Eberhard Straub
Vom Nichtstun Leben in einer Welt ohne Arbeit
WJS
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»Arbeit macht das Leben süß« oder Vom Glüc...
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Eberhard Straub
Vom Nichtstun Leben in einer Welt ohne Arbeit
WJS
Inhalt
»Arbeit macht das Leben süß« oder Vom Glück funktionierender Leistungsträger Sklavenwirtschaft und Muße in der Antike
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Tätige Weltdurchdringung und gottselige Lebenskunst im verchristlichten Feudalismus
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Die Macht des Geldes, die Staatsräson und das Aufkommen des Arbeitsethos
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Die Idealisierung des Menschen zum mußelosen Arbeiter
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Die Wiedergewinnung der Muße in einer 2. Auflage
© 2004 wjs verlag, WolfJobst Siedler jr., Berlin
Alle Rechte vorbehalten, auch das der fotomechanischen Wiedergabe. Schutzumschlag: Köster & Don~n, Berlin Satz: Ditta Ahmadi, Berlin Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2004 ISBN 3-937989-02-1
Erste Auflage
Welt ohne Arbeit
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Weiterführende Literatur
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)}Arbeit macht das Leben süß« oder Vom Glück funktionierender Leistungsträger
Wer Zeit hatte oder sich Zeit ließ, galt früher als ein freier Mann. Freiheit bedeutete nicht zuletzt, unabhängig, nach eigenem Ermessen über seine Zeit verfügen zu können. Das konnten in der Regel nur Aristokraten, reiche Bürger oder deren Söhne, die Studenten. Schlachtopfer des Fleißes zu werden, lag ihnen allen fern. Irritiert vom bürokratischen Eifer untergeordneter und phantasieloser Streber, schlug Charles Maurice de Talleyrand einmal vor, am französischen Auswärtigen Amt die Devise anzubringen: »Nur kein Fleiß«. Heute hingegen wird erwartet, dass ein »Leistungsträger« unermüdlich seine Lasten schultert und dauernd im Dienst ist. Je herausgehobener seine Stellung ist, desto demonstrativer muss er als unermüdlicher Arbeiter auffallen, der Spruchweisheiten verkörpert wie: ))Ohne Fleiß kein Preis«, »Sich regen bringt Segen« oder »Müßiggang ist aller Laster Anfang«. Gelegentlich unerreichbar zu sein, der frohen Aufforderung von Goethes Philomen an Baucis zu folgen: ))Komm nun aber und genieße,/ denn die Sonne scheidet bald«, macht jeden, der am sausenden Webstuhl der Zeit arbeitet, ungemein verdächtig. In solchem Verhalten offenbaren sich Einflüsse höchst schädlicher, nämlich der Freiheit ungeheuerlicher Gefühle.
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Die kapitalistische Wirtschaft, wie sie sich heute entfaltet, kennt nur eine, die unpersönliche Freiheit des Marktes. Ihr zu dienen, den Geltungsbereich ihrer Wirksamkeit ständig zu erweitern, muss größte Herausforderung für jeden sein, der Verantwortung sucht und in die Pflicht genommen sein will. Dazu gehört Selbstverleugnung, Anpassung an Apparate und Systeme, um die eigene Funktionstüchtigkeit nicht durch Restbestände des vorerst immer noch unvermeidlichen menschlichen Faktors zu mindern. Der Maßstab, um Verdienste zu messen, ist allein die Mühe. Das war nicht einmal im kaiserlich-antiken Rom der Maßstab unter Sklaven oder zwischen Herren und Sklaven. Ein Erfolg ohne sichtbare Mühen, ohne elektronische Erregungszustände oder Zusammenbrüche wirkt mittlerweile ganz einfach unseriös. Er ist im Übrigen nie das Werk eines Einzelnen. Wer Produktions- und Innovationsprozesse in Gang hält, wird nicht allein gelassen. Denn er ist eingebunden in ein Team, dessen vorausgesetzte Arbeitsfreude sich in immer belastbarer Einsatzbereitschaft äußert. Das aufeinander abgestimmte Team sorgt gruppendynamisch für reibungslose Arbeitsabläufe im Interesse so genannter Synergieeffekte. In der DDR oder der Sowjetunion sprach man während der gelenkten Wirtschaft vom })Kollektiv« und meinte damit das Gleiche: Gruppenarbeit als möglichst unpersönlicher Mechanismus. Die Führungskräfte und Leistungseliten, insgesamt die Besserverdienenden, die heutzutage die Oberschicht ersetzen, stehen unter Leistungs- und Arbeitsdruck, vor allem aber unter Zeitdruck. Wer sich an die klassische Empfehlung hält: Festina lente, »Eile mit Weile«, zeigt, dass er seinen Beruf ganz eklatant missversteht. Bei einer echten, dazu ge-
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reiften Nachrufpersönlichkeit darf selbstverständlich, wie bei »Fürst Kraft« von Gottfried Benn, nie der rühmende Hinweis fehlen: »Und niemals müde zu reisen!/Genug ist nicht genug!/Oft hörte man ihn preisen/den Rast-ich-soRost-ich-Zug,/er stieg mit festen Schritten/in seinen Sleeping-car/und schon war er inmitten von Rom und Sansibar./ So schuf er für das Ganze.(< Es mag seltsam sein: Keiner dieser so vielfach Abhängigen und im klassischen Sinn Unselbstständigen, weil gehetzt und verplant, kommt auf den Gedanken, unfrei oder sich selbst entfremdet zu sein. Immerhin ist jeder dieser ununterbrochen Tätigen an ein Bruchstück des Ganzen gefesselt und selbst nur ein Bruchstück, allein das Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohr, herabgesunken zum bloßen Abdruck seines Geschäftes, wie Schiller solche Elemente sozialer Mechanismen charakterisierte, die nie zur Harmonie ihres Wesens gelangen. Aber um diese sozial-ethischen oder sozial-ästhetischen Bedenken kümmern sich die emsig tätigen Weltleute nicht, die sich im Zuge der Weltdurchdringung dazu aufgerufen fühlen, die Zukunft als berechenbares Produkt zu gestalten und über schrittweise sich ergänzende Prozesse vor irrationalen Betriebsstörungen zu sichern. Sie müssen nicht glücklich sein, wenn sie nur mächtig sind. Ihre Prominenz, ihr Gefragt- und Gehört-Werden, ihre Auftrittsbereitschaft im Kampf ums Dabeisein weist eindeutig - für sie wie für die anderen darauf hin, wichtig und ausschlaggebend zu sein, eben zu den entscheidenden Männern zu gehören, auf die es ankommt bei den Herausforderungen einer sich rapide verändernden Welt. Der Theologe Thomas von Aquin, als Kenner des Men-
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sehen zugleich ein großer Soziologe, sah schon vor acht Jahrhunderten in der Vielgeschäftigkeit und Betriebsamkeit keineswegs den unvermeidlichen Ausdruck geistiger oder auch nur vitaler Energien. Ganz im Gegenteil hielt er die übertriebene Arbeitslust für eiue Folge ungewöhnlicher Trägheit, nämlich der Trägheit des Herzens, den göttlichen Gedanken zu entwickeln, der im Menschen angelegt ist, also vor sich selbst zu fliehen und feige seiner Bestimmung auszuweichen, die darin liegt, als Ebenbild eines persönlichen Gottes zur Freiheit als Person zu finden. Ähnliches meinte schon Cicero, wenn er daran erinnerte, der Geist solle sich, im Sinne des delphischen Gottes, selbst erkennen und sich zugleich dem göttlichen Geist annähern, der ihn mit unermesslicher Freude- und wo diese ist: mit Freiheit- erfüllen werde. Wer gemäß derartigen Vorstellungen der Versuchung nachgibt, sich damit zu begnügen, ein Arbeiter zu sein, verwirkt sein Dasein, entfremdet sich von sich selbst, aus Angst, unter Umständen sich selbst und damit Gott zu begegnen. Viel später wird Thomas Carlyle im 19. Jahrhundert gerade diese klassische Furcht zu einer heroischen Haltung umdeuten: arbeiten und nicht verzweifeln. Der Mensch, sofern er einer sein will, kann entsprechend dieser Erwartung nur in der Arbeit und als Arbeiter zu sich finden. ))Realistische Humanisten«, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts den Menschen vor christlichen oder idealistisch-»schillernden« Illusionen und Selbstüberschätzung bewahren wollten, verwiesen ihn auf die Prosa des Alltags: Der Mensch solle sich nützlich zu machen, um Freude zu gewinnen, nicht unnütz auf dieser Welt zu sein. Sich nützlich machen, hieß vor allem arbeiten, denn
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Arbeit macht das Leben süß, wie schon »kleiue Jünglinge« lernen mussten. Alle emsigen Bürger in Deutschland beriefen sich auf Schillers »Lied von der Glocke«: »Arbeit ist des Bürgers Zierde.<< Sie übersahen, dass dieser entschiedene Freund der Freiheit die Menschen überreden wollte, solche Beschränkungen zu überwinden. Er spottete über die Arbeiter in der Welt des Geistes. Die tragen in dem Reich der vollkommensten Freiheit- der Kunst und Wissenschaft- Sklavenseelen mit sich herum und bringen zur Freiheit berufene Menschen dahin, sich ängstlich denen anzupassen, die in ewigem Geistesstillstand das unfruchtbare Einerlei ihrer Schulbegriffe hüten und vor jedem Widerspruch absichern wollen. Diese »Brotgelehrten«, die aus der Wissenschaft einen Erwerbszweig machen, erwarten für ihre Arbeit, ihre Mühe einen Lohn, Ehrenstellen, eine Versorgung. Sie haben als Intellektuelle, wie man später sagte, »umsonst gelebt, gewacht, gearbeitet«, haben »umsonst nach Wahrheit geforscht«, wenn sich Wahrheit für sie nicht in Geld, in Zeitungslob, in Fürstengunst heute in Medienpräsenz- verwandelt. Arbeit mag des Bürgers Zierde sein. Doch der Bürger soll Mensch werden, eine freie Persönlichkeit: »Werft die Angst des Irdischen von Euch./Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben/ in des Ideales Reich!« Diese Aufforderung richtete Schiller auch an die viel beschäftigten Verfechter der nützlichen Verwertung menschlicher Phantasie und Arbeitskraft, die danach strebten, den Menschen und seine Würde vom Arbeitswillen und der Bereitschaft abhängig zu machen, zum allgemeinen Nutzen beizutragen, iu der Selbstentäußerung gleichsam sich selbst zu gewinnen. Doch
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der Mensch kann, wie Schiller meinte, seine Würde nur behaupten, wenn er nicht dem Druck der Notwendigkeit erliegt- also der notwendigen und unvermeidlichen Arbeit-, sondern einer Idee von sich folgt, die ihn in das freie Reich des Spiels und der Seelenschönheit hinüberleitet Daraus entstehe der höchste Nutzen für jeden Einzelnen wie für die Allgemeinheit, nämlich die Urteilsfahigkeit, verbunden mit würdiger Freude und einer äußeren Anmut, die auf eine innere Ruhe und Schönheit verweise, welche der gesamten Gesellschaft ihre allerdings stets notwendige Verbesserung und Vervollkommnung ermögliche. Zur Ruhe und Schönheit, zu sich selbst als Ausdruck der idealen Humanität finde der Mensch aber nur jenseits der Arbeit, in der Zeit der Muße. In der flüchtigen Zeit, im Augenblick, vermöge jeder Bleibendes zu gewinnen und seiner höchsten Aufgabe gerecht zu werden, sich in der Zeit zu verewigen. Das waren allzu anspruchsvolle Überlegungen. Die industrielle Revolution, der entfesselte Kapitalismus und die Überzeugung, der freie Markt werde im freien Spiel seiner Kräfte zum friedlichen Zusammenleben aller Menschen als einer großen Interessengemeinschaft führen, entfesselte einen Arbeitsenthusiasmus, der wie ein welterlösendes Pfingstwunder die Arbeitenden ergriff und verzückte. »Arbeit! Arbeit! Segensquelle .. . I Arbeit ist das Zauberwort,/ Arbeit ist des Glückes Seele, I Arbeit ist des Friedens Hort ... /Nur die Arbeit kann erretten.« Mit dieser Hymne an die Arbeit fasste Heinrich Seidel gegen Ende des 19. Jahrhunderts die weltfrommen, ekstatischen Hoffnungen zusammen, die realistische Humanisten mit der Arbeit verbanden. Nicht Gott, nicht die Ideen, nicht geistige Kräfte und ästhetische Absichten helfen dem Menschen. Es ist die Ar-
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beit, ganz gleich welche, die errettet, die den Menschen als das Wesen, das arbeitet, dazu befahigt, überhaupt erst Mensch zu werden. Arbeit macht frei- hieß es in der Konsequenz derartiger Überlegungen, die allem widersprechen, was der Mensch bislang von sich dachte, sobald er seine Freiheit und Würde näher bestimmen wollte. Die Gesellschaft begreift sich seitdem als Arbeitsgesellschaft. Nur soweit der Mensch arbeitet, genügt er seiner Bestimmung. Arbeitsethos und Leistungsbewusstsein, Disziplin und Askese, das waren die Quellen der Tugend, die zum höchsten Ruhm der arbeitenden Leute führte: zum Erfolg. Der Ehrgeiz, das Verlangen nach Erfolg, nach Reichtum, nach Macht, nach sozialem Aufstieg ließen die Arbeit wie eine numinose Macht erscheinen. Sie belohnt den Gerechten, den Willigen, den redlich Bemühten wie ehedem Gott den mit Tugend und sündigen Anfechtungen ringenden Menschen. In einer sich unter den ökonomisch-technischen Herausforderungen dauernd selbst überholenden Welt als Großprojekt der Moderne beschleunigt der Ehrgeiz den Triumph der Arbeitsgesinnung. Ehrgeiz und Erfolgsstreben gehören unmittelbar zur Demokratisierung. Die Chancengleichheit treibt zu allgemeiner Unrast. Wie Alexis de Tocqueville um 1830 in den Vereinigten Staaten beobachtete, erzeugt das Verlangen nach Gütern, die man nicht besitzt und die möglichst ohne Umwege erreicht sein wollen, eine Ruhelosigkeit und Aufgeregtheit bei den immer Eiligen, die endlich gar keine Zeit mehr haben und deshalb nicht einmal mit ihrem Reichtum etwas anfangen können, weil ungeübt im müßigen Genuss. Unter dem Eindruck dieser stürmischen Metamorphosen der Gesellschaft staunte der alte Goethe: »Niemand
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kennt sich mehr, niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff, den er bearbeitet [... ) Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wornach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht [... ] Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge spüren, wenn sie gleich selbst nicht zum höchsten begabt sind.« Das alles beunruhigte ihn um 1825 sehr. »Für das größte Unheil unserer Zeit, die nichts reif werden läßt, muß ich halten, daß man im nächsten Augenblick den vorübergehenden verspeist, den Tag im Tag vertut, und so immer aus der Hand in den Mund lebt, ohne irgendetwas vor sich zu bringen ... und so springt's von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, von Reich zu Reich und zuletzt von Weltteil zu Weltteil, alles veloziferisch.« Velocitas die Geschwindigkeit - und Luzifer, den Rebellen gegen Gott, bei dem alles Stürmen und Drängen zur ewigen Ruhe ausgeglichen wird, brachte Goethe in einen Zusammenhang.
schneller musste immer mehr produziert und, ohne Zeit zu verlieren, überallhin transportiert werden. Hinter allem stand die treibende Kraft, das Kapital, das bewegliche und alles bewegende Geld, das keine Grenzen kennt und seinen Knecht, den Bourgeois, bei der Suche nach Absatzmärkten um den ganzen Globus jagte. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde so viel gearbeitet wie seit dem 19. Jahrhundert. Selbst die Ausbeuter beuteten sich selber aus, was sie freilich nicht besser machte. Sie gerieten, mit der Zeit rechnend, in Zeitnot. Auch die Geistesarbeiter, die Wissenschaftler- wovor Schiller sich noch entsetzte- verstanden sich allmählich, wie der junge Marx erschüttert bemerkte, als bezahlte Lohnarbeiter, als Fabrikanten von Verbrauchsgütern. Hingegeben ans Detail, durchdrungen von der Andacht zum Kleinen, in der sich treuer Fleiß auslebt, ständig bemüht um technische Verfeinerung der Arbeitsmethoden, verweigerten sie sich nicht dem Umbau der Universität zum Großbetrieb. Die bei der industriellen Produktion überzeugende Reduzierung der Arbeitskraft auf einige Handgriffe am Fließband wirkte dabei anregend. Der Serientyp Doktorarbeit war so erfolgreich wie der kleine, schwarze Ford. Wie 'der kleine, schwarze Ford jeden irgendwohin brachte, beför-
In der stürmischen Beschleunigung sämtlicher Lebensund Arbeitsrhythmen fürchtete er ein satanisches Prinzip, eine den Menschen vernichtende Unersättlichkeit, die sei-
derte die kleine, nützliche Arbeit den Strebsamen auf einen sicheren Posten in den sich verzweigenden Anlagen der Wissenschaftsproduktion oder der industriellen Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse, in der Bürokratie oder der Berufsausbildung. Die Idee der Bildung durch Wissenschaft, auf den Menschen bezogen, trat zurück hinter der Forderung nach gesellschaftlicher Relevanz, nach Ausbildung und Orientierung der Forschung am prakti-
nen Faust in die Katastrophe trieb. Sobald sich herumgesprochen hatte, dass Zeit Geld sei, durfte keiner Zeit verlieren und versäumen, die Zeit zu nutzen, mit der Zeit zu arbeiten. Das führte unvermeidlich zu einer Intensivierung und Ausdehnung der Arbeit. Immer
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sehen Nutzen. Die Bildungsanstalten wurden zu Kaufhäusern der Bedürfnisse des Tages. Wenn der Schweiß geadelt wurde, weil manche Arbeiten des Schweißes der Edlen wert waren, konnte der Arbeiter sich als den typischen Repräsentanten der Arbeitsgesellschaft sehen. Daran änderte auch der Kampf um verkürzte Arbeitszeiten nichts. Kürzere Arbeitszeiten widersprechen nicht dem Arbeitsethos und dem Leistungsdenken. Denn die der Arbeitszeit abgewonnene Zeit war ja ebenfalls von Arbeit geprägt. Abgesehen vom Haushalt und Basteln wurde sie für Weiterbildung und Parteiarbeit, für Tätigkeiten im Dienst der Gewerkschaften und der sozialen Solidarität oder für sportliche Ertüchtigung genutzt, nicht zuletzt um gesund zu bleiben für die Arbeit und dadurch befähigt zu sein, weiter arbeiten zu können, also Arbeit zu haben. Arbeitslos zu sein bedeutete degradiert und gleichsam aus sich selbst verdrängt worden zu sein. Arbeitslosigkeit war und ist der äußerste Grad der Entfremdung, da der arbeitende Mensch gelernt hatte, sich und seine Würde von der Arbeit abzuleiten. Sie macht ihn zu einem lebendigen, nützlichen Glied der Gesellschaft und gewährt die beruhigende Sicherheit, Pflichten zu erfüllen, sich einen geachteten, wenn auch noch so bescheidenen Platz in der Gesellschaft verdient zu haben und von den anderen anerkannt und gebraucht zu werden. Bei längerer oder gar dauernder Arbeitslosigkeit zerbricht dieses Selbstvertrauen und damit eine selbstverständliche Beziehung zur Umwelt, die sich als eine Arbeitsgesellschaft begreift. Wer nicht gebraucht wird, macht sich verdächtig und gerät an den Rand der Gesellschaft. Arbeit macht nicht frei - aber sie bewahrt den, der arbeitet, vor dem unange-
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nehmsten Vorwurf, ein Müßiggänger, ein Schmarotzer, eben ein Ausbeuter zu sein, der es sich auf Kosten anderer, der Steuerzahler, mit dem Arbeitslosengeld in der sozialen Hängematte bequem macht. Zu den Paradoxien der Arbeitsgesellschaft gehört, dass, wer Arbeit hat, keine Zeit hat, und wer Zeit hat, über sie nur deswegen verfügen kann, weil ihm die Arbeit genommen wurde. Dafür ist er freigestellt, wie das verräterische Wort suggeriert, in die Freiheit entlassen. Umgangssprachlich hat Freiheit mit der Arbeitswelt nichts zu schaffen. Keiner sucht sie dort. Nach der Arbeitszeit beginnt die Freizeit, die freie Verfügung über die Zeit, womöglich sogar die Freiheit. Der Gegensatz von Freizeit und Arbeitszeit verdeutlicht hinlänglich, dass der Mensch bei der Arbeit nicht frei ist. Der Mangel an Freiheit bei der Arbeit wird kaum noch wahrgenommen, seit der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht. Denn Arbeit bietet sozialen Schutz, bewahrt vor dem Abstieg und erlaubt noch ein gewisses Selbstbewusstsein, zumindest vorerst nicht als auslaufendes Modell ausgesondert zu werden. Gerade das, was Schiller und Marx entsetzte, dass der Mensch zu einem Präzisionsinstrument erzogen und dadurch entwürdigt wurde, ist längst die Voraussetzung, um in einer rationalisierten und mechanisierten Arbeitswelt als Kamerad von Computern und Robotern einsatzfähig zu bleiben. Schon Tocqueville beobachtete mit erheblichem Frösteln, wie die Fabrikanten die Menschen, die sie im Dienst elend und stumpf gemacht hatten, in Krisenzeiten auf die Straße warfen und es der öffentlichen Wohltätigkeit überließen, sie zu ernähren. Für die Fabrikanten seien die Arbeiter Material, Rohstoff, wobei nur die Verwertbarkeit inter-
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essiere. »Im Ganzen genommen ist, glaube ich, die Aristokratie der Fabrikanten, die wir vor unseren Augen erstehen sehen, eine der härtesten, die auf Erden erschienen ist; sie ist aber zugleich eine der kleinsten und ungefährlichsten. Dennoch müssen die Freunde der Demokratie ihre Blicke ständig mit Besorgnis nach dieser Seite hin lenken; falls nämlich die dauernde Ungleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen und die Aristokratie jemals von neuem in die Welt eindringen, so lässt sich voraussagen, dass sie durch dieses Tor hereinkommen werden.(( Die kapitalistischen Unternehmer waren in gewisser Weise eine kleine, weil kleinliche Elite, bestimmt von ethisch untergeordneten Motiven des Gewinnstrebens und des materiellen Erfolges. Das alles stimme, wie Tocqueville vermutete, vorsichtig und schütze vor den Übertreibungen eines unverhohlenen Egoismus. Tatsächlich konnten Unternehmen über staatlichen, gesellschaftlichen und ideellen
auszeichnete, weil sie eine Aristokratie der Arbeit ist und nicht der Freiheit: Lebenskultur, Geschmack, schöne Sitten oder geistige Anmut fehlen ihr, also alles, was Schiller unter äSthetischer Erziehung verstand, die zugleich eine sittliche war. Absurderweise nehmen sich die Reichen und Mächtigen keine Freiheit. Sie sind stolz, keine Zeit zu haben, weil ununterbrochen in Anspruch genommen von ihren sich ausweitenden Geschäften. Die wachsende Zahl der Arbeitslosen hingegen wird auf eine Freiheit verwiesen, auf die sie gar nicht vorbereitet ist. Der Arbeitslose wird in der verkehrten Welt, in der zu leben uns auferlegt wird, in eine Freiheit entlassen, wie sie die freien Griechen erwarteten. Nur wer keiner nützlichen Arbeit nachgehen muss, keiner Lohnarbeit im Produktionsprozess, kann sich seiner inneren Vervollkommnung widmen, im Denken, im Betrachten und in der Beschäftigung mit dem, was alle angeht, also der politischen Mitbestimmung.
