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Hier irrte Jules Verne 'as erste Mondschiff stieg vor rund hundert Jahren auf Seite 172 des utopischen Romans „Von der Erde zum Mond" in den Weltraum und kehrte nach einer Umrundung des Erdbegleiters mit seiner Menschenfracht wohlbehalten wieder auf die Erde zurück. Jules Verne aus Nantes, der diese aufregende Fahrt gestartet und beschrieben hat, war in der Welt des Theaters ebenso zuhause wie auf dem Boden der Rechtswissenschaften und in den Randbezirken der naturwissenschaftlichen Forschung) der Flug seiner Phantasie gespensterte durch die Kulissenhimmel der Opern und Komödienhäuser, für die der hochbegabte Kopf recht noble Texte schrieb, er abenteuerte aber auch in seinen achtundneunzig Büchern durch alle Regionen des Unerforschten und Unerreichten und weckte mit seiner ganz neuartigen Erzählkunst in weitesten Kreisen c^ßS Interesse für die Probleme der ernsthaften Forschung. Jules Vernes phantastische Erzählungen wurden verschlungen; von seiner Zeit, von unseren Vätern, von uns selber, als wir noch jung waren. Sein Ruhm ist heute etwas verblaßt, da wir angesichts der sich überstürzenden technischen Entwicklung das große Staunen verlernt haben, von dem frühere Generationen noch im Anblick der großen Forschungsleistungen ergriffen waren. Wie debattierte man damals in den Kontoren, Handwerksstätten und Salons über den Mondfahrer von Nantes, über sein komfortables Mondschiff, über die „Columbiade", mit der die Mondkarosse ins Weltall geschleudert wurde, und über die Romanhelden Barbicane, Michel Ardan und Micholl, die sich auf die tolle Reise begaben! Der Flug, den Jules Verne auf 300 Seiten seines zweibändigen Romans mit den erstaunlichsten Einzelheiten zu schildern wußte, wurde besprochen wie ein wirkliches Ereignis; denn das Riesenunternehmen war für die damalige Zeit technisch, mathematisch und astronomisch überzeugend unterbaut; selbst der gebildete Leser konnte die fundamentalen Lücken nicht wahrnehmen, die das Buch ent-
hielt, weil Jules Verne sie selbst nicht bemerkt oder weil er sie mit dem Geschick des Poeten klug überplaudert hatte. Der Mond schien dem Menschen greifbar nahegerückt, und selbst ernsthafte Jules Verne-Leser waren überzeugt, daß der Zeitpunkt nicht fern sei, an dem der Wagemut der Ingenieure das Jules Verne'sche Romanrezept in die Wirklichkeit umsetzen würde. Die Mondfahrt Jules Vernes war ein Münchhausenritt mit einem Kanonengeschoß. Aber was bei dem Lügenbaron mit phantastischen Zaubertricks zustande gekommen war, das ging bei Jules Verne, dem Verfasser der Erd-Mond-Reise mit fast wissenschaftlicher Gründlichkeit vor sich. In den harten Fels der meerumbrandeten Halbinsel Florida — so berichtet die Romangeschichte— war ein senkrechter Schacht dreihundert Meter tief in die Erde getrieben worden, tiefer noch als die geheimnisvoll unergründlichen Brunnen mittelalterlicher Hochburgen. Die Mondgeschoßingenieure des Romans waren also in die Tiefe gegangen, um in desto größere Höhen hinaufzukommen. Jules Verne schoß nämlich seinen Mondwagen als eine Hohlgranate in den Himmel. Granaten waren das flinkste, was man zu seiner Zeit kannte; auf Geschwindigkeit aber kam alles an, wenn man das Schwerefeld der Erde hinter sich bringen wollte. Jules Verne kannte sogar die Geschwindigkeit genau, die ein Körper braucht, um sich vom Erdball zu lösen und den leeren Weltraum zu erreichen: er gab sie sehr exakt mit 11,2 Kilometern in der Sekunde (11,2 km/sec) an. Es ist die gleiche Zahl, die auch für jede Weltraumfahrt von heute gilt. Eine Riesenkanone und unvorstellbare Pulverladungen sollten dem himmlischen Reisewagen dieses Tempo von 11,2 km in der Sekunde vermitteln — eine Kanone mit einem 300 m langen Rohr und einer Pulvermenge von 400 000 Pfund. Da sich ein solch gigantisches Geschütz nicht in freier Aufstellung bauen ließ, übernahm der 300 m tiefe Schacht im Felsboden von Florida die Aufgabe des Riesenkanonenrohrs. Drei Meter betrug sein Kaliber. Seine metallene Wand war spiegelglatt ausgeschliffen, damit das Geschoß reibungslos hindurchgejagt werden konnte. Mehr als tausend Rinnen führten aus nahegelegenen Hochöfen das flüssige Metall für das Ausgießen des Rohres in die Tiefe. Jules Verne hatte auch daran gedacht, daß das Rohr unter der gewaltigen Explosion zerspringen
könnte und deshalb den metallverkleideten Schacht noch mit einem sechs Meter dicken Mantel aus Hartsteinen ummauert. In 300 Meter Tiefe war der Rohrschacht durch ein 16 Meter dickes Fundament verschlossen, das den Rückprall auffangen sollte. Vom gleichen Kaliber wie das Rohr — drei Meter dick — war auch das Spitzgeschoß, die fliegende Kabine, ein Leichtgeschoß aus Aluminium. — Aluminium! Das war ein Zauberwort in dem Jahrzehnt, in dem Jules Verne seinen Roman schrieb. Eben erst war die Herstellung dieses leichtgewichtigen und doch so harten Metalls einem Franzosen gelungen. Der metallne Wunderstoff erregte schon bald die Phantasie. Aluminium war in jener Zeit ein ähnlich abenteuerliches, von Sensationen umwittertes Metall, wie es heute Uran ist. Wer auch nur einige Gramm dieser Leichtmasse aus den kostspieligen Produktionsstätten erwerben konnte, reichte sie bei seinen staunenden Freunden herum wie ein Kleinod aus seiner Antikensammlung. Der für alles technisch Neue schaell entflammte Jules Verne aber sah darin gleich den geeigneten Stoff für sein Romangeschoß. Noch eine andere Erfindung jener Zeit wußte sein empfänglicher Geist sofort poetisch-abenteuerlich für die Mondreise-Geschichte auszuwerten: die „Wunderwaffe" von dazumal, die Schießbaumwolle, ein Sprengmittel, das alles bisherige an konzentrierter Wirkung überbot. Noch kannte man ihre Treibkraft nicht genau; deshalb durfte Jules Verne ihr ungeprüft jene ungeheuren, nie möglichen Explosionskräfte andichten, die er brauchte, um sein Aluminiumgeschoß, aus dem Bereich der irdischen Schwerkraft zu bringen. So hatte er nun alles recht glaubhaft beieinander: ein senkrechtes Riesengeschützrohr von 300 m Länge und ein herrlich leichtes Geschoß; dazu die fabelhafte Sprengkraft der mit Salpeter- und Schwefelsäure durchtränkten Schießbaumwolle, die wie ein Daunenfederbett zuunterst in den Schacht gepfropft worden war. Die abschußbereite Mondgranate wurde von Kranen vorsichtig auf den Pulverpfropfen herabgesenkt. Mit den gleichen Kranen ließen sich die drei Mondreisenden auf das Geschoß hinab, kletterten durch die Mannlöcher hinein und schlössen von innen die Luken. Ein elektrischer Funke brachte dann in der Nacht zum 1. Dezember, punkt 10 Uhr 47, als das Ziel der Reise, der Mond, gerade über dem Horizont stand, die Ladung zur Explosion.
