Wie Mäuslein Spitzschwanz in die Ferne segelte Tiermärchen
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Wie Mäuslein Spitzschwanz in die Ferne segelte Tiermärchen
Wie Mäuslein Spitzschwanz in die Ferne segelte und andere Tiermärchen aus der Sowjetunion
Der Kinderbuchverlag Berlin
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Kater, Hahn und Füchsin Ein russisches Märchen
In einem Waldhaus wohnten einst ein Kater und ein Hahn, der Pe~a hieß. >>Petja«, sagte der Kater eines Tages, als er Brennholz holen wollte, »ich bleibe eine Weile weg. Rühr dich nicht aus dem Haus, öffne keinem die Tür und steck den Kopf nicht aus dem Fenster.« Kaum war er fort, da kam die Füchsin gelaufen und sang: »Petja, Petja, Hahnemann, Mit dem purpurroten Kamm, Mit dem glänzend glatten Kopf, Mit dem seidenweichen Kropf1 Schau aus dem Fensterlein, Ich schenk dir Erbsen fein Und süße l(örnerlein!« 5
Dem konnte der Hahn nicht widerstehen, er steckte den Kopf aus dem Fenster, schwups, packte ihn die Füchsin und lief mit ihm davon. In seiner Angst krähte der Hahn nach dem Kater. »Kikeriki, Kater, hilf1 Die Füchsin verschleppt mich ins Schilf, Trägt mich über Berg und Tal. Hilfmir aus Todesqual!« Das hörte der Kater, er lief herzu, nahm der Füchsin den Hahn ab und brachte ihn ins Waldhaus zurück. »Petja«, sagte der Kater am folgenden Tag, »heute will ich Lindenbast reißen und gehe deshalb noch weiter von zu Hause fort. Offne keinem die Tür und steck auch den Kopf nicht wieder aus dem Fenster.« Kaum war er fort, da stellte sich die Füchsin ein. »Petja, Petja, Hahnemann, Mit dem purpurroten Kamm, Mit dem glänzend glatten l(opf, Mit dem seidenweichen Kropf! Schau aus dem Fensterlein, Ich schenk dir Erbsen fein Und süße Körnerlein!« Diesmal gab der Hahn keinen Mucks von sich, ließ sich nicht verlocken. Doch die Füchsin fing wieder an: »Petja, Petja, Hahnemann, Mit dem purpurroten Kamm, Mit dem glänzend glatten Kopf, Mit dem seidenweichen Kropf! Schau, was ich dir schenken will, Komm heraus, doch schweig fein still!«
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Das machte den Hahn neugierig, er konnte nicht widerstehen und steckte den Kopf aus dem Fenster. Schwups, wurde er von der Füchsin gepackt, und wieder krähte er in seiner Angst nach dem Kater. »Kikeriki, Kater, hilf1 Die Füchsin verschleppt mich ins Schilfl Trägt mich über Berg und Tal. Hilf mir aus Todesqual!« Das hörte der Kater, stürzte der Füchsin nach und biß sie in den Schwanz, so daß sie den Hahn fallen ließ und die Flucht ergriff. Kater und Hahn gingen heim und legten sich schlafen. Am nächsten Morgen rüstete der Kater wieder zum Aufbruch. »Sei aber auf der Hut!« warnte er den Hahn. »Steck den Kopf keinesfalls aus dem Fenster, mach auch die Tür nicht auf1 Ich muß heute Bäume fällen, "veit fort von hier, wo ich dich nicht mehr hören kann.« l(aum war er "veg, da sprang die Füchsin flink unters Fenster und sang:
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»Petja, Pe~a, Hahnemann, Mit dem purpurroten Kamm, Mit dem glänzend glatten Kopf, Mit dem seidenweichen Kropf1 Schau aus dem Fensterlein, Ich schenk dir Erbsen fein Und süße Körnerlein!« -- ,. Der Hahn rührte sich nicht, blieb mucksmäuschenstill sitzen. Die Füchsin fing wieder an: »Petja, Pe~a, Hahnemann, Mit dem purpurroten Kamm, Mit dem glänzend glatten Kopf, Mit dem seidenweichen Kropf1 Laß dich nicht lange bitten, Bojaren kamen geritten, verstreuten viel Hirse im Sand. Die Hühner sind hingerannt, Sie picken und picken, o Schreck, Den Hähnen das Futter weg!« Das ärgerte den Hahn.
»Kikeriki!« krähte er aufgebracht. »Wie können die Hühner es wagen, uns Hähnen das Futter wegzufressen!« Und er steckte den Kopf aus dem Fenster. Darauf hatte die Füchsin nur gewartet. Schwups, packte sie ihn und lief mit ihm davon. In seiner Angst krähte der Hahn wieder nach dem Kater.
»Kikeriki, Kater, hilf1 Die Füchsin verschleppt mich ins Schilf! Trägt mich über Berg und Tal. Hilf mir aus Todesqual!« Er schrie und schrie, aber vergebens. Der Kater hörte ihn nicht, weil er in weiter Ferne Bäume fällte. Erst nachdem er sie zu Brennholz zerhackt hatte, kehrte er ins Waldhaus zurück und sah, daß das Fenster offenstand und der Hahn spurlos verschwunden war. Den hat die Füchsin geholt! sagte er sich, griff nach seiner siebensaitigen Gusli, steckte eine Axt und einen Sack ein und machte sich auf, den Hahn zu befreien. Am Fuchsbau angelangt, schlich er unters Fenster, klimperte auf der Gusli und sang leise dazu: »Kling, klang, Gusli mein, Spiele mir ein Liedehen fein, Will ich doch die Füchsin preisen, Ihren Kindern Ehr erweisen! Fünfe sind es an der Zahl, Lustig ist die ~amenswahl. Vogelscheuche heißt das erste, Besenstiel das zweite Kind, Schornsteinklappe heißt das dritte Und das vierte Blasebalg, Das Jüngste ist ein schöner Sohn Mit dem Namen Pack-ihn-schon.« 10
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Die Füchsin heizte gerade den Ofen, um den Hahn zu braten. »Lauf hinaus, Vogelscheuche«, sagte sie zu ihrem ältesten Kind, »und schau nach, wer uns so ein hübsches Liedehen singt!« Vogelscheuche sprang aus der Tür. Sogleich packte sie der Kater und steckte sie in den Sack. »Warum steht sie so lange draußen herum?« schalt die Füchsin. ·»Hol sie herein, Besenstiel.« Besenstiel sprang hinaus. A.uch ihn schnappte der Kater, um ihn in den Sack zu stecken. »Wie ungezogen sind doch die Kinder, daß sie nicht wiederkommen!« schalt die Füchsin und schickte erst Blasebalg und dann Schornsteinklappe vor die T ür, ihre Geschwister hereinzuholen. Aber auch diese beiden wurden vom Kater sofort in den Sack gesteckt. »] etzt geh du hinaus und rufe sie!« befahl die Füchsin ihrem jüngsten Sohn Pack-ihn-schon. »Vermutlich können sie sich nicht von der Guslimusik losreißen.« Pack-ihn-schon gehorchte. Als er jedoch aus der Tür trat, wanderte auch er in den Sack. Die Füchsin wartete vergebens auf die Rückkehr ihrer Kinder. Schließlich trat sie selbst über die Schwelle. Daraufhatte der Kater gelauert. Er nahm sie, packte sie obendrauf und schnürte den Sack zu. »Da bleibst du jetzt!« sagte er. D ann ging er ins Haus und befreite den Hahn. Froh un""d glücklich kehrten sie heim und kannten seitdem weder Kummer noch Sorgen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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Wie Mäuslein Spitzschwanz in die Ferne segelte Ein tschuwaschisches Märchen
Am Ufer eines breiten Flusses lebte ein Mäuslein mit Namen Spitzschwanz. Tagein, tagaus saß es vor seinem Loch, knabberte Körner und schaute auf den Fluß. Es betrachtete die Segelschiffe, die vorbeifuhren und in der Ferne verschwanden, und in ihm erwachte das Verlangen, ebenfalls davonzureisen und fremde Länder zu sehen. Aber wie sollte es das anstellen? Eines Tages, als Mäuslein Spitzschwanz am Ufer entlangtrippelte, sah es dicht am Wasser eine Melonenschale liegen. Das ist ein passendes Schiffchen ftir mich! dachte es. Damit \vill ich in die Ferne fahren. 13
Es hob die Melonenschale an, schob sie ins vVasser, kletterte hinein und hißte ein Stück Birkenbast als Segel. Der Wind blies und trieb das Schiffchen den Fluß hinab. Ein Hase kam ans Ufer. »Mäuslein Spitzschwanz!« rief er. »Wohin geht die Reise?« »In die Ferne!« rief das Mäuslein zurück. »Sehen will ich, wie man in der Fremde lebt, und erfahren, ob die vVurzeln dort süßer sind.« »Nimm mich mit! Ich schenke dir auch eine Mohrrübe.« »Bist du mein Freund?« »Freilich!« antwortete der Hase. Da ließ das 1\!Iäuslein ihn einsteigen, und sie fuhren weiter. Sie segelten und segelten, bis sie an einem Fuchs vorbeikamen, der am Ufer stand. »Mäuslein Spitzschwanz!« rief er. »Wohin geht die Reise?«
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»In die Ferne!« rief das Mäuslein zurück. »Sehen will ich, wie man in der Fremde lebt, und erfahren, ob die Wurzeln dort süßer sind.« »Nimm mich mit!« bat der Fuchs. »Ich habe eine Gänsekeule bei mir, die fur uns alle reichen wird.« »Bist du auch mein Freund?« »Selbstverständlich!« antwortete der Fuchs. Da ließen sie ihn einsteigen und segelten weiter, bis e1n Wolfam Ufer stand. >>Huu!« heulte er. »Mäuslein Spitzschwanz, wohin geht die Reise?« »In die Ferne«, antwortete das Mäuslein. »Sehen will ich, wie man in der Fremde lebt, und erfahren, ob die \Vurzeln dort süßer sind.« »Nimm mich mit! Als Wegzehrung für uns alle habe ich eine große Fleischpastete bei mir.« »Bist du auch mein Freund?« »Natürlich! Ich habe einen ausgesprochen freundlichen Charakter.« Da ließen die Tiere ihn einsteigen. Weiter ging die Fahrt, bis ein Bär vom Ufer aus den Kahn erblickte. »Üchochoch!« brüllte er. »Was ist das dort für ein Schiffchen? Wem gehört es?« »Ich bin der Kapitän!« piepste das Mäuslein. »Wir verreisen, um zu erfahren, wie man in der Fremde lebt und ob die Wurzeln dort süßer sind.« »Nehmt mich mit! Ich habe auch einen mächtigen Klumpen --... Honig bei mir.« »Das Schiffchen ist zu klein für noch mehr Fahrgäste!« erklärte der Hase. »Wir sitzen ohnehin dichtgedrängt.« »Für dich ist nichts mehr frei!« rief der Fuchs. »Wenn du zusteigst, gehen wir unter!« heulte der Wolf.
