Winter der Tränen oder
Lacrimosa
von Nicodemus Loure
DIESES EBOOK IST NICHT FÜR DEN VERKAUF BESTIMMT
Nicodemus Lou...
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Winter der Tränen oder
Lacrimosa
von Nicodemus Loure
DIESES EBOOK IST NICHT FÜR DEN VERKAUF BESTIMMT
Nicodemus Loure Published by Ubooks, Augsburg 2001 Sommestraße 50 86156 Augsburg http://www.ubooks.de 3. Auflage, erweitert, korrigiert und bebildert Die Bilder stammen von Andrea Ebert, meinen Dank an meine langjährige gute Freundin, die Bilder können unter www.ukunst.de erworben werden! scan: bloodronin k + l: wranglergirl
Dieses Buch ist meiner Kraft und meinem Willen gewidmet, denn ich lebe noch. Dieses Buch ist der Liebe gewidmet, weil sie mit mir überlebte. Dieses Buch ist dem Tod gewidmet, denn er verschonte mich. Besonders ist dieses Buch all jenen gewidmet, die mich hassen, denn der Hass bedeutet Blindheit des Herzens! Die, die mich verachten und hassen, lest dieses Buch nicht, denn ihr seht nichts als das Schwarz auf Weiß! Nicodemus Loure
Dies irae, dies illa Solvet saeclum in favilla Teste David cum Sibylla Lacrimosa dies illa Qua resurget ex favilla Judicandus homo reus Lacrimosa, Tag der Tränen... Ein Tag. Ein Tag der Trauer. Doch man zeige mir diesen Menschen, dessen Trauer währet nur einen Tag. Trauer überdauert Ewigkeiten, denn die Narben, die gerissen in das Fleisch der Seele, die gerissen von Pein und tiefer Agonie der Freude, sie werden niemals unsichtbar. Jedoch soll sich der Mensch über den Schmerz nicht beklagen und er soll diesen Schmerz leben und genießen. Sonst bemerkt der Mensch nicht einmal mehr, dass er lebt! Sei ein Narr soll sein das Ziel, denn wisse alles, lebe viel! Die Verbindung von Leben und Weisheit ist die höchste Stufe, die ein Mensch auf Erden erreichen kann. Was soll das Ungleichgewicht der Askese, was jenes der stupiden Völlerei? Doch was ist Leben? Ich weiß, der Mensch vergisst das sehr schnell, aus diesem Grunde lesen Sie es hier, gedruckt, für die Ewigkeit: Schwarz auf Weiß! Leben ist unverfälschtes Leid, reiner Hass, häufige Enttäuschung und treibender Schmerz, qualvoller Tod und nagende Trauer, drängende Lust und unsterbliche, allmächtige, unverfälschte, pure Liebe! Wenn das Bewusstsein ein ganzes Leben über wach ist, dann sieht es so vieles, das dies beeindruckend genug ist; und die Liebe ist berauschender als alle Drogen der Menschen, denn die Liebe ist ein Gefühl und die Liebe ist göttlich! Das Leben besteht aus Schmerz und Glück! Ich will mich nun nicht weiter in den Vordergrund drängen, jedoch werde ich mich gerade noch vorstellen: Mein Name ist Nicodemus Stahl und im folgenden werde ich berichten, was mir in Augusta
Vindelicorum im kalten, tränenreichen Winter der Jahre 1995 und 1996 widerfahren ist. Wer von Ihnen darauf bedacht ist, diese Begebenheiten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen, ist hierzu auf das allerherzlichste eingeladen. Sie werden, eine gewisse Fertigkeit vorausgesetzt, mit Sicherheit etwas finden! Nur, was Sie auf Ihrer Suche finden werden hängt davon ab, wonach Sie suchen und wo Sie zu suchen beginnen. Nun dränge ich mich doch in den Vordergrund, obgleich mir nichts ferner liegt. Ich werde oft und nur zu gerne in den Mittelpunkt gerückt, da ich ein Sonderling auf dieser Mutter Erde bin. Wissen Sie, jedes Wesen erfüllt auf Erden eine ganz genau bestimmte Aufgabe, manche mehr und manche weniger gut. Die meine ist es, meinesgleichen zu finden, und sie zu wecken. Wissen Sie denn, welche Aufgabe die Ihre ist? Unsere Jugend weiß dies auf keinen Fall, was nicht weiter tragisch wäre, denn kaum einer weiß, wie es im Alter weiter gehen soll. Mit dieser Jugend ist es jedoch nicht so einfach. Die meisten suchen nicht einmal nach einer Aufgabe. Die, ich muss hier grob und leider auch alle Stereotypen benutzend trennen, zivilisierte Jugend wächst auf in einem materialistischen Schlaraffenland und durch den Missbrauch der falschen Realitäten stumpfen sie ab und verkennen Wahrheit, Traum, Lust und Trug! Das Schlaraffenland ist die wahre Hölle, glauben Sie mir. Die Kriege sind eine andere Hölle. Wie soll ich hier meine Aufgabe erfüllen? In diesem Land der geistigen und herzlichen Armut gehen Dummheit und Intoleranz fest vereint und mit gezeugtem, menschlichen Hass durch das Leben, jedoch sieht niemand dies gefährlich Paar, da er selbst ein Bestandteil dieser Liaison ist. Das Kind ist eine Fehlgeburt, denn menschlicher Hass ist kein Gefühl. Göttlicher Hass ist ein Gefühl, eine Facette der alles überragenden Liebe, zu der ein Gott nicht mehr fähig ist. Ein Gott lebt und erlebt einen Winter der Tränen unter den Menschen und im folgenden werde ich Bericht von dieser absonderlichen Begebenheit geben... Ich wollte Sie nicht verwirren, sollte ich dies doch getan haben, bin ich froh, denn irgendwie habe ich es doch gewollt. Es regnete und die Straße schien ein Spiegel zu sein. Aus Fenstern fiel Licht auf die Oberfläche dieses Spiegels und er warf es zurück in alle
Richtungen. Er bot das krasse Gegenteil zum Himmel. Dieser war schwarz, dunkel und tot. Kein Schein. Nicht sein. Der Himmel schien drückend über den Dächern zu liegen, so schwer, dass einige Dächer sich unter der Last bogen. Die Häuser ächzten und stöhnten, die Bäume seufzten, die Welt war verlassen von Menschen. Welch eine schöne Welt! Es wurde kälter und der Regen wurde zu Schnee. Die Erde war so kalt, dass er auf ihr liegen blieb. Die Bäume, mit Schnee und Eis überzogen glichen in Agonie erstarrten Seelen. Verkrüppelt und nach Leben lautlos rufend standen sie, verwurzelt in der kalten Erde. Der schwarze, matt beleuchtete Spiegel beschlug. Weißer Belag machte ihn blind. Es wurde alles stumpf und matt. Das Schneeweiß war grau, die Nacht war schwarz, doch da war auch noch der Nebel, welcher das Schwarz verwusch. Das Licht aus den Fenstern und Laternen wurde milchig und die Luft war schwer, dumpf und unangenehm. Noch war die Luft nicht klar, rein und frisch. Die Welt war verlassen von Menschen. Welch eine schöne Welt! Keine Menschen... kein unwürdiges Leben auf der Erde. Die Welt würde aufatmen, frei atmen und der Schrei der Natur würde die Götter aus dem Schlaf reißen und ihnen zeigen, dass sie das Problem der Schöpfung alleine gelöst hatte. Aber noch gab es Menschen. Sie saßen hinter den Scheiben der Fenster, das Wetter verwünschend. Doch man sah niemanden. Die Menschen fürchteten sich, nach draußen zu sehen. Ein Schatten fiel aus einem Fenster auf das graue Weiß des fallenden Schnees. Es war ein großes, nach oben gewölbtes Fenster, aus dem er blickte, sein Spiegelbild mit Nichtachtung strafend. Er war recht groß, schlank und hatte langes, bis zur Brust herabfallendes schwarzes Haar, mit einigen weißen Strähnen. Sein Gesicht war blass, fahl weiß gepudert und so stachen die pechschwarzen Augen, die schwarzen Lidstriche und der schwarze Lippenstift noch mehr hervor. Er trug ein weißes Hemd, im Stile der Romantik, weite Ärmel, darüber einen schwarzen Mantel aus schwerem Leder. Eine schwarze Hose, ebenfalls aus Leder vollendeten seine Erscheinung. Am letzten Knopf des Hemdes, um den hohen Kragen zu betonen trug er ein silbernes Amulett, mit einem großen Jadestein
inmitten. Seine langen zarten Finger endeten mit schwarz lackierten Nägeln und an den kleinen Fingern trug er je einen Ring. Er schien etwas melancholisch zu sein, blickte er doch sehnsüchtig nach draußen. Es schien, er erwartete etwas... oder jemanden. An sich hinabsehend hob er sein Glas mit schwerem, süßem Rotwein, nippte daran und stellte es auf den kleinen Beistelltisch, der zwischen den zwei großen Fenstern stand. Nun schloss er die Augen, hörte das Atmen der Gäste, das Bewegen auf den Sesseln oder auf dem Diwan. Mit seinen schwarzen Schuhen begann er leicht zu wippen, trat einen Schritt vom Fenster zurück und blickte zur Seite, zur Türe. „Es ist einsames Wetter dort draußen. Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, Kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein... Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein. Kein Mensch sieht den andern, Jeder... wirklich jeder ist allein. Hermann Hesse sagte es so, oder so ähnlich. Zumindest annähernd. Martin, komm her!“ Der Angesprochene erhob sich und kam langsam näher, bis er schließlich neben der Person am Fenster stand. Diese legte seinen Arm um dessen Schulter, zog ihn an sich und blickte ihm tief in die Augen. „Du wolltest es! Du hast es heraufbeschworen!“ „Was... ach so. Aber ich konnte doch nicht ahnen ...“ „Du hast es gewusst. Andere wussten es auch. Ich habe es Dir sogar gesagt, Dich gewarnt! Sag mir, was sind die sieben Todsünden?“ Sein Gegenüber, überrascht von der Frage blickte verständnislos drein. „Was meinst Du, Nicodemus?“ Nicodemus blickte Martin streng an, stieß ihn leicht von sich, wandte sich seinen übrigen Gästen vollends zu. Martin warf das Glas Rotwein um, welches auf dem Tisch stand, es zersprang auf dem hellen Parkett. Feine Glassplitter verteilten sich vor den Fenstern zusammen mit dem Rot des Weines.
„Die sieben Todsünden! Was sind die sieben Todsünden, die ein Mensch begehen kann?“ „Neid, Trägheit... na ja, Stolz...“ Martin fiel nichts mehr ein. Der mysteriöse Nicodemus lenkte seinen Blick über die übrigen Gäste wieder nach draußen. Es war absolut still. Kein Atmen, keine Bewegung war mehr zu hören. Sichtlich amüsiert begann er zu lachen, laut, gehässig, gemein, böse. Das Kaminfeuer knackte, als wolle es in das Gelächter mit einstimmen. „Der Wind will Euch die Antwort sagen, allein er ist zu schwach, ihr versteht ihn nicht. Martin, gib uns doch eine Kostprobe Deines Könnens, lese uns aus Deinem Werk!“ Das Lachen wurde tiefer und böser. Der Wind frischte auf und es schien, als gebe er die Antwort auf die Frage. Der Schnee wurde herumgewirbelt und nun wurde das Heulen des Windes hörbar. Er gab eine düstere Symphonie in Moll von sich. Nicodemus schloss erneut die Augen. Tief atmete er ein, als gewinne er neue Kraft aus dem Lied des Windes. „Hört ihr ihn, den Wind? Er singt uns sein Requiem. Er gibt uns die Antwort. Die Antwort auf alle Fragen! Auch auf die wichtigste Frage!“ Er besah sich den tiefroten Fleck auf dem Boden, blickte leicht amüsiert in die Runde. Er ging hinüber zu Martin, der sich an den Kamin zurückgezogen hatte. Ganz dicht hinter ihm blieb Nicodemus stehen, durch seine große Gestalt verdeckte er Martin vor den Blicken der anderen. Martin spürte den Atem in seinem Nacken, er schluckte hörbar. „Nun Elidorian, was lehrt Dich Dein Fehler?“ fragte Nicodemus mit seiner tiefen, sonoren Bassstimme, es klang fast, auf irgendeine Weise lieblich... aber falsch. „Ich werde es wieder versuchen.“ sagte Martin. „Ha! Er wird es wieder versuchen!“ Er küsste Martin auf den Hals und ließ dann ab von ihm. Maßlos belustigt blickten die schwarzen Augen umher. Er ging zum Barfach, goss sich ein neues Glas Wein ein, hob das Glas und sprach feierlich: „Auf die Bescheidenheit meines Freundes Elidorian, und darauf, dass seine nächste Lesung größeren Erfolg haben möge!“ Als alle tranken prustete Nicodemus, spuckte den Wein auf den Boden und schrie: „Ich scheiße auf die Bescheidenheit!“ Seine Augen glitzerten böse und triebhaft, wie die eines Tieres. Er atmete tief und heftig, sein Gesicht bezeugte den Hass seiner Stimme. Das einzige
Mädchen aus dieser Runde erhob sich von ihren Sessel, ging hinüber zu Martin und nahm ihn in den Arm. „Komm, wir gehen!“ mit diesen Worten führte sie ihren Schützling und die anderen Gäste hinaus. Sie kam aber noch einmal zurück, baute sich vor dem nahezu zwei Köpfe größeren Nicodemus auf und bemerkte erregt: „Was wolltest Du damit erreichen? Er war gerade dabei sich zu beruhigen!“ „Ich wollte ihm zeigen, dass es noch nicht überstanden ist.“ „Was ist überstanden?“ „Das Leben, das Leiden, sein Leben.“ Nicodemus lehnte sich an den Türpfosten, betrachtete das Mädchen sichtlich amüsiert. Bereits in der Vergangenheit hatte er ihr bereits mehrere Male klar gemacht, dass er sie nicht sonderlich ernst nahm. „Bescheidenheit ist nicht gut für ihn. Er muss sein Werk hinausbrüllen! Und Mitleid ist nicht gut für Dich! Bemitleide ihn nicht! Mitleid bekommt man überall geschenkt, und ist man dessen überdrüssig schenkt man es weiter, es ist verbraucht. Der Neid allein befriedigt den Kreativen, den Ehrgeizigen.“ „Was willst Du damit schon wieder sagen?“ Plötzlich packte er sie am Genick, zog sie zu sich und küsste sie, ihren Schrei erstickend. Nach einigen Sekunden ließ er sie wieder los, sie taumelte, stieß mit ihrem Kopf an die Tür und blieb dort stehen. „Elidorian ist ein Versager! Auf der ganzen Linie! Ein nichtsnutziger Versager! Seine Träume, seine Passion, die er zum Beruf erheben wollte... und die Liebe? Sieh Dich doch an, Mädchen, was bist Du denn schon. Nur schön!“ Sein Blick, mit dem er sie gerade noch gefangen hielt wurde leer. Mit diesem leeren Blick wandte er sich ab, da packte sie ihn und sah ihm in die Augen: „Und was bist Du?“ „Lisa, siehst Du das wirklich nicht? Ich bin ein Gott!“ Beinahe freundlich blickte er sie an, streichelte ihr Gesicht und beobachtete, wie ihre Augen ihm folgten, immer wenn er den Kopf auf die eine und auf die andere Seite neigte. Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Brust. „Fühlst Du mein Herz!“ er lachte ein wenig, „Ich bin ein Gott!“ „Du versteckst Dich unter Deiner Maske! Ich will Dein Gesicht sehen!“
„Du siehst es! Das ist mein Gesicht!“ Er blickte in das Fenster um sein Abbild zu betrachten. „Die Maske ist mein Gesicht geworden, es geht nicht mehr ab, sie ist mein Gesicht!“ Er nahm sie in den Arm, küsste sie leicht auf die Stirn und begleitete sie zu den Wartenden nach draußen. Wortlos gingen sie auseinander, die Gesellschaft um den Augsburger Schriftsteller war aufgelöst. Nicodemus stand an der Haustüre und sah seinen Gästen nach. An die Situation mit Lisa denkend ging er wieder hinein. Er wollte heute eigentlich jemanden neu in die Gesellschaft einführen. Seine Geliebte sollte aber erst in einer halben Stunde erscheinen. Er ließ sich in einen der schweren Ohrensessel fallen und nahm das Buch, welches er auf dem Beistelltisch liegend fand. Elidorians Stück Dreck, dachte er bei sich. Ein Blick in Richtung des Kamins und ein Wurf. Es brannte. Auf einmal tauchten wieder Spuren von Melancholie auf seinem Gesicht auf, die Augen wurden leer und ein beruhigender Schleier aus Sehnsucht, Lust und Trauer legte sich über seinen Geist. Schwer seufzend griff er zur Fernbedienung der Musikanlage. Die ersten schaurig schweren Töne erfüllten den Raum. Nicodemus legte seinen Kopf zur Seite und schloss die Augen. „Komm her.“ Monoton, ohne die Augen zu öffnen befahl er seiner Freundin, die ihn nicht gesehen hatte. Sie trug ein rotes Kleid aus feiner Seide. Der Rückenausschnitt ging bis zum Po, das Dekollete war ebenso tief. Nur einige Bänder hielten die zwei Seiten des Kleides zusammen, das Geheimnis ihres Körpers nicht gänzlich preisgebend. Er öffnete die Augen, lächelte sie kalt an, erhob sich und ging an das Fenster. Dort bückte er sich kurz, hob etwas auf und ging zu ihr zurück. „Jezebel, ich verspüre Durst.“ Er nahm ihre Hand, küsste sie. Stach mit der Scherbe in ihren Ringfinger, nahm ihn in den Mund und trank. Aber nur kurz. „Komm mit mir!“ Sie folgte ihm brav in das Schlafzimmer. „Stell Dich vor den Spiegel. Ich will Dich betrachten.“ Sie war etwas größer als Lisa, hatte langes lila gefärbtes Haar und lange Fingernägel. Ihre Augen waren giftgrün. Nicodemus ging auf Jezebel zu. Er neigte seinen Kopf ihrem Hals entgegen. Nun schob er sie zielsicher in Richtung Bett, bis sie davor wieder zum Stehen kamen. Ein erstickter Schrei, ruckartiges
Schnaufen, schreckengeweitete Augen. Schmerzverzerrtes Gesicht, Nägel krallen sich aus Angst ins Fleisch, sie sinkt auf das Bett. Für sie dauerte es Ewigkeiten bis er von ihr abließ, er blickte sie verliebt an, den Mund voll Blut, genauso das Kinn, aus den Mundwinkeln tropft es in ihren Ausschnitt. Er trank ihr Blut. Er hatte sie in den Hals gebissen, bis das Blut in Strömen floss. Er leckte das Blut von ihrem Hals, sie hörte ihn schmatzen und er genoss den kleinen Umtrunk. Schließlich, die Wunde hatte sich geschlossen, blickte er sie wieder an. Das Blut leuchtete, kontrastierte zu dem Weiß seines Gesichtes. Langsam, ganz langsam und vorsichtig senkte er sein Haupt hinab zur Brust seines Mädchens. Seine Zähne schlossen sich langsam um die Bänder, die das Kleid zusammenhielten. Ein Ruck, ein Knurren, ein verdrehter, beinahe paranoider Blick, zufrieden besah er sich das freigelegte Fleisch. Er erhob sich, nahm sie in die Arme und trug ihren beinahe nackten Körper hinaus in die dunkle Nacht. Der Wind war erstorben und der Schnee fiel auch nicht mehr. Blank wie polierter Stahl lag die Auffahrt vor ihnen. Er trug sie hinab, weiter die Straße entlang immer weiter in die kalte Dunkelheit. Als er am Ziel war nahm er sie in den Arm und drückte sie sanft nieder wo er zuvor seinen Mantel ausgebreitet hatte. Wieder packte er mit den Zähnen zu und riss nun auch das letzte Kleidungsstück von ihrem Körper. Er biss auch wieder in ihr Fleisch, bis sie schließlich in Blut und Fetzen unter ihm lag. Dann drehten sie sich und sie entblößte seinen Körper. Ihre Fingernägel hinterließen blutunterlaufene Striemen auf seiner Haut. Sie lächelte. Ihre Zungen trafen sich, sie bot ihm die Brust feil und er nahm sie an, sich festbeißend zog er sie zu sich hinab. Ein heiseres Stöhnen entfuhr ihm, dann ließ sie ihn gewähren. Während sie auch ihn von seiner Kleidung befreite. Allerdings vollendete sie ihr Werk weniger bestialisch. Nun beugte sie sich über ihren Wolf, wie sie ihn flüsternd nannte, ihre Brüste berührten seine kalte Haut und ihre Zähne schlossen sich zärtlich um seine Lippe. Es begann wieder zu schneien und die erfrorenen Bäume schienen dem ungewöhnlichen Schauspiel verlegen beizuwohnen. Der Schnee legte sich über die beiden, sie bewegten sich sanft und ihr kondensierender Atem wurde immer deutlicher sichtbar, da sie hörbar stöhnten. Dann
tropfte es auf den Schnee, rot und rein und heilig. Während ihres Spiels hatte sie seine Lippe nicht losgelassen, doch jetzt, nachdem sie befreit zuckte und zitterte biss sie zu und sein Blut floss auf den Schnee, schmolz das strahlende Weiß. Sie blickte ihn an, grinste mit blutroten Lippen, küsste ihn und lachte dann laut los, so laut, dass die Bäume sich abzuwenden schienen. Nicodemus stimmte in dieses Gelächter mit ein, sie erhoben sich und entzündeten die Kerze, die auf dem Grab stand, auf welchem sie es sich gemütlich gemacht hatten. Der Schnee war auf der Grabplatte geschmolzen, und der Name war gut zu erkennen. Es war die als Kleinkind verstorbene Schwester von Nicodemus, Bianca Stahl. Schnell schlichen sie sich vom Friedhof, denn er lag mitten im Ort, es war dunkle Nacht und sie hatte nichts zum anziehen. Nur seinen Mantel. Wieder im Warmen warfen sie ihre Kleidung irgendwo hin und machten es sich im Bad bequem. Trotz der Liebe und der Hingabe war es doch ziemlich kalt gewesen. „Wo sind Deine Freunde?“ „Sie sind gegangen, vorzeitig. Aber ich bedauere es nicht.“ er lächelte scheinbar charmant, doch seine Augen blieben kalt. „Will jetzt schlafen.“ sagte sie, stieg aus dem Bad und ging in Richtung Schlafzimmer. Nicodemus blieb liegen, besah sich das rötliche Wasser, einige Wunden bluteten noch, bei ihr und bei ihm. Entspannt legte er sich zurück, langsam versank er im Wasser, schloss die Augen. Nach einer geraumen Zeit tauchte er wieder auf, verließ das Bad und besah sich im Spiegel. Er begann zu lachen, erst leise, dann immer lauter, immer intensiver, so laut, dass Jezebel ins Bad zurück kam. „Was ist?“ „Siehst Du es nicht! Die Maske, sie geht nicht ab! Ich bin ein Gott! Meine Wunden hat das Blut geheilt! Countess Bathory hatte Recht! Gelobet sei diese einsichtige, weise Frau!“ Er lachte und lachte. „Sie geht nicht mehr ab!“
Sein Blick streifte die Äste der Bäume, welche wie erfrorene Klauen um ein Fünkchen Wärme baten. Wolken zogen dahin, getrieben vom Wind, welcher sie mit heulenden Lauten jagte, der Mond stand still. Schwarz war alles, etwas Nebel lag darüber. Wenn er atmete, dann kondensierte sein Atem. Leise lachte er, dann immer lauter. Es war ein befriedigtes, sattes Lachen. Es dröhnte. Das Lachen brach abrupt ab. Er neigt den Kopf zur Seite, besah sich die Schrift auf dem Stein und lachte wieder. Dieses Mal aber rannen Tränen, Tränen der Freude über sein Gesicht. „Ich liebe Dich!“ schrie er. Immer wieder. Dann schlief er ein. Starr lag er da, er bewegte sich nicht. Aber er träumte. Es war ein bizarrer Traum... ...Wir sind über die gesamte Welt erhaben, wir dürfen richten, und man richtet in unserem Namen. Man opfert uns Menschen, dort wo wir, sind schenkt man uns warmes Blut. Ich liebe Deinen Körper, wenn Du aus dem Bad steigst und das Blut an Deiner Haut langsam, beinahe zäh an Deinem Körper herabrinnt. Und wenn es sich an Deinen Knospen, Deinen dunklen, wunderbaren Brustwarzen zu einem Tropfen sammelt, dann schließen sich meine Lippen darum, ich küsse Deine Brüste, sie sind so warm, so... ich liebe sie. Ich küsse Deine Brust, Deinen Bauch, spüre Deine Haare auf meinen Schultern, wenn ich vor Dir knie, sie lassen Blut auf mich tropfen, verkleben ein wenig. Das wenige Licht lässt den entleerten Körper fast, die entleerten Körper völlig verschwinden, sie liegen im Dunkel ihres zukünftigen Grabes. Sie sind für uns gestorben, sie erhofften sich Gnade, doch wir geben ihnen die ewige Angst und Dunkelheit der zerfressenden, feuchten Angst. Hörst Du die untoten Seelen qualvoll ausrufen? Sie versuchen die Menschheit zu warnen vor unserer Blutlust. Ich rieche Deinen Körper, Deine Seele, es riecht nach Macht, Größe, blutige Reinheit, Unschuld, Tod, Bosheit, keine Gnade und nach nackt. Ich will Dein Blut, ich will sehen wie Du lachst! Wenn das Wasser das reinigende Opferblut in dem wir badeten hinfortspült, ich Deine Brüste,
Deine Beine, Deine Lippen und Deine feuchten Haare über Deiner Unschuld glitzern sehe, dann sinke ich dahin. Die Seelen der Opfer werden der Erde übergeben, Dein Körper wurde gereinigt, alle Sünden wurden fortgewaschen... Ich küsse Deinen Körper. Ich trage Dich in das Schlafgemach, welches für uns beide bereitet wurde. Die Diener und Dienerinnen, die Menschen, die unser Bett bereiteten, sie werden in blutgetränktem Boden, in heiliger Erde lebendig begraben. Ich lege Dich auf das Bett, lege mich neben Dich und beginne sanft, Deinen Körper zu lecken und Dich zu schmecken. Es schmeckt nach Vollkommenheit, nach Eden. Du bist die Unendlichkeit. Wir befinden uns in einem Tempel. Die Wände sind rot, es ist noch feuchtes, langsam gerinnendes Blut. Die Wände sind die Besitzer des Blutes. Sie gaben sich für uns hin. Flackernder Lichtschein dringt an uns heran, es sind Freudenfeuer, sie zünden sich an, sie wollen uns Opfer bringen und verbrennen ihre Hüllen, diese Tiere erhoffen sich von uns die ewige Gnade! Du legst den Kopf zurück, und ein kleines Rinnsal aus Blut bildet sich an Deinem Mundwinkel. Ich küsse Dich, meine Augen werden zu denen eines Tieres, Du bist meine Beute, spreize Deine Beine. Ich lege mich hin, bei Dir. Ich lege mich auf Dich, will Dein Herz spüren, es schlägt kalt. Ich küsse Deine Brust, will Dir ein wenig Wärme geben. Ich küsse Dein Gesicht, wandere und vereinigen wir die entzweiten Seelen, das Göttliche! Im Moment der Zusammenkunft erschaffen wir etwas, das selbst unseren Status übersteigt. Gott gleich wurde erschaffen Gott. Nicht durch Hass, Bosheit, Liebe, Fürsorge, sondern durch Blut gezeugt! Nicht ein Gott oder eine Göttin, nein, einfach Gott. Wenn es eines Tages leben sollte, dann erschufen wir Gott, eine Göttin der Nacht und ihr Gemahl schufen Gott. Den gnadenlosen, mordenden, weltenverschlingenden, unschuldigen und unendlich reinen, einen Gott. Du bist feucht zwischen den Schenkeln, lass es mich schmecken, Deine Lust, ich will Dich fühlen, riechen, hören, sehen, schmecken. Gib mir Dich! Ich will Dich!
Unter süßem Geruch von verbranntem Fleisch und Blut und vermodernden Leichen trage ich Dich hinaus zum wahren Tempel, dem Tempel der Unsterblichkeit. Der Stein ist kalt, Du zitterst, wir drehen uns herum, ich fühle den Tod in meinem Rücken, Dich auf mir. Lass mich Dich lieben. Ja, ich liebe Dich! Der tote Stein und die Erde ringsherum, der Stein erglüht unter unserer Liebe, die Blumen blühen für uns in tiefster Nacht, Bäume grünen für uns in tiefster Ehrfurcht, diese Nacht ist die Nacht der Liebe, die Nacht der Erlösung! Wir vereinen uns, wollen keinen Gott, niemandem wollen wir uns beugen! Bis es ersteht werden wir herrschen über alle Tiere, Pflanzen, Blut, Wasser, Honig, Wein, Dreck, Abschaum und den Menschen. Sage nur ‚Ja’, damit das neue Äon des Niedergangs beginnt. Ich spüre Deinen Atem, beuge mich über Dich, schmecke Deinen Speichel, Deine Zunge. Ich rieche Dich, ich werde machtlos, krieche hinunter zu Deinen feuchten Lippen, schmecke sie, lecke sie, spüre sie an meinem Mund, meinen Lippen, meiner Zunge. Du zitterst, gefesselt, vor Sehnsucht. Wir lieben uns... Und er schlief. Er lag auf dem kalten Stein, lächelnd betrachtet von jenen Augen, die Unsterblichkeit ausgebreitet vor sich liegen sehen, sie jedoch nie ergreifen konnten. Er schlief auf dem Grab seiner Schwester, auf dem Grab der Person, die er, wie er sagte „gehen hieß“. Der Stein war so kalt. Und die Augen der Verdammten, sie blickten auf ihn, ihn, den nur noch die Zeit von der Verdammnis trennt, noch! Die Verdammten begannen sich lebhaft über diesen Gott zu unterhalten, der Wind heulte durch die Gassen, doch die Warnungen, die an Opfer herangetragen wurden, sie verhallten ungehört. Es schneite immer heftiger und ein wildes Schneetreiben verlieh dem starren Bild Bewegung. Aber es war keine harmonische Bewegung, es war kein fließen. Die Flocken wirbelten chaotisch durcheinander und trafen sich, denn der Wind wollte in jede Richtung fort. Die Schatten der verkrüppelten Bäume, der tanzenden Trauerweiden und der sonst starren Kastanienbäume sprangen schrill hin und her, bewegten sich auf abstruse, morbide Art zu einer ungehörten Musik, die auf der Welt nur
einer zu hören vermochte. Doch der Gesang der Gefahr wurde verschlafen. Müde kriechend schob sich der neue Tag über die Friedhofsmauer. Der Nebel machte sich schnaubend und träge auf. Kein Leben verdarb dies Bild. Der Wind war eingeschlafen, die Bäume standen still, erfroren. Sie trugen eine schwere Last aus Schnee und Eis. Doch man wusste, tief in ihrem Inneren lebten sie und sie würden aus dem Stand der Ruhe ausbrechen, wenn die Veränderung des Jahres es zulassen würde. Die Uhr der kleinen Friedhofskapelle schlug neun Mal und die ersten Besucher dieses Reichs der Toten traten durch das schmiedeeiserne Portal. Auch ein bekanntes Gesicht erschien. Es war Elidorian. Er blickte sich kurz um, ging dann zielstrebig auf das Grab von Nicodemus’ Schwester zu. Davor angekommen weiteten sich seine Augen vor Schrecken. Unter dem Schnee lag ein Mann. Sein geschminktes Gesicht und seine Hände waren noch gut zu erkennen. Er kniete sich nieder und versuchte seinen Freund zu wecken. Erst durch sprechen, dann durch leichte Schläge, aber als er das erste Mal seine Haut berührte war es wie ein Schock für ihn: sie war kalt und hart. Mit dem Brechreiz kämpfend wandte sich Martin ab. So sah er nicht das Nicodemus plötzlich blinzelte. Schließlich erhob sich dieser leise. Er klopfte sich ein wenig den Schnee ab und stellte sich so, dass Martin in seinem Schatten stand. „Nicodemus, Du lebst!“ „Ich bin ein Gott... und Götter sind unsterblich!“ sagte der Auferstandene beiläufig, nahm dann seinen Freund in den kalten Arm, und sie verließen diesen Ort der Kälte. Bei Nicodemus angekommen ließ Martin ihm ein Bad ein. Während sich Nicodemus aufwärmte im dampfenden Wasser, nebenbei noch etwas aß, sah der Retter seinen Freund verwundert an. Seinen Kopf von der einen auf die andere Seite legend betrachtete er den Badenden und seine Verwunderung schien sich immer weiter zu steigern. Martin wagte es kaum, den Blick von Nicodemus zu lassen. Dieser schien sein Bad zu genießen. Er massierte seine Glieder, soweit es mit seinen Händen möglich war und tauchte immer wieder unter. „Ruf meine Freundin an, sie soll herkommen! Die Nummer liegt neben dem Telefon.“ Stumm gehorchte Martin und verließ das Badezimmer. Er
schlich zur antiken Kommode und nahm den Hörer ab. Die Nummer lag neben dem Apparat. Nach dem zweiten Läuten machte sich auf der Gegenseite der Anrufbeantworter bemerkbar. Er sprach etwas darauf und lauschte mit einem Ohr dem Plätschern des Wassers in der Badewanne. Nach dem Einhängen schweifte sein Blick umher. Ihm fiel ein Bild auf, welches er bisher noch nie hier gesehen hatte. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Es zeigte einen Mann, vielleicht neunzehn, zwanzig Jahre alt und ein Mädchen, ein, zwei Jahre jünger. Martin war es, als sei dies die letzte Bastion inmitten dieser Hochburg aus Arroganz und Kälte. Er nahm es mit ins Bad. „Wer sind die Zwei?“ Nicodemus blickte kurz auf, lehnte sich dann in der Wanne zurück und sagte beiläufig: „Meine Schwester Bianca und mein Vorbesitzer.“ Der Stolz war aus seiner Stimme deutlich zu hören. „Was für ein Vorbesitzer?“ „Die Person, die diesen Körper vor mir besessen hat. Er ist am 30.11.1995 gestorben.“ „Das ist der Todestag Deiner Schwester!“ Elidorian stellte das Bild auf die Ablage neben der Wanne, musterte seinen Freund wieder eingehend und die Verwunderung beherrschte erneut seine Züge. Plötzlich sagte er: „Weißt Du, warum ich heute auf den Friedhof gegangen bin?“ Stahl zuckte teilnahmslos, aber nicht ablehnend mit den Schultern. In seinen Augen allerdings, da schien die Antwort bereits geschrieben. „Ich hatte einen Traum von Dir! Du hast mich gerufen!“ Die erwartete Überraschung des Badenden blieb aus, das brachte seinen Gegenüber nun endgültig aus der Fassung. Mit leicht zitternden Händen deutete er auf Stahls Gesicht. „Die Schminke... die Schminke, sie geht nicht ab!“ Nicodemus lachte. Sich aus dem Bad erhebend, packte er seinen Freund, zog ihn an sich und küsste ihn auf den Mund. Dann nahm er ein Handtuch, trocknete sich ab, und als er das Gesicht trocken rieb sagte er erst leise und ernst, dann zunehmend amüsierter und lauter: „Es geht nicht mehr ab!“ Er kleidete sich in Lederhose und weißes Hemd, nahm seinen Freund in den Arm und ging mit ihm in sein Wohnzimmer. Dort bot er ihm etwas zu trinken an, setzte ihn auf einen Sessel und ließ sich
selbst auf dem Diwan nieder. „Weißt Du, ich habe es schon gespürt als ich diesen Körper übernommen habe, ich bin ein Gott. Oder doch zumindest ein gottähnliches Wesen. Ich kann mich nicht umbringen. Du weißt, wo Du mich gefunden hast, ein normaler Mensch wäre erbärmlich erfroren, oder? Ich meine es waren neun Grad unter Null!“ „Elf!“ unterbrach ihn Martin. „Ich habe mir schon neunzehn Mal versucht das Leben zu nehmen, mit Gift, mit Blutverlust, mit der Kälte, durch ertrinken, aber es ging nicht.“ „Versuche es doch mit einem Revolver und silbernen Patronen.“ scherzte Martin, fing aber den ernsten Blick seines Gegenübers auf. Bevor er laut loslachte, unterdrückte er schnell sein Verlangen zu lachen. Nein, eher wurde sie von der Härte und vom Ernst Stahls ertränkt und fortgewaschen. „Ich bin ein Gott! Ich bin ein Vampir! Ich bin die Liebe und ich bin der Nachfolger Jesu! Die Menschheit wird mich jagen, aber ich werde mich nicht kreuzigen lassen wie mein Vorgänger! Statt dessen wird die gesamte Menschheit ans Kreuz gehen, um mich, ja mich, von der Sünde vergangener Jahre reinzuwaschen! Falls Du jetzt denkst, ich sei benebelt oder betrunken, so wisse, dass ich bis auf schweren Rotwein mit etwas Blut nichts zu mir nehme und auch dieses Getränk nur in Maßen, denn Blut lässt sich nicht lange halten! Aber ich habe eine Aufgabe und ich werde versagen. Aber ich werde diese gottlose Welt so verlassen, dass sie einen Gott verdammt nötig hätte, eine Welt in Schutt und Asche zu legen ist recht einfach! Du wirst sehen! Ich bin nicht verrückt, ich bin wahnsinnig und besessen! Aber ich habe eine Aufgabe und...“ er griff nach dem Messer, welches hinter ihm auf dem Barwagen lag und schnitt sich in den Arm, „... und ich lebe! Ich fühle Schmerz und ich fühle ihn pur, rein und unverfälscht. Ich bin erwacht!“ Das Blut rann den fahlen Arm hinab. Ein einzelner Tropfen vermischte sich mit dem Wein. Elidorian blickte mit aufkeimendem Ekel in sein Glas. Mit seinen Augen fragte er, ob er auch Blut trinke und diese Frage wurde von Nicodemus beantwortet. Das Glas fiel zu Boden. Brechreiz kam in Martin auf und er rannte ins Bad. Nicodemus lachte nur! Seine Wunde hatte sich wieder verkleinert, der Blutstrom, den er in sein Glas gelenkt, war versiegt.
