Aus ihnen spricht die Freude des Lesers an der kleinen Schriftenreihe der lux-Lesebogen, die aus Natur und Technik plau...
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Aus ihnen spricht die Freude des Lesers an der kleinen Schriftenreihe der lux-Lesebogen, die aus Natur und Technik plaudernd berichten und große Ereignisse und Gestalten aus dem Leben der Völker, aus der Kunstgeschichte und Literatur lebendig werden lassen. — Aus der großen Zahl der Zuschriften: .Ihre natur- und kulturkundlichen Hefte sind unserer Zeit wahrhaft auf den Leib zugemessen Wie weit ist die Welt, die Sie mit Ihren kleinen Heften auftun! Ich selbst habe immer ein oder zwei Hefte in meinem Notizbuch stecken, das ich täglich bei mir trage." K. G., Landshut .Ich wüßte keine Lektüre, die geeigneter wäre, die Bildungslücken zu schließen, als gerade Ihre ansprechenden Hefte." Th. M., Lentesheim „Ihre Lesebogen bringen einen großen Kreis von Menschen, alt und jung, an oft bis ins Tiefste packende Dinge heran." Studienrat H. Seh., Bebra .Die Heftchen sind ganz entzückend. Ich muß Sie — fast nicht ohne Neid —• zu der guten verlegerischen Idee beglückwünschen. Ich lese die Hefte als „alter Hase" selber mit viel Vergnügen." Verleger G. W., Braunschweig »Das, finde ich, ist eine der stärksten Seiten der Lux-Lesebogen, daß sie in einer dem völlig unbelasteten Laien verständlichen Sprache Dinge erzählen, die mitunter den ausgekochtesten Fachmann überraschen." H. W. ( Bad Harzburg «Die Lesebogen sind geradezu unübertrefflich gut." Kultusminister Dr. G-, Hannover „Beste Autoren haben mitgeholfen, dem Leser das Beste zu schenken." Bayer. Lehrerverein ,Die leichtverständliche Form Ihrer Lesebogen ist am besten geeignet, Laien einen Begriff von bestimmten wissenschaftlichen Gebieten zu geben." Astron. Arbeitsgem. Nordwest
„Wir sind erstaunt darüber, daß es Ihnen möglich-ist für 20 Pfg etwas so Wertvolles und Gediegenes zu bieten." Rektor W. B., Thiede .Der frische Stil gefällt, in dem hier an sich schwere Stoffe faßlich dargeboten werden." Nordwestd. Rundfunk .Auch die älteren Pfadfinder sind von den Heften begeistert. Im letzten Herbstlager haben wir manchen Regentag mit Hilfe Ihrer Lesebogen ausgestaltet." L. S., Burbach „Ich schließe mich dem Urteil eines Schulleiters aus dem Rheinland an, daß Ihre Heftchen wohl das einzig wirklich nutzbringende und lehrreiche Schrifttum für die Jugend sind." E. FL, Herrsching „Mit Ihren Lesebogen erziele ich als Klassenlektüre schöne Erfolge. Sie regen meine Schüler zum Lesen und Lernen an und helfen mit, einen lebendigen Unterricht zu gestalten." E. H., Rapperzell .Mit Ihren Lesebogen haben Sie einen überaus glücklichen Vorstoß in jenes Gebiet guter Literatur unternommen, in dem noch immer eine fühlbare Lücke klafft." G. P., Zool. Institut'd. Univ. Kiel „Tch möchte Ihnen danken dafür, daß Sie diese Reihe herausgeben. Wir taten noch keinen Mißgriff." W. G., Steinkirchen „Die Lesebogen sind inhaltlich wertvoll und gut durchgearbeitete Hefte." •Denkendes Volk", Brauhschweig „Die Lux-Lesebogen sind eine in jeder Hinsicht einzigartige Leistung." Dr. G., Oberursel
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
Wilhelm Leibl von
HUGO KUBSCH 2006 digitalisiert von Manni Hesse
I N H A L T DES
HEFTES
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Das Heiligenbild ohne Heilige — Der Meisterschüler — Sensation der Münchener Kunstausstellung 1869 — In Paris — Flucht zu den Bauern — Porträtist der Hände — Jahre der Reife — Der letzte Schaffensrausch
VERLAG SEBASTIAN LUX . MURNAU/MUNCHEN
Zeichnung des 12 jährigen Leibl
c/n Berbling, einem kleinen, damals noch unerschlossenen Dorf unweit Münchens, da, wo die moorige Landschaft sich langsam erhebt und die sanften Bodenwellen kaum die fernen Hochklippen der Alpen ahnen lassen, ist eines der großen Meisterwerke deutscher Kunst entstanden: das Bild „Drei Frauen in der Kirche", das Wilhelm Leibl, einsam lebend wie ein Eremit des Mittelalters, im Jahre 1881 nach langer, mühevoller Arbeit vollendete. Vier entsagungsvolle Sommer, dazu viele Herbst- und Winterwochen hat er in der schlichten Barockkirche des Dorfes an dem Bild mit den lebensgroßen Figuren gemalt. An einem Sommertag ist es fertig; gewachsen, geworden wie ein Baum, ist ein Ganzes bis zum letzten Pinselstrich. Und der Maler, der hier seine Kunst zur vollen Reife entfaltet hat, nennt es sein Lebenswerk. Legenden spinnen sich um das Bild, noch während der Künstler mitten in der Arbeit steht: Galeeren- und Zuchthausarbeit nennt man das verbissene Schaffen, das zähe Ringen um die letzte, klarste handwerkliche Vollendung und um eine ganz lebenswahre, ausdrucksvolle Menschendarstellung. Als der Meister erschöpft den Pinsel aus der Hand legt, geht ein geheimnisvolles Raunen durch die Kunstwelt: ein „Heiligenbild ohne Heilige" ist da entstanden, ein Werk, vor dem die Bauern des Dorfes den Hut ziehen und die Hände falten in frommer Scheu, das sie aber auch mit einer angeborener Empfindung für das Echte in seiner maltechnischen Vollkommenheit als Meisterwerk begreifen. (Abb. Seite 4) 2
Drei Frauen in der Kirche! Von der Kirche ist nichts zu sehen, als ein Stück Mauer, eine Wandtäfelung und die Bank, auf der die Frauen in Andacht verharren. Kein geheimnisvolles Dunkel, kein Durchblick auf den Altar, kein Lichtzauber farbiger Fenster, kein Weihrauch, keine romantische Stimmung: nur drei Frauen im Gebet. Schlicht, fast unauffällig. Nur die jüngste der Frauen, das Mädchen im Vordergrund, wirkt feierlicher in seiner farbfrohen Tracht, in dem braun und blau gewürfelten Kleid und dem lichten Schultertuch. Das Mädel blättert suchend, etwas verspielt, im Gebetbuch; die alte Frau in der Mitte hat die Augen ganz tief auf das Buch gesenkt, das schwer in ihren groben Arbeitshänden ruht; die dritte Bäuerin, in mittleren Jahren, hält die Hände gefaltet und erlebt mit verklärten Augen das Wunder. Ihr Blick ist dem Altar zugekehrt, an dem sich, dem Bildbetrachter nicht sichtbar, das Opfer vollzieht. Drei Menschen, drei Händepaare, drei eigengeprägte Köpfe versinnbilden die Stufen des gottsuchenden, wie des gotterfüllten Gebets, sind Ausdruck der verschiedenartigen Hingabe an das Göttliche. Das Bild ist ganz ohne äußere Handlung, es dringt zum Wesen dieser betenden Menschen vor (s. Umschlagbild}. Und doch ist es eigentlich kein „frommes" Bild, es ist einfach wahr, darin liegt seine Größe, seine Schönheit. Jeder Quadratzentimeter bemalter Leinwand ist ein Stück unverfälschter Wirklichkeit; denn das ist das Besondere an Leibls Kunst, daß sie nicht durch künstliche Zutaten, nicht durch theatralische Gesten oder aufdringliche Symbole, sondern nur Kraft ihrer Aufrichtigkeit in einer grenzenlos gewissenhaften Naturtreue wirkt. Dem empfänglichen Beschauer werden sich vor diesem Bild, je länger er sich darin vertieft, immer neue Schönheiten erschließen, und er wird verstehen, daß die Kunstgeschichte Wilhelm Leibl gern den großen altdeutschen Meistern an die Seite stellt, den Holbein, Dürer, Baidüng Grien und den großen Niederländern. Kein deutscher Maler des neunzehnten Jahrhunderts hat die malerische Bewältigung des Menschen so vollkommen erreicht wie der große Menschendarsteller Wilhelm Leibl. Woher kam dieser deutsche Meister? Welchen Weg ging er? Als fünftes Kind des aus der Rheinpfalz stammenden Domkapellmeisters Karl Leibl ist Wilhelm Leibl am 23. Oktober 1844 in Köln zur Welt gekommen. Die munteren Jugendtage verlebte er in der altkölner Sternengasse, in der einst auch 3
Rubens als Kind gespielt hat. Wir wissen nicht ob der Junge vom heiligen Köln, vom Zauber der alten Stadt, von ihren vielen Kunstschätzen tiefere, bleibende Eindrücke empfangen hat, aber gewiß gab ihm das Elternhaus, in dem die Kunst eine gepflegte Heimstatt hatte, viel; denn der Domkapellmeister Leibl, der auch selber komponierte und ein großer Verehrer Johann Sebastian Bachs war, nahm es mit seiner Musik sehr ernst, und dieser Ernst, diese Hingabe an die Kunst, empfangen als Geschenk und Gnade, ist auch in Wilhelm Leibl zeitlebens wirksam geworden und hat ihn izur Ehrfurcht vor aliem wahrhaft Schöpferischen erzogen. Schon früh beginnt der Knabe zu zeichnen. In der Volksschule bekritzelt er die Schiefertafel mit seinen Phantasien, noch mehr aber mit dem, was er um sich sieht; denn er ist kein Träumer, sondern hat schon ein klares Verhältnis zur Wirklichkeit. Auf dem Gymnasium setzt er diese „Studien" fort, wird sogar sehr früh ein Menschengestalter, ein „Porträtist" mit festen Aufträgen: er zeichnet seine Mitschüler und läßt sich jedes Konterfei mit zwei Pfennigen bezahlen; der Pfennig gilt damals noch etwas. (Abb. Seite 2.) Die Zeichenstunden erfüllen ihn ganiz, sind seine Welt. Alle anderen Fächer lassen ihn kalt, er läuft von Klasse zu Klasse mit und sehnt sich danach, das Schuljoch abzuschütteln. Der Zeichenlehrer Hermann Becker hat früh das starke Talent des Jungen erkannt und pflegt es sorgsam, stärkt sein Selbstbewußtsein und den Glauben an das eigene Können und die mögliche Zukunft als Künstler. Frühzeitig verläßt Leibl die lästiggewordene Schule und wird Lehrling bei einem Schlossermeister; aber nach einer kurzen Zeit der Lehre gesteht er den Eltern, daß der Beruf als Techniker sein Leben nicht ausfüllen könne. Es gibt im Hause des Domkapellmeisters Leibl um die Berufswahl keine unschönen Konflikte, und Wilhelm darf seine Lehrstelle verlassen und seinem Traum, Künstler zu werden, verwirklichen. Der Zwanzigjährige geht nach München.
