Das neue Abenteuer 381
Miguel Angel Asturias
Weekend in Guatemala
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme Pute
...
26 downloads
767 Views
731KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Das neue Abenteuer 381
Miguel Angel Asturias
Weekend in Guatemala
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme Pute
Der Abdruck der Erzählung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Luchterhand Verlages, Darmstadt. Die Übersetzung von Lene Klein wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlages Volk und Welt, Berlin, dem Band �Weekend in Guatemala" entnommen. Illustrationen von Günther Lück Für die Illustrationen © Verlag Neues Leben, Berlin 1978 Lizenz Nr. 303 (305/74/78) LSV 7364 Umschlag: Günther Lück Typografie: Christel Ruppin Schrift: 8 p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 642 688 3 DDR 0,25 M
1
Er hob den stets unbeachteten Körperteil, den wir als Fuß bezeichnen, vom Boden hoch, hängte ihn mit Hilfe des Absatzes an eine Querleiste des Hockers, drehte sich vor der Bar wie ein Satellit um die eigene Achse und warf sich, zwischen den ungleichmäßigen gelben Zähnen ein gepreßtes Lachen hervorstoßend, rücklings über die Stange der Theke, den letzten, abgegriffenen Halt für die Hände zahlloser Betrunkener, tastete mit dem Blick die Kehlen der anderen Trinker ab, die zu erdrosseln er nicht übel Lust hatte, und klatschte sich, während ihm der Barmann Whisky und Bier einschenkte - sehr viel mehr Whisky als Bier -, auf das runde Knie. �Ich bin Sergeant Peter Harkins, und weil es kein Blitzkrieg, sondern nur ein Weekend war, hab ich mich besoffen, verstehen Sie? Jawohl, besoffen . Aber an dem Tag war ich nicht besoffen . Ich hatte getrunken, aber ich war nicht besoffen, und wer das Gegenteil behauptet, kennt nicht mal den Unterschied zwischen Fallen und Taumeln . Der Besoffene fällt . Der Betrunkene taumelt . Und weil ich an dem Tag taumelte, als ich nach dem LKW suchte, war ich betrunken und nicht besoffen. Sergeant Harkins, seit wann salutierst du vor einem Lastwagen? Als ich merkte, daß der Chef, vor dem ich strammstand, zweieinhalb Tonnen wog, mußte ich lachen . Und kein vergebliches Fummeln, um die Autotür zu finden . Ein Griff, und sie war offen, und ich hängte mich ans Steuerrad wie an einen Ring, zog mich mit einem Ruck hoch und ließ mich auf den Sitz fallen . Zigarette und Scheinwerfer an, denn erst kommt der Blitz und dann der Donner . Erst die Scheinwerfer an und dann die Tür zuknallen,
während der LKW schon rückwärts rollte, hinaus auf die Straße, um die hundertsechzig Kilometer bis zur Küste zu fahren. Das Licht fraß die beleuchteten Halbmonde auf dem Armaturenbrett, die Uhr fraß die Zeit, und ich fraß die Kilometer. Ich verließ die Stadt auf einer breiten Allee voller Fußgänger, Denkmäler, Autos und Fahrräder, und je weiter ich hinauskam, um so schneller fuhr ich, und zum Schluß bog ich rechts ab und folgte einem Weg, der sich zwischen Gärten, erleuchteten Villen und den Bogen eines alten, halbverfallenen Aquäduktes dahinschlängelte. Der schwere Wagen, der über das schlechte Pflaster sauste, schleuderte und wirbelte eine dichte Staubwolke auff ich konnte fast nichts sehen, und wäre nicht das scheußliche Klappern der Räder und der Karosserie gewesen, ich hätte vergessen, daß ich einen Auftrag ausführte und einen riesigen Wagen steuerte, der Eigentum der Marine war. Ich schlief nicht, träumte nicht und war auch nicht besoffen . Als ich zur Stadt hinausfuhr, hörte ich die Raubtiere brüllen, ausgehungerte Löwen und Tiger, die die ,Kommunisten' nach römischem Brauch im ,Revolutionsstadion' auf die reichen Katholiken loslassen wollten. Ich fühlte mich als mitleidiger Römer, und das war widerlich. Junge Nationen wie die meine dürfen kein Mitleid haben. Nein! Mein Gesicht unter dem Helm, der mir das Aussehen eines römischen Legionärs verlieh, wurde hart, und ich blickte zu dem Zirkus im ,Revolutionsstadion' hinüber, wo Fußball gespielt wurde, und stellte mir vor, daß die Katholiken und die reichen Leute von den wilden Tieren zerfleischt wurden, deren drohendes Gebrüll zu mir drang. Nein, ich war nicht besoffen, und ich litt auch nicht an
Halluzinationen. Sie brüllten wirklich, deshalb entschloß ich mich, bei einem Polizisten haltzumachen, den ich in korrektem Spanisch fragte, ob er ebenfalls die Raubtiere hörte, die es nach dem Fleische reicher Christen hungerte. ,Löwen?' fragte ich todernst. ,Ja, Löwen', bestätigte er. ,Tiger?' fragte ich todernst. ,Ja, Tiger', bestätigte er. ,Und Sie, ein Hüter der Ordnung, verhindern nicht, daß die Katholiken gefressen werden?' fuhr ich ihn an. ,Keine Sorge, Mister', sagte er und lachte mir ins Gesicht. ,Die Tiere sind im Käfig, im zoologischen Garten. Sie werden die Katholiken nicht fressen!' Ich fuhr weiter, einen Hang hinunter, überquerte in der Nähe eines Bahnhofs die Gleise einer Schmalspurbahn, wo ich mir ohne Helm den Kopf am Dach des Fahrerhauses eingestoßen hätte, so heftig sprang der Wagen über die Schienen, brauste dann hupend, mit sechzig in der Stunde und aufgedrehten Scheinwerfern in eine schmale, krumme, von Bäumen und niedrigen Häusern gesäumte Gasse, und als ich aus der ersten S-Kurve in die zweite einbog, fuhr ich, obwohl ich das Steuer herumriß, einen Menschen an, der auf der rechten Seite ging, in derselben Richtung, in der sich das Auto bewegte. Im Bruchteil einer Sekunde sah ich, daß der Körper mit ausgebreiteten Armen durch die Luft flog. Wer kann auch, Teufel noch mal, bei sechzig in der Stunde sofort bremsen! Ich brachte den verdammten Klapperkasten erst zum Stehen, als er noch ein paar Meter weitergerutscht war, und mußte ein ganzes Stück zurückgehen, um dem Verunglückten zu helfen. Beim Schein der Taschenlampe sah ich schon von weitem etwas im Grase liegen, aber es war nur ein weinroter Frauenmantel, dessen
Ärmel nur noch an einem Faden hing. Ich faßte ihn an und spürte Körperwärme. Demnach konnte die Verunglückte nicht weit sein. Wärme und ein zarter Duft von Haar und Haut . Da ich aber weder Weinen noch Stöhnen hörte, bekam ich es mit der Angst und war schon sicher, auf eine Leiche zu stoßen. Bei dem Gedanken wurde mir eiskalt, denn es ist schon etwas anderes, ob man eine Leiche vor sich hat oder einen lebenden Menschen, selbst wenn er verwundet ist. Mit schweren Beinen ging ich von einer Straßenseite zur anderen, aber die Leiche fand ich nicht. Ich suchte immer hastiger und verzweifelter, und je länger ich um den Mantel herumstrich, desto rätselhafter wurde mir die ganze Geschichte. Noch einmal schritt ich sorgfältig die Stelle ab, an der sich der Unfall ereignet hatte. Mit einem Ast, den ich in der Dunkelheit, als ich das Bündel entdeckte, für die Verunglückte gehalten hatte, stocherte ich in einem Graben herum, der voll Regenwasser stand. Dann sprang ich wieder über die Straße, weil ich annahm, sie sei auf die andere Seite geschleudert worden. Von dort hastete ich zu dem LKW zurück, da ich fürchtete, ich hätte sie, bevor ich bremsen konnte, ein Stück mitgeschleift, und sie läge, jetzt blutig, mit zermalmtem Körper unter einem Radf schließlich lief ich zu dem Mantel, der noch immer im Grase lag und das einzige war, woran ich mich halten konnte, und rief mit lauter Stimme in die Nacht hinein, aber was mir antwortete, war nur mein eigenes Echo. Wo, wo war die Verunglückte? War sie jung? War sie alt? Hübsch? Häßlich? Als ich das Brüllen der Raubtiere hörte, erschauerte ich, es klang nicht mehr erschreckend, sondern herzzerreißend und sehnsüchtig.
Nur einem Besoffenen konnte so etwas passieren, aber ich war ja gar nicht besoffen . Einen Menschen mit ausgebreiteten Armen durch die Luft fliegen sehen, ihm helfen wollen und ihn dann nicht finden, als hätte ich Halluzinationen gehabt . Halluzinationen . Hirngespinste eines Besoffenen .? Aber da war doch der Mantel . Ich knipste die Taschenlampe aus, zündete mir eine Zigarette an und ging zu dem LKW zurück. Der widerwärtige, an Gerberei erinnernde Benzingestank vertrieb den süßen Kamelienduft der Juninacht, der sich mir mit der Verschwundenen verband. Hätte ich mehr Zeit gehabt, so wäre ich zu dem Polizisten am zoologischen Garten zurückgefahren, hätte ihn auf den LKW geladen und hierhergebracht, damit er mir half, das Rätsel zu lösen. Das Gesicht, das der gute Mann gemacht hätte, wenn ich ihm nach der Geschichte mit den Löwen, Tigern und Katholiken auch noch von der Frau erzählt hätte, die ich eben mit dem rechten Vorderrad angefahren hatte, aber nicht finden konnte . Er hätte gedacht, was Sie denken . Hirngespinste eines Besoffenen . Aber . Wie kann man von Hirngespinsten sprechen, wenn doch der Mantel da war . Ha, ich werde schon beweisen, daß es keine Hirngespinste waren, denn ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und wiederhole es: Ich war nicht besoffen . Wie der Blitz raste ich die Landstraße entlang, in ein Tal hinunter, das sich, gebadet im Licht unzähliger Sterne, vor mir auftat. Die Hände am Steuer und der Körper auf dem Sitz begannen einzuschlafen. Nur hin und wieder warf ich einen Blick auf das Band der Straße, das sich bald locker dem Auf und Ab des Bodens anschmiegte, bald straff gespannt über die Ebene führte. Autos, Busse, Lastwagen
und Karren wichen zur Seite, um mich vorbeizulassen. Aber bei achtzig Kilometern in der Stunde bringt man eine gerade Strecke wie nichts hinter sichf der Weg begann jäh abzufallen, als drückte die Schwere der Nacht ihn in die Tiefe, und gelangte an eine Brücke, die sich über das dunkelblaue Wasser eines Flusses schwang, dann lief er zwischen Pflanzen, deren Blätter grünen Dolchen glichen, und stummen, schneeweißen Glockenblumen der Küste zu. Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin!" Von der verglimmenden Zigarette, die ihm an der schlaffen Unterlippe klebte, stieg wie ein zweiter Atem der Rauch auf. �Idioten . Ich, Sergeant Harkins, besoffen? . Vor einer Ortschaft, die den Namen der Stadt der elftausend heißen Steine haben sollte und die ich zum Glück rasch hinter mich brachte, standen Kokospalmen in Reih und Glied. Wieder fuhr ich lange, gerade Strecken, die mir erlaubten, die Geschwindigkeit zu erhöhen und in dem erstickenden Dunst Atem zu schöpfenf aus dem Dunkel traten riesige, in silbriges Sternenlicht getauchte Bäume hervor, die einzigen Bewohner der trostlosen, nur vom Stillen Ozean begrenzten Weite. In der Ferne wurde das nur mir bekannte Stoppzeichen sichtbar, auf das ich im Schritt zufuhr, dann bog ich, ohne anzuhalten, rechts ab und ließ den schweren Kraftwagen, der die feste Straße verlassen hatte, über Steine und Unkraut hinweg in ein regelrechtes Sandmeer rollen. Unter den Rädern knirschte es, machte scht, scht, als geböten zahllose Stimmen Ruhe. Ich blieb stehen, schaltete die Scheinwerfer aus und wartete. Neun Minuten fehlten noch. Bald konnte ich mein Taschentuch auswringen, mit dem ich mir unablässig über
das brennendheiße, schwitzende Gesicht wischte. Die verabredete Zeit war kaum überschritten, da vernahm ich ein Getöse, lauter als das ferne Meeresrauschen, das aus der Muschel eines mit der Unendlichkeit verbundenen Telefons zu kommen schien, ein Getöse, das sich bald als das betäubende Brummen von Flugzeugmotoren entpuppte und zu einem dumpfen Brausen anschwoll, als die Maschine genau über mich hinwegflog. In der Dunkelheit war nur wenig zu erkennen. Ein schrägstehender Flügel, der beinahe den Boden streifte, Sandfontänen, die unter den wirbelnden Propellern hochstiegen, heftig schwankende Pappeln und Büsche und ein Fallschirm, der sich im Finstern öffnete. Ich sprang über das Gesträuch zu dem weißen Schirm hin, der eben mit seiner Last niederging. Er zerrte an meinen Händen, als wolle er noch einmal aufsteigen, ein riesiger Schmetterling aus Stoff, der dann leblos in sich zusammenfiel. Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin! Sekundenlang kreiste die mächtige Maschine in so geringer Höhe über meinem Kopf, daß mich der Luftdruck beinahe zu Boden warf. Verdammt noch mal, warum hatte sie mich nicht gleich geköpft! Dann hätte sie mir die Arbeit erspart, die Waffen von der Stelle, wo der Fallschirm sie abgeworfen hatte, zu dem LKW zu schleppen, mit dem ich, alles auf eine Karte setzend, denn seine Räder versackten immer tiefer im Sand, so nahe wie möglich an das Gesträuch herangefahren war. So nahe wie möglich? Das sagt sich leicht, wenn man außer acht läßt, daß es der eigene Buckel ist, der herhalten muß. Ich schätzte die Last mit den Augen ab, aber die Augen sind da, Träume zu messen und nicht die rauhe Wirklichkeit,
