Joe Juhnke
Weidekrieg Sie nannten ihn El Diablo
Jonny Carson war ein verschrobener, alter Rancher, der längst erkann...
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Joe Juhnke
Weidekrieg Sie nannten ihn El Diablo
Jonny Carson war ein verschrobener, alter Rancher, der längst erkannt hatte, daß seine kleine Ranch am Rio Grande kaum einen Schuß Pulver wert war, also keinen großen Gewinn abwarf. Er hatte in seinem harten Leben manchen Schicksalsschlag erlitten, der ihn hart getroffen, jedoch nie umgeworfen hatte. Es waren Schläge von mexikanischen Grenzbanditen, die durch die schmale Furt in sein Weideland einfielen oder bei ihren Raubzügen texanisches Gebiet durchquerten, um kleinere Settlements auszuplündern. Oder es war sein nächster Nachbar, der immer wieder versuchte, das saftige Weideland am großen Fluß in seinen Besitz zu bringen. Dabei gab es eine Zeit, da waren John oder Dad Higgins, wie man ihn nannte, und er einmal gute Freunde gewesen. Doch das lag schon eine Weile zurück. Inzwischen galten sie als erbitterte Feinde, weil Carson auf seiner Nordweide Vieh mit Higgins' Brand entdeckt hatte. Dad Higgins hatte seinerzeit erklärt, sein Vieh wäre auf Futtersuche auf fremdes Weidegebiet. Aber diese pauschale Erklärung nahm Carson nicht an, weil auf Higgins' Weiden das Gras so üppig wie auf seinen Weiden wucherte. Seit dieser Zeit schimpfte Carson seinen Nachbarn einen elenden Banditen und Viehräuber. Da er dabei kein Blatt vor den Mund nahm, vertiefte sich die Feindschaft von Jahr zu Jahr. Eine Versöhnung würde wohl nie wieder stattfinden. So tief war die Kluft zwischen beiden Hitzköpfen geworden. Nun war Higgins wieder einmal da. »Hör zu, Carson«, sagte Higgins, als er am Morgen in Begleitung seiner Söhne überraschend auf der Dreieckranch aufkreuzte, »ich biete für den mickrigen Flecken hier, den du
großspurig Dreieckranch nennst, fünftausend Dollar in bar. Das ist mehr Geld, als du für den Rest deines Lebens ausgeben kannst. Ich brauche dieses Land und vor allem die Lowellfurt, weil ich mit mexikanischen Händlern in Geschäftsverbindung stehe und meine verkauften Herden ungehindert durch die Furt nach Mexiko treiben möchte.« Jonny Carson lächelte sarkastisch. »Einer deiner Geschäftsleute ist wohl El Dorando.« Dabei musterte er Higgins' Söhne, die sich anmaßend und flegelhaft auf ihren Gäulen räkelten und den Ausgang der Unterredung abwarteten. Dann lachte er trocken. »Ich sage es dir noch einmal, so wie im letzten Jahr hat sich meine Meinung nicht geändert. Ich verkaufe nicht. Pack dich also, Higgins, und nimm deine Söhne mit! Ich kann nun mal keine Raufbolde auf meinem Land leiden.« Dad Higgins' Gesicht lief puterrot an. Er mahlte knirschend mit den Zähnen. »Du bist und bleibst ein sturer, hirnloser, alter Trottel, Carson. Du kannst dir nicht mal eine gute Flasche Whisky leisten, so wenig gibt dein Land her. Du hast keine Cowboys, die deine mickrige Herde hüten. Du willst ganz einfach nicht verkaufen, weil ich Higgins heiße.« Old Timber Carson grinste breit, während er nickend antwortete. »Wie recht du nur hast, Higgins. Ich verkaufe nicht an den Bastard, der Higgins heißt, denn wenn du erst einmal die Lowellfurt besitzt, gibt es bald kein Vieh mehr diesseits und jenseits der Flußweiden.« »Du nennst mich einen Viehdieb?« Higgins atmete sichtbar erregt durch die Nasenflügel. »So und nicht anders.« Jonny Carson hob den schweren Büffeltöter und richtete die Mündung auf die ungebetenen Besucher. Dabei spannte er den Hammer der Waffe. »Hier drinnen steckt ein Pfund rostiger Hufnägel, Higgins. Mehr also, euch
Bagage in Luft aufzulösen. Verschwindet also, ehe mein Zeigefinger am Abzug schwach wird!« John Higgins starrte in die schwarze Mündung, ehe er mit wechselfarbiger Gesichtsfarbe über die Lippen preßte: »Hierauf bekommst du noch die passende Antwort von mir, Jonny Carson. Und dann brauchst du weder ein Stück Land noch eine Hand voll Dollar.« Nur die drohend auf ihn gerichtete Büchse hinderte ihn daran, dem kaltschnäuzigen Bastard an die Kehle zu fahren. Wütend hob er eine Hand und gab seinen Söhnen ein Zeichen zum Aufbruch. Der alte Carson blieb zurück. Er setzte den Kolben der Waffe am Boden auf und stützte sich auf die Mündung. Seine Ranch war wirklich nichts mehr wert, weil Banditen immer wieder in seine Herden einbrachen und das Vieh über die nahe Grenze trieben. Er sollte beizeiten verkaufen, solange er noch einen Käufer für sein Land fand. »Aber niemals an dich!« Drohend schwenkte er die geballte Faust hinter den Reitern her, die durch das tiefe Grasland zogen. Carson war eigentlich zu alt für die harte Rancharbeit. Das sagten ihm schon längst seine schmerzenden Knochen, in denen Gicht und Rheuma sich eingenistet hatten. Doch mit dem verbissenen Trotz eines alten Frontiers hing er an seiner Scholle. Dreißig Jahre lebte er nun auf seinem Land, war durch harte Arbeit damit verwurzelt. Hier, in seiner bescheidenen Welt, wollte er einmal begraben werden. In dieser Nacht brannte lange in seiner Hütte das Licht. Gramgebeugt saß er am groben Tisch und schrieb mit ungelenker Schrift auf rauhem Papier seinen letzten Willen nieder. Am nächsten Morgen ritt er zum nahen Settlement, um sei-
nen Freund Billy Hound zu treffen. Hound war Marshal in Socorra. Ein harter, aufrechter Mann, zu dem Carson vollstes Vertrauen hatte. Er traf Hound im Office, als er gerade seinen Mittagsschlaf in einer der leeren Zellen halten wollte. Verwundert blickte er auf den Umschlag, den Carson ihm reichte, und der eine Anschrift in Colorado trug. »Was soll der Blödsinn, Jonny?« fragte er unwirsch. »Dies hier ist ein Marshalposten und keine Poststation.« Die barsche Art des Freundes störte Carson nicht. »Der Brief hat noch eine Weile Zeit«, erklärte er, »vielleicht eine Woche, einen Monat oder ein Jahr. Vielleicht auch länger, Billy. Es kommt ganz darauf an, wie lange man mich die Sonne noch genießen läßt. Du bist mein Freund und gibst mir dein Wort darauf, ihn zu befördern, wenn ich einmal gestorben bin.« »Was soll das dumme Gequatsche, Jonny?« Der Marshal schüttelte verwundert den Kopf. »Das klingt wie ein Requiem. Hast du vielleicht die Absicht, in die ewigen Jagdgründe zu wechseln?« »Kein Mensch will freiwillig sterben, Billy. Dafür ist das Leben zu kostbar. Aber ich bin in den Jahren, wo die Knochen rosten und das Zipperlein durch die Gebeine frißt. Es kann also manches Unvorhergesehene geschehen. Ich möchte nur vorbereitet sein. Sonst nichts.« Hound wog den Brief in der Hand und studierte die Anschrift. »Wer ist dieser Whiteman, Billy? Den Namen habe ich noch nie von dir gehört«, sagte er, neugierig geworden. »Was hat der Mann mit dir zu tun? Ein Verwandter?« Der alte Carson lachte trocken. »Nichts hat er mit mir zu tun. Im Gegenteil. Ich wette, er fällt aus allen Wolken, wenn er eines Tages dieses Schreiben in den Händen hält.« »Soll er etwa einmal dein Anwesen erben?«
Carson nickte. »Ich wüßte keinen besseren Mann als Erben, Bill. Er ist zäh wie altes Büffelleder, hart wie die Rocks, aufrichtig, ehrlich und stolz und, was mir sehr wichtig erscheint, er hat zwei schnelle Revolverhände, die es nie zulassen werden, ihm mit Gewalt sein Erbe streitig zu machen.« Billy Hound stieß überrascht einen Pfiff aus. »Ich möchte wetten, Dad Higgins ist mal wieder bei dir auf der Ranch vorstellig geworden, stimmt's?« »Nein!« log der Alte und deutete mit einer Kopfbewegung zur Ausgangstür. »Ehe du vor Langeweile hinter deinem Schreibtisch stirbst, sollten wir im ›Nugget‹ einen zur Brust nehmen. Ich gebe die erste Runde, wenn du es nicht besser weißt.« Hound nickte. Er schob den Brief in die Schreibtischlade und verschloß sie sorgfältig. Ächzend erhob er sich und folgte dem voranschreitenden Freund nach draußen. * Wochen zogen ins Land. Carson betreute die wenigen Rinder, die ihm geblieben waren, versorgte seinen Gemüsegarten und verhielt sich in einsamen, dunklen Nächten still, wenn sich draußen die Finsternis mit klirrendem Hufgestampfe füllte. Er wußte aus Erfahrung, El Dorando, der Grenzbandit, ließ ihm die wenigen verbliebenen Rinder, denn dieser Desperado suchte in diesen Nächten lohnendere Objekte. Doch dann, eines Morgens, begegnete Jonny Carson doch noch seinem Schicksal… John Dad Higgins, der gekommen war, um seine Drohung wahrzumachen. Sie trafen sich unten am Fluß, nahe der Lowellfurt, die Texas
mit Mexiko verband. Jonny Carson spürte, daß ihre Begegnung nicht rein zufällig war. Dad Higgins war allein. Er lenkte ohne Zögern seinen Gescheckten durch die Furt, bis er neben Carson zum Stehen kam. »Hast du dir mein Angebot noch einmal überlegt, Carson?« fragte der Rancher. In seinen Augen funkelte ein seltsamer Glanz. »Fünftausend Dollar und keine Sorgen mehr. Keinen Ärger mit El Dorando, keinen Ärger mit den Higgins'. Nur eitler Sonnenschein. Du kannst in die Stadt ziehen und dich jeden Tag besaufen. Und wenn es dir in deinem Alter noch nach Weibern ist, findest du in Socorra die heißesten Ricas, die dir noch einmal das Gefühl der Jugend geben. Was will ein Mann noch mehr auf seine alten Tage.« »Mein Land behalten, Higgins.« Carson lächelte grimmig. »Und auch diese Furt hier, denn damit schütze ich gleichzeitig Tackers Herden und Summers Vieh. Ich habe dich längst durchschaut, Dad. Du bist ein übler, skrupelloser Viehdieb. Deine Geschäfte sind noch schmutziger als die von El Dorando, der sich öffentlich als Desperado bekennt und offen zu seinen Schandtaten steht. Du bist ein Wolf im Schafspelz. Nach außen der ehrenwerte Rancher und innerlich ein Schweinehund.« »Hüte deine Zunge, Carson!« grollte Higgins in aufsteigender Erregung. Carsons offene Worte hatten ihn hart getroffen. Carson schüttelte gelassen den Kopf. »Im Gegenteil! Ich werde jedem im County erzählen, daß du ein Viehdieb bist, ein übles Subjekt unter weißer Weste. Diese Tatsache wird den Ranchern klarmachen, warum ihnen laufend Vieh fehlt. El Dorando kommt zwar öfter über den Fluß, das kann ich deutlich hören, wenn er die Furt durchquert. Aber er hat meist andere Ziele, als Rinder zu stehlen. Doch noch öfter fehlt Vieh auf den
Weiden. Meist weht dann von Norden her der miese Gestank von brennendem Fleisch und Fell, so, als ob man Rinder mit falschen Brennzeichen versieht.« Jonny Carson hätte besser geschwiegen, denn in seiner Leutseligkeit übersah er den wilden Ausdruck im Gesicht des Angeschuldigten. »Glaube mir, Higgins«, fuhr er fort, »an dem Tag, wo man dir den Strick um den Hals legt, besaufe ich mich so, wie es nur am Unabhängigkeitstag geschieht, und das wird für mich ein persönlicher Festtag.« »Du bist ein alter, dummer Narr, Jonny Carson, der nicht seine Grenzen kennt«, fauchte Higgins. In seiner Faust lag ein schwerer Fünfundvierziger, dessen Mündung auf Carsons Brust deutete. Carson blickte ihn furchtlos an. Ein verächtliches Lächeln grub sich in seine Mundwinkel. »Schieß doch, Higgins, wenn du den Mut dazu hast! Doch das eine schwöre ich dir, mein Tod wird dir schwer zu schaffen machen. Er wird dir manche schlaflose Nacht bereiten.« Higgins, aufs äußerste gereizt, wollte sich die Drohungen nicht länger anhören. Fast unbewußt krümmte er den Zeigefinger. Aus kürzester Distanz trafen die Geschosse Jonny Carsons Brust. Mit harter Faust hielt Carson die Zügel seines Wallachs und mit einem Röcheln schrie er seinen Fluch heraus. »Mein Tod du hinterhältiger Mörder, wird dir große Sorgen bereiten… Wir sehen uns – wieder, John Dad – Higgins, in der Hölle!« Sein Körper erschlaffte. Die Zügelbänder glitten aus seinen Händen. Er wankte leicht und kippte dann seitlich aus dem Sattel. Mit schrillem Wiehern galoppierte sein Pferd davon.
»Du wolltest es nicht anders, du alter Narr«, grollte Higgins. Sein rauchender Colt glitt ins Halfter. »Du hättest deine Sturheit besiegen sollen und das Leben führen, das ich dir angeboten habe. So aber soll der Satan dein Wegbegleiter sein.« * Marshal Hound fand den Toten drei Tage später an der Furt. Er fing Carsons Wallach, der in der Nähe friedlich graste, legte den Toten quer über den Sattel und brachte ihn zur Dreieckranch. Unter der mächtigen Eiche begrub er den Rancher neben seinem Weib, das seit ein paar Jahren hier ruhte. Hound stellte weitgehende Untersuchungen an, obwohl er Carsons Mörder zu kennen glaubte. Er verhaftete den Boß der Higgins-Sippe und stellte ihn in Socorra vor Gericht. Doch Higgins brachte Zeugen, die unter Eid beschworen, daß der Rancher seit Wochen mit einem Zipperlein das Bett hüten mußte und keinesfalls in der Lage war, sich auf einem Pferd fortzubewegen. Das überzeugte das Gericht. Higgins wurde freigesprochen, und Marshal Hound stellte zähneknirschend die Nachforschungen nach Carsons Mörder ein. Erst jetzt, als er seine Ruhe fand, erinnerte er sich an Carsons Vermächtnis. Er brachte ihn zur Poststation, die ihn noch am selben Tag beförderte. Wiederum einige Wochen später hielt ein erstaunter, sympathischer junger Mann das Schreiben in den Händen und fragte sich verwundert. welch ein unbekannter Mann ihm in Texas eine Ranch beschert haben mochte. Die Neugierde trieb Jerry Whiteman nach Süden, zum Rio Grande, ohne zu ahnen, welches Ei sein fremder Gönner ihm ins Nest gelegt hatte, in welch gefährliches Abenteuer er ah-
nungslos hineinstolperte. * Für Jerry Whiteman ging ein bescheidener Traum in Erfüllung. Er wollte es nicht recht glauben, daß dieses herrliche Tal, das sich vom Rio Grande bis hinauf zu der dunklen Bergkette hinzog, sein Eigentum war. Zwei Tage war er bereits im Sattel, um sich einen Überblick über seinen Besitz zu beschaffen. Nun wußte er es. Saftiges Weideland gab es genug. Nur Rinder waren auf den Weiden spärlich zu finden. Und das Ranchhaus – ein Schmunzeln zog um Whitemans herbe Lippen – nun, Haus und Stallungen bedurften dringender Reparaturen. Er fühlte sich heimisch, als er vor der breiten Einfriedung und den beiden schmucklosen Hügeln aus dem Sattel stieg und interessiert die Inschriften auf den Kreuzen betrachtete. Die Frau, die unter einem der Hügel lag, war schon lange tot. Aber der Mann, dem er wohl seine Zukunft verdankte, lag noch kein halbes Jahr unter der Erde. Jonny Carson… Während Jerrys Blick nachdenklich auf dem schlichten Birkenkreuz ruhte, schweiften seine Gedanken ab. Wer war dieser Jonny Carson? Und wie kam er dazu, einem wildfremden Menschen Haus, Hof und ein herrliches Tal zu vererben? Jerry konnte sich nicht erinnern, jemals den Namen Carson gehört zu haben. Gab es irgendeinen Haken bei dieser Erbschaft, die ihm aus dem Nichts in den Schoß gefallen war? Ein mißtrauischer Glanz lag in Jerry Whitemans blauen Augen, als er sein Pferd ins Gatter führte und absattelte. Noch einmal schwenkte sein Blick zu der mächtigen Eiche, unter der
der kleine Friedhof lag, dann stakste er auf hochhackigen Stiefeln zum Ranchhaus hinüber. Aber der Verdacht blieb, daß irgend etwas faul an der Geschichte war, die vor fünf Monaten begann, als ihm die Urkunde zugespielt wurde, die seinen Ranchbesitzer in Texas bestätigte. Wer war dieser Jonny Carson? Ein Verwandter von ihm? Ein Wohltäter, der ihn, den Unbekannten, zum Erben bestimmte? Ein Scharlatan vielleicht, der irgendwem noch im Tod einen Streich spielen wollte? Mißmutig begann Jerry mit Besen und Schaufel die Wohnräume auszumisten und sich heimisch einzurichten. Am Nachmittag fühlte er sich wohl. Das Haus war gründlich gereinigt, die nötigen Lebensmittel verstaut. Als er sich unter dem Vordach des Hauses niederließ, begrüßten ihn die beiden Pferde im Gatter mit schrillem Wiehern. Er dehnte seine Glieder und ließ sich im Schaukelstuhl nieder. »Das Leben ist doch lebenswert«, sagte er und lauschte dem monotonen Rauschen des fernen Flusses. »So, glauben Sie das wirklich?« Die Stimme kam aus seinem Rücken. Sie war dunkel und monoton, hatte weder Höhen noch Tiefen. Sie klang nicht einmal feindlich, und dennoch erschreckte sie Whiteman so, daß er für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte. Doch dann kam Bewegung in seinen sehnigen Körper. Er wippte in die Höhe und rollte über die Schulter die wenigen Stufen der Treppe hinunter. Als er hochschnellte, lag ein schwerer 45er Colt wie hingezaubert in seiner nervigen Faust. Die Mündung deutete unmißverständlich auf die Brust des Fremden, der im Schatten des Vordaches stand und nun, mit verschränkten Armen vor der Brust, in den hellen Lichtkreis
trat. Instinktiv registrierte Whiteman jedes Merkmal an dem Fremden. Er schätzte ihn zwischen fünfzig und sechzig Jahren, mochte fünfeinhalb Fuß groß, ein wenig fettleibig zu sein. Ein breites Grinsen lag in seinem Gesicht, als er den blanken Lauf des Colts betrachtete. »Wer sind Sie, Mister?« fragte Whiteman lauernd. »Und wie kommen Sie so still und heimlich in meinen Rücken?« Der Fremde ließ die Hände sinken. So sah Whiteman den blitzenden Stern auf dessen Brust, was ihn veranlaßte, die Waffe zu senken. »Mein Name ist Hound«, erklärte der Mann gelassen, »ich bin der Marshal aus Socorra.« Er faßte sein Gegenüber scharf ins Auge. »Und Sie sind wahrscheinlich Jerry Whiteman, der Cowboy aus dem Norden.« Whiteman nickte. »Woher wissen Sie…« Er ließ das Eisen ins weite Halfter gleiten. Hound winkte gelassen ab. »Ich hab's von Jonny Carson.« Er deutete mit einer Kopfbewegung zu den Grabhügeln unter dem weiten Dach der Eiche. »Warum ich mich heimlich heranschlich? Nun, ich wollte einfach feststellen, was an den Geschichten wahr ist, die man nordwärts am Lagerfeuer der Cowboys über Sie erzählt.« Er legte den Kopf schief, wie ein Hund, der einen Fremden fixierte. »Und ich wollte wissen, ob Jonny Carson doch noch seine Ruhe finden wird.« »Zum Teufel! Ich dachte, mein Wohltäter sei tot«, rief Whiteman überrascht. Er deutete zu den Grabstätten. »Auf einem der Kreuze steht wenigstens sein Name.« »Das stimmt. Jonny ist tot, und keine Macht der Welt kann ihn zurückbringen. Er hat ein halbes Dutzend Kugeln geschluckt und beim Anblick des Todes geschworen, El Dorando und auch der Higgins-Clique ein solch heißes Feuer unter den
Hintern zu setzen, daß sie alle meinen, sie wären im Vorzimmer der Hölle.« »Das verstehe ich nicht ganz.« Jerry Whiteman suchte im Gesicht des Marshals eine Erklärung für seine Worte. Hound lachte trocken. »Ganz einfach, Mister, Carson hat mit einem hinterhältigen Grund Sie als Erben seines Landes eingesetzt.« Er lachte noch einmal lauthals. »Sie sind der Mann, der ihm seinen Seelenfrieden wiedergeben soll. Sie werden es auch sein, der den Mörder meines Freundes findet, denn er ist nur unter El Dorandos Leuten oder im Higgins-Clan zu suchen.« Jerry Whitemans Miene verfinsterte sich bei jeder Offenbarung des Marshals. Da lag also der Haken, den er bisher vergebens gesucht hatte. Dieser alte Einsiedler wollte ihn als ausführendes Subjekt seiner späten Rache benutzen. Der Preis war die Dreieckranch. »Zum Teufel mit ihm!« fluchte Jerry Whiteman. Wütend stakste er die Stufen hoch und schleuderte den Schaukelstuhl wuchtig gegen die Hauswand. »Ich bin ein friedlicher Mensch, Marshal«, sagte Whiteman und bemühte sich, sein Gleichgewicht wiederzufinden. »Ich bin um die dreißig Lenze alt und sehne mich nach einem ruhigen Plätzchen. Wo ich zuletzt war, hatte ich Ruhe.« Billy Hound drehte mit geschickten Fingern eine Zigarette. Als er sie umständlich in Brand gesetzt hatte, meinte er mit anzüglichem Grinsen: »Ich kenne da einige Geschichten, die nicht zu dem Mann passen, der sich hier Jerry Whiteman nennt. Ist es eine Lüge, wenn man erzählt, Jerry Whiteman habe mit einem gezielten Schuß den berüchtigten Schießer Tim Bash in die Hölle geschickt? Oder ist es ebenfalls erfunden, das Jerry Whiteman als Hilfsmarshal am Red River sich allein die Morganbande stellte und sie bis zum letzten Mann ausrottete? Alles erlogen und am Lagerfeuer erfunden, Whiteman? Es gibt
da noch mehr Geschichten über einen gewissen Scharfschützen. Auch mein Freund Carson kannte sie. Sind sie wirklich alle erlogen und erstunken?« Jerry Whiteman preßte die Lippen aufeinander. Er wirkte plötzlich finster und verschlossen, und seine Augen musterten fast feindlich den dickbäuchigen Marshal aus Socorra, der so viel über ihn wußte. »Wir waren alle einmal Heißsporen, Marshal. Das ist das Privileg der Jugend. Doch je öfter man dem Tod ins Auge blickt, um so mehr erkennt man die Sinnlosigkeit solch gewagter Abenteuer. Ich habe es rechtzeitig erkannt und mich drauf eingestellt. Hören Sie also genau hin, Hound! Dieser verdammte Carson, der noch aus der Unterwelt heraus mit mir ein böses Spiel zu treiben versucht, kann mir den Buckel herunterrutschen. Er soll sein Erbe schenken, wem er will. Ich klemme mich morgen bei Sonnenaufgang auf meinen Klepper und verdufte dorthin, wo ich hergekommen bin. Mögen diese Higgins' oder dieser Mexikaner das Land hier als ihren Spielplatz betrachten. Mich soll es nicht stören.« »Sie enttäuschen mich zunehmend, Mister«, erwiderte Hound. »Ich hielt Sie für den Mann, den die Mexikaner respektvoll El Diablo nennen. Von einem verwegenen Teufel finde ich wenig an Ihnen.« »Und dachten wohl dabei, ich sei ein Narr. Nein, Hound«, Whiteman lachte schallend auf, »geben Sie sich keine Mühe, mich zu halten. Ich schenke ihnen die Ranch mit ihren wenigen Rindern und dem großen Ärger, der auf ihr lastet. Auf Wiedersehen, Marshal, oder besser: auf Nimmerwiedersehen. So long!« Billy Hound hatte noch eine Erwiderung auf der Zunge. Doch dann sah er den abweisenden Blick des Mannes, der ihn
schwer enttäuscht hatte. Er wandte sich ab und stampfte zu den Stallungen hinüber, an deren Ende er sein Pferd zurückgelassen hatte. Ohne noch einmal zurückzublicken, trieb er seinen Braunen in das weite Tal, über das sich die ersten Schatten einer aufkommenden Nacht senkten. * An einem brennend heißen Morgen verabschiedete sich Jerry Whiteman von seinem kurzen Glück, das er nun aus Vernunftgründen verlassen würde. Sein Pferd war gesattelt, das wenige Inventar hatte er dem Beipferd aufgebürdet. Es war nicht viel, was er sein eigen nannte, eigentlich nur das Nötigste, was ein ziehender Cowboy so brauchte. Während sein Blick über das weite Land streifte, mußte er an seinen letzten Job in Kansas denken. Tex Holden, sein alter Freund, würde große Augen machen, wenn er wieder auf der Ranch auftauchte. Er würde viele Fragen stellen, die er – Jerry – ungern beantworten möchte. In seiner Betrachtung bemerkte er die dunklen Punkte im Grasland, die sich auf die Ranch zu bewegten. Es waren vier Reiter. Sie schienen es verdammt eilig zu haben, denn sie trieben schonungslos ihre Pferde durch die Gluthitze des Tages. Unschlüssig massierte Whiteman seinen Nacken. Sollte er einfach in den Sattel steigen und davontraben? Oder auf die Ankunft der fremden Reiter warten? Er überlegte nur kurz. Dann führte er die Pferde in den Schatten der Scheune. Als er zurückkehrte, trabten die Reiter durch das offene Tor in den Hof. Beim nahen Gatter zügelten sie ihre Tiere. Jerry betrachtete sie mit gewisser Neugierde. Es waren
