TIM FLANNERY
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TIM FLANNERY
WIR WETTERMACHER Wie die Menschen das Klima verändern und was das für unser Leben auf der Erde bedeutet Aus dem Englischen von Hartmut Schickert
S. FISCHER
Dieses Buch wurde klimaneutral produziert. Das bedeutet, alle bei der Produktion dieses Bandes – Übersetzung, Redaktion, Druck und Vertrieb – unvermeidlich anfallenden CO2-Emissionen wurden durch geeignete Projekte zur CO2-Reduktion neutralisiert.
Die australische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »The Weathermakers. The History and Impact of Climate Change« bei The Text Publishing Company, Melbourne, Australia © Tim Flannery 2005 Für die deutsche Ausgabe: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2006 Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 2006 ISBN-13: 978-3-10-021109-5 ISBN-10: 3-10-021109-X
Voll Liebe und Hoffnung für David und Emma, Tim und Nick, Noriko und Naomi, Puff in und Galen, Will, Alice, Julia und Anna und natürlich Kris; und für alle Angehörigen ihrer Generation, die mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen leben müssen.
INHALT Vorwort 17 Karte 18 Das langsame Erwachen 21
I. Teil
GAIAS REPERTOIRE 1. Gaia 33 Die Atmosphäre einer Großtante. Wallace’ erstaunlicher Luftozean. Lovelocks Ketzerei: Die Daten sind dürftig, aber sie lebt. Das Eis überschreitet eine Grenze – bis das Plankton den Thermostat verstellt. Die wichtige Albedo. Kohle machen – eine weitere Selbstjustierung von Gaia? 2. Der große Luftozean 41 Die vier Atmosphärenschichten und das große Rätsel, warum Berggipfel, obwohl der Sonne näher, kalt sind. Das Fenster in der Mauer aus Gasen. Die irdischen Zusammenhänge – und wie die Luftverschmutzung sie verändert. Ein Mitsommernachts-Albtraum in New York. Vom Mauna Loa aus der Erde beim Atmen zusehen. 3. Das gasförmige Treibhaus 49 Anfangszweifel an der Macht des CO2. Ein ziemlich knappes Kohlenstoff-Budget. Dreißig Gase, die die Welt aufheizen. Methan: Sümpfe, Fürze und Rülpser. CFKs – Frankenstein’sche Schöpfungen menschlichen Erfindungsreichtums. Wohin mit all den Gigatonnen? 7
Die Kohlenstoff-Lungen, -Speicher und -Nieren der Erde – und die Kohlenstoff-Gaia. Die Lehre einer Dose Limonade. Der irreführende Mississippi. 4. Die Weisen und die Zwiebelschale 58 Kohlenstoff wirft die Frage nach des Menschen Stellung im Weltall auf. Fumifugium und die Vororte der Hölle. Fouriers frierende Erde. Svante Arrhenius rettet sich vor einer gescheiterten Ehe in Berechnungen und entdeckt den Klimawandel. Orthodoxe ignorieren den weitsichtigen Callendar. Milankovic’ Gefängnis-Zyklen triumphieren. Flecken auf der Sonne? Die falsche mittelalterliche Warmzeit. 5. Zeitpassagen 68 Stille Trinker bemächtigen sich der geologischen Formationen. Schlüssel zu Zeitpassagen. Lieber zwischen den Zeiten leben als am Ende aller Zeiten. Die Pianolarolle der Sedimente, auf Sauerstoff – und Kohlenstoffisotopen gespielt. Eine Zeit wie die Gegenwart? Norweger entdecken die Fischbraterei des Paläozäns. Das Klima als Tempomat der Evolution: Jede Veränderung verändert das Leben an sich. 6. Im Kühlhaus geboren 77 Vor dem Hintergrund des Klimawandels von der Wiege in Afrika zur Welteroberung. Geheimnisse in Holz und Eis. Die warmen Felsen Grönlands und der Riesenkern von Dome C. Zehn Jahrtausende eines Achterbahn-Klimas läuten die Moderne ein. Ein paar Sverdrups könnten uns hinwegspülen. 7. Der lange Sommer 86 Das Anthropozän – unsere eigene geologische Epoche. Hält sie aber schon 200 oder 8000 Jahre an? Keine Feldbestellung vor dem Sommer. Ruddimans Gase entmachten Milankovic’ Zyklus – oder doch nicht? Als es in Uruk eng wurde. Fagans Hungersnöte und Ruddimans Pest. Eine abgewürgte Eiszeit?
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8. Die Toten ausgraben 92 Big Bill Neidjies Weisheit. Kohle, Gas und Öl: Die Reiter der Kohlenstoff-Apokalypse. Vergrabener Sonnenschein und Kohlenstoffgehalt. Eine kurze Geschichte der Kohle. In Newcomens Ära ist Kohle der Universaltreibstoff. Ein Texaner läutet das Kohlenwasserstoff-Jahrhundert ein. Glitschiges Öl und glückliche Herrscherhäuser. Das Dilemma des Negativhaushalts, die wachsende Familie und die unersättliche Abhängigkeit. II. Teil
EINE VON ZEHNTAUSEND 9. Die entzauberte Welt 107 Magische Tore passieren. Der Methusalem unter den Korallen. 1976 drehte das Wetter durch – und trieb die Evolution voran. Und noch einmal 1998, diesmal mit El-Nino-Turbo. Wie wichtig wenig gelesene Zeitschriften sind. Scheckenschmetterlinge unter Druck setzen und die Natur in Richtung der Pole peitschen. Von Eichen und Frostspannern. Den Tanganjikasee entvölkern. Den globalen Fingerabdruck der Katastrophe identifizieren. Das verbrannte Nong-Tal. 10. Alarm an den Polen 119 Antarktisches Gras kündet vom Tod der Kryosphäre. Das beständig schmelzende Eis. Pinguine folgen dem verschwindenden Krill, und Salpen übernehmen die Weltmeere. Das Sterben der Lemminge: Mord, nicht Selbstmord. Das Werk des Fichtenborkenkäfers. Wälder erobern die Tundra. Magere Eisbären bekommen keine Drillinge. Das vereiste Fressen der Rentiere. 11. 2050: Das Große Stummelriff? 129 Nichts ist so schön wie ein Korallenriff. Fossile Fische bei Verona. Erstaunliche Vielfalt – in Abwässern erstickt. Die Dornenkrone der Schönheit. Das Los des jungfräulichen Myrmidon Reef. Warum bleichen sie aus? Die meisten sind halb tot, der Rest ist zum Sterben verdammt. Hoffnung auf Migration oder Adaption? Die Lektion des Gobiodon. 9
12. Eine Warnung von der Goldkröte 139 Marty Crump, die Frau der Stunde. Meist im Untergrund und höchst gefährdet. Die letzte Krötenorgie. Die Parabel vom Quetzal und vom Fischtukan. Sterbende Eidechsen und eine zufällig dastehende Wetterstation. Zwölf Jahre später kennt man den Grund. Der Bauchbrütende Frosch ist verschwunden. Eine globale Entwicklung? 13. Flüssiges Gold: Veränderte Niederschläge 148 Die Tragödie im Sahel – auch ein moralisches Desaster. Der Westen Amerikas und der Süden Australiens: Neue Saharas? Der große Durst von Perth. Erlösen Entsalzungsanlagen Sydney? Der dürre Westen – ein Zyklus oder das neue Klima? 14. Eine energiegeladene Zwiebelschale 160 Woher nehmen Stürme ihre Kraft? Von Hitze, Wasser und Hurrikan-Treibstoff. Vom Schwitzen zu Zyklonen: Eine Erklärung für die Wucht von Mitch. Dem Golf von Bengalen bleibt einiges erspart. Europas todbringender Sommer. Rekordhalter USA. Die Kontinente schrumpfen. 15. Mit dem Blanken Hans spielen 167 Wir Küstenbewohner. Wärme: Leichter aus den Ozeanen herauszuholen als hineinzustecken. Der Panzer und der VW-Käfer. Der plötzliche Tod der schnellen Gletscher von Larsen B. Und was ist mit Grönland? Immer wieder die magische Sieben. Ein Schwergewicht kommt in Schwung. Zu 67 Metern verdammt?
III. Teil
WEISSAGEN ALS WISSENSCHAFT 16. Modellwelten 179 Captain Fitzroy und die Wettervorhersage. Die Welt als rotierende Schüssel. Schon 1975 hatten sie Recht – fälschlicherweise. Pinatubo-Prognosen. Eine schwarze Kugel und der Aufstand der Skeptiker. Zehn globale Zirkulationsmodelle und wie Wolken das Problem vernebeln. Spuckende Ahnen. Können wir mehr Gewissheit 10
haben – und können 90 000 PCs sich irren? Was ist mit mir? Fragen ist menschlich – oder man lässt es lieber. Regionalprognosen und Rückkopplung. Das Ende des englischen Gartens? 17. Extremer Gefahr ausgeliefert? 193 Ein Nachlauf von 50 Jahren und die wahren Kosten von Heckflossen-Chevrolets. Der Ozean lebt in den siebziger Jahren – und auch die Industrie. Das Treibhausrad lässt sich nicht zurückdrehen. Die Schwelle zu extremer Gefahr: 400 oder 1200 Teile pro Million? Oder haben wir sie bereits überschritten? 18. Die Berge ebnen 198 Adieu, Schnee des Kilimandscharo. Inseln im Himmel. Auf dem Gipfel geht es nicht mehr weiter. Ein schreckliches Maß an Gewissheit. Von Paradiesvögeln, Ringelschwanzbeutlern und Baumkängurus. Verlorenes Weltnaturerbe. Nur Anopheles freut sich. 19. Wohin geht die Reise? 205 Von Florida nach Montreal – Bäume auf Wanderschaft. Eucalyptus – das Schicksal von 819 Arten. Abschied von Fynbos und Karru, den schönsten Blumengärten der Welt. In die Ecke gedrängt: Der Südwesten Australiens. Wer weiterziehen kann, hat es gut. Naturschutzgebiete werden zu Todesfallen. Megastudie prophezeit Massensterben – aber werden es eine von fünf oder sechs von zehn Arten sein? 20. Unendliche Tiefen 211 Warum sterben sie, wenn wir sie erblicken? Eine Welt unerforschter Absonderlichkeiten. Von Zungenkiemern, Großmaulhaien und Laternenanglern. Saures Meer und schalenlose Kammmuscheln. Die letzte Auster? 21. Eine Hand voll Joker 216 Die Bedeutung positiver Rückkopplungsschleifen. Das Konzert der drei Szenarien. Das Pentagon kümmert sich um den Golfstrom – und sieht in seinem Versiegen den Untergang der Zivilisation. Genügend viele Sverdrup. Die Geschichte von HadCM3LC und TRIFFID. 11
Wenn Stomata sich schließen: Tod am Amazonas. Die Clathrate sind los! Die Zeitbombe vor Ihrem Strand. Die positive Rückkopplung der Klimaanlagen. 22. Zivilisation: Mit einem Wimmern vorbei? 231 Der Kern der globalen Gesellschaft. Städte sind wie Regenwälder. Eine wie große Klimawelle kann eine Stadt hinwegfegen? Nahrungsmittelproduktion – so spezialisiert wie ein Säbelzahntiger. Schlechte Ernten in einer Welt voll CO2. »Anpassung« als Genozid und Gaiazid. Das Überleben des Dorfes – und warum es magere finstere Zeiten sein werden. Man hätte es wissen können.
IV. Teil
MENSCHEN IN TREIBHÄUSERN 23. Ein knappes Rennen 241 Die Entdeckung des Ozons als Resultat reiner Wissenschaft. Ein »bizarrer« Rückgang wird auf Instrumentenfehler zurückgeführt, aber Nobelpreisträger finden die Wahrheit heraus. Das himmelblaue Gas und die Angst, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt. Wenn Brom gleich Chlor wäre ... CFKs: Krebs, Erblindung und Tausende anderer Gebrechen. Kein positiver Beweis, aber dennoch ein politisches Abkommen. Das Rezept von Montreal. 24. Der Weg nach Kyoto 250 Von Villach bis Rio sieht es gut aus. Kyoto: Der zahnlose Tiger wird angegriffen. Der Kohlenstoff-Dollar und der Streit um die Etats. Heiße Luft für Australien – und der Rest der Welt wundert sich. Einführung der Kohlenstoff-Währung von oben nach unten oder von unten nach oben? Der US-Senat warnt vor Trittbrettfahrern. Nationale Egoismen und Täuschungsmanöver. Den Schornstein besteuern? Wenn Kyoto scheitert, was kommt dann?
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25. Kosten, Kosten, Kosten 261 Was treibt die Kyoto-Renegaten an? Dem Energieministerium ist die Welt einfach zu teuer. Mr. Goodstein entlarvt Mr. Lash mit Asbest und Vinyl. Rückversicherer kennen die wahren Kosten. Warum Nachkommen von Pionieren Kyoto fürchten. 26. Wer im Treibhaus sitzt, sollte nicht lügen 269 Die Öl-Achse des Bösen. Fred Palmers Dünger erfreut Bush senior. Fälscher im Weißen Haus. Bush oder Attila. Koalitionen gegen das Klima – mit 60 Millionen Dollar. Hegel’sche Dialektik und die getürkte Leipziger Erklärung. Von den Mühen der Einstimmigkeit. DuPont und der wundersame Lord Browne of Madingley retten die Welt. Klare Worte in Davos. 27. Technische Lösungen? 279 Lasst uns die Meere düngen! Professor Ohsumi hat keine Bedenken. Habt Mitleid mit dem Plankton. Geosequestration als Allheilmittel – oder etwa nicht? Nyos’ Warnung. Das Gigatonnenproblem und die lausigen Lagerstätten. Kohlenstoff in Bäumen und Böden – so einfach, wie die menschliche Natur zu ändern. Rettet uns die künstliche Photosynthese? 28. Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter? 288 Warum Ölmultis auf Gas stehen. Schiere Notwendigkeit zwingt zu teuren Problemlösungen für ein Leichtgewicht. Von der Gefahr, auf der letzten Stufe stehen zu bleiben. Verführerischer Wasserstoff: Ein Gas mit sehr kostspieligen Eigenheiten. Sich an unsichtbaren Flammen verbrennen? Das FreedomCAR darf nicht in die Garage.
V. Teil
DIE LÖSUNG 29. Hell wie die Sonne, leicht wie der Wind 299 Haben wir die Mittel, die Welt zu retten? Princeton und die wichtigsten 15 Techniken. Weiß der Wind die Antwort? Dänen zweifeln nicht, sie machen es einfach – trotz angeblichen Lärms und 13
toter Vögel. Die solarthermische Lösung. Es werde Licht: Die wunderbare Welt der Photovoltaik. Wann sind die Kosten wieder eingespielt? 30. Nuklearer Lazarus? 305 Dr. Lovelock befürwortet Kernkraft – aber kann das gut gehen? Die Ausgaben für einen Reaktor, die Kosten einer Kernschmelze und der Preis für die Sicherheit. Und wer bringt den Müll weg? Das Gespenst kehrt zurück: China und Indien machen einfach weiter. Geothermik: Warum das Heißwasser versiegte. Die neue Geothermik – bringt sie uns weiter? Nicht vergessen: Die stationäre Wasserstoffnutzung. 31. Von Hybriden, MiniCATs und Kondensstreifen 312 Gibt es genügend Biomasse? Der spar- und wundersame Prius. Elektroautos und mit Druckluft betriebene MiniCATs machen Ölmultis Angst vor der kohlenstofffreien Zukunft. Auch die Schifffahrt muss sauber werden. Fluch und Segen der Kondensstreifen. 32. Die letzte höhere Gewalt? 318 Wie viel Spaß hätte ein Sudanese vor Gericht! Neuenglandstaaten legen los – und die Inuit schließen sich an. Die Leute von Shishmaref: Die weltweit ersten Klimavertriebenen. Australien mobbt seine Nachbarn. Tuvaluer handeln vorsichtshalber die Einwanderung nach Neuseeland aus. Was würde ein Richter zu Unterernährung und Malaria sagen? Jeder hat das Recht auf seine Lebensweise – oder vielleicht doch nicht? Die Auslöschung ganzer Nationen: Kein Verbrechen? 33. 2084: Die Kohlenstoff-Diktatur? 324 Paul Crutzen – zweifacher Retter der Welt? Drei Möglichkeiten, wohin der Klimawandel führen könnte. Wie Umweltverschmutzer ein wirklich starkes Regime fördern: Die Welt-Kommission für Thermostatsteuerung. Gewinner und Verlierer. Ein Orwell’scher Albtraum. Die Lektion der Gründerväter.
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34. Es ist höchste Zeit 330 Sofortiges Handel tut Not. Biomasse – ein neuer Weg für die Kohleindustrie? Wie Arthur C. Clarke die nächste Eiszeit verhindern will. Energieeffizienz in Industriestärke. Vom Nutzen einer klugen Gesetzgebung. Eine starke Medizin gegen eine fast tödliche Krankheit. Keine Stimmen für die, die das für nicht machbar erklären. 35. Sie sind an der Reihe 336 Einfache Möglichkeiten, die Welt zu retten. Ein Telefonat genügt. Ein ernstes Wort zum heißen Wasser. Wie man die eigene Energieeffizienz prüft – und die Kinder auf seine Seite zieht. Solarzellen als Altersvorsorge. Die Stadt Schönau zeigt, wie es geht. Laufen, radeln und Hybriden fahren. Die interessanteste aller Zeiten. Nachwort 341 Nachwort zur deutschen Ausgabe 343 Danksagung 351 Bildnachweis 353 Anmerkungen 354 Literaturverzeichnis 367 Register 384
VORWORT Bis vor wenigen Jahrzehnten glaubte man noch, dass die Grenzen des Wachstums der Menschheit hauptsächlich durch Umweltzerstörung und Erschöpfung der Vorräte der Erde und ihrer Ernährungsgrundlagen diktiert werden. Tim Flannery führt uns eindrücklich vor Augen, dass wir noch auf ganz andere Weise unsere Lebensgrundlagen gefährden, nämlich »wir als Wettermacher« mit bereits jetzt schon erkennbaren schlimmen Folgen für uns alle: Die Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl für Stromproduktion, Transport und Heizung sowie die Abholzung und Brandrodung der Wälder der Erde hat in den vergangenen hundert Jahren die Atmosphäre des Planeten um durchschnittlich 0,7 Grad Celsius erhöht. Es ist Tim Flannery auf eindrucksvolle und spannende Weise gelungen, die wissenschaftlich komplexen Grundlagen dieses gefährlichen Klimawandels und die daraus abgeleiteten Folgerungen für das Leben auf der Erde allgemein verständlich und fundiert darzustellen. Niemand kann sich den Tatsachen entziehen, dass die Eiskappen der Polargebiete und die Gletscher der Gebirge rasant abschmelzen, Korallenriffe aufgrund erhöhter Wassertemperatur absterben und ein Anstieg der Weltmeeresspiegel auf über 40 cm noch in diesem Jahrhundert unausweichlich erscheint. Die Ausbreitung der Wüsten erfolgt mit immer größerem Tempo und schlimmeren Hungersnöten. Schwere Unwetter und Hitzeperioden – neun der zehn wärmsten Jahre seit 1900 entfallen auf die vergangenen 10 Jahre – häufen sich als Vorboten noch viel größerer Naturkatastrophen, wenn Kohle und Öl unvermindert als Energieträger genutzt werden. Da der Mensch und das von ihm durch Verbrennung freigesetzte Kohlendioxid als Hauptverursacher des Klimawandels identifiziert wurden, besteht die Hoffnung, dass Politik, Wirtschaft und jeder Einzelne von uns entsprechend dieser Erkenntnis handeln und durch Einsparung und Verwendung der von Tim Flannery im Einzelnen beschriebenen alternativen Energie- und Antriebsformen den Ausstoß von Kohlendioxid um 70 Prozent bis Mitte dieses Jahrhunderts gegenüber 1990 mindern. Nur so kann die weitere Aufheizung des Planeten mit den verheerenden Folgen für Natur und Menschheit eingedämmt werden. Prof. Dr. Detlev Drenckhahn (Präsident WWF Deutschland)
DAS LANGSAME ERWACHEN Im Jahr 1981, als ich Mitte zwanzig war, bestieg ich den Mount Albert Edward, einen der höchsten Gipfel auf der saftig grünen Insel Neuguinea. Obwohl nur 120 Kilometer von Port Moresby, der Hauptstadt Papua-Neuguineas, entfernt, ist die Gegend um den Mount Albert Edward so unwegsam, dass hier seit einer Expedition des amerikanischen Museum of Natural History Anfang der dreißiger Jahre keine biologischen Forschungen von Belang mehr durchgeführt wurden. Die bronzefarbenen Wiesen bildeten einen kräftigen Kontrast zum grünen Urwald weiter unten, und zwischen den Grasbüscheln wuchsen Grüppchen von Baumfarnen, deren filigrane Wedel sich über meinem Kopf wiegten. Fährten von Wallabys schlängelten sich vom Waldrand zu den Kräutern, die in feuchten Senken gediehen, und überall waren die Gänge und Bauten meterlanger Ratten und die Spuren von Langschnabeligeln zu sehen, die nach Würmern gesucht hatten. Viele dieser Tiere, entdeckte ich später, leben einzig und allein in diesen alpinen Regionen. Ein Stück bergab endeten die büscheligen Wiesen abrupt an einem zwergwüchsigen, von Moos durchsetzten Wald. Mit einem einzigen Schritt war man aus dem Sonnenschein in das feuchte Dunkel getreten. Die bleistiftdünnen jungen Bäumchen am Rand waren so von Moosen, Flechten und hauchdünnen Farnen überwuchert, dass sie zu Ballons von der Größe meines Taillenumfangs aufgebläht waren. Im verrottenden Laub auf dem Waldboden fand ich zu meiner Überraschung die Stämme abgestorbener Baumfarne. Baumfarne wachsen nur auf Wiesen, also war dies ein eindeutiger Beweis, dass sich der Wald von unten her den Berghang eroberte. Aus der Verteilung der Baumfarnstämme war zu schließen, dass der Wald mindestens 30 Meter Bergwiese in kürzerer Zeit verschlungen hatte, als ein Baumfarn auf dem feuchten Waldboden zum Verrotten braucht – ein oder höchstens zwei Jahrzehnte. 21
Das langsame Erwachen
Warum dehnte sich der Wald aus? Als ich über den vermodernden Stämmen grübelte, fiel mir wieder ein, dass ich gelesen hatte, die Gletscher Neuguineas würden schmelzen. Waren die Temperaturen am Mount Albert Edward so stark gestiegen, dass Bäume auch da wachsen konnten, wo zuvor nur Gras Wurzeln geschlagen hatte? Und wenn ja, war dies ein Anzeichen für den Klimawandel? Ich hatte in Paläontologie promoviert, also wusste ich, wie wichtig Klimaveränderungen für das Schicksal der Arten gewesen sind. Jetzt aber sah ich den ersten Beweis, dass Klimaveränderungen die Erde noch während meiner Lebensspanne treffen könnten. Das Erlebnis irritierte mich; ich wusste, dass etwas falsch war, aber nicht genau, was. Obwohl ich gute Voraussetzungen mitbrachte, die Bedeutung dieser Beobachtungen zu begreifen, vergaß ich sie bald. Zum Teil lag das daran, dass mich im Rahmen meiner Forschungen über die verschiedenen alten Ökosysteme, die unsere Generation geerbt hat, scheinbar größere und dringendere Probleme beschäftigten. Und einige dieser Krisen schienen wirklich akut: Die Regenwälder, die ich untersuchte, wurden gerodet, um Bauholz und Ackerland zu bekommen, und die größeren Tierarten, die dort lebten, wurden bis zum Aussterben gejagt. In meiner Heimat Australien drohten die fruchtbarsten Böden zu versalzen, und zugleich gefährdeten Überweidung, die Degeneration der Wasserläufe und das Abholzen der Wälder kostbare Ökosysteme und die Biodiversität. Für mich waren das wahrhaftig drängende Probleme. Ob wir eine Straße überqueren oder Rechnungen begleichen, die großen, schnellen Sachen sind es, die unsere Aufmerksamkeit erheischen. Aber scheinbar riesige Dinge erweisen sich manchmal als nebensächlich. Das »Jahr-2000-Problem« war ein Beispiel dafür. Überall auf der Welt gaben Regierungen und Firmen Milliarden aus, um sich gegen die »Gefahr« zu wappnen, während andere nichts taten; und dann machte das Jahr 1999 dem Jahr 2000 Platz, ohne dass es auch nur einen Schluckauf gab, geschweige denn eine Apokalypse. Ein skeptischer Blick ist unser bestes Rüstzeug, wenn wir an diese Art von »Problem« herangehen. Und tief verwurzelter Skepsis kommt eine besonders wichtige Rolle in der Wissenschaft zu, denn eine Theorie ist nur so lange gültig, wie sie nicht widerlegt worden ist. De facto sind Wissenschaftler gelernte Skeptiker, und dieses ständige 22
Das langsame Erwachen
Hinterfragen der eigenen Arbeit und der anderer könnte leicht den Eindruck erwecken, dass man immer einen Experten finden kann, der jede auch nur denkbare Ansicht vertritt. Diese Skepsis ist zwar der Lebensnerv der Wissenschaft, kann aber auch von Nachteil sein, wenn eine Gesellschaft aufgerufen ist, reale Gefahren zu bekämpfen. Jahrzehntelang fanden sowohl die Tabakals auch die Asbestindustrie Wissenschaftler, die bereit waren, öffentlich Zweifel an Erkenntnissen zu äußern, die ihre Produkte mit Krebs in Zusammenhang brachten. Ein Laie kann nicht wissen, ob die ihm präsentierte Sicht der Dinge eine Minderheitenmeinung oder die Überzeugung der Mehrheit ist, und so können wir den Eindruck bekommen, dass die Wissenschaft in solchen Fragen wirklich gespalten ist. Im Fall von Asbest und Tabak wurde die Situation noch verschlimmert, weil sich Krebs erst Jahre nach dem Kontakt mit karzinogenen Produkten zeigt und niemand mit Gewissheit sagen kann, wen von den vielen, die damit in Berührung kamen, es treffen wird. Indem sie Zweifel am Zusammenhang zwischen ihren Produkten und Krebs schürten, erfreuten sich die Tabak- und Asbestfirmen jahrzehntelang fetter Profite, während Millionen Menschen einem schrecklichen Tod entgegengingen. Und viele Menschen reagierten zu Recht mit Vorbehalten auf Berichte über den Klimawandel. Schließlich haben wir in der Vergangenheit so manches gründlich missverstanden. Im 1972 veröffentlichten Bericht Die Grenzen des Wachstums stellte der Club of Rome fest, der Welt gingen die Ressourcen aus, und binnen Jahrzehnten würde es zur Katastrophe kommen. In einer Zeit exzessiven Konsums ergriff die Vorstellung eines Rohstoffmangels von der Phantasie der Öffentlichkeit Besitz, obwohl niemand mit irgendeiner Art von Gewissheit sagen konnte, in welchem Umfang noch Ressourcen in der Erde verborgen waren. Spätere geologische Untersuchungen haben gezeigt, wie weit unsere Schätzungen der Rohstoffvorräte damals daneben lagen, und selbst heute kann noch niemand genau sagen, wie viel Öl, Gold und andere Bodenschätze noch unter unseren Füßen schlummern. Beim Klimawandel ist das anders. Er ist das Resultat von Luftverschmutzung, und die Größe unserer Atmosphäre und das Volumen der Schadstoffe, die wir hineinblasen, lassen sich mit großer Präzi23
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sion angeben. Die gegenwärtige Debatte – und die Geschichte, die ich hier wiedergeben will – dreht sich um die Auswirkungen einiger dieser Schadstoffe (der so genannten Treibhausgase) auf das gesamte Leben auf der Erde. Ist der Klimawandel eine schreckliche Bedrohung oder Schaumschlägerei? Ein Riesending oder eine Macke? Vielleicht irgendetwas dazwischen – ein Problem, dem sich die Menschheit irgendwann stellen muss, aber noch nicht sofort? In Hülle und Fülle präsentieren die Medien der Welt Beweise, die jede dieser Ansichten stützen. Nimmt man diese Medien genau unter die Lupe, wird eines klar: Es fällt den Menschen schwer, den Klimawandel leidenschaftslos einzuschätzen, weil er so weit reichende politische und wirtschaftliche Bedeutung hat und weil er auf genau die Prozesse zurückzuführen ist, die den Erfolg unserer Zivilisation ausmachen. Das heißt, wenn wir uns dieses Problems annehmen, wird es Gewinner und Verlierer geben. Die Einsätze sind hoch, und das hat dazu geführt, dass irreführende Geschichten immer weiter Verbreitung finden, weil Interessengruppen ihre Standpunkte verteidigen. Zudem ist die Geschichte des Klimawandels verworren. Noch vor gut 30 Jahren waren sich die Experten völlig uneins, ob die Erde sich nun erwärme oder abkühle – sie konnten sich nicht entscheiden, ob die Zukunft im Kühl- oder im Treibhaus stattfinden würde. 1975 ließen dann die ersten ausgeklügelten Computermodelle darauf schließen, dass eine Verdopplung des Kohlendioxids (CO2) in der Atmosphäre zu einem globalen Temperaturanstieg von rund 3 °C führen würde. Dennoch machten sich Wissenschaft wie Gesellschaft keine sonderlichen Sorgen. Es gab sogar vorübergehend Optimismus, als einige Forscher glaubten, dass zusätzliches CO2 in der Atmosphäre zu höheren Ernteerträgen führen und zu einer Goldgrube für die Bauern werden würde. Doch bis 1988 waren Klimaforscher dann wegen des CO2 hinreichend beunruhigt, dass sie ein mit weltweit führenden Experten besetztes Gremium ins Leben riefen, das zweimal pro Jahrzehnt einen Bericht darüber vorlegen sollte. Der 2001 herausgegebene dritte Report klang ernstlich besorgt – und doch zeigten viele Regierungen und Industriebosse nur zögerlich Interesse. Weil die Sorge um das Klima etwas so Neues ist und so viele verschiedene Disziplinen her24
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angezogen werden müssen, gibt es auf diesem Gebiet nur wenig wirkliche Experten, und noch viel weniger können in Worte fassen, was das Problem für die breite Öffentlichkeit bedeutet, und was wir deswegen unternehmen können. Jahrelang habe ich dem Impuls widerstanden, meine Zeit der Erforschung des Klimawandels zu widmen. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt, und ich wollte abwarten, denn ich hoffte, ein so großes Thema würde sich von selbst klären. Vielleicht hätte es noch Jahrhunderte Zeit, bis wir gründlich darüber nachdenken müssten. Doch 2001 wiesen Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften darauf hin, dass die alpinen Regionen der Welt ernsthaft bedroht sind. Als ich sie las, erinnerte ich mich wieder an die verrottenden Baumfarnstämme im Wald am Mount Albert Edward, und mir war klar, dass ich mehr wissen musste. Das hieß, ich musste herausfinden, was es mit den Treibhausgasen auf sich hat, wie unsere Atmosphäre strukturiert ist und wie die industrialisierte Welt ihren Wachstumsmotor antreibt.
Die letzten 10 000 Jahre lang war der Thermostat der Erde auf eine durchschnittliche Oberflächentemperatur von rund 14 °C eingestellt. Im Großen und Ganzen bekam das unserer Spezies blendend, und wir konnten uns auf höchst beeindruckende Weise organisieren – Getreide anpflanzen, Tiere zähmen und Städte bauen. Im Verlauf des letzten Jahrhunderts haben wir schließlich eine wahrhaft globale Zivilisation erschaffen. Angesichts des Umstandes, dass es in der gesamten Erdgeschichte einzig und allein Ameisen, Bienen und Termiten – die im Vergleich zu uns winzig sind und dementsprechend wenige Ressourcen brauchen – geschafft haben, sich in vergleichbarer Größenordnung zu organisieren, ist das eine ziemliche Leistung. Der Thermostat der Erde ist ein komplexer und empfindlicher Mechanismus; seinen Kern bildet das Kohlendioxid, ein farb- und geruchloses Gas. Es spielt eine entscheidende Rolle dabei, die Balance aufrechtzuerhalten, die für alles Leben notwendig ist. Zugleich ist CO2 ein Abfallprodukt der fossilen Brennstoffe, die so gut wie alle Menschen auf unserem Planeten zum Heizen, zum Transport und zum Decken anderer Energiebedürfnisse verwenden. Auf unbelebten 25
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Planeten wie Venus oder Mars besteht die Atmosphäre zum größten Teil aus CO2, und bei uns wäre das genauso, wenn es Lebewesen und irdische Prozesse nicht in Schach hielten. Die Felsen und Gewässer unseres Planeten stecken voller Kohlenstoff, der nur darauf wartet, in die Luft zu gelangen und oxidiert zu werden. Derzeit liegt der CO2-Anteil in der irdischen Atmosphäre bei rund drei pro 10 000 Teile. Das ist eine bescheidene Menge, aber sie hat unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Temperatur des Planeten. Weil wir jedes Mal, wenn wir Auto fahren, Essen kochen oder das Licht einschalten, CO2 produzieren und weil das Gas rund ein Jahrhundert in der Atmosphäre verbleibt, steigt der Anteil von CO2 in der Luft, die wir atmen, rapide an. Die Institutionen an der vordersten Front der Klimaforschung liegen eine halbe Weltreise von meiner Heimatstadt Adelaide entfernt, und so flog ich eine Zeit lang häufig um den Globus. Eines Nachts, als wir auf dem Weg von Singapur nach London die große eurasische Landmasse überquerten, blickte ich aus dem Kabinenfenster und sah eine hell erleuchtete Stadt. Das Netz der Lichterketten erstreckte sich von Horizont zu Horizont, und die Lampen strahlten so hell – mit so viel Energie –, dass ich alarmiert war. Aus einer Höhe von 10 000 Metern wirkte die Atmosphäre so dünn und fragil – der atembare Teil davon fing erst 5000 Meter unter unserem Flugzeug an. Ich fragte die Stewardess, wo wir wären. Sie nannte mir eine Stadt, die ich nicht kannte. Schlagartig ging mir auf, dass die Welt voller solcher Städte ist, deren mit fossilen Brennstoffen betriebene Lichter den Nachthimmel über unserem Planeten strahlen lassen. Im Verlauf des Jahres 2004 hatte sich mein Interesse in Angst verwandelt. Die führenden Wissenschaftszeitschriften der Welt waren voller Berichte, dass die Gletscher zehnmal schneller schmolzen, als man zuvor erwartet hatte, dass die Treibhausgase in der Atmosphäre Werte erreicht hatten wie seit Millionen von Jahren nicht mehr und dass infolge des Klimawandels ganze Spezies verschwanden. Es gab auch Berichte über extreme Witterungsverläufe, nicht endende Dürreperioden und steigende Meeresspiegel. Monatelang versuchte ich, in den neuen Forschungsergebnissen Fehler zu finden, und diskutierte sie des Langen und Breiten mit Freunden und Kollegen. Nur wenigen schien bewusst, welch große 26
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Veränderungen in unserer Atmosphäre in Gang waren. Und einige Menschen, die ich liebte und respektierte, taten weiterhin Dinge – etwa große Autos und Klimaanlagen kaufen –, die ich mittlerweile im Verdacht hatte, wirklich sehr schädlich zu sein. Gegen Jahresende jedoch kamen Hoffnungsschimmer auf, als so gut wie jeder Regierungschef der entwickelten Welt sich des Themas annahm. Aber wir können nicht darauf warten, dass das Problem für uns gelöst wird. Vor allem müssen wir uns klarmachen, dass wir alle etwas ändern und mithelfen können, den Klimawandel zu bekämpfen, ohne dass dies sonderlich zu Lasten unserer Lebensweise geht. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Klimawandel grundlegend von anderen Umweltproblemen wie beispielsweise dem Verlust von Biodiversität oder dem Ozonloch. Den verlässlichsten Erkenntnissen zufolge müssen wir unsere CO2-Emissionen bis 2050 um 70 Prozent reduzieren. Wenn Sie einen Geländewagen fahren und ihn durch ein Auto mit Hybridantrieb ersetzen, können Sie einen Schnitt in dieser Größenordnung in einem Tag und nicht erst in einem halben Jahrhundert bewerkstelligen. Wenn Ihr Stromversorger auch »grüne« Energie anbietet, können Sie zum Preis einer Tasse Kaffee pro Tag die Emissionen Ihres Haushalts gleichfalls deutlich reduzieren. Und wenn Sie einen Politiker wählen, der sich grundsätzlich der Reduktion von CO2-Emissionen verschrieben hat, können Sie vielleicht die Welt verändern. Wenn Sie allein so viel erreichen können, kann das auch jede andere Person und mit der Zeit auch jede Industrie und Regierung auf der Erde. Der Übergang zu einer Wirtschaftsweise ohne Kohlendioxid-Emissionen ist problemlos zu schaffen, weil wir die gesamte dafür nötige Technik bereits haben. Nur Unwissen und der Pessimismus und die von Interessengruppen bewirkte Konfusion halten uns davon ab loszulegen. Wenn ich mit Freunden, Familienangehörigen und Kollegen über den Klimawandel diskutiere, bekomme ich immer wieder zu hören, dies sei etwas, das die Menschheit vielleicht in Jahrzehnten betreffen werde, aber für uns keine unmittelbare Bedrohung darstelle. Ich bin mir alles andere als sicher, ob das stimmt, und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob das von Belang ist. Wenn ernsthafte klimatische Veränderungen oder deren Auswirkungen in einigen Jahrzehnten zu 27
Das langsame Erwachen
spüren sein werden, ist das nicht viel anders, als würden sie morgen passieren. Wann immer aus einem gegebenen Anlass meine Familie zusammenkommt, wird mir der wahre Zeitmaßstab des Klimawandels gegenwärtig. Meine Mutter, die während der Weltwirtschaftskrise geboren wurde – als Motorfahrzeuge und elektrische Beleuchtung noch etwas Neues waren –, blüht regelrecht auf in der Gesellschaft ihrer Enkel, von denen einige noch keine zehn Jahre alt sind. Die Familie beisammen zu sehen heißt, ein Band tiefer Liebe zu sehen, das 150 Jahre umspannt, denn jene Enkel werden das gegenwärtige Alter meiner Mutter erst spät in diesem Jahrhundert erreichen. Für mich, für meine Mutter und für ihre Eltern ist das Wohlergehen dieser Kinder in jeder Hinsicht so wichtig wie unser eigenes. In umfassenderem Maßstab betrachtet: 70 Prozent aller heute lebenden Menschen werden auch im Jahr 2050 noch am Leben sein, folglich betrifft der Klimawandel so gut wie jede Familie auf diesem Planeten. Ein letztes Thema, das in den Diskussionen immer wieder im Vordergrund steht, ist die Frage der Gewissheit. Vier Staaten haben noch nicht das Kyoto-Protokoll unterschrieben, mit dem die CO2-Emissionen begrenzt werden sollen: die USA, Australien, Monaco und Liechtenstein. Präsident George W. Bush hat gesagt, er wolle »mehr Gewissheit«, bevor er wegen des Klimawandels aktiv wird; die Wissenschaft aber arbeitet mit Hypothesen, nicht mit Wahrheiten, und niemand kann die Zukunft mit absoluter Sicherheit vorhersehen. Doch hält uns dies nicht davon ab, Voraussagen zu machen und unser Verhalten darauf abzustellen. Wbllten wir beispielsweise abwarten, ob eine Erkrankung sich wirklich als fatal erweist, dann würden wir nichts tun, bis wir tot sind. Stattdessen nehmen wir Medikamente oder folgen anderen Ratschlägen des Arztes trotz der Tatsache, dass wir vielleicht auch ohne sie überleben würden. Und auch bei profaneren Dingen bringt uns Ungewissheit kaum vom Kurs ab: Wir geben große Summen für die Ausbildung unserer Kinder aus, ohne dass es dabei eine Erfolgsgarantie gäbe, und wir kaufen Aktien ohne Gewinngarantie. Mit Ausnahme des Todes und der Steuern gibt es in unserer Welt einfach keine Gewissheiten, und trotzdem bewältigen wir unser Leben meistens auf höchst effiziente Weise. Ich kann nicht einsehen, warum unsere Reaktion auf den Klimawandel sich irgendwie davon unterscheiden sollte. 28
Das langsame Erwachen
Eines der größten Hindernisse bei der Mobilisierung gegen den Klimawandel besteht darin, dass er zu einem Klischee geworden ist, noch ehe man ihn richtig verstanden hat. Was jetzt nötig ist, sind gute Informationen und gründliches Nachdenken, denn in den kommenden Jahren wird dieses Thema alle anderen in den Schatten stellen. Es wird zum einzigen Thema werden. Wir müssen mit aufrichtiger Skepsis alles erneut überprüfen – um zu erkennen, wie schnell sich der Klimawandel vollzieht und welche Ausmaße er haben wird –, damit wir bei unseren Anstrengungen und Mitteln die Prioritäten so setzen können, dass wirklich etwas dabei herauskommt. Was nun folgt, basiert auf der Arbeit von Tausenden von Kollegen; so gut es mir möglich ist, umreiße ich die Geschichte des Klimawandels und frage, wie er sich im Verlauf des kommenden Jahrhunderts weiterentwickeln wird und was wir dagegen tun können. Monat für Monat werden große wissenschaftliche Fortschritte gemacht, und daher ist dieses Buch notwendigerweise unvollständig. Das sollte jedoch nicht als Entschuldigung dafür herhalten, nichts zu tun. Wir wissen genug, um klug handeln zu können.
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I GAIAS REPERTOIRE
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GAIA Es muss ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem geben, das verhindert, dass sich exotische Banditenspezies zu wuchernden Verbrechersyndikaten entwickeln ... Wenn eine Art ... ein Gift produziert, kann sie sich leicht selbst damit töten. Doch wenn das Gift für ihre Konkurrenten noch tödlicher ist, schafft sie es vielleicht zu überleben und sich im Lauf der Zeit an ihre eigene Giftigkeit anzupassen und noch weitaus todbringendere Formen von Schadstoffen zu entwickeln. James Lovelock, Gaia, 1979
Solange sie nicht die schlechte Laune packt und sie über unseren Köpfen wütet, denken die meisten von uns kaum an unsere Atmosphäre. »Atmosphäre«: Welch langweilige Bezeichnung für so eine wunderbare Sache. Und es ist noch nicht einmal ein sonderlich spezifischer Ausdruck. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als meine Großtante mit meiner Mutter am Küchentisch bei einer Tasse Tee saß und bedeutungsschwer sagte: »Man hätte die Atmosphäre mit dem Messer schneiden können.« Wenn wir denselben linguistischen Ansatz auf die maritime Welt übertragen wollten, müssten wir das Allerweltswort »Wasser« anstelle von »Meer« und »Ozean« verwenden, und uns bliebe keine Möglichkeit anzudeuten, ob wir nun ein Glas voll meinen oder die Hälfte des gesamten irdischen Hydrogenoxids, wie man H2O richtigerweise nennen müsste. Alfred Russel Wallace, der zusammen mit Charles Darwin die Theorie der Evolution durch natürliche Auslese begründete, prägte für die Atmosphäre den Begriff »großer Luftozean«. Das ist ein viel besserer Ausdruck, weil er vor dem geistigen Auge Bilder der Strömungen, Strudel und Schichten heraufbeschwört, die weit oben über 33
Gaias Repertoire
unseren Köpfen das Wetter hervorbringen und die alles sind, was zwischen uns und der Unendlichkeit des Alls steht. Wallace’ Formulierung entstand in einer romantischen Phase der wissenschaftlichen Entdeckungen, als Amateure wie Profis in erheblichem Maß zu dem Verständnis beitrugen, warum in bestimmten Weltgegenden Wirbelstürme wüten und wie die »Kohlensäure«, wie Kohlendioxid früher auch genannt wurde, sich auf die Verteilung von Pflanzen und Tieren auswirkt. Liest man solche Arbeiten, bekommt man das Gefühl, dass jene Entdeckungen so viel Aufregung verursachten wie das Heraufholen von Monstern aus der Tiefe oder, zeitgenössischer ausgedrückt, Bilder vom Mars. Gesetzte Wissenschaftler schrieben entzückt über den atmosphärischen Staub: Es sei schon erstaunlich, sinnierte Wallace, dass ohne den Staub Sonnenuntergänge so langweilig wie Spülwasser wären oder unser strahlend blauer Himmel so schwarz und gleichförmig wie Tinte wäre und Schatten so dunkel und scharfkantig, dass sie für unser Auge so undurchdringlich wie Beton wären. Heutzutage werden die Wunder der Atmosphäre oft auf trockene Fakten reduziert, die dort, wo sie überhaupt bekannt sind, von gelangweilten Schulkindern auswendig gelernt werden. Obwohl auch ich während meiner Schulzeit gezwungen wurde, den Stoff zu schlucken, finde ich das Funktionieren der Atmosphäre noch immer faszinierend. Sie verbindet alles mit allem und leistet uns damit zahlreiche Dienste, die wir als gegeben hinnehmen. Mit unseren Lungen klinken wir uns in den großen Luftkreislauf der Erde ein, und auf diese Weise inspiriert uns die Atmosphäre vom ersten bis zum letzten Atemzug. Die altehrwürdige Sitte, Neugeborenen einen Klaps auf den Po zu geben, damit sie ihren ersten Atemzug tun, und der Spiegel, den man Sterbenden vor die Lippen hält, sind das A und O unserer Existenz. Und der Sauerstoff der Atmosphäre ist es, der unser inneres Feuer entfacht, es uns ermöglicht, uns zu bewegen, zu essen und uns zu vermehren – überhaupt zu leben. Saubere, frische Luft, geradewegs aus dem großen Luftozean eingesogen, ist nicht nur eine altmodische Wohltat für die menschliche Gesundheit, sie ist das Leben selbst, und 13,5 Kilogramm davon braucht jeder Erwachsene an jedem Tag seines Lebens. Der große unsichtbare und allgegenwärtige Luftozean hat die Tem34
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peratur unseres Planeten so reguliert, dass die Erde seit fast vier Milliarden Jahren die einzige bekannte Wiege des Lebens inmitten einer unendlichen Wüste aus toten Gasen, Felsen und Staub ist. Solch eine Meisterleistung ist so unwahrscheinlich wie die Entwicklung des Lebens selbst; aber man kann die beiden nicht trennen, denn der große Luftozean ist die kumulierte Effusion von allem, was je geatmet hat, gewachsen und wieder zerfallen ist. Vielleicht ist er das Mittel, mit der das Leben die Bedingungen aufrechterhält, die für seine Existenz notwendig sind. Wenn dem so ist, ergeben sich von selbst zwei tief schürfende Fragen: Wie können die individuellen Komponenten, die das Leben ausmachen, ihre Anstrengungen koordinieren; und (die für uns unmittelbar wichtigere Frage): Was lässt sich über Spezies sagen, die jenes Gleichgewicht gefährden? 1979 veröffentlichte der Naturwissenschaftler James Lovelock ein Buch mit dem Titel Gaia, das sich eingehend mit diesen Fragen be1 schäftigt. Lovelock argumentierte, die Erde sei ein einziger, planetengroßer Organismus, den er nach der uralten griechischen Erdgöttin »Gaia« nannte. Jeder, der im Einklang mit der Natur lebt, wird begreifen, was Lovelock meinte, aber weil seine Argumente so mystisch schienen, verunsicherten sie viele Wissenschaftler. Die Atmosphäre, schlussfolgerte Lovelock, ist Gaias großes Organ des Wechselwirkens und der Temperaturregulierung. Er beschreibt sie als »kein bloßes biologisches Produkt, sondern wohl eher eine biologische Konstruktion: nicht lebendig, aber wie das Fell einer Katze, die Federn eines Vogel oder das papierene Wespennest die Ausweitung eines lebenden Systems, die dazu dient, eine gegebene 2 Umwelt aufrechtzuerhalten«. Diese Vorstellung galt vielen als wissenschaftliche Ketzerei, und bis Carl Sagan Lovelocks Manuskript für die Zeitschrift Icarus annahm, drohte ihm das Schicksal, nicht veröffentlicht zu werden. Um die Wahrheit zu sagen: Lovelock konnte nur wenige Beispiele beibringen, wie das Leben möglicherweise agiert, um die Temperatur der Erde zu regulieren. Zu den Besten zählten noch einige Mikroorganismen, die in Salzsümpfen leben, wo die Salzkristalle sie kühl halten, indem sie das Sonnenlicht in den Raum reflektieren. Diese Mikroorganismen werden schwarz, wenn der Winter naht, absorbieren dadurch Hitze und erwärmen die Erde. Wichtiger als solch dürftige Beweise war für Lovelocks Argumen35
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tation ein unergründliches Paradoxon. Wie alle Sterne hat die Sonne beim Älterwerden an Intensität zugelegt. Seit das Leben sich entwickelt hat, ist ihre Strahlung um 30 Prozent intensiver geworden, aber die Oberflächentemperatur unseres Planeten ist relativ konstant geblieben. Geht die Sonnenstrahlung, die die Erde erreicht, nur um ein Zehntel Prozent zurück, kann dies eine Eiszeit auslösen; die langfristige klimatische Stabilität der Erde, argumentierte Lovelock, könne folglich kein bloßer Zufall sein. Unter anderem widersetzten sich Biologen dem Gaia-Konzept, weil sie sich nicht vorstellen konnten, wie Spezies global kooperieren, um ein solches Ergebnis zu erzielen. Vielmehr tendierten die meisten Biologen, beflügelt von Richard Dawkins’ Theorie des egoistischen Gens, in die entgegengesetzte Richtung – zu dem Konzept einer Welt, in der sogar einzelne Gene Krieg gegeneinander führen. Die vernichtendste Kritik an der Gaia-Hypothese besagte, dass sie teleologisch sei. Lovelock hatte behauptet, die Wahrscheinlichkeit, dass die Oberflächentemperatur der Erde aus einem Zufall herrühre, sei ungefähr genauso gering wie die Chance, ein Auto unbeschadet mit verbundenen Augen durch den Berufsverkehr zu steuern, worauf der Biologe W. Ford Doolittle antwortete: Ich glaube, er hat Recht; der außerordentlich lange Fortbestand des Lebens ist ein Vorgang von außergewöhnlich geringer Wahrscheinlichkeit. Jedoch ist dieser Vorgang eine Voraussetzung für die Existenz des Jim Lovelock und damit das Aufkommen der Gaia-Hypothese ... Wenn sich allerdings eine hinreichend große Anzahl Autofahrer mit verbundenen Augen in die Rushhour stürzen, würde einer überleben, und natürlich würde dieser, der von der Existenz seiner weniger glücklichen Kollegen nichts weiß, unterstellen, dass etwas anderes als bloßes Glück der Grund 3 dafür gewesen sei.
Diese Sichtweise ist recht und billig, aber ehe wir sie akzeptieren, wollen wir nachsehen, welche Erkenntnisse zu Lovelocks Gunsten seit 1979 gewonnen wurden. Der überzeugendste Beweis hat mit der Vorstellung zu tun, dass im Verlauf der Diversifikation des Lebens Gaia die Temperatur der Erde immer besser reguliert hat. Etwa die Hälfte ihrer Existenz lang – von vor vier Milliarden bis vor rund 2,2 Milliarden Jahren – wäre die At36
Gaja
mosphäre der Erde für Wesen wie uns tödlich gewesen. Damals gab es ausschließlich mikroskopisches Leben – Algen und Bakterien –, und das hatte unseren Planeten nur dürftig im Griff. Vor rund 600 Millionen Jahren war das Sauerstoffniveau genügend angestiegen, um das Überleben größerer Organismen zu ermöglichen – solchen, die man als Fossilien mit bloßem Auge erkennt. Diese frühen Organismen lebten in einer Zeit folgenschwerer Klimawechsel; vier große Eiszeiten suchten den Planeten heim, was darauf hindeutet, dass damals die Temperaturregelung der Erde nicht so effizient war wie heute. In Felsen eingelagerte Carbonate (mithin wurde der Atmosphäre CO2 entzogen) lassen darauf schließen, dass damals mit dem Kohlenstoffzyklus etwas nicht stimmte. Organische Materie wurde in einem zuvor unbekannten Tempo deponiert. Vielleicht öffnete das Zerreißen der frühen Kontinente Gräben im Meeresboden, die sich sehr schnell mit organischen Sedimenten füllten, und das führte dann dazu, dass die Kühlung des Planeten aus dem Ruder lief. Wie auch immer, da weniger CO2 in der Atmosphäre war, begann es auf der Erde sehr kalt zu werden. Zweimal – vor rund 710 Millionen und noch einmal vor 600 Millionen Jahren – unterschritt die Erde einen Schwellenwert, bei dem fast alles Leben ausgerottet wurde und der 4 Planet bis zum Äquator einfror. Was immer letztlich die Ursache gewesen sein mag, zur Tiefkühlung der Erde rnuss ein sehr wirkungsvoller Mechanismus beigetragen haben, der als »Albedo« bekannt ist. In dem Begriff steckt das lateinische albus, »weiß«, und natürlich ist eine schneebedeckte Erde viel weißer als eine ohne Schnee. Wie wichtig das ist, kann man aus der Tatsache schließen, dass ein Drittel aller Sonnenenergie, die die Erde erreicht, von weißen Oberflächen ins All reflektiert wird. Frisch gefallener Schnee reflektiert das meiste Licht (80 bis 90 Prozent), aber alle Formen von Eis und Schnee reflektieren viel mehr Sonnenlicht als Wasser (fünf bis zehn Prozent). Wenn erst einmal ein bestimmter Anteil der Planetenoberfläche von hellem Eis und Schnee bedeckt ist, geht so viel Sonnenlicht verloren, dass es zu einer nicht mehr aufzuhaltenden Abkühlung kommt und der gesamte Planet einfriert. Jener Schwellenwert wird unterschritten, wenn Eisfelder ungefähr den 30, Breitengrad erreichen. Vor rund 540 Millionen Jahren begannen Lebewesen, sich Skelette 37
Gaias Repertoire
aus Carbonaten zuzulegen, und dazu nahmen sie aus dem Meerwasser CO2 auf. Das beeinflusste das CO2-Niveau der Atmosphäre, und seit jener Zeit sind Eiszeiten etwas ziemlich Seltenes. Nur noch zweimal – vor 355 bis 280 Millionen Jahren und im Verlauf der letzten 33 Millionen Jahre – ist es zu welchen gekommen. Zur Erklärung, woran das liegen mag, haben Andy Ridgwell von der University of Riverside in Kalifornien und seine Kollegen eine einfallsreiche Theorie vor5 gestellt. Sie argumentieren, dass die Evolution winziger, Schalen ausbildender Plankton-Lebewesen vor über 300 Millionen Jahren der entscheidende Schritt zur Stabilisierung von Gaias Thermostat war. Wenn vor dieser Zeit die Temperatur der Erde aus irgendeinem Grund sank, bildete sich Eis, die Meeresspiegel sanken, und die Kontinentalschelfe lagen bloß. Das wiederum unterbrach den Kohlenstoff Zyklus, sodass die Ozeane immer größere Mengen CO2 aus der Atmosphäre binden konnten, was die Temperaturen noch weiter sinken ließ. Die Plankton-Kalzifizierer änderten das alles, weil sie nicht an die Kontinentalschelfe gebunden waren. Vielmehr trieben sie im offenen Meer herum, sodass der Kohlenstoffzyklus durch ihre Körper und von da in die Meeressedimente nicht so sehr vom Freiliegen der Kontinentalschelfe beeinflusst wurde. Infolgedessen konnten die Ozeane nicht zu viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, wodurch der sich selbst verstärkende Prozess unterbrochen wurde, der aus einer leichten Abkühlung eine ausgewachsene Eiszeit machte. Wenn es je einen einzigen großen Fortschritt bei der Etablierung von Gaia gab, war es mit Sicherheit die Evolution der Plankton-Kalzifizierer; aber ungefähr zur selben Zeit, als sie sich ausbreiteten, kam es zu weiteren Veränderungen, die sich ebenfalls erheblich auf den Thermostat der Erde ausgewirkt haben müssten. Das war im Karbon, als die ersten Wälder das Land bedeckten und der größte Teil der Kohlelagerstätten gebildet wurde, die heutzutage unsere Industrie befeuern. Aller Kohlenstoff in dieser Kohle trieb einst als CO2 in der Atmosphäre, folglich müssen jene primitiven Wälder den Kohlenstoffzyklus enorm beeinflusst haben. Andere evolutionäre Ereignisse haben sich wahrscheinlich auch noch auf den Kohlenstoffzyklus ausgewirkt, aber weil die meisten davon noch nicht im Detail untersucht sind, können wir nicht sicher sein, ob sie Gaias Thermostatsteuerung verbesserten oder nicht. Die 38
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Evolution und Ausbreitung moderner Korallenriffe vor rund 55 Millionen Jahren entzog der Atmosphäre unvorstellbare Mengen CO2, was Gaia weiter veränderte; die Evolution und Ausbreitung von Gräsern vor rund sechs bis acht Millionen Jahren hat die Dinge vielleicht auf ganz andere Weise verändert. Computersimulationen zeigen, dass Wälder viel weiter verbreitet wären, gäbe es nicht die Gräser und die Brände, die sie zur Folge haben. Wälder binden viel mehr Kohlenstoff als Grasland, sie absorbieren auch mehr Sonnenlicht (haben eine andere Albedo), und sie produzieren mehr Wasserdampf, was sich auf die Wolkenbildung auswirkt. All diese Dinge beeinflus6 sen Gaias Fähigkeiten, die Temperatur zu regulieren. Wahrscheinlich beeinflusste noch ein weiterer Faktor Gaias Thermostat: der Elefant, ein großer Waldvernichter. Wie die Menschen war er ursprünglich in Afrika zu Hause, und als er sich vor rund 20 Millionen Jahren über den Planeten ausbreitete (nur Australien entging der Kolonisierung), muss sich dies ebenfalls auf den Kohlenstoffzyklus ausgewirkt haben. Obwohl wir immer besser verstehen, wie das Leben arbeitet, um die Chemie und die Temperatur der Erde zu beeinflussen, wird über Lovelocks Gaia-Hypothese noch immer viel diskutiert. Aber kommt es eigentlich darauf an, ob Gaia existiert oder nicht? Ich denke schon, denn dies beeinflusst unmittelbar die Art und Weise, wie wir unseren Platz in der Natur sehen. Jemand, der an Gaia glaubt, begreift alles auf der Erde als eng mit allem verknüpft, genau wie die Organe in einem Körper. In solch einem System können Schadstoffe nicht einfach außer Acht gelassen und vergessen werden; vielmehr wird jede Ausrottung einer Art als Selbstverstümmelung betrachtet. Infolgedessen prädisponiert eine Gaia-Weltsicht ihre Anhänger für eine nachhaltige Lebensweise. In unserer modernen Welt ist jedoch die reduktionistische Weltsicht auf dem Vormarsch, und ihre Anhänger betrachten menschliches Handeln oft isoliert. Und es ist auch eine reduktionistische Weltsicht, die den Status quo des Klimawandels über uns gebracht hat. Das soll nicht heißen, dass eine Gaia-Philosophie unvermeidlicherweise zu guten Umweltpraktiken führt. Oft höre ich Menschen sagen, das mit dem Klimawandel ginge schon in Ordnung, denn »Gaia wird das auf die Reihe bringen«. Wenn Lovelock argumentiert, »Es 39
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muss ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem geben, das verhindert, dass sich exotische Banditenspezies zu wuchernden Verbrechersyndikaten entwickeln«, die Gaias Thermostat stören, scheint er dem zuzustimmen. Aber ungeachtet der Zerstörung der menschlichen Zivilisation durch die Auswirkungen des Klimawandels kann man sich nur schwer vorstellen, wie Gaia das »auf die Reihe bringen« soll. Und selbst wenn sie es schafft uns loszuwerden, würden wir so viele weitere Spezies mit uns nehmen, dass die Reparaturarbeiten an der Biodiversität der Erde zig Millionen Jahre dauern würden. Der herausragende Biologe John Maynard Smith sagte über die Debatte zwischen Gaia-Anhängern und Reduktionisten: »Darüber zu diskutieren, welche dieser Sichtweisen die richtige ist, wäre so närrisch, wie darüber zu streiten, ob Algebra oder Geometrie das korrekte Verfahren zum Problemlösen in der Wissenschaft ist. Es hängt doch davon ab, welches Problem man in den Griff zu bekommen ver7 sucht.« Und diese Ansicht werde ich hier teilen, denn die Fragen, die ich behandeln will, erschließen sich einem Gaia-Ansatz eher als einem reduktionistischen. Nehmen wir also den Begriff »Gaia« als Kürzel für das komplexe System, das das Leben ermöglicht, und behalten wir dabei im Hinterkopf, dass es vielleicht aus Zufall entstand.
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DER GROSSE LUFTOZEAN Der große Luftozean, der uns umgibt, hat die wunderbare Eigenschaft, die Wärmestrahlen der Sonne hindurchzulassen, ohne selbst von ihnen erwärmt zu werden; aber wenn die Erde aufgeheizt wird, erwärmt sich auch die Luft durch den Kontakt mit ihr und auch in erheblichem Maß durch die Hitze, die die warme Erde abstrahlt, denn reine, trockene Luft lässt die dunklen Wärmestrahlen zwar ungehindert passieren, aber der Wasserdampf und die Kohlensäure [CO2] in der Luft fangen sie ein und absorbieren sie. Alfred Russel Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903
Wenn wir den Klimawandel verstehen wollen, müssen wir uns mit drei wichtigen, aber oft missverstandenen Begriffen herumplagen: Treibhausgase, globale Erwärmung und Klimawandel. Unter Treibhausgasen versteht man eine Klasse von Gasen, die Hitze nahe der Erdoberfläche festhalten können. Nimmt ihr Anteil in der Atmosphäre zu, führt die von ihnen zurückgehaltene zusätzliche Wärme zu einem globalen Temperaturanstieg. Diese Erwärmung wiederum setzt das Klimasystem der Erde unter Druck und kann einen Klimawandel auslösen. Genauso wichtig ist es, Wetter und Klima auseinander zu halten. Wetter ist das, was wir jeden Tag erleben. Klima ist die Summe aller Witterungsverläufe über eine bestimmte Zeitspanne, und zwar entweder für eine bestimmte Region oder für den Planeten als Ganzes. Und all das wird natürlich in der Atmosphäre produziert. Die Atmosphäre untergliedert sich in vier verschiedene Schichten, die durch ihre jeweilige Temperatur und die Richtung ihres Temperaturverlaufs definiert sind. Der unterste Bereich der Atmosphäre heißt Troposphäre. Ihr Name bedeutet »die Sphäre, in der umgewendet
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Gaias Repertoire
wird«, und sie heißt so, weil die vertikale Durchmischung der Luft für sie charakteristisch ist. Die Troposphäre reicht durchschnittlich bis in zwölf Kilometer Höhe über der Erdoberfläche, und sie enthält 80 Prozent aller atmosphärischen Gase. Ihr unteres Drittel (das die Hälfte aller Gase in der Atmosphäre enthält) ist der einzige Teil der Gesamtatmosphäre, den wir atmen können. Das Entscheidende an der Troposphäre ist, dass ihr Temperaturgradient »auf dem Kopf steht«: An der Erdoberfläche ist sie am wärmsten und nach oben kühlt sie sich um 6,5 °C pro vertikalem Kilometer ab. Auf den ersten Blick scheint das dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen, denn man würde erwarten, dass die Luft, die der Sonne am nächsten ist (von wo letztlich alle Energie kommt), am wärmsten ist, aber dieser Sonderfall bedingt gerade die gründliche Durchmischung der Troposphäre – schließlich steigt heiße Luft empor. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Troposphäre der einzige Bereich der Atmosphäre ist, dessen nördliche und südliche Hälften (durch den Äquator geteilt) sich kaum durchmischen, und diese Eigenheit erspart den Bewohnern der Südhalbkugel die Luftverschmutzung, die auf der stärker bevölkerten Nordhalbkugel den Blick zum Horizont einschränkt und Panoramen trübt. Die Tropopause trennt die Troposphäre von der nächsten Schicht, der Stratosphäre. Im Gegensatz zur Troposphäre wird die Stratosphäre mit zunehmender Höhe immer wärmer. Der Grund dafür ist, dass die obere Stratosphäre reich an Ozon ist; dieses fängt die Energie des ultravioletten Lichts ein und strahlt sie als Hitze wieder ab. Weil sie nicht von aufsteigender warmer Luft durchmischt wird, ist die Stratosphäre deutlich geschichtet, und starke Winde zirkulieren darin. Gut 50 Kilometer über der Erdoberfläche folgt darauf die Mesosphäre. Mit –90 °C ist sie der kälteste Bereich der Gesamtatmosphäre, und über ihr schließt sich die letzte Schicht der Atmosphäre an, die Thermosphäre, ein ganz dünnes Süppchen von Gasen, das sich weit ins Weltall erstreckt. Dort können die Temperaturen 1000 °C erreichen, aber weil die Gase so hauchfein verteilt sind, würde sich diese Schicht nicht heiß anfühlen. Der große Luftozean setzt sich aus Stickstoff (78 Prozent), Sauer42
Der große Luftozean
Die Hauptschichten der Atmosphäre und die dazugehörigen Grenzschichten. Nur in einem kleinen Teil der Troposphäre ist die Luft zum Atmen geeignet.
stoff (20,9 Prozent) und Argon (0,9 Prozent) zusammen. Diese drei Gase machen fast die gesamte – über 99,95 Prozent – Luft aus, die 8 wir atmen. Und interessanterweise hängt deren Fähigkeit, H2O aufzunehmen, von ihrer Temperatur ab: Bei 25 °C besteht das, was wir einatmen, zu drei Prozent aus Wasserdampf. Aber wie bei den Wasserozeanen sind es die kleineren Elemente – das verbleibende Zwanzigstel von einem Prozent –, die der Mischung die Würze geben, und einige davon sind für das Leben auf der Erde von entscheidender Bedeutung. Nehmen wir beispielsweise das Ozon. Seine Moleküle setzen sich aus drei Sauerstoffatomen zusammen, und sie sind selbst im Rahmen dieser winzigen Minderheit von »Spurengasen«, wie die Wissenschaftler sie nennen, ziemlich selten. Ozon macht nur zehn von einer Million Molekülen aus, die in den Strömungen des großen Luftozeans umgewälzt werden. Doch ohne den Schutzeffekt jener
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Gaias Repertoire
zehn Moleküle pro Million würden wir bald erblinden, an Krebs sterben oder einer ganzen Reihe weiterer Probleme erliegen. Genauso wichtig für unser Fortbestehen sind die Treibhausgase, von denen CO2 das häufigste ist. Zwar sind nur weniger als vier von 10 000 Atmosphärenmolekülen CO2 – und das kann man kaum allgegenwärtig nennen –, doch das Gas spielt eine entscheidende Rolle dabei, uns vor dem Erfrieren zu schützen und (weil es so rar ist) genauso vor Überhitzung. Teils liegt es an ihm, dass die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche jetzt bei rund 14 °C liegt, und schon seit sich die ersten komplexen Lebensformen gebildet haben, hat das CO2 mitgeholfen, sie über dem Gefrierpunkt zu halten. Wir sind so klein, und der große Luftozean ist so riesig, dass kaum zu glauben ist, wir könnten irgendetwas tun, das sein Gleichgewicht stört. In der Tat waren die Menschen über weite Strecken des vergangenen Jahrhunderts davon überzeugt, dass das Klima größtenteils stabil ist und der Floh auf dem Elefantenhintern, den die Menschheit darstellt, keinerlei Auswirkungen haben kann. Stellen wir uns aber die Erde als eine Zwiebel vor, wäre unsere Atmosphäre nicht dicker als die äußerste Pergamenthaut. Ihr atembarer Anteil bedeckt noch nicht einmal vollständig die Oberfläche des Planeten – deshalb müssen Bergsteiger auf dem Mount Everest Sauerstoffmasken tragen. Und die Gase, aus denen sie sich zusammensetzt, stellen eine so kleine Menge dar, dass mehr Gas in den Ozeanen gelöst ist als durch die Atmosphäre treibt und mehr Wärmeenergie nahe den Meeresoberflächen gespeichert ist als im großen Luftozean insgesamt. Um die Verwundbarkeit der Atmosphäre in vollem Umfang zu begreifen, müssen wir nicht nur ihre Größe und ihre geringe Dichte berücksichtigen, sondern auch ihre Dynamik. Die Luft, die Sie gerade ausgeatmet haben, hat sich schon ziemlich weit ausgebreitet. Das CO2 aus einem Atemzug von letzter Woche ernährt jetzt vielleicht eine Pflanze auf einem fernen Kontinent oder Plankton im Eismeer. Binnen weniger Monate wird sich all das CO2, das Sie gerade ausge9 atmet haben, über den gesamten Planeten verteilt haben. Wegen dieser Dynamik steht die Atmosphäre in intimer Beziehung zu allen anderen Bereichen unserer Erde vom Mantel an aufwärts. Kein Vulkan spuckt, kein Ozean schäumt – ja, keine Kreatur atmet –, ohne dass der große Luftozean das registriert. 44
Der große Luftozean
Der große Luftozean hat eine bemerkenswerte Eigenschaft, die erst kürzlich zur Kenntnis genommen worden ist: seine Telekinese. Als Sie das letzte Mal von Telekinese hörten, verbog Uri Geller vermutlich gerade Löffel, aber der Ausdruck ist wissenschaftlich gültig definiert. Er bedeutet »Bewegung über eine Entfernung hinweg ohne materielle Verbindung«, und im Fall der Atmosphäre ermöglicht es die r Telekinese, dass sich Veränderungen simultan in w eit entfernten Regionen manifestieren. So kann unsere Atmosphäre beispielsweise als Reaktion auf Erwärmung oder Abkühlung ganz von selbst und unmittelbar von einem klimatischen Zustand in einen ganz anderen übergehen. Dadurch können sich Stürme, Dürreperioden, Überflutungen oder Windverteilungsmuster auf globaler Ebene verändern, und zwar mehr oder weniger gleichzeitig. Telekinetische Entitäten sind sehr mächtig, aber auch überaus empfindlich, was Störungen angeht. Unsere globale Zivilisation ist ebenfalls telekinetisch, und deshalb entfaltet sie innerhalb der Biosphäre eine solche Kraft, aber ihre Telekinese erklärt auch, warum regionale Störungen – etwa Kriege, Hungersnöte und Krankheiten – schreckliche Folgen für die Menschheit als Ganze zeitigen können. Die Atmosphäre ist für die meisten Formen von Strahlungsenergie undurchlässig. Viele Menschen denken, das Tageslicht sei die einzige Energie, die wir von der Sonne bekommen, aber dieses Sonnenlicht – das sichtbare Licht – ist nur ein schmaler Ausschnitt aus einem breiten Spektrum von Wellenlängen, die die Sonne auf uns abfeuert. Licht ist für uns natürlich wichtig, denn wir sind Tagtiere, deren Augen sich so entwickelt haben, dass sie auf die Wellenlängen genau dieses Bereiches des Spektrums reagieren. Für andere Wellenlängen ist die Atmosphäre so undurchdringlich wie eine Mauer, und es sind jene Gase, die Teil dieser Barriere bilden, die im Zentrum dieses Buches stehen – insbesondere die Treibhausgase, eine Ansammlung unterschiedlicher Moleküle, denen die Fähigkeit gemeinsam ist, die langen Wellenlängen der Sonnenenergie zu blockieren. Lange Wellenlängen sind uns eher unter dem Namen »Wärmeenergie« vertraut, und Wärme ist das, was diese Gase einfangen. Indem sie das tun, werden sie jedoch instabil und setzen schließlich die Wärme wieder frei, von der ein gewisser Teil auf die Erde strahlt. Treibhausgase sind zwar selten, wirken sich aber massiv aus, denn indem sie die Wärme nahe der Plane45
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tenoberfläche festhalten, heizen sie unsere Welt auf und sind zugleich für den Temperatur-»Kopfstand« der Troposphäre verantwortlich. Eine Vorstellung davon, wie viel Macht Treibhausgase über die Temperaturen haben, bekommt man, wenn man andere Planeten untersucht. Die Atmosphäre der Venus besteht zu 98 Prozent aus CO2, und ihre Oberflächentemperatur beträgt 477 °C. Sollte CO2 je einen Anteil von einem Prozent an der irdischen Atmosphäre erreichen, würde es – wenn alle anderen Faktoren unverändert blieben – die 10 Oberflächentemperatur der Erde an den Siedepunkt bringen. Wenn Sie einen unmittelbaren Eindruck bekommen wollen, was Treibhausgase bewirken, besuchen Sie New York im August. Zu dieser Jahreszeit tauchen die Hitze und die Luftfeuchtigkeit alle, die sich noch durch die Straßen schleppen, in Schweiß. Man spürt, wie ungesund diese Hitze ist – gefangen in einer übervölkerten, künstlichen Betonumwelt mit harten Linien, ausgetrocknetem Bitumen und klebrigen menschlichen Körpern –, sodass sie fast unerträglich wirkt. Und am schlimmsten ist es nachts, wenn die Luftfeuchtigkeit und eine dicke Wolkenschicht die Hitze einschließen. Ich erinnere mich th daran, wie ich mich in einem Zimmer nahe der Kreuzung 9 Street und Avenue C zwischen schweißgetränkten Laken wälzte und herumwarf. Während meine Augen brannten, als wären sie voll Stand, und meine Haut verkrustete, konnte ich den Schmutz der acht Millionen menschlichen Körper in der Stadt, ihre Ausdünstungen und ihren Müll riechen. Plötzlich sehnte ich mich danach, in einer Wüste zu sein – einer trockenen, klaren Wüste, in der, wie heiß der Tag auch sein mag, der blanke Nachthimmel die segensreichste Erleichterung bringt. Der Unterschied zwischen einer Wüste und New York City bei Nacht besteht in einem einzigen Treibhausgas, dem potentesten von allen: Wasserdampf. Als ich an den Umstand dachte, dass Wasserdampf zwei Drittel all der Wärme speichert, die sämtliche Treibhausgase zu11 sammen einfangen, verfluchte ich die Wolken über mir. Aber sie haben auch ihr Gutes. Im Gegensatz zu anderen Treibhausgasen hält Wasserdampf in Form von Wolken tagsüber einen Teil der Sonnenstrahlung zurück und dadurch die Temperaturen niedrig. Es zeugt von menschlicher Ignoranz, dass noch vor 30 Jahren weniger als die Hälfte der Treibhausgase identifiziert war und Wissen46
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Die Keeling-Kurve zeigt die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre, wie sie auf dem Gipfel des Mauna Loa auf Hawaii zwischen 1958 und 2000 gemessen wurden. Der Sägezahn-Effekt rührt von den jahreszeitlichen Vegetationsschwankungen der Wälder in den nördlichen Breiten her, der verheerende Gesamtanstieg aber ist auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen.
schaftler noch immer darüber stritten, ob die Erde sich erwärme oder abkühle. Ohne diese Moleküle herrschte auf unserem Planeten lebensfeindliche Kälte – sie wäre eine Eiskugel mit einer durchschnittlichen Oberflächentemperatur von –20 °C. Aber wir wussten und wissen, und zwar schon seit einiger Zeit, dass diese Gase immer mehr werden. CO2 ist das häufigste der Spuren- oder Treibhausgase, und es ent47
Gaias Repertoire
steht, wann immer wir etwas verbrennen oder etwas zersetzt wird. Seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat ein Klimatologe namens Charles Keeling regelmäßig den Mount Mauna Loa auf Hawaii bestiegen, um die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zu messen. Aus seinen Werten entwickelte er eine grafische Darstellung, die Keeling-Kurve, die zu den wunderbarsten Dingen gehört, die ich je gesehen habe, denn in ihr sieht man unseren Planeten atmen. In jedem Frühling auf der Nordhalbkugel, wenn die sprießenden grünen Pflanzen dem großen Luftozean CO2 entziehen, beginnt das große Einatmen unserer Erde, das in Keelings Kurve als ein Rückgang der CO2-Konzentration verzeichnet ist. Wenn dann im Herbst auf der Nordhalbkugel die Zersetzung CO2 erzeugt, kommt es zum Ausatmen, das die Luft mit dem Gas anreichert. Keelings Arbeit enthüllte aber noch etwas anderes. Er entdeckte, dass nach jedem Ausatmen ein bisschen mehr CO2 in der Atmosphäre war als bei dem davor. Diese unschuldigen kleinen Spitzen in der Keeling-Kurve waren das erste untrügliche Anzeichen, dass der große Luftozean sich als die Achillesferse unserer nach fossilen Brennstoffen süchtigen Zivilisation erweisen könnte. Im Rückblick erkenne ich in jener Graphik den Stummen Frühling des Klimawandels, denn man muss nichts weiter tun, als seinen Verlauf in die Zukunft zu verlängern, um sich klar zu machen, dass das 21. Jahrhundert eine Verdopplung des atmosphärischen CO2 erleben wird – von drei Molekülen pro 10 000 Anfang des 20. Jahrhunderts auf sechs. Und darin steckt das Potenzial, unseren Planeten um rund 3 °C aufzuheizen, vielleicht sogar um 6 °C.
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DAS GASFÖRMIGE TREIBHAUS Es besteht ein Gleichgewicht zwischen der Temperatur der Erde und der ihrer Atmosphäre ... Die Erde verliert genauso viel Wärme durch Strahlung an den Raum und an die Atmosphäre, wie sie durch die Absorption der Sonnenstrahlen gewinnt ... Ich habe die mittlere Temperaturänderung berechnet, zu der es kommen würde, wenn der Gehalt an Kohlensäure [CO2] von seinem momentanen Durchschnittswert abwiche. Svante Arrhenius, On the Influence of Carbonic Acid in the Air upon the Temperature of the Ground, 1896
Als Wissenschaftlern erstmals klar wurde, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, waren einige verwirrt. Sie wussten, dass CO2 nur Strahlung mit einer Wellenlänge von mehr als rund zwölf Mikrometern absorbiert (ein menschliches Haar ist rund 70 Mikrometer dick) und schon eine kleine Menge des Gases sämtliche Strahlung in diesem Bereich einfängt. Bei Experimenten schien sich eine Erhöhung der Konzentration nicht wesent12 lich auf die Menge der eingesammelten Wärme auszuwirken. Darüber hinaus ist das Gas so selten, dass es unvorstellbar schien, das CO2 könnte das Klima eines gesamten Planeten ändern. Viele Wissenschaftler machten sich damals nicht klar, dass bei sehr niedrigen Temperaturen – beispielsweise über den Polen und weit oben in der Atmosphäre – mehr Energie jener Wellenlängen unterwegs ist, die CO2 am effizientesten absorbiert. Noch wichtiger war die Entdeckung, dass CO2 allein weniger für den Klimawandel verantwortlich ist, sondern als Auslöser für das potenteste Treibhausgas, Wasserdampf, dient. Und zwar, indem es die Atmosphäre nur ein wenig erwärmt, was es dieser aber ermöglicht, mehr Feuchtigkeit aufzuneh49
Gaias Repertoire
men und zu speichern, die in der Folge die Atmosphäre weiter aufheizt. So kommt es zu einer positiven Rückkopplungsschleife, die die 13 Temperatur unseres Planeten immer weiter in die Höhe schraubt. Wasserdampf ist zwar ein Treibhausgas, zugleich ist er aber auch, was den Klimawandel angeht, ein großes Rätsel, denn er bildet Wolken, und Wolken können sowohl Licht reflektieren als auch Wärme festhalten. Indem sie mehr Wärme einsammeln, als sie Licht reflektieren, tendieren hohe, dünne Wolken dazu, den Planeten aufzuheizen, während tiefe, dicke Wolken das Gegenteil bewirken. Kein anderer einzelner Faktor birgt mehr Unsicherheiten, was Vorhersagen des künftigen Klimawandels angeht. Viele Treibhausgase werden auf die eine oder andere Weise durch menschliche Aktivitäten erzeugt. CO2 ist zwar selten und seine Kapazität, Wärmeenergie zu binden, nur gering, aber es hält sich sehr lange in der Atmosphäre: Rund 56 Prozent allen CO2, das Menschen durch das Verheizen fossiler Brennstoffe freigesetzt haben, sind noch da oben, und sie sind – direkt wie indirekt – die Ursache für rund 80 14 Prozent aller globalen Erwärmung. Die Tatsache, dass ein bekannter Anteil von CO2 in der Atmosphäre verbleibt, erlaubt uns – mit reichlich gerundeten Werten – ein Kohlenstoff-Budget für die Menschheit zu berechnen. Vor 1800 (dem Beginn der Industriellen Revolution) fanden sich rund 280 Teile CO2 pro Million in der Atmosphäre, was insgesamt auf rund 586 Gigatonnen (Milliardentonnen) CO2 hinausläuft. (Um Vergleiche zu erleichtern, beziehen sich Zahlen wie diese nur auf den Kohlenstoff in den CO2-Molekülen. Das tatsächliche Gewicht allen CO2 wäre 3,7-mal größer.) Heute belaufen sich die Zahlen auf 380 Teile pro Million oder rund 790 Gigatonnen. Wenn wir die CO2-Emissionen auf einem Niveau stabilisieren wollen, das doppelt so hoch ist wie das vor der Industriellen Revolution (und das weit und breit als Schwelle zu gefährlichen Veränderungen gilt), müssen wir alle zukünftigen menschlichen Emissionen auf rund 600 Gigatonnen limitieren. Knapp über die Hälfte davon würde in der Atmosphäre verbleiben, was das CO2-Niveau auf rund 1100 Gigatonnen oder 550 Teile pro Million bis zum Jahr 2100 anheben würde. Es wäre übrigens ein ziemlich knappes Budget, mit dem sich die Menschheit begnügen müsste, denn wenn wir nur noch ein weiteres Jahrhundert 50
Das gasförmige Treibhaus
lang fossile Brennstoffe verwenden, entspräche das einem Budget von sechs Gigatonnen pro Jahr. Wenn Sie das mit den durchschnittlich 13,3 Gigatonnen CO2 vergleichen, die wir in den neunziger Jahren alljährlich akkumuliert haben (die Hälfte davon aus dem Verheizen fossiler Brennstoffe), und die Hochrechnung dazu nehmen, dass die Menschheit bis Mitte dieses Jahrhunderts auf neun Milliarden anwachsen wird, dann können Sie das Problem erfassen. Selbst sehr langfristig betrachtet ist so ein Anstieg ohne Beispiel. Die atmosphärischen CO2-Konzentrationen in vergangenen Zeiten kann man anhand von Luftblasen messen, die sich im Eis erhalten haben. Wissenschaftler haben ein über drei Kilometer tiefes Loch in die antarktische Eiskappe gebohrt und einen Bohrkern herausgeholt, der fast eine Million Jahre Erdgeschichte abdeckt. Dieses einzigartige Zeugnis deckt auf, dass zu kalten Zeiten das CO2-Niveau auf rund 160 Teile pro Million abfiel und es bis vor kurzem niemals 280 Teile pro Million überstieg. Die Industrielle Revolution änderte das, wenn auch langsam, denn noch 1958, als Keeling mit seinen CO2-Messungen auf dem Mauna Loa begann, betrug der Wert nur 315 Teile pro Million. Australische Wissenschaftler haben kürzlich festgestellt, dass in den Jahren 2002 und 2003 das CO2-Niveau jeweils um rund 2,54 Teile pro Million stieg, während es in der Dekade davor nur um 15 durchschnittlich 1,8 Teile pro Million jährlich angehoben wurde. Es ist unklar, ob dies einfach nur ein »Schluckauf« im Trend war, oder ob die Akkumulation sich beschleunigt. Unsere Sklaven sind es – die Milliarden von Maschinen, die wir so gebaut haben, dass sie mit fossilen Brennstoffen wie Kohle, Benzin, Diesel und Gas laufen –, die die Hauptrolle bei der CO2-Produktion spielen. Am gefährlichsten von allen sind die Kraftwerke, die aus Kohle Elektrizität erzeugen. Die schwärzeste Kohle (Anthrazit) besteht aus mindestens 92 Prozent Kohlenstoff, während trockene Braunkohle rund 70 Prozent Kohlenstoff und fünf Prozent Wasser16 stoff enthält. Kohlenstoff und Sauerstoff – die Bestandteile von CO2 – sind im Periodensystem enge Nachbarn, was heißt, dass sie ähnliche Atomgewichte haben. Weil zwei Sauerstoffatome mit einem Kohlenstoffatom zusammen CO2 bilden, werden für jede Tonne verbrauchten Anthrazits rund 3,5 Tonnen des Gases produziert. Einige 51
Gaias Repertoire
Kraftwerke verheizen 500 Tonnen Kohle pro Stunde, und sie sind so ineffizient, dass rund zwei Drittel der dabei erzeugten Energie verschwendet werden. Und wozu dient das alles? Einfach um Wasser zu kochen, aus dem Dampf wird, der gigantische Turbinen in Bewegung setzt, welche die Elektrizität erzeugen, mit denen unsere Häuser und Fabriken versorgt werden. Wie der große Luftozean selbst sind diese Dickens’schen Maschinen für die meisten von uns unsichtbar – und die wenigsten machen sich eine Vorstellung davon, dass Technik des 19. Jahrhunderts die ausgeklügelten Apparate des 21. Jahrhunderts brummen lässt. Es gibt rund 30 weitere Treibhausgase in der Atmosphäre; sie alle sind nur in Spuren vorhanden, und für die meisten Zwecke wird ihre Wirkung im CO2-Maßstab ausgedrückt (in wissenschaftlichen Gleichungen werden sie in »CO2-Einheiten« umgerechnet). Die meisten sind so selten, dass sie als vernachlässigbar erscheinen mögen, aber weil sie Wärme anderer Wellenlängen als CO2 absorbieren, ist jede Zunahme ihres Volumens von Belang. Stellen Sie sie sich als Glasfenster in der Decke vor, wobei jedes Gas ein anderes Fenster ist. Wenn die Zahl der Fenster zunimmt, gelangt mehr Lichtenergie in 17 den Raum, wo sie als Wärme festgehalten wird. Das nach CO2 wichtigste Treibhausgas ist Methan. In der Atmosphäre macht es gerade mal 1,5 Teile pro Million aus, aber seine Konzentration hat sich im Verlauf der letzten Jahrhunderte verdoppelt. Im Zeitmaßstab von einem Jahrhundert gemessen, fängt Methan sechzigmal wirkungsvoller als CO2 Wärmeenergie ein, aber es hält sich glücklicherweise nicht so viele Jahre in der Atmosphäre. Methan wird von Mikroorganismen erzeugt, die in sauerstoffloser Umgebung wie etwa stehenden Tümpeln und Gedärmen gedeihen, weshalb es in Sümpfen, Fürzen und Rülpsern reichlich vorhanden ist. Man schätzt, dass Methan 15 bis 17 Prozent der in diesem Jahrhundert zu erlebenden globalen Erwärmung verursachen wird. Da es relativ kurzlebig ist, jedoch manchmal in großen Mengen freigesetzt wird, hat Methan eine wichtige Rolle bei den positiven Rückkopplungsschleifen gespielt, die gelegentlich unseren Planeten aufgeheizt haben. Distickstoffoxid (Lachgas, N2O) schließt Wärme zweihundertsiebzigmal effizienter ein als CO2; es ist zwar viel seltener als Methan, 52
Das gasförmige Treibhaus
bleibt aber 150 Jahre lang in der Atmosphäre. Etwa ein Drittel der globalen N2O-Emissionen rühren vom Verheizen fossiler Brennstoffe her, der Rest vom Verbrennen von Biomasse und der Verwendung von stickstoffhaltigen Düngemitteln. Es gibt zwar auch natürliche Quellen für Distickstoffoxid, aber die menschlichen Emissionen übertreffen sie mittlerweile mengenmäßig bei weitem, und infolgedessen befinden sich heute 20 Prozent mehr Distickstoffoxid in der Atmosphäre als zu Beginn der Industriellen Revolution. Die seltensten aller Treibhausgase zählen zu den Chemikalienfamilien FKW (Fluorkohlenwasserstoffe) und CFK (Chlorfluorkohlenstoffe). Diese Ausgeburten menschlichen Erfindungsreichtums gab es nicht, ehe Chemiker sie industriell herstellten. Einige dieser Stoffe, so etwa das zungenbrecherische Dichlortrifluoräthan, das einst für Kühlzwecke benutzt wurde, speichern Wärmeenergie zehntausendfach effizienter als CO2, und sie können für viele Jahrhunderte in der Atmosphäre bleiben. Wir werden diese Klasse von Chemikalien später wiedertreffen, wenn es um das Ozonloch geht. Für den Augenblick müssen wir mehr über den Kohlenstoff im CO2 wissen, denn für den Klimawandel ist er von überragender Bedeutung. Sowohl Diamanten als auch Ruß sind Kohlenstoff in reiner Form; der einzige Unterschied besteht darin, wie die Atome arrangiert sind. Kohlenstoff verbindet sich mit so gut wie allen nichtmetallischen Stoffen, und deswegen basiert das Leben auf Kohlenstoff (Kohlenstoffverbindungen sind vielseitig genug, um die komplexen Prozesse zu ermöglichen, die in jedem nur vorstellbaren Körper ablaufen). Kohlenstoff ist auf der Oberfläche des Planeten Erde überall zu finden. Ständig gelangt er in unsere Körper und wieder hinaus und genauso aus Felsen ins Meer oder in Böden und von dort in die Atmosphäre und wieder zurück. Seine Umschichtungen sind außerordentlich komplex und hängen von der Temperatur, der Verfügbarkeit anderer Elemente und den Aktivitäten von Spezies wie der unseren ab. Gäbe es keine Pflanzen und Algen, würde uns bald der Sauerstoff ausgehen, und wir würden in CO2 ersticken. Bei der Fotosynthese (dem Prozess, bei dem Pflanzen mittels Sonnenlicht und Wasser Zucker produzieren) verwenden die Pflanzen unseren CO2-Abfall und erzeugen daraus ihre Energie, wobei sie ihrerseits als Abfall Sauer53
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stoff produzieren. Dieser raffinierte, sich selbst unterhaltende Kreislauf bildet die Basis allen Lebens auf der Erde. Die Menge Kohlenstoff, die auf und um unseren Planeten zirkuliert, ist gewaltig. Rund eine Billion Tonnen Kohlenstoff sind in Lebewesen gebunden, aber 18 die in der Erde vergrabenen Mengen sind weit, weit größer. Und auf jedes CO2-Molekül in der Atmosphäre kommen 50 in den Ozea19 nen. Wenn der Kohlenstoff die Atmosphäre verlässt, gelangt er an Orte, die man Kohlenstoff-Reservoire nennt. Sie und ich und alle Lebewesen sind Kohlenstoff-Reservoire, genauso wie Ozeane und ein Teil der Felsen unter unseren Füßen. Manche dieser Reservoire sind sehr groß, aber sie sind nicht unendlich, und ihre Größe bleibt im Verlauf der Zeit auch nicht stabil. Seit Äonen wurde viel CO2 in der Erdkruste eingelagert. Dazu kommt es, wenn abgestorbene Pflanzen begraben werden und in tiefere Schichten gelangen, wo sie zu fossilen Brennstoffen werden. Dieser vergrabene Kohlenstoff ist es, dem der Sauerstoff in unserer Atmosphäre seine Existenz verdankt. Wären Menschen irgendwie in der Lage, allen fossilen Kohlenstoff hervorzuholen und ihn mittels Verbrennung wieder an die Atmosphäre zurückzugeben, würden wir sämtlichen Sauerstoff in der Atmosphäre 20 verbrauchen. Über kürzere Zeiträume kann viel Kohlenstoff im Boden eingelagert werden, und zwar in dem schwarzen Humus, den die Gärtner so lieben. Schon die flegelhaften Rülpser der Vulkane (die viel CO2 enthalten) können das Klima für lange Zeiträume stören. Und auch Himmelsboten können Wirkung zeigen, denn Meteoriten und andere Dinge, wie sie von Zeit zu Zeit mit der Erde kollidieren, brachten die Ozeane, die Atmosphäre und die Erdkruste schon so durcheinander, dass sie den Kohlenstoffzyklus unterbrachen. In den letzten beiden Jahrzehnten haben Wissenschaftler überwacht, wohin das CO2 gelangt, das Menschen durch das Verheizen fossiler Brennstoffe produzieren. Man kann das machen, weil das Gas aus den fossilen Energieträgern eine einzigartige chemische Signatur hat, sodass man ihm auf der Spur bleiben kann, wenn es um den Planeten zirkuliert. In stark gerundeten Zahlen ausgedrückt, werden alljährlich zwei Gigatonnen von den Ozeanen und weitere 21 1,5 Gigatonnen von Landlebewesen absorbiert. Der Beitrag, den das Land dazu leistet, resultiert zum Teil aus einem historischen Zu54
Das gasförmige Treibhaus
fall – der Pionierzeit in Amerika –, der einigen Landpflanzen zu einem Heißhunger nach Kohlenstoff verholfen hat. Alte Wälder binden nicht viel CO2, denn sie befinden sich im Gleichgewicht; sie setzen CO2 frei, wenn alte Vegetation verrottet, und absorbieren es, wenn neue wächst. Aus diesem Grund sind die größten Wälder der Welt – die Nadelwälder Sibiriens und Kanadas – und die tropischen Regenwälder keine guten Kohlenstoff-Reservoire, junge, heftig wachsende Wälder hingegen schon. Während des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts rodeten und verbrannten die amerikanischen Pioniere die großen Wälder im Osten, und sie verbrannten und beweideten die Ebenen und Steppen im Westen. Veränderungen der Landnutzung ermöglichten dann, dass die Vegetation zurückkehrte und wuchs. Infolgedessen sind die meisten der amerikanischen Wälder jünger als 60 Jahre und wachsen mit voller Kraft nach, wobei sie alljährlich rund eine halbe Milliarde Tonnen CO2 der Atmosphäre entziehen, und neu angepflanzte Wälder in China und Europa absorbieren vielleicht dieselbe Menge. Ein paar entscheidende Jahrzehnte lang haben diese jungen Wälder geholfen, unseren Planeten kühl zu halten, indem sie überschüssiges CO2 aufnahmen. Doch während sich die Wälder und Gebüsche der Nordhalbkugel von den Schlägen der Pioniere erholen, nehmen sie immer weniger CO2 auf – und das genau zu der Zeit, da Menschen immer mehr davon in die Atmosphäre blasen. Die Hoffnung, dass uns langfristig die Wälder bei unserem Kampf gegen die globale Erwärmung helfen, wurde kürzlich durch eine Untersuchung zunichte gemacht, die das Kohlenstoff-Budget unseres 22 Planeten über zwei Jahrhunderte hinweg untersuchte. Sie zeigte, dass es wirklich nur ein großes Kohlenstoff-Reservoir auf unserem Planeten gibt, und das sind die Ozeane. Sie haben 48 Prozent allen von Menschen zwischen 1800 und 1994 emittierten Kohlenstoffs absorbiert, während im Verlauf derselben zwei Jahrhunderte das Leben an Land faktisch Kohlenstoff an die Atmosphäre abgegeben hat. Die Fähigkeit der Weltmeere, Kohlenstoff zu absorbieren, variiert jedoch. Ein einziges Ozeanbecken, der Nordatlantik – der nur 15 Prozent der Meeresoberfläche der Welt ausmacht –, enthält fast ein 23 Viertel allen Kohlenstoffs, den die Menschen seit 1800 emittierten. Noch merkwürdiger ist, dass das CO2 anscheinend nicht vom Nord55
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atlantikbecken selbst absorbiert, sondern dort nur abgelagert wurde, nachdem es an anderer Stelle aufgenommen worden war. Diese »andere Stelle« erwies sich als die Nordsee, jenes flache Meeresbecken zwischen Großbritannien und Nordeuropa, das dank einer ungewöhnlichen Schichtung seiner Gewässer CO2 in den Bereichen knapp unter der Oberfläche akkumulieren kann, von wo es in den Nordatlantik transportiert wird. Dieses kleine Meer ist eine so potente »Kohlenstoff-Niere«, dass es 20 Prozent allen je von Menschen 24 emittierten Kohlendioxids ausgesondert hat. Nachdem sie gerade die »Kohlenstoff-Niere« unseres Planeten entdeckt haben, sind die Wissenschaftler besorgt, dass Veränderungen der Meeresströmungen aufgrund des Klimawandels deren Effizienz mindern könnten. Das könnte auf vielerlei Weise geschehen. Und über eine davon kann man am besten nachdenken, während man eine Dose warme Cola konsumiert. Dem intensiven Zischen beim Öffnen der Dose folgt eine langweilige Fadheit – was darauf hinweist, dass die Flüssigkeit sehr schnell alles Kohlendioxid freigesetzt hat, das ihr die Spritzigkeit verliehen hatte. Kalte Getränke sprudeln länger, und was auf eine Dose Limonade zutrifft, gilt auch für Ozeane. Kaltes Meerwasser kann viel mehr Kohlenstoff binden als warmes, wenn der Ozean sich also erwärmt, wird er weniger von dem Gas absorbieren. Für die Fähigkeit des Meerwassers, CO2 zu absorbieren, ist auch die Menge der darin gelösten Carbonate entscheidend. In die Ozeane gelangen Carbonate mit Flüssen, die über Kalkstein und andere kalkhaltige Felsen geflossen sind, und sie reagieren mit dem von den Ozeanen absorbierten CO2. Momentan herrscht zwischen der Carbonatkonzentration und dem absorbierten CO2 ein Gleichgewicht. Wenn jedoch die CO2-Konzentration in den Ozeanen zunimmt, werden die Carbonate aufgebraucht. Infolgedessen werden die Ozeane saurer, und je saurer ein Ozean ist, desto weniger CO2 kann er absorbieren. Im Juli 2004 veröffentlichten zwei Wissenschaftler, Peter Raymond von der Yale University und Jonathan Cole vom Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, Ergebnisse, die scheinbar gute Nachrich25 ten von dieser Front bedeuteten. Sie fanden heraus, dass der Mississippi aufgrund zunehmender Landdegeneration und verstärkter 56
Das gasförmige Treibhaus
Regenfälle in seinem Einzugsgebiet immer mehr Carbonate ins Meer transportiert. »Diese Beobachtungen haben für das potenzielle Management der Kohlenstoffabgabe in den Vereinigten Staaten wichtige 26 Implikationen«, erklärten die Autoren. Es sah danach aus, als biete eine immer mehr degenerierende terrestrische Umwelt Rettung vor unserem Klimadilemma, doch eine wenige Monate später von Klaus Lackner veröffentlichte Antwort rückte die Dinge wieder ins rechte 27 Maß. Die zusätzlichen von dem kränkelnden Fluss herbeigeschafften Carbonate, lässt uns Lackner wissen, reichen aus, um Amerikas CO2-Emissionen für gerade 36 Stunden pro Jahr wettzumachen. Sollte dasselbe Phänomen auf sämtliche Flüsse der Welt zutreffen, würde auch das nur alljährlich zehn Tage lang die weltweiten Emissionen ausgleichen. Das Kohlendioxid in den Ozeanen wird auch von Lebewesen aufgenommen, die, wenn sie sterben und hinabsinken, den Kohlenstoff zum Meeresboden mitnehmen. Solange sie leben, kann ein versauernder Ozean auch einige von diesen Arten schädigen, denn sie sind dann nicht in der Lage, die Carbonatschalen aufzubauen, die sie unbedingt brauchen. All das bedeutet, dass die Ozeane bis zum Ende dieses Jahrhunderts geschätzte zehn Prozent weniger CO2 aufnehmen werden als heute. In der Tat haben Wissenschaftler bereits festgestellt, dass der Anteil des von Menschen produzierten CO2 in den 28 Ozeanen abnimmt. Während der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts speicherten die Ozeane rund 1,8 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr. In den neunziger Jahren fiel dieser Wert auf weniger als 29 1,6 Gigatonnen. Nachdem wir einige Funktionen der Atmosphäre, ihrer Treibhausgase und des Kohlenstoffzyklus kennen gelernt haben, können wir jetzt einschätzen, was das alles bedeutet, und dafür gibt es keine bessere Möglichkeit, als zu den Arbeiten jener einfallsreichen Wissenschaftler von anno dazumal zurückzukehren, die ohne die Segnungen von Computern, Satelliten oder Massenspektrometern einfach Beobachtungen und pure Vernunft kombinierten, um abzuleiten, dass die Welt wegen unseres Herumpfuschens an der Atmosphäre ein Problem hat.