das heißt eine Last, die ich mir auf den Rücken laden und selber hertragen mußte. Grimmig verfluchte ich den Augenblick, in dem ich geglaubt hatte, es sei ein Kinderspiel, die Waffen und Munitionskisten fünfzig Meter weit durch ein Sandmeer zu schleppen, in das meine Füße bei jedem Schritt einsanken. Verdammte Scheiße, wenn das kein Weekend ist. Einen Blitzkrieg hatten sie vor, jawohl, einen Blitzkrieg, der an irgendeinem Wochenende losgehen sollte. Gestrüpp und verdorrte Wurzeln, die der Wind von der Küste mitgebracht hatte, leisteten mir den stummen, unbewußten Widerstand der leblosen Dinge, um zu verhindern, daß ich die todbringende Last beförderte, und ließen mich straucheln. Aber nicht weil ich besoffen war, verstehen Sie, sondern weil es schwierig ist, durch ein Sandmeer zu waten. Und es dauerte auch, bevor ich fiel, aber dann fiel ich, fiel vornüber wie ein Besoffener, als ich das letzte Paket mit Waffen hochhob. Es war nicht schwerer als die anderen, aber ich war völlig fertig, hatte keine Kraft und keinen Willen mehr, weil ich schon so viele eiskalte Pakken, die sich wie Totengerippe anfühlten, getragen hatte. Tatsache ist, daß ich umkippte, und ich leugne nicht, daß ich eine gute Weile liegenblieb, wie einer, der seinen Rausch ausschläft . Es währte sogar ziemlich lange, ehe ich mich von dem Sturz erholte, bei dem ich mir Nase und Stirn aufgeschlagen hatte. Als ich zu mir kam, lag ich auf dem Bauch, ruderte wütend mit Armen und Beinen, während mir Blut und Schweiß über das Gesicht flossen . Verdammter Mist! Beinahe hätte ich das letzte Paket liegenlassen als Beweis für das Weekend, das sie in dem Ländchen veranstalteten. Ich zerrte den Packen, so gut es ging, an den LKW,
stemmte ihn mit dem Oberkörper hoch bis auf das Trittbrett und stieß ihn schließlich ächzend und unter Anspannung meiner letzten Kräfte in das Innere des Wagens, so wie ich es mit der ganzen Fracht gemacht hatte, dann schlug ich die Klappe hoch, und aus. Ich mußte mich beeilen, wenn ich noch vor Tagesanbruch mit den Waffen zurück sein wollte. Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin! Zündung, Gas geben und los! Energisch drückte ich auf den Gashebel, sehr energisch, um das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Leicht war es gewesen, mit dem leeren Wagen herzufahren, aber ihn wieder von hier fortzubringen . Wie bekommt man einen beladenen LKW aus einem Sandmeer heraus .?" Der Barmann pflanzte sich vor ihm auf, schenkte ihm Whisky und Bier ein, viel mehr Whisky als Bier, und tat, als hörte er ihm zu wie die anderen Zecher, die den Sergeanten umringten. �Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin!" Der Barmann wußte, daß sich das Blitz-Weekend des Sergeanten Harkins in einem tropischen Land abgespielt hatte mit hohen, immergrünen Bergen, sehr schönen Seen, himmlischen Früchten und wundervollen Blumen, mit Bäumen, aus deren Saft man Kaugummi macht, in einem Land, aus dem die besten Bananen und der beste Kaffee der Welt kamen. Das alles wußte der Barmann. In einem Land mit friedlichen Indios, die bunte Stoffe liebten, mit verführerischen Kreolinnen und traurigen Mestizen, die Stierkämpfe, Hahnenkämpfe, katholische Kirchen und Kneipen besuchten, wo es Zuckerrohrschnaps gab. Das alles wußte der Barmann, der sich bei Harkins, nachdem er ihm eingeschenkt hatte, erkundigte, wie er denn nun
eigentlich mit dem Lastwagen voller Waffen wieder aus dem Sandmeer herausgekommen sei. �Wie .?" Ehe der Sergeant antwortete, tappte er mit der unsicheren Hand des Betrunkenen nach dem Whisky, ergriff das Glas und preßte es sich tief in den Mund wie ein Zaumzeug, gierig, um nicht einen Tropfen zu verschüttenf dann kühlte er sich die vom Schnaps brennende Gurgel mit einem Schluck kalten Biers, spuckte aus, wischte sich das Gesicht mit dem Taschentuch und holte sich noch eine Zigarette aus dem Etui. �Sie hätten Ketten nehmen sollen", sagte der Barmann, der schon wieder die Whiskyflasche zückte, um nachzugießenf Bier war noch vorhanden, mehr als ein halbes Glas. �Das mit den Ketten ist verdammter Schwindel!" schrie Harkins. �Dem einen legt man sie an, um ihm die Freiheit zu nehmen, und ich sollte sie dem LKW anlegen, um ihm die Freiheit zu geben. Wie ich wieder aus dem Sandmeer rauskam? Nun, es war eine so verdammt kitzlige Sache, daß da mit einemmal dieser Lastwagen stand, Eigentum der Marine, vollgeladen mit Waffen und Munition, die eines unserer Flugzeuge abgeworfen hatte, gefahren von einem Sergeanten unserer Armee, einem Veteranen von der Normandie, daß ich völlig die Nerven verlor und nicht mehr imstande war, die Ketten zu gebrauchen . Man hätte ebensogut von mir verlangen können, sie der schwindenden Nacht anzulegen, um sie festzuhalten . Der Motor arbeitete wie wild, die Hinterräder drehten sich leer, der ganze Wagen zitterte und bebte, als hätte er einen furchtbaren Stoß bekommen, und mir brach der kalte Schweiß aus vor Angst, daß mich die Polizei entdeckte,
die Polizei eines befreundeten Landes, gegen das wir einen Wochenendkrieg führten. Ich wußte weder aus noch ein, warf mich über das Lenkrad und legte vorsichtig, auf mein zerschundenes Gesicht achtend, den Kopf auf die verschränkten Arme . Herrgott, hab ich geschwitzt . Unter den Armen, zwischen den Beinen, das Wasser rann mir den Rücken hinunter, Socken und Stiefel klebten mir wie angeleimt an den Knöcheln . Es war schauderhaft. . Ich blickte auf das Vorderrad, und in dem matten Licht der abgeblendeten Scheinwerfer glaubte ich noch einmal zu sehen, wie das verdammte Rad, das jetzt stillstand, einen Menschen ergriff - eine Frau, wie der Mantel verriet, denn sie selbst konnte ich ja nicht finden - und ihn mit ausgebreiteten Armen, wie eine Vogelscheuche .oder einen Gekreuzigten, durch die Luft wirbelte. Daran dachte ich, und das glaubte ich zu sehen, während meine Augen tatsächlich auf einem Stückchen Felsen ruhten, das aus dem weiten Sandmeer hervorlugte und das bald, je länger ich es anstarrte und obgleich ich mir in die Wangen kniff, um mich in die Wirklichkeit zurückzurufen, die Gestalt einer Frau unter einem Bettlaken annahm . Die Gestalt einer Frau mit runden Formen . Auch sie schlief . war wie ich im Sande gefangen . Da lag sie dicht neben dem Rad . wurde ins Nichts geschleudert . löste sich auf, und zurück blieb nur ein wenig Tau . Und jetzt fand ich sie wieder, begraben im Sand, verwandelt in schlafenden Stein. All das war so seltsam, daß es mir, ich weiß nicht, warum, wie eine Rettung erschien. Ich richtete mich auf, packte das Lenkrad und drehte es so weit nach rechts, daß die Räder über den Felsblock hinwegrollen konnten, dann raste ich los, ließ den Motor auf höchsten Touren laufen, fest entschlossen, das Letzte aus ihm her-
auszuholen, und wenn er dabei in Stücke sprang. Dann konnte ich alles auf die Panne schieben und nahm den anderen die Möglichkeit, mir meine angebliche Trunkenheit vorzuwerfen. Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin! Der riesige Kraftwagen machte einen Satz, als hätte man ihn von einem Katapult abgefeuert. Ohne anzuhalten, schoß er durch das Sandmeer bis auf die Straße, die ich mit einer solchen Geschwindigkeit zurückfuhr, daß ich die geraden Strecken parallel zur Pazifikküste wie im Flug durchmaß. Hinter mir versank die Ortschaft, die ich Stadt der elftausend heißen Steine genannt hatte, mit dem Türmchen der Polizeistation und dem einsamen Licht darauf, mit ihren Kokospalmen, Zuckerrohrfeldern, Bananenstauden und Papayabäumchenf alles wurde verdrängt von der Vegetation der beginnenden Hochebene, die sich metallisch grün vom Morgenhimmel abhob. In der Nähe eines Sees änderte ich die Richtung, verließ die asphaltierte Straße und holperte über einen staubigen Weg, vorbei an winzigen Siedlungen, nach der Finca ,Grano de Oro', wo ich die Waffen abliefern sollte, denn es war nicht ratsam, sie in die Hauptstadt zu bringen. In dem Dörfchen hatte der Tag schon begonnen mit Hähnen, Hühnern, Schweinen, Eseln, Kühen, Glocken-lauten und den Weckrufen der Hornisten. Über eine sehr breite, von Feigenbäumen überdachte Allee fuhr ich in eine der berühmten Kaffeeplantagen der Gegend ein, deren Eigentümer, zwei Herren mit hageren Gesichtern - der ältere hatte graumeliertes Haar, und beide hatten die gleichen kleinen Augen und asiatischen Backenknochen -, schon vor dem Hause warteten. Kaum hatte ich angehalten, da traten sie auf mich zu, grüßten in
einwandfreiem Englisch und schauten dabei auf ihre Uhren, als wollten sie sagen: Sie haben sich verspätet, beeilen Sie sich, die verlorene Zeit muß aufgeholt werden . Ich verließ meinen Sitz hinter dem Steuer, den Helm im Nakken, in der Hand das Taschentuch, mit dem ich mir den Schweiß abwischte, und ging zusammen mit ihnen nach hinten, um die Klappe des LKW herunterzulassen und mit dem Ausladen der Waffen zu beginnen, die im Hause versteckt werden sollten . Der Waffen? Welcher Waffen? Der Lastwagen war leer . Die Knie wurden mir weich, die Füße bleischwer, und ich glaubte nicht richtig zu sehen, während die beiden Brüder - bald mich, bald einander anblickend - ein über das andere Mal mit steigender Erregung sagten: ,Aber er ist ja leer . Er ist ja leer .' Mit einem Satz sprang ich auf den Wagen. Das war doch nicht möglich, meine Augen trogen mich nicht . Dort lagen die Waffen, jawohl, dort . Wie ein übergeschnappter Fußballspieler rannte ich hin und her und stieß mit den Füßen nach allen Seiten ins Leere . Da war nichts, nicht ein einziger Packen . Die Waffen, die auf dem LKW gelegen hatten, waren fort . Ich warf mich auf den Boden und begann mit den Händen zu suchen . Sie mußten dasein . Wie sollte eine ganze Waffenladung verschwinden . Aber ich fand nur den Fallschirm . Und den Mantel . den Mantel . Nein, nicht den Mantel der Frau, sondern die Hülle der Waffen, die ich nicht finden konnte . Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin! Waren sie herausgefallen? Unmöglich! Ich hatte die Klappe geschlossen, gesichert mit Bolzen und Ketten. Waren sie gestohlen worden? Ausgeschlossen! Ich hatte auf dem Rückweg nicht einmal haltgemacht, ich war,
abgesehen von den Steigungen, die der schwerbeladene Wagen nicht so schnell nehmen konnte, die ganze Zeit mit hoher Geschwindigkeit gefahren. Phantasierte ich? Wie von den Raubtieren, die die reichen Christen fraßen? Wie von der überfahrenen Frau, von der ich nur den Mantel gefunden hatte .? Nein, ich phantasierte nicht, ich hatte ja die Packen Stück für Stück zu dem LKW geschleppt und aufgeladen, ich spürte es noch in allen Knochen, hatte Blasen an den Händen, groß wie Taubeneier. Jetzt war ich wirklich am Ende und verstand überhaupt nichts mehr. Aber ich war nicht betrunken. Die Inhaber von ,Grano de Oro', die inmitten der blühenden, weißbeschneiten Kaffeepflanzung auf die Waffen warteten, durchbohrten mich mit dem Blick ihrer unergründlichen Augen, den Augen von Kaziken, die an der Columbia University studiert hatten . Der jüngere lief zu einer unter Kletterpflanzen verborgenen Garage, holte das Auto hervor und sauste los, den Weg zurück, den ich gekommen war. Er wollte nachsehen, ob ich die Waffen unterwegs verloren hatte. Das war noch immer das wahrscheinlichste. Hinterher erfuhr ich, daß er ins Dorf gefahren war, um mit dem Ambassador zu telefonieren, der auf die Mitteilung wartete, daß die Waffen angekommen waren. Wegen der überfahrenen Frau, deren Mantel dort geblieben war, wo ich sie überfahren hatte, und von der ich brennend gern gewußt hätte, wie und wo sie aufgefunden wurde, ob tot oder verletzt, mußte ich mich vor den Behörden des Landes verantworten und wegen der Waffen vor dem Ambassador. Vergebens würde ich mich vor ihm auf meinen schmerzenden Rücken und meine zerschundenen Hände berufen, um zu beweisen, daß ich alles, aber auch alles
getan hatte, um meine Mission ordnungsgemäß zu erfüllen. Er würde nur die Abschürfungen an meiner Nase und Stirn sehen und fest überzeugt sein, daß ich betrunken war. Langsam entfernte ich mich von dem LKW. Ich hatte mir den weißen Fallschirm wie einen Regenmantel über die Schultern gehängt, eine Zigarette angezündet und setzte mich hin, um die Tasse Kaffee zu trinken, die mir der Besitzer von ,Grano de Oro' angeboten hatte. Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin!" Der Barmann pflanzte sich wieder vor ihm auf, in der Hand die Whiskyflasche, die Augen feucht vor geschäftsmäßiger Heiterkeit, um den Mund ein stereotypes Lächeln, und schenkte ihm das Glas voll. Einiges war dem Barmann über das Leben des Sergeanten Harkins bekannt. Er wußte, daß Harkins aus Kalifornien stammte, an irgendeiner Universität, wahrscheinlich in Stanford, promoviert hatte, Journalist, Globetrotter und - wie er von sich selbst sagte - ein Dichter war, der nach dem zweiten Weltkrieg zwar �noch schlagen, aber nicht mehr träumen" konnte. �Ja, die Abschürfungen in meinem Gesicht würden mich dem Ambassador verraten, und ich würde es ihm in die widerliche Päderastenfresse hinein zugeben müssen, daß ich besoffen war. Aber da hatte ich auch schon die vorgeschriebene, militärische Haltung angenommen, den linken Fuß fünfunddreißig Zentimeter zur Seite gestellt, die Hände auf dem Rücken verschränkt und gegrüßt. ,Wo haben Sie die Waffen gelassen, Sergeant?' ,Ich weiß es nicht, Ambassador .' ,Sie haben sie auf den Wagen geladen?' ,Jawohl, Ambassador, ich habe sie aufgeladen.' ,Und wie erklären Sie sich, daß sie nicht mehr dort sind?'
