Das Unfaßbare geschieht, als Professor Brownlow einen Fernsehapparat konstruiert, mit dem man Geschehnisse der Vergange...
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Das Unfaßbare geschieht, als Professor Brownlow einen Fernsehapparat konstruiert, mit dem man Geschehnisse der Vergangenheit auf die Bildscheibe der Gegenwart bannen kann. Der Zeitfernseher entlarvt die geheimnisvolle Macht von den Sternen, die ein weiteres Vordringen der Menschen in dieser Richtung verhindern möchte. Er löst zugleich das Rätsel um das oft unverständliche Verhalten der menschlichen Politiker und zeigt, daß diese seit Jahrhunderten nichts anderes sind, als willenlose Werkzeuge einer ›Höheren Macht‹. Clifton Rudge, ein unternehmungslustiger Reporter, entdeckt das Geheimnis des unsichtbar um die Erde kreisenden Raumschiffes und erkennt schnell die Gefahr, die der Erde droht.
Ullstein Buch Nr. 3345 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: THE STARS ARE OURS Aus dem Amerikanischen von Otto Kuehn Umschlagillustration: DAW Books Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1953 by H. K. Bulmer Übersetzung © 1977 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1977 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03345 8
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bulmer, Kenneth ISBN 3 548 03345 8 Von Robotern beherrscht: Science-fiction-Roman / Hrsg. von Walter Spiegl. – Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein, 1977. ([Ullstein-Bücher] UllsteinBuch; Nr. 3345: Ullstein 2000) Einheitssacht.: The Stars are ours
ISBN 3-548-03345-8
H. K. Bulmer
Von Robotern beherrscht SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1 Das also hat ihm seine Experimentierleidenschaft eingebracht, dachte Clifton Rudge, als seine Blicke auf das kleine, runde, rotumränderte Loch in Professor Brownlows Schläfe fielen. Wie benommen ging er zur Eichentür des Zimmers und versetzte ihr einen Tritt, daß sie mit einem dumpfen Schlag ins Schloß fiel und den kalten Luftstrom abschnitt, der aus der marmorverkleideten Vorhalle hereinströmte. Dann drehte er mit behandschuhten Fingern den Schlüssel herum. Langsam ging er zu dem alten Professor zurück. Die düstere, unheimliche Bibliothek, deren Wände von Bücherregalen und Gemälden fast gänzlich verdeckt waren, vermittelte das bedrückende Gefühl des Eingeschlossenseins. Ernst blickte Rudge auf die magere, vogelähnliche Gestalt hinab, die in dem schweren Lehnstuhl zusammengesunken war. Von kalten, erschlafften Fingern am Abzugsbügel gehalten, baumelte eine 9-mm-Heerespistole über die Armlehne hinab. Als Rudge sich vorbeugte, um den Telefonhörer abzunehmen, warf die Tischlampe seinen Schatten über den massiven Schreibtisch. Er rief die Zentrale an. Sein hageres, gebräuntes Gesicht schien unbeweg-
lich wie eine Maske. Seine braunen Augen hatten ihren Glanz verloren. Die unheimliche Stille, die drükkend in dem Raum herrschte, wurde durch die Stimme der Telefonistin zerrissen. Rudge sprach leise in den Apparat, indem er ab und zu einen Seitenblick auf die leblose, im Stuhl zusammengesunkene Gestalt warf. »Fräulein, geben Sie mir das Polizeipräsidium, bitte.« Er wartete. Seine Sinne registrierten die vielen Summ- und Nebengeräusche nicht. »Polizei? Können Sie sofort jemanden herüberschicken? Professor Brownlow ist erschossen worden. Jawohl, Moon Street. Ich warte.« Es fiel Rudge schwer, die Worte über seine fast tauben Lippen zu bringen, und er legte auf, noch bevor der Beamte aufgehört hatte zu sprechen. Ein dunkler Wandbehang bewegte sich leicht. Rudge wußte selbst nicht, wie er dazu gekommen war, über das Telefon diese Auskunft zu geben. Es war doch ganz offensichtlich Selbstmord. Die Waffe und die Haltung des zusammengesunkenen Körpers wiesen darauf hin. Er war noch ganz benommen und konnte das Gefühl nicht abwehren, daß die Wände und Regale immer näher heranrückten, ihn erdrükken, ersticken wollten. Sein Blick glitt über die Wand. Plötzlich bemerkten seine Augen, daß sich im stillen Raum die dunkle
Portiere leicht bewegt hatte. Mit einem Satz sprang er hinter den Mahagonischreibtisch und warf sich auf den Fußboden. Keine Sekunde zu früh! Aus der Mündung der schwarzen Automatik, die hinter der Portiere hervorgelugt hatte, schoß eine Mündungsflamme, und eine Kugel pfiff über Rudge durch die Luft und schlug in die gegenüberliegende Wand. Mit einer blitzartigen Bewegung riß Rudge die Tischlampe vom Schreibtisch herab. Das Licht erlosch, und das Zimmer wurde in tiefe Finsternis gehüllt. Dann richtete er sich geschmeidig auf und huschte auf Zehenspitzen durch den Raum zur Wand. Er preßte sich gegen die Mauer, einen halben Meter von dem Wandbehang entfernt. Rudge hatte instinktiv gehandelt. Er vernahm das heisere Atmen des Mannes hinter der Portiere. Rudge lächelte. Ganz gleichgültig, wer da hinter dem Vorhang stand; das heisere Atmen verriet Rudge, daß der Mörder Angst hatte. Also war es doch kein Selbstmord gewesen! Mit ausgebreiteten Armen sprang er vor, umschlang den Körper und wickelte ihn in die Portiere. Er hörte, wie der Stoff riß. Staub reizte seine Nasenschleimhäute. Ein Schuß löste sich. Doch das dicke Gewebe dämpfte die Explosion. Der Geruch von verbranntem Stoff stieg Rudge in die Nase. Dann schlug er zu.
In der Dunkelheit hatte Rudge nicht richtig zielen können, und er holte zu einem zweiten Schlag aus. Sein Gegner brüllte und keilte mit den Füßen aus. Rudge sprang behende auf die Seite und stieß seine Faust in die sich krümmende, fluchende Gestalt. Der Mann sackte zusammen. Heftig atmend trat Rudge zurück. »Laß dich mal ansehen, mein Freund«, keuchte er und zog das Tuch weg. Als er gerade im Begriff war, den Arm auszustrecken, sprang der Mann plötzlich auf, schlug mit Armen und Beinen um sich und warf Rudge auf den Teppich. Für einen kurzen Augenblick konnte Rudge sehen, wie sich die dunkle Gestalt gegen das hellere Rechteck des Fensters abhob. Und begleitet vom Bersten und Krachen des klirrenden Glases, hechtete der Mann durchs Fenster, indem er alles mit sich nahm: Rahmen, Scheiben und Vorhangstäbe. Fluchend sprang Rudge auf und setzte über die Trümmer des Fensters dem Flüchtigen nach. Er sah die davoneilende Gestalt, als sie über die niedrige Mauer sprang. Rudge lief auf die Mauer zu und rutschte auf dem gefrorenen Schnee aus. Dann schwang er sich über die Mauer und blickte die Moon Street hinauf und hinab. Eine schwarze Wolkenbank verdeckte den Mond, und böige Windstöße schlugen ihm den Regenmantel
um die Beine. Eisig kalt wehte der Wind um die Ekken und trieb ihm den Schnee ins Gesicht. Doch der Mann war wie vom Erdboden verschlungen. Das überraschte Rudge nicht. Hier in diesem Teil von Mayfair gab es viele kleine Seitengassen und Schlupflöcher. Rudge blickte auf den Boden. Er hatte richtig vermutet. In regelmäßigen Abständen zeichneten sich die Fußspuren im Schnee ab. Rudge folgte ihnen, indem er so leise rannte, wie er nur konnte. Das trockene Knirschen des Schnees unter den Sohlen schien Rudge so laut zu sein, daß es ganz London hören mußte. In der Bibliothek war er zu langsam gewesen. Der Mörder hatte einen uralten Trick angewandt, und er war prompt darauf hereingefallen. Das war ein Zeichen, daß er mit dem Burschen vorsichtiger umspringen mußte, wenn er ihn einmal erwischt hatte. Die Spur führte um eine Ecke und in eine schmale Gasse. Ein kühner Spurt war das beste, entschied sich Rudge. Es war unwahrscheinlich, daß der Mörder am Eingang der Gasse auf eine Gelegenheit warten würde, seinen Verfolger niederzuknallen. Rudge verzog die Lippen. Der Kerl war wohl viel zuviel mit dem Gedanken beschäftigt, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Kurz entschlossen stürmte er los und durchmaß die
ganze Länge der Gasse, ohne anzuhalten. Seine Schultern kamen ihm plötzlich sehr breit vor; er fühlte sich wie eine Zielscheibe auf dem Jahrmarkt. Plötzlich lag ein hellerleuchteter, schneebedeckter Platz vor ihm: Piccadilly. Und hier verloren sich die Fußstapfen, denen er gefolgt war, in einem grauen Matsch, der das Pflaster bedeckte. Eine Heli-Taxe glitt vorüber. Einen Augenblick lang schaute Rudge ihr nach; dann sah er wieder auf das Pflaster und versuchte zu überlegen, was der Mörder wohl unternommen hatte. Die Leuchtröhren der Lichtreklame warfen bunte Schatten auf die Schneehaufen. Bizarr huschte das farbige Licht über vorbeifahrende Autos und glitzerte auf den Ästen der Bäume wie unzählige Diamanten. So spät am Abend waren gewöhnlich nur wenige Leute unterwegs, und das unfreundliche, kalte Wetter hatte auch diesen wenigen das Ausgehen verleidet. Es blieb Rudge nichts anderes übrig, als zurückzugehen. Ihm fiel ein, daß er dem Polizisten am Telefon gesagt hatte, er wollte warten. Sie waren jetzt bestimmt schon dort. Über die Schulter blickte er noch einmal auf den schneebedeckten Platz mit seinen kahlen Bäumen und ging dann schnell durch die schmale Gasse zurück, die in die Moon Street mündete.
Ein glänzendblaues Polizei-Flugauto stand vor dem Haus. Seine Gummireifen hatten den verkrusteten Schnee eingedrückt. Die Fenster des Hauses waren jetzt hell erleuchtet, und die dunklen Schatten von Leuten im Innern zeichneten sich scharf gegen die hellen Scheiben ab. Ein Polizist kam auf Rudge zu und hob die Hand. »Es tut mir leid, Sir: Hier darf jetzt niemand durch.« »Ist schon gut, Constable.« Rudge fühlte plötzlich eine gewisse Müdigkeit. »Ich bin Clifton Rudge und habe die Polizei wegen des Professors angerufen.« Der Constable rief einen Sergeant, dieser einen Inspektor. Schließlich führte man Rudge in das Haus. Der Raum war voller Polizisten. Die einen machten Aufnahmen, andere bepinselten alle Gegenstände mit einem weißen Pulver, um Fingerabdrücke sichtbar zu machen, und wieder andere verhörten die aus dem Schlaf gerissene verängstigte Dienerschaft. Ein kleiner, dunkler Mann mit gerunzelter Stirn stürzte sich auf Rudge, der gerade das Zimmer betrat. »Sind Sie Mr. Rudge? Wo, zum Teufel, haben Sie gesteckt?« Seine Stimme klang wie das Knarren eines alten Bettes. Das Geräusch ging Rudge auf die Nerven. »Ich glaube nicht, daß ich schon das Vergnügen hatte, Sie kennenzulernen«, meinte Rudge leise.
»Wie? Oh, ich bin Chief Superintendent Barker! Sie hatten gesagt, Sie wollten auf uns warten. Was ist geschehen?« »Ach, jemand hatte versucht, mich umzubringen. Bin ihm nachgelaufen. Habe ihn leider am Piccadilly verloren. Betrachten Sie sich die Wand mal ein bißchen genauer. Da sitzt noch eine Kugel drin.« »Ja, habe sie schon gefunden. Also da hat einer auf Sie geschossen, wie? Konnten Sie erkennen, wie er aussah?« »Nein. Es war viel zu dunkel, hier drinnen wie auch draußen. Als ich die Lichter am Piccadilly erreichte, war er schon verschwunden.« »Na, gut! Wir kommen später darauf zurück. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie mir einige Fragen beantworteten.« Geduldig berichtete Rudge alle Einzelheiten über die Entdeckung der Leiche. Er merkte dabei, daß Barker sich alles gut einprägte. Mochte der Mann auch noch so rauhbeinig erscheinen – er war trotz allem ein fähiger Kriminalbeamter. Dann horchte Rudge auf. Als die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, drang der Lärm von Stimmen herein, die halb scherzend, halb bösartig die Polizeimethoden verdammten: Reporter. »Könnten Sie mich einige Augenblicke entbehren, Chief Superintendent?« bat Rudge.
»Glaube schon. Aber verlassen Sie bitte das Haus nicht eher, bis Sie die Erlaubnis dazu bekommen.« Rudge blickte auf die in dem großen Stuhl zusammengesunkene Leiche Professor Brownlows. Die Wut packte ihn. Dann ging er durch die Tür hinaus, in Richtung Haupttreppe. In der Halle brodelte es wie in einem Hexenkessel. Polizisten, Reporter, Dienstboten – alle drückten, drängten und schoben. Und durch das Gewühl zwängte sich der Polizeiarzt. Rudge warf nur einen flüchtigen Blick über die Menschenmenge. Dann hastete er die Hintertreppe hinauf und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Auf einem Mahagonitischchen stand ein Telefon. Erleichtert atmete er auf und wählte. Ungeduldig wartete er, bis sich die Zentrale meldete. »Geben Sie mir bitte den Daily Meteor. – Minnie, verbinde mich schnell mit der Lokalredaktion.« »Schon geschehen.« »Lokalredaktion? Sind Sie's, Mac? Hier Rudge – Clifton Rudge. – Ich sollte über die neue Entdeckung Professor Brownlows schreiben.« Rudge sprach so leise, wie er konnte, damit die Leute unten in der Halle ihn nicht hörten. Aber am liebsten hätte er jetzt in den Hörer gebrüllt, daß man in der Redaktion zumindest seinen Namen kennen müsse, ob er nun ein »grüner« Reporter war oder nicht.
Vor kurzem hatte Rudge eine kleine Auseinandersetzung mit der Firma gehabt, für die er gearbeitet hatte. Es ging damals um Patente von neuen Entwicklungen. Zuvor war er beratender Wissenschaftler gewesen. Doch auch in diesem Beruf mußte man essen. Vorher war er ein ganzes Jahr lang auf der Universität gewesen. Und jetzt war er als wissenschaftlicher Reporter beim Daily Meteor gelandet. Der einzige Haken war, daß die Leser des Meteor für Skandalgeschichten mehr Interesse zeigten als für wissenschaftliche Berichte. »Professor Brownlow?« Plötzlich schrie Mac von der Lokalredaktion den Namen in hellster Aufregung durch den Draht. »Ist das der alte Knacker, den sie eben umgebracht haben? Auf! Schieß los, Rudge!« Rudge berichtete. Doch bevor er den ersten Satz beenden konnte, schnitten ihm grauenhafte Flüche, die durch den Hörer kamen, das Wort ab. »Über den Mord! Mensch, ich will was über den Mord wissen! Was liegt mir an dem neumodischen Fernsehempfänger, an dem der Alte gearbeitet hat! Jetzt mach schon!« Als Rudge berichtete, wie man ihm nach dem Leben getrachtet hatte, hörte er Mac vor Entzücken schnattern. »Prima! Meteor-Reporter verwickelt gefährlichen Mörder in Duell auf Leben und Tod. Damit kommt
der Planet diesmal nicht mit. Toll Mann!« Mac schnatterte weiter. Doch plötzlich glaubte Rudge seinen Ohren nicht trauen zu können. »Ist gut, Rudge. Sie haben Ihre Arbeit getan. Suchen Sie jetzt Kelly. Er ist einer unserer besten Männer. Erzählen Sie ihm alles, was Sie mir eben berichtet haben. Er wird die Sache übernehmen. Der Junge kann schreiben wie kein anderer.« »Aber«, stotterte Rudge, »aber ich sollte ...« »Sie haben gute Arbeit geleistet, Junge. Jetzt suchen Sie Kelly!« Die Verbindung wurde unterbrochen. Langsam legte Rudge den Hörer auf die Gabel zurück. Dann ging er die Treppe hinab und drängte sich durch die aufgeregte Menge in der Halle. Kelly war ein kleiner, gut angezogener Mann. Er sah wie ein Versicherungsagent aus. Er war Reporter inkognito. Man hatte die Reporter noch nicht in das Mordzimmer gelassen. Rudge wunderte sich, warum sich die Polizei so schnell für Mord entschieden hatte, obgleich alles auf Selbstmord hindeutete. Er lenkte Kellys Aufmerksamkeit auf sich und nickte. Der Mann vom Meteor kam herüber. Nachdem er sich vorgestellt hatte, klärte Rudge den Reporter über die Vorfälle auf. Die Augen des Journalisten begannen zu glänzen.
»Sie haben also die Leiche entdeckt, und der Mörder hat auf Sie geschossen. Zumindest«, verbesserte sich Kelly, »war es jemand, der Sie umbringen wollte und sich im gleichen Zimmer befand wie der Leichnam. Das will nicht heißen, daß er der Mörder war.« »Nein«, gab Rudge zu. »Was ist eigentlich mit diesem Professor Brownlow? Ich meine – warum macht man solch ein Theater wegen seiner neuen Erfindung?« »Ach, das ist eine verworrene Geschichte«, erklärte Rudge vorsichtig. »Er hat einen Bildaufzeichner für das Fernsehen entwickelt, der unabhängig von einer Kamera arbeitet. Man kann im Zimmer vor einem Fernsehempfänger sitzen und den BrownlowFernsehabtaster auf irgendeinen Ort innerhalb seiner Reichweite einstellen, und man bekommt das Bild auf den Schirm. Man hatte mich herübergeschickt, einen Artikel darüber zu schreiben.« »Ein tolles Ding!« meinte Kelly nachdenklich. »Ich kann es verstehen, daß Sie das für wichtiger als den Mord halten.« »Tue ich auch.« »Nun, betrachten Sie es mal von der anderen Seite. Wer hat den Professor umgebracht? Und warum? Vielleicht werden Sie feststellen, daß diese beiden Fragen mit dem Fernsehabtaster eng zusammenhängen. Offensichtlich ist das der Grund für den ganzen
Wirbel. Wie ich gehört habe, hat Barker den Fall übernommen.« »Stimmt. Er hat mich vor einigen Minuten verhört. Der Mann hat eine Stimme wie ein Reibeisen.« Kelly grinste. »Er ist nicht der Schlimmste.« Rudge gefiel der gewandte Reporter. Vielleicht war auch er nicht der Schlimmste. Eines stand fest: er hatte als Reporter eine ganze Menge Erfahrung. Bei einer Zusammenarbeit mit ihm könnte Rudge vielleicht so manches Nützliche lernen. »Kommen Sie, wir gehen in das Labor des Professors hinunter«, schlug Rudge vor. »Ich glaube, man wird uns hineinlassen.« Kelly sah ihn an. »Wie? Das glaube ich kaum. Das Labor wird man vielleicht schärfer abgeriegelt haben als ein Atomkraftwerk auf dem Mars.« »Ich kannte Professor Brownlow ziemlich gut.« Kelly wußte nichts zu entgegnen, und sie gingen zusammen die Kellertreppe hinab. Die Tür zum Laboratorium war unbewacht. Man hatte sie offensichtlich in der Aufregung ganz vergessen. Rudge ging hinein und schaltete das Licht an. Das Labor war geräumig und gut ausgestattet, voll von großen elektrischen Anlagen, dicken Starkstromkabeln, die sich wie Schlangen über den Boden wanden, und kompliziert aussehenden Bedienungspul-
ten. Umsäumt von Dutzenden von Skalen und Schaltern, beherrschte ein großer Fernsehschirm den Raum. Doch Rudge hatte kein Interesse dafür. Mitten auf dem fliesenbedeckten Fußboden lag ein Mädchen. Der weiße Laborkittel, den sie anhatte, war zerrissen und blutbeschmiert. Ihr Kopf lag in einer Blutlache. Mit einem Schritt war Rudge an ihrer Seite und fühlte nach dem Puls. Ganz schwach spürte er das Klopfen des Blutes in den Adern. Er ließ ihr Handgelenk los und wandte sich an Kelly. »Rufen Sie die Sanitäter, Kelly. Sie lebt, muß aber sofort behandelt werden.« Der tadellos angezogene Reporter gab keine Antwort; er rannte aus dem Labor. Rudge hörte ihn die Treppe hinaufeilen und nach den Sanitätern rufen. Er ordnete die Kleidung des Mädchens und legte ihr seinen zusammengerollten Regenmantel unter den Kopf. Sie hatte eine lange, klaffende Wunde an der Schläfe – ein Streifschuß, der offenbar aus der gleichen Waffe abgefeuert worden war, aus der man auch auf Rudge geschossen hatte. Er preßte die Lippen zusammen und nahm sich vor, mit dem unbekannten Mörder auch für diese Schandtat abzurechnen. Behutsam strich er ihr kastanienbraunes Haar zurück, weg von der Wunde. Ihre Züge waren klar. Die
langen Wimpern an den geschlossenen Augen waren echt, nicht angeklebt. Rudge fragte sich, welche Farbe ihre Augen wohl haben mochten. Dann kamen Männer in das Laboratorium. Die Sanitäter legten das bewußtlose Mädchen auf eine Bahre, breiteten eine Decke über ihrer zarten Gestalt aus und trugen sie vorsichtig aus dem Raum. Polizisten und Reporter drängten herein, und die Luft war erfüllt von Fragen und Bemerkungen. Rudge wandte sich ab und ging zu dem großen Fernsehschirm hinüber. Er drehte an einem Schalter, der in der Mitte des Bedienungspultes angebracht war. Er fragte sich, ob das Fernsehen schon über den Mord berichtet hatte. Der Schirm wurde hell, und farbige Streifen huschten darüber. Dann gingen die Schatten ineinander über und formten ein Bild. Rudge schaute zu, während er auf den Lärm hörte, den die Reporter und Polizisten verursachten. Plötzlich erkannte Rudge den kleinen Mann, dem die Haarlocke über die Stirn herabhing und der einen kleinen Schnurrbart trug. Er unterhielt sich gerade mit einem anderen. Rudge starrte auf den Mann, und seine Erinnerung gab ihm die Antwort: Hitler! Dann sah er die zweite Gestalt und schrak zusammen. Unter durchsichtigem Fleisch lag ein metallenes Gesicht mit Quarzlinsen als Augen!
2 Rudge streckte den Arm aus und stellte das Gerät ab. Der Schirm erlosch. Gespannt wartete er einen Augenblick auf den Schwall von Fragen, der von den Reportern und Polizisten kommen mußte. Doch er blieb aus. Mit einem Seufzer der Erleichterung drehte er sich um und blickte durch das Labor. Die Leute, die in dem Raum umhergingen, waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie sich um Rudge hätten kümmern können. Mit einem plötzlichen Schuldgefühl fiel ihm ein, daß in diesem Raum das Mädchen fast ermordet worden wäre, daß er sie hier blutend und bewußtlos auf dem Boden gefunden hatte. Aber dieses andere, dieses Bild Hitlers, der doch schon lange tot war! Auf dem Fernsehschirm hatte er sich mit einem fleischüberzogenen Metallwesen unterhalten, das seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatte. Er rief sich diese Szene, bei der er Zeuge gewesen war, noch einmal vor Augen. Es mußte bestimmt Hitler gewesen sein. Jemand anders kam gar nicht in Frage. Die Geschichtsbücher zeigten viele Bilder dieses Diktators. Der »Führer« hatte gerade mit der Faust auf den Mahagonitisch geschlagen, während der Mann, mit dem er sprach,
ganz gleichgültig und scheinbar unbeteiligt dabeigesessen hatte. Aber das Fleisch war durchsichtig und zeigte den darunterliegenden Metallkörper mit seinen Quarzaugen. Das mußte doch – das mußte ein Roboter gewesen sein. Aber das war ja ein Ding der Unmöglichkeit! Auf einmal wurde sich Rudge der Unwahrscheinlichkeit dieser Szene bewußt. Auf dem Fernsehschirm waren Ereignisse und Personen erschienen, die längst der Vergangenheit angehörten. Es mußte ein Zeit-Bild-Aufzeichner sein! Dieses Gerät brachte Bilder aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Rudge erinnerte sich an frühere Unterhaltungen, die er mit Professor Brownlow, im Laufe seiner Bekanntschaft mit dem Wissenschaftler, geführt hatte. Dieser Fernsehabtaster, der die Bilder ohne Kamera auf den Bildschirm brachte, war der große Traum des Professors gewesen. Und doch schien er dahinter die wirklich große Erfindung, den Zeit-Bild-Aufzeichner, verborgen gehalten zu haben. Rudge wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war sehr warm in dem Kellerlabor. Die Masse der Reporter zwängte sich zur Tür hinaus. Einige sprachen eifrig in ihre Funkgeräte. Die anderen Zeitungen hatten ihre Reporter gut ausgerüstet. Doch ihn hatte man nicht für wert befunden, ihm
ein Funksprechgerät mitzugeben. Das Telefon war gut genug für ihn! Es ging ja nur um einen wissenschaftlichen Bericht. Rudge blickte wieder auf den Bildschirm. Wenn er noch einmal an diesem Hauptschalter drehte – würde er dann Hitler wieder mit diesem fleischüberzogenen Roboter sprechen sehen? Er warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und zog den Kraftstromstecker heraus. Das Gerät konnte nun nicht mehr eingeschaltet werden. Den Stecker mit dem Kabel warf er hinter ein Schaltpult. Mit dem Fuß schob er ihn so weit zurück, bis nichts mehr zu sehen war. Dann ging er langsam zur Mitte des Raumes, als sei nichts geschehen. Jetzt würde niemand an dem Gerät schalten können, um Bilder zu sehen, die Rudge vorerst für die Öffentlichkeit ungeeignet hielt. Erst würde er andere Leute um ihre Meinung bitten müssen. Es schien jetzt, als habe der Mörder von dem Z-B-Aufzeichner gewußt. Bestimmt wollte er es zerstören, wobei er das Mädchen angeschossen hatte. Danach mußte er hinaufgegangen sein, um Professor Brownlow zu töten. Wenn der Wissenschaftler tot war, würde niemand mehr das Z-B-Gerät bauen können. Doch diese Überlegung konnte gar nicht stimmen, dachte Rudge. Der Zeit-Bild-Aufzeichner funktionierte ja noch. Das hieß, man hatte das Vorhaben des
Mörders vereiteln können. Hatte ihn das Mädchen daran gehindert? Rudge blieb stehen und blickte auf die Fliesen, wo er sie, in einer Blutlache liegend, gefunden hatte. Wie gut konnte er sich noch an ihr feines Gesicht erinnern, an die langen dunklen Wimpern, die echt gewesen waren! Was hätte er getan, wenn er den Auftrag gehabt hätte, das Z-B-Gerät zu zerstören und danach den Professor zu erschießen? Eine Zeitbombe! Das war's! Rudge begann zu schwitzen. Wild blickte er sich im Labor um. Sein Blick lief die Regale mit ihren Skalen und Meßgeräten entlang. Das grelle Licht blendete ihn. Welche von diesen Armaturen war die Uhr, die mit der Bombe verbunden war? Es hätte jede dieser vielen Skalen sein können. Er begann umherzulaufen und nach einem verdächtig aussehenden Anschluß zu suchen. Dann hielt er mit pochendem Herzen inne. Was war er doch für ein Narr! Der Bildschirm beherrschte den Raum. Das um ihn herum aufgestellte elektronische Gerät nahm eine ganze Ecke des Raumes in Anspruch. Dort, und sonst nirgends, würde er die Bombe finden. Rudge ging leise über die Fliesen, fast auf Zehenspitzen, und untersuchte das Gewirr von Drähten und Anschlußkabeln, das aus der Rückwand des Be-
dienungspultes herausragte. Seine suchenden Finger wirbelten Staub auf. Er lehnte sich immer weiter vor und suchte immer hastiger. Der Staub drang ihm in die Kehle; er hustete. Hier war also nichts. Vielleicht unter dem Bildschirm? Er bückte sich und schaute darunter. Nichts! Auf welche Zeit hatte der Mörder die Bombe eingestellt? Gab es überhaupt eine Bombe? Doch von diesen Zweifeln durfte Rudge sich nicht beirren lassen. Mit einer hastigen Bewegung wischte er die Schweißperlen von der Stirn und versuchte, sich ein Bild von dem Vorgang zu machen, wie ihn der Mörder gesehen haben mußte. Das Mädchen mußte mit einem Experiment beschäftigt gewesen sein, als er hereinkam. Sie mußte ihn bemerkt und angesprochen haben. Dann hatte er auf sie geschossen, und sie war mit einer Streifwunde am Kopf niedergestürzt. Doch hatte sie sich in der Mitte des Raumes befunden. Also mußte sie da etwas zu tun gehabt haben. Rudge konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wo steckte die Bombe? Vielleicht hatte das Mädchen den Bildschirm beobachtet. Nur das konnte es gewesen sein. So erklärte sich auch der Umstand, daß sie in der Mitte des Raumes gelegen hatte. Folglich hatte der Mörder den Bildschirm abgestellt. Warum?
