Vivienne Wallington
Niemals hab ich dich vergessen
Es waren die zärtlichsten Liebesstunden ihres Lebens: Und doch schä...
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Vivienne Wallington
Niemals hab ich dich vergessen
Es waren die zärtlichsten Liebesstunden ihres Lebens: Und doch schämt sich Rachel für jene Nacht, in der sie in Zacs Armen das Glück genoss. Denn die große Leidenschaft fand sie nicht bei ihrem Mann Adrian, sondern bei seinem Zwillingsbruder Zac. Momente der Schwäche, die sie beide vergessen wollten – nie haben sie sich wiedergesehen. Erst fünf Jahre später kehrt Zac auf die Familienranch zurück. Und jetzt ist Rachel frei! Obwohl sie schnell erkennt, dass ihr Herz noch immer ihm gehört, will sie diesmal stark bleiben…
© 2004 by Vivienne Wallington
Originaltitel: „In Her Husband's Image“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
in der Reihe: SPECIAL EDITION
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1447 (26/2) 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Gisele Bandilla Fotos: Corbis GmbH
1. KAPITEL „Mommy, kaufst du mir'n Gewehr zum Geburtstag? Dann kann ich mit Vince Wildschweine schieß'n geh'n.“ Rachel war fassungslos. „Mikey, du bist erst drei Jahre alt!“ „Wenn ich noch drei Mal schlafe, bin ich vier. Vince sagt, ich kann erst mit ihm schieß'n geh'n, wenn ich mein eigenes Gewehr hab.“ Rachel schimpfte innerlich auf ihren Vorarbeiter. „Vince meinte sicher, wenn du groß bist, Mikey. Nur Erwachsene dürfen ein Gewehr benutzen. Komm lieber, und hilf mir, die Hühner zu füttern. Lass uns mal nachschauen, wie viele Eier da sind.“ „Na, gut.“ Mikeys Gesicht hellte sich auf, und er rannte mit seinem Hund Buster, einem verspielten Blue Heeler, davon. Rachel nahm sich vor, mit Vince zu reden, sobald er zurück war. Sie war ohnehin über den Verwalter verärgert, weil er sie selten um ihre Meinung fragte und vieles über ihren Kopf hinweg entschied. Schließlich war sie seit dem Tod ihres Mannes Chefin in Yarrah Downs! Aber Vince rechnete eben genauso wenig wie die anderen damit, dass sie bleiben würde. Eine Witwe mit Kleinkind schaffte es selten, eine im rauen australischen Outback gelegene Rinderfarm zu führen. Noch dazu, wenn die Frau aus der Großstadt kam. Rachel spähte in die Dämmerung. Die anhaltende Hitze zerrte nicht nur an ihren Nerven. Alle Farmer hier hofften inständig auf Regen, lieber gestern als heute. Bald würde alles vertrocknen und es kein Futter mehr geben. Natürlich könnten neue Brunnen Abhilfe schaffen, aber Bohrungen konnte Rachel sich nicht leisten. Als sie hinter Mikey herging, hörte sie ein kleines Flugzeug herfliegen. Ihr Vater konnte es nicht sein, der käme nicht schon drei Tage vor Mikeys Geburtstag. Er blieb nie über Nacht, schon gar nicht länger. Er hasste die Wildnis und war außerdem viel zu beschäftigt damit, seinen Konzern zu leiten. Sie runzelte die Stirn. Wer kam da angeflogen? Es konnte eigentlich nur ihr Vater sein, wer sonst auch würde sie hier draußen besuchen kommen? Kam er, um sie wieder mal davon zu überzeugen, dass sie alles verkaufen und nach Sydney zurückkehren sollte? Hedley Barrington gab nie auf. Sie kannte seine Reden auswendig: „Das hier ist kein Ort für eine allein stehende Mutter! Du kannst doch diese riesige, einsame Ranch nicht ohne Adrian führen, und das erwartet auch niemand von dir.“ Rachel pflegte dann zu erwidern, dass sie es wenigstens versuchen wolle, dass Yarrah Downs ihr und Mikeys Zuhause war. Aber das überzeugte ihren Vater nicht wirklich. „Und was ist mit Barrington's? Du bist mein einziges Kind, Rachel. Du bist dafür ausgebildet, unsere Ladenkette zu leiten, und ich habe immer mit dir gerechnet. Ich werde nicht ewig leben – deine Mutter starb letztes Jahr, und ich bin fünf Jahre älter als sie. Ich möchte, dass du nach Sydney kommst und mir hilfst, die Firma zu führen, damit ich mich irgendwann zur Ruhe setzen kann.“ „Dad, ich gehöre hierher! Es gefällt mir hier! Hier fühle ich mich frei und glücklich. In Sydney habe ich immer das Gefühl, eingeengt zu sein, zu ersticken, in einem Leben gefangen zu sein, das ich nicht will.“ „Unsinn! Du hast dort alles, was man sich wünschen kann, und jede Freiheit der Welt! Ich habe dich durch die Welt reisen lassen, unter der Bedingung, dass du zurückkommst, wenn ich dich brauche. Ich habe dir sogar gestattet, diesen hinterwäldlerischen Rinderzüchter aus Queensland zu heiraten, obgleich das völlig gegen meine Überzeugung war. Aber Adrian ist tot, also musst du nicht
länger in dieser Wildnis bleiben. Jetzt brauche ich dich bei mir in Sydney! Barrington's braucht dich!“ „Aber ich möchte hier bleiben! Hier draußen im Busch kann ich atmen und fühle mich lebendig!“ „Wie kann man in solcher Hitze überhaupt atmen oder sich lebendig fühlen? Und es ist noch schwieriger, wenn man ganz allein die Verantwortung für eine Farm tragen muss. Schatz, es wird immer schlimmer werden, je länger du bleibst. Erwarte keine Hilfe von mir für diese verdammte Ranch, ich will nur, dass du nach Hause kommst!“ Rachel schüttelte kurz den Kopf, wie um sich in die Gegenwart zurückzubringen, und versuchte, nicht mehr an die endlosen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater zu denken. „Ich geh mal nachschauen, wer da gekommen ist!,“ rief sie Mikey zu. „Bleib du bei Buster. Du kannst schon mal die Eier einsammeln, aber sei vorsichtig!“ Von hier aus konnte man die kleine Flugpiste, die Adrian angelegt hatte, nicht sehen. Dass das Flugzeug mittlerweile gelandet war, konnte sie an den Geräuschen erkennen. Jetzt wurde der Motor abgestellt. Vielleicht war es doch nicht ihr Vater. Der Motor hatte so gar nicht wie sein Jet geklungen. Ein Nachbar? Oder etwa jemand von der Bank? Als hätte sie nicht schon genug Probleme! Rachel überquerte den Hof und ging am Haus mit seiner schattigen Veranda vorbei. Der Besucher hatte inzwischen wahrscheinlich die Flugpiste verlassen und war auf dem Weg hierher. Sie eilte an den Gummibäumen vorüber, die den Gartenweg säumten. Ein Mann tauchte auf. Rachel blieb wie angewurzelt stehen. Eine Sekunde lang hatte sie das Gefühl, dem Geist ihres Mannes zu begegnen. Aber es war kein Geist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit demselben schönen Gesicht von Adrian, den gleichen grauen Augen, den breiten Schultern, den zerzausten dunklen Haaren und der gebräunten Haut. Derselbe Mann, den sie, wofür sie sich noch immer schämte, vor fünf Jahren verführt hatte. Und so sehr sie sich auch bemühte, die Erinnerung daran zu tilgen, seitdem waren ihr Denken und Fühlen verändert. Sie hätte viel darum gegeben, diese Nacht aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Es war Zac Hammond, der eineiige Zwillingsbruder ihres verstorbenen Mannes. Sie hatte ihn nur einmal getroffen, ausgerechnet in dieser denkwürdigen Nacht. Doch sie sah ihn täglich – immer dann nämlich, wenn sie ihren Sohn Mikey betrachtete. „Du kommst zu spät.“ Ihr versagte fast die Stimme, aber Angriff war die beste Verteidigung. „Die Beerdigung deines Bruders war vor einem Monat.“ Adrians Anwalt hatte seinen Bruder rechtzeitig von der Tragödie in Kenntnis gesetzt, aber Zac war nicht zur Beisetzung erschienen, so dass Rachel damit rechnete, ihn nie wieder zu sehen. „Ich steckte in Zaire fest, ohne Telefon, bin aber losgefahren, sobald ich es erfuhr.“ Das klang ganz nach der Entschuldigung, die er vor fünf Jahren benutzt hatte, als er das letzte Mal nach Yarrah Downs gekommen war. Er war auf die Hochzeit seines Bruders eingeladen gewesen und erschien mit großer Verspätung. Nicht einen oder zwei Tage zu spät, sondern fünf Monate! Für Zac kommen immer erst er und seine Arbeit, hatte Adrian sich mehr als einmal über seinen Bruder beklagt. Rachel erinnerte sich noch genau an jenen Abend, als Zac auf der Ranch erschien. Nur dass sie damals noch nicht wusste, dass Adrian einen
Zwillingsbruder hatte. Daher hielt sie Zac im Dunkeln für ihren seit fünf Monaten angetrauten Ehemann, der früher als erwartet von einer zweiwöchigen Einkaufstour nach Hause gekommen war. Die schwüle Witterung und ihre Sehnsucht hatten ein Übriges getan. „Ich wusste nicht, ob ich dich hier noch antreffen würde.“ Zac musterte sie aus schmalen Augen, als zöge er sie aus, ganz so, wie er es im Mondlicht jener Nacht getan hatte. Rachel machte unwillkürlich einen Schritt zurück. „Ach, du dachtest wohl, ich sei inzwischen wieder in Sydney?“ Genau wie die anderen, dachte Rachel und schaute Zac kühl an. Kein Wort des Beileids über den Tod ihres Mannes, seines Bruders! Hielt er das nach der schamlosen Weise, wie sie sich ihm damals an den Hals geworfen hatte, nicht für angemessen? Glaubte er noch immer, dass sie in jener Nacht gewusst hatte, wer er war? Zornig presste sie die Hände zusammen – und äußerte auch ihrerseits kein Beileid. Das hatte er nicht verdient. Er und Adrian mochten eineiige Zwillinge gewesen sein, aber sie hatten sich nie nahe gestanden. „Wenn du glaubtest, ich sei wieder in Sydney, wieso bist du dann nach Yarrah Downs gekommen?“ Vermutlich ging es ihm um das Land, sein Elternhaus. Vielleicht wollte er es im Falle eines Verkaufs sogar erwerben? Natürlich nicht, um selbst hier zu leben, Zac war nicht der sesshafte Typ. Vielleicht wollte er das Land aus sentimentalen Gründen behalten, da es schon seit drei Generationen im Besitz seiner Familie war. Und Vince als Verwalter einsetzen. Je schneller sie Zac desillusionierte, umso besser. „Nun, wie du siehst, bin ich noch da und beabsichtige auch, zu bleiben. Aber bevor du weiterfährst, kannst du mit uns zu Mittag essen. Woher wusstest du, dass wir jetzt eine Landebahn haben?“ Vor fünf Jahren war er mit einem gemieteten Jeep gekommen, den sie für den von Adrian gehalten hatte. Zac zog eine Braue hoch. „Von eurer Flugpiste habe ich in Brisbane erfahren, wo ich mich ein bisschen umgehört habe, was in den letzten fünf Jahren hier so alles passiert ist.“ Rachel wurde ganz heiß. Zac wusste also noch, dass es vor fünf Jahren gewesen war! Um genauer zu sein: Vor vier Jahren und neun Monaten. Hektisch überlegte sie, ob er beim Anblick von Mikey wohl ahnen würde, dass es sein Sohn war. „Ich wusste gar nicht, dass du den Pilotenschein hast“, sagte sie, um das Thema zu wechseln. „Den habe ich seit vier Jahren. Ist sehr praktisch.“ Klar, fliegen zu können war für die Tieraufnahmen, die Zac in der Wildnis machte, sicher nützlich. Adrian hatte seinen Bruder einen ruhelosen Einzelgänger genannt. Immerhin schadete er damit niemandem als sich selbst – und den Menschen, die ihm nahe standen. Allein sein Anblick löste in Rachel schon wieder Gefühle aus, die sie am liebsten verdrängt hätte. Was war nur los mit ihr? Sie wusste doch, dass dieser Mann verantwortungslos und egoistisch war. � „ Dul ebst al so noc hi mmer i n der W il dni s? Hast ni c ht gehei r at et und bi st sess haft ge wor den?“ W i esofr agt e si e das nur, das gi ng si e doc h gar ni c ht s an Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte sie hinzu: „Du willst sicher wieder zurückfliegen, bevor es dunkel wird. Also beeilen wir uns mit dem Mittagessen.“ „Ich muss die Maschine erst in ein paar Tagen zurückgeben. Da du noch hier bist, dachte ich, ich könnte solange bleiben.“ Über Nacht? Das wurde ja immer besser! Mit Zac unter demselben Dach
schlafen? Aber Rachel konnte nicht Nein sagen, schließlich war er ihr Schwager. „Na gut, für eine Nacht wird es gehen.“ Das hörte sich zwar nicht gerade sehr großzügig an, aber was konnte er schon erwarten nach dem, was letztes Mal passiert war! Beinahe hätte sie laut aufgestöhnt. Sie hatte sich so bemüht, diese peinliche Nacht zu vergessen, wurde aber täglich daran erinnert. Von Mikey. Und von ihren Träumen… „Nur eine Nacht? Nachdem ich extra hergeflogen bin?“ Zacs Augen blitzten. „Du wirst mich doch wohl nicht wieder rauswerfen wie vor fünf Jahren? Das wäre nicht sehr… schwesterlich.“ Schwesterlich! Als wenn irgendwas zwischen ihnen schwesterlich gewesen wäre! Diese unkontrollierte, leidenschaftliche Nacht… Ihre Wangen röteten sich. Was fiel dem Kerl ein, sie an jenen Abend zu erinnern! Das zeigte nur wieder, dass er alles andere als ein Kavalier war. Adrian hatte seinen Bruder schon immer unzivilisiert und unbezähmbar genannt, einen, der sich um niemanden scherte und nur tat, was ihm passte. „Geh rein, und wasch dir die Hände“, sagte sie kühl. „Du kannst das Gästezimmer neben dem Bad nehmen. Dort ist das Bett bezogen – für überraschenden Besuch.“ Ihr Blick sagte, dass er genauso überraschend schnell wieder gehen dürfte. „Ich habe hier noch zu tun. Bis später.“ Sie eilte über den Hof zum Hühnerstall. Zac ging zum Flugzeug zurück, um seine Taschen zu holen – in den meisten davon war seine Fotoausrüstung, persönliche Dinge hatte er nur wenige dabei. Wie anders waren da seine Gefühle: Gleich ein ganzes Bündel davon hatte sich in ihm ausgebreitet. Und eins war persönlicher als das andere. Erstens war er überrascht, dass Rachel noch da war. Tief im Innern hatte er vielleicht darauf gehofft. Und es gleichzeitig befürchtet. Denn seit fünf Jahren ging ihm diese Frau nicht aus dem Kopf. Er hatte versucht, die Erinnerung an Rachel auszulöschen, mit dem Verstand – und in den Armen anderer Frauen, wenn sich mal die Gelegenheit bot. Aber das hatte nicht geholfen. Rachel tauchte immer wieder in seinen Gedanken und Träumen auf, so wie keine andere Frau es je getan hatte. Das war die Hölle, denn sie war ausgerechnet mit seinem Bruder verheiratet, und die Schuldgefühle über das, was geschehen war, quälten ihn immer mehr. Selbst als er von dem Unfalltod Adrians erfuhr, hatte er gezögert, zurückzukommen. Das Unrecht, das er seinem Bruder mit dieser leidenschaftlichen Nacht angetan hatte, würde ihm für alle Zeiten auf der Seele liegen. Gleichzeitig konnte er nicht ewig wegbleiben. Erst Rachels Anblick würde helfen, ihr Bild aus seinen Gedanken zu vertreiben und ihm klar zu machen, dass seine Gefühle für sie durch die Jahre verklärt worden waren. Immerhin kam es nicht alle Tage vor, dass sich einem eine so schöne, wenig bekleidete Frau an den Hals warf. Zumal in seinem Job, wo ihm höchstens haarige Wildtiere begegneten und er froh sein konnte, wenn er in Wochen und Monaten überhaupt eine Frau sah. Ja, vermutlich hatte es daran gelegen, dass er sexuell ausgezehrt gewesen war, die Hormone verrückt gespielt hatten und dass es so schwül gewesen war an jenem Abend. Sobald sie wieder bei Verstand waren, hatte er ihr die Wahrheit gesagt, wer er war. Und seitdem versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass alles nur eine Verkettung der Umstände gewesen war. Er war auch zurückgekommen, um herauszufinden, ob er Recht hatte. Ob er
diese Frau im Laufe der Jahre nicht glorifiziert hatte. Daran hatte er sich wie an einen Rettungsanker gehalten. Doch dieser Anker hatte ihm nichts genützt. Sobald er Rachel sah, war sein Blut wieder in Wallung geraten – und das hatte nichts mit Lust allein zu tun. Zum ersten Mal sah er sie bei Tageslicht. Ihre klaren blauen Augen erinnerten ihn an Kornblumen, ihr blonder Zopf glänzte golden in der Sonne. Zac konnte kaum den Blick von Rachel wenden, schon gar nicht von den weichen Lippen, die er einst gekostet hatte. Er musste sich vorsehen, verdammt vorsehen. Oder er würde alles verderben. So wie beim letzten Mal. Am Morgen hatte Rachel Brot gebacken und eine Gemüsesuppe gekocht. Als Zac die Küche betrat, hoffte sie, dass der Duft seine Gedanken aufs Essen lenken und die erste Begegnung mit seinem Neffen – sie wagte es nicht mal innerlich, Mikey, der schon am Tisch saß und an einem Sandwich knabberte, seinen Sohn zu nennen – unkompliziert machen würde. Nur sie kannte ja die Wahrheit. Nicht mal ihr Arzt wusste davon. Also bestand keine Gefahr, dass Zac von seiner Vaterschaft erfuhr, es sei denn, sie verriet sich unwillkürlich. Aber ihre Mimik hatte sie unter Kontrolle. Und wenn sie sich ein bisschen verkrampft verhielt, konnte Zac das immer noch auf jene Nacht schieben. Von deren Folgen hatte er keine Ahnung. Und auch ihr Mann hatte nichts geahnt, obwohl sie kein weiteres Kind mehr bekommen hatten. Adrian erklärte sich das stets mit Übermüdung oder mit einem medizinischen Problem – ihrerseits. Er war nie auf die Idee gekommen, dass es seine Schuld sein könnte, dass er womöglich sogar unfruchtbar war, wie Rachel schließlich vermutete. „Setz dich, Zac.“ Rachel stand noch am Küchentresen, so dass sie ihn nicht ansehen musste. „Nimm dir Brot, ich schneide noch etwas kalten Braten für die Suppe auf. Und begrüß deinen Neffen Mikey. Wir haben ihn nach eurem Vater genannt. Ich habe Mikey schon erklärt, dass er einen Onkel hat, der genauso aussieht wie sein Vater, aber sieh es ihm bitte nach, wenn er dich anstarrt.“ Sie stotterte beinahe! „Mikey, das ist Onkel Zac, der Zwillingsbruder deines Daddys.“ Mikey schaute Zac mit offenem Mund an. „Wenn du artig bist, erzählt dir Onkel Zac vielleicht von den wilden Tieren, die er im Dschungel fotografiert“, versuchte sie ihn abzulenken, denn Mikey liebte wilde Tiere. „Hast du ganz viele Löwen und Tiger gesehen?“ fragte der Junge, nachdem Zac ihn freundlich begrüßt hatte. Rachel entspannte sich. „Ja, eine Menge.“ „Erzähl mir davon, Onkel Zac.“ Lächelnd begann Zac mit einer Reihe interessanter Beschreibungen* wie er ganz dicht an gefährliche Tiere herangekommen war, was den Jungen entzückte. „Ich wollte, ich könnte Löwen jagen“, erklärte Mikey, als Zac einen Löffel Suppe nahm. „Das mache ich auch, wenn ich groß bin.“ Rachel musste daran denken, dass Adrian Mikey immer einen Hang zur Unabhängigkeit und zur Abenteuerlust bestätigt hatte. Ganz anders als er selbst war: ruhig und vorsichtig, jemand, der nachdachte, bevor er handelte. Hatte Mikey den unruhigen Geist seines Vaters geerbt? Seines leiblichen Vaters? „Ich dachte, du wolltest Rinder oder Pferdezüchter werden“, erinnerte sie ihren Sohn. „Will ich auch“, erklärte Mikey. „Kannst du reiten, Onkel Zac?“ „Na klar. Wir sind ja mit Pferden groß geworden. Bist du auch schon mal geritten?“ Mikey zog ein Gesicht. „Nicht allein. Daddy hat es nicht erlaubt. Er sagte, ich bin
zu klein. Aber das bin ich nicht, ich bin schon fast…“
„Mikey, trink deine Milch“, unterbrach Rachel ihn, bevor Mikey „vier“ sagen
konnte. „Dann kannst du Buster den Knochen bringen und nachsehen, ob er
genug Wasser hat. Und mit ihm spazieren gehen. Geht doch mal das Flugzeug
von Onkel Zac ansehen, das er gemietet hat.“
„Ich werde den Flieger kaufen“, erklärte der.
„Wieso, du arbeitest doch am anderen Ende der Welt!“
„Zufällig habe ich den nächsten Auftrag hier in Australien, im Northern Territory.“
Er lächelte. „Ich hatte eigentlich gehofft, ich könnte Yarrah Downs als
Ausgangsbasis benutzen.“
„Ja!“ rief Mikey begeistert. „Dann kannst du mir beibringen zu reiten, Onkel Zac,
ganz allein!“
„Du wirst hier in Australien arbeiten?“ Rachel versuchte zu begreifen, was das
bedeutete. Er war also nicht gekommen, um der Witwe seines Bruders sein
Beileid auszusprechen oder das Land zu beanspruchen, sondern um hier zu
arbeiten. Wie albern zu denken, er sei ihretwegen gekommen! Wie hatte Adrian
doch immer gesagt? Bei Zac Hammond steht die Arbeit immer an erster Stelle.
„Ja, es wird höchste Zeit.“ Zacs Blick ruhte eine Sekunde zu lange auf ihrem
Gesicht. „In Australien gibt es, was Wildtiere betrifft, noch eine Menge zu
fotografieren.“
„Und wie lange wirst du bleiben?“
„So lange, wie es dauert. Ich habe keinen Abgabetermin, ich bin mein eigener
Boss.“
So lange, wie es dauert. Rachel schob ihren Teller weg, ihr war der Appetit
vergangen. Das konnte Monate, vielleicht Jahre dauern! Und in der Zeit würde er
jederzeit in Yarrah Downs auftauchen und alte Erinnerungen wecken. Ach was,
eben nicht nur Erinnerungen! Sondern auch Gefälle, die sie seit Jahren
unterdrückt hatte. Weil sie nicht sein durften.
„Ich hab meine Milch ausgetrunken, Moramy.“ Mikey stellte den Becher
geräuschvoll auf den Tisch. „Kann ich zu Buster?“
Rachel reichte ihm den Knochen. „Ja, aber gib ihm den ein bisschen entfernt vom
Haus. Sonst schleppt er ihn womöglich wieder hier rein.“ .
„Bis dann, Onkel Zac!“ Mikey stürmte hinaus.
„Knall die Tür nicht so zu!“ rief Rachel ihm nach. Mikey war sehr impulsiv und
machte nie etwas behutsam.
„Prima Junge, den du da hast, Rachel. Sieht haargenau aus wie sein Vater. Und
wie sein Onkel natürlich.“
Ihr Herzschlag setzte kurz aus. „Ja, Adrian war immer sehr stolz darauf, dass
sein Sohn ihm so ähnlich sieht, er liebte Mikey sehr.“ Und fürchtete gleichzeitig
dessen Temperament.
„Der Kleine hat eine Menge Energie. Wie alt ist er genau?“
„Drei“, sagte Rachel schnell und klapperte mit dem Geschirr herum. Wenn Mikey
in drei Tagen Geburtstag hatte, war Zac vielleicht schon wieder weg.
„Wann beginnst du mit deiner Arbeit?“ fragte sie. „Morgen? Übermorgen?“ Dann
könnte sie wieder atmen! Wenn er im wilden Norden Australiens arbeitete,
müsste sie ihn ja nicht unbedingt oft sehen. Er wollte sein altes Zuhause nur als
Ausgangsbasis benutzen und würde vermutlich nur gelegentlich kommen.
„Das kann ich selbst bestimmen.“ Zac nahm sich noch eine Scheibe Brot. „Ich
möchte erst mal ein paar Tage hier bleiben, dir vielleicht ein bisschen helfen.“
Ein paar Tage? Nicht nur zwei? Ihr knotete sich der Magen zusammen. Wenn er
länger blieb, würde er mitkriegen, dass Mikey vier wurde! Was natürlich nicht
automatisch hieß, dass er damit die beschämende Wahrheit herausfände.
Schließlich konnte Adrian dennoch der Vater sein. Zac musste ja nicht erfahren, dass Adrian gleich nach dem Besuch seines Bruders mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus gekommen war und erst einen Monat nach seiner Entlassung wieder Sex haben durfte. Zu einem Zeitpunkt, als Rachel schon schwanger war. Zum Glück war Mikey fast zwei Wochen nach dem errechneten Entbindungstermin auf die Welt gekommen, und Adrian hatte nie Verdacht geschöpft. Warum sollte er auch, sein Sohn sah ihm ja ähnlich. Oder besser gesagt: Seinem eineiigen Zwillingsbruder Zac. Und Zac musste die Wahrheit genauso wenig erfahren. Allein der Gedanke, dass dieser Unruhegeist, das schwarze Schaf der Familie Hammond, Mikeys Vater war und nicht Adrian, der ruhige, verlässliche Ehemann, über den jede Frau froh gewesen wäre… „Erzähl mir, was passiert ist, Rachel“, bat Zac. „Passiert?“ Ihr wurde die Kehle eng. Meinte er, nachdem sie ihn vor vier Jahren und neuneinhalb Monaten weggeschickt und ihm gesagt hatte, er solle sich nie wieder blicken lassen? Sie erinnerte sich noch an seine kühle Reaktion darauf. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich dich nicht weiter behelligen werde, Rachel. Du und dein Mann, ihr habt nichts von mir zu befürchten. „Alles, was ich weiß, ist, dass Adrian bei einem Arbeitsunfall getötet wurde“, sagte Zac leise. „Wie konnte das nur geschehen? Mein Bruder war der vorsichtigste Mensch, den ich je gekannt habe, er ging nie ein Risiko ein.“ Natürlich wollte Zac etwas über den Unfall erfahren, schließlich war er der Zwillingsbruder! „Ja, Adrian war immer sehr vorsichtig“, stimmte sie zu. „Er hatte einen Bulldozer gemietet und war damit zum Bushy Hill raufgefahren. Er arbeitete offenbar auf einer niedrigeren Hügelebene, fuhr gegen einen riesigen WombatBau, der Bulldozer stürzte um, Adrian wurde hinausgeschleudert und… darunter begraben.“ „Wieso war er mit einem Bulldozer in Bushy Hill?“ fragte Zac. „Das soll doch Naturschutzgebiet werden!“ Rachel staunte. Naturschutzgebiet? Sie wusste nur, dass es dort Eukalyptusbäume und Wildtiere gab und dass Adrian immer wieder die Umzäunung reparierte. „Adrian wollte dort einen Weinberg anlegen. Er meinte, die Lage sei ideal. Er hatte schon begonnen, das Unterholz zu schlagen und die Bäume…“ „Einen Weinberg?“ unterbrach Zac sie. „Unser Vater wollte unbedingt, dass Bushy Hill Tierschutzgebiet bliebe. Wie viel Gehölz hat Adrian denn dort gerodet? Hat er Bäume gefällt? Und warst du einverstanden damit?“ Rachel kochte. Welches Recht hatte Zac, sich als der große Naturschützer aufzuspielen? Die Ranch ging ihn nichts an! Laut Adrian hatte er sich nie für das elterliche Land interessiert. „Wenn du es genau wissen willst, ich wusste eigentlich nur wenig davon.“ Sie nahm Zacs leeren Teller und stellte ihn in die Spüle. „Adrian hat in Bushy Hill noch gar nichts gemacht, allein schon, weil wir es uns nicht leisten konnten.“ „Willst du damit sagen, dass du diesen Weinberg anlegst, sobald du es dir leisten kannst?“ „Ich hatte keine Ahnung, dass das Naturschutzgebiet ist! Wenn es stimmt…“ „Adrian hat es dir nicht gesagt?“ Rachel presste die Lippen zusammen. Es kam ihr unfair vor, über Adrians Versäumnisse zu sprechen, nachdem er sich nicht mehr verteidigen konnte. „Nun“, sagte Zac, „ich werde mir den Schaden mal ansehen. Wenn er den Hügel zerstört und die Tiere von dort vertrieben hat…“
„Was interessiert dich eigentlich plötzlich Yarrah Downs oder was wir hier tun? Adrian sagte, du konntest gar nicht schnell genug von hier verschwinden!“ Zac zuckte mit den Schultern. „Yarrah Downs konnte keine zwei Chefs haben. Schon gar nicht zwei, die über das meiste geteilter Meinung waren. Dad überließ den Besitz Adrian, weil der Rinderzüchter werden wollte, während ich erst Verschiedenes ausprobierte, bevor ich mich niederließ. Und mein Bruder hat seine Arbeit gut gemacht. Auch wenn seine Meinung sich in vielem nicht mit meiner deckte.“ „Du hast dich doch nie für das alles interessiert!“ „Stimmt nicht. Schließlich habe ich den Großteil meines Lebens hier verbracht, meine gesamte Kindheit und später alle Ferien. Erst nach dem Tod unseres Vaters und nachdem er das Land Adrian überlassen hatte, kam ich nicht mehr hierher – bis auf das eine Mal, fünf Monate nach eurer Hochzeit. Adrian hatte mir von dem glücklichen Ereignis geschrieben, so dass ich fand, es sei Zeit, sich wieder zu versöhnen.“ Rachels Wangen röteten sich. Zac war damals also gekommen, um sich mit seinem Bruder auszusöhnen. Und das Gegenteil war eingetroffen. Was zwischen ihnen geschehen war, hatte den Graben sogar noch vertieft. Und das konnte man nicht Zac vorwerfen, es war ihre Schuld, sie hatte ihn ja regelrecht verführt! Um ihre Verlegenheit zu überspielen, sagte sie: „Es muss dich gewurmt haben, dass Adrian alles geerbt hat. Warst du ihm deshalb so feindselig gesinnt?“ „Wie kommst du denn darauf? Ich war nie neidisch auf ihn! Wir verstanden uns nur nicht besonders, waren zu unterschiedlich. Mein Vater hat mir dafür eine großzügige Summe Bargeld hinterlassen und Aktien, die sich prächtig entwickelt haben. Außerdem habe ich gut mit Dokumentarfilmen und Zeitungsartikeln verdient. Ich kann es mir leisten, dich zu unterstützen, Rachel.“ Ihre Augen funkelten. „Ach, du meinst Yarrah Downs geht unter, jetzt wo ich Chefin bin? Was hast du vor, Zac? Mich hier rauszukaufen, wie alle Welt es erwartet?“ Draußen bellte der Hund. „Das muss Mikey sein, entschuldige mich einen Moment.“ Sie musste hier raus, und zwar sofort. „Ich komme mit. Kann ich mir eins der Motorräder ausleihen, Rachel?“ „Wofür?“ Wollte er nachsehen, in welch schlechter Verfassung der Hof war? Um sie zu kritisieren und ihr Selbstvertrauen zu untergraben? „Ich möchte mir den Schaden beim Bushy Hill ansehen und ob es noch zu retten ist.“ Welches Recht hatte er dazu? Andererseits war es ja auch mal sein Zuhause gewesen, und wenn sein Vater es ausdrücklich als Tierschutzgebiet bewahren wollte… Merkwürdig, dass Adrian ihr das verschwiegen hatte. Vermutlich weil sie ihn dann davon abgehalten hätte, dort einen Weinberg anzulegen. Außerdem hatte sie ihm ja weit Schlimmeres verschwiegen… Rachel war seit dem Unfall nicht mehr zum Bushy Hill gefahren, hatte Vince nur gebeten, dort alles so zu lassen, bis sie entschieden hätte, was sie damit machen würde. Es gab Wichtigeres zu tun. Aber nun, wo sie wusste, dass es Adrians Traum gewesen war, dort einen Weinberg anzulegen… „Ruhig, Buster!“, rief sie. Wieso war der Hund so aufgeregt? Als sie in den Hof trat, war ihr Sohn nicht zu sehen. „Wo ist Mikey?“ Der Hund versuchte sie dazu zu bewegen, ihm zu folgen, er winselte und bellte. Rachel verstand. „Ist etwas mit Mikey? Bring mich zu Mikey, Buster!“ rief sie.
2. KAPITEL In der Ferne hörte Rachel Kinderweinen. „Mikey!“ rief sie. Wo war er nur?
Sie stockte, das Blut gerann ihr in den Adern. Hinter dem Schuppen stand die
große Windmühle, deren Flügel sich in der warmen Maibrise drehten. Ein kleiner
dunkler Schatten hockte auf der obersten Stufe der Eisenleiter, gefährlich nahe
an den rotierenden Flügeln. Du lieber Gott, Mikey!
Sie spürte Zacs feste Hand an ihrem Arm. „Versuch, ganz ruhig zu bleiben“,
raunte er ihr zu. „Zeig nicht, wie viel Angst du hast, damit er nicht in Panik
gerät.“
Rachel lief die letzten Meter und schaffte es, nicht aufzuschreien. Buster erreichte
die Mühle als Erster, bellte und winselte und rannte um den Fuß der Leiter
herum.
„Mommy ist da, Mikey, rühr dich nicht!“ rief Rachel. Die sich drehenden Flügel
glänzten. „Ich komme rauf und hol dich!“ Sie tat selbstgewiss, obgleich sie nicht
wusste, ob sie fähig sein würde, den Jungen zu tragen und sich gleichzeitig fest
zu halten. „Schau nicht nach unten!“
Zac drängte: „Lass mich das machen, Rachel, ich hole ihn herunter!“
Würde er sich so bemühen wie sie? Mikey bedeutete ihr alles. Aber Zac war viel
kräftiger als sie, sie musste ihm vertrauen, hier ging es um Leben oder Tod.
„Bitte… pass auf“, flüsterte sie.
„Natürlich!“ Er begann, die Leiter hinaufzusteigen, wobei seine gebräunten,
kräftigen Hände so fest zupackten, dass Rachel sich gleich beruhigter fühlte.
Sie wagte kaum zu atmen. Zac war fast oben. Er sprach leise mit Mikey, schaffte
es, die Hand des Kleinen zu lösen, ihn unter den Arm zu klemmen und sich mit
der anderen Hand fest zu halten. Dann kam er herunter. Mikey hatte Zac den
Arm um den Nacken gelegt und die kleinen Beine um seinen Leib geschlungen.
Rachel atmete erst wieder, als sie fast am Boden waren. Erleichtert nahm sie
ihren Sohn in Empfang.
Der Gedanke streifte sie, wie dieser Vorfall mit Adrian verlaufen wäre. Der hätte
vermutlich gezögert, um Hilfe gerufen oder mühsam einen Aktionsplan erwogen.
Ganz anders als sein risikofreudiger Bruder… Andererseits hätte Zac auch
ausrutschen können, der zappelnde Junge wäre ihm aus dem Arm geglitten…
Aber alles, was zählte, war, dass der Kleine in Sicherheit war. Sie hielt ihn
minutenlang fest im Arm und hatte feuchte Augen.
„Danke“, sagte sie zu Zac, dessen Blick auf ihr ruhte.
Schließlich setzte sie Mikey ab und hockte sich neben ihn. „Mikey, du weißt doch,
dass du nicht auf die Windmühle klettern sollst, das habe ich dir hundert Mal
gesagt! Wieso hast du es trotzdem getan?“
Seine Antwort warf sie um. „Ich wollte von ganz oben Tiger angucken, so wie
Onkel Zac.“
So wie Onkel Zac. Der mit seinen Erzählungen von wilden Tieren! „Mikey, in
Australien gibt es keine Tiger. Und eine Windmühle ist kein Baumwipfel.“
„Lebhafte Fantasie eines Jungen“, meinte Zac ruhig. „Ich war als Bub genauso,
träumte immer von Abenteuern und Reisen in exotische Länder. Das hat Mikey
vielleicht von seinem Onkel geerbt.“
Rachels Herz setzte kurz aus. „Das hat er vermutlich von mir geerbt! Ich war ein
sehr wildes Kind, geriet immer in Schwierigkeiten. Deshalb versuche ich auch,
meinem Sohn Verantwortungsbewusstsein beizubringen.“
„Man kann auch zu vorsichtig sein, Rachel, das kann einen ängstlich machen.
Bedenke, wohin es Adrian gebracht hat.“
„Das war ein Unfall, der jedem hätte passieren können und der nichts mit zu
großer Vorsicht zu tun hatte!“ „Vielleicht. Vielleicht hatte er auch ein schlechtes Gewissen, was er Bushy Hill antat, war unkonzentriert und beging deshalb den tödlichen Fehler.“ Rachel schwieg. Genau das hatte sie auch schon gedacht. Adrian hatte sich immer nur für das Wohl der Rinder interessiert, nicht für das der Wildtiere, und sich oft über den Schaden, den Kängurus, Wallabys und Wombats anrichteten, beklagt. Und Adrian hatte Recht, die wilden Tiere machten oft Probleme. Sie rissen Zäune nieder oder gruben Löcher, in die Pferde stolpern konnten. Erst gestern hatten Vince und der Farmhelfer Danny ein totes Känguru in einem Brunnen gefunden, zum Glück rechtzeitig genug, bevor das Wasser verunreinigt wurde. Viel schlimmer hatte Rachel es jedoch gefunden, dass das Känguru erschossen und absichtlich in den Brunnen geworfen worden war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wer so etwas tat, und rechnete es irgendwelchen Wilddieben zu. Sie seufzte. Seit Adrians Tod lief vieles hier schief. „Du kannst Adrians Motorrad nehmen, Zac, es steht in dem Schuppen da drüben. Im Kühlraum sind Wasserflaschen. Du solltest eine mitnehmen. Berichte mir, welcher Schaden angerichtet wurde, dann überlege ich, wie wir ihn beheben können.“ „Was immer es ist, ich repariere es sofort“, erklärte Zac, „… falls es geht.“ „Kann ich mit Onkel Zac mit?“ fragte Mikey. „Dad hat mich immer mitfahren lassen.“ Immer? Nun ja, eigentlich nur einmal, wusste Rachel, und nur auf dem Hof, weil es ihm sonst zu unsicher erschien. Sicherheit ging bei Adrian immer vor. „Nein, das geht nicht, Mikey.“ Sie wollte den Jungen lieber bei sich haben. „Du kannst mir helfen. Und später vielleicht auf Silver reiten.“ Das war die hellgraue Stute, die Adrian ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. „Ohne Zügel?“ bat Mikey. Rachel zögerte, Silver war ein großes, temperamentvolles Tier. Aber wenn sie in der Nähe bliebe… „Nur wenn du genau tust, was ich sage.“ „Bis später.“ Zac lächelte, strich dem Jungen über die dunklen Locken und ging zum Schuppen. Zac wirbelte Staub auf, als er über die Koppel fuhr. Er dachte an Rachel. Sie wollte offensichtlich nicht, dass er hier blieb. Sie hatte ihm jene Nacht noch immer nicht vergeben. Verständlich, er selbst hatte es sich ja auch nicht verziehen. Er stöhnte. Rachel war die einzige Frau, deretwegen er je den Kopf verloren hatte. Und sie würde ihm nie gehören, obgleich sie jetzt frei war. Sie hatte kein Vertrauen mehr zu ihm, verachtete ihn. Daran war sein Kontrollverlust schuld, seine Dummheit. Selbst heute verstand er nicht, wie es damals hatte passieren können. Noch nie hatte eine Frau ihn dazu gebracht, dass er alles um sich herum vergaß. Vorher, vor jener Nacht, war er immer auf seine Charakterstärke, seine Integrität stolz gewesen. Als sich die Frau seines Bruders ihm damals an den Hals warf, ihre heißen Lippen auf seine presste und ihn gierig streichelte, löste das eine Reaktion bei ihm aus, die er nie für möglich gehalten hätte. Eine Art Dämon ergriff von ihm Besitz. Wenn er damals nur nicht hierher gekommen wäre – dann hätte er Rachel erst jetzt kennen gelernt, ganz unbefangen. Und sie hätte, trotz Adrians Ansicht über ihn, vermutlich eine andere Meinung von ihm. Aber dazu war es nun zu spät. Er drückte so heftig aufs Gaspedal, dass er förmlich dahinflog. Als wäre es ihm egal, wenn er sich den Hals bräche.