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»Ich schiebe mich ganz vorsichtig ins Schiff!« brummte der Bär. »Na, dann komm!« piepste das Mäuslein. »Du hast wohl auch noch Platz .« Da zwängte sich der Bär hinein, und in noch größerer Enge segelten sie weiter. Sie aßen, tranken, sangen gemeinsam und waren vergnügt. Das Mäuslein piepste fröhlich, der Hase klopfte mit der Pfote den Takt - tuktuktuk. Der Fuchs pfiff, der Wolfklapperte mit den Zähnen, und der Bär brummte. Einen Tag segelten sie und noch einen Tag. Am dritten Tag näherten sich ihre Vorräte dem Ende, und als sie den Rest aufteilen wollten, gerieten sie in Streit. Der Bär beschuldigte den Wolf, daß er zuviel gefressen hätte, der Hase "\varf dem Fuchs das gleiche vor. Der Fuchs duckte sich in eine Ecke und schob alle Schuld auf das Niäuslein. »Es ist so ungeheuer gefräßig!« knurrte er. Da wurde das arme Mäuslein vo1n Bären angebrüllt, vom Wolf angeheult, vom Fuchs angekläfft, vom Hasen angepfiffen. Vor Schreck wickelte das Mäuschen den Schwanz uma en Mast, das Segel sank herab, das Schiffchen kippte um, und alle fielen ins Wasser. Mäuslein Spitzschwanz erreichte aber glücklich das Ufer und verkroch sich im Gebüsch. 18
Dort grub es sich ein neues Mauseloch. Seitdem saß es, ganz wie früher, tagein, tagaus vor dem Eingang, knabberte Körner und schaute auf den Fluß, wo die Segelschiffe davonzogen. Und dabei ärgerte es sich, daß ihm seine angeblichen Freunde die Reis e verdorben hatten. Vielleicht, so hoffte es, würde es eines Tages zuverlässigere Gefährten finden. Aber bis dahin träumte es nur von der Ferne.
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Der Vogel Kukluchai Ein darginisches Märchen
Auf dem Feld stand ein Baum, der Baum hatte eine Höhlung, die Höhlung enthielt ein Nest, im Nest lagen drei Vogelkinder, umsorgt von ihrer Mutter- dem Vogel Kukluchai. Eines Tages lief der vVolfkhan übers Feld, entdeckte Kukluchai mit ihrenjungen und heulte: »Mein ist die V\Tel t, Mein ist das Feld, Mein ist der Baum Und was er enthält! Kukluchai, sage mir, Wie vieleJunge hast du bei dir?«
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»Drei!« rief Kukluchai hinunter. »Drei?« knurrte der Wolfkhan. »Was fur eine ungleiche Zahl, ein Pärchen genügt. Wirf mir das dritte herunter, sonst lasse ich den Baum fallen. Der Winter naht, ich brauche Brennholz.« Kukluchai brach in Tränen aus und schlug mit den Flügeln, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als dem WolfeinJunges hinunterzuwerfen. Er verschlang es und ging seiner Wege. Doch am folgenden Tag stellte er sich wieder .ein und heulte unter dem Baum: »Mein ist die Welt, Mein ist das Feld, Mein ist der Baum Und was er enthält! Kukluchai, sage mir, Wie vieleJunge hast du bei dir?« »Nur noch zwei!« riefKukluchai angstvoll zurück. »Wozu brauchst du zwei? Du bist doch arm. Zwei aufzuziehen ist allzu kostspielig. Überlaß mir eines, bei mir wird es satt.« »Nein!« schrie Kukluchai. »Du kriegst keins!« Da rief der Wolfkhan die Holzfäller, die mit scharfen Axten herbeikamen. Bitterlich weinend gab Kukluchai dem Wolfkhan ihr zweites Kind. Am folgenden Tag kam er zum drittenmal und heulte: »Mein ist die Welt, Mein ist das Feld, Mein ist der Baum Und was er enthält! Kukluchai, sage mir, Wie vieleJunge sind noch bei dir?«
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»Nur noch eines!« gab Kukluchai zur Antwort, außer sich vor Kummer und Angst. »Nun, dann \Aiill ich dich auch von ihm befreien, es in meine Dienste nehmen, so daß du ungehindert im Walrl umherschwirren kannst!« »Nein, nein! Meinen letzten Sohn gebe ich nicht her, mach, was du willst!« schluchzte Kukluchai. Da wurde der Wolfkhan wütend und befahl den Holzfällern, den Baum umzuhauen. Die Holzfäller schwangen die Axte, der Baum erbebte, und das letzteJunge fiel aus dem Nest. Der Wolfkhan verschlang es und machte sich davon. l(ukluchai schrie laut auf, flog in den fernen Wald, setzte sich auf einen Kornelkirschenstrauch und jammerte: »Auf dem Feld, da stand ein Baum, Droben war genügend Raum Für ein Nest mit meinen jungen, Doch sie haben ausgesungen, Wurden von dem Wolf gefressen, Und das kann ich nicht vergessen!« Das hörte der schlaue Fuchs, der schon seit langem die Absicht hatte, dem Wolf die Herrschaft zu entreißen und selber Khan zu werden. »Warum weinst du, liebe Kukluchai?« fragte er mit zuckersüßer Stimme. Vertrauensvoll klagte Kukluchai ihm ihr Leid. »Weine nicht, Teuerste!« sagte der Fuchs tröstend. »Ich will dir in meiner Güte helfen, an dem bösen vVolf Rache zunehmen. Flieg einstweilen durch den Wald und berichte allen Tieren, was er dir angetan hat.« Bereitwillig flog Kukluchai davon und erzählte überall von der Untat des Wolfes . Der Fuchs lief inzwischen zur Wolfshöhle.
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»Wohin so eilig?« fragte der Wolf, als er ihn kommen sah. »Zur Mühle, Mehl fressen«, antwortete der Fuchs. »Die Müllerin ist zu den Nachbarn gegangen, um Feuer zu holen, und hat das Haus unbewacht gelassen. Willst du mitkommen, Wolfkhan?« Gemeinsam schlichen sie in die Mühle. Dort kletterte der vVolf als erster in die Mehltruhe und fraß sich satt. Danach wollte er den Fuchs ans Fressen lassen. Aber der Fuchs zögerte. »Paß auf, ob jemand kommt, während ich fresse«, sagte er dann zum Wolf. »Aber mach dich nicht heimlich aus dem Staube.« »Wo denkst du hin, Fuchs, das würde ich nie tun. Friß dich in Ruhe satt.« »Nein, Wolfkhan, ich will dich lieber inzwischen anbinden .« »Na, meinetwegen, wenn's nur für eine Weile ist.« ~ -Da band der Fuchs den Schwanz des Wolfes ans Mühlrad und setzte die Mühle in Gang. Das Rad begann sich zu drehen, der Wolf drehte sich mit und wirbelte so lange herum, bis ihm der Schwanz abriß, er freikam und wegrennen konnte·.
