Seewölfe
Kosaren der Weltmeere � Nr.11 �
AdamHandy �
FOX � Volle Breitseite � Seeaberteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN ...
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Seewölfe
Kosaren der Weltmeere � Nr.11 �
AdamHandy �
FOX � Volle Breitseite � Seeaberteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN � ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN � UND SEESCHLACHTEN � DES KÖNIGLICHEN � LIEUTENANTS FOX UNTER � ADMIRAL NELSON �
Ausgerechnet an seinem Geburtstag flog Commander George Abercrombie Fox mit seinem Brander in die Luft. Doch zuvor hatte er seine Leute mit Gewalt von Bord jagen müssen. Aber sie waren nicht einfach davangepullt, sondern warteten auf ihren Foxey. Und als sie sich bald darauf mit einem französischen Patrouillenboot herumschlagen mußten, war es wieder ihr Commander, der sie in einem Einmannunternehmen herauspaukte…
GEORGE ABERCROMBIE FOX wurde am 29. September 1765 in London geboren. Den Namen bekam er nach seinem Onkel, der in Tyborn gehängt wurde. Mit zehn Jahren war er Mitglied einer Geschützmannschaft der Königlichen Marine. 1793 wurde er zum Lieutenant befördert. 1800 war er immer noch Lieutenant, weil seine Beförderung verhindert wurde. Er war ein Mann mit großen Talenten und bewundernswertem Mut – ein Mann, der nur den Krieg kannte und den Tod.
Originaltitel: BLOOD BEACH � Aus dem Englischen übertragen von Dr. E. Sander �
SEEWÖLFE-Bücher erscheinen 14täglich im � Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus. � Copyright © 1975 by Adam Hardy und Erich Pabel Verlag KG. � Redaktion: Pabel Verlag KG, 8 München 2, Augustenstraße 10. � Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG. � Gesamtherstellung: Erich Pabel Verlag KG. � Einzelpreis: DM 1,80 (inkl. 5,5% Mwst.). � Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: � Waldbaur-Vertrieb, A-5020 Salzburg, � Franz-Josef-Straße 21. � NACHDRUCKDIENST: � Edith Wöhlbier, 2 Hamburg 1, Buchardstraße 11, � Telefon 040/33961629, Telex 02/161024. � Printed in Germany. � August 1975 �
1. Es sah Fox wirklich ähnlich, daß er sich an seinem Geburtstag in die Luft jagen ließ. George Abercrombie Fox flog hoch durch die Luft. Er riß die Augen auf. Flammen und Feuer, sprühende Funken, ein rasendes Inferno, orangerote Zungen schossen aus den drei brennenden Schiffen. Fox sah die Flammenhölle um sich kreisen, als er in hohem Bogen durch die Nachtluft wirbelte. Zwischen den Schiffen brodelte tintenschwarzes Wasser, die Klippen reflektierten den Feuerschein. Der Lärm ringsum war ohrenbetäubend, die heiße Luft schien seine Lungen zu versengen. Und dann stürzte er auf das Meer zu. Wenige Sekunden, bevor er ins Wasser klatschte, spürte er einen brennenden Schmerz am Hinterteil, und da wußte er, daß seine Hose auf dem Achterdeck des Branders ›Nuthatch‹, seines letzten Kommandos, Feuer gefangen hatte. Kalt umfing ihn das Wasser. Er kämpfte sich wieder zur Oberfläche hoch und sah die Bucht in zuckendem Licht. Er schüttelte den Kopf, beißende Kälte durchdrang seine Knochen. Er war genau in dem Augenblick in die Luft geflogen, als er zum. rettenden Sprung ins Wasser angesetzt hatte. Abgesehen von den leichten Brandwunden am Hintern schien er unverletzt zu sein. Vor der Einfahrt von Point Avenglas ging die ›Nuthatch‹ mit ihrer sorgsam verteilten Fracht von Brennmaterial und Pulver
in Flammen auf. Mit ihrem Feuer zerstörte sie nicht nur sich selbst, sondern auch die beiden französischen Fregatten, wie es geplant gewesen war. Jetzt beschoß der verrückte korsische Bandit Bonaparte zwei Schiffe weniger, zwei gefährliche, starke Schiffe konnten ihm nun nicht mehr im Kampf gegen England beistehen. Es war nicht auszudenken, welchen Schaden diese beiden Fregatten in der englischen Marine hätten anstellen können. Aber jetzt hatte Fox sie ausgeschaltet. Unter anderen Umständen wäre dieser Gedanke für Commander Fox sehr tröstlich gewesen. Aber jetzt mußte er erst einmal sehen, daß er sich in Sicherheit brachte. Natürlich könnte er quer durch die Bucht zu den englischen Schiffen schwimmen. Aber französische Wachboote schnüffelten hier herum und hielten nach Feinden Ausschau, die im Wasser trieben. Und Fox verspürte wenig Lust, den Rest dieses Krieges in einem stinkenden französischen Gefängnis zu verbringen. Jetzt konnte er wieder besser atmen. Er fühlte sich, als sei er von der Saling eines Dreideckers durch die Großluke gefallen. Aber er lebte noch. Er schwamm von der Einfahrt weg, wo die drei Schiffe brannten und Funken in den Nachthimmel spuckten und Rauchwolken verströmten, die den Bewohnern von Point Avenglas in Augen und Lungen brennen mußten. Mit kräftigen Zügen schwamm er in die offene See hinaus. Rechts von ihm glitten die massigen Umrisse des Blockadeschiffes vorbei. Die beiden britischen Brander hatten diesen Schiffsrumpf nicht zerstört, und so war Fox gezwungen gewesen, seine brennende ›Nuthatch‹ auf die Einfahrt zuzusteuern, um die beiden Fregatten niederzubrennen. Irgendwo in der Bucht ruderte die Besatzung der ›Nuthatch‹
ins offene Meer hinaus, zu den englischen Schiffen. Die Szene rings um ihn hätte den Dichter Dante in Entzücken versetzt. Die Flammen, das Donnern der Geschütze, die Schreie der Männer, das Zischen der glühenden Kanonenkugeln – das alles verschmolz zu einer Symphonie kriegerischer Zerstörung. Solche Szenen gehörten zu Fox Leben, seit er an Bord der alten ›Henrietta‹ als Pulverjunge gedient hatte. Er hatte seine Pflicht verdammt gut erfüllt, und er war noch am Leben. Und, bei Gott – er hatte Geburtstag! Das Krachen einer Muskete, in nächster Nähe abgefeuert, übertönte den Lärm. Die Kugel schlug dicht neben seinem Kopf ins Wasser. Fox holte tief Luft, tauchte unter, schwamm unter der Wasseroberfläche weiter und hielt den Atem mit jener Leichtigkeit an, die gute Seemänner beinah zu Meereswesen werden ließ. Nach, einiger Zeit tauchte er wieder auf und schwamm in rhythmischen Zügen weiter. Wie hatte der alte Swede einmal kopfschüttelnd gesagt? »Es ist grausam für einen Seemann, schwimmen zu können, Abe. Damit verlängert er seine Qualen nur.« Er hatte das Blockadeschiff längst hinter sich gelassen und näherte sich nun der Mitte der Bucht. Hinter dem flammensprühenden Wasser, verloren im Dunkel, erhoben sich die Klippen von Point Avenglas, die die Bucht umgaben. Dort oben hatte er und der Spion Etienne diesen Ankerplatz beobachtet und die Zerstörung der beiden Fregatten eingeleitet, die jetzt, nachdem der Plan verwirklicht worden war, in Flammen aufgingen. Der Feuerschein, der über die Klippen glitt, spiegelte sich in den Wellen, durch die Fox schwamm. Der Plan war verwirklicht worden – ja. Aber nur auf zweitbeste Art. Dem alten spu-
ckenden und hustenden Admiral Cloughton wäre es bestimmt lieber gewesen, wenn seine Männer die zwei französischen Fregatten gekapert hätten. Er hatte mit den Fregatten aus der Bucht segeln wollen, in die freudig geöffneten Arme der Royal Navy. Das wäre dann ein wahrhaft glorreicher Sieg gewesen, und abgesehen von Ruhm und Ehre, auf die es George Abercrombie Fox nicht so sehr ankam, hätte es für die Beteiligten einen ganz schönen Batzen Prisengeld gegeben. Aber die Boote der Briten hatten ihre Chance an der Hafensperre von Piont Avenglas vertan, und so hatte Fox sich gezwungen gesehen, allein vorzugehen, die zweite Phase des Planes zu verwirklichen und die beiden französischen Fregatten niederzubrennen. Fox hatte es noch nie gern gesehen, wenn schöne Schiffe dem Feuer zum Opfer fielen. Und zum Bedauern über den Verlust der zwei Fregatten ergab sich jetzt auch noch die beklagenswerte Tatsache, daß er wieder einmal um sein Prisengeld betrogen worden war. Das Wasser, im späten September schon empfindlich kalt, begann allmählich seine Glieder zu lähmen. Er sah die Umrisse des Bootes vor sich mit Erleichterung, aber auch mit Mißtrauen. Über die ganze Bucht waren Boote verstreut, Wrackteile trieben herum, immer wieder sah er Leichen in den Wellen auftauchen und wieder versinken. Vorsichtig näherte sich Fox dem Boot und umrundete es. Er konnte kein Anzeichen sehen, ob das Boot besetzt war. Keine Köpfe und Schultern tauchten über dem Dollbord auf, keine Arme zogen an den Riemen. Er holte tief Atem, stützte sich auf den Heckbalken und stemmte sich hoch. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er in die Schatten im Inneren des Bootes.
Wenn irgendein französischer Soldat oder Seemann ihm jetzt einen Säbel oder Pistolenlauf über den Kopf schlagen sollte – nun, dergleichen war Fox gewohnt. Er war darauf vorbereitet. Aber es geschah nichts. Lustlos schaukelte das Boot auf den Wellen. In einiger Entfernung an Steuerbord spuckte die Kanonenbrigg Seiner britischen Majestät ›Glowworm‹ rotglühende Funken in den Himmel. Ihr Feuer war nur ein schwacher Schimmer im Vergleich zu dem gigantischen Flammenmeer, das von der ›Nuthatch‹ und den beiden Fregatten aufloderte. Im Feuerschein sah Fox Schatten am Boden des Bootes und orangefarben blitzenden Stahl. Er schob ein Knie über den Heckbalken und ließ sich auf die Achterducht gleiten. Das Boot war groß und geräumig, und er wußte bereits, daß es sich um ein französisches Boot handelte. Vorn am Bug reckte eine Kanone ihre häßliche Schnauze hoch. Vorsichtig bewegte er sich weiter. Drei Soldaten und zwei Seemänner lagen auf den Bodenbrettern oder hingen über den Duchten. Sie waren alle tot. Ein Teil des Dollbords sah aus, als hätte ein tollwütiger Hund seinen Fang hineingeschlagen. Aber dieses Werk hatte eine Kanonenkugel vollbracht. Das Boot hatte eine Patrouillenfahrt unternommen und war dabei einem britischen Boot in die Quere geraten. Der Feuerwechsel im Dunkel hatte einem Großteil der Besatzung das Leben gekostet, und die Männer, die nicht getötet worden waren, hatten sich auf andere französische Boote retten können, wie Fox annahm. Die nasse Hose und das Hemd klebten an ihm. Er zitterte nicht vor Kälte, aber er wußte verdammt gut, wie schön es sein würde, wenn diese nächtliche Aktion beendet war und er in Kleider schlüpfen konnte, die zwar feucht waren wie immer
an Bord eines Schiffes, aber nicht so tropfnaß wie diese. Er durchsuchte die Taschen der Leichen, denn in solchen Situationen dachte er immer zuerst an seine Familie an der Themse – an die alten Tanten, Schwestern und Brüder, an seine Mutter, an die Babies und Schwäger und Schwägerinnen. Sogar die paar Münzen, die er hier fand, würden ihnen helfen. Dann warf er mit einem kurzen Gebet die Leichen über Bord. Jetzt hatte er wieder ein Boot für sich, ein eigenes Kommando. Die Franzosen hatten die Überlebenden der Bootsbesatzungen mittlerweile bestimmt aus dem Wasser gezogen, um die Kanonenschiffe zu bemannen. Am Morgen würden sie auch nach übriggebliebenen intakten Booten fahnden, wenn die Briten sich zurückgezogen hatten. Fox sah drei Riemen. Er griff nach den Riemen, die am stabilsten aussahen, und begann zu rudern. Als das Boot sich in Bewegung setzte, überlegte er, daß dies doch eine befriedigendere Methode war, die englischen Schiffe zu erreichen, als durch das kalte Wasser zu schwimmen – obwohl er in seinen nassen Sachen jetzt erbärmlich fror. Das Boot bewegte sich nur langsam voran, da es für einen einzigen Rudergasten ziemlich groß und schwer war. Fox arbeitete mit aller Kraft und spürte, wie seine Kleider langsam trockneten. Wenn es sein mußte, konnte er die ganze Nacht hindurch pullen, trotz all der Anstrengung und Aufregung, die das Unternehmen, einen Brander in die Bucht von Point Avenglas zu steuern, mit sich gebracht hatte. Aber wenn man als Seeoffizier lange leben wollte, mußte man zäh sein. Natürlich, wenn er auf ein französisches Wachboot traf, würden sich seine Überlebenschancen erheblich mindern.
Wenn der Flackstock am Heck auch weggeschossen war, wenn keine Flagge mehr an Bord flatterte – Fox hatte einige schlaue Ideen, was er tun würde, wenn ein Franzose angriff. Mit kräftigen Schlägen beförderte Fox das Boot aus der Gefahrenzone. Seine Muskeln bewegten sich gleichmäßig, sein Atem ging rhythmisch. Keine Mündungsblitze flammten mehr an der Küste auf, Fox glaubte jedoch keine Sekunde lang, daß den Franzosen die Munition ausgegangen war. Die Engländer hatten die Franzosen angegriffen, waren zurückgeschlagen worden, und dann war ein Verrückter in einem brennenden Brander herangesegelt und hatte zwei wertvolle Fregatten zerstört. Jetzt würde der Kampf Kriegsgerichtsverhandlungen, Strafen und Gott weiß was für Folgen für die Franzosen nach sich ziehen. Fox hegte keinen Groll gegen die Franzosen wie die meisten Engländer. Aber er würde jeden Franzosen töten, der versuchen sollte, ihm dieses Boot wegzunehmen. Unter anderen Umständen würde er allerdings nur zu gern mit einem Franzosen zusammensitzen, Cognac trinken und Lieder grölen. Die ›Glowworm‹ brannte noch immer, wenn der zuckende Schein der Flammen auch nicht mehr so weit über das Wasser reichte. Noch immer wurden Boote über die Bucht gepullt, und gelegentlich hörte Fox schrille Rufe, jetzt, da das Feuer eingestellt worden war. Die Forts hatten es aufgegeben, die englischen Fregatten und Kanonenbriggs zu beschießen. Auch das Blockadeschiff war verstummt. Nur mehr das Zischen und Knistern der Flammen, die aus den brennenden Schiffen vor der Einfahrt züngelten, war zu hören. Jetzt half ihm die Ebbe, trieb ihn vor sich her, und er mußte sich nicht mehr so kräftig in die Riemen legen. Er konnte sie
leichter bewegen, steuern, jeden Vorteil nutzen, den ihm das mondbewegte Wasser bot. Inzwischen mußte das Boot der ›Nuthatch‹ Grey, Carker und die restliche Besatzung in Sicherheit gebracht haben. Seine beiden Offiziere, Lionel Grey und John Carker, hatten doch tatsächlich die Hüte abgenommen und ihm alles Gute zum Geburtstag gewünscht, während ihnen die Kanonenkugeln um die Köpfe geflogen waren. Bei Gott, auf diese beiden konnte er stolz sein – aber auch auf die übrige Mannschaft. Denn sie alle wären bei ihm an Bord des brennenden Branders geblieben, wenn er ihnen nicht ausdrücklich und wiederholt befohlen hätte, in das Boot zu steigen und abzuhauen. Kein Wunder, daß Commander George Abercrombie Fox von der Royal Navy heute, an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag, wieder einmal über seine Zukunft nachdachte. Aber während diese Gedanken um Admiral Cloughton, Percy Staunton, Lord Kintlesham und dessen Tochter Sophie, um seine Familie und seine Mannschaft kreisten, hielt er Augen und Ohren offen. Seine Augen funktionierten beide ausgezeichnet. Er sah den flackernden Schimmer über dem schwarzen Wasser, die Lichter an der französischen Küste, die wieder aufflammten, jetzt, nachdem die verdammten Briten endlich verschwunden waren. Er sah die langen, tanzenden orangeroten Finger, die von den brennenden Schiffen über das Wasser bis zu ihm zeigten. Doch allmählich umschloß ihn das Dunkel immer dichter. Fox kniff die Augen zusammen und starrte voraus in die Nacht. Undeutliche Schatten bewegten sich, schwarze Klumpen, die sich kaum vom Dunkel ringsum abhoben. Er rieb sich die Augen, starrte noch einmal nach vorn. Dann steuerte er instinktiv sein Boot weg von dem geheim-
nisvollen Klumpen dunkler Schatten. Er hatte keine Lust, sich erneut in einen Kampf verwickeln zu lassen. Jetzt war ihm nichts wichtiger, als einen guten Schluck Rum durch die Kehle rinnen zu lassen und sich in irgendeiner Hängematte an Bord von Gaptain Sandemans ›Alarm‹ zusammenzurollen. Mit seinem weißen Hemd konnte er leicht gesehen werden, auch im Dunkel, das kaum mehr vom Feuerschein erhellt wurde. Er hätte sich am liebsten geduckt, sich versteckt. Aber er mußte im Heck des Bootes stehenbleiben, mit den Riemen steuern und voranpullen. Und jetzt legte Fox wieder viel mehr Kraft in jeden Riemenschlag. Er hörte erregte französische Stimmen, gottlose Flüche. Während der Revolution waren viele Franzosen, wie Fox wußte, von fehlgeleiteten Papisten zu ebenso fehlgeleiteten Atheisten geworden. Er lauschte interessiert, merkte sich die neuen Ausdrücke und Flüche und verstaute sie dann in Hinterkammern seines hervorragenden Gedächtnisses. Man konnte nie wissen, wofür man diese Art von Informationen noch einmal brauchen würde. Während Fox angespannt lauschte und im Vorwärtsschlag weiterpullte, beobachtete er aus schmalen Augen die dunkle Masse, die sich vor ihm zusammenballte. Da er den Kurs geändert hatte, fielen die Schatten nun über seinen Steuerbordbug. Die ›Glowworm‹ brannte noch immer. Als er weiterpullte, glitt das französische Boot zwischen ihn und die brennende Kanonenbrigg. Die Umrisse erinnerten Fox an keinen Bootstyp, den er kannte. Er blickte genauer hin. Es waren zwei Boote. Im selben Augenblick, als ihm diese wichtige Erkenntnis dämmerte, krachten Pistolen- und Musketenschüsse durch die Nacht.
Und zwischen den Schüssen hörte Fox ganz deutlich eine Stentorstimme brüllen: »Schlag ihm eins auf die Rübe, Barnabas! Achtung, Mr. Grey – hinter Ihnen!« Fox seufzte. Also war seine Mannschaft nicht auf das offene Meer hinausgepullt. Sie hatten seine Befehle mißachtet. Mr. Carker und Mr. Grey hätten das Boot auf die offene See steuern und dort zu dem kleinen englischen Verband stoßen sollen. Wenn sie das getan hätten, wären sie jetzt nicht hier und würden sich nicht mit einem französischen Wachboot herumprügeln, das mit Männern vollgestopft war. Fox seufzte noch einmal. Diese verdammten Teufel hatten auf ihn gewartet, hatten gegen die Ebbe gepullt, um ihn aus dem Wasser zu fischen. Aber wenn das der Fall war – warum kamen sie dann so spät? Fox starrte noch einmal genau hin, strengte die Augen an, um alle Einzelheiten gegen den erlöschenden Feuerschein der ›Glowworm‹ zu erkennen. Das französische Boot ragte groß und aggressiv aus den Schatten. Und das englische Boot lag tief im Wasser. Das war also die Antwort! Ein abrupter Feuerstoß und eine Detonation, die von der Ein fahrt her zu ihm hallte, verrieten ihm, daß eine der französischen Fregatten in die Luft geflogen war. Aber Fox blickte nicht zurück. Er ließ die beiden Boote nicht aus den Augen, und als sich ein heller, orangeroter Schein über das Wasser ergoß, sah er alle Einzelheiten, wußte alles, was er wissen mußte, und auch, was er zu tun hatte. Einen Mann, der gesehen hatte, wie die ›Orient‹ in der Bucht
von Abukir in die Luft geflogen war, konnte keine Schiffsexplosion mehr sonderlich beeindrucken. Die beiden Boote waren noch nicht zusammengestoßen. Pistolenschüsse krachten scharf durch die Nacht. Die Engländer hielten sich die Franzosen vom Leib, obwohl diese in der Überzahl waren und sie ein sinkendes Boot unter den Füßen hatten. Fox stieg nach vorn. Im flackernden, wild zuckenden Schein der Feuerexplosion sah er alles, was er brauchte, im Bug säuberlich zurechtgelegt. Flintstein und Lunte waren zur Hand, die kleine 2-Pfünder-Kanone war noch geladen. Fox füllte das Zündloch mit dem bereitliegenden Pulver. Sein häßliches Gesicht verzog sich zu einer wüsten Grimasse. Die Schwierigkeit lag darin, das Boot mit den beiden Riemen zu manövrieren, dann nach vorn zu stürzen und zu feuern, solange der Bug noch auf das Ziel zeigte. Aber wenn Fox auch sonst schon nichts konnte – mit einem Boot konnte er umgehen. Die Ebbe trieb alle drei Boote mit sich. Fox pullte, daß ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Er bemerkte es kaum. Er mußte diese Seekuh in Position bringen, damit er feuern konnte. Er wußte, was da vorn passierte, wo die beiden Boote immer größer wurden, wo sich die Umrisse im Feuerschein immer deutlicher abzeichneten. Das englische Boot, das wahrscheinlich nur noch schwamm, weil die Besatzung unablässig Wasser über Bord schöpfte, wurde unbarmherzig von den Franzosen beschossen. Diese hielten sich in einiger Entfernung, nachdem ihr erster Versuch, das feindliche Boot zu entern, mißglückt war. Die englischen Pistolen waren sicher längst durchnäßt und nutzlos. Fox Männer waren gezwungen, das französische Feuer hilflos über sich
ergehen zu lassen. Fox fühlte dieses Feuer in sich, spürte die Wut, die seine Muskeln antrieb, als er mit aller Kraft die Riemen führte. Bei Gott! Kein geckenhafter Monsieur Jean Crapeau würde seine Männer ermorden und ungestraft davonkommen. Nein, er würde zehn Faden unter der Meeresoberfläche treiben, und die Fische würden ihm die Augen ausfressen. Jetzt sah er die beiden Boote einzeln vor sich, ein schmaler Wasserstreifen trennte sie. Im Dunkel, das nur von einzelnen Feuerstreifen erhellt wurde, fiel es ihm schwer, alles genau zu sehen. Aber er konnte die beiden Boote gut voneinander unterscheiden, denn das französische ragte normal aus dem Wasser, während die Dollborde des britischen schon fast unter Wasser waren. Wenn Grey und Carker den Leuten nicht befohlen hatten, sich innenbords ins Wasser zu hocken und die Köpfe einzuziehen, würde er ihnen einiges erzählen! Aber irgend jemand mußte Wasser über Bord schöpfen, und das würde riskant sein. Die Franzosen schossen, so rasch sie nur laden konnten. Und jeden Augenblick konnten andere französische Patrouillenboote auftauchen, um nachzusehen, was hier los war. Fox hatte keine Zeit zu verlieren. Das Boot ließ sich in der rasch strömenden Ebbe genauso schwer manövrieren wie ein störrischer Esel. Fox hielt den Bug auf sein Ziel gerichtet. Aber das erforderte die Kräfte eines Herkules und eine enorme Konzentration. Er stellte die nötigen Berechnungen an, mit der Genauigkeit und Kaltblütigkeit, die ihn nie im Stich ließen, auch nicht, wenn es um Leben und Tod ging. Von ihm hing das Leben seiner Männer ab, und dieser Gedanke gab ihm neue Kraft. Der Bug fiel ab, und er stemmte sich gegen den einen Rie-
men, um das Heck herumzuzwingen und den Bug erneut in die richtige Position zu bringen. Die Ebbe trieb ihn immer wieder vom Kurs ab. Es gab nur einen Weg, mit dieser Schwierigkeit fertig zu werden. Fox brachte das Boot auf entgegengesetzten Kurs, der Bug zeigte zur Küste und schwang dann herum, bis er sich auf das halb gesunkene britische Boot richtete. Er befand sich jetzt innerhalb der Schußweite der Franzosen, aber sie hatten ihn noch nicht gesehen. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, auf die Männer zu schießen, die das Feuer nicht erwidern konnten. Ein Franzose, wahrscheinlich der Kommandant des Bootes, hatte den Engländern zugerufen, sie sollten sich ergeben. Die Antwort hatte Fox zutiefst befriedigt. Grey hatte tatsächlich schon viel von ihm gelernt… Wie ein Tiger sprang Fox in den Bug vor. Einen Riemen nahm er mit sich. Er duckte sich zwischen die Duchten. Der Bug schaukelte auf und ab. Er tauchte den Riemen ins Wasser, weiße Gischt spritzte auf, das Boot tanzte. Der Flintstein, die Lunte! Langsam schwang das Boot herum, er sah den Bug des französischen Bootes an dem seinen vorbeigleiten, sah die dunklen Gestalten, den Mündungsblitz einer Muskete – jetzt… George Abercrombie Fox biß die Zähne zusammen, als er die glühende Lunte an das Zündholz hielt.
2. Die Kanone donnerte für einen kleinen Zweipfünder bemerkenswert laut. Eine orangerote Flammenzunge blendete Fox, �
er spürte den beißenden Pulverrauch in der Nase. Der Lärm betäubte seine Ohren, dröhnte in seinem Kopf. Mit zwei Riesensprüngen schnellte er zum Heck des Bootes zurück und stolperte beinahe über irgend etwas Glitschiges, das er vorhin nicht bemerkt hatte. Auf Händen und Knien landete er vor der Achterducht und schlug sich den Kopf an dem Querbrett. Ein Funkenregen umsprühte ihn, tanzte auch in seinem Kopf, als er nach dem anderen Riemen griff. Das verdammte Ding war beinahe über Bord gerutscht. Mit kräftigen Schlägen pullte er auf die beiden Boote zu. Die Rufe der Franzosen hatten sich in Schmerzensschreie verwandelt. Wieder einmal erhellte sich die Nacht, grelles Orangenrot, von grauen Rauchschwaden unterbrochen, spiegelte sich im Wasser. In diesem unheimlichen Licht sah Fox das französische Boot genauso tief im Wasser liegen wie das britische, dunkle Formen hingen über dem Dollbord. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Fox erkannte, daß dies Leichen waren. Die Überlebenden schöpften schreiend Wasser über Bord, aber Fox bemerkte mit leiser Verachtung, daß sie mehr schrien, als Wasser schöpften. Er holte tief Atem und brüllte: »Ho! Nuthatches! Aufgepaßt, ihr Hurensöhne! Ich lege längsseits an eurem Kahn an!« Was seine Männer wohl jetzt dachten, fragte er sich. Bei Gott! Nahmen sie es tatsächlich als selbstverständlich hin, daß er wieder einmal ein Wunder vollbracht hatte? Natürlich, genau das taten sie! Der Beweis kam, als John Carker rief: »Aye, aye, Sir! Halten Sie sich von diesen verdammten Franzosen fern, Sir! Die sind in äußerst schlechter Stimmung.« »Bringen Sie mir Ihre Riemen, Mr. Carker! Dieses Boot ist
ziemlich mies ausgerüstet!« »Aye, aye, Sir.« Die Franzosen waren tatsächlich in schlechter Stimmung. Eine Muskete flammte auf und krachte, und die Kugel schlug nur eine Handbreit von Fox entfernt in den Heckbalken. Er fluchte wütend. Das französische Boot schaukelte jetzt hilflos auf der Strömung der Ebbe. Die Briten versuchten zu pullen, aber ihr Boot lag zu tief im Wasser. Als Fox sich dem Boot seiner Mannschaft näherte, nahm er an, daß die Pistolen und Musketen der Franzosen jetzt viel zu naß sein würden, um noch abgefeuert werden zu können. Seine 2-Pfünder-Kanone hatte jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Als er aufrecht in seinem weißen Hemd im Heck stand und vorwärtspullte, gab er ein Ziel ab, das jedem Musketier das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen mußte. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzupullen und sich auf seine Glückssträhne zu verlassen, die ihm sein Geburtstag auch bisher beschert hatte. Schreie und Flüche hallten durch die Nacht. Aber Fox kümmerte sich nicht um die Wut der Franzosen und pullte weiter auf seine Männer zu. Sie warteten auf ihn. Grey und Carker und wahrscheinlich auch all die anderen hatten längst begriffen, was ihr Commander getan hatte, und deshalb war es nicht nötig, umständliche Befehle zu erteilen. Die triefnassen Männer jumpten in Fox Boot hinüber, Riemen wurden herübergereicht. Da landeten Grey und Carker zwischen den Achterduchten. Fox übergab seinen einen Riemen Josephs, der den Schlag angeben würde. Der große, muskulöse Mann grunzte zufrieden, als seine Hände den Riemengriff umspannten.
»Ruhe!« schrie Fox. Er stand mit gespreizten Beinen auf den Bootsplanken, hielt im sanften Schaukeln mühelos sein Gleichgewicht und blickte in die Gesichter, die sich ihm zuwandten. Mr. Midshipman Eckersley stand im Bug, er hatte die Leute mit lauter Stimme an die Riemen geschickt, bevor Fox allgemeines Schweigen befohlen hatte. Sie waren da – seine Männer. Er sah sie alle, bemerkte, daß einige verwundet waren, daß sich dunkle Blutflecken an zerfetzten Verbänden zeigten. Langsam und sorgfältig zählte er sie. Sie waren da – alle. Erst dann setzte sich George Abercrombie Fox und gab den Befehl zum Anrudern. Barnabas konnte als Bootssteuerer fungieren. Fox spürte jetzt, daß die lange, anstrengende Nacht an seinen Nerven und Gliedern zu zerren begann. Aber waren die letzten Stunden für seine Männer etwa weniger mühsam gewesen? Hatten sie nicht in einem sinkenden, durchlöcherten Boot gesessen? Hatten die verdammten Franzosen sie nicht beschossen? Waren ihre Hoffnungen nicht zu einem Nichts herabgesunken, hatten sie noch eine andere Alternative gesehen, als zu ersaufen oder erschossen zu werden oder in einem französischen Gefängnis zu landen? Und dann war durch die feuererhellte, dröhnende Nacht ihr Commander auf sie zugepullt, hatte die Franzosen mit einer einzigen Kanonenkugel kampfunfähig geschossen, hatte sie an Bord seines Bootes geholt. Und jetzt waren sie alle hier, pullten aus der Bucht von Point Avenglas, hinaus auf die offene See, zu den Fregatten des britischen Verbandes, steuerten in Sicherheit. Ja, diese Männer hatten wieder einmal am eigenen Leib ge
spürt, daß George Abercrombie Eox Wunder vollbringen konnte. Und während ihm diese sentimentalen Gedanken noch durch den Kopf gingen, wandte sich Fox an seine beiden Offiziere. »Nun, Gentlemen?« begann er mit leiser Stimme, während sein häßliches Gesicht sich zu einer unheilverkündenden Grimasse verzog. »Wie kommt es, daß Sie sich noch immer hier herumtreiben, da Sie doch den Befehl hatten, die Bucht sofort zu verlassen?« Grey sah Carker an, und Carker sah Grey an. Und Fox sah die beiden an – mit eiskaltem Blick. »Nun, Sir…«, begann Carker zögernd. »Wir sind da in Schwierigkeiten geraten…« »Das stimmt, Sir«, fügte Grey hastig hinzu. »Ein verdammtes französisches Patrouillenboot hat uns angegriffen, und als wir mit den Kerlen endlich fertig waren, hatten wir ein Leck und…« »Und dann erschien das andere Boot, Sir«, nahm Carker den Faden auf. Sein ehrliches Gesicht war von Kummerfalten durchzogen. »Und wenn Sie nicht aufgetaucht wären, dann wäre es jetzt aus mit uns.« »Bei Gott! Ich will auf dem Grund des Meeres liegen, wenn das nicht ein Meisterstück von Ihnen war, Sir!« rief Grey. »Hm«, sagte Fox, weil ihm im Augenblick nichts anderes einfiel. Erst nach einer ganzen Weile fügte er hinzu: »Und ich neh me an, die Leute können alles bezeugen, wenn ich sie danach frage?« »Natürlich Sir!« »Aber ganz gewiß, Sir!« Gut…
Er wußte verdammt genau, was sie getan hatten. Sie waren weit genug davongepullt, bis er sie nicht mehr hatte sehen können, und dann waren sie zurückgepullt, nachdem die ›Nuthatch‹ in die Luft geflogen war. Die Geschichte von dem französischen Patrouillenboot stimmte vielleicht, denn das konnte erklären, warum sie ihm nicht gleich entgegengepullt waren, nachdem er durch die Luft gesegelt und ins Wasser gestürzt war. Fox preßte die dünnen Lippen zusammen. An seinem Ge burtstag in die Luft gesprengt! Zum Teufel, er wollte nicht unbedingt, daß diese Geschichte in der Navy die Runde machte! Er erinnerte sich, daß es auch diese beiden Teufelskerle gewesen waren – Lionel Grey mit dem hübschen Äußeren und der klaren Stimme und John Carker mit dem ehrlichen Seemannsgesicht –, die die Vorstenge und den Großmars der ›Furieuse‹ abgetakelt hatten, um nach Port Mahon zurücksegeln und bei seiner Kriegsgerichtsverhandlung aussagen zu können. Sicher, er hatte schon viele sogenannte Wunder vollbracht, um seine Männer zu retten. Aber sie hatten es ihm oft genug vergolten. Fox richtete sich auf. Er kannte diese beiden gut genug, um zu wissen, daß sie keine langen Dankesreden von ihm erwarteten. Natürlich wußten sie, daß er wußte, was sie getan hatten. Zwischen ihnen genügte ein Wort, eine Geste, ein Blinzeln – und einer wußte, was der andere dachte. »Ich glaube, Gentlemen…«, begann Fox, und dann unterbrach er sich, weil ihm plötzlich ein verdammter Kloß in der Kehle saß. Er spuckte aus, und dann fuhr er mit einer Heftigkeit fort, die er eigentlich nicht beabsichtigt hatte. »Ich glaube,
Gentlemen, Sie haben mit bereits mein Geburtstagsgeschenk gegeben.« Alle beide, Grey und Carker, diese Teufelskerle, besaßen Verstand genug, es bei einem simplen »aye, aye, Sir« bewenden zu lassen. Um das angespannte Schweigen zu durchbrechen, sagte Fox: »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Mr. Grey, wenn Sie nach vorn gehen und sich die 2-Pfünder-Kanone ansehen könnten. Joachim soll sich darum kümmern – und zwar wie ein Vater um sein Neugeborenes!« Fox hatte die letzten Worte absichtlich laut und deutlich gesagt, denn es war nicht gut für die Disziplin einer Mannschaft, wenn die Offiziere miteinander wisperten. Er hörte ein Glucksen am Ruder und wußte, daß Barnabas grinste. Natürlich würde dieses Grinsen sofort verschwinden, wenn Fox jetzt herumwirbelte und sich umblickte. Barnabas Gesicht würde unter dem roten Haarschopf unbewegt wie Stein sein. Grey stieg nach vorn, sprach mit Joachim, und der deutsche Stückmeistersmaat lud die kleine Kanone nach. Fox sah sich um. Kein französisches Patrouillenboot ließ sich in der nächsten Umgebung blicken. Aber sie hatten bereits die Wracks von zwei Booten passiert. Die britischen Kanonenbriggs und die beiden Fregatten hatten die Bucht verlassen. Die Franzosen fuhren noch immer kreuz und quer über das Wasser, um nach letzten Resten der britischen Streitmacht zu fahnden. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Noch konnten Fox und seine Mannschaft vom Feind aufgelesen, und in ein verdammtes französisches Gefängnis gesteckt werden – natürlich nur die, die einen Angriff überleben würden.