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DIE WEISEN UND DIE ZWIEBELSCHALE Eine einfache Berechnung zeigt, dass die Temperatur in den arktischen Regionen um rund acht bis neun °C steigen würde, wenn die Kohlensäure [CO2] das zweieinhalb- bis dreifache des gegenwärtigen Wertes annähme ... Gegenwärtig erreicht die Kohleproduktion der Welt in gerundeten Zahlen 500 Millionen Tonnen per annum oder eine Tonne pro Quadratkilometer der Erdoberfläche. Arvid Gustav Högbom, »Ora sannolikheten för sekulära förändringar i atmosfärens kolsyrehalt«, 1894
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Welt stark verändert. Charles Darwin lag seit 18 Jahren im Grab, Gregor Mendels Pionierarbeiten über die genetische Vererbung sollten bald wiederentdeckt werden, und das Pferd ging dem Ende seiner Amtszeit als wichtigstes Transportmittel der Menschheit entgegen. Doch ein Relikt eines heroischen früheren Zeitalters war noch da. In seinem achten Lebensjahrzehnt schrieb Alfred Russel Wallace noch immer so energiegeladen und visionär wie eh und je. Ja, als er im Alter von 90 Jahren am Vorabend des Ersten Weltkriegs verschied, verkündete sein Nachruf, 30 er habe »den Stift erst beiseite gelegt, als er starb«. Von allem, was er an seinem Lebensabend hervorbrachte, glich nichts dem monumentalen Werk, das seinem 80. Jahr den Stempel aufdrückte. Des Menschen Stellung im Weltall ist ein glänzendes, aber recht eigenwilliges Buch, das zu zeigen versucht, dass die Menschheit der Höhepunkt, das Zentrum – buchstäblich der Grund für die Existenz – von allem ist. Seine Hauptstoßrichtung – neben einer Neigung zum Spiritualismus und einer entschlossenen Ablehnung der segensreichen Immunisierung – führte dazu, dass man Wallace als Ketzer in einer zunehmend orthodoxen Wissenschaftswelt ansah. Aber trotz aller 58
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Schrullen ist Des Menschen Stellung im Weltall voller Einsichten, die im umweltbewussten 21. Jahrhundert Widerhall finden. Was das Buch so scharfsichtig macht, ist die integrierte, holistische Denkweise des Autors. Es ist ein ähnlicher Ansatz wie der, den James Lovelock mit seiner Gaia-Theorie verfolgte; und wie Lovelock traf es auch schon Wallace wie ein Schlag, als ihm aufging, das selbst kleine Variationen bei den momentanen Ausgangsbedingungen die Erde unbewohnbar machen könnten. Diese Beobachtung wurde zum Refrain des Buches – dass die fauligen Effusionen der Industriellen Revolution die Menschheit bedrohen. Wenn der Achtzigjährige sich für sein Thema begeisterte, stieg auch sein Blutdruck an. »Lasst alles dem unterordnen«, tobt er, die Menschheit zum Kampf gegen die Umweltverschmutzer hinter sich scharend. »Wie in einem Eroberungs- oder 31 Angriffskrieg darf dem Sieg nichts im Wege stehen.« Wallace war nicht der Erste, der die Luftverschmutzung verdammte, und auch nicht der Erste, der die vielen darin schlummernden Gefahren vorhersah. Fumifugium, or the Inconvenience of Aer and Smoak of London Dissipated, Together with Some Remedies Humbly Proposed wurde 1661 von dem englischen Schriftsteller und 32 Gesundheitsvorreiter John Evelyn veröffentlicht. Schon zu dieser frühen Zeit vermerkte Evelyn, die Abgase der Kohlenfeuer seien so abscheulich, dass man sie meilenweit riechen könne. London, schrieb er, ähnele »den Vororten der Hölle«. Ein paar Jahrzehnte später veröffentlichte Timothy Nourse einen Essay über die Londoner Luft, in dem er schrieb, der Qualm fresse die Stadt bei lebendigem Leibe auf und die ältesten Bauwerke würden, »wenn ich so sagen darf, von diesem höllischen und unterirdischen Dampf geradewegs bis auf die Knochen entblättert und entblößt«. Gleichfalls besorgt äußerte sich John Graunt, ein Londoner Textilhändler, der im Jahr 1662 die erste methodische Analyse der Londoner Sterberegister zusammen33 stellte. Graunt konnte sich auf nichts anderes stützen als auf die Aufzeichnungen der »alten Matronen«, die die schwere Verantwortung zu tragen hatten, alle Leichname in der Stadt zu inspizieren und die Todesursache festzustellen. Viele ihrer Diagnosen sind aus heutiger Sicht unverständlich; vielleicht haben sie auch schon Graunt irritiert, denn unter den angegebenen Todesursachen finden sich »Schreck, Kummer, Krätze, Hämorrhoiden, Planet, Aufgehen der 59
Gaias Repertoire
Lichter« und »Mutter«. Die letzte Todesursache bezieht sich auf die im 17. Jahrhundert weit verbreitete Überzeugung, die Organe des Körpers seien den Bewohnern eines Dorfes ähnlich. Wenn welche unglücklich waren, konnten sie revoltieren und auf der Suche nach besseren Umständen abwandern. Die Gebärmutter hielt man für besonders leicht aus der Fassung zu bringen: Bekam sie zu viel Sex oder vielleicht auch zu wenig, neigte sie dazu, daran Anstoß zu nehmen und in Richtung Hals zu wandern, wo sie zu Kurzatmigkeit oder sogar zum Ersticken führen konnte. Eine beliebte Kur für eine Frau, die an »Mutter« litt, bestand darin, ihr einen übel riechenden Schwamm vor den nach Atem ringenden Mund zu halten und einen süß duftenden an ihre unteren Körperregionen, um die Gebärmutter wieder an ihren Platz zu locken. Heute würde man sowohl das »Aufgehen der Lichter« (als »Lichter« bezeichnete man die Lungen) und »Mutter« als Lungenkrankheiten beschreiben. Wie die Dinge lagen, genügten die Berichte der Matronen Graunt, um festzustellen, was der Öffentlichkeit seit Jahrhunderten klar war: In den Metropolen waren Lungenkrankheiten die häufigste Todesursache – weit mehr als auf dem Land –, und der Grund dafür war die entsetzliche, von Kohle herrührende Luftverschmutzung. Erschreckenderweise verbesserte man die Londoner Luftqualität bis nach dem Zweiten Weltkrieg kaum. Vielmehr hatten die Londoner bis zum Großen Smog von 1952, bei dem 12 000 Menschen star34 ben, einen perversen Stolz auf die Dreckluft ihrer Stadt ausgebildet. Wallace aber dachte anders. Wie die Abgase junge, noch wachsende Körper verkümmern ließen und krank machten, brachte ihn an den Rand des Schlaganfalls. Aber seine Besorgnis ging noch weit darüber hinaus, denn er begriff, was für unsichtbare Folgen all dieses Verbrennen von Kohle auf die Systeme haben musste, die die Erde bewohnbar machen. In den Jahrzehnten, die Wallaces erstem Atemzug unmittelbar vorausgingen, versuchte der brillante französische Mathematiker Jean Baptiste Fourier herauszufinden, was die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche bestimmt. Er fragte sich, warum sich der Planet unter der Strahlung der Sonne nicht einfach immer weiter erwärmt, bis er so heiß wie die Sonne selbst ist. Die Antwort lag in der Wärmestrahlung, die so viel Energie ins All zurücktransportiert, dass im 60
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kosmischen Sinn die »Konten der Erde« ausgeglichen sind, und das Resultat davon sind die Durchschnittstemperaturen unseres Planeten. Doch als er die Balance zwischen der ankommenden Sonnenenergie und der abgehenden Strahlung berechnete, bekam er ständig unsinnige Resultate. Seine Arbeit ergab, dass die Erde ein bei –15 °C durchgefrorener Eisblock sein müsste. Dann ging Fourier mit einem Geistesblitz auf, dass seine Berechnungen der Wärmeenergie korrekt waren, aber nicht alles davon wieder ins All entkam. Irgendetwas in der Atmosphäre, erkannte er, musste die Wärme festhalten. Er stellte sich vor, die Atmosphäre müsse wie das Glas eines Treibhauses funktionieren und das Sonnenlicht ungehindert durchlassen, dann aber die Wärme einfangen, die die Sonnenstrahlen erzeugen, wenn sie auf 35 den Boden fallen. Heute können wir Fouriers Beobachtung folgendermaßen erklären: Die Sonne ist eine sehr starke Energiequelle, und je stärker die Quelle, desto kürzer sind die Wellenlängen der von ihr erzeugten Energie. Der größte Teil der Sonnenenergie weist in der Tat sehr kurze Wellenlängen auf. Das sichtbare Licht reicht von 4000 Nanometern (0,000004 Meter oder gerade einmal vier Hundertstel eines Millimeters) bis 7000 Nanometer, und Energie dieser Wellenlänge passiert die Atmosphäre, ohne sie zu erwärmen. Das kann man, nebst einem weiteren wichtigen Prinzip, demonstrieren, indem man ein Skigebiet aufsucht. Dort bleibt die Luft an einem sonnigen Tag kalt, weil zum einen die Sonne die Atmosphäre nicht aufheizt (und in der kalten Luft gibt es nur wenig Wasserdampf, der Wärme speichern könnte) und weil zum anderen die Sonnenenergie vom Schnee in den Raum reflektiert wird. Fallen die Sonnenstrahlen auf etwas Dunkleres, beispielsweise Haut oder einen Skihandschuh, werden sie absorbiert, und es wird Wärme erzeugt. Während Ihr Skihandschuh im Gegensatz zur Umgebung angenehm warm wird, wird die Wärmeenergie, die viel längere Wellenlängen als Sonnenlicht hat, in Richtung Himmel abgestrahlt, wo sie von den Treibhausgasen in der Atmosphäre eingefangen wird. So kann das Licht ungehindert eine mit Treibhausgasen aufgeladene Atmosphäre durchdringen, aber die Hitze hat Probleme, wieder hinauszukommen. Fast 70 Jahre lang kümmerte man sich kaum um Fouriers Beobachtung. Dann beschloss Svante Arrhenius, ein schwedischer Chemi61
Gaias Repertoire
ker (der 1903 mit dem Nobelpreis geehrt wurde), die Sache eingehender zu untersuchen. Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, als er sich an diese Arbeit machte, litt der Schwede daran, dass seine Ehe zerbrochen war. Verzweifelt suchte er nach einer Ablenkung von der wohl wirklich unglücklichen Situation, und so verbrachte Arrhenius ein Jahr lang bis zu vierzehn Stunden täglich mit eintönigen, stumpfsinnigen Berechnungen. Dieser hatte er sich auf Bitten einiger Freunde angenommen, zu denen auch der Geologe Gustav Högbom gehörte, der von einer der großen Fragen jener Zeit besessen war: Was hatte die Eiszeiten verursacht? Dieses große Mysterium fesselte die Phantasie, seit Louis Agassiz bewiesen hatte, dass weite Teile Europas und Nordamerikas einst von Gletschereis bedeckt gewesen waren. Damals trotteten Mammuts, Riesenhirsche und Wollnashörner durch eine Landschaft, in der heute Weizen auf großen Feldern wächst. Es mussten wirklich gigantische Veränderungen gewesen sein, und wer immer den Siegerkranz davontrüge, indem er erklärte, wie das passiert war, dessen wissenschaftlicher Ruhm war auf ewig gesichert. Arrhenius konnte zeigen, dass eine Verminderung von CO2 in der Atmosphäre eine Eiszeit herbeigeführt haben konnte, aber wichtiger für unsere Zwecke ist, dass er spekulierte, wie das CO2-Niveau die Erde in Zukunft beeinflussen könne. Er glaubte, dass – ausgehend vom Kohleverbrauch des 19. Jahrhunderts – die Menge des atmosphärischen CO2 sich in 3000 Jahren verdoppeln könnte, sodass es in Schweden gemütlich warm werden würde. Das begrüßte er durchaus, er meinte nur, der Prozess verliefe ein bisschen zu langsam und man könne ihn beschleunigen, indem man mehr Kohle verbrenne. Obwohl seine Überlegungen für Skandinavier und andere, die unter harten Wintern litten, attraktiv waren, wurden sie bald vergessen. Doch insgeheim und ohne einen systematischen Plan befolgte die Industrie Arrhenius’ Wünsche und steigerte die Menge der verheizten Kohle. Ungeachtet dieser Fortschritte schienen sich Klimatologen nicht dafür zu interessieren, wie sich Treibhausgase auf das Klima auswirken. Dann wandte sich 1938 ein Dampfmaschineningenieur namens Guy Callendar mit dem Thema an die Royal Meteorological Society in London. Callendar beschäftigte sich in seiner Freizeit mit Klima62
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entwicklungen, und seine gründlich zusammengetragenen statistischen Daten zeigten, so glaubte er (richtigerweise, wie sich herausstellte), dass die Welt sich erwärmte. Darüber hinaus verkündete er, er kenne die Ursache – das Verbrennen von Kohle und anderer fossi36 ler Energieträger in Industriemaschinen. Unglücklicherweise wurde Callendars hellsichtige Untersuchung von den Akademikern als das Gestümper eines Amateurs abgelehnt, und bald darauf kehrte sich der Erwärmungstrend um, was der Forschung in dieser Richtung vorläufig ein Ende setzte. Rund ein Vierteljahrhundert bevor sich Callendar an die Royal Meteorological Society wandte, führte eine Wendung des persönlichen Schicksals zu der großen Entdeckung eines weiteren Klimapioniers. Milutin Milankovic hatte den größten Teil seines Berufslebens als Bauingenieur im österreichisch-ungarischen Reich verbracht. Im heutigen Serbien geboren, gab er 1909 die Bautätigkeit auf und nahm einen akademischen Posten in Belgrad an. Bald jedoch kamen die turbulenten Ereignisse der Balkankriege und dann des Ersten Weltkriegs dazwischen, und Milankovic wurde in Budapest interniert, wo er in der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften arbeiten durfte. Er hatte bereits über das große Rätsel seiner Zeit nachzudenken begonnen – die Ursache der Eiszeiten –, und seine Haft bot ihm Gelegenheit, das Thema mit einer Hartnäckigkeit zu verfolgen, die ein bürgerliches Leben nicht zugelassen hätte. Bei Kriegsende hatte er eine Monographie über einige Aspekte des Problems fertig gestellt und damit eine Basis in der Hand, auf der er in den folgenden Jahrzehnten weiterarbeitete. Als 1941 die Welt in einen weiteren globalen Krieg verwickelt war, war Milutin Milankovic schließlich so weit, sein großes Werk zu den Unterschieden bei der Sonneneinstrahlung und der Entstehung von Eiszeiten veröffentlichen zu können. Milankovic identifizierte drei wichtige Zyklen, die Einfluss auf die Variabilität des irdischen Klimas haben. Der längste dieser Zyklen hat mit der Umlaufbahn des Planeten um die Sonne zu tun. Das überrascht vielleicht, aber der Orbit der Erde ist kein perfekter Kreis, sondern eine Ellipse, deren Gestalt sich in einem einhunderttausendjährigen Zyklus verändert; man spricht auch von der Exzentrizität der Erde. Wenn die Umlaufbahn der Erde stark elliptisch ist, bringt sie den Planeten sowohl näher an die Sonne heran als auch weiter weg 63
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von ihr, was bedeutet, dass sich die Intensität der Sonneneinstrahlung auf der Erde im Jahreslauf erheblich ändert. Gegenwärtig ist der Orbit nicht sehr elliptisch, und die die Erde erreichende Strahlung differiert zwischen Januar und Juli nur um sechs Prozent. Wenn die Umlaufbahn der Erde am exzentrischsten ist, beträgt die Differenz jedoch 20 bis 30 Prozent. Dies ist der einzige Zyklus, der die Gesamtmenge der die Erde erreichenden Sonnenenergie verändert, also ist sein Einfluss von erheblicher Bedeutung. Der zweite Zyklus braucht 42 000 Jahre für einen Durchlauf und hat mit der Neigung der Erdachse zu tun. Diese variiert zwischen 21,8° und 24,4°, und davon hängt ab, wo die meiste Strahlung einfällt. Im Moment liegt die Neigung der Erdachse im mittleren Bereich. Der dritte und kürzeste Zyklus, der nur 22 000 Jahre dauert, ist dadurch bedingt, dass die Erdachse »eiert«. Im Verlauf dieses Zyklus zeigt die Erdachse mal zum Polarstern, mal zur Wega. Dies beeinflusst die Intensität der Jahreszeiten. Wenn die Wega im nördlichen Himmelspol steht, können die Winter bitterkalt und die Sommer sengend heiß sein. Nur wenn die Kontinentalverschiebung große Teile der irdischen Landoberfläche nahe an die Pole bringt, können die Milankovic-Zyklen Eiszeiten verursachen. Dann kann sich bei passendem Zyklenverlauf mit milden Sommern und harten Wintern Schnee auf den polaren Landflächen anhäufen, bis er sich schließlich zu riesigen Schilden aufgehäuft hat. Selbst in ihren Extremen bedingen die Milankovic-Zyklen nur Variationen in der Gesamtmenge des die Erde erreichenden Sonnenlichts, die unter einem Zehntel Prozent liegen. Doch selbst dieser scheinbar minimale Unterschied kann die Temperatur der Erde um satte 5 °C steigen oder fallen lassen. Wie eine so kleine Ursache zu so großen Veränderungen führen kann, bleibt ein großes Rätsel, aber es ist sicher, dass die Treibhausgase dabei eine Rolle spielen. In der Tat kann man mit Computermodellen keinen Ausbruch einer Eiszeit simulieren, solange nicht das atmosphärische CO2 auf der Südhalbku37 gel reduziert wird. Milankovic löste mit seiner Arbeit das Rätsel der Eiszeiten, aber weil er sie auf Serbisch veröffentlichte, dauerte es Jahrzehnte, ehe die Welt von seiner brillanten Leistung erfuhr. Als sein Werk 1969 ins 64
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Englische übersetzt wurde, hatten Ozeanographen in Sedimenten vom Tiefseeboden erste empirische Beweise für genau die Auswirkungen gefunden, die Milankovic vorhergesagt hatte. Heute gilt sein Meisterwerk als einer der größten Durchbrüche in der Klimaforschung. Mit ihren Erkenntnissen über Treibhausgase und die MilankovicZyklen gewappnet, begannen die Klimatologen zu begreifen, warum das Klima der Erde im Lauf der Zeit variiert; aber es gibt noch weitere Faktoren zu berücksichtigen. Einer davon ist die Intensität der von der Sonne abgestrahlten Energie. Rund zwei Drittel der Sonnenstrahlung, die unseren Planeten erreicht, werden absorbiert und hier genutzt, das restliche Drittel wird ins All reflektiert. Die eingefangene Strahlung ist es, die unser Wetter und unser Klima antreibt und den größten Teil des Lebens auf der Erde erst ermöglicht. Beweise, dass die Sonne kein ewig gleicher Feuerball ist, sind schon seit langer Zeit bekannt. Vor über 2000 Jahren berichteten griechische und chinesische Astronomen von dunklen Flecken auf der Sonne, deren Form und Lage sich änderten. Im April 1612 machte Galileo Galilei mit einem der ersten Fernrohre detaillierte Beobachtungen dieser Sonnenflecken und zeigte, dass es sich dabei nicht um Satelliten handelt, die vor der Sonne vorbeiziehen, sondern dass sie auf dem Stern selbst ihren Ursprung haben. Zufällig fiel Galileis Tod im Jahr 1642 mit einer Periode außergewöhnlich niedriger Sonnenfleckenaktivität zusammen, die mehrere Jahrhunderte lang dauerte und die sowohl zu niedrigen Temperaturen in Europa als auch zu einem Mangel an Interesse für dieses Phänomen geführt haben mag. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Erforschung der Sonnenflecken wieder ernsthaft aufgenommen, und man fand heraus, dass ihre Aktivität sowohl in einem elfjährigen Zyklus variiert als auch noch in einem längeren, Jahrhunderte dauernden Zyklus. Sonnenflecken sind etwas kühler als die restliche Oberfläche des Sterns, wenn es aber viele davon gibt, scheint sich die Erde paradoxerweise zu erwärmen. Eine geringe Anzahl von Flecken, glaubt man, war für rund 40 Prozent des Temperaturrückgangs während des so genannten Maunder38 Minimums von 1645 bis 1715 verantwortlich. In diesem Zeitraum fielen die Temperaturen in Europa in den Keller, sodass die Themse 65
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und die holländische Zuidersee regelmäßig zufroren. Welche Rolle die Sonnenflecken bei diesen Veränderungen spielten, wird jedoch noch immer von manchen hinterfragt, denn trotz des zeitlichen Zusammenfallens ist bis heute kein überprüfbarer physikalischer Mechanismus gefunden worden, nach dem die Sonnenflecken die Tem39 peratur unseres Planeten beeinflussen könnten. In jüngster Zeit haben Wissenschaftler eingeräumt, dass Variationen der Sonnenstrahlung und der Treibhausgas-Konzentrationen das Klima der Erde auf grundsätzlich unterschiedliche Weise beeinflussen. Der Grund dafür ist, dass die Sonnenstrahlung die oberen Schichten der Stratosphäre erwärmt, weil die ultravioletten Anteile 40 dort vom Ozon absorbiert werden. Im Gegensatz dazu erwärmen Treibhausgase die Troposphäre, und zwar am stärksten in den tiefen Schichten, wo ihre Konzentration am höchsten ist. Im Moment durchlebt die Erde sowohl eine stratosphärische Abkühlung (aufgrund des Ozonlochs) als auch eine troposphärische Erwärmung (aufgrund gestiegener Treibhausgas-Mengen). Diese Erkenntnis hat zu einer Neubewertung einiger Klimaveränderungen geführt, von denen die so genannte mittelalterliche Warmzeit die bekannteste ist. Seit H. H. Lamb erstmals von jenem wärmeren England Chaucers schrieb, das seine eigenen Reben anbauen und seinen eigenen Wein machen konnte, wurde die Vorstellung, dass die mittelalterliche Erde um 1 bis 2 °C wärmer war als heute, kaum an41 gezweifelt. Ja, sie ist sogar zu einem Lieblingsthema der Klimawandel-Skeptiker geworden, denn mit dem Argument, dass die mittelalterliche Erwärmung nichts mit dem Verbrennen fossiler Energieträger zu tun haben konnte, stellen sie auch den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und gestiegenen Temperaturen infrage. Lassen wir die etwas schüttere Logik beiseite – diese offensichtliche Diskrepanz konnte erklärt werden, als man herausfand, dass eine stratosphärische Abkühlung die Zirkulation in der Troposphäre beeinflusst, sodass sich Teile der Erde nach einem komplexen Flickenteppich-Muster erwärmen beziehungsweise abkühlen. Eine Übersicht der globalen Temperaturentwicklung (anhand von Eisbohrkernen, Baumringen und Sedimenten in Süßwasserseen) zeigt, dass die Erde damals insgesamt sogar etwas kühler war (um 0,03 °C) als zu Anfang und in der Mitte des 20. Jahrhunderts, was beweist, dass die 66
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Vorstellung einer globalen mittelalterlichen Wärmeperiode Quatsch 42 ist. Treibhausgase, Variationen der Erdumlaufbahn und Sonnenflecken kann man sich alle als »Kräfte« vorstellen, die die Temperatur unseres Planeten verändern. Als Wissenschaftler begannen, über den Einfluss dieser Kräfte nachzudenken und sich die geologischen Befunde anzusehen, um herauszufinden, wie sie in der Vergangenheit gewirkt hatten, entdeckten sie, dass die fossilen Daten durch abrupte Wechsel von einem stabilen, langfristigen Klimazustand in einen anderen charakterisiert sind. Es war, als hätte unser Planet sprunghaft auf die Faktoren reagiert, die das Klima beeinflussen, und diese Serie hektischer Veränderungen trieb ganze Habitate von einem Ende eines Kontinents zum anderen, verursachte mancherlei Artensterben, beließ die Bedingungen aber innerhalb der Grenzen, die Leben weiterhin zulassen.
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ZEITPASSAGEN Die paläoklimatischen Daten schreien uns entgegen, dass sich das Klimasystem der Erde alles andere als von selbst stabilisiert, sondern ein streitlustiges Biest ist, das schon bei kleinen Schubsern überreagiert. Wallace Broecker, Cooling the Tropics, 1995
Geologiestudenten quält man damit, dass sie die geologischen Formationen – oder »Systeme« – der Erdgeschichte auswendig lernen müssen; dafür haben sie sich seit langem Eselsbrücken gebaut. So wie etwa: »Kann Otto still drei Kästen Pils trinken? Ja, kein Trinker quasselt.« Dabei steht das K von »Kann« für Kambrium, das O von »Otto« für Ordovizium, das S von »still« für Silur und so weiter bis hinauf in unsere Zeit, ins Quartär. Haben sie sich die umfangreiche Liste eingetrichtert, verfügen sie aber bloß über die Grundlagen, denn jedes System untergliedert sich wieder in Abteilungen oder Epochen und Stufen und Substufen. Darüber hinaus werden je nach örtlichen Besonderheiten so genannte lokale Einheiten differenziert, die nur in bestimmten Gebieten zu unterscheiden sind. In Nordamerika beispielsweise werden die Systeme des Käno- oder Neozoikums in lokale Einheiten untergliedert, die man »nordamerikanische Landsäuger-Zeiten« nennt. Das sind zwar die feinsten Unterteilungen der Zeitskala, aber viele dauerten mehrere Millionen Jahre. Hätte sich das Leben in gleichmäßigem Tempo entwickelt und keine Rückschläge oder Phasen außergewöhnlicher Chancenvielfalt erlebt, wäre es nicht so einfach, die geologischen Schichten zu unterscheiden. Doch diese Abschnitte der geologischen Zeitskala lassen sich auseinander halten, weil es zu dem kam, was Geologen »faunale Umschichtung« nennen – kurzen Phasen, in denen Spezies plötzlich 68
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neu auftauchten oder verschwanden. Wir können uns diese Episoden als Zeitpassagen vorstellen, als Momente, in denen ein Zeitalter – und oft ein Klima – dem nächsten Platz machte. Es gibt nur drei Typen von Veränderung, die stark genug sind, um eine Zeitpassage einzuleiten: erstens die Verschiebung von Kontinenten, zweitens kosmische Kollisionen und drittens das Klima verändernde Kräfte wie beispielsweise Treibhausgase. Alle funktionieren auf unterschiedliche Weise, aber sie treiben die Evolution mit denselben Mechanismen voran – Tod und neue Chancen. Zeitpassagen gibt es in drei »Größen« – kleine, mittlere und große. Die Kleinsten sind jene, die kurze und lokal begrenzte Zeitabschnitte eröffnen, für die die »nordamerikanischen Landsäuger-Zeiten« ein gutes Beispiel sind. Häufig ist die treibende Kraft hinter solchen Zeitpassagen die Migration; zu einer solchen kommt es beispielsweise, wenn Kontinente in Kontakt miteinander geraten, etwa weil sie aneinander stoßen oder weil sich Landbrücken eröffnen, wenn der Meeresspiegel steigt oder fällt oder die Erde sich erwärmt oder abkühlt, was Tieren und Pflanzen die Migration ermöglicht. In solchen Fällen sind die Zeitpassagen von einem plötzlichen Auftauchen neuer Spezies und oft dem Aussterben lokaler Konkurrenten geprägt. Die mittelgroßen Zeitpassagen – die die geologischen Systeme oder Formationen trennen – zeigen sich im globalen Maßstab und resultieren üblicherweise aus Faktoren wie etwa Treibhausgasen, die sich weltweit auswirken. In solchen Fällen findet man in den Gesteinsschichten fast immer eine traurige Geschichte des Aussterbens, dem die allmähliche Evolution neuer Lebensformen folgt, welche sich den veränderten Verhältnissen anpassen. Die größten Zeitpassagen jedoch sind die, die die Erdzeitalter unterteilen. Es sind Phasen massiven Umsturzes, in denen bis zu 95 Prozent aller Spezies verschwinden. Unser Planet hat ein solches Massensterben bislang erst fünf Mal erlebt, und die Gründe dafür waren unterschiedlich. Das letzte Mal traf ein solches Ereignis die Erde vor 65 Millionen Jahren, als alle Lebewesen, die mehr als 35 Kilogramm wogen, und eine ungeheure Zahl kleinerer Arten vernichtet wurden. Damals verschwanden die Dinosaurier, und als Grund dafür nimmt man allgemein an, dass ein Asteroid mit der Erde kollidierte. Aber jener Asteroid verwüstete nur einen Teil des Planeten, hauptsächlich 70
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Nordamerika und Nordostasien. Erst dass dabei viel Material in die Atmosphäre gelangte und sich infolgedessen das Klima änderte, führte zum großen globalen Artensterben. Wir können uns also eine Vorstellung davon machen, wie ein durch Verschmutzung der Atmosphäre verursachter sprunghafter Klimawandel zu einem solchen Massensterben führt; und wie sich herausgestellt hat, spielte CO2 bei dem damaligen Ereignis eine wichtige Rolle. Herausgefunden haben das Paläobotaniker, die die Spaltöffnungen (die dem Gasaustausch dienen) von 65 Millionen Jahre alten fossilen Blättern untersuchten. Diejenigen, die kurz nach dem großen Artensterben gediehen, weisen viel weniger Spaltöffnungen auf als jene, die davor wuchsen. Der Grund ist, dass danach viel mehr Kohlendioxid zur Verfügung stand und die Pflanzen weniger Spaltöffnungen brauchten, um genug zu bekommen. Denn Spaltöffnungen haben auch Nachteile: Durch diese Löcher verliert die Pflanze Wasserdampf. Eine genaue Auszählung der Spaltöffnungen lässt darauf schließen, dass das atmosphärische CO2 um Tausende von Teilen pro Million anstieg, wahrscheinlich weil der Asteroid mit sehr kalkhaltigem Gestein zusammenstieß, wobei ungeheure Mengen von CO2 43 freigesetzt wurden. Diese schlagartige Einbringung des Treibhausgases musste zu einem abrupten Temperaturanstieg führen, und Arten, die mit der zusätzlichen Hitze nicht fertig wurden (viele Reptilien), kamen um. Es wäre gut zu wissen, ob irgendwelche früheren klimatischen Veränderungen der Erde Ähnlichkeiten mit denen aufweisen, die wir gegenwärtig erleben, aber je tiefer wir die geologischen Schichten ausloten, desto mehr führt uns das alte Mütterchen Zeit in die Irre, weil es unglücklicherweise die Details gelöscht hat. Paläontologen, die sich für vergangene Klimaveränderungen als Schlüssel für unsere Zukunft interessieren, arbeiten meistens an 65 Millionen Jahre alten oder jüngeren Gesteinen, und der größte Jackpot erwartet sie in den Tiefen der Ozeane. In jüngster Zeit haben zwei Projekte – das Deep Sea Drilling Project und das Ocean Drilling Program – aus dem Schlick und Sand, der sich am Meeresgrund anhäuft, eine Fülle von Informationen zutage gefördert. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass unzählige Miniaturaufzeichnungen von Temperatur, Salzgehalt und anderen Umweltverhältnissen in dem vertikalen Kilome71
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ter – oder mehr – Gestein voller Fossilien vergraben sind, das ihre Bohrer durchschnitten. Wenn man weiß, wie man die Aufzeichnungen lesen muss, kann man die in ihnen kodierte Klimageschichte unseres Planeten wie die Rolle eines Pianolas ablaufen lassen. Und wie bei Pianolas entstehen die fesselndsten Rhythmen und Melodien, wenn die richtigen Maschinen mit den Informationen aus den Bohrkernen gefüttert werden. Die wichtigsten Aufzeichnungen haben die Form von Sauerstoffund Kohlenstoffisotopen. Isotope sind Atome desselben Elements, die sich in ihrer Neutronenzahl unterscheiden. Vom Sauerstoff gibt es 16 18 zwei stabile Isotope, O und O. Fast 99,8 Prozent allen Sauerstoffs 16 18 auf der Erde sind O. Das viel seltenere O hat zwei zusätzliche Neutronen, dadurch ist es schwerer und verdampft nicht so leicht. Wenn 16 sich die Ozeane erwärmen, verdampft viel O, und im Meerwasser 18 verbleibt relativ viel O. Da Meeresorganismen ihre Schalen aus CO2 aufbauen, untersuchen die Wissenschaftler bestimmte Schalenfossi16 18 lien auf das Verhältnis von O zu O und ermitteln auf diese Weise die Temperatur in der Vergangenheit. Schwieriger wird die Interpretation, wenn man es mit Eiszeiten zu tun hat, denn dann speichern 16 Gletscher das verdampfte O im Eis an den Polen, was zu einem besonders verzerrten Verhältnis führt. Das bedeutet, dass die Geochemiker wissen müssen, ob ihre Proben aus einer Eiszeit stammen oder nicht, wenn sie die damalige Temperatur akkurat angeben wollen. 12 13 Zwei Kohlenstoffisotopen – C und C – spüren sie auch nach, und diese lassen auf die Zirkulation im Ozean schließen. Pflanzen 12 verarbeiten lieber das leichtere Isotop C, wenn sie Sonnenlicht und CO2 in Nahrung umwandeln, und bei Planktonblüten werden daher 12 große Mengen C in die Ozeane eingebracht. Wenn diese Ozeane stratifiziert sind (wie heute), sodass oben wärmere Wasserschichten liegen und weiter unten in der Tiefe eiskalte, kann das Wasser nicht zirkulieren; wenn dann das Plankton stirbt und absinkt, nimmt es 12 13 das C mit sich, sodass die Oberflächenschichten relativ C-reich sind. Doch wo kaltes Ozeanwasser aus der Tiefe nach oben wallt, 12 nimmt es das C mit sich. Wenn also der einstige Ozean weniger 12 stratifiziert war als der von heute, gab es viel C in den Skeletten der dicht unter der Oberfläche lebenden Spezies. Zu anderen Indikatoren früherer Klimate zählen das Vorhandensein tropischer Arten, Wachs72
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tumsringe von Korallen und so weiter; nimmt man solche Indikatoren und die Isotopenuntersuchungen zusammen, lassen sich daraus ganz hervorragend detaillierte Daten rekonstruieren. Im Jahr 2001 machten sich James Zachos von der University of California in Santa Cruz und seine Kollegen an eine großartige und ehr44 geizige Synthese. Mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Techniken analysierten sie ozeanische Bohrkernproben auf der ganzen Welt und versuchten, die Geschichte unseres Klimas im Lauf der letzten 65 Millionen Jahre nachzuerzählen. Die Arbeit wurde zu einem späten Triumph für Milankovic, denn die meisten Klimatrends, die Zachos und seine Kollegen feststellten, waren von seinen Zyklen geprägt, auch wenn das Öffnen und Schließen von Meereswegen und die Auffaltung von Gebirgen ebenfalls erhebliche Einflüsse ausübten. Diese kosmologischen und geologischen Faktoren konnten jedoch drei Veränderungen nicht erklären, die die Autoren »klimatische Aberrationen« nannten. Zu diesen Abweichungen kam es vor 55, 34 und 23 Millionen Jahren, und sie markieren wichtige geologische Abgrenzungen: zwischen Paläozen und Eozän, Eozän und Oligozän sowie Oligozän und Miozän. Da es sich bei den letzten beiden Einschnitten um Zeiten abrupter Abkühlung handelte, in denen die Gletscher für 400 000 beziehungsweise für 200 000 Jahre vorrückten, und da niedrige und abnehmende Mengen von Treibhausgasen für sie typisch waren, sind sie für unsere heutige Situation weniger relevant und werden hier nicht weiter diskutiert. Die älteste klimatische Aberration, die vor 55 Millionen Jahren, hat mit unserer gegenwärtigen Lage mehr zu tun, denn damals heizte sich die Erde abrupt um 5 bis 10 °C auf. Bis zum November 2003 wussten wir im Detail nur wenig über dieses Ereignis, denn die dafür entscheidenden paar Meter Sedimente schienen in der Schichtenfolge zu fehlen. Dann förderte das Ocean Drilling Program drei Bohrkerne vom Shatsky-Rücken (32° N, 158° O) zutage, einem Gebirge, das über zwei Kilometer tief im Nordpazifik liegt. 200 Meter unter dem Meeresboden traf der Bohrer auf eine 25 Zentimeter dicke Schlick45 schicht, deren Analyse Erstaunliches ergab. Als Erstes stellten die Forscher fest, dass die Schicht auf einem Abschnitt des Meeresbodens lag, der von Säure weggefressen worden 73
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war – ein überzeugender Beweis, dass die Ozeane übersäuert waren. Das ist ein Trend, den wir auch heute beobachten und zu dem es kommt, wenn CO2 in großen Mengen vom Meerwasser absorbiert wird. Es überrascht nicht, dass das Leben in den Tiefen des Ozeans davon gründlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Foraminiferen sind winzige Meereskreaturen, die in der ozeanischen Nahrungskette eine wichtige Rolle spielen. Da ihre Schalen gut fossilisieren und leicht zu identifizieren sind, liefern sie oft die besten Anhaltspunkte, wie klimatische Veränderungen ein Ökosystem beeinflussten. Vergleiche zwischen Foraminiferen aus den Schichten über und unter den von Säure zerfressenen Ablagerungen zeigen, dass es in den Ozeantiefen zu einem massiven Artensterben kam. Es scheint plausibel, dass das gesamte Ökosystem der Tiefsee, von den winzigen Spezies am unteren Ende der Nahrungskette bis zu den bizarren Tiefseefischen, Haien und Kalmaren an der Spitze, einen schweren Schock erhielt. Auch die Oberflächenschichten des Ozeans waren betroffen, wie das Aufkommen neuer Typen von Foraminiferen bezeugt, die die Küsten und das offene Meer bevölkerten. An Land gibt es in dieser Periode Anzeichen für abrupte Veränderungen der Regenfälle und für die Ausbildung eines Niederschlagsmusters, das dem ähnelt, was wir heute im Amazonasbecken sehen, wo der von Pflanzen ausgeschwitzte Wasserdampf die Hauptquelle 46 für Regen ist. Wirklich typisch für diese Zeit und die Veränderungen bei den Landlebewesen ist aber eine Reihe von Migrationen, im Rahmen derer die Fauna und Flora Asiens nach Nordamerika und Europa vordrangen, sich etablierten und dann viele der dort seit langem angestammten Kreaturen aussterben ließen. Vor 55 Millionen Jahren waren Nordamerika, Asien und Europa durch Landbrücken verbunden (oder fast verbunden), die auf Höhe des nördlichen Polarkreises lagen, und die plötzliche Erwärmung öffnete diese Migrationsrouten für kurze Zeit vielen Wärme liebenden Spezies. Mit das Bemerkenswerteste an den Veränderungen ist, dass sie so schnell erfolgten: Das Einsetzen der Erwärmung scheint sich lediglich in Jahrzehnten oder Jahrhunderten vollzogen zu haben. Was war der Grund? Im Jahr 2004 fand man heraus, dass Schwindel erregende 1500 bis 3000 Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre eingebracht worden sein mussten. Aus geologischer Sicht ereignete 74
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sich die Freisetzung »augenblicklich«, das heißt, sie kam so schnell, dass sich ihre Dauer nicht aus den Sedimenten ablesen lässt. Vielleicht hat sie nur Jahrzehnte oder Jahre gedauert, und in dieser Zeit stieg die Atmosphärenkonzentration von CO2 von rund 500 Teilen pro Million (doppelt so viel wie in den letzten 10 000 Jahren) auf rund 2000 Teile pro Million. Norwegische Wissenschaftler haben jüngst eine Struktur identifi47 ziert, die einen Hinweis liefert, wo das Gas hergekommen ist. Ihnen fiel auf, dass in den 55 Millionen Jahre alten Sedimenten aus dem nördlichen und zentralen Atlantik überhaupt keine Carbonate zu finden sind, was darauf hinweist, dass der Ozean hier viel mehr versauert war als anderenorts; und das lässt darauf schließen, dass das Gas in der Nähe seinen Ursprung hatte. Als sie seismische Daten vom Meeresgrund vor Norwegen untersuchten, entdeckten sie mehrere kraterähnliche Strukturen von bis zu 100 Kilometern Durchmesser, die aus der Tiefe der Erde bis zu den Sedimentschichten hochragen, welche vor 55 Millionen Jahren gebildet wurden. An der Basis dieser Strukturen lagen schmale Bänder vulkanischen Gesteins, die durch die Erdkruste nach oben gedrückt worden waren. Setzt man diese Puzzlestücke zusammen, wurde der Klimawandel vor 55 Millionen Jahren nach Ansicht der Norweger von einem gigantischen, mit Naturgas betriebenen Äquivalent eines Grillfestes angeheizt. Der Brennstoff für das Ereignis lagerte in einer der gigantischsten Ansammlungen von Kohlenwasserstoffen – meist in Form von Methan –, die wir kennen. Zum größten Teil bestand der Vorrat aus fossilen Brennstoffen, die in Sedimenten eingelagert waren, ein Teil davon mag aber auch in Form von Clathraten vorgelegen haben, einer eisigen, methanreichen Substanz, die auf dem Meeresboden noch immer reichlich vorhanden ist. Brennstoff ist jedoch ohne Zündung nutzlos, und diese langen Magmabänder lieferten den Funken. Wir können uns vorstellen, wie die Erdkruste knirschte, als sich die heißen Zungen geschmolzenen Gesteins ihren Weg in Richtung des Brennstoffes bahnten. Höchstwahrscheinlich brannte er nicht, sondern erhitzte sich, expandierte und stieg dann schnell zur Oberfläche empor. Als er den Meeresboden erreichte, muss es zu einer massiven Tiefseeexplosion gekommen sein, deren Ausmaß die Welt noch nicht 48 gesehen hatte. Der größte Teil des Methans gelangte jedoch nicht in 75
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die Atmosphäre. Stattdessen reagierte das Gas mit dem Sauerstoff im Meerwasser (wurde »kalt verbrannt«), sodass nur das CO2 an die Oberfläche gelangte. Da es in den Tiefen des Ozeans nun an Sauerstoff mangelte, hatte das Leben dort einen schweren Stand. Als dann das CO2 auch noch das Tiefenwasser versauern ließ, war eine ganze Kavalkade von Kreaturen, von denen wir die meisten niemals kennen werden, zum Aussterben verdammt. In der Tat häufen sich die Beweise dafür, dass viele der Tiefseelebewesen, die es noch heute gibt, 49 sich erst nach dieser Zeit entwickelten. Aber diese Forschungsbefunde sind so neu, dass die Details alles andere als geklärt sind. Es kann sein, dass beim Aufreißen des Meeresbodens vor Norwegen nur ein Teil des Gases freigesetzt wurde, das unseren Planeten schmoren ließ, und dass aufgrund einer positiven Rückkopplung an anderen Stellen immer mehr Gas aus Clathraten freigesetzt wurde, als die Ozeane sich aufheizten, was zur thermalen Katastrophe führte. Wie auch immer, die Erde brauchte 20 000 Jahre, bis sie all den zusätzlichen Kohlenstoff wieder absorbieren konnte, der offensichtlich von einer Blüte des Oberflächenplanktons aufgenommen wurde. Weil das Massensterben vor 55 Millionen Jahren von einem rapiden Anstieg von Treibhausgasen verursacht wurde, bietet es die beste Parallele zu unserer gegenwärtigen Situation. Es gibt aber bedeutende Unterschiede, was heißt, dass die Ereignisse, die wir und unsere Kinder erleben werden, keine schlichte Wiederholung jener längst vergangenen Zeit sein werden. Am wichtigsten ist der Umstand, dass sich die Erde jetzt seit Millionen Jahren in einer »Kühlhaus«-Phase befindet, während sie vor 55 Millionen Jahren schon bereits sehr warm war und das CO2-Niveau rund doppelt so hoch lag wie heute. Damals gab es keine Eiskappen und vermutlich weniger an Kälte angepasste Spezies – sicherlich keine, die Narwalen oder Eisbären vergleichbar wären. Auch kannte diese wärmere Welt wahrscheinlich nicht die wunderbaren, stratifizierten Schichten des Lebens, die wir heute auf den Bergen und in den Tiefen des Meeres finden. Folglich droht unsere moderne Erde im Fall einer rapiden Erwärmung viel mehr zu verlieren als die vor 55 Millionen Jahren. Damals schloss die Erwärmung eine geologische Epoche ab, während wir mit unseren Aktivitäten eine gesamte Ära beenden könnten. 76
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IM KÜHLHAUS GEBOREN Als ein Eismantel langsam über weite Bereiche der Nordhalbkugel kroch, muss der Großteil des Tierlebens nach Süden vertrieben worden sein, was einen Überlebenskampf auslöste, der zum Aussterben vieler Formen und zum Weiterziehen anderer in neue Gegenden führte. Aber diese Auswirkungen müssen erheblich vervielfacht und intensiviert worden sein, wenn in der glazialen Epoche, wofür gute Gründe sprechen, zweimal oder öfter warme und kalte Perioden alternierten. Alfred Russel Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903
Wir Menschen sind, wie unser wissenschaftlicher Name Homo sapiens unterstellt, die »denkenden Wesen«, und wir haben die grandiose Bühne der Weltgeschichte erst sehr spät betreten. Die Epoche, in der unsere Art das Licht der Welt erblickte, nennt man das Pleistozän, was wörtlich »jüngste Zeit« bedeutet. Die Eiszeiten, während derer wir uns entwickelten, ereigneten sich in den letzten 2,4 Millionen Jahren, und weil das noch nicht so lange her ist, sind die meisten Belege, die wir dafür haben, noch ziemlich frisch. Die ersten unserer Art – moderne Menschen in sowohl körperlicher als auch geistiger Hinsicht – trieben sich vor rund 150 000 Jahren in Afrika herum, und dort haben Archäologen Knochen, Werkzeuge und die Überreste einstiger Mahlzeiten gefunden. Diese ersten Menschen entwickelten sich aus Vorfahren mit kleinen Gehirnen, die wir Homo erectus nennen und die fast zwei Millionen Jahre lang auf Erden wandelten. Dass einige von »ihnen« zu »uns« wurden, lag vielleicht an den Chancen, die die nahrungsreichen Ufer der Seen im afrikanischen Graben oder der Überfluss des Agulhasstroms entlang der Südostküste des Kontinents boten. An solchen Orten könnten neuartige 77
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Nahrungsmittel und Herausforderungen den spezialisierten Werkzeuggebrauch gefördert und eine hohe Intelligenz zum Auslesekriterium gemacht haben. Wie auch immer, die Umwelt dieser entfernten Vorfahren unterschied sich sehr von unserer heutigen, denn auf ihrer Erde herrschte ein Kühlhausklima, in dem das Schicksal aller Lebewesen von den Milankovic-Zyklen abhing. Wann immer sie sich verschworen, die gefrorene Welt der Polarregionen auszuweiten, bliesen kalte Winde über den ganzen Planeten, und die Temperaturen sackten ab, Seen schrumpften oder füllten sich, Meeresströmungen mit reichem Nahrungsangebot schwollen an oder versiegten, und Pflanzen wie Tiere gingen über Kontinente hinweg auf Wanderschaft. Das genetische Erbe, das in dieser Welt aus Eis festgelegt wurde, haben wir noch immer. Eine große Reduktion unserer genetischen Vielfalt beispielsweise berichtet von einer Zeit vor rund 100 000 Jahren, als Menschen so selten waren wie heute Gorillas. Damals hätten wir leicht von der Erde verschwinden können, denn 2000 fruchtbare Erwachsene waren alles, was zwischen uns und dem ewigen Vergessen und Aussterben stand. Doch bald danach änderten sich die großen himmlischen Zyklen auf eine Weise, die unserer Spezies zugute kam, und vor 60 000 Jahren waren kleine Menschenhorden über den Sinai hinaus nach Europa und Asien vorgedrungen. Vor 46 000 Jahren hatten sie den Inselkontinent Australien erreicht und vor 13 000 Jahren, als das Eis ein letztes Mal schwand, entdeckten sie Amerika. Jetzt gab es schon Millionen von uns auf dem Planeten, und von Tasmanien bis Alaska gediehen die Horden. Doch viele Jahrtausende lang blieben diese intelligenten Menschen, die in jeglicher körperlichen wie geistigen Hinsicht wie wir waren, nichts weiter als Jäger und Sammler. Angesichts unserer gigantischen Leistungen im Lauf der letzten 10 000 Jahre ist diese lange Periode des Stillstands ein Rätsel. Um es zu lösen, müssen wir das Klima untersuchen, das unsere Spezies prägte. Wenden wir uns also der Eiszeit zu – und der Arbeit derjenigen, die ihr Leben der Aufgabe widmeten, jener Epoche ihre Geheimnisse zu entreißen. Wie wir gesehen haben, sind die Sedimente der Erde voller klimatischer »Aufzeichnungen«, und je näher wir unserer eigenen Zeit kommen, desto mehr Informationen liefern sie. Im besten Fall enthalten sie eine Auflistung der jährlichen Veränderungen, die Informatio78
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nen über Windrichtung und -geschwindigkeit einschließen, über die Chemie der Atmosphäre, das Ausmaß und den Typus des irdischen Vegetationsmantels, die Ausprägung der Jahreszeiten und die Zusammensetzung und Temperatur der Ozeane – kurz gesagt, über den Zustand, in dem die Erde beispielsweise vor 5120 Jahren war. Eine der besten Informationsquellen über das Klima ist – in sehr simpler Form – jedem zugänglich. Schauen Sie sich einen Holzquerschnitt an, und Sie können, festgehalten in den feinen Strukturen und Wachstumsringen, die Geschichte jener Zeit ablesen, in der der Baum lebte. Breite Ringe berichten von Wärme und satten Wachstumszeiten, als die Sonne schien und der Regen zur richtigen Zeit fiel. Schmale Ringe, die ein geringes Wachstum des Baums anzeigen, erzählen von Widrigkeiten, als lange, harte Winter oder trockene, brennend heiße Sommer das Leben Grenzbelastungstests aussetzten. Das älteste Lebewesen auf unserem Planeten ist eine Grannenkiefer, die in über 3000 Meter Höhe in den White Mountains in Kalifornien wächst. Sie ist über 4600 Jahre alt und steht neben vielen weiteren superbetagten Exemplaren im Methuselah Grove. Ihr genauer Standort ist ein gut gehütetes Geheimnis, denn sie reagiert sehr empfindlich auf Störungen und ist bereits seit 2000 Jahren allmählich am Absterben. Im Stamm dieses einzigartigen Baums steckt eine detaillierte, Jahr um Jahr vervollständigte Aufzeichnung der Klimaverhältnisse in Kalifornien. Wenn man den Kern des Methuselah-Baums mit den äußeren Schichten eines abgestorbenen Baumstumpfs aus der Nähe in Übereinstimmung bringen kann, dann kann man vielleicht 10 000 Jahre in der Zeit zurückblicken. Baumring-Daten über solche Zeitspannen liegen uns mittlerweile von beiden Halbkugeln vor, und es gibt sogar Hoffnung, dass die großen Kaurifichten Neuseelands, deren Stämme in Sümpfen unbeschädigt Jahrtausende überdauern, Daten liefern werden, die 60 000 Jahre Klimaveränderungen abdecken werden. So bequem und weit in die Zeit zurückreichend die Klimadaten der Bäume auch sein mögen, ihre Aussagekraft ist relativ beschränkt. Wenn man wirklich detaillierte Daten haben will, muss man sich dem Eis zuwenden – das aber gibt nur an besonderen Orten all seine Geheimnisse preis. Einer davon ist die Quelccaya-Eiskappe im Hochgebirge Perus. Dort ist Eis in Bändern abgelagert, die jeweils ein Jahr repräsentieren, weil die Schneefälle eines jeden Jahres durch ein schma79
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les Band dunklen Staubs voneinander getrennt werden, der im trockenen Winter aus den Wüsten zu Füßen der Berge heraufgeweht wird. Den Sommer über können drei Meter Schnee auf der Quelccaya-Eiskappe fallen, die dann von den Schneefällen des Folgejahres komprimiert werden und erst zu Firn, dann zu Eis werden. Dabei werden Luftblasen eingeschlossen, die als Miniarchive fungieren, in denen der Zustand der Atmosphäre dokumentiert ist. Australische Wissenschaftler waren die ersten, die Techniken entwickelten, mit denen man Informationen über die Anteile von Methan, Stickstoff und CO2 aus diesen Blasen gewinnen kann, die jeweils ihre eigene Geschichte über die biosphärischen Bedingungen in der Vergangenheit erzählen. Selbst der Staub ist informativ, denn er lässt auf die Stärke und die Richtung der Winde schließen und auf die Verhältnisse unterhalb der Eiskappe. Und Sauerstoffisotope im Eis bieten Einblicke, was die Ozeane und die weit entfernten polaren Eiskappen angeht. Die Eisschilde Grönlands und der Antarktis liefern die längsten Bohrkerne der Erde, aber da das Eis »fließt«, ist in älterem, stärker komprimiertem Eis in der Regel die Abfolge der Jahresschichten gestört. Unter günstigen Umständen aber kann man daraus wirklich spektakuläre Daten gewinnen. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machten sich europäische und amerikanische Forscherteams auf, um Eisbohrkerne aus dem Inlandeis Grönlands zu holen. Sie konnten sich nicht auf einen Plan einigen, also schickten sie zwei Bohrer in die Tiefe, die weit genug voneinander entfernt waren, um sicherzustellen, dass jede in den Bohrkernen registrierte Veränderung allgemein gültig und keine lokale Anomalie war. Das europäische Team, das im Norden bohrte, hatte großes Glück, denn sein Kern hatte sich über Granitfelsen verfestigt, deren Radioaktivität einiges an Wärme abgab. Dies brachte die untersten Eisschichten zum Schmelzen, was die Verzerrung der darüber liegenden verhinderte und somit einen detaillierten Querschnitt durch das Klima der letzten 123 000 Jahre konservierte. Anhand dieser einzigartigen Daten konnte das Team zeigen, dass es innerhalb von nur fünf der jährlichen Eisschichten zu spektakulären Wechseln im nordatlantischen Klima gekommen war und Grönland sich vor 115 000 Jahren einer bis dahin unbekannten Warmphase erfreut hatte, zu der es in der 50 Antarktis keine Entsprechung gab. 80
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Als im Juni 2004 ein über drei Kilometer langer Eisbohrkern aus einer Region der Antarktis gezogen wurde, die Dome C genannt wird (rund 500 Kilometer von der russischen Wostok-Station entfernt), erhielt man noch spektakulärere Ergebnisse. Die Gewinnung eines so langen Eisbohrkerns muss als einer der größten Triumphe der Wissenschaft gelten, denn durch Eis zu bohren ist komplizierter, als man glauben mag. Die Bohrstelle war bitterkalt: –50 °C zu Beginn der Bohrsaison und –25 °C in der Mitte des antarktischen Sommers. Der Bohrer selbst hat nur zehn Zentimeter Durchmesser, und während er sich in die Tiefe mahlt, wird eine schlanke Eissäule herausgeschält und zur Oberfläche hochgezogen. Der erste Kilometer war besonders schwierig, denn dort war das Eis voller Luftblasen, und die tendierten dazu zu zerplatzen und das Eis in nutzlose Scherben zu zersplittern, wenn der Kern hochgezogen wurde. Noch schlimmer war, wenn Eissplitter den Bohrkopf verstopften, sodass er blockierte. Im Sommer 1998/99 hing der Bohrkopf in über einem Kilometer Tiefe so fest, dass das Loch aufgegeben werden musste und das Team keine andere Möglichkeit hatte, als ganz von vorn anzufangen. Als sie danach dann tatsächlich drei Kilometer tief bis zum Grund bohrten, stoppten sie den Bohrer nach jeweils ein bis zwei Metern und holten den kostbaren Kern an die Oberfläche. Als das Team über den Punkt hinaus bohrte, der zuvor erreicht 51 worden war, war die Begeisterung mit Händen zu greifen. »Man weiß, dass man das Zeugs kriegt, das noch nie zuvor jemand gesehen hat«, sagte ein Teammitglied, und jeder vollbrachte Kilometer wurde mit eigens erwärmtem Champagner gefeiert. Dann, als man fast schon den Felsgrund erreicht hatte, tauchte ein weiteres Problem auf. Die Wärme aus dem Felsen darunter schmolz das Eis, sodass der Bohrkopf ein weiteres Mal zu blockieren drohte. Die letzten 100 Meter wurden Ende 2004 gebohrt, man behalf sich mit einem Plastikbeutel voll Äthanol (das sanft den Weg nach unten freischmolz). Der Bohrkern von Dome C reicht 740 000 Jahre in der Zeit zurück, und da die letzten paar hundert Meter noch datiert werden müssen, besteht die Hoffnung, dass sogar noch ältere Daten gewonnen wer52 den können. Das ist ein enormer Fortschritt, denn er erlaubt uns, einen Blick darauf zu werfen, wie die Dinge vor rund 430 000 Jahren standen – als die Milankovic-Zyklen die Erde das letzte Mal in eine 81
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Position brachten, die ähnlich der ist, die sie heute einnimmt. Damals, enthüllt das Eis, dauerte die Warmzeit (das Interglazial) außerordentlich lange, was vermuten lässt, dass unser Planet vielleicht wei53 tere 13 000 Jahre mildes Klima haben wird. Warmphasen (auch kürzere als die gegenwärtige) waren jedoch während des Eiszeitalters die Ausnahme. Typischer sind Kälteperioden, einschließlich der so genannten glazialen Maxima, wenn das Eis die Erde am festesten im Griff hat. Das letzte Mal geschah dies vor 35 000 bis vor 20 000 Jahren. Damals lag der Meeresspiegel über 100 Meter tiefer als heute, was die Umrisse der Kontinente veränderte; und die heute am dichtesten besiedelten Landschaften Nordamerikas und Europas lagen unter kilometerdickem Eis. Selbst Regionen südlich des Eises, beispielsweise Zentralfrankreich, waren baumlose, subarktische Wüsten, und ihre jährliche Vegetationsperiode von nur 60 Tagen bestand aus einem Wechsel von eisigen Nordwinden und ein paar ruhigen Tagen, an denen ein den Atem raubender Dunst aus Gletscherstaub die Luft erfüllte. Man sagt oft, die Prioritäten einer Agenda würden davon bestimmt, wie groß ein Ding ist und wie schnell es sich bewegt, und gegen Ende der Eiszeit waren die Veränderungen wirklich groß, und sie vollzogen sich schnell. Es überrascht daher nicht, dass sich Klimatologen vor allem für die Zeit vor 20 000 bis 10 000 Jahren interessieren – als das glaziale Maximum abnahm –, denn in jenen zehn Jahrtausenden erwärmte sich die Gesamtoberfläche der Erde um 5 °C – der steilste Anstieg in der jüngeren Erdgeschichte. Es lohnt sich, das Tempo und das Ausmaß der Veränderungen während jener Periode mit dem zu vergleichen, was für dieses Jahrhundert vorhergesagt wird, wenn wir unsere Emissionen von Treibhausgasen nicht reduzieren. Wenn wir so weitermachen wie gewohnt, scheint ein Anstieg um 3 °C (plus/minus 2 °C) im Verlauf des 54 21. Jahrhunderts unausweichlich. Diese Veränderung hat zwar geringere Ausmaße als die am Ende des letzten glazialen Maximums, aber die schnellste damals festzustellende Erwärmung betrug nur 55 1 °C pro tausend Jahren. Der heutige Wechsel vollzieht sich dreißigmal schneller – und weil Lebewesen Zeit zur Anpassung brauchen, ist das Tempo beim Klimawandel ebenso wichtig wie das Ausmaß. Obwohl sich die Wissenschaftler intensiv mit dieser Phase beschäf82
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tigten, sind die Details, wie sich die Welt vom glazialen Maximum zum warmen Interglazial veränderte, nur langsam ans Tageslicht gekommen. Im Jahr 2000 ergab die Analyse eines Bohrkerns aus dem Bonaparte Gulf im tropischen Nordwesten Australiens, dass vor 19 000 Jahren binnen bloß 100 bis 500 Jahren der Meeresspiegel abrupt um 10 bis 15 Meter stieg, was darauf hinweist, dass das Tauwet56 ter weit früher einsetzte, als man bislang gedacht hatte. Wegen der Schwierigkeiten, die Sedimente zu datieren, wurde dieser Befund zunächst misstrauisch beäugt, aber 2004 ergab eine zweite Untersuchung in der Irischen See einen vergleichbaren, aber besser datierten 57 Anstieg. Die Tatsache, dass sich die Welt in der Folge nicht weiter erwärmte, war irritierend, aber nachdem man die unmittelbare Ursache für den Meeresspiegelanstieg identifiziert hatte, war der Grund dafür klar. Das Wasser, so stellte sich heraus, stammte aus dem Zusammenbruch eines Eisschilds auf der Nordhalbkugel, wodurch sich ein Viertel bis zwei Sverdrup Süßwasser in den Nordatlantik ergossen. Meeresströmungen werden in Sverdrup gemessen, benannt nach dem norwegischen Ozeanographen Harald Ulrik Sverdrup. Ein Sverdrup stellt eine sehr große Menge fließenden Wassers dar – eine Million Kubikmeter pro Sekunde –, und dieser Zustrom hatte, indem er den Golfstrom unterbrach, weitreichende Folgen. Der Golfstrom transportiert riesige Mengen Wärme aus der Nähe des Äquators nach Norden – fast ein Drittel dessen, was die Sonne Westeuropa liefert –, und als Transportmittel dafür dient eine Strömung warmen Salzwassers. Wenn es seine Wärme abgegeben hat, sinkt das Wasser nach unten, weil es wegen des höheren Salzgehalts schwerer ist als das Wasser in der Umgebung, und dieses Absinken zieht mehr warmes, salziges Wasser nach Norden. Wird der salzige Golfstrom mit Süßwasser verdünnt, sinkt er beim Abkühlen nicht mehr ab, und kein weiteres warmes Wasser wird in seinem Gefolge mehr nach Norden transportiert. Der Golfstrom war in der Vergangenheit mehrfach unterbrochen. Ohne die Wärme, die er mitführt, beginnen die schmelzenden Gletscher wieder anzuschwellen, und da ihre weiße Oberfläche die Sonnenenergie ins All zurückstrahlt, kühlt sich das Land ab. Tiere und Pflanzen migrieren oder sterben, und gemäßigte Regionen wie beispielsweise Zentralfrankreich versinken in sibirischer Kälte. Die 83
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Wärme jedoch verschwindet nicht. Das meiste davon sammelt sich um den Äquator herum und auf der Südhalbkugel, wo es zu einem Abschmelzen der südlichen Gletscher kommen kann, sodass die Sonnenstrahlen auf eine dunkle Meeresoberfläche fallen statt auf Eis und absorbiert werden. Dies heizt die Welt sozusagen von unten her auf, und wenn der Golfstrom sich dank der zunehmenden Eismassen des Nordens wieder etabliert hat, tritt die Welt in einen weiteren Zyklus der Erwärmung ein. Etwas in der Größenordnung von zwei Sverdrup Süßwasser ist erforderlich, um den Golfstrom merklich abzubremsen, und die geologischen Daten bestätigen, dass dies vor 20 000 bis 8000 Jahren wiederholt passiert ist. Der Übergang von der Eiszeit zur Wärmephase von heute war also kein sanfter Anstieg, sondern vielmehr eine wilde Achterbahnfahrt, deren Spitzen und Tiefpunkte sich scharf wie Sägezähne darstellen. Die bekannteste und am besten untersuchte Zacke ist die jüngere Dryaszeit, benannt nach einer alpinen Pflanze (Silberwurz), deren Samen aufgrund einer gut dokumentierten Abkühlung an unerwarteten Orten auftauchten. Die plötzliche Kälteperiode begann vor 12 700 Jahren, nachdem die Erwärmung den Zusammenbruch eines massiven Eisdamms bewirkt hatte, der einen Schmelzwassersee aufgestaut hatte, und so zu einer Umleitung der Süßwasserströme quer durch Nordamerika führte – vom Mississippibecken zum St.-LorenzStrom. Die bittere Kälte hielt 1000 Jahre an, und ein Großteil Europas wurde von Eiszeitbedingungen heimgesucht, sodass viele Teile des Kontinents unbewohnbar waren. Zu einer weiteren Abkühlung kam es vor 8200 Jahren, und diese führte dazu, dass die Temperaturen auf Grönland 200 Jahre lang um 5 °C niedriger lagen. Wie im Fall der jüngeren Dryaszeit scheint auch dafür der Bruch eines Eisdamms verantwortlich gewesen zu sein, wobei diesmal die Wassermassen in 58 die Hudson Bay eingeleitet wurden. Das verrückte Sägezahnmuster, das vom alternierenden Schmelzen auf der Nord- und der Südhalbkugel verursacht wurde, beförderte die Erde ruckelnd, aber unerbittlich in Richtung ihres heutigen Zustands. Und dann wich dieser klimatische Irrsinn der gelassensten Ruhe. Es war, sagt der Archäologe Brian Fagan (Professor emeritus der University of California in Santa Barbara), als hätte ein langer 84
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Sommer eingesetzt, dessen Wärme und Stabilität die Welt seit einer 59 halben Million Jahren nicht mehr erlebt hatte. Infolgedessen begannen überall auf der Welt Menschen, die bislang in Hütten Schutz gesucht und von der Hand in den Mund gelebt hatten, unabhängig voneinander Getreide anzubauen, Tiere zu domestizieren und in planvoll errichteten Städten zu leben. Es drängt sich die Vermutung auf, dass das feindselige Eiszeitklima und der wüste Übergang zum Interglazial bis dahin dieses großartige Erblühen von 60 Kreativität und Komplexität verhindert hatten. In der Tat haben Wissenschaftler der University of California in Davis kürzlich dargelegt, dass extreme Kälte, niedrige CO2-Werte und große Klimaschwankungen es bis vor gut 10 000 Jahren unmöglich gemacht ha61 ben, Getreide anzubauen. Dann änderte sich das alles, und erst heute konnten wir die Gründe für unser gegenwärtiges gutes Los ausloten. Wenden wir uns also jenem zehn Jahrtausende langen Sommer zu – und den revolutionär neuen Erkenntnissen, die gegenwärtig über seine Ursprünge gewonnen werden.
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DER LANGE SOMMER Wo die Bien’, saug ich mich ein, Bette mich in Maiglöcklein, Lausche da, wenn Eulen schrein, Fliege mit der Schwalben Reihn Lustig hinterm Sommer drein. Lustiglich, lustiglich leb ich nun gleich Unter den Blüten, die hängen am Zweig. William Shakespeare, Der Sturm
Der lange, nun schon 8000 Jahre währende Sommer ist zweifelsohne das entscheidende Ereignis der Menschheitsgeschichte. Obwohl die Landwirtschaft schon früher begann, vor rund 15 000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond, züchteten wir erst in diesem Zeitraum unsere wichtigsten Nutzpflanzen, zähmten unsere Haustiere, bauten die ersten Städte, die ersten Bewässerungsgräben, schrieben die ersten Wörter nieder und prägten die ersten Münzen. Und all das geschah nicht nur ein Mal, sondern viele Male in verschiedenen Teilen der Welt. Noch ehe der lange Sommer 5000 Jahre alt war, waren in Westund Ostasien, in Afrika und Zentralamerika Städte entstanden, und sie waren einander erstaunlich ähnlich. Ob sie nun von Ägyptern, Maya oder Chinesen erbaut worden waren, Tempel, Häuser und Befestigungsanlagen sind alle als solche zu identifizieren. Als hätte der menschliche Geist schon die ganze Zeit einen Städtebauplan geborgen und nur darauf gewartet, bis die Umstände seine Umsetzung zuließen. Diese menschlichen Siedlungen wurden von einer Elite beherrscht, die sich auf fähige Handwerker stützte. In einigen Gesellschaften wurde Schrift entwickelt, und schon in den frühesten Aufzeichnungen – Tontafeln aus dem alten Mesopotamien – begegnet uns das Leben, wie es in einer großen Metropole gelebt wird.
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Der lange Sommer
Bis vor kurzem glaubte man, dieser lange Sommer sei die Folge eines kosmischen Glücksfalls gewesen: Die Milankovic-Zyklen und Sonne und Erde standen »genau richtig« zueinander, um eine Phase der Wärme und Stabilität von zuvor unbekannter Dauer herbeizuführen. Wie außergewöhnlich dieser Glücksfall war, wird klar, wenn wir die vier vorangegangenen Warmzeiten damit vergleichen. In all diesen Fällen finden wir keine Stabilität, sondern ein langes, unstetes Abkühlen, bis ein Punkt erreicht ist, an dem die Erde in ein weiteres Kälteloch fällt. Bill Ruddiman, Umweltwissenschaftler an der University of Virginia, stellte in den natürlichen Zyklen nichts fest, was für die Stabilität unseres langen Sommers verantwortlich gemacht werden könnte, und so begann er nach einem singulären Faktor zu suchen – etwas, das nur auf diesen letzten Zyklus einwirkte, nicht aber auf die früheren. Dieser singuläre Faktor, so sein Befund, waren wir selbst, und damit revolutionierte er eine weitere Entwicklung der jüngsten Zeit – nämlich die Ausweisung des Industriezeitalters als eigene geologische Epoche. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen (der für seine Forschungen über das Ozonloch geehrt wurde) und seine Kollegen haben den bedeutenden geologischen Vorgang als Erste erkannt und benannt. Sie tauften ihn Anthropozän – was »Zeitalter der Menschheit« bedeutet – und legten seinen Beginn auf 1800 n. Chr. fest, als das Methan und das CO2, das die gigantischen Maschinen der Industriellen Revolution 62 zusammenbrauten, das Klima der Erde zu beeinflussen begannen. Ruddiman erweiterte diese Argumentation um einen einfallsreichen Dreh, denn er spürte etwas auf, das er für menschliche Einflüsse auf das Erdklima hält, die schon lange vor 1800 einsetzten. Ruddiman entdeckte eine Anomalie, als er die Anteile zweier wichtiger Treibhausgase – Methan und CO2 – in den Luftblasen im Eis Grönlands und der Antarktis auflistete. Das Eis enthüllte, dass bis vor rund 8000 Jahren der Methananteil in der Atmosphäre größtenteils von Milankovic’ 22 000 Jahre dauerndem Insolationszyklus gesteuert wurde. Das macht Sinn, denn Methan wird in großen Mengen von Sümpfen produziert, sodass in warmen, feuchten Zeiten (in denen es viele Sümpfe gibt) mehr Methan produziert wird als in trockenen, kalten Phasen. 87
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Beim Beginn des letzten Insulationszyklus vor 8000 Jahren verlor der Milankovic-Mechanismus die Kontrolle über die Methan-Emissionen. Hätte der Insulationszyklus sie weiter gesteuert, hätte vor rund 8000 Jahren ein allmählicher Rückgang des Methans einsetzen müssen, der dann vor 5000 Jahren in einen rapiden hätte übergehen müssen. Stattdessen begann der Methananteil nach einer flachen Delle vor 5000 Jahren wieder langsam, aber nachhaltig zu steigen. Das, so Ruddiman, sei der Beweis dafür, dass die Menschen der Natur die Kontrolle über die Methan-Emissionen entrissen hätten, und folglich müssten wir den Beginn des Anthropozäns auf vor 8000 Jahren und nicht auf vor 200 Jahren datieren. Die Anfänge der Landwirtschaft – besonders der Reisanbau auf überfluteten Terrassen in Ostasien – ließen den Trend wieder umkippen, denn solche Anbauverfahren können unglaubliche Mengen des Gases produzieren. Fairerweise muss man anmerken, dass zur damaligen Zeit auch Bauern mit anderen Getreidearten, die ebenfalls viel Feuchtigkeit brauchen, ihren Beitrag leisteten. Der Taro-Anbau (für den man Bewässerungssysteme erbauen und instand halten muss) war beispielsweise vor 8000 Jahren schon auf Neuguinea hoch entwickelt. Selbst Jäger und Sammler könnten eine Rolle gespielt haben. Ein Beispiel dafür ist der Bau von Wehren, die riesige Bereiche Südostaustraliens jahreszeitlich in Sümpfe verwandelten. Diese Bauwerke waren vielleicht die größten, die je von nicht sesshaften Menschen erschaffen wurden; sie regulierten damit Sümpfe für die Zucht von Aalen. Bei großen Stammestreffen wurden die Aale in Massen gefangen, getrocknet und geräuchert und über weite Entfernungen 63 gehandelt. Ruddiman fand in den Eisblasen auch Beweise, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre schon viel früher von Menschen beeinflusst wurde als zunächst angenommen. Wie sich der CO2-Gehalt im Verlauf der glazialen Zyklen verändert, ist gut bekannt. Im Grunde steigt das CO2-Niveau rapide, wenn das Vergletscherungsstadium endet, dann folgt ein allmählicher Rückgang, wenn sich die nächste Kälteperiode nähert. Im Verlauf der letzten 8000 Jahre stieg der Anteil des atmosphärischen CO2 von rund 160 Teilen pro Million auf das vorindustrielle Maximum von 280 Teilen pro Million. Würden noch natürliche Zyklen das irdische Kohlenstoff-Budget verwalten, 88
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behauptet Ruddiman, hätte das CO2 um 1800 rund 240 Teile pro Million betragen müssen. Auf den ersten Blick erscheint seine Argumentation dürftig. Schließlich hätten die frühen Menschen doppelt so viel Kohlenstoff emittieren müssen wie unser Industriezeitalter zwischen 1850 und 1990 – eine Menge, wie sie nur eine Bevölkerung von vorher nie erreichter Größe mit Maschinen schaffen konnte, die Kohle verbrennen. Der Schlüssel, erklärt Ruddiman, liegt in der Zeit. 8000 Jahre sind zumindest nach menschlichen Maßstäben eine lange Spanne, und während die Menschen überall auf dem Globus Wälder absägten und verbrannten, fungierten ihre Aktivitäten wie jemand, der Federn in eine Waagschale häuft: Irgendwann sind genügend Federn beisammen, dass sich die Waagschale senkt. Und so, postuliert Ruddiman, sei das Anthropozän entstanden. Die klimatische Stabilität, die die Menschheit im Verlauf der letzten 8000 Jahre geschaffen hat, ist laut Ruddiman so labil, dass sie noch immer für große Zyklen à la Milankovic empfänglich wäre; und der Archäologe Brian Fagan meint, diese Zyklen könnten so verstärkt werden, dass sie sich wahrhaftig durchschlagend auf die menschliche Gesellschaft auswirken. Man denke nur an die leichte Verlagerung der Erdumlaufbahn zwischen 10 000 und 4000 v. Chr., die der Nordhalbkugel zwischen sieben und acht Prozent mehr Sonnenschein brachte. Dies bedeutete für Mesopotamien 25 bis 30 Prozent mehr Regen, veränderte das Verhältnis zwischen Niederschlägen und Verdunstung erheblich und vermehrte die den Pflanzen zur Verfügung stehende Feuchtigkeit insgesamt auf das Siebenfache. Was einst eine Wüste war, verwandelte sich in eine saftig grüne Ebene, die eine dicht gedrängte Bauernpopulation ernähren konnte. Nach 3000 v. Chr. jedoch kehrte die Erde auf ihre vorherige Umlaufbahn zurück – die Regenfälle ließen nach, und viele Bauern waren gezwungen, ihre Felder aufzugeben und auf der Suche nach Nahrung weiter64 zuziehen. Brian Fagan interessiert sich besonders für den Zusammenhang zwischen Klima und den frühen Zivilisationen. Er glaubt, dass die vom Hunger vertriebenen Abwanderer Zuflucht an strategisch günstigen Orten wie zum Beispiel Uruk (im heutigen Südirak) fanden, wo Bewässerungskanäle von den großen Flüssen abzweigten. Da sie als Erste Zugriff auf das Wasser hatten, litten Orte wie Uruk weniger un89
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ter den schwankenden Niederschlagsmengen, und eine zentrale Autorität verschaffte hier den hungernden Migranten Arbeit bei Bauprojekten wie beispielsweise der Instandhaltung der Bewässerungskanäle. Der Rückgang der Regenfälle, meint Fagan, zwang die Bauern von Uruk auch zu Innovationen, und so nutzten sie erstmals Pflüge und Zugtiere und bestellten die Felder in einem Rotationsverfahren, das die Ernte verdoppelte. Da die Getreideproduktion um strategisch günstig gelegene Städte herum konzentriert war, spezialisierten sich die Siedlungen des Umlands auf die Produktion von Handelsgütern wie Keramik, Metallgegenstände oder Fische, die auf Märkten wie denen von Uruk gegen das immer knapper werdende Getreide getauscht wurden. All diese Veränderungen führten zur Ausbildung einer immer stärker zentralisierten Macht, die wiederum die ersten Bürokraten der Welt hervorbrachte, deren Aufgabe es war, das lebenswichtige Getreide zu verwalten und zu verteilen. Unter dem Strich führten diese Veränderungen zu einem Umbau des menschlichen Zusammenlebens, und um 3100 v. Chr. hatte sich in den Städten Südmesopotamiens die erste Hochkultur der Welt ausgebildet. Die Stadt an sich, würde Fagan sagen, ist eine entscheidende menschliche Anpassung an trockeneres Klima. Kehren wir nun zu Bill Ruddimans Analyse zurück, denn sie hält noch ein paar Überraschungen parat. Er sieht einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zeiten mit wenig atmosphärischem CO2 und Epidemien, die vom Bakterium Yersinia pestis verursacht wurden – dem »Schwarzen Tod« des Mittelalters. Diese Pestepidemien waren von globalem Ausmaß und töteten so viele Menschen, dass auf aufgegebenem Ackerland wieder Wälder wuchsen. Dabei absorbierten die Bäume CO2 und senkten die Atmosphärenkonzentration um fünf bis zehn Teile pro Million. Weltweit sanken die Temperaturen daraufhin, und in Gegenden wie Europa kam es zu relativ kalten Phasen. Ruddimans These bedeutet, dass den Altvorderen ein chemisches Zauberkunststück gelungen ist, als sie so viel Treibhausgase produzierten, dass die Erde »gerade richtig« ausbalanciert blieb, um eine weitere Eiszeit zu verzögern, der Planet sich aber nicht zu sehr aufheizte – als wären wir in jenem Stadium unserer Entwicklung Teil von Gaias Gleichgewicht gewesen, nicht die Störfaktoren. Ruddiman zufolge war es jedoch eine verdammt knappe Angelegenheit. 90
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Würde eine neue Eiszeit einsetzen, könnten wir die ersten Anzeichen wahrscheinlich in der Gegend von Baffin Island in der ostkanadischen Arktis entdecken. Ringe aus toten Flechten um die Eiskappen der Insel erzählen von Eiszeiten, zu denen es nicht kam: Was diese Vegetation absterben ließ, waren Schneeansammlungen, die sich, wenn es noch vor einem Jahrhundert einen winzigen Bruchteil kühler gewesen wäre, in Eis verwandelt und das Abgleiten in eine eisige Welt eingeläutet hätten. Wäre dieser Schnee nicht wieder geschmolzen, hüllte sich das Innere des nordöstlichen Kanadas heute zu einem großen Teil in einen Eismantel, der Jahr um Jahr weiter nach Süden wüchse. Der neue Eisbohrkern aus Dome C stellt Ruddimans Theorie infrage, weil er zeigt, dass unsere gegenwärtige Zwischeneiszeit sich zwar von den letzten vier (die Ruddiman untersucht hat) unterscheidet, in gewisser Hinsicht aber der fünften vor unserer eigenen ähnelt, zu der es vor rund 430 000 Jahren kam. Damals waren die Einflüsse von Milankovic-Zyklen und die CO2-Niveaus mit den heutigen vergleichbar, und die Wärmeperiode war außergewöhnlich lang – 26 000 Jahre im Gegensatz zu den 12 000 Jahren der anderen. Nur im Lauf der Zeit wird sich zeigen, ob Ruddiman Recht hat, wenn er den Anfang des Anthropozäns auf vor 8000 Jahren und nicht auf vor 200 Jahren legt. Nichtsdestotrotz zählt seine Analyse zu den provokantesten und anregendsten, die in jüngster Zeit veröffentlicht wurden. Wann auch immer sein Anfang gewesen sein mag, heute gibt es unmissverständliche Anzeichen, dass das Anthropozän unangenehm wird. Die Wissenschaftler entdecken in unserer Atmosphäre so große Veränderungen, dass sich wieder einmal eine Zeitpassage zu öffnen scheint. Wird das Anthropozän zur kürzesten geologischen Epoche der Geschichte?
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DIE TOTEN AUSGRABEN Wir gehen über die Erde, wir passen auf, wie der Regenbogen oben. Aber etwas ist da unten, unter dem Boden. Wir kennen es nicht. Du kennst es nicht. Was willst du tun? Wenn du es berührst, bewirkst du vielleicht einen Wirbelsturm, heftigen Regen oder eine Flut. Nicht bloß hier, du könntest jemanden an einem anderen Ort töten. Du tötest ihn vielleicht in einem anderen Land. Ihn kannst du nicht berühren. Big Bill Neidjie, Gagadju Man, 2001
Australiens Aborigines leben mit dem Land, und sie sehen die Welt mit anderen Augen. Statt so etwas wie Bergbau, das Wetter und die Biodiversität isoliert zu betrachten, sehen sie das Gesamtbild. Big Bill Neidjie war ein wahrhaft weiser Alter, der in seiner Jugend das Stammesleben im intimen Kontakt mit dem Land kennen lernte. Wenn er uns von den Auswirkungen des Bergbaus in seinem Kakadu-Land erzählt, spricht er nicht von den Gruben, den Halden und der vergifteten Erde. Mit nur einer Hand voll Worten beschreibt er einen Zusammenhang, der sich von der Störung der ewigen Traumzeit der Ahnen bis zur Katastrophe für ungeborene Generationen erstreckt. Die Aufforderung, die er an uns richtet – »Was willst du tun?« –, ist beunruhigend, denn indem wir die Erde profanisiert und »berührt« haben, was darunter liegt, haben wir ihm die Antwort schon 92
Die Toten ausgraben
gegeben. Mein Heimatland – Bills Heimatland – ist von Gruben aller Art gründlich durchlöchert, aus seinem Boden wird mehr Kohle geholt und nach Übersee verschifft als sonst wo auf dem Planeten. Weil in einem Teil von Big Bills Land, der reich an Mythen und Traditionen ist, Uranminen angelegt wurden, dachte er vermutlich eher an Uran als an Kohle, als er sein Gedicht verfasste. Aber intuitiv hat er dabei die verborgenen Zusammenhänge zwischen Bergbau, Klimawandel und menschlichem Wohlergehen erfasst, zu denen sich die Wissenschaftler hintasten, die den Treibhauseffekt zu verstehen versuchen. Bills Frage ist noch offen, denn wir haben noch immer die Chance, unsere Zukunft zu bestimmen. Aber erst müssen wir noch mehr über die Geschichte, die Natur und die Macht jenes schwarzen Steins, der Kohle, und seines glitschigen Alliierten, des Öls, in Erfahrung bringen. Fossile Brennstoffe – Öl, Kohle und Gas – sind Überreste von Organismen, die vor vielen Millionen Jahren der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen. Wenn wir Holz verbrennen, setzen wir Kohlenstoff frei, der dem atmosphärischen Kreislauf vor ein paar Jahrzehnten entnommen wurde; wenn wir aber fossile Energieträger verbrennen, setzen wir Kohlenstoff frei, der dem Kreislauf seit Äonen entzogen war. Derart die Toten auszugraben ist für die Lebenden eine besonders üble Angelegenheit. Im Jahr 2002 beförderte das Verheizen fossiler Brennstoffe insgesamt 21 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Dazu trug Kohle 65 41 Prozent bei, Öl 39 Prozent und Gas 20 Prozent. Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht die verheizten Tonnagen wider, denn einige Brennstoffe enthalten mehr Kohlenstoff als andere. Die bei ihrer Verbrennung freigesetzte Energie resultiert aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Weil der Kohlenstoff zum Klimawandel führt, bedroht ein Brennstoff, der kohlenstoffhaltiger ist, die Zukunft der Menschheit noch stärker. Abgesehen von Verunreinigungen, von denen manche (etwa Schwefel und Quecksilber) potente Schadstoffe sind, besteht beste schwarze Kohle fast aus nichts als Kohlenstoff. Verbrennt man eine Tonne davon, produziert man 3,7 Tonnen CO2. Auf Erdöl basierende Brennstoffe sind weniger kohlenstoffreich, sie haben zwei Wasserstoffatome pro Kohlenstoffatom. Weil Wasserstoff ein Energielieferant ist, der bei der Verbrennung mehr Hitze produziert als Koh93
Gaias Repertoire
lenstoff (und dabei nur Wasser zurücklässt), setzt die Verbrennung von Öl pro Einheit weniger CO2 frei als die von Kohle. Der fossile Energieträger mit dem geringsten Kohlenstoffgehalt ist Methangas, bei dem nur ein Kohlenstoffatom auf vier Wasserstoffatome kommt. Diese Energielieferanten stellen insgesamt so etwas wie eine Stufenleiter weg vom Kohlenstoff als dem Treibstoff unserer Wirtschaft dar. Die Effizienz, mit der Energie per Verbrennung gewonnen wird, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Bestimmung, wie viel CO2 produziert wird. Selbst mit den fortschrittlichsten Verfahren (und die meisten mit Kohle betriebenen Kraftwerke kommen diesem Wert bei weitem nicht nahe) verursacht die Verbrennung von Anthrazit zur Stromerzeugung 67 Prozent mehr CO2-Emissionen als die von Methan, und Braunkohle (die jünger und feuchter ist und mehr Verun66 reinigungen aufweist) produziert sogar 130 Prozent mehr. Im Hinblick auf den Klimawandel liegen also Welten zwischen Gas und Kohle als treibende Kraft unserer Wirtschaft. Kohle ist derjenige Energieträger, der auf unserem Planeten am weitesten verbreitet und am häufigsten ist. Die Kohleindustrie bezeichnet sie oft als »vergrabenen Sonnenschein«, und in gewisser Hinsicht ist das eine akkurate Umschreibung, denn bei Kohlen handelt es sich um die fossilisierten Überreste von Pflanzen, die vor Millionen Jahren in Sümpfen wuchsen. Auf Borneo beispielsweise kann man die Anfangsphasen der Kohlebildung sehen. Dort stürzen riesige Bäume um und versinken im Morast, wo Sauerstoffmangel die weitere Verrottung verhindert. Immer mehr tote Vegetation häuft sich an, bis sich eine dicke Schicht durchnässten Pflanzenmaterials gebildet hat. Dann spülen Flüsse Sand und Schlick in den Sumpf, die die Vegetationsreste komprimieren und die Feuchtigkeit und andere Verunreinigungen hinausdrücken. Während der Sumpf immer tiefer in der Erde versinkt, verändern Wärme und Zeit die Chemie des Holzes, der Blätter und sonstiger organischer Materie. Zunächst wird der Torf zu Braunkohle und dann, nach Millionen Jahren, wird die Braunkohle zu Steinkohle. Unter weiterem Druck und weiterer Hitze kann diese, wenn noch mehr Unreinheiten entfernt werden, schließlich zu Anthrazit werden, und der edelste Anthrazit – in Form des Jett (Gagat) – ist ein Juwel, ein Stückchen reiner Kohlenstoff wie ein Diamant. 94
Die Toten ausgraben
Bestimmte Abschnitte der Erdgeschichte waren für die Kohlebildung günstiger als andere. Einer davon war das Eozän vor rund 50 Millionen Jahren. Damals bedeckten riesige Sümpfe Teile von Europa und Australien, und deren begrabene Überreste sind die Braunkohlelagerstätten, die man heute dort findet. Weil Braunkohle stark verunreinigt ist und oft so feucht, dass man schon einen Teil davon verbrennen muss, um allein den anderen Teil zu trocknen, der in den Ofen kommt, ist sie der umweltschädlichste aller fossilen Energieträger. Sie wirft auch für den Handel nicht genügend Profit ab: Sollen Kohlen ihre Transportkosten wieder einspielen, kommen nur Steinkohle oder Anthrazit infrage. Die Vegetation, die zu Anthrazit wurde, wuchs größtenteils vor 360 bis 290 Millionen Jahren, im Karbon. Benannt ist die Formation nach den unermesslichen Kohlelagerstätten, die damals in weiten Teilen der Welt angelegt wurden (carbo ist Lateinisch für Kohle), und die Welt des Karbons unterschied sich sehr von heutigen Feuchtgebieten. Könnte man mit einem Kahn durch die Sümpfe jener längst vergangenen Ära stochern, würde man statt Sumpfzypressen und Ähnlichem gigantische Verwandte von Bärlapp und anderen Lycopodien sehen und noch viel merkwürdigere, längst ausgestorbene Pflanzen. Die schuppigen, säulenartigen Stämme des Lepidodendron wuchsen in dichten Wäldern, jeder hatte zwei Meter Durchmesser und ragte 45 Meter in die Höhe. Erst weit oben an der Spitze verzweigten sie sich, und dort trugen ein paar kurze unregelmäßige Auswüchse meterlange grasartige Blätter. An anderen Orten wuchs die zapfenförmige Sigillaria, eine sechs Meter hohe, sich gabelnde Pflanze, während gigantische Schachtelhalme und Samenfarne den Rest der 67 baumähnlichen Flora ausmachten. In jenen fernen Zeiten gab es keine Reptilien, Säugetiere oder Vögel. Stattdessen wimmelte es in der feucht-schwülen Vegetation vor Insekten und ihresgleichen. Die Atmosphäre war sauerstoffreich, weshalb Kreaturen mit ineffizientem Atemapparat zu unglaublicher Größe heranwachsen konnten. Tausendfüßler wurden zwei Meter lang, und Spinnen erreichten einen Meter Durchmesser. 30 Zentimeter lange Kakerlaken teilten sich das Grün mit Libellen, deren Spannweite einen Meter erreichte, während im Wasser darunter Amphibien von Krokodilgröße mit riesigen Köpfen, breiten Mäulern und wach95
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samen Augen lauerten. Indem wir uns die vergrabenen Schätze dieser fremden Welt aneigneten, befreiten wir uns von den Grenzen, die eine gegenwärtige biologische Produktion setzt. Der Weg in eine von fossilen Brennstoffen abhängige Zukunft begann in England zur Zeit von Edward L, auch wenn sich seine Untertanen nur zögernd vom angenehmen Duft des Brennholzes verabschiedeten, das jahrhundertelang ihre Herde befeuert hatte. Auch der König selbst fand den Geruch von Kohle so abstoßend, dass er 1306 ihre Verbrennung in seinem Königreich verbot und Gesetzesübertretern mit »hohen Geld- und Sachstrafen« drohte. Es gibt Berichte, dass Kohleverbrenner sogar gefoltert, aufgehängt oder enthauptet wurden (die Quellen sind sich nicht einig, welche dieser Strafen zur Anwendung kamen – möglicherweise alle drei). Aber Englands Wälder waren langsam erschöpft, und während der Preis für Holz immer weiter stieg, wurden die Engländer zu den ersten Europäern, die in großem Umfang Kohle verheizten. Jahrhundertelang war der Handel mit dem stinkenden Zeug ein Monopol des Bischofs von Durham und des Priors von Tynemouth, deren Arbeiter es aus Flözen holten, die entlang des Tyne zutage traten. Zu jener Zeit hatten die Menschen keine Ahnung, was Kohle war. Viele Bergleute glaubten, es sei eine lebendige, unter der Erde wachsende Substanz und nichts könne ihre Vermehrung so beschleunigen wie fleißiges Düngen mit Mist. Möglicherweise lösten die in London ankommenden Schiffe voller fäkalem Kohlenstoff König Edwards Ekel vor dem Zeug aus, wahrscheinlicher aber ist, dass die Gleichsetzung von Kohle mit Krankheiten – oder sogar mit dem Teufel selbst – den Bann bewirkte, denn der »schwarze Fels« war den Engländern höchst verdächtig. Der bei der Verbrennung entstehende Schwefelgestank erinnerte sie unangenehm an die Qualen in den Höllengefilden, die, wie sie wussten, unter ihren Füßen lagen. Den meisten Schrecken erregte aber die Gleichsetzung mit Krankheiten. Das lateinische Wort carbunculus (»kleine Kohle«) gab auch der Eiterbeule ihren Namen; und die entsetzlichsten Symptome der Pest – Bubonen genannte schwarze Lymphknotenschwellungen – sahen aus, als bestünden sie aus Kohlestücken. Trotz dieser wenig aussichtsreichen Anfänge sollte Kohle über 600 Jahre die englischen Haushalte wärmen, beleuchten und ernähren, 96
Die Toten ausgraben
und um das Jahr 1700 wurden schon 1700 Tonnen pro Tag in der City von London verbrannt. Und überall in England gewannen Fabriken ihre Antriebskraft aus Kohle. Die Nachfrage war so groß, dass bald eine Energiekrise drohte. Englands Bergwerke waren so weit in die Tiefe getrieben worden, dass sie sich mit Wasser füllten, und wenn man keine Möglichkeit finden würde, dieses herauszupumpen, müsste die Nation sich anderswo nach Brennstoff umsehen. Thomas Newcomen, ein kleinstädtischer Eisenhändler, entdeckte, wie man das vielleicht bewerkstelligen konnte. Sein Apparat verbrannte Kohle und erzeugte damit Wasserdampf, der dann kondensiert wurde, sodass ein Vakuum entstand, das einen Kolben in Bewegung setzte, der das Wasser hochpumpte. Die erste Newcomen-Maschine wurde 1712 in einem Bergwerk in Staffordshire installiert. 50 Jahre später arbeiteten Hunderte davon in Bergwerken im ganzen Land, und die englische Kohleförderung war auf sechs Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen. Der geniale James Watt verbesserte Newcomens Konstruktion und schuf mit Hilfe seines fähigen Geschäftspartners Matthew Boulton einen Markt für eine neue, bessere Dampfmaschine. Boulton hegte niemals Zweifel am enormen Potenzial dieser Unternehmung. Als George III. ihn fragte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, antwortete er: »Eure Majestät, ich beschäftige mich mit der Produktion einer Ware, nach der es Könige verlangt.« Als der König wissen wollte, was er damit meine, sagte Boulton einfach: »Macht, Eure 68 Majestät.« 1784 baute Watts Partner und Freund William Murdoch die erste mobile Dampfmaschine, womit die Kohle zum Treibstoff geworden war, und von diesem Augenblick an war klar, dass das kommende Jahrhundert – das 19. – dasjenige der Kohle sein würde. Kein anderer Brennstoff kam ihr gleich bei der Bandbreite der Verwendungsmöglichkeiten – vom Kochen über das Heizen zu industriellen Zwecken bis hin zum Transport und Verkehr. Als Thomas Edison 1882 in Manhattan das erste Elektrizitätskraftwerk der Welt eröffnete, wurde das Leistungsspektrum der Kohle um die Stromerzeugung erweitert, und heute ist diese das letzte Refugium des üblen Energielieferanten. Obwohl Öl und Gas dem Imperium der Kohle arg zugesetzt haben, 97
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wird heute mehr Kohle verbrannt als je zuvor. Der Bau von 249 neuen Kohlekraftwerken weltweit ist für die Jahre 1999 bis 2009 geplant, fast die Hälfte davon soll in China stehen. Weitere 483 werden in dem Jahrzehnt bis 2019 folgen, und noch einmal 710 zwischen 2020 und 2030. Rund ein Drittel davon wollen die Chinesen bauen, und alle zusammen werden 710 Gigawatt (710 000 Megawatt) Strom 69 erzeugen. Die durchschnittliche Lebensdauer von Kohlekraftwerken liegt bei 50 Jahren, und das von ihnen produzierte CO2 wird nach ihrer Stilllegung noch jahrhundertelang den Planeten aufheizen. Wenn das 19. Jahrhundert das der Kohle war, so wurde das 20. zu dem des Öls. Faktisch lässt sich die Morgendämmerung des Kohlenwasserstoffzeitalters auf den 10. Januar 1901 festlegen, als das Jahr70 hundert noch keine zwei Wochen alt war. An jenem Tag bohrte Al Hamill auf einem kleinen Hügel namens Spindietop bei Beaumont in Texas nach Öl. Über 300 Meter war er schon in den Sandstein unter sich vorgedrungen, und um 10.30 Uhr am Vormittag wollte er, zermürbt durch seinen Misserfolg, gerade alles hinschmeißen, als etwas geschah: »Mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen und einem ungeheuren, heulenden Röhren schössen dicke Wolken von Methangas aus dem Loch. Dann kam die Flüssigkeit, wie eine Säule, 15 Zentimeter im Durchmesser. Zig Meter schoss sie in den Winterhimmel 71 hoch, ehe sie als schwarzer Regen wieder zur Erde fiel.« Die erste planvolle Bohrung nach Öl war zwar schon 40 Jahre zuvor in Pennsylvania niedergebracht worden, aber die Entdeckung von Öl in so tiefen Schichten war etwas Neues. Doch als sich das Bohren immer weiter verbreitete und man immer tiefer bohrte, wurden solche Fördermengen zur Normalität, und schnell verdrängte das Öl die Kohle beim Transport und bei der Hausheizung. Das Problem mit Öl ist nur, dass es viel weniger davon gibt als Kohle sowie seine Lagerstätten ungleichmäßiger verteilt und schwerer zu finden sind. Erdöl ist das Produkt von Lebewesen in uralten Ozeanen und Flussmündungen. Hauptsächlich setzt es sich aus Überresten von Plankton zusammen – besonders den Einzellern, die man im Phyto72 plankton findet. Die meisten Ölvorkommen der Welt, glaubt man, hatten ihren Ursprung in tiefen, ruhigen, sauerstoffarmen Ozeanbecken in Gegenden, in denen Vertikalströmungen kaltes, nährstoffreiches Wasser vom Grund zur sonnenbeschienenen Oberfläche trans98
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portierten. Das reichliche Nahrungsangebot ließ das Phytoplankton in ungeheuren Mengen »blühen«, und wenn die winzigen Lebewesen abstarben, sanken ihre Überreste in die sauerstofffreien Tiefen, wo ihre organische Materie sich ansammelte, ohne von Bakterien aufgezehrt zu werden. Unsere Ozeane sind riesig – sie bedecken mehr als doppelt so viel Fläche wie das Land –, warum schwimmt die Welt dann nicht buchstäblich in Öl? Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Ozeankruste ständig recycelt wird und Öl ein glitschiger Stoff ist, der, solange nicht irgendetwas das verhindert, in aller Regel aus dem Felsen herausgepresst wird und sich auflöst. Der biologische Prozess zur Ölherstellung ist so präzise wie ein Rezept für ein Soufflé. Zunächst müssen die Sedimente, die die Überreste des Phytoplanktons enthalten, begraben und von anderen Felsen komprimiert werden. Dann müssen die genau richtigen Bedingungen herrschen, damit die organische Materie aus den ursprünglichen Formationen hinausgedrückt wird und durch Risse und Spalten in eine geeignete Lagerschicht gelangt. Diese Schicht muss porös sein, darüber muss es aber eine Lage feinkörnigen, undurchlässigen Gesteins geben, die stark genug ist, um dem Druck standzuhalten, der das Öl und das Gas in die Luft über Spindietop hochschießen ließ, und dick genug, um ein Entkommen auf andere Weise unmöglich zu machen. Darüber hinaus müssen die Wachse und Fette, die die Ausgangsstoffe des Öls sind, Millionen Jahre lang bei 100 bis 135 °C »gekocht« werden. Liegen die Temperaturen jemals höher, bleibt nichts als Gas übrig, und anderenfalls gehen die Kohlenwasserstoffe völlig verloren. Da kein Koch die riesigen unterirdischen Öfen überwacht, in denen das Öl gebacken wird, ist die Entstehung von Öllagerstätten purer Zufall – die richtigen Felsen müssen auf die richtige Art und Weise die richtige Zeit lang gekocht werden, in der Regel in einer kuppeiförmigen Struktur, in der eine »Schale« über porösem, ölhaltigen Gestein liegt und das Entkommen des Öls verhindert. Das Herrscherhaus Saud, der Sultan von Katar und andere vermögende Fürstenhäuser des Nahen Ostens verdanken ihr gütiges Schicksal diesen geologischen Zufällen, denn die Verhältnisse in den Gesteinsschichten ihrer Region waren »genau richtig« gewesen, um ihnen Unmassen Öl zu bescheren. Ehe man es anzapfte, lagerte in einem einzigen saudi-arabischen Ölfeld, Ghawar, ein Siebtel der Öl99
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Vorräte des gesamten Planeten. Und bis 1961 entdeckten die Ölgesellschaften der Welt jedes Jahr immer mehr Ölvorräte, viele davon im Nahen Osten. Seither hat sich das Tempo der Erschließungen verlangsamt, doch der Bedarf ist in die Höhe geschossen. Um 1995 herum verbrauchte die Menschheit im Durchschnitt 24 Milliarden Barrel Öl pro Jahr, neu entdeckt wurden aber durchschnittlich nur 9,6 Milliarden Barrel. Zahlen wie diese sind es, die viele Analysten zu der Überzeugung bringen, dass es mit dem billigen Öl vorbei ist, und da die Preise ständig über 40 US-Dollar pro Barrel liegen, stimmt der Markt ihnen vermehrt zu. Einige Analysten sagen sogar noch höhere Preise und für vielleicht schon 2010 eine Verknappung vorher, was heißt, dass etwas anderes gefunden werden muss, um die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts anzuheizen. Dieses »etwas anderes«, glauben viele Industrievertreter, sei Erdgas, dessen Hauptbestandteil (rund 90 Prozent) Methan ist. Noch vor 30 Jahren lieferte Erdgas weltweit bloß 20 Prozent der fossilen Brennstoffe, Kohle hingegen 31 Prozent und Öl fast die Hälfte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch hat Gas die Kohle überholt, und wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, wird es bis 2025 auch Öl als wichtigsten Brennstoff der Welt überflügelt haben. Die nachgewiesenen Gasreserven reichen noch 50 Jahre. Nur von unserem dreckigsten Energielieferanten, der Kohle, gibt es noch mehr Vorräte. Also sieht es danach aus, dass das momentane Jahrhundert wahrscheinlich das des Erdgases wird. Zunächst aber wollen wir den Verbrauch fossiler Brennstoffe, seine zukünftigen Steigerungsraten und die Belastungen, die er bereits jetzt für den Planeten bedeutet, untersuchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Welt Heimat von kaum mehr als einer Milliarde Menschen, bei seinem Ende schon von sechs Milliarden, und jeder von diesen sechs Milliarden verbrauchte im Durchschnitt viermal so viel Energie wie seine Ahnen 100 Jahre zuvor. Das erklärt mit die Tatsache, dass sich das Verbrennen fossiler 74 Energieträger in diesem Zeitraum versechzehnfacht hat. Jeffrey Dukes von der University of Utah hat in einer Gleichung 75 ausgedrückt, wie diese Menschen ihren Bedarf decken. Ausgehend von der Feststellung, dass aller Kohlen- und aller Wasserstoff in fossilen Brennstoffen mit Hilfe der Sonnenenergie von längst vergange100
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nen Pflanzen eingesammelt wurde, berechnete er die Effizienz, mit der Pflanzenmaterie in Sedimenten eingelagert wurde, die Effizienz, mit der sie in fossile Brennstoffe umgewandelt wurde und die Effizienz, mit der wir diese Energieträger wieder hervorholen; und er kam zu dem Schluss, dass aus 100 Tonnen einstigen pflanzlichen Lebens gerade mal vier Liter Benzin werden. Angesichts der ungeheuren Menge an Sonnenlicht, die für das Wachstum von 100 Tonnen pflanzlicher Materie nötig ist, und des ungeheuerlichen Tempos, mit dem wir Benzin, Kohle und Gas verbrauchen, sollte es Sie nicht überraschen, dass die Menschen in jedem Jahr unseres Industriezeitalters den Gegenwert von mehreren Jahrhunderten einstiger Sonnenenergie aufgezehrt haben, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Zahl für 1997 – rund 422 Jahre fossiler Sonnenenergie – war typisch. 422 Jahre strahlenden Sonnenscheins im Karbon – und wir haben das in einem einzigen Jahr verheizt. Dukes’ Analyse hat meine Weltsicht verändert. Wenn ich jetzt über Sydneys Sandstein-Gehsteige laufe, spüre ich die Energie längst vergangener Sonnenstrahlen an meinen nackten Füßen. Wenn ich mir das Gestein mit einer Lupe ansehe, kann ich die winzigen Körnchen erkennen, deren abgerundete Kanten meine Füße streicheln, und mir wird klar, dass jedes dieser zahllosen Milliarden Körnchen von Sonnenenergie geformt wurde, die vor über 300 Millionen Jahren Wasser aus einem Urozean holte, das dann als Regen auf eine entfernte Gebirgskette fiel. Stückchen um Stückchen zerbröckelte der Fels und wurde in Flüssen weitertransportiert, bis nur noch kleine runde Quarzkörnchen übrig waren. Eine millionmal mehr Energie muss dafür aufgewendet worden sein, all die Sandkörner zu erschaffen, als je in sämtliches Menschenwerk eingegangen ist. Von meinen Fußsohlen bis zu meinem von der Sonne erwärmten Kopf weiß ich instinktiv, unmittelbar aus dem Bauch heraus, was Dukes über das fossile Sonnenlicht sagt: Die Vergangenheit ist ein wahrhaft weites Land, dessen eingelagerte Reichtümer einfach sagenhaft sind, wenn man sie mit der mageren täglichen Ration Solarenergie vergleicht, die wir abbekommen. Mir wird dabei auch klar, dass es schwer werden wird, auf die Energie der verführerischen fossilen Brennstoffe zu verzichten. Wür101
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den sich die Menschen als Ersatz der Biomasse zuwenden (die Gesamtheit aller Lebewesen, in diesem Fall aber vor allem Pflanzen), müssten wir unsere gesamte primäre Produktion an Land um 50 Prozent steigern. Wir verbrauchen aber bereits jetzt 20 Prozent mehr, als der Planet nachhaltig liefern kann, also ist dies keine Alternative. Aus diesem Grund stellt Dukes’ Berechnung unsere Gesellschaft vor ein ganz grundsätzliches Problem, dessen Tragweite wir nur dann verstehen können, wenn wir unsere Gesamtsituation auf dem Raumschiff Erde betrachten. Im Jahr 1961 gab es noch Spielraum. In jener scheinbar fernen Zeit gab es nur drei Milliarden Menschen, und sie verbrauchten nur die Hälfte der Gesamtressourcen, die unser globales Ökosystem nachhaltig zur Verfügung stellen konnte. Gerade mal 25 Jahre später, 1986, waren wir am Scheideweg angekommen, denn in jenem Jahr überstieg die Gesamtbevölkerung fünf Milliarden, und unser kollektiver Ressourcenhunger war so groß, dass wir die gesamte nachhaltige Produktion der Erde aufbrauchten. Faktisch war 1986 das Jahr, in dem die Menschheit die Tragkapazität der Erde erreicht hatte, und seitdem leben wir vom ökologischen Äquivalent eines Negativhaushalts, der nur deswegen noch 76 funktioniert, weil wir unsere Kapitalbasis plündern. Wir plündern in der Form von Überfischen, von Überweiden, bis nur noch Wüste bleibt, von Waldzerstörung und von der Verschmutzung unserer Ozeane und der Atmosphäre, was alles wiederum zu der großen Zahl von Umweltproblemen führt, mit denen wir konfrontiert sind. Letzten Endes jedoch ist das Umweltbudget das Einzige, was wirklich zählt. Zwischen 1800 und 1980 produzierten die Menschen 244 Peta15 joule Energie (ein Petajoule entspricht 1 Billiarde – 10 – Joule). Solch ein hemmungsloser Energieverbrauch ist wirklich schockierend, aber man bedenke, dass in den zwei Jahrzehnten von 1980 bis 1999 Sie und ich und alle anderen Menschen 117 Petajoule produzierten – fast die Hälfte der Gesamtenergie der vorangegangenen 180 77 Jahre! Bis zum Jahr 2001 ist das Defizit der Menschheit auf 20 Prozent angeschwollen, unsere Bevölkerung auf über sechs Milliarden. Wenn sich bis zum Jahr 2050 die Population bei rund neun Milliarden ein102
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pendelt – was man annimmt –, wird die Last der menschlichen Existenz so groß sein, dass wir die Ressourcen – wenn wir sie dann noch finden – von fast zwei Planeten Erde verbrauchen werden. Doch trotz all der Probleme, die wir haben werden, diese Ressourcen noch zu finden, sind unsere Abfälle – vor allem die Treibhausgase – der Faktor, der wirklich Grenzen setzt. Seit dem Beginn der Industriellen Revolution ist es auf unserem Planeten zu einer globalen Erwärmung von 0,63 °C gekommen, und die Hauptursache dafür ist die Zunahme von atmosphärischem CO2 von rund drei Teilen pro 10 000 auf knapp vier. Diese Zunahme geht größtenteils auf die Verbrennung fossiler Energieträger in den letzten paar Jahrzehnten zurück, und neun der zehn je registrierten wärms78 ten Jahre erlebten wir nach 1990. Wie hat dieser Temperaturanstieg um den Bruchteil eines Grades das Leben auf der Erde beeinflusst?