,Ich kann es mir nicht erklären, Ambassador .' ,Haben Sie sie unterwegs verloren?' ,Ich weiß es nicht, Ambassador .' ,Hat man sie Ihnen gestohlen?' ,Ich weiß es nicht, Ambassador, aber ich habe nirgends angehalten.' ,Waren Sie betrunken?' ,Nein, Ambassador .' ,Sie werden sich in Panama den Militärbehörden der Kanalzone stellen.' ,Ich bin kein Soldat, Ambassador .' ,Als was sind Sie denn hier?' ,Als Tourist, Ambassador, eingeladen, um hier ein Weekend zu verbringen.' ,Dann nehmen Sie zur Kenntnis, Sie Trottel, daß wir uns im Krieg befinden.' ,Im Krieg .?' Ich riß die Augen auf. ,Im Krieg mit Rußland?' ,Nein, Sergeant Harkins. Stellen Sie sich nicht so blöd an. Wir führen Krieg gegen dieses Land, und Sie sind betrunken .' ,Jawohl, Ambassador, ich bin betrunken .' ,Eben haben Sie es doch abgestritten .' ,Aber jetzt geb ich es zu. Wenn Sie behaupten, daß sich unser Land, das mächtigste der Welt, im Krieg gegen diese Miniaturrepublik befindet, dann bin ich betrunken, völlig betrunken.' ,Man wird Ihnen die Reise nach Panama bezahlen, und Sie geben mir Ihr Ehrenwort, daß Sie sich der Militärbehörde der Kanalzone stellen.' ,Vorher muß ich mich hier bei der Polizei melden, weil ich gestern abend eine Frau angefahren habe.'
Aber der Diplomat hörte schon nicht mehr hin. Er hatte mir den Rücken zugekehrt und verließ in strammer Haltung das Zimmer, gefolgt von den beiden Inhabern des ,Grano de Oro'. Neben den beiden Indios wirkte er wie ein fetter, als Sportler verkleideter Henker. Ich ließ mich auf den nächsten Stuhl fallen. Jawohl, ich war betrunken. Nur im betrunkenen Zustand konnte ich glauben, daß mein Land, das mächtigste Land der Welt, Krieg gegen ein so kleines, so wehrloses Ländchen führte. Ha . ha . ha . Es war eine Schande, und man mußte total, völlig, sinnlos besoffen sein und bleiben, um das zu glauben . Besoffen . zum Umfallen besoffen . Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin!" 2
Der Gendarm, der der Presse den Polizeibericht übermittelte, hatte nur einen Arm, aber Augen wie ein Luchs, und kannte sich sehr gut mit den Reportern aus. An diesem Morgen kamen sie nicht, um Neuigkeiten zu ergattern, sondern um sich die ihren von ihm bestätigen zu lassen. Er war sofort im Bilde, als er die wilde Meute heranstürmen hörte. Als er sah, wie sie, einer den anderen beiseite drängend, zur Tür hereinstürzten, Bleistift und Papier in der Hand, den Hut unter dem Arm - sofern sie dieses überflüssige Kleidungsstück überhaupt noch benutzten -, ohne Krawatte die einen, ohne Sakko, im leichten Baumwolljackett, die anderen, aber alle nervös, gestikulierend und atemlos, mit tausend Fragen auf den Lippen, die sie aus der Stadt, wo es von Gerüchten schwirrte, mitbrachten und wie Angelhaken nach ihm auswarfen.
Sie überrannten ihn beinahe, aber er wehrte sie mit dem Briefbeschwerer ab, den er sonst versteckte, wenn sie hereinkamen, denn unter den Federfuchsern fehlte es nicht an Kleptomanen. Jetzt aber schwang er zornig, um sich Respekt zu verschaffen, mit der Rechten die Glaskugel, in der sich zwei Figürchen, ein Männlein und ein Weiblein, befanden, die gerade dabei waren, gegen die guten Sitten zu verstoßen.
Von der drohenden Haltung des Einarmigen, der ihnen kein Gehör schenkte, sondern schrie, er werde sie hinauswerfen, wichen die Reporter zurück und erklärten, sie hätten über der schwerwiegenden Neuigkeit, die sie sich von ihm bestätigen lassen wollten, den Kopf verloren und wären nur deshalb so ungebührlich in sein Zimmer eingebrochen. Denn was man im Morgengrauen auf der Landstraße an der Pazifikküste gefunden hatte, waren weder Pillen noch Zahnstocher gewesen, sondern Waffen jegli-
chen Kalibers und Tausende von Geschossen. Einer der Reporter rettete die Situation. �Ich hab genau so einen Briefbeschwerer wie Sie, nur daß bei meinem der Mann und die Frau angezogen sind." Der Einarmige wurde friedlich . Obszöne Briefbeschwerer waren seine schwache Seite. �Angezogen, aber . oooch." �Ja, ja, angezogen, was ist daran Besonderes?" �Da ist meiner besser . Sie sind nackt. Sehen Sie, nackt ." �Ich weiß nicht, ob der besser ist . Meiner ist sehr drollig . Der Mann hat eine Soutane und die Frau eine Mantilla ." Dem Einarmigen lief das Wasser im Mund zusammen, die Augen glitzerten, und da er sich nicht die Hände reiben konnte, rieb er vor Vergnügen ein Knie am anderten. �Ein Pfaff mit seinem Weibsbild", schrie er, �und man sieht ganz deutlich, daß sie ." �Klar ." �Was sieht man deutlich?" �Na was? Das, was nur ein Mann und eine Frau miteinander machen ." �Und sie, was tut sie?" �Sie kniet ." �Sie kniet", wiederholte der Einarmige mit geiler Stimme, ehe er neugierig und lüstern weiterfragte: �Und der Pfaff, was macht der?" �Der sitzt ." �Sitzt?" �Das muß er ja wohl, wenn er ihr die Beichte abnimmt ." Alle brüllten vor Lachen über den Witz, und der Einar-
mige war dem Ersticken nahe, Tränen traten ihm in die Augen, sein Schnurrbart geriet in Unordnung, sein leerer Ärmel baumelte heftig hin und her, und er wäre gar nicht wieder zu Atem gekommen, hätten die Journalisten, die glaubten, das Lachen habe ihn bereits narkotisiert, nicht versucht, ihm die offizielle Bestätigung der Nachricht zu entreißen. Sein Gesichtsausdruck wechselte jäh.. �Geht zum Verteidigungsminister . Mich hier einzuwickeln .", geiferte er. �Das ist eine Information, die euch die dort geben müssen, aber nicht die Polizei. Und falls es euch an Material fehlt, hier habe ich euch schon einen Bericht fertiggemacht von einem Damenmantel, der beim Bahnhof Eureka gefunden wurde ." �Was für einen Schreck muß die Polizei dem armen Pärchen eingejagt haben, wenn die Frau sogar ihren Mantel im Stich gelassen hat", rief der Reporter, der vorhin den Witz gemacht hatte. �Die war nicht mal angezogen, und gebeichtet haben sie auch nicht, wie die von Ihrem Briefbeschwerer, nackt waren sie wie die meinen", kommentierte der Einarmige. �Finden Sie es eigentlich richtig, Chef, daß die Polizei die Pärchen belästigt, die die Stadt mit lebenden Briefbeschwerern versorgen, wo Sie doch selber Briefbeschwerer mit nackten Pärchen sammeln?" fragte ihn ein Journalist, der einzige, der das Bulletin entgegengenommen hatte. Die anderen hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, es zu lesen. Von der Redaktion losgeschickt zu werden, um sich die Nachricht von einem Waffenfund bestätigen zu lassen, und mit der Neuigkeit heimzukehren, daß beim Bahnhof Eure-
ka ein Frauenmantel gefunden wurde, war Anlaß genug, sie hinauszuwerfen. �Waffen! Waffen! Die Sensation des Tages . Waffenfund auf der Pazifikstraße . Waffen . Waffen!" In der ganzen Stadt riefen die Zeitungsverkäufer die Neuigkeit aus. Die Leute sahen aus den Fenstern, erschienen in den Türen, liefen hinter den Zeitungsjungen her, bis sie das bedruckte Papier in den Händen hielten. Es genügte ihnen nicht, die Neuigkeit zu hören. Gehört hatten sie davon, seit das Gerücht die Runde machte. Sie wollten es lesen, wollten es schwarz auf weiß haben . �Waffen! Waffen! Die Sensation des Tages . Waffenfund auf der Pazifikstraße . Waffen . Waffen .!" �Jawohl, Sefor, mein Name ist Marcos Paz ." �Verehrte Hörer, wir haben am Mikrofon Herrn Marcos Paz, den Chauffeur, der heute bei Tagesanbruch als erster einige der zahlreichen Pakete mit Waffen und Munition entdeckte, die auf der ganzen Strecke Guatemala-City-San Jose Hafen aufgefunden wurden. Er ist mittelgroß, dunkelhaarig, hat wegen seiner flachen Nase den Spitznamen ,Chato' und wird Ihnen jetzt berichten, wie er die Pakete entdeckt hat. Das Wort hat Herr Marcos Paz ." Grr, pru, pu-pu-grr . �Da gibt's nicht viel zu erzählen . Als ich heute morgen in der Frühe vom Hafen abfuhr, der Autobus war schon besetzt, und die Fahrgäste ." �Haben Sie gehört", unterbrach der Ansager, �der Autobus war voll besetzt, und die Fahrgäste schliefen ." �Ich weiß nicht, ob sie geschlafen haben, aber ich ." grr, pru, pu-pu-grr - � .war jedenfalls hellwach. Bevor wir nach Managua reinfuhren, fand ich das erste Paket ." - grr, pru, pu-pu-grr - � . ich hatte keine Ahnung, was drin war ."