*
München steht als Kunststadt in seiner höchsten äußeren Blüte. Es ist die Stadt der Lenbach, Cornelius, Thoma, Schwind, Spitzweg, Böcklin, Piloty, Defregger, Achenbach, Makart, Wilhem Busch, die Stadt der rauschenden Feste, die Stadt des regsten Kunstbetriebes. Leibl ist von Hermann Becker in Köln auf den rechten Weg geführt; er besteht die Aufnahmeprüfung auf der Akademie mit Auszeichnung. Die 5
Prüfungsaufgabe, die nach dem Modell und anschließend aus dem Gedächtnis zu zeichnen ist, fällt ihm nicht schwer. „Von dreißig Prüflingen wurden nur zwei aufgenommen", berichtet er stolz seinem Lehrer in Köln. Leibl wohnt in München mit zwei Kölner Landsleuten zusammen und muß mit seinem kargen Monatsgeld, das die Eltern sich absparen, sehr haushalten. Aber die Wohnung liegt ganz nahe bei der Akademie, was, wie er schreibt, „seinen Schuhen zugute kommt". Nach der Tagesarbeit auf der Akademie sind die Abende auf der Studentenbude mit den Landsleuten gemütlich. Sie rauchen ihre Pfeife, trinken ihre Maß Bier, spielen Flöte und Guitarre und singen rheinische Lieder. Der athletisch starke Leibl, Ringer und Stemmer von Format, dem an Körperkraft keiner gewachsen ist, ist ein unbeholfenes Kind, wo es um die praktischen Dinge des Lebens geht. So müssen die Stubenkameraden seine Sachen in Ordnung halten, seine zu kurz gewordenen Stiefel zum Vorschuhen zum Meister tragen, die Wäsche zur Waschfrau besorgen, und sie übernehmen meist auch für ihn die Kocharbeit; denn ihre Tasche ist fast immer ausgezehrt: das wenige Monatsgeld, das sie zusammenlegen, und die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Bildern langen nur einige Tage im M o n a t für ein besseres Gasthausessen. Die Arbeit auf der Akademie nimmt der junge Kunstschüler sehr ernst, er macht schnell Fortschritte; die Gebühren werden ihm bald erlassen, und eines Tages sitzt Leibl in der Meisterklasse des fast weltberühmten Piloty und muß wie die anderen, doch ohne innere Freude, historische Kompositionen fabrizieren, realistische Geschichtsbilder, Schlachtenszenen, Reiterattacken, Szenen aus der Sagenwelt. Alles das erscheint ihm zu pomphaft, gekünstelt und unecht und nur auf den Erfolg angelegt. Er vervollkommnet zwar das Handwerkliche und die Stoffbehandlung bis zum Letzten — er lernt zäh und fleißig, aber er will als Künstler keine verstaubten Geschichten erzählen, sondern das frisch pulsende Leben erfassen, so wie es sich darbietet. Leibls Münchner Jahre sind ohne Sturm und Drang, ohne jedes genialische Gebahren. Die Akademie, die sich immer mehr zu einem Brutkasten maltechnischer Talente entwickelt, kann ihn innerlich nicht fördern; keiner seiner Lehrer, weder die Professoren A. von Ramberg, Anschütz, noch der mit Ehren Überhäufte Piloty werden ihm Vorbild. So nimmt er nur das 6
Bildnis der Tante Josela Technische von ihnen an, im Innern aber ringt er um das Letzte, um das Geheimnis der Kunst, das seine Lehrer ihm nicht enthüllen können. Darum sucht er sich andere Lehrer und findet sie in der Gemäldegalerie der Pinakothek, bei Peter Paul Rubens, Anton van Dyck, Pieter de Vos. Immer wieder zieht es ihn in die stillen Säle des Museums. Stundenlang hält er mit den alten Meistern Zwiegespräche auf seine 7
Art und ist beglückt, wenn ein Funken ihrer Glut in seine Seele fällt. Hat er sich um Jahrhunderte zurückgeträumt und sich in die Werkstatt jener Großen zurückversetzt, dann stellt er seine Staffelei vor ihre Bilder und beginnt, sie mit aller Sorgfalt zu kopieren. Sein Auge bildet und schärft sich, es scheint durch die Patina, den Altersüberzug, der über den Bildern liegt, hindurchzusehen; er will und muß die Form- und Farbenprobieme, die ganze Maltechnik, die die Alten meisterten, enträtsein, um so hinter ihre künstlerischen Absichten zu kommen. So findet er, daß das Können, das Handwerk wohl die unumgängliche Grundlage des künstlerischen Schaffens ist, insgesamt aber nur ein Filter für das schöpierische Ich sein darf. So wird Leibl ein „Schüler" der großen Maler der Vergangenheit, und es ist ein Glücksfall der Kunstgeschichte, daß dreihundert Jahre nach Höibein ein Leibl mit der gleichen Eindringlichkeit wie der große Basler Meister den Menschen malerisch begreift. Den Menschen, wie er leibt und lebt, nicht lederne Atelierpuppen! Schon in diesen frühen Akademiejahren wird Leibl von einem Kopf, einer Gestalt, einer Persönlichkeit seiner Umgebung gefesselt. Er malt einige Bildnisse und beweist darin seine Fähigkeit, Seelisches malerisch zu deuten: das Bildnis des Studienfreundes Stadelmayr, und, in ruhigen Kölner Ferienwochen, das Bildnis des Vaters oder der Tante Josefa: Bilder, die in ihrer ungeschminkten Lebenswahrheit und ihrer Eigenwilligkeit Aufsehen erregen. (Bild Seite 7) Eigentlich wäre nun der Weg frei, den Schritt von der Akademie ins Leben zu wagen. Aber dieser Schritt brächte vielleicht wirtschaftliche Unsicherheit; für einen so jungen Künstler, der auch nicht den kleinsten Finger rühren will, um aus Verkaufsinteresse dem allgemeinen Geschmack entgegenzukommen, wäre ein solches Wagnis gefährlich. Leibl weiß das sehr wohl; ist doch so mancher seiner Zunftgenossen, der sich für flügge hielt und zu früh hinausflatterte, sehr rasch seinen Idealen untreu und ein glatter Macher geworden. Leibl fühlt sich noch nicht stark genug; er ist kein Draufgänger, kein Mann mit kühnen Ellenbogen, die oft schneller zum äußeren Erfolg verhelfen, als die stärkste Begabung und das größte Können. Und er will sich nicht verkaufen, will seine Begabung nicht an „gangbare" Bilder verlieren, die der satte Bürger ohne innere Beziehung in seine gute Stube hängt. An die Eltern und an die Freunde schreibt er offen, um was er 8