Als ein Zaun vor ihm auftauchte, hielt er an, um das Tor zu öffnen. Hier begann
Bushy Hill.
Zac kam erst gegen Abend zurück. Mikey hatte schon gegessen und lag bereits
im Bett. Rachel war es recht, dass Zac zu spät kam, um noch mit dem Jungen zu
reden. So lange es ging, wollte sie vermeiden, dass er seinem Onkel erzählte,
dass er bald vier werden würde. Sie brauchte Zeit, um zu überlegen, ob sie Zac
das peinliche Geheimnis beichten sollte oder nicht.
Zac Hammond war nicht gerade der Typ Vater, den sie sich für Mikey vorstellte.
Ein unsteter Charakter. Der sicher keine Verantwortung für ein Kind wollte und
nur nach eigenen Vorstellungen lebte.
Mikey würde es bestimmt nicht helfen, die Wahrheit zu wissen. Zac würde ihm
nur Flausen in den Kopf setzen. Er sollte lieber ruhig aufwachsen, in einem
geregelten Leben, mit liebevollen Menschen um sich herum und nicht ziel und
bindungslos wie Zac.
Aber wenn Zac sie nun direkt fragte, was dann? Sollte sie lügen? In welches
Chaos würde die Wahrheit sie alle stürzen?
Als Zac zurückkam und das Haus betrat, war er völlig verschmutzt.
„Du solltest dich vielleicht erst waschen, bevor du berichtest, was los war“, sagte
Rachel und klang fast gereizt. „Beim Abendessen. Mein Vorarbeiter und seine
Frau Joanne werden auch kommen.“
Sie lud Vince und seine Frau öfter ein, um Verschiedenes zu besprechen. Mal
zum Essen, mal zu einem Drink auf der Veranda. Manchmal war auch Danny
dabei, der junge Hilfsarbeiter.
„Kannst du auf ein kaltes Bier warten, bis sie da sind, Zac? Und dich jetzt erst
mal mit etwas Wasser begnügen?“ Wie gut, dass sie Vince und Joanne gebeten
hatte, zu kommen. Dann wäre sie nicht allein mit Zac.
„Na klar. Wo ist Mikey?“
„Schon zu Bett. Er war todmüde.“
„Kein Wunder, nach all der Aufregung heute.“ Zac schmunzelte.
Er war so anders als Adrian!
Während Rachel darauf wartete, dass Zac zurückkam, erschienen Vince und
Joanne, die tagsüber die Wasserlöcher überprüft hatten. Die beiden waren hart
arbeitende, tüchtige Leute. Vince war klein und muskulös, er verbarg sein
blondes Haar meistens unter einem Strohhut. Joanne war nicht weniger kräftig,
zumal ihre Mutter eine Aborigine war, also von den Ureinwohnern abstammte.
Sie leistete ebenfalls gute Arbeit und bekochte die Landarbeiter.
Rachel befürchtete nur, dass die beiden sie nicht recht als neue Chefin
akzeptierten, sondern sie eher als ahnungslose Städterin einstuften.
„Ist irgendetwas los?“ fragte sie ahnungsvoll.
Vince verzog das Gesicht. „Wir haben entdeckt, dass sich jemand am
BoomerangBoreBrunnen zu schaffen gemacht und ihn zerstört hat, Den sollten
wir schnellstmöglich reparieren – vorausgesetzt, er ist überhaupt noch reparabel.
Vielleicht müssen wir ein neues Becken einsetzen.“
Rachel sank der Mut. Wie sollte sie das bezahlen, das würde ein Vermögen
kosten! Aber ohne Wasser würde das Vieh eingehen.
„Hast du eine Ahnung, wer das gemacht haben könnte?“ Vermutlich jemand,
dem es nicht passte, dass Yarrah Downs von einer Frau geleitet wurde! Der sie
demoralisieren und vertreiben wollte.
Sie überlegte. Am meisten würde Vince davon profitieren. Er machte keinen Hehl
daraus, dass er eines Tages eine eigene Rinderzucht haben wollte. Das hier wäre
die perfekte Gelegenheit: Eine junge Witwe mit Kleinkind, die man durch ein paar
Probleme schnell zum Aufgeben zwingen könnte.
Rachel empfand leise Verzweiflung. Wie konnte sie weitermachen, wenn sie nicht
mal ihrem Vorarbeiter traute?
„Keine Ahnung.“ Vince schüttelte den Kopf. Sein sonnengegerbtes Gesicht zeigte
keinerlei Schuldgefühle. „Junge Rabauken vielleicht, oder einer deiner Nachbarn,
die dich zum Verkauf zwingen wollen. Oder einer, der keine Geschäfte mit Frauen
macht.“
„Geht es dir auch so, Vince?“ fragte Rachel unverblümt.
„Nein, natürlich nicht.“ Aber es klang nicht überzeugend. Vince rechnete nicht
damit, dass sie auf Dauer bleiben würde. Nicht nachdem ihr eigener Vater sie
zum Verkauf überreden wollte.
Jetzt tauchte Zac auf, frisch geduscht, mit feuchtem Haar und sauberem Hemd.
Vince zuckte bei seinem Anblick kurz zusammen, auch Joanne hielt die Luft an.
„Kennt ihr Adrians Zwillingsbruder Zac Hammond? Zac, das sind mein
Vorarbeiter Vince Morgan und seine Frau Joanne.“
„Hallo Zac.“ Vince stand auf und streckte ihm die sommersprossige Hand hin.
Sein überraschter Gesichtsausdruck machte deutlich, dass Adrian nie etwas von
einem Zwilling erzählt hatte.
Rachel erklärte kurz, wieso Zac so lange nicht in Australien gewesen war, dass er
Tierfotograf sei und für Fachzeitschriften in aller Welt arbeite.
Joanne lächelte Zac zu, etwas, das selten bei ihr vorkam. Und als Zac ihr mit
Charme und Freundlichkeit begegnete, empfand Rachel beinahe so etwas wie
Eifersucht.
„Wie wär's jetzt mit einem kühlen Bier?“ Als alle nickten, eilte sie in die Küche.
Sobald sie wieder saß, fragte sie Zac, wie er Bushy Hill vorgefunden habe.
„Na ja, es könnte schlimmer sein. Das meiste ist zum Glück unberührt, nur im
unteren Teil sind Gehölz und Bäume gerodet. Ich denke, man sollte dort vor
Anbruch der Regenzeit ein paar Gräben anlegen, um einer Erosion vorzubeugen.“
Gräben? Was wird das kosten? dachte Rachel sofort.
„Wir können nur hoffen, dass die Tiere dort nicht zu sehr gestört wurden. Ein
weiteres Problem scheint mir, dass das Wasserreservoir im unteren Bereich
beinahe leer ist. Wir müssten es wieder auffüllen, sonst verschlammt es.“
Rachel wurde immer mulmiger zumute. Gräben. Wassertank auffüllen. Den
zerstörten Brunnen reparieren. Für so etwas hatte sie kein Geld.
Sie spürte Zacs Blick. Er dachte sicher auch, dass alles zu viel war für sie.
„Keine Sorge, Rachel, ich springe für meinen Bruder ein, das habe ich ja gesagt.
Ich muss morgen wegen des Flugzeugs nach Brisbane und werde die nötigen
Reparaturarbeiten veranlassen.“
Sie wollte schon protestieren – was fiel ihm ein, sich in ihre Angelegenheiten zu
mischen!
„Die Kosten übernehme ich“, fuhr er fort, bevor sie etwas sagen konnte. „Bushy
Hill liegt mir sehr am Herzen.“
Wenn sie ihm gestattete, Geld in Yarrah Downs zu investieren, wäre sie ihm
verpflichtet, womöglich erwartete er gar, ihr Geschäftspartner zu werden, mit zu
entscheiden!
„Ohne Verpflichtung für dich“, sagte er, als könnte er Gedanken lesen. „Das tue
ich für die Familie.“
Na ja, was immer sie davon halten sollte. Schließlich hatte er für die Familie in
der Vergangenheit herzlich wenig getan. Und sie und Mikey waren die einzigen
Verwandten, die er nach Adrians Tod noch hatte.
„Wenn du darauf bestehst.“ Sie hoffte, dass man ihr die Erleichterung nicht allzu
sehr anhörte. Sie wollte gleichgültig klingen, damit sich Zac nicht verpflichtet
fühlte. Doch Zac Hammond hasste Verpflichtungen, was machte sie sich also
unnötig Gedanken? Er konnte ruhig ein wenig in die Ranch investieren – bald würde er ja ohnehin wieder weg sein. „Den Brunnen sollten wir noch vor Bushy Hills angehen“, wandte Vince ein. „Ich rufe gleich morgen eine Werkstatt an“, schlug Rachel vor. Wovon sie das bezahlen sollte, war ihr schleierhaft, die Bank hatte einen weiteren Kredit verweigert. „Inzwischen sollten wir das Vieh woandershin treiben.“ „Wenn ein neues Becken gesetzt werden muss, kümmere ich mich darum“, sagte Zac. „Du kannst mir das Geld irgendwann wiedergeben, Rachel.“ „Ich weiß nicht recht…“ „Es wäre ja nur geliehen. Wie ein Bankkredit, wenn auch zinslos. Und du zahlst es mir erst zurück, wenn du es kannst.“ Laut Adrian besaß Zac kein Herz. Hilfe von jemandem anzunehmen war in seinen Augen die erste Stufe einer Niederlage. Bot er Rachel deshalb an, ihr finanziell auszuhelfen: Um Druck auf sie ausüben zu können, die Ranch zu verlassen? Sei es, wie es sei, ihr war klar, dass er sein Angebot bestimmt nicht aus reiner Herzensgüte machte. „Wie wurde der Brunnen beschädigt?“ Zac wendete sich an Vince. „Sieht aus, als hätte jemand etwas zentnerschweres drauffallen lassen.“ Seit Adrians Tod geht alles schief, dachte Rachel bedrückt. „Wer könnte dafür verantwortlich sein?“ fragte Zac. Vince zuckte die Schultern. „Es gibt keinerlei Spuren, es könnte jeder gewesen sein.“ Er sah Zac bedeutungsvoll an und nahm einen Schluck Bier. Verdächtigte Vince etwa Zac? überlegte Rachel. Der war doch gerade erst angekommen! Es sei denn, er tat nur so, als ob. Vielleicht war er bereits länger in der Gegend und hatte den Brunnen bewusst beschädigt? Wollte er Rachel tatsächlich von hier vertreiben? Hielt er sie für unfähig, den Hof zu führen, so wie offenbar ihr Vorarbeiter? „Der Schaden am BoomerangBrunnen hindert uns daran, neue Wasserstellen anzulegen“, meinte Vince nun. Was sollte das denn? Wollte Vince Zac etwa dazu bringen, auch für Wasserstellen Geld lockerzumachen? „Versuch doch, etwas mehr Vertrauen in mich zu setzen“, sagte sie giftig. Und um das Thema zu wechseln: „Was hat Danny heute gemacht? Wo ist er?“ „Er hat die Zäune überprüft und müsste bald zurück sein. Wenigstens hat er vorhin kurz von seinem Handy aus angerufen, dass er unterwegs sei.“ Danny war der Einzige von ihnen, der ein Mobiltelefon besaß. Gewöhnliche, sprich bezahlbare, Handys hatten hier draußen keinen Empfang. Man brauchte spezielle, sehr teure Geräte. Und die konnten sie sich nicht leisten. Danny hatte seins von seinen offenbar sehr vermögenden Eltern geschenkt bekommen, denn er telefonierte geradezu ständig mit seiner Mutter. „Ich habe noch mehr schlechte Nachrichten“, murmelte Vince. „Danny hat bei Michael's Gap einen kaputten Pfosten entdeckt und ein Loch im Weidezaun. Und beide scheinen mutwillig gemacht worden zu sein.“ Du meine Güte, das wird ja immer schlimmer, dachte Rachel. „Zum Glück sind nur wenige unserer Rinder auf die Nachbarweide gewandert, und da ist ohnehin kein Wasser, so dass man sie leicht wieder zurücktreiben kann. Jo und ich werden uns morgen drum kümmern. Danny bleibt so lange dort.“ Rachel hatte plötzlich das Gefühl, hier drin ersticken zu müssen. Und sie wurde den Verdacht nicht los, dass derjenige, der für die ganzen Schäden verantwortlich war, im selben Raum saß wie sie. Sie brauchte frische Luft. „Ich hole das Essen“, sagte sie und ging hinaus.
„Leben Sie schon lange hier, Vince?“ fragte Zac etwas später, als sie das Gulasch aßen. „Seit rund fünf Jahren. Ich fing wenige Wochen vor der Hochzeit von Adrian und Rachel hier an, nachdem mein Vorgänger aus Altersgründen aufgehört hatte.“ „Meinen Sie Bazza?“ Zacs graue Augen wurden schmal. „Wo ist er eigentlich, ich habe ihn noch gar nicht gesehen.“ „Er verließ Yarrah Downs, keine Ahnung, wohin.“ Vince schaute Rachel fragend an. Die schüttelte den Kopf. Von einem Bazza hatte sie noch nie gehört. Zac überlegte laut: „Ich verstehe das nicht ganz, Bazza hätte Yarrah Downs niemals freiwillig verlassen. Es war sein Zuhause, solange ich denken kann.“ „Vermutlich wollte er woandershin“, meinte Vince. „Er war schon weg, als ich herkam.“ An Zacs düsterer Miene war abzulesen, dass er auch das seinem Zwillingsbruder anlastete. Erst nach dem Essen, als die Morgans gegangen waren, schnitt er das Thema noch mal an. „Hat Adrian dir denn nie von Bazza erzählt, Rachel? Der hatte außer uns keine Familie. Ich hätte nie gedacht, dass mein Bruder ihn rauswerfen würde!“ Rachel biss sich auf die Lippen. Gab Zac ihrem verstorbenen Mann denn die Schuld für alles? „Ich weiß nichts darüber. Adrian erwähnte nur, dass der vorige Vorarbeiter zu alt für den Job gewesen und weggegangen sei.“ Sie spülte die Gläser. „Vielleicht war er krank und wollte lieber in die Stadt. Ich denke, Adrian hat getan, was für ihn – und Yarrah Downs – das Beste war.“ Zac schnaubte kurz. „Bazza war tüchtig und nie krank! Himmel, ich hätte nie gedacht, dass Adrians Ablehnung ihm gegenüber so weit gehen würde! Mein Vater sagte immer, Bazza würde bei uns für den Rest seines Lebens ein Zuhause haben, selbst wenn er nicht mehr arbeitsfähig sei.“ * „Wir können es uns nicht leisten, Leuten das Gnadenbrot zu geben, wir überleben ja selbst kaum!“ Rachel ärgerte sich sofort, dass sie das gesagt hatte. Zac musste ja nicht wissen, wie schlecht es um den Hof stand. Er berührte kurz ihre Schulter. „Ich weiß, dass es schwierig ist, besonders wenn irgend so ein Idiot da draußen versucht, Schaden anzurichten. Aber Bazza gehört zur Familie. Er gehört hierher! Und ein Versprechen ist ein Versprechen.“ Zac schien den Alten sehr gemocht zu haben. „Ich werde versuchen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden“, schlug sie vor. „Wenn er noch lebt und es will, darf er gerne wiederkommen – vorausgesetzt, er kann noch ein bisschen für seinen Unterhalt arbeiten.“ „Danke, Rachel, aber ich schätze, er würde eher auf mich hören als auf… Adrians Witwe. Er und mein Bruder mochten sich nicht besonders. Ich höre mich mal um.“ „Wie du meinst.“ Rachel konnte es kaum fassen. Zac war gerade erst ein paar Stunden hier, und schon kümmerte er sich um Dinge, die eigentlich ihre Angelegenheit waren. Es wurde ihr immer klarer, dass er tatsächlich länger bleiben wollte. Und das hieß, er würde noch hier sein, wenn Mikey Geburtstag hatte. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht gut im Nachrechnen war. „Bist du böse, wenn ich dich den Rest spülen lasse?“ Rachel legte das Geschirrtuch beiseite. „Ich muss noch die Buchhaltung machen.“ „Nein, kein bisschen.“ Er lächelte amüsiert. Ja, er konnte lächeln. Und sie konnte nur hoffen, dass er nicht merkte, wie viel sie noch immer für ihn empfand.
3. KAPITEL Zac stand früh am Morgen auf. Rachel war bereits in der Küche und machte Kaffee. Der Duft war verführerisch. Ihr Anblick ebenfalls… Die feinen Kurven ihrer schlanken Gestalt, der goldblonde Zopf auf der gebräunten Haut. Gern hätte er ihn gelöst und wäre mit den Fingern durch die seidigen Strähnen gefahren… „Hm, riecht das gut. Darf ich reinkommen?“ Rachel war ungeschminkt, ihre Lippen sahen weich und rosa aus. Aber sie hatte Schatten unter den Augen, als hätte sie nicht gut geschlafen. Wegen der Probleme in Yarrah Downs? Oder wegen seiner Rückkehr? „Das wird wieder ein heißer Tag“, er schaute aus dem Fenster, „ohne Regen.“ „Hier.“ Sie reichte ihm einen Kaffee und nahm sich ebenfalls einen. „Ich habe nicht so früh mit dir gerechnet. Wir frühstücken erst später, aber ohne Kaffee geht bei mir gar nichts. Möchtest du etwas essen, bevor du losfährst?“ Meine Gegenwart macht sie offenbar nervös, vermutete Zac und konnte nicht umhin, Gefallen an diesem Gedanken zu finden. „Nein, danke, Kaffee reicht mir. Ich will gleich nach Brisbane fliegen und danach in Bushy Hill die Drainagerohre legen, vorausgesetzt, sie sind bis dahin geliefert. Kann ich dafür den Pickup haben?“ „Na klar, ich werde Danny bitten, dir bei den Rohren zu helfen. Bis dahin werden sie das Vieh sicher zurückgetrieben haben. Ich fahre nach Roma, um einzukaufen und um Mikey zu einem Freund zu bringen. Meine Freundin Amy lebt dort, sie hat einen Sohn in Mikeys Alter.“ „Du fährst den ganzen Weg nach Roma, um einzukaufen? Nicht zum Supermarkt in Booroora? Der ist doch viel näher.“ „Ich brauche Sachen, die man in Booroora nicht bekommt. Außerdem hat Amy mich zum Mittagessen eingeladen. Vielleicht bin ich also nicht da, wenn du aus Brisbane zurückkommst. Aber ich stelle dir etwas hin.“ „Danke, aber das ist nicht nötig. Danny und ich kommen vielleicht erst spät zurück. Warte also nicht mit dem Abendessen auf mich. Ich mache mir irgendwas, daran bin ich gewöhnt.“ „Okay.“ Rachel eilte zur Tür. „Ich muss mit Vince und Danny reden, bevor sie weg sind. Bis später.“ Zac stellte den Becher ab. „Ich komme gleich mit.“ Aber Rachel war schon auf und davon. Rachel war über Nacht zu keiner Lösung gekommen, sie hatte sich hin und hergewälzt. Schließlich gab sie erschöpft auf und nahm sich vor, spontan zu handeln. Selbst wenn Zac ahnte, dass er Mikeys Vater war, wollte er vielleicht gar nicht die Wahrheit wissen. Vielleicht dachte er ja auch, dass sie es selbst nicht wusste, schließlich hatte sie in etwa der gleichen Zeit mit beiden Brüdern geschlafen. Rachel stöhnte innerlich, als sie daran dachte, wie sie in den letzten Momenten vorm Höhepunkt die Zuneigung desjenigen beschworen hatte, den sie für ihren Ehemann hielt, und wie in diesen sie zutiefst berührenden Sekunden ein nie gekanntes Gefühl der Liebe sie überwältigt hatte – für das sie sich jetzt schämte! Ich liebe dich, oh, wie ich dich liebe! hatte sie gerufen, und in den Monaten und Jahren danach, als sie mit ihrem Mann schlief, war es noch immer die Erinnerung an Zac und die unvergessliche Nacht, die ihr Denken beherrschte. Vermutlich auch, weil ihr Mann nicht gerade ein begnadeter Liebhaber war, so dass Rachel immer seltener Lust auf ihn hatte. Vermutlich hatte sie Adrian enttäuscht damit, dass sie kein Kind mehr bekamen. Sie war sich sicher, dass er immer ihr die Schuld dafür gegeben hatte.
„Onkel Zac!“ Der Jubelschrei ihres Sohnes brachte Rachel in die Wirklichkeit zurück. Wann hatte Mikey Adrian je so begrüßt? Es war, als liebte Mikey Zac schon jetzt genauso spontan, wie es Rachel ergangen war. Später am Nachmittag, als sie ihren Jeep auf die sandige Straße nach Yarrah Downs lenkte, sah Rachel, dass Zacs Flugzeug wieder auf der Flugpiste stand. Der Pickup war jedoch nicht zu sehen. Danny und er schienen also noch in Bushy Hill zu sein. Buster begrüßte sie freudig, als sie ausstieg. Sie gab Mikey eine Tüte zum Tragen und nahm die anderen. Während er bei seinem Freund Josh war, hatte sie Geburtstagsgeschenke besorgt, die sie unbemerkt ins Haus bringen wollte. Mikey bekam nur ein paar Kleinigkeiten: ein DinosaurierMalbuch, ein Hemd und Bermudashorts, ein kleines Rennauto in seiner Lieblingsfarbe Rot und eine Wasserpistole. Außerdem hatte sie eine bunte Maske gebastelt. Mikey schwärmte im Augenblick für Monster. Für aufwändigere Geschenke war kein Geld da. Rachel dachte kurz an ihren Vater und runzelte die Stirn. Er würde zu Mikeys Geburtstag kommen und sie bestimmt mit einem üppigen Geschenk beschämen. Und betonen, dass Mikey und sie ja alles haben könnten, was das Herz begehrte, wenn sie nach Sydney zurückkämen. Bestimmt würde er das in Zacs Anwesenheit sagen und Zac diese Meinung unterstützen. Außer Mikey war niemand auf ihrer Seite. Ihr Sohn liebte wie sie das freie, natürliche Leben auf dem Land, trotz des Staubes, der Hitze und der Fliegen. Aber ihr Vater würde sicher argumentieren, dass Mikey das Stadtleben mit seinen vielfältigen Möglichkeiten ja gar nicht kannte. Rachel fand jedoch, dass er für Kultur noch viel zu klein war. Hedley Barrington hatte seine Tochter oft gebeten, ihn zu besuchen oder Mikey für eine Weile bei ihm zu lassen, aber Rachel hatte Angst, dass er es dann irgendwie schaffen würde, sie in der Stadt zu halten. Seit Adrians Tod bedrängte ihr Vater sie mehr denn je, zurückzukommen und ihm bei der Leitung ihres Erbes, der Firma Barrington's, zu helfen. Nachdem Rachels Mutter im vergangenen Jahr gestorben war, hatte sie niemanden mehr, der ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit verstand. Sie musste stark bleiben, aber bei der anhaltenden Dürre und den vielen Schäden, die es gerade gab, war es schwierig. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben. Zac und Danny kamen erst nach Einbruch der Dunkelheit zurück. Rachel hatte schon gegessen, und Mikey war im Bett. Sie war gerade dabei, ein Paar Jeans von Mikey zu stopfen, als Zac auftauchte – er war noch staubbedeckter als am Vorabend. „Alles fertig“, verkündete er, als er eintrat. „Schneller als erwartet. Kurz bevor die Dämmerung hereinbrach, habe ich sogar noch ein paar Tieraufnahmen gemacht, die ich vielleicht für meine Auftragsarbeit gebrauchen kann.“ Natürlich, Zac würde nie seinen Job und seine Kameras vergessen! „Kann ich mir ein Bier nehmen?“ fragte er und ging zum Kühlschrank, als fühlte er sich hier ganz zu Hause. Er nahm eine Flasche heraus und ging zur Verandatür, als er sich zu Rachel umdrehte: „Ich bin zu verdreckt, um hier drinnen zu bleiben. Komm, wir setzen uns auf die Veranda! Dann kann ich dir Bericht erstatten.“ „Na gut.“ So verstaubt und erdig ist er ja kaum reizvoll, hoffte Rachel. Der Gedanke, mit ihm allein auf der Veranda zu sein, war beunruhigend genug. Draußen angekommnen, trat Zac hinter sie. „Ich hatte ganz vergessen, wie wundervoll die Abende in Australien sein können.“ Er atmete tief den Duft der Rosen aus dem Garten ein und den würzigen Eukalyptusgeruch, der in der
warmen Brise herüberwehte. „Ein klarer Himmel, beinahe Vollmond und unzählige Sterne. Nein, mach kein Licht an, es ist schöner so.“ Mit Zac in der mondbeschienenen Dunkelheit zu sein, war überhaupt nicht das, was sie wollte. Sie wollte, dass er wieder nach Afrika ging. Oder wohin auch immer, Hauptsache weg von ihr. Sie sank in den Schaukelstuhl, der von ihm abgewandt dastand. „Du hast also Gräben in Bushy Hill gezogen.“ Sie schaute den Mond an, der fast immer eine entspannende Wirkung auf sie hatte. Im Garten hörte man das gleichmäßige Zirpen der Zikaden. „Ja, mit Dannys Hilfe.“ Zac schien die Situation hier draußen kein bisschen verlegen zu machen. „Dann haben wir noch ein paar Samen gesät, vielleicht wird der Bewuchs wiederbelebt. Ich werde einen Wasserlieferanten engagieren, um den Pegel wieder zu erhöhen. Danny meint, die anderen Dämme halten noch. Ich wäre nur froh, wenn es endlich regnete.“ „Ich glaube, Petrus weiß gar nicht mehr, wie man Regen macht.“ Keine Wolke am Himmel, selbst die Natur war gegen sie. „Danny hat gut mitgearbeitet?“ fragte sie. Der junge Mann, ein Student der Naturwissenschaften aus wohlhabender Familie, überschätzte sich manchmal etwas und arbeitete lieber allein als im Team. Aber er war intelligent und lernte schnell. „Na ja, ich hatte den Eindruck, als hielt er es für überflüssig, einen Hügel zu schützen, den man praktisch nicht nutzt, aber das sagte er nicht laut. Scheint ein heller Bursche zu sein, der etwas lernen will. Seit wann ist er hier?“ „Noch nicht lange. Er tauchte vor etwa drei Wochen wie aus dem Nichts auf. Aber er hatte gute Referenzen.“ Sie zahlte Danny nicht viel, aber es ging ihm ohnehin nicht ums Geld, sondern um Praxis und Erfahrung, hatte er betont. „Und, wollte er wissen, was du hier machst?“ „Nun ja, er wollte wissen, wie ich hier – wie sagte er doch gleich? – ins Schema passe.“ „Ich hoffe nur, du hast ihm gesagt, dass du nicht lange bleibst. Sonst hält er dich noch für den Chef. Es ist schwer genug, als Frau ernst genommen zu werden.“ Zac schaute sie aus dunklen Augen an. „Keine Angst, Rachel, ich möchte hier nicht den Boss spielen, sondern dir nur helfen – wie jeder Schwager es täte. Das habe ich auch Danny klar gemacht.“ Ob er ihm auch gesagt hatte, wie lange er bleiben würde? Noch einen Tag, noch eine Woche? „Danke, aber solange du hier bist, brauchst du dir keine Sorgen um Bushy Hill zu machen. Ich werde dafür sorgen, dass dort kein Weinberg angelegt wird.“ Bei solange du hier bist zog Zac eine Braue hoch, kommentierte es aber nicht. „Das ist schön zu hören, vielen Dank.“ Rachel nahm einen Schluck kalte Limonade. Sobald sie ausgetrunken hätte, würde sie sich verabschieden. Mit Zac allein auf der Veranda zu sein, irritierte sie, und von Sekunde zu Sekunde schien sich die Atmosphäre zwischen ihnen aufzuladen. Zumindest fühlte sie eine ganz drängende Spannung. „Warst du mit Adrian eigentlich glücklich, Rachel?“ Ihr Herz machte einen Satz. Bleib ruhig! ermahnte sie sich, es ist nur eine ganz normale Frage! Sie räusperte sich und sagte das, was sie schon xmal ihrem Vater gegenüber wiederholt hatte: „Adrian war ein wunderbarer Ehemann. Und ein wunderbarer Vater.“ Und das stimmte im Prinzip auch. Nur als Liebhaber… Zum Glück hakte Zac nicht nach. „Wo habt ihr euch kennen gelernt? Er schrieb mir nur, dass du aus der Stadt kommst. Dabei hasste er die Stadt.“
„Als ich ihn traf, reiste ich gerade durch den Outback, ich wollte Australien erkunden.“ Nachdem sie endlich den Mut gefunden hatte, ihrem Vater zu erklären, dass sie ihren eigenen Weg gehen wolle, war Rachel nach Europa, nach Amerika und in den Fernen Osten gereist. Er bestand darauf, dass sie Erster Klasse reiste und natürlich auf seine Kosten – in der Hoffnung, dass ein paar Monate Abwechslung sie „zur Vernunft“ bringen würden, wie er es immer wieder betonte. Nach ihrer Rückkehr hatte sie das Bedürfnis, auch noch ihr eigenes Land zu sehen, ein anderes Leben zu erkunden als das, was man in der Stadt und in FünfSterneHotels führte. Und diesmal verwendete sie ihr eigenes Geld dazu. „Ich fuhr mit Zug und Bus durch Australien. Und war begeistert vom Outback – den Kimberleys, Ayers Rock, dem Northern Territory, der großen Weite. Zum Schluss kam ich nach Queensland. In Longreach, bei einem Rodeo, lernte ich Adrian kennen. Und es hat einfach Klick gemacht.“ Er war so anders als die glatten, gut verdienenden Stadttypen, die sie kannte. Ein richtiger Aussie, wie man die australischen Naturburschen nannte, gut aussehend, braun gebrannt, stark, ruhig, einfach. So sehr anders als die, die sie gewohnt war, dass sie sich auf der Stelle in ihn verliebte und ihn lange für den Mann ihrer Träume hielt. So lange, bis… Nein, diesen Gedanken wollte sie schnell wieder verdrängen. Wie den Rest ihrer Träume auch. „Am letzten Tag des Rodeos bat er mich, ihn auf die Abschlussgala zu begleiten.“ „Und das war der Anfang?“ „Ja. Als er erfuhr, dass ich noch nie eine Rinderzuchtstation gesehen hatte, lud er mich nach Yarrah Downs ein. Und ich blieb eine ganze Woche. Er ließ seine Haushälterin sozusagen als Aufpasserin fungieren und verhielt sich mustergültig. So etwas kannte ich nicht.“ Und er sicher auch nicht. Rachel konnte sich Zac Hammond in ziemlich vielen Rollen vorstellen, aber nie und nimmer als Gentleman. Ihm war der Ruf einer Frau garantiert völlig egal, und nie könnte er sich beherrschen, tagelang, geschweige denn wochenlang die Hände von ihr zu lassen, wie Adrian es getan hatte. „So, so. Die Haushälterin hat die Gouvernante gespielt?“ fragte Zac amüsiert. „Auch wenn es nicht nötig war.“ Damals hatte Rachel seine Zurückhaltung bewundert. Ihre früheren Verehrer hatten alle sofort versucht, sie ins Bett zu bekommen. „Ende der Woche machte er mir einen Heiratsantrag. Und ich nahm an.“ Im Nachhinein war ihr klar, dass sie hätte warten sollen, bis sie genau gewusst hätte, ob er tatsächlich der Mann ihrer Träume war. „Adrian bestand darauf, mit mir nach Sydney zu fahren, sich meinen Eltern vorzustellen, und mir Zeit für die Hochzeitsvorbereitungen zu gehen.“ Im Gedanken an die Reaktion ihres Vaters damals erschauerte Rachel noch immer. Seine Empörung über ihre Wahl hatte sie umso mehr bewogen, Adrian zu heiraten. „Du meine Güte, ich hätte nie gedacht, dass mein Bruder es so eilig haben könnte. Hat er dich – hinterm Rücken der Aufpasserin – wenigstens geküsst?“ Das Letzte, was sie brauchte, waren Zac Hammonds spitze Kommentare. „Dir ist respektvolles Verhalten sicher völlig fremd! Natürlich küssten wir uns, aber er fiel nicht über mich her.“ Das hätte sie nicht sagen sollen. „Dann bist du also über ihn hergefallen?“ fragte Zac lächelnd. Rachel wurde rot. „Natürlich nicht! Ich bin nie über jemanden hergefallen – außer über meinen Mann.“ Beziehungsweise einen, den ich für meinen Mann hielt. „Ich verstehe, wieso ihr beiden Brüder nicht miteinander auskamt“, sagte sie giftig.
„Du weißt wenig über Achtung und Moral und wie man eine Frau behandelt.“ Zac beugte sich vor, der Schaukelstuhl knarrte. „Wenn ich Adrian gewesen wäre, meine Süße, wäre ich nicht imstande gewesen, dir zu widerstehen. Genau das ist ja bei meinem letzten Besuch geschehen. Und du konntest mir genauso wenig widerstehen, ob du nun wusstest, wer ich war, oder nicht.“ Rachel sprang auf, dabei stieß sie das Glas um. Zac packte ihre Hand, um sie am Davonlaufen zu hindern. „Lass mich los!“ zischte sie. Seine Finger fühlten sich an wie eine Stahlzwinge. „Und ich zweifele daran, ob du mir jetzt widerstehen kannst.“ Er stand ebenfalls auf. „Auch wenn du diesmal genau weißt, dass ich nicht dein Mann bin. Aber das ist jetzt sowieso egal, denn Adrian ist tot. Es gibt nur noch dich und mich.“ Zac konnte nicht glauben, was er da gerade sagte. Damit würde er alles zerstören, das war ihm klar. Andererseits wollte er wissen, was Rachel für ihn empfand. Denn er war verrückt nach ihr. Er zog sie an sich, schlang den Arm um ihre Taille. „Sag mir, dass du nichts für mich empfindest, Rachel, dass du mich nicht küssen willst wie schon einmal.“ Rachel war entsetzt, weil ihre Knie nachzugeben schienen und ihr heiß zwischen den Schenkeln wurde. Seine Lippen waren verführerisch nahe. Er roch nach Staub und Schmutz – und wirkte so männlich! Wie hatte sie glauben können, dass sie gegen ihn gefeit sei? Sie dachte seit fünf langen Jahre an ihn! Dennoch rief sie: „Lass mich los! Ich empfinde nichts für dich!“ „So? Wieso zitterst du dann? Wieso fühlt sich dann dein Körper ganz heiß an? Wieso sind deine Befreiungsversuche so wenig überzeugend?“ Das reichte, er war zu weit gegangen! Diesmal wendete sie alle Kraft auf und schaffte es, sich loszureißen. Zac hätte es verhindern können, ließ sie aber los. „Beruhige dich, Rachel, ich tue dir doch nichts! Ich wollte dich nur in meinen Armen haben, ich wollte spüren, was du spürst. Du hast mich davon überzeugt, dass du nichts für mich empfindest“, log er. Beim Einschlafen würde Rachel schon noch an ihn denken, an die Leidenschaft, die erneut zwischen ihnen aufgelodert war. Das machte ihm Hoffnung. „Es tut mir Leid. Setz dich wieder hin.“ „Ganz bestimmt nicht! Ich gehe schlafen.“ Sie trat beim Weggehen absichtlich auf seinen Fuß, aber das bemerkte er kaum, da er noch immer betört war von dem Gefühl, sie endlich, endlich wieder in seinen Armen gehabt zu haben. Rachel zitterte noch immer, als sie ihr Zimmer betrat. Wieso nur besaß Zac eine so starke Wirkung auf sie? Warum lachte sie ihn nicht einfach aus? Stattdessen hatte sie wie ein aufgeregter Teenager reagiert und ihm gezeigt, dass sie bei der geringsten Berührung in Flammen stand. Sie verfluchte Zac, denn sie wusste genau, dass sie heute Nacht kein Auge zumachen würde. Die Leidenschaft, die er wieder in ihr geweckt hatte, würde sie wach halten. Wieso hatte sie das nie bei ihrem Mann gespürt, selbst nicht in den romantischen ersten Wochen ihrer Ehe? Adrian hatte sie geliebt, daran zweifelte Rachel nicht. Und es schon dadurch bewiesen, dass er sich gegen ihren Vater und dessen wiederholte Bestechungsversuche wehrte. Rachel hatte sich bemüht, alle guten Eigenschaften Adrians zu würdigen und ihre zunehmende sexuelle Frustration durch harte Arbeit und lange Ausritte zu vergessen. Dass Adrian zögerte, schon vor der Ehe mit ihr zu schlafen, hätte ihr zu denken geben sollen. Sie hatte das als altmodisches Anstandsgefühl gewertet. Im Nachhinein dachte sie, es wäre besser gewesen, sie hätten miteinander geschlafen, dann hätte sie gewusst, was auf sie zukam.