„Eigenes Blut trinken, was für eine Welt.“ murmelte er, dann trank er das Glas leer, stellte es ab und folgte seinem Freund in das Badezimmer. Er packte ihn und sah ihm tief in die Augen. Als sich Martins Blick wieder klärte und er wieder bei sich zu sein schien, vergrub Nicodemus seine Hände in dessen Haaren und begann ganz langsam und eindringlich zu sprechen: „Ich will, dass Du Dein göttliches Antlitz schaust! Erwache! Du bist meinesgleichen Weg gegangen, schau es Dir an!“ Er ließ ihn los und diesen Moment nutzte Elidorian, um vor seinem Antlitz zu flüchten, weg, weg, nur weg. Nicodemus betrachtete seine Hand und seinen Arm. Die Wunde hatte sich nun endgültig wieder geschlossen und an seinem Zeigefinger war eine Träne Elidorians hängen geblieben, als dieser sich umgedreht hatte. Er schmeckte sie und ein verständnisvolles Lächeln rann über seine Züge.
Gerade öffnete er die Türe zu seiner Wohnung, als ihn das Telefon aus seinen Gedanken klingelte. Mit gleichmütiger Miene hob er ab: „Martin Löwe?“ Er schien nicht unbedingt zuzuhören, nickte ein paar Mal, bedankte sich gleichgültig und legte wieder auf. Er fühlte sich nicht besonders. Angestrengt dachte Martin nach. Er bekam langsam Kopfweh, setzte sich auf den Boden vor seiner kleinen, dennoch reichlich gefüllten Hausbar und nahm den ersten tiefen Schluck aus einer bereits beinahe leeren Whiskeyflasche. Vom Boden aus konnte er seine kleine Wohnung gut übersehen. Gegenüber von ihm waren die einzigen zwei Fenster, links daneben war die kleine Kochstelle. Das Bett war zu seiner rechten Seite und in der Mitte stand der Schreibtisch. Wieder nahm er einen tiefen Schluck. Der Alkohol brannte in seiner Kehle. Dieses mal rann ihm schon etwas der Flüssigkeit auf seine Kleidung. Er vertrug wahrlich nicht viel, das wusste er, aber er ignorierte die Warnzeichen seines Körpers. Stöhnend erhob er sich und setzte sich an den Schreibtisch. Er öffnete die Flasche erneut und leerte sie in einem letzten Zug. Mit gläsernen Augen spannte er ein Blatt Papier in die Schreibmaschine und lehnte sich zurück. Irgendetwas war ihm nicht ganz klar geworden. Die ganze Zeit über hatte er das Gefühl, er habe etwas übersehen. Sich am Kinn kratzend stand Martin auf und kam mit einer neuen Flasche an seinen Platz zurück, auch sie war bereits gut geleert. Aus seinen Augen rannen Tränen, der Alkohol brannte ihm in der Kehle und raubte ihm den Atem. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen! Wieso bin ich nicht sofort daraufgekommen? Die Schwester von Nicodemus ist doch sehr jung gestorben! Wieso war sie auf dem Bild eine junge Frau ? Nicodemus hatte gelogen, das schien ihm die einzige logische Erklärung, aber ihn störte etwas daran. Wieder kehrten seine Gedanken zu Bianca Stahl zurück... und zu Nicodemus. Er war ein Gott. ...wieso sollte er von sich behaupten, er sei Gott? Natürlich, es ist merkwürdig, seine Schminke geht nicht ab und er schläft auf dem Friedhof, aber dafür muss es eine Erklärung geben... Wieder und wieder nippte er, dieses mal aus der zweiten Flasche, er und suchte in seinen Gedanken nach einer Erklärung, jedoch vergeblich. Vielleicht gab es keine, vielleicht war er aber schon zu betrunken. Verzweifelt klammerte Martin sich an seine Wahrheit, nämlich alles ließe sich erklären.
So wie die Eltern den Kindern die Geschichte mit dem Weihnachtsmann erzählten, so musste Nicodemus ihm die Geschichte von seinem Götterdasein erzählt haben. Außerdem konnte sich Martin keinen Gott vorstellen, noch glaubte er an einen, der sich so gemein benahm wie Nicodemus zuweilen! Es klingelte. Mit gläsernen Augen öffnete Martin die Tür. Aus seinen Gedanken gerissen hatte er den Faden seines Gedankenganges unwiederbringlich verloren. Durch den Schleier aus Tränen und Alkohol vermochte er nicht genau zu erkennen, wer da vor ihm stand, wer ihn gerade besuchte. Er rieb sich die Augen, aber es half nichts. Es war doch auch gar nicht so wichtig. Jeder und niemand konnte es sein, durfte es sein. Die Person in der Tür bemerkte wohl, dass sie nicht erkannt wurde. Sanft sagte sie, den Arm um ihren Freund legend: „Was ist denn mit Dir los? Komm, Du musst ins Bett, Du hast viel zu viel getrunken. Du weißt doch, Du verträgst dieses Teufelszeug nicht!“ Martin erkannte Lisa an ihrer warmen und mitfühlenden Stimme. Er wollte sie küssen und als sie ihn gewähren ließ bemerkte er durch den Schleier des Rausches ihre kalten Lippen. Er ließ sich von ihr führen, wortlos, durch seine kleine Wohnung hinüber zu seinem Bett. Durch eine Wohnung, die ihm mit einem Mal so fremd und tot vorkam. Vorsichtig setzte sie ihn hin. Dann sammelte sie die Flaschen auf, es waren immerhin schon zwei leere, und eine angebrochene musste sie ihm aus der Hand nehmen. Dabei fiel ihr Blick auf die Schreibmaschine. Es stand nur ein Satz auf dem Papier: Bist Du ewig, blass und tot? „Nicodemus ist ein Gott!“ hörte sie Martin lallen, sie kehrte zum Bett zurück und der Betrunkene berichtete ihr seine Wahrheit. „Was hat er nur mit Dir angestellt?“ fragte Lisa und schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass ihr Freund ziemlich betrunken war und schenkte deshalb seinen Ausführungen kaum Beachtung. „Du bist betrunken!“ flüsterte sie ihm zu. „Als er ist böse!“ Wäre sie nicht aufgesprungen und hätte ihn gestützt, er wäre vornüber gekippt. Martin sackte in sich zusammen und nuschelte immer und immer wieder Unverständliches, Fetzen hörte sie, verstand
sie aber nicht: „Er ist Gott... hörst Du seine Rufe... Farbe geht nicht mehr ab...“ dann schlief er. Sie roch den Alkohol, aber sie roch auch etwas anderes. Es war mehr ein Gefühl; sie meinte, etwas gerochen zu haben. Wie ein Tier roch sie die Angst und die Verzweiflung. Langsam wandte sie sich ab und setzte sich an den Schreibtisch. Wieder fiel ihr Blick auf das Papier... Es war makellos weiß. Draußen war es kalt, so kalt, das selbst die Bäume froren und zitterten. Beinahe schien es, als versuchten sie, näher zusammen zu rücken. Sie versammelten sich und empfingen einen Freund. Er strich mit seinen unzähligen luftigen Armen durch die Äste seiner verwurzelten Freunde. Und er erzählte eine Geschichte. Eine Geschichte über sich selber und über die Menschen... ...vor vielen Jahren, als der Mensch noch Mensch war, da strich ich lieblich durch die Wälder und über die Wiesen. Alles war friedlich und ich sah glückliche Menschen. Auch die Mutter war gesund und frohen Mutes. Ich durchstreifte das Land und sah alles. Die Menschen weit weg und die Menschen hier, ganz nah bei mir. Alle hatten eines gemeinsam. Es waren Menschen. Und jenen ward die Mutter gegeben mit dem einen Ziel und Sinn, sie zu beschützen, zu lieben und um durch sie zu leben. Die Tiere und die Bäume waren frei und der Mensch war ihnen gleich. Sie waren Freunde. Ich war froh und es war Sommer in den Herzen. Ich sah die Menschen, wie sie die Erde bestellten, miteinander lebten, in Einklang mit den Tieren, Pflanzen und unserer Mutter. Alles war gut. Doch dann erschuf der Mensch eine Krankheit und diese Krankheit machte nicht nur ihn krank, nein, alles wurde krank durch den Menschen. Der Mensch erkannte sie, doch er heilte sich nicht. Er gab der Seuche einen Namen, nannte diese Krankheit das Heil der Welt. Die Menschen töteten die Tiere nur, weil es ihnen gefiel, das Blut und das Leiden der Tiere zu sehen. Die Menschen schlugen Bäume, nur um sie verrotten zu lassen und sie machten dies alles nur, um die Mutter zu verletzen. Die Mutter wurde alt und gebrechlich, sie ist dem Tode nahe.
Die Wasser dieser Erde haben sich verändert. Sie sind böse geworden. Das ruhige, blaue Wasser eines Sees, welches ein Mädchen in sich aufnimmt, um mit ihr zu spielen, verwandelte sich in dunkles, böses Wasser, das verschlingt und frisst, obwohl es keinen Hunger leidet. Die Böden dieser Erde haben sich verändert. Sie sind böse geworden. Der fruchtbare, gute Boden eines Feldes, welcher die Früchte eines kleinen Dorfes hervorbrachte, verwandelte sich in unfruchtbaren, bösen Boden, der vergiftet und tötet. Die Winde dieser Erde haben sich verändert. Sie sind böse geworden. Der liebliche, warme Wind eines Sommers, welcher die Mühlen antrieb und mit den Kindern spielte, verwandelte sich in kalten, bösen Wind, der zerstört und Angst bereitet. Aber wir sind nichts gegen die Nemesis, das einzig Gute was der Mensch jemals erschaffen wird. Die Menschheit schuf sich ihre eigene gerechte Strafe. Wer die Wahrheit nicht hört, weil er den Wind nicht versteht, der wird sterben! Wenn ich nun um die Häuser schleiche fühle ich die Kälte, die von den Menschen ausgeht. Es ist Winter. Aber sind sie ewig... Mit einem leichten Stöhnen zog er seinen Kopf unter dem Kissen hervor. Er streckte sich vorsichtig und versuchte, seine Augen zu öffnen. Das grelle Licht aber gefiel ihm gar nicht und es machte ihn blinzeln. Nur langsam gewöhnte Martin sich daran und da sah er, dass Lisa über der Schreibmaschine eingeschlafen war. Eine Tasse stand daneben. Sie hatte sich anscheinend noch einen Tee gemacht. Er setzte sich aufrecht hin und schwang die Beine aus dem Bett, bemerkte aber sofort, wie sich alles um ihn drehte, also verlangsamte er seine Bewegungen. Er fühlte sich elend. Ihm war schlecht, sein Kopf tat weh und seine Hände zitterten. Das war der Alkohol, stellte Martin resignierend fest. Er ging zum Kühlschrank und trank einen tiefen Schluck Mineralwasser aus einer Flasche. Sonst war nichts im Kühlschrank. Der Geschmack in seinem Mund war abgestanden, bitter und ekelerregend, also schlich er ins Bad und putzte sich die Zähne. Als er wieder zurück kam fiel sein Blick auf die Schreibmaschine und auf die Worte, die da geschrieben standen:
Kannst Du den Schmerz fühlen, wenn man wahnsinnig sterben muss? Verwundert spannte er das Papier aus und legte es zu den anderen in die unterste Schublade. Dann hob er Lisa vorsichtig auf und trug seine Freundin behutsam in das noch warme Bett. Sie hat wohl die ganze Nacht am Schreibtisch Wache gehalten. Schließlich war sie dann mit dem Kopf auf der Schreibmaschine eingeschlafen. Er deckte sie behutsam zu, küsste sie leicht auf die Wange und flüsterte: „Mein Mädchen! Ich liebe Dich! Auch wenn diese Worte die größte Lüge der Menschheit darstellen, ich spreche die Wahrheit! Ich liebe Dich, und wenn Du mich verlässt, dann werde ich zerbrechen!“ Und der Moment möge nie eintreten, fügte er etwas ängstlich in Gedanken hinzu. Als er sich umsah bemerkte er plötzlich, dass die Wohnung aufgeräumt war. Das Gefühl von Verstörtheit und Missmut wurde von der tiefen Zuneigung zu Lisa abgelöst. Schnell zog er sich an und machte sich auf den Weg,, das Frühstück zu besorgen. Auf der Straße schlug ihm die kalte Luft ins Gesicht. Der schneidende Wind verabschiedete die Nachwehen des Alkohols, die Kälte machte das Atmen schwer. Aber heute, dieses Mal war er gegen den Winter gefeit, denn er war voll Liebe zu Lisa. Er ging die Straße hinab zum Bäcker und entschied sich dort für Baguettes und zwei Stücke Kuchen. Weiter beim Feinkostladen kaufte er einen frischen Krabbencocktail und etwas Wurst. Dann musste er einige Zeit durch die verschneite Stadt laufen, um zum Weinhändler zu gelangen. Es war ihm recht ungewohnt, denn sonst trank er nur Wein oder Sekt, wenn er bei Nicodemus eingeladen war. Die Adresse war ihm von Nicodemus’ Äußerungen noch im Gedächtnis. Nachdem sich Martin einige Zeit umgesehen hatte, kam ein Verkäufer und diesem brachte er sein Anliegen dar: „Ich brauche etwas prickelndes, Nicodemus sagt immer, eine Dame, wenn sie eine sein möge, wäre schon fast gewonnen, nach einem wunderschönen Frühstück mit Krabbencocktail und Sekt!“ „Sprechen Sie von Nicodemus Stahl?“ „Wieso? Ja, ja ich spreche von ihm.“ antwortete der verwirrte Martin.
„Ach, wieso sagten Sie das nicht gleich. Kommen Sie, hier, ein Champagner, das ist Herrn Stahls bevorzugte Marke. Sie geht aufs Haus. Denn die Freunde von Herrn Stahl sind auch die Freunde des Hauses! Guten Appetit! Und möge Ihre Begleitung eine Dame sein!“ Etwas verwirrt verließ Martin den Laden, eilte sich aber dafür um so mehr, wieder nach Hause zu gelangen, um Lisa zu überraschen. Leise und vorsichtig öffnete er die Tür und schlich gleich zur Kochnische, um das Frühstück zu bereiten. Als alles bereit stand und er seine Freundin wecken wollte, da stand er vor einem leeren Bett. Alle Heiterkeit sank in ihm zusammen, seine Augen verloren jeglichen Glanz und wurden stumpf und leer. Auf seinem Schreibtisch fand er folgende Zeilen: Ich musste gehen, da ich noch viel zu erledigen habe. Du warst ja nicht da! Vielleicht komme ich später am Abend noch einmal vorbei. Lisa Martin war beleidigt. Er war sogar wütend. Das Zimmer wirkte kälter und lebensfeindlicher als die Straße. Plötzlich packte er die Teller, auf denen er das Frühstück bereitet hatte und warf sie in den Mülleimer. Den Cocktail schüttete er in die Toilette und den Champagner ließ er auf der Straße zerschellen. Beleidigt und schmollend, vor allem aber wütend, setzte er sich an seinen Schreibtisch. Er suchte das Blatt, welches er heute morgen gefunden hatte, aber es war nicht auffindbar. Er konnte sich jedoch noch an den Satz erinnern, also schrieb er ihn in sein Notizbuch: Kannst Du den Schmerz fühlen, wenn man wahnsinnig sterben muss? Die Sonne schien freundlich aber kalt auf die Erde. Träge schleppten sich ein paar Menschen durch die Straßen. Der Perlachturm stand wie ein gefrorener Obelisk, hoch aufragend, Teile der Sonne verdeckend. Die Sonne versuchte einen milden Frühling vorzutäuschen, aber der Schnee schmolz noch nicht. Die Zeit war noch nicht reif für den Frühling! Es war Winter und es war kalt! Zwei Ewigkeiten lebten die Menschen im Winter! Für wie lange noch? Eiszapfen hingen hilflos von den Dächern, Schnee lag auf den Wegen. Stille.
Die Natur schlief. Kein Vogel zwitscherte, kein Mensch sprach. Nur der Wind hauchte durch die Gassen. Die noch langen Schatten standen still. Zwei Wesen bewegten sich auf ein Haus zu. Sie sprachen nicht, ihr Atem kondensierte und beschrieb gekräuselte Bahnen in der klirrend kalten Luft. An der Haustüre angekommen, wurde diese geöffnet und sie traten in die wohlige Wärme des großen Anwesens. Sie saßen wieder zusammen, wie ein paar Tage zuvor. Er auf dem Diwan, Martin auf dem Sessel. Leise Musik im Hintergrund, begleitet von dem unregelmäßigen Knacken des Kaminfeuers, und diese Zwei, die aus dem Winter kamen. „Was ist das Leben?“ begann Nicodemus und sah Elidorian wohl gestimmt, gar freundlich an. Seine Augen, welche sich eben noch im Zimmer umgesehen hatten, als ob sie die Töne der Musik suchten, fixierten nun die Augen des Löwen. „Welch schöne Musik nicht wahr? Lacrimosa, Tag der Tränen... dieses ist aus Mozarts Requiem. Ein wunderschönes Stück, nicht wahr?“ „Ich kenne das Stück, Du hast es schon öfter gespielt,“ entgegnete Martin etwas in Gedanken versunken. Stahls Blick wurde etwas kühler und fordernder: „Was ist das Leben?“ Lakonisch blickte Elidorian ins Leere, schien Nicodemus gar nicht zu beachten, und beinahe unverständlich nuschelte er: „Was tust Du mit mir und mit Lisa?“ „Ich will nur einem Freund helfen. Ich mache nichts mit Dir.“ „Bin ich Dein Freund?“ Noch ehe Nicodemus antworten konnte gab sich Martin die Antwort selber. Jedoch blieb er immer noch in Gedanken versunken. „Was ist das Leben?“ kam Nicodemus wieder auf das Thema zurück. „Das Leben ist ein Buch.“ bemerkte Martin, ohne das er hätte sagen können, woher diese Antwort gekommen wäre. Eigentlich träumte er einen monotonen Traum gleichmäßig vor sich hin, war sich seiner Umgebung gar nicht mehr bewusst. Jedoch kehrte er sofort zurück in die Wirklichkeit, als er der Reaktion seines Gesprächspartners gewahr wurde. Nicodemus, der Maskierte, der mit der ewig bösen und traurigen Maske schien erleichtert zu lächeln! Die pechschwarzen Augen schienen zu glänzen, sie loderten geradezu und blitzten wie Onyx, den man im Licht bewegte. Nicodemus bewegte
sich hinter Elidorians Stuhl, legte ihm seine Hände auf die Schultern, verharrte dort eine kleine Weile und schritt dann hinüber zu seinem Lieblingsplatz, am Fenster. „Was ist denn mit Dir los?“ fragte Martin und konnte sich eines leicht spöttischen Untertons nicht erwehren. Noch nie hatte er seinen... Freund, er zögerte bei diesem Gedanken, wahrhaftig und ehrlich lächeln gesehen. „Oh ja, das Leben ist wie ein Buch... Das Leben ist wie ein verdammt schlechtes Buch. Billige Brutalität, dargestellter und in allen Einzelheiten plattgetretener Horror, keine Ästhetik, flacher Humor und noch oberflächlichere Charaktere. Weißt Du, ich will diesem Buch wenigstens in einem Kapitel einen Sinn und Schönheit verleihen. Martin, es ist wahr, ich bin die beste Stelle in diesem Buch das Leben heißt.“ Schweigen. Er verharrte einige Momente still mit Blick aus dem Fenster, den Rücken zu Martin gerichtet. „Komm her, Martin, komm!“ Nicodemus nahm seinen Freund in den Arm und nun starrten beide, den Gedanken scheinbar in die Weite folgend in die dunkle Nacht. Es war still. Nur der leise Wind säuselte ruhig aber kalt draußen vor dem Fenster vorbei. In der leeren Schwärze schien es nichts zu geben. Einsamkeit zu Zweit. Sie waren allein auf dieser Welt. In jeder Hinsicht. „Das Leben,“ zerbrach Nicodemus mit seiner tiefen, diesmal unwahrscheinlich sanft klingenden Stimme das Schweigen „ist wie ein schlechtes Buch. Keine Handlung, kein Erleben, keine Helden, nur trübe Monotonie, Stumpfsinn. Aber in meinem Kapitel gibt es echte Handlung, Tiefe, Charaktere die was taugen. Man vergisst, das es nur ein Buch ist, man kann es fühlen, man kann es leben!“ In diesem Moment öffnete sich die Haustüre und ein Mädchen mit langem gefärbten Haaren trat ein. Langsam drehte sich Nicodemus um, ohne Elidorian dabei los zu lassen und sagte dann in einem freundlichen aber bestimmten Ton: „Darf ich vorstellen? Das ist Jezebel. Jezebel, das ist der große Dichter Elidorian!“ Sie machte andeutungsweise einen Knicks und folgte dann dem Blick von Nicodemus in das Schlafzimmer. Martin blickte ihr nach. „Ich fühle nichts.“
„Du wirst etwas fühlen!“ sagte Nicodemus und ließ Elidorian wieder los. „Warte hier bitte einen Augenblick, möchtest Du etwas Musik hören?“ Noch ehe Martin, der Löwe, etwas antworten konnte, begann bereits ein imaginäres Orchester eine Melodie anzustimmen, die später durch einen Männerchor noch intensiver wurde. Inzwischen war Nicodemus verschwunden. Martin setzte sich wieder hin und versuchte sich auf die Musik zu konzentrieren. Irgendwie wurde ihm unheimlich. Es war die Musik, denn obwohl sie nicht laut oder aufdringlich war erfüllte sie doch den ganzen Raum, webte einen Teppich aus Tönen so dicht, dass man darin versank und nichts anderes mehr hörte. Die Musik vereinnahmte. Aber sie machte es leicht, die Augen zu schließen und sich treiben zu lassen, und so ließ Martin es geschehen. „Komm her.“ Er strich über das violette Haar, das im flackernden Licht der schwarzen Kerzen aussah, wie ein Wasserfall aus Pech. Die schwarzen und violetten Lippen trafen sich und er hob sie hoch und setzte sich mit ihr auf den Sessel der neben dem Bett stand. Sie blickte ihn mit ihren Augen an, wie ein kleines Mädchen, das um einen KUSS ihres Vaters bettelte. Er erwiderte den Blick kühl. Sie schlang die Arme um ihn und flüsterte ihm sanft gehaucht ins Ohr: „Beiß’ mich!“ „Jezebel, höre zu.“ Er blickte sie nun mit hintergründigem Lächeln an. „Du bist ein Wesen, welches eine Aufgabe hat! Und ich frage Dich, willst Du Deine Aufgabe erfüllen bis in den Tod?“ „Wenn es ein schmerzvoller Tod ist, dann will ich meine Aufgabe erfüllen. Ich liebe Dich!“ Nicodemus blickte sie an, hob die linke Augenbraue ein wenig, trug sie dann auf das Bett und sagte zu ihr, schon im Gehen: „Würdest Du mit meinem Freund schlafen? Nun, was meinst Du?“ Sie nickte und grinste, dann legte sie sich ins Bett uns schloss die Augen. „Schlafe, denn die Nacht wird lang!“ Die Musik verhallte langsam und die Stille geleitete seine Gedanken langsam zurück, aus der Traumwelt in die Wirklichkeit. Er öffnete die Augen noch nicht, er konnte es gar nicht, denn vor seinen geschlossenen Augen spielte sich ein unbeschreibliches Bild ab, die Töne wurden zu
Farben und huschten, hallten dem Klang hinterher, an ihm vorbei. Blasen und kaleidoskopisch anmutende Muster aus den schönsten schwärzesten Farben waberten den letzten Tönen der Symphonie zum Tanze. Er fühlte sich wir betrunken. Aber es war viel schöner, um unzählige Male schöner. Von fern hörte er eine vertraute Stimme, sie war sanft und kraftvoll geschmeidig zugleich: „Wo warst Du?“ die Worte huschten als Farben an seinen Augen vorüber und fügten sich als willkommene Abwechslung in das entstandene, ständig mutierende, sich Wechselnde Bild ein. Langsam versuchte er seinen Mund zu bewegen und Worte zu artikulieren, aber er selbst hörte sie nicht mehr, er sah sie, als Farben. „Weit weg, in einem Land das schön ist.“ „Dort war ich auch schon. Wie gefällt es Dir?“ Aber Nicodemus konnte von den entspannten, glücklichen Gesichtszügen seines Freundes erahnen, wie schön es gewesen sein muss. Und das genügte ihm als Antwort. Er neigte den Kopf zur Seite und lächelte, atmete erleichtert auf und wanderte leise im Zimmer umher. „Weißt Du, das was Du jetzt siehst, das ist die Sprache Gottes. Mit diesen Worten erschuf er die Welt.“ Die Stimme waberte in Blau und Rot, aber auch in Farben, die nicht menschlich waren an seinen geschlossenen Augen vorbei. Es war ihm, als höre er eine Stimme, die lauter und leiser wurde, und sie hallte in seinem Kopf. „Ich dachte, Du bist Gott!“ endlich gelang es Martin wieder zu sprechen. „Oh nein, ich bin nicht Gott, ich bin nicht der Schöpfer, ich bin ein Gott! Nur einer unter wenigen. Bin ich ein Gott?“ „Ich weiß es nicht. Es ist alles so verdreht. Deine Schminke, ich meine sie geht nicht ab.“ langsam öffnete er seine Augen, er musste zuerst blinzeln, da das normale Licht ihm viel zu dunkel und zu verschwommen, sogar richtig unklar erschien. Nur schwerlich durchsichtige Schleier hingen im Raum, tote Körper vom stillen Wind bewegt. Nur langsam gewöhnte er sich wieder daran. „Außerdem,“ sprach er weiter „hast Du mich belogen. Das mit Deiner Schwester ...“ „Niemals habe ich Dich belogen, nur verstehst Du die Wahrheit jetzt noch nicht. Das ist ja das Gefährliche bei den Menschen: Wenn sie etwas nicht verstehen, dann beginnen sie es zu hassen, sie fürchten sich
davor und verdammen es als Falsch und Lüge. Deshalb ist die Menschheit auch so dumm und realitätsfremd. Die Wahrheit wird nicht verstanden, folglich ist sie Kern ihres menschlichen Hasses und Gegenstand ihrer Furcht.“ „Haben wir Angst vor uns selbst?“ „Nein! Vor Euch selbst habt ihr keine Angst, nur keinen Respekt. Ihr kennt Euer Selbst gar nicht mehr. Ihr habt es verloren!“ Nicodemus blickte Martin lächelnd an. Es war ein warmes, behütendes Lächeln und seine Augen waren tief und so unergründlich wie ein Bergsee in tiefster Nacht. Martin war auf eine seltsame Weise fasziniert von diesen Augen, sie waren so weise und so alt. Ungewöhnlich für jemanden, den man auf höchstens vierundzwanzig schätzt. „Wo, nein wann haben wir uns verloren?“ „Die Menschen?“ „Ja.“ „Das vermag ich nicht zu sagen,“ sagte Nicodemus indem er sich erhob, als weiche er vor einer unsichtbaren Pranke zurück, jedoch ohne Angst. „Bei jedem Menschen war es ein anderer Zeitpunkt. Manche haben sich im Kindesalter bereits verloren, manche beim Alt- oder Erwachsenwerden. Es ist auch gar nicht so wichtig, das wann. Viel wichtiger ist das was! Was hat die Menschheit, was hast Du verloren?“ Martin erschrak. Eigentlich wollte er sich nicht zu jenen zählen, die ihr selbst... oder was auch immer verloren haben, er war doch ein Dichter, jemand, der die Lügen des Lebens durchschauen konnte. War er nicht einer dieser Wenigen, die den Menschen die rosarote Brille nehmen konnten? „Also habe auch ich etwas verloren?“ „Jeder Mensch! Aber was?“ „Vielleicht die ...“ „Falsch! Du kannst es nicht wissen! Kein Mensch weiß es!“ Nicodemus verdrehte leicht die Augen, als höre er, ob seine kleine Freundin auch schön schlafe. Nach einigen Momenten der beinahe absoluten Stille fuhr er schließlich fort: „Sag’ mir, was machst Du, wenn Du Kopfschmerzen hast?“
Etwas verwundert über diese Frage wusste Elidorian zunächst nicht, was er darauf antworten sollte. Zögerlich entglitt ihm: „Ich nehme eine Tablette.“ „Was tust Du, wenn ich Dich verwirre, Du etwas nicht verstehst oder Du sonstige seelische Probleme hast?“ „Ich weiß... ich weiß es wirklich nicht.“ „Falsch, Du greifst zum Alkohol, nicht wahr?“ „Ja.“ Martin fühlte sich bei dieser Antwort nicht sehr wohl, er fühlte sich wie ein Löwe, der dabei erwischt wurde, wie er eines seiner Jungen riss. Es stimmte, er trank nicht oft, aber wenn er sich zu bedauern hatte, trank er viel, meist zu viel. Er spürte, dass Nicodemus ihn drängte, er drängte ihn dazu, die Wahrheit zu sagen. „Was ist die Liebe?“ wurde Martin wieder von der tiefen Stimme aus den Gedanken gerissen. „Ein Gefühl.“ antwortete Martin kleinlaut. Nicodemus kam ihm wieder näher und näher, bis die Gesichter sich beinahe berührten. Er spürte den Atem seines Gegenübers. Tiefgründig und scheinbar übellaunisch sah er Martin an. Plötzlich lächelte er: „Kann sein, meist ist die Liebe nur Gewohnheit. So wie der Delinquent nach einiger Zeit die Peitsche auf seinem Rücken nicht mehr spürt, so bemerken die Menschen die Liebe nach einiger Zeit nicht mehr. Ein erhabener Vergleich. Die Liebe als Peitsche, oder? Aber viel besser noch: Die Liebe ist ein Dolch. Man sticht ihn seiner Liebe mitten ins Herz. Zunächst fühlt man sich wie trunken, als ob man sterben müsste, leicht und erhaben. Dann vergisst man dieses Gefühl, man gewöhnt sich an den Dolch, doch wenn die Liebe geht und der Dolch wird herausgerissen, dann beginnt es wieder zu bluten.“ In der Pause schien Nicodemus erneut zu horchen. Dann half er Martin auf und geleitete ihn zur Tür. Während Martin sich seine Jacke überstreifte, schwiegen beide. „Kommst Du morgen wieder?“ fragte Nicodemus freundlich. Martin nickte und begann sich an einen Satz aus dem Gespräch zu erinnern. Lächelnd sagte er: „Damit Du mich wieder verwirren kannst.“ „Ich will Dir etwas geben, was nur wenigen Menschen zuteil wird. Also, bis morgen.“
Dann schloss er die Türe und ging in sein Schlafzimmer, wo Jezebel immer noch schlief. Er lehnte sich an den Spiegel und betrachtete sie. Ihre violetten, vollen Lippen, ihr ebensolches Haar und der grazile Körper in Seide gehüllt. Ein Mädchen, dass in der Öffentlichkeit wahrlich die Blicke auf sich zog. Lautlos ging Nicodemus durch das Zimmer und brachte einige Räucherkerzen zum Glühen. Warme Schwaden verteilten sich langsam im Zimmer. Es war der schwere, betäubende Duft von einem Gemisch, welches den Namen Nut trug, Man erkannte Spuren von Patchouli, Amber, Sandelholz und Lavendel. Nach einiger Zeit hatte sich der Duft über das junge Mädchen gelegt, wie eine durchsichtige Decke und sie atmete den Duft ruhig und tief ein. Auch Nicodemus sog den Geruch tief ein. Er erfüllte ihn mit einer melancholischen Schwere und schweigend ließ er sich neben Jezebel nieder. „Ich habe ihm wieder für einen Schritt die Hand gehalten. Noch zwei Schritte werde ich ihn führen, dann muss er laufen oder fallen in ein tiefes Loch.“ Ohne die Augen zu öffnen drehte sich Jezebel herum, Nicodemus küsste sie sanft auf die Lippen, so dass sie die Berührung eigentlich gar nicht wahrnahm. Von nun an schwieg er. Er lauschte dem Wind. Und der erzählte ihm die Geschichte von dem Menschen... ... und der Mensch bestieg den einen Gipfel, um sich mit den Göttern zu treffen. Gott sprach von oben herab: Mensch was willst Du? Der Mensch antwortete: Du kannst gehen, Du bist frei, denn wir brauchen Dich nicht mehr! Wir haben alles was wir brauchen und wir brauchen auch kein Jenseits mehr! Gott verschwand daraufhin und schuf das Jenseits ab. Statt einem Jenseits gab es jetzt nur noch das Nichts um das Etwas herum. Und dort lebte Gott. Zunächst wartete er demütig, wie ein Kind das auf das Ende seiner Bestrafung wartet, dann aber wurde er zornig und trommelte gegen das Nichts. Der Mensch hörte ihn, aber er lachte nur. Da brach Gott aus und voller Hass und Wut fuhr er von seinem Nichts herab. Aus dem Menschen waren Völker und Rassen geworden und sie hatten Gott vergessen... Jezebel erwachte und merkte, noch schlaftrunken, dass jemand das Bett mit ihr teilte. Als sie sich diesem zuwandte, raschelte es. Plötzlich griff
eine Hand an ihren Hals und drückte zu. Bruchteile von Sekunden später sah sie ein Gesicht über sich. Die Maske küsste sie sanft und ließ dann ab von ihr. Sie sog die Luft tief ein und bemühte sich, ruhig zu atmen. „Sei leise. Ich möchte seine Geschichte hören.“ Ihren Einwand stoppte er mit einer energischen Handbewegung. Sie gab sich damit zufrieden still, etwas mürrisch und unbefriedigt an die Decke zu starren. Aber sie vernahm nur Stille. Schließlich kuschelte sie sich an seine Brust und presste ihre Brüste an seinen Körper. Wollte Gott weiter leiden sehen. Sie rissen seine Seele entzwei als er das erste Mal für sie starb. Und die gespaltene Seele wurde in menschliche Zyklen geworfen. Der Mensch wollte Gott leiden sehen, denn der Mensch musste leiden unter Gott. Erst wenn die zwei Seelenstücke sich gefunden hätten, wäre es diesem Gott möglich gewesen, zurückzukehren in das Nichts. Gott ist Hass auf die Menschen. Gott ist Suche nach anderen und nach seiner Seele. „Was willst Du? Willst Du meinen Körper?“ fragte Nicodemus nachdem sich der Wind gelegt hatte. Er beugte sich langsam über Jezebel und entflammte mit seinem Blick erneut ihre Begierde. Ohne zu antworten, sah Nicodemus die Antwort in ihren Augen, die hinterhältig blitzten. Der Schnee lag hoch und die Stadt der Toten, eine Stadt der Toten erwachte mit den ersten milchigen Sonnenstrahlen gähnend zum Leben. Menschen stapften durch den Schnee und erledigten ihre Geschäfte, hasteten wortlos und leeren Blickes aneinander vorbei und würden sich später über die Anonymität in der Stadt bei ihrer lokalen Zeitung auslassen. Es war für diese Menschen ein ganz normaler Tag. Doch heute sollte der nächste Schritt vollzogen werden. Die Sonne drängte ihre Strahlen durch die Schneeflocken und Wolken hinab zur Erde und wirklich, einige Strahlen erreichten das Weiß, welches sich jedoch schnell in grauen, braunen und matschigen Dreck verwandelte. Jedenfalls dort, wo Autos fuhren. Die Straße hinauf zu Nicodemus’ Haus war für diese Fahrzeuge jedoch unpassierbar, denn die Straße wurde blockiert von steinernen Klötzen und Pfählen. Das war ihm auch recht, denn das schützte ihn vor unliebsamen Besuchen.