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Nach ein paar Tagen schlenderte der Fuchs wieder an der Wolfshöhle vorüber. »Du Schurke!« schrie der Wolf, als er ihn sah. »Was hast du mir angetan!« »Ich? Was soll ich getan haben?« fragte der Fuchs ungerührt zurück. »Ich kenne dich doch gar nicht, sehe dich heute zum ers tenmal. « _ >~Wie, warst du es nicht, der mich in die Mühle gelockt und mich um den Schwanz gebracht hat?« »Aber nein! Damit habe ich nichts zu schaffen. Ich bin ein wandernder Arzt und befasse mich ausschließlich mit der Heilung von Wunden und Krankheiten!« »Dann heile auch mich!« bat der Wolf. »Laß mir einen neuen Schwanz wachsen, denn ohne Schwanz kann ich mich nicht mehr im Wald sehen lassen. Vor einem schwanzlosen Khan hat niemand Achtung.« »Das ist freilich wahr«, bestätigte der Fuchs . »Und ich bin
gern bereit, dir zu helfen. Allerdings nur, -vvenn du mir bedingungslos gehorchst.« Er führte den Wolf zu einem I-Ieuhaufen und befahl: »Kriech dort tief hinein und komm erst wieder heraus, wenn ich dich rufe.« Gehorsam kroch derWolfins Heu. Als er darin verschwunden war, zündete der Fuchs den Heuhaufen an und machte sich aus dem Staube. D er Wolfblieb so lange im Heu hocken, _ bis sein Fell Feuer fing. Erst im letzten Augenblick sprang er heraus- ohne Schwanz, ohne F ell. »So!« sagte der Fuchs zu Kukluchai. »Mit dem. Wolf habe ich abgerechnet. Nun flieg durch den Wald, rufalle Vögel und Vierbeiner herbei und schlag ihnen vor, mich anstelle des \Volfes zun1 Khan zu wählen.« Da flog Kukluchai überall im Wald herum und besang die Güte des Fuchses. Und auch der Fuchs erzählte allen Tieren von der Bestrafung des bösen Wolfkhans. »Nun«, schloß er jedesmal, »solltet ihr euch einen neuen Khan wählen, der ein dichtes Fell und einen buschigen Schwanz hat und für seine Güte bekannt ist.« Tatsächlich ließen sich die Tiere überreden, den Fuchs zum Khan zu wählen. Nur die Hühner \Varen dagegen. Aber auf sie hörte keiner. So wurde der Fuchs der neue Herrscher über alle Tiere. I m nächsten Frühjahr brütete Kukluchai wiederumJunge aus, setzte sich auf den Nestrand und sang: »Hinter mir liegt nun der \Vinter, Und ich habe wieder Kinder, Ihnen wächst schon ,das Gefieder, Und sie zwitschern erste Lieder, Werden schon in Kürze flügge, Frei von jenes Wolfkhans 'Tücke.«
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Doch kaum hatte die Vogelmutter ihr Lied beendet, da erschien der Fuchskhan. Er trug ein kostbares Prachtgewand und einen Silberdolch. Würdevoll schritt er auf den Baum zu, gefolgt von zwei Holzfällern mit scharfen Axten. Vor dem Baum blieb er stehen und kläffte:
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»Mein ist die \1\Telt, Mein ist das Feld, Mein ist der Baum Und was er enthält. Kukluchai, verlaß dein Haus, Wirf dieJungen zu mir raus!«
»Aber lieber Fuchs«, jammerte Kukluchai, »wir sind doch alte Bekannte! Ich bin Kukluchai, die hier mit ihren Kindern lebt. Früher, bevor du Khan wurdest, waren wir gute Freunde!« »Was bist du doch für ein dummer Vogel!« versetzte der Fuchs. »Du kannst ja nicht zwischen Aufrichtigkeit und Falschheit unterscheiden!« Und dann befahl er den Holzfällern, den Baum an der Wurzel abzuhauen. Als er umstürzte, schnappte der Fuchs sämtliche Vogelkinder, fraß sie aufund ging seiner Wege. So mußte Kukluchai dafür büßen, daß sie dem hinterlistigen Fuchs vertraut hatte. Denn die Khane sind alle gleich- ob Wolf oder Fuchs .
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PluDips ist da Ein kalmückisches Märchen
Bei einer Quelle stand ein Apfelbaum, unter dem sich ein dichter Grasteppich ausbreitete. An einem Frühlingstag kam ein Grauhase an diesen Ort, der ihm wohlgefieL Denn das Gras schmeckte vorzüglich, die Quelle, die aus dem Boden sprudelte, war kühl und klar, dazu spendete der Baum reichlichen Schatten. »Hier bleibe ich!« sagte der Grauhase und richtete sich unter dem Apfelbaum ein. Stille herrschte ringsum, nichts erschreckte den Hasen.~r knabberte süßes Gras, trank kühles Wasser, schlief im Schatten des Baumes. So verging der Sommer. Am Apfelbaum reiften schwere Früchte. Der Hase ahnte nicht, was das fur ein Baum war und daß er Früchte tragen würde. Er war ganz und 30
gar unwissend. Nie schaute er nach oben, denn unten gab es genug zu fressen. Eines Tages, als der Hase eben an der Quelle hockte und trank, löste sich ein reifer Apfel vo1n Zweig und plumpste dicht vor seiner Nase ins Wasser. Vor Schreck kniff er die Augen zu, fuhr zurück und nahm Reißaus. Entsetzlich! dachte er. Ich bin hier allein, niemand ist da, plötzlich macht einer ~:Rlumps«. Woher kommt dieser unheimliche Plu1nps? Und er liefund lief, bis er aufeine große Hasenfamilie stieß. »Halt, wo rennst du hin, Grauhase?« riefen die Hasen. »\1or wem hast du Angst? -.:vV er verfolgt dich?« »Ein Plumps!« stöhnte der Grauhase. »Was ist ein Plumps?« »Wo ist der Plumps?« »An der Quelle! Dicht vor meiner Nase hat einer plötzlich >plumps< gemacht!« jammerte der Hase, schaute sich ängstlich um und rannte weiter. Die Hasenfamilie schloß sich ihm an. Sie liefen und liefen,
bis sie den Fuchs trafen. Bei ihrem Anblick dachte er: So viele Hasen! VVas für saftige Braten! Aber vor wem fliehen sie? »He, ihr!« rief er. »Vor wem lauft ihr davon?« »Vor dem Plumps!« riefder Grauhase. »Der Plumps ist da!« riefen auch die übrigen Hasen und rannten weiter. Plumps? überlegte der Fuchs. Wer mag das sein? Den k~nne ich nicht, habe ihn nie gesehen. Ich will ihm lieber auch aus dem Wege gehn. Und er schloß sich den Hasen an. Ein Wolfkam ihnen entgegen. »Vor wem flieht ihr?« rief er. »Was ist geschehen?« »Plumps ist da!« antworteten die Hasen im Chor. >>Ja, ein Plumps!« bestätigte der Fuchs. Daß Hasen fliehen, ist nicht verwunderlich, dachte der Wolf. Hasen sind sowieso Feiglinge. Aber ein Fuchs flieht nicht ohne Grund, er ist klug. Ich weiß ja auch nicht, was der Plumps für ein Wesen ist. Und er begann gleichfalls zu rennen. Ein Bär kam ihnen entgegen. »Vor wem flieht ihr?« brummte er. »Was ist geschehen?« »Plumps ist da!« riefen die Hasen. »Plumps ist da!« kläffte der Fuchs. »Plumps ist da!« heulte der \t\Tolf. Hasen und Füchse sind schwache Tiere, die laufen gleich davon, dachte der Bär. Der Wolf hingegen ist stark und hat kräftige Zähne. Wenn er die Flucht ergreift, muß dieser Plumps wohl stärker sein als er. Da bekam er es mit der Angst und schloß sich ihnen an. Sie rannten ulli:l rannten, bis sie einem Leoparden begegneten. Als der Leopard die großen und kleinen Tiere in blinder Flucht vorbeistürzen sah, rief er: »Halt! Was ist geschehen? \t\T er hat euch erschreckt?« 32
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»Der Plumps!« riefen die Hasen. »Plumps ist da!« bestätigte der Fuchs. »Plumps ist da!« heulte der Wolf. »Plumps ist da!« brummte der Bär. Von einem Plu~nps habe ich noch nie gehört, überlegte der Leopard. Ob das ein böses Raubtier ist? Was soll ich tun? Schon wollte er sich dem Zug anschließen, aber dann d achte er: Ob sie den Plumps überhaupt mit eigenen Augen gesehen haben? Ist er wirklich so furchterregend? Vielleicht können wir ihn mit vereinten Kräften überwinden. Und er brüllte mit dröhnender Stimme: »Stehenbleiben!« Die Tiere gehorchten. »Sag mal, Bär, was hat dir der Plumps getan? Hast du ihn gesehen?« »Nein«, antwortete der Bär, »gesehen hab ich ihn nicht, der Wolfhat mir von ihm erzählt.«
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»Und mir der Fuchs.« »Und mir die Hasen.« »Und uns der Grauhase.«
»Hast du denn den Plumps gesehen, Grauhase?« fragte der L eopard . »Nein, nein, das nicht, aber gehört habe ich ihn. « »Er hat ihn gehört!« bestätigten die Hasen im Chor. »Gehört, gehört!« riefen Fuchs und Wolf. »Und was hat er zu dir gesagt, Grauhase?« fragte der Leopard. »] a, was hat er gesagt?« riefen die anderen T iere. »Gesagt ... gesagt hat er . . . >plumps< ha t er gesagt«, stotterte der Grauhase. »Sonst nichts?« »Nein, sonst nichts.« »Und wo hast du den Plumps gehört?« · »An der Quelle unter dem Apfelbaum.« »Dorthin gehen wir jetzt und sehen nach«, bestimmte der Leopard. »Führ uns zur Quelle, Grauhase.« Gehorsam zog d er Grauhase mit den Tieren zur Quelle unter dem Apfelbaum.