�Was haben Sie daraufhin gemacht?" �Was ich gemacht habe? Angehalten." �Selbstverständlich, angehalten ." �Ich rüttelte meinen Beifahrer wach, der noch halb schlief, damit er ausstieg und nachsah, was los war, und als er zurückkam, war er ganz blaß und sagte, es wären Waffen" - grr, pru, pu-pu-grr � ., sagte ich . und stieg aus. Wahrhaftig, es waren Waffen. Wir haben sie gleich in den Wagen geschmissen, und ein Stück weiter haben wir wieder welche gefunden . Im ganzen drei Pakete." �Wo haben Sie sie gefunden?" �Mitten auf der Straße . Als ob ein LKW sie unterwegs verloren hätte." �Können Sie das beweisen? Könnten die Waffen nicht auch von einem Flugzeug abgeworfen sein?" Grr, pru, pu-pu-grr - � . unterschreiben? Nein." �Beweisen." �Nein, nein, beweisen kann ich das nicht . Ich nehm's bloß an." �Und worauf gründen Sie Ihre Vermutung?" �Nun, an der Stelle, wo ich die Waffen gefunden habe, waren Reifenspuren, die nur einem großen LKW mit mehr als zwanzig Tonnen Ladegewicht stammen konnten." Grr, pru, pu-pu-grr . �Flugzeuge hinterlassen keine Reifenabdrücke, aber was man da sah, waren einwandfrei Spuren von einem LKW." �Können Sie uns noch mehr berichten .? Was haben Sie mit den Waffen gemacht? Haben Sie sie vielleicht mit nach Hause genommen?" �Gott behüte, ich habe sie nach Santa Maria auf die Polizeistation gebracht, da standen sie schon Schlange, Lastwagenfahrer, Herrenfahrer, sogar Fuhrmänner, lauter
Leute, die Waffen gefunden hatten und sie abliefern wollten ." �Wir sprechen Herrn Marcos Paz für seinen Bericht unseren herzlichen Dank aus." Grr, pru, pu-pu-grr . Die Sensation des Tages waren die Waffen. Wer beachtete da noch die kleine Zeitungsnotiz auf der Innenseite, ein paar Zeilen, die lauteten: �Gestern um 21.53 Uhr wurde bei der Station Eureka am Rande der Straße zwischen Guardia Viejo und La Reforma ein weinroter Damenmantel gefunden, dessen rechter Ärmel beinahe herausgerissen war. In der Tasche befanden sich zwei Spielmarken, eine mattgelbe im Wert von zehn Dollar und eine rote im Wert von fünf Dollar, sowie eine Visitenkarte auf den Namen Ada Nuffio, Sportlehrerin." 3
�Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin .! Ich stritt ihnen nicht mehr ab, daß ich betrunken war . Wozu . Besser, sie glaubten es . Nur wenn ich mich selber für betrunken, sinnlos betrunken, hielt, konnte ich mir gefallen lassen, daß sie mich behandelten, als wäre ich es tatsächlich gewesen. War ich besoffen, oder war ich nicht besoffen, als ich losfuhr, um die Waffen zu holen .? Wir waren uns schon darüber einig, daß ich nicht zum Umfallen besoffen war, zum Umfallen nicht, aber so besoffen, daß ich taumelte, wohl . Und seither hab ich mich jeden Tag besoffen . Das ist Selbstmord, nicht? Gut, wenn das Selbstmord ist, dann begehe ich eben jeden Tag Selbstmord . Jeden Tag . Seither begehe ich jeden Tag Selbstmord . Früher hab ich mich jeden Tag rasiert, wie alle anständigen Menschen . Heute begehe ich jeden
Tag Selbstmord . Der Mann, dem die Untersuchung des Falles, der bereits als ,Affäre Harkins' bezeichnet wurde, übertragen war, ein Mitarbeiter des FBI und Vertrauensmann des Ambassador, brachte die Bibel an. Ich glaubte, er würde mich, so besoffen wie ich war, schwören lassen - aber das tat er nicht. Er brachte sie, schlug sie auf und fragte: ,Wissen Sie etwas über die Auferstehung Christi?' ,Etwas .', antwortete ich. ,Dann werden Sie sich erinnern, Sergeant Harkins, daß im Matthäus-Evangelium, Kapitel achtundzwanzig, Vers zwei, zu lesen steht: �Und siehe, es geschah ein groß Erdbeben. Denn der Engel des Herrn ." - ich mußte wirklich stinkbesoffen sein, denn ich verstand nicht ein Wort von dem, was der Scheißkerl da vorlas, � . kam . kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein von der Tür und setzte sich darauf." Und dann fragte er mich, welcher Engel denn die Klappe von dem LKW heruntergelassen hatte, und da verstand ich überhaupt nichts mehr. ,Ja, ja', sagte er, als ich schwieg, durchbohrte mich mit dem Blick seiner bläulichen Fischaugen und zog, ohne meine Antwort abzuwarten, eine zusammengelegte Zeitung aus der Rocktasche, entfaltete sie mit beiden Händen und las mir, den Kopf zwischen den Blättern vergraben, so daß es klang, als spräche er aus einem Souffleurkasten, die Notiz über den Mantel vorf dann ließ er die Zeitung sinken, kam wieder aus der Versenkung hervor und rief, ohne mich zu Wort kommen zu lassen: ,Nichtssagend, was? . Meiner Meinung nach haben wir hier den Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis . Wenn ein Engel das Grab des Herrn öffnen konnte, dann konnte ein anderer Engel die
Klappe des LKW öffnen.' Ich schüttelte den Kopf wie einer, dem Wasser ins Ohr gedrungen ist, um zu kapieren, daß nicht ich es war, sondern der beste Kriminalist des FBI, der irre redete wie ein Besoffener. ,Sie wollen also andeuten', sagte ich, ,daß die Besitzerin des Mantels, vermutlich jene Ada Nuffio, wie aus der Visitenkarte hervorgeht, die Klappe des LKW geöffnet hat, damit die Waffen hinausfielen?' ,Ich deute gar nichts an, Sergeant .' Ich bemühte mich, ihm die Sache zu erklären: Zwischen dem Ort, wo die Frau überfahren wurde, und der Stelle, an der unser Flugzeug die Waffen abgeworfen und ich sie aufgelesen hatte, lagen wenigstens achtzig Kilometer, und zwischen dem Unfall, der sich am Abend, noch vor zehn Uhr ereignete, und dem Aufladen der Waffen im Morgengrauen lagen vier Stunden. Wie kann man also bei einer solchen Entfernung und einem solchen Zeitunterschied annehmen, daß die angefahrene Person, vermutlich jene Ada Nuffio, den LKW geöffnet, die Waffen hinausgeworfen und den Wagen hinterher wieder zugemacht hat? ,Das ist eben der Punkt, den wir klären müssen, Sergeant. Sie behaupten - wir haben Ihre Erklärung auf Tonband aufgenommen, und ich habe sie mir mehrere Male angehört -, daß Sie in dem Augenblick, als sich der Unfall ereignete, eine Person mit ausgebreiteten Armen durch die Luft fliegen sahen und daß diese Person verschwunden war, als Sie anhielten und ausstiegen, um ihr zu Hilfe zu eilen.' ,Ja, das war eine ziemlich merkwürdige Sache', antwortete ich. ,Würden Sie auch behaupten, Sergeant Harkins, daß Sie
den Kopf, das Gesicht, die Hände und die Füße dieser Person gesehen haben? Sie haben diese Frage bereits verneint und gesagt, daß Sie in jenem Bruchteil von Sekunden nur die Umrisse, gewisse menschliche Formen wahrnahmen, die aber nichts anderes waren als der Mantel mit den flatternden Ärmeln, die Sie für Arme hieltenf aus Ihrer Erklärung habe ich folgenden Schluß gezogen, und damit sind wir der Lösung des Geheimnisses auf der Spur: Der überfahrenen Person wurde bei dem Unfall der Mantel vom Körper gerissen, und das erklärt auch, warum Sie sie nicht finden konnten .' ,Dann hätte sie auf dem Boden liegen müssen', unterbrach ich ihn. ,Lassen Sie mich ausreden . Sie fanden sie nicht, weil sie dorthin fiel, wo Sie es am wenigsten vermuteten und wo Sie nicht suchten.' ,Ich habe Ihnen schon gesagt, so betrunken war ich nicht, daß ich nicht wußte, was ich tat .' ,Ja, aber Sie haben mir auch gesagt, daß Sie nicht auf den Wagen geklettert sind, um nachzusehen, nicht einmal, als Sie die Waffen aufluden. Sie haben die Pakete einfach hineingeschoben, was verhältnismäßig leicht ging .' ,Wollen Sie damit behaupten', unterbrach ich ihn, ,daß die Frau auf den Lastwagen gefallen ist? Unmöglich! Die Gestalt flog knapp so hoch wie die Räder waren, und wurde dann mit ausgebreiteten Armen von dem LKW fortgeschleudert.' ,Mit ausgebreiteten Armen oder ausgebreiteten Ärmeln, Sergeant Harkins. Das, was Sie jetzt sagen, bestätigt nur meine Hypothese: Nämlich, während der Mantel wie ein Eichelbecher nach außen geschleudert wurde, schoß der Körper - das ist einfach eine ballistische Frage - wie
eine Kugel nach oben und fiel dann, als der Schwung nachließ, senkrecht auf den Wagen .' ,Dann hätte ich sie stöhnen oder jammern hören müssen, als ich anhielt oder als ich zurückging, um sie unter den Rädern zu suchen .' ,Und wenn sie das Bewußtsein verloren hatte?' ,Wer?' ,Sie .' ,Ach ja, sie .' Ich biß mir auf die Lippen. ,Sie fiel bewußtlos auf den Wagen und kam erst später wieder zu sich, vielleicht in dem Augenblick, als die Maschine über die Stelle flog, wo die Waffen abgeworfen wurden .' ,So betrunken kann ich gar nicht gewesen sein', schrie ich verzweifelt, ,und außerdem kann ein Mensch, der überfahren wurde und eben aus einer Ohnmacht wieder zu sich kommt, gar nicht übersehen, daß es sich um eine Waffenladung handelt, und uns dann einen solchen Streich spielen.' ,Sie haben sich nicht bei der Polizei gemeldet?' ,Nein.' ,Das war richtig. Man hätte nur auf den LKW aufmerksam gemacht, mit dem die Frau überfahren wurde, die, ohne es zu wollen und ohne daß Sie damit einverstanden gewesen wären, Ihr Fahrgast war.' Es machte mich wild, daß er mich in dieser versteckten Form verhörte, aber ich ließ mir nichts anmerken, kratzte mir den Kopf und sagte, um das Gespräch zu beenden: ,Und außerdem handelte es sich um ein militärisches Geheimnis.' ,Es handelte sich darum, wie Sie sehr richtig sagen, denn meiner Meinung nach ist es das längst nicht mehr . Der
Spionagedienst, den die Banditen in Panama unterhalten, arbeitet vorzüglich. Ohne Zweifel war das ein meisterhafter Handstreich, und Sie werden mir noch zugeben, daß ich in meiner Behauptung recht hatte: Der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis ist der Unfall . Wir werden schon die entsprechenden Nachrichten aus Panama erhalten, auch was diese kleine Sportlehrerin Ada Nuffio angeht .'" 4
Schwarzglänzende harte, wie mit vereistem Teer überzogene Rollbahnen und darüber die schläfrigen Lichter der Hangars und die schimmernden Kreise aufleuchtender und wieder erlöschender Scheinwerfer und weiter hinten, in Richtung des Meeres, in der pechschwarzen, feuchten Finsternis, ein Stückchen Tag, erzeugt mit Hilfe Tausender von Volt, blendende Helligkeit, aus der ein riesiges Transportflugzeug und ein Thunderbolt P-47 hervortraten. An der metallenen Oberfläche der Flugzeuge klebten, mit dem Rücken zum Lacht, Menschen wie Marionettenf ihre Gesichter waren blutrot, aber nur von der Farbe, die sie von den Erkennungszeichen an den Tragflächen herunterkratzten. �Ich möchte mich scheiden lassen,
weil ich dich heiraten will.
Ich möchte mich scheiden lassen,
weil ich dich heiraten will."
Der Neger Turundre fuhr fort, auf den Rumpf der Thunderbolt zu trommeln mit der Hand, die keinen Stern, keine
Flagge, keinen Buchstaben und keine Nummern entfernte, die nichts, nichts herunterkratzte. �Ich möchte mich scheiden lassen,
weil ich dich heiraten will."