ringt: Die Leistung von gestern durch die Leistung von heute zu übertrumpfen und nach und nach die erträumte Vollkommenheit zu erreichen. In dieser Zeit nennen ihn manche einen Streber und Duckmäuser, die anderen aber wissen, daß er ein Einzelgänger ist. Diese wenigen schätzen an diesem vierschrötigen Kölner den fanatischen Arbeiter, der es verschmäht, beguem in die Fußstapfen anderer zu treten. Als 1867 Wilhelm v. Kaulbach, der damalige Direktor der Münchener Akademie einen seiner großen Kartons (Die Begegnung der Königin Elisabeth mit Maria Stuart) von Leibl gemalt haben will, sträubt sich der junge Künstler — er ist gerade dreiundzwanzig Jahre alt — lange Zeit, bevor er sich entschließt, den Auftrag anzunehmen. Lieber wolle er, wie er seinen Freunden schreibt, seine eigenen Ideen zum Ausdruck bringen, er könne sich nicht in die Art und Weise eines anderen finden, sondern werde dadurch nur in seinem eigenen Fortschritt gehemmt. Leibl hat den Auftrag dennoch, innerlich widerstrebend, ausgeführt. Das Bild ist später von Kaulbach nach Amerika verkauft worden. Die vollendete Meisterung dieses Auftrages findet Kaulbachs uneingeschränkte Bewunderung; gern stellt er seitdem den jungen Meisterschüler im Kreise der Freunde und Fremden als ,,Malerkönig" vor, mit dem sich kein Lebender in der Bearbeitung der Farbe messen könne. Ganz plötzlich kommt die große Wende in Leibls Leben, der erste verheißungsvolle Erfolg. Die Große Internationale Münchener Ausstellung des Jahres 1869 soll beschickt werden. Es gibt einen heftigen .Konkurrenzkampf der deutschen und ausländischen Künstlerschaft. Die stärksten Rivalen sind die Franzosen und unter diesen der große Realist Gustave Courbet, der eine Sonderausstellung seiner Hauptweike vorbereitet hat. Der junge Leibl hat ein halbes Dutzend ausstellungsreifer Bilder in seinem Atelier. Ihm selber fällt die Wahl nicht schwer, hat er sich doch von früh an zu scharfer Selbstkritik erzogen; hart ist er in seinem Urteil, wenn es um das eigene Schaffen geht. Er wählt unter den Gemälden das eben fertig gewordene „Bildnis der Frau Gedon", das er selbst für eine seiner besten Arbeiten hält. Doch er ahnt nicht, daß es einen Sturm auslösen, eine Sensation entfachen wird. Da kommt nun der vielgefeierte und ebenso angefeindete Courbet aus Paris, und die jungen Münchener Künstler, der Kreis um Leibl, empfangen ihn mit Begeisterung. Wie ein alter 9
Freund und Nachbar zieht er in München ein. Mit b r a u n e r Samtjacke, auf dem Kopf ein Barett, einen Wollschal um den Hals, die Pfeife im Munde. Und Meister Courbet, dieser unbestechliche und scharfe Kritiker, längst b e k a n n t und geschätzt, erklärt nach der Eröffnung der Ausstellung Wilhelm Leibls „Bildnis der Frau Gedon" für das beste u n t e r allen Bildern. Das ist die Münchener Sensation des J a h r e s 1869, die sich fast zum Skandal auswächst, als m a n Wilhelm Leibl zur großen goldenen Medaille vorschlägt und sie ihm nicht gibt, weil er noch zu jung sei. Einer seiner Lehrer verdächtigt ihn sogar, er h a b e sich v o n einem a n d e r e n in das Bild „hineinkorrigieren" lassen. Courbet aber steht zu dem j u n g e n deutschen Freund: er führt ihm Gönner und Käufer zu und bietet ihm für Monate eine von Geldsorgen freie Muße. Leibl aber bleibt bei dem Erreichten nicht selbszufrieden stehen. Schon h a t er sich aufs n e u e in die Arbeit v e r g r a b e n , „Weiterstreben, das Erreichte hinter mir lassen" ist der Grundsatz, nach dem er lebt und schafft. Da tritt die Glücksfee ü b e r die Schwelle seiner stillen Arbeitsklause: Die französische Malerin M a d a m e de Saux, v o n Courbet auf den genialen Akademieschüler aufmerksam gemacht, besucht ihn. Es ist eine freundlich-neugierige Fee, d i e ihn in Begleitung des Herzogs Tacher, eines V e t t e r s Napoleons III. und ihres Bruders überrascht, um zu erfahren, wie der Schöpfer des Bildnisses der Frau Gedon arbeitet u n d w a s er isonst gemalt hat. Die Besucher durchstöbern das Atelier und b e w u n d e r n , was sie in den M a p p e n und Schränken entdecken. Sie k r a m e n in seinen Blätt e r n mit den aufs feinste g e a r b e i t e t e n Köpfen, abgelegten Vorstudien zu jenem Meisterbildnis der Frau Gedon. M a d a m e de Saux bestaunt die groben schweren Bauernhände des jung e n Künstlers u n d will es gar nicht fassen, daß sie so zauberhaft zart den Pinsel zu führen verstehen. Natürlich muß auch sie v o n diesem Leibl gemalt werden, und sie drängt darauf, daß er nach Paris komme, wo sich sein g r o ß e s Talent erst voll entfalten könne. Unterstützt v o n ihren Begleitern, gaukelt sie dem j u n g e n Maler eine sorglose Schaffenszeit vor: ihr eigenes prächtiges Atelier will sie ihm zur Verfügung stellen, er k ö n n e malen, w a s er wolle, ohne jede Bindung. Selbst um den täglichen Kleinkram des Lebens brauche er sich nicht zu bemühen, um die Reisekosten schon gar nicht. Außerdem wolle ihn der Herzog Tacher in seinen großen Freundeskreis einführen. Das Bildnis der Frau Gedon müsse er aber unter allen Umständen 10
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mitbringen, das w e r d e auch in Paris Aufsehen erregen und ihm den Großen Preis eintragen, dessen sei sie sicher. So märchenhaft und verlockend m a n ihm das Pariser Leben auch vorzaubert, der schwerblütige Leibl entschließt sich doch nicht sogleich, s o n d e r n bittet sich Bedenkzeit aus. Und er überlegt gründlich, fragt als gehorsamer Sohn sogar die Eltern in Köln um ihre Meinung. Erst als der zustimmende Brief v o n Vater und Mutter eintrifft, sagt er zu. Ganz München erfährt durch die Freunde v o n seinem Glück. Natürlich kommt in Paris manches anders, als Leibl e r w a r t e t hat. Feen flunkern immer u n d versprechen mehr, als sie halten könnten, denn nur im Märchen stehen sie ganz zu ihrem Wort. Leibl h a t M a d a m e de Saux gemalt, doch das Bild ist verschollen; auch arbeitet er nicht dauernd in dem Atelier der Malerin, sondern geht oft hinüber in die W e r k s t a t t seines Freundes, des Malers Steinhart; auch mit dem Mecklenburger Paulsen arbeitet er zusammen. Die Porträtaufträge für die Pariser Aristokratie, den Freundeskreis des Herzogs Tacher, k o m m e n nicht zustande, aber für d a s Bildnis der Frau Gedon, das die „Salons" erregt, erhält er in der Tat die Große Goldene Medaille. Sehr bald fühlt er sich in Paris wohl. Die Freunde, der kleine Kreis der deutschen Künstler, sind fast sein einziger Umgang, —• und d a n e b e n wieder die großen Meister der Vergangenheit. Am stärksten fühlt er sich zu den niederländischen Meistern hingezogen, mit d e n e n Leibls Malkunst so vieles V e r w a n d t e hat. In den Galeriesälen des Louvre kann er sie täglich besuchen. Der Maler Courbet v e r h ä l t sich auch in Paris freundschaftlich zu dem j u n g e n Deutschen, verhätschelt ihn, führt ihm seine Schüler zu, bummelt mit ihm durch die Prachtstraße der Champs Elysees, sitzt mit ihm, w e n n der unermüdliche Leibl einmal ausspannt, auf der Terrasse der Kaffeehäuser; Courbets Einfluß ist so stark, daß Leibl, obwohl ihn die Kämpfe der Impressionisten nicht berühren*, dennoch eine Art „Pariser Schule" durchmacht, die ihn im Handwerklichen noch sicherer w e r d e n läßt. Er legt sich aber nicht auf einen bestimmten „Stil" fest, sondern sieht abseits der Mode in jedem neuen W e r k eine besondere malerische Aufgabe. W e n n er einmal unsicher wird, und, wie jeder große Könner, an sich selber zweifelt, *) Vgl. hierzu Lesebogen Nr. 49 „Morderne Kunst" und Nr. 61 „GemäldeWerkstattgeheimnisse großer Meister".