Aber sie war in ihn verliebt gewesen – zumindest glaubte sie es damals – und hätte ihn vermutlich trotz allem geheiratet und gehofft, dass ihr Liebesleben sich schon entwickeln würde. Aber das tat es nicht. Dann war nach fünf Monaten Ehe Zac aufgetaucht, und den Rest ihrer Ehe wusste sie, was ihr fehlte! Rachel schloss die Augen. Diese leidenschaftliche Begegnung mit Zac durfte sie nicht überbewerten. Es war nur um reine Lust, um nichts als Sex gegangen. Was sie für ihn empfand, war rein körperlich. Dass Zac nicht das Geringste für sie empfand, war klar. Als Zac sich schlafen legte, hatte er ein Lächeln um die Lippen. Rachel konnte es abstreiten, so oft sie wollte, aber sie empfand etwas für ihn! Genau wie er es gehofft hatte. Dieses Bewusstsein würde es ihm leichter machen, zu warten, auch wenn es ihm noch so schwer fiel. Er strich übers Kopfkissen und stellte sich vor, dass es Rachels Haar war. Stöhnend barg er das Gesicht darin und versuchte, seine Erregtheit unter Kontrolle zu bringen. Eines Tages würde Rachel neben ihm liegen, nicht nur ein Kissen!
4. KAPITEL Am nächsten Morgen ging Rachel gleich nach dem Aufstehen mit Mikey nach draußen. Sie brauchte frische Luft und wollte richtig wach werden, bevor sie Zac und den anderen begegnete. Die Sonne ging gerade über den Bergen auf, der Himmel war orangerot gefärbt, die winzigen Wölkchen schimmerten zartlila. Aber das waren keine Regenwolken, es sah ganz nach einem weiteren heißen Tag aus. Vince und Joanne stiegen in den Jeep, um nach Ten Mile zu fahren. „Wo ist Danny?“ fragte Rachel. „Ich dachte, der begleitet euch?“ „Er ist mit dem Motorrad nach Brisbane gefahren. Ich hab ihm heute freigegeben.“ „Du hast ihm freigegeben? Ohne mich zu fragen?“ Vince führte sich mal wieder wie der Chef auf! „Er hat mir erst gestern Abend gesagt“, sagte Vince entschuldigend, „dass seine Eltern heute Silberne Hochzeit haben. Sie kommen extra aus Sydney und sind mit ihm zum Abendessen verabredet. Aber er sagte, er sei morgen pünktlich zu Mikeys Geburtstag zurück.“ Mikeys Augen leuchteten. „Meinst du, er kauft mir in der Stadt was Schönes?“ „Er ist mit seiner Familie beschäftigt, Mikey“, sagte Rachel schärfer als beabsichtigt. Der Kleine musste lernen, nicht von jedem ein Geschenk zu erwarten. „Heute kommt jemand, der den beschädigten Brunnen begutachtet, Vince. Falls er nicht repariert werden kann, müssen wir ein neues Becken anschaffen.“ Sie würde wohl Zacs Angebot, ihr Geld zu leihen, annehmen müssen. „Ich werde mitfahren, um mir den Schaden selbst anzusehen. Vielleicht hat der Verursacher ja irgendeine Spur hinterlassen.“ Sie schaute Vince und Joanne prüfend an. Die beiden hatten den Schaden ja entdeckt – zumindest behaupteten sie es. „Falls du hoffst, dort Zigarettenstummel oder sonst eine Spur zu finden, vergiss es, Rachel. Ich habe schon nachgesehen.“ Oder sie beseitigt? Vince' Gesicht zeigte aber eher Skepsis als Schuldgefühle. „Na, dann bis später.“ Vince startete den Motor. „Denk dran, dass wir in Ten Mile übernachten. Bis morgen Mittag sind wir zurück.“ „Ich bin rechtzeitig da, um dir bei den Salaten zu helfen, Rachel“, sagte Joanne noch. Mikey drehte sich aufgeregt um. „Onkel Zac!“ Er rannte zu ihm. „Gehst du mit mir reiten? Das hast du versprochen!“ Der Kleine warf sich in Zacs Arme. Welches Vertrauen er hat, wie unbefangen er seine Zuneigung zeigt, dachte Rachel, nicht ohne eine Spur von Rührung. Aber hatte Zac das Vertrauen verdient? Adrian war anderer Ansicht gewesen, und der musste seinen Bruder doch kennen! Rachel seufzte, als sie Vater und Sohn zusammen sah. Es war leicht, ein Held zu sein, wenn man weder an Disziplin noch an Regeln oder gar an Beständigkeit denken musste. Und wenn man immer wusste, woher der nächste Dollar kam. „Na klar nehme ich dich mit zum Reiten, Mikey. Wie wäre es jetzt sofort, vor dem Frühstück? Vorausgesetzt, die Mommy ist einverstanden?“ Zac warf ihr einen bittenden Blick zu. „Wir reiten nebeneinander, ohne Zaumzeug, ja?“ „Aber nur, wenn du direkt neben ihm bleibst“, forderte Rachel. „Er ist noch klein, vergiss das nicht.“ Sie hätte sich auf die Zunge beißen können, denn Mikey sagte natürlich sofort: „Ich bin nicht klein! Morgen werde ich vier! Kommst du zum Geburtstag, Onkel Zac?“
Rachel sagte schnell: „Zac ist morgen vielleicht gar nicht da, Mikey. Aber Grandpa kommt und dein Freund Joshua.“ Dann wandte sie sich an Zac: „Wolltest du nicht Ausschau halten nach dem alten Bazza?“ „Ja, gleich nach dem Frühstück.“ Und zu Mikey gerichtet sagte er: „Aber deinen Geburtstag will ich auf keinen Fall verpassen. Falls es deiner Mommy recht ist.“ „Es ist ja mein Geburtstag, und ich lade dich ein“, sagte Mikey, bevor Rachel etwas einwenden konnte. „Du musst unbedingt kommen, Onkel Zac, wir machen Baabekjuh! Und es gibt 'nen Monstergeburtstagskuchen, mit Kerz'n.“ „Natürlich bist du auch eingeladen, Zac“, sagte Rachel höflich. Der Gedanke, dass Zac dann ihren Vater kennen lernen und brühwarm von all den Schwierigkeiten erfahren würde, behagte ihr zwar gar nicht. Aber Mikey zuliebe musste sie ihn einladen. Ein Geburtstag war für einen Vierjährigen eine große Sache, und er hatte hier draußen wenig Freunde. Zum Glück würde auch ihre Freundin Amy mit ihrem Sohn Josh kommen, Mikeys einzigem gleichaltrigem Spielkameraden in der Gegend. Bei so vielen Leuten hätte ihr Vater hoffentlich wenig Gelegenheit, sie mit seinen Rückkehrplänen zu nerven. „Silver und Maverick sind im Pferdestall“, erklärte sie. „Mikey kennt Silver schon ein bisschen, und Maverick hat keine Angst vor Fremden. Weißt du, wo die Sättel hängen?“ „Ich zeig's dir, Onkel Zac!“ Mikey zog ihn mit sich und rief seiner Mutter noch zu: „Mach dir keine Sorg'n, Mommy, ich bin bei Onkel Zac ganz sicher!“ Sicher? Bei Zac Hammond, diesem Abenteurer, der in seinem Leben noch nie Verantwortung übernommen hatte? Rachel schaute den beiden nach, wie sie davoneilten: Zac, hoch gewachsen, breitschultrig, mit dunklem, zerzausten Haar, und dem Kleinen, der wie selbstverständlich an seiner Hand ging. „Ja“, flüsterte sie und dachte an Zacs Hilfsaktion auf der Windmühle, „du bist bei Zac ganz sicher.“ Beim Frühstück, das aus Spiegeleiern, Würstchen und knusprigem Speck bestand, sagte Zac: „Bevor ich mich bei den Nachbarn umhöre, wo Bazza geblieben sein könnte, werde ich ein paar Runden über die Koppeln fliegen, um nachzuschauen, ob da etwas ist, was dort nicht hingehört.“ Tat er das aus reiner Menschenliebe, oder wollte er sie weichklopfen, bevor er ihr anbot, ihr Yarrah Downs abzukaufen? Rachel wusste es nicht. Zum Glück plapperte Mikey unermüdlich, seitdem er vom Ausritt zurückgekommen war. Rachel hatte große Sorge, dass Zac inzwischen nachgerechnet hatte und sie, sobald er mit ihr allein war, auf Mikeys Alter ansprechen würde. „Ich muss los.“ Zac schob den Stuhl zurück, und Rachel atmetet innerlich auf. Er hatte also nicht nachgerechnet. Oder es interessierte ihn schlicht nicht. „Ich fliege nach Rockhampton.“ Was wollte er denn dort? „Wenn ich schon mal da bin, kann ich ja Bier fürs Barbecue besorgen.“ „Gern, danke.“ „Ich versuche, vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein. Aber du brauchst mit dem Essen nicht auf mich zu warten, ich esse was unterwegs.“ Er warf Rachel einen prüfenden Blick zu. „Bist du sicher, dass Bazza wiederkommen kann?“ Sie sagte: „Ich meine immer, was ich sage!“ Im Gegensatz zu Adrian hielt sie ihre Versprechen. Auf einmal kam es ihr vor, als stellte sie ihren Mann im Nachhinein bloß. Sie kannte ja die wahren Gründe für Bazzas Weggehen nicht. „Darf ich zu Onkel Zac ins Flugzeug, Mommy?“ bat Mikey. „Onkel Zac wird den ganzen Tag weg sein. Ich dachte, du wolltest heute mit mir
zum BoomerangBore gehen und danach helfen, dein Geburtstagsessen vorzubereiten. Und beim Luftballonaufblasen. Was meinst Du?“ „Oh, ja!“ rief Mikey, der eifrig sein Müsli in sich hineinschaufelte, um schnell fertig zu sein. Du liebe Zeit! dachte Zac beim Überflug von Yarrah Downs. Die einst saftigen Koppeln wirkten leblos und verdorrt. Der kleine Fluss, der sich sonst durchs Gelände schlängelte, war fast völlig ausgetrocknet. Selbst die kräftigen Rinder machten einen matten und geschwächten Eindruck. Von Vince hatte er gehört, dass es seit Monaten nicht geregnet hatte, und es sah ganz danach aus, als würde sich das in absehbarer Zeit nicht ändern. Zac zog die kleine Propellermaschine tiefer und flog einen Bogen um Tiere, Weidezäune, Wasserlöcher und Baumgruppen nach etwas Verdächtigem abzusuchen. Kurz streifte ihn der Gedanke, dass Mikey morgen vier Jahre alt wurde. Und dass Adrian nie viel Interesse an Sex gehabt hatte, auch wenn er sich gelegentlich Frau und Kinder wünschte. Merkwürdig, dass die beiden nach Mikey kein weiteres Kind mehr bekommen hatten. Vielleicht konnte sein Bruder keins zeugen? War er> Zac, möglicherweise der Vater von Mikey? Zeitlich würde es ja passen. Aber nein, kurz bevor er Yarrah Downs damals verließ, hatte Rachel ihm versichert, dass die Nacht keine Konsequenzen haben könnte. Oder hatte sie das gesagt, um sich selbst zu beruhigen? Sein Herz pochte so laut, wie die Cessna dröhnte. Konnte Mikey sein Sohn sein? Falls ja, hatte Rachel offensichtlich keine Absicht, ihm das mitzuteilen, sonst wäre es längst passiert. Anscheinend wollte sie ihn nicht in ihrem Leben haben. Oder glaubte zumindest, es nicht zu wollen. „Nun, Schätzchen, da habe ich wohl ein Wörtchen mitzureden.“ Beinahe hätte er mit dem linken Flügel eine Baumspitze gestreift. Rachel und Mikey hatten früher als sonst zu Abend gegessen, und der Kleine schlief schon. Sie knipste die Schreibtischlampe neben dem Computer an, um weiter an der Buchhaltung zu arbeiten. Es wurde allmählich dunkel, Zac würde demnächst zurückkommen, es sei denn, er übernachtete bei einem Nachbarn. Oder bei einer Frau? Ach, das ging sie nichts an! Hauptsache, er schöpfte keinen Verdacht wegen Mikey. Aber durfte sie ihm die Wahrheit vorenthalten? Sie lehnte sich zurück. Wie sollte sie sich bei solchen Gedanken auf Zahlen konzentrieren? Sie hob ihr Gesicht der kühlen Luft des Ventilators entgegen. Am Boomerang Bore war es brütend heiß gewesen, der Brunnen war komplett zerstört, wie sie befürchtet hatte. Ohne Hinweis auf den Täter. Auf einmal gingen das Licht aus, der Computer und der Ventilator. Na wunderbar, nun fiel auch noch der Strom aus! Zur gleichen Zeit hörte sie den Motor der Cessna. Draußen war es inzwischen dunkel, der Mond stand hinter einer schwarzen Wolke. So ganz ohne Licht wird Zac nicht landen können, überlegte sie. Sie könnte allenfalls mit dem Land Rover zur Landebahn fahren und ihm mit den Scheinwerfern die Piste anleuchten. Wo zum Kuckuck war die Taschenlampe? Rachel sprang auf und tastete sich mühsam durch die Dunkelheit. Die Küche, dort war eine Taschenlampe. Sie stieß sich an einem Tisch und rieb sich stöhnend die schmerzende Hüfte. Da fiel ihr auf, dass der Motorenlärm verstummt war. Hatte Zac es tatsächlich gewagt, auf einer zappendüsteren Piste
zu landen? Das war doch verantwortungslos! Als sie die Küche erreicht hatte, hörte sie ein Prasseln auf dem Dach: Regen! Endlich Regen! Lieber Gott, lass es Tage regnen, Wochen! betete sie. „Mommy!“ kam ein klägliches Weinen aus dem Kinderzimmer. Rachel griff nach der Taschenlampe, knipste sie an – nichts! Na toll, die Batterie war leer. „Ich komme, Mikey!“ Es dauerte noch einen Moment, bis sie eine Kerze und Streichhölzer fand. Vorsichtig, mit der angezündeten Kerze in der Hand, machte sie sich auf den Weg. Kaum hatte sie Mikeys Zimmer erreicht, hörte der Regen auf. Wie bitte? War das alles gewesen? „Mommy, mein Licht ist aus!“ Seit dem Unfalltod seines Vaters litt Mikey gelegentlich unter Albträumen, so dass Rachel ihm ein Schlummerlämpchen ans Bett gestellt hatte. „Schon gut, mein Kleiner, der Strom ist ausgefallen. Der geht vermutlich bald wieder an. Ich schau mal, ob ich eine Batterie finde, dann kannst du die Taschenlampe haben.“ Sie würde keine Kerze an Mikeys Bett stehen lassen, nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn sie umfiel. Nach ein paar Minuten Suchen fand sie schließlich eine Packung Batterien, füllte die Taschenlampe und blieb an Mikeys Bett sitzen, bis er wieder eingeschlafen war. Gerade als sie sich erhob, hörte sie Schritte an der Hintertür. Sie ging in die Küche. Zac trat ein, er schüttelte sich die Tropfen aus dem Haar. „Was ist hier los? Wieso ist alles dunkel?“ Ohne Beleuchtung musste die Landung äußerst schwierig für ihn gewesen sein. Er wirkte erschöpft. Gut, dachte Rachel, dann wird er bald schlafen gehen – ohne Fragen zu stellen. „Der Strom ist ausgefallen – kurz vor dem Regen. Ich muss sofort den Elektriker anrufen, sonst taut uns hier das ganze Tiefgefrorene auf. Und ohne Ventilator kommen wir um!“ „Was ist denn mit dem Generator, den wir früher im Schuppen hatten? Der könnte zumindest Strom für den Kühlschrank liefern.“ Rachel seufzte. „Der ist weg. Adrian hat ihn vermutlich irgendwem geliehen und nicht zurückbekommen. Ich habe nicht weiter daran gedacht, weil es anderes zu tun gab. Normalerweise haben wir immer Strom.“ Schon wieder ein Problem. „Ich verstehe nicht, wieso der Strom ausgefallen ist.“ Im Kerzenlicht sah sein Gesicht richtig kantig aus. „Mir geht es nicht anders. Es gab kein Gewitter, nur ein bisschen Regen. Und wenn es beim Transformator einen Kurzschluss gegeben hätte, hättest du es gehört, der ist nicht weit vom Haus entfernt. Wir sollten die leicht verderblichen Lebensmittel als Erstes aufbrauchen, vielleicht gleich morgen bei Mikey's Grillparty? Es dauert sicher ein, zwei Tage, bis der Elektriker kommen kann.“ Rachel schluckte. Wenn das ihr Vater erfuhr, hatte er ein Argument mehr, sie von hier wegzuholen. Er fand es sicherlich überhaupt nicht romantisch, dass sie hier ohne Strom lebten. „Hast du schon gegessen, Zac?“ „Ja, ich war bei den Grangers, vielleicht kennst du sie, sie haben eine Schafsfarm nahe Roma und sind sehr gastfreundlich.“ Rachel staunte. Nach all den Jahren, wo er sich nie hatte blicken lassen, luden die Leute Zac einfach so ein? Die Grangers hatten ihn nie erwähnt. Vermutlich aus Rücksicht gegenüber Adrian, der sich mit seinem Bruder nicht besonders verstanden hatte. „Hast du Bazza gefunden?“ „Nein, aber ich weiß jetzt, wo er ist. Um zu ihm zu kommen, brauche ich
allerdings einen Wagen mit Vierradantrieb. Er lebt in einem alten Steinhäuschen in der Nähe der Grangers, scheint ein richtiger Einsiedler geworden zu sein. Und seitdem er sein Motorrad in den Graben gefahren hat, kommt er nicht mal mehr zum Einkaufen in die Stadt, sondern lebt nur von selbst angebautem Gemüse. Auf dem Gelände stehen wohl auch ein paar Obstbäume, und es gibt einen alten Brunnen. Zur Not behilft er sich mit Beeren, Blättern, Würmern und so.“ „Mit Würmern? Der Arme!“ „Bazza weiß, wie man in der Wildnis überlebt. Aber er ist jetzt alt, und seit dem Unfall humpelt er. Wenn er mal richtig krank wird…“ „Vielleicht gefällt es ihm ja, so einsam zu leben?“ „Ich werde ihn davon überzeugen, dass er es hier besser hat“, erklärte Zac, „und zwar so bald als möglich.“ „Das heißt, du fährst gleich morgen zu ihm?“ „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich Mikeys Geburtstag vergesse, oder?“ Seine grauen Augen blitzten. „Du hast offenbar keine Ahnung, wie viel mir der Kleine nach diesen zwei Tagen bereits bedeutet.“ „Ah, ja?“ „Allerdings. Er ist schon jetzt beinahe wie ein Sohn für mich. Schließlich sind wir aus demselben Fleisch und Blut, er ist ein Teil von mir.“ Sollte Rachel ihm jetzt etwas sagen? Ahnte er es? Wusste er es? Plötzlich griff Zac nach Rachels Hand, so dass die Kerze aufflackerte. Sein Gesicht war so nahe, dass sie seinen Atem spürte. „Alles in Ordnung mit dir?“ „Ja… alles in Ordnung.“ „Wie kommt es dann, dass du, wann immer dein Sohn oder sein Geburtstag erwähnt wird, wie ein verschrecktes Kaninchen reagierst?“ Dabei hatte Rachel gedacht, dass sie immer ganz gelassen wirkte. Tja, so konnte man sich irren. Sie entschied, auf stur zu machen. „So ein Unsinn!“ blaffte sie ihn an. Meine Güte, wieso spielte sie dieses alberne Spiel? Adrian war tot, nichts konnte ihn noch verletzen. Jetzt ging es nur noch um Mikey. Doch wie würde der Junge auf die Neuigkeit reagieren? Und was, wenn Zac nichts von ihm wissen wollte? Doch Zac mochte den Kleinen, das hatte er mehrmals bewiesen. Und Zac die Wahrheit vorzuenthalten, war schlicht unfair. Schließlich waren sie erwachsene Menschen. Zac strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken. „Zwischen uns beiden war auf Anhieb etwas Besonderes, Rachel. Das hast du vor fünf Jahren genauso gespürt, auch wenn du es damals nicht hast zulassen dürfen. Und mir ging es wieder so, als ich diesmal herkam. Die Chemie zwischen uns stimmt einfach, es gibt eine unglaubliche Anziehungskraft, die…“ Oh, ja, eine Sehnsucht, ein Bedürfnis nach Nähe, fast noch intensiver als beim ersten Mal… Aber wie würde sie sich danach fühlen? Nachdem die Leidenschaft abgekühlt war? Sie wollte nicht nur ein flüchtiges Abenteuer, so wunderbar es auch sein mochte. Und eine feste Beziehung mit Zac war unmöglich, bei ihm war nichts auf Dauer programmiert. „Du solltest deine Gefühle nicht leugnen, Rachel. Sobald ich dich berühre…“ Sie spürte seine warmen Hände an ihren nackten Armen, und ihre Nervosität war Antwort genug. „Seit fünf Jahren träume ich von dir“, fuhr er fort, „auch wenn ich versuchte, es zu unterdrücken. Und immer wieder werfe ich mir vor, was ich dir, meinem Bruder, eurer Ehe angetan habe. Zum ersten Mal begehrte ich jemanden so sehr,
dass ich die Beherrschung verlor.“ Rachel erschauerte. Genau so war es ihr ergangen. Dass er ihr keine Vorwürfe machte, sondern alle Schuld auf sich nahm, machte sein Geständnis umso erschütternder – als legte er seine Seele bloß. Aber seine Seele war nicht beteiligt, so naiv durfte sie nicht sein! Es war um nichts als um Lust, um reinen Sex gegangen, nicht um Liebe. Jedenfalls nicht für ihn. Rachel wendete sich ab. War sie etwa dabei, sich in Zac zu verlieben? Bedeuteten diese Unsicherheit, diese Sehnsucht, diese Gereiztheit den Beginn eines viel tieferen Gefühls? Das wäre eine Katastrophe, denn Zac war kein Mann für die Dauer. Nein, um nichts in der Welt durfte sie sich in ihn verlieben. Er umfing sanft ihr Kinn. „Denk über das nach, was zwischen uns ist.“ Seine Lippen streiften ihre, aber er küsste sie nicht, obgleich sie sich im Moment nichts sehnlicher wünschte. „Und denk daran, dass Mikey einen Vater braucht.“ Rachel schaute auf, aber wie eine Katze in der Nacht war Zac verschwunden. Nur seine Worte schwebten noch in der schwülen Luft.
5. KAPITEL Verschwitzt warf Zac sich aufs Bett. Er wusste kaum, wie er es geschafft hatte,
sich von Rachel loszureißen. Beinahe hätte er wieder die Beherrschung verloren.
Doch diesmal wollte er sicher sein, dass auch sie es wollte, dass sie ihn bat, sie
zu nehmen!
Er stöhnte ins Kissen. Das drängende Gefühl in seinen Lenden, sein keuchender
Atmen – das sah nicht gerade nach Selbstbeherrschung aus! Er hatte immer
noch ihren Duft in der Nase, spürte die Wärme ihres Körpers…
Da half nur eine kalte Dusche.
Rachel spürte, wie etwas auf ihr landete, und tauchte widerwillig aus einem
lustvollen Traum auf.
„Mommy* wach auf, es ist Morgen!“
Verschlafen drückte sie ihren Sohn an sich. Seine sonst so weichen Wangen
fühlten sich kühl an und rochen nach… Farbe? Rachel öffnete sofort die Augen
und entdeckte in der Dämmerung die bunte Monstermaske mit Glubschaugen
und Fletschzähnen.
„Du meine Güte, ein Gespenst!“ rief sie. Sie hatte die Maske nachts, als Mikey
schlief, an das Fußende seines Bettes gelegt. „Bitte fressen Sie mich nicht, Mr.
Monster!“ bat sie und freute sich über die Wirkung ihres Geschenks.
Mikey kicherte. „Ich bin's doch, Mommy!“ Er hob die Maske und lächelte. „Ich
fress dich schon nicht auf, Mommy!“
„Ach, du bist es!“ tat sie überrascht. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag,
mein Schätzchen!“ Sie umschlang und küsste ihn, diesmal auf die rosige Wange.
„Ich dachte, du bist ein richtiges Gespenst!“
Mikey kicherte wieder und löste sich aus der Umarmung. Heute war ein wichtiger
Tag für ihn. Er zog die Maske erneut vors Gesicht und fragte hoffnungsvoll: „Hast
du noch mehr Geschenke für mich, Mommy?“
„Hm, ich zieh mich mal an und schaue nach, ob wir noch was finden.“
„Darf ich suchen?“ Und schon riss er sich die Maske wieder vom Gesicht und
schaute sich neugierig um. „Mach das Licht an, Mommy, damit wir besser sehen
können.“
„Geht nicht.“ Rachel fiel ein, dass der Strom ausgefallen war – was auch hieß,
dass sie keinen Kaffee machen könnte und erst den alten Kohleherd wieder in
Gang setzen musste. Und in der Küche würde es ohne Ventilator nach dem
kurzen Regen stickig warm sein.
„Macht nichts, ich kann genug sehen.“ Der Kleine in seinem Schlafanzug trippelte
vor Ungeduld.
„Gut, du kannst ja mal in meinen Schrank gucken.“
Das brauchte Rachel nicht zwei Mal zu sagen. Schmunzelnd beobachtete sie, wie
der Junge sich in die Ecke stürzte, in der sie seine Geschenke versteckt hatte.
Mikey riss das Papier auf und den kleinen roten Sportwagen heraus, das
Malbuch, die neuen Shorts mit dem Oberteil und die Wasserpistole. „Wow, oh,
mannomann!“ Er schien sich über alles zu freuen.
„Herzlichen Glückwunsch“, wiederholte Rachel und ging ins Bad, während Mikey
sich den neuen Sachen widmete.
Als der Kleine später mit der Monstermaske in die Küche stürmte, schien er
enttäuscht, dass Zac nicht da war.
„Onkel Zac frühstückt später, Mikey. Aber er kommt mit den anderen zum Grillen
heute Mittag. Trink ein bisschen Orangensaft, dann kannst du rausgehen und die
Wasserpistole an Buster ausprobieren. Es wird ihm sicher gefallen, wenn du ihm
Wasser in den Mund schießt. Aber nimm nicht zu viel, wir dürfen nichts
verschwenden.“ Zwei Sekunden später war der Junge verschwunden. Rachel begann herumzuräumen und den Frühstückstisch zu decken. Plötzlich hörte sie draußen einen hellen Schrei und aufgeregtes Bellen und eilte hinaus. „Mommy, Mommy, eine Schlange!“ Eine rostfarbene Schlange versuchte, aus der Wasserschüssel zu kriechen – zum Glück nicht in Richtung ihres Sohnes oder des Hundes. „Rühr dich nicht von der Stelle, ich hole den Spaten!“ Sie rannte in den Geräteschuppen, nahm den Spaten und versuchte dann, das sich davonschlängelnde Tier zurückzuhalten. MulgaSchlangen waren hochgiftig, und Rachel hatte Angst, sie könnte entkommen und sich in Hausnähe verstecken. Sie packte die Schaufel fest mit beiden Händen, hob sie hoch, und nach ein paar gezielten Schlägen war alles vorbei. „Darf ich auch mal, Mommy?“ bat Mikey. „Vince sagt…“ „Für eine Schlange bist du noch zu klein, Mikey.“ Rachel überlegte, was Zac wohl gemacht hätte – hätte er die Schlange am Leben gelassen? Ihr erschien das zu gefährlich. Einmal hatte sie eine in der Badewanne gefunden. „Fülle Busters Wasserschüssel auf, und dann gehst du lieber wieder in die Küche. Du kannst dir ja dein neues Malbuch mal anschauen“, sagte sie. „Ich schau noch kurz im Garten was nach.“ Sie wollte Mikey nicht sagen, dass die dort die tote Schlange vergrub. Sonst buddelte er sie womöglich wieder aus. „Ich bin in einer Minute zurück.“ Zac kam nicht zum Frühstück. Da Maverick fehlte, nahm Rachel an, dass er schon losgeritten war, um nach der Stromleitung zu sehen. „Du kannst mir helfen, ein paar Luftballons aufzupusten“, schlug sie vor, als sie wieder in der Küche war. Sie war gerade dabei, Tomaten, Zwiebeln und Paprika für den Salat zu putzen, als Zac zurückkam. Mit seinem dunklen Haar, der gebräunten Brust unter dem halb geöffneten Hemd und in den engen Jeans sah er äußerst sexy aus. Mikey, der am Boden mit dem Spielzeugauto spielte, sprang sofort auf und rannte auf Zac zu. Es war die erste Begegnung zwischen den beiden, seitdem Zac die Wahrheit wusste. Beziehungsweise ahnte. „Onkel Zac, schau mal, was Mommy mir zum Geburtstag geschenkt hat.“ Er drehte sich in seinen neuen Shorts herum. „Und das hier“, er hielt die anderen Sachen hoch und blickte Zac erwartungsvoll an. „Na, du hast aber Glück, das steht fest.“ Er lächelte. „Herzlichen Glückwunsch, Junge. Vier Jahre alt! Bist du damit schon zu alt, deinen alten… Onkel Zac zu umarmen?“ Wollte er wohl gerade deinen alten Vater sagen? überlegte Rachel. War die bedeutungsvolle Pause Absicht gewesen? Damit sie wusste, dass er es wusste? Mikey warf sich in seine Arme und wurde von Zac so herumgewirbelt, dass der Kleine begeistert aufschrie. Die beiden verstehen sich wirklich gut, dachte Rachel. Und plötzlich wurde ihr klar, dass Zac Bescheid wusste. Sie hoffte nur, dass er dem Jungen nichts sagen würde, bevor sie es tat. Wenn sie es überhaupt tun würde. Sie fuhr mit dem Gemüseputzen fort. Wenn Zac und ich ein Paar gewesen wären, wäre alles anders gekommen, dachte sie. Aber Zac war nun mal ein Vagabund. Außerdem liebte er sie nicht. Er begehrte sie, das wohl, aber das hatte nichts mit Liebe zu tun. Liebe bedeutete, dass man nicht ohne den anderen leben, alles mit ihm teilen, für alle Zeiten mit ihm zusammen sein wollte. Rachel erschauerte. Liebte sie Zac etwa? War dieses Gefühl aus der verdrängten
Sehnsucht entstanden, die sie seit dem ersten Kuss vor fünf Jahren gespürt hatte? Selbst nach dem Schock, als sie damals herausfand, wer er wirklich war, war ihr klar, dass sie niemals wieder so viel für einen Mann empfinden würde wie für Zac, dass es weit mehr als fleischliche Lust war, als heiße Begierde, die ihre Erfüllung in der körperlichen Befriedigung gefunden hatte. Voller Scham und Schuldgefühle hatte sie das schmerzliche Geheimnis all die Jahre in sich getragen, versucht, Adrian eine gute, liebevolle Ehefrau zu sein. Und mit dem Bewusstsein gelebt, dass ihr Sehnen nie Wirklichkeit werden würde. Aber ihr Ehemann war tot, und Zac war in ihr Leben zurückgekehrt. Sie konnte ihre Gefühle für ihn nicht mehr länger unterdrücken, auch wenn Zac eine Art Spieler war, ein HeutehiermorgendaTyp. Je länger er hier war, umso mehr empfand sie für ihn, und das, obgleich sie fast nichts über ihn wusste. Und er vielleicht nur hier war, weil er Yarrah Downs wiederhaben wollte. Zac setzte den Kleinen wieder auf den Boden, wobei er liebevoll wartete, bis Mikey sein Gleichgewicht wiederhatte. „Willst du nicht mit Buster in den Garten gehen und nachsehen, ob jemand kommt?“ schlug Zac vor. „Ich erwarte nämlich einen Gast.“ „Meinst du damit Bazza?“ fragte Rachel, während Mikey schon zur Tür rannte, die er wie immer hinter sich zuwarf. Aber nein, Bazza konnte er nicht meinen, Zac war ja nur mit dem Pferd unterwegs gewesen, und die Farm der Grangers war meilenweit weg. Zac schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe heute Morgen erst mal die Stromleitung überprüft.“ „ Und? Hast du etwas entdeckt?“ „Ja, die Leitung wurde durchschnitten. Absichtlich. Leider sind durch den Regenschauer alle Spuren verwischt.“ Wieder jemand, der mir absichtlich schadet! dachte Rachel bedrückt. Zac legte die Hand auf ihren Arm, und diesmal ließ sie es ruhig geschehen, weil es sie tröstete. Wer tat nur all das? Würde er das nächste Mal direkt auf sie losgehen? Oder auf Mikey? Heißer Zorn kam in ihr hoch. Wenn jemand ihrem Sohn auch nur ein Haar krümmte! Sie packte das Gemüsemesser. Auf einmal wurde ihr ganz anders. Vielleicht hatte man es schon versucht? Mit der Giftschlange im Garten? Mach dich nicht verrückt, Rachel! ermahnte sie sich. Giftschlangen kamen bei Trockenheit oft heraus. Aber die Stromleitung? Die hatte jemand absichtlich durchschnitten. Und diesem Jemand war es offensichtlich egal, dass sie hier mit einem kleinen Kind lebte. Zac war gerade gelandet, als der Strom ausfiel. Er konnte es also nicht gewesen sein. „Ich finde den Übeltäter, Rachel“, Zacs Gesicht war steinern. „Bevor er dich direkt angreift. Oder meinen Sohn.“ Meinen Sohn! Ihr wurden die Knie weich. Jetzt ist es also raus, dachte sie fast erleichtert. „Bitte sag Mikey nichts“, bat sie. „Noch nicht.“ Er drückte beruhigend ihren Arm. „Natürlich nicht. Erst wenn die richtige Zeit dafür gekommen ist.“ Er erklärte nicht, wieso er sich sicher war, Mikeys Vater zu sein. Vielleicht kannte er Adrian besser, als sie ihn gekannt hatte. Schließlich waren die beiden eineiige Zwillinge. „Du hättest doch etwas sagen, dich mir anvertrauen können, Rachel“, sagte er leicht vorwurfsvoll. „Nach dem, was du…“ Beschämt schwieg Rachel, als ihr einfiel, dass Zac in jener Nacht durchaus versucht hatte, ihr zu sagen, wer er war, aber sie hatte nicht
zuhören wollen, hatte ihn mit ihren Küssen zum Schweigen gebracht, weil sie glaubte, Adrian könnte nach der langen Reise wieder keine Lust auf Sex haben und Müdigkeit vorschützen. Aber nicht nur, was zwischen ihnen geschehen war, machte es Rachel schwer, Zac zu vertrauen. Adrian hatte seinen Bruder immer als verantwortungslosen, egoistischen, lieblosen Menschen geschildert, und sie hatte seine Einschätzung ungefragt übernommen. So jemandem vertraute man sich nicht an! „Nach dem, was du meinem Bruder in jener Nacht angetan hast?“ beendete Zac den Satz für sie. „Ich dachte, ich hätte dir die Gründe geschildert, dir erklärt, dass ich noch nie so die Kontrolle verloren habe wie bei dir. Ich dachte, du hättest mir das inzwischen verziehen, schon wegen deines deutlichen… äh… Mitwirkens.“ Mitwirken, das war eine höflich Beschreibung dessen, wie sie sich ihm in jener Nacht förmlich an den Hals geworfen hatte. Wie konnte sie es je vergessen? Ihre Gier, ihren Mangel an Vorsicht, die unbändige Lust, mit der sie Zacs Versuche, sich zurückzuhalten, vereitelt hatte. Sie war so ausgezehrt nach körperlicher Liebe gewesen, dass ihr nicht aufgefallen war, dass der Mann, den sie so stürmisch begrüßt hatte, ganz anders war als Adrian. Sie interpretierte seine ungekannte Leidenschaft als Sehnsucht. Immerhin war er damals fast zwei Wochen weg gewesen. Da war es doch nur natürlich, dass er sie vermisst hatte. Oder? Erst später hatte sie herausgefunden, dass Adrian selbst nach Wochen der Abwesenheit keine Lust auf seine Frau hatte. Dass der Mann, den sie da verführte, nicht ihr Ehemann war, begriff sie erst, als sie wieder bei Sinnen war und ihr Verstand die Worte realisierte, die Zac ihr anfangs zu verstehen geben wollte, bevor sie ihn mit ihren Küssen zum Schweigen brachte. Ich bin Zac, verstehst du… Danach hatte sie ihn beschimpft, um das Gefühl der Scham zu verdrängen. Aber sie hatten sich beide des Betrugs schuldig gemacht, waren beide verantwortlich. „Ich gebe dir nicht allein die Schuld, Zac, es ist eben passiert, wie du schon sagtest.“ „Vielleicht sollte es passieren. Vielleicht waren wir füreinander bestimmt.“ Ihr Herz machte einen Satz. Würde Zac vom Schicksal sprechen, wenn ihn nur sexuelle Lust trieb? „Siehst du das nicht ein bisschen melodramatisch? Du verlässt uns ja ohnehin bald wieder.“ „Nein, ich gehe auf keinen Fall, solange ich weiß, dass ihr beide, du und Mikey, in Gefahr schwebt. Ich werde so lange bleiben, wie ihr mich braucht. Ich kann euch helfen. Wir kämpfen zusammen, Rachel, gegen die Dürre und gegen diesen Saboteur, der dir so viele Probleme bereitet.“ Er strich zart über ihre Wange. Rachel hätte sich am liebsten an ihn geschmiegt. „Ich wünsche mir so, dass du willst, dass ich bleibe. So wie dein Körper es mir gezeigt hat…“ Rachel erschauerte unter der Liebkosung seiner Hände. „Aber dein Auftrag…“ „Wie ich dir bereits sagte, ich habe keinen festen Abgabetermin. Ich möchte dazu beitragen, Yarrah Downs wieder zum Laufen zu bringen. Dir nicht nur finanziell, sondern auch praktisch helfen. Ich wünsche mir, dass wir uns alle besser kennen lernen. Und möchte dir zeigen, dass du dich auf mich verlassen kannst.“ Als sie ihm widersprechen wollte, schloss Zac ihre Lippen mit den Fingern. „Ich bin wohlhabend, Rachel, ich kann es mir leisten, meine Familie zu unterstützen. Wir werden neue Wasserlöcher bauen, dann gedeiht die Herde besser. Ich kann mit dem Flugzeug die Rinder zusammentreiben, Weidezäune überprüfen und dafür sorgen, dass der Besitz gesichert ist. Außerdem werde ich diesen Vandalen erwischen, der dir das Leben schwer macht.“
Seine Augen blitzten entschlossen. „Und der alte Bazza ist genau der Richtige,
uns zu helfen. Wir brauchen jemanden, der tagsüber auf Mikey und dich aufpasst
und auf alles Verdächtige achtet, wenn ich weg bin.“
Rachel musste noch immer daran denken, dass Zac gesagt hatte, er würde
bleiben! Und von seiner Familie gesprochen hatte. So als seien sie drei eine
Familie! „Vielleicht tut Bazza uns das alles an“, gab sie zu bedenken. „Wenn
Adrian ihn vertrieben hat, könnte es eine Art Rache sein.“
„Nein, Bazza ist eine viel zu gute Seele. Außerdem ist sein Motorrad kaputt, er
kann sich also keinen Fleck aus seiner Hütte rühren. Nicht zu vergessen sein
kaputtes Bein, das ihm jeden Schritt erschwert. Aber wenn wir schon von
Verdacht sprechen: Bist du sicher, dass Vince und Joanne letzte Nacht wirklich in
Ten Mile übernachtet haben?“
„Soweit ich weiß, ja. Und Danny war über Nacht in Brisbane bei seinen Eltern.