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II EINE VON ZEHNTAUSEND
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DIE ENTZAUBERTE WELT Durch eben die Zerrüttung wandeln sich Die Jahreszeiten: silberhaar’ger Frost Fällt in den zarten Schoß der Purpurrose. William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum
Die globale Erwärmung verändert das Klima ruckweise: Klimamuster springen von einem stabilen Zustand in einen anderen. Weil die Atmosphäre ein telekinetisches Wesen hat, können sich diese Veränderungen im selben Augenblick überall auf dem Globus manifestieren. Die beste Analogie ist vielleicht der Finger auf einem Lichtschalter: Eine Zeit lang passiert gar nichts, aber wenn man allmählich den Druck erhöht, wird ein bestimmter Punkt erreicht, an dem plötzlich etwas passiert, und die Umstände wechseln schlagartig von einem Zustand in einen anderen. Die Klimatologin Julia Cole bezeichnet die Klimasprünge als »magische Tore«, und sie behauptet, seit die Temperaturen in den siebziger Jahren rasch zu steigen begannen, habe unser Planet zwei dieser Ereignisse erlebt – 1976 und 1998. Diese Daten sind wichtig, denn immer wieder markieren sie den Beginn bemerkenswerter Phänomene. Die Überlegung, dass die Erde im Jahr 1976 klimatisch ein magisches Tor passierte, hat ihren Ursprung in dem abgelegenen Korallenatoll Maiana im pazifischen Inselstaat Kiribati. Genauer gesagt, wurde sie durch einen Methusalem unter den Korallen angestoßen, der dort lebte und wuchs – einer 155 Jahre alten Lochkoralle (Pontes) und damit einer der ältesten je gefundenen Korallen. Maiana liegt an einer wichtigen Stelle, denn der Zentralpazifik ist die Gegend, in der erstmals El Niños entdeckt wurden, die von erheblichem 107
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Einfluss auf das Klima der Erde sind. Als Forscher ein Stück aus dieser alten Koralle bohrten, stellten sie fest, dass sie detaillierte Aufzeichnungen der Klimaveränderungen bis zurück ins Jahr 1840 ent1 hielt. Das magische Tor selbst manifestierte sich als ein plötzlicher und nachhaltiger Anstieg der Oberflächentemperatur des Meeres um 0,6 °C und einem Rückgang des Salzgehalts um 0,8 Prozent. Zwischen 1945 und 1955 sank die Oberflächentemperatur des tropischen Pazifiks in der Regel auf unter 19,2 °C, aber seit dem magi2 schen Tor von 1976 ist sie nur selten unter 25 °C gefallen. »Der westliche tropische Pazifik ist der wärmste Bereich der Weltmeere und ein bedeutender Klimaregulator«, sagt Martin Hoerling vom Climate Diagnostics Center in Boulder, Colorado, denn unter anderem steuert er die meisten tropischen Niederschläge und die Position des Jetstreams, dessen Winde Schnee und Regen nach Nordamerika bringen. 1977 veröffentlichte die Zeitschrift National Geographic einen Bericht über die Wetterkapriolen des vorangegangenen Jahres, zu denen ungewohnt milde Wetterverhältnisse in Alaska und Schnee3 stürme in den weiter südlich gelegenen 48 Bundesstaaten zählten. Unmittelbare Ursache war eine Verlagerung des Jetstreams, aber nicht allein die Vereinigten Staaten waren davon betroffen: Selbst in so weit entfernten Weltgegenden wie Südaustralien und auf den Galapagosinseln kam es zu Auswirkungen. Seit Charles Darwin anhand der Finken der Galápagosinseln seine Theorie der Evolution durch natürliche Auslese darlegte, ist die Gegend ein Mekka der Biologen, die dort Forschungsstationen zur Beobachtung der einheimischen Lebensformen einrichteten. Forscher, die den hier beheimateten Fink Geospiza fortis studierten, mussten hilflos zusehen, wie die Dürre von 1977 die Spezies auf einer der Inseln fast ausrottete. Von 1300 Tieren, die es dort vor der Dürre gab, überlebten nur 180, und dies waren die Exemplare mit den größten Schnäbeln, weil die sie in die Lage versetzten, sich von schwer zu knackenden harten Samen zu ernähren. Von den 180 überlebenden Vögeln waren 150 Männchen, und als endlich wieder Regen fiel, fanden sich die männlichen Finken in einem harten Wettbewerb um die wenigen Weibchen wieder. Abermals waren es die mit den größten Schnäbeln, die gewannen. Mit diesem Doppelschlag der natürlichen Auslese, bei dem alle bis auf jene mit den allergrößten Schnäbeln aus108
Die entzauberte Welt
gesiebt wurden, kam es bei dieser Inselpopulation zu einer messbaren 4 Änderung der Schnabelgröße. Darwinfinken werden überwiegend anhand ihrer Schnabelgröße klassifiziert, denn je nach dem, was sie damit fressen können, teilen sie die ökologischen Nischen der Inseln unter sich auf; und da man nun auf fast zwei Jahrhunderte Schnabelmessungen zurückblicken kann, hatten die Biologen den Eindruck, sie würden Zeugen, wie sich eine neue Spezies bildet. Auch das magische Tor von 1998 hatte mit dem Wechselspiel von El Niño und La Niña zu tun, einem zwei bis acht Jahre dauernden Zyklus, der einem Großteil der Welt extreme Klimaverhältnisse bringt. Während der La-Niña-Phase, die bis vor kurzem anscheinend der dominante Teil des Zyklus war, weht der Wind westwärts über den Pazifik und häuft warmes Oberflächenwasser vor der Küste Australiens und den ihm nördlich vorgelagerten Inseln an. Da das warme Oberflächenwasser nach Westen geblasen wird, kann vor der Pazifikküste Südamerikas der kalte Humboldtstrom an die Oberfläche steigen, der die Nährstoffe mitführt, von denen die reichsten Fischgründe der Welt leben. Der El-Niño-Teil des Zyklus beginnt mit einem Abflauen der tropischen Winde, sodass das warme Oberflächenwasser nach Osten zurückströmt, sich über den Humboldtstrom legt und Feuchtigkeit in die Atmosphäre entlässt, die den normalerweise trockenen Wüsten Perus Regen bringt. Kühleres Wasser dringt nun im fernen westlichen Pazifik nach oben, und da es nicht so leicht verdampft wie warmes Wasser, sind Australien und Südostasien von Dürre betroffen. Wenn El Niño extrem genug ausfällt, können zwei Drittel des Globus unter Trockenheit, Überschwemmungen und anderen extremen Wetterverhältnissen leiden. Das El-Niño-Jahr 1997/98 hat der World Wide Fund for Nature (WWF) als »das Jahr, in dem die Welt Feuer fing« unsterblich gemacht. Trockenheit hielt einen großen Teil des Planeten im Würgegriff, und auf allen Kontinenten kam es zu Bränden; vor allem aber in den normalerweise feuchten Regenwäldern Südostasiens wüteten die Feuersbrünste. Über zehn Millionen Hektar verbrannten dort, die Hälfte davon uralter Regenwald. Auf der Insel Borneo gingen fünf Millionen Hektar verloren – ein Gebiet von knapp der Größe der 5 Niederlande. Viele der verbrannten Wälder werden sich in einem Zeitrahmen, der für die Menschheit von Belang ist, nicht wieder er109
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holen, und die Auswirkungen auf die einzigartige Fauna Borneos werden aller Wahrscheinlichkeit niemals voll erfasst werden können. Der Klimatologe Kevin Trenberth und seine Kollegen glauben, dass die Vorgänge von 1997/98 eine Extremform der generellen Auswirkungen des El-Niño-La-Niña-Zyklus darstellten, die auf die globale Erwärmung zurückzuführen ist. Seit 1976 sind die Zyklen außergewöhnlich lang – normalerweise sollte man derart gedehnte Zyklen nur ein Mal in mehreren Tausend Jahren erwarten –, und es gibt ein Ungleichgewicht zwischen den Phasen: Fünf El Niños und nur 6 zwei La Niñas. Computermodelle unterstützen ihre Forschungsergebnisse und deuten darauf hin, dass eine Steigerung der Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre zu einem quasi permanenten El-Niño-ähnlichen Zustand führen wird. Die Überlegung, dass schwere El Niños das globale Klima auf Dauer verändern könnten, wurde erstmals 1996 veröffentlicht und galt damals als höchst spekulativ. Die Vorgänge von 1998 änderten das, denn es wurde genügend Wärmeenergie freigesetzt, um die globale Temperatur um rund 0,3 °C auf einen Spitzenwert zu steigern. Der Grund dafür scheint eine Ansammlung warmen Meerwassers zu sein, die sich im zentralen Westpazifik aufbaut. Das warme Wasser wird aus dem gesamten Pazifischen Ozean dorthin gezogen: Faktisch fungiert die Ansammlung als Konzentrator und Verstärker all der kleinen globalen Temperaturanstiege aufgrund der Treibhausgase, und das wiederum verstärkt durch Rückkopplung die Intensität des El-Niño-Zyklus. Einige der Veränderungen von 1998 erwiesen sich als permanent, denn seither hat das Wasser im zentralen Westpazifik häufig 30 °C erreicht, während der Jetstream sich in Richtung Nordpol verlagert hat. Die neuen Klimaverhältnisse scheinen auch dazu prädestiniert zu sein, extremere El Niños hervorzubringen – auf dieses Thema werden wir später zurückkommen. Jetzt ist es an der Zeit, zu untersuchen, wie unser sich wandelndes Klima verschiedene Pflanzen- und Tierpopulationen in Mitleidenschaft zieht. Wenn Wissenschaftler die Reaktionen der Natur auf den Klimawandel dokumentieren wollen, zählen die Aufzeichnungen von Vogelschützern, Fischern und anderen Naturbeobachtern zu den besten Quellen, die sie finden können. Einige dieser Notizen reichen sehr 110
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weit zurück – eine englische Familie vermerkte das erste Quaken von Fröschen und Kröten auf ihrem Anwesen in jedem Jahr zwischen 1736 und 1947 –, und solche Aufzeichnungen sind von höchster Bedeutung, wenn es darum geht, wie die Dinge standen, als sich der Vorhang zwischen dem Anthropozän und unserer Ungewissen Zu7 kunft zu heben begann. Eine riesige Untersuchung, die sich auf solche historischen Naturbeobachtungen stützte, wurde 2003 in der Zeitschrift Science veröffentlicht; sie offenbart das immense Ausmaß der Veränderungen, die heute im Gange sind. Die Wissenschaftlerin Camille Parmesan von der University of Texas und ihr Mitarbeiter Gary Yohe machten sich alle Mühe, um zweifelhafte Daten auszuschließen, und die konservativsten statistischen Tests wurden auf die 8 Zahlenmengen angewandt. Parmesans und Yohes Ausgangsdaten umfassen Dokumentationen über mehr als 1700 Spezies und stützen sich auf einen Corpus von Naturbeobachtungen, der bis in die Tage von Gilbert White zurückreicht, welcher mit seinem Buch The Natural History of Seiborne im 18. Jahrhundert ein Pionier der Naturschriftstellerei war. Zu den Informationen zählen detaillierte Aufzeichnungen der Wanderungen, Brutgewohnheiten und Verteilung von Vögeln durch Amateur-Vogelbeobachter, die Notizen von Botanikern über das Blühen und Austreiben von Pflanzen und Kapitänslogbücher von Walfangschiffen. Viele Aufzeichnungen waren von Clubs und Gesellschaften aufbewahrt worden, andere wurden in wenig gelesenen Zeitschriften wie dem Victorian Naturalist veröffentlicht. Die Quellen waren so vielfältig und so schwer zugänglich, dass frühere Versuche, sie zusammenzustellen und auszuwerten, deswegen aufgegeben worden waren. Parmesan und Yohe stellten zwei Grundsatzfragen: Lässt sich ein Trend feststellen, der alle dokumentierten Regionen, Habitate und Organismen betrifft? Und wenn ja, weist dieser Trend ungefähr in die Richtung, die man angesichts dessen, was wir über den Klimawandel wissen, erwarten sollte? Sie fanden heraus, dass es vor 1950 kaum Anzeichen für irgendeinen Trend gab, sich aber von diesem Zeitpunkt an überall auf dem Globus ein sehr deutliches Muster auszubilden begann. Dies äußert sich darin, dass sich die Artenverteilung im Durchschnitt um sechs 111
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Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung der Pole sowie um 6,1 Meter pro Jahrzehnt die Berghänge hoch verlagert und das Einsetzen von Frühlingsaktivitäten sich pro Jahrzehnt um 2,3 Tage nach vorn verschiebt. Diese Trends stimmen so sehr mit der Größenordnung und Richtung des Temperaturanstiegs durch die Treibhausgas-Emissionen überein, dass Parmesans und Yohes Befunde als Entdeckung eines global stimmigen »Fingerabdrucks des Klimawandels« gefeiert wurden. Solche Trends mögen klein erscheinen, wenn man sie mit Veränderungen in geologischen Zeiträumen vergleicht, faktisch aber vollziehen sie sich so rasch und deutlich, als hätten die Wissenschaftler das CO2 dabei erwischt, wie es die Natur mit der Peitsche in Richtung Pole treibt. Eine der bemerkenswertesten Veränderungen in der Artenverteilung wiesen winzige Meeresorganismen auf, die man Kopepoden (Ruderfußkrebse) nennt; sie wurden 1000 Kilometer von ihrem natürlichen Habitat entfernt entdeckt. Subtilere, aber immer noch substanzielle Verlagerungen gab es bei 35 ortsfesten Schmetterlingsarten der Nordhalbkugel, deren Verbreitungsgebiete sich nach Norden ausweiteten, manchmal um stolze 240 Kilometer, während sie gleichzeitig am Südrand ihres Habitats auszusterben begannen, da die Ver9 hältnisse ihnen dort nicht mehr zuträglich waren. Selbst tropische Spezies sind in Bewegung geraten, die Vögel aus dem Tiefland Costa Ricas haben sich im Verlauf von 20 Jahren 18,9 Kilometer weiter 10 nach Norden ausgebreitet. Menschliche Eingriffe in die Umwelt behindern unvermeidlicherweise die Migration sehr vieler Arten. Ein treffendes Beispiel dafür liefert der Scheckenschmetterling Euphydryas editha. Eine unverwechselbare Subspezies lebt im nördlichen Mexiko und im südlichen Kalifornien, und gestiegene Frühlingstemperaturen haben dazu geführt, dass die Pflanze, von der sich die Raupen ernähren – eine Löwenmäulchenart –, früh verwelkt, sodass die Larven hungern und sich nicht verpuppen können. Für die Spezies geeignete Habitate waren einst weiter nördlich im Überfluss vorhanden, und die Population hätte gut dorthin ziehen können, wenn ihr das weit auseinander gezogene San Diego nicht den Weg versperrt hätte. Da Euphydryas editha jetzt auf nur noch 20 Prozent seines ursprünglichen Verbreitungsgebiets leben kann, wird diese südliche Subspezies ohne menschliche 112
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Hilfe das nächste Jahrhundert nicht mehr erleben. Die meisten fruchtbaren Weltgegenden sind heute von menschengemachten Umweltbedingungen geprägt, sodass in sehr viel mehr Fällen als bislang dokumentiert Spezies und Populationen bereits jetzt vor dem Aussterben stehen. Die Vorverlagerung von Frühlingsaktivitäten ist ein eindeutiges Anzeichen für einen Klimawandel. In der Vogelwelt hat die Trottellumme (Uria aalge) im Verlauf der Zeit, in der ihr Nistverhalten untersucht wurde, mit dem Eierlegen im Durchschnitt pro Jahrzehnt 24 Tage früher begonnen. In Europa knospen und blühen zahlreiche Pflanzenarten 2,4 bis 3,1 Tage pro Dekade früher, ihre Verwandten in Nordamerika machen das 1,2 bis zwei Tage früher. Europäische Schmetterlinge tauchen 2,8 bis 3,2 Tage früher pro Jahrzehnt auf, und Zugvögel kommen in Europa 1,3 bis 4,4 Tage früher pro Dekade 12 an. Eines der wichtigsten Ergebnisse von Parmesans und Yokes Untersuchung ist jedoch, dass nicht alle Spezies gleich auf den Klimawandel reagieren. Unterschiedliche Arten beginnen aufgrund verschiedener Anzeichen mit Vorgängen wie Brüten oder Vogelzug, und die Fähigkeiten der Spezies, sich Veränderungen anzupassen, variieren. Während also einige Arten rasch ihr Verbreitungsgebiet verlagern, bleiben andere zurück, und Parmesan und Yohe warnen, diese Trends »könnten leicht das Wechselspiel zwischen den Spezies zerstören und ... in zahlreichen Fällen zum Verschwinden und möglicherweise zum 13 Aussterben« führen. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn sich ein wichtiger Teil der Nahrungskette zu spät einstellt, um einem Raubtier noch zu nutzen, oder sich zu weit nach Norden verlagert, sodass er von dem Räuber nicht mehr gefressen werden kann. Ein typisches Beispiel für solche Probleme stellen die Raupen des Kleinen Frostspanners (Operophtera brumata) dar. Ihre einzige Nahrungsquelle sind junge Eichenblätter, die nur ein paar Wochen weich und nahrhaft genug für sie sind. Die Schwierigkeiten entstehen, weil Eichen und Frostspanner auf unterschiedliche Anzeichen für den Frühlingsbeginn reagieren. Das wärmere Wetter lässt die Eier des Kleinen Frostspanners reifen, bis die Raupen schlüpfen, die Eichen aber zählen die kurzen kalten Wintertage, und das sagt ihnen, wann es an der Zeit ist, Blätter auszutreiben. Der Frühling ist wärmer als 113
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noch vor 25 Jahren, die Anzahl kalter Wintertage hat sich aber nicht geändert. Infolgedessen schlüpfen die Raupen heute bis zu drei Wochen bevor die Eichen ihre ersten Blätter tragen. Da die Raupen nur zwei bis drei Tage ohne Nahrung überleben können, gibt es heute viel weniger von ihnen, und die Überlebenden wachsen im Allgemeinen schneller, weil es weniger Nahrungskonkurrenz gibt, was bedeutet, dass die Vögel weniger Zeit haben, sie zu finden. In diesem Fall wird wahrscheinlich die natürliche Auslese so auf den Kleinen Frostspanner einwirken, dass sich der Zeitpunkt des Schlüpfens ändert, aber das wird nur durch ein Massensterben der früh schlüpfenden Raupen geschehen, und zumindest mehrere Jahrzehnte lang können wir erwarten, dass die Spezies sich rar macht. Ob die Vögel, Spinnen und Insekten, die die Raupen als Nahrungsmittel brauchen, den Zusammenbruch ihrer Nahrungsquelle überleben können, ist eine andere Frage. Marcel Visser vom Institut für Ökologie der Niederlande, der das Spanner-Dilemma entdeckte, glaubt, dass dies nur ein Beispiel unter Millionen ist. »Wenn die Leute nach solchen Auswirkungen suchen«, sagt er, »werden sie sie überall fin14 den.« Trifft das zu, müssen wir uns um jene Arten an der Spitze der Nahrungspyramide, die sich von Kleinen Frostspannern ernähren, noch mehr Sorgen machen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach gehen ihnen viele potenzielle Nahrungsquellen verloren. Praktisch müssen wir uns um unser Ökosystem als Ganzes viel mehr Sorgen machen, denn die Schlussfolgerung muss lauten, dass überall auf der Welt das empfindliche Netz des Lebens zerrissen wird. Jüngste Untersuchungen haben ähnliche Verlagerungen auch in Wasser-Ökosystemen aufgezeigt. Im Verlauf der letzten paar Jahrzehnte sind Molche immer früher zum Brüten in die europäischen Teiche gegangen, Frösche aber nicht. Das heißt, dass die Larven der Molche schon ziemlich groß sind, wenn die der Frösche erst aus den Eiern schlüpfen, und Erstere fressen Letztere nun in größeren Stückzahlen, was sich auf die Froschpopulationen auswirkt. Einige Reptilien sind von der globalen Erwärmung viel unmittelbarer bedroht, denn bei ihnen hängt das Geschlechterverhältnis von der Temperatur ab, bei der die Eier ausgebrütet werden. Verschobene Geschlechterverhältnisse wurden bereits bei der Zierschildkröte (Chrysemis picta) beobachtet, und man sagt voraus, dass die Population bloß noch aus 114
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Weibchen bestehen wird, wenn die Wintertemperaturen auch nur ein wenig über ihr gegenwärtig schon hohes Niveau steigen. Krokodile und Alligatoren sind auch gefährdet, denn die Eier des amerikanischen Alligators (einer gut erforschten Spezies) bringen nur Männchen hervor, wenn sie bei über 32 °C ausgebrütet werden, und nur 15 Weibchen, wenn dies bei weniger als 31 °C geschieht. Noch heikler ist die Lage für die Brückenechse (Sphenodon-Spezies), ein einzigartiges Reptil, das als letztes seiner Abstammungslinie heute nur noch auf ein paar abgelegenen Inseln bei Neuseeland lebt. Wie es sich fügt, tut sich das arme Wesen mit der Reproduktion schwer, denn das Männchen ist das einzige Reptil, das keinen Penis hat (bei der Paarung werden die Kloaken zusammengedrückt), und von der Paarung bis zum Schlüpfen der Jungen vergehen zwei Jahre. Wenn die Eier kühl bleiben, schlüpfen Weibchen, bei wärmeren Verhältnissen aber nur Männchen. Die Brückenechse lebt in relativ hohen Breitengraden in Umgebungen, die der Klimawandel wahrscheinlich drastisch treffen wird, und so hängt ihr Überleben am seidenen Faden. Eine ganz andere Folge des Klimawandels wurde kürzlich im Tanganjikasee in Afrika entdeckt, der zu den ältesten und tiefsten Süßwasserseen der Welt zählt. Knapp südlich des Äquators gelegen, ist er von einer Fülle einzigartiger Spezies bevölkert. Wie bei den meisten Seen ist sein Wasser geschichtet, das wärmste schwimmt oben. In der Regel mischen sich die sauerstoffreichen oberen Schichten nicht mit den nährstoffreichen unteren, folglich mangelt es Pflanzen in den von der Sonne beschienenen oberen Schichten an Nährstoffen und denen in den unteren Schichten an Sauerstoff. In der Vergangenheit wurde die Schichtung des Sees in der entsprechenden Jahreszeit dank des Südost-Monsuns durchbrochen: Er peitschte das Wasser stark genug auf, um die Lagen zu vermischen, und das führte zu einer spektakulären Biodiversität. Seit Mitte der siebziger Jahre hat die globale Erwärmung jedoch die Schichtung im See so verfestigt (durch das Aufheizen der Oberflächenschichten), dass der Monsun nicht mehr ausreicht, um die Wasserlagen zu durchmischen. Infolgedessen gelangen keine Nährstoffe mehr an die Oberfläche und kein Sauerstoff mehr in nennenswerte Tiefe. Unvermeidlicherweise ist das Plankton, von dem die 115
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meisten Lebensformen im See abhängen, jetzt auf weniger als ein Drittel des überreichlichen Angebots von vor 25 Jahren zurückgegangen. Die einzigartige Schnecke Tiphoboia horei, die es nur in diesem See gibt, hat zwei Drittel ihres Habitats verloren; heute findet man sie nur in Tiefen von maximal 100 Metern, während sie sich vor 16 25 Jahren dreimal so tief wagte. Diese Veränderungen, warnen Wissenschaftler, gehen weiter, und es droht ein Zusammenbruch des gesamten Ökosystems im See. Unter dem Gesichtspunkt der Biodiversität ist der Tanganjikasee einer der wichtigsten der Welt, in seiner Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel aber nicht einzigartig. Überall auf der Erde erwärmen sich die Oberflächenschichten von Seen, was das Durchmischen des Wassers verhindert und die Basis ihrer Produktivität bedroht. Sogar entlegene, scheinbar unberührte Regenwälder sind von der globalen Erwärmung betroffen. In Gegenden am Amazonas, die weit ab von irgendwelchen direkten menschlichen Einflüssen liegen, verändern sich die Anteile der Bäume, die das Blätterdach bilden. Angetrieben von höheren CO2-Niveaus schießen schnell wachsende Arten in die Höhe und verdrängen langsamer wachsende. Da die wenigen rasch wachsenden Spezies ihre Nachbarn verschatten, vermindert sich die Biodiversität des Regenwaldes, denn die Vögel und andere Tiere, die von den langsamer wachsenden Arten als Nahrungsquelle abhängig sind, verschwinden mitsamt ihren Ressourcen. In anderen Regenwäldern hat man beobachtet, dass die von Herbivoren benutzten Pflanzen schneller wachsen, ihre Blätter aber nicht mehr so nährstoffhaltig sind, weil die Pflanzen trotz des vermehrten CO2 von anderen entscheidenden Nährstoffen nicht mehr bekommen können. Dieser Rückgang des Nährwerts ist so groß, dass die Populationen einiger Blätter fressender Säugetiere – beispielsweise die der in australischen Regenwäldern lebenden Fuchskusus – vermutlich stark zu17 rückgehen werden. Der aus steigenden Temperaturen resultierende Wandel der tropischen Biodiversität ist nicht immer so subtil. El Niño von 1997/98 verheerte die Länder, die am südwestlichen Pazifik liegen. Welche Auswirkungen er auf die großen Wälder Borneos hatte, haben wir bereits gehört, weniger genau aber weiß man, wie er die Wälder Neuguineas getroffen hat, der zweitgrößten Insel der Welt. 116
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Das um Australien konzentrierte Gebiet östlich der Wallace-Linie, auch als Meganesien bekannt, hat eine uralte, ganz eigene Flora und Fauna. Das reichste Habitat in ganz Meganesien sind die Eichenwälder in den Bergen Neuguineas, und am besten ausgebildet sind sie zwischen 1500 und 2000 Metern Höhe in Tälern, die sich von der Wasserscheide in der Mitte der Insel nach Norden ziehen. Wenn die Früchte reifen, ist dort der satte Humus des Waldbodens mit großen, glänzenden braunen Eicheln übersät. Hebt man eine auf, entdeckt man höchstwahrscheinlich, dass darauf herumgebissen worden ist, denn diese Wälder sind die Heimat von mehr Beutel- und Riesenrattenarten, als es irgendwo sonst auf Erden gibt, und viele von ihnen tun nichts lieber, als Eicheln zu fressen. Als ich erstmals diese wundersamen Wälder sah – 1985 im NongTal nördlich von Telefomin – erstreckten sie sich vor meinen Augen als ein ununterbrochenes, urzeitliches Band der Wildnis in die blaue Ferne. Als erster Säugetierspezialist überhaupt in jener Gegend zu arbeiten war ein seltenes Privileg, denn sie erwies sich rasch als Heimat vieler ungewöhnlicher Spezies, von denen einige ausschließlich hier vorkamen und der Wissenschaft völlig unbekannt waren. Bei einer dieser Kreaturen handelte es sich um eine gräuliche, katzengroße Beutelratte mit großen braunen Augen, kleinen Pfoten und einem kurzen Schwanz, das die Telefol (die manchmal zum Jagen in das Tal gingen) matanim nannten. Sie kannten es natürlich seit Jahrtausenden, aber für Wissenschaftler wie mich war es völlig neu. Es erwies sich als eine primitive Spezies, deren Ursprünge dicht an der Basis des Kuskus-Stammbaums Neuguineas lagen; und wie ich den Gesprächen mit den Jägern entnehmen konnte, ernährten sich die Tiere hauptsächlich von Feigenblättern, Früchten und dem verrottenden Holz bestimmter Bäume. In das Nong-Tal zu kommen, ist alles andere als leicht. Als sich mir 2001 die Gelegenheit bot, dorthin zurückzukehren, griff ich also sofort zu. Man kann sich vorstellen, wie aufgeregt ich war, aber noch ehe der Hubschrauber landete, war meine Stimmung auf einem Tiefpunkt. Das gesamte Tal samt der umliegenden Gipfel hatte sich in einen Hain aus Grabstelen verwandelt, die einst Pflanzen gewesen waren. Später erzählten mir meine alten Telefol-Freunde, dass in der zwei117
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ten Hälfte des Jahres 1997 kaum oder gar kein Regen gefallen war und der wolkenlose Himmel bitteren Frost geschickt hatte, der die Bäume tötete. Bis Neujahr waren die Reste des Waldes knochentrocken, und der Boden war mit den Blättern der toten Bäume bedeckt. Als dann das Feuer kam, raste es das Tal hinunter und die angrenzenden Gipfel hoch. Monatelang brannte es, und selbst noch ein Jahr später flackerte es immer mal wieder aus dem Moos und den tief in der Erde vergrabenen Pflanzenresten wieder auf. Diese Ereigniskette hatte die Region vollkommen verwüstet, die wilden Tiere aus ihren Verstecken getrieben und, wie die große Zahl von als Trophäen ausgestellten Marsupialier-Kiefern bezeugte, die letzten unberührten Rückzugsgebiete den Jägern zugänglich gemacht. Bei früheren Besuchen war mir aufgefallen, dass Kiefertrophäen etwas Seltenes waren, weil das Gelände so schwierig war und der dichte Waldbewuchs den Zugang erschwerte. Jetzt hingen Ketten von Kiefern der größeren und selteneren Tiere wie beispielsweise Baumkängurus, Beutel- und Riesenratten über den Feuerstellen und zeigten, dass selbst einem mittelmäßigen Jäger seine Beute gewiss war. Hing dort unter diesen Trophäen, fragte ich mich, vielleicht der Kieferknochen des allerletzten matanim auf Erden? Es würde Jahre der Forschung brauchen, um das Vorhandensein oder Fehlen eines so seltenen und schwer zu findenden Tieres zu bestätigen. Aber was ich bei meinem Besuch im Jahr 2001 sah, brachte mich zu dem Schluss, dass sein Überleben als ein Wunder gelten müsste. In tropischen und gemäßigten Gegenden ist das Tempo des Klimawandels nicht außergewöhnlich hoch, und bis jetzt wurden nur relativ wenige Spezies davon in Mitleidenschaft gezogen. An den Enden der Erde jedoch vollzieht sich der Klimawandel mittlerweile mit doppelt so großer Geschwindigkeit wie irgendwo sonst. Wenn wir die Auswirkungen eines rapiden Wandels untersuchen wollen – wie er den gesamten Planeten in der Zukunft betreffen wird –, müssen wir in jenes große Reich des ewigen Eises und Schnees vordringen, das als Kryosphäre bekannt ist.
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ALARM AN DEN POLEN Eine Einheimische, allein und melancholisch in einem Krankenhauszimmer, erzählte [einem] Interviewer, sie hätte manchmal die Hände vor die Augen gehoben und sie angestarrt: »Genau da in meinen Händen konnte ich die Küsten, Strände, Seen, Berge und Hügel sehen, die ich aufgesucht hatte. Ich konnte die Robben sehen, die Vögel und das Wild.« Ein anderer Eskimo, der die Beziehung seiner Kultur zum Land zerbrechen spürte ... sagte einem Interviewer, es wäre am Besten, wenn die Inuit überall zum »Geist über dem Land« würden. Ihr Geist, der, wie er glaubte, nach den Konturen des Landes geformt war, könnte es sich gut genug vorstellen, um zu wissen, was zu tun ist. Barry Lopez, Arktische Träume, 1986
In den letzten Tagen des Jahres 2004 erreichte eine erstaunliche Nachricht die Städte der Welt: Von der Nordspitze her ergrünte die Antarktis. Die Antarktische Grasschmiele (Deschampsia antarctica) ist eine von bloß zwei Arten höherer Pflanzen, die noch südlich des 56. Breitengrades vorkommen. Bislang hatte sie ihr Leben notdürftig in Form vereinzelter Büschel an der Nordseite eines Felsbrockens 18 oder an einer anderen geschützten Stelle gefristet. Im südlichen Sommer des Jahres 2004 jedoch sprossen große grüne Flächen der Grasschmiele und bildeten im einstigen Reich der Schneestürme ausgedehnte Wiesen. Man kann sich kaum etwas vorstellen, das die Veränderungen in den Polarregionen unserer Erde besser symbolisieren könnte. Doch die Vorgänge an Land verblassen zur Bedeutungslosigkeit, wenn man sie mit denen vergleicht, die im Meer zu sehen sind: Das Packeis verschwindet. Die subantarktischen Meere zählen zu den reichhaltigsten der Erde, und das ist ein gewisses Paradox, denn diesen Reichtum gibt es, 119
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obwohl der Nährstoff Eisen fast völlig fehlt. Das Meereis kompensiert diesen Mangel irgendwie, denn am halb gefrorenen Saum zwischen dem Salzwasser und dem schwimmenden Eis wächst in erstaunlichen Mengen mikroskopisch kleines Plankton, das die Basis der Nahrungspyramide ist. Trotz der dunklen Wintermonate gedeiht das Plankton unter dem Eis und ernährt den Krill, der einen siebenjährigen Lebenszyklus hat. Und wo immer es Krill im Überfluss gibt, gibt es meistens auch Pinguine, Robben und große Wale. Der Einfluss des Eises auf das Plankton ist so erstaunlich – und damit auch auf den Krill und die Tiere, die sich davon ernähren –, dass der Unterschied zwischen den eisbedeckten und eisfreien Bereichen des Südpolarmeers fast so groß ist wie der zwischen dem Meer und dem nahezu sterilen antarktischen Kontinent selbst. Dr. Angus Atkinson vom British Antarctic Survey interessiert sich brennend für die Zusammenhänge zwischen Plankton, Krill und den Säugetieren, die sich davon ernähren. Atkinson und seine Kollegen werteten die Aufzeichnungen von Fischereiflotten aus neun Ländern 19 über ihre Krillfänge im Südwestatlantik aus. Dieser ist die wahre Heimat des Krills, denn 60 bis 70 Prozent der Gesamtpopulation auf der Südhalbkugel sind hier zu Hause. Atkinson und seine Kollegen unterteilten die Aufzeichnungen in zwei Zeitabschnitte: 1926 bis 1939 und 1976 bis 2003. Als sie die Krillmengen im Verlauf der beiden Perioden miteinander verglichen, stellten sie fest, dass es vor 1939 zwar von Jahr zu Jahr Schwankungen gab, sich aber bei den Mengen kein Trend nach oben oder unten abzeichnete. Anders ausgedrückt: Die Krillpopulation war stabil. In den Jahren nach 1976 zeigt sich jedoch ein ganz anderes Muster: Die Krillbestände gingen seither drastisch zurück, sie reduzierten sich um nahezu 40 Prozent pro Jahrzehnt. Atkinson und seine Kollegen berichten: »Das ist kein lokaler, kurzfristiger Effekt – er betrifft rund 50 Prozent des [Krill-] Vorkommens und die Datenspanne 1926 bis 2003 ...« Während die Krillbestände abnahmen, nahmen die einer weiteren hauptsächlich Plankton fressenden Spezies zu: der gallertartigen Salpe. Salpen waren zuvor nur in nördlicheren Gewässern verbreitet, und sie brauchen keine große Planktondichte, um zu gedeihen; ihre Ernährungsbedürfnisse sind wirklich so bescheiden, dass ihnen die magere Tafel der eisfreien Teile des Südpolarmeers genügt. Aus Sicht 120
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eines Wales aber sind Salpen so nährstoffarm, dass ihm selbst ein bis zum Rand damit voll gestopfter Ozean nichts nützen würde. Faktisch gibt es unter den Säugetieren oder Vögeln der Antarktis keine, die sich die Mühe machen, Salpen zu fressen. Atkinson kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss: »Diese Veränderungen bei den Schlüsselspezies haben tief greifende Folgen für die Nahrungsketten des Südpolarmeers. Pinguine, Albatrosse und Wale ... fallen einem Krill20 mangel zum Opfer.« Nachdem sie eine so wichtige Veränderung entdeckt hatten, versuchten die Wissenschaftler herauszufinden, was die Krillmengen steuert. Alljährlich schien die Population mit dem Ausmaß des Meereises zu fluktuieren; viel Eis bedeutete viel Winternahrung für den Krill. Vor Beginn der Satellitenaufzeichnungen in den achtziger Jahren war es unmöglich, unmittelbare Daten über die Ausdehnung des Meereises um die Antarktis im Winter zu erhalten. Mittlerweile können aber auch dank einer genialen Untersuchung der im antarktischen Eis erhaltenen (bitte Luft holen) Methansulfonsäure die jähr21 lichen Veränderungen des Meereisvolumens geschätzt werden. Nachforschungen ergaben, dass die Eisausdehnung zwischen 1840 und 1950 stabil blieb, seither aber deutlich zurückgegangen ist, und zwar so sehr, dass sich die nördliche Eisgrenze von 59,3° Süd auf 60,8° Süd verlagerte. Das entspricht einer Abnahme des Packeises 22 um 20 Prozent. Der Rückgang der Krillmengen passt so genau zum Rückgang des Eises in der fraglichen Zeit, dass kaum Zweifel bestehen: Der Klimawandel bedroht ernsthaft den produktivsten Ozean der Welt und die größten hier lebenden Tiere. Um ein Gespür für das Ausmaß der Veränderungen zu bekommen, stellen Sie sich vor, was es für die wilden Tiere der Serengeti bedeuten würde, wenn ihre Weideflächen seit 1976 pro Jahrzehnt um 40 Prozent zurückgegangen wären. Oder wenn Ihr eigener Haushaltsetat ähnlich zusammengestrichen würde. Es gibt bereits Anzeichen, dass ein Teil der antarktischen Fauna in Nöten ist. Die Population der Kaiserpinguine ist nur noch halb so groß wie vor 30 Jahren, und die Zahl 23 der Adeliepinguine ist um 70 Prozent zurückgegangen. Solche Befunde legen den Schluss nah, dass in naher Zukunft der Punkt erreicht wird, an dem vom Krill abhängige Arten sich eine nach der anderen nicht mehr ernähren können. Wenn das passiert, werden die 121
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Südlichen Glattwale, die erst seit kurzem wieder an die Küsten Australiens und Neuseelands zurückkehren, nicht mehr kommen, denn sie finden in so warmem Wasser nichts zu fressen, und sie müssen sich mit dem Winterkrill Speck anfuttern, wenn sie an ihren Geburtsort ziehen wollen. Die Buckelwale, die in ähnlicher Weise die Weltmeere durchqueren, werden ihre geräumigen Mägen nicht länger füllen können und auch nicht die unzähligen Robben und Pinguine, die in den südlichen Meeren herumtollen. Stattdessen werden wir einen Ozean voller gallertartiger Salpen bekommen – die letzten Erben einer auftauenden Kryosphäre. Die Arktis ist fast ein Spiegelbild des Südens, aber während die Antarktis ein gefrorener Kontinent ist, der von einem unendlich reichhaltigen Ozean umgeben ist, handelt es sich bei der Arktis um einen gefrorenen Ozean, der fast vollständig von Land eingeschlossen ist. Die Arktis ist auch Heimat von vier Millionen Menschen, was bedeutet, dass sie besser erforscht ist. Die meisten Bewohner leben am Rand der Arktis, und dort, in Gegenden wie dem südlichen Alaska, sind die Winter nun um 2 bis 3 °C wärmer als vor gerade mal 30 Jahren. Zu den weltweit offensichtlichsten Auswirkungen des Klimawandels zählen die Machenschaften des Fichtenborkenkäfers. In den letzten 15 Jahren hat er gut 40 Millionen Bäume im südlichen Alaska umgebracht, mehr als jedes 24 andere Insekt in der Geschichte Nordamerikas. Zwei harte Winter reichen in der Regel aus, um die Zahl der Käfer unter Kontrolle zu halten, aber eine Serie milder Winter in den zurückliegenden Jahren hat sie explodieren lassen. Die Fichtenknospenraupe stellt eine weitere Gefahr für die Bäume dar, denn die weiblichen Tiere legen bei 25 25 °C 50 Prozent mehr Eier als bei 15 °C. Was immer in der baumlosen Arktis lebt, muss zäh und anpassungsfähig sein, und in seinem wunderbaren Tribut an die Polarregionen, Arktische Träume, nimmt Barry Lopez den Hudson-Halsbandlemming (Dicrostonyx hudsonius) als Symbol für alles, was man dort zum Überleben braucht. Dieser bescheidene Geselle, schreibt er, setzte sich in meinem Geist als ... Repräsentant der Winterhärte und Unverwüstlichkeit fest. Wenn man ihm im Hochsommer auf der Tundra begegnet, wo er Flechten oder die Wurzeln des Wollgrases erntet, stellt er
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Alarm an den Polen sich auf die Hinterbeine und nimmt eine Haltung feindseliger Wachsamkeit ein, die einen dazu bringt, nicht mit ihm zu spaßen. Seine Kleinheit ändert daran nichts; er stellt einen Mut zur Schau, der auf diesem kargen 26 Grund höchst verblüffend ist.
Halsbandlemminge sind wahrhaftig Kinder des hohen Nordens, denn sie überleben sogar an der feindseligen Nordküste Grönlands und sind der Kryosphäre hervorragend angepasst. Es sind die einzigen Nagetiere, deren Fell im Winter weiß wird und deren Klauen in dieser Jahreszeit zu ausgezeichneten, zweizinkigen Schaufeln werden, mit denen sie sich durch den Schnee graben. Ihre Population fluktuiert in einem Zyklus von rund vier Jahren, und an dessen Ende sind sie so zahlreich geworden, dass sie in Massen auf die Suche nach Nahrung gehen, was der falschen Vorstellung Nahrung gibt, dass sie Selbstmord begehen, indem sie sich von Klippen stürzen. Trotz der Zähigkeit seiner Bewohner ist das Ökosystem der Arktis besonders fragil, und schon leichte Veränderungen wie eine Jahreszeit mit weniger Schnee und dafür mehr Regen kann enorme Folgen zeitigen. Im Jahr 2004 wurde ein Bericht mit dem Titel Arctic Climate Impact Assessment veröffentlicht, der von Anliegerländern ge27 sponsert worden war. Darin sind viele Veränderungen dokumentiert sowie kommende vorhergesagt, und zu den verblüffendsten Prophezeiungen gehört, dass bei anhaltender globaler Erwärmung die Wälder Richtung Norden bis zum Rand der Arktis expandieren und dabei die Tundra zerstören werden. Mehrere hundert Millionen Vögel ziehen zum Brüten in diese baumlose Gegend, und wenn die Wälder nach Norden vorrücken, werden diese gigantischen Scharen die Verlierer sein und immer seltener auf ihrem Zug nach Süden gesichtet werden. Faktisch sieht es danach aus, dass die Vögel über 50 Prozent 28 ihrer Brutreviere allein in diesem Jahrhundert verlieren werden. Beim Hudson-Halsbandlemming sind die Tundra und sein Leben aufs Engste verflochten, und im Bericht heißt es, dass die Spezies noch vor dem Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben sein wird. Alles was dann bleibt, wird vielleicht eine folkloristische Erinnerung an ein kleines, Selbstmord begehendes Nagetier sein. Die wahre Tragödie wird allerdings darin bestehen, dass die Lemminge nicht gesprungen sind. Sie wurden gestoßen. 123
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Das Arctic Climate Impact Assessment widmet sich in besonderem Maß jenen Spezies, die für die Arktisbewohner wichtig sind, und nichts ist in ihrem Leben von größerer Bedeutung als das Karibu (oder das Rentier, sein Vetter in Eurasien). Das Peary-Karibu ist eine kleine, blasse Unterart, die nur in Westgrönland und auf den arktischen Inseln Kanadas lebt. Herbstregen überziehen jetzt die Flechten, von denen sich die Tiere im Winter ernähren, mit einem Eispanzer, sodass viele hungern. Die Zahl der Peary-Karibus ging von 26 000 im Jahr 1961 auf 1000 im Jahr 1997 zurück. 1991 wurde die Spezies als gefährdet klassifiziert, was bedeutet, dass sie nicht mehr gejagt werden darf und somit für die Inuit-Wirtschaft nicht mehr von Belang ist. Die Samen (Lappen) in Finnland haben eine ähnliche Vereisung der Rentier-Winternahrung bemerkt; die Details gab Heikki Hirvasvuopio den Herausgebern des Arctic Climate Impact Assessment im Jahr 2004 zu Protokoll: Im Herbst wechselt das Wetter so stark, es gibt Regen und mildes Wetter. Das macht den Rentieren den Zugang zu den Flechten unmöglich. Es ist ganz einfach – wenn die Bodenschicht gefriert, können die Rentiere nicht zu den Flechten gehen. Das ist völlig anders als in früheren Jahren. Die Rentiere müssen kämpfen, um die Flechten herauszubekommen, und dann kommt die ganze Pflanze komplett mit der Basis heraus. Eine Flechte 29 braucht sehr lange, um sich zu erholen, wenn man die Basis entfernt.
Andere Faktoren dezimieren die Karibuherden weiter. Dazu zählen veränderte Schneefälle, die Nahrungsressourcen zudecken, und über die Ufer tretende Flüsse, in denen bei der Wanderung Tausende von 30 Kälbern umkommen. Kurz gesagt, wenn der Klimawandel fortschreitet, wird die Arktis wohl kein geeignetes Habitat für Karibus und Rentiere mehr sein. Wenn es ein Symbol für die Arktis gibt, dann ist es sicherlich nanuk, der große weiße Bär. Er ist ein Nomade und Jäger und in der weißen Unendlichkeit seiner Polarwelt jedem Mann gewachsen. Jeden Zentimeter der Arktis hat er im Griff: Nanuk wurde in 2000 Metern Höhe auf dem grönländischen Inlandeis gesichtet, man fand ihn unten an der Hudson Bay auf bloß 53° nördlicher Breite, und er stromerte zielgerichtet keine 150 Kilometer vom Nordpol entfernt über 124
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das Eis. »Ich habe immer geglaubt, das Land würde sie aufhalten«, bemerkte der kanadische Eisbärbiologe Ray Schweinsburg, »aber ich denke, sie können jedes Terrain bewältigen. Das Einzige, was sie auf31 hält, ist eine Gegend, in der es nichts zu fressen gibt.« Und genügend zu fressen zu finden heißt für Eisbären, viel Packeis zur Verfügung zu haben. Es stimmt, dass Eisbären sich dazu herablassen, Lemminge zu fangen oder tote Vögel zu fleddern, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, aber Packeis und netsik – die Ringelrobbe, die dort lebt und ihre Jungen aufzieht – bilden den Kern seiner Lebensweise. 1978 beobachteten ein Inuit-Jäger und der ihn begleitende Biologe einen Eisbären, der eine Robbe im offenen Wasser tötete, aber so ein Ereignis ist so selten wie Heidelbeeren im Frühling – die Ausnahme, die die Regel 32 bestätigt. Netsik ist das im äußersten Norden am weitesten verbreitete Säugetier, mindestens 2,5 Millionen Exemplare schwimmen im von Eisbergen gekühlten Meer. Manchmal jedoch sind die Klimaverhältnisse so, dass sie sich einfach nicht vermehren können. 1974 schneite es über dem Amundsengolf zu wenig, sodass die Robben auf dem Packeis ihre Schneehöhlen nicht bauen konnten. Also zogen sie fort, einige bis nach Sibirien. Und die Eisbären? Diejenigen, die fett genug waren, folgten den Robben auf ihrer langen Reise, aber viele, die sich in der vorangegangenen Saison nicht genügend gemästet hatten, konnten nicht mithalten und hungerten. Die Not der Sattelrobben (Pagophilus groenlandicus) im SanktLorenz-Golf gibt uns eine deutliche Vorstellung, wie die Dinge sich entwickeln werden. Wie die Ringelrobben können sie keine Jungen großziehen, wenn es zu wenig oder gar kein Packeis gibt – und das war in ihrer Heimat in den Jahren 1967, 1981, 2000, 2001 und 2002 33 der Fall. Die Folge von Jahren ohne Junge zu Beginn dieses Jahrhunderts ist beunruhigend. Wenn eine Strecke eisfreier Jahre sich über mehr als den reproduktiven Lebensabschnitt einer weiblichen Ringelrobbe erstreckt – wohl höchstens ein Dutzend Jahre –, wird die Population im Sankt-Lorenz-Golf, die sich genetisch vom Rest der Spezies unterscheidet, aussterben. Auch Ringel-, Sand- und Bartrobben brauchen das Packeis zum Gebären und zur Aufzucht ihres Nachwuchses. Selbst das mächtige Walross ist auf ein Leben im ver125
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eisten Meer angewiesen, denn der äußerst nahrungsreiche Eissaum stellt sein primäres Habitat dar. Während jeder Winter wärmer wird als der zuvor, verhungern die großen Bären allmählich. Eine Langzeituntersuchung von 1200 Tieren im Süden ihres Verbreitungsgebiets – entlang der Hudson Bay – ergab, dass sie im Durchschnitt bereits 15 Prozent magerer waren als noch vor ein paar Jahrzehnten. Die Futtersaison ist zu kurz geworden, die Bären finden nicht mehr genügend zu fressen, und 15 Prozent weniger Fett sind eine ganze Menge, wenn der Winterschlaf ansteht. Jahr um Jahr gebären die hungernden Weibchen weniger Junge. Noch vor einigen Jahrzehnten waren Drillingsgeburten üblich; heute gibt es sie nicht mehr. Und damals war die Hälfte der Jungen mit 18 Monaten entwöhnt und ernährte sich selbst, heute ist dieser Anteil 34 auf weniger als eines von 20 gesunken. Selbst die Weibchen, die erfolgreich gebären, sind mit Gefahren konfrontiert, die es früher nicht gab: Zunehmende winterliche Regenfälle lassen in bestimmten Gebieten die Höhlen einstürzen, in denen das Muttertier die Jungen zur Welt bringt, wobei vielleicht beide umkommen. Und das frühere Aufbrechen des Eises kann die Winterquartiere von den Nahrungsquellen abschneiden; da die Jungen noch nicht die Strecken schwimmen können, die dann bis zum Fressen zu bewältigen wären, verhungern sie einfach, wenn das geschieht. Wie Schweinsburg sagte, ist das Einzige, was nanuk aufhalten kann, eine Gegend, in der es nichts zu fressen gibt. Und indem wir eine Arktis mit schwindendem Packeis erschaffen, entsteht eine Einöde aus offenem Wasser und trockenem Land, wo es zumindest für nanuk einfach keine Nahrung gibt. Ohne satte Schneefälle kann er nirgendwo seine Winterhöhle bauen. Und was wird ohne Eis, Schnee und nanuk dann aus den Inuit – den Menschen, die ihm den Namen gaben und die ihn wie keine anderen verstehen? Wenn nanuk bei Kräften und wohlgenährt ist, frisst er von einer fetten Robbe nur den Speck, den Rest überlässt er einem Gefolge von Mitessern, zu denen Polarfüchse, Raben, die graugrüne Thayer-Möwe und die Elfenbeinmöwe zählen. Zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten hängen viele dieser Tiere von nanuk ab, denn keiner sonst versorgt sie in 35 diesem abweisenden Land mit solchen Gaben. Wenn sich die Arktis mit hungrigen weißen Bären füllt, was wird dann aus den anderen 126
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Kreaturen? Einige sind ebenfalls auf das Packeis angewiesen, beispielsweise die Elfenbeinmöwe und der Krabbentaucher. Faktisch ist der Bestand an Elfenbeinmöwen in Kanada in den letzten 20 Jahren schon um 90 Prozent zurückgegangen, und wenn das in dem Tempo weitergeht, überleben sie dieses Jahrhundert nicht. Es sieht danach aus, dass der Verlust von nanuk den beginnenden Zusammenbruch des gesamten arktischen Ökosystems markiert. Wenn nichts unternommen wird, um die Treibhausgas-Emissionen einzuschränken, scheint gewiss, dass irgendwann in diesem Jahrhundert der Tag heraufdämmern wird, an dem in der Arktis kein Sommereis mehr zu sehen ist, sondern bloß eine riesige, dunkle, aufgewühlte See. Ich vermute, die Welt wird nicht so lange warten müssen, bis nanuk verschwunden ist, denn noch ehe das letzte Eis schmilzt, werden die Bären die für sie nötige Konstellation von Winterquartieren, Nahrungsrevieren und Migrationskorridoren verloren haben, ohne die sie sich nicht vermehren können. Vielleicht wird sich noch eine Schar älterer Bären herumtreiben und Jahr für Jahr immer dürrer werden. Oder es kommt vielleicht der schreckliche Sommer, in dem nirgendwo Robben in ihren Höhlen hocken. Ein paar einfallsreiche Jäger halten sich dann vielleicht notdürftig mit Lemmingen, Aas und im Wasser gefangenen Robben am Leben, aber sie werden so abgemagert sein, dass sie nicht mehr aus dem Winterschlaf erwachen. Die an den Polen zu beobachtenden Veränderungen sind von der schnellen Art, was heißt, dass es unter der einzigartigen Fauna und Flora der Region keine Gewinner geben wird, wenn die Treibhausgase nicht – und zwar rasch – eingeschränkt werden. Sonst müssen wir davon ausgehen, dass das Reich des Eisbären, des Narwals und des Walrosses einfach vom größten Habitat auf Erden – den großen gemäßigten Wäldern der Taiga – und von den kalten, eisfreien Meeren des Nordens ersetzt wird. In Gegenden, die der Wald nicht übernimmt, werden steigende Temperaturen (und damit zunehmende Verdunstung) Polarwüsten entstehen lassen, denn überraschend große Teile der Arktis weisen nur sehr geringe Niederschlagsmengen 36 auf. Man könnte meinen, dass vorrückende Wälder durch ihren CO2-Verbrauch beim Wachsen helfen würden, den Klimawandel zu 127
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bremsen. Wissenschaftler schätzen jedoch, dass jeder Gewinn hier durch den Verlust der Albedo wettgemacht werden wird, denn ein dunkelgrüner Wald absorbiert viel mehr Sonnenlicht als die schneebedeckte Tundra und fängt daher viel mehr Wärme ein. Insgesamt wird die Bewaldung der nördlichen Breiten unseren Planeten also sogar noch schneller aufheizen, und wenn das passiert, wird es, was immer die Menschheit mit ihren Emissionen macht, für eine Umkehr zu 37 spät sein. Jene Eisbären oder Robben in den Zoos, die man in der Hoffnung hält, sie könnten eines Tages ihr eisiges Reich wieder in Besitz nehmen, werden Gefangene bleiben, denn nach Millionen von Jahren ihrer Existenz wird die Kryosphäre des Nordpols für immer verschwunden sein.
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2050: DAS GROSSE STUMMELRIFF? Ich ging in Gesellschaft einiger Herren auf das Riff, und da das Wasser an seinen Rändern sehr klar war, präsentierte sich dort unseren Blicken eine, wie uns schien, neue Schöpfung, die allerdings die alte imitierte. Weizengarben standen da, Pilze, Hirschgeweihe, Kohlblätter und eine Fülle weiterer Formen, die unter Wasser in den lebhaftesten Tönen aller Schattierungen zwischen Grün, Purpur, Braun und Weiß erstrahlten; an Schönheit glich es und an Großartigkeit übertraf es den allerbeliebtesten parterre des neugierigen Gärtners. Matthew Flinders, Voyage to Terra Australis, 1814
Von allen ozeanischen Ökosystemen ist keines vielfältiger oder – wie man aus dem oben zitierten Absatz schließen mag – von schönerem Farben- und Formenreichtum als ein Korallenriff; und keines ist, sagen uns die Klimaexperten und Meeresbiologen, stärker durch den Klimawandel gefährdet. Diese alarmierende Meinung höre ich öfters bei Konferenzen, und stets verblüfft mich, wie stumm das Publikum eine so schockierende Nachricht aufnimmt. Als könnte es sie nicht glauben, oder als würde die Unvermeidlichkeit, den Kindern eine Welt ohne solche Wunder zu hinterlassen, seine Vorstellungskraft übersteigen. Kann es sein, dass die Korallenriffe der Welt am Rand des Untergangs stehen? Diese Frage ist für die Menschheit von erheblichem Eigeninteresse, denn die Korallenriffe sorgen für rund 30 Milliarden US-Dollar Einkommen jährlich; größtenteils profitieren davon Menschen, die nur wenige andere Ressourcen haben. Die finanziellen Verluste werden sich jedoch vielleicht als gering erweisen, wenn man sie mit dem vergleicht, was Korallenriffe umsonst liefern. Die Bewohner von fünf Staaten leben ausschließlich auf Korallenatollen, und Saum-
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riffe sind alles, was zwischen der heranstürmenden See und zig Millionen weiteren Menschen steht. Zerstört man diese Saumriffe, tut man vielen Pazifikländern dasselbe an, als würde man Hollands Deiche mit dem Bulldozer wegreißen. Eines von vier Ozeanlebewesen verbringt zumindest einen Teil seines Lebenszyklus in Korallenriffen. Diese Biodiversität beruht zum einen auf der komplexen Architektur der Korallen, die viele Verstecke bietet, zum anderen auf dem Nährstoffmangel in den klaren, tropischen Gewässern. Interessanterweise kann ein niedriges Nährstoffniveau eine große Vielfalt hervorbringen. Denken Sie daran, dass in Gegenden mit fruchtbaren Böden und reichlichen Regenfällen oft nur ein paar Pflanzenarten dominieren. Es sind jene, die wie »Unkraut« wachsen und alle anderen übertrumpfen, wenn sie die optimale Sonnenscheindauer, genügend Wasser und Nährstoffe haben. Wo hingegen die Böden arm sind, breiten sich Nischenspezialisten aus – Pflanzen, die nur innerhalb sehr enger Grenzwerte gedeihen –, die alle dann am besten wachsen, wenn spezifische Nährstoffe in spezifischen Mengen vorliegen und der Regen nur zu bestimmten Zeiten fällt. Das beste Beispiel dafür sind die unfruchtbaren Sandebenen der südafrikanischen Kapprovinz, auf denen 8000 Arten strauchartiger Blütenpflanzen eine Mixtur von der Vielfalt der meisten Regenwälder bilden. Korallenriffe sind das marine Gegenstück der südafrikanischen Sandebenenflora. Und wir verstehen jetzt, dass Nährstoffe und Störungen, die die Strukturen der Korallenriffe zusammenbrechen lassen, die Erzfeinde ihrer Diversität sind, denn dann gedeihen nur ein paar Unkrautarten – größtenteils Meeresalgen. Als Alfred Russel Wallace 1857 Ambon Harbour im heutigen Ostindonesien ansteuerte, erlebte er ... einen der erstaunlichsten und schönsten Anblicke, die mir je zuteil wurden. Der Meeresboden war vollständig mit einer unablässigen Folge von Korallen, Schwämmen, Aktinien und anderen marinen Hervorbringungen bedeckt, die von großartigen Dimensionen, vielfältigen Formen und brillanten Farben waren. Die Tiefe variierte zwischen zwanzig und fünfzig Fuß, und der Grund war sehr uneben, Felsen und Spalten und kleine Hügel und Täler boten abwechslungsreiche Stellen für das Wachstum dieser tierischen Wälder. In sie hinein und wieder hinaus zogen Unmengen
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2050: Das große Stummelriff? von blauen und roten und gelben Fischen, die auf die verblüffendste Weise gefleckt und gebändert und gestreift waren, während große orangene oder rosarote transparente Medusen dicht unter der Oberfläche entlangtrieben. Stundenlang konnte man den Blick nicht abwenden, und keine Beschreibung kann der vorüberziehenden fesselnden Schönheit gerecht 38 werden.
Im Lauf der neunziger Jahre fuhr ich oft nach Ambon Harbour, aber ich sah keine Korallengärten, keine Medusen, keine Fische, noch nicht einmal den Grund. Stattdessen stank die trübe Brühe und war voller Abwässer und Müll. Je näher ich der Stadt kam, desto schlimmer wurde es, bis mich ganze Flöße aus Fäkalien, Plastiktüten und den Innereien geschlachteter Ziegen begrüßten. Ambon Harbour ist nur eines der zahllosen Beispiele für Korallenriffe, die im Lauf des 20. Jahrhunderts verwüstet wurden. Heute bedroht die weit verbreitete Unsitte des Überfischens – wozu auch das Fischen mit Sprengstoff und Gift gehört – die Riffe, denn angesichts des Klimawandels hängt die Stabilität der Korallenriffe in höchstem Maß von der Vielfalt der Fische und anderer Lebewesen ab, die in 39 ihnen Schutz suchen. Die Biodiversität der Riffe zu stören, fördert auch die rasche Ausbreitung von Spezies, die den Korallen schaden, wie beispielsweise des Dornenkronenseesterns. Ein weiteres Problem ist der Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft und aus umweltverschmutzten Städten, der dazu beigetragen hat, dass die meisten Riffe der Welt bedroht sind. Selbst geschützte wie das australische Große Barrier-Riff degenerieren in erheblichem Umfang, was in diesem Fall an der Vervierfachung der Nährstoffe und schadstoffreichen Sedimente liegt, die aus der Landwirtschaft stammen und von den intensiven El-Niño-Auswirkungen und den tropischen Wirbelstürmen, die für unser neues Klima charakteristisch sind, weit 40 über das Meer getragen werden. Auf den Klimawandel zurückzuführende Schäden an Riffen sind manchmal von unerwarteter Art. Während des Niño von 1997/98 brannten die Regenwälder Indonesiens wie nie zuvor, und monatelang war die Luft voller Smogwolken, die viel Eisen enthielten. Vor diesen Bränden zählten die Korallenriffe des östlichen Sumatra zu den artenreichsten der Welt und konnten sich über 100 Spezies von 131
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Steinkorallen rühmen, darunter großer, über 100 Jahre alter Individuen. Dann kam es Ende 1997 vor der Küste Sumatras zur »roten Flut«. Die Farbe resultierte aus der Blüte von winzigen Organismen, 41 die sich vom Eisen im Smog ernährten. Diese so genannten Dinoflagellaten produzieren Gifte, die so viel Schäden anrichten, dass die Riffe Jahrzehnte zur Erholung brauchen, falls ihnen das überhaupt gelingt. Der während des Niño von 2002 über Südostasien erzeugte Smog war noch viel schlimmer als der von 1997/98 – so groß wie die Vereinigten Staaten war die Wolke. In diesem Umfang kann Smog die Sonneneinstrahlung um zehn Prozent mindern und die untere Atmosphäre wie den Ozean aufheizen, was alles den Korallen Probleme 42 bereitet. Das Blühen der Dinoflagellaten verheert heute die Küsten von Indonesien bis nach Südkorea und verursacht Aquakultur-Schäden in Höhe von Hunderten Millionen Dollar. Die Hoffnung, dass sich irgendein ostasiatisches Korallenriff wieder erholt, ist geringer 43 als je zuvor. Die unmittelbaren Auswirkungen der höheren Temperaturen erweisen sich jedoch als der bedrohlichste Aspekt des Klimawandels für die Korallenriffe. Hohe Temperaturen führen zum Ausbleichen der Korallen, und um dieses Phänomen zu verstehen, müssen wir ein Riff untersuchen, das weitab von jedem menschlichen Einfluss liegt, sodass allein das wärmere Wasser für die Veränderung verantwortlich ist. Es gibt glücklicherweise einige Riffe, die durch ihre Abgelegenheit und Größe geschützt sind, und wo es daher keine Umweltverschmutzung, Fischer oder Touristen gibt. Myrmidon Reef liegt weit vor der Küste von Queensland und bekommt fast keine Menschen zu sehen. Alle drei Jahre machen Wissenschaftler des Australian Institute of Marine Sciences in Townsville dort eine Bestandsaufnahme. Als sie das 2004 taten, nahmen sie James Woodford mit, der über Umweltprobleme schreibt. Er berichtete, das Riff habe ausgesehen, »als sei es bombardiert worden«: Der Kamm des Riffs war stark ausgebleicht und bestand nur noch aus einem Wald toter, weißer Ko44 rallen. Nur an den tieferen Abhängen ging das Leben weiter. Zum Ausbleichen von Korallen kommt es immer dann, wenn die Wassertemperaturen einen bestimmten Schwellenwert überschreiten. Wo heißes Wasser die Korallen umspült, werden sie weiß wie der 132
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Tod. Ist die Erwärmung vorübergehend, erholen sich die Korallen vielleicht langsam, hält sie aber an, sterben sie. Das Phänomen bezeugt die Auflösung einer Partnerschaft, denn die Organismen, die die Riffe und Atolle unserer Welt aufbauen, sind in Wirklichkeit zwei Lebewesen in einem. Der größere Partner dieser ökologischen Verbundwirtschaft ist eine blasse, einer Seeanemone ähnliche Kreatur, die als Polyp bezeichnet wird. Ihre grünliche, rote oder blasspurpurrote Färbung bekommt sie von einem Untermieter – einem Typ von Algen, die als Zooxanthellen bekannt sind. Unter normalen Umständen handelt es sich um eine glückliche, symbiotische Beziehung: Der Korallenpolyp bietet der Alge ein Heim und ein paar Nährstoffe und die Alge liefert dem Polypen Energie aus der Fotosynthese. Steigt jedoch die Temperatur des Meerwassers, leidet die Fähigkeit der Alge zur Fotosynthese darunter, und es kostet den Polypen mehr, seinen Partner zu unterstützen, als er dafür wiederbekommt. Wie bei vielen scheiternden Beziehungen führt dieses Ungleichgewicht dazu, dass sie zerbrechen, obwohl nach wie vor rätselhaft ist, wie genau die Polypen die Algen hinauswerfen (falls sie nicht freiwillig gehen). Bleiben die Temperaturen ein bis zwei Monate lang hoch, verhungern die Polypen ohne ihre Algen, und zurück bleibt ein Riffskelett, das schließlich von Weichkorallen und Grünalgen überwuchert wird. Vor 1930 hatte man kaum etwas von ausbleichenden Korallen gehört, und bis in die siebziger Jahre blieb es ein recht seltenes Phänomen. 1998 löste El Niño das globale Sterben aus. Einige Korallenriffe wurden sowohl vor als auch nach diesem Ereignis eingehend untersucht, woraus die Wissenschaftler viel lernten. Im Indischen Ozean waren die Scott- und Seringapatam-Riffe bis in eine Tiefe von 30 Metern stark ausgebleicht. Vor 1998 lag der Anteil von Steinkorallen auf diesen Riffen bei gesunden 41 Prozent, dann fiel er auf 15 Prozent. Am Scott-Riff hat es seither keinerlei Erholung der Korallen gegeben; das Seringapatam-Riff erholt sich langsam. Das Große Barrier-Riff ist durch den Klimawandel am leichtesten verwundbar, und wegen der höheren Temperaturen nahe der Küste und der krankmachenden Umweltverschmutzung traf es die Korallen, die näher am Ufer wuchsen, schlimmer als die am äußeren Riff. 1998 bleichten alles in allem 42 Prozent des Großen Barrier-Riffs aus, und 18 Prozent erlitten bleibende Schäden. Als es 2002 wieder 133
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zu El-Niño-Verhältnissen kam, bildete sich über dem Riff ein Pool warmen Wassers von rund einer halben Million Quadratkilometern Größe. Die Folge war ein weiteres massives Ausbleichen, das an einigen küstennahen Riffen 90 Prozent aller Korallen tötete und 60 Prozent des komplexen Großen Barrier-Riffs in Mitleidenschaft zog. An den wenigen Stellen, wo das Wasser kühl blieb, wurden die Korallen hingegen nicht geschädigt. Eine 2003 durchgeführte Bestandsaufnahme ergab, dass auf der Hälfte des Riffgebiets der Mantel aus lebenden Korallen auf weniger als zehn Prozent geschrumpft war, wobei auch in den gesündesten Abschnitten ein starker Rückgang zu erkennen war. Öffentliche Empörung zwang die Politik zum Handeln, und die australische Regierung verkündete, 30 Prozent des Riffs würden geschützt. Das bedeutete, dass in der neuen Schutzzone die kommerzielle Fischerei verboten und sonstige menschliche Aktivitäten stark eingeschränkt würden. Es sind aber nicht die Fischer oder die Touristen, die das Riff umbringen, das erledigen die sich immer höher schraubenden CO2-Emissionen. Die Australier blasen pro Kopf mehr CO2 in die Luft als jedes andere Volk der Erde. Wenn die australische Regierung wirklich allen Ernstes das Riff retten wollte, würde sie sowohl in der Energiepolitik aktiv werden als auch sich international engagieren. Stattdessen verkündete die Regierung im Jahr 2004 ihre lange erwarteten Richtlinien zur Energiepolitik, die die Kohle als das Zentrum des nationalen Energieerzeugungssystems fortschrieben. Im Jahr 2002 warnte ein Expertengremium von 17 weltweit führenden Korallenriffforschern in einem Artikel in Science: »Die zu erwartende Zunahme an CO2 und die Temperatursteigerung im Verlauf der nächsten 50 Jahre sprengen die Bedingungen, unter denen Korallenriffe im Verlauf der letzten halben Million Jahre gediehen sind.« Bis zum Jahr 2030, sagten sie, werden die Riffe der Welt katastrophale Verluste erleiden, und bis 2050 werden selbst die am besten 45 geschützten Riffe massive Anzeichen von Schädigungen aufweisen. Diese Warnungen wurden im Oktober 2002 bestätigt, als sich 15 der führenden Korallenriffexperten in Townsville, Queensland, trafen, um den erschreckenden Zustand des Großen Barrier-Riffs zu disku46 tieren. Dem Riffexperten Dr. Terry Done zufolge würde ein weite134
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Gobiodon Spezies C: Dieser kleine Fisch lebt vor Papua-Neuguinea. Sein Habitat – ein Riff – ist so weit zerstört, dass ihm ein einziger Korallenstock zum Leben geblieben ist.
rer Anstieg der globalen Temperatur um 1 °C dazu führen, dass 82 Prozent des Riffs ausbleichen; bei einer Steigerung von 2 °C sind es 47 97 Prozent, und bei 3 °C folgt die »totale Vernichtung«. Weil die Ozeane rund drei Jahrzehnte brauchen, bis sie sich der in der Atmosphäre angesammelten Wärme angeglichen haben, könnte es gut sein, dass vier Fünftel des Großen Barrier-Riffs aus lebenden Toten bestehen – die nur darauf warten, bis die Zeit und das warme Wasser sie einholen. Ein vom Klimawandel verursachtes Artensterben hat mit großer Sicherheit an den Riffen der Welt bereits eingesetzt, und das Schicksal einer winziger Art von in Korallenriffen lebenden Fischen, Gobio48 don Spezies C, könnte dafür typisch sein. Das Habitat dieses klitzekleinen Tieres wurde durch das Ausbleichen der Korallen und andere Folgen des Niño von 1997/98 zum größten Teil zerstört, und man kann den Fisch heute nur noch in einer kleinen Korallenbank in einer
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Lagune von Papua-Neuguinea finden. »Spezies C« zeigt an, dass die Art noch nicht formell benannt wurde, und ihre Lage ist so heikel, dass sie vielleicht ausstirbt, noch ehe sie wissenschaftlich getauft wurde. Von Gobiodon Spezies C wissen wir nur, weil ein Wissenschaftler, der sich für die Gattung interessierte, viele Monate lang die Veränderungen bei der Häufigkeit dieses Fisches dokumentiert hat, den andere vielleicht gar nicht zur Kenntnis nahmen. Angesichts der Vielfalt der Korallenriffe und der wenigen Meeresbiologen, die sie erforschen, ist es keine Übertreibung zu sagen, dass wir den Verlust dieses einen kleinen Fisches tausendfach multiplizieren müssen, um eine Vorstellung von der Kaskade des Aussterbens zu bekommen, die aller Wahrscheinlichkeit bereits jetzt im Gang ist. Aber trotz der enormen Schäden, die an den Korallenriffen der Welt bereits jetzt zu erkennen sind, haben einige Wissenschaftler Hoffnung, dass die Riffe vielleicht den Klimawandel überleben. Hätten wir das australische Große Barrier-Riff vor 15 000 Jahren besuchen können, sagen sie, hätten wir kaum mehr gefunden als eine Kette von Kalksteinhügeln, die eine Küstenebene vom Meer trennte. Damals lagen alle heute existierenden Korallenriffe an Land und waren trocken, denn der Meeresspiegel befand sich 100 Meter unter dem heutigen Niveau. Die wichtigsten Familien von Steinkorallen – aus denen die Riffe bestehen – gab es schon vor dem Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren, als ein Asteroid den Planeten traf und die globalen Ökosysteme verheerte. Wie sie überlebten, ist unklar, doch höchstwahrscheinlich gelang ihnen das nur in speziellen Rückzugsgebieten. Einige Wissenschaftler glauben, dass die Überlebenden die Chemie ihrer Skelette änderten; andere meinen, eine Zeit lang seien sie ganz ohne Skelette ausgekommen. Vielleicht werden Korallen in der Zukunft wieder zu solchen extremen Lösungen gezwungen, denn wenn CO2 sich in der Atmosphäre ansammelt und dann in den Ozean diffundiert, macht es das Meerwasser sauer, und die Korallenorganismen können ihr hartes Skelett nicht mehr aufbauen. Die Vergangenheit lehrt zwar, dass einzelne individuelle Korallenarten überleben könnten, aber für die Biodiversität der Riffe insgesamt gilt das wohl nicht. Um herauszufinden, welche Bedingungen die voll ausgebildete Vielfalt der Korallenriffe noch toleriert, müssen wir die frühesten Belege für die Lebensformen in Betracht ziehen, die 136
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die heutigen Riffe bevölkern. Am besten kann man das auf dem Monte Bolca in der Nähe von Verona tun, wo man seit dem 16. Jahrhundert fein geschichtete Kalksteinablagerungen voller uralter Seefische abbaut. Vor 50 Millionen Jahren war die Gegend um Verona eine Lagune hinter einem Korallenriff, und wenn die Fische am Riff starben, wurden sie in das ruhige Wasser gespült, wo ihre in leuchtenden Farben strahlenden Körper in die sauerstofflosen Bodenschichten absanken. Ohne Sauerstoff gibt es keine Verwesung, und am Monte Bolca klappte die Konservierung so gut, dass man ein paar Farbmuster jener längst verstorbenen Fische noch immer erkennen kann. Wissenschaftler haben in den Ablagerungen 240 Spezies identifiziert, und unter ihnen befinden sich die Vorfahren vieler der Fische, die die modernen Korallenriffe bevölkern. Dass in so frühen geologischen Schichten so viele Fische auftauchen, lässt auf eine rapide Artenausbreitung nach einer Katastrophe schließen. Angesichts dessen, was wir über den von Methan ausgelösten dramatischen Klimaumschwung vor 55 Millionen Jahren wissen, scheint es möglich, dass dieses Ereignis frühere Korallenriffe bewohnende Fische vernichtete – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Riffe selbst – und danach die Korallenriffgemeinschaften, die wir heute kennen, an deren Stelle traten. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die für die Korallenriffe verantwortlichen Arten den bedrohlichen Klimawandel überleben könnten: durch Anpassung oder durch Migration. Jüngeren Forschungen zufolge können einige Typen der Zooxanthellen, die in den Polypen leben, höhere Temperaturen besser tolerieren als andere. Eine Algenform namens Symbiodinium D verträgt warmes Wasser besonders gut, aber weil sie das Sonnenlicht nicht so effizient in Nahrung umwandelt wie ihre Niedrigtemperatur-Verwandten, ist sie heute relativ 49 selten. Auf ausgebleichten Riffen jedoch hat ihre Verbreitung zugenommen. Wenn sich Korallen auf diese Weise anpassen können, gibt es Hoffnung, dass einige von ihnen, vielleicht auch manche Riffe an 50 den Stellen überleben, wo sie heute wachsen. Doch der Umfang der Anpassungen müsste viel größer werden, und es müsste schnell gehen, um die Mehrheit der Korallenriffe vor der Vernichtung zu bewahren. 137
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Ein anderer Ausweg wäre, dass die Korallen nach Süden in kühlere Gewässer abwandern. Im Fall des Großen Barrier-Riffs fehlt der Küste im Süden des heutigen Korallenverbreitungsgebiets der ausgedehnte flache Kontinentalschelf, der für große Riffe nötig ist. Ein paar Arten finden vielleicht an Orten wie Sidney Harbour Zuflucht, aber nur ein Bruchteil der Vielfalt allein der mobilen Riffspezies könnte in so begrenzten Gebieten existieren. Wie lautet also die Prognose für die Korallenriffe? Ihre komplexe Ökologie und unser begrenztes Wissen darüber erschweren die Einschätzung, wie die Riffe auf die Erwärmung reagieren werden; dieser Komplex gehört zu den am schwierigsten vorhersagbaren Folgen des Klimawandels. Nichtsdestotrotz weisen die bereits vorhandenen Schäden deutlich darauf hin, dass die Riffe empfindlich auf die Umwälzungen des Klimawandels reagieren, was mich (und viele andere Wissenschaftler) zu der Überzeugung bringt, dass die Zukunft der Riffe im sich abzeichnenden neuen Klima düster aussehen wird. Stellen wir uns vor, wie das Große Barrier-Riff in 50 Jahren aussehen könnte. Nur 50 der 400 Arten Steinkorallen, die gegenwärtig in dem Riffkomplex leben, haben sich wahrscheinlich an Symbiodinium D als Partner angepasst, und fast alle dieser hitzebeständigen Arten sind von klumpiger Gestalt oder dicke, stämmige Typen. Solche Korallen sind nicht nur relativ unattraktiv, sie bauen auch nicht die Labyrinthstrukturen auf, die für die Biodiversität des Riffs so 51 wichtig sind. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass mehr als ein kleiner Bruchteil der Tiere des Riffs diesen Wandel überleben wird. Letzten Endes würden Besucher, die im Jahr 2050 nach Queensland kommen, also vielleicht das Große Stummelriff besichtigen. Der Tourismus ist Australiens zweitgrößte Einkommensquelle, und das Große Barrier-Riff ist einer der Joker des Geschäfts, also ist die Frage, wer Geld dafür bezahlen will, die Wunderwelt des Großen Stummelriffs zu besichtigen, von mehr als akademischer Bedeutung. Und da die Existenz einiger Länder völlig von Korallenriffen abhängt, steht viel mehr als nur wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel.
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EINE WARNUNG VON DER GOLDKRÖTE Wenn Chicha getrunken wird, die Nacht lang und dunkel ist und die Feuer bis auf glimmende Asche herunterbrennen, erzählen die weisen alten Männer des Stammes ... von einem wunderschönen, sagenumwobenen goldenen Frosch, der in den Wäldern dieser geheimnisvollen Berge lebt. Den Legenden nach ist der Frosch so durch und durch scheu und lebt so zurückgezogen, dass man ihn nur nach mühseligen Bewährungsproben und geduldiger Suche in dunklen Wäldern auf nebelverhangenen Hängen und den kalten Gipfeln finden kann ... Wer diese herrliche Kreatur findet, wird auf grandiose Weise belohnt. Jeder, der das glitzernde Funkeln des Frosches erspäht, ist zunächst erstaunt über seine Schönheit und von der Aufregung und der Freude des Entdeckens überwältigt; fast im gleichen Moment erlebt er vielleicht auch große Furcht. Die Geschichte geht so weiter, dass jedermann, der den legendären Frosch entdeckt, Glück findet... Eine Episode berichtet von einem Mann, der den Frosch fand, ihn fing, dann aber wieder freiließ, weil er das Glück nicht erkannte, als er es hatte; ein anderer ließ den Frosch frei, weil er das Glück zu schmerzhaft fand. J. Savage, On the Trail of the Golden Frog, 1970
Bis zu diesem Punkt unserer Geschichte ist noch keine einzige Spezies vorgekommen, die definitiv aufgrund des Klimawandels ausgestorben ist. Wo es vermutlich bereits geschehen ist, beispielsweise in den Wäldern Neuguineas und an den Korallenriffen, war kein Biologe zur Stelle, der das Ereignis hätte dokumentieren können. Im Gegensatz dazu ist das Monteverde-Bergregenwald-Reservat in Costa Rica, in dem das Goldkröten-Labor für Umweltschutz liegt, mit einer Fülle von Wissenschaftlern gesegnet. Kurz nachdem unser fragiler Planet das magische Klimator von 1976 durchschritt, beobachteten die 139
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Ökologen, die ihre Tage mit detaillierten Feldforschungen in jenen ursprünglichen Wäldern verbringen, auf einmal merkwürdige Vorgänge. Zwar liegt seit 1976 nirgendwo auf der Welt, wie wir sie kennen, der Löwe beim Lamm, aber im Monteverde-Reservat nistet der Fischtukan (Rhamphastos sulphuratus) direkt neben dem Quetzal (Pharomachrus moccino) – was in den Augen von Regenwaldökologen ein ernst zu nehmendes Vorzeichen für ein drohendes Verhängnis ist, das einer biblischen Weissagung gleichkommt. Der Fischtukan ist ein Vogel des Tieflands, und sein abruptes Vordringen ins neblige Reich des leuchtend roten und grünen Quetzal, der der Schutzgeist der Maya ist, war ein Zeichen dafür, dass sich oben in den Bergen die Verhältnisse ändern. Den Quetzal sieht man noch immer auf dem Monteverde, aber nicht mehr so oft wie einst, was zum Teil daran liegt, dass der Fischtukan dessen Eier und Jungvögel frisst. Ein paar sensiblere Vogelarten sind bereits völlig aus der Gegend verschwunden. Während des trockenen Winters von 1987 verschwanden dann aus den moosbewachsenen Regenwäldern, die in rund 1500 Metern Höhe über dem Meer die Berghänge einhüllen, 30 der 50 Froscharten, die in dem 30 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet gelebt hatten. Zu ihnen zählte eine spektakuläre Kröte, die die Farbe gesponnenen Goldes aufwies. Die Kreatur lebte nur an den oberen Hängen des Berges, dort aber in Hülle und Fülle, und zu bestimmten Jahreszeiten konnte man die glitzernden Männchen zu Dutzenden dabei beobachten, wie sie sich auf dem Waldboden um Pfützen scharten, um sich zu paaren. Das Verschwinden dieser Goldkröte (Bufo periglenes) beunruhigte die Wissenschaftler besonders, weil sie zu den spektakulärsten Amphibien der Gegend zählte und nirgendwo sonst gefunden wurde. Entdeckt und benannt wurde die Goldkröte im Jahr 1966. Nur die Männchen sind golden; die Weibchen sind schwarz, gelb und scharlachrot gefleckt. Einen gut Teil des Jahres leben die Tiere im Verborgenen; sie verbringen ihre Zeit unter Tage in Gängen zwischen den vermoosten Wurzelmassen des Krummholzwaldes. Wenn dann die Trockenzeit den feuchten Monaten April und Mai weicht, tauchen sie für nur wenige Tage oder Wochen in Massen auf. Da die Zeit für 140
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die Reproduktion knapp ist, kämpfen die Männchen miteinander um den besten Platz und ergreifen jede Gelegenheit, sich zu paaren – und wenn es nur der Stiefel eines Feldforschers ist. In ihrem Buch In Search of the Golden Frog (»Kröte« war für einen Buchtitel wohl zu abstoßend), erzählt die Amphibienexpertin Marty 52 Crump, wie es war, die Tiere im Paarungsrausch zu beobachten: Ich stapfe bergauf ... durch Bergregenwald, dann durch knorrigen Krummholzwald ... Hinter der nächsten Kurve offenbart sich mir der unglaublichste Anblick, den ich je gesehen habe. Um mehrere kleine Tümpel zu Füßen windgebeugter, verkrüppelter Bäume posieren über 100 goldorangene Kröten wie Statuen, gleißende Juwelen vor dunkelbraunem Matsch.
Am 15. April 1987 notierte Crump etwas in ihrem Forschungstagebuch, das historische Bedeutung erlangen sollte: Wir sehen einen großen orangefarbenen Klecks mit Beinen, die in alle Richtungen fuchteln: eine sich windende Masse von Krötenfleisch. Eine genauere Überprüfung ergibt drei Männchen, die darum kämpfen, Zugang zu dem Weibchen in der Mitte zu bekommen. 42 glitzernde, orangefarbene Kleckse, die sich um den Tümpel herum positioniert haben, sind Männchen, die sich noch nicht gepaart haben, auf jede Bewegung lauern und bereit sind, jederzeit herbeizustürzen. Weitere 57 paarungsbereite Männchen hocken verstreut in der Nähe. Insgesamt finden wir 133 Kröten in der Umgebung dieser Pfütze von der Größe einer Küchenspüle.
Am 20. April: Die Paarungszeit scheint vorbei zu sein. Vor vier Tagen habe ich das letzte Weibchen gefunden, und allmählich kehren die Männchen in ihre Verstecke unter der Erde zurück. Jeden Tag ist der Boden trockener, und die Tümpel haben immer weniger Wasser. Die Beobachtungen von heute sind entmutigend. Die meisten Tümpel sind vollständig ausgetrocknet. Zurück bleiben dehydrierte, bereits mit Schimmel bedeckte Eier. Unglücklicherweise zieht das trockene Wetter von El Niño diesen Teil Costa Ricas noch immer in Mitleidenschaft.
Als wüssten sie um das Schicksal ihrer Eier, versuchten die Kröten im Mai noch einmal welche zu legen. Das war, soweit wir wissen, die 141
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letzte große Krötenorgie, und Crump hatte die Ehre, sie zu dokumentieren. Trotz des Umstands, dass 43 500 Eier in den zehn von ihr untersuchten Tümpeln deponiert wurden, blieben nur 29 Kaulquappen länger als eine Woche am Leben, denn die Tümpel trockneten abermals rasch aus. Im nächsten Jahr kehrte Crump zur Paarungszeit zum Monteverde zurück, aber diesmal war alles anders. Nach langem Suchen machte sie am 21. Mai ein einziges Männchen ausfindig. Als es Juni war und sie noch immer suchte, war Crump besorgt: »Ohne die leuchtenden, orangefarbenen Kleckse, die ich bisher mit diesem [feuchten] Wetter assoziiert habe, wirken die Wälder steril und deprimierend. Ich begreife nicht, was passiert ist. Warum haben wir nicht ein paar hoffnungsfrohe Männchen gefunden, die voller Erwartung die Pfützen inspizieren ...?« Aber auch als die Saison vorüber und kein weiteres Exemplar gesichtet worden war, herrschte noch kein übertriebener Pessimismus. Ein weiteres Jahr sollte vergehen, bis am 15. Mai 1989 abermals ein einsames Männchen gesichtet wurde. Es hockte nur drei Meter von der Stelle entfernt, an der Crump zwölf Monate zuvor eines gesehen hatte, und mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um dasselbe Exemplar, das nun schon im zweiten Jahr einsam Wache hielt und auf das Eintreffen seiner Artgenossinnen wartete. Es war, soweit wir wissen, das letzte seiner Spezies, denn seither ist die Goldkröte nicht mehr gesehen worden. Kröten und Tukane waren, wie sich herausstellte, nur zwei der Spezies, die von den Veränderungen betroffen waren. Vor allem Eidechsen litten in den Jahren nach 1987 unter dem Zusammenbruch ihrer Populationen, insbesondere der Anolis, ein kleiner Verwandter des Grünen Leguans; bis 1996 waren zwei Anolis-Spezies – Norops tropidolepis und Norops altae – vollkommen verschwunden. Gegenwärtig werden die Bergregenwälder weiter ihrer Juwelen beraubt, Jahr um Jahr werden viele Reptilien, Frösche und andere Tiere seltener. Das Reservat ist zwar noch grün genug, um den Namen »Monteverde« zu rechtfertigen, aber es beginnt einer Krone zu ähneln, die ihre strahlendsten und schönsten Edelsteine verloren hat. Da sie den Verdacht hatten, dass irgendwelche verrückten Wetterverhältnisse der Grund für die Veränderungen sein könnten, durchforsteten die Wissenschaftler die monatlichen Aufzeichnungen der 142
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Temperaturen und Regenfälle in der Gegend, aber in diesen Daten konnten sie nichts Ungewöhnliches finden. Glücklicherweise gab es eine alternative und detailliertere Informationsquelle auf dem Berggipfel – am Rand des Untersuchungsgebiets steht eine Wetterstation, und sie lieferte feiner gerasterte Aufzeichnungen lokaler Veränderungen, wie man sie brauchte, um das Rätsel zu lösen. Zwölf Jahre dauerte es, bis die Forscher ihre Befunde veröffentlichten: 1999 verkündeten sie, dass sie den Grund für die Verarmung des Monteverde herausgefunden hätten. Die gründliche Überprüfung der meteorologischen Daten hatte gezeigt, dass seit 1976, als die Erde das erste magische Klimator passierte, die Anzahl von Tagen ohne Nebel in jeder Trockenjahreszeit zugenommen hatte, bis sie sich schließlich zu ganzen Strecken nebelloser Tage verbanden. In der Trockenzeit des Jahres 1987 hatte die Anzahl von aufeinander folgenden nebellosen Tagen einen kritischen Schwellenwert überschritten. Offensichtlich war der Vorgang so subtil, dass er von den Forschern, die auf dem Berg arbeiteten, nicht entdeckt wurde, aber er hatte das gesamte Ökosystem des Berggipfels in eine Krise gestürzt. Nebel, das muss man bedenken, bringt lebenswichtige Feuchtigkeit, und ohne diese trocknete der Wald so weit aus, dass eine Lawine katastrophaler Veränderungen ausgelöst wurde, die Bergvögel, Anolis-Arten, Goldkröten und andere Amphibien mit sich riss. Warum, wollten die Forscher wissen, hatte sich der Nebel vom Monteverde abgewandt? Unter »Wolkenlinie« versteht man die Höhe, in der Wolken an den Berghängen aufsitzen und dort für das Nebelwetter sorgen, und von 1976 an stieg die Unterseite der Wolkenmassen stetig höher, bis die Wolkenlinie oberhalb des Waldes lag. Bewirkt wurde diese Veränderung von dem abrupten Anstieg der Oberflächentemperaturen im zentralen Westpazifik, der das magische Tor von 1976 ankündigte. Der warme Ozean hatte wohl die Luft aufgeheizt und den Kondensationspunkt für die darin enthaltene Feuchtigkeit nach oben verlegt. Bis 1987 hatte die steigende Wolkenlinie an vielen Tagen den moosbewachsenen Wald ganz und gar verlassen, und die Wolken hingen im Himmel darüber, wo sie Schatten spendeten, aber keine Feuchtigkeit. Dieser Schatten und die Kühle, die er mit sich brachte, waren in den ursprünglichen regionalen Wet143
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teraufzeichnungen enthalten, und sie hatten die Wissenschaftler zunächst in die Irre geführt. Die durchlässige Haut der Goldkröte und ihre Neigung, am Tag herumzuziehen, machten sie für die Austrocknung, die die Strecken nebelloser Tage mit sich brachten, besonders anfällig. Als die Untersuchung 1999 veröffentlicht wurde, war diese wundersame Kreatur seit einem Jahrzehnt ausgestorben. Es ist immer niederschmetternd, wenn man Zeuge eines Artensterbens wird, denn man sieht die Zerschlagung eines Ökosystems und einen nicht wieder gutzumachenden genetischen Verlust. Das Aussterben der Goldkröte war jedoch nicht vergeblich, denn als die Erklärung für ihren Untergang in Nature veröffentlicht wurde, mussten die Wissenschaftler nicht mehr um den heißen Brei herumreden: Die Goldkröte ist das erste dokumentierte Opfer der globalen Erwärmung; wir haben sie mit unserer Verschwendung von aus Kohle erzeugter Elektrizität und mit unseren überdimensionierten Autos umgebracht, und zwar so unmittelbar, als hätten wir ihren Wald mit Bulldozern plattgemacht. Es war, als hätten wir, obwohl wir es erlebten, das Glück nicht erkannt. Da die Gründe für das Aussterben der Goldkröte durch und durch nachvollziehbar waren, begannen Amphibienforscher weltweit ihre Befunde erneut auszuwerten, denn seit 1976 hatten viele erlebt, dass Amphibienspezies vor ihren Augen verschwanden, ohne dass sie den Grund feststellen konnten. Könnte der Klimawandel, fragten sie sich, dafür verantwortlich gewesen sein? Steve Richards vom South Australian Museum hat eine Reihe von Amphibienverlusten in den moosbewachsenen Bergwäldern Ostaustraliens dokumentiert. Diese begannen Ende der siebziger Jahre, als eine bemerkenswerte Kreatur namens Südlicher Bauchbrütender Frosch (Rheobatracbus silus) aus dem südöstlichen Queensland verschwand. Als der braune, mittelgroße Frosch im Jahr 1973 entdeckt wurde, staunte die Welt: Als ein Forscher in das offene Maul eines Weibchens blickte, sah er auf dessen Zunge einen Miniaturfrosch sitzen ! Auch die Froschforscher saßen daraufhin mit offenen Mündern da. Ein naiver Beobachter hätte glauben können, die Spezies sei kannibalisch, aber das war nicht der Fall, sie hatte bloß bizarre Brutgewohnheiten: Das Weibchen verschluckt seine befruchteten Eier, und 144
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Der australische Bauchbrütende Frosch läßt seine Kaulquappen im eigenen Magen heranwachsen, den er irgendwie von einem Verdauungsorgan in einen Brutkasten umwandelt. Diese Spezies wird vielleicht das erste Klimawandel-Opfer des Kontinents.
die Kaulquappen entwickeln sich in seinem Magen, bis sie sich in Frösche verwandeln, die das Weibchen dann in die Welt hinauswürgt. Als diese bis dato unbekannte Reproduktionsmethode veröffentlicht wurde, waren einige Ärzte verständlicherweise sehr aufgeregt. Wie, fragten sie sich, konnte der Frosch seinen Magen von einem säuregefüllten Verdauungsorgan in einen Kindergarten verwandeln? Sie hofften, die Antwort könnte ihnen helfen, verschiedene Magenkrankheiten zu behandeln. Leider konnten sie nicht viele Untersuchungen durchführen, denn 1979 – sechs Jahre nachdem seine Existenz der Welt mitgeteilt worden war – verschwand der Bauchbrü145
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tende Frosch und mit ihm ein weiterer Bewohner derselben Flüsse, der Mount Glorious Strömungsfrosch (Taudactylus diurnus). Keiner ist seither wieder gesehen worden. Fünf Jahre nachdem der letzte Bauchbrütende Frosch ins Reich der Geschichte hüpfte, wurde die Entdeckung einer weiteren Spezies derselben Gattung verkündet. Rheobatrachus vitellinus lebte weiter im Norden, an der Küste des mittleren Queensland. Die Tiere waren größer, ansonsten aber verblüffend ähnlich. Sie haben vielleicht bemerkt, dass hier kein umgangssprachlicher Name für sie steht, also wird es Sie nicht überraschen, dass die Freude der Herpetologen nur kurz währte. Bevor man sie im Detail erforschen konnte, war auch diese Spezies nicht mehr aufzufinden – ihre Existenz als eine den Menschen bekannte Spezies musste in Monaten gemessen werden, nicht in Jahren. Anfang der neunziger Jahre begannen die Frösche massenhaft aus den Regenwäldern im nördlichen Queensland zu verschwinden, und wie im Fall der Goldkröte geschah dies in ansonsten ungestörten Regenwäldern. Bis heute sind mindestens 16 Froscharten (13 Prozent der gesamten Amphibien Australiens) drastisch zurückgegangen. Über die Gründe wird noch debattiert, aber der Klimawandel, den Ostaustralien in den letzten paar Jahrzehnten erlebt hat, kann für Frösche nicht gut gewesen sein, denn anhaltende El-Niño-ähnliche Bedingungen haben die Niederschläge an Australiens Ostküste deutlich zurückgehen lassen. Die letzten Analysen legen den Schluss nahe, dass zumindest im Fall des Bauchbrütenden und des Strömungsfrosches der Klimawandel der wahrscheinlichste Grund für ihr Ver53 schwinden war. Als 2004 die erste globale Bestandsaufnahme der Amphibien abgeschlossen wurde, zeigte sich, dass fast ein Drittel der rund 6000 Spe54 zies vom Aussterben bedroht war. Viele dieser gefährdeten Arten begannen nach 1976 zurückzugehen, und Simon Stuart von der International Union for the Conservation of Nature sagt: »Es gibt so 55 gut wie keine Anzeichen für eine Erholung.« Nach einem Jahrzehnt Forschung präsentierten nordamerikanische Wissenschaftler ihre eigene elegante Hypothese, die die Gründe für diese Rückgänge zu einem einzigen, vereinheitlichten Konzept zu56 sammenführt. Diese Untersuchung konzentrierte sich auf das 146
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Schicksal der Amphibien im Nordwesten der Vereinigten Staaten, und typisch für die Muster, die die Forscher herausfanden, sind die des westlichen Bufo boreas. Amphibien der Gattung Bufo sind allgemein als Kröten bekannt. Eine wegweisende Entdeckung der amerikanischen Wissenschaftler war, dass ultraviolettes Licht die Entwicklung der Krötenembryos verzögert, und das wiederum macht sie für eine Chytridium-artige Pilzerkrankung empfänglich, die von Saprolegnia ferax hervorgerufen wird, einem weltweiten Amphibien-Killer. Die Krötenembryonen, so hat sich herausgestellt, bekamen mehr ultraviolettes Licht ab, weil die Tümpel, in denen sie heranwuchsen, flacher waren; und der Grund dafür ist, dass die anhaltenden El-Niño-ähnlichen Bedingungen seit 1976 dem pazifischen Nordwesten weniger Winterregen bescherten. Selbst eine kleine Veränderung der Wassertiefe kann entscheidend sein. In 50 Zentimeter tiefen Tümpeln sterben nur zwölf Prozent der Kaulquappen an dem Pilz, steht das Wasser aber nur 20 57 Zentimeter hoch, sterben 80 Prozent. Im schlimmsten Fall trockneten einige Tümpel vollständig aus, was sämtliche Kaulquappen darin umbrachte. Um das auszugleichen, versuchten einige Frösche in größeren Gewässern zu laichen, aber darin schwammen Fische, die die schlüpfenden Kaulquappen fraßen, und umzingelt von Pilzen, austrocknenden Teichen und Fischen hatten die Amphibien der Region keine Ausweichmöglichkeit mehr und schlossen sich so der langen Liste von Spezies an, die sich im freien Fall dem Aussterben nähern. Die Eleganz dieser Hypothese liegt darin, dass sie eine Konstellation von Auswirkungen unter einem einzigen dominanten Faktor zusammenführt. In verschiedenen Weltgegenden haben Wissenschaftler dokumentiert, was eine oder mehrere dieser Veränderungen zur Folge hatten. Im Fall der Goldkröte war es das Ausbleiben des Nebels. Australiens Frösche wurden, so wurde berichtet, mit Chytridium-Pilzen infiziert, und anderenorts bedeuteten ausbleibende Regenfälle oder tote Kaulquappen, dass die Reproduktion zurückging. Was immer jedoch der unmittelbare Grund war, all dem liegen Änderungen unseres Wetters zugrunde, die das magische Tor des Jahres 1976 und vielleicht auch das von 1998 herbeiführte.