Vor 100 Jahren, noch bevor Jules Verne seinen großen Roman schrieb, beschäftigten sich die illustrierten Blätter schon mit einem Raketenprojekt. Die damptbetriebene Rakete war in England im Jahre 1841 auf den Namen eines Mr. Charles Golightly als Patent angemeldet worden. Die oben wiedergegebene Karikatur aut dieses Patent trug die Unterschrift: „Dampf-Pferd, aut dem man in einer Stunde von Paris nach Petersburg reiten kann". „Jäh erfolgte ein entsetzlicher, nie vernommener, übermenschlicher Knall, v o n dem nichts einen Begriff zu geben vermochte — w e d e r die Schläge des Donners, noch der Krach feuerspeiender Berge. Eine u n g e h e u r e Feuergarbe schoß aus den Eingeweiden der Erde empor wie aus einem Krater. Das Erdreich h o b sich, u n d fraglich war's, ob ü b e r h a u p t j e m a n d auf einen Augenblick das Geschoß hatte sehen können, wie es inmitten flammensprühender Dünste siegreich die Luft durchschnitt." Nein, niemand v o n den Zuschauern h a t t e die w e i ß g l ü h e n d e Feuergarbe, den Flammenerguß gesehen, der ganz Florida erhellte u n d ein Erdbeben über die Halbinsel jagte; denn die Zuschauer w a r e n wie Ä h r e n im Sturm nach allen Seiten g e w e h t worden, Baracken u n d H ü t t e n lagen eingestürzt, Bäume waren entwurzelt und auf dem n a h e n Meer die Schiffe durcheinandergewürfelt wie die Klötze eines Baukastens. W o l k e n verdeckten den Himmel u n d entzogen die emporgeschleuderte Luftkutsche jeder Beobachtung. Diskret zog sich J u l e s V e r n e mit dieser V e r n e b e l u n g des Ausblickes aus einer recht verzwickten technischen Affäre. 5
Es ist nicht nötig, dem flugtechnischen Ablauf der großen Reise weiter in ihren Einzelheiten zu folgen. Denn in eben jenem Augenblick, da der phantasievolle Dichter den Wolkenvorhang über die Szene fallen ließ, hätte er auch schon seine Geschichte abschließen können. Hier nämlich oder vielmehr einige Sekundenbruchteile früher irrte Jules Verne. Die Aluminiumkutsche wäre nämlich gar nicht aus der Mündung der „Columbiade" hervorgetaucht, und wenn, dann hätte sie gewiß die erste Sekundenzuckung im Luftraum nicht überlebt. Jules Verne war in seiner Schilderung gar zu großzügig über den Luftpfropfen hinweggegangen, der fast 200 Meter hoch im Rohr über der Granate lastete. Die ungeheure Explosion der Schießbaumwolle hätte das Geschoß mit solch unerhörter Geschwindigkeit gegen diese Luftsäule gepreßt, daß sie nicht einmal Zeit gehabt hätte, aus der Rohrmündung zu entweichen. Die Masse der Luft wäre zusammengepreßt worden und mitsamt dem Geschützrohr und der Granate zum Glühen gekommen. Die Mondreise war aus, noch bevor sie begann; denn von dem Mondschiff und seinen bedauernswerten Insassen wäre nichts als Dampf übriggeblieben. Aber selbst wenn die Granate den freien Luftraum erreicht hätte, wäre ihr hier das gleiche Schicksal beschert worden. Ein Körper, der mit größerer Geschwindigkeit als der Geschwindigkeit des Schalles I ( = 330 m/sec) auf Luft aufprallt, zerschneidet sie nicht mehr, sondern komprimiert sie. Die Kompressionshitze des Luft- I Widerstandes hätte das Mondgeschoß im Nu in seine Bestand- " teile . atomisiert. Die Erdatmosphäre ist für jedes emporjagende Himmelsgeschoß das erste Hemmnis auf seinem Wege. Mit ihrer Dicke und Dichte und ihren sonstigen Besonderheiten wollen wir uns deshalb zunächst beschäftigen. Das Polster der Erdatmosphäre In seine atmosphärische Gashülle wie in eine Apfelsinenschale gepackt, jagt der Erdball auf seiner Planetenbahn um die Sonne. Weil der leere Weltraum ihrem Lauf keinen Widerstand bietet, bleiben Schale und Erde auf ihrer Reise ungestört beieinander; die Gashülle kann nicht davonflattern, wie der Umhängemantel eines Wanderers, den der Wind packt, oder wie ein Fahnentuch, das sich im Sturm vom Mast reißt. Die Gase der Atmosphäre können auch nicht in den leeren Raum
verströmen, weil die Schwerkraft sie mit sanfter Gewalt dicht an die Erdkugel schmiegt. Das heutige Wissen um die Höhe der irdischen Atmosphäre ist noch ungenau. Von vierhundert bis tausend Kilometer (neuerdings noch darüber hinaus) schwanken die Schätzungen für die Höhe der über der Erde lagernden Atmosphäre, also bis zu jener äußersten Schicht, wo der „leere" Weltraum beginnt. Die Dicke einer Orangenschale zur Dicke der Frucht entspricht ungefähr dem Verhältnis, das zwischen der Höhe der Atmosphäre und dem Durchmesser des Erdballs besteht. Vor 300 Jahren gab der große französische Mathematiker Blaise Pascal, den das Problem der Luft sehr beschäftigte, seinem Schwager Florin Pernier den Auftrag, mit einem Barometer den 1450 m hohen Puy de Dome, den höchsten Berg der Auvergne, zu besteigen, Pernier kam mit einem höchst interessanten Ergebnis vom Gipfel des Trachytberges zurück: die Luft nahm mit der Höhe an Dichte ab. Pascal zog daraus wichtige Schlüsse für die Entstehung der Wettervorgänge. Als dann die ersten Ballonfahrer weit höher hinaufkamen, konnten sie mit Hilfe des Barometers und durch die Untersuchung von Luftproben, die sie in Flaschen mit zur Erde brachten, die mit der Höhe fortschreitende Abnahme des Luftdrucks bestätigen. Bald darauf schon wurde dieses Gesetz zur tödlichen Gewißheit. Der Mangel an atembarer Luft in großen Höhen forderte die ersten Todesopfer unter den Ballonfliegern. Heute weiß man, daß in 20 Kilometer Höhe die Propeller eines Flugzeuges kaum noch Widerstand finden und gleichsam ins Leere greifen, so dünn ist in dieser Atmosphärenschichr. die Luft. In einer gewissen Höhe ist das Atmen nur mit Hilfe von Atemgeräten möglich. Man gab deshalb den Höhenfliegern Sauerstoffflaschen als Atemproviant mit und schützte sie in gasdichten Gondelkugeln, in denen Spezialapparaturen für eine gewisse Zeit normale Luftverhältnisse garantierten, vor dem Erstickungstod. Mit der Zeit kam man zu immer genaueren Kenntnissen vom Aufbau der erdnächsten Atmosphärenschichten. In Höhen, die der Mensch mit den bisherigen Aufstiegmitteln, Flugzeug und Ballon, ohne Gefährdung des Lebens nicht mehr erreichen konnte, schickte man unbemannte Ballons hinauf. 34 Kilometer Höhe erstieg im Jahre 1930 ein Forschungsballon der Wetterwarte Hamburg. Radiosonden, kleine Sendegeräte, übermitteln aus jenen Schichten genaue 7
Angaben über Temperaturen, Feuchtigkeitsgehalt und Luftdruck. Meteorologische Höhenraketen mit automatischer Nachrichtenübermittlung aber haben dann der Forschung die wichtigsten Aufschlüsse gegeben; sie werfen am Endpunkt ihres Aufstiegs einen Fallschirm mit radiogesteuerten Meßgeräten aus, die im Herunterschweben ihre Wahrnehmungen laufend an die Empfangsstationen auf der Erde übertragen. Die Luftdichte (der Luftdruck) — das wissen wir aus diesen Höhenflügen —, nimmt mit der Höhe viel rascher ab, als man erwartete. In 30 km Höhe beträgt die Luftdichte nur noch 1 "/* der Dichte in Meereshöhe, in 100 km Höhe nur noch 0,7 Millionstel, in 130 km Höhe ein Zehnmillionstel. Noch weiter von der Erde weg sind die Moleküle der die Atmosphäre bildenden Gase so dünn um den Erdball verteilt, daß sie kaum noch nachweisbar sind. Es ist nicht alles Luft, was sich da in der Atmosphärenhülle der Erde angesammelt hat. Atembare Atmosphäre, Atemluft, umhüllt die Erdkugel nur in Boden- und Menschennähe. Das Gasgemisch der „Atemluft" mit 21 % ^Sauerstoff, 78 °/o Stickstoff und etwa 1 % Edelgasen, Kohlensäure, Wasserstoff, Emanation, Ammoniak, Jod, Wasserstoffsuperoxyd und Ozon ist schon in etwa 12 km Höhe nicht mehr vollständig vorhanden. Das Mischungsverhältnis der Luftgase hat sich bis dahin schon so gründlich verschoben, daß man von dieser Höhe an besser nicht mehr von der Lufthülle, sondern von der Gashülle der Erde sprechen sollte. Der verhältnismäßig schwere Sauerstoff ist zurückgetreten. Der weniger schwere Stickstoff hat sich nach vorn geschoben. In den höchsten Höhen ist der leichtere Wasserstoff, der in Erdnähe kaum eine Rolle spielte, zum beherrschenden Gas der Atmosphäre geworden, bis sich dann an den Grenzschichten gegen den Weltraum hin die letzten Wasserstoffatome in der Unendlichkeit verlieren. Man hat berechnet, daß sich neun Zehntel aller Gasmassen, die die Atmosphäre bilden, im Raum unter 20 km Höhe zusammendrängen. Der Leib der Erde ist also unmittelbar auf der Haut sehr dick wattiert, während sich weiter draußen das atmosphärische Gewand in dünne Schleier auflöst. Diese abgestufte Gasschichtung um die Erde macht den Männern der Raketenforschung viel Kopfzerbrechen. Ein Geschoß, das die Schichten der Erdatmosphäre durchbrechen und den freien Raum jenseits der GashüUe erreichen ft