Nur noch winzige Flöckchen tanzten durch die Luft und Wolken schoben sich nun doch vor die Sonne, so dass sie verlor. Das Fenster war nass und einige Tröpfchen rannen die Scheibe herab, bevor sie schließlich gefroren. Über Nacht hatten sich einige Eisblumen gebildet und ließen sich wunderschön ansehen Nicodemus blickte hinaus, und obwohl das strahlende Weiß genug Licht gab, leuchteten einige Lampen in seinem Zimmer. Seinen Kopf auf die Arme gestützt blickte er in die Ferne. Ein nackter Arm legte sich um ihn. Sie küsste ihn auf die weiße Wange und hauchte: „Kommst Du wieder ins Bett?“ „Jetzt nicht. Jezebel, willst Du die Grenzen durchbrechen, die Dich an das Menschsein binden?“ sagte er, ohne sie anzusehen. Jedoch wanderte seine Hand langsam tiefer und begann zärtlich ihren runden Po zu streicheln. „Ja. Möchtest Du, dass ich heute abend wieder komme?“ „Ich werde Dich anrufen. Und nun geh’. Ich erwarte Besuch. Und bitte benutze den Ausgang am Südtor.“ Mit einem KUSS verabschiedete er sich von ihr und sie machte sich auf ins Bad, um sich fertig zu machen. Währenddessen blickte Nicodemus weiter aus dem Fenster. Der Wind war eingeschlafen, doch regte sich nun das menschliche Leben. Er wandte sich ab. Das menschliche Dasein langweilte ihn. Es gab nichts mehr, was man als neu bezeichnen konnte. Die Menschen sagten, sie lebten in einer interessanten Zeit, der Zeit vor der Jahrtausendwende. Nein, die Gegenwart war immer die schlimmste Zeit für den Menschen, aber es gab Hoffnung auf etwas neues, aber die wenigen Götter der Erde hatten den Menschen die Träume gegeben, ohne ihnen jedoch zu zeigen, wie man sie verwirklicht. Martin Löwe kämpfte sich gerade durch den hohen Schnee. Seine braune Jacke flatterte im Wind und die Mütze saß schief auf seinem Kopf. „Das ist das einzige, was heutzutage Mode ist: nicht modisch zu sein!“ Mit diesen Worten empfing Nicodemus seinen Freund an der Tür und gewährte ihm Einlass. In der Eingangshalle legte Martin seine Jacke mit samt der Mütze ab und folgte dann Nicodemus in das Zimmer mit den schönen großen Fenstern und dem Diwan. „Kommt Lisa heute Abend auch?“ begann Nicodemus freundlich.
„Ja, sie möchte meine neuen Gedichte hören.“ „Ich bin auch schon sehr gespannt darauf, denn nach Deinem letzten vergeblichen Versuch kann es nur besser werden und ich bin davon überzeugt. Weißt Du, Lisa ist schön. Aber dumm.“ Nicodemus hatte es sich bequem gemacht, nachdem Martin ein Glas Rotwein dankend aber bestimmt abgelehnt hatte. „Lisa ist wirklich schön, aber kannst Du mir verraten, wer diese Dame von gestern war?“ fragte Martin neugierig und Stahl entging nicht das mysteriöse Aufblitzen in seines Gegenübers Augen. Lächelnd antwortete er: „Ihr Name ist Jezebel, jedenfalls für mich. Willst Du sie?“ Völlig überrascht von dieser Frage wurde Martin noch roter als er wegen der Kälte sowieso schon war und räusperte sich entschuldigend, so als hätte er diese Frage gestellt. Nicodemus bemerkte dies und wich auf ein anderes Thema aus: „Was zeichnet den Mensch als solchen aus, oder was unterscheidet ihn von den anderen Lebewesen, weißt Du das?“ Elidorian benötigte einige Zeit, ehe er wieder auf die Fragen seines Gastgebers reagierte, denn es war ihm furchtbar peinlich, so von Nicodemus ertappt worden zu sein. Es war ihm, als könne er seine Gedanken lesen. Endlich bearbeitete er auch die letzte Frage: „Na ja, wir sind uns... selbst irgendwie bewusst.“ „Weiter.“ „Wir treffen Entscheidungen aus der Vernunft heraus.“ „Weiter.“ „Wir haben ein Gewissen.“ Als Martin nichts mehr einfiel lächelte Nicodemus. Er ging wieder im Zimmer umher, sah einige Momente aus dem Fenster, neigte den Kopf nach links und rechts und kam dann wieder zurück. Ging auf Martin zu und sah ihm tief in die Augen. „Und?“ fragte er. „Unterscheidet Euch das wirklich von Tieren oder vielleicht sogar Pflanzen?“ „Ja, ich denke schon. Wir werden nicht so stark von Instinkten beherrscht wie die Tiere.“ Martin hatte versucht, sich möglichst präzise auszudrücken, damit Nicodemus ihm nicht wie eigentlich immer, das Wort im Munde herumdrehen konnte. .
„Ich stimme voll und ganz mit Dir überein. In diesem letzten Punkt zumindest. Menschen haben jetzt nichts mehr von alledem, was Du eben aufgezählt hast. Ihr seid Euch schon lange nicht mehr selbst bewusst. Euer Leben wird erst existent, wenn ihr Medien, Firmen, Trends habt, nach denen ihr Euer Leben ausrichten könnt. Euch ist nur mehr eines bewusst: das Ihr nicht gegen den Strom schwimmen könnt, denn die Medien kreieren bereits selber jeweils einen Anti-Trend zu einem Trend. Egal wo Du Dich bewegst, Du bist immer gefangen in der Masse Mensch. Die Vernunft muss als Folge der bedingungslosen Kontrolle durch Medien natürlich abgeschafft werden. Aber ihr hattet sie bereits viel früher ausgeschaltet, und jetzt kennt ihr Vernunft nur noch aus einigen alten Büchern. Und ein Gewissen? Nein, mein lieber Freund, das Gewissen wurde abgeschaltet durch das Verhalten der Menschen zueinander.“ „Also sind wir auch Tiere.“ „Nein, die Tiere haben das einzig natürliche jeder Lebensart bewahrt, nämlich Freiheit; und sollten sie eingesperrt sein, so sehnen sie sich nach Freiheit. Der Mensch hat seine Freiheit zu Gunsten der Gemeinschaft der anonymen Anonymiker aufgegeben und er vermisst sie nicht einmal!“ „Aber was sind wir dann?“ fragte Martin, der wieder durch seinen Freund verwirrt wurde. Er fasste sich an die Stirn und versuchte mit geschlossenen Augen seine Gedanken zu ordnen, aber es gelang ihm nicht so recht. Wieder fühlte er sich unruhig, aufgewühlt, gerade als er seine Augen wieder öffnen wollte erklangen die ersten Töne des ‘Lacrimosa’ und Nicodemus nahm ihn sanft bei den Schultern, während er leise sagte: „Nein, nicht die Augen öffnen, lege Dich hin, lass Dich von der Musik ergreifen und hinfort tragen in eine Welt, in der ich lebe, höre mir genau zu...“ Elidorian war es, als würden die Stimme seines Freundes und die Musik eins werden, so als erzähle die Musik eine Geschichte. Aber er beruhigte sich und fühlte sich mit einem Mal so unbeschwert, von allen Lasten befreit, und das machte ihn glücklich. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich frei. „Martin, Du wirst schlafen. Du wirst sehr tief schlafen, so tief, dass Du diesen Körper verlässt. Elidorian, sei bei mir, bei Deinem Freund. Ich
werde Dich jetzt erwecken und dann wirst Du nur noch Elidorian sein. Werfe Deine menschliche Hülle ab und werde zu meinesgleichen!“ Es war spät geworden und die Sonne hatte ihren kurzen Lauf bereits beendet, und der Mond erschien bereits am Horizont. Den Tag über war kein Schnee gefallen und auch der Wind war still, denn jemand erzählte eine Geschichte des Windes. Klirrende Kälte gepaart mit stiller Trauer und sehnender Erwartung. Die Wolken waren weiter gewandert und gaben den Blick frei auf die Unendlichkeit. Schwach leuchteten milchig die Sterne von oben her und sie gaben der klaren Nacht einen verklärten Schimmer. Die Göttin der Nacht tanzte zur Musik der Sonne, unendlich langsam und geschmeidig drehte sie sich und wir sahen ihr Kleid, besetzt mit Sternen... Diese unendliche Schönheit und Schlichtheit der Nacht, sie ist bewundernswert. Auch die Stille und unsagbare Ruhe, welche die Nacht den Menschen bringt. „Beinahe könnte die Hoffnung noch einmal in mir aufkeimen.“ sagte Nicodemus „Welche Hoffnung meintest Du gerade?“ „Die Hoffnung, dass die Menschheit doch noch zu retten sei. Aber sobald der Morgen wieder graut, verschwindet die Hoffnung unter der sogenannten und gepriesenen Menschlichkeit.“ Nicodemus verschwand gerade ins Badezimmer, da klingelte es auch schon. Martin öffnete die Türe und empfing Jezebel. Seine Augen wurden größer und größer, seine Blicke wurden magisch auf ihren Körper gelenkt und er konnte nicht lassen, sie anzuschauen. Sie trug ein grünes Samtkleid mit einem tiefen Ausschnitt, der ihr bis zum Bauchnabel reichte. Die Träger waren auf beinahe abstruse Weise geformt und verbargen so die Weiblichkeit, zumindest minimal. Sie trug des weiteren hohe schwarze Lackstiefel und ihre Arme, die unter dem übergeworfenen Mantel zeitweilig zu sehen waren, waren geschmückt mit Reifen und Bändern aus Silber. Ihr Hals war frei von Schmuck. Ihre Lippen waren im gleichen violetten Farbton wie ihre Haare, die glatt über ihre Schultern fielen. Ihre tiefen Augen schienen, mit Martin zu spielen. „Willst Du mich denn nicht hinein bitten?“ fragte sie ein wenig lasziv. Martin erwachte aus seiner Starre und wurde sich gewahr, dass er dieses
Mädchen intensiv hatte angestarrt. Sich räuspernd machte er die Türe frei und ließ sie eintreten. Er nahm ihr den Mantel ab und musste sich erneut beherrschen, denn ihr Rücken war auch frei, bis auf wenige Bänder, welche das Kleid zusammenhielten. Sie blinzelte ihm zu und ging dann ohne ein weiteres Wort in die Bibliothek, eigentlich das Wohnzimmer, wo Nicodemus inzwischen auch wieder war. Elidorian folgte nach einigen Augenblicken und Nicodemus blickte ihn lächelnd, wissend an. Doch bevor einer etwas sagen konnte, klingelte es erneut und dieses Mal kam Lisa und eine gute halbe Stunde voll Stille und scheuen Blicken. Später erschienen dann auch die anderen. Sie setzten sich alle auf die Sofas und Nicodemus bot Elidorian den Sessel an. Dann wurden alle sieben Personen still und der Dichter begann aus seinen Aufzeichnungen zu lesen: ...nehme ich den Kelch und werde ihn emporstrecken auf dem Gipfel und werde die Götter zum Kampf fordern. Meine Worte werden sein: Kommet hernieder, ihr Brut aus Menschenhand Ein Gott das bin ich auch, doch habe ich mich verkannt Den Menschen gabt ihr Blindheit doch ich bin erwacht Was habt ihr mit den Menschen gemacht? Ihre Leben sind abgebrannte Kerzen fühlen weder Liebe noch Schmerzen Sind nur fähig zu sterben, begreifen nicht ihr gabt ihnen Feuer, nun gebt ihnen Licht! Meine Augen sind wie Fackeln in der Nacht als ich euch sah habe ich nur gelacht Ihr seid Götter, nun gut, ich auch Ich setzte mich auf euren Thron auf Erden ist es eine Sünde, so soll ich sterben doch habe ich geatmet den göttlichen Hauch Elidorian atmete heftig und legte seine Mappe zur Seite. Außer seinem Atmen war es absolut still. Nicodemus, der dieses Mal nicht wie sonst zum Fenster gegangen war, stand auf und applaudierte. Jezebel ebenso. Schließlich klatschten alle. Jedoch mehr oder weniger zögerlich.
„Das hat mir gefallen. Ich fand es wirklich gut.“ Nicodemus lachte und reichte Elidorian ein Glas Rotwein, er war sehr rot und hatte einen so... menschlichen Beigeschmack, aber das machte Elidorian nichts aus. Er trank und lächelte erleichtert. Ein anderer kam auf Martin zu, half ihm aufstehen und nahm ihn schließlich in den Arm: „Ich finde Herr Stahl hat recht, es war recht gut dieses Stück.“ Nicodemus wandte sich um zum Fenster, Jezebel folgte ihm und er nahm sie ohne anzusehen in den Arm und streichelte ihren Rücken. So verharrte dieses seltsame Paar für einige Zeit. Nach einer halben Stunde ließ er ab von ihr, drehte sich wieder zu den Menschen und nach mehrmaligem Räuspern war es endlich still, so dass auch der Gastgeber wieder zu Wort kam: „Meine Damen und Herren, ich bitte sie zu gehen.“ Bei diesen Worten verschwand Jezebel ungesehen und Elidorian wurde von Nicodemus in den Sessel geschoben. Dann begleitete er den Rest nach draußen. Zu Lisa, die bis jetzt noch nicht ein Wort gesagt hatte, sagte er, während er half, ihren Mantel anzuziehen, ins Ohr: „Ich würde mich freuen, Dich einmal nackt zu sehen.“ dabei grinste er, sie jedoch wurde rot und verließ mit schüchterner Miene das Anwesen. Als Nicodemus hintergründig lächelnd zurück in das Wohnzimmer trat, in der einen Hand einen Brief und in der anderen einen Schlüssel, wurde er von Martin gefragt: „War ich wirklich gut?“ „Ja, Du warst wirklich gut. Du musst zwar noch erheblich an Deiner Sprache und Form arbeiten, aber Du schreibst jetzt aus Dir selber heraus und versuchst nicht, irgendeinen dahergelaufenen Emporkömmling zu imitieren.“ „Danke.“ sagte Martin mit gesenktem Haupt. „Danke nicht mir, danke Deiner Eingebung!“ lachte Nicodemus herzlich. Mit diesen Worten nahm er das leere Glas seines Freundes und füllte es erneut. Geduldig wartete er, bis Martin sich wieder mit voller Aufmerksamkeit seiner Person widmete. „Lass mich raten, Du hast das Stück gestern geschrieben, nachdem Du nach Hause gegangen bist. Du musst ziemlich wütend und vielleicht sogar verwirrt und verzweifelt gewesen sein, oder?“ „Ja, das stimmt.“ antwortete Martin, „aber ich habe nichts getrunken!“ fügte er stolz hinzu.
Nicodemus musste lächeln und schien kurz zu überlegen. Dann sagte er plötzlich: „Ich habe ein Geschenk für Dich. Es ist im Schlafzimmer. Hier!“ Er warf ihm den Schlüssel zu. Martin besah sich verwundert den Schlüssel, dann stand er auf und brachte ein murmelndes danke heraus. Unsicher fragte er: „Aber wofür?“ „Weil Du mein Freund bist. Nun geh’ schon. Ich werde ein wenig spazieren gehen. Gegen Mittag werde ich wieder hier sein.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den verdutzten Elidorian. Dieser hörte nur noch die Haustüre ins Schloss fallen, dann umfing ihn wohlige Stille und liebliche Einsamkeit. Die Lampen brannten immer noch und er fühlte sich durch die schwarzen Augen der Fenster beobachtet, also löschte er das Licht, bis auf ein einziges wärmendes Lichtlein, welches auf einem kleinen Tisch neben dem Sofa stand. Irgendwie verlegen drehte er den Schlüssel in seiner rechten Hand, griff sein Glas mit der linken und nahm den letzten Schluck zu sich. Erst jetzt kamen ihm wieder Nicodemus’ Worte in den Sinn. Was mischte er in den Wein? Aber er machte ihm nichts mehr aus, der Wein schmeckte ihm sogar... auf irgendeine Weise. Er nahm seinen Mut zusammen, atmete tief, und schritt dann langsam zum Schlafzimmer. Das Glas, das er im Vorbeigehen auf ein Regal stellen wollte, fiel um. Noch nie war er im Schlafzimmer seines Freundes gewesen. Vorsichtig steckte er den Schlüssel ins Schloss, lauschte noch einmal, ob nicht doch jemand in der Nähe war, dann drückte er vorsichtig auf die Klinke. Im Innern war es dunkel. Er trat ein und schloss instinktiv die Türe hinter sich. Nun stand er vollkommen im dunkeln. Plötzlich entflammte sich ein Streichholz und wanderte an einer schemenhaften Silhouette vorbei, wobei es einige Kerzen entflammte. Der Schemen blieb sichtbar, ein dunkles Grau vor dem absoluten Schwarz. Dann kam sie in den Schein der sieben Kerzen. Es war Jezebel. Ihr Haar leuchtete in einem wunderschönen Ton, einfach unbeschreiblich und ihr Lächeln war so zart. Martin stand wie vom Donner gerührt da. Wie eine Sirene verzauberte sie ihn und spielte mit Gefühlen, die, wenn sie einmal losgelassen, in ungeahnte Richtungen führten. Leicht neigte sie den Kopf zur Seite und bedeutete ihm mit einem Augenzwinkern, näherzutreten. Er folgte ihrer
Aufforderung nur einen Schritt, dann sah er, dass ihr Oberkörper nackt war. Die Haare lagen über ihren Brüsten. Sie bemerkte das Zögern und fuhr mit ihren Händen in ihren Nacken, um die Haare auf ihren Rücken zu legen. Ihre schönen Brüste schimmerten im sich leicht wiegenden Schein der Kerzen. Sie stand von dem Bett auf und ging auf Elidorian zu. Sie sah seine Beschämung und musste lächeln. Ihre Nacktheit beschämte ihn! Er starrte abwechselnd auf ihren Venushügel, welcher absolut kahl war und auf ihre Brüste. Er nahm die Hände, die ihm das Hemd und die Hose öffneten gar nicht mehr bewusst wahr, er konnte nicht glauben, dass das Realität war. Sie umarmte ihn kurz und ihre Lippen begegneten seinen, jedoch nur einen Augenblick, leicht, wie ein Hauch. Das Hemd war in der Dunkelheit verschwunden. Er ließ es geschehen, ohne es recht wahrzunehmen. Nun stand er vor ihr, mit bloßer Brust und nur noch in Unterhosen. Sie blickte ihn verführerisch an, die Zunge huschte über ihre Lippen und er spürte das violette weiche Haar an seinem Körper. Sanft packte sie seine Unterhose mit den Zähnen, streifte zart seine Schamhaare und erzeugte einen wohligen Schauer auf Martins Haut. Schließlich nahm sie ihn bei den Händen und bewegte ihn auf das riesige Bett zu. Sie legte sich hin und er setzte sich etwas ungelenk auf ihren Bauch. Sie führte seine Hände an seine Brüste und als er sie leicht streichelte murrte sie leise, wie eine Katze. Die Kerzen standen still wie Säulen aus polierter Wärme. Sie rutschte unter ihm ein wenig hin und her und lächelte, als er in sie eindrang. Er benötigte noch einige Momente, ehe die Anspannung in ihm nachließ. Dann aber fühlte er eine gewaltige Hitze in sich aufsteigen. Die Spannung ließ nach und wurde ohne Übergang von purem Verlangen, inniger Lust abgelöst. Sein Traum ging in Erfüllung, mehr noch, er wollte sie nicht mehr nur berühren, er spürte sie und wollte sie beglücken. Nach einiger Zeit tat sie einen Ruck und er sah sie verwundert und fragend ob dieser Unterbrechung an. Sie biss sich nur leicht auf die Lippe, drehte sich auf den Bauch und spreizte die Beine wieder unter ihm. Wieder nach einiger Zeit drehte sie sich mit ihm um, nun war sie oben und Martin genoss es. Plötzlich erstarrte Martin. Sie hatte ihn gebissen! Was wollte sie? Sie hatte erst sanft an seinem Ohr geknabbert, war dann
zu seinem Mund gewandert und hatte an seiner Zunge gesaugt und auch diese leicht gebissen, doch jetzt an seinem Hals biss sie richtig. Er versuchte sich von ihr weg zu bewegen, aber es gelang ihm nicht, sie hielt ihn fest. Aus purer Not und Angst krallte er sich mit seinen Fingernägeln in ihren Rücken. Ein befriedigtes Stöhnen von Jezebel verwirrte ihn nun vollständig. Aber sie war nun nicht mehr still, sondern ließ ihn wieder gewähren. Unter der aufsteigenden Lust wurde der Schmerz undeutlich. Er vermischte sich mit der Erregung und das Ergebnis war ein unbeschreibliches Gefühl von Ekstase! Sie ließ ab von seinem Hals und er sah, das ihre violetten Lippen mit Blut benetzt waren. Sie warf den Kopf zurück und gab ihren Hals preis. Elidorian nahm seinen ganzen Mut zusammen und zahlte es ihr heim, er biss zu. Er war etwas unbeholfen, aber auch bei ihr schmeckte er nach einiger Zeit das Blut und es schmeckte so wunderbar! Er konnte beinahe nicht genug bekommen! Es war seine Nacht! Er atmete nur noch stoßweise und sie hatte die Augen geschlossen, genoss es sichtlich. Er wurde durchflutet von einem schier ekstatischen Glück. Er fühlte sich frei und irgendwie... göttlich. Die Nacht war hell und rein. Keine Wolke war am Firmament und die ungezählten Sterne sowie der Mond spiegelten sich im weißen unschuldigen Schnee. Es war wie ein mystisches Glühen oder Funkeln. Selten flog ein Vogel durch dies sonst unbewegte Bild. Der Wind hatte sich schlafen gelegt, denn es war nicht seine Nacht. Der Mond schien genau zwischen den Trauerweiden hindurch auf das Grab seiner Schwester. Er kniete davor und betete leise. Das Licht ließ sein Weiß glühen und die schwarzen Partien seines Gesichts schienen nicht existent. Sein Mantel war offen, seine Hände wurden von schwarzen ledernen Handschuhen verborgen gehalten. „Noch einundzwanzig Tage, meine Schöne!“ flüsterte er immer wieder. ...Noch einundzwanzig Tage..., dachte sich der träumende Wind. Es war noch dunkel. Das war eine Nacht, dachte Elidorian noch im Halbschlaf. In seinem gerade verlöschenden Traum erlebte er in kleinen Rissen und Fetzen, in Augenblicken noch einmal, was sich über mehrere Stunden hingezogen hatte.
Er spürte den warmen Körper von Jezebel an seinen Schenkeln und die seichten Sonnenstrahlen des erwachenden Tages, die auf seinen Lidern tanzten. Aber er wollte die Augen noch nicht öffnen, noch nicht. Der Nacht noch einen Moment gönnen. Erhalte die Nacht und verderbe den Tag! Leicht bewegte er sich, er nahm seinen Arm von der Brust seiner Jezebel, bemerkte einen Schmerz am Hals und betastete behutsam seine Quelle. Mit der Bewegung kam ein dumpfer Schmerz, der von den mit Liebe und Hingabe empfangenen Schmerzen zeugte. Musik erklang in seinem Kopf, es waren die Klänge, die er auf dem Sofa bei Nicodemus gehört hatte. Diese wunderschöne Melodie wollte ihn wieder entführen in die Welt der Träume, doch gesellte sich zum Schmerz jetzt auch noch eine Gänsehaut, denn es wurde merklich kälter. Jetzt spürte er, dass die Decke nie auf ihm gelegen hatte, sondern dass es die meiste Zeit das Mädchen gewesen war, die ihn gewärmt hatte. Da bemerkte er, dass die Musik, die sich so sanft und friedlich in seine Gedanken geschlichen hatte real war. Erschrocken riss er die Augen auf und sah Nicodemus in der Tür stehen. Er lächelte zufrieden und besah sich mit einprägsamer Neugier die beiden nackten Körper. Martin schlüpfte sofort unter die Decke, Jezebel, die jetzt auch erwacht war, gab Martin einen Kuss, stand dann auf und begrüßte Nicodemus, ebenfalls mit einem Kuss. „Wir haben drei Uhr!“ stellte der Eindringling fest. Durch einen Blick gab er Jezebel zu verstehen, dass sie nunmehr unerwünscht war. Sie kletterte ein letztes Mal zu ihrer Eroberung ins Bett, übersah dabei die Blutflecken auf den Laken und säuselte ihr mit dieser zarten dunklen Stimme ins Ohr: „Meine Nummer hast Du, ruf mich an, oder sag ihm Bescheid!“ Dann verschwand sie für kurze Zeit ins Bad und als sie wieder angezogen war verschwand sie schließlich ganz. Erst als die Haustüre ins Schloss fiel, begann Nicodemus wieder zu sprechen. Er wandte sich um, wohl hatte er bemerkt, dass es Elidorian peinlich war, und im Gehen sagte er: „Wie hat Dir mein Geschenk gefallen?“ „Ich fand es wunderschön, nur, hat sie das nur gemacht, weil Du ihr es gesagt hast?“
„Nein, sie wollte es auch, jedoch wusste sie das noch nicht. Jetzt weiß sie es!“ Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer und erwähnte auf dem Weg zur Küche: „Zieh’ Dir etwas an, dann komm, ich mache etwas Frühstück, um drei Uhr!“ Elidorian quälte seine noch müden Glieder aus dem Bett, belebte sich wieder mit einer kalten Dusche und folgte dann mit noch feuchtem Haar seinem Freund in die geräumige Küche, die eher an eine Bar und ein Bistro erinnerte. Ein langer Tresen, dahinter wie in einer Spelunke die Getränke und unsichtbar darunter drei kleine Kühlschränke aus denen Nicodemus schon ein kleines Frühstück, besser ein kaltes, spätes Mittagessen hervorgezaubert hatte. Er trat einen Schritt zurück und beobachtete Martin mit etwas Abstand. Dann lächelte er: „An die Bissspuren wirst Du Dich noch gewöhnen, das ist so Ihre Art. Sie will Dir nur zeigen, dass Sie Dich liebt!“ Martin erinnerte sich an den Schreck, der ihm im Bad aus dem Spiegel entgegen geblickt hatte. Sein Körper war übersäht mit blauen Flecken, Mahnmalen an seine Sterblichkeit. Er versuchte zu antworten, hatte jedoch gerade einen Bissen kalten Braten im Mund und verschluckte sich daran. Es dauerte einige Momente, ehe er antworten konnte: „Ich glaube ich mag das beißen. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte mich frei. Es hatte so etwas tierisches und anrüchiges. Außerdem hat Sie so fest zugebissen, dass der Schmerz sich schon zur Lust gesellte.“ Er sah Nicodemus’ fragenden Blick und ergänzte: „Ich bin bei Leibe kein Masochist, aber dieser Schmerz war so extrem, das ich ihn als solchen gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Und da ich keinen größeren Wunsch hatte, als diese Dame einmal zu berühren und mit Ihr zu schlafen war dieser Schmerz der letzte Kick zur ungebändigten Lust! Und schließlich durfte ich es Ihr gleichtun!“ Nicodemus hatte seinem Freund zugehört und schließlich nickte er verständnisvoll. Während Elidorian weiter aß, nahm Nicodemus mehrere kleine Dosen aus dem Vorratsschrank in der Wand und holte aus ihnen verschiedene Kräuter hervor. Diese schloss er in ein Teesieb und brühte Wasser auf. Mit vollem Mund fragte Martin: „Was ist das?“ „Das ist ein Tee, er wird Dich aufbauen aber auch beruhigen.“ „Was ist da drin?“
„Etwas Johanniskraut, Ginkoblätter, Fenchel, und einige wundersame Zutaten, die zu beschaffen mir mehr als nur ein Problem bereiteten. Ein wenig getrocknete Leibesfrucht. Das wird Dir gut tun. Ach übrigens, was ist mit Lisa? Ich meine jetzt, wo Du doch Jezebel hast?“ Elidorian hatte die letzte Ingredienz überhört. „Wieso, Du bist doch auch mit Ihr zusammen.“ „Nur damit ich auf andere Gedanken komme, Du kannst Sie haben!“ „Du redest von Ihr wie von einem Ding.“ „Das ist Sie auch. Ein Stück wildes Fleisch!“ Nicodemus nahm das dampfende Wasser vom Herd und bereitete zwei Tassen Tee. Martin brachte seinen Ärger durch ein weiteres Stück Fleisch zum Verstummen bis schließlich Nicodemus die Stille brach: „Lisa ist hübsch. Hast Du schon mit Ihr geschlafen?“ Martin räusperte sich, dann: „Nein, Sie wollte nicht. Wieso?“ „Nichts was Dich zur Zeit angeht. In drei Stunden kommt Jezebel zurück. Und ich werde nicht hier sein! Macht Euch also einen schönen Abend. Wein steht im Keller, Stephan vom Feinkostladen am Königsplatz kommt gegen sechs Uhr. Er kommt jeden Mittwoch. Also Ihr zwei seid bestens versorgt. Nutze diese Nacht und ich frage Dich: Willst Du die Grenzen durchbrechen, die Dich halten?“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Nicodemus von seinem Freund. Er warf den schweren Ledermantel über und verließ das Haus. Dort war es plötzlich still. Nur noch die verschiedenen Emotionen schienen wie unsichtbare Schwaden durch den Raum zu gleiten. Während des Gesprächs hatte sich die Musik in unhörbare Sphären entfernt. Die Tassen mit Tee dampften noch. Martin probierte und es schmeckte seltsam, so natürlich. Außerdem war es verdammt heiß, dachte Martin, als er ein Glas Wasser trank, um seine Lippe zu kühlen. Nicodemus schloss die Tür hinter sich und trat hinaus in die Einfahrt. Der Schnee lag immer noch recht hoch und es ging ihm gut. Er glitt durch die hüfthohe Schneemauer und machte sich auf zu einem Platz, wo er bisher viel Zeit verbracht hatte. Er hatte sich anfangs gefragt warum ihn der Tod so anziehe, aber die Antwort lag nicht fern. Es war sein Geschöpf.