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dann gibt Courbet ihm das Selbstbewußtsein wieder. Er malt in Paris nur Bildnisse: seinen Freund, den Maler Paulsen, in dessen Atelier er arbeitet, ein noch etwas zaghaftes Porträt, dann die Freundin des Malers Geiger, eines der besten Bilder der Pariser Zeit. Noch stärker wirkt auf uns heute das Bildnis der ,.Alten Pariserin", die Leibl zur gleichen Zeit malte: Es ist das Porträt einer „Concierge", einer Pförtnerin, wie man sie am Portal eines jeden größeren Pariser Wohnhauses auch heute.noch antrifft; einer in-ihrer Armut doch vornehmen Frau, der in wenigen breitflächigen Strichen ein ganzes Lebensschicksal ins Antlitz geprägt ist. (Bild Seite 13) In Paris wandelt sich Leibl im Wesentlichen nicht: denn'er ist ja schon als ein Gereifter in die Seinestadt gekommen. Die Freilichtmalerei der Impressionisten, die flatternde Auflösung der Farben, widerstrebt seinem starken Formgefühl, das durch das frische Studium der Niederländer noch unerbittlicher geworden ist. Er lehnt zwar die neue impressionistische Art, die Natur zu sehen, nicht grundsätzlich ab; nur für sich selber, für sein eigenes Kunstschaffen läßt er sie nicht gelten. Er weiß, daß er der lockeren Maltechnik nicht bedarf, um Wirklichkeiten und Wahrheiten im Bilde sichtbar werden zu lassen. Seine künstlerische Überzeugung ist, daß nichts wahrer und wirklicher ist als die Natur: so bleibt möglichste Naturtreue sein Ideal, gemeistert mit den Ausdrucksmitteln bildklarer Formen und lebensechter Farben, die er nun bis zur Vollendung beherrscht. Die drei Viertel Jahre haben Leibl noch selbstsicherer gemacht. Aber er ist in seiner Art zu eigenständig, gesund, ehrlich, unverdorben, als daß ihm auf die Dauer die flüchtige und leichtlebige Welt der Großstadt hätte behagen und genügen können. Es fehlt ihm zuletzt nicht an Aufträgen. Damen und Herren der großen Gesellschaft haben sich bei ihm zu Porträts vormerken lassen. Glänzende Angebote werden an ihn herangetragen, damit er für immer bleibe. Geschäftige Kunsthändler bieten sich ihm als Vermittler für den Verkauf seiner Bilder an. Aber er spürt auch, daß er mit der Zeit sich selber untreu werden muß, wenn er nur Auftragsarbeiten, „Brotarbeiten" leistet und keine Zeit mehr findet, ein „freies Leben" zu führen. „Alle wünschen, ich solle in Paris bleiben",* schreibt er in dieser Zeit an die Eltern. „Was die Mutter mir schrieb, ich solle freie Hand behalten und mich nicht in die Hand eines Kunsthändlers begeben, ist ganz richtig. Ihr konntet Euch 12
Alte Pariserin
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wohl denken, daß ich etwas anderes nicht tun würde. Ich werde immer malen, was mir beliebt, und wo ich will. Wahrscheinlich werde ich deshalb in kurzem wieder in München weitermalen, da dort noch einige Charaktere sind, die ich verwerten möchte" . . . „Ich werde meine eigenen Wege wandeln wie bisher". Der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges zwingt Leibl, Paris, von dem er sich innerlich schon gelöst hat, zu verlassen. Zunächst macht er in seiner Vaterstadt Köln Station, kommt hier aber nicht zur Arbeit, geht darum wieder nach München zurück und versucht sorgsam, seine Pariser Eindrücke zu verarbeiten. München hat sich als Metropole der Kunst kaum verändert. Das Künstlervolk ist, angekurbelt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, noch betriebsamer geworden. Leibl sitzt wider als „Eremit" in seinem Atelier, pflegt wenig Verkehr, kümmert sich kaum um die Ausstellungen, erholt sich bei seinen Lieblingen in der Pinakothek und malt in der Hauptsache wieder Bildnisse, so den Bürgermeister Klein und den alten Herrn Pallenberg, einen Kölner Möbelfabrikanten. In diese Zeit fällt auch die Radierung der „Trinker", die an Rembrandt erinnert (Bild Seite 15). Aber Aufträge sind selten; man scheint seine unbedingte Wahrheitsliebe und damit seine indiskrete Entschleierung des Persönlichsten zu fürchten. Zudem ist es kein Vergnügen, dem langsam schaffenden Künstler zu „sitzen". Seine Freunde, die still halten müssen, sind ihm darum die liebsten Modelle. Ein groß angelegtes Figurenbild „Die Tischgesellschaft", das in dieser Zeit in zwei Fassungen entsteht, ist leider unvollendet geblieben. Zu dem kleinen Kreis gleichstehender Freunde gehören Sperl, Trübner, Schider, Schuch und andere, die sich durch Leibls Bilder anregen lassen und von ihnen lernen; da sind aber auch die Maler ganz anderer Richtungen, die ihn hochachten und ihre Bilder mit seinen tauschen. Leibl wirkt wie das gute Gewissen unter ihnen. Die Maler tauschen nicht nur Bilder untereinander, sie malen auch einer den anderen und kommen so zu billigen Modellen. Leibl fühlt sich trotzdem nicht wohl in München; selbst die Freunde und Zunftgenossen können ihm nicht das geben, was er braucht: die Freiheit und Unabhängigkeit, die für ihn, den bäuerischen Menschen, Lebensnotwendigkeit ist. Er fühlt sich geistig und seelisch einsam und wünscht sich ein primitiveres Leben. Er ist von Paris, Köln und München her pflastermüde wie ein Ackergaul, der 14
Der
Trinker
sich in der Stadt nach g r ü n e r W e i d e und w a r m e m Sonnenlicht sehnt. Und eines Tages bricht Leibl kurz entschlossen seine Zelte in München ab und geht zunächst nach Schondorf am Ammersee, dann nach Aibling, später nach Graßlfing, Berbling und Kutterling. Es ist eine vollständige Umstellung von der Atelierluft und dem Atelierlicht, die ihn bedrückten, in die lichte Freiheit der Natur. Erstaunlich gut lebt er sich bei seinen Dörflern ein. W i e ein rechtzeitig verpflanzter Baum schlägt er rasch Wurzel, wird ein Mensch der Scholle, obwohl er nie ein Stück Land selbst bewirtschaftet. Er wird Bauer, ohne es zu sein. Das Leben der Bauern, unter denen er jetzt haust, färbt auf ihn ab. Ihr karges Dasein, ihre V e r b u n d e n h e i t mit der Natur, ihre harte Arbeit, ihre Leiden und Freuden, alles entspricht seinem Wesen. Leibl als Augenmensch ist unter den Bauern ein scharfer Beobachter. W i e Rembrandt im A m s t e r d a m e r Ghetto die Typen fand, die sein Künstlerauge fesselten u n d zur Gestaltung reizten, so findet Leibl seine „Motive" tagtäglich beim Gang durch die Dörfer. Er ist einer, der aus einem Gesicht auf Seele und C h a r a k t e r zu schließen v e r m a g , ja a u s der bloßen Haltung eines Menschen, dem Spiel seiner Hände, aus seinen Bewegungen, seinem Gang die Fähigkeit gewinnt, in ihn hineinzuschauen. Ganz anders sind diese charaktervollen bäuerlichen Gestalten als die Berufsmodelle in der Stadt, denen das Natürliche v e r l o r e n g e g a n g e n ist, die allzubald in Pose, ins Verkrampfte, Gewollte verfallen und deshalb in ihrem Äußeren nicht mehr das Innere spiegeln. So ist Leibl, auch ohne daß er wissenschaftliche Seelendeutung studiert hat, ein Seelendeuter aus natürlicher Begabung. Das A u ß e n ist für ihn das Innen, das Äußere eines Menschen Spiegel seiner inneren Haltung. Den Satz des französischen Philosophen Montaigne: „Der Körper hat einen großen Anteil an unserem W e s e n und hat dabei hohe Bedeutung", hat sich ihm eingeprägt, weil er seiner eige'nen Anschauung vom Menschen durchaus entspricht. Auch das W o r t des Dichters Novalis kennt Leibl, daß „das Ä u ß e r e ein in Geheimniszustand erhobenes I n n e r e s " ist. Irgendwo schreibt er selber nieder: „ W e n n ich N a t u r male, so male ich die Seele mit". Deshalb ist für ihn richtiges „Sehen alles. Die wenigsten aber k ö n n e n sehen." W a s aber heißt richtiges Sehen? W i e sieht Leibl den Menschen, wie das Leben? Es ist nicht notwendig, so sagt er, daß