schwarzbärtige, kräftige Burschen. An ihren Schenkeln blitzten im Widerlicht der Sonne die Kolben schwerer Colts, die lose aus den Halftern ragten. Sie grinsten herausfordernd wie böse Kobolde, und Whiteman ahnte sofort, dies war die HigginsBrut, wie Marshal Hound sie genannt hatte. Trotzdem hob er grüßend die Hand. »Hallo, Jungs!« Das Vierergespann grinste, der Spott leuchtete offen aus ihren Äugen. Der Älteste von ihnen, am linken Flugel, schob lässig ein Bein über das Sattelhorn, während seine Begleiter behäbig aus den Sätteln glitten. Sie glotzten Whiteman an, als wäre er bereits ein toter Mann. Ihre Blicke ließen Jerry kalt. Wie oft schon hatte er solch überheblichen Burschen gegenübergestanden und überlebt. Er ahnte, die Kerle waren gekommen, um hier Stunk zu machen. Wie zur Bestätigung hörte er einen sagen: »Das ist er also, der Neue auf der Dreieckranch.« »Well, Slim«, erwiderte sein Nachbar höhnisch, »der neue Boß der Ranch.« Sie lachten alle vier. Jerry Whiteman spürte, wie es unter seiner Haut kribbelte. Die Handballen wurden feucht. So wie es früher immer war, wenn er zu einer Entscheidung gezwungen wurde. Da kamen ein paar ungehobelte Kerle, höhnten und verspotteten ihn, ohne daß sich einer von ihnen vorgestellt hatte. Nun, er glaubte ihre Namen zu kennen. »Ich nehme an, ihr seid die Brüder Higgins, Jungs. Und der Alte dort ist euer Schöpfer.« »Du hast es erraten.« Slim Higgins lachte hämisch, sein Daumen deutete auf den Mann im Sattel. »Das ist John, Dad Higgins, unser Erzeuger.« Eine Kopfbewegung deutete auf den Nebenmann, der eine sichtbare Machetennarbe unter dem Bart-
geflecht trug. »Mein Bruder Terry«, und dann tippte er auf die eigene Brust, »und mich nennen die Strolche Slim. Schon gehört von uns, Rancher?« »Nicht viel«, erwiderte Whiteman kaltschnäuzig. Dieses Aufgebot an Männlichkeit imponierte ihm wenig. »Was man mir von euch erzählt hat, war nichts Gutes. Euer Ruf hat keinen besonderen Glanz in dieser Gegend.« »Keinen besonderen Glanz«, echote Slim Higgins. Wieherndes Gelächter begleitete seine Worte. Er wandte sich an seinen Vater, der bisher stumm dem Gespräch gefolgt war. »Der Junge ist gut, Dad, was meinst du?« Der Alte der Sippe trieb mit den Schenkeln sein Pferd näher. »Was ich meine, Jungs, ist ganz einfach. Es ist an der Zeit, vernünftig mit ihm zu reden. Slim, du hast die Gabe eines Wanderpredigers. Dich wird er am besten verstehen.« »Well«, Slim nickte eifrig. Er drehte seine mächtigen Fäuste ineinander, als er sich Whiteman zuwandte. »Die Sache ist die, Hombre, wir sind der Meinung, daß unser alter Freund Carson uns schmählich betrogen hat. Um es klar auszudrücken: Wir haben die größeren Rechte auf dieses Land. Kapierst du, was ich meine? Okay, ich nehme an, du hast ein wenig Hirn unter deinem Schädeldach, um das zu begreifen.« Jerry Whiteman blickte den Mann mit unverhohlener Neugierde an. Was diese Bastarde sich ausgedacht hatten, war der erste Schritt einer Erpressung. Es reizte ihn, sein Vorhaben, aus dem Tal zu verschwinden, aufzugeben. Noch hatte er sich nicht entschieden. »Nein!« sagte er mit breitem Lächeln. »Nein?« Slim Higgins nahm Whiteman die Entscheidung ab. »Dann muß ich wohl deutlicher werden.« Er trat näher, so daß Jerry den scharfen Whiskygeruch aus dem Mund des Bärtigen roch. »Du sollst verduften, Junge! Einfach so, wie du gekom-
men bist. Vergiß die kleine Ranch in Texas. Sie gehört den Higgins. Kapiert?« »So einfach macht ihr es euch?« Whitemans Mundwinkel zuckten amüsiert. Trotz stieg in ihm hoch, und er spürte deutlich, wie unter der Gewaltandrohung des Kerls sich seine Sinne wandelten. Dieser Higgins-Clan war eine Herausforderung für ihn. Und der war er nie aus dem Weg gegangen. Ihr Widerstand reizte Jerry, seine bereits beschlossenen Pläne zu ändern. »Eigentlich finde ich die Gegend sehr nett, Jungs. Ich fühle mich fast heimisch, verbunden mit der Scholle, die mir ein Gönner geschenkt hat.« »Ihm gefällt es hier«, höhnte Slim Higgins, »habt ihr es gehört, Brüder, er ist verbunden mit der Scholle, so als läge er fünf Fuß unter ihr.« Er trat einen Schritt näher und ballte die Faust, um sie im nächsten Augenblick Whiteman an den Schädel zu schlagen. Der Schlag kam ohne Ansatz, doch Jerry sah ihn an Slim Higgins' brennenden Augen. Er wippte mit dem Oberkörper leicht zur Seite, so daß der Faustschlag ins Leere ging. Noch während Slims Körper unter der Wucht des Schlages vorwärtsgetrieben wurde, knallte Whiteman ihm die Faust in den Magen, daß Higgins eine Ladung Whisky ausspuckte, als wäre es saures Wasser. Taumelnd ging der Mann in die Knie. Jerry Whiteman, der sich keiner weiteren Herausforderung stellen wollte, hatte die Situation genutzt. Wie von Zauberhand geführt lag sein 45er Eisen in der Faust. »Ihr habt eine Minute Zeit, um auf eure Gäule zu klettern, und fünf Minuten, um den Hof zu verlassen, Gentlemen. Doch zuvor solltet ihr meine Meinung hören. Vor einer Viertelstunde noch hatte ich mein Erbe ausgeschlagen. Meine Pferde stehen gesattelt drüben am Getreidespeicher. Inzwischen habe
ich meine Meinung geändert. Ich setze mich hier fest, wie eine Made im Speck. Ich züchte auf den Weiden Longhorns, und wen ich erwischen sollte, der Vieh mit meinem Brand davontreibt, dem puste ich seine gaunerischen Absichten mit Blei aus dem Schädel. Ich bin kein alter Mann wie Jonny Carson, mit dem ihr euer Spielchen treiben konntet. Gesindel wie euch zeige ich erfahrungsgemäß nie den Rücken. Damit ihr erkennt, daß ich nicht bluffe –« sein Colt bellte auf, vor Slims Stiefelspitzen spritzten Sandfontänen auf – »wenn ich etwas treffen möchte, dann treffe ich. Ist das klar, Jungs? Okay, dann verduftet endlich, ehe ich den Lauf anhebe und auf euch Pferdeschinder ziele.« Irgend etwas in Whitemans kalter Stimme flößte den Halunken Respekt ein. Slim Higgins stand noch immer unsicher auf den Beinen. Dennoch hob er drohend die Faust. »Wir sehen uns wieder, Stranger«, krächzte er mit hohler Stimme, »und dann wünschst du dir, nie geboren worden zu sein.« Jerrys Daumen löste sich vom Hammer. Ein Feuerstoß zuckte aus dem Lauf des Colts. Slim Higgins verspürte den harten Schlag an der Hüfte und wie ihn sein Halfter schmerzhaft auf die Stiefelspitze prallte. Noch während er erbleichte, schob der alte Higgins sein Bein in den Steigbügel zurück. »Der Kerl ist verrückt«, knurrte er, »reiten wir, bevor er ganz ausflippt.« Als erster galoppierte er durch das offene Hoftor, gefolgt von seinen fluchenden Söhnen. Jerry Whiteman blickte hinter ihnen her, bis eine Senke sie aufnahm. Dann trat er zu seinen Pferden. »Yeah, ihr Mädchen«, meinte er lächelnd, »diese Higgins-Bande hat mich überzeugen können, das Jonny Carsons Erbe doch einen Preis hat.«
Gelassen begann er die Tiere abzusatteln. * Marshal Hound traute seinen Augen nicht, als er den Reiter erkannte, der, gemächlich auf seinem Braunen hockend, die Main-Street heraufzockelte. Er lehnte sich weit über die Verandabrüstung und paffte erwartungsvoll Tabakrauch in den Tag. Whiteman, der den Marshal entdeckt hatte, trieb sein Pferd über die Straße. Vor dem Office zügelte er es. »Tag, Marshal!« Lächelnd rutschte Jerry aus dem Sattel und trat näher. »Sie sehen blaß aus, so, als sähen Sie in mir ein Gespenst.« »Beim Teufel«, Hound spie die Zigarettenkippe in den Staub der Straße, »ich wähnte Sie bereits ein paar hundert Meilen auf der Nordroute.« »Nun, ich habe meine Meinung geändert, Marshal. Die Dreieckranch gefällt mir, und ich glaube, es lohnt sich um sie zu kämpfen.« Der Sternträger musterte stirnrunzelnd den Mann, der sein Pferd an den Hitchrack koppelte, nachdem er abgestiegen war. »Ihre Sinneswandlung überrascht mich. Ich tippe, sie hat einen Hintergrund, denn ein Mann wie Sie ändert so schnell nicht seine gefaßten Entschlüsse. Hatten Sie Besuch auf der Ranch?« »So ungefähr.« Jerry lächelte freundlich. »El Dorando?« »Die Higgins.« »Hm.« Ein lauernder Blick trat in Hounds Augen. »Wer von ihnen?« »Es waren vier.« Der Marshal nickte. »Der Alte samt seinen Söhnen.« Er lachte trocken.
»Ein Wunder, daß Sie noch leben, Whiteman. Sie bleiben also. Ist das Ihr fester Entschluß?« »Sie sagen es.« »Dann hat Dad Higgins Ihnen gedroht.« »Sie wollten die Ranch, haben es offen ausgesprochen. Schon viele Menschen haben mich bedroht. Es wirkt nicht mehr auf mich. Ich bin hier, weil ich Ihren Rat brauche, Marshal.« »Nenne mich einfach Billy.« Impulsiv streckte er dem jungen Mann die Rechte entgegen. Dieser Whiteman war ein Bursche nach seinem Geschmack. Ein halbes Dutzend von ihm, und es gäbe bald Frieden im County. »Wenn ich dir helfen kann, spucke es aus.« »Okay, Billy. Freunde nennen mich Jerry.« Er drückte die Hand des Marshals fest nach Männerart. »Ich suche Vieh, kräftige Rinder zu einem vernünftigen Preis. Und ein paar Leute, die für mich reiten würden. Meine Ersparnisse sind nicht groß, doch für den Anfang wird's reichen.« »Gesunde Longhorns gibt es genug, Jerry. Auch Leute, die dir nicht den Hals abschneiden. Wenn es dir recht ist, reiten wir später zur Hornranch.« Er massierte nachdenklich sein Kinn. »Mit verläßlichen Cowboys ist das so eine Sache. Es lungern genügend Typen in der Stadt herum, die pleite sind. Doch für die Dreieckranch zu reiten, veranlaßt manchen zum Rückzieher.« »Sie ist eine Ranch wie jede andere auch.« Hounds lachte trocken. »Sie ist eine Grenzranch, Jerry. Du vergißt, Dad Higgins hat ein Auge darauf geworfen. Jeder im Tal weiß, daß er mit dem Zipfel im Süden liebäugelt. Das macht die Sache zum Problem. Abgesehen davon, daß es da noch einen nicht zu unterschätzenden Gefahrenherd gibt…« »Du sprichst von dem Mexikaner.« »Ich spreche von Dorandos Bande. Sie ist ungefähr dreißig
Mann stark, und ihr Wolfspfad führt ausgerechnet durch die Lowellfurt.« »Auch sie fürchte ich nicht.« »Vieler Hunde sind des Hasen Tod, Jerry. Ein altes Sprichwort, in dem ein Stück Wahrheit steckt.« Der alte Hound zuckte ergeben die Schultern. »Laß deinen Gaul hier zurück. Wir gehen ins ›Nugget‹, dort trifft sich so alles aus der weiteren Umgebung.« Gemeinsam schlenderten sie die Main-Street hinunter und betraten den langgestreckten Holzschuppen, der sich nobel ›Nugget Saloon‹ nannte. Obwohl es Tag war, herrschte hier Dämmerlicht, an das sich ihre Augen erst gewöhnen mußten. Die Kneipe war nicht sonderlich groß und füllte nur einen Teil des Schuppens. Vier Tische standen verteilt an der Fensterseite. Ein Tresen, der die gegenüberliegende Front einnahm. Die meisten Tische waren unbenutzt. Nur am Ende des Raumes saßen zwei Männer. Einer schien betrunken zu sein, denn sein Kopf lag in einer Bierlache auf dem Tisch. Der andere hielt seine Füße verschränkt auf einem zweiten Stuhl und spielte mit Black Jack Karten. Er wirkte schlank. Doch sein Gesicht konnte Jerry Whiteman nicht erkennen. »Das sind Dick Veron und Gleen Coll«, erklärte der Marshal, als sie die Theke erreichten. »Sie sind früher für die Hornranch geritten. Die beiden dort am Ende des Tresens heißen Raf Dixon und Skully. Sie suchen alle Arbeit.« Whiteman bestellte beim Keeper zwei Bier, ehe er erfreut nickte. »Dann sind wir gleich an der richtigen Adresse. Zwei Männer könnte ich vorerst auf der Ranch gebrauchen. Für welche soll ich mich entscheiden?« Hound zuckte die Schultern. »Sie sind abgebrannt wie alte Dragoner, aber wie schon gesagt, die Dreieckranch. Für drei-
ßig Dollar im Monat läßt sich ungern jemand erschießen. Versuche es bei Dixon und Skully. Sie sind zwei texanische Rumtreiber. Skully ist mächtig sauer auf Terry Higgins, weil der ihn vor Wochen im Suff windelweich geprügelt hat, daß er dem Doc noch eine Handvoll Dollars schuldet.« Jerry nickte, ehe er sich in Bewegung setzte. Die beiden blickten dem Fremden abweisend entgegen, der gleich drei Brandys bestellte, ehe er seine Absichten erklärte. »Was soll das?« brummte Skully durch die breite Zahnlücke im Oberkiefer, die wohl vom Streit mit Higgins stammen mußte. »Unseren Schnaps können wir noch selbst bezahlen.« »Sicher!« Jerry lächelte den drahtigen, dürren Cowboy an, der ihm auf den ersten Blick gefiel. »Es geht auch nicht um den Drink, sondern um einen Job, den ich euch beiden anbiete.« »Um welchen Job handelt es sich?« fragte Dixon. Er beachtete nicht das Glas, das der Keeper auf den Tisch stellte, sondern behielt den Fremden fest im Auge. »Ich brauche ein paar sattelfeste Reiter, die auch etwas von Rindern verstehen.« »Also Cowboys!« Dixon blieb gelassen. »Wie kommst du auf uns?« »Hm! Ich zahle dreißig Dollar im Monat, Kost und Logis und eine Prämie beim späteren Auftrieb.« »Das ist ein großzügiges Angebot«, mischte sich Skully grinsend ein. »Du heißt nicht zufällig Whiteman und haust auf der Grenzranch?« »Wenn es so wäre?« fragte Jerry unmutig. »Dreißig Dollar sind ein guter Lohn, wäre es nicht die Dreieckranch. Whiteman. Aber wer läßt sich schon für dreißig Dollar ein paar Löcher in den Bauch schießen.« Sein Blick streifte die Pendeltür, die hinter einem bulligen Kerl aufschwang, der
den Tresen ansteuerte. »Kennst du eigentlich die Higgins', Whiteman?« Jerry grinste. »Nicht so gut wie du.« Er registrierte zufrieden, daß der Seitenhieb gesessen hatte. »Terry Higgins soll ein paar Schneidezähne von dir als Souvenir in der Tasche tragen.« Ruckartig stieß der Dürre sich vom Tisch ab. Er sprang auf die Beine, und seine nervige Rechte zuckte zum tiefhängenden Holsten »Skully läßt sich nur einmal beleidigen.« Beschwichtigend hob Jerry eine Hand. »Ich suche keinen Streit, sondern verläßliche Leute. Mit toten Männern kann ich gegen die Higgins' nichts anfangen.« Überrascht zog Skully die Schußhand zurück. Er verkniff ein Auge und musterte Whiteman. »Du willst dich mit dem Higgins-Clan anlegen?« »Nicht unbedingt. Wenn sie mir meinen Frieden lassen, lasse ich ihnen den ihren. Sollten sie jedoch aktiv werden und meinen Frieden stören…« Er schwieg und schlug statt dessen vielsagend auf seine Halftertaschen. »Du hast nur ein großes Maul!« Der hagere Cowboy verzog verächtlich den Mund und deutete mit einer Kopfbewegung zum nahen Tresen. »Dort drüben steht Slim Higgins. Würdest du ihm deinen Standpunkt klarlegen, Whiteman?« »Was soll das?« Unmutig schüttelte Jerry den Kopf. Er drehte sich nicht einmal um. »Er wird es noch früh genug erfahren.« Skully schüttelte enttäuscht den Kopf. »Du hast wirklich nur ein großes Maul. Du bist ein Blender. Und die werden im Frontierland nicht alt.« Jerry überhörte die beleidigenden Worte. Er wandte sich an Dixon. »Reitest du für mich?« Der Cowboy kam nicht zu einer Antwort, denn Slim Higgins hatte wohl Whitemans Stimme erkannt. Er lachte dröhnend. »Was sehen meine wunden Augen? Unser lieber Nachbar
von der Grenzranch. Ich wette, er ist auf Personalsuche.« Jerry wandte sich um und fixierte den Mann, der kaum acht Schritte entfernt breitbeinig auf den Dielen stand. Sein Blick war kühl, als er antwortete. »Was soll das, Higgins?« fragte er scharf. »Was das soll?« Slim Higgins hämmerte eine seiner mächtigen Pranken hart gegen die Brust, daß es dumpf dröhnte. »Dieses verdammte Stinktier aus dem Norden fragt, was das soll!« »Slim Higgins«, mischte sich Hound ein, »ich dulde keinen Streit in meiner Stadt.« »Dann halte dich raus, Marshal. Oder nimm dir eine Angel und reite zum Fluß«, fauchte der Hüne. »Mit diesem feinen Herrn habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen.« Dixon und Skully wechselten überrascht einen Blick, ehe sie den jungen Rancher musterten, an dem keine Spur von Angst zu erkennen war, als Higgins den Revolvergurt löste und samt Felljacke auf die Theke legte. »Higgins«, fauchte der Marshal grimmig »keinen Streit! Der Mann ist fremd in unserer Stadt.« Da winkte Whiteman gelassen ab und schnallte seine Revolver ab. »Schon gut, Billy«, meinte er lächelnd, »es ist unsere persönliche Angelegenheit. Wir wollen sie auch gleich hier austragen.« »Ich zermalme dich, du kleiner, dreckiger Sandfloh«, tönte Higgins mit hochrotem Gesicht. Dabei blähte er die Nasenflügel wie ein kampfstarker Brahmastier, den man mit einem roten Tuch reizte, »ich zerquetsche dich zwischen meinen Fingerspitzen!« Jerry verlagerte sein Körpergewicht auf die Vorderballen. Dabei winkelte er leicht die Arme an. Er spürte, dieser Fleischund Muskelprotz würde jeden Augenblick über ihn herfallen.
Und schon passierte es. Higgins schoß ohne Ansatz vor. Doch Whiteman hatte leicht den Kopf zur Seite geworfen, so daß Higgins' mächtiger Schlag ins Leere ging, ehe ihn ein trockener Haken im Leib traf, der einen stechenden Schmerz hinterließ, der Higgins' Blick für Sekunden trübte. Aber der Bursche war zäh. Er hatte diesen fürchterlichen Schlag schon einmal spüren müssen, draußen auf der Dreieckranch. Er taumelte leicht rückwärts, schüttelte den zottigen Schädel und war wieder Herr seiner Sinne. Blindwütig stürzte er auf seinen Gegner zu, der reaktionsschnell zur Seite sprang und mit fürchterlichem Hieb Higgins' Nacken traf. Einen Bullen hätte die Wucht des Schlages niedergeworfen. Higgins ging nur kurz in die Knie, ehe er kopfschüttelnd hochruckte, seine Fäuste wie Dampfhämmer wirbelnd, den Gegner erneut anging. Diesmal erwischte er Whiteman. Der Aufprall der Faust riß Jerry förmlich von den Beinen. Er stolperte hilflos rücklings bis zu den Fenstertischen. Schon wirbelte Higgins heran. Ein zweiter und dritter Faustschlag traf Whitemans Körper so, daß er vor Schmerz fast die Sinne verlor. Er prallte gegen Coll, der seine Karten verlor, und landete auf Verons Schoß. Wie eine Klapperschlange stieß Higgins nach. Der Boden unter seinen Schritten ächzte erbarmungswürdig. »Dir werde ich's zeigen, du Maulheld«, keuchte er vor Wut. Schon wirbelten seine Fäuste wie Dreschflegel durch die Luft. Doch Jerry Whiteman war aus hartem Holz geschnitzt. Vielleicht auch war der Gedanke, daß dieser wildgewordene Koloß ihn totschlagen konnte, der Zündfunke seiner Kraft, denn blitzschnell kam er auf die Beine. Er sah Higgins schnaufend herankommen und erfaßte mit beiden Fäusten den Rundtisch, den er dem Wütenden entgegenschleuderte.
Für Sekunden verlor Higgins seinen Gegner aus den Augen. Als er den Tisch wegstieß, war Whiteman in seiner Flanke. Seine Fäuste trommelten gnadenlos auf den massigen Körper ein, so daß Skully, der den Kampf aufmerksam verfolgte, das Knacken von Knochen zu hören glaubte. Das war Musik in seinen abstehenden Ohren. Er leckte mit der Zunge genießerisch durch die Zahnlücke und dachte, Slim Higgins bezieht hier die gleiche Prügel, die ich von seinem Bruder eingefangen habe. »Unser neuer Boß ist verdammt kein Blender«, flüsterte Skully begeistert seinem Freund zu. Der nickte. »Also reitest du für dreißig Dollar in seiner Crew.« »Für einen Mann, der den Higgins solche Prügel austeilt, würde ich umsonst reiten. Ich glaube, wir werden noch manchen Gang auf der Dreieckranch erleben.« Er schwieg und sah mit großer Schadenfreude, daß Slim Higgins, der als härtester Faustfighter der Higgins-Sippe galt, wie ein morscher Baum zu wanken begann, ehe er mit müdem Seufzer ausgestreckt auf die Dielen schlug. Schweratmend und gezeichnet von der brutalen Auseinandersetzung, wankte Jerry zur Theke. Skully füllte rasch die Gläser. Eines reichte er Whiteman. »Das wird dir guttun, Boß«, meinte er grinsend. »Zumindest hast du ihn dir verdient. Trinken wir also auf gute Zusammenarbeit auf der Grenzranch!« * Dad Higgins stand am offenen Fenster, als der dumpfe Hufschlag ihn auf den Reiter aufmerksam machte. Schon von weitem erkannte er den Mann im Sattel und dessen lädierten Zustand.
»Zum Teufel«, rief er erregt über die Schulter, »John, Terry, geht raus und kümmert euch um euren Bruder! Der Junge sieht aus, als wäre er unter eine Stampede geraten.« Er trat zur Vitrine, wo der Whisky stand, und füllte ein Glas. Während er trank, trat er wieder an das Fenster, beobachtete, wie seine Söhne Slim aus dem Sattel hoben und stützten. Noch einmal füllte John Higgins sein Glas. Dann setzte er sich mit finsterer Miene an den Tisch und blickte abwartend zur offenen Tür. Ein kalter Blick traf Slim, den Terry und John zum Sessel führten, wo er sich ächzend niederließ. Tiefes Schweigen herrschte im Raum. Ihre Augen ruhten abwartend auf ihrem Erzeuger, der stumm seinen Sohn betrachtete, mit dem abschätzenden Blick eines Dompteurs, dessen Lieblingsbär gerade eine Abfuhr erlitten hatte. Slim Higgins hockte mit eingezogenem Kopf im Sessel. Er kannte seinen Alten und wartete nun auf eine Strafpredigt. Noch immer brummte sein Schädel von der Prügel, die er bezogen hatte. Sein zerschundener Leib schmerzte, als hätte er ein Hufeisen verschluckt. Selbst die geringste Bewegung verursachte ihm höllische Qualen, und innerlich stieß er greuliche Flüche gegen Whiteman aus. Endlich brach der alte Higgins das Schweigen. Ein spöttischer Glanz trat in seine Augen, als er nickte. »Du bist diesem Whiteman begegnet. Habe ich recht?« Als Slim schwieg, fuhr er mit angehobener Stimme fort: »Und er hat dich verprügelt wie einen Straßenköter, der dir bei schlechter Laune über den Weg läuft.« »Laß Slim erst einmal durchatmen«, warf einer seiner Söhne ein. »Du siehst doch, er hat Schmerzen.« »Halt's Maul, Terry!« fauchte Higgins seinen Sohn an. »Er ist alt genug, um für sich selbst zu reden. Er hat doch sonst ein
freches Mundwerk. Also, Slim, fange an zu reden, ehe ich ungemütlich werde. Erzähl, wie blöde du dich angestellt hast.« Dad füllte sein Glas und wartete ungeduldig auf eine Antwort. »Es war im ›Nugget‹…« »Wo auch sonst treibst du dich am hellichten Tag in der Stadt herum«, fiel sein Alter ihm ins Wort. »Die Kaschemme und die Weiber dort sind noch dein Untergang. Wie hat dieses Greenhorn dich verprügelt?« »Er war nicht allein, Dad«, log Slim, um seine Schande wenigstens zu mildern. »Drei Männer nahmen für ihn Partei, und zu viert sind sie dann über mich hergefallen.« »Einfach so!« »Du sagst es, Dad.« Slim nickte ernsthaft, als wenn es die ganze Wahrheit wäre. »Mit zweien wurde ich fertig. Aber dann traf mich ein geschleudertes Stuhlbein im Nacken. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich aufwachte, lag ich zusammengeschlagen auf der Straße.« John Dad Higgins schwieg. Sein scharfer Blick verbarg sich unter den herabgezogenen eisgrauen Augenbrauen. Anscheinend lauschte er aufmerksam Slims Worten, doch seine Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. Er erlebte noch einmal die erste Begegnung mit dem blonden Fremden auf der Grenzranch. Er spürte noch einmal dessen scheinbaren Hochmut und durchlebte in Gedanken noch einmal die schmähliche Niederlage, die sie mit vier ausgewachsenen Männern von diesem jungen Burschen erfuhren. Mit einem einzigen Faustschlag hatte er einen Muskelkoloß wie Slim in den Staub gelegt. Und nun sollten in Socorra gleich vier Männer wie Schakale über seinen Sohn hergefallen sein? Das war ebenso unglaublich wie unwahrscheinlich. Dieser Rancher war ein durchtrainierter Fighter, niemals ein Feigling oder unfairer Kämpfer, der bei einer Auseinandersetzung Hilfe brauchte.