Carker hatte die schäbige, alte Uniformjacke seines Commandanten wie ein Heiligtum gehütet, und Grey hatte den unmöglichen Hut vor weiteren Verunstaltungen bewahrt. Fox erinnerte sich, wie er auf dem Achterdeck der ›Nuthatch‹ die beiden Kleidungsstücke seinen Offizieren zugeworfen hatte, während die Flammen sein Schiff zu verzehren begannen. Nun, sie hatten Jacke und Hut gerettet, und er konnte sie wieder anziehen. Aber sein Schiff war für immer verloren. Das Boot glitt in die offene See hinaus, auf den englischen Verband zu, und Fox beobachtete seine Männer, die sich rhythmisch in die Riemen legten. Da war Slattery, der Amerikaner – und da war Wilson, der Mann mit den schärfsten Augen der Navy, ein Prädikat, das ihm jetzt allerdings Landsdowne streitig machte. Da war Abdul, der schwarze Riese, den sie von den Türken erobert hatten, da war die Neuerrungenschaft Finn. Da waren Tredowan, der Muskelberg, Tarpy und Taffy. Und da war Ben Ferris, jung, mutig und eifrig wie eh und je. Und schließlich war da noch Fox Aufklarer Parsons, dessen Leichenbittermiene ihn schon so oft aufgeheitert hatte. Auch die anderen waren da – Hart und Clay und Baker und der ganze Rest. Alle waren seine Männer – Männer, auf deren Schultern er die schwersten Bürden laden, auf die er sich verlassen konnte, die mit ihm durch die heißeste Hölle gehen würden. Simpson war nicht da. Simpson war mit Schimpf und Schande aus der Navy gejagt worden, und Fox wußte noch nicht, warum das geschehen war. Er würde noch einige Nachforschungen anstellen. Der Captain der ›Gorgon‹ würde ihm einige gezielte Fragen beantworten müssen, denn Fox hatte nicht vor, über diese Angelegenheit mit seinen Leuten zu dis-
kutieren. Das Boot entfernte sich von Point Avenglas, der rote Feuerschein erlosch am Nachthimmel. Der Wellengang verstärkte sich, aber die Männer pullten mit gesteigerte Kraft, und bald erreichte sie der heisere Ruf. Mr. Midshipman Eckersley antwortete mit schriller, aufgeregter Stimme. »Nuthatch!« Wie amüsant würde es sein, die Gesichter Cloughtons und Sandemans und der Offiziere von der ›Alarm‹ zu sehen! Dieser Ruf aus der Nacht, der ihnen sagte, daß der Kommandant eines Branders zurückgekehrt war, mußte ihnen wie ein Ruf aus dem Jenseits erscheinen. Sie pickten den Bootshaken an den Trossen der ›Alarm‹ ein, und Fox enterte die Jakobsleiter hoch, nahm seinen alten Hut ab und ging an einem schreckensstarren Midshipman vorbei zum Achterdeck. In wenigen Minuten war er unter Deck und blickte in die un gläubigen Augen Admiral Cloughtons und das verwirrte Gesicht Captain Sandemans. »Sie leben, Fox! Der Teufel soll mich holen! Sie scheinen ja neun Leben zu haben!« Cloughtons restliche Worte gingen in einem Hustenanfall unter, und er ließ sich spuckend in seinen Sessel fallen. Fox wußte, wie man sich in einer solchen Situation zu beneh men hatte. »Darf ich sagen, wie erfreut ich bin, Sir, daß Sie die nächtliche Aktion überlebt haben.« Und das war mehr als eine pure Höflichkeitsfloskel. Denn Fox hoffte, daß ihm dieser ewig hustende Admiral mit dem scharlachroten Gesicht zu einer weiteren Beförderung verhalf.
Wenn Black Dick jetzt tot auf dem Achterdeck der ›Alarm‹ läge, von einer französischen Kanonenkugel getroffen, würde das George Abercrombie Fox wenig nutzen. »Aye, Fox. Und ich habe verdammtes Glück, daß ich noch am Leben bin. Dawood hat gemeldet, daß Sie ein wenig vom Kurs abgekommen sind.« Darauf war Fox vorbereitet. Commander Dawood, der den anderen Brander, die ›Firedrake‹, in die Bucht geführt hatte, war wie der Teufel an der zerstörten Hafensperre vorbeigesegelt, während sich die Überreste der Sperre an der ›Nuthatch‹ verfangen hatten. Die ›Nuthatch‹ war nach Steuerbord abgefallen. Die ›Firedrake‹ war direkt auf das Blockadeschiff zugesteuert und hatte wundervoll gebrannt. Aber die Franzosen, tapfer wie immer, hatten das brennende Schiff geentert und es aus der Gefahrenzone befördert. »Ich mache Commander Dawood mein Kompliment, weil er den Befehl so großartig ausgeführt hat. Aber die ›Firedrake‹ wurde von den Franzosen in Schlepp genommen und…« »Ich weiß! Ich weiß!« Captain Sandeman, ein sehr ruhiger Mann, hüstelte und sagte: »Wir haben ein großes Feuer und einige Explosionen direkt vor der Einfahrt beobachtet, Commander Fox. Wir nehmen an, daß Sie und Ihr Schiff das bewerkstelligt haben.« Fox erzählte ihnen, was geschehen war, mit kühler, gelasse ner Stimme, wie es in der Navy üblich war. Aber er wußte, daß sie seinen Bericht auch ohne farbige Ausschmückung zu würdigen wußten. Sie würden die Hitze beinah in den Gesichtern spüren, das Sengen der Flammen unter den Fußsohlen, würden das Knistern und Zischen hören, das Pfeifen der Kanonenkugeln. Und sie würden wissen, was keine Landratte je begreifen konnte – daß Fox eine großartige Leistung voll-
bracht hatte. »Die beiden Fregatten brannten und flogen in die, Luft«, schloß er. »Ich bedaure, daß es mir nicht möglich war, sie zu kapern und aus der Bucht zu steuern, wie es ursprünglich geplant gewesen war. Aber deshalb habe ich den zweiten Plan verwirklicht und…« »Das haben Sie getan, Commander Fox! Bei Gott! Sie haben es wirklich geschafft!« Es gab keinen Zweifel, daß er die Wahrheit sagte. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, diese Geschichte zu erfinden, denn der nächste Morgen würde alles ans Licht bringen. Cloughton starrte ihn an, seine Hand schloß sich um ein Brandyglas, und er nahm einen großen Schluck, bevor er zu sprechen begann. »Sehr gut, Commander Fox. Verdammt gut. Bonaparte hat jetzt zwei Fregatten weniger. Sie schreiben das alles in Ihrem Bericht, Commander. Wird eine großartige Lektüre werden!« »Aye, aye, Sir.« Damit war er entlassen. Jetzt konnte er sich eine Hängematte suchen und nachsehen, ob Parsons es geschafft hatte, irgendwo eine Rumflasche zu organisieren, irgendeinen verbotenen Alkoholvorrat zu plündern. Parsons konnte immer und überall Rum beschaffen. Er würde auch eine Flasche Rum für seinen Commander bereithalten, wenn sie einst vor Petrus Tor stehen würden – oder vor den Pforten der Hölle, was viel wahrscheinlicher war. George Abercrombie Fox streckte sich aus und spürte die Müdigkeit, die sich an seine Glieder hing wie Blei. Aber, zum Teufel, das war eine Nacht gewesen, an die er sich sein Leben lang erinnern würde!
3. Es war unleugbar sehr angenehm, in einer Ecke am Kamin zu sitzen und die Füße am Kohlenfeuer zu wärmen, während die Schankstube von Gelächter und Stimmengewirr widerhallte. Die Gäste tranken, fluchten, spielten Karten oder erzählten sich Seemannsgarn über unmögliche Abenteuer. Aber so gemütlich es hier auch war – Fox mußte unablässig daran denken, daß er auf halben Sold gesetzt war und sich daran auch in nächster Zukunft vermutlich wenig ändern würde. Er wurde Captain Fox genannt, obwohl jeder wußte, daß er nur ein Commander war und deshalb kein wirklicher Captain. Fox trank sein dunkles Bier mit Maßen, weil er sparen mußte. Er hatte beschlossen, eine Weile in Portsmouth zu bleiben, und dann würde er seine Familie in dem alten Haus an der Themse besuchen. Und danach würde er nach London reisen, sich in den schrecklichen Warteraum vor den Gemächern der Admiralität setzen und nur zu genau wissen, wie wenig Hoffnung er hatte, wieder ein Kommando zu erhalten. Seine einzige Chance lag in den Händen Admiral Cloughtons. Black Dick soff wie eh und je. Er war ziemlich krank gewesen, hatte sich aber wieder erholt und hustete und spuckte wie immer. Fox hatte ihn im Haus einer entfernten Verwandten besucht, die sich halb umbrachte vor Stolz, weil sie einen Admiral
beherbergen durfte. Allerdings betrachtete sie den Rum- und Brandykonsum ihres hohen Gastes mit entschiedener Mißbilligung. Das Problem war leider, daß Cloughton zur Zeit selbst unbeschäftigt war. Aber da er auf eine erfolgreiche Aktion zurückblicken konnte, jene Aktion, in der Fox das Kommando übernommen hatte, weil sonst niemand dagewesen war, der das geschafft hätte, würde ihm die Admiralität bald wieder erlauben, seine Flagge zu hissen. Wenn der Tag nur endlich käme! Das war Fox ganze Hoffnung. Er war sicher, daß Cloughton wußte, wieviel er diesem simplen Offizier vom Themseufer verdankte. Vielleicht, wenn das Schicksal Fox gütig gesinnt war, erreichte Cloughton sogar, daß er zum Captain befördert wurde. Es gab natürlich Hunderte von ehrgeizigen jungen Männern, die auf ihre Beförderung warteten. Es gab Hunderte von Captains in der Liste der Navy, und viele von ihnen würden vielleicht nie mehr ein Schiff kommandieren. Und es gab auch viele Männer in der Navy, die nie befördert werden würden. Aber sich selbst zu diesen Unglücklichen rechnen – das würde George Abercrombie Fox nie tun. Das schwor er sich bei dem kleinen Mann mit dem einen Auge, der nun der Held der Stunde war. Eins war jedenfalls sicher. Nelson hatte sich nicht an seinem Geburtstag in die Luft sprengen lassen, an seinem Geburtstag, den er an demselben Tag wie Fox feierte. Nelson war in Prag gewesen, wo Erzherzog Karl ein großes Fest für ihn gegeben hatte. Zur Zeit bewegte sich Nelson in der feinsten Gesellschaft von London, in Kreisen, die einem simplen Offizier von der Themse für immer verschlossen sein würden. Und Fox ließ sich die Füße von einem Kaminfeuer rösten und hoffte instän-
dig auf eine Kommandierung. Noch eine seltsame Gemeinsamkeit gab es zwischen Nelson und Fox. Auch Fox besaß den Orden des Halbmonds, allerdings keinen diamantenen wie Nelson. Er hatte in Akka gekämpft und zusammen mit dem Janitscharen Murad den Dreidecker ›Maria‹ gekapert. Für diese Dienste hatte er auf dem verlassenen Deck der ›Hektor‹, die gerade ins Trockendock gebracht werden sollte, den Orden des Halbmonds erhalten. Aber der Admiral war sicher nicht wie Fox gezwungen gewesen, seinen Orden ins Leihamt zu tragen. George Abercrombie Fox hatte eines Abends Karten gespielt und genug gewonnen, um seinen Orden wieder auszulösen. Aber er trug ihn nicht. Kein Offizier trug eine ausländische Auszeichnung ohne die Zustimmung des Königs. Er durfte ihn höchstens bei besonderen formellen Anlässen tragen. Und es war unwahrscheinlich, daß Fox je in die Verlegenheit geriet, bei solchen Anlässen in Erscheinung zu treten. Aber wenn er die Türkei besuchte, durfte er seinen Halbmond natürlich tragen. Bei diesem Gedanken verzogen sich Fox dünne Lippen verächtlich. Er würde Hunderte solcher Orden für ein warmes Bett und ein Dach über dem Kopf geben, für ein paar Flaschen Rum und für ein oder zwei fröhliche Mädchen. In der großen Welt geschah viel Aufregendes. Malta wurde schon viel zu lange blockiert. Captain Ball hatte mit unzulänglichen Mitteln wahre Wunder vollbracht. Schließlich ergab sich am 5. September die letzte französische Garnison von La Valetta. Fox las in den Morgenzeitungen, daß die Russen, deren Zar die Oberherrschaft über die Malteserritter beanspruchte,
Schwierigkeiten bereiten würden. Aber die Russen waren Verbündete. Fox hatte mit ihnen gekämpft. Die Russen, Schweden und Dänen besaßen eine beträchtliche Anzahl von Schiffen. Sie hatten Schlachtschiffe, die die Briten sehr wohl in Bedrängnis bringen konnten. Es waren harte, in der Seefahrt erprobte Völker – zumindest die Dänen. Bei den Russen war sich Fox nicht so sicher. Alle diese großen Ereignisse, das Bewußtsein, daß andere Männer Kommandos erhielten, ihre Schiffe bemannten – alles das erfüllte Fox mit hilfloser Wut und führte ihm seine trostlose Situation nur noch deutlicher vor Augen. Aber noch gab er nicht auf. Er hatte zwar nur eine winzige Chance, aber die würde er wahrnehmen. Es gab Männer in der Navy, die einen unversöhnlichen Groll gegen ihn hegten – einen Groll, den er grimmig erwiderte. Zu diesen Männern gehörten Captain Stone und Lord Lymm. Sie besaßen beide großen Einfluß, hatten die besten Beziehungen, für sie öffneten sich alle Türen, wo auch immer sie erschienen. Fox hingegen mußte sich mühselig an die wenigen guten Beziehungen klammern, die er hatte, an seine Bekanntschaft mit Admiral Cloughton, Percy Staunton – und Lord Kintlesham, mit dessen Tochter Sophie er einst verlobt gewesen war. Als Fox Gedanken nicht zur Ruhe kamen, ging er hinaus in die stürmische Winternacht, mit gesenktem Kopf, den alten Hut tief in die Stirn gezogen. Die Regentropfen glänzten auf seiner Jacke. Er ging durch die Nacht, bis er müde genug war, um in einen traumlosen Schlaf zu sinken. Aber selbst dann mußten noch ein paar Gläser Brandy nachhelfen. George Abercrombie Fox war kein glücklicher Mann in jenen Tagen, als das achtzehnte Jahrhundert zu Ende ging und das
neunzehnte am 1. Januar 1801 begann. Über zweihundert britische Handelsschiffe wurden in russischen Häfen zurückgehalten, ein Racheakt Zar Pauls für Englands Haltung in Malta, bei dem Bonaparte, der wütend über den Verlust der Insel war, die Hand im Spiel gehabt hatte. Eine bewaffnete Konföderation der nordeuropäischen Staaten zerstörte alle Hoffnungen Englands, Frankreich in seine Schranken weisen zu können. Dänemark, Schweden, Rußland und Preußen vereinten ihre Streitkräfte, um England auf den Weltmeeren Widerstand zu leisten. England hatte sich schon vorher in einer ähnlichen Situation gesehen, als sich die Amerikaner von ihrem Mutterland losgerissen und die Vereinigten Staaten gebildet hatten. Aber diesmal zogen sich die Wolken dunkler und drohender über England zusammen. Jetzt war die Zeit gekommen, da man jedes Schiff, das über Segel und Kanonen verfügte, in den Kriegsdienst stellen mußte, die Zeit, in der jeder Seeoffizier in den Kampf ziehen mußte. Und Fox saß am Feuer, wanderte über Klippen und fühlte sich hundeelend. Am 1. Januar 1801 wurde Horatio Nelson zum Vizeadmiral befördert. Und George Abercrombie Fox blieb Commander mit halbem Sold. Wenn jetzt auch Nelson auf halben Sold gesetzt wäre! Fox würde den Sturm nicht so bald vergessen, der an dem Tag durch London orgelte, als Nelson eintraf. Durch die Fleet Street wirbelten Dachziegel, auf dem Grosvenor Square lagen herabgestürzte Schornsteine. Der Sturm dauerte nur zwanzig Minuten, richtete aber einen großen Schaden an. Sehr seltsam! Da er jetzt Vizeadmiral war und ein neues Flaggschiff kom-
mandierte, die ›San Josef‹, eine Prise von Saint Vincent, konnte Nelson sich auf einen neuen Auftrag freuen, vielleicht auf einen großen Sieg über die Konföderierten, und natürlich auf seinen vollen Sold. Jetzt, da eine ganze Flotte in den Kampf ziehen sollte, würde doch sicher auch auf ihn irgendwo ein Kommando warten, dachte Fox. Er hatte sich ein billiges Zimmer in einer Pension genommen, ein Zimmer direkt unter dem Dach, in dem er sich selbst versorgte. Die Captains nahmen sich natürlich ihre Dienerschaft von ihren Schiffen mit. Aber Fox hatte kein Geld, um sich Diener zu halten. Er mußte zugeben, daß er Parsons Fürsorge vermißte. Und so blieb er auch tagsüber nicht in seinem einsamen Zimmer, sondern setzte sich in eine Schankstube, um die Zeitungen zu lesen. Hier konnte er stundenlang in einer Ecke sitzen – mit dem einen Glas Bier, das er sich noch leisten konnte, nachdem er die Zeitungen gekauft hatte. Als Offizier der Navy mußte er wissen, was in der Welt pas sierte. Wer konnte ahnen, wohin man ihn schicken würde, wenn er wieder ein Kommando erhielt? Das bedrückende Wort ›wenn‹ klammerte er allerdings aus seinen Gedanken aus. Die Weltmeere standen der englischen Seemacht offen, und ein Seeoffizier, der auf einen Posten hoffte, mußte,natürlich wissen, was ihn in unbekannten Gewässern erwartete. Die Amerikaner hatten schöne Fregatten gebaut. George Abercrombie fragte sich, ob jener Josiah Fox, der dem Meisterschiffbauer Joshua Humphreys bei der Konstruktion so großartiger Fregatten wie der ›United States‹, der ›Constitution‹ und der ›Constellation‹ geholfen hatte, nicht ein entfernter Ver-
wandter von ihm war. Und die Amerikaner hatten auch gezeigt, daß sie genausogute Seefahrer waren wie die Franzosen. Tom Truxtun hatte zum Beispiel die Kampfstärke der U.S.Marine bewiesen, als er 1799 die ›Insurgente‹ kaperte. Die algerischen und tripolitanischen Piraten hatten in den Handelsschiffen, die unter der neuen amerikanischen Flagge segelten, leichte Beute gefunden. Mit diesen Schwierigkeiten wurden die Amerikaner noch nicht fertig. Die britischen Schiffe besaßen Pässe, die sie vor den Seeräubern der Raubstaaten schützten. Fox wußte, daß die Piraten diese Pässe nur anerkannten, weil sie die Stärke der Royal Navy fürchteten. Aber eines Tages, so dachte Fox, während er sich die Füße behaglich am Kohlenfeuer wärmte, eines Tages würden die Piraten auch die Eisenfäuste der Yankees fürchten. Sein größtes Interesse galt natürlich den nordeuropäischen Staaten und ihrer verdammten Konföderation und den Überlegungen, was die britische Regierung und die Navy in dieser Angelegenheit unternehmen würden. Eine Gruppe von Rotröcken betrat die Schankstube, und für einen Augenblick lag erstauntes Schweigen über den Blauröcken, die an den Tischen saßen. Und dann brach schallendes Gelächter aus. Soldaten! Sie waren hie und da zur See gefahren, hatten ein paar irische Straßenkämpfe niedergeschlagen, waren wie die Fliegen in Westindien gestorben. Aber sie hatten noch keine einzige Regimentsflagge triumphierend vor den besiegten Legionen Bonapartes gehißt. Fox wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Doch da näherten sich Schritte, er sah etwas Blaues aus den Augenwinkeln, hörte, wie jemand überrascht den Atem anhielt.
»Da will ich doch auf dem Meeresgrund liegen! Captain Fox! Zum Teufel, es ist schön, Sie wiederzusehen, Sir!« Fox hob den Kopf. Er lächelte nicht, denn das war nicht seine Art. Aber er legte die Zeitung auf den Tisch und stand auf. »Mr. Blane! Es freut mich, Sie zu sehen, Sir.« Jetzt mußte er Blane natürlich anbieten, ihm einen Drink zu spendieren. Aber Fox hatte sein Budget für diesen Tag schon verbraucht – abgesehen von ein paar Pennies, für die er sich später eine Fleischpastete kaufen wollte, um nicht zu verhungern. Jennie Blanes Vetter sah mit höchst sonderbarem Gesichtsausdruck auf ihn hinunter. »Captain Fox – verdammt, aber Sie sehen wie ein Mann ohne Schiff aus.« Bei diesen Worten hätte Fox ihn am liebsten niedergeschlagen. Aber Blane ließ es nicht dazu kommen. »Darf ich Sie zu einem Drink einladen, Sir?« Ohne auf die Antwort zu warten, drehte er sich um und brüll te mit durchdringender Seemannsstimme dem Wirt seine Bestellung zu, der hastig mit seinen Zinnkrügen klapperte. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Blane.« »Was heißt hier freundlich, Sir? Haben Sie mich nicht aus den Klauen dieser verdammten Franzosen befreit? Außerdem würde es mir Jennie nie verzeihen, wenn ich nicht freundlich zu Ihnen wäre.« Fox schluckte. »Haben Sie irgendwelche Neuigkeiten von Jennie gehört, Mr. Blane?« »Neuigkeiten? Aye, so kann man es auch nennen.« Der Wirt brachte die gefüllten Krüge, und Blane warf ihm
mit einer eleganten Geste ein paar Münzen hin. »Danke, Sir«, sagte der Mann ehrfurchtsvoll. Fox konnte es sich denken. Jack Blane hatte sich Prisengeld verdient, und seine Agenten hatten ihn ausbezahlt. Seine ›Pike‹, eine hübsche Korvette unter dem Befehl von Commander Purvis, hatte bei ihrer letzten Fahrt einige Prisen gekapert. Fox wußte es. Er hatte mitgeholfen, die Prisen in Sicherheit zu bringen. Aber er hatte leider keinen Anspruch auf Prisengeld. »Auf Ihre Gesundheit, Sir – und auf Napoleons Verderben.« Sie prosteten sich zu und tranken. Und dann sprach Blane über den wahren Grund, warum er Commander Fox aufgesucht hatte. Jennie, seine Kusine mit der großartigen Figur, dem feuerroten Haar und den grünen Augen, mit den roten, verführerischen Lippen, war in der Stadt und hatte erklärt, wie gern sie George Abercrombie Fox wiedersehen würde. Fox seufzte. »Ich fühle mich sehr geehrt, Mr. Blane, aber…« Sogar hier, in dieser gelockerten Atmosphäre, würde er Jennies Vetter nicht Jack nennen. Und wenn Blane es wagen wollte, ihn George oder sogar Foxey zu nennen, würde Fox ihn auf der Stelle totschlagen. »Morgen findet ein Fest statt, Sir. Eine aufregende Party… Jennie wird auch hingehen.« Was sollte er tun? Er konnte es sich nicht leisten, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Das hatte er seit jenen wilden Tagen in Tunbridge Wells nie wieder getan. Aber jene zauberhafte Stadt war auch voller Verlockungen gewesen. O Gott, wieviel Geld hatte er damals gehabt! Er hatte es auch schnell an den Spieltischen gewonnen, daß er kaum dazu gekommen war, es wieder unter die Leute zu bringen. Aber jetzt wartete er auf ein Kommando, und wenn er eines
erhalten sollte, würde er jeden Penny brauchen, den er nur zusammenkratzen konnte. Er mußte seine Familie mit genügend Geld versorgen, und er brauchte ebenso Geld, um sein neues Kommando würdig antreten, um es ausreichend bemannen und sich die nötigen Vorräte anschaffen zu können. »Es tut mir sehr leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich morgen abreisen – werde, Mr. Blane. Es ist wirklich schade, aber es läßt sich nicht ändern.« Blanes Kinn sank herab. »Jennie wird schrecklich enttäuscht sein. Und sie wird mir die Hölle heiß machen.« »Dann halten Sie sich an ihrer Leeseite, Mr. Blane.« »Aye!« Blane grinste. »Sie kann jeden jungen Schurken mit einer einzigen Breitseite, die sie mit ihren grünen Augen abfeuert, versenken.« Von nun an drehte sich die Konversation nur noch um Belangloses. Fox erbot sich nicht, die nächste Runde zu bezahlen, und er konnte es sich nicht leisten, sich deshalb schäbig zu fühlen. Aber ein oder zwei Schillinge konnten einen bedeutenden Unterschied darstellen, wenn es um die Vorräte für sein nächstes Kommando ging. Und wenn das Wohl seines Kommandos auf dem Spiel stand, konnte George Abercrombie Fox auf alles verzichten, konnte alles ertragen, es ließ ihn sogar gleichgültig, als knauserig zu gelten. Gott sei Dank hatte Blane keine Zeit mehr. Er stand auf, murmelte noch etwas über seine Kusine Jennie und verabschiedete sich. Fox starrte ihm nach. Er wußte noch immer nicht, über welche einflußreichen Beziehungen Jack Blane verfügte. Aber eines wußte er. Wenn Blane noch eine erfolgreiche Kreuzfahrt mit der ›Pike‹ unternahm, würde er viel früher als Fox zum Captain befördert werden – wenn diesem ein solches Glück
jemals zuteil wurde. Blane blieb stehen und wechselte noch ein paar Worte mit dem Wirt. Der starrte zu Fox hinüber und blickte dann wieder den Offizier an, der sich grinsend abwandte und die Schankstube verließ. Fox blickte auf die paar letzten Brandytropfen in seinem Glas und stellte es dann auf einen Seitentisch – ganz langsam, als könne er sich nur widerstrebend von ihm trennen. Jennie Blane war ein zauberhaftes Mädchen, das ließ sich nicht leugnen. Sie hatten eine wundervolle Zeit miteinander verbracht. Aber jetzt, da er so wenig Geld besaß, konnte Fox es sich nicht erlauben, jene frohen Tage wieder aufleben zu lassen. So reizend Jennie auch war – Fox Gedanken wanderten zu einem anderen Gesicht, zu einem Gesicht, das einst dick und verschwitzt gewesen war und das jetzt in zarter Schönheit erstrahlte. Verdammt, Sophie Kintlesham hatte sich wirklich zu einem hinreißenden Weib entwickelt! George Abercrombie Fox mußte sich eingestehen, daß er So phie nicht nur wegen ihrer Schönheit begehrte. Vorher war ihm das nie bewußt geworden. Aber jetzt wußte er, daß er sie schon damals geliebt hatte, im Mittelmeer, als sie noch fett und plump gewesen war und ihn angeschwärmt und angebetet hatte. Und jetzt, da eine schlanke, elegante Schönheit aus ihr geworden war, wollte sie nichts mehr von dem schwarzen Bastard Fox wissen. Jetzt war sie die Duchess of Bowden. Nein, er wollte sie nicht lieben, er liebte sie nicht… Natürlich, er würde sie auf der Stelle heiraten, wie er es schon einmal geplant hatte. Er würde sie heiraten, weil sie bestimmt gute Beziehungen besaß, die ihm zu einer Beförderung verhelfen
konnten. Während er den Kragen hochschlug und durch den strömenden Regen zu seiner ungeheizten, unfreundlichen kleinen Dachkammer ging, fragte sich George Abercrombie Fox, ob das der einzige Grund war, warum er Sophie heiraten wollte. Natürlich nur, wenn er noch einmal die Chance dazu erhielt. Er zog seinen alten Friesrock nicht aus. Im Zimmer war es eiskalt. Er setzte sich auf die Bettkante, steckte die Hände in die Rocktaschen, zog sie wieder heraus, hauchte sie an, schlang die Finger ineinander. Nein, er würde keine zweite Chance erhalten, Sophie zu heiraten. Sie war süß und unschuldig gewesen – und fett und verschwitzt, und sie hatte ihn für einen Helden der Navy gehalten. Und jetzt war er ein einfacher Commander mit einer Epaulette, und sie war eine wunderschöne Duchess – und noch immer Jungfrau, obwohl sie zwei Ehemänner unter die Erde gebracht hatte. Eins war jedenfalls sicher – George Abercrombie Fox würde kaum die Chance kriegen, Ehemann Nummer drei zu werden. Mit diesen Gedanken, in die sich die nagende Frage mischte, woher er sein nächstes Essen nehmen sollte, zu denen sich der verzweifelte Wunsch nach einem neuen Kommando gesellte, schlief Fox endlich ein.
4. Auch am nächsten Tag erhielt er keine Briefe, und dieser unglückliche Umstand vertiefte noch die Bitterkeit, die in George Abercrombie Fox Brust brannte.