Der kommt frühestens gegen Mittag zurück.“ Sie schaute auf die Uhr. „Vince und
Joanne sollten eigentlich schon zurück sein, Jo wollte mir beim Kochen helfen.“
„Kann ich das nicht tun?“
„Ich denke, du erwartest einen Besucher?“
„Ja, aber bis er da ist, kann ich dir helfen.“
Von draußen ertönte Motorengeräusch. „Ah, wenn man von Besuch spricht…
Komm mit, Rachel, ich will dir was zeigen.“
Sie folgte ihm nach draußen und sah einen cremefarbenen Van mit einem
Pferdetransporter vorfahren.
„Mommy, sieh mal!“ rief Mikey, der vom Garten aus auf den Transporter
zugelaufen kam, „ich glaube, Grandpa schenkt mir ein Pferd zum Geburtstag!“
Rachel war sprachlos. Wieso sollte ihr Vater Mikey ein Pferd schenken, wenn er
wollte, dass sie Yarrah Downs verließen?
„Das ist mein Geburtstagsgeschenk für dich, Mikey“, erklärte Zac. „Ein Pony für
dich allein, von deinem Onkel Zac.“
„Du hast Mikey ein Pferd gekauft?“ fragte Rachel und konnte ihr Erstaunen kaum
verbergen.
„Kein Pferd, sondern ein Pony. Gerade die richtige Größe für einen Vierjährigen.“
Er ging nach vorn, um beim Ausladen zu helfen.
Mikey hüpfte auf und ab. „Ein eigenes Pony, wow!“
Rachel sah zu, wie sie das Pony aus dem Transporter führten. Es war ein
hübsches schwarzweißes Tier mit einem freundlichen Gesicht und warmen
braunen Augen. Wie um alles in der Welt hatte Zac es geschafft, es in so kurzer
Zeit zu finden?
War er deshalb gestern nach Rockhampton geflogen? Dort gab es
Pferdeauktionen und Ponyhöfe. Wenn Zac einen Entschluss fasste, fackelte er
offenbar nicht lange.
„Es sieht toll aus!“ schrie Mikey begeistert. Der Kleine schien außer sich vor
Freude.
Zac legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Es heißt Rocky und gehörte
einem anderen Jungen, der jetzt zu groß dafür ist. Rocky hat es immer gut
gehabt, deshalb muss man sich auch liebevoll um ihn kümmern.“
„Mach ich“, versprach Mikey. „Hallo, Rocky, hallo, mein Freund, ich bin Mikey,
und ich pass ganz doll gut auf dich auf. Wow, ein eigenes Pony!“
„Du kannst ihn auf die Übungsweide bringen“, sagte Rachel. „Vielleicht möchte er
erst mal in deiner Nähe bleiben, bevor wir ihn zu den anderen Pferden bringen.
Jedenfalls so lange, bis er sich an dich und sein neues Zuhause gewöhnt hat.“
„Komm, Mikey, wir zwei Männer kümmern uns jetzt um Rocky“, sagte Zac. „Und
deine Mommy geht wieder in die Küche und bereitet die Party vor.“ Er schaute
sich um und entdeckte Vince und Joanne, die gerade auf den Hof fuhren. „Ah, da
sind die beiden ja. Vielleicht kann uns Vince behilflich sein, das Pony auf die
Weide zu bringen.“ Er nahm Rockys Sattel in die Hand. „Und wenn das
Geburtstagskind möchte, kann es gleich mal eine Runde auf seinem neuen
Ponyfreund reiten.“
Mikey gab einen Jubelschrei von sich und hüpfte aufgeregt auf und ab. „Will ich!
Will ich, Onkel Zac!“
„Vielen Dank, Zac, das ist ein wunderschönes Geschenk.“ Rachel lächelte. Wie
lange würde er wohl noch so ein Interesse an seinem Sohn haben? Bis die
Probleme auf Yarrah Downs gelöst waren? Bis die Trockenheit vorüber war?
Danach würde er sich bestimmt wieder der Fotografie widmen. Und gelegentlich
unvermutet hereinschneien.
Oder würde er so lange bleiben, bis er seine Lust auf sie befriedigt hatte?
Rachel presste die Hand auf den Mund. Würde sie eine Affäre mit Zac überleben?
Wäre es nicht viel gescheiter, ihn sich gleich vom Leib zu halten?
6. KAPITEL Joanna stürmte herein. „Tut mir Leid, dass wir so spät kommen, aber wir haben
eine trächtige Kuh auf einer Weide entdeckt, die bei der Geburt Schwierigkeiten
hatte.“
Da es im Augenblick von schlechten Nachrichten nur so wimmelte, rechnete
Rachel schon mit der Mitteilung, sowohl die Kuh als auch das Kalb seien verloren.
Durch die Dürre waren die meisten Tiere sehr geschwächt, einige schon
eingegangen.
„Wir sind bei ihr geblieben, bis das Schlimmste vorbei war.“ Jo lächelte. „Keine
Sorge, sie hat ein gesundes Kälbchen geboren. Es geht den beiden gut.“ Sie
schaute zur Küchendecke. „Ist der Ventilator kaputt? Hier ist es zum Ersticken
heiß!“
„Ja, wir haben seit gestern Nacht keinen Strom. Jemand hat die Leitung
gekappt.“
„Du machst Scherze!“ Joanne war sichtlich entsetzt. „Erst der Brunnen, dann der
kaputte Zaun, jetzt das – irgendjemand muss hier herumschleichen, der nichts
Besseres zu tun hat, als Sachen kaputt zu machen. Jemand, der was gegen uns
hat!“
Rachel war dankbar für das „uns“. Joanne fühlte sich offenbar dazugehörig.
„Ich höre ein Flugzeug“, Joanne lauschte, „hört sich nach dem deines Vaters an.“
Na wunderbar, ihr Vater kam ja reichlich früh! „Ich gehe ihm besser entgegen“,
sagte Rachel. „Könntest du inzwischen die Brötchen aufschneiden und Butter
draufschmieren, Jo? Der Rest ist fast fertig.“
„Tatsächlich? Entschuldige, Rachel.“
„War ja nicht eure Schuld. Ich bin froh, dass ihr der Kuh geholfen habt.“
Sie ging nach draußen und entdeckte ihren Sohn, wie er bereits auf dem Pony
saß. In dem Sattel wirkte er rührend klein. Zac rief ihm Anweisungen zu. Buster
lief in respektvollem Abstand um das Pony herum, als müsse er aufpassen, dass
seinem jungen Herrn nichts passierte.
„Grandpa ist da!“ rief Mikey, als er seine Mutter entdeckte. „Darf ich zu ihm
reiten, Mommy?“
„Meinetwegen.“ Sie schaute Zac an. Wollte er mitgehen?
Wie würde ihr Vater reagieren, wenn er auf das Ebenbild ihres verstorbenen
Mannes traf? Hedley Barrington wusste nichts von Zacs Existenz. Nein, entschied
sie. Es war besser, ihren Vater erst mal auf Zac vorzubereiten, bevor er ihn dann
in ein paar Minuten ohnehin sehen würde.
„Zac“, bat sie daher, „könntest du vielleicht einen Tisch beim Grill aufstellen?
Und dich um die Getränke kümmern?“
„Klar. Mach ich.“
Rachels Vater, ein korpulenter Mann mit silberweißem Haar, war schon aus
seinem kleinen Jet gestiegen. Anders als andere wohlhabende Firmenchefs
bestand er darauf, immer selbst zu fliegen, ohne Kopilot oder Stewardess.
Rachel hob grüßend die Hand, als er ihr durch das bräunliche Gras entgegenkam,
mit einem wahrhaft riesigen Paket auf den kräftigen Armen.
Mikey, noch immer auf Rocky reitend, rief fröhlich: „Grandpa, ist das mein
Geburtstagsgeschenk?“
Hedley Barringtons Gesicht verklärte sich. So liebevoll sah er nur seinen Enkel an
– es war lange her, dass er Rachel so angeblickt hatte. „Ja, mein Junge, das ist es. Du kannst es später beim Mittagessen auspacken.“ Wo jeder Zeuge seiner Großzügigkeit sein würde. „Herzlichen Glückwunsch, Mikey. Guten Morgen, Rachel.“
„Hallo, Dad.“ „Sieh mal, Grandpa, ich hab ein Pony zum Geburtstag gekriegt!“ Hedleys Blick fiel auf das Pony. Sein Lächeln erlosch. „Du hast deinem Sohn ein Pony gekauft?“ fragte er Rachel ungläubig. „Einem Vierjährigen?“ Man sah ihm deutlich sein Missfallen an. Rachel war klar, dass ihr Vater nicht wollte, dass sein Enkel sich zu sehr an ein Pony gewöhnte. So etwas gehörte nicht in die Stadt! „Nein Grandpa, nicht Mommy hat mir Rocky gessenkt, sondern Onkel Zac!“ rief Mikey. „Onkel Zac? Habt ihr einen neuen Vorarbeiter, der Ponys verschenkt und so vertraut mit deinem Sohn ist, dass er ihn Onkel nennt?“ „Zac ist Mikeys Onkel, Dad“, sagte Rachel bemüht ruhig. „Er ist Adrians Zwillingsbruder, sein eineiiger Zwilling. Er ist bei uns, bis…“ „Ich wusste überhaupt nicht, dass Adrian einen Bruder hat, das hast du nie erwähnt! Ich habe weder einen bei der Hochzeit noch bei der Beerdigung gesehen!“ Rachels Wangen röteten sich. „Zac und Adrian… standen sich nicht sehr nahe. Zac lebt seit Jahren im Ausland. Er ist Tierfotograf. Sein letzter Auftrag führte ihn nach Zaire.“ „Und jetzt ist er zurück.“ Hedley überlegte. „Um den Familienbesitz zurückzufordern, nun da sein Bruder tot ist? Ich hoffe, du stehst ihm nicht im Weg, Rachel.“ „Er ist gekommen, um sein Beileid auszudrücken, nicht, um mich auszuzahlen.“ Wieso klang ihre Stimme nur so unsicher! Weil sie genau das befürchtete? Dass es Zacs wahres Ziel war, sein Interesse an ihr nur der Ablenkung diente, um ihren Widerstand zu brechen, damit sie zum Verkauf bereit war? Sie dachte an Zacs Küsse, seine Liebesschwüre, sein Interesse an Mikey und seufzte, weil sie ihre Zweifel nicht verstand. War es möglich, dass Zac, nun da er wusste, dass Mikey sein Sohn war, alles zusammen haben wollte: Sie, Mikey und Yarrah Downs? Nein, Zac Hammond wollte bestimmt nicht sesshaft werden. Alle anderen, aber nicht Zac Hammond! „Zac ist Fotograf, kein Rinderzüchter“, sagte Rachel so gelassen wie möglich. „Er hat allerdings angeboten, eine Weile hier zu bleiben, um uns zu helfen.“ Es konnte nicht schaden, wenn ihr Vater erführe, dass sie Unterstützung hatte. „Du brauchst Hilfe?“ fragte ihr Vater betont. „Du hast doch immer behauptet, du schaffst alles allein.“ „Das tue ich auch, aber…“ Nein, sie durfte ihrem Vater keinesfalls von den Sabotageakten berichten, das wäre nur Wasser auf seine Mühlen und würde ihm den perfekten Vorwand geben, sie zur Rückkehr nach Sydney zu bewegen. Er würde die Gefahr betonen, in der sein Enkel schwebte, womöglich sogar Zac verdächtigen, dass der hinter allem steckte, um sie einzuschüchtern. Aber der Schuldige war nicht Zac, das wusste sie so sicher, wie sie wusste, dass er der Vater ihres Sohnes war. „Dad, vielleicht gibst du Mikey besser doch jetzt sein Geschenk?“ Sie wollte seine Aufmerksamkeit auf seinen Enkel richten, der schon ungeduldig im Sattel herum wippte. „Er schaut schon die ganze Zeit auf das Paket. Spann ihn nicht so auf die Folter!“ Es funktionierte, Hedley sagte nichts mehr über Zac, sondern schaute zu, wie sein Enkel das glänzende Papier aufriss. „Ein Fahrrad, wow!“ Wow war im Augenblick offenbar Mikeys Lieblingswort. Der Großvater strahlte, als er sah, wie begeistert sein Enkel war. „Es hat
Stützräder, siehst du? Wenn du größer bist, lernst du, ohne sie zu fahren.“
„Das bringt mir bestimmt Onkel Zac bei“, sagte Mikey vertrauensvoll. „Das macht
er ganz schnell, dann brauche ich keine Stützräder.“
„Sei nur vorsichtig“, warnte sein Großvater. „Dein Onkel Zac scheint mir recht
verantwortungslos zu sein. Auf unberechenbaren Ponys und Fahrrädern ohne
Stützräder kann es zu schlimmen Unfällen kommen.“
Rachel fühlte sich plötzlich an Adrian erinnert. Wenn es nach ihm und ihrem
Vater gegangen wäre, hätten sie Mikey in Watte gepackt.
Man kann auch zu vorsichtig sein, hatte Zac gewarnt. Dann traut man sich gar
nichts mehr zu.
Plötzlich kam ein Motorrad angedonnert. Das Pony erschrak so sehr, dass es sich
beinahe losriss.
„Danny!“ Rachel machte ihm Zeichen, sofort anzuhalten. Als er abbremste,
wirbelte er eine Menge Staub auf. „Du erschreckst Mikeys neues Pony! Musst du
so stürmisch fahren?“
„Entschuldige, Rachel.“ Danny schob den Gesichtsschutz des Helmes hoch. „Es ist
ein weiter Weg von Brisbane, und ich wollte pünktlich zu Mikeys Geburtstagsfeier
da sein.“ Er grinste. „Tolles Fahrrad, Kleiner, herzlichen Glückwunsch!“
Er griff in die Hosentasche seiner fleckigen Jeans und förderte einen zerknüllten
Fünfzigdollarschein zutage. „Ich war in Brisbane ziemlich mit meinen… äh… Eltern
beschäftigt und hatte keine Zeit, dir ein Geschenk zu kaufen. Damit kannst du dir
selbst was aussuchen.“
„Oh, danke, Danny!“ Fünfzig Dollar waren ein Vermögen für Mikey.
Rachel konnte es nicht fassen, dass der junge Hilfsarbeiter so großzügig war. Sie
fragte sich, woher er das Geld hatte. So gut bezahlte sie ihn nicht. Vielleicht
hatten ihm seine wohlhabenden Eltern ausgeholfen.
Danny nickte ihrem Vater zu. „Nett, Sie wieder zu sehen, Mr. Barrington.“ Die
beiden hatten sich kennen gelernt, als ihr Vater sie mal unerwartet besucht
hatte, nachdem seine Anrufe bei Rachel nichts bewirkt hatten.
„Ich freue mich auch, dass wir uns mal wieder sehen, junger Mann“, sagte
Hedley freundlich. Dannys höfliches Benehmen und seine feine Herkunft trugen
wohl einiges dazu bei, dass ihr Vater dessen schmuddeliges Outfit und sein lautes
Motorrad entschuldigte.
„Na, dann gehe ich besser mal duschen“, sagte Danny. „Ich bin auf dem
Rückweg mit dem Bike in einer Schlammpfütze ausgerutscht.“
Eine Schlammpfütze? Rachel wunderte sich, dass es nach dem kurzen
nächtlichen Schauer irgendwo eine Schlammpfütze geben sollte, nachdem der
Boden so ausgetrocknet war. Immerhin erklärte das Dannys ungepflegten
Zustand.
Mit aufheulendem Motor fuhr er in einer Staubwolke davon.
„Okay, dann lass uns mal mit dem Grillen anfangen“, meinte sie.
Hoffentlich konnte ihr Vater sich wenigstens heute zusammennehmen und nicht
wieder davon anfangen, dass sie nach Sydney zurückkehren solle. Ob Zac dann
wohl ihre Partei ergreifen würde? Oder stand er auf Seite ihres Dads?
Die Begrüßung zwischen Zac und ihrem Vater fiel höflich zurückhaltend aus. Sie
standen alle um den großen Grill herum, als Mikey aufgeregt zu Zac gerannt
kam: „Schau mal, Onkel Zac, Grandpa hat mir ein richtiges Fahrrad gessenkt! Du
musst mir beibring', wie man ohne Stützräder fährt!“
Zac bewunderte das neue Rad. Nun holten auch Vince und Joanne ihre
Geschenke aus der Tasche.
Rachel reichte ihrem Dad währenddessen ein Bier. Er zog eigentlich Scotch vor,
aber Whisky konnte sie sich nicht leisten.
Mikey packte die schlichten Pakete von Vince und Joanne aus. „Wow!“ rief er begeistert, „eine eigene Peitsche! Vielen Dank, Vince!“ Die Peitsche war sorgfältig handgemacht, genau wie für einen Erwachsenen. „Hast du die etwa selbst gemacht, Vince?“ fragte Rachel bewundernd. Das musste ja Stunden gedauert haben! „Ja, aber natürlich!“ antwortete er nicht ohne Stolz. „Joanne hat dir auch was gemacht, Mikey.“ Der Junge gab erneut einen Jubelschrei von sich, als er Joannes Geschenk auspackte. Sie hatte ihm einen Bumerang geschnitzt und mit Symbolen der Ureinwohner bemalt. „Ein Bumerang, wow! Kannst du mir zeigen, wie man den wirft, Joanne?“ Die beiden Geschenke sind so liebevoll ausgesucht und haben viel Zeit in Anspruch genommen, dachte Rachel gerührt. Wenn ihr Vorarbeiter und seine Frau sie vertreiben wollten, hätten sie sich dann so viel Mühe gemacht? „Soll ich es dir gleich zeigen, Mikey?“ bot Joanne an. „Dann gehen wir besser ein bisschen weiter weg.“ „Oh, ja!“ jubelte der Kleine. Sie gingen ein wenig zur Seite. Joanne nahm den Bumerang, zielte und warf ihn mit aller Kraft in die Luft. Er flog davon, zog einen großen Bogen über dem Schuppen, kam in einer weiten Schleife zurück und landete zu ihren Füßen. Hedley runzelte die Stirn. „Damit muss man aber vorsichtig sein, das kann tödlich enden!“ „Nicht, wenn er richtig benutzt wird.“ Zac zwinkerte Rachel zu. War das seine Art ihr zu zeigen, dass er auf ihrer Seite war? Dass er ihren Vater nicht unterstützen würde, wenn er wieder davon anfing, sie und ihr Sohn hätten hier im Outback nichts verloren? Sie strahlte ihn an. Als er ihr Lächeln erwiderte, durchrann es sie wie warmer Honig. Wenn Zac doch nur hier bei ihnen bliebe! Er schien so ganz anders zu sein, als Adrian ihn geschildert hatte… „Soll ich den Grill anwerfen?“ fragte er schelmisch, als ginge es auch um ein anderes Feuer… Schnell verdrängte Rachel ihre lüsternen Gedanken. „Ja, bitte.“ Ein Geländewagen fuhr auf den Hof. „Ah, da kommen Amy und Joshua! Mikey“, rief sie in Richtung ihres Sohnes, „dein Freund Josh ist da!“ Ihre Freude war nicht ganz selbstlos: Amy und Josh würden sicher dazu beitragen, dass Rachel ihren Vater auf Distanz halten könnte. Je mehr Gäste kamen, desto weniger Zeit hatte sie, sich ihrem Vater zu widmen. Mikey lief den beiden entgegen, Rachel folgte ihm, begrüßte sie und stellte sie den anderen vor. Josh schenkte Mikey einen gelben Lastwagen, über den er sich sehr freute. Rachel nahm Kurs auf die Küche. „Ich hole mal eben das Essen.“ „Ich helfe dir“, bot Joanne an. „Ich auch“, Amy nahm einen Schluck von dem Drink, den Zac ihr gereicht hatte. „Nein, Amy, du bist gerade angekommen, bleib hier und trink erst etwas.“ „Ach was, den Drink nehme ich mit. Ich muss dir was erzählen.“ Ihre Augen leuchteten. Rachel vermutete, dass Amys Wunsch in Erfüllung gegangen war, wieder schwanger zu werden. „Ich hole mal das Fleisch“, erklärte Vince. „Hoffentlich ist es noch frisch. Ohne Strom taugt ja der beste Kühlschrank nichts.“ „Was habe ich da gehört?“ Hedley schaute finster drein. „Ihr habt keinen Strom? Keinen Kühlschrank, keine Gefriertruhe, keinen Ventilator – bei der Hitze?“ „Es kommt bald jemand, der es reparieren wird“, erklärte Rachel ruhig. „Nimm
doch dein Bier, und setz dich auf die Veranda in den Schatten, wenn es dir hier zu heiß ist, Dad.“ „Nein, ich bleibe hier und passe auf meinen Enkel auf.“ Rachel hatte keine Wahl, als ihn mit Zac und den beiden Jungen allein zu lassen. Natürlich war ihr klar, dass er Zac ausquetschen würde – und Danny und Vince genauso, bis er alles erfahren hatte, was in letzter Zeit hier passiert war. Nicht nur das mit dem Stromausfall, sondern auch das mit dem zerstörten Brunnen, dem zerschnittenen Weidezaun, dem toten Känguru. Nachdem die Frauen die Salate und die Geburtstagstorte auf den Verandatisch gestellt hatten, stiegen im Garten auch schon köstliche Düfte auf, von den Steaks, den Koteletts und den hausgemachten Würsten. Vince kümmerte sich um den Grill, während ihr Vater, der kleine Josh und Danny, der nun sauber gekleidet war, zusahen, wie Zac Mikey das Fahrradfahren beibrachte – ohne Stützräder. Ihr Vater sah nicht gerade glücklich darüber aus. Groß und breit und voller Anspannung stand er daneben, bereit einzugreifen, falls Mikey stürzte. Aber Zac passte gut auf und sorgte dafür, dass ihm nichts geschah. Rachel wusste inzwischen, dass sie Zac vertrauen konnte. Er half Mikey, selbstständig zu werden, lehrte ihn aber gleichzeitig, sich vorzusehen. Und der Kleine war begierig zu lernen. „Das Fleisch ist fertig!“ rief Vince schließlich. „Kommt ihr?“ Zac schaffte es irgendwie, Mikey von seinem Fahrrad loszueisen und ihn davon zu überzeugen, dass das Rad auch nach dem Essen noch da sein würde. Alle nahmen sich Teller, belegten es mit Fleisch und bedienten sich auf der Veranda mit Salat und knusprigem Brot. Einige aßen im Stehen, andere setzten sich. Rachel lief hin und her und sorgte für alle, schon um ihrem Vater aus dem Weg zu gehen, der seit einiger Zeit versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Sein Gesichtsausdruck war grimmig. Inzwischen hatte er sicher alles über die Schäden gehört, die es auf dem Hof gab, auch über den Wassermangel, das verbrauchte Heu, das geschwächte Vieh und vielleicht sogar über die Weigerung der Bank, Yarrah Downs einen weiteren Kredit zu gewähren. Auf dem Land behielt kaum einer ein Geheimnis für sich. Rachel ahnte, dass sie um ein Gespräch nicht herumkam. Und sie ahnte auch, wie ihr Vater argumentieren würde: Er würde an ihre Verantwortung gegenüber dem Jungen appellieren. Sydney schien ihm der einzige Ort zu sein, an dem ein Vierjähriger aufwachsen sollte. Andererseits konnte er sie nicht zwingen, zu verkaufen und wegzugehen! Sie musste nur stark bleiben! Vielleicht würde Zac ihren Vater davon überzeugen, dass er für längere Zeit blieb. Aber hatte er das wirklich vor?
7. KAPITEL „Könn' wir jetzt die Kerz'n anzünden, Mommy?“ Mikey wartete ungeduldig darauf, dass alle mit dem Essen fertig waren. Er wollte unbedingt die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte auspusten. „Ja, Schätzchen, komm her und stell dich hier hin. Alle mal herkommen!“ rief Rachel in die Runde. Dann sangen sie das Geburtstagslied. Zac holte seine Kamera und machte ein paar Bilder. Nachdem Mikey seine vier Kerzen ausgepustet hatte, durfte er die Torte anschneiden und dabei einen Wunsch äußern. Ohne zu zögern rief er: „Ich wünsche mir, dass Onkel Zac für immer und ewig bei uns bleibt!“ Nach einer verlegenen Pause klatschten alle, nur Rachels Vater nicht. Rachel nahm das Messer, begann die Torte in großzügige Stücke zu schneiden und jedem aufzulegen. Ob Zac sich nach Mikeys Äußerung wohl unbehaglich fühlte? Als sie den Kuchen verteilte, verkündete Mikey plötzlich: „Mommy hat heute eine große Schlange totgemacht. Die war bei uns an der Küchentür, beinah bin ich drauf getreten!“ Na, das würde ihren Vater natürlich freuen! Und siehe da: „Eine Schlange?“ fragte Hedley entsetzt. „Hier sind Schlangen im Garten, die meinen Enkel bedrohen?“ „Mommy hat sie mit einem Spaten tot gemacht“, sagte Mikey genussvoll. „Wumm, wumm!“ Er schlug durch die Luft. „Es war eine Mulga, die sind ganz doll gefährlich!“ Rachel schaute lieber nicht zu ihrem Vater. Kurz streifte ihr Blick Zac. Würde er es missbilligen, dass sie ein Tier getötet hatte? Aber nein, in seinem Blick lag etwas anderes – Überraschung? Anerkennung? „War nicht so schlimm“, sagte sie leichthin. „Wie Mikey schon sagte, ich bin damit fertig geworden. Im Busch muss man mit vielem fertig werden. Ich hole uns jetzt mal den Kaffee.“ Und damit verschwand sie in die Küche, bevor ihr Vater noch griesgrämiger werden konnte. In der Küche war es ohne Ventilator so heiß, dass ihr sofort Schweißperlen auf der Stirn standen. Wenn der Elektriker nicht bald auftauchte, würde alles, was im Gefrier und Kühlschrank war, verderben. „Kann ich dir was helfen?“ Zac stand in der Tür. „Mmh… ja, danke, Zac, du könntest den Kaffee herumreichen. Übrigens vielen Dank, dass du Fotos gemacht hast. Ich habe nur wenige Aufnahmen von Mikey, schon gar nicht welche, die ein Profi gemacht hat.“ Rachel hatte nur eine einfache Kamera, und Filme waren für sie derzeit Luxus. „Vielleicht willst du noch welche von dir und Mikey machen… bevor du fährst?“ Am liebsten hätte sie sich die Zunge abgebissen. Wieso tat sie das? Sie zwang ihn förmlich, einen Abreisetermin zu nennen, als rechnete sie fest damit. Oh, Zac, ich möchte genauso gern wie Mikey, dass du bleibst! Aber sie wollte unbedingt wissen, wie lange er noch bleiben würde. Damit sie sich schon jetzt auf den Abschied gefasst machen konnte. „Du vermisst doch sicher deine Arbeit, die Tiere, die Wildnis. Was sind eigentlich deine Lieblingstiere?“ Diese Frage war ihr gerade noch eingefallen. Ein guter Schachzug, um das Thema Abreise zu vermeiden, lobte sie sich im Stillen. „Meine Lieblingstiere?“ Er lächelte. „Im Augenblick Santa GertrudisRinder, Arbeitspferde und Hütehunde. Und ein niedliches schwarzweißes Pony.“ Rachel war gerührt. Aber sicher meinte er das nicht ernst. Ein so weit gereister Mann wie er hatte zu viel gesehen, um sich an den schlichten Tieren von hier zu
erfreuen. Amy kam mit einem Berg Geschirr in die Küche. „Rachel, das war sehr lecker!“ „Danke. Der Kaffee kommt gleich.“ Sie stellte gefüllte Tassen auf Tabletts, das Zac auf die Veranda hinaustrug. Die beiden Jungen waren zur Koppel gelaufen, um das neue Pony zu begutachten. Um zu verhindern, dass Hedley sie mit Beschlag belegte, blieb Rachel bei Amy stehen, und sprach mit ihr über dies und das. Als Hedley seine leere Tasse abstellte, hoffte sie, dass er wieder aufbrechen würde. Es war bereits später Nachmittag, und er würde, wie immer, vor Einbruch der Dunkelheit fliegen wollen. Außerdem hasste er es als schwer beschäftigter Mann, Zeit zu verschwenden. Und dieser Tag hier draußen im Outback war für ihn garantiert totale Zeitverschwendung. Vor allem, da Rachel es ihm bislang unmöglich gemacht hatte, sie mit dem alten Thema zu belästigen. Hedley schien jedoch noch nicht gehen zu wollen. Er wendete sich an Zac. „Ich hoffe, Sie werden meine Tochter dazu bringen, diese dürregeplagte, einsame Gegend zu verlassen“, sagte er so laut, dass alle es hörten. Na bestens, und sie hatte schon leise Hoffnung gehabt, um dieses Gespräch herumzukommen. „Eine fast ruinierte Rinderzuchtstation ist kein Ort für eine junge Witwe mit Kleinkind, besonders nicht, wenn sich ein Irrer herumtreibt und Giftschlangen meinen Enkel in Gefahr bringen. Das ist wirklich keine angemessene Umgebung!“ „Ich werde dafür sorgen, dass Ihrer Tochter und Ihrem Enkel nichts passiert, Mr. Barrington“, sagte Zac ruhig, aber bestimmt. Rachel war erleichtert. Zac war also auf ihrer Seite! Ihrem Vater war anzusehen, dass ihm Zacs Antwort überhaupt nicht gefiel. Offensichtlich hatte er gehofft, in ihm einen Verbündeten zu finden. Er schaute finster drein. „Sie ermutigen meine Tochter dazu, hier zu bleiben, obgleich sie in Gefahr schwebt?“ Das war der Ton, in dem er mit widerstrebenden Geschäftspartnern zu reden pflegte. „Ich glaube, Sie begreifen die Situation nicht recht. Es geht nicht nur um einen kaputten Brunnen oder ein paar Zäune, die repariert werden müssen. Meine Tochter hat hier draußen keine Familie, nur sich und ihren Sohn. Ohne Adrian ist das Leben im Outback für sie untragbar.“ Hedleys tiefe Stimme vibrierte förmlich. „Die beiden gehören zu mir nach Sydney. Ich kann für sie sorgen, ihnen Schutz bieten und alles, was sie wollen.“ Rachel sprang wütend auf. Aber ihr Vater fuhr ungerührt fort: „Ich brauche meine Tochter. Sie ist dafür ausgebildet worden, die Firma Barrington's zu leiten, und muss noch eingearbeitet werden, bevor… bevor es zu spät ist. Ich bin ein alter Mann mit Herzproblemen, der im letzten Jahr seine Frau verloren hat. Ich möchte, dass die Firma in guten Händen ist.“ Rachel rollte mit den Augen. Nun arbeitete er wieder mit der Mitleidstour, spielte den alten Mann, den einsamen Witwer, dem nicht mehr viel Zeit blieb. Er war vielleicht übergewichtig, aber von Herzproblemen hatte sie noch nie etwas gehört. „Meine Tochter sagte mir, Sie seien nur zu Besuch hier. Deshalb vermute ich, dass Sie nicht die Absicht haben, den Besitz zurückzukaufen… oder doch?“ Sein Blick war forschend. „Mit meiner Hilfe könnte Rachel Ihnen einen günstigen Preis nennen.“ Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Nur ihr Vater konnte so anmaßend, so unsensibel, so vermessen sein zu glauben, dass sie damit einverstanden wäre, Yarrah Downs mit Verlust zu verkaufen. Nur weil er reich genug war, sie zu unterstützen. Sie gab Zac keine Gelegenheit zu antworten. Zornig brach es aus ihr heraus: „Es reicht, Vater, es wird Zeit, dass du gehst, du verdirbst uns Mikeys Geburtstag.
Ich sagte dir schon mehrmals, dass ich nicht die Absicht habe, Yarrah Downs zu verkaufen! Ich werde nicht nach Sydney zurückkommen, basta! Du wirst jemand anders finden müssen, der die Firma übernimmt. Ich werde es nicht sein!“ Doch noch während sie das sagte, nagte der Zweifel wieder an ihr, ob sie es bei der anhaltenden Trockenheit und den Sabotageakten überhaupt schaffen würde, zu bleiben, selbst mit Zacs Unterstützung. Ihr Vater drehte sich im Schaukelstuhl zu Rachel um. „Falls es dir darum geht, Adrians Vermächtnis zu ehren, solltest du etwas wissen.“ Vince erhob sich und schob seinen Stuhl zurück. „Wir gehen besser an die Arbeit. Ich möchte nach dem Kalb sehen. Kommst du, Jo? Danny, das Tor zur Übungskoppel schließt nicht richtig, bringst du es bitte in Ordnung?“ Joanne stand ebenfalls auf. Danny folgte zögernd, als wollte er lieber den Familienzwist miterleben als zu arbeiten. Doch schließlich gingen die drei vom Hof. Amy meinte: „Auch für uns wird es Zeit. Ich greife mir Josh unterwegs. Vielen Dank, Rachel, es war sehr schön. Auf Wiedersehen!“ Sie ging die Verandastufen hinunter. „Soll ich ein Auge auf Mikey haben, wenn Josh jetzt weg ist?“ bot Zac an. „Ich könnte ihm noch eine Reitstunde geben.“ „Nein!“ sagte sie schnell, „ich möchte, dass du bleibst, Zac.“ Vielleicht würde sie bei dem, was ihr Vater zu sagen hatte, einen Zeugen benötigen. Oder moralische Unterstützung. Sie schaute ihren Vater zornig an. „Herzlichen Glückwunsch, Dad! Du hast Mikeys Fest verdorben. Halte dich doch einfach aus meinem Leben heraus!“ „Du willst also nicht die Wahrheit über deinen Mann hören?“ Die Wahrheit? Wovon sprach er? Am besten sollte sie einfach gehen, doch komischerweise fühlte sie sich plötzlich wie gelähmt. Immerhin war Zac noch da, der würde wissen, ob diese angekündigte Enthüllung über seinen Bruder zutraf oder nicht. Denn Rachel traute ihrem Vater nicht, keine Sekunde. Er wollte sie unbedingt von Yarrah Downs wegholen, dazu war ihm jedes Mittel recht. Sie stemmte die Hände in die Hüften. Angriff war die beste Verteidigung. „Du hast es Adrian nie verziehen, dass er dein Angebot, viel Geld zu bekommen, wenn er mich verlässt, nicht angenommen hat, nicht wahr?“ Das klang wie ausgespuckt. „Und weißt du was? Ich werde dir nie verzeihen, dass du etwas so Verachtenswertes überhaupt versucht hast!“ Zac erklärte sie: „Mein Vater versuchte, Adrian zu bestechen und ihn von der Ehe mit mir abzubringen. Er hat ihm eine Million Dollar geboten – eine Million! Kannst du dir das vorstellen? Nur damit er aus meinem Leben verschwindet! Adrian lehnte ab. Er wollte mich, nicht das dreckige Geld meines Vaters. Ich war so außer mir, dass ich erst nach der Geburt von Mikey wieder mit ihm sprach. Und auch das habe ich nur meiner Mutter zuliebe getan.“ Mit der war sie in Verbindung geblieben, wenn auch nur telefonisch. Ihre Mutter hatte, zumindest offiziell, immer zu ihrem Vater gehalten. „Du hättest es mir eines Tages gedankt, wenn Adrian mein Angebot angenommen und dich verlassen hätte.“ Hedley verscheuchte eine Fliege. „Dein Mann hat dir offenbar nie verraten, dass er und ich eine Abmachung hatten.“ Rachel stockte das Herz. „Was für eine Abmachung?“ Adrian hatte ihr von dem Bestechungsversuch erzählt, aber nie von etwas anderem. Hedley lächelte süffisant. „Adrian garantierte mir, dass du die Leitung von Barrington's übernehmen würdest, sobald ich in Pension ginge. Er wollte dafür sorgen, dass du nach Sydney zurückkommst, wenn die Zeit reif dafür sei. Er
schlug vor, dass, wenn eure Kinder groß genug fürs Internat wären, du ja immer am Wochenende nach Yarrah Downs zurückfliegen könntest. Das waren seine Worte.“ „Das glaube ich nicht!“ Rachel kochte vor Zorn. So etwas hätte Adrian doch nicht ohne ihre Zustimmung versprochen. Oder doch? Er hatte nichts dergleichen verlauten lassen. Außerdem wusste er ja, dass sie ihm nie ihre Zustimmung zu diesem seltsamen Deal gegeben hätte. Andererseits hatte Adrian sie oft gedrängt, sich mit ihrem Vater zu versöhnen, sie daran erinnert, wie traurig ihre Eltern waren, ihren Enkel kaum zu kennen, und sie dazu gebracht, wenigstens gelegentlich nach Sydney zu fliegen. Jetzt fragte sie sich, ob ihr Vater wohl das Ticket dafür bezahlt hatte. Sie schaute Zac fragend an. „Hältst du das für möglich?“ Der zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck war unlesbar. „Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Rachel, Adrian ist tot. Vielleicht gab er das Versprechen auch nur, um deinen Vater versöhnlich zu stimmen.“ Na ja, so gerade eben. Immerhin war er so versöhnlich, ab und zu seinen Enkel zu besuchen. Andererseits fühlte ihr Vater sich durch Adrians Versprechen bestätigt, ihr ständig und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu sagen, wie unpassend ein Leben im Outback für sie war. Wenn schon der eigene Ehemann nicht wirklich davon überzeugt war, dass sie hier draußen leben sollte… Rachel fragte sich allmählich, ob sie ihren Mann wirklich gekannt hatte. „Was immer du mit Adrian abgemacht hast, Dad, es hat nichts mit mir zu tun. Von eurem Deal wusste ich nichts, und er wird nie stattfinden.“ „Der Punkt ist doch“, ihr Vater ließ nicht locker, „dein eigener Ehemann war der Meinung, dass deine Zukunft in der Firma liegt. Er wollte dich dazu bringen, Barrington's zu übernehmen, sobald ich aufhöre. Nun, da er tot ist, hast du keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Auch Adrian erwartete nicht, dass du es tun würdest.“ Rachel empfand leise Übelkeit. Sie war nicht Adrians wegen geblieben, sondern weil sie das Land lieben gelernt hatte. Genau wie Mikey. Sie hatte kein Bedürfnis, in die Stadt zurückzugehen und schon gar nicht, den Konzern zu übernehmen! „Ihre Tochter möchte aber hier bleiben, Mr. Barrington“, mischte Zac sich ein. „Und sie muss nicht allein hier leben, ich bleibe ebenfalls hier.“ Hedley blickte ihn giftig an. „Dass meine Tochter so halsstarrig ist, habe ich also Ihnen zu verdanken? Sie lassen sie im Glauben, dass sie Ihre Unterstützung hat? Das ist ja sehr brüderlich. Aber für wie lange? Sie sind ein renommierter Tierfotograf. Was wollen Sie hier? Kängurus knipsen?“ Rachel wagte nicht, Zac anzuschauen. Sie hatte Angst, dass er ihrem Vater gestand, dass sein Engagement nicht nur brüderlich und dass Mikey sein Sohn war. „Ich habe nicht die Absicht, wieder wegzufahren“, erklärte Zac ruhig. Es war Rachel in diesem Moment egal, ob er das ernst meinte oder nicht. Hauptsache, er war in dieser leidigen Diskussion auf ihrer Seite. „Ich beabsichtige, Ihrer Tochter dabei zu helfen, denjenigen zu finden, der hier schweren Schaden anrichtet, und die Farm wieder auf Vordermann zu bringen.“ Ihr Vater lief rot an. „Haben Sie nicht gehört, was ich gerade über Ihren Bruder gesagt habe?“ fuhr er Zac an. „Adrian erwartete nicht, dass Rachel für alle Zeiten hier bleibt. Wieso fördern Sie also ihre Sturheit? Sie sollten sie dazu ermuntern, zu verkaufen, zumal Sie doch bestimmt wollen, dass Yarrah Downs in der HammondFamilie bleibt. Vince kann das Anwesen verwalten, wenn Sie weg sind. Außerdem können Sie es geschenkt haben, hören Sie, Sie bekommen es gratis!“ Geschenkt? „Was maßt Du Dir an, Vater!“ rief Rachel erbost. Sie hatte Angst,
dass Zac zustimmen würde, wenn man ihm den Besitz so auf dem Silberteller präsentierte. „Ich sagte dir doch schon, ich bleibe!“ wiederholte sie, „ob Zac nun hier ist oder nicht. Yarrah Downs ist mein Zuhause und das von Mikey, und nichts wird daran etwas ändern. Komm, Dad, ich begleite dich zu deiner Maschine, es wird Zeit für dich zu gehen.“ Zac erhob sich ebenfalls. „Ich sehe mal nach Mikey.“ Er sah Rachel aufmunternd an, und in seinem Blick lag etwas Herzerwärmendes. „Danke, Zac.“ Sie lächelte. Das Angebot ihres Vaters hätte sicher den Stärksten in Versuchung gebracht. „Gehen wir, Dad“, sagte sie kühl, „es ist schon spät.“ Sie würde ihm gestatten, sich unterwegs von Mikey zu verabschieden, aber dafür sorgen, dass es nicht lange dauerte. Er sollte seinen Enkel nicht mit Geschenken und Versprechen in die große Stadt locken können. Zac beobachtete, wie Rachel ihren Sohn fest an der Hand hielt, während ihr Vater in einer Haltung, die deutlich seinen Unmut spiegelte, zur Landebahn ging. Sie blieb dicht neben dem Jungen, bis die Maschine nur noch ein ferner Fleck am Himmel war. „Das war ein harter Tag für dich“, sagte Zac. Rachels Schultern entspannten sich. Mikey riss sich los, um den Bumerang zu holen, der im verbrannten Gras lag. „Sieh mal, wie ich ihn werfe, Onkel Zac, Jo hat mir gezeigt, wie man's macht. Aber ich kann es noch nicht so gut.“ „Dann mal los!“ Während der Kleine ein bisschen ungelenk den Bumerang in die Höhe warf, wandte Rachel sich an Zac. „Vielen Dank, dass du vorhin zu mir gehalten hast. Mein Vater kann ziemlich überzeugend sein, wie er mehrmals bewiesen hat. Ich bewunderte Adrian damals, weil er ihm widerstand und nicht auf den Bestechungsversuch reagierte. Himmel, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass er meinem Vater versprochen hatte, dass ich Barrington's übernehmen würde. Hinter meinem Rücken! Ich habe das Gefühl, ich kannte meinen eigenen Mann nicht.“ Zac hatte ebenfalls ein paar düstere Gedanken hinsichtlich seines Bruders, doch er sprach sie nicht aus. Rachels Kummer war so schon groß genug, und er wollte ihr nicht gleich alle Illusionen über ihren verstorbenen Gatten rauben. Adrian war tot, und seinen schäbigen Deal mit Barrington vergaß man besser. „Am besten denkst du nicht mehr daran“, meinte er daher. „Dein Vater kann viel behaupten, jetzt, da Adrian sich nicht mehr wehren kann. Du solltest dein Leben einfach weiterleben.“ „Das versuche ich ja.“ Sie sah so traurig aus, dass Zac sie am liebsten in die Arme genommen hätte. „Glaubst du wirklich, wir können Yarrah Downs retten?“ fragte sie bedrückt. „Selbst mit deinem Geld und deiner Hilfe kann man nichts gegen die Trockenheit machen. Und wenn wir es nicht schaffen, diesen üblen Kerl zu erwischen, der hier alles kaputt macht…“ „Den finden wir, Rachel. Ich denke übrigens, dass wir uns auf Vince und Joanne verlassen können. Sie haben mich, jeder für sich, davon überzeugt, dass sie die ganze Zeit in Ten Mile waren. Ich denke wirklich nicht, dass sie die Stromleitung gekappt haben.“ Rachel war froh. „Ich hätte es schrecklich gefunden, wenn es einer von ihnen gewesen wäre.“ „Und Danny war vergangene Nacht bei seinen Eltern in Brisbane – was wir vielleicht überprüfen sollten.“
„Aber warum. Danny hat doch keinerlei Grund, in die Sache verwickelt zu sein.