Ich fühle den Tod in meinen Gliedern, aber er ist mein Freund. Er begleitet mich auf Schritt und Tritt und lächelt mit mir über die, die ihn fürchten, die sein Erscheinen als das Ende sehen. Aber sie wissen es nicht. Wie könnten sie auch, sie sind nur Menschen. Sie haben Angst vor dem Tod, wenn er selber in Erscheinung tritt. Aber ich habe noch nie Angst gehabt. Er ist freundlich und geduldig. Was die Menschen nicht wissen ist, dass der Tod niemanden holen kommt. Nur die, die aus Angst vor dem Nichts den Tod herbeisehnen werden geholt. Aber für den Tod ist das mehr ein sehnsüchtiges gerufen werden. Der Tod ist wunderschön, seine Gestalt irgendwie göttlich, obgleich nur ein Knecht der Liebe und des Hasses. Letzteres ist das Urgefühl aus dem alles entstand, den am Anfang war das Chaos, die Negation der Harmonie. Aber es war keine absolute Negation, es war das ‘Ich bin der Hass und Du bist die Liebe, ich bin das Chaos und Du die Harmonie in mir’. Es ist nicht sinnlos das Leben! Sei ein Narr soll sein das Ziel, wisse alles, lebe viel! Er schritt durch das Portal und suchte das Grab seiner Schwester auf. Davor blieb er stehen. Tief in Gedanken versunken blickte er mit leeren Augen auf das verschneite Grab. Der Wind strich sanft über den Schnee und es schien, als wollte er mit seiner alten fahrigen Hand das Mädchen streicheln, welches hier begraben war. Der Nachmittag war trostlos und grau, nichts deutete auf Leben hin. Es war still und tot. Nicodemus beobachtete starren Blickes einige alte Frauen, die verstreut vor ein paar Gräbern standen. Plötzlich musste er grinsen. Er blickte zurück zu dem Grab und dann schrie er: „ Adio, adio, meine Liebe, ich will Deine Leiche lieben!“ Verstört blickten die Alten von den Grabsteinen auf und besahen mit Misstrauen diesen Mann mit der Schminke im Gesicht. Er lächelte freundlich, jedoch verzogen sich die Linien der Schminke zu einer erschreckenden Fratze aus Schwarz und Weiß. Höflich verbeugte er sich leicht vor den alten Weibern und schließlich verließ er den Friedhof, denn er hatte noch eine Sache zu erledigen. Er sah von fern die Kirchturmuhr. Bald, so dachte er, würde es losbrechen... ...das Inferno brach so plötzlich über ihn herein, dass er vor Schreck die zweite Tasse Tee verschüttete. Es war wieder diese Musik, die ihn so
bezaubert hatte. Schnell wurde er wieder ganz ruhig und er entspannte sich wieder auf dem Sofa. Dort wurde er auch sofort getragen in das Reich der Träume. Aber er hatte einen merkwürdigen Traum... ... durch ein kleines Portal schlüpfte er und verlor plötzlich den Halt, fiel und fiel, doch landete sanft auf einer Ebene, die blitzschnell aus dem violetten Nebel auftauchte. Sie war ewig und endlos setzte sie sich sanftwellig über den nicht vorhandenen Horizont fort. Es bereitete Kopfschmerzen, so lange das nicht existente Ende zu suchen. Der violette Boden schien so weich und sanft, leicht gewellt zog diese Ebene ihre Kreise in die Ewigkeit hinein, um dieselbe zu durchdringen. Immer wieder ragten lila Stümpfe aus dem Boden, umgarnt von dunklem, rosa, stickigem Nebel. Über ihm zogen dunkelrote Wolken rasend schnell vorbei, ohne das er einen Lufthauch spürte. Eine schwache rote Sonne ließ keine Schatten zu, die Stümpfe warfen keine und auch er war nicht mehr fähig, einen Schatten zu werfen. Nebelschwaden begannen auch ihn zu umarmen, die stickige Luft raubte ihm beinahe den Atem, von Panik erfüllt versuchte er sich zu befreien, schaffte es auch, fiel hin und seine Hände versanken in der violetten Ebene. Er vernahm ein kristallklares Lachen, wie aus Glas, es schien von dem Nebelschweif auszugehen. Zitternd und immer noch von stetig wachsender Panik erfüllt zog er seine Arme aus der violetten Masse. Als sie verschwunden waren hatte er sie nicht einmal mehr gefühlt. Ein Seufzer der Erleichterung wollte ihm entfahren, als er seine Arme wieder sah und fühlte, aber er drehte sich herum und sah den Nebel wieder auf ihn zukommen. Mühsam hob er sich auf und begann zu laufen. Der Nebel mit dem glasklaren Lachen, welches nicht absetzte dicht hinter ihm. Immer wieder spürte er einen kleinen Ausläufer an seinem Rücken, Hals oder Fuß, was ihn von neuem antrieb, noch schneller zu laufen. Er lief auf einen Hain aus steil emporragenden Stümpfen zu, bemerkte aber, dass dieser viel weiter weg war, als er gedacht hatte. Als er ihn schließlich erreicht hatte ließ der Nebel ab von ihm. Erschöpft sank er an einem dieser Stümpfe nieder. Sie waren ungefähr so hoch wie die Hochhäuser bei uns, aber sie waren kaum oberschenkeldick. Schwer kam er wieder zu Atem. Erschöpft schloss er die Augen. Doch drangen nun erneut fremde Laute an sein Ohr. Es war ein Knacken und Rascheln,
als würde man Papier knüllen, und zugleich das Knacken von brechenden Eiszapfen. Erschrocken öffnete er die Augen und sah diese Stäbe, wie sie begannen, sich immer enger um ihn zu schließen. Schon waren die Abstände zwischen den Gitterstäben kaum mehr als mannsbreit. Voll Panik stürzte er auf die Begrenzung zu, und schaffte es. Er war hindurch. Aber auch diese merkwürdigen Geschöpfe folgten ihm, wie zuvor die Nebel. Er lief wieder, obwohl er schon recht erschöpft und außer Atem war. Diese Stümpfe folgten ihm nicht lautlos. Es war wie das unablässige Flüstern von Gnomen. Zischelnd und leicht quietschend schwebten sie hinter ihm her. Dieses mal lief er blind durch die Ebene. Er wusste nicht wohin, er sah nur immer wieder zurück, um die Verfolger hinter ihm nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Beine wurden schwer und schwerer. Lange würde er nicht mehr rennen können. Auch musste er immer öfter husten oder schlucken. Der Speichel sammelte sich schon als Schaum in seinem Mund und die Luft wurde immer stickiger, sodass er schon bald mühsam zu hecheln begann, um überhaupt noch Luft zu bekommen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass die Sonne verschwunden war, die rasenden Wolken ihren Lauf urplötzlich gestoppt hatten und das Schwarz heraufzog. Nicht wie hei uns, nein, die Grenze zwischen der Nacht und dem Tag war scharf mit dem Messer gezogen. Die Bedrohung wurde stärker spürbar, schien die Luft zu zerbrechen. Da tauchten einige Gestalten auf. Sie schwebten auf einem Weg, trugen lange, weite Gewänder und bewegten sich auf ein Portal zu. Jetzt erst, da er wieder einen Anhaltspunkt hatte, bemerkte er, das er fiel. Durch unmögliche Bewegungen versuchte er diesen Weg irgendwie zu erreichen, der rasend schnell auf ihn zu kam. Mit einem dumpfen Aufschlag hatte er es geschafft. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und bunte Ringe tanzten vor seinen geschlossenen Augen. Es dauerte einige Momente, bis er wieder zu sich kam, dann aber bemerkte er die seltsamen Gestalten, die sich um ihn versammelt hatten. Er wollte die Gesichter dieser Figuren sehen, griff nach einer Kapuze um das Geheimnis des Gesichtes zu lüften. Ein markerschütternder Schrei, ein abgrundtiefes Brüllen, Hass wurde freigesetzt und die Gestalt hielt sich ihre Klauen vor das freigelegt Gesicht, welches von diffusem Licht erhellt wurde. Da sah er einen
Dolch in der Hand einer anderen Gestalt auftauchen. Er sprang auf und begann zu kämpfen. Er tötete drei dieser Gestalten, sie lösten sich auf, doch dann war er nicht schnell genug... ...und erwachte in Schweiß gebadet und am ganzen Körper zitternd. Die Musik war gerade versiegt, der letzte Akkord hing noch im Raum und ließ eine verstörte Schwingung zurück. Unsteten Blickes verfolgten die Augen die tanzenden Kreise und schillernden Farben, die noch immer vor seinen Augen tanzten. Solch einen Traum hatte er noch nie gehabt. Er war so real, so verdammt normal. Hatte er das Gesicht gesehen? Das Gesicht das ihn tötete? Schwer atmend erhob er sich und stützte den Kopf mit seinen Händen. Nach einigen Momenten, die er in dieser Haltung verharrte, stand er auf und wollte erneut eine Dusche nehmen. Nicht einen Gedanken verschwendete er daran, dass er keine Kleidung mehr hatte, als die, die er auf dem Leibe trug, denn es war ja nicht sein Haus. Er schlich schlurfenden Schrittes ins Bad, zog sich ohne zu zögern in die Dusche und ließ sich zunächst vom kalten Wasser vollständig in die rationale Welt des Denkens zurückholen. Danach begann er den Schweiß abzuwaschen. Das Wasser erfrischte ihn merklich, jedoch blieb ein fahler Geschmack in seinen Gedanken zurück. Nach einigen Minuten war er wieder soweit hergestellt, dass er aus der Dusche stieg. Aber er fand seine Kleidung nicht mehr. Seine Kleidung war verschwunden. Ein Handtuch um die Hüften wollte er in Nicodemus’ Schlafzimmer, um sich mit nachträglicher Erlaubnis etwas zu leihen. Doch was er hier vorfand überraschte ihn. Jezebel war schon wieder da. Irgendwie naiv und ohne Scham stand sie nackt vor dem Spiegel und besah sich ihre Brüste, ihre Schamlippen und wie ihr langes violettes Haar alles zu verdecken mochte. Sie winkte ihm durch den Spiegel zu, er kam näher und sie legte seine Hände um ihre Taille. Er legt den Kopf auf ihre Schulter und einige Wassertropfen tropften von seinem Haar auf ihre Brust. „Mach sie weg!“ Sie blickte ihn lasziv an. Er wollte erst mit der Hand über ihre Brüste streichen, um die Tropfen zu entfernen, sie aber schüttelte beinahe beleidigt den Kopf. Dann drehte sie sich herum und streckte ihm die Brust entgegen. Langsam schlossen sich seine Lippen
um ihre Brustwarzen und mit der Zunge entfernte er nach und nach alle Wassertropfen. „Ich werde Dich erst einmal massieren, Du siehst ja schlimm aus. Hast Du schlecht geträumt? Du bist total verkrampft und steif!“ Sie führte ihn zu dem großen schmiedeeisernen Bett, legte ihn darauf, nicht ohne vorher das Handtuch zu entfernen, kletterte dann, selber nackt auf ihn und begann ihn sanft zu massieren. Er stand vor der Tür und wartete nach mehrmaligem Läuten auf jemanden, der die Tür öffnete. Endlich hörte er leise Schritte auf alten Dielen. Das Schloss knirschte und die Tür wurde geöffnet. Es erschienen zwei kleine Augen, die, als sie erkannten, wer da vor der Tür stand, sich vor Schrecken weiteten. „Lisa, darf ich hereinkommen? Ich muss mit Dir sprechen.“ Zögernd versuchte sie mit scharfem Blick seine Gedanken zu erraten, aber es gelang ihr nicht. Schließlich öffnete sie und gewährte ihm Einlass. Er machte eine knappe freundliche Verbeugung und trat dann ein. Es war eine kleine dunkle Wohnung. Der Hausflur hatte eine schwere niederdrückende Decke und die Tapeten waren von Rauch und dem Ofenfeuer vergilbt. Es roch abgestanden und schon beinahe faul. Aber es war ja auch eine der älteren Wohnungen in der Stadt der Toten. Eine knarrende weiße Treppe führte beide nach oben. Sie war sehr eng und stark gewunden. Von hier aus gesehen war der Teppich im Hausflur fettig, alt und ausgetreten. Nicodemus folgte dem zierlichen Mädchen auf ihr Zimmer. Es war hell und schlicht eingerichtet. Ein kleiner Schreibtisch, eine Schrankwand mit Büchern, Teddybären, Plastikblumen und allerlei Ramsch vollgestopft. Ein kleines Bett, im Vergleich zu dem Bett von Nicodemus war es winzig, zwei Stühle, ein Drehhocker und ein Fernsehsessel, der auf das Fenster ausgerichtet war. Er sah sie fragend an, bis sie erschrocken sagte: „Willst Du Dich nicht setzen?“ Er nahm den Fernsehsessel und wartete bis sie sich gesetzt hatte, ehe auch er Platz nahm. „Wie alt bist Du jetzt?“ begann er das Gespräch. „Achtzehn.“ „War Martin Deine erste Liebe?“
„Ja, er ist meine erste Liebe. Wieso fragst Du mich das? Er erzählt Dir doch sowieso alles. Ihr seid doch so unsagbar gute Freunde.“ Nicodemus schüttelte leicht den Kopf und bemerkte die ablehnende furchtvolle Art in Lisas Worten, dann antwortete er: „Er sagt mir nicht alles. Aber das will ich auch gar nicht. Aber ich glaube, Martin ist nicht mehr an Dir interessiert. Er hat Jezebel bei sich.“ „Lüg mich nicht an, Nicodemus! Ich weiß, dass er mich liebt!“ Er musste leise lachen. „Nicht das geringste weißt Du! Niemand weiß, ob sein Gegenüber ihn liebt. Du kannst daran glauben, darauf Vertrauen, aber niemals weißt Du es. Dazu müsstest Du seinen Schädel aufbrechen und von seinen Gedanken zehren. Gehen wir ins Theater?“ „Was soll diese Frage? Nein, ich bleibe hier. Ich werde Martin anrufen.“ Sie sprang auf und griff nach dem Telefon auf dem Schreibtisch. Nicodemus drückte ihre Hand jedoch mit sanfter Gewalt zurück auf die Gabel. „Er ist nicht zu erreichen. Ich bot ihm mein Haus an, damit er ungestört sein kann, weil Du hast ja einen Schlüssel für seine Wohnung.“ Sie setzte sich wieder und verhielt sich stumm. Nicodemus nahm ebenfalls wieder Platz. Sie starrte in die Leere. Ihr Blick durchdrang Wände und überwand Zeit und Raum. In Gedanken sah sie ihren Freund, wie er sich verwöhnen ließ. Ihr Hände zitterten leicht. Schon rann ihr die erst Träne aus einem Augenwinkel. Sie biss sich auf die Unterlippe, denn sie hatte sich fest vorgenommen, nicht im Beisein dieses Ekels zu weinen. Er blickte sie an, seine Augen waren klar und freundlich, dann erhob er sich, nahm ihre Hand und zog sie zu sich heran. Sie wehrte sich ein wenig, aber ließ es schließlich geschehen. Sie hockte sich auf seinen Schoß und es dauerte keine Minute mehr, da weinte sie bereits laut, ihre Arme um seinen Hals geschlungen. Er nahm sie auch ganz behutsam in den Arm und streichelte sanft über ihre Haare. Sie begann, ihm von den gemeinsamen Momenten zu erzählen, die sie mit ihm verbracht hatte. Er hörte ihr zu, sagte aber nichts. Er streichelte nur ihre Haare. Dabei betrachtete er die Schneeflocken die draußen wieder fielen und vom erwachten Wind hin und her gewirbelt wurden. Nach einiger Zeit als sie nur mehr schluchzte, drückte er sie sanft von sich, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Seine Augen waren klar und warm, irgendwie geborgen. Seine Haare
glitten hinab zu ihren Hüften und ganz leise und langsam begann er zu sprechen: „Lisa, ich glaube es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Soll ich Martin etwas ausrichten von Dir? Hast Du ihm noch etwas zu sagen? Lisa, nun weine doch nicht mehr.“ Seine Stimme tief und warm, voll Zuwendung, jedoch nicht ohne eine emotionale Distanz. Jedoch bemerkte Lisa letzteres nicht. Sie schien angestrengt nachzudenken, ihre Augen starrten verdreht an die Decke und ihre Zunge fuhr über die Lippen, die sich erregt bewegten. Da küsste sie ihn. Er erwiderte den KUSS. Tief sog er ihren Duft ein, wollte sich erinnern können in einsamen Stunden. „Danke, Nicodemus. Ich dachte immer Du wärst ein gemeines intrigantes Schwein. Aber ich danke Dir dafür, dass Du bei mir warst.“ Nicodemus lächelte sie an und in Gedanken war er noch immer bei dem Geschmack, den er noch ganz sanft auf den Lippen spürte. Das Tier hatte die Beute gerochen. Er ließ seine Hände wieder langsam nach oben gleiten, bis sie schließlich auf ihren Schultern lagen. Er lächelte sie leutselig an und zog sie ganz langsam zu sich her. Sie machte die Augen zu und ließ es geschehen. Doch dann sprang sie auf, öffnete die Tür, spähte hinaus, schloss die Tür und drehte den Schlüssel herum. Nun zog sie ihren Pullover aus. „Was machst Du?“ fragte Nicodemus und er hatte Mühe, seine Begierde noch ein wenig zu zügeln. Gleichzeitig erhob er sich von seinem Sessel. Sie stand vor ihm, ihr weites T-Shirt hing über der Hose. Sie nahm ihn in den Arm und schon glitten seine Hände unter das Kleidungsstück, was seine Augen noch von einem Anblick er Blöße trennten. Schon machte sie sich an seiner Hose zu schaffen. Da wich er plötzlich zurück, packte ihre Hände und hielt sie fest. Ernst blickte er ihr in die Augen. Sie blickte verzweifelt. Er drehte den Schlüssel wieder in die andere Richtung, die Türe war wieder offen. Sie küsste ihn noch einmal, aber er blieb kalt. Er setzte sie auf das Bett: „Heute nicht. Du willst nicht mich oder überhaupt jemanden, jedenfalls nicht im Moment.“ Er öffnete die Tür, nahm den Pullover und legte ihn auf den Schreibtisch und verließ das Zimmer. Da stand er wieder auf der engen Treppe, durchschritt den dunklen Flur und trat endlich auf die Straße hinaus. Das weiße Licht blendete ihn zunächst. Der Hunger auf Beute war erloschen. Er war ruhig und in ihm war es ebenso kalt wie um ihn
herum. Er zog den Mantel enger um seinen Körper und ging kopflos und in Gedanken verloren durch die Straßen. Eine selbstmörderische Beute? Nein, so etwas mag ich nicht! Da vergeht mein Appetit! Er drehte sich herum, sah ihr in die lüsternen Augen „Hast Du schon wieder Lust? Lass es uns wieder tun, so wie gestern.“ Sie stand auf und löschte das elektrische Licht. Mit einem Streichholz entzündete sie wieder die Kerzen und bot sich ihm feil.
Die Kirchen schienen den Himmel zu stützen. Eine links und eine rechts. Nicodemus Stahl stand vor dem Augsburger Rathaus, vor dem Weihnachtsmarkt. Das Treiben war fürchterlich gewesen. Die ganze Nacht bis zur späten Stunde waren die Menschen auf den Beinen gewesen, selbst als der Markt selber schon geschlossen hatte, schlurften und hetzten zunächst von einer Bude zur nächsten um zu gucken, kaufen, feilschen, um heißen Punsch zu trinken, etwas zu essen, das einmal eine Wurst gewesen sein soll oder etwas, das aus Kartoffeln bestehen sollte. Man stopfte diese Substanzen, oder wie sie angepriesen wurden, Lebensmittel in sich hinein, dazu Ketchup, Senf oder Apfelkompott, und ohne ein freundliches Wort wurde gedrängelt, gestoßen, manchmal sogar geschlagen. Nicodemus konnte mehrere Male beobachten, wie Kinder von den Müttern, Mädchen von ihren Freunden oder umgekehrt geschlagen wurden. Jedes Mal musste er lächeln, denn es war schließlich die Zeit der Erwartung, der Vorfreude, bald wäre Weihnachten. Das Fest der Liebe. Er hörte noch jetzt die Stimmen derer, die sich stritten. Warum, so musste sich der mit dem weißen Gesicht fragen, warum mussten sich die Familien immer an Weihnachten streiten? Seine Arroganz hatte ihn bisher davor bewahrt, in Streitigkeiten verwickelt zu werden; die Menschen hassten ihn einfach. Er war der geborene Außenseiter. Immer war er derjenige, der zu keiner Party geladen wurde, aber das hatte ihm wenig ausgemacht. Er hatte es zu Geld gebracht und nun konnte er bestimmen, wer seine Nähe teilen durfte. Nicodemus tauchte auf und nach einigen Wochen verschwand er wieder. Am 05.11.1995 kam er in Augsburg an und bezog diese Villa südlich der Stadt. Das große und ehrfurchtsvolle Gemäuer richtete er sich ein und einige Zeit grassierten die wildesten Gerüchte über den Mann mit der Maske. Er sei ein Zuhälter, ein neureicher Snob oder gar ein Wahnsinniger auf der Flucht, kurz: Es dauerte nur kurz und schon war Nicodemus von Menschen umgeben, die er um sich haben wollte. Elidorian, jemand, in den er überaus große Erwartungen setzte, Jezebel, sein ihn schon bald langweilendes Spielzeug und Lisa. Ja Lisa, dieses junge unschuldige Ding. Mit ihr zu spielen, ist so einfach. Aber sie ist zerbrechlich. Jezebel ist der Typ von Frau, die Männer nur nach ihrem Vermögen, Schmerz auszuhalten und nach der Länge des
Gliedes beurteilt, Lisa möchte jemanden mit Intellekt. Sie zieht die geistige Erquickung der körperlichen vor. Dabei ist sie so unschuldig schön. Sie ist klein und von zierlicher Gestalt. Sie hat lange Beine und für eine Dame in ihrem Alter erstaunlich große Brüste. Ihre Wuschelhaare umrahmen ihr Gesicht, das von süßen Lippen gekrönt ist. Ihre Augenbrauen sind nur angedeutet und ihre Augen sind so naiv und unschuldig. Ihre Augen erinnern mich immer an das Leben, an die Schönheit der Farben und an den Frohsinn, der zuweilen in meinem Herzen müßig zu gehen pflegt. Nicodemus verließ endlich die dröhnende Menschenmenge und machte sich auf in Richtung Dom. Es war sehr schnell dunkel geworden, und die Türme waren nicht mehr zu sehen. Vor dem Schwarz aus Stein angekommen nahm er im Schnee vor der Kirche platz und besah sich die nächtliche Natur aus unzähligen Nuancen von hellem Grau bis hin zu tiefstem Nachtschwarz. Dieser Anblick ließ ihn die Aggression die er zuvor auf dem Weihnachtsmarkt verspürt hatte vergessen. Zudem war es hier beinahe vollkommen ruhig. Seine Hände spielten mit dem Schnee. Er formte Schneebälle und ließ sie in seiner Hand schmelzen, das Wasser lief über sein Gesicht. Die Natur ist vollkommen. Gott ist nicht vollkommen. Gott ist der Narr. Die Menschen sind die Wassertropfen auf seinem Gesicht. Da hörte er Schritte im Schnee. Den Schneeball warf er fort, stand auf und dann wartete er: „Du bist ein Wesen, welches wie ich aus der Menge untoten Dahinsiechens heraussticht und auffällt. Ich bin ein Gott. Und Du bist meine Göttin.“ Er stand vor ihr, sein offener schwarzer Mantel und seine Figur versperrten ihr den Weg in die Kirche. Sie blickte zu ihm auf und blickte in seine Augen. Es schien als würde sie in ihnen versinken, denn trotz der Dunkelheit glomm in ihnen ein für menschliche Wesen unbeschreibliches Feuer. Sie war groß, schlank aber sehr kräftig. Ihre langen schwarzen, gelockten Haare umschlossen ihr Gesicht, ihre Hüften gar. Sie trug eine schwarze Lackhose, schwarze kniehohe Stiefel und ein enganliegendes schwarzes T-Shirt, welches die Brüste hervorhob, den Nabel aber freiließ, da es zusammengeknotet war. Ihre Augen hatten die Farbe von tiefem Meer und ihr Gesicht war blass, wie ihre ganze Haut. Die Lippen waren schwarz und mit dieser Farbe
waren die Mundwinkel einen kleinen Strich nach unten verlängert. Sie hätte frieren müssen, aber augenscheinlich tat sie es nicht. Sie schien ihn zu mustern, lange und sehr genau. Dabei legte sie den Kopf auf die linke Seite und blickte ihn kühl an. Der Wind ließ den Mantel lebendig erscheinen, er bewegte sich langsam und schwer im Wind, sein schwarzes Haar tanzte und umspielte sein Gesicht. „Lass mich hinein!“ Er machte ihr, dieser Aufforderung gehorchend, Platz und geleitete sie in die Kirche. „Was willst Du?“ „Ich will Dich lieben und mit Dir leben, denn Du lebst. Wir sind auserwählt, über dem Sumpf des Alltags zu fliegen. Wir sind kein stumpfes Vieh, das bis zum Hals in Dreck und Morast steckt und das alles seine Welt nennt. Wir leben und wir tun was wir wollen!“ Er sagte das mit seiner tiefen Stimme, die in dieser Kirche vibrierte und eine nie verspürte Kraft ausstrahlte, eine dunkle Kraft, die, wenn sie auch träge war, etwas endgültiges beschließendes hatte. Plötzlich rannte er fort, verschwand aus ihrem Blickfeld und erklomm die Stufen zur Orgel. Von der Empore blickte er über die Kirche, dann lachte er und schrie: „Tu was Du willst ist das einzige, das wahre Gesetz! Verdamme die Güte, das Mitleid und die Bescheidenheit!“ Im leeren Dom schallten die Worte und glichen einem Naturschauspiel, wie sie von den Wänden hallten und tausendfach auf die Hexe hereinbrachen, die im Mittelgang stand und nach oben spähte, um seine Umrisse wage erkennen zu können. „Lass mich diese Worte Dir vortragen, Arcana: Böse sind wir Triefende Güte, siecht dahin, die prüde Nettigkeit des Blinden. Lasst die ausgenutzte Seite des Guten hinter Euch! Ich will säen Hass auf die Menschen in Eure Herzen, sollt erfahren Dunkel und extreme Schmerzen, schmeckt das Blut, welches Euch bindet, ihr Euch in dumpfen Qualen windet! So auf denn, lass uns leiden, uns am Verrecken des Guten weiden! Denn wir sind böse und leben unsere Triebe, verdammen die Güte, leben den Hass als Liebe!
Triefendes Mitleid siecht dahin, die prüde Nettigkeit des Blinden. Lasst die ausgenutzte Seite des Guten hinter Euch! Ich will säen Hass auf die Menschen in Eure Herzen, sollt erfahren dunkel und extreme Schmerzen, schmeckt das Blut, welches Euch bindet, ihr Euch in dumpfen Qualen windet! Hinan denn, lass uns sehen! Mitleid wird in unserer Hand vergehen, denn böse sind wir, wir sind die Nacht, Das Böse wurde für uns gemacht!“ Er lachte, verschwand wieder von der Brüstung und tauchte Momente später wieder neben ihr auf. Sie packte ihn an seinen Haaren und zog ihn zu sich. Sie küssten sich, dann verließen sie die Kirche um den nur allzu menschlichen Ordnungshütern aus dem Weg zu gehen. Vor dem Portal, welches sich schwer ins Schloss stürzte, hakte sie sich bei ihm ein und beide schlenderten durch die leeren Gassen. Sie sprachen nicht ein Wort, aber sie sahen sich immer wieder tief in die Augen. Die wenigen Menschen, denen sie begegneten, sahen sie ganz bestürzt an, denn für die liebliche Weihnachtszeit sahen diese beiden Gestalten nicht angemessen aus. Aber das Mädchen lächelte nur, während sich Nicodemus zeitweilig sogar zu einer Verbeugung hinreißen ließ, was jedoch nur dazu führte, dass die Leute um so schneller die Flucht ergriffen. Als die Uhren Vier schlugen hielt sie an: „Wo wohnst Du, mir ist kalt!“ „Wenn Dir kalt ist, wohne ich in einem Haus, wenn Dir heiß ist, auf einem Grab, also, folge mir!“ Sie machten kehrt und gingen wieder durch die Straßen. Jetzt waren da keine Menschen mehr. Alles war ruhig und friedlich. Nur das regelmäßige Klopfen ihrer Schuhe auf dem Asphalt, einige Tropfen und der leise, sanfte Wind bereiteten eine Sinfonie, die für diese Nacht wie geschaffen war. Sie spielte mit der Instrumentierung der Einsamkeit, doch es waren mehr als nur einige Geräusche, die sich im Tuch der Nacht verfingen und einen Klang von sich gaben, es war eine Musik und diese Musik war gleichmäßig und voller Gewissheit.
Hoch über den Dächern lauschten die Sterne der Musik und als die Lampen auf den Tannenbäumen erloschen, waren sie das einzige Zeugnis von Licht in dieser dunklen Nacht auf dieser dunklen Welt. Fahrige Wolkenfetzen huschten an ihnen vorbei und die klirrende Kälte tat ihr übriges für einen atemberaubenden Anblick. Als die beiden schwarzen Gestalten durch die Tür ins Innere des Hauses traten, sahen sie sich das erste Mal bei Licht. Nicodemus blickte ihr gebannt in die unergründlich tiefen Augen und sie schien erst jetzt die Maske so richtig zu bemerken. Sie hob ihre Hand und berührte ganz sanft die weißen Wangen, fuhr dann vorsichtig über die Stirn und schließlich tastete sie über die schwarzen Lippen. Nicodemus öffnete den Mund und seine Zunge berührte ihren Finger mit der Spitze. Sie lächelt ihn an: „Wäschst Du Dich auch ab und an?“ scherzte sie, er aber blieb ernst und freundlich: „Ja, ab und an, aber heute nicht mehr! Möchtest Du ein kleines Nachtmahl? Ich habe einige Kleinigkeiten im Haus!“ Sie nickte und er führte sie ins Wohnzimmer, wo sie auf der Couch Platz nahm. Neugierig sah sich das Mädchen um, während Nicodemus rasch hinter der Bar einige kleine Leckerbissen zusammensuchte. Er richtete einige Delikatessen auf einem silbernen Tablett an, entschuldigte sich dann für einige Momente und verschwand in den für sie unbekannten Räumen. Sie sah noch wie die Tür hinter ihrem Entführer ins Schloss fiel, dann nahm sie der Raum wieder voll in Besitz. Sie musste sich umsehen, außerdem war ihr in ihrer zugegebenermaßen spärlichen Bekleidung nun doch ziemlich kalt. Der Kamin beherbergte ein warmes knackendes Feuer, an dem sie sich zu wärmen begann. Sie betrachtete die Bilder und die Kandelaber mit den Kerzen. Die Teppiche und der Schmuck der Wände, sie war überrascht, dass in einer Augsburger Villa solch unaufdringliche, gediegene und dennoch auf eine verheerende Weise bombastische, gewaltige Einrichtung leben konnte. Diese Stadt ist doch nicht tot. Hier ist noch Leben... „Ich möchte nicht stören, ich muss nur in den Wintergarten, und bitte, bleibt hier, bis ich wiederkomme, tu’ mir den Gefallen, ja?“
„Ich bringe ihn schon auf andere Gedanken, wenn er wieder zu sich kommt, keine Sorge!“ Er hauchte ihr einen Kuss zu und verschwand dann im Wintergarten, kam aber nach einigen Momenten wieder und sagte beiläufig, nach einem Kuss auf ihre violetten Lippen: „Wie findest Du diese Rose? Dies wird übrigens der letzte Kuss von mir sein, Du hast jetzt Elidorian! Ich bin anderweitig vergeben! Also gehe nach dieser Nacht!“ Dann verließ er sein Schlafzimmer und näherte sich wieder lautlos seiner Eroberung, seiner Erfüllung, seinem Schicksal. Sie stand am Fenster und hatte die Arme vor der Brust verschränkt, gedankenverloren blickte sie in das Grauen, welches das reine Schwarz der Nacht zu beflecken begann. Sie erschrak ein wenig, fasste sich jedoch sofort wieder, als Nicodemus das Tablett auf den Tisch stellte. „Eigentlich ist es ja bereits ein Frühstück, aber das soll uns nicht daran hindern, diese kleine Mahlzeit der Nacht zu Ehren, zu genießen. Sie trat auf ihn zu und sah auf kleinen Tellern jeweils aufgeschnittenen Braten, Artischockenherzen, Spargel, etwas Salzgebäck und viele weitere kleine Dinge. In der Mitte stand die Rose und schien auf ungeheure Weise zu leuchten, oder waren die Sinne darauf eingestellt, im Winter keine Rose zu sehen? „Die Rose... wo bekommst Du jetzt Rosen her, und vor allem solch schöne? Und das viele Essen, ich möchte doch nur eine Kleinigkeit! Wer soll das alles essen?“ „Ich wüsste schon wer... Darf ich Dir ein Glas Wein anbieten?“ „Ja, gerne, aber nur roten Wein!“ Er nahm zwei wunderschön geformte Kelche aus einer Vitrine und holte aus der Bar eine Flasche Wein. Er öffnete und goss ihr ein, danach sich selber. Dabei tropfte er ein wenig auf das Tablett, sie lächelte. Die Flasche fand ihren Platz auf der Mitte des Tisches und Nicodemus bat das Mädchen, doch zuzugreifen. Während sie an einem Cracker mit Dipp knabberte, griff der Maskierte mit einem unschuldigen Lächeln hinter sich und entspannte sich erst wieder als die zarten ersten Töne einer wunderschönen Weise erklungen. Zart und ganz sanft umgarnte die Musik die zwei, die sich bei Wein und einigen Kleinigkeiten durch bloßen Augenkontakt überaus reichlich zu verstehen gaben.
Bleibst Du heute Nacht bei mir?“ fragte er mit bescheidener Miene. „Nur für diese Nacht?“ lachte sie ihm als Antwort. Dann erhob sie sich, stand einige Momente regungslos da, bewegte sich dann anmutig und graziös zu der Musik. Einem Engel gleich schien sie zu schweben. Ihr Becken bewegte sich ruhig und gleichmäßig auf eine für Nicodemus gänzlich ungekannte Weise. Fasziniert von ihrem Anblick saß er in dem Sessel und betrachtete sie gespannt. Ihre Augen waren geschlossen und das Haar wiegte sich und zog ihn nun gänzlich in seinen Bann. Tief atmete er ein, als sie sich ihm, nur scheinbar unbewusst näherte. Es roch nach einem unendlich alten, sagenumwobenen und vor allem reinen Öl, welches er selber zwar kannte, aber selbst nicht zu benennen fähig war. Der Duft evozierte die verschiedensten Bilder in seinem Kopf, sodass er selbst sich von dem betörenden Tanz abwenden, die Augen schließen und die Bilder fließen lassen musste, die mit dem Duft in ihm erwachten... Erst tanzten bunte Ringe vor dem Schwarz seiner Erinnerung, dann allmählich wurden diese Ringe zu Blasen aus zartem Rosa. Jede der Blasen enthielt eine Erinnerung, ein Bild, das aus der Nacht und ewigen Tiefe seines Herzens in ihm aufquoll und von dem Duft des Öles getragen platzten sie vor ihm auf, nur Momente. Diese Augenblicke waren so intensiv, als brenne man diese Eindrücke direkt in Nicodemus’ Gehirn. Das Glühende Eisen der Erinnerung. Welch’ ein Duft, oh, was weckst Du Weib in mir? Was bist Du fähig mir zu geben, mir, der ich nur genommen habe in diesem Leben? Dieser, Dein Odem entführt meine Sinne zu den Flecken meiner Erinnerung, die ich nie wieder sehen wollte! Doch nun, da ich sie alle vor mir sehe, meine Gedanken, habe ich das Verlangen, sie in meine Arme zu schließen wie verlorene Söhne... und sie würgen und ihnen das Genick brechen, nachdem sie mich so unendlich lange leiden ließen! Das Blut meiner Erinnerungen benetzt mein Gesicht. Mit der Axt schlug ich sie entzwei, verstümmelte sie, vergewaltigte sie und... Nein, nein, dieser Duft beinhaltete keine Drogen, es ist nur ein alter Freund, etwas besonderes!
So dunkel, so süßlich, die Eigenheiten des Todes und der Einsamkeit sind in diesem Duft vereint! Wohin führt mich dieser Duft, wenn ich die Augen schließe? Tage - vergangen, schwarze Dunkelheit, falle... Da! Schatten im Nichts, wohin, meine Hände zittern, kalt ist mir, denn ich, nein was ist ich, wer soll, wo ist? Was geschieht, was ist mit dieser - wer spricht? Es ist das Obskure vor das ich - Nein! Wohin? Ich will nicht! Nicht wieder dieser Stein! Nicht dies Holz! ...zu spät. Jetzt ist alles wieder da! Da ist es wieder, die Zeit, und der Ort. Eine Kleinstadt, deren Namen ich schon vergessen glaubte. Ein Name der unheilschwanger in meinem Kopf dröhnte. Die stummen Häuser, der See umsäumt von schneebeladenen Bäumen, der Mond, immer wieder von Wolkenfetzen verdeckt; der Wind heulte gedämpft von überall. Die Straßenlaternen beleuchteten die Szenerie mit dem gleichen Licht, wie der Mond es tat. Alles war so einfach. Entweder schwarz oder weiß. Inmitten dieser Szenerie zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Ohne Worte, nur Geschwister, verbotene Liebe und naiver Blick. Streiften sie so durch die Nacht. Man suchte sie bestimmt. Sie trug die rote Jacke, die sie an diesem Tag geschenkt bekam. Es war ihr Geburtstag. Mit einem Lächeln wagte sie sich auf das Eis und rutschte auf ihm. Vorsichtig glitt sie immer weiter hinaus. Der Wind hielt den Atem an. Die Bäume seufzten noch ein letztes Mal schwer, dann schwiegen auch sie. Abrupte Stille, dumpfes Schweigen. Noch heute, jetzt in diesem Moment, höre ich das Knacken, das leise Knirschen, das Klirren, als stoße man zwei Kristallgläser aneinander. Es war so laut. In jenem Augenblick übertönte es jeden Klang, der jemals gehört wurde. Sie hörte auf zu lachen, ihre Züge wurden erst ernst, dann ungläubig und langsam entstellte sich ihr schönes Gesicht durch die Maske der panischen Angst. Ganz behutsam glitt sie, ohne Laut, in das Wasser des Sees, das Eis knackte nun nicht mehr. Es war kalte Stille, die nun auf allem lag, auch auf mir. Es dauerte Ewigkeiten, bis sie das erste Mal
völlig unter das Eis tauchte, aber es war nur der Bruchteil eines Moments, dann krallten sich ihre Hände lieblich und bescheiden in das Eis - ein sanft geäußerter Wunsch nach Leben - rutschten ab, versanken, erschienen wieder auf dem Eis und versuchten es erneut. Jedes Mal, wenn sie über Wasser war fixierte sie mich mit ihren Augen. Ich weiß, was sie mir sagen wollte, aber die Kälte schnürte ihr die Kehle zu und sie brachte keinen Laut hervor. letzt hörte ich wieder etwas, ja, es war das geduldige Plätschern des Wassers, das wie ein Wolf geduldig auf seine Beute wartet. Unendlich geduldig und gnadenlos langsam schloss er seine kalte Hand um diesen unschuldigen, jungen Körper. Sie, sie hatte doch nichts getan! Ihr Atem kondensierte in der Luft und er stieg so friedlich und ruhig auf. Zu schnell verflüchtigten sich die kleinen Wölkchen in der klaren Luft dieser kalten Nacht. Ihre Augen starrten mich an, sie hatten bereits nicht mehr das wärmende Feuer inne. Ich sah diese Augen ganz nah vor mir, als hätte ich ihr Gesicht berühren können, doch sie war weit weg. Ihre Augen wurden glasig und begannen sich zu leeren. Ein letztes Mal krallte sie sich an das Eis, ganz behutsam, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Das Eis brach wieder. Diesmal veränderte sich der Ausdruck in ihren Augen schlagartig. Er war so klar und so unsagbar friedvoll. Sie hatte den Apfel gebissen und gab sich nun der Schlange hin. Ein letztes Mal streckte sie ihre Hand mir entgegen, dann war sie verschwunden. Das Loch was vom Gewicht der Menschlichkeit in den See gerissen worden war begann sich langsam zu schließen. Das Loch in dem meine Schwester spielte, und starb. Ich stand am Geländer und hielt meinen Kopf geneigt, meine Handschuhe hatte ich ausgezogen und in die Jacke gestopft. Meine Finger klebten ein wenig an dem kalten Eisen der Begrenzung. Ich sah meine Schwester und ich war... fasziniert von diesem Anblick! Stumm und regungslos war ich und ich war leer. Völlig leer begann ich, jeden Moment, jeden Bruchteil eines Augenblicks in mich aufzunehmen. Ich sah wie sie versuchte, am Eis halt zu finden. Ihre Augen, ihren Mund, einfach diese Szene. Sie brannte sich in mein Gedächtnis. Sie ätzte sich in meine Träume und meißelte sich in mein steinernes Herz. Ich stand nachdem sie verschwunden war noch lange da, das Eis war
bereits wieder makellos, als der Morgen anbrach. Ich ging nach Hause und musste mir eine Standpauke anhören. Aber wo meine Schwester war, das verriet ich nicht! Seit dieser Zeit habe ich mir den Tod meiner Schwester immer wieder angesehen. Vor meinem geistigen Auge. Es war wie ein Bilderbuch für mich, jeder Augenblick eine Seite. Es war ein dickes Buch, denn dieses Spektakel dauerte beinahe zwei volle Stunden. Dann war das Eis wieder makellos. Irgendwann konnte ich die Inschriften, die in meine Seele gebrannt wurden vergessen. Verdrängen. Ich wollte sie vergessen, denn ich lud Schuld auf mich. Oh, Du verdammtes Weibsstück, warum hast Du das getan! Es waren doch noch zwanzig Tage! Wieso bringst Du diese Bilder schon jetzt, Du Engel der frühen Rache! Das Öl, sie hat es immer an ihrer Haut getragen. Ein alter Mann hat ihr ein Flakon gegeben! Er schlug die Augen wieder auf. Er saß noch immer in seinem Sessel, das Mädchen zu seinen Füßen. Auf ihren Armen, welche ihrerseits auf seinen Schenkeln ruhten, lag ihr Kopf. Ihre dunklen Locken bedeckten ihr Gesicht und strichen sanft über ihre Beine. Vorsichtig legte er seine linke Hand auf ihren Kopf und begann sie zu Streichern. Mit der anderen wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn. Die Sonne schien beinahe waagrecht durch das große Fenster. Unzählige Diamanten strahlten aus dem reinen Weiß des Schnees. Ihr Haar wirkte ausgebleicht von der gleißenden aber doch kraftlosen Sonne. Es war elf Uhr, nicht ganz. Seine Kleidung war feucht, klebte an seinem Körper. Er atmete schwer und seine Hände zitterten. Aufstehen wollte er nicht, konnte er auch gar nicht. Er wollte dieses Mädchen nicht wecken, noch fand er die Kraft. Er schloss wieder die Augen und versuchte noch ein wenig zu schlafen, denn sein Traum war aufwühlend und anstrengend gewesen. Er fühlte sich nicht gut. Der Schlaf war dieses Mal erholsam. Der leichte Druck auf seinen Oberschenkeln verschwand. Er bemerkte es jedoch nicht. Er schlief tief und träumte einen hellen, kalten, fruchtlosen Traum.