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»Hier haust der Plumps!« flüsterte er, am ganzen Leibe zitternd. Die Tiere hielten nach allen Seiten Ausschau, vermochten aber niemanden zu entdecken. Angstvoll schauderte der Grauhase vor der Quelle zurück. In diesem Augenblick löste sich wieder ein Apfel vom Baum und klatschte ins Wasser: Plumps! _ .»Da ist er!« schrie der Grauhase und wollte die Flucht ergreifen. Aber der Leopard holte ihn mit zwei Sprüngen ein und packte ihn an den 0 hren. »Ist das der Plumps, mit dem du meinen Wald in Angst und Schrecken versetzt hast?« fragte er. »] a, freilich«, gab der Grauhase kleinlaut zu. Da lachten ihn alle Tiere aus.
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Maus und Sperling Ein udmurtisches Märchen
Es waren einmal eine Maus und ein Sperling, die lebten in Eintracht, ohne Zank und Streit zusammen. Stets hielten sie miteinander Rat, alle Arbeiten verrichteten sie gemeinsam. Eines Tages fanden sie drei Roggenkörner auf der Straße. Sie dachten hin und dachten her, was sie damit anfangen sollten, und beschlossen, ein Feld zu bestellen. Die Maus pflügte, der Sperling eggte. Die drei Roggenhalme gediehen vortrefflich. Als die Erntezeit gekommen war, biß die Maus sie mit ihren scharfen Zähnen ab, und der Sperling drosch mit kräftigen Flügelschlägen .. die Ahren aus. Sodann sammelten sie die Körner ein und teilten sie zu gleichen Teilen: Ein Korn für die Maus, ein Korn für den Sperling, ein Korn für die Maus, ein Korn für den Sperling .. . Sie teilten und teilten, bis schließlich ein kleines Korn übrigblieb.
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»Das gehört mir!« sagte die Maus. »Ich habe mir beim Pflügen Nase und Pfoten blutig geschunden!« »Nein, es ist mein Korn!« widersprach der Sperling. »Ich habe mir beim Dreschen die Flügel blutig geschlagen.« Ob sie lange oder kurz miteinander stritten, weiß ich nicht, denn ich war nicht dabei. Jedenfalls pickte der Sperling das übriggebliebene Körnchen plötzlich auf und flog davon. Die Maus kann nicht fliegen und es mir nicht wieder wegnehmen! dachte er. Die Maus macht keine Anstalten, den Sperling zu verfolgen. Betrübt über den Streit, trug sie ihren Anteil in ihr Loch. Danach wartete sie lange, lange Zeit auf den Sperling, um sich mit ihm zu versöhnen . Als er sich aber nicht mehr sehen ließ, schleppte sie auch seine Körner in ihren unterirdischen Vorratsspeicher. Im Verlauf des Winters fraß sie sich nudelsatt. Der habgierige Sperling dagegen ging leer aus. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich bis zum Frühjahr durchzuhungern.
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Wer hat die bessere Wohnung? Ein tschuchotisches Märchen
Die Zieselmaus stand einmal am Bach und trank. Am anderen Ufer stand der Braunbär und trank ebenfalls. »Grüß dich, Braunbär!« rief sie hinüber. »Wie geht's?« »Grüß dich, Zieselmaus«, rief der Bär zurück. »Mir geht's mehr schlecht als recht.« »Wieso?« »Weil meine Höhle zu eng ist. Freilich schläft sich' s warm darin, aber wenn ich mich auf die andere Seite drehe, schabe ich mir an der Wand die Flanken ab.« »Bei mir ist es genau umgekehrt«, berichtete die Zieselmau ~ »Meine Höhle war einwandfrei, aber ein Platzregen hat sie ausgewaschen, so daß sie mir nun viel zu groß ist.« »Das ist doch kein Grund zur Klage«, brummte der Bär. »Mir käme eine geräumigere Höhle nur gelegen.« »Dann laß uns tauschen!« schlug die Zieselmaus vor. »Ich 40
gebe dir meine zu große Höhle, und du gibst mir deine enge.« »Einverstanden!« sagte der Bär erfreut. »Wo wohnst du?« »Dort am Hügel.« Die Zieselmaus zeigte auf ein Grasbüschel hinter sich. »Und wo wohnst du?« »Auch an einem Hügel.« Der Bärwies mitdem Kopfaufeine Bergkuppe. Dann watete er ans andere Ufer, die Zieselmaus hüpfte __ über die Steine im Bachbett hinüber, und beide bezogen ihr neues Heim. In der Bärenhöhle angelangt, schaute die Zieselmaus sich um. Sie liefhierhin und dorthin, legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Decke empor. Dann setzte sie sich auf die Hinterpfoten und weinte. »Was soll ich mit dieser riesigen Höhle anfangen?« schluchzte sie. »Hier kann sich der Fuchs einschleichen und mich fressen, der Rabe kann hereinfliegen und mich hacken. Nirgends gibt es ein sicheres Versteck, nirgends Schutz vor dem Sturm!« Während sie noch weinte, hörte siejemanden herantappen. Es war der Bär. »Warum bist du hergekommen?« fragte sie und wischte sich die Tränen ab. »Weil ich mich nicht in deine Höhle hineinzwängen kann«, seufzte der Bär. »Ich hab's mit den Pfoten voraus und mit dem Schwanz voraus und von der Seite aus versucht, aber ich passe nicht hinein.« »Du mußt zuerst die Nase hineinschieben«, riet die Zieselmaus. »Das habe ich auch versucht, aber ohne Erfolg.« »Sonderbar!« meinte die Zieselmaus. »Ich passe mühelos in meine Höhle, außerdem bleibt noch reichlich Platz. Laß mich mal meine Länge auf deiner Nase messen.« Sie streckte sich 41
auf der Nase des Bären aus. »Kaum zu fassen, wie klein ich bin!« piepste sie verblüfft. »Das habe ich früher nie bemerkt.« »Kaum zu fassen, wie groß ich bin!« brummte der Bär. »Das habe ich auch noch nie bemerkt. Was machen wir nun?« »Wir tauschen noch einmal die Wohnungen!« schlug die Zieselmaus vor. Erleichtert stimmte der Bär zu. - . Seitdem hauste er wieder in der Höhle an der Bergkuppe, während die Zieselmaus ihr Loch unter dem Grasbüschel bevvohnte. Beide waren sehr zufrieden mit ihren Wohnungen und beklagten sich nie wieder.