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FLÜSSIGES GOLD: VERÄNDERTE NIEDERSCHLÄGE Hat der Regen einen Vater, oder wer zeugte die Tropfen des Taus? Das Buch Hiob 38, 28
Von den Polen bis zum Äquator erstreckt sich über unsere Erde ein Temperaturspektrum von rund –40 °C bis +40 °C, und Luft von + 40 °C kann vierhundertsiebzigmal so viel Wasserdampf aufnehmen wie solche von –40 °C. Dieser Umstand verdammt unsere Pole dazu, riesige gefrorene Wüsten zu sein, und uns dazu, dass wir für jedes Grad von uns verursachter Erwärmung global im Durchschnitt ein 58 Prozent mehr Regen bekommen werden. Die entscheidende Tatsache dabei aber ist, dass dieser zusätzliche Niederschlag nicht in Raum und Zeit gleichmäßig verteilt sein wird. Vielmehr wird es an einigen Orten zu ungewöhnlichen Zeiten regnen, an anderen überhaupt nicht. Es wird sogar ein paar auserwählte Stellen geben, an denen sich die Niederschläge kaum ändern werden. Über weiten Teilen der Welt nehmen die Regenfälle zu, aber mehr Regen ist weder für die Natur noch für die Menschen notwendigerweise gut. Eine der sichersten Prophezeiungen der Klimawissenschaft besagt, dass in Folge der globalen Erwärmung die hohen Breitengrade im Winter mehr Regen abbekommen werden, und wie wir gesehen haben, kann das für die Bewohner der Arktis sehr schlecht sein. Weiter im Süden führen vermehrte winterliche Niederschläge ebenfalls zu unwillkommenen Veränderungen: 2003 lösten sie in Kanada eine tödliche Lawinensaison aus, während in Großbritannien der Frühling 2004 so nass war, dass es in vielen Regionen schwierig
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Flüssiges Gold: Veränderte Niederschläge
oder unmöglich war, Heu zu machen. Natürlich erwartet man überall, wo die Regenmengen zunehmen, auch mehr Überschwemmungen, aber je üblicher extreme Wetterverhältnisse werden, desto häufiger wird das Hochwasser weit über das hinausgehen, was die verstärkten Niederschläge allein zu verantworten haben. Hier will ich mich jedoch auf die Regionen konzentrieren, die der Klimawandel in ein ständiges Niederschlagsdefizit stürzen wird, denn einige von ihnen werden zu einer neuen Sahara oder zumindest zu Gegenden, in denen Menschen nicht mehr leben können. In ein paar Fällen ist das bereits passiert. Ausbleibende Niederschläge bezeichnet man oft als »Dürreperioden«, aber diese sind per Definition vorübergehend, in den hier angesprochenen Gegenden aber gibt es keinerlei Aussicht, dass der Regen zurückkehren wird. Was dort geschehen ist, ist vielmehr ein rascher Wechsel zu einem neuen, trockeneren Klima. Die ersten Anzeichen eines solchen Wandels gab es in den sechziger Jahren in der afrikanischen Sahelzone. Der betroffene Landstrich war riesig: Ein großer Gürtel südlich der Sahara, der vom Atlantischen Ozean bis in den Sudan reicht. Vier Jahrzehnte sind jetzt seit dem plötzlichen Rückgang der Niederschläge dort vergangen, und es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Leben spendenden Monsunregen 59 wiederkehren werden. Schon vor dem Rückgang gab es im Sahel nur marginale Regenfälle, und das Leben dort war hart. In Bereichen mit besseren Böden und mehr Regen konnten die Bauern von ihren Feldern leben, und in trockenerem Brachland zogen Kamelhirten auf der Suche nach Futter für ihre Herden ihre halb nomadischen Runden. Der Niederschlagsmangel hat das Leben für beide Gruppen schwierig gemacht: Die Hirten finden kaum noch Gras in den Bereichen, die jetzt eine echte Wüste sind, während die Bauern kaum noch genügend Regen bekommen, um ihren Feldern ein Minimum an Ernte zu entlocken. Ab und zu zeigen die Medien der Welt Bilder von den Folgen: Hungernde Kamele und verzweifelte Familien, die sich durch ein staubiges Brachland kämpfen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich als Kind im Fernsehen diese Bilder sah und hörte, dass Überweidung und eine Bevölkerungsexplosion dieses menschliche Elend verursacht hätten. Faktisch hat die westliche Welt sich jahrzehntelang weisgemacht, dass die Katastro149
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phe von den Menschen dort selbst hervorgerufen worden sei. Das Argument lautete, die Überweidung durch Kamele, Ziegen und Rinder und auch das Sammeln von Feuerholz hätten die dünne Vegetationsschicht der Region zerstört, damit den dunklen Boden freigelegt und die Albedo des Sahel verändert. Da ständig heiße, trockene Luft in die Höhe stieg und keine Pflanzen Feuchtigkeit an die Atmosphäre abgaben, konnten sich keine Regenwolken mehr bilden, und als diese menschengemachte »Dürre« immer länger dauerte, wurde immer mehr Ackerkrume weggeblasen. Diese Interpretation hat sowohl Umweltschützern als auch Moralisten Gelegenheit zu Predigten gegeben, sie ist aber in so gut wie jeder Hinsicht falsch. Der wahre Grund für die Katastrophe im Sahel kam im November 2003 ans Licht, als Klimatologen des National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, eine äußerst sorgfältige Untersuchung veröffentlichten, bei der die Niederschlagsmuster der Region zwischen 1930 und 2000 mit Computermodellen simuliert worden 60 waren. Das war ein gewaltiger Aufwand, denn von den Meeresund Landtemperaturen bis hin zu den Veränderungen in der Vegetation des Sahel musste alles in den Computer eingegeben werden. Schließlich konnte das Modell das einstige und das heutige Klima in der Region simulieren, und es zeigte, dass die von Menschen verursachte Landdegeneration viel zu geringfügig war, um die drastische 61 Klimaveränderung auslösen zu können. Stattdessen war eine einzige Klimavariable für den Großteil des Niederschlagsrückgangs verantwortlich: steigende Oberflächentemperaturen im Indischen Ozean, die aus der Akkumulation von Treibhausgasen herrührten. Von allen Ozeanen der Erde erwärmt sich der Indische am schnellsten, und das Computermodell zeigte, dass die Bedingungen, unter denen sich Monsunregen für die Sahelzone bilden, durch die Erwärmung abgeschwächt wurden. Und infolgedessen begann in den sechziger Jahren die »Dürreperiode« im Sahel. Wie bei solchen Untersuchungen häufig der Fall, konnten nicht alle Niederschlagsrückgänge damit erklärt werden, was heißt, dass ein weiterer, nicht identifizierter Mechanismus am Werk sein musste. Mittlerweile glauben einige Wissenschaftler, dass sie ihn gefunden haben, und sie bezeichnen ihn als »globales Dimmen«. Bei diesem Phänomen der weltweiten Helligkeitsabschwächung 150
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vermindert sich die Menge Sonnenlicht, die auf die Erdoberfläche trifft. Das hat zu einem Abkühlen der Ozeane rings um Europa geführt, was den Monsun weiter abschwächte. Das globale Dimmen rührt zu einem Großteil von Partikeln her, die von Kohlekraftwerken, Autos und Fabriken in die Luft geblasen werden. Dieser Umstand unterstützt die Argumentation, dass die Katastrophe im Sahel nicht die Folge ökologischen Fehlverhaltens primitiver und ignoranter Hirten war. So weitreichend die moralischen Implikationen dieser Erkenntnis auch waren, die Nachrichtenmedien der Welt scheinen sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben. In der Region Darfur im westlichen Sudan hat der Sahel-Klimaumschwung die Menschen zu Verzweiflungstaten getrieben. Den nomadischen Kamelzüchtern blieb nichts anderes mehr übrig, als ihre Herden auf Ackerland zu treiben, was zu Konflikten mit den Bauern führte. Zwar werden die Hirten allgemein als Araber bezeichnet und die Bauern als Afrikaner, mit Ausnahme ihres Lebensstils aber sind sie kulturell und physisch nicht zu unterscheiden. Als der Journalist Tim Judah die Gegend besuchte, sagte der Gouverneur El Fasher zu ihm: »Hier ist jeder mit jedem verheiratet, wir leben wie eine große 62 Familie zusammen.« Und Judah selbst beobachtete, dass es genauso viele verängstigte und hungrige Nomaden wie Bauern gab. Die Vereinten Nationen versorgen bereits 1,3 Millionen Menschen und damit ein Sechstel der Bevölkerung mit Nahrung, und die vom Klimawandel ausgelöste Not scheint weiterzugehen. Der Sahel-Klimawechsel ist typisch für die Lage der Welt insgesamt, denn wir sehen an diesem Beispiel, wie der Westen sich auf Religion und Politik als Problem konzentriert und nicht auf die gut dokumentierte und offensichtliche Umweltkatastrophe, die letztlich die Ursache ist. Jahrzehntelang haben wir uns hinsichtlich der Gründe etwas vorgemacht, aber der Tag der Abrechnung wird kommen. Der Sahel-Klimawechsel ist so umfassend, dass er die Witterungsverhältnisse auf dem gesamten Planeten beeinflussen könnte. Erstmals ging das den Forschern Joseph Prospero und Peter Lamb auf, die den 63 Staub untersuchten, der aus dem Sahel weggeweht wird. Staub ist ein wichtiger Stoff, denn seine winzigen Partikel können das Sonnenlicht streuen und absorbieren und damit die Temperatur senken. Die Partikel tragen auch Nährstoffe in den Ozean und in ent151
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fernte Länder, was das Wachstum von Pflanzen und Plankton fördert und dadurch die CO2-Absorption erhöht. Rund die Hälfte des weltweiten Staubs in der heutigen Atmosphäre hat seinen Ursprung in den trockenen Gebieten Afrikas, und das Ausmaß der Dürre ist dort so groß, dass sich die Staubladung der Atmosphäre um ein Drittel erhöht hat. Klimatologen berechnen noch, was die Folgen sein werden, aber in Gaias Welt ist alles so eng mit allem anderen verknüpft, dass ein Phänomen dieser Größenordnung mit Sicherheit Auswirkungen haben wird. Die Bewohner der industriellen Welt neigen zu der Überzeugung, dass ihre Technologie sie vor Katastrophen à la Sahel schützen wird, aber die Natur arbeitet mit Fleiß daran, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Australien ist ein trockenes Land, und die Australier – auch die Großstädter – sind vom Thema Regen besessen. Die Südwestecke des Kontinents erfreute sich einst der zuverlässigsten Niederschläge. Üblicherweise fiel der Regen während des Winters, an einigen Orten waren es über 100 Zentimeter pro Jahr. Die Gegend war daher für ihre Primärproduktion berühmt, der westliche Weizengürtel galt als eines der größten und verlässlichsten Zentren der Getreideproduktion auf dem gesamten Kontinent. In jüngerer Zeit haben sich überall in den feuchteren Gegenden Weingüter breit gemacht, die ein paar der besten und teuersten Weine der Südhalbkugel produzieren. Vor der Besiedelung war der größte Teil des Südwestens in eine zähe, dornige Vegetation gehüllt, die als kwongan bekannt war und sich nach den Winterregen in einen riesigen natürlichen Wildblumengarten verwandelte. Nur im tropischen Regenwald und in einer ähnlichen Gegend Südafrikas drängen sich auf einem einzigen Hektar noch mehr Arten, und die Unmenge an Pflanzen ernährte uralte einheimische Tierfamilien wie Honigbeutler (Tarsipes rostratus), Salamander-Hechtling (Lepidogalaxias salamandroides) und die Falsche Spitzkopfschildkröte (Pseudemydura umbrina). Alle sind an den Wechsel von Regen im Winter und Trockenheit im Sommer angepasst. Viele Millionen solcher Jahre haben sie erst hervorgebracht. Während der ersten 148 Jahre der europäischen Besiedlung des Südwestens (1829 bis 1975) brachten die zuverlässigen Winterregen Wohlstand und Entwicklungsmöglichkeiten. Doch dann änderte sich einiges, und seither leidet die Region unter einem Rückgang der Nie152
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derschläge um durchschnittlich 15 Prozent. Klimamodelle lassen darauf schließen, dass rund die Hälfte davon auf die globale Erwärmung zurückzuführen ist, die die gemäßigte Klimazone nach Süden verschoben hat. Der australische Klimatologe David Karoly glaubt, dass die andere Hälfte aus der Zerstörung der Ozonschicht herrührt, die die Stratosphäre über der Antarktis abgekühlt und damit die Zirkulation kalter Luft um den Pol beschleunigt und die südliche Regen64 zone noch weiter nach Süden gezogen hat. Ein Rückgang um 15 Prozent mag als belanglos erscheinen, hat aber erhebliche Auswirkungen. Die Farmen bekamen das Defizit sofort zu spüren, vor allem an den Rändern der Region, wo schon Schwankungen um ein paar Zehntel Millimeter über eine gute oder eine Missernte entscheiden. In diesen Gebieten wird hauptsächlich Weizen angebaut, und zwar auf ungewöhnliche Weise. In den sechziger Jahren wollten die Farmer im Westen rund eine halbe Million Hektar Buschland pro Jahr roden. Als die Bulldozer ihr Werk getan hatten, starrten die Farmer auf sterile Sandflächen – mit die unfruchtbarsten Böden, die man auf der Welt finden kann –, denn wie im Fall der Regenwälder waren hier die natürlichen Reichtümer in die Vegetation eingebunden. Genauso wollten es aber die Farmer haben, denn der Weizenanbau im Südwesten war eine gigantische Abart von Hydrokultur. Die Farmer versenkten ihre Weizensaat, bestäubten den sterilen Sand mit Nährstoffen und warteten dann auf die nie ausbleibenden Winterregen, die das Wasser dazu liefern sollten. Nachdem sich die Natur bis zum Jahr 2004 jahrzehntelang geweigert hatte, »einfach nur noch Wasser dazuzutun«, begann sich das Weizengebiet nach Westen zu verlagern, wo es die Milchwirtschaft in einem Landstrich ersetzte, der einst als zu nass für den Getreideanbau gegolten hatte. Der Indische Ozean setzt dieser Entwicklung eine endgültige Grenze, und wenn sich die Verhältnisse im kommenden Jahrhundert weiter verschlechtern, muss eine von starken Regenfällen abhängende Aktivität nach der anderen theoretisch ins Meer verlegt werden. Doch diese anscheinend belanglosen 15 Prozent Rückgang bei den Niederschlägen maskieren eine noch viel größere Katastrophe : In Wirklichkeit haben die Winterregen um mehr als diesen Wert abgenommen, während die Sommerregen (die viel launenhafter sind) zugenommen haben. Weil man sich auf die sommerlichen Nie153
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derschläge nicht verlassen kann, pflanzen die Farmer kein Sommergetreide, also fällt der Regen auf die kahle Erde und das Wasser durchweicht den Boden bis zum Grundwasserspiegel. Dort trifft es auf Salz, das stetige westliche Winde seit Millionen von Jahren aus dem Indischen Ozean herangeweht haben. Unter jedem Quadratmeter dieses Landes liegen im Durchschnitt zwischen 70 und 120 Kilogramm Salz. Ehe das Land gerodet wurde, machte das nichts, denn die vielfältige einheimische Vegetation nutzte jeden Wassertropfen, der vom Himmel fiel, und das Salz blieb in kristalliner Form, wo es war. Als jedoch die Sommerregen auf leergefegte Weizenfelder fielen, begann Wasser, das viel salziger war als Meerwasser, nach oben zu kriechen und alles umzubringen, womit es in Berührung kam. Das erste Anzeichen für Probleme war, dass das Wasser der zuvor sauberen Bäche in der Region salzig schmeckte. In vielen Fällen wurde es rasch untrinkbar, die Vegetation an den Ufern starb ab, und binnen ein oder zwei Jahrzehnten waren die Bäche zu toten Salzwasserkanälen verkommen. Heute stehen verarmte und bankrotte Farmer vor dem weltweit schlimmsten Fall von Versalzung trockenen Binnenlandes. Weder die Wissenschaft noch die Regierung haben Lösungen anbieten können, und die Schäden gehen in die Milliarden. Straßen, Eisenbahnlinien, Häuser und Flugplätze werden mittlerweile vom Salz angegriffen, und solange nicht die ursprüngliche Vegetation wieder eingeführt und dazu gebracht werden kann, in den trockneren und salzigeren Verhältnissen von heute zu gedeihen, scheint es keine Hoffnung auf eine Wende zu geben. Die Hauptstadt von Westaustralien ist Perth, eine durstige Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern und die abgelegenste Metropole der Welt. Bei einem Taxifahrer dort handelt es sich wahrscheinlich um einen bankrotten Weizenfarmer, der sich mühsam seinen Lebensunterhalt verdient, während er versucht, seine jetzt unbrauchbare Farm zu verkaufen. Für Perth war die schlimmste Folge des Winterregenrückgangs, weniger Wasser im Einzugsgebiet der Stadt zu haben, denn von 1975 an tendierten die Niederschläge zu leichten Schauern, die im Boden versickerten und nicht bis in die Staubecken gelangten. Den größten Teil des 20. Jahrhunderts waren 338 Gigaliter Wasser pro Jahr in die Staubecken geflossen, aus denen die Stadt ihren Durst stillte. Zwischen 1975 und 1996 aber lag der Durchschnitt bei nur 154
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Die Graphik zeigt die Wassermengen im Einzugsgebiet von Perth zwischen 1911 und 2004. Große Einbrüche folgten den »magischen Toren« der Jahre 1976 und 1998. In den letzten dreißig Jahren ist die Versorgung der Stadt mit Oberflächenwasser um zwei Drittel zurückgegangen.
177 Gigalitern – ein Schnitt um 50 Prozent in der Wasserversorgung der Stadt. Zwischen 1997 und 2004 ging die Menge auf bloß noch 120 Gigaliter zurück – etwas mehr als ein Drittel der Menge, die noch drei Jahrzehnte zuvor angefallen war. 1976 wurden strenge Wassersparmaßnahmen angeordnet, doch bald entspannte sich die Lage, weil man eine Grundwasserreserve namens Gnangara Mound angebohrt hatte. Ein Vierteljahrhundert zapfte die Stadt dieses unterirdische Wasser ab, doch ausbleibende Regenfälle bedeuteten, dass die Vorräte nicht wieder aufgefüllt wurden. Im Jahr 2001 floss in die Staubecken von Perth so gut wie überhaupt kein Wasser mehr, und 2004 war beim Gnangara-Grundwas155
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ser ein kritischer Wert erreicht; die staatliche Umweltbehörde warnte, wenn noch mehr Grundwasser abgezapft würde, wären 65 einige Spezies vom Aussterben bedroht. Heute überlebt die Falsche Spitzkopfschildkröte, ein lebendes Fossil, nur noch, weil Wasser in ihr Habitat gepumpt wird. Anfang 2005, fast 30 Jahre nach den ersten Krisenanzeichen, bewerteten die Wasserexperten der Stadt die Wahrscheinlichkeit eines »katastrophalen Nachschubausfalls« – was heißt, es kommt kein Wasser mehr aus dem Hahn – als eins zu fünf. Träte dieser Fall ein, hätte die Stadt keine andere Wahl, als noch das letzte Wasser aus dem Gnangara Mound zu quetschen und damit einen Großteil uralter und wundersamer Biodiversität zu zerstören – und dennoch brächte dies nur vorübergehend Erleichterung. Jetzt sind Pläne aufgelegt worden, für 350 Millionen Dollar eine Meerwasserentsalzungsanlage zu bauen, die eine der größten auf der Südhalbkugel sein wird. Aber auch sie könnte nur 15 Prozent des Wasserbedarfs von Perth decken. An der Ostküste Australiens ist Trockenheit nicht unbekannt, aber der Dürrefluch, der seit 1998 auf der Gegend lastet, unterscheidet sich von allem, was man dort zuvor gesehen hat. Bislang waren es sieben aufeinander folgende Jahre, in denen die Niederschläge unter dem Durchschnitt blieben; und es ist eine »heiße« Dürreperiode, denn die Temperaturen liegen rund 1,7 Grad über denen früherer Trockenzeiten, was zu extrem lebensfeindlichen Verhältnissen 66 führt. Der Grund für den Regenrückgang an der australischen Ostküste, so glaubt man, ist ein Doppelschlag des Klimawandels: Aus67 fälle der Winterregen und anhaltende El-Niño-Verhältnisse. Die daraus resultierende Wasserkrise ist potenziell noch gefährlicher als die im Westen, denn Städte wie Sydney haben keine Grundwasserreserven wie Perth. Der einzige Puffer gegen fehlende Niederschläge sind die Staubecken, was bedeutet, dass ein Rückgang des Oberflächenwassers sofort zu Wassermangel führt. Sydneys Wasservorräte zählen zu den größten künstlich angelegten der Welt; pro Einwohner kann viermal so viel Wasser gespeichert werden wie in New York und neunmal so viel wie in London. Aber selbst die großzügige Bevorratung hat sich als unzureichend erwiesen. Zwischen 1990 und 1996 flossen im Durchschnitt 71 635 Megaliter in Sydneys 156
Flüssiges Gold: Veränderte Niederschläge
elf Staubecken, bis 2003 aber fiel dieser Wert auf bloß 39 881 Megaliter ab, ein Rückgang um 45 Prozent. Jetzt, Mitte 2005 ist die Lage immer noch kritisch; die vier Millionen Einwohner Sydneys haben 68 noch Wasser für zwei Jahre in den Speichern. Wenn die Trockenheit anhält, bleibt nur sehr wenig Zeit, andere Wasserquellen wie beispielsweise riesige Entsalzungsanlagen bereitzustellen. Jenseits des Pazifiks erlebt der amerikanische Westen sein fünftes Dürre jähr in Folge. Untersuchungen zufolge hat es eine solche Trockenheit in jener Gegend seit rund 700 Jahren nicht mehr gegeben, und damals war der amerikanische Südwesten noch wärmer als 69 heute. Dies lässt auf einen Zusammenhang zwischen Trockenheit und höheren Temperaturen schließen, und wie beim Sahel scheint die 70 Verbindung in steigenden Ozeantemperaturen zu liegen. Zwischen 1998 und 2002 war der Pazifische Ozean in ungewöhnlicher Verfassung. Im östlichen tropischen Pazifik war das Wasser ein paar Grad kühler als normal, während es im zentralen westlichen Pazifik weit wärmer war als im Durchschnitt – rund 30 °C. Diese Verhältnisse verlagerten den Jetstream Richtung Norden, und Stürme, die in der Regel bei rund 35° geographischer Breite ihre Bahn ziehen, wurden nach Norden auf 40° verschoben. »Dies bestätigt, dass das Klimasystem über große Entfernungen und lange Zeiträume Querverbindungen hat«, fand Kelly Redmond vom Desert Research Institute in Nevada. Und natürlich wurden die Temperaturen im Ozean vom atmosphärischen CO2 in die Höhe getrieben. Die Dürreperioden im amerikanischen Westen werden in den Medien häufig als Teil eines natürlichen Zyklus dargestellt. Dessen kann man sich nur absolut sicher sein, wenn man die Jahrzehnte oder Jahrhunderte abwartet, die natürliche Zyklen brauchen, um von neuem zu beginnen. Aber die Tatsache, dass die Veränderungen mit jenen übereinstimmen, die man als Folgen der globalen Erwärmung erwartet, und sie auch in der Vergangenheit zu wärmeren Zeiten beobachtet worden sind, gibt Anlass zur Besorgnis. Darüber hinaus ist das Potenzial des Klimawandels, fast überall auf dem Planeten Dürre herbeizuführen, so groß, dass führende Klimatologen kürzlich gewarnt haben: »Es wäre ein Fehler anzunehmen, dass irgendeine Gegend vor 71 einer Megadürre sicher ist.« In dieser Hinsicht lohnt es sich darauf hinzuweisen, dass die Rekordregenmengen, die die USA im Winter 157
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2005 in Teilen des Südwestens erlebten, nicht ausreichten, die vorangegangenen trockenen Jahre auszugleichen, während der Nordwesten ohnehin im Griff einer bislang unbekannten Dürre bleibt. Ein Großteil des Wassers im amerikanischen Südwesten bekommt das Land in Form von winterlichen Schneefällen, die sich auf seinen hohen Bergen anhäufen. Weil der Schnee über den Frühling und Sommer hinweg schmilzt, sorgt er für einen stetigen Wassernachschub, wenn die Farmer diesen am dringendsten brauchen. Faktisch ist die dicke Schneedecke eine billige Form von Wasserbevorratung, die die Notwendigkeit von Staubecken minimiert. Die gefallenen Schneemengen variierten schon immer von Jahr zu Jahr erheblich, und das könnte gelegentlichen Beobachtern den Blick für langfristige Trends verstellen. Im Verlauf der letzten 50 Jahre jedoch sind die durchschnittlichen Schneemengen zurückgegangen. Setzt sich dieser Trend weitere fünf Jahrzehnte fort, werden sich in einigen Regionen der westlichen USA die Schneedecken um bis zu 60 Prozent reduzie72 ren, was den sommerlichen Wassernachschub halbieren kann. Das wirkt sich nicht nur auf die Wasserversorgung verheerend aus, sondern auch auf die Stromerzeugung aus Wasserkraft und auf die Fischhabitate. Die Veränderungen des Gesamtvolumens der Schneefälle sind jedoch bei weitem nicht so Besorgnis erregend wie Veränderungen der Art und Weise, wie die Schneedecke sich bildet und schmilzt. Im Verlauf der letzten 50 Jahre ist der Südwesten um 0,8 °C wärmer geworden – etwas mehr als im globalen Durchschnitt –, und selbst in Regionen, die jetzt mehr Schnee abbekommen, zieht das zusammen mit jahreszeitlichen Änderungen der Niederschläge und Temperaturen den Wassernachschub in Mitleidenschaft. Diese Faktoren haben sich verschworen, die Schneedecke zu reduzieren. Denn die höheren Temperaturen lassen sie wieder schmelzen, ehe sie sich verfestigen kann. Insgesamt schmilzt die Schneedecke früher, was bedeutet, dass die Spitzenwerte des Schmelzwassers, das in die Flüsse strömt, sich jetzt drei Wochen früher einstellen als 1948. Dadurch bleibt weniger Wasser für den Hochsommer übrig, wenn es am dringendsten gebraucht wird, und der Wasserzustrom im Winter und Frühling wird vermehrt, was zu stärkeren Überschwemmungen führen kann. Da die Temperaturen in dieser Weltgegend im Verlauf des angefangenen 158
Flüssiges Gold: Veränderte Niederschläge
Jahrhunderts um zwischen 2 °C und 7 °C steigen werden (wenn wir die CO2-Emissionen nicht erheblich reduzieren), kann man absehen, dass das meiste Wasser schließlich im Winter fließen wird, wenn es 73 am wenigsten gebraucht wird. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leser jetzt sagen: »Was soll’s? Wir bauen einfach mehr Stauseen.« Und es ist gut möglich, dass die Menschen genau das tun werden, wenn sich die Krise verschärft. Es gibt in der Region aber nur eine begrenzte Zahl von Stellen, die sich für Staudämme eignen, und ein Stausee bedeutet, dass die Farmer für das Wasser bezahlen müssen, das ihnen einst die Natur umsonst lieferte. Abgesehen davon sind so gewaltige Veränderungen im Gang, dass selbst ein Staudamm-Neubauprogramm nicht ausreicht, um der Entwicklung gegenzusteuern. Wissenschaftler sagen voraus, dass wegen der sich ändernden Schneeschmelze der Wert der Farmen um 15 Prozent sinken könnte, was Milliardenverluste bedeuten würde. Das größte Problem jedoch haben sicherlich die Städte im Westen der USA, die von stetig schwindenden Wasservorräten abhängig sind. Diese gigantischen Metropolen kann man unmöglich umsiedeln, und einige müssen – wie es bei den alten Städten Mesopotamiens der Fall war – vielleicht aufgegeben werden, wenn sich das Tempo der Veränderungen beschleunigt. Wem das zu extrem vorkommt, der sei daran erinnert, dass wir erst am Anfang der Wasserkrise im Westen stehen. Als der amerikanische Südwesten vor 5000 Jahren noch ein bisschen wärmer und trockener als heute war, verschwanden die Indianerkulturen, die einst in der Region gediehen, fast vollständig. Erst als das Klima wieder abkühlte, war die Region wieder bewohnbar. Mehr als ein Jahrtausend lang war der gesamte Südwesten kaum 74 mehr als eine einzige riesige Geisterstadt.
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EINE ENERGIEGELADENE ZWIEBELSCHALE Einige ... Stürme sind so stark, dass keine von Menschen errichtete Konstruktion ihnen standhalten kann, und auch die größten und kräftigsten Bäume werden von ihnen in Stücke gerissen oder umgeworfen. Wenn unsere Atmosphäre eine etwas größere Menge Sonnenhitze [erhielte], könnten diese Stürme an Zahl und Wucht so zunehmen, dass erhebliche Teile des Globus unbewohnbar würden. Alfred Russel Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903
Im Jahr 2003 verkündeten Klimaforscher, dass sich binnen weniger Jahre die Tropopause um mehrere hundert Meter nach oben verlagert habe. Warum sollte uns eine so kleine Neujustierung zwischen den Atmosphärenschichten elf Kilometer über unseren Köpfen Sorgen machen? Aus genau dem Grund, dass, wie Klimatologen heute wissen, die Tropopause der Ort ist, an dem ein gut Teil unseres Wetters gestaltet wird. Pfuscht man an ihr herum, ändert man nicht nur den Witterungsverlauf als solchen, sondern auch die Wetterextreme. Ursache für die Verlagerung ist eine Dyade von Menschen gemachter Umweltverschmutzung: Ozon zerstörende Chemikalien und Treibhausgase. Wie wir gesehen haben, durchlöchern Chlorfluorkohlenstoffe (CFKs) die Ozonschicht, die die Ultraviolettstrahlung absorbiert und dabei Wärme abgibt. Da die Stratosphäre weniger aufgeheizt wird, hat sich diese Schicht der Atmosphäre abgekühlt und ist geschrumpft. Gleichzeitig speichern in der Troposphäre stetig steigende Mengen Treibhausgase mehr Wärme, und deshalb dehnt sie sich aus. Infolge dieser beiden Effekte ist die Tropopause rasch nach oben gewandert. Gleichzeitig haben Veränderungen in der Troposphäre selbst ihre eigenen Wirkungen gezeigt. Indem wir die Tro-
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posphäre erwärmen, verändern wir den Witterungsverlauf global, und zugleich erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterverhältnisse. Da die Troposphäre sich im Lauf der letzten zehn Jahre erwärmt hat, erlebte die Welt den stärksten je verzeichneten Niño (1997/98), den verheerendsten Hurrikan seit 200 Jahren (Mitch 1998), den heißesten Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen (2003), den ersten Hurrikan im Südatlantik überhaupt (2003) und mit die schlimmste Hurrikansaison in Florida (2004). Diese Ereignisfolge, argumentieren viele, deutet darauf hin, dass das Potenzial des neuen Klimas, Extreme hervorzubringen, bereits zunimmt. Was glauben Sie: Wo kommt die Energie für einen Hurrikan her? »Ein Hurrikan«, erklären uns Frederick Lutgens und Edward Tarbuck in ihrem Lehrbuch der Atmosphärenforschung, »ist eine Wärmemaschine, die von der latenten Wärme angetrieben wird, die freigesetzt wird, wenn große Mengen Wasserdampf kondensieren. Damit diese Maschine in Gang kommt, braucht es eine große Menge warmer, feuchter Luft und einen ständigen Nachschub, der sie am 75 Laufen hält.« Wir kennen alle das Prinzip, wie Verdunstung Wärme in die Atmosphäre einbringt: An einem heißen Tag schwitzen wir, und wenn unser Schweiß verdunstet, verlagert er die Hitze von unserem Körper in die Luft. Das ist eine höchst effiziente Form des Wärmetransports, denn die Verdunstung von bloß einem Gramm Wasser auf der Haut reicht aus, um 580 Wärmekalorien wegzuschaf76 fen. Wenn Sie den Größenunterschied zwischen Ihrem Körper und einem ganzen Ozean bedenken, bekommen Sie ein Gefühl dafür, in welchen Massen dessen Wärmeenergie mittels Verdunstung in den großen Luftozean eingebracht wird. Viele wissen nicht, wie viel zusätzliche latente Wärme die vom Klimawandel erhitzte Luft transportieren kann: Für jeweils 10 °C Temperaturanstieg verdoppelt sich die Menge Wasserdampf, die die Luft aufnehmen kann; Luft von 30 °C kann also viermal so viel »Hurri77 kan-Treibstoff« enthalten wie Luft von 10 °C. Die auffälligste Veränderung bei den Wirbelstürmen seit etwa 1950 – als sich die globale Erwärmung bemerkbar zu machen begann – ist eine Änderung ihrer Route. Die am besten dokumentierten Beispiele dafür stammen aus Ostasien. Die Häufigkeit der Taifune, die die 161
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Meere vor Ostchina und um die Philippinen heimsuchten, hat seit 1976 abgenommen, die Anzahl im Südchinesischen Meer ist dagegen 78 gestiegen. Weiter westlich im Arabischen Meer und im Golf von Bengalen gab es weniger Taifune, was gut für die Millionen Menschen ist, die in diesen Gegenden fast auf Meereshöhe leben. Zu einer weiteren bemerkenswerten Veränderung kam es in den hohen Breitengraden der Südhalbkugel, wo die Zyklone über dem sub-antarktischen Ozean südlich des 40. Breitengrades drastisch zurückgegan79 gen sind, im antarktischen Ozean aber leicht zugenommen haben. Obwohl der Zeitrahmen der Veränderung nur kurz ist, haben sich in den letzten paar Jahrzehnten zwischen dem 30. und 40. südlichen Breitengrad auch extrem große Tiefdrucksysteme gebildet, wobei ein System von außerordentlich niedrigem Luftdruck im Februar 2005 fast Zyklonintensität erreichte. Es gibt beunruhigende Anzeichen, dass die Zahl der Hurrikane in Nordamerika zunimmt. 1996, 1997 und 1999 trafen die Vereinigten Staaten mehr als doppelt so viele Hurrikane wie im Jahresdurchschnitt des 20. Jahrhunderts, und was den Hurrikanen von 1998 an ihrer Zahl fehlte, machten sie durch ihre Gewalt mehr als wett. Im Oktober jenes Jahres zog der Hurrikan Mitch durch die Karibik, tötete 10000 Menschen und machte drei Millionen obdachlos. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 290 Stundenkilometern war Mitch der viertstärkste je im Atlantik verzeichnete Wirbelsturm. Er verursachte auf dem amerikanischen Kontinent die schwersten Schäden seit 100 Jahren; nur der Große Hurrikan von 1780, durch den mindestens 22 000 Menschen starben, hatte noch tödlichere Wucht. Nach ein paar Jahren relativer Ruhe kehrten die Stürme 2004 mit Macht zurück: Vier große Tropenstürme trafen in rascher Folge auf die Küste Floridas und verwüsteten weite Teile des Staates. Viele der bei diesen Stürmen beschädigten Häuser sind noch immer unbewohnbar, und das US Weather Bureau sagt voraus, dass die Hurrikansaison von 2005 aller Wahrscheinlichkeit nach destruktiver als gewöhnlich ausfallen wird. Aber auch wenn diese Saison ruhig verstreichen sollte, ist es, da sich immer mehr Hurrikan-Treibstoff in der Atmosphäre ansammelt, nur eine Frage der Zeit, bis die Stürme mit verdoppelter Wucht wiederkommen. Angesichts der im Jahr 2004 angerichteten Schäden könnte eine Rückkehr intensiver Hurrikane in 162
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den nächsten paar Jahren die Immobilienpreise in Florida ins Bodenlose stürzen lassen. Den Wirbelstürmen folgt Hochwasser, und weil wärmere Luft mehr Wasserdampf speichern kann, nimmt die Zahl schwerer Überschwemmungen zu und wird vermutlich noch weiter steigen. Im Sommer 2002 fielen zwei Fünftel der jährlichen Niederschlagsmenge in Südkorea binnen einer Woche und richteten solche Zerstörungen an, dass der Staat Truppen mobilisieren musste, um den Flutopfern zu helfen. Gleichzeitig litt China unter Überschwemmungen ungekannter Größenordnungen, von denen 100 Millionen Menschen betroffen waren. Global betrachtet haben die Hochwasserschäden im Verlauf der letzten Jahrzehnte drastisch zugenommen. In den sechziger Jahren wurden rund sieben Millionen Menschen jährlich von Überschwem80 mungen heimgesucht. Heute steht diese Zahl bei 150 Millionen. Und nach dem Hochwasser kommen Seuchen. Durch das stehende und verschmutzte Wasser wird die Cholera übertragen, und Mücken verbreiten Malaria, Gelbfieber, Denguefieber und Enzephalitis. Selbst die Pest kann sich ausbreiten, wenn Flöhe, Ratten und Menschen sich in höher gelegenen Gebieten dicht zusammendrängen. Weil Wetterextreme von Natur aus sehr selten sind, kann es lange dauern, bis genügend Daten gesammelt sind, um einen Trend zu entdecken. Weniger drastische Veränderungen der Temperaturen und Niederschläge lassen sich viel leichter quantifizieren, und ihre Aufzeichnungen reichen Jahrhunderte zurück; sehr gut lassen sich deren Auswirkungen in Europa studieren. Die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren das wärmste Jahrzehnt in Mittelengland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts; 1998 war das wärmste je verzeichnete Jahr, 2001 das drittwärmste. Infolgedessen hat sich die Wachstumsperiode für die Pflanzen um einen Monat verlängert, Hitzewellen sind häufiger gewor81 den, und die viel nasseren Winter brachten schwerere Regenfälle. Das Hadley Centre for Climate Prediction and Research zählt zu den weltweit führenden Institutionen, wenn es um die Vorhersage und die Untersuchung der Klimawandelfolgen geht. Es steht im englischen Exeter, und dort hat man herausgefunden, dass im Vereinigten Königreich die schweren Winterstürme signifikant zugenommen 82 haben, und dieser Trend soll sich fortsetzen. 163
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Auf dem europäischen Festland gab es noch alarmierendere Anzeichen. Dort war der Sommer 2003 so heiß, dass statistisch betrachtet ein so aus der Reihe fallendes Ereignis nur ein Mal in 46 000 Jahren 83 vorkommen sollte. Verschlimmert wurde das Ganze durch den Wassermangel der Pflanzen, der deren Verdunstung einschränkte. Da weniger Sonnenwärme für die Verdampfung verbraucht wurde, heizte ein größerer Teil davon die Luft auf. Die Hitzewelle war so extrem, dass im Juni und im Juli, als die Temperaturen in weiten Teilen des Kontinents über 40 °C stiegen, 26 000 Menschen starben. Nebenbei: Durch Hitzewellen sterben weltweit alljährlich Menschen in großer Zahl; selbst in den klimatisch turbulenten Vereinigten Staaten gibt es mehr Hitzetote als alle anderen wetterbedingten Sterbefälle 84 zusammengenommen. Und nur ein Jahr nach der europäischen Hitzewelle verzeichnete Ägypten eine der höchsten je gemessenen Tem85 peraturen: 51 °C. Andere breit angelegte Klimastudien wurden in den USA und Australien durchgeführt. 2003 veröffentlichten Klimatologen eine detaillierte Untersuchung von einhundert jährigen Wetteraufzeichnungen in ganz Nordamerika. Sie konzentrierten sich auf Temperaturveränderungen, weil diese am unmittelbarsten auf einen Klimawandel hinweisen, und fanden heraus, dass es vor 1950 keinen erkennbaren Einfluss menschlicher Aktivitäten auf das Klima Nordamerikas gab. Nach 1950 jedoch sah das völlig anders aus, denn die Wissenschaftler entdeckten eine Fülle von Beweisen, dass das Verbrennen fossiler Energieträger nicht nur zu einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen, sondern auch zu einer Abflachung des Temperaturgradienten von Norden nach Süden geführt, den Temperaturgegensatz zwischen Land und Meer verändert und die Spannbreite der Tagestemperaturen reduziert hatte. Kurz gesagt: Diese konservative Auswertung – bei der nicht versucht wurde, extreme Wetterverhältnisse oder Veränderungen der Niederschlagsmengen zu untersuchen – ergab zweifelsfrei, dass sich der Klimawandel auf den nordamerikanischen 86 Kontinent auswirkt. Im Hinblick auf extreme Wetterverhältnisse muss festgehalten werden, dass die Vereinigten Staaten bereits das »variabelste« Wetter aller Länder haben; es gibt dort stärkere und verheerendere Tornados, Überschwemmungen, Gewitter, Hurrikane und Blizzards als ir164
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gendwo sonst. Da die Intensität solcher Ereignisse, wie man glaubt, mit der Erwärmung unseres Planeten zunehmen wird, dürften die Vereinigten Staaten allein in menschlicher Hinsicht durch den Klimawandel mehr verlieren als irgendein anderes großes Land. Faktisch bedeuten die sich wegen schwerer Witterungsschäden ständig in die Höhe schraubenden Versicherungsbeiträge und der zunehmende Wassermangel im Westen, dass die USA bereits jetzt teuer für ihre CO2-Emissionen bezahlen. Wie wir am Beispiel der abrupt abnehmenden Niederschläge gesehen haben, leidet auch Australien unter den Klimawandelfolgen. Allerdings sind auch noch viele andere Auswirkungen dokumentiert, darunter eine zunehmende Anzahl sehr heißer Tage, ein Anstieg der Nachttemperaturen, eine Abnahme der sehr kalten Tage und ein 88 Rückgang der Frosttage. In einigen Gegenden, beispielsweise um Alice Springs in Zentralaustralien, sind die Temperaturen im Verlauf des 20. Jahrhunderts um über 3 °C gestiegen. Zudem hat die Zahl starker Zyklone zugenommen, genau wie die ausgeprägter Tiefdrucksysteme in Südostaustralien, vor allem im Verlauf der letzten 20 Jahre. Auch die Hochwasserhäufigkeit ist gestiegen, besonders 89 seit den sechziger Jahren. Im Großen und Ganzen fällt es schwer, zwei Nationen zu finden, denen der Klimawandel mehr zusetzt als den USA und Australien. Einige Weltregionen haben im Gegensatz dazu bislang kaum Veränderungen zu spüren bekommen. Besonders Indien scheint eine Ausnahme in diesem Muster überall zunehmender Probleme zu bilden, denn der Subkontinent ist bislang kaum betroffen. Die Meldungen, die kommen, sind offenbar gute, denn abgesehen von Gujarat und dem westlichen Orissa erlebt der größte Teil des Landes weniger Dürreperioden als noch vor 25 Jahren, und wie wir gesehen haben, scheinen die Wirbelstürme am Golf von Bengalen vorbeizuziehen. Im größten Teil Nordindiens kommen auch extreme Temperaturen anscheinend weniger häufig vor als früher, dafür werden sie allerdings im Süden häufiger. Nur der Nordwesten Indiens erlebt eine deutliche Zunahme extrem heißer Tage, und die dortigen Hitzewellen haben 90 schon zahlreiche Menschenleben gefordert. Es ist nicht meine Absicht, mich hier über das Klima sämtlicher Weltregionen auszulassen, ich wollte nur die Arten von Wetterverän165
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derungen beschreiben, die bislang als Folge des Temperaturanstiegs um 0,63 °C dokumentiert worden sind. Die globale Erwärmung hat jedoch noch eine Konsequenz, die sich nur unauffällig bemerkbar macht, die aber alle Kontinente in ungefähr gleichem Maß zu spüren bekommen: Sie alle schrumpfen, denn die Ozeane werden wegen der Hitze und des schmelzenden Eises größer. Bedroht dies die Menschheit? Sehen wir nach, wie hoch das Wasser steigen wird – und wie schnell.
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MIT DEM BLANKEN HANS SPIELEN Des Wetters Aussehn betrachtete ich – das Wetter war fürchterlich anzusehn ... Kaum dass ein Schimmer des Morgens graute, stieg schon auf von der Himmelsgründung schwarzes Gewölk. In ihm drin donnerte Adad [der Wettergott] ... Eragal reißt den Schiffspfahl [der die Wasser der Erde zurückhielt] heraus, Ninurta geht, lässt die Wasserbecken ausströmen ... Die Himmel überfiel wegen Adad Beklommenheit, jegliches Helle in Düster verwandelnd; das Land, das weite, zerbrach wie ein Topf. Das Gilgamesch-Epos
Die Urangst vor der schrecklichen Gewalt des Wassers ist der menschlichen Psyche tief eingegraben. Das Gilgamesch-Epos bezeugt das genauso wie Noahs Sintflut und Hunderte weniger bekannter Mythen aus der ganzen Welt. Wie wir gesehen haben, stand die Wiege unserer Spezies höchstwahrscheinlich an den Seen im ostafrikanischen Graben, wo unsere Vorfahren sich von jeder Menge Fischen, Muscheln, Vögeln und Säugetieren ernährten. Seither haben wir immer wieder versucht, dicht am Wasser zu wohnen, denn das Wasser lockt Lebewesen von nah und fern herbei. Campiert man bei einem Wasserloch, sieht man früher oder später Tiere, die sich zum Durststillen einstellen. Aus tief verwurzelten Gründen lebt unsere Art vorzugsweise mit Blick aufs Wasser, vor allem wenn dies einen Strand einschließt, einen See oder einen kurz gehaltenen Rasen, der aussieht, als würde er von großen Weidetieren abgegrast. Immobilienmakler kennen unsere Vorlieben genau und wissen auch, wie viel wir dafür zu zahlen bereit sind. Heute leben zwei von drei Menschen auf der Erde nicht weiter als 80 Kilometer von einer Küste entfernt, und doch wissen wir in unserem Unterbewusstsein, dass das Wasser 167
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über das Land kommen und alle unsere hart erworbenen Immobilien 91 wertlos machen kann. Vor 15 000 Jahren war der Meeresspiegel mindestens 100 Meter niedriger als heute. Damals war der nordamerikanische Kontinent ein veritables Eisreich, die Menge des auf ihm gefrorenen Wassers übertraf sogar die der Antarktis. Als dann die großen amerikanischen Eiskappen schmolzen, setzten sie allein genügend Wasser frei, um den Meeresspiegel weltweit um 74 Meter steigen zu lassen. Rasch schwollen die Ozeane an, bis vor rund 8000 Jahren der Meeresspiegel sein heutiges Niveau erreichte und sich die Verhältnisse stabilisierten. Überall auf der Welt sahen Menschen zu, wie das Wasser stieg, was es gelegentlich so schnell tat, dass die Küstenlinie sich von Jahr zu Jahr verschob. Heute wäre selbst ein bescheidener Anstieg des Meeresspiegels eine Katastrophe, denn die Küsten sind dicht besiedelt, und das Leben vieler Menschen ist gefährdet. Der katastrophale asiatische Tsunami im Dezember 2004 hat zwar nichts mit dem Klimawandel zu tun, aber er lässt erahnen, wie verheerend ein steigender Meeresspiegel und turbulentes Wetter sein können. Die Niederlande planen bereits den Bau eines Superdeichs, um sich vor dem heranrückenden Meer zu schützen, und auch die Themse-Dämme sollen verstärkt werden. Aber unzählige Millionen weiterer Menschen wohnen am Meer – einige in teuren Anwesen, andere in bescheidenen Dörfern –, und sie sind ungeschützt. Allein in Bangladesch leben über zehn Millionen Menschen nicht höher als 92 100 Zentimeter über dem Meeresspiegel. Alles, was von den großen Eiskappen der Nordhalbkugel heute übrig ist, sind das Inlandeis Grönlands, das Packeis des Nordpolarmeers und ein paar kontinentale Gletscher, und es mehren sich die Anzeichen, dass nach 8000 Jahren auch diese Relikte abzuschmelzen beginnen. Der grandiose Columbus Glacier in Alaska hat sich in den letzten 20 Jahren zwölf Kilometer zurückgezogen; im amerikanischen Glacier National Park wird es binnen weniger Jahrzehnte überhaupt keine Gletscher mehr geben. In Gletschern wie diesen ist genügend Wasser enthalten, um den Meeresspiegel um Zentimeter zu heben. Das grönländische Inlandeis jedoch ist ein echtes Relikt der kontinentalen Eiskappen, wie sie die Mammute wiedererkennen würden, und es enthält genügend Wasser, um den Meeresspiegel um rund sie168
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ben Meter steigen zu lassen. Im Sommer 2002 ging es zusammen mit dem arktischen Packeis um den Rekordwert von einer Million Qua93 dratkilometern zurück – das größte je verzeichnete Abschmelzen. Zwei Jahre später, in 2004, entdeckte man, dass Grönlands Gletscher zehnmal schneller schmelzen, als man zuvor glaubte. Vielleicht überrascht es Sie daher zu erfahren, dass über den höchsten Teilen sowohl des Grönland- als auch des Antarktiseises die Temperaturen niedrig bleiben – faktisch sogar sinken. Es sind die einzigen Weltgegenden, in denen eindeutig negative Temperaturtrends zu beobachten sind. Das ist beruhigend, denn laut einer jüngeren Studie wird sich das Grönlandeis nie wieder regenerieren können, wenn es je ganz abgeschmolzen wäre, selbst wenn wir die CO2-Werte der At94 mosphäre weltweit auf das vorindustrielle Niveau zurückbrächten. Die größte Eisansammlung der Nordhalbkugel ist das Packeis über dem Polarmeer, und seit 1979 ist sein Umfang im Sommer um 20 Prozent zurückgegangen. Darüber hinaus ist das verbliebene Eis viel dünner geworden. Messungen mit U-Booten ergaben, dass es nur noch 60 Prozent der Stärke von vor vier Jahrzehnten hat. Dieses unglaubliche Abschmelzen wirkt sich jedoch nicht direkt auf den Meeresspiegel aus, jedenfalls nicht mehr, als das Schmelzen eines Eiswürfels in einem Glas Whisky den Flüssigkeitsspiegel im Glas steigen lässt. Der Grund dafür ist, dass es sich beim Eis der Arktis um Packeis handelt, von dem neun Zehntel unter Wasser schwimmen, und wenn es schmilzt, verdrängt nur das Volumen, das vorher den Meeresspiegel überragte, entsprechend viel vorhandenes Wasser. Nur Eis an Land lässt, wenn es schmilzt und abfließt, den Meeresspiegel deutlich steigen. Obwohl das Abschmelzen des Packeises keine unmittelbare Auswirkung hat, sind die indirekten Folgen aber bedeutend. Wenn der Rückgang im gegenwärtigen Tempo weitergeht, wird am Ende dieses Jahrhunderts nur noch wenig – wenn überhaupt – Arktiseis übrig sein, und das wird die Albedo der Erde in erheblichem Umfang ändern. Erinnern Sie sich daran, dass ein Drittel der auf die Erde fallenr den Sonnenstrahlen ins All reflektiert w erden. Eis, vor allem das an den Polen, ist für ein gut Teil dieser Albedo verantwortlich, denn es reflektiert bis zu 90 Prozent des Sonnenlichts. Wasser ist hingegen ein schlechter Reflektor. Steht die Sonne senkrecht am Himmel, wirft es 169
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bloß fünf bis zehn Prozent des Lichts ins All zurück, allerdings steigt, wie Sie wohl selbst schon einmal bei einem Sonnenuntergang am Meer beobachten konnten, die vom Wasser reflektierte Lichtmenge, wenn sich die Sonne dem Horizont nähert. Ersetzt man das Arktiseis durch einen dunklen Ozean, werden viel mehr Sonnenstrahlen von der Erdoberfläche absorbiert und als Wärme abgestrahlt, wodurch es zu einer lokalen Erwärmung kommt, die – in einem klassischen Beispiel positiver Rückkopplung – das Abschmelzen des verbleibenden Eises noch beschleunigt. Noch 2001 galt ein Anstieg des Meeresspiegels als eines der die Menschheit weniger bedrängenden Probleme infoige des Klimawandels, denn in den vorangegangenen 150 Jahren war der Meeresspiegel nur um 10 bis 20 Zentimeter gestiegen, was 1,5 Millimeter pro 95 Jahr ergibt – nur ein Hundertstel so schnell, wie Ihr Haar wächst. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts jedoch verdoppelte sich der Anstieg auf rund drei Millimeter pro Jahr. Wissenschaftler sind wegen des zunehmenden Schwungs beim Anstieg besorgt, denn die See ist das größte Schwergewicht auf unserem Planeten, und wenn er erst einmal ein bestimmtes Tempo erreicht hat, können alle Anstrengungen sämtlicher Menschen auf Erden ihn nicht mehr aufhalten. Im Vergleich zur Atmosphäre sind die Ozeane enorm schwer: Sie haben fünfhundertmal mehr Masse, und sie sind sehr dicht. Wenn wir uns also vorstellen, wie die Atmosphäre die Ozeane verändert, müssen wir an so etwas wie einen VW-Käfer denken, der einen Panzer einen Hang hinunterschiebt. Erst ist es mühsam, das Monstrum in Bewegung zu setzen, aber wenn es dann rollt, kann der Käfer kaum noch etwas tun, um den Kurs des Panzers zu ändern. Ein wichtiger Faktor, der die Reaktion der Ozeane auf den Klimawandel verlangsamt, ist die Schichtung des Wassers. Würde alles Meerwasser so durchmischt, dass es ein und dieselbe Temperatur hätte, würde diese kühle 3,5 °C betragen. Doch fern der Pole sind die oberen Schichten der Ozeane weit wärmer, und sie werden nach unten immer kühler, bis in der Tiefe die Temperatur unter dem Gefrierpunkt liegen kann (weil das Wasser salzig ist). Jede Abkühlung der Oberfläche trägt dazu bei, dass sich die Wasserschichten leichter durchmischen können, was den Abkühlungsprozess beschleunigt. Wenn sich die Ozeane jedoch erwärmen, fällt 170
Mit dem Blanken Hans spielen
ihre Schichtung stärker aus, und dann dringt Oberflächenwasser nicht so leicht in die Tiefe vor, sodass es lange dauert, bis die Wärme ihren Weg in die Schichten viele Kilometer in der Tiefe gefunden 96 hat. Das bedeutet: Befindet sich die Erde in einer Phase der Abkühlung, gibt es zwischen der Abnahme der Treibhausgase und dem daraus resultierenden Klimawandel nur wenig Verzögerung. Heizt sich unser Planet jedoch auf, brauchen die Oberflächenschichten der Ozeane rund drei Jahrzehnte, um die Wärme aus der Atmosphäre zu absorbieren, und dann dauert es 1000 Jahre oder länger, bis diese Wärme die Tiefen des Ozeans erreicht hat; all das heißt, dass die Ozeane hinsichtlich der globalen Erwärmung noch immer in den siebziger Jahren leben. Trotz dieser ausgeprägten Trägheit ist die Erwärmung der Meeresoberflächen bereits im Gang, und nach und nach gibt es auch Infor97 mationen, dass die Temperaturen in der Tiefe deutlich ansteigen. Wir können nichts tun, um diesen langsamen Wärmetransfer aus der Luft ins Meer zu verhindern, was eine sehr schlechte Nachricht ist, denn die Wärme lässt den Meeresspiegel auf zweierlei Weise ansteigen. Beim Stichwort steigender Meeresspiegel denken die meisten an in die Ozeane abschmelzende Gletscher und Eiskappen. Im Verlauf des letzten Jahrhunderts jedoch war der Anstieg des Meeresspiegels ein gutes Stück weit auf die Expansion der Ozeane zurückzuführen, denn warmes Wasser nimmt mehr Raum ein als kaltes. Diese »thermale Expansion« wird, so erwartet man, den Meeresspiegel im Verlauf der nächsten 500 Jahre um 0,5 bis zwei Meter steigen lassen. Im Jahr 2001 schätzte das Intergovernmental Panel on Climate Change, dass die Ozeane in diesem Jahrhundert (in runden Zahlen) bloß um zehn Zentimeter bis einen Meter ansteigen werden. Die thermale Expansion, vermutete das Panel, würde dazu zehn bis 43 Zentimeter beitragen und abschmelzende Gletscher maximal weitere 23 Zentimeter, wobei der größte Teil des Wassers von Gletschern außerhalb der Polregionen und auf Grönland kommen würde. Als das Panel Ende der neunziger Jahre diesen Bericht zusammenstellte, war die Abschmelzgeschwindigkeit vieler Gletscher nicht bekannt, und die Lage rund um den Südpol war besonders unsicher. Heroische wissenschaftliche Anstrengungen haben mittlerweile neue 171
Eine von Zehntausend
Daten geliefert, was das Thema Meeresspiegelanstieg zu einem der sich am schnellsten verändernden Bereiche der Klimaforschung macht. Typisch für diese neue Generation von Untersuchungen ist die von Eric Rignot vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena und sei98 nen Kollegen veröffentlichte Studie. Sie maßen die Abschmelzrate des patagonischen Eisfelds – der größten Eismasse der gemäßigten Breiten auf der Südhalbkugel – und stellten fest, dass es pro Flächeneinheit mehr Wasser zum globalen Meeresspiegelanstieg beisteuert (0,1 Millimeter pro Jahr) als sogar die gigantischen Gletscher Alaskas. Die alarmierendsten Nachrichten über das Eisabschmelzen kommen aber aus der Antarktis. Im Jahr 2004 füllten wissenschaftliche Aufsätze über ominöse Veränderungen am Eis der Antarktischen Halbinsel und der angrenzenden Gebiete in mittlerweile rascher Folge die Seiten der akademischen Zeitschriften. Diese Untersuchungen machten klar, dass sich am Südende der Welt ein erheblicher Dominoeffekt bemerkbar macht – die Destabilisierung des einen Eisfelds führt zur Zerstörung eines benachbarten. Da immer größere Eismassen verschwinden, ist mittlerweile klar, dass das Abschmelzen des Südpolareises in den kommenden Jahrzehnten den bei weitem größten Beitrag zum Meeresspiegelanstieg leisten wird. Die ersten dramatischen Anzeichen für trübe Aussichten wurden im Februar 2002 bekannt, als das Eisschelf Larsen B – mit 3250 Quadratkilometern so groß wie Luxemburg – binnen weniger Wochen auseinander brach. Die Wissenschaftler wussten zwar, dass die Antarktische Halbinsel sich schneller erwärmt als so gut wie jede andere Gegend der Erde, aber wie schnell und abrupt Larsen B kollabierte, schockierte viele. Im Nachhinein fanden die Wissenschaftler heraus, dass es eine wichtige und bislang übersehene Ausnahme von der Regel gibt, dass schmelzendes Packeis nicht den Meeresspiegel verändert. Fast unmittelbar nach dem Zusammenbruch begannen die Gletscher, die sich in Richtung des jetzt fragmentierten Eisschelfs vorschieben, schneller zu fließen. Gletscher bewegen sich natürlich viel langsamer als Flüsse, aber sie fließen tatsächlich, und der Zusammenbruch von Larsen B zeigte überdeutlich, dass einer der wichtigsten Faktoren, die das Tempo eines Gletschers bestimmen, die Eismasse an seinem Zungenende ist. Ein dickes Eisfeld fungiert ganz 172
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ähnlich wie ein Damm und bremst die Bewegung des Gletschers Richtung Meer und damit auch die Geschwindigkeit seines Abschmelzens. Ist der Eisdamm weg, nimmt der Gletscher sozusagen Fahrt auf. Es ist schwierig und kostspielig, die Gletscher und Eisfelder der Antarktis zu untersuchen, doch was mit Larsen B geschah, brachte die Wissenschaftler rasch dazu, sowohl die Details seines Untergangs als auch die anderen Eisschelfe genau zu prüfen. Im Jahr 2003 enthüllte eine Untersuchung, bei der im Lauf von zehn Jahren gesammelte Satellitendaten zusammengefasst wurden, den eigentlichen Grund für den Zusammenbruch des Larsen-Eisschelfs. Die Erwärmung sowohl der Atmosphäre als auch des Ozeans ließ das Eis in den Sommern an der Ober- und an der Unterseite gleichermaßen schmelzen, bis es so dünn und von Spalten durchzogen war, dass sein Zer99 brechen unvermeidlich wurde. Das Abschmelzen des Eises von unten war dabei der wichtigste Faktor. Das Tiefenwasser des Weddellmeers, das am Eisschelf entlangfließt, war noch immer kalt genug, um einen Menschen binnen Minuten zu töten, es hatte sich aber seit 1973 um 0,32 °C erwärmt, und das reichte aus, um das Abschmelzen 100 in Gang zu setzen. Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass irgendwann in diesem Jahrhundert auch der Rest des Larsen-Eisschelfs zerbrechen wird, bis dahin aber werden wir unsere Aufmerksamkeit schon längst auf das 101 Schicksal weit größerer Eismassen gerichtet haben. Als Erstes wird das Packeis der Amundsensee vor der Küste der westlichen Antarktis in unser Bewusstsein rücken. Ende 2002 entdeckten Wissenschaftler unter Führung der NASA, dass es schnell dünner wird. In ihrem im Oktober 2004 veröffentlichten Bericht steht, dass weite Bereiche so dünn geworden sind, dass sie sich dem Punkt nähern, an dem sie sich von ihren »Verankerungen« auf dem Meeresboden lösen, frei herum102 treiben und wie Larsen B kollabieren können. Dieser für das Amundseneis fatale Punkt, vermuten sie, könnte schon binnen fünf Jahren erreicht werden, denn das Dünnerwerden hat bereits zu einer Beschleunigung des Gletschernachschubs geführt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatten die in die Amundsensee kalbenden Gletscher ihren Eintrag bereits auf rund 250 Kubikkilometer Eis pro Jahr gesteigert – genug, um den Meeresspiegel weltweit um 0,25 mm per 173
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annum steigen zu lassen. Da diese Gletscher, die sich in die Amundsensee ergießen, genug Eis enthalten, um den Meeresspiegel weltweit um 1,3 Meter ansteigen zu lassen, betrifft ihre Temposteigerung – wie der eingeleitete Zusammenbruch ihrer Eis-»Bremsen« – uns alle. Rund um die Antarktische Halbinsel liegt einer der größten verbliebenen Packeisgürtel der Welt. Der Eisschild der Westantarktis ist locker auf dem Grund des flachen Meeres verankert. Die Möglichkeit, dass er sich destabilisieren könnte, wurde erstmals in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts diskutiert, als der Glaziologe John Mercer von der University of Ohio auf Ähnlichkeiten zwischen der westlichen Antarktis und der eurasischen Arktis hinwies. Beide Regionen, führte er aus, weisen flache Meere von ähnlicher Topographie auf, die von riesigen Eismassen bedeckt sind (beziehungsweise waren). Die Eisschilde der eurasischen Arktis zerbrachen vor 15 000 bis 12 000 Jahren auf spektakuläre Weise, und Mercer war besorgt, dass infolge der globalen Erwärmung (etwas, das damals so gut wie unbekannt war) mit dem westantarktischen Eisschild dasselbe pas103 sieren könnte. Jüngst wurde entdeckt, dass es an den Rändern des westantarktischen Eisschilds sich rasch bewegende »Eisströme« gibt, die über Kies 104 fließen, was unter bestimmten Umständen ihr Tempo beschleunigt. Wie schwierig es ist, die Fließgeschwindigkeit dieser »Ströme« zu messen, zeigte eine zweiwöchige Untersuchung des Whillans-Eisstroms. Lange hielt man ihn für stabil – ja, man glaubte sogar, er verlangsame sein Tempo –, was ein gutes Zeichen für die Stabilität des Eisschilds insgesamt gewesen wäre. Doch bei der Untersuchung kam heraus, dass er sich mit der extrem hohen – für Eis jedenfalls – Geschwindigkeit von einem Meter pro Stunde bewegen kann! Dies geschah allerdings nur bei einem bestimmten Gezeitenstand; bei ande105 ren kam der Eisstrom zum Stillstand. Wenn der Eisstrom also so fein ausbalanciert ist, kann man sich leicht vorstellen, dass ein steigender Meeresspiegel oder das Dünnerwerden des Eises das Fließtempo dauerhaft erhöht. Sollte sich der westantarktische Eisschild je vom Meeresboden lösen, würde er zum Meeresspiegelanstieg bis zum Jahr 2100 etwa 16 bis 50 Zentimeter beitragen. Und noch schlimmer wäre, dass die Gletscher, die ihm den Nachschub liefern, sich beschleunigen und 174
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den Meeresspiegel noch viel mehr ansteigen lassen würden. Alles in allem enthalten die 3,8 Millionen Kubikkilometer Pack- und Gletschereis des westantarktischen Schilds genügend Wasser, um den Meeresspiegel weltweit um sechs bis sieben Meter zu heben. Einen Lichtblick gibt es allerdings in dieser Sache. Da es an den Polen vermehrt zu Niederschlägen kommen wird, erwartet man, dass es hoch oben auf dem Inlandeis der Antarktis mehr Schnee geben wird, der einen Teil des Eises wettmacht, das an den Rändern des Kontinents verloren geht, obwohl momentan niemand sagen kann, für wie lange und in welchem Umfang dieser Ausgleich erfolgen wird. In der Wissenschaft von den Eisschilden hat sich vieles so rasch verändert, und die Trägheit des »Schwergewichts« Ozean ist so groß, dass die Klimaforscher jetzt diskutieren, ob die Menschen schon den Schalter umgelegt haben, der zu einer eisfreien Erde führen wird. Wenn ja, haben wir unseren Planeten und uns selbst bereits zu einem Ansteigen des Meeresspiegels um rund 67 Meter verdammt. Die nächste große Frage lautet dann: Wie lange braucht das Eis zum Abschmelzen? Viele Wissenschaftler glauben, dass unabhängig vom Umfang des zu erwartenden Abschmelzens das Steigen des Meeresspiegels massiv nach 2050 einsetzen wird und es Jahrtausende dauern wird, bis alles Eis geschmolzen ist. Dennoch sagen einige Wissenschaftler einen um drei bis sechs Meter höheren Meeresspiegelanstieg 106 im Verlauf von ein bis zwei Jahrhunderten voraus. Die Zukunft vorherzusehen, zählte noch nie zu den Stärken der Menschheit, aber dank der technischen Fortschritte in den letzten beiden Jahrzehnten – wozu die Satellitenüberwachung der planetaren Oberflächenveränderungen, bessere Computer und ein gefestigtes Wissen um Systeme wie den Kohlenstoffzyklus zählen –, konnten Wissenschaftler virtuelle Welten bauen, mit denen man annähernd abschätzen kann, wie die Dinge sich entwickeln werden und wie sie sich gestalten würden, wenn wir unsere Lebensweise änderten. Dieses wunderbare neue Spielzeug der Wissenschaft kann uns viel über unsere klimatische Zukunft in den kommenden Jahrzehnten sagen.
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III WEISSAGEN ALS WISSENSCHAFT
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MODELLWELTEN Wir haben die gesamte natürliche Welt zu unserem Labor gemacht, aber das Experiment ist aus Versehen losgegangen und daher nicht so angelegt, leicht zu entziffernde Resultate zu erbringen ... Es gibt beunruhigende Anzeichen, dass ... die Modelle die Klimafolgen der Treibhausgasanhäufung eher unterals überschätzen. Lee Kump, »Reducing Uncertainty about Carbon Dioxide As a Climate Driver«, NASA, 2002
Die Wissenschaft, die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Klima der Erde zu prognostizieren, hat ihre Ursprünge in der Wettervorhersage. Unter der Leitung von Captain Fitzroy (berühmt wegen Darwin und der Beagle) war der britische Wetterdienst eine der ersten Institutionen, die eine wissenschaftlich fundierte Wettervorhersage entwickelten. Seit Gründung der United Nations Meteorological Organization werden heute sämtliche wissenschaftlichen Aktivitäten, die mit dem Klima und dem Wetter zu tun haben, weltweit koordiniert. 185 Länder beteiligen sich an diesem Programm, und zusammen betreiben sie 10 000 Beobachtungsstationen zu Lande, 7000 auf Schiffen und zehn Satelliten. Das Basiswerkzeug für Klimawandel-Vorhersagen ist ein Computermodell der Erdoberfläche und der auf ihr ablaufenden Prozesse. Die Wissenschaftler variieren dann die Ausgangsdaten, was ihnen beispielsweise zu sehen erlaubt, wie unser Klima auf eine Verdopplung des CO2 in der Atmosphäre reagieren könnte oder wie sich das Ozonloch auf das Klima auswirken wird. Frühe Modelle beschränkten sich darauf, Kreisläufe in der Atmosphäre zu untersuchen. Deshalb werden diese Modelle – selbst die ausgeklügelten, die alles vom Kohlenstoffzyklus bis zur Vegetation simulieren – pauschal als »glo179
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bale Zirkulationsmodelle« bezeichnet. Vor gut 50 Jahren war das aufwendigste Zirkulationsmodell der Erdatmosphäre eine mit Wasser gefüllte flache Schüssel, die in einem Labor an der University of Chicago auf einem Drehteller rotierte, während ihr Rand von einer 1 Flamme erhitzt wurde, die die Tropensonne darstellte. So primitiv dieses Modell war, zeigte es doch die Strömungen in derselben relativen Position wie in der Realität der roaring forties, dem Sturmgürtel zwischen dem 39. und dem 50. Breitengrad. Und zur Überraschung ihres Erfinders produzierte die Wasserschüssel sogar einen ModellJetstream und Wirbel, die an Stürme erinnerten. Vom Erfolg ihrer Experimente beflügelt, hatten sich die Forscher bis 1949 Computern zugewandt, um die Atmosphäre zu simulieren. Schon 1975 arbeiteten Syukuro Manabe, damals beim US Weather Bureau, und sein Kollege Richard Weatherald mit Computermodellen, um die Folgen einer CO2-Verdopplung in der Atmosphäre zu un2 tersuchen. Sie fanden heraus, dass dies einen Anstieg der Durchschnittstemperatur der Erde um 2,4 °C bewirken würde. Bis 1979 waren technisch fortschrittlichere Modelle in Dienst gestellt, und diese ließen darauf schließen, dass der Anstieg wahrscheinlich eher zwischen 3,5 und 3,9 °C liegen würde, plus oder minus ein paar 3 Grad vielleicht. Erstaunlicherweise änderte sich an dieser Vorhersage und ihrem Unsicherheitsfaktor über 20 Jahre lang kaum etwas: 2001 gab das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) noch immer 3 °C plus oder minus ein paar Grad an. Die Erklärung scheint darin zu liegen, dass zwar bei den immer gewitzteren Computermodellen Unsicherheitsfaktoren in deren Programmen eliminiert worden waren, dafür aber mehr Unsicherheitsfaktoren aus der realen Welt berücksichtigt werden mussten. Diese Sachlage ändert sich jetzt jedoch. Heute gibt es etwa zehn verschiedene globale Zirkulationsmodelle, die das Atmosphärenverhalten zu simulieren versuchen und vorher4 sagen sollen, was mit ihr in der Zukunft passieren wird. Über die leistungsfähigsten Modelle verfügen das Hadley Centre in England, das Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien und das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Deutschland. Zwar können alle drei Forschungseinrichtungen die allgemeinen Temperaturtrends reproduzieren, die die Erde im Verlauf des 20. Jahrhunderts 180
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erlebte, unabhängigen Prüfungen zufolge aber gilt das Hadley Centre als weltweit führend. Das Hadley Centre for Climate Prediction and Research wirkt wie eine moderne Kathedrale der Klimaforschung. Das im Jahr 2003 fertig gestellte neue Gebäude ragt als elegante Kombination von Glas und Stahl in den Himmel; es ist so konstruiert, dass es den Energieverbrauch und damit Schädigungen der Umwelt minimiert. In diesem Komplex arbeiten über 120 Wissenschaftler daran, die Unsicherheit von Prognosen zu reduzieren, indem sie immer ausgeklügeltere Modelle zur Nachahmung der realen Welt entwickeln. Wäre unser Planet eine einheitliche schwarze Kugel, hätten die Leute am Hadley leichtes Spiel, denn eine Verdopplung des CO2 in der Atmosphäre würde die Oberflächentemperatur unseres hypothetischen Rußballs um 1 °C anheben. Aber die Erde ist nicht schwarz, und ihre Oberfläche ist auch nicht gleichförmig. Sie ist vielmehr bucklig und blau, rot, grün und weiß; und die weißen Anteile – größtenteils Wolken – sind es, die den Forscher Kopfschmerzen bereiten. Wolken vernebeln sozusagen die Sachlage, weil bis jetzt noch niemand eine Theorie der Wolkenbildung und -auflösung entwickelt hat; und weil Wolken zum einen Wärme speichern und zum andern Sonnenlicht ins All reflektieren, können sie je nach Umständen die Erde gewaltig aufheizen oder abkühlen. Wie gut sagt die wolkige, computerisierte Kristallkugel des Hadley Centre die irdische Zukunft voraus? Es gibt vier wichtige Tests, die jedes globale Zirkulationsmodell bestehen muss, ehe man seine Prognosen als glaubwürdig einstufen kann. Der Erste ist die Frage, ob die physische Basis des Modells mit den Gesetzen der Physik übereinstimmt – der Erhaltung von Masse, Wärme, Feuchtigkeit und so weiter. Zweitens: Kann das Modell das gegenwärtige Klima akkurat simulieren? Drittens: Kann es Tag für Tag die Weiterentwicklung der Wettersysteme, die unser Klima bestimmen, simulieren? Und schließlich: Kann das Modell simulieren, was wir über das Klima der Vergangenheit wissen? Computermodelle wie die des Hadley Centre bestehen diese Tests mit angemessener Genauigkeit, aber neue Erkenntnisse über die reale 5 Welt zwingen ständig zu Änderungen an den Computermodellen. Der kanadische Wissenschaftler Nathan Gillett und seine Kollegen 181
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haben kürzlich gezeigt, wie der menschengemachte Klimawandel den Luftdruck auf Meereshöhe verändert. Das ist der erste eindeutige Beweis dafür, dass Treibhausgase außer der Temperatur noch einen 6 weiteren meteorologischen Faktor direkt beeinflussen. Eine Steigerung des Luftdrucks auf Meereshöhe war zuvor in den globalen Zirkulationsmodellen noch nicht berücksichtigt worden, was dazu geführt hatte, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf Stürme im Nordatlantik unterschätzt wurden. Zu den Skeptikern, die die globalen Zirkulationsmodelle noch immer belächeln, zählt Jack Hollander, Professor emeritus für Energie and Ressourcen der University of California. In seinem jüngsten Buch, The Real Environmental Crisis, sinniert Hollander: »Computersimulationen ... liefern keine adäquate Basis für die katastrophalen Verallgemeinerungen über das zukünftige Klima ... ohnehin ist es für die meisten von uns schwierig, zwischen soliden empirischen Beweisen und Spekulationen auf der Basis höchst unsicherer Compu7 termodelle zu unterscheiden.« Hollanders Unterscheidung zwischen empirischen Beweisen und Spekulationen enthüllt ein mangelndes Verständnis, wie Computermodelle funktionieren. Alle Modelle beziehen sich auf bewiesene Tatsachen und berücksichtigen so viele empirische Daten wie möglich, um überprüfbare Hypothesen zum zukünftigen Klimawandel zu bilden. Solange Skepsis auf einem gründlichen Verständnis der Wissenschaft basiert, ist sie von unschätzbarem Wert, denn genau so macht die Wissenschaft Fortschritte. Schlecht begründete Kritik aber kann dazu führen, dass jene, die mit der zugrunde liegenden Wissenschaft nicht vertraut sind, sämtliche Vorhersagen zum Klimawandel in Zweifel ziehen. Am häufigsten wissenschaftlich missbraucht wurde die Diskrepanz zwischen den Temperaturmessungen der World Meteorological Organization mit ihren 17 000 Thermometern (in den typischen Jalousien-Kästen) und den Messungen ihrer zehn Satelliten. Die Thermometer lieferten anscheinend nicht zu widerlegende Beweise, dass sich die Oberfläche unseres Planeten um 0,17 °C pro Jahrzehnt erwärmt – was zufällig das Maß war, das auch Computermodelle vorhersagten –, doch die Satellitendaten ließen auf eine viel geringere Erwärmung der unteren Atmosphäre schließen. Das war Wasser auf die 182
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Das Wetter am 1. Juli 1998: (A) ist die am Hadley Centre erstellte Computersimulation des weltweiten Wetters an diesem Tag. (B) ist eine Satellitenaufnahme des tatsächlichen Wetters. Die weißen Pfeile weisen auf Wolkengebiete hin, die der Computer nicht vorherberechnet hatte, aber ansonsten sind sich die beiden Bilder sehr ähnlich.
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Mühlen derjenigen, die einen Klimawandel leugnen wollten. Dennoch mussten sie die Daten verdrehen, denn um zu argumentieren, dass es keine Erwärmung gäbe, mussten sie die 17 000 Thermometermessungen als unglaubwürdig hinstellen, die anscheinend die verlässlicheren Anzeichen des Wandels waren. Nach Jahren komplizierter Forschungen fanden die Klimawissenschaftler 2004 die Fehlerquelle: Sie war bei den Satellitendaten zu su8 chen. Wir haben weiter oben erfahren, dass die Abnahme des Ozons die Stratosphäre kühler werden ließ, während zugleich Treibhausgase die Troposphäre aufheizten. Die Satelliten, so zeigte sich, hatten eine zunehmend wärmere Troposphäre und zugleich eine zunehmend kältere Stratosphäre gemessen, und der sinnlose Durchschnitt dieser auseinander driftenden Temperaturwerte hatte die Wissenschaftler in 9 die Irre geführt. Ebenfalls ein Lieblingsthema der Skeptiker, aber der genaueren Betrachtung wert, ist eines der großen, frühen Rätsel in Sachen Temperaturtrends. Zwischen 1940 und 1970 ging trotz einer Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde zurück. Darüber hinaus sagten alle globalen Zirkulationsmodelle voraus, dass sich die Erde angesichts der Menge des in die Atmosphäre gelangenden CO2 im Verlauf des Jahrhunderts doppelt so stark aufheizen müsste, wie es tatsächlich der Fall war. Die Skeptiker stürzten sich auf diese Anomalien, um sowohl die Computermodelle in Misskredit zu ziehen als auch die Idee hinauszuposaunen, dass CO2 und andere Treibhausgase nichts mit steigenden Temperaturen zu tun hätten. Beide Abweichungen, so stellte sich heraus, rührten von einem zuvor übersehenen Faktor her – dem sehr starken Einfluss, den winzige Partikel in der Atmosphäre auf das Klima haben. Diese so genannten Aerosole können vom Staub aus Vulkanen bis zum tödlichen Partikelcocktail aus den Schloten von Kohlekraftwerken alles sein. Wüsten produzieren sie in großen Mengen genauso wie Dieselmotoren: Reifenabrieb und Brände sind gleichfalls wichtige Quellen. Frühe Computermodelle berücksichtigten keine Aerosole bei ihren Berechnungen, was zum Teil daran lag, dass niemand genau wusste, wie viel davon durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wurde. Wir wissen heute, dass zwischen einem Viertel und der 184
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Hälfte aller Aerosole in unserer Atmosphäre menschengemachten 10 Ursprungs sind. Aerosole können der Gesundheit sehr abträglich sein. Sie waren der Grund für die hohe Sterblichkeit im London des 17. Jahrhunderts, und auch heute kommen trotz technischer Weiterentwicklungen in den Vereinigten Staaten alljährlich 60 000 Menschen durch Aerosole 11 um, die beim Verbrennen von Kohle entstehen. Die Ursache dafür ist zum Teil, dass Kohle wie ein Schwamm fungiert und Quecksilber, Uran und andere schädliche Mineralien bindet, die freigesetzt werden, wenn die Kohle verbrannt wird. Im Bundesstaat Süd-Australien liegt das größte Uranbergwerk der Welt, doch die stärkste Strahlungsquelle des Landes ist nicht das Bergwerk, sondern ein Kohlekraftwerk bei Port Augusta. Es ist wirklich keine Überraschung, dass das Verheizen von Kohle häufig zu Lungenkrebs führt. Im australischen Hunter Valley, wo die Stromerzeugung aus Kohle konzentriert ist, liegt die Lungenkrebsrate um ein Drittel höher als im nahe gelegenen Sydney, und das trotz der Umweltverschmutzung in dieser Metropole. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind »Spucken verboten«-Schilder an den Wänden der Eisenbahntunnel in meiner Heimatstadt Melbourne sah und auch erzählt bekam, dass zu Zeiten meines Großvaters Spucknäpfe in Gebrauch waren. Als ich im Erwachsenenalter dann China bereiste und die Bewohner stark verschmutzter Städte wie Hefei dreckigen Schleim aus den Lungen hochwürgen sah, ging mir auf, dass meine Vorfahren nicht notwendigerweise schlechtere hygienische Umgangsformen hatten als meine Generation. Sie kämpften viel mehr mit einer eher an eine Abfallgrube erinnernden Luft, für die das Verheizen von Kohle sorgte. Die Wissenschaftler glauben heute, dass der Temperaturrückgang von den vierziger bis zu den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Aerosole verursacht wurde, wobei sie vor allem das Schwefeldioxid verantwortlich machen. Schwefeldioxid wird freigesetzt, wenn Kohle minderer Qualität verbrannt wird, und in den sechziger Jahren begannen die Seen und Wälder in den hohen Breitengraden der Nordhalbkugel zu sterben. Die Bäume verloren Blätter und Nadeln, und die Seen wurden kristallklar, weil in ihnen nichts mehr lebte. Der Grund dafür war der saure Regen, der aus den Schwefel185
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dioxid-Emissionen der Kohlekraftwerke resultierte. Als das klar wurde, kam eine Gesetzgebung in Gang, mit der die Rauchgaswäsche in Kohlekraftwerken und Industriebetrieben zwingend vorgeschrieben wurde. Solche Anlagen sind jetzt seit den siebziger Jahren in Gebrauch, und sie haben die Schwefeldioxid-Emissionen drastisch reduziert. Das hatte jedoch auch unbeabsichtigte Folgen. Sulfat-Aerosole reflektieren das Sonnenlicht am effektivsten ins All und kühlen daher den Planeten sehr wirkungsvoll. Weil die meisten Aerosole nur ein paar Wochen in der Atmosphäre bleiben (von Schwefeldioxid zerfallen bei normaler Luftfeuchtigkeit ein bis zwei Prozent pro Stunde), machte sich die Wirkung der Rauchgaswäsche sofort bemerkbar. Während die Luft reiner wurde, begannen die globalen Temperaturen, vom CO2 aus denselben Kraftwerken getrieben, wieder nach 12 oben zu klettern. Das war das perfekte Beispiel dafür, wie in Gaias Welt alles mit allem verbunden ist und alles andere beeinflusst. Als 1991 auf den Philippinen der Pinatubo ausbrach, bot sich eine außergewöhnliche Testmöglichkeit, inwieweit die neuen globalen Zirkulationsmodelle den Einfluss der Aerosole prognostizieren konnten. Der Vulkan schleuderte 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre; eine Gruppe unter Führung des NASA-Wissenschaftlers James Hansen sagte voraus, dies würde zu einer globalen Abkühlung um rund 0,3 °C führen – und diese Zahl entsprach genau dem, was in der realen Welt passierte. Zu den wichtigsten und am besten abgesicherten Vorhersagen dieser Modelle gehört, dass sich die Pole schneller erwärmen werden als der Rest der Erde, dass über den Landmassen die Temperaturen rascher steigen werden als im weltweiten Durchschnitt, dass es mehr regnen wird und dass Wetterextreme sowohl an Häufigkeit als auch an Intensität zunehmen werden. Die Klimafolgen werden sich auch im Rhythmus von Tag und Nacht bemerkbar machen, wie es als Erster Arrhenius prophezeit hat; in Relation zu den Tagen werden die Nächte wärmer sein, denn in der Nacht gibt die Erdatmosphäre Wärme ans All ab. Es wird auch einen Trend zur Ausbildung von quasi permanenten El-Niño-ähnlichen Verhältnissen geben, was, wie wir erfahren haben, weitreichende Folgen haben kann. Wir müssen uns jetzt dem entscheidenden Unsicherheitsfaktor al186
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ler Modelle zuwenden: Wird eine Verdopplung des CO2 zu einer Erwärmung um 2 °C oder um 5 °C führen, und können wir erwarten, dass diese Spanne in der nahen Zukunft reduziert werden kann? Das ist ein entscheidender Punkt, nicht zuletzt weil die gegenwärtige USRegierung signalisiert hat, dass sie ihre Klimapolitik nicht überdenken wird, solange es nicht mehr Gewissheit gibt. Dass fast 30 Jahre harter Arbeit und erstaunlicher technischer Fortschritte das Ausmaß dieser Unsicherheit nicht reduzieren konnten, sollte uns nicht allzu optimistisch stimmen, dass wir auf größere Präzision hoffen könnten. Viele würden argumentieren, dass wir bereits genügend wissen: Selbst eine Erwärmung von nur 2 °C wäre für weite Teile der Menschheit eine Katastrophe. Die jüngste Studie zum Klimawandel – und die größte je unternommene – wurde Anfang 2005 von einem Team der Oxford University veröffentlicht. Die Untersuchung bediente sich ungenutzter Rechenzeiten von mehr als 90 000 Personalcomputern und konzentrierte sich auf die Frage, was eine Verdopplung des CO2 in der Atmosphäre für die Temperaturen bedeuten würde. Das Durchschnittsergebnis aus vielen Durchläufen besagte, dies würde zu einer Erwärmung um 3,4 °C führen. Alles in allem aber gab es ein erstaunlich breites Spektrum von Möglichkeiten – es reichte von 1,9 bis 11,2 °C Temperatursteigerung, wobei der obere Wert noch nie zuvor prog13 nostiziert worden war. Als ich diese Ergebnisse las, fiel mir wieder eine Anomalie ein, die mich lange beschäftigt hatte. Am Ende der letzten Eiszeit stieg das CO2-Niveau um 100 Teile pro Million und die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde um 5 °C. Das lässt den Schluss zu, dass das CO2 sich sehr stark auf die globale Temperatur auswirkt. In den meisten Computeranalysen jedoch wird vorhergesagt, dass ein fast dreimal so großer CO2-Anstieg (eine Verdoppelung des vorindustriellen Niveaus) zu einem Temperaturanstieg von nur 3 °C führen würde. Diese Anomalie ist für das Überleben unserer Zivilisation und zahlloser Spezies von großem Belang. Wissenschaftler, die gegenwärtig an Aerosolen arbeiten, glauben, dass sie die Antwort vielleicht kennen. Direkte Messungen der Sonneneinstrahlung am Boden und weltweite Aufzeichnungen der Verdunstungsraten (die hauptsächlich vom Son187
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nenlicht beeinflusst werden) weisen darauf hin, dass die Menge Sonnenlicht, die die Erdoberfläche erreicht, im Lauf der letzten drei Jahrzehnte deutlich (bis zu 22 Prozent in einigen Regionen) zurückgegangen ist. Es ist, als hätten wir das kleine »Fenster« in der Atmosphäre, durch das das sichtbare Licht hereinkommt, verschlossen. Dieses Phänomen des globalen Dimmens wird auf zweierlei Weise herbeigeführt: Aerosole wie etwa Ruß steigern das Reflexionsvermögen der Wolken, und die Kondensstreifen der Düsenflugzeuge bilden einen permanenten Wolkenschleier. Rußpartikel verändern die reflektiven Eigenschaften der Wolken, indem sie die Bildung vieler winziger Wassertröpfchen anstelle wenigerer, größerer Tropfen fördern; und mit diesen winzigen Tröpfchen werfen die Wolken viel mehr Sonnenlicht ins All zurück als mit großen Tropfen. Mit den Kondensstreifen ist es eine andere Geschichte. An den drei Tagen nach dem 11. September 2001 blieben sämtliche US-amerikanischen Verkehrsflugzeuge am Boden, und in dieser Zeitspanne notierten die Klimatologen einen zuvor nicht gekannten Anstieg der Tagestemperaturen in Relation zu den Nachttemperaturen. Das war, vermuten sie, eine Folge des zusätzlichen Sonnenlichts, das dank fehlender Kondensstreifen auf die Erdoberfläche gelangte. Wenn 100 Teile CO2 pro Million wirklich die Oberflächentemperatur um 5 °C steigen lassen können und wenn Aerosole und Kondensstreifen dem so entgegensteuern, dass wir nur eine Erwärmung von 0,63 °C haben, dann muss deren Einfluss auf das Klima enorm sein. Es ist, als würden zwei große Kräfte – beide weltweit durch die Schornsteine freigesetzt – das Klima in entgegengesetzte Richtungen zerren, nur dass das CO2 etwas stärker ist. Das stellt uns vor ein gravierendes Problem, denn die die Luft verschmutzenden Partikel bleiben nur Tage oder Wochen, während CO2 nur schwer zu beseitigen ist und ein Jahrhundert oder länger in der Atmosphäre verweilt. Was bedeutet aber nun eine Temperaturerhöhung um 2 °C oder 5 °C – auf der Erdoberfläche – für die diversen Völker und Ökosysteme? Das sind Fragen, auf die wir zurückkommen werden, für den Moment kann man nur so viel sagen: Wenn wir uns vom globalen Dimmen die richtige Vorstellung machen, dann haben wir nur eine Möglichkeit: Wir müssen anfangen, das CO2 aus der Atmosphäre zu holen. 188
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Diese als »Hockeyschläger« bekannte Graphik zeigt die Trends der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der Erde von 1000 n.Chr. bis zum Jahr 2100. Vor 1900 lag diese bei 13,7 °C. Der graue Bereich markiert die Schwankungsbreite der zugrunde gelegten Werte; sie nimmt um 1850 mit der Einführung weltweiter Thermometermessungen ab. Die Projektionen rechts stellen das Spektrum möglicher Temperatursteigerungen bis 2100 dar.
Ehe wir fortfahren, müssen wir begreifen, welche Fragen von Computermodellen beantwortet werden können und welche nicht. Eine der fundamentalsten menschlichen Reaktionen auf irgendwelche Veränderungen ist zu überlegen, was sie verursacht haben mag. Das Klimasystem der Erde ist jedoch so sehr mit positiven Rückkopplungsschleifen durchsetzt, dass unsere normalen Konzepte von Ursache und Wirkung nicht länger greifen. Denken Sie an das oft zitierte Beispiel aus der Chaostheorie, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas in der Karibik einen Wirbelsturm aus189
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lösen kann. Aber nur festzustellen, dass irgendetwas einfach etwas anderes verursacht hat, ist eine hilflose Denkweise. Wir haben es vielmehr mit scheinbar unbedeutenden Anfangsereignissen zu tun – beispielsweise einem Anstieg des atmosphärischen CO2 –, deren Folgen aus dem Ruder zu laufen drohen. Eine weitere natürliche Reaktion besteht darin zu fragen, was das alles in der näheren Zukunft für einen selbst und das persönliche Umfeld bedeutet. Da das Wetter von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr stark variiert, gibt es keine narrensichere Möglichkeit, dies zu be14 stimmen. Aus der Perspektive einer menschlichen Lebensspanne ist die globale Erwärmung langsam – jedes Jahrzehnt wird nur ein bisschen wärmer als das vorangegangene –, während die klimatische Variabilität von Jahr zu Jahr oder auch nur das unterschiedliche Wetter von Tag zu Tag viel größer sein können als ein Klimawandel, der sich in über Jahrzehnte sich verändernden Durchschnittswerten äußert. In dieser Hinsicht ist die Wettervorhersage etwas ganz anderes, als die Folgen des Klima wandeis zu prognostizieren: Das Wetter lässt sich am besten für eine spezifische Gegend und einen sehr kurzen Zeitraum vorhersagen – ein bis drei Tage etwa. Im Gegensatz dazu erhält man beim Klimawandel im globalen Maßstab und für viele Jahrzehnte im Voraus bessere Prognosen. Eine Reihe von Klimaforschergruppen haben – oft auf Bitten von Regierungen, die Rat suchen, wie sie sich vorbereiten sollen – computergestützte Hochrechnungen für verschiedene Regionen der Erde und für Zeiträume von wenigen Dekaden vorgelegt. Drei Beispiele für solche Untersuchungen vermitteln eine Vorstellung von den unzähligen regionalen Vorhersagen. Man sollte jedoch dabei bedenken, dass viele Klimatologen die Sinnhaftigkeit solcher Versuche infrage stellen. Zu den am besten ausgeklügelten Regionalprognosen zählen die des Hadley Centre für das Klima des Vereinigten Königreichs in den 15 fünfziger bis achtziger Jahren des 21. Jahrhunderts. Sie gehen von einem Spektrum von Treibhausgasen aus, das von niedrig bis hoch reicht. Niedrig bedeutet, dass strenge Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen erfolgreich umgesetzt werden und man mit den Rückkopplungsschleifen Glück hat; hoch bedeutet, dass wir weitermachen wie bisher und mit den Rückkopplungsschleifen Pech haben. 190
Modellwelten
Bei allen Szenarios fanden die Forscher heraus, dass bis zum Jahr 2050 das menschliche Einwirken auf das Klima alle natürlichen Einflüsse überflügelt haben wird. Anders ausgedrückt: Es gibt beim Klima keine »höhere Gewalt« mehr, sondern nur noch von Menschen verursachte Katastrophen. Die Wissenschaftler sagen voraus, dass die Schneedecke an den britischen Küsten um bis zu 80 Prozent und im schottischen Hochland um bis zu 60 Prozent zurückgehen wird. Winterliche Regenfälle sollen sich um bis zu 35 Prozent steigern, und zwar in Form intensiverer Einzelereignisse, während der Sommerregen zurückgehen wird und ein Sommer von dreien »sehr trocken« ausfallen wird. So etwas wie der extreme Sommer von 1995 (in dem es an 17 Tagen über 25 °C und an vier Tagen über 30 °C heiß war) kann sich vielleicht zweimal pro Jahrzehnt wiederholen, während die große Mehrheit der Jahre heißer sein wird als das bisherige 16 Rekordjahr 1999. Auf der europäischen Landmasse werden die Veränderungen deutlicher zu spüren sein als im globalen Durchschnitt. Eine globale Zunahme der Oberflächentemperatur um 2 °C wird konkret ganz Europa, Asien und dem amerikanischen Doppelkontinent eine Tem17 peratursteigerung von 4,5 °C bringen. Großbritannien wird ein eher mediterranes Klima bekommen, und einige Zeitungen verkündeten bereits das »Ende des englischen Gartens«. Wichtiger sind die Probleme, die dies beispielsweise der Wasserwirtschaft, dem Hochwasserschutz und der menschlichen Gesundheit bereiten wird. In den Jahren 2003 und 2004 konzentrierten sich zwei weitere Regionalstudien einiger Wissenschaftler von Stanford und der University of California in Los Angeles auf die Klimafolgen für Kalifor18 nien. Sie kamen zu dem Schluss, dass die globale Erwärmung dem Staat viel heißere Sommer und eine deutlich verringerte Schneedecke bringen wird, was sowohl die Wasserversorgung als auch die Gesundheit bedroht: Bis zum Ende des Jahrhunderts würden Hitzewellen in Los Angeles siebenmal mehr Todesopfer fordern als heute, die Schneedecke würde um die Hälfte oder mehr zurückgehen, und drei Viertel bis neun Zehntel aller alpinen Wälder in Kalifornien würden verloren gehen. Das dritte Beispiel bezieht sich auf den Bundesstaat Neusüdwales, und die Prognosen stammen von der führenden Wissenschaftsinsti191
Weissagen als Wissenschaft
tution Australiens, dem CSIRO. Der Zeitraum ist dabei sehr kurz – in einigen Fällen nur drei Jahrzehnte –, und die Studie stützt sich auf zwölf unterschiedliche Klimasimulationen, die ein breites Spektrum von Möglichkeiten ergaben. Dazu zählen Temperaturerhöhungen im ganzen Staat zwischen 0,2 °C und 2,1 °C, während Kälteperioden und damit Fröste zurückgehen sollen. Die Anzahl sehr heißer Tage (über 40 °C) wird zunehmen, genauso die Dürre im Winter und Frühling sowie extreme Regenfälle und Windgeschwindigkeiten, und es werden sich auch die Wellenmuster und möglicherweise die Häufig19 keit von Sturmfluten ändern. Liest man solche Regionalprognosen, wird klar, dass die Vorhersagen umso unsicherer werden, je kürzer der Zeitrahmen ist; umgekehrt gleichen sie, je länger der Zeitrahmen und je größer die berücksichtigte Region, immer mehr globalen Modellen, die die verlässlichsten Informationen liefern. Es gibt noch einen anderen sehr wichtigen Grund, warum Kurzzeitstudien nicht sehr aussagekräftig sind. Das Gas ist bereits in der Atmosphäre, und bislang haben wir keine Möglichkeit, es wieder herauszuholen. Das bedeutet, dass der Verlauf des Klimawandels zumindest für die nächsten paar Jahrzehnte bereits festgelegt ist.