Druck der Kritiker des Kapitalismus immer wieder genötigt werden, sich zu Kompromissen bereit zu finden, die ihren geschäftlichen Interessen überhaupt nicht abträglich waren. Aber jetzt fehlt es an kräftigen Gegenspielern, und ein Ökonomismus, der sich alle Lebensbereiche unterwerfen möchte, wuchert weitgehend unkoutrolliert vor sich hin,
Wer dem Zwang des Notwendigen, der Arbeitslast, den Mühen der Erwerbstätigkeit enthoben ist, der ist frei. Der fürchterliche Zynismus in der Redewendung von der »Freisetzung« einzelner oder vieler Arbeitskräfte aber liegt darin, dass Arbeitslosigkeit von den Betroffenen gar nicht als Frei-
als sei die Ökonomie tatsächlich das Schicksal wie einst der Gott oder die Götter in der Tragödie. Eine dauernde Ungleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen ist wieder in unsere Welt eingedrungen und eine neue Aristokratie, die, obschon kleinlich, voller unedler und eigennütziger Absichten, sich dennoch- und gerade deshalb als die mitleidloseste und härteste erweist. Dieser Aristokratie fehlt alles, was Aristokratien bisher
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heit, sondern als Deklassierung, Entwürdigung und Enthumanisierung verstanden wird. Das ist unvermeidlich in einer Gesellschaft, die den Menschen nur als Arbeiter würdigt und ununterbrochen Arbeit, Aktivität und Leistung fordert. Selbst die vielversprechende und gewünschte Kreativität bleibt ganz und gar den dynamisierten Arbeitsprozessen verhaftet, in die man sich woll einbringt«, um sich selbst als schöpferischen Arbeiter zu erleben und die anderen zu kreativer Mitarbeit hinzureißen. Das heißt dann
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Selbstverwirklichung im Team, in der phantastischen Gruppe, die Spaß an der Arbeit, Freude am Umsetzen origineller Ideen hat und vor lauter Spontaneität keine Ermüdungserscheinungen kennt. Immer in Spannung zu sein, weckt kreative Potentiale, weil der Beruf spannend ist und Spannung dazu aktiviert, sich im Beruf ganz und gar auszuleben. Das nannte man unlängst noch Entfremdung. Veni creator Spiritus, »Komm heiliger Geist, du Schafdieser Schöpfer-Geist fender«, wie Goethe übersetzte der christlichen Tradition hat nichts mit der zeitgemäßen, sich in Arbeit berauschenden Kreativität zu tun. Damit der schaffende Geist die Seelen ergreifen, heimsuchen kann und sich als »Lebensbrunn, Licht, Lieb und Glut~< auszuwirken vermag, muss die Seele dazu frei sein, bereit und geöffnet. Das geschieht durch die Kontemplation, durch das sinnende Sich-Einlassen auf diesen Geist und seine Gaben. Das setzt Ruhe voraus und die Bereitschaft, sich Zeit zu lassen, was auch bei schöpferischer Erregung ganz unabhängig von religiösen Zusammenhängen gilt. Das Abwartende pflegen, das Auswirkenlassen des Seins, so nannte Gottfried Benn dieses innere Betrachten, und Franz Grillparzer sprach von dem Mittelpunkt der eigenen Schwerkraft, in dem Kaiser Rudolf ruhend »der Rückkehr harrt der Geister, welche schweifen«. Während viele Arbeitenden an ihrer unbedingten und grenzenlosen Tätigkeit ohne Fundament innerlich zerbrechen, wie Goethe es voraussah, wird von den Arbeitslosen eine Seelen-Behaglichkeit verlangt, die allerdings nur stoische Philosophen besaßen. Ein Arbeitsloser hat immerhin den Mittelpunkt der eigenen Schwerkraft eingebüßt und steht ratlos bis verzweifelt in einer Welt, die seiner gar nicht
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bedarf. Er ist auf sich zurückgeworfen und ist sich selbst fragwürdig geworden, fragwürdig in dem existentiellen Sinn des heiligen Augustinus: Quaestio mihi factus sum, »Ich bin mir selbst zur Frage geworden«. Es gehört zu den größten Schwierigkeiten des Menschen, darauf eine Antwort zu finden. Zumal die Frage nach dem existentiellen Sinn mit der nächsten peinigenden Frage verbunden ist: Quid est ergo tempus? »Was ist die Zeit?«, mit welcher der an den Rand der Zeit Gedrängte sich auseinander setzen muss. Das sind Fragen, über die Mönche ehemals fern vom Lärm der aufgeregten Zeit in Klostergängen nachdachten oder über die anmutige Kavaliere in festlich schönen Gärten mit ihren Damen ernst -verspielt plauderten. Zu solchen geistreichen Übungen war stets Muße die Voraussetzung. Der Arbeitslose hat die Freiheit des freien Griechen, er hat die Muße und erfahrt - gar nicht überraschend - zu seiner Qual, dass arbeitsfreie Zeit Tod und Grab des Menschen ist, der sine litteris, ohne Kunst und Wissenschaft, gelebt hat. Wer sich hingegen die Zeit nimmt, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, versagt sich die Muße und die Möglichkeit, sich in der Zeit und der Welt als zeitverschlingender Geschichte selbstständig zu behaupten. Er verliert sich an die Aktualität, an den Tag, ))der«, so Goethe, »nur Verworrenes in Verworrenem spiegelt« und versäumt darüber das höchste Glück der Erdenkinder, das Goethe darin sah, zur Persönlichkeit zu werden als Ausdruck der unaussprechlichen und unerschöpflichen Freiheit des Menschen. Das sind die wahrscheinlich unvermeidlichen Widersprüche einer Gesellschaft, die sich über die Arbeit definiert und tatsächlich nur von der Arbeit etwas versteht, nur Erar-
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beitetes achtet und selbst künstlerische Werke oder Schöpfungen vorzugsweise als Arbeiten würdigt. Diese Arbeitsgesellschaft befindet sich in heilloser Auflösung. Es gibt nicht Arbeit für alle, die Zeiten der Vollbeschäftigung sind vorüber, und dennoch wird mit trotzigem Pathos gefordert: Leistung muss sich wieder lohnen, gerade hier in Deutschland mit den geringsten Arbeitszeiten und den höchsten Löhnen. Dass bald die Mehrheit der Deutschen überhaupt keine Arbeit haben wird und die meisten unter denen, die noch arbeiten dürfen, längst daran gewöhnt wurden, ihre Arbeit den »Arbeitnehmern« zu deren Bedingungen zu geben, wird dabei geflissentlich übersehen. Die Sinnsprüche vom Arbeitsethos und Leistungsprinzip sind »Mondschein im Kasten<<, um mit Frau Rat Goethe zu reden, oder unverbindlicher ornamentaler Überbau im Sinne von Karl Marx. Soziale Gerechtigkeit, einst das Mittel, um den Menschen mit der Arbeitswelt auszusöhnen und seine Arbeitskraft desto effizienter zu verwerten, gilt inzwischen als kostenträchtige Sozialromantik Doch Sozialromantik äußert sich fast nur noch in der hilflosen Beschwörung des Menschen als Arbeiter in einer Zeit, die in rasendem Tempo Arbeitsplätze vernichtet, dem Menschen Arbeit entzieht, ihn vollkommen überflüssig macht und ihn dennoch ganz antiquiert nur als Werkstoff oder Werkzeug im Produktionsprozess beurteilt und gelten lässt. Soziale Gerechtigkeit als dennoch verpflichtende Aufgabe bedeutet heute, sich die Zukunft des Menschen jenseits von Arbeit und Leistung vorzustellen. Die Zeit des Arbeitens und des Arbeiters als Idee oder »Gestalt« ist vorbei. Das ist wahrscheinlich nicht einmal bedauerlich, denn die
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Würde des Menschen liegt in seiner Freiheit. Die Arbeit macht nicht frei. Der Markt macht nicht frei. Das Markenbewusstsein des Verbrauchers erst recht nicht. Wer heute frei ist, kann sich nur fern der Arbeit, fern des Marktes und seiner Marken, fern von der Werbung für eine versinkende Welt der Freude durch Kraft, für eine Welt der Schönheit durch Anstrengung allmählich seiner Freiheit als verheißungsvolles Versprechen versichern. Das gelingt nur, wenn Arbeit und Leistung um ihr Ansehen gebracht werden und der Müßiggang nicht als aller Laster Anfang weiterhin verurteilt, vielmehr als Grundbedingung sittlicher Freiheit überhaupt geschätzt und gefördert wird. Der überflüssige Mensch ist doch immerhin ein Mensch. Der greift, »Wenn unerträglich wird die Last« [... ] »hinauf getrosten Mutes in den Himmel/ und holt herunter seine ew' gen Rechte, I die droben hangen unveräußerlich I und unzerbrechlich wie die Sterne selbst«. Das wussten Schillers Schweizer als Gleichnis des zur Freiheit berufenen, nach Freiheit und Befreiung immer verlangenden Menschen. In diesem Sinne geht es heute darum, ein freies Verhältnis zur Zeit und zur Arbeit zurückzugewinnen, um die Würde des Menschen zu sichern. Die freie Zeit, die Muße, die selbstbewusste Arbeitslosigkeit ist Zier des Menschen. Das meinte Schiller. Das meinte Marx. Das meinten alle in den Zeiten vor der modernen Arbeitsgesinnung. Die Zukunft liegt wie so oft im Vergangenen, das eine mit sich selbst beschäftigte Gegenwart verdunkelt, die ihre Vergänglichkeit nicht wahrhaben will. Die vergessene Muße, nicht die Arbeit kann denen helfen, die ohnehin zur Muße verdammt sind. Sie kann allerdings nur helfen, wenn sich die noch Arbeitenden, die Süchtigen nach der Droge Arbeit
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und die längst von ihr Abhängigen mit der Weisheit Goethes vertraut machen: >>Im Atemholen sind zweierley Gnaden:/Die Luft einziehn, sich ihrer entladen./Jenes bedrängt, dieses erfrischt; I so wunderbar ist das Leben gemischt./ Du danke Gott, wenn er dich preßt, I Und dank' ihm, wenn er dich wieder entläßt.«
Sklavenwirtschaft und Muße in der Antike
Die Griechen wussten, dass der Untätige den Göttern und Menschen missfällt - ohne Schweiß kein Preis. Herakles war insofern ein dauerndes Vorbild. Als er an einer Wegkreuzung überlegte, in welche Richtung er gehen, welche Lebensbahn er einschlagen sollte, kamen zwei Frauen auf ihn zu. Die eine versprach ihm fröhlichen Genuss, alle Annehmlichkeiten des Daseins, die andere, die Tugend, stellte ihm Mühen und Arbeit in Aussicht, wenn er auf Großes und Gutes sein Gemüt ausrichtete. Herakles folgte letzterer und machte sich auf den Weg, der zur Tugend fuhrt und den nach ihr Strebenden mit Ruhm und Ehre beglückt. Die heroische Tugend setzt also Arbeit voraus. Erst recht fuhrt die viel bescheidenere Lebenshaltung des Landmannes zur Tugend des freien Bauern, von der Hesiod handelt. Er preist förmlich die Arbeit als Voraussetzung für eine wohl geordnete Rechtsordnung, die es jedem ermögliche, als besonnener, schaffender Mann Ansehen zu erlangen und gemeinsam mit anderen Tüchtigen, in der von den Göttern kommenden Liebe verbunden, das immer gefährdete harmonische Zusammenleben der Menschen zu erhalten oder zu erneuern. Die Arbeit nicht als Selbstverwirklichung aufgefasst, sondern als Leistung für die Gemeinschaft, im
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Dienst der Dike, der Eunomia und der Eirene, des Rechtes, der sittlich-religiösen Verfassung und des Friedens. Hesiod spricht allerdings von Arbeit in rechtem Maß. Der Mensch müsse sich zumindest zeitweise aus den Zwängen der Notwendigkeit lösen. Das geschieht zu der Zeit Hesiods bei den öffentlichen Festen zu Ehren der Götter oder beim gemeinsamen poetischen Genuss, der kein unverbindlicher Zeitvertreib ist. Zwar leugnen die Musen, die Hesiod zum Dichter beriefen, nicht, viel Lüge, dem Wirklichen ähnlich, dem zu melden, der sich bereitwillig ihrem Dienst öffne. »Aber wir wissen auch, wenn wir es wollen, die Wahrheit zu künden.« Die Wahrheit komme von Gott, von Zeus, dem gerechten und ausgleichenden »Vater der Götter und Menschen«. Sie stifte die innere Harmonie des Rechtseins, die Dikayosyne, die das Zusammenleben unter den Menschen ermögliche und erhalte. Dichter handeln in diesem Sinne von den heiligen Prinzipien der Recht schaffenden und Recht wahrenden allgemeinen Ordnung, die den eigensinnigen Menschen »bildet«, indem sie ihn mit ihrem Geist erfüllt, ihn eben be-geistert. Derartige Anschauungen verführten Hesiod allerdings nicht dazu, die Verpflichtung zur Arbeit etwa als einen Segen zu betrachten. Das Arbeiten-müssen erschien ihm als Verhängnis, als bittere Folge der Verwegenheiten des rebellischen Prometheus, der den Göttern das Feuer entriss und sich selbst zum Schöpfer und Neuschöpfer aufWarf. Der Zwang zur Arbeit sei von den Göttern über den Menschen verhängt worden. Dieser Zwang lasse sich dadurch abmildern, dass der Mensch die Arbeit als Mittel auffasse, um über deren beruhigende und disziplinierende Kraft seine ungeordne-
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ten Leidenschaften und verwirrenden Begierden zu meistern und darüber zu Besonnenheit undsorgfältiger Vernunft zu gelangen. Die Mühsal der Arbeit erhielte darüber als Mittel zur Tugend einen versittlichenden Charakter. Die unvermeidliche Verbindung mit praktischen Vorteilen wurde als unehrenhaft und wie alles sittlich Unvornehme - als hässlich empfunden. übermäßiges Gewinnstreben, der Wunsch, mehr haben zu wollen, als zu einem guten Leben ausreiche, solche selbstsüchtigen Energien bestätigten nur, dass einer untüchtig und unordentlich war, weder sich noch die Regeln kannte, auf denen das stets prekäre Zusammenleben beruhe. Denn Leben vollziehe sich im Zusammenleben in einer konkreten Ordnung, deren Gewähr auf der Macht der Nomoi- verbindlicher Sitten oder Lebenshaltungen- fuße. Hesiod passt ältere überlegungen Land besitzender und Land kultivierender Aristokraten der bäuerlichen Wirklichkeit an. Diese Aristoi, die Trefflichen, Tüchtigen, auch Klugen, immer Tapferen und Todesmutigen, werden zu dem, was sie sein sollen, gerade dadurch, dass sie sich unablässig dazu aufgefordert sehen, dem Anspruch zu genügen, immer »um den Preis der höchsten Mannestugend zu ringen und es allen zuvor zu tun«. Das bedeutete für sie, ununterbrochen in Form zu bleiben, fähig zu sein, öffentlichen Ansprüchen als »Wirker der Taten und als Sprecher der Reden« zu genügen, was nicht zuletzt andere aus Untätigkeit herausreißen und zum Einsatz aufmuntern sollte für das, was alle angeht. Trägheit galt selbstverständlich als Laster. Die Tüchtigkeit galt als Voraussetzung der Tugend. Der Tüchtige strebe danach, etwas ganz Besonderes zu leisten, was noch keiner gemacht habe. In diesem
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Sinne wird die erforderliche Mühe sogar zu einer schönen Last, weil ihr Lohn Ruhm und Anerkennung ist. Die Kraftanstrengung als Soldat oder im Wettkampf sollte der Anmut freilich nicht entbehren, eine Leichtigkeit demonstrieren, mit der sich eine Unbeschwertheit des Willens zur Tat äußert. Der Mut galt als die Kraft, die den ganzen Menschen aufregt und bewegt. Er äußerte sich in kriegerischer Bravour, eleganter Sicherheit beim Sport und schöner Haltung beim Fest und Spiel und Tanz. Wer hochgemut und groß gesinnt- Megalopsychos- seine natürlichen Unzulänglichkeiten überwand, fand zu der erwünschten Harmonie, »an Händen und Füßen und Geist rechtwinkelig ohne Fehl gebaut«. Dazu gehörte eine ernste Selbstliebe, das Streben, sich zu gefallen, indem man anderen gefällt. Denn es sind die anderen, die einem Ehre erweisen und einen rühmen, alle Anstrengungen in leichter und heiterer Weise auf sich genommen zu haben. Die unvermeidlichen Mühen im Wettbewerb mit den anderen gehörten ganz selbstverständlich zur freien Persönlichkeit. Sie ermöglichten, das höchste Ziel zu erreichen: der Vorstellung vom wahren und schönen Menschen zu genügen, einer Idee, die den Menschen so mitreißt, dass er unruhig nur noch danach trachtet, zu sich zu finden, indem er sich diesem Menschen in der Idee annähert. Sämtliche Paideia, die Erziehung, war Bildung, umfassende Menschenbildung. Denn der tüchtige, körperlich gewandte, geistig immer erregbare, also durch und durch lebhafte Mann sollte mit schönen Sitten einen biegsamen, schönen Charakter ausdrücken, wie ihn der Typus des vollendeten Adligen voraussetzt. Vortrefflichkeit und Schönheit brauchten einander, da nur das Vortreffliche schön sein kann und
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das Schöne nach dem Vortrefflichen verlangt, um sich in ihm zu erkennen zu geben. Körperliche Arbeit für niedere Zwecke, wie für Lebensunterhalt, Produktion oder Erwerb, erniedrigt. Der freie und wahre Mensch ist das Lebewesen, das den Logos besitzt. Der Logos, die Vernunft, bedarf der Rede und der Diskussion, um sich zu entfalten. Redend, mit seinen Mitbürgern diskutierend, bestätigt sich der Bürger als freie Persönlichkeit. Denn die Freiheit ist auf den geistigen Austausch angewiesen, sie wird in der Gemeinschaft erlebt, in der Öffentlichkeit. Der schöne und tüchtige Bürger bestätigt seine gelungene Bildung - im Gegensatz zur bäuerischen Unbeholfenheit -als Asteios mit seiner Urbanität, seiner städtischen Lebensart, die er in der Stadt vor den Augen aller bewährt. Als politischer Mensch findet er zu seiner Bestimmung im Umgang und Austausch mit den anderen Freien. Leben bedeutet, teilzuhaben am allgemeinen Wesen, sich für die Polis einzusetzen. Freiheit erfüllt sich deshalb in der Freiheit von Arbeit. »Arbeitslosigkeit«, die Bedingung für öffentliches Ansehen und Ehrbarkeit, meinte keineswegs Untätigkeit oder Trägheit. Die freie Persönlichkeit lebt sich als tätige aus, ununterbrochen beschäftigt, allerdings mit würdigen Werken. Der vernünftige, redende und handelnde Mensch kümmert sich um Pflichten, die dem Freien auferlegt sind: Politik, Heerwesen und die Rechtsprechung. Ansonsten geht er selbst gesetzten Aufgaben nach, deren Mühen, weil freiwillige, Freude bereiten und Lust gewähren. Energeia, Energie, ist im Reich der Notwendigkeit, der niederen Arbeit, so unentbehrlich wie bei der Selbstverwirklichung. Ohne Energie, ohne die Bewältigung von Herausforderungen würde
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der Arbeitslose seine Freiheit nutzlos vergeuden und damit sein Leben verfehlen. Der Freie will und muss wirken, das heißt mit Werken auf seine Umwelt einwirken, in eigener Verantwortung und ohne dabei an ein Honorar oder andere materielle Vorteile zu denken. Allerdings war ein gewisser Wohlstand, ein ausreichender Besitz, der ein mäßiges Auskommen garantierte, die Grundlage für ein freies Leben. Aber selbst wer vorläufig noch arbeiten musste und damit zum Sklaven der Erwerbszwänge und uneleganter, berufsmäßiger Spezialisierung wurde, fügte sich in diese Abhängigkeit, in dieses reduzierte Leben doch nur, um möglichst schnell so viel zu verdienen, dass er nicht mehr zu arbeiten brauchte und Privatier werden konnte. Jeder, der fremdbestimmter Arbeit nachging, näherte sich dem Status der Selbstentfremdung und der damit verbundenen Abhängigkeiten, die vom auftragsgebundenen Handwerker über die Lohnarbeiter bis zum Sklaven mit immer bittereren Abstufungen reichten. Eine Gesellschaft kann sich nach den griechischen Vorstellungen nur befreien, wenn jeder in ihr befreit ist, von entfremdender Arbeit befreit ist und dadurch die Möglichkeit erhält, wirklich frei zu werden. Die beste Stadt, der beste Staat, die beste öffentliche Ordnung bedürfen bester Bürger, eben Freier, die besonnen und entschlossen mit ihrer Freiheit die Freiheit des Gemeinwesens beleben und kräftigen und schützen. Das anspruchsvolle Menschenbild sittlich-ästhetischer Erziehung, ein aristokratisches Ideal, wurde allmählich mit der attischen Demokratie verbunden, deren Programm sich die Aristokratisierung des Demos zum Ziel setzte. Thukydides konnte den Perikles darum sagen lassen: »dass jeder einzelne Bürger, wie ich glaube, bei uns in vielseitigster
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Weise und in spielerischer Anmut seine ureigenste persönliche Art entfaltet«. Es wurde viel von der Anmut und Würde des Menschen gesprochen, von der Polis und der Freiheit in ihr. Zugleich aber waren sich alle Freien darüber einig, dass nur wenigen der Weg in die Freiheit und in die menschenwürdige Arbeitslosigkeit offen stand. Denn der Mensch ist wohl oder übel zur Arbeit verdammt. Die Sklaverei ist unvermeidlieh. Die meisten Menschen, gerade unter den Barbaren, sind von Natur aus zum Knechtsein geboren, unvertraut mit freier Rede und ungezwungenem Verkehr untereinander. Die Freien brauchen die Sklaven, damit wenigstens sie dahin gelangen, ein schönes Bild des Menschen aufzurichten und in das traurige Dasein von Zwängen ein wenig Glanz und Trost oder Hoffnung zu bringen. Sie entschuldigten, um mit Karl Marx zu reden, »die Sklaverei des einen als Mittel zur vollen menschlichen Entwicklung des anderen«. Aber gerade wegen ihrer Idee vom freien Menschen, fern aller Fremdbestimmung, kamen sie nie in Versuchung, wie die kapitalistischen Zeitgenossen von Marx, »Sklaverei der Massen« zu predigen, »um einige rohe oder halb gebildete Parvenüs zu >eminent spinners<, >extensive sausage makers< und >influential shoe black dealers< zu machen«. Solche Erwerbskünstler galten in Athen als Banausen oder als Sklaven des Geldes, das sich rollend, auch auf die widernatürlichste Art, über das Zinsnehmen, vermehren will. Die Minderheit der Freien verhält sich wie der Flötenspieler zum Flötenfabrikanten. Der Fabrikant ist ein Abhängiger untergeordneter Verwertungstechniken, wohingegen der Flötenspieler der Freie ist, der sein Instrument beim
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zwecklos-schönen Fest seinem Willen und seiner Eingebung unterwirft. Sklaven waren Menschenmaterial, ersetzten Werkzeuge oder Maschinen, durchaus umsichtig gewartet und vor allzu leichtsinnigem Verschleiß bewahrt. Aber als Arbeiter und Arbeitsmaschinen waren sie das Gegenbild zum Menschen. Keiner konnte sicher sein, nicht als Kriegsgefangener von Barbaren versklavt zu werden. Es galt als das widrigste Geschick, seine Freiheit zu verlieren. Griechen untereinander waren deshalb so »menschlich«, besiegte Nationalverwandte zu töten, nicht nur die erwachsenen Männer, sondern auch die Söhne, damit keiner später die Ermordeten zu rächen vermöge. Sklaverei, also unselbstständige Arbeit, schreckte mehr als der Tod. Doch nicht nur die Sklaven, auch die Mehrheit der Bürger musste arbeiten. Die Idee der Aristokratisierung des Demos konnte nur dazu verhelfen, die Schar der wirklich Freien und damit Arbeitsfreien wenigstens zu erweitern. Diese Minderheit verachtete jeden, der sich als Handwerker, Händler oder Bauer- aber auch als Bildhauer oder Erzgießer - die Hände schmutzig machte und an seinen Verdienst, Umsatz oder Gewinn dachte. Das galt als banausisch. Reiche Athener überließen ihre Handlungsunternehmen Sklaven, die oft als geschickte Manager darüber selber zu einem hübschen Vermögen kamen. Das wurde ihnen nicht einmal geneidet, denn am Geld haftete doch stets ein unfeiner Geruch. Ansonsten gab es viele »Ausländer«, Griechen oder Barbaren, »Gastarbeiter« - die Metöken -, die kein Bürgerrecht besaßen, aber für Produktion und Handel unentbehrlich waren. Ihre Freiheit als Privatleute verblieb ihnen. Aber nach griechischem Verständnis verwirklichte sich Freiheit nicht zu Hause, in der Hausgemeinschaft, zu
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der auch Sklaven und andere Unfreie gehörten, sondern in der Öffentlichkeit, in der Volksversammlung, im Gerichtssaal, beim sportlichen Training im Gymnasium und beim ewigen Gespräch. Der spanische Reaktionär Donoso Cortes charakterisierte die Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts gereizt als eine »diskutierende Klasse«, die weder befehlen noch gehorchen kann, aber ununterbrochen räsonnieren möchte. Die alten Griechen waren gerade keine Vorläufer des Bourgeois, ganz im Gegenteil. Dennoch legten die freien Bürger, die Logosträger, ihren besonderen Stolz darein, alles im öffentlichen Gespräch zu einem allgemeinen Thema machen zu können, Teilhaber an einem herrschaftsfreien Diskurs zu sein und gerade darum im Rahmen der festgelegten Verfassung zu befehlen und zu gehorchen. Diese Bürger, diese freien Demokraten und wahren Menschen waren in einem bitterernsten Sinne Verfassungspatrioten, weil die Nomoi, die Grundgesetze des Zusammenlebens in der Polis, der Ursprung und die Garantie ihrer Freiheit waren. Die Aristokratisierung des Demos auf der Grundlage von Skavenhaltung, Fremdarbeitern, innerstädtischem Banausentum, also dem handwerklichen Mittelstand und großräumig operierenden Kapitalinteressen meist reicher Ausländer, blieb eine Idee, die an den Spannungen der Wirklichkeit zerbrach. Mit Diäten und allen möglichen Aufwandsentschädigungen gelang es, viele Bürger in die Arbeitslosigkeit zu überführen, sie »freizusetzen« und ihnen Mitsprache in allen öffentlichen Angelegenheiten zu ermöglichen. Der Peloponnesische Krieg, ein erster Weltkrieg, geführt mit allen dazugehörigen Waffen der Propaganda, ruinierte Grie-
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ehenland insgesamt, vor allem aber Athen, das mit seinem Griff nach der Weltmacht schrecklich scheiterte. Von der Niederlage erholte sich die Stadt nie mehr. Sie fiel wie das im übrige unter sich heillos gespaltene Griechenland 4· Jahrhundert vor Christus endgültig den Demokraten in die Hand, das heißt solchen von Arbeit Befreiten, die nun in den noch wohlhabenden Aristokraten Müßiggänger auf Kosten des gemeinen Mannes witterten. Es ging um die Umverteilung der schwindenden Reichtümer, damit mehr Bürger das Privileg der Arbeitslosigkeit erhielten oder die, die es schon besaßen, ihre Vorrechte sichern konnten. Es handelte sich nicht einmal um Klassenkampf, sondern nur um Unverträglichkeiten innerhalb der Schicht der Privilegierten, der Arbeitsfreien. Immerhin hatte dieser das 4· Jahrhundert ausfüllende Zwist zu einer derartigen Politikverdrossenheit geführt, dass die Griechen Freiheit von Arbeit zum ersten Mal mit Freiheit von der Polis, von der Politik verbanden. Freiheit ist nun der Weg nach innen; man gewinnt sie nur bei vollständiger Unabhängigkeit von der Politik, von öffentlicher Diskussion, weil die Öffentlichkeit nicht der Raum der klärenden Vernunft ist, sondern der Raum von Korruption, List, Betrug und Lüge. Und diese Freiheit gewann mit Aristoteles einen neuen Namen: Schole, Muße. Für die politischen Philosophen bleibt wie bisher die politische Praxis, die Mitbestimmung in öffentlichen Angelegenheiten das entscheidende Merkmal der freien Persönlichkeit. Doch Platon, Isokrates oder Aristoteles sprechen mehr vom besten Staat und vom besten Bürger als von der enttäuschenden Realität der in die Krise geratenen Demokratie. Scholeein von Sorgen freies Leben, fern von der Geschäftigkeit der
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Welt musste auf sie durchaus anziehend wirken. Das Gute wurde stets in der Polis gesucht, das Schöne offenbarte sich hingegen in den Ideen und dem Göttlichen. So lag es für den Gebildeten und nicht nur für den Philosophen nahe, sich aus der niederdrückenden Gegenwart in das Reich der Ideen und der Schönheit zu retten. Denn die Wahrheit verbarg sich in den Ideen, in der Schönheit. Die Gebildeten, die Philosophen oder Intellektuellen, suchten hinter die Welt der Wahrheit zu kommen, wie Karl Marx bemerkte, oder hinter die Wahrheit ihrer Welt und fanden, dass diese mittlerweile unwahr geworden war. Es ging auf einmal für viele nicht mehr um den vollkommenen Staat, sondern um die Vollkommenheit der Seele. Sokrates unterfing sich in diesem Sinne, jeden Athener zu mahnen: »Schämst du dich nicht, für dein Vermögen und seine stetige Vermehrung zu sorgen und für dein Ansehen und deine Ehre, und für deine Seele, dass sie so gut wie möglich wird, sorgst du nicht und bist unbekümmert um sie?« Seine Tätigkeit, Jung und Alt auf sich selbst hinzuweisen, betrachtete er als einen Gottesdienst, eben jeden zu überreden, sich um die Vervollkommnung seiner Seele zu kümmern. In Übereinstimmung mit solchen Selbstdeutungen des Sokrates konnte Platon ihn sagen lassen: »In Wahrheit befindet sich nur der Leib des Philosophen in der Stadt, sein Geist aber, dies (die Polis) alles gering achtend, schwebt überall frei umher und misst die Tiefen und die Weiten der Erde und des Himmels und durchforscht die ganze Natur der Dinge, ohne sich je auf irgendetwas von den Dingen aus der Nähe herabzulassen«. Freilich, nicht jeder kann und darf wie der Philosoph sich aus der Welt lösen. Die meisten Gebildeten sollen sich zwar nicht unbe-
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dingt die Bedürfnisse der übrigen Bürger auf den Hals laden, aber auch nicht mit übertriebenem philosophischen Eifer ihr inneres Gleichgewicht gefährden. Eine Gymnastik des Geistes soll die Seele formen und in Schwung halten wie die gymnastischen Übungen den Körper. Eine Bildung durch Wissenschaft soll zu einer geistigen Behändigkeit verhelfen, aber nicht zu Einseitigkeiten und Spezialisierungen führen, die wiederum als banausisch erachtet wurden. Die Muße ermöglicht eine ruhige Glückseligkeit und ein erfülltes Leben, jenseits von allen zweckmäßigen Beschäftigungen, die den freien Geist niederdrücken. Der Philosoph, der nur denkt und dabei den Mund hält, seinen um ihrer selbstwillenangestellten Betrachtungen und Überlegungen folgt, überragt mit seinem der Theorie zugewandten Leben die Vielgeschäftigen und die politischen Köpfe. Daran hielt Aristoteles trotz aller Bemühungen fest, die Praxis nicht herabzuv.,rürdigen. Die Überlegenheit der Kontemplation, des Sinnens, überhaupt des Inneren war damit festgelegt und zugleich alles Politischgeschäftliche als äußerliche Umtriebigkeit und deshalb als selbst entfremdend beurteilt. Nur in der Muße ist der Mensch ganz bei sich selbst, unbedingt angespannt, voller Energie, aber nicht abgelenkt auf wesensfremde Zwecke. Thales von Milet bewies, dass es für Philosophen leicht ist, reich zu werden, wenn sie nur wollten, dass Streben nach Reichtum aber nicht das ist, womit sie sich ernstlich beschäftigen. Als Banausen ihn wegen seiner selbst gewählten Armut schmähten - wie Aristoteles berichtet - und den geringen Nutzen der Philosophie behaupteten, wies er sie alsbald zurecht. Aufgrund seiner astrologischen Berechnungen erkannte er, dass es eine rei-
ehe Olivenernte geben würde. Für wenig Geld erwarb er sämtliche Ölpressen in Chios und Milet und vermietete sie später, als sie wegen des überreichen Erntesegens dringend benötigt wurden, zu exorbitanten Preisen. Sobald ein Philosoph reich werden will, demonstrierte Thales damit, kann er es. Doch eine solche Absicht ist seiner unwürdig. Arehirnedes ließ sich nie herab, seine Wissenschaft mit technischer Verwertung zu verbinden. Das hielt er für niedrig und krämerhaft. >>Er verwandte seinen Geist und sein Forschen«, so erzählt Plutarch, >>einzig zum Schreiben über Dinge, deren Schönheit und Feinheit in keiner Weise mit dem Notwendigen vermengt war.« Diese Haltung bewahrte die Griechen, die ja die Technik kannten von ihnen stammt das Wort-, vor einer unter den Druck der Technik geratenden Organisation der Arbeit, vor einer technischen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt. Andererseits hielt sie auch ihr Naturverständnis, die betrachtende Freude am Kosmos als einer schönen Ordnung davon zurück, Elemente der Natur zu isolieren und für experimentelle Zugriffe zu präparieren. Es gab also Hemmungen, den Tendenzen zur Beschleunigung und zur vorwärts drängenden Vernutzung der Welt als Rohstoff nachzugeben. Im Mittelpunkt stand der autarke, der unabhängige Mensch, die freie Persönlichkeit, die Zeit genug besaß oder sich nahm, um zur Harmonie ihres Wesens zu gelangen. Ober die Menschenbildung als Seelenbildung ergab sich nun allerdings eine die altgriechischen Oberlieferungen sprengende Dynamik. Denn jeder Mensch kann nun, an keine Stadt gefesselt, zum Menschen werden, zum Weltbürger. Epikur riet alsbald, im Verborgenen zu leben und
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in einer Unerschütterlichkeit des Gemütes die Glückseligkeit zu finden. Ähnliches empfahlen auch die Stoiker. Wenn die Äußerlichkeiten des Lebens, Karriere, Staatsbürgerlichkeit, Reichtum und Arbeit, von dem entscheidenden Weg ablenken, der nach innen führt, dann erübrigen sich die zufälligen Unterschiede zwischen den Menschen. Auch der Sklave kann Philosoph werden wie Epiktet, oder
Lob: Labor omnia vincit improbus, die zähe, unausgesetzte Arbeit überwindet alles, wie Vergil, der Sänger des friedvollen Landlebens, dichtete. Otium, Muße als Erholung nach getaner Arbeit, galt nicht als verwerflich und erst recht nicht, wenn es um die Ruhe am Feiertag ging. Als öffentliehe Ruhe, die Frieden und Eintracht ermöglichen, konnte
ein Philosoph wie etwa Diogenes zum Sklaven, ohne den Ehrgeiz zu haben, sich wieder frei kaufen zu lassen. Er war
Otium eine sittliche Bedeutung haben. Im Übrigen aber stand die Muße im Ruf, von dem Ernst des Lebens abzulenken und zu Leichtsinn zu verleiten, zu weltlicher Üppigkeit
ja innerlich frei und blieb es. Denn wer der Philosophie Sklavendienste leistet, dem wird die wahre Freiheit zuteil,
in Kneipen, beim Spiel und im Umgang mit fragwürdigen Frauen.