Er unternahm mit leerem Magen einen Morgenspaziergang. Eine Mahlzeit pro Tag war alles, was er sich erlauben konnte, und auch die bestand meist nur aus einer billigen, knorpeligen Fleischpastete. Aber das dunkle Bier, das er sich außerdem noch leistete, war ja auch nahrhaft. Der Anblick der Schiffe, die im Hafen lagen, war wie ein glü hendes Messer, das in seinem Leib herumgedreht wurde. Jedes dieser Schiffe bedeutete viel mehr, als sich eine Landratte jemals vorstellen konnte. Und doch hatten ausgerechnet Landratten die Macht, zu bestimmen, wer alle diese Schiffe kommandieren sollte. In jüngster Zeit war ziemlich viel über das neue Kriegsgefangenenlager geredet worden, das man am 7. April 1797 eröffnet hatte. Es nannte sich Norman Cross Depot und lag in der Nähe eines Ortes namens Stilton in Huntigdonshire. Viele Forts und Schiffsrümpfe wurden dort von französischen Gefangenen bewohnt. Fox fragte sich, ob es nicht besser wäre, die Gefangenen in einem Hüttenlager im Landesinneren unterzubringen. Die ›Reunion‹ und die ›Revolutionnaire‹ waren die ersten französischen Kriegsschiffe gewesen, von denen man Gefangene in das Lager gebracht hatte. Mittlerweile waren natürlich noch eine ganze Menge dazugekommen. Fox würde liebend gern zur See fahren und eine neue Ladung Gefangener für das Norman Cross Depot aufstöbern, wenn die Lordschaften der Admiralität ihm nur eine Chance dazu geben würden. Der Regen tropfte ihm in den Kragen. Verdammt! Er würde in eine gewisse Taverne gehen, wo man mit großem Geschick Karten spielte. Er würde spielen und sich eine vernünftige Mahlzeit verdienen. Natürlich würde er ehrlich spielen. Er
haßte zwar die hohlköpfigen Adeligen, die so viele Schiffe unter ihrer Kommandogewalt hatten und braven Seeleuten ein höllisches Dasein bereiteten. Diesen Schurken würde er mit Genuß die letzte Guinee aus der Nase ziehen. Aber seine Kameraden, die Seeoffiziere, deren Charakter und Fähigkeiten er respektierte, würde er nicht beschwindeln. In nobleren Kreisen konnte er sich nicht gut blicken lassen, denn seine besten Uniformen waren mit der ›Minion‹ auf den Meeresboden gesunken. So blieb ihm also nichts anderes übrig, als mit seinen Kameraden zu spielen, auf faire Weise, und sich auf sein Geschick zu verlassen. Er sah sich umgeben von der riesigen Maschinerie der Navy, von den Werften, in denen die Kampfkraft der britischen Kriegsschiffe geboren wurde. Für Commander Fox war der Anblick dieser Schiffe genauso schmerzhaft wie ein Bild von einem saftigen Stück Fleisch, das man einem Verhungernden zeigt. Mit gesenktem Kopf stapfte er zu der Taverne. Er hörte das Trappeln von Pferdehufen, das Rollen von Wagenrädern. Als ihn ein Wasserguß von oben bis unten bespritzte, weil eine Kutsche durch eine Pfütze gerollt war, war seine Wut über diese miserable Welt am Siedepunkt angelangt, und er beschimpfte den Fahrer mit wüsten Flüchen. »Du verdammter, glotzäugiger Bastard! Kannst du nicht einmal mit zwei lahmen Gäulen fertig werden, du Hornochse?« Der Kutscher ließ seine Peitsche knallen und setzte gerade zu einer passenden Antwort an, als zwischen den Vorhängen des Wagenfensters ein Kopf erschien – ein schmales, hageres Gesicht, Augen, die vor Wiedersehensfreude aufleuchteten. »Was für eine schöne Überraschung! Mr. Fox! Ich habe gedacht, Sie seien auf hoher See, Sir!«
Fox Kinn fiel herab. Er wischte sich das Regenwasser aus den Augen. »Lord Kintlesham?« »Natürlich, natürlich, mein lieber Mr. Fox. Aber Sie sind ja völlig durchnäßt, Sir. Steigen Sie sofort in meine Kutsche! Und dann setzen wir uns vor ein gemütliches Feuer – mit einem Gläschen, das uns auch von innen aufwärmt.« Lord Kintlesham war wie immer die Freundlichkeit selbst. Er führte Fox in die Suite, die er gemietet hatte, in Räume mit hoher Decke und großen Fenstern und üppigem Stuckwerk. Das Feuer knisterte und prasselte, Kerzenflammen spiegelten sich in Kristallgläsern. Die elegante Couch mit den Messingfüßen und den dicken roten Polstern war sehr bequem. Fox wärmte sich am Feuer und nahm dann seinen Drink von dem Silbertablett, das ihm ein Lakai in weißer Hose und Knotenperücke präsentierte. Der Mann war knochendürr, und Fox überlegte unwillkürlich, daß es ziemlich mühselig sein würde, ihn aufzupäppeln, falls ihn ein Preßkommando auf ein Schiff schleppte. So, wie er jetzt aussah, wäre er für die Royal Navy wohl kaum von Nutzen. Obwohl ihm die Frage nach Sqphie förmlich auf der Zunge brannte, mied Fox dieses Thema. Sollte doch der alte Kintlesham von seiner Tochter zu sprechen anfangen. Aber Kintlesham schien es nur zu interessieren, warum er von seinen Gütern in Kent und Sussex nach Portsmouth gereist war. Sein mageres Gesicht glänzte vor Eifer. »Die Antiquitäten in diesem Landstrich sind unglaublich kostbar, Mr. Fox. Wenn die Franzosen sie zwischen die Finger kriegten – Gott weiß, was damit geschähe! Diese verdammten Revolutionäre haben ja keine Ahnung von der Vergangenheit.«
»Sie glauben, daß sie guten Grund dazu haben«, erwiderte Fox vorsichtig. Er hatte keine Lust, sich in eine politische Diskussion verwickeln zu lassen. Politik war etwas für Politiker. Allerdings, wie die Gesetze jetzt aussahen, konnte kein Mensch sagen, was die Politiker eigentlich wirklich sollten. Wenn sein Bruder Archie schalten und walten könnte, wie er wollte – die noblen Lords würden mitsamt dem König längst an ihren Kronleuchtern baumeln. Sie unterhielten sich weiterhin über Antiquitäten, sprachen über jene aufregenden Zeiten im Mittelmeer, als Fox Lord Kintlesham, seine Tochter und seine Marmorstatuen an Bord der ›Raccoon‹ genommen hatte. Damals war Sophie fett und rot und verschwitzt gewesen – und die ›Raccoon‹ eine zauberhafte Brigg. Jetzt war Sophie schön und elegant und die Duchess von Bowden, und die ›Raccoon‹ war nur mehr eine Erinnerung, schwarze Asche, längst in alle Winde verstreut. »Natürlich besteht Sophie darauf, heute Abend den Ball zu besuchen, mein lieber Mr. Fox.« Na, das war zu erwarten gewesen. Kintlesham sprach weiter, und seine Stimme klang immer resignierender. Seine Tochter schien ihn nicht nur zu verwirren, sondern ihm auch ernste Sorgen zu bereiten. »Wie ein bunter, rastloser Schmetterling, Mr. Fox. Sie weiß einfach nicht, was sie will. Erst begeistert sie sich für eine Sache, und schon kurze Zeit später verliert sie jedes Interesse daran. Ich kann Ihnen nur sagen, Mr. Fox, ich wünschte, Sophie hätte Sie damals geheiratet. Verdammt, Sir, ich habe sie nie glücklicher gesehen als in jenen Tagen in Palermo. Aber dann…« Seine Stimme erstarb. »Ich bedaure, daß damals eine falsche Information über meinen Tod Sophie erreicht hat. Aber jetzt läßt sich nichts mehr
daran ändern.« Kintlesham hatte schon eine ganze Weile die Epaulette auf Fox linker Schulter angestarrt – die Epaulette, die nach Fox' Überzeugung sogar echtes Gold enthielt. »Ich hatte wirklich gedacht, Sie wären auf hoher See, Mr. Fox.« Der alte Lord beugte sich vor. »Noch ein Gläschen? Bei diesem eiskalten Wetter verkühlt man sich, bevor man noch zu frieren beginnt. Normalerweise trinke ich ja nicht viel. Aber im Winter lasse ich mir schon ab und zu etwas Scharfes durch die Kehle rinnen – gegen Husten und Schnupfen.« »Danke, Mylord.« Fox nahm das Glas, das der Diener ihm servierte. Als er dann antwortete, konnte er nicht verhindern, daß seine Stimme bitter klang. »Ich würde alles darum geben, wenn ich jetzt auf hoher See sein könnte. Aber ich habe kein Schiff, kann kein Schiff finden. Admiral Cloughton – Sie haben sicher von ihm gehört…« Kintlesham nickte, und Fox fuhr fort. »Ich bin überzeugt, daß der Admiral mich nicht vergessen wird. Aber er war krank und hat sich noch nicht völlig erholt. Lord Nelson bereitet eine Flotte vor – in Plymouth natürlich. Und ich kann nur hoffen, daß die Lordschaften bei der Verteilung der Posten an mich denken werden. Ich bin Commander und kann nicht als einfacher Offizier segeln, müssen Sie wissen. Aber, Gott ist mein Zeuge, wenn ich nicht bald ein Kommandoerhalte…« »Aber, aber, Mr. Fox! Das Leben kann doch nicht so ungerecht sein.« Was hätte Kintlesham auch sonst sagen sollen? Er war jedoch nicht wie die anderen noblen Lords. Früher war er einfacher Landedelmann gewesen, der sich nur für seine Altertümer interessiert hatte. Und wenn nicht zufällig ein paar Verwandte
gestorben wären, wäre er auch heute noch kein Lord. Aber er hatte genausowenig Ahnung wie all die anderen Lords, was es für einen Seeoffizier bedeuten mußte, zu einem Leben an Land verdammt zu sein. »Sie müssen also als Captain zur See fahren, Mr. Fox?« »So ist es.« Es klirrte, als Fox sein Glas abstellte. Er wußte selbst nicht, ob das geschah, weil seine Hand zitterte, oder ob er Kintlesham damit ein Zeichen geben wollte. Jedenfalls begriff der Lord sofort und ließ das Glas seines Gastes nachfüllen. »Dann hat also der seltsame Brauch, eine einzelne Epaulette zu tragen, einen Sinn – ich verstehe.« Natürlich begriff keine Landratte, wie wichtig so eine Epaulette war, wie wichtig es war, sie von der linken auf die rechte Schulter zu verfrachten. Plötzlich richtete sich Kintlesham kerzengerade auf. Seine Augen unter den faltigen Lidern sahen Fox bittend an. »Mein lieber Sir! Ich sehe, ich habe Sie beleidigt. Natürlich ohne jede Absicht. Ich gestehe, daß ich von solchen Dingen nicht viel weiß. Aber ich weiß natürlich, daß man gewissen Rangabzeichen Respekt zollen muß. Bitte, verzeihen Sie mir, mein lieber Captain Fox.« Fox lachte. So unglaublich das klingen mochte, er lachte. Wenn dieses Lachen auch wie ein Reibeisen klang. »Denken Sie nicht mehr daran, Mylord. So eine Epaulette bedeutet sehr viel auf hoher See. Aber an Land…« Er vollführte eine wegwerf ende Handbewegung. »Sie wollen also ein Schiff finden, das Sie kommandieren können? Ich verstehe.« Fox hörte, wie sich hinter ihm die Tür öffnetet Aber er wand te sich nicht um. Kintlesham hob den Kopf, und seine Augen leuchteten auf. Ein Tumult von Gefühlen spiegelte sich in sei-
nem Gesicht – Liebe und Sorge, Mitleid und Angst, Trauer und Verwirrung. »Ah! Sophie! Komm herein, mein Liebes. Sieh einmal, wen ich trief naß auf der Straße gefunden habe!« Langsam, sehr langsam stand Fox auf und drehte sich um. O Gott! Sie war wunderbar! Er spürte sein Blut in den Schläfen dröhnen, fühlte, wie sein Herz wild gegen die Rippen hämmerte. Er schluckte. Er wußte, daß er unmöglich aussah – ungekämmt, abgerissen, schäbig. Und sein Gesicht mit den dünnen Lippen und der scharfgeschnittenen Nase war nicht schöner geworden seit damals – seit jenem Tag in Tunbridge Wells, als Sophie ihn ignoriert hatte. Er fragte sich mit leichtem Spott, ob sie ihn wohl auch in ihrem eigenen Haushalt ignorieren würde. Sophies korngoldenes Haar glühte rötlich im Feuerschein. Unter ihrem leichten, seidenen Morgenrock zeichnete sich ihre himmlische Figur ab, Ihre blauen Augen wirkten im Halbdunkel violett. Graziös griff sie nach einem Buch, das auf dem Schreibtisch lag. »Ich will mir nur dieses Buch holen. Ich möchte dich nicht stören, Vater.« Sie sah Fox nicht an. Jetzt ärgerte er sich, weil er sich nicht sofort umgedreht hatte, als die Tür aufgegangen war. Dann hätte er in ihren Augen gelesen, wie sie auf seinen Anblick reagierte. »Sophie! Das ist Captain Fox!« Für einen Augenblick schien die Welt den Atem anzuhalten. � Wilde Gedanken kreisten hinter George Abercrombie Fox � Stirn. Er war nicht betrunken, aber er war auch nicht nüchtern �
genug, um die Situation unter Kontrolle zu haben. Verdammt! Er war betrunken – aber nicht vom Alkohol. Der Anblick dieses Mädchens ließ ihn trunken werden, rührte seine Sinne auf, machte einen Narren aus ihm. Aber er hatte keine Chance, nicht die geringste. Sie sah ihn an, kühl und beherrscht. An den hoch angesetzten Brüsten, die sich unter dem dünnen blauen Stoff abzeichneten, sah er, wie gleichmäßig die atmete. Sie war nicht im mindesten erregt. »Captain Fox«, sagte Sophie Kintlesham. Sonst nichts. Alles, was Fox hervorbringen konnte, war: »Zu Ihren Dien sten…« Dann sagte er auch nichts mehr. Er konnte sie nicht Sophie nennen. Und Ma'am konnte er auch nicht sagen. Wie lächerlich die Situation doch war! Er hielt sich an der Rückenlehne des Sofas fest, mit einer Hand, die hart und kräftig war, die Segel backholen und Säbel schwingen konnte – und die doch jetzt zitterte. Er war nahe daran zu explodieren, wollte herausplatzen: »Hör doch mit diesem Unsinn auf, Sophie, du kleine Idiotin! Hör auf mit diesem Katz- und Mausspiel!« Aber als er den Mund öffnete, feuerte Sophie eine volle Breitseite ab: »Ich hoffe, es geht Mistreß Jennie Blarie gut, Captain Fox.« Es war, als hätte ihn eine Breitseite von Zweiunddreißigpfündern nur um ein paar Zoll verfehlt. Fox zuckte zusammen, blinzelte, und dann wiederholte er: »Jennie Blane? Jennie – die verdammte Jennie Blane! Ich habe sie nicht mehr gesehen, ihr nicht geschrieben, seit ich Ihnen damals in Tunbridge Wells begegnet bin.« Sophies blauviolette Augen tauchten sekundenlang in die seinen. Er sah, wie ihr Blut in die Wangen schoß, wie sie wieder blaß wurde. Das Buch in ihrer Hand zitterte.
»Ich war fest überzeugt…« Sie verstummte abrupt. »Wir haben gerade von Palermo gesprochen, mein Liebes«, warf Lord Kintlesham ein. »Ich denke nie an Palermo, Vater. Es erinnert mich an Fotherby. Ich habe mein Buch geholt. Wenn ich mich jetzt zurückziehen darf…« Sie ging mit hocherhobenem Haupt hinaus. Fox erinnerte sich genau, was in den wenigen Minuten passiert war, bevor er sich von Lord Kintlesham verabschiedet hatte. Natürlich erinnerte er sich. Besaß er nicht dieses unglaubliche, verdammt gute Gedächtnis? Aber die ganze Szene strich wie hinter einem Schleier an ihm vorbei. Er hatte doch so viel zu tun. Er mußte jeden Penny zusammenkratzen, sich Geld leihen, wenn auch keine Aussichten bestanden, daß er in Zukunft viel verdienen würde. Er mußte seine Agenten belagern, seinen Säbel aus dem Leihamt holen, denn Lord Kintlesham hatte ihm diesen Säbel geschenkt. Er mußte irgendeinem Schneider erklären, daß er ihm innerhalb kürzester Zeit eine erstklassige Uniform nähen sollte. Durch einen für ihn glücklichen Zufall erhielt er eine Uniform. Denn ein Offizier hatte eine bestellt, konnte sie aber nicht mehr abholen, weil ihn eine französische Kanonenkugel zerfetzt hatte. Und jetzt lag er auf dem Meeresgrund. Fox fühlte nur für einen kurzen Augenblick Mitleid mit dem armen Teufel. Er konnte sein schlechtes Gewissen wegen der hohen Kosten nur beruhigen, indem er sich sagte, daß er das Geld gut anlegte. Wenn er gut aussah, wurde er vielleicht in jene Kreise eingeladen, die in Geld nur so schwammen. Dort konnte er die Leute am Spieltisch nach Herzenslust ausnehmen, fette Guineen aus noch fetteren Börsen holen, die in den Taschen des Adels steckten. Und wenn er sich in jenen Kreisen blicken ließ,
erhielt er vielleicht eher einen Posten, als wenn er sich in dunklen Schankstuben verkroch. Die Chance war zwar gering, aber immerhin. George Abercrombie Fox fragte sich, warum er nicht schon vorher so schlau gewesen war, es auf diese Art zu versuchen. Er hatte am unrechten Ort gespart. Statt dessen hätte er sich schon längst in Prunkkleider werfen und mit vollen Segeln und ausgefahrenen Kanonen die Salons stürmen sollen. Aber da hatte erst ein schlankes, schönes Mädchen auftauchen müssen, um ihm darzulegen, wie dumm er sich benommen hatte. Und wenn das auch alles war, was Sophie für ihn getan hatte, sie wäre es wenigstens wert gewesen, daß sie ständig durch seine Gedanken spukte. Und Black Dick Cloughton mußte bald ein Schiff für ihn finden. Rivalität und schwarzer Haß hatten die Navy gespalten, die eine Partei kämpfte gegen die andere, die Whigs gegen die Tories. Fox hatte immer versucht, sich politisch in der goldenen Mitte zu halten. Billy Pitt war wieder einmal in ernsthaften Schwierigkeiten, und wenn auch niemand glaubte, daß er sein Amt niederlegen würde – der Gedanke, daß England seinen seit Jahren tüchtigsten Premierminister verlieren könnte, war nicht von der Hand zu weisen. Er bezahlte wieder einmal seine Miete, und seine mürrische Pensionswirtin erlaubte dem halbverhungerten Dienstmädchen, ihm eine Schüssel mit heißem Wasser zu bringen. Da es im Zimmer eiskalt war, kühlte das Wasser spürbar ab, während Fox sich rasierte. Trotzdem rasierte er sich sehr sorgfältig. Zwar war er nie besonders versessen darauf gewesen, gut rasiert zu sein, und hatte schon oft überlegt, ob es nicht bequemer wäre, einen Bart zu tragen. Aber heute hing viel davon ab, ob er gut rasiert war.
Er hatte seine Vorbereitungen getroffen. Heute Abend würde er den Ball besuchen, den Ball, auf dem ihn Prunk und Glanz umgeben würden. Aber er würde nur Augen für eine einzige haben. Als er die enge Treppe hinunterstieg, dachte er, daß er sich genauso benahm wie ein unerfahrener Jüngling, der zum erstenmal verliebt war. Aber er fühlte sich von dunklen Wünschen bewegt, von Trieben, von deren Existenz ein grüner Jüngling bestimmt nichts wußte. Seine Familie, gute Posten – das waren die Haupttriebfedern seines Lebens. Was er für seine Mutter und seine Familie tun mußte, das würde er mit frohem Herzen tun. Um sich selbst machte er sich weniger große Sorgen, verachtete vielleicht sogar jenen George Abercrombie Fox, der für Geld fast alles tat. Aber das würde ihn nicht daran hindern, für seine Familie eben das alles zu tun. Nein. Er hatte den Gedanken sofort beiseitegeschoben, als er ihm in den Sinn gekommen war. Nein, er würde den großartig funkelnden, aber falschen Orden des Halbmonds nicht tragen. Das wäre sein sicheres Verderben. Abgesehen von dem spöttischen Gelächter, das er damit ernten würde – er würde auch die Eifersucht und den Zorn jedes Offiziers im Ballsaal auf sich ziehen, der keinen Orden trug. Seine Silbermedaillen würden genügen. Aber die lagen im Leihamt. Der Ballsaal strahlte, die Musik schmeichelte, die Kerzen flackerten, die Leute bewegten sich unablässig hin und her. Es war genauso wie auf jedem Ball, den Fox bisher besucht hatte. Der erste Mensch, den er erblickte, stand dicht neben dem Eingang und hustete und spuckte und fluchte. »He! Commander Fox! Wie schön, Sie wiederzusehen!«
Und Admiral Cloughton segelte auf ihn zu, nahm ihn unter seine Fittiche und steuerte die nächsten Alkovensitze an. Unterwegs enterte er ein Tablett mit gefüllten Gläsern, und der verwirrte Lakai starrte ihm mit offenem Mund nach. »Haben überhaupt kein Benehmen, diese Kerle! Sollten einmal alle gepraßt werden und unter meiner Flagge segeln!« »Aye, Sir«, sagte Fox, nahm das Tablett und verhinderte damit ein Scherbenchaos. »Aber die noblen Herren haben meist Schutzbriefe für ihre Diener.« Cloughton war der Admiral, und obwohl er damit prahlte, daß er nur aufgrund seiner Verdienste befördert worden war, besaß er doch einflußreiche Beziehungen. Wenn er die nicht hätte, wäre er jetzt kein Admiral. Er gehörte sogar zu den am meisten begünstigten Seeoffizieren und war genauso intolerant wie die meisten adeligen Hohlköpfe, die zur See fuhren. In Fox sah er nichts weiter als einen simplen Berufsoffizier, dem man in guten Zeiten auf die Schulter klopfen mußte und den man in schlechten Zeiten in den Hintern trat. Das Sonderbare war nur, überlegte der Admiral, während er keuchend und hustend in einem Sessel vor Anker ging, daß sich nie eine Gelegenheit ergab, diesen schwarzen Bastard Fox in den Hintern zu treten… Was Cloughton zu sagen hatte, gab er zwischen Hustenanfällen und gewaltigen Schlucken von sich, mit denen er ein Glas nach dem anderen leerte. »Haben Sie die Gazette gelesen? Gut. Ihr Name ist jetzt besser bekannt als je zuvor, mein lieber Fox. Viele Leute haben mich schon nach diesem Dreidecker gefragt. Sie wissen ja – das Foxsche Patent-Bordellenterverfahren, wie man es nennt. Ich habe ihnen gesagt, daß ich Ihnen einfach alles zutraue.« Cloughton wischte sich den Schweiß von der knallroten
Stirn. Die Tanzpaare glitten vorbei, die Spiegel reflektierten die verwirrenden Farben der Uniformen, der eleganten Kleider der Ladies, die zuckenden Kerzenflammen. Fox hielt die Augen offen. Er hörte zwar genau, was der Admiral sagte, aber er sah Sophie eintreten. Sie sieht wie eine griechische Göttin aus, sagte er sich mit einem schmerzhaften Stich im Herzen – verlockend und sinnlich, und doch kühl, überirdisch und erhaben. »…und deshalb mußte Lord Lymm natürlich auch seinen Anteil am Ruhm haben. Verstehen Sie das, Commander Fox?« »Ich würde es vorziehen, nicht über Lord Lymm zu diskutieren, Sir.« Cloughton starrte ihn aus seinen kleinen, im Fett fast ver schwindenden Augen an. »Aber mein lieber Fox, warum denn nicht?« »Die Hafensperre, Sir.« Fox wußte, daß er sich jetzt auf gefährliches Terrain begab. Lymm, dieser feige Bastard, hatte versagt, wie Fox sehr genau wußte. Aber natürlich beteiligte sich alles daran, seine Weste reinzuwaschen. Und deshalb konnte Fox natürlich keinen Lohn erwarten. Wenn er Lymm in Mißkredit brachte. Es war die alte Geschichte. Cloughton redete weiter. Fox hörte ihm zu und verlor Sophie aus den Augen, als sich rote und blaue Uniformen wie hungrige Wolfsrudel auf sie stürzten. »Ich habe meine Berichte geschrieben, Commander Fox. Lord Nelson kennt meinen Standpunkt. Aber bisher wurde mir kein neuer Auftrag erteilt, und das ist verdammt schade. Ich kann mir nur wünschen, daß Nelson bald an mich denken wird.« Fox Hoffnungen lagen zerschmettert am Boden.
Solange Cloughton keinen Posten hatte, würde auch George Abercrombie Fox keinen erhalten. Deshalb erzählte ihm der Admiral all das, deshalb ließ er sich herab, so lange mit einem simplen Commander zu sprechen. Weil er Fox nicht in falschen Hoffnungen wiegen wollte. »Der Bericht in der Gazette wird Ihnen sicher nutzen, Fox. Ich nehme an, Sie hatten schon mit Lord Saint Vincent zu tun?« Cloughton würgte, hustete, rang nach Luft und fuhr dann fort: »Er hat sein Hauptquartier jetzt im Tor Abbey aufgeschlagen. Er und Nelson haben die Angelegenheit mit dem Prisengeld noch immer nicht geregelt. Sie liegt noch immer in den Händen dieser verdammten Anwälte, und die sind ja nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Eine vertrackte Situation.« »Ja, Sir.« »Nun, junger Foxey, sicher wollen Sie jetzt tanzen. Dann ziehen Sie in Frieden. Ich hole mir noch einen Drink und schaue ein wenig zu. Unterhalten Sie sich gut, Commander Fox.« Und Admiral Cloughton, Black Dick Cloughton, hievte sich keuchend und mit sichtbarer Anstrengung aus dem Stuhl. »Aye, aye, Sir«, sagte Fox und sah ihm nach. Da gingen all seine Hoffnungen davon. Er war erledigt. Cloughton konnte monatelang ohne einen Posten auskommen und trotzdem sein angenehmes Leben weiterführen. Fox konnte das nicht. Er war restlos erledigt, zu einem trostlosen, elenden Leben an Land verdammt.
5. Captain Kinglake trat zu Fox, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Er sah untadelig aus wie immer, und im strahlenden Glanz des Ballsaals verrieten seine Uniform und seine Goldlitzen und seine ganze Haltung den jungen, erfolgreichen Captain, der zuversichtlich in die Zukunft blickte, der auf der Leiter der Karriere unaufhaltsam höher steigen würde. Kinglake hielt sein Glas in der Hand, er trank keinen Schluck. Sein Anblick erinnerte Fox an die Zeiten, als sie zusammen gedient hatten, an den Augenblick, als Kinglake ihm im Auftrag Cloughtons mitgeteilt hatte, er solle zusammen mit Etienne in Point Avenglas spionieren. »Ich möchte Ihnen herzlich gratulieren, Commander Fox. Ich habe den Bericht in der Gazette mit großem Interesse gelesen.« »Danke, Sir.« Fox hatte sich jetzt wieder in der Gewalt. Seine Miene verriet nichts von seinen niederschmetternden Gedanken. Aber er konnte sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Auch ich fand den Bericht sehr interessant, aber höchst unbefriedigend, Sir.« Kinglake sah ihn scharf an. »Aber Commander Fox! Man hat doch in sehr lobenden und anerkennenden Worten von Ihnen gesprochen.« Fox warf Kinglake einen Blick zu, der eine brennende Lunte gefrieren lassen konnte, und Kinglake sah hastig weg. »Ich verstehe, Commander Fox«, sagte er leise. »Aber der Admiral hatte seine Gründe. Es hätte niemandem zum Vorteil
gereicht, wenn die Katastrophe an der Hafensperre in die Öffentlichkeit gedrungen wäre, wenn man auch noch den Urheber dieses Unglücks verraten hätte. Der Auftrag ist erfüllt worden, die Fregatten sind verbrannt.« »Allerdings«, sagte Fox höhnisch. Kinglake wechselte rasch das Thema, und wahrscheinlich, ohne es zu wissen, erinnerte er Fox damit wieder an seine verzweifelte Situation. »Die ›Hecuba‹ ist bereit zum Auslaufen. Ich segle zu Lord Nelson – und ich muß Ihnen wohl nicht erst sagen, wie glücklich ich darüber bin. Aber Admiral Cloughton wird nicht dabeisein.« »Das hat er mir soeben gesagt.« »Ach… Sie sind jetzt Commander, und wenn Sie mir meine Offenheit verzeihen, möchte ich Ihnen sagen, daß ich das fast bedaure. Denn sonst könnte ich Sie bitten, als mein Erster Offizier an Bord der ›Hecuba‹ zu kommen.« Obwohl Fox glaubte, er müsse vor Wut explodieren, sagte er höflich: »Vielen Dank, Sir. Sie sind sehr freundlich.« »Diesmal geht es den Balten an den Kragen. Alle sagen das.« Kinglakes kalte Augen verrieten nichts von seinen Gedanken. »Ein tapferes, geistvolles Volk. Ich würde lieber gegen den wahren Feind kämpfen.« »Möge Bonaparte endlich untergehen.« »Amen, Commander Fox.« Fox wußte, daß Kinglake sich nicht davor fürchtete, gegen die Dänen oder Schweden zu kämpfen. Aber der Captain bedauerte, daß dies notwendig war. Englands Erzfeind war Frankreich. Mit Frankreich galt es zu kämpfen, nicht mit jenen Ländern, die Napoleon unterminiert hatte. Nachdem sie noch eine Weile über allgemeine Belange der
Navy gesprochen hatten, entschuldigte sich Kinglake, und Fox fand endlich Zeit, sich nach Sophie umzusehen. Wie nicht anders zu erwarten war, ließ die Duchess of Bowden keinen Tanz aus. Eine Gruppe schwatzender Ladies erging sich in schrillen, kreischenden, verwunderten Ausrufen über Königin Charlottes Baum. Es blieb Fox nichts anderes übrig, als mitanzuhören, daß die in Deutschland geborene Königin Charlotte befohlen hatte, in ihrer Suite auf Windsor einen Eibenbaum im Topf aufzustellen. An die Zweige hatte sie Früchte, Bonbons und Mandeln gehängt und kleine Kerzen daran befestigt. Die Süßigkeiten erhielten die Kinder, für die das Fest veranstaltet worden war. Natürlich waren das Kinder aus hochadeligen Familien gewesen, sagte sich Fox. Kinder, die keine Ahnung hatten, daß es an den Ufern der Themse Altersgenossen gab, die den Winter ohne Schuhe und Strümpfe überstehen mußten. Aber das Weihnachtsfest von 1800 hatte den adeligen Kindern den ersten Christbaum beschert, und den gönnte ihnen George Abercrombie Fox. Sophie wandte ihm ganz einfach den Rücken zu und führte angeregte Gespräche mit ihren Bewunderern. Ihre Schultern, ihr Kleid! Sie sah wunderbar aus! So wunder bar, daß Fox den dunklen Verdacht hatte, sein Interesse an ihr gründe sich nicht nur auf seine Karrieremöglichkeiten bei der Navy. Er hatte sich geschworen, er würde sich nie verlieben. Kein Seeoffizier, der einigermaßen bei Verstand war, konnte an eine Heirat denken, bevor er zum Captain befördert worden war. Nein – er durfte sich nicht verlieben. Er müßte sich zurückziehen. Sophie gab ihm deutlich genug zu verstehen, was sie von ihm hielt. Fox war ein Flegel, ein
Blutsauger, ein betrunkener Spieler, und die Duchess of Bowden interessierte sich nicht im geringsten für ihn. Abgesehen von ein paar kühlen, herzlosen Worten, mit denen Sophie ihn informiert hatte, daß sie bereits alle ihre Tänze vergeben hätte, hatten sie nicht miteinander gesprochen. Fox wandte sich ab. Der Anblick von Sophies schlanker Gestalt in dem kostbaren Kleid, der Schimmer ihrer Schultern, das Feuer ihrer Juwelen erfüllten ihn mit hilflosem Zorn. Verlangen und Selbstverachtung, Wut und Verzweiflung kämpften in ihm, und er gelobte sich, sie während des ganzen Abends nicht mehr anzusehen. Er hörte ihr Gelächter, als sie mitten im Kreis ihrer Bewunderer stand. Das waren Männer von Welt. Sie waren reich, hatten die besten Zukünftsaussichten und einflußreiche Beziehungen. Das waren Männer, für die Sophie sich interessierte. Für einen kurzen Augenblick überlegte George Abercrombie Fox, ob er nicht einfach hingehen, diese Kerle alle zum Teufel wünschen oder kurzerhand niederschlagen sollte. Und dann sah er Jennie Blane. Sie schlenderte am Arm eines Seesoldaten in den Saal, eines steifen Captains, dem man den Stolz auf seinen Stand und auf die Schönheit an seiner Seite deutlich ansah. Jennie erblickte Fox und begrüßte ihn mit so lautstarker, freudiger Überraschung, daß sich ein paar Köpfe neugierig umwandten. Fox war es verdammt egal, ob ihn fette dumme Frauen oder fette dumme Männer anstarrten. Er wollte Jennie jetzt nicht sehen. Sicher, sie sah großartig aus mit ihren grünen Augen, dem roten Haar, der wohlproportionierten Figur, die er so oft nackt im Kerzenschein gesehen hatte – damals in Tunbridge Wells. »Wie schön, dich wiederzusehen, George!«
»Ich freue mich auch, Jennie«, sagte Fox kühl und verbeugte sich. »George! Jack sagte mir, du würdest nicht auf dem Ball erscheinen. Er sagte…« Sie merkte, daß neugierige Augenpaare auf sie gerichtet wa ren, und beherrschte sich. »Ich hatte auch nicht vor zu kommen, Jennie«, sagte Fox. »Aber ich habe unerwartet einen alten Freund getroffen und mich überreden lassen.« Das war natürlich eine deutliche Beleidigung. Der Captain stöhnte auf. Jennie hatte ihm die Fingernägel in den Arm gegraben. »Vielleicht sehe ich dich später noch, George?« Der Seesoldatencaptain, ein gutaussehender Mann mit breiten Schultern im roten Uniformrock sah diesen einfältigen Seeoffizier verächtlich an. Plötzlich erkannte Fox, daß er Jennie ungerecht behandelt hatte. Sie war ein reizendes Mädchen, und sie war sehr nett zu ihm gewesen. »Jennie«, sagte er, und beim Klang seiner Stimme stieg ihr das Blut in die Wangen. »Ich hoffe, wir sehen uns später noch. Dann können wir über alte Zeiten plaudern.« Fox verbeugte sieh, wandte sich ab und drehte sich dann noch einmal langsam um, um den beiden nachzusehen. Vor seinem linken Auge begann es unruhig zu flackern, die Kerzenflammen verschwammen. An diesem linken Auge war er in irgendeiner vergangenen Schlacht verwundet worden, und jedesmal, wenn er sich aufregte oder unter großer Anspannung stand, schloß sich ein schwarzroter Kreis um die Pupille und beeinträchtigte seine Sehkraft. Auch jetzt legte sich dieser verdammte Kreis um sein linkes
Auge. Er hatte sich schon bei Sophies Anblick angedeutet. Und dann hatte Jennies Auftreten ihn verstärkt. Doch jetzt konnte er wieder etwas klarer sehen. Er sah Jennie und ihren Captain davongehen. Sophie war mitsamt ihrem Kreis von Bewunderern verschwunden, und doch war Fox überzeugt, daß sie die Szene mit Jennie beobachtet hatte. Hatte sie nicht auch in jenem Spielsalon in Tunbridge Wells eine Szene zwischen ihm und Jennie mitangesehen? War sie nicht erstarrt, erbleicht? Hatte sie sich nicht abgewandt, ihn keines Wortes gewürdigt, ihn seinen Karten, dem Brandy, den Banknoten und Jennies vulgärem Benehmen überlassen? Nun – diesmal hatte sie eine dezentere, aber keineswegs besonders ruhmreiche Szene miterlebt. Diese verdammten Frauen! Fox brauchte ein Schiff! Ein Schiff, in das er sich verlieben konnte, ein Schiff, mit dem er weit weg segeln konnte, weg von allen Frauen, ein Schiff, das er sein eigen nennen konnte – das war alles, was George Abercrombie Fox vom Leben verlangte. Es fiel ihm nicht schwer, diesen katastrophalen Ball zu verlassen. Wenigstens konnte er auf diese Weise noch etwas Geld sparen, das er in letzter Zeit so verschwenderisch zum Fenster hinausgeworfen hatte. O Gott! Diese Weiber hätten ihn tatsächlich beinahe um den Verstand gebracht! Hatte er nicht geplant, in den Spielsalons ein paar adelige Hohlköpfe zu schröpfen? Das Kartenspiel war in diesen Kriegszeiten beinahe eine Krankheit. Es gab nur wenig Mehl, und Pasteten waren in vielen Haushalten nur mehr eine schöne Erinnerung. Das Brot war teuer geworden, daß es geradezu ein Luxus war, sich
einen Laib pro Woche zu leisten. Das Bier war dünn geworden. Weine und Schnäpse, aus Frankreich geschmuggelt, kosteten ein Vermögen. Aber in Adelskreisen blühte der Luxus noch immer. Die Reichen würden nicht verhungern. Und wenn ihre Frauen auch nicht mehr in Seide und Satin wühlen konnten, so konnten sie sich doch immerhin Kaschmirstoffe aus Indien kaufen. Also setzte sich George Abercrombie Fox für ein paar angenehme Stunden an den Spieltisch und gewann stetig. Ja, Abe Fox konnte verdammt gut Karten spielen, wenn es darum ging, ein paar adeligen Bastarden das Geld aus der Tasche zu lotsen, die ihm und seinesgleichen tausend Jahre harter Sklaverei schuldig waren. Wenn Fox zum Captain befördert wurde, wenn er eine Schlacht gewinnen würde, konnte er sich vielleicht auch zu diesen Kreisen zählen. Aber er bezweifelte, ob er jemals dazu passen würde. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der arme Arbeiter knechtete, vom Elend anderer Menschen lebte. Wenn er auch von den Reichen alles stehlen konnte, wenn es um das Wohl seiner Familie ging – den Armen konnte er das wenige, das sie besaßen, nicht auch noch wegnehmen – wie es so viele Adlige taten, um ihren zügellosen Appetit zu stillen. Fox hatte sich oft überlegt, was er wohl tun würde, wenn er aufgrund irgendeines schrecklichen Schicksals ein Schneider geworden wäre. Er würde lang und sorgfältig überlegen, was er wohl mit diesen Gentlemen tun würde, die es nicht für nötig hielten, ihren Schneider zu bezahlen. Wenn er ein Schneider wäre und Lord Lymm würde ihn so behandeln wie jetzt diesen armen Teufel, der das Pech hatte, ihm seine Uniformen nähen zu müssen – Fox würde seine eisenharte Faust in Lymms Visage schmettern.