Viele Hände kratzten Farbe herunter, aber seine Hand trommelte auf den Rumpf des Flugzeugs und entfernte weder Stern noch Flagge . Es waren nicht viele, die Extraschicht machten, sie arbeiteten an einer abgelegenen, einsamen Stelle des Flugplatzes und wurden gut entlohnt, wie in Kriegszeiten . �Gibt's wieder Krieg, Turundre?" fragte ihn sein Nebenmann, ein Mulatte, der ebenfalls Sterne und Flaggen entfernte. �Ob's wieder Krieg gibt? Was für'ne Frage! Er hat doch noch gar nicht aufgehört. Nur daß sie ihn jetzt ,kalter Krieg' nennen ." �Ein armseliger Krieg muß das sein", bemerkte der Mulatte und starrte mit seinen grauen Augen vor sich hin. �Und wegen dieses kalten Krieges kratzen wir die Erkennungszeichen von den Flugzeugen, was, Alter?" �Ah!" Der Neger riß den großen Mund auf und zeigte zwei Reihen weißer Zähne. �Für Krieg jetzt besser Bomber so, Bomber ohne Stern, ohne Flaggen, ohne Buchstaben . Besser ." �Besser, wofür?" �Besser für alles ." �Und worüber hast du eben mit dem Geschäftsführer vom Kino gesprochen?" �Gesprochen?" Turundre tat erstaunt. �Ich hab dich gesehen." Der Mulatte zog mit dem roten,
verschmierten Finger die Haut oberhalb des Backenknochens herunter, so daß der Augapfel hervorquoll. �Gesprochen?" Der Neger hob die Schulter. �Ich hab dich gesehen . Du hast ihn gefragt, Turundre, warum wir die Flaggen von den Flugzeugen entfernen." �Ja, das hab ich." �Und was hat er dir geantwortet?" �Um den Leuten Arbeit zu geben . Wir haben so viele Arbeitslose ." �Aber die Maschinen sind doch gerade erst gestrichen worden . Verdammt, als ob ich nicht wüßte, weshalb . Alle wissen es ." Die Ozeane, nur getrennt durch jenen schmalen Streifen Landes, wälzten sich aufeinander zu, ohne von der Stelle zu kommen, zerrten vergebens an ihren endlosen Wogenketten, zeigten bei jedem gläsernen Biß die Schaumzähne und tobten, daß es weithin zu hören war. Es begann zu regnen. Turundre wurde nicht naß. Aber seine Kumpel wurden es, die am Heck des Flugzeugs standen und an den Nummern herumkratzten, bis nichts mehr zu sehen war. Er hockte vergnügt unter einer Tragfläche und entfernte unablässig Flaggen und Sterne . Aber jetzt wuschen sie sogar am Tag die Farbe von den Transportflugzeugen und den Bombern herunter. In der Mittagspause erschien Turundre beim Kino �Cometa". Es hatte geschlossen. Alles hatte geschlossen. Reglos standen die Palmen. Schlummerten unter der feurigen, im Zenit stehenden Sonne. Auch Turundre erstarrte, nicht einmal seine Lider mit den langen schwarzen Wimpern zuckten. Singen, wenn alle Mittagsschlaf halten, ist gräßlich. Aber er mußte es tun. Schon dort mußte er es tun. Anfangs summte er die Melodie vor sich hin, dann pfiff er sie, und
schließlich sang er unbekümmert drauflos, ein Neger, dem das Lied wie von selbst aus der Kehle quillt: �Ich möchte mich scheiden lassen,
weil ich dich heiraten will.
Ich möchte mich scheiden lassen,
weil ich dich heiraten will."
Kaum hatte er angefangen zu singen, da erschien an dem Fensterchen oben ein Kopf, und sein Name wurde gerufen: �He, Turundre!" Und noch ehe er antworten oder zweimal ausspucken konnte, stand der Geschäftsführer des �Cometa" neben ihm. Eilig fragte er: �Wie viele sind heute fertig geworden?" Der Geschäftsführer war ein dürrer, langnasiger Mensch mit hoher Stirnf er roch aus dem Mund nach Tierkohle, dem Allheilmittel gegen Magensäure, dem Vorläufer der Magengeschwüre, die wieder Vorläufer des Krebses sind. �Ein Transportflugzeug, das gleich starten wird, und einer von den großen Bombern, aber ein älteres Modell." In der Hand Turundres knisterten ein, paar Geldscheine. �Hast du den kolumbianischen Piloten gesehen?" fragte der andere, während er sich den Hosenschlitz zuknöpfte, denn als er aus dem Hause trat, war er offen gewesen. �Nein, Silvano hab ich nicht gesehen. Die großen Maschinen fliegen sie selbst, die geben sie keinem anderen." Als der Geschäftsführer fortgegangen war, blieb Turundre bei einer Palme stehen und zählte das Geld, das er bekommen hatte. Dann setzte er seinen Weg über die Avenida Central fort. Sein Körper lechzte nach Kokosmilch.
Das Transportflugzeug löste sich mühelos von der Piste und flog in geringer Höhe über die Hangars und Gebäude Panamas hinweg, die bald nur noch als undeutliche weiße Punkte und Farbflecke zu erkennen waren. Man mußte durchgeben, daß in diesem Augenblick ein Flugzeug unbekannter Herkunft nach Norden flog, aber trotz dieser Meldung richteten Tausende von Flugabwehrgeschützen mechanisch ihre Rohre auf die Maschine, die sich als kreuzförmiger Schattenriß vom Himmel abhob. Wenn die Wolkendecke zerriß, konnte man die Küste Zentralamerikas erkennen. Weites smaragdgrünes Land und türkisfarbener Ozean, die aufeinanderstießen, und als das Flugzeug einige Stunden später niederging, tauchten zwei riesige Seen auf, die so dicht beisammenlagen, daß sie zwei aneinanderklingenden Pokalen glichen. Der Pilot war noch nicht richtig gelandet, da stürzte sich auch schon eine Rotte weißgekleideter Gestalten, die wie die Patienten eines Irrenhauses anmuteten - stumme, barfüßige Leute, von denen einige Hüte aus Palmblättern trugen -, auf das mit Kisten und Ballen beladene Flugzeug. Eine Doppelkette Wachtposten in weißer Uniform, mit blanken Stiefeln und Cowboyhüten, im Gürtel die Pistole und in der Hand die Peitsche, beobachtete aufmerksam das Kommen und Gehen der Lastträger. Alle wußten, daß sie Munition und Waffen luden, aber keiner traute sich ein Wort zu sagen oder gar den Namen des Landes auszusprechen, auf das die Maschine wenig später Kurs nahm, als sie sich von der dürren Erde hob und mit mächtigen Propellern in den Himmel schraubte.
5
�Fordere Lautstärke unseres gestern zuerst empfangenen unvollständigen Gesprächs, fordere Lautstärke unseres gestern zuerst empfangenen unvollstandigen Gesprächs", wiederholte mit eintöniger Stimme der Amateurfunker in Panama, dessen Sender im Kino �Cometa" stand. �Hier spricht Panama . Panama . Panama . Panama ruft Luis Moch in Guatemala . ruft Guatemala . Guatemala . Fordere Lautstärke unseres gestern zuerst empfangenen unvollständigen Gesprächs ." In Guatemala-City, Friedhofstraße, fing ein Funkamateur in einem von Kletterpflanzen umrankten Haus inmitten eines Gartens, dessen Tor aus Totenknochen zu bestehen schien, so sehr hatte die Sonne daraufgebrannt, die auch das Schild �Verkaufe Blumen" gebleicht hatte, den Spruch �Fordere Lautstärke unseres gestern zuerst empfangenen unvollständigen Gesprächs" auf und entschlüsselte, nachdem er die Anfangsbuchstaben aneinandergereiht hatte, das Wort FLUGZEUG. �Bitte melden . bitte melden . bitte melden .", verlangte Panama, und Guatemala meldete sich: �Hier spricht Guatemala . Panama . Panama . Panama . Ich gebe Ihnen das Wort . Hier Guatemala . Hier Guatemala . Hier Guatemala . Guatemala antwortet Ihnen . Ich habe Ihre Bitte zur Kenntnis genommen: ,Fordere Lautstärke unseres gestern zuerst empfangenen unvollständigen Gesprächs .', aber kommen Sie bitte noch einmal . Kommen Sie . kommen sie . kommen Sie . Panama . kommen Sie . bitte, kommen Sie noch einmal, denn es ist sinnlos, daß ich Ihnen die verlangte Stärke angebe, wenn ich nicht weiß, auf welcher Wellenlänge gesendet
wurde . Ob wie üblich, denn es ist keine Frage der Stärke ." � . Ich weiß, ich weiß . Aber bedenken Sie, daß ich Funkamateur bin und nicht viel von Stärken und Wellenlängen verstehe . Sicher ist, daß die Sendung Sie erreicht hat . Ich werde genau achtgeben, auf welcher Wellenlänge gesendet wurde . Aber da Sie mich gehört haben, weiß ich, daß die Sendung Sie erreicht hat . Allerdings glaube ich, daß meine Batterie schlecht lädt . schlecht lädt? . Sie ist nicht geladen . nicht geladen . Hören Sie mich . Guatemala . Guate . Guate . Hören Sie ." In Guatemala-City, Friedhofstraße, blieb eben vor der Gartentür, wo es Blumen zu kaufen gab, ein alter Mann stehen, der aussah, als wäre er in drei Teile gebrochen. Ein Teil ging von den Füßen, die er nachschleifte, bis zu den vorgeschobenen Knien, der andere von den Knien bis zu der nach hinten gebogenen Taille, der dritte umfaßte außer der Taille den von der Last der Jahre gebeugten Rücken. Blieb noch der Kopf, der ihm auf die Brust herunterhing und wackelte. �Flaschen, haben Sie Flaschen zu verkaufen?" schrie er und klopfte mit dem Krückstock gegen die Pforte. Niemand antwortete. Es war so still, daß man hinter der Tür aus Totenknochen die Schmetterlinge hätte hören können, die von Blüte zu Blüte taumelten und Duft und Honig naschten. Der Funkamateur, der die Kopfhörer aufhatte und nicht merkte, daß draußen geklopft wurde, notierte sich auf einen Zettel: �Flugzeug verließ Panama ohne Ladung ." Panama bat noch einmal um das Wort, und Guatemala schaltete um.
�Panama . Panama . Panama . Ich gebe Ihnen das Wort. Ich verstehe Sie ausgezeichnet, obgleich ich anfangs nur unter Schwierigkeiten feststellen konnte, von wo der Ruf kam." �Ich bin also auf Ihrer Skala der große Unbekannte." Panama lachte krächzend. �Das werde ich auch bleiben . Ich werde mich nicht zu erkennen geben . Irgendwer funkt uns dazwischen . Hallo, Guatemala, Guatemala, Guatemala . Man funkt uns dazwischen."
Auf der Straße fragte der in drei Teile gebrochene Mann mit seiner vor Alter heiseren Stimme, ob es leere Flaschen zu verkaufen gäbe, und nachdem er lange gewartet hatte, daß jemand ihm öffnete, drehte er sich um und ließ sich vorsichtig mit dem Hinterteil auf die Treppenstufen nieder, um ein wenig auszuruhen. �Hallo . Hallo . Guatemala . Guatemala . Ich
sagte, daß uns einer dazwischenfunkt . Das ist ein guter Freund aus Nikaragua, der sich, sooft er kann, mit mir in Verbindung setzt und mir den Nerv tötet, weil er mir jedesmal mitteilt, daß er aus Managua ist, offensichtlich gurgelt er milden Vokalen und will mich hochnehmen . Bestimmt hat er gehört, daß meine Batterie nicht lädt, denn er hat mich aufgefordert, nach Managua zu kommen, um sie aufzuladen . Kommen Sie . Kommen Sie . Und Sie werden sehen, hier wird sogleich geladen ." In Guatemala-City, Friedhofstraße, wo man Blumen, aber keine leeren Flaschen verkaufte, war der Alte vor der Gartenpforte eingenickt, auf seinem Gesicht saßen Fliegen, er schnaufte und schnarchte, umgeben von Rosen, Nelken, Dahlien, Magnolien, Hortensien und weißen Lilien, die wie eine Wand zwischen ihm und dem Haus standen, in dem der Funkamateur notierte: �Flugzeug verläßt Panama ohne Ladung, um sogleich in Managua zu laden ." Zu laden? Was .? �Hier Guatemala . Hier Guatemala . Sagen Sie, Panama, Panama, Panama . Sagen Sie mir, Panama . Wie hat das mit Ihrer neuen Antenne geklappt? Sie müssen sich mit Geduld waffnen . waffnen, waffnen, sagen wir bei uns . Sagen Sie auch waffnen oder wappnen? Waffnen oder wappnen . Kommen Sie . Kommen Sie . Kommen Sie . Panama . Panama . Kommen Sie . Ich habe Sie gefragt, wie das mit Ihrer neuen Antenne klappt und ob man bei Ihnen waffnen oder wappnen sagt ." �Ja, ja, waffnen . Waffnen sagt man bei uns . ja . ja, Guatemala . waffnen . waffnen . Auch in Panama sagt man so . Die Antenne ist gut geworden, aber ich
werde sie verlegen müssen, neben das Arsenal gegenüber meinem Hause . Es ist ein schönes altes Arsenal, aber alle Leute sagen, es sei viel zu groß für Panama . Ich mache jetzt Schluß, Freund in Guatemala, in den ersten Morgenstunden sprechen wir uns wieder . Aber verschlafen Sie nicht . Und vergessen Sie auch nicht, den Herrn vom Kasino zu grüßen, der mir den Ring mit dem Smaragd angeboten hat . Sagen Sie ihm, er soll ihn nicht beim Roulett verspielen ." Die vollständige Meldung lautete: Flugzeug verließ Panama ohne Ladung und lädt sogleich Waffen in Managua, im Morgengrauen kommt es nach Guatemala, Meldung an den Freund mit Smaragdring im Kasino weiterleiten. Als der Funkamateur aus dem Hause trat, stieß er auf den Alten, der an der Tür saß und schlief. �He, Alter, hier ist nicht der Ort, sich auszuschlafen." �Nur Geduld, bald werde ich mich drüben schlafen legen." Der Alte machte eine Kopfbewegung in Richtung des Friedhofes. �Ich habe mich hergesetzt und gewartet, daß mir einer aufmacht, aber entweder wohnt hier niemand, oder die Leute sind taub . Haben Sie vielleicht leere Flaschen zu verkaufen?" �Zu verkaufen nicht, höchstens zu zerbrechen." Der andere wies auf die Scherben, die vor der Gartentür lagen. �Ja, eine hab ich schon kaputt gemacht", rief der Alte aus, schüttelte angesichts des nicht wiedergutzumachenden Schadens bekümmert den Kopf und sagte mit seiner rostigen Stimme: �Ein großer Verlust für mich." �Da, nehmen Sie." Der Funkamateur reichte ihm fünfundzwanzig Centavos. �Und räumen Sie den Mist weg." �Mach ich . mach ich . Ärgern Sie sich nicht", sagte
der Alte eifrig und wollte die Scherben mit dem Baumwollsack, den er auf der Schulter trug, zusammenkehren, als er plötzlich innehielt, sich vor den Funkamateur hinstellte und erklärte: �Man sagt, es ist ein schlechtes Vorzeichen, wenn einer eine leere Flasche zerbricht, aber wenn es eine grüne ist, dann bringt es Glück, denn Grün ist die Farbe der Hoffnung." Der andere hörte schon nicht mehr, was der Alte über Flaschen und Vorzeichen erzählte. Es war notwendig, sofort zu handeln. Er begab sich zum PGB, zum Patriotischen Geheimbund (im Kriegszustand), dessen Mitglied er war, um die Leitung über die aus Panama übermittelte Meldung zu informieren. Er war nicht abergläubisch, aber als er den leeren Platz vor dem Friedhofstor überquerte, wo die Taxis parkten, dachte er, daß vielleicht doch ein Zusammenhang zwischen dem Smaragdring und den grünen Flaschenscherben bestände, die vor seiner Gartentür lagen. Vielleicht waren sie ein gutes Vorzeichen, und es würde glücken, die Waffen abzufangen. 6
�Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin . Wir wußten nicht, wer Ada Nuffio war, und der Polizist hörte nicht auf, unmögliches Zeug zu quatschen. .. Jawohl, unmögliches Zeug . Ich mußte es ihm in die sture Fresse schreien, eine Fresse wie ein zertretener Pappkarton . Das mit der angefahrenen Person, ob Mann oder Weib, die auf den LKW gefallen sein sollte, war ausgemachter Blödsinn . Sein Gesicht wurde noch sturer, als ich ihm klarmachte, daß der Lastwagen eine Plane hatte und daß ein Körper, der auf diese Plane fiel, zurückgeschnellt und sofort län-
gelang auf den Boden geschlagen wäre, wo ich ihn hätte finden müssen, denn ich war ja nicht blind. ,Daran habe ich nicht gedacht', murmelte er und starrte mit seinen bläulichen Fischaugen auf meine zerschundene Nase, ,das heißt, ich wußte nicht, daß der LKW mit einer Plane abgedeckt war. Vor lauter Eifer, die Sache aufzuklären, übersieht man solche Einzelheiten. Trotzdem bleibe ich dabei, daß die Lösung irgendwie mit der angefahrenen Person zusammenhängt. Ja . ja .' Er ließ den Gedanken fallen. ,Das mit dem Mantel kann doch ein Trick gewesen sein. Würden Sie unter Eid aussagen, Sergeant Harkins, daß die Person, die Sie im Augenblick des Zusammenstoßes, besser gesagt, des Unfalls, durch die Luft fliegen sahen, eine Frau war?' Ich schüttelte den Kopf. ,Es wäre nämlich auch möglich, daß es ein Mann war. Er wirft den Mantel hoch, rennt fort, um sich zu verstecken - die Straße war ja dunkel, und er brauchte sich nur irgendwo hinzukauern -, und während Sie anhalten und zurückgehen, um Hilfe zu leisten, das heißt sich zu dem Bündel begeben, das Sie für das Opfer halten, das aber in Wirklichkeit der Mantel ist, rennt er zu dem LKW, klettert hinein und verbirgt sich.' Er rieb sich die Hände. Beinahe hätte er mich umarmt. ,Wir können uns gratulieren, Sergeant, wir sind der Sache auf den Grund gekommen. Hier ist des Rätsels Lösung.' ,So betrunken war ich nicht, ich hätte das leiseste Geräusch gemerkt', knurrte ich und machte seine ganze Hypothese zunichte. ,Dann erklären Sie es!'
