatte sich verändert.
Die Tänzerinnen waren verschwunden. Ich hatte vorhin ihre Stimmen aus dem Hintergrund gehört, jetzt war es beinahe still, und ein anderer Geruch wehte mir entgegen. So rochen Männer. Das Licht peitschte auf, es blendete mich, ich drehte den Kopf zur Seite und stellte fest, daß nicht der Dicke und ich als einzige in einem Lichtkreis standen. Links von uns spielte sich das Hauptgeschehen ab, als wäre es inszeniert worden. Zwei Männer umstanden einen Stuhl, auf dem ein grauhaariger Japaner im schwarzen Anzug saß. Er trug eine Brille mit Goldrand und schaute zu mir hin. »Das reicht jetzt!« sagte er. *** Der Dicke war stehengeblieben, ich nicht, so rammte ich ihm den Lauf in die Massen. Er zuckte nicht einmal. Ich ließ die Mündung in seinem Rücken und konterte. Daß der Kleine Tawina war, davon ging ich aus. Deshalb sprach ich ihn auch mit Namen an. »Hören Sie, Mr. Tawina, wenn Sie wollen, können Sie einen Mann aus Ihrer Garde verlieren. Sie brauchen sich nur . ..« »Nein, nein, nein«, sprach er und schüttelte den Kopf. »Nicht so, Mr. Sinclair. Ich kenne Sie doch, Sie sind bekannt, wir haben unsere Dossiers, aber nicht so.« »Was meinen Sie damit?« »Ich möchte Sie darum bitten, die Waffe fallen zu lassen. Das ist alles.« Manchmal war ich stur, auch hier, denn ich ließ es darauf ankommen. »Was ist, wenn ich .. .« »Moment.« Tawina schnickte mit den Fingern. Der linke Leibwächter, ein breitschultriger Mann mit dik-kem Gesicht rief einen lauten Befehl. Er klang noch nach, als ich den Schrei hörte. Spitz, schrill und furchtbar. »Haben Sie sich die Richtung gemerkt?« fragte Tawina. »Ja.« »Sie sind vorn dort gekommen. Es könnte durchaus sein, daß wir Ihrer kleinen Freundin den Arm gebrochen haben! Beim nächsten Befehl ist das Bein an der Reihe und so weiter. ..« Ich war weiß geworden. »Tawina, Sie sind ein Schwein!« sagte ich mit kehliger Stimme. Er blieb gelassen. »Jeder vertritt seine Interessen. Lassen Sie die Waffe fallen?« Bevor der Leibwächter seinen Befehl geben konnte, nickte ich und öffnete die Faust. Ich schaute zu, wie die Beretta zu Boden fiel. Der Dicke ging einen Schritt vor, drehte sich dann, und seine Hände
verwandelten sich in zwei Schneidehämmer, die mich an der Brust erwischten. Auf den Füßen konnte ich mich nicht halten. Ich landete auf dem Boden und bekam Druck, denn der Mann stemmte seinen rechten Fuß auf meine Brust. Die Atmung war nicht mehr vorhanden. Ich rechnete damit, daß mir der Brustkasten eingetreten und die Rippen gebrochen würden, aber das geschah nicht. Er lockerte den Druck ein wenig und ließ mir genügend Spielraum, um Luft zu holen. »So können wir reden«, sagte Tawina. »Es ist mir zu unbequem.« »Das ist nicht mein Problem, Mr. Sinclair. Sie haben sich in Dinge eingemischt, die Sie nichts angehen.« »Das sehe ich anders. Es ist schließlich mein Job, Verbrechen aufzuklären.« Tawina lächelte. »Oh ... ich bitte Sie. Lassen Sie die Moral weg. Wo fangen die Verbrechen an, wo hören sie auf? Wo beginnen die Verbrechen zu Geschäften oder Interessen zu werden, Mr. Sinclair? Die Grenzen sind einfach fließend. Daran ändern Sie und ich nichts. Wir haben unsere Aufgaben. Ihr Pech ist es gewesen, daß Sie uns bei den Innovationen stören wollen.« »Innovationen? Sie müssen verrückt sein! Mord und Schwarze Magie sind keine Innovationen.« Tawina rückte seine Brille zurecht. »Das mögen Sie so sehen, aber unsere Pläne laufen da in andere Richtungen! Wir müssen eben investieren, wir haben die Zeit verschlafen.« »Die Yakuza sollen in Japan bleiben.« Er nickte. »Im Prinzip schon, aber wer marktgerecht denkt, muß Grenzen überwinden. China ist im Moment noch zu. Was mit Hongkong wird, wissen wir nicht, es ist ein unsicherer Faktor, wenn die Stadt an die Chinesen zurückgegeben wird, also haben wir uns in Europa umgeschaut, weil wir Stützpunkte errichten wollen. Unsere großen Konzerne besitzen in allen Städten Filialen. Sie sind der Nährboden, dem wir uns verpflichtet fühlen.« »Und fallen wie Parasiten ein.« »Das sagen Sie, wir sehen es anders.« Er räusperte sich. »Neue Märkte verlangen neue Methoden, so erinnerten wir uns daran, daß wir Japaner ein Volk mit einer großen Tradition und einem immensen Wissen sind, was die Mystik und die Magie angeht. Beide sind in der Vergangenheit und auch in den Seelen der Mensehen begraben, aber nicht gestorben. Ich habe nur versucht, sie hervorzuholen, und eine alte Legende konnte wieder auferstehen.« »Shimada!« »Sehr richtig, Mr. Sinclair, der Dämon in der Festung. Der Reisende der Zeit, auf der Suche nach dem Fächer der Sonnengöttin. Wir haben