Damit jeder, der ihn wieder anstellen wollte, die Zeitbombe auslösen mußte. Jemand – wie er, zum Beispiel! Natürlich! Rudge eilte auf den Schirm zu. Ja, ein paar haardünne Drähte liefen vom Schalter unter das Schaltpult und verschwanden in einer Spalte zwischen Gehäuse und Rückwand. Als er vorhin neugierig den Schirm eingestellt hatte, mußte er die Zündung ausgelöst haben. Rudge schob das Gehäuse zur Seite und zog ein flaches Metallpäckchen hervor. Bestimmt zwei Chemikalien, die im Augenblick der Vereinigung explodierten. Die Betätigung des Schalters würde eine widerstandsfähige Trennschicht beseitigt haben, um eine dünne Zwischenwand zurückzulassen, die schnell durchfressen sein würde. Wieviel Zeit bis dahin noch vergehen würde, konnte niemand sagen. Rudge hatte das berunruhigende Gefühl, daß jetzt nur noch Sekunden vergehen würden, bis der große Knall käme. Er hastete durch die Tür. Vier Stufen auf einmal nehmend, raste er die Treppe hinauf und bahnte sich brüllend einen Weg durch die Menge. Ein Polizist versuchte ihn aufzuhalten. Der pflichtbewußte Beamte hatte nicht mit Rudges Verzweiflung gerechnet. »Entschuldigen Sie, Constable!« rief Rudge und
versetzte dem heraneilenden Polizisten einen Haken, daß er zu Boden ging. Noch zwei Reporter mußte er mit den Ellenbogen aus dem Weg räumen. »Bombe!« rief er keuchend. Fast hätte er das Kästchen fallen lassen. Mit einem Tritt öffnete er die Tür, sprang in den Vorgarten hinaus und warf die Bombe, so weit er konnte, in den Schnee der Moon Street hinaus. Im hohen Bogen segelte das Kästchen durch die Luft und landete mitten auf der Straße. Da lag es – ein scheinbar harmloser, schwarzer Gegenstand. »Das ist eine Zeitbombe, Constable«, unterrichtete Rudge keuchend einen herbeigeeilten Polizisten. »Sie war im Labor versteckt.« Chief Superintendent Barker drängte sich an den hinzugekommenen Reportern vorbei und blieb stirnrunzelnd vor Rudge stehen. »Genügt Ihnen denn die Verwirrung, die Sie heute angerichtet haben, noch immer nicht?« »Glauben Sie mir doch: Das ist eine Bombe, die der Mörder mitgebracht hat, um das Labor ...« »Beruhigen Sie sich bitte, Mr. Rudge«, meinte Barker kalt. »Die Angelegenheit wird allmählich ...« Da detonierte die Bombe. Geblendet von dem grellvioletten Blitz, hob Rudge schützend den Arm vor die Augen. Fensterscheiben zersprangen klirrend, und eine Dampfwolke erhob
sich über dem geschmolzenen Schnee. Die Männer, die auf der Treppe gestanden hatten, wurden durch den Luftdruck zurückgeschleudert und prallten gegen die Tür. Rudge richtete sich auf, packte Barker beim Kragen seiner Uniform und zog ihn hoch. Wortlos schaute er ihn dabei an. »Eine Zeitbombe«, sagte Barker mit schwacher Stimme. »Es ist ziemlich kalt hier draußen«, meinte Rudge. »Gehen wir lieber hinein. Ich möchte Ihnen einiges erzählen.« Nachdem sie das Haus wieder betreten hatten, führte Rudge den Inspektor in das Kellerlabor. »Ich möchte Ihnen empfehlen, dieses Gerät gut bewachen zu lassen.« Rudge deutete auf die Apparate in dem großen Raum. »Der Mörder, wer es auch gewesen sein mag, hat die Bombe hier angebracht. Zum Glück habe ich sie rechtzeitig gefunden. Er hatte den Professor umgebracht und wollte nun auch sein Werk vernichten. Diese Erfindung ist ein Geheimnis und ungeheuer wichtig.« »Einen Augenblick!« Barker hatte sich von der Überraschung erholt, und seine starke Persönlichkeit machte sich wieder bemerkbar. »Ich leite hier die Untersuchung. Gewiß werde ich hier unten eine Wache aufstellen; aber nur weil das so üblich ist. Wenn Sie
Angaben über die Arbeit des Professors machen können, die mit seiner Ermordung in Verbindung stehen, dann wenden Sie sich bitte an mich.« »Aber ich muß meine Zeitung anrufen – ich habe keine Zeit zu verlieren, um ...« »Wenn Sie in dem kleinen Büro, gleich neben der Halle, warten wollen, könnten Sie dort das Telefon benützen«, unterbrach ihn der Chief Superintendent. Rudge war wütend, als er die Stiegen hinaufging, die Tür zu dem Büro aufstieß und den Hörer abnahm. Diese verflixten Polizisten mit ihren sturen Vorschriften! Jede Minute konnte der Mörder zurückkehren, um diesmal mit mehr Erfolg seine Absicht auszuführen. Rudge hatte den Verdacht, daß der Mörder ein Mitglied irgendeiner Bande war und er beim nächsten Anschlag das ganze Haus in die Luft jagen würde. Eine Bande, die solche Zeitbomben besaß, mußte ziemlich gut organisiert sein. Da standen bestimmt einflußreiche Leute im Hintergrund. Die Arbeit in dem Labor war streng geheimgehalten worden. Inwieweit die Regierung unterrichtet war, konnte er nicht sagen. Er wählte eine Nummer und wartete ungeduldig, während das Telefon am anderen Ende der Leitung läutete. Eine Stimme sagte: »Daily Meteor.«
»Die Lokalredaktion, bitte. Hier ist ...« Rudge verstummte. Ein harter, kalter Gegenstand preßte sich gegen seinen Rücken. »Hallo – hallo ...!« Am anderen Ende wurde eingehängt. Eine braune Hand nahm den Hörer aus Rudges Händen und legte ihn sorgfältig auf die Gabel zurück. Rudge drehte sich langsam um, die Hände in Schulterhöhe erhoben. Er kannte den Mann nicht. Ein dunkles, sonnengebräuntes Gesicht. Ein schwarzer Hut war tief über leuchtende Augen herabgezogen. Die Lippen waren dünn und zusammengepreßt. »Du bist also Clifton Rudge? Du kommst jetzt mit ...« Die Lippen bewegten sich kaum. Die Pistole lag ruhig in der braunen Hand und wies stetig auf Rudges Magengegend. Rudge wagte keine Widerrede, sondern folgte dem Befehl und ging durch die Terrassentür auf den schneebedeckten Rasen hinaus. Er hatte keine Gelegenheit, nach Barker oder Kelly zu rufen. Über den kahlen Blumenbeeten schwebte ein dunkles Flugauto. Rudge stapfte durch den Schnee, packte den Einstieggriff und schwang sich hinauf. Der Mann unter ihm wartete, bis er im Wageninneren war und folgte ihm dann. Er ging kein Risiko ein, daß Rudge nach hinten
ausschlagen könnte. Als Rudge die Kabine betrat, sah er als erstes eine Pistolenmündung, die auf seinen Kopf gerichtet war. »Setz dich dort hin«, knurrte die Stimme, und Rudge gehorchte. Man hatte ihn überrumpelt. Das einzige, was er tun konnte, war, mitzuspielen und auf eine Gelegenheit zur Flucht zu warten. Der Mann, der ihn hergebracht hatte, schlug die Tür hinter sich zu. Die Helikopterflügel des Helicars begannen sich schneller zu drehen. Der Wagen stieg schnell in die Höhe und jagte über der hellerleuchteten Londoner Innenstadt dahin. Drei Männer befanden sich in der Druckkabine. Zwei waren typische Gangster. Rudge hatte mit dieser Art von Menschen noch nichts zu tun gehabt; aber er kannte sie von den Video-Programmen her. Der dritte saß vornübergebeugt und hatte sein Gesicht auf die gebräunten Hände gestützt. Er war aus anderem Holze. Auf seinem nachdenklichen Gesicht lag ein unbeschreibbarer Ausdruck. Rudge schreckte vor diesem Mann zurück. Er schien fremdartig, irgendwie unmenschlich zu sein. Der Helicar geisterte durch die Nacht nach Norden. Die glänzenden Lichtketten und -kleckse, die von Groß-London ausgingen, rasten unter ihnen vorbei. Allmählich wurden die Lichter schwächer, schmolzen zu farbigen Pfützen zusammen, die untereinander
durch dünne Lichtfäden verbunden waren. Dann war London ganz verschwunden, und sie flogen über schneebedeckte Weidenflächen. Die Männer in der Kabine sprachen nicht. Rudge gewann den Eindruck, daß die beiden Gangster den dritten Mann fürchteten. Die Kabine war warm. Sie war auf das modernste ausgestattet, und man konnte in ihr weit in die Stratosphäre hinausfliegen. Rudge überfiel ein kalter Schauer. Der Mann saß ohne jede Bewegung, so völlig bewegungslos, als sei er eine Wachsfigur. Rudge griff mit einer Hand in die Tasche. »Hat jemand etwas dagegen, wenn ich rauche?« fragte er. Die beiden Gangster waren bei seiner Bewegung zusammengefahren, und die Pistolen zitterten in ihren Fäusten. »An Ihrer Stelle würde ich keine plötzlichen Bewegungen machen«, brummte der eine. »Wir haben verdammt lockere Zeigefinger.« »Das habe ich gemerkt. Doch wie steht es mit meiner Frage?« Der bisher bewegungslos dasitzende Mann hob den Kopf. »Sie können rauchen.« Die Stimme war ein pfeifendes Geräusch. Rudge hatte Mühe, mit seinem Feuerzeug die Zigarette anzuzünden.
Dann hustete er und fiel auf den Boden des Helicars. Die Zigarette glitt aus seinen Lippen, und ein ungeheures Gewicht drückte ihn fest auf den Boden. Der Helicar war senkrecht in die Höhe gestiegen. Ein Sog hatte ihn emporgehoben, der nicht von den Rotorblättern kommen konnte. Die drei anderen saßen zusammengekauert auf ihren Sitzen, und Rudge war hilflos gegen den Fußboden gepreßt. Dann war der ungemütliche Anstieg vorüber, der Rotor begann sich langsamer zu drehen, und außerhalb des Helicars ertönte ein dröhnender Schlag. Rudge kam sich vor, als träume er. Er hob seine Zigarette auf und blickte auf die Fenster der Kabine. In diesem Augenblick flog die Tür auf. Die Männer erhoben sich und deuteten Rudge an, vor ihnen die Kabine zu verlassen. Er wußte, daß sie draußen auf festem Boden stehen würden, obgleich sich der Helicar viele Kilometer über der Erde befand. Er richtete sich auf, und ein bläulicher Metallschädel wurde durch die Tür hereingestreckt. Augen aus Quarzlinsen richteten sich auf ihn.
3 Der Metallkopf des Roboters drehte sich auf den dünnen Schultern. Ein Wortschwall entströmte einem kleinen Lautsprecher, der da angebracht war, wo man bei einem Menschen den Mund erwartet hätte. Die beiden Männer schraken zurück und ließen den dritten vortreten. Seine zusammengepreßten Lippen öffneten sich, und hervor kamen Worte, die genauso wie die des Roboters klangen, genau so pfiffen und ihren mechanischen Ursprung verrieten. Jetzt erkannte Rudge, was los war. Er blies den Rauch seiner Zigarette dem Roboter ins Gesicht. »He, Uhrwerk –« fing er an; doch bevor er seine verächtliche Bemerkung beenden konnte, stieß ein Metallarm vor und schleuderte ihn in eine Ecke. Aus einer Platzwunde auf seiner Stirn drang Blut. »Rühr dich nicht von der Stelle, kleiner Mensch!« Die Stimme war ein mechanisches Quietschen, das mit einem unangenehmen Überlagerungston durch die Kabine vibrierte. Rudge rührte sich nicht. Der Schlag hatte ihn etwas betäubt; und sein letzter Versuch, seine Unabhängigkeit zu beweisen, hatte ihm fast das Genick gebro-
chen. Als die Unterhaltung zu Ende war, zerrten ihn die beiden Männer auf die Beine und schoben ihn aus dem Helicar heraus. Er war nicht überrascht, als er sah, daß der Helicar auf dem Boden einer gigantischen Metallhalle ruhte. Lange Bänder von Leuchtröhren warfen ihr Licht auf seltsame, mächtige Maschinen. Dazwischen bewegten sich geschäftige Roboter, von deren Arbeit Rudge nichts verstand. Er mußte sich in der Empfangshalle eines riesigen Raumschiffes befinden, das zehnmal größer war als alles, was man je auf der Erde gebaut hatte. Die Luftschleuse, durch die sie heraufgekommen waren, war in den Boden eingelassen. Einige Menschen bewegten sich vorsichtig zwischen den Maschinen. Ob es wirkliche Menschen oder nur fleischverkleidete Roboter waren, konnte Rudge nicht erkennen. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß sich diese Roboter – wenn es welche waren – sehr erfolgreich unter die Erdbevölkerung gemischt hatten. Die beiden Gangster, die mit Rudge in dem Helicar gekommen waren, waren Menschen. Sie standen eng beieinander an der Tür des Helicars. Der glasige Blick ihrer Augen fiel auf Rudge. Wie zufällig trat er auf sie zu und bewegte seine Hand direkt vor ihren Augen schnell von einer Seite auf die andere. Sie reagierten überhaupt nicht.
Also hypnotisierten die Roboter Menschen. Die Sache begann interessant zu werden. Auf ein Kommando des Roboters hin packten die beiden Gangster Rudge und schoben ihn auf einen verglasten Kasten zu, der am Fuße eines nach oben führenden Schachtes stand. Rudge fragte sich verwundert, warum ihn die Roboter nicht auch hypnotisiert hatten. Vielleicht sollte er das Schiff überhaupt nicht lebend verlassen. Es war so gut wie sicher, daß die beiden Männer, die im Dienst der Roboter standen, nichts mehr von dem Schiff wußten, sobald sie auf die Erde zurückgelangten. Es war lediglich eine Tarnung seitens der Roboter. Und die Hypnotisierten und von den Robotern gelenkten Menschen konnten sich in die menschliche Gemeinschaft einschleichen, als billiges, ersetzbares Kanonenfutter; denn nicht alle Mörder entwischten. Der Glaskasten schoß mit einer solchen Geschwindigkeit in die Höhe, daß Rudge in die Knie ging. Dann hielt er an, und man gelangte in eine Umgebung, die Rudge unglaublich schien. Die Zentrale war so groß, daß sich Rudge fragte, warum sie wohl keine Transportgelegenheit hatten, von einem Ende des Raumes zum anderen zu gelangen. Dann sah er unter einer mächtigen Flucht von Fenstern eine Fahrschiene. Auf dieser Schiene fuhren Roboter mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit
von und nach allen Ecken und Enden der Halle. Darüber türmte sich eine Maschinenanlage auf, die alles von den Menschen bisher Geschaffene in den Schatten stellte. Über alles warfen versteckte Lichtquellen schattenloses Licht. Die beiden Gangster standen mit offenem Mund und warteten auf die weiteren Befehle ihrer Herren. Sie waren willenlose Puppen in den Händen ihrer Meister. Rudge ekelte sich vor ihnen, als sie ihn wieder an den Armen packten und weiterstießen. Alle Roboter in der Halle waren aus Metall. Keiner, außer dem, der mit Rudge heraufgekommen war, trug Fleischverkleidung. Es mußte eine ziemlich umständliche Arbeit sein, einen Roboter so »anzuziehen«, daß er ohne weiteres von den Menschen als einer der ihrigen angesehen wurde. Bis jetzt hatte Rudge nicht versucht, seine Lage einzuschätzen. Sie war viel zu verworren. Er hatte nur wenig Hoffnung, hier lebendig herauszukommen. Sein Stolz gebot ihm, so viel als möglich herauszufinden, bevor sie ihn liquidierten. Plötzlich stand er vor einem Tisch aus Metall und Glas, hinter dem ein Roboter saß. Der Tisch und der Stuhl waren nach irdischem Vorbild hergestellt. Der Roboter hob den Kopf. »Sie sind Clifton Rudge?« »Ja.«
»Sie entdeckten die Leiche Professor Brownlows?« »Ja.« »Woraufhin Sie den – Mörder verfolgten und die Zerstörung des unterirdischen Laboratoriums verhinderten?« »Ja.« Die Art der Frage in der augenblicklichen Umgebung kam Rudge wie ein Witz vor. Zu jeder anderen Zeit wäre diese Unterhaltung exzentrisch genug gewesen; doch jetzt, da die Metallroboter in diesem unglaublich großen Kommandoraum des Superraumschiffes umherliefen, schien sie ganz gewöhnlich. Doch bei der nächsten Frage wurde Rudge sofort wieder ernst. »Hatten Sie etwas auf dem Bildschirm beobachtet?« »Nein«, sagte Rudge schnell und zog an seinem Zigarettenende. Also wußten sie das nicht. Das könnte ihm unter Umständen einen Vorteil verschaffen. »Ich muß Ihnen zu Ihrer Schnelligkeit gratulieren, mit der Sie die Zeitbombe entdeckt haben, Rudge. Die Menschheit braucht mehr solcher Männer wie Sie. Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns. Die Welt lernt zu langsam, und es ist fast unmöglich, ihr etwas beizubringen.« Rudge war überrascht. Das paßte gar nicht in seine Theorie, daß eine fremde Macht die Erde unterwerfen wollte. Wenn die Roboter nicht die Eindringlinge
selbst oder die Werkzeuge einer fremden Macht waren, warum mischten sie sich dann in irdische Angelegenheiten ein? »Ich fürchte, ich verstehe nicht«, sagte Rudge vorsichtig. »Das habe ich auch nicht erwartet. Es ist nur die große Tragik bei dieser Angelegenheit, daß ein Mann von Ihrem Format vernichtet werden muß.« »Das hatte ich erwartet«, sagte Rudge ohne Gefühlsbewegung. »Aber warum dann das ganze Gerede über die Erde, als hätten Sie Mitleid mit uns?« »Haben wir auch. Das ist eben die Ironie.« »Hat ein Roboter überhaupt Gefühle?« fragte Rudge brutal. »Zugegeben – wir sind Roboter.« Die metallische Stimme zeigte nicht die geringste Bewegung. »Wir denken rein materialistisch. Das Gefühl hat dabei nichts zu tun. Doch haben auch wir unsere Gefühlsbewegungen.« »Entspringen denn nicht alle Gefühlsregungen der Seele?« »Irdische – ja. Aber vergessen Sie nicht, daß wir Roboter sind und gebaut wurden.« »Sie wollen damit sagen, daß man Gefühlsanschlüsse eingebaut hat?« Rudges Interesse war geweckt. Er vergaß das Schiff und seine Umgebung und daß er mit einem Roboter sprach. Er ging einige
Schritte vor, setzte sich auf die Tischkante und zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Er bot dem Roboter eine an; doch dann sah er seinen Fehler ein und entschuldige sich: »Tut mir leid. Sie rauchen wohl nicht?« Er zündete die Zigarette an und blies den Rauch in die Luft. »Aber«, fuhr er fort, »wenn ihr mit Gefühlsregungen geschaffen worden seid – was habt ihr jetzt mit der Erde vor? Und warum?« »Das kann ich Ihnen sagen. Aber Sie müssen verstehen, daß ich es Ihnen nur deshalb erzähle, weil ein Gesetz bestimmt, daß jeder Mensch, der vernichtet werden soll, von dem Zweck erfährt, zu dem wir Roboter gebaut wurden.« »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, brummte Rudge. »Sie sind ganz anders als die anderen«, sagte der Roboter. Seine Augenlinsen blitzten, als er den Kopf bewegte. Sie leuchteten grausam und ohne Mitleid. »Kurz, wir schweben hier über der Erde, um darüber zu wachen, daß die Sterblichen in ihrem blinden Drang das galaktische Gleichgewicht nicht zerstören.« »Wie lange«, fragte Rudge und versuchte, seiner Stimme sein Interesse nicht anmerken zu lassen, »habt ihr die Erde schon bewacht?« »Das dürfen wir nicht sagen. Doch lange genug,
um die Menschheit zu der Entdeckung des Feuers und des Rades geführt zu haben. Genügt Ihnen das als Antwort?« »Ich glaube, ja. Wer sagte, daß ihr uns bewachen sollt? Und weshalb?« »Der Herr entschied vor langer Zeit, daß der sterbliche Mensch sich in das galaktische Gefüge einpassen solle. Er muß es wert sein, selbst einen Platz unter den Sternen zu finden. Wenn Sie zurückblicken in der Geschichte der Menschheit, ist es dann noch verwunderlich, daß wir den Menschen noch für ungeeignet halten, der galaktischen Zivilisation beizutreten?« Bevor Rudge antworten konnte, verdunkelten sich die Lichter der weiträumigen Zentrale, und unter den Fenstern an der Wand blitzten rote Warnlichter auf. »Es ist weiter nichts«, sagte der Roboter, und seine mechanische Stimme übertönte das erneute Aufsummen der Maschinen. »Es ist nur ein Raumschiff von der Erde, das nahe an uns vorbeifliegt. Wir haben einen Lichtverformer eingeschaltet, der die Lichtwellen um uns herumbiegt und uns unsichtbar macht. Er braucht aber außerordentlich viel Energie, so daß nicht mehr genug für andere Zwecke zur Verfügung steht. Es wird bald vorübergehen. Wir bewegen uns in einer freien Kreisbahn um die Erde, wie eure lächerlichen Raumstationen. Euer Radargerät wird uns nie aufspüren«, schloß er seine Erklärung.
Die Lichter flackerten, schienen danach wieder in voller Helle. Doch der Zwischenfall gab Rudge erneut zu denken. »Ich nehme an, daß eure Agenten auf der Erde schon von dem Sternenschiff berichtet haben werden, das in Mittelaustralien startbereit steht? Was wird geschehen, wenn die Menschen im Weltraum auf andere Völker stoßen?« Die Linsen des Roboters glitzerten. Er stand von seinem Stuhl auf und kam um den Tisch herum auf Rudge zu. »Das werden sie nicht.« Seine Stimme klang hart, ohne jedes Empfinden. Aus ihr klang die Hoffnungslosigkeit der Lage. Sie verkündete das Ende der menschlichen Hoffnungen. »Was soll das heißen?« Rudge versuchte über die Verzweiflung Herr zu werden, die ihn in diesem Augenblick beschlich. »Wir haben geplant und das Schiff gebaut, um damit zu den Sternen zu fliegen. Wir werden mit anderen Lebewesen zusammentreffen und Bande der Freundschaft mit allen anknüpfen.« »Folgen Sie mir.« Der Roboter deutete mit dem Kopf, und Rudge folgte ihm. Sie betraten einen kleinen Raum neben der Zentrale. Rudge, neben den beiden Marionetten, blickte auf einen kleinen erleuchteten Bildschirm. Der Roboter schaltete an einem Hebel.
»Diese Maschine errechnet den wahrscheinlichen Ablauf der Ereignisse aus Geschehnissen, die sich schon ereignet haben. Die errechneten Ergebnisse werden zum Ausgangspunkt neuer Berechnungen. Das geht ins Unendliche. Wir können sehen, was für Ergebnisse eine eben stattfindende Handlung nach sich ziehen wird. Es gibt nämlich unzählig viele Wahrscheinlichkeiten, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Maschine wählt die Möglichkeiten aus, deren Wahrscheinlichkeit, daß sie eintreten könnten, am größten ist.« Ein Bild erschien auf dem Schirm, und Rudge sah die weite, braune Ausdehnung einer Steppenlandschaft. In ihr erhoben sich einige kleine Hütten und eine schlanke Nadel aus silberglänzendem Metall, deren rassige Linien in den Himmel strebten, den Sternen entgegen. »Das ist das Sternenschiff, das in Australien startbereit steht.« Die Stimme des Roboters schien von weither zu kommen. »Jetzt passen Sie auf. Wir gehen einen Schritt weiter in die Zukunft und verfolgen das Sternenschiff auf einer erfolgreichen Fahrt, die es mit anderen, fremden Zivilisationen zusammenbringt.« Rudge schreckte auf. »O ja!« fuhr der Roboter fort. »Der erste Flug würde ein Erfolg sein. Sehen Sie nun die errechneten Auswirkungen des Fluges auf dem Planet V der Son-
ne Korion, nachdem fünfhundert Erdenjahre vergangen sind.« Auf dem Schirm erschienen Gruppen grüner Gestalten, deren Hände und Füße mit Schwimmhäuten überzogen waren. Offensichtlich Wesen, die in einem sehr wasserreichen Land lebten. Doch jetzt schleppten sie sich über staubige, trockene Pfade. Ihre weiten Münder lechzten nach Feuchtigkeit und fanden nichts als heiße, trockene Luft. Viele stürzten erschöpft auf den Boden, wo sie im Nu von treibenden Sandwolken mit einer heißen, körnigen Schicht überzogen wurden. »Korion V war einst diesen Leuten eine wasserreiche, freundliche Heimat. Sie lebten zufrieden in den feuchten Sümpfen und hatten keine Ahnung von den reichen Uranerzlagern unter der Oberfläche ihrer glücklichen Wasserwelt. Und weil das Uran unter der Oberfläche nur darauf wartete, abgebaut zu werden, und weil die Menschen nicht gern in Sümpfen lebten, änderten sie das Klima. Der Planet wurde ›entwässert‹. Doch nach einer Weile wurde das Klima zu trocken. Und nachdem alles Uranerz abgebaut war, verließen die Menschen den Planeten. Was sie zurückließen, können Sie hier mit eigenen Augen sehen.« Rudge sah mit Entsetzen auf das Bild. Er konnte verstehen, warum der Roboter so erbittert über die
Menschen sprach. Doch konnte er nicht glauben, daß die Zukunft so aussehen werde. »Aber das ist doch nur eine Möglichkeit, die eintreten könnte. Sie wissen gar nicht genau, ob die Menschen wirklich so handeln werden. Nach so vielen Jahren werden die Menschen bestimmt bessere Mittel und Wege gefunden haben, die ein freundschaftliches Nebeneinander mit den Völkern des Universums gewährleisten. Angenommen ...« »Es ist zwecklos, etwas anzunehmen, wenn wir den Computer haben. Er zeigt uns die Entwicklungsrichtungen mit der größten Wahrscheinlichkeit. Er zeigt uns auch, was geschehen wird.« »Nicht, was geschehen wird, sondern was geschehen könnte!« rief Rudge verzweifelt. »Ihr könnt doch die Menschheit nicht von den Sternen zurückhalten, nur weil ...« »Das können wir, und das haben wir bereits getan. Und wir werden es auch weiterhin tun«, unterbrach ihn die kalte Stimme des Roboters. »Das habt ihr schon getan?« Rudge war verwirrt. »Aber das Sternenschiff sah noch ganz unversehrt aus.« »Sie haben recht. Noch ist es unversehrt. Wir haben uns noch nicht eingeschaltet. Ich denke vielmehr an die Bewohner eines versunkenen Erdteils, die Menschen von Atlantis. Sie waren sehr dickköpfig.
Schließlich mußten wir sie durch die große Flut in ihre Grenzen zurückweisen.« »Aber ihr sollt doch über die Menschheit wachen, und nicht ihr Henker sein!« protestierte Rudge. Er sah von dem Bild auf. Das fahle Licht betonte seine hageren Züge und hob die schwarzen Bartstoppeln auf seinem Kinn stark hervor. »Es ist uns überlassen, zu entscheiden, wie wir über die Menschheit wachen. Unsere allererste Pflicht besteht in unserer Verantwortung gegenüber der galaktischen Ordnung und unseren Meistern.« »Aber ...« stotterte Rudge hilflos. »Sieh her, Sterblicher!« Auf dem Schirm erschien Welt auf Welt, unzählige Planeten, die von der Menschheit verwüstet und trostlos zurückgelassen worden waren. Wie ein wucherndes Gewächs ging von der Erde eine Welle der Vernichtung aus. Immer wieder suchte die Menschheit nach neuen friedlichen Welten und ließ sie verwüstet zurück. »Geschah nicht das gleiche in den Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas, nachdem sie von Europa entdeckt worden waren?« »Ja.« Rudge preßte die Lippen zusammen. »Aber wir machten es am Ende wieder gut. Jetzt sind sie unter den großen Völkern der Erde. Ihnen ist die Möglichkeit gegeben, alles das zu übertreffen, was sie vielleicht ge-
habt hätten, wenn sie auf ihrer ursprünglichen, primitiven Kulturstufe stehengeblieben wären.« »Sie wären vielleicht glücklicher damit gewesen«, bemerkte der Roboter und schaltete den Bildschirm ab. »Wenn das so ist«, sagte Rudge ärgerlich, »warum habt ihr dann die weiße Rasse nicht daran gehindert, den Vorrang unter den Völkern der Erde zu erlangen?« »Wir fanden, daß dies unserem Plan entsprach. Die Tatsache, daß die materialistische Ideologie der weißen Rasse über die mehr philosophischen Gaben der anderen Rassen triumphierte, beweist, daß die Menschheit nicht geeignet ist, in die Gruppe der galaktischen Zivilisationen aufgenommen zu werden. Die Menschheit ist unausgeglichen.« »Soll das heißen, daß wir alle wahnsinnig sind?« »Nein. Das soll heißen, daß ihr noch Kinder seid, die mit dem Feuer spielen, ohne sich der großen Gefahr bewußt zu sein, die sie in den Händen halten.« Rudge trat einen Schritt zurück. Die ganze Menschheit Kinder! Kinder, die fröhlich mit Atombomben und Raumschiffen spielten, und jetzt mit Sternenschiffen. Und die Erwachsenen der Galaxis hatten Polizisten – oder besser: Wärter – geschaffen, die darüber wachten, daß die Menschheit keinen Schaden anrichtete. Rudge wußte nicht, was in diesen wenigen Minuten geschah. Wie benommen ging er aus dem kleinen
Raum. Dann packte man ihn bei den Armen und zwängte ihn in einen gepolsterten Sessel. Stahlbügel legten sich um seine Arme und Beine, und ein Spannblech drückte seinen Kopf nach oben. Der Schmerz ließ ihm seine Lage bewußt werden. Er schaute auf den Roboter, der bewegungslos vor ihm stand und einen seltsamen scheibenförmigen Apparat auf der Schulter trug. »Wir sind also Kinder, sagen Sie«, preßte Rudge zwischen den Zähnen hervor. »Und damit wir uns nicht wehtun oder dumme Streiche anstellen, muß eine Amme auf uns aufpassen.« Er versuchte vergeblich, seine Glieder aus der Umklammerung zu befreien. »Was habt ihr jetzt wieder vor?« Der Roboter kam näher. »Wir müssen etwas tun, damit man jemand anders – nicht uns – für den Tod des Professors verantwortlich macht. Sie waren verschwunden; das ist sehr auffällig. Wir werden Sie hypnotisieren und auf die Erde zurückschicken. Sie werden dann glauben, daß Sie selbst den Professor umgebracht haben.« »Nein«, schrie Rudge, »das könnt ihr nicht tun! Der Professor war mein Freund. Warum sollte ich ihn umbringen?« »Das, mein liebes Menschlein, wirst du noch erfahren, wenn du unter Hypnose stehst.« Mit einer schnellen Bewegung schaltete der Robo-
ter den scheibenförmigen Apparat ein. Lichter, strahlten auf, und ihre Kegel trafen sich auf der rotierenden Scheibe. Rudge starrte wie gebannt darauf. Der Roboter bewegte sich langsam, und das Licht strahlte in Rudges Augen und zwang ihn, seine ganze Aufmerksamkeit auf die wirbelnden Scheiben zu lenken. Er fühlte sich sehr schläfrig. »Du schläfst jetzt ein. Schlafe! Schlafe!« Rudge fühlte, wie ihm das Bewußtsein schwand. Er konnte sich nicht dagegen wehren; er war wie tot!
4 Lichter und Farben strahlten in Rudges Gehirn. Sein Kopf, gehalten von dem Spannblech unter seinem Kinn, konnte nicht nach vorn sinken; doch zog das Gewicht des Kopfes schmerzlich an seinem Nacken. Die Stimme dröhnte immer weiter, einschläfernd, befehlend. »Schlafe! – Schlafe! – Wehr dich nicht dagegen! – Schlafe! – Du schläfst! Du schläfst tief!« Rudges Bewußtsein schwand mehr und mehr. Obgleich ihn mehrere Roboter hypnotisierten, fand er noch Gelegenheit, über sich selbst zu lachen. Eine Bande von Uhrwerkmännchen wollte einen Menschen aus Fleisch und Blut hypnotisieren. Aber das konnte doch nicht möglich sein! Rudge fuhr vor Erregung zusammen, und die einschläfernde Stimme klang so plötzlich, daß er bestürzt aufschreckte. Er mußte gegen den Druck in seinem Hirn ankämpfen. Roboter konnten niemals einen Menschen gegen seinen Willen hypnotisieren. Ihre elektronischen Anschlüsse waren den unendlich feiner entwickelten menschlichen Gedankenkräften weit unterlegen. Rudge schloß die Augen, und das Spannblech unter seinem Kinn wurde entfernt. Er ließ seinen Kopf
nach vorn sinken. Mitspielen! Die Stimme hämmerte Rudge noch immer ein, daß er schliefe. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach, als er sich anstrengte, die betäubenden Schlafwellen abzuwehren, die ihn zu überwältigen drohten. Verzweifelt suchte er nach anderen Gedanken. Das Mädchen. Ihr feines Gesicht war so blaß gewesen, als sie mit der blutenden Wunde am Kopf auf dem Fußboden des Labors gelegen hatte. Sie war so schwach und hilflos gewesen; und diese Roboter, die selbst zugaben, zu entscheiden, was für die Menschheit nützlich war und was nicht, hatten sie einfach niederschießen lassen. Er fühlte, wie die Wut in ihm hochstieg, und mußte seinen Kopf gesenkt halten, damit die Roboter nichts von seiner Erregung bemerkten. Sie sollten ruhig die Apparate an ihm ausprobieren. Einen Menschen, der seine Sinne voll in der Gewalt hatte, konnten sie nicht hypnotisieren. Diese anderen, die Gangster, das war ganz erbärmlicher Durchschnitt. Geistig Minderbemittelte, wenn es darauf ankam, zu zeigen, daß man »Grütze im Kopf« hatte. Rudge fühlte keinen Stolz bei dem Gedanken, daß die Roboter es vielleicht noch nie mit einem Menschen seines Schlages zu tun gehabt haben könnten. Er war kein Übermensch, beileibe nicht; aber er wußte, daß seine geistigen Fähigkeiten weit über dem Durchschnitt lagen.