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wir einen Menschen bei einer Handlung, in einem Gefühlsausbruch, bei seinen U n t e r n e h m u n g e n beobachten, um in ihn hineinzublicken. Der malende Künstler, der einen Menschen deutlich machen will, sollte ihn viel eher „von jeder Handlung losreißen, aus dem Geschehen h e r a u s n e h m e n " und ihn nur in seinem Äußeren studieren. Leibl hat deshalb auf seinen Bildern kaum einmal eine H a n d l u n g , eine zugespitzte Szene geschildert. Bei seiner großen maltechnischen Begabung w ä r e das für ihn sicher leicht gewesen; aber er hält alles Tun und Treiben für etwas Zufälliges, an dem die Seele nicht unbedingt teilzuhaben braucht. Nicht zufällig ist allein die gesamte äußere Erscheinung eines Menschen Leibl beachtet aber, daß es auch „Körperfassaden" gibt; in der Stadt, in der Gesellschaft traf er sie an, kaum aber unter der ' Landbevölkerung. Er weiß auch, daß die N a t u r manchmal täuscht, indem sie die zarteste, empfindsamste, ja krankhafte Seele in eine unbegreiflich rauh und gesund erscheinende ^Schale hüllt. In .dem F r e u n d e Courbet steht ihm ein bezeichnendes Beispiel vor Augen. Robust, draufgängerisch, derb, ist Courbet einer der sanftesten Menschen. Auch Leibl selbst, stämmig, athletisch,, hart in allen Fragen der Kunst, ist innerlich weich, oft zaghaft u n d mit den feinsten Sinnen begabt. Dann gibt es auch mittlere und niedere Grade seelischer Zustände „Gespinste des C h a r a k t e r s und Schicksals", die sich dem erfahrenen Beobachter in feinsten Abstufungen des äußeren Menschenbildes kundtun. Die Hand des gereiften Künstlers wird in einem Porträt auch solchen angedeuteten Schattierungen des Seelischen nachgehen. Schon im ersten J a h r e seines Landlebens zwischen 1873 und 74 entsteht eines jener meisterlichen Bilder, die Leibls Ruf als „Bauernmaler" begründen; „Dachauerinnen im Wirtshaus". Es wirkt zunächst wie ein Genrebild, wie eines der üblichen plaudernden Bilder a u s dem alltäglichen Leben; aber in diesem Gemälde geschieht k a u m etwas. Zwischen den beiden Frauen, die sich gegenübersitzen, der alten und der jungen, läuft keine „Geschichte", hinter die man k o m m e n möchte. Die j u n g e Frau hält einen Brief in der Hand, und es ist an sich gleichgültig, ob die Frauen erst darüber sprechen wollen oder schon gesprochen haben. Wir sind allein gefangen von den Gestalten in ihrer wunderlich behäbigen Tracht. Noch herrscht auch hier das Atelier-Moll vor, aber es ist durch die grünen, roten und silbergrauen Töne der Schleifen, Rüschen und des Schuhwerks 17
schon wohltuend belebt. Dabei ist nichts in dem Bilde überbetont, das Ganze,— selbst die breite Fläche der Wand, des Bodens, des Wandschranks, ist von einem warmen, schimmernden Licht erfüllt und trotz aller zeichnerischen Klarheit so locker und weich, wie es Leibl später selten mehr gelungen ist. In dieser Zeit entsteht auch das Bild ,,Dachauerin mit Kind". Es ist menschlich noch packender. Das Gesicht der Frau und das Gesicht des von ihr behüteten Buben atmen in gleicher Weise den Ernst der Landschaft, in der diese Bauern leben. Die Hand
Porträt der Hände
der Frau auf der Schulter des Knaben ist herrlich durchgezeichnet und voller Leben. Man hat Leibl nachgesagt, er liefere, wie Dürer und Menzel, „Porträts der Hand"; und in der Tat, selbst Hände auf Bildern, die Leibl zerschnitt, sind noch immer erstaunlich „lebendig". Im Bildganzen sind sie oft, wie in diesem Bild, besonders betont; so die drei Händepaare in dem Kirchenbild, wo sie die fromme innere Haltung der Betenden unaufdringlich andeuten. Leibl weiß, daß die Alten die Hände „mit Kunst gemalt haben". Einmal wünscht er sich: 18
„Ich möchte mein ganzes Leben lang nur Porträts mit schönen H ä n d e n malen". So ist Leibl auch als Maler der H ä n d e ein Menschendeuter besonderer Art; H ä n d e h a b e n d a r u m auf seinen Bildern wie im Leben immer etwas ganz Bestimmtes auszusagen. Die H a n d k a n n sich nämlich nicht, wie das Gesicht, verstellen, sie offenbart oft überraschend das Persönliche eines Menschen. W e n n es auch gewiß typische H ä n d e gibt (Berufshände), so ist doch jede H a n d dem C h a r a k t e r des Menschen, dem sie gehört, entsprechend. Selbst der junge Leibl hat das erkannt, denn schon die frühe Bildniszeichnung der Mutter gibt ein „Porträt" ihrer H ä n d e . (Bild Seite 18) Nach den Dachauerinnen malt Leibl das „Ungleiche Paar", dessen stimmungsstarker Zauber in dem Gegensatz v o n Hell und Dunkel, von Alter u n d J u g e n d liegt. Hier stellt Leibl mit der unbestechlichen Korrektheit seiner Pinselführung das Schicksal zweier Menschen eindringlich, fast erschreckend lebenswahr vor Augen. Nur wer ganz unter Bauern lebt, k a n n so malen. Leibl lebt unter ihnen; ihren inneren Reichtum aber auch ihre Schwächen, ihre Ichbezogenheit, ihre Dickschädel lernt er kennen, w e n n er ihnen bei der Arbeit hilft, mit ihnen hinter dem Krug im W i r t s h a u s sitzt oder mit ihnen feiert. Er geht wie ein Schmied mit -Hammer und Amboß um, denn er hat Kräfte wie ein Bär und scheut sich nicht, sie zu gebrauchen. Von all den Menschen, denen sich Leibl hier auf d e m . Lande freundschaftlich v e r b u n d e n fühlt, ist aber nur einer in allen Irrungen u n d W i r r u n g e n sein w a h r e r Freund: der Weggenosse und Jagdgefährte, der Landschaftsmaler J o h a n n Sperl, der mit ihm auf den Dörfern haust. Sperl ist nicht n u r künstlerischer Gefährte, er ist für Leibl oft genug auch die Brücke ins praktische Leben; der hünenhafte Leibl, der seine Modelle ohne Skrupel überanstrengt und durch seine Schroffheit fast zur Verzweiflung bringt, wird nämlich auch auf dem Lande mit den alltäglichen Tücken des Lebens nur schwer fertig. Auch Zwistigkeiten mit den Bauern muß Sperl schlichten. In allen Fragen der Kunst aber ist er für Leibl die letzte Instanz. Leibl sagt einmal; „ W a s Sperl gut nennt, das ist auch wirklich gut, darauf k a n n man sich verlassen". Er hält die Malerei des Freundes der seinen gleichwertig. N e u n Bilder sind uns erhalten, die Leibl und Sperl gemeinsam gemalt haben. Leibl, der selten eine Landschaft gestaltete, ü b e r n a h m die Figuren, Sperl, der ein großer 19
Landschafter war, schuf die landschaftlichen Motive in diesen Bildern. Auch im C h a r a k t e r ist Leibl zu einem richtigen Bauern gew o r d e n : er ist vorsichtig, wortkarg, zurückhaltend, mißtrauisch. W e n n ihn aber ein Mensch als Modell fesselt, w e n n er eine Aufgabe wittert, wirbt er um diesen Menschen, bis er ihn vor der Leinwand hat. Dann ist der A u s e r w ä h l t e ein Opfer geworden und hat nichts zu lachen. Der junge Freiherr von Perfall, das Modell zum „Jäger", h a t das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Eines Tages bummeln die beiden durch die Jagd freundschaftlich v e r b u n d e n e n M ä n n e r genießerisch durch die Landschaft, schweigend, denn Leibl ist kein kurzweiliger Plauderer; am Wirtshaustisch geht er zwar schon eher a u s sich heraus, aber in Gottes freier N a t u r h a t sein J ä g e r a u g e genug zu tun, und an einem Zerreden der Eindrücke ist ihm wenig gelegen. Sie schlendern am Ufer des Sees enlang: „Bleib stehen!" ruft Leibl plötzlich, ,,so will ich dich malen, gerade so!" Da hilft kein Widerspruch. Der Jagdfreund v e r h a r r t wie festgewurzelt. Leibl läuft, um sein Malzeug zu holen. Der zum Modell „degradierte" Perfall darf sich nicht rühren u n d steht wie eine Salzsäule stundenlang. Und als Leibl den völlig Erschöpften endlich freigibt, findet Perfall, von Neugier gepackt, auf der ganzen Leinwand nichts als einen talergroßen, meisterlich gemalten Fleck: ein Stück seines Filzhutes. Keine Skizze der Figur, nicht die geringste A n d e u t u n g eines Umrisses, nur das Stück Filzhut. — G e n a u w i e dieses Jägerbild sind auch die Dorfpolitiker gemalt, die drei Frauen in der Kirche, das Ungleiche Paar usw. Leibl hat die unerhörte Kraft des malerischen Gedächtnisses, das einen einmaligen Eindruck auf Wochen und Monate festzuhalten vermag. Darum k a n n er auch an jeder beliebigen Stelle eines Bildes anfangen und w ä h r e n d der Arbeit an jeder a n d e r e n ohne Gefahr für das Gelingen des Ganzen weitermalen. In Unterschondorf wagt Leibl sich zum ersten Male an ein großes mehrfiguriges Bild. Er setzt fünf Männer, ganz gegensätzliche T e m p e r a m e n t e und doch als Typen Menschen eines Schlages, in eine Wirtsstube und läßt sie diskutieren. Man k ö n n t e meinen, er wolle ein reines Genrebild malen, weil er hier mehr als sonst ins „Erzählen" kommt. Er erzählt aber nicht in der geschwätzigen Art der damals zur Mode gewordenen „Bauernbilder" und führt k e i n e n dramatischen Zusammenstoß im hitzigen Streit vor. Man hat das Bild zwar „Die 20