will, ohne wie ein wirkliches Jules-Verne-Geschoß gleich im ersten Ansatz gegen eine glühend komprimierte Luftwand anzurennen, muß sich diesen stufenmäßigen Abbau der Gasdichte zunutze machen. Es muß gleichsam wie ein aufwärts strebender Fahrstuhl mit geringer Geschwindigkeit ansetzen, in steter Beschleunigung, die etwa der Abnahme der Gasdichte der Atmosphäre entspricht, Höhe gewinnen und erst dort die erforderliche Höchstgeschwindigkeit entfalten, wo der freie Raum, keinen Widerstand mehr bietet, d. h. am Rande der Erdatmosphäre. Jules Vernes Mondgeschoß konnte das nicht. Es zerstob und verbrannte nur deshalb nicht in der Gluthitze der zusammengepreßten Luftmassen, weil der Dichter der Mondreise diesen kritischen Augenblick klug überging. Ein Geschütz entläßt sein Geschoß eben immer mit Höchstgeschwindigkeit; auch das ist ein Beweis gegen Jules Verne und gegen Himmelskanonen überhaupt. Mit Pulverladungen lassen sich zudem nie Geschwindigkeiten erzielen, wie sie die Überwindung der Schwerkraft, der Vorstoß ins Weltall, erfordert. Die rätselhafte Schwerkraft Unsichtbar ist diese geheimnisvolle Kraft der Schwere, die nicht nur der Erde, sondern jedem Himmelskörper, jedem Körper überhaupt eigen ist. Die Anziehungsgewalt der Erde, die alles zu sich zurückholt, was von ihr wegstrebt, erschien seit je als das Haupthindernis für alle Aufstiegversuche in den Weltraum. Wie ein Magnet wirkt diese Kraft. Von Aristoteles bis Einstein erregte das Rätsel der Schwere die Wissenschaft. Theorien entstanden und wurden verworfen, absurdeste Deutungen tauchten auf, blieben aber ohne Beweis. Die Anziehungskraft ist eine „Grundkraft", für -die uns bis heute noch eine überzeugende Erklärung fehlt; vielleicht, daß die Atomphysik auch diese Frage der Lösung ein wenig näherbringt. Die Schwerkraft bindet uns an die Erde, damit wir nicht in den Raum entschweben, sie ist die starke Gewalt, mit der die Mutter Erde alle ihre Kinder und all ihr Eigentum beisammenhält. Sie gibt den Dingen erst ihr Gewicht. Sie ist schuld, daß wir stürzen, wenn wir das „Gleichgewicht" verlieren, daß wir stolpern, daß uns der Teller aus der Hand Q
fällt, wenn wir ihm unvorsichtigerweise Gelegenheit geben der Anziehungskraft ungehindert zu folgen. Die Schwerkraf läßt sich auch nicht abschirmen, wie es in dichterischer Freiheit in einem bekannten utopischen Roman mit Hilfe eines jalousieartigen Gerätes geschildert wird. Sie zielt immer auf de Mittelpunkt der Erde; ein Bleilot, das wir an einer Schnur vo einem Baum niederlassen, weist stets genau auf das Er Zentrum, gleichgültig, an welcher Stelle des Erdballs wir un befinden. Wie die Gashülle der Erde in Bodennähe am dich testen ist, so ist auch die Schwerkraft unmittelbar an der Erd Oberfläche am größten. Mit zunehmender Entfernung nimm ihre Wirkung in genau zu errechnendem Maße ab (umgekehr proportional dem Quadrat der Entfernung). Auf dem Mo Blanc zum Beispiel ist 1 kg um etwa 1 g leichter als am Uf des Genfer Sees, auf dem Mount Everest um 3 g leichter al an der Küste des Indischen Ozeans, in 1000 km Höhe wieg das Kilogramm nur noch 750 g, in 6000 km Höhe nur no:' 250 g. Die Schwerkraft kennt keine Grenze; sie wirkt soga weit in das Weltall hinaus fort. In der Entfernung des Mond ist die Anziehungskraft, die von der Erde ausgeht, immerhi so groß, daß dieser Trabant wie an einer Kette zum Lauf u die Erde gezwungen wird, obwohl er von Natur aus von de Erde wegstrebt. Jedoch würde ein wesentlich kleinere Körper, etwa ein Mensch, in der gleichen Entfernung von den Schwerebereich der Erde fast nichts mehr spüren. Ebenso wie die Erde von einem Schwerefeld umgeben ist, so ist jeder Himmelskörper von „anziehender" Wirkung. Die Sonne hält die Erde und alle Planeten in ihrem Bann, das Sonnensystem steht wieder im Gefolge eines noch stärkeren Schwerkraftfeldes, und so überschneiden sich die Kräfte, vom größeren Körper zum kleineren, aber auch vom kleineren zum größeren. Ebbe und Flut der Atmosphäre und des Meeres sind sichtbare Beweise dafür, daß zum Beispiel der Mond seine Anziehungskräfte bis zu der Erde entsendet. In seinem engeren Umkreis umgibt ihn ein eigenes Schwerefeld. Die Anziehungskraft des Mondes beträgt entsprechend seiner geringeren Masse nur ein Sechstel der Kraft der Erde. Eine Fahrt hinaus in den Weltraum mit einer Rakete etwa zum Monde, muß also zwei gewaltige Barrieren hinter sich bringen: Das Polster der untersten Luftschichten und den erdnahen Sperrgürtel des Schwerefeldes. In 380 000 km Entfernung 10
zieht der Mond seine Bahn um die Erde. Die höchste Rakete ist bisher „nur" 430 km hoch gekommen. Ein lächerlich kleiner Bruchteil? Ja und nein! Denn dieses erste schon bewältigte Stück des Weges zum Monde war auch das schwierigste, weil in noch größeren Höhen der Widerstand der Atmosphäre rapide abnimmt und die Anziehungskraft der Erde nun in immer schnellerer Folge an Wirkung verliert. Und alles kommt darauf an, freies, d. h. fast schwereloses und fast leeres Feld zu gewinnen. Schon vor Jules Verne war die Kraft bekannt, die nötig ist, um sich ganz aus dem Bannkreis der Erde zu lösen, sich den Fangarmen ihrer Schwerkraft zu entreißen: Um einen Körper in den Weltraum zu bringen, muß eine Anfangsgeschwindigkeit erzeugt werden, die ebenso groß ist, wie die Aufschlaggeschwindigkeit eines Körpers, der ungehindert aus dem Weltraum niederstürzt. Wollte man also einen Meteoriten, der vom Himmel gefallen ist, wieder an seinen Ausgangsort zurückbringen, so müßte man ihn mit der Geschwindigkeit seines Sturzes auch wieder hinaufbefördern. Aus physikalischen Berechnungen ergibt sich, daß ein u n g e h i n d e r t aus unendlicher Ferne fallender Körper mit einer Endgeschwindigkeit von 11,2 km in der Sekunde auf die Erde auftrifft. Also braucht man das gleiche Tempo, um ihn über die Atmosphäre hinauszutreiben. Bei dieser Berechnung ist allerdings noch nicht der zusätzlich zur Überwindung des Luftwiderstandes aufzubietende Geschwindigkeitsbetrag berücksichtigt. Einzig der Rakete traut man das Vermögen zu, diese Geschwindigkeit zu entwickeln; nicht der dampf-, wasser- oder pulvergetriebenen Rakete aus alter oder jüngerer Zeit, sondern der Flüssigkeitsrakete, deren erste im Jahre 1926 in Auborn in USA einen kleinen Startsprung machte, die aber seitdem zu ständig sich überbietenden Rekordleistungen entwickelt worden ist. Zauberhafte Antriebskraft Der Rakete wohnt eine Zauberkraft inne; diese Kraft bewegt in gleicher Weise das Raketenauto aus dem Spielwarenladen wie die Leuchtraketen eines festlichen Feuerwerks, die Raketen zur Postbeförderung wie die Rettungsraketen in Seenot, die Schienenfahrzeuge mit Raketenantrieb wie die Raketenmaschinen der Luftfahrt. Die 47 „Lanzen des stürmen11
den Feuers", mit denen im 15. J a h r h u n d e r t der M a n d a r i n W a n Hü in China sein „Schiff der Lüfte" in Trümmer fuhr, folgten dieser magischen Gewalt ebenso, wie ihr die Flüssigkeitsraketen der Raumfahrer gehorchen. „Rückstoß" heißt die zauberhafte Antriebskraft, zauberhaft deshalb, weil sie das einzige Mittel ist, um selbst im leeren Raum, wo alle Motoren, Propeller und Turbinen versagen, einem Körper Antrieb zu geben. „Rückstoß!" W i e wirkt diese geheimnisvolle Kraft? Auf einem Bahnhof steht ein mit komprimiertem Gas gefüllter Tankwagen. Der Druck des Gases wirkt gleichmäßig nach allen
Das Rückstoßprinzip, links dargestellt an einem Gastankwagen der Eisenbahn. Die komprimierten Gase üben aut jeden Teil der Innenwände des Behälters einen gleichmäßigen Druck aus. Wird plötzlich an einem Ende des Tankwagens die Wand geöftnet, so entweichen die Gase hier mit hoher Geschwindigkeit. Der Innendruck aut die gegenüberliegende Wand hält aber noch einige Augenblicke an und stößt den ganzen Wagen in Richtung der äußeren Pieile aut den Schienen vorwärts (Rückstoß). —• Rechts: der gleiche Vorgang bei einer Rakete. Hier wird der Kompressionsdruck durch das Entzünden von Pulver oder von flüssigen Brennstotten erzeugt.