versucht, ihn für unsere Pläne zu gewinnen, er stimmte zu, und er schickte uns die beiden Samurai, die uns mithelfen, das Reich hier in Europa auszubauen.« »Die auch töten!« keuchte ich, denn der Druck auf meiner Brust war mittlerweile kaum mehr zu ertragen. »Wir mußten es tun, denn es gab Menschen, die uns verraten wollten! Die Brüder Osiku gehörten dazu. Ihr Pech. Jeder wird sterben, der versucht, uns zu verraten. Auch Ihnen wird es so ergehen oder Ihrer kleinen Freundin Sariana, die sich bei uns eingeschlichen hat, was wir früh genug merkten und sie deshalb an der langen Leine führten, ohne daß sie Verdacht schöpfen konnte.« »Und was ist mit Suko?« Tawina lächelte. »Ich wußte, daß Sie die Frage stellen würden. Wir haben ihn Shimada überlassen. Durch den Kreis gelangte er in die magische Zone, er konnte Grenzen überschreiten, und er wird das Vergnügen haben, an Shimadas Seite durch die Zeit reisen zu können. Er steckt in der Festung, die ja in der Lage ist, sich zu verändern. Das alles haben wirvorausgeschen. Denken Sie daran, daß derjenige, der sich mit Verrätern umgibt, ebenfalls umkommt.« Die Worte trafen haargenau ins Schwarze. Meine Chance war gesunken, die meines Freundes erst recht. Bevor ich wieder etwas sagen konnte, mußte ich flach atmen. Der Koloß ließ mir gerade so viel Platz, daß ich es schaffte. »Wo finde ich ihn? Wo ist die Festung gelandet?« Tawina lächelte. »Es wird nicht mehr lange dauern, dann können sie ihm gegenüberstehen. Shimada weiß, daß er zwei Iiiegen mit einer Klappe schlagen kann. Ich habe ihm versprochen, daß ich Sie ihm überlassen werde. Sie kennen ihn. Er ist ein Dämon, der Inszenierungen liebt, und auf dieser Bühne werden wir eine solche Inszenierung aufführen. Ist das nicht wunderbar, Mr. Sinclair?« »Sie endet mit meinem Tod?« »So ist es vorgesehen. Allerdings auch mit dem Ableben Ihres Partners. Das ist nun mal so.« Verdammt, was sollte ich tun? Okay, ich war nicht ganz entwaffnet worden, bewegte ich mich allerdings falsch, würde der Koloß den Druck verstärken und mich zertreten. Deshalb blieb ich liegen und schaute zu, wie Tawina aufstand. Einer der beiden Leibwächter ging vor und stellte sich zwischen ihn und mich wie ein lebender Schild. Dann bückte ersieh und hob meine Beretta auf. Er zielte für die Dauer einiger Sekunden auf meinen Kopf, und ich bekam eine Gänsehaut. Schließlich ließ er die Waffe verschwinden. Sein Boß nickte ihm zu, und der Mann ging. »Wissen Sie, Mr. Sinclair, wohin ich ihn geschickt habe?« erkundigte sich Tawina mit zynischer Höflichkeit.
»Nein.« »Er wird sich um Ihre Freundin kümmern! Eigentlich hätte sie mit Ihnen zusammen hier auf der Bühne sterben sollen, aber ich will es gnädig machen. Eine Kugel reicht.« Ich hätte ihm gern die passende Antwort gegeben, das ließ der Koloß nicht zu, denn er verstärkte seinen Druck, und wahre Schmerzwellen rasten durch meinen Körper, preßten sich hinein bis in den Kopf und explodierten unter der Schädeldecke. Ich bekam keine Luft, war einem Erstickungsanfall nahe, aber er trat nicht ein, denn der Koloß zerrte mich in die Höhe, stellte mich auf die Beine und hielt mich fest. Ich kam mir vor wie ein Ballon, aus dem der größte Teil der Luft herausgelassen worden war. Vor meinen Augen verschwamm das breitflächige Gesicht des Mannes zu einer Masse Teig. Dann schlug er zu. Wie Knetgummi erwischte mich seine Faust. Es war ein klassischer Treffer, der mich auf die Bretter schickte, die für manche die Welt bedeuteten. Bei mir war wohl eher das Gegenteil der Fall... *** Sariana sah keine Chance mehr. Ihre Tarnung war geplatzt, sie wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann sie kommen und sie holen würden. Als Sinclair ihre Garderobe verließ, da hatte es so ausgesehen, als wäre er der Sieger gewesen, doch sie schätzte die Macht der Yakuza richtig ein. Gegen die Übermacht richtete John Sinclair gar nichts aus. Sariana wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Den beiden nachgehen oder warten? Sie entschied sich für die letzte Möglichkeit und zog sich hastig um. Unter dem Kimono war sie bis auf das schmale Höschen nackt gewesen. Im Spiegel betrachtete sie ihren eigenen Körper und auch die straffe Haut sowie die Muskeln und Sehnen, ein Beweis, daß sie auch eine harte körperliche Schulung hinter sich hatte. Sariana entschied sich für die dunkle Hose, den ebenfalls dunklen Pullover und den breiten Gürtel, dessen Form einige Verstecke ermöglichte. Dann nahm sie wieder Platz und wartete ab. Zunächst tat sich nichts, bis sie plötzlich einen schrillen Schrei vernahm, der sich anhörte, als würde jemand gefoltert. Es war eine Frau, die geschrien hatte und Sariana ging davon aus, daß es sich um eine ihrer Kolleginnen handelte. Diese Teufel kannten keine Rücksicht, sie waren brutal und gnadenlos.