Die Sonne war aus dem Fenster verschwunden, stand nun über dem Haus, diffuses Licht erhellte das, was früher einmal Tag war. Von Wolken aschgrau verwaschenes Licht versuchte, dem Schnee seine Reinheit zu nehmen. Kurz sah sich Nicodemus um, sie war gegangen. Ein Hauch ihres magischen Odeurs lag noch in der sonst leicht stickigen Luft. Missmutig warf er seine Kleidung fort und nahm eine Dusche. Als das Wasser über seinen Körper rann, atmete er tief und langsam, ebenso langsam schloss er die Augen. Sein Kopf sank ihm auf die Brust. Nun reichten sie ihm bis an die Hüften. Das Wasser war klar und sauber, als es im Abfluss verschwand. Niemand sah das Salz seiner Tränen und die Schwärze seiner Gedanken, seine Müdigkeit und seinen Hass, zumindest einen kleinen Teil davon. All das wusch das Wasser mit sich fort. Irgendwann wurde das warme Wasser weniger und Nicodemus schreckte von der Kälte auf. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, zog er sich wieder an. Er wählte die feinsten Stoffe aus seiner Garderobe. Die Hose war ein Original von achtzehnhundertdreiundachtzig, ein dazu passendes Hemd und Weste, darüber ein Gehrock der Mode des ausgehenden neuzehnten Jahrhunderts angepasst. Ein schwarzer robenähnlicher Mantel mit hohem Kragen komplettierte das Ensemble. Eine Metallspange hielt die Haare zusammen. Er schlüpfte in Lederschuhe mit einer großen Zierschnalle, nahm sich die Handschuhe, Spazierstock und Zylinder, um sich so vor dem Spiegel zu betrachten. Mit wuchtigen Schritten war er beim Schlafzimmer, öffnete die Tür und betätigte den Lichtschalter. Zwei Gestalten zuckten im Bett zusammen. „Der Morgen ist gegangen, die Liebe auch! Steht auf!“ Er zog an der Decke, und bekam sie vor ihr zu fassen. „Wie kann man nur so taktlos sein?“ schrie sie ihn an, sich die Decke zurückerobernd. Nicodemus legte den Kopf auf die Seite und sah die Dame mit den violetten Haaren etwas verwundert an. „Was ist? Du hast Dich doch sonst nicht so geziert.“ Er richtete seinen Stock zuerst auf die Decke und ließ ihn anschließend auf Elidorian zeigen. „Ich glaube er friert.“ Langsam kam er näher, bis er an der Bettkante stand. Sie war bis an die Wand zurückgewichen. Elidorian blieb stumm, seine Miene ausdruckslos. Nicodemus beugte sich vornüber und stützte sich mit der
freien Hand auf die Decke. Blitzschnell packte er zu und riss ihr die Decke wieder aus den Händen. Er blieb still und starr, seine Augen weiteten sich, nicht ohne ein schmales Lächeln zu bereiten, er ließ die Decke zu Boden gleiten. Er drehte seinen Kopf ein wenig, sein Blick blieb aber auf ihren Brüsten haften. Erst nach einigen Minuten glitt sein Blick an ihrem Körper hinab und dann wurde ihm alles gewahr. Er sah das Blut auf dem Laken und auf Elidorians Armen, seinen Beinen, seinem Glied. „Ja, ja, in den Proben zu Dantons Tod am Stadttheater sagte Robbespierre: Jesus hat sie mit seinem Blut erlöst, jetzt erlöse ich sie mit ihrem eigenen!“ Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Elidorian, zieh Dich an, ich will durch die Stadt gehen. Jetzt!“ Damit verließ er wieder das Schlafzimmer und wartete in seinem Ohrensessel auf Elidorian. Dieser litt noch an den Folgen dieser Nacht, sein rechter Arm tat ziemlich weh und seine Gedanken schienen von Nebel eingehüllt. Noch immer roch er den Schweiß, das Blut, spürte die Haut, die Flüssigkeiten darauf, sah nur verschwommen in die Wirklichkeit. Das kalte Wasser erst brachte ihn zurück. Hernach zog er sich irgendetwas an, er wollte Nicodemus nicht enttäuschen und schlich zu diesem ins Wohnzimmer. Dort erwartete ihn bereits ein nervöser und recht gereizter Nicodemus, und ohne ein Wort verließen die Männer das Haus. Schweigsam gingen sie auf den Stadtkern zu. Neben Nicodemus hergehend fragte Elidorian: „Sag mal, ist irgendetwas?“ Aber Nicodemus schwieg. Ohne den Kopf zu heben ging er weiter. Mit einem Mal blieb Martin stehen. Er hielt Nicodemus am Arm und riss ihn herum. „Ich gehe nicht eher weiter, bis Du mir sagst, was los ist! Du scheuchst mich aus dem Bett, nimmst mich mit Dir und Du bist heute so anders!“ Nicodemus verzog keine Miene, seine Mundwinkel starrten nach unten, die Augen brannten von einem bösen Feuer. Mit der rechten Hand kratzte er sich an der Nase, dann musterte er Elidorian von den Schuhen bis zu den Haaren. „Ich bin heute anders als sonst?“ fragte er ruhig, dabei griff er in seine Hosentasche und holte etwas daraus hervor, ohne jedoch zu zeigen was es ist. Es war in seiner geschlossenen Hand und er hielt es hoch, während er Martin mit seinen Blicken förmlich
durchbohrte, verbrannte und völlig ruhig, so verdächtig ruhig wie die Ruhe vor dem Sturm, zu ihm sagte: „Gestern ist etwas passiert, was ich nicht zu glauben gewagt hatte, ich habe ein Gefühl in mir entdeckt, dass ich mit meiner Schwester begraben glaubte, aber es war wieder da, so heftig und so überwältigend, dass ich mich nicht wehren konnte, ich war die Nacht über wie gelähmt, und nun ist sie weg, nur das hier ist mir geblieben, sieh’ her!“ Vorsichtig öffnete seine mit einem Lederhandschuh bewehrte Hand. Zuerst war nichts zu sehen, aber dann wurde es sichtbar, es war ein stark gelocktes Schwarzes Haar! Fragend blickte Elidorian in Nicodemus’ Feueraugen, er verstand es nicht. Nicodemus schüttelte resignierend lächelnd den Kopf, legte seinen Arm um seines Freundes Schulter, zusammen setzten sie seinen Weg fort. „Ich habe sie gestern zum ersten Mal mit den Augen gesehen, solch ein wundersames Geschöpf sie war, ich war bisher der Überzeugung, nur in den Vororten der Hölle lebten solch’ schöne Wesen, aber sie ist hier... Natürlich besteht die Möglichkeit, dass Augsburg der Vorort zur Hölle ist, aber dies halte ich für unwahrscheinlich. Nur ich will, nein, ich muss sie wiedersehen!“ „Und was soll ich dabei?“ „Ich weiß es nicht. Komm!“
Die Musik war ohrenbetäubend, die Bässe dröhnten und ließen einige Bilder an den Wänden gefährlich vibrieren, die Höhen kreischten und drohten, die Fenster zerspringen zu lassen. Eine wunderschöne Stimme sang gerade im Moment: „Pie Jesu Domine; Dona eis requiem!“ Die Nacht war schwarz und selbst der Schnee war von jener lastenden, schweren Dunkelheit erdrückt worden; lag nun, überzogen von Schatten auf einer Erde, die Angst litt, unter der weißen Last zu erfrieren. Die Wolken, die im Laufe des Tages aufgezogen waren, blieben unkenntlich, die Schwärze da draußen schien die Wirklichkeit zu verschlucken. Vor den Fenstern gab es nichts mehr, und der, der es in der Hand hatte, war gleichgültig darüber, ob diese Schwärze, dieses Nichts, diese Leere auch das Haus verschlingen sollte, denn in seinem Herzen hatte sich diese Nacht bereits ausgebreitet. „Früher dachte man, ein Dämon würde die Sonne verschlingen und es würde Winter... Mit dem Winter endet die Welt. Der Winter ist das Ende, das, vor dem sich die Menschen fürchten, und doch liegt die Stunde der Erlösung - ja, genau, das Weihnachtsfest, die Geburt des Christus - liegt in genau dieser Zeit! Menschliche Wege sind wirklich sonderbar! Menschlich? Ja hast Du denn geglaubt, es wäre wirklich Gottes Sohn? Jesus? Nein, ein Dummkopf, ein Narr! Das kann ich sagen, weil ich ein Sohn Gottes, weil ich ein Gott bin!“ Nicodemus sah sich um und ging mit langsamen Schritten zum Badezimmer. Seine tiefe Stimme schien immer noch majestätisch durch den Raum zu hallen. In der Badewanne hatte es sich Martin gemütlich gemacht, und obwohl bereits die großen Spiegel beschlagen waren und das Wasser dampfte, Martin zitterte immer noch. Beinahe wie eine Ewigkeit erschien Elidorian die Zeit, die er mit Nicodemus in der Kälte verbracht hatte. Bis spät in die Nacht hinein verharrten sie vor der Kirche, nachdem sie nur kurz, viel zu kurz für Elidorians Geschmack, in einem Antiquitätenladen verweilt hatten. Seine Glieder waren beinahe starr gefroren und nun versuchte er sich, bisher leider vergeblich, aufzuwärmen. Nicodemus trat an die Wanne heran: „Ich habe noch neunzehn Tage, dann ist es zu spät. In neunzehn Tagen muss ich sie finden, versteh’ mic
h bitte, es ist sehr wichtig. Mit ihr kann ein Fluch von mir genommen werden!“ Die Musik ließ nach. Doch nach einigen Momenten begann sie von neuem mit dem Satz: Nur als bess’rer und höh’rer Mensch hast Du Daseinsberechtigung, sonst bist Du faul und krank... und verdienst den Untergang! Das Wasser war klar. Verschwommen war Elidorians Körper zu erkennen. Nicodemus tauchte seine Hand in das Wasser, blitzschnell und so überraschend, dass Martin erschrocken zurückwich. Wasser spritzte aus der Badewanne heraus. Die Hand berührte Martins Schenkel. Sie war kalt. Mit blitzenden Augen und einem teuflischen Lächeln auf den Lippen sah Nicodemus seinen Freund lange an. Die tiefen Augen wollten den Freund verschlingen. „Du hast ihr wehgetan.“ „Wem?“ „Dem Stück Fleisch! Dies lila. Sie hatte erstmals Angst und Schmerz in ihren Augen! Was hast Du mit ihr gemacht? Bei hat sie noch nie so stark geblutet!“ Elidorian senkte die Augen und rührte sich nicht für einen Moment. Irgendetwas hatte ihn ergriffen, es wurde kalt, aber das Wasser dampfte immer noch. Heftig wollte er sich vom Griff seines Gegenübers lösen, dieser ließ ihn auch sofort los, zog seine Hand zurück, Ruhe kehrte in die Wasser. „Es ist seltsam... das Wasser ist so klar, und doch vermag man nicht, zu erkennen, was es unter seiner Oberfläche vor uns verschlossen hält. Obwohl man ahnen kann... Aber so ist das Leben. Wir suchen mit unserem Geist und unserem Herzen Antworten auf das, was unsere Augen nicht verstehen.“ Über diesen Themenwechsel erstaunt, legte Martin seine Stirn leicht in Falten, Unverständnis stand groß in seinen Augen. Nicodemus schien das Wasser zu streicheln, dabei wiegte er den Kopf langsam hin und her, seine Lippen summten eine stumme Melodie; seine Maske erschien Elidorian nun das erste Mal merkwürdig. „Was empfindest Du, wenn Du in den Spiegel blickst?“ wollte er von seinem Freund wissen. Der Maskierte hielt inne in seiner Bewegung, das Wasser zu liebkosen. Hörbar sog er die Luft ein, hob den Kopf und
fixierte Elidorians Augen. Doch der Ausbruch der Gefühle blieb aus. „Seit wann trägst Du diese Maske?“ Die flache Hand trieb das Wasser auseinander, so stark, dass für einen kurzen Augenblick der Penis von Martin zu sehen war. Nicodemus richtete sich auf, seine Brust hob und senkte sich, seine Augen blitzten böse. Die Grenze wurde überschritten! Mit einer schnellen Bewegung war Nicodemus Hand an seines Feindes Hals, zog den Kopf unter Wasser und hielt ihn dort. Schreckengeweitete Augen starrten ihn flehend, um Luft ringend an... Schließlich gab er nach. Seinen Schreck bewältigend, von der Panik und der Hand des soeben noch nahen Todes geschüttelt atmete Martin tief und schnell. „Hass! Diese Maske besteht aus nicht als Hass! Ich habe sie mir gegeben, für... die Tat!“ „Ist es Rache... Rache an Dir?“ „Rache,“ spie Nicodemus aus, „Rache ist etwas seltsam faszinierendes.“ Er setzte sich auf den Rand der Badewanne, während Martin seinen Hals massierte und tief atmete. „Nemesis, meine Göttin Nemesis. Die schönste Götterfigur aller Zeiten. Dies irae, der Tag der Rache. Ich toleriere jede Rache, für die meine Nemesis Vergeltung zu erlangen vermag! Nein, keine Rache an mir... eher ein Mahnmal!“ Er reichte seinem Freund ein Handtuch und verschwand dann wieder zurück in das Wohnzimmer. Dort ließ er die Musik versiegen. Die letzten Worte: Nur als bess’rer und höh’rer Mensch hast Du Daseinsberechtigung, Sonst bist Du faul und krank... und verdienst den Untergang! „Darf ich Dir etwas vortragen? Ich schrieb es, es ist aus einem Theaterstück, welches ich seit einiger Zeit bearbeite.“ Nicodemus ließ sich in seinem Sessel nieder und nickte zustimmend mit einem wohlwollenden Lächeln auf den schwarzen Lippen. Elidorian, nur ein Handtuch um seine Lenden, dieses mit einer Hand haltend, mit der anderen theatralisch ausholend räusperte sich und begann: Wollt, dass mir ein freier Mann, aufrecht und stolz In die Augen zu sehen würde wagen Doch niemand der lebend’gen Fleisches sich zeichnet vermag dies Wunder bei mir zu tun
Niemand, der auf sich hält das Geringste, sei’s nur Leid und Schand’ „Bei diesen Worten holte Elidorian mit beiden Armen weit aus, so dass er plötzlich nackt vor seinem Freund stand. Jedoch war er so vertieft in seinen Text, dass er diesen Umstand nicht wahrnahm. Denn bin doch ich der Schänder, der Liebende durch Leid Gedrängt dazu, mein erbittert Schauspiel abzulegen und zu handeln Man bezichtigt sich keiner Fehler, es ist dies mein Wille Ich, der Schänder will mein Glied in sie fahren Meine Zähne sollen sie reißen Auf die Knie, ich elender Schänder Deiner selbst und Schönheit Ich werde meine Lippen auf Deine pressen und auch meine Zähne Sie werden Dich nehmen und blutig stoßen Denn... Jäh wurde Elidorian von Nicodemus Gelächter unterbrochen. Mit ungläubigen Augen sah er Martin an und fragte ihn: „Du hast sie in ihre Scheide gebissen? Deswegen hat Jezebel so geblutet wie ein schwarzer Hahn auf dem Opferaltar! Du hast, so glaube ich, Hamlet falsch verstanden!“ Jetzt erst bemerkte Elidorian seine Erektion und dass sein Handtuch nicht mehr an seinem behütendem Platz war. Erschrocken hob er es auf und ließ seinen Freund für einige Momente mit dessen Gelächter allein, während er sich etwas überzog. Als er den Raum wieder betrat hatte sich Nicodemus wieder beruhigt und saß mit amüsierter Miene in seinem Sessel. „Hamlet?“ fragte Martin, dessen Kopf rot war und seine Erektion vermochte er auch nicht so recht zu verbergen. Aber diese versuchte er durch das Übereinanderschlagen der Beine zumindest etwas zu kaschieren. „Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen! Hamlet, dritter Akt, zweite Szene. Nur, von zubeißen stand da nichts!“ Martin verzog das Gesicht zu einer gelangweilten Grimasse. Er lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster, seine Augen fixierten einen Punkt, weit im Nirgendwo der Träume.
Mit einem Ruck holte sich Elidorian selbst wieder in die Wirklichkeit zurück. Gespannt sah er seinen Freund an. „Was hältst Du von dem Stück, welches ich Dir vorgetragen habe? Jetzt mal abgesehen von der Darbietung, die zugegebenermaßen... misslungen ist.“ „Es war recht pathetisch für diese Zeit, aber es war gut. Und Dein Vortrag war auch gut, er unterstrich die Theatralik, die in diesen Deinen Worten lag. Und die Erektion, ich denke, Du hast nicht vor, dieses Stück nackt zu präsentieren, oder?“ Martin schüttelte den Kopf. Seufzend stand er auf, ging an das Fenster und blickte hinaus, die Arme auf dem Rücken gehalten. „Wieso hast Du nur noch neunzehn Tage?“ „Das ist meine Angelegenheit. Es reicht, zu wissen: Neunzehn Tage!“ Elidorian antwortete nicht, er schien in Gedanken versunken. Er legte seinen Kopf in den Nacken, atmete langsam, tief ein und aus. Seine Augen waren geschlossen. „Warum bist Du ein Gott?“, begann er, „Was ist ein Gott? Eines ist klar, ein Gott ist keinesfalls allmächtig... oder, wenn er es doch ist, dann ist er grausam und von einer triefend bösen Schwärze, die fern von menschlichem Vorstellungsvermögen liegt. Nur hätte er dann auch all’ die schönen Dinge auf dieser Erde geschaffen? Ein Gott muss also etwas besonderes sein! Aber muss dieses Besondere auch real sein, oder muss es nur in den Köpfen derer existieren, die ihn anbeten, an ihn glauben... ihn fürchten? Die Menschen machen aus einem Gott das, was sie gerne fürchten oder verehren wollen. Die Götter sind die wahren Diener, sie befriedigen nur das Bedürfnis nach Schutz von außen, denn sie wissen nicht, dass in jedem Mensch ein Gott wohnt.“ „Sie schlafen“, fuhr Nicodemus fort, „und die meisten werden und wollen nicht, niemals, um keinen Preis erwachen. Sie haben Angst und diese Angst macht uns zu dem, was wir sind... eben Götter. Jeder, der denkt ist ein Gott. Auf der Erde denken vielleicht wenige hundert. Man hat Angst davor, zu denken. Man wird aus der Gemeinschaft der Menschen ausgegrenzt. Aber es gibt trotzdem zwei unterschiedliche Typen von Schlafenden: Die eine Sorte schläft um des ewigen Schlafes Willen. Ja, nicht aufwachen, das ist nur noch eine Last für dieses erbärmliche Leben! Solche kann man aufwecken, aber sie drehen sich sofort herum und setzen alles daran, weiterzuschlafen. Die anderen
haben sich in einen Dämmerschlaf vorgewagt. Nur der Ruck zum Erwachen fehlt ihnen, da benötigen sie Hilfe! Die einen lassen sich regieren und ihnen ist es egal, wer oder was über sie herrscht, die anderen treffen Entscheidungen!“ Martin trat von der spiegelnden Fensterscheibe zurück, ganz langsam. Er ging auf Nicodemus zu, ging vor ihm in die Hocke und sah ihn durchdringend an. ...diese Augen sind so dunkel. Selbst in der Nacht würde man diese Augen wegen ihrer durchdringenden Schwärze überall erkennen. Sie sind so... so voll von dem, was ich bisher nicht kannte. Leben. Er hat gelebt. Er hat das alles erlebt, was ich auch erleben will. Leid, Schmerz, Extreme und Grenzen dessen, was die Menschheit auf diesem Planeten betreibt, Siechtum. Die Menschheit siecht, Nicodemus lebt, Liebe, Trauer, Lust, Leidenschaft, Kraft, das alles ist sein! Er ist ein Gott, ja er ist ein Gott... ...seine Augen waren einst so unschuldig, so naiv. Die Augen eines Kindes, während es einen wunderschönen Traum durchlebt. Und jetzt? Was ist aus diesen Augen geworden? Ganz tief in ihnen, man sieht es kaum, aber man ahnt es, ich ahne es, in ihm, ganz tief, da brennt etwas. Ich habe das Streichholz der Erleuchtung auf ihn fallen lassen. Und er scheint brennbar, brenne, du kleiner lodernder Funke, suche Dir die Vergangenheit dieses Menschen und verbrenne sie, setze sie in Flammen! ...in seinen Augen brennt dieses Feuer, diese Flamme, so unendlich schwarz, die Flamme des Lebens, sie lockt mich, ich liebe sie... ach könnte ich mein Feuer an ihr entzünden! Dieses gigantische Feuer, dieses mächtige Feuer, der Funke Gottes, den trägt jeder, aber nur wenige vermögen, ihn zu erhalten und schließlich zum Brennen zu bringen... „Bin ich Deinesgleichen?“ fragte Elidorian seinen Freund. Ein schmerzlicher Unterton, so als befürchte er, dass er es nicht sein könnte, legte so viel in diese drei Worte, dass sie allein das ganze Haus zum Schwingen brachten. „Ich weiß es nicht, aber in Dir ist dieser Funke! Und diesen müssen wir entzünden! Erst wenn das passiert ist, dann wissen wir mehr! Aber ich bin müde, lass uns schlafen gehen!“ Vorsichtig erhob sich Nicodemus
und wollte mit Elidorian ins Schlafzimmer gehen. Aber dieser hielt ihn zurück. „Das Bett dürfte noch voll... Blut sein.“ „Nein. Jezebel räumt so etwas immer weg. Komm, bleibe diese Nacht bei mir, teile die Nacht mit mir und das Bett.“ Der Mond stand in herrlichem zartrot, als er sich dem Horizont näherte, und dieser Schein konnte für wenige Momente die klirrende Kälte vergessen machen. Einzelne Wolkenfetzen dümpelten über den Himmel und der Wind schlief friedlich zwischen den Bäumen. Diese unterhielten sich leise über zwei Wesen und eine wundersame Begebenheit, die sich bereits vor dem Mond abzeichnete. Die Geburt des Messias würde in wenigen Tagen gefeiert werden. Doch ein dunkler Schatten lag bereits jetzt über diesem Tag. Die Bäume wussten davon, denn der Wind hatte ihnen die Geschichte erzählt.
Es war eigentlich kein Morgen. Es war keine Dämmerung, kein Anbruch des Tages. Es war ein Hineinschleichen desselben durch die Hintertür, er kam, unmerklich, als sei er da, seit Anbeginn der Zeit, und vor einem Augenblick war noch Nacht. Es war keine richtige Sonne am Himmel, es waren keine richtigen Wolken, und irgendwie war nichts richtig. Alles war falsch. ...konnte doch kein Tag sein, der erlebt werden kann! Aber wer würde diesen Tag schon bewusst erleben ? Die Leute da draußen etwa? Nein, für sie ist das ein Tag wie jeder andere, einer unter vielen, aber... kein Tag ist wie ein anderer! Aber das ist für das Leben da draußen nicht ersichtlich... Verschlafen blinzelte Nicodemus in diesen Morgen, dessen diffuses Licht das Zimmer erhellte. Mit noch fahrigen Gesten wischte er sich einige Strähnen aus dem Gesicht, reckte seine Glieder und erhob sich vorsichtig, um seinen Freund nicht zu wecken. Er stieß einen lautlosen Schrei aus und zog sich einen Morgenmantel an. Mit diesem schlich er in das Bad und bereitete sich für diesen Tag vor. Er wusch sich und kämmte das Haar. Danach kleidete er sich ganz in schwarz, das Hemd aus Seide, die Hose aus Leder. Als er fertig war, ging er spazieren. Sein Weg führte ihn wieder zur Kirche, dort holte ihn die Vergangenheit wieder ein, er musste wieder an dieses Mädchen denken. An dieses wundervolle Geschöpf, welches ihm viel zu schnell wieder entkommen war. Dieser Umstand ärgerte ihn, und um seinen Geist frei von diesen unnötigen Aggressionen zu halten, streifte er wie ein Wolf durch die Gassen und Viertel von Augsburg, vorbei an der gewaltigen Stadtmauer, die Schwedenstiege hinab und wieder zurück in Richtung Innenstadt. ...Oh ja, ja, das ist es, das ist die Stadt Augsburg, wie ich sie so sehr von Herzen hasse: Der Gestank von Motoröl, Abgasen und Fabriken, so klebrig und rußig. Darunter ist nur noch ganz schwach die Note von vermodernder Erhabenheit der Geschichte zu riechen, eigentlich gibt es diese schon gar nicht mehr. Sie wurde erschlagen vom schweren Gestank der modernen Zeit. Augsburg riecht einfach speckig und bedrückend, seine Atmosphäre ist die grauer Monotonie, ähnlich der Atmosphäre in einem Raum dem der Tapetenwechsel seit je her versagt worden war. Dieser Gestank lag über allem und jedem und legte selber
eine graue verwaschene, nicht wirklich greifbare missmutige Stimmung auf die Dächer, die diese Last auf die Herzen der Menschen übertrugen. Diese Herzen waren einfach Grau. Nicht schwarz, und sie waren schon gar nicht weiß! Zu dem Gestank der Moderne gesellt sich der erstickende Gestank von Urin und der süßliche Geruch von vermoderndem Menschenfleisch, Schweißgeruch vermischt sich mit scharfen Rasierwassern, rosa Wolken aus Parfüm, Moder oder Waschmittel steigt aus Hemden, Röcken, Blusen, von irgendwoher steigt zähes, lauwarmes Essen in die Nase, undefinierbar... irgendwie verdorben. Schwaden aus Worten und Gestank dringen aus den Fenstern ins Freie, um die Luft zu verpesten, um die Erde mit diesem Pesthauch zu überziehen. Gestank dringt aus Schornsteinen, Fabrikschloten, Menschen, Abfalleimern, der Gosse und den Kaufhäusern, den Supermärkten und Wohnungen. Augsburg stinkt zum Himmel! Aber da war noch mehr. Erst wusste ich nicht was fehlt, als ich diese Stadt das erste Mal betrat, so zog ich ziellos durch diese Stadt, auf der Suche nach ich weiß es nicht, getrieben von dem unwiderlegbaren Wissen, etwas gilt es zu finden. Ein paar Wortfetzen: Zu spät... fünf Minuten, also wirklich!... Idiot... selber dummes Schwein... bitte zur Flaschenrückgabe... kalt heute... Kalt? Ja, es war kalt, erbärmlich kalt. Aber nicht nur heute, schon immer. Das ist es! Es ist nicht wie die gewöhnliche anheimelnde Kälte des Winters, es war mehr. Es war eine Kälte, die nicht nur den Körper, nein, die auch die Seele zittern ließ. Augsburg ist kalt. Nur der Winter macht die Menschen in Augsburg erträglich, die Menschen erträglich, die ihr Leben zwischen totem, dunklem Gestein, trostlosem Gemäuer fristen. Der Winter zwingt einen rosa-fleischlichen Ton auf die Wangen und dieser verdeckt das, was den Wind zum Heulen treibt! Selbst im Sommer ist Augsburg kalt... ich bin nicht sicher, ob sie mich verstehen... wohl kaum. Also, Augsburg ist im Grunde eine schöne Stadt, schöne Häuser, ansehnliche Fassaden, ja sehen sie sich doch einmal Weimars Fronten an! Und die Stadt liegt in einer schönen Umgebung, aber dann kamen die Menschen! Sie machten diese Stadt zu dem, was sie heute ist, ein Spiegelbild zu der seit Äonen verwitterten Stadt R’ley, mit der Ausnahme, das R’ley eine Stadt ist, die irgendwann einmal von Leben
erfüllt war und selbst jetzt noch mächtig erscheint, wenn man sie sieht oder von ihr träumt, führt sie ein dahindümpelndes Dasein wie Atlantis in der Sage... nach ihrem Untergang. Die Menschen liegen wie Dreck und Staub auf allem, wie eingetrockneter Fliegen- und Taubenkot halten sie sich auf dem Antlitz dieser Stadt. Augsburger wirken wie Milchglas. Für mein Auge sind sie wie beschlagene Fenster. Unschlüssige Gesten beherrschen das verschwommene, unklare Bild. Das Herz ist erfroren, der Geist ist stumpf geworden, das Gewissen ist verstummt, die Seelen verströmen eine nie da gewesene Kälte. Wir haben Seelenwinter! Jeder Morgen ist gleich, wenn man sich nicht etwas einfallen lässt! Oder wenn der Morgen sich nicht etwas einfallen lässt!... Sein zielloses Streifen endete, als er wieder vor der Kirche anlangte. Wie seine Gedanken, so hatte ihn sein Weg durch diese Stadt wieder zum Ausgangspunkt gebracht. Die Erinnerung an dieses wunderbare Geschöpf ließ ihn nicht mehr los. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Dieses Mädchen war etwas besonderes für ihn. Sie hatte ihn süchtig nach mehr gemacht und nun begann er unter den Entzugserscheinungen zu leiden. Sie war eine Droge für ihn... ... oder ein Heilmittel. Seinen abgespannten Körper vor sich hertreibend ging er zum Bahnhof. Er wollte nach Ulm fahren. Aus dieser Stadt hinaus, endlich wieder etwas Luft atmen. Im Zug gewann die Müdigkeit die Oberhand und geleitete ihn in einen Schlaf mit vorbeiziehenden Traumfetzen. Kein Traum war fassbar, es waren nur entfernte Impressionen, Ahnungen seiner Gefühle, Schattenbilder seiner Gedanken, verwaschen; aber sie zehrten an seiner Kraft. Er wollte sie halten. Sein Atem ging schnell, und Nicodemus schreckte aus diesem seichten Schlaf hoch, als der Schaffner nach der Fahrkarte verlangte. Während der erschöpfte Schläfer nach seiner Karte suchte, beäugte der Schaffner seltsam belustigt diesen maskierten Fahrgast. Nach dieser Situation, dieser wahrlich peinlichen Situation, verließ Nicodemus das Abteil und schloss sich auf der Toilette ein. Dort blickte
er in den Spiegel. „Wo ist es hin?“ schrie er in Wut und blickte sich selber tief in die Augen. „Ich weiß schon, sie hat mein Feuer, es brennt nun nur für sie!“ führte er seine Unterhaltung resignierend zu Ende. Den Rest der Fahrt verbrachte er auf dem Gang, genau vor der Tür. Und als der Zug endlich hielt, verließ Nicodemus den Zug so schnell es nur ging und ohne zu zögern oder sich umzusehen schritt er in Richtung Innenstadt. Die Kälte ließ ihn tief atmen und so gewann er ein wenig die Gewalt über seine Gedanken wieder, jedoch begann er zu frieren. Erst bemerkte er es nicht, doch dann blieb er stehen, zog seine Hände aus den Manteltaschen und besah sie sich: sie zitterten! Noch schneller setzte er seinen Weg fort, hinunter zum Münster. Dieses mal blieb er nicht vor diesem Gotteshaus stehen, um es zu betrachten, er trat sofort ein und ging zu den kleinen Kerzen, die für Menschen dort brannten. Er streckte seine Hände darüber aus. Er wollte die Wärme stehlen und seinen Körper wieder erwärmen. Während seine Hände sich über dem Feuer rieben, ließ er seinen Blick durch dieses wunderschöne Bauwerk, dieses Zeichen menschlicher Schwäche, menschlicher Suche wandern. Die hohe Decke war nur schwer zu erkennen, aber die düsteren Fenster warfen ein seltsames Licht in diesen Raum. Es war so mächtig, so dunkel, obgleich es Licht war. „Die Dunkelheit wird kommen, egal wohin wir gehen. Deshalb habe ich das Licht gesucht, ich wollte Zeit, ein wenig Zeit im Licht. Ich bewahrte das Feuer in mir, es war so ungeheuer stark. Ich habe Wunder vollbracht, doch dann kam Arcana, das große Geheimnis, sie nahm mir mein Feuer. Jetzt bin ich müde und ich will mich nicht länger der Dunkelheit erwehren. Mir ist kalt. Der Eishauch des Lebens hat jetzt auch mich erfasst, der Tod hält seine Sense nicht mehr schützend über mich. Das Licht ist geraubt, schwarze Locken haben das Feuer umarmt.“ flüsterte Nicodemus vor sich hin. Erst als sein Blick wieder seine Hände streifte, bemerkte er, dass beide Hände bereits in die Flammen der vielen weißen Lichter getaucht waren. Langsam zog er sie zurück. Ihm war immer noch kalt. „So heiß mein Feuer war, so kalt ist nun meine Seele und mein Herz.“ bemerkte er und ging ziellos durch das Gotteshaus. Er fand einige Notizwände, an denen Unmengen von Zetteln hingen. Unzählige kleine Gebete und Wünsche, Lobpreisungen und auch viel Dreck, wie er
befand. Doch dann bemerkte Nicodemus einen, nein zwei Zettel. Sie waren zu einem zusammengesteckt und waren etwas entfernt von den anderen aufgesteckt worden. Auf ihnen war mit schwarzem Stift folgender Spruch geschrieben worden: Gedanken zum Licht und zur Dunkelheit der Seele Wenn Du das Licht suchst, erkennst Du Dein Ziel daran, dass Du nur Deinen schwarzen Teil zu erkennen vermagst. Das heißt, wenn Du im Licht stehst, bist Du nur noch schwarz. Die Suche nach dem Licht ist die Suche nach dem eigenen Schatten! Wenn Du den Schatten suchst, bist Du am Ziel, wenn Du nur noch Dich selber siehst! Der Mensch ist das Böse, ganz egal, welches Ziel er hat. Unterschrieben war dieses Gedicht mit N.L. Er verließ die Kirche. Immer wieder auf seinem Weg ohne Ziel musste er gähnen, sich die Augen reiben. Es war ihm, als läge ein Schleier über der Welt, die noch vor wenigen Tagen so klar und durchschaubar war. Es war wie der Schleier, der sich vor die Augen eines Menschen legt, der lange nicht geschlafen hatte. Nicodemus hatte lange nicht mehr geliebt. Viel zu lange. Als er Augsburg wieder betrat war es bereits wieder Morgen. Schwere Nebel und grau-blaue Rauchschwaden lagen wie immer auf den Dächern und drohten diese zu zerdrücken. Der Schnee war schmutzig, wie all’ die Leute, die um 5 Uhr 45 auf den Beinen waren. In einer normalen Stadt hätte man in dieser Morgenluft tief einatmen mögen, um die Frische zu erleben, die ein Wintermorgen, dessen junge glutrote Sonne sich gerade über den Horizont erhebt, in sich birgt.
Aber hier war alles anders. Augsburg drückt auf die Brust und auf die Seele. Die Luft ist nicht frisch, es ist kein schöner Morgen. Es gibt keinen schönen Morgen in dieser Stadt. Die Stunden des Nachmittags und der Nacht waren Nicodemus nur noch vage in Erinnerung. Er war in einem Cafe gesessen, bis man ihn höflichst hinaus gebeten hatte. Durch die Gassen war er gestreift, wo die Menschen ihm ausgewichen waren, Wortfetzen und Bruchstücke hatte er wahrgenommen, sie hatten ihn angestarrt. Sie hatten über ihn geredet, zum Teil sogar gelacht. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er es bemerkt hatte, aber es war das erste Mal, dass er etwas empfand dabei. Es war ihm unangenehm! Früher ging er stolz an Schaufenstern vorbei, besah sich darin und warf den Spottenden einen Blick zu, der sie verbrannte und ängstigte. In Ulm hatte seine Augen sein Antlitz tunlichst gemieden. Er wollte sich nicht sehen. Auf dem Weg zurück nach Hause kam er wieder am Dom vorbei, obwohl es ein recht weiter Umweg war. Tief seufzend ließ er sich einen Moment auf den Stufen davor nieder. Er schreckte hoch, er wäre beinahe eingeschlafen. Diese Erkenntnis machte ihn wütend. Mit schweren Schritten ging er durch die dämmerigen Gassen, deren Glanz und Ruhm erloschen waren und deren Häuserfassaden wie ein matter Spiegel der Geschichte schienen. In seinem Haus angekommen, rannte er sofort ins Bad und versuchte, sich zu waschen. Mit Bürste und Seife versuchte er, die Maske abzuwaschen. Er wusch und wusch, bis sein Gesicht wirklich schmerzte, aber die Maske blieb. Tränen rannen aus seinen Augen, er warf Seife und Bürste von sich und dann sank er an der Badewanne zusammen. „Sie geht nicht mehr ab!“ sprach er immer wieder.