Habicht, Hahn und Henne Ein baschkirisches Märchen
In einem Kiefernwald lebte ein Habicht, der hatte helle Augenbrauen, gelbe Augen und eine graugetüpfelte Brust. Und ob ihr's glaubt oder nicht - obendrein besaß er eine Perlenkette und trug einen purpurrotenKammauf dem Kopf. Er war sehr gutmütig von Natur und verkehrte freundschaftlich mit Hahn und Henne. Oft war er tagelang bei ihnen im Dorf zu Gast. Wenn er an ihrer Seite Gerste und Weizen aus dem Futtertrog pickte, pflegte er dankbar zu sagen: »Was für eine köstliche Bewirtung!« Und einmal schlug er vor: »Dafür will i.cft... dich fliegen lehren, gescheckte I-fenne.« Freilich \Nollte die Henne gern fliegen lernen, aber noch mehr verlangte es sie nach dem Halsschmuck des I-Iabichts, nach seiner [eingefädelten, schneeweißen Perlenkette. »Ach, gack, gack, dieses Prachtstück möchte ich besitzen!«
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So flatterte sie mit ihren kurzen Flügeln dicht über der Wiese hinter dem Habicht her, ohne die Kette aus den Augen zu lassen. Sie vergaß, die Flügel zu schwenken, fiel auf die Nase, überschlug sich, flog wieder auf, den Blick auf die Kette gerichtet, überschlug sich aufs neue ... Mehr hatte sie nicht von dem Flugunterricht. Der Hahn gierte inzwischen nach dem roten Kamm des _Habichts. Damals trugen die Hähne nämlich nur glattes Gefieder auf dem Kopf, deshalb wollte er auch so einen Kopfschmuck haben. Zunächst versuchte er, sich selber einen purpurroten Mützenkamm zu züchten. Er sprang beim Morgenrot von der Schlafstange, krähte eilig, stellte sich unter ein taubedecktes tellergroßes Klettenblatt und wartete, daß ihm ein vom Morgenrot gefärbter Tautropfen auf den Scheitel fallen sollte. Als ihm auch wirklich ein Tropfen auf den Kopf klatschte, schrak er hoch, rannte in den Hühnerstall und weckte die Henne. »Schau nach, ob mir ein roter Kamm auf dem Kopf wächst!« Die Henne äugte ihn an. »Nein!« sagte sie. Nun setzte der Hahn seine Hoffnung auf einen Regenschauer mit Regenbogen, genauer gesagt, auf die Wasserpfütze, in der sich der Regenbogen spiegeln würde. Nach solch einem Regen tunkte er eine Kralle in die Pfütze und schöpfte damit das regenbogenbunte Wasser aufseinen Scheitel. »Na, und wie ist es jetzt?« fragte er die Henne. »Wieder nichts!« antvvortete sie. Die Küken guckten mit ihren scharfen Äuglein hin. »Du hast nichts als Federn auf dem Kopf, Papa«, piepsten sie. »] etzt sind sie nur naß.« Das betrübte den Hahn, und er entschloß sich zu einer 45
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bösen Tat. Er ging hinters Haus, hinter d en Hühnerstall, hinter den Hof und suchte dort im Distelgestrüpp nach Schlafkörnern. Er fand auch welche und mischte sie beim nächsten
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Besuch des Habichts unter die Gerstenkörner, die in einer Ecke des Futtertrogs lagen. »Hier mußt du picken, teurer Freund!« sagte er zum Habicht. »Hier liegen die süßesten Körner.« »Danke!« antwortete der Habicht erfreut. »Dann will ich sie kosten.« Und er pickte. Kaum hatte er ein paar von den Schlafkör_nern hinuntergeschluckt, da wurde es ihm dunkel vor Augen, er gähnte, taumelte und sank neben dem Futtertrog zu Boden. Schnarchend lag er da, den Kopf unter dem Flügel. »Ach, ach!« gackerte die Henne verwundert. »Der Habicht ist eingeschlafen!« »Gackre nicht lange!« fuhr der Hahn sie an. »Nimm dir schnell die Perlenkette, die willst du doch haben!« Er streifte dem Habicht die Perlenkette ab, riß ihm den purpurroten Mützenkamm vom Kopf, stülpte ihn sich auf und hängte der Henne die Kette u m . »] etzt müssen wir uns verstecken!« rief er und rannte fort. Aber die Henne konnte keinen Schritt tun . Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt, betrachtete die Kette an ihrem Hals und verdrehte vor Freude die Augen. »Rock, gock! Rock, gock!« gackerte sie entzückt. Inzwischen ließ die Wirkung der Schlafkörner nach, und der Habicht erwachte. An einem kalten Gefühl auf dem Kopf merkte er, daß er seinen Kamm verloren hatte, sein Blick fiel auf die Henne, die seine Perlenkette trug, und seine freundschaftlichen Gefühle waren wie weggeblasen. »He, du! Daß du dich nicht schämst! Und einer Diebin wie dir wollte ich das Fliegen beibringen!« »Aber das hab ich doch nicht ... das hat der Hahn ... «Verwirrt trat die Henne den Rückzug an. Doch der Habicht hörte nicht auf sie. Mit seinen Krallen 47
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zerrte er an der Perlenkette, der dünne Faden spannte sich und riß, und die Perlen prasselten wie ein Hagelschauer ins Gras, ins Kraut, unter die Kamillen. Das Geschrei lockte den Bauern aus dem Haus, er lief mit
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schweren Schritten die Treppe hinab und verscheuchte den Habicht. »Was für ein ungebetener Gast auf dem Hof! Ksch, ksch!« Dem Habicht blieb nichts übrig, als sich davonzumachen. Ohne Kamm und Perlen flog er in seinen fernen Wald zurück. Aber vorher rief er der Henne zu: »Von nun an werde ich dich und den Hahn ebenso schlecht behandeln wie ihr mich. Ihr _habt mir meinen wertvollsten Besitz geraubt, deshalb werde ich euch das Liebste nehmen, das ihr habt!« Wenn die Henne seitdem ihre Küken ausführt, fürsorglich mit ihnen umherspaziert, während der Hahn, voll Stolz auf seinen flaumigen, knopfäugigen Nachwuchs, mit dem roten Kamm wackelt, huscht plötzlich ein Schatten über den Hof. Der Habicht ist im Anflug und streckt schon die Krallen nach den Küken aus. Dann kräht der Hahn Alarm. »Zu Hilfe! Der Habicht will unsere Küken wegfangen und mir meinen roten Kamm rauben!«
Henne, Hahn und Küken rennen unter die Treppe und rufen mit lautem Gegacker den Bauern herbei. Der Habicht streicht mit rauschenden Flügelschlägen dicht über die Treppe hin und droht: »Auch wenn ihr euch versteckt- ich werde euch nicht mehr in Ruhe lassen!« »Gack, gack, gack!« sagte der Hahn einmal bekümmert. »Wackelhenne, wie können wir den Habicht versöhnen? Den Kamm mag ich ihm nicht zurückgeben, aber die Perlen kann er kriegen! Wir müssen sie nur wiederfinden!« Inzwischen hatten Mäuse und Maulwürfe die kos tbaren Perlen j edoch längst in ihre unterirdischen V erstecke gerollt. Hahn und Henne fanden nichts als Regenwürmer, bei der ersten Suche, bei der zweiten Suche, bei der dritten Suche.jedesmal nichts. Bis heute suchen sie nach den Perlen. Und ihre Küken suchen mit. Wenn sie aber einen Habicht sehen, dann rennen alle in größter Hast unter die Treppe. Warum? fragt ihr. Weil Hahn und Henne Schmuckstücke haben wollten, die anderen 50
gehörten. Und weil sie vor Neid auf anderer Leute Schönheit die eigene vergaßen. Hätten sie ihre Küken vorher gefragt: Wer ist schöner - der Habicht mit Kamm und Perlenkette oder wir, eure Eltern, ohne Kamm und Perlenkette? Bestimmt hätten die Küken einmütig geantwortet: Natürlich seid ihr
schöner!
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Stolze Maus auf Brautschau Ein ossetisches Märchen
In einem Mäuseland auf freiem Feld lebte einst eine gewöhnliche graue Maus. Sie besaß ein tiefgelegenes Loch zum Schlafen sowie einen geräumigen Vorratsspeicher, wo sie Korn, Wurzeln und Nüsse aufbewahrte. Eines Tages brachte sie ein kleines Mäuslein zur Welt. Alle Nachbarinnen freuten sich mit ihr. »Wir wünschen dir, daß es gesund und stark wird und unser Beschützer sein kann!« piepsten sie. . -Der Mäusejunge wuchs heran. Seine Mutter hütete ihn wie ihren Augapfel, konnte sich an ihm nicht satt sehen, fand ihn bildschön. Er entwickelte sich wirklich zu einem hübschen Mäuserich - mit schwarzen Knopfaugen, spitzer Nase und langem Schnurrbart.
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»Wie glücklich kannst du sein, Nachbarin!« piepsten die anderen Mäuse. »Dein Söhnchen ist schöner, schnellfußiger und gewandter als alle jungen.« Solche Reden stiegen der Mäusemutter zu Kopf. Bald sprach sie kaum mehr mit den Nachbarinnen und beschäftigte sich nur noch mit ihrem Sohn, dem sie das Rennen und Vorratsammeln beibrachte. Als der schöne Mäuserich mannbar geworden war, gerroß er bei den Nachbarinnen großes Ansehen. »Keiner ist tüchtiger!« sagte die erste Maus . »Keiner ist flinker!« sagte die zweite. »Keiner ist vorsichtiger!« die dritte. »Keiner sammelt mehr Korn, keiner hat spitzere Zähne!« sagte die vierte Maus. »Keiner hat schärfere Ohren!« sagte die ftinfte. »Er hört den Fuchs als erster.« »Keiner hat mehr Mut!« sagte die sechste Maus. »Selbst vor derri Fuchs furchtet er sich nicht!« »Keiner ist schöner!« sagte die siebte Maus. »So einen schönen Mäuserich gab es bei uns noch nie!« Die Mutt~r des jungen Mäuserichs platzte fast vor Stolz und wurde deshalb nur noch »Stolze Maus« genannt. Die Zeit kam, den schönen Mäuserich zu verheiraten. »Meine Tochter und ich sind flink und haben scharfe Zähne«, sagte eine Nachbarin zu Stolze Maus. »Wir unterwühlen das Feld und knabbern mühelos dicke Wurzeln ab. In unserem Vorratsspeicher lagert viel süßes Wurzelwerk als Wintervorrat. Meine Tochter ist gehorsam und fleißig. Sie würde deinem Sohn eine gute Frau sein.« »Üh, nein!« lehnte Stolze Maus ab . »Deine Tochter ist nichts als ein gewöhnliches graues Mäuschen, mein Sohn dagegen ist ein außergewöhnlich schöner Mäuserich . Darum kann