Wie eine Bewegung durch die Störung der Druckverhältnisse ermöglicht wird, (Schematische Darstellung des Rückstoßes der Rakete) 12
Seiten auf die Innenwände des Behälters. Innerhalb des Gastanks herrschen ausgeglichene Druckverhältnisse, denn jede Stelle der Behälterwände ist im gleichen Maße beiastet. Nun wird in eine der Schmalseiten ein Loch geschlagen. An dieser Stelle hört der Druck plötzlich auf; das komprimierte Gas kann hier mit hoher Geschwindigkeit ins Freie entweichen. Die gegenüberliegende Behälterwand hat mit einem Male ein Übergewicht an Druck. Der Tankwagen kommt nach der Seite des Überdrucks ins Rollen. Seine Rollbewegung wird um so schneller sein, je mehr Gas und je plötzlicher das Gas auf der Gegenseite verströmt. Die Rakete ist nichts anderes als solch ein nach einer Seite offener Behälter, ein Pappzylinder bei der Feuerwerksrakete, ein Metallzylinder in der Trichterform einer Düse bei der Weltraumrakete. Im Tankwagen unseres Beispiels bestand der Kompressionsdruck, bevor das Loch in die Wand geschlagen wurde. Der Zylinder der Rakete jedoch ist an einem Ende schon offen, wenn das Pulver oder der Brennstoff mit gewaltigem Druck explodiert. Der Explosionsdruck wirkt auf die verschlossene Rückwand der Düse, während auf der offenen Gegenseite kein Druck entstehen kann. Dieses Mißverhältnis wird die Rakete in der Richtung des Überdrucks, des Rückstoßes, davonfliegen lassen. Da es sich beim Rückstoß nach dem Gesagten nur um Vorgänge innerhalb der Rakete handelt, ist es gleichgültig, in welchem „Medium", in welcher Umgebung, sich der Vorgang vollzieht. Im leeren Raum muß der „Rückstoß" sogar besonders wirkungsvoll sein; denn die auspuffenden Gase prallen hier nicht gegen den Widerstand der Luft, sondern entweichen mit ungehemmter Geschwindigkeit. Je höher aber die Geschwindigkeit der entströmenden Gase und je größer die auspuffenden Gasmassen sind, um so schneller und um so größer ist auch der Rückstoß, d. h. die Fluggeschwindigkeit der Rakete. Um einer Rakete den schnellsten Antrieb zu geben, muß man sie deshalb mit möglichst energiereichen Brennstoffen versorgen, deren Explosion (Verbrennung) höchste Auspuffgeschwindigkeiten erreicht. Um sie in möglichst große Höhen zu tragen, müssen diese Treibmittel in großer Menge mitgeführt werden. Das sind zwei entscheidende Probleme, um die sich heute in den Laboratorien der Weltraumfahrt die Ingenieure abmühen. 13
Der Kraftwagen einer Expedition, die in Gebiete ohne Benzinlager vorstößt, kann nur bis zu einem bestimmten Gewicht mit Brennstoffvorräten belastet werden; denn bei Überbelastung wird das Fahrzeug über den Start kaum wegkommen oder aber bald schon irgendwo steckenbleiben. Bei der Abwägung der mitzunehmenden Treibstoff-Fracht darf jedoch in Rechnung gesetzt werden, daß sich das Gewicht der Brennstoffe unterwegs laufend verringern wird. Bei einer Weltraumrakete liegen die Verhältnisse ähnlich. Bei der enormen Geschwindigkeitsleistung, die sie entfalten muß, ist das Gewicht an Brennstoffen enorm, das man ihr mitgeben muß. Will man die Geschwindigkeit von 11,2 km/sec erreichen, wie sie zur Überwindung der Anziehungskraft der Erde und zu einer Reise zum Mond gefordert Wird, so würde das Gewicht der mitzuführenden Treibstoffe, selbst wenn ihre Explosionskraft sehr groß wäre, noch immer etwa 20mal größer sein als das Gewicht der leeren Rakete samt ihren technischen Einrichtungen und ihren Passagieren. Rechnet man noch den Brennstoffbedarf hinzu, der unterwegs für die Steuerung, die Umfahrung des Mondes, eine eventuelle Mondlandung und die Rückkehr zur Erde erforderlich ist, so wird das Verhältnis zwischen dem Eigengewicht der Rakete und dem Gewicht der Treibstoffe geradezu hoffnungslos. Das Massenverhältnis zwischen der leeren und der startbereit betankten Rakete steigt nämlich unter Anrechnung alles Zusatzbedarfs rein rechnerisch auf 60 : 1. Ein Raketenkörper mit der 60fachen Belastung seines Leergewichtes würde sich nie von der Stelle bewegen, er wäre auch nie zu bauen. Noch bessere Brennstoffe und Triebwerke Weshalb lassen sich die Männer der Raketenforschung dennoch nicht von dem erstrebten Ziele abbringen? Weshalb bejahen hervorragende Wissenschaftler der Welt nach wie vor die theoretische und praktische Möglichkeit einer Weltraumreise, ja stellen die ersten Ansätze in nicht allzuferner Zeit in Aussicht? Von verschiedenen Seiten her rückt man den unlösbar scheinenden Problemen immer wieder zu Leibe. Die brennstoffgefüllte Rakete ist beim Start zu schwer! So sucht man eben nach wirksameren, aber gewichtsgünstigeren 14
Raketenkraftstoffen, nach besseren Mischungen, um mit kleineren Tankfüllungen höhere Schubgeschwindigkeiten zu erzielen. Hier ist noch alles in der Entwicklung; das meiste spielt sich hinter den verschlossenen Türen der Forschungsinstitute ab. Benzin, Benzol, Methan, Gasöl, Anilin, flüssiger Wasserstoff, Alkohol, KohlenwasserstoffveTbindungen und manch andere Stoffe standen oder stehen im Versuch. Da ein Kraftstoff im luftleeren Raum ohne die künstliche Zufuhr von Sauerstoff nicht zur Verbrennung gebracht werden kann, werden auch die verschiedenen Sauerstoffträgar, wie Salpetersäure und Wasserstoffsuperoxyd, flüssiger Sauerstoff selbst sowie Ozon — das ist dreiatomiger Sauerstoff — in diese Versuche mit einbezogen. Vom Treibstoff her allein wird man aber der Schwierigkeiten nie Herr werden. Auch der Mechanismus der Weltraumrakete wird laufend verbessert und ist noch in ständiger Entwicklung. Rund 600 verschiedene Rückstoßtriebwerke wurden bisher auf dem Papier oder im praktischen Flug durchexerziert. Die moderne Rakete hat ja außer dem Grundprinzip des Rückstoßes kaum noch etwas mit der Pulverrakete von einst gemeinsam. Ihre Kraftstoffladung besteht nicht aus festen Explosivstoffen, sondern aus flüssigen Treibmitteln und dem flüssigen Sauerstoff träger; sie erfordern den Einbau von großen Tanks in die Rakete-, mit dem anhängenden Gewirr der Brennstoffleitungen beanspruchen sie den größten Teil des Raketenkörpers. Dazu kommen kleine Hochleistungspumpen mit eigenem Motor und eigenen Behältern für die Motorkraftstoffe. Diese Kreiselpumpen sind sozusagen das A und O der Rakete; denn sie saugen den Raketenbrennstoff und den Sauerstoff aus den Tanks und drücken sie mit größter Gewalt in die offene Brennkammer am Schwanz der Rakete. Die düsenförmig ausmündende Brennkammer ist nichts anderes als der fortentwickelte Pappzylinder der Feuerwerksrakete; aus ihr jagen mit Sekundengeschwindigkeiten, die heute schon bei 3 bis 4 km liegen, stichflammenartig die entfesselten Brennstoffgase, deren Verpuffen entscheidend für die Gewalt des Raketenschubs ist. Der flüssige Sauerstoff aus den Tanks, der die Brennstoffe entfacht oder der Treibstoff dienen zugleich auch zur Kühlung der Brennkammerdüse; in der ungeheuren Hitze würden die Düsenwände ohne ständige Abkühlung verbrennen. 11,2 km in der Sekunde — das ist die Mindestgeschwindigkeit, um die Fesseln der Erde abzustreifen. Nicht im ersten 15
Einstufenrakete im Querschnitt
Unter der Spitze der Rakete befindet sich in diesem Beispiel einer unbemannten Rakete der Geräteraum mit automatischen Registrierinstrumenten, Batterien, Sender und Empfänger, Zusatzpreßluftflaschen u.a. Bei einem bemannten Raumschiff nähme dieser Teil die Kabine auf.