,Was ich denke, das erhellt nicht, wieso die Klappe des
LKW auf- und wieder zugemacht wurde und wie die Waffen auf die Landstraße gekommen sind', erwiderte ich und fügte hinzu, ohne ihm Zeit zur Antwort zu lassen: ,Meiner Meinung nach ist der Unfall viel einfacher zu erklären. Als der Frau, die sich in derselben Richtung bewegte wie der Lastwagen, infolge des Luftdrucks der Mantel heruntergerissen wurde - und bisher spricht alles dafür, daß es sich um eine Frau handelte -, war ihre natürliche Reaktion, sich so schnell wie möglich vor dem riesigen Fahrzeug in Sicherheit zu bringenf sie lief in entgegengesetzter Richtung, während ich ausstieg und hinging, um ihr zu helfen, und das ist auch der Grund, daß ich sie nicht finden konnte, denn unter der Einwirkung des Schocks rannte sie so weit wie möglich weg, ohne an den Mantel zu denken.' ,Aber wer, Harkins, wer . hat dann die Klappe des LKW geöffnet?' ,Das Engelchen', hätte ich beinahe gesagt, um mir einen Jux zu machen, aber ich verschluckte es, denn der Mann sah wirklich ehrlich bekümmert aus. ,Wir operieren in einem feindlichen Land', murmelte er. Feindlich? dachte ich. Die Eisenbahnen gehören uns, die Häfen gehören uns, die Schiffahrtslinien gehören uns, die Fluglinien gehören uns, Telegraf und Telefon gehören uns, fehlt nur, daß wir uns selbst den Krieg erklären . ,Entsetzlich', fuhr er fort, .unser Spionagedienst arbeitet schlecht, glauben Sie mir, sehr schlecht, besser gesagt, er arbeitet überhaupt nicht. Man könnte blutige Tränen darüber weinen, denn die Herrschaften verdienen dicke Dollars, so daß es eigentlich gar nicht zu verstehen ist, warum man so wenig über Sie in Erfahrung bringen konnte.' ,Über wen? Über mich?'
,Über Ihre Kontakte, Harkins . Man weiß von Ihren Sympathien für das republikanische Spanien, die Sie beinahe verleitet hätten, bei der Verteidigung von Madrid mitzumachen.' ,Stimmt', antwortete ich. ,Nein, nein, Sergeant Harkins, man kann Sie nicht derartig verleumden' - er sah mich mit eisigem Blick an -, Ihre wichtigen Dienste während des Krieges bezeugen, daß Sie über jeden Verdacht erhaben sind.' ,Was wollen Sie damit sagen?' schrie ich. ,Ich nichts, aber andere halten es für möglich, daß Sie die Klappe geöffnet und die Waffen auf die Landstraße geworfen haben.' ,Blödsinn!' ,Natürlich ist das Blödsinn! Wenn Sie es gewesen wären, hätten Sie die Klappe aufgelassen und in aller Ruhe erklärt, die Waffen seien durch einen unglücklichen Zufall verlorengegangen .'" Der Barmann stellte sich vor Harkins hin, der die gelben, unregelmäßigen Zähne bleckte, während ihm der Speichel aus dem Mund lief, und schenkte ihm wieder ein, sehr viel mehr Whisky als Bier. �Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin ." Der Barmann wußte bereits auswendig, daß die angefahrene Person nicht die Sportlehrerin Ada Nuffio war, so oft hatte Harkins ihm davon erzählt. Ada Nuffio war in Begleitung ihres Vaters auf der Polizei erschienen und hatte dort, wie auch vor der Presse, erklärt, daß sie an dem fraglichen Tag im Kasino gewesen sei, wo jemand irrtümlich ihren Mantel mitgenommen und den seinen zurückgelassen hatte, einen Kimonomantel aus weinroter Wolle, der dem ihren sehr ähnlich war.
Wie ein Blinder tastete Sergeant Harkins nach seinem Whiskyglas. Ein Blinder mit offenen Augen, der das Dunkel zweier Geheimnisse zu durchdringen suchte, das ihn umgab: das Geheimnis des überfahrenen Mädchens, von dem er nur den Mantel gefunden hatte, und das Geheimnis der Waffenladung, von der ihm nur der Fallschirm geblieben war . Bevor er das Glas ergriff, drehte er sich um und sah dem Barmann ins Gesicht. �Weder unser Spionagedienst - drei große Organisationen - noch der Spionagedienst der Regierung, in deren Land wir operieren, noch der Spionagedienst der Armee und der Polizei dieses Landes haben das Geheimnis lüften können, und wenn ich nicht Held der Normandie wäre, würde mich jetzt das Komitee zur Untersuchung unamerikanischen Verhaltens der Mittäterschaft bezichtigen . Hol's der Teufel, daß ich in Brooklyn bin!" 7
�Ich heiße Atala Menocal, habe soeben mein zweiundzwanzigstes Lebensjahr vollendet, bin Studentin der Philosophie, Meisterin im Hochsprung, Tennis, Kegeln, Scheibenschießen und weiß nicht, ob ich einen Bräutigam habe oder nicht, denn dei, der mich haben will, möchte mich zu seiner Geliebten machen, und ich möchte seine Frau werden. Vorderhand bin ich seine Kameradin im PGB (im Kriegszustand). Los, Atala Menocal, befahl ich mir selbst und begab mich ins Kasino. Ich mag das Kasino nicht, aber an diesem Nachmittag
hatte ich dort eine bestimmte Mission zu erfüllen. Bevor ich das Haus verließ, inspizierte ich meine Handtasche: Schlüssel, Feuerzeug, Zigaretten, Lippenstift, Taschentuch, eine kleine Pistole, Puderdose, Geld . Ganz zum Schluß entschied ich mich für den roten Wollmantel. Der Kimonoschnitt kleidet mich gut. In dem Bus, der mich nach dem Kasino brachte, saßen eine Menge Kinder aus reichen Familien in Begleitung ihrer jungen Mütter oder Kindermädchen und nur wenige andere Fahrgäste. Spielzeug, Süßigkeiten, Milchflaschen, bunte Luftballons, Lachen und Geschrei ließen mich die Aufgabe vergessen, die vor mir lagf ich unterhielt mich mit den Kleinen und beantwortete ihre endlosen Fragen. An jeder Haltestelle stiegen einige aus und winkten mir zum Abschied mit den rosigen Händchen, und als wir die Endstation gegenüber dem Kasino erreichten, war der Bus fast leer. Klappern von Spielmarken. Irgendwer rief meinen Namen. Es war eine gute Bekannte. Sie stellte mich ihrem Mann vor. Aber wer hat schon Augen für seine Freunde, wenn die Roulettkugel rollt und zahllose Hände nach den letzten Spielmarken greifen, um zu setzen. Wir wechselten nur wenige belanglose Worte: Wirst du spielen . Was treibst du . Wir gehen jetzt . Nein, nein, wir haben weder gewonnen noch verloren . In diesem Augenblick wurde an zwei Tischen gespielt, aber weder an dem einen noch an dem anderen setzte man auf die schwarze Neunzehn im roten Feld. Mich überlief ein nervöser Schauder. Ich hatte auf dem roten Feld mit der schwarzen Neunzehn eine mattgelbe achteckige Spielmarke mit vergoldetem Rand entdeckt. Aber es war eine Frau, die spielte. Immer mehr Leute kamen und belagerten die Tische. Um meine Anwesenheit irgendwie zu
rechtfertigen, begann auch ich zu spielen und setzte auf Farbe, aber obgleich ich fast immer gewann, konnte ich dem Spiel kein Interesse abgewinnen, denn ich suchte unablässig nach einer Männerhand, die einen Smaragd am Ringfinger trug und eine mattgelbe Marke auf die schwarze Neunzehn im roten Feld setzte. So vergingen eine halbe Stunde, eine Stunde, anderthalb Stunden. Ich war verzweifelt. Nach zwei Stunden konnte ich meine Mission als beendet ansehen und mich zurückziehen. Ich warf mir den Mantel, den ich auf einem Stuhl abgelegt hatte, über die Schultern und machte mich auf den Heimweg. Den Herrn mit dem Smaragd am Ringfinger, der die mattgelbe Spielmarke auf die schwarze Neunzehn im roten Feld setzen sollte, hatte ich nicht gesehen. Aber die Nacht war wundervoll, duftend, sternklar und frisch. Die taufeuchte Erde dämpfte die Schritte der wenigen Fußgänger, die mir begegneten. Und mitten hinein in diesen Frieden drang, als ich es am wenigsten erwartete, das Brüllen der Löwen aus dem nahen Zoologischen Garten. Unwillkürlich beschleunigte ich meinen Schritt. Eine furchtsame Kreatur, die sich durch das dumpfe Brüllen bedroht fühlt. Ich hatte vor, bis nach Eureka zu laufen, um mir ein bißchen Bewegung zu verschaffen. Wenn ich ermüdete, konnte ich dort ein Taxi nehmen. Ich ging auf der linken Seite, bald über Pflaster, bald über dichtes Gras, aber unweit des Bahnhofs Eureka wechselte ich, noch bevor ich die Gleise überquerte, auf die rechte Seite hinüber. Ringsum herrschte tiefe Stille. Hier war es gewöhnlich sehr einsam, und um diese Stunde ließ sich überhaupt niemand blicken. Die Gerüchte, die umgingen, beunruhigten mich. Ob ich ein Taxi nehmen sollte? Da ich keine Müdigkeit verspürte, entschloß ich mich, bis Guardia Viejo zu marschieren, und hoffte trotz
der großen Entfernung die Avenida Bolivar zu erreichen, wo es leichter sein würde, ein Fahrzeug zu finden. Ich gelangte in eine ziemlich dunkle, gewundene Gasse, in der ich unwillkürlich weiter ausgriff, und als ich sie zur Hälfte überschritten hatte, hörte ich, nein, hörte ich nicht, doch, hörte ich wohl das Hupen eines LKW, der mit helleuchtenden Scheinwerfern in die Kurve einbog, und ich sah, nein, ich sah nicht, doch, ich sah wohl, wie mein Mantel, der mir lose über der Schulter hing, davonflog und unter ein Rad geriet, und ich spürte, nein, ich spürte nicht, doch, ich spürte wohl, wie ich von demselben Luftdruck, der mir den Mantel fortgerissen hatte, vom Boden fast aufgehoben und ins Dunkel geschleudert wurde.