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EXTREMER GEFAHR AUSGELIEFERT? Die globale Erwärmung ist so schwerwiegend und so dringlich, weil das große irdische System, Gaia, in einem Teufelskreis positiven Feedbacks gefangen ist. Zusätzliche Wärme aufgrund jedweder Ursache, seien es die Treibhausgase, das Schwinden des arktischen Eises oder des Amazonasregenwaldes, wird verstärkt, und das hat mehr als nur additive Auswirkungen. Es ist fast, als hätten wir ein Feuerchen angemacht, um uns zu wärmen, und beim Brennholznachlegen nicht bemerkt, dass das Feuer bereits außer Kontrolle geraten ist und die Möbel in Brand gesetzt hat. Wenn das passiert, bleibt nur wenig Zeit, das Feuer zu löschen. Die globale Erwärmung greift um sich wie ein Feuer, und es bleibt nahezu keine Zeit zu reagieren. James Lovelock, Independent, 24. Mai 2004
Wissenschaftler des Hadley Centre sprechen davon, dass wir »dem 20 Klimawandel physisch ausgeliefert« seien. Damit meinen sie, dass die Auswirkungen der Treibhausgase, die bereits heute in der Atmosphäre sind, in vollem Umfang erst um 2050 zu spüren sein werden. Das bedeutet, dass die Erde bei einem sofortigen Stopp der Treibhausgas-Emissionen um 2050 einen neuen stabilen Zustand mit einem neuen Klima erreichen würde. Weil wir keine Möglichkeit haben, die Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen, bedeutet dieser »Nachlauf« von 50 Jahren aufgrund der Langlebigkeit des CO2 in der Atmosphäre wahrhaftig physisches Ausgeliefertsein. Ein Großteil des CO2, das freigesetzt wurde, als unsere Urgroßmütter um den Ersten Weltkrieg herum ihre Öfen mit Kohle befeuerten, heizt unseren Planeten noch heute auf. Der meiste Schaden aber wurde ab den fünfziger Jahren angerichtet, als unsere Eltern und Großeltern in Chevrolets mit Heckflossen herumfuhren und ihre arbeitssparenden 193
Weissagen als Wissenschaft
Haushaltsgeräte mit Strom aus ineffizienten Kohlekraftwerken betrieben. Die größte Schuld jedoch trifft die Generation der Baby-Boomer: Die Hälfte der seit der Industriellen Revolution erzeugten Energie wurde in den letzten 20 Jahren verbraucht. Es ist leicht, die Extravaganzen zu verfluchen, die uns in die heutige Lage gebracht haben, doch wir müssen bedenken, dass bis vor kurzem niemand die leiseste Ahnung hatte, dass sich Autoabgase und die Verwendung von Staubsaugern auf die Kinder und Enkel auswirken würden. Auf uns Heutige trifft das nicht mehr zu, denn die wahren Kosten unserer Allradfahrzeuge, Klimaanlagen, elektrischen Heißwasserbereiter, Wäschetrockner und Kühlschränke werden zunehmend jedem klar. Darüber hinaus sind die Menschen in vielen entwickelten Ländern heute im Durchschnitt dreimal wohlhabender als ihre Eltern in derselben Lebensphase, und daher sind wir durchaus in der Lage, uns die Kosten für die Änderung unserer Lebensweise aufzubürden. Wir müssen uns die Trägheit des irdischen Klimasystems näher anschauen, wenn wir besser verstehen wollen, was »Ausgeliefertsein« eigentlich bedeutet. Wie weiter oben festgestellt, reagieren die Atmosphäre, die Landoberfläche und die Ozeane in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf die Zunahme der Treibhausgase. Im Jahr 2002 lag die Oberflächentemperatur des Planeten insgesamt um 0,8 °C über den vorindustriellen Werten, die Landoberfläche war 1,2 °C wärmer und die Troposphäre ein bis acht Kilometer über unseren Köpfen um (von Satelliten gemessene) 0,25 °C wärmer als im Durchschnitt der vorangegangenen 20 Jahre; verschiedene Teile des irdischen Systems reagieren unterschiedlich auf die Erwärmung, und die Verteilung der zusätzlichen Hitze ist mit ein Grund für die Verzögerung. Unsere Abhängigkeit wird auch von dem CO2 beeinflusst, das wir bereits freigesetzt haben, von den positiven Rückkopplungsschleifen, die den Klimawandel verstärken, von der globalen Helligkeitsabnahme und von dem Tempo, in dem die Wirtschaft sich vom Kohlenstoff befreien kann. Von diesen Faktoren ist der erste – die vorhandenen Treibhausgasmengen – bekannt; er sorgt für unser bestehendes Ausgeliefertsein. Der Zweite und der Dritte – positive Rückkopplungsschleifen und globales Dimmen – werden von Wissenschaftlern 194
Extremer Gefahr ausgeliefert?
noch erforscht. Und der Vierte – das Tempo, mit dem die Menschen ihre Emissionen ändern können – wird gegenwärtig überall auf der Welt in Parlamenten und Sitzungssälen diskutiert. Zugleich ist er der Einzige, den wir beeinflussen können. Wissenschaftler sagen, bis Mitte des 21. Jahrhunderts sei eine Reduktion der CO2-Emissionen um 70 Prozent – von den Werten des Jahres 1990 ausgehend – erforderlich, um das Klima der Erde zu stabilisieren. Dies würde zu einer Atmosphäre mit 450 Teilen CO2 pro Million führen und unser globales Klima bis etwa 2100 bei einer Temperatur stabilisieren, die mindestens 1,1 °C über der heutigen läge, wobei sich einige Regionen um bis zu 5 °C erwärmen könnten. Die europäischen Länder sprechen über Einschnitte bei den Emissionen in dieser Größenordnung, aber angesichts der Unnachgiebigkeit der Kohleindustrie und der Politik der gegenwärtigen US-Regierung könnte dieses Ziel global unerreichbar sein. Ein realistischeres Szenario könnte die Stabilisierung des atmosphärischen CO2 bei 550 Teilen pro Million sein – beim Doppelten des vorindustriellen Niveaus. Das würde zu einer klimatischen Stabilisierung in einigen Jahrhunderten führen und zu einem Anstieg der globalen Temperatur um rund 3 °C im Lauf dieses Jahrhunderts, plus oder minus ein paar Grad (wobei »plus« wahrscheinlicher ist als »minus«). Aber denken Sie daran, dass wir auch in diesem Fall viel Glück brauchen, denn trotz unseres besten Bemühens könnten die bereits in der Atmosphäre befindlichen Treibhausgase positive Rückkopplungsschleifen in Gang setzen, die das Potenzial haben, den Kohlenstoffzyklus zu destabilisieren. Inwiefern sind wir der Möglichkeit ausgeliefert, dass die Erde irgendeinen Schwellenwert des Klimawandels überschreitet, hinter dem extreme Gefahr lauert? Die United Nations Framework Convention on Climate Change nennt als ihr absolutes Ziel die Stabilisierung der Treibhausgase auf einem Niveau, das »gefährliche anthropogene Eingriffe in das Klimasystem verhindern« würde. Das bedeutet, der Klimawandel sollte nicht mit einer höheren Geschwindigkeit weitergehen als jener, an die sich Ökosysteme und die Nahrungsproduktion anpassen könnten, und zugleich mit einem Tempo, das nicht 21 die wirtschaftliche Entwicklung bedroht. Aber wie hoch oder niedrig ist diese Geschwindigkeit? Wo liegt der Schwellenwert des »gefährlichen Klima wandeis«? 195
Weissagen als Wissenschaft
Im Jahr 2002 bezifferte Thomas Schelling von der University of Maryland – der die Weigerung der Vereinigten Staaten, das KyotoProtokoll zu ratifizieren, verteidigt – diesen Wert mit »vermutlich 22 zwischen 600 und 1200 Teilen pro Million«. Das bedeutet einen Anstieg der Oberflächentemperatur irgendwo im Bereich zwischen 2 °C und 9 °C. Breiter akzeptierte Meinungen nennen rund 2 °C Erwärmung als Grenzwert. Da es bereits zu einem Anstieg um 0,63 °C gekommen ist, bleibt uns ein Spielraum von rund 1,3 °C Temperaturanstieg. Aber Michael Mastrandrea und der Klimatologe Steven Schneider schreiben: Es ist möglich, dass einige Schwellenwerte für gefährliche anthropogene Eingriffe in das Klimasystem bereits überschritten sind, und es ist möglich, dass weitere solche Schwellenwerte näher rücken ... trotz der großen Unsicherheit bei vielen Aspekten der umfassenden Einschätzungen kann besonnenes Handeln die Wahrscheinlichkeit und damit das Risiko gefähr23 licher anthropogener Eingriffe substanziell reduzieren.
Anders ausgedrückt: Es ist zu spät, um eine Veränderung unserer Welt zu verhindern, aber es ist noch Zeit, der Katastrophe zu entgehen, wenn die richtige Politik umgesetzt wird. »Richtige Politik« bedeutet Mastrandreas und Schneiders Modell zufolge eine Kohlenstoff-Steuer von 200 US-Dollar pro Tonne, die, wenn bis 2050 eingeführt, ausreicht, um die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Klima24 wandels gegen null gehen zu lassen. Sinnvoller ließe sich das Problem wahrscheinlich angehen, wenn man die Veränderungsrate quantifizieren würde, die gefährlich ist. Schließlich ist das Leben flexibel, und wenn man ihm genügend Zeit lässt, kann es sich an extremste Verhältnisse anpassen. Also kommt es auf das Tempo an, nicht auf den Trend oder das Ausmaß der Veränderungen insgesamt. Klimawissenschaftler mit dieser Haltung argumentieren: »Erwärmungsraten über 0,1 °C pro Jahrzehnt werden das Risiko signifikanter Schäden am Ökosystem wahrscheinlich ra25 pide steigern.« Ähnlich wäre ein Anstieg des Meeresspiegels um mehr als zwei Zentimeter pro Jahrzehnt genauso gefährlich wie 26 ein Anstieg um fünf insgesamt. Aber die Frage, was einen gefährlichen Klimawandel ausmacht, wirft eine weitere auf: Gefährlich für wen? Für die Inuit, deren primäre Nahrungsquellen – Karibus und 196
Extremer Gefahr ausgeliefert?
Robben – mittlerweile infolge des Klimawandels nur noch schwer zu finden sind, ist ein ökonomisch und kulturell schädlicher Schwellenwert bereits überschritten worden. Ziehen wir das Schicksal des Planeten insgesamt in Betracht, dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben, was auf dem Spiel steht. Die Durchschnittstemperatur der Erde liegt bei rund 15 °C, und ob wir zulassen, dass sie um nur 1 °C oder um 3 °C steigt, wird das Schicksal Hunderttausender von Spezies entscheiden und höchstwahrscheinlich das von Milliarden Menschen. Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Kosten-Nutzen-Analyse gegeben, die größerer Genauigkeit bedurft hätte.
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DIE BERGE EBNEN O Himmel, könnte man im Buch des Schicksals Doch lesen und der Zeiten Umwälzung Die Berge ebnen, und das feste Land, Der Dichte überdrüssig, in die See Wegschmelzen sehn! William Shakespeare, Heinrich IV., Zweiter Teil
Steigt man einen Berg hinauf, fällt die Temperatur pro 100 Meter um mehr als ein halbes Grad. Ohne diese Abkühlung wären Berge nichts weiter als topographisch zusammengestauchte Versionen des flachen Landes um sie herum. In diesem Sinn – dass sie zu biologischen Klonen des umliegenden Flachlands zu werden drohen – kann der Klimawandel die Berge der Welt einebnen. Am deutlichsten zeigt sich dieser Vorgang heute im Schicksal der Gletscher und schneebedeckten Gipfel der tropischen Breiten. Solche Habitate beschränken sich bereits auf die Gipfelregionen, und wir werden sie unweigerlich verlieren, denn weder der Schnee des Kilimandscharo noch die Gletscher Neuguineas können die heutigen CO2-Niveaus länger als nur noch wenige Jahrzehnte überleben. Und unterhalb der eisigen Höhen rücken alle Habitate – von den alpinen Kräutermatten über die Krummholzwälder bis hin zu den moosbewachsenen Bergregenwäldern – samt ihren jeweils einzigartigen Spezies immer weiter nach oben. Keine andere Prognose der Klimaforschung ist gewisser als das Aussterben vieler Arten, die die Berge dieser Welt bevölkern. Wir können sogar angeben, welche als Erste verschwinden werden. Dieses hohe Maß an wissenschaftlicher Sicherheit rührt aus drei Faktoren her. Erstens lässt sich die Wirkung steigender Temperaturen auf
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Die Berge ebnen
gebirgige Habitate leicht berechnen, und frühere Anpassungen an Erwärmungen sind gut dokumentiert. Zweitens kennen wir die Bedingungen, die viele Berge bewohnende Spezies noch tolerieren können. Und drittens haben diese Arten, wenn das Klima wärmer wird, keine andere Möglichkeit, als weiter nach oben zu wandern, und die Höhe aller Berggipfel der Erde steht präzise fest. Angesichts der Erwärmungsrate können wir die Zeit bis zum Aussterben der meisten Berge bewohnenden Spezies berechnen. Als die Welt sich das letzte Mal rapide aufheizte – am Ende der letzten Eiszeit – vollzog sich der Rückzug der Spezies in höhere, kühlere Regionen schnell und unerbittlich. Auf der Insel Neuguinea reichten die alpinen Matten, die sich heute größtenteils auf Höhenlagen über 3900 Meter (die Baumgrenze) beschränken, damals bis 2100 Meter hinab. Dieser Rückzug um fast zwei Kilometer nach oben reduzierte ihre Fläche um neun Zehntel, und heute kann man sie nur noch auf den Gipfeln der höchsten Berge finden – abgekapselte Juwelen in einer ansonsten bewaldeten Landschaft. Der Grund für ihre Flucht nach oben war ein Anstieg der globalen Oberflächentemperatur um rund 5 °C in den letzten 7000 Jahren. Wir wissen, dass sich unser Planet, komme was wolle, in diesem Jahrhundert um 1,1 °C erwärmen wird, und wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Temperaturanstieg 3 °C betragen. Der höchste Gipfel Neuguineas – Puncak Jaya – misst knapp 5000 Meter, was bedeutet, dass ein Anstieg um 3 °C, wenn man von den Veränderungen in der Vergangenheit als Richtlinie ausgeht, das letzte alpine Habitat Neuguineas über die Gipfelhöhe hinaus zwingen und damit auslöschen wird. Faktisch gibt es angesichts einer so extremen Veränderung nur noch wenige Berge auf der Welt, die für ein alpines Refugium hoch genug sind. In der frischen, klaren Morgenluft auf einem Berggipfel Neuguineas zu erwachen und zwischen den Baumfarnen zarte Spinnweben zu sehen, an denen die Tautropfen glitzern, ist eine unvergessliche Erfahrung. Im schräg einfallenden Morgenlicht sind Bronze und strahlendes Grün die dominanten Farben dieser offenen äquatorialen Wiesen; dazwischen zeigen sich leuchtend rote, orange und weiße Blüten rhododendronähnlicher Büsche und einzigartiger Orchideen. Der Moosboden unter den Füßen ist von dem meterlangen Langschna199
Weissagen als Wissenschaft
beligel (Zaglossus bartoni) – dem größten eierlegenden Säugetier der Erde – zerkratzt und mit den Gängen einer nur hier lebenden Mausart – Mallomys gunung – durchsetzt, die mit fast einem Meter Länge von der Nase bis zur Schwanzspitze ebenfalls riesig ist. In der Morgendämmerung ist die Luft voller Vogelzwitschern, denn diese Berge sind das Rückzugsgebiet von Paradiesvögeln, Papageien und Horden von Honigfressern, die sich um die mit Blüten übersäten Büsche scharen. Im Lauf des Vormittags hört man aus den vereinzelten Sumpftümpeln ein »Uuuh, uuh«, das sich anhört (fand ich jedenfalls) wie die jungfräuliche Lieblingstante, die nach dem Weihnachtsessen beschwipst ist. In diesem Fall handelt es sich jedoch um einen winzigen, rosa-lila Frosch (nicht größer als der Daumennagel eines Kindes), der für die Wissenschaft so neu ist, dass er noch nicht einmal einen Namen bekommen hat. Alle tropischen Hochgebirge der Erde verfügen über vergleichbare alpine Habitate mit großer Biodiversität, und die Bergwälder darunter weisen noch viel mehr Lebensformen auf. Ja, die Bergregionen der Erde lassen eine Schwindel erregende Vielfalt von Leben gedeihen – von symbolträchtigen Arten wie Pandas und Berggorillas bis zu bescheidenen Flechten und Insekten. In globalem Maßstab zeigt sich die Bedeutung der Berghabitate am besten in der Diversität der alpinen Zone – des Bereichs zwischen der Baumgrenze und dem ewigen Eis der Gipfel. Mit ihren Sträuchern, Graskissen und Kräutern weist diese Region in der Regel eine hochgradig spezialisierte, nur hier heimische Fauna und Flora auf. Die alpinen Habitate machen insgesamt bloß drei Prozent der Erdoberfläche aus, beherbergen aber über 10 000 Pflanzenarten und zahllose Insekten und größere Tiere, sie sind »mega-diversifiziert«. Bei der Untersuchung, mit der der globale »Fingerabdruck« des Klimawandels identifiziert wurde, kam heraus, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts bergbewohnende Spezies sich im Durchschnitt um 6,1 Meter pro Jahrzehnt die Hänge ihrer Heimat hinauf zurückgezo27 gen haben. Die Tiere und Pflanzen taten dies, weil die Verhältnisse am unteren Rand ihres Verbreitungsgebietes ihnen nicht mehr zuträglich waren – zu heiß oder zu trocken – oder weil neue Spezies in ihr Gebiet eingedrungen waren, mit denen sie nicht konkurrieren konnten. Die Wegstrecke mag klein erscheinen, aber wir müssen be200
Die Berge ebnen
denken, dass unser Planet seit Millionen von Jahren nicht wärmer gewesen ist als heute, und diese Situation hat viele uralte Spezies dazu gebracht, sich an die letzten paar hundert Meter unterhalb der Berggipfel zu klammern. Nur wenige Untersuchungen der Auswirkungen des Klimawandels auf spezifische Bergregionen sind abgeschlossen worden, vielleicht weil die Arbeit zu deprimierend ist. Die Detailliertesten sind bislang die von Steve Williams und seinen Kollegen von der James Cook University, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die 28 Bergregenwälder im nordöstlichen Queensland befassten. Die fraglichen Bergregionen liegen im Atherton-Tafelland westlich von Cairns und erstrecken sich über 10 000 Quadratkilometer. Trotz dieser geringen Größe stellen sie vermutlich das wichtigste Habitat ganz Australiens dar, denn sie sind Heimat einer archaischen Ansammlung von Pflanzen und Tieren – Überlebende eines kühleren, feuchteren Australiens vor 20 Millionen Jahren. Wie wichtig diese Region für die Welt insgesamt ist, wurde 1988 anerkannt, als die Regenwälder als erste Gegend Australiens in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen wurden. Heute strömen die Touristen in Scharen herbei, und zu den beliebtesten Aktivitäten zählen Nachtwanderungen, bei denen sie im Licht eines Scheinwerfers eine Fülle von Beuteltieren aus der Nähe beobachten können. An einigen Stellen raschelt, grunzt und kreischt es im Wald ständig. Hoch oben in den größten Bäumen hört man die Lemuren-Ringelschwanzbeutler von Ast zu Ast springen. Es sind lebende Fossilien – Überbleibsel der Abstammungslinie, die den majestätischen, meterlangen Riesengleitbeutler der Eukalyptuswälder hervorbrachte. Lemuren fehlt die Gleitflughaut, aber sie sind ausgezeichnete Springer, deren geräuschvolles Krachen durch das Blätterdach zu den beständigsten Nachtgeräuschen zählt. Weiter unten in den Bäumen sieht man vielleicht ein Streifen-Ringelschwanzbeutler-Weibchen mit seinem großen Jungen. Dieses Tier ist beim Fressen so wählerisch, dass das Junge bei der Mutter bleibt, bis es fast erwachsen ist, um zu lernen, welche Blätter am besten sind. Warum diese Kreaturen sich auf Berggipfeln tummeln, ist klar. Lediglich vier bis fünf Stunden bei Temperaturen von 30 °C oder mehr würden sie umbringen, und so eine Hitze ist in den umliegenden Ebenen so gut wie alltäglich. 201
Weissagen als Wissenschaft
65 Arten von Vögeln, Säugetieren, Fröschen und Reptilien gibt es einzig und allein in dieser Region, und keine von ihnen kann wärmere Verhältnisse vertragen. Zu ihnen zählen der Säulengärtner (Prionodura newtonia), der Cooktown-Regenwaldfrosch (Cophixalus exiguus) und das Lumholtz-Baumkänguru (Dendrolagus lumholtzi). Außerhalb Australiens wissen die meisten nicht, dass einige Kängurus in den Baumwipfeln tropischer Regenwälder hausen, aber einst waren solche Kreaturen weit verbreitet, denn ihre Fossilien fand man noch unten im Süden in Victoria. Heute gibt es sie nur noch in den Regenwäldern im nordöstlichen Queensland. Sie und die anderen Regenwald-Spezies verdanken ihren prähistorischen Niedergang einer Verschwörung von tektonischen und klimatischen Kräften. Vor 40 Millionen Jahren begann die Kontinentaldrift Australien nach Norden zu verlagern, und die zusätzliche Wärme und das sich ändernde Klima trockneten den Kontinent aus und verbannten damit die kühlen Regenwälder an die Ostküste. Dann vernichteten die Eiszeiten die Wälder im Süden, sodass nur noch die im nordöstlichen Queensland als Rückzugsgebiet blieben. Steve Williams’ Untersuchung lässt darauf schließen, dass steigende Temperaturen Tiere wie den Streifen-Ringelschwanzbeutler, die Kühle brauchen, unmittelbar betreffen und dass Perioden extremer Temperaturen häufiger werden. Daneben wirkt sich das höhere CO2-Niveau auch noch auf das Pflanzenwachstum aus. Im Experiment tendieren Pflanzen in einer mit CO2 angereicherten Umgebung zu einem reduzierten Nährwert, festeren Blättern und höheren Konzentrationen von Abwehrchemikalien (beispielsweise Tanninen und Phenolen), was sie zu einer viel schlechteren Nahrungsquelle macht. Allein diese Veränderung wird vermutlich die Beutelratten-Dichte reduzieren, und da die diversen Arten sich in immer höhere Lagen zurückziehen müssen, wird wegen der in den Gipfelregionen sehr kargen Böden der Nährwert ihres Futters immer schlechter. Als wäre dies nicht schlimm genug, wird sich auch die Variabilität der Niederschläge vermutlich verstärken, es wird ausgeprägte Dürreperioden geben, und zugleich wird die Wolkenschicht, die jetzt den Bergwäldern 40 Prozent der nötigen Feuchtigkeit zuführt, nach oben steigen, sodass die Wälder mehr Sonnenlicht bekommen und mehr Wasser verdunsten. All dies addiert sich zur Katastrophe. 202
Die Berge ebnen
Bei einem Temperaturanstieg von nur 1 °C (der kommen wird, was immer wir tun) wird zumindest eine Spezies der feuchten Tropen – der Thornton-Peak-Regenwaldfrosch (Cophixalus sp.) – aussterben. Das ist eine Tragödie, denn dieses Tier wurde erst vor so kurzer Zeit entdeckt, dass es noch nicht einmal einen wissenschaftlichen Namen hat. Bei einem Anstieg um 2 °C werden die tropischen Feuchtökosysteme kaputtgehen. Bei 3,5 °C wird rund die Hälfte der 65 feucht-tropischen Tierspezies verschwinden, der Rest wird sich auf heikle Habitate zurückziehen, die weniger als zehn Prozent des ursprünglichen Verbreitungsgebiets ausmachen. Faktisch werden ihre Populationen nicht lebensfähig und ihr Aussterben nur eine Frage der Zeit sein. Williams’ Untersuchung verheißt für die Zukunft der Biodiversität Australiens Ungeheuerliches. Die größeren 65 Spezies, die es einzig und allein in den feucht-tropischen Gebieten gibt, machen nur die Spitze eines Berges von Biodiversität aus. Man denke nur an die einheimischen Kiefern, die bloß einen winzigen Bruchteil der örtlichen Flora darstellen. Zwei Arten mit farnähnlichen Blättern und herrlichen roten oder blauen, fleischigen Früchten (Prumnopitys amara und P. ladet) sind auf die Gipfel beschränkt, und den Bunya-BunyaBaum (Araucaria bidwilli) – einen Verwandten der chilenischen Araukarie und die älteste Spezies einer vorzeitlichen Abstammungslinie – gibt es nur auf zwei Bergketten. Diese Art – oder etwas sehr Ähnliches – gab es schon im Jura vor gut 230 Millionen Jahren. Ihr Aussterben wäre verhängnisvoll; aber in vielen anderen Fällen hätten wir keine Ahnung, was wir verlieren, denn im Jahr 1994 fand man auf den höchsten Gipfeln der Bergkette – Mount Bartle Frere und Mount Pieter Botte – eine ganze neue Gattung von Regenwaldbäu29 men. Diese entfernten Verwandten der Banksien und der Silberbaumgewächse haben harte, nussähnliche Früchte, die sich als Fossilien in 30 Millionen Jahre alten Ablagerungen in Victoria finden. Doch das sind noch längst nicht alle Beispiele – man denke nur an die Vielfalt der Orchideen, Farne und Flechten. Und die Wirbellosen habe ich überhaupt noch nicht angesprochen – die Legionen von Würmern, Käfern und anderen fliegenden und kriechenden Kreaturen, die sich zu Zehntausenden finden. Die drohende Zerstörung der tropischen Regenwälder Australiens ist ein am Horizont lauerndes biologisches Desaster, und die dafür 203
Weissagen als Wissenschaft
verantwortliche Generation wird von ihren Nachkommen verflucht werden. Was werden sie ihren Kindern sagen, wenn ihre immer größeren Häuser und Allradwagen sowie ihre Weigerung, das KyotoProtokoll zu unterzeichnen, dem Land die prächtigsten natürlichsten Schätze geraubt haben werden? Überall auf der Welt, auf jedem Kontinent und auch auf vielen Inseln, gibt es Bergketten, die für Spezies von bemerkenswerter Schönheit und Vielfalt das letzte Rückzugsgebiet sind. Und wir sehen untätig zu, wie all das verloren geht, von den Gorillas über die Pandas bis zur neuseeländischen Raoulia (einer einzigartigen Polster-Pflanze). Kein Rettungsversuch könnte umfassend genug sein, um wenigstens in Gefangenschaft Kolonien von auch nur einem Zehntel von einem Prozent der gefährdeten Arten zu erhalten. Es gibt nur eine Möglichkeit, sie zu retten. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen – der Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen. Überraschenderweise gibt es jedoch Arten, die enorm von diesem Aspekt des Klimawandels profitieren werden. Es handelt sich um jene vier Parasiten, die die verschiedenen Formen von Malaria hervorrufen. Mit zunehmenden Niederschlägen werden sich die Mücken ausbreiten, die die Erreger übertragen, die Malariasaison wird länger werden und die Krankheitsfälle werden immer mehr zunehmen. Von Mexico City bis zum Mount Hagen in Papua-Neuguinea leben in den Bergtälern der Welt dicht gedrängte Menschenmengen. Es sind gesunde, wunderschöne Gegenden, in denen Krankheiten selten sind, wo die Bevölkerungsdichte nicht ganz so groß ist. Doch knapp unterhalb dieser Siedlungen – im Fall von Neuguinea auf rund 1400 Metern Höhe – erstrecken sich große Wälder, in denen niemand lebt. Der Grund dafür ist die Malaria, die in Teilen der Tropen so verbreitet ist, dass sie das menschliche Bevölkerungswachstum in Schach hält. In naher Zukunft wird die globale Erwärmung den Malariaerregern und ihren Überträgern, den Anopheles-Mücken, Zugang zu diesen hohen Gebirgstälern verschaffen, und dort werden sie Zehntausende von Menschen finden, die gegen die Krankheit keiner30 lei Abwehrkräfte entwickelt haben.
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WOHIN GEHT DIE REISE? Umschauend sahn sie, ach, das Paradies – Ihr Wonnesitz noch eben ... Der Erde Raum Bot sich zur Wahl des neuen Wohnorts dar ... John Milton, Das verlorene Paradies, Zwölftes Buch
Die Forscher Camille Parmesan und Gary Yohe definierten den »globalen Fingerabdruck« des Klima wandeis. Aber wie wird jener Fingerabdruck nach einer Erwärmung um 1,1 °C oder sogar um die vorausgesagten durchschnittlichen 3 °C aussehen? In der Vergangenheit konnten Spezies Klimaumschwünge überleben, weil Berge hoch genug waren, Kontinente weit genug und der Wandel allmählich genug, sodass sie weiterziehen konnten. Manchmal legten sie dabei enorme Entfernungen zurück. Vor gerade mal 14 000 Jahren beispielsweise waren die Laubwälder, wie sie jetzt in Kanada in der Gegend von Montreal wachsen, nur im nördlichen Florida anzutreffen. Der Klimawandel, der diese Migration auslöste, war zwar weit langsamer, aber von ähnlicher Größenordnung wie jener, zu dem es den Prognosen zufolge in diesem Jahrhundert kommen soll. Das heißt, dass der Schlüssel zum Überleben im 21. Jahrhundert darin liegen wird, ständig in Bewegung zu bleiben. Wie aber sollen die Spezies heute solche weiten Strecken überwinden können? Dieser Aspekt des Klimawandels stellt zumindest Pflanzen vor Probleme, die erstmals im Jahr 1996 von einer Gruppe australischer Botaniker unter Führung von Lesley Hughes von der Macquarie Uni31 versity umrissen wurden. Schon 1992 wurde einigen klar, dass infolge des Klimawandels die Temperaturen in Australien um bis zu 5 °C steigen könnten, wenn sie global um bloß 2 °C zunehmen. 205
Weissagen als Wissenschaft
In Sorge um die Biodiversität Australiens untersuchte Hughes die Verteilung von 819 Eucalyptus-Spezies und stellte fest, dass diese Bäume insgesamt zwar für die australische Landschaft charakteristisch sind, die Mehrheit der Arten aber in kleinen isolierten Regionen zu Hause ist, für die sehr enge Temperaturspektren typisch sind. Bei über 200 Spezies (25 Prozent) umfassen die Temperaturspannen in ihrem Verbreitungsgebiet bloß 1 °C, bei 41 Prozent sind es nur 2 °C. Bei faktisch 75 Prozent von ihnen variieren die Temperaturen um weniger als 5 °C. Sollte die Temperatur Australiens in diesem Jahrhundert um lediglich 3 °C steigen (was realistisch ist, wenn wir so weitermachen wie bisher), würde die Hälfte der australischen Eucalyptus-Arten außerhalb ihrer gegenwärtigen Temperaturbereiche wach32 sen. Wenn sie das überleben sollen, müssen sie migrieren, aber zahllose Barrieren, darunter der Südpazifik und von Menschen umgestaltete Landschaften, versperren ihnen den Weg. Im Jahr 2004 machte die Nachricht die Runde, dass die Eukalyptuswälder Tasmaniens, die zum Weltnaturerbe zählen, infolge trockenerer, heißerer Verhältnisse sterben. Es war erschreckend, dass sich Dr. Hughes’ Prognose, was mit den australischen Gummibäumen geschehen werde, nach nur zehn Jahren bestätigte und dies auch noch in genau der Gegend Australiens, wo (wegen der hohen Breitengrade) der Klimawandel am schnellsten voranschreitet. William Hare hat im Auftrag des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der deutschen Bundesregierung eine globale Zusammenfassung der wahrscheinlichen Auswirkungen des Kli33 mawandels auf die natürlichen Systeme der Welt ausgearbeitet. Betrachtet man seine tabellarisch aufgelisteten Ergebnisse, wird klar, dass kein einziges Ökosystem der Erde vom Klimawandel unbehelligt bleiben wird. Für einige werden jedoch schon kleine Veränderungen bedrohlich. Die Sukkulenten der südafrikanischen Karru-Steppe umfassen 2500 Pflanzenarten, die man nirgends sonst findet – die reichste Flora arider Zonen auf der Erde –, und sie sind wegen der Schönheit ihrer Frühlingsblüte berühmt, die von den spärlichen Winterregen abhängt. Wenn sich das Klima ändert, gibt es für diese Vegetation einfach keine Ausweichmöglichkeit, denn im Süden und Osten – in die Richtung, in die der Klimawandel sie treiben würde – liegt das 206
Wohin geht die Reise?
Kap-Faltengebirge, dessen Topographie und Böden für die Pflanzen aus der Karru ungeeignet sind. Computersimulationen lassen darauf schließen, dass 99 Prozent der Karru-Sukkulenten bis 2050 verschwunden sein werden. Südlich des Kap-Faltengebirges folgt die wunderbare Fynbos-Vegetation, die zu den sechs Florenreichen der Erde zählt und die größte Pflanzenvielfalt außerhalb der Regenwälder aufweist. Die Pflanzen sind kaum mehr als kniehoch, aber von außergewöhnlicher Form. Die Binsen tragen leuchtende, glockenförmige Blüten, deren Nektar von kräftig bunten Netzfliegen mit zwei Zentimeter langen Saugrüsseln, die sie tief in die Glocken stecken, aufgesaugt wird. Steinige Abhänge zieren buschige Silberbaumgewächse voller sternförmiger lila Blüten von der Größe von Untertassen, und die Unmassen von Schmetterlingsblütern, Gänseblümchenartigen und Verwandten der Schwertlilie scheinen kein Ende zu nehmen. Eingerahmt vom Ozean an der Südspitze des Kontinents ist die Fynbos-Vegetation ein Naturparadies. Aber wenn die Erde wärmer wird, bedeutet der azurblaue Hintergrund, dass sie nirgendwo anders hin kann, und so wird mehr als die Hälfte ihres Verbreitungsgebietes bis 2050 verloren gehen und damit eine beachtliche Anzahl der über 8000 hier heimischen Spezies. In den diversen Heidelandschaften des australischen Südwestens wachsen über 4000 Spezies Blütenpflanzen. Bei nur einem halben Grad zusätzlicher Erwärmung werden die 15 bislang untersuchten Arten von Säugetieren und Fröschen, die ausschließlich in dieser Region vorkommen, auf winzige Resthabitate beschränkt sein oder aussterben. Nur wenige der hier heimischen Pflanzen wurden im Detail erforscht, eine Ausnahme stellt aber die Gattung Dryandra dar. Zwei Drittel der 92 Spezies dieser den Banksien ähnlichen Büsche und kleinen Bäume würden bei solch einer Temperaturverschiebung aussterben, und wir wissen bereits jetzt, dass es auf jeden Fall zu einer Er34 wärmung um ein halbes Grad kommen wird. Die Topographie dieser Region und die Geschichte ihrer Rodung machen sie so verwundbar. Der Klimawandel wird die diversen Pflanzengemeinschaften immer weiter nach Südwesten Richtung Ozean treiben. Diejenigen, die überhaupt weiterziehen können, werden noch Glück haben, denn ein Großteil des Südwestens ist heute 207
Weissagen als Wissenschaft
ein gigantisches Weizenfeld. Einige Spezies werden nur an Straßenrändern, entlang der Eisenbahngleise oder in taschentuchgroßen Florareservaten überleben. Ein paar außergewöhnliche Areale wurden als Naturschutzgebiete ausgewiesen, aber angesichts des galoppierenden Klimawandels werden auch diese zu kaum mehr als Todesfallen. Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass die globale Erwärmung für die Biodiversität zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte kommen können. Wenn es in der Vergangenheit zu abrupten Klimawechseln kam, migrierten Bäume, Vögel, Insekten – ja, ganze Lebensgemeinschaften – auf der Suche nach für sie geeigneten Lebensbedingungen kreuz und quer über die Kontinente. In der jetzigen Welt mit ihren 6,3 Milliarden Menschen ist so etwas nicht mehr möglich. Heute beschränkt sich die Biodiversität größtenteils auf Naturschutzgebiete und Wälder, die oft auf weite Strecken von Landschaften umgeben sind, welche menschliche Aktivitäten gründlich umgestaltet haben. Zwar sind die mediterranen Pflanzengemeinschaften Südafrikas und Australiens für den Klimawandel besonders anfällig, doch nahezu überall wird es zu enormen Verlusten kommen. Weil der amerikanische Westen immer trockener wird, der Meeresspiegel steigt und die Zahl der Stürme zunimmt, werden die Winterhabitate für ziehende Watvögel in Nordamerika signifikant reduziert. Unter wärmeren Sommern, höheren Verdunstungsraten und wechselhafterem Wetter werden beispielsweise die Bruthabitate von Wasservögeln an den kleinen Teichen in der Prärie leiden. Wärmere Flüsse bedeuten, dass die Lachse abnehmen werden, und im Nordatlantik folgen die kommerziell wertvollen Fische bereits dem kalten Wasser nach Norden und in die Tiefe. Die Fauna Mexikos wird von Hitze, Dürre und Wetterextremen unter Druck gesetzt, was zu vielerlei Artensterben führt, und durch dieselben Faktoren, erklären Botaniker, ist ein Drittel der europäischen Pflanzenarten ernstlich gefährdet. Auf kleineren Landmassen ist die Lage noch prekärer. Weil Wellen des Klimawandels über Inseln hinwegfegen und sie für viele einheimische Arten unbewohnbar machen werden, werden viele Inselvögel des Pazifiks über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus getrieben, und bei allen Lebensformen auf Inseln, von Bäumen bis zu einzigar208
Wohin geht die Reise?
tigen Insekten, wird es zum Artensterben kommen. Und wie wir gesehen haben, sind Naturschutzgebiete heute Inseln in einem Ozean menschengemachter Umwelten. Der Krüger-Nationalpark in Südafrika ist fast so groß wie Israel, doch zwei Drittel seiner Spezies dro35 hen verloren zu gehen. Man muss dabei bedenken, dass dies bloß ein paar Beispiele für den prognostizierten Verlust an Biodiversität in wissenschaftlich untersuchten Regionen sind. Stellen Sie sich vor, wie sich im Lauf Ihres Lebens die Klimazonen der Welt drastisch verändern – sodass das Klima von Washington oder Frankfurt am Main eher dem des heutigen Miami oder Algier ähneln wird – und überlegen Sie, was das für die Wälder, Vögel und die anderen Tiere Ihrer Heimat bedeutet, dann werden Sie sich ein umfassenderes Bild machen können. Wegen einiger Nachforschungen für dieses Buch war ich in London, und vom Jetlag geplagt erwachte ich eines Morgens noch vor der Dämmerung und sah zu, wie der Osthimmel heller wurde. Nach und nach nahm ein vertrauter Umriss Gestalt an. Es war ein australischer Gummibaum, der kräftig in einer Gegend wuchs, die traditionell eigentlich viel zu kalt für ihn ist. Als dann die ersten Finger des Morgenlichts nach dem kleinen Garten unter mir griffen, stiegen aus dem Baum ein paar Vögel empor. Es waren Alexandersittiche. Ich hatte Spatzen erwartet, aber man sagte mir, die seien in der Stadt so gut wie ausgestorben. Ich fragte mich, wie die klimagewandelte Stadt der Zukunft wohl aussehen wird. Noch auf andere Weise lässt sich begreifen, wie der Klimawandel in die Ökosysteme des Planeten eingreift. Man kann alle verfügbaren Daten zusammenfassen, darunter auch die von über 1000 Arten wie etwa Bäumen, Krustazeen und Säugetieren, und prüfen, was statistisch insgesamt dabei herauskommt. Diesen Ansatz verfolgte eine Forschergruppe unter Leitung von Chris Thomas von der University of Leeds, die ihre Ergebnisse Ende 2004 in Nature veröffentlichte. Bei diesem Projekt wurde das Schicksal von 1103 Pflanzen- und Tierarten von den Silberbaumgewächsen bis zu den Primaten unter dem Blickwinkel des Klimawandels bis 2050 untersucht. Deren Habitate lagen in Regionen, die 20 Prozent der Erdoberfläche abdecken, unter anderem in Mexiko, Südafrika, Europa, Südamerika und Australien. 209
Weissagen als Wissenschaft
Thomas und seine Kollegen fanden heraus, dass bei der geringsten (unausweichlichen) globalen Erwärmung – zwischen 0,8 und 1,7 °C – rund 18 Prozent der herangezogenen Spezies »der Extinktion ausgesetzt« sein werden, wie es in der leidenschaftslosen Sprache von wissenschaftlichen Zeitschriften heißt. Anders ausgedrückt: Sie sind zum Untergang verdammt. Bei den Prognosen im mittleren Bereich – 1,8 bis 2,0 °C – wird rund ein Viertel aller Spezies aussterben, während am oberen Ende der vorausgesagten Temperaturanstiege – über 2 °C – mehr als ein Drittel aller Arten verschwinden wird. Ob Sie es glauben oder nicht, das sind noch gute Nachrichten: Bei diesen Analysen ist man davon ausgegangen, dass die Spezies migrieren können. Aber welche Möglichkeiten hat ein Silberbaumgewächs, sich in den dicht besiedelten Küstenebenen der südafrikanischen Kapprovinz auszubreiten, oder ein Löwenäffchen, die landwirtschaftlichen Nutzflächen zu überqueren, die die atlantischen Regenwälder Brasiliens fast völlig verdrängt haben? Kaum welche, lautet die Antwort natürlich, und bei Arten, die nicht weiterziehen können, ist die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens ungefähr doppelt so groß. Das bedeutet, am oberen Ende des vorhergesagten Temperaturanstiegs sind über die Hälfte (58 Prozent) der 1103 untersuchten Arten 36 »der Extinktion ausgesetzt«. Rechnet man Thomas’ Daten hoch, sieht es so aus, als sei bei den momentanen Treibhausgas-Niveaus zumindest eines von fünf Lebewesen auf diesem Planeten zum Aussterben verdammt. Der World Wildlife Fund, der Sir Peter Scott Trust und die Nature Conservancy arbeiten seit Jahrzehnten dafür, relativ wenige – im Verhältnis zu den absoluten Zahlen – Spezies zu retten. Mittlerweile sieht es aber danach aus, dass Zigtausende von der steigenden Flut des Klimawandels hinweggespült werden, wenn man nicht die Treibhausgas-Emissionen reduziert. Wir müssen vor allem bedenken, dass wir zwei Spezies für jede gegenwärtig zum Aussterben verdammte Art retten können, wenn wir jetzt handeln. Wenn wir weitermachen wie bisher, werden aller Wahrscheinlichkeit nach drei von fünf Spezies zu Beginn des nächsten Jahrhunderts nicht mehr unter uns sein.
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UNENDLICHE TIEFEN Denken wir an die, die ruhen, In ungezählten Faden Tiefe Thomas Campbell, »The Battle of the Baltic«
Wenn Meeresbiologen die Ozeantiefen abfischen und die dort unten lebenden bizarren Kreaturen einholen, sind die Tiere – was nicht zu vermeiden ist – bereits am Sterben. Schwarze, schöne Körper von Tiefseeanglerfischen liegen leblos da, ihre Lumineszenz ist nur noch ein Flackern, und Räuber wie der Schwarze Zungenkiemer (Malacosteus niger) erbleichen und erbrechen ihre letzte Mahlzeit, die oft ein größerer Fisch war als der Zungenkiemer selbst. Binnen Minuten erlahmen die Bewegungen, und die Augen der Kreaturen, die ihrem Element entrissen wurden, trüben sich. Der Druckunterschied bringt sie um, sagen die Wissenschaftler, denn in der Welt dieser Wesen ist die Kraft der kilometerhohen Wassersäule darüber so gewaltig, dass ein U-Boot auf der Stelle verbeulen würde. Als Beweis für diese Theorie weisen die Experten auf jene wenigen Tiefseefische hin, die Schwimmblasen haben. Sie kommen völlig entstellt an die Oberfläche. Ihre Luftsäcke sind, weil das Gas expandiert, so angeschwollen, dass ihre Körper bis zum Zerplatzen gespannt sind. Trotz solcher grauenhafter »Beweise« wissen wir es inzwischen besser. Beißen Sie in Ihrer Phantasie die Zähne zusammen und schnappen Sie sich einen Tiefseeangler (Caulophryne polynema), der gerade aus einer Tiefe von drei Kilometern hochgeholt worden ist. Dann werfen Sie seinen schwarzen, sackähnlichen und mit Fäden bedeckten Körper (glauben Sie mir, er ist mit Sicherheit der Groteskeste aller Fische) in einen Kübel Eiswasser. Nun warten Sie ab. Binnen Minuten kehrt 211
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das Leben in seinen Körper zurück, seine großen, zähnebewehrten Kiefer schnappen, und die mit Fäden besetzte »Angelrute«, die zwischen seinen Augen hochragt, beginnt zu zucken. Die Kreatur hat sich vom Trauma ihres Auftauchens erholt und bewiesen, dass ihr Leben vor wenigen Augenblicken nicht von Unterdruck, sondern von Wärme bedroht war; die Tiere bewohnen Ozeantiefen, in der die Temperatur um null Grad schwankt. Selbst Wassertemperaturen, die uns binnen Minuten erfrieren ließen, sind für diese Fische verheerend warm. Die Struktur der Weltmeere ist für unser Klima entscheidend. Es gibt drei separate Schichten mit unterschiedlichen Temperaturen. In den obersten rund 100 Metern variiert die Temperatur enorm; nahe der Pole kann sie unter null liegen, während sie am Äquator 30 °C überschreiten kann. Unter dieser vertrauten, lichtdurchfluteten Welt liegt bis zur Tiefe von rund einem Kilometer eine Zone des stetigen Temperaturrückgangs – je tiefer man sinkt, desto mehr sinkt auch die Quecksilbersäule. Bei rund einem Kilometer haben wir das ozeanische Tiefenwasser erreicht, und das ist von dort bis nach ganz unten von bemerkenswert stabiler Temperatur – sie schwankt zwischen –0,5 °C (wegen des Salzgehalts gefriert das Wasser unter dem Nullpunkt nicht) und +4 °C. Den größten Teil des Wassers in diesem Reich der Dunkelheit exportiert die Antarktis, wo es von submarinen Strömungen bis nahe dem Gefrierpunkt abgekühlt wurde. Bleiben wir einen Moment an den Polen, wo das eisige Wasser der Meerestiefen an die Oberfläche steigt. Richard Feely vom Pacific Marine Environmental Laboratory und seine Kollegen haben untersucht, was in diesen Regionen passieren könnte, wenn immer mehr CO2 absorbiert wird. Die Ozeane versauern, und weil ihre Puffer, die Carbonate, nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, sinkt deren Gehalt vermutlich unter das Niveau, bei dem sie noch von Schalen bildenden Tieren genutzt werden können. Jenseits dieses Schwellenwerts werden die Carbonate aus den Schalen der Kreaturen gelöst und in den Ozean gespült, sodass es ihnen unmöglich wird, ihre 37 Schutzhüllen zu behalten. Tiere wie Kammmuscheln und Austern, die Aragonit verwenden (Calciumcarbonat von anderer Struktur als in den meisten Molluskenschalen), sind besonders gefährdet, weil der Grenzwert, bei dem 212
Unendliche Tiefen
das Aragonit sich im Salzwasser löst, um rund ein Drittel niedriger liegt als bei Calcit, aber letzten Endes werden auch Krebse, Garnelen und Würmer leiden. Dieses Problem stellt sich vielleicht noch ein paar hundert Jahre nicht, aber wenn wir dann die ersten Anzeichen sehen, wird es viel zu spät sein, um noch irgendetwas dagegen zu tun. Nach den ersten Austern ohne Schalen muss man im subarktischen Nordpazifik suchen, denn dort liegt der Sättigungspunkt für Carbonate niedriger (bloß zwei Drittel eines tropischen Ozeans) als irgendwo sonst. Die ersten Anzeichen werden im Winter auszumachen sein, wenn tiefe Temperaturen und die vom Wind verursachte Durchmischung der Oberflächen- und der tieferen Schichten für die entsprechenden Bedingungen sorgen. Danach wird das Unheil Richtung Äquator kriechen, wo im Lauf der Zeit alle Schalen bildenden Spezies in Mit38 leidenschaft gezogen werden. Wegen der Trägheit des Ozeans wird es zu dem Zeitpunkt, da sich die ersten Folgen dieser Veränderung zeigen, schon viel zu spät sein, um den Trend noch umzukehren. Wenn Sie wollen, dass Ihre Ururenkel und deren Nachfolger noch den Geschmack von Austern kennen, müssen wir die CO2-Emissionen jetzt begrenzen. Die meisten Menschen würden zwar den Verlust der Austern beklagen, zugleich werden sie aber auch das Gefühl haben, dass die Welt auch ohne solche Kreaturen wie den Tiefseeangler oder den Schwarzen Zungenkiemer gut zurechtkommt; die Ozeantiefen sind jedoch mit die wundersamsten und ausgedehntesten Gefilde unseres Planeten. Sie stellen auch ein letztes Grenzland dar, in dem es noch immer möglich ist, von einem fünf Meter langen Hai überrascht zu werden, bei dem es sich nicht nur um eine neue Spezies, sondern eine ganze, der Wissenschaft noch unbekannte Familie handelt. So war es im Fall des Großmaulhais (Megachasma pelagios), dessen erstes bekannt gewordenes Exemplar sich in der Ankerkette eines US-Marineschiffs verfing, das sich in den siebziger Jahren in 4,5 Kilometer tiefem Wasser vor Hawaii aufhielt. Diese großen Haie sind Filtrierer, die – soweit wir wissen – ihr ganzes Leben lang auf der Schwanzspitze balancierend verbringen und vertikal durch den wegelosen Ozean wandern. Wenn solche Monster bislang unbekannt geblieben sind, dann 213
Weissagen als Wissenschaft
überlegen Sie, wie viele kleinere Kreaturen noch ihrer Entdeckung harren. Und das Leben in den Tiefen ist so spezialisiert, dass es uns mit Sicherheit Aufklärung darüber bringen kann, wie Kreaturen an den äußersten Grenzen der Habitabilität überleben können. Pelikanaale sind aalähnliche Kreaturen, die nur aus Maul, Magen und einem Schwanz zu bestehen scheinen, der prächtig illuminiert ist. Sie lauern in der Tiefe und haben dabei ihren Schwanz so eingekringelt, dass dessen Neonspitze knapp vor ihrem alles verschlingenden Schlund liegt; kommt dann ein Wesen neugierig näher, schlagen sie zu. Da sie ihre Beute als Erstes am Schwanz packen, müssen sie hinunterwürgen, was oft ein Fisch mit nach hinten gerichteten Stacheln ist, und das schaffen sie, indem sie ihren Körper langsam über die Mahlzeit schieben, wie man sich einen Socken über den Fuß rollt. Der Pelikanaal (Eurypharynx pelecanoides) hat im Verhältnis zum Körper das größte Maul aller Skeletttiere der Erde, leidet aber so sehr unter Calciummangel, dass das Tier nach der Paarung seine Kiefer und Zähne resorbiert, um den befruchteten Eiern so viel Calcium mitzugeben, dass sie embryonische Skelette ausbilden können. Noch bizarrer sind die Anglerfische. Der Laternenangler (Linophryne arborifera) phosphoresziert von allen Fischen am stärksten, sein großer Bart und seine »Angelrute« erinnern an einen hell strahlenden Weihnachtsbaum. Das betrifft das Weibchen, das Männchen ist nichts weiter als ein nutzloser Parasit. Wenn es die Größe eines Koboldkärpflings hat, sucht es sich eine Lebenspartnerin und beißt sie in den Bauch. Von da an ist er bloß noch ein parasitäres Testikel, das sich von ihrem Blut ernährt und, wenn es an der Zeit ist, dazu stimuliert wird, sein Sperma abzugeben. Die Ozeantiefen sind nicht bloß ein weiteres Reich der Natur, sie sind auch fast ein Paralleluniversum, das voller evolutionärer Möglichkeiten steckt. Was könnte, fragen Sie sich vielleicht, menschliche Aktivität solch einer Welt antun? Unmittelbar ist sie zwar nicht bedroht, Lehren der Vergangenheit aber deuten darauf hin, dass auch dieses Riesenreich ein Opfer des Klimawandels werden könnte. Als vor 55 Millionen Jahren eine Methaneruption unseren Planeten aufheizte, wurden die Ozeantiefen fast so warm wie die Oberfläche, und das Leben im Abgrund wurde fast ausgelöscht. Es wurden keinerlei Relikte von überlebenden Tiefseefischen aus jener Zeit ge214
Unendliche Tiefen
funden (ja, wir haben so gut wie keine Fossilien von ihnen), aber was an Beweisen in den Felsen überlebt hat, spricht Bände über die Massenauslöschung der kleineren Kreaturen, die ihr Habitat teilten. Ein Großteil der Lebensvielfalt in den modernen Ozeantiefen hat sich wahrscheinlich entwickelt, seit die Erde sich vor rund 33 Millionen Jahre abkühlte und eine rapide gefrierende Antarktis eiskaltes Meerwasser um die Welt zu schicken begann. Zwar registrieren die Wissenschaftler eine Erwärmung des Tiefenwassers, aber es wird noch Hunderte von Jahren und ein Jahrhundert oder mehr des Weitermachens wie bisher brauchen, um es aufzuheizen. In jener möglichen, aus dem Ruder laufenden Treibhauswelt der Zukunft werden vielleicht Laternenangler und Pelikanaal im Todeskampf des Hitzestresses liegen, selbst in den letzten Winkeln ihres finsteren Reiches.
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EINE HAND VOLL JOKER Vielleicht ist die abnehmende Salinität der subpolaren Meere, die an den Nordatlantik grenzen, die größte ozeanische Veränderung, die je in der Ära der modernen Instrumente gemessen wurde. Daniel Glick, National Geographic, 2004
Bis jetzt haben wir nur in Betracht gezogen, was passieren könnte, wenn sich die momentanen Trends fortsetzen. Aber die Fossilien zeigen, dass auf dem Planeten Erde nicht alles glatt verläuft, selbst wenn die Ursachen für den Klimawandel sich nur langsam und stetig verändern. Vielmehr rasten die irdischen Systeme manchmal aus, und plötzlich entsteht eine neue Weltordnung, an die sich die Überlebenden anpassen müssen – oder sie gehen zugrunde. Den Wissenschaftlern sind im Wesentlichen drei Ereignisse bekannt, die das irdische Klima umkippen lassen können: die Verlangsamung oder das Versiegen des Golfstroms, das Verschwinden der Regenwälder am Amazonas und die Freisetzung von Gashydraten vom Meeresgrund. Alle drei Ereignisse kommen gelegentlich in den virtuellen Welten der globalen Zirkulationsmodelle vor, und es gibt ein paar geologische Hinweise, dass jedes von ihnen im Verlauf der Erdgeschichte schon einmal passiert ist. Das ist ein starkes Argument dafür, dass solche Ereignisse möglich sind und bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit und Richtung der Veränderungen eins, zwei oder vielleicht alle drei noch in diesem Jahrhundert eintreten können. Was führt zu diesen schlagartigen Klimawechseln, was sind die Warnzeichen, und wie wirken sie sich wohl auf uns aus?
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Eine Hand voll Joker
SZENARIO 1: VERSIEGEN DES GOLFSTROMS Der Golfstrom hat für die Länder rings um den Atlantik eine enorme Bedeutung. Im Jahr 2003 beauftragte Andrew Marshall, Architekt des Star Wars-Verteidigungsprogramms und graue Eminenz im Pentagon, Peter Schwartz (den ehemaligen Chef der Szenarienplanung bei Royal Dutch Shell) und Doug Randall von Emeryville (einer auf Szenarienplanung spezialisierten Firma), einen Bericht zu verfassen, der umreißt, was es für die Sicherheit der USA bedeuten würde, wenn der Golfstrom verschwinden sollte. Sinn des Reports war, wie seine Autoren formulierten, »sich das Undenkbare vorzustellen«. Zu diesem Zweck entwarfen sie »ein Szenario des Klimawandels, das zwar nicht das Wahrscheinlichste ist, aber dennoch plausibel, und die Sicherheit der Vereinigten Staaten auf eine Weise herausfordern würde, 39 die unverzüglich bedacht werden sollte«. Ihr Szenario geht von einer Verlangsamung des Golfstroms aus, hervorgerufen von dem Süßwasser, das sich infolge der Eisschmelze im Nordatlantik ansammelt. Die Autoren nehmen an, dass sich der Planet noch weitere sechs Jahre lang (bis 2010) langsam erwärmen, es dann aber zu einem dramatischen Umschlagen kommen wird, einem »magischen Tor«, durch das sich das Weltklima abrupt ändern wird. Als Folgen dieses Umkippens prognostiziert ihr »Wetterbericht« für 2010 anhaltende Dürre in wichtigen Agrargebieten und einen durchschnittlichen Temperatursturz von über 3 °C für Europa, knapp unter 3 °C für Nordamerika sowie einen Anstieg von 2 °C für Australien, Südamerika und Südafrika. Um sich ein Bild von den menschlichen Reaktionen auf einen so rapiden Wandel zu machen, ziehen die Autoren die Arbeiten des Harvard-Archäologen Steven LeBlanc heran, der den Zusammenhang zwischen menschlicher »Belastungsfähigkeit« und Krieg wie folgt beschreibt: »Menschen kämpfen, wenn sie die Belastungsfähigkeit ihrer Umwelt überschreiten«; und: »Immer wenn sie die Wahl zwischen Hunger und Raubzügen haben, gehen Menschen auf Raubzüge.« Vielleicht dachten Schwartz und Randall an ihre Leser im Pentagon, als sie auch die zunehmende Verbreitung von Nuklearwaffen und den Zusammenbruch der globalen Kooperation infolge des 217
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wachsenden Überlebensdrucks antizipierten. Nur die kampfkräftigsten Gesellschaften, sagten sie, würden überleben, und innerhalb dieser Gesellschaften ständen die Dinge kaum besser. Die Einstellungen würden sich wandeln: Wenn Hungersnöte, Krankheiten und wetterbedingte Katastrophen zuschlagen ... werden in vielen Ländern die Bedürfnisse die Belastungsgrenzen überschreiten. Das wird Verzweiflung hervorrufen ... Das frustrierendste Gefühl ... ist, dass wir niemals wissen werden, wie ... viele weitere Jahre – 10, 100, 1000 – noch vergehen werden, bis es wieder zu 40 so etwas wie einer Wende zum Wärmeren kommt.
Das Ganze wird noch schlimmere Folgen nach sich ziehen, weil die Nationen im Angesicht der Katastrophe vermutlich nicht zusammenarbeiten werden; massenhaften Hungersnöten werden massenhafte Wanderungsbewegungen folgen, da so unterschiedliche Regionen wie Skandinavien, Bangladesch und die Karibik ihre Bevölkerung nicht mehr ernähren können. Bei dem sich daraus ergebenden Gerangel um Ressourcen werden neue politische Allianzen geschmiedet werden, und das Kriegspotenzial wird sich enorm erhöhen. Wenn in den Jahren 2010 bis 2020 die Energie- und Wasservorräte knapp werden, dürften sich Australien und die USA zunehmend darauf konzentrieren, ihre Grenzen dicht zu machen, um die wandernden Horden aus Asien und der Karibik fern zu halten. Die Europäische Union, sagt der Report, könnte zwei mögliche Wege beschreiten: Entweder schließt sie sich zum Schutz ihrer Außengrenzen noch fester zusammen, oder sie bricht unter inneren Querelen zusammen und versinkt im Chaos. Und die Autoren glauben, dass Russland, das dank seiner riesigen Energiereserven plötzlich ein akzeptabler Partner wäre, der EU beitreten könnte. Der Bericht unterbreitet der USRegierung sieben Vorschläge, wie sie sich auf solche Eventualitäten vorbereiten könnte, wozu auch die Erforschung geotechnischer Optionen gehört, die den Klimawandel verlangsamen könnten (etwa CO2-Endlagerung). Unglaublicherweise vergaßen Schwartz und Randall aber die Option zu erwähnen, die am Kern des Problems ansetzt: die Verwendung fossiler Brennstoffe zu reduzieren! 2004 schilderte der Hollywood-Katastrophenfilm The Day after Tomorrow ebenfalls die Konsequenzen eines möglichen Versiegens 218
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des Golfstroms. Aus dramaturgischen Gründen ist der zeitliche Verlauf des Kollaps stark komprimiert, und die Veränderungen sind noch viel gigantischer als die in dem Pentagon-Report. Inzwischen arbeiten Wissenschaftler daran, die Folgen eines Golfstrom-Zusammenbruchs für die Biodiversität als Ganze abzuschätzen, und die sind katastrophal. Die biologische Produktivität im Nordatlantik wird um 50 Prozent zurückgehen, die der Ozeane weltweit wird um über 41 20 Prozent sinken. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass der Golfstrom im Verlauf dieses Jahrhunderts versiegt? Unter welchen Bedingungen kann es dazu kommen, und wie sähen die Warnsignale aus? Die Seefahrer kannten den Golfstrom zwar seit Kolumbus’ Zeiten, die erste Karte davon ließ aber erst Benjamin Franklin im Jahr 1770 drucken. Heute wissen wir, dass der Golfstrom die schnellste Meeresströmung der Welt ist, dass er sehr komplex ist und sich, während seine Wasser nach Norden drängen, in eine Reihe von Strudeln und Nebenströmungen aufspaltet. Das von ihm transportierte Wasservolumen ist einfach unglaublich. Sie werden sich daran erinnern, dass Meeresströmungen in Sverdrup gemessen werden und ein Sverdrup einem Durchfluss von einer Million Kubikmeter Wasser pro Sekunde entspricht. Vor Kap Hatteras, wo der Golfstrom von der amerikanischen Küste in Richtung tieferes Wasser abdreht, hat er 87 Sverdrup, und als Spitzenwert erreicht er bei etwa 65 Grad westlicher Länge 150 Sverdrup. Im Durchschnitt beträgt die Transportrate rund 100 42 Sverdrup, was dem Hundertfachen des Amazonas entspricht. In seinem nördlichen Abschnitt ist der Golfstrom weit wärmer als das Wasser in seiner Umgebung. Zwischen den Faröer-Inseln und Großbritannien beispielsweise beträgt seine Temperatur milde 8 °C, die des umgebenden Wassers jedoch liegt am Nullpunkt. Seine Wärme bezieht der Golfstrom aus dem tropischen Sonnenlicht im Mittelatlantik, und er ist ein hoch effizientes Transportmittel. Alfred Russell Wallace schrieb 1903: »Da Luft siebenhundertundsiebzigmal leichter als Wasser ist, folgt daraus, dass die Hitze von einem Kubik43 fuß Wasser über 3000 Kubikfuß Luft erwärmen kann.« Im Nordatlantik gibt der Golfstrom seine Wärme ab, und das Klima Europas wird dadurch um so viel wärmer, als würde der Kontinent ein Drittel mehr Sonnenlicht abbekommen. 219
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Wenn das Wasser des Golfstroms seine Wärme abgegeben hat, sinkt es und bildet mitten im Ozean einen großen Wasserfall. Dieser Wasserfall ist das Kraftwerk und zugleich die Achillesferse aller Meeresströmungen auf unserem Planeten, denn die Geschichte zeigt uns, dass er immer mal wieder unterbrochen wurde. Während sich das Erdklima vom Höhepunkt der Eiszeit vor 20 000 Jahren zu den milden Verhältnissen von heute wandelte, destabilisierte sich der Golfstrom wiederholt – am spektakulärsten vor 12 700 bis 11 700 Jahren, als die Wintertemperaturen in den Niederlanden auf unter –20 °C fielen und die Sommertemperaturen im Durchschnitt bloß 13 °C bis 14 °C betrugen. Vor 8200 bis 7800 Jahren kam es zu einem weiteren Kollaps, und möglicherweise hat sich der Golfstrom vor 4200 bis 3900 Jahren noch ein Mal verlangsamt. Bei den zwei früheren Vorkommnissen war die Unterbrechung von riesigen Mengen Süßwasser ausgelöst worden, die sich in den Nordatlantik ergossen: Das erste Mal durch das Brechen eines Eisdamms, hinter dem sich ein enormer See aufgestaut hatte (von dem die Großen Seen in Nordamerika Überbleibsel sind), und die Umleitung des Schmelzwassers vom Mississippi zum Sankt-Lorenz-Strom; dann durch den Zusammenbruch der Überreste des nordamerikanischen Laurentischen Eisschilds und dem Abfließen des Lake Agassiz in die 44 Hudson Bay. Süßwasser unterbricht den Golfstrom, weil es dessen Salzgehalt verringert und somit verhindert, dass das Wasser in die Tiefe sinkt, wodurch weltweit die Zirkulation in den Ozeanen zum Stillstand kommt. Ob der Golfstrom sich wieder einmal verlangsamt, hängt von der Menge des einfließenden Süßwassers ab. Zuflüsse von einem Sverdrup mögen eine gewisse Auswirkung haben, doch sind einige Sverdrup oder mehr Süßwasser erforderlich, um den Golfstrom ernsthaft zu gefährden. Der gefrorene Norden enthält genügend Eis, um eine solche Flüssigkeitsmenge zu produzieren, und zu diesem müssen wir noch die zunehmenden Niederschläge addieren, die sich bereits überall in der Region bemerkbar machen. Seit den siebziger Jahren ist eine stete Frischwasserzunahme an der Oberfläche des Nordostatlantiks zu verzeichnen: Der Salinitätsgraph beschreibt eine anmutige Kurve nach unten, was Bände hinsichtlich des sich abzeichnenden Trends spricht. Vor drei Jahrzehnten lag der 220
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mittlere Salzgehalt der Strömung bei 34 960 Teilen pro Million, bis zum Jahr 2000 war er auf rund 34 900 gesunken. In der DänemarkStraße fiel der Rückgang noch stärker aus – von 34920 Teilen pro Million auf 33 870 –, obwohl hier der Graph eine Reihe von Spitzen und Dellen aufweist, die auf lokale Süßwasserzuflüsse zurückzuführen sind. Die durchschnittliche Salinität des Meerwassers liegt bei rund 33 000 Teilen pro Million, und folglich geben auch so geringe Veränderungen Anlass zur Sorge, denn es ist der Unterschied im Salzgehalt – momentan bloß 1900 Teile pro Million –, der den Golfstrom in Bewegung hält. Beweise für größere Veränderungen im Atlantik wurden 2003 von 45 Ruth Curry und ihren Kollegen vom Woods-Hole-Labor vorgelegt. Sie haben im Rahmen einer umfassenden Untersuchung den Salzgehalt des Atlantischen Ozeans von Pol zu Pol über zwei Vierzehnjahres-Perioden hinweg analysiert, von 1955 bis 1969 und von 1985 bis 1999. Sie entdeckten Veränderungen von »bemerkenswerter Amplitude«, was darauf schließen lässt, dass »Süßwasser in niedrigen Breiten verloren ging und in hohen Breiten hinzugefügt wurde, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die die Fähigkeit der Meeresströmung zur 46 Kompensation übersteigt.« Anders ausgedrückt: In allen Tiefen wird der tropische Atlantik salziger, während er in der Nord- und Südpolarregion immer weniger Salz aufweist. Die Veränderung, schlussfolgerten die Wissenschaftler, ist auf eine vermehrte Verdampfung in der Nähe des Äquators und stärkere Niederschläge in der Nähe der Pole zurückzuführen. Als sie in anderen Ozeanen ähnliche Veränderungen feststellten, wurde ihnen klar, dass irgendetwas – höchstwahrscheinlich der Klimawandel – die Verdunstungs- und Niederschlagsraten der Welt um fünf bis zehn Prozent beschleunigt hat. Diese bemerkenswerte Entdeckung birgt möglicherweise noch ein größeres Gefahrenpotenzial für den Golfstrom. Die zunehmende Salzigkeit in den Tropen, vermuten die Forscher, wird zu einer vorübergehenden Beschleunigung des Golfstroms führen, die paradoxerweise sein abruptes Versiegen einleitet. Das ist der Fall, weil die zusätzlich zu den Polen transportierte Wärme mehr Eis schmelzen und damit dem Nordatlantik mehr Süßwasser zuführen wird, bis die kritische Menge von Sverdrup hineinfließt und das System als Ganzes 47 kollabiert. 221
Weissagen als Wissenschaft
Der Golfstrom ist nur ein Teil des weltumspannenden Systems von Meeresströmungen, und Wissenschaftler haben auch anderenorts Veränderungen beobachtet. Anfang 2004 vermeldeten Forscher vom CSIRO in Australien, sie hätten im subantarktischen Tiefenwasser eine Abnahme des Sauerstoffgehalts von rund drei Prozent entdeckt. Unser Wissen über Schwankungen des Sauerstoffniveaus des Tiefenwassers im Lauf der Zeit ist noch dürftig, und gleich mehrere Faktoren könnten diesen Rückgang erklären (eine Phytoplanktonblüte, die zum Grund sank und dort verrottete, wäre eine Möglichkeit); doch die Zahlen beunruhigen einige Klimaforscher, weil ein solcher Sauerstoffrückgang genau das ist, was man erwarten sollte, wenn die thermohaline Zirkulation des Ozeans sich verlangsamt, was verhindert, dass sich Sauerstoff aus den oberen Schichten des Meeres mit dem Tiefenwasser vermischt. Wie schnell könnte der Golfstrom versiegen? Eisbohrkerne aus Grönland lassen darauf schließen, dass es bei früheren Verlangsamungen des Golfstroms auf der Insel zu einem massiven Temperatur48 rückgang von 10 °C in bloß einem Jahrzehnt kam. Vermutlich erlebte ganz Europa eine ähnlich rapide Veränderung, auch wenn keine feinrastrigen Klimadaten übrig sind, die uns das sagen könnten. Folglich ist vorstellbar, dass man binnen weniger Winter extreme Veränderungen in Europa und Nordamerika zu spüren bekäme, sollte der Golfstrom langsamer werden. Es ist sogar möglich, dass es abermals zu einem sägezahnartigen Klimaverlauf wie am Ende der letzten Eiszeit kommt. Wann wird sich so ein Ereignis vermutlich einstellen? Angesichts der Unsicherheit, wie schnell die Eiskappen schmelzen, und der Komplexität anderer Faktoren ist es schwierig, dazu Genaues zu sagen. Einige herausragende Klimatologen glauben, sie hätten bereits Anzeichen eines Vorspiels zum Versiegen bemerkt. Müsste ich eine Einschätzung abgeben, würde ich sagen, dass um 2080 Grönland vielleicht 4 °C wärmer ist als heute, wodurch genügend Eis schmelzen würde, um den Meeresspiegel um fünf Zentimeter zu heben; das würde ausreichend viele Sverdrup liefern, um den Golfstrom für ein paar Jahrhunderte zu stoppen. Die Kälte aber würde dem Abschmelzen des grönländischen Inlandeises Einhalt gebieten, sodass der 222
Eine Hand voll Joker
Strom schließlich wieder in Gang käme, und damit würde das Schmelzen des Eises ebenfalls wieder einsetzen, was ein Sägezahnmuster auslösen könnte, das sich fortsetzen würde, bis die Eisvorräte an einen Grenzwert kämen und nicht mehr genügend Süßwasser produzieren könnten, um den Golfstrom zu unterbrechen. Nicht alle Experten stimmen jedoch zu, dass ein Kollaps oder auch nur eine Verlangsamung des Golfstroms unmittelbar bevorsteht. Wissenschaftler des Hadley Centre in England bewerten die Wahrscheinlichkeit einer größeren Störung des Golfstroms in diesem Jahrhundert mit fünf Prozent oder weniger. Was abrupte Veränderungen angeht, gilt ihre Hauptsorge einem Ereignis, das zwar weniger bekannt ist, sich aber noch katastrophaler auswirken könnte als eine Unterbrechung des Golfstroms: der Zusammenbruch der Regenwälder am Amazonas. SZENARIO 2: DAS VERSCHWINDEN DER AMAZONASREGENWÄLDER In den neunziger Jahren arbeiteten die Hadley-Wissenschaftler mit einem globalen Zirkulationsmodell namens HadCM3LC, das als Erstes sowohl den Kohlenstoffzyklus als auch ein Modell der großen irdischen Vegetationsgemeinschaften berücksichtigte. Mit diesem leistungsfähigen neuen Hilfsmittel kamen die Forscher zu erstaunlichen Ergebnissen, die deutlich machen, wie wichtig positive Rück49 kopplungsschleifen sind. Der wichtigste Aspekt des Kohlenstoffzyklus, wie er sich im Modell darstellt, ist die Kohlenstoff-Reserve im Boden, denn das ist eine so enorme potenzielle Kohlendioxidquelle, dass die in der lebenden Vegetation gespeicherte Menge dagegen winzig wirkt. Und der dort eingelagerte Kohlenstoff ist so fein ausbalanciert, dass auch eine kleine Temperaturveränderung in der Lage ist, die Böden von CO2-Absorbern in Emitter großen Stils zu verwandeln. Dafür ist die bakterielle Zersetzung verantwortlich. Bei niedrigen Temperaturen verläuft sie langsam, was es ermöglicht, dass sich der Kohlenstoff ansammelt; erwärmt sich aber der Boden, beschleunigt sich auch die 50 Verrottung, und CO2 wird in gewaltigen Mengen freigesetzt. Das ist ein Bilderbuchbeispiel für positive Rückkopplung, weil hier ein Temperaturanstieg direkt zu einer gewaltigen Vermehrung des CO2 in der Atmosphäre führt. 223
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Das Vegetationsmodell des Hadley Centre trägt den ulkigen Namen TRIFFID (Top-down Representation of Inactive Foliage and Flora Including Dynamics) und ist bloß eine grobe Annäherung an die Realität, denn es berücksichtigt nur fünf Pflanzenkategorien: Laubbäume, Nadelbäume, die zwei Haupttypen von Gräsern (C3 und C4) sowie Sträucher. Nichtsdestotrotz werden mit den fünf Kategorien die umfassenden funktionalen Vegetationstypen der Erde dargestellt. Steigt die Konzentration von atmosphärischem CO2 in dieser virtuellen Welt, beginnen die Pflanzen – vor allem im Amazonasbecken – sich ungewöhnlich zu verhalten. Am Anfang des Problems steht die Eigenart der Niederschläge über 16 dem Amazonas. Erinnern Sie sich an die Sauerstoffisotopen O und 18 16 O. Von den beiden ist O das leichtere, und deswegen wird es bei der Verdunstung eher emporgetragen. Als Wissenschaftler das Regenwasser im westlichen Amazonasbecken untersuchten, stellten sie 18 fest, dass sein O-Gehalt sehr niedrig lag. Das Wasser war nämlich so viele Male in der Atmosphäre recycelt worden, dass der größte 18 Teil des O weit im Osten geblieben war. Dies zeigt uns, dass die Pflanzen am Amazonas de facto sich ihre eigenen Niederschläge machen, denn das von ihnen verdunstete Wasser stellt eine so ungeheure Menge dar, dass es Wolken bildet, die weiter nach Westen geweht werden, wo ihre Feuchtigkeit wieder als Regen fällt, nur um abermals verdunstet zu werden und so weiter. Die botanische Transpiration ist für die Niederschläge in den Amazonas-Regenwäldern lebenswichtig, und es hat sich herausgestellt, dass CO2 wesentliche Auswirkungen auf die pflanzliche Transpiration hat. Pflanzen wollen im Allgemeinen ihr Wasser natürlich nicht in Form von Dampf verlieren, denn es hat ihnen einige Mühe bereitet, es von den Wurzeln bis in die Blätter zu pumpen. Aber unvermeidlicherweise verlieren sie etwas davon, wann immer sie die Spaltöffnungen ihrer Blätter (Stomata) zum Atmen öffnen. Der Hauptzweck dieses »Atmens« besteht darin, CO2 aus der Atmosphäre zu gewinnen, und sie lassen ihre Stomata nur so lange offen wie nötig. Wenn also das CO2-Niveau steigt, halten die Pflanzen der Amazonas-Regenwälder ihre Stomata länger geschlossen, und die Transpiration wird reduziert. Und bei weniger Transpiration gibt es auch weniger Niederschläge. 224
Eine Hand voll Joker
Die TRIFFID-Ergebnisse lassen darauf schließen, dass um 2100 das CO2-Niveau so weit gestiegen sein wird, dass die Niederschläge am Amazonas drastisch reduziert werden, wobei 20 Prozent des Rückgangs verschlossenen Stomata zuzuschreiben sind. Der Rest des Rückgangs wird den Vorhersagen des Modells zufolge auf ein ständiges El-Niño-ähnliches Klima zurückzuführen sein, das sich im Lauf der Erwärmung unseres Planeten ausbildet. Leider schaltet sich in diesem Stadium eine weitere positive Rückkopplungsschleife ein: Die Erforschung der Auswirkung El Niños auf die Kohlenstoffeinlagerung hat gezeigt, dass dadurch die Landmassen der Erde von Kohlenstofflagern zu Kohlenstoffquellen umgewandelt werden, was die CO2-Akkumulation in der Atmosphäre im 51 Durchschnitt um 0,6 Teile pro Million erhöht hat. Die kumulierte Folge all dieser Veränderungen ist ein Rückgang der Niederschläge im Amazonasbecken von den heute durchschnittlichen fünf Millimetern pro Tag auf zwei Millimeter pro Tag bis 2100; im nordöstlichen Amazonasbecken werden sie sogar auf fast 52 null zurückgehen. Diese Umstände werden zusammen mit einem Temperaturanstieg von 5,5 °C im gesamten Amazonasbecken die Pflanzen so sehr unter Stress setzen, dass der Kollaps der AmazonasRegenwälder unvermeidlich sein wird. Mit dem Verlust des Blätterdachs werden sich die Böden aufheizen, und die Zersetzungsprozesse in ihnen werden sich noch mehr beschleunigen, was wiederum noch mehr CO2 freisetzen wird. Das stellt eine massive Störung des Kohlenstoffzyklus dar: Die Einlagerung von Kohlenstoff in lebende Vegetation wird um 35 Gigatonnen reduziert, die in Böden um 150 Gi53 gatonnen. Das sind gewaltige Zahlen – in der Summe rund acht Prozent allen Kohlenstoffs, der in der Vegetation und in den Böden der Welt gespeichert ist! Letztlich wird diese Reihe von positiven Rückkopplungsschleifen dazu führen, dass die Erdatmosphäre um 2100 eher 1000 Teile CO2 pro Million aufweisen wird und nicht die 710, die frühere Modelle 54 vorhersagten. Die Oberflächentemperaturen am Amazonas werden um 10 °C steigen und nicht um die prognostizierten 5,5 °C; die Niederschläge werden um 64 Prozent zurückgehen, 78 Prozent des in der Vegetation gespeicherten Kohlenstoffs und 72 Prozent des Kohlen55 stoffs im Boden werden freigesetzt. 225
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Mit zu den beängstigendsten Aspekten dieses Modellversuchs zählt die Antwort auf die Frage, was im Amazonasbecken nach diesem Wandel bleibt. Der größte Teil des Waldbestands wird durch Gräser, Sträucher und bestenfalls Savanne mit einem gelegentlichen Baum dazwischen ersetzt. Weite Gebiete werden jedoch so heiß und verbrannt sein, dass sie noch nicht einmal diese reduzierte Vegetation ernähren können und sich folglich in eine unfruchtbare Wüste ver56 wandeln. Dennoch bleibt das Hadley-Team irgendwie optimistisch, was das Schicksal dieser Region angeht, denn in TRIFFID lassen sich zwar keine Pflanzen finden, die dort wachsen würden, die Wissenschaftler glauben aber, dass »selbst bei mittleren Jahrestemperaturen von annähernd 40 °C eine spärliche Decke von Halbwüsten-Pflan57 zen« möglich sein könnte. Wann könnte all dies eintreten? Wenn das Modell richtig ist, müssten wir um 2040 erste Anzeichen für einen Kollaps der Regenwälder sehen, und der Prozess müsste noch in diesem Jahrhundert abgeschlossen sein; die Regenwalddecke wird dann von ihren gegenwärtigen 80 Prozent auf weniger als zehn Prozent reduziert sein. Die Hälfte des entwaldeten Gebiets wird Grasbewuchs aufweisen, die an58 dere Hälfte Wüste sein. Weitere Regenwälder rund um die Welt können bis dahin ebenfalls Anzeichen für vergleichbaren Stress aufweisen, denn die meisten von ihnen hängen in gewissem Umfang von Niederschlägen ab, die aus der Verdunstung resultieren. Erschreckend an diesem Szenario ist, dass es den Klimawandel erheblich beschleunigen wird und damit viele seiner allerschlimmsten Konsequenzen unausweichlich werden. Die dritte der möglichen großen Veränderungen wird sich wahrscheinlich im Nordpolarmeer als Erstes zeigen. In diesem speziellen Szenario ist die Ursache etwas, das bislang in den Arbeiten der mit Modellen arbeitenden Klimaforscher noch keine sonderlich große Rolle spielt, das aber, wie die Frühgeschichte zeigt, unsere ganze Aufmerksamkeit verdient: eine plötzliche Freisetzung der Clathrate. SZENARIO 3: METHANFREISETZUNG VOM MEERESGRUND »Clathrat« ist von lateinisch clatratus, »vergittert« abgeleitet, und der Name bezieht sich auf die Struktur jener Kombination von Eis und Methan, bei der Methanmoleküle in winzigen »Käfigen« aus 226
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Eiskristallen gefangen sind. Man kennt die Kombination auch als »Eis, das brennt«. Clathrate enthalten viel Gas unter hohem Druck, und deswegen zischen und platzen an die Oberfläche geholte Stücke dieser eisigen Substanz, und wenn man sie anzündet, 59 brennen sie. Ungeheure Mengen von Clathraten lagern überall auf der Welt unten am Meeresgrund – in Energieeinheiten gemessen vielleicht doppelt so viel wie alle anderen fossilen Brennstoffe zusammen. Optimale Bedingungen für die Bildung von Clathraten herrschen, wenn der Ozean über 400 Meter tief ist und am Grund Temperaturen von unter 1 °C herrschen. Die Substanz bleibt nur wegen des Drucks der Wassersäule darüber und wegen der Kälte fest. Die meisten Clathrate liegen in mehreren Kilometern Tiefe unter der Meeresoberfläche, große Mengen finden sich aber auch im Nordpolarmeer, denn dort sind die Temperaturen selbst nahe der Oberfläche niedrig genug, um Clathrate stabil zu halten. Es ist bezeichnend für den grenzenlosen Einfallsreichtum des Lebens, dass einige Meereswürmer sich von dem Methan in den Clathraten ernähren. Sie leben in Gängen unter der Eismasse, die sie für ihren Energiebedarf »abbauen«, und da es weltweit auf dem Meeresboden zwischen 10 000 und 42 000 Billionen Kubikmeter von dem Zeug gibt (das somit im Vergleich zu den 368 Billionen Kubikmetern verwertbaren Erdgases auf der Welt günstig abschneidet), ist es keine Überraschung, dass sowohl Würmer als auch die Energiewirtschaft 60 in diesem paradoxem Material eine Zukunft sehen. Sollte je der Druck von den Clathraten genommen werden oder die Temperatur am Meeresgrund steigen, könnten kolossale Mengen Methan freigesetzt werden. Was dabei passieren kann, haben wir am Beispiel der Nordsee vor 55 Millionen Jahren gesehen, aber Paläontologen vermuten mittlerweile, dass die Freisetzung von Clathraten möglicherweise für einen viel schwerer wiegenden Wandel verantwortlich war: das größte Artensterben aller Zeiten. Vor 245 Millionen Jahren starben rund neun von zehn der damals auf der Erde lebenden Spezies aus. Dieses Perm-Trias-Massenaussterben riss eine frühe Form säugetierähnlicher Kreaturen mit sich und ebnete damit der Dominanz der Dinosaurier den Weg – was zu einem Treppenwitz der Evolutionsgeschichte werden könnte, falls ein wei227
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teres, ähnliches Ereignis die Zivilisation der bislang erfolgreichsten Säugetierspezies zerstört. Der Grund für das Massenaussterben ist heftig umstritten, es gibt aber zwei Favoriten: Die Kollision eines Asteroiden mit der Erde und massive Spalteneruptionen in Sibirien, bei denen bis zu zwei Millionen Kubikkilometer Lava und Milliarden Tonnen CO2 und Schwefeldioxid freigesetzt wurden. Diese zweite Hypothese findet zunehmend Anhänger, und wie diese Gase vulkanischen Ursprungs der Theorie nach mit den Clathraten interagiert haben, verdient hier unsere Aufmerksamkeit. Die Einleitung der Treibhausgase in die Atmosphäre war von so gewaltigem Ausmaß, dass man glaubt, sie habe zunächst zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um rund 6 °C geführt. Hinzu kam weit verbreiteter saurer Regen, an dem das Schwefeldioxid Schuld war und der noch mehr Kohlenstoff freisetzte. Im Endeffekt lösten die dadurch immer weiter steigenden Temperaturen ungeheure Mengen Methan aus der Tundra und aus den Clathraten am 61 Meeresgrund. Nebenbei: Wir konzentrieren uns hier zwar auf Vorgänge im Ozean, aber das Methan und das CO2, das in den Permafrostböden gelagert ist, darf nicht vergessen werden. Große Mengen dieser Gase sind in ganzjährig gefrorener Erde eingeschlossen, und sie werden vom Klimawandel mit noch größerer Wahrscheinlichkeit freigesetzt als die Clathrate. Eine spannende Frage ist, warum die Atmosphäre zur Zeit des Massenaussterbens so wenig Sauerstoff enthielt. Vor 280 Millionen Jahren waren es 21 Prozent (so viel wie heute), aber vor 260 Millionen Jahren war sein Anteil auf 15 Prozent gefallen und dann auf nur noch zehn Prozent zur Zeit des Perm-Trias-Massenaussterbens. Das, glaubt zumindest ein Wissenschaftler, könnte von der plötzlichen Freisetzung des Methans herrühren, denn das Gas wäre in der Atmosphäre rasch zu CO2 und Wasser oxidiert worden, und dabei wären große Mengen des freien atmosphärischen Sauerstoffs 62 gebunden worden. Clathrate sind wichtige Strukturelemente für die Stabilität des Meeresbodens, und ihre plötzliche Sublimation könnte zu ozeanischen »Erdrutschen« und Tsunamis von nie geahnter Gewalt führen. Ja, man glaubt, dass so ein Ereignis vor der Küste von Carolina vor 228
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15 000 Jahren genug Methan freisetzte, um die atmosphärische Kon63 zentration um vier Prozent steigen zu lassen. Es ist ernüchternd, darüber nachzudenken, dass nicht weit von dem Strand vor Ihnen eine instabile Clathraten-Zeitbombe lauern könnte!
Von den hier vorgestellten drei Szenarios ist die Freisetzung von Clathraten im Verlauf dieses Jahrhunderts am wenigsten wahrscheinlich. Nur eine massive Erwärmung, so wird vermutet, könnte sie auslösen. Von den Möglichkeiten, die wir uns hier ausgemalt haben, ist das Versiegen des Golfstroms insofern die Ausnahme, weil es sich dabei um eine sehr starke negative Rückkopplungsschleife handelt, die zumindest für die Länder rund um den Nordatlantik – und vielleicht für den Planeten insgesamt – den Erwärmungstrend zeitweilig und drastisch umkehren wird. Aus Gaias Sicht ist eine Unterbrechung des Golfstroms daher zu vergleichen mit dem Amputieren eines brandigen Gliedes, ehe der Brand den ganzen Körper befällt. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den beiden anderen Szenarios um positive Rückkopplungsschleifen, von denen die eine die gewaltigste in der Erdgeschichte ist. Denkt man über diese potenziellen Katastrophen nach, muss man sich klarmachen, dass wie beim Abfeuern eines Schießeisens die Möglichkeit eines menschlichen Eingriffs nur ganz zu Anfang besteht – ehe wir abdrücken. Ich möchte hier noch eine weitere Rückkopplungsschleife erwähnen – nicht, weil sie von ihrer Größenordnung her mit den drei großen, oben ausgeführten Klimaumschwüngen vergleichbar wäre, sondern weil sie uns selbst betrifft, bereits am Werk ist und der Auslöser weiterer Veränderungen sein könnte. Im Verlauf unserer gesamten Geschichte haben wir ständig darum gekämpft, in angenehmen Temperaturen zu leben, was, in Zeit und Energie ausgedrückt, sehr kostspielig ist. Denken Sie nur an die Hunderte von kleinen Körperbewegungen und -Verlagerungen, die wir Tag und Nacht vollführen – das An- und Ausziehen von Mänteln, Hüten und so weiter – und die einfach ein Ausdruck jenes Kampfes sind. Ja, auch der Hauskauf – unsere größte persönliche Ausgabe – dreht sich primär darum, unser lokales Klima zu regulieren. Heute können wir mit fossilen Brennstoffen unsere nähere Umgebung auf229
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heizen oder kühlen, und dieses Unterfangen ist, was den Energieverbrauch und die Umwelt angeht, äußerst kostspielig. In den USA werden 55 Prozent des gesamten Energie-Etats für das Heizen und die Klimatisierung der Häuser aufgewendet – das Heizen allein kostet 64 die Amerikaner 44 Milliarden Dollar pro Jahr. Wenn unsere Welt dank des Klimawandels immer ungemütlicher wird, ist kaum vorstellbar, dass die Nachfrage nach Klimaanlagen zurückgeht. Im Verlauf von Hitzewellen könnten sie de facto über Leben und Tod entscheiden. Aber solange wir unsere Methoden nicht ändern, wird dieses Bedürfnis mit dem Verbrennen fossiler Energieträger befriedigt, was eine sehr starke positive Rückkopplungsschleife ist. In den USA und Australien ist die Nachfrage nach Klimaanlagen bereits kaum zu befriedigen – in Ländern, in denen bis vor kurzem die Bauvorschriften hinsichtlich der Energieeinsparung erschreckend lax waren. Es könnte sich daher die Situation ergeben, dass wir, um unsere Häuser zu kühlen, letzten Endes unseren Planeten kochen.
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ZIVILISATION: MIT EINEM WIMMERN VORBEI? Wenn wir nicht sofort aufhören, werden wir das Leben unserer Nachkommen wirklich ruinieren. Selbst wenn wir bloß noch weitere 40 oder 50 Jahre herumpfuschen, werden sie absolut keine Chance mehr haben und in die Steinzeit zurückgeworfen. Menschen wird es noch geben. Aber die Zivilisation wird verschwunden sein. James Lovelock, Independent, 24. Mai 2004
Unsere Zivilisation baut auf zwei Grundlagen auf: unserer Fähigkeit, genügend Nahrungsmittel zu produzieren, um eine große Anzahl Menschen zu ernähren, die sich anderen Aufgaben widmen, und unserer Fähigkeit, in Gruppen zu leben, die für große Institutionen tragfähig genug sind. Wir sind in Städten organisiert, und vom lateinischen civis, »Mitbürger«, leitet sich der Begriff der Zivilisation ab. Heute bilden sehr große Städte den Kern unserer globalen Gesellschaft, und in ihnen finden sich unsere wertvollsten Institutionen. Solange sie nicht von außen versorgt werden, sind Bevölkerungszentren mit weniger als 10 000 Einwohnern wahrscheinlich nicht in der Lage, das gesamte Spektrum der Gesundheitsdienste bereit zu stellen, und jene mit nur 100 000 verfügen im Allgemeinen nicht über akademische Bildungseinrichtungen und ein Orchester. Selbst Städten mit rund einer Million Menschen fehlt möglicherweise noch eine Oper, ein Museum von Weltrang oder eine bestimmte Spezialklinik. Und der Arbeitsmarkt – besonders für hoch spezialisierte Berufe – unterscheidet sich in Städten mit fünf Millionen Einwohnern drastisch von denen mit einer Million. 231
Weissagen als Wissenschaft
Städte sind für die Zivilisation von entscheidender Bedeutung, und doch sind es fragile Einrichtungen, die durch den Stress des Klimawandels leicht verwundbar sind. Daher ist es wichtig, Städte im Hinblick auf ihre Grundversorgung – Essen, Wasser und Energie – zu betrachten. Die einzigen anderen Wesen, die so etwas wie eine Stadt hervorgebracht haben, sind in sozialen Verbänden lebende Insekten, aber sie sind so klein und ihr Ressourcenbedarf ist so gering, dass ein paar Hektar Habitat alles ist, was sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse brauchen. Im Gegensatz dazu halten wir ganze Kontinente besetzt, und unsere Städte gleichen in ihrer Komplexität einem Regenwald. In Städten ist so gut wie jeder Beruf spezialisiert: Bloß »Sekretärin« zu sein reicht nicht mehr – man muss schon Notariatssekretärin oder Chefarztsekretärin oder etwas in der Art sein. Und ein Mediziner bringt es weiter, wenn er kein einfacher praktischer Arzt ist, sondern Sportorthopäde, Proktologe oder Spezialist für Geriatrie. Das ist das menschliche Äquivalent zu einem Leben als matanim-Kuskus oder Goldkröte – und in der Natur sieht man solche Arten nur in Regenwäldern, weil nur da der Nachschub an Energie und Feuchtigkeit groß und regelmäßig genug ist, um solche komplexen und großen Ansammlungen von Lebensformen gedeihen zu lassen. Wenn wir einem Regenwald auch nur für kurze Zeit das Wasser oder das Sonnenlicht wegnehmen, wird er, wie wir gesehen haben, aller Wahrscheinlichkeit nach kollabieren, und seine hoch spezialisierten Bewohner werden aussterben. In Teilen Costa Ricas und PapuaNeuguineas hat der Klimawandel das bereits zuwege gebracht, und für Regionen wie beispielsweise das Amazonasbecken wird es vorausgesagt. Jetzt lassen Sie uns ein Gedankenexperiment machen. Denken Sie an eine Großstadt, mit der sie vertraut sind, und stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn ihre Bewohner eines Morgens aufwachten und feststellten, dass kein Wasser mehr aus den Hähnen kommt. Keine Kleidung könnte gewaschen werden, keine Toilettenspülung würde funktionieren, Dreck würde sich ansammeln, und die Menschen würden sehr schnell unter Durst leiden. Und stellen Sie sich die Folgen vor, wenn der Benzin- und Dieselnachschub ausbliebe: Lebensmittel könnten nicht mehr geliefert, Müll nicht entsorgt werden und die Menschen könnten nicht an ihre Arbeitsplätze kommen. 232
Zivilisation: Mit einem Wimmern vorbei?
Könnte der Klimawandel die Ressourcen bedrohen, die Städte zum Überleben brauchen? Der Physiker Stephen Hawking hat gesagt, dass ein tausendjähriger CO2-Anstieg die Oberfläche unseres Planeten zum Kochen bringen würde und die Menschen dann woanders Zuflucht suchen müssten. Das ist ein extremer Standpunkt. Eher im Mittelfeld liegen die Ansichten von Jared Diamond, der den Zusam65 menbruch untergegangener Zivilisationen untersucht hat. Er stellte fest, dass die Erschöpfung der Ressourcen ein Hauptgrund war, warum große, komplexe, sogar des Schreibens kundige Gesellschaften wie die der Maya scheiterten. Faktisch könnte ein rapider Klimaumschwung unsere globale Gesellschaft einem vergleichbaren Stress aussetzen, denn dabei würden die Nachschubquellen für Wasser und Lebensmittel verlagert und auch deren Menge verändert. Menschen scheinen ewige Optimisten zu sein, wenn es um ihre Anpassungsfähigkeit geht, und angesichts einer derartigen Möglichkeit haben die, mit denen ich gesprochen habe, vorgeschlagen, das Wasser in Wasserstoffkraftwerken zu erzeugen, Eisberge abzutauen oder Getreide in Hydrokultur anzubauen. Solche Maßnahmen könnten wenigen Privilegierten weiterhelfen, aber die Problematik ist so gigantisch und es würde so lange dauern, bis solche technischen Lösungen in globalem Maßstab umgesetzt wären, dass bei einem raschen Klimawandel für die große Mehrheit von uns keine Chance bliebe. Die Bedrohung durch zunehmende Klimaschwankungen ist sehr real. Ein gutes Beispiel für den Zusammenhang von Klimaschwankungen und menschlicher Bevölkerung bietet Australien. Unter den größeren Ländern ist dieser Staat einzigartig, denn hier gibt es nur sehr kleine Siedlungen und sehr große Städte; Ortschaften mittlerer Größe, die anderenorts auf der Welt dominieren, fehlen fast völlig. Das ist eine Folge des Zyklus von Dürrezeiten und Überschwemmungen, der für das Land seit der ersten Besiedlung charakteristisch ist. Kleine regionale Bevölkerungszentren haben überlebt, weil sie die Luken dicht machen und Dürreperioden über sich ergehen lassen können. Und Großstädte haben überlebt, weil sie in die Weltwirtschaft integriert sind. Das Ressourcennetzwerk einer mittleren Stadt ist jedoch kleiner als die von einer Klimaschwankung betroffene Region, was sie empfindlich auf Geldmangel reagieren lässt. Typischerweise passiert bei anhaltender Dürre Folgendes: Zuerst machen die 233
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Landwirtschaftsmaschinen- und Automobilvertretungen ihre Läden dicht. Wenn dann alle knapp bei Kasse sind, gehen der Apotheker, der Buchhändler und die Banken weg. Wenn die Dürre schließlich vorbei ist und die Menschen wieder Geld haben, kehren diese Geschäfte nicht zurück, und die Menschen fahren stattdessen zum Einkaufen in größere Zentren, und mit der Zeit ziehen sie schließlich selbst dorthin. Das australische Beispiel zeigt, dass Klimaschwankungen faktisch die Bildung von Städten gefördert haben: Das Land ist heute der am stärksten urbanisierte Staat der Welt. Der einzige Grund aber, warum Australiens Städte Zufluchtsorte vor Klimaschwankungen sind, ist, dass sie ihre Ressourcen aus einer Region beziehen, die umfassender ist als der von Dürreperioden und Überschwemmungen geplagte Kontinent. Geht es aber um den Klimawandel, sprechen wir von einem globalen Phänomen: Die gesamte Erde wird von Klimaänderungen und extremen Wetterbedingungen von immer größerer Schwankungsbreite betroffen sein. Das Wasser wird die erste lebenswichtige Ressource sein, bei der sich die Folgen zeigen, denn es ist schwer, muss aber billig sein, und so ist es nicht profitabel, es über große Entfernungen zu transportieren. Das bedeutet, dass die meisten Städte sich ihren Wasservorrat lokal besorgen, und ihre Einzugsgebiete sind klein genug, dass selbst ein gering ausgeprägter Klimawandel schon Wirkung zeigen kann. Wir haben bereits gesehen, dass Perth und Sydney auf des Messers Schneide stehen, was ihre Wasservorräte angeht, und zweifellos werden sich mehr Großstädte auf dieser Liste wiederfinden, wenn das Wasser weltweit knapper wird. Lebensmittel wie Getreide lassen sich im Gegensatz dazu leicht transportieren und werden oft von weit her herbeigeschafft, was bedeutet, dass nur wirklich globale Ernteausfälle zu einer Verknappung in den Großstädten der Welt führen würden. Bis jetzt hat der Klimawandel nur relativ geringe Auswirkungen gezeigt. In den letzten acht Jahren haben Trockenheit und ungewöhnlich heiße Sommer die weltweiten Getreideerträge sinken oder stagnieren lassen, und in derselben Zeit hat sich die Zahl der Münder, die die Menschheit füttern muss, um 600 Millionen erhöht. Der Spitzenwert an Getreidereserven – nämlich für rund 100 Tage – wurde 234
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1986 erreicht; er fiel bis 1995 auf sehr niedrige 55 Tage. Zwar wurden in den Jahren 1999 und 2004 substanzielle Weizenüberschüsse verzeichnet, insgesamt aber weist der Trend bei den Nahrungsreserven der Welt nach unten. Im Fall des Klimawandels gleichen Städte eher Pflanzen als Tieren, denn sie sind ortsfest und brauchen ein komplexes Netzwerk, das die Versorgung mit den notwendigen Mengen Wasser, Lebensmittel und Energie sichert. Wir sollten wirklich besorgt sein, dass bereits ganze Wälder infolge des Klimawandels sterben, denn die Städte werden gleichermaßen zu sterben beginnen, wenn dieses Phänomen die Kapazität ihrer Grundversorgungsnetze übersteigt. Dazu kann es durch wiederholte Wetterextreme kommen, durch den steigenden Meeresspiegel und schwere Stürme, extreme Kälte oder Hitze, Trockenheit oder Überschwemmungen und sogar Seuchen. Es lohnt sich, an dieser Stelle die Diskussion zur Situation der Städte im Allgemeinen zu unterbrechen und die von der amerikanischen Kohleindustrie aufgebrachte Idee zu prüfen, dass steigende CO2-Pegel die Nutzpflanzen der Welt »düngen« werden und somit eine Lösung für den weltweiten Hunger darstellen. Zahlreiche Experimente, bei denen Pflanzen künstlich hohen CO2-Niveaus ausgesetzt wurden, sind mittlerweile zum Abschluss gebracht, und die Botaniker Elizabeth Tansley und Stephen Long haben die Ergebnisse 66 analysiert. Wie sich gezeigt hat, profitieren Bäume viel mehr als Sträucher oder Gräser von einer CO2-Zunahme, und die Arten, die am wenigsten Nutzen daraus ziehen, sind die Gräser, zu denen auch unsere wichtigsten Getreidearten zählen. Reis beispielsweise wies bei einer Verdopplung des CO2 eine Ertragssteigerung von bloß sechs Prozent auf, bei Weizen waren es lediglich acht Prozent. In Zukunft werden die Getreidearten aber von höheren Temperaturen, mehr Ozon nahe der Erdoberfläche und Veränderungen der Bodenfeuchtigkeit gestresst, und das alles wird den Ertrag mindern. Statt eines landwirtschaftlichen Paradieses verspricht die mit CO2 angereicherte Welt eine zu werden, in der weniger Getreide produziert wird als heute. Die Vergegenwärtigung, auf wie wenigen Getreidearten unsere Ernährung basiert, brachte den Philosophen Ronald Wright zu der Bemerkung: »Wir haben uns im Lauf der Zeit so sehr spezialisiert, dass 235
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wir so verwundbar wie ein Säbelzahntiger geworden sind.« Oft hört man, dass die Bauern eben neue Getreidearten anbauen werden, die besser an das neue Klima angepasst sind – wenn solche denn gefunden werden können. Doch einer der Besorgnis erregenden Aspekte des Klimawandels ist, dass die biologische Produktivität unseres Planeten insgesamt abnimmt – anders ausgedrückt: Es gibt weniger Kuchen zu verteilen. Wegen der unterschiedlichen Anpassungsfähigkeiten der Reichen und der Armen und der menschlichen Systeme im Vergleich zu den natürlichen, haben Mitglieder der Umweltbewegung dem Begriff »Anpassung« eine mittlerweile »genozidhafte Bedeutung« attes68 tiert. Damit ist gemeint, dass ein paar verhätschelte, reiche Menschen den Klimawandel vielleicht überleben, indem sie sich in irgendwelche Refugien zurückziehen, die große Mehrheit aber unausweichlich umkommen wird – wie ein Großteil der Arten und Ökosysteme der Erde auch. Der englische Umweltpolitiker Aubrey Meyer hat beschrieben, wie diese Angelegenheit auf höchster Ebene diskutiert wird. Wirtschaftswissenschaftler stellten bei den IPCC-Debatten fest, ernsthaft etwas gegen den Klimawandel zu tun sei zu teuer, um sich zu lohnen. Das läuft in Meyers Augen auf »die faktische Ermordung von Teilen der ärmeren Weltbevölkerung« hinaus, deren Leben nach Schätzungen der Wirtschaftswissenschaftler nur ein Fünfzehntel so wertvoll sind 69 wie die reicher Personen. Ich stimme Meyer zu, dass eine »Anpassung« in diesem Sinn Völkermord ist und zugleich versuchter Mord an Gaia. Aus diesem Grund bin ich der Überzeugung, dass unsere Anstrengungen vor allem darauf hinauslaufen müssen, den Klimawandel selbst zu verhindern. Könnte also der Tag kommen, an dem in den Großstädten der Welt kein Wasser mehr aus den Hähnen läuft, keine Energie, keine Lebensmittel und keine Brennstoffe mehr zur Verfügung stehen? Das hängt davon ab, wie umfangreich der Klimawandel wird, den die vermehrten Treibhausgase mit sich bringen: Übersteigt dieser die Leistungsfähigkeit des Versorgungsnetzwerkes einer Stadt, wird der Kollaps unausweichlich. Wir haben keine Zahlen, wie viel Erwärmung solch einen Zusammenbruch auslösen könnte, aber schon 0,63 °C haben sich als ausreichend erwiesen, um so große Gebiete wie den 236
Zivilisation: Mit einem Wimmern vorbei?