Die Stimme war verstummt. Metallische Augen entfernten die Bügel, hoben Rudge aus dem Stuhl und trugen ihn auf eine flache Couch. Er ließ sich willenlos zurückfallen und versuchte, so zu handeln, wie sich ein Hypnotisierter wohl benommen hätte. »Öffne deine Augen, Sterblicher!« Rudge gehorchte und sah die Quarzlinsen des Roboters auf sich herabstarren. »Du bist jetzt ganz in meiner Gewalt. Du wirst das tun, was ich dir befehle! Hast du das verstanden?« Rudge wagte die Antwort und lallte mit belegter Stimme: »Ja, Herr!« »Das ist gut. Du bist sehr willig. Hör gut zu, Sterblicher, und gehorche! Du wirst in die Moon Street zurückkehren. Du hast Professor Brownlow getötet. Du wirst uns vergessen, unsere Aufgabe, die Menschen zu bewachen und ihr Geschick zu leiten. Du hast Professor Brownlow getötet. Du wirst dich der Polizei stellen.« »Ich habe Professor Brownlow getötet«, murmelte Rudge. Er wußte nicht, ob er noch mehr sagen sollte oder nicht. Der Roboter hatte jedenfalls diesen Satz seiner Instruktionen mehrmals wiederholt, so daß es nicht falsch schien, ihn ebenfalls zu wiederholen und weitere Entwicklungen abzuwarten. »Du wirst zur Polizei gehen und dein Verbrechen zugeben.«
»Ich werde zur Polizei gehen und mein Verbrechen zugeben«, plapperte Rudge gehorsam nach. Die Schändlichkeit dieses Vorhabens trieb ihm den Schweiß aus den Poren, und in ihm erwachte ein brennender Haß gegen die Roboter, so daß er Mühe hatte, ein nervöses Zittern zu unterdrücken. Er war sehr müde. Bleierne Gewichte schienen jede Faser seines Körpers niederzuziehen, und seine Augenlider waren rot und entzündet. Er merkte, daß er Hunger hatte. Aus dem Lautsprecher des Roboters drang ein Schwall von Lauten, die Rudge nicht verstand. Andere Roboter kamen hinzu und nahmen ihn in stählerne Arme. Sie trugen ihn durch die weiträumige Zentrale, deren grelles Licht in seine geöffneten Augen strahlte. Mit dem Aufzug fuhren sie in den Empfangsraum hinab, wo der schwarze Helicar noch wartete. Der seltsame Mann, der mit Rudge heraufgekommen war, stieg hinein. Ihm folgten die beiden Männer mit den ausdruckslosen Gesichtern. Das Verdeck schloß sich, und Rudge legte sich zurück. Er war körperlich und geistig völlig erschöpft. Wieder folgte das magenumdrehende Gefühl endlosen Fallens; dann fühlte er den Zug der Helikopterflügel, und der Helicar löste sich aus dem seltsamen Kraftfeld, mit dem die Roboter Gegenstände von und zu ihrem Raumschiff beförderten.
Die beiden Gangster schienen aus einem Schlaf zu erwachen. Rudge beobachtete, wie sie ihre Glieder massierten. Der ratlose Ausdruck in ihren Gesichtern erfreute Rudge. Wenn die Roboter diese beiden als typische Vertreter der Menschheit ansahen, dann stand ihnen noch allerhand bevor. Aber das war ganz unmöglich. Rudge war überzeugt, daß die Roboter sehr wohl über die Fähigkeiten der Menschen unterrichtet waren. Zum ersten Male erinnerte er sich wieder an den Roboter, den er neben Hitler gesehen hatte. Es war so gut wie sicher, daß sie ihre Finger in jedem politischen Brei hatten, der während der letzten Jahrhunderte auf der Erde zusammengekocht wurde. Wer konnte sagen, welche Personen Roboter waren, die den Präsidenten, Premierministern und Königen nahestanden? Bei diesem Gedanken fuhr Rudge ein kalter Schauer den Rücken hinab. Der Helicar setzte auf dem Boden auf. Rudge sah die dunklen Umrisse von windzerzausten Bäumen, die ihre kahlen, schneebedeckten Äste in den düsteren Himmel hinaufstreckten. Rudge vermutete, daß der Helicar auch mit einem Lichtverformer ausgestattet war. Einer der Gangster riß das Verdeck auf, und ein eisiger Windstoß wehte in die Kabine. Rudge wurde
herausgehoben, und seine Füße sanken in den feuchten, kalten Schnee ein. Also hatte es zu tauen begonnen. Der Roboter stieg aus. Rudge bemerkte, daß er sich in seinen Bewegungen von keinem Menschen unterschied. Offensichtlich ließ auch ein Roboter nie die Maske der Täuschung fallen, dachte Rudge und erinnerte sich an seine erste Begegnung mit dem Mann. Wenn Rudge nicht gewußt hätte, daß der Kerl ein Roboter war, hätte er ihn als menschliches Wesen angesehen. Der Roboter stellte, sich vor Rudge und schnappte mit den Fingern. Der Wind riß den Tonfetzen mit sich fort, bis er sich im Singen der Baumäste verlor. Rudge zuckte zusammen. Er brauchte jetzt nicht zu schauspielern. Es war eisig kalt. Der Roboter sprach mit unbewegter Stimme: »Da wären wir, Mr. Rudge. Hoffentlich ist Ihnen dieser kleine Ausflug gut bekommen. Sie wissen, was Sie zu tun haben. Es tut mir leid, daß wir Sie bei unserer ersten Begegnung so von oben herab behandeln mußten, Mr. Rudge. Aber Sie werden natürlich verstehen, daß uns keine andere Wahl blieb. Bitte, handeln Sie jetzt gemäß unseren Vereinbarungen.« »Sicher, sicher«, sagte Rudge. »Ich weiß, was zu tun ist.« Er steckte eine Zigarette in den Mund, und, indem er so tat, als sei dies selbstverständlich, bot er dem Roboter seine Packung an.
»Nein, danke, Mr. Rudge! Ich rauche nicht.« »Oh! – na, gut!« Der Roboter konnte keinen Gefühlen Ausdruck verleihen, die Menschen verstanden. Das wußte Rudge. Doch war er überzeugt, daß der fleischüberzogene Mechanismus ungeduldig war. Er wollte von hier, ganz gleichgültig, wo sie sich befanden, so schnell wie möglich weg. Eben diese Ungeduld und die Ablehnung der angebotenen Zigarette waren die erste siegreiche Runde für Rudge und die Menschheit. Nur wußte dies der Roboter nicht. Rudge fühlte, wie ein warmes Glühen von seinem Inneren ausging. Mochten diese Roboter von den Sternen den Erdenmenschen ruhig für ein Kind halten; dafür hatte er auch eine ganze Reihe kindlicher Anschläge auf Lager. »Auf Wiedersehen, Mr. ...! Entschuldigen Sie, wie war doch Ihr Name?« »Unwichtig!« winkte der Roboter ab und deutete den beiden Gangstern an, den Helicar zu besteigen. Dann verschwand auch er im Inneren des Wagens. Die Flügel drehten sich schneller und schneller, und der Helicar verschwand in einer Wolkenbank. Rudge mußte ein Grinsen unterdrücken. Er wußte ja nicht, ob sie ihn nicht noch immer beobachteten. Doch er erlaubte sich ein kleines Wort, das er fast unhörbar zwischen den Lippen hervorstieß.
»Tröpfe!« Dann schaute er sich um und sah, daß er sich in Green Park befand. Vor ihm erstreckten sich die Lichter von Piccadilly in einem ununterbrochenen, leuchtenden Band nach beiden Seiten. Sie hatten ihn fast auf der Türschwelle abgesetzt. Er schlug seinen Mantelkragen hoch und setzte sich in Bewegung. Das Fernsehgerät war der einzige Gegenstand, der nicht in den Raum paßte. Sonst unterschied ihn nichts von dem üblichen Amtszimmer eines Polizeireviers. Chief Superintendent Barker hatte tiefe Falten im Gesicht. Er hämmerte mit einem Brieföffner aus Elfenbein auf den Tisch. »Und Sie erwarten noch immer von mir, daß ich Ihnen dieses Märchen von den phantastischen Robotern von einem fremden Stern abkaufe? Halten Sie mich etwa für genauso verrückt, wie Sie zu sein scheinen?« »Sehen Sie, Chief Superintendent«, sagte Rudge matt, »zum tausendsten Male: Ich bin nicht verrückt. Verstehen Sie? Glauben Sie mir: Diese Roboter sind als Herrscher über uns eingesetzt worden und sind auch für alle Schwierigkeiten verantwortlich, in denen sich die Menschheit seit langem befindet. Sicherlich ...« »Ein Augenblick«, unterbrach ihn Barker. Er stand
auf und drehte sich um, als die Tür aufging und ein kleiner, überarbeitet aussehender Mann mit kurzem stahlgrauem Haar hereingestürzt kam. »Ah, Doktor! Gut, daß Sie gleich kommen konnten!« »Ich kam, so schnell es ging. Nun, worum dreht es sich hier? Ein Mann mit Wahnvorstellungen? Mein Fachgebiet! Werden wir ihm schon austreiben!« Rudge blickte gleichmütig auf. Ihm war fast übel. Also hielten sie ihn für verrückt und hatten den Quacksalber geholt, um es sich bestätigen zu lassen. Und dabei sah der Psychiater so aus, als brauchte er selbst eine Behandlung, wie man sie Rudge zugedacht hatte. Rudge fand die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, daß diese Psychiater jeden Tag so viel Abnormes zu hören bekamen, so daß es kein Wunder wäre, wenn sie selbst, früher oder später, überschnappten. Und dieser Kurpfuscher sah so aus, als würde das bei ihm bald der Fall sein. »Schauen Sie«, sagte Rudge vorsichtig, »ich bin nicht verrückt. Ich leide auch nicht unter Verfolgungswahn. Und Säuferwahn ist es auch nicht.« »Aber natürlich nicht, mein Junge«, sagte der Doktor. »Sie sind so normal wie ich. Ich möchte Ihnen ja nur ein paar Fragen stellen; dann gehe ich wieder in meinen Lehnstuhl am Kamin zurück.«
»Ach hören Sie auf, Sie närrischer Zwerg!« fuhr Rudge ihn an. »Ich bin ganz bestimmt nicht so verrückt wie Sie. Das können Sie mir glauben. Ich sage Ihnen nur: Wenn die Menschen nicht unverzüglich handeln, werden die Roboter uns daran hindern, nach den Sternen zu greifen. Sie sind so straff organisiert, daß sie sich ohne Schwierigkeiten in die Regierung eines jeden Landes einschleichen können. Und dagegen können wir uns nicht wehren.« »Wenn die Lage so ist, hat es sowieso wenig Zweck, daß wir hier etwas unternehmen, nicht wahr?« Er strahlte, als hätte er eben bewiesen, daß Einstein sich geirrt hat. »Wir können sehr wohl etwas dagegen unternehmen!« rief Rudge wütend. »Aber, aber, Mr. Rudge!« Chief Superintendent Barkers Stimme klang beruhigend. »Nehmen Sie doch Vernunft an. Wir wollen Ihnen nur helfen. Wenn Sie uns keine andere Erklärung geben können, als dieses kindische Märchen, bleibt uns nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß Sie weit mehr über Professor Brownlows Tod wissen, als Sie uns sagen wollen.« »Wie oft wollen Sie's denn noch hören!« schrie Rudge. »Die Roboter waren es!« Barker nickte mit dem Kopf. Zwei Polizeibeamte mit unbeweglichen Gesichtern traten vor.
»Führen Sie Mr. Rudge einstweilen in eine Zelle. Dort wird ihn der Doktor besser untersuchen können, als es hier der Fall war.« Er blickte den Psychiater bedeutsam an. Rudge wartete, bis die beiden Polizisten die Hände nach ihm ausstreckten. Dann schlug er aus und warf sie auf den Boden. Auf diese unerwartete Überrumpelung waren sie nicht gefaßt gewesen. Rudge sprang an ihnen vorbei zur Tür hinaus. Auf den schneeglatten Stufen wäre er beinahe ausgerutscht. Der Matsch spritzte in hohem Bogen, als er in den Rinnstein sprang. Dann war er über die Straße und rannte keuchend unter den Straßenlaternen dahin. Hinter ihm ertönten Rufe und das Knarren von Schuhen im matschigen Schnee. Die Furcht schien ihm Flügel zu verleihen. Er mußte entkommen. Diese Tölpel hinter ihm waren gerade im Begriff, die letzte Gelegenheit der Menschheit zu zerstören, sich der Fesseln zu entledigen, die sie seit Jahrhunderten gebunden hielten. Er sprang unter einen Torbogen und lief eine schmale Seitenstraße hinab. Doch plötzlich hielt er an und keuchte vor Schreck. Er war in eine Sackgasse geraten! Unter einer Lampe gewahrte er eine halb im Schatten liegende gelbe Tür. Ohne auch nur zu sehen, ob
die Tür offen war, warf sich Rudge mit aller Wucht dagegen. Das alte Holz zersplitterte und flog in Fetzen auseinander. Dann war er im Inneren des Hauses. Als er sich aufrichtete, flog ein Polizeiknüppel an seinem Kopf vorbei und prallte gegen die Wand. Er blickte sich nicht um. Der Hausgang lag in tiefer Dunkelheit, und Rudge ging weiter in das Haus hinein. Wenn er am anderen Ende keine Tür fände, war er verloren. Die Polizisten wußten, daß er hier hereingelaufen war, und mit ihren Walkie-Talkie-Geräten konnten sie im Nu die gesamte Nachbarschaft alarmieren. Er mußte so schnell wie möglich aus dem Haus hinaus. Da erblickte er eine Tür. Es war eine verglaste, schwache Tür. Rudge gelangte in ein Stübchen mit grauen Wänden. Eine schwarze Tür aus Ebenholz versperrte ihm den Weg. Mitten auf die Tür war mit rotem Lack ein chinesischer Drache gemalt. Rudge warf sich dagegen. Er taumelte zurück. Seine Schulter schmerzte heftig: es durchzuckte seinen Arm und Rücken. Am anderen Ende des Hausganges vernahm er Schritte. Plötzlich sah er, wie ein Mann in gelbem Umhang sich von einem Stuhl erhob und eine Automatik auf Rudge richtete. Doch bevor der Chinese abdrücken konnte, hatte sich Rudge auf ihn geworfen. Der Chi-
nese taumelte zurück, und der Stuhl brach unter der doppelten Last zusammen. Rudge riß den Schlüsselbund, der an den Kleidern des Chinesen befestigt war, von der bewußtlosen Gestalt, wählte den größten Schlüssel aus und steckte ihn in das Schlüsselloch der Drachentür. Er paßte. Mit einem Seufzer der Erleichterung sprang Rudge in den Raum. Dann kehrte er um, ergriff die Pistole des schlafenden Chinesen und lief durch die Tür. Hinter sich schlug er sie zu und drehte den Schlüssel um. Das hielt seine Verfolger von dieser Seite ab. Doch vor dem Hause würden bestimmt Helicars und Polizisten warten. Erst jetzt bemerkte Rudge, wo er hineingeraten war. An den Wänden eines großen, niedrigen Raumes standen Ruhebetten. Am Kopfende eines jeden stand ein kleiner Tisch. Auf den Liegen lagen Menschen und rauchten lange, dünne, zerbrechliche Pfeifen. Der übel-süßliche Geruch verriet Rudge, daß er in eine Opiumhöhle geraten war. Er lief durch den Raum und suchte verzweifelt nach einer Tür. Gelangweilt dreinschauende Augen blickten ihn an; die Pfeifen qualmten stetig weiter. Ein im Raum wild umherlaufender fremder Mann konnte ihre rosigen Opiumträume nicht stören.
Rudge entdeckte eine Tür, von der eine Treppe nach oben führte. Mit Riesenschritten eilte er die Treppe hinauf und kam keuchend auf ein Dach hinaus. Er wußte nicht, was er jetzt tun sollte. Doch bei dem Anblick eines gelben Helicars stieß er einen Ruf der Freude aus. Er lief auf das Fahrzeug zu und kletterte hastig hinein. Er jagte die »Windmühle« in wilder Fahrt über die Dächer der schlafenden Stadt. Nur mit Mühe konnte er seine Augen offen halten. Bald würden die Polizei-Helicars den Luftraum unsicher machen und nach ihm suchen. Sie würden alle Helicars anhalten, und Gnade denen, die nicht auf die Haltezeichen achteten! Rudge wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte nachzudenken. Sein Hirn schien wie ausgepumpt zu sein. Jetzt sah er ein, daß die Geschichte, die er Barker erzählt hatte, phantastisch und unglaubhaft geklungen haben mußte. Er begann zu fürchten, daß er sich die Episode in dem Roboterschiff nur eingebildet habe. Doch dann fühlte er wieder, wie die Klammern sich um seine Glieder gelegt hatten. Er sah im Geiste die das Bewußtsein betäubenden wirbelnden Scheiben vor sich und wußte, daß seine Botschaft für die Welt ungeheuer wichtig war. Er würde sich an die Wissenschaft wenden müssen. Das war seine letzte Hoffnung. Er mußte Sir
Frederick Richmond aufsuchen. Er war der größte Wissenschaftler im Dienste der Regierung und war auch verantwortlich für den Einbau des Superlichtantriebs in das Sternenschiff, das 20 000 Kilometer entfernt in Zentralaustralien wartete. Rudge jagte den Helicar mit Höchstgeschwindigkeit durch die Nacht, dem ersten schwachen, rosigen Anzeichen des kommenden Tages am Horizont entgegen. Es erschien ihm unmöglich, daß er die Leiche des Professors in derselben Nacht gefunden haben sollte. Er preßte die Lippen zusammen, und in seinem unrasierten Gesicht stand die Entschlossenheit, mit den Robotern abzurechnen. Das einsam stehende Haus Sir Frederick Richmonds war noch in tiefe Dunkelheit gehüllt, als er den Helicar auf dem schneebedeckten Rasen vor dem Haus aufsetzte. Die Kälte ließ ihn erschauern, als er durch den feuchten Schnee auf das Haus zuging und die Türklingel betätigte. Der Diener, der Rudge aus verschlafenen Augen anblickte, hatte keine Gelegenheit mehr, zu protestieren, als Rudge ihn beiseite drückte und in das Haus stürmte. »Sie können nicht hinaufgehen, Sir! Sir Frederick schläft noch.« Der Mann lief hinter Rudge her und versuchte, ihn mit Gewalt daran zu hindern, die Treppen hinaufzugehen. Rudge schüttelte ihn ab. Der
Bursche tat ihm leid. Er hörte, wie der die Treppe hinunterfiel. Das Schlafzimmer lag am Ende der Treppe. Rudge sah eine Lampe, die auf einem Tischchen neben der Tür brannte. Als Rudge am oberen Ende der Treppe ankam, öffnete sich die Tür, und eine kräftige Gestalt in einem schäbigen Schlafrock versperrte ihm den Weg. Ein schwerer, altmodischer, aber äußerst wirksamer Revolver war auf seinen Kopf gerichtet. Dann fuhr eine grelle Stichflamme aus dem langen Lauf des Revolvers.
5 Rudge reagierte unwillkürlich. Seine Muskeln gehorchten den Befehlen seines ermüdeten Gehirns. Die Kugel pfiff an seinem Kopf vorbei, nahe genug, um seine Haare zu streifen. Wie aus weiter Ferne drang die Explosion des Schusses an sein Ohr. Das Mündungsfeuer brannte an seiner Wange. Er hatte noch Zeit, verzweifelt zu rufen: »Nicht schießen, Fred! Ich bin's: Cliff!« Sir Frederick streckte die Hand aus, packte Rudge am Rockkragen, und indem er ihn fünf Zentimeter über dem Boden hielt, sah er ihn genau an. »Bei allen guten Geistern! Cliff! Was, um Himmels willen, hast du vor? Um diese Nachtstunde in mein Haus einzudringen ...?« »Das ist eine lange Geschichte. Doch wollen Sie mich nicht lieber auf den Boden stellen?« »Oh, natürlich! Komm herein. – Jeffers!« Unter den dröhnenden Schwingungen seiner Stimme begann die Rüstung, die neben der Tür stand, zu zittern und zu klirren. »Jeffers! Bringen Sie eine Flasche Whisky. Und beeilen Sie sich; ich verdurste hier oben.« Rudge wankte durch die Tür und ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. Er zog seinen Kragen zurecht und grinste.
»Sie wissen Ihre Bärenkräfte noch immer nicht zu gebrauchen, Fred«, meinte er lachend. »Sie hätten mich fast erwürgt.« »Ich hätte dir bald eine Kugel in den Kopf gejagt, mein Junge«, sagte Sir Frederick ernst. »Jetzt erzähl mir einmal, was überhaupt los ist.« Die Tür öffnete sich geräuschlos, bevor Rudge antworten konnte, und der Diener brachte auf einem silbernen Tablett eine Batterie Flaschen herein. Ein Auge des Dieners begann blau anzulaufen, und am Kopf hatte er eine Beule. »Das Frühstück, Sir«, sagte er mit undeutlicher Stimme. Als er den Mund öffnete, sah Rudge, daß ihm die beiden Vorderzähne fehlten. »Um Himmels Willen, Jeffers, was haben Sie angestellt? Sind Sie etwa den Aufzugsschacht hinabgestürzt?« »Nein, Sir. Ich versuchte lediglich, diesen – äh – Gentleman davon abzuhalten, in Ihre Gemächer einzudringen.« »Nun, das ist ja eine schöne Bescherung! Kennen Sie denn nicht ... Nein, können Sie gar nicht. Das ist Clifton Rudge, mein intelligentester Schüler. Er gehört zur Familie.« Sir Frederick streckte den Arm aus und zog den Korken aus einer der vielen Flaschen. Er setzte sie an die Lippen. Bevor er den ersten Schluck nahm, sagte er zu Jeffers:
»Gehen Sie nachher zum Arzt und holen Sie sich etwas für Ihr Gesicht, Jeffers.« »Es tut mir leid, Jeffers«, sagte Rudge. »Ich hatte heute etwas Ungewöhnliches erlebt und konnte es nicht riskieren, daß sich mir jemand in den Weg stellt. – Mir ist vor Müdigkeit fast schlecht«, schloß er etwas lahm und fragte sich in Gedanken, wie er wohl am besten mit seiner albernen Erklärung beginnen könne. Jeffers nickte; sein Gesicht blieb unbewegt. »Ist schon gut, Sir.« Er ging hinaus und schloß die Tür leise hinter sich. Sir Fredericks großes, faltiges Gesicht mit dem mächtigen weißen Schnurrbart schien vor Rudges Augen zu tanzen. Rudge fühlte, wie ihn die Erschöpfung überkam. »Was ist denn los, Cliff?« Mit einem zufriedenen Seufzer nahm Sir Frederick die Flasche von den Lippen. Er blickte Rudge scharf an; dann beugte er sich vor und bot ihm die Flasche an. »Du siehst aus wie ein geprügelter Hund, Junge. Komm, nimm erst einmal etwas zu dir. Das wird dich wieder auf die Beine stellen. Dann können wir uns unterhalten.« »Danke, Fred! Das habe ich nötig!« Rudge nahm einen Schluck und fühlte, wie der Alkohol ihn von innen heraus aufwärmte. Er wußte, daß das auf nüchternen Magen nicht gut war. Doch er mußte Sir Fred-
erick eine Erklärung geben. Dann konnte er ja schlafen, solange er wollte. Sir Frederick nahm eine andere Flasche, zog den Korken heraus und schlang seine mächtigen Hände um den Behälter. Während ihm Rudge vom Tode Professor Brownlows berichtete, trank er in langen Zügen. »Ich war vorbereitet, als du ankamst. So ein verdammter Bandit hat auch mich umbringen wollen. Habe den Burschen angeschossen; aber er konnte entkommen. Dann ist der alte arme Brownlow also tot. Eine Schande! Er war ein fähiger Kopf.« »Es ist ein größerer Verlust, als Sie glauben, Fred. Ich hatte es anfangs auch nicht gewußt. Aber dieser Apparat, an dem Professor Brownlow gearbeitet hatte, eröffnet der Wissenschaft ein derart weiträumiges neues Gebiet, daß ich es erst gar nicht glauben wollte.« »Wolltest du mir nur das sagen?« Sir Frederick nahm eine dicke schwarze Zigarre und setzte sie mit einem Tischfeuerzeug in Brand. »Hast du Liz gesehen, als du dort warst? Wie hat sie's aufgenommen?« »Liz?« Rudge wußte nicht, wer gemeint war. Dann lächelte er. »Ach, Sie meinen Elizabeth Richmond, Ihre Nichte? Nein, ich habe sie nicht gesehen.« »Das ist ganz gut so«, brummte Sir Frederick. »Obgleich sie ein mutiges Mädel ist, bin ich doch froh, daß sie die Leiche nicht gesehen hat.«
»Nun«, fuhr Rudge fort, um so schnell wie möglich auf das Sternenschiff zu sprechen zu kommen, »Chief Superintendent Barker wollte mich gerade verhören, als mich die drei Banditen schnappten und in ihrem Helicar mitnahmen.« Rudge trank einen Schluck Whisky. Er mußte die Geschichte zu Ende erzählen, bevor der Alkohol ihm in den Kopf stieg. Und doch mußte er trinken, um wach zu bleiben. Er fuhr fort, das Roboterraumschiff zu beschreiben, und alle die übrigen unglaublichen Ereignisse, die sich im Laufe dieser Nacht zugetragen hatten. Er blickte den anderen nicht an. Was er sehen konnte, war das Fleckchen Teppich zwischen seinen Füßen. Er hielt seinen Kopf gesenkt. Er war am Ende seiner Kräfte. »Das ist es also«, beendete er seine Geschichte. »Die Beobachter, Roboter und dergleichen, haben die Erde in ihrer Gewalt. Sie kontrollieren unseren Fortschritt, und wenn dieser zu groß wird, werfen sie uns einen Knüppel zwischen die Speichen. Ich frage mich nur, wie es uns überhaupt gelingen konnte, die Atomkraft zu erfinden und auf die Planeten zu gelangen.« »Diese Tatsache wird dir bestimmt beweisen, daß niemand unsere Existenz bedroht – und daß du eine schlimme Nacht mit häßlichen Träumen durchgemacht hast.«
»Wie?« Rudge fuhr hoch; die Whiskyflasche fiel ihm aus der Hand. Der Alkohol lief über den kostbaren Teppich. Doch keiner der beiden Männer bemerkte es. »Sie auch?« Rudge fühlte, wie eine Welle der Verzweiflung über ihm zusammenschlug. Er ballte die Fäuste, die Fingernägel gruben sich in sein Fleisch ein. »Sehen Sie doch«, sagte er verzweifelt, »ich bin Cliff, Ihr Musterschüler, der Mann, von dem Sie behaupteten, daß er die Wissenschaft der E.S.P. revolutionieren wird. Sie werden doch nicht im Ernst annehmen, daß ich mir so eine phantastische Geschichte ausdenken könnte, nur um sie Ihnen in dunkler Nacht zu erzählen. Sie werden doch einsehen, daß ich die Wahrheit sagte.« »Du versetzt mich in eine verteufelt unangenehme Lage«, meinte Sir Frederick. Er blies eine dichte Wolke duftenden Rauches in die Luft. »Du darfst nicht denken, daß ich dich des Mordes an Brownlow verdächtige. Ich kenne dich nun gut genug. Aber dieses andere: die Roboter und das riesige Raumschiff und die wahrscheinliche Entwicklung und Abhängigkeit der Erde ... Sei doch vernünftig, Cliff! Denke doch einmal nach, was das hieße. Ein Mensch kann das gar nicht verstehen; er würde wahnsinnig werden. Wir glauben an unser Schicksal; unsere Zukunft liegt in unseren Händen.«
»Leider nicht!« rief Rudge verzweifelt. »Verstehen Sie denn nicht? Seit den ersten Tagen der Menschheit haben uns diese Wachhunde bespitzelt. Ich bin davon überzeugt, daß wir sie mit Professor Brownlows ZeitBild-Aufzeichner bei der Arbeit beobachten könnten, wie sie sich in die Angelegenheiten der Menschheit einmischten und den Lauf der Geschichte beeinflußten, wie sie darauf bedacht sind, die Menschheit mit ihren kindlichen Spielsachen von den übrigen Sonnensystemen fernzuhalten.« »Ach, Cliff!« Sir Frederick stand auf, schritt durch das Zimmer und zog an einer Klingelschnur, die am Kopfende seines Bettes baumelte. »Du kannst in dem grauen Zimmer schlafen. Wenn du deine Müdigkeit ausgeschlafen hast, und den Rausch, den du von dem Whisky noch bekommen wirst, dann wirst du dich besser fühlen.« »Aber, Fred, bitte!« Rudge fühlte, wie Wände und Fußboden zu schaukeln begannen. Er streckte eine Hand aus, um sich festzuhalten. Er versuchte aus dem Stuhl aufzustehen. »Sie müssen mir glauben!« Er kam nicht aus dem Stuhl hoch und hämmerte verzweifelt mit den Fäusten auf die Armlehnen. Jeffers trat ein, ging leisen Schrittes zu Rudge hin und blickte dann fragend auf Sir Frederick. Rudge versuchte sich aufzurichten, als sie ihn aus dem Stuhl hoben. Doch dann ließ er sich zurückfal-
len. Sollten sie mit ihm machen, was sie wollten. Sollten sie ruhig zum Teufel gehen, samt ihren wundervollen Träumen, die Sterne zu erobern. Diese Roboterwachhunde würden schon darauf sehen, daß sie nicht zu weit kämen. Er kicherte leise. Das war witzig: Wachhunde! Der Alkohol umnebelte sein Hirn, drängte die Wirklichkeit zurück. Rudge schloß die Augen und fiel schlaff in die Arme Sir Fredericks und Jeffers' zurück. Als Rudge erwachte, lag er eine Weile unbeweglich und blickte durch das Fenster des grauen Zimmers in den hellen Wintersonnenschein hinaus. Nun machte er sich keine Hoffnungen mehr, daß er die Ereignisse von gestern nacht nur geträumt haben könnte. Er hatte die Leiche Professor Brownlows entdeckt, war von Robotern in das gigantische Raumschiff gebracht worden, wo man ihm eröffnete, daß sie die Erde beherrschten. Wachhunde! Das war das richtige Wort. Plötzlich wurde ihm eines klar: Sir Frederick hatte ihm vorerst Schutz und Unterschlupf gewährt. Aber er würde bald nach Australien fliegen, um die letzten Arbeiten bei der Fertigstellung des Sternenschiffes zu überwachen und um beim Start anwesend zu sein. Das konnte jeden Tag der Fall sein. Rudge wußte mit Gewißheit, daß das Sternenschiff
niemals die Sterne erreichen würde. Es würde nicht einmal die Erde verlassen. Er mußte Sir Frederick überzeugen, daß die ganze Geschichte, die er ihm halb im Rausch und völlig übermüdet erzählt hatte, auf Wahrheit beruhte – daß sie noch immer auf Wahrheit beruhte, jetzt, da er erfrischt und nüchtern war. Rudge zog sich an. Daß sein neuer blauer Anzug ganz zerfetzt war, schien er gar nicht zu bemerken. Er ging aus dem Zimmer, suchte im Badezimmer einen elektrischen Rasierapparat und rasierte sich. Als er die Treppe hinabging, fühlte er sich wieder als Mensch. Ein Duft von Eiern und gebratenem Speck zog die Treppe herauf, und Rudge stürzte buchstäblich in das Speisezimmer. Sir Frederick war in die Lektüre der Times vertieft. Als Rudge eintrat, blickte er auf. »Morgen, Cliff! Speck und Eier gefällig?« »Guten Morgen, Fred! Ich könnte eine venusianische Baumspinne, in eigenem Saft geschmort, essen! So einen Hunger habe ich.« »Dann greif zu!« Sir Frederick steckte sich eine schwarze Zigarre zwischen die Zähne und suchte nach einem Streichholz. Er brummte verdrießlich, als er nur eine leere Schachtel fand, und läutete laut nach Jeffers.