Ich weiß nicht, ob ich schrie. Der Wagen bremste, und ich sah einen Mann aussteigen, der mit der Taschenlampe in der Hand auf mich zukam. Es war ein Soldat. Der
Helm. Der Helm und die Uniform. Mit fliegenden Pulsen, stumm vor Schreck und am ganzen Leibe zitternd, stand ich da, schon bereit davonzulaufen, um mir Schwierigkeiten mit der Polizei zu ersparenf aber dann erkannte ich, daß der Mann Ausländer war, und wurde mir meiner Zugehörigkeit zum PGB (im Kriegszustand) bewußtf ich lief auf die andere Straßenseite, damit er mich nicht bemerkte, und als ich ihn kehrtmachen und auf den Mantel im Grase zugehen sah - offenbar hielt er ihn für den Körper des Verunglückten -, glitt ich zu dem LKW und kletterte rasch hinein, um nachzusehen, was darinnen war, fand aber nichts. Ich kauerte mich nieder und schaute regungslos durch eine Öffnung in der Plane zum Himmel hinauf, an dem Millionen Sterne blinkten. Sie allein waren Zeugen meines Entschlusses mitzufahren, wohin immer die Reise gehen mochte. Was beabsichtigte ich? Nichts Bestimmtes. Ich wollte einfach wissen, wohin dieser olivgrüne Wagen fuhr, an dessen Steuer ein behelmter Soldat saß. Die Minuten wurden Ewigkeiten. Der Mann kam nicht wieder. Ich hörte ihn herumgehen und eifrig nach mir suchen. Wasser plantschte, dann knallten seine Stiefel auf dem Pflaster, und gleich darauf näherte er sich mit langen Schritten dem LKW. Ich hielt den Atem an, aus Angst, er könnte mich verraten. Was sollte ich tun, wenn der Mann mich entdeckte? Darüber hatte ich nachgedacht, als er nicht wiederkam und ich annahm, er sei fortgegangen, um die Polizei zu holen. Ich würde mich ohnmächtig stellen, ihn glauben machen, das Rad, das mir nur den Mantel vom Leibe riß, habe mich selbst gepackt und hochgeschleudert, und ich sei dann zurückgefallen, zwischen Verdeck und Kabinenrückwand durchgerutscht und bewußtlos auf der Ladefläche liegengeblieben. Er trat
dicht an den LKW heran, fuhr aber nicht etwa weiter, sondern kroch unter den Wagen, klopfte die Räder ab und ging dann mit unsicheren Schritten - erst jetzt merkte ich, daß er torkelte - zu meinem Mantel zurück, offensichtlich, um noch einmal nach mir zu suchen. Ich hörte ihn nicht mehr. Er war wohl irgendwo stehengeblieben, ohne sich zu rühren. Ich kauerte noch immer an demselben Fleck und wagte, wie ich schon sagte, kaum zu atmen. Schließlich hörte ich ihn schimpfend und fluchend zurückkommen. Brutal schlug er die Tür zu, und dann schien mir, er zündete sich eine Zigarette an. Er gab Gas, und als sich der Wagen in Bewegung setzte, war mir, als säße ich im Bauch eines Wals auf Rädern, der mit großer Geschwindigkeit an den Laternen vorbeirollte, die an jeder Straßenecke auftauchten, wieder verschwanden und schließlich ganz ausblieben, woraus ich schloß, daß wir bei Guardia Viejo zur Stadt hinausfuhren, und als wir hinter der Gabelung auf die Betonstraße kamen, wußte ich, daß es nach Süden ging. Ich streckte Arme und Beine und suchte mir eine bequemere Lage, denn jetzt konnte ich mich frei bewegen, ohne Angst, daß er es hörte. Bei dem Gedanken, daß wir über Mariscal in die Basen fahren könnten, die wir ihnen im Kriege abgetreten hatten, wurde mir bang, denn dann hätte mein Abenteuer in einer verschlossenen Garage oder in dem Hof einer verlassenen Kaserne geendet. Aber mir blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken. Der ferne Widerschein der Stadt am Himmel und das Tempo, mit dem wir uns bewegten, verrieten mir, daß diese Gefahr bereits hinter mir lag. Das schlechte Pflaster einer Ortschaft - es konnte nur Amatitlan oder Palin sein -, über das wir geschwind holperten. Eine Brücke. Fahrzeuge, die uns entgegenkamen und so hart an
uns vorbeisausten, daß sie uns zu streifen schienen. Wieder Brücken. Das Murmeln von Flüssen, die der Küste zueilten. Die Kühle der Hochebene begann einer entsetzlichen Glut zu weichen. Eben hatten wir Escuintla hinter uns gelassen. Ich hatte großen Appetit auf eine Zigarette. Mehrere Male hielt ich Etui und Feuerzeug in der verschwitzten Hand. Ausgeschlossen. Es wäre unklug gewesen. Das Rütteln und die Schwüle betäubten mich, und das Verdeck über mir, das sich in der Tropennacht an der Küste erhitzte, strömte einen dumpfigen Geruch nach Farbe und Teer aus. Das Meer mußte schon sehr nahe sein. Ich merkte es an dem klebrigen Salzwind und der endlosen Ebene, die wir mit mehr als hundert Kilometer Geschwindigkeit durchmaßen. Allmählich verringerte sich das Tempo, schließlich fuhren wir im Schritt weiter, als müßten wir eine schlechte Stelle passieren, dann ging es rechts ab, und ich spürte, daß wir zuerst über steiniges Gelände und dann sachter über riesige Sandflächen rollten. Der Wagen blieb stehen, und das Gefühl der Sicherheit, das ich während der rasenden Fahrt gehabt hatte, verließ mich. Mir war, als wäre ich entdeckt worden. Ich griff nach der Pistole und überlegte blitzschnell, was jetzt kommen würde: Der Fahrer wird nach hinten gehen, die Plane zurückschlagen und sich plötzlich einem bewaffneten Menschen gegenübersehen, von dessen Existenz er keine Ahnung hat. Ich werde ihn überrumpeln und zwingen, mir zu erklären, was er an diesem einsamen Ort mit einem Militärfahrzeug vorhat, das Eigentum einer ausländischen Macht ist. Am Himmel war die Antwort. Über das Brausen der Wogen hinweg, die gegen die Felsen schlugen, ein Brausen, das der Wind und die Stille der Nacht mir zutrugen, vernahm ich das Surren eines Flugzeugs, das
lauter wurde, je mehr es sich dem LKW näherte, dessen Lampen der Fahrer ein- und ausschaltete, als wollte er Zeichen geben. Durch ein offenes Fensterchen im Verdeck des Wagens konnte ich deutlich die Silhouette der Maschine erkennen, die mit abgeblendeten Lichtern flog und weder Nationalitätszeichen noch Nummer hatte. Zweimal kreiste sie sehr niedrig über dem Kraftwagen, dann zog sie eine größere Schleife, schraubte sich in die Höhe, und bald ging das Brummen der Motoren im Rauschen des Meeres unter. Ich lauschte dem Flugzeuggeräusch, das sich in der Ferne verlor, aber nur noch mit halbem Ohr, denn jetzt mußte ich meine Aufmerksamkeit dem Fahrer zuwenden, der das Fahrerhaus verließ und losrannte . Wohin? Ich wußte es nicht. Ich vernahm kaum seine Schritte. Angestrengt horchte ich hinaus. Da ich allein war, konnte ich mich aufstellen und ihm nachspähen. Zwischen den Büschen bewegte sich etwas Helles. Ich wollte aus dem Wagen springen, auf die Landstraße laufen und die Polizei benachrichtigen, damit sie den Fahrer verhaftete. Aber ich wußte nicht, was der Fallschirm gelandet hatte, ob es Waffen oder Menschen waren, darum zögerte ich, mein Vorhaben auszuführen. Auf jeden Fall war es etwas Wichtigesf denn wenn es nur Fallschirmspringer, Spione oder Saboteure gewesen wären, dann hätten sie nicht einen so großen Lastwagen, sondern einen Jeep benutzt oder auch eines der vielen Autos, die ihnen zur Verfügung standen und die obendrein durch eine Diplomatennummer geschützt waren. Ich hörte den Fahrer mit seinen schweren Stiefeln durch den Sand stapfen und sah ihn auf den LKW zukommen. Er schwankte. Als ich seinen unsicheren Gang bemerkte, an dem nicht der Sand schuld war, schnürte sich mir vor Haß die Kehle zu. Mit welcher Unverfrorenheit
selbst ihre Betrunkenen gegen uns vorgingen! Ich hob die Pistole, um ihn auf der Stelle fertigzumachen. Aber dann überlegte ich mir, was geschehen würde, wenn dort Fallschirmspringer gelandet wären. Das hielt mich davon ab, ihm eins auf den Pelz zu brennen, als er sich, den Helm im Nacken, mit entblößter Brust dem Wagenschlag näherte. Ich beobachtete ihn, als er sich an die Klinke hängte und blöde wie ein Trunkenbold mit dem Kopf wackelte, hörte ihn fluchen und wie ein wütendes Tier mit den Füßen aufstampfen. Dann sprang er ans Steuer und setzte den Motor in Gang. Schwerfällig schob sich das große Fahrzeug durch den Sand. Verfluchter Gringo, schrie ich in Gedanken, von hier kommst du nicht mehr weg! Und ich freute mich schon drauf, ihn regungslos im Sand liegen zu sehen wie eine Schmeißfliege, die am Fliegenfänger klebt. Er bremste, stellte den Motor ab und sprang taumelnd hinaus. Ich sah ihn nach hinten gehen und verbarg mich in einer Falte der Plane, die mich völlig verdeckte. Ich stak darin wie eine Nadel im Rockaufschlag. Er spuckte aus und fingerte fluchend an der Klappe des Lastwagens herum. Schließlich öffnete er sie. Ich wußte nicht, ob er die Absicht hatte aufzusteigen. Die Pistole in der Hand, folgte ich jeder seiner Bewegungen, fast entschlossen, ihn zu töten, ohne ihn je gesehen zu haben, ohne ihn zu kennen, ohne zu ihm zu sprechen, so wie man im Krieg tötet, denn nur wir vom Patriotischen Geheimbund gaben zu, daß wir uns im Krieg befanden, im Gegensatz zur Regierung, den Militärs und Politikern, die glaubten, es handele sich um eine ,Erpressung', und deshalb nannten wir uns PGB (im Kriegszustand), um uns jederzeit daran zu erinnern, daß wir Krieg führten. Er ging zu dem Dickicht, dem er sich mit dem LKW so
weit wie möglich genähert hatte, dorthin, wo ich den Fallschirm hatte niedergehen sehen - vielleicht waren es auch mehrere gewesen, ich hatte jedenfalls nur einen bemerkt -, und es dauerte nicht lange, da kehrte er zurück, stand vor mir in der heißen Nacht, deren sternübersäter Himmel, versengt von der glühenden Sonne, sich kohlschwarz gefärbt und mit funkelnden Brillanten und Rubinen geschmückt hatte. Er trug einen Packen auf der Schulter, der nicht umfangreich, aber offensichtlich schwer war, denn es kostete ihn Mühe, die Füße mit den groben Stiefeln zu heben, die bei jedem Schritt im Sand einsanken. Schließlich erreichte er den Wagen und schob den Packen fluchend und unter großer Anstrengung nach hinten. Von der Pistole, die sich auf seine Stirn richtete, ahnte er nichts. Er blieb stehen, wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß ab und ging gleich wieder zu dem Gestrüpp. Als er, beladen mit einem neuen Packen, zurückkehrte, versuchte er zu verhindern, daß er wie vordem im Sand einsank, aber es gelang ihm nicht. Beim Wagen angekommen, legte er die Last auf den Rand der Ladefläche und schob sie dann ins Innere. Während er Bündel auf Bündel heranschleppte und den LKW belud, dachte ich, daß er bald aufsteigen würde, um die Fracht zu stapeln, und daß dann der Augenblick gekommen wäre, ihn gefangenzunehmen oder zu töten, ehe er von seiner Waffe Gebrauch machen konntef und je mehr Packen er aufhäufte, die das weitere Laden erschwerten, um so näher rückte die Entscheidung. Machte er einen erschöpften Eindruck, so rann mir von dem tödlichen Warten der eiskalte Schweiß herunter, und meine Zähne schlugen aufeinander. Daß ich in wenigen Minuten auf ihn schießen würde, wie im Krieg, fast wie im Krieg, wurde mir immer
mehr bewußt, und dieses Bewußtsein schien die Entscheidung noch rascher herbeizuführen. Die dicken Schweißtropfen, die mir über die Wangen liefen, wischte ich mit dem Rücken der linken Hand ab, in der ich bis jetzt die Pistole gehalten hatte. Ich kann mit beiden Händen schießen, aber jetzt würde ich es mit der rechten tun, weil das Herz links sitzt und ich hinterrücks töten mußte, beinahe wie ein Verräterf aber waren nicht auch sie Verräter, Verräter an Amerika, weil sie ein wehrloses Land hinterrücks meuchelten .? Dort an der einsamen, flachen Küste des Stillen Ozeans erkannte ich, was uns bevorstand: ein ungleicher Kampf zwischen den Starken und den Schwachen, der viele, viele Jahre dauern würde. Ermüdet vom Warten, verließ ich meinen Posten. Er kam nicht wieder. Ich fragte mich, ob ich ihm den Wagen nicht einfach stehlen sollte, denn was er lud, waren Waffen, ich merkte es, als die Packen klirrend gegen die Metallwände der Karosserie stießen. Auch ihre Form verriet es. Ja, es war vernünftiger, die Ladung zu stehlen als ihn zu töten. Ich war sehr erleichtert durch die Lösung, aber dann wurde mir klar, daß ich im Sand steckenbleiben würde, und da kam der Gringo auch schon zurück. Hell funkelten die Sterne. Ich lauschte dem Zirpen der Grillen, dem Geigen der Zikaden und dem Quaken der Frösche. Hin und wieder taumelte eine Fledermaus blind durch die Nacht. Er zerrte einen Packen hinter sich her, und wenn ich bislang, sooft ich seiner ansichtig wurde, geglaubt hatte, er schleppe das letzte Bündel heran und der Kampf beginne, so sagte nur mein Herz jetzt, daß es endgültig soweit sei, daß er aufsteigen und die Fracht übereinanderschichten würde und daß ich ihn in der nächsten Sekunde niederschießen müßte. Ich hatte ein entsetzlich hohles Gefühl im Magen, mein
Herz krampfte sich zusammen, und mein Mund wurde trocken. Ich war bereit, ihn zu töten, ohne daß ich ihn kannte, ein Blitz würde ihn treffen, der nicht aus einer zornigen Wolke, sondern aus einer dunkelblauen Taschenpistole von der Größe einer Puderdose kam.