Die
„Dortpolitiker"
Dorfpolitiker" genannt, doch der Titel ist falsch; denn diese fünf Männer politisieren gar nicht, sie reden vielmehr über einen Steuerbescheid, das heißt über etwas, das sie besonders angeht. Und sie sind sehr bei der Sache. Jeder dieser Bauern ist typisch für viele Bauern dieser Landschaft, und doch ist er ein Eigener. Jedes Gesicht ist gespannt auf seine Art: kein Wort aus dem Schriftstück, das ein Bauer vorliest, darf verloren gehen. Doch nicht nur die fünf Köpfe spiegeln das spannende Geschehen. Man spürt das Temperament der einzelnen schon in der Haltung des Körpers. Am eindringlichsten vielleicht bei dem Mann im Profil, der vorgebeugt auf der Bank sitzt, die Beine zurückgezogen, die Hände fast in Andacht gefaltet. Auch die anderen Händepaare sind von großer Lebendigkeit. Das Ganze ist bis in die letzte Hautfalte, bis zu den Bartstoppeln auf das sorgfältigste ausgeführt. Ein alltäglicher Vorgang ist rein menscnhch. gesehen. 21
Als das Bild in München ausgestellt wird, bewundern die Anhänger Leibls, die jungen Künstler, neben dem Stofflichen vor allem die überragende malerische Leistung. Die Kritik aber nörgelt und mäkelt auch an diesem Gemälde herum, und das große Publikum bleibt teilnahmslos. Es kommt zu harten Kämpfen, weil man in diesem Bild eine absichtliche Verhöhnung des Bauern vermutet. Wir verstehen heute die Heftigkeit dieses Bildersturmes nicht mehr, der in der geheiligten Ausstellungshalle sogar zu tätlichen Angriffen auf Leibls Freunde ausartet, die das Gemälde hitzig verteidigen. In Frankreich dagegen werden die „Dorfpolitiker" jubelnd aufgenommen; der Kritiker des „Figaro" schreibt: „Ich nehme keinen Anstand zu erklären, daß ich sämtliche Gemälde unseres .Salons' für ein einziges Bild von Leibl hergeben würde." Kurz vor Leibls Tod haben diese wirklich heiß umstrittenen „Dorfpolitiker" auf der Pariser Weltausstellung noch einmal einen Riesenerfolg und gelten den Franzosen als das einzige Werk, das die deutsche Kunst würdig vertreten könne. Bei den seltenen Gelegenheiten, in denen Leibl mit sich selbst unzufrieden ist und die Einsamkeit des Landlebens als quälend empfindet, kann auch Sperl den Unruhevollen nicht mehr bändigen. Zu solchen Zeiten wandert Leibl von Dorf zu Dorf, doch nicht wie ein Landschaftsmaler, der für die Augen neue Weideplätze sucht, sondern wie ein gehetzter Mensch auf der Flucht. Zuweilen sagt ihm schon das Klima eines Dorfes nicht mehr zu. Dann wechselt er oft von Kutterling nach Aibling hinüber, weil ihm Kutterling zu schattig ist. Ein andermal ist er mit der Verpflegung oder dem Wirtshaus in einem Dorf nicht zufrieden, dann wandert er stundenlang in andere hinüber und zurück. Oder die Menschen machen ihn verdrießlich, und er flieht vor ihnen. Die Bauern seiner Dörfer gehören zwar zu dem ernsten ruhigen Schlag, der in der ewig gleichen Arbeit sein Genüge findet. Kirchliche Festtage bringen bescheidene Freuden, die den Alltag angenehm unterbrechen. Aber manchmal ist dem Empfindsamen auch das schon zu viel. Tage und Wochen dauert es oft, bis Leibl nach einer solchen Flucht das Gleichgewicht wiedergefunden hat und reumütig zurückkehrt. In den Jahren 1878 bis 1881 finden wir Leibl seßhaft in Berbling. Hier entsteht jenes eingangs schon genannte und beschriebene Monumentalwerk der "Drei Frauen in der Kirche". Ein glücklicher Zufall hat uns gerade aus dieser Zeit zahl22
reiche Briefe erhalten, die uns die Geschichte dieses Meisterwerkes der deutschen Kunst in Leibls eigener Darstellung verfolgen lassen. Leibl weilte vorher zu einem kurzen Aufenthalt in seinem Münchener Atelier, das er in all diesen Jahren nicht aufgegeben und zuweilen auch aufgesucht hat. Ein alter Freund, der erkennt, wie unbehaglich der Künstler sich in der Stadtluft fühlt, der Pfarrer von Berbling, lädt ihn ein, in die Abgeschiedenheit dieses Dörfchens zu kommen und hier ganz seiner Kunst zu leben. Beim „Oberen Wirt" stehe eine freundliche Kammer für ihn bereit, ein „Zimmer mit dem besten Bett, das die Wirtsleute haben." So packt Leibl wieder einmal seine wenigen Habseligkeiten, um sich erst einmal in dem so sehr gepriesenen Dorf umzusehen. Und sogleich fühlt er sich dort wohl: „Es ist prachtvoll", schreibt er in einem Brief. „In den nahen Wäldern singen die Vögel aufs schönste und über Berg und Tal weht eine köstliche Luft, die nur hier in der Nähe des Gebirges so würzig sein kann." Die Verpflegung ist zwar dürftig beim „Oberen Wirt", und Leibl muß der Wirtin am Kochherd oft genug beibringen, wie und was sie ihm kochen soll. Manchen kräftigen Happen läßt er sich auch von der in der Stadt wohnenden Schwester zuschicken, und er rührt dann selber den Kochlöffel, damit die Speise nur ja nach seinem Gaumen gerät. Die Arbeit, die er sich vorgenommen hat, zehrt mächtig an seinen Kräften, zumal er zum Ausgleich auch hier wieder gern zum Schmiedehammer greift. „Meine Beschäftigung hier ist, wenn ich nicht male, daß ich schmiede, und zwar lauter Hufeisen. Der alte Meister hat die größte Freude daran und behauptet, nie einen so gelehrigen Lehrling oder Gehilfen gehabt zu haben. Es ist eine gesunde und nützliche Beschäftigung." Gleich zu Anfang seines Berblinger Aufenthaltes geht Leibl an das „Kirchenbild". „Ich habe ein Bild vor", so heißt es in einem Brief aus dieser Zeit, „welches, wenn ich der Natur halbwegs nahe komme, sehr günstig werden kann. Ich werde mir die große Mühe geben, damit es besser als meine früheren Bilder wird." Es ist eine Riesenarbeit, zu der sich Leibl entschlossen hat. Wie einfach wäre es, die drei Frauen, die er malen will, in die große Gaststube kommen zu lassen und sie hier in eine -entsprechende Atelierhaltung zu bringen! Aber das käme ihm 23
als eine Verfälschung der Wirklichkeit vor. So wird die Kirche zu seinem Atelier. Mit einer bewundernswerten Geduld sind die drei Frauen zur Stelle, wenn er sie ruft. Beim Malen rauben ihm das Dämmerlicht der Kirche und die Nähe der Figuren zuweilen den Überblick, so daß er sich in ihren Proportionen vertut. Das junge Mädel im Vordergrund z. B. ist zunächst etwas zu groß geraten. Sein Freund Sperl entdeckt den Fehler, und kurz entschlossen kratzt Leibl, ohne zu murren, die ganze Figur wieder ab und malt sie von neuem; „Gott sei Dank, jetzt kann ich wieder schlafen", sagt er, und die Frauen müssen weiter in mumienhafter Starrheit in der vorgeschriebenen Haltung ausharren; das Mädel in der farbig so reizvollen Tracht bleibt aus Bewunderung für Leibls Kunst sogar einmal freiwillig eine ganze Nacht allein in der Kirchenbank, damit sich der Faltenwurf ihres Kleides, so wie der Meister ihn braucht, nicht verschiebt. Noch andere Umstände erschweren die Arbeit. Es ist, besonders im Spätherbst, so kalt in der Kirche, daß dem Meister die Finger klamm werden und er kaum noch den Pinsel halten kann. Da läuft ihm dann die Galle über, und er schimpft über die faulen Kleckser, die sich in der Stadt im mollig geheizten Atelier das Leben so leicht machen können. Da er die sogenannte Primamalerei bevorzugt, also immer in nassen Farben arbeitet, hat er Sorge, daß sie ihm zu schnell trocknen, und es kommt vor, daß er das Bild im Keller aufbewahrt oder gar über Nacht umhüllt in die Erde gräbt, um die Farben feucht zu halten. Die Mühsal dieser Arbeit schreibt sich Leibl in den Briefen an die Angehörigen und die Freunde oft und oft vom Herzen: Am 31. Okt. 1878: „Heute habe ich den Kopf des jungen Bauernmädchens vollendet. Ich will mich eben sicher stellen, denn man kann nicht wissen, was in einem Winter passieren kann, besonders da dieses Modell etwas kränklich ist." Im Frühjahr 1879: „Es gehört wirklich große Ausdauer dazu, unter den gegebenen Verhältnissen ein solch schwieriges und ausführliches Bild bis zu Ende zu bringen. Die meiste Zeit habe ich daran unter Todesverachtung im wahrsten Sinne des Wortes gemalt. Denn in der Kirche herrscht bis jetzt eine eiskalte Grabesluft, so daß die Finger ganz steif werden. Manchmal ist es so dunkel, daß ich die größte Mühe habe, dasjenige, was ich gerade in der Arbeit nabe, mit der gehörigen Gegenauigkeit zu erforschen .. . Letzhin waren mehrere Bauern vor 24