Dad kannte Slim und wußte jetzt schon, wie sich der Streit wirklich zugetragen hatte. Higgins' Faust krachte auf den Tisch. »Schluß mit der Komödie!« grollte er wütend. »Steck diese verdammten Lügen auf und komme mit der Wahrheit heraus. Du hast den Stunk begonnen. Du, mit deinem großen Maul und dem kleinen Spatzengehirn. Du hast von der letzten Begegnung mit ihm nichts gelernt und dachtest, es war Zufall, daß der Fremde dich auf seinem Hof niedergeschlagen hat. Irrtum, mein Sohn! Dieser Bursche ist dir in allen Dingen weit überlegen. Er hat es nicht nötig, sich ein paar erbärmliche Helfer aus dem verlausten Socorra zu holen. Der Mann ist hart wie Stahl, ein Ironmen. Dabei zeigt er ungewöhnlichen Mut. Ein Glück, daß du ihm nicht mit dem Colt begegnen wolltest.« Er schwieg und brütete vor sich hin. Nach Carsons Tod hatte Dad sich alles einfach vorgestellt. Er wußte aus ihren freundschaftlichen Tagen, daß Carson keine Erben hatte, demzufolge sein Land, nach dem Tod, freies Land wurde. Er hatte sich getäuscht. Und plötzlich ahnte Dad Higgins, warum der vom Tod Gezeichnete so hämisch gelächelt hatte, als er ihm die Kugeln in den Leib jagte. Schon damals hatte dieser hinterhältige alte Bastard längst sein Testament gemacht und den jungen Blonden aus dem Norden als Erben eingesetzt. Ein Gedanke, der sein Blut in Wallung brachte. Dann kam Leben in seine Augen. Er musterte seine Söhne der Reihe nach, ehe er entschlossen nickte. »Es muß schnellstens etwas geschehen, Jungs. Faßt dieser blonde Bastard erst mal festen Fuß am Fluß, wird er auch bald Freunde finden. Das sollten wir verhindern.« Seine Söhne nickten. Dad richtete sich auf. Er war ein großer, hagerer Mann, des-
sen Haltung sein Alter noch nicht beugen konnte. Festen Schrittes durchwanderte er die geräumige Wohnstube. Dann blieb er abrupt vor seiner Brut stehen. »Es muß etwas geschehen«, wiederholte er. »Sicher, Dad, aber was?« Terry kratzte verlegen an seiner Gesichtsnarbe, ehe er auf seinen lädierten Bruder deutete. »Was könnten wir gegen diesen Bastard unternehmen? Du siehst doch selbst, wie er unseren Bruder zugerichtet hat.« »Zum Teufel«, tobte Dad los, »meine Galle läuft gleich über! Was habe ich doch für Schwachköpfe in die Welt gesetzt? Keiner von euch verwässerten Helden kann einen selbständigen Entschluß fassen. Es ist doch ganz einfach zu erklären, was ich meine. Whiteman muß von der Bühne verschwinden. Wir werden ihn umlegen.« Terry und John zuckten zusammen. »Ich schätze, der Blonde ist mit dem Colt so schnell wie mit den Fäusten. Wir müßten ihm schon einen Hinterhalt legen.« Dieser verbrecherische Vorschlag versöhnte Dad Higgins. Er lächelte breit. »Hat einer von euch vielleicht Gewissensbisse, jemanden, der sich unbeliebt gemacht hat, aus einer dunklen Ecke zum Teufel zu schicken? Wenn ich mir eure Visagen ansehe, könnte ich es mir kaum vorstellen. Wir reiten morgen den Fluß hinunter und suchen den Hinterhalt für unseren Freund.« »Slim ist noch zu schwach zum Reiten«, warf Terry ein, »er braucht ein paar Tage Ruhe.« »Die soll er haben, bis morgen früh. Dann ist er wieder auf den Beinen. Hat einer Bedenken? Du etwa, John Junior?« Der druckste herum, ehe er den Mund öffnete. »Wenn Whiteman plötzlich verschwindet, wird der Marshal Nachforschungen anstellen.« »Soll er, Junge, soll er…« Der Alte nickte bedächtig. »Der
Fluß reißt ihn mit bis hinunter zum Golf. Und wenn alles nichts nützt, verbreiten wir das Gerücht, El Dorando habe sich einen unbequemen Gegner vom Hals geschafft. Der Marshal wird nicht viel Aufhebens machen. Schließlich kannte vor Wochen noch niemand den Fremden. Also, Junior, geh' raus, hole ein paar Flaschen Whisky. Wir wollen auf das Gelingen des Planes anstoßen.« * Dämmerung lag über dem Talkessel. Über die flachen Hügel krochen die ersten Schatten der Nacht. Nur jenseits des Flusses glühten noch die Bergkuppen der Sierra Madre im letzten Aufflammen der sinkenden Sonne. Ein friedliches Bild, daß dennoch täuschte, denn Raf Dixon, der nach getaner Arbeit am Brunnen seinen Oberkörper im eiskalten Wasser wusch, entdeckte durch Zufall den beweglichen Schatten, der, aus einer flachen Mulde gleitend, in den Salbeibüschen am Gatter verschwand. Zunächst tippte er auf einen Puma, der sich ins Tal verirrte. Aber das erschien ihm unglaublich, denn der Silberlöwe verließ nur selten sein Revier in den Berghängen der Sierra. Also ein Mensch. Wenn er immer noch Zweifel hatte, so flohen sie dahin, als die Nachtschwalben aufgeschreckt und kreischend aus den Rotdornbüschen hochstoben und am Himmel ihre Kreise zogen. Gefahr signalisierten seine Gedanken, und er erinnerte sich der wüsten Drohungen Slim Higgins' vor drei Tagen in Socorra, als sie ihn auf seinen Gaul banden und aus der Stadt jagten. Gelassen trocknete er sich ab und schlenderte zum Ranchhaus hinüber. Der Boß stand an der Feuerstelle und schürte die Flammen,
über denen kräftige Steaks in der Pfanne brutzelten. Whiteman war seinen Helfern ein gutes Essen schuldig, nachdem sie den ganzen Tag eine kleine Rinderherde von der Hornranch herübergetrieben hatten. »Ruf Skully«, bat Jerry, »das Essen ist bald fertig!« Dixon blickte grinsend in die dampfende Pfanne. »Es wird nicht reichen, Boß«, meinte er, »draußen schleichen ein paar ungebetene Gäste um die Koppel.« Er sah Whitemans überraschten Blick und fügte hinzu: »Wahrscheinlich sind es deine Nachbarn.« »Die Higgins'? Bist du deiner Sache sicher?« Dixon zuckte die Schultern. »Wer bedroht dich, Boß? Wer will dich von hier vertreiben? Ein friedlicher Mensch kommt offen in den Hof geritten und kriecht nicht durch die Büsche.« »Du hast recht!« Whiteman hing die Pfanne aus dem Haken und stellte sie ab. Er trat ans Fenster und blickte in den sinkenden Tag. Es dauerte Minuten, bis auch er einen Schatten bei den Büschen entdeckte. »Sie haben keine Pferde dabei.« »Wahrscheinlich haben sie sie in einer Mulde zurückgelassen. Wir müssen Skully warnen, sonst läuft er ihnen ahnungslos vor die Flinten.« Dixon sah, daß Whiteman den breiten Gurt vom Wandhaken nahm und um die Hüfte schwang. »Was hast du vor, Boß?« fragte er irritiert. »Ich schaue mich bei der Koppel um.« Jerry straffte die Halfterriemen am Schenkel. »Dort lauern doch die Kerle.« »Eben!« Der Rancher lächelte ein grimmiges, kaltes Lächeln. »Sie werden es versuchen, Raf. Aber nicht auf die billige Art. Wie ich den alten Higgins einschätze, will er mir in die Augen sehen, wenn seine Söhne mir in den Rücken schießen. Hole deine Winchester und gehe zu Skully in den Stall! Sie werden
dich kaum beachten, weil Higgins nur mich will. Ihr steigt durch die Hinterseite der Scheune und versucht unserem Besuch in den Rücken zu kommen. Es wird eine böse Überraschung für sie geben.« »Hoffentlich nicht auch für dich«, bemerkte der Cowboy unsicher. »Ich mag nicht gleich in den ersten Wochen meinen Job wieder verlieren.« »Dann halte dich an dem, was ich dir sagte, Raf. Verschwinde jetzt! Ich werde noch ein paar Sekunden warten.« Nur zögernd nahm der Cowboy seinen Karabiner vom Wandhaken und schob eine Handvoll Patronen in die Hosentasche. Als er die Tür öffnete, schüttelte er mißmutig den Kopf. »Du spielst mit deinem Leben, Boß. Ich hoffe, du weißt, was du tust«, sagte er und schob die Tür hinter sich ins Schloß. * »Er kommt!« Slim Higgins atmete schwer. In seinen Augen blitzte ein leidenschaftliches Feuer. »Ich werde ihn erledigen wie einen räudigen Kojoten.« Er legte seine Winchester an und fixierte den Mann, der scheinbar ahnungslos an der Koppel entlangwanderte. Terry Higgins, der an der Seite seines Bruders lauerte, schob den Lauf der Waffe beiseite. »So einfach soll er nicht über die Klinge springen«, flüsterte er heiser. »Er kommt direkt auf uns zu. Also werden wir ihm unsere Eisen in den Leib rammen und entwaffnen.« »Dad hat uns gewarnt«, brummte Slim unmutig. »Der Bastard ist gefährlich.« »Er ist ahnungslos, wie du siehst«, beharrte Terry auf seinem Vorschlag. »Wir überwältigen ihn, schleppen ihn rüber zum Wald und hängen ihn an einen stabilen Ast.«
»Mit den Füßen nach oben«, schnarrte hinter ihnen John Junior. »So wie damals Jesse Green, der uns verpfeifen wollte. Er brauchte zwei Tage zum Sterben.« »Halt's Maul«, flüsterte Terry. »Er kommt direkt auf uns zu. Haltet euch bereit!« Sie gingen in die Hocke und spannten ihre Muskeln. Als ihr Opfer kaum fünf Yards entfernt am Gatter verharrte, sprangen sie gleichzeitig aus dem deckenden Strauchwerk. »Nimm die Flossen hoch, Whiteman!« rief Slim Higgins heiser. Ihm juckte der Finger am Abzug seiner Flinte, und er spürte noch einmal den Schmerz, als der Blonde ihn im ›Nugget‹ mit den Fäusten traktierte. Scheinbar überrascht hob der Rancher beide Arme. »Was soll das, Jungs? Etwa ein Überfall? Das wird den Marshal interessieren.« Er lauschte in den sinkenden Tag, hoffend, etwas von seinen Helps zu hören. Aber es blieb still in der Runde. Nur der Wind strich fächelnd durch die Büsche. »Hound wird nur die Leiche von dir finden. Und die kann nicht reden.« Slim Higgins stieß Whiteman brutal den Karabinerlauf zwischen die Rippen, so daß Jerry einen Augenblick die Luft wegblieb. Zugleich aber erkannte er, was ihn hier erwarten würde, wenn seine Jungs nicht rechtzeitig auftauchten. »Schnall den Gurt ab!« forderte Slim Higgins. Ein zweites Mal fuhr Whiteman ein Gewehrkolben in die Rippen. Hart und brutal, so daß er schmerzhaft aufschrie. Aber er entdeckte Skully und Dixon, die sich kaum fünf Schritte entfernt, ihre Waffen im Anschlag haltend, aus den Schatten der hochwachsenden Büsche lösten. Schmerzhaft lächelte er. »Ich glaube, Jungs, wir haben lange genug dieses miese Spiel getrieben. Meine Leute stehen in eurem Rücken und warten nur, daß ihr eine Dummheit macht. Also laßt die Kanonen fallen, ehe das Spiel eskaliert!«
»Ein fauler Trick, Whiteman«, Slim lächelte verkrampft, »darauf fallen wir alten Hasen nicht herein.« »Ich würde es nicht darauf ankommen lassen, Slim«, schallte in seinem Rücken Skullys Baß auf. »Ich habe ein paar flachgefeilte Patronen im Lauf. Ich schätze, wenn ich nun den Stecher durchziehe, landest du beim Satan.« Die Überraschung war gelungen. Die drei Halunken erstarrten in der Bewegung. Noch zögerten sie, ihre Waffen fallen zu lassen. Erst als Skully seine Winchester aufbellen ließ und vor Slim Higgins eine gewaltige Erdfontäne hochstieg, spreizte er die Hände. Sein Karabiner landete auf dem Boden. Auch Terry schnallte mit zornrotem Gesicht hastig seinen Revolvergurt ab. Er fühlte sich, wie Slim, überrumpelt und verfluchte den Augenblick, als sie den Blonden nicht einfach abgeknallt und verschwunden waren. Nur John Higgins jr. glaubte die Geschicke noch einmal wenden zu können. Blitzschnell warf er sich nieder und riß den Colt hoch. Jerry Whiteman war auf der Hut. Wie ein Schatten glitt seine Rechte zur Hüfte. Fast gleichzeitig dröhnten ihre Waffen auf. Jerry spürte den heißen Hauch des Geschosses, das dicht an ihm vorbei harmlos in den Holm des Gatters schlug. Doch seine Kugel traf ihr Ziel. John Higgins schrie kurz auf, als der tödlich getroffen wurde. Sein Kopf ruckte zur Seite, ehe er vornüber ins Gras fiel. Die Eskalation der Gewalt erschreckte die beiden Higgins. Slim beugte sich vor, erfaßte Johns Schulter und ließ dann den Bruder zurückgleiten. »Der Junior ist tot«, murmelte er entsetzt. »Er hat unseren Bruder getötet.« Dann richtete er sich auf. Ein wildes Feuer glimmte in seinen Augen. »Das hier wirst du büßen, Whiteman!« rief er zähneknirschend. »Dafür jagen wir dich, wenn
es sein muß, bis in die Hölle.« Jerry nahm die Drohung gelassen auf. Er hielt den rauchenden Colt in der Faust und deutete auf den Toten. »Nehmt euren Bruder und verschwindet von meinem Land! Wenn ich einen von euch noch einmal auf meinen Weiden sehe, werde ich ihn ebenfalls töten. Das ist meine letzte Warnung! Also, nehmt sie zu Herzen.« Slim Higgins' Atem rasselte. So tief saß die Erregung. Terry stieß ihm die Faust in die Seite. »Mach jetzt keinen Blödsinn, Slim. Hilf mir lieber, John zu den Pferden zu bringen.« Der Hüne nickte. Er beugte sich nieder und wuchtete den Toten wie eine Puppe über die Schulter. »Wir sehen uns wieder, Whiteman«, drohte er. Dann stapfte er durch die Büsche. Betreten folgte ihm Terry. »Warum läßt du diese Bastarde laufen, Boß?« Raf Dixon schüttelte verwundert den Kopf. »Sie wollten dich umbringen. Du hattest das Recht, sie einzeln zu fordern. Dann hätten wir endlich Ruhe im Tal.« Jerry winkte müde ab. Der harte Glanz in seinen Augen war verschwunden. »Ein Toter ist schon zuviel, Raf«, meinte er und ging nachdenklich zum Haus zurück. »Wird der Boß vielleicht schwach, Skully?« Dixon begriff nicht, das Whiteman auf halben Wege stehenblieb und den programmierten Ärger nur hinauszögerte. »Sie hätten keine Chance gehabt.« Skully blickte grübelnd hinter dem Rancher her. Ganz deutlich hatte er den glatten Zug Whitemans gesehen. Er war schneller als John Higgins, der seinen Colt in der Faust hielt, ehe Whitemans Rechte zur Hüfte zuckte. Nur ein Mann im Westen war so schnell und treffsicher mit dem Colt. Wie ein Blitzschlag kam ihm die Erkenntnis.
Er faßte seinen Freund erregt an der Schulter. »Ich glaube zu wissen, wer Whiteman wirklich ist, Raf. Drüben –« er deutete zu den fernen Kuppen der Sierra Madre, die langsam in der Dunkelheit versanken, »– nennen Sie ihn El Diablo – den Teufel.« Raf Dixon zog die Brauen hoch. »Du bist verrückt, Skully. El Diablo wurde vor drei Jahren in Santa Anna von Rebellen erschossen.« »Ich mag verrückt sein, Raf. Aber das erklärt, warum der Boß die Higgins' nicht fürchtet.« Er lauschte dem Galoppschlag sich entfernender Pferde, der ihm anzeigte, daß die Higgins' das Tal verließen. Er nickte zufrieden. »Gehen wir ins Haus zurück. Der Boß wartet mit dem Abendessen.« * Wochen und Monate zogen friedlich ins Land. Als der Winter anbrach, standen über vierhundert kräftige Longhorns auf den Weiden der Grenzranch. Marshal Hound war einmal hier draußen gewesen. Higgins hatte Whiteman wegen Mordes an seinem Sohn angezeigt. So hatte er die Pflicht, Nachforschungen anzustellen. Seine Ermittlungen waren zufriedenstellend, weil Dixon und Skully bereit waren, für den Beschuldigten auszusagen. Der Prozeß wurde nach der Schneeschmelze angesetzt und dauerte zwei Tage, ehe der Richter zu der Überzeugung kam, daß Rancher Whiteman aus Notwehr gehandelt hatte. Seltsamerweise hatte John Dad Higgins das Urteil ohne Widerspruch hingenommen, was natürlich nichts zu bedeuten hatte. Das Leben ging weiter. Im Wald, an den Südhängen des Tales, schlugen Whiteman
und seine beiden Cowboys schlanke Fichten für ein neues Ranchhaus, das der Rancher im Frühjahr zu bauen beabsichtigte. Als die ersten Frühlingsblumen aus saftigen Weiden erblühten, konnte Whiteman aufatmen. »In diesem Jahr schaffen wir es auf tausend Rinder, Jungs«, meinte er nach einem Rundritt über sein Land zuversichtlich, und zum erstenmal seit dem Zusammenstoß mit den Higgins' im vergangenen Herbst schien er wieder befreit zu lächeln. Doch alles hatte auch seine Kehrseite. Sie kam vom Westen, vom Rio Grande, der nach Hochwasser brodelnd in sein altes Bett zurückfloß und die Lowellfurt wieder passierbar machte. El Dorando, der sich gerne Don Miguel y Dorando nennen ließ, bereitete in seinem Winterquartier die nächsten Raubzüge vor. Nur das Wasser des hochstehenden Flusses hinderte ihn bisher, die Grenze zu wechseln. Seine Kassen waren leer, seine Desperados ungeduldig und voller Tatendrang. Sie hungerten nach Pesos oder besser nach amerikanischen Greenbacks. mit denen sie sich in Santos oder sonst in einem Peopledorf die himmlischen Freuden des Lebens kaufen konnten. * »Auf der Ranch des alten Gringo hinter der Furt wimmelt es nur von gutgenährten langhörnigen Tejanorindern!« Der Sprecher, klein und drahtig, mit breitrandigem Sombrero, buntem Hemd und um die Hüften geschwungener Zarape, kletterte steifbeinig aus dem Sattel. Er trat dicht an das Lagerfeuer, an dem sich etwa dreißig abenteuerliche Gestalten bewegten. Sein Grinsen war selbstgefällig, denn er erwartete für die gute Nachricht eine Belobigung des Jefe.
El Dorando, ein Berg aus Fleisch, Fett und Muskeln, erhob sich mit erstaunlicher Leichtigkeit von seinem Poncho, der ihm als Decke gedient hatte. Seine dunklen Augen funkelten, und während er den schmalen Schnurrbart zwirbelte, fuhr er den Sprecher an: »Maldito, Ringo, wenn du mir ein Märchen erzählst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren! Es ist nicht die Zeit, mit mir Späße zu treiben.« Drohend ballte er die Fäuste. Sein Blick wanderte hin zu der mächtigen Kandelaberkaktee, denen unzählige, stachlige Finger sich gen Himmel wandten. »Der alte Gringo ist tot. Er wurde im letzten Sommer erschossen. So erzählte man es mir in Santos.« »Das stimmte auch, Jefe. Auf der Ranch lebt nun ein junger Americano, von dem man in Socorra mit Hochachtung spricht. Er soll Fäuste aus Eisen besitzen und mit der Pistola so schnell sein, daß man seine Hand nicht erkennen kann, wenn er zur Hüfte greift.« »Stupido!« Verächtlich fuhr El Dorando durch seine schwarze Lockenpracht. »Der schnellste und sicherste Schütze im Umkreis von hundert Meilen bin ich, Don Miguel y Dorando.« Hochmut füllte seine dunklen Augen. »Also wie viele Longhorns stehen nun wirklich an der Furt?« »Dreihundert vielleicht«, erwiderte der Späher kleinlaut, »sie lagern verteilt in kleinen Gruppen im Tal.« »Buenos, dann treiben wir sie eben zusammen, Ringo. Das ist doch unser Beruf. Sagen wir, in der Nacht zum Wochenende.« Er schnalzte mit der Zunge und griff nach der Pulqueflasche. »Unsere Geschäfte nehmen einen guten Anfang. Nimm einen Schluck, Ringo. Du hast ihn dir verdient. Und dann sattle deinen verdammten Gaul ab und reibe ihn trocken. Er ist dir irgendwann mal wertvoller als die schönsten Rica in Guadalupe.« Er nahm Ringo, der zu gierig trank, die Flasche vom
Mund und trat ihm heftig in den Hintern. »Und dies ist ein Vorschuß für den Fall, daß du mir was vorgeflunkert hast.« Er setzte sich ächzend in den Kreis seiner Komplizen und sprach eindringlich auf sie ein. Sie waren biedere mexikanische Burschen, zum Teil in seine Bande gepreßt. Junge Kerle, die weder lesen noch schreiben konnten, die aber von Glück und Reichtum träumten und doch nur mit einem Handgeld abgespeist wurden, weil Dorando stets den halben Anteil der Beute für sich forderte. Willenlose Werkzeuge, die ihm selbstlos vertrauten, weil er der große Jefe war. * Die Nacht hatte ihren blaßblauen Mantel über das Land geworfen. Das Wasser des Rio Grande del Norte wirkte wie ein zarter Silberstreifen zwischen den schattigen Steilhängen im Süden und den sanft zur Sierra Madre hochsteigenden Weidegründen. Skully, als Wache auf der Weide, kauerte schläfrig im Sattel seiner Stute. Seine mageren Beine baumelten herab, die Hände ruhten auf dem Sattelhorn, und das Kinn berührte die Brust. Hin und wieder schreckte er hoch und fluchte lautstark, um die Müdigkeit zu verdrängen. Er dachte an seinen Freund Dixon, der an diesem Wochenende Freiwache hatte und irgendwo im Dancinghouse von Socorra am Busen einer feurigen Rica klebte, und fühlte sich einsam. Er war allein auf der Ranch, denn auch der Boß war unterwegs zu Rancher Tacker, um über weitere Viehankäufe zu verhandeln. Gähnend griff Skully in die Satteltasche, in der sein »Wachmacher« steckte, und nahm einen kräftigen Schluck.
Sein Pferd wieherte und scheute leicht. »Verdammt, Bess«, schimpfte er verärgert, »gönnst du mir nicht mal einen kleinen Schluck zur Stärkung?« Er hielt die Zügel kurz und sah plötzlich den Schatten eines Reiters, der in seiner Flanke auftauchte. Kein Hufschlag war zu hören, und es schien ein Geist zu sein, der auf ihn zuwehte. Doch dann traf ihn der fürchterliche Schlag einer Keule, die kraftvoll von einer menschlichen Faust geschwungen wurde. Er sah einen funkelnden Sternenhimmel vor Augen, spürte den Schmerz, der ihn aus dem Sattel hob, dann fiel er in ein tiefes schwarzes Loch… Als Skully erwachte, brannte ihm die Sonne ins Gesicht. Zunächst wußte er nicht, was ihm geschehen war. Doch als er den Kopf wandte und sein Pferd friedlich grasend neben sich sah, erinnerte ihn der Schmerz unter der Schädeldecke an die nächtliche Begegnung mit einem Fremden, den er nur als flüchtigen Schatten gesehen hatte. Ächzend kam Skully auf die Beine. Er wankte unsicher, während dumpfe Ahnungen in ihm hochstiegen. Das kleine Tal war wie leergefegt. Von der Herde konnte er nichts entdecken. Langsam kam Leben in seine drahtige Gestalt. Er wußte nun, wer die nächtlichen Besucher waren und auf welchem Weg die geraubte Herde war. El Dorando und seine Bandaleros, die einen Winter lang im Tiefschlaf gelegen hatten, hatten die ›Jagdsaison‹ begonnen. Skully pfiff seine Stute heran, schwang sich ächzend in den Sattel und galoppierte über die flachen Hügel zum Fluß hinüber. Er folgte den Spuren der ziehenden Herde bis zur Lowellfurt, die von dort weiter in das mexikanische Grenzland führte. Wehmütig dachte er an seinen Boß, der ahnungslos beim südlichen Nachbarn Tacker saß, während seine geraubte
Stammherde drüben durch die Sierra stampfte. Einen Augenblick drängte sich dem Cowboy der Gedanke auf, der geraubten Herde zu folgen. Doch dann siegte die Vernunft. Was wohl konnte er allein gegen eine Horde bewaffneter Desperados ausrichten? So wandte er nach langem Zögern seine Stute Bess und galoppierte zur Ranch zurück, hoffend, daß der Boß und auch Dixon von ihren Ausflügen zurückgekehrt waren. * Der neue Tag erwachte. Wie ein goldener Kamm sprangen aufzuckende Sonnenstrahlen über die schroffen Berghänge der Sierra Madre. Skullys Botschaft hatte auf der Ranch wie eine Bombe eingeschlagen und Jerry Whiteman veranlaßt, sofort zu handeln. Ohne Zweifel stand mit dem Raubzug der Grenzbanditen die Existenz der Dreieckranch auf dem Spiel. Im Eiltempo galoppierten er und seine Helfer zur Lowellfurt. Jenseits davon stießen sie auf die Spuren der geraubten Herde. So wie Skully es berichtete hatte. »Sie haben vierundzwanzig Stunden Vorsprung«, sagte Whiteman finster. Seine Miene war verschlossen. Keiner seiner Begleiter konnte die Gedanken erraten, die Whiteman in diesen Sekunden beherrschten. »Was werden wir unternehmen, Boß?« fragte Skully betreten. Obwohl er gegen die Übermacht der Viehdiebe keine Chance gehabt hätte, fühlte er sich verantwortlich für den Verlust der Herde. Jerry Whiteman richtete sich auf. »Was wohl, Skully? Ihr reitet zur Ranch zurück, und ich folge der Spur. Irgendwann am Ende der Fährte werde ich wohl auf die Herde stoßen. Ich hof-
fe, dort Dorando zu begegnen, um ihm seine Frechheit heimzuzahlen. Letztlich geht es hier nicht allein um meine Herde. Wenn dieser Coup klappte, wird er weiterhin dreist in die Grenzweiden einfallen und den Ranchern Schaden zufügen.« »Wir reiten natürlich mit, Boß«, sagte Raf Dixon. »Mit dem mexikanischen Stinktier würdest du wohl fertig werden. Aber er schleppt ein dreißigköpfiges, bewaffnetes Anhängsel mit sich herum. Treuergebene Analphabeten, die in ihm den Ernährer sehen.« Die Entschlossenheit, mit der Dixon sprach, änderte Whitemans Entschluß, alleine zu reiten. Gleichzeitig waren Raf Dixons Worte Balsam für seine Seele. Schon lange wußte er: mit diesem ungleichen Gespann hatte er einen guten Fang gemacht. »Dann wollen wir keine Zeit verlieren, Jungs. Der Tag ist jung. Wir können noch manche Meile schaffen.« Er schnalzte mit der Zunge und lockerte die Zügel… Zwei Tage ritten sie durch die Einsamkeit tiefer Felsschluchten, über staubige Ebenen und den Steilpaß hoch. Mitunter ließ sich auf dem harten Untergrund die Fährte der Herde nur erahnen. Hier und dort stießen die Jäger auf kleine Puebloansiedlungen oder einsame Hütten. Die Frage nach der Herde beantworteten die biederen Leute stets mit einem Kopfschütteln und ängstlichen Blicken. Doch gerade die unmißverständliche Angst in den Augen der Peons sagte Whiteman, daß sie auf der richtigen Spur ritten, denn die Bevölkerung kannte nur zu gut die Macht und Grausamkeit El Dorandos. Sie fürchteten sich, ihn zu verraten und die zu erwartende Rache des Desperados. Am dritten Tag erreichten sie ein gewaltiges Hochplateau, das bis zum fernen Horizont reichte. Husache, Trapplewhite und blühende Distelfelder säumten die unwegsamen Pfade.