Leider hatte ein Schneider nicht so harte Fäuste wie ein Seemann. Fox stellte sein Glas auf den Tisch. Er hatte viel zuviel getrunken. Diese verdammte Sophie! Und diese verdammte Jennie! Er wollte doch nur ein Schiff – Decksplanken unter den Füßen… Das Kerzenlicht stach ihm schmerzhaft in die Augen. Aber er hatte kein Kopfweh. George Abercrombie Fox konnte die meisten Männer unter den Tisch trinken, eine Gabe, auf die er nicht immer stolz war. Und so stand er auf, etwas schwankend, und wünschte den Kartenspielern gute Nacht. Er hatte ihnen eine ganz schöne Summe abgewonnen. Gerötete, ärgerliche Gesichter blickten zu ihm auf, als er sich erhob. Diese Männer konnten gefährlich sein. Er würde vielleicht nicht so einfach entkommen, wenn er den Zeitpunkt nicht so gut gewählt hätte. »Setzen Sie sich, Captain!« rief ein Freiwilligenmajor, ganz in Gold und Scharlachrot und Hellblau. »Wir wollen das Geld wieder zurückgewinnen, das Sie uns abgewonnen haben.« »Aye«, sagte einer der beiden anderen. »Sie spielen verdammt schlecht, Captain Fox, und Fortuna wird Sie auch bald im Stich lassen.« Der Zeitpunkt, den Fox gewählt hatte, weil er wußte, daß seine Glückssträhne jetzt zu Ende ging, fiel zusammen mit Lord Kintleshams Eintritt. Der Lord blickte sich verwirrt um, sichtlich nicht gewöhnt an die hitzige Spieleratmosphäre, die hier herrschte. Gerötete Wangen, unnatürlich glänzende Augen, zitternde Hände, leere Brandyflaschen unter dem Tisch…
»Ah, Captain Fox!« sagte Kintlesham. »Es freut mich, daß Sie gerade aufbrechen wollen, Sir, denn ich habe eine sehr wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.« »Ihr Diener, Gentlemen«, sagte George Abercrombie Fox. »Ich würde mich freuen, Ihnen ein andermal Revanche zu geben.« Natürlich wagte keiner zu widersprechen, da es ein nobler Lord war, der ihn vom Spieltisch wegholte. Zwar saßen ebenfalls noble Lords am Tisch. Und der Gedanke, daß ihre Börsen nun leichter waren als zuvor, befriedigte Fox zutiefst. »Ich sehe es nicht gern, mein lieber Fox«, sagte Kintlesham, als sie hinausgingen, »daß Sie sich von Zeit zu Zeit in – eh – gefährliche Gesellschaft begeben.« Fox brachte es fertig, höchst zerknirscht auszusehen. »Sie wollten mich sprechen, Mylord?« »Ja, ja… Ich muß gestehen, daß ich mich sehr um Sophie sorge. Ich weiß wirkliche nicht mehr, was ich mit ihr tun soll, Captain Fox.« Darauf wußte Fox nichts zu erwidern. Das Leben war doch seltsam. Gestern hatte er noch zitternd vor Kälte in seiner elenden Dachkammer gehockt, und heute trug er eine schöne neue Uniform, eine volle Börse steckte in seiner Tasche, und er unterhielt sich freundschaftlich mit einem noblen Lord. Wirklich seltsam. Obwohl er begierig war, zu hören, was Kintlesham ihm zu sagen hatte, denn er hatte ihn sicher nicht nur weggeholt, um sich über Sophie zu beklagen, lenkte Fox das Gespräch in neutrale Bahnen. Sie setzten sich in eine ruhige Ecke, wo Kintlesham seine müden Beine ausruhen konnte. Wenn es dem Lord auch nichts ausmachte, über Stock und Stein zu klettern und nach Altertümern zu suchen, das Parkett eines Ballsaals war
eine Qual für ihn. Er trank auch nicht, und darüber war Fox sogar erleichtert. Denn er hatte heute Abend ohnehin schon mehr als genug Alkohol konsumiert. »… und Admiral Curtis zeigte sich gnädig, mein lieber Captain Fox.« Fox konzentrierte seine abschweifenden Gedanken wieder auf das Gespräch. Denn er hatte Sophies schimmernde Schultern zwischen den Tanzpaaren entdeckt. »Admiral Curtis – ist das nicht der Mann, der die ›Fortuna‹ gekapert und damit ein Vermögen verdient hat?« Ein Lächeln glitt über Lord Kintleshams hageres Gesicht. »Ja. Er kam zu seinem Reichtum genauso zufällig wie ich zu meiner Lordschaft. Und Captain Gollon hat auch sein Glück gemacht.« Kintlesham stieß einen Laut aus, der entfernt an den Schrei eines sizilianischen Esels erinnerte. Und Fox rang sich ein dünnes Lächeln ab, um den alten Narren bei Laune zu halten. Aber Fox mußte sich korrigieren. Er hatte in Kintlesham nie einen Narren gesehen. Der Lord war immer nett zu ihm gewesen, wenn auch anfangs hauptsächlich Sophie zuliebe. Kintlesham fuhr fort zu sprechen, und Fox sah sich in seiner Annahme bestärkt, daß der alte Lord tatsächlich kein Narr war. »Sie wissen natürlich, daß ich mit Sir William befreundet bin. Wir interessieren uns beide sehr für Altertümer.« Wieder der kleine Eselsschrei. Wenn sich der Lord auch um Sophie sorgte, so schien er doch bester Laune zu sein. »Er hat sich an Sie erinnert, mein lieber Captain Fox, und sprach mit einer gewissen Dame über Sie.« Kintlesham war viel zu sehr Gentleman, um sich genauer zu äußern, um was für eine Dame es sich da handelte. Dazu
besaß er auch zu großes Taktgefühl. Aber Fox erfuhr, daß sich die Dame herabgelassen habe, mit dem Admiral zu sprechen – das heißt,– ihm zu schreiben, da der Admiral sich an Bord seines Flaggschiffs im Sound befand. Und dann war Captain Gollon durch eine Luke gefallen, und die ›Alkon‹ schwojte jetzt ohne Kommandanten in ihren Ankerbojen. Fox Herz begann rascher zu schlagen. »Wie man mich informiert hat, ist sie wie eine ›Flöte‹ bewaffnet – wenn ich auch nicht weiß, was das heißen soll.« Wie eine ›Flöte‹ bewaffnet? Verdammt! Mit etwas schwerer Zunge sagte Fox: »Das bedeutet, daß ihre Kanonen vom Batteriedeck entfernt worden sind. Ihre Stückpforten sehen wie die Löcher einer Flöte aus, und…« »Ich verstehe, ich verstehe!« rief Kintlesham. »Ein sehr reizvolles Bild! Man hat mir gesagt, sie sei mit Vorräten beladen. Und es sei sehr wichtig, daß man keine Zeit verliere.« Fox nahm an, daß ein Bote wie der Teufel durch die Nacht ge ritten war, um Lord Kintlesham zu informieren. Und um diese Jahreszeit waren die Landstraßen ziemlich schlecht. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Mylord…« »Unsinn, mein lieber Captain Fox! Haben Sie nicht meine besten Marmorstatuen errettet? Sir William hat eine ganze Menge von seinen Kostbarkeiten verloren, als die ›Colossus‹ untergegangen ist. Eine schreckliche Katastrophe, denn seine Sammlung war mit Recht berühmt.« »Ich habe davon gehört.« »Merken Sie sich nur eins, Captain Fox – Sophie weiß nichts von der Sache, und ich will auch nicht, daß sie davon erfährt.« Fox wäre beinahe herausgeplatzt, daß sich die Duchess of Bowden wohl kaum darum scheren würde, was mit einem armseligen, als Commander verkleideten Themsejungen pas-
sieren würde. Aber er beherrschte sich. Die ›Alkon‹! Sie war also wie eine ›Flöte‹ bewaffnet, war nur mit ihren Achterdeck- und ihren Vorkastellkanonen bestückt. Nun, auch von einem Schiff, das wie eine ›Flöte‹ bewaffnet war, erwartete man, daß es eine gewisse Rolle spielte, wenn es zu einem Kampf mit einem französischen Kaperschiff kam, das den Konvoi belästigte. Daraus ließ sich eine ganze Menge machen. Denn noch war er nicht befördert worden. Obwohl ihn jeder Captain nannte, war er noch immer ein simpler Commander mit einer Goldquaste auf der linken Schulter, und solange er sie nicht auf der rechten Schulter trug… »Ich schlage Ihnen vor, diesen Posten anzunehmen, Captain Fox. Der Admiral war nicht ganz sicher, ob Sie akzeptieren würden. Ihre Order wird bereits geschrieben. Sie werden sie morgen früh erhalten.« »Ja, Mylord.« Morgen früh würde er wieder Kommandant eines Schiffes sein…
6. Der Tag war kalt, wenn auch eine blasse Wintersonne sich durch die Wolkendecke zu kämpfen begann. Die Wellenspitzen wirkten dumpf wie Zinn. Ein paar Möwen zogen kreischend ihre Bahnen. Die meisten ihrer Gefährten waren schon längst im Landesinnern, um in sicherer Entfernung von der grauen See zu überwintern. Rege Geschäftigkeit herrschte im Hafen, in den Werften, in
der Stadt. Unzählige kleine Boote tummelten sich auf dem bleifarbenen Wasser. George Abercrombie Fox genoß dieses großartige Bild. Und in diesem Augenblick war es ihm verdammt egal, daß die ›Alkon‹ nur wie eine ›Flöte‹ bewaffnet war und nur Achterdeck und Vorkastellkanonen hatte. Sie war ein wirkliches Schiff, und sie war voller Leben. Die ersten Worte der Order kamen ihm wieder in den Sinn, die er erhalten hatte. »Sie werden hiermit ersucht, an Bord der ›Alkon‹ zu gehen und das Kommando des Schiffes zu übernehmen…« Nach der Begrüßungszeremonie stülpte sich Mr. Rattray wieder den Hut auf den Kopf, und Fox sagte in mildem Ton: »Machen Sie weiter, Gentlemen.« Dann wandte er sich an Mr. Colledge, seinen Ersten Offizier. »Bitte, kommen Sie in meine Kammer hinunter, Mr. Colledge. Mr. Rattray, würden auch Sie mir das Vergnügen bereiten? Wir können zusammen ein Glas trinken.« Das war natürlich kompletter Unsinn. Fox bat die beiden zu sich, um ihre Fähigkeiten zu testen, nicht nur, um mit ihnen zu trinken. Und er mußte nicht nur die Qualitäten seines Steuermanns und seines Ersten Offiziers überprüfen, sondern der gesamten Besatzung, und zwar möglichst rasch. Er hatte Befehl, mit der Ebbe auszulaufen und zu Captain Fräser von dem 32-Kanonen-Schiff ›Jubilee‹ zu stoßen, der den Konvoi kommandierte. Durch die Heckfenster strömte gedämpftes Licht in die große Kammer. Bei Gott, eine wirklich große Kammer, die jetzt ihm gehörte! Die alte ›Alkon‹ mochte vielleicht schon hundertmal in Stücke zerfallen und wieder zusammengezimmert worden sein. Aber sie war immer noch ein schönes Schiff und würde der Navy noch gute Dienste leisten.
In dieser wunderbaren großen Kammer packte Salvation, sein neuer Aufklarer, das aus, was Fox als seine besten Gläser bezeichnete – billiges Zeug, das er in aller Eile zusammen mit all den anderen Sachen gekauft hatte, nachdem er die Order erhalten hatte. Fox musterte Rattray und Colledge aufmerksam. Rattray, ein Mann mit silbernem Haar und roter, von blauen Äderchen durchzogener Knollennase, mochte etwa sechzig sein. Man sah diesem Mann in seiner sauberen, tadellosen Uniform an, daß er seinem Schiff treu ergeben war und es nie im Stich lassen würde. Der Steuermann war ein Kerl, der perfekt die Gründe repräsentierte, warum Englands Schiffe so sicher über die Meere segelten, warum sie nur dann zu Wracks wurden, wenn keine Menschenhand, kein Menschenverstand mehr gegen die Elementargewalten der Natur ankämpfen konnte. Was Colledge betraf, war sich Fox nicht so sicher. Er war älter als Fox und wirkte ziemlich mürrisch, aber das wohl kaum, weil er gehofft hatte, das Kommando der ›Alkon‹ zu übernehmen. Männer wie Colledge dienten an Bord von Englands Schiffen und taten, was man ihnen befahl. Ihr Horizont endete meist an den Relings ihrer Schiffe. Auch Fox könnte jetzt zu diesen Männern zählen, wenn sein jugendlicher Geist ihn nicht beflügelte, wenn das Leben ihn nicht ständig neu herausgefordert hätte, und wenn er nicht durch die Schule des Captains Sir Cuthbert Rowlands gegangen wäre, dieses Mannes, dem er so viel zu verdanken hatte. Colledge würde tatendurstig an Land gehen, sein Geld ausgeben und grölen und saufen, aber er würde zurück an Bord seines Schiffes kommen, unfähig, das Leben an Land länger als ein paar Stunden zu ertragen. Wenn er länger als ein paar
Tage mit halbem Sold leben müßte, würde er sterben. »Nun, Gentlemen«, begann Fox, »wir haben viel zu tun und wenig Zeit.« Colledge nahm einen kleinen Schluck und runzelte nachdenklich die Stirn. Die ›Alkon‹ war zum Auslaufen bereit gewesen, als Captain Gollon durch die Luke gefallen war, und es war Fox klar, daß Colledge nun nicht begriff, was noch getan werden müßte. Fox, würde diesen Männern erst einmal beibringen müssen, wie seine Auffassung von Schiffsdisziplin aussah. Warum war Colledge so mürrisch? »Man hat uns die Zähne gezogen«, fuhr Fox fort. »Aber ein paar Fänge haben wir noch. Und wenn uns Jean Crapeaud in die Quere gerät, werden wir ihm diese Fänge ins Fleisch schlagen, verlassen Sie sich drauf.« Der Steuermann nickte langsam zu diesen Worten und trank. Offensichtlich war er überzeugt, daß er damit genug zur Konversation beitrug. Der Erste Offizier, ein gedrungener Mann mit grauem, von zahllosen Palten durchfurchtem Gesicht, sagte ein paar Worte über den unglücklichen Unfall, den Captain Gollon erlitten hatte, und dann verstummte er wieder. Fox starrte ihn an. O Gott! Hatte er es hier mit einer ganzen Fracht von Holzköpfen zu tun? Na, wenn sie jetzt Holzköpfe waren – bis sie die baltische Flotte erreichten, würden sie einiges dazugelernt haben. Ja, sagte sich George Abercrombie Fox mit wilder Entschlossenheit – und wenn er sie mit Schießpulver bestreuen mußte, um sie scharf auf den Feind zu machen! »Wollen Sie das Schiff inspizieren, Sir?« Colledge war ein Mann, bei dem alles seine Ordnung haben mußte. »Bald«, sagte Fox in leicht spöttischem Ton. »Würden
Sie bitte die Güte haben und Mr. Bembridge und Mr. Fowley ersuchen, in die Kammer des Captains zu kommen?« Bembridge war der Zweite Offizier des Schiffes und Fowley der Dritte. Sie waren die wachhabenden Offiziere, zusammen mit Col ledge, denn die ›Alkon‹ war nicht groß und wichtig genug, um ihrem Ersten Offizier das Privileg zu gönnen, sich die Wache ersparen zu können. Da waren natürlich auch noch Steuermannsmaate, die auf dem Achterdeck auf und ab spazieren konnten. Und was die Midshipmen betraf, so war Fox wieder einmal etwas spärlich bedacht worden. Aber das störte ihn nicht sehr. Die Midshipmen hatten ihren bestimmten Platz im System eines Schiffes. Fox betrachtete sie und ihre Possen mit ziemlicher Intoleranz. Und doch behandelte er sie mit übertriebener Nachsicht, wenn es zu einem gefährlichen Kampf kam. Sie waren ja noch so verdammt jung. Bembridge und Fowley traten ein, und Fox musterte sie prüfend nach dem üblichen Austausch von Höflichkeitsfloskeln. Bembridge sah unglücklicherweise so aus, als sei er für Fox Geschmack zu dumm. Mit seiner großen, plumpen Gestalt und dem roten Gesicht hatte er wohl nicht viel zu bieten – nur einen Körper, der Wache stehen, und eine Stimme, die Befehle an die Leute weitergeben konnte. Fowley sah dagegen sehr vielversprechend aus. Mit seinen Zweiundzwanzig Jahren war er erst vor kurzem befördert worden. Er war sehnig und kräftig und begegnete Fox forschenden Blicken furchtlos und offen. Wahrscheinlich war er arm wie eine Kirchenmaus, hatte keine Beziehungen und stammte aus einer Familie in Portsmouth, in der die Männer schon seit Generationen zur See fuhren.
Fox hielt sie nicht lange auf. Er lenkte die Konversation in Bahnen, die ihm alles verraten konnten, was er wissen mußte. Irgendwie gelangte er zu der Überzeugung, daß sie alle, inklusive Fowley, ziemlich schockiert über die eine Epaulette waren die seine linke Schulter zierte. Wahrscheinlich waren sie der Meinung, daß ein richtiger Captain sie kommandieren sollte. Zum Teufel mit ihnen! Die ›Alkon‹ war nur eine ›Flöte‹, ein Schiff, dessen Kanonen man entfernt, dessen Hauptdeck man mit Vorräten vollgestopft hatte. Sie würde nicht so gut bemannt sein wie Schiffe ähnlicher Größenordnung, und wenn auch dieses Schiff unterbemannt war, so war doch diese Besatzung ungewöhnlich schwach. Und doch schwor sich Fox, mit diesem Schiff nicht nur zu segeln. Nein, er würde mit der ›Alkon‹ auch kämpfen. Schließlich verkündete er, daß er das Schiff inspizieren wolle. Das erste, was er bemerkte, als sich die Besatzung zur Begrüßungszeremonie im Mittelschiff versammelte, war das hohe Durchschnittsalter der Männer. Die erstklassigen Seeleute schickte man natürlich zu den Kampf Schauplätzen. Aber es war sinnlos, einen Wutanfall zu kriegen. Admiral Cloughton hatte angedeutet, daß es noch eine Weile dauern würde, bis er wieder einen Posten übernahm, und er konnte nichts für Fox tun. Trotzdem – er konnte sich die Chance, die ›Alkon‹ zu kommandieren, nicht nehmen lassen. Entweder diese alte Flöte mit der Greisenbesatzung – oder gar nichts. Fox sah sich alles sehr genau an. Colledge hatte dafür gesorgt, daß die Decks frisch gescheuert waren, neue Farbe verdeckte die Unzulänglichkeiten des alten Schiffes. Fox hatte keine Zeit, nachzusehen, was sich unter der frischen Farbe befand. Aber als er einmal mit seinem Messer in einen höchst verdächtigen Fleck neuer Farbe stach, entdeckte er, daß sich
der Klinge beängstigend wenig Widerstand bot. »Mr, Weston!« Er ließ den Schiffszimmermann rufen, einen phlegmatischen Mann mit jahrelanger Erfahrung; »Sie kümmern sich sofort darum? Dieses verrottete Stück muß verschwinden!« Fox hätte noch mehr sagen können. Er hätte dem Schiffszimmermann genau erklären können, was er zu tun hatte, wie er es anfangen mußte. Aber er beherrschte sich. Er würde Mr. Weston schalten und walten lassen, und dann würde er sich das Ergebnis ansehen. Gott helfe dem Schiffszimmermann, wenn er seinen Job nicht gut erledigte, denn George Abercrombie Fox würde ihm in diesem Fall gewiß nicht helfen. Er ging weiter und übersah absichtlich eine Schüssel, die an einer Stelle stand, wo sie nichts zu suchen hatte. Die alten Seeleute versuchten so etwas immer, wenn ein neuer Kommandant an Bord kam. Niemandem würde die Schüssel gehören, niemand würde wissen, warum sie da stand. Aber seine Reaktion auf die absichtlich stehengelassene Schüssel würde den Männern zeigen, was für ein Temperament ihr neuer Kommandant hatte. Einige Captains, die Fox gekannt hatte, hatten Tobsuchtsanfälle erlitten und die unmöglichsten Befehle erteilt, Befehle, die kein Mensch ausführen konnte. In diesem Fall würden nur der Schiffskorporal und der Schiffsprofoß zu leiden haben. Und die beiden wollte Fox erst einmal kennenlernen. Als er durch das Schiff ging, spürte er nichts von der überschäumenden Freude in sich, die er empfunden hatte, als er das Kommando der ›Minion‹ übernahm. Damals hatte er geglaubt, auf Wolken zu schweben, damals hatte er sich auf den ersten Kampf unbändig gefreut. Und jetzt hatte man George Abercrombie Fox ein Proviant-
schiff aufgehalst, das Nelsons Flotte mit allem Nötigen versorgen, aber nicht in der vordersten Linie stehen sollte, wenn es zur Schlacht kam. Aber Fox war kein Mann, der eine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, wenn sie sich ihm bot. Deshalb mußte er jedes Stück Holz, jede Kanone, die ganze Fracht, jeden Mast und jeden Segelfetzen ganz genau kennen, Und was vielleicht noch wichtiger war, er mußte die Fähigkeiten seiner Männer und ihre Charaktere kennen und herausfinden, ob Captain Gollon disziplinierte Ordnung an Bord gehalten hatte. Fox würde die Aufteilung der Pflichten in der Besatzung vorläufig nicht ändern. Er würde nicht zerstören, was aufgrund langer Erfahrung angeordnet und mit einem Wissen über diese Männer Verfügt worden war, das er noch nicht besaß. Später, wenn er gesehen hatte, wie die Leute ihren Dienst taten, würde er vielleicht Änderungen vornehmen. Als er wieder in seiner Kammer saß, umgeben von seinem geringfügigen Hab und Gut, erkannte er, daß ihm hier nicht genügen würde, was ihm in den engen Kammern der ›Nuthatch‹ und der ›Minion‹ genügt hatte. Aber, verdammt, er mußte eben damit zurechtkommen. Wesentlich war ja nur, daß sie in den Krieg segelten und jenen Ländern, die sich Bonaparte unterworfen hatten, eindrucksvoll bewiesen, wie kampfstark England noch immer war. In England herrschte in dieser Zeit eine wachsende Kriegs müdigkeit. Das war nur zu deutlich und mußte einen Offizier der Navy zutiefst bekümmern. Seit 1793 zog sich der Krieg nun schon hin, und nichts schien ihn beenden zu können. England hatte Kolonien gewonnen und neue weltweite Handelsbeziehungen angeknüpft. Aber es blutete aus großen Wunden. Die Kriegs-
kosten warenenorm. Kein Wunder, daß sich die Bevölkerung beklagte und der Ruf nach einem ehrenvollen Frieden immer lauter wurde. Aber Fox fragte sich mit britischem Zynismus, ob dieser korsische Bandit überhaupt ehrenvoll handeln konnte. Noch andere Probleme lasteten zu dieser Zeit auf den Schultern der Engländer. Bioly Pitt hatte die Sklavenfrage gelöst, doch jetzt mußte er das Irlandproblem lösen. Die Union war nun eine Tatsache. Aber Pitts Bestreben, diese Union auch wirksam werden zu lassen, indem er die Katholiken von ihrer Rechtsunfähigkeit entband und den katholischen Klerus unterstützte, schien an jener stupiden, bigotten Opposition zu scheitern, an der sich auch Fox schon oft genug den Schädel eingerannt hatte. Diese Leute nahmen nur für sich selbst alle Rechte in Anspruch und würden niemandem etwas gönnen, der nicht zu ihren Kreisen gehörte. Als Lieutenant Colledge unter Deck erschien, um zu melden, daß alles zum Auslaufen bereit sei, nickte Fox. »Ich komme hinauf, Mr. Colledge.« Er würde es keinem anderen überlassen, das Schiff aus dem Hafen zu führen. Er würde es sogar genießen, die segeltechnischen Fähigkeiten, die Wendigkeit der ›Alkon‹ zu testen. Dieses Vergnügen, das eigentlich keins war, weil der Schiffsverkehr in Spithead ziemlich lebhaft war, dieses Vergnügen würde ihn beruhigen und alle dunklen Gedanken vertreiben, die ihn quälten. Diese verdammte Sophie! Die ›Alkon‹ segelte, als hingen an ihrem Kiel noch hundert zusätzliche Tonnen Gewicht. Fox rief seine Befehle und unternahm keinen Versuch, Konversation zu machen. Mr. Rattray erfüllte seine Pflicht mit jener altmodischen Grazie, die Fox
immer wieder an Butler erinnerte, die vor Nabobs katzbuckelten. Die ›Alkon‹ drehte durch den Wind, die Bramsegel wurden gesetzt, und dann, während eine angenehme Brise von achtern wehte und das Wasser viel freundlicher aussah als am frühen Morgen, bestimmte Fox den Kurs. Die ›Alkon‹ begann zu stampfen, nicht sehr stark – nicht stark gerlug, um Fox zu beunruhigen und ihn zu veranlassen, die Leute anzuschreien. Er stand auf seinem Achterdeck, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, der nur einen Narren nicht daran hindern konnte, ihn anzusprechen – es sei denn, es handelte sich um etwas wirklich Wichtiges. Das alte Teufelsgesicht – so hatten seine Schiffsgefährten früherer Jahre diese wütende, verkniffene Miene beschrieben, die er immer aufsetzte, wenn ihn Sorgen peinigten. Fox nahm direkten Kurs auf den Konvoi Captain Fräsers, der nur aus sechs Schiffen bestand. Drei davon waren Schiffe wie die ›Alkon‹, die anderen drei angeheuerte Handelsschiffe. Als Fox den Konvoi sah, war er überzeugt, daß die ›Jubilee‹ diesen wenigen Schiffen ausreichenden Schutz bieten konnte. Sogar eine Schaluppe konnte einen Konvoi dieser Größe sicher ans andere Ende der Welt führen. Die Schiffsroutine nahm ihren Lauf, und Fox hielt wie immer seine scharfen Augen offen. Alles, was an Bord geschah, unter stand seinem Kommando, daran ließ er von Anfang an keinen Zweifel. Er wußte, daß man ihn ablehnen würde, aber das ließ ihn kalt. Es war nur natürlich, daß eine Besatzung einen neuen Captain ablehnte. Das lag in der menschlichen Natur. Unten am Kanal lag Plymouth, und dort wartete die Flotte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Nelson bereits davongesegelt. Vor Yarmouth würden sie halten, bevor sie zum Balti-
schen Meer segelten. Als die ›Alkon‹ Backbord achtern im Konvoi dahinsegelte, fragte sich Fox, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er die Order erhalten hätte, direkt Yarmouth anzusteuern. Niemand hatte bisher mit ihm über sein neues Kommando gesprochen, und er würde nur von Captain Fräser Befehle entgegennehmen. Fräser hatte die Order erhalten, den Konvoi zu befehligen, und sicher wußte er, warum sie durch den Kanal segelten, um irgendwo im Baltischen Meer einen Angriff durchzuführen. Die Nacht schien sich endlos zu dehnen, und Fox schlief nicht. Natürlich konnte er weder seinen Ersten Offizier noch den Steuermann nach dem Wie und dem Warum fragen. Er würde es nicht über sich bringen, sich so zu demütigen. Er hatte den Befehl erhalten, das Kommando dieses Schiffes zu übernehmen und sich möglichst schnell Captain Fräser anzuschließen. Und von jetzt an war er nur mehr ein winziger Teil eines großen Ganzen. Hatte Gollon gewußt, wohin der Konvoi segelte? Auf diesem Kurs mußte das Ziel Plymouth lauten. Fox preßte die dünnen Lippen zusammen. Diese verdammten Hohlköpfe! Da jagten sie ihn noch Plymouth hinunter, und dann konnte er den ganzen Weg wieder zurücksegeln. Der Wind hatte zugenommen, ein starker Ostwind trieb sie rasch durch den Kanal. Sie würden vorsichtig manövrieren müssen, wenn sie sich Plymouth näherten. Fox war schon vorher unter versiegelter Order gesegelt. Aber diesmal war die Situation anders. Das quälende Gefühl, daß jeder an Bord außer ihm selbst wußte, wohin die Fahrt ging; schnürte ihm beinahe die Kehle zusammen. Nun, er konnte nicht länger dasitzen und sich von diesem
Gefühl martern lassen. Es gab einen Mann an Bord, der genau wissen würde, was Fox erfahren wollte, einen Mann, der diese Information allerdings nicht weitergeben durfte. Diese klugen Leute, Spione wie Roland und Etienne, Flaggcaptains, Geheimagenten von Navy und Army, waren verdammt schweigsam. Fox rief dem Steuermannsmaat einen heiseren Befehl zu, als ein Liek flatterte, und der Mann am Ruder reagierte bemerkenswert schnell. Die ›Alkon‹ mußte ihren Kurs halten, die geringste Unaufmerksamkeit am Ruder konnte zur Folge haben, daß sie ihren Bugspriet in das Heck des Vorderschiffes rammte. Der Mann, mit dem er sprechen wollte, stand an der Leereling und hielt die Hände hinter dem Rücken unter dem dicken Umhang verschränkt, der seine breiten, massiven Schultern nicht verbergen konnte. Fox kümmerte sich im allgemeinen nicht um Paasagiere, aber wenn es um seinen Vorteil ging, war er natürlich bereit, eine Ausnahme gelten zu lassen. Mit glasklarer Stimme, die er völlig unter Kontrolle hatte, sagte Fox: »Die Nacht ist kalt, Major. Wollen Sie mir das Vergnügen bereiten und ein Glas mit mir trinken?« Der Mann zuckte zusammen, als sei er mit seinen Gedanken meilenweit weg gewesen. Er wandte sich um, und jetzt sah Fox noch deutlicher das breite Gesicht mit der seltsam glatten Haut, wo man die wettergegerbten Narben eines Soldaten erwartet hätte. »Es wird mir eine Ehre sein, Sir.« Der Major neigte leicht den Kopf, überragte Fox aber immer noch um ein beträchtliches Stück. Seine Stimme hatte einen kanadischen Akzent, und Fox wurde an die Zeiten erinnert, da er als Pulverjunge vor den Küsten Amerikas gedient hatte. Dorthatte er Kanadier getrof-
fen, und seither bewunderte er sie wegen ihrer Härte und ihres Kampfgeistes. Auch dieser Mann verriet in seiner ganzen Haltung die innere Stärke, die Fox an den Kanadiern schätzen gelernt hatte. Die Körperkräfte Major John Mansfields zeigten sich Fox noch deutlicher, als er in der Kammer den grauen Umhang ablegte. Darunter trug er einen blauen Dragonerrock mit Silberverschnürung und weiße Kasimirhosen, die unter den Knien geknöpft waren. Er besaß genug Anstand, die Stahlsporen von seinen schwarzen Lederstiefeln zu entfernen. Fox nickte, als Salvation einen Zinnkrug und zwei Gläser brachte. »Leider kann ich Ihnen nur Rum anbieten, Major. Ich hatte keine Zeit, mir einen Weinvorrat anzuschaffen, bevor wir lossegelten.« »Ich trinke sehr gern Rum, Captain«, sagte Major Mansfield lächelnd. Wie Fox erwartet hatte, war dieser kanadische Dragonermajor eine harte Nuß. Da es Fox aber nicht lag, langsam um den heißen Brei herumzureden, kam er bald zur Sache. »Kennen Sie das Baltische Meer, Major?« Mansfield senkte sein Glas und starrte Fox verwirrt an. »Das Baltische Meer, Sir? Nein – kaum. Aber Lord Nelson wird sich dort sicher bestens auskennen.« Fox trank ein wenig rascher, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. »Ihre Dienste werden zweifellos an der Küste gebraucht, Major. Sie sprechen doch sicher schwedisch oder dänisch?« Mansfield, noch immer leicht verwirrt, lächelte wieder und trank, nachdem Salvation sein Glas nachgefüllt hatte. Fox wandte sein häßliches Gesicht dem Diener zu.