Sahel, die Arktis oder die subantarktischen Gewässer erheblich zu schädigen. Drei Grad Erwärmung – fünfmal mehr, als bislang erlebt – werden erheblichere Folgen zeitigen: Vielleicht reichen sie aus, um Regionen von der Größe eines Kontinents zu destabilisieren. Beim Wert am obersten Ende der Skala – 11 °C Erwärmung – sind die Auswirkungen unvorstellbar, und sie würden unsere Spezies insgesamt bedrohen. Die Gefährdung unserer Zivilisation durch zurückgehende Niederschläge und durch Mangel an Nahrungsmitteln kann sich allein schon aus der Fortsetzung der gegenwärtigen Trends ergeben. Sollten wir einen abrupten Klimawechsel erleben, wäre es möglich, dass sich ein nahezu ewiger, trostloser Winter auf die Städte Europas und im Osten Nordamerikas legt, der das Getreide umbringt und Häfen, Straßen und menschliche Körper gleichermaßen tiefgefriert. Vielleicht würde auch extreme Hitze aufgrund eines gigantischen CO2oder Methanausstoßes die Produktivität der Meere wie des Landes zerstören. So groß sind die Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, dass ich glaube, es gibt ausreichend Beweise, um Lovelocks Gedanken zu unterstützen, dass der Klimawandel, indem er unsere Städte zerstört, durchaus das Ende unserer Zivilisation bedeuten kann. Die Menschheit als solche würde einen solchen Zusammenbruch natürlich überleben, denn die Leute würden in kleineren, robusteren Gemeinschaften wie Dörfern oder Farmen weitermachen – also in Situationen, die eher an Laubwälder gemäßigter Zonen erinnern als an Regenwälder. In Kleinstädten leben relativ wenig Menschen, genau wie in gemäßigten Wäldern relativ wenig Arten gedeihen, und die Bewohner beider sind zäh und vielseitig. Denken Sie nur an den Ahorn mit seiner skeletthaften Winterform und seiner saftig grünen sommerlichen Erscheinung oder an das Bauernhaus mit eigener Zisterne und einem Gemüsegarten. Diese Charakteristika bedeuten, dass sowohl der Ahorn als auch die Bauernfamilie Zeiten des Mangels überstehen können, die eine Stadt oder einen Regenwald vernichten würden. Auch eine Kleinstadt muss sich wegen Dürre sorgen, aber wenn noch das kleinste bisschen Regen von dichten Dächern aufgefangen und in Zisternen gespeichert wird, nützt ihr selbst noch der kürzeste 237
Weissagen als Wissenschaft
Schauer etwas. Im Gegensatz dazu brauchen Stauseen eine Menge Niederschläge, damit das Wasser fließt, weil viel davon im Boden versickert. Ähnlich ist eine verspätete Brennstofflieferung oder ein Stromausfall für eine kleine Gemeinschaft lästig, aber die Auswirkungen auf sie sind nichts im Vergleich zu dem Dilemma, vor dem Hochhausbewohner einer Großstadt stünden. Auf lange Sicht wüssten jedoch auch mittelgroße Städte nicht, wie sie ihre komplexe Infrastruktur – beispielsweise medizinische Versorgung und Fuhrpark – aufrechterhalten sollen. Letztlich hängen sie genauso von unserer Zivilisation ab wie die Großstadtbewohner, was bedeutet, dass die von einem Klimawandel herbeigeführten harten Zeiten auch sie treffen würden. Wir haben gesehen, dass die sichere Versorgung der Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und medizinischen Dienstleistungen bereits von dem bescheidenen Klimawandel bedroht wird, zu dem es schon gekommen ist. Wenn wir in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts so weitermachen wie bisher, wird meiner Überzeugung nach der Zusammenbruch der Zivilisation aufgrund des Klimawandels unausweichlich. Seit einigen Jahrzehnten wissen wir, dass der Klimawandel, den wir dem 21. Jahrhundert bescheren, von vergleichbarer Größenordnung ist wie der am Ende der letzten Eiszeit, nur dass er dreißigmal schneller erfolgt. Wir wissen, dass der Golfstrom mindestens dreimal am Ende der letzten Eiszeit versiegte, dass der Meeresspiegel um mindestens 100 Meter stieg und die Biosphäre der Erde gründlich umorganisiert wurde; und wir wissen, dass vor dem langen Sommer, der vor 10 000 Jahren begann, Landwirtschaft unmöglich war. Es gibt also wenig Grund dafür, dass wir die Augen verschließen, außer vielleicht, dass wir nicht bereit sind, solchem Horror ins Gesicht zu blicken und zu sagen: »Du bist meine Schöpfung.«
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IV MENSCHEN IN TREIBHÄUSERN
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EIN KNAPPES RENNEN Würde Chlor sich chemisch wie Brom verhalten, wäre das Ozonloch in den siebziger Jahren ein globales, ganzjähriges Phänomen gewesen, nicht nur ein Vorkommnis im antarktischen Frühling. Mehr aufgrund von Glück als von Klugheit hat sich diese katastrophale Situation nicht entwickelt. Paul Crutzen, Nature, 2002
Während des gesamten Jahres 2004 steckte die Menschheit in einem hoffnungslosen Schlamassel, als sie versuchte, auf die Krise des Klimawandels zu reagieren. Das Schicksal des Kyoto-Protokolls hing in der Schwebe, da man in Russland überlegte, ob man es ratifizieren solle oder nicht (man tat es), während in den USA und Australien sich der Widerstand gegen die Vereinbarung verhärtete. Es war eine deprimierende Zeit, um ein Buch wie dieses zu schreiben. Dann fand ich heraus, dass die Welt schon vor rund 20 Jahren eine Generalprobe für Kyoto samt Stolpersteinen und allem anderen abgehalten hatte. Das war das Protokoll von Montreal, mit dem die Emission von Chlorfluorkohlenstoffen (CFKs), die die Ozonschicht zerstören, begrenzt werden sollte. Ehe wir über die globale Reaktion auf den Klimawandel nachdenken, lohnt es sich, sich eingehender mit den CFKs und der internationalen Vereinbarung zu beschäftigen, mit der man der Bedrohung, die sie für das Leben auf der Erde darstellen, entgegentreten wollte. Ozon, eine besondere Form von Sauerstoff, wurde in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts im Labor entdeckt, und um 1850 fand man heraus, dass es auch natürlicherweise in der Atmosphäre vorkommt. Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurden überall in Europa Messungen in Bodennähe durchgeführt, und es ist interes241
Menschen in Treibhäusern
sant, dass die 1873 in Paris verzeichneten Mengen ungefähr halb so groß waren wie heute. Das ist für den globalen Anstieg des Ozons in Bodennähe symptomatisch, wo es als ernst zu nehmender Giftstoff gelten muss. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erkannten Gordon Dobson von der Oxford University und sein Mitarbeiter F. A. Lindeman (später Lord Cherwell), dass das Ozon eine wichtige Rolle in der Stratosphäre spielt, und bis auf den heutigen Tag wird der Ozongehalt der Atmosphäre in Dobson-Einheiten gemessen. 1948 wurde eine Internationale Ozonkommission einberufen, die das Gas untersuchen sollte. Bis dahin war Ozonforschung nur aus rein wissenschaftlicher Neugier betrieben worden, denn niemand hatte eine Ahnung, dass es die Zukunft der Menschheit beeinflussen könnte. 1957 dann – im so genannten Internationalen Geophysikalischen Jahr, als die Regierungen der Welt eine Milliarde Dollar für die Erforschung der irdischen Prozesse ausgaben – begann man mit ständigen Ozonmessungen. Die ersten Anzeichen eines Problems tauchten in den siebziger Jahren auf, als die Messwerte für die Ozonkonzentration in der Stratosphäre über der Antarktis erstmals entschieden merkwürdig aussahen. Die Instrumente verzeichneten einen Ozonverlust von phänomenalem Tempo: 1955 enthielt die Luft über der Antarktis 320 Dobson-Einheiten. 1975 waren es noch 280 Dobson-Einheiten, 1995 lediglich 90. Angesichts der relativen Stabilität der Ozonwerte, die von anderen Orten gemeldet wurden, erschienen die Messwerte so bizarr, dass sie ein lebenswichtiges Jahrzehnt lang auf irgendeine Art von Instrumentenfehler zurückgeführt wurden. Doch schon 1974 argumentierten drei Wissenschaftler – Paul Crutzen, F. Sherwood Rowland und Mario Molina –, dass der Rückgang real sei und der Grund dafür menschengemachte Chemikalien seien. 1995 wurde diesen dreien für ihre Pionierarbeit der Chemie-Nobelpreis verliehen. Als die Presse erstmals darüber berichtete, wurde das »Loch in der Ozonschicht« gelegentlich humorvoll dargestellt – als hätten die Wissenschaftler Angst, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Selbst für Sherwood Rowland hatten seine düsteren Forschungsergebnisse etwas Irreales. Später erinnerte er sich: »Ich kam eines Abends nach Hause und sagte zu meiner Frau: ›Die Arbeit kommt gut voran, aber es sieht nach dem Ende der Welt aus.‹« 242
Ein knappes Rennen
Ein »Loch« in der Ozonschicht wird als ein Bereich der Atmosphäre mit weniger als 220 Dobson-Einheiten Ozon definiert. Bis zum Jahr 2000 war das Loch zu einem Abgrund von 28 Millionen Quadratkilometern Fläche geworden, und ringsherum hatte sich ein Hof ausgedünnten Ozons ausgebreitet, der den größten Teil des Globus unterhalb von 40° südlicher Breite überspannte. In den neunziger Jahren war ein zweites Loch aufgetaucht, diesmal über der Ark1 tis. Selbst über den Tropen war die Ozonkonzentration um rund sieben Prozent vermindert. Was genau ist Ozon, und warum ist es wichtig? Der Sauerstoff, der Ihren Körper am Leben hält, besteht aus zwei miteinander verbundenen Sauerstoffatomen, aber hoch oben in der Stratosphäre, zehn bis 50 Kilometer über unseren Köpfen, zwingt die Ultraviolettstrahlung gelegentlich ein zusätzliches Sauerstoffatom, sich dem Duo anzuschließen. Diese dreiatomigen Moleküle ergeben ein himmelblaues Gas, das Ozon heißt. Ozon ist instabil, denn immer wieder geht das zusätzliche Atom verloren, aber das Sonnenlicht erschafft ständig neue Trios, also bleibt die Menge in einer unbeschädigten Stratosphäre konstant – rund zehn Teile pro Million (eines von jeweils 100 000 Molekülen). Ozon kommt in der Stratosphäre sechsmal häufiger vor als auf Meereshöhe, aber wenn man das gesamte Stratosphärenozon des Planeten auf Normalnull herunterholte, würde es eine bloß drei Millimeter dicke Schicht bilden. Wenn der große Luftozean der Kreislauf der Erde ist, dann ist das Ozon ihr Sonnenschutz. Zweiatomiger Sauerstoff blockiert Ultraviolettstrahlung (UV) von Wellenlängen unter 0,28 Mikrometer, Ozon aber kann UV-Wellenlängen zwischen 0,28 und 0,32 Mikrometer abhalten. Die Ozonschicht schützt uns vor rund 95 Prozent der zur Erde gelangenden UV-Strahlung (das heißt, Strahlung von Wellenlängen kürzer als 0,4 Mikrometer). Ohne den sehr hohen Sonnenschutzfaktor des Ozons würde die Ultraviolettstrahlung einen schnell umbringen, die DNS zerreißen und andere chemische Bindungen in den Zellen aufbrechen. Die Zerstörung der Ozonschicht begann lange, bevor irgendjemand etwas davon wusste. Fluorchlorkohlenwasserstoffe (so die Sammelbezeichnung für CFKs und FKWs) waren von der chemischen Industrie 1928 erfunden worden, und man fand sie für Kühl243
Menschen in Treibhäusern
zwecke, für die Herstellung von Styropor, als Treibgase in Spraydosen und in Klimaanlagen sehr nützlich. Ihre bemerkenswerte chemische Stabilität (sie reagieren nicht mit anderen Substanzen) wiegte die Leute in Sicherheit, dass sie nur geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben würden, und so waren sie der Industrie hoch willkommen. 1975 schleuderten allein die Spraydosen 500 000 Tonnen des Zeugs in die Atmosphäre, und 1985 betrug der globale Verbrauch der Haupttypen von CFKs 1 800 000 Tonnen. Gerade ihre Stabilität war jedoch der entscheidende Faktor bei den von ihnen angerichteten Schäden, denn sie hielten sich sehr lange in der Atmosphäre. CFKs verdampfen leicht, und wenn sie in den großen Luftozean gelangen, dauert es rund fünf Jahre, bis die Strömungen sie in die Stratosphäre transportiert haben, wo die UV-Strahlung sie langsam aufbricht und das in ihnen enthaltene Chloratom freigesetzt wird. Dieses Chlor der CFKs baut das Ozon ab – ein einziges Atom kann 100 000 Ozonmoleküle zerstören –, und seine vernichtende Wirkung erreicht bei Temperaturen unter –43 °C ihr Maximum. Deshalb zeigte sich das erste Ozonloch über dem Südpol, wo die Stratosphäre eisige –62 °C kalt ist. Im Vergleich dazu ist die Stratosphäre über dem Nordpol mit –42 °C ein lindes Lüftchen, und deshalb dauerte es länger, bis das Chlor hier so viel Ozon abgebaut hatte, dass sich ein »Loch« bildete. James Lovelock – der Urheber der Gaia-Hypothese, in diesem Fall aber ein selbständiger Wissenschaftler, der unabhängig von Institutionen arbeitet – erfand die Maschine, mit der man CFKs in der Atmosphäre aufspürt. Weil er für das Projekt keine finanzielle Unterstützung bekam, bastelte er sich das Gerät in seiner Garage aus Ersatzteilen, und dann nahm er es auf eine Antarktis-Kreuzfahrt mit. Trotz zahlreicher Messungen fand Lovelock so minimale Mengen der Chemikalien in der Atmosphäre, dass er zunächst glaubte, seine Arbeit sei sinnlos. Erst 1973 wurde infolge eines Zufallstreffens mit einem gewissen Dr. Machta in einer Kaffeepause während einer Konferenz die wahre Bedeutung seiner Befunde enthüllt. Dr. Machta war Chemiker und arbeitete für DuPont – die Firma, die die meisten CFKs herstellte –, und eine rasche Überschlagsrechnung zeigte, dass die von Lovelock gemessene Gesamtkonzentration 244
Ein knappes Rennen
zwar winzig war, aber trotzdem der Menge fast aller je produzierten CFKs entsprach. Das Zeug verschwand einfach nicht, und das brachte Dr. Machta dazu, Lovelocks Befunde mit anderen Chemikern zu diskutieren, zu denen auch Dr. Mario Molina gehörte, der 2 den Zusammenhang zwischen CFKs und Ozon entdeckte. Molina fand heraus, dass CFKs das Chlor-Niveau in der Stratosphäre auf das Fünffache seines herkömmlichen Normalwerts angehoben hatte. Das war schlimm genug, aber es war nur das Glück der Ahnungslosen, dass unsere Welt nicht schon vor gut 30 Jahren in eine weit schwerere Umweltkrise schlitterte – vielleicht eine, die schon damals zum Zusammenbruch der Zivilisation geführt hätte. Das hätte passieren können, wenn die Industriechemiker Brom statt Chlor genommen hätten. Brom und Chlor sind für vielerlei Zwecke austauschbar, und die Tatsache, dass Chlor häufiger eingesetzt wird, ist größtenteils auf wirtschaftliche Erwägungen zurückzuführen, denn Brom ist teurer (und reaktiver) als Chlor, und hinzu kommt noch, dass man pro ein3 gesetztem Gramm Brom weniger Fluorkohlenwasserstoff bekommt. Zwar verbleibt Brom bloß ein Jahr in der Stratosphäre – statt fünf Jahre wie Chlor –, dafür zerstört Brom aber fünfundvierzigmal effizienter die Ozonschicht, und es hätte die kostbaren zehn Teile Ozon pro Million so schnell zerrissen, dass der Sonnenschutz der Erde vernichtet worden wäre, noch ehe Sherwood Rowland seine nobelpreiswürdige Entdeckung hätte machen können. Wie knapp die Welt einem solchen Schicksal entkommen ist, kann man daran ermessen, welchen Gebrauch Industriechemiker bereits von Brom gemacht hatten. In den achtziger Jahren wurden (Luft holen!) Bromtrifluormethan und Bromchlordifluormethan – unter den Handelsnamen Halon-1301 und Halon-1211 – vielfach in Feuerlöschsystemen verwendet, vor allem in Kunstgalerien und Museen, wo Wasser Schäden anrichten würde. Weil diese Chemikalien zehnmal wirkungsvoller Ozon zerstören als die CFKs, wurden sie vom Montreal-Protokoll verboten, aber Brom wird noch immer infolge menschlicher Aktivitäten in die Atmosphäre freigesetzt, größtenteils von in der Landwirtschaft eingesetzten Pestiziden. Was hätte also passieren können, wenn BFKs und nicht CFKs in 245
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den Augen der Industrie Gnade gefunden hätten? Eine Ahnung von den Schäden, zu denen es möglicherweise gekommen wäre, bekommt man, wenn man sich anschaut, was die CFKs heute anrichten. Infolge des Lochs, das sie in die Ozonschicht gerissen haben, kommt es bei den Menschen, die südlich des 40. Breitengrades leben, zu einem dramatischen Anstieg der Hautkrebsfälle. Punta Arenas in Chile liegt auf 53° südlicher Breite und ist die südlichste Stadt der Erde. Seit 1994 sind hier die Hautkrebsraten um 66 Prozent in die Höhe geschossen. Selbst in den niedrigeren Breiten – dichter an den großen Zentren der Menschheit – sind die Veränderungen bei den Krebsfällen offensichtlich. In Amerika beispielsweise lag die Wahrscheinlichkeit, ein Melanom zu bekommen, vor gerade mal 25 Jahren bei eins zu 250. Heute beträgt sie eins zu 84. Ultraviolettstrahlung schädigt auch die Augen, und solche Erkrankungen nehmen ebenfalls zu. Wissenschaftler schätzen, dass die Menschen – und alle anderen Kreaturen mit Augen – pro einem Prozent Rückgang der Ozonkonzentration eine Zunahme des Grauen Stars um 0,5 Prozent erleben werden. Da 20 Prozent aller Fälle von Grauem Star auf UVSchädigung zurückzuführen sind, wird die Anzahl der durch Grauen Star Erblindeten schnell steigen, vor allem bei jenen, die nicht die Mittel haben, sich zu schützen. Eine dritte wichtige Auswirkung auf die menschliche Gesundheit rührt daher, dass UV-Strahlung das Immunsystem schädigen kann. Dies wird sich als Verschlechterung des generellen Gesundheitszustands in den betroffenen Bevölkerungsteilen manifestieren. Bei verwundbaren Gruppen wie beispielsweise den Inuit sind solche Auswirkungen bereits zu spüren. Nicht nur Menschen werden von der UV-Strahlung geschädigt, die Folgen der steigenden Belastung werden sich im gesamten Ökosystem zeigen. Die mikroskopisch kleinen pflanzlichen Einzeller, die die Basis der ozeanischen Nahrungskette bilden, werden davon genauso in Mitleidenschaft gezogen wie die Brut vieler Fische von Anchovis bis zu Makrelen. Faktisch ist alles gefährdet, was sich in freier Natur bewegt, und eine überzeugende neue Untersuchung zeigt, wie diese Gefahr anwächst (bis auf 90 Prozent Mortalität), wenn zugleich die 4 Wassertemperaturen steigen und die Salinität zunimmt. Viele im Meer lebende Spezies sind so verwundbar, dass sie ohne stratosphärisches Ozon rasch verschwinden würden, was einen Zu246
Ein knappes Rennen
sammenbruch des ozeanischen Ökosystems auslösen würde. Wir haben bereits gesehen, wie außerordentlich empfindlich Amphibienlarven auf gestiegene UV-Werte reagieren. Doch ihr Schicksal ist bloß ein Frühsymptom für das, was an Land passieren mag, denn alle natürlichen Ökosysteme sind verwundbar. Auch die Landwirtschaft könnte den UV-Folgen nicht entkommen. Die Ernteerträge von Erbsen und Bohnen beispielsweise gehen um ein Prozent pro zusätzlichem Prozent UV-Strahlung zurück. Hätten die Menschen Brom billiger oder im Umgang leichter handhabbar befunden als Chlor, dann hätten wir sehr wahrscheinlich schon zu der Zeit, da Paul Crutzen und seine Kollegen ihre Entdeckungen machten, unter zuvor unbekannten Zahlen von Krebserkrankungen, Erblindungen und Tausenden anderer Gebrechen gelitten, unser Lebensmittelnachschub wäre zusammengebrochen, und auf unsere Zivilisation an sich wären unerträgliche Belastungen zugekommen. Und wir hätten keinerlei Ahnung von der Ursache gehabt, bis es zum Reagieren zu spät gewesen wäre. Ein Jahrzehnt nachdem Crutzen und sein Team den Zusammenhang von CFKs und Ozonrückgang veröffentlicht hatten, verschlimmerte sich das Problem weiter, aber die Wissenschaftler waren nicht in der Lage, positive Beweise auf den Tisch zu legen, dass Crutzen mit seiner Annahme Recht hatte. Doch die möglichen Folgen des Ozonschwunds waren derart, dass Farbbilder des Ozonlochs, die weltweit über die Fernsehschirme flimmerten, Tausende von Menschen davon überzeugten, dass Handeln Not tat, wenn auch nur als Vorsichtsmaßnahme. Politiker wurden mit Briefen bombardiert, in denen ein Verbot der Chemikalien gefordert wurde. Die Firma DuPont war für den größten Teil der CFK-Produktion verantwortlich, und in einem Gegenschlag lancierten sie und andere Hersteller massive PR-Kampagnen, die darauf abzielten, den damals noch nicht gut belegten Zusammenhang zwischen ihren Produkten und dem Problem in Misskredit zu bringen – und sie punkteten damit, denn die Wissenschaft war noch immer unfähig, einen letztgültigen Beweis für die schädlichen Wirkungen von CFKs vorzulegen. Doch die besorgte Öffentlichkeit ließ sich nicht beschwichtigen, und trotz des Protestgeheuls der Industrie wegen der Kosten trafen sich 1985 in Wien die Vertreter von 20 Ländern und unterzeichneten 247
Menschen in Treibhäusern
die Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht. Wie heute das Kyoto-Protokoll wurde das Dokument als »hilfloser Ausdruck der 5 Hoffnung« bezeichnet. 1987 jedoch, als der wissenschaftliche Beweis für den Zusammenhang zwischen CFKs und dem Ozonabbau verkündet wurde, führte die Vereinbarung zum Protokoll von Montreal, mit dem die Regierungen der Welt sich dazu verpflichteten, die schädlichen Chemikalien nach und nach abzuschaffen. Heute wissen wir, wie viel von der erfolgreichen Verabschiedung des Montreal-Protokolls abhing. Wäre es nicht in Kraft getreten, würden bis zum Jahr 2050 die mittleren Breiten der Nordhalbkugel (wo die meisten Menschen leben) die Hälfte ihres UV-Schutzes verloren haben, die entsprechenden Breiten der Südhalbkugel sogar 70 Prozent. Wie sich herausstellte, hatte bis zum Jahr 2001 das Protokoll die realen Schäden auf rund ein Zehntel dieser Werte begrenzt. Seit seinem In-Kraft-Treten wurde das Protokoll zweimal verschärft – 1990 und 1992. Und es mag verrückt klingen, aber die Reduktion der CFKs brachte den betroffenen Firmen und der Weltwirtschaft sogar noch Nettoeinsparungen. Es ist kaum zu glauben, dass Regierungsvorschriften gut für die Wirtschaft sind, aber man betrachte, wie Nortel, ein US-amerikanisches Telekommunikationsunternehmen, von der Regulierung profitierte. Es hatte die Chemikalien Ende der achtziger Jahre als Reinigungsmittel eingesetzt und war nun gezwungen, eine Million US-Dollar in neue Geräte zu investieren; aber als die neu konstruierten Reinigungssysteme erst einmal installiert waren und arbeiteten, sparten sie vier Millionen US-Dollar ein, die zuvor als Entsorgungskosten für chemische Abfälle und beim 6 CFK-Einkauf angefallen waren. Darüber hinaus brachte die zeitige Umsetzung der Vorschriften zur Reduktion von CFK-Emissionen durch die Vereinigten Staaten amerikanischen Firmen bei der Einführung alternativer Chemikalien einen Vorsprung gegenüber dem Rest 7 der Welt. Wie im Fall von Kyoto hielten sich ursprünglich nicht alle Staaten an das Montreal-Protokoll. China produziert sogar noch immer CFKs und vergiftet mit ihnen wohl noch bis 2010 die Umwelt, dann muss es vertragsgemäß damit aufhören. Trotz solcher Ausnahmen markiert das Protokoll von Montreal aber einen richtungsweisenden Moment in der gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit, denn 248
Ein knappes Rennen
es steht für den ersten Sieg, den die Menschen über eine Form globaler Umweltverschmutzung errungen haben. Heute regt sich Hoffnung, dass wir dieses eine Problem gelöst haben, denn im Jahr 2004 schrumpfte das Ozonloch über der Antarktis um 20 Prozent. Weil die Größe des Lochs von Jahr zu Jahr schwankt, können wir nicht sicher sein, ob dieser Rückgang schon die Lösung des Problems signalisiert. Nichtsdestotrotz sind die Wissenschaftler optimistisch, dass in 50 Jahren die Ozonschicht wieder ihre ursprüngliche Stärke haben wird. Es wäre ein verzeihlicher Fehler zu glauben, dass sich die Staaten der Erde angesichts eines so verblüffenden, durchschlagenden Erfolgs auf die Chance gestürzt hätten, den Klimawandel mit ähnlichen Mechanismen anzugehen. Und zunächst begeisterte man sich ja auch sehr für einen internationalen Vertrag zur Beschränkung von Treibhausgas-Emissionen. Was ist also passiert?
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DER WEG NACH KYOTO Gerade unter den Nationen, die sich für die zivilisiertesten halten, die bekunden, sich von den Naturgesetzen leiten zu lassen, und die sich der großartigsten Fortschritte in den Wissenschaften rühmen, finden wir die größte Apathie und die größte Ruchlosigkeit, was das ständige Verschmutzen dieser wichtigsten aller Lebensnotwendigkeiten angeht ... Alfred Russel Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903
Das Kyoto-Protokoll ist vielleicht der umstrittenste internationale Vertrag, der je geschlossen wurde, was angesichts seiner bescheidenen Ziele wirklich sehr merkwürdig ist. Zwei gewichtige Gründe dafür sind die Wirtschaft und die Politik. In der entwickelten Welt wächst der Energieverbrauch nur noch um zwei Prozent oder weniger pro Jahr, und bei so niedrigen Wachstumsraten kann ein Sektor (beispielsweise Wind, Gas oder Kohle) nur noch zulegen, wenn er einem anderen etwas abnimmt. Darauf wird Kyoto einen großen Einfluss haben, und zwischen den möglichen Gewinnern und Verlierern wird es zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. Der Vertrag markiert auch eine große Kluft: Auf der einen Seite stehen die, die ihn für unentbehrlich halten, wenn die Erde überleben soll, auf der anderen Seite jene, die aus wirtschaftlichen und ideologischen Gründen strikt dagegen sind. Viele von dieser Gruppe glauben, das Kyoto-Protokoll sei wirtschaftlich ein Fehler und politisch 8 unrealistisch. Andere meinen, der ganze Klimawandel sei Quatsch. Während seiner langen Reifezeit hielt man das Kyoto-Protokoll 9 schon häufiger für tot oder wünschte es sich zumindest. Am 16. Februar 2005 jedoch, 90 Tage nachdem Russland es ratifiziert hatte 250
Der Weg nach Kyoto
(und damit die Anzahl der Unterzeichnernationen auf 55 erhöht hatte, sodass der Unterzeichner-Anteil an den Gesamtemissionen nun über 55 Prozent lag), trat das Protokoll in Kraft. Die USA, Australien, Monaco und Liechtenstein blieben außen vor, aber wie immer, wenn sich irgendein großer Wirtschaftsblock bildet, wird der Druck zum Beitritt jetzt immer stärker und unerbittlicher. Kyoto steht erst am Anfang, doch schon jetzt ist klar, dass der Vertrag in den kommenden Jahrzehnten auf sämtliche Länder Auswirkungen haben wird. Der Weg nach Kyoto begann 1985 mit einer wissenschaftlichen Konferenz im österreichischen Villach, bei der erstmals glaubwürdig das Ausmaß des drohenden Klimawandels abgeschätzt wurde. Im Juni 1988 schloss sich ein Treffen in Toronto an, das von 300 Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern aus 48 Ländern besucht wurde. Einen offiziellen Status genoss die Versammlung zwar nicht, aber sie wurde als »Aufruf zum Handeln« bekannt, die CO2-Emissionen bis 2005 um 20 Prozent unter den Wert von 1988 zu drücken. Auf globaler Ebene geschah nichts weiter, bis 1992 beim Umweltgipfel von Rio de Janeiro 155 Staaten die UN-Klimakonvention unterzeichneten, mit der festgelegt wurde, dass die Unterzeichnerstaaten bis zum Jahr 2000 ihre Emissionen auf das Niveau von 1990 zurückfahren würden. Dieses Ziel war im Nachhinein betrachtet verwegen optimistisch. Es folgten fünf Jahre langwieriger Verhandlungen, bis am 11. Dezember 1997 die Unterzeichner der Klimakonvention ein neues Einvernehmen herstellten, wie die Emissionen reduziert werden sollten. Dieses wurde als das Protokoll von Kyoto bekannt (weil die Verhandlungen in der gleichnamigen japanischen Stadt stattfanden), und zwei wichtige Dinge wurden darin geregelt: Zum einen wurden den Industrienationen Zielvorgaben bei den Treibhausgas-Emissionen gemacht, zum anderen wurden die Spielregeln für den Handel mit Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase festgelegt, der zu einem Geschäft im Gesamtvolumen von zehn Milliarden US-Dollar 10 werden soll. Nachdem alle Länder die Vereinbarung unterzeichnet hatten, war nur noch die Ratifizierung nötig, um sie in Kraft zu setzen. CO2 ist das bei weitem wichtigste Treibhausgas, und man muss 251
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sich das so vorstellen, dass durch Kyoto den Unterzeichnerstaaten sozusagen nationale Kohlenstoff-Etats zugewiesen werden und eine neue Währung entsteht – eine Art »Kohlenstoff-Dollar«; der Handel damit erlaubt den Industrieländern, die Emissionen kosteneffizient zu reduzieren. Das klingt nach einer vernünftigen Vorgehensweise, aber es dauerte nach der Unterzeichnung weitere sechs Jahre, bis Ende 2004 genügend viele Staaten den Vertrag ratifiziert und ihn damit zum Leben erweckt hatten. Die vernichtendste Kritik an Kyoto lautet vielleicht, dass das Protokoll ein zahnloser Tiger ist. Und das trifft unbestreitbar zu, denn der Klimawandel hat jetzt so viel Fahrt aufgenommen, dass das Ziel von Kyoto, die CO2-Emissionen um 5,2 Prozent zu reduzieren, kaum noch relevant ist. Nebenbei bemerkt, treiben es die, die dem Protokoll nicht beitraten, noch schlimmer: Die US-Kommission für Energiepolitik schlug die Annahme eines CO2-Handelsentwurfs vor, nach dem mit ihren eigenen Worten »die Vereinigten Staaten noch nicht einmal in die Nähe der Werte kämen, die ihnen vom Kyoto-Protokoll 11 vorgegeben würden«. Wenn wir unser Klima stabilisieren wollen, müssen die Ziele von Kyoto um das Zwölffache heraufgesetzt werden: Eine Reduzierung um 70 Prozent bis zum Jahr 2050 ist nötig, um das atmosphärische CO2 auf dem doppelten Niveau der vorindustriellen Zeit zu halten. Die Befürworter des Protokolls wissen jedoch, wie schwierig es gewesen ist, sich selbst auf einen zahnlosen Tiger zu einigen, und sie glauben, in diesem Stadium auf noch drastischere Einschnitte zu drängen, würde sich für den breiten, aber doch zerbrechlichen Konsens als fatal erweisen. Und mit dem Beispiel der Wiener Konvention über den Schutz der Ozonschicht im Hinterkopf glauben sie, dass Kyoto einen Dialog eröffnet, der sich zu Verhandlungen über wirklich Sinnvolles ausbauen lässt. Ein weiteres Problem sind die Kohlenstoff-Etats für die teilnehmenden Länder. Diese wurden in Bezug auf die Emissionswerte von 1990 festgesetzt und variieren zwischen 92 und 110 Prozent. Noch komplizierter wird die Sache, wenn man die Wirtschaftsentwicklung dieser Länder berücksichtigt, denn die osteuropäischen Staaten haben seit 1990 einen wirtschaftlichen Niedergang erlebt und produzieren jetzt 25 Prozent weniger CO2 als damals. Da ihre Kyoto-Kohlen252
Der Weg nach Kyoto
stoff-Etats aber nur acht Prozent unter ihrem Niveau von 1990 angesetzt wurden, haben sie wertvolle Kohlenstoff-Guthaben, mit denen sie Handel treiben können. Diese Guthaben, die nichts zur Verlangsamung des Klima wandeis beitragen, nennt man »heiße Luft«. Sie stellen eine erhebliche Geldverschwendung dar und verbauen Möglichkeiten, die Emissionen zurückzufahren. Dies ist ein zusätzlicher Streitpunkt, denn viele Ökonomen argumentieren, man solle den ehemals kommunistischen Staaten nicht einen stetigen Zustrom von Kohlenstoff-Dollar zugestehen, nur weil ihre Volkswirtschaften am Boden liegen. Für die erste Phase des Kyoto-Protokolls (2008 bis 2012) liegt der Kohlenstoff-Etat der Europäischen Union acht Prozent unter ihren Emissionen von 1990 und der der USA um sieben Prozent darunter. Der Etat Australiens hingegen liegt acht Prozent über den damaligen Werten (108 Prozent). Nur Island schnitt noch besser ab und bekam einen Zuwachs um zehn Prozent zugestanden (110 Prozent) – und auch Norwegen einen um ein Prozent. War das ein faires Verhandlungsergebnis, und wie kam es zustande? Einige behaupten, die unterschiedlichen Werte spiegelten die realen Kosten der betroffenen Nationen wider, während andere in ihnen politische Taschenspielertricks sehen. Bei diesen komplexen Fragen sind Details der Volkswirtschaften mit im Spiel, die den Rahmen dieses Buches bei weitem sprengen würden. Um zu verstehen, was da abgelaufen ist, können wir jedoch ein einziges, gut dokumentiertes Beispiel aufgreifen – die »Sonderbehandlung«, die Australien für sich herausgeschlagen hat –, von dem sich Teile in allen gemachten Zugeständnissen widerspiegeln. Pro Kopf hat Australien den höchsten Ausstoß von Treibhausgasen aller Industriestaaten – 25 Prozent mehr als die Vereinigten Staaten, wenn alle Quellen berücksichtigt werden –, und die Emissionen Australiens haben im letzten Jahrzehnt schneller zugenommen als die an12 derer OECD-Länder. In Kyoto argumentierte die australische Delegation, dies läge an den besonderen Umständen des Kontinents – unter anderem an einer übergroßen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, den Besonderheiten des Transport- und Verkehrswesens (ein großes, nur spärlich besiedeltes Land) und an einem energieintensiven Exportsektor. Das alles summiere sich, behaupteten die Delegier253
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ten, zu untragbaren Kosten bei der Einhaltung der Kyoto-Ziele, und daher müssten ihnen Zugeständnisse gemacht werden. In Australien wird 90 Prozent der Elektrizität aus Kohle erzeugt. Das ist jedoch alles andere als notwendig, sondern eine bewusste Entscheidung, denn Australien verfügt zugleich über 28 Prozent der weltweiten Uranvorkommen, über die geothermisch am besten zu nutzende Provinz der Welt und über Wind- und Sonnenenergieressourcen bester Qualität im Überfluss. Sorgen wegen des Klima wandels werden in Australien seit mehr als 30 Jahren laut, und die zunehmende Abhängigkeit des Landes von der Kohle, die es auch teuer macht, auf eine weniger kohlenstoffintensive Wirtschaftsweise überzugehen, sind im Nachhinein betrachtet auf wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen zurückzuführen. Sollte man ein Land dafür auch noch belohnen? Das Transportargument greift auch nicht sonderlich, denn Australien ist zwar riesig, seine Bevölkerung aber lebt überwiegend in Großstädten, sodass 60 Prozent der Transportenergie in städtischen Ballungsräumen verbraucht werden. Und was die energieintensive Exportindustrie angeht, steht Australien keineswegs anders da als Deutschland, Japan oder die Niederlande – die alle Kyoto nach13 drücklich unterstützen. Abhängigkeit von Kohle, Transportprobleme und ein verwundbarer Exportsektor laufen allesamt auf eines hinaus: Kosten. Und dem Australian Bureau of Agricultural and Resource Economics (ABARE) zufolge kämen mit Kyoto auf Australien substanzielle wirtschaftliche Belastungen zu. Mit seinem so genannten MEGABARE-Wirtschaftsmodell sagte das Büro voraus, das reale Bruttosozialprodukt Australiens würde um ein Viertel bis ein halbes Prozent pro Jahr zurückgehen, wenn man bei den Emissionen Einschnitte wie in Europa durchsetzte. Als schockierende Nachricht wurde dies vom damaligen Minister für Bergbau und Energie, Senator Warwick Parer, verkündet, der vor dem Parlament behauptete, das würde eine vierköpfige australische Familie »rund 7600 Dollar« pro Jahr kosten, was die Wähler niemals akzeptieren würden. Der Wirtschaftswissenschaftler John Quiggin von der Australian National University sah sich MEGABARE näher an und erkannte, das diese Darstellung verzerrt war. Er zeigte, dass bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum der australischen 254
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Wirtschaft um 3,5 Prozent im Lauf der kommenden Jahrzehnte sich die 7600 Dollar aus durchschnittlichen Familienausgaben ergäben, 14 die sich nach momentanem Geldwert auf 1,86 Millionen beliefen! Wenn das Land Kyoto ratifiziere, berechnete Quiggin weiter, würden die Australier auf eine Verdopplung ihres Prokopfeinkommens bis zum 1. März 2025 warten müssen statt bis zum 1. Januar dessel15 ben Jahres – eine Verzögerung um belanglose zwei Monate. Die MEGABARE-Ergebnisse, mit denen bei den Kyoto-Verhandlungen herumgefuchtelt wurde, widersprachen auch unzähligen Untersuchungen, die Australien lieber nicht verbreitete. Diese Studien gingen zwar von unterschiedlichen Grundannahmen aus, aber sie zeigten, dass Australien ohne irgendwelche Nettokosten seinen Energieverbrauch drosseln und die Kyoto-Ziele erreichen könnte. Als die MEGABARE-Studie immer misstrauischer beäugt wurde, kamen dank des australischen Gesetzes zur Informationsfreiheit Dokumente ans Licht, die zeigten, wie die sage und schreibe 400 000 Dollar teure Untersuchung finanziert worden war – vom Australian Aluminium Council, von Rio Tinto, Mobil und anderen Gleichgesinnten, die alle 16 einen Sitz im Leitungsgremium des Projekts bekamen. Die australische Regierung war so sehr gegen Kyoto, dass Senator Robert Hill (der als Umweltminister 1997 die Delegation geleitet hatte) klar war, nur ein Verhandlungsergebnis, das eindeutig zugunsten des Landes ausfiel, könnte Bestand haben. Beim festgesetzten Verhandlungsende war noch kein Kompromiss gefunden, und so wurden um Mitternacht die Konferenzuhren angehalten, während die Delegierten bis in die Morgenstunden debattierten. Als der Text ein letztes Mal verlesen wurde, stand Senator Hill auf und brachte ein neues Thema auf: Im Falle Australiens müssten die Rodungen berücksichtigt werden. Da Australien seine Wälder schütze, so seine Logik, lagere es CO2 ein. Dass die Rodungen seit dem Stichjahr 1990 zurückgegangen waren, ließ sich mit der »heißen Luft« der Osteuropäer vergleichen, und die australische Industrie hätte die Möglichkeit bekommen, weitgehend so weiterzumachen wie bisher. Angesichts des Problems, dieser Forderung entweder nachzugeben oder die Konferenz scheitern zu sehen, machten die Delegierten schließlich das 17 Zugeständnis. Bei seiner Rückkehr nach Australien applaudierte man Senator 255
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Hill im Stehen, aber dennoch weigert sich sein Land noch immer, Kyoto zu ratifizieren, und behauptet gleichzeitig, es würde die Ziele des Protokolls sowieso erreichen! Wenn Sie das verwirrend finden, wundern Sie sich nicht – dem Rest der Welt geht es genauso. Man kann sich über eine so egoistische, wirre Verhandlungsführung leicht aufregen, aber wir müssen berücksichtigen, dass das Ergebnis vielleicht sowieso nichts weiter als ein Preisbindungsabkommen war. Ohnehin droht Australien eine bittere Ernte einzufahren, denn seinen Aktienhändlern entgehen geschätzte 150 Millionen Dollar pro Jahr, weil an den australischen Börsen keine CO2-Emissionszertifikate gehandelt werden. Zu bedenken ist auch, dass Japan, das Kohle aus Australien bezieht, jetzt Zertifikate kaufen muss, um die Emissionen aus dem Verbrennen eben jener Kohle auszugleichen, und diese Kosten werden zweifellos an die australischen Bergwerke weitergegeben; weil Australien aber das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert hat, können hier keine Guthaben geschaffen werden. Stattdessen fließen die Erlöse aus den Zertifikaten einem dritten Land zu – vielleicht Neuseeland. Was lässt sich alles in allem also über die Kohlenstoff-Etats sagen, die nach dem Kyoto-Protokoll den Unterzeichnerstaaten zugeteilt werden? Vielleicht, dass sie weder gerecht noch fair sind. Aber sie wurden nun einmal so vereinbart, und folglich wäre jede Debatte über ihre Ausgewogenheit akademischer Natur. Erst wenn die Vereinbarungen greifen und man daran geht, sich zur Verabredung zukünftiger Ziele zu treffen, wird es Gelegenheit geben, sie zu revidieren. Des weiteren kritisierten Kyoto-Gegner die Lebensfähigkeit des Kohlenstoff-Dollars. Man könnte vorbringen, dass die Erschaffung einer neuen globalen Währung von oben nach unten zu riskant ist, um akzeptabel zu sein. Schließlich ist Vertrauen das Fundament jeder Währung – in diesem Fall das Vertrauen, dass der Verkäufer von Kohlenstoff-Guthaben alles Erforderliche tun wird, um die entsprechenden Kohlenstoff-Emissionen zurückzufahren. Was für wirkliche Garantien aber haben wir, dass Wälder gepflanzt und gepflegt werden oder umweltschädliche industrielle Infrastrukturen zerschlagen werden, wenn Kohlenstoff-Guthaben verkauft werden? Selbst mit gutem Willen auf allen Seiten können solche Programme scheitern, 256
Der Weg nach Kyoto
weil Staaten wie Russland, wo die Guthaben vielleicht ausgegeben werden, nicht über die Rechts- und Verwaltungsinstitutionen verfügen, die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen. Die Befürworter der neuen Währung argumentieren, dass die Schaffung eines Kohlenstoff-Dollars zwar große Risiken mit sich bringt, der mögliche Nutzen aber noch größer ist, weil der Kohlenstoff-Handel die Kosten zur Einhaltung der Emissionsziele drastisch 18 senken kann. Und als Mittel zur Reduktion der Umweltverschmutzung hat der Handel mit Emissionen eine Erfolgsbilanz vorzuweisen. Das System wurde 1995 in den Vereinigten Staaten erfunden, um der Umweltverschmutzung mit Schwefeldioxid aus der Kohleverbrennung zu begegnen. Es erwies sich als enorm erfolgreich und wurde 19 seither für eine ganze Reihe von Umweltgiften übernommen. Beispielsweise setzte die Chicago Climate Exchange, ein freiwilliges Handelsprojekt, das an der Entwicklung der Schwefeldioxid-Märkte beteiligt war, in den ersten sechs Monaten des Kohlenstoff-Handels 20 (bis zum 1. Juni 2004) mehr als eine Million Tonnen CO2 um. So funktioniert der Emissionshandel: Für die Freisetzung des umweltschädlichen Stoffs wird eine Genehmigung bindend vorgeschrieben, und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Genehmigungen wird beschränkt. Dann werden die Genehmigungen proportional an die Umweltverschmutzer verteilt, oder sie werden versteigert. Umweltverschmutzer, denen es hohe Kosten verursachen würde, ihre Emissionen zu reduzieren, werden sich dann Genehmigungen von denen kaufen, die den Wechsel leichter schaffen. Zu den Vorteilen des Systems zählen seine Transparenz, die einfache Verwaltung, die auf Marktpreisen basierenden davon ausgesandten Signale (die strukturelle Anpassungen fördern), die Aussichten auf neue Arbeitsplätze und Produkte und die geringeren Kosten der Reduktion von Umwelt21 giften. Es gibt zwei Möglichkeiten, die neue Währung einzuführen: Von oben nach unten oder von unten nach oben, und die Kyoto-Unterzeichner haben sich für das Vorgehen von oben nach unten entschieden. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden klar, wenn wir uns ansehen, wie ähnlich ehrgeizige Pläne umgesetzt wurden. Die Europäische Union beispielsweise hat den Euro erst dann von oben nach unten durchgesetzt, als sie eine starke Zentralbank als 257
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Währungshüterin und ein konsequentes Regelwerk geschaffen hatte, das einzuhalten vielen europäischen Ländern Schwierigkeiten bereitet. Im Gegensatz dazu wurde das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von unten nach oben aufgebaut – als eine Reihe von bilateralen Abkommen zwischen einander vertrauenden Partnern, die unter einem multilateralen Dach zusammengeführt wur22 den. Einige Wirtschaftsexperten argumentieren, dieses Vorgehen würde zu einem stabileren Kohlenstoff-Dollar führen. Sie stellen sich vor, eine Kohlenstoff-Währung aus einer Reihe von Abkommen zwischen einander vertrauenden Partnern aufzubauen, und wie im Fall der Welthandelsorganisation (WTO) könnten neue Partner hinzukommen, wenn sie sich als vertrauenswürdig erwiesen haben. Das Vorgehen von unten nach oben hat viele, ihm eigene Vorzüge, aber es gibt zwei gute Gründe, warum man das nicht probieren sollte. Der Erste ist die Zeit. Es dauerte 50 Jahre, bis das GATT stand, und wir haben im Fall des Kohlenstoff-Dollars alles andere als Zeit. Der Zweite ist, dass bereits so viel Aufwand zur Schaffung eines Kohlenstoff-Dollars von oben nach unten betrieben worden ist. Jetzt noch daran etwas ändern zu wollen, könnte den momentan einzigen globalen Mechanismus im Kampf gegen den Klimawandel zerstören. Ein letztes Thema muss angesprochen werden: die Bandbreite des Vertragswerks. Im Vorfeld von Kyoto zeigten sich die Amerikaner sehr besorgt, dass die Entwicklungsländer von den unmittelbaren Einschränkungen ausgeschlossen bleiben sollten. Es stimmt zwar, dass die Emissionen vieler Entwicklungsländer nicht begrenzt wurden, aber fairerweise muss man auch sagen, dass Schwellenländer wie die Ukraine, die Tschechische Republik, Bulgarien und Rumänien einbezogen wurden. Die Ausnahmeregelung für Entwicklungsländer, behaupteten die Amerikaner, würde diesen einen unfairen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen. Am 25. Juli 1997 verabschiedete der US-Senat einstimmig eine Resolution, derzufolge er jeden Vertrag ablehnen werde, der nicht »neue, spezifisch terminierte Verpflichtungen zur Begrenzung oder Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen für Entwicklungsländer innerhalb derselben Frist« vorsehen 23 würde. Trent Lott, Senator aus Mississippi, brachte die Stimmung im Senat auf den Punkt, als er verkündete: »Was würden die Entwicklungsländer beitragen? Was würden unsere Nachbarn in Me258
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xiko tun müssen, um die globale Erwärmung zu stoppen? Nichts. Was ist mit den anderen so genannten Entwicklungsländern wie Korea, China, Indien und Brasilien? Die entlässt der Vertrag aus der 24 Verantwortung.« Solche Ansichten sind wichtig, denn sie sind der offizielle Grund, warum die größte Volkswirtschaft der Welt sich weigert, Kyoto zu ratifizieren, und ohne ein Engagement der USA wird sich der Vertrag in nur geringem Maße auf den Klimawandel auswirken können. Mit seiner Rede appellierte Senator Lott an einen der niedersten Instinkte der Menschheit: Die Angst davor, von anderen betrogen zu werden. Lassen es sich die Entwicklungsländer wirklich auf unsere Kosten gut gehen? Einige Experten glauben, es gäbe gute Gründe, diese Länder aus der ersten Runde herauszuhalten. Vor allem gilt hier das Prinzip des Naturrechts: Die entwickelte Welt hat zum allergrößten Teil das heutige Problem herbeigeführt, also sollte sie auch den größten Teil der Last tragen. Und dann gibt es noch das Beispiel, wie erfolgreich die Protokolle von Montreal bei der Eindämmung der CFKs waren. Anfangs waren Entwicklungsländer auch noch nicht dazu verpflichtet. Aber das Protokoll erwies sich als ein hervorragendes Mittel, um gegen die Ozonlochgefahr vorzugehen. Was die Nichtverpflichtung der Entwicklungsländer angeht, ist man sowohl in den USA als auch in Australien sehr besorgt, dass Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Die Aluminiumindustrie ist am 25 leichtesten verwundbar, wenn die Stromkosten steigen. Mit aller Entschlossenheit wirken Lobbys bei Regierungen daraufhin, mehr Kohlekraftwerke zu bauen, um Elektrizität zu Tiefstpreisen zu bekommen. Aber selbst das reicht nicht. Australische Familien bezahlen zwölf bis 20 Cent pro Kilowatt Elektrizität, die Aluminiumhütten hingegen nur zwei Cent, was heißt, dass mit einem erheblichen Anteil der Stromrechnungen von uns allen unmittelbar die Aluminiumin26 dustrie subventioniert wird. Angesichts so ungerechter Verzerrungen muss man sich fragen, ob der Export solcher Industriezweige für die Umwelt oder für die Volkswirtschaft wirklich so schlecht wäre. Abgesehen davon ist es dringend erforderlich, von den Aluminiumhütten einen angemessenen Preis für ihre Elektrizität zu verlangen, weil sonst die Kräfte des freien Marktes sie nie dazu zwingen, ihre Emissionen einzugrenzen. Angesichts der manifesten Probleme von 259
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Kyoto scheint es am besten zu sein, Kohlendioxid-Emissionen direkt am Schornstein zu besteuern, aber diese einfache und wirkungsvolle Lösung findet weder in Australien noch in den USA Unterstützung. Es ist überaus wichtig zu begreifen, dass das Kyoto-Protokoll momentan der einzige internationale Vertrag zur Bekämpfung des Klimawandels ist. Allen, die Kyoto aufgeben wollen oder kritisieren, muss man zwei Fragen stellen: Womit sollte man Ihrer Meinung nach Kyoto ersetzen? Und was schlagen Sie vor, um ein internationales Abkommen über Ihre Alternative sicherzustellen?
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KOSTEN, KOSTEN, KOSTEN Es ist unvorstellbar, dass die Menschheit mit all ihren noblen Errungenschaften, mit ihren Hoffnungen und ihrem guten Willen dem Aufschrei der Klimagemeinschaft gegenüber gleichgültig sein wird. Der Kampf um die Wiederherstellung des Klimas wird sicherlich an mehreren Fronten geführt werden müssen, und dabei muss sichergestellt werden, dass die Klimasysteme sich wieder stabilisieren ... Am allerwichtigsten aber ist, dass wir bedingungslos unsere Haltung ändern und bereit sind, bescheiden und realistisch zu leben – um einer Zukunft willen, die nicht die unsere ist, sondern die wir uns von künftigen Generationen geborgt haben. Yadowsun Boodhoo, Präsident der World Meteorological Organization Commission of Climatology, World Meteorological Organization Bulletin, 2003
Die Regierungen sowohl der USA als auch Australiens sagen, sie würden sich Kyoto wegen der untragbaren Kosten verweigern. Eine starke Wirtschaft, glauben sie, biete die beste Versicherung gegen alle zukünftigen Schocks, und beide zögern, irgendetwas zu unternehmen, das das Wirtschaftswachstum bremsen könnte. Man sollte meinen, dass dieser Haltung eine gründliche Kostenanalyse der Ratifizierung im Vergleich zur Nichtratifizierung zugrunde läge. Aber nichts dergleichen ist geschehen. Stattdessen hat ein breites Spektrum von Interessengruppen erheblich voneinander abweichende Schätzungen produziert, und diese haben die Debatte geprägt. Nehmen wir nur den Kostenvoranschlag, den William Lash vom Center for the Study of American Business ausgearbeitet hat. Lash sagt, die Ratifizierung würde zu einem Rückgang von fünf bis zehn Prozent bei den Lohnerhöhungen, zu einer Steigerung der häuslichen Energiekosten um 86 Prozent, zu einem Einkommens Verlust 261
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der amerikanischen Durchschnittsfamilie von 2700 US-Dollar und zu einem fünfundzwanzigprozentigen Rückgang beim Privatverbrauch von fossilen Energieträgern (das entspräche der permanenten Einstellung allen Verkehrs auf Straßen, Schienen, Meeren und in der Luft) sowie zu einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produkti27 onskosten um zehn bis 20 Milliarden US-Dollar führen. Das US Departement of Energy sieht im Fall von Kyoto ebenfalls hohe Kosten auf das Land zukommen – rund 378 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Regierung Clinton aber kalkulierte nur mit einem guten Vierhundertstel des Betrags – einer Milliarde Dollar pro Jahr. Auf der anderen Seite argumentieren einige – darunter eine Koalition von Interessengruppen –, die Ratifizierung könnte sogar positive wirtschaftliche Folgen zeitigen. Sie behaupten, die USA könnten dem Abkommen beitreten und trotzdem die Energierechnungen um 530 28 Dollar pro Jahr und Haushalt senken. Auch einige Industrievertreter rechnen mit nur geringen Kosten. Adair Turner, ehemaliger Generaldirektor der Confederation of British Industry, stellte fest: Wenn erneuerbare Energieträger beispielsweise dreimal so viel kosten wie momentan die fossilen und das Land sich bis 2050 auf eine primär erneuerbare Basis umstellte, würde das britische Nationaleinkommen in jenem Jahr um bloß vier Prozent reduziert werden. Das jährliche Wachstum würde von heute bis zu jenem Zeitpunkt um bloß ein Zehntel Prozent gekürzt – was bedeutet, wir würden im Jahr 2052 den Lebensstandard 29 erreichen, den wir sonst schon 2050 hätten.
In Australien zeigte die Aliens Consulting Group 2003 in ihrem »Sustainable Energy Jobs Report«, dass bei einem klugen Politikmix, zu dem auch Strategien zur Energieeinsparung und ein vernünftiges Nachfragemanagement zählen, sich der Aufbau eines erneuerbaren Energiesektors unter dem Strich wirtschaftlich positiv auswirken und 30 in ländlichen Gegenden neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Und anhand einer Analyse des Fünf-Sterne-Energiebewertungssystems für Häuser im Bundesstaat Victoria konnte sie nachweisen, dass die Wirtschaft erheblichen Nutzen daraus ziehen könnte, wenn die Investitionen von der Energieversorgung auf die Verbesserung der 31 Energieeffizienz umgeschichtet werden. 262
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In Anbetracht solcher Schätzungen, die vom praktischen Staatsbankrott bis zu einer gesamtwirtschaftlich positiven Bilanz reichen, stellt sich die Frage, wie intelligent ein Leser ohne wirtschaftswissenschaftlichen Abschluss sein muss, um die Wahrheit herauszufinden. Es gibt glücklicherweise einen überprüfbaren Anhaltspunkt, der uns allen zugänglich ist – die Erfahrungen der Vergangenheit. Der Wirtschaftsexperte Eban Goodstein hat eine detaillierte Analyse früherer Hochrechnungen von Reglementierungskosten für ein ganzes Spektrum von Industriezweigen vorgelegt. Goodstein zeigte, dass in sämtlichen Fällen die Schätzungen im Vergleich zu den tat32 sächlich angefallenen Kosten stark überhöht waren. Seine Beispiele reichen vom Asbest bis zum Vinyl, und mit Ausnahme eines einzigen Beispiels beliefen sich die Schätzungen der aus Reglementierungen resultierenden Kosten auf mindestens das Doppelte der tatsächlichen Ausgaben, und in einigen Fällen waren sie noch stärker aufgebläht. Diese Inflation geschätzter Kosten war stets und ständig festzustellen, egal ob die Industrie selbst oder ein unabhängiger Sachverständiger die Arbeit gemacht hatte, was auf eine systematische Fehlerquelle schließen lässt. Goodstein argumentiert, der Grund für diese Diskrepanz sei, dass es Wirtschaftsexperten schwer falle, die innovativen Wege vorweg zu nehmen, die die Industrie einschlägt, um neue Vorschriften einzuhalten. In einigen Fällen warfen Firmen die alten Verfahrenstechniken insgesamt über Bord und entwickelten neue, kostengünstigere; in anderen bauten sie ihr gesamtes Geschäftsfeld radikal um. Im Gegensatz dazu gehen Hochrechnungen davon aus, dass die Industrie weitermacht wie gewohnt und sich zusätzliche Kosten aufbürden muss. Goodsteins Analyse der projizierten im Vergleich zu den realen Kosten von Umweltschutzmaßnahmen liefert noch ein weiteres interessantes Ergebnis. Laut seiner Untersuchung war der Umfang der Maßnahmen fast stets unterschätzt worden – in einigen Fällen sogar erheblich –, was einen auf die Frage bringt, ob Wirtschaftsexperten, die solche Berechnungen anstellen, in Umweltfragen so ignorant sind oder, noch schändlicher, gegen den Umweltschutz voreingenommen sind. Erkenntnisse wie die Goodsteins haben andere Wirtschaftsexperten, beispielsweise William Nordhaus von der Yale und Dale Jörgen263
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son von der Harvard University, argumentieren lassen, dass die zur Einhaltung der Kyoto-Ziele in der ersten Runde (bis 2012) nötigen Emissionseinsparungen nur bescheiden sein werden. Das sollte uns in der Ansicht bestärken, dass bei einer Einhaltung von Kyoto – und sogar bei noch weitergehenden Emissionskürzungen – unsere Staaten nicht Bankrott gehen werden. Auf lange Sicht könnte es unseren Volkswirtschaften sogar gut tun, Investitionen in neue Infrastrukturen umzuleiten. Die Kosten der Zielvorgaben stellen aber nur die Hälfte der Gleichung dar, denn um über Kyoto – oder noch radikalere Vorschläge – wirklich rational entscheiden zu können, müssen wir auch die Kosten des Nichtstuns kennen. Weder die amerikanische noch die australische Regierung hat sich bis jetzt dieser Mühe unterzogen, obwohl Einrichtungen der Vereinigten Staaten Daten gesammelt haben, die einige Hinweise liefern, wie diese Kosten aussehen könnten. Das National Climatic Data Center listet 17 Naturereignisse zwischen 1998 und 2002 auf, die jedes für sich mehr als eine Milliarde Dollar kosteten. Dazu zählen etwa Dürre, Überschwemmungen, Waldbrände, Tropenstürme, Hagelschläge, Tornados, Hitzewellen, Eisstürme und Hurrikane; das teuerste Ereignis war mit Kosten von 33 zehn Milliarden Dollar die Trockenheit von 2002. Da liegt der Schluss nahe, dass gegen den Klimawandel nichts zu unternehmen so hohe Kosten verursachen wird, dass das Versäumnis, sie nicht zu kalkulieren, die ganze Argumentation als moralisch bankrott dastehen lässt. Im Lauf der letzten vier Jahrzehnte ist die Versicherungsbranche unter den Verlusten infolge von Naturkatastrophen immer wieder ins Wanken geraten; die El-Niño-Folgen 1998 sind dafür ein gutes Beispiel. Paul Epstein von der Harvard Medical School hat ausgerechnet, dass sich allein in den ersten elf Monaten dieses einen Jahres die vom Wetter verursachten Schäden auf insgesamt 89 Milliarden beliefen. Zudem starben 32 000 Menschen und weitere 300 Millionen wurden obdachlos. Das war mehr als alle Verluste in den achtziger 34 Jahren zusammengenommen. Seit den siebziger Jahren sind die Versicherungsschäden um jährlich rund zehn Prozent gestiegen, 1999 lagen sie bei 100 Milliarden Dollar. Verluste dieser Größenordnung bedrohen unser Wirtschafts264
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System in der Substanz, denn eine jährliche Zunahme der Schäden um zehn Prozent heißt, dass sich die Gesamtrechnung alle sieben bis acht Jahre verdoppelt. Eine solche Steigerungsrate bedeutet, dass um 2065 oder kurz darauf die aus dem Klimawandel resultierenden Schäden dem Gesamtwert von allem, was die Menschheit im Lauf 35 eines Jahres produziert, entsprechen werden. Bezeichnend für die steigenden Versicherungskosten ist die Situation der Hausbesitzer in Florida. Da extreme Wetterverhältnisse zunehmen, müssen sie mittlerweile bei witterungsbedingten Versicherungsfällen einen »Eigenanteil« von rund 100 000 Dollar selbst bezahlen. Sowohl die Versicherungswirtschaft als auch die Klimatrends legen den Schluss nahe, dass Hausbesitzer anderenorts, deren Eigenanteil bei witterungsbedingten Schäden jetzt vielleicht noch ein paar hundert Dollar beträgt, bald mit Tausenden oder Zehntausenden von Dollar Eigenanteil rechnen müssen. Dass die Rechnungen immer höher ausfallen, liegt größtenteils an den Gesetzen der Physik. Nehmen wir beispielsweise die Sturmfolgen. Steigt bei Stürmen die Windgeschwindigkeit von 40 bis 50 Knoten (ungefähr 75 bis 90 Stundenkilometer) auf 50 bis 60 Knoten (90 bis 110 Stundenkilometer), erhö36 hen sich die Gebäudeschäden um 650 Prozent. Ähnlich eskalieren die Verluste bei extremen Naturereignissen wie Hurrikanen, Waldbränden, Überschwemmungen und Hitzewellen. Da den Prognosen zufolge all diese Ereignisse zunehmen werden, ist ein rapider Anstieg der Versicherungsbeiträge unvermeidlich. Selbst wenn die Kosten nicht um zehn Prozent pro Jahr zunehmen würden, bliebe das Problem ein substanzielles. Die Münchener Rück, der größte Rückversicherer der Welt (Rückversicherer versichern die Versicherungsunternehmen und beeinflussen damit die Versicherungsbeiträge), schätzte im Jahr 2001, dass sich bis 2050 die aus dem Klimawandel resultierenden globalen Schäden auf über 500 Milliarden Dollar belaufen könnten. Selbst angesichts solch eher konservativer Schätzungen bezweifeln Versicherungsmanager, ob ihre Firmen 37 die an sie gestellten Ansprüche noch viel länger befriedigen können. Die Rückversicherer wehren sich, indem sie die Berufshaftpflichtversicherungen von Geschäftsführern davon abhängig machen, wie diese sich bei der Reduktion von Treibhausgas-Emissionen engagieren. Am 7. Mai 2003 schrieb Jeffrey Ball im Wall Street Journal: 265
Menschen in Treibhäusern Angesichts möglicher Prozesse von Anteilseignern gegen industrielle Verursacher von Treibhausgasen hat die Schweizerische RückversicherungsGesellschaft, die zweitgrößte der Branche, angekündigt, man überlege, angefangen bei den Haftpflichtpolicen der Direktoren und leitenden Mitarbeiter, Unternehmen die Deckung zu verweigern, wenn man zu dem Schluss kommt, dass diese nicht genug tun, um ihre Freisetzung von 38 Treibhausgasen zu reduzieren.
Christopher Walker, Abteilungsdirektor bei der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, sagte dem Wall Street Journal: »Ein Zurückfahren der Emissionen wird erforderlich sein. Das ist ziemlich 39 klar.« Anhänger des freien Marktes haben vorgeschlagen, die Regierungen sollten sich aus der Reglementierung der Treibhausgase heraushalten, weil die Marktkräfte schon dafür sorgen werden, dass die Industrie freiwillig ihre Emissionen reduziert. Trotz der Anstrengungen der Rückversicherer spricht zweierlei deutlich gegen diese Überzeugung. Erstens sehen wir in der wirklichen Welt kaum Anzeichen dafür, dass dies passiert. Zweitens sollte man überlegen, wie diese »Lösung« wohl funktionieren sollte, wenn man sie auf das Steuerwesen übertrüge. Warum sollte bei etwas, das letztlich auf eine KohlenstoffSteuer hinausläuft, Freiwilligkeit besser funktionieren? Da so viele Analysen zeigen, dass immer mehr Treibhausgas-Emissionen unsere Erde ernstlich bedrohen und die Kosten für die Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen offensichtlich gering sind, muss man abermals fragen, warum die USA und Australien sich der Ratifizierung so sehr widersetzen. Ein Teil der Antwort, glaube ich, ist in den unterschiedlichen Philosophien dieser beiden Länder einerseits und Europas andererseits zu finden. Die Vereinigten Staaten und Australien wurden von Pionieren aufgebaut, und die Bürger beider Staaten glauben fest an die Segnungen immer währenden Wachstums und ständiger Expansion. Infolgedessen haben beide große Einwanderungsprogramme (die Zahl der australischen Emigranten hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen) und damit im Vergleich zu Europa ein starkes Bevölkerungswachstum – und das führt zu enormen Schwierigkeiten, die vom Kyoto-Protokoll verlangten Emissionskürzungen einzuhalten.
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Ob Australien eine Einwanderungspolitik verfolgt, die die Bevölkerungszahl stabilisiert, oder eine, die zu einem Wachstum um 70 000 Einwohner jährlich führt, wird 2020 dann einen Unterschied von 65 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bei den landesweiten Emissionen ausmachen. Faktisch ist das angestrebte Bevölkerungswachstum vermutlich der größte Einzelfaktor, warum Australien die Kyoto-Ziele nicht einhalten kann, und es ist auch der Hauptgrund, warum das Land Zugeständnisse verlangt. Anders ausgedrückt: Kyoto stellt die Philosophie infrage, die Gesellschaften wie der amerikanischen oder der australischen zugrunde liegen, welche sich an den Mythos grenzenlosen Wachstums klammern. Die Menschheit zögert aber auch noch aus anderen Gründen, den Klimawandel anzugehen. Würden Wissenschaftler die sofortige Rückkehr der Eiszeiten vorhersagen, dann würden wir mit mehr Nachdruck reagieren, dessen bin ich mir sicher. »Weltweite Erwärmung« erzeugt die Illusion einer komfortablen, warmen Zukunft, die sehr attraktiv ist, denn im Grunde sind wir eine tropische Spezies, die bis in den letzten Winkel des Globus vorgedrungen ist und lange die Kälte als größten Feind hatte. Von Anfang an haben wir Unbequemlichkeit, Krankheit und Tod mit Kälte assoziiert, Wärme aber mit allem Gutem – Liebe, Komfort und Leben an sich. Unsere evolutionäre Reaktion auf die bedrohliche Kälte sieht man am deutlichsten bei jungen Menschen. Aus gefrorenen Teichen gezogene Kinder lebten noch Stunden, nachdem sie hineingefallen waren, weil ihre Körper im Verlauf der Jahrtausende Abwehrmaßnahmen gegen die ständige Gefahr des Erfrierens ausgebildet haben. Und natürlich tun auch Mütter, selbst in unseren modernen Zeiten, alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Nachwuchs vor Kälte zu schützen. Doch in der heutigen Welt kann diese Einstellung gefährlich werden, denn in den Industrieländern ist der plötzliche Kindstod eine viel größere Gefahr als das Erfrieren, und in vielen Fällen hat das ungewollte Überhitzen von Babys dazu beigetragen. Ein Kind zum Schlafen auf den Rücken zu legen, reduziert das Risiko des plötzlichen Kindstods, der Grund dafür war jedoch bis vor kurzem unklar. Physiologen glauben mittlerweile, ein Hauptfaktor sei, dass Wärme viel leichter von der Brust und dem Bauch abgegeben wird als vom Rücken, und wenn das Kind auf dem Bauch liegt, wird die Wärmeabgabe ver267
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schlechtert. Auch Halsentzündungen sind mit dem plötzlichen Kindstod in Zusammenhang gebracht worden, denn wie jede bakterielle Infektion führen sie zu Fieber, was die Hitzeschutz-Mechanismen des Kindes weiter belastet. Unsere tief verwurzelte psychische Weigerung zu glauben, Wärme könnte etwas Schlechtes sein, macht es möglich, dass wir uns über das Wesen des Klimawandels täuschen. Diejenigen, die diesen blinden Fleck der Menschen ausgenutzt haben, haben viele Leute – selbst gut gebildete – in Verwirrung gestürzt. Die Folge ist eine ungesunde, in einigen Fällen sogar korrupte Beziehung zwischen Regierung und Industrie. Und in diesen Sumpf müssen wir uns jetzt stürzen.
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WER IM TREIBHAUS SITZT, SOLLTE NICHT LÜGEN Der Teufel kann sich auf die Schrift berufen. Ein arg Gemüt, das heil’ges Zeugnis vorbringt, Ist wie ein Schalk mit Lächeln auf der Wange, Ein schöner Apfel, in dem Herzen faul. O wie der Falschheit Außenseite glänzt! William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig
In den USA und besonders bei der zweiten Regierung Bush und ihren Förderern aus der Industrie regt sich der Widerstand gegen die Reduktion von Treibhausgasen am heftigsten. Der amerikanische Energiesektor wird dominiert von etablierten, finanziell bestens ausgestatteten Firmen, die ihren Einfluss dazu nutzen, Bedenken wegen des Klimawandels zu zerstreuen, ihre Widersacher zu vernichten und sich jedem Schritt in Richtung effizienterer Energienutzung zu widersetzen. Dass die USA in den siebziger Jahren bei der Energieeinsparung, der Photovoltaik und der Windkraftnutzung die innovativen Weltmarktführer waren, heute aber Nachzügler sind, bezeugt den Erfolg der Kampagnen. Man kann kaum überschätzen, welche Rolle diese Industriebetriebe dabei gespielt haben, im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte die Welt von ernsthaften Maßnahmen gegen den Klimawandel abzuhalten. Diese Kämpfe werden ebenso sehr auf dem Schlachtfeld der öffentlichen Meinung und der politischen Manöver hinter verschlossenen Türen ausgetragen wie an der Börse, und die Industriepropaganda ist größtenteils sehr clever. Im öffentlichen Bewusstsein sind die Gefahren eines Klimawandels nun schon seit mehreren Jahrzehnten prä-
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sent. Bereits 1977 titelte die New York Times: »Wissenschaftler befürchten, dass vermehrter Kohleverbrauch das Klima nachteilig ver41 ändert.« Doch erst Ende der achtziger Jahre – als das Protokoll von Montreal zeigte, dass man schädliche Emissionen reduzieren kann, und die Notwendigkeit der Reduktion von Treibhausgasen klar wurde – begann die Industrie mit ihrem Propagandakrieg. Mit als Erste zogen die amerikanischen Kohleproduzenten in die Schlacht. Fred Palmer, damals Chef von Western Fuels (heute Vizepräsident von Peabody, dem weltgrößten Kohleproduzenten), startete eine Kampagne, bei der er – offensichtlich aus persönlicher Überzeugung – behauptete, dass es der Erdatmosphäre »an Kohlendioxid mangelt« und mehr davon zu produzieren in ein Zeitalter des ewigen Sommers führen würde. Nicht viel anders, als würde der Vorstandsvorsitzende einer Rüstungsfirma argumentieren, ein Atomkrieg wäre gut für den Planeten, wollte Western Fuels dazu beitragen, eine Welt zu erschaffen, deren Atmosphäre rund 1000 Teile CO2 pro Million 42 enthält. Palmers Ansichten bildeten die Grundlage für das Propagandavideo The Greening of Planet Earth, dessen Produktion eine viertel Million Dollar kostete und das den Plan verbreitete, die Welt mit CO2 zu »düngen«, um die Ernteerträge um 30 bis 60 Prozent zu steigern und damit dem Hunger global ein Ende zu machen. Während Wissenschaftler über so absurde und schamlose Behauptungen nur lachen konnten, wurden große Teile der Öffentlichkeit in die Irre geführt. The Greening of Planet Earth zirkulierte 1992 im Vorfeld des Rio-Umweltgipfels in Washington, und zu den Zuschauern zählten der erste Präsident Bush und sein Stabschef John Sununu. Ross Gelbspan, ehemaliger Herausgeber des Boston Globe und Autor eines Buches über die Motive und die industrielle Unterstützung der Klimawandel-Skeptiker, fand heraus, dass das Video in Washington deutliche Wirkung zeigte. Es sei, behauptet er, Sununus »Lieblingsfilm« gewesen, und James Watkins, Energieminister von Bush senior, zitierte es in Interviews über den Klimawandel als glaubwürdige 43 Quelle. Mit der Wahl von George W. Bush bekamen die Lobbyisten der fossilen Brennstoffe noch mehr Einfluss, und sie schafften es, Vorgänge innerhalb der Bundesbürokratie und auch die Auswahl wissen270
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schaftlicher Berater zu beeinflussen. Im Juni 2005 enthüllte die New York Times, auf welche Weise das unter anderem geschieht. Philip A. Cooney, Berater Bushs und ein die Reglementierung von Treibhausgasen bekämpfender Ölindustrie-Lobbyist, entfernte oder veränderte Ergebnisse der Klimaforschung, die Regierungswissenschaftler und ihre Vorgesetzten (einschließlich höherer Vertreter der Regierung Bush) bereits gutgeheißen hatten. Viele von Cooneys Änderungen tauchten in den abschließenden Berichten auf, und alles in allem bewirkten sie, dass die Besorgnis wegen des Klimawandels be44 schwichtigt wurde. Laut der jüngsten Zählung waren es ein Dutzend wichtiger Berichte über den Klimawandel, die vom Weißen Haus verändert, unterdrückt oder verworfen wurden; dazu zählten eine zehnjährige, wissenschaftlich überprüfte Untersuchung des IPCC, die noch von Bush senior in Auftrag gegeben worden war, Studien der National Academy of Sciences, der National Oceanic and 45 Atmospheric Administration und der NASA. Im September 2002 veröffentlichte das Weiße Haus einen Jahresbericht der Umweltschutzbehörde, in dem der gesamte Abschnitt über den Klimawandel getilgt worden war. Dass in der US-Regierung so viele mit dem Unsinn sympathisieren, den Fred Palmer und seinesgleichen in die Welt setzen, spiegelt nicht notwendigerweise die Intelligenz der Beteiligten, sondern vielmehr deren Käuflichkeit wider. Im Jahr 2000 spendeten Kohlefirmen 20 Millionen Dollar für die Republikaner, und seither haben sie noch einmal 21 Millionen draufgelegt, was sicherstellt, dass die Industrie zu Vizepräsident Cheney und seinem geheimen Energieausschuss Zu46 gang hat wie nie zuvor. Quin Shea, ein Lobbyist des Edison Electric Institute, berichtete 2001 hinter verschlossenen Türen, die Regierung Bush versuche, »auf Biegen und Brechen mehr Kohle zu verbrennen ... Die Kohle ist unser Freund«, und um das tun zu können, würde sie die Vorgaben des Gesetzes über saubere Luft und sauberes Wasser kippen. Darin sei diese Regierung so gut, wie die Industrie sich nur wünschen könne, witzelte Shea, denn es könne ja einige Zeit dauern, ehe sie wieder einmal einen Präsidenten wie »Bush oder Attila, den 47 Hunnen« bekommt. Versuche der Wirtschaft, die Politik zu beeinflussen, beschränken sich nicht auf die USA. Australien ist der weltweit größte Kohleex271
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porteur, und auch in diesem Land waren die Geschäftemacher aktiv. Rio Tinto, die weltgrößte Bergbaugesellschaft, besitzt australische Kohlegruben und verbraucht auch unendliche Mengen Energie für die Erzverarbeitung. Der Cheftechniker von Rio Tinto, Dr. Robert Batterham, wurde von der Regierung Howard zum australischen Chefwissenschaftler ernannt, und in dieser Funktion beriet er sie in Fragen wie beispielsweise dem Klimawandel. Was die Antipathie der australischen Regierung gegenüber der Reduktion von Emissionen angeht, war vielleicht die Ernennung von Senator Warwick Parer zu Howards Bergbau- und Energieminister im Jahr 1996 von noch größerer Bedeutung. Ehe er in die Politik ging, führte Parer die Geschäfte von Utah Mining, einem der größten Kohleproduzenten Australiens. In den australischen Senat kam er 1984, blieb aber Vorsitzender des Queensland Coal Mine Management, bis er Minister wurde. Im März 1998 kam heraus, dass er für zwei Millionen Dollar Aktien von drei Kohlegruben in Queensland besaß. Das war ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex für Minister, aber Parer (der seinen Pressereferenten feuerte, weil dieser Aktienbesitz nicht angegeben hatte) durfte seinen Stuhl behalten. Erst im Oktober desselben Jahres trat er still als Minister zurück, und im Februar 2000 verabschiedete er sich 48 auch aus dem Senat. Seinen Einfluss behielt er aber nach wie vor, denn die Regierung Howard beauftragte ihn anschließend, den Energiesektor zu überwachen. Aber nicht allein die Kohleindustrie hat die Gefahren des Klimawandels verzerrt dargestellt. Den größten Schaden richtete vielleicht die Global Climate Coalition an, eine Industrielobby, die 1989 von 50 Öl-, Gas-, Kohle-, Auto- und Chemiefirmen gegründet worden war. Während der elf Jahre ihrer Existenz spendete die Organisation 60 Millionen Dollar für politische Zwecke, und noch viel mehr Millionen gab sie für Propaganda aus. Der erklärte Zweck der Global Climate Coalition bestand darin, »Zweifel an der Theorie der globalen 49 Erwärmung zu erwecken«. Sie streute Skepsis und falsche Informationen, wo immer sie konnte, und zu den erfolgreich von ihr verbreiteten Schreckensmeldungen zählte die Behauptung, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel den Benzinpreis in den USA um 50 Cent pro Gallone (knapp vierzehn Cent pro Liter) hochtreiben würden. Ihre Glanzleistung war jedoch ihr Beitrag dazu, dass 1992 beim Umwelt272
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gipfel in Rio keine effizienten Maßnahmen beschlossen wurden, um alle Menschen vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Als sich die wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel zu häufen begannen, überdachten einige Mitglieder den Daseinszweck der Global Climate Coalition. DuPont trat 1997 aus: Vermutlich hatte die Firma aus den Erfahrungen mit dem Montreal-Protokoll gelernt, dass Umweltschutzvorschriften gut fürs Geschäft sein können. Ein paar Monate später verabschiedete sich auch BP. Kurz nach dieser Entscheidung sagte der BP-Vorstandsvorsitzende Lord Browne of Madingley: »Was den Klimawandel angeht, sind wir sozusagen aus der Kirche ausgetreten. Und es ist fast unglaublich, wie viel Unterstützung wir innerhalb der Firma für die von uns eingenommene Po50 sition erhalten haben.« Als auch noch Texaco die Global Climate Coalition verließ, brach sie im März 2000 auseinander; es waren nur noch so wenige Mitglieder verblieben, dass sie nicht mehr effizient arbeiten konnte. Bis zum bitteren Ende blieben unter anderem Exxon, Mobil, Chevron und General Motors. Die Webseite der Organisation ist jedoch immer noch aktiv, und sie ist mit irreführendem Material voll gestopft wie eh und je. Wenn ich sie aufsuche, verblüfft mich ihre Ähnlichkeit mit einem Dinosaurier, dessen Gehirn irreparabel geschädigt ist, der aber noch immer weitertaumelt und auf dem Weg zu seinem Grab Verwüstungen anrichtet. Wie gespalten die Industrie in der Frage des Klimawandels ist, zeigte sich Anfang 2000 im schweizerischen Davos, als Weltwirtschaftsführer erklärten, der Klimawandel sei die größte Bedrohung für die Welt. Später im selben Jahr ergab eine Umfrage unter Chefs der »Fortune 500«, dass 34 Prozent eine Ratifizierung des Kyoto51 Protokolls befürworteten und nur 26 Prozent dagegen waren. Allmählich zeigt auch die Industrie positive Reaktionen, so etwa eine Koalition sieben großer amerikanischer Energie- und Industrieunternehmen, die die Partnership for Climate Action ins Leben riefen, die sie alle dazu verpflichtet, ihre Emissionen unter die nationalen Zielvorgaben von Kyoto zu senken. Das sind ermutigende Nachrichten. Gleichzeitig sind aber weltweit reaktionäre Gruppen aus dem Boden geschossen, die die Lücke füllen, welche die Implosion der Global Climate Coalition hinterlassen hat. 273
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Eine der einflussreichsten ist die in Australien ansässige Lavoisier Group; sie wurde im April 2000 gegründet und hielt einen Monat später ihre erste Konferenz unter der Leitung von Peter Walsh ab, ehemals Finanzminister der Regierung Hawke. Die Eröffnungsrede hielt Hugh Morgan, damals Vorstandsvorsitzender der Western Mining Corporation, einer der größten Bergbaugesellschaften Australiens und jetzt Teil von BHP. Zu den zahlreichen ungeheuerlichen Behauptungen der Lavoisier Group zählt, dass es sich beim IPCC um eine trickreiche Verschwörung Hunderter von Klimaforschern handele, die ihre Ergebnisse fälschten, um ihre Forschungsgelder zu behalten. (Diese auf einzigartige Weise verlogene Behauptung scheint, nebenbei gesagt, ihren Widerhall bei Michael Crichton gefunden zu haben, in dessen Roman Welt in Angst sie ein wichtiges Thema darstellt.) Zu den diversen anderen Gruppierungen, die den Klimawandel anzweifeln, zählen Fred Palmers Greening Earth Society, Frontiers of Freedom (gegründet von dem republikanischen Senator Malcolm Wallop aus Wyoming), die Cooler Heads Coalition (die für die Webseite globalwarming.org verantwortlich ist), das Institute of Public Affairs (eine rechtslastige Denkfabrik in Melbourne) und das USamerikanische Science and Environment Policy Project, das lange Zeit Kontakte zu Fred Singer unterhielt, einem Mitglied von Sun Myung Moons Sekte. Eine kurze Google-Suche unter dem Stichwort »Klimawandel« fördert weitere Beispiele zu Tage, unter anderem »Mythen von der globalen Erwärmung« von www.biblebelievers.org.au und »Vergloballhornung Erwärmung« von Liberty Aus52 tralia. Bei beiden erfahren wir, dass die globale Erwärmung eine Ente sei, an die die meisten Wissenschaftler nicht glaubten, und dass »die dahinter stehenden Kräfte ... diesen Mythos im Sinn der He53 gel’schen Dialektik« einsetzen. So ein Kauderwelsch wird häufig benutzt, um den Laien, der das liest, zu verwirren, manchmal treiben es diese Gruppen aber noch viel wüster. Die »Leipziger Erklärung« ist dabei ein besonders interessanter Fall. Dieses von Fred Singer verfasste Dokument tauchte 1995 auf und trug angeblich die Unterschriften von 79 Wissenschaftlern führender Universitäten, die die Ansicht verträten, dass der Klimawandel keine Bedrohung darstelle. Nachforschungen ergaben je274
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doch, dass die Mehrheit der Unterzeichner gar keine Wissenschaftler 54 waren oder sie die Erklärung gar nicht unterzeichnet hatten. Skepsis ist ein unverzichtbares Element der Wissenschaft, wenn dahinter aber die Absicht steckt, in die Irre zu führen statt aufzuklären, haben wir es nicht mit Skepsis zu tun, sondern mit Betrug. Einige Industrieunternehmen, die Maßnahmen gegen den Klimawandel ablehnen, bedienen sich einer Taktik, die an jene der Asbestund Tabakfirmen erinnert, die ständig Forschungsergebnisse über den Zusammenhang zwischen ihren Produkten und Krebs in Zweifel zogen oder verheimlichten und sich damit erfolgreich ein paar weitere Jahrzehnte fetter Profite sicherten. Asbest und Zigaretten können Menschen töten, CO2-Emissionen aber bedrohen unseren Planeten. Die Fred Palmers dieser Welt haben sich bereits zwei Jahrzehnte fetter Profite gekauft, aber die Kosten sind für den Rest der Menschheit astronomisch. Ein weiteres Jahrzehnt solcher Profite könnte uns die Erde kosten. Verabschieden wir uns von diesem Katalog der Unverschämtheiten und wenden wir uns der Arbeit des Intergovernmental Panel on Climate Change zu. Das IPCC ist keine industrielle Interessengruppe oder Lobby. Es wurde 1988 gegründet und ist eine gemeinsame Tochter des UN-Umweltprogramms (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). An seiner Arbeitsweise zeigt sich, wie die Industrie mit Hilfe von Delegierten die lebenswichtige Tätigkeit der Organisation bremst und behindert. Der Third Assessment Report (TAR, »3. Lagebericht«) des IPCC wurde 2001 veröffentlicht; er beruht auf der Arbeit von 426 Experten, deren Schlussfolgerungen (zweifach) von 440 Gutachtern kontrolliert und von 33 Herausgebern überwacht wurden, ehe sie schließlich von Delegierten aus 100 Ländern gutgeheißen wurden. Wie Sie vielleicht vermuten, ist der Bericht so fade wie Spülwasser und beschränkt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Um zu begreifen, warum das so ist, muss man den modus operandi und die Mitglieder des IPCC kennen. Letztere setzen sich aus Wissenschaftlern, anderen Experten und Regierungsvertretern zusammen, und obwohl die Industrie selbst nicht direkt vertreten ist, verschafft sie sich mit Hilfe der Regierungsvertreter aus von fossilen Brennstoffen abhängigen Ländern wie etwa den USA oder jenen des Nahen Os275
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tens effizient Gehör. Die einzigartige Struktur des IPCC ermöglicht es diesen Delegierten, ungebührlich großen Einfluss zu nehmen, denn die Organisation verlangt Einstimmigkeit. Ende 2004 traf ich am Hadley Centre Wissenschaftler, die Mitglieder des IPCC waren. Sie berichteten von nervtötenden Tagen, an denen über vereinzelte, offensichtlich unwichtige Wörter oder Sätze gestritten wurde. Jedes Wort in den Mammutberichten dieser Organisation, versicherten sie mir, war diskutiert worden: Mit Saudi-Arabien, den USA und China – jeweils dem größten Ölexporteur, Ölverbraucher und Kohleverheizer der Welt –, die alle geflissentlich den Text zu verwässern und den Fortschritt zu bremsen versuchten. Jeremy Leggett, Zeuge der Verhandlungen, die zum Bericht von 2001 führten, berichtet, dass auf die Frage nach den Gründen für die verlangten Abänderungen der Vorsitzende der saudi-arabischen Delegation, Mohammed al-Sabban, antwortete: »Saudi-Arabiens Öleinnahmen machen 96 Prozent unserer Gesamtexporte aus. Solange es keinen eindeutigeren Beweis dafür gibt, dass Menschen etwas mit dem Klimawandel zu tun haben, werden wir nichts unterschreiben, 55 was auf eine Besteuerung von Öl hinausläuft.« Solche Einstellungen demoralisieren die engagierten Experten, die wissen, dass das Schicksal unseres Planeten auf dem Spiel steht. Im Endergebnis stellen die Erklärungen des IPCC keine Mainstream-Wissenschaft dar, noch nicht einmal gute Wissenschaft, sondern bloß die Wissenschaft des kleinsten gemeinsamen Nenners – und natürlich werden sie auch 56 noch im Gletschertempo verkündet. Doch trotz dieser Mängel haben die Berichte des IPCC, die alle fünf Jahre herauskommen, bei den Medien und Regierungen Gewicht, eben weil sie widerspiegeln, worüber Einigkeit besteht. Wenn das IPCC etwas verkündet, glaubt man es besser und denkt sich dabei, dass in Wirklichkeit die Lage höchstwahrscheinlich noch viel schlimmer ist. Was ist mit den Industrieunternehmen, die aktiv etwas gegen den Klimawandel tun? Als eines der Ersten brach BP mit der Global Climate Coalition, und Lord John Browne vertritt seit langem beim Klimawandel eine hellsichtige, leidenschaftslose Ansicht. Unter seiner Führung ist BP »Beyond Petroleum« gegangen. Das Unternehmen hat seine eigenen CO2-Emissionen um 20 Prozent reduziert – und damit Profit gemacht. BP zählt heute auch zu den weltweit größten 276
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Herstellern von Solarzellen. Lord Browne glaubt: »Die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen ist ein lösbares Problem, und es ist 57 jetzt an der Zeit, über die Debatte von Kyoto hinauszugehen.« Diese Entschlossenheit, dem Klimawandel deutlich die Stirn zu bieten, muss im umfassenderen Kontext des britischen Engagements für die Umwelt gesehen werden, und das beginnt mit James Lovelock. Als erfolgreicher, unabhängiger Gelehrter und Wissenschaftler nötigte Lovelock jenen Respekt ab, die die ganze Welt als freien Markt betrachten, und er war es, der Premierministerin Margaret Thatcher davon überzeugte, das Thema ernst zu nehmen. Lange bevor viele Umweltschützer sich des Klimawandels überhaupt bewusst wurden, riet Mrs. Thatcher zu einer Reduktion der CO2-Emissionen. Ihr Nachfolger Tony Blair gehört zwar zum anderen Flügel des politischen Spektrums, ist aber sogar noch aktiver geworden. Faktisch hat er von allen gegenwärtigen Politikern die wissenschaftlichen Zusammenhänge am besten begriffen. Kürzlich stellte er in einer Rede vor der britischen Industrie fest: Die Emission von Treibhausgasen ... führt zur globalen Erwärmung in einem Tempo, das zu Anfang signifikant war, dann alarmierend geworden ist und langfristig unerträglich wird. Und mit langfristig meine ich nicht kommende Jahrhunderte. Ich meine damit, bestimmt innerhalb der Lebensspanne meiner Kinder, möglicherweise innerhalb meiner eigenen. Und mit unerträglich meine ich nicht ein Phänomen, das Anpassungsprobleme aufwirft. Ich meine eine Herausforderung, die so weitreichende Folgen hat und deren zerstörerische Kraft so irreversibel ist, dass sie die menschliche Existenz radikal verändert ... Es kann keinen Zweifel geben, 58 dass jetzt die Zeit zum Handeln ist.
Im Jahr 2003 waren die britischen CO2-Emissionen um 14 Prozent unter den Wert von 1990 gefallen, sodass die geforderte Reduktion von 20 Prozent bis 2010 in Reichweite gerückt ist. Darüber hinaus ist die British Royal Commission on Environmental Pollution in ihrem Report on Energy zu dem Schluss gekommen, dass das Vereinigte Königreich seine Emissionen bis 2050 um 60 Prozent reduzieren muss, und das wird ernst genommen. Tony Blair sagte: »Im nachhaltigen Wachstum und im Übergang zu einer den Kohlenstoff reduzierenden Wirtschaftsweise liegen unermessliche geschäftliche Möglich277
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keiten.« Diese Ansicht bestätigen die 36 Prozent britischen Wirtschaftswachstums in derselben Zeit, in der die Emissionen um 15 59 Prozent zurückgingen. Wichtige Meilensteine dieser Entwicklung waren unter anderem die Einrichtung des Carbon Trusts (der Unternehmen hilft, ihren Energieverbrauch zu senken), die Verpflichtung der Stromversorger, 15,4 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen zu liefern, und erhebliche Investitionen in die Entwicklung von Wellen- und Gezeitenkraftwerken. Großbritannien denkt auch darüber nach, seine Kernkraftkapazitäten auszubauen, und da das Land Anfang 2005 den Vorsitz bei den G8 übernommen hat, hofft man, dass es weitere Initiativen zur Bekämpfung des Klimawandels geben wird. Im Januar 2005 gab Blair in Davos dem Weißen Haus zu verstehen, dass Bush, wenn er auf weitere Unterstützung für seinen Krieg gegen den Terror hoffen wolle, auch den Krieg gegen den Klimawandel unterstützen müsse. Überall auf der Welt nimmt die Mehrheit der Industrieunternehmen und Regierungen eine mittlere Position zwischen Bush und Blair ein, und eine große, wenn auch informelle Gruppe von Firmen verändert langsam ihre Einstellung. Selbst Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen Geschäfte machen, bestreiten nicht länger – wenigstens öffentlich – die Richtigkeit der Klimavorhersagen. Stattdessen aber versuchen sie die Öffentlichkeit zu beruhigen, dass das Thema nicht so dringlich sei. Es blieben der Welt noch mindestens 20 Jahre, behaupten sie, ehe man etwas ändern müsse, und bis dahin werden die Dinge schon begonnen haben, »sich von selbst zu bereinigen«. Einige argumentieren sogar, die Welt könne den Kuchen essen und ihn trotzdem behalten: Wir könnten all unsere fossilen Energieträger verbrennen und noch immer einen Klimawandel vermeiden. Von dieser Behauptung hängt viel ab, denn wenn sie sich als falsch herausstellt, dann ist jedes Kilo Kohlenstoff, das aus dem Boden geholt wird, angesichts des heutigen Technologiestands ein unwiderruflicher Schritt in Richtung auf ein feindseliges geologisches Zeitalter – eines, in dem die Zivilisation um ihr Überleben kämpfen wird. Jetzt ist es an der Zeit zu prüfen, wie sich die Industrie vorstellt, dass unser Kuchen zugleich gegessen und behalten werden kann, ohne dass wir vor einem Teller Mist sitzen bleiben.
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TECHNISCHE LÖSUNGEN? Wenn man sich all das betrachtet, besteht die einzige vernünftige Lösung darin, das CO2 aufzufangen, weil wir nur dann weiterhin fossile Energieträger verwenden können und trotzdem das Klima nicht schädigen ... Kohlenwasserstoff-Ressourcen lassen sich so in vollem Umfang nutzen. Sie können den Kuchen essen und behalten, wenn Sie so wollen. Dr. Philippe Lacour-Gayet, Vizepräsident von Schlumberger Ltd., vor dem Plenum der Petroleum Industry Conference 2004
Bis in die achtziger Jahre hatte das Problem der globalen Erwärmung so große Ausmaße angenommen, dass die Industrie und auch einige Wissenschaftler nach technischen Lösungen zu suchen begannen. Wir sprechen hier von einer Technik wahrhaft planetarischen Ausmaßes – die Kohlenstoffbalance der Erde zu verändern, betrifft alle lebenden Organismen –, und trotzdem wurden diese Techniken vorgeschlagen und getestet, ohne dass irgendeine globale Körperschaft diese Aktivitäten reglementiert und genehmigt hätte. Aus diesem Grund, aber auch weil sie tiefes Misstrauen gegen solche Lösungen hegen, reagierten die meisten Umweltgruppen auf jene Initiativen bestenfalls halbherzig. Alle würden jedoch zustimmen, dass wir vor einer schweren Krise stehen, deren Bewältigung vielleicht Heldenmut erfordert. Da viele dieser Projekte noch in der Testphase oder in der theoretischen Entwicklung sind, können wir hier nur die bis heute erzielten Fortschritte überprüfen, und damit fangen wir am besten im Südpolarmeer an. Eines der ehrgeizigsten Projekte zur Befreiung der Welt von überschüssigem CO2 sieht unter anderem vor, das Südpolarmeer mit Eisenspänen zu »düngen«. Dahinter steckt die Überlegung, dass der
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Nährstoff Eisen im Meerwasser nur spärlich vorkommt, und besonderer Mangel daran herrscht im Südpolarmeer. Experimente in verkleinertem Maßstab zeigen, dass eingestreute Eisenspäne das Wachstum des Planktons erheblich stimulieren, das dem Oberflächenwasser CO2 entzieht; und wenn das Plankton dann stirbt, nimmt es den Kohlenstoff mit in die Tiefen des Ozeans. Der Wind verteilt eisenhaltigen Staub aus den Wüsten in großen Mengen auf den Ozeanen, also wäre die Einbringung von Eisenspänen, argumentieren die Befürworter, nichts weiter als die Ausweitung eines natürlichen Vorgangs. Im April 2004 berichtete Ken Buesseler von der Woods Hole Oceanographic Institution zusammen mit Kollegen von den Ergebnissen 60 des Eisenexperiments im Südpolarmeer. Drei Schiffe verfolgten die Spuren des Kohlenstoffs in einem fünfzehn Quadratkilometer großen Meeresgebiet innerhalb des Südpolarkreises, das mit Eisen »gedüngt« worden war. Dieselbe Region war schon mehrmals zuvor mit Eisenspänen angereichert worden, und bei dem Experiment wurden sie im Verlauf von 17 Tagen an jedem vierten Tag eingebracht. Nach den früheren Düngungen war das Plankton gut gewachsen, es gab aber keine Anzeichen dafür, dass Kohlenstoff aus den Oberflächenschichten in den tieferen Ozean gelangt war, wo er gelagert werden würde. Das ist eine entscheidende Phase des Prozesses, denn solange das tote Plankton nicht absinkt, wird der von ihm absorbierte Kohlenstoff einfach wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Bei dem von Buesseler dokumentierten Experiment sank etwas Kohlenstoff in Tiefen von 50 bis 100 Metern; aber reichte die Menge aus, um die Kosten zu rechtfertigen? Buesseler und Kollegen stellen fest: »Auf einer Fläche von 1000 Quadratkilometern ... kommt es im Verlauf von 21 Tagen ... in 100 Metern [Tiefe] zu einer Zunahme um 1800 Tonnen Kohlenstoff als 61 Reaktion auf 1,26 Tonnen Eisen.« Sie schätzen jedoch, dass nur 900 Tonnen (also die Hälfte) von diesem Kohlenstoff auf dem Meeresboden abgelagert werden. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen pro Jahr 13 000 000 000 Tonnen (13 Gigatonnen) Kohlenstoff freisetzen, ist die Deponierung von schäbigen 900 Tonnen mit diesem langwierigen und teuren Prozess in der Tat ein mageres Ergebnis: »Es ist schwer zu erkennen, wie das Düngen des Ozeans bei einer so geringen ... Exporteffizienz ... eine Größenordnung erreichen kann ... die 280
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unser globales Problem des Kohlenstoff Überschusses löst«, schlussfolgern die Wissenschaftler. Selbst bei einem positiveren Ergebnis könnte es zu einem unerwünschten Nebeneffekt kommen, der dem Verfahren in großem Stil entgegenstünde: Bei der Düngung vermehren sich bestimmte Arten von Plankton auf Kosten anderer, was zu einem Ungleichgewicht in den Weltmeeren und zu einem Verlust an Biodiversität führen könnte. Während einige Forscher die vom Sonnenlicht durchfluteten Schichten des Ozeans düngten, haben andere komprimiertes CO2 direkt in die Tiefen gepumpt. Diese Technik wurde schon 1977 vorgeschlagen, und einige setzten große Hoffnung darauf, dass damit das Kohlenstoffübel aus der Welt geschafft werden kann. Die Professorin Takashi Ohsumi vom japanischen Forschungsinstitut für weltweite innovative Technologien schätzt, dass das CO2 aus Kraftwerken für rund 50 Dollar pro Tonne aufgefangen und verflüssigt werden kann (anderen Untersuchungen zufolge sind allerdings eher 100 Dollar pro Tonne realistisch), und meint: »Es gibt keine technischen Hindernisse für die Umsetzung dieser Option, egal, ob das CO2 in mittleren 62 Tiefen gelöst oder direkt auf den Meeresboden aufgebracht wird.« »Technische« Hindernisse gibt es vielleicht nicht, aber Voruntersuchungen zufolge kann es schwere Nebenwirkungen haben, wenn man verflüssigtes CO2 direkt ins Meer pumpt. James Barry vom Monterey Aquarium und seine Kollegen haben verflüssigtes CO2 beobachtet, das vor der Küste Kaliforniens direkt 63 in eine Tiefe von über 3,5 Kilometern verklappt wurde. Sie beobachteten »hohe Raten« von Todesfällen unter den Organismen in der Nähe des CO2, die anscheinend darauf zurückzuführen waren, dass das Meerwasser saurer wurde (um einen halben bis einen pH-Wert). Barrys Team sagt für den Fall, dass diese Technik angewandt wird, eine hohe Mortalität unter den Meereslebewesen voraus. Dr. Ulf Riebeseil vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel berichtet, dass bei steigenden CO2-Konzentrationen im Ozean die Biodiversität in mehrfacher Hinsicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Beispielsweise haben Arten mit Kalkschalen Schwierigkeiten, in dem vom CO2 saureren Wasser zu überleben. Die Säure könnte langfristig auch das Wachstum und die Reproduktion von Kalmaren 64 und bestimmten Fischen schädigen. Trotz dieser Warnungen 281
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scheint Professor Ohsumi der Ansicht zu sein, dass wir bedenkenlos darangehen könnten, »in großem Umfang CO2 zu verklappen, um 65 die Veränderung der Ökosysteme aufzuhalten«. Da sich die schöne Aussicht, das CO2 einfach ins Meer zu kippen, zu verdüstern beginnt, hat die Kohleindustrie die Idee aufgegriffen, es stattdessen tief in die Erde zu pumpen. Diese so genannte Geosequestration ist vom Ansatz her verblüffend einfach: Die Industrie vergräbt einfach den Kohlenstoff wieder, den sie zuvor ausgebuddelt hat. Bis jetzt scheint diese Technologie tatsächlich eine makellose Geschichte vorzuweisen, denn Öl- und Gasfirmen pumpen schon seit Jahren CO2 in den Untergrund; das Sleipner-Ölfeld in der Nordsee ist das am häufigsten zitierte Beispiel. Dass die norwegische Regierung CO2-Emissionen mit einer Steuer von 40 Dollar pro Tonne belegte, bot genügend Anreiz, große Mengen des CO2, das mit den Kohlenwasserstoffen zu Tage kommt, in hoch konzentrierter Form wieder ins Gestein zurückzupumpen. Bei einigen anderen Ölquellen auf der Welt (nicht jedoch im Sleipner-Ölfeld) wird das CO2 direkt in die Ölreserven gepumpt, was hilft, den Druck im Bohrloch aufrecht zu erhalten, sodass Öl und Gas leichter gefördert werden können und die gesamte Operation profitabler wird. Angeblich verbleibt »das meiste« CO2 im Boden. Dieses Modell auf die Kohleindustrie zu übertragen ist aber nicht so einfach. Bei der Kohle fangen die Probleme am Schornstein an. Ihm entströmt das CO2 in relativ dünner Form, sodass die Abscheidung unrealistisch erscheint. Die Kohleindustrie setzt daher in Zukunft auf einen neuen Prozess, die Vergasung von Kohle. Solche Anlagen ähneln eher einer chemischen Fabrik als einem herkömmlichen Kohlekraftwerk. In ihnen werden Wasser und Sauerstoff mit der Kohle gemischt, damit Kohlenmonoxid und Wasserstoff entstehen. Der Wasserstoff wird als Brennstoff genutzt, und das Kohlenmonoxid wird in konzentriertes CO2 umgewandelt. Solche Anlagen sind nicht billig zu betreiben: Rund ein Viertel der von ihnen erzeugten Energie wird dazu benötigt, sie am Laufen zu halten. Alles weist darauf hin, dass ihre kommerzielle Nutzung teuer wird und es Jahrzehnte dauern wird, bis sie einen merklichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten. Nehmen wir an, dass ein paar Kraftwerke gebaut werden, die CO2 zurückhalten. Pro Tonne verbrannten Anthrazits werden rund 3,7 282
Technische Lösungen?