Kerzenkakteen, deren mächtige Arme in den blauen Zenit ragten, Riesenkandelaber stachliger Manzanitas zwangen sie mitunter, den wilden Urwuchs zu umgehen. An einem sanft ansteigenden Hügel am Rande goldgelber Mohnfelder entdeckte Jerry Whiteman eine langgestreckte, im Sonnenlicht leuchtende kalkfarbene Mauer, hinter der der Türm einer Kapelle hochragte. »Eine Hazienda«, sagte er überrascht. »Casa Bianca«, bemerkte Skully, der die Gegend zu kennen schien. »Sie gehört Don Juan de Garcia. Ich bin vor Jahren kurz für den Edelmann geritten.« Whiteman nickte zufrieden. »Versuchen wir dort unser Glück.« Er trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Sie ritten an einer Rinderherde vorbei, die von zwei Vaqueros bewacht wurde. Sie schwenkten grüßend ihre großradigen Strohhüte. Whiteman musterte unauffällig den Brand der Herde. Skully, der ihn heimlich beobachtete, schüttelte lachend den Kopf. »Sie gehören nicht zu unserer Herde, Boß. Der Don ist ein Caballero. Aber vielleicht weiß er etwas vom Verbleib der Tiere.« Sie ritten an der langgestreckten Mauer entlang zum großen Tor, das weit offenstand und zur Einkehr lockte. Niemand hielt sie auf. Die Farmer grüßen die Fremden freundlich. Vor dem flachen weißen Herrenhaus stiegen die Reiter aus dem Sattel. Unter dem weiten Vordach, im Schatten eines Riesenkandelabers gelegen, erhob sich langsam eine schlanke Gestalt. Das Haar war schlohweiß, sein Antlitz von edlem Schnitt. »Don Garcia?« flüsterte Skully. Whiteman nickte unmerklich, als sie die breiten Stufen der
Treppe hochstiegen. Der Don betrachtete interessiert die fremden Americanos, die so überraschend auf seiner Hazienda auftauchten, ehe er einladend auf seine Terrasse deutete. »Ihre Pferde sagen mir, daß ein langer Ritt hinter Ihnen liegt, Señores«, sagte er im klaren Englisch. »Fühlen Sie sich als Gäste meines Hauses.« Er geleitete die fremden Gringos zu Tisch und klatschte mit den Händen, worauf zwei Bedienstete auftauchten, denen er in ihrer Sprache einen Auftrag erteilte. Schon bald standen Schalen mit frischen Früchten, kühle Limonade, Brot und Fleischplatten auf dem Tisch. Jerry Whiteman bedankte sich für die Gastfreundschaft. Um nicht den Vorsprung der Bande zu vergrößern, kam er schnell zum Zweck des Besuches. Er erklärte es dem Don. Don Garcia hörte aufmerksam zu, ehe er Whiteman unterbrach. »Sie sprechen von vierhundert Longhorns, Señor?« Als der Rancher nickte, erhob sich der Greis. »Folgen Sie mir bitte, Señor Whiteman.« Er stieg die Treppe hinunter und ließ sich ein Pferd satteln. Voller Hoffnung folgten die Männer. Der Don ritt durch das Tor in die Ebene hinein und schwenkte über einen Hügel in einen kleinen Talkessel. Tausend Yards entfernt graste eine Rinderherde in einer weiten Koppel. Longhoms… »Ich habe sie gestern zu einem günstigen Preis von einem Händler gekauft«, erklärte der Edelmann. Er lächelte ein wenig sauer. »Ich hoffe nicht, daß es die gesuchten Tiere sind.« Whiteman gab Skully ein Zeichen, worauf dieser zur Herde galoppierte. Nach kurzer Überprüfung kehrte er zurück. »Der Brand ist eindeutig ein Dreieck, Boß«, berichtete er. Seine Augen leuchteten freudig, hatten sie doch die Herde gefunden.
Whiteman wandte sich an den Mexikaner: »Es war wohl ein schlechtes Geschäft, Señor. Sie hören, die Tiere tragen mein Brandzeichen.« Als Garcia schwieg, fragte der Rancher: »Kannten Sie den Händler, Señor?« Der überlegte kurz, ehe er nickte. »Flüchtig, Señor Whiteman. Ich habe im letzten Jahr eine Herde von ihm gekauft. Der Händler schien mir vertrauenswürdig. Deshalb hatte ich keine Bedenken, die Herde zu kaufen. Ich versichere Ihnen, daß ich nicht ahnen konnte, daß es gestohlene Rinder sind. Selbstverständlich erhalten Sie Ihr Eigentum zurück, Señor Whiteman. Und selbstverständlich trage ich den Verlust.« Sie erreichten die Herde. Whiteman glitt aus dem Sattel und überzeugte sich, daß die Herde sein Eigentum war. Zur Hazienda zurückgekehrt, bot Don Garcia an, daß einige seiner Vaqueros den Rücktrieb verstärkten. »Ihr Großmut ehrt Sie, Señor. Ich werde mich bemühen, Ihren Schaden zu begrenzen, indem ich den Händler suche und zur Verantwortung ziehe.« Doch da winkte der Don großmütig ab. »Vergessen Sie es. Wenn dieser El Dorando seine Hände im Spiel hat, könnte es zu einer bewaffneten Konfrontation kommen. Geld kann man ersetzen, ein Menschenleben aber nicht. Dieser El Dorando hat in unserem Lande einen gewalttätigen Ruf. Und wer weiß, ob er das Geld nicht schon verjubelt hat, wenn Sie ihn finden. Diese Leute leben leichtfüßig und werfen mit dem Geld nur so um sich. Reiten Sie mit Ihrer Herde nach Hause, und seien Sie glücklich, einen herben Verlust abgewendet zu haben.« Whiteman schwieg. Später, als er sein Zimmer aufsuchen wollte, traf er den Marjodome auf dem Hof. »Wo wohl könnte man El Dorando in diesem weiten Land finden?« fragte er ihn. Worauf dieser ihm lächelnd erwiderte: »Überall und nirgends, Señor. Aber manchmal wurde er in
Guadalupe gesehen. Vielleicht nützt Ihnen dieser kleine Hinweis etwas.« Der Rancher bedankte sich und suchte seine beiden Cowboys auf. »Ihr kennt Don Garcias Angebot, Jungs. Bei Sonnenaufgang brecht ihr auf und treibt mit den mexikanischen Cowboys die Herde über den Fluß zurück. Ich habe hier noch eine Aufgabe zu erfüllen.« Er bemerkte, daß die beiden widersprechen wollten und sagte deshalb kopfschüttelnd: »Keine Einwände, Jungs, und keine Kompromisse. Was ich sagte, ist beschlossene Sache. Und nun haut euch auf die Ohren! Es liegen ein paar harte Tage vor euch.« * Guadalupe… Ein verstaubtes, schmutziges Bergnest an den Südwesthängen des gleichnamigen Gebirgszuges. Flache Lehm- und Holzhütten säumten den ausgefahrenen Weg, der durch den Ort führte. Im Schatten ihrer Hütten, an denen Whiteman im mäßigen Trab vorbeiritt, machten die Einheimischen ihre gewohnte Siesta. Nach außen hin wirkte das Settlement wie eine ausgestorbene Town. Selbst die streunenden Hunde, die gewöhnlich zum Ortsbild gehörten, hatten sich in die kühlen Schatten irgendeiner Hauswand verkrochen. Doch als Jerry den großen Platz erreichte, hörte er die sanften Klänge einer Gitarre, die aus den offenen Fenstern dieses langgestreckten Schuppens wehten. »Cantina«, stand über dem Eingang auf einem verwaschenen Schild. Whiteman lenkte mit den Schenkeln sein Pferd in diese Richtung und glitt bei der Pferdetränke aus dem Sattel.
»Sauf, Junge, wir werden es bald eilig haben, von hier zu verschwinden.« Er legte lose die Zügelbänder über den Pumpenschwengel, gab dem Hengst einen Klaps auf die Hinterhand und ging geradewegs auf den Eingang der Schenke zu. Als er sich an die veränderten Lichtverhältnisse in dem niederen Raum gewöhnt hatte, registrierte er alles, was für ihn ein Für oder Wider haben konnte. Es war ein typisch mexikanischer Schankraum, mit Säulenbogen gemauert, weißgetünchte Wände, die ohne Ansatz aus dem Fundament herausragten. Der Boden war hartgestampfter Lehm und glänzte im Widerspiel der brennenden Deckenleuchte. Ein Wandschrank und ein primitives Büfett deckten eine Front des Raums, an den Fenstern standen drei Tische und Stühle, an der acht Betrunkene saßen. Hinter der Theke blickte ein dickbäuchiger Cantinero mit schweißglänzender Stirn ängstlich dem Hombre entgegen. Das Objekt, das ihn herlockte, saß mit ihrer Gitarre auf eine Art Podium und sang mit sanftleiser Stimme irgendein trauriges Lied. Jerry Whiteman ließ sich Zeit, diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft eingehend zu mustern. Er bestellte ein Bier. Er suchte El Dorando, obwohl er ihn längst entdeckt hatte. Der Halunke und Pferdedieb hockte unweit der Señorita an einem Klapptisch, den eine gewürfelte Decke zierte, und auf der eine große Landweinflasche und zwei Gläser standen. Dorando hielt die Augen geschlossen und lauschte der wohlklingenden Stimme. Erst als sie verstummte und Beifall aufhallte, öffnete er die Augen. Die hübsche Rica schenkte dem großen Fremden ein Lächeln, ehe sie hinter dem Tresen verschwand, wo der Wirt heftig auf sie einsprach. Jerry glaubte in dem fetten, öligen Gesicht des Dicken ver-
steckte Angst erkennen zu können. »Komm her, du kleine schwarze Katze!« rief El Dorando in den Raum. »Ich möchte dich beschenken.« Er lachte hintergründig. Das Mädchen zögerte. Whiteman sah die Unruhe in ihren dunklen Augen, das ängstliche Zucken ihres vollen Mundes. Mit einer knappen Bewegung setzte er sein Glas ab und stakste entschlossen auf den Banditen zu. Stirnrunzelnd musterte der Mexikaner ihn. »Dich habe ich nicht eingeladen, Gringo«, sagte er unmutig, »oder bist du vielleicht ein Weib? Verschwinde also, ehe meine Männer dich vor ihre Gäule spannen und zerreißen lassen! Du weißt anscheinend nicht, wer vor dir sitzt.« »Doch, mein Freund«, erwiderte Whiteman und zog blitzschnell den Colt aus dem Halfter, als Dorandos Rechte unter den Tischrand gleiten wollte. »Laß die Flosse auf dem Tisch, Muchacho, ehe dieses Ding hier nervös wird!« Der Desperado hörte den kalten Unterton aus der Stimme des Fremden, die ihn ohne Zweifel vor einer Dummheit warnte. Doch seine Augen leuchteten zornig. Mit einer Kopfbewegung deutete er zu den Fenstertischen. »Ich bin nicht allein, Amigo. Dort sitzen sieben meiner Gefolgsleute, und außerhalb der Stadt wartet noch ein Dutzend Caballeros. Ein Wort von mir, und du bist ein toter Mann.« Jerry trat einen Schritt näher und drückte dem Outlaw die Mündung des Colts an die Kehle. »Sie müßten sehr schnell sein. Schneller als mein Finger sich am Abzug bewegt. Und das ist wohl unmöglich. Sage ihnen also, sie sollen sich friedlich verhalten und unsere Unterhaltung nicht stören!« El Dorando schluckte heftig, als er das harte Knacken des Hammers hörte, den der Fremde spannte. Er sprach mit seinen Leuten in ihrer Landessprache, die Whiteman sehr gut kannte,
und forderte sie auf, ihre Waffen inmitten des Raumes zu werfen. »Puer Dios«, rief Dorando, als seine Komplizen zögerten, »ihr spielt mit meinem Leben. Tut, was dieser verrückte Blonde will!« Er nickte befreit, als die Waffen in die Raummitte flogen. »Bist du jetzt zufrieden, Gringo?« wollte er wissen. »Dann sage mir, was du willst.« »Zur Kasse bitten, Dorando!« erwiderte Whiteman lächelnd. »Ich suche dich schon etliche Tage wie eine Stecknadel in diesem schönen Land.« »Und weshalb, Hombre?« »Du schuldest mir Geld. Sehr viel Geld.« Der Bandit runzelte die Brauen. Er schien nachzudenken, ehe er heftig den Kopf schüttelte. »Das muß ein Irrtum sein. Ich kenne dich nicht und bin dir auch nie im Leben begegnet.« »Schon möglich, Amigo.« Whiteman lächelte herausfordernd. »Aber du schuldest mir achttausend Pesos für vierhundert Rinder, die du von meiner Ranch an der Lowellfurt gestohlen hast.« »Caramba!« entfuhr es dem Banditen. »Du bist der Ranchero von der Grenze.« »Richtig. Und nun schnalle deinen Gürtel auf und zahle!« Der Halunke grinste breit. »In diesen schlechten Zeiten schleppt man nicht so viel Geld mit sich herum, Amigo. Es läuft zuviel Gesindel durch das Land.« »Dein Pech, Dorando«, erwiderte Jerry kalt. »Dann wirst du mich nach Texas begleiten. Der Marshal von Socorra wird sich freuen. Der Friedensrichter wird dich verurteilen, und es gibt ein Dutzend Leute in der Town, die dich liebend gerne an einem dicken Ast aufhängen werden. Es ist eine alte Tradition, Dorando, Pferde- und Rinderdiebe hängt man in Texas auf. Also, hoch mit dir, wir gehen jetzt zur Tür!«
El Dorando begriff plötzlich den Ernst der Lage. In Texas galt er schon lange als Geißel des Landes. Jeder Richter würde ihm den Prozeß machen und zum Tod verurteilen. »Warte«, sagte er schnell, »wir reiten zu meinem Versteck.« »Allein. Sage das ihnen!« Sein Blick streifte die versoffene Gesellschaft an den Fenstern. Er dirigierte seinen Gefangenen nach draußen zu den Pferden. Whiteman schwang sich als erster in den Sattel. Sein Colt hielt Dorando in Schach, nicht ohne die Cantina aus den Augen zu lassen. Als dieser sein Pferd bestiegen hatte, trieb Jerry seinen Hengst dicht in Dorandos Seite. »Los jetzt, raus aus der Stadt! Wir haben schon zuviel Zeit verloren.« Jerry sah eine Bewegung am Cantinafenster und feuerte ohne Zögern. Ein wilder Schmerzensschrei füllte das Echo des Abschusses. Gleichzeitig schlug Whiteman den Coltlauf auf die Hinterhand von Dorandos Gaul und trieb ihn vor sich her die Straße hinunter. El Dorando fluchte, als sie über die Hochebene preschten. Da hatte er eine Streitmacht von über dreißig Bandaleros und mußte beschämend erleben, daß ein Gringo, der nur ein kleiner Viehzüchter war, in sein Hauptquartier einbricht und ihn gefangennimmt. »Wohin nun?« fragte Whiteman, als sie eine Stunde im Galopp nach Norden geritten waren. »Wir bleiben in dieser Richtung.« Mürrisch deutete Dorando zu den fernen Bergkuppen am Horizont. »Dort liegt mein Versteck.« »Okay!« Whiteman trieb sein Pferd dicht in Dorandos Seite. »Streck die Hände aus, ich möchte dich lieber fesseln, sonst kommst du noch auf dumme Gedanken, Muchacho!« »Dann kommen wir nur langsam vorwärts«, fluchte der Halunke, als dünne Lederriemen seine Gelenke umspannten.
»Glaube nicht, daß meine Soldaten mich so einfach im Stich lassen. Ich bin ihr Kopf und Ernährer.« »Halt's Maul und reite weiter!« unterbrach Jerry grob. »Mach dir Sorgen um deinen Hals und nicht um meinen.« Wütend trieb der Mexikaner den Gaul an. Nun, wo der Gringo ihn gebunden hatte, schwanden alle Chancen auf eine Flucht. Er konnte nur noch auf seine Männer hoffen. Ihr Weg führte durch pulvertrockenes Land, vorbei an mächtigen Organoswäldern, deren zahllose Arme aus der Erde ragten. Distelfelder zwangen immer wieder zu kleineren und größeren Umwegen. Dabei brannte die Sonne erbarmungslos in ihre Nacken. Als Jerry einmal zurückblickte, gewahrte er in der Ferne eine dunkle Staubwolke, die ihnen folgte. Er grinste. »Deine treuen Halunken wollen anscheinend doch noch, daß du vorzeitig in die Hölle fährst. Wie lange brauchen wir noch bis zu deinem Versteck?« »Etwa eine Stunde.« Auch El Dorando sah die Staubwolke im Rücken, die in ihm schwache Hoffnungen weckte. »Dort drüben liegt der Arrayo, durch den wir reiten müssen.« »Dann gib deinem Gaul die Sporen und bete, daß du mich nicht belogen hast. Vorwärts!« Ein dunkler Canyon nahm sie auf. Die Luft war kühl und erfrischend, denn kaum ein Sonnenstrahl erreichte die Sohle der Schlucht. Schließlich zügelte Dorando überraschend seinen Gaul und deutete auf eine schmale Felsspalte. »Dort müssen wir hinein, Hombre.« Jerry entdeckte einen schmalen Saumpfad über der Felsspalte und den dunklen Eingang einer Grotte. »Wohin führt dieser Arrayo?« fragte Jerry, als er aus dem Sattel stieg.
»Er teilt sich nach einigen Meilen. Der rechte Weg führt nach Candelaria, der andere aufs Hochplateau zurück.« »Okay, dann machen wir uns auf die Schatzsuche. Ich hoffe für dich, daß wir fündig werden.« El Dorando bewegte sich nur zögernd vorwärts. Er war ein Halunke und wußte, wenn der Fremde erst einmal sein geraubtes Geld sah, würde ihm nicht mehr viel bleiben. Vierzigtausend Pesos lagen dort oben. Sie würden die Habgier des Fremden erwecken. »Vorwärts, Amigo!« grollte Whiteman, als er die Verzögerungstaktik seines Gefangenen bemerkte. »Wir haben nicht allzuviel Zeit, denn deine Freunde sind nicht weit entfernt.« Dabei stieß er dem Banditen hart die Revolvermündung in die Seite. Sie betraten die kleine Grotte. »Dort liegt eine Laterne.« Dorando gab scheinbar seinen Widerstand auf. Er wartete, bis sein Begleiter sie entzündet hatte, und marschierte ein Dutzend Schritte tiefer in die Höhle. Schließlich blieb er vor einer rauhen Wand stehen. »Binde mir die Hände los«, knurrte er. Er spürte, wie seine Träume vom Reichtum schwanden. »Das ist nicht nötig, Amigo. Sag einfach, wo deine Beute steckt. Den Rest übernehme ich.« Dorando trat nun ganz dicht an den Fels. Seine gefesselten Hände berührten einen Felsquader. »Den mußt du herauswuchten. Ich appelliere an deine Ehrlichkeit. Ich schulde dir achttausend Pesos. Den Rest läßt du liegen. Dafür werde ich vergessen, was du mir angetan hast.« »Tritt zur Seite und stellte dich an die Wand!« forderte Jerry. Sein Colt dirigierte den Banditen dorthin. Dann stemmte er sich gegen den Fels und zog ihn mit aller Kraft aus dem Gefüge. Jerry schleuderte ihn achtlos beiseite und griff in die
Lücken. Es kam ein in Ölpapier verpacktes Päckchen und ein Jadebeutel mit Goldpesos zum Vorschein. Nach Augenschein der Beute meinte er grinsend: »Du hast ein gewinnbringendes Vorleben, Amigo. Wieviel Blut mag wohl an diesem Geld hier hängen?« Er packte alles zusammen in den Jadebeutel und deutete zum Ausgang. »Gehen wir, El Dorando, wir wollen versuchen, einige von deinen Sünden bei deinem Volk gutzumachen.« Als sie die Pferde erreichten, protestierte Dorando: »Obwohl ich dir achttausend Pesos schulde, hast du mein ganzes Vermögen. Genügt dir das nicht? Schneide mir die Fesseln durch, dann werde ich meine Männer zurückhalten.« Whiteman lächelte verächtlich. Du würdest mir die Hölle heiß machen, dachte er und sagte gelassen: »Steig auf deinen Gaul, wir reiten weiter!« * Bei Einbruch der Nacht erreichten sie wieder offenes Land. Obwohl ihre Pferde ziemlich erschöpft waren, drängte Whiteman ungestüm vorwärts. Er durfte die Gefahr nicht unterschätzen, die unabweichlich auf ihn zukam, denn während des ganzen Weges durch den Arrayo hörten sie den Hufschlag der Verfolgerpferde. Zu allem Übel begann plötzlich Dorandos Gaul zu lahmen. »Er ist am Ende seiner Kraft«, jammerte der Halunke. Jerry nickte grimmig. »Dann gehst du eben zu Fuß weiter, denn ich möchte mir nicht von deinen Leuten die Kehle durchschneiden lassen.« Als der Mexikaner dann jammerte, er wäre noch nie weiter als eine Meile gelaufen, lachte Jerry hämisch. »Dann wirst du es eben lernen müssen. Steig runter vom Gaul und gib ihm eine Chance!«
Als Dorando zögerte, stieß Jerry ihn mit einem Fußtritt aus dem Sattel. Der Desperado fluchte und wünschte seinem Peiniger tausend Krankheiten an den Hals, worauf Jerry nur meinte: »Spar dir deinen Atem. Du wirst die ganze Nacht durchmarschieren. Dabei wirst du ein paar Pfund Fett verlieren, was sicher deiner Gesundheit förderlich ist. Wenn dich die Stiefel drücken, ziehe sie einfach aus.« El Dorando erlebte in dieser Nacht den Vorhof der Hölle. Er wimmerte und jammerte, und schon nach fünf Meilen lahmte er wie sein Pferd. »Du verdammte Canaille willst mich umbringen«, schimpfte er einmal. »Warum nimmst du dir nicht beide Pferde und läßt mich einfach zurück? Du hast mein Wort, meine Leute werden dich nicht weiter verfolgen.« Jerry Whiteman lächelte verächtlich. »Das Wort eines Pferdediebes und Mörders? Wer glaubt dem wohl, Dorando?« Da schwieg der Bastard. Gegen Morgen waren die Verfolger ihm ziemlich dicht auf die Pelle gerückt. Noch wagten sie keinen Angriff, sondern blieben wohl eine halbe Meile zurück. Als die Sonne aufging und ihr blendendes Licht über das Hochplateau ausbreitete, erschrak Jerry Whiteman. Es war eine recht ansehnliche Streitmacht, die sich an ihre Fersen geheftet hatte, wohl dreißig und mehr Outlaws, für die ein fremdes Leben wenig zählte. Er war überzeugt, sie hätten ihn noch in der Nacht überrumpelt, wenn er nicht sein Faustpfand in den Händen gehabt hätte. »Du bist für mich die beste Lebensversicherung«, sagte Jerry. Er betrachtete grinsend das Häuflein zusammengesunkenes Elends am Boden, das längst seine Stiefel ausgezogen hatte und die schmerzhaften Füße rieb.
»Sie werden dich bald umbringen, du Bastard.« »Du wirst sie davon abhalten.« »Niemals!« schrie der Bandit aufgebracht. »Wir werden sehen.« Jerry Whiteman beugte sich im Sattel vor und erfaßte Dorandos Reitstiefel. Lässig band er sie ans Sattelhorn und nickte aufmunternd. »Vorwärts, Companero, es geht weiter!« »Ich kann nicht mehr«, ächzte der Bandit und deutete auf die distelübersäte Ebene, die vor ihnen lag. »Ich spreche mit meinen Leuten, wenn du mir weitere Gemeinheiten ersparst.« »Du hast mein Wort«, erwiderte Jerry und lächelte, als der Kerl ihn mißtrauisch musterte. »Es ist das Wort eines Gentlemans, Dorando. Dem kannst du trauen.« Der Bandit kam ächzend auf die Beine. Er winkte seinen Desperados zu, die auf hundert Yards herangekommen waren. Lautstark schrie er seine Befehle heraus und erntete mißbilligende Flüche. Er brauchte lange, um den wilden Haufen zu überzeugen und stieß boshafte Drohungen aus, ehe seine Männer ihre Pferde wandten und davontrabten. »Gibst du mir jetzt meine Stiefel?« fragte der Bastard fast demütig. Zufrieden warf Jerry sie ihm vor die Füße. »Du kannst sogar in den Sattel steigen. Dein Pferd hat sich wieder erholt. Und außerdem haben wir es wohl jetzt nicht mehr so eilig.« * In der Nacht erreichten sie die Mission am Ortsrand von Finessa. Das Dorf lag in tiefstem Dunkel. Selbst die üblichen Köter hatten sich verkrochen. »Was wollen wir in diesem verdammten Nest?« fragte Dorando heiser, als Whiteman vor der kleinen Kapelle sein Pferd
zügelte. »Steig ab, Companero, wir wollen Buße tun und beten«, erwiderte Jerry gelassen. »Du hast es nötig. Außerdem wirst du der Gemeinde eine Freude bereiten.« »Welche Freude?« »Du wirst es bald erfahren.« Jerry nahm das Päckchen und den Jadesack aus der Satteltasche, was ihm einen mißtrauischen Blick des Banditen einbrachte. »Geh voraus, wir wollen den Padre nicht warten lassen.« »Was machst du mit meinen Pesos, Amigo? Mit unseren Pesos? Na ja«, meinte er dann kleinlaut, »mit deinen Pesos?« korrigierte er dann. »Von diesem Geld gehören mir achttausend Pesos. Den Rest wollen wir der Gemeinde schenken.« »Wir?« Dorando glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. »Schön, du. Als Buße für all das Böse, daß du deinen Landsleuten in den letzten Jahren angetan hast. Sie werden dich als Feind empfangen und als Freund und Wohltäter entlassen.« »Du beraubst mich?« heulte der Bandit. »Wie du andere Leute beraubst. Los, klopfe schon ans Portal, wir wollen den Pater wecken!« Es dauerte eine Weile, ehe die schwere Tür knarrte und der Gottesmann auftauchte. Er hielt eine Laterne in der Hand und beleuchtete die Gesichter der Fremden. Als er El Dorando erkannte, zuckte er erschrocken zurück. Whiteman stieß den Outlaw vor sich her. »Keine Sorge, Padre«. sagte er höflich, »El Dorando kommt als reuiger Büßer. Er will Ihren Ablaß und schenkt der Gemeinde dafür ein Vermögen.« Er stellte das Päckchen ab und öffnete den Sack. Im Widerspiel des Lichts funkelten die Goldpesos wie ein Kaleidoskop.