»Ich kümmere mich schon um alles Weitere, Salvation,« »Aye, aye, Sir.« Salvation zog sich zurück. »Nein; Sir. Ich kann kein Wort dänisch oder schwedisch. Und russisch auch nicht. Ich spreche ein bißchen französisch, und ich habe auch ein bißchen Ahnung vom Kastilischen, aber«, er zuckte mit den Schultern, »ich bin in die Levante unterwegs, weil ich ziemlich fließend arabisch spreche, Captain Fox.« Fox Kinn fiel herab. Blinzelnd starrte er den Major an. »Die Levante?« stieß er hervor. »Aber wir segeln doch nach…« Doch dann beherrschte er sich. Mansfield sah ihn neugierig an, und Fox schluckte. »Sie sprechen also arabisch, Major«, hörte er sich mit einer Stimme sagen, die so hohl klang, als ertöne sie aus einem Sarg. »Ja. Ich habe schon in ziemlich jungen Jahren eine ausgedehnte Geschäftsreise in die Levante unternommen, lange vor Ausbruch des Krieges. Mein Vater…« Er zögerte, und dann schluckte er das, was er hatte sagen wollen, hinunter. »Man hielt es für angebracht, daß ich zur Army ginge, und General Abercrombie war so freundlich, mich jetzt zu sich zu rufen. Wir…« »General Abercrombie!« Fox zwang sich, seine zitternden Finger fest um das Rumglas zu legen. Er wußte, daß ein idiotisches Grinsen über sein haßliches Gesicht glitt. Wo endete sein Traum vom Kampf an Nelsons Seite? Wo endeten seine Pläne von einer ruhmreichen Zukunft ? Die Levante! Akka und Alexandria und die Türken und der Gestank und die Fliegen und die Krankheiten – o Gott! Wieder einmal war er betrogen worden! George Abercrombie Fox wurde wieder einmal zu einem
Heer gesandt, das im Mittelmeer herumschwärmte und absolut nichts tat. Wenn alle seine Wünsche, alle seine Sehnsüchte ihn nach Norden trieben, sandte man ihn nach Süden. Warum nur hatte dieses verdammte Schicksal kein Mitleid mit ihm?
7. Normalerweise brauchte man zwei Monate, um in die Levante zu segeln. Captain Fräser hatte seine Order, und diese enthielt auch den Befehl, daß er zwar für Eile sorgte, dabei aber auch auf Sicherheit achtete. Sie passierten Gibraltar ohne Zwischenaufenthalt, in der Meerenge wehte ein ungewöhnlich milder Westwind. Und dann segelten sie ins blaue Mittelmeer. Wieder einmal ins Mittelmeer! Fox starrte auf die tiefblaue See, die so ganz anders aussah als das eisgrüne Wasser des Atlantik. O verdammt! Was für Zeiten hatte er in diesem Binnenmeer erlebt! Er dachte an die ›Raccoon‹ – an die wilden Abenteuer. Seine Bekanntschaft mit Major John Mansfield hatte sich vertieft. Da Fox seine Freunde leicht an den Fingern einer Hand abzählen konnte, zögerte er, seine Beziehungen zu Mansfield als Freundschaft zu bezeichnen. Fox hätte auch nie gewagt, offen zuzugeben, daß Lionel Grey und John Carker seine Freunde waren. Obwohl die beiden ihn sicher als Freund betrachteten. Sie hatten oft genug bewiesen, daß sie ihm zugetan waren. Aber Fox kannte eigentlich nur einen einzigen Menschen außerhalb seiner Familie, den er als
seinen Freund bezeichnen konnte, und das war Rupert Colburn vom dreiundvierzigsten Regiment. Er fragte sich, ob Rupert es bereits zum Major gebracht hatte, und hoffte es von Herzen. Rupert hatte Bert, einen von Fox jüngeren Brüdern, unter seine Fittiche genommen. Seit ewig langer Zeit waren sie nun schon in Westindien, und jedesmal, wenn Fox an die beiden dachte, betete er, daß das gelbe Fieber Bert oder Rupert nicht hinwegraffen möge. Sie waren in Saint Pierre stationiert und hatten schon genug aufregende Kämpfe erlebt. Es hatte einige Gerüchte gegeben, und so hatte Rupert in seinem letzten Brief, in dem er auch seine Beförderungschancen erwähnte, geschrieben, das dreiundvierzigste Regiment, das Monmouthshire-Infanterieregiment, würde vielleicht 1801 nach England zurückkehren. Wenn sie wirklich zurückkamen, während Fox hier im Mittelmeer festsaß, und sie wieder auf eine dieser sinnlosen Expeditionen geschickt wurden, die sich das Kriegsministerium ausdachte – dann würde er Rupert und Bert vielleicht nie wiedersehen. Automatisch rief Fox dem Steuermannsmaat einen Befehl zu, während er sich mit beiden Beinen gegen das Schlingern der ›Alkon‹ stemmte. »Ruder mehr nach Backbord, verdammt!« »Aye, aye,Sir.« Die ›Alkon‹ folgte den anderen Schiffen des Konvois in gleichbleibendem Abstand. Das bedeutete zwar, daß sie ständig Segel backholen und die Besanmarssegel setzen mußten, aber das machte Fox nichts aus. Mittlerweile war es ihm gelungen, die Leute annäherend zu einer Besatzung zu formen, wie sie seinen Vorstellungen entsprach. Die ›Alkon‹ segelte stetig und sicher, und er war zufrie-
den. Bei der ersten Gelegenheit hatte er die Fracht neu verteilen lassen. Die Leute waren diesem Befehl nur fluchend und murrend nachgekommen, aber davon hatte sich Fox nicht stören lassen. Im allgemeinen lag der Schwerpunkt eines Schiffes am besten etwas weiter vorn als sein Mittelschiff. Außerdem sollten die Achterleinen eines Schiffes richtig geschwungen sein, damit das Wasser glatt vorbeiströmen konnte. Aber bei einem altmodischen Schiff mit plumpen Linien, wie es die ›Alkon‹ war, gab es nur Kompromißlösungen, wenn man den besten Trimm finden wollte. Fox erreichte die notwendige schlanke Linie, indem er das Heck ein wenig anhob und so den breiten Bug ausglich. Dadurch wurde die ›Alkon‹ beweglicher und schneller. Er war überzeugt, daß er alle Schiffe des Konvois überholen konnte, wenn er alle Segel setzte. Und er würde sogar die ›Jubitee‹ zwingen, ihre Leesegel zu setzen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Die ›Alkon‹ war zwar keine besondere Schönheit, aber sie war reingebrannt und strahlte unter Deck vor Sauberkeit. Das Wetter ließ ahnen, wie schön es im Sommer in den Gewässern des Mittelmeers sein konnte, und ein leichter Westwind begleitete den Konvoi auch weiterhin. Um diese Jahreszeit brauchte man nicht mit einem starken Ostwind zu rechnen. Fox nahm an, daß sie ohne Schwierigkeiten und Hindernisse ihr Ziel erreichen würden. Wenn man von ihm erwartete, daß er ein Proviantschiff kommandierte, um ein untätiges Heer zu versorgen, statt mit Admiral Nelson zu segeln, so würde er das eben tun. Er hatte mit Captain Fräser gegessen und dabei erfahren, wie
die volle Order lautete. Es heiterte ihn keineswegs auf, was er da hörte. Als Fräser geendet hatte, konnte Fox sich nicht verkneifen zu bemerken: »All das hätte man im Jahr 1799 auch ohne Blutvergießen erreichen können, Sir.« Fräser, ein sehr standesbewußter Schotte mit dickem Bauch, rotem Gesicht und einer sehr hohen Meinung von sich selbst, warf diesem Emporkömmling von Commander einen kalten Blick zu. »Ich nehme an, Sie spielen auf den Vertrag von El Arish an?« »Ganz recht, Sir. Ich hatte die Ehre, unter Sir Sidney Smith zu dienen, und was man so über seine Verhandlungen mit Kleber in Ägypten hört…« »Er hatte keine Vollmacht, zu verhandeln.« Fox erkannte, daß er vorsichtig vorgehen mußte. Sidney Smith hatte einen Vertrag ausgehandelt, demzufolge die von Napoleon im Stich gelassene französische Armee in Ägypten ehrenvoll nach Frankreich zurückkehren konnte. Dadurch wäre nicht nur die Kontrolle über Ägypten ohne Blutvergießen auf England übergegangen, man hätte auch eine Veteranenarmee nach Frankreich befördert, die wütend auf Bonaparte war, weil er sie verraten hatte. Der Coup vom Brumaire hätte vielleicht anders geendet. In einem Land, das von den Wirren der Revolution noch immer heimgesucht war wie Frankreich, konnte praktisch alles geschehen. Aber die britische Regierung war unfähig gewesen, den Vertrag zu ratifizieren, weil sie nicht hinreichend informiert gewesen war. Lord Keith gefiel außerdem die Idee nicht, französische Soldaten laufenzulassen. Die Türken, die immer wieder von der französischen Armee besiegt worden waren, zeigten sich überglücklich, nachdem Sir Sidney seine Arrangements
getroffen hatte. Aber dann hatte ein Fanatiker namens Souliman el Alepi Kleber ermordet. Er hatte ihn mit einem Dolch niedergestochen, als Kleber von General Damas, in dessen Haus er gefrühstückt hatte, zu seinem Hauptquartier gegangen war. Kleber war ein sehr tüchtiger und erfolgreicher General gewesen. Aber sein Nachfolger, General Menou, war ein Esel. Die gesamte französische Armee war von Lachkrämpfen befallen worden, als Menou zum Islam übertrat und sich künftig Abd Allah Menou nannte. Der neue General lehnte es strikt ab, sich um irgendwelche Verträge zu kümmern. Souliman el Alepi war vierundzwanzig Jahre alt gewesen. Von Beruf war er Schriftsteller. Diese Schriftsteller sind gefährliche Männer, überlegte Fox. Wenn er auch bezweifelte, ob Wordy oder Sam oder Godwin einen General mit einem Dolch niederstechen würden, so konnten sie doch auch mit der Waffe des Wortes großen Schaden anrichten. So war General Abercrombie, ein alter, beliebter Krieger, nach Ägypten geschickt worden, um die französische Veteranenarmee zu besiegen. Fox runzelte nachdenklich die Stirn. Die britische Army hatte nun den seit Jahren niedrigsten Stand erreicht. Ihre Moral war verdächtig, denn sie hatte einen Umschwung nach dem anderen erlebt. Die Army hatte alles mögliche versucht. Sie hatte winzige Truppen dahin und dorthin geschickt und nirgends Erfolg gehabt. Auch Fox hatte an so einer vergeblichen Landung teilgenommen. Jetzt schwirrten Kontingente der Army im Mittelmeer und im Atlantik herum, drohten, Cadiz zu erobern, drohten, da und dort an Land zu gehen, und dabei geschah nichts, außer daß die Soldaten seekrank wurden. Und Was würden die Rotröcke gegen Bonapartes Veteranen
ausrichten, gegen Männer, die auf hundert Schlachtfeldern dem Sieg entgegengestürmt waren? Jetzt verstand Fox auch, warum er diese Fracht in seinem Schiff mitführte, denn es handelte sich hauptsächlich um Armeevorräte. »Die Army braucht diese Vorräte sehr dringend, Captain Fox«, sagte Fräser, als sie sich verabschiedeten. »Wir müssen uns beeilen. Meine Order lautet, die Mamorice Bay anzusteuern, wo sich die Flotte versammelt. Und wenn das unmöglich ist, sollen wir direkt nach Alexandria oder zur Bucht von Abukir segeln, wo wir dann an Land gehen. Dieser Plan wurde schon vor einiger Zeit entwickelt und streng geheimgehalten.« Fox sagte nicht: Man hat ihn auch vor mir geheimgehalten. Sonst würde ich jetzt vielleicht mit Nelson ins Baltische Meer segeln! Er erinnerte sich gut an die Bucht von Abukir. Bei Gott! Er wußte verdammt gut, wohin er die ›Alkon‹ nicht steuern würde. Damals hatte er sich gerade in den Kampf stürzen wollen, der als Schlacht vom Nil in die Annalen der Geschichte eingegangen war, als die ›Culloden‹ plötzlich auf Grund lief. Er hatte dagesessen, der Schlacht zugesehen und eine ganze Nacht lang geflucht. Aber jetzt würde er die ›Alkon‹ sicher an allen Untiefen vorbeisteuern, das schwor er sich. Und Fox bemühte sich weiterhin, die beste Geschwindigkeit aus seinem neuen Schiff herauszuholen. Obwohl er in seiner Position im Konvoi bleiben mußte, ergriff er doch wirksame Maßnahmen, um die Segelqualitäten der ›Alkon‹ entscheidend zu verbessern. Außerdem probierte Fox, der sich schon immer für neue Erfindungen interessiert hatte, die Theorien Captain Cowans aus.
Captain Malcolm Cowan von den Orkney-Inseln behauptete, daß man die Nähte der Segelbahnen horizontal, statt vertikal anlegen sollte. Er nähte auch Reffbändsel sowohl an den unteren als auch an den oberen Segelbahnen ein. Dadurch, so behauptete er, könne man ein Segel viel rascher handhaben. Er sagte, daß man die Unter- und Bramsegel vom Deck aus reffen könne und für die Marssegel nur einen Mann benötige. Cowan war im letzten Jahr von der Admiralität beauftragt worden, die Herstellung der neuen Segel zu beaufsichtigen, und man hatte mit der neuen Erfindung schon schöne Erfolge erzielt. Der Segelmacher schüttelte seinen grauen Kopf. »Das nutzt doch nichts, Sir…« Aber Fox blieb hart. Er hatte keine Kanonen auf seinem Batteriedeck. Er hatte zwei 18-Pfünder-Karronaden auf dem Vorkastell und nur zwölf langläufige Neunpfünder auf dem Achterdeck. Wenn er beim Reffen Leute einsparen und sie statt dessen an die Geschütze schicken konnte, würde er auch die verrückteste Erfindung ausprobieren – trotz der Bedenken seines konservativen Segelmachers. Es dauerte über ein Jahr, bis ein Mann lernte, sich in der Takelage halbwegs sicher zu bewegen. Aber George Abercrombie Fox brauchte nur ein paar Tage, um eine tüchtige Geschützmannschaft zu formen. Die Perfektion zu erreichen, die er schon seit so vielen Jahren anstrebte – dieser Wunschtraum würde sich wohl nie erfüllen. Und schon gar nicht an Bord der ›Alkon‹. Die Tage verstrichen, der Februar ging vorbei. Die gesegelte Distanz vom Heimathafen nahm von Tag zu Tag zu. Das Etmal – die Strecke, die die Schiffe von Mittag zu Mittag
zurücklegten – wurde stets sorgfältig in den Logbüchern festgehalten. Bald würde es einen Wetterumschwung geben, das Wetter würde schlechter werden. Fräser bestimmte, daß der Konvoi zur Südspitze von Kreta segeln sollte. Dann konnten die Schiffe in rechtem Winkel die Mamorice Bay ansteuern, während Rhodos an Backbord zurückblieb, und sicher vor Anker gehen. Mr. Bembridge stand gerade Wache, und der Midshipman, der an Fox Kammer klopfte und dann eintrat, sah ziemlich verwirrt aus. Sein junges Gesicht war gerötet, sein Kinn zitterte. Fox blickte von Mansfields Schachbrett auf, wo der Major gerade mit einem verdammten Bauern seine Königin gefährlich bedrohte. »Ja.Mr.Girling?« »Die besten Empfehlungen von Mr. Bembridge, Sir, und er bittet Sie, an Deck zu kommen.« Girling legte eine Pause ein und schluckte. Fox trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. Hastig fuhr Girling fort: »Die Kimm im Osten gefällt ihm gar nicht, Sir.« »Danke, Mr. Girling. Ich bin sofort an Deck.« Girling ging mit steifen Schritten hinaus, und Fox seufzte. Nun, wenigstens wußte er jetzt, warum Bembridge ihn bat, an Deck zu kommen – wenn es auch ziemlich lange gedauert hatte, bis der junge Girling die Meldung ausgespuckt hatte. »Braut sich ein Sturm zusammen, Captain?« »Bisher haben wir ungewöhnliches Glück gehabt, Major. Wenn wir jetzt in einen Sturm geraten, dürfen wir uns nicht beklagen.« »Ich habe dringende Geschäfte mit Admiral Abercrombie abzuwickeln. Wenn noch weitere Truppen landen, bevor wir
am Ziel sind…« »Ich habe so im Gefühl, daß sie noch nicht landen werden, Major.« Mansfield sah ihn überrascht an. Aber Fox tat ihm nicht den Gefallen, ihn aufzuklären, und ging an Deck. Bembridge hatte recht. Kein Seemann konnte verkennen, was dieses unheimliche, messinggelbe Licht bedeutete. Darüber ballten sich dichte Wolken zusammen. Fox stand auf dem Achterdeck und spürte die Luft, den Wind, das Schlingern des Schiffes. Jedes gute Schiff, das Unter-, Mars- und Bramsegel gesetzt hatte, ein Schiff mit Besan, Vorstenge, Stagsegel und Klüver, durfte nicht mehr als sieben Grad krängen, wenn es nicht mehr als sechs Strich von der Windrichtung abhielt. Fox schnupperte. Der Wind sprang um. Wenn die Drehung sich nicht schneller vollzog als bisher, würde sie dem Konvoi kaum schaden, bis er nach Norden zur Mamorice Bay abbog. Fox blickte zum Signal-Midshipman hinüber, und der junge Mr. Hardcastle las in fieberhafter Eile die Signalflaggen, die die ›Jubilee‹ gehißt hatte. Es war nicht nötig, daß Fox mit schneidender Stimme rief: Beeilen Sie sich, Mr. Hardcastle! In sechs Wochen hatte die Besatzung der ›Alkon‹ gelernt, was Commander Fox unter rascher Pflichterfüllung verstand. Hastig stotterte Hardcastle, was die ›Jubilee‹ signalisiert hatte. »Segel reffen«, meldete Bembridge. »Dann tun Sie das«, sagte Fox. Allerdings paßte es nicht im geringsten zu seinen Plänen, die Segel zu kürzen.
In wirbelnden schwarzen Wolken stieß der Sturm auf sie zu. Die ›Alkon‹ erschauerte. Die Leute hatten die Segel unter Kontrolle, und nur ein Pechvogel rutschte aus und verstauchte sich den Fuß. »Ich will den Namen des Mannes wissen!« schrie Fox wütend. Auf die Idee, Mitleid mit dem Burschen zu empfinden, der stöhnend auf den Decksplanken lag und seinen Fußknöchel umklammerte, während seine Kameraden eifrig hin und her liefen, kam Fox nicht. Warum war der Narr nur ausgerutscht? Jetzt würde er nutzlos unter Deck in seiner Hängematte liegen. Zwei Hände weniger, die mit anpacken konnten! Die ›Alkon‹ krängte stark, als der Sturm sie mit voller Wucht traf, richtete sich dann aber wieder auf. Fox hatte schon viele Stürme erlebt, und er behandelte jeden mit einem Respekt, wie er ihm zustand, und ging keine Risiken ein. Er entdeckte, daß die ›Alkon‹ doch kein so gutes Schiff war, wie er es sich in den letzten Wochen eingebildet hatte. Er hatte zwar mehr Geschwindigkeit aus ihr herausgeholt, aber er hatte nichts getan, um ihre Seetüchtigkeit in einem heftigen Sturm zu verbessern. Aber jetzt konnte er nichts weiter tun, als durchzuhalten. Während der ganzen folgenden Nacht taten die Elemente ihr Bestes, um Fox Schiff zu zerschlagen. Aber das Schiff und die Besatzung hielten der schweren Prüfung stand, und am Ende blieben sie die Sieger. Als ein rötlicher Morgen heraufdämmerte und weitere Stürme von Norden versprach, konnte Fox sein Schiff überblicken und feststellen, daß wenigstens für den Augenblick das Schlimmste überstanden war. »Vom Konvoi ist nichts zu sehen!« Nun, das hatte er erwartet. Während eines Sturms zerstreuten sich Konvoischiffe meist, um der Gefahr zu entgehen, von
umspringenden Sturmstößen gegeneinander getrieben zu werden. Der Gedanke, vom Wind gejagt ein anderes Schiff zu ram men, erfüllte jeden Kommandanten mit nacktem Entsetzen. Mr. Rattray, der Steuermann, trat zu ihm und tippte an den Hut. »Der Konvoi ist wahrscheinlich weiter nördllich, Sir.« Fox wußte, daß sein Steuermann recht hatte. »Vielleicht, vielleicht, Mr. Rattray. Aber es besteht auch die Möglichkeit, daß sie noch weiter nach Süden abgetrieben worden sind als wir.« Rattray verzog die Lippen. Fox nahm an, daß der Steuermann nicht recht wußte, auf was er sich da einließ, wenn er einen Streit mit seinem Kommandanten vom Zaun brach. »Ich denke, daß Captain Fräser und die anderen alles getan haben, um den nördlichen Kurs…« »Im Augenblick behalten wir unseren Kurs bei, Mr. Rattray. Nach Nordosten. Wenn wir zu weit nach Norden steuern, verlieren wir wertvolle Zeit. Und Zeit ist das Allerwichtigste, Mr. Rattray.« »Völlig richtig, Captain«, sagte Major Mansfield. Fox wandte sich um und sah den Kanadier auf dem Achter deck stehen. Mansfield blickte ihn forschend an. Und Fox erinnerte sich an die knifflige Situation seiner Dame auf dem Schachbrett. Er wußte instinktiv, daß Mansfield genau erkannt hatte, was er plante. Rattray war sichtlich verwirrt. Um die Mamorice Bay zu erreichen, mußten sie möglichst direkt nach Norden steuern. Aber dann sah Fox seinem Steuermann an, daß der seine Proteste aufgeben wollte. Er würde seinem Captain gehorchen, denn Fox setzte ja wenigstens nicht die Sicherheit der ›Alkon‹
aufs Spiel. Sie standen auf dem Achterdeck, während der Wind noch im mer von Nordwesten herantobte und die ›Alkon‹ über hohe, lange Roller glitt, die noch immer lebhaft an den vergangenen Sturm erinnerten. Gischt flog vom Bug heran, und Fox überlegte, daß er die Reffs aus den Marssegeln nehmen konnte. Während das geschah, spürte er die veränderte Bewegung des Schiffes unter den Füßen, fühlte die verstärkte Attacke der Wellen, als die Reffs entfernt waren. Fox hielt seinen Befehl aufrecht, alle Segel zu setzen, die die ›Alkon‹ verkraften konnte. Er hatte keine Sekunde zu verlieren. Während der letzten sechsunddreißig Stunden hatte er nicht viel geschlafen. Aber daran war er gewöhnt. Die Routine an Bord der ›Alkon‹ nahm ohne Zwischenfall ihren Lauf. Fox hatte einen Schiffsprofoß, auf den er sich verlassen konnte. Mr. Baker war ein harter, skrupelloser Mann, genauso, wie er sein mußte. Aber Fox hatte ihn bei seiner Arbeit beobachtet und erkannt, daß Baker noch eine relativ menschliche Abart der schrecklichen Species Schiffsprofoß darstellte. Der Bootsmann war ein alter Seebär wie der Steuermann, der Zahlmeister und der Stückmeister. Wahrscheinlich floß schon seit etlichen Jahren eine rechtschaffene Mischung aus Blut, Seewasser und Rum durch ihre Adern. George Abercrombie Fox mußte voraus denken und sich genau überlegen, welche Befehle er als nächstes erteilte. Der Steuermann würde seinen Befehlen gehorchen und das Schiff steuern, wohin immer Fox es wünschte, solange er es nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte. Rattray würde nicht wagen, seine Befehle in Frage zu stellen. Aber er mußte die richtigen Worte wählen, Worte, die auch vor dem Kriegsgericht bestehen konnten, das wahrscheinlich über ihn hereinbrechen würde,
Worte, die nicht gegen ihn verwendet werden konnten, wenn die Besatzung der ›Alkon‹ sie wiederholte. Fox hatte dergleichen schon vorher gewagt. Die Situation war also nicht neu für ihn, aber er spürte ein erregendes Prickeln im Nacken. »Ich fürchte, wir werden den Konvoi nicht mehr einholen können, Gentlemen«, sagte er in beiläufigem Ton. Wenn Grey und Carker ihn so reden hörten, würden sie sofort wissen, was er im Schilde führte. »Wenn Sie erlauben, Sir«, sagte Rattray. »Ich glaube, wir sind noch nicht zu weit vom Kurs abgekommen. Wenn wir ein paar Strich vom Wind abhalten, könnten wir in der Mamorice Bay mit dem Konvoi zusammentreffen.« Er sah sich stolz um, während er sprach, und war sich seiner Navigationsfähigkeiten völlig sicher. Der Teufel sollte den alten Narren und seinen Seefahrerstolz holen! »Ich denke, daß wir zu spät dran sind, Mr. Rattray. Captain Fräser legte großen Wert auf den genauen Zeitpunkt. Er steht schwarz auf weiß in seiner Order. Unsere erste Pflicht ist es, General Abercrombie mit den Vorräten zu versorgen.« Er sah, wie Mansfield beifällig nickte. War da die Andeutung eines Lächelns auf den Lippen des Kanadiers? Verdammt, wenn der Bursche glaubte, er hätte George Abercrombie Fox überlistet… Fox tat das alles nicht, um einem dahergelaufenen Dragonermajor einen Gefallen zu tun. Er tat es, um sich selbst in aktionsreichere Gegenden zu manövrieren, um in einem Bericht der Gazette erwähnt zu werden und um Prisengeld zu verdienen, wenn ihm zufällig irgendein fremdes Schiff über den Weg segelte. Zum Teufel, ja! Er ließ Rattray den Befehl geben, über Stag zu gehen. Mit
vollen Segeln legte sich die ›Alkon‹ dann wieder an den Wind. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Mr. Rattray, wenn Sie direkten Kurs auf Ägypten nehmen würden – auf die Bucht von Abukir.« Und George Abercrombie Fox verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging auf der geheiligten Luvseite des Achterdecks auf und ab, sehr zufrieden mit sich und der Welt.