Jeffers kam herein. Der Mann sah müde aus. »Jeffers, ich brauche Streichhölzer!« »Ja, Sir.« Der Diener zog ein Feuerzeug unter dem Geschirr auf dem Büfett hervor und brachte es an den Tisch. Sir Frederick tat einen tiefen Zug und lehnte sich bequem zurück. Als Jeffers zur Tür zurückging, fragte Rudge: »Sie sind mir doch nicht böse, Jeffers, wegen gestern nacht?« »Nein, Sir.« »Gestern nacht!« rief Sir Frederick. »Das war gestern morgen. Du hast einen ganzen Tag lang geschlafen, mein Junge. Und das hast du auch nötig gehabt.« Jeffers ging hinaus, und Rudge setzte sich an den Tisch vor einen großen Teller mit Eiern und Speck. »Wie lange haben Sie Jeffers schon, Fred?« »Ungefähr zwei Monate. – Warum?« »Ach, nur so! Hätte ihm eine Erklärung geben sollen, anstatt ihn die Treppe hinunterzuwerfen. Er hat mich ja auch angesprungen, als wollte er mich umbringen.« »Nun, er ist ein tüchtiger Mann.« »Das glaube ich«, sagte Rudge. »Habe mich gestern wegen Brownlow umgehört«, begann Sir Frederick ohne Einleitung. »Barker ist Polizist bis auf die Knochen. Erzählte mir, daß du den Pro-
fessor umgebracht hast und daß er Haftbefehl gegen dich erlassen habe. Ich versuchte ihm beizubringen, daß er damit einen Fehler beginge; doch wollte er sich nichts sagen lassen. Hattest du nicht gesagt, daß Liz mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt habe?« »Soweit ich weiß, ja. Wenigstens habe ich sie nicht in dem Haus gesehen. Ihre Zöpfe und die dünnen Beine hätte ich bestimmt nicht übersehen.« »Ach, natürlich nicht!« Sir Frederick unterdrückte ein Kichern. »Du hast sie, seit sie im vergangenen Jahr aus der Schweiz zurückkehrte, nicht mehr gesehen. Man hat mir aber erzählt, daß du sie mit einer Streifwunde am Kopf auf dem Laboratoriumsboden gefunden hast.« »Das war Liz? Aber ich dachte ...« »Aha! – Ich dachte schon, es sei auch einer deiner Täuschungen. Barker hat mir davon berichtet. Sagte mir auch, daß sein Psychiater fast vor Wut platzte. Soweit ich beurteilen konnte, sah er wie ein zahmes Kaninchen aus, dem man keinen frischen Kohl gegeben hat.« »Nun, Fred«, Rudge schob den leeren Teller zurück und blickte seinem Gegenüber ruhig in die Augen, »was ich Ihnen erzählte, sind keine Täuschungen. – Ich weiß schon. Sie glaubten, ich sei nicht ganz bei Sinnen gewesen. Aber es ist die Wahrheit. Warten Sie.« Er hob die Hand, als Sir Frederick zu sprechen versuchte.
»Ich habe es mir überlegt. Wir gehen zusammen in Professor Brownlows Labor und sehen uns diesen Zeit-Bild-Aufzeichner einmal an. Dann werden wir sehen, ob ich die Wahrheit sagte oder nicht.« »Also gut«, brummte Sir Frederick. »Da werde ich dir auch beibringen können, daß du dich Täuschungen hingabst.« »Das werden wir sehen«, sagte Rudge grimmig. »Jetzt erzählen Sie mir von dem Anschlag auf Ihr Leben!« »Gut, Cliff. Schließen wir einstweilen Waffenstillstand, bis wir Beweise haben, was stimmt und was nicht.« »Danke, Fred!« sagte Rudge einfach. »Jetzt die Schießerei. War sehr interessant. Er benutzte eine 35er Cowan, glaube ich. Hatte noch nicht die Zeit, die Kugel aus der Wand herauszuholen. Mein alter 44er muß ihm den Arm gebrochen haben. Jedenfalls stieß er einen gräßlichen Schrei aus und rannte nach Norden davon. Jetzt ist er bestimmt schon am Nordpol angekommen.« Sir Frederick kicherte und rauchte gemütlich seine Zigarre. »Wie paßt das zu Professor Brownlows Fall?« »Prächtig. Er wurde durch eine Kugel aus einer 35er Cowan getötet. Seinen eigenen Revolver, einen Smith & Wesson, hielt er noch in der Hand. Ich habe die Polizeifotos gesehen. Die Regierung hat sich ein-
gemischt. Sie verdächtigt offensichtlich ein anderes Land. Ich habe auch Lord Manningtree aufgesucht. Er bestand auf verstärktem Polizeischutz. In Anbetracht meiner baldigen Reise nach Australien konnte ich nicht nein sagen. Jetzt stehen ungefähr zwanzig Bobbys vor dem Haus.« Rudge nahm eine Zigarette aus der Tasche und steckte sie mit dem Feuerzeug an, das Jeffers auf dem Tisch stehengelassen hatte. »Das ist gut«, bemerkte er und blies den Rauch gegen die Decke. »Wir können ungehindert hinauskommen. Wie ich schon sagte, glaubt Manningtree nicht, daß du es getan hast, nachdem ich ihm alles erzählte. Aber über Rundfunk und das Fernsehen wurden dein Name und die Beschreibung deiner Person bekanntgegeben. Die Polizei möchte dich noch verhören.« »Haben Sie Lord Manningtree von meinen – meinen Wahnvorstellungen berichtet?« »Natürlich nicht, mein Junge. Willst du vielleicht, daß mich der Alte vor allen Klubmitgliedern lächerlich macht?« »Ach«, sagte Rudge enttäuscht, stand auf und trat ungeduldig ans Fenster. Der Schnee war fast völlig geschmolzen, und schwaches Sonnenlicht fiel ohne Wärme über den Rasen und die kahlen Bäume. Rudge lugte hinter dicken Samtvorhängen hervor
und sah einen Mann, der lässig über den Gartenweg ging und, über seine Schulter zurückblickend, hinter einer Mauerecke verschwand. »Man merkt's. Die Polizei ist hier«, sagte er und ging in den Raum zurück. »Die Polizei in Ehren. Aber ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn man auf Schritt und Tritt beobachtet wird.« Sir Frederick hob seinen mächtigen Körper aus dem Stuhl, legte die Zigarre in den Aschenbecher und ging auf die Tür zu. »Komm mit in mein Arbeitszimmer, Cliff. Wir wollen uns über deine Experimente mit Telepathie unterhalten. Ich bin sicher, daß du bald etwas Großes entdecken wirst.« »Sicher, Fred«, sagte Rudge. Er konnte sich eines unangenehmen Gefühls bei dem Gedanken nicht erwehren, daß die Polizei hinter ihm her war. Er wußte ja, wie genau sie arbeitete, und das war nicht gerade beruhigend. Er folgte Sir Frederick die Treppe hinauf. Sie unterhielten sich ein bißchen, führten einige Rhine-Experimente mit überdurchschnittlichen Erfolgen durch und unterhielten sich dann über die letzten Forschungsergebnisse, die Rudge erzielt hatte, bevor er die Universität verließ und zur Industrie ging. »Ich bin sicher, daß die Antwort darauf tief im Gehirn liegt, irgendwo im Unterbewußten. Es müßte den Menschen gelingen, sich über die Kräfte des Gei-
stes zu verständigen, ohne dabei die umständliche Sprache zu Hilfe zu nehmen. Alle Anzeichen deuten darauf hin.« »Natürlich«, sagte Rudge und mischte die Experimentierkarten. »Doch wissen wir bis jetzt noch nicht genug über die Beschaffenheit des Hirns selbst. Ja, wenn wir eine mathematische Formel hätten, die uns die Antwort geben könnte! Es muß eine solche Formel geben; denn wir haben hier etwas, das im rein physikalischen Sinne des Wortes begrenzt ist. Und wenn es begrenzt ist, dann muß man es auch in einer Reihe von Gleichungen festhalten können.« »Aber hast du nicht immer behauptet, der Geist sei frei von jeder physikalischen Bindung?« »So ist es auch. Aber um ihn frei zu machen, brauchen wir einen Schlüssel. Und ich glaube, daß man den Schlüssel durch sorgfältige Berechnung aller Grundelemente des Hirns finden wird.« »Wenn ich aus Australien zurückkomme, werden wir uns damit noch eingehender befassen. Es ist schade, daß du nicht weitermachtest, sondern in die Industrie gingst.« »Ich habe es selbst bereut.« »Jedenfalls«, sagte Sir Frederick, indem er sich – in eine blaue Rauchwolke eingehüllt – vom Stuhl erhob, »glaube ich, daß die Regierung in der Lage sein wird, dir eine Stelle anzubieten.«
»Das habe ich nur Ihnen zu verdanken.« »Vielleicht. Doch hören wir uns lieber einmal die letzten Berichte über den Mord an«, sagte Sir Frederick, indem er auf die Uhr blickte. Er stellte das Fernsehgerät an und setzte sich wieder. Erst flimmerte der Schirm ein bißchen; doch dann klärte sich das Bild des Ansagers, und dessen Stimme ertönte. Schon beim ersten Satz fuhren beide hoch. »... größte Unfall, der sich in den Vereinigten Staaten jemals ereignet hat. Das Sternenschiff ›New York‹ erreichte eine Höhe von nur wenigen tausend Metern, als es in der Luft explodierte. Die Detonation hatte eine Stärke von vier gleichzeitig explodierenden Atombomben. Die ersten Berichte enthüllen keine weiteren Einzelheiten über die Vorgänge. Das Sternenschiff gehörte bis zu seiner Zerstörung zu den bestgehüteten Geheimnissen der Vereinigten Staaten. In Großbritannien sind nun alle Augen auf unser Sternenschiff gerichtet, das unter der persönlichen Aufsicht Sir Fredericks ...« Sir Frederick stellte das Gerät ab. Seine Augen blickten voll Entsetzen auf Rudge. »Die Wachhunde!« sagte Rudge.
6 Das unterirdische Labor sah aus, als sei es von einer Horde Putzfrauen überfallen worden. Rudge blickte sich um und erinnerte sich an die schlanke Gestalt Elizabeth Richmonds, die er bewußtlos mitten auf dem Fliesenboden gefunden hatte. Mit Schaudern dachte er an die verzweifelte Suche nach der Bombe. »Wach auf, Rudge! Wir können nicht ewig hierbleiben!« Sir Fredericks dröhnende, freundliche Stimme riß Rudge in die Gegenwart zurück. Es war nicht schwierig gewesen, das Haus Sir Fredericks mit dem Helicar zu verlassen. Rudge hatte sich unter den Sitzen versteckt, während sie an den Polizisten vorbeiflogen. Nur durch geschickte Manipulationen Sir Fredericks, Lord Manningtrees und des Innenministers war es ihnen gelungen, das Labor Professor Brownlows betreten zu dürfen. Die Polizei suchte noch immer nach Rudge. Er hatte sich bereiterklärt, sich den Polizisten zu stellen, falls seine Behauptungen nicht den Tatsachen entsprächen. Schon das, dachte Rudge, müßte sie überzeugen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Er ging zu dem großen Schirm in der Ecke hinüber und steckte den Starkstromstecker in die Anschlußbuchse. Dann drehte er den Mittelschalter um.
Während das Gerät zu summen begann, schaute sich Rudge die übrigen Schalter an. Zwei Skalen fielen ihm auf, die beide verschieden geeicht waren. Die eine, die mit der Zahl 1 begann, war in Zehntelabstände unterteilt, die andere in Hundertstel. Rudge war davon überzeugt, daß das Jahre waren und daß eine Einstellung auf diesen Skalen den ZeitBild-Aufzeichner auf ein bestimmtes Jahr einstellen konnte. Offensichtlich konnte man keine genauen Daten einstellen, sondern mußte durch langsames Regulieren den gewünschten Zeitabschnitt fixieren. An dem Gerät waren noch zwei andere Schalter angebracht, die eine Einstellung im Raum ermöglichten. Dadurch konnte, man von einem Ort zum anderen übergehen. Rudge zog eine Packung Zigaretten hervor und merkte, daß sie leer war. Dann vergaß er die leere Zigarettenpackung; denn auf dem Schirm zeichnete sich ein Bild ab. Es war das Bild Hitlers, der in ein Gespräch mit einem Mann vertieft war. Es war die gleiche Szene wie beim ersten Male. Rudge drehte sich zu Sir Frederick um. »Das ist es! Sehen Sie sich das einmal an! Hitler und der Wachhund!« »Sieh dir das lieber einmal selbst an, Cliff«, antwortete Sir Frederick mild. »Sag mir, was du siehst.« Rudge blickte auf den Schirm und traute seinen
Augen nicht. Der Mann, der mit Hitler sprach, war ein normaler Mensch! Wenigstens konnte er durch das Fleisch keinen Metallkopf erkennen. »Ich verstehe das nicht«, stotterte Rudge verwirrt. »Ist schon gut, Junge. Ich glaube, ich verstehe. Du hast in den vergangenen Tagen allerhand durchgemacht. Ich wundere mich nur, daß du nicht auch weiße Mäuse gesehen hast.« »Nein!« schrie Rudge wild. »Das kann nicht stimmen. Ich habe den Wachhund hier mit eigenen Augen gesehen! Warten Sie.« Aus seiner Stimme klang Hoffnung. Der Mann, der Hitler gegenübersaß, trug die Uniform eines Offiziers. Auf seiner Brust glänzten Orden. Das war nicht derselbe Mann, den Rudge gesehen hatte. Rudge streckte den Arm aus und drehte an dem einen Schalter vorsichtig zurück. Die Szene verschwamm. Dann sah er eine weiträumige Marmorhalle, leer. Er war zu weit zurückgegangen. Behutsam drehte er wieder an dem Schalter. Rudge sah auf dem Schirm, wie Männer in die Halle geeilt kamen. Der Bildaufzeichner nahm ihre Bewegungen viel zu schnell auf. Jetzt kam Hitler herein, ging auf seinen Schreibtisch zu und öffnete eine Aktenmappe. Andere Männer eilten herein und hinaus. Rudge nahm die Hand von dem Schalter.
Ein Mann war eben eingetreten. Seine Bewegungen waren normal; denn Rudge drehte nicht mehr an dem Schalter. Rudge hörte, wie Sir Frederick vor Staunen einen Schrei ausstieß. Das war der verkleidete Roboter! Mit einem unangenehmen, prickelnden Gefühl erkannte Rudge den Metallkopf und die dunkelglitzernden Augenlinsen. Sir Frederick ließ sich in einen Stuhl fallen. »Du hattest doch recht!« Er wischte sich mit der Hand über die Augen. »Mein Schiff! Das Sternenschiff! Sie werden es genauso in die Luft jagen wie das amerikanische Schiff.« »Nicht, wenn wir sie daran hindern!« »Aber wie können wir das? Wenn alles stimmt, was du sagtest, dann sind sie allmächtig. Wir sind ihnen hilflos ausgeliefert.« »So schlimm ist es nun wieder nicht, Fred. Wir haben einen Vorteil. Sie wissen nicht, daß wir sie über den Brownlow-Zeit-Bild-Aufzeichner beobachten können. Natürlich wissen sie, daß er existiert. Sie haben schon einmal versucht, ihn zu zerstören, und werden es auch wieder tun. Aber sie wissen nicht, daß wir damit ihren verdammten Blechbüchsenunterbau sehen können.« »Offensichtlich haben sie nur Angst, daß wir ihr Raumschiff über der Erde damit ausfindig machen könnten. Deshalb auch der Sabotageversuch.«
»Das war nicht der einzige Grund. Der andere war, daß sie sich immer in die Geschehnisse auf der Erde einmischen und darauf achten, daß wir uns nicht weh tun mit diesem gefährlichen Spielzeug, das wir zusammenbasteln.« Rudge drehte an dem Schalter und stellte die Zeit auf »jetzt« ein. Den Raumschalter drehte er, bis der Aufzeichner auf den Himmel gerichtet war. »Haben zwar keine großen Aussichten, ihr Schiff auf den Schirm zu bringen, aber wir können es einmal versuchen.« Nach einer halben Stunde fruchtlosen Suchens gab er es auf. »Schlimmer als eine Nadel auf dem Heuboden suchen. Wir können schon von vornherein annehmen, daß auch Radar keinen Erfolg haben wird. Mit diesem kleinen Spielzeug der Menschen werden sie leicht fertig werden. Und wenn wir sie nicht bald finden, können wir nichts gegen sie ausrichten.« »Sehen wir uns einmal den Burschen an, der auf dich geschossen hat.« »Das können wir machen«, meinte Rudge. »Dann schauen wir uns auch den Kerl an, der mich umbringen wollte.« Rudge schaltete an den Kontrollknöpfen. Seine feinfühligen Finger schienen für den Apparat wie geschaffen zu sein. Ein-, zweimal verfehlte er die Genaueinstellung; doch dann sahen sie das Haus Sir
Fredericks. Eine dunkle Gestalt schlich über den schneebedeckten Rasen und brach eines der Fenster im Erdgeschoß des Hauses auf. Dann ließ sich die Gestalt auf den Boden fallen und lief über den Rasen. Ein Arm hing steif an der Seite herab. »Siehst du! Da habe ich ihn also doch erwischt.« »Haben Sie ihn genauer angesehen?« fragte Rudge. »Ja. Ganz normaler Mensch.« »Es muß eine der hypnotisierten Marionetten sein, die sie eingespannt haben. Wenn er gefangen würde, brauchten sie sich keine Gedanken zu machen, daß er etwas verriete. Schauen wir jetzt einmal nach dem Burschen, der Professor Brownlow getötet hat.« »Das heißt also, daß aller Verdacht von dir abfällt, Cliff. Barker muß das anerkennen.« Sir Frederick durchquerte den Raum und trat zu dem Telefon, das an der Wand hing, und wählte eine Nummer. »Lord Manningtree? – Hier ist Fred. – Hör mal: Kannst du dich an unsere Unterhaltung über die Brownlow-Affäre erinnern? Kannst du schnell einmal in die Moon Street kommen? Geht das, ja? Gut. Ich warte.« »Ich glaube, es wäre keine schlechte Idee«, sagte Rudge langsam, »wenn wir uns einmal um die Aufzeichnungen des Professors kümmern würden. Im Augenblick haben wir nämlich alle unsere Eier in ei-
nem Korb. Und wenn der hinfällt ...« Er machte ein Geräusch mit den Lippen und fuhr fort: »Ich weiß zwar nichts über das Beobachtungssystem der Wachhunde; aber wir müssen ihnen wenigstens zutrauen, daß sie einen Ort beobachten können, den sie kennen.« »Da hast du recht, Cliff.« Die beiden Männer begannen, das Labor zu durchsuchen. Schübe und Kästen wurden aufgerissen und durchsucht. Sie fanden nichts, auch keinen Safe. Als Lord Manningtree eintrat, kroch Sir Frederick gerade auf allen vieren unter einem Tisch umher, und Rudge hing in einem Ventilationsschacht. »Schon etwas gefunden?« »Tree! Komm herein!« Sir Frederick richtete sich auf. »Wir suchen nach den Aufzeichnungen des armen Brownlow. Wir haben etwas, das die Welt erschüttern wird. Und außerdem sind wir hier nicht sicher.« »Was ist denn los?« »Sehen Sie auf den Schirm, Mylord«, sagte Rudge. Er schaltete das Gerät mit der Szene ein, die sich im Labor vor dem Mord ereignet hatte. Professor Brownlow stand gerade, mit einem Experiment beschäftigt, über den Tisch gebeugt, als Elizabeth Richmond hereinkam. Auf dem Schirm erschien ihr Gesicht lebendig und frisch; ihr rotbraunes Haar fiel in Kaskaden über ihre Schultern.
Rudge starrte wie verzaubert auf das Mädchen. Ihre Augen waren also blau wie die ihres Onkels. Als er Liz zum letzten Male vor ihrer Abreise in die Schweiz gesehen hatte, war sie ein Schulmädchen gewesen. Plötzlich mußte er lächeln. Die Zukunft erschien ihm nicht mehr so trübe. »He, Cliff! Wach auf! Der Professor hat gerade das Labor verlassen, um sich nach oben zu begeben. Dort wurde er umgebracht. Du schaltest jetzt am besten in sein Zimmer um.« »Ich bin ja schon dabei«, entgegnete Rudge. Seine Gedanken waren ganz woanders. Er hörte, wie hinter ihm die Labortür geöffnet und geschlossen wurde; doch war er zu sehr mit dem Einstellen und Umschalten beschäftigt, als daß er sich hätte umsehen können. Schließlich erschien Professor Brownlows Arbeitszimmer mit den schweren, düsteren Wandbehängen und Bücherregalen auf dem Schirm. Professor Brownlow nahm gerade hinter seinem Schreibtisch Platz. »Was soll das alles, Mylord?« fragte Chief Superintendent Barkers Stimme. »Ich vermute, Sie sind davon unterrichtet, daß Rudge von der Polizei gesucht wird.« »Ja, ja, Inspektor. Beobachten Sie lieber den Schirm.« Das war die Stimme Lord Manningtrees. Auf dem Bildschirm erstarrte der Professor plötz-
lich auf seinem Stuhl. Er schien zu horchen. Dann zog er das Schubfach auf und holte einen Revolver hervor. »Das ist sein Smith & Wesson«, hauchte Sir Frederick. Doch bevor der Professor seinen Revolver heben konnte, schoß eine Stichflamme hinter den Wandbehängen hervor. Der alte Mann fiel zurück, der Revolver baumelte an den Fingern. Barker wollte gerade etwas sagen; doch Lord Manningtree schnitt ihm das Wort ab. »Jetzt wird es erst interessant«, sagte Rudge. Ein Mann löste sich aus den dunklen Schatten, ging auf den Professor zu, um sich davon zu überzeugen, daß er auch tot war. Dann durchwühlte er die Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen. Rudge war enttäuscht. Es war ein normaler Mensch. Sie töteten also nicht selbst, sondern schickten die Marionetten. »Da haben Sie Ihren Mörder!« sagte er kurz. Barker sagte etwas Unverständliches, und Sir Fredericks Stimme dröhnte: »Seien Sie ruhig, Mann! Sehen Sie doch selbst, was in der Mordnacht geschah!« Der Mörder steckte etliche Papiere in die Tasche und versuchte, den Safe zu öffnen. Er blickte mehrere Male auf seine Uhr. Plötzlich schrak er zusammen.
Mit einem Satz war er hinter dem Samtbehang verschwunden. »Der Auftritt des Helden«, brummte Rudge sarkastisch. Es war ein seltsames Erlebnis für ihn, sich selbst auf dem Schirm zu sehen. Die Lampe auf dem Schreibtisch warf seinen Schatten über die Bücherregale. Er konnte sich an alle Einzelheiten erinnern. Rudge lehnte sich vor und schaltete das Gerät ab. »Mehr brauchen wir nicht zu sehen. Was dann geschah, ist ja bekannt.« »Soll ich es so verstehen, daß das eben Gesehene ein Film über den Mordfall Brownlow ist?« fragte Chief Superintendent Barker. »Sie sollen überhaupt nichts Derartiges verstehen«, entgegnete Sir Frederick spitz. »Dieses Gerät, die Erfindung des ermordeten Professors Brownlow, ist ein Zeit-Bild-Aufzeichner. Er ermöglicht es uns, in die Vergangenheit zu blicken und die Ereignisse so wahrzunehmen, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben. Der Verdacht gegen Mr. Rudge hat sich als völlig unbegründet erwiesen.« Auf Chief Superintendent Barkers Gesicht machte sich ein Ausdruck des Unwillens breit. »Und was geschieht nun mit der Mordkommission? Ich vermute, Sie werden uns alle auf der Stelle entlassen«, entgegnete er hitzig.
Rudge sah auf und wollte gerade eine geharnischte Bemerkung machen. Doch er gewahrte das schelmische Leuchten in den Augen des Chief Superintendents. »Wollen wir uns lieber vertragen.« Er streckte die Hand aus. Barker ergriff die ausgestreckte Hand und umschloß sie mit festem Griff. »Nach Ihrer wilden Geschichte blieb mir nichts anderes übrig, als nach Ihnen fahnden zu lassen.« »Die Geschichte, Barker«, mischte sich Sir Frederick ein, »ist weder wild noch phantastisch. Es ist die Wahrheit. Die fremden Roboter – Cliff nennt sie nur noch Wachhunde – haben tatsächlich das Schicksal der Menschheit in der Hand. Unsere Aufgabe ist es, die daran zu hindern und zu erstreben, daß die Erdenmenschen ihren Weg zu den Sternen ausbauen können.« Es dauerte nicht lange, da waren sowohl Lord Manningtree als auch Chief Superintendent Barker von der Wahrheit der Sache überzeugt. Dann saßen die vier Männer einander gegenüber und sahen sich ratlos an. »Was können wir dagegen tun?« fragte Lord Manningtree. Doch darauf schien es keine Antwort zu geben. »Als erstes müssen wir danach trachten, daß der Brownlowsche Zeit-Bild-Aufzeichner gesichert wird.
Die Wachhunde werden keine Anstrengung scheuen, ihn zu zerstören. Ich weiß nicht, wo die Aufzeichnungen des Professors verborgen sind. Solange wir die nicht haben, können wir keinen eigenen Zeit-BildAufzeichner bauen. Diese Maschine ist das einzige Mittel, mit dessen Hilfe wir die Wachhunde sehen können.« Barker stand auf und trat ans Telefon. Als er zurückkehrte, sagte er nur: »Ich habe die Wachen um das Haus verdreifachen lassen.« »Das ist alles schön und gut, Chief Superintendent«, sagte Sir Frederick. »Aber diese Wachhunde werden es mit der Polizei nicht schwer haben. Wir werden eine Waffe finden müssen, um sie für immer von der Erde zu verbannen.« Sir Frederick steckte sich eine Zigarre an. Und während Rudge zusah, wie der Rauch langsam in die Höhe stieg, zogen sich seine Augenbrauen zusammen. »Hören Sie einmal zu. Wenn Ihnen etwas an meiner Erklärung nicht gefällt, dann lassen Sie es mich bitte wissen. Die Sache ist folgende: Erstens können wir die Wachhunde mit dem Zeit-Bild-Aufzeichner erkennen. Zweitens: Wir können sie ohne diesen von normalen Menschen nicht unterscheiden. Folglich muß immer jemand hier unten auf Wache sein.«
Die drei anderen murmelten ihre Zustimmung. »Als nächstes«, fuhr Rudge fort, »müssen wir herausfinden, welche Männer, die der Regierung sehr nahestehen, Wachhunde sind. Um dies zu erkennen, müssen wir sie durch den Zeit-Bild-Aufzeichner beobachten. Das dürfte keine Schwierigkeit bereiten. Doch die Frage ist die: Wie machen wir sie unschädlich?« »Ich möchte sagen, daß dies – nach allem, was Sie uns erzählt haben – ganz unmöglich ist.« Lord Manningtree sah Rudge scharf an. »Vielleicht jetzt noch«, antwortete Rudge. »Doch wir werden einen Weg finden.« »Ja«, erwiderte Lord Manningtree düster. »Die Menschheit findet immer wieder neue Mordinstrumente.« Rudge blickte auf den Bild-Aufzeichner. Er war die einzige Hoffnung, gegen die Wachhunde anzugehen. Er nahm geistesabwesend die leere Zigarettenpakkung aus der Tasche und sah betrübt um sich, als er erneut entdeckte, daß sie ohne Inhalt war. Chief Superintendent Barker lehnte sich vor und bot ihm von seinen Zigaretten an. »Danke, Barker!« Als der Chief Superintendent auch Lord Manningtree sein Etui anbieten wollte, lehnte dieser dankend ab. »Vielen Dank! Ich rauche nicht.«
Rudge steckte sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Dann ging er langsam zum anderen Ende des Labors hinüber, wo eine Werkbank an der Wand stand, suchte unter den umherliegenden Geräten einige Stücke aus, die er später mitnehmen wollte. Er ging zum Bildschirm zurück, stellte den Apparat ein und drehte unschlüssig an den Knöpfen. »Wollen uns mal das Sternenschiff in Australien ansehen«, sagte er leise. Auf dem Schirm erschien noch das verschwommene Bild der letzten Szene im Arbeitszimmer des Professors; dann richtete Rudge das Gerät auf die Straße vor dem Haus. Er fühlte sich schon als Meister über die Erfindung; die Kunst, gewünschte Szenen einzustellen, schien im ganz geläufig zu sein. Er ließ den Apparat auf die Straße eingestellt, drehte an dem Zeitknopf und brachte den Zeiger in unmittelbare Nähe der Zahl 1. Auf der Skala gab es keine Null, was ihm vorhin gar nicht aufgefallen war. Doch jetzt erkannte Rudge, was dies bedeutete. »Wissen Sie«, sagte er, indem er langsam an dem Zeitschalter drehte, »ich glaube nicht, daß wir mit diesem Gerät die Gegenwart sehen können. Professor Brownlow hat dafür auf den Skalen keine Einstellung geschaffen.« »Das heißt also, daß wir die Leute nicht leicht werden überprüfen können?« fragte Lord Manningtree.
»Nicht unbedingt«, meinte Sir Frederick und blickte auf Rudge. »Was ist mit meinem Sternenschiff, Cliff?« »Sofort, Fred.« Er mußte sehr sorgfältig vorgehen. Er hatte nur eine Vermutung. Doch wenn die sich bewahrheitete, könnte es für sie alle das Ende bedeuten. Rudge hatte jetzt den Schalter so eingestellt, wie er geplant hatte. Auf dem Schirm erschien die Straße vor dem Haus. Einige Fußgänger gingen vorüber und blickten auf das Haus, in dem der Mord geschehen war. Ein Mann kam die Straße herab, steif und würdig, sein ernstes Gesicht seltsam durchsichtig. Lord Manningtree sprang von seinem Stuhl auf und stürzte sich auf Rudge und den Zeit-BildAufzeichner!
7 Rudge fing den Ansturm des Wachhundes mit den Schultern auf, und beide rollten kämpfend über den Fußboden, weg von dem unersetzlichen Gerät. Er mußte das Gerät schützen, koste es, was es wolle. Auf dem Bildschirm erschienen die Ereignisse, die sich vor einer Stunde zugetragen hatten, als Lord Manningtree, ein fleischverkleideter Roboter, das Brownlow-Haus betrat. Chief Superintendent Barker sprang unverzüglich in das Gewühl und schlug mit der Faust in das Gesicht des Wachhundes. Er schrie vor Schmerz auf und blickte auf seine blutige Faust. »Auf die Seite, Leute!« schrie Sir Frederick. Rudge richtete sich auf, warf den Roboter wieder nieder, als dieser sich mit Hilfe seiner titanischen Kräfte aufrichten wollte. Barker hing an dem Metallwesen wie ein Blutegel. Die drei flogen wieder auf den Boden. Dann packte Rudge Barker beim Kragen und zog ihn beiseite. Sie stolperten auf die Seite. Der Wachhund kam hoch. Er stieß ein schrilles, hohes Pfeifen aus. Sir Frederick jagte aus seinem 44er eine Kugel nach der anderen in den Metallkörper des Roboters. Durch das Donnern des schweren Revolvers konnte Rudge deutlich das Aufschlagen der Geschosse vernehmen.