Für diesen Tag und den vorher gegangenen hatte er seinen Freund vergessen. Zu sehr beschäftigten ihn seine Gefühle; er hatte sie so lange nicht mehr verspürt und wollte sie nun nicht wieder missen. Und er wusste, dass er dieses Gefühl brauchte! Obwohl er den ganzen Tag, bis zum nächsten Morgen geschlafen hatte, fühlte er sich nicht erholt, nur nicht mehr müde. Aber er war auch nicht einfach aufgewacht, etwas hatte ihn geweckt. Was es war, konnte er nicht mehr sagen. Es klingelte. Erneut? In seinen verschwitzten Kleidern - er hatte in ihnen geschlafen - erhob er sich schwerfällig und öffnete die Tür. Elidorian stand vor der Tür und drängte darauf, eingelassen zu werden. Im Wohnzimmer nahm er Platz und goss sich etwas Wein aus der Karaffe ein, welche auf dem kleinen Beistelltischchen stand. Er schien recht gut gelaunt, was Nicodemus mit Verachtung feststellte. An der Bar schenkte auch er sich ein Glas Wein ein. „Diese Nacht war Jezebel bei mir! Es war phantastisch!“ sprudelte Elidorian los. „Ich nehme an, sie blutete erneut?“ sprach Nicodemus sichtlich gelangweilt das aus, was Elidorian von ihm erwartete. Er hob die Augenbraue und stürzte nach der Frage das Glas auf ein Mal hinunter. „Und wie! Aber dieses mal war es so wunderbar! Ich danke Dir!“ Er stand auf und ging zu Nicodemus hinüber, er wollte seinen Freund umarmen. Jedoch wich dieser zurück und stieß ein heiseres verächtliches Lachen aus. Er spie es förmlich aus. „Was?! Du dankst mir? Wofür?“ „Für... das Stück Fleisch!“ zwinkerte Elidorian ihm zu. „Du dankst mir dafür, dass ich eine Hure, ach, was rede ich da, eine Nutte dafür bezahle, dass sie Dich liebt? Hast Du etwa geglaubt, sie liebt Dich?“ Das letzte Wort spie er seinem Gegenüber geradezu vor die Füße, aber er sprach noch weiter: „Jezebel liebt nur eine Sache, und das ist Geld! Willst Du wissen, wie viel Du kostest, wie viel ich ihr bezahlen musste, damit sie Dir Freude bereitete?“ Elidorian stand wie vom Donner gerührt da und schüttelte lautlos den Kopf. Er nahm wieder auf dem Sofa Platz und goss erst drei Gläser Wein die Kehle hinab, ehe er weitersprach. „Sie ist eine Hure... Warum das alles? Warum liebt sie mich nicht?“
„Verhasst wird ihnen die Frau sein, die Dirne, und sie werden sie allein lassen, einsam und nackt, ihr Fleisch werden sie fressen und sie im Feuer verbrennen... Babylon, die große Mutter der Huren... so steht es schon in der Offenbarung. Die Hure ist etwas heiliges, aber sie tut nichts heiliges, sie hat keinen Geist, nur einen schönen Körper!“ „Aber warum liebt sie mich nicht?“ „Sie liebt niemanden! Aber sie liebt gut! Nutze sie aus, Du hast sie nur noch bis Weihnachten, dann ist sie wieder frei, denn dann werde ich nicht mehr zahlen...und glaube mir, Du kannst sie nicht bezahlen.“ „Sie wird nie wieder frei sein.“ sagte Elidorian voll gekränktem Stolz. „Weihnachten. Da ist Jezebel hier, Du hoffentlich auch, ich werde eine Feier in kleinstem Rahmen geben! Ein kleines Essen und ein wenig Getränk.“ sprach Nicodemus gedankenverloren. Kurz nippte er an seinem Glas in dem sich ein letzter Tropfen gesammelt hatte. Sein Kinn auf die Hand stützend, verriet sein Blick, dass er am Träumen war. So dauerte es auch einige Augenblicke, bevor er auf Elidorians Frage reagierte. „Was machst Du bis Weihnachten?“ „Ich werde noch einiges vorzubereiten haben, also komme nicht her. Ich werde nicht hier sein... Ich werde unterwegs sein. Am Weihnachtsabend um neun Uhr abends.“ „Ist es immer noch wegen dem Mädchen?“ „Ich fühle mich so tot. Ich habe das Gefühl, als sei ich gestorben und niemand hätte es mir gesagt. So leer, so tot!“ „Nicodemus, das war doch bestimmt auch nur ein Stück Fleisch. So wie dieses Stück Jezebel.“ „Nein! Sie war ein lebendiges Wesen, so wie ich! Sie war lebendig! Ich liebe sie um ihrer selbst Willen und um meiner Schwester Willen, sowie um meiner Seele Willen!“ „Ich glaube, diese Schlampe ist es nicht wert!“ sprach Elidorian verächtlich. Nicodemus blickte über sein Glas hinweg und musterte Martin mit wachsendem Zorn. „Ich glaube Du musst gehen. Habe Spaß mit Deiner Jezebel! Lass mich aber bis zum Heiligen Abend verdammt noch mal in Ruhe! Sie gehört Dir noch für drei Tage, nutze sie!“ Mit diesen Worten warf Nicodemus den Besucher beinahe buchstäblich hinaus.
Die Tür donnerte ins Schloss ohne ein weiteres Wort und Elidorian stand in der Kälte, geblendet von der niedrig stehenden, gleißenden Sonne. „Sie gehört mir nicht! Ich besitze sie, aber nur wegen des Geldes meines Freundes? Das werde ich ändern! Ich will, dass sie mich liebt und ich weiß, dass sie mich liebt, sie liebt mich, ich weiß das!“ schrie er, als er das Grundstück verließ. Nicodemus hörte es kaum. Erschöpft ließ er sich wieder auf das Bett sinken. Er atmete schwer und begann zu zittern. Träge schlüpfte er aus seinen Kleidern und schlang die Decke um seine fröstelnden Glieder. Dann fiel er wieder in einen anstrengenden traumlosen Schlaf. Steige ich durch Vorhänge aus Blut. Ich sehe Dich und Du liegst auf einem schwarzen Altar, bringst Dich mir dar! Ich will Dich lieben als einziger Mann sag mir, das ich das kann! Ich sehe Dich auf diesem wunderbaren Altar, Du liegst vor mir, bereit, mich zu empfangen. Die kalte feuchte Erde weicht vor dem Nebel meines Traumes zurück in die Wirklichkeit, dort wo sie entstammte. Das Grab liegt offen, der Sarg wurde geborgen, er liegt auf dem Schnee, der unschuldig rein und weiß, wie das Samt in deinem Bett für die Ewigkeit. Deine Haut ist genauso rein, nur erscheint sie zudem in einem göttlichen Schimmer. Dein Haar verdeckt Deine jugendliche Brust, viel zu früh bist Du durch meine Schuld verstorben. Ich küsse Deine zarten Lippen, streiche über Dein Gesicht, Du bist mir so vertraut, doch hast mit toten Augen mich seit Jahren geschaut. Nun aber sollte alles anders werden, Dich habe ich gefunden, Deinen Geist in Deinem vollendeten Körper, wie eine junge Frucht, die sich mit ihrer Süße und Bitterkeit mir offenbart. Ich werde sie essen, aufnehmen, auf dass ihr Gift in meinem Körper lebe! Das Gift will ich spüren, es soll meinen Geist befreien, meinen Silberstreif am Horizont endlich schwarz färben... Diese Droge soll mich berauschen, mich aus dieser Welt entheben... Leichengift, das Gift meiner Liebe, denn alles, was mir das Leben nicht geben kann, das nehme ich mir von meinem Freund, dem Tod, denn der hat reichlich von der Liebe, denn unsterblich ist die Liebe in ihm, dem Tod! Jedoch., es ist seltsam, dass ich mir diese Frage erst jetzt stelle, ist es mein verdammtes Schicksal, mein Wille, sie wiederzusehen?
Wer zur Gefangenschaft bestimmt ist, geht in die Gefangenschaft... Die letzten Fetzen seiner trägen müden Gedanken verjagte Nicodemus im Halbschlaf, ebenso war er versucht, die tanzenden und tobenden Ringe vor seinen Augen zum Stillstand und zum Verschwinden zu zwingen. Langsam, so als wären die Ringe Teil einer Strafe, die künstlich verlängert werden sollte, zogen sich die Nachwehen des Schlafes etwas zurück, gerade soweit, dass Nicodemus aufstehen konnte. Dann kamen sie dafür um so heftiger zurück und zwangen ihn wieder in die Knie. Nach quälenden Minuten schließlich ließ das Schwindelgefühl soweit nach, dass er ohne von Brechreiz und Kopfschmerzen überwältigt zu werden, wirklich aufstehen konnte. Ihm war entsetzlich heiß, mühsam schleppte er sich durch die lauernde Dämmerung, Licht wollte er nicht, er fürchtete, dass die Helligkeit seine Schmerzen zurückbringen würde, oder auch diese verfluchten, tanzenden Ringe. In seinem großen Wohnzimmer öffnete er alle Fenster, dann nahm er in der Mitte auf dem Boden Platz. Sofort folgte der Wind dieser unmissverständlichen Einladung und drang in das Gemach der Angst; nervös tänzelnd und etwas Schnee mit hereintragend begann der Wind, ohne auf eine Aufforderung zu warten, zu erzählen... ...Höre, Du musst hören. Ich spreche, Du hörst; Du bist Freundmein! Als Menschenkind in sich selbst nach etwas suchte und es in anderem Menschen fand - Liebe war geboren. Doch die Kindväter der Liebe verstanden nicht, was da aus ihrem Herzen geschlüpft war. Was hielten sie da in ihren Händen? Was hältst Du in Händen Freundmein? Die Liebe? Oder den Tod? Die Kindväter waren Kinder, die Diamant nicht von Glassplittern zu unterscheiden vermochten... „Genug! Hör auf!“ schrie Nicodemus. Mit einem Wink befahl er den Wind nach draußen, wild erregt schlug er die Fenster wieder zu, bevor er jedoch das letzte Fenster verschließen konnte, sah es aus, als würde ein anderer Gast in den Raum schlüpfen. Jetzt war es still. Die Dunkelheit schlug wie eine Welle zurück in dem Raum und mit Schwaden aus Schwarz füllte sich das Zimmer mit der Nacht wieder bis oben an. Langsam glätteten sich die Wogen aus Schwarz. Die aufwühlende Stimme des Windes war entschwunden und mit ihr die
Bewegung, die diesen Raum wenige Augenblicke zuvor mit Leben erfüllt hatte. Es nahm einige Minuten in Anspruch, bis Nicodemus wieder zu Atem kam. Schweiß perlte von seiner Stirn und sein Herz, ja er hatte eines, schlug mächtig und schnell gegen seine Brust. Aber als der Atem wieder ruhig ging, wurde der Freundmein eines anderen Phänomens gewahr. Erhabene, schwere Schritte machten sich lautlos bemerkbar und zeigten, dass ein anderer Gast nun hier war. Der zweite Gast in dieser Kammer der Angst. Dieser Eindringling schien sich langsam um Nicodemus herum zu bewegen, lautlos, mit schweren Schritten, Stiefel. Auf dem schmalen Grat zwischen Verachtung und Freude lachte Nicodemus seinem alten Freund entgegen: „Nun alter Freund, also auch Du bist gekommen.“ seine Augen starrten, fixierten die Leere, die undurchdringliche Dunkelheit. Er ging wieder zum Fenster und blickte nach draußen, in die tote, weiße Winterlandschaft. Sein Freund blieb stehen. Er wartete geduldig. „Erzähle auch Du mir ein wenig, ich fühle mich so allein.“ Die Melancholie, der verlorene Kampf klang aus seiner Stimme. Nicodemus zog den Bademantel fester. ...Du bist wie ich. Du bist das, was Menschen fürchten, wie auch ich das bin, was Menschen fürchten. Wir gehören zusammen, denn wir beide haben das gleiche eine Ziel, einsam und verlassen auf diesem Pfad kämpfen wir gegen die Massen, um dies zu erreichen, die Liebe. Jeder Mensch trägt seine Wahrheit in sich, doch Du, Du bist die Wahrheit der Menschheit, und ich, ich bin die Wahrheit der Liebe. Zusammen sind wir die Wahrheit, die Menschen nicht wahrhaben wollen. Ich bin für sie das Ende, doch ich bin Nichts, nur der Punkt ohne Ausdehnung und Masse zwischen Leben und Leben, aber für die Menschheit bin ich das Ende. Und Dich nennen sie Gott, verbergen ihr Antlitz vor Dir, nennen Dich wie den Schöpfer, ich aber, ich nenne Dich wie Du heißt, Angst. Du bist die wahre Angst der Menschen... Nicodemus sank auf den Boden hin, lag nun und starrte an die Decke, schwieg aber weiterhin. Der lautlose Gast verharrte einen Augenblick, betrachtete dieses Leben, das er nicht war und lenkte dann seine Schritte zum Gehen. Als er an dem Fenster, durch welches er eingetreten war
wieder anlangte, wollte Nicodemus kleinlaut wissen, mit halbgeschlossenen Lidern: „Erzählst Du mir noch etwas? Bitte geh’ noch nicht! Die Einsamkeit selbst kehrte mir den Rücken und ließ mich allein, ich bin innen leer und außen war noch nie etwas, denn das Außen, was zu mir passte hieß ich gehen, hast Du zu Dir genommen.“ Ein leises Lächeln der Zuneigung und des Mitgefühls. Ohne ein weiteres Wort verschwand der Gast und mit ihm die lautlosen schweren Schritte in der Dunkelheit. Die Zeit verrann, rieselte durch Hände die sie nicht halten wollten oder auch nur konnten. Lange noch saß Nicodemus auf den Fliesen vor dem Fenster und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Jedoch wie der Wind den Schnee, so wirbelte seine Seele die Gedanken durcheinander. Diese nur für ihn bestimmten Worte, diese Kraft, die nur er verstand und empfand, wollte er nutzen. Die Energie, die Kraft aus diesen Worten, gesprochen von den ältesten Stimmen verschlang er, sog er in sich auf, um seinen Willen zu stärken. Schließlich erhob er sich und griff zum Telefon. Er wählte nur kurz, dann ließ Nicodemus sich wieder auf den Boden gleiten, mit dem Hörer zwischen Schulter und Kopf. Nach schon sehr kurzer Zeit meldete sich am anderen Ende der Leitung die Stimme eines Mädchens. Er schluckte, atmete tief und meldete sich schließlich: „Hallo Lisa, ich bin’s, Nicodemus. Ich wollte Dich nur zu einer Weihnachtsfeier bei mir einladen, ein Fest in kleinstem Kreise... Es wäre wirklich lieb, wenn Du kommen könntest, Weihnachten um neun Uhr abends.“ Dann legte er wieder auf, denn im Grunde hasste er es, auf Anrufbeantworter zu sprechen. Weiter überlegte er, wie er die Zeit bis zu dem eben erwähnten Fest erschlagen wollte.
Der Mond, verborgen hinter einem leidenden Trümmerfeld aus hilflos gestrandeten Wolkenfetzen, welche die Laune des Windes hier am Himmel wollte verrotten lassen, zeichnete filigrane Strukturen durch die Schnitte, Risse und Wunden der Wolkendecke. Wenngleich dieses Licht nur zu erahnen war, strahlte der Himmel eine imposante Schwärze aus, die von gräulich dämmernden Farben begleitet wurde. Zugleich schimmerte und glitzerte die Erde hier und da schüchtern mit ihrem weißem Kleid, dass bereits braune Flecken und große Risse, geschaffen von Menschenhand, aufwies. Die Stille, die diesen Anblick unterstrich war unangenehm, ja sie war richtig beängstigend. Es war nicht die erhabene Ruhe eines Totenackers, ein gewolltes Schweigen des Respekts, noch die gewollte Stille, die man manchmal aufsucht, um seine Sinne zu ordnen. Es war eine ungewollte Stille, eine Stille, die einfach nur kein Laut war. In dieser Stille lag Anspannung, das unbedingte Verlangen, das flehentliche Sehnen nach Laut und gerade dieser Wille, dieses MUSS wurde nicht gestillt, es wurde immer drängender und drohte, einen aufzufressen. Und mit diesem Wunsch nach Laut, nach Klang, nach dem Nichtschweigen, der Unstille, mit dem Wunsch auf eine Bestätigung, in dieser Nekropole doch nicht allein zu sein, erklomm eine unartige Unruhe das Herz. Dieses Unbehagen schnürte einem die Kehle, verklärte den Blick für die eigentlich fassbare Realität der Nacht, lenkte dafür die Sinne auf diese beinahe widernatürliche Angst. Die Ratio schrie, es werde bald dämmern, der Spuk sei dann vorbei, jedoch übertönte das Herz in panischer Agonie: Diese Nacht wird niemals enden! Es war zudem ein besonderer Morgen, der nun doch bald dämmern wollte und die Nacht in ihre Schranken wies, welcher bisher, seit ungezählten Zeiten mit diesen Gefühlen verbunden wurde, denn es war der Morgen des 24.12., noch in diese Dunkelheit der Vorahnung gehüllt. Aber es war bereits Weihnachten. In dieser beklemmenden Atmosphäre, die Nicodemus nur zu gut kannte, kehrte er von einem Besuch bei seiner Schwester heim. Er wusste, dass sie Lilien geliebt hatte, also hatte er das Grab mit einigen Blumen geschmückt. Die Anstrengung, um diese Jahreszeit Lilien zu bekommen und auch in dieser Menge, in diesen Farben hatte er aus persönlichen Gründen gerne auf sich genommen. Drei Dutzend schwarz eingefärbte Lilien, dazu drei Dutzend violette und
einige in dunklem Rot. Das Grab seiner Schwester war das einzige, das geschmückt war. Alle anderen Toten lagen brach. Und diese Pracht hatte er mit viel Bedacht um das Grab platziert und schließlich war er stumm vor dem toten grau- schwarzen Stein gestanden, auf dem in silbernen großen Lettern geschrieben stand: Ein Mädchen wurde vom Winter gegeben, Bianca hieß sie und wir wissen sie hatte nicht viel Zeit zum Leben, dann hat der Tod sie uns entrissen! Nicodemus hatte diese Worte selbst mit eigener Hand in den Stein gehauen, für die Liebe, für die Ewigkeit, für Bianca, wie er immer sagte. Er las sie immer wieder und wieder, aber mit seinen Gedanken und mit seinem Herzen war er bereits in der Erde. Bald, mein Mädchen, meine kleine Schwester, bald werde ich bei Dir sein! Er betrat das Haus und als er im Schlafzimmer stand, fühlte er ein gewisses Wohlbehagen in ihm aufkeimen, es war ein Funke, der zu ihm zurückkehrte, nur ein Funke zwar, aber er fühlte wieder etwas von seiner Kraft, die er so vermisst hatte, die Kraft der Liebe. Weihnachten, die Geburt meines Vorgängers... Diese Feier heute wird etwas besonderes, sie muss, es sind besondere Menschen an einem besonderen Ort und zu einer ganz besonderen Zeit. Wenn ich doch nur wüsste, was, nein, lieber nicht, ich liebe Überraschungen. Aber es muss alles stimmen, der Wein, das Essen, die Musik... Das Requiem! Das Requiem erscheint mir angemessen. Mars! Am besten das Kyrie eleison oder das Qohelet, aber das werde ich zu fortgeschrittener Stunde entscheiden. Vorher benötige ich Schlaf, denn diese heilige Nacht wird keine Nacht des Schlafes werden. Dies ist die Nacht der Liebe, die Nacht der Ewigkeit... aber auch die Nacht des Hasses, des Streits, der Heuchelei und der falschen Gefühle. Wenn eine Familie sich das Gesicht schön schminkt, der Hass in den Lampen und Lichtern und Kerzen des Tannenbaumes keinen Schatten mehr findet und von den Weihnachtsgesängen der CD oder Platte übertönt wird, die böse Miene hinter Lippenstift und Geschenkpapier versteckt wird. Schließlich schluckt man seine wahren Gefühle herunter, mit dem Ziel, nächstes
Jahr zu einem ebenso falschen Fest werden zu lassen, denn es ist ja das Fest des Heilands, das Fest der tiefen und innigen Liebe. Mit einem Lächeln stieg Nicodemus in das heiße Wasser der Badewanne, um seine Müdigkeit hervorbrechen zu lassen. Das Wasser war heiß und tat ihm wohl. Während er das Wasser beobachtete ließ er die Wärme und die Kraft in sich wirken. Tief atmete er die heilenden Kräuter ein und entspannte sich. Seufzend schloss er die Augen, atmete ruhig und begann zu träumen. Es war ein Traum aus seiner Kindheit... ...wir spielen zusammen am Wasser, die Sonne scheint und wir lieben uns, alles ist so wunderbar, keine Seele stört uns, denn hier kommt niemand sonst her. Du singst mir ein Lied aus anderen Zeiten, als wir durch den Wald laufen, ich stimme mit ein. Wir spielen und sind frei, alles ist so einfach, so friedlich, so schön, das Paradies heißt Kindheit, und wir teilen es mit den Tieren, mit den Geschöpfen dieser Erde, die für alle gemacht wurde als Paradies. Der Kuss geschieht aus seiner selbst Willen heraus, er ist voll Liebe, voll Glück. Die Liebe ist das Glück und wir durchleben es miteinander, ohne Scham und Falschheit. Wir leben und nur das Leben zählt, Du liebst und lebst für mich, ich lebe für Dich und liebe Dich. Diese Liebe dauert Ewigkeiten an, denn wir sind unsterblich im Paradies, das Paradies wurde uns von uns gegeben und die Unsterblichkeit ist ein Geschenk der Liebe, vor welcher sich der Tod ehrfurchtsvoll verneigt. Hier ist die Nacht nicht schwarz, sie ist erst rot, dann blau und schützend hält sie die Hand über uns, wenn wir die Augen schließen, um uns an unseren Träumen zu weiden. Die Liebe ist in uns geboren und wir werden sie mit ins Grab nehmen und wieder mit auf die Reise, die wir machen, wohin auch immer, selbst in die Hölle, denn die Liebe ist das Feuer im Paradies. Die Liebe werden wir in uns tragen, bis wir uns wieder sehen. Und an diesem Ort wird es keinen Winter geben, der Tod ist gestorben, dort im verheißenen Land regiert die Liebe und durchdringt alles und jeden mit jedem Atemzug. Liebe in all’ ihren Farben wird uns in diesem Land empfangen, duftend. Das vollkommene Glück, jenes auf der Erde unerreichbar ist, werden wir dort erreichen. Dort, wo wir uns
wiedersehen werden! Warte auf mich, gib mir ein Zeichen! Ich werde Dich finden! Und dann gehört uns die Ewigkeit... Schwer, träge und müde erreichte Nicodemus das Bett, er schlief sofort ein. Jedoch war dieser Schlaf verschieden von dem der vorhergegangenen Tage. Ihn schien eine Aura aus Licht zu umgeben. Wie kleine Quecksilbertropfen sammelten sich Lichtkügelchen auf dem Laken und vereinten sich in dieser merkwürdigen Aura. Die Kraft kehrte in seinen Körper zurück. Der Funke hatte ausgereicht, die Asche wieder zu entzünden und brennen sollten nun seine Träume und Gedanken. Die Kraft strömte wieder durch Nicodemus’ Adern. Sein Atem ging langsam, gleichmäßig und entspannt. Die Müdigkeit des tristen erloschenen Lebens musste in diesem Schlaf aus ihm heraus gebrannt werden. Und sein Traum entführte ihn in die verträumte Wirklichkeit. Schließlich war dieser Traum so stärkend und sein Schlaf so unvorstellbar tief gewesen, dass Nicodemus als er erwachte kaum verstand, seine zurückgekehrten Kräfte zu bändigen. Erregt lief er ins Bad und blickte in den Spiegel. Seine Augen glühten. Sein Atem ging kräftig. Die Augen beherbergten ein loderndes Feuer, ein Feuer wie ein Scheiterhaufen und Nicodemus erschauderte bei der Kraft, die er wieder spürte und wieder sah. Das Flammen schlugen aus seinen Augen, bereit, alles zu verschlingen, was seinem Blick standzuhalten suchte. „Ich bin wieder da! Ich lebe wieder, ich bin zurückgekehrt und bin nun bereit, meine Aufgabe wieder aufzunehmen. Und ich werde sie erfüllen, selbst wenn es Äonen in Anspruch nehmen sollte, ich werde mich überleben und ich werde sie finden! In Ewigkeit!“ Und warum suchst Du sie dann nicht? Hast Du Angst? neckte ihn der Wind. Aber Nicodemus lächelte nur, er wusste es besser. Er lächelte ob dieser Angst, denn die Zeit würde kommen, da würde er sie finden. Egal wo und egal wann, er hatte Zeit, denn er war schließlich ein Gott. Voll Energie bereitete er den Abend vor. Alles musste perfekt sein. Er wollte, dass dieser Abend, dieser heilige Abend mehr als nur ein besonderes Ereignis gebäre, der Tag selber sollte das Ereignis sein! Die Vorboten des Tages sollten schließlich die Nacht beschwören und dieser Nacht wollte Nicodemus etwas Geburtshilfe leisten.
Bereits jetzt, es war gegen Mittag, bereitete er die Tafel, der Wein wurde gekühlt und das Festmahl würde auch zur rechten Zeit fertig sein. Die Musik wurde ausgewählt, das Kaminfeuer geschürt, danach verschwand er wieder im Schlafzimmer und richtete dieses her. Die alten, beinahe abgebrannten Kerzen ersetzte er durch neue; kurz überlegt und die Anzahl der Kerzen auf achtunddreißig aufgestockt. Schwarz. Der Inhalt der Duftlampen wurde ergänzt oder wieder neu aufgefüllt, dieses Mal verwendete er reines Patchouli, dann machte er sich am Bett zu schaffen. Weißes Laken, weißes Kissen, weiße Decke, Seide. Damit war das Bettzeug zusammen mit dem Spiegel das einzige, was einen Kontrast zu dem Schwarz des restlichen Zimmers bot. Da durchfuhr ihn eine Ahnung, diese Nacht betreffend. Und die Vorahnung gefiel ihm. Er musste lachen. Seine Kleidung, die er sich schon einmal zurecht legte, wählte er diesen Gedanken entsprechend aus. Dann zog er seine Alltagskleidung an und ging noch einmal auf den Friedhof, um nach seiner Schwester zu sehen. Die Lilien waren gefroren und standen wie letzte Überbleibsel der Farbe auf dem Grab. Die Sonne, die heute nicht aufgegangen war, verschwand bereits wieder und ein farbloses Blau würde bald abgelöst von Schwarz und der Nacht. Einige Lilien lagen auf anderen Gräbern, aber nur die Roten. Das Wetter war recht angenehm und der Laune Nicodemus’ entsprechend. ...kein Mensch ist auf dem Friedhof an Weihnachten. Für die Menschen ist die Heilige Nacht ein Fest für die Lebenden, die Toten interessieren nicht. Hm, was meinst Du, liebste Bianca, gönnen wir den armen Seelen diese paar Blumen, sie haben sonst niemanden, Du hast mich! Die Menschen haben an Weihnachten besseres zu tun, als sich um die Toten zu kümmern. Man ist zu Hause, wartet darauf, dass die Geschenke verteilt werden. Man will bekommen, das ist das Wichtige. Das Geben ist nur noch Zweck zum bekommen, zum raffen, sammeln. Du, Bianca, Du hast nie genommen, Dir hat man manch schlimme Dinge gegeben, Du hast sie genommen, aufgenommen, auf Dich genommen, Du warst die heilige Maria der Gegenwart. Zu einem Sohn gaben sie, gab ich Dir keine Zeit, so bist Du an seiner Stelle gestorben. Aber sei Dir meiner Liebe gewiss! Ich werde jetzt noch einmal zum Dom gehen, vielleicht ist sie ja doch wieder da. Vielleicht bewirkst Du ja ein Weihnachtswunder
für mich. Ich hoffe, dass ich heute Nacht noch einmal Gelegenheit haben werde, Dich zu besuchen. Ich ahne, mit Begleitung... Mit diesen unausgesprochenen Worten verließ er den verschneiten Ruheacker und wollte sich wieder auf den Weg machen. Seine Schritte lenkten ihn kurz nach Hause, dann spazierte er durch die Stadt, zunächst scheinbar ziellos, jedoch lenkten ihn seine Gedanken - auf Umwegen zwar - zu dem Ziel, dass er vor Augen hatte. Den Dom passierte er nur, nachdem kein Mädchen mit schwarzen Haaren zu sehen war. Bald schon stand er vor einem Haus, dass er bereits einmal zuvor besucht hatte. Lächelnd klingelte er und wartete, eine Tüte, die er von zu Hause mitgebracht hatte in der Hand. Der Tag war schon weit über den Mittag fortgeschritten, die Sonne schielte bereits, mit dem Schlaf liebäugelnd, dem Horizont entgegen. Der Tag hatte sich an der Zeit, an dem Empfinden der Zeit vorbeigeschlichen und war im Begriff zu vergehen, noch ehe er in den Köpfen der Menschen richtig begonnen hatte, noch ehe er begriffen worden war. Es war Weihnachten. Ein Sonntag. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, die Sicherungskette und Lisas Gesicht erschien. „Frohe Weihnachten. Hast Du meine Nachricht bekommen? Ich hoffe, ich störe nicht.“ Sie lächelte, schüttelte den Kopf und schloss die Türe. Dann öffnete sie die Tür ganz und ließ ihn ein. „Kommst Du heute Abend?“ fragte er sie, als sie ihn in sein Zimmer führte. „Du hast nicht gesagt, wann Deine Feier beginnen soll und wie lange.“ „Um neun Uhr wollen wir essen, das Ende ist offen.“ Nun zögerte er ein wenig, wartete auf ihre Reaktion, aber diese blieb aus. „Der Grund meines Besuches: Ich möchte Dich um einen Gefallen bitten.“ „Ist Martin auch da?“ „Ja.“ „Dann will ich nicht kommen.“ „Das verstehe ich nicht. Er wollte alles, nun hat er nichts. Weide Dich doch an seinem Leid.“ „Er hat doch sein Mädchen.“ „Sie ist nur eine... Nutte, die ich bezahlt habe.“ Er berührte ihren Arm und neigte den Kopf leicht auf die linke Seite. Er biss sich auf die
Unterlippe, befürchtete, die Bezeichnung des Mädchens würde Lisa stören und lächelte sie verlegen an. „Würdest Du für mich ein bestimmtes Kleid tragen?“ „Welches Kleid?“ Er öffnete die Tüte und holte das Corpus Delicti hervor. Er reichte es ihr und blickte sie beinahe flehend an. Sie musste lachen und setzte sich auf das Bett, entfaltete das Kleid und betrachtete es schweigend. Nach einiger Zeit eingehender Musterung ließ sie es auf ihre Schenkel sinken und wippte ein wenig auf dem Bett und lächelte wieder. „Also gut. Ich werde kommen.“ Das Licht des Tages hatte sich in die Dunkelheit geflüchtet. Niemand hatte es bemerkt. Eine kleine Gesellschaft hatte sich im Anwesen Stahl versammelt und die Stimmung war... seltsam. Die Kerzen brannten ruhig und sanft. Man saß im Wohnzimmer beisammen und blickte entweder auf sein eigenes Glas oder leer durch den Raum. Nicodemus, der versprochen hatte, Lisa zu schützen und ihr Beistand zu leisten saß mit seinem Schützling auf der Couch, gegenüber saß in einem Sessel Elidorian, zu seinen Füßen Jezebel. Sie hatte bereits ihre Hand in seinem Schoß, spielte mit ihrer Beute, verdeutlichen ihre Ungeduld. Die Kleidung der Beteiligten war dem Umstand angemessen. Jezebels Kleid war violett, Seide, und die Durchsichtigkeit dieses Stoffes schonungslos ausnutzend, schimmerten die weiblichen Formen geradezu überdeutlich hindurch. Die Nähte verschwanden unter goldenen Verzierungen. Jedoch schien sich der Ton des Kleides mit der Farbe ihrer Haare leicht zu beißen. Um ihren Hals trug sie eine goldene Kette, die Lippen, die Wangen, die Augen, alles hatte bei Jezebel einen violetten Ton. Etwas Goldstaub auf ihren Lippen, und ein begehrendes Lächeln, das sie Elidorian zuwarf. Lisa trug das schlichte, doch elegante Kleid, um das zu tragen Nicodemus sie gebeten hatte. Es war trotz, vielleicht aber auch gerade wegen seiner Schlichtheit in höchstem Maße anregend und stilvoll. Es betonte auf wundervolle Weise ihren zarten Hals. Der Kragen des Kleides umrahmte mit weißer Spitze seinen Ansatz, auf Höhe ihrer Brüste verlief ein aufgesetzter Kragen, der sich über ihre Schultern bis auf den Rücken fortsetzte. Um die Taille trug Lisa ein Tuch aus weißem Samt, welches ihre kindliche Taille zu betonen versuchte. Das Kleid fiel
weit und verbarg beinahe ihre kleinen Füße, die heute weiße, flache Schuhe trugen. Ihr Haar war offen und umrahmte den freien Hals, um ihn noch mehr zu betonen. Bis auf einen silbernen Ring an ihrem linken kleinen Finger trug sie keinen Schmuck. „Dein Körper und Deine Augen sind Schmuck genug.“ hatte Nicodemus zu ihr gesagt, als sie als erste zu diesem Weihnachtsabend kam, und er ihr eine Halskette abnahm. Auf den Ring hatte sie bestanden, es war der Ring ihrer Großmutter. Elidorian war ebenfalls in weiß gekleidet, mit einem Umhang, den er nicht ablegen wollte. Das Innenfutter war aus rotem Stoff. Er strahlte, nein, selbst strahlte er nicht, er trug Elidorians Selbstsicherheit, die diesen Abend überstrahlte, wie sonst ein Weihnachtsfest von einem Tannenbaum beleuchtet wurde. Nicodemus trug schwarz. Einen edlen Abendanzug, die Jacke mit einem Schwalbenschwanz, darunter schwarze Weste, schwarzes Seidenhemd und Fliege. Schwarze Lederschuhe und Handschuhe. Dieser Anzug machte Nicodemus noch größer als er war. Die Damen schwiegen, Jezebel weil sie nichts zu sagen hatte, Lisa um ihrer selbst Willen. Sie wollte sich nicht die Blöße erlauben, ihre tiefe Verletzung Elidorian gegenüber zu zeigen. Die Fronten hatten sich verschoben und verhärtet. Martin erging sich in einem schier endlosen Monolog über seine Arbeit, bestand darauf, zahlreiche Verse zum Besten geben zu dürfen. „Was hast Du die letzten Tage alles getrieben?“ frug Elidorian, das Thema seiner lyrischen Tätigkeit endlich beendend. „Geschlafen habe ich und ich habe mein Feuer neu entfacht. Außerdem war ich bemüht, dieses Fest vorzubereiten. Und ich ermutigte Lisa, uns mit ihrer Anwesenheit am heutigen Abend zu erfreuen.“ Das von Nicodemus beabsichtigte Schweigen trat ein, er aktivierte mit der Fernbedienung die Musikanlage und die ersten Klänge eines gehaltvollen Stückes erklangen. Mit dem Einsetzen der Stimme erhob sich Nicodemus und forderte Lisa stumm auf, ihm zu folgen. Sie gehorchte und beide verschwanden hinter einer Türe im Flur, der zur Südtür führte. Dort auf einem Tisch der dem Gang an seiner Seite folgte waren auf einigen Warmhalteplatten Speisen bereitet worden. Nicodemus wies stumm auf eine mit dampfender Suppe, er selbst nahm
das Brot und die verschiedenen Weine. Lisa hob das Tablett an, setzte es jedoch gleich wieder ab und starrte den Träger des Brotes finster an. „Warum hast Du das gesagt?“ Er lächelte bescheiden und zuckte mit den Achseln. Schließlich sagte er, während er sich ihr näherte: „Du siehst wunderbar aus in diesem Kleid. Vertraue mir. Ich gab Dir den Spielstein, aber noch bin ich am Zug. Glaube mir, ich arbeite für Dich... Das Kleid steht Dir außergewöhnlich gut. Es betont Deine Figur, unaufdringlich, aber merklich.“ Gerade wollte er seinen Kopf auf ihre Schulter legen, ein Feuer der Begierde glomm in ihren Augen auf, doch sofort erlosch es und sie wich zurück. Oder wurde es nur unterdrückt? „Was soll das?“ Er blieb stumm, und wies auf ihr Tablett. ...dieses Biest! Sie spielt mit mir! Ich sah ihr Feuer! Also spiele ich mit, ich lasse es gescheiten! Zu neugierig bin ich, wie weit wird sie wohl gehen ? „Ich wollte dort anknüpfen, wo wir bei Dir abgebrochen hatten. Hast Du vielleicht etwas dagegen?“ Sie nickte bestimmt, aber ihre Augen straften diese Geste Lügen, obgleich sie dieses Feuer zu verbergen suchte. Er nahm sie bei den Schultern. „In Deinen Augen sehe ich Zweifel.“ sprach er ruhig aber bestimmt. Erschrocken wandte sie sich ab und nahm das Tablett wieder auf. Nicodemus nahm auch wieder das Brot und die Weine und sie kehrten zu den anderen in das Wohnzimmer zurück. Man aß und es war köstlich, und so schritt der Abend zwei weitere Stunden fort. Nach dem Essen erhob sich Elidorian unruhig und flüsterte Nicodemus etwas ins Ohr. Auf ein Nicken des Angesprochenen verschwanden Jezebel und Elidorian ohne ein weiteres Wort.
Die Kirchturmuhr schlug zwölf, Mitternacht. Der heilige Abend war vorbei, der Morgen begann. Jezebel stand auf und suchte ihre Kleidung zusammen, die bei Elidorian auf dem Boden verstreut lag. Viel davon war blutig oder zerrissen. Ihr Mantel war allerdings unversehrt geblieben. Sie stopfte die Überbleibsel in einen Beutel und bevor sie gehen wollte, küsste sie Elidorian ein letztes Mal. Doch dieser Kuss war kalt, so entsetzlich kalt, dass Elidorian zurückwich. „Also, mach’s gut, mein bissiger Freund!“ sagte sie, ihm zuzwinkernd. „Ich liebe Dich!“ brach es aus ihm hervor und er versuchte, sie festzuhalten. Sie schlängelte sich geschickt aus dieser Umarmung und sah ihn aus sicherer Entfernung an. „Lass es mich so sagen: Normalerweise hätte ich für einen Freier nicht so viel getan. Du kannst mich ja weiter bezahlen, dann bleibe ich vielleicht noch ein wenig.“ Damit drehte sie sich um und wollte zur Tür gehen, aber Martin stellte ihr nach. Mit seinen verliebten Augen funkelte er sie böse an. Dieses mal gelang es ihr nicht, sich heraus zu winden. „Ja weißt Du denn gar nichts? Ich liebe Dich und ich bin Gott, Gott! Ich kann alles, ich bin unsterblich und Du bist nur Vieh zu meinen Füßen!“ „Lass mich!“ „Du willst es nicht begreifen! Ich nehme Dich einfach, Du bist doch nur ein Mensch!“ Mit diesen Worten, bei denen sich seine Stimme überschlug, packte er sie auf das Gröbste und warf sie, zog sie zurück auf das Bett. Von der Wucht überrascht, taumelte Jezebel durch den Raum und schlug sich den Kopf an der Zimmerwand an. An dieser sank sie dann benommen zu Boden. Elidorian zitterte, er starrte auf das Mädchen und spitzte den Mund beim Atmen, sodass leichte Pfeiftöne entstanden. Seine Augen waren weit geöffnet. „Jezebel, liebste Jezebel! Ich liebe Dich! Ich wollte Dir doch nicht weh tun! Bitte, verzeih’ mir!“ Mit diesen Worten kniete er sich zu ihr nieder, hob sie auf und legte sie auf das Bett. Die Decke und das Kissen hatte er auf den Boden geworfen.