Treibstofftank unter Drudeluft. Das Hauptventil Öffnet sich, sobald die Pumpen anlaufen. Das Ausflußrohr des Tanks führt durch den darunter befindlichen
Sauerstofftank. Der flüssige Sauerstoff wird durch Kreiselpumpen in vielen Rohrleitungen in die zahlreichen Einspritzdüsen der Brennkammer gedrückt und entfacht hier die elektrisch gezündeten Brennstoffe. Der Sauerstoff dient auch zur Kühlung der Einspritzdüsen, der Brennkammer und der Auspuffdüse.
Turbinenbetriebene Kreiselpumpen mit Tanks für den Turbinenkraftstoff. Der Abdampf der Turbinen wird zur Druckbelüftung der großen Tanks ausgenutzt. Die Turbinen werden beim Start elektrisch angelassen. Brennkammer aus dünnem Blech, vom Kühlmantel umgeben. Am Kopf der Brennkammer münden die Einspritzdüsen für Brennstoff und Sauerstoff ein. Die Brennkammer läuft nach unten in die Auspuffdüse aus, die ebenfalls sauerstoffgekühlt ist. Seitlich des Hecks Lenkeinrichtung durch Stabilisierungsflossen,
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Der im Heck der Rakete eingebaute Düsen teil mit Brennkammer und Ausputtdüse. Von oben, vom Brennstoiitank her, münden die Leitungsröhren in die zahlreichen Spritzdüsen aus, die im Kopiteil der Brennkammer verteilt sind. Durch den Druck der Kreiselpumpen wird der Brennstoii in die Brennkammer gespritzt und entzündet sich hier unter hohem Druck. Nach dem Rückstoßprinzip wirkt der Druck sich aber nur nach oben aus. Er treibt den Rakentenkörper in die Höhe. Nach unten können die Verbrennungsgase ungehemmt durch die trichtertörmige Düse verpulten. Brennkammer und Düse sind von einem Kühlmantel umgeben. Die Kühlung eriolgt durch den flüssigen Sauerstoli aus dem Sauerstolltank (—180° Kälte). Er tritt unten in den Mantel ein, läuft innerhalb des Mantels um und wird dann durch die Spritzdüse in die Brennkammer gepreßt, um hier die Verbrennung zu ermöglichen. Zum Kühlen dient oit auch der Brennstoll. Anhieb darf sie erreicht werden. Der Durchbruch durch die untersten Luttschichten w ü r d e bei dieser Anfangsgeschwindigkeit niemals gelingen; kein Lebender w ü r d e diese urplötzlich einsetzende Bewegung überstehen. Mit erträglicher, automatisch gedrosselter Geschwindigkeit h e b t sich die Rakete v o n ihrem Startgerüst ab, nach der ersten Sekunde sind 25 m H ö h e gewonnen, dann wird sich die Geschwindigkeit in jeder Sek u n d e um 25 m g e g e n ü b e r der v o r h e r g e h e n d e n steigern, bis die Rakete in 2500 km Entfernung v o n der Erde das Maximum ihrer Geschwindigkeit u n d den freien W e l t r a u m erreicht hat. Auf dieser ersten Etappe schon begibt sich das gleiche, w a s auch bei der früher e r w ä h n t e n Fahrt des Expeditionsautos eintrat. Das Gewicht der Rakete wird nicht nur durch die Verringerung der Erdanziehungskraft ständig vermindert, sondern auch durch den gewaltigen, laufenden Verbrauch an Brennstoffen, besonders in den ersten, schwersten Sekunden des Aufstiegs. Da der Schub ständig der gleiche bleibt, wird die 17
Rakete mit zunehmender Höhe wie von selbst an Eigenkraft und Schnelligkeit gewinnen. Im leeren Raum aber erfolgt ihr Flug ohne jeden Brennstoffverbrauch antriebslos allein nach dem Trägheitsgesetz, dem auch die Planeten in ihrem Lauf um die Sonne folgen. Wird die „Stufenrakete" es schaffen? Alle Körper haben die Eigenschaft, im Zustand der Ruhe oder der erlangten Bewegung so lange zu verharren, bis eine äußere Ursache ihre Ruhe oder Bewegung stört; man nennt dieses Verhalten ihre Trägheit. Im leeren Raum aber ist nichts mehr, was die einmal erzielte Raketenbewegung verändern könnte. Die Auswirkungen des Schwerefeldes der Erde sind bei der verhältnismäßig geringen Masse des Raketenschiffes in dieser Ferne gleich Null. Materieteilchen sind so weit gestreut, daß sie keinen Widerstand bieten. Die Rakete eilt mit ihrer Höchstgeschwindigkeit im freien Flug ohne jeden Antrieb dahin wie ein natürlicher Weltkörper. Erst dort, wo das Schwerefeld des Mondes sich zu verstärken beginnt, im letzten Neuntel der Fahrt, müßte sie wieder der Schwerkraft folgen. Doch wir sind der geordneten Darstellung vorausgeeilt. Noch hängt ja an der erträumten Rakete das überlastige Gewicht an Brennstoffen, die sie zur Entfaltung der Weltraumgeschwindigkeit mit sich führen muß. Wir griffen ein wenig vor, weil uns erst die Kenntnis des Trägheitsgesetzes die folgende Beschreibung der „Stufenrakete" verständlich macht. Wenn man nämlich darauf verzichtet, im ersten Ansatz die 11,2-km/sec-Geschwindigkeit zu erzwingen und sich statt dessen zunächst mit der „kleineren" Geschwindigkeit von etwa 5 km/sec begnügt, kann das Verhältnis der betankten zur leeren Rakete von vornherein viel günstiger sein. Eine Rakete dieser Geschwindigkeit liegt im Bereich des Möglichen. Trägt sie eine zweite, viel kleinere auf ihren Schultern mit hinauf, so kann man die Mutterrakete in dem Augenblick, in dem die Trägerrakete auf Höchstgeschwindigkeit gekommen ist, lösen und die kleinere Rakete zum Start ansetzen lassen. Nach dem Trägheitsgesetz wird sie ihren Flug mit der Endgeschwindigkeit der Trägerrakete, also mit 5 km/sec beginnen und weiterfliegen, bis auch sie ihre Antriebskraft erschöpft hat. Noch wäre eine dritte kleinere Stufe denkbar, die dann durch 18
Zweistufenraketen Eine einlache Rakete wird mit den bisher bekannten Antriebsstotten nicht in der Lage sein, die Anziehungskratt der Erde zu überwinden, um in den ireien Raum zu gelangen. Mit Stutenraketen holtt man, die erforderliche Endgeschwindigkeit von mindestens 11,2 km/sec. zu erreichen. Deshalb lührt eine größere Trägerrakete, die mit einer möglichst großen Geschwindigkeit startet, eine kleinere („Tochterrakete") mit sich. Die kleine Rakete beginnt automatisch ihren Start, sobald die Mutterrakete aul Höchstgeschwindigkeit gekommen ist. Die Flugbedingungen für den Start der Tochterrakete sind günstig: sie übernimmt nach dem Trägheitsgesetz als Anfangsgeschwindigkeit die Endgeschwindigkeit der großen Rakete und findet bei ihrem Abflug nur noch geringen atmosphärischen Widerstand. Eine dreistufige Rakete kann durch Addierung der Antriebskräfte der Einzelraketen kosmische Geschwindigkeiten erzielen. Links Zweistufenrakete, mit der mehr als 400 km Höhe erreicht wurden. Rechts Zweistufenrakete anderer Bauart. die Addierung der Einzelgeschwindigkeiten sogar die kosmische Geschwindigkeit um ein gut Stück übertreffen könnte, Energie gewissermaßen auf V o r r a t hätte. Zweistufenraketen haben bereits die ersten erfolgreichen Aufstiege hinter sich. Zwischenstation „Künstlicher Mond" Schon durch das Z u s a m m e n w i r k e n der Einzelteile einer Zweistufenrakete k a n n nach der Ansicht der Theoretiker eine Geschwindigkeit von 8 km/sec entwickelt werden. Eine solche 19