Er blickte nicht hin, um zu sehen, was sie ausgerichtet hatten. Er war sich nur zu genau bewußt, daß Kugeln an diesem harten Metall nur wenig Schaden anrichten konnten. In einem verzweifelten Satz schnellte er zu der Werkbank hinüber, packte die schwere Stahlstange, die er sich vorhin griffbereit gelegt hatte, und wirbelte herum. Er sah, wie sich der Wachhund mit ausgebreiteten Armen auf Sir Frederick stürzte, der gerade seine letzte Kugel abfeuerte, um ihn zu zermalmen. Barker sah, daß dem Wachhund nichts geschehen war. Er sprang auf den Rücken des Roboters, schlang seinen Ellbogen unter das Kinn des Maschinenmenschen und warf sich mit aller Kraft zurück. Mit Schrecken sah Rudge, wie sich die ganze Fleischstruktur vom Körper des Roboters löste. Lord Manningtrees Gesicht fiel wie eine Gummimaske ab und enthüllte den darunterliegenden Metallkopf mit den Quarzlinsen. Barker fiel zu Boden. Mit einem Metallarm schlug der Roboter zu. Das künstliche Fleisch flog in Fetzen von der Hand, als sie auf die harten Fliesen des Bodens aufschlug. Barker hatte sich im letzten Moment auf die Seite werfen können. Sir Frederick warf seinen nutzlosen Revolver in das Gesicht des Wachhundes und zerschmetterte eine der Quarzlinsen. Der Roboter stieß ein pfeifendes Geheul
aus, seine Arme fuchtelten wie Windmühlenflügel in der Luft herum. Er stürzte sich auf Sir Frederick. Rudge sprang von der Seite auf den Roboter zu. Er zog den Arm mit der Stahlstange zurück und schmetterte sie gegen den glänzenden Metallkopf des Roboters. Der Schlag warf den Roboter zu Boden. Breitbeinig stand Rudge über ihm und schlug wild auf den Metallkörper ein. Er verbeulte den Metallkopf mit regelmäßigen, wohlgezielten Schlägen, bis ein plötzlicher blauer Blitz hervorzuckte und den Raum erhellte. Er keuchte vor Erregung. Der Schweiß lief ihm in Strömen von der Stirn, und seine Lungen lechzten nach Luft. Die wollten die Menschheit bevormunden, ihre Sternenschiffe vernichten und sie wie Kinder behandeln! Wieder und wieder sauste die Stahlstange auf die Maschinenteile hinab. Professor Brownlow nach dem Abschluß seiner Arbeit umbringen! Das sah ihnen ähnlich. Krachend schlug die Stahlstange zu. Die Menschen kamen dir wohl wie Kleinkinder vor, was? Aber du hast ausgepfiffen. »Cliff, hör doch auf!« Sir Fredericks keuchende, rauhe Stimme riß Rudge aus seinem Wutzustand. »Laß noch etwas übrig von ihm, damit wir es untersuchen können, Junge.« »Sicher, sicher.« Rudge ließ die Stahlstange fallen und mußte sich
plötzlich an Sir Frederick festhalten, als seine Knie nachgaben. »Tree war ein Roboter! Ich frage mich nur, wie lange das schon so ist?« fragte Sir Frederick. »Schwer zu sagen. Vielleicht erst seit dem Augenblick, als Sie ihm von mir erzählten. Aber wir können das leicht herausfinden, indem wir den Bildaufzeichner benützen. Doch jetzt brauche ich unbedingt einen Drink, und zwar einen großen!« Barker hatte die blutigen Knöchel seiner Faust in den Mund gesteckt. »Ich auch«, meinte er und spuckte Blut auf den Boden. Der Wachhund lag bewegungslos auf dem Fliesenboden. Ein zerschlagener mechanischer Apparat. Die schwarze Jacke und die gestreiften Hosen paßten in keiner Weise zu dem Metallkörper, der darunterlag. Sein Kopf sah wie eine verbeulte Blechbüchse aus und baumelte lose an dem Metallhals. Rudge sah auf das alte Eisen und mußte plötzlich lachen. »Haben Sie eine Zigarette, Barker?« fragte er. »Natürlich, Rudge! Hier. Habe meine auch in dem Durcheinander verloren.« Rudge nahm die Zigarette, hielt sie hoch und betrachtete sie von allen Seiten. Dann begann er laut, fast hysterisch zu lachen. »Ruhig, Junge!« Sir Frederick hielt ihm ein bis zum Rande mit Whisky gefülltes Glas entgegen. Rudge
leerte es mit einem Zug; dann blickte er wieder auf die Zigarette. Er steckte sie nicht an, sondern betrachtete sie nur. »Was ist denn los, Cliff?« Auf dem Gesicht Sir Fredericks zeigte sich Besorgnis. »Ach, nichts, Fred. Ich werde schon nicht verrückt. Jetzt nicht.« Rudge steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und steckte sie an. »Können Sie das, Fred? – Und Sie, Barker?« »Aber natürlich. – Wo denkst du hin?« »Kann es ein Wachhund?« Sir Frederick stieß ein wahres Geheul aus. »Das ist es! Bei allem, was heilig ist, das ist es! Cliff, mein Junge, das ist die Antwort: Wachhunde können nicht rauchen!« Professor Brownlows Zeit-Bild-Aufzeichner war jetzt schon über zehn Stunden lang ununterbrochen in Betrieb. Müde, erschöpft und unrasiert blickten Rudge, Sir Frederick und Chief Superintendent Barker auf den flimmernden Bildschirm. Sie hatten die Regierung überprüft und entdeckt, daß fast jede Person, die eine Schlüsselstellung einnahm, nichts anderes als ein fleischüberzogener Roboter war. Einige von ihnen waren gute Freunde Sir Fredericks. Lord Manningtree wurde erst durch einen
Wachhund ersetzt, nachdem ihm Sir Frederick von Rudge berichtet hatte. Er hatte ein schlaues Spiel getrieben, als er hier wartete, um herauszufinden, wie die Menschen sich wohl benahmen. Andere Männer wurden durch Roboter ersetzt, sobald sie höhere Ämter einnahmen: Wissenschaftler, Generäle, Minister. Wo immer sich die Gelegenheit zeigte, daß die Menschheit einen Schritt vorwärts tun könnte, war ein Wachhund aufgetaucht und hatte den Lauf der Geschichte verändert. Die meisten der gigantischen Weltkonflikte, die sinnlosen Vernichtungskriege waren das Werk der Wachhunde. Als Rudge endlich von dem Bildschirm wegsah, war sein Gesicht grau vor Müdigkeit. »Wie sie dann noch behaupten können, sie achten darauf, daß sich die Menschheit keinen Schaden zufügt, das kann ich nicht verstehen«, sagte er düster. »Es scheint, daß sie sich jedesmal einmischen, wenn die Menschheit eine Chance hat, weiterzukommen; und dann sehen sie zu, daß alles schiefgeht.« Die anderen nickten stumm. »Nun«, sagte Rudge, indem er aufstand und zur Werkbank ging. »Es kommt zu guter Letzt auf eines heraus. Wir müssen die Kabinettsmitglieder, von denen wir wissen, daß es wirkliche Menschen sind, herbitten. Dann können wir uns über Pläne unterhalten, wie wir die Wachhunde am besten abschütteln. Ich
rufe inzwischen Liz an und erkundige mich, wie es ihr geht.« »Bleibe nicht zu lange weg, Rudge«, warnte Sir Frederick. »Wir haben nicht nur die Wachhunde, sondern auch die Zeit gegen uns.« Rudge rief das Krankenhaus an und ließ sich von dem Arzt über den Zustand von Miss Richmond aufklären. Schon wollte er den Hörer niederlegen; doch da reichte er ihn Sir Frederick. »Sie ist noch nicht bei Bewußtsein. Die Operation war erfolgreich. Versuchen Sie inzwischen, den Premierminister hierherzubekommen. Ich hole etwas zum Essen.« Chief Superintendent Barker hatte Scotland Yard unterrichtet, und die Suche nach Rudge war abgeblasen worden. Rudge verließ das unterirdische Labor und stieg die Treppen zur Küche hinauf. Oben standen wachsame Polizisten. Rudge sah sie an und hatte ein ungemütliches Gefühl dabei. Er ging in die Küche, suchte sich ein Stück weißen Karton und einen Bleistift. Auf den Karton schrieb er einige Worte in Druckbuchstaben und rief dann nach Barker. »Was ist, Rudge?« Der Chief Superintendent kam in die Küche und blickte fragend auf Rudge. »Rufen Sie doch bitte Ihre Beamten einen nach dem anderen hier herein, und bitten Sie die Männer, zu
rauchen. Hätten wir schon vor einiger Zeit tun sollen.« »Sie haben recht. Trotzdem glaube ich, daß meine Männer in Ordnung sind.« »Man kann nie wissen«, meinte Rudge. Rudge stand mit der Stahlstange in der Hand hinter der geöffneten Tür und fühlte sich unendlich erleichtert, als der letzte Polizist die Prüfung bestanden hatte. Fast ausnahmslos hatten sie die Zigaretten angenommen. Nur einer hatte sie abgelehnt. Doch als man ihm erklärte, einige Züge machen zu müssen, hatte er gehorcht. Dann ging Rudge in die Halle hinaus und hängte sein Schild an die Wand. In großen Druckbuchstaben stand darauf: BEAMTE IM DIENST NUR NOCH MIT ZIGARETTE! Er kehrte in die Küche zurück und suchte etwas zu essen. Gerade wollte er damit in das Labor hinabsteigen, als die Vordertür aufging und eine wohlbekannte Stimme höflich bat: »Führen Sie mich, bitte, sofort zu Sir Frederick Richmond.« Rudge drehte sich um, balancierte die Schüssel mit dem Essen vorsichtig auf einer Hand und winkte mit der anderen. »Hier entlang, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Der Premierminister ging mit ihm die Treppe hinab. Hinter ihm folgte seine Leibwache. Rudge betrat das Labor und hielt den Zeigefinger warnend an die Lippen. Dann wandte er sich an den P. M. und holte sein Zigarettenetui hervor. Er hatte es aus einem Kästchen aufgefüllt, das auf der Werkbank stand. Obwohl es nicht seine Marke war, waren sie für den Zweck gut genug. »Zigarette, Sir? – Und Sie auch«, fügte er hinzu, indem er sich an die überraschte Leibwache wandte. »Was, wenn ich fragen darf, soll das bedeuten?« fragte der Premierminister. »Nimm nur die Zigarette, Stinky, und stecke sie an. Wir werden nachher alles erklären«, sagte Sir Frederick ernst. Rudge wußte, daß Sir Frederick den P. M. bei seinem Spitznamen nannte, den er in der Schule gehabt hatte. »Was soll das alles?« fragte der P. M. gereizt. »Erst holen Sie mich aus irgendeinem fadenscheinigen Grund zu dieser Nachtstunde hierher, und dann spielen Sie noch Komödie. Ich muß doch bitten ...« »Ich muß doch bitten, daß Sie die Zigarette annehmen und rauchen!« sagte Rudge. Sir Frederick holte seinen 44er hervor und richtete ihn auf den Premierminister. Der Leibwächter griff nach seiner Waffe; aber Rudge schlug sie ihm schnell aus der Hand.
»Wir meinen es im Ernst!« sagte Sir Frederick. »Jetzt rauchen Sie bitte die Zigarette.« Der Mann, der bis zum Premierminister von England emporgestiegen war, wußte, wann man sich weigern konnte und wann man gehorchen mußte. Besonders dann, wenn man am falschen Ende einer Pistole stand. Er nickte, und die Leibwache nahm eine von Rudges angebotenen Zigaretten. »Sie wissen doch, Fred, daß ich keine Zigaretten rauche«, sagte er. »Das stimmt, Stinky. Hier sind Zigarren.« Der Baronet war aufgestanden und bot dem P. M. eine seiner schwarzen Zigarren an. »Nein, danke, Fred! Ich nehme meine eigenen.« Der P. M. griff in seinen Rock und zog ein Zigarrenetui hervor. Rudge ließ die schon zum Schlag erhobene Stahlstange sinken, die er jetzt immer bei sich trug. Der P. M. nahm eine duftende Havanna; Rudge hielt ihm ein brennendes Streichholz entgegen. Als Rudge den aufsteigenden blauen Rauch sah, steckte er die Stahlstange in seinen Gürtel und nahm das Tablett mit dem Essen, das er vorhin abgestellt hatte, wieder auf. »Jetzt ist ja alles in Ordnung«, meinte er erleichtert. »Und nun, meine Herren«, sagte der P. M. frostig, »wollen Sie mir einmal den Sinn der Komödie erklären.«
Nachdem sie den P. M. in die Vorgänge eingeweiht hatten, saß er stumm und erschüttert auf seinem Stuhl. »Tree ein Metallwesen! Ich kann es noch gar nicht glauben.« »Das ist das Schlimmste nicht, Sir«, warf Rudge ein, nachdem er den letzten Bissen seines Mahles verzehrt hatte. »Das Schwierigste war, Sie herzubitten und mit den Vorgängen vertraut zu machen. Wir werden das Labor als Hauptquartier benützen müssen. Wir brauchen Ihre Autorität, um eine Reihe von Notstandsmaßnahmen einzuführen; je schneller, desto besser.« »Was ist zu tun?« fragte der P. M. einfach. »Kämpfen!« rief Rudge. »Wir müssen der Menschheit berichten, was während der vergangenen Jahrhunderte eigentlich los war. Wir müssen ihnen klarmachen, daß die Welt nichts weiter als ein großer Kindergarten ist, wo wir mit Superspielsachen spielen. Dann werden sie sich gegen die Wachhunde wenden.« »Aber das würde eine völlige Vernichtung der Zivilisation zur Folge haben. Sicherlich werden Sie einsehen, daß wir auf diesem Wege nicht weiterkommen.« »Der P. M. hat recht«, meinte Sir Frederick. »Wir werden nur mit einer ganz kleinen Schar arbeiten
müssen. Wenn die Wachhunde einmal erfahren, daß wir mehr über sie wissen, als sie vermuten, dann werden sie die Welt ganz ruinieren.« Rudge wischte die letzten Krumen weg und verzog das Gesicht. Diese Männer waren nicht in dem Roboterraumschiff gewesen, hatten nicht gesehen, was er gesehen hatte. Er erhob sich und ging auf dem Laborfußboden auf und ab. »Na gut, wenn ihr etwas Besseres vorschlagt! Doch müssen wir die Regierung und die Kreise der Wissenschaft von den Wachhunden säubern. Wir werden sie einen nach dem anderen herausholen müssen. Aber wird das nicht die anderen auf uns aufmerksam machen?« »Nicht, wenn wir vorsichtig vorgehen. Was wir haben müssen – und um das zu finden, müssen uns die besten Denker und Wissenschaftler helfen –, ist eine wirksame Waffe gegen die Wachhunde. Darunter verstehe ich eine Methode, sie aufzuspüren – der Rauchtest läßt sich nicht ewig anwenden – und dann zu vernichten, wenn es dafür eine wirksamere Methode als Rudges Brecheisen gibt.« »Nun«, sagte der P. M., »wir haben den führenden Denker unseres Landes hier unter uns. Sicherlich haben Sie schon einen Vorschlag, Fred.« »Nur einen Schimmer«, entgegnete Sir Frederick dü-
ster. »Doch Clifton Rudge hier hat einen Geist, der viel jünger ist als meiner. Da er mein Musterschüler war, möchte ich gern, daß er mit mir zusammenarbeitet.« »Das ist in Ordnung«, sagte der P. M. Er stand auf und ging zur Tür. »Ich werde in der Regierung eine besondere Abteilung dafür schaffen.« »Einen Augenblick, P. M.!« rief ihm Sir Frederick nach. »Sie dürfen auf keinen Fall eine Dienststelle dafür einrichten. Das wäre die beste Art, es in aller Welt bekanntzumachen. Das beste wäre, wir operieren als eine Abteilung des MI 5, des Heeresgeheimdienstes.« »Also gut. Das ist vielleicht besser. Ich werde auch dafür Sorge tragen, daß meine Leibwache fast ununterbrochen raucht.« »Das darf nur nicht übertrieben werden«, warnte Rudge. »Die Roboter wissen noch nicht, daß wir sie auf diese Weise erkennen können.« Der Premierminister verließ den Raum, und Rudge sah zu Sir Frederick hinüber. »Nun, wo fangen wir an?« »Du holst am besten ein paar Bettstellen hier herunter und die notwendigen Geräte. Das Labor ist groß genug, so daß wir hier gute Arbeit leisten können. Und Cliff – ich möchte, daß du dich wieder mehr mit Telepathie befaßt. Ich glaube, das wird uns einen großen Vorteil gegenüber den Robotern verschaffen.« »Ich habe mir darüber schon Gedanken gemacht«,
erwiderte Rudge, indem er auf seiner Lippe kaute. »Offensichtlich haben sie, da sie Roboter, also Maschinen, sind, nicht unsere Gedankenstruktur. Wenn wir nun Telepathie entwickeln könnten, hätten wir ein Mittel der Verständigung, in das sie sich nicht einschalten könnten. Ich vermute, daß sie sich über Hochfrequenz verständigen.« »Das ist es. Wir brauchen die Telepathie. Und du bist der einzige Mensch, der sie uns geben kann, Cliff! Du warst schon nahe daran, als du damals versuchtest, die Grundgleichungen aufzustellen.« »Ich weiß nicht genau, ob das der beste Weg ist. Ich habe es mittlerweile mit reiner Denkkraft versucht. Hatte schon kleine Erfolge dabei. Wenn ich einen Geist fände, der mit meinem übereinstimmt, so glaube ich, daß wir uns auf rein geistigem Wege verständigen könnten. Das würde uns einen Vorsprung geben. Dann müßten wir noch das Raumschiff der Wachhunde finden, das auf einer regelmäßigen Bahn die Erde umkreist. Wir werden versuchen müssen, es herunterzuschießen ...« Rudge verstummte plötzlich und blickte an die Decke. Mit einem Satz sprang er unter eine schwere Werkbank. Sir Frederick und Barker folgten ihm. Kaum lagen die drei darunter, als die Decke des Labors berstend einstürzte und sie unter einer Masse von Ziegelsteinen und Mörtel begrub.
Die Werkbank bog sich unter der schweren Last, und der Kalkstaub drang Rudge in Augen und Nase. Plötzlich schrie er vor Schmerz auf, als die Bank unter der gigantischen Last auseinanderbrach und ein gewaltiges Gewicht auf seine Beine fiel. Etwas schlug gegen seinen Kopf; die Lichter gingen aus.
8 Er wußte, daß er Schmerzen hatte, die er nur mit größter Anstrengung zurückhalten konnte. Er hatte scheinbar keinen Körper, überhaupt kein körperliches Empfinden mehr. Er schien in einer dunklen Leere zu schweben, ohne Richtung, immer weiter, ohne Ende. Doch da regte sich ein ganz neues Empfinden. Etwas näherte sich, warm und freundlich, wie eine Kerze, die am Heiligen Abend hinter einem Fenster leuchtet. Seine Gedanken strahlten unsicher aus und suchten die Freundschaft, die ihm winkte. Er strengte sich an; sein Geist versuchte sich mit diesem anderen Wesen zu verbinden, das irgendwo jenseits des Universums weilte. Und es war so leicht. »Hallo!« sagte sie. »Hallo!« antwortete er und hoffte, daß sie nicht weggehen würde. »Du bist Cliff.« »Und du bist Liz.« »Wo sind wir?« fragte er, obgleich er wußte, daß sie ebenfalls keine Ahnung hatte. »Ich weiß nicht.« »Ich auch nicht.« »Ich wollte dich so gern wiedersehen. Warum kann ich dich nicht sehen?«
»Du wirst es wieder können, Liz. Bald.« Er schien immer weiter von ihr wegzutreiben. Der helle Schein wurde schwächer und verblaßte immer mehr. Das Flüstern ihres Geistes klang wie aus weiter Ferne, und er hörte das leise Echo ihrer Gedanken: »Auf bald, Cliff!« »Auf bald, Liz!« Dann schlug eine Welle des Schmerzes über ihm zusammen. Und es war wieder Nacht, unendliche Leere. Rudge erlangte das Bewußtsein zurück. Er lag unter der Werkbank, begraben unter Ziegelsteinen und Mauerbrocken. Der Tisch drückte noch immer schmerzhaft gegen seine Beine. Barker lag auf dem Gesicht, fast völlig von Trümmern begraben. Sir Frederick konnte er überhaupt nicht sehen. Doch dann vernahm er die Stimme Sir Fredericks, schwach und keuchend. »Cliff? Lebst du noch?« »Noch ein bißchen, Fred. Und Sie?« »Noch in einem Stück, Gott sei Dank!« »Ich glaube, ich habe ein Paar gebrochener Beine.« »Das ist dumm, Cliff. Sei tapfer, die werden uns schon herausholen.« »Das waren natürlich die Wachhunde«, sagte er. »Wer denn sonst?«
»Können Sie den Zeit-Bild-Aufzeichner sehen?« »Ja. Kaputt.« Rudge fühlte, wie ihn die Hoffnungslosigkeit überkam. Die letzte Hoffnung der Menschheit, die Wachhunde aufzuspüren, war also vernichtet. Das hieß, daß sie von jetzt an im dunkeln kämpfen mußten, gegen einen Feind, den sie nicht sehen konnten. Die Wachhunde mußten von der Ankunft des P. M. gewußt und ihre Schlüsse gezogen haben. Das hieß, daß Rudge nicht vorsichtig genug gewesen war. Das Beobachtungssystem, mit dem die Roboter arbeiteten, beruhte auf physikalischen Gesetzen, wie Fernsehen und Radiofrequenzen. Es war noch zweifelhaft, ob die Wissenschaftler der Erde einen Schirm entwickeln konnten, der die überwachenden Blicke abhalten würde. Rudge fluchte, als eine neue Welle des Schmerzes durch seine Beine ging. Dann bewegte sich die Werkbank, und ein Lichtstrahl aus einer Taschenlampe leuchtete über sein Gesicht und zu Sir Frederick hinüber. Eine rauhe Stimme rief: »Hier sind sie! Bringt die Tragbahren hierher!« Trümmer und Steine wurden auf die Seite geräumt. Vorsichtige Hände hoben Rudge auf die Tragbahre. Als seine Beine von der Last der Trümmer befreit wurden und das Blut wieder ungehindert zirkulieren konnte, mußte er die Zähne fest zusammenbeißen, um
nicht vor Schmerz laut aufzuschreien. Dann wurde die Tragbahre hochgehoben; doch Rudge merkte nichts von alledem. Er war wieder ohnmächtig geworden. Als er erwachte, merkte er an einem ziehenden Gefühl am Arm, daß man ihm Spritzen gegeben hatte. Er versuchte, gegen das Betäubungsmittel anzukämpfen. Er strahlte seinen Geist aus und suchte nach dem warmen Kerzenschimmer, dem Polarstern seiner Sehnsucht. Und er fand sie. »Hallo, Cliff!« sagte ihr Geist. »Hallo, Liz! Wo bist du?« »Ich weiß nicht. Weißt du's? Natürlich nicht. Wir sind irgendwo draußen, zwischen den Sternen, glaube ich, oder unter der Erde. Vielleicht sind wir tot.« »Nein, Liz. Ich weiß, wo wir sind. Du bist im Krankenhaus. Ich bin in der Moon Street. Meine beiden Beine sind gebrochen.« »Oh, das tut mir leid, Cliff!« Sie sagte das, als sei es gar nicht so schlimm. Rudge erkannte, daß es auch unbedeutend war. Nur ihre Gedankenverbindung war von Wichtigkeit. »Weißt du, was das bedeutet, Liz? Erinnerst du dich an das unterirdische Labor, und ...« Der Ausruf ihrer Gedanken unterbrach Rudge. »Ja, ja! Jemand kam herein und hat auf mich geschossen.«
»Aber jetzt bist du wieder ganz in Ordnung. Die Operation war erfolgreich. Über mir stürzte die Dekke zusammen. Und weil wir beide bewußtlos waren, konnten sich unsere Gedanken vom Körper lösen und sich verständigen. Ich kann es jetzt noch nicht erklären. Doch ich werde es tun, wenn ich wieder auf den Beinen stehe.« »Du meinst also, es sei Telepathie?« »Was denn sonst?« Rudge fühlte, wie ihn eine große Freude durchflutete. Er war völlig bei Bewußtsein; das wußte er. Sein Körper schlief; aber sein Geist konnte ungehindert umherstreifen; er war frei. Während sein Körper heilte und Liz allmählich gesund wurde, hielten sie viele geistige Gespräche. Die Zeit ging für die beiden wie im Flug dahin; und es kam der Tag, da sie beide völlig bei Bewußtsein waren. Auf seinen Krücken humpelte Rudge zur Tür und trat hinaus. »Und wo wollen Sie jetzt hin?« fragte die eisige Stimme der Schwester. »Ich möchte eine Patientin besuchen, eine Miss Richmond«, antwortete Rudge. »Ach ja. Sie hat schon nach Ihnen gefragt. Sie können hinübergehen. Aber Sie werden noch den Rollstuhl nehmen müssen.«
Und während er durch die Gänge des Krankenhauses rollte, fragte Rudge mit seinen Gedanken: »Liz, bist du angezogen? Ich bin auf dem Weg zu deinem Zimmer.« »Komm nur herein«, antwortete sie auf die gleiche Weise. »Ich habe schon lange darauf gewartet.« Er öffnete die Tür und rollte seinen Rollstuhl hinein. Sie saß am Fenster; ein bunter Schlafrock war um ihren zarten Körper gewickelt. Sie hielt ein Buch in der Hand. Rudge wußte genau, auf welcher Seite sie war; er hatte mit ihr gelesen. Er rollte zu ihr hinüber, und sie lehnte sich zu ihm herab. Er legte seinen Arm um sie und küßte sie. »Oh!« sagte sie leise. »Sie nehmen sich allerhand heraus, junger Mann.« Dann lachten sie beide. Zwei Menschen, die die Gabe der Telepathie hatten, bedurften keiner Liebeserklärungen durch Worte oder Briefe. Rudge wußte, daß er sie liebte – und daß sie ihn ebenfalls liebte. »Arbeit«, sagte Rudge ernst. »Wir müssen uns anstrengen. Diese verflixten Wachhunde werden bald die Erde in Stücke reißen.« »Ich weiß«, erwiderte sie traurig. »Die letzte Explosion des Atommeilers auf Venus hat fast alle unsere besten Wissenschaftler dort getötet.« Er schaltete ein in die Wand eingelassenes Fernsehgerät ein, und sie sahen zu, wie eine Tanzkapelle
spielte. Dann zeigte der Bildschirm einen verstört aussehenden Ansager, der ein Manuskript in den zitternden Händen hielt. »Meine Damen und Herren«, begann er nervös. »Wie uns eben gemeldet wird, haben sich auf Mars und Venus weitere Explosionen in den Atommeilern ereignet. Die Vereinigten Staaten haben daraufhin erklärt, daß sie andere Mächte der Erde der Sabotage verdächtigen. Zwei unserer führenden Raumschifffahrtsexperten fanden den Tod, als ihr Flugzeug über Mittelaustralien abstürzte. Das britische Sternenschiff wartet noch immer auf die Ankunft Sir Frederick Richmonds, der nach einer Blinddarmoperation auf dem Wege der Genesung ist.« »Das hat sich Sir Frederick selbst ausgedacht«, kicherte Rudge. »Sie haben außerdem bekanntgegeben, daß ich bei dem Laboratoriumseinsturz ums Leben gekommen sei. Mein neuer Name ist John White; aber du wirst trotz allem Mrs. Rudge.« Die Tür öffnete sich, und ein Strauß roter Rosen schob sich herein. Dahinter tauchte ein massiger Körper auf, der mit dem Absatz die Tür ins Schloß stieß und in die Mitte des Zimmers trat. »Fred!« rief Rudge. Die Rosen senkten sich auf den Boden und enthüllten ein großes, blasses Gesicht mit tiefen Falten. »Wa... Wer sind Sie?« fragte der erstaunte Rudge.
»Ist schon in Ordnung, Cliff. Ich bin's: Fred. Unsere Gesichtschirurgen können genauso gut arbeiten wie die der Roboter, um deren Blechköpfe hinter künstlichem Fleisch zu verbergen. Ich weiß – ich sehe schrecklich aus, und meine Stimmung ist nicht besser.« »Was gibt's Neues?« »Nichts Gutes. Hast du schon von den Sabotageakten und den Explosionen gehört? Nun, da stecken die Roboter dahinter. Mit viel Erfolg haben sie bisher versucht, die Wissenschaftler der Erde zu vernichten.« »Und was unternehmen wir dagegen?« fragte Liz in atemloser Spannung. »Wir haben ein Verteidigungs-Hauptquartier eingerichtet. Im Augenblick kann ich euch nicht sagen, wo das ist. Vielleicht beobachten sie uns jetzt schon wieder. Doch glaube ich, daß das nicht der Fall ist. Ich glaube sicher, daß du den Wachhunden entwischt bist, als man dich hierherbrachte. Aber jetzt, da der Zeit-Bild-Aufzeichner nicht mehr arbeitet, können wir kein Risiko eingehen.« »Besteht denn keine Hoffnung, daß wir ihn reparieren können?« »Überhaupt keine, fürchte ich. Wenn wir nur wüßten, wo Brownlow seine Aufzeichnungen versteckt hat, falls er überhaupt welche ...« Liz unterdrückte einen Schrei. Rudge drehte sich
zu ihr um. Doch bevor sie den Mund öffnen konnte, um zu sprechen, hatte Rudge schon über ihre Gedanken die Wahrheit erfahren. »Liz weiß es!« rief er. Doch dann verfluchte er sich tief und herzhaft als einen Trottel. Wenn die Roboter dieses Zimmer überwachten, dann hatten sie es jetzt auch erfahren. »Was?« rief der Baronet. Dann wirbelte er herum und lief auf die Tür zu. »Barker! Hierher, schnell! Und bringen Sie Ihre Männer mit!« Chief Superintendent Barker, ein bißchen blaß, aber sonst noch der alte, stürmte in das Zimmer. Unter dem Arm hatte er eine Maschinenpistole geklemmt. »Wenn die Wachhunde uns zugehört haben, dann erwarte ich jede Minute einen Angriff von ihnen. Miss Richmond muß um jeden Preis in Sicherheit gebracht werden. Sie hat wichtige Informationen für uns.« »Sofort, Fred«, erwiderte Barker, und Rudge freute sich, als er bemerkte, daß die beiden gute Freunde geworden waren. »Draußen hat sich so manches geändert, seitdem ihr ins Krankenhaus mußtet«, fuhr Sir Frederick fort. »Der Belagerungszustand wurde ausgerufen. Alle Wachen wurden mit Zigaretten versehen und müssen im Dienst rauchen. Bis jetzt ist es geglückt, die Robo-
ter von wichtigen Anlagen fernzuhalten. Und das Sternenschiff in Australien ist noch unversehrt.« »Sie lassen sich wohl am besten von Liz sagen, wo die Aufzeichnungen versteckt sind, Fred, und sorgen dann dafür, daß ein neuer Bild-Aufzeichner gebaut wird.« Liz stand auf und ging zu Sir Frederick hinüber. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Da begannen Sir Fredericks Augen zu leuchten. Dann wandte er sich an Barker. »Bestimmen Sie eine starke Abteilung, die auf Liz und Cliff aufpaßt. Wir müssen schnell weg.« Er verließ das Zimmer in vollem Lauf, und seine schweren Schritte hallten durch den Gang. Barker winkte Rudge zu und folgte, seine Maschinenpistole feuerbereit unter dem Arm. Zwei Polizisten mit Maschinenpistolen betraten das Zimmer. Beide rauchten Pfeife. Als sie sich niederließen und Tür und Fenster bewachten, atmete Rudge erleichtert auf. Er wußte, daß, wenn sich die Wachhunde entschlössen, das Krankenhaus zu bombardieren, für die Insassen nur wenig Hoffnung bestand. Doch die beiden Polizisten waren beruhigend. Rudge hatte das Gefühl, daß die Wachhunde, wenn sie wirklich zugesehen hatten, jetzt Sir Frederick mehr Beachtung schenken mußten als Liz und ihm. In der Aufregung, die Liz hervorgerufen hatte,
vergaß Rudge ganz, die vielen Fragen zu stellen, die er sich aufgehoben hatte. Nun fragte er sich, wie weit wohl die Biochemiker mit dem Roboterkörper gekommen wären, der einstmals Lord Manningtree gewesen war – sofern davon nach der Explosion in dem Labor überhaupt noch etwas übriggeblieben war. Sie wußten nicht einmal, was die Explosion eigentlich hervorgerufen hatte. Rudge hatte von der Verhängung des Belagerungszustandes gewußt. Er hatte Fernsehberichte gesehen, wo Männer in Stahlhelmen Flakstellungen und Abschußstellen für ferngelenkte Geschosse bezogen hatten. Sie dachten wohl, der nächste Weltkrieg sei gekommen. »Und wenn der kommt«, vernahm er Liz' Gedanken, »dann wird er das Ende von uns allen sein.« Erst jetzt fiel ihm ein, daß er Sir Frederick gar nichts von der neuen Gabe erzählt hatte, die Liz und ihn verband. Er fluchte. »Diese schlechte Angewohnheit wirst du dir abgewöhnen müssen, Liebling«, dachte Liz ein bißchen tadelnd. »Kannst du ihm denn nicht Bescheid geben?« »Ich fürchte, nein. Aber wenn wir bei dem P. M. eine Mitteilung hinterlegen, wird er sie wohl bekommen.« Er rollte seinen Stuhl zum Telefon und bat um eine direkte Verbindung mit dem Premierminister.