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ich nur mit der vornehmsten Familie in Verwandtschaft treten.« Damals, als diese Mäuse lebten, wollten sich nämlich viele nur mit reichen, vornehmen Familien verbinden. »]a«, fuhr Stolze Maus fort, »ich will mit dem stärksten \Vesen der Welt verwandt sein. Das ist wohl die Sonne. W enn sie im Frühling auf die Erde scheint, läßt sie Eis und Schnee schmelzen, weckt die Pflanzen zum Leben, ernährt und ervvärmt alle irdischen Geschöpfe. Ich vverde zur Sonne gehen und für meinen Liebling um ihre Tochter werben.« Und sie wanderte zur Sonne. »Goldene Sonne«, sprach sie, »du schenkst der Erde Licht, großzügig verströmst du deine wärmenden Strahlen, ernährst und belebst alle irdischen Geschöpfe. Du bist das stärkste Wesen d er Welt! Deshalb möchte, ich, daß mein schöner Mäuserich deine Tochter freit. Wir wollen nämlich mit dem Stärksten verwandt sein.« » \Venn es sich so verhält«, erwiderte die Sonne, »dann muß ich dir sagen, daß ich nicht am stärksten bin. Die Regenwolke ist stärker. Sie kann mich jederzeit verdunkeln, so daß ich nicht mehr imstande bin, der Erde Licht und Wärme zu schenken.« »Ich danke dir, Sonne, für deine Aufrichtigkeit«, sagte Stolze Maus . »Nein, deine Tochter paßt nicht zu uns. Ich will zur Regenwolke gehen.« Und das tat sie. »Schwarze Regenwolke!« sprach sie. »Du kannst die goldene Sonne verdunkeln, bist also stärker als sie. Deshalb möchte ich fur meinen Mäuserich um deine Tochter werben. Wir wollen nämlich mit dem Stärksten verwandt sein.« »Das bin ich nicht«, erwiderte die Regenwolke, »der Sturmwind ist stärker als ich. Denn ich verdecke die Sonne nicht aus
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freiem Willen, ich gehorche nur dem Wind . Wohin er mich treibt, dahin muß ich ziehen.« »Ich danke dir für deine Offenheit, Regenwolke«, sagte Stolze Maus. »Nein, deine Tochter paßt nicht zu uns. Ich will zum Wind gehen.« Und sie begab sich zum W ind . »Sturmwind, du treibst die schwarze Regenwolke, die sogar die goldene Sonne verdunkelt, über den Himmel. Du bist am stärksten. Deshalb möchte ich für meinen schönen Mäuserich um deine Tochter werben. Wir wollen ·mit dem mächtigsten Wesen der Welt verwandt sein.« »Nein«, erwiderte der Wind, »das bin ich nicht. Zwar treibe ich mühelos schwarze Regenwolken über den Himmel, doch den Stier, der auf der Wiese weidet, kann ich nicht umwerfen. Er bewegt nicht einmal den Schwanz, wie sehr ich auch blase. Folglich ist er stärker als ich.« »Ich danke qir für deine Aufrichtigkeit, Sturmwind«, sagte Stolze Maus. »Nein, deine Tochter paßt nicht zu uns. Ich will zum Stier gehen.« Und sie suchte den Stier auf. »Mächtiger Stier, du weidest ruhig auf der Wiese, dich wirft der SturmV\rind nicht um, obgleich er doch die schwarze Regenwolke, die sogar die goldene Sonne verdunkelt, mühelos über den Himmel treibt. Du bist am stärksten. Deshalb möchte ich für meinen schönen Mäuserich um deine Tochter werben. Wir möchten mit dem stärksten Wesen der Welt verwandt sein.« ~ »Das bin ich nicht«, erwiderte der Stier. »Zwar bläst der Wind mich nicht um, aber der Pflug ist stärker als ich. vVenn die Menschen den Acker pflügen, ziehen wir. starken Stiere zu viert, manchmal zu acht den Pflug, so angestrengt, daß unsere Halsmuskeln anschwellen und unsere Rücken schmerzen.«
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»Nein, Stier, deine Tochter paßt nicht zu uns«, sagte Stolze Maus. »Ich will zum Pflug gehen.« »Freilich bin ich stark«, meinte der Pflug. »Ich pflüge das Feld, verwandle die \1\Tildnis in fruchtbares Ackerland, ernähre das lVIenschengeschlecht. Dennoch kann ich mich nicht als stärkstes Wesen bezeichnen. Wenn ich das Odland umbreche, bleibe ich oft an einer Wurzel hängen. ja, die kräftigen unterirdischen vVurzeln können mich ZV\ringen stehenzubleiben. Folglich sind sie stärker als ich.« »Lebe wohl, Pflug!<< sagte Stolze Maus. Und während sie davonlief, überlegte sie: Sind \1\Turzeln wirklich die stärksten von allen? Aber meine Nachbarin und ihre flinke Tochter nagen doch die Wurzeln mühelos ab, demnach sind sie noch stärker. Da hätte ich ja gar nicht so weit zu gehen brauchen, um für meinen Mäuserich die passende Braut zu finden! Und sie verheiratete ihren außergewöhnlich schönen Sohn mit der Nachbarstochter, einer ganz gewöhnlichen grauen Maus. Eigentlich sind die lVIäuse ja gar keine gewöhnlichen Tiere, denn sie haben sich als die stärksten Wesen der Welt erwiesen!
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Das Hasenhaus Ein mariisches Märchen
Der Hase baute sich ein Haus- klein, aber wetterfest, mit einem Dach, zwei Fenstern und einer Tür, mit einem Tisch und einer Bank. Als das Haus fertig war, ging er aus, Freunde zu besuchen, ließ aber die Tür offen. Und während er gemütlich mit ihnen beisammensaß, zog eine Grille in sein Haus . . ........ »Tschriik, tschriik, tschrr, tschrr!« sirrte sie. »Eine hübsche, wetterfeste Wohnung!« Dann legte sie sich auf die Bank und schlief ein. Nach d er Heimkehr legte sich der Hase ebenfalls auf die Bank.
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Als er sich aber im Schlaf auf die andere Seite drehte, stieß er die Grille an. » Tschrr, tschriik!« sirrte sie. Erschrocken fuhr der Hase hoch und sprang zur Tür hinaus. Draußen setzte er sich hin und weinte bitterlich. Ein Bär kam des Wegs. »Warum weinst du, Hase?« fragte er. ~ ·» Weil sich ein wildes Tier in mein Haus eingeschlichen hat<<, schluchzte der Hase. »Wo soll ich jetzt den Winter verbringen?« »Sei nicht traurig, Gevatter Hase, ich helfe dir«, versprach der Bär. Er ging mit dem Hasen vor die Haustür und begann aus Leibeskräften zu brüllen . Das härte die Grille. » Tschriik, tschriik, tschrr, tschrr, wer ist da?« fragte sie.
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Der Bär spitzte die Ohren, lauschte ein Weilchen und lief dann vorsichtshalber in den Wald zurück. vVer konnte wissen, was für ein Untier da im H aus hockte! Der Hase sah ihm weinend nach. Ein Fuchs kam des Wegs. »Häschen, warum weinst du?« fragte er. »Ach, Gevatter, ich habe mein Haus verloren, einUntierhat sich darin eingenistet!« jammerte der Hase. »Sei nicht traurig, ich helfe dir!« versprach der Fuchs. »I n deine~ Unglück steh ich dir bei.« Er ging mit dem Hasen zum Haus, trat mutig über die Schv-.relle, schv-.renkte den Schwanz und schrie drohend : »H e du, der hier drin hockt, komm h ervor! V erläßt du nicht freiwillig das Haus, dann kratz ich dich raus, dann beiß ich dich raus!« >> Tschrr! Tschiik, tschriik!« antwortete die Grille. Der Fuchs spitzte die Ohren. vVas mag das bloß für ein Untier sein? dachte er und rannte in den W ald. Der Hase sah ihm seufzend nach und hüpfte ratlos über die Straße, bis er einem Hahn begegnete.
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»Warum so traurig, Brüderchen?« fragte der Hahn. »Ach, lieber Freund, ich bin so unglücklich«, schluchzte der Hase. »Weil der Winter vor der Tür steht, habe ich mir ein Haus gebaut, doch da ist ein Untier eingezogen und läßt mich nicht hinein. Weder Bär noch Fuchs konnten es verjagen.« »Trockne deine Tränen, lieber Hase«, sagte der Hahn. »Ich helfe dir.« Er stelzte um das Hasenhaus herum, beäugte es von allen Seiten und krähte dann: »Kikeriki! Der Hahn ist hie! Du entkommst mir nie!« Die Grille rührte sich nicht. Der Hahn trat über die Schwelle und krähte wieder: » Kikeriki! Der Hahn ist hie! Du entkommst mir nie!«
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Da sprang der Hahn auf die Bank, pickte sie auf und verschluckte sie. Der Hase jubelte und tanzte vor Freude. Der Hahn schlug mit den Flügeln, spähte in alle Ecken und krähte \Vieder: »Kikeriki! Der Hahn ist hie! Du entkommst mir nie!« Denn ein anderes Lied kannte er nicht. Der Hase aber sagte sich: Dem Hahn ist alles zuzutrauen. Zwar hat er meinen Feind aufgefressen, aber vielleicht geht es jetzt mir an den Kragen! Und er sprang über die Schwelle und stürzte in den Wald. Seitdem bauen sich die Hasen keine Häuser mehr und leben im Gebüsch. Das Märchen zieht weg, doch ich bleib am Fleck! Das Märchen ist aus, und ich geh nach Haus.