m Rakete befindet sich zwar noch im Schwerebereich der Erde, aber doch schon weit außerhalb der Atmosphäre. Lenkt sie mit der genannten Geschwindigkeit in eine geschlossene Bahn um die Erde, so macht die Trägheit sie ohne weiteren Treibstoffverbrauch zu einem beständigen Begleiter der Erde, zu einem künstlichen Mond, einem Kleinstplaneten. Ihre Fliehkraft (8 km/sec) und die Anziehungskraft der Erde halten sich die Waage. Bei entsprechender Größe kann ein solcher künstlicher Erdsatellit zu einer automatischen oder bemannten Forschungsstätte werden. Von ihr aus zeigen sich die Steine ohne die Störungen der Atmosphäre; sie wäre also ein ideales Observatorium. Für weite Gebiete der Erde könnte die Großwetterlage beobachtet und ausgewertet werden; sie wäre also auch eine vortreffliche Wetterstation. Nicht zuletzt wird die Bedeutung einer solch schwebenden Insel als vorteilhafter Zwischenstation für die Weltraumfahrt erörtert, weil sie jederzeit erreichbar wäre und eine von dort startende Rakete nach dem Beharrungs-(Trägheits-)Gesetz die Eigengeschwindigkeit der Insel als Anfangsgeschwindigkeit mitbekäme. Jede Abbremsung der Bewegung des „künstlichen Mondes" würde seine Rückkehr zur Erde ermöglichen. Es wäre auch denkbar, den „künstlichen Mond" auf einer mitgeführten Kleinrakete zu einem Abstecher auf die Erde zu verlassen. Der Abstieg zur Erde würde etwa der Entfernung Hamburg—Zürich entsprechen. Der „künstliche Mond" scheint, wenn die Berechnungen stimmen, das erste Weltraumunternehmen zu sein, das die Technik verwirklichen wird. Das Leben da draußen Das Unbehagen vor dem, was „da draußen" sein kann, verfolgt die Menschen, seitdem sie sich zu ersten „Luftspaziergängen" vom sicheren Trittfeld des Bodens emporbewegten. Vorsichtig hatte man in den Kindertagen des Ballons einigen Haustieren den Vortritt in das Ungewisse des Raums gelassen. Erst als am Abend des 19. September 1783 ein Hammel, eine Ente und ein Hahn, die man in eine Ballongondel gesetzt hatte, von ihrem Käfigflug mit der „Montgolfiere" wieder wohlbehalten niedergestiegen waren, wagten J. F. Pilätre de Rozier und Marquis d'Arlandes vom Waldpark von Boulogne aus jenen denkwürdigen ersten gelungenen 20
Menschenflug der Geschichte. Sie hatten sich aber nicht nur auf das Experiment mit den Haustieren verlassen, sondern auch von erfahrenen Bergsteigern genaue Auskunft über die Zustände in großen Höhen eingeholt. Vor ähnlichen Fragen stehen heute die Techniker und Physiker der Weltraumfahrt und die für „künstliche Monde" zuständigen Planungsstellen. Den Technikern haben sich die Mediziner, Höhenforscher, Meteorologen und Astronomen beigesellt, und so weiß man jetzt schon mehr von den Lebensmöglichkeiten in den fernsten Regionen als die Herren de Rozier und d'Arlandes vor ihrem kleinen Luftsprung von der erdnahen Atmosphärenschicht, in die sie hinaufsteigen wollten. Wie lebt es sich da draußen? Wie werden Blutkreislauf, Herz, Sinnesorgane sich verhalten, wie werden die Nerven reagieren in jenem unendlichen Raum, jenseits der schützenden Hülle der Erdatmosphäre, die nicht nur die rätselhafte Weltallstrahlung von der menschenbewohnten Erde fernhält, sondern auch wie ein elastischer Schirm den Hagel der Sternschnuppen und Meteore auffängt, der ständig in die .Gashülle der Erde einfällt. Die Gefahr, mit einer Sternschnuppe zusammenzutreffen, jagt dem Laien bei dem Gedanken an eine Weltraumreise den größten Schrecken ein. Es ist schon kein angenehmes Gefühl, auf hoher See treibende Eisberge um sich zu wissen; ein Schiffspassagier hat aber immer noch die Chance, notfalls in ein Rettungsboot zu steigen, er darf mit der funkentelegraphisch herbeigerufenen Hilfe rechnen, zudem erhalten heute die Ozeanschiffe in den Gefahrenzonen durch den RadioWarndienst und durch Radar-Ferntastgeräte von streunenden Eisbergen so rechtzeitig Kenntnis, daß sie den tödlichen Hindernissen fast mit Sicherheit ausweichen können. Meteorbahnen sind aber im allgemeinen vorher nicht zu errechnen. Man weiß zwar, daß in den Frühstunden des Tages die Zahl der Sternschnuppen besonders groß ist. Auch kennt man die Hauptzeiten der Meteorströme, die in den einzelnen Monaten verschieden ist. Man wird deshalb die Startzeit eines künftigen Weltraumfluges nicht so wählen, daß die Rakete in solch „gehäufte" Sternschnuppenschwärme hineingerät. Aber selbst beim Durchqueren eines Meteorstromes wäre die Gefahr eines Zusammenstoßes äußerst unwahrscheinlich. Denn ein solcher 21
„Strom" ist alles andere als eine dicht an dicht dahinschießende Masse von Weltraumkörperchen. Von der Erde aus bietet er zwar diesen Anblick. In Wirklichkeit beträgt selbst bei einem kräftigen Sternschnuppenfall die Entfernung der einzelnen Sternschnuppen voneinander meist 100 bis 1000 km. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung kann eine Weltraumrakete viele tausend Jahre im Weltall kreuzen, ohne daß sie von einem Meteor getroffen würde. Zudem besteht die weitaus größte Zahl der Sternschnuppen aus winzigen Staubteilchen; Körperchen von 1 g Gewicht sind selten darunter, größere Klumpen ganz selten. Ein Zusammenprall mit einem solchen Großkörper bedeutete selbstverständlich für das Raumschiff und seine Insassen ein jähes Ende, aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen Katastrophe ist nicht größer als die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes zweier Schiffe, die sich allein in der Weite des Stillen Ozeans befinden. Gegen Kleinstmeteore bieten die im Raketenbau verwandten Metallwände genügenden Schutz. Löcher, die sie in die Tank- oder Kabinenwand schlagen, könnten ohne Schwierigkeiten schnell abgedichtet werden. Oft wird darauf hingewiesen, daß der Raketenpilot zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem Meteor überdies noch die Möglichkeit habe, die Bahn der Sternschnuppen rechtzeitig mit einem Radargerät zu erkennen und ihr durch entsprechende Steuerung der Rakete in respektvollem Abstand auszuweichen. Aber die bisher entwickelten Radargeräte erfassen nur Sternschnuppen, die bereits in die Atmosphärenhülle der Erde eingedrungen sind und hier auf die Moleküle der Gase und der Luft aufprallen und sie ionisieren. Nicht die Sternschnuppenkörper und -stäubchen, sondern ihre Ionenspuren zeichnen sich auf dem Leuchtschirm des Gerätes ab. Im freien Weltraum, in dem die daherrasenden Meteore und Meteorstäubchen keinen Widerstand finden, fehlen die Ionenspuren, die mit Radarstrahlen erfaßt werden könnten. Doch darf man sich auch ohne eine solche Vorwarnung beruhigt dem Weltenraum anvertrauen. Landstraßen und Schienenwege und die Wasserwege der Schiffahrt sind weit gefährlicher als die künftigen Raketenstraßen des Weltalls. Das Radargerät, das der Raketenpilot auf die Reise mitnimmt, wird in ganz anderer Weise nützlich sein. Wie ein Schiff in Küstennähe sich an den Leuchtfeuern und den Licht22
Signalen der Leuchttürme über seinen Kurs orientiert, so werden dem Kapitän des Raumschiffs die zum Mond oder zur Erde gesandten und von dort zurückkehrenden Radarstrahlen Anhaltspunkte geben über den jeweiligen Standort des Raketenschiffes, über die Geschwindigkeit, mit der es sich fortbewegt, und über die Flugrichtung. Außerdem hat der Raumschiffpilot alle Geräte an Bord, um auch durch die Beobachtung der Sterne und durch astronomische Messungen zu navigieren und gegebenenfalls Kursverbesserungen vorzunehmen. Doch bleiben wir in Erdnähe! Wird ein Mensch die Sekunden und Minuten überhaupt überstehen können, in denen sich die Rakete vom Boden gelöst hat und mit immer größerer Beschleunigung der Höchstgeschwindigkeit von 11,2 km in der Sekunde zustrebt. Die Gewalten, die auf einen Menschen bei jeder Änderung seiner Geschwindigkeit einwirken, lasten bei einer solchen Beschleunigung der Bewegung mit immer schwereren Gewichten auf seinem Körper; ein Flugzeugpilot wird dabei wie von unsichtbaren Kräften in die Polster gepreßt. Die Mediziner sind der Überzeugung, daß Raketenpassagiere eine gradlinige Beschleunigung von 25 m je Sekunde bis zur kosmischen Geschwindigkeit von ll,2km/sec. gesund überstehen, ohne daß es zu Bewußtseinsstörungen durch die mangelhafte Durchblutung des Körpers zu kommen braucht. Druckanzüge können die ständig zunehmende Veränderung weitgehend ausgleichen. Die Reisenden werden in den siebeneinhalb Minuteu des Anstiegs bis zum Maximum flach, senkrecht zur Flugrichtung, auf dem Rücken liegen und in dieser Horizontallage alle einwirkenden Druckkräfte ertragen. Dann aber, mit dem Ende der Beschleunigung, wird das Raumschiff mit gleichbleibender Geschwindigkeit den Weltraum durchjagen. Während es eingehender Berechnungen und komplizierter medizinischer und flugtechnischer Versuche bedurfte, um das Verhalten des menschlichen Körpers innerhalb der Beschleunigungszone zu erforschen, liegen für seine Eignung zu gleichbleibenden Reisegeschwindigkeiten bessere Erfahrungen vor. Jeder Rennfahrer bestätigt, daß wohl die Augenblicke des Anfahrens, des jähen Abstoppens in den Kurven oder vor der Reifenwechselboxe ungemütliche Sekunden bescheren, nicht aber das Durchrasen der Geraden. Auch eine Fahrstuhlfahrt durch die Stockwerke eines Hochhauses läßt den Unterschied spüren. Langsam senkt sich die Kabine, fällt schneller, und 23