Tonnen CO2 erzeugt. Könnte dieser voluminöse Abfall einfach in den Boden unter dem Kraftwerk zurückgepumpt werden, würde das nicht viel ausmachen, aber die Felsen, in denen man Kohle findet, sind oft zur Einlagerung von CO2 nicht geeignet, was heißt, dass das Gas transportiert werden muss. Bei den Kohlegruben im australischen Hunter Valley beispielsweise müsste das Gas über die Ostaustralischen Kordilleren Hunderte von Kilometern weit nach Westen gebracht werden. Am Ziel angekommen, muss das CO2 verflüssigt werden, damit es in die Erde gepumpt werden kann, und dieser Schritt verbraucht üblicherweise 20 Prozent der Energie, die zunächst durch das Verbrennen der Kohle erzeugt wurde. Dann muss ein kilometertiefes Loch gebohrt und das CO2 hineingepumpt werden. Vom ersten Tag an muss die geologische Formation gründlich überwacht werden; sollte das Gas je entweichen, kann es tödliche Wirkung entfalten. Früher nannten Bergleute hohe CO2-Konzentrationen »Stickwetter«, was eine zutreffende Bezeichnung war, denn die Opfer ersticken auf der Stelle. Zur größten CO2-Katastrophe der Gegenwart kam es 1986 in Kamerun. Aus dem Vulkankratersee Nyos entwichen große CO2-Blasen in die windstille Nachtluft, und das Gas legte sich über die Ufer, wo es 1800 Menschen und Zigtausende von Wild- und Haustieren tötete. Niemand schlägt allerdings vor, CO2 in Vulkangebieten endzulagern, und so werden die von der Industrie geplanten CO2-Deponien höchstwahrscheinlich keine vergleichbare Katastrophe heraufbeschwören. Dennoch ist die Erdkruste nicht gerade ein dichtes Fass zur Aufbewahrung von CO2, und die Lagerstätten müssten Tausende von Jahren lang überwacht werden, weil eine Leckage sehr riskant wäre. Mit am meisten beunruhigt bei diesen Plänen, dass die Regierungen der Vereinigten Staaten, Australiens und anderer Länder bereits heute mit der Industrie hinter verschlossenen Türen diskutieren, wie viel Risiken sie im Namen ihrer Wählerschaften akzeptieren können und wie viel die Industrie selbst übernehmen will. Selbst die von einem spärlich bevölkerten Land wie Australien erzeugten CO2-Mengen sind unvorstellbar groß. Stellen Sie sich einen Stapel von 200-Liter-Fässern vor, der zehn Kilometer lang, fünf Kilometer breit und zehn Fässer hoch ist. Das ergibt über 1,3 Milliar283
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den Fässer, und so viel sind nötig, um das CO2 zu fassen, das aus Australiens 24 Kohlekraftwerken entweicht, die 20 Millionen Menschen täglich Strom liefern. Selbst wenn man es verflüssigte, würde die Tagesproduktion noch immer einen Kubikkilometer einnehmen, und Australien ist nur für weniger als zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich! Stellen Sie sich vor, 50 Kubikkilometer verflüssigtes CO2 müssten die nächsten ein oder zwei Jahrhunderte lang jahrein, jahraus und Tag für Tag in die Erdkruste gepumpt werden. Würde die Geosequestration in solchem Umfang betrieben, dass sämtliche CO2-Emissionen entsorgt würden, wären die erstklassigen Lagerstätten der Erde in der Nähe von Kraftwerken sehr bald voll. Insbesondere, wenn die Stromerzeuger nicht für Leckschäden verantwortlich wären, würden sie dann schnell darauf drängen, auch zweitund drittklassige und noch schlechtere Lagerstätten zu nehmen. Im Großen und Ganzen aber sind die Emissionen aus Kohle noch fast zu vernachlässigen, denn es gibt auf dem Planeten Erde genügend andere fossile Energieträger, um 5000 Milliarden Tonnen CO2 zu produzieren – ein derart großes Stück »Kuchen«, um im Bild des Schlumberger-Vizepräsidenten Philippe Lacour-Gayet zu bleiben, dass die Erde es unmöglich verdrücken könnte, ohne fatale Verdauungsstörungen zu bekommen. All dies lässt darauf schließen, dass die Geosequestration in der Energiezukunft der Welt bestenfalls eine kleine Rolle spielen wird (höchstens vielleicht zehn Prozent bis 2050). Weil wir aber jetzt etwas gegen den Klimawandel tun müssen, sollten sowohl die Öffentlichkeit wie der Markt Beweise für das Potenzial der Geosequestration zu sehen bekommen. Die großen Kohleverheizer müssten bereits Versuchsanlagen zur Kohlevergasung samt Geosequestration als Endlagerung bauen, um die wirtschaftliche und technische Machbarkeit dieser Ansätze zu prüfen. Doch trotz angebotener Regierungsunterstützung passiert in dieser Richtung kaum etwas. Typisch dafür ist, dass Lacour-Gayet im Jahr 2004 verkündete, eines der Probleme mit Kyoto sei, dass es dazu zwinge, jetzt et66 was zu unternehmen, obwohl »das noch gar nicht nötig ist«. Darüber hinaus ist Lacour-Gayets Versicherung, die Kosten der Geosequestration würden bei nur zehn Prozent des Gegenwerts der 284
Technische Lösungen?
produzierten Energie liegen, unglaubwürdig, wenn man bedenkt, dass 20 Prozent des Heizwerts des jeweiligen Brennstoffs allein dafür gebraucht werden, das CO2 so zu komprimieren, dass es in den Un67 tergrund gepumpt werden kann. Und hinzu kämen die Kosten für den Bau einer neuen Generation von Kraftwerken samt Anlagen für die Kohlevergasung, für das Abscheiden des CO2 und die Lagerung, für Pipelines, Kompressoren und Bohrlöcher zum Hineinpumpen. Politiker haben sich von den Winkelzügen der Kohleindustrie hinters Licht führen lassen. Im Jahr 2001 berichtete der damalige australische Chefwissenschaftler dem Wissenschaftsrat des Premierministers hinter verschlossenen Türen, die Geosequestration würde die Kosten der Stromerzeugung aus Kohle um nur fünf Dollar pro Megawattstunde erhöhen. Doch die Internationale Energie-Agentur berichtete da bereits von zehn- bis zwanzigmal so hohen Kosten. Nach dieser Sitzung stellte die australische Regierung 500 Millionen Dollar für die Erforschung von Niedrigemissionstechnologien zur Verfügung, wobei das Anforderungsprofil so formuliert war, dass es genau zur Geosequestration passte. Dass diese halbe Milliarde Dollar gerecht unter allen Energieoptionen aufgeteilt wird, um zu gewährleisten, dass das Land auch das Beste dafür bekommt, damit ist nicht zu rechnen. Was bei dieser Debatte auf dem Spiel steht, lässt sich an einem einzigen Fall zeigen. Einer ABARE-Hochrechnung vom August 2004 zufolge muss Australien seine Stromerzeugung bis zum Jahr 2020 um über 50 Prozent erhöhen (im Vergleich zu China eine niedrige Wachstumsrate), und die Kohleindustrie würde sich gern von diesem Kuchen ein so großes Stück wie möglich sichern. Wenn sie neue Kraftwerke bauen können, bietet sich den großen Kohleverheizern die Aussicht auf mindestens ein halbes Jahrhundert fetter Profite. Aber der Widerstand wächst. Viele Menschen sehen in dem Bau neuer Kohlekraftwerke das Gefährlichste, das man der Erde in Zukunft antun kann. Carl Pope vom Sierra Club sagt über die Situation in den USA: Wenn man diese [Kraftwerke] genehmigt und baut, werden sie über eine Lebensdauer von mehr als 60 Jahren betrieben werden. Allein ihre Kohlendioxid-Emissionen werden die Möglichkeiten der USA, die Emissionen
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Menschen in Treibhäusern zurückzufahren, drastisch einschränken. Sie werden auch den Markt für Wind- und Solarenergie kaputtmachen. Werden sie gebaut, werden wir 68 folglich gebraten.
Es gibt andere Formen der CO2-Endlagerung, die für die Zukunft des Planeten lebenswichtig sind und keine Risiken bergen. Die Vegetation und die Böden der Erde sind riesige Kohlenstoff-Reservoire, und sie sind entscheidende Elemente des Kohlenstoffkreislaufs. Die Entwicklung der Landwirtschaft hat diese Ressourcen größtenteils aufgebraucht, und heute ist die Welt in weiten Teilen entwaldet, und ihre Böden sind erschöpft. In den Böden kann man mehr Kohlenstoff einlagern, wenn Ackerbau und Viehzucht mit nachhaltigen Verfahren betrieben werden, die den Anteil verrotteter Pflanzen (größtenteils Kohlenstoff) im Boden erhöhen. Viel Kohlenstoff – rund 1180 Gigatonnen – ist momentan in dieser Form gelagert; das ist mehr als das Doppelte der in der lebenden Vegetation gespeicherten Menge (493 Gigatonnen), und noch mehr einzubringen, erscheint sowohl einfach als auch wün69 schenswert. In diesem Punkt besteht tatsächlich Anlass zur Hoffnung, denn überall auf der Welt zeigt sich an der Basis ein breites Spektrum von Initiativen für organischen Ackerbau und nachhaltige Viehzucht. Ein Aspekt dieses Weges wird auch tatkräftig von Teilen der Wirtschaft verfolgt, nämlich das Speichern von Kohlenstoff in Wäldern und langlebigen Holzprodukten. So werden unter anderem Wälder angepflanzt beziehungsweise nicht gerodet (damit kein Kohlenstoff freigesetzt wird); die Regierung von Costa Rica hat ein Programm aufgelegt, das eine halbe Million Hektar tropischen Regenwalds schützt und dem Land ein Kohlenstoff-Guthaben eingebracht hat, das der Menge CO2 entspricht, das in die Atmosphäre gelangt wäre, 70 wenn der Wald gefällt worden wäre. Und BP hat beispielsweise Gelder bereitgestellt, um in Westaustralien 25 000 Hektar Nadelwald aufzuforsten und damit die Emissionen der BP-Raffinierie bei Perth 71 auszugleichen. Das so genannte Plantagenholz ist zwar auch dazu bestimmt, gefällt und genutzt zu werden, es kann aber eine gute kurzfristige Kohlenstoff-Lagerstätte sein, weil die daraus produzierten Möbel und Häuser langlebig sind und weil die Wurzeln der gefällten 286
Technische Lösungen?
Bäume (samt dem darin enthaltenen Kohlenstoff) in der Erde verbleiben. Ob viel Kohlenstoff in Wurzeln eingelagert werden kann, wird jedoch von Wissenschaftlern hinterfragt, die herausgefunden haben, dass der Kohlenstoffumsatz in Baumwurzeln weit langsamer vonstatten geht, als man sich einst vorgestellt hat, was bedeutet, dass die 72 Endlagerung in dieser Form weniger effizient als gedacht wäre. Über der Möglichkeit, Kohlenstoff aus fossilen Energieträgern in Wäldern oder im Boden zu deponieren, schwebt jedoch noch eine ganz andere Frage. In Form von Kohle war der Kohlenstoff Hunderte von Millionen Jahre lang sicher eingesperrt, und er wäre noch weitere Millionen Jahre in der Erde verblieben, hätte man ihn nicht aus73 gegraben. In Wäldern oder im Boden eingelagerter Kohlenstoff wird hingegen dem Kreislauf wahrscheinlich nur wenige Jahrhunderte lang entzogen sein. Wenn wir die Lagerstätte Kohle gegen die Lagerstätte Wald eintauschen, tauschen wir sozusagen mündelsichere Wertpapiere gegen Junk-Bonds. Es ist klar, dass technische Lösungen des CO2-Problems sich als weder so praktikabel noch als so kostengünstig erwiesen haben, wie die Industrie das gerne sähe. Dennoch arbeiten Wissenschaftler weiterhin an der ungefährlichen, sicheren Endlagerung von Kohlenstoff, und vielleicht finden sie irgendwann eine Lösung. Man spricht sogar von der Möglichkeit künstlicher Fotosynthese, mit der der Kohlenstoff direkt aus der Atmosphäre geholt werden könnte. Solche Überlegungen bauen zwar auf vorhandenen Technologien auf, es gibt dabei aber noch so mannigfache Schwierigkeiten, dass eine praktische Anwendung in einem Maßstab, der gegen den Klimawandel wirksam wäre, mit Sicherheit nicht vor 2050 möglich ist. Das kommt einigen Industriezweigen gelegen, denn somit können Regierungen weiterhin Milliarden von Steuergeldern in solche Projekte stecken, und weil die angedachten Lösungen mittel- bis langfristiger Natur sind, kann sich die Industrie den Anschein geben, etwas zu unternehmen, und damit die gesellschaftliche Konzession zum Weitermachen verschaffen. Inzwischen aber zeichnen sich Alternativen in Form von Energieträgern mit geringerem Kohlenstoffgehalt ab, die schon heute einfacher und billiger zu sein scheinen.
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DIE LETZTEN STUFEN AUF DER HIMMELSLEITER? Beim Verbrennen von Erdgas oder Öl wird nur halb so viel Kohlendioxid freigesetzt [wie bei Kohle], unverbranntes Erdgas ist aber als Treibhausgas fünfundzwanzigmal potenter als CO2. Schon ein kleines Leck würde den Vorteil von Gas zunichte machen. James Lovelock, Independent, 24. Mai 2004
Für Menschen in der petrochemischen und in der Automobilindustrie besteht die Lösung des Klimaproblems darin, eine metaphorische Stufenleiter von Brennstoffen emporzusteigen, auf der der Kohlenstoffanteil mit jedem Schritt kleiner wird. Gestern, so lautet das Argument, verbrannte man Kohle, heute Öl und morgen Erdgas; das Nirwana wird erreicht, wenn die Weltwirtschaft zum Wasserstoff übergeht, einem Brennstoff, der überhaupt keinen Kohlenstoff enthält. Der Übergang von Öl zu Gas ist zwar in Gang gekommen, wird aber noch einige Zeit brauchen. Viele Jahre lang betrachteten die Ölgesellschaften Erdgas nur als flüchtiges Abfallprodukt, das man entweder abfackelte oder in die Erde zurückpumpte, um den Öldruck 74 im Bohrloch zu erhöhen. Wegen des höheren Wasserstoffanteils verbrennt Erdgas heißer und sauberer als Öl, daher war es schon immer ein wertvoller Stoff, aber die Technologie, es sicher und billig zu transportieren, stand noch nicht zur Verfügung. Zu den größten Nachteilen von Erdgas zählt seine geringe Dichte, es braucht viel Platz und entweicht leicht. Ein Gasvolumen von der Größe eines Hauses enthält dieselbe Energie wie ein Fass Öl, daher
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Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter?
kamen Fässer – und sogar Tanker – für den Gastransport nie infrage. Pipelines lagen als Lösung auf der Hand, aber für Erdgas geeignete Rohrleitungen kosten rund 600 000 Dollar pro Kilometer, und deswegen brachte bis vor kurzem ein in Öl investierter Dollar doppelt so 75 viel Profit wie ein in die Gasförderung gesteckter. Technische Fortschritte beim Umgang mit Gas, hohe Ölpreise, die sich abzeichnende Ölknappheit und die Nachfrage nach einem saubereren Kohleersatz haben die Gaswirtschaft verändert, und heute sind damit gute Geschäfte zu machen. Der wichtigste technische Fortschritt bestand darin, das Gas so weit abzukühlen, dass es flüssig wird, was einen kostengünstigen Transport mit speziellen Gastankschiffen über große Entfernungen erlaubt. Da dank dieser Schiffe ein internationaler Gashandel möglich geworden ist und die größeren Gesellschaften bereit sind, die für Gaspipelines erforderlichen Milliarden zu investieren, scheint Gas zum beliebtesten Energieträger des 76 21. Jahrhunderts zu werden. Gas ist zwar teuerer als Kohle, hat ihr gegenüber aber viele Vorteile, die es zum idealen Rohstoff für die Stromerzeugung machen. Gasbetriebene Kraftwerke kosten nur halb so viel wie mit Kohle befeuerte, und man kann sie in ganz unterschiedlichen Größen bauen. Statt eines gigantischen in großer Entfernung stehenden Kohlekraftwerks kann man eine ganze Reihe kleiner, gasbetriebener Generatoren überall im Land verteilen und so die Übertragungsverluste minimieren. Gaskraftwerke lassen sich auch leicht hoch- und runterfahren, was sie zu einer idealen Ergänzung der periodisch schwankenden Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie macht. Darüber hinaus wandeln mehrstufige Gaskraftwerke sehr effizient die im Gas enthaltene Energie in Strom; bei ihnen wird zunächst durch die Verbrennung eine Turbine direkt angetrieben, und dann werden die extrem heißen Abgase aufgefangen und dazu verwendet, noch mehr Strom zu erzeugen. Nutzt man ihre Abwärme dann auch noch für industrielle Prozesse oder Heizzwecke (Kraft-Wärme-Kopplung), erreichen sie einen Wirkungsgrad von 80 Prozent. Aufgrund all dessen sagt BP-Chef Lord Browne: »Ein heute in Gaskraftwerke investierter Dollar produziert drei- bis viermal mehr Elektrizität [als] derselbe in Kohlekraftwerke 77 investierte Dollar.« Mehr als 90 Prozent der neuen Kraftwerke in den USA werden 289
Menschen in Treibhäusern
heute mit Gas betrieben, und überall auf der Welt wird Erdgas immer beliebter. Dennoch ist auch Gas nicht problemlos, wenn es um seine sichere Handhabung und die Möglichkeit von Terroranschlägen auf große Kraftwerke oder Pipelines geht. Und weil Methan ein gefährliches Treibhausgas ist, muss man dafür Sorge tragen, dass es nicht entweicht: Teile der Gasinfrastruktur – beispielsweise die alten Eisenrohre, mit denen das Gas in den Städten verteilt wird – sind mit Sicherheit leck. Gas ist der dritte Schritt auf der Stufenleiter in den Klimahimmel, aber selbst wenn man sämtliche Kohlekraftwerke der Erde durch gasbetriebene ersetzte, würde das die Kohlenstoff-Emissionen weltweit um nur 30 Prozent reduzieren. Würden wir auf dieser Stufe der Energieleiter stehen bleiben, drohte uns trotz dieser Einsparungen noch immer ein massiver Klimawandel. Angesichts dieser Aussichten wäre ein Übergang zum Wasserstoff dringend nötig; aber wie wahrscheinlich ist dieser? In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts prägte der australische Elektrochemiker John Bockris den Begriff »Wasserstoffwirtschaft«, und seither gilt bei vielen Menschen Wasserstoff als Wundermittel gegen das Fieber der globalen Erwärmung. »Auf den kleinsten Nenner gebracht«, schrieb Bockris, »bedeutet ›Wasserstoffwirtschaft‹, dass Wasserstoff dazu verwendet wird, Energie aus erneuerbaren Quellen (nuklearen oder solaren) über große Entfernungen zu transportieren und in großen Mengen einzulagern (zur Ver78 sorgung von Städten).« Wie bei so vielen Wundermitteln steckt jedoch der Teufel im Detail. Das Kraftwerk der Wasserstoffwirtschaft ist die Brennstoffzelle, bei der es sich im Grunde genommen um einen Kasten ohne bewegliche Teile handelt, in dem Wasserstoff und Sauerstoff aus der Luft in Wasser und Elektrizität umgewandelt werden. Das klingt zwar nach Hexerei, ist im Prinzip aber gar nicht neu: Die erste Brennstoffzelle, genannt »Gas-Voltabatterie«, baute Sir William Grove in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Seine Zelle glich insofern einer üblichen Bleisäurebatterie, als Schwefelsäure als Elektrolyt verwendet wurde, statt Bleielektroden kamen aber solche aus Platin zum Einsatz, was die Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff beschleunigt, woraus die Elektrizität gewonnen wird. Ein so teurer Katalysator 290
Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter?
bremste die Weiterentwicklung der Technologie, heute gibt es aber verschiedene Arten von Brennstoffzellen, die mit anderen Materialien arbeiten. Aber wie auch immer ihre Zusammensetzung sein mag, aus wirtschaftlicher Sicht kann man Brennstoffzellen in zwei Typen einteilen: stationäre zur Stromerzeugung und andere zu Transportzwecken. Am besten scheinen sich zur stationären Stromerzeugung die Schmelzcarbonat-Brennstoffzellen zu eignen, die mit geschmolzenem Kaliumcarbonat statt Schwefelsäure und Nickel statt Platin arbeiten. Ihre Betriebstemperatur liegt bei 650 °C, und sie sind zwar höchst effizient (ihr Wirkungsgrad liegt um die 50 Prozent), brauchen aber lange, bis sie diese Temperatur erreicht haben. Außerdem sind sie groß – ein 250-Kilowatt-Modell hat das Format eines Güterwaggons –, was den mobilen Einsatz ausschließt. Mehrere auf dieser Technologie basierende Demonstrationsanlagen gibt es bereits, und eine kommerzielle stationäre Brennstoffzelle (die mit einer älteren Technik arbeitet) ist in den USA seit 1999 in Betrieb. Man glaubt, eine Großserienproduktion könnte die Kosten so weit senken, dass Brennstoffzellen immer mehr Verbreitung finden 79 würden. Das stellt zwar einen riesigen technischen Fortschritt dar, senkt aber nicht unmittelbar unsere heutigen CO2-Emissionen, denn der dabei eingesetzte Wasserstoff wird mittels eines Umwandlungsprozesses aus Erdgas gewonnen, und weil ein Teil der im Gas enthaltenen Energie für diese Umwandlung verwendet wird und das gesamte dabei freigesetzte CO2 in die Atmosphäre entweicht, wäre in klimatischer Hinsicht die Welt besser dran, wenn man das Gas direkt zur Stromerzeugung verbrennen würde. Aber ziehen wir nun Wasserstoff als Transportenergie in Betracht. Eine Reihe von Automobilherstellern, unter anderem Ford und BMW, planen Autos mit wasserstoffbetriebenen Verbrennungsmotoren auf den Markt zu bringen, und die Regierung Bush will mit 1,7 Milliarden Dollar den Bau eines mit Wasserstoff fahrenden »FreedomCAR« fördern. Dessen ungeachtet ist aber der Einsatz von Wasserstoff als Transportenergie noch in einem weit früheren Entwicklungsstadium als die Technologie stationärer Brennstoffzel80 len. Für Transportzwecke sind Brennstoffzellen mit so genannten Pro291
Menschen in Treibhäusern
tonenaustausch-Membranen am besten geeignet. Dieser Typ ist viel kleiner als die Schmelzcarbonat-Zelle und arbeitet bei rund 66 °C, ist also kurz nach dem Einschalten betriebsbereit. Allerdings erfordern diese Zellen sehr reinen Wasserstoff. Bei den gegenwärtigen Prototypen wird dieser von einem eingebauten »Reformer« erzeugt, der ihn aus Erdgas oder Benzin gewinnt, was abermals bedeutet, dass es in klimatischer Hinsicht besser wäre, wenn wir die Energieträger zur Kraftgewinnung direkt verbrennen würden. Der Wirkungsgrad der besten Protonenaustausch-Brennstoffzellen liegt bei 35 bis 40 Prozent – ungefähr genauso hoch wie der eines gewöhnlichen Verbrennungsmotors. Fahrzeughersteller hoffen, irgendwann auf den im Auto eingebauten Reformer, den die Prototypen noch brauchen, verzichten zu können, und denken daran, die Fahrzeuge an Tankstellen direkt mit Wasserstoff zu versorgen. Das könnte auf unterschiedliche Weise geschehen. Dem heutigen System des Tankens kommt am nächsten, dass der Wasserstoff irgendwo an zentraler Stelle erzeugt und an die Abfüllstationen verteilt wird; und hier stellt sich das große Problem, einen Brennstoff mit so geringer Dichte zu verfrachten. Ideal wäre der Transport in Tanklastwagen; dazu müsste der Wasserstoff bei –253 °C verflüssigt werden, doch das Gas so weit herunterzukühlen ist ein wirtschaftlicher Albtraum. Mittels Wasserstoffenergie ein Kilogramm des Gases zu verflüssigen, verbraucht 40 Prozent seines Brennwerts. Würde man Netzstrom dafür verwenden, brauchte man zwölf bis 15 Kilowattstunden Elektrizität, und das würde im Fall des amerikanischen Stromnetzes beispielsweise zehn Kilogramm CO2 in die Atmosphäre freisetzen. Rund 3,5 Liter Benzin enthalten genauso viel Energie wie ein Kilo Wasserstoff. Sie zu verbrennen setzt genauso viel CO2 frei, wie die Verwendung von Netzstrom zur Verflüssigung des Wasserstoffs, also sind die Auswirkungen von verflüssigtem Wasserstoff als Energieträger auf den Klimawandel genauso schlimm wie das Herumfahren mit einem normalen Auto. Eine andere Lösung wäre, den Wasserstoff nur so weit zu komprimieren, dass dafür nur 15 Prozent seines Brennwerts aufgewandt werden müssen; dann müssten auch die Transportbehälter dafür nicht so aufwendig gebaut sein. Aber selbst mit verbesserten Hoch292
Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter?
druckbehältern könnte ein Vierzigtonner nur 400 Kilogramm komprimierten Wasserstoff ausliefern, was heißt, man brauchte 15 solcher Lastwagen, um dieselbe Energie zu verteilen, die heute ein Benzintanklastwagen von 26 Tonnen transportiert. Und wenn diese Vierzigtonner den Wasserstoff über 500 Kilometer verfrachten, verschlingt das so viel Energie, wie 40 Prozent des transportierten Brennwerts entspricht. Weitere Probleme ergeben sich bei der Bevorratung im Auto. Ein Wasserstoff-Spezialtank, der 5000 psi beziehungsweise 350 bar aushält (fast die heutige Obergrenze für Druckbehälter) wäre nötig, und er müsste zehnmal so groß sein wie ein Benzintank. Selbst mit den besten Tankanlagen gingen wahrscheinlich noch rund vier Prozent des Brennstoffs täglich durch Verdampfung verloren. Ein gutes Beispiel für den Wasserstoffschwund ist immer zu beobachten, wenn die NASA das Spaceshuttle wieder befüllt. Sein Haupttank fasst 100 000 Liter Wasserstoff, aber bei jedem Auffüllen müssen 45 000 Liter zusätzlich angeliefert werden, um die Verdampfungsrate auszuglei81 chen. Pipelines sind eine weitere Möglichkeit, Wasserstoff zu transportieren, aber wie schon beim Erdgas sind sie teuer – sie müssen groß und aus Materialien gebaut sein, die Wasserstoff standhalten (Stahl macht er beispielsweise sehr spröde). Sie müssen auch von allerbester Qualität sein, weil Wasserstoff so leicht leckt. Selbst wenn man das bestehende Netz von Erdgasleitungen zum Transport von Wasserstoff umbauen könnte, wären die Kosten für den Unterhalt eines Verteilungssystems von zentralen Produktionsstätten zu den Abfüllstationen astronomisch. Vielleicht könnte man Wasserstoff an den Tankstellen aus Erdgas gewinnen. Damit wären die Transportprobleme beseitigt, aber bei diesem Verfahren werden 50 Prozent mehr CO2 produziert als beim Direktbetanken der Fahrzeuge mit Erdgas. Theoretisch könnte man Wasserstoff auch zu Hause mit Hilfe des Netzstroms produzieren, aber der Preis der Elektrizität für den Hausgebrauch und die hohen Kosten für die Geräte zur Wasserstofferzeugung und -reinigung würden das Verfahren wirtschaftlich untragbar machen. Darüber hinaus wird der Netzstrom in Ländern wie beispielsweise den USA größtenteils aus fossilen Brennstoffen erzeugt, also würde die häusliche Pro293
Menschen in Treibhäusern
duktion von Wasserstoff unter heutigen Umständen zu einem massiven Anstieg der CO2-Emissionen führen. Anders sähe es erst aus, wenn die Elektrizität zur Wasserstoffgewinnung aus erneuerbaren Energien erzeugt würde, etwa mittels Solarzellen. Die häusliche Wasserstoffproduktion würde noch weitere Gefahren bergen. Das Gas ist geruchlos, entweicht leicht, entflammt leicht und verbrennt mit unsichtbarer Flamme. Feuerwehrleute werden darauf trainiert, Wasserstoffbrände mit Hilfe von Strohbesen zu entdecken: Wenn das Stroh in Flammen aufgeht, hat man den Brand gefunden. Wir wollen uns jedoch einen Moment lang vorstellen, dass all die mit Wasserstoff verbundenen Transportprobleme überwunden werden und Sie am Steuer Ihres neuen, wasserstoffbetriebenen Allradfahrzeugs sitzen. Ihr Tank ist riesig und kugelförmig, weil Wasserstoff bei Zimmertemperatur rund dreitausendmal mehr Raum einnimmt als Benzin. Nun denken Sie daran, dass vielleicht auf Ihrem Mobiltelefon ein Gespräch eingeht, beim Rutschen über den Autositz statische Elektrizität entsteht oder in anderthalb Kilometern Entfernung ein Gewitter tobt: In jedem Fall entstünde genügend elektrische Ladung, um eventuell ausgetretenen Wasserstoff zu zünden. Unter dem Aspekt ist der Gedanke an einen Unfall mit einem Wasserstoffauto kaum zu ertragen. Selbst Ihr neues Auto in die Garage zu stellen, wäre schwierig. Die momentanen US-Vorschriften zur Wasserstofflagerung sind schwer zu erfüllen, unter anderem verlangen sie eine aufwendige Entlüftung und eine explosionssichere Ausrüs82 tung. Das heißt, solange die Vorschriften nicht gelockert werden, müssten Unmengen Infrastrukturen von Garagen bis hin zu Straßentunneln umgebaut werden. Doch selbst wenn man die Verwendung von Wasserstoff absolut sicher machen könnte, bliebe immer noch das Problem einer kolossalen CO2-Umweltverschmutzung, die genau das Gegenteil von dem wäre, was man erreichen wollte. Die Wasserstoffwirtschaft könnte beim Kampf gegen den Klimawandel einzig und allein dann helfen, wenn der Netzstrom voll und ganz aus kohlestofffreien Ressourcen erzeugt würde. Von der Solar- bis zur Nuklearenergie gibt es dafür eine Reihe von Technologien, in die aber investiert und die akzeptiert werden müssten. Seltsamerweise haben weder die US-Regierung 294
Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter?
noch die Automobilhersteller großes Interesse daran gezeigt, die Basis für diese entscheidende Voraussetzung zum Übergang in die Wasserstoffwirtschaft zu schaffen.
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V DIE LÖSUNG
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HELL WIE DIE SONNE, LEICHT WIE DER WIND Wenn wir erst einmal die Tür aufgestoßen und über die katastrophalen Veränderungen nachzudenken begonnen haben, eröffnet das eine ganz neue Debatte. Wenn wir nicht wissen, wie sich menschliche Aktivitäten auf diese dünne Schicht lebenserhaltender Systeme auswirken, die die Zivilisation hervorbrachten und gedeihen ließen, und wenn wir nicht zuverlässig abschätzen können, wie mögliche geophysikalische Veränderungen die Zivilisation und die Welt um uns herum in Mitleidenschaft ziehen werden ... sollten wir dann nicht ultrakonservativ sein und mit aller Macht daran gehen, die natürliche Welt auf Kosten des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung zu bewahren? Wagen wir es, unseren Fortschritt über die Erhaltung natürlicher Systeme zu stellen und darauf zu vertrauen, dass menschlicher Einfallsreichtum uns irgendwie heraushauen wird, wenn uns die Natur schlechte Karten gibt? William Nordhaus, Climate Change, 1996
Eine Grundsatzentscheidung bei unserem Kampf gegen den Klimawandel ist, ob wir unsere Anstrengungen auf Transport und Verkehr oder auf das Stromnetz konzentrieren sollen. Viele würden sagen, wir müssten beides tun, und dem würde ich auch zustimmen, wenn wir die Ressourcen und die Zeit hätten. Es geht aber darum, dass wirklich riesige Anstrengungen nötig sind, um die Kohlenstoff-Emissionen wenigstens der einen oder der anderen Quelle zu stoppen, und dabei gewinnt das Stromnetz mit Leichtigkeit. Denn wird der Strom erst einmal ohne Kohlenstoff erzeugt, können wir die so erzeugte erneuerbare Energie dazu nutzen, auch den Transport kohlenstofffrei zu bekommen. 299
Die Lösung
Die Wissenschaftler Steven Pacala und Robert Socolow von der Princeton University haben untersucht, ob die Welt über die erforderlichen Techniken verfügt, ein Stromnetz des Umfangs, der Leistungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit unseres heutigen zu betreiben und gleichzeitig die CO2-Emissionen deutlich zu senken. Sie haben 15 grundlegende Techniken ausgemacht, die vom Auffangen des Kohlendioxids bis hin zu Wind-, Sonnen- und Kernenergie reichen und dabei eine wichtige Rolle spielen könnten. Diese Techniken müssen nicht alle angewandt werden, mindestens aber die Hälfte davon, wenn wir die weltweiten Kohlenstoff-Emissionen wenigstens in den 1 nächsten 50 Jahren in den Griff bekommen wollen. »Mit Sicherheit konnte die Vorstellung widerlegt werden, dass wir erst noch lange Zeit forschen müssen, ehe wir anfangen können«, fasste Socolow die Arbeit zusammen. Zahlreiche Beispiele von Regierungen und Unternehmen überall auf der Welt, die die Emissionen heruntergefahren haben (um über 70 Prozent im Fall einiger britischer Gemeinden), während sie gleichzeitig ein starkes Wirtschaftswachstum erlebten, geben Socolow Recht: Die Angstkampagnen der Öl- und Kohlemultis, dass das alles zu schwierig und zu teuer wäre, sind mit einem Streich entlarvt. Die infrage kommenden Techniken fallen in zwei Kategorien: Solche, die – bislang jedenfalls – Energie nur mit Unterbrechungen liefern, und solche, die unabhängig von äußeren Umständen ständig Energie erzeugen. Von den unregelmäßigen Stromerzeugungsarten ist die Windkraft am meisten ausgereift und wirtschaftlich konkurrenzfähig, und nirgendwo wurde sie entschlossener vorangetrieben als in Dänemark, der Heimat der modernen Windkraftindustrie. Als sich die Dänen entschlossen, Windkraft zu fördern, lagen die Kosten der auf diese Weise produzierten Elektrizität um ein Vielfaches über denen des Stroms aus fossilen Brennstoffen. Die dänische Regierung erkannte jedoch das Potenzial und subventionierte die Industrie, bis die Kosten sanken. Heute ist Dänemark bei der Stromerzeugung aus Windkraft und beim Bau der Generatoren weltweit führend; Wind liefert jetzt 21 Prozent der Elektrizität des Landes. Ein verblüffender Aspekt der dänischen Windkraftnutzung ist, dass über 85 Prozent der Kapazitäten im Besitz von Einzelpersonen oder Windkooperativen sind, sodass diese Industrie buchstäblich eine volkseigene ist. 300
Hell wie die Sonne, leicht wie der Wind
In mehreren Ländern ist Windkraft bereits billiger als Strom aus fossilen Brennstoffen, was die phänomenale Wachstumsrate der 2 Windindustrie von 22 Prozent pro Jahr erklärt. Man hat geschätzt, dass Windkraft die Energiebedürfnisse der Vereinigten Staaten zu 20 Prozent decken könnte, und die Wirtschaftlichkeit sieht so aus, dass das von der Regierung Clinton angestrebte Ziel, fünf Prozent der landesweiten Elektrizität bis 2020 aus Wind zu gewinnen, noch immer erreicht werden könnte. In den nächsten paar Jahren, so erwartet man, wird der Preis für Windenergie um weitere 20 bis 30 Prozent sinken, sodass diese Art der Stromerzeugung noch kostengünstiger wird. Die Windkraft hat jedoch, glauben viele, einen großen Nachteil: Der Wind weht nicht ständig, und die Stromerzeugung ist deshalb unzuverlässig. Das ist eine Verkürzung einer komplexeren Realität, denn der Wind weht zwar nicht am selben Ort ständig mit derselben Stärke, umfassender betrachtet ist aber ziemlich sicher, dass dann irgendwo anders Wind wehen wird. Je mehr Windkraftwerke man über große Entfernungen verteilt errichtet, desto mehr können sie mit Grundversorgern wie Kohlekraftwerken mithalten. Das beinhaltet jedoch eine ziemliche Redundanz, denn oft werden für jede Turbine, die mit voller Kapazität arbeitet, mehrere andere stillstehen. Im Vereinigten Königreich erzeugt ein durchschnittliches Windkraftwerk im Lauf eines Jahres nur 28 Prozent seiner Kapazität. Um einschätzen zu können, einen wie großen Nachteil das darstellt, muss man einbeziehen, dass alle Arten der Stromerzeugung ein gewisses Maß von Redundanz aufweisen. Im Vereinigten Königreich arbeiten Kernkraftwerke nur 76 Prozent, Gasturbinen 60 Prozent und Kohlekraftwerke 50 Prozent der Zeit. Die hohe Redundanz bei der Windenergie wird jedoch ein Stück weit durch die hohe Zuverlässigkeit ausgeglichen: Windgeneratoren sind seltener defekt als Kohlekraft3 werke und auch billiger zu unterhalten. Zum Abbau der Redundanz wurde unter anderem vorgeschlagen, überschüssige Windenergie dazu zu verwenden, Luft zu komprimieren und in der Erde zu speichern, und diese dann zu einem späteren Zeitpunkt Generatoren antreiben zu lassen. Eine weitere Möglichkeit ist, damit Wasserstoff zu erzeugen, der dann in stationären Brennstoffzellen Strom erzeugt, wenn wenig Wind weht. 301
Die Lösung
Unglücklicherweise hat die Windkraft eine schlechte Presse, unter anderem wird kritisiert, dass Windgeneratoren Vögel töten, Lärm machen und hässlich aussehen. Die Wahrheit ist: Jedes hohe Bauwerk kann Vögeln gefährlich werden, und bei den frühen Windkraftwerken war dieses Risiko erhöht. Sie waren in Form von Gittermasten errichtet, in denen die Vögel nisteten; mittlerweile wurden sie aber durch Modelle mit glatter Außenhaut ersetzt. Darüber hinaus müssen alle Risiken gegeneinander abgewogen werden. Katzen töten 4 in den USA weit mehr Vögel als Windparks. Und wenn wir weiterhin Kohle verbrennen, wie viele Vögel werden dann infolge des Klimawandels sterben? Was den Lärm angeht, so kann man sich am Fuß eines Windkraftturms unterhalten, ohne die Stimme zu heben, und bei neuen Modellen ist die Geräuschentwicklung noch weiter gesenkt. Und was die Hässlichkeit angeht, so liegt die Schönheit sicherlich im Auge des Betrachters. Was ist garstiger anzuschauen: ein Windpark oder eine Kohlegrube samt Kraftwerk? Abgesehen davon sollte keine dieser Fragen über die Zukunft unseres Planeten entscheiden dürfen. Kommen wir vom Wind nun zu drei wichtigen Verfahren, die sich unmittelbar der Sonnenenergie bedienen. Es sind die Warmwassererzeugung mit Sonnenkollektoren, solarthermische Kraftwerke und die Photovoltaik. Wasser mit Hilfe von Sonnenkollektoren aufzuheizen ist die einfachste und in vielen Fällen auch kostengünstigste Methode, die Sonnenenergie für den Privathaushalt zu nutzen: Bei den meisten Häusern kann man damit ziemlich leicht die Energierechnung um größere Beträge reduzieren. Die Sonnenkollektoren werden auf dem Dach nach Süden ausgerichtet (auf der Südhalbkugel nach Norden), wo sie die Sonnenstrahlen einfangen, die das in ihnen zirkulierende Wasser aufheizen. Die Systeme sind so gut wie wartungsfrei, und damit auch immer Heißwasser zur Verfügung steht, wenn man welches braucht, gehört zur Ergänzung ein Gas- oder Elektroboiler dazu. Solarthermische Kraftwerke produzieren große Mengen Strom – weit mehr als ein Einzelhaushalt je gebrauchen könnte. Bei ihnen werden die Sonnenstrahlen auf kleine, höchst effiziente Solarkollektoren konzentriert, und ihren Namen haben die Systeme daher, dass sie sowohl Elektrizität als auch Wärme erzeugen, wobei Letztere 302
Hell wie die Sonne, leicht wie der Wind
häufig als Prozesswärme beziehungsweise für die Wasseraufbereitung verwendet wird. Momentan sind verschiedene Bauweisen auf dem Markt, und die Preise sinken rasch. Solarthermische Kraftwerke werden in Zukunft mit der Windkraft konkurrenzfähig sein, und bei der Erzeugung von Netzstrom ergänzen sie sich aufs Beste, denn wenn gerade kein Wind weht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Sonne scheint. Schließlich gibt es noch die Technik, die die meisten Menschen als die eigentliche »Sonnenenergie« betrachten: die Photovoltaik. Den eigenen Strom zu erzeugen ist ein bisschen wie das eigene Bier zu brauen, denn wenn man erst einmal die Ausrüstung gekauft hat, kann man den Multis eine lange Nase drehen. Die Technik ist einfach und weitgehend wartungsfrei (es sei denn, man ist nicht ans Stromnetz angeschlossen und braucht Speicherbatterien); für Solarzellen gibt es eine Garantie von 25 Jahren, und angeblich halten sie bis zu 40 Jahren. Es gibt verschiedene Typen von Solarzellen auf dem Markt, aber alle wandeln das einfallende Sonnenlicht direkt in Elektrizität um. Der Strom muss dann noch mittels Wechselrichter und Transformator in Wechselstrom mit der im Land üblichen Spannung umgewandelt werden. Hat man einen Netzanschluss, braucht man nichts weiter als diese Geräte und eine Steckdose, dann kann man den eigenen Strom erzeugen. Ein Durchschnittshaus verbraucht rund 1,4 Kilowatt Strom, und die Durchschnittsleistung der Solarzellenpaneele liegt bei 80 oder 160 Watt. Zehn der größeren reichen also für einen Normalhaushalt, allerdings ist es erstaunlich, wie viel verbrauchsbewusster man wird (und wie viel Strom man daher einspart), wenn man seine eigene Elektrizität erzeugt. Die Photovoltaik funktioniert am besten im Sommer, wenn zusätzlicher Strom für Klimaanlagen gebraucht wird. Dann kann der Solarzellen-Besitzer sogar Geld verdienen: In Japan kann man überschüssigen Strom ins Netz einspeisen, und zwar bis zu einem Gegenwert von 50 Dollar pro Monat, und ähnliche Programme gibt es in 15 wei5 teren Ländern. Im Jahr 2003 war Solarzellenstrom in den Ländern der Nordhalbkugel rund achtmal so teuer wie konventioneller, in Australien noch viermal so teuer. Aber die Preise für Solarpaneele fallen so rapide, dass die auf diese Weise erzeugte Elektrizität, so erwartet man, schon 2010 konkurrenzfähig sein wird. 303
Die Lösung
Es gibt natürlich noch viele weitere Verfahren der Stromerzeugung, die hier nicht diskutiert werden – beispielsweise Solarschornsteine, Gezeiten- und Wellenkraftwerke –, und in manchen Gegenden erzeugen diese alternativen Verfahren bereits jetzt oder in Kürze erneuerbare Energie. Wenn die alternative Stromerzeugung eines lehrt, dann das: Es gibt kein Wundermittel, um das öffentliche Stromnetz kohlenstofffrei zu bekommen, vielmehr werden wir eine große Vielfalt von Techniken im Einsatz sehen, je nachdem, welche für die vorherrschenden Umstände gerade am günstigsten ist.
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NUKLEARER LAZARUS? Wir hören, dass der Außenminister [John Foster Dulles] sich seines gefährlichen Pokerspiels rühmt – der Kunst, uns an den Rand eines nuklearen Abgrunds zu bringen. Adlai Stevenson, The New York Times, 26. Februar 1956
Man hat oft gesagt, Sonnenenergie sei Kernkraft in sicherer Entfernung. In unserer Ära der Klimakrise wird jedoch auch die Rolle der irdischen Kernkraft neu bewertet, und was bis vor kurzem noch als aussterbende Technologie galt, könnte sich wieder einen Platz an der Sonne verschaffen. So richtig begann die Wiederbelebung im Mai 2004; weltweit reagierten Umweltorganisationen schockiert, als sie hörten, dass der Urheber der Gaia-Hypothese, James Lovelock, allen Ernstes dafür plädierte, auf dem ganzen Globus die Kernenergie massiv auszubauen. Lovelock tat dies, sagte er, weil der Klimawandel so rapide voranschreite, dass Kernkraft die einzige Option sei, mit der man ihn stoppen könne. Er verglich unsere heutige Lage mit der der Welt vor 1938 – am Rand des Krieges, ohne dass jemand wusste, was dagegen zu tun war. Organisationen wie Greenpeace oder die Friends of the Earth verwarfen Lovelocks Vorschlag auf der Stelle. In einer Hinsicht konnte Lovelock jedoch punkten, denn alle Stromnetze brauchen eine zuverlässige »Grundlast«, und ob erneuerbare Techniken die Kapazität haben, diesen Basisbedarf an Strom zu erzeugen, ist noch eine große Frage. Frankreich bezieht fast 80 Prozent seines Stroms aus Kernkraftwerken, Schweden die Hälfte und das Vereinigte Königreich ein Viertel. Kernenergie liefert bereits 18 Prozent der Weltelektrizität – ohne jegliche CO2-Emissionen. Ihre Befürworter argumentieren, man könne noch weit mehr Strom damit
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erzeugen, aber selbst die Energiepropheten der Regierung Bush glauben, dass der Anteil an Kernenergie im Lauf der nächsten zehn Jahre faktisch zurückgehen wird – auf nur noch zehn Prozent der Gesamt6 erzeugung. Wenn man über Kernkraft zur Stromerzeugung diskutiert, muss man bedenken, dass Atomreaktoren im Grunde nichts weiter sind als komplizierte und potenziell gefährliche Maschinen zum Wasserkochen, die Dampf erzeugen, mit dem Turbinen angetrieben werden. Wie im Fall der Kohle sind Kernkraftwerke sehr groß – sie liefern rund 1700 Megawatt –, und mit Einstiegspreisen von rund zwei Milliarden US-Dollar pro Stück sind sie sehr teuer. Der von ihnen erzeugte Strom ist jedoch gegenwärtig mit dem aus Windkraft konkurrenzfähig. Weil die Anlagen so groß sind und so viele Sicherheitsfaktoren berücksichtigt werden müssen, kann der Genehmigungsprozess für ein Kernkraftwerk bis zu zehn Jahren dauern, der Bau rund fünf Jahre. Bei einer Entstehungszeit von 15 Jahren und bei noch viel mehr Jahren, bis die Investitionen sich auszahlen, ist Kernkraft nichts für ungeduldige Anleger. Neben den Sicherheitsbedenken erklärt genau das, warum in den USA wie im Vereinigten Königreich seit 20 Jahren keine neuen Reaktoren mehr gebaut worden sind. Drei Dinge vor allem fallen den meisten Menschen ein, wenn das Thema Kernkraft aufkommt: Sicherheit, Abfallentsorgung und Bomben. Der schreckliche Unfall von Tschernobyl in der Ukraine im Jahr 1986 war eine Katastrophe von ungeheuren Ausmaßen, deren Folgen auch zwei Jahrzehnte nach dem Zwischenfall andauern. Schilddrüsenkrebs ist eine seltene Erkrankung, die nur eines von einer Million Kindern spontan bekommt. Aber ein Drittel der Kinder, die unter vier Jahren waren, als sie dem Fallout von Tschernobyl ausgesetzt waren, wird die Krankheit bekommen. Sieben Prozent der ukrainischen Bevölkerung (über 3,3 Millionen Menschen) sind infolge der Kernschmelze erkrankt, und im benachbarten Weißrussland, das 70 Prozent des Fallouts abbekam, ist die Lage noch schlimmer. Nur ein Prozent des Landes ist nicht kontaminiert, 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen müssen auf Dauer brachliegen, und jedes Jahr sterben fast 1000 Kinder an Schilddrüsenkrebs. Gegenwärtig werden 25 Prozent des weißrussischen Staatshaushaltes dafür ausge7 geben, die Nachwirkungen der Katastrophe abzumildern. 306
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Die Kernkraftwerke in den Vereinigten Staaten und in Europa sind überwiegend sicherer, aber wie der Zwischenfall von Three Mile Island zeigte, ist keines wirklich gegen Unfälle oder Sabotageakte gefeit. Da in den USA mehrere Atomreaktoren in der Nähe großer Städte stehen, ist man auch wegen möglicher Terrorangriffe sehr be8 sorgt. Wie es in den USA Ende 2004 um die Kernkraft stand, fasste die National Commission on Energy Policy wie folgt zusammen: »Es wäre wünschenswert, dass die Wahrscheinlichkeit einer größeren Freisetzung von Radioaktivität, pro Reaktor und pro Jahr gemessen, noch einmal um den Faktor zehn oder mehr gesenkt wird [ehe man über eine Verdopplung oder Verdreifachung der Kernkraftkapazitäten nachdenkt]. Das verlangt nach besserem Schutz vor Terrorangriffen und auch vor Fehlfunktionen und menschlichem Versa9 gen.« Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist ein weiterer Grund zur Sorge. In den USA verwies die Nuklearindustrie lange auf die geplante Deponie für hoch radioaktiven Abfall am Yucca Mountain in Nevada als Lösung. Aber die Abfallströme haben jetzt solche Ausmaße angenommen, dass sogar die Yucca-Mountain-Deponie, würde sie morgen eröffnet, sofort voll wäre und man eine weitere brauchte. In Wirklichkeit wird sich die Eröffnung der Yucca-Mountain-Deponie wohl noch jahrelang hinziehen, während sich die Gerichte mit den Einspruchsverfahren beschäftigen. Und auf die Frage, was man mit alten, nicht mehr zu verwendenden Kernreaktoren machen soll, gibt es so gut wie keine Antwort: Allein in den Vereinigten Staaten stehen 103 Kernkraftwerke, die ursprünglich für eine Laufzeit von 30 Jahren genehmigt worden waren, jetzt aber dazu verdammt sind, noch einmal so lange weiterzulaufen. Dieser alternde Maschinenpark muss der Industrie Kopfschmerzen bereiten, vor allem da bislang noch kein Reaktor erfolgreich zerlegt worden ist, was vielleicht daran liegt, dass man die Kosten dafür auf rund 500 Millionen Dollar pro Stück schätzt. Die meisten neuen Kernkraftwerke werden in Entwicklungsländern gebaut, wo eine weniger engmaschige Bürokratie und mehr Zentralismus alles leichter machen. China will in den nächsten 20 Jahre zwei neue Atomreaktoren pro Jahr in Auftrag geben, was in globaler Hinsicht höchst wünschenswert ist, denn 80 Prozent des 307
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chinesischen Stroms werden momentan aus Kohle erzeugt. In Indien, Russland, Japan und Kanada sind ebenfalls Reaktoren in Bau, Genehmigungen für 37 weitere liegen in Brasilien, im Iran, in Indien, Pakistan, Südkorea, Finnland und Japan vor. Das Uran für diese Reaktoren zu beschaffen, wird schwierig werden, denn die Welt verfügt über keine großen Uranreserven, und gegenwärtig wird ein Viertel der Weltnachfrage dadurch befriedigt, dass man den Stoff aus überflüssig gewordenen Nuklearwaffen wiedergewinnt. Das leitet direkt zu dem Problem über, dass Kernwaffen in die falschen Hände gelangen könnten. Wie der momentane Streit um den geplanten iranischen Reaktor lehrt, kann jeder, der angereichertes Uran hat, auch eine Atombombe bauen. Da Kernreaktoren immer weitere Verbreitung finden und politische Allianzen wechseln, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen irgendwann allen zur Verfügung stehen, die sie haben wollen. Die Nuklearindustrie hofft, dass technische Fortschritte zu narrensicheren Reaktortypen führen werden, die Strom zu denselben Kosten wie ein Kohlekraftwerk produzieren. Zu den neuen Reaktortypen zählen weiterentwickelte Kugelhaufenreaktoren, die mit schwach angereichertem Uran arbeiten und kleiner gebaut werden können als konventionelle Anlagen, und verbesserte Druckwasserreaktoren, die Strom billiger erzeugen sollen als Kohlekraftwerke. Wie im Fall der Kohlenstoff-Endlagerung bleibt abzuwarten, ob diese Versprechen eingehalten werden können. Was könnte die Kernkraft dazu beitragen, eine Klimakatastrophe abzuwenden? China und Indien werden wahrscheinlich die Nuklearoption mit allem Nachdruck verfolgen, denn gegenwärtig gibt es für sie keine preiswerte, in großem Maßstab zu verwirklichende Alternative. Beide Länder verfügen bereits über Kernwaffen, also ist das relative Risiko der Proliferation nicht so groß. In der entwickelten Welt jedoch wird jede größere Ausweitung der Kernkraft davon abhängig gemacht werden, ob neue, sicherere Reaktortypen zur Verfügung stehen. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, kontinuierlich Strom zu produzieren. Die Technik der geothermischen Energiegewinnung ist seit langem bekannt, aber obwohl zwischen der Erdkruste unter unseren Füßen und dem geschmolzenen Mantel unseres Planeten große 308
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Mengen Erdwärme gespeichert sind, liefert die Geothermik weltweit bloß magere 10 000 Megawatt. Diese beklagenswerte Lage könnte sich bald ändern, denn mittlerweile spricht sich herum, dass wir an den falschen Stellen nach Erdwärme gesucht haben. Zuvor wurde die Geothermik in Vulkangebieten genutzt, in denen wasserführende Schichten im heißen Fels überhitztes Wasser und Dampf liefern. Es scheint vernünftig, an solchen Stellen nach geothermischer Energie zu suchen, aber man muss auch die Geologie bedenken. Lavaführende Vulkane gibt es nur da, wo die Erdrinde auseinander gerissen ist, sodass das Magma zur Oberfläche dringt. Dafür ist Island ein gutes Beispiel, das an jener Stelle des Meeresbodens entstand, wo Europa und Nordamerika voneinander wegdriften. An solchen Orten steht viel Hitze zur Verfügung, der Energiegewinnung daraus stellen sich aber auch enorme Hindernisse entgegen, wobei die wasserführenden Schichten das größte Problem sind. Zapft man sie an, gibt es zunächst reichlich Wasser und Dampf, bald aber versiegt dieser Strom, und es gibt keine Möglichkeit mehr, die Hitze des Untergrunds zu den Generatoren des Kraftwerks zu bringen. In den achtziger Jahre begannen Betreiber, Wasser in den Untergrund zurückzupumpen, weil sie hofften, es würde erneut erhitzt und könnte wieder verwendet werden. Ziemlich oft verschwand dieses Wasser einfach, denn in Gegenden, in denen die Erdkruste auseinander gerissen ist, gibt es viele senkrechte Spalten, in denen das Wasser verschwindet, statt zum Bohrloch zurückzukehren. In der Schweiz und in Australien finden Firmen kommerziell nutzbare Erdwärme an den unwahrscheinlichsten Stellen. Als Öl- und Gasgesellschaften Prospektionen in den Wüsten des nördlichen Südaustraliens durchführten, entdeckten sie in fast vier Kilometern Tiefe eine Masse Granit, die auf rund 250 °C aufgeheizt war – der heißeste oberflächennahe nichtvulkanische Felsen, der bislang entdeckt wurde. Die Hitze war von natürlicher Radioaktivität im Granit erzeugt worden, und eine fast vier Kilometer dicke Sedimentschicht hielt sie zurück. Wirklich aufregend fanden die Geologen, dass dieser Granit nicht in einer Gegend lag, an der die Erdkruste aufriss, sondern an der sie komprimiert wurde. Das führte zu horizontalen, nicht zu vertikalen Frakturen im Fels. Noch besser ist, dass die Felsen in über309
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hitztem Wasser unter großem Druck baden und die horizontalen Frakturen es möglich machen, dass es leicht wieder verwendet werden kann. Diese eine Felsmasse in Südaustralien hat Schätzungen zufolge genug Hitze gespeichert, um sämtliche Energiebedürfnisse Australiens 75 Jahre lang befriedigen zu können, und das zu den Kosten von Braunkohle, aber ohne CO2-Emissionen. Diese Energiereserve ist so gigantisch, dass die Entfernung zu den Abnehmern kein Hindernis darstellt. Man kann einfach den Strom in solchen Mengen ins Netz einspeisen, dass Übertragungsverluste ausgeglichen werden. Für 2005 ist der Bau von Versuchskraftwerken geplant, dann kann das enorme Potenzial der Geothermik getestet werden. Überall auf der Welt suchen Geologen eifrig nach ähnlichen Lagerstätten, denn wie groß die Ressource sein könnte, ist kaum bekannt. Es gibt jedoch Gründe zu der Annahme, dass Australien mit dieser potenziellen Energiequelle besonders gesegnet ist, denn die letzten 40 Millionen Jahre lang ist der Kontinent stetig um rund acht Zentimeter pro Jahr nach Norden gewandert, und als er vor 15 Millionen Jahren auf Asien traf, wurden enorme Kompressionskräfte freigesetzt. Infolgedessen müssen sich in australischen Bergwerken in einem Kilometer Tiefe die Ingenieure mit Kompressionskräften herumschlagen, die es anderenorts, beispielsweise in Südafrika, erst in fünf Kilometern Tiefe gibt. Das sieht zwar nach einem aufregenden Durchbruch aus, wir müssen aber dabei bedenken, dass bislang nur sehr wenig Strom aus Erdwärme erzeugt worden ist, und selbst wenn die Geothermik ein Erfolgsmodell wird, wird es aller Wahrscheinlichkeit noch Jahrzehnte dauern, bis diese Technik ein gut Teil zur Weltstromerzeugung beiträgt. Die hier diskutierten Energieoptionen stellen die Menschheit vor schwierige Entscheidungen. Billionen Dollar müssen investiert werden, um den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise zu schaffen, und wenn erst einmal ein bestimmter Weg eingeschlagen wurde, wird er so viel Eigendynamik entwickeln, dass es schwer fallen würde, die Richtung zu ändern. Wie könnte das Leben also aussehen, wenn wir die eine Möglichkeit den anderen vorziehen? Bei der Wasserstoff- und der Nuklear310
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Wirtschaft wird höchstwahrscheinlich Energie weiterhin zentral produziert, was den großen Energieunternehmen das Überleben sichern würde. Windkraft- und Solarenergietechniken würden andererseits die Möglichkeit eröffnen, dass die Menschen den größten Teil ihrer Energie für zu Hause und für den Transport und sogar das Wasser (mittels Kondensation aus der Luft) selbst erzeugen können. Wenn wir diesen zweiten Weg einschlagen, stoßen wir die Tür in eine Welt auf, wie wir sie seit den Tagen von James Watt nicht mehr gesehen haben, als ein einziger Energieträger die Nachfrage der Industrie, der Haushalte und des Transportwesens gleichermaßen befriedigte; der große Unterschied wäre nur, dass diese Energie nicht von großen Unternehmen, sondern von uns allen erzeugt würde.
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VON HYBRIDEN, MINICATS UND KONDENSSTREIFEN Was ist es, das da röhren muss, Ist es wohl ein Motorbus? Ja, das stinkende Gebrumm, Kündet von dem Motorbumm ... Dass man derart leben muss: Cincti Bis Motoribus! Domine, defende nos Contra hos motores bos! A. D. Godley, »Der Motorbus«
Wie bekommen wir nun unsere Verkehrssysteme kohlenstofffrei? Weil einige Transportarten, zum Beispiel durch die Luft, Energieträger hoher Dichte brauchen (die bei kleinem Volumen also viel Leistung bringen), ist das eine kitzelige Frage. Bislang laufen die Antworten darauf hinaus, aus Biomasse oder anderen erneuerbaren Quellen maßgeschneiderte Brennstoffe zusammenzubrauen, und Kohleunternehmen untersuchen auch die Möglichkeit, maßgeschneiderte Transportbrennstoffe aus Kohle herzustellen. Bei den erneuerbaren Energien führt Brasilien, denn die Fahrzeugflotte des Landes wird schon zu großen Teilen mit Äthanol aus Zuckerrohr betankt – das in Brasilien besser wächst als irgendwo sonst auf der Welt. In den USA wird Äthanol meist aus Mais hergestellt, aber in den Getreideanbau muss so viel fossiler Brennstoff investiert werden, dass die Verwendung von Mais-Äthanol zu Transportzwecken kaum zu Kohlenstoff-Einsparungen führt. Sollte eine höchst effiziente Äthanolquelle – vielleicht Fanicum virgatum, so genanntes Switchgrass – kultiviert werden können, müssten die Pflanzen auf 20
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Prozent aller landwirtschaftlich nutzbaren Flächen angebaut werden, um die Autos, Schiffe und Flugzeuge der Welt betanken zu können. Die Menschen verbrauchen aber bereits jetzt mehr irdische Ressourcen, als nachhaltig wäre, und diese zusätzliche biologische Produktivität bereitzustellen, dürfte mithin sehr schwer werden. Trotz solcher Probleme werden beim Verkehr so rasche technische Fortschritte erzielt, dass sich Auswege abzeichnen, und nirgendwo wird das so deutlich wie im japanischen Automobilsektor. Während Unternehmen wie Ford in Wasserstofftechnik investieren und Scharen von Rechtsanwälten zur Durchsetzung höherer Flottenverbräuche losgeschickt haben, haben Toyota und Honda Ingenieure eingestellt, die effizientere Autos entwickeln. Folglich konnten sie eine revolutionäre neue Technik auf den Markt bringen, mit der der Benzinverbrauch halbiert und erstaunlichen zukünftigen 10 Entwicklungen der Weg geebnet wird. Bei diesen neuartigen Autos mit Hybridantrieb wird ein Benzinmotor mit einem Elektromotor kombiniert. Den Toyota Prius zu fahren irritiert zunächst, denn nichts röhrt und nichts brummt. Im Gegenteil: Wird der Wagen langsamer oder bleibt er im Stau stehen, geht der 1,5-Liter-Benzinmotor aus und nimmt die Arbeit erst wieder auf, wenn man wieder einiges an Fahrt aufgenommen hat. Währenddessen übernimmt der leise Elektromotor, der mit Strom betrieben wird, welcher teilweise durch das Bremsen gewonnen wird – Energie, die bei einem gewöhnlichen Fahrzeug verpufft. Der Prius hat den Markt im Sturm erobert; mit einer Tankreichweite von rund 1000 Kilometern ist er das mit dem Kohlenstoff am sparsamsten umgehende Auto seiner Größe, und wahrscheinlich wird er das auch noch eine Zeit lang bleiben. Im Vergleich zum Toyota Landcruiser (oder einem der anderen in den USA oder Australien heute so beliebten Allradlern) spart der Prius bis zu 70 Prozent Benzin und CO2-Emissionen. Den gleichen Prozentsatz an Einsparungen halten Wissenschaftler für die Weltwirtschaft bis 2050 erforderlich, wenn der Klimawandel aufgehalten werden soll. Wenn Sie selbst einen wirksamen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten wollen, warten Sie nicht auf die Wasserstoffwirtschaft – kaufen Sie ein Hybridauto. Wäre eine kohlenstofffreie Netzstromversorgung verwirklicht, 313
Die Lösung
würden viele andere Transportoptionen attraktiv. Elektroautos sind seit Jahren auf dem Markt, allein in Frankreich fahren 10000 davon. In Europa werden sogar noch aufregendere Techniken entwickelt, beispielsweise ein experimentelles Luftdruckauto, das sich die Luxemburger Firma Moteur Developpment International ausgedacht hat. Diese Fahrzeuge nutzen dieselbe Tanktechnik wie die mit Methan betriebenen Busse, für die das Gas an Bord komprimiert wird. Bei den geplanten Luftdruckmodellen handelt es sich um die dreisitzigen MiniCATs, die für rund 10 000 Euro verkauft werden sollen, und die sechssitzigen CitiCATs mit Endpreisen um 16 000 Euro. CAT steht für Compressed Air Technology, und beide Modelle sollen bald in Frankreich auf den Markt kommen und wahlweise auch über Hybrid-Benzinmotoren verfügen, um die Reichweite und die Leistung zu verbessern. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von angeblich knapp 120 Stundenkilometern wären sie nicht zu langsam, und mit der vorhandenen Technik sollen Reichweiten von rund 300 Kilometern bei 50 Stundenkilometern Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht werden. Die Wiederbefüllung mit komprimierter Luft soll (ausgehend von französischen Strompreisen) bloß 2,50 Euro kosten. Mit einem Industriekompressor dauert das Wiederbefüllen lediglich drei Minuten, mit einem Heimwerkermodell dreieinhalb Stunden. Bedenken Sie dabei, dass dies das Ford-T-Modell der luftdruckbetriebenen Fortbewegung ist und es daher in den nächsten Jahren vielleicht zu deutlichen Verbesserungen kommen wird. Und da nichts verbrannt wird, braucht der Antrieb auch nur alle 50 000 Kilometer einen Ölwechsel, und zugleich ist alles, was aus dem Auspuff kommt, kalte Luft. Der Nachteil ist bislang, dass die zum Komprimieren der Luft nötige Energie aus dem Stromnetz kommt und letztlich wieder mehr oder weniger CO2-Emissionen in Rechnung zu stellen sind. Stellen Sie sich aber vor, was ein CitiCAT für eine dänische Familie bedeuten könnte. Sie besitzt vielleicht Anteile an einem Windkraftwerk, das ihr Haus mit Elektrizität versorgt, und könnte diese auch benutzen, um Luft für ihr Auto zu komprimieren. Vergleichen Sie dies mit der amerikanischen Durchschnittsfamilie, die, selbst wenn die Wasserstoffund Nuklearoptionen zum Tragen kämen, noch immer ihre Elektri314
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zität und ihre Energieträger zu Transportzwecken von großen Firmen kaufen würde. Indem wir den Klimawandel bekämpfen, können wir nicht nur den Planeten retten, sondern auch den Weg in eine völlig andere Zukunft ebnen. Was ist mit den anderen, immer noch wachsenden Transportsektoren wie beispielsweise dem Schiffs- und Luftverkehr? Eines der schlimmsten Umweltgifte auf der Erde ist das Öl, mit dem Schiffe angetrieben werden. In den letzten paar Jahren hat der internationale Schiffstransport um 50 Prozent zugenommen, was heißt, dass 11 Frachter inzwischen mit die größten Luftverschmutzer sind. Das Zeug, das die Maschinen dieser Schiffe antreibt, besteht aus Überresten von der Produktion anderer Treibstoffe und ist so zäh und voller Beimischungen, dass es erst erhitzt werden muss, bevor es überhaupt durch die Rohre des Schiffes fließt. Satellitenüberwachungen zeigen, dass weltweit viele Schifffahrtsstraßen unter semipermanenten Wolkenstreifen liegen, die aus den Partikel-Emissionen der Schiffsschornsteine resultieren. Dieses Problem zu lösen, ist aber relativ einfach; schließlich war noch vor wenig mehr als einem Jahrhundert der Seeverkehr Sache der Windkraft. Mit modernen Windund Solartechniken und energieeffizienten Maschinen könnte der Schiffsverkehr bis Mitte dieses Jahrhunderts wieder kohlenstofffrei sein. Der Luftverkehr erfordert große Mengen Brennstoff hoher Dichte, wie ihn gegenwärtig nur fossile Brennstoffe liefern können. Auch sein Volumen nimmt Jahr für Jahr zu. 1992 war das Fliegen für zwei Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Und in den USA, wo bereits zehn Prozent des Brennstoffverbrauchs auf Flugzeuge entfallen, erwartet man, dass sich die Anzahl der Passagiere zwischen 1997 und 2017 verdoppeln wird, was den Luftverkehr zum am schnellsten wachsenden Verursacher von CO2- und Stickstoffoxid-Emissionen 12 des Landes macht. Auf der anderen Seite des Atlantiks kommen vielleicht bis 2030 ein Viertel aller CO2-Emissionen des Vereinigten 13 Königreichs aus Flugzeugtriebwerken. Flugzeugabgase bestehen aus einem Cocktail von Chemikalien, die partiell in entgegengesetzter Richtung wirken. Moderne Jets fliegen meist am Rand der Troposphäre, wo der Wasserdampf, das Stickstoffoxid und das Schwefeloxid in ihren Abgasen eine ganz eigene 315
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Wirkung entfalten. Das Stickstoffoxid kann den Ozongehalt in der Troposphäre und der unteren Stratosphäre anheben, den der oberen Stratosphäre aber senken; das Schwefeldioxid hat abkühlende Wirkung. Als wichtigste Emission hat sich aber der Wasserdampf erwiesen, 14 den wir als Kondensstreifen wahrnehmen. Unter bestimmten Bedingungen werden aus den Kondensstreifen Zirruswolken. Diese Wolkenart bedeckt rund 30 Prozent des Planeten. Es ist zwar noch nicht sicher, welchen Anteil daran die Kondensstreifen haben, es könnten aber bis zu einem Prozent sein, was sich deutlich auf das Klima auswirken dürfte, weil die Kondensstreifen in den mittleren 15 Breitengraden der Nordhalbkugel konzentriert sind. Flögen die Flugzeuge tiefer, könnte man die Bildung von Zirruswolken halbieren und die CO2-Emissionen um vier Prozent senken, während die durchschnittlichen Flugzeiten über Europa um weniger als eine Mi16 nute variieren würden. Wie weiter oben erwähnt, zeigten sich die möglichen Auswirkungen dieser Wolken auf das Klima im Jahr 2001 zwischen dem 11. und dem 14. September, als die Zivilluftflotte der USA am Boden blieb. Die durchschnittlichen Tagestemperaturen stiegen abrupt um 1 °C, was mit anderen Faktoren nicht zu erklären war. Das lässt den Schluss zu, dass Kondensstreifen die von CO2 verursachte Erwärmung abfedern. Vielleicht müssen wir sie weiter freisetzen, während wir unsere Kohlenstoffmengen reduzieren. Ohnehin scheint es gegenwärtig keine Möglichkeit zu geben, ein Flugzeug mit einem weniger schädlichen Ersatz für fossile Brennstoffe zu betreiben. Solange wir nicht zu den gemütlicheren Tagen der Zeppeline zurückkehren, werden Flugreisen noch CO2-Emissionen verursachen, nachdem andere Sektoren bereits längst zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise übergegangen sind. Transport und Verkehr sind für rund ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Zu Land und zu Wasser können sie leicht so betrieben werden, dass weniger CO2 freigesetzt wird, und die Techniken dafür gibt es bereits oder sie zeichnen sich am Horizont ab. Der Luftverkehr jedoch nimmt schnell zu und wird wahrscheinlich mit nichts anderem als fossilen Energieträgern möglich sein. Glücklicherweise tragen die Kondensstreifen der Jets zum glo316
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balen Dimmen bei, sodass es gut sein kann, dass die Jets noch immer fliegen, wenn mit Wind- und Sonnenenergie betriebene Schiffe und Luftdruckautos schon längst das Transportmonopol auf der Erdoberfläche haben.
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DIE LETZTE HÖHERE GEWALT? Als »höhere Gewalt« wurde definiert, was kein vernünftiger Mensch hätte erwarten können. A. P. Herbert, Uncommon Law, 1935
Irgendwann in diesem Jahrhundert wird der Tag kommen, da der menschliche Einfluss auf das Klima alle natürlichen Faktoren übertrifft. Dann werden die Versicherungsgesellschaften und die Gerichte nicht länger von »höherer Gewalt« sprechen können, weil selbst die Unvernünftigsten von uns die Folgen hätten vorhersehen können. Stattdessen werden die Richter vor der Aufgabe stehen, Schuld und Verantwortung für menschliches Verhalten zuzuweisen, das aus dem neuen Klima resultiert. Und das, denke ich, wird alles verändern. Stellen Sie sich einen Moment lang vor, dass Sie als Kamelhirte im Sudan leben. Ihr gesamtes Leben lang haben Sie nichts anderes als schlechte Jahre gekannt, und verzweifelt haben Sie Ihre Herde auf das Land der Bauern geführt, mit denen Sie früher Handel trieben und über Eheschließungen verwandt waren; dort trampeln Ihre Tiere jetzt die Ernte nieder und säen Zwietracht. Jahrzehntelang hat die Welt Ihnen die Schuld gegeben, weil Sie angeblich mit den natürlichen Ressourcen schlecht gewirtschaftet haben, und jetzt klagt Sie die mächtigste Regierung der Welt wegen Völkermords an. Aber dann finden Sie einen positiven Beweis – sofern die Wissenschaft so etwas liefern kann –, dass es nicht mehr regnet, weil die reichsten und mächtigsten Länder unseren großen Luftozean verseucht und damit die Menschen des Sahel unter der Knute des Hungers, der Armut und des Krieges zerrieben haben. Was ist der Preis für diese Ungerechtigkeit? Wenden Sie dieselbe Frage auf die Arktis an, auf die politisch ein318
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flussreichen Farmer Australiens, auf die Küstenbewohner weltweit und auf den Rest des Planeten, und dann werden Sie sehen, dass der Klimawandel eine ganze neue Prozessindustrie gegen die lostreten könnte, die bewusst, aber ohne sich darum zu kümmern, die Welt verdreckt haben. Die ersten Tropfen der kommenden Sintflut fallen bereits, und nirgendwo tröpfeln sie so schnell wie im Rechtsstreitparadies USA. Im Juli 2003 kündigten drei Neuenglandstaaten an, sie würden die Bundesregierung verklagen – und bis zum Oktober hatten sich zehn Bundesstaaten im Nordosten zusammengeschlossen, um auf dem Rechtsweg die Federal Environment Protection Authority dazu zu zwingen, Maßnahmen gegen CO2 als Umweltgift zu ergreifen. (Das war höchste Zeit, hatte sich doch schon 2001 der Kohlelobbyist und Cheney-Vertraute Quin Shea gebrüstet: »Wir unternehmen jetzt gerade Schritte, um jedes Stück Papier zu revidieren, das die EPA ver17 fasst hat und auf dem sie CO2 als Umweltgift bezeichnen konnte.« ) Wie diese Verfahren ausgehen werden, ist unsicher, doch noch ehe darüber entschieden ist, sind bereits andere vielversprechende Klageschriften aufgetaucht. Es sollte nicht allzu schwer sein, die Schuld für Klimakatastrophen von den Gerichten zuweisen zu lassen, denn es ist möglich abzuschätzen, wie viele zusätzliche Gigatonnen CO2 beispielsweise infolge der Aktivitäten der Global Climate Coalition in die Atmosphäre gelangt sind. Und dementsprechend kann man ausrechnen, wie viel sie zur Erwärmung des Planeten beigetragen haben. Dieser lässt sich eine Auswirkung auf das Klima zuordnen und der wieder eine Dollarzahl. Angesichts der Rechtsstreitigkeiten, in die die Asbest- und Tabakindustrien verwickelt wurden, kann man sich leicht vorstellen, dass die einstigen Mitglieder der Global Climate Coalition mit ähnlichen Prozessen überzogen werden. Zu einem interessanten Rechtsstreit kam es Ende 2004, als die Inuit wegen der Schäden, die die globale Erwärmung ihrer Kultur und ihren 155 000 Menschen zufügte, die Inter-American Commission on Human Rights anriefen. Diese Schäden resultieren aus einem Klimawandel, der sich doppelt so schnell vollzieht wie im globalen Durchschnitt. Nicht nur ihre traditionellen Nahrungsquellen – Robben, Bären und Karibus – verschwinden, auch ihr Land verschwindet 319
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in einigen Fällen unter ihren Füßen. Das Dorf Shishmaref in Alaska wird unbewohnbar werden, weil wegen der steigenden Temperaturen die Packeisdecke zurückgeht, der Permafrostboden auftaut und 18 die Küste erodiert. Hunderte Quadratmeter Land und mehr als ein Dutzend Häuser hat das Meer bereits verschlungen, und es gibt Pläne, den ganzen Ort umzusiedeln – was 100 000 Dollar pro Ein19 wohner kosten wird. Shishmaref ist ein besonders trauriger Fall. Die Bevölkerung zählt zwar nur 600 Köpfe, aber es gibt die Siedlung seit mindestens 4000 Jahren, und die Bewohner werden wohl die Ersten sein, die vor dem Klimawandel fliehen müssen. Wo sie hingehen werden, ist unklar, denn sie sagen: Die Arktis wird zu einer gefährdeten Umwelt, weil das Packeis weniger stabil ist, es zu ungewöhnlichen Witterungsverhältnissen kommt, die Vegetationsdecke sich verändert und bestimmte Tiere nicht mehr während der gewohnten Jahreszeiten in den traditionellen Jagdrevieren zu finden sind. Die regionalen Landschaften, das Meer und auch das Eis werden zunehmend unvertraut, die Menschen fühlen sich wie Fremde im eigenen 20 Land.
Die Entscheidungen der Menschenrechtskommission, an die sich die Inuit wandten, sind zwar rechtlich nicht bindend, aber ein positives Urteil könnte sie in die Lage versetzen, entweder die US-Regierung vor einem internationalen Gericht oder US-Firmen vor einem Bundesgericht zu verklagen. In beiden Fällen werden sich die Inuit wahrscheinlich sowohl auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen, den so genannten UN-Zivilpakt, berufen; die Allgemeinen Menschenrechte legen fest, dass jeder einen Anspruch auf eine Volkszugehörigkeit hat und niemand »willkürlich seines Eigentums beraubt werden« darf; und dem UN-Zivilpakt zufolge darf »in keinem Fall ein Volk seiner Subsistenzmittel beraubt« werden. Letztlich wird sich der Prozess um weit mehr als nur das drehen, denn die Veränderungen in der Arktis sind so ungeheuerlich, dass die Inuit vielleicht das erste Volk sein werden, das seine Zivilisation – sein Land und seine Lebensweise – ausgelöscht sehen wird. Der Untergang eines Volkes und seiner Kultur ist etwas Ungeheu320
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erliches, wie der Anthropologe Jon Barnett von der University of Melbourne und sein Kollege Neil Adger betonen: »Weniger als alles Mögliche zu unternehmen, um den Verlust einer souveränen Entität zu verhindern, bedeutet für alle Staaten, die grundlegendste und einflussreichste Norm internationalen Rechts und internationaler Poli21 tik zu unterminieren.« Soweit ich weiß, gibt es noch keinen Ausdruck für die Auslöschung eines souveränen Staates, aber vielleicht müssen wir bald einen erfinden. Andere vom Klimawandel unmittelbar bedrohte Menschen leben in den fünf selbständigen Atoll-Ländern. Atolle sind ringförmige Korallenriffe, die eine Lagune umschließen; sie bilden Inseln und Eilande, die den Meeresspiegel durchschnittlich um gerade mal zwei Meter überragen. Kiribati, die Malediven, die Marshall-Inseln, Tokelau und Tuvalu – zusammen Heimat rund einer halben Million Menschen – bestehen ausschließlich aus Atollen. Wegen der Zerstörung der Korallenriffe, wegen des Ansteigens des Meeresspiegels und der sich intensivierenden Unwetter scheint es unausweichlich, dass diese Länder noch in diesem Jahrhundert zerstört werden. Da sie in so prekärer Lage sind, könnte man sich wundern, warum sie nicht in internationalen Foren zum Klimawandel aktiv sind. Das liegt aber nicht an Faulheit, sondern an Schikanen eines Landes, das zu den schlimmsten CO2-Verursachern gehört: Australien. Politische Verhandlungen sind zwar oft brutal, aber im Vorfeld von Kyoto benahm sich Australien besonders schändlich. Moralisch am verwerflichsten war, dass die Nachbarn auf den Pazifikinseln gezwungen wurden, ihre Position aufzugeben, die Welt müsse »entschlossene Maßnahmen« gegen den Klimawandel ergreifen. »Wir sind ein kleines Land, und wir hängen so sehr von dem großen ab, dass wir nachgeben mussten«, sagte Bikenibu Paeniu, Premierminister von Tuvalu, nach dem Südpazifik-Kongress, bei dem Australien seine Forderungen auf den Tisch gelegt hatte. Es muss zu den unverschämtesten in diesem Zusammenhang gemachten Äußerungen gezählt werden, was Dr. Brian Fisher, der oberste Klimawandel-Wirtschaftsberater der australischen Regierung, bei einer Konferenz in London sagte: Es wäre »effizienter«, die kleinen Staaten auf den Pazifikinseln zu evakuieren, statt von der 321
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australischen Industrie zu verlangen, ihre Kohlendioxid-Emissionen 22 zu reduzieren. Angesichts dieser eiskalten Arroganz beschritten die Tuvaluer den einzig verbliebenen Weg: Sie handelten für die gesamte Bevölkerung Einwanderungsrechte mit Neuseeland für den Fall aus, 23 dass der Klimawandel ernsthafte Folgen zeitigt. Selbst wo Länder nicht so sehr vom Klimawandel bedroht sind, wird es noch immer große Gewinner und große Verlierer geben. Den momentanen Prognosen zufolge werden zwei Staaten – Kanada und Russland – 90 Prozent der Vorteile einstreichen, die die globale Erwärmung bei den Ernteerträgen bringt, während andere Regionen wie etwa Afrika und Indien viel verlieren werden, obwohl sie nur ein 24 bisschen Erwärmung abbekommen. Selbst konservative Untersuchungen sagen eine Verdreifachung der Zahl von Hunger bedrohter Menschen bis 2080 voraus, und solche Veränderungen könnten das 25 Thema Naturrecht in den Mittelpunkt unseres Denkens rücken. Auch die Gesundheit bleibt nicht ausgenommen. Wenn sich unser Globus um ein bis zwei Grad erwärmt, wird der Anteil der von Ma26 laria bedrohten Menschen von 45 auf 60 Prozent steigen. Was ist dann mit den Leuten, die heute am Rand der Malariagebiete leben und mit Sicherheit davon betroffen sein werden? Nimmt man den steigenden Meeresspiegel hinzu, die sich ändernden Bahnen von Stürmen, Unwetter und Hitzewellen, dann bekommt man ein Gespür dafür, in welchem Umfang rechtliche Schritte in einer Welt ohne höhere Gewalt möglich werden. Vielleicht muss in Zukunft ein internationaler Gerichtshof zur Schlichtung solcher Rechtsstreitigkeiten geschaffen werden. Mit all dem im Hinterkopf ist es schwer, nicht auf die Idee zu kommen, dass jede Lösung der Klimakrise auf den Prinzipien des Naturrechts basieren muss. Wenn demokratische Regierungen sich nicht freiwillig an diese Prinzipien halten, ist es letztlich Aufgabe der Gerichte, sie dazu zu zwingen. In diesem Fall wird das Prinzip, dass »der Verunreiniger zahlt«, am wichtigsten werden, denn das impliziert auch, dass der Verschmutzer das Opfer entschädigen muss. Vor dem Kyoto-Protokoll hatten alle Individuen das uneingeschränkte Recht, die Atmosphäre mit Treibhausgasen zu verunreinigen. Jetzt haben die Unterzeichnernationen nur das international anerkannte Recht, sie in bestimmten Grenzen zu verschmutzen. Was 322
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heißt das aber, fragt man sich, für die, die das Protokoll nicht ratifiziert haben? Das ist eine Frage, die vor den Gerichten dieser Welt in Betracht gezogen werden muss.
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2084: DIE KOHLENSTOFF-DIKTATUR? Wenn ... der Mensch so weit in Gaias Machtbereich eindringt, dass sie nicht mehr funktioniert, wird er eines Tages aufwachen und feststellen, dass er jetzt die permanente, lebenslange Aufgabe hat, den Planeten technisch zu warten ... Dann müssen schließlich wir diesen merkwürdigen Mechanismus steuern, dieses »Raumschiff Erde«, und was immer dann an gezähmter und domestizierter Biosphäre noch übrig ist, es wäre in der Tat unser »Lebenserhaltungssystem«. James Lovelock, Gaia, 1979
Paul Crutzen hatte mitgeholfen, die Welt vor der Ozonzerstörung durch CFKs zu retten, und dafür bekam er den Nobelpreis. Angesichts des drohenden Klimawandels hat sich Crutzen erneut in die Debatte eingemischt, und er denkt bereits weit voraus. »In der Zukunft wird es vielleicht international genehmigte geotechnische Großprojekte geben ... um das Klima zu optimieren«, meinte er 2002 in Nature. Das ist ein Gedanke, der eine Überlegung wert ist, und dafür müssen wir zunächst schauen, wohin das große menschengemachte Spiel der Klimaveränderung führen mag. Ich sehe drei Möglichkeiten: 1. Wir reagieren bei der Begrenzung von Emissionen zu langsam oder zu wenig koordiniert und können große Klimaveränderungen nicht mehr abwenden, die die Lebenserhaltungssysteme der Erde zerstören und unsere Zivilisation destabilisieren. Infolgedessen wird die Menschheit in lang anhaltende finstere Zeiten zurückgeworfen, die bitterer sein werden als alle zuvor, denn es wird noch immer die zerstörerischsten je erfundenen Waffen geben, aber die Mittel zu ihrer Kontrolle und zur Friedenserhaltung werden verschwunden sein. Solche Veränderungen könnten schon 2050 ihren Anfang nehmen. 324
2084: Die Kohlenstoff-Diktatur?
2. Die Menschheit reagiert prompt – auf individueller, nationaler und wirtschaftlicher Ebene –, reduziert die Emissionen und vermeidet so ernsthafte Klimafolgen. Von den momentanen Trends ausgehend, werden wir spätestens um 2030 damit begonnen haben müssen, unsere Netzstromversorgung in erheblichem Maß kohlenstofffrei zu bekommen, und Transport und Verkehr müssen bis 2050 substanziell umgestellt sein. Haben wir damit Erfolg, werden bis 2150 die Treibhausgas-Niveaus so weit gesunken sein, dass Gaia wieder die Steuerung des irdischen Thermostats übernehmen kann. 3. Die Emissionen werden genügend reduziert, um eine regelrechte Katastrophe zu vermeiden, die Ökosysteme der Erde werden aber trotzdem schwer geschädigt. Wenn das Klima auf des Messers Schneide steht, wird Crutzens Vision international vereinbarter geotechnischer Projekte zwingend nötig. Die Zivilisation wird Jahrzehnte oder Jahrhunderte am Rand des Abgrunds stehen, und in dieser Zeit muss der Kohlenstoffzyklus streng kontrolliert werden, wozu große wie kleine geotechnische Projekte nötig sind. Bei diesem letzten Szenario hätte die Menschheit keine andere Wahl, als eine Welt-Kommission für Thermostatsteuerung einzusetzen, und so etwas könnte leicht aus dem Kyoto-Protokoll hervorgehen. Lassen Sie uns zu Anfang überlegen, was die Kommission wegen des CO2 unternehmen könnte – des wichtigsten der gut 30 Treibhausgase, mit denen sie sich beschäftigen müsste. Zu den bedeutendsten ersten Aufgaben – und das war schon in Kyoto von Belang – würde gehören, den Wert des Kohlenstoff-Dollars aufrecht zu erhalten, indem sie eingreift, wo immer der Kohlenstoff-Emissionshandel nicht funktioniert und wo eingelagerter Kohlenstoff freigesetzt wird. Weil Projekte wie Aufforstungen und der Bau von Endlagern sehr zeitraubend sind, müsste die Kommission die 2005 gemünzten Koh27 lenstoff-Dollar jahrhundertelang überwachen. Wahrscheinlich müsste die Kommission die Ozeane zur Regulierung des irdischen Thermostats heranziehen. Dies würde eine neuartige internationale Zusammenarbeit bei der Nutzung dieses globalen ozeanischen Gemeinschaftsbesitzes erfordern, und es ist möglich, dass auch die Arktis und die Antarktis in diese neuen Vereinbarungen mit einbezogen würden, womit unsere letzten globalen Allmenden von Belang reglementiert würden. Wegen der Bedeutung der Böden 325
Die Lösung
als Kohlenstofflager müsste sich die Kommission weltweit tief in die Landwirtschaft und den Landverbrauch einmischen, und man kann sich weitreichende Reglementierungen vorstellen, was die Land- und Forstwirtschaft und andere Arten der Bodennutzung angeht. Wenn sich die Klimakrise verschlimmert, muss die Kommission vielleicht auch angerufen werden, um Fälle zu schlichten, in denen ein Land aufgrund des Klimawandels stark benachteiligt ist, während es anderen gut geht. Australien beispielsweise könnte sich am Rand des Zusammenbruchs wiederfinden, weil in seinen Bevölkerungs- und Landwirtschaftszentren die Regenfälle ausbleiben, während Kanada möglicherweise aufgrund derselben klimatischen Veränderungen Rekordernten einfährt und sich milder Winter erfreut. Wenn eine solche Kommission Fuß fasst, würde sie ihre Macht und ihren Einfluss mit der Verschärfung der Klimakrise ausweiten, und schließlich würde sie sich aus schierer Notwendigkeit in alles einmischen, was bis dahin die Aufgabe souveräner Staaten war. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass eine solche Entwicklung, wie notwendig sie zur Stabilisierung des globalen Klimas auch sein mag, nicht von einigen Ländern hinterfragt würde. Täuschungsmanöver und Schleifenlassen sollte man erwarten, aber es könnte auch möglich sein, dass ein Land der Kommission einfach nicht Folge leistet. Wie müsste die Kommission beispielsweise mit »Trittbrettfahrern« umgehen, die globale Vorschriften zum Schaden aller anderen missachten? Die hinter der Kommission stehenden Länder müssten eine Reihe von Maßnahmen, darunter auch Sanktionen, vorsehen, die sich schon in der Vergangenheit als unverzichtbar erwiesen haben, wenn sichergestellt werden sollte, dass kein Land aus einem internationalen Vertragswerk ungerechtfertigte Vorteile zieht. Und damit solche Strafmaßnahmen auch maximale Wirkung zeigen, brauchte man einen internationalen Gerichtshof sowie – als letztes Mittel – internationale Streitkräfte, die gegen die Übeltäter eingesetzt werden könnten. Vielleicht würden sie grüne Helme tragen statt blauer, aber die UN-Friedenstruppen wären ein gutes Vorbild, wie dieser bewaffnete Arm der Kommission sich entwickeln könnte. Unsere Atmosphäre ist so empfindlich, und wir Menschen haben ihr jetzt so viele Lasten aufgebürdet, dass die Arbeit der Kommission 326
2084: Die Kohlenstoff-Diktatur?
wohl nicht bei den Treibhausgasen endet: Auch die Wasserstoffwirtschaft könnte zu ihrem Aufgabenbereich werden. Molekularer Wasserstoff ist ein atmosphärisches Spurengas, dessen Anteil momentan nur ein halbes Teil pro einer Million beträgt und dessen Lebensspanne nur zwei Jahre währt. Die zukünftige Wasserstoffwirtschaft erfordert den jährlichen Transport eines Mehrfachen der Gesamtmenge des heute in der Atmosphäre befindlichen Wasserstoffs, und 28 wie wir erfahren haben, tritt Wasserstoff leicht durch Lecks aus. Wenn wir die Hälfte der heute benutzten fossilen Energieträger durch Wasserstoff ersetzen, riskieren wir eine Verdoppelung seiner Konzentration in der Atmosphäre. Zu den wichtigsten unerwünschten Eigenschaften von Wasserstoff zählt seine Fähigkeit, den Methangehalt um bis zu vier Prozent zu erhöhen. Da die Gaswirtschaft als Übergang zur Wasserstoffwirtschaft betrachtet wird, könnte dies schwere Treibhauskonsequenzen für eine Welt haben, die bereits mit flüchtigen Methan-Emissionen überlastet ist. Darüber hinaus sind die Hauptlagerstätten für molekularen atmosphärischen Stickstoff die Böden, in denen Mikroorganismen den Stickstoff binden, und welche Folgen eine Vermehrung des mo29 lekularen Wasserstoffs für diese hätte, ist unbekannt. Wenn wir Wasserstoff in solchem Umfang einsetzen, dass wir die Transportflotten der gesamten Welt damit betreiben, bestünde sogar die Möglichkeit, dass er sich auf den Wasserdampf in der Stratosphäre, auf die planetarischen Temperaturen und das Ozon auswirkt. Auf diesem Gebiet führende Forscher haben kürzlich festgestellt: »Eine Bewertung der Klimafolgen im Falle einer [Wasserstoffwirtschaft] hat ge30 rade erst begonnen.« Da die Chemiker immer trickreichere Verbindungen basteln und wir uns der Folgen für die Atmosphäre immer bewusster werden, ist zu erwarten, dass immer mehr planetarische Prozesse unsere Kommission interessieren werden. Und da sie mit so vielen Problemen konfrontiert ist, könnten sich einige Kommissare möglicherweise bald in der Situation des Jungen wiederfinden, der das Loch im Deich mit dem Finger zuhält, nur um mitzuerleben, wie das Wasser überall um ihn herum durchbricht. Bald wird ihnen aufgehen, dass der Strom neuer, die Stabilität des Klimas gefährdender Probleme nicht abreißt, solange das Bevölkerungswachstum anhält. 327
Die Lösung
Unvermeidlicherweise wird eines Tages ein Kommissar erklären, die Arbeit der Kommission wäre wesentlich effizienter, wenn man sich auf die Wurzel des Übels konzentrierte: die Gesamtzahl der Menschen auf der Erde. Und mit diesem Schachzug wird sich die Welt-Kommission für Thermostatkontrolle zu einer Orwell’schen Weltregierung gewandelt haben, die eine eigene Währung, eine eigene Armee und die Kontrolle über jede Person und jeden Quadratzentimeter auf unserem Planeten hat. So albtraumhaft ein solches Endergebnis auch wäre, wenn wir den Kampf gegen die Klimakrise nicht umgehend aufnehmen, könnte die Kohlenstoff-Diktatur für uns lebenswichtig werden. Es ist noch keine 250 Jahre her, dass wilde Kerle aus dem schottischen Hochland, die nichts von der englischen Sprache, von Geld oder von Hosen wussten, ihr Vieh, das ihr einziges Vermögen war, auf die Märkte englischer Städte trieben, um sich ein paar Luxusgüter wie Schießpulver und Salz zu kaufen. Heutzutage führt kein Bürger irgendeiner entwickelten Nation ein so selbstbestimmtes Leben wie jene rauen Hochlandburschen, denn wir sind die Nachfahren derer, die diese »Freiheit« für eine stabile Regierung, drei anständige Mahlzeiten am Tag, bequeme Transportmöglichkeiten und die trickreichen Maschinen eintauschten, die uns etwas über den Klimawandel verraten. Und zu gegebener Zeit haben Menschen weitere Freiheiten aufgegeben, um mit entsetzlichen Bedrohungen fertig zu werden. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika haben die großartigste Nation erschaffen, die die Welt bis jetzt gesehen hat, und sie taten das, weil sie sich vor einer überwältigenden äußeren Gefahr fürchteten – der britischen Krone. Die Vereinigten Staaten zu erschaffen war nicht leicht, denn die Gentlemen im Süden, die Pferderennen, Theater und ihre Sklavenplantagen liebten, mussten sich irgendwie mit den puritanischen Neuengländern zusammenraufen, die solche Dinge für Teufelswerk hielten. Aber irgendwie einigte man sich, und damit hatte jeder der dreizehn Unterzeichnerstaaten einen erheblichen Teil seiner Souveränität abgetreten. Die Gründerväter schufen – mit großem Erfolg – eine politische Entität, die genügend Masse hat, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen, aber auch genügend Sicherheitsvorkehrungen, um die Freiheit zu bewahren. 328
2084: Die Kohlenstoff-Diktatur?
Die Menschheit hat in so kurzer Zeit einen so weiten Weg zurückgelegt, dass unsere Vorstellungskraft hoffnungslos in der Vergangenheit stecken geblieben ist. Vielleicht ist sie wie im Fall vieler amerikanischer Neokonservativer im Wilden Westen oder im letzten Weltkrieg gefangen. Bei anderen hängt sie an obsoleten nationalen Identitäten oder Ideologien. Und weil unsere Phantasie noch immer in diesen verschwundenen Landschaften schwelgt, mag unsere Reaktion auf den Klimawandel so unsinnig scheinen. Dieser Umstand, glaube ich, hat einige Konservative dazu verleitet, die Gefahren des Klimawandels zu ignorieren und gleichzeitig so eifersüchtig unsere »Freiheit« zu verteidigen. Wenn das große Geschäft mit Kohle und Öl und die damit zusammenhängenden Interessen weiterhin die Welt daran hindern, den Kampf gegen den Klimawandel aufzunehmen, bekommen wir vielleicht bald eine Welt-Kommission für Thermostatkontrolle. Die einzige Möglichkeit, sowohl die Tyrannei als auch die Vernichtung abzuwenden, besteht darin, wie die amerikanischen Gründerväter zu agieren, nämlich dem Aufruf zum Handeln rasch zu folgen und gerade ausreichend Macht an eine übergeordnete Autorität abzutreten, um der Gefahr die Stirn bieten zu können. Und das wird nur funktionieren, wenn wir jetzt handeln, noch ehe die Krise in vollem Umfang da ist.
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ES IST HÖCHSTE ZEIT Der Gedanke an unsere wunderbare Atmosphäre mit ihren vielfältigen Bezügen zum menschlichen Leben, wie zu allem Leben, hat mich zu diesem Aufschrei für die Kinder und für die empörte Menschheit genötigt ... Stellen Sie alles dem hintan ... Geben Sie Ihre Stimme keinem, der sagt: »Das kann nicht getan werden.« Wählen Sie diejenigen, die erklären: »Es wird getan werden.« Alfred Russel Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903
Wenn alle, die die Möglichkeit dazu haben, mit konzertierten Aktionen atmosphärische Kohlenstoff-Emissionen aus ihrem Leben verbannen, können wir meiner Überzeugung nach die Kryosphäre stabilisieren und anschließend retten. Wir könnten 90 Prozent der gegenwärtig bedrohten Spezies vor dem Aussterben bewahren, das Ausmaß extremer Witterungsverläufe eindämmen und damit die Verluste sowohl an Menschenleben als auch an materiellen Werten auf einen Bruchteil der Prognosen reduzieren sowie die Wahrscheinlichkeit, dass es noch in diesem Jahrhundert zu einer der drei großen Katastrophenszenarios kommt, fast auf null zurückfahren. Damit das passiert, müssen Individuen, Industrie und Regierungen jetzt etwas gegen den Klimawandel tun: Auch nur noch ein Jahrzehnt zu zögern, wäre viel zu viel. Glaubwürdige Daten besagen, dass der Welt irgendwann zwischen heute und 2010 das billige Öl ausgehen 31 wird. Die wenigen Jahre bis zum Beginn der Ölverknappung sind die entscheidenden, wenn der Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise gelingen soll, denn dies ist der Zeitpunkt, zu dem wir am einfachsten und mit den geringsten Kosten neue Infrastrukturen und Technologien aufbauen können.