Sariana stand langsam auf. Vorgebeugt blieb sie stehen. Mit der Zungenspitze leckte sie über die trocken gewordenen Lippen, wischte den Schweiß von der Stirn und bewegte sich auf Zehenspitzen zur Tür. Mit ihren Leinenschuhen konnte sie fast lautlos auftreten. Sie öffnete die Tür spaltbreit, lauschte und hörte kaum fremde Männerstimmen! Dafür das Wispern ihrer Kolleginnen, die sich miteinander in den Nachbargarderoben unterhielten. Natürlich würden sie über den Schrei sprechen, und wahrscheinlich hatte es auch eine von ihnen erwischt. Sollte sie fragen oder sich um ihre eigene Sicherheit kümmern? Nein, jetzt mußte sie egoistisch denken. Die kleinen Räume glichen Rattenfallen, sie mußte raus. Über die Bühne gelangte sie vielleicht in die Freiheit. Zudem fühlte sie sich verantwortlich für John Sinclair, denn sie war es gewesen, die ihn auf diese Spur gebracht hatte. Es konnte durchaus sein, daß er es nicht schaffte. Noch immer sehr leise und vorsichtig schlich sie in Richtung Bühne und hatte etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als sie Stimmen vernahm. Auch die des Geisterjägers. Nur klang sie anders, viel gepreßter als sonst, wie unter einem harten Druck stehend. Mit ihm war einiges nicht in Ordnung. Konnte sie noch helfen? Sie ging weiter. Plötzlich trieb es sie voran, doch dann war es vorbei. Der Zugang zur Bühne schwang ihr entgegen. Ein ungemein breiter Schatten schob sich in den Gang, und sie wußte, daß es sich bei ihm nur um einen der Leibwächter handeln konnte. Für einen Moment hatte sie das Gesicht gesehen, als Lichtschein darüber hinweggestrichen war. Dieser Mann war Tenko, ein brutaler Killer, der mit allem tötete, was ihm zwischen die Finger kam. Für einen Rückzug war es zu spät. Sariana preßte sich gegen die Wand und versuchte auch, den Atem anzuhalten. Es war unmöglich, zudem hatte Tenko sie schon entdeckt. Mit einem langen Schritt war er bei ihr, drückte sie mit seinem Körper noch härter gegen die Mauer, aber der andere Druck war viel schlimmer. Eine runde Mündung berührte das dünne Fleisch an ihrem Hals, und sie konnte sich plötzlich vorstellen, weshalb er erschienen war. Sie sollte sterben! Sariana versteifte. Sie sagte nichts, denn sie wußte genau, daß es keinen Sinn hatte. Wenn Tenko einmal einen Befehl bekam, führte er ihn eiskalt durch. Sekunden vergingen, und Tenko war es, der ihr ins Ohr flüsterte. »Wo willst du sterben, Kleine? Hier oder in deiner Garderobe?« »Überhaupt nicht.«
Sein Lachen klang widerlich. »Du wirst nicht daran vorbeikommen. Ich muß dich erschießen. Sei froh, daß Tawina gnädig ist und ich dir nur die Kugel gebe.« »Wir könnten doch . . .« »Wo?« Sariana resignierte. Es hatte wirklich keinen Sinn, mit ihm reden zu wollen, und deshalb deutete sie so etwas wie ein Nicken an. »Wenn ich es mir schon aussuchen kann, dann in der Garderobe. Dort ist es hell. Ich will meinem Mörder wenigstens ins Gesicht sehen können, hast du verstanden?« »Wenn es dir Spaß macht.« »Dann laß mich.« Er befreite sie von seinem Körperdruck, und die junge Japanerin drehte sich nach links. In Wirklichkeit war es ihr egal, wo man sie erwischte, aber sie verfolgte einen bestimmten Plan. Nicht grundlos hatte sie eine der härtesten Ausbildungen durchgemacht, ihr war viel beigebracht worden, selbst das löten. Sie ging langsam vor und nestelte dabei an ihrem Gürtel. Tenko fühlte sich sicher. Für ihn als Macho stellte eine Frau keine Bedrohung da, er lebte noch in der alten Zeit. Sie ging weiter und dachte daran, daß in der Garderobe das Licht brannte. Nein, sie mußte es hier versuchen. Als sie stehenblieb, stoppte auch Tenko seinen Schritt. Sariana drehte sich um. »Was willst du?« Sie ging auf ihn zu. Die Nadel lag in ihrer rechten Hand, die zur Faust geschlossen war. »Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte sie, schaute Tenko an und bewegte die rechte Hand leicht schwingend hin und her. »Was ist das?« Jetzt war sie nahe genug heran, hob die linke Hand und deutete mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn. »Wenn du schießt, triff mich zwischen beide Augen. Es geht sehr schnell und . . .« Dann stieß sie zu! Nicht einmal sehr hart, auch nicht ruckartig, es sollte nicht auffallen, aber sie traf. An dieser Waffe war sie ausgebildet worden, und sie wußte genau, wo sie die Spitze ansetzen mußte. Ohne großen Widerstand drang sie in den Körper, und Sariana warf sich sofort aus der Schußrichtung, um nicht getroffen zu werden, wenn der Mann durch einen Reflex noch abdrückte. Das tat er nicht. Statt dessen ging er torkelnd voran, mit schleifenden Schritten und dem berühmten Puddinggefühl in den Knien. Er rutschte