Er schleifte seine Last den Kraftwagen entlang und blieb wie lauschend an der Fahrerhaustür stehen, wenige Zentimeter von meinem Versteck hinter der zur Seite gerafften Plane entfernt. Ich hörte ihn mühevoll atmen. Er rülpste. Ob ich ihn überrumpeln und gefangennehmen sollte? Gleich dort, wo er stand, oder wenn er jetzt aufstiege, es fehlten nur wenige Schritte bis zum hinteren Teil des LKW. Ich sah ihm entgegen, darauf gefaßt, daß er mit einem Satz aufsprang. Aber er mühte sich mit dem schweren Waffenpaket ab. Immer wieder versuchte er, es zu heben. Beim dritten- oder viertenmal gelang es ihm, die
Last auf den Rand der Ladefläche hochzustemmen, bevor er sie ins Innere des Wagens stieß. Na endlich, glaubte ich ihn sagen zu hören und sah, daß er die Arme kraftlos auf den Packen sinken ließ, der vornean neben den anderen stand, und daß er dann das Gesicht auf die Arme legte. Nach einer Weile hob er den Kopf und schob die Hände vor. Aha, dachte ich, gleich wird er sich aufstützen, um herauf zuspringen . Ich faßte die Pistole fester, nie war meine Hand so sicher gewesen wie in diesem Augenblick, aber er fingerte nur an der Klappe herum, die er nicht schließen konnte, solange die Waffen die Öffnung versperrten. Er schien überhaupt nicht fertig zu werden. Wann endlich würde er aufsteigen, die Fracht zu ordnen, damit ich ihn gefangennehmen oder niederschießen konnte? Da schloß er die Klappe. Ich hörte, wie er die Bolzen in die Ringe fallen ließ, die Sicherheitsketten festhakte, die Plane straffzog, um die Ladefläche besser abzudecken, und sich die Hände abklopfte. Ich verließ mein Versteck - es war jetzt dunkler als vorher, weil er die Pläne gestrafft hatte fest entschlossen, weiter mitzufahren, um den Bestimmungsort der Waffen herauszubekommen. Das zu erfahren war in diesem Augenblick das wichtigste. Also los. Wohin, wußte ich nicht. Der Motor heulte auf, lief auf vollen Touren, aber der Wagen rührte sich nicht vom Fleck. Die Räder mahlten im Sand, wühlten sich immer tiefer ein, ohne festen Grund zu fassen. Es nützte nichts, daß er die Gänge wechselte, vor, zurück, vor und wieder zurück, um rückwärts zu setzen. Es nützte nichts, daß er das Steuer mit kurzen, schnellen Bewegungen herumschlug . Zwar hatte ich ihn weder gefangengenommen noch getötet, aber jetzt hielt ihn der Sand fest. Es war, als wollte die Erde selbst ihren Kindern heimlich
helfen, sich zur Wehr zu setzen. Ich hörte ihn aussteigen und einsteigen und an den Hebeln herumschalten, bis ihm die Füße von den Pedalen rutschten, aber er erreichte nur, daß der schwere Wagen, der nach wie vor an derselben Stelle stand, leicht erzitterte. Der starke Motor vermochte nichts gegen den Sand. Er schaltete ihn aus, und mein erster Gedanke war, jetzt wird er die Ketten herausholen und sich an den Rädern zu schaffen machen. Widerstreitende Gefühle erfüllten mich. Ich bereute, daß ich mich gefreut hatte, weil er im Sand steckengeblieben war. Wichtig allein war, hier herauszukommen und zu erfahren, wohin er die Waffen transportierte. Ich hörte ihn nicht mehr, vielleicht war er eingeschlafen . Und während ich noch nach ihm ausspähte und zu ergründen suchte, was er trieb, wurde mir schlecht, alles drehte sich mir vor den Augen, und ich glaubte zu erstickenf unterdessen hatte er, ohne daß ich es gewahr wurde, den Motor angelassen, und der Wagen fuhr mit einem heftigen Ruck an, nein, er schoß nach vorn wie eine Kanonenkugel, und ich flog nach hinten, in die äußerste Ecke des Laderaums. Ich schlug gegen die Rückwand und fiel auf die Knie, stützte eine Hand auf den heißen Metallboden der Karosserie, während ich mit der anderen die Waffe hochhielt, der Mund füllte sich mir mit Wasserf gespannt und zu allem entschlossen, wartete ich darauf, daß er bremste, sobald er die Landstraße erreichte, denn ich zweifelte keinen Augenblick, daß er mich gehört hatte. Aber er hielt nicht an. In rasender Fahrt ließen wir die ersten geraden Strecken hinter uns, bald würde ich wissen, wohin er die Waffen brachte. Überallhin, sagte ich mir, nur nicht zu denen, gegen die man sie einsetzen würde, nicht zu den Landarbeitern, Arbeitern und Bauern . Aber in meiner Hand lag
es, in der meinen, daß die Waffen in ihre Hände gelangten . Und ich sah meine Hand, sah die Hände eines ganzen Volkes nach den Waffen greifen, um sich zu verteidigen . Ich zweifelte nicht eine Sekunde, daß ich blitzschnell handeln mußte, wie jemand, der sich ein brennendes Kleid vom Leib reißt. Ich stockte die Pistole hinter den Gürtel und tappte zu der Klappef in der Dunkelheit stolperte ich über die Waffen, verlor das Gleichgewicht und wäre um ein Haar hinausgestürzt, aber irgendwie hielt ich mich fest und vergaß meinen Schreck, als ich das erste Paket auf die Straße fallen hörte . das zweite . das dritte . dann zählte ich nicht mehr . Als wir uns Escuintla näherten, wurde ich unruhig. Die Posten vor der Kaserne, Polizisten, Nachtbummler, ein Frühaufsteher auf dem Weg zur Arbeit - irgendeiner konnte den Fahrer verständigen, daß der Wagen seine Ladung verlor . Aber der Yankee fuhr wie der Teufel, und schon lag Escuintla mit seinen Häusern, Straßen und Kokospalmen hinter uns . Mir war, als träumte ich . Nur im Traum geht alles so glatt . Die restlichen Packen loszuwerden war leicht, denn jetzt ging es steil bergauf, die Ladefläche stand schräg, und die Waffen glitten mühelos hinaus, als suchten sie selbst die Hände jener, denen sie gehörtenf und nachdem ich das letzte Bündel abgeworfen hatte, schloß ich die Klappe, sicherte sie mit Bolzen und Ketten, und kurz vor Palin, bei der letzten Biegung, dort, wo die Straße unter einer Eisenbahnbrücke hinwegführt, sprang ich ab . Es war wie beim Hochsprung, wenn man, eingehüllt in eine Staubwolke, auf dem Boden landet. Geruch nach feuchtem Gras und in der Ferne, wie zwei riesige Blutstropfen, die beiden Schlußlichter des schweren Last-
wagens, die immer kleiner wurden. Ich stand auf und suchte meine Tasche, die ich vorsichtshalber zuerst abgeworfen hatte. Unablässig rauschten die Wasserfälle des Elektrizitätswerkes von Palin, dessen Neonlicht auf die umliegenden Wälder und Hügel fiel. Für mich war es wichtig, so schnell wie möglich von der Landstraße zu verschwinden. Ich ergriff die Tasche und ging auf ein Anwesen zu, das eine niedrige Steinmauer von der Landstraße abgrenzte. Vor dem Haus mit den erleuchteten Fenstern breitete sich ein gepflügter Acker, auf dessen Furchen flimmernd das erste Frühlicht lag. Die Bewohner, die schon ihr Tagewerk aufgenommen hatten, waren sehr überrascht, als ich auftauchte, und brachten die wütend kläffenden Hunde zum Schweigen, während ich zu erklären versuchte, daß ich einen Autounfall gehabt hätte. Ja, ja, es ist nicht das erstemal, daß einer einschläft und vom Auto herunterfällt, meinten sie gutgläubig und bemühten sich so eifrig um mich, daß ich ihnen wehren mußtef dabei war ich froh, eine Tasse mit heißem Kaffee in den Händen zu halten und in einer Hängematte zu liegen, die der Wind, der über die wogenden grünen Zuckerrohrfelder strich, in sanfte Schwingungen versetzte. Als ich aufwachte, umringt von einer zerlumpten, halbnackten Kinderschar, die mich wie ein Gespenst anstarrte, war es beinahe Mittag, und man rief mich zum Essen, das ich nicht ausschlagen durfte, wenn ich meine Wirte nicht beleidigen wollte. Sie hatten ein wahres ländliches Festmahl zubereitet, außer dem ,Sanchocho', einem Gericht aus Fleisch und gebratenen Bananen, gab es Flußfisch, Täubchen, Avogatobirne und Früchte und für die, die noch naschen wollten, frischgebackene Maistörtchen. Am Nachmittag brach ich auf, schenkte den Kindern ein
paar Geldstücke, und kaum hatte ich die Landstraße betreten, da erwischte ich auch schon einen der Kombis, die zwischen Escuintla und der Hauptstadt verkehren, wo ich eine Stunde später ankam, gerade als an allen Ecken die Zeitungsverkäufer die Nachricht von dem großen Waffenfund auf der Pazifikstraße ausriefen. Die Mitglieder des PGB (im Kriegszustand) waren in großer Sorge um mich, denn sie nahmen mit Sicherheit an, daß ich im Kasino den Herrn mit dem Smaragdring getroffen hatte und wir zusammen nach der Finca ,Grano de Oro' gefahren waren, um die Waffen abzufangen. ,Atala, Atala', riefen sie, als ich hereinkam, und betasteten mich wie einen Menschen, der einer großen Gefahr entronnen istf und dann berichtete ich, was geschehen war, und alle schwiegen. ,Freunde, ich habe den Herrn mit dem Smaragdring, der im Kasino auf die schwarze Neunzehn im roten Feld setzen sollte, nicht gesehen, aber ich hatte eine weit bessere Begegnung . Als ich hinausging, traf ich den Zufall, und der trug einen Ring in der Farbe der Hoffnung.'"
Heft 382
Otto Emersleben Der Fluch der Konquista
Francisco Pizarro und Diego de Almagro, die gemeinsam Peru, das Land der Inka, für Spanien erobert haben, liegen miteinander im Streit. Pizarro als Vizekönig von Neu-Kastilien und Almagro als Statthalter von NeuToledo erheben beide Ansprucn auf Landbeute des anderen, vor allem aber auf die Stadt Cuzco. Diesen Streit soll Bruder Francisco de Bovadilla schlichten. Er vermag auch 1537 den Vertrag von Mala zustande zu bringen, doch hinter seinem Rücken vollzieht sich ein brutaler Machtkampf. Der Fluch der Konquista - der rücksichtslosen Eroberung Südamerikas - treibt ihn in die Berge zu den Indios, wo er seinen Lebensbericht aufzeichnet.