Fuchs und Bär Ein mordwinisches Märchen
Einmal ging der Fuchs zu einem Bären, der in der Nachbarschaft wohnte, und sprach: »Nachbar Bär, du bist stark, und ich bin geschickt. Laß uns gemeinsam ein Feld besteilen! Wenn die Ernte reif ist, wollen wir sie gerecht unter uns aufteilen und sie auf dem Markt verkaufen.« »Wirst du mich aber nicht hereinlegen?« fragte der Bär. - .... »Davon kann keine Rede sein!« entgegnete der Fuchs empört. »Du kannst dir auch den Teil der Ernte nehmen, der dir am besten gefällt.« »Einverstanden«, sagte der Bär. Sie pflügten das Feld und säten Rüben. Der Bär zog den 66
Pflug, keuchend vor Anstrengung. Der Fuchs schlenderte hinterdrein und trieb ihn an. »Sei nicht so faul, gib dir mehr Mühe. Es reut mich schon, daß ich mich mit dir zusammengetan habe.« Im Herbst, als die Rüben reif waren, fragte der Fuchs: »Na, Meister Petz, was willst du haben- das Kraut oder die Wurzeln?« -- nie Rüben waren kräftig ins Kraut gesc:hossen. Ich nehme das Kraut, dachte der Bär, von den 'tVurzeln hab ich nichts. Und er wählte das Kraut. Der Fuchs grinste, grub die Rüben aus, und dann brachten beide ihre Ernte auf den Markt. Die Rüben waren im Handumdrehen verkauft, aber das Kraut vom Bären wollte niemand haben, die Leute lachten ihn nur aus und spotteten: »Ach, du dicker Dummkopf!« Das soll mir eine Lehre sein! dachte der Bär ärgerlich. Beim nächsten Mallaß ich mich nicht übers Ohr hauen. Im folgenden Frühjahr ging er zum Fuchs und schlug vor: »Wir wollen wieder gemeinsam das Feld bestellen, Nachbar. Doch jetzt kannst du mich bei der Teilung der Ernte nicht mehr betrügen- ich weiß nun Bescheid, was zu wählen ist.« Auch diesmal mühte er sich beim Pflügen, während der Fuchs ihn nur antrieb: »Den Pflug zu ziehen ist doch keine Kunst! Du würdest es nie schaffen, so geschickt wie ich hinter dem Pflug herzugehen.« Diesmal säten sie Roggen. Als er reif vvar, machten sie sich wieder daran, die Ernte zu teilen. »Meister Petz, was willst du haben - das Kraut oder die Wurzeln?« fragte der Fuchs. »Die Wurzeln natürlich!« antwortete der Bär. »Wie du willst, Nachbar, wie du willst!« säuselte der Fuchs . 67
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»Du siehst selber, daß ich dir freie Wahllasse und das nehme, was übrigbleibt.« Dann drosch er die Ähren aus, während der Bär die W urzeln ausgrub. Auf dem Markt verkaufte der Fuchs den Roggen im Handumdrehen, während der Bär aufseinen Wurzeln sitzenblieb und noch mehr gehänselt wurde als im Vorjahr. Die Leute zeigten mit Fingern aufihn und lachten ihn aus. Er wurde schrecklich wütend. »Das vergesse ich dir nicht, Nachbar!« knurrte er. »Setz dich neben mich, wir wollen um die Wette brüllen. Wer am lautesten brüllt, der darf den anderen fressen. Diesmal übertölpelst du mich nicht, diesmal bleib ich Sieger.« Sie setzten sich nebeneinander ins Gras und fingen an. Der Bär grölte in dröhnendem Baß, der Fuchs jaulte in leisem Tenor. Vor Anstrengung riß der Bär den Rachen auf und schloß die Augen, so daß er weder hörte noch sah, was um ihn herum geschah. Das machle sich der Fuchs zunutze, er flitzte ins Gebüsch und rannte fort. Und als der Bär verstummte und die Augen öffnete, war· er über alle Berge.
Fatnilie Vielfraß und der Fuchs Ein ewenkisches Märchen
Ein altes Vielfraßehepaar wollte umziehen. Die beiden hatten gehört, daß amjenseitigen Flußufer viele Tiere lebten, weil es dort mehr zu essen gab. Deshalb beschlossen sie, ihren Tschum und ihr sonstiges Hab und Gut über den Fluß zu bringen und sich drüben anzusiedeln. Während der Vielfraßmann in den Wald ging, um Birkenrinde für den Bau eines Bootes zu holen, verpackte die YWfraßfrau ihre Habseligkeiten, schleppte sie ans Ufer und setzte sich wartend daneben. Da sah sie ein Boot kommen. Ein Fuchs saß darin. Er fuhr zu der Vielfraßfrau hin, erkundigte sich, worauf sie wartete, und schlug vor, ihre Habe mit seinein Boot ans andere Ufer zu 70
schaffen. Erfreut griff die Vielfraßfrau nach den Bündeln und schleppte sie ins Boot, das randvoll wurde. »Halt!« sagte der Fuchs, als die Vielfraßfrau sich hinzusetzen wollte. »Du bist zu schwer, das Boot würde untergehen. Zunächst bringe ich deine Sachen hinüber und dann dich.<< Er stieß das Boot mit dem Ruder vom Ufer ab und ließ es von der Strömung davontreiben. Immer weiter entfernte es steh. Da merkte die Vielfraßfrau, daß der gerissene Fuchs sie hereingelegt hatte, setzte sich auf einen Stein am Ufer und brach in Tränen aus. Ein Specht hörte sie weinen. Er ließ sich ihren Kummer erzählen und flog dem Fuchs nach. Quer über den Wald flog er, vorbei an einem steilen Riff, um das der Fluß einen weiten Bogen machen mußte, ließ sich dort in einem Baum nieder nnrl wartete auf den Fuchs. Der kam auch bald mit seinem Boot angeschwommen. Als er nahe war, stellte sich der Specht krank und rief: »Fuchs, Fuchs, nimm mich mit!« Da ließ der Fuchs ihn einsteigen. Der Specht setzte sich aber nicht neben ihn, sondern hinter die Bündel, so daß der Fuchs ihn nicht sehen konnte, und hackte heimlich ein Loch in die dünne Birkenrinde. Wasser drang ins Boot. »Nanu, das Boot ist leck!« rief der Fuchs entsetzt. »] a«, antwortete der Specht, »da ist wohl in der Birkenrinde ein Riß entstanden.« Sie fuhren ans Ufer, der Fuchs sprang an Land. »Trag du die Fracht aus dem Boot«, befahl er dem Specht. »Ich hole inzwischen Tannenharz, um den Riß zu verkleben. Dann fahren wir weiter.« Kaum war der Fuchs im Wald verschwunden, verstopfte de~ Specht eilends das Loch mit einem Stöckchen, sprang ins Boot und machte sich auf die Rückfahrt zur Vielfraßfrau. 71
Und als der Fuchs mit dem Harz aus dem Wald kam, war das Boot schon weit vom Ufer entfernt. »Specht, du Räuber, kehr sofort um!« schrie der Fuchs . »Nein, Fuchs, nie und nimmer!« rief der Specht zurück .. -... Er fuhr zum Tschum der Vielfraßfamilie und gab ihnen ihre Habe zurück. Da freuten sie sich sehr. Womit könnten wir uns dem guten Specht erkenntlich zeigen? ü herlegten sie.
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Die Vielfraßfrau nähte ihm aus Wildleder eine Kappe u n d einejackeund färbte beides mit verschiedenfarbigem Lehm. Wie schmuck und bunt sah der Spechtjetzt aus! Und der Vielfraßmann, der ein erfahrener Schmied war, schmiedete dem Specht einen stählernen Schnabel und schliff ihm die Krallen. Seitdem hat der Specht ein prächtiges Gefieder. Und ·mit dem Stahlschnabel kann er die härteste Baumrinde aufhakken.