„Warum ist Martin gegangen?“ fragte Lisa als Nicodemus von der Tür zurückkam. Er blickte ihr in die Augen und bemerkte ihr Spiel, aber auch ihre Unsicherheit. „Ich möchte von Beginn an ehrlich zu Dir sein, das hast Du verdient. Er kann Dir nicht in die Augen sehen. Das hat er zwar nicht gesagt, aber gedacht.“ „Und was hat er gesagt?“ „Dass er eine Überraschung sexueller Natur für Jezebel hätte.“ Sie blickte ihn an, nickte, um seinem Blick nicht länger standhalten zu müssen. Sie griff nach ihrem Glas und nippte ein wenig daran. Es war immer noch ihr erstes, setzte es wieder ab und blickte Nicodemus dann fragend an. „Willst Du jetzt auch gehen? Ich würde Dich nach Hause begleiten.“ bot sich der Gastgeber an und wollte sich erheben, doch Lisa hielt ihn beinahe flehend energisch zurück. „Nein! Nein, ich möchte noch hier bleiben. Mittlerweile fühle ich mich recht wohl. Ich möchte gerne... bei Dir bleiben.“ Nicodemus nahm wieder Platz und leerte sein Glas Wein. „Warum trinkst Du den Wein nicht?“ „Ich mag Wein nicht so gerne. Alkohol im allgemeinen trinke ich nicht gerne.“ „Verzeih’ meine Unwissenheit. Aber ich habe auch verschiedene Säfte.“ „Apfelsine... bitte.“ Er nickte lächelnd und trat hinter den Banktresen und kehrte mit einem Glas Saft zurück. Als sie trank fragte er: „Hat Dir diese Feier gefallen?“ „Sie war ungewöhnlich, keine Geschenke, keine Weihnachtslieder, kein Weihnachtsbaum... also total untypisch für Weihnachten.“ „Ich wollte nur eine Feier, die ohne den üblichen Kitsch auskommt, denn der ist überlastet mit Falschheit, Heuchelei und falschen Gefühlen, ja eben Dreck. Man feiert heute doch nicht mehr das Fest Jesu Christ, sondern der Geschenke, die man sich unter den Nagel reißt, wegen. Man ist fröhlich weil die Zeit eine fröhliche Zeit sein soll, und nicht, weil man wirklich so fühlt... Du verstehst? Das klingt jetzt vielleicht schon wieder alt und vielgesagt, aber schließlich habe ich es oft gesagt!“ Nicodemus ließ das Mädchen überlegen und wechselte in der Zwischenzeit die CD und es erklang unaufdringliche ruhige Musik,
welche einem traurigen aber dennoch schwingendem Rhythmus folgte. Mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung forderte er Lisa auf zum Tanz. Mit seinem Fahrradschloss und einer langen Kette fesselte er ihre Arme an das Bett. Mit dem Schloss seiner Schreibschublade und der dazugehörigen Kette fesselte er das linke, mit einem Gürtel das rechte Bein, sodass diese stark gespreizt waren. Er zog sich schnell aus und nahm auf Jezebels Bauch Platz. Auf ihrer Stirn hatte sich eine Beule gebildet. Mit traurigen Augen blickte er sie an: „Du willst bei mir bleiben! Ich weiß es. Du liebst mich!“ Mit sanften Küssen versuchte er sie zu wecken, aber das misslang. Dann aber öffnete er ihren Mund und ersetzte seine Zunge durch seinen erigierten Penis. Weit vorgebeugt bewegte er sich vorsichtig. Nach einiger Zeit kam sie wieder zu sich. Aber sie öffnete noch nicht die Augen, instinktiv aber versuchte sie das Ding aus ihrem Mund zu entfernen. „Du liebst mich! Du liebst mich, ich weiß das Du mich liebst! Ich will, dass Du mich liebst!“ hörte sie immer und immer wieder. Aber als sie die Augen endlich öffnete und der Lage gewahr wurde, biss sie vor lauter Verzweiflung auf das störende Stück Fleisch in ihrem Mund. Er krümmte sich vor Schmerz nach vorne, berührte fast ihren Kopf und schrie kurz aber laut auf. Dann aber lehnte er sich zurück, holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand auf die Schulter und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Sie lockerte ihren Kiefer. Elidorian konnte sich aus dieser schmerzlichen Situation befreien. Mit der Rechten hielt er sie am Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. In ihren Augen regten sich Stolz und auch leichter Hass. „Du liebst mich! Ich will, dass Du mich liebst!“ wiederholte er einige Male. Währenddessen begann er, den Mantel zu zerreißen. Die Nähte waren jedoch ziemlich robust, das verursachte der Gepeinigten Schmerzen. Er fühlte kein Mitleid und so lächelte er nur. Sie fiel in eine Art lethargische Starre. Leer blickten ihre Augen zur Decke. Elidorian legte sich mit seinem Kopf zwischen ihre Brüste. Dort lag er eine Weile. Dann begann er abwechselnd die rechte und die linke Brust zu streicheln, danach leckte er sie und schließlich biss er zu. Sichtlich genoss er das Schreien seiner Geliebten aber das allein schien nicht zu
genügen. Wie ein kleines Kind freute er sich, als das Fleisch der Brust seinen Zähnen nachgab. Er hatte sie blutig gebissen. Gierig leckte er den roten Saft, die Ingredienz, die er im Wein des Abends ausnahmsweise vermisst hatte. Nach einiger Zeit wurde ihr das Schreien zu laut und er knebelte sie mit einen Stofffetzen, der einmal ihr Kleid gewesen war. Ganz sanft und voller Liebe leckte er das Blut von ihrer Brust, wie ein Säugling die Muttermilch von der Mutterbrust, als dieser Strom versiegte billigte Elidorian diese Tatsache mit Unbehagen. „Dafür musst Du bestraft werden! Das willst Du doch. Ich weiß es und ich will Dich bestrafen.“ sprach er ganz ruhig und liebevoll. Dabei postierte er sich wieder zwischen ihre Beine und drang in sie ein. Mit Gewalt, sich an den fremden und eigenen Schmerzen Lust verschaffend stieß er unbarmherzig zu. Jezebel verzog jedes Mal das Gesicht voll Pein. Beinahe wie ein Lachen sah es aus. Aber in den Augen war die Angst. Fixiert auf ihren Herrgott quollen die Augen aus ihren Höhlen. Er stöhnte heftig und als sein Orgasmus heraufzog unterbrach der den Akt, zog sein Glied aus ihrer Vagina und führte sich selbst zu Ende. Den Samen verteilte er auf ihrem Gesicht. Dann stand er auf. Er verschwand aus ihrem Gesichtsfeld. Sie begann nun zu weinen. Die Tränen trugen ihr Make-up und den Samen hinfort auf das Laken, wo beide sich vermischten. Jezebel fühlte wie sie mit den Flüssigkeiten ihren Knebel und ihre Wangen befeuchtete. Aber der Ekel wich schließlich der Lethargie des Alltags. Selbst die Schmerzen schwanden hinter dieser Starre. Nur ein dumpfes Pochen blieb. Die Sünde, sie riecht sie nicht mehr! Aber sie spürt, dass Unschuld und Sünde nicht zusammenpassen. Ja, sie spürt den Ekel, aber nur kurz. Jetzt fühlt sie die kalte Hand! Von wem die wohl sein mag? Sünde... Sünde... Sünde... säuselte der Wind und auch er verschwand in der Dunkelheit. Ja, ich werde sie erlösen. Mehr kann ich nicht mehr für sie tun... lächelte der Lautlose und betrat den Raum. Sie lag stumm und bewegungslos. Nur die nicht versiegenden Tränen bezeugten, dass sie noch lebte. Elidorian kehrte zurück. Schüchtern willigte sie ein. Nicodemus führte sie sanft und unaufdringlich durch den Raum und blickte ihr tief in die Augen. Lisa
versuchte nicht, einen gewissen Abstand einzuhalten. Sie schienangenehm wohlwollend. Und ihr Lächeln war echt. „Mit Verlaub, wenn ich diese Stimmung durch mein Wort stören sollte, aber Du siehst einfach hinreißend aus in diesem Kleid. Ich will es Dir schenken, sozusagen als Weihnachtsgeschenk. Niemandem stand es je besser als Dir.“ Eine leichte Drehung, sie glitt sanft unter seinem Arm hindurch, das Kleid rauschte leicht wie eine Sommerbrise und als sie ihn wieder ansah, errötete sie leicht. Schnell blickte sie zu Boden. Leise antwortete sie: „Ich habe nichts, was ich Dir schenken kann. Und schon gar nichts, was dem Kleid entsprechen könnte.“ Sie tanzten stumm weiter, Nicodemus bemerkte aber die Veränderung, die in Lisa vorging. Das flackernde Feuer in ihren Augen wurde geschürt. Als verbrenne man lüsterne Träume loderten ihre kindlichen Augen. Als der Tanz vorüber war und kein weiteres Stück folgte biss sie sich leicht auf die Unterlippe, sah ihren Gastgeber von unten herauf an und hauchte zu ihm empor: „Ich kann dies Kleid doch nicht annehmen. Ich werde es wohl besser ausziehen.“ Der ironische Unterton blieb Nicodemus nur in der ersten Sekunde verborgen, offenbarte sich ihm vollends als sie ihn mit gespielter Beleidigung ihr das Kleid zu öffnen hieß. Etwas überrumpelt begann Nicodemus Knopf für Knopf zu öffnen. Es waren hundert und zwei Knöpfe. Und die Leiste endete genau dort, wo der Po begann, wenn das Kleid richtig saß. Ja, das Kleid saß richtig. Die Langsamkeit, mit der es Nicodemus gelang, die Knöpfe zu öffnen, beschwor das weitere Verhalten des Mädchens herauf. Seine Finger umschlossen jeweils das Stück Perlmutt und jedes Mal berührte er ihren Rücken. Es war, als gleite er unendlich langsam an ihr herab. Das Kleid war geöffnet, aber er trat einen Schritt zur Seite und wollte nichts herausfordern. Sie aber drehte ihm bestimmt den Rücken zu und ließ das Kleid mit einem leisen Rascheln zu Boden gleiten. Es hörte sich an, als streife man das Papier von seinem Geschenk. Er sah den Rücken in seiner Blöße und kindlichen Schönheit, sowie den weißen Slip aus Spitze, den sie trug. Sie ging auf die Stereoanlage zu und spielte ein Lied, dann drehte sie sich herum und nahm Nicodemus bei der Hand. „Komm tanzen.“ Verdutzt gehorchte er. Bei den Bewegungen wippten ihre kleinen Mädchenbrüste leicht auf und ab, sie zogen Nicodemus in
seinen Bann. Die Knospen streckten sich ihm entgegen, steif und aufgerichtet. Unberührt, Lust verströmend... Da stand sie nun, mit ihren schulterlangen Haaren, ihren kleinen aufrechten festen Brüsten, dem lieben aber fordernden Lächeln. Ein kleiner kindlicher Bauch und ein leichter Beckenansatz betonten ihre sonst eher knabenartige Gestalt auf weiblichste Weise. Ihre Beine waren nicht übermäßig lang, aber gänzlich unbehaart. Nur unter den Achseln sprossen wenige Haare. Ihre zarten Hände spielten an ihren Oberschenkeln, als sie nun vor ihm stand. Ihre blau-grauen Augen blickten beinahe schelmisch drein als sie mit den Händen die Unterhose berührte. Aus den Schuhen war sie geschlüpft, als sie das Kleid ausgezogen hatte. Ihr Gesicht war rundlich und nur die offenen Haare ließen es schmal erscheinen. Zusätzlich betonten die Haare ihre Schultern. Langsam kam sie auf ihn zu und schlang sich langsam um seinen Hals. Als er nicht reagierte fragte sie mit gespielt beleidigtem Unterton: „Hey, ich will mich nicht so sehr strecken! Gefalle ich Dir nicht?“ „Du weißt, auf was Du Dich da einlässt, was Du hier heraufbeschwörst?“ Sie nickte verschmitzt, dabei zog sie die Augenbrauen hoch. Langsam und ganz vorsichtig, so als wäre sie eine Puppe aus Porzellan legte auch er seine Arme um sie. Erst auf die Schultern, dann fuhr er ihre Arme hinab, ihre Seiten und verharrte schließlich auf ihrem Becken. Behutsam zog er sie, ihre Augen fixiert, zu sich, schloss die Augen und nach einem Moment der wie die Ewigkeit schien, küsste er sie. Lisa war es, die sich zwischen den geschlossenen Lippen mit ihrer Zunge hindurch drängelte. Bei Nicodemus arbeitete es. Aber nur kurz, seine Hände wanderten zu ihrem Po und zogen sie noch inniger an seinen Körper. Lisa stand in Flammen. Die Leidenschaft loderte in ihrem jungen Körper. Sie öffnete Jacke und Weste. Mit der Fliege hatte sie ein wenig Mühe, aber das Hemd war schließlich keines mehr. Nicodemus Oberkörper war entblößt, da beendete sie den KUSS. Langsam sank Lisa auf die Knie und begann, seine Hose zu öffnen. Er beugte sich über das gepeinigte Fleisch, das Opfer und blickte sie bedauernd an. Dann prüfte er kurz ihren Knebel und widmete sich ein
letztes Mal ihrem Hals. Er biss zu. Nicht wie bisher, langsam und den Druck verstärkend, er biss zu wie ein Raubtier, das versucht, seine Beute zu töten. Jezebel wand sich vor Schmerzen, soweit es ihre Fesseln zuließen. Es knirschte leise und Jezebel erstarrte mit weit geöffneten, flehenden Augen, die keiner sah. Da bemerkte sie einen blitzenden Gegenstand in Martins Hand und bevor sie erkannte, was es war, spürte sie die Klinge an ihrem Hals. Ihre Adern wurden geöffnet. Das Blut floss auf das Laken. „Im Namen meines Sohnes. An seinem Geburtstag opfere ich, sein ewiger allmächtiger Vater ihm ein Mädchen, dass um meinetwillen sterben will! Ich segne Dich und Dein Blut! Ich liebe Dich, und Jesus wird Dich annehmen und auch lieben!“ Mit der Rasierklinge öffnete er die Wunden an den Brustwarzen wieder und schnitt ihr in die Arme und Beine. Dann drang er wieder in sie ein. Immer wieder beugte er sich nach vorne, um ihr Blut zu trinken. Er nippte nicht, er schlürfte, er soff das Blut, welches in Strömen floss. Voll Hingabe liebte er sie, er lachte und strahlte, blutüberströmt wand er sich in ihr, ihre Augen starrten an die Decke, ihr Blick verklärte sich langsam, im gleichen Maße, wie das Blut aus ihrer Hülle strömte. „Ja, Du willst mehr!“ stammelte er, als er wieder dem Höhepunkt nahe war. Bei diesen Worten schloss er die Augen, denn irgendetwas passierte gerade, etwas seltsames. Als er die Augen wieder öffnete war der Blutstrom kaum der Rede wert. Von einem göttlichen Höhepunkt heimgesucht sank Martin in sich zusammen. Als er wieder Herr über seine Sinne war begann er, die rote Flüssigkeit z trinken, die sich in der Mulde gesammelt hatte, die Jezebels Körper verursacht hatte. Nach mehreren Schlucken legte er sich auf den erkalteten Körper zu schlafen. Das Blut gerann auf seinem Körper, es wurde dunkel und verlor seine Schönheit. Trocken und braun bildete sich Kruste und die Haut Martins wurde befleckt. Die Kälte des toten Körpers und der Geruch von Tod und Blut regten die Träume des Mörders an. „Du sollst mir nicht wehtun. Also, sei ganz vorsichtig, bitte!“ Sie saß auf seinem Schoß und er küsste gerade zärtlich ihre niedliche Brust. Mit der Zunge berührte er immer wieder ihre Knospen. Diese Art Gefühle, die sie empfand schienen neu für sie, dachte Nicodemus bei sich.
Hemmungslos gab sie sich hin, quiekte, stöhnte, lachte, kicherte und seufzte vor Freude und Lust. Er hob sie ein wenig hoch und geschickt entfernte er auch noch das letzte Stück Stoff. Dann nahm er sie in den Arm und hielt sie fest. Bewegungslos. Nur die Wärme. Wärme, die Wärme ihres Körpers an seinem. Sie lebte. Lisas Augen waren geschlossen und so ließ sie es geschehen, das er sie hochhob und mit ihr aufstand. Er trug sie ins Schlafzimmer. Auf das weiße Laken bettete er sie, schloss die Türe und entzündete die Kerzen und Lampen. Diese warfen ein seltsam anheimelndes und gleichzeitig aufwühlendes Licht. Nicodemus kehrte mit einem schwarzen Tuch in der Linken zu dem Mädchen zurück. Er verband ihr die Augen, sie lachte wieder und er widmete sich mit seiner Zunge und seinen Händen wieder ausgiebig ihrem Körper. „Jetzt will ich Dir auch die Augen verbinden!“ sagte sie nachdem sie seine Behandlung längere Zeit genossen hatte. Sie drängte ihn auf das Bett und verband ihm die Augen, was ihm nicht ganz geheuer schien. Sie begann, seinen Körper zu streicheln, besondere Aufmerksamkeit ließ sie seinem Glied angedeihen. „Siehst Du auch wirklich nichts?“ fragte die, die es sichtlich genoss. Er bejahte dies stumm, denn er fühlte sich nicht so sehr wohl in der Rolle des Verführten. Aber irgendetwas passierte. „Du verdammtes Luder!“ sagte er beinahe bewundernd und sie lachte darauf ein wenig, als die anfänglichen Schmerzen nachließen. Dann lachten beide. Sie war müde, sehr müde. Sie lagen beide in dem großen Bett und erwarteten die Dunkelheit. Nur wenige Kerzen brannten noch. „Musst Du nicht nach Hause?“ fragte Nicodemus, und es tat ihm leid, dass er die Frage stellen musste, aber er sorgte sich um sie. Dieser Gedanke bereitete ihm kurzes Kopfzerbrechen. Sie lächelte ihn an und nahm ihn in den Arm. Dann küsste sie ihn auf die Backe und antwortete: „Kein Grund zur Sorge, ich werde nicht erwartet.“ Mit diesen Worten schlang sie auch die Beine um den Langhaarigen und schlief nach einigen Atemzügen ein. ...Sie ist etwas besonderes, seltsames. Unter ihrer kindlichen Fassade steckt ein wahres Monster. Vielleicht liebe ich sie. Sie ist das, was mir die Maske nehmen könnte, wenn sie nur will.
Meine Liebe zu ihr erwächst aus der Hoffnung, erlöst zu werden. Wenn sie mich erlöst... Aber was ist mit dem großen Geheimnis, mit Arcana und mit meinen Freunden. Alle würde ich verlieren... Die Erdenlichter des Weihnachtsfestes trübten den zu dieser Stunde seligen Glanz der Sterne und in den Herzen der Menschen breitete sich wohlige Wärme aus. Es war das Feuer, dass aus dem Druck entstand, der Gefühle unter Verschluss hielt, Neid, die Enttäuschung bei der Bescherung und der ganz alltäglich gewordene menschliche Hass, gemischt mit einer dumpfen Gleichmütigkeit aus schleichendem Grau. All das wurde überspielt von einem Lächeln und man deutete das Glühen in den Augen des Anderen als Freude. Dieses Feuer wird weihnachtliche Stimmung genannt. Die Tannenbäume, beladen mit Kugeln, Lametta, Sternen, Verwünschungen, Flüchen und Engeln weinten bei dem Anblick der Seelen. Sie warfen ihre Nadeln den Menschen vor die Füße und der Wind schlenderte durch die Gassen, versucht, seinen Kindern Trost zu spenden. Leise heulte er mal hier mal dort und auf dem Fuße, der Unterhaltung wegen, folgte der Tod. Der Wind heulte, aber keines seiner Kinder hörte ihn, denn die gute Stimmung auf Platte oder CD war lauter. So schlossen die Bäume einsam ab mit ihrem Leben und hofften, einer ihrer Samen würde aufgehen. An einem Haus verabschiedete sich der Tod. Der Tannenbaum in diesem Haus war mit Blut geschmückt, auf einem kleinen Tisch stand er und auf dem Bett lagen zwei... Schlafende. Doch eine Person war bereit für ihn, war bereit zu gehen, von dem Schläfer dazu gezwungen. Es wurde kälter und der Regen wurde zu Schnee. Die Erde war so kalt, dass er auf ihr liegen blieb. Die Bäume, mit Schnee und Eis überzogen glichen in Agonie erstarrten Seelen. Verkrüppelt und nach Leben lautlos rufend standen sie, verwurzelt in der kalten Erde. Der schwarze, matt beleuchtete Spiegel beschlug. Der weiße Belag machte ihn blind. Es wurde alles stumpf und matt. Das Schneeweiß war grau, die Nacht war zwar schwarz, doch da war auch noch der Nebel der das Schwarz verwusch. Das Licht aus den Fenstern und Laternen wurde milchig und die Luft war schwer, dumpf und unangenehm. Die Welt war verlassen von Menschen. Welch eine schöne Welt!
Keine Menschen... kein unwürdiges Leben auf der Erde. Die Welt würde aufatmen, frei atmen und der Schrei der Natur würde die Götter aus dem Schlaf reißen und ihnen zeigen, dass sie das Problem der Schöpfung allein gelöst hätte. Doch schon zog der Morgen herauf und er warf fahles unbestimmbar schwaches Licht in die Nacht. Bald schon kroch die rote Scheibe müde und unausgeschlafen über den zerfransten Horizont. Die wachende Stille wurde vertrieben. Eine einzelne Person kam aus der Dunkelheit, stellte sich vor die Tür des bekannten Hauses und tönte: „Das Licht gelöscht, die Gedanken klingen aus! Entschwebt die Nacht zu ungedachten Träumen! Ich habe das Fleisch gegessen, das Blut getrunken, ich habe erschaffen und ich habe zerstört. Ich habe Leben genommen und ich werde Leben geben, schon bald! Nicodemus! Öffne die Tür, mein Freund, ich bin es, der Gott ist da! Doch Traum wurd’ Wirklichkeit und trieb das Blut, auf das auf dem Laken das Zeichen von einem Gott sich fand.“ Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und das verschlafene Gesicht von Nicodemus erschien. Voller Freude trat Elidorian ein, ohne eine Einladung seines Freundes abzuwarten. „Was willst Du Elidorian?“ „Es ist eine gute Zeit zu leben, oder um zu sterben, je nachdem ob man Gott oder Mensch ist.“ „Martin, es ist keine gute Zeit, ich bin müde und es war spät.“ „Ich habe es getan, alter Mann. Jetzt wurde der Schüler zum Meister. Ich bin nicht nur ein Gott, nein, mein Freund, ich bin Gott. Einfach Gott!“ In diesem Moment erschien Lisa in der Türe des Schlafzimmers, nur ein Handtuch um den Körper gewunden. Elidorian verstummte. Seine Augen weiteten sich in der Dunkelheit und er erkannte die zarte Gestalt. Er atmete ganz tief ein, dann schrie er: „Du billige Schlampe! Warum nimmst Du ihn, wenn Du mich haben kannst?“ „Ist das also nun Dein wahres Gesicht? Der Gott ohne Freunde, ohne die Gabe zu geben? Der Gott ohne Gewissen? Der handelnde Gott? Höre, ein Gott handelt nicht aus sich heraus. Ein Gott ist Philosoph und wenn er handelt, dann, weil er weiß, was in der Zukunft geschehen soll!“ sprach Nicodemus und versuchte, den ungebetenen Gast hinauszudrängen.
„Der Wahrheitsfindung zu dienen, das ist der Menschenheit Will, drum nehme ich ihr Blut und reibe es an der Zeit, auf dass die Erkenntnis sich von der Schlange nicht verschlingen ließe!“ schrie Elidorian mit Pathos in der Stimme, als hätte er diesen Text gelernt. „Nur reden und geistig handeln! Eines Gottes Wege sind unerfindlich für die Augen der Menschheit, nur Herzen sehen gut!“ ließ Nicodemus zu diesem Duell reizen. „Handeln, das ist mein Begehr! Mein einzig Ziel soll sein! Nur Gott kann handeln, ohne Urteil zu fürchten! Nur Gott kann handeln und mit einem Streich Leben oder Welten verändern.“ Nicodemus spürte den Wahnsinn in seines Gegners Gedanken und schloss die Verbindung wieder. Er drängte seinen Kontrahenten vor die Türe. Dann schlug er diese zu. Lisa, die bis dahin nur mit offenem Mund beobachtet hatte, schüttelte, auf das ärgste verwirrt, den Kopf. Sie konnte nicht begreifen, was da eben vor sich gegangen war. Jedoch bevor sie etwas sagen konnte, klapperte der Briefschlitz an der Türe. Durch diesen fielen einige Photos, einige Blätter und ein Videoband auf den Boden. Dann kehrte die Stille zurück. Nicodemus sammelte alles auf und betrachtete zuerst die Bilder. Sein Gesicht spiegelt Abscheu wider, aber in solche Ausmaß, dass es allein von dem Anblick dieses Gesichts Angst und Bang wurde. „Was ist das?“ fragte neugierig Lisa. Schnell verschwanden die Photos hinter seinem Rücken, zusammen mit dem Rest. Er legte alles in eine Schublade, verschloss diese und legte den Schlüssel auf den Schreibtisch. Dann legte er seine Arme um Lisa und lächelte sie an: „Das ist leider nichts für Dich. Es würde Dich nur belasten. Komm wieder mit ins Bett, ich bin müde. Bitte, komm, Du bist doch auch müde. Es ist Weihnachtsmorgen.“ Sie folgte ihm und beide schliefen bald ein. So schien es zumindest. Aber Lisa tat nur so. Als sie sicher war, dass Nicodemus wieder den Schlaf des Gerechten schlief erhob sie sich und öffnete die Schublade, in welcher die Photos, Zettel und das Band verschwunden waren. Als der Schatten von den Bildern floh, als wäre er dankbar, diese Bilder nicht
länger verbergen zu müssen, gleichzeitig aber auch etwas zäh, vielleicht aus Unsicherheit, ob diese Photos jemals von Licht beschienen werden sollten, ließ sich Lisa wie ein Kind, mit gespreizten Beinen auf dem Fußboden nieder. Ihre Augen sahen die Bilder und ihr stockte der Atem. Nur schwerlich unterdrückte sie einen Schrei. Einen Schrei aus Ekel, aus Angst, dass das, was sie in Händen hielt die Wahrheit war. Die Photos zeigten einen Körper, der in Blut schwamm. Sie kannte das Bett, sie kannte das Gesicht. Weiter zeigten die Photos, wie langsam aber sichtbar die Leiche zerstückelt worden war. Brüste waren wie die Arme, Beine, Kopf und Unterleib getrennt worden. Die letzten Bilder zeigten den Mörder, wie er die Brüste und etwas mehr aß. Er lachte in die Kamera, so als sei es sein Geburtstag und es schien ihm zu schmecken. Ein Bild zeigte, wie er onanierte, vor der zerteilten Leiche. Erst wenn Du Dich nicht mehr wehren kannst, lasse ich Dich los! Denn dann kannst Du tun was Du willst! Sie hob die Zettel auf. Sie waren durcheinander, aber sie ordnete sie nach den Zahlen, die unten auf der jeweils letzten Zeile waren. Dabei hatte sie einige Mühe, denn ihre Hände zitterten und ihr Magen rebellierte auf das Heftigste gegen das, was sie da gesehen hatte. Aber sie zwang sich, Ruhe zu bewahren. Auf keinen Fall sollte Nicodemus aufwachen, er hatte den Schlaf verdient. Er hatte sie verteidigt, soviel war ihr klar. Und nun wusste sie auch wovor. ...Ich spreche zu Euch ihr Menschen und menschlichen Götter, also höret. Ich habe mir ein Opfer gebracht und nun möchte ich davon berichten. Ich fesselte sie und ließ sie ausbluten, ich trank ihr Blut. Als ihre Seele den Körper verließ und vor mich trat, um ihr Gericht zu empfangen vollzog ich an ihr das, was ich an ihrem Körper bereits zu vollziehen mir das Recht gegeben hatte. Nur ihr Geist, ach, sie hatte so wenig davon, entglitt mir. Ihrer Seele fügte ich dafür Schmerzen zu und verwehrte ihr das Paradies, um ihrer Qualen und ewigen Leiden Willen. Zu ihren blutleeren Füßen schlief ich. Auf ihrem blutleeren Körper schlief ich ein. Und ich schrieb mit ihrem Leben diese Zeilen. Blickt auf die restlichen Photos, ich machte sie von meiner Geliebten. Jeder soll sie
in ihrer wunderbaren liebenden Schönheit erblicken. Ihr Tod war das Weihnachtsgeschenk für mich... Sie hatte die Worte mit Ekel gelesen, aber hier musste sie enden, irgendein Druck lag nun auf ihrer Brust. Ihr fiel es schwer zu atmen. Aber sie wollte nun nicht aufhören, sie wollte doch alles wissen. Auf der Suche nach einem Fernsehgerät öffnete sie die Schränke, fand schließlich eines, neben einem Videorecorder. Das Band schob sie ein, und schon flimmerte ein Bild auf dem Fernseher. Es zeigte Martin, wie er nackt vor seinem Bett stand. Mit einem Messer beugte er sich über irgendetwas. Aber er zögerte, kam auf die Kamera zu und... Das Bild zeigte Blut. Als es nach oben glitt zeigte es zwei nackte Beine, auf denen das Blut bereits braun verfärbt trocknete, zeigte eine Scham, verklebt, verschmiert. Es folgten der Bauch, die Brüste, die gestreckten Arme und ihr Gesicht. Es war Jezebel. Jetzt erschien Martin wieder im Bild und immer noch hielt er das Messer. Was er jetzt begann war für Lisa bis dato noch nicht erdacht worden, sie kannte einfach diese Grausamkeiten nicht. Er begann, den toten Körper zu zerteilen. Erst teilte er die Brüste ab, es war, als schneide er Brötchen auf, die Oberhälften legte er auf Seite, dann schnitt er die Arme und die Beine, am Schluss endlich den Kopf ab. Lisa atmete schnell und schien trotzdem keine Luft zu bekommen, aber was nun folgte, zwang sie zum Erbrechen. Ihr Freund Martin setzte sich vor die Kamera, sein Gesicht war gut zu sehen, und dann begann er, die Brüste zu verspeisen. Er kaute auf ihnen herum und würgte sie hinunter. Er schlang sie hinunter wie eine Schlange ihre Opfer verschlingt, nur dass er totes Fleisch fraß. Er trank noch etwas Blut, dann legte er sich schlafen. Auf dem Korpus legte er sich schlafen, dann nach wenigen weiteren Minuten verschwand das Bild, der Schnee rauschte über den ich zwischen den Kissen und Decken. Sanft streichelte er ihr Gesicht, trank ihre Tränen und nahm dadurch ein Stück ihrer Angst und ihrer Seele in sich auf. Jede Träne war wie ein gleißender Tropfen auf seine nachtschwarze Seele. Wie ein Funke in der absoluten Dunkelheit, nein nicht Dunkelheit, nicht Schwarz an sich, sondern Schatten, es fehlt das Licht. Seine Hand legte er auf ihren Bauch und nach einigen Atemzügen
atmete sie etwas ruhiger und die Tränen flossen langsamer. Ihr Blick war leer und verständnislos, beinahe unmerklich schüttelte sie immer und immer den Kopf, als könne und wolle sie nicht begreifen, was ihre Augen da gesehen, aber ihre Seele nicht gesehen hatte. „Lisa, öffne Dich. Du musst diesen Schmerz und dieses Leid, das Du gesehen hast auch an Deine Seele rühren lassen. Bitte glaube mir, das ist der einzige Weg, nicht wahnsinnig zu werden.“ „Ich kann nicht, ich will das nicht sehen, ich will es vergessen, ich habe es nie gesehen.“ sprach sie in die Leere, ohne das sich ihre Lippen besonders bewegt hätten. Nicodemus legte seinen Kopf auf ihren Bauch, hielt ihre beiden Hände mit den seinen. „Was ist mit Martin nur geschehen?“ „Er ist eine Gefahr. Auch für Dich ist er jetzt eine Gefahr.“ „Wieso für mich?“ „Die Liebe hat er nun verinnerlicht, er glaubte, dass Jezebel ihn geliebt hatte. Und durch das, was Du auf den Photos und dem Video gesehen hast, und dem, was Deine Phantasie ohne Aufforderung ergänzt weiß ich, dass er ihre Kraft in sich fühlt. Und nun will er Dich! Deine Liebe will er auch! Lisa, verstehst Du?“ Aber sie war ihm bereits in eine Ohnmacht entglitten. Ihre Gesichtszüge spiegelten noch immer das Grauen und die Angst, die sich für den Rest ihres Lebens in ihre Seele eingebrannt hatten, aber allmählich entspannten sie sich ein wenig. Ihre Hände, die Hände ihres Beschützers zuvor noch umklammernd ließen locker. Auch Nicodemus schloss die Augen, er versuchte, nachzudenken. Aber es gelang ihm nicht. Es war, als läge schwarzer, klebriger Teer auf seinen Gedanken. Zudem griff die Müdigkeit nach ihm. Und nach wenigen Momenten des sinnlosen Wehren gegen den Schlaf, hörten die Gedanken auf. Er träumte, aber er sollte sich nicht daran erinnern. Es war Weihnachten. Das Fest der Liebe. Der Wind und der Tod zogen durch die Gassen von Augsburg und spielten im Schein der Laternen. Und beide lachten, heulten und jaulten durch die Straßen, über die Plätze, an den Scheiben und Türen der Häuser vorbei. Der Tod würde wohl noch einige Tage hier bleiben müssen. Ein Sohn mache ihm Geschenke und bald würde auch er zu seinem Vater kommen.
Sie stand an die Friedhofsmauer gelehnt und betrachtete die Menschen, wie sie mit zunehmender Eile Zuflucht in ihren Häusern suchten. Dunkelheiten, die mit ihren Dämonen, Schatten und Ängsten heraufzogen, um dem Tag Farbe und Glanz, Schmach und Dreck zu stehlen. Der Wind und der Tod marschierten hinterdrein. Sie war etwas müde, aber ihre Augen leuchteten, obgleich etwas in diesem Leuchten war, dass kein anderes Kind hatte. Sie war ein Mensch geworden. Sie hatte etwas gesehen und hatte es nicht angenommen. Nun war ihr Schicksal besiegelt. Es war das eines jeden Menschen: zu sterben. Die schwarzen Vögel zogen verloren ihre Kreise über dem Tod, welcher hinter dieser Mauer lauerte. Sie riefen ihr zu, es sei kein Platz für ein Mädchen das leben möchte, doch sie hörte nicht. Tief in Gedanken nahmen ihre Augen nur die Bilder der vergangenen Tage wahr... ...eine Woche ist es her, dass ich das Licht der Sonne gesehen habe. Seit einer Woche, sieben unbeschreiblichen Tagen war ich gefangen. Er hielt mich. Und ich war sein kleines furchtsames, neugieriges Mädchen. Irgendwie war es ja ganz schön, aber immer wieder kamen diese grauenvollen Bilder zurück an die Oberfläche meines Gedächtnisses. Oh, diese Bilder... Ich betete, dass dies alles ein Traum sein mochte. Aber es war, es ist kein Traum. In meiner Stadt, mit meinem Freund; Mord und Gewalt geschieht, aber niemand sieht es. Nicht einmal in der Zeitung stand dieser Mord... vielleicht hat er sie gut versteckt. Nein, ich will nicht weiter darüber nachdenken, etwas muss geschehen, Ich bin kein kleines Mädchen mehr, ich bin eine Frau, eine erwachsene vernünftige Frau. Mein Gott, was soll das ? Ich habe mich mit Verrückten eingelassen, der eine hat ein angemaltes Gesicht, der andere frisst Menschen. Wer ist wohl verrückter? Aber was mache ich eigentlich hier? Ich wollte nach Hause, oder... ich weiß nicht, mein Vater ist wahrscheinlich unheimlich verärgert, weil ich statt einen Tag sieben Tage weggeblieben bin. Dieser verdammte Wind, er ist so kalt, was soll das? Ihre Haare zappelten ungeduldig im Wind, als wollten sie Lisa den Weg fort von diesem Platz des Todes weisen. Der Wind schrie und versuchte ebenfalls, Lisa von diesem Ort fortzubewegen, aber es misslang.