8. Das weiße Segel tanzte vor der Linse seines Teleskops. Der helle Schimmer hing knapp über der Kimm, hielt sich in sicherer Entfernung, wartete ab… Und George Abercrombie Fox fühlte sich wie eine grausam gemarterte Seele in Dantes Inferno, der man glühend heiße Zangen ins Fleisch brannte. Er hatte seine Entscheidung getroffen, eine eigenwillige, selbstsüchtige Entscheidung, große Heldentaten zu vollbringen und Prisengeld zu gewinnen. Natürlich seiner Familie zuliebe, sicher. Aber seine Motive waren trotzdem selbstsüchtig, wenn man sie an den weiter gefaßten Interessen des kriegsführenden England maß. Und seine Willkür hatte eine Katastrophe heraufbeschworen. Er hätte dem Konvoi folgen sollen. Dieses verdammte französische Kaperschiff dort drüben hätte es sich bestimmt zweimal überlegt, bevor es die ›Jubilee‹ angriff. Sicher, letztlich hätte es eine Attacke gewagt, aber wenn England in diesem Kampf ein Schiff verloren hätte, würde man dies den Zufällen des Krieges zuschreiben. Aber wenn Fox jetzt seine ›Alkon‹
verlor, dann nur, weil er sie leichtsinnig aufs Spiel gesetzt hatte. Er hätte eben doch dem Konvoi folgen sollen. Dazu waren Konvois ja schließlich da. Er gab sich keinen Illusionen über die Kampfstärke der Franzosen auf hoher See hin. Es war zwar modern, über die seemännischen Qualitäten der Franzosen die Nase zu rümpfen. Und es stimmte auch – die Franzosen hatten bisher in Seeschlachten wenig Erfolg erzielt. Fox, der bereits in Frankreich gewesen war, nahm an, daß der Grund dafür im überwältigenden Übergewicht der französischen Armee lag. Die Armee hatte für La Belle France glorreiche Siege erkämpft. Dieser verrückte Bonaparte war ein verdammt guter Soldat, wenn er auch ein niederträchtiger Schurke war. Das französische Volk war mit seiner Armee ein Herz und eine Seele. Um ihre Marine kümmerten sich die Franzosen kaum. Die französische Marine fühlte sich isoliert, mißachtet, verkannt. In England war die Situation genau umgekehrt. Fox wußte, daß ganz England auf seine Navy baute. Das Land vertraute auf die Sicherheit, den Schutz, den ihm die Royal Navy bot. Außerdem – die Navy würde wohl kaum an Land gehen, ins House of Parliament marschieren, den König aufhängen und die Macht im Land ergreifen. So etwas taten nur die Armeen. Dieses verdammte Kaperschiff wurde allmählich kühner. Fox sah jetzt bereits dessen Untersegel, und während er noch hinsah, das Fernglas an den Augen, hob sich der dunkle Streifen des Schiffsrumpfes über den Meeresspiegel. Das Schiff segelte nur langsam heran, denn die Rahen waren noch nicht herumgebraßt worden. Es hatte die Luvseite. Fox, der soeben noch darüber nachgedacht hatte, wie sehr
England seine Armee verachtete oder sich über sie amüsierte, wandte sich zu der Quersaling um, lehnte sich an den Mast und studierte jeden Punkt des Horizonts. Sie waren allein auf der blauen See. Unablässig hatte der Wind von Norden geblasen, ein Nachfolger des Sturms, der über das Mittelmeer peitschte, von der Ägäis her und den südlichen türkischen Küsten. Es gab keine Chance, dem französischen Kaperschiff zu entwischen. Fox warf einen langen Blick auf den Feind. Das Kaperschiff hatte zwei schwere, langläufige Kanonen, zwei Batterien von Achtpfündern und wahrscheinlich, wenn das Schicksal es schlecht mit Fox meinte, einige Messinghaubitzen, Fünfzigpfünder. Das Schiff schien sehr schnell zu sein. Und die Besatzung konnte aus zwei- bis dreihundert Mann bestehen. Der Captain würde ein guter Seefahrer sein, denn Frankreich brachte erstklassige Seeleute hervor. Und die Männer würden alle nur ein Ziel kennen – in kürzester Zeit möglichst viel zu plündern. Zum Teufel! Aber er würde sich diesem Schiff nicht ergeben. Er würde kämpfen. Es erfüllte ihn mit Unbehagen, daß er sich das erst vorsagen mußte. Wann hatte ein englischer Seemann jemals gezögert, mit Jean Crapeau zu kämpfen? Verdammt! Er brauchte nur die Kanonen ausfahren zu las sen, und das wilde Spiel konnte beginnen. Die Geschütze wür den donnern, von beißendem, schwarzen Pulverrauch umnebelt, und alles Zögern, alle Skrupel würden im Schlachtenlärm ersticken. Mit raschen, leichten Bewegungen stieg Fox von den Wanten herab. Sein plumper, etwas zu kurz geratener Körper hatte
sich nach jahrelanger Praxis völlig den Lebensbedingungen an Bord eines Kriegsschiffes angepaßt. Sobald seine Schuhe die Decksplanken berührten, schrie er seine Befehle. »Mr. Colledge, gehen Sie bitte über Stag!« »Alle Mann an die Brassen!« rief Colledge. »Los die Vorschoten!« Fox konnte erraten, was der Captain des französischen Kaperschiffs jetzt dachte. Er hatte die ›Alkon‹ eine Zeitlang beobachtet und gesehen, wie sie vorwärtsschaukelte, wie sie im Wasser lag, wie ihre Segel sich füllten. Er würde sie als britisches Kriegsschiff erkannt haben und deshalb vorsichtig sein. Er würde in sicherer Entfernung bleiben und sich erst einmal vergewissern, ob dieses Schiff, auf dessen Fracht er es abgesehen hatte, wirklich ein Kriegsschiff war und nicht irgendein Handelsschiff, das nur wie ein Kriegsschiff getarnt war, um Angreifer abzuschrecken. Zweifellos verfügte dieser französische Captain bereits über Erfahrungen mit Indienschiffen, die sich mit aufgemalten Stückpforten schmückten. Vielleicht wußte er auch von der Flotte, die mit Lord Keith segelte, wußte von den Indern an Bord dieser Schiffe, die in den Kriegsdienst gepreßt worden waren. Vielleicht hielt er diesen einsamen Segler da vorn für einen Nachzügler. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Proviantschiff, würde der Franzose denken. Aber vielleicht gingen seine Gedanken: noch weiter, vielleicht spielte sein beweglicher Geist mit der Möglichkeit, daß er da eine ›Flöte‹ vor sich haben könnte. Aber wie dem auch war, Fox wollte dem Franzosen keine Ge legenheit geben, noch lange zu überlegen. Als die Pfeifen zwit scherten, als die Leute an Deck liefen, als die nackten Füße über die Planken tappten, sorgte Mr. Colledge dafür, daß der
Befehl rasch ausgeführt wurde. Mit unbewegtem Gesicht, das den Leuten Angst und Schrecken einjagte, stand Fox an seinem gewohnten Platz, nicht weit vom Ruder und dem Kompaßhaus, etwas abseits von den Deckoffizieren. Seinen unbarmherzigen Augen entging nicht die geringste Kleinigkeit, als er Mr. Colledge und die Leute beobachtete. Colledge schien zu wissen, wie wichtig dieses Manöver war, wenn es auch simpel genug war. Er müßte nur an den Wind gehen, damit die ›Alkon‹ dann durch den Wind drehte. Aber Fox hatte viel Zeit an das Problem Colledge verwandt – nicht zu viel Zeit, nur so viel, wie jeder kompetente Captain einem dickköpfigen Untergebenen widmen sollte. Fox wußte, daß Colledge diesen Befehl, mochte dessen Durchführung auch noch so simpel sein, als Herausforderung betrachtete. Colledge hatte seine mürrische, phlegmatische Haltung in dem Augenblick aufgegeben, als Fox Kurs auf die Bucht von Abukir genommen hatte. Die Veränderung, die mit dem Mann vorgegangen war, war wirklich erstaunlich. Es gab keine Möglichkeit für Fox, der Sache auf den Grund zu gehen, ohne zuviel Staub aufzuwirbeln. Aber da er eine gute Menschenkenntnis besaß und ihm schon viele Männer vom Schlag Colledges begegnet waren, nahm er an, daß sein Erster Offizier an der gleichen Krankheit litt, die auch ihn gepeinigt hatte. Und jetzt war die direkte Fahrt nach Ägypten ein erfolgreiches Gegengift. Aber wirklich erfolgreich konnte dieses Mittel natürlich nur sein, wenn sie diesen verdammten Franzosen in die Flucht schlagen oder überlisten konnten. Die ›Alkon‹ luvte an, krängte für Fox Geschmack ein wenig zu stark und segelte dann dicht am Nordwind. Wenn sie so
hart am Wind lag, ließ sie sich nicht leicht handhaben. Fox beschloß, seine Männer wissen zu lassen, was ihnen bevorstand. Er hob den Kopf, verzichtete auf ein Sprachrohr und brüllte in die milde Mittelmeerluft: »Was ist mit dem Verfolgerschiff los, du Hundesohn?« »Keine Veränderung, Sir!« rief der Ausguck verwirrt. »Es hält die Luvseite!« Fox machte eine Bemerkung über das Halten gewisser Winde in der Hose und zauberte damit ein breites Grinsen auf die Gesichter der Leute, die in Hörweite standen. Aber das Grinsen erstarb sofort wieder, als sie Fox Blick sahen. Wenn jetzt Wilson oder Landsdowne da oben in den Wanten säßen, hätte er nicht erst nach dieser Information fragen müssen. Die beiden würden wissen, was ihr Captain erfahren wollte – noch bevor es überhaupt geschah. Mr. Rattray trat in steifer Haltung auf ihn zu und beabsichtigte offenbar, ein Gespräch zu eröffnen. Sein Gesicht war von tiefen Sorgenfalten durchfurcht. »Nun, Mr. Rattray?« »Wollen Sie etwa kämpfen, Sir?« jammerte der Steuermann. »Um Gottes willen, Sir, dieser Schurke wird uns in wenigen Augenblicken dicht auf den Fersen sein!« »Zweifellos, Mr. Rattray, zweifellos.« Fox wallte gerade eine ätzende Bemerkung über alte Besatzungen hinzufügen, aber dann erkannte er, daß Rattray sich keineswegs als alten Mann betrachtete. Man muß die alten, erfahrenen Seefahrer bewundern, das war Rattrays Standpunkt. Und tatsächlich – das silberne Haar, das wettergegerbte Gesicht strömte auch in diesem Augenblick innere Kraft und Unbeugsamkeit aus. »Wir werden mit dem Bastard kämpfen, wenn es nötig sein
sollte, Mr. Rattray. Aber ich habe die Order, in die Bucht von Abukir zu segeln, so rasch es möglich ist. Und deshalb können wir auch die Flucht ergreifen, ohne unehrenhaft zu erscheinen.« Major Mansfield, der fast immer auf dem Achterdeck zu finden war, nickte zustimmend. Er sah die Dinge zweifellos mit dem Auge des Soldaten. Und sogar ein Idiot konnte bemerken, daß die ›AIkon‹ nicht in der Lage war, mit einem Schiff zu kämpfen, das mit Männern vollgestopft war. Aber die Schwierigkeit lag darin, daß die meisten Männer der Navy längst den Zustand der Idiotie überschritten hatten, wenn sie die Kampfstärke ihres Feindes beurteilen sollten. Fox schrie Mr. Midshipman Girling so laut an, daß der Junge entsetzt zusammenzuckte. »Mr. Shippey, Mr. Weston und Mr. Show sollen nach achtern kommen, Mr. Girling! Los, beeilen Sie sich, Sie Satansbraten!« »Aye, aye, Sir!« kreischte der junge Girling und jagte schleunigst los, sichtlich von dem Wunsch bewegt, diesem schwarzen Bastard von Captain nur ja alles recht zu machen. Der Bootsmann, der Schiffszimmermann und der Stückmeister versammelten sich bei Fox an der Heckreling. Ruhig standen die altgedienten, grauhaarigen Deckoffiziere da und erwarteten ihre Befehle – bereit, sie in Frage zu stellen oder sie mit der fehlerlosen Präzision langer Erfahrung auszuführen. Fox starrte sie der Reihe nach an. »Nun, Gentlemen«, sagte er mit seiner scharfen, schneidenden Stimme, »wenn Sie nicht in einem stinkenden französischen Gefängnis landen wollen, werden Sie sich meine Befehle jetzt aufmerksam anhören.« Und sie hörten zu. Der Plan, den Fox ihnen in simplen Worten auseinander-
setzte, erfüllte sie sofort mit neuem Leben. Auf den Bootsmann konnte sich Fox ebenso verlassen wie auf den Schiffszimmermann. Die technischen Fähigkeiten des Stückmeisters mußte er erst prüfen, und Fox würde sich nur mit dem Besten zufriedengeben, daß er aus diesem Mann herausholen konnte. Die ›Alkon‹ segelte am Wind, Gischt spritzte auf, aber Fox sah es nicht, denn er hielt den Blick innenbords gerichtet. »Ihr müßt Ringbolzen anbringen!« befahl er, und seine eindringliche Stimme machte allen klar, wie groß ihre Verantwortung jetzt war. Der Schiffszimmermann und der Bootsmann nickten. Sie hatten längst erkannt, daß Fox nicht zu den stutzerhaften Captains gehörte, die von technischen Dingen keine Ahnung hat ten, und deshalb zollten sie ihm auch unbedingten Respekt. Fox kannte sich mit britischen langläufigen Neunpfündern aus. Diese Waffen besaßen die genauesten Bohrungen von allen britischen Seegeschützen, und man konnte sich darauf verlassen, daß diese Neunpfünder genauso schossen, wie man mit ihnen zielte. Und Fox wußte sehr genau, was er erreichen konnte, wenn er zielgenaue Geschütze zur Verfügung hatte. Die Übungen, die er mit der Besatzung der ›Alkon‹ während der langen Fahrt durchgeführt hatte, waren kaum richtige Waffenübungen gewesen. Er hatte die Fahrt so überstürzt antreten müssen, daß er keine Zeit gefunden hatte, sich mit dem für Schießübungen nötigen Extra-Pulver zu versehen. Fox Gedanken wanderten nach Akka zurück, wo er eine Batterie von Bonapartes Artillerie erobert hatte. Mit einem einzigen Schuß hatte er die Munitionswagen in die Luft gejagt. Zumindest wurde das in der Geschichte behauptet, die nach diesem Ereignis in aller Munde gewesen war. Tatsächlich waren es zwei Schüsse gewesen. Aber er hatte die beiden
Kanonen gerichtet, und die Schüsse waren genau im selben Sekundenbruchteil abgefeuert worden. Da die Arbeit auf dem Achterdeck gut voranging und Fox eine Neunpfünder zur Verfügung hatte, die in kurzer Zeit geladen und gerichtet werden konnte, erschien ihm sein Plan erfolgversprechend. Die ›Alkon‹ segelte dahin, widerstrebend und krängend und stampfend. Ihre Segel waren steif wie Bretter, weiße Gischt spritzte über ihr Vorkastell. Der Franzose rückte rasch näher. Es war Fox also nicht gelungen, ihn abzuschrecken. Eine ›Flöte‹! Nein. Nicht mit zwölf Neunpfündern und zwei Karronaden. Und mit einer Mannschaft von alten Seeleuten. Fox hatte den Gedanken noch nie ertragen, vor einem Kampf davonzulaufen. Wenn er auch wußte, daß ihn niemand verachten würde, falls er vor diesem französischen Kaperschiff floh. Es war seine Pflicht, der Army diese Vorräte zu bringen, damit sie kämpfen konnte, dieser lächerlichen Army – und nicht, sich in einen sinnlosen Kampf mit einem tollkühnen französischen Kaperschiff einzulassen. »Gehen Sie bitte über Stag, Mr. Colledge.« Colledge erteilte die nötigen Befehle. Wieder sah er, wie Fox sehen konnte, sehr zufrieden, daß sein Captain ihm diese Aufgabe stellte. Fox hätte das auch selbst erledigen oder seinem Steuermann überlassen können. Aber er gönnte es seinem Ersten Offizier, sein Geschick zu beweisen. Die ›Alkon‹ schwang herum, die Segel füllten sich neu, und das Schiff lag auf seinem neuen Kurs. Fox blickte in die Takelage hoch. Er spürte das Schwanken des Decks unter den Füßen, spürte den Wind im Gesicht. Er brauchte mehr Segel! Oft erreichte
ein Schiff seine höchste Geschwindigkeit, wenn der Wind von achtern wehte. Aber Fox hegte eine besondere Vorliebe für Schiffe, die dann am besten segelten, wenn sie hoch am Wind lagen. Es schien ihm – während er die Bewegung der ›Alkon‹ spürte, sich ihre Linien vergegenwärtigte und die nötigen Berechnungen anstellte –, daß sie am besten segeln würde, wenn der Wind schräg von achtern einlief. Kein Captain liebte es, mit einem Wind zu segeln, der genau von achtern wehte. Dann konnte es passieren, daß ein Schiff aus dem Ruder lief. Aber die alte ›Alkon‹ würde sicher freudiger ihre Röcke heben, wenn sie den Wind schräg von achtern kriegte. Fox gab den neuen Kurs an, nach Südosten, und dann sagte er: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie jetzt die Royalsegel setzen würden.« Mr. Rattray zuckte nervös zusammen. »Aye, aye, Sir«, sagte Colledge fröhlich. Seine schlechte Laune war wie von Zauberhand weggewischt. Mr. Rattray warf einen düsteren Blick in die Takelage und schüttelte dann seufzend den Kopf. Um ihn aufzuheitern, sagte Fox: »Wir werden gleich auch noch die Leesegel setzen.« »Das mag sie ganz bestimmt nicht, Sir…« »Und ob sie das mag! Sie ist doch ein wildes Mädchen, unsere alte ›Alkon‹.« »Ich weiß nicht recht, Sir…« Rattray zerrte unbehaglich an seinem Halstuch. »Der Fockroyalmast ist nicht ganz in Ordnung.« Als ob Fox das nicht wüßte! Hatte er nicht gegen das ver dammte Ding geschlagen und einen dumpfen Laut gehört, statt eines soliden Vibrierens ?
»Sie wird es schaffen, Mr. Rattray. Sehen Sie doch, wie sie da hinfliegt!« Jedermann an Bord schien begeistert vom neuen Lebensgeist der ›Alkon‹. »He, Deck!« rief der Ausguck. »Der Franzose rückt immer näher!« Das dämpfte die allgemeine Begeisterung. Wenn die ›Alkon‹ auch ihr Bestes gab, ihr Vorsprung verringerte sich zusehends. Fox kletterte in die unteren Wanten und blickte nach achtern. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zu dem Verfolger hinüber. Ja, der Bastard segelte verdammt schnell. Plan eins war also fehlgeschlagen, und deshalb mußte er Plan zwei wagen. Als hätten sie die Gedanken ihres Captains erraten, erschienen der Bootsmann und der Schiffszimmermann. »Alles klar?« fragte Fox. Er sprang von den Wanten herab und lief nach achtern. Er sah den Neunpfünder mit seinen neuen Tauen, die Geschützmannschaft stand mit Ladestock, Schwamm und Wurm bereit. Auch die Ladepforten, das Pulver und die Zündmasse lagen bereit. Fox blickte in die braunen Gesichter der Männer. »Sehr gut«, sagte er, und dann rieb er sich theatralisch die Hände. »Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir diesem verdammten französischen Bastard die Nase einschlagen können.« Die Leute schätzten diese Art von Humor. Sie wußten, daß ein Kampf bevorstand, ein Kampf, in dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach den kürzeren ziehen würden. Aber solange der Captain guter Dinge war, verließ auch sie der Mut nicht. Verdammt, sagte sich Fox, sie würden auch nicht den Mut verlieren, wenn blutrünstige Franzosen an Bord der ›Alkon‹
stürmten. Aber eine wesentliche Einzelheit war den Leuten sicher nicht entgangen. Fox hatte nicht den Befehl gegeben: »Schiff klar zum Gefecht!« Er wählte eine 9-Pfünder-Kanonenkugel aus, wog sie in den Händen, streichelte ihre Rundung, wie er die Brüste Jennie Blanes in Tunbridge Wells liebkost hatte – oder die schwellenden Formen Kitty Higgins an Bord der ›Tiger‹. Er fühlte die schwere Kugel und nickte. Diese Kugel würde reichen. Er hatte noch Zeit. Als er das letztemal eine solche Kugel abgefeuert hatte, hatte sich die Schußweite blitzschnell verringert, es war ein Wettlauf mit der Zeit gewesen. Aber heute konnte er sich alle Zeit nehmen, die er brauchte. Während die Mannschaft die Kanone lud, starrte Fox nach achtern. Das französische Kaperschiff bot einen wunderschönen Anblick. Na, jedes vollgetakelte Schiff, das alle Segel und dazu noch die Leesegel gesetzt hatte, das in voller Fahrt daherglitt, stolz und voller Leben, sah schön aus. Leicht glitt der Franzose über das Wasser, während die ›Alkon‹ die Wellen zu durchpflügen schien. Noch während er nach achtern sah, quoll eine weiße Rauch wolke aus dem Vordeck des feindlichen Schiffes. Die Kugel strich vorbei, mit infernalischem Winseln, und schlug in die See. Wahrscheinlich eine 24-Pfünder-Kugel. »Aufgepaßt, Männer!« rief Fox. »In ein paar Sekunden haben wir den Bastard!« Er zielte sorgfältig, bückte sich, um an der metallischen Linie des Kanonenrohrs entlangzublicken. Mit allen Nerven konzentrierte er sich auf die Aufgabe, die jetzt vor ihm lag. Er feuerte, die Kanone donnerte, spie schwarzen Rauch und ruckte auf ihrer Lafette zurück.
Alle Augen starrten dem Schuß nach. Eine halbe Kabellänge von der Backbordseite des Franzosen entfernt schlug die Kugel ins Wasser. Beißend trieb der Rauch von der Kanonenmündung achteraus, wehte in Fox Gesicht, wurde dann von dem Wind zerteilt. Jetzt konnte sich Fox dem zweiten Schuß zuwenden. Das war ziemlich kompliziert, besonders bei dieser Art von 9-PfünderKanone. Aber er wußte genug über Kanonen und Flugbahnen und die Art und Weise, wie störrische Eisenkugeln sich ihren eigenen mysteriösen Kurs durch die Luft suchen. Als er diesmal mit seinem rechten Auge am metallischen Rohr entlangvisierte, wußte er, daß sich noch kein teuflischer Ring in Rot und Schwarz um seine linke Pupille gelegt hatte. Aber das war ihm auch verdammt egal. Er richtete die Kanone um ein winziges Stück weiter nach unten, und dann befahl er: »Etwas weiter nach Steuerbord – noch etwas – ja, so! Genug!« Und jetzt war der Augenblick gekommen, da er wieder ein bißchen schauspielern mußte. »Diese verdammten Froschfresser sind selbst schuld, wenn wir ihnen jetzt den Hintern anlüften, was?« rief er grinsend. Er feuerte, die 9-Pfünder-Kanone flammte und brüllte, die Männer rings um Fox schrien, rissen sich die Hüte von den Köpfen, sprangen hoch. Die Vorbramstenge des Franzosen hatte sich geneigt und gekrümmt, dann war sie zerborsten. Die Wrackteile stürzten auf den Bugspriet hinunter. Auf dem Schiff war der Teufel los. Der Besari knallte herum, das Schiff legte sich in den Wind, und der Bugspriet oder der letzte Rest, den Fox davon sah, löste sich vom Bug. »Mit einem einzigen Schuß!«
Fox hörte die erregten Rufe, die sich überschlagenden Stimmen, die die Neuigkeit über das ganze Schiff verbreiteten. Drei Herzschläge lang, genauso lang, wie er brauchte, um tief Luft zu holen, ließ er das Chaos toben. Dann schrie er: »Schluß mit dem Gebrüll, ihr wildgewordenen Affen! Mr. Colledge! Lassen Sie bitte die Leesegel und das Fockroyalsegel einholen! Los, ihr Hundesöhne, haltet keine Maulaffen feil! Und Stille an Bord! Wenn noch einer das Maul aufreißt, lasse ich ihn auspeitschen, daß ihm Hören und Sehen vergeht!« Sie kannten ihren Captain, diesen verrückten schwarzen Bastard schon gut genug, um zu wissen, daß er es genauso meinte, wie er es sagte. Blitzschnell kletterten sie in die Takelage, um die strapazierten Masten von ihrer Segellast zu befreien. Fox blickte nach achtern. Der Franzose fiel rasch zurück. Erst wenn die Nacht einbrach, würde er sein Deck von den Wrackteilen befreit und einen neuen Bugspriet montiert haben, und dann würde die ›Alkon‹ längst seinen Blicken entschwunden sein. »Großartig, Sir, wirklich großartig!« Mr. Rattray quoll geradezu über vor Begeisterung. Fox war nicht besonders stolz auf sich. Kein Wunder, daß sein Schuß so gut getroffen hatte. Schließlich steckten jahrelange Praxis und ein erfahrenes Auge dahinter. »Meinen herzlichen Glückwunsch, Captain Fox.« Major Mansfield kannte sich natürlich auf dem Gebiet der Artillerie aus. »Ein wirklich bemerkenswerter Schuß…« »Nein«, unterbrach ihn George Abercrombie Fox. »Nein, Major. Nicht bemerkenswert – nur notwendig.«
9. »Was für ein Anblick!« rief Major John Mansfield. Aus dem ganzen südlichen Horizont schienen Schiffsmasten zu wachsen. »Das ist zur Abwechslung einmal ein hübsches Bild«, sagte Mr. Rattray zufrieden. Die ›Alkon‹ segelte weiter, die See war immer noch bewegt nach der stetigen Serie von Nordwinden. Aber in der Bucht würde das Wasser ruhig genug sein, so daß man die Truppen ausschiffen konnte. Die ›Alkon‹ signalisierte ihre Kennung, und prompt antwortete das Flaggschiff, Captain Fox möge Bericht erstatten. Er sah der Unterredung mit Lord Keith keineswegs freudig entgegen. Die Männer legten sich in die Riemen, und das Boot, das Fox und Mansfield zum Flaggschiff brachte, glitt rasch über das Wasser. Diese Schiffe mußten seit mindestens drei, vier Tagen hier vor Anker liegen, überlegte Fox. Sie waren vor Anker gegangen, und dann hatte es die Dünung verhindert, die Truppen an Land zu schaffen. Er hatte Glück gehabt. Er war mit seiner ›Alkon‹ gerade noch rechtzeitig eingetroffen, im letzten Augenblick! Er kletterte die Jakobsleiter der ›Foudroyant‹ hoch, dann geleiteten ihn ein Midshipman, dann ein Offizier und schließlich der Flaggoffizier in die Kajüte des Admirals. Keith war wohlgenährt, sein schneeweißes Haar war modisch gewellt, die tiefliegenden Augen über der großen
Nase musterten Fox forschend. Der resignierte Zug um die Mundwinkel des Admirals irritierten Fox nicht. Er wußte, daß Keith schwere Zeiten erlebt hatte, seit ihm das Kommando im Mittelmeer übertragen worden war. Das Gespräch war nur kurz. Keith hatte viel zu tun. Die Landung in Abukir war durch das Wetter verzögert worden, seit fünf Tagen lagen die Schiffe in der Bucht vor Anker, und heute, in der Nacht des 7. März 1801, sollten die Truppen endlich an Land gehen. Sanftes Licht schimmerte in der großen Achterkajüte mit ihren kostbaren Möbeln. Die ›Foudroyant‹ war als neues Schiff von England eingetroffen, und Keith hatte sie zu seinem Flaggschiff gewählt. Fox dachte an die ›Alkon‹ – und dann schob er diesen Gedanken beiseite, als Mansfield sich dem Admiral vorstellte, »Major Mansfield! Ich freue mich, Sie an Bord willkommen zu heißen. Sie wissen, daß der arme Mackarras getötet wurde? Major Fletcher und Major Mackarras wurden geschnappt, als sie die Küste auskundschaften wollten. Wirklich traurig…« »Es tut mir sehr leid, das zu hören, Mylord«, sagte Mansfield. Fox kannte keinen der beiden Majore, die dumm genug gewesen waren, sich schnappen zu lassen. Aber er bemerkte, daß Mansfield die Neuigkeit ziemlich naheging. Er stand schweigend in der großen Kajüte und wartete, bis Mansfield seine Angelegenheiten erledigt hatte. Der Major würde eine noch bedeutendere Rolle spielen, wenn die Truppen erst einmal gelandet und auf dem Weg nach Alexandria waren. Die Unterredung war beendet, der Flaggcaptain raschelte mit seinen Papieren, der Flaggoffizier ging zur Tür, um sie
wieder hinauszubegleiten. Fox trat vor und schluckte. »Wenn Sie erlauben, Mylord… Es ist mir nur unter großen Schwierigkeiten gelungen, rechtzeitig hier einzutreffen. Ich kenne Sir Sidney Smith, und es würde mich freuen, wenn Ihre Lordschaft mir erlauben würden, heute nacht bei den Booten Dienst zu tun.« Heute war der siebente März, die See hatte sich so weit beruhigt, daß die Boote mit ihren flachen Böden, die jetzt noch an Bord der Handelsschiffe warteten, die Fahrt antreten konnten. Bald würden die Schiffsbesatzungen die Boote aussetzen Und die Truppen hineinverfrachten. Fox konnte es förmlich riechen, daß ein Kampf in der Luft lag. Admiral Keith sah Fox mit einem Blick an, der deutlich sagte: Die Lady würde sicher nie etwas mit Ihnen zu tun haben wollen, junger Mann! Nicht, daß Fox jemals die Ehre zuteil werden würde, von Lady Keith eingeladen zu werden. Er gehörte nicht zu diesen illustren Kreisen. Er stand nur einfach da, gedrungen und steif. Die Uniform, die in Portsmouth noch so elegant ausgesehen hatte, wirkte jetzt billig und schäbig, und seine nackte rechte Schulter mußte in dieser würdigen Kajüte einem Affront gleichkommen. »Sir Sidney?« »Ich hatte die Ehre, unter ihm in Akka zu dienen, Mylord.« »Wirklich? Aber Sie wissen doch sicher, wie sich alle jungen Männer um den Bootsdienst reißen. Ich kann wirklich nicht sagen…« »Mylord, erlauben Sie mir, mit Sir Sidney zu sprechen?« »Mit ihm sprechen?« Keith runzelte die Stirn und kaute an der Unterlippe. Er schien keinesfalls gewillt, diesem aufdring-
lichen jungen Commander einen Gefallen zu tun. Nur zwei Dinge sprachen zu Fox Gunsten. Keith kannte ihn nicht und wußte nicht, wie viele Eigenmächtigkeiten er sich bereits geleistet hatte, und Gott sei Dank wußte er auch nicht, daß er Fräsers Konvoi verlassen hatte. »Nun, ich bin einverstanden, Captain Fox. Sprechen Sie mit Sir Sidney, wenn es schon unbedingt sein muß.« »Meinen aufrichtigsten Dank, Mylord.« George Abercrombie Fox wollte sich mit einer devoten Verbeugung zurückziehen. Aber da stellte Lord Keith die Frage, auf die Fox schon die ganze Zeit gewartet hatte. »Sind Sie vielleicht mit General Abercrombie verwandt, Captain?« »Ich habe nicht die Ehre, Mylord.« Mansfield ging mit ihm an Deck und begleitete ihn über die Laufplanke. Sie schüttelten sich die Hand. »Ich nehme an, daß ich beim General sein werde, Captain. Und es würde mich sehr freuen, wenn Sie Zeit fänden, ihn zu besuchen.« »Wenn ich an Land gehen kann, werde ich Ihre Einladung mit Vergnügen annehmen,« Er kletterte in das Boot hinunter und fragte sich, ob er Major John Mansfield je wiedersehen würde. Die ›Tiger‹ sah genauso aus, wie er sie noch in lebhafter Erinnerung hatte. Als er an Bord stieg, mitten in das geschäftige Treiben der Leute platzte, die die Boote für die nächtliche Expedition vorbereiteten, fühlte er sich wie ein ungebetener Eindringling. Auch Sir Sidney Smith war sehr beschäftigt. »Captain Fox? Akka?« Er blickte fragend auf. »Ja, ich erinnere mich. Freut mich, daß wir unsere Bekanntschaft erneuern
können, Captain Fox.« Fox erklärte ihm ohne lange Vorrede, warum er ihn aufgesucht hatte. Smith strich sich über das schmale Kinn. »Jeder Offizier will an Land gehen. Das müssen Sie verstehen, Captain Fox.« »Das verstehe ich auch, Sir. Aber ich könnte ein Boot und eine Mannschaft beisteuern, die mit mir durch dick und dünn geht.« Mit einer raschen Entschlossenheit, die jeder Offizier der Navy kultivieren sollte, traf Sir Sidney seine Entscheidung. Die Offiziere lachten über ihn, nannten ihn »Ritter des Schwerts« und seit der erfolgreichen Belagerung vor Akka den ›langen Akka‹. Aber sie respektierten auch sein Genie. »Dann fahren Sie in Ihrem Boot los. Sie haben doch eine 2Pfünder-Kanone an Bord? Unterstützen Sie die linke Angriffsflanke. Es war keineswegs seltsam, diesen Mann über Flanken reden zu hören, ihn Worte aussprechen zu hören, die andere Offiziere der Navy nur mühsam über die Lippen bringen würden. Fox atmete auf. »Danke, Sir. Ich bin Ihnen zutiefst verbunden…« »Und wenn Sie sich den Kopf von den Schultern schießen lassen – danken Sie mir dann auch noch, Captain?« »Ich habe ihn mir in Akka ja auch nicht wegschießen lassen, Sir.« Smith Augen verengten sich, und er musterte Fox scharf. »Eins muß ich Ihnen noch sagen, Captain. Ich habe die Order, mich mit der türkischen Flotte unter Captain Pascha zu vereinigen. Major General Sir John Moore hat die Armee von Grand Vizier inspiziert, von der man sich so viel erhofft hat, sogar
noch, nachdem sie sich von diesen französischen Bastarden hat besiegen lassen.« Smith hob bedeutsam die Brauen. »Sie werden entdecken, daß die Türken nicht mehr die gleichen Männer sind, mit denen wir in Akka gekämpft haben, Gaptain.« Das war ein deutliches Angebot. Fox wollte alles wissen, was für ihn wichtig war, und Gelegenheiten wie diese gab es nur selten. »Ich nehme doch an, Sir, daß unsere Army unter General Baird von Bombay her zum Roten Meer vorstößt und die Franzosen dann von Süden angreift.« »Daran glaube ich erst, wenn ich sie sehe«, sagte Smith ungehalten. Fox häßliches Gesicht blieb unbewegt. Wenn er es auch liebte, in den Gewässern höherer Kommandos zu schwimmen, so wußte er doch, wann er Zurückhaltung üben mußte. Er hatte sich selbst bewiesen, daß er durchaus fähig war, einen höheren Posten in der Navy zu bekleiden. Admiral Cloughton wußte das auch. Smith mußte von der Aktion gehört haben, in der Cloughtons vier Linienschiffe zwei feindliche Schiffe in die Luft gesprengt, zwei gekapert und die restlichen drei in die Flucht geschlagen hatten. Wenn dem so war, so erwähnte er nichts davon, wenn er auch immer auf Akka anspielte. »Captain Cochrane von der ›Ajax‹ hat das Kommando über die Boote. Ich trage die Verantwortung für die Feldartillerie und die Seeleute, die an Land gehen.« Fox wartete, bis Smith Atem holte, bevor er weitersprach, damit es nicht so aussah, als würde er ihn unterbrechen. Dann sagte er rasch: »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir – ich würde es als große Ehre betrachten, wenn ich mit den Leuten an Land
gehen könnte, statt in einem Boot zu sitzen.« Und da er Sir Sidney kannte, da er wußte, was man mit Schmeicheleien erreichen konnte, fügte er mit aalglatter Stimme hinzu: »Ich habe die Ehre, Sie als Führer zu erleben, Sir, und so sehr ich Captain Cochrane auch bewundere, so glaube ich doch, meinem Land unter Ihrem Kommando besser dienen zu können.« Das war ziemlich waghalsig. Aber wenn Fox erreichen wollte, was er beabsichtigte, dann durfte er vor keiner Kühnheit zurückschrecken. Draußen in der Bucht an Bord eines Proviantschiffes festzusitzen und Vorräte zu bewachen, während an Land erbitterte Kämpfe ausgefochten wurden, an Bord der ›AIkon‹ zu schmachten, statt funkelnde morgenländische Juwelen aus den Taschen der Franzosen zu holen – dieser Gedanke war einfach unerträglich. Smith schnappte den Köder, den Fox ausgeworfen hatte. »Es ist schön, daß Sie Ihre Gefühle so offen aussprechen, Captain Fox. Ich werde die dementsprechenden Anordnungen treffen…« Und als Fox ihn ansah, erkannte er verblüfft, daß Smith damit gerechnet hatte. Sidney Smith hatte nur darauf gewartet, daß dieser harte, in vielen Kämpfen erprobte, wagemutige Offizier ihm diese Bitte vortragen würde. Denn dieser George Abercrombie Fox hatte schon einmal in Akka bewiesen, daß er ein sehr nützlicher Untergebener sein konnte. So war also alles geregelt. Fox hatte erreicht, was er wollte. Kein Wunder, daß er am liebsten einen wilden Freudenschrei ausgestoßen hätte. »Die Boote treffen sich bei der ›Mondovi‹, Captain Fox. Sie liegt etwa einen Pistolenschuß außerhalb der Bucht vor Anker.