nach links ab und glitt mit der Schulter an der Wand entlang, wo die Bewegungen von kratzenden Geräuschen begleitet wurden. Dann brach er zusammen. Sariana hatte sich nicht gerührt. Sie stand hinter ihm und starrte auf seinen Rücken. Ob sie ihn tödlich erwischt hatte, wußte sie nicht. Es konnte durchaus sein, daß noch Leben sowie auch Kraft in ihm steckte und er es schaffte, sich zu wehren. Fünfzehn Sekunden kamen ihr sehr lang vor. Erst als diese Zeit überschritten war, setzte sich die junge Frau in Bewegung, blieb neben dem Mann stehen, bückte sich und wälzte ihn auf den Rücken. Er war tot. Sariana atmete tief durch, bevor sie die Waffe aus dem Körper der Leiche zog. Auch die Beretta nahm sie an sich und steckte sie mit dem Lauf nach unten in den Gürtel. Dann erst erreichte sie der Schock. Sie mußte sich gegen die andere Wand lehnen, um überhaupt Halt zu bekommen. Wie Wellen kam es über sie, überspülte auch ihre Gedanken. Irgendwann wurde ihr klar, daß es nicht das Ende gewesen war, sondern eherein Beginn. Ein Hindernis hatte sie auf der hürdenreichen Strecke genommen, weitere lagen vor ihr. Nicht hier im Gang, sie mußte zur Bühne und blieb stehen, als sie Schritte hörte. Nicht im Gang, vor ihr, auf der Bühne also. Noch zögerte sie. Das kalte Gefühl der Furcht und der Spannung breitete sich in ihrem Nacken aus. Obwohl sie es nicht gesehen hatte, wußte sie genau, daß sich auf der Bühne etwas verändert hatte, und es hielt sie nichts mehr. Auf leisen Sohlen huschte sie weiter, öffnete den Durchgang - und blieb starr stehen. Sie starrte auf eine Szene, die der Teufel persönlich inszeniert zu haben schien... *** Der Treffer hatte mich regelrecht niedergeschmettert. Ich war hineingerutscht in die Tiefe der Bewußtlosigkeit und hatte mich von ihr wegschwemmen lassen. Aber ich war auch in den Wirbel hineingeraten, der es schaffte, mich wieder an die Oberfläche und damit zurückzuholen. So tauchte ich denn nach kurzer Zeit wieder aus den schwarzen Tiefen hervor an die Oberfläche und wußte zunächst nicht, wo ich mich befand. Ich lag nur auf dem Rücken und tastete unsicher mit beiden Handflächen über die Bohlen des Bühnenbodens. Der Kopf war auf das Doppelte angewachsen, das jedenfalls glaubte ich. Er schmerzte an verschiedenen
Stellen, besonders stark hinter den Ohren. Mit dem Erwachen war natürlich die Erinnerung zurückgekehrt, und ich sagte mir, daß ich alles tun konnte, bis auf eines: Nur nicht hier liegenbleiben und mir selbst leid tun. Ich gehöre zu den Menschen mit schnellen Entschlüssen. Auf die rechte Seite drehen, die Arme ausstrecken, mich wieder in die Höhe drücken, das alles schaffte ich, ohne daß mich die Kraft wieder von den Beinen holte. Schwankend blieb ich auf den Brettern stehen. Wenn ich die Augen öffnete, konnte ich die Breite der Bühne überblicken. Ich glich einem Akteur, der sich am Rand und mit dem Rücken zum Publikum hin aufgebaut hatte. Tief saugte ich die Luft ein. Aber welch ein Gemisch! Staub, Puder, Schminke und Schweiß plagten meine Lungen. Ich schmeckte das Zeug überall, selbst in den Schleimhäuten der Nase hatte es sich festgesetzt. Allmählich fühlte ich mich besser, dachte an meine Beretta und suchte den Boden ab, bis mireinfiel, daß sie ja von einem der Kerle mitgenommen worden war. Drei Killer, Tawina und ich hatten sich auf der Bühne befunden. Ich war als letzter zurückgeblieben, aber nicht allein. Der Schreck traf mich wie ein Hammer. Die gesamte Bühnenbreite wurde von einem roten Kreis mit Inhalt eingenommen. Letzerer bestand aus den zwei Samurai-Zombies, den verdammten Augen des Shimada und aus meinem Freund Suko, der zwischen den untoten Gestalten stand, von ihnen gehalten wurde, damit er nicht umkippte, denn es ging ihm schlecht. Mich durchfuhr es siedendheiß. Ich erinnerte mich wieder an die Worte des Japaners. Er hatte die Abrechnung haben wollen, die absolute Rache und alles wies darauf hin, daß er es auch schaffte. Mein Blick galt Suko, der die Augen geschlossen hielt. Ich wußte nicht einmal, ob er bewußtlos war, jedenfalls konnte er sich nicht mehr bewegen. Ich wollte auf ihn zugehen, es war mir egal, wie die beiden ZombieSamurai reagierten, aber mich stoppte eine Stimme, die wie das Zischen eines bösen Tiers in mein Gehirn drang und mir klarmachte, wer hier das Kommando übernommen hatte. Shimada nämlich! Blaue, kalte, grausame Augen — kein Gesicht, denn die Bläue unter den Augen verlief sich. In diesen Pupillen rührte sich auch nichts, als er auf telepathischem Wege mit mir >sprach<. »Ich wollte ihn töten, aber ich wußte, daß ich mir die Chance nicht entgehen lassen durfte, um euch beide zu bekommen. Bei den