»Schalte bitte den Fernsehschirm an, Liz«, bat er sie über ihre Gedanken. Sie trat an das Gerät, und der Schirm hellte sich auf. Er zeigte eine endlose Kette von Kampfflugzeugen, die geräuschlos am Himmel dahinzogen. Die Stimme eines Ansagers ertönte. »Jeden Tag wird die Kriegsgefahr größer und drohender! Wir unternehmen alles, um die Gefahr abzuwenden; aber ...« Der Schirm verblaßte. Rudge sah mit einem Auge auf den Schirm; dann sprach er in den Hörer und gab dem P. M. einen vorsichtig gehaltenen Bericht mit der Bitte, ihn an Sir Frederick weiterzuleiten. Liz drehte unschlüssig an den Knöpfen des Gerätes und sah Rudge beunruhigt an. »Sieht so aus, als hätten alle Sendestationen abgeschaltet!« »Wachhunde!« sagte Rudge mit zusammengebissenen Zähnen. »Die haben unsere Wellenlängen glatt abgeschnitten. Nur so kann ich mir das erklären. Mit ihrer uns weit überlegenen Wissenschaft haben sie uns der Sprache beraubt, taubstumm und blind gemacht!«
9 Eine Welt ohne Radio oder Fernsehen war seltsam, unnatürlich. Die Roboter hatten sich nicht mit bloßer Überlagerung zufriedengegeben, die sich in einem Pfeifen bemerkbar gemacht hätte. Weder ein Pfeifen noch Störgeräusche kamen über den Lautsprecher. Auf der ganzen Welt fragten sich die Nationen: »Was kann das für eine unbekannte Mauer sein, die uns von unseren Nachbarn abschneidet? Wer sind diese Fremden? Oder ist es nur ein unvorhergesehenes Naturereignis?« Aber keine Nation glaubte im Ernst daran, daß es etwas anderes sein könnte, als eine bedrohende, fremde Macht, die von den Sternen gekommen war. Die Erde wartete. Unauffällig wurden Rudge und Liz mit ihren Wachen aus dem Krankenhaus in ein einsames Dorf in Kent gebracht. Dort wurde Rudge völlig gesund. Er hörte von der großen Säuberungsaktion, in deren Verlauf man alle verdächtigen Männer der britischen Regierung zusammenrief. Nachdem man festgestellt hatte, daß es sich um fleischverkleidete Roboter handelte, wurden sie auf der Stelle zerstört. Die Wachhunde wurden endlich aus den Regierungskreisen verdrängt.
Seit dem Tage, da Liz im Krankenhaus Sir Frederick von dem Versteck der Aufzeichnungen des Professors berichtet hatte, hatten sie von dem Baronet keine Nachricht erhalten. Rudge hoffte, daß sie bereits an einem zweiten Zeit-Bild-Aufzeichner bauten. Dann, eines Morgens, während draußen die Vögel zwitscherten und der reine Duft der jungen Blüten in der Luft lag, geschah das, was Rudge schon immer gefürchtet hatte. Liz war gerade hinter der kleinen strohbedeckten Hütte, in der sie mit ihren Wachen lebten. Rudge saß in einem Lehnstuhl und rauchte seine Pfeife, während vor ihm Stöße von Bogen mit Berechnungen lagen. Plötzlich durchzuckte Liz' angsterfüllter Schrei sein Hirn. »Cliff! O Cliff! Ein Wachhund! Er hat mich gefangen! Hilfe!« Mit einem Satz war Rudge aus seinem Stuhl. »Wo bist du, Liz?« »Unten im Obstgarten. Mach schnell! Sie bringen mich in einen Helicar. Schnell!« Rudge rannte den Weg entlang, sprang über eine niedrige Hecke. Keuchend erreichte er den Obstgarten. Dann sah er den schwarzen Helicar unter den Bäume hervorschimmern. Die Propellerflügel drehten sich schon, und das Flugzeug schwebte dicht über
dem Boden hin, bis es aus den Bäumen heraus war. Dann schoß es in den blauen Himmel hinauf. »Halte aus, Liz!« dachte er verzweifelt. »Wir werden dich schon holen.« »O Cliff! Ich habe solche Angst. Bitte ...« Plötzlich brachen ihre Gedanken ab. In Rudges Hirn blieb eine totenstille Leere zurück. Eine menschliche Stimme rief ihn plötzlich aus seinem Traumzustand zurück. »Es tut mir leid, Mr. Rudge«, sagte die schmerzerfüllte Stimme des Polizisten, der Liz begleitet hatte. »Der Wachhund rauchte. Habe nichts Schlimmes vermutet, bis er auf Miss Richmond losging.« Rudge beugte sich zu dem Polizisten hinab. Beim Anblick des schrecklich zerschlagenen Körpers packte Rudge eine sinnlose Wut. Das war der Stahlarm des Roboters gewesen. »Ein Wachhund?« fragte er erstaunt. »Der hat geraucht?« »Ja.« Der Polizist sprach nur noch ganz leise. »Er kam durch den Obstgarten und rauchte. Ich dachte mir nichts Schlimmes, und dann – dann ...« »Ist schon gut. Sie haben nichts anderes tun können.« Rudge ließ den schlaffen Körper zurücksinken. »Nun gut, ihr verdammten Uhrwerkmännchen!« stieß er zwischen zusammengepreßten Lippen hervor. »Dann denken wir uns eben etwas anderes aus.«
So sehr Rudge es auch widerstrebte, mußte er Sir Frederick melden, daß seine Nichte entführt worden war. Verwirrt ging er langsam zur Hütte zurück. Er nahm den Hörer ab und wählte Whitehall. Dann hielt er inne. Seine Augen begannen zu leuchten. Da steckte doch irgend etwas dahinter! Grundlos hatten die Wachhunde Liz nicht entführt. Was wollten sie damit erreichen? Es war ganz klar. Sie wollten, daß er Sir Frederick anrufe. Sie suchten Sir Frederick. Er warf den Hörer auf die Gabel zurück. Der Teufel hol die Wachhunde! Rudge konnte nur das eine tun: Er konnte versuchen, Liz selbst zu befreien. Und das hieße, daß er in das Riesenschiff der Fremden kommen mußte. Er nahm eine Zigarette heraus, sah sie an und warf sie unwillig weg. Dieser kleine Trick half nun auch nichts mehr. Jetzt konnte man einen Wachhund überhaupt nicht mehr von einem normalen Menschen unterscheiden. Chief Superintendent Barker kam zu dem Tisch herüber, an dem Rudge saß, und warf einen neuen Stoß Polizeifotos auf die Tischplatte. Langsam strich Rudge mit der Hand über die Stirn und besah sich die nächste Fotografie.
Er gab kein Zeichen der Freude, des Triumphes. »Das ist einer der Burschen.« Rudge reichte Barker den Abzug. »Ich weiß es genau.« »Das ist Casey Ritchinson, ein Gangster.« Rudge war direkt zum Scotland Yard gegangen und hatte nach Barker gefragt. Dann hatte er den Chief Superintendent von seinem Vorhaben unterrichtet. Vier Stunden lang saß er jetzt schon am Tisch und sah die Listen durch. Barker betrachtete die Fotos, zog fünf heraus und reichte sie Rudge. »Die Kerle waren um Casey. Alle vom gleichen Holz. Unangenehme Gesellschaft.« »Und das ist der zweite«, sagte Rudge. »Bats Murford. Stimmt. Wir können sie festnehmen, wenn wir wollen. Sie treiben sich gewöhnlich in Soho herum.« »Aber seien Sie vorsichtig dabei. Wir wollen es die Wachhunde nicht merken lassen. Ich werde in den Operationsraum gehen, um mir ein neues Gesicht machen zu lassen. Ich würde sagen, daß mir Bats Gesichtsform besser steht. Sein Gesicht hat die gleiche Form wie meines.« Rudge ging hinaus, und eine Polizistin führte ihn in den Raum für Gesichtsoperationen. Hier bereitete ein Polizeiarzt sein Gesicht schon mit Lösungsmitteln auf die Umänderung vor. Dann schlief er, während
die Lösungsflüssigkeit in seine Gesichtshaut einsikkerte. Als er erwachte, stand er einem düsteren, verstockten Gangster gegenüber. »Wie geht's, Bats?« erkundigte sich Rudge gesprächig. »Erinnerst du dich an mich?« »Habe Sie im ganzen Leben noch nicht gesehen, Mister. Was soll das überhaupt sein?« Bats wandte sich unwillig an Chief Superintendent Barker. Sie verschwendeten keine Zeit mit dem unbedeutenden Gangster. Sein Kopf wurde in eine Art Schraubstock gespannt, und dann begann der Chirurg mit seiner erstaunlichen Übertragung, indem er Rudges Gesichtszüge in die des wütenden Bats Murford verwandelte. Als er fertig war, nickte Barker beifällig. »Ihr beide seht wie Zwillinge aus«, sagte er. »Nun, Bats, wann hast du dein nächstes Treffen mit deinem Auftraggeber?« »Das möchten Sie wohl gern wissen?« höhnte der Gangster. »Ganz recht. Und du wirst es mir auch sagen. Du weißt doch, wir haben Belagerungszustand. Wir könnten dich ganz kurz an die Wand stellen und erschießen, für das, was du getan hast. Wir werden es auch tun, wenn du nicht sofort deinen Mund aufmachst.«
Bats' Gesicht wurde ganz grau. »Ich habe ja nichts getan. Nur ein paar ganz gewöhnliche Einbrüche ... Das hat doch mit der Weltlage nichts zu tun.« »Wenn du uns nicht zur Abwechslung einmal die Wahrheit sagst, dann wirst du eine Weltkatastrophe heraufbeschwören. Das würde dich zwar nicht kümmern. Aber um so mehr die Tatsache, daß du dann als erster an die Wand gestellt wirst«, sagte der Chief Superintendent. »Meinetwegen. Ich will die Wahrheit sagen«, murmelte der Gangster. »Der Kerl – wir wissen nicht, wer er ist – kommt immer in den Klub – Sie wissen ja, wo der ist, Barker – und sagt uns, wo wir ihn treffen sollen. Er hat einen mächtig schnellen Helicar. Wir tun's, er rückt den Zaster raus, und weg ist er.« »Wann glaubst du, daß er wiederkommt?« »Er kam gestern und sagte uns, wir sollten ihn an der gewohnten Stelle treffen. Ist'n kleines Loch drunten am Fluß, Richtung Limehouse.« Unter ihnen lag London ausgebreitet und leuchtete wie ein See von Diamanten. Der Helicar stieg höher und höher, bis er in den Wolken flog, die eine Aussicht nach unten versperrten. Sie geisterten durch die Nacht. Nur das Summen der Maschine und das Rauschen der Flügel drang an ihr Ohr.
Rudge blickte zu Casey Ritchinson hinüber, und dann auf den gefesselten Körper, der zwischen ihnen lag. Der Pilot saß vornübergebeugt. Rudge blickte auf ihn, und ein kalter Schauder lief seinen Rücken hinab. Diese Wachhunde waren schlau. Und der ganze Vorgang, bei dem sich Rudge, als Bats Murford verkleidet, in das fremde Raumschiff einschleichen wollte, ging viel zu reibungslos vonstatten. Vielleicht wußten sie schon die ganze Zeit von der Täuschung und warteten ruhig ab, bis er sich in die Höhle des Löwen begeben hatte. Und dann ließen sie die Falle zuschnappen. Unbewußt biß Rudge die Zähne zusammen. Aber das würde ihnen nicht billig zu stehen kommen. Er preßte den Arm gegen die Seite, wo die Automatik, die ihm Barker gegeben hatte, versteckt lag. Man hatte die Pistole sorgfältig abwechselnd mit panzerbrechender und hochexplosiver Munition geladen. Es war eine gefährliche Waffe. Barker hatte ihm versichert, daß auch die Roboter ihr nicht standhalten könnten. Die Metallkörper der zerstörten Wachhunde waren nicht ungenützt liegengeblieben. Wieder spürte er das schon vertraute, magenumdrehende Gefühl. Dann ertönte das Zuschlagen der Innentür der großen Luftschleuse, und Rudge wußte, daß er sich wieder im Inneren des Raumschiffes be-
fand. Er kletterte an dem Helicar herab, und sein Herz schlug immer lauter. Vorsichtig betrachtete er sich das Treiben in der Empfangshalle des Raumschiffes, vergaß dabei aber nicht, sein Gesicht so ausdruckslos wie möglich zu lassen. Neben dem Helicar, in dem sie gekommen waren, standen zwei weitere Wagen, in die gerade Männer einstiegen. Rudge sah sie sich genauer an und war überzeugt, daß es fleischverkleidete Roboter waren: Verstärkung für die Untergrundbewegung, die das Gefüge der Menschheit zu vernichten suchte. Der Zugstrahl, der sie in das Schiff hineingehoben hatte, würde die Helicars sicher durch den leeren Raum hinablassen, bis sie durch die Kraft ihrer Flügel in der Atmosphäre weiterfliegen konnten, um ihre gefährliche Ladung auf der Erde abzusetzen. Andere Helicars wurden mit Bomben beladen. Geschäftige Roboter klapperten überall umher und arbeiteten unermüdlich. Rudge schüttelte sich. Diese verdammten Uhrwerkmännchen würden doch noch von den Erdenmenschen geschlagen werden. Er erstarrte, als der Wachhund, der mit ihnen heraufgekommen war, zu ihnen trat. »Holt den Körper heraus, schnell, und bringt ihn mit.« »Ja, Herr.« Mit Casey zog er den Gefesselten heraus, und sie trugen ihn hinter dem Roboter her. Sie
gingen einen Gang entlang, den Rudge zuvor noch nicht gesehen hatte, und gelangten in einen Raum, bei dessen Anblick Rudge fast übel geworden wäre. Teile von menschlichen Körpern lagen in jeder Stellung über den ganzen Raum verstreut. Dann sah Rudge plötzlich, daß es sich lediglich um der Wirklichkeit täuschend ähnliche Imitationen aus Gummi und Kunststoffen handelte. Dies war die Werkstatt, wo sich die Roboter mit Fleisch verkleideten, um wie Menschen auszusehen. Hier würden sie einen von sich nach dem Vorbild des Mannes formen, den sie eben hereingebracht hatten. Rudge sah mit großem Interesse zu und verbarg nur mit Mühe das Leuchten seiner Augen. Als sie den langgestreckten Raum hinabgingen, sah er das sinnvolle Gerät, mit dem die Roboter das einzige Erkennungsmittel, das die Menschen gegen sie hatten, unwirksam machten. Sie legten den gefesselten Mann nieder, und Rudge sah vor sich einen von der Brust nach unten in Fleisch gekleideten Roboter stehen. Ein anderer Roboter setzte ihm gerade einen Gummisack ein, der durch einen Schlauch mit dem Mund der danebenliegenden Gesichtsmaske verbunden war. Das war also des Rätsels Lösung! Keine künstliche Lunge, sondern eine Art Blasebalg aus großporigem Schaumgummi, um den Rauch ein-
zuatmen und auszublasen. Sehr klug. Rudge hielt die Augen gesenkt und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren. Casey folgte. Seine weitaufgerissenen Augen waren ausdruckslos. Menschliche Marionetten waren für die Roboter sehr nützlich. Aber die Tatsache, daß sie überhaupt keine eigenen Gedanken fassen konnten, schloß sie von vornherein von der Tätigkeit als Agenten auf der Erde aus; denn dazu bedurfte es eines klaren Verstandes. Rudge begann zu schwitzen. Wenn sie jetzt gleich auf die Erde hinunterflögen, hätte Rudge keine Gelegenheit, zu Liz zu gelangen. Sein Geist rief verzweifelt nach ihr; doch er erhielt keine Antwort. Er würde etwas riskieren müssen. Als ob das ganze hirnverbrannte Unternehmen nicht schon gefährlich genug wäre! Sie verließen den Raum und gelangten wieder in die Halle. Der Roboter wandte sich an ihn und befahl mit pfeifender, schriller Stimme: »Geht zu dem Helicar hinüber! Er steht an der Luftschleuse. Ich komme sofort nach.« »Ja, Herr.« Casey und Rudge gingen mit gesenktem Kopf. Jetzt war die beste Gelegenheit! Casey schien gar nichts zu merken, als Rudge plötzlich durch die Halle auf eine Tür zuging. Er mischte sich unter die fleischverkleideten Roboter. Sie konnten ihn von ihren eigenen Wachhunden nicht unterscheiden,
und für eine Marionette hatte er einen zu stechenden, lebendigen Blick. Rudge blieb stehen. »Hilfe! O Cliff, komm schnell! Wo bist du, Cliff?« »Liz!« Rudges Gesicht tastete durch die Metallwände und fand sie. Durch ihre Augen sah er den winzigen Metallraum, in dem ein Licht brannte. Rudge versuchte, seinem Gang die Freude nicht ansehen zu lassen, und ging mit rhythmischen Schritten weiter zu ihrem Gefängnis. Es war nicht schwer, es zu finden. Ihre Gedanken leiteten ihn wie einen Radarstrahl. Die Tür war nicht verschlossen, und ohne daß ihn dies seltsam berührte, betrat er den Raum. Sie lag auf einer Couch, ihre Augen verschleiert von den Nachwirkungen der Betäubungsmittel. Er trat auf sie zu und legte einen Arm um ihre schwache Gestalt. Dann zuckte er zusammen. Hinter ihm schlug die Tür mit einem metallischen Knall zu. Dann ertönte eine pfeifende, schrille Stimme und machte all seine Hoffnungen zunichte. »Wie erfreulich, daß Sie zurückgekehrt sind, Mr. Rudge! Wir hatten Sie bereits erwartet.«
10 Rudge löste seinen Arm vorsichtig von Liz und drehte sich zu dem Wachhund um. »Also habt ihr doch gewonnen«, sagte Rudge laut. Er legte Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in seine Stimme. Dann griff er wie zufällig unter seinen linken Arm. Es war eine große Pistole. Der Rückstoß riß an seinem Arm, und der Donner der Explosionen erfüllte den kleinen Raum. Die panzerbrechenden Geschosse durchbohrten den Metallkörper, und die hochexplosive Munition riß den Kopf des Roboters in Stücke. Der Metallmann flog gegen die Tür und mit ihr nach draußen. Rudge packte Liz, sprang über den Schrotthaufen, der von dem Wachhund übriggeblieben war, und raste den Gang entlang. Ein Mann – oder war es ein fleischverkleideter Wachhund? – kam den Gang herab. Rudge sprang ihn wie ein Tiger an und schmetterte die Pistole gegen seinen Kopf. Für den Fall, daß es ein Roboter gewesen wäre, hielt er die Pistole schußbereit. Ohne einen Laut stürzte der Mann zu Boden. Es war eine Marionette gewesen. Dann riß er den Arbeitsanzug des Mannes von der bewußtlosen Gestalt und warf ihn Liz zu.
»Du mußt dich jetzt wie eine der Marionetten bewegen, Liebling«, ermahnte er sie über ihre Gedanken. Dann verbarg er ihr Haar unter der öligen Mütze des Monteurs, und sie gingen in die Halle hinauf. Um sie herum bewegten sich die Wachhunde und Roboter. Der Helicar wartete schon in der Luftschleuse. Der letzte Wagen, den er vorhin gesehen hatte, als er mit Robotern und Bomben beladen wurde, rollte langsam auf die Schleuse zu. Mit unbeweglichen, starren Gesichtern stiegen Rudge und Liz in die Luftschleuse hinab und kletterten in den Helicar. Casey Ritchinson war nirgends zu sehen. Die Innentore der Schleuse wurden zugeschlagen, unter ihnen öffneten sich die äußeren Tore, und der Helicar verließ das Raumschiff. Die Druckkabine des Helicars war wohl imstande, den Anforderungen im freien Raum zu genügen. Mit dem anderen Helicar wurden sie auf dem Zugstrahl in die Lufthülle der Erde hinabgelassen. Rudge merkte, daß seine Hände schmerzten. Erst jetzt bemerkte er, daß er die Steuerhebel so fest umklammert hatte, daß seine Hände ganz weiß waren. Er drehte den Helicar nach Süden. Bald flogen weiße Wolken an den Fenstern vorbei, und sie trieben vor dem Wind. Rudge sah ängstlich durch das Verdeck nach oben.
Jetzt würden die Wachhunde bestimmt schon mit anderen Helicars die Verfolgung aufgenommen haben; denn ihre Flucht schien bemerkt worden zu sein. Er mußte auf der Erde landen, bevor sie ihn einholen konnten. Langsam verblaßten die Sterne über ihnen, als der Helicar durch die Wolkendecke sank. Rudge strengte sich vergebens an, den Lichterglanz von London zu entdecken. Von Horizont zu Horizont war die Erde eine undurchdringliche schwarze Fläche. Plötzlich erschütterte eine mächtige Luftwelle den Helicar. Rudge schlug mit dem Kopf gegen die Sitzlehne. Liz rutschte ganz aus ihrem Sitz. Der Rotor des Helicars heulte auf, und das Fahrzeug geriet vom Kurs ab. Es stürzte einige hundert Meter in die Tiefe, bevor die automatische Steuerung wieder einsetzte und den Helicar nach oben zog. Rudges Kopf brummte von dem Aufschlag. Er kletterte aus seinem Sitz und fand Liz, die aus ihrem Sitz gerutscht war und hinten in der Kabine lag. »Mir ist nichts geschehen, Cliff. Bin nur aus meinem Sitz geflogen. Was war das, Cliff?« »Jemand hat auf uns geschossen. Wachhunde, glaube ich. Kann aber auch eine schießwütige Küstenwache gewesen sein.« Der Helicar flog weiter nach Norden und versuchte noch immer, an Höhe zu gewinnen. Rudge legte Liz
in ihren Sitz zurück und schaute aus einem Kabinenfenster. Er suchte den Himmel ab nach einem Helicar der Wachhunde. »Dort kommen sie!« Rudge streckte den Finger aus, und Liz trat ans Fenster. Von dem verfolgenden Helicar blitzte eine Stichflamme auf. Rudge sah sie aufflammen und wartete auf den Einschlag. Er preßte Liz an sich, während der Helicar unter der Explosion erzitterte. Sie flogen gegen die gepolsterten Rücklehnen der Sitze zurück. Wenn sie jetzt noch einen Treffer bekämen ...! Der Motor begann zu stocken, heulte wieder auf. Dann blieb er stehen. Sie vernahmen nur noch das Sausen des Windes in der Steuerung und das leise Drehen der Flügel, die wie ein Fallschirm den Fall des Helicars bremsten. Sie würden zwar nicht auf dem Boden zerschellen; aber die Landung würde hart genug werden. Liz sah durch das Verdeck nach oben und schreckte hoch. Rudges Blicke folgten den ihren und hellten sich voll Hoffnung auf. »Ich weiß nicht, wer es ist; aber offensichtlich ist er auf unserer Seite.« Rudge sprang hoch, um den anderen Helicar besser beobachten zu können, der vor dem Wind aus
Norden gekommen war. Der Fremde raste direkt auf das Fahrzeug der Wachhunde zu: Eine Flamme zuckte auf. Der Helicar der Roboter begann zu taumeln und stürzte nach unten. Augenblicklich war er in der Dunkelheit verschwunden. Der fremde Helicar schwebte jetzt direkt über ihnen; in seinem Bauch gähnte eine schwarze Öffnung. Tiefer und tiefer kam er herab. Ein Drahtseil baumelte im stürmischen Wind. Sie stürzten jetzt so schnell, wie der Fremde über ihnen herabkam. Der riesige Karabinerhaken, der am Ende des Drahtseiles hing, schlug auf das Verdeck auf. Rudge zog unwillkürlich den Kopf ein. Er schob das Verdeck auf und zog den Haken herein, um ihn an dem Gestänge zu befestigen. Dann packte er Liz und zog sie zu sich herauf. Sie ergriff die erste Sprosse der baumelnden Strickleiter und zog sich mit Rudges Hilfe nach oben. An die Leiter geklammert, kämpften sie sich ihren Weg durch den böigen Wind, der die Strickleiter wild schaukelte, in den Helicar hoch. »Halte dich gut fest, Liz!« mahnte Rudge über seine Gedanken. Es schien ihm, als habe die Kletterei überhaupt kein Ende. Dann wurde Liz von starken Armen, die aus der Öffnung langten, nach oben in den Helicar gezogen. Rudge kletterte ihr nach. Sein Kopf befand sich schon in dem Fahrzeug; da ergriffen auch ihn die
helfenden Arme und zogen ihn ganz in den Helicar hinein. Die Strickleiter wurde gekappt, da sie den am Ende befestigten Haken nicht einholen konnten. Die Falltür wurde geschlossen, und das Heulen des Windes wurde leiser. Rudge blickte sich neugierig um. Das rötliche Gesicht Sir Fredericks lächelte zu ihm herab. Das weiße Gesicht mit den hängenden Falten war verschwunden; es war wieder der alte kräftige Baronet, den Rudge seit Jahren kannte. Liz lag in seinen Armen, und ihr rotbraunes Haar streifte gegen seine Weste. »Wo fliegen wir hin? Und was gibt's Neues?« fragte Rudge neugierig. »London. Nichts Gutes, fürchte ich«, antwortete Sir Frederick. »Die Wachhunde haben sich noch immer nicht der Welt zu erkennen gegeben. Niemand – ausgenommen wir, die wir Bescheid wissen – hat eine Ahnung von dem, was wirklich vor sich geht.« »Und der Zeit-Bild-Aufzeichner?« »Ja, wir haben einen zweiten gebaut. Ich fand Brownlows Unterlagen an der Stelle, die mir Liz angab. Als wir fertig waren, suchten wir sofort nach dir, Cliff. Und wir erfuhren, daß du schon wieder bis zum Halse in der Tinte stecktest.« Der Helicar kämpfte sich gegen den Sturm nach Norden weiter, überquerte Europa, den Ärmelkanal
und gelangte in ein ruhigeres Gebiet. Im Osten zeichneten sich die ersten Vorboten des kommenden Tages ab und tauchten die eine Seite des Helicars in leuchtendes Rosa. Die schnellwirbelnden Flügel glitzerten im Morgenlicht. »Ich bin ja so müde!« gähnte Rudge. »Ich möchte nicht nach eurem Versteck fragen. Es scheint so, als ob die Roboter uns diese Runde schenken wollten; denn sie haben nicht versucht, unseren Helicar abzuschießen. Oder«, fügte er hinzu und mußte an den beabsichtigten Anruf nach Liz' Gefangennahme denken, »oder sie warten, bis Sie sich zeigen, um dann den Hauptgegner vernichten zu können.« »Das ist sehr leicht möglich«, stimmte ihm Sir Frederick bei. Rudge steckte seine Zigarette an und lehnte sich zurück. Er war müde. Auch Liz mußte erschöpft sein; aber sie hielt sich tapfer. »Danke, Cliff!« kam ihr Gedanke. »Ich fühle mich ganz in Ordnung.« Rudge lächelte vor sich hin. Zwei Menschen, die der Telepathie mächtig waren, konnten keine Geheimnisse voreinander haben. »Hast du etwas dagegen, wenn wir dir jetzt die Augen verbinden?« fragte Sir Frederick. »Warum? – Nein, ich glaube – nicht.« Rudge war verwirrt.
»Dann gut. Nimm dein Taschentuch; aber versuche nicht zu gucken. Ich werde auch den Grund noch erklären, wenn wir angekommen sind. Und noch eines.« Sir Frederick hielt Rudge ein Paar Handschellen entgegen. »Lege bitte diese Handschellen an, Junge.« »Was soll das?« rief Rudge. Dann verstummte er, als Sir Frederick seinen alten 44er hervorzog und auf ihn richtete.
11 Mit gefesselten Handgelenken und verbundenen Augen hatte Rudge jeden Orientierungssinn verloren. Er spürte, wie der Helicar schaukelte. Dann setzten die Räder auf dem Boden auf, und die Kabine erzitterte. Rudge taumelte blind durch den Raum. Er war sich bewußt, daß der Revolver noch immer auf ihn gerichtet war. Dieses ungemütliche Gefühl wurde noch verstärkt durch die Binde vor seinen Augen. Der Helicar hielt an, die Flügel rotierten langsamer und blieben stehen. Irgendwo zu seiner Rechten vernahm er Sir Fredericks tiefes Atmen. »Was soll denn das, Liz?« schickte Rudge seinen Gedanken aus. »Keine Ahnung, Cliff.« Ihre Gedanken schienen einen belustigten Unterton zu enthalten. »Mir hat Onkel Fred auch Handschellen angelegt und die Augen verbunden.« »Nun, wir werden den Grund ja noch erfahren. Kannst dich aber darauf verlassen, daß ich Fred einiges erzählen werde.« »Wie ich Onkel kenne, so hat er bestimmt einen guten Grund.« »Das glaube ich auch«, sagte Rudge und horchte auf. Er vernahm ein seltsames Summen; dann läutete
eine Glocke. Das Geräusch konnte nur von einem Feldtelefon stammen. »Sind Sie's, Barker?« ertönte die Stimme Sir Fredericks, die hier im geschlossenen Raum noch lauter klang, als sonst. Stille trat ein. Dann ertönte die Stimme des Baronets ins Telefon. »Weiß ich, weiß ich! Meinetwegen, lassen Sie ihn in Ruhe! Geben Sie mir Matthews!« Pause. »Matthews? Hier Richmond. Nun, ist alles in Ordnung?« Ein Brummen folgte. Dann flog der Hörer auf die Gabel zurück, und Rudge hörte Sir Frederick in die Kabine herabkommen. Hände packten seine Arme, und er hörte, wie der Schlüssel in den Handschellen umgedreht wurde. Dann waren seine Gelenke frei. »Hier sind wir, Cliff. Alles in bester Ordnung. Nimm die Binde ab und sieh dich gut um.« Rudge riß sein Taschentuch herunter und blickte in die blauen Augen Sir Fredericks. »Hier sind wir, Fred«, sagte er ruhig. »Aber ich glaube, Sie sagen mir jetzt, warum Sie uns gefesselt haben.« Das Staunen Sir Fredericks war echt. »Hast du nicht gehört, wie ich Barker, oder besser: Matthews angerufen habe? Er sitzt am Zeit-Bild-Aufzeichner und ...« Plötzlich verstand Rudge. Natürlich. Wie dumm von ihm, daß er es nicht früher erkannt hatte!