wie Epikur lehrte, der damit die geistige Freiheit und Seelenruhe als Frucht sklavischer Arbeit deutete, Arbeit an sich
Wer sich selbst leben wollte, wie Stoiker und Epikureer
selbst, um sich selbst ein Freund zu werden. Mit der Ent-
empfahlen, erregte den Verdacht, ein Egoist zu sein, der sich
deckung der Innerlichkeit war ein Weg eingeschlagen zu
aller Verantwortung dem gemeinen Wohl gegenüber entzieht und dadurch seine Aufgabe verfehlt, nicht ein wahrer
einer Menschlichkeit, die tatsächlich nicht wenige, sondern
Mensch, vielmehr ein echter Römer zu werden. Zum Rö-
zumindest in der Idee alle Menschen umfassen konnte. Indem sich »der Mensch« und die »freie Persönlichkeit« von
mer, zum Vir vere romanus, wird man nur in ständiger
der Polis und dem politischen Betrieb lösten und sich konkreter Einengungen entwanden, konnten sich der griechi-
Sorge um die Salus publica- das Gemeinwohl-, also im öffentlichen Dienst als der vornehmsten Bestimmung des freien Bürgers. Wer sich vorübergehend auf sich selbst zu-
sche Geist und seine Paideia, seine Menschenbildung, im
rückzieht, muss auf die Früchte dieser Muße verweisen
Hellenismus über die gesamte Mittelmeerwelt verbreiten.
können, die bestätigen, dass er es verstanden hatte, sinnvoll
Diesem Geist, der dem Einzelnen dabei half, sein Eigen-
seinen Urlaub zu organisieren, ihn als Otium negotiosum
turn voll zu entfalten, misstrauten lange die Römer. Sie
nutzte, als »büroferne« Arbeitszeit, um ein Buch zu schrei-
fürchteten, unter dem Einfluss griechischer Trägheit ihre
ben oder philosophische Gespräche mit Freunden zu füh-
alten Tugenden zu verlieren, die Rom groß gemacht hatten:
ren. So ließ sich ein Otium cum dignitate rechtfertigen als
Tapferkeit, Fleiß, Arbeit, Anstrengung, Ausdauer, Eifer und
Otium litteratum, da geistige Beschäftigung in der Einsamkeitdoch anschließend Rom zugute kam. Denn Geschichtsschreibung, politische Betrachtungen, Überlegungen zur Verbesserung des Gartenbaus oder der Architektur, selbst Poesien besaßen einen öffentlichen Nutzen und waren in-
Geduld. Es handelte sich dabei um die Tugenden von Bauern, um die nie endendenMühen auf dem Acker. Diese hässliche, wenig vornehme Arbeit fand, weil mit der gerechten, das Leben erhaltenden Erde verbunden, immer höchstes
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sofern nicht unbedingt Ausdruck verspielter Selbstbeschäftigung. Die Virtus actuosa, wie Cicero die griechische Praxis übersetzte, nähert sich schon einer fast puritanischen Arbeitsethik, die schlechtes Gewissen erzeugt bei jedem, der einfach nur im Schatten seines Apfelbaums den Tag verträumt. Cicero selber fand nie zur inneren Ruhe, wenn er seiner Neigung nachgab, sich immer öfter aus dem umtriebigen Rom aufs Land zurückzuziehen. Obschon ein Politiker, dessen Rat gar nicht mehr gesucht wurde, vermochte er sich nie philosophisch dareinzuschicken, eben nur der Betrachtung zu leben, um die Welt besser zu verstehen. Daran hinderte ihn die grenzenlose Eitelkeit, die er mit allen Politikern und Journalisten teilte, aber auch die Angst, Vorwürfen ausgesetzt zu werden, wenn er dem eigenen Wunsch gemäß leben würde: >)Was ist denn angenehmer als ruhiger
endlich erreichten Frieden des Augustes ließ Vergil den Tityrus in der Ersten Ekloge jauchzen: 0 Meliboee, deus nobis haec otia fecit- »0 Meliboeus, ein Gott hat uns diese Muße bereitet.<< Mit Gott meinte er den Führer und Princeps, Octavianus Augustus. Die Pax Romana, der Frieden des gesicherten Reiches, die allgemeine Ruhe rechtfertigte eine Abkehr vom Staat und einen Rückzug in die Privatheit und in die Innerlichkeit. Der neue Staat bedurfte anpassungsfahiger Bürokraten, die er bezeichnenderweise unter freigelassenen Sklaven am ehesten fand. Diese machten erstaunliche Karrieren, was es freien Römern erst recht erlaubte, sich fern der Geschäfte auf wichtigere Dinge zu konzentrieren, nämlich auf die Eroberung, die friedliche Durchdringung der ureigensten Seelenlandschaft und deren verständigen Beackerung, eben Kultivierung. Beatus ille qui procul negotiis- ))Glücklich, wer sich
Umgang mit Büchern und Wissenschaften?« Doch wäh-
abseits von der geschäftigen Welt hält«, wie es von nun an
rend der unausgesetzten Bürgerkriege verfiel das öffentliche Leben in gänzliche Verworrenheit, die auch klare
mit Horaz immer wieder hieß. Der Historiker und frühere Beamte Sallust hatte es als erster für ))hellen Wahnsinn« ge-
Köpfe verwirren konnte. »Parteigenosse« zu werden, erwies
halten, sich noch länger um Politik zu kümmern, wenn der
sich unter Umständen als genauso lebensgefährlich wie
Lohn der Anstrengungen nur Hass sei oder die Verpflich-
schüchternes Abwarten oder opportunistisches Lavieren
tung, der Macht einiger weniger seine persönliche Freiheit
zwischen den Gruppierungen, Bündnissen und wechseln-
zu opfern. Die Würde der freien Persönlichkeit sah er ohne
den Fronten.
jeden Zusammenhang mit dem Staat oder möglicher Arbeit
Das nahe liegende Ergebnis einer solchen Welt in Be-
für das allgemeine Wohl. Ganz im Gegenteil, das öffentliche
wegung war eine Parteien- und Politik- und endlich eine
Leben, dessen Sitten und Bräuche Sallust anekelten, hielt er
Staatsverdrossenheit. Es gab nur noch ein großes Bedürf-
überhaupt für ein Hindernis für die gelungene Ausbildung
nis: das nach Ruhe. Man wollte in Ruhe gelassen werden
zum wahren Menschen.
von der Politik, und fern vom Lärm der aufgeregten Zeit
Humanität und Römerturn sollten keine Gegensätze
wollte man sich ))griechischer Trägheit« hingeben und
sein. Doch der wahre Mensch ist dem echten Römer alle-
unbeaufsichtigt seinen inneren Menschen kultivieren. Im
mal überlegen, weil die Humanitas den Römer adelt und
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ihn als wahren Menschen dazu berechtigt, den Vir vere romanus eben als das Bild des vollendeten Menschen in seiner Schönheit und Liebenswürdigkeit zu verstehen. Der römische Humanismus erweitert sich zu einer Kulturidee in Abwandlung der griechischen Anregungen. Das war vor allem die Folge einer neuen Einschätzung des Otium und seiner Früchte, dass Müßiggang nicht aller Laster Anfang ist, dass er überhaupt erst die Veredelung tüchtiger Arbeitsethiker zu kultivierten Menschen erlaubt. Die Römer entdeckten die Annehmlichkeiten der Urbanität, schöner Sitten und hübscher Konversation, die heiteren Abwechslungen vornehmer Geselligkeit. Der gute Geschmack wurde zu einer öffentlichen Macht, und damit erhielt die Frau eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben. In freier Selbstbestimmung unterwirft sie sich den gleichen Bildungsansprüchen wie die Männer, und als schöne Seele gewinnt sie Einfluss auf diese, um sie eleganter, empfindsamer, eben vollendeter zu machen. Sie bestimmt den eleganten Ton, bringt Worte in Verruf, andere in Umlauf, bemüht sich um die feine Sprache. Das ist eine der Wirkungen des Müßigganges, die zu Metamorphosen der Gesellschaft führten. Zugleich entwickelte sich eine besondere Jugendkultur mit ihren eigenen Vergnügungen und Ritualen, die - wie jede lebenslustige Boheme- auf die Beteiligung von Frauen angewiesen war. Die ungezwungenen, gleichwohl stilisierten Beziehungen zwischen Damen und Herren rückten die Liebe in den Mittelpunkt des geselligen Lebens. Die Liebe löste sich weitgehend von den Bindungen an die Ehe. Sie wurde als selbstständige Kraft mit ihrer eigenen Vernunft, der Vernunft des Herzens, erlebt, gefeiert, erlitten und in vielen zärtlichen Gesprächen sublimiert. Das feierliche Vo-
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kabular der Größe Roms Feldlager, Kastelle, Siege, Eroberungen, Waffenstillstand, Friedensschlüsse, Triumphe wurde auf das von Liebeleien oder Leidenschaften erfüllte Otium übertragen. Denn jeder Liebhaber ist, wie Ovid sagte, ein Kämpfer. Der Gott des Friedens war Amor. Von rückwärts gelesen wird daraus Roma. Die Liebe und Ruhe, das Otium in der Pax, gewährten dem von Amor bevorzugten Rom mehr Anmut und Milde als gewohnt. Die Intellektuellen, die Schöngeister und die elegante Welt genossen das Otium wie früher ihre Vorfahren die indessen beschränkte Libertas. Was an öffentlicher Freiheit verloren ging, das ließ sich mit- ungeahnter- innerer Freiheit wettmachen. Die Humanitas, der gute Geschmack und die Menschenbildung stifteten eine gewisse Gleichheit. Statt der Republik des Staates gab es nun die Republik der Geister. Deren geistreiche Angehörige machten Salons oder Schreibzimmer zu literarischen Clubs oder belebten in ländlichen Villen, in verzierten Gärten das unendliche Gespräch dieser Empfindsamen, die auf ihren inneren Genius horchten und sich von dem Genius anderer gerne überraschen ließen. Das Recht auf Einsamkeit wurde behauptet, die es erlaubte, sich im kleinen Kreis, fern dem städtischen Betrieb, mit ''dem Schönen« zu beschäftigen. Die ruhige unbeschwerte Zeit galt ganz einfach als Befreiung, ja als eine ehrenvolle Bereicherung, weil sie, wie Horaz, der ansonsten lebhafte Verächter des Geldes, schrieb, ein Zeitkapital zum verbrauchenden Genuss bot. Im Locus amoenus, im Lustort, im Landschaftsgarten mit sinnreichen Dekorationen, schuf sich der edle Müßiggang seinen angemessenen Lebensraum. Im Einklang mit der Natur, den Musen ergeben, unberührt von dem Trug der
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Stadt, konnten gleichgestimmte Seelen sich austauschen, im Schatten, bei rieselnden Quellen in einer seligen Nachempfindung der goldenen Mitte, des inneren Gleichgewichtes und der unerschütterlichen Ruhe wie im verlorenen goldenen Zeitalter. Landleben und Hirtendasein wurden poetisiert zum Nachklang ursprünglicher Friedfertigkeit, die noch nicht von Habgier, Eigennutz und Gelderwerb gestört war, in der vielmehr Frömmigkeit, Milde, Tugend und Gerechtigkeit herrschten. Denn das Geschäftemachen ist Ausdruck der Versklavung durch das immer bewegliche Geld, das einen ruhelos antreibt, Gewinne einzusetzen, um weiter Gewinne zu machen. Mäßigkeit, gediegener Luxus, natürliche Sitten empfahlen sich, um Reichtum vielleicht zu besitzen, aber nicht von ihm besessen zu werden. Eines gebildeten Menschen würdig war nur, Landwirtschaft zu treiben, ererbte Güter zu verwalten und von deren Erträgen behaglich zu leben. Die Landwirtschaft verband den Gutsbesitzer oder Bauern mit der allgerechten Erde, auf der Sitte, Brauch und Recht gründen. Wer sie pflegt und hegt, wahrt den Zusammenhang mit den gütigen Göttern. Von daher ist auch die Poetisierung des Landlebens verständlich. Das unruhige Meer hingegen ist das Element des Handels, des Betrugs, der Piraterie. Auf den Wellen gibt es nichts Festes und Sicheres; dort ist alles unberechenbares Element, und deswegen ist es dem immer flüssig bleibenden Geld bequem. Jede Art von Erwerbstätigkeit ist mit einem Geruch unehrlicher Machenschaften behaftet. Sie bleibt den Neureichen überlassen, die sich daran nicht stören, sonst wären sie ja nicht reich geworden. Die verspotteten Neureichen kamen aus der Schicht der freigelassenen Sklaven oder blieben Sklaven, sofern
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ihnen das als leitenden Angestellten eines Großunternehmens vorteilhafter für den Betrieb erschien. Der Einbruch griechischer Bildungsideen hatte die Einstellung zu den Sklaven verändert. Kein Gebildeter kam mehr auf den Gedanken, Sklaven weiterhin im Sinne des älteren Cato, des vorbildlichen Römers, als redende Tiere zu betrachten und dementsprechend zu behandeln beziehungsweise zu misshandeln. Immerhin hatten Sklavenaufstände - der bis heute berühmteste war der unter Anleitung des Spartacusim 1. Jahrhundert vor Christus dazu genötigt, aus den philosophischen Anregungen Epikurs oder der Stoa praktische Konsequenzen zu ziehen. Wenn auch im Sklaven ein Mensch gewürdigt werden muss, trotz seiner unwürdigen, aber notwendigen Arbeit, dann darf er nicht als Sklave verachtet und wie ein Tier gehalten werden. Dann muss man ihn als einen zwar unfreien, zur Arbeit verurteilten Menschen, aber doch als Menschen behandeln. Im Übrigen sagte die Arbeit nichts über die Freiheit aus, wenn Freiheit eine geistige Unabhängigkeit, ein Seelenschatz war, den auch der äußerlich Unfreie zusammenzutragen vermochte. Gebildete Römer fanden sich mit erstaunlichen Rohheiten bei den Spielen im Zirkus ab. Aber »Sklavenhalter«, die sie kaum von »Hundehaltern« unterschieden, mochten sie trotz selbstverständlicher Sklavenarbeit nicht mehr sein. Sie lernten es, im Sklaven den Menschen zu entdecken. Sie kamen zu keinem neuen Begriff von Arbeit, die blieb wie eh und je ein verächtliches, schmutziges Treiben. Sie kamen auch zu keiner neuen Wertschätzung des Arbeiters. Was sie aber dank der Philosophie lernten und was sie beunruhigte war, dass Arbeiter zwar Sklaven sind, aber dennoch eine Seele haben und deshalb über die Freiheit verfügen, zur
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Würde des Menschen in der Idee zu gelangen, nämlich zur freien Persönlichkeit. Gerade weil die Römer sich davon irritieren und doch überzeugen ließen, gelangten sie zur Humanitas. Sie sprachen dem Menschen in der Idee eine unantastbare Würde zu. Bei den fürchterlichen Spielen konnte davon keine Rede sein. Dafür brauchte man weiterhin »redende Tiere« im Wettstreit mit den »wilden« Tieren. Besiegte, Ungläubige, Unvernünftige, weil starrsinnig gegen das von allen Übeln befreiende Rom kämpfende Unholde, konnte man eben als Unmenschen der Unterhaltung und dem Zeitvertreib opfern. Aber bei den eigenen Sklaven handelte es sich nicht um Unmenschen. In das Verhältnis zum Sklaven mischten sich immer häufiger humanitäre Erwägungen ein, die dem Herrn ein schlechtes Gewissen bereiteten und ihn dazu veranlassten, diesen Mitmenschen in die Freiheit zu entlassen und von drückender Arbeit zu befreien. Viele Freigelassene waren belesene, kultivierte Menschen, die zuvor Hauslehrer, Vorleser oder literarischer Ratgeber gewesen waren, zuweilen vertrauter Freund im Hintergrund. Denn auch der Sklave, vor allem in der Stadt, verfügte über Muße, konnte sich bilden und im Dienst sich der befreienden geistigen Macht, der Philosophie, hingeben und über die Freund-
von Skrupeln zu bleiben, wenn es galt, andere zu übervorteilen. Der Erwerbstrieb dieser ehrgeizigen und erfolgreichen Freigelassenen ließ sich in seiner Dynamik selten von geschmacklichen Vorbehalten einschüchtern. Sie verstanden die bürgerliche Freiheit ganz bourgeoishaft als Aufforderung, sich hemmungslos zu bereichern. Es ist kein Wunder, dass diese wenig vornehmen Neureichen, die Petronius im »Satyricon« der Lächerlichkeit preisgab, gebildete Menschenfreunde in ihrer Vermutung bestätigte, Geld und Geschäft würden die Seele und den Menschen beschädigen. Die gelegentlich massenhafte Freilassung von Sklaven änderte grundsätzlich nichts an der Wirtschaft mit Sklaven. Sie 'Wurde beibehalten, nur gab es zuweilen Schwierigkeiten, neue in ausreichender Zahl zu erwerben. Ihre Arbeitszeit war begrenzt, wie auch die der freien Römer. Die Zahl der jährlichen Feiertage, an denen nicht gearbeitet werden durfte, belief sich auf 109. Außerdem musste die Arbeit nach den natürlichen Rhythmen eingeteilt werden, nach Tag und Nacht, Winter und Sommer. Im Jahr arbeiteten Sklaven und freie Römer ungefähr 2100 Stunden, das ent-
schaft mit seinem menschenfreundlichen Herrn auch im äußerlichen Sinne frei werden. Innerlich war er es längst. Die meisten freigelassenen Sklaven verstärkten die zahlenmäßig schwache und gering geschätzte Bourgeoisie oder fügten sich, wenn weniger begabt, ins Handwerk und in den Kleinhandel. Die fähigeren unter ihnen hatten als Sklaven ihre Chance genutzt, ihre Geschäftskenntnisse zu erweitern, rechnen, kalkulieren zu lernen und möglichst frei
arbeiter, Sklaven, also Zeit zu freier Beschäftigung. Keiner sah darin ein übel oder klagte, dass zu wenig gearbeitet würde und die Lohnkosten zu hoch wären. Als selbstverständlich vmrde es erachtet, dass der römische Staat, der auf seine Art auch als Sozialstaat wirken musste, sich bevorzugt der angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte annahm, die er auch für den Militärdienst heranzog und nach langem Wehrdienst im bürgerlichen Leben versorgte.
spricht einer heutigen Fünftagewoche mit neun Stunden Arbeit. Es gab keinen Urlaub wie heute, aber zahlreiche freie Tage als Feiertage und Muße auch für Arbeiter, Land-
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Ist die seelische Vervollkommnung des Menschen die wichtigste Aufgabe, dann verliert die Verbesserung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen erheblich an Gewicht. Deshalb galt auch den Römern ökonomisches Denken als banausisch und egoistisch. Die Jagd nach Vorteilen ließ sich nicht mit der erwünschten Großherzigkeit vereinbaren, zu der auch die Freigebigkeit, die Nachsicht und die Milde gehörten. Die philosophischen Schulen warnten zwar vor dem Müßiggang als Zerstreuung und Zeitvergeudung mit Wein, Weib und Gesang, hielten aber jeden dazu an, unausgesetzt an sich selber zu arbeiten, den Bewegungen der Seele mit seinen Gedanken zu folgen. »Wieviel Muße gewinnt der, welcher nicht darauf sieht, was sein Nächster zu reden oder zu tun oder zu denken pflegt, sondern nur darauf, was er selbst tut, dass es gerecht oder auch fromm sei; er soll nicht seinen Blick dem Laster um ihn her zukehren, vielmehr auf eigner Bahn gerad und unverrückt den Lauf vollziehen.« Das riet ein Philosoph, der zugleich Kaiser war und mitten im Leben stehen musste - Mare Aurel. Sosehr er an Tätigkeiten zum Nutzen der Salus publica erinnerte, so sah er die höchste Verpflichtung. doch darin, dass jeder beim Aufstehen sich vornähme: »Ich erwache, um als Mensch zu wirken.« Diese Einstellung zum Leben setzt aber voraus, nie müde zu werden bei den Mühen, überhaupt Mensch zu werden und sich ununterbrochen mit der an sich gestellten Aufgabe auseinander zu setzen, sich zu vermenschlichen, sich zu verbessern und zu korrigieren, um als Mensch wirken zu können. Es waren geistig-seelische Ungewissheiten, die die Römer beunruhigten, spirituelle Ratlosigkeiten und Unsicherheiten, die ihnen nahe legten, mehr vom Sinnen
und Nachdenken zu erwarten als von einer Flucht in die Arbeit. Manche Historiker wollen in diesem Aufbruch ins Innere und in der Vernachlässigung praktischer Verbesserungen und Fortschritte eine der Ursachen für den Untergang Roms erkennen. Auf jeden Fall führten sie zu dem Zusammenbruch der göttlichen Welt, der altrömischen Glaubenswahrheiten. Denn es war das Christentum, das die offenbar überzeugende Antwort wusste auf all die Fragen, die die ersehnte Seelenruhe immer wieder durcheinander brachten.
Tätige Weltdurchdringung und gottselige Lebenskunst im verchristlichten Feudalismus
Das Christentum verschärfte die Weltentfremdung des Menschen, die schon von Platon und den Stoikern vorbereitet worden war. Liegt die Wahrheit und mit ihr die Wirklichkeit in den Ideen und bei Gott, dann verwirrt sich hier auf Erden im Reich der trügerischen Schatten, der sie für Wirklichkeit hält und sich von ihnen verführen lässt. Der einzelne Christ wurde dazu angehalten, diese Welt zu enttäuschen, um zur Wahrheit und der Wirklichkeit Gottes vorzustoßen. Das Christentum trat als der große Befreier auf, der Irrtümer, Blendwerk, Dämonen und Aberglauben vernichtete. Indem es die Welt profanisierte, die von der alten Religion mit Göttern und Halbgöttern beseelt worden war, hob es eine unmittelbare Verbindung zur allgerechten Erde auf. Auf der nun verweltlichten Welt war der Einzelne angehalten, sich auf seiner Pilgerschaft zum wahren Leben nicht von deren Verlockungen und Verheißungen ablenken zu lassen. Denn die Welt besaß einen eigenen Glanz, aufleuchtend unter der Sonne Satans, des Fürsten der Welt, der mit seiner pompa diaboli den schwachen, irrtumsanfälligen Menschen betört und von der via recta, dem rechten und richtigen Pfad, weglocken will in seine Gärten der Lüste, in denen der Sünder allerdings sein Heil verwirkt.
so
Das Christentum isolierte den Menschen in der Welt; er sah sich nun ganz auf sich selbst gestellt. Wer sich von dieser Welt nicht betören ließ, dem war nach dem Tode das Leben versprochen, die Sicherheit und Ruhe, die er auf Erden, im Reich der Vergänglichkeit, des Unfriedens, des Misstrauens und der Vergeblichkeit, entbehren musste. Der Tod ist nicht das Ende, er ist ein Beginn, eben Erlösung aus aller Unsicherheit. Der Christ wird dazu angehalten, ununterbrochen sich selbst zu erforschen, bis in die dunkelsten Kammern seines Herzens vorzudringen, um seine Seele und seine ganze Person vor den überalllauernden Gefahren bewahren zu können. Aber zugleich wird ihm versprochen, dass Gott ihn nicht allein lässt bei diesen Mühen, sondern ihm mit seiner Gnade dabei hilft, nicht schwach zu werden, der dem reuigen Sünder verzeiht und neuen Mut macht bei der Vervollkommnung seiner Person. Der Mensch, der in seinem Inneren, in seiner Seele ununterbrochen bemüht ist, das Wort Gottes zu hören, das dieser an ihn richtet, kann sich aber nicht weltverloren fremd auf das Drama seiner Innerlichkeit, das sich in seiner Seele zwischen ihm und Gott ereignet, zurückziehen. Vielmehr sollen alle Christen als Gemeinschaft, als Communio, in die Welt ausgreifen. >>Macht Euch die Erde untertan<<, so lautet der göttliche Auftrag, den die Bitte im Pater noster ergänzt: »Geheiligt werde Dein Name.« Der Name Gottes wird durch Tätigkeiten der Nächstenliebe geheiligt. Durch das Mittun, das Mitwirken am Willen Gottes, dessen Wille geschehen und zu unserem Willen werden soll, lassen sich Annäherungen an das Reich Gottes in der Erwartung schon hier erreichen. Indem er sie mit seinen Taten und Werken heiligt, soll
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der Mensch die sündige, dem Tode anheim gegebene Welt zu einem für den Pilger zum ewigen Heil freundlicheren Ort umwandeln, sich die Erde untertan machen. Damit ist nicht die Ausbeutung der Erde als Rohstoffquelle gemeint, sondern ihre Verwandlung in eine vorläufige Behausung oder Heimat, die es dem Menschen bei seinem mühevollen Streben erleichtert, in die wahre Heimat bei Gott, in dessen Haus zu gelangen. Den Mühseligen und Beladenen ist Erlösung erst im Jenseits verheißen. Doch wie jedem schwer Arbeitenden werden auch ihm, dem zum Reich Gottes Strebenden, Erholung, eine Pause, Erfrischung zur Sammlung neuer Kräfte zugestanden, und dazu gehört die Freude an der Schöpfung Gottes, die er sich zu Nutze machen darf. Der Christ wird also über Umwege doch wieder sehr energisch auf die Welt verwiesen, in der er sich werktätig in seinem Glauben bewähren muss. Ohne Werke ist der Glaube tot. Denn selbst die schon auf Erden Heiligen, die nur in der Anschauung Gottes und dem Gebet leben, folgen doch einem Tätigkeitsdrang der Vernunft und des Willens, weil sie mit dem Gebet an der Erlösung der Menschen mitwirken möchten und dürfen. Der arbeitende Mensch setzt das göttliche Schöpfungswerk fort, lehrt der heilige Augustinus, und vermehrt dadurch das Lob Gottes. Arbeit gewinnt einen würdigen Charakter als Gottesdienst. Insofern liegt durchaus auch ein Segen auf der Arbeit und deren den ausdauernden Menschen belohnenden Früchten. Außerdem gehören Arbeit und Mühen zur Askese und Selbstbeschränkung und damit zum entbehrungsreichen Weg zur Erlösung. Das setzt Geduld voraus und die Bereitschaft, auch Härten und Lasten nicht auszuweichen.