Menschen habe ich neue Freunde gefunden, sie erinnerten sich meiner, und ich bin bereit, sie in ihren Zielen zu unterstützen. Ich habe ihnen geholfen, die beiden Samurai zu befreien. Früher einmal galten sie als unbesiegbar. Du wirst gleich erleben, daß dies stimmt, und dein Freund Suko wird dir nicht beistehen können.« »Was hast du mit ihm gemacht?« »Er befindet sich unter meiner Kontrolle. Er ist eine meiner Marionetten. Wenn ich will, hetze ich ihn auf dich, damit er dich umbringt. Das aber wäre ungerecht meinen Samurai gegenüber, die endlich zeigen sollen, daß die lange Zeit im Grab ihnen nichts von ihren Fähigkeiten genommen hat. Du bist an der Reihe, dann Suko und . ..« »Warum tust du das?« fragte ich. »Das sagte ich dir bereits. Ich habe mich entschlossen, mehr mit den Menschen zusammenzugehen.« »Dann komm du!« »Nein, Sinclair, für dich reichen Samurai. Ich werde mich noch um andere Personen kümmern müssen, um diesen Türken, der sich aus dem Kloster zurückgezogen hat.« »Ja, nach Alis Tod, den du auch auf dem Gewissen hast.« »Das Schwert damals war es wert gewesen.« Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht war es gut, wenn ich etwas Zeit gewann, doch damit zeigte sich Shimada nicht einverstanden. Ich hatte den Befehl nicht gehört, den er seinen beiden Vasallen gab. Sie aber gehorchten auf der Stelle. Aus dem Stand sprangen sie vor und zogen ihre verdammte SamuraiSchwerter. Ihre Bewegungen hatten nichts mit denen von tum-ben Zombies gemein. Sie konnten so kämpfen, als hätten sie nie zuvor die lange Zeit in den Gräbern verbracht, und sie wollten mich in die Zange nehmen, während Suko innerhalb des Kreises stand wie ein Zuschauender zurPassivität verdammt worden war... *** Das aber täuschte! Suko war durch eine harte Schule gegangen. Seine Lehrmeister hatten ihn vor allen Dingen auf geistiger Ebene geschult und dabei versucht, eine Sperre in sein Gehirn zu legen, die sich gegen fremde Einflüsse wehrte. Natürlich spielte auch die körperliche Fitneß eine große Rolle. Wie überall, so kam es auch hier auf die Stärke der Sperre und die Kraft des fremden Einflusses an. Suko war kalt erwischt worden und hatte im ersten Augenblick nichts entgegensetzen können. Inzwischen aber war Zeit vergangen, und auch Shi-mada hatte sich nicht allein auf ihn konzentrieren können. Sein Einfluß blieb zwar, allerdings
nicht mit dieser Intensität wie zu Beginn. Und Suko, ein starker Gegenpol, kämpfte dagegen an. Er schaffte es. Dank seiner Konzentration gelang es ihm, die Sperre allmählich zu durchbrechen. Er nahm die Realität wieder bewußter wahr, ohne allerdings direkt in die Handlungen eingreifen zu können. Zudem stand er noch innerhalb des Kreises, was ebenfalls als magisches Zentrum angesehen werden konnte und gleichzeitig ein Gefängnis für den Inspektor war. Er schaffte es, die ersten Befehle auszusenden. Sein Gehirn wollte, daß sich die Füße bewegten, daß er gehen konnte, aber er schaffte es noch immer nicht. Ein Ruck durchlief seinen Körper, mehr nicht. Er bekam mit, daß sich Shimada mit einer Gestalt auf der Bühne verständigte, doch Suko war nicht in der Lage, die Gestalt zu erkennen, obwohl ihm vieles an ihr bekannt vorkam. Gehen, du mußt gehen! Immer wieder hämmerte er sich diesen Satz ein, um den magischen Ring zu brechen. Es war nicht zu schaffen, noch nicht! Dafür bewegten sich die Samurai. Sie gingen vor, zogen ihre Kampfschwerter und stürzten sich auf den, der sich ihnen entgegengestellt hatte. Sie waren weg, die Magie nahm langsam ab und Suko sah wieder klar. Er kannte den Mann auf der Bühne. John Sinclair, sein Freund! Wie ein Fanfarenstoß durchschoß dieses Wissen das Gehirn des Inspektors. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, aus einem sehr tiefen Traum zu erwachen und zurückzukehren in die Realität. Und die hieß Kampf! *** Derweil fightete auch ich um mein Leben! Daß die Samurai-Schwerter tödlich waren und durch einen menschlichen Körper drangen wie eine Messerklinge durch weiches Fett, hatte ich schon des öfteren erleben können. Deshalb mußte es mir gelingen, den Attacken auszuweichen, was verdammt schwierig war, denn die untoten Geschöpfe drangen von zwei Seiten auf mich zu. Sie bildeten eine tödliche Klammer! Artistisch, katzenhaft gewandt und raubtierhaft schnell, so konnte man ihre Bewegungen bezeichnen. Hinzu kam, daß sie ihre Waffen perfekt