Der Padre schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief immer wieder: »Ein Wunder, ein Wunder. Ein reuiger Sünder kehrt zurück.« Whiteman trat seinem Gefangenen gegen das Schienbein. »Sag Amen zum Padre! Dann wollen wir verschwinden.« El Dorando schwieg. Sein Hals war trocken wie die Wüsten, die sie am Tage durchquert hatten. Und sein Herz blutete, als er seinen Reichtum dahinziehen sah. Erst als sie wieder draußen auf dem Gemeindeplatz standen, brach es aus ihm heraus. »Du elender Zapatero«, schimpfte er, »du hast mir ein Vermögen gestohlen. Das werde ich dir nie verzeihen. Wenn erst meine Fesseln los sind, hole ich mir mein Geld zurück und dann dich Bastard vor meine Pistola. Gib mir eine Waffe, du Gringoschwein, und wir schießen unseren Streit aus.« »Dein Geld verschwindet in der Gemeinde. Es zu suchen, dürfte bei der Vielzahl der Peons im Tal wohl kaum lohnen. Wenn du lebensmüde bist, Muchacho, dann kriegst du deinen Revolver, denn El Diablo fürchtet niemand. Schon gar nicht ein Würstchen wie dich.« »El Diablo?« Entsetzt zuckte der Bandit zusammen und starrte Whiteman mit großen Augen an. »Du bist El Diablo?« Er erschauerte und spürte, wie die Angst eiskalt seinen Rücken hochkroch. Am Lagerfeuer der Vaqueros erzählte man sich viele Geschichten über den legendären El Diablo. Und wenn nur ein Zehntel davon wahr wäre, müßte dieser Bursche mit dem Teufel im Bunde stehen. An all das mußte der Bandit denken, als sie der Grenze entgegenstrebten. Am Ufer des großen Flusses parierte Whiteman die Pferde und löste El Dorandos Fesseln. »Mein Rat in Ehren, Companero, meide die Grenzranch. Meide den ganzen Distrikt, ehe der Teufel dich holt. Und der
bin ich.« El Dorando wandte schweigend seinen Gaul und trabte die Serpentine hoch. Jerry Whiteman durchquerte die Furt. Er war müde vom langen Ritt und hatte nur einen Wunsch, sich wieder einmal richtig auszuschlafen. Doch zu Hause erwartete ihn eine neue Überraschung… * Er betrachtete die verkohlten Reste seines Hauses und die niedergebrannte Scheune. Dann streifte sein Blick Skully, der ihn empfing. Verlegen drehte der Cowboy seinen Stetson in den Händen. »Wer hat das Feuer gelegt, Skully?« fragte Jerry ruhig, obwohl in seinem Innern ein wildes Feuer brannte. »Wo steckt Raf?« Der Cowboy zuckte phlegmatisch die Schultern. »Als wir mit der Herde ins Tal zurückkehrten, waren Haus und Scheune bereits niedergebrannt. Raf Dixon liegt in Doc Mortimers Krankenstube. Wenn der Kurpfuscher ihn nicht auf dem Gewissen hat, wird es Raf wohl bessergehen.« Whiteman runzelte die Stirn. »Gab es eine Schießerei?« »Nicht direkt, Boß. Raf wurde im Dunkel angeschossen, als er bei der Herde wachte. Ich vermute, es war jemand vom Higgins-Clan, denn sie zogen mit drohenden Tyraden durch die Stadt, sie wollten dich fertigmachen und am Fluß begraben. War wohl ernst zu nehmen. Das mit Raf war sicher nur der Anfang eines neuen Krieges.« »Wahrscheinlich hast du recht. Nur fehlen uns die Beweise. Doch irgendwie werde ich es schon herausfinden. Ich werde mein Pferd ein paar Stunden Ruhe gönnen und dann in die
Stadt reiten.« »Das wird nicht ungefährlich sein, Boß. In Socorra sind in den letzten Tagen ein paar neue Typen aufgetaucht. Echte Galgengesichter mit tiefhängenden Revolvern an den Hüften. Der alte Higgins ist ein rachsüchtiger Mensch, der den Tod seines Sohnes nicht verwunden hat. Ich wette, er hat diese Revolverschwinger angeheuert, um dir ein Begräbnis zu beschaffen. Verkaufe die Herde und verschwinde wieder nach Norden.« Whiteman lachte grimmig. Ein kalter Glanz lag plötzlich in seinen Augen. »Aufgeben, Skully? Das liegt mir nicht. Ich lasse mich nicht vertreiben, schon gar nicht von notorischen Verbrechern. Falls du Angst hast, Skully, nehme ich dir nicht übel, wenn du gehst.« »Angst habe ich. Aber mein Job gefällt mir immer noch. Ich lasse dich nicht im Stich.« »Danke, Skully«, erwiderte der junge Rancher bewegt über die Treue seines Cowboys. Er schnallte seinen Mantelsack ab und reichte Skully die Zügel des Pferdes. »Holz haben wir genügend für den Aufbau. Was sonst noch fehlt, bestelle ich in der Stadt. Versorge den Hengst. Ich lege mich drüben unter die Chaparellbüsche.« Er gähnte und stakste davon. Mit dem Frühnebel wachte Jerry am Morgen auf. Skully hatte in der Nähe ein Feuer entfacht und kochte Kaffee. Als Jerry bei einem kargen Mahl saß, fragte sein Cowboy nach El Dorando. »Du hast nichts von ihm erzählt.« Da lachte Jerry belustigt, so daß der letzte Schlaf von ihm abfiel. Er erzählte, wie es ihm ergangen war, und daß der Bandit seine zusammengeraubte Barschaft in einer Mission abgeliefert hatte. »Nicht aus freien Stücken, daß hätte er nie geschafft. Aber ich habe kräftig nachgeholfen. Da konnte er nicht anders. Ich habe ihn gestern am Großen Fluß laufenlassen.«
»Das vergißt der Bastard dir nie«, rief Skully verärgert. »Du hättest ihn umlegen und im Fluß begraben sollen. Dann hättest du Ruhe, und die Menschen diesseits und jenseits der Grenze wären eine Geißel losgeworden. Dorando wird sich irgendwann wieder melden.« Whiteman trank den starken Kaffee, der ihn endgültig fit machte. Dann sattelte er sein Pferd. »Ich werde Raf von dir grüßen und in Erfahrung bringen, ob er bald nach Hause kommt. So long, Skully! Halte die Augen offen.« »Das empfehle ich dir, Boß. Socorra ist ein heißes Pflaster geworden.« * In Socorra führte Whitemans erster Weg zur Poststation, wo er achttausend Pesos einzahlte, die im Postgrenzverkehr an Don Juan de Garcia übermittelt werden sollten. Im Drugstore bestellte er das nötige Material für den Neuaufbau des Ranchhauses und den Stallungen. Raf Dixon war schon wieder munter und machte seine makabren Spaße. Doc Mortimer machte ihm Hoffnung, daß sein Patient in den nächsten Tagen die Krankenstube verlassen konnte. Sein nächster, vielleicht wichtigster Weg führte zur Telegraphenstation. Er schickte seinem Freund Tex Holden eine Depesche, in der er ihm die Zustände im County vermittelte. Jerry machte ihm klar, daß er seine Hilfe brauchte. Von der Station aus marschierte er zum Marshaloffice. Billy Hound hatte Whitemans Ankunft im Town durch das offenstehende Fenster beobachtet. Als er sich dem Office näherte, trat er auf die Veranda. »Von Dixon hörte ich, daß du hinter El Dorando her warst«,
begrüßte er den jungen Freund. »Das hat mir Sorgen bereitet.« Jerry lächelte, als er an die Begegnung mit dem mexikanischen Desperado dachte. »El Dorando hatte wohl die größeren Sorgen, Billy. Ich konnte ihn bekehren, daß er die Beute seiner Raubzüge seinem Volk zurückgab.« Mit kurzen Sätzen erzählte er Hound von der Begegnung, bis zur Trennung von dem Banditen. Der Marshal schmunzelte. Doch als Jerry ihm erklärte, er habe El Dorando die Freiheit geschenkt, schüttelte der alte Haudegen bedenklich den Kopf. »Das war vielleicht dein Fehler. Du hättest den schlitzäugigen Bastard umlegen und in seiner Heimaterde begraben sollen. El Dorando vergißt und verzeiht nie. Irgendwann wirst du ihm wieder begegnen.« Dann räusperte er sich. »Skully hat mir zugeflüstert, wer hinter deinem Namen steckt. Ich begreife nun, daß du deinen Nachbarn Higgins nicht fürchtest. Aber in Socorra gibt es einige Leute, denen imponiert der Name El Diablo wenig. Sie hocken im ›Nugget‹ und schwingen große Reden.« »Sollen sie, Billy. Das schadet niemandem.« Der Marshal schüttelte den Kopf. »Das sollst du nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es wird nicht beim Reden bleiben, Jerry. Es sind Fremde in die Stadt gekommen. Und einer von ihnen behauptet, dich von früher her zu kennen. Ein hagerer, dunkelhaariger Bursche. Sie nennen ihn Shut.« »Shut Fargo!« Eine Unmutsfalte zeigte sich sekundenlang über Jerrys Nasenwurzel. Doch dann lächelte er wieder. »Er trägt wohl immer noch den Revolver tief am Schenkel?« »Ja, und er hängt oft mit Slim Higgins zusammen«, bestätigte Hound. »Der alte Higgins muß ihn gekauft haben. In Slim Higgins' Schatten bewegen sich noch zwei blaßgesichtige, schmächtige, sommersprossige Kerle. Sie erwecken nach außenhin einen harmlosen Eindruck, sind auch ziemlich zurück-
haltend. Aber ihre Revolver hängen mir zu tief auf den Schenkeln. Die Kolben ihrer Waffen zeigen etliche Kerben. Was dies bedeutet, weiß wohl jeder im Frontierland.« Jerry Whiteman hatte aufmerksam zugehört. Sein Lächeln erlosch. »Sie gleichen sich wie Zwillinge, Billy. Und einem von ihnen fehlt der Ringfinger an der rechten Hand.« »Dann kennst du sie?« rief Hound betroffen. Jerry zuckte die Schultern. »Wer kennt sie wohl im Norden nicht.« Er lachte hart. »Sie arbeiten für jeden, der gut bezahlt. Ihr Handwerk ist schmutzig, gemein und tödlich. Ich danke dir für den Tip.« »Was wirst du jetzt tun?« »Im Saloon einen Whisky trinken.« Der Marshal schwieg eine Weile nachdenklich. Sein Blick ruhte finster auf Whitemans Lippen, ehe er kopfschüttelnd erwiderte: »Du willst die Burschen herausfordern, Jerry? Sie sind drei. Mit Slim vielleicht vier. Da nützt selbst die schnelle Revolverhand eines El Diablo wenig.« Jerry winkte lächelnd ab. »Du kennst sie nicht, Billy. Sie sind ehrgeizige Burschen, diese Gunmen. Es juckt ihnen immer wieder in den Fingern, wenn sie einem Mann begegnen, der einen schnellen Zug hat. Irgendwo dort liegt der Reiz im Spiel mit dem Tod. Nein, Billy, sie greifen nicht gemeinsam an. Es ist gegen ihr Prinzip, denn auch Gunfighter haben ihren Ehrenkodex.« »Bist du dir da sicher?« Zweifelnd bewegte der Marshal den Kopf. »Wir werden es bald wissen«, erwiderte Jerry und wandte sich grüßend ab. »Du bist ein verdammter Selbstmörder«, sagte Billy Hound und kratzte an seinem Blechstern, als Whiteman schnurgerade über die Straße auf das ›Nugget‹ zu marschierte.
Noch immer fluchend, trat er ins Office zurück und suchte im Wandhalter eine geeignete Stopperwaffe, denn für ihn war klar, daß sein Freund Hilfe brauchen würde. Außerdem war er das Gesetz in Socorra. * Die blassen Zwillinge und der hagere Schwarzbart lungerten scheinbar gelassen an der Theke. Dabei beachteten sie den Eintretenden nicht. Jerry spürte instinktiv, daß sie ihn längst bemerkt hatten und einfach ignorierten. Er ging an ihnen vorbei zum Thekenende, wo er den Rücken frei hatte, und bestellte ein Bier. Sie beachteten Whiteman noch immer nicht, sondern unterhielten sich gedämpft und lachten hin und wieder. Schließlich verlangte Shut Fargo vom Keeper ein Würfelspiel. Jerry Whiteman hatte gleich eine dunkle Ahnung, was dieses Würfelspiel bedeutete, und ihm wurde bewußt, wenn dieses Spiel beendet war, würde sich einer ihm zuwenden und die Runde eröffnen. Er trank gelassen sein Bier und bestellte ein neues. Jeff, der Keeper, schwitzte aus allen Poren. Er wußte natürlich, was die Fremden in die Stadt geführt hatte, denn sie hatten offen darüber gesprochen. Er atmete sichtbar auf, als der Marshal den Saloon betrat. Hound stand an der Tür, gelassen und breitbeinig, die Rechte auf dem Kolben seines Colts ruhend. Seine Blicke wanderten abschätzend zwischen beiden Parteien hin und her, ehe er festen Schrittes zur Theke stampfte. »Ich habe gewonnen«, sagte Jack Duffton, einer der Zwillinge, dem ein Finger fehlte, mit einer gewissen Genugtuung, »also gehört er mir.«
Als er sich Whiteman zuwandte, sah er den Sternträger in der Schußrichtung stehen. Unmutig verzog er sein Gesicht. »Schiebe dein Fell beiseite, alter Mann, ich habe mit dem Mann dort zu reden!« Billy Hound schüttelte den Kopf. »Hier gibt es keine Schießerei! Ich bin hier der Marshal.« »Marshal hin, Marshal her, sein Gesicht gefällt mir nicht. Also verdufte!« Der Gesetzesmann öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung, als Jerry sich einmischte. »Tu, was er sagt, Billy. Du wärst nicht der erste Marshal, den er erschossen hat. Stimmt's, Jack?« »Du bist gut informiert.« Die Sommersprossen im Gesicht des Outlaws tanzten. Spöttisch hatte er die Mundwinkel angehoben. »Ich habe immer erreicht, was ich wollte, auch wenn ich manches Hindernis aus dem Weg räumen mußte. Also, sage dem alten Mann, er soll beiseite treten und das Maul halten, bis alles vorüber ist!« Whiteman nickte aufmunternd. »Tu ihm den Gefallen, Billy.« Jack Duffton grinste über beide Ohren, als der Marshal zwei Schritte beiseite trat. Er faßte seinen Gegner ins Auge. »Der große El Diablo, der Held aller Helden. Der Schwätzer aller Schwätzer. Ich wette tausend Dollar, du kriegst nicht einmal die Hand bis zum Halfter, dann bist du ein toter Mann.« »Tausend Dollar«, erwiderte Jerry gelassen, »dies ist wohl der Preis, den Higgins auf meinen Kopf ausgesetzt hat. Er läßt sich nicht lumpen. Doch ich finde, es ist ein hoher Preis für den Abschaum, den er nach Socorra gerufen hat.« Jerry untertrieb bewußt, denn er wußte, wie schnell und gefährlich diese Burschen waren. Er reizte Jack Duffton in voller Absicht, denn ein beleidigter und erregter Gegner war weniger gefährlich als ein kaltblütiger, besonnener Fighter.
»Er nennt dich Abschaum, Jack«, mischte sich Fargo ins Gespräch. »Zeig ihm deine Qualitäten und brenne ihm eins aufs Fell!« Billy Hound war zurückgetreten. In einem stummen Gebet hoffte er, daß Jerrys Ruf als El Diablo zu Recht bestand und dieser häßliche Zwilling bald für immer sein Maul hielt. Die beiden Kampfhähne standen sich Auge in Auge gegenüber. Fünf Schritte trennten sie voneinander. Eine tödliche Distanz für einen Gunfight. Stille lag plötzlich im Saloon. Es roch nach Tod und Verderben. »Worauf wartest du noch?« fragte Jerry kalt. »Angst?« Dann ging alles so schnell, daß Hound den Bewegungen ihrer Hände nicht folgen konnte. Zwei Schüsse peitschten auf, die fast wie einer klangen. Hounds Blick wanderte von einem zum anderen. Da fiel noch ein Schuß, er kam aus Dufftons Revolver. Die Kugel bohrte sich in den Boden. Die schmächtige Gestalt des Revolverschwingers wankte. Ein Zucken lief über das Gesicht des sterbenden Mannes. Seine Augen verloren an Glanz, ehe er jäh zusammensackte und zu Boden stürzte. Hounds Blick glitt zu Whiteman hin. Dessen Antlitz wirkte kalt und kantig. Nichts in seinen Zügen verriet, was er dachte. Dennoch spürte der Marshal, daß es zu einer weiteren Katastrophe kommen würde. Er mußte handeln. Er hielt plötzlich den Colt in der Faust und richtete ihn auf die beiden Männer am Ende des Tresens. »Schluß jetzt!« rief er zornig. »Hebt die Hände, ihr Helden!« »Halt's Maul«, schrie Shut Fargo grob. Er machte einen Schritt nach vorn. »Jetzt hast du es mit mir zu tun, Whiteman.« »Ich sagte Schluß!« grollte Marshal Hound. Er wuchs förmlich über sich hinaus. Sein Colt bellte auf, daß Geschoß streifte
Fargos Halftertasche, ehe es klatschend in die Thekenfront schlug. »Ich sagte hoch mit den Flossen! Und das ist mir Ernst.« Nur widerstrebend folgte Shut Fargo der Aufforderung. In seinen Augen flammte tödlicher Haß. »Dafür wirst du zahlen«, zischelte er, »und auch Whiteman wird uns nicht entgehen.« »Legt die Gurte ab!« befahl der Marshal. »Auch du da.« Sein Revolverlauf schwenkte zu Jimmy Duffton, der zähneknirschend auf seinen toten Bruder starrte. Haß hatte sein Gesicht entstellt. Haß und Trauer brannten in seiner Brust. Dennoch folgte er dem Befehl des Sternträgers. Polternd fielen ihre Waffen zu Boden. »Und jetzt raus aus meiner Stadt!« donnerte Hound. Er hatte die Situation im Griff. »Und laßt euch in Socorra nie wieder blicken! Und vergeßt nicht euren Kumpan.« »Wir sehen uns wieder, Marshal.« Nun dröhnte auch Jimmy Duffton offen, ehe er Fargo ein Zeichen gab. Schweigend trugen sie den Toten aus dem Saloon. Kurz darauf kam Hufschlag auf, der sich schnell entfernte. »Du hast dir zwei gefährliche Gegner geschaffen, Billy«, sagte Jerry Whiteman verhalten. Seine Waffe ruhte im Halfter an der Hüfte. »Sie kommen wieder, Billy, sehr bald.« »Der Streit wäre vermieden worden, Jerry, wenn du zu deiner Ranch zurückgeritten wärst.« Jerry Whiteman schüttelte energisch den Kopf. »Er wäre nur aufgehoben und nicht vergessen. Du hättest dich nicht einmischen dürfen. Ich hätte es auch mit den beiden aufgenommen, und die Sache wäre vergessen.« »Sie sind Menschen, wie du und ich.« »Menschen?« Jerry lachte verächtlich. »Sie sind Kopfgeldjäger, Berufskiller, die sich fürs Töten bezahlen lassen. Abschaum in einem jungen Entwicklungsland.« Er schwieg und
ging an Hound vorbei nach draußen. Jerry Whiteman wußte, der Fight war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Diese Verbrecher würden es nie erlauben, daß er sein Land friedlich bewirtschaftete. Er mußte sich zur Wehr setzen und versuchen, den Banditen zuvorzukommen und sie schachmatt zu setzen, ehe sie ihn töteten. * Raf Dixon war wieder auf den Beinen. Noch trug er den Arm in der Schlinge und wirkte spitz und blaß im Gesicht. Trotzdem wartete er ungeduldig und in freudiger Erwartung auf seinen Freund Skully, der die vom Boß bestellten Waren im Trugstore abholen wollte. Ungeduldig saß Raf unter dem Sonnendach des Krämerladens und blickte die Straße hoch. Skully sollte gegen Mittag in der Stadt sein. Das hatte ihm der Boß übermitteln lassen. Und nun war die Zeit bereits um drei Stunden überschritten. Endlich entdeckte er auf dem nahen Hügel eine hochwirbelnde Staubwolke, die sich rasch der Town näherte. Ohne Zweifel, dies konnte nur Skully mit dem Buckboard sein. Schon bald hatte der Flachwagen den Ortseingang erreicht, ohne daß er das Tempo minderte. Er ist verrückt, dachte Raf Dixon entsetzt, als das Gespann an ihm vorbei die Straße hochgaloppierte. Eine Staubwolke hüllte ihn ein, dann hörte er einen dumpfen Schlag, ein schleifendes Splittern und dann das schrille Wiehern der Pferde. »Skully!« rief Dixon besorgt. So schnell ihn seine Füße trugen, eilte er den Fahrweg hinunter. Dicht vor der Schmiede, wo die Straße scharf nach Osten abbog, war der Arbeitswagen ins Schleudern geraten und gegen die offene Hausfront der
Schmiede gedonnert. Das Vordach war halb eingestürzt und hatte den Wagen zum Teil unter sich begraben. Bock und Deichsel hatten sich in die zuckenden Leiber der schwerverletzten Tiere gebohrt. Unweit, dicht am Straßenrand, lag verkrampft eine hagere, gekrümmte Gestalt. »Skully!« rief Dixon bestürzt. Mit wenigen Schritten eilte er auf den Freund zu. Noch während er sich niederbeugte, hörte er zwei laute Schüsse und sah, daß der Schmied die verletzten Pferde von ihren Schmerzen erlöst hatte. »Skully!« rief Raf Dixon noch einmal. Vorsichtig drehte er den schmächtigen Körper des Cowboys auf den Rücken. »Verdammt, was hast du dir mit diesem Blödsinn gedacht?« Dann zuckte er zusammen und ließ den Mann los. Er sah das daumenstarke Loch in Skullys Schläfe und sprang auf die Beine. Marshal Hound stand plötzlich neben ihm. »Beruhige dich erst einmal, Junge«, meinte er sachlich. »Das war ein Unfall. Deinem Freund werden wohl die Pferde durchgegangen sein, und er konnte sie nicht mehr aufhalten.« Dixon starrte den Marshal an, ehe er auf den toten Freund deutete. »Kein Unfall, Marshal. Skully hat ein daumengroßes Loch in der Schläfe. Es stammt von einem schweren Colt oder von einem Karabiner.« »Unsinn!« Hound sah die Erregung in Dixons Miene, ehe er sich zögernd niederbeugte und Skullys Kopf zur Seite drehte. Die blutende Wunde an der Schläfe bestätigte ihn Dixons Worte. Schwerfällig richtete er sich auf. »Du hast recht, Cowboy. Dein Freund wurde erschossen«, sagte er so leise, daß nur Dixon ihn hören konnte. »Faß an, wir bringen ihn ins Office!« Dixon nickte benommen. Gemeinsam trugen sie den Toten durch die gaffende Menschenmenge, die sich gebildet hatte, zum Marshaloffice. Dort betteten sie den Toten auf eine Prit-
sche. Billy Hound trat ans Fenster und blickte nachdenklich auf die Straße, wo die Bürger sich zusammengerottet hatten und den vermeintlichen Unfall heiß diskutierten. »Was werden Sie tun, Marshal?« fragte Dixon heiser. »Es ist uns beiden wohl klar, wer die Mörder und wo sie zu finden sind.« Als der Marshal sich umwandte, lag ein herber Zug um seinen Mund. »So einfach, wie du es dir vorstellst, ist es nicht, Cowboy«, sagte er, während er den Raum durchwanderte. »Sicher gibt es gewisse Leute, die Skully beseitigen wollten, weil er – wie du – für Whiteman reitet. Aber wen willst du des Mordes bezichtigen? Den alten Higgins? Seine Söhne? Oder einen seiner gemieteten Scharfschützen? Wer es auch war, Cowboy, Skullys Tod ist nur Mittel zum Zweck. Sie wollen deinen Boß aus der Reserve locken und zum Leichtsinn verleiten.« »Dann soll dieser Mord ungesühnt bleiben, Marshal?« Zornesröte bedeckte Dixons Gesicht. Er atmete schwer, denn Skullys Tod war für ihn ein herber Verlust. Bedächtig schüttelte Hound den Kopf. »Irgendwann werden sie sich eine Blöße und mir einen Grund zum Eingreifen geben. Darauf kannst du dich verlassen.« »Das sind schwache Aussichten, Marshal«, grollte der Cowboy. »Sie sollten die Bürgerwehr zusammenrufen und zur Higgins-Ranch reiten. Dort liegt die Wurzel allen Übels. Brennen Sie die Ranch nieder und jagen Sie die Brut über die Grenze! Erst dann wird es Ruhe im County geben.« »Das hieße Recht und Gesetz mit den Füßen zu treten. Nein, Cowboy, so geht es nicht«, widersprach Hound. »Es gibt keinen Rancher im weiten Flußtal, der Higgins nicht für einen Verbrecher hält«, wetterte Dixon. »Wenn der Boß er-
fährt, was hier geschehen ist, wird er nicht lange fackeln.« »Das ist es ja, was die Bande will. Sie hoffen, daß Jerry Whiteman aktiv wird und zur Higgins-Ranch reitet. Sie warten auf ihn, um ihn fertigzumachen. Hier gilt es, ruhig Blut zu bewahren. Das solltest du deinem Boß übermitteln, Dixon.« Raf Dixon schwieg betroffen. Finster blickte er auf seinen Freund, und Bilder der Vergangenheit zogen an ihm vorüber. Zehn Jahre waren sie Bügel an Bügel geritten, hatten Freud und Leid miteinander geteilt, die Tage und Nächte, oder sie hatten sich in irgendeiner Bar vergnügt, die an ihrem Weg gelegen hatte. Das alles war nun vorbei. »Den Boß wird niemand zurückhalten können, Marshal«, sagte er grimmig, ehe er sich abwandte und nach draußen stampfte. Hound blickte besorgt hinter Dixon her. Er sah neues Unheil heraufziehen, denn er wußte, Jerry Whiteman würde auf den ausgeworfenen Köder anbeißen. Ich werde doch eine Posse zusammenstellen, dachte er, vielleicht kann ich weiteres Unheil vermeiden. * Von Norden kommend näherte sich ein einzelner Reiter der Grenzranch. Whiteman beobachtete ihn schon eine Weile. Noch war der Mann ein winziger Punkt in der Ferne, der zeitweilig in einer Bodenwelle verschwand. Doch langsam nahmen Roß und Reiter Konturen an, so daß Jerry den Hageren im Sattel erkannte. »Tex Holden!« Ein zufriedenes Lächeln grub seine Falten um Jerrys Mundwinkel. Der Reiter dort konnte nur sein Freund und Kampfgefährte Tex Holden sein. Nur er ritt eine goldfar-
bene Palminostute, und keiner saß wie er so lässig mit herunterhängenden Beinen im Sattel. Nun hatte der Reiter auch ihn erkannt. Er schwenkte seinen verbeulten Stetson und trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Jerry Whiteman hatte sich erhoben und eilte mit großen Schritten durch das Tor. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und begrüßte den Besucher mit lautstarkem »Hipp-eeh«, was der Freund mit der gleichen Lautstärke erwiderte. Dann standen sie sich gegenüber. »Verdammt, du alter Bastard«, Jerry lachte, »ich habe dich erst in zwei Wochen erwartet«, grüßte er mit rauher Herzlichkeit. Holden glitt aus dem Sattel. Er wirkte jung und elastisch, war sehnig und voller Kraft, ungestüm und unverbraucht. Ein unbekümmertes Lächeln lag in seinem braungebrannten Antlitz, als er in Whitemans dargebotene Rechte einschlug. »Tag, Jerry!« Seine Zähne blitzten in der Sonne. »Ich hörte, du hast Ärger auf deiner Ranch.« Ihre Hände vereinten sich mit einem festen Druck, der ihre alte Freundschaft erneuerte. Sie gingen über die saftigen Weiden zum Hof zurück. Tex Holden musterte die Longhorns, die im Tal grasten. »Ein prächtiges Stück Land, Jerry«, meinte er, als sie den Hof erreichten. »Die Herde steht gut im Futter. Das Land hier hat nicht das rauhe Klima des Nordens. Man könnte sich hier wohl fühlen.« »Wenn nicht die lieben Nachbarn wären.« Jerry Whiteman nickte. »Dieses Erbe ist ein bitteres Geschenk.« »Und der hier?« Holden klopfte bedeutungsvoll auf sein Halfter, das tief auf dem Schenkel saß. »Verschafft er dir denn keinen Respekt?« Jerry wehrte müde ab. »Ich mußte zwei Männer töten, Tex.