Was hätte er davon, wenn ich unser Land verließe? Er ist noch sehr jung und nur
hier, um zu lernen.“
Zac zuckte mit den Schultern. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Menschen
unberechenbar waren.
„Je schneller Bazza wieder hier ist, um auf euch aufzupassen, umso besser. Dann
brauche ich mir keine Sorgen zu machen, wenn ich weg bin.“
„Ich kann auch gut alleine auf Mikey aufpassen!“
In Rachels Blick entdeckte Zac die gleiche Entschlossenheit wie bei ihrem Vater.
„Ich weiß, dass du mutig bist, aber es kann nicht schaden, wenn wir vorsichtig
sind. Ich werde am besten gleich zu Bazza fahren, solange Danny noch mit der
Reparatur des Gatters beschäftigt ist. Kann ich deinen Geländewagen nehmen?“
Er strich sanft über ihre Wange – und stellte sich vor, wie es wäre, sie überall zu
streicheln… „Und du genießt jetzt endlich den Geburtstag unseres Sohnes!“
8. KAPITEL Trotz der drückenden Hitze schlief Mikey sofort ein, sobald er im Bett lag. Nach dem anstrengenden Tag war er todmüde. Rachel ging es ähnlich. Der Besuch ihres Vaters hatte sie restlos ausgelaugt, doch sie wollte unbedingt auf Zac warten. Er hatte ihr heute zur Seite gestanden und dieses infame Kaufangebot ihres Vaters bravourös abgeschmettert. Wie kam ihr Vater überhaupt auf den Gedanken, er könne eine Farm verschenken, die ihm noch nicht mal gehörte! Es war typisch: Alles, was mit ihr zusammenhing, betrachtete er unmittelbar als seinen Besitz. Adrian hatte damals zwar auch auf das Geld verzichtet, aber sein Widerstand war offensichtlich an Bedingungen geknüpft gewesen. Rachel wollte gern glauben, dass er diese Abmachung nur eingegangen war, um eine dauernde Entzweiung zwischen Vater und Tochter zu verhindern. Aber wenn es nicht so gewesen war, war ihre gesamte Ehe auf Täuschung und Lüge gebaut gewesen. Eins wurde ihr jedenfalls immer klarer: Die beiden Brüder, so ähnlich sie sich auch sahen, waren charakterlich völlig unterschiedlich. Zac war ganz anders war, als sein Bruder ihn immer beschrieben hatte. Er hatte bewiesen, dass er rücksichtsvoll und zuverlässig war. Und dass er ein großes Herz hatte. Komm bald heim, Zac! betete sie. Sie wollte ihm endlich sagen, wie froh sie über seine Anwesenheit war. Als es dämmerte, zündete sie Kerzen an, ging auf die weinumrankte Veranda, wo noch die bunten Luftballons von der Geburtstagsparty hingen, und sank in den Schaukelstuhl. Buster kuschelte sich an ihre Füße. Obgleich der Herbst nahte, regte sich kein Lüftchen. Als Rachel plötzlich eine Männerstimme hörte, horchte sie auf. „Wer ist da?“ rief sie, „bist du das, Vince?“ Sie entdeckte Danny im Schatten des Hauses, er hatte sein Funktelefon am Ohr. „Ja, gut… wir sprechen uns später.“ Er näherte sich. „Entschuldige, Rachel, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nur gerade meine Mom angerufen, um mich für den schönen Abend zu bedanken, und im Freien ist der Empfang besser.“ Er rieb sich die Stirn. „Ich habe seit Tagen Kopfschmerzen, werde wohl ein paar Aspirin nehmen und schlafen gehen.“ „Du Armer! Wenn es morgen nicht besser ist, solltest du Amys Mann konsultieren.“ „Ja, mache ich, danke.“ Rachel seufzte, als Danny in Richtung der Gemeinschaftsunterkunft verschwand. Wenn er morgen tatsächlich zu Amys Mann nach Roma müsste, könnte er wieder nicht arbeiten! Ob Zac es wohl ehrlich gemeint hatte, als er ihrem Vater sagte, er wolle in Yarrah Downs bleiben? Oder hatte er das nur gesagt, um den alten Mann zu besänftigen? Sie atmete laut aus. Zac konnte ja gar nicht bleiben, er hatte Aufträge in der ganzen Welt. Als sie Motorengeräusch vernahm, klopfte ihr das Herz. Zac war zurück! Sie lief in den Hof. Noch bevor sie das staubbedeckte Fahrzeug erreicht hatte, war Zac ausgestiegen. Er öffnete die Beifahrertür. „Rachel, darf ich dir meinen alten Freund Bazza vorstellen? Nun ist er wieder da, wo er hingehört.“ Ein kleiner alter Mann mit wirren grauen Haaren und eisgrauem Bart stieg aus. „Ich freue mich sehr, dass du zurückgekommen bist, Bazza. Können wir uns
duzen? Ich bin Rachel.“
Bazza schaute sie skeptisch an. Sie war die Witwe des Mannes, der ihn
weggeschickt hatte.
Rachel sagte freundlich: „Ich kann mich nur für das entschuldigen, was passiert
ist, Bazza, das war ein schlimmes Missverständnis. Das hier ist dein Zuhause,
und niemand wird dich je wieder wegschicken.“ Ihr Gefühl sagte ihr, dass Zacs
Urteil richtig war, nicht das von Adrian. Der Vater der beiden Brüder hatte Bazza
lebenslanges Wohnrecht garantiert. Und sie würde sein Versprechen einlösen.
„Ich habe dir ein Zimmer im Gemeinschaftshaus hergerichtet“, sagte sie. „Unser
Hilfsarbeiter Danny wohnt auch dort. Ich hoffe, es ist okay, wenn ihr euch Küche
und Bad teilt.“
Bazza grummelte: „Nur keine Umstände, Mrs. Hammond.“
„Bitte nenn mich Rachel“, sagte sie.
„Bazza stellt keine Ansprüche. Wir beide haben schon oft zusammen im Freien
übernachtet. Keine Sorge, Baz, hier gibt es keinen Luxus. Im Moment nicht mal
Strom, wie ich dir sagte, kein Licht, keinen Ventilator, keinen Kühlschrank.“
„Ich habe eine Lampe, die mit Batterie arbeitet, in dein Zimmer gestellt, Bazza“,
sagte Rachel. „Und etwas zu essen, ein paar Konserven.“ Sie sah Zac resigniert
an. „Wie lange dauert es denn noch, bis der Elektriker kommt?“
„Wenn wir Glück haben, ist er morgen da. Komm, Bazza, ich bringe dich in dein
Zimmer und mach dich mit Danny bekannt: Dann kannst du schlafen gehen. Die
anderen lernst du morgen kennen. Wenn Mikey deinen Bart sieht, wird er dich für
den Weihnachtsmann halten“, lachte er.
Bazza schmunzelte, offenbar mochte er Kinder – ein beruhigender Gedanke für.
Rachel. Alte Leute fanden Kinder oft nervig, und Mikey konnte in der Tat recht
anstrengend sein.
„Wir sind froh, dass du wieder da bist, Bazza“, sagte sie, „also bis morgen.“
Sie überließ es Zac, sich um den alten Mann zu kümmern.
Zac bemerkte beim Weggehen, wie Rachel ihm zärtliche Blicke zuwarf. Würde
sich nun endlich erfüllen, wovon er seit langem träumte? Immerhin hatten sie
inzwischen ihre Missverständnisse bereinigt.
Er dachte an die Situation vor fünf Jahren, damals hatte Rachel ihn nicht so
liebevoll angesehen wie jetzt. Inzwischen gab es in ihrem Leben keinen Ehemann
mehr. Zudem wusste sie jetzt genau, wer er war.
Oder interpretierte er ihre Blicke falsch? War es vielleicht nur Dankbarkeit für
seine Unterstützung?
Als er mit diesen und ähnlichen Gedanken ein paar Minuten später zum Haus
zurückkam, stand Rachel auf der Veranda. Sie trug ein Trägertop und Shorts, ihr
goldblondes Haar lag offen auf den nackten Schultern. Ihr Anblick erregte Zac so
sehr, dass er einen Moment die Luft anhalten musste.
„Das Bier ist lauwarm, deshalb dachte ich, heißer Kaffee schmeckt besser.“
Sie wirkt ein bisschen unsicher, dachte Zac gerührt. Wie ein verliebter Teenager?
„Du hast auf mich gewartet?“ Wie schön sie im sanften Mondlicht aussah. „Du
musst doch todmüde sein.“ Du lieber Himmel, nun brachte er sie womöglich auf
die Idee, schlafen zu gehen!
„Jetzt nicht mehr.“ Sie näherte sich. Ihre Brüste hoben sich reizvoll unter dem
weichen Oberteil ab.
Aber so verführerisch Rachel auch war – Zac berührte sie nicht.
„Ich wollte dir noch einmal sagen, dass ich sehr froh bin, dass du hier bist, Zac.
Und auch, dass du Bazza zurückgebracht hast.“
Als sie mit der Hand über seine Wange strich, hätte er sie am liebsten in seine
Arme gerissen und noch hier auf der Veranda geliebt. Aber er wollte Rachel nicht
drängen. „Du bist ein guter Mensch, Zac… das weiß ich jetzt. Und ich kann mir niemanden vorstellen, der das anders sieht.“ Sie dachte offenbar an Adrian, der seinen Bruder bewusst schlecht gemacht hatte. War ihr endlich klar, dass ihr Ehemann gelogen hatte? Vertraute sie nun endlich dem ach so „verantwortungslosen“ Zwillingsbruder? „Danke, das bedeutet mir sehr viel, Rachel.“ Sie legte ihm lächelnd die Hand um den Hals. Er spürte ihre Brust an seiner, ihren Herzschlag – und ihm wurde ganz heiß. Oh ja, das fühlte sich gut an, herrlich, würde sie ihn jetzt verführen, so wie vor fünf Jahren? Nun, nicht ganz so wie vor fünf Jahren. Denn heute wollte sie ihn und nicht Adrian! Sie hob das Gesicht zu ihm auf, mit vollen einladenden Lippen, und sog seinen Blick förmlich in sich hinein. „Lass uns die Vergangenheit ein für alle Mal vergessen.“ Sein Herz wurde ganz leicht. Endlich vergab sie ihm also, was damals passiert war. Er konnte keine Sekunde länger warten und nahm sie in die Arme. Nicht so gierig und ungeduldig wie vor fünf Jahren, sondern behutsam und doch fordernd. Er senkte den Kopf, und ihre Lippen öffneten sich bereitwillig. Seine so ewig unterdrückte Lust drohte ihn fast zu übermannen. Am liebsten hätte er Rachel sofort genommen, mit heißer, gieriger Leidenschaft. Doch er wollte es anders machen diesmal, er wollte ihr zeigen, dass er auch zart und geduldig sein konnte, um jede Sekunde zu genießen. Er strich mit dem Mund über ihren, vertiefte ganz sanft die Küsse, und Rachel hatte das Gefühl, in Seligkeit zu ertrinken. Rachel war zumute, als würde sie sich auflösen. Diesmal zeigte Zac keinerlei Ungeduld, er schien ihr Vergnügen bereiten, ihre Lippen schmecken zu wollen, sich Zeit zu nehmen. Ach, er quälte sie lustvoll mit dem Versprechen dessen, was kommen würde. Wenn sie dieses Hinschmelzen, diese betäubenden Küsse überlebte… Als beide nach Luft rangen, schlang er einen Arm um ihre Taille und hob sie auf seine kraftvollen Arme. Von einem Mann wie Zac hatte sie immer geträumt – und sich dabei stets schuldig gefühlt. Nun waren ihre Träume endlich Wirklichkeit geworden. Nun lag sie in den Armen des Mannes, von dem sie so lange fantasiert hatte! Und da sie jetzt frei war, empfand sie keinerlei Schuld mehr. Der Gedanke ließ sie lustvoll aufstöhnen. Plötzlich rannte der Hund zur Verandatreppe und bellte aufgeregt. „Ruhig, Buster!“ Aber der Hund bellte weiter. Rachel schaute Zac alarmiert an. „Riechst du das auch?“ fragte er. Oh, nein! Bitte kein Buschfeuer! Sie roch den Rauch, und plötzlich wurde ihr ganz kalt. „Es ist ganz in der Nähe!“ rief sie. Zac ließ sie herunter. Da ihr von den Küssen noch schwindelig war, gaben ihre Beine fast unter ihr nach. Doch Zac hielt sie fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiederhatte. Sie spähten in die Dunkelheit. Nichts, keine Flammen, keinen Rauch. Aber plötzlich kam jemand aus Richtung der Gemeinschaftsunterkunft gelaufen, gefolgt von einer anderen Person. „Der Geräteschuppen brennt!“ Es war der alte Bazza, der trotz seines schlechten Fußes über den Hof gerannt kam, ein Bettlaken in den Händen. Hinter ihm stolperte Danny her, der einen verschlafenen Eindruck machte. Zac nahm Rachels Hand und eilte mit ihr die Verandastufen hinunter. Seitlich des Hauses konnten sie die Flammen sehen, die aus dem offenen Schuppen drangen.
Die Metallwände standen unberührt, aber im Inneren brannte es lichterloh. Ihr wurde die Kehle trocken. Der Trecker und der Pflug. Wertvolle Landmaschinen! Bazza schlug mit dem Laken auf die Flammen, während Danny den Feuerlöscher von der Wand riss und Schaum auf einen Stapel Ersatzreifen sprühte. Bazza versuchte, den Trecker in Sicherheit zu bringen, als das Feuer einen der dicken Reifen erreichte. Rachel schrie nach Vince und Joanne, während sie zusammen mit Zac alles, was sie greifen konnten, ins Freie warf, während Danny nach ein paar Sekunden auch die restlichen Flammenzungen mit Schaum erstickt hatte. Atemlos sahen sie sich in der Scheune um. Dank Bazzas Aufmerksamkeit und seinem beherzten Eingreifen hatten sie den Brand rechtzeitig bemerkt, so dass kein größerer Schaden entstanden war. „Sieht aus, als hätte es bei den Reifen angefangen“, meinte Zac. „Und das hier könnte die Ursache sein.“ Er untersuchte einen Kanister Dieselöl in der Nähe und runzelte die Stirn. „Da ist ein Loch drin, das Öl scheint ausgelaufen zu sein.“ Er beugte sich über den Stapel verbrannter Reifen. „Und hier hat offenbar eine Kerze gestanden. Das Öl hat sie erreicht und schließlich die Reifen in Brand gesetzt.“ Er warf einen Blick in die Runde. „Wer zum Teufel zündet hier drinnen eine Kerze an?“ Schweigen. „Es muss ja keiner von uns gewesen sein“, sagte Danny empört. „Vielleicht war es derjenige, der die Stromleitung gekappt und den Brunnen zerstört hat. Er könnte sich hier reingeschlichen haben, als wir schon im Bett waren.“ „Ja, das war vermutlich derselbe Kerl“, meinte Vince, der im Schlafanzug in der Scheune stand. „Jedenfalls waren es weder Joanne noch ich.“ Er warf einen misstrauischen Blick auf Bazza. „Soll ich das Fahrrad nehmen und nachschauen?“ bot Danny an. „Vielleicht ist der Kerl noch in der Nähe auf dem Weg zu einem Pferd oder einem Wagen.“ Er rieb sich die Stirn. „Dieses verdammte Kopfweh kommt wieder!“ „Geh nur wieder zu Bett, Danny“, riet Rachel. „Wer immer das gemacht hat, er ist längst über alle Berge.“ „Ich nehme den Jeep und schaue mich um“, sagte Zac. „Vince, du und Jo, ihr könntet den Hof absuchen. Rachel, du bleibst bei Mikey im Haus. Ich denke, du solltest schlafen gehen, nach diesem Tag.“ Sie seufzte. Das hieß natürlich, sie sollte nicht auf ihn warten. Der Moment für eine zärtliche Begegnung war vergangen. Sein Blick sagte allerdings, dass er es nicht vergessen hatte. Und dass es eine andere Gelegenheit geben würde. Dieser Unbekannte verdarb ihr wirklich alles! Bedrohte sie und ihr Haus und die Menschen darin. Wer konnte es nur sein?
9. KAPITEL Als Zac am nächsten Morgen in die Küche kam, gab sein Lächeln Rachel gleich wieder Auftrieb. In seinen Augen konnte sie lesen, dass auch er ihre Küsse nicht vergessen hatte. Und sich auf mehr freute… Doch nach dem Frühstück war die Realität wieder da. Und die sah eben gar nicht rosig aus momentan. Mit grimmiger Entschlossenheit erhob sich Zac vom Tisch: „Wir werden diesem verdammten Mistk…“, er schaute zu Mikey, „diesem Tunichtgut das Handwerk legen. Ich darf gar nicht daran denken, wenn das Feuer sich ausgebreitet hätte…“ Rachel erschauerte. Ja, wenn es das Haus erreicht hätte und Mikey… „Aber Gott sei Dank haben wir das Feuer rechtzeitig bemerkt“, erwiderte sie. „Wenn der Kerl es auf uns abgesehen hätte, hätte er das Haus angezündet, nicht den Schuppen. Ich glaube mittlerweile immer fester, dass es jemand ist, der mir Angst einjagen will, damit ich Yarrah Downs verkaufe.“ „Ja, aber er schafft es nicht, oder? Du verkaufst nicht!“ sagte Zac. In seinem Blick lagen Bewunderung, Zärtlichkeit und Besorgnis. „Es könnte ihn jedoch dazu bringen, noch drastischer vorzugehen!“ „Du hast gestern keine Hinweise mehr entdeckt, oder?“ „Nein, gar nichts. Auch Vince hat nichts gefunden, obwohl er den gesamten Hof absuchte. Aber falls er derjenige ist…“ Er hielt inne. „Hey, Mikey, hol doch mal deine neue Peitsche. Ich wüsste jemanden, der dir beibringt, wie man richtig damit knallt.“ „Du meinst dich, Onkel Zac?“ „Nein, nicht mich, aber einen alten Freund, der jetzt wieder hier wohnt. Er heißt Bazza und sieht aus wie der Weihnachtsmann.“ „Wirklich? Ich hole sie!“ Mikey stürmte zur Küchentür hinaus. Rachel sah Zac beunruhigt an. „Verdächtigst du Vince?“ „Nicht wirklich, aber man weiß ja nie. Ich habe ihn und Joanne übrigens losgeschickt, um ein schlammiges Wasserloch einzuzäunen, das ich gestern von der Luft aus entdeckte. Nicht, dass Kühe dort hineingeraten und stecken bleiben.“ „Ja, die werden jeden Tag schwächer“, sagte Rachel. Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Die neuen Brunnen werden vieles verbessern“, tröstete er. Seine Worte waren ebenso beruhigend wie seine Berührung. „Ich nehme noch mal das Flugzeug und überprüfe von oben, ob alles in Ordnung ist. Da kann ich dann gleichzeitig ein Auge auf Vince und Joanne werfen und auf die Jungs, die den neuen Brunnen bohren. Ich bin eine Weile weg.“ „Danke.“ Rachel schaffte es zu lächeln. Ob er ahnte, wie viel seine Hilfe ihr bedeutete? Eine Sekunde lang verfingen sich ihre Blicke. „Ich sage Bazza, er soll auf Mikey aufpassen, wenn ich weg bin und du beschäftigt bist. Bleibt bitte aber immer in der Nähe des Hauses.“ „Okay. Ich muss hier dringend ein bisschen putzen und Wäsche waschen. Sei du bitte auch vorsichtig, Zac…“ Sie legte die Hand auf seine. Wenn ihm etwas passierte, nicht auszudenken! Er gab ihr einen leichten Kuss. „Danny hat mir vorhin gesagt, er habe nachher einen Arzttermin in Roma.“ „Das ist gut. Er muss sich unbedingt wegen seiner Kopfschmerzen untersuchen lassen. Gut, wenigstens ist Bazza da.“ „Ja, auf den Alten ist Verlass.“ „Ich mag ihn. Er scheint ehrlich zu sein und Kinder zu mögen. Mach dir keine
Sorgen, uns passiert schon nichts. Pass du nur auf dich selbst auf!“
Ein Lächeln verschönte sein braun gebranntes Gesicht. „Ich habe jetzt ja auch
allen Grund, keine unnötigen Risiken mehr einzugehen“, er schaute Rachel
bedeutungsvoll an, „zumindest hoffe ich es.“
„Den Grund hast du“, bestätigte sie, und ihr Blick verschleierte sich. Diesmal gab
sie ihm einen Kuss, und der war weitaus intensiver als seiner.
Als Mikey mit der Peitsche hereinstürmte, stutzte er. Er hatte noch nie gesehen,
dass seine Mutter seinen Onkel küsste. Der Junge strahlte: „Mommy, Onkel Zac
und du, heiratet ihr beiden?“
Rachels Wangen röteten sich. Hoffentlich verschreckte Zac das Wort „heiraten“
nicht!
Adrians Worte kamen ihr in den Sinn. Mein Bruder ist nicht der sesshafte Typ. Er
wird nie jemanden genug lieben, um eine Familie zu gründen. Er interessiert sich
nur für sich selbst und seine kostbaren Wildtiere.
Sie fasste sich wieder und sagte zu ihrem Sohn: „Ich habe Onkel Zac nur zum
Abschied geküsst, da er eine Weile weg sein wird.“ Sie schob die beiden zur
Küchentür. „Es wird Zeit, dass ich mit der Arbeit beginne. Zac bringt dich zu
Bazza, Mikey.“
Kurz darauf hörte sie, wie die Cessna abhob.
Am späten Vormittag hängte Rachel gerade Wäsche auf, als Buster anschlug –
wenn auch nicht so aufgeregt wie am Vorabend.
Als sie nachschauen ging, entdeckte sie, dass der Hund an einen Pfahl gebunden
war. Danny saß in der Nähe auf dem Motorrad und hatte das Funktelefon am
Ohr.
„Du bist noch da, Danny?“
Er brach das Gespräch sofort ab und erklärte: „Ich hab meiner Mutter gerade von
diesem verdammten Kopfweh erzählt und dass ich zum Arzt will. Bazza und
Mikey spielen Verstecken.“ Er wies über den Hof. „Deshalb ist Buster
angebunden, er stört nur dabei. Ich mochte nicht mitspielen, danach war mir
nicht.“
„Armer Danny, ich hoffe, Amys Mann kann dir helfen. Todd ist wirklich ein guter
Arzt. Vielleicht sind das ja Anzeichen von Migräne, und du brauchst stärkere
Tabletten.“
Danny zog ein klägliches Gesicht. „Tut mir Leid, Rachel, dass ich im Moment so
nutzlos bin.“
Rachel wunderte sich, er war nicht der Typ, der sich für etwas entschuldigte.
„Dafür kannst du ja nichts.“
„Bazza kümmert sich wirklich gut um den Jungen“, meinte er, „er wacht wie ein
Habicht über ihn. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Ja, das ist beruhigend, zumal ich im Moment so viel anderes zu tun habe. Also
dann, gute Besserung!“
Danny lächelte gequält.
Beim Saubermachen entdeckte Rachel in Zacs Zimmer seine verschmutzte
Reisetasche. Da sie so gut wie leer war, beschloss sie, sie ordentlich
auszuschütteln. In der Innentasche fand sie einen alten, zerknitterten Brief. Er
war von Adrian!
Hallo, Brüderchen, ich bin dabei, die Erbin der Kaufhauskette Barrington's zu heiraten – na, bist du neidisch? Wenn sie eines Tages erbt, kann ich für Yarrah Downs ein Vermögen ausgeben… Entsetzt sank Rachel auf die Bettkante. Da war von ihr die Rede. Aber nicht davon, dass Adrian verliebt war und heiraten wollte, sondern dass eine Erbin ihm Reichtum verschaffen würde! Ihr zitterten die Hände, aber sie zwang sich
weiterzulesen: Der Witz ist, dass Rachels Vater Hedley Barrington mir eine Million Dollar geboten hat – eine Million! –, damit ich aus dem Leben seiner Tochter verschwinde. Er will, dass sie einen heiratet, der eines Tages die Firma übernimmt, kein Landet wie mich. Aber ich habe abgelehnt. Sie erbt eines Tages viel mehr als das, dann kann ich in Queensland richtig mit der Rinderzucht loslegen… Rachel war zumute, als hätte ihr jemand ein Messer in die Brust gerammt. Adrian war also an nichts anderem als an ihrem Geld interessiert gewesen. Von wegen Liebe! Sie war nichts als Mittel zum Zweck gewesen. Mit klopfendem Herzen las sie weiter: Damit der Alte seine Tochter nicht enterbt, gab ich ihm das Versprechen, dass ich sie dazu bringe, eines Tages wieder nach Sydney zurückzugehen und Barrington's zu übernehmen. Wäre das schlimm? Nein! So lange ich Yarrah Downs und einen Haufen Geld habe, könnte ich schon damit leben, dass meine Frau nicht immer in der Nähe ist… Jetzt hatte sie es schwarz auf weiß. Adrian hatte ihrem Vater also wirklich dieses Versprechen gegeben, doch nicht aus familiären Gründen, sondern aus reinem Eigennutz. Plötzlich fand sie die Version ihres Vaters besser. Dass Adrian in den Deal eingeschlagen hatte, um ein weiteres Zerwürfnis zwischen Tochter und Sohn zu vermeiden. Doch dann war es Mikeys Geburt gewesen, die sie einander wieder näher gebracht hatte, zumindest kam ihr Vater gelegentlich nach Yarrah Downs. Falls Rachel sich gegen meine Abmachung mit ihrem Vater wehren sollte, macht das auch nichts. Irgendwann wird ihr Dad zu alt oder zu krank sein und genug Enkelkinder haben, um nicht mehr aufzubegehren und an Enterbung zu denken… Sie war schlicht fassungslos. Adrian hätte sogar seine eigenen Kinder benutzt? Und schämte sich nicht mal, das alles seinem Bruder zu gestehen. Vermutlich rechnete er damit, dass Zac nie wieder nach Hause kam. Missverstehe mich nicht, Rachel ist wunderbar und das schönste Mädchen, das ich je kennen gelernt habe. Ich war verliebt in sie, bevor ich wusste, wer sie war, und erfuhr erst später von ihrem Reichtum, als ihr Vater versuchte, mich zu bestechen. Du musst also nicht glauben, dass es mir nur ums Geld geht… Was für ein Trost! Rachel schnaubte kurz auf. Schweren Herzens las sie weiter: Da ihr Vater schon siebzig ist, wird es sicher nicht mehr lange dauern, bis ich
alles habe: Eine schöne Frau und ein Vermögen! Du tust mir Leid, Zac, aber
nichts für ungut. Wenn du magst, komm nächste Woche zu unserer Hochzeit –
obwohl ich es auch verstehe, wenn du es zeitlich nicht schaffst.
Herzliche Grüße, Adrian.
Der Brief war am Vortag der Trauung geschrieben worden, also viel zu spät, um noch so rechtzeitig bei Zac anzukommen, dass er etwas gegen die Hochzeit hätte unternehmen können. Adrian hatte seinen Bruder ganz offensichtlich nicht dabeihaben wollen – und Zac tat ihm den Gefallen, indem er sich jahrelang nicht hatte blicken lassen. Rachel schloss die Augen. Wie sehr hatte sie ihren Mann verkannt! Und dieser Brief war gleichzeitig der Beweis dafür, dass Zac wusste, dass sie eine reiche Erbin war. War er womöglich genauso berechnend wie Adrian? War er nur zurückgekommen, weil er etwas vom Kuchen abhaben wollte? Schließlich war er Adrians eineiiger Zwilling! Und glichen sich Zwillinge nicht auch im Charakter? Sie nahm nur halb wahr, dass Buster bellte und ein Flugzeug landete. Wahrscheinlich wusste Zac gar nichts mehr von dem Brief. Der hatte ja zerknüllt in der Seitentasche gesteckt. Er wäre sicher entsetzt, wenn er wüsste, dass sie ihn gelesen hatte, sonst hätte er ihr längst von den wahren Absichten seines
Bruders berichtet. Oder wollte er sie nicht darüber aufklären, weil er ähnliche Absichten hegte? Sie schob den Brief zurück und stellte die Tasche dorthin, wo sie vorher gestanden hatte. In ihren Augen brannten Tränen. Ob sie Zac noch trauen konnte? Seitdem er da war, glaubte sie, ihn besser zu kennen. Er wirkte wie ein liebevoller, ehrlicher, großherziger Mann und kein bisschen berechnend. Sie atmete tief durch. Wie bitte konnte sie Zac durchschauen, wenn sie nicht mal ihren eigenen Ehemann durchschaut hatte? Draußen rief jemand nach ihr, Busters Bellen wurde immer aufgeregter. Natürlich, das Flugzeug! Zac war offenbar wider Erwarten schon zurück. Wie sollte sie ihm jetzt gegenübertreten? Und… was war das für ein Lärm? Wieso schrie Bazza? Rachel rannte auf die Veranda. Der alte Mann war völlig außer Atem: „Mikey ist weg!“ brüllte er aufgebracht. Er wies auf das sich entfernende Flugzeug. „Der Typ da hat ihn entführt, es ging alles so schnell!“ Rachel gefror das Blut in den Adern. Nein, es war nicht Zac gewesen! Sie sah noch etwas Silbernes in Richtung Sydney verschwinden – das war der Firmenjet von Barrington's! „Mein Vater!“, konnte sie nur noch stammeln. Ihr Vater hatte Mikey entführt! Wieso hatte sie nicht das Motorengeräusch erkannt? Das lag nur an Adrians grässlichem Brief! „Ach so, der weißhaarige Mann war Mikeys Großvater?“ fragte Bazza hoffnungsvoll, bis er Rachels Zorn bemerkte. „Äh… er hatte sich wohl nicht angekündigt?“ „Nein, hatte er nicht! Oh, Bazza, ich hätte nie gedacht, dass mein Vater so weit gehen würde! Er hat Mikey gekidnappt!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. Bazza wirkte völlig zerknirscht. Zac hatte sich auf ihn verlassen! „Es ist meine Schuld!“ „Nein, ist es nicht“, Rachel berührte tröstend die Schulter des alten Mannes, „das ist die Schuld meines Vaters. Und meine! Ich hätte sofort hören müssen, dass es sein Jet war. Buster, hör endlich auf zu bellen. Das bringt jetzt auch nichts mehr!“ Sie lief die Treppen hinunter, um den Hund loszumachen, der sofort in Richtung Landebahn rannte. „Wenn Buster nicht angebunden gewesen wäre“, brummte Bazza, „wäre das nicht passiert!“ „Ich glaube nicht, dass Buster auf meinen Vater losgegangen wäre, er kennt ihn doch.“ Was würde er dem Jungen nun alles über die wunderbare Großstadt Sydney vorschwärmen? „Bazza, erzähl genau, was passiert ist. Hat mein Vater irgendwas gesagt? Oder Mikey?“ „Weiß ich nicht, ich war nicht nahe genug dran.“ Der Alte seufzte. „Wir spielten gerade Verstecken. Mikey sollte nur den Hof nicht verlassen. Ich zählte immer bis fünfzig, dann rannte er los. Diesmal sollte ich aber bis zweihundert zählen, weil er meinte, seine Beine seien zu kurz, er könnte bei fünfzig nicht weit genug laufen.“ Ganz Mikey, dachte Rachel. „Und weiter?“ Ihr Vater hatte garantiert einen wohldurchdachten Plan gehabt. Sie spürte, wie ihre Wut auf ihn immer größer wurde. Doch sie musste jetzt unbedingt einen kühlen Kopf bewahren. Oh Zac, ich brauche dich! Mikey braucht dich! Adrians Brief war nicht mehr wichtig, jetzt zählte nur noch der Kleine.
„Ich hörte das Flugzeug kommen, als ich Mikey gerade bei der Scheune suchte.
Ich lief zur Landbahn und rief nach ihm. Dann sah ich den silbernen Jet, aus dem
ein weißhaariger Mann ausstieg. Aber ich war noch ziemlich weit weg.“ Bazza
atmete stoßweise. „Plötzlich kam Mikey aus dem Schuppen, wo er sich versteckt
hatte, lief zu dem Mann, der packte ihn und schob ihn schnell in die Maschine.
Und die hob ab, bevor ich heran war.“
„Ist Danny schon weg?“ fragte Rachel.
„Ja, seit kurzem. Der wäre aber keine Hilfe gewesen.“ Bazza senkte den Kopf.
„Ich auch nicht. Dein Mann hatte Recht, ich bin nicht mehr zuverlässig. Zac wird
mich bestimmt wieder davonjagen.“
„Auf keinen Fall!“ Die Qual in der Stimme des alten Mannes war kaum zu
ertragen. „Immerhin wissen wir, wo Mikey ist. Mein Vater wird ihm nichts tun.“
Er würde nur ihr Kummer bereiten.
„Ach, Gott sei Dank!“ Sie hob den Kopf beim vertrauten Geräusch der Cessna.
„Das ist Zac“, rief sie erleichtert. Er würde wissen, wie sie Mikey wieder
zurückbekäme, ohne auf die Forderungen ihres Vaters einzugehen. Wäre er doch
nur früher da gewesen!