beherrschten, was sie in den ersten Sekunden, als sie mich noch nicht erreicht hatten, demonstrierten. Sie schleuderten sie kreisförmig herum, ließen sie los, fingen sie wieder auf, stießen nach mir, ohne mich zu treffen, denn bisher waren es ausschließlich Finten gewesen. Ich dachte an meinen Dolch. Vielleicht gelang es mir, ihre Gesichter zu erwischen, das wäre mehr einem Zufall gleichgekommen, dafür bewegten sie sich einfach zu flink. Es mußte mir einfach gelingen, die Zeit zu finden, um den Bumerang schleudern zu können, aber sie waren zu schnell und jagten zugleich auf mich zu. Als sie sprangen, lag ich am Boden. Mein Schädel dröhnte noch, darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Über mir klirrten die Schwerter zusammen, ich hatte den Dolch hervorgerissen und warf ihn. Die Klinge traf. Sie erwischte sogar den Kopf mit der rindenartigen Gesichtshaut und sägte eine Schramme aus der Stirn, ohne den Schädel zu zertrümmern. Bei einem anderen Dämon hätte das normale Silber ausgereicht, nicht bei diesen Wesen, die aus einem völlig fremden Kulturkreis stammten. Der getroffene Samurai stolperte zurück, dafür schlug der andere zu und hätte mich mit seiner Klinge gern geteilt, ich aber hatte mich schon um die eigene Achse gedreht, so daß der Schlag ins Leere ging und die Schneide in die Bohlen hackte. Ich federte wieder auf die Füße, rannte in die Tiefe der Bühne hinein und bekam am Rande mit, daß sich auch Suko bewegte. Meine Hand berührte bereits die silberne Banane, als ich den dumpfen Aufschlag hörte und den Kopf drehte. Der Samurai ließ mir keine Zeit, den Bumerang zu ziehen. Noch in der Luft schwebend jagte die Klinge schräg auf mich nieder, um mir den Kopf abzuschlagen. Ich warf mich vor, prallte gegen eine als Dekoration dienende Laterne, packte und schleuderte sie herum. Der nächste Hieb sägte gegen das imitierte Metall. Das Schwert spaltete die Laterne in zwei Hälften. Der Samurai war abgelenkt. Ich huschte zur Seite, sah den anderen auf mich zuspringen, wobei er sich bei jeder Berührung leichtfüßig abstieß. Dann hatte ich den Bumerang erwischt. Jetzt oder nie. Zeit, um weit auszuholen, gab man mir nicht. Ich mußte die Waffe aus dem Handgelenk schleudern, was ich schon einige Male getan hatte und deshalb ein wenig Routine besaß. Sie flog. Schräg von unten nach oben kam sie, und sie visierte den Hals des untoten Kriegers an. Treffer? Ja!
Ich hätte jubeln können, als ich die zuckende Bewegung der Arme sah. Inmitten der Sprünge wurde die schreckliche Gestalt gestoppt. Der Oberkörper flog zurück, aber nicht nur er, auch den Kopf hielt nichts mehr auf dem Rumpf. Er kippte nach hinten, prallte auf den Bühnenboden und zersprang dort in zahlreiche Stücke wie eine Nußschale. Wie reagierte der Körper? War er ebenfalls durch den Verlust des Schädels zerstört worden, oder kämpfte er weiter. Ich dachte darüber nach, als ich den zurückkehrenden Bumerang auffing. Er bewegte noch seine Arme, die so wirkten, als würden sie nicht zu ihm gehören. Dann ging er vor, das Schwert noch in der Rechten, doch es wurde ihm zu schwer. Ich bekam mit, wie er von dem Gewicht der Waffe nach vorn gerissen wurde, auf die Planken dröhnte und dort keine Chance mehr bekam, sich zu erheben, denn er zerbrach. Ich sprang auf das Schwert zu, riß es an mich und hörte die Stimme meines Freundes. »Gib es mir, John!« Mit der Waffe in der Hand fuhr ich herum. Suko hatte den Kreis verlassen. Er stand da, einen Arm ausgestreckt, und ich warf ihm die Klinge entgegen. Er fing sie auf. Ich wollte mich dem zweiten Samurai zuwenden, wurde aber abgelenkt. Noch jemand erschien auf der Bühne. Eine Frau, die ihre Waffe, die Nadel, fest umklammert hielt. Aus dem Gürtel schaute der Griff einer Beretta, meine Waffe. »John!« Ihr Schrei war laut. Ich hatte Mühe, meinen Namen zu verstehen, und wollte, daß sie wieder verschwand. Suko ließ mir nicht die Zeit für eine Antwort. Er war wieder fit und kämpfte gegen den Untoten. Beide besaßen sie die gleichen Waffen, und beide kannten sich in der Technik des Schwertkampfes aus. Unheimlich wuchtig stießen die Klingen zusammen. Durch den Gegendruck wurden beide Akteure zurückgeschleudert, der Samurai mehr als Suko, der kalt blieb, trotz seines Zorns, wieder vorsprang und gleichzeitig zustieß. Suko erwischte den Samurai in Höhe der Brust. Dort riß die Klinge den Schutz auf, spaltete auch die alte Haut und sägte tief hinein. Sofort zog Suko die Waffe wieder hervor. Ich hatte mit einem längeren Kampf gerechnet, aber der Samurai war nicht erledigt. Er rollte sich aus der Gefahrenzone, das heißt, er versuchte es, doch Suko blieb ihm auf der Spur, und das mit erhobener Klinge. Dann schlug er zu.