das ist der Augenblick, in dem das Unterste in ans nach oben will. Dann aber fährt der Fahrstuhl in gleichmäßiger Bewegung durch zwei, drei Stockwerke hinab. Wir atmen auf. Erst wenn das Erdgeschoß nahe ist, überkommt die Kabineninsassen wieder ein seltsames Mißbehagen, Ein wenig unsicher schwanken sie hinaus. Aber wir haben noch überzeugendere Erfahrungen. Sind wir doch allesamt Passagiere des ungeheuren Weltraumschiffes, das wir Erde nennen. Mit 30 km in der Sekunde reisen wir an Bord des Erdballs auf seinem Rundlauf um die Sonne und empfinden doch nicht das geringste dabei. Jahrtausende hat es gedauert, bis man die Menschen davon überzeugte, daß sie tatsächlich solche Schnellreisenden sind. Aber das ist nicht die einzige Bewegung, die uns in kosmischem Tempo durchs Weltall führt. Die Sonne reißt bekanntlich das ganze Planetensystem mitsamt der Erde mit sich nach dem Sternbild des Herkules hin. Auch diesen ungeheuren Sturz machen wir mit, ohne daß er uns bewußt wird. Den Blitzflug einer Rakete im freien Raum werden die Mitfliegenden ebensowenig in seinem Tempo ermessen. Es wird ihnen vorkommen, als ständen sie im Räume still, ein Gefühl, das auch den Passagier eines Flugzeugs überkommt, wenn er nicht gerade durch das Kabinenfenster in das Wolkenspiel sieht. Die einzigen Anhaltspunkte für Bewegung sind dem Mondfahrer durch Mond und Erde gegeben, die mit zunehmender Entfernung oder Annäherung an Größe verlieren oder gewinnen. Kabinenleben ohne Schwere Die ersten menschlichen Fluggäste des Weltraums werden sich unterwegs mit ganz anderen Problemen beschäftigen müssen. Das Durchhalten in der Zone der Beschleunigung bis zu dem Zeitpunkt, da der emporgeschleuderte Raketenspeer die Anziehungsgewalten der Erdmasse übertrumpft, wurde schon als eine der kritischsten Sorgen des Weltraumfluges erörtert. Nach wenigen Minuten schon, sobald die gleichmäßige Bewegung des Raketenkörpers eingesetzt hat, ist diese Belastung von den Passagieren genommen. Die Erleichterung, die dann folgt, wird für die kühnen Raumfahrer zu einer fast märchenhaften Überraschung. Zum erstenmale wird 24
sich der Mensch jenseits des Schwerefeldes der Erde befinden; was noch an Anziehungskraft in dieser Entfernung auf ihn einwirkt, ist praktisch gleich Null. Alles, was den Menschen und die Dinge auf Erden zu Boden drückt, ist jählings von ihnen abgefallen. Der Schraubenschlüssel auf dem Tisch ist zu einer Flaumfeder geworden, er wirbelt beim leisesten Anstoß schwebend davon. Jeder Schritt wird zu einem Stabhochsprung und würde zu einem Sieben-Meilenschritt, wenn die Wände der Kabine ihn nicht auffingen. Das Gewicht des Menschen ist auf das Maß eines Pfundes zusammengeschrumpft. Die Wassertropfen aus den Vorratsbehältern erreichen nicht mehr den daruntergehaltenen Becher, sondern fliegen wie Seifenblasen „in alle Winde". Nahrung wird nicht mehr „hinunterrutschen", sondern lediglich durch die peristallischen (wurmförmigen) Muskelbewegungen der Speiseröhre in den Magen gelangen. Das Liegen wird keine bequeme Erholung mehr sein; denn jede Wendung des Körpers würde sich sogleich in einen Sprung zur Decke verwandeln. Nur durch Anschnallen kann der Ruhebedürftige sich auf der Lagerstatt halten. Träume aus Kinderzeit werden hier Wirklichkeit; das Märchen vom fliegenden Koffer und schwebenden Teppich und Fausts phantastischer Zaubermantel, hier sind sie „Ereignis". Kein Film könnte uns das gespensterhafte ausgreifende Bewegungsspiel bechreiben, von dem eine unvorbereitete Raketenmannschaft im ersten Augenblick durcheinander geworfen würde. Für die Muskelkräfte gibt es kaum noch etwas zu tun, sie sind entspannt. Ein l a n g e s Unterwegssein im freien Raum würde sie erschlaffen lassen wie die Muskulatur eines langjährig Bettlägrigen. Aber auch daran haben die medizinischen Sachverständigen der Raumfahrttechnik gedacht. Auf einer lange währenden Raketenreise, an die vorerst noch nicht gedacht werden kann, würde es möglich sein, durch eine besondere Raumschiffgymnastik der Erlahmung der Kräfte entgegenzuwirken. Kraftübungen mit Spiralfedern, Expantern, Schwungübungen, bei denen nicht die Schwerkraft, sondern die Trägheitskräfte wirksam würden, genügten, um ein „Einrosten" der Muskeln zu verhüten. Doch diese Sorge braucht die Mannschaft einer kurzfristigen Mondreise nicht zu beschäftigen. Die mancherlei Handgriffe, die es hier zu tun gibt, reichen als 25
Gymnastik vollkommen aus. Schwerelosigkeit — das ergibt sich aus den ärztlichen Gutachten — ist keineswegs Kraftlosigkeit gleichzusetzen. Im Gegenteil: die Durchwanderer des leeren Raumes werden, frei von der Erdenschwere, stärker sein als Herkules und Polyphem, der Felsenschleuderer. Auch die geistig-seelische Erdenschwere wird von ihnen weichen; man sagt den Reisenden in diesen so seltsamen Sphären eine besonders beschwingte Gemütsstimmung und eine Auffrischung aller Lebensgeister voraus, die mit der Gesamtentspannung des Körpers zusammenhängen soll. Der unendliche Raum ist keineswegs ein Feind alles Lebens, wie man gesagt hat. Aber das Leben „draußen" wird nur unter gewissen Voraussetzungen möglich sein. Die Ersparnis an Kräfteaufwand unterwegs wird indirekt auch eine Einsparung an Atemluft sein. Draußen im Weltraum gibt es nichts zu atmen. Die lebenerhaltende Lufthülle der Erde liegt weit zurück. So werden künstliche Sauerstoff quellen ersezten, was die leere Umgebung nicht bieten kann. Der Sauerstoffvorrat in flüssiger Form wird im Gesamtgewicht der Rakete nicht viel bedeuten. Von Höhenflügen, von U-Booten und Tiefsee-Tauchkugeln weiß man, daß sich in solch künstlicher Atmosphäre ohne Beschwerden leben läßt. Die Kabine ist hermetisch geschlossen und zudem noch durch Doppelwände wie eine Thermosflasche gegen die wechselnden Wärmezustände beim Aufflug vorzüglich isoliert. Der leere Weltraum — warm oder kalt? Was wissen wir von der Kälte oder Hitze da draußen? Die Annahme, daß die Wärme gleichmäßig nach oben hin abnimmt, bis zum absoluten Kältepunkt von — 273° im leeren Weltraum, ist längst widerlegt. Gewiß nimmt die Kälte bis zu einer gewissen Höhe fast gesetzmäßig zu; an der Grenze der Stratosphäre ist die Temperatur auf — 45° abgesunken. Die gleiche Temperatur herrscht gleichbleibend auch in der Stratosphäre selbst bis in Höhen von 35 — 50 km. Dann aber folgt ein jäher Sprung auf + 50°. In 80 km Entfernung von der Erde ist wieder ein Abfall bis auf — 70° zu verzeichnen. In der dann folgenden Schicht der Ionosphäre, die vielleicht bis zu 400 km Höhe hinaufreicht, folgt wieder eine Erwärmung, die — soweit bisher 26