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Die Christen kamen dennoch nicht auf den Gedanken, die Arbeit ethisch aufzuwerten und zu einem Gut zu erheben. Es blieb dabei, dass Arbeit ein Fluch sei, den Adam mit seiner Ursünde auf sich und auf alle seine Nachkommen gezogen hatte. Nicht von Natur aus muss der Mensch arbeiten, sondern wegen der Ursünde, seiner sündig gewordenen Natur. Arbeit weist auf den geschwächten Menschen hin, sie ist Ausdruck seiner Unzulänglichkeit und damit eines Defektes. Im Jenseits, im wahren Leben, gibt es keine Arbeit. Dort herrscht wie im verwirkten Paradies die Freude. Nicht arbeitend vollendet sich der Mensch, sondern in der Freude. Sie ist die befreiende Kraft, die göttliche Kraft, da Gott, das summum bonum, die Freiheit und Schönheit als Verkörperung der Wahrheit ist. Das höchste Gut erfüllt sich in der belebenden und zum wahren Leben verhelfenden Freude. An der christlichen Freude hat jeder, auch der Sklave Anteil. Die Notwendigkeit, niedrige Arbeiten zu verrichten, beraubt den Menschen nicht seiner besonderen Würde, Ebenbild Gottes zu sein. Die Freude und Freiheit ist auf Erden nicht von äußeren Bedingungen abhängig, sie kommt aus der Seele und ist ein inneres Gut. Die Christen sorgten sich von Anfang an darum, dass auch Sklaven ihren inneren Menschen auszubilden vermochten, um Seelenschätze sammeln zu können. Deswegen war die Kirche von vornherein ein Schutz vor übermäßiger Arbeitszeit, die jedem die notwendige Muße verschaffte, zur Ruhe zu kommen und dabei in der Gemeinschaft der Christen zur Freude in Gott zu gelangen. Mögen die Christen gesellschaftlich ungleich sein, die gemeinsame Beziehung zu Gott, die gemeinsame Sündhaftigkeit und das gemeinsame Angewiesensein auf die Freiheit schenkende
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Gnade machte sie untereinander gleich. Die christliche Botschaft, so sehr sie auch frühere Erwartungen aufgreift, gerade um sich verständlich zu machen, ist dennoch eine völlig neue, die Welt erneuernde Botschaft, indem sie die alten Vorstellungen als veraltet überholte, soweit sie nicht durch christliche Interpretation einen neuenGeist und eine neue Lebendigkeit empfingen. Das Neue ist die allen zugesicherte Freude. Das glückselige Leben der Stoiker oder Epikureer erfüllte sich in der unter der Anleitung der Philosophie erreichten unerschütterlichen Ruhe, die sorgsam erfüllte Pflicht gewährt. Die Pflichten fordern den ganzen Menschen, der sich selbst erlöst, indem er tut, was die Tugend von ihm verlangt. Die Glückseligkeit besteht allein darin, von nichts überrascht zu werden. Auch der Christ muss sich anstrengen, um das Geschenk der Erlösung nicht zu verwirken. Aber er weiß, dass sein Erlöser lebt und ihn unterstützt. Er verfügt über Sicherheiten im Gegensatz zu den wechselnden Vermutungen und Konstruktionen der alten Philosophen. Und zwar über Sicherheiten, die jedem versprochen sind und nicht nur dem Gebildeten vorbehalten bleiben. Die frohe Botschaft, die sich an alle wendet, und die Vorfreude auf die Seligkeit vermitteln vorläufige Ahnungen von der vollen Freude im himmlischen Reich. Wer sich nur sorgt und abmüht, nur arbeitet, schwitzt und stöhnt, der verfehlt sein Dasein, weil er sich der Freude verweigert. Der unfrohe Mensch entzieht sich der Erlösung: dem die Freude ermöglichenden Geschenk Gottes. Die Christen betonten bewusst das Neue ihrer Verheißungen im Vergleich zu ihren philosophischen Vorläufern, die sie vollendeten und überboten. Eine »neue Zeit« brach
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an unter dem Zeichen des »neuen Bundes« Gottes mit den Menschen, der einen »neuen Menschen« ermöglichte, eben einen >meuen Adam«. Alles wird erneuert. Eine substantielle Innovation, nicht eine der vertrauten Metamorphosen änderte die Welt, den Menschen und dessen Vorstellung von sich mitten in der Welt. Zu den Neuigkeiten gehörte von jetzt an, dass jeder den Anspruch erheben durfte, als Person geachtet zu werden, weil er ein Ebenbild Gottes war. Arbeit kann die Freiheit eines Christenmenschen und seine sittliche Bestimmung nicht beschädigen. Denn der Arbeiter, den Zwängen des Notwendigen verpflichtet, ist frei im Herzen und seinem Gemüt. Arbeit ist kein Kriterium mehr, sie schändet nicht und verdammt niemanden zur Unfreiheit und dumpfen Trauer. Die Christen stürzten die historische Gesellschaft nicht um. Das Neue Testament enthält keine konkrete soziale oder politische Botschaft, da es sich an den inneren Menschen richtet, der nur Gast auf Erden ist. Sozialer Wandel musste sie vorerst nicht sonderlich beschäftigen, weil rein zeitverhaftete und immer nur vorläufige Bedingungen, wie die, Sklave zu sein, die Substanz des Menschen, seine Würde, gar nicht betrafen. Unter dem Eindruck der kirchlichen Lehre von der Freiheit eines Christenmenschen gab es im Laufe der Jahrhunderte genug Veränderungen in den rechtlichen Lebensformen gesellschaftlicher Freiheit und Unfreiheit, die auch die allmähliche Beseitigung der Sklaverei unter Christen einschlossen. Die Zeit wurde von den Christen als Inbegriff der vergänglichen Welt, als bloße Zeitlichkeit mit ihren wechselnden Metamorphosen nicht überschätzt. Sie ist ein Kennzeichen für die Welt als Reich des Todes und der Vergeblich-
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keit. Zugleich aber gewann sie bei der Kürze des Lebens eine fast aufdringliche Macht über jeden. Denn die knapp bemessene Zeit musste klug gebraucht und verwertet werden, wollte man aus dieser flüchtigen Zeitlichkeit in die ewige Seligkeit finden. Nicht die Zeit ist eine Übermacht, die mit Fortuna oder anderen Schicksalsmächten im Bunde den Menschen wie früher in ihrer Abhängigkeit hält; viel-
schlossen auf sie einzulassen. Die Christen brauchten, wie Augustinus oder Orosius ihnen versicherten, nicht an der Vergangenheit zu hängen, die doch im Irrtum befangen war; sie dürften sich vom Zusammenbruch des Reiches nicht überwältigen lassen, denn alles sei dem Wechsel in dieser vergänglichen Welt unterworfen. Die Moderni - von denen Cassiodor zuerst sprach
mehr ist es der Mensch, der in ihr sich behauptend den Lauf der Zeit bestimmt und ihren Inhalt prägt: Leben die Menschen so gut, wie sie sollen, dann sind auch die Zeiten gut.
kennen Güter, die den »Alten« unbekannt waren. Im Lauf der Jahrhunderte verbreitert und vertieft sich das Bett, in
Denn »wir sind die Zeiten«, wie Augustinus zaghaften Christen zurief. Nach unserem Verhalten entwickeln und ändern sich die Zeiten. Die Christen erkannten die Geschichtlichkeit ihrer Existenz und des Menschen überhaupt. Die Menschwerdung Christi, sein Eintreten in die Zeit, veränderte deren Charakter. Aus der fließenden, keineswegs ziellos strömenden Zeit wurde Geschichte, also geordnete Zeit. Es gab von nun an ein deutlich voneinander geschiedenes Vorher und Nachher, es gab Epochen, Jugend und Ver-
dem die Zeiten voranströmen. Es gibt daher durchaus einen Fortschritt, nicht nur Wandel, auch einen Fortschritt im moralisch-sittlichen Sinne und erst recht in den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sind die Moderni auch Zwerge, so stehen sie doch gleichsam auf den Schultern von Riesen und schauen deshalb weiter, als es Aristoteles oder Cicero erlaubt war. Das Neue Testament entwertet nicht das Alte, aber es fuhrt aus dem Reich des Gesetzes hinüber in das größere und weitere Reich der Gnade. Bereiter des Fortschrittes ist aber von nun an neben Christus als dem Herren der Geschichte der Mensch als Mitgestalter.
fall, Vergreisung oder Erneuerung, die Reihenfolge der gro-
Durch das Christentum kam eine bislang unbekannte
ßen Reiche. Kurzum, es begann eine Systematisierung der
Dynamik in die Geschichte, die auf dauernde Renovatio, In-
Vergangenheiten unter dem Blickpunkt der Gegenwart und
novatio oder Mutatio drängte, auf Erneuerung und Wandel.
in Hinsicht auf die Zukunft, auf das Ende aller Zeiten und
Das Motto war: Alles Neue gefällt, entsprechend der Neuigkeit des Christentums, das unermüdlich von nun an die
die Wiederkehr Christi. Die Historisierung der Zeit zur Geschichte während der Krisen des Römischen Reiches wirkte
aufeinander folgenden Modernen mit einer Vita nova,
nicht lähmend auf die gleichwohl erschrockenen christ-
einem neuen Leben, vertraut machte, um eine Umkehr der
lichen Zeitgenossen. lm Gegenteil, sie ermöglichte das Ver-
Herzen zum einzig neuen und alles erneuernden Leben zu
trauen in die Energien einer neuen Zeit und die Wahr-
erreichen. Die Lehre Salomons, dass nichts Neues unter der
nehmung ihrer Vorzüge gegenüber der vergreisenden und verfallenden »alten Welt«, die den Mut weckten, sich ent-
Sonne geschehe, dementierten die stets neuer Dinge begierigen Christen. Sie hatten also viel in dieser Welt zu tun, ob-
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schon dazu berufen, sich von ihr nicht irremachen zu lassen, sich nicht an sie zu verlieren, sondern sich von ihr zu lösen, um sich zu verewigen. Der Christ darf die Welt als Geschichte dennoch nicht sich selbst überlassen, da es sein Auftrag ist, die Welt zu heiligen und daran mitzuarbeiten, dass Gottes Wille in ihr zur Geltung komme. Die Kirche zögerte darum, einem rein beschaulichen Leben, der Vita contemplativa, vor der Weltdurchdringung, der Vita activa oder actuosa den Vorzug einzuräumen. Die beiden Schwestern Martha und Maria, deren Haus Christus besuchte, veranschaulichten beide Lebensformen. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und lauschte seinen Worten, während Martha sich viel im Haushalt zu schaffen machte, um den Gast so angenehm und freundlich 'vie nur möglich zu bewirten. Ungeduldig bat sie endlich den Herrn, Mariazur Hilfe und Mitarbeit aufzufordern. Das aber tat er gerade nicht und antwortete ihr: »Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not: Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.« Nach Augustinus handelten beide gut. Maria aus Liebe, Martha aus Notwendigkeit. Mit ihrer Bitte um Hilfe veranschaulichte sie die Abhängigkeit des aktiven vom kontemplativen Leben. Martha ist ein Bild für das irdische Leben, das endlich doch einmal von der Mühsal und Arbeit befreit sein möchte. Maria hingegen verkörpert das himmlische Dasein, die Freude bei der Anschauung der offenbaren Wahrheit in ihrer Schönheit. Sie handelt aus Liebe und Begeisterung, während ihre Schwester unter dem Druck der Notwendigkeit sich abmüht. Sie hat den guten Teil gewählt, und darum darf sie in der süßen Muße der Kontemplation nicht
mehr unterbrochen werden. Martha ist aber nicht schlechter. Wie die meisten Menschen muss sie sich hier mit einem Leben der Sorgen und Mühen begnügen, auf das dann im Jenseits die ewige Muße folgt. Beide Lebensformen verdienen Respekt, denn sie sind aufeinander angewiesen und ergänzen einander in der Nächstenliebe. Vielen Christen fehle übrigens, me Theologen lebensklug ZU bedenken gaben, einfach eine Begabung für die Feinheiten des inneren Gesprächs mit Gott. Am bekömmlichsten wäre freilich, wie Augustinus riet, eine Mischung beider Formen, eine Vita composita. Denn es kann in den Geschäften dieser Welt doch nur von Vorteil sein, wenn einer gestärkt durch innere Betrachtung sich mederpraktischen Tätigkeiten zuwendet, von einem neuen, frischen Geist erfüllt und ermutigt. Als Bischof und Verwaltungsbeamter zu mannigfachsten Verpflichtungen und Tätigkeiten angehalten, konnte Augustinus schwerlich als allgemeines Vorbild empfehlen, wie Maria die Hände in den Schoß zu legen und sich in heiterster Seelenruhe schönen Betrachtungen hinzugeben. Auf solchen Umwegen wurde die Arbeit zumindest von dem antiken Makel befreit, des Menschen unwürdig zu sein. Sie fand ihren Platz im Heilsgeschehen zwischen Gott und dem Sünder. Es gab weiterhin die sozialen Unterscheidungen ehrbarer, standesgemäßer oder knechtischer Arbeiten. Doch nahmen ein vornehmer Herr oder eine edle Dame harte, schmutzige Arbeiten auf sich, konnte das ihre Demut und ihren heiligen Sinn eindrucksvoll veranschaulichen. Die Kirche sah in der Arbeit als bloßem ))Leistungbringen«, wie es heute heißt, keine dem Menschen angemessene Tätigkeit oder gar einen Hinweis auf dessen sittliche Be-
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stimmung. Die Zehn Gebote, denen der Mensch gehorchen soll, verlieren kein Wort über die Arbeit, aber sie befehlen, unbedingt den Sonntag zu heiligen, den Tag der Ruhe in Gott, dem Herrn. Sie heiligen den Feiertag, vom Arbeitstag reden sie gar nicht. Die Kirche achtete deshalb immer darauf, dass jedem Menschen im Rahmen seiner Möglichkeiten die Zeit zugestanden wurde, eine Vita composita zu führen, nach mühevoller Anstrengung in der Andacht oder mit erbaulichen Liedern und Spielen eine nicht nur körperliche Erholung zu finden. Wenn es die Aufgabe des Menschen ist, das Heil seiner Seele nicht zu verwirken, dann versündigt sich, wer ihn daran hindert, gemäß seiner religiösen Rechte und Pflichten zu leben. Die Heiligkeit des Sonntags und damit die Sonntagsruhe war seit 321 nach Christus römisches Staatsgesetz. Hinzu kamen die Feiertage, deren Zahl im Laufe der Jahrhunderte schwankte, sich seit dem 13. Jahrhundert auf 85 bis 100, je nach örtlichen Varianten, belief. Außerdem boten während der allmählichen Herausbildung des dynastischen Staates Hochzeiten, Geburten oder Inthronisationen und Siegesfeiern mannigfache Möglichkeiten zu öffentlichen Freudenfesten. Da es keine Arbeitswelt im heutigen Verständnis gab, die Gesellschaft sich nicht als Arbeitsgesellschaft begriff, sondern als pilgernde Christenheit auf dem Weg zu Gott, entsprach den Zeiten ohne Arbeit nicht eine Freizeit, sondern der Feiertag und das Fest, das zuweilen einige Tage umfassen konnte. Die Gesellschaft versicherte sich als Kultgemeinschaft - auch im staatsreligiösen Kult um die Dynastie ihres Zusammenhangs und ihrer Harmonie. Insgesamt belief sich die Arbeitszeit auf ungefähr vierzig Stunden in der Woche, meist weniger, je nachdem,
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wie viel unerwartete Feste den Kalender des Jahres durcheinander brachten, der eben kein Arbeitskalender war. Unabhängig von den festlichen Anlässen während des Kirchenjahres entwickelte sich das Pilgerwesen zu unzähligen Gnadenbildern und Wunderstätten in ganz Europa. Das Pilgern wurde zuweilen zu einem regelrechten Massenphänomen, da es auch im spirituellen Leben Moden gibt und ohnehin immer wieder neue Wunder geschahen, die Trost verhießen. Im so genannten statischen Mittelalter waren die Menschen sehr mobil und keineswegs nur dann, wenn seelische Unruhe sie dazu veranlasste, weite Reisen auf sich zu nehmen. Längst schon gab es »Gastarbeiter«: Norditaliener bauten am Speyrer Dom, mancher Pilger kehrte gar nicht mehr zurück, weil er sich unerlaubt auf den Weg gemacht hatte, andere fanden eine Frau, die sie überredete, in ilirer Heimat zu bleiben, oder fanden als Fremdenführer oder im Gasthausbetrieb auf den Pilgerstraßen ein Unterkommen. Ein frommes Bemühen wie das Pilgern führte zur Entwicklung des Tourismus mit allen Begleiterscheinungen, die zu einem Massenphänomen gehören. Religiöse Bedürfnisse belebten einen ausufernden Beschäftigungszweig und lösten die ersten Debatten aus, unter welchen Voraussetzungen auch am Sonntag gearbeitet werden dürfe oder müsse. Der äußerst dehnbare Begriff des allgemeinen Nutzens wurde herangezogen, um Sonntagsarbeit zu erlauben. Schließlich musste doch irgendeiner bei Kirchweili oder eines Königs Geburtstag das Bier ausschenken oder den Ochsen braten, den der Domherr oder der Fürst dem Volk spendiert hatte. Alsbald wurden christliche Feste um Jahrmarkt und Mummenschanz erweitert. Die geistliche Freude
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glitt unbeschwert hinüber in recht irdisches Treiben, ohne dass die Moralisten sich allzu sehr darüber aufhielten. Sie fügten sich in der Regel der Erfahrung, dass der durch Arbeit und Unterordnung disziplinierte, einer Ordnung ein-
sehen wurden nach und nach in ein immer subtileres Bild einer geheiligten Ordnung eingebaut, in der alles zu seiner Zeit, zur rechten Zeit, am Platze ist. Alles, was ist, bedeutet im Übrigen etwas. Eine Pflanze,
gepasste Mensch Gelegenheiten brauchte, seinem Tempera-
ein Stein, ein Tier verweisen unabhängig von ihrer äuße-
ment und seiner Lebensfreude freien Lauf zu lassen. Denn
ren Gestalt auf Ideen, die in ihnen aufscheinen, ebenso die
bei aller Bemühung der Kirche, den Menschen davor zu be-
Werkzeuge des Menschen: Es kommt vor allem auf die Be-
wahren, sich an diese trügerische Welt zu verlieren, musste
deutung an; sie hilft aus der unübersichtlichen Wirklichkeit
sie doch diese Welt auf ihre Art wohnlich machen und hei-
hinüber in die Wahrheit der Idee. So kann unversehens aus
ligen. Das änderte sich erst während der Reformation, als
der Welt als Jammertal und gefahrliebem Irrgarten ein an-
viele Menschen eifrig danach strebten, einander mit sauer-
mutiger Garten Gottes werden für jeden, der sinnend und
töpfischen Mienen die Freude in diesem Garten Gottes zu
betrachtend in ihm wandelt und dort ein Bild der Ordnung
verderben.
erkennt, das ihn vor den Verwirrungen im Labyrinth der
Die Christen hatten mit ihrem Wort und ihrer Vernunft
eignen Brust schützt. Es muss nur jeder Zeit und Gelegen-
die heidnische Welt entzaubert und rationalisiert. Sie hat-
heit haben, diese Ordnung zu erleben, sich also auf die Bil-
ten Gott und die Welt voneinander getrennt. Sie mussten,
der der Welt schauend einzulassen, um die Welt in einem
nachdem sie die alten Religionen zertrümmert hatten, die
großen Weltbild verstehen zu können. Die Kirche demo-
Welt wieder mit Gott verknüpfen, der doch - wie sie ver-
kratisierte oder popularisierte die alte Vorstellung der Philo-
kündigten - ihr Schöpfer war und nach der Schöpfung
sophen, dass das Staunen, das Sich-Wundern oder Bewun-
fand, dass gut war, was er gewirkt habe. Die Zeit war das
dern der Anfang aller Erkenntnis ist. Denn jeder Christ, der
Mittel, um diese vergängliche Welt als Weg zur Ewigkeit aus
staunt und sich wundert und dennoch glaubt, ist weiter ge-
ihrem Elend herauszureißen. Es ist die Zeit Gottes, es ist das
kommen als der Philosoph, der sich nicht wundert und ver-
Kirchenjahr und nicht das natürliche, das den Lebens- und
geblich auf sich selbst vertraut.
damit auch den Arbeitsrhythmus bestimmt. Im Kirchen-
Auch darin liegt das irritierend Neue des Christentums:
jahr lässt sich alles mit Bedeutung aufladen, in einen gro-
Der staunend ergriffene Gläubige kann an Erkenntnis je-
ßen Sinnzusammenhang bringen. Die Glocke ruft zur Ar-
den »Gebildeten« übertreffen. Insofern ist es konsequent,
beit, und sie mahnt, sie niederzulegen. Jedes Handwerk hat
dass eine Vorstellung wie >>geistige Arbeit« den klassischen
seinen Heiligen, der gemeinsam verehrt wird. Es sind in der
Theologen vollständig fremd war. Das Erkennen ergibt sich
Gemeinschaft der Christen wieder weitere Gemeinschaften,
aus der Intuition, dem Schauen, dem Einfall. Hat einer das
die sich zusammenschließen und gemeinsam feiern oder
Gute gesehen, dann wird ihm alles Weitere leicht. Denn
etwas tun. Die gesamte Welt und alle Tätigkeiten des Men-
»das Wesen der Tugend liegt nicht im Schweren, sondern
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im Guten<<, wie Thomas von Aquin riet. Und alles Gute ist leicht, weil es zur Liebe befähigt, die, ob im Denken oder Tun, jedes Hindernis mühelos überspringt. Neben der Arbeit gibt es eine Kraft, von der die Philosophen nur eine vage Vorstellung hatten und die nun mit Christus in die Zeit einbrach: die Liebe. Nicht die Arbeit, die Liebe macht alles leicht und erlöst, sie, die Liebe Gottes, und nicht die eigene Anstrengung bei der Bemühung um Selbsterlösung durch Seelen- oder Trauerarbeit, Beziehungsarbeit oder welche Arbeit auch immer. Zur Liebe auf Erden gehört auch das Spiel, die unsystematische Annäherung an das Gute, Wahre und Schöne, im Einverständnis mit der göttlichen Liebe. Mit solchen Überlegungen, die immer den ganzen Menschen betrafen, wandten sich die Christen gegen sämtliche Versuche, den Menschen wie ein Nutztier auf seinen Nutzwert zu reduzieren und allein nach seiner ökonomischen Verwertbarkeit zu »bewerten<<. Das Wertedenken blieb diesen Christen unheimlich. Sie dachten an Tugenden, denn die werden gelebt. Werte dagegen werden geschöpft, gewonnen, eingesetzt und umgesetzt, meist zum Nachteil anderer. Ökonomisches Denken beschäftigt sich dementsprechend nur mit den niederen Zonen des Menschen, vor denen er gerade bewahrt werden musste. Die Kirche tadelte Habgier, Geiz, Gewinnstreben, weil nicht leicht mit der Vorstellung von Gerechtigkeit zu vereinbaren, jedem das seine, also sein mäßiges, doch sicheres Auskommen zu ermöglichen. Es ging ihr um Ordnung, nicht um Markt-, Handels- oder Produktionsfreiheit, und damit befand sie sich ganz in Übereinstimmung mit den christlichen Handwerkern, mit den Zünften, mit Fern-
händlern, Geldverleihern und Bauern. Die Ordnung hat wenig mit der Arbeit zu tun. Wer arbeitet, soll möglichst darauf achten, die Ordnung der Dinge nicht zu stören durch seinen Ehrgeiz und die böse Lust, den Nächsten zu übervorteilen. Wettbewerb galt als unsittlich, sobald er andere um Brot und Arbeit brachte. Gerade weil die Arbeit mit niederen, egoistischen Instinkten verbunden ist, musste ihr nicht nur der Feiertag entgegengestellt werden. Es sind der Mönch, der Aristokrat und der mit den Musen befreundete Gelehrte, die jenseits von notwendiger Arbeit in tätiger Muße zu der humanen und christlichen Selbstverwirklichung gelangen und darüber zur einmaligen, unverwechselbaren Person werden. Dazu ist jeder berufen, aber stellvertretend für alle repräsentieren diese »Müßiggänger« die Würde und Schönheit des Menschen. Klöster waren keineswegs nur Orte der Weltflucht. Sie waren zugleich große landwirtschaftliche Unternehmen, mit Viehzucht, Käsereien, Bierbrauerei, Gärtnerei und allen möglichen dafür unentbehrlichen Handwerken verknüpft. Ein Kloster war auch Schule, >>Verlag<< wissenschaftlicher odertechnischer Handbücher oder der Noten für den Chorgesang. Mit den Klöstern waren Bibliotheken verbunden, Apotheken, manchmal Spitäler, in den Städten Großküchen für die tägliche Speisung der Armen. Die Klöster bildeten Architekten aus. In ihnen wurden Künste und Kunstgewerbe gepflegt und aus ihrer stilistischen Verwahrlosung seit dem 6. Jahrhundert wieder zurück zu einem Kunstwollen geführt, das sich den überlieferten Vorstellungen vom Schönen, Geordneten und Harmonischen annäherten. Kurzum, in Klöstern, ob fern auf dem Lande oder in den seit dem n. Jahrhundert sich abermals bilden-
den Städten, konnte man sich gar nicht der Arbeit enthalten. Selbstverständlich gab es Hierarchien, und ein adliger Pater sah sich keineswegs genötigt, grobe Arbeiten zu erledigen. Dafür gab es Brüder aus den Unterschichten oder Laien. Was das Klosterleben prägte, war vor allem der rhythmische Wechsel von Officia, von geistigen Pflichten, mit den Stundengebeten und den Pflichten im Dienst der jeweiligen Arbeiten. Das Ideal war eine harmonische Verbindung von äußeren Tätigkeiten und inneren Antrieben, von Ausruhen, Besinnung und Verinnerlichw1g, die man benötigte, um sich dann wieder frisch und gestärkt der Umwelt zuzuwenden. Die wünschenswerte Ausgeglichenheit der Seele sollte sich allmählich auch in einer Umgebung ausdrücken, die mit geordneten Proportionen von der Schönheit jeder Ordnung sprach, in diesem Falle der klösterlichen Lebensordnung. Das hieß, den schönen Künsten Spielraum zu gewähren, die heidnischen Musen für christliche Daseinsverschönerung zu verpflichten. Die Klöster legten den Grundstein zu einer ästhetischen Erziehung, immer zum Lobe Gottes, aber auch zur Verfeinerung der Sitten und des Geschmacks hier in dieser Welt. Es war Kulturarbeit im weitesten Sinne, die von den Klöstern geleistet wurde. Mit dem praktischen Leben in ste-
Hilfe gibt es keine Erfindungen. Erfindungen aber können das Leben und die Arbeit erleichtern. Doch unabhängig von diesen mit dem allgemeinen Wohl zusammenhängenden Tendenzen, alle Tätigkeiten und Arbeiten in einen systematischen Zusammenhang zu bringen, gab es genügend Mönche, die sich neben dem Gebet und der Andacht ausschließlich den schönen und freien, weil befreienden Künsten und Wissenschaften widmen durften. Sie dachten, sie forschten, dichteten, malten oder komponierten. Soweit es die Regel erlaubte, kultivierten sie das Gespräch und mit ihm eine Cortesia christiana, eine christliche Höflichkeit, die dem Umgang untereinander mehr Eleganz verlieh. Ihr selbstgenügsames Tun, die Seele für feinste Schwingungen empfindlich zu machen und gleichzeitig das Au.'>drucksvermögen zu erweitern, hatte allerdings auch jenseits der Idylle von Klostergärten und Kreuzgängen wohl beabsichtigte Folgen »draußen« in der Welt. Denn die gebildeten Mönche, oft adliger Herkunft, vermittelten ihren Standesgenossen Lebensart, Geschmack und Bildung, soweit sie für einen Aristokraten notwendig waren. Sie kannten aus der klassischen Literatur die anmutigen Herausforderungen, denen die Aristoi, um wirklich die Besten zu sein, genügen müssen. Mönche waren es, die seit dem n. Jahrhundert in Anlehnung an die antike überlieferung ein Bild,
tem Zusammenhang hielten es gelehrte Mönche überhaupt nicht für unwürdig, sich dem Nützlichen zuzuwenden, also an die Verwertbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu
eine Idee vom ebenso christlichen wie gefälligen Ritter als Inbegriff des wahren Menschen entwarfen. Er soll sich
denken. Ganz im Gegensatz zu früheren Anschauungen konnte die Muße seit dem n. Jahrhundert, dem großen Aufbruch Europas, als nützlich gerechtfertigt werden. Ohne Muße kommt es zu keinen Erkenntnissen, ohne beider
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nicht nur durch kriegerischen Mut auszeichnen, sondern diesen mit der Liebenswürdigkeit Gottes verbinden. Ist Gott die reinste Verkörperung der Schönheit, der Eleganz und Anmut, dann müssen auch seine besonders hervorgehobenen Ebenbilder, die Aristokraten, der Cortesia
di Dio nacheifern und mit formaler Zucht eine seelische Bereitschaft veranschaulichen, unerschrocken und beharrlich, als Caballero de Dias, als Kavalier und Kämpfer im Dienst des Höchsten Herrn, zu wirken. Bernhard von Clairvaux oder der Katalane Raimundus Lullus verpflichteten den Ritter, für Gott zu streiten, was bedeutete, verletzte Rechte wiederherzustellen, die beleidigte Tugend zu rächen, bedrängte Witwen und Waisen zu schützen, überhaupt allen Übeltätern entgegenzutreten. In der höfischen Literatur werden diese neuen Helden, die sich selbst überwinden, um andere überwinden zu können, zu Erlösern und Befreiern vom Bösen, das immer den Frieden dieser Welt stört. Als Stand der Tugendsamen müssen sie sich selbst streng beobachten, um als Sieger über sich selbst im Glanz der gelebten Tugenden allen zu helfen und ebenfalls den Mut nicht sinken zu lassen im Kampf mit der angeborenen Schwäche. Von Muße kann dabei erst einmal keine Rede sein. Mit »Arbeit«, mit Werken im Dienst der Gerechtigkeit, gelangen sie zum höchsten Ziel der Tugend: zur Freude. Die höfische Welt als eigener Lebensraum findet im Roman wie in der Wirklichkeit im Fest ihre vollendete Form. Im Fest manifestiert die ritterliche Gesellschaft ihre Idealität als erreichte Wirklichkeit, als Dasein in Freude, das eine Vorahnung der Freude vermittelt, die dereinst am göttlichen Hof ewig währt. In der höfischen Welt mit ihren sozialästhetischen Ansprüchen formaler Schönheit und sittlicher Eleganz können dem Ritter die schönen Künste und Wissenschaften zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel werden bei der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Idealität. Er muss sich nicht im schulmäßigen Sinne bilden, denn das widerspräche den Aufgaben eines Weltmannes. Aber er
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muss einige literarische Grundkenntnisse haben, um sich überhaupt auf der Höhe des Geschmacks sicher bewegen zu können. Die ritterlich-aristokratische Welt war eine sehr poetisierte und symbolisch aufgeladene Sphäre. Es kostet durchaus einige Mühe, verständig und geistreich in ihr mitspielen zu können. Darin lag vor allem die erzieherische Wirkung der Damen, die als Hüterinnen des guten Geschmacks im Reich der Höflichkeit souverän herrschten. Die Männer hatten es errichtet, gerade um sich durch Minne und Frauendienst in die Formen schöner Geselligkeit einzuüben und einzuleben. Insofern kostete es durchaus erhebliche Anstrengungen, um sich in der Muße, im zeremoniösen Spiel höfischer Rituale behaupten zu können. Der Lohn lag in der Anerkennung, ein vollendeter Kavalier oder eine perfekte Dame zu sein. Das Fest als Höhepunkt entfaltete sich prunkvoll und beziehungsreich zur Feier des schönen Menschen, wie er von nun an die Europäer unablässig beschäftigte. Eben deshalb war es kein müßiges Spiel und leerer Zeitvertreib. Denn vom Fest aus entwickelte sich eine Lebenskultur, mit der unsere ästhetischen Sitten, unsere Künste und Literaturen bis heute aufs engste zusammenhängen. Das Fest braucht einen Spielraum, es braucht Festsäle, erlesene Dekorationen, raffmierte Garderoben, überraschende Kochkünstler, Tanzmusiker, Sänger und ein kundiges Publikum, das das alles zu beurteilen vermag. Die höfische Gesellschaft ebnete einer Laienkultur den Weg, aber durchaus noch in fester Übereinstimmung mit der Kirche, von der sie die sittliche Legitimation empfing, aber unabhängig genug, um auch im Heiden, im Araber den ritterlichen Charakter und vornehmen Herrn anzuerkennen. Es ehrt nicht, über
Barbaren zu siegen, die keine Ahnung von der schönen Menschlichkeit haben. Schon allein deshalb musste das adlige Ideal der Höflichkeit ausgedehnt werden, um standesgemäße Gegner zu haben, die zu überwinden Ehre verlieh. Exklusivität galt vielmehr dem christlichen Bürger gegenüber. Dem wohlerzogenen jungen Tristan, dem heimatlosen Kind an König Markes Hof, glaubte keiner, dass er ein Kaufmannssohn sei, als der er sich ausgab. >>Wie hätt' ein Kaufmann immer I in seinem vielgeschäftgen Stand/ so viele Zeit auf ihn verwandt? /Wie konnt' er ihm die Muße schenken,/ der selbst nicht darf an Muße denken?" Muße, die erreichte Idealität, ist nur dem vorbehalten, der sich in sittlichen Mühen auszeichnet und nicht um private Vorteile kämpft. Daran konnte auch das Lob des Fernhandels und des damit verbundenen Wagemutes, das Mönche seit dem n. Jahrhundert anstimmten, nichts ändern. Die entstehende bürgerliche Welt wurde als egoistisch, weil dem Gelde unterworfen, von Rittern be- und verurteilt. Muße blieb ein ernstes Spiel, dessen Absicht es war, zwecklose Schönheit, die selig in sich schwingt, zu erreichen. Soweit die höfische Welt ein Spiel des unbeschwerten Menschen ist, liegt ihr mancherlei Mühe zu Grunde, die jedoch in der leichten Ausführung der Zeremonien nicht mehr bemerkt werden sollte. Darin lag ihre besondere Würde. Mönch und Ritter waren auf die Welt und das Wirken in ihr angewiesen. Sie mussten sich aber darum sorgen, Arbeit und Muße im Gleichgewicht zu halten, um mit einer Vita composita den vielfachen Bestimmungen des Menschen zu genügen, ohne die Harmonie ihres eigenen Wesens zu trüben. Fern von der Welt, in Verachtung der ungebildeten, vulgären Städter, suchte jedoch der städtisch
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erzogene, meist bürgerliche Literat und Schöngeist seit Francesco Petrarca die Einsamkeit. Unbeschwert vom Lärm der Stadt und den Geschäften eines umtriebigen Pöbels, zieht er aufs Land. Denn den Musen gefallen Wald und Busch und rieselnde Quellen. In solchen Idyllen, Vergil und Horaz nachempfunden, kann er sich darauf beschränken, nur sich selbst zu leben, unausgesetzt beschäftigt mit den Sensationen in seiner unerschöpflichen Seele. Schon Scipio wusste, dass er nie weniger allein war, als wenn ganz allein mit sich. Wer an sich selbst genug haben kann, der soll nicht außerhalb seiner Seele suchen. Ein jeder kann das Weltgetümmel in der eigenen Brust erfahren. So lauteten die klassischen Mahnungen, an die sich jene Lebenskünstler hielten, die daran dachten, in fröhlicher Armut literarisch-geistigen Genüssen zu leben. Manchmal mit Freunden zusammen, wie Cicero in Tusculum, plaudernd, lustwandelnd im kleinen Garten als Abbild des großen Gartens Gottes oder ganz für sich wie Hieronymus im Gehäuse. War es nicht leicht, in Cicero den christlichen Vorläufer anzurufen, so bot sich mit diesem Heiligen ein unverdächtiger Ciceronianer und Stilist an, den man sich zum Vorbild nehmen konnte. Der Kirchenvater wurde gleichsam zum Schutzpatron der Philologen, der Wissenschaftler, auch der Sprachkünstler, überhaupt der Weisen, die in Einsamkeit und Freiheit, geleitet von der Philosophie und erleuchtet von der christlichen Wahrheit, sich nicht ablenken ließen von ihren selbst gesetzten Aufgaben. Das eigene, unermessliche Ich wurde von ihnen ungemein wichtig genommen, eben als eine Welt, die das große Buch der Welt vollständig in sich hält. Mit ihnen und Petrarca ist das erste große Beispiel - fordert die Privatheit ihr Recht, wird Muße zur
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Voraussetzung, um zur Selbstverwirklichung des mit sich selbst beschäftigten, unergründlichen und unaussprechlichen Individuums zu gelangen. Sie widersetzen sich der Idee, dass der Mensch politisch leben solle, in Verantwortung für die Welt, weil er nun einmal nur als Animal sociale zu überleben vermöge. Fast provozierend stemmen sie ihr Ich den Gemeinschaften entgegen, die Einsamkeit als Voraussetzung zur Freiheit beschwörend. Soli sumus liberi »allein sind wir frei«. Dafür bedurften sie der Muße, der Ruhe von der geschäftigen Tollwut in der Welt.