10. KAPITEL Zac setzte sanft auf der kleinen Landebahn auf. Er hatte jeden Zentimeter von Yarrah Downs abgeflogen, war tief über Büsche und Bäume geflogen, um alles zu überprüfen. Vince und Jo waren noch immer dabei, das sumpfige Wasserloch einzuzäunen, und die Arbeiter, die er angeheuert hatte, legten den neuen Brunnen an. Mit dem Vieh schien alles in Ordnung zu sein. Auf dem Rückweg hatte er auch noch den Elektriker entdeckt, der sich um die Stromleitung kümmerte. Heute schien ausnahmsweise mal alles glatt zu laufen! Als er den Motor ausstellte, sah er, wie Rachel über die ausgedörrte Wiese auf ihn zulief. Ihr blonder Zopf hatte sich gelöst. Hm, so ein Willkommen, dachte er entzückt. Vielleicht könnten sie Bazza bitten, sich noch eine weitere Stunde um Mikey zu kümmern? Er sprang aus der Maschine, bereit, Rachel aufzufangen. Doch ihr Gesichtsausdruck sagte ihm sofort, dass irgendetwas passiert war. „Was ist los? Ist etwas mit Mikey?“ Der Kleine war nirgends zu sehen, nur der alte Bazza kam hinter Rachel hergehumpelt. „Ist er verletzt? Was ist passiert?“ „Oh, Zac!“ schluchzte Rachel, „mein Vater hat Mikey entführt! Er kam her, als Mikey und Bazza gerade Verstecken spielten, hat ihn gepackt und ist mit ihm weggeflogen! Ich war im Haus, als es passierte.“ Ihre Augen waren dunkel vor Kummer. „Bazza kann nichts dafür, es ist alles meine Schuld. Ich habe die zwei zu lange allein gelassen! Ich hätte den Jet meines Vaters hören können!“ Zac spürte, wie heißer Zorn sich in ihm breit machte. Wenn er Hedley Barrington in die Finger bekommen sollte, dann… „Der Einzige, der Schuld hat, ist dein Vater, Rachel! Ein lebhaftes kleines Kind kann man nicht jede Sekunde überwachen.“ Er strich ihr über die Wange. „Wir bekommen ihn zurück, Rachel, du bist seine Mutter! Dein Vater hat keinerlei Rechte, und das weiß er.“ Das schien sie jedoch nicht sehr zu beruhigen. Wie gern hätte Zac sie in die Arme genommen… „Du kennst meinen Dad nicht“, ihre Lippen waren zusammengepresst, „er hat garantiert einen Plan, so wie immer!“ Ihre blauen Augen blickten entschlossen. „Aber damit kommt der Alte nicht durch! Ich rufe die Polizei. Komm, Zac, gehen wir ins Haus!“ Sie zog ihn mit sich. Bazza wirkte völlig fertig. „Man kann mir nicht mehr vertrauen, Zac, du bringst mich besser wieder in meine Hütte, da kann ich keinen Schaden anrichten.“ „Du gehst nirgendwohin, Bazza, wir brauchen dich hier.“ Zac berührte den Arm des Alten. „Und von Schuld will ich nichts hören, von keinem von euch beiden, verstanden? Wir müssen jetzt nur darüber nachdenken, wie wir Mikey zurückbekommen. Das ist das Wichtigst. Danny ist wohl schon nach Roma gefahren?“ „Ja.“ Auf dem Weg ins Haus sprach Zac einen Gedanken aus, der ihn beunruhigte: „Weißt du, es ist komisch, dein Vater landet in genau dem Augenblick hier, wenn ich unterwegs bin, du im Haus bist, Mikey sich vor Bazza versteckt und die anderen alle weg sind.“ „Was meinst du damit? Dass mein Vater über alle Bewegungen hier informiert war? Dass er hier einen Spion hat?“ „Vielleicht war es reiner Zufall, vielleicht hast ja sogar du ihn unwissentlich unterrichtet. Hat dein Vater heute Morgen bei dir angerufen?“ „Nein, aber vielleicht hat er gestern gesehen, dass Danny ein Handy besitzt, und ihn angerufen. Es ist bestimmt nicht schwierig, seine Nummer herauszufinden.
Bevor Danny wegfuhr, sah ich, dass er mit jemandem telefonierte. Er
behauptete, es sei seine Mutter gewesen. Wenn es mein Vater war, hätte er es
mir ja wohl gesagt, oder?“
„Vielleicht wollte er dich nicht beunruhigen.“ Zac überlegte. Er wollte Rachel nicht
mit vagen Vermutungen ängstigen, aber er würde mal ein bisschen
nachforschen.
Kaum waren sie im Haus, klingelte das Telefon. Rachel rannte los. „Das könnte
mein Vater sein! Vielleicht hat er es sich überlegt und bringt Mikey zurück.“
Zac war skeptisch. „Geh ran! Ich überprüfe inzwischen etwas mit Bazza.“
Der alte Mann schaute ihn unsicher an'.
„Tut mir so Leid, Zac, dass ich Mikey kurz aus den Augen gelassen hab, das hätte
ich nie…“
Er unterbrach ihn. „Kein Wort mehr, Bazza! Begleite mich lieber zur
Gemeinschaftsunterkunft, ich möchte mich dort mal umsehen.“
„Na klar, du kannst alles durchsuchen. Aber so ein tolles Funktelefon hab ich
nicht.“
„Ich bin nicht an deinem Zimmer interessiert, sondern an dem von Danny.“
Bazza runzelte die buschigen Augenbrauen. „Das wird Rachel aber gar nicht
gefallen. Danny sagt, sie betritt nie unsere Zimmer, das sei unser Privatbereich.“
„Bring mich nur hin, bevor Danny zurück ist.“ Und bevor Rachel ihn daran
hindern konnte. „Du stehst Wache, okay?“
„Mach ich, Zac.“
Rachel nahm den Hörer ab. „Ja?“
„Ah, Rachel, meine Liebe…“
„Sag mal, bist du verrückt geworden? Wo ist Mikey? Was hast du mit ihm
gemacht? Was willst du…“
„Nun beruhige dich erst mal! Mikey geht es gut. Er ist hier bei mir in der
Maschine und genießt den Flug.“ Hedley senkte die Stimme. „Dass es so weit
kommen musste, ist allein deine Schuld, Rachel, ich bin zutiefst wegen meines
Enkels beunruhigt. Tut mir Leid, dass ich so drastisch handeln muss, damit du
endlich Vernunft annimmst.“
„Vernunft? Du meinst, meinen Sohn zu entführen, hat etwas mit Vernunft zu
tun??“
„Ich habe ihn nicht gekidnappt, Rachel, sondern gerettet! In dieser einsamen,
wüstenähnlichen Gegend ist mein Enkel nicht in Sicherheit. Er lief dort allein
herum, und das, obwohl es überall Schlangen gibt! Niemand passte auf ihn auf.
Ich hätte sonst wer sein können, ein Krimineller! Ein echter Kidnapper! Das wird
sehr gegen dich sprechen, wenn ich das Sorgerecht beantrage.“
„Das Sorgerecht?? Du wagst es doch wohl nicht…“
„Du zwingst mich dazu, Rachel! Ich würde alles für die Sicherheit und das
Wohlergehen meines Enkels tun, und für dich – auch wenn du mir das nicht
glaubst. Siehst du nicht ein, dass das kein Zustand für meinen Enkel ist? Mit dir
allein in der trostlosen Wildnis, unter grauenhaften Lebensbedingungen und mit
einem Verrückten, der die Gegend unsicher macht?“
Rachel zitterte. Ihr Vater hatte viel Macht, war clever und unermesslich reich.
Konnte er ihr Mikey tatsächlich wegnehmen, oder bluffte er nur?
Zum Teufel, sie war schließlich auch eine Barrington und würde sich gegen ihn
wehren! „Du glaubst, du kannst mich damit, dass du Mikey entführst, erpressen,
wieder nach Sydney zu kommen? Vergiss es! Deine Drohungen schüchtern mich
nicht ein.“
Nein? Sie spürte schon das erstickende Netz ihres Vaters, das sich zuzog und sie
der Freiheit beraubte, die sie so liebte. Barrington wusste, dass sie für Mikey
alles tun würde, selbst wenn das bedeutete… Rachel erschauerte.
„Ich will dir keine Angst machen, mein Kind, es geht mir nur um die Sicherheit
meines Enkels. Er ist im Outback nicht sicher, genauso wenig, wie du es bist.“
„Es geht dir doch gar nicht um unsere Sicherheit, dir geht es nur um die Firma!
Glaubst du im Ernst, dass ich nach Sydney zurückkomme, wenn du mir drohst?“
Sie musste ihn davon überzeugen, dass er nicht gewinnen konnte, dass sie auf
keinen Fall klein beigeben würde!
„Es ist keine Drohung, Rachel, sondern ein Versprechen. Mit den Mitteln, die mir
zur Verfügung stehen, und den Anwälten, die ich mir leisten kann, wird es mir
ein Leichtes sein, zu beweisen, wie unangemessen und gefährlich euer Leben ist.
Es wird ein Klacks werden, das Sorgerecht zu erhalten.“
Er wartete einen Moment, bevor er hinzufügte: „Aber du hast die Wahl. Wenn du
diesen Schuppen endlich verkaufst und wieder dorthin gehst, wo du hingehörst,
verzichte ich auf das Sorgerecht.“
Rachel schloss die Augen. Das alles war doch absurd, sie wollte nichts mehr
hören! „Wohin bringst du Mikey? Zu dir nach Hause?“
„Zu uns nach Hause, Rachel“, korrigierte er. „Es ist auch dein Zuhause.“
„Nein, Vater, das ist lange her. Inzwischen habe ich geheiratet, und jetzt bin ich
Witwe. Ich habe ein neues Leben.“
„Eins, das am Zusammenbrechen ist. Wenn du zurückkommst, kaufe ich dir ein
schönes Haus, und Mikey wird die besten Schulen besuchen. Ihr werdet alles
haben, was ihr euch wünscht.“
Alles, nur keine Freiheit! In Rachel zog sich alles zusammen. Warum war Zac
jetzt nicht hier und brüllte ihrem Vater irgendwas in den Hörer!
Nein, das hier war ihr Kampf. Sie hatte Zac schon mit genug Problemen belastet,
sie musste auf eigenen Füßen stehen. Schließlich würde Zac nicht ewig bleiben.
„Ich werde die Polizei benachrichtigen!“ drohte sie. „Kidnapping ist ein
Verbrechen!“
„Glaubst du im Ernst, die Polizei geht gegen Hedley Barrington vor?“ höhnte er.
Er klang äußerst selbstbewusst.
„Denen erkläre ich, was ich dir schon sagte: Dass es um die Sicherheit meines
Enkels geht und dass ein Gericht entscheiden wird, was für Mikey das Beste ist.“
Rachel konnte kaum noch atmen.
Er fuhr fort: „Ich verstecke deinen Sohn ja nicht, ich mache kein Geheimnis
daraus, wohin ich ihn bringe. Ich sorge nur dafür, dass es ihm gut geht. Denn du
kannst das ja offensichtlich nicht!“
„Ich werde eine einstweilige Verfügung erwirken!“ Das Geld würde sie schon
irgendwie auftreiben. „Dann musst du Mikey zurückgeben.“
„Den Jungen händige ich nicht freiwillig aus, Rachel. Ich könnte die Medien
informieren, dass du deinem Kind bewusst ein gutes Leben vorenthältst und es
stattdessen in der Wildnis aufwachsen lässt. Willst du das, eine empörte
Öffentlichkeit? Die erfährt, dass du als Tochter von Hedley Barrington alles haben
kannst, es aber vorziehst, im Busch zu leben, ohne Strom, ständig in Gefahr,
belauert und bedroht zu werden? Wer hilft dir dann noch?“
Um Rachel drehte sich plötzlich alles. Wenn sie in dem Augenblick kein starker
Arm gehalten hätte, wäre sie gestürzt. Sie hatte nicht bemerkt, dass Zac
eingetreten war.
„Denk darüber nach, in Yarrah Downs könnt ihr jedenfalls nicht bleiben.
Abgesehen von den Gefahren ist das Leben dort eine Katastrophe, es wird Zeit,
dass du das endlich begreifst. Komm zurück, arbeite bei Barrington's, bis ich dir
die Leitung übergebe, dann hast du mein Versprechen, dass ich nicht um Mikeys
Sorgerecht kämpfe.“
Er machte eine Pause. „Und ich spreche erst mit den Anwälten, wenn ich deine
Antwort habe. Mach dir keine Sorgen um den Kleinen, dem geht es prächtig.
Sobald wir in Sydney sind, rufe ich dich wieder an.“
Nachdem er aufgelegt hatte, sank sie an Zacs Brust. Sie war außer Stande zu
sprechen.
Er drückte die Lippen in ihr Haar. „Ich hole ihn dir zurück“, versprach er. „Wenn
ein alter Mann wie dein Vater ihn vor unserer Nase entführen kann, schaffe ich es
ja wohl, ihn wieder zurückzubringen. Sag mir nur, wo der feine Mr. Barrington
wohnt. Den Rest erledige ich.“
„Oh, Zac.“ Wie war sie froh, dass sie ihn hatte. Er würde nicht herumsitzen und
warten, bis ihr Vater sich beruhigt hätte, sondern selbst etwas unternehmen.
„Das Haus meines Vaters ist eine wahre Festung. Hohe Gitter, Alarmanlage,
Wachhunde, Bodyguards. Garantiert hat er schon eine Kinderfrau angeheuert, die
jede Sekunde über Mikey wacht. Der arme Kleine. Ich weiß genau, wie das ist.
So bin ich schließlich aufgewachsen. Es ist ein goldener Käfig.“
Zac zog sie enger an sich. „Ich schaffe das schon. Ich bin schließlich schon an die
scheuesten Wildtiere herangekommen, ohne dass sie es bemerkten. Wenn ich
mich für eine kriminelle Karriere entschieden hätte, wäre ich sicher ein
geschickter Fassadenkletterer geworden.“
Sie blinzelte die Tränen weg. Ihre Liebe für ihn wurde immer stärker. „Zac, selbst
wenn du in sein Haus kämest und Mikey herausholen würdest, wäre das auf
Dauer keine Lösung. Mein Vater droht damit, das Sorgerecht zu beantragen,
wenn ich nicht nach Sydney zurückkomme.“
Zac schnaubte skeptisch.
„Glaub nicht, dass er das nicht ernst meint! Und er ist reich genug zu gewinnen,
wenn es auf eine Klage hinausläuft.“
„Du willst doch nicht etwa aufgeben? Du würdest eher wieder für ihn arbeiten, als
es auf eine Gerichtsverhandlung ankommen zu lassen? Du bist Mikeys Mutter,
eine liebevolle Mutter! Niemand kann dir deinen Sohn wegnehmen.“
„Woher nimmst du nur deinen Optimismus? Ich habe das Gefühl, mir schwimmt
mein Leben unter den Füßen weg.“
„Nun, sagen wir mal so: Wir haben alle Asse im Ärmel, nicht nur dein Vater! Wir
können gewinnen!“
Sie schien wenig überzeugt. „Wie denn nur?“
„Dein Vater droht damit, auf Sorgerecht zu klagen, weil Mikey und du hier nicht
sicher seid, oder? Er macht sich Sorgen über diesen Unbekannten, der Anschläge
auf Yarrah Downs verübt, die auch Mikey und dich gefährden.“
„Das stimmt.“ Rachel verstand immer noch nicht, wieso Zac so selbstsicher
wirkte.
„Nun, wenn wir den Saboteur finden, der hier sein Unwesen treibt, wäre die
größte Sorge deines Vaters doch hinfällig, oder? Dann wärt ihr nicht länger in
Gefahr, und er könnte kein Gericht mehr von irgendwas überzeugen.“
„Aber wie sollen wir den Saboteur denn erwischen?“
„Ich glaube, ich weiß, wer es ist, ich habe… gewisse Beweise.“
„Wie? Und wen verdächtigst du?“
„Ich glaube, es ist Danny. Ich habe ein Paar Schutzhandschuhe und einen
Bolzenschneider bei seinen Sachen gefunden. Und ein Paar Nagelstiefel, die man
zum Besteigen von Pfählen verwendet.“
„Wie bitte? Danny? Das kann nicht sein, der war an dem Abend des
Stromausfalls in Brisbane bei seinen Eltern!“
„Wunderbares Alibi – wenn es stimmt.“
„Wir könnten es überprüfen, alle Hotels anrufen und seine Eltern.“ .
„Gästelisten sind vertraulich. Und wenn Danny so schlau ist, wie ich denke, lässt
er seine Eltern für sich aussagen, unter dem Vorwand, er habe heimlich ein
Mädchen treffen oder sich ohne dein Wissen um einen neuen Job kümmern
wollen. Dafür hätten seine Eltern bestimmt Verständnis.“
„Aber wenn Danny das alles verursacht hat, dann hieße das… Oh, Zac, das ist
doch unmöglich! Das Feuer kann er nicht verursacht haben, zu der Zeit lag er im
Bett. Er klagte über starke Kopfschmerzen. Er ist deswegen gerade beim Arzt.“
„Kopfschmerzen kann man vortäuschen, sogar einem Arzt. Denk an die anderen
Dinge, die passiert sind: Den zerstörten Brunnen, den zerschnittenen Weidezaun,
den Danny angeblich entdeckte, das tote Känguru – er hatte Gelegenheit genug,
das alles selbst zu verursachen.“
„Aber wieso? Warum sollte Danny mich von hier vertreiben wollen? Er stammt
aus einer wohlhabenden Familie in Sydney und hat beste Referenzen. Er wäre
doch nur dumm von ihm, sich seinen Ruf zu verderben, seine Zukunft aufs Spiel
zu setzen!“
Zac zuckte die Achseln. „Vielleicht aus Abenteuerlust. Wenn man jung ist, geht
man Risiken ein und glaubt, man werde nie erwischt. Er wird bald zurück sein,
lass mich das Ganze mal prüfen.“
„Was ist, wenn er kalte Füße bekommt und abhaut?“
„Der kommt zurück“, sagte Zac fest, „seine Sachen sind noch hier.“ Seine
Stimme klang grimmig.
Doch Rachel schien noch nicht so überzeugt davon, dass Dannys Überführung
ihre Probleme mit ihrem Vater lösen könnte. Ihr alter Herr war ein gewiefter
Geschäftsmann. Sicher hatte er noch einen Plan B. Den hatte er nämlich immer.
„Selbst wenn es Danny ist, wird mein Vater nicht aufgeben. Er ist sicher trotzdem
der Meinung, dass es hier zu gefährlich ist und dass die Dürre mich ruiniert.“
Zac schaute sie zärtlich an. „Danny ist nicht unsere einzige Trumpfkarte, wir
haben noch eine andere. Wir sollten deinem Vater die Wahrheit sagen: Dass
Mikey mein Sohn ist.“
„Oh, nein, das geht nicht, das dürfen wir nicht!“
Er wirkte verletzt. „Da Adrian tot ist, kann es ihn nicht mehr treffen, Rachel. Du
bist dir doch sicher, dass Mikey mein Sohn ist, oder?“
„Ja, natürlich!“ Sie berührte seinen Arm. „Adrian sollte den Abend nach unserer…
nachdem du Yarrah Downs verlassen hattest, von seiner Reise zurückkommen,
musste dann aber mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus. Die
Behandlung dauerte länger, als befürchtet, und als er wiederkam, war er zu
geschwächt, um…“
Sie schaute ihn fest an. „Du bist Mikeys Vater, Zac, daran ist nicht zu rütteln.
Aber wenn wir das meinem Vater erzählen, wird er es in etwas Schmutziges
verwandeln. Er wird mich des häufigen Partnerwechsels beschuldigen, des
ehelichen Betruges, und er wird dich beschuldigen, verantwortungslos zu sein.
Damit wären wir nicht gerade Eltern, die geeignet sind, seinen Enkel
aufzuziehen. Und er wird dafür sorgen, dass alles in die Öffentlichkeit kommt!
Das kann ich Mikey nicht antun.“
„Das wird nicht passieren, Rachel – weder eine Veröffentlichung noch eine
Gerichtsverhandlung!“ Zac klang zuversichtlich. Konnte sie sich auf ihn
verlassen?
Er schaute sie aufmunternd an. „Du darfst nur nicht schwach werden. Ich weiß,
dass du dir Sorgen um Mikey machst, aber lass dich von deinem Vater nicht
manipulieren! Wenn er wieder anruft, bleib hart, versprich ihm nichts! Ich
brauche nur ein bisschen Zeit.“
Zac gab keine Erklärung ab, und Rachel stellte keine Fragen mehr.
„Wo ist denn eigentlich Bazza?“ überlegte sie plötzlich. Ihr fiel ein, wie schwer der alte Mann das nahm, was passiert war. „Bazza? Der ist in der Küche, kocht Kaffee und versucht, uns irgendetwas zu essen zu machen.“ „Wirklich?“ Der liebe Bazza, er versuchte immer, sich nützlich zu machen. „Dann helfe ich ihm. Wegen der Hitze habe ich nicht mal Brot gebacken, und das Fleisch ist vermutlich verdorben…“ Sie hob den Kopf. „Hör mal!“ Der Deckenventilator hatte begonnen, sich wieder zu drehen. „Wir haben wieder Strom!“ Am liebsten hätte sie in die Hände geklatscht. Aber die Sorge um Mikey hinderte sie daran. Genussvoll ließ sie sich die Brise übers Gesicht wehen. Plötzlich war in der Ferne das Brummen eines Motorrades zu hören. Danny war zurück. „Du bleibst bei Bazza. Trink einen Kaffee, der wird dir gut tun. Und bleib in der Nähe des Telefons. Ich berichte dir gleich.“ „Zac, sei vorsichtig“, bat Rachel. „Danny ist jung und stark, und wenn der sich in die Ecke gedrängt fühlt… Außerdem könnten wir uns irren. Vielleicht hat er eine plausible Erklärung für die Gegenstände, die du bei ihm gefunden hast. Überstürze nichts!“ Er lächelte. „Nein, Chefin, ich werde der Gipfel der Zurückhaltung sein.“ Zac Hammond, der Gipfel der Zurückhaltung? Rachel hörte im Geiste Adrians höhnisches Gelächter.
11. KAPITEL Zac war bei Danny angelangt, als der gerade vom Motorrad stieg.
„Na, Danny, wirst du überleben?“
Der junge Mann lächelte schwach. „Der Arzt hat eine schlimme Migräne
diagnostiziert und mir neue Tabletten verschrieben.“ Er schaute sich kurz um.
„Wo sind denn die anderen?“
Als wüsstest du es nicht! Zac lächelte verdrießlich. „Danny, ich möchte dir etwas
zeigen, kommst du mal mit?“ Er winkte Danny, ihm in die
Gemeinschaftsbehausung zu folgen.
Als sie Dannys Zimmertür erreichten, fragte der: „In meinem Zimmer?“ Er wirkte
erst nervös, dann ärgerlich. „Das hier ist Privatbereich! Ich wette, Rachel hat
nicht…“
„Tritt bitte ein, Danny!“ Zacs Stimme wirkte eisig. Er blieb wie ein Block im
Türrahmen stehen. „Unter deinem Bett habe ich etwas Interessantes gefunden,
ein Paar Schutzhandschuhe und einen Bolzenschneider. Und ein Paar
Kletterschuhe. Hast du in letzter Zeit vielleicht eine Stromleitung
durchschnitten?“
„Nein!“ Dannys gebräuntes Gesicht rötete sich. „Was soll das? Die Sachen muss
mir jemand untergeschoben haben!“
„Das glaube ich nicht. Im Übrigen kann ich die Sachen ja auf Fingerabdrücke,
überprüfen lassen“, behauptete Zac. „Falls deine darauf sind, wirst du eine
triftige Erklärung abgeben müssen.“
Der junge Mann wurde ganz blass unter seiner Bräune. Er spähte zur Tür.
„Du willst doch wohl nicht abhauen, wie?“ Zac lächelte kalt. „Nein, ohne Geld
verschwindest du bestimmt nicht.“
„Geld? Was für Geld?“ Danny warf einen fast panischen Blick in Richtung des
Bettes.
„Geh mal nachschauen“, forderte Zac ihn auf. „Es ist noch unter der Matratze,
da, wo du es versteckt hast. Tausende Dollars in bar. Da muss dich jemand
ziemlich gut dafür bezahlt haben, dass du dreckige Arbeit machst, nicht wahr?
Dafür, dass du Brunnen zerstörst, Feuer legst, Stromleitungen kappst…“
„Nein!“ kreischte Danny beinahe, „das war ich nicht! Ich war in Brisbane, als die
Leitung zerschnitten wurde, und lag mit Kopfweh im Bett, als das Feuer
ausbrach. Und war beim Arzt, als Mikey…“ Er hielt inne, als ihm klar wurde, dass
er ja gar nicht wissen konnte, was heute passiert war.
„Als Hedley Barrington Mikey entführte, meinst du?“ half Zac ihm aus. Erwischt!
„Sieh mal, Danny, lass uns nicht lange drum herumreden. Wir wissen, dass du
für den alten Barrington arbeitest, um seine Tochter zur Aufgabe zu zwingen. Du
hast alles versucht, sogar eine Giftschlange war dir nicht zu schade, um Rachel
zu bedrohen. Das nenne ich einen versuchten Mordanschlag.“
„Nein, mit der Schlange hatte ich nichts zu tun. Ich hätte nie etwas tun können,
was sie verletzt!“ In Dannys Augen stand Panik. „Okay, ich hab einiges gemacht,
aber ich hab nicht für Mr. Barrington gearbeitet, ich tat es für meinen… Onkel. Er
hat mich dafür bezahlt.“
Zac verzog spöttisch den Mund. Barrington musste dem Jungen eine Höllenangst
eingejagt haben, um ihn daran zu hindern, ihn zu verraten, falls er je erwischt
werden sollte. Immerhin gab Danny zu, der Saboteur gewesen zu sein. Das war
ein Anfang.
„Wieso sollte dein Onkel dich dafür bezahlen, Dinge zu zerstören?“ fragte Zac.
Die Antwort kam so schnell, dass sie wie vorbereitet wirkte. „Er möchte eine
Rinderfarm kaufen. Als er hörte, dass der Besitzer von Yarrah Downs eventuell
verkaufen würde, schlug er vor, dass ich die Sache etwas… beschleunigen sollte. Natürlich ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt.“ „Ich muss also nur deinen Onkel finden…“ „Das wäre nicht leicht, ich habe nämlich fünf, die alle Farmer sind und alle leugnen würden, damit etwas zu tun zu haben.“ Danny wirkte dennoch besorgt. „Ich hätte Rachel niemals etwas zu Leide getan!“ jammerte er. „Ich wollte nur das fördern, was einige wollen: dass sie verkauft und nach Sydney zurückgeht.“ „Einige? Ich kenne nur einen, der das will: Ihren Vater.“ Zacs graue Augen schossen förmlich Blitze. „Beleidige nicht meine Intelligenz, indem du etwas von irgendeinem Onkel faselst, Danny. Ich weiß, dass Hedley Barrington dich dafür bezahlt hat, den Besitz hier zu verwüsten. Du wusstest, dass er Mikey entführt hat, und hast ihm telefonisch durchgegeben, wann genau der beste Zeitpunkt dafür war, herzufliegen.“ Zac bluffte zwar, war sich seiner Sache aber ziemlich sicher: Wer sonst hätte es sein können? Danny war bis kurz vor Barringtons Ankunft noch da gewesen, über Funktelefon konnte er den Alten auf dem Laufenden halten. „Das war ich nicht! Ich war ja gar nicht hier!“ „Doch, bis kurz vor Barringtons Landung.“ Zacs Blick nagelte Danny förmlich fest. „Du hast das Versteckspiel vorgeschlagen und auch, dass der Hund angebunden wurde.“ Das hatte ihm Bazza erzählt. „Du hast Mikey vorgeschlagen, sich im Geräteschuppen zu verstecken und dass Bazza bis zweihundert zählen sollte, anstatt bis fünfzig, bevor er ihn suchen ging.“ Das war zwar nur eine Vermutung, aber Zac ließ sich nicht den geringsten Zweifel anmerken. Bevor Danny einen erneuten Protest formulieren konnte, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Ich weiß, dass Barrington dich zu allem überredet hat, Danny.“ Oder zumindest dessen Geld. „Du solltest die Suppe nicht an seiner statt auslöffeln und für ihn ins Gefängnis gehen.“ „Gefängnis?“ rief Danny entsetzt. „Ihr ruft doch nicht etwa die Polizei? Zac, bitte, ich bin kein Krimineller, ich hab niemals jemandem etwas getan…“ Zac brachte ihn mit einem kalten Blick zum Schweigen. „Du hast Rachel durchaus etwas getan! Du hast ihren Besitz geschädigt, sie viel Geld gekostet und sie zu Tode erschreckt!“ Er war froh, dass sie das nicht hörte. „Nenne mir einen Grund, wieso ich dich nicht der Polizei übergeben sollte.“ „Ich tue alles, was du willst, ich sage dir alles, was du wissen willst, wenn du mich dafür laufen lässt! Ich gebe Rachel sogar das… das Geld, um sie zu entschädigen für das, was er mich hat tun lassen.“ „Mr. Barrington.“ Danny ließ die Schultern hängen. Ja! Zac lächelte in sich hinein. Nachdem Danny nun den Täter offenbart hatte, war es, als öffneten sich Schleusen. „Barrington hat gedroht, er ruiniere mich, wenn ich ihn je ins Spiel bringe! Deshalb habe ich mir auch solche Mühe mit den Alibis gegeben. Ich hatte große Angst, erwischt zu werden. Darum habe ich den Onkel erfunden.“ Er stampfte verzweifelt auf. „Mr. Barrington wird mich ruinieren, wenn ich ihn bloßstelle! Gegen den kann ich nicht an, Zac, der ist zu reich und mächtig, der kann alles… selbst meine Familie zerstören. Er hat damit gedroht, dass… Ich gehe lieber ins Gefängnis, anstatt Hedley Barrington offiziell anzuschuldigen!“ „Dazu muss es nicht kommen, Danny, wenn du tust, was ich sage.“ Zac zog die Tür hinter sich zu. „Dann hör mal gut zu.“ Rachel gab sich alle Mühe, Bazza zu beruhigen und ihm klar zu machen, dass es allein Hedley Barringtons Schuld war und dass es Mikey gut ginge und sie ihn bestimmt bald wiederhätten. Dabei war sie sich dessen gar nicht so sicher. Die Drohungen ihres Vaters waren ihr unter die Haut gegangen. Er würde über
Leichen gehen, um sie und seinen Enkel nach Sydney zurückzulotsen.
Und wenn er tatsächlich das Sorgerecht bekäme – Rachel unterdrückte ein
Stöhnen –, würde sie das nach Sydney zurücktreiben.
Eigentlich konnte sie genauso gut gleich nachgeben. Vermutlich musste sie,
früher oder später, ohnehin verkaufen, bei der anhaltenden Dürre und den
Forderungen der Bank. Auch wenn Danny als der Schuldige entlarvt würde,
waren damit die anderen Schwierigkeiten nicht behoben.
Wieso brauchte Zac nur so lange?
„Bazza, ich gehe mal…“ Sie blieb stehen. „Was ist das?“ Ganz klar: Das Geräusch
eines wegfahrenden Motorrades. Oh nein, Danny war entkommen! Sie rannte zur
Tür. Wo war Zac nur? Hatte Danny ihn vor seiner Flucht womöglich
niedergeschlagen?
„Vielleicht ist Zac etwas passiert!“ rief sie und eilte in den brütend heißen Hof.
Sie hörte Bazza hinter sich herhumpeln, Buster lief neben ihr.
Plötzlich trat Zac unter den Bäumen bei der Gemeinschaftsunterkunft hervor. Er
rieb sich die Wange. „Hat mich überrascht, die kleine Ratte!“
Danny hatte Zac überrascht? Das hörte sich gar nicht nach Zac an! Rachel
schaute an ihm herunter, aber er schien unverletzt zu sein. Behutsam fuhr sie
mit der Hand über seine Wange.
„Hat Danny gestanden?“ fragte sie. Dessen Flucht war ja schon Beweis genug.
„Ja, alles.“ Er legte seine Hand auf ihre. „Er schwor, dass es ihm Leid täte und
dass er längst habe aufhören wollen…“
„Sollten wir ihm nicht folgen?“ Danny konnte schon meilenweit entfernt sein! „Mit
deinem Flugzeug?“
„Ach, der schadet niemandem mehr.“
Wie bitte? Zac, der sonst immer so schnell handelte, ließ den Übeltäter einfach
Laufen? „Woher weißt du das?“
„Weil er jetzt, da sein Onkel eine andere Farm gefunden hat, Yarrah Downs nicht
mehr sabotieren muss.“
„Sein Onkel? Was hat der denn damit zu tun?“
Zac zog Rachel in den Schatten eines Pfefferbaumes und gab Bazza ein Zeichen,
sich zu ihnen zu gesellen. „Sein Onkel hat ihn zu allem getrieben. Der suchte
eine Rinderzuchtstation im Outback und hoffte, dass er dir Yarrah Downs
abkaufen könnte. Er bezahlte Danny dafür, das ein bisschen zu beschleunigen,
und bot ihm so viel Geld, dass der nicht wirklich Nein sagen konnte.“
„Na toll! Wir sollten den beiden die Polizei auf den Hals hetzen!“
„Vergiss es, wir haben keine richtigen Beweise. Dannys Onkel, wer immer das
ist, soll geschworen haben, dass er alles abstreiten werde, falls sein Neffe
erwischt würde.“
„Und der hat auch noch all das Geld dafür bekommen!“
„Äh, nicht ganz.“ Zac lächelte so hinreißend, dass Rachel ihre Sorge um Mikey für
eine Sekunde vergaß. „Danny bereute so sehr, was er dir angetan hat, besonders
das mit Mikey, dass er dir das Geld gibt, das sein… äh… Onkel ihm bezahlt hat,
um dich zu entschädigen. Dann gab er mir plötzlich einen kräftigen Stoß und
verschwand.“
Rachel schaute ihn zweifelnd an. „Und du glaubst ihm? Du meinst, Danny schickt
uns etwas von seinem Judaslohn?“ Das hatte er bestimmt nur gesagt, um Zeit zu
gewinnen, der Kerl war erfinderisch. „Was meintest du mit ,nicht ganz'?“
„Ich meinte, hier ist das Geld.“ Zac zog ein Bündel Scheine aus der
Hemdentasche. „Er hat vielleicht etwas davon ausgegeben, aber das meiste ist
noch da, es sind einige Tausend Dollar.“
„Einige Tausend?“ Sie starrte abwechselnd ihn und das Geld an.
„Ja, in bar.“ Zac schob es ihr in die Hand. „Das tröstet ein bisschen, oder? Und zeigt, dass Danny doch nicht so schlecht ist, wie wir dachten.“ „Nein.“ Hätte sie Zac besser gekannt, wüsste sie, dass Dannys angebliche Großzügigkeit durch Zac erzwungen worden war. „Nein“, wiederholte sie, „so schlecht kann er nicht sein.“ Ihr Blick wurde kühl. „Aber mein Vater ist es.“ Sie musste an ihre freudlose Zukunft denken, falls ihr Vater wirklich das Sorgerecht bekäme. „Was machen wir bloß mit Mikey?“ „Ich fliege nach Sydney.“ Zacs Gesichtsausdruck wirkte steinern. „Da wir nun den Übeltäter haben, hat Barrington ein entscheidendes Argument weniger.“ Zac wollte sich mit ihrem Vater auseinander setzen? Rachel fiel sofort wieder ein, wie diese Auseinandersetzung damals mit ihrem verstorbenen Mann ausgegangen war. Sie dachte an Adrians Brief an seinen Bruder, in dem er vom üppigen Erbe schwärmte. Einen kurzen düsteren Moment lang fragte sie sich, ob auch Zac einen Deal mit ihrem Vater machen würde… Sie ballte die Hand hinterm Rücken zur Faust. Der finstere Augenblick war vorüber. Oh, Zac, verzeih mir! Sie durfte ihn nicht mit Adrian vergleichen. Die Brüder hatten sich zwar äußerlich geglichen wie ein Ei dem anderen, aber sie wusste inzwischen, wie verschieden sie in jeder anderen Hinsicht waren. „Ich komme mit“, sagte sie entschlossen. „Mikey möchte bestimmt, dass ich da bin.“ Würde ihr Vater ihr überhaupt gestatten, ihren Sohn zu sehen? Und wie lange müssten sie bleiben? „Das ist vielleicht keine so gute Idee“, wandte Zac behutsam ein. „Dein Vater möchte, dass du nach Sydney zurückkommst. Also wird er alles tun, um dich dort festzuhalten, wenn du schon mal da bist.“ „Das soll er ruhig mal versuchen!“ rief sie, war aber verunsichert. Sydney war die Organisationsbasis ihres Vaters. Dort besaß er einflussreiche Freunde, dort hatte er seine Anwälte. Und sie? Nichts. Niemanden. Nur Zac. „Außerdem…“ Er hatte sichtlich Verständnis für ihren Schmerz, „ruft dein Vater dich an, sobald er in Sydney gelandet ist, oder? Was ist, wenn du dann nicht zu Hause bist? Wenn er vermutet, dass du dich auf dem Weg nach Sydney befindest, dreht er vielleicht durch.“ Rachel lachte höhnisch. „Mein Vater dreht nie durch.“ „Nein? Hältst du das Kidnappen eines Kindes nicht für ein Zeichen von Durchdrehen? Wenn er verzweifelt genug ist, könnte er Mikey genauso gut woandershin bringen, nur weil er Angst hat, dass du deinen Sohn zurückforderst. Lass mich lieber allein gehen, Rachel, und als dein Mittler agieren. Dein Vater und ich einigen uns vielleicht.“ Einigen uns vielleicht. Sofort musste Rachel wieder an Adrian denken. An den, dem sie am meisten vertraut hatte. Und dem es doch nur ums Erbe gegangen war. Aber Zac war nicht Adrian! „Ich sehe mal nach Rocky“, sagte Bazza und brachte sich damit in Erinnerung. „Komm mit, Buster.“ Er hinkte davon. Rachel schaute Zac forschend an. Ein heißes Gefühl der Liebe überschwemmte sie. Alles, was sie sah, gefiel ihr: Die dunklen Brauen und Wimpern, das Blitzen seiner grauen Augen, der sinnliche Mund… „Du glaubst, mein Vater wird dir zuhören?“ Sie räusperte sich. „Als er neulich hier war, hast du deutlich gemacht, dass du auf meiner Seite bist. Das hat er sicher nicht vergessen. Was ist, wenn er sich weigert, dich zu empfangen?“ „Lass es mich versuchen, mein Schatz.“ Seine Stimme war weich. „Wir haben gute Argumente: Die Gefahr, in der ihr euch befandet, ist gebannt, und das ist
nicht unsere einzige Trumpfkarte.“ Sein Blick liebkoste sie, ihr Widerstand schmolz. „Nein?“ „Nein, denn ich werde deinem Vater mitteilen, dass wir beide heiraten.“ „Wie bitte?“ „Ja. Ich liebe dich, Rachel, seit dem ersten Moment, in dem ich dich sah.“ Er zog sie in die Arme und drückte sie an seine Brust. Und Rachel wehrte sich nicht. Liebe… Heirat… es war wie ein Traum. Wurden Träume denn wahr? Aber wie konnte sie an Liebe und Träume denken, wenn sie Gefahr lief, das Sorgerecht für Mikey zu verlieren! Zac strich über ihre Arme, als könnte er sie damit beruhigen. „Du bist jetzt frei, Rachel, wir haben einen gemeinsamen Sohn, und ich möchte ihn gern mit aufziehen, auch wenn du noch nicht bereit bist, öffentlich zu machen, dass ich Mikeys leiblicher Vater bin.“ „Oh, Zac, ich… ich wage es nur nicht, solange mein Vater…“ „Dem brauchen wir ja noch nicht die Wahrheit zu sagen, nur, dass wir vorhaben zu heiraten. Dann hat sein Enkel wieder Mutter und Vater, die Sicherheit zweier Eltern. Und Barrington weiß, dass du nicht mehr allein bist. Und du wirst meinen persönlichen und rechtlichen Schutz haben. Das dürfte jeden Gedanken an eine Änderung des Sorgerechts im Keim ersticken.“ Hoffnung keimte in ihr auf. Aber… Bei seinem Beruf würde Zac oft weg sein, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Das Abenteuerleben, das er so liebte, würde er doch höchstens vorübergehend aufgeben. „Ich weiß, dass du nicht wirklich Schutz brauchst, Liebes, du bist wirklich stark genug, um auf dich selbst aufzupassen. Aber unsere Ehe wäre ein weiteres Argument gegen deinen Vater. Es geht ja darum, dass er dir Mikey wiedergibt, und zwar freiwillig.“ Zac wirkte so unerschütterlich, dass Rachel sich fragte, ob das ganze Gerede von Heirat und Beschützen nur ein cleverer Schachzug war, um Mikey zurückzubekommen. „Aber er wird ihn nicht freiwillig aushändigen“, wendete sie ein, „mein Vater gibt niemals nach. Nicht, wenn er etwas unbedingt will.“ „Lass es mich wenigstens versuchen.“ Er nahm ihr Gesicht in die Hände. „Wir haben eine gute Chance. Du möchtest doch wegen Mikey nicht vor Gericht gehen, oder?“ „Natürlich nicht.“ Sie klammerte sich an Zac. „Ich will ja nicht pessimistisch sein, aber mein Vater hat noch nie einen Kampf verloren.“ „Nun ja, er hat auch noch nie gegen mich gekämpft“, sagte Zac. In seiner Stimme lagen eine Härte und eine Entschlossenheit, die Rachel bislang nur von ihrem Vater kannte. Flüchtig dachte sie an zwei Gladiatoren, die, entschlossen, einander umzubringen, übereinander herfielen. Der Blick, mit dem sie Zac ansah, enthielt sowohl Bewunderung als auch Angst. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Zac ihrem Vater ein würdiger Gegner sein würde. „Ich muss los“, sagte er und wertete Rachels Schweigen als Einverständnis für seinen Plan. „In ein paar Stunden wird es dunkel, und es dauert eine Weile bis nach Sydney. Ich nehme etwas zum Übernachten mit, dein Vater empfängt mich vermutlich erst morgen.“ Rachel musste plötzlich wieder an seine Reisetasche denken und an den Brief von Adrian, den sie darin gefunden hatte… Gemeinsam mit Zac trat sie aus dem Schatten des Baumes in die heiße Nachmittagssonne. „Falls mein Vater anruft – soll ich ihm ausrichten, dass du auf dem Weg zu ihm bist?“ „Ja, warum nicht. Erkläre ihm, dass ich als eine Art Vermittler zwischen euch
fungieren werde. Vielleicht hofft er ja, mich zu dem überzeugen zu können, was er will, und nicht andersherum.“ Erschauernd dachte Rachel, welcher Kampf ihnen bevorstand. Als ahnte er ihre Gedanken, nahm Zac ihre Hand an seine Lippen. Und es durchströmte sie wohlig warm. Hoffentlich war dieser Albtraum bald zu Ende, damit Zac sie endlich richtig küssen könnte… „Du musst nur fest bleiben, mein Engel. Gib nicht nach. Es sei denn, du möchtest insgeheim doch in die Stadt zurück.“ Seine Augen blitzten amüsiert, denn Rachel hatte oft genug betont, dass es wirklich das Letzte sei, was sie wollte. „Du weißt, dass ich das nicht möchte, aber falls mein Vater das Sorgerecht für Mikey bekommt…“ „Das schafft er nie und nimmer. Ich werde ihm klar machen, dass er nicht einmal den Hauch einer Chance hat und dass selbst ein Versuch sinnlos wäre.“ Rachel dachte daran, dass ihr Vater noch nie vor etwas zurückgewichen war, was er wollte, dass er nie verloren hatte. Hoffentlich unterschätzte Zac ihn nicht. Oder überschätzte seine Möglichkeiten. Von Zacs Geschick hing ihrer aller Zukunft ab! „Falls er anruft, erwähne bitte nicht, dass wir Danny entlarvt haben und dass wir heiraten wollen“, bat er. „Ich möchte deinen Vater damit vor Ort überraschen. Das wird ihm den Wind aus den Segeln nehmen.“ „Hoffentlich.“ Ob ihr Vater ebenfalls eine Trumpfkarte im Ärmel hatte? Schweiß rann ihr den Rücken hinunter. Würde diese unglaubliche Hitze denn nie aufhören? Würde es je wieder regnen?