ermittelt wurde — teilweise auf + 100° ansteigt. Da die Kabine des Raumschiffs isoliert ist, bildet die kurze Frist, in der die tropische und sibirische Zone durchflogen wird, keine Gefahr. Die kochendheiße 100-Grad-Zone darf jedoch wegen ihrer geringen atmosphärischen Dichte nicht mit irdischen Vergleichsmaßen gemessen werden. Wegen der lockeren Streuung der Gasteilchen in dieser Schicht wird die Hitze nur wenig zu spüren sein. Wie aber ist es im leeren Raum selber, wo bei nachtschwarzem Sternenhimmel ein ewiger Tag das Raumschiff umfängt, sofern es nicht gerade den Schattenbereich eines Planeten durchkreuzt? Wir wissen, daß Wärme mit der Bewegung kleinster Teilchen identisch ist. Im Weltraum gibt es aber keine oder fast keine Materieteilchen, die sich bewegen könnten. Im leeren Weltraum herrscht deshalb, so merkwürdig es klingen mag, weder Kälte noch Wärme. Die Wärmestrahlung der ewig scheinenden Sonne wird nur wirksam, wenn sie auf einen Körper oder auf die Atmosphäre auftrifft. Das Raumschiff wird deshalb ihrer Wärmestrahlung unterliegen. Um diese Strahlung nach Belieben für die Erwärmung oder Abkühlung der Kabine und der gefährdeten Brennstofftanks auszunutzen, wird die Rakete auf der einen Seite einen schwarzen, wärmeaufnehmenden, und auf der anderen Seite einen weiß spiegelnden, wärmeabweisenden, Anstrich erhalten. Durch Drehung des Raketenkörpers kann also der Wärmehaushalt im Raketeninneren gesteuert werden. Steuerung eines Weltraumschiffes Wie erfolgt eine solche Kehrtwendung, wie geht eine Kursänderung, wie eine Landung vor sich? Drehbewegungen des Schiffskörpers um sich selbst, sollen nach einem physikalischen Gesetz durch im Innenraum schnell rotierende Massen ermöglicht werden. Die Rakete wird sich dann im entgegengesetzten Sinne langsam umdrehen. Soll ein Kursfehler korrigiert oder ein Einschwenken etwa zur Umkreisung des Mondes oder zur Rückfahrt notwendig sein, so werden seitlich am Raketenkörper angebrachte Düsen mit mehr oder weniger großer Auspuffgeschwindigkeit Rückstöße erzeugen, unter deren Einwirkung die Rakete in die gewünschte Richtung gebracht wird. Eine solche 27
Die von der Erde autgestiegene Rakete hat bereits in der Höhe des gestrichelten Kreises, der ungefähr der Höhe der Atmosphäre entspricht, ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht. Ohne Antrieb durchfliegt sie von diesem Augenblick an im „freien Flug" den fast leeren interplanetaren Raum. Nach einer Flugstrecke von '/»» der Entfernung Erde — Mond, 38 000 km vom Mondmittelpunkt entternt, erreicht die Rakete die Grenzlinie, an der die Anziehungskraft des Mondes die Anziehungskraft der Erde zu überwiegen beginnt. Sie tolgl dann bremsend mit einem Sechstel der Erdschwere der Schwerkraft des Mondes. Steuerung könnte bei einer unbemannten Rakete auch durch Radioimpulse von der Erde aus erfolgen. Schwierig wird ein Landungsmanöver sein. Man stellt es sich so vor, daß die mit Höchstgeschwindigkeit zurückkehrende Rakete nicht senkrecht 28
zur Erde fällt, sondern schräg an der Erde vorbeisteuert und sie, immer tiefer sinkend, spiralenförmig mehrmals umrundet. Dabei durchquert die Rakete einige Male die Randschichten der Atmosphäre, deren Widerstand jedesmal abbremsend wirkt. In den tragenden Luftschichten wird dann ein Fallschirm das Raumschiff zur Landung bringen. Bei einer Mondlandung würde ein solches Manöver wegen der fehlenden Atmosphäre versagen. Die Rakete müßte sich mit der Düsenöffnung nach vorn, unter Ausstoßen bremsender Gas-Strahlmassen, dem Monde nähern. Wenig wissen wir noch über die Wirkung der Kosmischen Ultrastrahlung und wieweit sie den Menschen gefährden kann. Man erhofft, daß erste Aufstiege mit lebenden Tieren, die schon einmal Pioniere des Menschenfluges gewesen sind, auch in dieses heikle Kapitel Klärung bringen werden. Sind Atomraketen möglich? Während heute die Menschheit interessiert auf die Raketenstartplätze in den verschiedenen Ländern blickt, beschäftigen sich die Raketeningenieure bereits ernsthaft mit jener neuen Kraftquelle, die uns die Atomphysik erschlossen hat. Mit einem Schlage gäbe es in der Raumschiffahrt keine Brennstoffnöte mehr, wenn es gelänge, Atomkraftstoff beim Antrieb der Raumschiffe zu verwenden. Die Ausstoßgeschwindigkeit zerfallender Atomtrümmer könnte Zehntausende Kilometer in der Sekunde erreichen, vorausgesetzt, daß es möglich wäre, diese Teilchen in eine bestimmte Richtung zu zwingen. Ein Gramm aus dieser Energiequelle würde 2000 Liter Benzin ersetzen, eine Handvoll reichte aus, eine Rakete bis zum Mars zu befördern. In einem atomkraftbewegten Raumschiff wären aber nicht nur verderbliche Strahlen abzudämmen. Die Bewältigung der ungeheuren Wärmemengen, ihre Ableitung aus der Nähe des Raketenschiffes, wäre ein viel schwierigeres Problem. Die Geschwindigkeit, die im Atommotor der Rakete die bei der Spaltung von Uran und Plutonium ausgeschleuderten Teilchen entwickeln würden, entspricht einer Temperatur von etwa 600 Milliarden Grad (Wärme als Bewegungsenergie der Moleküle). Würde man diese Abwärme nicht beseitigen, so ginge der Körper des Raumschiffes sehr schnell in Dampf auf. Bei atomkraftgetriebenen Schiffen kann die überschüssige Wärme ohne 29
weiteres ins Meer geführt werden; auch zu Land wäre eine Ableitung der Wärme noch leichter möglich. Aber auf Reisen außerhalb des irdischen Schwerefeldes ist die Wärmeabstrahlung ein Sonderfall. Um sie debattieren manche Theoretiker der Atomraketen heftiger als um das Problem des Strahlenschutzes. So stehen scheinbar untergeordnete Fragen in höchst unangenehmer Weise heute im Mittelpunkt der atomphysikalischen Raketenforschung. Aus der Literaturgeschichte der Weltraumidee 160 n. Chr. Lukian von Samosate schreibt seine „Wahre Geschichte" vom Mondflug eines Schiffes, das der Sturm davongetragen hat. um 1630 Johannes Keplers Buch „Schlaf" beschreibt in satirischer Form eine Traumreise zum Mond. 1638 Francis Godwins „Der Mann im Mond" schildert einen phantastischen Mondflug mit einem Gespann von Gänsen, die jedes Jahr auf dem Mond überwintern. ca. 1645 John Wilkins „Entdeckung einer Welt auf dem Mond" geht auf einem fliegenden Wagen vor sich. 1649 Cyrano de Bergerac unternimmt seine „Reise zum Mond" mit Hilfe von Flaschen, die mit Morgentau gefüllt sind, und mit Magneten, die die Reisenden über sich halten. 1775 Louis-Gillaume de la Follie läßt seinen „Philosophen ohne Vorurteil" mit einem fliegenden elektrischen Wagen zum Merkur reisen. Seit 1800 dämpfen die bescheidenen Flugergebnisse der Ballonluftfahrt für lange Zeit alle Weltraumfahrtgedanken. 1865 beginnt mit Achille Eyrands „Reise zur Venus", in der ein Rückstoß-Raumschiff als Flugzeug dient, eine r'olge klassischer Erzählungen von Planetenreiseii unter denen Jules Vernes „Reise zum Mond" als erste astronomisch durchdachte Raumfahrtschilderung die weitere Entwicklung am meisten befruchtet hat. 1880 Percy Greg („Jenseits des Zodiakus") betreibt seine Fahrt zum Mars mit einer Substanz von negativer Schwerkraft. 30
1897
Kurt Laßwitz läßt in seinem Roman „Auf zwei Planeten" zwischen der Erde und einer im Weltraum über dem Pol schwebenden „Ringstation"ein ein negatives Gravitationsfeld wirksam werden, in dem „Flugwagen" auf- und absteigen. Von der Station aus werden bis zum Mars Rückstoßkörper benutzt, wie sie auch später in H. G. Wells Roman „Der erste Mensch auf dem Mond" zur Anwendung kommen. Seit 1900 erscheint eine fast unübersehbare Folge von Raumschiffromanen, die z. T. von der bald einsetzenden Entwicklung der Raketenforschung angeregt sind. Die Serie der ernsthaften Raumfahrtprojekte beginnt mit den Schriften des Russen Eduardowitsch Ziolkowsky und des Deutschen Hermann Ganswindt.
'Wer sich über Einzelheiten des Raketenproblems, der wechselvollen Geschichte der Raketentorschung und über Fragen der Weltraumfahrt an Hand einer allgemeinverständlichen, umias senden Einführung unterrichten will, greife zu dem Buch „Vorstoß ins Weltall" von Willy hey, das im Universumverlag Wien erschienen ist. Dem Buch sind manche Gedanken dieses Lesebogens entnommen.
Umschlagzeichnung: Karl-Heinz D o p s ky. Das Bild auf der Vorderseite des Umschlags zeigt eine aufsteigende Rakete mit dem stichflammenartigen Schweif der ausströmenden Verbrennungsgase.— Auf der Rückseite des Umschlags .sind Start und Rückkehr einer Weltraumrakete in ihrem vermutlichen Verlauf dargestellt. Die Annäherung an die Erde erfolgt in einer weit ausgreifenden, immer tiefer geführten Spiralbewegung.
L u x - L e s e b o g e n Nr. 6 3 . H e f t p r e i s 2 0 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann, Bad Wörishofen.
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