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Es ist höchste Zeit
Die Hand am Drücker haben dabei die Vorstandsvorsitzenden der großen Energieunternehmen. Einige scheinen zu hoffen, dass der Klimawandel einfach ausbleibt, wenigstens bis zu ihrer Pensionierung. Die Schlimmsten unter ihnen drängen aggressiv auf den Bau neuer Kohlekraftwerke, und ihren Einfluss darf man nicht unterschätzen: Sogar im australischen Bundesstaat Neusüdwales, der einen bekannten Umweltschützer zum Premierminister hat und der unter der schlimmsten je verzeichneten Dürre leidet, versuchen sie neue Kohlekraftwerke zu errichten. Und dies trotz der Tatsache, dass die bereits existierenden ein Fünftel jener Wassermenge verbrauchen, die den vier Millionen Einwohnern von Sidney zusammengenommen reicht! Wie immer Vorstandsvorsitzende von Energieunternehmen über den Klimawandel denken, allen sind ein paar Dinge gemeinsam. Alle sind ihrem Aufsichtsrat, den Aktionären und ihren Angestellten gegenüber verantwortlich, und man kann sicher sein, dass sie über die heraufziehende Katastrophe bestens informiert sind; auf Unwissenheit können sie sich nicht berufen. Daneben hat die Liberalisierung des Energiesektors dazu geführt, dass alle zunehmend von den Launen des Marktes abhängig sind, und aus diesem Grund kommt es entscheidend auf das Verhalten von Konsumenten und Investoren an. Die Kohleverbrenner unter den Energieerzeugern stehen vor einem schwierigen Dilemma, aber unlösbar ist es nicht. Genau wie sich die Ölmultis nun auf das Gas verlagern, müssten sich auch die Kohlemultis etwas anderes suchen. In Zeiten, da die Kohlepreise auf einem Allzeithoch sind, scheint dafür nicht viel zu sprechen – aber genau das haben die Ölgesellschaften getan und tun es immer noch, und zwar aus ziemlich denselben Gründen: Ausbleibender Nachschub oder Begrenzungen der Emissionen haben zur Folge, dass weder Öl noch Kohle langfristig eine Zukunft hat. In welche Richtung könnten die Kohlemultis also gehen? Biomasse (Brennstoff aus landwirtschaftlichen Abfällen oder anderem Pflanzenmaterial) ist nichts anderes als junge Kohle, es wäre also ein nahe liegender Schritt, wenn die Kohlemultis in diese neue Technologie investierten. Das globale Dimmen verweist darauf, dass wir CO2 aus der Atmosphäre holen müssen, um das Erdklima zu stabilisieren. Das könnte man tun, indem man Biomasse verbrennt und das dabei freigesetzte CO2 auffängt; so würden die von der Industrie in 331
Die Lösung
der Vergangenheit verursachten Schäden ein Stück weit wettgemacht. Die Bergbaugesellschaften brauchten Unterstützung, um den Übergang zur Biomasse zu schaffen, und die Regierungen könnten helfen, indem sie zwingend vorschreiben, dass ein bestimmter Prozentsatz aller verbrannten Energieträger aus Biomasse stammen muss. Aber würde sich die Industrie tatsächlich von all der Kohle in den Bergwerken und den noch nicht erschlossenen Reserven abwenden? Arthur C. Clarke hatte die Erkenntnis, dass die Kohlereserven der Erde ein wichtiges Werkzeug im Mechanikerkasten des planetarischen Wartungsingenieurs sind. Denn die Milankovic-Zyklen sind nicht verschwunden und unser Planet wird, sofern das Erdklima nicht in eine neue ultraheiße Phase umkippt, binnen einiger tausend Jahre eine Abkühlung erleben, die Vorbote einer neuen Eiszeit sein wird. Was wird die Menschheit dann tun? Wenn die Regierungen der Welt die Erschließung neuer Kohlereserven verbieten und alle existierenden Vorräte aufkaufen würden, könnte uns die Kohle, die heute unser Feind ist, wirkungsvoll vor dem Ausbruch einer neuen Eiszeit schützen. Der Arthur C. Clarke Fund for Avoidance of the New Ice Age könnte in das Kyoto-Protokoll eingebunden werden, und die Staaten der Welt könnten gemäß ihrer Kapazitäten zum Aufkauf der Kohle beitragen. Noch viele andere Dinge könnten Regierungen tun, um sowohl regional als auch global die Konsumenten wie die Industrie bei ihren Anstrengungen zu unterstützen. Am wichtigsten wäre, den Bau oder Ausbau veralteter Kohlekraftwerke zu verbieten. Das wäre ein deutliches Signal für den Markt, in welche Richtung die Energieerzeugung in Zukunft geht. Genauso wichtig sind Gesetze zur Energieeinsparung, die Teil jeder politischen Überlegung sein sollten. Dazu zählen stetig strengere Vorschriften für die Energieeffizienz von neu auf den Markt kommenden Produkten, eine strikte Begrenzung der Emissionen auf der Ebene der Privathaushalte, Gesetze, die den nachträglichen Einbau von solchen Geräten erleichtern, die Haushaltsemissionen reduzieren, und die Planung von Transportsystemen unter Berücksichtigung ihrer Gesamtenergiebilanz. Entscheidend ist auch, Subventionen zu streichen – große Energieverbraucher wie die Aluminiumhütten werden nie die Preissignale in vollem Umfang zu 332
Es ist höchste Zeit
spüren bekommen (und daher nie ernsthaft über ihre Energieeffizienz nachdenken), solange die kleinen Hausbesitzer die Rechnung für einen Großteil ihres Energieverbrauchs mitbezahlen. Initiativen zur Förderung erneuerbarer Energien sind ebenfalls von Bedeutung; solche wären beispielsweise die Verpflichtung der Energieversorger, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen, Steuervergünstigungen beim Kauf von Solarzellen, die Förderung von Einspeisungsstellen für privat erzeugten Strom, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde, und Gesetze, die die Einführung von erneuerbaren Energien wie etwa der Windkraft erleichtern. Das sind nur ein paar Beispiele für das, was getan werden kann, und es ist wahrscheinlich, dass Ihre Regierung bereits das eine oder andere davon tut. (Eine umfassendere Liste hat 32 die International Climate Change Task Force veröffentlicht. ) Auf lange Sicht wäre eine demokratische, transparente und simple Form internationaler Abkommen möglich, die eines Tages Kyoto ersetzen könnte: Mit dem Slogan »Contraction and Convergence« (C&C, sinngemäß »Verminderung und Annäherung«) wirbt seit über einem Jahrzehnt der britische Umweltaktivist Aubrey Meyer dafür. In gewisser Hinsicht ist C&C eine ultrademokratische Variante des Kyoto-Protokolls, deren Kern die simple Idee ist, dass der einzig gerechte Weg zur Reduktion von Emissionen darin besteht, jedem einzelnen Menschen ein gleiches »Recht auf Verschmutzung« mit Treibhausgasen zuzubilligen. Wie im Fall von Kyoto können diese Rechte gehandelt werden, nach dem C&C-Modell wird das Handelsvolumen aber viel größer sein als nach dem Kyoto-Protokoll. Um zu verstehen warum, schauen wir uns die Amerikaner als Beispiel an. Amerikaner setzen pro Person und Jahr dreimal so viel CO2 frei wie Europäer und über einhundertmal mehr als die Bürger der am wenigsten entwickelten Länder. Nach dem C&C-Modell müssten die Einwohner der Industrienationen den Armen der Welt genügend viele Kohlenstoff-Guthaben abkaufen, um ihre eigenen Emissionen abzudecken. Der Handel würde sich zwischen den Ländern abspielen (nicht zwischen Individuen) und einen massiven Transfer von Wohlstand darstellen. Das C&C-Modell würde enorm dazu anspornen, Emissionen zu reduzieren, wobei sich der Begriff »Annäherung« dar333
Die Lösung
auf bezieht, dass die CO2-Emissionen aller Bürger unabhängig von ihrem Reichtum angeglichen werden; und da der Punkt, an dem sie konvergieren, wesentlich unter dem heutigen Niveau liegt, ergibt sich auch eine große »Verminderung« der Gesamtemissionen. Meyers Ansicht nach beginnt C&C mit drei Schritten: 1. Mit einer internationalen Vereinbarung werden die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre »gedeckelt«. 2. Es wird abgeschätzt, wie schnell die Emissionen zurückgefahren werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. 3. Aus den Schritten eins und zwei ergibt sich ein »Kohlenstoff33 Budget«, das unter der Weltbevölkerung pro Kopf aufgeteilt wird. Wie im Fall von Kyoto braucht man auch bei diesem Modell eine Kohlenstoff-Währung, die Meyer »EBCUs« nennt, und mit einer Ausgabe von EBCUs, argumentiert er, könnte man saubere Technologien fördern und die Begleichung internationaler Schulden ermög34 lichen. Und es gibt keinen Grund, warum nicht irgendwann in der Zukunft das Kyoto-Protokoll die grundlegenden Innovationen von C&C aufgreifen sollte. Faktisch haben Meyer zufolge eine Reihe von Unterzeichnern der Kyoto-Vereinbarung dem Modell bereits ihren Segen gegeben. C&C stellt eine wesentlich größere Abkehr vom Weitermachen wie bisher als Kyoto dar. Das Modell ist eine starke Medizin gegen eine entsetzliche Krankheit, und wie bei allen hochwirksamen Arzneien gibt es mögliche Nebenwirkungen. Eine ist, dass das Modell letzten Endes die Armut in der Welt und das Nord-Süd-Gefälle beseitigen könnte. Doch nicht alle Aspekte des Vorschlags dürften das Missfallen von Konservativen hervorrufen, denn da ausnahmslos alle Menschen unter sein Dach kommen, erübrigen sich Sorgen wegen »Trittbrettfahrern« in der sich entwickelnden Welt, wie sie im Fall von Kyoto aufgetaucht sind. Zu den möglichen Nachteilen zählen die Anfangskosten für die Industrienationen. Es ist auch möglich, dass einige Entwicklungsländer ihre Bevölkerungsgröße mit dem Transfer von Reichtum gleichsetzen und daher Programme zur Familienplanung streichen. Doch kein solches Modell ist je ohne Fehler, und dieses hier liegt wenigstens auf dem Tisch und hat bereits einige Unterstützung erhalten. Einige sehen vielleicht bei C&C versteckte politische Absichten 334
Es ist höchste Zeit
am Werk, was auf einen entscheidenden Fallstrick auf dem Weg zur klimatischen Stabilität verweist: Die Neigung von Gruppen, den Zug zur Nachhaltigkeit vor ihren ideologischen Karren zu spannen. Die Nuklearlobby macht das bereits, das Gleiche gilt aber für die »Weniger ist mehr«-Lobby, die glaubt, die Menschen müssten ihren Gesamtverbrauch reduzieren, wenn je Nachhaltigkeit erreicht werden soll. Für beide Argumente spricht etwas, aber sie gründen auf einer ideologischen Basis, die möglicherweise viele Menschen abschreckt, ohne deren Mithilfe der Kampf gegen den Klimawandel verloren wird. Angesichts eines gravierenden Notfalls handelt man am besten einmütig. Zweierlei muss hier noch gesagt werden. Erstens wäre es das Allerschlimmste, wenn die Bewohner der entwickelten Welt nur untätig herumsitzen, bis irgendetwas wie C&C umgesetzt wird. Handeln tut jetzt Not, und das einzig Verantwortungsbewusste, was Sie als besorgtes Individuum tun können, ist Ihre eigenen Emissionen so weit und so schnell wie möglich herunterzufahren. Und zweitens werden die Regierungen wahrscheinlich nichts tun, solange die Menschen das nicht von ihnen verlangen. Um die Entschlossenheit Ihrer Regierung in Sachen Klimawandel zu fördern, müssen Sie das Thema ganz oben auf Ihre Tagesordnung setzen, wenn die nächsten Wahlen anstehen. Wie Alfred Rüssel Wallace vor über einem Jahrhundert sagte: »Geben Sie Ihre Stimme keinem, der sagt: ›Das kann nicht getan werden.‹ Wählen Sie diejenigen, die erklären: ›Es wird getan werden.‹« Und fragen Sie Ihre Politiker nicht nur nach ihrer Haltung. Fragen Sie sie, was sie persönlich tun, um ihre eigenen Emissionen zu reduzieren.
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SIE SIND AN DER REIHE Komm schon – leise flüstert’s in dein Ohr, Wer niemals Angst gehabt, hat keine Hoffnung; Und wer nie zweifelte, wie’s um ihn steht, Der kommt vielleicht – vielleicht ist er’s – zu spät. William Cowper, »Wahrheit«
Vor einem kann kein Vorstandsvorsitzender die Augen verschließen: Vor der Gemengelage von Käufern und Verkäufern, die wir »Markt« nennen. Es ist meine feste Überzeugung, dass alle Anstrengungen von Regierungen und Industrieunternehmen auf null hinauslaufen werden, solange nicht der verantwortungsbewusste Bürger und Konsument die Initiative ergreift. Und die Konsumenten sind in der allerbesten Ausgangslage, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. Würden wir noch CFKs bekämpfen, könnten die Konsumenten kein Alternativprodukt herbeizaubern. Vielmehr müssten sie, wie vorsichtig sie auch wären, ohne ein internationales Abkommen wie das Protokoll von Montreal in Produkten wie Motorfahrzeugen und Kühlschränken verborgene CFKs kaufen. Beim CO2-Problem jedoch steht es fast jedem Haushalt auf der Erde frei, sich alternativer Techniken zu bedienen. Anders ausgedrückt: Es gibt keinen Grund zu warten, bis die Regierungen handeln. Sie können selbst etwas tun. Sie können leicht in wenigen Monaten – statt der 50 Jahre, die einige Regierungen vorsehen – die Emissionsreduktion um 70 Prozent erzielen, die zur Stabilisierung des Erdklimas nötig sind. Dazu müssen Sie lediglich Ihre Lebensweise ein bisschen ändern, ohne dabei schwere Opfer zu bringen. Der richtige Umgang mit Elektrizität ist die wirkungsvollste Waffe in Ihrem Arsenal, denn sie erlaubt Ihnen, Ihre persönlichen
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Sie sind an der Reihe
CO2-Emissionen merklich zu senken. Nehmen Sie sich als erstes Ihre letzte Stromrechnung vor. Ist sie höher als die im selben Vorjahreszeitraum? Wenn ja, warum? Ein Anruf oder eine E-Mail an Ihren Energieversorger kann das klären. Wenn Sie schon gerade dabei sind, fragen Sie nach der Möglichkeit, »grünen« Strom zu beziehen (bei dem der Versorger garantiert, dass ein bestimmter Prozentsatz der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt). Grüner Strom kostet vielleicht nicht einmal einen Euro mehr pro Woche, reduziert die Emissionen aber höchst effizient. Wenn Ihr Energielieferant keine grüne Option anbietet, rufen Sie einen Konkurrenten an. Den Versorger zu wechseln, ist in der Regel Sache von einem einzigen Telefonat, es sollte zu keiner Unterbrechung der Stromversorgung kommen und zu keinen Unannehmlichkeiten bei der Rechnungsstellung. Gibt es jedoch in Ihrer Gegend noch ein Strommonopol, müssen Sie auf die Behörden einwirken, damit diese für freien Wettbewerb sorgen. Dann ist es möglich, mit einem Wechsel zu grünem Strom die Emissionen Ihres Haushalts auf null zu reduzieren. All dies als Folge eines einzigen Telefonats. Wenn Sie entschlossener handeln wollen, ist es in den meisten Fällen am besten, beim Heißwasser anzufangen. In den entwickelten Ländern resultiert rund ein Drittel der CO2-Emissionen aus dem häuslichen Energieeinsatz, und von diesem wird üblicherweise ein Drittel zur Erwärmung von Wasser verbraucht. Das ist verrückt, da die Sonne Ihr Wasser umsonst aufheizt, wenn Sie die entsprechende Technik haben. Zunächst fallen Anschaffungskosten an, aber die Einsparungen sind so groß, dass es sich lohnt, sogar ein Darlehen dafür aufzunehmen, denn in sonnigen Gegenden wie Kalifornien oder Südeuropa haben Sie die Kosten in zwei bis drei Jahren wieder hereingespielt, und da es auf die Kollektoren in der Regel eine Zehnjahresgarantie gibt, heißt das, dass Sie mindestens sieben bis acht Jahre lang umsonst heißes Wasser bekommen. Selbst in wolkenreichen Regionen wie Deutschland oder Großbritannien erhalten Sie noch 35 einige Jahre lang heißes Wasser umsonst. Wenn Sie noch mehr tun wollen, fangen Sie mit den größten Energiefressern an; in den meisten Haushalten sind das die Heizung, die Kühl- und Gefrierschränke und die Klimaanlage. Wenn Sie die Neuanschaffung solcher Geräte in Betracht ziehen, sollten Sie das Modell 337
Die Lösung
wählen, das am sparsamsten mit der Energie umgeht. Als Faustregel gilt, dass das kleinste Gerät, das gerade so eben Ihren normalen Bedürfnissen genügt, am sparsamsten ist. Sie sollten auch Alternativen in Betracht ziehen: Eine gute Isolierung kann billiger sein als der Kauf und Betrieb einer größeren Heizung oder Klimaanlage. Schwieriger kann es sein, die Kinder davon zu überzeugen, dass sie Geräte abschalten, wenn sie sie nicht mehr brauchen. Eine Möglichkeit dafür wäre, dass die Familie gemeinsam die Stromrechnung überprüft und sich ein Einsparungsziel setzt. Ist dieses erreicht, bekommen die Kinder das Ersparte. Über die Verantwortungslosigkeit der Kohleverheizer habe ich mich so aufgeregt, dass ich beschloss, meinen eigenen Strom zu produzieren, was zu den befriedigendsten Dingen zählt, die ich je getan habe. Für einen Durchschnittshaushalt sind Solarzellen am besten geeignet. Zwölf 80-Watt-Paneele habe ich mir selbst genehmigt, und die Energie, die sie in Australien erzeugen, reicht zum Betrieb des Hauses aus. Um mit dieser Menge zurechtzukommen, ist unsere Familie beim Energieverbrauch aber sehr wachsam, und wir kochen mit Gas. Und ich bin körperlich fitter als zuvor, weil ich beim Werkeln und Reparieren nicht mehr mit einer Vielzahl von Elektrogeräten hantiere, sondern wieder mit Muskelkraft arbeite. Auf die Solarzellenpaneele gibt es 25 Jahre Garantie (sie halten oft bis zu 40 Jahre lang). Da die Stromkosten steigen und weil mir die Paneele bis weit ins Rentenalter kostenlosen Strom liefern werden, betrachte ich sie als Beitrag zu meiner Alters vor sorge. Die deutsche Stadt Schönau im Schwarzwald bietet ein anderes Beispiel für entschlossenes Handeln. Einige Einwohner alarmierte die Katastrophe von Tschernobyl so sehr, dass sie beschlossen, etwas gegen die Abhängigkeit ihres Landes von der Kernkraft zu tun. Den Anfang bildete eine Gruppe von zehn Elternpaaren, die Preise für Energieeinsparung vergaben. Das erwies sich als so erfolgreich, dass daraus bald eine Bürgerinitiative entstand, deren Ziel es war, die Energieversorgung der Stadt den Kraftübertragungswerken Rheinfelden (KWR), die das Monopol hatten, zu entringen. Die Mitglieder stellten ihre eigenen Nachforschungen an, dann brachten sie zwei Millionen DM auf, um ihre eigene grüne Stromversorgung anzugehen. Schließlich kamen über 6,5 Millionen DM zu338
Sie sind an der Reihe
sammen – genug, um die Stromversorgung samt Netz und allem anderen von den KWR zu kaufen –, und heute versorgt die Stadt sich nicht nur mit eigenem Strom, sondern gibt auch erfolgreich Hilfestellungen, wie man das Stromnetz »grün« bekommt. Jahr für Jahr wird Schönaus Energieversorgung grüner, und selbst die großen Stromverbraucher in der Stadt, beispielsweise ein Unternehmen für Kunst36 stoffrecycling, sind mit dem Ergebnis zufrieden. Dass die meisten von uns bei Transport und Verkehr auf fossile Brennstoffe verzichten, ist derzeit nicht machbar, aber wir können den Verbrauch stark einschränken. Am wirkungsvollsten ist es, zu laufen, wann immer das möglich ist, und auch öffentliche Verkehrsmittel bringen viel. Hybrid-Autos sind doppelt so energieeffizient wie Standardfahrzeuge vergleichbarer Größe. Und wenn Sie Ihren Geländewagen oder Ihren sportlichen Spritfresser gegen ein Hybrid-Auto mittlerer Größe eintauschen, kann das Ihre Verkehrsemissionen mit einem Schlag um bis zu 70 Prozent reduzieren. Wer keinen Hybriden fahren will oder kann, sollte, so die Faustregel, das kleinste Auto kaufen, das gerade noch die Aufgabe bewältigt, für die man es am häufigsten braucht. In den seltenen Fällen, wo Sie ein größeres benötigen, können Sie jederzeit eines mieten. Und wenn Sie in Sonnenenergie investiert haben, können Sie sich in ein paar Jahren ein luftdruckbetriebenes Fahrzeug leisten. Dann können Sie all den Strom- und Benzinrechnungen wirklich eine lange Nase drehen. Obwohl es oft den gegenteiligen Anschein hat, können Arbeitnehmer auch auf ihre Firma erheblichen Einfluss nehmen. Wenn Sie wollen, dass Ihre Arbeitsstätte emissionsbewusster wird, bitten Sie Ihren Arbeitgeber, sich einem Energieaudit zu unterziehen. Denken Sie daran: Wenn Sie Ihre Emissionen um 70 Prozent kürzen können, kann das auch die Firma, für die Sie arbeiten. Wenn Sie sich dahin gehend engagieren, wird das Unternehmen mittelfristig sowohl Geld sparen als auch die Umwelt schonen. Und weil die Gesellschaft Vorbilder braucht, die bezeugen, was getan werden kann und was getan werden sollte, können Sie mit einem solchen öffentlichen Engagement Ergebnisse erzielen, die weit über die lokale Wirkung hinausgehen. Wenn Sie diese Liste der Maßnahmen gegen den Klimawandel durchlesen, sind Sie vielleicht skeptisch, dass solche Schritte so große 339
Die Lösung
Wirkung zeigen können. Aber nicht nur unser globales Klima nähert sich einem Wendepunkt, sondern auch unsere Wirtschaft, denn dem Energiesektor wird dasselbe widerfahren, was das Internet den Medien brachte – ein Zeitalter, in dem zuvor ganz unterschiedliche Produkte miteinander und mit dem Individuum konkurrieren. Wenn eine ausreichende Anzahl von uns grünen Strom, Solarpaneele, Heißwasser-Sonnenkollektoren und Hybrid-Fahrzeuge kauft, werden die Preise für diese Dinge fallen. Das wird den Verkauf von noch mehr Paneelen und Windgeneratoren ankurbeln, und bald wird der Großteil der Haushaltsenergie mit erneuerbaren Technologien erzeugt werden. Das wird genügend Druck auf die Industrie ausüben, dass sie, wenn der Druck von Kyoto dazukommt, die energiehungrigen Unternehmen zwingen wird, ihre Effizienz zu maximieren und sich einer sauberen Stromerzeugung zuzuwenden. Das wiederum wird die erneuerbaren Energien noch preiswerter machen. Infolgedessen werden die Entwicklungsländer – einschließlich China und Indien – in die Lage versetzt, sich saubere Energie anstelle dreckiger Kohle zu leisten. Mit ein bisschen Hilfe von Ihrer Seite – jetzt auf der Stelle – können die Entwicklungsriesen in Asien vielleicht die große Kohlenstoff-Katastrophe vermeiden, in die wir, die industrialisierte Welt, so tief verstrickt sind. Mit dieser Rettungsleine für die Klimasicherheit kann viel passieren. Es könnte sein, dass die großen Energieverbraucher die Regierungen weiter unterwandern und dem erneuerbaren Sektor Knüppel zwischen die Beine werfen. Vielleicht handeln wir auch zu langsam, und Länder wie China und Indien werden bereits in die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen investiert haben, ehe die Preise für erneuerbare Energien sinken. Vielleicht wird sich auch das Tempo des Klimawandels als zu groß erweisen, sodass wir der Atmosphäre CO2 entziehen müssen. Wie diese Herausforderungen zeigen, ist es unserer Generation bestimmt, in der interessantesten aller Zeiten zu leben, denn heute sind wir die Wettermacher, und die Zukunft der Biodiversität und der Zivilisation hängt von unserem Verhalten ab. Ich habe mein Bestes getan, um eine Gebrauchsanleitung für den Thermostat der Erde zusammenzustellen. Jetzt sind Sie an der Reihe.
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NACHWORT Als dieses Buch in den Druck ging, veröffentliche die Zeitschrift Science einen positiven Beweis für die globale Erwärmung. Eine Untersuchung von James Hansen und Kollegen ergab, dass die Erde heute mehr Energie absorbiert, als sie in das All abstrahlt – zusätzlich 0,85 Watt pro Quadratmeter. Das ist die Wärmemenge, die zwei bis drei Mini-Glühbirnen (wie man sie etwa zur WeihnachtsbaumBeleuchtung nimmt) abgeben, für jeden Quadratmeter unseres Planeten, und je mehr CO2 wir produzieren, desto mehr nimmt diese Menge zu. Im Vergleich zu den 235 Watt pro Quadratmeter, die wir von der Sonne bekommen, ist dieses Energieungleichgewicht winzig, aber über Jahre und Jahrzehnte hinweg kumuliert der Effekt, und wenn wir die Wärmezufuhr lange genug zulassen, bedeutet das für unsere Spezies den Unterschied zwischen Überleben und Untergang. Des Mahnens fast schon müde, kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, ihre Arbeit impliziere »die Notwendigkeit antizipativen 1 Handelns ... um einen Klimawandel zu vermeiden«. Eine FeststelT lung, die Hansen, ein Veteran der Wissenschaft vom Klimaw andel und der Aufklärungskampagnen, seit mehr als 20 Jahren trifft. Vielleicht wird die Welt ihm jetzt zuhören.
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NACHWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE Kurz nachdem ich dieses Buch fertig stellte, brach der Hurrikan Katrina über New Orleans herein und veränderte die Klimageschichte. Dann schüttelte Rita Texas durch, und die Menschen begannen sich zu fragen, ob diese gigantischen Zerstörungsmaschinen Vorboten des Klimawandels seien. Während ich dies Ende September 2005 schreibe, sagt der Direktor des National Hurricane Center in Miami, dass er in dieser Saison noch mehr Stürme erwartet. Wer nur auf die Zahl der Hurrikane achtet, die jedes Jahr über den amerikanischen Doppelkontinent hinwegfegen, könnte glauben, dass Katrina und Rita lediglich Teil eines natürlichen Zyklus waren. Denn im Atlantik gibt es zyklische Hurrikanaktivitäten, die signifikantere Trends verschleiern. Eine sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende atlantische Oszillation, die sich auf den Golfstrom auswirkt, führt 2 alle 60 bis 70 Jahre zu Schwankungen in der Hurrikanaktivität. Ein anderer Zyklus verändert die Hurrikanaktivität in der Region rund alle zehn Jahre. Beide Zyklen haben komplexe Ursachen, die mit Meeresströmungen und dem Zustand der Atmosphäre zusammenhängen. Um über diese Zyklen hinaus die immensen Veränderungen zu erkennen, die jetzt unser Wetter beeinflussen, müssen wir wissen, wie Hurrikane sich bilden, wachsen und sterben. Als Hurrikan der Kategorie 5 – der stärksten und destruktivsten die es gibt – bietet Katrina ein drastisches Beispiel für den Lebenszyklus eines Hurrikans. Wie alle Hurrikane war Katrina zu Anfang nur ein Gewitter, in diesem Fall über den warmen Gewässern vor den Bahamas. Und diese embryonische Katrina hätte gut eine bloße Licht- und Tonshow bleiben können, hätten da nicht ganz bestimmte atmosphärische Bedingungen geherrscht, die helfen, Gewitter in potentere Wettervorkommnisse umzuwandeln. Der erste Schritt ist die Ausbildung eines Tropensturms. Tropenstürme sind Gewitter, die zu kreiseln anfangen, bis sie einen Wirbel bilden. Nur wenige Gewitter entwickeln sich 343
Wir Wettermacher
zu Tropenstürmen weiter, weil Scherungsaufwinde in der Regel den Wirbel zerstören oder weil Turbulenzen in der Atmosphäre oder niedriger Luftdruck in der oberen Troposphäre das Kreiseln und das Aufschaukeln der Windstärke verhindern. Im letzten Jahrzehnt gab es in der Karibik aber nur wenige Scherungsaufwinde, und in der oberen Troposphäre lag ein Hochdrucksystem. Die Atmosphäre blieb auch stabil. All diese Faktoren haben die Konvektion verstärkt und damit der Ausbildung eines perfekten Tropensturms den Weg be3 reitet. An diesem Punkt des Hurrikan-Lebenszyklus spielt die Wärme des Ozeans eine sehr wichtige Rolle. Tropenstürme verstärken sich nur dann zu Hurrikanen, wenn die Oberflächentemperatur des Meeres bei rund 26 °C oder höher liegt. Der Grund dafür ist, dass sehr warmes Meerwasser leicht verdunstet und damit den Treibstoff liefert – Wasserdampf –, der einen Hurrikan antreibt. Hurrikane werden nach der Saffir-Simpson-Skala klassifiziert, die von 1 bis 5 reicht. Hurrikanen der Kategorie 1 fehlt die Kraft, um an den meisten Gebäuden echte Schäden anzurichten, aber sie können Brandungswellen von 1,5 Metern Höhe aufbauen, die Küsten überspülen und schlecht gebaute Infrastruktureinrichtungen beschädigen. Hurrikane der Kategorie 3 sind schon gefährlicher. Sie erreichen Windgeschwindigkeiten zwischen 180 und 210 Stundenkilometern und können Reisemobile zerstören und die Blätter von den Bäumen blasen. Hurrikane der Kategorie 5 sind etwas völlig anderes. Treffen sie auf Land, sorgen Windgeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern dafür, dass keine Bäume oder Sträucher mehr stehen bleiben. Auch bleiben nicht viele Gebäude übrig. Und da rund vier Stunden ehe das Auge des Sturms eintrifft, die Wellen über 5,5 Meter hoch werden, kommt es zu viel schwereren Überflutungen, und die Fluchtwege für die Menschen werden frühzeitig unterbrochen. Als Katrina am 25. August auf Florida traf, war sie ein Sturm der Kategorie 1 mit Windgeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern. Doch auch das kostete in Florida schon elf Menschen das Leben. Hurrikane bauen sich oft ab, wenn sie über Land ziehen, aber Katrina überlebte irgendwie die Überquerung der Halbinsel Florida, und am 27. August zog sie in den Golf von Mexiko hinaus. Im Sommer 2005 war das Oberflächenwasser des nördlichen Golfs außerge344
Nachwort zur deutschen Ausgabe
wohnlich warm – rund 30 °C. Nebenbei gesagt, ist das viel zu warm, als das Schwimmen noch Spaß macht. Große Wassermassen werden nicht viel heißer, doch im Golf ist das Meer tief, sodass er ein großes Wärmereservoir darstellt. So viel heißes Wasser ergibt riesige Mengen Wasserdampf, und während ihrer viertägigen Passage über den Golf schwoll Katrina immer mehr an, bis sie die Kategorie 5 erreichte. Als sich Katrina New Orleans näherte, war sie in die Kategorie 4 zurückgestuft worden, und das Auge zog 50 Kilometer östlich der Stadt vorbei. Als sie zuschlug, war Katrina also nicht der heftigste aller Stürme, und sie traf die Stadt auch nicht direkt. Die Folgen waren jedoch katastrophal. Eine halbe Million Menschen lebten in der Innenstadt, von der große Teile mehrere Meter unter Meereshöhe liegen – ein entscheidender Faktor, was die Verwundbarkeit der Stadt angeht. Die Deiche, die das Wasser des Mississippi und des Lake Ponchartrain zurückhalten, waren noch mit einem friedlicheren Klima im Hinterkopf gebaut worden und konnten der Wucht eines Hurrikans der Kategorie 4 oder 5 nicht standhalten. Da die Zahl der sehr starken Hurrikane im letzten Jahrzehnt zugenommen hatte, war allgemein bekannt, dass die Verwüstung der Innenstadt nur eine Frage der Zeit war. Im Oktober 2004 umriss ein Artikel in National Geographic die Gefahren, und im September 2005 listete Time sie erneut auf. Vieles ging in New Orleans schief. Armut, jede Menge Schusswaffen in Privatbesitz sowie öffentliche Korruption und Inkompetenz brachten mit vereinten Kräften die Rettungsmaßnahmen zum Erliegen. Und dann verursachten die Überflutungen und Windgeschwindigkeiten auch noch industrielle Umweltschäden. Da in der Region ein erheblicher Teil des amerikanischen Öls gelagert und raffiniert wird, war eine Ölverseuchung unvermeidlich. Schätzungen, wie viel Umweltgifte freigesetzt wurden, stehen noch nicht zur Verfügung, es müssen aber erhebliche Mengen sein, denn Katrina überflutete zahlreiche der 140 großen petrochemischen Anlagen im »Krebskorridor« von Louisiana. Diese Schäden wurden natürlich durch Rita noch verschlimmert, die in Texas die petrochemische Industrie der USA ins Herz traf. All dies lehrt uns, dass viele der verheerenden Folgen einzelner 345
Wir Wettermacher
Hurrikane nichts mit der globalen Erwärmung zu tun haben. Ob Katrina ein bisschen schwächer oder stärker gewesen wäre, ob sie 50 oder 150 Kilometer von der Stadt entfernt vorbeigezogen wäre, ob sie eine Woche früher oder später zugeschlagen hätte, das ist alles von Zufällen abhängig. Gleichermaßen aber mehren sich die Anzeichen, dass die globale Erwärmung die Bedingungen in der Atmosphäre und in den Meeren so verändert, dass künftige Hurrikane noch destruktiver werden. Schauen wir uns zunächst an, wie die globale Erwärmung die Bildung von Hurrikanen beeinflussen kann. Dabei ist der Golfstrom ein wichtiger Faktor, und es gibt eindeutige Beweise, dass sich die globale Erwärmung auf seine Geschwindigkeit auswirkt. Ob dies zu mehr Hurrikanaktivität führen wird oder zu weniger, ist noch unklar: Nicht bestreiten lässt sich, dass die Bedingungen sich ändern. Der Zustand der oberen Troposphäre ist ebenfalls wichtig, und dieser wird von der Tropopause beeinflusst (wo die Troposphäre und die Stratosphäre aneinander stoßen, vgl. Abbildung S. 43). Sowohl der Ozonabbau als auch die Akkumulation von Treibhausgasen verändern die Dynamik in der Tropopause in einer Weise, die die Hurrikanbildung beeinflussen kann. Es muss noch sehr viel geforscht werden, bis man die Bedeutung dieser Veränderungen voll und ganz begreift, aber allein der Umstand, dass es sie gibt, bereitet Klimatologen Sorge. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die späteren Phasen des Hurrikan-Lebenszyklus sind gewisser. Satellitenmessungen zeigen, dass sich die Ozeane infolge der zusätzlichen Wärme aus der Atmosphäre rasch von oben nach unten erwärmen. Im Durchschnitt sind die Temperaturen um ein halbes Grad gestiegen, in einigen Gegenden allerdings – wie im Golf von Mexiko – um weit mehr. Als Reaktion darauf hat sich seit 1988 der Wasserdampf (Hurrikan-Treibstoff) in 4 der Luft über den Ozeanen um 1,3 Prozent pro Jahrzehnt vermehrt. Sowohl das wärmere Meer als auch der zusätzliche Wasserdampf stellen mehr Energie für alle Arten von Stürmen von Gewittern bis hin zu Hurrikanen bereit. In besonderem Maß sind sie aber dafür verantwortlich, Tropenstürme in Hurrikane zu verwandeln und Hurrikane von der Kategorie 1 so zu mästen, dass sie zu solchen der Kategorie 5 werden. Angesichts des immer größeren Angebots an Hurrikan-Treibstoff war Katrina ein Unglücksfall, der zu erwarten war. 346
Nachwort zur deutschen Ausgabe
Der Zusammenhang zwischen warmem Meerwasser und Hurrikanaktivität wurde kürzlich bestätigt, als Geologen im Carpentariagolf zwischen Australien und Papua-Neuguinea bohrten und auf fein geschichtete Sedimente stießen, die ein riesiger See während der Eiszeit dort abgelagert hatte – zu einer Zeit also, als die Oberflächen5 temperatur des Meeres einige Grad kühler als heute war. Zwischen dem Carpentariagolf und dem Golf von Mexiko gibt es viele Ähnlichkeiten. Beide Regionen sind heutzutage für Hurrikane berüchtigt, und daher waren die Wissenschaftler überrascht, in den feinen Schichten keinerlei Anzeichen für Störungen durch Sturmfluten oder große Wellen zu finden. Das deutet darauf hin, dass die schlimmste Hurrikanregion Australiens jahrtausendelang nicht von schweren Stürmen geplagt wurde, als der Ozean ein bisschen kühler war. Ist also die heutige Erwärmung der Ozeane für die gesteigerte Hurrikanaktivität in den letzten Jahren verantwortlich? Im September 2004 veröffentlichen Dr. Thomas Knutson von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und Dr. Robert Tuleya vom Centre for Coastal Physical Oceanography in Norfolk, Virginia, eine umfassende Computerstudie, die zeigt, wie Hurrikane auf einen steigenden CO2-Gehalt der Atmosphäre (und damit auf steigende 6 Meerestemperaturen) reagieren müssten. Die Computermodelle gingen davon aus, dass das CO2 in den achtziger Jahren 760 Teile pro Million erreicht (rund das Doppelte des gegenwärtigen Niveaus). Diese Veränderung ergab eine Zunahme der durchschnittlichen Hurrikanintensität um 14 Prozent, eine Steigerung der maximalen Oberflächen-Windgeschwindigkeiten um acht Prozent und eine Zunahme der Niederschläge um 18 Prozent (in einem Umkreis von 100 Kilometern um das Sturmzentrum). Veränderungen dieser Größenordnung können der Infrastruktur erhebliche Schäden zufügen. Die Meteorologen sind zunehmend verblüfft und erstaunt darüber, dass wir in der wirklichen Welt bereits eine Zunahme der Hurrikanintensität und -anzahl erleben, die weit über die Ergebnisse der Computermodelle hinausgeht. Dr. Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology hat herausgefunden, dass die weltweit von Hurrikanen freigesetzte Gesamtenergie in den letzten beiden Jahr7 zehnten um 60 Prozent zugenommen hat. Und Dr. Peter Webster vom Georgia Institute of Technology in Atlanta hat entdeckt, dass 347
Wir Wettermacher
ein größerer Anteil dieser Energie in den stärksten Hurrikanen konzentriert ist. Die Zahl der Hurrikane der Kategorien 4 und 5 hat sich 8 seit 1974 fast verdoppelt. Einige Forscher glauben, dass die Diskrepanz zwischen den Computermodellen und den Zuständen in der wirklichen Welt irgendwie darauf hindeutet, dass die globale Erwärmung nicht für die zunehmende Zyklonaktivität verantwortlich ist. Andere hingegen sind der Ansicht, dies lasse auf das schließen, was sie seit langem vermutet haben: dass die globalen Zirkulationsmodelle, mit denen man zukünftige Klimaveränderungen simuliert, zutiefst konservativ sind. Wenn diese Wissenschaftler Recht haben, hat das momentane Wärmeungleichgewicht der Erde schon ausgereicht, um das Klima unseres Planeten in eine neue, gefährlichere Phase umkippen zu lassen. Viel hängt von dieser wissenschaftlichen Diskussion ab. Als der Hurrikan Ivan im Jahr 2004 durch den Golf von Mexiko tobte, unterbrach er mit den höchsten je in der Region verzeichneten Wellen die Ölförderung. Über weite Strecken zerrissen sie Unterwasser-Pipelines, was viel mehr Schäden verursachte als an der Oberfläche. Die Ölindustrie schätzte Ivan als etwas ein, das sich nur alle 2500 Jahre ereignet, aber dann kamen Katrina und Rita. »Wir sehen Jahrhun9 dertereignisse alle paar Jahre passieren«, sagte ein Ölmanager. Sfch solchen Veränderungen anzupassen, wird teuer werden, und die Investitionen werden nur getätigt werden, wenn sie eindeutig gerechtfertigt sind. Das Klima manifestiert sich auch in den Städten, denn sie hängen vom Klima als Dienstleister ab – es muss unter anderem für eine stabile Meereshöhe, für ausreichende Niederschläge und für Schutz vor extremen Witterungsverläufen bieten. Hurrikane wie Katrina können die Topographie unseres Planeten so verändern, dass Städte dem nächsten Wetterschlag stärker ausgeliefert sind. Die Chandeleur Islands schützten einst das Mississippidelta vor dem offenen Meer des Golfs von Mexiko, weil die 70 Kilometer lange Barriere vor der Küste von Louisiana Wellen und Sturmfluten abschwächte. Als Dr. Lawrence Rouse von der Louisiana State University im Anschluss an Katrina nach den Inseln suchte, entdeckte er, dass sie »so ziemlich 10 verschwunden« waren. Gleichzeitig versinkt das gesamte Delta im Meer, was es noch verwundbarer für Wetterextreme macht. 348
Nachwort zur deutschen Ausgabe
Präsident Bush hat dafür plädiert, New Orleans wieder aufzubauen. Die Kosten werden gigantisch sein, und ob diese Investitionen klug sind, hängt weitgehend davon ab, ob sich die Verhältnisse, die starke Hurrikane entstehen lassen, wirklich verändert haben. Sich in dieser Sache den richtigen Rat zu holen, zumindest von der amerikanischen Wissenschaftlergemeinde, wird nicht leicht sein, denn die Regierung Bush hat gleich klargestellt, dass sie von den von ihr beauftragten Wissenschaftlern nichts vom Klimawandel hören will. Die Beziehungen zwischen den Wissenschaftlern und der Regierung erreichten kürzlich einen neuen Tiefpunkt. Senator Joe Barton aus Texas ist Vorsitzender des mächtigen House Energy and Commerce Committee und einer der besten Freunde der Öllobby. Im Juni 2005 nutzte er seine Position dazu, drei der bekanntesten Klimaforscher des Landes scharf anzugreifen, unter anderem Professor Michael Mann von der University of Virginia, Miturheber der so genannten Hockeyschläger-Graphik, die zeigt, wie die Erdtemperatur im Verlauf des letzten Millenniums schwankte. Der Washington Post zufolge verlange Barton schriftlich »ausführliche Informationen über das, was er ›methodologische Mängel und Datenfehler‹ in den wissenschaftlichen Untersuchungen zur globalen Erwärmung nannte. Bartons Briefe an die Wissenschaftler waren in einem fordernden Ton à la ›Wann hören Sie auf, Ihre Frau zu schlagen?‹ verfasst. Mann wurde gesagt, binnen weniger als drei Wochen müsse er ›alle finanziellen Zuwendungen, die Sie im Rahmen Ihrer Forschungen erhalten haben‹ auflisten, ›die Lokalisierung aller Datenarchive, die für die von Ihnen verfassten Untersuchungen benutzt wurden‹ offen legen, ›alle Vereinbarungen vorlegen, die ... Stipendien oder Beihilfen zugrunde liegen‹ und ähnlich detaillierte Informationen in fünf weite11 ren Kategorien liefern.« Selbst konservative Kollegen waren über diese brutalen Schikanen entsetzt. Beispielsweise schrieb der Republikaner Sherwood Boehlert aus New York an Barton und stellte fest, dass der Sinn seiner Nachfragen anscheinend darin zu sehen sei, »Wissenschaftler einzuschüchtern, statt von ihnen zu lernen, und die wissenschaftliche Prüfung durch Gleichrangige durch die politische Prüfung durch den 12 Kongress zu ersetzen« . Mächtige Männer haben oft den Boten hingerichtet, aber da in diesem Fall so viel auf dem Spiel steht, wäre 349
Wir Wettermacher
Amerika besser gedient, wenn seine Wissenschaftler sich in der Lage sähen, frei und furchtlos Rat zu erteilen. Trotz der gegenwärtigen Wellen von Hurrikanaktivitäten sind die umfassenden Konsequenzen des Klimawandels, wie sie die Computermodelle vorhersagen, vielleicht noch Jahrzehnte entfernt. Wenn wir weiterhin fossile Energieträger verbrennen wie heute, werden sie vermutlich unausweichlich. Es ist sogar möglich, dass in den neuen Klimaverhältnissen solche gigantischen Zerstörungsmechanismen so weit voneinander entfernte Städte wie Washington, New York, Brisbane und Sydney heimsuchen. Hurrikane haben so katastrophale Folgen, dass sie die Aufmerksamkeit in einer Weise auf den Klimawandel konzentrieren wie nur wenige andere Naturphänomene. Und sie haben das Potenzial, viel mehr Menschen zu töten als selbst die größten Terror angriffe. Mit dem erhöhten Risiko solcher Verheerungen zu leben, sollte uns ständig daran erinnern, dass nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen einen wirklich hohen Preis fordern wird.
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DANKSAGUNG Dieses Buch konnte ich nur dank der Hilfe zahlreicher Menschen schreiben. Alexandra Szalay war die Erste, die es gelesen hat, und dabei hat sie zu unermesslich vielen Verbesserungen beigetragen. Rob Purves unterstützte mich von Anfang an aktiv, und ein Stipendium der Purves Foundation for the Environment ermöglichte mir die Fertigstellung. Das Board of the South Australian Museum, Arts SA, Mike Rann, Premierminister von South Australia, und John Hill, Minister for Environment and Conservation, haben entscheidend durch ihre Bereitschaft beigetragen, sich auf meine häufigen Abwesenheiten während des Schreibens einzulassen. Ihnen gilt meine Bewunderung und mein Dank. Ohne die Einladung der Stuart Pimm of Duke University, an der First Okazaki Extinction Conference teilzunehmen, und die dortige Anwesenheit von Steve Schneider (der mich auf das Ausmaß der Probleme einstimmte) und Steve Williams (der mir klar machte, was das alles wirklich bedeutet) hätte ich nie mit diesem Buch angefangen. Nick Rowley, Martin Copley, Graeme Morgan, Vicki Pope und ihre Mitarbeiter am Hadley Centre sowie Patrick Filmer-Sankey boten mir alle Unterstützung und machten Vorschläge, und dafür bin ich ihnen wirklich dankbar. Viele andere Wissenschaftler und Berichterstatter schickten mir unaufgefordert Material, als sie von meinem Vorhaben hörten, und einiges davon war von unschätzbarem Wert. Wie soll man jenen danken, die sich trotz ihrer vollen Terminkalender die Zeit nahmen, die erste Fassung eines Buches zu lesen? Jared Diamond, Andrew Stock, Peter Cosier, Clive Hamilton, Dr. Eugene FitzPatrick, Allan Pring, Greg Rouse, Greg Bourne, Graham Pearman sowie Nick Palousis und sein Team vom Natural Edge Project haben allesamt durchdachte Kritik geübt. Wenn Wir Wettermacher dazu beiträgt, dass seine Leser ihre CO2-Emissionen reduzieren, ist das zu keinem geringen Teil diesen Experten zu verdanken. 351
Wir Wettermacher
Die Recherche-Assistenten David Flannery und Noriko Wynn sowie die Hilfskräfte Emma Flannery und Naomi Wynn haben ausgezeichnete Arbeit geleistet. Melanie Ostell gebührt besonderer Dank für ihr sorgfältiges Lektorat eines anfangs ziemlich schwierigen Manuskripts. Und nicht zuletzt bot der Verleger und Freund Michael Heyward Ermutigung und Geduld, die ihresgleichen suchen.
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BILDNACHWEIS Mit herzlichem Dank für die Genehmigung zum Abdruck der folgenden Abbildungen:
FARBTEIL 1. Goldkröte: © Michael und Patricia Fogden (www.fogdenphotos.com). 2. Ausgebleichte Korallen: Mit freundlicher Genehmigung von Ray Berkelmans, CRC Reef. 3. Karru: Mit freundlicher Genehmigung von South African Tourism. 4. Die Welt bei Nacht: © NASA. 5. Australiens Niederschläge 1950-2003: © Commonwealth of Australia, Abdruck genehmigt. 6. Eiskappe des Nordpols: Foto NASA, © Natural Resources Defense Council. 7. Wegbrechen des Larsen-B-Eisschelfs: © British Antarctic Survey.
SCHWARZWEISS-ABBILDUNGEN Alle Zeichnungen von Tony Fankhauser; S. 155 erstellt nach Informationen der Water Corporation, WA; S. 189 erstellt nach Informationen des IPCC. S. 135, Gobiodon Spezies C: © Glenn Barrall. S. 145, Bauchbrütender Frosch: © Michael J. Tyler. S. 183, Vergleich zwischen Computersimulation und tatsächlichem Wetter: © The Met Office, UK.
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ANMERKUNGEN I. Teil GAIAS REPERTOIRE 1. Gaia 1 2 3 4 5 6 7
Lovelock, J. 1979 Lovelock, J. 1979 New York Times online Knoll, A. H. 2004 Ridgwell,A.J.etal. 2003 Bond, W.J. et al. 2004 New York Times online
2. Der große Luftozean 8 Lutgens F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 9 Weart, S. R. 2003 10 Lovelock, J. 1979 11 Kump, L. R. 2002 3. Das gasförmige Treibhaus 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Weart, S. R. 2003 Weart, S. R. 2003 Kump, L. R. 2002 AFP 30. März 2004 Herman, H. 1952 Weart, S. R. 2003 Dawkins, R. 2004 Weart, S. R. 2003 Dawkins, R. 2004 Feely, R. A. et al. 2004 Sabine, C. L. et al. 2004
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Anmerkungen 23 24 25 26 27 28 29
Sabine, C. L. et al. 2004 Buessler, K. O. et al. 2004 Raymond, R A. & Cole, J. J. 2003 Raymond, P. A. & Cole, J. J. 2003 Lackner, K. 2003 Sabine, C. L. et al. 2004 Cox, P. M. et al. 2000
4. Die Weisen und die Zwiebelschale 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Geographical Journal 43 Wallace,A.R. 1903 Evelyn, J. 1661 Freese, B. 2003 Lutgens F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Weart, S. R. 2003 Weart, S. R. 2003 Kump, L. R. 2002 Rind, D. et al. 2004 Lutgens F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Bradley, R. S. et al. 2003 Lamb, H. H. 1965 Bradley, R. S. et al. 2003
5. Zeitpassagen 43 44 45 46 47 48 49
Beerling, D. H. et al. 2002 Zachos, J. C. et al. 2003 Zachos, J. C. et al. 2003 Koch, P. L. et al. 1995 Malthe-Sorenssen, A. et al. 2004 Deacon, G. 2004 Little, C. T. S. & Vrijenhoek, R. C. 2003
6. Im Kühlhaus geboren 50 51 52 53
North Greenland Ice Core Project 2004 Walker, G. 2004 EPCA2004 EPCA2004
355
Wir Wettermacher 54 55 56 57 58 59 60 61
Jones, C. D. et al. 2001 Bush, M. B. et al. 2004 Yokoyama, Y. et al. 2000 Clark, P. U. et al. 2004 Clarke, G. 2003 Fagan, B. 2004 Economist 19. Dezember 2003 Richerson, P. J. et al. 2001
7. Der lange Sommer 62 Grützen, P. J. & Stoermer, E. F. 2000 63 Flannery, T. 2002 64 Fagan, B. 2004 8. Die Toten ausgraben 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Lacour-Gayet, P. 2004 Hamilton, C. 2001 White, M. E. 1993 Freese, B. 2003 Hawkins, D. G. 2004 Roberts, P. 2004 Roberts, P. 2004 Dukes, J. S. 2003 Dukes, J. S. 2003 Weart, S. R. 2003 Dukes, J. S. 2003 WWF Oktober 2004 Sabine, C. L. et al. 2004 Mokhov, 1.1. et al. 2002
II. Teil EINE VON ZEHNTAUSEND 9. Die entzauberte Welt 1 Urban, F. E. et al. 2000 2 Nash, J. M. 2002
356
Anmerkungen 3 Canby, T. Y. 1977 4 Grant, P. R. 1999 5 Nash, J. M. 2002 6 Trenberth, K. & Hoar, T. J. 1996 7 Sparks, T. H. & Carey, P. H. 1995 8 Parmesan, C. &c Yohe, G. 2003 9 Parmesan, C. et al. 1999 10 Walther, G. R. et al. 2002 11 Appenzeller, T. & Dimick, D. R. 2004 12 Walther, G. R. et al. 2002 13 Root, T. L. et al. 2003 14 Visser, M. E. & Holleman, L. J. M. 2001 15 Cogger, H. G. & Zweifel, R. G. 1992 16 Verbürg, P. et al. 2003 17 Hare,W.2OO3 10. Alarm an den Polen 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Comiso, J. C. 2003 Atkinson, A. et al. 2004 Atkinson, A. et al. 2004 Wolff, E. W. 2003 Curran, M. A. J. et al. 2003 Hoegh-Guldberg, O. 2005 Whitfield, J. 2003 Hassol,S.J. 2004 Lopez, B. 1986 Hassol, S.J. 2004 Hassol, S. J. 2004 Hassol, S.J. 2004 Hassol, S.J. 2004 Lopez, B. 1986 Lopez, B. 1986 Hassol, S.J. 2004 Appenzeller, T. & Dimick, D. R. 2004 Lopez, B. 1986 Hassol, S.J. 2004 Betts, R. A. 2000
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Wir Wettermacher 11. 2050: Das Große Stummelriff? 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
Wallace, A. R. 1872 Bellwood, D. R. et al. 2004 Bellwood, D. R. et al. 2004 Abram,N.J. et al. 2003 Swing, J. T. 2003 Swing, J. T. 2003 Woodford, J. 2004 Hughes, T. P. et al 2003 Pockley, P. 2003 Woodford, J. 2004 Munday, P. L. 2004 Rowan, B. 2004 Baker, A. C. et al. 2004 Woodford, J. 2004
12. Eine Warnung von der Goldkröte 52 53 54 55 56 57
Crump, M. 1998 Richards, S. J. et al. 2003 Stokstad, E. 2004 Stokstad, E. 2004 Kiesecker, J. M. et al. 2001 Pounds, A. J. 2001
13. Flüssiges Gold: Veränderte Niederschläge 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69
Hadley Centre Dezember 2003 Zeng,N. 2003 Gianni, A. et al. 2003 Zeng,N. 2003 Cogger, H. G. & Zweifel, R. G. 1992 Prospero, J. M. & Lamb, P. J. 2003 Karoly,D.J. 2003 Western Australian EPA Bulletin 1139 Karoly, D. et al. 2003b Cox, P. M. et al. 2004 Australian 2. Juli 2004 Cook, E. R. et al. 2004
358
Anmerkungen 70 71 72 73 74
Hoerling, M. & Kumar, A. 2003 Overpeck, J. et al. 2005 Service, R. R 2003 Service, R. F. 2003 Feidel, S. 1993
14. Eine energiegeladene Zwiebelschale 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
Lutgens, F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Blumberg, M. S. 2002 Lutgens, F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Ho, C. et al. 2004 Fyfe,J. 2003 Blair, T. 2004 Hadley Centre April 2002 Hadley Centre Dezember 2003 Schar, C. et al. 2004 Lutgens, F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Boodhoo, Y. 2003 Karoly, D. et al. 2003a Lutgens, F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Pittock, B. 2003 WWF Sydney 2004 Ray, K. C. S. & De, U. S. 2003
15. Mit dem Blanken Hans spielen 91 Swing, J. T. 2003 92 Victor, D. G. 2004 93 Clarke, T. 2002 94 Toniazzo, T. et al. 2004 95 Weart, S. R. 2003 96 Stouffer, R.J. 2004 97 Appenzeller, T. & Dimick, D. R. 2004 98 Rignot, E. et al. 2003 99 Sheperd, A. et al. 2003 100 Sheperd, A. et al. 2003 101 Kaiser, J. 2003 102 Thomas, R. et al. 2004 103 Siegert, M.J. et al. 2002
359
Wir Wettermacher 104 Bentley, C. R. 1998 105 Bindschadler, R. A. et al. 2003 106 Overpeck, J. et al. 2005
III. Teil WEISSAGEN ALS WISSENSCHAFT 16. Modellwelten 1 Weart, S. R. 2003 2 Manabe, S. & Weatherald, R. T. 1975 3 Weart, S. R. 2003 4 Schiermeier, Q. 2004a 5 Mitchell, J. F. B. 2004 6 Gillett, N. R et al. 2003 7 Hollander, J. M. 2003 8 Fu, Q. et al. 2004 9 Schiermeier, Q. 2004b 10 Weart, S. R. 2003 11 Freese, B. 2003 12 Kump, L. R. 2002 13 Stainforth, D. A. et al. 2005 14 Schiermeier, Q. 2004a 15 Hadley Centre April 2002 16 Hadley Centre April 2002 17 Hadley Centre Dezember 2003 18 Bell, J. L. et al. 2003 19 Hennessey, K. et al. 2004 17. Extremer Gefahr ausgeliefert? 20 21 22 23 24 25 26
Hadley Centre Oktober 2002 Hare,W2003 Schelling, T. C. 2002 Mastrandrea, M. D. & Schneider, S. 2004 Mastrandrea, M. D. & Schneider, S. 2004 Hare,W.2OO3 Hare,W. 2003
360
Anmerkungen 18. Die Berge ebnen 27 28 29 30
Parmesan, C. & Yohe, G. 2003 Williams, S. E. et al. 2003 Cooper, W. & Cooper, W. T. 1994 Tanser, F. C. et al. 2003
19. Wohin geht die Reise? 31 32 33 34 35 36
Hughes, L. et al. 1996 Hughes, L. et al. 1996 Hare,W. 2003 Pouliquen-Young, O. & Newman, P. 1999 Hare,W. 2003 Thomas, C. D. et al. 2004
20. Unendliche Tiefen 37 Feely, R. A. et al. 2004 38 Feely, R. A. et al. 2004 21. Eine Hand voll Joker 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
Schwanz, P. & Randall, D. 2004 Schwartz, P. & Randall, D. 2004 Schmittner, A. 2005 Sarkisyan, A. S. 2002 Done, T. P. et al. 2003 Clarke, G. 2003 Curry, R. et al. 2003 Curry, R. et al. 2003 Kerr, R. A. 2004a Swing, J. T. 2003 Cox, P. M. et al. 2000 Jones, C. D. et al. 2003 Jones, C. D. et al. 2001 Betts, R. A. et al. 2004 Betts, R. A. et al. 2004 Jones, C. D. et al. 2003 Cox, P. M. et al. 2004
361
Wir Wettermacher 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Betts, R. A. et al. 2004 Cox, R M. et al. 2004 Betts, R. A. et al. 2004 Sloan, E. D. 2003 Kerr, R. A. 2004b Benton, M. et al. 2003 Ward, P. 2004 Sloan, E. D. 2003 Blumberg, M. S. 2002
22. Zivilisation: Mit einem Wimmern vorbei? 65 66 67 68 69
Diamond, J. 2005 Ainsworth, E. A. & Long, S. P. 2005 Wright, R. 2005 Meyer, A. 2000 Meyer, A. 2000
IV. Teil MENSCHEN IN TREIBHÄUSERN 23. Ein knappes Rennen 1 2 3 4 5 6 7
Blatt, H. 2004 Dotto, L. & Schiff, H. 1978 Deacon, G. 2004 Przeslawski, R. et al. 2005 Weart, S. R. 2003 Goodstein, E. 1997 Braithwaite, J. & Drahos, P. 2000
24. Der Weg nach Kyoto 8 McKibbin, W. J. & Wilcoxen, P. J. 2002 9 Schiermeier, Q. 2003 10 Lucy, S. 2004 11 National Commission on Energy Policy 2004 12 Hamilton, C. 2001 13 Hamilton, C. 2001
362
Anmerkungen 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Hamilton, C. & Quiggin, J. 1997 Hamilton, C. 2001 Hamilton, C. 2001 Hamilton, C. 2001 Economist 1. April 2004 Lucy, S. 2004 Chicago Climate Exchange 2004 Lucy, S. 2004 Victor, D. G. 2004 Victor, D. G. 2004 Victor, D. G. 2004 Hamilton, C. 2001 Hamilton, C. 2001
25. Kosten, Kosten, Kosten 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Lash, W. H. 1999 Tellus Institute 1997 Chicago Climate Exchange 2004 Aliens Consulting Group 2003 Aliens Consulting Group 2002 Goodstein, E. 1997 Lutgens, F. K. & Tarbuck, E. J. 2004 Meyer, A. 2000 Meyer, A. 2000 Coleman, T. 2003 Hamilton, C. 2001 Chicago Climate Exchange 2004 Chicago Climate Exchange 2004 Blumberg, M. S. 2002
26. Wer im Treibhaus sitzt, sollte nicht lügen 41 42 43 44 45 46 47
Weart, S. R. 2003 Freese, B. 2003 Gelbspan, R. 1995 New York Times 8. Juni 2005 Kennedy, R. F. 2004 Kennedy, R. F. 2004 Kennedy, R. F. 2004
363
Wir Wettermacher 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Hamilton, C. 2001 Beder, S. 2000 Hamilton, C. 2001 Hamilton, C. 2001 Liberty Australia Biblebelievers Hamilton, C. 2001 Leggett, J. 2005 Weart, S. R. 2003 Browne, J. 2004 Blair, T. 2004 Blair, T. 2004
27. Technische Lösungen? 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Buessler, K. O. et al. 2004 Buessler, K. O. et al. 2004 Ohsumi, T. 2004 Barry, J. P. et al. 2004 Riebeseil, U. 2004 Ohsumi, T. 2004 Lacour-Gayet, P. 2004 Lacour-Gayet, P. 2004 Grist Magazine 13. Januar 2005 Cox, P. M. et al. 2000 Saleska, S. Pv. et al. 2003 Henschke, I. 1999 Matamala, R. et al. 2003 Kirschbaum, M. U. F. 2003
28. Die letzten Stufen auf der Himmelsleiter? 74 75 76 77 78 79 80 81 82
Roberts, P. 2004 Roberts, P. 2004 Roberts, R 2004 Roberts, P. 2004 Romm, J. J. 2004 Romm, J. J. 2004 Romm, J. J. 2004 Romm, J. J. 2004 Romm, J. J. 2004
364
Anmerkungen
V. Teil DIE LÖSUNG 29. Hell wie die Sonne, leicht wie der Wind 1 2 3 4 5
Pacala, S. & Socolow, R. 2004 Girardet, H. 2004 BCSE2004 BCSE2004 Girardet, H. 2004
30. Nuklearer Lazarus? 6 7 8 9
Roberts, P. 2004 Blatt, H. 2004 Kennedy, R. F. 2004 National Commission on Energy Policy 2004
31. Von Hybriden, MiniCATs und Kondensstreifen 10 11 12 13 14 15 16
Hamilton, C. 2001 Blatt, H. 2004 Blatt, H. 2004 Blair, T. 2004 Penner, J. E. et al. 1999 Penner, J. E. et al. 1999 Williams, V. et al. 2003
32. Die letzte höhere Gewalt? 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Kennedy, R. F. 2004 Hassol, S.J. 2004 Whitfield, J. 2003 Hassol, S.J. 2004 Barnett, J. & Adger, N. 2003 Hamilton, C. 2001 Barnett, J. & Adger, N. 2003 Hare,W.2OO3 Hare,W. 2003 Hare,W. 2003
365
Wir Wettermacher 33. 2084: Die Kohlenstoff-Diktatur? 27 28 29 30
Herzog, H. et al. 2003 Garman, P. et al. 2003 Schultz, M. G. et al. 2003 Prather,M.J. 2003
34. Es ist höchste Zeit 31 32 33 34 35
Leggett, J. 2004 Climate Change Task Force 2005 Meyer, A. 2000 Meyer, A. 2000 Girardet, H. 2004
35. Sie sind an der Reihe 35 Suzuki, D. & Dressel, H. 2002 Nachwort und Nachwort zur deutschen Ausgabe 1 Hansen, J. et al. 2005 2 Carroll, C. 2005 3 Trenberth, K. 2005 4 Trenberth, K. 2005 5 De Dekker, P. 2005 6 Knutson, T. R. & Tuleya, R. E. 2004 7 Emanuel, K. 2005 8 Kerr, R. A. 2005 9 Mouawad, J. 2005 10 Vidal,J. 2005 11 Ignatius, D. 2005 12 Ignatius, D. 2005
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REGISTER Aale 88 Adeliepinguin 121 Adger, Neil 321 Afrika 39, 77, 86, 115, 130, 149, 151 f., 167, 206, 208 ff., 217, 310, 322, Farbteil Agassiz, Louis 62 Ahorn 237 Alaska 18, 78, 108, 122, 168, 172, 320 Albatros 121 Albedo 37, 39, 128, 150, 169 Alexandersittich 209 Algen 37, 53, 130, 133, 137 Aliens Consulting Group 262 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 320 Alligator, amerikanischer 115 Aluminium 259, 332 Amazonas 18, 74, 116, 189, 193, 216, 219, 223-226, 232 Amerika (Kontinent) 62, 68, 70 f., 74, 78, 82, 84, 86, 108 f., 113, 115, 122, 157ff., 162, 164, 168, 191, 208 f., 217, 219 f., 222, 237, 309, 343; s. a. USA Amerikaner s. USA Amphibien 69, 95, 140 f., 143 f., 146 f., 247 Amundsensee 18, 173 f. Anolis 142 f. Norops tropidolepis 142 Norops altae 142
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Anopheles 163, 204 Anpassung 82, 90, 137f., 195 f., 199, 233, 236, 257, 277 Antarktis 18 f., 51, 69, 80 f., 87, 119 ff., 153, 162, 168 f., 172 ff., 212, 215, 222, 237, 241 f., 244, 249, 325, Farbteil; s. a. Polarregionen Antarktische Grasschmiele (Deschampsia antarctica) 119 Antarktische Halbinsel 18, 172, 174, Farbteil Anthrazit s. Kohle Anthropozän 87ff., 91, 111 Äquator 37, 42, 83 f., 115, 148, 199, 212 f., 221 Arabisches Meer 19, 162 Araukarie 203 Archaikum 69 Arctic Climate Impact Assessment 123 f. Argon 43 Arktis 58, 82, 91, 122-127, 148, 169 f., 174, 193, 213, 237, 318, 320, 325, Farbteil; s. a. Polarregionen Arrhenius, Svante 49, 61 f., 186 Asien 26, 71, 74, 78, 86, 88, 109, 124, 132, 161, 168, 174, 191, 218, 310, 340 Äthanol 81, 312 f. Atkinson, Angus 120 f.
Register Atlantik 18, 55 f., 75, 80, 83, 120, 149, 161 f., 182, 208, 210, 216-221, 229, 315, 343 Atmosphäre 23ff., 33-39, 41-48, 49-57, 61, 71, 74 ff., 79 f., 87f., 90 f., 93, 95, 102 f., 107, 109 f., 118, 132, 135, 150, 152, 157, 160 ff., 169 ff., 179-195, 223 ff., 228 f., 241-245, 252, 270, 280, 286 f., 291 f., 318 f., 322, 326 f., 330 f., 334, 340, 343 f., 346 f. Atolle 107, 129, 133, 321 Atomkraftwerke s. Kernenergie Austern 212 f. Australian Aluminium Council 255 Australian Bureau of Agricultural and Resource Economics (ABARE) 254f., 285 Australian Institute of Marine Sciences 132 Australien 22, 28, 39, 69, 78, 83, 88, 92, 95, 108 f., 117, 131, 134, 136, 138, 144 ff., 152 ff., 165, 185, 192, 201 ff., 205-209, 217f., 222, 230, 233f., 241, 251, 253ff., 259-264, 266 f., 271 f., 274, 283 ff., 303, 309 f., 319, 321 f., 326, 331, 338, 347, Farbteil Bakterien 37, 90, 99, 223, 268 Ball, Jeffrey 265 Bangladesch 19, 168, 218 Banksien 203, 207 Bärlapp 95 Barnett, Jon 321 Barrier-Riff, Großes 19, 131, 133-136, 138, Farbteil Barry, James 281 Barton, Joe 349 Bartrobbe 125
Bätterham, Robert 272 Bauchbrütender Frosch (Rheobatrachussilus) 144 ff. Baumfarn 21, 25, 199 Baumkänguru 118, 202 Benzin 51, 101, 232, 272, 292 ff., 313 f., 339 Berggorilla 200, 204 Beutelratte 117 f., 202 Bevölkerung 42, 46, 89, 151, 188, 204, 218, 231, 233, 236, 246, 254, 283, 306, 320, 322, 326, 334 Wachstum 102, 149, 204, 266 f., 327 BHP 274 Biblebelievers 274 Binsen 207 Biodiversität 22, 27, 36, 40, 92, 115 f., 130 f., 136, 138, 156, 200, 203, 206, 208 f., 219, 281, 340 Biologie 21, 36, 96, 99, 108 f., 139 f., 198, 203 f, 219, 236, 313 Biomasse 53, 102, 312, 331 f. Biosphäre 45, 80, 238, 324 Blair, Tony 277 f. BMW 291 Bockris, John 290 Boehlert, Sherwood 349 Bohnen 247 Bohrkerne 51, 66, 72 f., 80 ff., 91, 222, 347 Boodhoo, Yadowsun 261 Boulton, Matthew 97 BP 273, 276, 286, 289 Brasilien 210, 259, 308, 312 Braunkohle s. Kohle Brennstoffzellen 290 ff., 301 British Antarctic Survey 120 British Royal Commission on Environmental Pollution 277
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Wir Wettermacher Broecker, Wallace 68 Brom 241, 245 ff. Browne of Madingley, Lord John 273, 276 f., 289 Brückenechse (Sphenodon-Spezies) 115 Buckelwal 122 Buessler, Ken 280 Bufo boreas 147 Bunya-Bunya-Baum (Araucaria bidwilli) 203 Bush jun., George W. 28, 269 ff., 278, 291, 306, 349 Bush sen., George 270 f. C&C-Modell (»Contraction and Convergence«) 333 ff. Calcium 212, 214 Callendar, Guy 62 f. Campbell, Thomas 211 Carbon Trust 278 Carbonate 37f., 56 f., 75, 212 f., 291 f. Carpenteriagolf 347 Center for the Study of American Business 261 Centre for Coastal Physical Oceanography 347 Chaucer, Geoffrey 66 Cheney, Richard 271, 319 Chevron 273 Chicago Climate Exchange 257 China 19, 55, 98, 163, 185, 248, 259, 276, 285, 307f., 340 Chlor 53, 160, 241, 243-247 Chlorfluorkohlenstoffe (CFKs) 53, 160, 241, 243-248, 259, 324, 336 Chytridium-Pilze 147 Clarke, Arthur C. 332 Clathrate 69, 75f., 216, 226-229
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Climate Change Task Force 333 Climate Diagnostics Center 108 Clinton, Bill 262, 301 Club of Rome 23 CO2 s. Kohlendioxid Cole, Jonathan 56 Cole, Julia 107 Computersimulationen 24, 39, 64, 110, 150, 175, 179-189, 207, 347, 350 Confederation of British Industry 262 Cooktown-Regenwaldfrosch (Cophixalus exiguus) 202 Cooler Heads Coalition 274 Cooney, Philip A. 271 Costa Rica 18, 112, 139 ff., 232, 286 Cowper, William 336 Crichton, Michael 274 Crump, Marty 141 f. Crutzen, Paul 87, 241 f., 247, 324 f. CSIRO 192, 222 Curry, Ruth 221 Dänemark 300, 314 Darwin, Charles 33, 58, 108, 179 Darwinfinken 108 f. Davos, Weltwirtschaftsgipfel von 273, 278 Dawkins, Richard 36 Deep Sea Drilling Project 71 Desert Research Institute 157 Deutschland 180, 206, 254, 337ff. Devon 69 Diamanten 53, 94 Diamond, Jared 233 Diesel 51, 184, 232 »Dimmen«, globales 150f, 188, 194, 317, 331 Dinoflagellaten 132
Register Dinosaurier 69 f., 227, 273 Dobson, Gordon 242 Done, Terry 134 Doolittle, W. Ford 36 Dornenkronenseestern 131 Dryandra 207 Dryaszeit 84 Dukesjeffrey 100 ff. Dulles, John Foster 305 Düngemittel 53, 96 »Düngen« mitCO2 235, 270 mit Eisenspänen 279 ff. DuPont 244, 247, 273 Dürre 26, 45, 108 f., 149 f., 152, 156 ff., 165, 192, 202, 208, 217, 233 ff., 237, 264, 331
Eiszeiten 36 ff., 62 ff., 69, 72, 77-85, 90f., 187, 199, 202, 220, 222, 238, 267, 332, 347 El Niño 107, 109 f., 116, 131-135, 141, 146 f., 156, 161, 186, 225, 264 Elfenbeinmöwe 126 f. Emanuel, Kerry 347 Emeryville 217 Eozän 69, 73, 95 Epstein, Paul 264 Erbsen 247 Erdgas 51, 75, 93 f., 97, 99 ff., 227, 250, 272, 282, 288-293, 301 f., 309, 327, 331, 338 Erdgeschichte s. Geologie Erdöl 23, 93 f., 97ff., 276, 282, 288 f., 315, 329 ff., 345 Edison Electric Institute 271 -industrie 99 f., 271 f., 276, 282, Edison, Thomas 97 300, 309, 331, 348 f. Edward I. 96 Erdwärme s. Geothermik Eichen 113 f., 117 Eskimos s. Inuit Eis 37, 44, 47, 51, 61, 72, 75, 78-85, Eukalyptus 206 87f, 91, 118, 119-128, 166, Europa 55 f., 62, 65, 74, 78, 80, 168 ff., 172 ff., 193, 200, 211, 217, 82 ff., 90, 95 f., 113 f., 151 f., 161, 220 ff., 226 f., 233, 264, 320 163f., 191, 195, 208f., 217ff., -bohrkerne s. Bohrkerne 222, 237, 241, 252-255, 257ff., -felder 37, 172 f. 266, 307, 309, 314, 316, 333, 337 Gletscher- 62, 175 Europäische Union 218, 253, 257 Inland- 80, 124, 168 f., 175, 222, Evelyn, John 59 Farbteil Exxon 273 -kappen 51, 76, 79 f., 91, 168, 171, 222 Fagan, Brian 84, 89f. Meer- 120 f., 125 f. Falsche Spitzkopf Schildkröte (PseuPack- 119, 121, 125 ff., 168 ff., demydura umbrina) 152, 156 172 ff., 320, Farbteil Farne 21, 203 -schelfe 172 f., Farbteil Fasher, El 151 -schilde 80, 83, 174 f., 220 Federal Environmental Protection Eisbären 76, 124-128, 319 Authority 319 Eisen 97, 120, 131 f., 280 Feely, Richard 212
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Wir Wettermacher Fichtenborkenkäfer 122 Fichtenknospenraupe 122 Fischtukan (Rhamphastos sulphuratus) 140, 142 Fisher, Brian 321 Fitzroy, Robert 179 Flechten 21, 91, 122, 124, 200, 203 Flinders, Matthew 129 Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) 243 Fluorkohlenwasserstoffe (FKWs) 53, 243, 245 Foraminiferen 74 Ford 291, 313 f. Fourier, Jean Baptiste 60 f. Franklin, Benjamin 219 Frankreich 32 f., 305, 314 Friends of the Earth 305 Frontiers of Freedom 274 Frösche 111, 114, 139 f., 142, 144-147, 200, 202 f., 207 Fynbos 207, Farbteil Gaia 33-40, 59, 90, 152, 186, 193, 229, 236, 244, 305, 324f. Galápagosinseln 18, 108 Galilei, Galileo 65 Gänseblümchenartige 207 Garnelen 213 Gashydrate s. Clathrate Gelbspan, Ross 270 General Motors 273 Geologie 23, 67-76, 84, 87, 91, 99, 112, 137, 216, 278, 283, 309 f. George III. 97 Georgia Institute of Technology 347 Geosequestration 218, 282, 284 f. Geothermik 254, 308 ff. Getreide 85, 88, 90, 152 ff., 233-237, 312
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Gewitter 164, 294, 343, 346 Gilgamesch-Epos 167 Gillett, Nathan 181 Glattwal 122 Gletscher 22, 26, 62, 72 f., 82, 84, 88, 168 f., 171 ff, 175, 198, 276 Glick, Daniel 216 Global Climate Coalition 272 f, 276, 319 Gobiodon Spezies C 135 f. Goldkröte (Bufo periglenes) 139-144, 146 f, 232, Farbteil Golf von Bengalen 19, 162, 165 Golf von Mexiko 344-348 Golfstrom 18, 83 f., 125, 216-223, 229, 238, 343, 346 Goodley, A. D. 312 Goodstein, Eban 263 Gorillas 78 Grannenkiefer 79 Graunt, John 59 Greening Earth Society 274 Greenpeace 305 Grönland 18, 80, 84, 87, 123 f, 168 f, 171, 222, Farbteil Großbritannien 56, 148, 163, 179, 190 f., 219, 262, 277 f., 300 f., 305 f., 315, 328, 333, 337 Großmaulhai (Megachasma pelagios) 213, 270 Grove, Sir William 290 Grüner Leguan 142 Gummibaum 206, 209 Hadley Centrefor Climate Prediction and Research 163, 180 f, 183, 190, 193, 223 f, 226, 276 Haie 74, 213 Hamill, AI 98 Hansen, James 186, 341
Register Hare, William 206 Hawaii 47 f., 213 Hawke, Robert 274 Hawking, Steven 233 Herbert, A. P. 318 Hill, Robert 255 f. Hirvasvuopio, Heikki 124 Hitzewellen 46, 163 ff., 191, 230, 235, 264 f., 322 Hochwasser 149, 163, 165, 191 Hoerling, Martin 108 Högbom, Arvid, Gustav 58, 62 Holland s. Niederlande Hollander, Jack 182 Holozän 69 Honda 313 Honigbeutler (Tarsipes rostratus) 152 Honigfresser 200 House Energy and Commerce Committee 349 Howard, John 272 Hudson Bay 18, 84, 124, 125, 220 Hudson-Halsbandlemming (Dicrostonyx hudsonius) 122 f., 125 Hughes, Lesley 205 f. Hurrikane 161 f., 164, 264 f., 343-350 Hybrid-Autos 27, 312 f., 339 f. Indien 19, 165, 259, 308, 322, 340 Indischer Ozean 19, 133, 150, 153 f. Indonesien 19, 131 f. Industrie 15, 24, 27, 63, 87, 100 f., 186, 235, 243 ff., 251 ff., 259, 262f., 267-282, 287, 300, 307, 311, 322, 330 ff., 336, 340, 345; s. a. Wirtschaft Industrielle Revolution 50 ff., 59, 87, 103, 194
Infrastruktur 256, 264, 290, 294, 330, 344, 347 Insekten 69, 95, 114, 122, 200, 208 f., 232 Institute of Public Affairs 274 Inter-American Commission on Human Rights 319 Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 171, 180, 236, 271, 274 ff. International Climate Task Force 333 International Union for the Conservation of Nature 146 Internationale Energie-Agentur 285 Inuit 119, 124 ff., 196, 246, 319 f. Japan 251, 254, 256, 281, 303, 308, 313 Jet Propulsion Laboratory 172 Jetstream 18, 108, HO, 157, 180 Jett s. Kohle Jorgenson, Dale 263 f. Judah, Tim 151 Jura 69, 203 Kaiserpinguin 121 Kakerlaken 95 Kalium 291 Kalmare 74, 281 Kambrium 68 f. Kamele 149 ff., 318 Kammmuscheln 212 Kanada 18, 55, 91, 124 f., 127, 205, 308, 322, 326 Kängurus 202; s. a. Baumkänguru Karbon 38, 69, 95, 101 Karibik 18, 162, 189, 218, 344 Karibus 124, 196, 319
389
Wir Wettermacher Karoly, David 153 Karru 206 f., Farbteil Katarchaikum 69 Kaurifichte 79 Keeling, Charles 48, 51 Keeling-Kurve 47 f. Kernenergie 217, 278, 290, 294, 300f., 305-308, 310, 314, 335, 338 Kiefern 203 Kiribati 18 f., 107, 321 Kleiner Frostspanner (Operophtera brumata) 113 f. Klimamodelle s. Computersimulationen Knutson, Thomas 347 Koboldkärpfling 214 Kohle 51ff., 58ff., 62f., 89, 93-98, 100 f., 134, 144, 185, 193, 250, 254, 256 f., 270 ff., 282 ff., 287 ff., 302, 308, 310, 312, 329, 331 f., 340 -industrie 94, 97, 195, 235, 270 ff., 282, 285, 300, 312, 319, 331 -kraftwerke 98, 151, 184 ff., 194, 259, 282, 284f., 289 f., 301, 306, 308, 331 f., Farbteil -lagerstätten 38, 95, 332 -vergasung 282, 284 f. Kohlendioxid 24-28, 34, 37ff., 41, 44, 46-58, 62, 64, 71 f., 74ff., 80, 85, 87-91, 93f., 98, 103, 112, 116, 127, 134, 136, 152, 157, 159, 165, 169, 179 ff., 184, 186 ff., 193 ff., 198, 202, 204, 212 f., 218, 223 ff., 228, 233, 235 ff., 251 f., 255 ff., 260, 266 f., 270, 275 ff., 279-288, 291, 293 f., 300, 305, 310, 313 ff., 319, 321 f., 325, 331,
390
333 f., 336 f., 340 f., 347, 351, Farbteil Kohlenmonoxid 282 Kohlenstoff 26, 38 f., 50-57, 74, 76, 88 f., 93 ff., 100, 194, 196, 223, 225, 228, 252 ff., 256 ff., 266, 270, 277-288, 290, 294, 299 f., 304, 310, 312f., 315 f., 324 ff, 328, 330, 333 f, 340 -isotope 72 f. -einlagerung 218, 225, 279-287, 300, 308, 326; s. a. Geosequestration -reservoire 54f, 223, 286 -zyklus 37ff, 54, 57, 175, 179, 195, 223, 225, 286, 325 Kohlenwasserstoffe 75, 98 f, 279, 282, 288 Kolumbus 219 Kondensstreifen 188, 315f. Kopepoden (Ruderfußkrebse) 112 Korallen 39, 73, 107, 129-139, 321, Farbteil Korallenriffe 19, 39, 129-139, 321, Farbteil Korea 259 Süd- 19, 132, 163, 308 Krabbentaucher 127 Kraftübertragungswerke Rheinfelden(KWR) 338 f. Krebse 213 Kreide 69 Krill 120 ff. Krokodile 115 Kröten 111, 140, 142, 147; s. a. Goldkröte, Bufo Krummholzwälder 140 f, 198 Kryosphäre 118, 122f, 128, 330 Kump, Lee 179 Kuskus 117f, 232
Register Kyoto, Protokoll von 28, 196, 204, Lovelock, James 33, 35 f., 39, 59, 241, 248, 250-262, 264, 266f., 193, 231, 237, 244f., 277, 288, 273, 277, 284, 321 f., 325, 332 ff., 305, 324 340 Löwenäffchen 210 Luftdruck 162, 182, 344 La Niña 109 f. Luftdruckautos 314, 317, 339 Lackner, Klaus 57 Lumholtz-Baumkänguru (DendroLacour-Gayet, Philippe 279, 284 lagus lumholtzii) 202 Lake Agassiz 220 Lutgens, Frederick 161 Lamb, H.H. 66 Lycopodien 95 Lamb, Peter 151 Landwirtschaft 22, 86, 88, 90, 131, Machta, Dr. 244 f. 133, 150 f., 153, 210, 217, 234 f., Mais 312 238, 245, 247, 262, 286, 306, 313, Makrelen 246 326, 331 Malaria 163, 204, 322 Langschnabeligel (Zaglossus barMalediven 321 toni) 21, 199 f. Mallomys gunung 200 Larsen-B-Eisschelf 18, 172 f., FarbMammut 62, 168 teil Manabe, Syukuro 180 Lash, William 261 Mann, Michael 349 Laternenangler (Linophryne arboriMarshall, Andrew 217 fera) 214 f. Massachusetts Institute of TechnoLavoisier Group 274 logy 347 Lawrence Livermore National LaMastrandrea, Michael 196 boratory 180 Max-Planck-Institut für MeteoroLeBlanc, Steven logie 180 Leggett, Jeremy 276 Meer 18 f., 33, 38, 44, 53, 55 ff., 69, Leibniz-Institut für Meereswissen72-84, 108, 110, 112, 119 ff, schaften 281 125 f, 129 ff, 136, 140, 150, »Leipziger Erklärung« 274f. 153 f, 156, 162, 164, 167-175, Lemuren-Ringelschwanzbeutler 201 182, 212, 215-222, 226-229, Lepidodendron 95 237, 246, 262, 279 ff, 320 f, Libellen 95 344 ff.; s. a. Ozean Liberty Australia 274 Meeresgrund 37, 57, 71, 73, 75, 130, Lindeman, F. A. (Lord Cherwell) 173 f, 216, 226 ff, 280 f. 242 -spiegel 26, 38, 70, 82 f, 136, Lochkoralle (Pontes) 107 f. 168 ff, 173 ff, 196, 208, 222, Long, Stephen 235 235, 238, 321 f. Lopez, Barry 119, 122 -strömungen 56, 78, 83 f., Lott, Trent 258 f. 217-223, 342
391
Wir Wettermacher Meerwasser s. Wasser Mendel, Gregor 58 Mercer, John 174 Mesosphäre 42 f. Mesozoikum 69 Methan 52, 75, 80, 87f., 94, 98, 100, 121, 137, 214, 226-229, 237, 245, 290, 314, 327 Meyer, Aubrey 236, 333 f. Milankovic, Milutin 63 ff., 73, 87ff. Milankovic-Zyklen 63 ff., 73, 78, 81, 87, 89, 91, 332 Milton, John 205 Miozän 69, 73 Mittelgrundfink (Geospiza iortis) 108 f. Mobil 255, 273 Molche 114 Molina, Mario 242, 245 Monterey Aquarium 281 Montreal, Protokoll von 241, 245, 248, 259, 270, 273, 336 Moon, Sun Myung 274 Morgan, Hugh 274 Moteur Developpment International 314 Mount Glorious Strömungsfrosch (Taudactylus diurnus) 146 Münchener Rück 265 Murdoch, William 97 Narwal 67, 76, 127 NASA 173, 179, 186, 271, 293 National Academy of Sciences 271 National Center for Atmospheric Research 150 National Climatic Data Center 264 National Commission on Energy Policy 307 National Hurricane Center 343
392
National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) 271, 347 Nature Conservancy 210 Neidjie, Bill 92 f. Neo-(Kano-)zoikum 68 f. Netzfliegen 207 Neuguinea 19, 21 f., 88, 116f., 120, 135 f., 139, 198 f., 204, 232, 347 Neuseeland 79, 115, 122, 204, 256, 322 New Orleans 343, 345 f., 349 , Newcomen, Thomas 97 Niederlande 66, 109, 130, 168, 220, 254 Niederschläge 74, 89 f., 108, 114, 146, 127, 148-159, 163 ff., 175, 202, 204, 220f., 224ff., 237f., 347 f., Farbteil; s. a. Regen, Schnee Nordhaus, William 263, 299 Nordpolarmeer 18 f., 168 f., 226 f., 244, Farbteil; s. a. Arktis, Polarregionen Nordsee 18, 56, 227, 282 Nortel 248 Nourse, Timothy 59 Ocean Drilling Program 71, 73 Ohsumi, Takashi 281 f. Ökologie 102, 109, 133, 138, 140, 151 Ökosysteme 22, 74, 102, 114, 116, 123, 127, 129, 136, 143 f., 188, 195 f., 203, 206, 209, 236, 246 f., 282, 325 Oligozän 69, 73 Orchideen 199, 203 Ordovizium 68 f. Orwell, George 328
Register Österreich 63, 247, 251 Ozean 18 f., 33, 38, 43 f., 54 ff., 71 ff., 79 f., 98 f., 101 f., 110, 121 f., 129 f., 132 f., 135 f., 143, 149 ff., 157, 161 f., 166-175, 194, 207, 209, 211-216, 219 ff., 227 f., 246f., 280f., 325, 344, 346 f.; s. a. Meer Ozon 42f., 66, 160, 184, 235, 241-248, 316, 324, 327, 346 Dobson-Einheiten 242 f. -loch 27, 53, 66, 87, 179, 241, 244, 247, 249, 259 -maximum 43 -schicht 153, 160, 241 ff., 248 f., 252 Pacala, Steven 300 Pacific Marine Environmental Laboratory 212 Paeniu, Bikenibu 321 Pakistan 19, 308 Paläozän 69 Paläozoikum 69 Palmer, Fred 270 f., 274 f. Pandas 200, 204 Papageien 200 Paradiesvogel 200 Parer, Warwick 254, 272 Parmesan, Camille 111 ff., 205 Partnership for Climate Action 273 Pazifik 18 f., 73, 107ff., 116, 130, 143, 147, 157, 206, 208, 213, 321 Peabody 270 Pelikanaal (Eurypharynx pelecanoides) 214 f. Perm 69, 227 f. Pest 90, 96, 163 Petroleum Industry Conference 279 Pferde 58
Photovoltaik 277, 294, 302f., 333, 338 Phytoplankton 98 f., 222 Pinguine 120 ff. Plankton 38, 44, 72, 76, 98, 115, 120, 152, 280 f. Pleistozän 69, 77 Pliozän 69 Polarfuchs 126 Polarregionen 18 f., 49, 64, 72, 74, 78, 80, 110, 112, 119-128, 148, 153, 169 ff, 186, 212, 216, 221, 280, Farbteil Politik 24, 27, 134, 151, 187, 195 f, 218, 247, 250-254, 262, 267, 269, 271 f, 277, 285, 308, 318, 320 f., 328, 332, 334 f., 349 Polyp 133 Pope, Carl 285 Prospero, Joseph 151 Proterozoikum 69 Prumnopitys amara 203 Prumnopitys ladet 203 Punta Arenas 18, 246 Quartär 68 f. Quecksilber 93, 185, 212 Queensland Coal Mine Management 272 Quetzal (Pbaromachrus moccino) 140 Quiggin, John 254 Raben 126 Randall, Doug 217 f. Raoulia 204 Ratten 21, 163; s. a. Beutelratte, Riesenratte Raymond, Peter 56 Redmond, Kelly 157
393
Wir Wettermacher Regen 57, 74, 79, 89 f., 92, 101, 108 f., 118, 123 f., 126, 130, 143, 147 ff., 152 ff., 163, 191 f., 224, 237, 326, Farbteil; s. a. Niederschläge saurer 185, 228 Regenwälder 22, 55, 69, 109, 116, 130 f., 139 ff., 146, 152 f., 193, 198, 201 ff., 206 f., 210, 216, 223-226, 232, 237, 286 Reis 88, 235 Rentiere 124; s. a. Karibus Reptilien 69, 95, 115, 142, 202 Rheobatrachus vitellinus 146 Rhododendron 199 Richards, Steve 144 Ridgwell, Andy 38 Riebeseil, Ulf 281 Riesengleitbeutler 201 Riesenhirsch 62 Riesenratte 117 f. Rignot, Eric 172 Rinder 150 Ringelrobbe 125 Rio de Janeiro, Umweltgipfel von 251, 270, 272 f. Rio Tinto 255, 272 Robben 119 f, 122, 125-128, 122, 196, 319 Rowland, F. Sherwood 242, 245 Royal Dutch Shell 217 Royal Metereological Society 62 f. Ruddiman, William 87-91 Russland 81, 218, 241, 250, 257, 308, 322 Sabban, Mohammed al- 276 Sagan, Carl 35 Sahel 18 f., 149 ff., 157, 237, 318
394
Salamander-Hechtling (Lepidogalaxias salamandroides) 152 Salpen 120 ff. Samenfarn 95 Sandrobbe 125 Saprolegniaferax 147 Sattelrobbe (Pagophilus groenlandicus) 125 Saudi-Arabien 99, 276 Sauerstoff 34, 37, 42 ff., 51 ff., 76, 94 f., 98 f., 115, 137, 222, 228, 241, 243, 282, 290; s. a. Ozon -isotope 72, 80, 224 Säulengärtner (Prionodura newtonia) 202 Savage, J. 139 Schachtelhalm 95 Scheckenschmetterling (Euphydryas editha) 112 Schelling, Thomas 196 Schlumberger Ltd. 279, 284 Schmetterlingsblüter 207 Schnee 37, 61, 64, 79 f., 91, 108, 118 f., 123 ff., 158 f., 175, 191, 198; s.a. Niederschläge Schneider, Steven 196 Schönau 338 f. Schwartz, Peter 217 f. Schwarzer Zungenkiemer (Malacosteus niger) 211, 213 Schwefel 93, 96 -oxide 185f., 228, 257, 315 f. -säure 290 f. Schweinsburg, Ray 125 f. Schweiz 266, 273, 309 Schweizerische RückversicherungsGesellschaft 266 Schwertlilie 207 Science and Environment Policy Project 274
Register Seuchen 90, 163 Shakespeare, William 86, 107, 198, 269 Shea, Quin 271, 319 Shishmaref 18, 320 Sierra Club 285 Sigillaria 95 Silberbaumgewächse 203, 207, 209 f. Silberwurz 84 Silur 68 f. Singer, Fred 274 Sir Peter Scott Trust 210 Skandinavien 62, 218 Smith, John Maynard 40 Socolow, Robert 300 Solarthermik 302 f., 305 Solarzellen 277, 294, 303, 333, 338, 340 Sonne 36, 41 f., 60 f., 63, 65 ff., 79, 83, 87, 115, 169 f., 180, 299, 305, 341 Sonnenenergie 37, 45, 61, 64 f., 100 f., 160, 164, 254, 286, 289f., 294, 300, 302 ff., 311, 315, 317, 337, 339 Sonnenkollektoren 302 f., 337, 340 Sonnenstrahlung 35 ff., 39, 45 f., 49, 53, 60 f., 63 ff., 72, 94, 101, 128, 130, 132, 137, 151, 169 f., 181, 186 ff., 202, 219, 232, 243, 281, 302; s. a. Ultraviolettstrahlung Spatzen 209 Spinnen 95, 114 Spurengase 43, 327 Steinkohle s. Kohle Steinkorallen 132 f., 136, 138 Stevenson, Adlai 305 Stickstoff 42, 53, 80, 327 -oxide 52 f., 315 f.
Stratosphäre 42 f., 66, 153, 160, 184, 242-246, 316, 327, 346 Streifen-Ringelschwanzbeutler 201 f. Stuart, Simon 146 Stürme 45, 108, 119, 157, 160, 162 ff., 180, 182, 208, 235, 264 f., 322, 343-347 Wirbel- 34, 92, 161 ff., 165, 189; s. a. Hurrikane, Tornados Sudan 149, 151, 318 Südpol 120 f., 171 f., 221, 244, 279 f.; s. a. Antarktis, Polarregionen Sukkulenten 206 f., Farbteil Sumpfzypressen 95 Sununu, John 270 Sverdrup 83 f., 219-222 Sverdrup, Harald Ulrik 83 Switchgrass (Panicum virgatum) 312 Syrnbiodinium D 137 f. Tanganjikasee 19, 115 f. Tansley, Elizabeth 235 Tarbuck, Edward 161 Taro 88 Tausendfüßler 95 Tertiär 69 Texaco 273 Thatcher, Margaret 277 Thayer-Möwe 126 Thermosphäre 42 f. Thomas, Chris 209 f. Thornton-Peak-Regenwaldfrosch (Cophixalus sp.) 203 Three Mile Island 307 Tiefsee 65, 74 ff., 211 ff. Tiefseeangler (Caulophryne polynema) 211 ff. Tiphoboia horei 116
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Wir Wettermacher Tornados 164, 264 Toyota 313 Transport und Verkehr 25, 58, 95, 97 f., 234, 253f., 283, 288-294, 299, 311 f., 314 ff., 325, 327f., 332, 339 Treibhausgase 24 ff., 41, 44 ff., 49-53, 57, 61 f., 64 ff., 70 f., 73, 76, 82, 87, 90, 93, 103, 110, 112, 127, 150, 160, 171, 179, 182, 184, 190, 193 ff., 204, 210, 228, 236, 249, 251, 253, 258, 265 f., 269 ff., 277, 288, 290, 322, 325, 327, 333, 346 Trenberth, Kevin 110 Trias 69, 227 f. TRIFFID 224 ff. Tropopause 42 f., 160, 346 Troposphäre 41 ff., 46, 66, 160 f., 184, 194, 315 f., 344, 346 Trottellumrne (Uria aalge) 113 Tschernobyl 306, 338 Tuleya, Robert 347 Turner, Adair 262 Tuvalu 321 f. Überschwemmungen 109, 149, 158, 163 f., 233 ££., 264 f., 344 f. Ultraviolettstrahlung 42, 66, 147, 160, 243 f., 246 ff. UNEP 275 United Nations Framework Convention on Climate Change 195 United Nations Meteorological Organization 179 UN-Klimakonvention 251 UNO 151, 251, 275, 320, 326 UN-Zivilpakt 320 Uran 93, 185, 254, 308 US Department of Energy 262
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US Weather Bureau 162, 180 USA 18, 55, 57, 108, 146 f., 162, 164 f., 185, 188, 196, 217, 230, 235, 246, 248, 252f., 257f., 262, 264, 266 f., 269 f., 273 f., 283, 292, 301, 307, 319 f., 328 f., 333, 345, 349 f. Utah Mining 272 Visser, Marcel 114 Wale 120 f. Walker, Christopher 266 Wallaby 21 Wallace, Alfred Rüssel 33 f., 41, 58 ff., 77, 130, 160, 219, 250, 330, 335 Wallace-Linie 19, 117 Wallop, Malcolm 274 Walross 125, 127 Walsh, Peter 274 Wasser 22, 33, 37, 52 f., 83 f., 89, 94 f., 97 f., 101, 109 f., 114 ff., 122, 125 ff., 129 f., 132, 134 f., 137, 141s 147, 149, 153-159, 161, 165, 167-175, 180, 188, 191, 194, 202, 208, 211 f., 218 ff., 224 ff., 232 ff., 238, 245 f., 271, 281, 290, 302 f., 306, 309 ff., 315 f., 327, 331, 337, 340, 345 -dampf 39, 41, 43, 46, 49 f., 61, 71 f., 74, 97, 148, 161, 163, 309, 315, 327, 344 ff. Grund- 154 ff. -kraft 158, 278, 304 Meer- 56, 72, 74, 76, 110, 133, 136, 154, 156, 170, 215, 221, 280f., 344, 347 Oberflächen- 109, 155 f., 170 f., 344
Register Salz- 83, 120, 154, 170, 212 f. Süß- 66, 83 f., 115 f., 217, 220 ff. Tiefen- 72, 76, 173, 212 f., 215, 222 Wasserstoff 51, 93 f., 100, 233, 327, 282, 288, 290-295, 301, 310f., 313 f., 327 Wasserstoff-Autos 291-294, 313 Watkins, James 270 Watt, George 97 Watvögel 208 Weatherald, Richard 180 Webster, Peter 347 Weddellmeer 18, 173 Weichkorallen 133 Wein 66, 152 Weizen 62, 129, 152 ff., 208, 235 »Welt-Kommission für Thermostatsteuerung« 325-329 Western Fuels 270 Western Mining Corporation 274 White, Gilbert 111 Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht 247 f., 252 Williams, Steve 201 ff. Winde 42, 45, 78 ff., 108 f., 154, 162, 192, 213, 265, 280, 344 f., 347; s. a. Stürme Windenergie 250, 254, 269, 286, 289, 299-303, 306, 311, 314f., 317, 333, 340 Wirbellose 69, 203
Wirtschaft 24, 27, 94, 100 f., 124, 138, 191, 194 f., 227, 236, 245, 248, 250-255, 258f., 261-265, 271, 277f., 284, 286, 289-295, 299 ff., 310 f., 316, 321, 325, 327, 330, 340; s.a. Industrie Welt- 28, 233, 248, 273, 288, 313 Wollgras 122 Wollnashorn 62 Woodford, James 132 Woods Hole Oceanographic Institution 221, 280 World Meteorological Organization (WMO) 182, 261, 275 World Wide Fund for Nature (WWF) 109, 210 Wright, Ronald 235 Yersina pestis 90, 163 Yohe, Gary 111 ff., 205 Zachos, James 73 Ziegen 131, 150 Zierschildköte {Chrysemis pictä) 114 f. Zirkulation 42, 54, 66, 72, 153, 220; s. a. Kohlenstoffzyklus Zirkulationsmodelle 180 ff., 184, 186, 223, 216, 348 Zooxanthellen 133, 137 Zuckerrohr 312 Zyklone 162, 165, 348
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Dieses Buch ist klimaneutral! Die Herstellung von »Wir Wettermacher« verursacht Treibhausgasemissionen (THG) und trägt damit – wenn auch nur in geringem Maße – zum globalen Klimawandel bei. Diese Emissionen lassen sich trotzt des Einsatzes hocheffizienter Druckmaschinen und moderner Lieferfahrzeuge nicht vollständig vermeiden. Um innovative Möglichkeiten für den Klimaschutz aufzuzeigen und damit dem Inhalt von Tim Flannery’s Buch gerecht zu werden, haben die Fischerverlage die 3C climate change Consulting GmbH damit beauftragt, »Wir Wettermacher« klimaneutral zu stellen. Was heißt ,klimaneutral’? Treibhausgase haben eine globale Schädigungswirkung, d.h. für den Klimaschutz ist es irrelevant, an welchem Ort Emissionen entstehen bzw. vermieden werden. Somit können die unvermeidbaren Emissionen der Herstellung von »Wir Wettermacher« (insgesamt 45 Tonnen Kohlendioxidäquivalente) durch ein zusätzliches Klimaschutzprojekt an anderer Stelle kompensiert werden. In diesem Fall handelt es sich um den Bau einer Biogasanlage. Die hohe ökologische Qualität dieses Kompensationsprojektes wurde vom TÜV SÜD überprüft. Jeder kann etwas für den Klimaschutz tun! Besuchen Sie uns unter www.3c-company.com.
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