Die Macht des Geldes, die Staatsräson und das Aufkommen des Arbeitsethos
Das Lob der Einsamkeit und Beschaulichkeit, das vor allem Humanisten anstimmten, sowie die Verachtung des gewöhnlichen Geschäftslebens, das den Menschen von sich selbst ablenkt, wurde von den Verteidigern eines tätigtüchtigen Lebens gerne als reine Professorenidee widerlegt. Denn auch der in seinem Landhaus selbstgenügsam mit sich und seinen Büchern Beschäftigte kann doch nur behaglich leben, weil es Buchdrucker gibt, Papierhersteller oder die Post der Thurn und Taxis, die den Zusammenhalt unter Freunden auch über große Entfernungen ermöglicht. Auch bei harmlosen Ansprüchen ist doch auch der Weise auf Händler und Kaufleute angewiesen, die ihm verschaffen, was er zum Leben und unter Umständen für seine Naturbeobachtungen oder Berechnungen an technischen Hilfsmitteln braucht. Keiner kann ohne Zusammenhang mit der geschäftigen Welt angenehm seine Zeit verbringen. Wie können deshalb die Weisen das höchste Lob denen verweigern, die es so sehr verdienen, den Fernhändlern, die ihr Leben zum Wohl des Vaterlandes und ihrer Freunde aufs Spiel setzen, Weib und Kind zu Hause zurücklassen und sich zu Wasser und zu Lande allen Unwägbarkeiten aussetzen, die das Schicksal bereit hält? Wie der klassische
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Held Odysseus haben sie keine Furcht vor Scylla und Charybdis. Sie sind die neuen Heroen, die in die Welt ausgreifen, um wechselseitige Freundschaft unter den Völkern zu stiften, die auf den notwendigen Austausch der Handelsgüter untereinander angewiesen sind. Der Kaufmann wirkt als Menschenfreund, er verbindet Fremde miteinander und verbreitet mit seinen Waren auch Kenntnisse und Sitten, womit er die Lebensart seines eigenen Vaterlands verfeinert und verbessert. Der Händler ist kein geldgieriger Egoist, sondern eine versöhnliche, den Frieden fördernde Kraft, der zur Humanisierung aller Menschen selbstlos beiträgt. Solche ideellen Überhöhungen waren seit dem 13. Jahrhundert unvermeidlich. Der Handel hängt unmittelbar mit dem Geld zusammen, das den Menschen korrumpiert, wie es durch die Jahrtausende heißt. Das Geld will rollen, in Bewegung sein und hilft dem Handel deshalb dabei, seine eigenen Tendenzen zur Bewegung zu verfolgen: nämlich die Grenzen zu überwinden, Räume zu vereinen und Meere zu verbinden. Geld und Handel kennen keine Ruhe, keine Muße. Das macht sie verdächtig, weil sich in der Ruhelosigkeit eine sündhafte Selbstvergessenheit ausdrückt, ungestört von inneren Warnungen Vorteile zu erreichen und Gewinne aufzuhäufen. Doch was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er an seiner Seele Schaden leidet, wie der bedenkliche Christ sich und andere fragenmusste? Seit dem 13. Jahrhundert machte sich mit zunehmender Verstädterung, Bevölkerungsverschiebung und Arbeitsteilung das Kapital immer beunruhigender als eine verändernde Kraft bemerkbar. Der werdende königliche Staat als Verwaltungsstaat bedurfte des Geldes, des Kredits, und
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selbst die Kirche, die stets misstrauisch Geldgeschäfte beobachtete, entdeckte sehr rasch die Vorzüge der beginnenden Geldwirtschaft. Der Staat und das Geld dynamisierten die feudale Gesellschaft, in der die Reichen und Mächtigen nicht mehr selbstverständlich auch die Freien und Adligen waren. Jetzt gab es Bürger, Fern- oder Geldhändler, die größere Vermögen zusammentrugen als Fürsten oder Bischöfe. Daneben entwickelten sich eine bürgerliche Mittelschicht und Vorstufen eines »Arbeitsmarkts«. Die Tüchtigen und Tätigen, die dem königlichen Staat willkommen waren, weil er mit ihrer Hilfe den Einfluss des eigensinnigen Adels einzuschränken versuchte, mussten auch eine sittliche Anerkennung finden. Immerhin erlaubten neue Erfindungen - Buchdruck und Feuerwaffen waren die spektakulärsten - eine ungemeine Steigerung des Selbstbewusstseins der Moderni, die stolz auf ihre Modernitas waren. Die Entdeckung der Neuen Welt machte endlich die ganze Welt zu einer neuen. Eine unbekannte, ungewohnte und überraschende Welt, von der die Alten nichts wussten, trat zur mehr oder weniger bekannten hinzu. Beide fügten sich, wie der spanische Humanist Luis Vives hochherzig vermutete, zu der einen Welt, die jetzt der Menschheit insgesamt offen stand, ja die überhaupt erst eine vollständige Idee der Menschheit, ein umfassendes Weltbild ermöglichte. Zum ersten Male fühlten sich die Europäer eindeutig den klassischen Vorbildern überlegen, vor allem die Spanier, die sich ein Reich schufen, das nun mit Recht ein Weltreich genannt werden durfte. Die Spanier waren die Moderni schlechthin. Sie mussten irritieren, weil sie nicht nur modern, sondern auch sehr mächtig waren.
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Alle diese einander ergänzenden Entwicklungen, erweitert um mannigfache geistige Unruhen, bewirkten eine Beschleunigung des ohnehin seit dem 11. Jahrhundert mobilisierten Europa. Schon 1550 staunte der Spanier Thamara: Unser Gemüt, unsere Einsicht kann sich mit nichts mehr sättigen und zufrieden geben. Immer ist es hungrig, unbefriedigt, unzufrieden. Ununterbrochen verlangt es nach mehr, erhofft mehr, sucht nach mehr. Daher rührt das unentwegte Fragen und Forschen, die Suche nach unerhörten und nie gesehenen Dingen, ohne Scheu vor quälenden Irrtümern und Fehlschlüssen, bis endlich der forschende Wille bestätigt wird und zu dem Ergebnis kommt, das er suchte. Thamara spricht vom nervösen neuer Dinge begierigen Mensch als Homo faber, der die Welt seinem Willen und seiner Vorstellung unterwirft und damit seinem technischen Zugriff. Im Ingenieur, dem Erfinder und geistreichen Feinmechaniker, wird die neue prometheische Kraft gefeiert, die neben die Welt als Natur eine zweite, künstliche stellt, eine rein menschliche Schöpfung. Der Ingenieur muss rechnen wie der Fernhändler, er muss mit der Zeit rechnen, um keine zu verlieren und mit seinen Werken den Menschen dabei zu helfen, möglichst Zeit zu sparen. Die alte Scheu, sich die Wissenschaften nützlich zu machen, hatte sich bei solchen geistigen Abenteurern verloren. Dem »nützlichsten Tag«, wie Leon Battista Alberti 1440 den produktiven, schaffungsreichen Tag nannte, sollte nun die menschliche Phantasie dienen. Sie führt zur Invention, die dem allgemeinen Nutzen dient, um Zeit zu gewinnen und auf schnelleren Schiffen Waren und Menschen zu transportieren, mit schnelleren Waffen den Feind zu schlagen, mit schnelleren Postdiensten rascher Be-
fehle zu übermitteln und Erkenntnisse oder Ideen zu verbreiten. Von den Händlern haben es alle Tätigen gelernt, dass keiner, der Erfolg haben will, Zeit verlieren darf, im Wettbewerb um Kunden und Waren, aber auch von geschäftlichen und politischen Nachrichten. Wer zu spät kommt, hat nicht nur das Nachsehen, er erleidet auch materiellen Schaden. Denn Zeit ist Geld, was schon im 16. Jahrhundert bekannt war, und Geld ist die Voraussetzung, Zeit effektiv zu nutzen, auszunutzen, aufzukaufen und anderen zuvorzukommen. »Machen wir uns die Zeit zu eigen, indem wir sie ausnützen«, wie es bei Alberti hieß. Ja, das Leben ist Geld, ist zu Geld geworden, wie Luis Vives den Spaniern um 1530 vorwarf, die angeblich ihren Lebensrhythmus ganz dem eiligen Lauf des Geldes anpassten und unter dem Diktat, Geld zu machen, fast in Atemnot gerieten. Ein stattlicher Gewinn bestätigte jedem, wie notwendig, nützlich und ehrenvoll Arbeit und Fleiß sind. Unter dem Eindruck und Zeitdruck der einsetzenden Geldwirtschaft tritt das tätige Leben, dem nie die Anerkennung verwehrt worden war, allmählich an die Stelle der kontemplativen Betrachtungsweise, und die Tätigkeit an sich wird zum auszeichnenden Merkmal erhoben. Es sind Spanier, die am nachdrücklichsten im 16. und 17. Jahrhundert die Arbeit als Quell der Tugend feiern. Das
ist nicht weiter verwunderlich, denn Spanien ist der erste monarchische durchorganisierte Verwaltungs- und Militärstaat, der darüber hinaus als erster kolonisierte und ein Imperium aufbauen musste. Unter solchen die Phantasie übermäßig beschäftigenden Bedingungen wirkt alles, was im Zusammenhang mit der Schaffung eines mächtigeren Spaniens getan wird, großartig und einzigartig. Die ))Müh-
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sal« des kleinen Handwerkers und erst recht des Fernhändlers wird jetzt pathetisch Arbeit genannt, ein Wort, das ehedem den Werken und Taten eines Herkules und Theseus galt oder die »arebeit« der ritterlichen Helden lwein, Lancelot oder Parzival meinte. Insofern ist es gar nicht überraschend, wenn es unter Philipp IL heißt, Arbeit mache frei und unabhängig und ebne den Weg zur freien Persönlichkeit, weil das durch Tüchtigkeit erworbene Geld dem Menschen dazu verhelfe, sich aus Abhängigkeiten und Vorurteilen zu lösen. Wohingegen der souveräne Monarch seine Freiheit gerade darin erkenne, »als niederer Sklave des gemeinen Wohls«, für das Volk arbeitend, tätig sein zu müssen. Die bislang als knechtisch beurteilte Tätigkeit führt zur Freiheit, und der Souverän - Inbegriff des souveränen Ich - erweist sich seiner Unabhängigkeit erst als würdig, sobald er dient, zum Sklaven der Notwendigkeit wird. Das sind die paradoxen Konsequenzen eines Arbeitsethos, das nun den ganzen Menschen als sittliche Persönlichkeit durchdringen soll. Schon gibt es die verwegene Vermutung, dass seine menschliche Bestimmung verfehlt, wer nicht arbeitet. Denn der Mensch, der das Wesen ist, das redet, denkt oder lacht, ist vor allem das Wesen, das arbeitet, wie 1558 Luis Ortiz, ein Berater Philipps II., unverfroren behauptete, alles umstürzend, was seit Platon und Sokrates über die Würde des Menschen geschrieben wurde. Ortiz sah die spanische Monarchie in ihrer Staatsidee vollendet, sobald sie zu einem Staat der Arbeiter aller Klassen geworden sei; sämtliche Minderjährige, auch Kinder von Aristokraten, sollten zur Berufsausbildung genötigt werden, und wer bis zum 18. Lebensjahr keinen Berufsab-
schluss habe und sich damit als unbrauchbar erweise, mache sich strafbar. Alle Arbeiten oder »Berufe« -ein Begriff, der jetzt in Europa aufkam verdienen Lob und Preis. Vor dem sittlichen Urteil gibt es keinen Unterschied, denn Arbeit schändet nicht. Jeder ist ein Held der Arbeit, denn der Schneider kleidet uns, der Bäcker ernährt uns, der Schreiner verschafft uns Möbel. Selbst die geringfügigste Tätigkeit ist, weil als Opfer- und Liebesdienst für das allgemeine Wohl nützlich, der pompösen Eleganz reicher Untätiger vorzuziehen. Arme, die keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgingen, wurden unter solchen Voraussetzungen als Tagediebe, Vagabunden und Sozialschädlinge bekämpft, die mit ihrem Bazillus - mangelnde Arbeitsfreude - Gesunde ansteckten und das Gemeinwesen krank machten und schwächten. Es gibt keine Ausrede für Nichtstun: Ein Lahmer hat immer noch Hände, um zu arbeiten, und ein Blinder Beine. Man schwärmte in Europa von Arbeitshäusern und Arbeitszwang, um jeden davon zu überzeugen, dass es die Arbeit ist, die frei macht. Propagandisten der neuen Arbeitsmoral im monarchischen Staat wetteiferten in Europa darum, jeweils das eigene Land wegen skandalöser Reformunwilligkeit als das Paradies für Nichtsnutze zu schildern. Das hat wenig mit calvinistischer Ethik zu tun. Katholische Franzosen, Spanier und Italiener entdeckten schon im 15. Jahrhundert- Alberti ist nur ein Beispiel den sittlichen
Wert des Schweißes, des Blutes und der Tränen, der körperlichen Erschöpfung. Dass die Arbeit nobilitiert wurde, hing vor allem mit den Bedürfnissen des Staates zusammen. Wirtschaft und Finanzen gehörten jetzt neben dem Heer zu seinem Fundament.
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Der rationalen Organisation des Staates, der auf dem Mysterium des Gottesgnadentums monarchischer Herrschaft beruhte, sollte eine wissenschaftliche, berechenbare Finanz- und Wirtschaftspolitik entsprechen, die möglichst alle Energien bündelt, um mit Innovation, überlegener Technik und Wissenschaft Ökonomie und Staatsinteresse miteinander zu verbinden und füreinander fruchtbar zu machen. Bei solchen- vorerst utopischen- Entwürfen verdienten gleichsam alle möglichen Aktivitäten des Menschen staatliche Aufmerksamkeit, weil der Staat sich als der große Motor verstand, der die Staatsmaschinerie aktiviert und vor Mängelerscheinungen bewahrt. Zum ersten Mal dringt ökonomisches Denken, als nationalökonomisches auf die Machtsteigerung des Staates bedacht, in die öffentlichen politischen Diskussionen. Macht beruht, wie es seit dem 16. Jahrhundert heißt, auf Vollbeschäftigung, Sozialpolitik, Koordination der innerstaatlichen Wirtschaftsregionen, auf möglichem Wohlstand für alle und einem er-
organisierten Arbeitsgesellschaft zumindest der staatlichen Kontrolle, meist aber des königlichen Gesetzes. Der Staat wird darüber zum Sozialstaat, eine Idee, die Spaniern überhaupt keine Schwierigkeiten bereitete, weil sie längst mit dem Gedanken vertraut waren, dass Eigentum mit sozialen Pflichten verbunden ist, wie es die Kirche lehrte. Im modernen Wirtschaftsstaat, wie er sich ab dem 16. Jahrhundert in der Theorie entwickelte, war also im Kern die Tendenz zum Sozialstaat angelegt, damit sich Recht und Ordnung und Freiheit im Gleichgewicht hielten. Das war nicht nur eine katholisch-spanische Idee. Lutheraner mit ihrer hausväterliehen Fürsorge, jeden in seinem Recht zu schützen und in seinen Entfaltungsmöglichkeiten nicht einzuschränken, hofften gerade über die Werktreue, den andächtigen Fleiß beim Arbeitsdienst zum erlösenden Gottesdienst zu erheben und dem Beruf darüber die Weihen einer den Menschen heiligenden Tätigkeit zu verschaffen. Individuelles Pflichtgefühl und private Freude, dazu beru-
folgreichen AußenhandeL Bei solchen Prämissen kann der Staat, wie die Spanier schon unter Karl V. wussten, den Markt gar nicht sich selbst und seinen freien Kräften überlassen. Auch die Spanier, die Handel, Markt und Freiheit durchaus miteinander im Bunde sahen, mussten sich der Idee des Staatsinterventio-
fen zu sein, die Welt soweit wie möglich »beruflich« zu heiligen, sollten anderen ebenso schätzenswerten Rechten und Pflichten nicht im Wege stehen. Luther und die lutherischen Landesfürsten dachten nicht an sich selbst überlassene Ar-
nismus anpassen. Es ist die Krone, die im nationalen Interesse Wirtschaftspolitik als Gewerbe- und Handelspolitik treibt und beiden die Finanzpolitik unterordnet. Die Krone, zur sozialen Gerechtigkeit verpflichtet, muss daher auch Arbeits- und Sozialpolitik als ihre Aufgabe betrachten. Lohnvereinbarungen, Arbeitsbedingungen, Erholung, Ausbildung und Krankenfürsorge bedürfen in einer staatlich
So
beits- und Wirtschaftsenergien. Sie sahen Beziehungen, Abhängigkeiten, Proportionen, kurzum eine Ordnung, die nicht selig in sich selbst schwingt, sondern eines Hüters bedarf, der unter Umständen regulierend eingreift. England mag sich später auf Sonderwege begeben haben. Aber England is of Europe, but not in Europe- worauf Engländer bis heute erheblichen Wert legen. Die Klagen über die Faulheit, die jedes Volk um 1600 als nationales Erbübel betrachtete, trübten mit ihrer mora-
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lischen Hilflosigkeit den Blick für die Wirklichkeit. Auch hier waren es zuerst Spanier, die während der langen Krise vom späten 16. bis tief ins 17. Jahrhundert hinein bemerkten, dass die so genannten Müßiggänger und Faulpelze unfreiwillige »Arbeitslose« waren, weil es für sie keine Beschäftigung gab und kaum Anreize geboten wurden, Arbeitsplätze zu schaffen. Europa stand zum ersten Mal vor einer bislang in der Größenordnung unbekannten Herausforderung: mit Massenarbeitslosigkeit fertig zu werden bei andauernden Kriegen, ruinierten Staatsfinanzen und stagnierender Wirtschaft. Nur die Glücksritter, die Kriegsgewinnler aller Art verdienten am Unglück aller und bestätigten erst recht den alten Verdacht, dass die Geldwirtschaft mit ihrem Egoismus die Welt aus den Angeln heben könne, zum Vorteil einiger weniger. Was zum Lob der Arbeit und des frühen Aufstehens gesagt wurde, weil Morgenstund' Gold im Mund habe und sich regen Segen bringe, war nämlich nur eine Tendenz, eine Idee der Projekteschmiede, wie man damals Unternehmensberater nannte, die vorzugsweise den experimentierwilligen Staat mit Anregungen und Vorschlägen mobil machen wollten. Denn bei allem Enthusiasmus für Bewegung, Rationalisierung und dem erwachenden Interesse für feste Arbeitszeiten die allgemeine Mentalität ließ sich davon nur sehr allmählich berühren. Die Abschaffung der Feiertage im Zusammenhang mit der Reformation und die Vernichtung der damit verbundenen Volkskultur mit Lied, Tanz und Theater waren fürchterliche Eingriffe. Die Leute mussten mehr arbeiten und durften nach der Arbeit höchstens lesen, nämlich »die Schrift«, Buchstaben für Buchstaben. Darüber hinaus war es ihnen erlaubt zu singen. Dieses
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einzige Zugeständnis Luthers an die Sinnlichkeit ermöglichte eine ungemeine Kunstfertigkeit, reformierte Wortgläubigkeit in musikalische Systematik umzusetzen. Aber kein Reformator konnte der Sonne befehlen, früher aufzugehen und ihren Untergang hinauszuzögern. Im Großen und Ganzen richtete sich die Arbeitszeit weiter nach den natürlichen Bedingungen. Es gab Veränderungen, aber nur langsame, die keinem den Atem raubten. Gerade die emporstrebenden Schichten als »eine Phantasie der Zeit« hingen, trotzunruhigen bürgerlichen Ehrgeizes, adliger Vorstellungen, Moden, Allüren und Urteilen wie Vorurteilen an. Ein Aristokrat konnte nie von der Weisheit überzeugt werden, Arbeit mache frei. Darin äußerte sich für die großen Herren eine des Menschen unwürdige Sklavenmoral, eine Anschauung, die die Bürger bestätigten, indem sie das Otium cum dignitate des Adels auf dem Land oder im Stadtpalais nachzuahmen suchten. Bis zur Französischen Revolution änderte sich nichts an dem unverhohlenen Entsetzen vor der Arbeit, die den zur Schönheit berufenen Menschen entstellt, ungeachtet vereinzelter philosophischer oder theologischer Weltverbesserer. Damit blieb neuer Reichtum, die Aufhäufung von Kapitalien, die angeblich neues Kapital >>arbeitend« erzeugen, höchst anrüchig. Die Kirche lockerte ihr Zinsverbot oder passte es verschämt den Bräuchen der Geldwirtschaft mit tugendsam verschleierten Tricks an. Aber das sittliche wie soziale Urteilließ sich kaum darin beirren, dass es im Reich des Geldes nicht mit rechten Dingen zugehe. Großer Reichtum klagte den, der ihn erwarb, ganz von selbst an. Die Divites, die Reichen, die in den Städten meist auch die Mächtigen waren, die Potentes, standen immer unter dem
Druck, durch Wohltätigkeit viele an ihrem Wohlstand teilnehmen zu lassen, um nicht als Wucherer gebrandmarkt zu werden. Cosimo de Medici oder später die Fugger und Weiser unterhielten ein conto per Dia, auf das ein Teil ihrer Gewinne für soziale Stiftungen oder andere Hilfseinrichtungen überwiesen wurde. »Herr, habe Geduld mit mir, ich werde Dir alles zurückgeben«, beteuerte nach eigenem Bekenntnis Cosimo oft in seinem Herzen. Als Mäzene, als Bildungs- und Sozialpolitiker beruhigten die Reichen ihr schlechtes Gewissen und akzeptierten umstandslos das Gebot der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, dem sie demonstrativ gehorchten. Unzählige Kirchen, Klöster, Bibliotheken, Spitäler, Armensiedlungen und Kuranlagen verwiesen auf den Eifer ihrer Stifter, wie auch Kunstwerke oder Bücher geförderter Künstler und Wissenschaftler. Der reiche Bürger wollte das sündige Geld gleichsam entsühnen und sich selbst reinigen, indem er Aufgaben des Adels übernahm und sich darüber aristokratisierte, sich also sittlich und geschmacklich verbesserte. Spätestens in der dritten Generation hatten sich die Neureichen im Adel eingelebt. Die Medici oder die Fugger wurden Reichsfürsten und kehrten aufs Land zurück, auf die iustissima terra, die allgerechte Erde. Die Poesie des Landlebens, der Kult der Erde, die Hirtenromantik und die Suche nach natürlichen Lebensformen - alles all' antica klassisch und damit ins Zeitlose stilisiert wurden von diesen reichen und bald geadelten Rentiers entschlossen gepflegt. Sie gewöhnten sich in vornehme Gepflogenheiten ein, die manchmal durch ihre Bemühungen wieder belebt und weiterentwickelt worden sind.