Ein Schrei hallte über die Bühne, ein Schatten raste von oben nach unten, als die Schneide ihrem neuen Ziel entgegenraste und es auch traf. Im Liegen erwischte Suko die untote Gestalt. Staub wölkte auf, als der Samurai seinen Kopf verlor, der auf der Stelle liegenblieb, während der Körper noch durch seinen eigenen Schwung ein Stück weiterrollte. Suko hatte den Griff mit beiden Händen umklammert, riß die Arme jetzt hoch und auch das Schwert. Es zeigte gegen die Decke, dann schaute er mich an, und ich sah auf seinem Gesicht das kalte Lächeln. »Geschafft, John?« Eine Antwort bekam er von mir nicht, denn es passierte etwas, was mir gar nicht gefiel. Wir alle spürten den Ruck. So plötzlich und heftig, daß ich fast zu Boden gegangen wäre. Dann bewegte sich die Bühne! Wie von Geisterhänden gestemmt, glitt sie in die Höhe, und Suko fragte zu Recht: »Verdammt, was ist das wieder?« »Mach dich daraufgefaßt, daß du den Yakuza gegenüberstehen wirst.« »Wie bitte?« Ich zog die Beretta aus Sarianas Gürtel und wollte sie in Deckung schicken. »Nein, ich will Tawina!« »Wie denn?« Sie zeigte mir ihre Waffe. »Damit!« Ich wollte sie davon abhalten, bekam allerdings nicht mehr die Zeit, denn die Bühne hatte sich so weit in die Höhe geschoben, daß wir bereits den Vorhang mit seiner unteren Hälfte erkennen konnten, der noch geschlossen war. »Die Nippon Bar liegt dahinter — oder?« Ich nickte Suko zu. Noch schwebten wir, und ich konnte mir auch um Shimada Gedanken machen, der zusammen mit seinem magischen Kreis verschwunden war. Sollte er aufgegeben haben? Das konnte ich nicht glauben, nein, das war unmöglich. Ein Dämon wie er ging immer aufs Ganze. Die einzelnen Sekunden reihten sich aneinander und wurden uns verdammt lang. Zu dritt starrten wir auf den Vorhang und standen auf der Bühne wie die Sänger bei der Ouvertüre, darauf wartend, daß sich der Vorhang hebt. Nur waren wir bewaffnet. »Wie ist es«, flüsterte ich Sariana zu. »Schwingt er sehr schnell in die Höhe.« »Das kann man steuern.« »Okay.« Wieder bekamen wir den Ruck mit. Das Summen des Motors und das Knarren der Hydraulik verstummte. Dafür geschah etwas anderes. Der Vorhang schwang auf.
Schnell, sehr schnell, und wir starrten nicht in einen Zuschauerraum, sondern hinein in die Nippon Bar, wo sich einiges verändert hatte, denn es gab einen neuen Mittelpunkt. Den roten Kreis mit Shimada in seinem Innern! *** Irgendwo hatte ich diesen Anblick schon erwartet, dennoch bekam ich leichtes Magendrücken, als ich die blaue Gestalt sah. Sehr groß, ein tiefer blauer Schatten, eingehüllt in diese Kampfkleidung, wobei ein Kopftuch die untere Gesichtshälfte bedeckte und nur die Augen freiließ. Er beherrschte die Szene, obwohl vor ihm, fast klein und schüchtern, der Yakuza-Boß auf einem Stuhl hockte, flankiert von Leibwächtern, wobei einer fehlte. Sariana stand so dicht bei mir, daß ich ihre geflüsterten Worte verstehen konnte. »Ich werde ihn mir holen, John, ich werde diesen verdammten Greis killen!« »Laß es!« Der Greis stand sogar auf, wahrscheinlich, um besser sehen zu können. Er zeigte sich zwar nicht geschockt, allerdings verunsichert, denn sein Blick glitt von einer Seite der Bühne zur anderen, um jede Einzelheit erkennen zu können. »Wenn Sie die beiden Samurai-Zombies suchen, da finden Sie nur noch Reste«, sagte ich hart. Tawina nickte. »Und dein verdammter Killer lebt auch nicht mehr!« schrie Sariana. »Ich habe ihn zur Hölle geschickt!« Tawinas Kopf bewegte sich nickend. »Ja, ihr habt es überstanden. Ich hatte ein so ähnliches Gefühl und bat Shimada, sich zurückzuziehen, denn noch sind wir nicht am Ende. Noch gibt es ihn, ihr versteht, was das heißt!« Wir verstanden, aber Shimada demonstrierte es uns noch einmal. Mit einer sehr sicheren Bewegung griff er zu und zog sein mörderisches Schwert aus der Scheide. Gegen diese Waffe waren die seiner Untoten Streichhölzer. Dieses Schwert Shimadas war mit Magie gefüllt, und es gab nur eine Waffe, die ihn stoppen konnte. Ein zweites Schwert, das Kusanagi-no-tsurugi, das Schwert, welches Gras bezähmt. Es gehörte jetzt einem Todfeind des Dämons, eben Yakup. Wenn Shimada seine Waffe zog, war er bereit, sie einzusetzen. Er würde alles vernichten können, was sich ihm in den Weg stellte, und die Yakuza hatten darauf gewartet.