Es nützt nichts. Wenn einer verschwindet, taucht ein neuer auf.« »Na«, meinte Tex skeptisch, »so wertvoll scheint die Ranch doch nicht zu sein, daß man deshalb gleich einen Weidekrieg führt.« »Du weißt nicht, daß die Dreieckranch auf fast hundert Meilen die einzige Furt besitzt. Jeder kann sie benutzen. Das wissen die Rancher im Tal.« »Und warum der Ärger?« »Mein nördlicher Nachbar heißt Higgins. Der alte Bastard hat sich in den Kopf gesetzt, die Ranch in seinen Besitz zu bringen. Einer der Toten ist ein Higgins. Das säte Haß in dem Alten. Er wird nicht eher Ruhe geben, bis ich sechs Fuß unter der Erde liege.« Sie erreichten den Ranchhof. Tex Holden sah die verkohlten Reste des Gehöfts. »Das ist wohl ein Andenken an deinen Nachbarn?« »Du sagst es.« Jerry nickte. »Es geschah, als ich meine Herde aus Mexiko zurückholte, die ein gewisser Bandalero mir geklaut hatte.« »Drüben hat dein Name einen guten Klang.« »Das hat wohl auch El Dorando erkennen müssen. Ihn habe ich kaum noch zu befürchten. John Dad Higgins macht mir Sorgen. Obwohl er weiß, daß ich gefährlich bin, wird er sein Ziel nie aufgeben.« Ein sarkastisches Lächeln umspielte Jerrys Mund, als er den Freund zu dem aufgeschlagenen alten Armeezelt führte, daß Nachbar Tacker ihm vorübergehend zur Verfügung gestellt hatte. »Nimm dir einen Kaffee vom Feuer, Tex«, sagte er und setzte sich am Feuer nieder. Er wartete, bis Tex neben ihm saß, und nickte dann. »Er hat ein paar Gunslinger gekauft. Ich habe mich ihnen in Socorra gestellt. Jack Duffton haben sie wohl inzwischen auf dem Friedhof in der Stadt
begraben.« Tex Holden pfiff überrascht durch die Zähne. »Er hatte einen Zwillingsbruder, Jerry. Lebt er noch?« Als Jerry bejahte, meinte er: »Jimmy wird dir noch Ärger machen.« »Auch Shut Fargo ist mit von der Party. Du siehst also, der alte Bastard läßt sich seine Machtgier etwas kosten.« »Wie sieht es bei dir aus, Jerry? Hast du Leute?« wollte Tex Holden wissen. Er schlürfte genießerisch den schwarzen Kaffee aus der Blechtasse. »Zwei Reiter. Einer liegt noch in Socorra in einer Krankenstube. Higgins' Clan hat ihn nachts auf der Weide angeschossen. Mein zweiter Mann ist mit dem Buckboard unterwegs. Er bringt Material aus der Stadt, für den neuen Aufbau der Gebäude hier. Seltsamerweise verhält sich Higgins im Augenblick ruhig.« »Und das macht dich nervös?« »Du sagst es.« »Na ja, Jerry«, meinte Holden lächelnd – er füllte seinen Becher auf –, »zumindest hast du jetzt drei Cowboys, die den Ärger mit dir teilen.« * In der Dämmerung ritten die Freunde zur Herde hinaus. Als sie zurückkehrten, galoppierte gerade Raf Dixon in den Hof. Jerry, der den abgetriebenen Gaul sah, ahnte, daß in der Town irgend etwas geschehen war. »Du kommst allein, ohne Skully und den Wagen, Raf. Ich hoffe, du hast dafür eine Erklärung.« Der Cowboy sattelte sein Pferd ab und führte es zum Corral. Als er die Gatterholme zurückschob, blickte er zu Whiteman hoch, der ihm gefolgt war.
»Skully ist tot. Erschossen«, sagte er düster. »Sie haben ihn draußen im offenen Land ermordet, auf den Buckboard geladen und im Galopp in die Stadt getrieben. Die Gäule sind hin, der Wagen auch.« Jerry verfärbte sich. Seine Augen füllten sich mit einem wilden Feuer, seine Zähne knirschten vor Erregung. Er preßte die Fäuste fest zusammen, daß die Knöchel weiß unter der Haut schimmerten. »Ich ahnte, daß Higgins sich mit einer Schweinerei melden würde. Aber ich hoffte, daß dieses verdammte alte Ungeheuer seine Bosheit nur an mir auslassen würde.« Nichts in seiner Stimme verriet den inneren Aufruhr, der ihn beherrschte. »Was hat der Marshal unternommen?« Dixon lachte verbittert, während er seinen Sattel über den Holm warf. »Hound ist ein Waschlappen, der keine Energie hat. Fast scheint es mir, als habe er Angst vor John Dad Higgins. Nichts hat er unternommen. Aber ich sagte ihm, du würdest dir den Mörder vor den Colt holen, um Skully seinen Frieden zu geben.« Jerry Whiteman nickte nachdenklich. Er wußte, es würde sehr schwierig sein, an den alten Higgins heranzukommen. »Du schuldest es Skully«, hörte er Dixon wütend sagen. Er blickte dem erregten Cowboy fest in die Augen. »Ich weiß, was ich Skully schuldig bin, Raf. Auch Higgins weiß, warum er gerade Skully umlegen ließ. Ich schätze daher, sie werden uns auf seiner Ranch im Hinterhalt erwarten.« Sein Blick suchte Holden, der vom Pferd gestiegen war und lässig mit den Zügelbändern spielte. »Wie denkst du darüber, Tex?« wollte er wissen. Der zuckte lässig die Schultern. »Du hast einen guten Freund gerufen, Jerry. Ich reite an deiner Seite, wohin du auch immer willst. Dein Feind ist mein Feind«, seine Rechte schlug auf den
Revolver an der Hüfte, »du kennst meine Fähigkeiten. Sie stehen dir voll zur Verfügung. Du bist der Boß, entscheide also, was geschehen soll.« Jerry nickte dankbar. Er wußte, daß er sich auf seinen Freund verlassen konnte. Er wandte sich dem Cowboy zu. »Reibe deinen Gaul trocken, Raf, und nimm meinen Braunen. Wir werden diesen verdammten Bastard besuchen.« * Der hochstehende Rasenteppich dämpfte den Hufschlag ihrer Pferde. Seit einigen Stunden ritten sie auf Higgins' Land und mußten bald die Ranch erreichen. In Raf Dixon brannte der Haß. Er erdachte sich Dinge, die er nie begehen würde. Aber Higgins brauchte einen Denkzettel. Jerry Whiteman war unruhig. Es war ihm, als spürte er die Falle, in die sie offen hineinritten. Immer öfter parierte er sein Pferd und lauschte in die Nacht nach fremden, verdächtigen Geräuschen. Tex Holden wirkte gelassen. Er saß auf dem Rücken seiner Stute und ließ die Beine baumeln. Es schien fast, als döste er vor sich hin. Doch Jerry, der den Freund näher kannte, wußte, daß Tex, genau wie er, seine volle Aufmerksamkeit der Umgebung schenkte. »Diese Nebel nehmen uns alle Sicht«, fluchte Whiteman, als es dämmerte. Tex Holden nickte, wobei ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht huschte. »Nicht nur uns, Jerry. Die anderen sehen genausowenig.« Doch Tex Holden täuschte sich, denn man hatte sie schon längst bemerkt. Shut Fargo entdeckte die Reiter von einem Hügel aus, den er
als Vorhut besetzt hielt. Er sah sie in dem aufwallenden Frühnebel, als die Sonne milchig in der grauen Wand stand. Sofort verließ er seinen Posten und verschwand unbemerkt. Er ritt zur Ranch, wo der alte Higgins ihn beim Frühstück empfing. Ohne daß Fargo den Mund öffnete, wußte er Bescheid. »Wie viele sind es?« fragte er nur. »Drei Reiter!« antwortete Shut verblüfft. Der Rancher köpfte gelassen ein Ei und schlurfte genußvoll den Inhalt. Schließlich nickte er. »Also drei Reiter. Dann ist wohl Billy Hound an Whitemans Seite.« Fargo schüttelte energisch den Kopf. Er scheint ein Fremder zu sein. Ein Cowboy, der ahnungslos bei Whiteman angeheuert hat, ohne zu wissen, wie es um die Ranch steht.« Higgins schlürfte seinen heißen Kaffee. »Slim!« rief er, als sein Sohn an einem der offenstehenden Fenster auftauchte. »Bring mir meine Winchester und einen Karton Patronen!« Als Slim ihm die Waffe brachte und ihn dabei fragend anblickte, meinte er grinsend: »Es wird ein heißer Tag heute, Sohnemann. Vielleicht werden wir unseren Nachbarn neben deinem toten Bruder begraben.« Dabei starrte er in die Ebene hinaus, wo irgendwann in Kürze sein verhaßter Gegner auftauchen würde. Die Stunde der Abrechnung war gekommen. Dann sah er sie. Gemeinsam ritten sie, Seite an Seite, den breiten Fahrweg hoch, der direkt zur Ranch führte. Doch sein boshaftes Lächeln fror ein, als überraschend aus der Hügelkette eine Reiterarmada in seinem Blickfeld auftauchte. Eine Posse, unverkennbar angeführt von Hound, dem Marshal aus Socorra. Higgins zählte über dreißig Leute und fluchte wütend: »Dieser verdammte Hound verdirbt mir mei-
nen Spaß!« Dabei visierte er Jerry Whiteman an und feuerte die Winchester ab. Doch die Entfernung war zu groß, um den jungen Rancher ernstlich zu gefährden. Der Abschuß ging im dumpfen Hufschlag vieler Pferde unter. Auch Whiteman hörte ihn nicht. Dafür sah er plötzlich die vielen Reiter, und für einen Augenblick glaubte er, es wären Higgins' Gefolgsleute. Doch dann erkannte er den Mann an der Spitze der Kavalkade, auf dessen Brust ein Schild im Widerspiel des Tageslichtes schillerte. »Zum Teufel mit dem Marshal!« fluchte Jerry wütend, ohne daß er ahnte, daß Hound ihm wohl gerade das Leben gerettet hatte. »Er mischt sich schon wieder in meine privaten Angelegenheiten.« Aber Billy Hound atmete erleichtert auf, als er seinen jungen Freund noch außerhalb der Schußweite der Ranch erreichte. Er gab seinen Leuten ein Zeichen und trieb sein Pferd an Whitemans Seite. »Da kam ich wohl gerade im rechten Augenblick«, sagte er verärgert, »um dich vor der größten Dummheit deines Lebens zu bewahren. »Wenn du jetzt weiterreitest«, er wischte den Schweiß von der Stirn, »gibst du dem alten Bastard zwei Möglichkeiten in die Hand. Einmal wird er dich töten, und ich muß vor Gericht bezeugen, daß du der Angreifer warst. Oder er zeigt dich an, und ich muß dich einsperren. Ehe du wieder aus dem Jail kommst, hat er dich umbringen lassen oder dein Land verwüstet.« »Hören Sie auf mit Ihrer Predigt!« grollte Dixon. »Wir vergelten hier Gleiches mit Gleichem. Higgins' Tod für das Verbrechen an Skully.« Hound blickte ihn abweisend an. »Dir scheint die Luft in der Krankenstube schlecht bekommen zu sein, Dixon«, entgegnete
er mit eisiger Miene, »sonst würdest du in meiner Gegenwart nicht solchen hirnverbrannten Blödsinn von dir geben. Auch ich will Skullys Mörder, aber auf gesetzlichem Wege. Ist das klar, Dixon?« Er atmete heftig. »Ich mag keinen Weidekrieg im Tal. Drei tote Männer reichen mir… Jerry, du reitest auf deine Ranch zurück! Ich werde mit John Dad Higgins sprechen und verlangen, daß er mir Skullys Mörder übergibt. Gericht und Geschworene werden dann über Schuld und Unschuld des Mannes entscheiden.« Tex Holden mischte sich ein, denn er merkte, daß sein Freund aufbrausen wollte. »Vielleicht hat der Marshal recht, Jerry«, bemerkte er, »Weidekrieg ist eine böse Sache. Wir beide haben ihn schon einmal erlebt und erkennen müssen, daß viele unschuldige Männer zu Tode kamen. Laß den Marshal für Recht und Ordnung sorgen.« Billy Hound lauschte stirnrunzelnd den Worten des Fremden, ehe er sich an Whiteman wandte: »Wer ist er, Jerry?« wollte er wissen. Dabei musterte er unverhohlen den sympathischen Fremden, der seinen Revolver tief, wie ein Gunman, am Schenkel trug und doch so vernünftig reden konnte. Tex Holden antwortete ihm lächelnd: »Ich bin sein Freund, Marshal. Ich hörte, er hat Schwierigkeiten mit seinem Erbe. Also bin ich gekommen, weil er eine schnelle Revolverhand braucht, um seinen Feinden Respekt einzujagen, oder bis Frieden in diesem schönen Tal herrscht.« »Eine kühne Sprache, junger Mann. Wenn dein Einfluß auf ihn so groß ist, bewege ihn umzukehren. Es ist für alle von Nutzen.« Tex Holden blickte in das verschwitzte Gesicht des Marshals. Er gehörte zum alten Eisen, dachte er dabei, aber er hat vernünftige Ansichten.
So wandte er sich dem Freund zu und redete eindringlich auf ihn ein. Es bedurfte großer Mühe, ehe Whiteman seinen Entschluß aufgab. Nur zögernd wandte Jerry sein Pferd. Und während er seinen Freunden voraus ins offene Land trabte, dachte er verbittert, der Krieg ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben, und er kann schon morgen eskalieren. Als die Reiter in der nahen Senke verschwanden, atmete Marshal Hound sichtlich auf. »Ihr bleibt hier zurück«, bestimmte er, »der alte Higgins ist schon gereizt genug. Wir wollen ihn nicht mit einem Aufmarsch provozieren. Ich rede mit ihm.« Er wandte sich an seinen Nachbarn. »Rich, du übernimmst die Truppe bis zu meiner Rückkehr.« Ein schnauzbärtiger Hüne trieb sein Pferd in den Vordergrund. Rich Talbot, Hounds Gehilfe. »Okay, Billy«, sagte er nur, worauf der Marshal sein schweißnasses Pferd herumzog und schnurgerade auf die Nordranch zusteuerte. Billy Hound machte keine Umwege. Kurz und klar war die Verhandlung, die er und der Rancher führten, die dennoch zu keinem befriedigenden Ziel führte. Hound forderte von Higgins die oder den Mörder Skullys. Er forderte weiter, daß die von ihm gekauften Revolvermänner Fargo und Duffton von der Ranch und aus dem County verschwinden sollten und er forderte ohne Kompromiß, daß alle feindlichen Handlungen gegenüber seinen Nachbarn eingestellt wurden. Higgins quittierte diese Forderungen mit höhnischem Gelächter. »Bleib neutral, Hound«, riet er, »dann wirst du im Grenzland ein alter Mann.« »Dann sehe ich für deine Zukunft schwarz«, konterte Billy Hound kalt, »denn dein Gegner ist kein kleiner, gottestreuer
Rancher, mit dem du dein Spiel treiben kannst, John Dad Higgins. Jenseits der Grenze nennen sie ihn El Diablo, und das hat wohl seinen Grund. El Dorando hat ihn bereits näher kennengelernt und ist vernünftig geworden. Er meidet seit dieser Zeit Whitemans Weideland. Werde auch du vernünftig, oder es werden bald ein paar Gräber mehr auf deinem privaten Friedhof liegen.« Er wartete die Wirkung seiner Worte gar nicht ab, sondern wandte sein Pferd und trabte davon. Higgins wußte von Fargo, wer sich hinter Whitemans Namen verbarg. Er winkte Fargo und Jack Duffton heran. »Ihr habt gehört, was der Marshal von mir gefordert hat«, sagte er mit tückischem Grinsen. »Ich verdoppele das Kopfgeld auf meinen Gegner. Sechstausend Dollar und sicheres Geleit über den Fluß für einen toten El Diablo.« * Nach dieser Attacke wurde es merklich ruhig im Tal. Higgins hielt sich weitgehend zurück, und auf der Grenzranch wurde hart gearbeitet. Schon bald stand das Ranchhaus, und auch das Gerippe der Scheune ragte bereits in den blauen Himmel. Dixon kroch in sich hinein. Er konnte es nicht verwinden, daß sein Boß, so kurz vor dem Ziel, die Backen einkniff und umkehrte. Er hatte in El Diablo den Übermenschen gesehen, der mit jeder gefährlichen Situation fertig wurde. Und das war übertrieben. Auch Marshal Hound hielt sich zurück. Er wollte keine weitere Komplikation, die zur Eskalation führen konnte. Dennoch bemühte er sich, still und heimlich, Skullys Mörder aufzuspüren.
In dieser Zeit hatte Jerry Whiteman eine Begegnung am Fluß, die ihm Hoffnung gab, den Mörder Skullys aus der HigginsBande herauszufiltern. El Dorando hieß sein Hoffnungsträger. Er tauchte eines Morgens an der Westseite der Lowellfurt auf und schien auf Whiteman gewartet zu haben. Vier Halunken begleiteten den Desperado, die jedoch zurückblieben, als ihr Anführer den Fluß durchquerte. Jerry war zunächst überrascht, als er den Reiter erkannte. Er nickte seinem Begleiter zu und blickte erwartungsvoll dem Mann entgegen, der die Uferböschung hochstieg. »El Dorando«, sagte Tex Holden, während er die füllige Gestalt des Grenzbanditen betrachtete, die am Ufergestade sein Pferd parierte. »Was mag er wollen? Ich habe ihm untersagt, mein Land zu betreten.« »Dann frage ihn doch«, riet Tex. »Ich glaube, er erwartet dich.« »Dann behalte die Brut drüben im Auge.« Während Holden seine Winchester aus dem Scabbard zog, trabte Whiteman zur Furt hinüber. Dicht vor dem Banditen zügelte er sein Pferd. »Hallo, Dorando«, grüßte er verhalten, »ich hoffe, du hast unsere Abmachung nicht vergessen. Hier beginnt Whitemans Land.« Dorando nickte bedächtig. Er musterte den anderen mit seinen dunklen Augen, als ob er abschätzte, wie lange sein Feind noch lebte. Doch dann lächelte er. »Du hast noch immer Ärger auf deiner Rancho, El Diablo«, meinte er und winkte ab, als Jerry widersprechen wollte. »Ich weiß es, Muchacho. Ich weiß auch, daß man durch dich ein reicher Mann werden kann. Higgins zahlt großzügig für deinen
Tod.« »Bist du gekommen, um dir das Kopfgeld zu verdienen?« Jerrys Rechte glitt unmerklich tiefer zum Gurt. Doch der Outlaw winkte ab. »Deine Pistola ist zu schnell für mich. Ein Toter kann mit Dollars nur wenig anfangen. Higgins sucht weitere Pistolenmänner. Er hat auch mich angesprochen. Ich will dich nur warnen. Vielleicht auch den Rat geben, John Dad Higgins zu töten, sonst bist du bald ein toter Mann.« Whiteman betrachtete Dorando mit eigentümlichem Blick. Ein Gedanke war ihm gekommen, der langsam Nahrung fand. »Bin ich dein Freund?« fragte er. »Du bist es«, antwortete Dorando widerstrebend. »Du hast mich zwar zu einem armen Mann gemacht, aber mir das Leben geschenkt.« »Würdest du mir einen Dienst erweisen?« »Claro!« rief der Halunke erfreut. »Soll ich jemanden für dich umbringen? Brauchst du billige Rinder? Oder ein paar hübsche Señoritas? El Dorando steht dir zu Diensten.« Jerry lächelte. »Nichts von allem. Ich suche den Kerl, der meinen Cowboy Skully umgebracht hat.« »Du vermutest ihn auf der Nordranch? Und nun soll ich herausfinden, wer er ist.« Dorando grinste. »Du meinst, ich soll auf seine Rancho reiten und den Mann suchen?« »Dir mißtraut Higgins nicht.« »So ist es. Ich könnte ihn finden.« »Dafür werde ich mich erkenntlich zeigen.« Der Halunke schwieg lange, ehe er nickte. »Ich gebe dir ein Zeichen, wenn ich den Mann gefunden habe. Wir treffen uns dann hier an der Furt. Wenn du erlaubst, werden meine Leute und ich nun über dein Land reiten.« »Es sei dir gestattet. Also, auf bald.« Jerry Whiteman zog zuversichtlich sein Pferd herum. Er schi-
en mit Dorandos Zusage zufrieden zu sein. Und auch der Desperado wirkte zufrieden. Dabei war er gar nicht so selbstlos, wie er tat. Er witterte ein gutes Geschäft. So winkte er seinen Begleitern, die bald darauf die Furt durchquerten. Jerry Whiteman erzählte dem Freund von ihrer Abmachung, worauf Holden bedenklich den Kopf schüttelte. »Kannst du diesem ausgemachten Halunken trauen?« »Siehst du eine andere Chance, den Mörder zu erwischen?« »Nein! Trotzdem würde ich verdammt mißtrauisch bleiben.« * Eine Woche später trafen sie sich an der Furt. El Dorando stand am jenseitigen Ufer und winkte Whiteman zu. Doch als Jerry die Furt durchquerte, bemerkte er die vielen Hufspuren im flachen Ufersand. Er lockerte den Colt im Halfter und beschloß, äußerst vorsichtig zu sein. Doch El Dorando saß breit und behäbig im Sattel und hatte ein Bein über das Horn geschwungen. »Was bedeuten diese Spuren?« begrüßte er den Outlaw. »Sie gehören einer Herde, die hier kürzlich durchgezogen ist. Du Kanaille hast Rinder gestohlen!« »Nicht von dir«, gab Dorando grinsend zu. »Von deinem Nachbarn im Norden.« »So war es nicht vereinbart«, grollte Whiteman zornig und bereute bereits, mit dem Halunken einen Pakt geschlossen zu haben. Dorando zuckte die Schultern. »Fünfzig, sechzig, vielleicht auch siebzig Longhorns. Was bedeuten sie schon Senor Higgins? Er wird sie nicht einmal vermissen, wo er doch bald in der Hölle schmort.«
»Du bist und bleibst ein Lump, Dorando«, sagte Whiteman tief enttäuscht. Doch der Grenzbandit lachte. »Geschäft ist und bleibt Geschäft, Muchacho. Dafür bringe ich dir eine gute Nachricht. Terry Higgins, der mit der häßlichen Narbe im Gesicht, hat deinen Vaquero erschossen. Sein Vater hat mir die Geschichte bei Whisky und schwerem Wein erzählt.« Jerrys Augen blitzten hoffnungsvoll auf. »Würdest du das vor Gericht beschwören?« »Das könnte ich«, der Mexikaner lachte trocken, »doch in Socorra wartet der Marshal auf mich. Er möchte mir einen Strick drehen und um meinen Hals legen.« »Marshal Hound ist selbst daran interessiert, daß der Mord aufgeklärt wird. Ich müßte mit ihm reden, daß er dir freies Geleit über die Grenze und zurück garantiert.« »Es bleibt immerhin ein Risiko für mich. Mein Kopf ist in Texas tausend Dollar wert. Mir ist er verständlicherweise bedeutend mehr wert, denn es ist mein eigener. Du müßtest mir dein Wort verpfänden, denn dir vertraue ich bedenkenlos, Muchacho.« »Ich werde es dir geben.« »Dann werde ich kommen, wenn du mich rufst.« »Und wo finde ich dich?« Dorando lachte. »Wo du mich schon einmal gefunden hast.« »Also bei den Huren in Guadalupe.« »Du sagst es. Bei den Dominas in Guadalupe. Übrigens findest du das Narbengesicht, Shut Fargo und Jimmy Duffton in Socorra. Ich hörte heute früh, daß sie ein flottes Wochenende in der Town erleben wollen. Wenn wir nicht länger über meine Rinder reden werden, hättest du vielleicht die Chance, Terry Higgins in der Stadt zu stellen.« Diese Mitteilung traf Jerry wie ein Schlag. »In Socorra also«,
sagte er, seine Augen blitzten. »Für diese Nachricht danke ich dir, Dorando.« Er wandte sein Pferd, trabte davon. »Das hast du schon.« El Dorando lachte und dachte an die zwei Dutzend Rinder mit Whitemans Brandzeichen, die er im Vorbeiziehen über die Grenzweide seiner gestohlenen Herde einverleibt hatte. Einige Stunden später erreichte Jerry Whiteman seine Ranch. Er besprach im Hof die Dinge mit seinem Freund Holden. Als er seine Absichten erklärte, Terry Higgins in der Stadt zu stellen, schüttelte Tex bedenklich den Kopf. »Du solltest nicht alleine in die Stadt reiten«, mahnte er. »Die Stärke dieses Terrys kenne ich nicht. Deshalb kann ich ihn nicht als Gunfighter einstufen. Aber Shut Fargo ist eine Macht für sich, und Jimmy Duffton hat einen verdammt schnellen Zug.« »Ich bin gewarnt und deshalb auf der Hut. Wir sehen uns morgen wieder.« Jerry wechselte sein Pferd und trabte vom Hof. Tex Holden stand da. Sein Blick folgte dem Freund, und er war nahe daran, Jerrys Leichtfertigkeit zu verfluchen. * Ein harter, entschlossener Zug lag in Jerry Whitemans Antlitz, als er die Stufen zum ›Nugget‹ hinaufstieg. Noch ehe er die Pendeltür aufstieß, hörte er Terry Higgins' schallendes Gelächter. Jerry lockerte leicht den Colt im Halfter und betrat den Schankraum. Auf einen Blick erkannte Whiteman, daß die Schenke kaum besucht war. Außer dem Keeper, der ihm entsetzt entgegenblickte, standen nur drei Männer an der Theke. So wie damals, kam es Jerry in den Sinn, sie stehen an der gleichen Stelle am Tresen, an der Jimmy Duffton in die Hölle
fuhr. Noch hatten sie ihn nicht bemerkt, doch als er schleppend den Schankraum durchquerte, wandte Shut Fargo überrascht den Kopf. Eine Blutwelle schoß in die Wangen des Shotman, und für Sekunden flackerte raubtierhafte Wildheit in seinen dunklen Augen auf. Doch dann lächelte er, und wie es Jerry erschien, war es ein krampfhaftes Lächeln. »Schau an, wer den ›Nugget‹ besucht!« Fargos Stimme klang belegt, aber dennoch laut genug, daß auch seine Zechkumpanen ihre Blicke dem Neuankömmling zuwandten. »Whiteman«, stieß Terry Higgins hervor. Die Narbe in seinem Gesicht leuchtete wie eine flammende Spur. Seine Rechte rutschte schwer auf den Revolverkolben. Jerry Whiteman registrierte es und lächelte kalt. »Mit dir hätte ich ein paar Worte zu reden, Higgins«, sagte er mit solch schneidender Stimme, daß Terry Higgins leicht zusammenzuckte. »Ich… ich wüßte nicht, was wir beide zu bereden hätten«, stotterte er. Sein Blick floh zu Fargo und Jack Duffton. Sie waren zu dritt, und dennoch fürchtete er sich vor diesem Mann. Der kalte, gnadenlose Blick des Blonden schien ihn wie Feuerzungen zu durchbohren. Er nahm all seine Kraft zusammen, warf den Kopf in den Nacken und biß sich auf die Lippen. »Wenn du etwas gegen mich haben solltest, wende dich an meinen Alten.« »Was wir beide miteinander haben, geht deinen Vater nichts an. Nur dich, mich und den Marshal.« Terry Higgins schluckte. Sein Blick suchte erneut Hilfe bei seinen Partnern. »Mach hier keinen Stunk, Whiteman«, grollte Duffton an der Seite des Beschuldigten, »Terry ist nicht allein.«