Sie kommen so bald wie möglich zu mir, Captain Fox.« »Danke, Sir, Ihr ergebenster Diener, Sir.« Fox verließ mit einer Verbeugung die Kajüte. Jetzt brauchte er dringend entwas zu trinken – irgend etwas, um sich diesen widerlichen Geschmack des Speichelleckers aus dem Mund zu spülen. Aber dann dachte er an seine Mutter, an seine Familie in dem kleinen Haus an der Themse, an die hungrigen Münder der schreienden Kinder. Und der eiserne Wille, alles für seine Familie zu tun, söhnte ihn mit dem entwürdigenden Benehmen aus, zu dem er sich hatte verführen lassen. Wieder an Bord der ›Alkon‹, ließ er Mr. Colledge zu sich kommen, und bald vibrierte das ganze Schiff vor Aktivität. Die Seesoldaten wurden zum Landebataillon unter LieutenantColonel Walter Smith geschickt. Fox ging in Gedanken seine Wachrolle durch. Er wünschte sich – bei Gott, wie sehr er sich das wünschte! Er hätte seine alten Raccoons bei sich. Oder die Minions oder die Nuthatches. Ihre Namen änderten sich mit jedem Schiff, auf dem sie dienten. Aber sie waren meilenweit weg, dienten in der Blockade von Brest, folgten irgendeinem Konvoi, erfüllten irgendeine der zahllosen Aufgaben, die die Navy in diesem Krieg stellte. Ein paar Worte, um den Kampfgeist Colledges wachzurütteln, konnten nicht schaden. »Wir dachten, wir würden an Bord eines Proviantschiffes festsitzen und verrotten, Mr. Colledge. Wie Sie vielleicht wissen, glaubte ich, wir hätten den Befehl, Lord Nelson zum Baltischen Meer zu folgen. Nun, jetzt haben wir die Chance, doch noch Ruhm zu ernten. Wir sind zu einer Armada von über siebzig Schiffen und einem Heer von über fünfzehntausend Mann gestoßen.«
Der Erste Offizier schien ein völlig neuer Mensch geworden zusein. »In der Tat, ja, Sir!« rief er. »Und wenn die Army es nicht schafft – die Navy wird es schaffen, bei Gott!« »Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Es hat ein paar bedauernswerte Episoden gegeben, Mr. Colledge, und jeder Engländer muß sich schämen, daran zu denken. Ich sage nur Ferrol, Cadiz, Nordholland, Helder, Genua. Aber diesmal, Mr. Colledge – diesmal habe ich das Gefühl, daß die Army die Navy überraschen wird.« »Amen, Sir.« Aber trotz dieser Worte wußte Fox genausogut wie jeder andere Mann in der verdammten Flotte, daß Sir Ralph Abercrombie ein glückloser General war. Nichts, das er je unternommen hatte, war gut für ihn ausgegangen. So schien es zumindest. Letztes Jahr waren es zehntausend, manchmal sogar zwanzigtausend englische Soldaten gewesen, die im Mittelmeer umherkreuzten und keine Ahnung hatten, wohin sie segelten und was sie tun sollten. Und diese Landung in Ägypten schien nichts anderes zu sein, als der Versuch, die verlorenen Hoffnungen der vielen tausend Soldaten wieder aufzurichten, ein Köder, den man den Rotröcken hinhielt, um ihren Kampfgeist neu zu wecken. Da er eben an Soldaten dachte, sagte Fox: »Bitte, lassen Sie Major Mansfields Gepäck zum Flaggschiff hinüberschicken, Mr.Colledge.« »Aye, aye, Sir. Schade, daß der Major nicht mit uns Alkons an Land geht.« Fox überlegte. Irgendwie glaubte er, daß Sir Ralph Abercrombie dem Major nicht erlauben würde, mit den ersten
Truppen zu landen. Das würde den Kanadier natürlich ziemlich aufregen. Aber Mansfield war ein schlauer Teufel. Einmal hatten sie beim Schachspiel gesessen, und Mansfield hatte Fox einen Bauern weggenommen, der die Dame in der linken Ecke schützen sollte. Dann hatte er sich zurückgelehnt und gesagt: »Ich schätze Reynolds wirklich sehr. Ich bin geradezu vernarrt in ihn.« Fox blickte nicht auf. Er überlegte angestrengt, wie er das drohende Schachmatt abwenden sollte. »Reynolds?« »Ja, mein lieber Captain Fox. Jedesmal, wenn ich in England bin, schaue ich mir möglichst viele Werke von Reynolds an.« »Tatsächlich?« Der Verlust dieses Bauern hatte ihn empfindlich getroffen. »Dieses wunderbare Helldunkel, die Anmut, die Eleganz seiner Menschen – ein großartiger Maler! Ich fürchte, Ihr Läufer ist ein bißchen zu exponiert, Captain. Und die klassische Einfachheit, die Klarheit des Aufbaus in Reynolds Bildern – daran kann ich mich nicht genug erfreuen.« »Dem Läufer kann überhaupt nichts passieren, Major. Und was Ihren Joshua Reynolds betrifft – ich habe seine Werke in der Londoner Akademie gesehen und auch anderswo. Ein begnadeter Künstler, aber…« »Aber was, Captain? Sie werden doch sicher nicht Ramsay oder Gainsborought oder Romney vorziehen…« »Jetzt werde ich Ihnen erst einmal diesen Turm wegnehmen und sehen, was Sie dann tun, Major.« Fox grinste nicht, aber der Versuch des Majors, ihn mit seiner Lobeshymne auf Reynolds vom Spiel abzulenken, amüsierte ihn. Schöne Farbkompositionen, die Üppigkeit einer Lady im Rubens-Stil – nun gut. Während Fox darauf achtete, daß Col-
ledge bei seinen Vorbereitungen für die Nacht nur ja nichts versäumte, überlegte er, daß Mansfield ruhig mit seinem Reynolds glücklich werden sollte. Aber heute Nacht, wenn die See sich beruhigt haben würde, wenn funkelnde Sterne am Himmel standen, würde die Welt für die britischen Soldaten anders aussehen als die reizvolle, elegante Atmosphäre, die die Maler und ihre Modelle umgab. Das Problem bestand nicht darin, Männer zu finden, die freiwillig mitkommen wollten. Die Schwierigkeit lag darin, den Leuten, die zu alt waren, sagen zu müssen, daß er sie nicht mitnehmen konnte. Mr. Colledge war felsenfest überzeugt, daß er ihn begleiten würde. Wenn Fox ein Captain gewesen und nicht mit dem Kommando eines Bootes beauftragt wäre, hätte er sein Schiff nicht verlassen können. Als Offizier hätte er sich natürlich auf die eine oder andere Art einen Weg an Land gebahnt. Als Commander hatte er zweierlei Möglichkeiten. Er konnte an Bord seines Schiffes bleiben – und er konnte an Land gehen und Mr. Colledge erzählen, daß der Erste Offizier die Verantwortung für das Schiff übernehmen müsse und es nicht verlassen dürfe. Colledge war entsetzt, niedergeschlagen, verärgert – und gekränkt? Fox wußte, warum. Es gab natürlich keine Chance, dem Admiral aufzufallen, wenn man auf einem Proviantschiff verschimmelte. Und hier traf George Abercrombie Fox eine Entscheidung, die ihm vielleicht nicht zustand. Colledge hatte, nachdem er seine schlechte Laune überwunden hatte, bewiesen, daß er ein guter Offizier war. Nach Fox Meinung besaß der Mann allerdings nicht die Qualitäten, die einen geborenen Kommandanten auszeichneten. Diese Erkenntnis erleichterte Fox die Ent-
scheidung, wenn ihm Colledge auch leid tat. Sicher wußte Colledge im Innersten seines Herzens, daß er nie mehr zum Captain befördert werden würde. Doch hier stimmte Fox Logik nicht ganz. Wenn Colledge nun zufällig als Erster Offizier eines Captains in eine großartige, erfolgreiche Aktion verwickelt wäre, wenn sein Schiff ein feindliches Schiff kapern würde, konnte es durchaus geschehen, daß man ihn zum Captain beförderte, um seinem Kommandanten ein Kompliment zu machen. Natürlich, die Chance war gering, aber… Doch Fox wollte, sich nicht weiter den Kopf zerbrechen. Es war ihm gelungen, das Kommando eines Bootes zu erhalten, und er wußte, daß er diesen Job verdammt besser erledigen würde als Colledge. Und Colledge würde an Bord der ›AIkon‹ bestens aufgehoben sein. Das Wasser war glasklar und glatt. Um zwei Uhr morgens am 8. März schwammen die Boote auf den Wellen, zwei Glasen später hatten sie sich in gerader Linie bei der ›Mondovi‹ versammelt, bereit, den Angriff zu beginnen. Über fünfzigtausend Soldaten saßen in den Booten, die Musketen zwischen den Knien. Mit phlegmatischen, resignierenden Gesichtern saßen die Bootsgasten an den Riemen. Hatten sie nicht schon oft genug Soldaten an Land gebracht – und wozu? Schweigend wartete die Armada der dreihundertzwanzig Boote. Um acht Glasen wurde das Signal gegeben, und im selben Augenblick tauchten die Riemen ins Wasser. Fox spürte die Bedeutung des Augenblicks, als er befahl: »Ruder an!« Die Invasion Ägyptens hatte begonnen.
10. George Abercrombie Fox beabsichtigte, seinen Befehl mit der Sorgfalt und Genauigkeit auszuführen, die man von einem Offizier der Royal Navy erwartet. Aber danach – zum Teufel mit allen Befehlen. Dann interessierte ihn nur mehr, wie er es erreichen konnte, daß man seine Goldquaste von der linken Schulter auf die rechte verlegte. Ein letzter Rest von Schuldgefühl, den er vielleicht empfand, löste sich in Nichts auf, als das Morgenlicht die sandige Bucht von Abukir enthüllte, die sandigen Hügel, die sich dahinter erhoben. Dunkle Flecken zeigten sich auf den Dünen, Hunderte von Musketenläufen und Säbeln glitzerten mit der See um die Wette, als die ersten Sonnenstrahlen in die Bucht fielen, Gott sei Dank, das Wasser war glatt wie ein Ententeich. Die Boote glitten in geraden, tadellosen Linien dahin. Die erste Reihe bestand aus den Booten mit den flachen Böden. In jedem dieser Boote saßen fünfzig Männer. In der zweiten Reihe formierten sich die Kutter der Schiffe, in der dritten die Barkassen. Von der linken Flanke aus konnte Fox nach Westen blicken und das ganze Spektakel verfolgen, die fehlerlose Ordnung der Bootsreihen, den gleichmäßigen Rhythmus der Riemen. Bei Gott, was für ein Tag! Kanonenboote und ein Kutter begrenzten jede Flanke. Fox müßte sich mühsam zurückhalten, um seine Männer nicht
anzuschreien, sie sollten schneller pullen, rascher die Küste erreichen. Er mußte in seiner Position bleiben, die Funktionen ausüben, die Sir Sidney ihm aufgetragen hatte, bevor er an Land gehen und zu den Soldaten stoßen konnte. Im Hintergrund zeigte sich der majestätische Wald von Masten, draußen vor der Bucht, wo die Flotte den Erfolg der Landung erwartete. Vorn, entlang der geschwungenen Bucht, war teten die Franzosen in einer Front von eineinhalb Meilen Länge. Sie wußten, daß die Engländer angriffen. Sie wußten es schon seit einiger Zeit und hatten ihre Streitkräfte versammelt. Fox hatte keine Ahnung, wie viele Männer sich der Landung der Briten entgegenwerfen würden. Es gab Gerüchte, daß nicht mehr als fünfzehntausend französische Soldaten in Ägypten geblieben seien. Wenn der Esel Menou seine Truppen nördlich von Kairo versammelt hatte, konnte er den Engländern am Strand der Bucht entgegenrücken und die besiegten, entmutigten Rotröcke zurück in die See jagen. Mit dem plötzlichen Knall eines einzelnen Schusses, mit dem darauffolgenden Salvenstakkato, eröffneten die Franzosen das Feuer. Rauchwolken stiegen von den Dünen auf. Weiße Gischtfontänen erhoben sich wie Geistergestalten, tauchten aus der See, bäumten sich auf, brachen zusammen. Der Lärm steigerte sich zum ohrenbetäubenden Schlachteninferno. »Diese Bastarde!« rief Mr. Midshipman Hardcastle und packte seinen Säbelgriff. »Sie schießen auf uns!« Fox warf ihm einen kurzen Blick zu. »Sie haben eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe, Mr. Hardcastle. Aber würden Sie jetzt bitte trotzdem den Mund halten? Schließlich bin ich verantwortlich für die Disziplin von euch jungen Laffen, und wenn ihr mir Schwierigkeiten berei-
tet, werde ich nicht zögern, den Bootsmann zu bitten, daß er euch den Hintern versohlt.« »Aye, aye, Sir«, sagte Hardcastle, und dann klatschte ein Was serfall auf das Boot herunter. »An die Pützen!« schrie Fox blinzelnd, riß sich den Hut vom Kopf und schüttelte das Wasser aus. »Los, beeilt euch! Oder ihr könnt die restliche Strecke schwimmen!« Sie schöpften rasch das Wasser aus dem Boot. Fox starrte mit zusammengekniffenen Augen die Linie der britischen Boote entlang. Ja, bei Gott! Da – ein Kutter war zurückgefallen, hatte die Linie verlassen, das Holz war zertrümmert, die zerbroche nen Riemen trieben im Wasser, die Köpfe schwimmender Soldaten ragten aus den Wellen. »Los, zu dem Kutter hinüber!« befahl Fox, und Hardcastle riß die Ruderpinne herum. Junge Männer, die ihre Körper Pistolen- und Musketenschüssen preisgaben! Ob sich Colledge wohl auch darüber Gedanken gemacht hatte? Fox Boot schnellte hinter der Bootslinie vorbei, und schon nach wenigen Minuten hievten die Bootsgasten die Seeleute an Bord, packten die Soldaten an ihren weißen Patronengurten und kümmerten sich nicht darum, wenn die feinen weißen Tschakos davonschwammen. »Herein mit dir, du Landratte!« rief Horny Pete, zerrte einen Soldaten über den Dollbord und griff schon nach dem nächsten. Die Soldaten wurden innenbords geholt, wie die Fische aus einem Mühlteich. Wieder blickte Fox die Bootslinie entlang. Ein großes Boot mit flachem Boden war mittschiffs empfindlich getroffen worden, ringsum im Wasser trieben Rotröcke, mit erhobenen Armen, ihre schreienden Münder standen wie schwarze
Löcher in den weißen Gesichtern. Ein weiteres Boot war getroffen worden und löste sich aus der Linie. »Beeilt euch, ihr lahmen Schlappschwänze!« schrie Fox. »Alle innenbords! Und jetzt weiter! Los, pullt, ihr schwarzen Bastarde pullt!« Sein Boot konnte nicht alle Überlebenden aufnehmen. Aber er würde an Bord nehmen, soviel er konnte, bis Wasser über das Dollbord schwappte, und dann würde er zur Küste fahren. Blut färbte das Wasser. Männer schrien sich die Seele aus dem Leib. Das waren Gardesoldaten, tapfere Männer, die zu lange in den Schiffen festgesessen hatten und jetzt nach Taten dürsteten. Immer mehr Rotröcke glitten innenbords. Fox beobachtete das Dollbord, wartete bis zum letzten Augenblick, und dann befahl er, keinen Soldaten mehr ins Boot zu holen und Taue über Bord zu werfen. »Haltet euch fest, Landratten!« brüllte Fox. »Schwimmt zu den Tauenden, und wir ziehen euch an Land!« Ein Offizier, dessen Gesicht noch röter war als sein Rock, ver suchte über das Heck zu klettern. Fox beugte sich zu ihm. »Lassen Sie das, Captain! Hängen Sie sich an ein Tau! Ver dammt, wenn Sie an Bord steigen, schlage ich Ihnen den Schädel ein!« Der Captain schrie in seiner Todesangst, stammelte wirre Worte, klammerte sich am Heck fest. Fox konnte nur einzelne Satzfetzen verstehen. »Diesen Abschaum haben Sie an Bord geholt… Ich – ein Offizier…« Fox nahm sich nicht die Mühe, genauer hinzuhören. Er löste den Finger den Captains vom Heck und gab dem Mann einen Stoß.
»Da ist ein Tau, Captain. Halten Sie sich fest!« Er lehnte sich zurück. Das Boot lag jetzt gefährlich tief im Wasser. Die Bootsgasten blickten ihn an, die Arme ausgestreckt, die Riemen lagen parallel. »Los, weiterpullen! Aber paßt auf, daß ihr uns kein Wasser innenbords spritzt!« Das Boot glitt über die schimmernde See, Musketenkugeln pfiffen an ihren Köpfen vorbei, schlugen ringsum in die Wellen. Unaufhörlich knatterte das Gewehrfeuer. Fox konzentrierte sich jetzt darauf, das Boot sicher an Land zu steuern. Es war geplant, daß die Kutter in die fünfzig Fuß breiten Lücken zwischen den flachbödigen Booten stoßen sollten, so daß alle Soldaten auf einmal an Land gehen konnten. Die Barkassen hatten Artillerie und Männer an Bord, und die Kompanien formierten sich mehr in die Tiefe als in die Breite, so daß mehrere auf einmal landen konnten. Im Heck jedes Bootes lag ein kleiner Anker bereit, der sofort über Bord geworfen werden konnte, sobald das Boot auf Grund stieß. Wenn es leer war, konnte es losgezogen werden und aus dem Weg gepullt werden, so daß andere anlegen konnten. »An Land gehen – das ist das wichtigste Ziel.« So lautete die Order. Es kam nicht darauf an, sich ordentlich zu formieren. Sowie die Männer an Land waren, sollten sie die Franzosen angreifen. Fox beobachtete den Sandstrand, das Glitzern des Sonnenlichts, die Rauchwolken, hörte die Explosion, das Rattern der Musketen. Die Franzosen waren schon ein paarmal mit britischen Landemanövern ganz gut fertig geworden. Diesmal würden sie zuversichtlich sein – Veteranentruppen, die noch nie besiegt worden waren, Männer, die Armeen zurückge-
schlagen hatten, die vier- oder fünfmal so zahlreich gewesen waren wie sie selbst. Und die türkische Armee war sogar zehnmal so groß gewesen wie die französische. Fox würde nicht so bald Vergessen, wie lange er in Akka auf die türkische Armee gewartet hatte, die die Engländer ablösen sollte. Er würde die Enttäuschung nicht vergessen, als die französische Kavallerie die Türken gnadenlos niedergemäht hatte. Die Bucht rückte näher. Plötzlich sprang ein Gardesoldat auf, umklammerte mit beiden Händen seinen Hals. Eine Musketenkugel hatte ihn getroffen. Als er zusammenbrach, befahl Fox sofort, die Leiche über Bord zu werfen. Wasser spritzte ins Boot. Fast im selben Augenblick schrie eine andere Landratte auf, starrte auf ihren loblos baumelnden, zerschmetterten Arm. Nur noch ein paar Yards an der rechten Seite der Bootslinie hatten die Briten bereits die Küste erreicht, röte Reihen liefen über den hellen Sand. Rauch quoll auf, verhüllte die Einzelheiten, aber Fox nahm an, daß mit der rechten Flanke alles in Ordnung war, daß alle Mann das Land erreicht hatten. Diese Flanke wurde von Sir John Moore kommandiert, einem allseits geachteten und bewunderten General. Er befehligte die 23. und die 28. Kompanie, zusammen mit der Flankenkompanie Nummer 40. Zwischen den grauen Rauchschleiern tauchten rote Linien auf und verschwanden wieder. Die rechte Flanke führte schwere Geschütze mit sich. In der Mitte schienen die 42. und die 58, Kompanie unter Brigadier Oakes ebenfalls sicher an Land gelangt zu sein. Und was passierte direkt vor Fox Boot – auf der linken Flanke? Die Boote bewegten sich nicht mehr weiter. Die Truppen
wateten durch das seichte Wasser. Bei Gott! Die Boote waren in eine Untiefe geraten, ein ganzes Stück von der Küste entfernt. Und im selben Augenblick, als Fox dies erkannte, lief sein Boot auch schon auf Grund. Es ruckte und ächzte, als das Holz über den Sand rutschte, und dann saß er fest. »Alle Mann von Bord!« rief Fox, »Los, lauft an Land!« Ein Soldat glitt über Bord, stürzte ins seichte Wasser und stand nicht mehr auf. Blut quoll aus seinem Körper. Die anderen sprangen aus dem Boot, stürmten durch das auf gespritzte Wasser, Die Truppen hatten die Order, mit ungeladenen Musketen an Land zu gehen – eine kluge Vorsichtsmaßnahme. Sie sollten erst laden, wenn sie den trockenen Sand erreicht hatte. Plötzlich schoß eine Wassermasse dicht vor der Küste hoch, gelb von Sand, stürzte auf die Männer herab. »Weiter! Weiter!« schrie Fox und schwenkte beide Arme. Der Captain, den Fox ins Wasser zurückgestoßen hatte, tauchte auf, schleppte sich an Land. Wasser floß in Strömen an ihm herab, seine schöne Uniform war völlig ruiniert. »Ich werde Sie…«, begann er. »Laufen Sie an Land, Captain, und übernehmen Sie das Kommando über diese Männer! Um Gottes willen, Sie Idiot, setzen Sie sich endlich in Bewegung, Da – sehen Sie!« Der Blick des Captains folgte Fox ausgestrecktem Zeigefinger. Dann riß er die Augen auf und schluckte. Reiter sprengten den Strand hinunter und ins seichte Wasser, Pferdehufe wirbelten Fontänen auf, die französische Kavallerie griff an. »Los, ihr Landratten!« schrie Fox. Fox wußte, daß die britischen Soldaten unerfahren waren.
Sie hatten keine ununterbrochene Reihe von Siegen vorzuweisen, die sie mit Selbstvertrauen erfüllen könnte. Und jetzt saßen sie hier in der Falle, an einem fremden Strand, wateten in wirren, ungeordneten Reihen an Land – und wurden von dieser legendären französischen Kavallerie angegriffen. Zum Teufel! Es war ein Anblick, der jeden Briten lebensüberdrüssig machen mußte. Die 2., 3. und die 54. Kompanie mußten dem Angriff jetzt begegnen. Sie mußten ihr Selbstbewußtsein wiederfinden, mußten von jenem Geist beseelt werden, der ihren Vorvätern die Siege von Blenheim und Malplaquet, von Ramillies, Crecy und Agincourt beschert hatte. Wenn die Briten nicht bald etwas unternahmen, würde die französische Kavallerie sie zurückwerfen, würde sich das Wasser am Strand blutigrot färben, würden die besiegten, entmutigten Kompanien ins Meer zurücktaumeln. , Wilder Schlachtenlärm untermalte die Szene. Die Engländer kämpften sich durch den glatten, schlüpfrigen Sand an die Küste. Einige versuchten verzweifelt, sich zu formieren. Fox kletterte zum Bug des Bootes. Er hatte Mr. Show, den Stückmeister, mitgenommen, weil er von dem Mann erwartete, daß er Erfahrung genug besaß, um eine 2-PfünderKanone trocken zu halten. Das Geschütz war bereits geladen. Die Kavallerie war jetzt schon viel zu nah an die Rotröcke herangekommen. Die Soldaten würden diesem ersten Angriff allein und ohne Hilfe gegenüberstehen. Aber die zweite Kavallerietruppe, die jetzt auf den Fersen der ersten herangaloppierte, über fliegenden Sand, mit blinkenden Säbeln – ja, diese Bastarde würden schmerzlich spüren, wozu die Royal Navy fähig war. Die französischen Dragoner sprengten näher. Säbel blitzten,
Hufe blitzten, Uniformen blitzten, Augen und Zähne blitzten… Fox bückte sich zum Zündloch der Kanone, das bis zur Mündung mit Ladung vollgestopft war, und feuerte. Das Ge schütz explodierte mit ohrenbetäubendem Krach. Ätzender Pulverrauch stieg Fox in die Nase, kratzte in seiner Kehle, als er wie gebannt zur Küste starrte. Die Kugel raste zwischen die Dragoner. Pferde bäumten sich auf, Männer stürzten aus den Sätteln, ballten sich zu einer wirren Masse. Die armen Pferde! Aber sie mußten geopfert werden, wenn nicht fünftausend britische Soldaten in den Meereswellen ertrinken sollten. »Verdammt!«schrie Fox. »Der Teufel soll alle Franzosen holen!« Hinter der Kavallerie, von Offizieren angeführt, in den wil den, formlosen Klumpen, die Europa erobert hatten, stürmte die französische Infanterie heran. Eine Demibrigade, die über Hunderte von Schlachtfeldern getobt und nie besiegt worden war. Fox Augen verengten sich. Das mußten die gleichen Männer sein, die Fox hatte zurückweichen sehen, verwirrt und gebrochen, damals am Wallbruch vonAkka. Wenn es niemandem in Europa gelungen war, die französischen Soldaten zu schlagen – in Akka waren sie jedenfalls von ein paar türkischen irregulären Truppen und von der Royal Navy besiegt worden. Und mit ihnen dieser verdammte korsische Bandit. Die Kanone war schon wieder geladen. Fox brüllte seine Befehle, die Männer sprangen ins Wasser, um das Boot in Position zu schieben. Jetzt, da es halb leer war, ließ es sich leicht bewegen.
»Noch ein Stück – genug!« Die Kanonenmündung starrte der angreifenden Infanterie entgegen. Die Entfernung war gerade richtig. Fox feuerte und befahl seiner Mannschaft, sofort wieder nachzuladen. Die Spitze der Infanterie brach auseinander. Andere rückten nach, rutschten über den nassen Sand – die armen Teufel mit ihrem verzweifelten Wagemut. Ein zweites Kanonenboot eröffnete das Feuer, aber die französische Infanterie rückte unbeirrt weiter vor. Die Gardesoldaten mischten sich mit der 54. Kompanie, griffen in wirren Reihen die Kavallerie an, Musketen und Bajonette kämpften gegen Säbel. Die Schreie der Männer, das schrille Wiehern der Pferde, das Klirren des Metalls mischte sich zu einem einzigen Lärminferno, das die Bucht erfüllte. Fox beobachtete die Kavallerie. Sie hatte es wahrhaftig nicht leicht. Die britische Infanterie war in einen wilden Kampf von Mann zu Mann verwickelt, zerrte Kavalleristen aus den Sätteln, bohre Säbel zwischen ihre Rippen, zeigte den französischen Veteranen, wie britische Soldaten zu kämpfen verstanden. Die Kanone war schußbereit. Einige Infanteriesoldaten hatten angehalten und feuerten auf die Kanonenboote. Musketen knatterten. Kugeln schlugen in die See. Fox ignorierte sie. Er bückte sich wieder zum Zündloch, und eine vage Erinnerung stieg in ihm auf, die Erinnerung an den Tag, als er zum erstenmal Onkel Ebeneezers Entenflinte in der Hand gehalten hatte. Aber jetzt mußte er nicht in eine flatternde Entenmasse schießen. Jetzt galt es, auf französische Soldaten zu feuern, die ihnen gnadenlos niedermetzeln würden, wenn er sie nicht daran hinderte.
Er hielt das glühende Ende der Lunte an das Zündloch. Die Kanone donnerte, und durch den wirbelnden Pulverrauch sah Fox, wie eine Gruppe von Infanteristen zusammenbrach. Seine Männer stießen Freudenschreie aus. Doch jetzt war keine Zeit mehr, die Kanone neu zu laden. Da stürmten diese französischen Bastarde, rückten unerbittlich und unaufhaltsam näher. »Los, ergreift die Säbel!« brüllte Fox, und dann schien die Welt in dröhnender Schwärze unterzugehen. Flammen umzingelten ihn, und er wußte, daß das Boot getroffen worden, in Fragmente zersplittert war, daß seine Männer auseinandergeworfen waren. Und wo war er? Noch sekundenlang umgab ihn brüllendes Dunkel, durch zuckt von rotglühendem Schmerz, dann spritzte Wasser in sein Gesicht, drang in Augen und Nase und Mund, er fühlte feinkörnigen Sand unter den ausgestreckten Händen.