»Ist schon gut, Fred. Ich verstehe. Ihr konntet ja nicht wissen, ob Liz und ich nicht auch verkleidete Wachhunde waren, um euch zu täuschen.« »Genau das«, sagte Sir Frederick mit einem Lachen. »Wenn ihr Roboter gewesen wäret, dann ...« »Matthews?« unterbrach ihn Rudge. »Ist das vielleicht Sir Piers Matthews, der Physiker?« »Ja. Er hat den Bildaufzeichner gebaut. Zu unserem Erstaunen entdeckten wir, daß Professor Brownlow sich nicht der gewöhnlichen Radiowellen bedient hatte. Wir waren folglich durch die Störeinflüsse der Roboter nicht behindert. Der Bildaufzeichner ist Tag und Nacht eingeschaltet.« Rudge blickte sich in der Höhle um, während er von dem Helicar hinabkletterte und Liz hinunterhalf. Die Höhle war feucht und roh aus dem Fels gehauen. An einer Wand stand eine Holzhütte, von der nach allen Richtungen Telefon- und Kraftstromkabel führten. »Ich nehme an, ihr habt den Helicar hier hineingeschoben, nachdem wir landeten. Wo ist eigentlich der Bildaufzeichner?« »Am Ende dieses Ganges. Ich mußte euch beide erst überprüfen; denn ich wollte keine Wachhunde in die Nähe des Gerätes lassen – nach dem, was geschehen ist.« »Was geschah eigentlich in dem Labor? Habt ihr es beobachtet?«
»Ja. Die Wachhunde hatten eine Bombe geworfen. Keine Atombombe; sonst wären wir jetzt nicht mehr hier.« Während sie sprachen, waren sie den Gang entlanggegangen und gelangten in ein weiträumiges, offenes Laboratorium, das mit einem grauen, metallischen Dach abgedeckt war. Die Gruppe ging in eine Ecke hinüber, wo ein ZeitBild-Aufzeichner aufgestellt war. Rudge sah, daß man ihn in aller Eile zusammengebaut hatte. Die Verkleidung war roh gezimmert, und überall hingen Drähte heraus. Die Hauptsache war, daß er funktionierte. Nachdem er mit Sir Piers Matthews bekannt gemacht worden war, blickte Rudge auf den Schirm. Er sah sich selbst mit Liz und Sir Frederick in das Labor gehen. »Das war vor zwei Minuten!« rief Rudge aus. »Könnt ihr den Bildaufzeichner so nahe an die Gegenwart heranbringen?« »Zwei Minuten – höchstens«, erwiderte Sir Frederick. »Wo ist Chief Superintendent Barker?« fragte Liz, indem sie sich umsah. »Unterwegs«, sagte Matthews. Sein rotes Gesicht war schweißbedeckt. »Als nächstes braucht ihr drei eine anständige Portion Schlaf«, sagte Sir Frederick, indem er Liz beim
Arm faßte und Rudge und Matthews winkte. »Wir haben noch viel zu tun. Dann greifen wir die Wachhunde an.« »Dazu kann ich auch noch etwas sagen«, warf Rudge ein und unterdrückte ein Gähnen. »Wir sollten ...« »Spar es dir auf, bis du ausgeschlafen hast, Cliff. Die Zimmer liegen hier am Gang. Wenn wir losschlagen, dann wollen wir die Wachhunde mit dem ersten Schlag auf die Bretter strecken.« Als Rudge erwachte, suchte sein Geist sogleich nach Liz. Sie schlief noch, und er zog seine Gedankenfühler zurück. Er stand auf, zog den sauberen Anzug an, den man für ihn bereitgelegt hatte, und rasierte sich. Dann ging er in das Labor. Er ließ Liz schlafen, bis er gefrühstückt hatte. Dann brachte er ihr eine Tasse heißen Tee. Sie wachte auf und streckte sich wie ein Kätzchen. Ihr rotbraunes Haar hob sich gegen das weiße Kissen ab. »Ich werde zu Scotland Yard gehen und mir mein eigenes Gesicht zurückgeben lassen«, erklärte er ihr. »Du bleibst schön hier und benimmst dich wie ein braves Mädchen.« »Ich werde im Labor genügend Arbeit finden«, gab sie bestimmt zur Antwort und fügte hinzu: »Du
brauchst dich nicht zu beeilen. Ich finde hier schon Abwechslung.« »Bis bald!« sagte Rudge leise und küßte sie. Sir Frederick war mit seinem Vorhaben einverstanden, und Rudge stieg, von zwei Polizeiposten begleitet, die Treppe hinauf. Die Gegend kam ihm bekannt vor. Er blickte nach oben und gewahrte Wellblechtafeln, die auf Stahlträgern ruhten. Durch eine rohgestrichene Holztür bemerkte er Trümmer von Ziegelsteinen und Mauerresten. Das war es also! Schlau von Sir Frederick. Das geheime Hauptquartier der Bewegung, die gegen die Wachhunde kämpfte, war das unterirdische Labor in Brownlows Haus in der Moon Street. Rudge kicherte. Sehr gewagt; aber das würden die Roboter nie verstehen. Er trat unauffällig aus der Tür und nickte dem alten Mann zu, der neben einem Koksfeuer Wache hielt. Das Grundstück sah völlig verlassen und verödet aus, als habe man es unbeachtet liegenlassen. Ganz anders sah es dagegen in Scotland Yard aus. Erst mußte er sich ausweisen; dann bekam er im Operationssaal seine eigenen Gesichtszüge zurück. Er trat zu einem Telefon und wählte die Nummer, die ihm Sir Frederick gegeben hatte. »Sehen Sie«, sagte er nach einer kurzen Begrüßung. »Es ist wirklich nicht schwer, das Roboterraumschiff
zu finden. Alles, was wir zu tun haben, ist, meinen beiden Fahrten dorthin zu folgen und den Kurs festzulegen.« »Natürlich«, sagte Sir Frederick. »Wir werden gleich damit beginnen. Nebenbei – ich habe schon ziemlich lange von Barker nichts gehört. Das beunruhigt mich.« »Wo war er denn?« »Wir hatten ein Treffen der Stabsoffiziere mit den Kabinettsmitgliedern geplant. Dort sollte dann entschieden werden, ob wir die Öffentlichkeit von der Sache unterrichten sollen.« »Verstehe. In Downing Street 10?« »Ja.« »Ich gehe am besten einmal hinüber. Haben Sie schon angerufen?« »Nein, die Leitung könnte angezapft sein. Unsere ist sicher, auch die von Scotland Yard. Du könntest mal nachsehen, was los ist. Mir will das gar nicht gefallen.« »Bis später!« sagte Rudge und hängte ein. Er verließ Scotland Yard und überquerte das Embankment. Eine Zeitungsschlagzeile erregte seine Aufmerksamkeit. Er kaufte ein Exemplar seiner ehemaligen Zeitung, des Daily Meteor. »Russische Radio-Delegation nach London abgereist.«
Die amerikanische Delegation war bestimmt schon in London; und wenn die Russen ankämen, würde dies die erste Konferenz seit Jahren sein. Die Wachhunde hatten ein gutes Werk getan, wenn auch unbeabsichtigt. Sie hatten die Völker der Welt einander nähergebracht, während man nach der Lösung des Rätsels suchte, das die Welt ihrer Stimme beraubt hatte. Rudge ging immer schneller. Es mußte etwas geschehen; und er wollte dabeisein, wenn es losging. Als er in die Downing Street einbog, fiel ihm die Ansammlung von Polizisten und Sanitätern auf. Eine Gruppe von Zivilisten wurde von Truppen in Khaki zurückgehalten. Ein seltsamer Gestank lag in der Luft. Rudge drängte sich durch die Menge, begleitet von deren unwilligem Gemurmel, bis er die Polizisten erreichte, die vor dem Eingang eine solide Mauer bildeten. Rudge flüsterte seinen Namen und eine Botschaft. Der Polizist sprach in eine Telefon, dessen Schnur durch den Briefschlitz der Tür nach innen führte. Dann wandte er sich an Rudge, öffnete die Tür und ließ ihn ein. Die Vorhalle war hell erleuchtet und die glänzende Wandverkleidung mit schwarzen Rußstreifen verschmiert. Chief Superintendent Barker kam auf ihn zu. Sein
Gesicht war gerötet. An einer Seite fehlten seine Haare, und sein Arm lag in einer Schlinge. »Was war los?« fragte Rudge ungeduldig. »Wachhunde.« Barker verzog das Gesicht, als er mit dem gebrochenen Arm gestikulieren wollte. »Haben eine Bombe im Sitzungssaal versteckt. Beinahe hätte es den P. M. erwischt. Er hat sich niedergelegt, um sich von dem Schock zu erholen. Der alte Mann ist äußerst zäh. Hat nicht einmal mit den Wimpern gezuckt. Bis seine Knie nachgaben; dann brach er zusammen und verfluchte sich wegen seiner Schwäche. Was ist eigentlich mit Sir Frederick? Hat er die Vorgänge hier auf dem Bildschirm verfolgt?« »Ich glaube kaum. Er folgte mit dem Gerät meinen Fahrten, um den Standort des Roboterschiffes bestimmen zu können. Was soll mit den Leuten draußen geschehen? Die Presse wartet auch.« »Dafür bin ich hier nicht zuständig. Die höheren Stellen haben sich eingeschaltet.« Barker wischte sich eine Strähne seines verbliebenen Haares aus der Stirn. »Abteilung G 2, Spionage und Spionageabwehr, hat sich jetzt auch eingemischt. Die Frage ist: Soll man die Welt über die Wachhunde aufklären oder nicht?« »Ich würde es begrüßen, wenn man den Leuten endlich sagte, was los ist. Aber da dies von anderer Stelle erfolgen muß, hat es gar keinen Sinn, daß wir uns darüber Gedanken machen.«
Plötzlich mußte Rudge an das Roboterschiff denken. Er folgte Barker einen Gang hinab und in ein Zimmer, das aussah, als hätte man versucht, es mit Gewalt zu vergrößern, und dann einige Tonnen Ziegelsteine durch das Dach heruntergeworfen. Das mußte irgendwie mit dem Raumschiff in Zusammenhang stehen. »Wer leitet eigentlich im Augenblick die Roboterabwehr, Barker?« wollte Rudge wissen. »Die wissenschaftliche Seite ruht noch immer in Händen von Sir Frederick. Wer das andere unter sich hat, steht noch nicht fest. Sie sind sich über diesen Punkt noch nicht einig.« »Gut, dann werde ich Ihnen jetzt einen Vorschlag machen«, sagte Rudge entschlossen. »Führen Sie mich doch bitte zu den Herren. Ich möchte mit ihnen reden.«
12 Rudge stand im Schatten der Bäume. Es war dunkel und kalt. Er hatte seine Hände in den Manteltaschen vergraben. Neben ihm stand Barker. Sein Gesicht war ein weißer Fleck in der Dunkelheit. »Kalt«, bemerkte Barker und trampelte mit den Füßen. »Uns wird gleich wärmer werden«, entgegnete Rudge. Im Geiste überprüfte er noch einmal alle Punkte des Planes, den er den Ministern und Stabsoffizieren in dem halbzerstörten Haus der Downing Street unterbreitet hatte. Es konnte einfach nicht schiefgehen. Doch wo die Roboter ihre Hände im Spiel hatten, war es ratsam, nichts dem Zufall zu überlassen. Er hatte zahlreiche Ferngespräche mit den obersten Behörden geführt. Nur zögernd hatte man die Zustimmung gegeben, die tief in der Erde liegenden Gewölbe zu öffnen, die im Norden Englands – oder war es im Westen? – lagen; denn das wußten nur sehr wenige Leute. Rudge dachte an das, was hierher unterwegs war. Es war eines der neuesten Modelle. Die gefährlichste Waffe der Menschheit. »Da kommt sie.« Barker trat aus dem Schatten der
Bäume hervor und schwenkte seine rote Taschenlampe. Der Helicar senkte sich herab und der Luftstrom wehte den Tau von den feuchten Gräsern. Die Gummiräder setzten auf dem Boden auf, und die Flügel blieben stehen. Ein Mann stieg herab. Er war groß und stark und trug eine Maschinenpistole, als sei er mit ihr aufgewachsen. »Keine Bewegung!« befahl der Mann. Ihm folgte ein zweiter Mann, der Rudge und Barker mit einer Taschenlampe anleuchtete. »Barker! In Ordnung, Tom; sie sind's!« Ein dritter Mann trat zu ihnen. In seinem blassen Gesicht zuckte nervös ein weiter Mund. Er sah sehr müde und abgespannt aus. »Hier ist sie, meine Herren.« Er reichte Rudge eine Aktentasche aus schwarzem Leder. Der Mann mit der Maschinenpistole ging zu dem Helicar hinüber und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Barker verabschiedete sich von dem Polizeibeamten, der ihn erkannt hatte. Die Männer stiegen in den Helicar zurück. Die Flügel begannen sich zu drehen, und der Helicar stieg, wie von einer unsichtbaren Kraft gehoben, in den Morgenhimmel. Das Gefühl der Spannung, das er mitgebracht hatte, ließ er bei den beiden Männern zurück. Rudge setzte die Aktentasche vorsichtig ab. Ihm
wurde bewußt, daß eine Vereinigung der beiden Uranmassen in der Tasche die ganze Landschaft pulverisieren könnte. Die grüne, taunasse Wiese, die Bäume in ihren ersten Frühlingsblüten, die schläfrigen Vögel – alles würde in einem höllischen Chaos verdampfen. Rudge schauderte. »Abgesehen vom Inhalt, unterscheidet sie sich nicht von einer gewöhnlichen Reisetasche«, bemerkte Barker und blickte scheu auf die Ledertasche. »Ich werde sie tragen«, sagte Rudge. Er hob die Aktentasche auf, in der sich die modernste Atombombe der Welt befand. Ihr Zünder war, im Gegensatz zu früheren Ausführungen, so klein und handlich, daß man ihn bequem in einer Aktentasche verbergen konnte. Während sie durch das Gras gingen, fand Rudge Zeit, sich ihre nächsten Schritte zu überlegen. In ihm wuchs die Überzeugung, daß Sir Frederick doch recht hatte. Die Genauigkeit, mit der die Wachhunde über die Vorgänge auf der Erde unterrichtet waren, konnte nur die Folge eines bis ins kleinste entwickelten Spionagenetzes – und nicht, wie Rudge immer angenommen hatte, durch wissenschaftliche Geräte in ihrem Raumschiff erreicht worden sein. Bis jetzt hatte er sich jedenfalls unbeobachtet gefühlt. Barker folgte ihm und spähte sorgfältig durch den aufsteigenden Morgennebel. »Ihre Leute werden die Gangster jetzt schon aufge-
lesen haben?« Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Ja. Wir können sofort hingehen und dieses Ding einbauen. Ich werde froh sein, wenn wir es los sind.« Sie verließen den Park und fuhren mit der Rolltreppe zu den Untergrundbahnstationen hinab. Rudge saß ungemütlich in den Polstern des Zuges, während die schwere Tasche mit der Bombe auf seine Knie drückte. Der Mikromechanismus des Zünders, der zu einer bestimmten Zeit nach dem Einstellen reagierte, war ein Meisterstück atomarer Präzisionsarbeit. Doch beruhigte diese Tatsache Rudge nur wenig. Sie verließen die Untergrundbahn und nahmen ein Bodentaxi, die es in diesem Stadtteil Londons noch gab. Sie fuhren an den düsteren, rauchgeschwärzten Häuserwänden von Limehouse vorbei und vernahmen das Geplätscher des Flusses, der gegen die faulenden Pfähle der Docks schlug. Diese Gegend würde bald einem neuen Stadtteil weichen müssen, und dann würden auch die Gangster und dunklen Geschäftemacher, die hier zu Hause waren und seit langem ihr Unwesen trieben, von hier verschwinden. Sie fuhren an die Stelle, wo Rudge, als Bats Murford verkleidet, abgeholt worden war. Einem PolizeiHelicar, der wie ein ganz gewöhnliches Fahrzeug aussah, entstiegen mehrere Beamte in Zivil.
»Chief Superintendent Barker, wir sind bereit«, meldete ein erfahrener, alter Polizist. »Unser Mann ist im Inneren des Hauses. Es ist ein seltsamer alter Bursche.« »Gut«, sagte Barker knapp. »Sie wissen, was zu tun ist. Der Helicar ist das Wichtigste. Wir müssen das erledigen, bevor die Gangster Zeit haben, zu starten.« Rudge hielt die Tasche fest in der Hand. Es war ein ganz verrückter Plan; doch es durfte nicht schiefgehen. Wenn es nicht klappte ... Er wagte nicht, weiterzudenken. Die Polizisten schlichen vorsichtig an das Haus heran, in dem sich die Gangster mit den Wachhunden trafen. Rudge hielt sich mit seiner Tasche im Hintergrund. In diesem Augenblick schien die Wand in einem zuckenden Vorhang orangeroter Flammen zu bersten, und mehrere Explosionen zerrissen die Stille. Die gefährliche Tasche hatte er unter seinen Körper geschoben. Rufe und Schreie drangen aus einer großen aufsteigenden grauen Rauchwolke. Rudge spuckte den Straßenschmutz aus und setzte sich vorsichtig auf. Wo vor einem Augenblick noch ein Haus gestanden hatte, lag jetzt eine dichte Rauchwolke. Wachhunde! Ganz klar: Sie waren den Menschen zuvorgekommen. Was jetzt? Ein Gefühl der Übelkeit stieg in ihm hoch.
Er konnte nicht erkennen, ob es eine Bombe oder eine Mine gewesen war. Die Verwirrung wurde immer größer. Bald kamen Feuerlöschzüge die Straße herabgebraust, und durch den künstlichen Regen senkten sich Helicars herab. Ein Mann kam durch den Qualm und Dunst auf Rudge zu. Einen Augenblick lang dachte er, es sei Barker. Doch dann fiel ihm der seltsame Gang des Mannes auf. Und er ging durch Rauch und Qualm, als sei es die reinste Luft zum Atmen – oder als brauche er keinen Sauerstoff zum Leben! Rudge packte seine Aktentasche und flüchtete. Als er um eine Ecke bog, blickte er sich um. Der Wachhund hatte seine Flucht bemerkt und folgte ihm. Rudge biß die Zähne zusammen und lief weiter. Er mußte den Wachhund abschütteln. Er brauchte Zeit, um einen weiteren Schritt gegen sie zu planen. Und was noch wichtiger war: Er mußte seine kleine Atombombe so bald wie möglich loswerden. Er dachte einen Augenblick nach, was wohl mit Barker geschehen war. Wenn der tapfere kleine Chief Superintendent mit der Explosion umgekommen war, konnte Rudge nichts tun, was ihn zurückbrachte. Aber jemand würde dafür bezahlen müssen. Rudge feuchtete seine trockenen Lippen an und klemmte die Tasche fester unter den Arm. Er sah sich
um. Der Wachhund war ihm noch immer auf den Fersen. Er gelangte auf eine weite Fläche eingerissener Mauern, Baukräne und Arbeiterhütten. Hier wurde an einer neuen Kaimauer gebaut. Er hatte die schnell zusammenlaufende Menge von Neugierigen an der Explosionsstelle zurückgelassen und war mit dem Roboter nun ganz allein. Das beste war, den Roboter so schnell wie möglich unschädlich zu machen und von hier zu verschwinden. Rudge zog die Pistole hervor: die gleiche große Waffe, die ihn schon einmal gerettet hatte. Er trug mehrere gefüllte Magazine bei sich, was das Nachladen vereinfachte. Rudge drehte sich um und zielte auf den Roboter. Der erste Schuß durchschlug das Kopfgehäuse, der zweite riß ihn in Stücke. Eine Frage drängte sich ihm auf, bevor er weiterlief. Bestimmt war vor den jüngsten Ereignissen noch kein Wachhund getötet worden. Sie mußten jetzt eine Art Abschleppdienst entwickelt haben; denn sie konnten auf keinen Fall zulassen, daß die Menschen einen zerstörten Roboter fanden. Mit fliegendem Atem ging Rudge schnell weiter, die Aktentasche unter den Arm geklemmt. Sein Anzug war zerdrückt und schmutzig. Er schwitzte und mußte sich anstrengen, um nicht in panischer Angst nach einer Stelle zu suchen, wo er seine Atombombe
in Taschenausgabe loswerden konnte. Von einer Gruppe Männer löste sich eine Gestalt und kam langsam auf Rudge zugeschlendert. Diesmal retteten ihn nur seine bis zum Zerreißen gespannten Nerven. Er warf sich auf die Seite, als der andere plötzlich ein langes Messer hervorzog. Fast wäre er auf den Boden gefallen. Wieder blitzte das Messer durch die Luft. Jetzt schrien auch die Leute auf. Rudge bückte sich und griff nach seiner Pistole. Er zog und feuerte. Das Geschoß zerriß die Brust des Metallmenschen. Die Menge stob auseinander; sie flohen nach allen Richtungen. Tief aufatmend stand Rudge und blickte auf den Roboter hinab. Zwei rote Flecken brannten auf seinen blassen Wangen. Er wischte sich mit dem Handrükken über die Stirn und merkte nicht, daß er sich ganz mit Ruß und Schmutz beschmierte. Was jetzt? Er konnte den Wachhund hier nicht einfach liegenlassen, bis ihn der nächste Polizist fand. Warum eigentlich nicht? Nein, das ginge nicht, entschied Rudge zögernd. So gern er die Bedrohung durch die Roboter bekanntgemacht hätte, waren ihm doch die Hände gebunden, bis sich die Regierung entschieden hatte. Er beugte sich hinab und schob die Kleider des Roboters über das gähnende Loch in seiner Brust. Die beiden Geschosse waren äußerst wirksam. Panzer-
brechende und hochexplosive Munition wirkte gegen Roboter. Rudge hob den Roboter auf und warf ihn über eine Mauer, die an die Straße grenzte. Der frühe Morgennebel war fast verschwunden, und die Sonne sandte ihre ersten Strahlen aus und versprach einen schönen Tag. Rudge zog seinen Mantel aus. Er brauchte ihn nicht mehr. Die Roboter wollten jedenfalls keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sie hatten das Messer gewählt, da dies weniger auffallen würde. Jetzt würden sie sich um zwei Wracks kümmern müssen. Rudge kicherte grimmig. Er fragte sich, ob ihn die Roboter wohl beobachteten. Sie fanden ihn jedenfalls sehr leicht. Voll Hoffnung sah er nach oben. Aber in diesem Stadtteil gab es keine Helitaxen. Auch war es dafür noch ein bißchen zu früh, und Rudge wollte keinen Omnibus benützen. Der Schaffner konnte sich nur zu leicht als Wachhund entpuppen und ihm lautlos ein Messer zwischen die Rippen schieben, während er sein Fahrgeld zahlte. Die Wachhunde waren überall. Rudge eilte weiter. Er ging nach Westen, wo er ein Taxi zu finden hoffte. Er war schon in der Cable Street. Jetzt mußte er sich entscheiden, ob er nicht lieber doch die U-Bahn benützen sollte. Und das warf eine weitere Frage auf. Wo wollte er überhaupt hin?
Rudge wußte es nicht. In die Moon Street durfte er nicht gehen. Da würden die Wachhunde nur auf das unterirdische Labor aufmerksam werden. Einen Augenblick lang stand er unentschlossen im Eingang zu dem U-Bahnhof. Er holte seine Zigaretten heraus und steckte sich eine an. »Könnten Sie mir auch Feuer geben, Mister?« keuchte eine rauhe Stimme. Rudge schreckte wie ein scheues Pferd zusammen und sprang von dem kleinen Mann weg, der ihn um Feuer gebeten hatte. Sein Gesicht zuckte vor Aufregung. »Was ist denn, Mister? Sie sehen krank aus.« »Ach, nichts! Hier«, sagte Rudge und gab dem Mann Feuer. Der Kleine ging die Stufen hinab. Rudges Nerven waren völlig ruiniert. Er zog an der Zigarette, drehte sich um und folgte dem Männchen. Er nahm sich eine Fahrkarte für einen Schilling, mit der er überall aussteigen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Aber wo wollte er hin? Er konnte kaum einen vernünftigen Gedanken fassen. Er würde sich zusammenreißen müssen, wenn er den Wachhunden entkommen wollte. Fast lautlos glitt der Zug in die Station. Die pneumatischen Türen öffneten sich, und Rudge ließ sich in einen Sitz an der Tür fallen. Der Schaffner rief gerade
»Vorsicht an den Türen!«, als ein Mann in den Wagen gesprungen kam. Rudge zuckte zusammen. Der Zug war verhältnismäßig leer. Doch er wußte, daß er voller werden würde, je weiter sie nach Westen kämen. Er hielt die Tasche eng an seinen Körper gepreßt und hoffte, daß er wie einer der Büroangestellten aussah, die zu Hunderten jetzt auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte waren. Der Mann setzte sich Rudge gegenüber, entfaltete eine Zeitung und begann ein Kreuzworträtsel zu lösen. Rudge betrachtete ihn mißtrauisch. Der Zug sauste durch die Tunnels und an Stationen vorbei, bis er in die alte District Line einbog. Rudge merkte, daß ihm der Schweiß den Rücken hinablief. Einige Lehrmädchen kamen herein. Rudge nahm die Gelegenheit wahr und bot einem der kichernden Mädchen seinen Platz an. Er stellte sich neben die Tür. Der Mann sah nicht einmal auf. Als die Türen in Charing Cross aufgingen, sprang Rudge hinaus und drängte sich durch die Massen der Menschen, die mit dem Zug mitfahren wollten, und zog sich bis zu dem einen Ende des Bahnsteiges zurück. Von einer verborgenen Stelle neben dem Eingang aus beobachtete er die Tür, aus der er eben gekommen war. Die Leute drängten sich in den Zug, und die Türen schlossen sich. Der Zug verschwand im Tunnel.
Rudge atmete erleichtert auf. Er setzte seine Aktentasche auf einer Bank ab, suchte seinen Kamm und zog ihn durch sein Haar. Er bemerkte, daß seine Hände zitterten. Rudge befand sich am hinteren Ende des Bahnsteigs, wo die grünen und roten Lichter am Eingang des Tunnels aufleuchteten. Schon wollte er seine Tasche wieder aufnehmen, da durchzuckte ein durchdringender Schrei seine Gedanken. »Paß auf, Cliff! Hinter dir!« Rudge packte seine Tasche und machte zwei gigantische Sätze den Bahnsteig hinab. Der schwere Karren des Gepäckträgers rammte gegen die Bank, vor der er eben noch gestanden hatte, und Holzsplitter flogen durch die Luft. Schon kamen Leute von der Mitte des Bahnsteiges auf ihn zugelaufen. Doch allen voran der Mann, der den Karren geschoben hatte. Er hatte seine Arme weit ausgebreitet; sein Gesicht war ausdruckslos. Rudge wußte, daß er in einem Handgemenge mit dem Roboter den kürzeren ziehen würde. Die mechanischen Kräfte dieses Metallmenschen waren viel zu groß, als daß er ihnen mit seinen menschlichen Muskeln widerstehen konnte. Er wollte gerade nach seiner Pistole greifen – doch zu spät. Der Wachhund war nur noch einige Schritte entfernt. Verzweifelt versuchte sich Rudge aus der Bahn des
heranstürmenden Metallmenschen zu werfen. Doch der Körper des Roboters prallte gegen ihn. Die Wucht des Anlaufes genügte, um sie beide von dem Bahnsteig hinab auf die stromführenden Geleise zu werfen.
13 Im Fallen wirbelten Rudges Gedanken wild durcheinander. Würde die Härte des Aufschlages genügen, um den Zünder der Atombombe auszulösen? Wie konnte er dem Wachhund und der mittleren Schiene entgehen? Er warf sich im Fall herum und versuchte mit dem Knie, den Roboter unter sich zu bekommen. Sie fielen in die Grube zwischen den Gleisen. Einen Augenblick lang rang Rudge nach Atem. In letzter Sekunde war es ihm gelungen, den Roboter im Fallen unter sich zu bekommen. Doch der Metallkörper hatte, trotz der gummiartigen Fleischverkleidung, den Aufschlag kein bißchen gedämpft. Dann fühlte er, wie sich die stahlharten Arme um ihn schlangen. Wild bäumte er sich gegen den Umklammerungsgriff des Roboters auf. Wenn ihn der Wachhund einmal richtig umschlungen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Die Finger der Roboters gruben sich wie Zangen in Rudges Körper. Er keuchte vor Schmerz, und vor seine Augen legte sich ein roter Schleier. Der Roboter richtete sich auf und warf den auf ihm liegenden Rudge auf die Seite. Sein stählerner Arm erhob sich, um mit einem gezielten Schlag den Schädel des Menschen zu zertrümmern. Im letzten Au-
genblick konnte Rudge seinen Kopf auf die Seite werfen, und die Faust des Roboters schmetterte mit einem dumpfen Schlag auf den Beton. Doch jetzt hatte Rudge seinen Fuß gegen die Brust des Roboters gestemmt. Seine Muskeln zogen sich zusammen, und mit all seinen Kräften schlug er mit dem Bein aus. Wenn jetzt nur nicht die Atombombe losginge! Dann würde sich halb London im Nu in einer pilzförmigen Wolke auflösen. Und während der Roboter zurücktaumelte, warf sich Rudge zwischen die Gleise, drückte die Tasche mit der Bombe an die Brust und legte schützend seinen Arm vor die Augen. Der Wachhund flog direkt auf die Stromschiene. Die betäubende Wucht der Explosion warf Rudge auf die Seite und riß ihm fast die Kleidung vom Leib. Ein blendender, violetter Blitz drang sogar durch seine schützenden Augenlider; eine ungeheure Druckwelle trieb die Luft durch die Station, und Rudge roch die verschmorten Isolationsteile des Roboters. Erschöpft und nach Luft ringend, lag er zwischen den Geleisen. Der Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Körper. Dann sammelte er seine letzten Kräfte und versuchte, sich zu erheben. »Cliff! Bleib liegen! Deckung!« Der Stimme, die ihn über seine Gedanken warnte, gehorchend, warf er sich wieder der Länge nach nie-
der, und schon brauste es über ihn hinweg. Klappernde Maschinenteile und ratternde Räder sausten über ihn dahin. Öltropfen spritzten ihm ins Gesicht. »Danke, Liz!« dachte er. »Das war ziemlich knapp.« »O Cliff! Liebling, ich hatte dich schon verloren gegeben.« »Bin noch mal davongekommen. Kannst du auf dem Bildauffänger etwas Verdächtiges sehen?« »Wir kommen mit diesem Gerät bis auf eine halbe Minute an die Gegenwart heran. Ich sah gerade den Zug in die Station einfahren und wollte dich warnen, den Zug erst vorüberzulassen.« »Du hast mich noch im letzten Augenblick gewarnt. Eine halbe Minute? Matthews muß ziemliche Arbeit geleistet haben, um den BrownlowAufzeichner so zu verfeinern.« »Tag und Nacht hat er daran geschuftet und sich keinen Schlaf gegönnt. Wir haben das Gerät erst vorhin auf dich eingestellt. Ich hatte Matthews bei der Arbeit geholfen, sonst hätte ich bestimmt früher nach dir gesehen.« Rudge blickte zwischen den Rädern des Zuges nach oben und sah die neugierigen Gesichter der Leute auf dem Bahnsteig herunterschauen. »Irgend etwas Verdächtiges unter der Menge auf dem Bahnsteig?« »Nein, alles Menschen.«
Er fühlte, wie ihn eine gewisse Erleichterung überkam. Nicht weil auf dem Bahnsteig keine Wachhunde waren, sondern weil er jetzt nicht mehr allein war und diesen überlegenen technischen Gewalten nicht allein gegenüberstand. Er hatte mit Liz wieder Verbindung aufgenommen, und auf dem Zeit-BildAufzeichner konnte sie die fleischverkleideten Roboter erkennen und ihn warnen, wenn auch erst eine halbe Minute später. Vorsichtig stieg er aus der Grube heraus, die Aktentasche mit der Atombombe fest umklammert. Helfende Hände zogen ihn auf den Bahnsteig herauf, bis er wieder auf seinen eigenen, wenn auch zitternden Beinen stand. »Um Himmels willen, haben Sie sich verletzt, Mister?« Der Zugschaffner hielt Rudge umklammert, als fürchte er, er könnte wieder unter den Zug fallen. »Ich bin noch einmal davongekommen«, beruhigte ihn Rudge und wischte sich das Öl aus dem Gesicht. »Und der andere? Er hat Sie doch hinuntergestoßen, nicht?« Das Gesicht des Schaffners verschwamm vor Rudges Augen; dann riß er sich zusammen und wehrte die Welle des Schwindels ab, die ihn zu überkommen drohte. Die immer größer werdende Menge um ihn murmelte aufgeregt. Der Schaffner ließ sich auf die Knie nieder und spähte unter den Zug. Rudge blickte sich
ungeduldig um. Er mußte hier so schnell wie möglich aus der Rattenfalle heraus, die Wachhunde abschütteln und die Atombombe an einen sicheren Aufbewahrungsort bringen, jetzt, da sein Plan vollends fehlgeschlagen war. »Cliff!« Der Gedanke zuckte in seinem schmerzenden Kopf. »Wachhunde! Zwei kommen gerade auf den Bahnsteig.« Rudge blickte schnell über die Köpfe der Menge und sah niemanden neu hinzutreten. Aber Liz sah ja nur, was sich schon vor einer halben Minute ereignet hatte, und die Wachhunde hatten sich bestimmt schon unter die schiebende Menge gemischt und drängten sich jetzt immer näher an ihn heran, mit der Absicht, ihn unschädlich zu machen. Rudge drückte die Tasche an seinen Körper. »Was haben sie an, Liz?« fragte er. »Der eine trägt einen blauen Anzug mit roter Krawatte. Der andere einen rehfarbenen Überzieher und einen grauen Hut.« Rudge bemerkte sie nun sogleich. Er wandte sich wieder an den Schaffner, der sich gerade aufrichtete. »Ich bin unverletzt geblieben. Das beste wird sein, ich gehe jetzt gleich zu den zuständigen Behörden, um ihnen den Unfall zu melden«, sagte er. »Nun, ich weiß nicht. Sehen Sie ...« stammelte der Schaffner.