»Ich kann es nicht übersehen, Jack. Ich rieche es sogar. Es sind noch zwei Stinktiere in seiner Nähe. Wir standen uns schon einmal gegenüber, Jack Duffton. Wenn Hound nicht dazwischengefunkt hätte, gäbe es euch beide nicht mehr.« Er blufft nicht, er ist wirklich stark und schnell, dachte Fargo und ließ seine Hände am Thekenrand liegen. Doch so, daß sie schnell zum Eisen kamen, wenn es keinen anderen Ausweg geben sollte. »Ich will nur ihn, Duffton«, sein Kopf deutete auf Higgins, »und ich nehme mir ihn. Selbst wenn ich über deine Leiche stolpern müßte. Terry Higgins habe ich mir für den Galgen aufbewahrt. Er soll hängen für den Mord an meinem Cowboy.« »Verdammt, das ist eine Lüge!« brauste Terry Higgins auf. »Das kannst du dem Marshal erzählen«, entgegnete Whiteman ungerührt. »Nun schnalle deinen Gurt ab und strecke die Arme über den Kopf.« Terry preßte die Lippen aufeinander. Er blickte Whiteman an wie eine Ratte, die in der Falle saß. Er schien zu überlegen, ob er zum Eisen greifen sollte, doch die kalten, unbarmherzigen Augen des anderen lähmten seinen Willen. Zugleich hörte er Fargos warnenden Ruf, der Duffton galt. »Misch dich nicht ein, Jack. Du hörst doch, er will ihn nur zum Marshal schleppen.« »Er hat uns Bastard genannt. Das nehme ich nicht hin.« Duffton heulte vor Wut, zog aber die Hand vom Halfter zurück. Shut Fargo grinste. »Sind wir es nicht, Jack? Wir sind Schakale. Mit solchen Worten kann Whiteman uns nicht herausfordern.« Nun lachte auch Terry Higgins. »Whiteman redet dummes Zeug, Jungs. Meine Unschuld wird sich bald herausstellen. Reitet zur Ranch und berichtet meinem Alten, was hier gesche-
hen ist! John Dad Higgins wird schon Wege finden, mich aus dem Jail zu holen.« Jerry hielt die beiden Revolverschwinger fest im Auge, als sie den Saloon verließen, draußen ihre Pferde bestiegen und davongaloppierten. Er nickte zufrieden und nahm Higgins' Revolvergurt entgegen. »Gehen wir!« forderte er den Mann auf. Terry zögerte einen Moment. Mit dem Colt hatte er auch seine Furcht abgelegt. »Ich möchte nur wissen, wie du mir den Mord an Skully nachweisen willst. Ich habe ein gutes Alibi, und du hast keinen Zeugen.« »Vielleicht«, sagte Whiteman nur und deutete zur Tür. »Setze deine Beine in Bewegung. Billy Hound wird dich mit offenen Armen empfangen.« Marshal Hound machte nur große Augen, als die beiden Männer sein Office betraten. »Was willst du mit dem Kerl bei mir?« fragte er zögernd. »Soll ich ihn etwa einsperren? Dann nenne mir den Grund.« »Mord an meinem Gehilfen Skully«, erwiderte Jerry grimmig. »Dafür hat Higgins ein Alibi, gegen daß der Richter nicht angehen kann.« »Dafür habe ich einen Zeugen, der gegen den Mörder aussagt.« Das klang so bestimmt, daß Terry Higgins' Kopf ruckte. Er schluckte mehrmals, als säße ihm der Strick schon am Hals, ehe er schrill auflachte. »Whiteman blufft, Marshal. Er hält uns beide zum Narren. Wir Higgins' sind ehrenwerte Leute.« Jerry knallte dem Keifenden hart die Faust in die Seite, so daß Terrys Geplärre verstummte. »Steck ihn schon in eine Zelle, Billy«, forderte er verärgert, »ich bringe dir den Zeugen, wenn wir uns über gewisse
Schwierigkeiten einig werden.« Er stieß den Häftling durch die offenstehende Gittertür und knallte die Tür ins Schloß. Hound beobachtete ihn. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und wartete, bis Whiteman den Schlüsselbund auf die Platte warf. »Wer ist dein Zeuge?« fragte er dann barsch. »El Dorando«, antwortete Whiteman. Billy Hound sprang, wie von einer Pfeilspitze getroffen vom Stuhl hoch. Er starrte mit ungläubigen Blicken Whiteman an, ehe er ächzend niedersank. »Hast du den Verstand verloren?« fragte er dann kopfschüttelnd. »Dorando ist ein übler Desperado, der keine Ehre kennt. Terry Higgins gehört zur Oberschicht im Tal. Richter Dafferts lacht sich tot, wenn ich ihm deine Geschichte erzähle. Und außerdem…« Er nahm einen tiefen Atemzug, als wollte er sich die Frust aus den Lungen blasen. »El Dorando kommt nie freiwillig nach Socorra. Er weiß auch warum.« Whiteman blieb ruhig. Er erzählte nun von seiner Vereinbarung, die er mit dem Banditen getroffen hatte, und meinte abschließend: »Er hat das Geständnis vom alten Higgins. Und wenn der Richter ihm freies Geleit verspricht, kommt er auch zur Verhandlung. Dies hat er mir fest zugesagt. Du möchtest doch, daß Skullys Tod seine Sühne findet, oder?« »Kein Oder, Jerry. Der Richter hält mich für verrückt, wenn ich ihm dein Anliegen vortrage. Aber verdammt noch mal, ich will es versuchen, obwohl ich mich bis auf die Knochen blamieren werde.« »Wann höre ich von deiner Entscheidung?« »Morgen vielleicht«, brummte Hound. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Jerry Whiteman nickte zufrieden. »Dann hole ich mir morgen die Antwort. Nun halte die Augen offen und verschließe die
Officetür, wenn John Dad Higgins in der Stadt auftauchen sollte. Du weißt, wie rabiat der Rancher ist.« * Für John Dad Higgins gab es schon immer nur ein Gesetz: Das Recht des Stärkeren. Als er von der Festnahme seines Sohnes hörte, zertrümmerte er im aufwallenden Zorn ein paar kostbare Vasen und auch sonstige schwer zu beschaffende Utensilien. Nachdem er sich ausgetobt hatte, kam er schließlich zur Besinnung. Er wußte, diesmal hatte es wenig Sinn, mit Gewalt vorzugehen. Wenn er etwas für seinen Sohn tun wollte, mußte er bis zur Verhandlung warten und sich gegebenenfalls dann entscheiden. Die Gerichtsverhandlung fand zehn Tage später auf dem Marktplatz von Socorra statt. So hatte es Bezirksrichter Dafferts beschlossen, nachdem er erkannt hatte, welch öffentliches Interesse dieser Prozeß erweckte. So war denn auch die halbe Stadt auf den Beinen. Natürlich war auch John Dad Higgins mit einem großen Aufgebot erschienen. Sie bildeten eine Front in dem quadratisch eingezäunten Platz. Unter einem weiten Regenschirm, der den Richter vor den Sonnenstrahlen schützte, saß Daniel Dafferts. Links von ihm die Geschworenen. Vor einer Bank, aus dem ›Nugget‹ herbeigeschafft, an den Händen gefesselt, stand der Angeklagte, bewacht von Marshal Hound und seinem Deputy Talbot. Terry Higgins hatte bereits seine Aussage gemacht. Seine Lügen wurden von John Dad Higgins und seinem Sohn Slim bestätigt. Nun wartete der Richter ungeduldig auf den Zeugen der An-
klage. Er schaute verunsicherte auf den Marshal, der erregt auf seinen kurzen Beinen trampelte und immer wieder die MainStreet hinauf blickte, die zum Teil von einer Menschenmauer verdeckt wurde. John Dad Higgins begann bereits spöttisch zu grinsen und warf die Frage auf, wo nun Hounds Zeuge bliebe. Auch der Beklagte machte spöttische Bemerkungen. Doch dann trabten plötzlich zwei Reiter die Straße herunter und durchbrachen die Menschenmauer. Jerry Whiteman und sein Zeuge. »Dorando!« Dad Higgins' Miene verfinsterte sich, als er den Grenzbanditen erkannte. Er spürte auf einmal ein ekelhaftes Würgen in der Kehle. Slim, sein Filius, stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus. »Dieser stinkende Greaser hat uns schmählich reingelegt«, flüsterte er seinem Vater zu. Drohende Stimmen wurden laut, als die Bürger den Desperado erkannten. »Ruhe!« donnerte Richter Dafferts, und sein Hammer schlug wilde Takte auf dem Tisch. »Ich bitte um Ruhe, sonst muß ich den Platz räumen lassen!« Der Lärm verstummte, und der Richter wandte sich an den Zeugen, der aus dem Sattel gestiegen war und sein Pferd heranführte. »Sie haben eine Aussage zu machen, Miguel y Campo?« Stolz warf der Halunke den Kopf in den Nacken. »Don Miguel y Campo«, berichtigte er. »Mein Vater war ein Caballero und Edelmann. Ja, ich möchte hier aussagen.« »Er ist ein gewöhnlicher Bandit und Straßenräuber!« schrie John Dad Higgins aufgebracht. »Sein Steckbrief hängt an jeder Bretterwand in Texas. Und dieser Bastard will meinen Sohn zum Mörder stempeln? Du machst dich lächerlich, Richter.«
»Halten Sie den Mund, Higgins!« grollte Daniel Dafferts mit hochrotem Gesicht. El Dorando hatte sich umgewandt. Er blickte Dad Higgins herausfordernd an. »Du nennst mich einen Banditen, Higgins? Du vergißt dabei die vielen dunklen Geschäfte, die wir miteinander getätigt haben. Gut, du warst nie kleinlich, wenn ich dir die gestohlenen Rinder deiner Nachbarn abnahm und über die Grenze trieb. Du hast Tacker beraubt. Und Summer. Du hast den alten Carson bestohlen, bis kaum noch ein Longhorn auf seinen Weiden stand. Du wolltest sein Land und hast ihn wahrscheinlich umbringen lassen. Und ausgerechnet du spielst hier den Ehrenmann und nennst mich einen schäbigen Banditen?« Er spie verächtlich in den Sand. »Warst du es nicht, der mir vor zwei Wochen sechstausend Dollar geboten hatte, damit ich El Diablo«, er deutete mit ausgestrecktem Arm auf seinen Begleiter, »ins Jenseits befördere? Ist es Lüge, daß ich Gast auf deiner Ranch war?« »Alles Lüge!« heulte der alte Higgins mit sich überschlagender Stimme. »Hängt diesen verlogenen Bastard auf!« »Hängt ihn!« schrie nun auch Slim Higgins aus Leibeskräften. Doch El Dorandos Stimme übertönte den Tumult. »Als ich zuletzt auf der Nordranch war, hat er mir stolz erzählt, wie er seinen Nachbarn Whiteman in die Knie zwingen wollte. Ganz offen prahlte er, daß Terry, sein Sohn, den alten Cowboy Skully kaltblütig ermordet hat. Dies schwöre ich, Ehrwürden, bei meinem Seelenheil und der Madonna von Guadalupe.« »Hängt das Greaserschwein, stopft ihm das Maul mit einem Strick!« brüllten nun auch Fargo und Duffton mit vereinten Kräften. Drohend bewegten sich Higgins' Vasallen auf den Mexikaner zu, dessen Lächeln zu einer starren Maske gefror. Seine
dunklen Augen suchten Hilfe bei Whiteman, und sie fragten stumm: Wo ist dein Versprechen geblieben, das mir einen freien Abzug garantierte? Wo ist es geblieben, El Diablo?« Whiteman stand körpernah bei ihm. Wie hingezaubert lag der schwere Colt in seiner Faust. »Zurück, Männer!« drohte er. »Wer sich an dem Zeugen vergreift, den werde ich erschießen!« Die Katastrophe war offenbar nicht mehr aufzuhalten. Doch in diesem Augenblick bitterer Entscheidung kam unerwartet Hilfe von Jeffrey Tacker, dem Rancher aus dem Osttal. Ein Ring von zwanzig entschlossenen Cowboys umringten die Bedrohten. In ihren nervigen Fäusten lagen großkalibrige Revolver, die die Menge bedrohten. Rancher Tacker war auf den Richtertisch gesprungen und feuerte einen Schuß in den Himmel. »Schluß jetzt«, grollte er mit wütender Stimme, »und keine Unbesonnenheit, Männer! Dies hier ist eine Gerichtsverhandlung. Von Lynchjustiz halte ich nichts. Hier geht es darum, die Wahrheit zu ergründen und die Lüge zu verdammen. Es ist Tatsache, daß mir in den letzten Jahren ganze Herden von meinen Weiden gestohlen wurden. Und immer waren Higgins' Reiter in der Nähe meiner Weiden gesehen worden. Wenn es stimmt, was dieser mexikanische Halunke aussagt, dann haben wir…« Da verlor John Dad Higgins endgültig die Nerven und beging den entscheidenden Fehler. Er riß seinen Colt hoch, visierte den Rancher an und schoß. Die Kugel traf Tacker mitten in die Brust und brachte ihn zum Verstummen. Das Chaos erreichte seinen Höhepunkt. »Holt Terry raus!« schrie Higgins mit wutschnaubender Stimme. »Fargo, Duffton, das ist eure Aufgabe. Die andern zu
den Pferden!« Schüsse peitschten in den Tag, als Higgins und seine Männer sich rücksichtslos einen Weg durch die Menschenmenge bahnten. Hilferufe, gefüllt mit grellen Schmerzensschreien, mischten sich in die dumpfen Abschüsse von Revolvern. Dem folgte der donnernde Hufschlag davongaloppierender Pferde. Als endlich Ruhe einkehrte, wurde die Szene übersichtlich. Überall wälzten sich Verletzte im Straßenstaub. Mit verstörten Blicken, betäubt von den unerwarteten Geschehnissen, standen Bürger am Wegrand, und all diese Bilder erschienen ihnen wie böse Alpträume. Doc Mortimer stürmte aus seinem Haus. Er beugte sich über Welling und erkannte, daß der Barbier tot war. Der Schmied hatte eine Schußwunde am Oberarm. Er reichte Tom Beard, Wellings Gehilfe, Verbandszeug und eilte zum Richtertisch. Rancher Tacker lag besinnungslos auf der Tischplatte. Blut tränkte sein Hemd, sickerte auf die graue Platte. »Brustschuß«, stellte der Doc fest. »Bringt Tacker in mein Haus, damit ich ihn verarzten kann!« Drei Cowboys trugen den Boß davon. Nur langsam fand Marshal Hound seine Tatkraft wieder. »Richter«, sagte er zu dem erstarrten Dafferts, »John Dad Higgins hat uns sein wahres Gesicht gezeigt. Ich brauche Haftbefehle für diese Higgins-Brut. Ein Aufgebot von tüchtigen Burschen, um den Flüchtenden habhaft zu werden.« Er wandte sich an die Menge, die schweigend den Platz füllte. »Ich brauche Freiwillige, die mit der Waffe umgehen können und keine Feiglinge sind. Fünfzig Reiter mit ausdauernden Pferden.« Stan Gorry, Tackers Vormann, trat an den Marshal heran. »Auf meine Leute kannst du rechnen, Marshal. Daß wir kämpfen werden, sind wir unserem Boß schuldig.«
Hound nickte dankbar. Innerhalb einer Stunde hatte er sein Aufgebot. Schließlich trat El Dorando an Hound heran. »Wenn Sie meine Hilfe nicht ausschlagen, Marshal, werde ich mich den Männern anschließen. Sollten die Flüchtenden die Grenze überschritten haben, werden meine Bandaleros sie über die Grenze zurücktreiben.« Der alte Marshal sagte weder danke noch sonst ein Wort. Nur ein seltsamer Blick streifte den Outlaw, ehe er sein Pferd bestieg und der Posse den Befehl zum Aufbruch gab. Jerry Whiteman hatte sich zurückgehalten, weil der Mexikaner seinen Schutz begehrte. Er hatte dessen letzte Worte vernommen. »Reite über die Grenze, Dorando«, riet er, »und tue, was du für richtig hältst. John Dad Higgins hat die Katze aus dem Sack gelassen und mit der Schießerei den entscheidenden Fehler begangen. Er wird nicht mehr froh in diesem County.« Der Mexikaner hatte bereits sein Pferd bestiegen. Er nickte lächelnd. »Vielleicht sehen wir uns bald wieder, Compadre«, meinte er und sprengte die Straße hinauf, die ins offene Land führte. * Der nächtliche Feuerschein, der blutrot über den Hügeln stand, ließ Marshal Hound erahnen, was mit Higgins' Ranch geschehen war. Als sie am Morgen das Anwesen erreichten, fand die Posse nur noch rauchgeschwärzte Trümmer vor. »Higgins wußte genau, was ihn erwartet. Er hat die Brücken hinter sich abgebrochen und sein Lebenswerk zerstört«, sagte Deputy Talbot und zwirbelte kopfschüttelnd die spitzen Enden seines Bartes.
Marshal Hound lächelte grimmig. »Das ist nur einer seiner unkontrollierten Wutausbrüche, Rich, den er wahrscheinlich längst bereut hat. Higgins ist nicht geflohen, er hat sich nur abgesetzt, um seine weiteren Schritte zu planen. Der Landsitz gehört ihm noch, und auf den Weiden grasen noch seine Herden. Die läßt er nicht im Stich.« »Die Bande hat wohl über die Grenze gewechselt«, meinte der junge Beard. Jerry Whiteman, der bald Anschluß an das Aufgebot gefunden hatte, schüttelte bestimmt den Kopf. Er hatte in der Morgendämmerung die nähere Umgebung nach Spuren der Flüchtenden abgesucht und die erschreckende Entdeckung gemacht, daß die Fährte südwärts führte. »Ihr Fluchtweg führt auf mein Land. Wahrscheinlich werden sie die Lowellfurt benutzen, um aus deinem Amtsbereich zu verschwinden. Ich fürchte nur, Higgins wird sich an meinem Vieh vergreifen. Hoffentlich ist mein Gehilfe klug genug, daß er Higgins die nötige Freiheit läßt und kein Scharmützel mit den Halunken beginnt.« »Hm«, sagte Billy Hound nachdenklich. »Wenn deine Vermutung stimmt, würde Dorando ihnen direkt in die Arme laufen. Das wäre sein Todesurteil.« »Ja!« Whiteman wischte sich besorgt über die trocknen Lippen. »Er weiß genau, was ihm blühen wird, wenn er Higgins in die Hände fällt. Aber ich denke doch, Dorando ist schlau genug, um sich nicht von der Bande abfangen zu lassen. Außerdem lagern jenseits der Furt seine Komplizen und warten auf seine Rückkehr. Es sind genug erfahrene Männer, um Higgins das Fürchten zu lehren.« »Hoffen wir, daß die Flüchtenden noch nicht den Fluß durchschritten haben, denn der Rio ist die natürliche Grenze, an der meine Befugnisse enden.« Er stieg ächzend vom Gaul.
»Tränken wir die Pferde und reiten dann weiter.« Man spürte die Ungeduld, die den Marshal beherrschte, denn der Gedanke, Dad Higgins einen Strick zu drehen, war für ihn süß wie wilder Honig. * Um diese Zeit, als die Posse die Fährte der Flüchtenden aufnahm, entdeckte El Dorando im aufwachenden Tag den Reiterpulk, der sich zügig der Grenze näherte. Salbei, niederes Buschwerk boten dem Mexikaner sicheren Schutz vor den Blicken der Reiter, die kaum eine Viertelmeile ahnungslos an ihm vorüberzogen. Er lächelte zuversichtlich, während er sein Pferd an dem Zügel führte, denn er wußte, daß jenseits der Furt seine Leute warteten. Langsam verdrängte die aufgehende Sonne die letzten Schatten der Nacht. Über den Sierra Madre stieg die Sonne wie ein glühender Ball auf. Die Reitergruppe hatte inzwischen den Fluß erreicht und näherte sich der Furt. Doch irgendwann kam der Trupp ins Stocken, denn deutlich sah der stille Beobachter, wie sie ihre Pferde zügelten und auf ihren Boß einsprachen. Sie sind auf meine Männer gestoßen, dachte Dorando und stellte sich vor, welchen Schrecken Higgins und dessen Leute bekamen, wenn sie vor den Gewehrläufen der Bandaleros standen. Doch überraschend formierte sich der Reiterpulk und durchquerte die Furt, ohne daß nur ein Schuß fiel. Für wenige Sekunden sah Dorando die Reiter einen Steilpfad hochklettern. Dann entschwanden sie seinen Blicken. El Dorando schwang sich in den Sattel und galoppierte auf
die Furt zu. Nach etwa einer Stunde stieß er auf seine Männer, die ihn herzlichst begrüßten. Der Jefe rügte, daß sie die Gringos einfach hatten ziehen lassen. Doch José Alvarez, sein Unterführer, winkte lächelnd ab. »Natürlich haben wir die Gringos gesehen, Jefe, aber mit dem Fernrohr haben wir auch dich entdeckt. So sagte ich mir, der Jefe ist in der Nähe. Er soll die Entscheidung treffen.« Alvarez' Entscheidung fand Dorando vernünftig. Er lobte seinen Unterhäuptling, ehe er lachend sagte: »Higgins und seine Revolvermänner haben in Socorra ein Blutbad angerichtet. Sie sind auf der Flucht vor Marshal Hound und seiner Posse.« Mit kurzen Sätzen erzählte er, was in Socorra geschehen war, ehe er hinzufügte: »Der Sternträger jagt nun den alten Higgins, wie er uns jagt, wenn wir die Grenze wechseln und auf der Suche nach guten Weidegründen sind. Ich werde noch einmal mit ihm sprechen.« Alvarez reichte Dorando das vorsintflutliche Fernrohr, das er irgendwann einem Edelmann gestohlen hatte. »Schau hindurch, Jefe, die Gringos stehen unten am Fluß. Sie palavern miteinander, als wären sie ratlos.« »Sind sie auch«, erwiderte El Dorando. Er hielt das Glas am Auge. »Die Gesetze ihres Landes enden an dieser Grenze. Wir werden dem Marshal helfen«, er setzte das Glas ab und reichte es Alvarez, »denn wir werden ihm die flüchtenden Gringos in die Arme treiben. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.« »Bist du betrunken, Jefe?« fragte Alvarez bestürzt. »Willst du einem Mann helfen, der uns ständig jagt?« »Ich will es dir erklären.« Ein verschlagener Blick trat in Dorandos dunkle Augen. »Der Gringohäuptling kann nicht mehr über die Grenze, weil ihn dort der Strick erwartet. Sein einziges Kapital, das ihm verblieben ist, sind seine Longhorns. Was
wird er also tun?« Er wartete nicht auf die Beantwortung seiner Frage, sondern fügte hinzu: »Er wird heimlich seine eigene Herde stehlen müssen, um flüssig zu werden. Verkaufen kann er sie nur… na, José, wo wohl?« »In Mexiko, Jefe!« »Klug kombiniert, Jose«, Dorando lächelte zufrieden. »Um dies zu verhindern, werden wir Higgins und seinen Anhang dem Marshal in die Hände spielen. Setzt der Marshal die Bande fest, sind die Nordweiden ohne Aufsicht. Das heißt, mindestens achtbis zehntausend gutgenährter Rinder werden vorübergehend zu Mavericks, also herrenlos, und lassen sich ohne Risiko forttreiben.« »Von uns, Jefe.« Alvarez schien endlich begriffen zu haben, worauf sein Boß hinauswollte. Er lachte übermütig. »Du bist das größte Schlitzohr, das unser schönes Mexiko geboren hat.« »Ich werde mit ihnen sprechen.« Alvarez' Lob hatte Dorandos Rückgrat gestärkt. Er schwang sich in den Sattel seines Pferdes und erfaßte die Zügelbänder. Er winkte seinen Leuten aufmunternd zu und trabte die Serpentine hinunter. Am Fluß parierte er sein Pferd. »Hallo, Muchachos!« rief er lautstark über das fließende Gewässer, so daß ihn jeder hören konnte, »ihr kommt zu spät, denn eure Feinde haben längst den Fluß durchquert und reiten irgendwo oben im Gebirge! Euer Pech.« Er schlug grinsend auf seine Brust. »Aber euer Glück, daß El Dorando euer Freund geworden ist. Ich habe El Diablo versprochen, daß ich helfen werde. Wartet ein paar Tage an der Furt. Meine Brüder und ich werden die Flüchtenden über den Rio Grande treiben. Ihr braucht sie nur mit offenen Armen zu empfangen. Nun empfehle ich Wachsamkeit und Geduld, Amigos.« Er winkte mit beiden Händen und zog dann sein Pferd herum, um die weiteren Pläne mit seinen Kumpanen durchzu-
sprechen. * Die zerklüftete Bergwelt am großen Fluß war El Dorandos Reich. Schon in frühester Jugend war er durch die weiten Bergtäler am Fuße der Sierra Madre gestromert. Er kannte jede verborgene Höhle, jeden versteckten Arrayo und jede kleine Quelle, an der ein durstiger Reiter sich stärken konnte. Er sondierte das Terrain, und schon nach zwei Tagen entdeckten seine ausgesandten Späher Higgins' Lager am Rande einer öden Steinwüste. Dorando, der von der Nachricht erfuhr, wartete den neuen Tag ab, ehe er sich im Schutz seiner Bande ihrem Versteck näherte. Higgins' Leute schliefen noch, und nur die Wache entdeckte den einsamen Mann, der gemächlich sein Pferd herantrieb. Er feuerte einen Warnschuß in die Luft, was die gesamte Mannschaft auf die Beine brachte. Fargo, der im Windschatten einer Distelhecke lagerte, sprang verschlafen auf die Beine. Als er den Reiter erkannte, schüttelte er ungläubig den Kopf und griff nach seinem Karabiner. »Hallo, Compadre!« grüßte der Mexikaner. Um seine friedliche Absicht zu bekunden, hatte er beide Arme in Schulterhöhe erhoben. »Du mieser Sandfloh«, zischelte Fargo. Sein Blut kochte in den Adern, als er daran dachte, daß dieser hinterhältige mexikanische Bastard der Ursprung allen Ärgers war, »du wagst es, uns noch unter die Augen zu treten? Ich werde dir ein paar blaue Bohnen in dein Fell brennen…« »Zu viele Worte auf einmal«, unterbrach der Mexikaner den Tobenden. Er schob gelassen den drohend auf ihn gerichteten
Lauf der Winchester beiseite. »Du wirst nur eines tun, Pistolero, du weckst deinen Herrn, weil ich etwas mit ihm besprechen möchte.« Aber das war nicht nötig, denn der Schuß des Wächters, der grollend durch die Bergschlucht zog, hätte eine Armee aus ihren Träumen gerissen. Der Big Boß stand plötzlich vor dem Mexikaner. Noch ehe der reagieren konnte, schlug Higgins ihm seinen Coltlauf gegen den Schädel. Dorando taumelte einige Schritte zurück. Während er den Schläger suchte, wischte er bedächtig das Blut von den aufgeschlagenen Lippen. Für Sekunden lag ein tückischer Glanz in den Augen, doch dann lächelte er schmerzhaft. John Dad Higgins stand schweratmend vor dem Opfer. Zornesröte bedeckte sein Gesicht, und mit einer hastigen Bewegung fuhr seine Hand durch das wirre, greise Haar. »Du wagst es noch einmal, mir vor die Augen zu treten?« fauchte er stimmgewaltig wie ein Löwe. »Ich werde dich pfählen, nein, zwischen vier Gäule spannen und auseinanderreißen lassen.« »Du wirst gar nichts tun, John Dad Higgins«, erwiderte Dorando ruhig und deutete mit dem Daumen über die Schulter zu den flachen Hügeln im Hintergrund. »Ich komme nicht als Lebensmüder zu dir. Dort drüben, zwischen Hecken, Büschen und Kakteen, zeigen fünfzig Gewehre auf deinen Kopf, und wenn ich jetzt ein Zeichen gebe, bist du ein toter Mann.« Higgins' Blick floh zu den Hügeln, und auch die anderen sahen nun die bunte Gesellschaft zwischen Agavenstauden und Gesträuch. El Dorandos Desperados… Dad Higgins stieß eine wüste Verwünschung aus. Dennoch senkte er seinen Colt.