dem Bild und falteten unwillkürlich die Hände. Einer sagte:, das ist Meisterarbeit. Auf das Urteil der einfachen Bauern habe ich von jeher mehr gehalten, als luf dasjenige der sogenannten Maler." Im November 1879: „Die Annahme, daß das Bild jetzt schon fertig sei, ist irrig . . . Jede Übereilung rächt sich bei mir bitter, indem das Mißfallen, welches so gemalte Stellen in mir erregen, mir nicht erlaubt, sie stehen zu lassen und ich sie daher gänzlich auswischen und noch einmal malen muß. übrigens ist das Bild schon sehr weit und wenn das fehlende ebenso wird, wie das was schon fertig ist, so sollt ihr einmal sehen, was das für eine Wirkung machen wird." Am 10. April 1880: „Ich fange gleich nach dem Aufstehen meine Arbeit an und höre bloß auf, um das Mittagessen einzunehmen, worauf ich dann bis zum Abend weiter schanze. Um meinen Augen nicht zu viel zuzumuten, unterlasse ich bei Licht sowohl lesen wie schreiben . . . " Am 16. Juni 1880: „Jetzt neigt das Bild der Vollendung zu. Ein Stück ist es, was noch ungeheure Schwierigkeiten in sich birgt. Ist dieses fertig, so wird das übrige nur noch eine Frage der Zeit sein und nur meinen Fleiß in Anspruch nehmen." Am 26. Juni 1880 (zehn Tage später): „Nach wie vor arbeite ich im Schweiße meines Angesichtes, um nur alle Tage eine Spanne lang vorwärts zu kommen. Es ist wirklich eine rasende Arbeit an dem Bilde und es gehört eiserne Geduld dazu, übereilen darf ich mich nicht und muß es so machen wie die Bergsteiger, welche einen .hohen Berg ersteigen wollen. Diese müssen auch schön langsam gehen und vermeiden es, immer nach dem Gipfel zu schauen." Am 17. Juli 1880: „Ich habe die Arbeit der letzten zwei Wochen wieder wegmachen müssen . . . " „Die heißen Tage waren ungünstig für die Malerei, weil die Farben zu schnell trocknen und das Licht in der Kirche bei blauer Luft höchst dunkel und ungünstig wirkt." Am 11. August 1880: „Der Gedanke, bald fertig werden zu müssen, ist für mich das Störendste . . . ich habe mir vorgenommen, nicht einmal auf meine Gesundheit zu achten und wenn es auch schon grimmig kalt ist, doch noch in der Kirche zu malen . . . Meine Augen sind durch das scharfe Schauen in dem Dämmerlicht der Kirche nicht besser geworden." Am 15. Nov. 1880: „Ich konnte die Hände der letzten Figur nicht fertig malen, weil die betreffende Person, als ich schon 25
sehr weit damit war, ein Geschwür d a r a n bekam, u n d den Kopf desgleichen nicht, weil sie eine A u g e n e n t z ü n d u n g bekam. Meine Geduld wird auf eine h a r t e Probe gestellt. " Im Sommer 1881 erst k a n n Leibl den letzten Pinselstrich tun und w a r t e t nun auf das Echo, die W i r k u n g auf andere. O b w o h l ihm das Urteil der g r o ß e n Kollegen in München im Grunde gleichgültig ist, bittet er Franz v o n Lenbach zur Besichtigung des Kirchenbildes zu sich. Lenbach w a r es, der seinerzeit das W o r t „Galeeren- u n d Zuchthausarbeit" für Leibls Schaffensart geprägt hatte. Ihm, dem Erfolggekrönten, der ein Porträt, w e n n es sein mußte, in w e n i g e n Tagen heruntermalte, war es unbegreiflich, daß einer sich vier lange J a h r e mit einem einzigen Bilde abquälte. Schweigend steht Lenbach vor Leibls Bild, und ohne ein W o r t der A n e r k e n n u n g oder Kritik g e h t der Malerfürst wieder v o n dannen. Anderntags aber spürt Leibl die W i r k u n g des Lenbachschen Urteils, das A b l e h n u n g ist: denn der Käufer des Bildes, ein Herr v o n Schön, der ihm 60 000 Mark geboten hat, macht den Kauf rückgängig: Am A b e n d v o r h e r h a t t e n Lenbach und seine A n h ä n g e r im Künstlerklub „Allotria" den Käufer unsicher gemacht. Schön hat das Bild allerdings nach J a h r e n doch noch gekauft, für 43 000 Mark, und heute gehört es mit zum k o s t b a r s t e n Besitz der H a m b u r g e r Kunsthalle. Es dauerte lange, ehe dieses b e k a n n t e s t e W e r k Leibls in Deutschland in seinem vollen W e r t a n e r k a n n t wird. Von Bedeutung ist das Urteil Vincent v a n Goghs, der doch ganz andere W e g e geht; er hält den Maler des Bildes für einen Schweden. Er hat die „Drei F r a u e n in der Kirche" in einer Photographie g e s e h e n und schreibt darüber an seinen Bruder Theo: „Weißt Du, wer vielleicht der tüchtigste von allen Schweden ist? Ich glaube ein gewisser Wilhelm Leibl, ein Mann, der sich ganz aus sich selbst herausgebildet hat. Ich besitze die Reproduktion eines Bildes, mit dem er plötzlich h e r a u s t r a t . Es stellt drei F r a u e n in einer Kirchenbank dar, eine sitzende j u n g e Frau in k a r i e r t e m Kleid und zwei knieende alte Frauen in Schwarz mit Tüchern um den Kopf. Herrlich in der Stimmung, und gezeichnet wie von Memling oder Quinten Massys. Dieses Bild erregte damals wie es scheint, bei den Künstlern viel Aufsehen — w a s seitdem aus dem Mann g e w o r d e n ist, weiß ich nicht." Noch einmal holt Leibl, nach den „Drei Frauen in der Kirche" 26
zu einem großen Wurf aus: er malt, gleichfalls in vierjähriger Arbeit (1882—86) „Die Wildschützen", im Format das größte seiner Gemälde. Es ist, noch mehr als bei der „Sklavenarbeit" am Kirchenbild, ein gewaltiges Ringen mit dem Stoff. Er hat „herrliche Burschen beieinander, wie er solche noch auf keinem Bilde sah." Wieder sind es drei Altersstufen, die er thematisch zusammenfassen will, gleichsam als Gegenstück zu den Frauen in der Kirche. Die Männer, im Augenblick stärkster seelischer Gespanntheit, auf engstem Räume, die Waffe in der Hand. Durch eine vierte Figur verliert das Bild leider an Geschlossenheit. Auch farbig ist es anders angelegt, breiter im Pinselstrich, aber peinlich genau in der Form. Leibl schreibt darüber: „Meine Malweise habe ich total geändert und hoffe damit mehr erreichen zu können." Der Maler Lovis Corinth hat das Bild mit dem letzten großen Werk des Franz Hals verglichen und als Meisterwerk erkannt. Leibl selbst aber urteilt anders, denn er zerschneidet das Wildschützenbild, als es aus Paris, wo es kühl aufgenommen worden ist und keinen Käufer gefunden hat, zurückkommt. Leibl hat das Zerschneiden des Bildes sehr gründlich besorgt; er begnügte sich nicht damit, die einzelnen Figuren voneinander zu lösen, sondern „amputierte" wie ein Chirurg die einzelnen Teile, z. B. die Hände. Es war kein Wutausbruch eines Verärgerten. In aller Ruhe hat der Künstler das Nein über sein Werk gesprochen. Die Wildschützen-Bruchstücke werden heute als malerische Kostbarkeiten in den Museen zu Köln, Hamburg, Frankfurt und Berlin gehütet. Leibl war an der Bewältigung des Themas: der „überraschten" Wildschützen gescheitert, an der „dramatischen Handlung", eben an dem, was er sonst darzustellen vermied. (Bild Seite 29.) Nach 1890 wird es stiller um Leibl. Obwohl sein Ansehen steigt und er in einen lärmlosen Ruhm hineinwächst, spinnt er sich wieder für lange Zeit in dörfliche Einsamkeit ein. Die Freunde, die Kenner und die Maler, die ihn als unerreichten Meister bewundern und verehren, warten mit Spannung auf jedes neue Werk. Aber Leibl wagt sich nicht mehr an ein großes Thema. Er hat nicht mehr den Mut dazu; er kann auch die hohen Modellkosten nicht mehr aufbringen. Er sitzt im sonnenarmen Kutterling und malt „Küchenbilder" und Porträts: Strickende Mädchen in der Küche, Mädchen am Herd, das junge Paar. Meistens ist die Theres, seine Köchin, das Modell. Jedes dieser Bilder verrät die große innere Freude, mit der er 27