12. KAPITEL Rachel blinzelte, als Zacs Flugzeug sich in den klaren blauen Himmel erhob und die scharfen Strahlen der heißen Nachmittagssonne sich in dem silbrigen Metall spiegelten. Hoffentlich wird er nicht geblendet! dachte sie besorgt. „Wenn irgendjemand es schafft, Mikey zurückzubringen, dann Zac“, sagte hinter ihr eine raue Stimme. Es war Bazza. Sie schaute in das bärtige Gesicht des alten Mannes. Das hatte er nicht nur so dahingesagt, er glaubte daran. „Du hältst viel von Zac, nicht wahr?“ „Der ist großartig. Jeder, der ihn kennt, mag ihn.“ „Sein Zwillingsbruder hielt offenbar wenig von ihm. Adrian hat nie etwas Nettes über ihn gesagt. Deshalb war es anfangs auch schwierig für mich, Zac zu trauen.“ „Adrian war sein Leben lang gegen seinen Bruder. Er hat ihn für den Tod ihrer Mutter verantwortlich gemacht, was natürlich absolut dumm war. Sie starb bei Zacs Geburt, eine halbe Stunde, nachdem Adrian geboren war. Aber nicht nur das…“ Bazza zögerte, als begebe er sich auf gefährlichen Grund, schließlich war Rachel Adrians Witwe. „Bazza, erzähl mir mehr, bitte.“ Sie gingen in Richtung des Hauses, um da zu sein, wenn ihr Vater anriefe. „Wir können unterwegs reden.“ Der alte Mann hinkte neben ihr her. „Ich glaube, Adrian war eifersüchtig. Zac war immer der Offene, Unbeschwerte, der viele Freunde hatte, der wild war und vieles ausprobierte, gut in der Schule war und erfolgreich in allem, was er anpackte.“ „Und Adrian“, drängte Rachel, als Bazza schwieg. „Der war eher der Einzelgänger, der ruhige, vorsichtige Typ, der immer für sich allein war, nicht gern lernte, sondern nur draußen sein wollte, bei den Tieren. Er hatte wenig Freunde, kümmerte sich nie…“ Der alte Mann schaute sie von der Seite an. „Das willst du doch sicher nicht hören, oder? Schließlich war er dein Mann.“ Ein Ehemann, der sie in vielem belogen hatte. „Ich glaube manchmal, ich kannte meinen Mann gar nicht richtig“, sie seufzte. „Er hat mir nicht immer die Wahrheit gesagt. Alles, was er mir über Zac erzählte, war… na ja, er wollte ihn anscheinend in schlechtem Licht erscheinen lassen, damit ich ihn nicht mögen würde und gar nicht erst kennen lernen wollte.“ Und das wollte sie dann auch nicht. Sie glaubte das, was Adrian ihr sagte. Bis sie Zac tatsächlich kennen lernte und begriff, dass er völlig anders war. Und dass sie sich in ihrem Mann getäuscht hatte. „Adrian hat seinen Bruder dauernd angeschwärzt“, erklärte Bazza. „Besonders bei ihrem Vater. Zac lachte nur darüber. Er schlug nie zurück oder ging zum Gegenangriff über. Für so was hatte er keine Zeit.“ Was Bazza da beschrieb, kam ihr glaubwürdig vor. Sie dachte daran, wie gut es war, dass Mikey offenbar Zacs kühnen Geist, seine Lebensfreude, seine Energie geerbt hatte. Sie hoffte, dass ihm dieses Naturell helfen würde, es besser zu ertragen, dass sie im Augenblick nicht bei ihm war. „Hört sich an, als hätte Adrian eine schwere Last mit sich herumgetragen“, dachte sie laut. „Er hasste es offenbar, einen Zwillingsbruder zu haben.“ Nun verstand sie auch, wieso er nie von Zac erzählt hatte, alle Fotos von sich und seinem Bruder vernichtet und alle Leute aus seinem Leben entfernt hatte, die Zac kannten. Er hatte Angst, dass Rachel Vergleiche anstellen würde. Genau das hatte sie nun getan, und Zac erschien ihr wie das strahlende Licht, während Adrian eher der bleiche Abglanz war. Armer Adrian! Zum Glück musste er nicht
mehr erfahren, dass…
„Weißt du, wieso jeder Zac mag?“ Bazzas raue Stimme klang richtig sanft. „Er
liebt Menschen und kümmert sich um sie. Auch um die Tiere.“
Nicht nur um Menschen und Tiere, sondern auch um die Umwelt, dachte Rachel.
Oh, Adrian, und ich sollte deinen Bruder so verachten wie du selbst. Obgleich du ihn insgeheim großartig fandest! Kein Wunder, dass du nicht wolltest, dass ich ihm je begegne. Sie war Zacs Zauber auf Anhieb erlegen. So wie viele andere auch. „Adrian hat sich nicht um andere gekümmert?“ fragte sie weiter. Bazza zuckte mit den Schultern. „Das Einzige, was ihn interessierte, war die Rinderzucht und dass ihm Yarrah Downs eines Tages gehören würde.“ Darum hatte er sie geheiratet. Und nun wollte sein Zwillingsbruder sie heiraten… „Zac ist ein guter Mensch, Rachel, vergiss, was dein Mann über ihn gesagt hat, verlass dich nur auf dein Gefühl. Er ist der ehrlichste Kerl, den ich kenne.“ „Ich weiß.“ Sie bereute jeden Zweifel, den sie je an Zac gehabt hatte. Und ihr verstorbener Mann tat ihr im Nachhinein nur noch Leid. In dem Moment an, als er sie kennen lernte, hatte Adrian Angst gehabt, dass sie seinen Zwillingsbruder lieber mögen würde. Deshalb hatte er verhindert, dass Zac zur Hochzeit kam, und immer schlecht über ihn geredet. Nun war sie heilfroh, dass sie ihrem Mann nie von der Begegnung mit Zac vor fünf Jahren erzählt hatte! „Du magst Zac doch auch, oder?“ fragte Bazza. „Ich…“ Sie schaute den Alten an, als könne er ihre letzten Zweifel ausräumen. Er hatte gesagt, die beiden Zwillingsbrüder hätten nicht das Geringste gemeinsam, aber sie waren doch eineiig! Abgesehen von ihrem Aussehen mussten sie doch irgendwas noch gemeinsam haben! Vielleicht die Liebe zum Geld? Die Aussicht auf ein Vermögen konnte auch den edelsten Menschen verführen. „Du magst Zac, hast aber Angst, er könnte wie dein Mann sein, oder? Der dich nur wegen deines Geldes wollte“, erriet Bazza. „Woher weißt du, dass mein Mann hinter meinem Geld her war? Du hast Yarrah Downs doch verlassen, bevor ich herkam.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich war dabei, als ihr euch kennen lerntet, beim Rodeo in Longreach.“ „Du warst auch da? Ich habe dich gar nicht gesehen.“ „Nein, dafür sorgte Adrian. Er wollte nicht, dass du herausfindest, dass er wusste, wer du warst.“ „Aber zu dem Zeitpunkt wusste er es doch auch noch gar nicht! Wir hatten nur unsere Vornamen genannt. Er fand es erst heraus, nachdem er mir einen Heiratsantrag gemacht hatte und ich ihn meinen Eltern vorstellte!“ „Doch, er wusste es. Sobald er dich damals auf dem Rodeo entdeckte, sagte er: ,Die kenne ich doch!' Er hatte dich im Vorjahr bei der Brisbane Royal Show gesehen, wo du einen Preis gewonnen hattest und jeder davon sprach, dass du die BarringtonErbin bist.“ Rachel wurde es auf einmal ganz schlecht. Ich war in sie verliebt, bevor ich wusste, wer sie war, hatte er in dem Brief an Zac behauptet. Sogar das war gelogen! Und die ganze Zeit hatte sie geglaubt, er hätte sie geliebt und nicht ihr Geld. Kein Wunder, dass er sich so um sie bemühte. Erst später machte Rachel sich darüber Gedanken, da er sonst nicht gerade ein impulsiver Mensch war. Sie hatte naiv geglaubt, ihr Charme hätte ihn bezaubert, zum Totlachen! „Ich glaube nicht, dass ich Adrian in Brisbane gesehen habe, als ich das Springen gewann“, sagte sie. An einen so gut aussehenden Mann hätte sie sich erinnert. „Er näherte sich dir nicht, weil er sich nicht traute. Aber als er dich beim
LongreachRodeo im Outback wieder sah – das war seine Welt –, glaubte er, eine
Chance zu haben. Er erzählte mir sofort, wer du bist – was er sogleich bereute.“
Das konnte Rachel sich vorstellen. Keiner sollte ahnen, dass er sich an die
BarringtonErbin heranmachte. „Er hat dich also von mir fern gehalten?“
„Viel wirkungsvoller: Er schickte mich nach Yarrah Downs zurück – um meine
Sachen zu packen. Meinte, es sei Zeit, dass ich aufhörte zu arbeiten. Meine
Anwesenheit störte ihn ohnehin schon länger, ich wusste einfach zu viel über ihn.
Auch über Zac.“
Rachel drückte Bazzas Schulter. „Er hätte dich nie wegschicken dürfen, Bazza.
Zac war außer sich, als er davon hörte. Es tut mir so Leid.“
„Mir nicht. Ich mochte nie gern für Adrian arbeiten, war aber so lange in der
Familie, dass diese Gegend hier mein Zuhause geworden war. Deshalb zog ich in
die alte Hütte. Ich konnte es kaum glauben, als Zac dort auftauchte! Aber so ist
er, er kümmert sich um Menschen. Geld bedeutet ihm nichts, er ist total anders
als sein Bruder.“
„Ja, gut möglich.“ Rachel schämte sich für die Gedanken, die sie gehabt hatte.
Zac war gerade auf dem Weg nach Sydney, um für sie und Mikey zu kämpfen –
womit er den Zorn ihres Vaters heraufbeschwören konnte. Wenn es ihm um Geld
gegangen wäre, hätte er sie dazu ermutigt, nachzugeben, nicht, sich zu wehren.
„Ich würde für Zac mein Leben geben“, sagte Bazza gerührt. „Und ich schätze,
das würde er auch für mich tun. Für dich täte er es jedenfalls!“ Er zwinkerte ihr
zu. „Ich hab gesehen, wie er dich angeschaut hat, und ich verstehe auch, wieso.
Du bist ein guter Mensch, Rachel, und eine schöne Frau.“
Ihre Wangen röteten sich. „Ich war unfair mit Zac, ich hätte ihm mehr vertrauen
sollen. Mein Gefühl sagte mir das auch, aber Adrian hatte mir so viele Lügen über
ihn erzählt…“
Ihr kamen die Tränen. „Ich werde nie wieder an Zac zweifeln.“ Oder aufhören,
ihn zu lieben, selbst wenn er nicht immer in Australien bleibt.
Hatte er das mit der Ehe ernst gemeint? Wenn er sie heiratete, würde er dann in
Yarrah Downs bleiben oder dennoch ÜberseeAufträge annehmen und nur
gelegentlich nach Hause kommen?
Sie dachte an Mikey. Wenn Zac es nicht schaffte, ihren Vater zu überzeugen, und
sie das Sorgerecht verlöre, müsste sie ihr Landleben aufgeben und nach Sydney
zurückgehen. Würde Zac sie dann trotzdem wollen?
Sie schrak zusammen, als das Telefon auf der Veranda klingelte. Ob das ihr Vater
war? Sie rannte los.
Nervös nahm sie den Hörer ab. „Rachel Hammond.“
„Ah, Rachel, warte einen Moment!“
Das war mal wieder typisch für ihren Vater, dass er sie warten ließ.
„Hallo, Mommy!“
„Mikey!“ Sie konnte es kaum glauben. „Oh, mein Schätzchen, es ist so schön,
dich zu hören. Wie geht es dir? Was machst du so?“ Rachel wagte nicht zu
fragen, ob es ihm bei seinem Großvater gut ginge, weil sie Angst vor einer
negativen Antwort hatte.
„Mommy, Grandpas Haus is' ja sooo groß! Wie ein Schloss! Er lässt mich oben
wohnen, in deinem alten Zimmer! Da sin' ganz viele Spielsachen drin und ein
Schaukelpferd! Grandpa sagt, ich darf Pizza zum Abendessen haben!“
Rachel schluckte. Es hörte sich fast so an, als gefiele es Mikey dort.
„Mommy, wann komms' du? Ich will, dass du hier bist! Grandpa will das auch!“
Natürlich, das hatte er dem Kleinen eingebläut. „Oh, ich möchte auch mit dir
zusammen sein, Mikey.“ Aber nicht in Sydney und schon gar nicht in der
BarringtonFestung!
„Siehst du, Rachel?“ Ihr Vater war wieder in der Leitung. „Du brauchst dir keine Sorgen um deinen Sohn zu machen, dem geht es bei mir prächtig. Wenn du hier wärst, würde er sich allerdings noch prächtiger fühlen. Es hängt ganz von dir ab.“ In ihrem Zorn fiel ihr nichts anderes ein als zu fragen: „Du fütterst meinen Sohn also mit Fast Food?“ „Ja, der Koch hat heute frei, und Mikey wollte gern Pizza essen. Ich habe dir Zeit zum Überlegen gelassen, bist du zu einer Entscheidung gekommen?“ Zumindest sagte er diesmal nicht wieder ,zu Verstand gekommen'. „Ich brauche dich hier, ich kann nicht mehr ewig arbeiten. Ich werde alt, und es geht mir nicht besonders.“ „Wieso, was ist mit dir?“ fragte sie misstrauisch. Ihr Vater war immer fit wie ein Turnschuh gewesen. Wenn das hier einer seiner Tricks war, eine Mitleidstour… „Ich habe Probleme mit dem Herzen, wie ich neulich schon erwähnte.“ Was sie ihm nicht geglaubt hatte. Stimmte es womöglich doch? „Ich möchte meine Angelegenheiten in Ordnung bringen.“ Er schwieg bedeutungsvoll. „Liebes, ich habe Barrington's für dich aufgebaut, mein einziges Kind, damit du es weiterführen kannst. Es würde mir das Herz brechen, es Außenstehenden zu überlassen, zu wissen, dass kein Barrington mehr dabei wäre, dass es in Zukunft keinen Platz für Mikey gäbe.“ Seine Stimme, sonst so hart und unversöhnlich, versagte ihm beinahe! Rachel hatte zwar einerseits das Gefühl, dass sich das Netz wieder zuzog, aber so sehr sie ihrem Vater auch misstraute, so sehr rührte er sie plötzlich. Zum ersten Mal empfand sie so etwas wie Mitleid mit ihm! Was, wenn er ernstlich krank war? Keine Hoffnung mehr zu haben, könnte ihn tatsächlich umbringen. Das würde sie sich den Rest ihres Lebens vorwerfen. Bleib fest! hatte Zac ihr gesagt. Konnte sie es wagen? Es wäre so einfach, wenn sie wüsste, dass die Klagen ihres Vaters nur wieder eine List waren, um sie herumzukriegen. Aber wenn sie es nun nicht waren und er tatsächlich Gefahr lief, einen Herzanfall zu erleiden? Sie würde an sein Verständnis appellieren. „Ich weiß, dass ich für dich eine Enttäuschung bin, Dad. Du wolltest immer einen Sohn, der so ist wie du und der die gleichen Ziele verfolgt. Ich habe mich bemüht, habe die Ausbildung gemacht, die du vorschlugst. Aber es ist nichts für mich. Ich wäre keine gute Wahl für Barrington's. Ich lebe ein anderes Leben, tut mir Leid.“ Seine Stimme klang nicht so aggressiv wie sonst. Vielleicht glaubte er, Freundlichkeit sei der bessere Weg. „Aber jetzt hast du einen Sohn, Rachel, denk auch an ihn. Hier hätte er viel mehr Möglichkeiten, und euer Leben wäre so viel leichter. Und sicherer. Und wohlhabender. Wenn du schon nicht an mich denken kannst, denk wenigstens an deinen Sohn.“ Rachel unterdrückte ihren Zorn. Vielleicht wäre es für Mikey in Sydney tatsächlich besser. Falls die Trockenheit anhielt, könnten sie in Yarrah Downs nicht überleben. Vielleicht wäre dann die Stadt die einzige Alternative. Gleichzeitig wehrte sich alles in ihr gegen den Gedanken. Sie durfte nicht länger zuhören, ihr Vater war clever und stur und würde alles versuchen. „Bleib fest“, hatte Zac gesagt, Zac, ihr löwenherziger Gladiator, der Mann, den sie liebte, der Fels in der Brandung, der nicht gezögert hatte, sich für Mikey und sie ins Kampfgetümmel zu wagen. Der Gedanke an ihn gab ihr wieder Kraft und Entschlossenheit. Zac würde Hedley Barrington gegenüber fest bleiben, und nicht mal ein MillionenDollarAngebot könnte ihn dazu bringen, nachzugeben. „Vater, Zac ist auf dem Weg zu dir.“ „Dein Schwager? Aha?“ Sein Ton war spöttisch. Rachel ahnte, dass er an Adrian
dachte und wie leicht man den hatte bestechen können. Der hatte die Million, die Hedley ihm geboten hatte, nur deshalb nicht angenommen, weil er sich ausgerechnet hatte, später viel mehr zu bekommen. Nein, so tief würde Zac niemals sinken. Geld oder Yarrah Downs wären ihm nie wichtiger als seine Familie. Bei ihm würden immer sie und Mikey zuerst kommen, das Geld ihres Vaters bedeutete ihm nichts. Es wurde Zeit, dass sie das begriff und den Geist ihres verstorbenen Mannes ruhen ließ. „Ich habe Zac gebeten, mit dir zu reden, Dad“, sie bemühte sich, gelassen zu klingen, „bevor einer von uns rechtliche Schritte einleitet.“ Er sollte wissen, dass auch sie imstande war zu drohen! „Nun, meine Liebe, ich habe immer an Verhandlungen geglaubt. Schwierige Dinge können oft durch vernünftige Aussprachen geregelt werden.“ Auch das klang wie eine Drohung. Er meinte sicher „durch eine kleine Bestechung“. Macht und großer Reichtum sind wirklich enorme Waffen, dachte sie und erschauerte kurz. Würde Zac denen widerstehen? „Wann kommt dein Schwager?“ fragte ihr Vater, als freute er sich schon auf die Begegnung. „Heute, am späteren Abend. Er fliegt seine Cessna und wird sich bei dir melden, sobald er sich Sydney nähert.“ „Ich werde auf ihn warten.“ Bevor Rachel ihrem Sohn noch gute Nacht sagen konnte, hatte Hedley schon aufgelegt. Es wurde der längste Abend ihres Lebens. Rachel arbeitete bis zur Dunkelheit im Garten, nahm sich nur Zeit für einen kurzen Galopp auf Silver und später, als Vince und Joanne von der Weide kamen, dafür, die beiden über die jüngsten Geschehnisse zu informieren. Als es zu dunkel wurde, um draußen zu arbeiten, setzte sie sich ins Haus, in dem es trotz der Ventilatoren noch immer drückend heiß war, um die Buchhaltung zu erledigen. Natürlich konnte sie sich nicht konzentrieren, dauernd musste sie an Mikey denken. Wie würde ihr Sohn auf den luxuriösen Lebensstil ihres Vaters reagieren? Würde es Hedley gelingen, den kleinen Jungen zu bestechen? Und sie dachte an Zac und die Aufgabe, die vor ihm lag. Sie konnte nur hoffen, dass es ihm gelang, ihren Sohn wohlbehalten wieder nach Hause zu bringen. Sie legte die Bücher beiseite und ging in die Küche, um Brot zu backen. Als es fertig war, schwitzte sie mehr als zuvor, aber immerhin hatte diese Arbeit sie für eine kurze Zeit abgelenkt. Sie biss in einen duftenden Kanten Brot, schaffte es aber kaum, ihn runterzuschlucken. Ihr Magen fühlte sich an wie zugeschnürt. Der Abend zog sich hin. Bald fühlte Rachel sich, als hätte sie Fieber. Sie horchte darauf, ob das Telefon endlich klingelte und Zac ihr Bericht erstatten würde. Inzwischen musste er doch in Sydney gelandet sein. Das Warten war entnervend. Sie fühlte sich plötzlich regelrecht wie erschlagen, so dass sie sich entschloss, im Schlafzimmer auf Zacs Anruf zu warten. Sie nahm das tragbare Telefon mit nach oben, legte sich aufs Bett und starrte den Ventilator an, der über ihr kreiste. Als das Telefon endlich klingelte, fuhr sie so schnell hoch, dass es ihr schwindelig wurde. „Bist du's, Zac?“ „Hast du um diese Zeit etwa den Anruf eines anderen Mannes erwartet?“ scherzte er, wurde aber schnell wieder ernst. „Ist alles in Ordnung, Schatz?“ Nichts war in Ordnung! Ihre Zukunft, ihr gesamtes Leben standen im Moment auf dem Spiel! „Hast du meinen Vater schon gesprochen? Habt ihr eine Verabredung getroffen? Siehst du ihn noch heute Abend? Wo bist du gerade, Zac?“ „Ich wohne im Hyde Park Inn. Ich habe am Flughafen einen Wagen gemietet und
deinen Vater angerufen. Aber er fand es für heute zu spät. Wir treffen uns
morgen Nachmittag um drei.“
„Erst morgen Nachmittag?“ Das war wieder typisch, ihr Vater ließ Zac erst mal
warten. Um seine Geduld zu strapazieren, seinen Willen zu schwächen. Oder
damit er vorher noch mit seinen Anwälten sprechen konnte?
Ihr sank der Mut. „Du hättest darauf bestehen sollen, ihn gleich morgen Früh zu
sehen!“
„Dein Vater hat offensichtlich den ganzen Vormittag Termine, die er nicht
absagen kann.“ Wie konnte Zac in dieser Situation nur so ruhig bleiben? Er
musste innerlich doch kochen. Oder nicht? „Dein Vater hat offensichtlich deine
frühere Kinderfrau ausfindig gemacht, damit die sich um Mikey kümmert.“
„Meine Kinderfrau…?“ Ah, ja, das wurde immer schlimmer! Ihre Nanny war wie
eine Gefängnisaufseherin gewesen, ein sauergesichtiger Wachhund mit
bohrendem Blick. Mikey würde sie schrecklich finden. „Er sollte bei mir sein, nicht
bei einer Kinderfrau!“
„Du hast Recht, Liebes, und er wird auch wieder bei dir sein, das verspreche ich.“
Aber wann? Sobald sie sich einverstanden erklärte, nach Sydney zurückzugehen?
„Ich bin so nervös, Zac“, jammerte sie, „wie kannst du nur so ruhig sein!“
„Jahrelange Praxis. Geduld ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Tierfotograf
haben sollte“, erklärte er sanft. „Was machst du gerade?“
„Ich? Jetzt?“ Das war doch ganz unwichtig. Nur Mikey zählte. „Ich liege auf dem
Bett und drehe allmählich durch, so wie der Ventilator über mir, wieso?“
„Genau das wollte ich dir vorschlagen, Liebes, leg dich hin.“
„Was? Auch noch in süße, sorglose Träume abdriften, wie? Ich werde kein Auge
zutun!“
„Genau darum sollst du dich aufs Bett legen. Mach schon, ich helfe dir, dich zu
entspannen.“
„Was kommt jetzt? Hypnose übers Telefon? Telepathie?“
„Wenn du so willst…“ Seine Stimme wurde dunkler. „Ich ziehe allerdings vor, es
ein Fest der Sinne zu nennen, der Berührungen, der sanften Worte. Leg dich
zurück, und lass dich mitreißen, mein Liebling, stell dir vor, ich bin bei dir und
liebe dich…“
„Oh, Zac, ich wollte, du wärest hier!“ Rachel fühlte sich lockerer, ihre Glieder
wurden ganz schwer. Was meinte er mit „Fest der Sinne“?
„Ich bin bei dir, Liebes, direkt neben dir. Leg dich zurück… sprich nicht mehr…
hör nur zu… lass nur deine Gefühle sprechen… entspann dich…“
Rachel sank in die Kissen zurück, hielt den Hörer dicht ans Ohr, und ihr erhitzter
Körper prickelte voller Vorfreude.
Zacs Stimme war wie ein besänftigendes Murmeln in ihrem Ohr. „Denk an das
leise Summen des Ventilators über dir… das monotone Zirpen der Grillen
draußen. Die Luft ist schwer vom Rosenduft, der vom Garten herüberweht…“
Wie durch ein Wunder schien die Hitze bei seinen Worten nicht mehr lastend zu
sein, sondern eher angenehm.
„Dein Haar breitet sich auf dem Kissen aus wie ein goldener Wasserfall…“
„Zac“, murmelte Rachel, „du könntest romantische Geschichten schreiben…“
„Seh… hör nur zu, und stell dir vor, wie meine Finger durch dein Haar gleiten,
wie meine Lippen sich in den seidigen Strähnen vergraben… Hm, es riecht
wunderbar, wie Wildblumen oder frisches Heu. Es fühlt sich so weich unter
meinen Lippen an…“
Rachel stöhnte, als spürte sie Zacs Mund tatsächlich.
„Meine Hände gleiten über dein Nachthemd, über die warmen, weichen Kurven
darunter…“
Sie seufzte, das alte Baumwollhemd verwandelte sich in sinnlichweiße Seide.
„Meine Hände sind ungeduldig, wollen deine Haut spüren, ich ziehe die weiße
Seide nach oben…“
Ihr klopfte das Herz.
„Oh, der Anblick, wie du dich nackt meinen Augen darbietest! Spüre meine
Hände, wie sie über deine weiche Haut streichen, über deinen flachen Bauch,
deine Rippen, deine Brüste…“ Seine Stimme klang belegt.
Sie spürte, wie ihre Brüste anschwollen.
„Mein heißer Blick brennt sich in ihre cremige Schönheit… die rosigen Spitzen
werden ganz hart…“
Genau das geschah.
„Ich habe ein überwältigendes Bedürfnis, deine harten Knospen zu berühren, sie
unter meinen Fingern zu spüren, meinen Mund auf sie zu senken und ihre Süße
zu kosten…“
Rachel stöhnte auf. Ihr war, als wären seine Hände tatsächlich auf ihr und
bewegten sich sinnlich auf ihren entblößten Brüsten, umfingen sie, kneteten,
drückten, liebkosten sie, als streiften seine Lippen über ihre Haut, als tanzte
seine Zunge einen erotischen Tanz auf der empfindlichen Spitze, bevor seine
Lippen übernahmen, daran saugten… Ihr klopfte das Herz.
„Meine Hand geht tiefer.“
Ihr Körper erbebte.
„Ich streichele deine Schenkel, besonders die Innenseite und…“ Ihr Körper war
feucht von Schweiß, ihren Unterleib durchzog es fast schmerzhaft vor Begehren.
„Rachel, der Gedanke an dich macht mich verrückt!“ stöhnte Zac.
„Oh, Zac, ich will dich so sehr!“ Sie presste den Hörer ans Ohr.
„Liebes, es tut mir Leid“, er atmete schwer, „ich wollte dir nur helfen, dich zu
entspannen, dich in Schlafstimmung bringen, dich nicht erregen… oder mich
selbst!“
„Aber du hast mich tatsächlich entspannt. Es ist unglaublich.“ Er hatte sie an
etwas anderes denken lassen, sie für ein paar wundervolle Momente von ihrer
Sorge um Mikey abgelenkt. „Mir ist, als wenn du wirklich hier bist, mich hältst,
mich liebst, meine Sorgen wegküsst. Bald werden wir richtig zusammen sein, das
weiß ich genau…“
„Wir werden bald alle wieder zusammen sein, du, Mikey und ich. Denk einfach
nur daran.“
„Das verspreche ich dir. Und bitte, ruf mich morgen an, sobald du bei meinem
Vater warst – wie immer es gelaufen ist, ja?“
„Sobald es geht, Liebes. Sei gegen halb vier zu Hause, bis dahin dürfte ich etwas
wissen. Verbring den Tag draußen auf der Weide, mit Vince und Joanne, oder
mach einen langen Ausritt. Du brauchst nicht in der Nähe des Telefons zu
bleiben. Ich erledige hier am Vormittag noch einiges.“
In Sydney? Was hatte er denn da zu erledigen? Anlagegeschäfte, die er mal
erwähnt hatte? „Melde dich, sobald du kannst, Zac.“ Sie küsste die
Sprachmuscheln des Hörers. „Der war für dich, mein Schatz. Ich danke dir… für
heute Abend. Ich glaube, ich kann jetzt tatsächlich schlafen.“
„Schlaf gut, und träum süß. Ich werde von dir träumen, das weiß ich.“
„Ich träume seit fünf Jahren von dir, Zac.“
„Ich sorge dafür, dass deine Träume wahr werden, glaube mir.“
Ihr geliebter, unerschrockener Gladiator würde über ihren Vater triumphieren. Ja,
daran glaubte sie fest.