Aber Shimada tat es nicht, noch nicht. Wir wunderten uns, daß er mit gezogener Waffe innerhalb des Kreises stehenblieb, als würde ihn jemand zurückhalten. »Bgreifst du das, John?« Ich hob nur die Schultern, weil ich ebenso ratlos war wie mein Freund Suko. Auch die Yakuza blieben nicht mehr so ruhig. Nervosität breitete sich unter ihnen aus. Tawina stand mit einem Ruck von seinem Stuhl auf. So heftig, daß die Brille verrutschte und er sie auch nicht mehr gerade setzte. Er hatte sich umgedreht, wo Shimada wie festgewachsen innerhalb des Kreises stand, sein Schwert gezückt, aber nicht in der Lage war, einzugreifen. Und das hatte seinen Grund. Im Hintergrund des Kreises, wo sich das blaue Licht konzentriert zusammenballte, zeichnete sich das Gesicht einer Frau ab. Einer? Nein, es waren zwei Gesichter, wobei sich das eine über das andere geschoben hatte. Wir erkannten die Person dennoch, auch wenn sie zwei Gesichter besaß, die eine unheimliche Kraft ausströmten, was einem nicht gelungen wäre. Suko übernahm das Wort. Seine Stimme zitterte, er wischte durch sein Gesicht. »Das . . . das darf nicht wahr sein. Das ist Shao, John, verdammt, das ist Shao...« *** Sie war es, und sie war es nicht nur allein, denn gleichzeitig verstärkte sie der Geist einer Person, die im Dunklen Reich dahinschmachtete und auf ihre Befreiung wartete. Amaterasu, die Sonnengöttin! Sie und Shao bildeten nicht nur eine Person, sondern auch eine gemeinsame Kraft. Da mochte Shimada so stark wie möglich sein, gegen den Fächer kam er auch mit seinem Schwert nicht an. Und vor das Doppelgesicht schob sich der magische Fächer von unten her in die Höhe und breitete sich langsam aus wie ein Vorhang. Durch die Gestalt des Dämons lief ein Zittern. In den nächsten Sekunden mußte er sich entscheiden. Yakuza hin — Yakuza her, sie konnten ihm jetzt nicht mehr zur Seite stehen. Dann brach die Magie zusammen. Zuerst hörten wir den Schrei. Shimada hatte ihn ausgestoßen. Auf der Stelle wirbelte er herum, das blaue Licht, das ja eigentlich seine Festung
war und sich in mehreren Eigenschaften zeigen konnte, raste auf ihn zu und umschlang ihn. Aus, vorbei! Ein Heulen erklang, die Magie war zusammengebrochen, der Kreis entschwand, als hätte man ihn gelöscht. Dann gab es keinen Shimada mehr, und auch nicht das Doppelgesicht zwischen Shao und der Sonnengöttin. Suko schüttelte den Kopf. »Shao«, flüsterte er, »Shao — wo...?« »Sie wird wiederkommen, Suko. Sie wird es schaffen und Amaterasu befreien, darauf kannst du dich verlassen.« Er nickte, und wir merkten im gleichen Augenblick, daß wir einen Fehler gemacht hatten, denn Tawina war noch nicht aus dem Spiel. Sein Befehl gellte durch die Bar. »Schießt sie zusammen!« *** Seine Männer, darauf trainiert, für ihn durch die Hölle zu gehen, griffen nach den Waffen. Sie waren schnell, wir waren es ebenfalls, warfen .uns zurück und lagen trotzdem wie auf dem Präsentierteller. Da dröhnte die Lautsprecherstimme durch die Bar. »Polizei! Keiner bewegt sich!« Ein einzelner Schuß fiel, doch die Kugel jagte irgendwo in die Wand. Sie richtete keinen Schaden an. Im nächsten Augenblick stürmten die Uniformierten in die Bar. An ihrer Spitze — ich wollte meinen Augen kaum trauen — erkannte ich unseren Chef, Sir James. Ich wollte ihm zuwinken, aber eine andere Person war wichtiger. Sariana nutzte die allgemeine Verwirrung aus. Erst ging sie langsam vor, dann schneller, und plötzlich sprang sie. Mit einem gewaltigen Satz hatte sie den Zuschauerraum erreicht und brüllte den Namen des Yakuza-Bosses. Der fuhr herum. »Ich töte dich!« schrie sie. Die dünne, lange Nadel raste auf den Körper des Mannes zu. Kein Leibwächter sprang ihr in den Weg, dafür ich. Mein Handkantenschlag erwischte sie mit elementarer Wucht mitten im Sprung. Und es tat mir nicht einmal leid, als ich ihren Schmerzensschrei vernahm, denn ich hatte sie in diesem Augenblick vor der größten Dummheit ihres Lebens bewahrt. Sariana flog zwischen die niedrigen Tische. Ich sprang ihr nach und brauchte sie nicht mehr zu packen, als sie sich auf die Beine quälte, denn ihr rechter Arm hing wie ein Stück Holz von der Schulter her an ihrem Körper herab.
Aus einer Handbreite Distanz starrten wir uns in die Augen. Ihre Lippen bewegten sich. Ich schüttelte den Kopf. »Es war besser so, glaube es mir. Du hättest einen Mord begangen.« Da senkte sie den Blick und nickte. Ihre Waffe hob ich auf, denn sicher ist sicher. .. Sir James ließ die Nippon Bar räumen. Vor den Mündungen der Waffen kapitulierten auch die Yakuza-Kil-ler. Keiner traf Anstalten, den Beamten Widerstand entgegenzusetzen, aber sie redeten auch nicht und beriefen sich auf ihre Anwälte. Was dabei herauskommen würde, wußten wir nicht. Wahrscheinlich wurden sie abgeschoben, denn Beweise für ihre Taten zu finden, war schwer genug, und auf Magie verließ sich kein Richter. Im Keller fand man den toten Leibwächter. Daß es Notwehr gewesen war, glaubte Sariana jeder, und da hatte das Mädchen auch nichts zu befürchten. Suko und mir gefielen Shimadas Pläne immer weniger. Mein Freund sagte: »John, wenn er sich Menschen als Helfer holt, könnte er noch gefährlicher werden.« Ich nickte ins Leere. »Kann sein. Aber einen Punkt darfst du nicht außer acht lassen. Shao und Amaterasu haben sich verbündet, um direkt gegen ihn anzugehen. Noch ist die Sonnengöttin nicht befreit worden, ich rechne aber damit, daß es bald geschieht.« »Und durch wen?« »Vielleicht durch Yakup. Vorausgesetzt, wir finden ihn und können ihn überzeugen...«
ENDE