Geld und Geschäft waren bis 1789 ein etwas umständlicher Umweg hin zum schönen Leben, zum Schäferspiel auf Freundschaftsinseln in Gärten, die verzweigten Seelenlandschaften glichen. In denen wandelten kostbare Kunstfiguren, die ein Bologneser Hündchen verwundert anbellte, ohne zu wissen, dass es selber notwendiger Zierrat in diesen köstlichen Arrangements war. Das Bürgertum beging keinen Verrat an sich und seiner Sendung, von der viel später Historiker, die Marx gelesen hatten, redeten. Es wollte verständlichervveise - mit der Welt adlig-otioser Idealität verschmelzen, die den gesellschaftlichen Stil bestimmte. Das menschenfreundlichste Verdienst der frühen Bourgeoisie bestand über Jahrhunderte hinweg gerade darin, den einsetzenden Kult der Arbeit und der Leistung immer wieder als Götzendienst entlarvt zu haben, indem der Bürger die Geschäfte so bald wie möglich niederlegte. Und selbst wer noch im Kontor arbeitete, bewies doch mit seiner Langsamkeit und Gemessenheit die unbedingte Solidität seines Geschäftes. Gewiss, die Zeit begann eine Rolle zu spielen, aber die Straßen blieben schlecht, überall hielten Zollstationen den Verkehr auf, und selbst für die Schnellpost gab es ganz einfach natürliche Grenzen beim Willen zur Beschleunigung. Die mechanische Uhr setzte den Menschen nicht sonderlich unter Druck, auch wenn Rabelais schon warnte, dass der Mensch nicht für die Stunde, sondern die Stunde für den Menschen geschaffen sei. In diesem Sinne forderten auch jene Theoretiker, die den Wert der Arbeit priesen, man solle es mit der Arbeit nicht derart übertreiben, dass etwa täglich gearbeitet werden müsse. Der Mensch brauche Ruhe, und für tägliche Arbeit gebe es weder genug Arbeit
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noch genug Nachfrage, wie Pedro de Valencia zu bedenken gab. Im Grunde hielten auch die Arbeitsenthusiasten an dem alten Bildungsideal fest, den ganzen Menschen zu erziehen und all seine Kräfte gleichmäßig zu üben, um ihn zu einer harmonischen Person zu formen, die auf dem großen Welttheater »una bella figura« macht. Person und Personam agere eine Rolle spielen - hingen unmittelbar zusammen, weil alles Leben sich vorzugsweise in Gemeinschaften, in der Öffentlichkeit, also immer vor einem Publikum abspielte. Am Ende des Spiels beurteilt der große Spielmeister- Gott-, ob jeder seine Zeit entsprechend den Aufgaben seiner Rolle und seines Standes genutzt hat, um durch die ihm bemessene Zeit in die Ewigkeit einzugehen. Es ist die moralische Zeit, der Augenblick des Hier und Jetzt, der über das kurze Leben entscheidet, mit dem sich der Mensch vorwiegend beschäftigt, damit er nicht zum Spiel oder Irrlicht der Zeit werde. Das gelingt nur dem, der sich auf sich selbst zurückzieht. »Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,/ dem ist die weite Welt und alles untertan«, wie Paul Fleming verheißt. In »alles untertan<< ist auch die Zeit eingeschlossen, die dem, der sein Ich zur festen Burg ausgebaut hat, nichts mehr anzuhaben vermag. Er kann vielmehr stolz wie Philipp II. sagen »Die Zeit und Ich«, weil er die Zeit überwand und sich gefügig machte. Deshalb blieb die mechanische Uhr, die Taschen- oder Standuhr, vorerst nur eine sinnreiche Mahnung, der Brevitas temporis stets eingedenk zu bleiben. Als Schmuckstück, üppig und sinnreich dekoriert, erinnerte sie jeden, der sich der Stunde vergewissern wollte, an die Tugenden, die hier auf Erden gelebt werden müssen, oder an die ewigen Mächte, die in die Zeit eingreifen. Zu-
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gleich mahnten sie, Laster wie Stolz und lüsterne Gier zu meiden, Mäßigkeit zu üben, wachsam zu sein und nicht beim Hahnenschrei- wie Petrus- den Herrn zu verraten. Die Uhren ließen sich mühelos moralisieren, weil sie als perfekte Maschine die wohlgeordnete Machina Mundidie Große Weltmaschine - veranschaulichen konnten, die vom »göttlichen Uhrmacher« planmäßig entworfen und in Gang gesetzt worden war. In ihr, der Weltmaschine, die selber der Zeitlichkeit unterworfen ist, enthüllt sich die Wahrheit, allerdings nicht allein die physikalische Wahrheit, sondern die moralisch-religiöse, die Sphärenharmonie, über die Kepler noch spekulierte. In der allegorischen Auslegung des Kosmos standen alle Planeten in Beziehung zum Menschen wie zum Heilsgeschehen. Die Uhren gaben deshalb nicht nur die Stunden an, sie zeigten die Bewegung des Jahres durch die Sternzeichen, die zwölf Häuser, ebenso wie die Planeten. Sternzeichen und Planeten galten wiederum als Sinnbilder für Tugenden, Temperamente, Töne, Fähigkeiten, die sich in der Zeit entfalten. In Gott hat die Zeit ihren Anfang und findet ihr Ende. Gott ging in die Zeit durch Christus ein und verknüpfte sie dadurch mit der Ewigkeit. In der Mitte der Zeit, die allen Welten die Bewegung zuweist, steht das Kreuz, wie auf mancher Uhr, welches sie besiegt hat. Bis in die Sternzeichen hinein verstand man die Zeit als Hinweis auf die in ihr verborgene Wahrheit. Die Jungfrau kommt vor der Waage, weil sie deren Träger, Jesus Christus, den Inbegriff der Gerechtigkeit, gebiert. Die Zwillinge verweisen auf die beiden Testamente, die Fische auf Juden und Heiden, die durch das Taufwasser gerettet werden. Wie das beziehungsreiche Kunstwerk von Gottes großem Uhrwerk sollten in Analogie
zu ihm Staat und Gesellschaft vom schöpferischen Menschen umgestaltet und perfektioniert werden. Die Uhr wurde dadurch auch zum Symbol der Herrschaft über die Zeit, zum Abbild einer dauernden Ordnung, die sich wie eine Uhr unabänderlich nach ihren Gesetzmäßigkeilen entwickelt. Ein mechanistisches Weltbild, das aus solchen Über-
deren Ordnungen sich genau nach der Stunde richteten, gerade um mit ihrer Regelmäßigkeit die alles verändernde Zeit zu überlisten und ihre Macht zu entkräften. Gott war ein Gott der Ordnung; der König sollte mit streng geregelten Ritualen eine Gleichförmigkeit in den Tages- und Jahresablaufbringen und damit Ordnung, Stabilität, Ruhe und vollkommene Berechenbarkeit schaffen. In Analogie zur
legungen gewonnen werden kann und im 18. Jahrhundert auch entworfen wurde, lag der Zeit davor allerdings noch fern. Der Staat erschien nicht als jene alle Freiheiten tö-
Kirche, zum Corpus Christi mysticum, ist der königliche Staat ein Corpus mysticum des Christus-Königs. Die königlichen Staaten waren mystische Monarchien auf rationaler
tende Maschine, vor der Schiller später erschrak. Die Uhr galt vielmehr nur in dem Sinne als Symbol, als sich mit ihr
Grundlage. Recht und Gesetz kommen vom Himmel. Der Kaiser oder König ist das lebende Gesetz, aber Christus
eine wohlproportionierte Ordnung erläutern ließ, eine Ord-
gleich steht er unter dem Gesetz, dem er als Servus legis
nung, in der jeder an seiner Stelle seiner Tätigkeit nachging und zum Bewusstsein seiner selbst eben dadurch gelangte,
dient, und eben darum kann er auch der Dominus legis sein, der im Tempel der Justitia, im Palast, das Recht auslegt, erweitert oder schützt.
dass er das seiner Bestimmung Entsprechende »ordnungsgemäß« erfüllte. Don Diego Saavedra Fajardo vermochte um 1640 ohne
Der königliche Staat ist ein Heiligtum der Gerechtigkeit. Das Imperium Romanum der Deutschen wurde zum
Schwierigkeiten mit dem Uhrmechanismus die reibungs-
Heiligen Reich. Die Jungfrau von Orleans pries das Saint
lose Zusammenarbeit des Königs und seiner Staatsräte
Royaume de France und erklärte jeden Feind Frankreichs
oder die wechselseitige Verbindung und Abhängigkeit der
zum Feind des Christus-Königs. Alles, was mit der Majestät
einzelnen Teile des spanischen Reiches zu veranschau-
zu tun hat, mit der Majestät der weltlichen Rechtsordnung,
lichen. Der Uhrzeiger ist ein Bild des Königs, der seinen
rückt aus dem Profanen in eine sakrale Sphäre: Zeremo-
Willen kundtut und angibt, was die Stunde geschlagen hat,
nien, Paläste, prächtige Hofhaltung, Feste, Ehrenbögen,
was also zu tun ist. Oder er verglich den Monarchen mit der
Trionfi, alles, was zum festlichen Apparat gehört, mit dem
Unruhe in der Uhr, die dies mächtige Uhrwerk, die spani-
Monarchen sich umgaben. In der limrgischen Feier des Kö-
sche Reichsmaschine, in lebendiger Wirksamkeit erhielt.
nigtums leuchteten die Ideen auf, die den lebendigen Zu-
Die Fülle der Assoziationen gefiel den Zeitgenossen.
sammenhang von Staat und Gesellschaft in einer beide um-
Der König lebte am Hof, und dort sollte die fließende
schließenden Ordnung verdeutlichen sollten. Die großen
Zeit zu einer Art Ewigkeit oder Zeitlosigkeit verfestigt wer-
Feste des Herrschers mit seinem Adel am Hofe galten des-
den, wie das längst schon in den Klöstern der Fall war,
halb nicht als eitles Prangen, sondern als sittliche Verpflich-
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tung. Denn der Monarch als Stellvertreter Christi muss das Ansehen des Weltenkaisers in Ehren halten, den er vertritt und mit seiner Person repräsentiert. Aller Glanz und sämtliche Formen gelten dem Ruhm und der Größe des Urbildes der Macht, deren Abbild der Monarch ist. Der Fürst muss sich daher ganz in die Idee seines Amtes versenken. Denn er ist mehr »una idea de gobernador« als ein Mensch. Er gehört weniger sich selbst als allen. Deshalb muss er die Idee der Majestät repräsentieren, aus Ehrfurcht vor der göttlichen Majestät, und darf gerade den festlichen Glanz seines Hofes nicht gering schätzen. Vom Herrscher aus erhält das gesamte öffentliche Leben seinen Rang und seine Bedeutung. Die Idee einer geheiligten Ordnung begreift das Gemeinwesen als Abstufung von oben. Es ist die Pflicht des Monarchen, die Schwäche der Natur zu korrigieren und ganz im Bilde des vollkommenen Herrschers aufzugehen. So wie er ein Bild der Vollkommenheit verkörpern soll, soll auch der Hof ein Abbild der Vollkommenheit sein. Die Aristokraten, die wie der Sterne Chor um ihn versammelt sind, sollen mit dem Glanz, der ihre Stellung umgibt, den Glanz der Tugend ausstrahlen. Den müssen sie sich als Stand der Tugend in unablässiger Selbstverfeinerung zur schönen Seele erwerben. Sie sollen eine sittliche Richtigkeit vorleben und mit ihrem Adel auf den Adel des Menschen überhaupt verweisen: »Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen, I steht das Bild vor dem entzückten Blick«, wie noch Schiller solche sozialethischen Vorstellungen umschrieb. »Ausgestoßen hat es jeden Zeugen/menschlicher Bedürftigkeit/ ... und des Erdenlebens/ schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.« Die Tugenden sind die Leiter zur Glorie und Schönheit, zu
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Gott, der die Schönheit ist. Im beziehungsreichen Fest, dem Höhepunkt im höfisch-repräsentativen Dasein, zeigen Herrscher und Adel, was sie im sittlich-politischen Sinne sind und sein sollen. Sie zeigen ihre Vollkommenheit, immer gefährdet in den Festspielen und jedesmal dennoch herrlich behauptet. Der Hof sieht seine schöne Wirklichkeit auf der Bühne umkämpft und wiederhergestellt, auf den Fresken der Decke feierlich bestätigt. Die festliche Wirklichkeit öffnet sich in den Bühnenraum und in den Bildraum der Fresken. Die Grenzen verschwinden. Aber in der Mitte zwischen beiden Illusionsräumen steht als gesicherte Wirklichkeit der Hof, der als Ort der Freude auch ein Ort der Ruhe ist. Das war die Idee, der der unruhige, unberechenbare Mensch meist zuwiderhandelte. Ein Mensch genügt, wie die Heilige und große Dame Theresia von Avila wusste, um ganze Welten durcheinander zu bringen. Also wird jeder zu dauernder Selbsterforschung angehalten. Eine ununterbrochene Verinnerlichung, Selbstprüfung und Selbstkontrolle wird gefordert, um über sich selbst als »vincitore de se stesso« zu herrschen. »Nicht wenig Elend und Verwirrung kommt daher, dass wir durch eigene Schuld uns selber nicht verstehen und nicht wissen, wer wir sind«, formulierte es die weltkluge Theresia von Avila. Alles hängt von dem Ich eines jeden Einzelnen ab, ob er das leistet, was er leisten muss. Von Leistung, Anstrengung und Arbeit ist unentwegt die Rede, um zur schönen Form zu finden und sie nicht mehr zu verlieren. Nur wer endlich sicher und beständig auf der »schmalen Mittelbahn des Schicklichen« wandelt, bewahrt sich und die adlig-höfische Welt vor Gefahr und Verwirrung. Der Mensch muss ganz
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übenvunden werden - »wie groß wird unsere Tugend,/ wenn unser Herz bei ihrer Übung bricht<<, wie Schillers Königin dem Don Carlos rät. Ohne die traurige Zergliederung des Schicksals muss getan werden, was die Würde verlangt und den drei aus jedem Ritterroman bekannten Verpflichtungen entspricht: Genug weiß, wer sich selbst weiß. Genug weiß, wer Gott weiß. Genug kann, wer sterben kann. Nicht umsonst lehrten Bücher die Ars moriend~ die Kunst zu sterben. Ein alter Aristokrat wie Joseph von Eichendorff erkannte in der altväterlichen, etwas schwierigen Kunst, selig zu sterben, den großen Unterschied zu der Erwerbs-, Arbeits- und Verbrauchergesellschaft, wie sie sich seit 1789 durchsetzte, die sich mit der bequemeren und daher bei weitem plausibleren Kunst begnügte, glückselig zu leben. In der alten Gesellschaft widmete jeder Ehrenmann seine Seele Gott, sein Leben dem König, das Herz den Damen und dachte dabei, für sich Ehre zu gewinnen, vor allem weil er bereit war, für die zu sterben, denen Seele, Leben und Herz verpflichtet waren. Die Welt, die sich nun ankündigte, nannte einen, der solchen Ideen nachhing und nicht die Quelle alles wahren Vergnügens in der Arbeit suchte, einen Taugenichts. Friedrich Schiller, der im Übergang zur Arbeitsgesellschaft lebte, traute deren Glücksverheißungen wenig. Seinen Max Piccolomini ließ er über die sinnlosen Arbeiten klagen, die ihm die Jugend gestohlen, das Herz öde und unerquickt, den Geist ungeschmückt von Bildung gelassen hatten. »Des Dienstes immer gleich gestellte Uhr« I[ ... ] Dem Herzen gibt es nichts, dem lechzenden./ Die Seele fehlt dem nichtigen Geschäft -/Es gibt ein andres Glück und andre Freuden.« Gerade das wird in der Arbeits- und
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Leistungsgesellschaft seither als Häresie verstanden und bekämpft. Einer der großen Taugenichtse des 19. Jahrhunderts, }acob Burckardt, der bei ungeheurem Fleiß die Arbeit nur insoweit schätzte, als sie zu weiteren geistigen Freuden verhalf, brachte den neuen Weltschmerz auf die knappe Formel: >>Unser Leben ist ein Geschäft, das frühere war Dasein.«
machen, das materielle Dasein des Menschen zu erleichtern. Man muss messen, was messbar ist, und messbar machen, was es nicht ist, hatte einst Galileo Galilei als Devise ausgegeben. Jetzt begeisterte dieser Auftrag unterneh-
Die Idealisierung des Menschen zum mußelosen Arbeiter
mende Temperamente, die sich bemühten, die Menschen aus ihrer Trägheit zu reißen, sie über ihr Leistungspotential aufzuklären und mit einem kräftigen »Hauruck« reif für den Übergang in die allerneueste Neuzeit zu machen. ))Arbeit« wurde zum Zauberwort in einer Welt, die resolut ent-
>Was ist der Nutzen des Nutzens?«, fragte Gotthold
zaubert werden musste, um zum Entfaltungsraum von Ar-
Ephraim Lessing seine Zeitgenossen, die zu Enthusiasten
beitskräften zu werden. Was man arbeitet, ist dabei völlig
des Nützlichen geworden waren. Alles, was der Mensch tat
gleichgültig. Wichtig ist allein, dass gearbeitet wird. Denn
und trieb, sollte Zwecken dienen, zweckmäßig sein, die
man lebt um der Arbeit willen. Und jede Arbeit ist Dienst
Welt verbessern und die Lebensbedingungen komfortabler
im Weinberg des Herrn. Das wusste man aus der Bibel, die
machen. Selbst die religiöse Unterweisung wollte um Gottes
jetzt als Ratgeber zu einem pflichtgemäßen Arbeitsleben
willen nicht weltfremd erscheinen. Das Weihnachtswunder
verstanden wurde. Ohne Schweiß keinen Preis
das Him-
in der Krippe ließ sich mit dem Nutzen der Stallfütterung
melreich ist gleichsam die Prämie für Fleiß, Dienst und
verbinden, und der Gang Maria Magdalenas zum Grabe
selbstlosen Arbeitseifer.
Christi demonstrierte den Vorteil des frühen Aufstehens.
Solche pietistische Arbeitsethik war dem Staat des auf-
Kaiser Joseph II. beschränkte in seinen Kronländern rigo-
geklärten Absolutismus sehr willkommen, der rationalisie-
ros die Feiertage und beseitigte die meisten Bräuche volks-
rend und reglementierend seinerseits endlich die Gesell-
tümlicher Religiosität als Aberglauben und Zeitverschwen-
schaft »zukunftsfahig« machen wollte. Dafür brauchte er
dung. Sie verwirrten, wie der energische Volkserzieher
Geld. Seine Verflechtung mit dem beweglichen und treulo-
meinte, die gesunde Vernunft und minderten dadurch effi-
sen Finanzkapital hatte den Staat, der die Ruhe, der Status,
ziente Verwertbarkeit von Arbeitskräften. Seine Völker re-
sein soll, nervös gemacht. Das Geld oder das Kapital war im
bellierten, sie hielten an ihren religiösen Gewohnheiten fest
Laufe des 18. Jahrhunderts endgültig zu einer Macht gewor-
und verteidigten ihr Recht auf Zeit. Doch solche vorüber-
den. Seit Tacitus war bekannt, dass Geld der nervus rerum
gehenden Erfolge konnten den Eilmarsch hin zur alles er-
sei. Aber kein Monarch hatte sich bislang davon abhalten
neuernden Modernisierung nicht aufhalten.
lassen, Schulden zu machen, wenn ihm Geld fehlte. Die
Entschlossen wandten sich die Modernisierer der Na-
meisten Könige und ihre Regierungen lebten in den Tag
tur zu, um sich deren Kräfte in der Absicht dienstbar zu
hinein und zögerten nicht, späteren Generationen massive
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Schuldenberge zu vererben, die gar nicht so leicht abzutragen waren. Es entwickelte sich ein fast religiöses Vertrauen in die heilenden Wasser der immer flüssigen, mal abfließenden, dann sich stauenden Finanzströme. Wie Gott ist dieses Geld immer da, allmächtig, zuweilen fern dann spürt man seine Allmacht besonders- und plötzlich wieder da und wie ein Wunder Konjunkturen anheizend und dem ersehnten Aufschwung noch mehr Schwung verleihend. Das Geld \vurde zur mythischen Macht in den Zeiten sämtlicher Entmythologisierungen, zu einer schöpferischen Macht, die verwandelt, erlöst und befreit. Mit seiner Eigenwilligkeit und Unberechenbarkeit ist es nicht zu fassen und dennoch Ausdruck der Weltvernunft, die sich listigerweise magischer Riten und Einflüsse, magnetischer Anziehungskräfte und Abwehrreflexe bedient, um die Finanzmärkte als große Wohltäter wirken zu lassen. Das mobile Geld löste den Prozess der Industrialisierung aus, der sich nur im engen Einverständnis mit der Wissenschaft entfalten konnte, weil die Forschung dauernd für verbesserte Maschinen, neue Produkte und weitere Erfindungen zu sorgen hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurden die freien Wissenschaften dienstverpflichtet, um Entdeckungen zu machen, die mit ihrer zweckhaften Ausgestaltung zur praktisch anwendbaren Erfindung unmittelbar in die wirtschaftlichen Verwertungsprozesse eingeschaltet werden konnten. Die Theorie fand nur noch als allerdings notwendiger Umweg zur Anwendung und zum Produkt Anerkennung. Nicht mehr die Annäherung an die Wahrheit galt von jetzt ab als das Nobile officium der Wissenschaften. Mit ihrer Hilfe sollten der Natur die Mittel abgerungen werden, die es
ermöglichten, Not zu lindern, den Lebensgenuss zu erhöhen und die Menschen dadurch besser, glücklicher und mit ihrem Geschick zufriedener zu machen. So heißt es von damals bis heute. Das Glück, das der Mensch vorzugsweise in seinem Inneren, im Frieden mit Gott oder den Göttern gesucht hatte, wurde jetzt mit der Arbeit verknüpft. »Nur in der Arbeit wohnt der Frieden,/ und in der Mühe wohnt die Ruh!«, schrieb Theodor Fontane. Ruhe und Frieden verschafft nicht zuletzt der Arbeitslohn, das Geld, als Voraussetzung zum Glückserwerb, zum Kauf der Güter, die zum glückseligen Leben nötig sind. Jeder ist seines Glückes Schmied. In diesem Sinne wird das Programm: das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl, zu dem Motor, der alle in Unruhe versetzt, weil sich jedermann des eigenen Anteils an Glücksgütern versichern will. Glück und Konsum ergänzten einander. Die entstehende Industriegesellschaft brachte eine weitere Arbeitsteilung mit sich. Neue Berufe, wie es jetzt hieß, entstanden, und für sie benötigte man die entsprechende Vorbildung. Wissenschaften wurden zu Berufswissenschaften. Sie sollten gar nicht mehr in den Zusammenhang aller Wissenschaften einführen, sondern »Berufskunden« ausbilden. Damit erschlossen sich dem Erziehungseifer von Behörden und aufgeklärten Philanthropen, die den Menschen zur Vernunft bringen wollen, weitere Experimentierfelder. Seither folgen Schul- und Bildungsreformen in immer rascherem Wechsel aufeinander. Die Universität galt schon im 18. Jahrhundert als ein gotisches Überbleibsel. Das Studium war nicht gut organisiert. Es gab keine »Regelstudienzeiten« und kein Prüfungs-
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system. Auch der gutwillige Studiosus war deshalb oft hilflos »den Gefahren der Unsittlichkeit und des Unfleißes preisgegeben«, die an den Universitäten auf ihn lauerten. So wurden Berufsakademien und Fachschulen gegründet, um dem übel des verbummelten Studenten vorzubeugen. An ihnen wurde Theorie nur insoweit berücksichtigt, als sie von der beruflichen Einseitigkeit nicht ablenkte. Die Einseitigkeit und Beschränktheit, die Dressur für die konkreten Zwecke des nächsten Tages ersetzten die herkömmliche Bildung zu geistiger Selbstständigkeit. Auch die Universitäten mussten sich der praktischen Richtung anpassen, um als Rathaus und Kaufhaus des Tages ihre Kunden nicht zu enttäuschen. Straffe Lehrpläne und systematisierte Studiengänge waren unvermeidlich, wenn die Wissenschaft nur nach ihrer Nützlichkeit beurteilt wurde. Lernen als mechanischer Vorgang, alsAuswendiglernen eines abfragbaren Wissens waren die Ideale der entstehenden Wissensgesellschaft. »Für das Verdienst der Handarbeiter und das Verdienst der Geister« Schiller scheute sich noch, vom Geistesarbeiter zu reden gab es nur noch einen Maßstab: die Mühe, eben die Arbeit. Schulen und Hochschulen sollten vorzugsweise den Weg zum sicheren Arbeitsplatz und zu den Besserverdienenden ebnen. Die Arbeitsgesinnung drang auch in die Einrichtungen ein, die für sie gar nicht gedacht waren. Das lag vor allem am Einfluss der neuen Modewissenschaft seit 1750, der Nationalökonomie, die seither in Abständen immer wieder danach trachtet, sich gleichsam zur »Leitkultur« aufzuschwingen. Die Wirtschaftswissenschaftler waren daran interessiert, die alte moralische Ökonomie der Versorgung lang-
samund betulich, wie sie war, durch die politische Ökonomie des freien Marktes zu ersetzen. Alles, was ihr widersprach, staatliche Interventionen und Innungen oder Zünfte mit ihren Handwerks- und Geschäftsordnungen, sollte möglichst rasch »als alte Zöpfe« abgeschnitten werden. Könige und Beamte wollten zwar nicht auf ihre Eingriffsrechte in den freien Markt verzichten, aber alte Zöpfe waren diesen aufgeklärten Reformern nicht minder lästig. Die Revolution fängt von oben an, weil Monarchen und Beamte »verkrustete Strukturen« aufbrechen wollten. Rasch musste von jetzt an alles erfolgen. »Cito! Cito! « - Schnell! Schnell! -, fügte schon Friedrich Wilhelm I. von Preußen jedem Befehl hinzu. Dieser modernste König seiner Zeit kümmerte sich schlichtweg um alles und verstand zu rechnen. Zeitverluste waren dem immer Pressierten, der keine Zeit hatte und deshalb Zeit gewinnen und Zeit sparen wollte, ein Grauen. Staat und Kapitalisten hatten ein gemeinsames Interesse, keine Zeit zu verschwenden und die arbeitenden Menschen streng mit der Uhr in der Hand zu berechenbarer Leistungsintensität zu disziplinieren. Stundenplan und Schul plan, Exerzierreglement, Schule und Militär mit ihrem Begriff vom Pflichtbewusstsein, Gehorsam und Konzentration bereiteten auf den »Arbeitsdienst« in den Manufakturen oder in Fabriken vor, also auf reibungslose Funktionstüchtigkeit. Julien Offroy de La Mettrie hatte 1748 den Menschen als Maschine, als einen Mechanismus beschrieben. Er traf damit den Nerv der Zeit, die in der Mechanisierung einen Fortschritt zur vernünftigen Organisation der Arbeit und des Lebens sah. Adam Smith zog daraus die entsprechenden Konsequenzen für eine zeit- und kostensparende Vermehrung der Produktion: die Mechanisierung
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der Arbeit durch Reduzierung der Arbeitstätigkeit auf einige Handgriffe. Die Arbeiter und die einander ergänzenden Handgriffe funktionieren ....ie eine Maschine. Ein Arbeiter verfertigt am Tage zehn Stecknadeln. In der Fabrik bei rationalisierter Arbeitsteilung können in der gleichen Zeit zehn auf bestimmte Handgriffe Eingeübte 48 ooo Stecknadeln herstellen. Der Mensch als das Wesen, das denkt und redet, mit einer Seele begabt und zur Freiheit berufen, verschwindet gänzlich hinter seiner Bedeutung als Bestandteil organisierter Arbeitsabläufe in einem Produktionsprozess. Er ist ein Betriebselement, ohne sich von anderen Maschinenteilen zu unterscheiden. Unter solchen Voraussetzungen ist es unvermeidlich, dass die Arbeitskraft so intensiv wie nur möglich ausgenutzt wird. Die Sonntagsruhe darf der Produktion und dem Gewinnstreben nicht im Wege stehen. Selbst Sklaven im alten Rom hatten die Gelegenheit, ihre Götter zu ehren. Das aber erlaubten die ansonsten frommen Bürger ihren Lohnsklaven nicht, die sie wie Sachen, wie technische Geräte betrachteten und behandelten. Vom Sklavenhandel zogen sich die Europäer zwar zurück, aber auf die Sklavenwirtschaft in den Baumwollplantagen der Südstaaten der Vereinigten Staaten war im Übrigen vor allem die englische Textilindustrie bis in den amerikanischen Bürgerkrieg angewiesen. Der Kapitalismus mitseinen Spielregeln näherte sich durchaus den überwundenen Formen der Sklavenwirtschaft an, für die meisten sogar mit brutaleren Folgen als einst in der Antike. Wer nicht zum Galeerendienst verurteilt oder in den Bergwerken als Kriegsgefangener zur Zwangsarbeit eingesetzt wurde, konnte doch im Haus seines Herrn oder
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in den überschaubaren, handwerklichen Unternehmen arbeiten, die mit ihren unregelmäßigen Rhythmen nicht den ganzen Menschen auf ein bloßes Funktionselement reduzierten. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war industrielle Fertigung von häuslichen und familiären Zusammenhängen nicht abgelöst. Arbeit ließ sich nach eigenem Ermessen einteilen, das Arbeitstempo beliebig drosseln oder steigern. Sie war gemeinschaftlich, in gewissem Sinn auch gesellig, weil von Arbeitsliedern begleitet, von gemeinsamen Mahlzeiten und Gesprächen unterbrochen. Der gemeinschaftlich verbrachte Feierabend bewahrte den, der nicht bewusst allein sein wollte, vor Vereinzelung und Langeweile. Der Sonntag war in der Regel selbstverständlicher Ruhetag. Ein Familienleben mit den festlichen Riten, die dazu gehören, war in den Arbeitsalltag integriert. Das Leben glich keineswegs einer Idylle, aber auch für die Ärmsten gab es Erholung, Besinnung und Geselligkeit. Das ändert sich nicht schlagartig, doch im Laufe der Industrialisierung unaufhaltsam und allmählich überall in Europa. Die Arbeit fand von jetzt an immer häufiger außer Haus statt, in großen Fabrikräumen mit lärmenden Maschinen, was die menschlichen Beziehungen erschwerte oder unmöglich machte. Die Arbeitszeiten stiegen bis auf achtzehn Stunden täglich, in der Regel pendelten sie sich bei sechzehn Stunden ein. Frauen und Kinder waren schon immer in die handwerkHebe Produktion einbezogen gewesen. Doch jetzt mussten sie in der Fabrik ohne den familiären Zusammenhang und der Möglichkeit freier Zeiteinteilung arbeiten, oft bis zu vierzehn Stunden am Tag. Ein Familienleben ließ sich kaum noch aufrechterhalten. Die
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Individualisierung bedeutete tatsächlich Atomisierung. Die Löhne erlaubten ein Leben am Rande des Existenzminimums. Es gab nur noch selten Hungersnöte, aber es gab mehr Armut und Elend als je zuvor in Europa. Die Bevölkerung vermehrte sich rapide, und besonders der Teil von ihr, der gar nicht zum Leben kam, weil sein Leben nur Arbeit war, eine Arbeit, die zu allem Üherdruss gerade die Erfüllung nicht bot, die Arbeitsethiker gerne beschworen. Arbeit zerfiel in Arbeitsteile, die erledigt oder abgearbeitet werden mussten, was kaum die gewünschte Arbeitsfreude und Arbeitslust bewirken konnte. Die Arbeiter, gelöst aus ihren familiären oder dörflichen Gemeinschaften, ohne über die Arbeit zu neuen zu gelangen, kannten keinen Feierabend mehr und verloren darüber jede Möglichkeit zur Besinnung, zur Freude, ja selbst aus der Gemeinschaft der Christen waren sie ausgeschlossen, weil es ihnen erschwert worden war, den Sonntag zu heiligen. Die Trinkereien und Hurereien der armen Teufel, wenn sie einmal ein paar Augenblicke des Leichtsinns für sich hatten, empörte sofort die bürgerlich-liberalen Moralisten. Sie fühlten sich in ihrer Meinung bestätigt, dass nur Arbeit den Pöbel davor bewahre, sich pöbelhaft zu benehmen und christliche Gesinnung zu verletzen. Vor allem Kinder und Jugendliche, »welche man nicht volle zwölf Stunden in die warme und reine Moralluft der Fabrikstube bannt, sondern eine Stunde früher in die gemütskalte und frivole Außenwelt verstößt«, würden, wie
Karl Marx spottete, offenbar »von Müßiggang und Laster um ihr Seelenheil geprellt«, was manche strenge Moralisten unbedingt verhindern wollten. Unternehmer, die schon damals fürchteten, verkürzte Arbeitszeiten seien für sie uner-
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schwingtich und würden sie im Wettbewerb benachteiligen, waren für solche Unterstützung sehr dankbar, die Profit und Moral in Übereinstimmung brachte. An einer solchen Übereinstimmung lag den Geldbürgern, der Bourgeoisie, unbedingt. Sie wollten nicht wahrhaben, dass sie in den eiskalten Wassern egoistischer Berechnung alles ertränkt hatten, was über das nackte Interesse der gefühllosen Barzahlung hinausreichte, wie Karl Marx und Friedeich Engels ihnen beredt vorwarfen. Sie schmückten sich mit historischen Fassaden und Kostümen, um das Bürgertum aus der Geschichte als den großen Erneuerer und Beweger zu legitimieren, der die eine Welt als Weltmarkt schaffe, der das Kapital braucht, um seine segensreichen Fähigkeiten entfalten zu können. Die Propheten der Marktwirtschaft und des schrankenlosen Wettbewerbes raunten seit dem 18. Jahrhundert, dass der Markt als großer Wohltäter Ordnung stifte, wo Unordnung sich breit machte. Mit Engelszungen verkündeten sie die frohe Botschaft vom Novus ordo saeculorum, vom Neuen Bund nicht unter dem Zeichen des Kreuzes, sondern vom Neuen Bund des friedlichen Wettbewerbs, der Menschen und Völker versöhne, sie zur Zusammenarbeit anleite und ihnen zum Glück übereinstimmender Gemüter verhelfe. Die eine Welt als freier Markt verschaffe den Tüchtigen das äußerste erreichbare Behagen: die Früchte gemeinsamer Produktion im wechselseitigen Austausch zu genießen, im Vorteil des anderen den Nutzen für sich selbst zu finden. Wer vorerst im Wettbewerb Nachteile erfährt, ist selber daran schuld, weil er noch nicht alle kreativen Potentiale in sich geweckt hat. Aber auch er wird den Anschluss finden, sobald er sich auf dem Markt zurechtfindet, der jedem
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seine Chance gewährt. Er muss sie nur nutzen. Diese Marktfrömmigkeit war zugleich mit der Verheißung verquickt, dass für alle das Leben bequemer und freundlicher würde, ja dass der Mensch in Leistung fordernder Konkurrenz sich nicht um lustvolle Selbstverwirklichung zu sorgen brauche. Er müsse nur eines tun: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Gerade das tat der Arbeiter in einem Ausmaß, das einzigartig in der europäischen und wahrscheinlich auch in der Weltgeschichte ist. Sein Lohn war allerdings nur, anderen zu ihrem Glück verholfen zu haben. Wenn er erschöpft, krank, arbeitsunfähig wurde, bekümmerte das die marktfrohen Apostel, seine Herren, die seine Arbeit nahmen, nicht im Geringsten. Wer nicht belastbar ist, muss sehen, wie er ohne Marschgepäck weiter durchs Leben kommt. Der Unternehmer kann nicht belastet werden, weil er ja schließlich Arbeit schafft. Wer kommt für die auf, .die der Markt nicht mehr braucht oder die er komplett verbraucht hat? Das war von vornherein eine unangenehme Frage. Die früheren sozialen Sicherheitssysteme waren nach und nach abgeschafft worden. Die neuen Freiheiten des Marktes führten zu ungeahnter massenhafter Unfreiheit, Ausbeutung und Verelendung. Es war schlichtweg zynisch, darauf hinzuweisen, dass die geheimnisvolle Hand, die im Markt tätig ist, schon alles in Ordnung bringen würde. Man dürfe nur das Vertrauen nicht verlieren, wie einst in die geheimnisvolle Hand Gottes, die nun allerdings als eine den Markt verstörende Einbildung und als ein einzudämmender Aberglauben beurteilt wurde. Die unternehmenden Marktwirtschaftler, die mit der Zeit sehr genau kalkulierten, wenn es um ihre Gewinne
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ging, trösteten den Arbeiter mit bekannten Sinnsprüchen, wenn der Markt ihm nichts zugute tat. Der Markt brauche Zeit, um alles ins Gleichgewicht zu bringen. Gut Ding will Weile haben- weshalb es sich empfehle, nicht zu viel zu erwarten, sich in Geduld zu fassen und »vernünftige Lösungen« nicht zu blockieren. Den Wirtschaftsbürgern wurde nie richtig bewusst, dass sie Freiheit und Menschenwürde, Glück und Selbstentfaltung, die sie »dem Menschen« versprachen, nur dem bürgerlichen Menschen vorbehielten. Die Wirtschaftsliberalen verwechselten den Menschen immer mit sich und der Wahrnehmung ihrer ureigensten Interessen. Wem soll es nicht gut gehen, wenn nicht den Guten, die für die gute Sache streiten? Freien Handel, freie Wirtschaft und freie Bahn dem Tüchtigen! Zumal sie nicht nur arbeiten ließen, sondern selber »bis zum Umfallen« arbeiteten, wie rühmlich anerkannt wurde, wenn sie in den Sielen starben. Sie verstanden auch sich selbst nur als Arbeiter und lebten demgemäß. Es gelang den Wirtschaftsbürgern nicht, wie es französische Frühsozialisten anregten, sich gemeinsam mit den Arbeitern zu einer Klasse zusammenzuschließen. Sie lehnten sich lieber an die Beamten und die Offiziere an, an die Berufe der Pflichterfüllung. Adlige als Beamte und Offiziere hatten ihre Freiheit aufgegeben. Sie verachteten die Arbeit nicht mehr. Sie hielten es sogar für besonders ehrenvoll, für den Staat unter dem Zwang des Dienstes nach immer gleich gestellter Uhr zu leben. Sie sprachen von Pflicht, von Pflicht, die sich in Arbeit erfüllt, jedoch keineswegs in selbstständiger. Denn Gehorsam und Dienstweg müssen beachtet werden. Alle wurden Arbeiter. Keine Klasse definierte sich über die Muße.