11. Irgend jemand dicht neben ihm schrie. Rauchschleier, Blut und Dunkel lösten sich vor seinem rechten Auge auf, aber das linke war immer noch von undurchdringlicher Schwärze verschlossen. Er sah Mr. Midshipman Hardcaste bis zur Schulter im Wasser sitzen, der junge Mann hatte beide Hände vor sein blutendes Gesicht geschlagen. Andere kämpften sich aus dem Wasser hoch, verwundet, blutend. Die zerschmetterten Hölzer des Bootes trieben auf den Wellen. Ein paar Luftblasen stiegen von der sinkenden 2-Pfün-
der-Kanone auf. »Auf, ihr Faulpelze!« wollte Fox brüllen. Aber es drang nur ein schwaches Krächzen über seine Lippen. Er stand auf, zitternd, schwankend, fühlte den rutschigen Sand unter den Schuhen. »An Land mit euch! Los, werft euch auf die Bastarde!« Er hielt den Säbel in der Faust, schwenkte ihn. Das Wasser zerrte an seinen Beinen. Vor sich an der Küste sah er ein wogendes Durcheinander kämpfender Männer. Pferde bäumten sich schrill wiehernd auf, Männer brachen schreiend zusammen. Scharlachrot und Blau und Grün mischten sich zu einem Farbwirbel. Wenn diese linke Flanke vor ihm nachgab, wenn die Dragoner durchbrachen, stand ihnen die ganze Bucht offen. Von der Infanterie unterstützt, die in immer neuen Reihen den Strand hinunterstürmte, würden die Kavalleristen die Flanke der Briten umzingeln, sie zu den Sandhügeln treiben, wo sie die Kano nen der Festung von Abukir erwarteten. Dichte Rauchschwaden lagen über der Bucht, Hunderte von Waffen schimmerten, die scharlachroten Linien kämpften sich vor, nur widerstrebend wichen die blauen Massen zurück. Auf den Dünen lagen wirr durcheinander rote und blaue Flecken – die Gefallenen. Eine chaotische, sinnlose Höllenvision. »Vorwärts!« schrie Fox und stürmte durch das seichte Wasser. »Los, Alkons! Stürzt euch auf die Bastarde!« Andere britische Seeleute stießen zu Fox und den Alkons als sie zum Land liefen. Erst wateten sie durch hüfthohes Wasser, dann durch knie hohes, und schließlich stürmten sie über den Sand, auf die wildbewegte Masse der Kämpf enden zu. Fox Säbel durchbohrte eine blaue uniformierte Brust, auf der
sich rasch ein roter Fleck ausbreitete. Er rutschte auf Blut aus, stolperte, gewann sein Gleichgewicht wieder, duckte sich, und ein Säbelhieb zischte über seinen Kopf weg. Er schnellte vor, seine linke Hand umklammerte den Gürtel eines Dragoners. Ein Säbel fuhr herab, Fox parierte den Hieb. Das Pferd wieherte, steilte auf den Hinterläufen. Fox zerrte den Dragoner aus dem Sattel, und noch während der Franzose stürzte, durchbohrte ihn der tödliche Säbel Das Pferd wälzte sich im nassen Sand. Fox stürmte weiter, und schon im nächsten Augenblick zielte ein Bajonett auf ihn. Blitzschnell wich er zur Seite, der Stahl sauste an ihm vorbei. Er wirbelte herum, sein Säbel traf den Franzosen seitwärts in die Rippen. Eine scharlachrote Gestalt tauchte an seiner Seite auf, Fox wandte sich um, stieß einen Musketenlauf beiseite, sah den französischen Soldaten, der sein Bajonett in den ungeschützten Rücken des britischen Gardesoldaten stoßen wollte. »Achtung! Hinter Ihrem Rücken!« schrie Fox und sprang vor. Eine Muskete schnellte hoch, aber er glitt vorbei und hieb mit seinem Säbel nach dem Franzosen. Der Gardesoldat fuhr herum, von einem Dragoner bedrängt. Bei Fox zweitem Säbelhieb brach der Infanterist zusammen. »Danke, Kamerad!« rief der Gardesoldat und bohrte sein Bajonett in den Schenkel des Dragoners, in die Flanke des Pferdes. Das Pferd bäumte sich auf, und der Gardesoldat wich zurück. Fox Säbel hieb nach einem weiteren Dragoner, der ihn brüllend angriff. Minutenlang verwandelte sich die Welt in eine Hölle von Blut und Schmerzensschreien und funkelnden Waffen, und dann, von einer Sekunde zur anderen, sahen sich der Garde-
soldat und Fox von unheimlicher Stille umgeben. Die Schlacht schien den Atem anzuhalten, nur Tote und Verwundete lagen ringsum. Fox starrte den Gardesoldat an, und geisterhafte Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er war ein Sergeant, seine drei breiten Litzen waren zerrissen und blutig. Seine scharlachrote Uniform war völlig ruiniert. Seinen Hut hatte er verloren, aber die Muskete lag sicher in der kräftigen braunen Hand. Das Gesicht mit dem gebrochenen Nasenbein und den vernarbten Wangen verriet Mut und Kampfgeist. Fox wußte, wer diese Nase gebrochen hatte. Der junge Abe – und eine zerbrochene Flasche, unten in Rotherhite an der Themse. »Hallo, Jack«, sagte Fox und schlenkerte seinen Säbel, damit die Blutstropfen herabrannen. »Hast du in letzter Zeit etwas von den Hogans gehört?« »Eh?« sagte der Sergeant. »Wer, was?« Er trat näher, starrte in Fox Gesicht. »Abe Fox!« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Dieser schwarze Bastard Abe Fox…« »Jack Coggan! Da haben sie also einen Soldaten aus dir gemacht.« Ein Dragoner griff sie an, und sie wirbelten beide herum, um in die Schlacht von 1801 zurückzukehren, zurück in eine ägyptische Bucht, zurück zu den Mühen und Gefahren eines Kampfes an fremder Küste. Aber – Jack Coggan! Ein Busenfreund der verhaßten Hogans, der Erzfeinde der Foxfamilie! Wie sie gekämpft hatten, die eine Bande gegen die andere! Damals waren sie noch Kinder gewe sen. Mittlerweile hatten die Hogans und Fox nicht nur die alte Fehde begraben, sie hatten sogar in schöner Eintracht
eine Kutsche überfallen. Fox hatte schon gehört, daß Jack Coggan zu den Soldaten ge gangen war, und sie alle hatten darüber gelacht. Und jetzt war Jack hier, ein Sergeant der Zweiten Garde, des Regiments, das man ›Coldstream‹ nannte, hart wie Messing, eine der tapfersten Truppen, die England gegen den verrückten Korsen verteidigte. In jenen Tagen waren die Hogans und ihre Freunde die erbittersten Feinde der Familie Fox gewesen. Aber im letzten Jahr hatte sich Fox an die Seite der Hogans gestellt. Die traurigen Nachrichten von der jungen Kate, das Verscheiden Katie Hogans, der Mutter der kleinen Katie, der Zusammenstoß mit Lord Rowe, die Trinkgelage mit den Hogans – nun, Sergeant Jack Coggan wußte vermutlich nichts von all dem. Die Franzosen führten nun einen sehr entschlossenen Angriff durch, um die linke Flanke der Briten auszuschalten. Aber als die roten und blauen Uniformen sich mischten, als das Grün der Dragoner dünner wurde, gelang es, wieder etwas Ordnung in die britischen Reihen zu bringen. Fox stellte fest, daß diese Art von Ordnung Sir Ralph zutiefst befriedigen und einen französischen General zur Verzweiflung treiben würde. Die linke Flanke hielt dem französischen Angriff stand. Die 3. Garde und die 54. formierten sich, lange scharlachrote Linien mit parallel geneigten Musketenläufen. Fox blickte sich um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vor seinem linken Auge begann ein heller Schimmer zu zittern und durchdrang allmählich die Schwärze. Hardcastle tauchte vor ihm auf, mit blutendem Gesicht, einen blutigen Säbel in der Faust. Andere Alkons sammelten sich um ihn. Jetzt war es Zeit geworden, Sir Sidney zu suchen und die Kanone in Position zu bringen. Die paar Geschütze,
die von den Barkassen an Land geschafft worden waren, feuerten bereits, aber sie brauchten noch mehr Waffen. Die Franzosen wichen auf dem windigen Sandhügel zurück. Sie würden sich sehr rasch neu formieren und erneut erbitterten Widerstand leisten. Da Fox die Franzosen kannte, wußte er, daß sie in wenigen Augenblicken zwischen den Dünen auftauchen würden, immer noch im Vertrauen auf den Sieg, immer noch erfüllt von jenem unbezwingbaren Kampfgeist, der ihnen schon so viele Erfolge gebracht hatte. Und wieder würden sie sich den Briten entgegenwerfen, die Landung zu verhindern versuchen. Eine Hand packte Fox linke Schulter unter der Epaulette und schwang herum. Instinktiv hob er den Säbel, ließ ihn herabsausen, und erst im letzten Augenblick konnte er die Richtung des Hiebs noch ändern, so daß die Klinge an dem rotgesichtigen Soldaten vorbeistrich, der ihn wütend anstarrte. »Da habe ich Sie ja gefunden, Sir! Sie verdammter, nieder trächtiger Bastard! Ich werde Sie…« »Äh, der ehrenwerte Captain«, sagte Fox. Er spürte um sich das Dröhnen der Schlacht, sah die wogenden roten und blauen Uniformen, die Rauchwolken. Dieser Captain war ein verflucht schlechter Soldat. »Sie Abschaum! Ich werde dafür sorgen, daß Sie mit Schimpf und Schande aus der Navy fliegen! Ich lasse Sie…« »Jetzt haben wir keine Zeit für einen persönlichen Streit, Captain. Ihr Platz ist bei den Truppen, auch wenn sie nicht zu Ihrem Regiment gehören. Wir müssen die Dünen angreifen.« »Von so einem Hundesohn wie Ihnen nehme ich keine Befehle entgegen!« Links über den Dünen quoll die Rauchwolke einer 8-Pfün-
der-Kanone auf. Und das verdammte Ding feuerte mitten hinein in die Briten. Wieder streckte der wütende Captain eine Hand aus und griff nach Fox. Fox starrte in das puterrote, schwitzende Gesicht mit den vorquellenden Augen. Er wußte, daß sein eigenes häßliches Gesicht jetzt einen Ausdruck trug, der schon vielen Leuten Angst und Schrecken eingejagt hatte, und da sah er auch schon die Reaktion in den Augen des Captains, sah das Flattern der Lider. Der Mann wich zurück, ließ seine Hand sinken. »Lassen Sie mich jetzt in Ruhe, Captain, oder ich schlage Ih nen die Zähne ein.« »Sergeant!« stieß der Captain heiser hervor, und Sergeant Jack Coggan trat hinzu. »Sir!« »Dieser verdammte Bastard hier…« »Wir haben jetzt keine Zeit für diesen Unsinn«, unterbrach Fox den Captain und zeigte auf die Rauchschwaden über den Dünen. »Dort. Der Captain zitterte vor Wut, schnappte nach Luft, stammelte unzusammenhängendes Zeug. Er hatte jetzt den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung verloren.' »Wir müssen uns diese Kanone holen«, sagte Fox und sah Coggan an. »Jack – komm!« »Moment mal, Abe! Schließlich ist er ein Offizier und ein Gentleman – und somit mehr als du. Du kannst hier nicht einfach nach Belieben deine Befehle geben…« »Ihr könnt mich alle beide!« Fox stürmte über den Sand und schwang seinen Säbel. »Alkons! Mir nach!« Sie folgten ihm, ohne zu zögern – Mr. Midshipman Har-
deastle mit dem blutverschmierten Gesicht, Mr. Show, Horny Pete. Sie hetzten über den sandigen Strand, ein paar Soldaten liefen ihnen nach. Fox spürte den feuchten Sand unter den Schuhen, fühlte den klebrigen Schweiß, der ihm über den Rücken rann, die heiße Luft brannte in seinen Lungen. Aber dort oben feuerten die Franzosen. Der Hang stieg nun steiler an, aber Fox kletterte unbeirrt weiter, auf Händen und Knien. Musketenkugeln schwirrten um seine Ohren, wirbelten rings um ihn den Sand auf, pfiffen dicht über seinen Kopf weg. Er hörte die Männer schreien, die getroffen worden waren, sich beide Hände in die Brust krallten, sich zusammenkrümmten und in den heißen Sand stürzten. Ihre Schreie übertönten immer wieder den Schlachtlärm, der die Bucht erfüllte. Wieder feuerte das 8-Pfünder-Geschütz. Diesmal benutzten die französischen Kanoniere Kartätschen. Die Ladung riß ein gewaltiges, schreckliches Loch in die aufwärtsstrebenden Reihen der Rotröcke. Aber Fox kletterte weiter, stieg diagonal den Hügel hinauf. Es war fast unmöglich, geradewegs hinaufzuklettern. Er gab es auf, seinen Säbel zu schwenken, seine Männer anzufeuern, und ging daran, die letzten paar Yards des Steilhangs zu bezwingen. Der Atem rasselte in seiner Kehle, die Lungen schmerzten. Schweiß rann ihm in die Augen, in seinem Schädel schienen sich feurige Kreise zu drehen. Wilde Visionen von Blau und Stahl, von Scharlachrot und orangefarbenen Mündungsblitzen, von aufquellendem Rauch, von blutigen Leichen, von kreischenden Männern, wiehernden Pferden tauchten vor ihm auf – dann ein schwarzer Schnurrbart in einem gallischen Gesicht.
Trotz der wilden, animalischen Kraft, die in seinem gedrungenen Körper steckte, mußte Fox auf dem Grat des Hügels einen Augenblick lang anhalten. Er sog keuchend die Luft ein und hatte das Gefühl, als sei die Lafette einer 32-PfünderKanone über seine Brust hinweggerollt. Die Kanoniere am 8-Pfünder-Geschütz luden hastig nach, feuerten auf die britischen Soldaten und Seeleute, die am Grat auftauchten, während sie zuvor aus guter Deckung die englische Flanke unten am Strand beschossen hatten. Die französischen Kanoniere waren sehr tüchtig. Das wußte Fox. Sie hatten bereits genug Erfahrung darin, türkische Soldaten hinwegzufegen, die einen Angriff auf ihre Geschütze wagten. Blitzschnell säuberten sie mit dem Wurm das Kanonenrohr vom glühenden Rest des letzten Schusses, wischten mit dem nassen Schwamm nach, schoben mit dem Ladestock die Patrone ins Rohr, den Ladepfropfen, das Geschoß, stopften das Ganze fest. Die vielen Hände der Kanoniere schienen einem einzigen Körper zu gehören, den ein einziger Geist lenkte. Fox nahm die geschäftige Szene in einem kurzen Augenblick in sich auf, in den zwei Sekunden, die er brauchte, um seine Lungen zweimal mit Luft zu füllen. Da war keine Zeit zu verlieren. Die Soldaten zu seiner Rechten stürmten vor. Mit wildem Geschrei stürmten sie den Hügel. Zumindest , würde die Kanone in nächster Zeit nicht mehr auf sie feuern, weil die von Fox angeführte Gruppe die Kanoniere abgelenkt hatte. Aber wie sollte Fox mit seiner Truppe von Seeleuten und Landratten der Gewalt dieser Kanone entgehen ?
Er schwang den Säbel und brüllte: »Mir nach!« So schnell er konnte, stürmte er vor. Die Kanone schien auf und ab zu schwanken, als würde er sie bei bewegter See von seinem Achterdeck aus beobachten. Alles schien rings um ihn zu schwanken – ein Resultat seiner Müdigkeit. Gott allein wußte, wann er zuletzt geschlafen hatte. Hardcastle, Horny Pete, Williamson – ein paar seiner Männer hatten mit ihm Schritt gehalten. Show konnte ihnen nicht folgen. Die Soldaten waren ebenfalls an seiner Seite, mit erhobenen Bajonetten, dunkel von Blut. Sergeant Jack Coggan stieß eine ganze Serie wilder Flüche aus, als er an die Spitze der Soldaten rannte. Sie mußten es schaffen – sie mußten! Fox beobachtete aus zusammengekniffenen Augen die 8Pfünder-Kanone. Die Franzosen bedienten das Geschütz nach dem Gribeauval-System, und das taten sie sehr effektvoll. Fox berechnete die Entfernung, berechnete genau, was geschehen würde, nachdem die Franzosen die Ladung festgestoßen hatten. Der Geschützführer reinigte das Zündloch mit dem Zündeisen, füllte es mit Pulver, schwang das Ende der Lunte hoch. Fox öffnete den Mund. Das Ende der Lunte senkte sich. »Nieder mit euch!« brüllte Fox. »Die Gesichter in den Sand!« Die Alkons und die anderen Seeleute, die sie aus dem Meer gefischt hatten, warfen sich zu Boden. Jack Coggan stolperte, starrte Fox an. An Coggans Seite schwang der ehrenwerte Captain seinen Säbel, sein Gesicht schien vor Wut zu platzen, die blauen Augen quollen aus den Höhlen. »Ihr feigen Hunde! Greift an!« »Zieh deinen verdammten, idiotischen Kopf ein, Jack!« »Angreifen! Angreifen!« kreischte der ehrenwerte Captain,
rannte vor, hob schreiend den Säbel. Ohne zu zögern, folgten ihm die Soldaten. Die Kanone feuerte. Fox sah es. Er sah, wie sich das Gesicht des ehrenwerten Captains in einen Blutschwall verwandelte. Er sah ein halbes Dutzend Gardesoldaten taumeln und zusammenbrechen. Er sah das Blut, die zerschmetterten Arme und Beine, die scharlachroten Uniformen, die das Blut dunkel färbte., Der Captain schwankte und schlug beide Hände vor das blutüberströmte Gesicht. Sergeant Jack Coggan blieb aufrecht stehen. Er war unverletzt. Fox sprang auf. »Alkons! Die Navy! Los, stürzt euch auf die Froschfresser!« Mit dämonischem Geheul liefen die Seeleute auf die Kanoniere zu, und ihr Geschrei übertönte sekundenlang das Donnern der anderen Geschütze in der Bucht, das Knattern der Musketen. Fox stürmte an Jack Coggan vorbei. »Komm mit, Jack!« Fox packte den ehrenwerten Captain an der Schulter, während er vorbeilief, und stieß den armen Teufel zu Boden. »Setzen Sie sich hin, Sie verdammter Narr, und stehen Sie wenigstens tapferen Kämpfern nicht im Weg herum, wenn Sie schon sterben müssen!« Als die Franzosen die blitzenden Musketen und Bajonette und Säbel auf sich zurasen sahen, wußten sie, daß sie ihr Spiel verloren hatten. Sie wandten sich um und rannten, die roten Röcke ihrer Uniformen schimmerten immer zahlreicher zwischen den blauen Röcken auf.
»Gib ihnen noch ein paar Abschiedsschüsse, Sergeant!« rief Fox. Coggans Mund war weit aufgerissen, er keuchte mühsam, dann stieß er seine Befehle hervor. Die Gardesoldaten luden, richteten ihre Musketen und feuerten. Ein paar Franzosen brachen zusammen. Der Rest verschwand rasch auf der anderen Seite des Hügels. Mr. Show stampfte schweratmend über den Grat heran. In zwischen hatten Fox und die Alkons die französische 8-Pfünder-Kanone neu geladen. Das glühende Laufende berührte das Zündpulver, das Geschütz explodierte. Mr. Show befahl schreiend, sofort wieder nachzuladen. »Sie können gern nachladen, Mr. Show«, sagte Fox. »Aber Sie werden kein geeignetes Ziel mehr finden. Unsere Army hat inzwischen die Küste besetzt.« Mr. Shows Mundwinkel zogen sich enttäuscht nach unten. »Und ich haben diesen ganzen Höllenspaß versäumt…« Fox ließ Mr. Show schimpfen und ging ein wenig abseits. Langsam ließ er den Blick über die Szene wandern. Ja, sie hatten es geschafft. Die britische Army war an Land gegangen, hatte erfolgreich die Franzosen angegriffen, hatte sie aus ihren Positionen verjagt. Sie hätten gesiegt. Bei Gott! Ein Sieg! Ein großer, echter Triumph! Die Boote der Flotte näherten sich in geordneten Reihen der Küste und brachten die nächsten Divisionen an Land. Jetzt mußten die Briten daran denken, den Boden zu halten, den sie so glanzvoll gewonnen hatten. Das nächste Ziel war Alexandria. Fox fühlte die Müdigkeit, die wie mit Bleigewichten an sei-
nen Gliedern hing. Aber für einen Seeoffizier war es eine unverzeihliche Sünde, müde zu sein, eine Beleidigung der Männer, die unter seinem Kommando standen. Die Soldaten formierten sich neu, die Freude über den Sieg leuchtete in ihren Augen. Über ihren Köpfen lösten sich die Pulverrauchwolken auf, ein strahlend blauer Himmel wölbte sich über der Bucht, das Sonnenlicht spiegelte sich in der glasklaren See, der Sanol schimmerte gelb. »Und gar nichts mehr, worauf man schießen kann«, murrte Mr. Show. Fox wandte sich um. »Mr. Hardcastle! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie jetzt endlich Ihr Gesicht verarzten ließen. Oder wollen Sie als Mädchenschreck nach England zurückkehren?« »N – nein, Sir… Aye, aye, Sir!« Mr. Midshipman Hardcastle schluckte und rannte davon, schlitterte über die Dünen hinunter. Die französischen Artilleristen waren mit ihren Munitionswagen ebenfalls verschwunden, die Pferde sprengten mit blutenden Flanken davon. Die Protzwagen, einfache Plattformen auf Rädern, waren keine wertvolle Beute. »Sichern Sie die Kanone, Mr. Show«, befahl Fox. »Ave. aye, Sir.« Der Stückmeister ging an seine Arbeit, und dabei bewies er große Tüchtigkeit, wie Fox feststellte. Sergeant Jack Coggan beobachtete das unbewegte, häßliche Gesicht von Abe Fox und begann zu schwitzen. Was hatte er eigentlich zu dem Offizier der Royal Navy alles gesagt? Immerhin hatte Abe eine Epaulette. Und diese Wasserratten sprangen sofort, wenn er nur den Mund auf tat. Und jetzt heftete Fox seine eiskalten Augen auf Jack Coggan. »Sergeant! Komm doch mal hierher!«
»Ja, Sir!« Sie standen nebeneinander auf dem Grat, etwas abseits von den anderen. Zu ihren Füßen breitete sich die Bucht von Abukir aus. Das Fort lag zu ihrer Linken, die See dehnte sich vor ihnen. Aus dem tiefen Blau ragte der eindrungsvolle Mastenwald der Flotte, von der die Boote zur Küste glitten. »Du bist Sergeant beim Coldstream-Regiment«, sagte Fox nachdenklich, »und ich bin Commander der Royal Navy. Wenn du willst, daß die kleinen Mißverständnisse, die in unserer Kinderzeit zwischen uns bestanden haben, unsere Beziehung auch weiterhin beeinträchtigen – bitte. Wir werden schon irgendwann einmal Zeit finden, die Sache zu bereinigen. Wir werden unsere Jacken ausziehen, und dann kämpfen wir, Mann gegen Mann. Nun, Sergeant, was hältst du davon?« Die Sonne stieg am blauen Himmel empor, die Bucht schien vor Männern überzuquellen. Am Strand herrschte reges Leben. »Ich habe gesehen, daß dieser Offizier, aber – ein Gentleman, aber er war…« »Er war ein verdammter Idiot, und jetzt ist er tot. Los, red Weiter!« »Es ist schon so lange her, Abe. Wir wollen die Vergangenheit begraben sein lassen, ja?« »Einverstanden. Irgendwann werde ich dein Zelt suchen, und dann teilen wir uns eine Flasche. Du wirst sicher hören wollen, was mit Katie Hogan und all den anderen passiert ist. Und jetzt, Sergeant…« Und jetzt, trotz aller Erinnerungen an den Schlammgeruch der Themse, an seinen Bruder Johnny, an die verfeindeten Banden, trotz aller wehmütigen Gedanken an die verflossene Jugend, sagte Fox mit schneidender Achterdeckstimme: »Weg-
treten, Sergeant!« »Jawohl, Sir!« Und Sergeant Jack Coggan ging zurück zu seinem Regiment. Fox sah ihm nach. Da ging ein Teil seines Lebens davon… Heute hatten die Briten einen großen Sieg errungen. Bona partes Veteranen waren den britischen Rotröcken begegnet – und davongerannt. War das ein gutes Omen für die Zukunft? Hatte die verachtete britische Army ihren Kampfgeist, ihre See wiedergefunden – hier in der blutbefleckten Bucht von Abukir? George Abercrombie Fox wandte sich wieder den Erforder nissen des Augenblicks zu. Er wußte, was nun getan werden mußte. Sir Sidney Smith würde ihn bis in alle Ewigkeit verfluchen, wenn er jetzt versagte, nachdem er ihn so wortgewandt beschwatzt, so viel versprochen hatte. Seltsam, wie die Begegnung mit einem Feind aus Kinder tagen alles in eine neue Perspektive gerückt hatte. Es mußte Tausende von Jack Coggans in der Army geben. Aber Fox war überzeugt, daß es nicht Tausende von Foxes in der Royal Navy gab. Bei Gott! Hoffentlich gab es die wirklich nicht. Denn was sollte dann aus Englands Navy werden? Er war nicht so glücklich gewesen, mit Admiral Nelson ins Baltische Meer segeln zu dürfen. Aber Nelson würde auch ohne ihn neue Heldentaten vollbringen, seinem Vaterland Ruhm und Ehre erkämpfen. Nun, auch Fox hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Er hatte sein Schiff sicher zum Ankerplatz gesteuert. Er hatte seine Pflicht in dem Boot getan, Menschenleben gerettet, die Männer an Land gebracht. Er hatte die britische Flanke gedeckt, eine französische Kanone erobert, hatte Monsieur Jean Crapeau feige fliehen sehen.
Aber es gab noch mehr zu tun. Als er zurück zu seinen Männern ging, fragte sich George Abercrombie Fox, ob wohl für ihn jemals eine Zeit kommen würde, in der es nichts zu tun gäbe. Sein häßliches Gesicht war ausdruckslos wie immer, als er wieder das Kommando übernahm, als er seine Männer in die Abenteuer und unbekannten Gefahren führte, die Ägypten für sie bereithielt… ENDE
Damit enden vorläufig die Abenteuer von Commander George Abercrombie Fox. Im nächsten Band (Nummer 12) beginnt die große Romanserie über den tollkühnen Freibeuter Philip Hasard Killigrew, genannt ›der Seewolf‹, den Kaperfahrer und Blockadebrecher, Entdecker und Eroberer zur Zeit des berühmten Weltumseglers Francis Drake. Philip Hasard Killigrew ist der jüngste Sproß einer Seeräubersippe, die an der Küste von Cornwall haust. Er beherrscht die Seemannskunst ebenso perfekt wie die Piraterie. Ein unbändiger Freiheitsdrang treibt ihn auf alle Meere der Welt. In seinem abenteuerlichen Schicksal spiegelt sich die ganze Geschichte seiner Zeit.
Eine Leseprobe aus SEEWÖLFE Band 12: »Hau ab!« sagte Philip Hasard Killigrew und wedelte mit der Rechten. »Und vergiß nicht, Luft zu holen. Ich bleib noch ein bißchen hier. Vielleicht schau ich mir nachher mal den Kasten an, ob er mir gefällt. Und bestell deinem Kapitän einen schönen Gruß von mir. Wenn er was von mir will, darf er sich bei mir melden. Vergiß auch nicht, Mister Evarts meine Empfehlung auszurichten. Sag ihm, daß er vermeiden solle, mir über den Weg zu laufen – er und die beiden anderen. Ich hab etwas gegen Kerle, die mich von hinten anspringen und nicht ehrlich kämpfen. Hau ab, Rübenschwein!« Jetzt war der Profoß Carberry weiß wie eine gekalkte Wand. Sein Mund war ein schmaler Strich über dem Amboßkinn. Er schlich geduckt näher. Seine Arme mit den klotzigen Fäusten pendelten wie Dreschflegel links und rechts an seinem massigen Körper. Seine Stimme war heiser und bebte vor unterdrückter Wut. »Du bist wohl lebensmüde…« »Was, wie?« unterbrach ihn der Seewolf höhnisch. Der Profoß brüllte auf und federte mit einem Riesensatz heran. Er prallte gegen die vorschnellenden Beine Hasards und flog zurück. Da war Hasard schon wie der Blitz hoch, packte den Profoß an Hosenbund und Kragen und schleuderte ihn durch das Querschott nach draußen aufs Achterdeck. Der Profoß schlitterte über die Planken und krachte gegen die Nagelbank. Er war ein harter Mann, alles was recht ist. Spä-
testens nach zwanzig Sekunden war er wieder hoch und riß einen Koffeynagel aus der Nagelbank. Der war aus Hartholz und gut über einen Fuß lang – eine mörderische Waffe. Philip Hasard Killigrew erschien in dem Querschott und trat auf das Mitteldeck. Er blickte prüfend am Großmast hoch, schaute nach dem Flögel und Stand des Großsegels und schüttelte den Kopf. Mehr zu sich selbst sagte er: »Könnte noch härter gesegelt werden, dieser Waschzuber.« Der ›Waschzuber‹ hieß ›Marygold‹ und segelte über Backbordbug am Wind südlichen Kurs. Rings um die ›Marygold‹ lag die graue Weite des Atlantik, dessen mächtige Seen unaufhörlich heranrollten. Die ›Marygold‹ nahm sie eine nach der anderen, kletterte an ihnen hoch, bis ihr Bugspriet in den Himmel ragte, neigte sich dann noch weiter nach Backbord über, glitt dabei talwärts und schob sich an der nächsten See hoch. Durch die steifstehenden Luvwanten und Pardunen pfiff der Wind. Hasard stand breitbeinig auf dem Mitteldeck und atmete tief durch. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Profoß, der sich wie eine Katze anschlich. Die Männer der Besatzung wichen zurück bis zum achteren Deck. Die Männer, die gepreßt worden waren, standen wie eine verlorene Hammelherde auf der Backbordseite. Nur das Bürschchen genoß die Szene. Es schaukelte auf einer Webleine der Hauptwanten, die Zunge spitz zwischen den Lippen und sichtlich begeistert, daß der Profoß bereits ein mal die Planken hatte aufsuchen müssen. »Weg mit dem Belegnagel, Profoß«, sagte der Seewolf. »Hier wird mit den Fäusten gekämpft. Wirf ihn weg, oder ich schlag dir die Zähne in den Hals.«
Die Männer stöhnten auf, als der massige Carberry lossprang und den rechten Arm mit dem Koffeynagel hochschwang und niedersausen ließ. Der Seewolf blockte den furchtbaren Hieb mit dem linken Unterarm ab, dann fuhr seine Hand blitzschnell zurück, umschloß das Handgelenk Carberrys, drückte dessen Arm nach unten und begann ihn mit erbarmungsloser Härte umzudrehen. Der Profoß kämpfte verbissen gegen die Drehung an. Er knickte in der Hüfte ein und wand sich. »Laß fallen«, sagte Hasard, »oder ich dreh dir den Arm aus der Schulter, du Miststück!« Edwin Carberry keuchte. Der Mann da vor ihm würde es mit seiner barbarischen Kraft tatsächlich schaffen, seinen Arm in einen Korkenzieher zu verwandeln. Er ließ den Koffeynagel fallen. Hasard stieß ihn mit dem Fuß weg, trat etwas zurück, ließ aber noch nicht los, sondern schlug dem Profoß die Rechte zwischen die Zähne. Ächzend sank der Profoß in die Knie. Hasard hielt ihn fest, hievte ihn wieder hoch und schlug noch einmal auf den Punkt. Erst dann ließ er los. Edwin Carberry stöhnte, spuckte zwei abgesplitterte Zähne auf die Decksplanken, blickte mit glasigen Augen auf Hasard, wankte, riß sich zusammen und stürzte sich dem Seewolf entgegen. Hasard riß nur das rechte Knie hoch und rammte es dem Profoß unter das Amboßkinn. Carberrys Kopf flog zurück, seine Beine gaben nach, er vollführte eine Halblinksdrehung, torkelte und hielt sich an der Nagelbank zum Großmast fest. Dort blieb er gebückt stehen und spuckte Blut. Sein Kopf schaukelte hin und her.
Hasard glitt geschmeidig zum Schanzkleid. Dort stand noch eine Holzpütz voll mit Seewasser. Er griff sie sich, umrundete den Großbaum und Watschte sie von unten in das niederhängende blutige Gesicht Carberrys. »Aufpassen, Hasard«, sagte das Bürschchen scharf. »Hinter dir!« Der Seewolf fuhr herum. In der Kombüsentür auf der Steuerbordseite des Vorkastells stand ein schmieriger Mann mit einem schmierigen Grinsen, schmierigen Augen, schmierigem Haar, schmierigem Hemd und schmierigen Hosen. Seine Zähne, die er zeigte, wirkten zwar nicht schmierig, dafür aber waren sie schwarz und verfault. Er sah insgesamt so freundlich aus wie eine vergammelte Trosse aus Kokostauwerk. Keineswegs schmierig aber war die Radschloßpistole, die er in beiden Fäusten hielt und auf Hasard gerichtet hatte. »Was denn«, sagte der Seewolf und lächelte freundlich, »funktioniert der Kracher auch?« »Worauf du einen Furz lassen kannst«, sagte der schmierige Kerl. Hasard glitt langsam näher. »Vorsichtig«, sagte der schmierige Kerl, »bleib lieber da, wo du bist. Das Loch, das dieses Ding pustet, flickt kein Arzt mehr zusammen.« »Oh«, sagte der Seewolf. Und dann ruckte sein Kopf plötzlich hoch, und er starrte mit entsetzter Miene zum Vorkastell. Lesen Sie In 14 Tagen den SEEWÖLFE-Band 12: � Der Freibeuter aus Cornwall � von Davis J. Harbord � Sie erhalten diesen Band bei Ihrem Zeitschriftenhändler.
Glossarium seemännischer Ausdrücke �
Ankerboje
früher eine hölzerne, später eiserne Tonne, die mittels einer Bojenleine – dem sogenannten Bojereep – am Anker befestigt ist und den Zweck hat, den Platz des Ankers anzuzeigen, bzw. ihn wiederzufinden, falls die Ankerkette gebrochen ist.
Ankerwache
sie zieht auf, wenn ein Schiff vor Anker liegt, kontrolliert die Ankerpeilung, ob der Anker hält und achtet in befahrenen Gewässern auf den Schiffsverkehr, um eventuelle Kollisionen zu verhindern. bei Wind und Seegang von achtern können Segelschiffe dazu neigen, nicht mehr dem Ruderdruck, sondern dem stärkeren Druck von Wind und Welle zu gehorchen. Sie laufen dann aus dem Ruder – ein gefährlicher Moment, dem eine unfreiwillige Halse (Patenthalse) oder ein Querschlagen folgen kann. Auch bei zu wenig Fahrt läuft ein Schiff aus dem Ruder. geographischer Ort eines Schiffes auf See, der durch astronomische Beobachtung, Berechnung des gesteuerten Kurses und der gesegelten Distanz gefunden wird.
Aus dem Ruder laufen
Besteck
binnen �
Block �
Blockwerk � Etmal �
Logbuch �
Bei der Küstenhavigation wird der Standort des Schiffes durch Peilungen von Landmarken und Seezeichen festgestellt. soviel wie innen. Man spricht zum Beispiel von binnenbords, wenn man das Innere eines Bootes meint. dient in Verbindung mit dem Tauwerk dazu, die Richtung einer Kraft zu ändern oder Kraft zu sparen. Er besteht aus einem Gehäuse aus Holz, Eisen oder Messing (heute Kunststoff) mit ein oder mehreren Scheiben, die um stählerne Bolzen drehbar zwischen den Backen des Blocks gelagert sind. Die Scheiben sind ausgekehlt, so daß ein Tau gut in der Rille laufen kann. Zur Befestigung des Blocks befinden sich an ihm ein oder zwei metallene Augen bzw. Schäkel (siehe dem). Der Block ist für die Segelschiffahrt unentbehrlich. sämtliche Blöcke an Bord eines Schiffes. der Zeitraum von 24 Stunden, von einem Mittag zum anderen. Ein Etmal von 341 Seemeilen bedeutet die gesegelte Distanz von Mittag zu Mittag. Dieses Etmal wurde im Jahre 1905 von dem Dreimastschoner ›Atlantic‹ erreicht und gilt bis heute als einmalig. eine Art Schiffsjournal, in dem alle täglichen Ereignisse und nautischen Daten eingetragen werden – Kurs, Geschwin-
Reffbändsel
Reffen
Schäkel
Schlingern
Trimm
digkeit, Wetter, Seegang usw. Bändel längs des Segels, mit denen das Segel zum Reffen eingebunden werden kann. das Verkürzen bzw. Verkleinern einer Segelfläche, wenn es zu stark weht und die normale Segelfläche infolge des Winddruckes zu einer Gefahr für Mast und Spieren wird. Moderne Yachten verfügen heute über Dreh-, Roll- oder Patentreffeinrichtungen, mit denen die Segel in allerkürzester Zeit verkleinert werden können. ein meist u-förmiger oder knapp halbrund geformter meist stählerner Bügel, dessen beide offenen Enden durch einen Drehoder Steckbolzen verschlossen werden. Meist werden die Schäkelbolzen eingeschraubt. Die Schäkel dienen zur Verbindung von Tau- und Blockwerk und sind ebenso wie die Blöcke unentbehrlich. Eine besondere Art sind die Wirbelschäkel, die ein Vertörnen des Tauwerks verhindern. durch den Seegang erzeugte Bewegung eines Schiffes um seine Längsachse. Diesen Vorgang bezeichnet man heute auch mit ›rollen‹. insgesamt die Schwimmlage eines Schiffes, für die insbesondere bei Segelschiffen auch der Stand der Segel maßgeblich ist. Ein gut ausgetrimmtes Segelschiff liegt so
›auf dem Ruder‹, daß es fast ohne Ruderbetätigung geraden Kurs läuft, also nicht der Bremswirkung eines gelegten Ruders unterworfen ist. Zum richtigen Trimm gehören Fingerspitzengefühl und ausgezeichnete Seemannschaft.