13. KAPITEL Als Rachel erwachte, war der Himmel blutrot. Ein merkwürdiger Anblick, trotzdem sie jetzt schon so lange im Outback lebte, hatte sie einen solchen Himmel noch nie gesehen. War das ein Anzeichen für einen Witterungswechsel? Sie wagte es kaum zu hoffen. Als sie hinausging, um die Pferde zu füttern, war der Himmel jedoch wieder wie eh und je – eine endlose Weite von blassem Blau mit nur winzigen Tupfen weißer Wölkchen am Horizont, die sich in ein oder zwei Stunden verflüchtigt haben würden. Vince und Joanne stiegen gerade in den Geländewagen, um Zäune und wackelige Pfähle zu überprüfen – eine nicht endende Aufgabe. „Wenn ich hier auf dem Hof fertig bin, nehme ich das Pferd und helfe euch“, kündigte Rachel an. Schwere körperliche Arbeit war jetzt genau das Richtige, sie von ihren düsteren Gedanken an Mikey und Zacs Treffen mit ihrem Vater abzulenken. Um acht Uhr morgens erreichte Zac im Mietwagen die schmiedeeisernen Gitter des BarringtonBesitzes. Er meldete sich über die Sprechanlage an, das Tor öffnete sich, und er fuhr den von schlanken Birken umstandenen Weg hinauf. Er hoffte auf Rachels Verständnis, wenn er ihr beichtete, dass er ihren Vater nicht erst am Nachmittag traf. Er wollte um die Zeit, wenn sie seinen Anruf erwartete, schon in Yarrah Downs zurück sein, so dass er ihr mündlich berichten konnte, nicht am Telefon. Gute oder schlechte Nachrichten – er wollte dann bei ihr sein. Ihr Vater hatte tatsächlich ein späteres Treffen vorgeschlagen, aber Zac bestand auf einem morgendlichen Termin. Den kleinen Kampf hatte er immerhin gewonnen. Er hörte Hunde anschlagen, aber die waren offenbar angekettet. Auf dem Parkplatz dicht neben dem mächtigen Gebäude stellte er den Wagen ab und ging durch ein säulenbestandenes Tor zum Eingang. Zu seiner Überraschung öffnete Barrington selbst, obgleich weiter hinten im Flur Leute herumliefen. Bodyguards? Diener? Von Mikey war nichts zu sehen. Auch nichts zu hören – was gar nicht zu dem temperamentvollen Jungen passte. „Ah, Zac, nett, Sie zu sehen“, Barrington streckte ihm die Hand hin. „Mr. Barrington“, Zac lächelte ebenfalls. Er hofft, ich bin einer, den man leicht einwickeln kann, eine Schachfigur, so wie mein Zwillingsbruder. „Wo ist Mikey?“ fragte Zac als Erstes. „Sagen Sie einfach Hedley, bitte. Mein Enkel ist mit dem Kindermädchen im Garten, er spielt mit dem Roller, den Rachel als kleines Mädchen hatte. Sie können ihn nach unserem Gespräch gern sehen.“ Er führte Zac in ein großes Arbeitszimmer mit hohen, prallvollen Bücherborden. „Hier können wir reden.“ Er wies auf einen ledernen Sessel und nahm selbst den Armstuhl hinter dem Schreibtisch. Zac setzte sich erst, nachdem auch Barrington Platz genommen hatte. Er legte die Hände auf die polierte Oberfläche des Schreibtisches und beugte sich vor. Seine Augen blitzten zornig. „Kommen wir gleich zur Sache: Ich sollte Ihnen die Visage einschlagen für das, was Sie Ihrer Tochter angetan haben.“ Seine Stimme war leise, aber eindringlich. „Sie verdienen es nicht, sie je wieder zu sehen. Genauso wenig wie Ihren Enkel.“ Barrington zog hochnäsig die Lippe hoch. „Dass ich ihr Mikey weggenommen habe, diente nur der Sicherheit und dem Wohlbefinden meiner Tochter, und um sie endlich zu Verstand zu bringen.“ „Um sie Ihrem Willen unterzuordnen, meinen Sie wohl.“ Zacs Ausdruck
verhärtete sich. „Aber ich möchte jetzt nicht über Mikeys Entführung sprechen, sondern über den Vandalismus, den Sie Ihrem Lakai aufgetragen haben. Danny, um es genau zu sagen.“ Barringtons Augen wurden schmal. „Was zum Teufel erlauben Sie sich…“ „Lesen Sie das.“ Zac schob ihm einen zusammengefalteten Zettel hin, die Kopie eines Geständnisses, das Rachels Vater eindeutig als Auftraggeber nannte. Das hatte er Danny abverlangt, bevor er ihn „fliehen“ ließ. Barrington faltete den Zettel auseinander, las ein paar Zeilen und schnaubte verächtlich. Doch Zac fiel auf, dass sein Hals sich rötete. Das hatte offenbar getroffen! Der Alte war jedoch keiner, der schnell klein beigab. „Wer soll denn das glauben?“ „Ihre Tochter zum Beispiel“, giftete Zac. „Und danach würde sie nie wieder etwas von Ihnen hören oder sehen wollen. Ist es das, was Sie wollen? Wollen Sie sowohl Ihre Tochter als auch Ihren Enkel verlieren? Sie niemals wieder sehen?“ Barrington presste die Lippen zusammen. „Wollen Sie damit sagen, dass Rachel nichts von diesen Lügen hier weiß? Sie haben es ihr nicht gesagt? Ihr dieses lächerliche Papier nicht gezeigt?“ „Es sind keine Lügen, Hedley, das wissen Sie genau. Nein, ich habe es ihr noch nicht gesagt. Sie weiß nur, dass Danny der Übeltäter war und dass er verschwunden ist. Aber wenn Sie mich dazu zwingen, werde ich ihr dieses Geständnis zeigen. Können Sie sich vorstellen, wie sie das findet? Ihr eigener Vater bezahlt ihren Mitarbeiter dafür, dass er ihren Besitz zerstört? Ihr eigener Vater versucht, sie zu ruinieren?“ Barrington sog scharf den Atem ein. „Sie behaupten, Rachel sei in Yarrah Downs nicht sicher, aber das ist sie nur durch Sie nicht! Sie allein haben sie durch Ihre kriminellen Machenschaften in Gefahr gebracht! Das macht plötzlich einen Witz aus Ihren Sorgerechtsansprüchen, oder?“ „Dieses alberne Geständnis hätte vor keinem Gericht Bestand“, ließ der Alte nicht locker, „es käme nicht mal zu einer Verhandlung, Danny würde niemals gegen mich aussagen! Sie haben keinen richtigen Beweis gegen mich.“ Aber Barrington war verunsichert, das stand fest. „Der Nachweis der Anrufe über Dannys Mobiltelefon ist beredt genug. Und ich bin sicher, dass die Medien mit Dannys Geständnis, ob es nun ein Beweis ist oder nicht, einen wahrhaftigen Jubeltag hätten! Ihr Ruf wäre jedenfalls ruiniert! Aber am meisten sollten Sie sich um Ihre Tochter sorgen. Sie braucht keine Beweise, sie wüsste es einfach. Und würde Sie dafür hassen.“ Barringtons Brust hob und senkte sich. Aha, der Alte war angeschlagen. Zac wusste, dass es nun an der Zeit war, seine letzte Trumpfkarte auszuspielen. „Ich beabsichtige übrigens, Ihre Tochter zu heiraten. Und Mikey wie meinen eigenen Sohn aufzuziehen. In Yarrah Downs, wo beide leben wollen. Sie können Ihre Idee, das Sorgerecht zu beantragen, also vergessen, Mikey wird eine liebevolle Mutter und einen Vater haben.“ Barringtons Hände waren zu Fäusten geballt, sein Mund war zusammengepresst. „Ich denke, Sie sind Tierfotograf, kein Rinderzüchter, und bleiben gar nicht in Australien.“ „Ich war Tierfotograf. Als ich noch keine Frau oder eigene Familie hatte, die mich an einem Ort hielten. Jetzt habe ich eine, und ich beabsichtige, mich mit Rachel dort niederzulassen, wo sie es will und wo Mikey groß werden soll. Bei mir sind die beiden sicher. Bei Ihnen ganz offensichtlich nicht.“ Barringtons Widerstand schien endlich geschmolzen. „Ich hatte diesem Hilfsarbeiter strikte Anweisungen gegeben, dass er meiner Familie in keiner
Weise Schaden zufügt! Ich hätte nie zugelassen, dass ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wird!“ „Ach, Sie meinen, Rachel wurde kein Schaden zugefügt? Wissen Sie, wie schlecht sie sich all diese Wochen gefühlt hat, wie viel Sorgen ihr diese Sabotageakte bereiteten? Wie verunsichert sie war, wie verängstigt? Was glauben Sie, wie es sich anfühlt, wenn man weiß, da draußen treibt ein Unbekannter sein Unwesen, demoliert meinen Besitz, kostet mich Geld, das ich nicht habe? Und um das Fass voll zu machen: Wie können Sie es Ihrer Tochter antun, ihren Sohn zu entführen? Haben Sie nur die leiseste Ahnung, wie Sie darunter leidet? Wie viel Angst sie hat, das Sorgerecht zu verlieren?“ „Alles, was ich tat, war nur zu ihrem Besten!“ Barringtons mächtiger Körper schien zu beben. „Rachel gehört in die Stadt, in die Welt, in der sie groß wurde, in das Unternehmen, für das sie ausgebildet worden ist! Das ist ihr Erbe. Und das ihres Sohnes! Selbst ihr Ehemann – Ihr Zwillingsbruder – hatte zugestimmt, dass sie nach Sydney zurückkommen würde, sobald ich sie hier brauche.“ Verächtlich sagte Zac: „Meinen Bruder interessierte nur Ihr Geld und was es für Yarrah Downs bedeuten würde. Mir dagegen liegt nur etwas an Rachel und Mikey. Sie lieben das Leben auf dem Land, und sie lieben mich. Sie wollen Ihre Firma nicht und genauso wenig Ihr Geld, begreifen Sie das doch endlich! Rachel wird niemals zurückkommen!“ Barringtons Augen glitzerten. „Hören Sie gut zu, Zac Hammond. Ich biete Ihnen zehn Millionen Dollar, hören Sie, zehn Millionen: Und das nur dafür, dass Sie meine Tochter wieder nach Sydney zurückzubringen.“ Zacs Blick bohrte sich in den des alten Mannes. „Sie könnten mir Ihr gesamtes Vermögen anbieten, Hedley, auch das würde ich ablehnen. Anders als mein Zwillingsbruder bin ich nicht käuflich!“ Barrington schaute Zac herausfordernd an. „Tatsächlich? Na gut, wenn das so ist und meine Tochter wirklich nicht zurückkommt, werde ich Barrington's eben verkaufen, und keiner von euch allen bekommt auch nur einen Cent. Ich werde für meinen Enkel einen Treuhandfonds einrichten, der Rest geht in eine Stiftung. Das ganze Geld wird gespendet, und meine Tochter bekommt nichts davon! Nichts!“ „Eine wunderbare Idee, Rachel wird das sehr begrüßen.“ „Sehr gut“, grummelte Barrington, aber er schien besiegt zu sein. „Sie kommt also nie mehr zurück, sie will die Firma nicht und auch sonst nichts von mir.“ „Nein. Das ist genau das, was Sie endlich anfangen sollten zu begreifen. Rachel will nichts weniger von Ihnen, als dass Sie ihr ein Vater und ihrem Sohn ein Großvater sind. Sie liebt Sie, Barrington, fragen Sie mich nur nicht, warum. Darum habe ich ihr auch nicht verraten, dass Danny für Sie gearbeitet hat, und ihr das Geständnis nicht gezeigt. Noch nicht. Sie müssen sich nur entscheiden: Wollen Sie noch zum Leben Ihrer Tochter und Ihres Enkels gehören oder nicht?“ „Natürlich will ich das! Sie sind doch alles, was ich habe!“ „Dann hören Sie endlich auf, sich in Rachels Leben einzumischen und sie mit unsinnigen Forderungen zu quälen.“ Barrington war nicht dumm, er wusste, wann er verloren hatte. Zac bot ihm einen Ausweg, sogar die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren – und seine Familie zu behalten. Wenn auch zu Zacs Bedingungen. „Wenn Sie wollen, dass Ihre Tochter glücklich wird, dann lassen Sie sie das Leben führen, das sie möchte. Das Stadtleben ist nichts für Rachel, und Sie wollen doch nicht, dass sie unglücklich ist, oder?“ „Nein, natürlich nicht.“ Barrington seufzte. „Also gut, ich bin einverstanden.“ In seinem Blick lag so etwas wie Respekt. „Ich sollte Ihnen wohl dankbar dafür sein,
dass Sie es mir ermöglichen, die Beziehung zu meiner Tochter und meinem Enkel aufrechtzuerhalten“, sagte er leise, „und Sie haben mich davon überzeugt, dass Sie es für sie getan haben, nicht zu Ihrem eigenen Vorteil.“ Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. „Sie sind verdammt anders als Ihr Bruder, Zac.“ Er schwieg kurz. „Ihnen scheint wirklich an Rachel gelegen zu sein und nicht an dem Geld, das sie eines Tages erbt.“ „Ich meinte, was ich sagte, keiner von uns will Ihr Geld. Wir werden Yarrah Downs wieder aufpäppeln. Die Rinderfarm wird besser laufen als je zuvor, davon bin ich überzeugt.“ Barrington wirkte nun beinahe verlegen. „Ich bin sicher, Sie kümmern sich gut um Mikey und Rachel.“ „Und das werde ich immer tun, das garantiere ich Ihnen.“ Barrington schaute Zac lange an. „Ich denke, mit Ihnen wird Rachel glücklicher werden als mit Ihrem Bruder. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie sich von Adrian mehr erhoffte. Deshalb dachte ich auch, ich könnte sie nach Sydney zurücklocken, besonders, nachdem sie Witwe wurde.“ Zacs herbe Gesichtszüge wurden weicher. „Sie sind uns immer willkommen, Hedley, als Vater und als Großvater. Aber nur solange Sie sich an die Regeln halten und die Leitung Ihrer Firma oder einen Verkauf von Yarrah Downs nie wieder erwähnen.“ „Keine Sorge. Barrington's wird es nicht mehr geben. Ich meinte, was ich sagte, als ich vom Verkauf des Konzerns sprach. Meine Ärzte haben mir ein schwaches Herz attestiert und mir dringend geraten, das Tempo zu verringern.“ Er ließ die Schultern sinken, auf einmal wirkte er schrecklich alt. „Mikey zu entführen war die Tat eines verzweifelten Mannes. Sagen Sie Rachel bitte, dass es mir Leid tut, sehr Leid! Und geben Sie ihr meinen Segen, Sie verdienen ihn beide.“ „Danke, Hedley.“ Zac lächelte zum ersten Mal. „Kann ich jetzt bitte Mikey sehen?“ Der alte Mann seufzte. Er hatte seine größte Schlacht verloren. „Natürlich. Kommen Sie.“ Rachel ritt nachmittags zum Hof zurück. Inzwischen bedeckten winzige Wölkchen den gesamten Himmel, eine leichte Brise war aufgekommen, die die Temperatur um einige Grad senkte. Aber ob diese feinen Änderungen endlich Regen bringen würden? Das Warten auf Zacs Anruf war quälend, sie musste sich dringend ablenken. Also widmete sie sich der Hausarbeit, die in den letzten Tagen zu kurz gekommen war. Als sie gerade den Herd putzte, hörte sie ein unerwartetes Geräusch – das eines Kleinflugzeuges. Sie blickte auf die Uhr. Zac konnte es noch nicht sein, es war ja gerade erst vier! Um diese Zeit wollte er sie von Sydney aus anrufen. Sie lief auf die Veranda – und sah, wie die vertraute weiße Cessna gerade eine Schleife über die Bäume zog. Es war tatsächlich Zac, der gerade zur Landung ansetzte. Angst machte sich in ihr breit, und sie rannte los. Vielleicht hatte ihr Vater Zac nicht mal empfangen? Vielleicht war das Gespräch gar nicht zustande gekommen? Hatte ihr Vater eine noch bessere Trumpfkarte aus dem Ärmel gezaubert? Wieso sonst kam Zac schon zurück? Oh, sie kannte das Gefühl der Niederlage, ahnte, wie ihm jetzt wohl zumute war, nachdem er Mikey und ihr nicht hatte helfen können. Auf dem Weg zur Landebahn nahm Rachel flüchtig wahr, dass sich die Wolken zu einer blassgrauen Schicht verdichtet hatten und weiter hinten über den Hügeln
eine dunklere Wolkenbank hing. Regenwolken?
Wenn es wirklich regnen würde und die Trockenheit ein Ende hätte – welche
Ironie des Schicksals, dass sie ausgerechnet dann Yarrah Downs verlassen
müsste, weil ihr Vater sie dazu zwang.
Allmählich war es Rachel egal, wo sie leben müsste Hauptsache, sie bekam
Mikey wieder zurück.
Sie sah das Flugzeug schon durch die Bäume schimmern und spähte durch die
Zweige, um Zacs vertrauten Umriss zu erkennen. Falls seine Rettungsaktion
gescheitert war, brauchte er sicher selbst Trost… Brauchten sie beide Trost, den
sie nur einander geben konnten.
Dann hatte sie plötzlich eine Erscheinung – das müsste doch eine Erscheinung
sein! Mikey winkte aufgeregt, sobald er Rachel aus dem Gehölz kommen sah,
und sie hörte aus der Ferne schon die vertrauten kleinen Quietscher aus seinem
Mündchen.
Eine Erscheinung? Nein, es war Wirklichkeit!
Rachel stieß einen Freudenschrei aus und rannte über das verdorrte Gras zu
ihrem Sohn.
Mikey flog ihr in die Arme. „Mommy, Mommy! Ich bin in Onkel Zacs Maschine
geflogen und hab in Grandpas Schloss geschlafen! Aber ich wollte, du wärst da
gewesen, Mommy! Und Buster. Und Rocky. Und Onkel Zac. Und alle!“
„Oh, Mikey!“ Sie küsste ihn von oben bis unten ab, konnte ihn vor Tränen kaum
sehen, genoss es, seinen kleinen Körper berühren zu können. „Ich bin so froh,
dass du wieder da bist, ich hab dich so vermisst!“
Mikey wischte seiner Mutter unbeholfen die Tränen vom Gesicht. „Warum weins'
du denn, Mommy? Ich hab dich auch vermisst.“ Auf einmal erschrak er. „Grandpa
hat gesagt, es war okay, dass ich mit ihm ging. Und dass ich sein Haus sicher
mag. Aber das stimmt nicht, ich durfte nich' mal mit den Hunden spielen. Und
eine blöde Frau hat mir immer gesagt, was ich alles nicht darf!“
„Macht nichts, mein Schatz, jetzt bist du ja wieder da.“
„Ja!“ Mikey hüpfte auf und ab und schaute sich begeistert um. Er sah den
staubbedeckten Boden, die verrostet wirkenden Gummibäume, das weite, offene
Land. „Ich mag es hier viel lieber! Wo ist Buster?“
Rachel hatte den Hund während der Hausarbeiten in die Waschküche gesperrt.
„Er ist im Haus, mein Schatz, dort, wo es nicht ganz so heiß ist.“
„Ich will ihn sehn!“ schrie Mikey. „Und kann ich was essen, Mommy? Ich bin ganz
doll hungrig! Und kann ich danach Rocky reiten?“
Rachel lachte. Mikey war wie immer. Ein liebenswerter Wirbelwind, der am
liebsten tausend Sachen auf einmal machte. Gott sei Dank hatte die Geschichte
offensichtlich keine Spuren bei ihm hinterlassen.
„Nun, da du endlich wieder da bist, kannst du haben, was du willst“, versprach
sie. Dann suchte sie Zacs Blick, der mittlerweile auch aus der Maschine gestiegen
war. „Danke!“ flüsterte sie. „Ich kann nicht glauben, dass du schon zurück bist!
Wie ist es gelaufen?“
„Ich hatte gleich heute Morgen einen Termin mit deinem Vater. Ich wollte dir von
unserem Gespräch lieber persönlich berichten, daher habe ich nicht angerufen.“
Weil die Nachrichten schlecht waren?
Rachel war unendlich dankbar dafür, dass Zac es wenigstens versucht hatte.
Mikey zog sie an der Hand. „Komm schon, Mommy!“
„Ja, mein Schatz.“ Sie schaute sich um. „Kommst du auch, Zac?“
„Nein, ich schau hier auf der Farm noch ein bisschen nach dem Rechten. Mach dir
keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Ich erzähl dir alles heute Abend, wenn wir
allein sind“, sagte er mit viel versprechendem Lächeln. „Verbring du erst mal
etwas Zeit mit deinem Sohn. Ich werde Bazza berichten und Vince und Jo, sobald sie zurück sind. Mach dir keine Gedanken wegen eines Abendessens, ich hole mir irgendwas. Konzentriere du dich nur auf Mikey.“ Den Rest des Tages hielt der lebhafte Kleine Rachel auf Trab, Zac sah sie nur gelegentlich, wenn er sich ein kühles Getränk oder ein Käsebrot holte, oder als er mit Vince und Joanne sprach, die gerade zurückgekommen waren. Wenn sie an den gemeinsamen Abend dachte, wurde ihr ganz leicht ums Herz. Und wenn sie ihren geliebten Sohn ansah – endlich war er wieder dort, wo er hingehörte –, hatte sie das Gefühl, vor Glück zu bersten. Sie hatte die beiden Menschen wieder, die sie am meisten auf der Welt liebte. Es verdunkelte sich weiter, die Wolken hingen bleigrau und lastend über dem Land. Ob es endlich regnen würde? Plötzlich fuhr über den Bergen ein Blitz über den Himmel, fernes Donnern folgte. „Du gehst jetzt besser ins Haus, Mikey“, sagte Rachel, „es ist Zeit zum Essen und für ein Bad.“ Nachdem der Junge sich satt gegessen, gebadet und seinen Pyjama angezogen hatte, schlief er fast im Stehen ein. Aber er weigerte sich, ins Bett zu gehen, bevor Zac ihm nicht gute Nacht gesagt hatte. Was würde Zac ihr nachher berichten? Sie fühlte sich plötzlich ganz unbehaglich. Welche Bedingungen hatte ihr Vater gestellt, bevor er Mikey zurückgab? Sie schloss die Augen. Ihr Vater war ein unerbittlicher, entschlossener Mann, der würde seinen lang gehegten Traum nicht einfach aufgeben, selbst wenn die reale Bedrohung von Yarrah Downs genommen war. Und Zac würde vermutlich, selbst wenn sie heirateten, nach einer gewissen Zeit wieder in die Tierwelt zurückwollen, die sein Leben bedeutete. Ein so frei lebender, Abenteuer gewohnter Mensch wurde doch nicht plötzlich sesshaft! Rachel seufzte. Sie wünschte sich sehnlichst, dass Zac bei ihr bliebe – in jeder Hinsicht. Allein die Vorstellung, in seinen Armen zu liegen, die ganze Nacht mit ihm zu verbringen, verursachte ihr Herzklopfen. Bald würde es geschehen, jetzt würde sie nichts mehr zurückhalten. Diesen Abend hätten sie endlich beide für sich allein. Plötzlich wurde das Haus von einem grellen Blitz beleuchtet, krachender Donner folgte. Rachel lachte laut auf. Hey, leg los! dachte sie, zerreiß unser Trommelfell, beginne ein Buschfeuer, lass den Strom ausfallen, das ist mir ganz egal! Mikey, der sie beobachtet hatte, gab ein quietschendes Lachen von sich. „Ich hab auch keine Angst, Mommy! Das ist ja nur ein olles Gewitter!“ Sie umarmte ihn. „Du hast ganz Recht, und wir sind hier völlig sicher.“ Sicher. Ja, sie hatte ihr geliebtes Kind wieder, und das war Zac zu verdanken. Der hatte Danny entlarvt, sich ihrem Vater gestellt und ihn irgendwie davon überzeugt, ihr Mikey wieder zurückzugeben. „Komm, Schatz, wir bringen dich jetzt zu Bett. Ich lese dir noch eine Geschichte vor, bis Onkel Zac kommt.“ Sie könnte sich bestimmt auf keinen Buchstaben konzentrieren, aber laut zu lesen würde sie daran hindern, vor Glück durchzudrehen. Nachdem sie Mikey zugedeckt hatte, begann sie eine seiner Lieblingsgeschichten vorzulesen, bis ein dumpfes Prasseln ihre Stimme übertönte. Mikey fuhr auf: „Mommy, was is' das?“ Rachel strahlte. „Regen, Mikey! Das ist Regen!“ Ein Regen, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Dichter, gleichmäßig strömender Regen, der zischend auf die ausgetrocknete Erde schlug, und wenn er lange genug anhielte, sie bis in die Tiefe tränken würde.
Sie nahm ihren Sohn in die Arme und schaukelte ihn hin und her. „Regne
weiter!“ rief sie, „regne Tage und Nächte weiter!“
Mikey kicherte, dann rief er: „Mommy, ich krieg keine Luft mehr! Du drückst
mich zu doll!“
„Entschuldige, Schatz.“ Sie ließ ihn los.
Zac stand lächelnd in der Tür. Sein Haar stand in feuchten Büscheln vom Kopf,
das nasse Hemd klebte an seiner muskulösen Brust. Nie hatte er so aufregend,
so sexy ausgesehen.
Freude und Hingebung ergriffen Rachel, eine süße Schwäche übermannte sie.
Oh, wie sehr sie ihn liebte!
14. KAPITEL „Onkel Zac!“ Mikey streckte die Arme nach ihm aus. „Es regnet! Es gießt in Ströömen! Werden die Brunnen jetzt wieda voll?“ Zac nahm Mutter und Sohn in die Arme und drückte sie an sich. Niemand störte sich daran, dass es aus seinem Haar heruntertropfte. „Das will ich doch hoffen, Mikey.“ Sein Blick suchte den von Rachel. „Ein echter Sohn des Outbacks“, sagte er anerkennend. „Ich möchte auch dein Sohn sein, Onkel Zac, nicht nur der von Mommy.“ Mikey schaute Zac ganz ernst an. „Ich will, dass du mein Daddy bis', ich hab ja keinen mehr. Darf ich dich Daddy nennen, Onkel Zac?“ „Na ja, wenn deine Mommy mich heiratet, bin ich ja auch dein Daddy“, sagte Zac. „Wie wär's, wenn du dich jetzt schlafen legst, Tiger, dann frage ich sie.“ „Frag sie jetzt!“ rief Mikey, „sag Ja, Mommy! Sag, dass du Onkel Zac heiratest!“ Rachels Blick verschleierte sich. Ja, sie wollte diesen Mann heiraten und ihn für alle Zeiten lieben – wo immer er auch hingehen würde. Selbst wenn er nur Stunden, Tage oder Wochen bei ihr bliebe, wäre das besser als nichts. Er war Mikey schon jetzt mehr Vater, als Adrian es je gewesen war. Und er liebte sie. Aber da gab es noch immer Hedley Barrington. Zac hatte ihr noch nicht berichtet, was für Forderungen er für Mikeys Übergabe gestellt hatte. „Ein Heiratsantrag ist etwas, das man nur unter vier Augen macht, Mikey.“ Zacs Stimme klang wie Samt. „Deshalb musst du jetzt schlafen gehen, damit ich sie fragen kann. Aber ich hoffe, dass du mich, wenn du morgen aufwachst, Daddy nennen kannst.“ Die Leichtigkeit, mit der er das sagte, beglückte Rachel. Zac brachte immer alles wieder ins Lot. Er hatte ihr seine Liebe für sie und Mikey bewiesen. Und sie liebte und vertraute ihm. Nichts zählte mehr als das. Mikey lächelte zufrieden, als er sich in die Kissen fallen ließ. Zac küsste ihn aufs zerzauste Haar, dann trat er zurück. „Schlaf gut, Tiger, deine Mutter und ich müssen miteinander reden.“ Neben einigem anderen, sagte sein Blick zu Rachel. In wenigen Minuten würde sie in seinen Armen liegen. „Gute Nacht, mein Schatz.“ Sie gab ihrem Sohn einen zärtlichen Kuss. „Schlaf gut.“ „Gute Nacht, Mommy, gute Nacht, Daddy.“ Mikey klang schläfrig, aber glücklich. Er wollte nicht bis zum nächsten Tag warten, bis er Zac Daddy nennen durfte. Endlich zu zweit allein! Und es regnete noch immer gleichmäßig, der Regen füllte die durch trockenes Laub verstopften Siele, die geräuschvoll überliefen, und schickte das Wasser glucksend durch Rohre und perlend die Fensterscheiben herunter. Normalerweise wäre Rachel sofort nach draußen geeilt, um die Siele freizuschaufeln, aber nicht heute. Falls es im Hof zu einer Überschwemmung käme, würden Vince und Jo sich darum kümmern. Oder Bazza. Auf die drei war Verlass. Als sie sich in Zacs Arme schmiegte, spürte sie sein klopfendes Herz. „Wenn jemand imstande war, Mikey zurückzubringen, dann du“, sagte sie bewundernd. Auf einmal erschien es ihr unwichtig, wie es bei ihrem Vater verlaufen war oder was er gesagt hatte, das Einzige, was zählte, war, dass Mikey wieder da war und dass sie endlich mit Zac allein sein durfte. Er strich über ihren Nacken und griff sanft in ihr Haar, dessen Zopf sich längst gelöst hatte. „Ich sagte deinem Vater, dass ich vorhabe, dich zu heiraten, und dir helfen werde, Yarrah Downs zu führen. Gib mir also die Ehre, und sage Ja!“ „Oh, Zac, nichts möchte ich lieber als das, aber…“ „Bitte kein Aber!“
„Ich kenne doch meinen Vater! Er wird nie nachgeben, sondern irgendetwas anderes versuchen, damit ich nach Sydney zurückkomme.“ Zac küsste sie. „Er hat nachgegeben, Liebste. Er weiß, dass er verloren hat.“ Sie konnte kaum noch denken, da seine zärtlichen Hände sie recht gut ablenkten. Ihr Vater hatte nachgegeben… mmh, ja, das machte Zac gut, oh, sie schmolz dahin. „Können wir heute Abend deinen Vater mal vergessen?“ Zac küsste sie und zog sie so eng an sich, dass sie seine Männlichkeit deutlich spüren konnte, was ihre restlichen klaren Gedanken auch noch auslöschte. „Ich bitte dich um deine Hand. Und dann möchte ich mit dir schlafen… ganz zärtlich und langsam und genussvoll und die ganze Nacht lang.“ Die ganze Nacht lang. Allein die Vorstellung hatte etwas Berauschendes… Von diesem Moment hatte sie so lange geträumt. „Oh, Zac…“ Mehr brachte sie nicht mehr heraus. Sie atmete stoßweise. Ihre Haut dürstete nach Berührung, nach seinen Lippen, seinen gierigen Händen, seinem Körper… „Ich liebe dich, Rachel, und möchte dich heiraten“, raunte er an ihrem Mund. „Wenn du mich auch liebst, sag bitte Ja, mein Liebes, und sag es schnell. Ich vergehe vor Lust, mit dir zu schlafen.“ Er presste sie immer enger an sich. „Willst du?“ Rachel bog sich ihm entgegen und rief: „Ja!“ Und das war sowohl eine Antwort als auch eine Bitte. „Ich möchte dich heiraten, Zac, ich liebe dich. Und ich werde dich immer lieben, wo immer du sein wirst und was immer in Zukunft geschieht.“ Sie zog ihn zur Tür. „Bring mich in dein Zimmer, Zac!“ „In meins?“ „Ja!“ So erregt sie auch war, so hatte sie doch noch den Gedanken, dass sie Zac nicht im Ehebett lieben wollte. An Adrian sollte jetzt nichts erinnern. „Mit dem größten Vergnügen.“ Er hob sie auf seine Arme, so wie er es in der Brandnacht getan hatte. Nur heute gab es zum Glück keine Flammen, sondern nur inneres Feuer. Als sie Zacs Bett erreichten, hatten sie sich schon fast gegenseitig ausgezogen, unter ständigem Küssen und Liebkosen. In wenigen Sekunden waren beide vollends nackt. Ihre schweißbedeckten Körper glänzten im matten Licht der Nachttischlampe. Sie genossen es, sich gegenseitig anzuschauen, bevor der innige Hautkontakt das Begehren noch mehr anfachte. Die langen, sehnsuchtsvollen Jahre nach ihrer ersten Umarmung waren wie ausgelöscht. Die erotischen Fantasien, die ihnen beiden den Schlaf geraubt hatten, waren beinahe vergessen, denn sie konnten der wundervollen Wirklichkeit kaum entsprechen. Ihr lustvolles Spiel war noch sagenhafter, als sie es sich jemals erträumt hätten. Zac führte Rachel zu Höhen, die sie sich nie hätte vorstellen können, er weckte eine Sinnlichkeit in ihr, die sie nicht an sich kannte, und Gefühle, von denen sie wellenartig überschwemmt wurde. Im Moment des Höhepunktes entrang sich ihrer Kehle ein Schrei – so wie damals vor fünf Jahren. „Ich liebe dich! Oh, wie sehr ich dich liebe!“ Aber diesmal wusste Rachel, dass es Zac war, nicht Adrian, der mit ihr schlief, und es war wirklich ein Akt der Liebe, nicht nur etwas Körperliches. In den nächsten Stunden verschaffte er ihr immer wieder neue Genüsse, bewies seine Kennerschaft und brachte sie an den Rand namenlosen Entzückens. Der kräftige Regen, den sie so dringend brauchten, hatte selbst im Morgengrauen noch nicht aufgehört. Beide lagen verschwitzt, erschöpft und schließlich schlummernd unter der dünnen Decke. Dort fand Mikey sie, der sie viel zu früh weckte. Er kletterte aufs Bett und ließ
sich zwischen sie fallen. „Mommy, ich hab dich gesucht! Daddy, wach auf! Mommy, es ist schon morgens, hast du Ja gesagt?“ Rachel öffnete mühsam die Augen. Sie fand es kein bisschen peinlich, dass der Kleine sie in Zacs Bett gefunden hatte. „Ja, mein Schatz, ich habe Ja gesagt, Zac und ich werden heiraten.“ Himmel, wie wundervoll das klang. Und wie… irreal. Sollte ihr Leben sich denn endlich zur guten Seite hin wenden? Hatte ihr Vater seinen Traum wirklich begraben und akzeptiert, dass sie Zac heiraten und in Yarrah Downs bleiben würde? Oder war Zac zu optimistisch gewesen? Seit sie denken konnte, hatte ihr Vater damit gerechnet, dass sie Barrington's übernehmen und auf dem Familienanwesen in Sydney leben würde. Selbst als sie mit Adrian verheiratet war, hatte er diesen Zukunftsplan nicht verworfen – vielleicht nur ein bisschen aufgeschoben. Und seit dem Tod ihres Mannes war sein Drängen wieder stärker geworden. Ihr Vater musste einen Punkt der Verzweiflung erreicht haben, um so etwas Drastisches zu tun, wie seinen Enkel zu entführen. „Mikey, geh dich anziehen“, sie umarmte ihren strahlenden Sohn, „dann kannst du hinauslaufen und es Buster und Rocky erzählen.“ Nun hatte sie keine Angst mehr vor Kidnappern oder Vandalen. Danny war weg – und hatte ihr auch noch das Bestechungsgeld seines Onkels dagelassen, was auf sein schlechtes Gewissen schließen ließ. Ja, ihre Familie war nun in Sicherheit. Außerdem würden Bazza, Vince und Joanne ein besonderes Auge auf ihren Sohn haben. „Wir kommen in einer Minute nach, Schatz!“ Mikey sprang vom Bett herunter. „Ich erzähl's ihnen, Mommy, bis dann, Daddy!“ Mit einem glücklichen kleinen Kiekser war er verschwunden. Zac nahm Rachel wieder in die Arme und schaute sie liebevoll an. „Was ist denn, Liebes? Du machst dir doch nicht etwa noch Sorgen wegen deines Vaters?“ Wie gut er sie kannte! „Ich glaube einfach nicht, dass er aufgibt. Selbst wenn wir heiraten, wird er versuchen…“ „Nein, wird er nicht.“ Zac lächelte zuversichtlich. „Er hat begriffen, dass du deine Zukunft mit mir verbringen wirst und nicht bei Barrington's. Dass du die Art Leben, die dein Vater dir anbieten kann, ablehnst. Ein für alle Mal. Ich konnte ihm klar machen, dass du und Mikey mir das Wichtigste überhaupt seid und dass ich immer für euch da sein werde.“ „Zac, du brauchst für uns nicht deine Karriere aufzugeben. Nun, da Danny und sein Onkel uns nichts mehr tun werden, sind wir hier wieder in Sicherheit. Und wenn es weiterregnet und die Dürre beendet ist…“ Sie drängte sich an ihn und dachte daran, was das heißen könnte: Genug Wasser in den Brunnen, Futter fürs Vieh, gesunden, kräftigen Rindernachwuchs… Die Zukunft von Yarrah Downs sah wieder rosig aus. „Ich weiß doch, wie sehr du die Tierfotografie liebst, Zac.“ Sie umschlang ihn und legte die Wange an sein unrasiertes Gesicht. „Wenn du wegfahren möchtest, um deinen Auftrag zu erfüllen, oder wieder nach Übersee fliegen musst – wo immer du hin möchtest, Zac…“ „Rachel, mein Liebes, du hast nicht zugehört. Ich möchte dein Partner sein, nicht nur im Bett, sondern im Leben überhaupt. Wo immer Mikey und du seid, da will auch ich sein, zur Not auch in Timbuktu. Selbst in der Stadt, falls du es irgendwann möchtest, Mikeys wegen. Ich habe mein bisheriges Leben bereits aufgegeben – ohne Bedauern.“ „Und du meinst wirklich, eine Rinderfarm bietet genug Abwechslung für einen Abenteurer wie dich?“
Er lächelte sein wundervolles Lächeln. „Hier gibt es genug Abwechslung. Und wenn die Dinge wieder besser laufen, könnten wir darüber nachdenken, ob wir den Hof vielleicht für Touristen öffnen, wie andere es tun. So eine Art Urlaub auf der Rinderfarm.“ „Du meinst wie ein Hotel?“ „Wieso nicht? Wir können ja mit wenigen Gästen anfangen, fungieren als Gastgeber, würden den Besuchern alles zeigen und bei Bedarf Hilfskräfte einstellen. Wenn wir es attraktiv gestalten, könnten Reisende aus aller Welt daran Interesse haben – und wir uns damit eine schöne Summe extra verdienen.“ „Aber können wir uns das alles denn leisten? Aus der Farm ein Hotel zu machen, das kostet doch Geld.“ „Ich habe an der Börse investiert und beachtlichen Gewinn gemacht“, erklärte Zac. „Erst mal bringen wir hier alles auf Vordermann, und dann, dein Einverständnis vorausgesetzt, kümmern wir uns in Ruhe um das neue Projekt. Vieles davon können wir selbst machen, wir sind ja beide an harte Arbeit gewöhnt.“ „Hört sich prima an.“ Der andauernde Regen erfüllte Rachel mit Zuversicht und dem Mut, alles Mögliche anzupacken. Und mit Zac an ihrer Seite und dem alten Bazza, Vince und Joanne und mit einigen Aushilfen, falls nötig… „So lange mein Vater uns nicht dazwischenfunkt…“ Er küsste sie zart. „Macht er nicht. Mein Bruder war schwach, ich bin es nicht, und das weiß dein Vater. Er hat versprochen, dich künftig in Ruhe zu lassen und nur noch als Vater und Großvater in Erscheinung zu treten.“ Rachel schaute ihn sehnsüchtig an. „Wäre es doch so…“ Davon hatte sie immer geträumt, von einem liebevollen, verständnisvollen Vater. Aber den konnte sie sich noch nicht vorstellen. Das wäre ja, als ob Leoparden ihre Flecken verlören… „Er meint es ernst, Liebes. Er hat sich entschlossen, den Konzern zu verkaufen und das Leben ein bisschen leichter angehen zu lassen.“ „Er will verkaufen?“ Sie starrte ihn an. „Und das glaubst du?“ „Seine Ärzte haben ihm dringend geraten, weniger zu arbeiten.“ Zac sah sie ernst an. „Er hat also tatsächlich Probleme mit dem Herzen?“ „Scheint so, und bei seiner Gesichtsfarbe, dem Übergewicht und seinem Alter glaube ich ihm das.“ Zac küsste ihr die Skepsis von den Augen. „Aber ohne Arbeit bekommt er erst recht einen Herzanfall, aus purer Langeweile.“ Hedley Barrington war schließlich ein Workaholic! „Nun, er wird sich auch als Pensionär beschäftigen. Er sprach davon, eine Stiftung zu gründen, mit einer Reihe von Direktoren, die ihm helfen sollen, geeignete Objekte für eine Förderung auszuwählen. Er weiß jetzt, dass wir sein Geld nicht wollen. Für Mikey will er allerdings einen Treuhandfonds einrichten. Ach, übrigens hat er uns seinen Segen erteilt.“ „Seinen Segen?“ staunte Rachel. „Du hast meinen Vater dazu gebracht, aufzugeben und uns dann noch seinen Segen zu geben?“ Ein Wunder! Nun, bei Zac wunderte sie allmählich gar nichts mehr. Er war ein Mann, dem einfach alles gelang. „Ehrenwort.“ Er schmunzelte. „Er ruft morgen an, um dich persönlich zu beglückwünschen – und dir zu sagen, wie Leid es ihm tut, dir Kummer bereitet zu haben. Falls du ihm vergeben kannst, lädst du ihn vielleicht zu unserer Hochzeit ein?“ Unserer Hochzeit! Rachels Augen wurden feucht. Wenn ihr Vater zur Trauung käme, wäre das ein weiteres Wunder.
Nein, Zac war kein bisschen wie Adrian! Und ihr Vater, der Adrian leicht in die
Tasche stecken konnte, hatte in Zac einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Und
sie einen Seelengefährten. Den Mann ihrer Träume. Einen unbezwingbaren
Gladiator, der nicht nur über ihren Vater triumphiert, sondern sogar dessen
Segen erwirkt hatte.
„Oh, Zac, ich hoffe, du vergibst mir!“
„Dir? Wieso?“
„Dass ich dir misstraut habe, dass ich glaubte, was Adrian über dich erzählte,
dass ich dachte, dir könnte Yarrah Downs wichtiger sein als ich. Dafür, dass…“
Rachel bekam es einfach nicht heraus, es kam ihr so schäbig vor.
„Dass was?“ Er strich ihr über das seidige Haar.
„Ich komme mir so schlecht vor wegen einer Sache, die ich gestern gemacht
habe.“ Sie zögerte. „Ich wollte deine Reisetasche ausklopfen und fand darin
einen alten Brief von Adrian, den er dir schrieb, als wir heirateten. Und habe ihn
gelesen.“
Zac runzelte die Stirn. „Ach, den hab ich noch? Den hätte ich längst zerreißen
sollen, ich wollte ihn nie behalten. Adrian ist tot, Liebes, ich wünschte, du hättest
den Brief nie gefunden und dir ein paar Illusionen über deinen Mann bewahrt.
Immerhin warst du die einzige Frau, die er je geliebt hat.“
„Na ja, aber das Geld meines Vaters liebte er noch mehr.“ Rachel schaute Zac
betrübt an. „Deshalb habe ich dir anfangs auch misstraut. Da du Adrians
eineiiger Zwilling bist, dachte ich, du bist in allem wie er. Aber ich wusste bald,
dass ich mich irrte.“
Ihr Blick war voller Liebe für ihn. „Du magst Menschen und respektierst ihre
Gefühle. Auch Bazza spricht in höchsten Tönen von dir, und der kennt dich
besser als irgendwer sonst.“
„Ich habe vor, immer in deiner und Mikeys Nähe zu bleiben.“ Zac drückte den
Mund in Rachels Haar, seine Zunge liebkoste ihr Ohrläppchen. „Was meinst du,
wie lange Mikey wegbleibt?“ fragte er heiser.
„Na ja, erst erzählt er Buster und Rocky alles und dann Vince und Joanne, und
das wird eine Weile dauern. Genug Zeit, um…“ Sie kuschelte sich an ihn. „Oh,
Zac, ich liebe dich.“
„Ich dich auch, mit Verstand, Körper und Seele.“
Alle ihre Träume waren in Erfüllung gegangen. Mikey war zurück und Zac an ihrer
Seite – nicht nur im Augenblick, sondern für immer. Dazu hatte sie Yarrah
Downs. Alles, was sie sich je gewünscht hatte.
Draußen regnete es noch immer. Die durstige Erde trank gierig das Nass, das die
Brunnen und Seen füllte und erneut Leben in die Wüste brachte.
Ja, die Zukunft war wieder hell und freundlich.
ENDE