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Das verlorene Liedehen Ein Eskimomärchen
Aus dem warmen Süden kam ein Schneeammerpärchen zu den Felsen an der BeringstraBe geflogen und baute sich unmittelbar am Meer auf einem steilen Riff ein Nest. Das Schneeammerweibchen legte ein Ei und brütete. Aus Sorge, daß der Wind das Ei auskühlen und der Regel)~ befeuchten könnte, wagte sie das Nest nicht zu verlassen . Mit dem eigenen Leib schützte sie das Ei, fraß sich nicht satt, schlief sich nicht aus . Endlich schlüpfte ein Küken aus dem Ei. So ein prächtiges, hübsches Kind! Das schönste am ganzen Felsenufer! Nur
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eines war nicht gut - es schrie so viel. Beide Eltern hatten kaum noch Zeit zum Essen, Trinken und Schlafen. Wenn der Vater auf Jagd flog, hütete die Mutter den Sohn. War die Mutter unterwegs, blieb der Vater bei ihm. Eines Tages saß die Schneeammerfrau am Nestrand und sang dem Kind ihr Liedehen vor: »Wie, wie hübsch sind diese kleinen Krallen! Wie, wie hübsch sind diese kleinen Flügel! Wie, wie hübsch ist dieses kleine Köpfchen! Wie, wie hübsch sind diese kleinen Augen! Wieh, \Vieh, wieh, wieh!« Ein vorü herfliegender Rabe hörte das Liedchen, ließ sich in der Nähe nieder und lauschte. Und weil ihm das Liedehen gefiel, ..bat er das Schneeammerweibchen: »Schenk mir das Lied. Uberlaß es mir!« »Unmöglich!« lehnte die Schneeammer ab. »Mein Lied kann ich dir nicht geben, wir haben nur das eine und kennen kein anderes.« »Gib es mir trotzdem!« bat der Rabe. »Ohne das Liedehen kann ich nicht mehr leben.« »Und mein Sohn kann ohne das Liedehen nicht einschlafen. Bitte mich nicht, ich muß es behalten.« Da wurde der Rabe böse. »Wenn du es mir nicht freiwillig gibst, hole ich es mir mit Gewalt!« Er fuhr auf die Schneeammer los, riß ihr das Liedehen weg und flog davon. Das Schneeammersöhnchen schrie auf und brach in Tränen aus. U nd die Schneeammermutter weinte mit. Als der Schneeammervater von der Jagd heimkam, härte er seinen Sohn schreien und seine Frau weinen. »Warum weint ihr?« fragte er. »Was ist euch zugestoßen?«
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»Ein schlimmes Unglück!« antwortete die Schneeammermutter. »Der Rabe hat uns überfallen und uns das Lied geraubt. Jetzt kann ich unser Söhnchen nicht mehr in den Schlaf singen, es hat sich schon bald totgeschrien! Wie sollen wir das überleben!« Der Schneeammermann war empört. Seine Augen funkelten, und er stampfte mit der Kralle auf. »Gebt mir meine Jagdhandschuhe, meinen Schlachtbogen und meine zielsicheren Pfeile! Ich will zu demUnhold hinfliegen und ihm das Lied aus der Kehle reißen!« Und er flog los. Viele Vögel bekam er zu Gesicht, nur den Raben nicht. Ein Rebhuhn lief durchs Gestein, ein Regenpfeifer flötete. Auf einem Felsen entdeckte er einen Rabenschwarm. Unweit davon ließ er sich nieder, legte einen Pfeil ein, spannte den Bogen und wartete. Er wollte auf den Raben
schießen, der sein Liedehen sang. Aber die Raben waren mit anderen Dingen beschäftigt. Die alten Rabenväter wärmten sich in der Sonne, die alten Rabenmütter schwatzten miteinander, die kleinen Rabenkinder spielten, die jungen Raben flüsterten ihren Bräuten Liebesworte ins Ohr. Keiner sang weder ein Schneeammer- noch ein Rabenlied. Die Raben krächzten nur manchmal, singen konnten sie nicht. Da flog der Schneeammermann weiter, kreiste durch die Luft und erblickte schließlich einen einzelnen Raben, der mit aufgerissenem Schnabel auf einem Baum saß, sich hin und her wiegte und sang: »Wie, wie hübsch sind diese kleinen Krallen! Wie, wie hübsch sind diese kleinen Flügel, Wie, wie hübsch ist dieses kleine l(öpfchen! Wie, wie hübsch sind diese kleinen Augen! Wieh, wieh! «
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»Da sitzt der Bösewicht! Das ist der Räuber unseres Liedchens!« piepste der Schneeammermann. Er setzte sich auf einen anderen Ast an demselben Baum, spannte den Bogen und schoß einen Pfeil auf den Raben. Der Pfeil traf den Raben auch, rutschte jedoch an seinem glatten Gefieder ab und fiel zu Boden. Der Rabe merkte es nicht, er hielt die Augen geschlossen und sang hingerissen weiter. Da nahm der Schneeammermann sämtliche Pfeile, die er im Köcher hatte, und beschoß den Raben damit, immer mit vier Pfeilen zugleich. Der Rabe sang inzwischen weiter: »Ach, wie hübsch sind diese kleinen Krallen! Och, och, wie hübsch sind diese kleinen Flügel, Ach, ach, da trifft mich was am Flügel, Och, och, wie hübsch ist diese~ kleine Köpfchen, Ach, ach, da sticht mich was in den Kopf1 Och, och, wie hübsch sind diese kleinen Augen! Och, och! Och, ach! Ich kann nicht mehr! Karr! Karr!« Und er ließ das Liedehen fallen. Der Schneeammermann fing es aufund machte sich schnell auf den Rückflug. Schon von weitem hörte er sein Söhnchen schreien und seine Frau weinen. »Schreit nicht mehr, weint nicht mehr!« rief er. »Ich habe dem Raben das Lied wieder abgenommen, hier ist es!« Da freute sich die Schneeammerfrau und stimmte das Liedehen an. Es beruhigte den kleinen Sohn, er hörte auf. :z.1l1.. schreien und schlief ein. Seitdem verstummen die Schneeammern, wenn sie einen Raben sehen, und machen den Schnabel fest zu. Auf diese Weise blieb ihnen ihr Liedehen erhalten, bis zum heutigen T ag singen sie damit ihre weinenden Kinder in den Schlaf.
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Der Rabe Kutcha Ein itelmenisches Märchen
Eines Tages entschloß sich der Rabe Kutcha, im Meer zu fischen . Er nahm Angel und Narte und zog los . Am Meeresufer angelangt, warf er die Angel aus. Et hatte Glück und fing viele Fische. Die kleinen warf er ins Meer zurück, ·die großen behielt er. Als er genug geangelt hatte, spannte er die größten Fische - die Buckellachse- vor dieNarte und machte sich auf den Heimweg. · ~ »Wenn ihr schnell lauft, kriegt ihr viel zu fress en«, versprach er den Buckellachsen. »Bei jedem Halt will ich euch futtern .« Die Buckellachse legten sich ins Geschirr und rannten fleißig. Bei einem Birkenwäldchen blieben sie stehen. »So, Kutcha, jetzt gib uns zu fressen!« baten sie.
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»Nein«, sagte Kutcha, »erst müßt ihr mich noch ein Stückehen weiter ziehen, dann bekommt ihr was.« Die Buckellachse gehorchten und liefen noch schneller. Kutcha saß in der N arte und dachte schmunzelnd: Bald bin ich daheim. In einer Senke hielten die Buckellachse wieder an. »Kutcha, wir sind müde und hungrig, gib uns zu fressen!« »Nein«, antwortete Kutcha wieder, »zieht mich erst noch ein Stückehen weiter.« Da wurden die Buckellachse wütend. Sie machten kehrt und rannten geradewegs zum Meer zurück. Kutcha erschrak. »Haltet an, ihr Buckellachse!«, schrie er. »Ich will euch füttern!« Die Buckellachse aber glaubten ihm nicht mehr und gehorchten deshalb nicht. Immer schneller zogen sie die Narte hinter sich her. Kutcha erkannte, daß ihm ein Unglück drohte, und wollte abspringen. Doch er blieb mit dem Fuß am 81
Schlitten hängen und wurde mitgeschleift. Am Meer angelangt, sprangen die Buckellachse ins Wasser. Beinahe wäre Kutcha ertrunken. Nur mit Mühe konnte er sich an Land retten.
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WOrterklärungen Gusli Khan Lindenbast reißen
-.
Narte Schneeammern Tschum
altes russisches Saiteninstrument in der Art einer Zither Herrscher die russischen Bauern flochten aus Lindenbast Körbe und andere Haushaltsgegenstände Schlitten, vor den für gewöhnlich Hunde gespannt werden weiße Sperlingsvögel Nomadenzelt
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Inhaltsverzeichnis
Kater, Hahn und Füchsin Ein russisches Mät·clzen
5
Wie Mäuslein Spitzschwanz in die Ferne segelte Ein tschuwaschisches i\tfärchen
13
Der Vogel Kukluchai Ein darginisches i\tfärchen
20
Plumps ist da! Ein kalmückisches M äre/zen
30
._
. Maus und Sperling Ein udmurtisches M ärchen
38
Wer hat die bessere Wohnung? Ein tschuchotisclzes .o/!ärchen
40
Habicht, Hahn und Henne Ein baschkir-isches M ärchen·
44 Stolze MausaufBrautschau Ein ossetisches M ärchen
52 Das Hasenhaus Ein mariisches M äre/zen
60
Fuchs und Bär Ein mordwinisches Märchen
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Familie Vielfraß und der Fuchs Ein ewenkisches Märchen
70 Das verlorene Liedehen Ein Eskimomärchen
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Der Rabe Kutcha Ein itelmenisches Märchen
80 Worterklärungen 83
Titel des Originals: IlTIITJ;a KyKnyxan Herausgegeben von Georgij N aumenko Aus dem Russischen übersetzt von Lieselette Remane Illustrationen von Jewgenij Ratschjow
ISBN 3-358-01225-5
1. Auflage 1989 ©DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN- DDR 1989 © Isdatelstvo »Malysch« 1985 (Illustrationen) Lizenz-Nr. 304-270/34/89 Gcsamtherstellung: Grafischer Großbetrieb Sachsendruck Plauen LSV 7768 Für Leser von 7 Jahren an Bcstell-Nr. 6331243 01150
Märchen für die jüngsten Leser enthält dieses Buch. Sie erzählen vom leichtsinnigen Hahn, vom Umzug der Familie Vielfraß, von Plumps, der den . . Grauhasen in Angst und Schrecken versetzte, vom verlorenen Liedehen der Schneeammer und noch viel mehr. Zwar spielen die Märchen im Reich der Tiere, doch was sie berichten, kann sich genausogut auch im Leben der Kinder zutragen. Vielleicht erleben sie eines Tages am eigenen Leibe, worüber sie beim Lesen lachen.
ISBN 3-358-0 1225-5