noch immer schafft und eine Reife, die beinahe über die seiner besten Zeit hinausgeht. Dann schenkt ihm das Schicksal, das es ja immer gut mit ihm gemeint und ihn vor schweren wirtschaftlichen Sorgen bewahrt hat, noch einmal ein großes Glück. Es ist zwar keine Fee, die in seine Hütte kommt, aber ein Mensch, der ihm die letzten Lebens- und Schaffensjahre erleichtert; ein Mäzen, der ihm Freund wird: der Berliner Geheimrat Seeger, seit langem ein Verehrer seiner Kunst. Er erwirbt jedes seiner Bilder, soweit es sich nicht um bestellte Bildnisse handelt, und der Künstler ist wieder völlig unabhängig, Seeger reißt ihn aus seiner Einsamkeit heraus und fährt mit ihm in die Niederlande, damit Leibl noch einmal seine Wegweiser und Vorbilder, die großen Meister des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erleben kann. Leibl und See'ger -wandeln in Amsterdam auf den Spuren Rembrandts, durchstreifen die Galerien und Privatsammlungen, und Leibl sieht mit trunkenen Augen all die herrlichen Werke der Brüder van Eyck, Rembrandts, Rubens, Brouwers, Breughels und des einzigen Frans Hals. Es ist ein Jungbronn für den alternden Meister, der zu fühlen scheint, daß die Körperkräfte nachlassen und der das Letzte aus sich herausholen muß, um das noch zu schaffen, was ihn zur Gestaltung drängt. Nach der Heimkehr von dieser Kunstreise kommt Leibl in einen letzten Schaffensrausch. Das Erlebnis der großen Meister, besonders des Frans Hals, hat ihn innerlich tief beeindruckt. Die Krankheit wühlt in ihm und hemmt ihn, aber er schont sich nicht, arbeitet weiter. Er malt das „Mädchen mit den orange Schultertuch". Das Bild ist ein frohes Bekenntnis zur Jugend, ganz hell und leuchtend in den Farben, fast impressionistisch empfunden und doch in einer altmeisterlich strengen Art; dann zwei Bilder nach dem gleichen hellhaarigen Modell: das Mädchen mit der Samtmütze und das Mädchen am Fenster. Dieses Bild zählt zu den schönsten des späten Leibl; es ist, als hätte der Meister in der fast klösterlichen Stille von Kutterling einen feinnervigen Spürsinn entwickelt, der ihn noch sicherer als sonst die zartesten seelischen Regungen erkennen und darstellen läßt. Das schlichte Mädel, ganz in geheimnisvolle Dämmerung gestellt, vom Fenster aus von sanftem Licht Übergossen, ist wieder ein Beweis für Leibls große Kraft, das innerste Wesen eines Menschen mit den reinen Mitteln der Malerei ohne irgendwelche psychologischen Kniffe zu erfassen. Jeder 28
Ausschnitt aus dem von Leibl verworfenen und zerstückelten Monumentalgemälde „Die Wildschützen", dessen Teile uns erhaifen sind. 29
Pinselstrich wird auf der Bildfläche zum w a r m e n pulsierenden Leben, in jedem Farbton, in jedem Linienzug ist dieses Leben eingefangen. Leibl e r k e n n t beglückt, daß seine künstlerische Kraft nicht geschwächt ist. Er sagt zu einem j u n g e n F r e u n d e : „Seit ich ganz einsam lebe und der Welt ferne, bin ich nur ich selbst. W e n n ich einmal g e s t o r b e n bin, w e r d e n sie schon darauf kommen, daß meine besten Sachen die letzten sind und nicht die älteren." Darum ist es vielleicht die größte Tragik im Leben Leibls, daß gerade jetzt, da sich seine Kunst noch einmal strahlend entfaltet, der Körper ganz plötzlich versagt. Er h a t ja niemals mit seinen Kräften h a u s g e h a l t e n ; wie viele körperlich robuste Männer glaubte er, M u s k e l s t ä r k e sei ein Zeichen v o n unbändiger Lebenskraft. Auch jetzt lebt er noch in diesem W a h n u n d ist als leidenschaftlicher J ä g e r bei jedem W e t t e r d r a u ß e n oder hockt in unwirtlichen Räumen vor seiner Leinwand, Er muß malen! Er trotzt dem Schicksal, hört nicht auf die W a r n u n g e n des Körpers, auf die Schmerzen. Wie ein scheinbar noch im besten Saft stehender, aber innerlich schon ausgehöhlter Baum wird er plötzlich brüchig und mürbe. Die Herzbeschwerden häufen sich, die Gichtanfälle w e r d e n immer bohrender. Mit Gewaltkuren sucht er der Schwäche Herr zu v/erden. Noch einmal flieht er aus Kutterling ins freundlichere Aibling. Er schöpft wieder Hoffnung, denn der Arzt ist zufrieden mit ihm und erlaubt ihm mäßiges Arbeiten. Leibl malt das Bildnis der Frau Roßner-Heine; es ist seine letzte größere Arbeit. Aus der „mäßigen" Arbeit wächst er in ein Schaffensfieber hinein. „Du weißt, w e n n ich einmal angefangen habe, k a n n ich nicht aufhören", schreibt er einem Freund. — Aber als das Bild nach Wochen fertig ist, fühlt er sich elender als zuvor und muß „wieder fleißig Digitalis schlucken", um das m ü d e Herz aufzupeitschen. Dann a b e r spricht der Arzt das Machtwort und schickt ihn nach Nauheim. Elend kommt er an, es wird eine trübe, niederdrückende Kur, er muß im Zimmer bleiben, zum Brunnen wird er getragen. Er lebt streng diät, raucht nicht mehr, trinkt des A b e n d s „nur zwei Schoppen Bier oder zwei Gläschen Moselwein". Dann g e h t er nach Kutterling zurück und weiß, daß alles v e r g e b e n s war, daß das zerstörte Herz nicht mehr zu r e p a r i e r e n ist. Und eines Tages muß der T o d k r a n k e die letzte Reise antreten: nach Würzburg. Doch er k a n n nicht durch die winkeligen Gassen der alten Barockstadt bummeln, nicht in ver30
schwiegenen Weinkneipen beim Schoppen Boxbeutel sitzen, sich nicht mehr an Balthasar Neumanns zauberhafter Residenz erfreuen. Er liegt fiebernd im kahlen sachlichen Krankenzimmer; die Ärzte, die sich um ihn bemühen, können ihm nur Linderung schaffen, aber nicht Heilung bringen. Das Herz ist am Ende. Ist er noch einsamer als im einsamen Kutterling? Er ist-nicht ganz allein. Seine Schwester, die in Würzburg lebt, sitzt an seinem Bett und bemüht sich mit den Ärzten und Schwestern, ihm die Qualen zu erleichtern. Sein Denken kreist um das Werk, das sein Leben ausgefüllt und ihm viele Freuden und viele Schmerzen eingetragen hat. Denkt er an Köln, wo er als Bub mit den Zwei-Pfennig-Porträts die ersten Schritte ins Reich der Kunst tat? An München, wo er verbissen um das handwerkliche Können rang? An Paris, wo er den ersten großen Erfolg erlebte und Gustave Courbet sein Freund war? Denkt er an seine Dörfer, an die Bauern, die Burschen und Mädel, an seine Jagdfreunde, an die Modelle, die er quälen mußte, um der heiligen Kunst willen? Nur eine Klage entringt sich dem Erschöpften; „Ich werde nie mehr malen können . . . " Am Abend des 4. Dezember 1900 ist Wilhelm Leibl heimgegangen. Auf dem Friedhof zu Würzburg findet er seine letzte Ruhestatt. Er ist nur 56 Jahre alt geworden. Leibl hatte keine Schüler. „Ich bin nie Professor gewesen", sagte er einmal, ,,und werde auch keiner sein, aber meine Bilder werden Professoren sein." — Und sie waren es: Zu seinen Lebzeiten für die gleichgesinnten Freunde und Anhänger in München, die den Kontakt mit ihrem auf dem Dorfe vergrabenen Meister nicht verloren hatten, und später für alle Maler, die in Leibl ein Vorbild sahen. Sie lernten aus seinen Bildern was er von den Werken der Großen des Mittelalters gelernt hatte; vor allem die hohe Schätzung des Handwerklichen in der Kunst, das so viele über dem genialischen Einfall vernachlässigen und ohne das es doch kein Kunstwerk von Wert und echter Wirkung geben kann. Umschlagzeichnung Karlheinz Dobsky
L u x - L e s e b o g e n Nr. 7 2 / H e f t p r e i s 2 0 P f e n n i g e Natur- und kulturkundliche Hefte • Bestellungen (viertelj. 6 Hefte) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt • Verlag Sebastian Lux, Murnau-München Druck: Hans Holzmann, Bad Wörishofen
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FI e m m i n g s
WELTATLAS Der erste Handatlas in Lexikonformat der Nachkriegszeit bringt 160 Kartenseiten und 160 Seiten geographisch-statistischen Text. Der Textteil gibt interessante Erläuterungen zum Verständnis der Karten und bildet, für sich genommen, in populärer Darstellung einen Abriß der allgemeinen Geographie und Länderkunde. Der Kartenteil enthält neben physikalischen und politischen Übersichtskarten viele Spezialkarten und eine Fülle von Darstellungen zur Volkskunde und Weltwirtschaft. Der neue „Flemming" ist nicht nur ein erdkundliches, sondern auch ein politisches Bildungsmittel für jeden. Preis des Halbleinenbandes 2 8, —• DM. Bequeme Teilzahlungen sind möglich: Erste Rate 8,50 DM; vier weitere Raten zu je 5,— DM.
, I N E B I B L I O T H E K IST WIE E I N G R O S S E S KAPITAL, DAS
JAHRZEHNTELANG
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U N B E R E C H E N B A R E Z I NSEN SPENDET 6 O ET H E
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