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Müßiggang leisteten sich selbst reiche Aristokraten nur noch gelegentlich. Die Muße gehörte im 19. Jahrhundert zum Leben der Ehefrauen reicher Männer oder wurde von armen intellektuellen Sonderlingen, den Bohemiens, meist unfreiwillig wahrgenommen, wenn sie keine reiche Dame fanden, die sie unterstützte. Künstlerische Tätigkeit auf dem freien Markt und nur noch selten im privaten oder öffentlichen Auftrag zwang zu erhöhter Produktion. Wer am Markt vorbei produzierte, konnte in äußerste Schwierigkeiten geraten. Wer nicht Beamter werden wollte wie Goethe, Karl Immermann, E. T. A. Hoffmann, Adelbert von Chamisso oder Eichendorff, sondern sich auf das Wagnis der Freiheit einließ wie Honore de Balzac, Hector Berlioz, Wagner oder Henrik Ibsen musste enorme Energien aufwenden, nur um zu überleben, sich auf dem Markt zu behaupten oder überhaupt erst einmal eine Nische zu finden, die ein Auskommen ermöglichte. Insofern war es nicht verwunderlich, dass der Arbeiter, sobald er seine Menschenrechte beanspruchte, deren Anerkennung als Arbeiter verlangte. Der Arbeiter teilte die allgemeine Überzeugung, dass Arbeit adele und Nichtstun unverantwortlich sei. Aber es war nicht die Arbeit, die ihn frei machte, wie die liberalen Arbeitsethiker verkündeten, sondern es war die Bildung, die, wie er hoffte, zum Licht und zur Freiheit führen würde. Bildung erhoben die Arbeiterbildungsvereine seit 1860 zu ihrem Programm. Bildung aber erforderte Zeit, und deshalb verlangten die Arbeiter Zeit, um zu einem begründeten Selbstgefühl, zu Selbstbewusstsein und Selbstbejahung zu gelangen. Das setzte Muße voraus, wie Marx versicherte. Er hielt die Arbeit für unausweichlich in einer Gesellschaft,
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die sich über die Arbeit definiert und mit der rastlosen Befriedigung von Bedürfnissen, die sie selber erst geweckt hat, immer weiter Arbeiten hinzuerfindet. Marx flüchtete nicht in Utopien, sondern suchte vielmehr ein Gleichgewicht Zurückzugewinnen zwischen Vita Activa und Vita contemplativa, das im Kapitalismus verloren gegangen war. Arbeit sei nur menschenwürdig, wenn sie zur Humanisierung des Menschen beitrage, wenn sie den Menschen nicht wie ein beliebiges Instrument verbrauche und missbrauche, sondern ihm dazu verhelfe, Zeit zu gewinnen für freie Aktivität gemäß seiner Selbstbestimmung. Frei könne eine Gesellschaft nur sein, wenn alle frei seien, sich ihrer Freiheit erfreuen und sich gemäß ihrer Bestimmung entwickeln, ein wahrer Mensch zu werden. Erst, wenn in diesem Sinne all frei seien, könne sich die äußere, die politische Freiheit überhaupt dauerhaft befestigen. Die innere, freie Verfassung des Menschen ermögliche ein frei verfasstes Zusammenleben. )}Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.« Das Reich der Notwendigkeit lasse sich nicht überwinden. Es müsse immer gearbeitet werden, und es bedeute für den Menschen nicht nur entfremdenden Druck, arbeiten zu müssen. Ein Komponist, ein Dichter leiste Schwerstarbeit, aber eben in freier Aktivität, nicht als )}Werktätiger«, sondern als Werke Schaffender. Jenseits des Reiches der Notwendigkeit )}beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als
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seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.<< Der Philosoph und Historiker Marx greift mit diesen Überlegungen auf Gedanken des deutschen Neuhumanismus zurück und vor allem auf Schillers Idee der ästhetischen Erziehung als einer Erziehung zur Freiheit. Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, und nur wo er spielt, ist er wirklich frei. Also braucht er zumindest Stunden der freien Selbstverwirklichung im geistigen und schönen Genuss. Die Neuhumanisten und Klassizisten, die preußischen Reformer, waren von der Idee durchdrungen, dass Bildung befreit, und schenkten darum Bildungsfragen so viel Beachtung. Seit Johann Joachim Winckelmann war die Vorstellung, der Geist der Freiheit äußere sich als ein das leben verschönernder Geist, bekannt und wurde von Goethe und Schiller ununterbrochen variiert. Klassizistische Ästhetik und philosophische Pflichtenlehre verschmolzen in dieser Zeit zu einem Begriff von schöner Freiheit und Menschlichkeit. Möglichst jeder sollte sich zu allgemeiner Menschlichkeit bilden, in sich die allgemeine Menschheit verkörpern. Das konnte nur gelingen, wenn Arbeit und Bildung, Tun und Denken einander harmonisch ergänzten. Dieser Humanismus konnte eine Humanisierung des Menschen nur erreichen, wenn zugleich die Arbeit humanisiert, menschenwürdig gemacht wurde. Das galt für alle Berufe und damit für alle Menschen. Vom Nutzen des Nutzens waren die Neuhumanisten gerade nicht überzeugt. Denn die Schote- die Muße, die Zeit freier Selbstbestimmung war zur Schule geworden, die keine Menschen entließ, sondern Maschinen mit prall gefülltem Gedächtnis. Diese, weil nur dazu abgerichtet, sich in einer Erwerbs- und Verwaltungs-
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gesellschaft nützlich zu machen, waren nicht in der Lage, sich zu allgemeiner Menschlichkeit zu bilden. Den öden Zwecken der Ausbildung setzten die Neuhumanisten die anspruchsvolle Forderung der Bildung durch Wissenschaft und Kunst entgegen. Das sollte zum freien Denken verhelfen, dem Denken ohne Autorität als der Voraussetzung jeder Selbstständigkeit und dadurch jeden selbstständigen Handeins unter den stets einengenden Bedingungen beruflicher Tätigkeit. Nur wer von vornherein mit den großen Zusammenhängen der Wissenschaften vertraut gemacht wird, kann sich anschließend umso sicherer im Beschränkten und Besonderen bewegen. Das freie Denken befreit, weil es zweckfrei ist, selig in sich selbst und unberührt von banausischer Verwertbarkeit. Der Mensch erwirbt darüber eine Bereitschaft, sich lebenslang zu bilden und offen zu bleiben für alle überraschungen des Geistes. Insofern ist das Unpraktischste meist das Praktische, das als isolierte Übung schnell veraltet ist, überholt wird und nur begrenzten Nutzen bringt. »Ein stiller Geist ist jahrelang geschäftig,/ Die Zeit nur macht die feine Gärung kräftig«, wie Goethe riet. Der Geist darf aber nicht so von sich abgelenkt sein, dass er gar nicht zu sich selber findet und damit die Hedone, die Freude, verfehlt, die allemal der schönste Lohn freier Beschäftigungen ist. Deswegen wehrte sich nicht nur der alte Goethe gegen den Imperativ der Turner: immer weiter, immer höher, immer schneller. Der entfesselte Wettbewerb entfesselt die Zeit und macht den unter Zeitdruck geratenen »Zeitgenossen«, der den Überblick verliert, besinnungslos und ratlos, liefert ihn dem Markt aus, der von der Verwertungsfreiheit der Wissenschaft und der Bewertungsfreiheit im Verbrauch
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bestimmt wird. über die richtige Verwertung im Wettbewerb entscheidet der bewertende Verbraucher, der Güter, zu denen Waren geworden sind, aufwertet, abwertet oder entwertet. Da alles, was mit dem Markt in Berührung kommt, zur Ware, zum \Vert umgemünzt wird, ist so viel von Werten die Rede, wenn der Wettbewerb beschworen wird. Der Markt ist das Schicksal. Wer sich einfühlsam seiner Macht anvertraut, dem wird sie sich als gnädig erweisen. Wer jedoch im ununterbrochenen Verwertungsprozess am Markt vorbei denkt und plant, wird unweigerlich als auslaufendes Modell bewertet und entwertet. So sind nun einmal die Spielregeln. Im friedlich-freundlichen Wettbewerb können Interessen, die sich nicht rechnen, nur vorläufig berücksichtigt werden. Und seien es nur die sanftenWünsche harmloser Rentner, wie Philemon und Bauds, die dem Streben des Unternehmers Dr. Heinrich Faust im Wege stehen. Im Wettbewerb kann bei Rationalisierungsmaßnahmen aus Tausch schon einmal Raub oder eine »unfreundliche Übernahme« werden, wie es die beidenAlten erfahren mussten. Mit seinem Faust schuf Goethe ein Bild des in die Welt ausgreifenden Unternehmers, der zum Opfer seines ruhelosen und damit ziellosen Strebens im globalisierten Wettbewerb wird, das nie zum Ende kommt. Es sei denn, einem gelingt es, alle Konkurrenz zu verdrängen, viele schwächere Philemons und Bauds' zu vernichten und damit den Wettbewerb aufzuheben. Darin liegt die geheimste Sehnsucht aller, die wie Faust den Wettbewerb antreiben, um andere zu verdrängen, auszuschalten, aufzukaufen, sich unterzuordnen: nämlich Konkurrenz zu beseitigen und möglichst allein den Markt zu beherrschen.
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Bei solchen Absichten sah Goethe die unheilvollen, veloziferischen Kräfte am Werk, sich die Natur, die Wissenschaften und den Menschen in einem ungezähmten Kapitalismus unterzuordnen. Der Neuhumanismus, die Weimarer und Berliner Klassik waren ein Versuch, mit Bildungs- und Kulturideen die Tendenz des alles beschleunigenden Vernutzungsdenkens abzuschwächen und beruhigend beeinflussen zu können. Die Kultur, die Beschäftigung mit dem Guten und Wahren, die zum Schönen fuhrt, wurde der Welt der Arbeit entgegengestellt. Die Kultur, nicht die Muße- doch Kultur braucht Zeit und erfüllt sich in frei bestimmter Zeit- sollte Gefahren abwehren, um Natur, Mensch und Wissenschaften vor Übergriffen zu schützen. Das gelang nur unvollkommen. Doch das Menschenbild und die Bildungsidee der Neuhumanisten blieben als Gegenentwurf zur zeitverschlingenden Beschleunigung sämtlicher Lebens- und Arbeitsrhythmen unvergessen. Der Markt ermöglichte vieles, aber kein Menschenbild. Wenn Arbeiter sich zu einer Form des Menschseins bilden wollten, mussten sie auf diese ))klassischen« Überlieferungen zurückgreifen, schon allein, weil sie für einen Zögling des humanistischen Gymnasiums wie etwa Marx ganz selbstverständlich waren. Für Goethe war der Mensch ein lebendes, handelndes und wirkendes Wesen. Diese Anschauung bot genügend Anknüpfungspunkte, jedem dazu zu verhelfen, in sich eins und rund zu sein, obschon jeweils beschränkt und geprägt von Umständen und Bezügen. Trotz deren Macht über ihn kann der Mensch lernen, »das Folgerechte nicht an den Umständen, sondern in sich selbst zu suchen, dort wird er's finden, mit Liebe hegen und pflegen«.
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Goethe erinnert den in der Arbeitswelt ganz auf sich zurückgeworfenen Menschen an den Weg nach innen, um darüber die Energie zu gewinnen, mit fruchtbarer Tätigkeit in seinem Lebenskreis sich und den anderen zu helfen. »Und dein Streben, sei's in Liebe,/Und dein Leben sei die Tat.« Dabei soll sich der Mensch aber immer seines beschränkten Wesens bewusst bleiben. »Unsere Beschränkung zu überdenken, ist der Sonntag gewidmet«, auch der Tätig-Tüchtige braucht Besinnung und Ruhe. Aber »die Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen genötigt ist, sollte er anwenden, eine deutliche Erkenntnis der äußerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit erleichtern«. Der Einzelne wird dauernd von sich wieder auf die Welt und seine einseitige Stellung in ihr verwiesen. Das war Goethes humanistischer Realismus, der sich durchaus mit einem maßvollen Nützlichkeitsdenken vertrug. Mit Alexander von Humboldt war sich Goethe darin einig, dass die Naturwissenschaften dazu beitragen sollten, den Lebensgenuss und die Daseinsfreude zu erhöhen. Gerade Arbeiter mussten entsprechend den liberalen Verheißungen im wissenschaftlich-technischen Fortschritt ein Mittel zu ihrer Emanzipation und einem unbeschwerteren Leben erkennen. Die Begeisterung für den Fortschritt, für die rasche Folge sich überstürzender Erfindungen und der Wunsch, sich eine Kultur anzueignen, deren Menschen bildende Ideen festgelegt waren, bevor die Proletarier als neue Erscheinung sich massenhaft in den Städten drängten, verschmolzen zu einer großen Bewegung mit dem Ziel, in Freiheit zur wahren Form des Menschseins zu finden. Nicht der Markt mit seinen geheimnisvollen Kräften,
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die alle Spannungen lösen und das gestörte Gleichgewicht wiederherstellen, ermöglichte den Arbeitern kürzere Arbeitszeiten, Freiheiten und soziale Sicherheiten und damit ihre Menschwerdung. Es war der Staat, der als Rechts- und Kulturstaat eben auch zum Sozialstaat werden musste, um die größte Zahl nicht dem größten Unglück zu überlassen. Der Staat konnte nicht ein Klassenstaat bleiben, der »Besitz und Bildung« protegierte. Auch der Ärmste und Entrechtete sollte erfahren, wie Bismarck forderte, dass »der Staat nicht bloß eine notwendige, sondern auch eine wohltätige Einrichtung für ihn darstellt«. Die Industriellen klagten, dem internationalen Wettbewerb nicht mehr gewachsen zu sein bei den unmäßigen Belastungen, die geringere Arbeitszeiten, höhere Löhne und soziale Leistungen für sie verursachten. Davon ließ sich Bismarck nicht beeindrucken. Eine Intervention des Staates in das Wirtschaftsleben, ))das zwangsweise Eingreifen des Staates in die persönliche Freiheit [ist] da vollauf gerechtfertigt, wo ohne dasselbe große und notwendige Ziele nicht oder nicht in der nötigen Vollkommenheit erreicht werden können«. Daran änderte sich fortan nichts mehr. Die Wirtschaft musste lernen, sich einer Ordnung zu fügen, derenHüterder Staat war.
Die Wiedergewinnung der Muße in einer Welt ohne Arbeit
Die Arbeiterfrage und Arbeitsfrage wurde über die Entpersönlichung, die Mechanisierung, Proletarisierung und Familienauflösung zu einer umfassenden sozialen Frage. Der entfesselte Kapitalismus hatte sich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts als ein Irrweg erwiesen. Es ging darum, die Unvollkommenheiten der Marktwirtschaft zu vermindern und diese in ein Rechtssystem einzuordnen, das deren Missbrauch möglichst ausschließt. Diese Aufgabe nahm der Staat wahr, um eine soziale Ordnung herzustellen. Das hieß, die Ausdehnungs- und Bewegungslust sowie die Profitmaximierung »der Wirtschaft« um der sozialen Gerechtigkeitwillen Beschränkungen zu unterwerfen. Erst in einer möglichst gerechten Ordnung kann auch die Wirtschaft zu einer gerechten, also den Menschen würdigenden und ihn nicht schädigenden Wirtschaft, zu einer sozialen Marktwirtschaft werden. In einer gerechten Ordnung geht es um den Menschen als Person, als moralischgeistige Existenz, und um all die sozialen Beziehungen, die den Sinn seines Lebens und die Voraussetzung seines Glückes ausmachen, wie nach dem Zweiten Weltkrieg Wilhelm Röpke, der Ordo-Liberale, erläuterte. Er warnte davor, dem Markt allein zu trauen, dem all die Unordnungen,
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die er verursacht, gleichgültig sind. Bis zur sozialen Marktwirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es ein langer Weg und damit bis zur Durchsetzung des Sozialstaates, nicht zuletzt wegen der verschiedenen Vorstellungen, welche Wege zu ihm führen, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und in Konkurrenz zu den sozialistischen Ideen entwickelten. Die Verkürzung der Arbeitszeit- seit 1919 auf den Achtstundentag -, der anschließende Ausbau der sozialen Sicherheitssysteme und der sozialen Wohlfahrt begleiteten die Unternehmer mit herzzerreißenden Klagen, neben denen die düsteren Betrachtungen des Propheten Jeremias an den Wassern von Babyion wie humoristische Stilübungen wirken. Gerade in diesen schweren Zeiten globaler und regionaler Umstrukturierung - ob 188o, 1900, 1925 oder 1960 - dürfe die Wirtschaft nicht weiter belastet werden, wolle man es ihr nicht unmöglich machen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Deutschland falle zurück in die zweite Liga, wie es heute heißt. Es verliert seine Weltgeltung, wie man damals sagte. Doch wie eh und je exportierte Deutschland wie ein Weltmeister und brachte sogar Eisschränke an den Nordpol und Heizöfen an den Äquator. Der Sozialstaat verdankt den Unternehmen wenig Anregungen oder Zuspruch. Erst als er im besten Verständnis Wirklichkeit geworden war nicht als Fürsorgeeinrichtung, sondern als Instrument, jedermann die gleiche Chance zu verschaffen, seines Glückes Schmied zu werden-, erkannten auch Unternehmer dessen Vorzüge. Zufriedene Arbeiter verfügen über mehr Arbeitskraft als lustlose. Die verlorene Arbeitszeit lässt sich durch Intensivierung zurückgewinnen. Bei höhe-
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rer Konzentration, schärferer Rationalisierung und weiterer Mechanisierung kann auch in der seit den sechziger Jahren geltenden Vierzigstundenwoche oder in fünfunddreißig Stunden pro Woche genauso viel produziert werden wie zuvor. Unternehmer erkannten die Vorteile innerbetrieblicher Sozialpolitik. Der Mensch bedarf gewisser Zuwendung, damit er als Arbeitskraft erfolgreich eingesetzt und verwertet werden kann. Standen Produktion und Absatz im Einklang, wurde das Lied zum Lobe des kleinen Mannes angestimmt, um ihn als braven Mann zu ehren: Der kleine Mann, der will doch schaffen. Das entsprach den Interessen der Wirtschaft, die sich nicht nach einem Menschenbild richten, sondern nach Produktion und Marktchancen. Ein Unternehmen ist keine gemeinnützige Veranstaltung. Gerade deshalb musste der Staat als Sozialstaat für Proportionen und Maß im Zusammenhang einer umfassenden Sozialordnung sorgen. Darin sah Ludwig Erhard die Aufgabe der Politik und des Staates, unberührt davon, dass seine Appelle, Maß zu halten und die Proportionen zu wahren, von Unternehmern belächelt und von Konsumenten gar nicht beachtet wurden. Außerdem gehörte der Sozialstaat zur unvermeidlichen Demokratisierung im Nationalstaat, um eine Homogenisierung unter den Imperativen der Gleichheit in der einen, gleichen und unteilbaren Nation zu erreichen, die im 19. Jahrhundert zum Ideal geworden war. Die Idee der Nation musste dem sozialen Gedanken weit entgegenkommen, um alle zu nationalisieren, zu gleichberechtigten Staatsbürgern zu machen, was bedeutete, die sozialen Unterschiede abzuflachen und jedem die Chance zum sozialen Aufstieg einzuräumen. Die egalisie-
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rende Absicht bewirkte damit eine erstaunliche Dynamik und damit eben auch Freiheiten. Die Parole »Freiheit oder Sozialismus<< führte stets in die Irre. Erst unter dem Druck des Sozialismus kam es zu sozialstaatliehen Eingriffen, die die Voraussetzungen dafür schufen, dass der Mensch sich zum freien Menschen auszubilden vermochte und damit in den Vollbesitz seiner Würde gelangte. Freiheit und Würde des Menschen, die er in früheren, den vorindustriellen Wirtschaftsordnungen besessen hatte, gingen vielfach auf dem Markt verloren. Der Staat musste sie dem Menschen wieder sichern. Alle Auswüchse, die eine gerechte Ordnung gefährden, bedürfen einer angemessenen Einschränkung. Die wirtschaftliche Freiheit musste mit der Sozialverträglichkeit ausgesöhnt werden, sollte sie nicht zur undemokratischen Herrschaft weniger über die meisten führen. Der Wettbewerb ohne Regeln und Aufsicht- gänzlich irrational in seiner Dynamik - vernichtet, saugt auf, zerstört. Deshalb herrschte in den wenigsten Augenblicken der Geschichte freie Konkurrenz, eben um die, die sie schwer aushielten, vor ihrer Vernichtung zu schützen. Doch so freundlich und friedlich geht es im Erfolgsstreben mit seinen militärischen Taktiken und Strategien nicht zu. Während zügelloser Konkurrenz wird im Kampf der Werte ausgesondert, was sich auf dem Markt als wertlos erweist. Schonung darf dabei nicht erwartet werden. Wettbewerb ohne Auflagen führt zurück in den Urzustand, in das bellum omnium contra omnes, den Krieg aller gegen alle. Um das zu verhindern, traten im Laufe der Geschichte Herrscher, Philosophen, Theologen und schließlich der Staat dazwischen, um eine Ordnung zu ermöglichen, in der auch der Schwache, dessen Freund das Gesetz ist, geborgen
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in einer Ordnung »wohnen« darf, in der die Freiheitswünsche und das Streben nach Gleichheit in Balance gehalten werden und die dadurch befähigt ist, sich als eine gerechte zu entwickeln. Für den Ökonornisrnus, das Denken in rein wirtschaftlichen Kategorien, ist der Mensch nur als Arbeitskraft, »Hurnankapital<< oder als »Hurnanressource« von Belang. Die Rationalität der technischen Verwertung verdrängt die Vorstellung vorn freien Menschen mit seiner Würde. Doch der Mensch ist mehr als nur ein Rohstoff, mehr als ein kostengünstiges Werkzeug oder unter Umständen interessantes Wagniskapital. Eine derartige Reduzierung und lnstrurnentalisierung des Menschen verletzt unmittelbar seine menschliche Würde und seine Freiheitsrechte, die vor dem Staat existierten, der nur gegründet wurde, um sie vor solchen Anschlägen zu sichern. Die Freiheit der Person schwebt allerdings im Ungewissen, sobald die materiellen Voraussetzungen für ihre sittliche Entfaltung fehlen. Es ist die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass jeder die praktische und nicht nur die ideelle Chance erhält, sich zu verwirklichen, indem er zu sich selber findet. Darum wurden die abnormen Arbeitszeiten des 19. Jahrhunderts allmählich wieder dem Normalmaß früherer Epochen angeglichen. Die Befreiung von übermäßiger Arbeit sollte tatsächlich den Menschen befreien, ihm Gelegenheit verschaffen, in freier Zeit sein Inneres zu bilden und seine personaleWürde zu entfalten. Obschon stillschweigend anerkannt wurde, dass Arbeit nicht frei macht, dass nur der von Arbeit befreite Mensch dahin zu gelangen vermag, sich zu humanisieren, sich also zum Menschen auszubilden, blieb es doch dabei, den Menschen in seinen sozialen Zusammenhängen von der Arbeit
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her zu bestimmen. Freizeit galt nur als Belohnung für den, der arbeitete und sich als Arbeiter auszeichnete. Es gab Lob und Anerkennung für »Helden der Arbeit«, auch im marktwirtschaftlichen Westen, aber Helden der Freiheit, der freien Selbstbestimmung jenseits der Zwänge der Notwendigkeit in den Stunden der Muße, wurden nie prämiert. Ganz im Gegenteil: Wer allzu selbstbewusst im klassisch-philosophischen oder theologischen Verständnis nach dem Wochenende an den Arbeitsplatz zurückkehrte, musste schnell wieder lernen, sich »einzupassen« in Produktionsabläufe, um zu funktionieren. DieProduktionsbedingungen erwarten, dass der Mensch der Arbeit und der Produktion dient. Theologen und Ethiker oder wer auch immer sich mit der Freiheit des Menschen beschäftigt, halten hingegen für den Zweck der Arbeit immer den Menschen selbst. Die Arbeit sei für den Menschen da, aber nicht der Mensch für die Arbeit, wie Papst Johannes Paul II. lehrt. Die ethische Substanz der Arbeit liege in dem Herrschaftsrecht des Menschen, der sich arbeitend die Erde untertan mache und durch die Arbeit ein vielgestaltiges Werk mannigfacher Energien beherrsche. Die Grundlage zur Bewertung menschlicher Arbeit könne daher nicht die Art der geleisteten Arbeit sein, »sondern die Tatsache, dass der, der sie verrichtet, Person ist. Die Würde der Arbeit wurzelt zutiefst nicht in ihrer objektiven, sondern in ihrer subjektiven Dimension.<< Nicht der Mensch sei ein Mittel zum Zweck, vielmehr sei das Kapital dazu bestimmt, der Arbeit zu dienen, weil die Arbeit dem Menschen dazu verhelfen solle, seiner Bestimmung gemäß zu leben, seiner Bestimmung zur Freiheit, die auch Ruhe brauche, um sich auf sich, auf Gott und seine Rechte als Person zu besinnen.