»Was soll dieses Theater, Greaser?« fragte er finster, denn er erkannte, daß der Mex alle Trümpfe in der Hand hielt. »Ich stelle dir ein Ultimatum, Ranchero. Du bist in meinem Land, auf El Dorandos Territorium. Hier gelten meine Gesetze. Geh über den Fluß zurück, dorthin, wohin du gehörst! Das ist meine Forderung.« Higgins zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Du verlangst, daß wir nach Texas zurückgehen? Jetzt, wo dort der Teufel los ist? Du mußt verrückt sein. Wir bleiben, wo es mir gefällt, basta.« »Wie du meinst.« Lächelnd wandte El Dorando sich um. Da schrie Higgins heiser: »Du bleibst! Du bist mein Gefangener… Gordon, Talman, packt den Bastard und legt ihn in Stricke!« Doch die beiden zögerten einen Augenblick, denn Dorando hatte beide Arme hoch in den Himmel gestreckt, was wohl ein bestimmtes Signal bedeutete, denn in derselben Sekunde wühlten unzählige Geschosse den Lagerboden auf. Staub und Steine spritzten hoch. Als das Echo der Schüsse verhallte, war John Dad Higgins weiß wie eine Kalkwand. Und deutlich spürte er, dieser mexikanische Bastard hatte das Spiel gewonnen. Der Weg nach Mexiko war versperrt. Er schwieg und blickte verbissen hinter dem Reiter her, der stolz auf dem Rücken seines Pferdes saß und gemächlich davontrabte. Schließlich erwachte er aus seiner Erstarrung. Er setzte sich auf seine Decke, rief seine Söhne und die beiden Revolvermänner. »Ihr habt gehört, was diese Ratte fordert. Wir sind zu schwach, um mit ihm einen Krieg zu führen. Wir sollen über den Fluß zurück, wo wahrscheinlich dieser Sternträger mit seiner Posse auf uns wartet.« Sein Blick wanderte zum fernen
Hügel, wo El Dorando bei seinen Leuten stand. »Er muß mich für dumm einschätzen. Aber es gibt einen anderen Weg. Wir ziehen hinunter nach Ciudas Juárez und nehmen die Brücken nach El Paso.« »Du vergißt, wir sind Gesetzlose, Dad«, unterbrach Slim Higgins. »Unser Steckbrief wird bald in jedem Settlement hängen. Ich schlage vor, wir nehmen das Risiko in Kauf und ziehen durch die Furt. Wenn Hound dort wartet, werden wir eben kämpfen. Wir haben kaum einen Dollar in den Taschen. Die Herden sind unser Kapital.« Sein Vater ließ ihn ausreden, nickte sogar, ehe er fortfuhr: »Die Herden sind unser Kapital. Über die Grenze ins Landesinnere Mexikos können wir sie nicht treiben. Dort wartet dieser schlitzäugige Bandit mit seiner Horde. Sie nach Norden außer Landes zu führen, ist chancenlos. Dafür ist der Trieb zu schwerfällig. Wir bleiben also bei meinem Plan, Slim. In El Paso habe ich Freunde. Und einen Mann, der die gesamte Herde übernimmt und sie nach Abilene zum Verkauf führt. Bis zu seiner Rückkehr werden wir in einem sicheren Versteck leben. Also treffen wir unsere Vorbereitungen. Zunächst müssen wir die Jungs loswerden, Slim. Besprich die Angelegenheit mit dem Vormann. Sag ihm, daß jeder seinen Lohn bekommen wird, wenn ich die Herde in El Paso verkauft habe. Solange sollen sie sich hier im Grenzland aufhalten.« Sein Blick streifte Fargo und Duffton, die lässig am Feuer saßen. »Euch brauche ich noch, denn euren Lohn müßt ihr euch noch verdienen.« Shut Fargo grinste. Daß Higgins so mit ihnen redete, schmerzte ihn nicht. Er würde ihm später die Antwort geben, dann, wenn er seinen Lohn kassiert hatte. Eine halbe Stunde später trabten fünf Reiter, schwer bewaffnet und äußerst wachsam, über das Hochplateau zum Paßweg hinunter.
Ihnen war bewußt, daß sie ein großes Risiko eingingen, denn irgendwo zwischen den Hügelketten lauerten ohne Zweifel Dorando und seine Grenzbanditen. * John Dad Higgins frohlockte, als im Dämmerlicht der gewundene Arrayo vor ihnen lag, der hinunter zum Großen Fluß führte. In zwei Tagesreisen über verborgenen Pfaden, so hoffte er, würden sie in El Paso sein. Er betrachtete sein schweißnasses Pferd, das ihn ohne Pause durch die Nacht getragen hatte, ehe er sich seinen Söhnen zuwandte. »Am Ende der Schlucht legen wir eine Rast von zwei Stunden ein. Unsere Gäule sind erschöpft. Sie brauchen Ruhe.« Shut Fargo, der unruhig die hochsteigenden Felsbarrieren absuchte, warnte: »Ich fühle mich erst sicher, wenn wir fünfzig Meilen südlich reiten. Diese Ruhe hier gefällt mir nicht.« Er deutete in den dunklen Eingang des Arrayos, dessen Schluchtwände sich am Zenit fast zu berühren schienen. »Die Schlucht eignet sich für einen idealen Hinterhalt. Wenn der Mexikaner eine Schweinerei im Schilde führt, haben wir keine Möglichkeit, uns zu wehren.« »Mal den Teufel nicht gleich an die Wand«, sagte Slim Higgins. »Bisher ging alles gut. Warum sollte der Bastard uns jetzt noch aufhalten können.« Big Higgins schwieg. Obwohl Fargos Unkenrufe in ihm ein ungutes Gefühl erweckten, setzte er sein Pferd in Trab und verschwand im dunklen Schlund der Schlucht. Nur zögernd folgten seine Begleiter. Gegen Mittag weitete sich die Schlucht zu einem Talkessel. Der Blick ging weit über das Land hinweg, und in der Ferne
hörten sie das schwache Rauschen des Rio Grande. Die Unruhe fiel von ihnen ab, und John Dad Higgins meinte zufrieden: »Wir haben mächtiges Glück gehabt. Der Bandit hat wohl geschlafen. Wir reiten bis zum Flußufer und tränken die Gäule. Wenn wir dem Rinderpfad nach Süden folgen…« Sein Wortfluß stockte, denn wie aus dem Nichts tauchten auf den Hügeln rechts und links Reiter auf, die drohend ihre Waffen auf den kleinen Pulk richteten. »El Dorando!« Slim Higgins erbleichte bis tief in den Haaransatz. Seine Rechte zuckte zum Halfter. »Ich wußte, dieser Teufel gibt keine Ruhe, und jetzt sitzen wir wieder in der Falle.« »Dann nimm deine Pfoten vom Revolver!« zischte Jack Duffton, »bevor der Bastard es sieht und falsch auffaßt. Wir haben keine Chance gegen diese wilde Horde. Laß uns lieber mit ihm verhandeln.« El Dorando drängte sein Pferd auf den Weg. Der alte Higgins erkannte ihn an dem mächtigen, breitrandigen Sombrero, der, mit goldnen Facetten besetzt, im Widerspiel der Sonne schimmerte. »He, Companeros«, hallte es ihnen entgegen, »ihr seid auf der falschen Fährte! Euer Weg führt durch die Lowellfurt, denn ihr seid in Mexiko unerwünscht.« Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, hob er eine Hand, worauf ein halbes Dutzend Flinten in den Fäusten seiner Bandaleros sich krachend entluden und ein Hagel Blei dicht vor den Hufen der Pferde einschlug. Als das Echo der Abschüsse verwehte, schallte Dorandos Stimme wieder auf. »Haben wir uns verstanden, Caballeros? Nach Norden führt euer Weg oder in ein Nichts!« »Verdammt, den Bastard bringe ich um«, heulte Terry Higgins wutschnaubend. Seine Rechte berührte den Scabbard, es hatte den Anschein, als würden seine Nerven durchgehen.
»Warum brechen wir nicht durch?« Shut Fargo, der die Situation klar erkannte, trieb seinen Gaul rasch in die Flanke des Fluchenden. »Behalte die Nerven, Terry, und laß die Hände von der Kanone«, sagte er hart. »Gegen die Übermacht dieser tollwütigen Bestien können wir nichts unternehmen. Ein unüberlegter Schuß bringt das Faß zum Überlaufen. Es wäre Selbstmord, sich den Wünschen Dorandos zu widersetzen. Sie reiten uns nieder und stampfen unsere Leiber in die Erde. Tun wir doch, was er will. Dann hält er Ruhe.« »Du weißt, daß Hound an der Furt auf uns wartet«, grollte Terry. Seine Hand strich nervös über die glühende Gesichtsnarbe. »Wahrscheinlich hat er unseren Galgenstrick dabei.« »Wir wissen es nicht.« Fargo schüttelte den Kopf. »Wir vermuten es nur. Vielleicht auch hat der Marshal die Geduld verloren und ist nach Hause geritten. Eine Posse in seiner Größe kann man nicht lange zusammenhalten. Die Chancen stehen also fünfzig zu fünfzig. Hier aber zu Null.« »Shut hat recht«, sagte John Dad Higgins düster. »Kehren wir um und suchen den Weg über das Hochland. Wir werden es so einrichten, daß unsere Pferde frisch sind, wenn wir die Furt erreichen.« Er drohte dem Gegner mit der Faust. Dann ritten sie los. * Ihre Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Sie führten ihre erschöpften Pferde über die ausgedörrte Ebene. Sand, brüchiges Gestein und endlos reichende Distelfelder begleiteten die Reiter. Und über ihnen brannte erbarmungslos die Sonne. Einen Tag noch mußten sie diese Hölle erleben, ehe kühle Schatten sie
aufnahmen. Plötzlich lag Mißtrauen zwischen ihnen. Einer traute dem anderen nicht. Jeder sah in dem anderen den Urheber dieses Dilemmas. »An dieser verdammten Misere trägst nur du die Schuld, Terry«, grollte Jack Duffton, dessen hagerer Körper fast ausgelaugt war. »Der Marshal wollte deinen Kopf, und er hatte ein Recht darauf. Warum mußtest du auch diesen alten Cowboy erschießen? Du bist ein Sadist, daß habe ich schon lange bemerkt.« Sie lagerten inmitten stachligen Gestrüpps im Schatten eines Riesenkandelabers und suchten Kraft für den Rest des Weges durch diese Hölle. »Halt's Maul!« rief der alte Higgins verärgert und warf Duffton einen giftigen Blick zu. »Ich bezahle dich nicht für deine Dummschwätzerei. Was geschehen ist, ist geschehen und läßt sich mit Vorwürfen nicht mehr ändern. Wir stecken bis zum Hals im Dreck und müssen nun sehen, wie wir da wieder herauskommen.« »Und warum das?« warf Shut Fargo mißmutig ein. »Weil du in Socorra plötzlich verrückt gespielt hast. Wir hätten auch einen anderen Weg gefunden, um Terry vom Strick zu schneiden. Aber du mußtest gleich wie ein Amokläufer um dich schießen.« »Streitet euch nicht«, sagte nun Slim Higgins, »suchen wir einen Weg, dem Marshal ein Schnippchen zu schlagen. Vorausgesetzt, er wartet überhaupt auf uns an der Furt.« »Zweifelst du etwa dran?« Fargo lachte spröde. »Das Ganze ist ein abgekartetes Spiel. El Dorando fürchtet uns nicht als Konkurrenz. Er ist seinem Freund El Diablo einen Gefallen schuldig und spielt ihm nun den Mörder seines Cowboys in die Hände. Meine Hochachtung vor Whitemans Ausdauer.
Wir löffeln hier die trübe Suppe deines Bruders aus.« »Du kannst jederzeit verschwinden!« rief der alte Higgins rauh. »Niemand hält dich auf.« »Vielleicht die dort draußen.« Fargos Arm schwang im Halbkreis über das öde Land. »Oder glaubst du, Dorando läßt uns aus dem Auge?« »Reiten wir weiter. Die Gäule haben sich erholt.« Slim Higgins beendete den Disput, ehe er zu hitzig wurde. Doch ihr Streit war programmiert, denn als sie am Abend ein Feuer aus trockenem Distelgesträuch entzündet hatten, herrschte Terry Higgins Duffton an: »Was grinst du so dämlich? Bin ich schon ein toter Mann?« Jack lachte verhalten. »Ich stellte mir gerade vor, was du für ein schönes Bild in Socorra abgegeben hättest. Einen Strick um deinen dreckigen Hals, eine Meute Gaffer, die deinen Abgang mit Hochrufen feierten und…« »Halt's Maul!«Terry Higgins erhob sich. Seine rechte Hand lag auf dem Revolverknauf. »Halt's Maul oder ich bringe dich um.« »So?« Fast lässig richtete sich der Scharfschütze auf. Er spreizte die Beine und beugte leicht den Oberkörper vor. Seine Augen schillerten im Licht des Feuers gelb, wie die Augen einer Raubkatze. »Versuche es doch.« Terrys Gesicht war haßverzerrt. Eine Hand lag wie eine Kralle über dem Revolverknauf. Da machte er eine Bewegung. Vielleicht wollte er nur das Gewicht seines Körpers verlagern, doch der Gunner faßte es falsch auf. Seine Rechte zuckte blitzschnell nieder, umfaßte den Kolben des Colts und wirbelte die Waffe hoch. Ein Schuß peitschte in die Nacht. Jack Dufftons Körper streckte sich. Als das Echo der Detonation verhallte, floh auch Jacks Seele in eine andere Welt.
John Dad Higgins, der gelassen an seinem Sattel lehnte, hielt den rauchenden Colt in der Faust. »Ich denke, wir haben genug Ärger«, sagte er zornig. »Wir sollten vernünftig sein und die Nerven behalten. Jack gingen sie durch, und ich konnte nicht hinnehmen, daß er meinen Sohn tötet.« Shut Fargo starrte ihn feindselig an. Seine Lippen waren zusammengepreßt und eine drohende Falte stand steil über der Nasenwurzel. »Du begehst Fehler über Fehler«, sagte er, und es klang wie eine Drohung. »Jack Duffton war mein einziger Freund.« Der Rancher schob den Colt ins Halfter zurück. Lächelnd winkte er ab. »Was bedeutet eine Freundschaft? Sie ist nur die Frage des Preises. Sein Tod bringt dir nur Gewinn. Du bist sein Freund, dann bist du auch sein Erbe. Dir gehören sein Gaul, seine Ausrüstung und die Prämie, die ich ihm schulde. Beruhigt dies nicht dein Gewissen?« Shut Fargo lehnte sich zurück. Er schloß die Äugen und hatte den Worten des alten Mannes gelauscht. Sollten sie ungeschoren El Paso erreichen, wollte er den Narren töten. Nur der ausstehende Lohn hinderte ihn daran, es jetzt zu tun. Daran konnten auch seine Söhne nichts ändern. Old Higgins ahnte wohl Fargos düstere Gedanken. Er griff in die Satteltasche und warf Fargo einen prallen Beutel zu. »Dies sind dreitausend Dollar in Gold, Shut, damit du siehst, daß ich zu meinem Vertrag stehe. Den Rest erhältst du in El Paso aus dem Verkauf der Herden. Und nun begrabe deinen Freund, wenn du schon sein Erbe bist.« Er wollte Shut Fargo nicht zu seinem Feinde haben, wenigstens solange er in seinem Rücken ritt und Marshal Hound an der Furt zu erwarten war. Er kroch unter seine Decke und starrte nachdenklich in die
Flammen. Er machte Bilanz mit seinem Leben und kam zu der Überzeugung, mit Jonny Carsons Tod einen seiner größten Fehler begangen zu haben. Um sein eigenes Anwesen machte er sich keine Gedanken. Er würde eine größere Agentur mit dem Verkauf beauftragen und irgendwo hoch im Norden, wo ihn niemand kannte, von neuem beginnen. Der Alte gähnte und schloß müde die Augen. * El Dorando, der stets auf Sichtweite der Higgins-Horde ritt, entdeckte am Morgen, daß eines ihrer Pferde reiterlos war. Er erinnerte sich des einzelnen Schusses in der Nacht und dachte: Die Schakale hacken sich gegenseitig die Augen aus. Er bildete aus seinem Anhang zwei Gruppen und blieb fortan in ständiger Tuchfühlung mit den Gejagten. Er gab sich kaum Mühe, Versteck zu spielen, denn er ahnte, daß auch Higgins ihn längst entdeckt hatte. Der Weg, der am Nachmittag in eine Serpentine mündete und in vielen Windungen talwärts führte, war rauh und übersät von abgesprengten Felsstücken. Doch das ferne, schwach hörbare Rauschen des Rio Grande war Labsal für Freund und Feind, zeigte es doch, daß sie bald die Grenze erreichen würden. Für Dorando war es der Augenblick, wo er El Diablo sein Wort einlösen konnte. Für Higgins die entscheidende Phase, die über Leben und Tod entscheiden sollte. »Wenn Hound drüben wartet, hängen wir bald am Galgenbaum«, meinte Slim Higgins, als sie die Moräne erreichten, die bis zum Fluß hinunter führte. »Er kennt kein Pardon.« John Dad Higgins nickte verbissen. »Sie dürfen und werden uns nicht erwischen, Junge. Und wenn, werden wir unsere
Haut so teuer wie möglich verkaufen. An den Galgen bringt Hound mich nicht. Prüft eure Waffen und haltet sie bereit, wenn wir durch die Furt ziehen.« Er zügelte sein Pferd. Wie ein böses Omen entdeckte er El Dorando, der über ihm auf einer Felsnase stand und den weiteren Weg seiner Feinde verfolgte. Drohend reckte Higgins die Fäuste gen Himmel. »Gnade dir Gott, wenn sich noch einmal unsere Wege kreuzen sollten!« rief er grollend. Dann trabte er weiter. Die Furt war nun in greifbarer Nähe. Er zuckte nicht einmal zusammen, als in schneller Reihenfolge Schüsse fielen, mit denen El Dorando der lauernden Posse ihre Ankunft anzeigte. Nur seine Söhne erschraken. Fröstelnd hoben sie die Schultern. Spitz und schmal schauten ihre Gesichter aus den verfilzten Barten. Nun, kurz vor der Entscheidung, griff die Angst nach ihnen. Nur Shut Fargo blieb gelassen. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Ehe sie ins schilfbewachsene Uferland einbrachen, wandte Slim sich an seinen Vater. »Wir sollten doch mit Dorando verhandeln. Vielleicht gibt er den Weg nach Süden frei, wenn wir ihn mit einer Prämie locken. Shut trägt das Geld in der Satteltasche, mit dem wir uns vielleicht freikaufen können.« Der Alte schüttelte den Kopf. Er sah Fargos abweisende Miene, als er antwortete: »Dorando hat uns wie eine Herde Vieh durch sein Land getrieben. Warum sollte er jetzt verhandeln? Wir werden kämpfen.« Er blickte zum Himmel. »In zwei Stunden wird es dunkel sein. Wenn der Mexikaner uns diese Frist gewährt, haben wir eine Chance.« »Wenn!« sagte Fargo trocken. »Das klingt nicht optimistisch. Wir stecken bis zum Hals im Dreck. Vor uns die Jäger und im
Rücken mexikanische Lobos. In Wirklichkeit sind wir tot, noch ehe wir den Fluß überquert haben. Weißt du, Boß, ich habe keine Angst vor einem Zweikampf, aber ich kämpfe ungern gegen eine Übermacht, die außerdem in guter Schußposition auf uns lauert. Es war ein kapitaler Fehler von dir, daß du deine Boys zurückgelassen hast. Aber es zeigt mir klar und deutlich, daß El Dorando kein Interesse an ihnen hat. Er will dich ans Messer liefern. Und deine Söhne. Ich bin unbedeutend für ihn. Deshalb werde ich nicht mit dir durch den Fluß reiten, sondern umkehren, solange ich es noch kann.« »Du willst kneifen?« rief Old Higgins erregt. Seine Augen blitzten gefährlich, als er auf die Antwort wartete. »Ich tue das einzig Vernünftige, Big Man. Ich verdufte.« Higgins schwieg zornbebend und angeekelt vor so viel Niedertracht. Nun, wo es gefährlich wurde, ließ Shut ihn im Stich. »Nun gut«, sagte er nach langem inneren Kampf. »Tu, was du für richtig hältst.« In Fargos Miene spiegelte sich heller Unglaube. Er hatte nicht gehofft, daß dieser verbohrte Alte ihn freiwillig ziehen lassen würde. Er lockerte die Zügel, lenkte das Pferd herum. »Auf bald, Freunde, und viel Glück!« rief er über die Schulter und spornte seinen Braunen an. Auf bald, dachte John Dad Higgins mit tückischem Gedanken – sein schwerer Colt lag plötzlich in der Faust – in der Hölle sehen wir uns wieder, Shut. Ein Flammenblitz stach aus der dunklen Mündung, begleitet von einer berstenden Detonation. Die Wucht des Einschlags warf Shut Fargo förmlich aus dem Sattel. »Los, Jungs, wir reiten durch den Fluß!« befahl der Alte dann mit gefühlloser Stimme. »Wir kämpfen und krepieren, oder wir fangen bald ein neues Leben an.« Und so, als hätte er Angst vor der eigenen Courage, trieb er seinen Gaul mit Faust-
schlägen den breiten Pfad hinunter zur Lowellfurt. Nur zögernd folgten ihm seine Söhne, denn sie ahnten, daß sie mit ihrem Alten in den Tod ritten. Sie erreichten die Furt und das andere Ufer, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Schon frohlockten sie, als aus den Büschen und hinter Bäumen Männer traten. Harte, aufrechte Burschen, die ihre schußbereiten Karabiner in den Fäusten hielten und ihnen feindlich entgegenblickten. Dreißig oder mehr Männer zählte Higgins, und diese gewaltige Übermacht erschreckte ihn so, daß er ruckartig seinen Gaul zurückriß, um ihn in den Fluß zu treiben. Aber dort am seichten Wasser wuchs plötzlich ein Wall von bewaffneten Männern mit hohen, breitkrempligen Hüten und bunter Kleidung, die rasch den Uferrand der Furt besetzten. El Dorando und sein wilder Haufen. In Higgins' Rücken fielen Schüsse. Seine Söhne hatten die Nerven verloren und feuerten wild um sich. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Slim aus dem Sattel geschleudert wurde. Und er erkannte Terry, der – mit einem Fuß im Steigbügel hängend – von seinem in Panik flüchtenden Pferd durch die Büsche geschleift wurde. Aus dem flachen Wasser der Furt trabte die massige Gestalt El Dorandos. Sein tückisches Lächeln nahm Higgins den Rest seiner Vernunft. Mit einer wilden Bewegung riß er den Colt hoch und feuerte auf den verhaßten Feind. Ein ungläubiger Ausdruck löste das Lächeln im Gesicht des Desperados. Seine Hände glitten fahrig zur Brust, in der ein Feuer brannte. Aus weiter Ferne hörte er Higgins' grelle, sich überschlagende Stimme, die ihn mit übelsten Worten beschimpfte, hörte aus der Ferne die peitschenden Abschüsse von Karabinern, und in dem blutroten Schleier, der sein Blickfeld bedeckte, sah er seinen Gegner schwer aus dem Sattel
stürzen. Dann fiel auch er in einen dunklen Abgrund, aus dem es keine Wiederkehr gab. * Der Kampf war vorüber. Jerry Whiteman, der zur Furt hinuntereilte, erfuhr von José Alvarez, daß ihr Capitano tot war. Ratlosigkeit und Trauer herrschten, als sie den Toten über die Grenze trugen und schweigend davonritten. In den Kreis seiner eigenen Leute zurückgekehrt, sah Jerry die Toten der Higgins-Sippe. Stumm und friedlich lagen sie im Gras, und nichts an ihnen erinnerte an ihr gewalttätiges Leben. »Ich glaube, Jerry«, sagte Marshal Hound hoffnungsvoll, als seine Leute die Toten in die Sättel ihrer Pferde hoben, »der Friede ist ins Tal zurückgekehrt.« Jerry Whiteman schwieg eine Weile, ehe er zögernd den Kopf schüttelte. »Wirklichen Frieden wird es nie an dieser Grenze geben, denn Männer wie El Dorando oder die streitbaren Higgins' wachsen wie Unkraut aus der Erde. Man muß sie nur rechtzeitig bekämpfen, bevor sie zur Plage werden. So long, Billy!« grüßte er noch einmal, ehe er zu seinem Freund Tex Holden ritt, um die Vergangenheit zu vergessen und sich künftig dem Aufbau seines Erbes zu widmen. ENDE
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