»Es ist weiter nichts geschehen«, unterbrach Rudge ihn hastig. Er mußte unverzüglich von hier verschwinden. »Sie bleiben hier und passen auf, daß alles so liegenbleibt, wie es jetzt ist, und ich werde jemand herunterschicken.« Er drehte sich um und drängte sich durch die Menge. Die Männer und Frauen verstummten, während er vorbeiging, und bahnten ihm eine Gasse. Dann begann er, den Bahnsteig hinabzulaufen. Er wußte, daß dies jeder in seiner Lage getan hätte. Der Aufzug stand verlassen; der bedienende Beamte stand bestimmt bei der Menge an dem Zug. Rudge sprang hinein und drückte den richtigen Knopf. Die Tür schloß sich, und der Aufzug bewegte sich nach oben. Es schien ihm, als würde er überhaupt nicht mehr oben ankommen. Dann hielt der Aufzug mit einem Ruck an, und die Türen öffneten sich. Rudge sprang heraus. »Liz, was siehst du?« fragte Rudge. »Wie du gerade den Bahnsteig hinabläufst.« »Schalte auf die Straße um und sage mir, was du außerhalb der Station sehen kannst.« »Einen Augenblick. – So. – Nichts Verdächtiges zu sehen. Ich kann direkt in den Eingang schauen.« »Gut, ich komme jetzt heraus. Ich werde versuchen, zu Scotland Yard zu kommen. Die werden schon wissen, was mit der Bombe zu tun ist.«
»O Cliff, Liebling! Sei vorsichtig!« »Keine Angst, Schatz!« Die Bombe durfte auf keinen Fall losgehen. Die Folgen wären unausdenkbar. Schnellen Schrittes ging er auf das Embankment hinaus und überquerte die Northumberland Avenue. Autos rollten fast lautlos an ihm vorbei, jedoch waren es nur noch wenige – jetzt, da die Helicars einen großen Teil des Verkehrs in die Luft verlegt hatten. Er ging durch die Parkanlagen und machte weite Bogen um daherkommende Leute. »Wachhunde!« Der warnende Gedanke schreckte durch sein Hirn. »Sie kommen soeben von der anderen Seite in den Park. Ich sehe dich eben, wie du von der Charing Cross-Seite hineingehst.« »Ich bin jetzt fast in der Mitte«, antwortete Rudge lakonisch. »Wie sehen sie aus?« Ein Polizist in blauer Uniform kam auf Rudge zu, die Hand unter dem Mantel verborgen. Rudge beobachtete ihn scharf, während seine Gedanken nach Liz riefen. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« fragte der Wachtmeister. Er war nur noch wenige Schritte entfernt, als Liz' Gedanke wie ein Blitz durch sein Hirn zuckte. »Polizist!« rief Liz. Rudge hielt sofort an. Der Arm des Polizisten schnellte vor; doch Rudge hatte sich rechtzeitig bük-
ken können. Dann schmetterte er seine Faust in das Gesicht des Wachhundes, indem er sich blitzartig aufrichtete. Der Schmerz zuckte wie ein glühender Draht durch Rudges Faust und Arm. Der Kopf des Wachhundes flog unter der Wucht des Fausthiebes zurück; doch gleich darauf schlug der fleischverkleidete Stahlarm mit unverminderter Gewalt nochmals nach Rudge aus. Und wieder gelang es Rudge, den Schlag zu unterlaufen und mit einem Griff seine Pistole herauszureißen. Menschenfäuste waren wirkungslos gegen Stahlroboter. Die Pistole spuckte Flammen und Rauch. Die Mündung lag nur wenige Zentimeter von der Brust des Roboters entfernt. Das Mündungsfeuer schlug von dem Metallkörper des Wachhundes zurück und versengte Rudges Hand. Fast hätte er vor Schmerz aufgeschrien; denn es fühlte sich an, als habe er in einen Kessel kochenden Wassers gegriffen. Der Roboter flog zurück. Das Loch in seiner Brust war halb verdeckt von blauem Uniformstoff, der jetzt ganz braun angesengt war. Klirrend flog das Wrack in zwei Teilen zu Boden. Rudge sprang über den Schrotthaufen und lief quer durch den Park, hinaus auf das Embankment zu. Er hatte den Mund weit geöffnet und rannte mit fliegendem Atem, wie von Furien gehetzt, durch den Park.
Zwar waren es keine Furien, die ihn verfolgten; aber er hörte eine Polizeipfeife schrillen, und drei Polizeibeamte kamen durch das Tor hinter ihm her. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Erst die Wachhunde, und jetzt auch die Polizei! Er durfte nicht gefangen werden. Sie würden ihm seine Pistole wegnehmen; und jeder dieser blaugekleideten Polizisten konnte ein Wachhund sein. Mit langen Sätzen lief Rudge über die unregelmäßigen Pflastersteine und suchte vergeblich nach einer Seitengasse. Die mächtigen Blöcke der neuen Gebäude ragten zu seiner Rechten in die Höhe; und dann war er in der Horse Guards Avenue, bog nach rechts ein und lief keuchend weiter. Er wußte jetzt, wo er war. Whitehall lag in dieser Richtung, fast unmittelbar gegenüber Horse Guards Parade. »Jetzt bist du ihnen entkommen, Cliff«, beruhigte ihn Liz. »Ich habe eben den Polizisten gesehen. Wo bist du jetzt, Cliff?« »In der Horse Guards Avenue. Muß diese verdammten Wachhunde abschütteln. Ich glaube, Fred hatte recht: Sie haben ein gutentwickeltes Verbindungssystem und hätten mich bald erwischt. Kannst du die Parade und Whitehall sehen?« »Ja. Scheint alles in Ordnung zu sein. Wenn du jetzt nach links abbiegst, kannst du es bis zum Scot-
land Yard schaffen. Ich glaube, es wäre besser, wenn ich deinen Weg überprüfte, bevor du ihn gehst. Dann kann ich dich rechtzeitig warnen.« »Gut. Doch zuerst noch eines: Ich werde von einigen Leuten verfolgt. Sind Wachhunde darunter?« Rudge lief ständig weiter. Wenn er jetzt stehenbliebe, würde er nicht mehr weiterkommen; so erschöpft war er. Er sah die Welt nur noch durch einen roten Schleier, der immer dichter zu werden schien. Die Zunge lag ihm wie ein lederner Lappen im Mund und hinderte ihn am Atmen. »Sind alles Menschen, Cliff«, sagte ihm Liz. »Ja«, brummte Rudge sarkastisch, »die trachten jetzt auch nach meiner Haut.« Er hetzte weiter und fragte sich, was er tun könnte, wenn ihn die wütende Menge einholte. Die Frage war genauso brennend, als wenn es Wachhunde gewesen wären, die ihn jetzt verfolgten. Die Menschen sahen es nicht gern, daß man ihre Polizisten niederschoß. Er kam auf Whitehall hinaus und bog nach links ab. Das gewaltige Gebäude des United Services Museums schien vor seinen Augen auf und nieder zu hüpfen. Er mußte die Verfolger abschütteln. Er lief in das Museum hinein, eilte durch das Drehkreuz und gelangte tief atmend in eine Halle, in der Erinnerungsstücke an längst vergangene Kriege ausgestellt waren. So früh am Tage war das Museum noch menschenleer, und Rud-
ges Schritte hallten durch die weiten Gänge und Ausstellungsräume. Er ging den Mittelgang hinab und beachtete die ausgestellten Gegenstände aus den Weltkriegen nicht. Hinter einer Wand blieb er stehen, um zu verschnaufen. Die Aktentasche zog an seinem Arm. Von der Wand aus hatte Rudge einen guten Ausblick über die flachen Stufen, die in das Museum hinabführten. Er wartete und sammelte Kräfte. Mit seinem schmutzigen Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Seine Gedanken strahlten aus nach dem unterirdischen Labor in der Moon Street. »Blicke doch mal in das United Services Museum, Liz! Ich habe mich im hinteren Teil des Gebäudes versteckt. Beobachte die Eingänge. Ich muß mich ein bißchen ausruhen.« »Der Ort sieht ziemlich verlassen aus«, kam die Antwort. »Jetzt sehe ich die Menge um die Ecke kommen. Du bist gerade im Eingang verschwunden. Sie haben nichts gemerkt und rennen vorbei.« »Bin ich froh!« antwortete Rudge, und ein Stein schien ihm vom Herzen zu fallen. »Ich hätte es wohl auch gemerkt, wenn sie hereingekommen wären.« Er blickte sich um. Überall standen große Ausstellungskästen, in denen Waffen aller Zeitalter lagen: Gewehre, Lanzen, Speere, Schwerter. Alles Waffen aus einer Zeit, da Kriegführen noch einen romantischen Hauch trug.
»Ich werde jetzt versuchen, hinauszugehen. Beobachte die Straße vor mir, so gut du kannst. Und rechne immer die halbe Minute mit ein. Dadurch kann ich mich auf Angriff einstellen.« »Warte noch ein bißchen, Cliff. Begib dich jetzt nicht unnötigerweise in Gefahr. Du wirst vor nichts sicher sein, bevor du in Scotland Yard bist. Ich habe ja solche Angst!« Das Geständnis beunruhigte Rudge. Er hatte bisher nicht die Zeit gefunden, sich zu überlegen, ob er Angst hatte. Jetzt, da Liz den Gedanken geäußert hatte, fühlte er, daß er sich mehr fürchtete, als je zuvor in seinem Leben. Die erschütternde Unterhaltung mit dem Roboter in dem Raumschiff, seine ganzen verrückten Abenteuer hatten ihn nicht so mitgenommen wie dieses letzte Wettrennen mit dem Tode. Seine Knie schienen aus Schaumgummi zu bestehen und drohten ihn jeden Augenblick auf den Steinfußboden fallen zu lassen. »Nur Mut, Liz!« ermahnte er sie. »Meine alte Pistole reißt Löcher in die Bäuche der Uhrwerkmännchen. Das hast du doch gesehen.« »Ist gut, Cliff, Liebling! Aber paß auf dich auf, bitte!« Rudge merkte dem Gedanken die Angst an, gegen die sich das Mädchen verzweifelt wehrte. Rudge preßte die Zähne zusammen. Sein unrasier-
tes Gesicht verfinsterte sich. Von jetzt an würde er erst schießen und dann Fragen stellen. Er würde keinen Wachhund mehr so nahe kommen lassen. »Ich gehe jetzt hinaus«, dachte er plötzlich. »Beobachte das Stück zwischen dem Museum und Scotland Yard.« Er zog seine Pistole hervor und ließ das fast leergeschossene Magazin herausschnappen. Aus seiner Tasche nahm er ein volles und schob es in den Knauf der Pistole. Als er das leere Magazin hinter einen Kasten mit alten Speeren warf, mußte er über den Gegensatz lachen. Dann packte er die Tasche mit der Atombombe und ging entschlossen an den Glaskästen vorbei durch das Drehkreuz ins Freie hinaus. »Alles klar, Liebling!« beruhigte ihn die Stimme in seinem Hirn und bestärkte seine Entschlossenheit. Nach beiden Richtungen bewegte sich der Verkehr auf der breiten Straße. Helicars mit schnelldrehenden Flügeln schwebten durch die Morgenluft. Männer und Frauen eilten zu ihren Arbeitsplätzen, und überall herrschte das geschäftige Treiben einer erwachenden Großstadt. Dann verschwand alles. In panischer Angst rieb sich Rudge die Augen. Die ganze Welt, alles war hinter einer undurchdringlichen schwarzen Wand verschwunden. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, schloß sie erneut und öff-
nete sie. Der undurchdringliche Vorhang blieb. Er konnte nichts mehr sehen. »Sie haben mich geblendet!« Erst jetzt fielen ihm die erschreckten Rufe auf, die wie aus der Ferne an sein Ohr zu dringen schienen. Bremsen kreischten schrill, und Metall prallte gegen Metall. Irgendwo flog ein Benzintank knallend in die Luft. Lärm und Verwirrung herrschten auf Whitehall. Pfeifen schrillten, und Schritte hämmerten in panischer Angst über das Pflaster. »Was ist geschehen, Liebling?« Liz' angsterfüllter Gedanke zuckte durch seinen Geist. »Die Wachhunde scheinen ein lichtundurchlässiges Feld um die ganze Gegend gelegt zu haben, vielleicht um ganz London. Es ist eigentlich nicht tief schwarz, nur scheint alles verschwunden zu sein.« »Ich kann noch alles sehen, Cliff«, kam ihr Gedanke. »Ich sehe dich unbeweglich dastehen, mit einem verwirrten Ausdruck im Gesicht. Auf der Straße stoßen Autos zusammen, und die Leute rennen in panischer Angst wild durcheinander. Es ist schrecklich. Was ist das, Cliff?« »Ich muß ins Museum zurück. Die Wachhunde können bestimmt sehen, während wir blind umhertappen. Jetzt haben sie uns wieder in die Enge getrieben.« Rudge tastete sich den Weg zurück, den er gekommen war. Wieder bewegte er das Drehkreuz und
eilte die Stufen hinab, indem er die Atombombe vorsichtig hielt. Am ersten Glaskasten blieb er stehen. Er schloß die Augen. Sie schmerzten und waren jetzt völlig nutzlos. Er strengte seine Ohren an. »Cliff! Wachhunde! Es sind vier. Sie gehen ins Museum. Sie gehen so sicher, als könnten sie sehen.« Rudge konnte nichts hören. Er zog seine Pistole unter dem Arm hervor und richtete sie den Gang hinab, den er eben hereingekommen war. Dann drückte er ab, wieder und wieder. Er sah kein Mündungsfeuer aufblitzen, nur der rollende Schußdonner hallte durch die hohen Räume und wurde von den Wänden und Säulen zurückgeworfen. Er vernahm ein lautes Krachen und Bersten und warf sich auf den Boden. Wieder zog er den Abzug der Pistole zurück. Er wartete. Das Herz schlug ihm bis zum Halse, und Schweißperlen rollten ihm in die Augenhöhlen. Eine halbe Minute später kam Liz' Gedanke. »Du hast sie alle erwischt, Cliff. Die Rädchen liegen über den ganzen Raum verteilt, bis hinauf zum Drehkreuz.« In diesem Augenblick verschwand die undurchdringliche Schwärze. Rudge öffnete und schloß die Augen; das Licht blendete ihn. Es war so, wie Liz es beschrieben hatte. Seltsame Metallteile und Räder lagen über den Boden des Museums verstreut.
»Jetzt müssen sie wissen, daß wir etwas haben, womit wir sie bekämpfen können. Das herauszufinden, muß ihnen einiges Kopfzerbrechen machen. Offensichtlich können sie sich in unsere Gedanken nicht einschalten. Wir können froh sein, daß wir Menschen sind, Liz. Wie sieht es draußen aus?« »Die Leute kommen allmählich zu sich. Überall sind Feuer ausgebrochen, und viele liegen wie tot auf der Straße. Es ist schrecklich, Cliff, fürchterlich!« »Ja, wir können es nicht ändern. Die Menschheit muß den Preis zahlen, und die da draußen sind ein Teil dieses Preises. Ich gehe jetzt zum Yard.« »Alles klar.« Rudge jagte die Stufen zum zweiten Male hinauf. Jetzt sollte es auch das letzte Mal sein. Die Tatsache, daß die Wachhunde das Blindfeld abgeschaltet hatten, bewies, daß sie sich dessen Nutzlosigkeit bewußt waren. Die Erde hatte diese Runde gewonnen! Er eilte Whitehall entlang und zwang sich, nicht auf die Schreie und Rufe in dem Chaos zu hören. Er achtete nicht auf die verzweifelten Rufe der Verwundeten, die in ihren zerschlagenen Wagen gefangen waren. Schon waren Feuerwehr und Sanitätswagen eingetroffen und halfen den Leuten aus ihrer Bedrängnis. Helicars schwebten herab, und weißgekleidete Männer sprangen heraus.
Rudge rannte weiter und achtete auf den warnenden Gedanken, der in jeder Minute von Liz kommen konnte. Er wußte genau, daß sie in die Vergangenheit sah und nur das melden konnte, was sich vor einer halben Minute ereignet hatte. Jeden Augenblick konnte ihn ein Wachhund anfallen. Ein Helicar strich nur wenige Meter über dem Boden hin. Rudges Haare flogen im Winde, den die großen Flügel erzeugten. Er wischte sie aus dem Gesicht und blickte auf. Er war bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen. Der Helicar setzte auf der Straße auf. Das Verdeck wurde zurückgeschoben; ein Mann stieg heraus und rannte auf Rudge zu. Diesmal zog Rudge seine Pistole nicht. »Barker!« rief er voller Freude. Seine Spannung ließ nach. Der gute alte Barker! Er war doch immer da, wenn man ihn brauchte! Der Chief Superintendent kam auf Rudge zu. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht; er streckte eine Hand aus. Rudge ergriff sie. Dann wurde er plötzlich niedergerissen, und eine stählerne Umklammerung legte sich um seinen Körper. Der Wachhund drückte ihn mit aller Gewalt gegen seine Stahlbrust. Rudges Gesicht lief rot an. Es wurde ihm schwarz vor den Augen. Das also war nun das Ende von allem!
14 Rudge wehrte sich vergeblich gegen die Metallarme, die seinen Brustkasten zu zerdrücken drohten. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepreßt, und vor seinen Augen tanzten farbige Lichtpunkte. Das Blut hämmerte in seinen Ohren. Verdammte Wachhunde! Der Teufel hole die Wesen, die sie geschaffen hatten! Seine Augen wurden schwächer, und die Kräfte schwanden ihm. Dann geschah das Erstaunliche: Er wurde zu dem Helicar hinübergetragen. Die Atombombe lag noch zwischen seinem Körper und dem Metallgehäuse des Roboters. Er fühlte die Kanten in sein Fleisch einschneiden. Der Stoff des Anzuges, den der Roboter trug, roch nach regennassen Haaren. Halb bewußtlos fiel er auf den Boden der Kabine. Die Aktentasche lag unter ihm. Ein Gedanke drängte sich in seinen schmerzenden Kopf. Er versuchte, die Schmerzen, die ihn zu überwältigen drohten, auf die Seite zu drängen, um hören zu können, was ihm Liz sagte. »Cliff, Liebling! O nein!« Rudge erkannte, daß jetzt eine halbe Minute seit seiner Gefangennahme vergangen sein mußte. Liz sah ihn jetzt von dem Roboter, der sich als Chief Su-
perintendent Barker verkleidet hatte, umschlungen und in den Helicar getragen. Sie mußte vor Angst fast vergehen. »Liz, keine Angst! Ich bin noch in einem Stück!« »O Cliff! Ich dachte schon ... Ach, Liebling!« »Ja.« Rudge zog seinen Arm an die Stelle seines Beines, wo die Tasche gegen sein Fleisch preßte. »Ja, ich weiß, Liebling. Ich bin noch lebendig. Sie wollen mich ausfragen, glaube ich. Sie wissen nichts von unserer Gabe, daß wir uns auf telepathischem Wege verständigen können. Wir können sie noch schlagen, Liebling.« Er drehte sich mühevoll um und ächzte und stöhnte dabei. Der Helicar war mit zwei Robotern bemannt. Der eine war als Chief Superintendent Barker verkleidet – Rudge kannte ihn bereits –, und der andere trug eine gewöhnliche Polizeiuniform. Der als Chief Superintendent Barker verkleidete Roboter drehte sich bei dem Geräusch um und blickte ihn aus glitzernden Augen an. »Nun, Mr. Rudge – haben Sie sich endlich entschieden, mit den Beschützern der Erde zusammenzuarbeiten?« »Beschützern? Quatsch!« stieß Rudge verächtlich zwischen den Zähnen hervor. »Verfluchte Wachhunde! Ihr habt die Erde immer wieder unterdrückt. Ihr seid keine Beschützer oder Beobachter. Ihr mischt euch in alles ein, was euch nichts angeht.«
»Sie haben ja gesehen, was geschehen würde, wenn die Menschheit die Sterne eroberte. Das müßte Sie doch überzeugen.« »Was geschehen könnte. Ihr habt mir nicht gezeigt, welche Ergebnisse eine sorgfältige Erforschung anderer Planeten haben würde.« Der Wachhund schwieg. Rudge fuhr unentwegt fort: »Wenn ihr uns in Ruhe gelassen hättet, wäre schon längst Frieden zwischen den Menschen der Erde. Ihr schürt die Kriege und den Haß und hetzt die Menschen gegeneinander. Ich möchte nur wissen, was eure Meister mit euch tun werden, wenn die Menschheit einmal ihren Platz unter den Völkern der Milchstraße einnehmen wird.« »Wenn das der Fall sein wird, werden wir uns zu einem anderen, barbarischen Planeten begeben und ihn in seiner Entwicklung lenken und führen.« Rudge lachte rauh. Seine Pistole war verlorengegangen. Er hatte nur noch seine bloßen Fäuste und die Atombombe. Bis jetzt hatte das Ding alle Stöße und Erschütterungen ausgehalten. Sein Mechanismus, die Zündeinstellung, konnte nur durch Einstellen eines Schalters betätigt werden. Vielleicht – »Hallo, Liz!« strahlte sein Gedanke aus. »Folgst du uns mit dem Gerät? Wie weit ist es noch bis zu dem Schiff?«
»Wir haben seine Bahn um die Erde berechnet. Es dauert noch ziemlich lange, bis ihr in das Zugfeld gelangt«, kam die Antwort. Sie wußte, was Rudge vorhatte. »Wenn du nicht anders kannst, Liebling, dann mußt du es tun.« »Ich muß es tun«, dachte Rudge. »Das schulde ich der Menschheit. Offensichtlich wissen die Wachhunde nicht, daß ich in der Tasche eine Atombombe habe. Ich muß warten, bis wir in dem Raumschiff sind; dann jage ich die ganze Bande zum Teufel.« »Und dich mit.« Liz' Gedanke war ohne irgendein Gefühl; Liebe, Angst und Hoffnung waren verschwunden. »Ja, mich auch.« Er öffnete die Augen und blinzelte mit den Lidern, als ihn das Sonnenlicht blendete. Weiter vorne, unter den Sitzen, gewahrte er plötzlich einen mit Leinentuch überzogenen Gegenstand. Er starrte einige Minuten lang darauf, bis ihm die Gewißheit kam, was dieser Gegenstand war. Er hielt den Atem an. Ein Fallschirm! Verzweifelt suchte Rudge nach einer Waffe. Da erblickte er ein schweres Brecheisen, das, von Klammern gehalten, an der Kabinenwand hing. »Für den Notfall«, stand dabei. Nun, wenn das kein Notfall ist! dachte er.
Und dann gebrauchte Rudge den ältesten aller Tricks. Er sah plötzlich nach oben, und sein Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schreckens. Er wies mit ausgestrecktem Arm nach oben. »Oh!« rief er laut. »Seht!« Die beiden Roboterköpfe flogen wie auf Kommando herum. Mit katzenhafter Geschwindigkeit packte Rudge das Brecheisen und ließ es auf die Köpfe der Roboter heruntersausen – einmal, zweimal. Zwei dröhnende Schläge – und zwei, von blauen Blitzen begleitete Explosionen. Die Wucht warf Rudge in den hintersten Teil der Kabine zurück. Er schnellte sogleich wieder nach vorn. Zwei Schrotthaufen lagen in den Führersitzen des Helicars. Rudge zog die Uhrwerke heraus und trat mit dem Fuß die umherliegenden Rädchen und Röhren aus dem Weg. Er zog den Fallschirm hervor und schnallte ihn um. Jetzt mußte er aufs Geratewohl raten, wie weit es noch bis zu dem Raumschiff war. Seine beiden Reisen dorthin konnten ihm dabei helfen. »Liz, wie lange noch?« »Die Atmosphäre ist noch immer ziemlich dick, nicht wahr?« »Ich glaube, ja, sehe jedoch keine Wolken.« »Nun, der Bildauffänger ist auf das Schiff gerichtet.
Ich glaube, daß der Zugstrahl innerhalb der Lufthülle beginnt. Glaubst du nicht auch?« »Ja. Noch ein bißchen, und ich werde die Atombombe einstellen. Die Wachhunde werden den Helicar mit ihrem Zugstrahl ins Schiff holen, sobald er in seinen Bereich kommt.« Während er sich mit Liz unterhielt, hatte Rudge die Tasche geöffnet und den Schalter so eingestellt, wie man ihm geheißen hatte. Wie seltsam! Man hatte ihm die Anweisungen erst heute morgen gegeben; und es schien ihm, als seien schon viele Tage seitdem vergangen. Mit einem zufriedenen Brummen verschloß er die Tasche. Die Bombe würde nach einer Viertelstunde explodieren. Das war Zeit genug. Rudge zerrte den Fallschirm über das Verdeck und zog ihn auf. Er klammerte sich an der Außenkante des Daches fest. Seine Kleidung flatterte im Winde. Dann verschloß er das Verdeck von außen; denn er wollte nicht, daß die Wachhunde im letzten Augenblick Verdacht schöpften. Er hatte ein Gefühl, als habe er etwas vergessen. Die Bombe! Er hatte sie immer bei sich getragen; ihr Fehlen erfüllte ihn mit Unruhe. Dann sprang er und stürzte, sich überschlagend, hinab in die Tiefe. Hoffentlich bemerkten ihn die Wachhunde jetzt nicht. Die Wolken kamen auf ihn zu. Er riß den Fallschirm auf. Dieser öffnete sich mit einem Ruck, so
daß er glaubte, die Schultern würden ihm aus dem Körper gerissen. Langsam schwebte er nach unten. Liz berichtete ihm in regelmäßigen Abständen. »Jetzt ist er fast da, Cliff, und nichts scheint zu geschehen. Er muß jetzt jeden Augenblick in das Raumschiff gelangen.« Doch Liz sah eine halbe Minute in die Vergangenheit. Fünfzehn Minuten waren bereits vergangen. Da packte Rudge eine riesige Kraft und schleuderte ihn nach unten. Ein Blitzstrahl zuckte auf; und er baumelte wild hin und her. Er schloß die Augen. Die Explosion hatte sich hoch oben, draußen im Weltraum, ereignet. Nur das hatte ihn gerettet. Er schwebte auf eine stille Erde hinab. Als er durch die Wolken kam, sah er die Oberfläche hell im Sonnenlicht liegen. »Ich freue mich«, sagte die Stimme in seinem Hirn. Rudge zuckte zusammen. Das war kein Gedanke von Liz. »Wer ist das?« fragte er dumm. »Cliff, es hat sich etwas in unsere Gedanken gedrängt!« »Darf ich Sie berichtigen, Miss Richmond: nicht etwas, sondern jemand.« Rudge wehrte sich gegen ein Gefühl des Übelseins. Das könnte der Wahnsinn sein, den die Kräfte der Telepathie mitbrachten. Er verschloß seine Gedanken und sagte laut:
»Clifton Rudge, du bist ganz normal. Nur Liz kann sich mit dir über die Gedanken unterhalten.« »Es tut mir leid«, sagte die Stimme wieder. »Ihre Maßnahmen gegen die Beobachter haben mir sehr gut gefallen. Sie sind jetzt alle vernichtet. Doch wenn sie auch nicht mehr bestehen: Die sterbliche Menschheit darf nicht denken, daß sie die Sterne schon in den Händen hat.« »Nein!« dachte Rudge wild. »Also ihr seid jetzt unsere neuen Beobachter! Eine neue Bande von Wachhunden.« »Nein, ich bin ein Sprecher der Wesen, die die Beobachter mit ›Meister‹ bezeichnet hatten.« Rudge war erstaunt. Einen Augenblick lang schaute er auf die grüne, einladende Erde hinab. Dann wandte er sich wieder an den »Meister«. »Und was habt ihr mit uns vor?« »Wir hatten vor Tausenden von Jahren die Beobachter geschaffen, damit sie über die Erdlinge wachten und danach sahen, daß sie sich als würdig erwiesen, der galaktischen Zivilisation beizutreten. Doch sie mißbrauchten unser Vertrauen und mischten sich in die Angelegenheiten der Menschen ein.« »Das haben sie zur Genüge getan«, gab Rudge scharf zurück. »Sie hatten Angst, ihre Stelle zu verlieren, wenn die Menschheit zu den Sternen greifen würde. Wir hätten sie längst erreicht, wenn nicht ...«
»Stimmt. Doch da war noch mehr. Wir erlaubten ihnen nicht, das Sternenschiff in Australien zu beschädigen. Auf diesem Kontinent geschahen eine Menge seltsamer und interessanter Ereignisse. Die Beobachter – ich glaube, Sie gaben ihnen den Namen ›Wachhunde‹ – wagten es nicht, sich gegen unsere Anweisungen aufzulehnen.« »Habt ihr uns auch die ganze Zeit über beobachtet?« »Wir haben zugesehen. Wenn ihr die Beobachter nicht besiegt hättet, dann hätten wir ihnen ein Ende bereitet; denn wir haben sie geschaffen, und sie haben unser Vertrauen mißbraucht. Aber denke daran, Erdling: Der galaktische Raum ist weit. So schrecklich groß. Selbst wir, die Meister, können nicht überall zu gleicher Zeit sein; denn wir sind, genau wie ihr, Menschen.« Rudge war überwältigt von den Worten des Fremden. Es war alles so unfaßbar. Der gewöhnliche menschliche Verstand konnte es nicht begreifen. Doch so unverständlich war es auch wieder nicht. Die Menschheit würde zu den Sternen greifen und ihre verborgenen Talente entwickeln – jetzt, da die Wachhunde sich nicht mehr einmischen konnten. »Cliff, Liebling, es ist alles so – so ...« »Es ist aber so. Die Wachhunde sind besiegt. Die Menschheit kann neu beginnen. Sagen Sie –« Rudge
konnte ihn nicht mit »Meister« anreden. Selbst »Schöpfer« klang nicht gut. Doch dann erkannte er, daß es ja unwichtig war. Er und Liz waren wieder allein mit ihren Gedanken. »Sieht so aus, als ob jetzt alles vorüber wäre, Liz«, dachte Rudge. Die Erde kam immer näher und wuchs unter ihm zu gewaltiger Größe. »Ich werde bald bei dir sein; und dann können uns alle Wachhunde der Welt nicht mehr trennen.« »Ich warte auf dich, Cliff.« Ihre Gedanken strahlten in die unendlichen Weiten des Raumes hinaus, zu den Sternen. »Paß auf, Milchstraße! Die Menschheit ist bereit – und die Sterne gehören uns.«