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Solche päpstliche Ermahnungen gelten unter »reinen« Ökonomen, die Johannes Paul II. allerdings nicht schätzt, als vollständig weltfremd. Erstaunlicherweise hat dieser gerade in sozialen Fragen sehr aufmerksame Papst es bislang unterlassen, eine Theologie der Muße oder der freien Zeit zu entwerfen. In der Tradition der katholischen Soziallehre blieb auch er vornehmlich mit der Würde der Arbeit und des arbeitenden Menschen beschäftigt, vielleicht aus der Überzeugung heraus, dass die ersten zwei Gebote des DekaIogs- Gott zu ehren und den Sonntag in Ruhe zu heiligen »Mußegebote« sind. Aber in einer Zeit, die nur von der Arbeit her die Würde des Menschen bestimmt, bedarf es korrigierend eines sittlich-humanen Begriffs der Muße. Zumal weil immer mehr Menschen keine Arbeit finden, immer weniger Menschen für anfallende Arbeiten gebraucht werden, »die Arbeit« immer besser ohne Menschen auskommt, aber die meisten Menschen gar nicht wissen, was sie ohne Arbeit »machen« sollen. Die Fixierung auf den Menschen als das Wesen, das arbeitet und zur Belohnung Freizeit erhält, hat es verhindert, sich auf die Vorstellungen zu besinnen, die die menschliche Bestimmung zur Freiheit jenseits von Arbeit vermuteten. Der Homo ludens, der spielende, freie und schöpferische Mensch, befreit dann das Animal laborans und den Homo faber, die sich im Reich der Notwendigkeit verzehren und erschöpfen. In diesem Sinne schlug der romantische Dichter und Landwirt Achim von Arnim unter dem Eindruck der Französischen Revolution und des beginnenden Kapitalismus eine Erziehung zu Muße und Freiheit vor, um den Demos zu aristokratisieren. Hiermit meinte er, »alles Gute und Ehrenvolle, was sich in den adligen Häusern erhalten,
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allgemein zu machen, die Welt zu adeln«. Dieser Idee folgten höchstens sehr eigenwillige sozialistische Ästheten wie Peter Hacks, nicht aber Politiker, die sich um den Ausbau des Sozialstaates kümmerten. Immerhin war es Helmut Kohl, der die Bundesrepublik einen >>Freizeitpark« schalt, und gerade Christdemokraten, die kaum die Erinnerung an Ludwig Erhard pflegten, wurden zum Vorteil »des Wachstums« der Wirtschaft nie müde, daran zu erinnern, dass die Deutschen )>Ferienweltmeister<< seien und viel zu wenig arbeiteten. Eine praktische Einweisung in ein sinnvolles Leben mit wenig oder gar keiner Arbeit konnte einer Generation gar nicht in den Sinn kommen, die sich in den Zeiten des Wiederaufbaus an die Aufforderung gewöhnt hatte: ))Und jetzt wird wieder in die Hände gespuckt,/wir fördern das Bruttosozialprodukt.« Daran sollten »die Deutschen« ununterbrochen denken, weil sie gemeinsam ;; Wunder« bewirkten. Die Arbeitsgesellschaft wandelte sich unter solchen Bedingungen gerade nicht zu einer Freizeitgesellschaft, wie das Schlagwort nahe legte. John Maynard Keynes hatte es für möglich gehalten, dass fünfzehn Stunden Arbeit in der Woche vollkommen ausreichen könnten; Oswald von Nell-Breuning, der wirkungsmächtigste Vertreter katholischer Wirtschafts- und Soziallehre, dachte sogar an eine Arbeitszeit, die sich unter Umständen auf einen Tag pro Woche begrenzen ließe. Das blieben bemerkenswerte u'berlegungen, die vor allem über den Vorteil verfügten, die Idee der Freiheit des Menschen nicht von der Arbeit her zu bestimmen, sondern wieder von der Muße oder der freien Tätigkeit in Selbstbestimmung. Da die Freizeit immer in engster Verbindung zur Arbeitszeit gesehen und ihre Berechtigung allein von der Ar-
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beit abgeleitet wurde, hielten sich auch Sozialpolitiker an die Überzeugung, dass die Persönlichkeit sich in der Arbeit entwickle und Lebensfreude ohne Arbeitsfreude ein moralisch unzulängliches Verhalten offenbare. Sie übersahen, dass die fortschreitende Selbstentfremdung bei fortschreitender Entleerung der Arbeit zu bloß mechanischen Reaktionen in einem Produktionsprozess zu solchen Einschätzungen kaum noch berechtigte. lm Übrigen gewann die Freizeit seit den fünfziger Jahren des vergangeneo Jahrhunderts eine ungeahnte wirtschaftliche Bedeutung und glich sich deshalb dem Arbeitstempo und den beschleunigten Rhythmen aus der industriellen Welt an. Die Freizeit konnte sich gar nicht von der Arbeitswelt lösen, sie wurde zu deren Erweiterung. Denn Freizeit ist Konsumzeit, in ihr wird verbraucht, was zuvor produziert wurde. Wenn sich nicht ununterbrochen der Verbrauch steigert, stagniert das Wachstum. Also nicht »Dasein ist Pflicht, und wär's ein Augenblick«, wie Goethe empfahl, ein gelungener Augenblick, bei dem der Beglückte hoffen mag: »Verweile doch, du bist so schön«, sondern Verbrauch, konsumorientiertes Freizeitverhalten. Der »Leistungsträger« verlässt die Arbeitswelt, um Leistung in der arbeitsfreien Welt zu zeigen, die nicht minder durchindustrialisiert ist. Wo sich nichts rührt, muss unbedingt etwas geschehen, Bewegung - movida - nannten deshalb Spanier ihren so genannten Müßiggang. Wer den Betrieb verlässt, stürzt sich sofort »in den Betrieb«, mit der Freizeitkleidung, die zu dem Lebensstil passt, für den er sich vorübergehend entschieden hat und der in bestimmten Erlebnisräumen mit den dazu gehörenden Accessoires von Parfums, Frisuren und dazu passenden Partnern stattfindet.
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Freizeit erfordert deshalb nicht nur Kenntnisse der Freizeitangebote und deren Nutzung, was eine ernste und zeitraubende Beschäftigung ist, sondern ungemein viel Arbeit, um sich »kreativ« zu stilisieren. Harmlose Gemüter dachten früher, nichts sei so demokratisch wie die Nacktheit, weil sie alle gleich macht. Inzwischen kann davon gar keine Rede mehr sein. Gerade der nackte Mensch bestätigt die Ungleichheit. Denn wer Geld hat und an sich arbeitet, Gewichte stemmt oder schweißtreibende Übungen vollzieht, die es im Berufsleben gar nicht mehr gibt, erarbeitet sich den Körper und damit die Schönheit, die Erfolg verheißt. Auch der Freizeitmensch bleibt im System des Erfolgsdenkens und der Arbeit, in das mittlerweile auch die Erotik oder die »Beziehungsarbeit« gänzlich integriert ist. Er wird umworben, um nicht nachlässig zu werden und gleichsam zu verwahrlosen, wenn er sich gar nicht mehr um die rasch wechselnden Moden und Stile kümmert. Die Entfremdung am Arbeitsplatz setzt sich in der Freizeit fort. Wahrscheinlich mit viel schlimmeren Konsequenzen, weil die meisten- der »leblosen« Arbeit entrückt- jetzt auf das große Erlebnis warten, überhaupt auf einen Hauch von »Spontaneität«, von der in der Arbeitswelt wenig zu verspüren ist. Leben und Erleben - das sind die Formeln der Erwartung, die nicht enttäuscht werden können, weil ununterbrochen Erlebnisse verheißen werden von der »Erlebnisindustrie«, dem mittlerweile wichtigsten Erwerbszweig. Ob einer arbeitet oder feiert, er kommt aus den ökonomischen Abhängigkeiten nicht heraus, und wenn er es will, verwickelt er sich erst recht in den Zwängen einer Konsumgesellschaft. Diese schließt nicht aus, dass der Einzelne in ihr zur Freiheit gelangt, aber das ist nicht ihr Ziel.
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Denn der freie Mensch, der sich von allen werbenden Versprechen unabhängig hält, verwirrt mit seiner Unberechenbarlreit den Markt. Selbst seine Metamorphose vom Menschen zum Verbraucher beruhigt keineswegs. Damit er seinen Status als Konsument gehobenen Geschmackes wahrt, muss er nun erst recht ununterbrochen durch Neuigkeiten angeregt und als Kautkraft im Verwertungsprozess der sich überholenden Waren aktiviert werden. Freizeit als Muße, als Zeit eigenwilliger Selbstbestimmung bekundet ein in hohem Maße verantwortungsloses, sozialschädliches Verhalten, das unter keinen Umständen zu empfehlen ist, vor dem vielmehr unbedingt gewarnt werden muss. Insofern lässt sich Freizeit nicht mit Freiheit gleichsetzen. Abgesehen von den Erlebnissen und Erfahrungen, deren Suche viele in Zeit- und Atemnot bringt, warten nach der Arbeit im Garten, im Haushalt, in der Garage zeitverschlingende Aufgaben. Kultur ist eine Dienstbotenfrage. Dienstboten leisten sich höchstens noch die ganz Reichen. Das Leben ist für alle umständlicher und beschwerlicher geworden, trotz maschineller Hilfen. Wer keine Lust hat oder einfach dafür unbegabt ist, sich nebenher handwerkliche Fähigkeiten und vor allem Computerkenntnisse anzueignen, den bestraft das Leben in Form erstaunlicher Rechnungen saumseliger Kundendienste oder kaum zu erreichender Handwerker. Kurz und gut, es ist gar nicht so leicht für den Menschen, in der Freizeit endlich zur Ruhe zu kommen. Hat er seine wohlverdiente Ruhe, dann schaut er am Fernseher Autorennen zu, Motorradrennen, Wettrennen aller Art in Eis und Schnee oder auf Sandbahnen, um das Tempo, das ihm sonst zusetzt, nun, als Höchstleistung, als Sieg in der Zeit über die Zeit zu genießen.
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Die Schnelligkeit oder Geschwindigkeit ist indessen selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens. Immer rascher können wir in immer fernere Gegenden aufbrechen, in denen wir uns immer kürzer aufhalten. Schnellgerichte verkürzen das Essen, alle möglichen Transportmittel bringen ihre Kunden immer geschwinder ans gewünschte Ziel. Verzögern sich bei technischen Geräten Funktionen auch nur um Sekunden, dann bricht sofort Nervosität aus. Überhaupt die Nerven: Erst seit der industriellen Revolution wissen die meisten Menschen, dass sie Nerven haben und vor allem sehr empfindliche. Seitdem wissen sie auch, dass sie keine Zeit haben und gerne einmal aus der Tretmühle des Alltags herausmöchten, um so richtig zu entspannen. Weil die Zeit nicht ihre ist, die arbeitenden Menschen sich Zeitordnungen einfügen müssen und nicht Herr über die Zeiteinteilung sind, wurde die leere Zeit, die Langweile, zu einem Phänomen, das seit der Industrialisierung die Europäer beschäftigt. Um ihr zu entrinnen, bot sich kein anderer Ausweg, als sich von einer Abwechslung in die nächste zu stürzen. Wer die Ruhe vermied und sich die Zeit regelrecht vertrieb, indem er sie zu vergessen suchte, fiel wenigstens nicht auf sich selbst zurück, auf das beunruhigte Ich, das sich in Zeit und Raum nicht mehr zurechtfand. Der Narr Valerio in Büchners »Leonce und Lena« wusste einen guten Rat: »Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monde nur noch nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht.« Aber wahrscheinlich ist schon der findige Kopf unterwegs, der Blumenuhren auf den Markt bringt. Seinen Polypenarmen entrinnt keiner, nicht einmal der Poet.
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Dies alles brachte ein weiteres Unbehagen mit sich: Der Mensch wurde fremd in seiner Umwelt, in der Welt. Das Gefühl, nicht daheim, unbehaust zu sein, seinen eigenen Ort verloren zu haben, bekümmerte Adorno ebenso wie Heidegger, die sonst möglichst nichts miteinander gemein haben wollten. Es gab auf einmal eine innerste Wohnungsnot der Menschen, des unbehausten, obschon doch Mensch sein heißt, zu bauen, zu wohnen, sich in der Welt einzurichten und Goethes Aufforderung zu beherzigen: »Am Sein erhalte dich beglückt.« Das Leben ist alsotrotzfreier Zeit anstrengend und soll es auch sein, damit ein ruheloser, weil nie vollends befriedigter Verbraucher rund um die Uhr von Bedürfnissen unter Druck gesetzt wird, die er gar nicht hätte, würden sie ihm nicht als Daseinserleichterung suggeriert. Dem Kunden verschafft es Bequemlichkeiten, an den seltsamsten Orten und zu ungewöhnlicher Zeit die absonderlichstenWünsche erfüllt zu bekommen. Maschinen oder Automaten dürfen nicht ruhen. Schließlich waren sie teuer und werden schnell durch neue Modelle überholt, so dass sie sich nur bei intensiver Ausnutzung »rechnen« und bald als veraltet aussortiert werden. Maschinen kennen keinen Sonntag und Feiertag. Der Mensch, der arbeitend im theo-
gebot zu haben, weil das die Konjunktur belebt und das Wachstum anregt. Vom Wachstum sprechen die Ökonomen, wie Christen von der selig machenden Gnade reden. Christen dürfen sich darauf verlassen, dass die Gnadenmittel der göttlichen Erlösungsökonomie unerschöpflich sind. Die unterschiedlichsten Wirtschaftskrisen, die der Markt verursachte und die mit Hilfe des Staates anschließend gelöst werden mussten, dämpften seit eh und je allzu ekstatische Verzückungen über die frohe Botschaft von des Marktes unendlichen Gnadenschätzen. Die ökonomische Utopie, die wie eine beflügelnde, die Phantasie erweiternde Droge jedem zum täglichen Gebrauch gereicht wird, lebt von der Hoffnung unendlicher Bedürfnisse des Menschen und deswegen unendlich steigerungsfähiger Produktion. Der Markt, wenn man ihn nur lasse, werde wachsen und wachsen und wachsen. Meist wächst er aber gar nicht. Und manche Anzeichen lassen vermuten, dass sich die überstürzende Beschleunigung irrationaler Produktions- und Verbrauchserwartungen ad absurdum treibt. Es gibt Sättigungsgrade bei der Bedürfnisbefriedigung. In der Überflussgesellschaft von heute hat jeder alles. Nur noch die »schöpferische Zerstörung« statt des Abwar-
logischen Sinn in der Welt herrscht, muss sich dem Rhythmus der Maschinen anpassen, die er bedient, denen er dient. Sonn- und Feiertage sind eine Umsatzbremse und altmodische Bastion, die es zu schleifen gilt, damit EiD-
tens auf den Verschleiß der Produkte hilft alsbald, um den Kreislauf von Angebot und Nachfrage vor Staus und anderen Lähmungen zu bewahren. Immer mehr Menschen stehen als Arbeitslose am Rande des Marktes. Sie finden Geiz nicht geil. Sie müssen rechnen und sparen. Noch vor einigen Jahren galt den Besserverdienenden Arbeitslosigkeit als Unterschichtenproblem, das für sie von mäßigem Interesse war. Sie waren schließlich kreativ, mobil, immer unter
kaufsparadiese nicht Einbußen erleiden. Religion ist Privatsache, sie darf deshalb dem »öffentlichen« Interesse nicht im Wege stehen, Vergnügen, Genuss, Ablenkung - die Arbeit voraussetzen- zu allen Tages- und Jahreszeiten im An-
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Strom und ständig im Aufbruch irgendwohin. Jetzt zeigt sich, dass sie nirgendwo angekommen sind, beziehungsweise dort, wo sie im Vertrauen auf die wunderbaren Kräfte des Marktes nie zu stranden dachten: an den Ufern der Arbeitslosigkeit. Wenn immer mehr Menschen immer weniger konsumieren können, weil immer weniger überhaupt noch arbeiten dürfen, dann verliert der umtriebige Ökonomismus den Boden unter den Füßen. Im Absterben des Sinns für die Wirklichkeit sah schon vor Jahrzehnten Schumpeter den Kern aller Schwierigkeiten, nicht nur der ökonomischen. Zur Wirklichkeit gehört mittlerweile wieder die Arbeitslosigkeit, die Armut, die wachsende Verelendung. Sie wird von einem sich überstürzenden und kaum noch kontrollierten Kapitalismus hingenommen, nicht einmal wahrgenommen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wer seinen Marktwert falsch beurteilt, muss sich nicht wundern, wenn er durch den Rost fällt. Erfolg hat nur der Innovative, Mobile und Kreative, der einfach mitschwingt im System. Wer darin Nachhilfestunden braucht, hat schon verspielt. Diese sozialdarwinistischen Verhaltensregeln verwirren auf einmal jene, die unlängst noch jung, dynamisch und vielversprechend auftraten und zu ihrer Überraschung dennoch irgendwann notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer fielen. Die wachsende Unübersichtlichkeit, die Ökonomen wegen der Verengung der Idee des Wettbewerbes auf rein wirtschaftliche Zwecke und erobernde Marktstrategien verursachen, vermischt sich mit den Unsicherheiten später Kulturen. Die Europäer wissen, dass sie in späten Zeiten leben, in post-industriellen, in post-modernen, möglicherweise sogar am Ende der Geschichte, im
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Post-Histoire. Sie streben, wie es oft heißt, nach post-materiellen Genüssen. Die alten Europäer erleben ihre Spätantike, die gleichwohl einen Aufbruch ankündigen soll wie ehedem die Spätantike der alten Römer. Im kaiserlichen Rom verbreitete sich, trotz des Wohlstandes, den die Pax Romana ermöglichte, und humanistischer Sitten, die auch den Sklaven als Menschen achteten, ein Unbehagen nicht unbedingt an der Kultur generell, aber an der Kultur, in der man lebte. Es gab vagabundierende geistig-seelische Sehnsüchte, die durch gehobenen Konsum oder durch Brot und Spiele nicht gestillt werden konnten. Die Römer suchten post-materielle Gewissheiten, die sie endlich im Christentum fanden. Das veränderte ihre ' Lebenserwartung, ihre Lebensvorstellungen und vor allem ihre Vorstellungen von »Lebensqualität«. Selbst Marktweiber konnten im s. Jahrhundert in Ephesus heftig werden, wenn es um die Geheimnisse des wahren Gottes und wahren Menschen in der Person Christi ging. Sie dachten weniger an das Geschäft als an Ideen, die zugleich Wahrheit und Wirklichkeit einander nahe bringen. Zu den Irritationen seit der industriellen Revolution gehört die Erfahrung des Wirklichkeitsverlustes, weil die Bestimmung über die Zeit zur Fremdbestimmung geworden war - ob bei der Arbeit oder in der arbeitsfreien Zeit. Der Dichter mag sich mit diesem Verlust abfinden. Der gewöhnliche Mensch aber verliert seine Sicherheit, sobald ihm das undurchsichtig wird, was er Wirklichkeit, Gegenwart, Erlebnis der Zeit nennt. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich - höchstens für Ökonomen -, dass der Markt nicht mehr als der Ort betrachtet wird, der ununterbrochen Wunder und Weihen bereit hält, die überraschen
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und beglücken. Viele sind vom Markt und seinen Mechanismen enttäuscht und schauen sich verständlicherweise anderwärts um. Der Aufstieg vom Menschen über die Arbeitskraft zur Kaufkraft, wie ihn sich strenge Marktwirtschaftler erhoffen, scheitert also schon an den Bedingungen der freien Marktwirtschaft. Ganz abgesehen davon, dass Schiller oder Humboldt, Marx oder Lassalle in einem solchen »Aufstieg« eine fürchterliche Entwürdigung des zur Freiheit berufenen Menschen sahen. Darin äußerte sich für sie nur eine weitere Steigerung der Entfremdung, indem der Mensch daran gehindert wird, zur Ruhe, zum Nachdenken zu kommen. Freiheit und Selbstbestimmung hängen aber vor allem davon ab, sich vorübergehend von der Welt zu lösen, ihr den Rücken zu kehren und sich auf sich selbst zurückzuziehen. Das meint Apperzeptionsverweigerung, unabhängig von den Tagesthemen und der demokratischen Übereinstimmungskultur Tage oder Wochen zu verbringen. Goethe staunte, wie viel Zeit er gewann, als er in seinen letzten Jahren aufhörte, Zeitung zu lesen. »Man kümmert sich doch nur um das, was andere tun und treiben, und versäumt, was einem zunächst obliegt.« Gerade um aus der Selbstentfremdung herauszufinden, bedarf es der Einübung in die Gegenkräfte, die helfen, sich der Versklavung durch die Dinge, durch Produktionsprozesse und Warenverbrauch entziehen zu können. Die Welt der Innerlichkeit ist eine Gegenwelt der Einsamkeit und der Ruhe, die Voraussetzung zum Nachdenken sind, um sich anschließend wieder der Welt und Umwelt zuzuwenden. Das Tier lebt immer außer sich, dauernd beunruhigt von der Umwelt, es kann sich nicht in sich versenken. Der
Mensch, will er sich nicht mit der Selbstentfremdung begnügen, muß sich mit sich selbst anfreunden, um zu seinem Selbst und authentischen Ich zu gelangen, woran Ortega y Gasset unermüdlich erinnerte. Denn »wir denken, um am Leben zu bleiben«, unser Leben zu gewinnen im Sinne Pindars: »Werde, der du bist.« Die Animateure der Zeitvertreibsindustrie sehen darin eine Gefahr, weil der Konsument über solche Anregungen dem Markt entfremdet wird. Die erwünschte Marktfrömmigkeit setzt ja für ihre segensreiche Wirksamkeit die Selbstentäußerung voraus, den Verzicht, zu sich als einem unverwechselbaren Selbst zu finden. Allerdings- es gibt die »Freigesetzten«, die der Markt als unbrauchbar in die Freiheit entlässt. Die Freigesetzten, die Arbeitslosen, sind ungeachtet des Zynismus der Marktwirtschaft das wahrscheinlich bald unerschöpfliche Reservoir humaner Bildung. Ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig, als sich zum Menschen zu bilden, wenn sie nicht vollends untergehen wollen. Die noch Beschäftigten sind vorzugsweise damit beschäftigt, beschäftigt zu bleiben. Jeder klassische Tyrann kann sich keine besseren Bedingungen für seine Herrschaft über Unselbstständige vorstellen, die nur ein Ziel haben, in gesicherter Abhängigkeit zu bleiben. Wilhelm von Humboldt sprach unter schwierigsten wirtschaftlichen wie allgemein politischen Bedingungen vom >>Verbesserungsgeschäft der Nation«, womit er die Verbesserung des Charakters und der Gesinnungen der ungetrennten Masse aller Preußen meinte. Sie sollten zum wahren Zweck des Menschen hingeführt werden, zur »höchsten und proportionierlichsten Bildung seiner Kräfte zum
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Ganzen«. Der freie Mensch, wie ihn die Verfassung voraussetzt, wie ihn Demokraten sich wünschen, ist der freie, unabhängige, humanisierte Mensch, der zum Menschen gebildete Mensch, wie Humboldt und all die anderen Idealisten ihn sich vorstellten und wie ihn sich Karl Marx in Anlehnung an sie als Sozialästhet, der er auch war, erhoffte. Dazu gehörte auch eine Ordnung der Arbeit und der Arbeitszeiten, und zwar eine Ordnung, die sich dem Menschen anpasst, damit er sich in ihr sinnvoll und beglückt zu entfalten vermag. Humboldt, ein griesgrämig immer Beschäftigter, dachte an Muße, die zu einer Gesellschaft der Freien gehört. Er träumte, weil ein Opfer des Fleißes, von Leichtigkeit, Schönheit, Eleganz, von den anmutigen Eigenschaften,die ihm fehlten und die er nicht nur allen Preußen, sondern allen Menschen wünschte. All die wirtschaftlichen Zwänge nahm er zur Kenntnis. Aber gerade sie sollten einen Staat nicht so bedrücken, dass er darüber jenen höheren Zweck versäumte, der Freiheit eine breite Gasse zu schlagen. Für Humboldt war es selbstverständlich, dass der Staat als Hüter der Freiheit auftritt, um jeden vor ihn bedrückenden privaten Interessen, eben auch wirtschaftlichen, zu schützen. Er brachte dem Markt und dem Geld viel mehr Misstrauen entgegen als dem neutralen Staat, dessen Macht er gleichwohl beschränkt wissen wollte. Als freier Geist glaubte er, dass die Diskussion der Freien, das ewige Gespräch der Emanzipierten mit den noch nicht Befreiten oder unzulänglich Gebildeten »das System« verändern werde. Türgen Habermas konnte später solche Überlegungen fortsetzen. Humboldt erhoffte Bildung, und das hieß Bildung zur Freiheit vorerst unter dem Schutz des Staates. Es ist heute der Staat, der gerade an diese Pflicht
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wieder erinnert werden muss. Denn wenn Arbeit nicht vorhanden und auch gar nicht mehr zu erwarten ist, dass neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, haben die Arbeitslosen, die Freigesetzten, ein Recht darauf, in ihrer Freiheit dennoch nicht behindert zu werden. Ihre Freiheit gehört zu ihrer Würde. Der Mensch ist zur Freiheit berufen, nicht zur Arbeit. Das sagen die klassischen Philosophen, das sagen die Theologen, ungeachtet praktischer Einschränkungen. Sobald die meisten nicht mehr arbeiten, weil sie zu jung, zu alt oder ohnehin nicht zu beschäftigen sind, erübrigen sich die Floskeln aus der ehemaligen Arbeitsgesellschaft, die zu träge ist, sich auf die neuen Herausforderungen einzulassen, die Arbeitslosigkeit nämlich als Chance aufzufassen, zu einer Gesellschaft der wirklich Freien zu gelangen. Der Arbeitslose ist vorerst um die Aussicht betrogen, sich frei entwickeln zu können. Wer keinen Anteil an der Arbeits- und Konsumgesellschaft hat, gerät an deren Rand und verliert die ihm durch die Verfassung garantierte Möglichkeit, sich gemäß seinen Begabungen als Gleicher unter Gleichen zu entfalten. Das gehört zu seinen Rechten und zu seiner Würde. Doch wird es eine Vollbeschäftigung nicht mehr geben. Ist aber nicht mehr genug Arbeit für alle vorhanden, liegt es nahe, dass der Mensch und die Gesellschaft nicht weiterhin von der Arbeit her bestimmt werden. Die strukturelle Krise unserer Gesellschaft ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass sie zäh und unbeirrbar an antiquierten Vorstellungen über die Bedeutung der Arbeit festhält Die Voraussetzung für erfolgreiche Reformen, für Freiheit und soziale Sicherheit besteht in dem entschlossenen Bruch mit den überkommenen Lebensmodellen. Davor
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schreckt die Gesellschaft ängstlich zurück. Ihr fehlt es an Wagemut, sich auf die Freiheit zu verlassen und vom tatsächlich freigesetzten Menschen, von der Muße her, sich eine Gesellschaft zu entwerfen, in der jeder die Chance hat, sich zu verbessern, sich also zum Menschen zu bilden. Das heißt, dass der Staat sich lösen muss von den selbst auferlegten Zwängen zur Förderung einseitiger Berufsausbildung, Zwänge, in die er sich fügte, weil die Wirtschaft nun einmal als Schicksal betrachtet wird, wie früher die Politik und noch früher der Deus ex machina, der Gott in der Tragödie. Warum junge Leute für Berufe ausbilden, die voraussichtlich der Rationalisierung zum Opfer fallen oder überhaupt überflüssig werden? Allgemeine Bildung, die Bildung zu einem Ganzen, befähigt den Menschen auf jeden Fall dazu, die wechselnden Herausforderungen im Leben zu bestehen, weil Bildung die Phantasie beschäftigt und dadurch zu geistiger Beweglichkeit verhilft. Das, was sich heute als nützlich und praktisch erweist, gilt in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht als höchst unangemessen und unpraktisch. Erfolgverheißender wäre es darum, an Humboldt wieder anzuknüpfen, um aus dem Reich der Notwendigkeiten mit seinen Irrwegen und Sackgassen herauszufinden. Aber dafür bedarf es wohl noch weiterer Krisen und weiterer Ratlosigkeit.
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