Um sich zu schützen vor dem Wind trat sie in den Friedhof ein und suchte Schutz hinter der Mauer. Die Bäume blieben stumm, lautlose Schreie, denn sie hatten dem Winter ihre Zungen geopfert, Lisa hätte diese Warnungen aber niemals gehört, sie war ein Mensch. Martin schlich vorbei an diesen Ruhestätten, sein Grinsen wirkte seltsam ernst, seinen Kopf bewegte er immer hin und her, nach links und rechts. Er ging leicht gebeugt, entweder wollte er den Wind täuschen oder er war von der Last gebeugt. Ganz langsam schlich er auf sein Opfer zu, es war, wie er sagte, in seinem Reich. Schon war er ganz nah heran, streckte die Hände aus, gleich der Dunkelheit. Erst verschlangen sie ihren Schatten, dann kam er über sie, hielt ihr den Mund zu und, Lisas Überraschung ausnutzend, knebelte sie, fesselte sie und versteckte sie hinter einem großen Grabstein. Dann verschwand er. Lisa war allein, der Friedhof war verlassen. Nur die Stille und die Dunkelheit standen ihr bei. Oder lachten sie das kleine Mädchen nur aus? Die Kälte nagte an ihr, aber sie drang nicht bis zu ihren Gedanken, diese rasten wirr in ihrem Kopf umher, sie dachte an das Videoband, die Photos oder die Blätter, die Martin, ihr Martin beschrieben hatte. Ihr Geist schrie sie an, sie würde Jezebel folgen, aber sie stellte sich taub. Unbeweglich vertraute sie auf die Liebe, die zwischen Martin und ihr existiert hatte. Doch schon kehrte Elidorian zurück. Die Nacht war dunkel und kalt, Lisas Mantel war dreckig und begann die Feuchtigkeit an Lisas Körper zu leiten. Ihr war kalt und schon schlich die Krankheit durch das junge Mädchen, aber... würde sie jemals zum Zuge kommen? Elidorian öffnete Lisas Mantel und nahm auf ihm Platz. Mit der Hand strich er über ihr Gesicht, berührte den Knebel und ihre Nase. Dann begann er mit einer Stimme voller Lieblichkeit und Wärme, die Lisa zunächst wärmte, dann aber im nächsten Moment eisige Schauer über ihren Rücken jagte: „Lisa. Du warst meine Freundin. Ich habe Dich geliebt, aber Du bist zu dem gegangen, dessen Schüler und Freund ich einst gewesen. Was soll ich den davon halten? Du hast mich einfach verlassen. Aber man verlässt mich nicht. Ich gebe Dir noch eine Chance, denn ich liebe Dich.“ Lisa hielt den Atem an, ein Funke Hoffnung machte sie glauben, er würde sie gehen lassen und sie könnten vielleicht weiterleben, aber
als er wieder sprach und wieder in diesem pathetischen, liebenswürdigen mit vielen Pausen gespickten, langsamen Ton, goss Martin einen ganzen Kelch unvergessener Tränen über diesen Funken aus: „Ich liebe Dich und Du liebst mich. Ich liebe Dich, so wie ich auch Jezebel liebte. Nun wird sie mich nicht mehr verlassen, sie ist in mir. Und Du wirst auch bald in mir sein.“ Ihre Augen weiteten sich, sie sah zwar nichts, aber spürte wie die Freundlichkeit aus Martin wich. Er packte sie bei den Armen und zog sie auf die Beine. Er zog sie durch den Friedhof. Seine Kraft zog sie unerbittlich weiter, auch ihre Gegenwehr nützte nichts. Auf einem Grab machte er Halt. Etwas verächtlich stieß er die gefrorenen Blumen auf diesem Grab hinfort. Das Grablicht ließ er jedoch brennen. Erst als der Mond einige Minuten später durch die Wolken hindurch zu erkennen war, blies er das Licht aus. Wie Gott ein Lebenslicht ausbläst. Er legte sie auf die Grabplatte und kniete sich erneut auf ihren Mantel. Seinen Kopf stützte er auf sein Knie, die linke Hand dazwischen. Etwas unscharf sah sie seine ausdruckslosen Augen. Langsam öffnete er ihre Kleidung. Sie atmete schnell und flach, ihre Augen gingen schnell hin und her, auf der Suche nach Hilfe, nach einer Hoffnung. Dabei sah sie die Aufschrift des Grabes. Sie lautete: Ein Mädchen wurde vom Winter gegeben, Bianca hieß sie und wir wissen sie hatte nicht viel Zeit zu leben, dann hat der Tod sie uns entrissen! „Du musst nicht nach Hilfe suchen. Ich habe die Friedhofstore geschlossen. Niemand wird hier jetzt erscheinen. Außerdem ist Silvester, in wenigen Minuten brüllen die Feuerwerkskörper den Frust der Menschen des gesamten vergangenen Jahres in die Nacht hinaus. Niemand wird Dich hören, niemand wird Dich sehen... Aber ich werde Dich lieben.“ Mit diesen Worten bückte er sich über sie und küsste ihre Brust. Seine Hände wanderten zwischen ihre nackten Schenkel. Suchten die Öffnung, fanden sie. Er lächelte. Seine Zunge glitt über ihre vom Mond beschienene Haut. Ihre Haut war weiß. Fahl und rein. Das Licht schien etwas bläulich. Es war ruhig, nur ihr Atmen war zu hören. Aber nur kurz. Dann begannen die Menschen mit dem Feuerwerk. Es
wurde laut und das Licht wurde unruhig, bunt. Er berührte mit seinen Lippen ihren Hals. Dann flüsterte er: „Dort, wo meines ehemaligen Meisters Kraft liegt, tief verborgen, werde ich mir Deine Liebe und die Liebe seiner Schwester holen.“ Er lächelte sie an. Dann stand er auf, öffnete den Gürtel an seiner Hose. Um ihre Arme, die bereits gefesselt waren sorgte er sich nicht Aber um ihre Beine. Diese band er hinter dem Grabstein zusammen, so dass sie nun die Beine nicht mehr schließen konnte. Er zog seine Hose herunter und zeigte ihr sein steifes Glied. Dann kam er über sie. Durch den Knebel konnte sie anfänglich nicht schreien, aber als er in ihr war, öffnete er den Knebel. Mit fragenden Augen blickte er sie an. Sie schien Schmerzen zu verspüren, er stieß fest zu. Und sie schrie, aber ihr Schreien wurde vom Wind verschluckt und der Tod stand neben dieser Szene und besah sich das Schauspiel. Mit seinen Händen krallte er sich in ihren kleinen Brüsten fest. Sie biss die Zähne zusammen, schloss die Augen. Sie biss sich auf ihre Unterlippe bis das Blut floss. Als Martin das merkte, bewegte er sich nicht mehr. Er beugte sich nach vorne und leckte ihr Blut ab. Als er das tat, versuchte sie, ihn zu beißen. Aber dieser Versuch misslang. Nur Luft. Kalte Luft Er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Benommen war sie, spuckte Blut. Er fuhr mit seiner Tat fort. Jetzt krallte er sich in ihren Haaren fest, hielt ihren Kopf auf dem Boden. Das Blut schien ihn angeregt zu haben. Er wurde immer schneller und selbst schrie er. Aber seine Augen waren kalt. Nachdem er seinen Samen in ihr gesetzt hatte, küsste er ihren Hals. Er biss sich an ihr fest. Sie schrie, aber er wusste nun, wie man diese Tat vollbringt. Schnell zog er ein Messer aus der Hose und öffnete ihren Hals. Auch schnitt er in ihre Schamlippen. Mit leuchtenden Augen kaute er auf ihrem Fleisch, während er sein Opfer ansah, darunter den Stein, auf dem das Blut lag. Der Himmel glich einem Inferno. Blitze zuckten, Explosionen, der Donner stürzte sich von einer in die nächste, ohne der Stille einen Laut zu gewähren. Heulende Schreie, Funken sprühten, blaues Licht, grünes Licht, goldene Funken, Fackeln, Flammen, Detonationen in allen Farben. Die Wolken spiegelten dieses Inferno auf die Erde wider. In dieser halben Stunde nach Mitternacht war es wirklich so, als betäubten und schrieen die Menschen alle zugleich ihren Hass hinaus.
Wie ein einziger Schrei, der um die gesamte Erde zog. Der Tod und der Wind schwiegen in dieser Zeit. Erstaunt waren sie, über dieses Klagelied der Menschen. Von oben sahen sie auf die Menschen und erinnerten sich, wie es letztes Jahr doch gewesen. Der Geruch von Pulver und Streichhölzern machte sich breit. Selbst in den luftigen Höhen. Der Wind und der Tod stiegen hinab. ...auch heute werde ich ein junges Geschöpf mit mir nehmen. Sie liegt bei denen, die ich holte, vor Zeiten. Dort hat sie gelebt. Ihre Geschenke sind ungeöffnet. Ein Teddybär, ein Pulli und ein Kleid. Sie war noch ein Mädchen... Aber er nennt sich Gott. Nur was sind Namen ? Das arme Mädchen. Ich wollte sie nicht zu mir nehmen, aber er hat es so gewollt. Martin leckte ihr Blut von der Grabplatte, von ihrem Körper, trank es aus seinen Händen, wie Menschen Wasser aus einem Bach trinken. Dann begann er sein Mahl. Er begann mit den Brüsten, schnitt sie von ihrem Körper ab und aß die, zerriss die zarte Haut und kaute auf dem Fleisch wie ein Wolf der seine Beute erlegt hat. Eigentlich war er danach schon satt, aber er trennte auch Kopf, Arme und Beine ab, biss noch ein paar Mal ab, dann warf er die Körperteile in den Friedhofsbrunnen. Das Blut trocknete auf dem Grab, er setzte sich daneben und zückte Block und Füller. Der Donner und das flackernde Licht waren versiegt. Die Menschheit war bereit, die ersten Stunden dieses neuen Jahres zu verschlafen. Es war ruhig, nein, still und Martin war voller Energie, die er nun in einer literarische Form gießen wollte. Liebe, Liebe überall, auch in meinem Kopf Liebe, sie war überall, ich packte sie beim Schopf Ich nahm ihr Blut, ich nahm ihre Brüste Ich habe göttliche Gelüste Blut, Blut überall, auch in meinem Mund Blut, es war überall ich goss es in den Schlund Ich nahm ihre Scham, ich habe sie gefickt Mein Meister hat mich fortgeschickt Nun, Nicodemus, wenn Du das hier liest, habe ich Dir etwas genommen, Deine Kraft, ich habe dies Grab entweiht, sieh her, sieh das Blut. Es war... nein, das verrate ich Dir nicht. Aber Du wirst es vielleicht schon
bald herausfinden. Ich bin Dein Gott und ich wurde Dein Meister, Du und die ganze Welt, ihr solltet vor mir knien! Aber ich will gnädig sein, ihr sollt für mich und durch mich sterben... Dann, als er die Worte verfasst und seine Unterschrift gesetzt hatte, legte er den Brief auf das Grab und verschwand in der sich verschlingenden Nacht des ersten Jahres. Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen das Land des neuen Jahres berührten, schlich sich ein einsamer Bewohner der noch schlafenden Erde zu einem Platz der ewigen Ruhe. Dort wollte er nach jemandem sehen, der viel Liebe nötig hatte. Nur die Liebe hielt sie am Leben. Die Liebe eines einzigen Wesen, hielt sie fest, hielt sie und das Leben in ihren Gebeinen. Die Tore waren geschlossen, Nicodemus stieg hinüber und setzte seinen Weg fort durch die Nacht, die nach dem Feuer, welches die Menschen verbreitet hatten, ruhig und still war. Sie war frisch, neu, es war eine neue Nacht, eine Nacht die nicht tot war, nur schlief und eine kräftige Nacht, die ihre Energie spüren ließ. Es war kein verdammendes Schwarz, welches alles verschlang, vielmehr ein dunkles Blau, das wie ein Schleier um alles Lebende gelegt war. Nicodemus mochte diese Nacht, sie war etwas, dass er jedes Mal herbeisehnte. Er fühlte sich beinahe gelöst, erstarkend, die Last des alten, vergangenen Jahres hinter sich lassend. Er atmete tief ein, um die Energie der Nacht, dieser Nacht zu nutzen. Ein ganz leichter Wind folgte ihm. Er war leicht und tänzelte in kleinen Böen und Schüben ganz sanft neben seinem Freund. Der Tod begleitete das seltsame Paar nicht. Die letzte Seele für diese Nacht hatte er noch im alten Jahr geholt und in seine Obhut genommen. Aber der Wind ahnte was und sein leises Heulen verlieh der Dunkelheit eine lebendige Tiefe. Erst war es nicht zu erkennen, dann aber in vollendeter Dramaturgie sandte die Sonne erste Strahlen über das Firmament, mit ihnen eine glutrote, ruhende Dämmerung. Das neue Jahr wurde mit eben diesem Licht, mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres besudelt, beschmutzt. Der Stein war befleckt. Das Blut war dreckig braun, getrocknet, gefroren; Haare, Haut, all das lag in den wunderbaren seltenen Lilien.
Nicodemus sank auf die Knie und berührte die Grabplatte, berührte das Blut. Seine Züge verhärteten sich, denn er musste das hinnehmen, was er nie glauben wollte, nie geglaubt hatte. Seine Schwester war tot. Der, der diese Tat begangen hatte, hat auch das Leben dieses Mädchens genommen. Mit beiden Händen streichelte er das Grab, fuhr sich dann über sein Gesicht und das Rot des Blutes befleckte es. Seine Augen waren schwarz und das Feuer schlug gegen den Himmel, die Flammen waren so heiß und so voll Hass, dass die Wolken zerstoben in alle Richtungen und die Sterne einen Weg zur Erde fanden, um sofort zu erblassen, als ihr Licht auf das Grab fiel. Lange lag er so vor diesem Grab. Durch Zufall wurde er von dem Totengräber entdeckt. Erst dachte er, Nicodemus sei die Ursache dieser Gräueltat, aber ein Blick in seine Augen überzeugte ihn. Er stand, eine Mistgabel in der Hand neben diesem Unbekannten, dem er glauben schenkte, starrte mit von Ekel erfüllten Augen auf das Grab und schwieg. „Wer kann das nur getan haben?“ „Es war jemand, der Shiva spielt, ein Wahnsinniger.“ „Und woher kommt dieses viele Blut?“ „Das dreckige, braune ist das Blut eines Opfers, seines Opfers. Das, was noch feucht glänzt, ist das Blut des Mädchens, das in diesem Grab lebte.“ Ohne auf die ungläubige Miene zu achten, wandte sich Nicodemus ab und nahm das, was der Wind gefunden hatte auf. Kurz schnupperte er. „Was riechen Sie?“ fragte der Mensch. „Mittlerweile riechen die Menschen den Kadaver nicht einmal mehr dann, wenn selbst Gott und Teufel sich abwenden. Die gesamte Menschheit verrottet, rieche den gnadenlosen Tod.“ Mit diesen Worten ging er, und obwohl noch viel zu erledigen gewesen wäre, blieb es unerledigt. Es waren weltliche Dinge, wie etwa das Polizeiprotokoll, das Säubern des Grabes. Nicodemus war unterwegs, eine göttliche Aufgabe zu erfüllen: Rache. Er weckte die Nemesis in sich und ließ ihr freien Lauf. Er würde ihn finden! Nemesis findet jeden und jeder bekommt von Nemesis, was er verdient!
Der Wind war angenehm warm, das Feuer brannte auf dem Grab eines Unbekannten. Das Grab, welchem seine Lust galt war offen, der Sarg freigelegt. Vorsichtig öffnete er ihn und besah sich das Mädchen, das darin lag. Das Unlicht der Nacht war bläulich und legte alles schlafen, die Augen der Menschen wurden geschlossen und die Sterne hielten sich Wolken vor die Augen. Die wenigen Bäume, die noch auf waren, schüttelten die Köpfe und wandten sich ab. Der Nebel verzog sich und somit war es eine Nacht, wie sie einsamer nicht hätte sein können. Die Menschen schliefen in ihren Häusern. Der Wind hielt Wache und der Tod tat das, was ihm von der Liebe zu Beginn des Todes verboten worden war. Zu einer Zeit, lange bevor der Gedanke an etwas menschliches gedacht wurde: Es war die Zeit, als der erste, der allererste Gedanke, die ursprünglichste aller Ideen, die Idee an sich. Sie entstand aus der Verschmelzung von Licht und Schatten. Das Licht und der Schatten ließen die Grenze hinter sich und verschmolzen ineinander. Aus dieser Verbindung entstand dieser erste Gedanke, der archaische Urgedanke der Liebe. Alle Gefühle waren in der Liebe enthalten, alle göttlichen Gefühle. Denn die Gefühle waren göttlich. Dann kam der Mensch. Er schuf sich Namen für Licht und Schatten. Sie nannten sie Gut und Böse. Und mit diesen Namen trennte er die Liebe. Neue Gefühle entstanden, es waren falsche menschlich Gefühle, Pandora. Der Mensch war nun die neue Grenze zwischen Licht und Schatten. Der Mensch stellte sich über Licht und Schatten, nannte sich ihr Vater, weil er ihnen Namen gegeben hatte. Gut war verzweifelt, weil es Böse nicht mehr berühren durfte. Aber sie konnten miteinander denken. Ungestört, weil der Mensch diese Sprache verlernt hatte. Licht und Schatten fassten einen Plan. Einen Plan für ihr Kind, die Liebe und auch für den Menschen. Mit aller Kraft wollten sie den Menschen erfüllen mit Licht und Schatten, die Grenze ein letztes Mal überschreiten. Und im Menschen sollte die Liebe geboren werden. Der Mensch aber sah das Licht und den Schatten auf sich zuschreiten und nannte sie Gott und Teufel.
Der Kampf war geboren. Der Mensch führte das Schwert im Kampf Gott gegen Teufel. Teufel gegen Gott. Und der Kampf zwischen Gott und Teufel, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Schatten entbrannte. Der Mensch führte das Schwert und er sah, dass es mensch war. Der Teufel gewann diesen Kampf, das Gute, Gott, Licht, gab es nicht länger. Und der Teufel ging zu den Menschen und er sprach: Das Licht braucht ihr nicht, nicht das Gute, keinen Gott braucht ihr. Die Menschen freuten sich und feierten. Die Menschen waren frei. Sie waren nicht gut oder böse, sie waren mensch. Der Schatten aber verschied stumm, denn ohne Licht gibt es keinen Schatten. In wenigen Menschen aber ward die Liebe geboren. Fortan nannte der Mensch diese Wesen, die Liebe in sich trugen und es waren nicht viele, Messias, Buddha, Mohammed, Jesus, Irrer, Geblendeter, Geisteskranker, Kleriker, Hure, Heiliger, Scheinheiliger... Aber nun führte der Mensch Krieg gegen die Liebe, weil es mensch war... Der Tod holte jemanden aus seinem Reich in diese Welt des Lebens zurück. Er bekam diese Macht von einem Freund und der Toten selbst, denn in beiden wohnte die Liebe, beide waren wie die Söhne und Töchter des Lichts und des Schattens. Sie war nicht älter als vielleicht zehn Jahre, sie besaß langes schwarzes Haar, welches ihr mittlerweile bis zu ihrer kindlichen Taille reichte. Das Haar rahmte ihr wundersames Gesicht ein, wie ein Rahmen das schönste Bild der Welt. Ihre Fingernägel waren recht lang, die Arme waren neben ihrem Körper ausgestreckt. Die Augen geschlossen, lange Wimpern bewachten ihre Lider. Die Nase war klein und blass. Ihre Wangen waren seltsam straff und schlank. Ein nur zu erahnendes Lächeln lag auf ihren schmalen ungeschminkten Lippen. Nicodemus überfiel eine Gänsehaut und er atmete tief, als er seine über alle Maßen geliebte Schwester wiedersah. Auf weißen Samt gebettet lag sie da. Sie trug ein blutrotes einfaches Kleid mit einer Knopfleiste, die zwischen ihren Brüsten verlief. Nicodemus besah sich die kleinen Brüste, die sich bei ihr bereits abgezeichnet hatten. In diesem Moment,
gerade als er sie das erste Mal berühren wollte rieselte etwas Schnee auf ihr Gesicht und der Wind heulte schmerzenerfüllt auf. Doch dieses eine Mal ignorierte Nicodemus die Warnungen seiner Freunde. Der Tod stand flehend neben dem offenen Grab, seine Augen blickten flehend und traurig zugleich auf die Person hinunter, die nicht glauben wollte, was passiert war. Nicodemus berührte das Gesicht mit seinem Handrücken, öffnete das Kleid und auch sein Gewand. Sie lag nun nackt in ihrem Sarg. Unterwäsche hatte sie keine getragen, die Tote. Nicodemus küsste die toten Lippen und sprach: „Hier also bin ich wie jede Nacht bei Dir, doch nun an Deinem Todestag will ich Dir mehr geben. Ich will Dir ein Stück von dem geben, was unsere Zukunft hätte werden sollen.“ Mit diesen Worten stieg er in den Sarg und legte sich über das kleine Mädchen. Sein Glied drang schwerfällig in sie ein. Da öffnete sie die Augen. Er sah in diese abgrundtiefen, unendlichen, ewigen Augen, die ihm Antworten gaben, auf die er nicht einmal die Fragen kannte. Er fühlte, wie jedes Jahr zu dieser Stunde, die wachende Kraft ihn durchfließen. Seine Schwester war zurückgekehrt, zu ihm! Wieder beugte er sich zu seiner Schwester hinab und küsste sie. Da aber sah sie ihn mit einem Mal entsetzt an. Ihre Züge wurden traurig, so traurig, als spiegele sich die gesamte Traurigkeit aller Seelen in diesen zwei Augen. Ihr Mund blieb der schmale Strich und die Augen begannen zu flackern. Tränen rannen ihr aus den Augen. Nicodemus verstand nicht. Überall, wo die Tränen die Tote berührten, begann sie in Sekundenschnelle zu altern. Die Haut wurde faltig, verlor ihr Weiß, wurde erst pergamenten, dann grau und schließlich zerfiel sie. Der Knochen darunter gleich mit. Nach nur wenigen Sekunden war der Körper von Bianca Stahl nicht vielmehr als Staub. Mit großen Augen sah Nicodemus das, was einmal seine Geliebte, seine einzig wahre Liebe, die Liebe in allen Ewigkeiten war. Ungläubig schüttelte er den Kopf, verweigerte sich dieser Wahrheit. Es konnte nicht sein, wohin war die Liebe gegangen? Nemesis hatte noch nicht gesprochen. Denn Nicodemus suchte auch Gewissheit, Seelenfrieden. Er kehrte heim in sein Reich und verschwand im Schlafzimmer. Dort entzündete er die Kerzen und Duftlampen, es war ein Duft, der ihn an die Vergangenheit erinnerte, an die Zeit, als er
auf Kreta einen wunderbar milden Weihrauch gefunden hatte. Er setzte sich auf sein Bett und weinte. Er wusste nicht wieso, aber er weinte. Es waren ehrliche Tränen. Den Kopf stützte er auf beide Arme und er weinte. Die Tränen reflektierten das Licht der Flammen und schienen wie verlorene Diamanten in der von Lichtern umgebenen Dunkelheit. In seiner Traurigkeit verkroch er sich in die Tiefen seiner Seele, wollte nach sich sehen, die Welt hinter sich lassen. Der Wind war vor dem Haus, aber er kam nicht hinein, er sah das Leid von Nicodemus nicht. ...so weit weg ist, was hat es dann für einen Sinn, zu leben? Was soll ich leiden, wenn alle Freunde auch ohne mich leben können, und die, die ich liebe so unerreichbar fern sind. Einsam, im Nebel zu wandern Einsam ist alles, Mensch und Tier Einsam, so einsam zum andern spreche ich durch den Nebel zu Dir Einsam, im Nebel zu wandern Einsam ist jeder Baum und Stein Einsam, wir gingen zu andern und sind im Nebel mit uns allein. Dornenkränze schnürn mein Herz Es kann nun kaum noch schlagen Dornen stechen in das Fleisch Ich kann das nicht ertragen Ich kann nicht leben ohne Dich Doch weiß ich nicht mehr, wer Du bist Einsam im Nebel schlägt mein Herz Und wer nimmt mir den lieben Schmerz? Ich weiß nichts mehr, nur noch, dass ich mich nach Ruhe sehne, nach Ruhe und Geborgenheit. Ich fühle die Sicherheit, ich muss sie fühlen, ich brauche Halt. Ach, könnte doch nur einer in meine Seele schauen, einer, mit dem ich mein Leid teilen könnte. Ich bin allein. Alles rückt in unerreichbare Ferne. Sie hätte heute Geburtstag, aber sie ist nicht da. Niemand ist
geblieben, alle sind fort. Niemand da, keiner trägt die Hoffnung durch die Dunkelheit. Meine Augen und meine Nase schmerzen. Tränen schmerzen. Aber auch sie vermögen nicht, die Maske zu lüften, wenn sie nicht ehrlich sind. Sind meine ehrlich? Ich will lieben, aber ich will wirklich lieben, eine Liebe, wie sie heute nur noch belächelt wird von den Menschen. Die wahre Liebe, die glaubende, ewige, reine Liebe, ohne Bescheidenheit, die ganze Liebe, ohne Mitleid, ich liebe Dich, ohne Güte, ich liebe Dich, wenn ich hasse und wenn Du hassen wirst. Ich will nur lieben, ich will mir der Liebe sicher sein, aber dazu muss meine Seele den Frieden finden. Ich will mit mir Frieden schließen. Dazu brauche ich die Liebe. Er vergrub sich im Bettzeug und schluchzte weiter, doch bald schon schlief er ein. Sein letzter Gedanke, der durch sein Gehirn und durch seine leere Seele wie ein endloses Echo hallte war ein kleines Gedicht. Er wusste nicht mehr, wann er es zum ersten Mal gehört hatte, aber ihm schien es, als seien diese Zeilen schon immer da gewesen. Kleine Seele, Du musst leiden in mein Herz musst Dich schneiden. Weil das Leben so nun ist, weil das Leben Seelen frisst! Er schlief das erste Mal in seinem Leben ohne einen Traum. Manchmal konnte er sich nicht erinnern, deutete seinen schlechten Schlaf als traumlos, aber dieses Mal war es ein Schlaf ohne Gnade. Unaufhörlich sprach eine nüchterne Stimme in ihm diesen Vers. Dunkelheit. Nichts war und nichts wird sein, nur diese Wahrheit. Der Wind und der Tod saßen beisammen am Grab und besahen sich das, was einmal ein Mensch gewesen ist. Sie hatten gefühlt, was in Nicodemus vorgefallen war. Der Wind blies den Staub aus dem Sarg und verteilte ihn über die ganze Welt, denn sie sollte immer bei ihm sein. Der Tod lächelte und sah, dass Nicodemus schlief. Um ihn zu trösten und um seine Worte zu vertreiben, flüsterte er: Ein schwarzer Vorhang legt sich vor den Tag, die einsame Kälte zieht vom Wind getragen herauf. Sterblich! Sterblich! schreit der Wind, er triumphiert, doch nein, auch er erstirbt und der Tod zieht herauf... und verneigt sich, denn über allem thront die Liebe!
Es war später Nachmittag. Die Sonne war bereits tagtrunken und schlingerte auf den Horizont zu. Der Tag war mild gewesen. Es war lange her, dass er dieses Haus betreten hatte, damals hatte er eine Schlacht gewonnen, eine Überraschungsschlacht, aber nun war es an der Zeit, den Krieg zu beenden, den Krieg zu gewinnen. Er war gekommen, um seinen Meister zu schlagen, den Lehrer. Und er trug das Schwert. Die Klinge mit welchem er Nicodemus enthaupten wollte. Er hatte sich in einen weißen Anzug gekleidet und stand nun vor der Tür, die ihn vor der entscheidenden Schlacht trennte. Er klingelte. Er hätte vor Freude springen mögen, er war sich des Sieges sicher. Die Tür öffnete sich und Nicodemus erschien in der Tür. Stumm bat er Martin herein. Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Still musterten sie sich. Die Luft war warm und von goldenen Sonnenstrahlen erfüllt. Die Vorhänge waren zurückgezogen. Die Kerzen waren verschwunden, die Bar war leer. „Willst Du denn die Flucht ergreifen? Du wolltest das Feld räumen, Deine Zeit als Gott ist vorbei, Du hast gefehlt, nicht wahr? Ich bin Gott, für jetzt und alle Zeit. Ich habe erschaffen und ich habe zerstört wie die Shiva, wie Gott und Teufel!“ „Lass das Geschwätz. Gott heißt nicht zerstören oder erschaffen. Gott sein heißt Mensch sein. Gott sein ist, das Feuer, das die Kindheit war, zu erhalten, der Asche und dem Staub der Welt zu entsagen und die Gefühle der anderen in sich aufzunehmen.“ „Schön gesagt, alter Mann. Aber die, die fühlten sind tot. Lisa und Bianca.“ „Sie mögen tot sein, aber in meinem Herzen leben sie. Und Gott besitzt ein großes Herz.“ „Leere Phrasen. Aber ich zeige Dir etwas.“ Er holte seine Waffe, sein Schwert hervor, und hieb damit auf seinen früheren Freund Nicodemus ein. Dieser wagte nicht zu parieren. Sein Atem ging schneller, als er sich aber wieder beruhigt hatte, stand er auf und ging zu einem Schrank. Mit einem Feuerzeug entzündete er die Locke Arcanas und sie schmorte schnell. Der Schlag Martins, den er so lange vorbereitet hatte - diese Locke sollte der Todesstoß für Nicodemus sein - ging scheinbar ins Leere.
Er hatte sich bis dahin prächtig amüsiert. Nun sprang er verwundert auf. „Was machst Du denn da?“ „Ich brauche das nicht. Ebenso wenig wie das Grab meiner Schwester. Ich trage ihre Seelen in meinem Herzen. Ich weiß, das hört sich dumm an, aber es ist so. Die Liebe ist die größte Kraft, die größte Kraft, die alles schafft. Und die Liebe macht selbst den Tod sich beugen. Ich weiß das, ich kenne den Tod.“ „Die Liebe ist doch nichts. Die Liebe ist tot. Der Tod hat die Liebe geholt. Was glaubst Du, bin ich anderes als der Tod?“ „Du bist der Tod? Nein, Du bist nicht der Tod. Hörst Du den Wind?“ „Was?“ „Siehst Du, Du sprichst nicht einmal die Sprache des Windes. Es ist die Sprache der Götter, die Sprache des Todes und der Liebe. Man nennt sie heute denken. Das ist falsch. Sie heißt fühlen. Du fühlst nicht. Du bist ein Mensch! Menschen fühlen nicht und das ist ihr Fehler, denn der Wind sagt ihnen: Habt keine Angst, die Liebe beschützt Euch! Und der Tod sagt: Habt keine Angst vor mir, ich bin ein neuer Anfang! Und die Liebe sagt: Ich bin Gott! Aber Du verstehst das nicht!“ „Lügen brauche ich nicht zu verstehen!“ „Lügen? Weißt Du, Du hast jetzt Jezebel getötet, danach Lisa, Bianca und Arcana, aber was bringt es Dir? Fühlst Du ihre Liebe? Nein, Du fühlst sie nicht. Du versteckst Dich unter Blut und menschlichem Hass.“ „Vor was sollte ich mich verstecken? Ich fürchte nichts!“ „Du versteckst Dich vor Dir selber. Ob Du Dich fürchtest oder ob Du Dich schämst weiß ich nicht. Aber wenn Du Dir den Tod bewusst machst, ihn akzeptierst, dann hast Du keine Möglichkeit mehr, Dich abzulenken. Du wirst durch den Tod mit Dir selbst konfrontiert. Mit Dir selbst, mit Dir ohne Masken und Verkleidungen. Du siehst Dich in dem Tod ohne Gesicht, denn jeder ist sein eigener Tod, sein eigener Richter und jeder ist sein eigener Gott. Nur das viele keinen Gott haben, weil sie sich selbst nicht haben, das ist die Essenz, die Du nie begriffen hast!“ Martin lachte. Er drehte sich von Nicodemus weg. „Du bist nicht Elidorian. Du bist Martin.“ „Martin ist nicht mehr von Bedeutung. Aber ich will Dir bewiesen, dass ich Gott bin.“ Mit diesen Worten schlug er Nicodemus ins Gesicht. In Martins Augen flammte die Gier und der Hass auf. Nicodemus stürzte
zu Boden und sofort war Martin über ihm. Er schlug auf das Gesicht seines Kontrahenten ein. ...ich kann Dir nicht vergeben für die Taten, die Du begangen hast. In mir hat die Liebe einen Sohn. Aber in dieser Welt gibt es so wenig Söhne und Töchter der Liebe. Seelenwinter. Immer wenn ein neues Kind das Licht der Welt erblickte, nahmen die Eltern einen Stein und warfen die Seele, die sie daran gebunden hatten in den See, den sie Liebe nannten. Dieser Stein hat viele Namen, aber er bewirkt immer das gleiche. Das Kind wird wie die Eltern. Kein Sohn und keine Tochter der Liebe, ein Menschenkind. Diesen Schmerz verzieh ich nie, aber ich habe mich befreit. Meine Schwester sprang für mich in diesen See! Und ich liebe sie! Und nun erweist mir der Tod einen Dienst, er bezeugt mir seine Freundschaft, indem er mich zur Liebe lässt. Danke meine Freunde, der Wind, ich werde Deine Geschichten vermissen. Den Tod werde ich immer um mich haben, denn er ist ein kleiner Teil der Liebe, endlich entkomme ich dem Winter! Auf zur Geborgenheit, auf zu neuen Gefilden. Hier hielt mich nichts mehr! Ich weiß, wenn Martin ein Gott wäre, dann wäre dies seine Gnade, denn er öffnet mir die Pforte zu meinen Freunden. Im Schoß der Liebe werde ich leben, aber Martin hat nie gelebt, und er wird nie leben. Das Leben war kurz und schön. Ich habe gelebt, habe die Tränen der Erde, der Menschen gesehen. Die Tränen jener Menschen, die sich selbst suchen und nicht wissen, wonach sie suchen. Ich habe geliebt und ich habe bedeutet! Ich gehe in Frieden, denn einen Krieg habe ich nie gewollt und ich habe ihn verloren... nur den unendlichen Frieden habe ich gewonnen. „Die Wahrheit ist nicht für den Menschen gemacht!“ sprach Martin. Endlich bemerkte er, dass die Farbe in Nicodemus Gesicht verschwand. Er würgte ihn, schlug immer wieder zu. Nur kurz, nur aus einem Augenwinkel sah Nicodemus die Farbe an Martins Händen. ...Sie hat mir verziehen, ich werde ein neues Leben führen. Aber Martin wird nun die Farbe tragen müssen. Ich sehe bereits die Pforte. Ich werde hindurchtreten. Da ist sie, meine geliebte Schwester auf dem Thron der Liebe... Der Winter ist mein Richter, meine Seele ist mein Urteil. Ich
habe mich geirrt. Trauer und Leid wäret nur das eine Leben. Das Leben ist vorbei, die Liebe beginnt! Die Sonne wärmt das Feld wieder mit ihren Strahlen, sie versucht es zumindest. Auch so versucht sie mein Herz zu wärmen, doch ich bleibe kalt. Aber es ist kälter geworden. Der Mensch braucht keinen Gott, ich habe mich geirrt, der Mensch braucht keinen Gott, denn der Mensch würde sich nicht ändern. Er will keine Entscheidungen treffen. Also hat ein Gott alle getötet, die Seinesgleichen waren und sich selbst als Mensch getarnt... Bis auch er getötet wurde. Die Menschheit ist frei. Die Menschen sind frei, zu tun was sie wollen!
Was mag nun in der Zukunft geschehen, da es nun am Tod zu sterben ist? Der Tod, der letzte Befreier der Menschheit wird sterben, und was kommt dann? Oder kommt ein neuer Tod, vielleicht gnädiger, vielleicht grausamer?
Ein schwarzer Vorhang legt sich vor den Tag, die einsame Kälte zieht vom Wind getragen herauf. Sterblich! Sterblich! schreit der Wind, er triumphiert, doch nein, auch er erstirbt und der Tod zieht herauf... und verneigt sich, denn über allem thront die Liebe Das Leben ist einfach ein schlechtes Buch, oberflächliche Charaktere, eine dumme Handlung, billiger Horror, und kaum interessantes. Vulgär und obszön. Irgendwann wirft der Leser das Buch in die Ecke. Und der Moment ist nahe.
Sie kamen alle die Leiche des Windes aufgebahrt der Tod mit Tränen in den Augenhöhlen die Menschen still und stumm Vor den Geistern und Seelen ziehen die Elemente und die Weisheit geht mit der Torheit voran zu dem Berg, auf dem die thront, vor der selbst die Zeit die Äonen niederlegt... die Liebe. Legenden, Wünsche, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Thron der Liebe ist verschwunden. Die Weisheit eingesperrt, die Torheit vertrieben, Menschen sind laut und doch sind ihre Herzen stumm, die Augen des Todes brennen mit Feuer, der Wind brüllt: „Krieg! Krieg!“ und niemand kam. Der Winter ist unser Richter, unsere Seele ist unser Urteil.